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Full text of "Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik der Organismen"

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Manne  ßiological  Lakoralory  Library 

Woods  Hole,  Massachusetts 


Gift   of  F.R.    Lillie   estate    -   i 


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aESAMMELTE  ABHANDLUNGEN 


ÜBER 


ENTWICKELUNGSMECHANIK 
DER  ORGANISMEN 


VON 


WILHELM  ROUX, 

O.  ö.  PROFESSOR  DER  ANATOMIE  UND  DIRECTOR  DES  ANATOMISCHEN  INSTITUTS 

Zu  HALLE  A/S. 


Z^WEITER  BAND. 

0/ 

ABHANDLUNG  XIII-XXXIII, 

ÜBER 

ENTWICKELUNGSMECHANIK  DES  EMBRYO. 

MIT  7  TAFELN  UND  7  TEXTBILDERN. 


LEIPZIG 

VERLAG   VON   WILHELM   ENGELMANN 
1895. 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Uebersetzung,  einschliesslich  vou  Einzel-Abhandlungen,  vorbehalten. 


Druck  der  Kgl.  Univorsitiitsdruckerei  von  H.  Stürtz  in  Würzburg. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


Seite 
Nr.    13.  fl  Einleitung"  zu  den  „Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des 

Embryo".     1885 1—23 

^     14.  Die    Entwickelungsmechanik   der  Organismen,    eine    anatomische 

Wissenschaft  der  Zukunft.     Festrede.     1889 24 —  54 

,     15.  Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik.     1892 .55 —  94 

„     16.  Ueber  die  Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des 

Froschembryo.    1883 95—124 

„     17.  Ueber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren.  Eine  hypo- 
thetische Erörterung.     1883 125—143 

„     18 — 22,  25  u.  27.     „Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des 

Embryo" : 
„     18.  Beitrag  I:       Zur  Orientirung  über  einige  Probleme  der  embryo- 
nalen Eutwickeluug.     1885 144 — 255 

„     19.  Beitrag  II:     Ueber  die  Entwickelung  der  Froscheier  bei  Auf- 
hebung der  richtenden  Wirkung  der  Schwere. 

1884 256—276 

„     20.  Beitrag  III:    Ueber   die  Bestimmung   der  Hauptrichtungen 
des  Froschembryo  im  Ei  und  über  die  erste  Thei- 

lung  des  Froscheies.     1885 277—343 

„     21.  Beitrag  IV:    Die    Bestimmung    der   Medianebene    des    Frosch- 
embryo durch   die  Copulationsrichtung    des  Ei- 

kernes   und  des  Spermakernes.     1887 344—418 

„     22.  Beitrag  V  :     Ueber  die  künstliche  Hervorbringung  „halber" 

Embryonen  durch  Zerstörung  einer  der  beiden  ersten 

FurchungszeUen ,   sowie   über  die   Nachentwickelung 

(Postgeneration)  der  fehlenden  Körperhälfte.    1888    419—521 

„     23.  Ueber  die  Lagerung   des  Materiales   des  Medullarrohres 

im  gefurchten  Froschei.     1888 522—538 


IV  Inhalt  des  zweiten  Bandes 

Seite 
Nr.    24.  Ueber  die  Entwickelung   des  Extraovates   der  Froscheier. 

1889 539-540 

„  25.  Beitrag  VI:  Ueber  die  , morphologische  Polarisation"  von 
Eiern  und  Embryonen  durch  den  electrischen  Strom, 
sowie : 

über  die  Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf  die 
Richtung  der  ersten  Theilung  des  Eies.     1891     .     .     541 — 765 
,     26.  Ueber  das   ent wickelungsmechanische  Vermögen   jeder 

der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Eies.     1892        .     .     .     766—817 
^     27.  Beitrag  VII:  Ueber  Mosaikarbeit  und   neuere  Entwickelungs- 

hypothesen.     1893 818-871 

^  28.  Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  und  über  die 
bei  der  Postgeneration  und  Regeneration  anzunehmenden 

Vorgänge.     1898 872—919 

„     29.  Ueber  die  ersten  Theilungen  des  Froscheies  und  ihre  Bezie- 
hungen zu  der  Organbildung  des  Embryo.     1893   ....     920—926 
„     30.  Ueber  richtende  und  qualitative  Wechsel  Wirkungen  zwischen 

Zellleib  und  Zellkern.     1893 927—939 

„  31.  DieMethoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryo- 
nen und  zum  Nachweis  der  Beziehung  der  ersten  Fur- 
chungsebenen  des  Froscheies  zur  M  e d i a n e b  e n e  des  Embryo. 

1894 940—986 

,     32.  Ueber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen.     1893  .     987 — 995 

„     33.  Nachwort.     1895       996—1024 

Zusammenfassung:  Regeln  und    gestaltende  AVirkungsw  eisen     .  1025 — 1033 

Autorenregister 1034—1039 

Sachregister 1040—1075 


Nr.  13. 
„Einleitung" 

zu  den 

„Beiträgen  zur  Entwiekelungsmeehanik  des  Embryo". 

1885. 
Zeitschrift  für  Biologie  Bd.  XXI.    München,  Juli  1885. 


T  11  h  a  1  t. 

Seite 

Kinematik  der  Entwickelung 2 

Kinetik  der  Entwickelung 3 

Definition  der  Entwiekelungsmeehanik 4 

Definition  der  Entwickelung 4 

Arten  der  Entwickelung: 

a)  Epigenesis  oder  Produktion  von  Mannigfaltigkeit 5 

b)  Evolution  oder  Wahrnehinharwerden  von  Mannigfaltigkeit     ....  5 

Anorganisches  Vorkommen  der  Evolution      , 6 

Anorganisches  Vorkommen  der  Epigenesis 7 

c)  Metamorphose  von  Mannigfaltigkeit 8 

Combination  von  Evolution  und  Epigenesis 9 

Organismen  ohne  Entwickelung 13 

Methode  der  Elntwickelungsmechanik 13 

Nächste  Aufgabe:  Bestimmung  des  Ortes  der  Ursachen 14 

Selbstdiff er enzirung,  Differentiatio  sui 15 

Abhängige  Dif ferenzirung,  Differentiatio  ex  alio 15 

Selbstdifferenzirung  dos  ganzen  Eies 17 

Wirkung  der  Schwere,  des  Lichtes 18 

Selbstdifferenzirung  und  abhängige  Differenzirung  von  Theilen  des  Eies  19 

„Gemischte  Differenzirung",  Differentiatio  mixta 20 

"\V.  Roux,  Gesaminelle  Abliandlniigen.    II.  \ 


2     Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


Dio  beschreibende  EmbiTologie  ist  diiroli  nnermüdlicheii  l*'lciss 
lind  Scharfsinn  vieler  Forscher  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrliunderts 
so  weit  gefördert  worden,  dass  wir  fast  von  jedem  Organe  der  Wirbel- 
tliiere  und  vieler  Wirbellosen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  (re- 
nauigkeit  diejenigen  ,,Formen Veränderungen"  kennen,  unter 
denen  sich  dasselbe  successive  aus  dem  befruchteten  Ei  hervorbildet. 

Nachdem  somit  schon  ein  annähernder  Ueberblick  über  die 
formalen  Veränderungen,  welche  während  der  Entwicklung  vor  sich 
gehen,  gewonnen  ist,  ist  es  wohl  berechtigt,  noch  einen  Schritt  weiter, 
nach  der  Kenntniss  der  ,, Vorgänge"  zu  streben,  durch  welche  diese 
Formwandlungen  hervorgebracht  werden. 

Dieses  weitere  Ziel  lässt  sich  in  zweifacher  Weise  auffassen:  ein- 
mal wiederum  formal,  sofern  bloss  die  ,, formalen"  Vorgänge  er- 
kannt und  beschreibend  dargestellt  werden  sollen.  Als  das  letzte  Ziel 
dieses  Strebens  würde  die  vollkommene  Kemitniss  des  Weges  zu  be- 
zeichnen sein,  welchen  jedes  gesonderte  Bahnen  einschlagende  Theil- 
chen  des  befruchteten  Eies  bis  zu  seiner,  des  Theilchens  letzten  Ver- 
wendung zum  Aufbaue  des  Organismus  durchläuft,  verbunden  mit 
der  Kenntniss  des  Weges  aller  von  aussen  aufgenommenen  und  bis 
zur  Vollendung  der  Entwicklung  des  Individuums  zum  Aufbaue  irgend- 
wie verwendeter  Theile  [sowie  die  Kenntniss  der  Anordnung  aller 
dieser  Theilchen  zu  einander  in  jedem  Momente  der  Entwickelung]. 
Erst  mit  der  Wiederaus-  [412]  Scheidung  der  Theilchen  aus  dem  Orga- 
nismus würden  wir  dieselben  vor  Erreichung  des  Oulminationspunktes  der 
Entwicklung  aus  unserer  Beobachtung  entlassen.  Dem  Anfange  derartiger 
Betrachtung  hätte  die  Kenntniss  der  Lagcrungsbeziehung  aller  Tlieile 
des   seine  Entwicklung  beginnenden  Eies  zu  einander  vorauszugehen. 

Dies  wäre  die  descriptive  Definition  der  vor  uns  lie- 
genden weiteren  Aufgabe  der  Embryologie;  kurz  gefasst 
also:  die  vollkommene  Beschreibung  aller,  auch  der  kleinsten 
Entwicklungs  Vorgänge  als  Substanzbewegungen  der  Tlieile  des  Eies 
und  der  von  ihm  aufgenonnnenen  Tlieile  bis  zur  vollen  Entwicklung 
des  Individuums,  gestützt  auf  die  vollkommene  Kenntniss  der  An- 
ordnung und  äusseren  Beschaffenheit  jedes  kleinsten  Theilcliens  des 


Kinematik  und  Kinetik  der  Entwickelung.  3 


bofrucliteten  Eies:  eine  „Kinematik  der  Entwicklung",  wenn 
wir,  wie  wohl  zu  empfehlen  ist,  uns  an  Ampere's  Eintheilung  der 
Bewegungslehre  anschliessen. 

Wenn  wir  diese  Kenntnisse  hätten,  so  würden  wir  im  Stande 
sein,  die  ganze  enibrj'onale  Entwicklung  rein  descriptiv  darzustellen 
und  sie  somit  als  eine  descriptive  Wissenschaft  zu  behandeln  [im 
Sinne  KiHnniioFF's,  welcher  die  Mechanik  als  eine  beschreibende  Wissen- 
schaft bezeichnet  und  behandelt].  Wir  werden  aber  dieses  Ziel  nicht 
nur  nie  erreichen,  sondern  auch  nicht  einmal  uns  ihm  bloss  durch 
Beobachtung  des  normalen  Geschehens  crhebHch  viel  weiter  zu 
nähern  vermögen,  als  es  bereits  geschehen  ist.  Dies  aus  dem  Grunde, 
weil  sowohl  diejenigen  Bew^egungen  der  Theilchen,  welche  gruppen- 
weise die  einzelnen,  äusserlich  sichtbaren  Formwandlungen  hervor- 
bringen, wie  auch  die  Bewegungen,  welche  die  sogenannten  qualita- 
tiven Veränderungen  hervorbringen,  ihrer  Hauptsache  nach  der 
directen  Beobachtung  entzogen  sind. 

Gleichwohl  ist  nicht  von  vornherein  zu  sagen,  dass  wir  dauernd 
auf  die  Kenntnissnahme  von  ihnen  verzichten  müssten,  denn  es  gibt 
noch  einen  andern  Weg,  sie  kennen  zu  lernen,  den  des  induc- 
tiven  und  deductiven  Schliessens  auf  Grund  der  Causalität. 

Es  leuchtet  ein,  dass  die  Entwicklungsbewegungen  der  Theilchen 
des  seine  Entwicklung  beginnenden  Eies  nach  dem  ersten  Momente  der 
P^ntwicklung.  wenn  überhaupt,  so  nur  einen  kleinsten  Zeitraum  und  eine 
minimalste  Strecke  hindurch  selbstständige  d.  h.  rein  dem  eigenen 
Beharrungsvermögen  folgende  sein  werden,  dass  im  nächsten  Momente 
schon  gegenseitige  Beeinflussungen  stattfinden  [4131  müssen,  welche 
in  den  dadurch  hervorgerufenen  Veränderungen  eben  die  Ent- 
w i  c  k  1  u  n  g   darstellen . 

Es  leuchtet  weiterhin  ein,  dass,  wenn  wir  die  gegenseitige 
Lagerungsbeziehung  aller  Theile  des  Eies  im  Momente  des  Entwick- 
lungsbeginnes, nebst  den  Beschleunigungen,  die  jedem  derselben 
dabei  ertheilt  worden  sind,  und  die  den  Theilchen  immanenten  Kräfte 
selbst  kennten,  wenn  somit  alle  inneren  Ursachen  der  Entwicklung 
eines  einzigen  Momentes  der  Entwicklung  und  Aveiterhin  noch  alle 
von  aussen  hinzukommenden  Componenten  während  des  gan- 

1* 


4     Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


zen  Verlaufes  der  Entwicklung  uns  bekannt  wären ,  wir  daraus  die 
künftigen  Entwicklungsbewegungen  aller  Theilchen  abzuleiten  und  so 
die  Lücke  der  directen  Beobachtungen  auszufüllen  vermöchten.  Eine 
derartige  ursächliche  Entwicklungslelire  würde  den  Namen 
„Kinetik"  der  Entwicklung  verdienen. 

Wir  werden  keine  von  beiden  so  unterschiedenen  Wissenschaften 
voUendet  sehen ;  aber  wir  werden  immer  beide  mit  einander  zu 
pflegen  haben,  um  auf  beiden  Wegen  uns  unserem  Ziele  zu 
nähern;  der  somit  nöthigen  Vereinigung  beider  Wissenschaften  können 
wir  den  Namen  „Eiitwickluiigsiiiechaiiik"  des  Embryo  beilegen. 
Es  liegt  in  der  Natur  der  Verhältnisse,  dass  von  den  beiden  Theilen, 
welche  dieser  Terminus  darnach  umfasst,  die  Kinematik,  die 
bloss  descriptive  Bewegungslehre,  von  der  Kinetik,  der  ur- 
sächlichen Bewegungslehre  [oder  der  Lehre  von  den  Wirkungen 
der  Theile  auf  einander]  mehr  und  mehr  in  die  Rolle  einer  blossen- 
Hilfsvvissensschaft  gedrängt  werden  muss. 

Insofern  es,  abgesehen  von  der  Entwicklung  des  Eies,  der  Knospen 
etc.  noch  viele  andere  Entwicklungsvorgänge  gibt  und  es  von  Nutzen 
sein  wird,  diese  zur  Belehrung  vergleichsweise  mit  in  Betracht  zu  ziehen, 
so  werden  wir  eine  ,,allge meine  Entwicklungsmechanik"  zu 
unterscheiden  haben  von  der  speciellen  des  Embryo,  welche  den 
speci eilen  Gegenstand  unserer  Untersuchungen  bilden  soll. 

Die  Eutwicklungsmechanik  im  allgemeineren  Sinne  ist,  mit 
Bevorzugung  ihres  kinetischen  Theiles,  als  die  Wissenschaft  von 
der  Beschaffenheit  und  den  Wirkungen  derjenigen  Com- 
binationen  von  Energie  zu  bezeichnen,  welche  Entwick- 
lung hervorbringen. 

[414]  Unter  „Entwicklung''  selber  verstehen  wir,  den  Begriff 
in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  gefasst,  das  Entstehen  von 
wahrnehmbarer  Mannigfaltigkeit.  In  der  Wahrnehmbarkeit 
der  entstehenden  Mannigfaltigkeit  enthält  dieser  Begriff  ein  mensch- 
lich subjectives  Moment,  welches  uns  bezüglich  weiterer  Einsicht 
nöthigt,  ihn  selber  in  zwei  verschiedene  Theile  zu  zerlegen:  In  die 
wirkliche  Production  von  M  an  nigf altigkeit  und  in  die  blosse 


Neiip   Pcfinition  der  E|Mgeiiosis  und  Evolution.  5 

U  111 1)  i  1  (1  u  11  g  \'oii  11  i eilt  wall  rnc  li  111  ])a  rc  r  Mu  ii  iiigl'a  1 1  igkeit 
in  \v  all  rii  oll  iiiliare,  sinn  eii  fällige. 

Die  so  unterschiedenen  beiden  Arten  von  Entwicklung  stehen 
in  einem  Verhältnisse  zu  einander,  welches  an  die  alten  Gegensätze 
der  Epigenesis  und  der  Evolution  erinnert,  also  an  die  Alter- 
native einer  Zeit,  in  der  es  die  Aufgabe  und  alleinige  Möglichkeit 
war.  zunächst  die  geformten  Producte  der  Bildungsvorgänge,  die  äusser- 
lich  sichtl)aren  Eormwandlungen  festzustellen.  Bei  dieser  descriptiven 
Untersuchung  der  formalen  Entwicklung  trug  die  Epigenesis,  die 
successive  Bildung  neuer  Formen  den  vollkommenen  Sieg  über  die 
Evolution,  über  die  blosse  Wahrnehmbarwerdung  von  vornherein  vor- 
handener Formeneinzelheiten  davon. 

Bei  einem  tieferen  Eindringen  in  die  Bildungsvorgänge,  dessen 
die  causale  Ihitersuchung  benöthigt,  werden  wir  indes  von  neuem 
vor  diese  Alternative  gestellt  und  zugleich  veranlasst,  sie  in  einer 
tieferen  Bedeutung  zu  erfassen.  Wenn  hierbei  die  bisherigen  Bezeich- 
imngen  beibehalten  werden  sollen,  so  bedeutet  alsdaim  .,Epig-«Mjesis'^ 
nicht  bloss  die  Bildung  mannigfacher  Formen  durch  die  Kräfte 
eines  formal  einfachen,  aber  vielleicht  in  seinem  Innern  ausser- 
ordentlich complicirten  Substrates,  sondern  die  Neubildung  von 
Mannigfaltigkeit  im  strengsten  Sinne,  die  wirkliche  Vermehrung 
der  bestehenden  Verschiedenheiten.  ,.Ev(>liitiüii"'  dagegen  ist  hier- 
nach das  blosse  W  ah  rn  eh  mb  a  r  w  er  den  pr  äexisti  ren  de  r  la- 
tenter Verschiedenheiten. 

Es  ist  klar,  dass  nach  diesen  allgemeineren  Definitionen  Vor- 
gänge, welche  der  formalen  Betrachtung  als  Epigenesis  sich  dar- 
stellen ,  in  Wirklichkeit  vorwiegend  oder  ausschliesslich  Evolutionen 
sein  können;  und  wir  erkeimen  demnach,  dass  wir  bei  dem  be- 
absichtigten tiefern  Eindringen  in  das  Ent  -  [4-15]  wick- 
lungsgeschehen  aufs  Neue  vor  die  Frage  gestellt  wer- 
den: Ist  die  embryonale  Entwicklung  Epigenesis  oder 
Evolution  [oder  Combination  beider  (siehe  Nr.  13,  S.  419, 
423  u.  428)]  1)? 

[1)  Dieses  wichtige  Problem  des  Antlieils  der  Evolution  und  der  Epigenesis 
an    der    individuellen  Entwicklung  wurde    später    im  Sinne    der  hier   gegebenen  Defi- 


6    Nr.  13.    Einleituug  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


Diese  beiden  Arten  der  Entwicklung  sehen  wir  in  der 
anorganischen  Natur  meist  mit  einander  verbunden  vor- 
kommen. .Je  tiefer  wir  aber  in  einen  beobachteten  Entwickkmgs- 
vorgang  eindringen,  um  so  mein-  erkennen  wir  in  der  Regel,  dass  ein 
grosser  Th eil  dessen,  was  uns  beim  ersten  Ueberdenken  der  Be- 
obachtung als  neugebildete  Mannigfaltigkeit  erschien,  einer 
Metamorphose  von  präexistirenden  Verschiedenheiten 
seinen  Reich thum  an  sinnenfälliger  Mannigfaltigkeit  verdankt. 

So  werden  wir  zunächst  geneigt  sein,  die  Berge  und  Thäler 
unserer  Erde  rein  als  im  Laufe  des  Erdgeschehens  neu  gebildete 
Mannigfaltigkeiten  aufzufassen;  und  doch  belehrt  ein  tieferes  Nach- 
denken, dass  in  der  durch  Abkühlung  zuerst  erstarrten  Erdkruste 
bei  weiterer  i\.bkühlung  und  Verkleinerung  des  Erdinnern  und  der 
dadurch  bedingten  Stauung  der  harten  Rinde  in  sich  selbst  Sprünge 
und  Einstülpungen,  als  die  ersten  Anlagen  von  Berg-  und  Thalbildung, 
immer  nur  an  den  Stellen  jeweilig  vorhandenen  geringsten  Wider- 
standes entstehen  konnten,  ebenso  wie  in  späterer  Zeit  ceteris  paribus 
Erosionsthäler  an  den  Stellen  geringsten  Widerstandes  gegen  die 
lösende  und  mechanische  Kraft  des  Wassers  [ausser  an  den  Stellen 
stärkerer  Einwirkung  solcher  Kräfte]  sich  bilden  mussten.  Es  waren 
also  als  Vorbedingungen  so  reicher  Berg-  und  Thalbildung  schon 
zahlreiche  Ungleichheiten  in  der  Erdrinde  vorhanden,  welche  ihrer- 
seits weiterhin  von  Ungleichheiten  in  der  Zusammensetzung  der  Erde 
zur  Zeit  der  Erstarrung  abhängig  waren ;  und  diese  wiederum  müssen 
von  Verschiedenheiten  in  der  Bewegung,  Wärme  oder  Mischung  der 
Theile  schon  zu  Zeiten  herstammen,  in  denen  wdr  uns  mit  Kant  und 
LArLACE  das  Weltall  noch  als  ein  in  Bewegung  befindliches  Gasgemisch 
vorstellen. 


nitionen  ausführlich  theoretisch  behandelt  von  A.  Weismann  mit  dem  Ergebpiss  der 
fast  reinen  Evolution  (s.  das  Keimplasma,  eine  Theorie  der  Vererbung  1892)  und  von 
0.  Hertvvig  mit  dem  Ergcbniss  der  fast  reinen  Epigenesis  (Aeltcre  und  neuere  Ent- 
wicklungstheorien 1892  ;  Präformation  oder  Epigenesis?  1894),  während  mir  ein  an- 
nähernd gleicher  Antheil  beider  Principien  richtiger  zu  sein  schien,  trotz  der  von  mir 
(Nr.  22)  nachgewiesenen  Selbstdiffenzirung  der  vier  ersten  Furchungszellen ; 
neben  dem  Antheil  letzterer  wurde  von  mir  stets  auch  auf  den  Antheil  differen- 
zirender  Correlationen  hingewiesen  (s.  Nr.  18  S.  477  u.  f.).  wie  entgegen  irr- 
thümlicher  Unterstellungen  bemerkt  sei  (s.  Nr.  26  S.  52,  Nr.  27,  Nr.  28  und  :31).J    ■ 


Metamorphose  von  Mannigfaltigkeit. 


l''l)(,'nso  w(M"(l(Mi  wir  iiielit  annolmu'ii  dürfen,  dass  die  liocli- 
gradige  Mannigi'altigkeit  feiner  Rel  ief  verseli  iedenhei  ten  die 
auf  der  Brueli fläche  irgend  eines  von  uns  erzeugten  scheinbar 
homogenen  Gebildes,  sei  es  z.  B.  der  gebrochenen  Achse  einer  Locomo- 
tive  oder  eines  zersprungenen  Fernrohrobjectives  sich  darbietet,  allein 
derjenigen  Kraft,  welche  die  Zusamraenhangstrennung  bewirkt  hat, 
ihre  Entstehung  verdankt ;  denn  diese  feinen  Verschiedenheiten  folgen 
nicht  den  Richtungen  stärkster  [416]  Kraftvertheilung.  Die  Ab- 
weichungen von  diesen  letzteren  finden  vielmehr  ihre  Ursache  in  Un- 
gleichheiten der  Spannungen  zwischen  den  einzelnen  Theilen,  welche 
ihrerseits  wieder  von  ursprünglichen  Verschiedenheiten  des  Materiales 
oder  der  Bewegung  und  Abkühlung  seiner  Theile  herrühren. 

Aus  dieser  Einsicht  ist  indes  nicht  zu  folgern,  dass  in  letzter 
Instanz  alle  Mannigfaltigkeit,  welche  wir  wahrnehmen,  bei  genügend 
tiefem  Eindringen  unserer  Erkenntniss  sich  blos  als  Metamorphose 
schon  vorhanden  gewesener  Verschiedenheiten  als  Evolution  erweisen 
würde.  Im  Gegentheil,  es  gibt  Arten  der  wirklichen  Neuer- 
zeugung, Epigenesis  unzählbarer  Verschiedenheiten  aus 
wenigen  einfachen  Bedingungen. 

Nehmen  wir  z.  B.  an,  es  gäbe  ein  Stück  nach  allen  Richtungen 
hin  vollkommen  isotroper  Substanz,  und  es  wäre  möglich  gewesen, 
eine  Billardkugel  daraus  zu  drehen ,  ohne  die  elastische  Isotropie  zu 
stören,  so  würde  doch  der  erste  Stoss  schon  diese  (Tleichheit  für  immer 
vernichten,  sofern  das  Material  nicht  zugleich  auch  absolut  vollkommene 
Elasticität  besässe.  Könnten  wir  diese  Kugel  nach  dem  einen  Stosse 
in  eine  Macerationsfiüssigkeit  legen,  welche  alle  Theile  ungleicher 
Dichtigkeit  von  einander  löste  ohne  den  Zusammenhang  gleich  dichter 
Theile  zu  alteriren ,  so  würde  dieselbe  in  eine  unzählbar  grosse  An- 
zahl um  den  x-Vnstosspunkt  geordneter  Schalen  zerlegt  werden  und 
uns  so  augenfällig  das  unermessliche  epigenetische  Schaffens- 
vermögen der  Natur  demonstriren. 

Um  letzteres  in  Wirklichkeit  zu  thun,  Ijrauchen  wir  nur  die 
äquipotentialen  Linien  eines  von  zwei  Punkten  aus  durch  eine  ge- 
eignete Metallplatte  geleiteten  elektrischen  Stromes  sich  selber  dar- 
stellen zu  lassen,  oder  einem  Magneten  durch  Ueber-ihn-Halten  einer 


•yo. 


8     Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embr 

mit  Eisenpfeilspänen  bestreuten  Glasplatte  unter  leichter  Erschütte- 
rung derselben  r4elegenheit  zu  geben,  Faradey's  magnetische  Kraft- 
curven  zu  bilden,  oder  noch  einfacher  einen  Tropfen  farbiger  Flüssig- 
keit in  ein  Glas  ruhenden  Wassers  fallen  zu  lassen  ^). 

Um  weiter  in  die  Probleme  der  Entwicklung  eindringen  zu 
können,  müssen  wir  weiterhin  die  Evolution,  die  Umwandlung 
verborgener  Mannigfaltigkeit  in  wahrnehmbare  durch  Ana' 
lyse  objectiviren  und  sie  so  ihres  subjectiven  Charakters  entkleiden. 

[417]  In  Berücksichtigung  der  Leistungsfähigkeit  unserer  Sinne, 
in  deren  Wahrnehmnngsbereich  die  Vorgänge  fallen  sollen,  speciell 
in  Anknüpfung  an  das  Gesichtsorgan,  mit  welchem  wir  l:)is  jetzt  allein 
die  Entwicklung  der  uns  später  beschäftigenden  Gebilde  zu  beobachten 
vermögen,  kann  das  Wahr  nehm  bar  wer  den  beruhen:  Erstens 
auf  einem  einfachen  Grösserwerden,  unter  vollkommener  Er- 
haltung aller  Proportionen,  also  auf  gleichmässigem  Wachsthum  nach 
allen  Richtungen  hin,  wie  es  z.  B.  bei  der  Krystallbildung,  wohl  nie 
aber  im  organischen  Geschehen  rein  vorkommt. 

Zweitens  kann  die  nicht  wahrnehmbare  Mannigfaltigkeit,  ohne 
Aenderung  ihr  später  wahrgenommenen  räumlichen  Dimensionen, 
in  ihrer  Natur  derart  verändert  werden,  dass  sich  ihre  bisher 
unsichtbar  ungleichen  Theile  nunmehr  auch  gegen  das  Licht  also 
gegen  die  Form  von  Energie  ungleich  verhalten,  welche  die  Be- 
ziehungen zwischen  der  Aussenwelt  und  unserem  Auge  vermittelt. 
Dies  kann  z.  B.  bei  der  unsichtbaren  Schrift  eines  mit  gelöstem 
Cabaltchlorür  geschriebenen  Briefes  durch  Erwärmen  desselben  ge- 
schehen .    da    dadurch   das   farblose   Hvdrat   des    Salzes   sein   Wasser 


[')  Sind  die  Bedingungen  zur  Produktion  dieser  Mannigfaltigkeit  in  verschie- 
denen Fällen  ganz  dieselben,  also  typische,  so  muss  auch  die  producirte 
Mannigfaltigkeit  in  diesen  Fällen  die  gleiche,  also  typische,  werden, 
so  wie  es  bei  den  Nachkommen  eines  Elternpaares  der  Hauptsache  nach  auch  der 
Fall  ist.  Es  ist  aber  infolge  des  steten  Wechsels  der  äusseren  Verhältnisse  sehr 
schwer,  künstlich  ganz  die  gleichen  Bedingungen  herzustellen.  Soweit  solche 
typische  Epigenese  bei  der  individuellen  Entwickelung  vorkommt,  müssen  daher  ganz 
besondere  feste  und  wohl  auch  noch  durch  Selbstregulationsmechanismen 
soweit  als  nöthig  in  ihrer  Constanz  besonders  gesicherte  Erzeugungsbedingungen  vor- 
handen sein;  ist  dies  aber  der  Fall,  dann  kann  auch  unendlich  viel  typische 
Mannigfaltigkeit  auf  diese  Weise  hervorgebracht  werden,  wie  ich 
entgegen  Wkismann  vertrete.] 


Combinatioii  von  Evolution  und  Epigenesis. 


verlier!  und  dabei  eine  blaue  Farbe  anninnnt;  oder  dasselbe  findet 
statt,  wenn  der  Photograph  das  nocli  unsichtbare  T-)ild  auf  der  ex- 
ponirten  Platte  durch  Uebergiessen  derselben  mit  gelöstem  schwefel- 
sauren Eisenoxydul  wahrnehmbar  macht  und  so,  wie  er  sagt:  ,, ent- 
wickelt". Dasselbe  geschieht  seitens  des  Mikroskopikers  täglich,  indem 
er  optisch  von  ihrer  Umgebung  nicht  differenzirten  Gewebebestand - 
theilen  nach  J.  Gehlach's  Methode  durch  'Einlegen  des  ganzen  Gewebes 
in  Farbstofflösungen  Gelegenheit  gibt,  ihre  eventuellen  chemischen 
Verschiedenheiten  in  einer  sichtbar  werdenden  Weise  zu  bethätigen. 
Oder  indem  wir  die  unsichtbaren  ultrarothen  oder  ultraviolleten  Strahlen 
des  Spectrums  durch  die  Phosphorescenz  des  Schwefelcalciums  resp. 
durch  die  Fluorescenz  des  schwefelsauren  Chinins  in  sichtbare  Strahlen 
verwandeln.  Um  eines  der  oben  schon  erwähnten  Beispiele  heran- 
zuziehen, so  wurde  der  Einblick  in  die  verborgene  Mannigfaltigkeit 
des  Inneren  der  Locomotivenachse  dadurch  gewonnen,  dass  deren 
Festigkeit  durch  äussere  Krafteinwirkung  über  ihre  Grösse  in  An- 
spruch genommen  wurde,  wodurch  an  den  Stellen  geringster  Festig- 
keit eine  Continuitätstrennung  stattfand,  die  uns  in  der  Formenmannig- 
faltigkeit der  [418]  Bruchfläche  einen  Theil  der  vorhanden  gewesenen 
Mannigfaltigkeit  ungleicher  innerer  Kraftwirkungen  oiäienbarte. 

Drittens  können  diese  beiden  Arten:  das  Wahrnehmbarwerden 
durch  einfache  Vergrösserung  und  dasjenige  durch  Umänderung  der 
Natur  der  Verschiedenheiten,  mit  einander  vereinigt  vorkommen. 
Dies  z.  B.  wenn  die  Schwingungen  einer  Stimmgabel  durch  Reflexion 
eines  Flammenbildes  unter  Benutzung  eines  rotirenden  Spiegels  an 
der  Wand  vergrössert  sichtbar  gemacht  werden.  Das  vergrösserte 
Bild  der  Schwingungen  wird  dabei  zugleicli  durch  den  rotirenden 
Spiegel  in  der  Rotationsrichtung  auseinandergezogen  und  so  defor- 
mirt.  Die  Deformation  kann  dabei  je  nach  der  Einrichtung  des 
Apparates  unabhängig  von  der  Gesammtvergrösserung  des  Schwin- 
gungsbildes stattfinden,  oder  beide  können  untrennbar  mit  einander 
verbunden  sein.  Letzteres  ist  vielleicht  bei  mehreren  Evolutions- 
vorgängen der  embryonalen  Entwicklung  der  Fall,  z.  B.  wenn  ein  Ge- 
misch mit  ungleicher  Wachsthumsfähigkeit  begabter  Theile 
Gelegenheit   erhält,    diese    Ungleichheit   zu   bethätigen    [wie 


10     Nr.  13.  Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 

z.  B.  eine  Kngel  von  Brodteig,  dem  aber  an  verscliiedenen  Stellen 
verschiedene  Mengen  von  Hefe  zugesetzt  war,  wenn  sie  in  die  nöthige 
Wärme  kommt];  hierbei  werden  die  Theiie  mit  Nothwendigkeit  ihre 
relative  Lagerung  zu  einander  ändern  müssen  und  auch  bei  ur- 
sprünglich einfachster  Gestalt  des  Ganzen  eine  Mannigfaltigkeit  äusserer 
Formen  produciren  [welche  um  so  grösser  wird  je  länger  diese  Be- 
thätigung  andauert].  Und  es  ist  weiterhin  anzunehmen,  dass  die  im 
Wechsel  der  Bewegung  und  im  Wechsel  der  Substanz  fortwährend 
neu  erzeugten  typischen  Anordnungen  der  Atome  und  Moleküle  der 
organisirten  Gebilde,  welche  ich  als  Metastructuren  (siehe  Nr.  17 
S.  19)  bezeichnet  habe,  auch  bloss  unter  gleichzeitiger  Metamorphose 
dieser  Anordnung  ins  Grosse  sich  umzul)ilden  oder  umgebildet  zu 
werden  vermögen. 

Ausser  der  Metamorphose,  welche  die  Wahrnehmbarwerdung 
hervorbringt,  verdient  noch  die  Metamorphose  schon  wahrnehm- 
barer Mannigfaltigkeit  der  Erwähnung.  Derartige  Verwandlungen 
würden  nach  der  oben  gegebenen  Definition  der  Entwicklung  von 
uns  nur  insoweit  zu  berücksichtigen  sein,  als  sie  zugleich  auch  mit 
Vermehrung  der  Mannigfaltigkeit  verbunden  sind.  Doch  wie  schon 
hierin  der  Sprachgebrauch  nicht  sehr  streng  geschieden  hat,  so 
werden  auch  wir  Veranlassmig  haben,  diesen  von  R.  Virchow  als 
Metaplasie  bezeichneten  Vorgang  soweit  er  in  der  embryonalen 
[419]  Entwicklung  vorkommt,  mit  in  den  Bereich  unserer  Untersuch- 
ungen zu  ziehen. 

Ebenso  wie  die  Unterarten  der  Evolution,  die  einfache  Ver- 
grösserung  und  die  Metamorphose,  sind  auch  andererseits  die  Evo- 
lution selber  und  die  Epigenesis  oft  untrennbar  mit  ein- 
ander verbunden.  So  auch  in  den  oben  angegebenen  Beispielen 
der  Epigenese.  Wir  werden  uns  dies  an  einer  eingeworfenen  Fenster- 
scheibe leicht  vorstellen  können ;  die  radiären  und  die  concentrischen 
Sprünge  stellen  in  den  Linien  stärkster  Kraftwirkung  die  neu  produ- 
cirte  Mannigfaltigkeit  dar,  und  die  Reliefverschiedenheiten  auf  den 
Sprungflächen  selber  bekunden  uns  wiederum  die  ungleichen  inneren 
Zustände,  welche  vorher  schon  in  der  Scheibe  präexistirten. 

Es   könnte    daher   erspriesslich    sein,    zunächst    ganz    allgemein 


Drei  Arten  von  Entwickelnngsmechanik.  11 

drei  Arten  von  Entwieklungsmeclianik  ans/Ai])il(leii :  die  Mechanik 
der  Neubildnng  von  Mannit2;raltigkeii,  die  Mechanik  der 
Metamorpliose  von  bloss  zu  ersclüiessenden  Verschiedenheiten  in 
wahrnehmbare,  und  die  Mechanik  der  Verknüpfung  beider 
primären  Typen.  Wir  werden  später  Gelegenheit  nehmen  müssen, 
uns  einen  etwas  eingehenderen  Einblick  in  diese  Gebiete  zu  ver- 
schaffen, als  es  durch  die  vorstehende  kurze  Erörterung  geschehen 
ist,  da  sich  die  Vorgänge,  welche  unsere  Specialaufgabe 
bilden,  aus  dem  Zusammenwirken  aller  drei  zusammen- 
setzen. 

Wenn  wir  diese  Specialaufgabe  von  vornherein  unter  den  Ge- 
sichtspunkt des  SpiNozA-KANT'schen  Begriffes  ,, Mechanismus"  gebracht 
haben,  so  geschah  diese  Praesumption  in  der  Voraussicht,  dass  bei 
dem  materiellen  Ablaufe  der  Entwicklungs Vorgänge  des  Embryo 
nichts  Metaphysisches  in  Betracht  zu  kommen  habe,  dass  diese  Vor- 
gänge durchaus  ein  dem  Gesetze  der  Gausalität  unterstehendes  Ge- 
schehen darstellen.  Auf  solche  Voraussicht  allein  kann  sich  auch 
unser  Unterfangen  gründen,  dieselben  erforschen  zu  wollen.  Ich 
habe  diese  Voraussicht  nicht  einfach  aus  unserer  gegenwärtigen  Welt- 
auffassung entnounnen ,  sondern  ich  habe  es  mir  Jahre  der  Ueber- 
legung  kosten  lassen,  den  Möglichkeiten  nachzuspüren,  wie  aus  einem 
relativ  oder  scheinbar  Einfachen  ohne  entsprechende  gestaltende  Ein- 
wirkung von  aussen  ein  so  complicirtes  und  typisch  geformtes  Ge 
bilde  hervorgehen  kann,  wie  etwa  das  Hühnchen  aus  dem  [420]  Eie. 
Diese  Mühe  war,  vom  Standpunkte  der  Wissenschaft  aus  betrachtet, 
überflüssig,  da  diese  Fragen  bereits  von  den  Philosophen  eingehends 
und  am  vollkommensten  wohl  von  Hermann  Lotze  ')  behandelt  worden 
waren.  Es  ist  hier  ein  Gebiet,  wo  der  Naturforscher  zunächst  beim 
Philosophen  in  die  Lehre  zu  gelien  hat,  wenn  er  seine  Kraft  nicht 
an  die  Erringung  von  schon  Bekanntem  verschwenden  will;  und  ich 


1)  H.  LoTZK,  Allgemeine  Physiologie  des  körperlichen  Lebens  1851,  Buch  2, 
Cap.  III.  Ein  ausführliches  Excerpt  findet  sich  bei  A.  Raubkr  (Formbildung  und 
Formstörung  in  der  Entwicklung  von  Wirbelthieren  1880  S.  52 — 58),  welcher  seinen 
eigenen,  meiner  Auflassung  nach  leider  oft  verirrten  causalen  Untersuchungen  eine 
sorgfältige  Zusammenstellung  der  ersten  Keime  gleicher  Bestrebungen  in  der  älteren 
Literatur  vorausgeschickt  hat,  worauf  hier  verwiesen  wird. 


12    Nr.  13.  Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmeclianik  des  Embryo. 


kann  nicht  o-enuo-  den  Genossen  p-leicben  Strebens  anrathen ,  die  be- 
züglichen  Schriften  eingehends  zai  studiren.  Aber  da  es  uns  nicht, 
wie  dena  Philosophen  auf  diesem  Gebiete,  bloss  um  allgemeine  Möglich- 
keiten, sondern  um  thatsächliche  Wahrheiten  zai  thun  ist,  so  Averden 
wir  uns  andererseits  auch  sorgfältig  vor  der  üeberschätzung  des 
empirischen  Werthes  dieser  philosophischen  Betrachtungen  zu  hüten 
und  sie  bloss  als  heuristische  Principien  für  unsere  mühsamen  exacten 
Einzelforschungen  zu  benützen  haben.  Obgleich  ich  somit,  objectiv 
betrachtet,  Kraft  vergeudet  habe,  indem  ich  mir  all  das,  was  von 
dieser  Seite  her  bereits  errungen  war,  aufs  neue  selbständig  erarbeitete, 
so  will  ich  diese  Arbeit  doch  nicht  für  ganz  verloren  erachten.  Es 
war  mir  einmal  eine  hohe  Genugthuung  zu  sehen ,  dass  ich  oft  bis 
ins  Einzelnste  hinein  zu  ganz  denselben  Resultaten,  ja  sogar  zur  Ver- 
wendung derselben  Gleichnisse  gekommen  war  als  H.  Lotze;  anderer- 
seits aber  hoffe  ich,  dass  mein  von  vornherein  auf  die  empirische 
Prüfung  der  gewonnenen  Einsichten  gerichtetes  Streben  mich  hat 
Wege  einschlagen  lassen,  welche  sich  für  diesen  Zweck  mehr  eignen 
als  die  des  Philosophen,  welcher  die  Probleme,  vom  Standpunkte 
unseres  Zweckes  aus  betrachtet,  bald  zu  eng,  bald  auf  lange  Zeit 
hinaus  zu  weit  gefasst  hat.  Und  ich  erkenne  einen  Nutzen  schon 
darin,  dass,  während  Lotze  bezüglich  der  speciellen  Erkenntniss  der 
Entwicklungsvorgänge  fast  ganz  resignirt,  ich,  wenn  ich  nicht  irre, 
aus  der  grossen  Anzahl  auftauchender  Probleme  dasjenige  einfachste 
derselben  herausgehoben  [421]  habe,  welches,  mit  den  empirischen 
Mitteln  unserer  Zeit  für  sich  lösbar,  mit  seiner  Lösung  zugleich  ent- 
weder den  Zugang  zur  Lösung  vieler  weiterer  Probleme  eröffnet  oder 
wenigstens  dieselben  gegen  einander  abzugrenzen  gestattet  und  so 
vielleicht  der  gesonderten  Behandlung  zugänglicher  macht. 

Es  bedarf  wohl  keiner  besonderen  Begründung,  dass  trotz  des 
Lichtes,  welches  durch  die  Decendenzlehre  auf  die  jeweiligen  ge- 
formten Resultate  der  Entwicklungsvorgänge  in  jeder  Phase  der- 
selben gefallen  ist,  diese  Vorgänge  selber  einer  speciellen  causalen 
Untersuchung  bedürfen.  Niemand  wird  den  Nutzen  der  eventuellen 
Früchte  darauf  gerichteter  Untersuchungen  in  Zweifel  ziehen.  Gehen 
diese  doch  darauf  aus,  uns  diejenigen  Kräfte  und  Wirkungsweisen 


Oraanisuien  ohne  Kntwicklune.  13 


kennen  zu  lehren,  denen  wir  die  Entstehung  und  Erhaltung  unserer 
eigenen  Existenz  verdanken  und  mit  deren  Erkenntniss  auch  unser 
ärztliches  Handeln  ein  in  viel  höherem  Maasse  wissenschaftliches  und 
daher  erspriesslicheres  werden  wird. 

Man  wird  nur  bezweifeln  können,  ob  gegenwärtig  schon  Resul- 
tate mit  diesen  Bemühungen  zu  erzielen  sein  werden;  jetzt,  wo  be- 
züglich so  fundamentaler  Fragen,  wie  der  formalen  Bildung  des 
mittleren  Keimblattes  noch  die  widerstreitendsten  Ansichten  vertreten 
werden;  jetzt  schon,  da  wir  nicht  nur  nicht  die  Eigenschaften  des 
Keimplasmas,  sondern  nicht  einmal  die  wesentlichen  Eigenschaften 
der  organisirten  Substanz  überliaupt  kennen. 

Der  letztere  dieser  Einwände  wird  dadurch  vor  der  Hand  beseitigt, 
dass  es  niederste  organische  Wesen  gibt,  die  keine  individuelle 
Entwicklung  durchmachen,  sondern,  wenn  sie  eben  durch  Th eil- 
ung selbständig  geworden  sind,  schon  die  Grenze  ihrer  structurellen  Aus- 
bildung erreicht  haben. 

Daraus  erkennen  wir,  dass  die  individuelle  ,, Entwicklung" 
nicht  eine  nothwendige  Folge  der  Lebensprocesse  an  sich 
ist,  dass  sie  also  etwas  zu  diesem  geheimnissvollen  Grund- 
stock des  Lebens  Hinzugekommenes  ist,  welches  daher  viel- 
leicht auch  eine  Strecke  weit  mit  Erfolg  verfolgt  werden  kann,  ohne 
dass  zuvor  eine  tiefere  Einsicht  in  diese  Grundlage  selber  gewonnen 
worden  ist. 

So  bleiben  uns  zunächst  die  I]igenschaften  unbekannt,  denen 
das  Keimplasma  seine  Entwicklungsfähigkeit  verdankt,  und  die  Vor- 
gänge der  Entwicklung  selber.  Diese  aber,  welche  der  descriptiven 
[422]  Erforschung  des  normalen  Bildungsgeschehens  unzugänglich  ge- 
blieben sind,  sollen  es  gerade  sein,  welche  durch  unsere  andersartige 
Inangriffnahme  allmählich  ihr  Wesen  zu  enthüllen  gezwungen  werden. 

Die  Methode  dieser  Forschungen  wird  nicht  eine  technisch 
bestimmte,  einheitliche  sein  können,  wie  z.  B.  die  Methode  der  Färbung 
successiver  Querschnitte  oder  der  Reinculturen ,  welche  gegenwärtig- 
ganze  Forschungsgebiete  beherrschen ;  sondern  es  werden  fast  mit 
jeder  neuen  Aufgabe  neue  Methoden,  zumeist  experimentellen  Charakters 
zu   erfinden    sein.      Die    einzige    universelle    Methode   unserer 


14     Nr.  13.  Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwicklungsmechanik  des  Embryo. 


Forschungen  kann,  wie  ich  schon  anderwärts  ausgeführt  habe 
[siehe  unten  Seite  23],  nur  das  causale,  also  ,, analytische"  Denken 
abgeben.  Dieses  aber  muss  nothwendig  einer  solchen  i^rbeit  voraus- 
gehen, wenn  sie  nicht  auf  Abwege  führen  und  nach  der  Ausbeutung 
eines  vielleicht  zufällig  gemachten  Fundes  stehen  bleiben,  sondern 
stetig  weiter  führen  soll.  Nachdem  ich  mich  dieser  analytischen 
Arbeit  unterzogen  habe,  liegt  eine  gewisse  Versuchung  darin,  die 
theoretischen  Ergebnisse  derselben  schon  jetzt  mitzutheilen ;  und  ich 
würde  ihr  vielleicht  nachgeben,  wenn  ich  nicht  wüsste,  dass  der  Mehr- 
zahl der  P^achgenossen  weniger  an  der  Erkenntniss  selber,  als 
blos  an  den  mit  ihrer  Hilfe  gewonnenen  neuen  concreten  Kennt- 
nissen gelegen  ist.  Daher  werde  ich  mich  begnügen,  den 
Leser  successive,  mit  den  greifbaren  Früchten  zugleich, 
von  d  en  Ergebnissen  der  Analyse  zu  unterrichten  (s.  Nr.  28). 

Diese  letztere  zeigte  viele  causale  Fragen  auf,  welche  der  ex- 
perimentellen Methode  schon  jetzt  zugänglich  sind.  Fast  alle  aber 
führten  im  Weiterverfolgen  zu  einer  und  derselben  grossen  Vorfrage, 
zu  einer  Alternative,  von  welcher  aus  die  causale  Auf- 
fassung fast  aller  Bildungsvorgänge  in  zwei  wesentlich  ver- 
schiedene Bahnen  gelenkt  wird.  Dies  ist  die  Frage:  Ist  die  Ent- 
wicklung des  ganzen  befruchteten  Eies  resp.  einzelner 
Theile  desselben  „Selbstdiff erenzirung"  dieser  Gebilde 
resp.  Theile  oder  das  Product  von  ,, Wechselwirkungen  mit 
ihrer  Umgebung''?  Eventuell,  welches  ist  der  Antheil  jeder 
dieser  beiden  Differenzirungsarten  in  jeder  Entwick- 
lungsphase des   ganzen  Eies   und  seiner  einzelnen  Theile? 

[423]  In  der  Beantwortung  dieser  Frage  liegt  meiner 
Einsicht  nach  der  Schlüssel  zur  causalen  Erkenntniss 
der  embryonalen  Entwicklung. 

Diese  Fragestellung  wird  vielleicht  zunächst  befremden,  da  es 
,,Selbstdif ferenzirung  im  Sinne  der  x4,enderung  des  Be- 
wegungszustandes eines  einzelnen  Körpers  ohne  äussere 
Einwirkung  zufolge  des  Galilei 'sehen  Beharrungsgesetzes  nicht 
geben  ka  nn. 


Selbstdifferenzirung,  abhängige  Differenzirung.  15 


Wir  verstehen  daher  das  Wort  Selbstdifferenzirung-^)  in  einem 
hesonderen,  zweierlei  Unterbedeutunoen  unrfassenden  Sinne.  Einmal 
bedentet  es,  dass  die  damit  bezeichnete  Veränderung  einer  Summe 
von  materiellen  Theilen  in  gegenseitiger  Lage,  in  Bevvegungszustand 
oder  sonstiger  Besehaifenheit  entweder  rein  zufolge  der  dieser  Summe 
eigenen  Energie,  also  ohne  Aufnahme  äusserer  Energie  vor  sich  geht, 
oder  zweitens,  im  Falle  zu  der  \"eränderung  Aufnahme  von  Energie 
nothig  ist,  dass  die  aufgenommene  Energie  nicht  die  specifische 
Natur  der  mit  ihrer  Hülfe  vorsieh  gehenden  Veränderung  bestimmt. 
Somit  bedeutet  Selbstdifferenzirung  eines  ,,Systemes" 
von  Theilen,  dass  entweder  die  Veränderung  in  ihrer 
Totalität,  oder  doch  die  „specifische  Natur"  der  vor  sich 
gehenden  Veränderung  durch  die  Energien  des  Systemes 
selber  bestimmt  wird. 

Da  jede  Wirkung  vom  Einen  auf  ein  Anderes  immer  eine  Wechsel- 
wirkung ist,  so  wollen  wir  das  Gegentheil  der  Selbstdifferenzirung, 
die  Differenzirung  durch  äussere  Einwirkung  als  correlative  [oder 
abhängige]  Differenzirung-)  bezeichnen  und  unter  ihr  also  verstehen 
die  Veränderung  ,, einer  der  Betrachtung  unterworfenen  Summe  ma- 
terieller Theile"  durch  Aufnahme  oder  Abgabe  von  Energie,  sofern 
die  specifische  Natur  der  Veränderung  durch  diese  zuge- 
führte oder  abgegebene  Energie  bestimmt  wird,  einerlei 
ob  bei  der  Veränderung  die  eigene  Energie  des  Systems  mitwirkt 
oder  nicht. 

Die  aufgestellte  Distinction  ist,  wie  man  sieht,  keine  rein  dyna- 
mische, da  sie  sich  nicht  wesentlich  auf  die  Aufnahme  oder  Abgabe 
von  Energie  gründet,  sondern  bloss  darauf  ausgeht,  den  ,,Sitz"  der- 
jenigen AI terations Ursachen  eines  in  seiner  Veränderung 
betrachteten  ,,Systems"  [424]  zu  bezeichnen,  welche  die  speci- 
fische Natur  dieser  Veränderung  bestimmen  [s.  Nr.  18  S.  482, 
Nr.  27  S.  281.     Nr.  28  S.  617]. 

Diese  Einschränkung  wnrd  sich  in  den  Abhandlungen,  w^elche 
auf   den   in    obiger   Fragestellung   bezeichneten    nächsten   Zweck   ge- 

[1)  Differcntiatio  sui,  s.  Nr.  28  S.  664]. 
[^)  Differentiatio  ex  alio,  .s.  Nr.  28  S.  604]. 


16    Nr.  13.  Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  de.s  P^mbryo. 

richtet  sind,  als  praktisch  nützhch  erweisen.  Die  auf  sie  gegründeten 
Bezeichnungen  werden  aber  auch  dann  noch  brauclibar  bleiben,  wenn 
wir,  nach  Gewinnung  der  Hauptübersicht  von  diesem  Standpunkte 
aus,  die  Probleme  in  ihrer  physikalischen  Totalität  zu  erfassen  und 
die  Uebertragungen  und  Transformationen  von  Energie  bei  jedem 
einzelnen  Entwicklungs vorgange  genau  festzustellen  streben,  sofern 
ihnen  dann  nur  die  nöthigen  weiteren  Unterscheidungsmerkmale  bei- 
gefügt werden.  Wir  werden  dann  eine  vollkommene^)  und  eine 
unvollkommene  Selbstdifferenzirung  unterscheiden,  letztere 
wieder  in  zwei  Unterarten  getrennt,  je  nachdem  bei  der  Selbstditferenz 
Energie  aufgenommen  oder  abgegeben  werden  muss;  die  abhängige 
Differenzirung  hat  als  Unterart  noch  die  passive  D  ifferenzirung 
zu  erhalten.     [Genaueres  siehe  Nr.  28  S.  665.] 

Bezüglich  ,, bestimmter  Theile"  des  Eies  oder  des  Embryo  können 
wir  also  fragen,  ob  ihre  Entwicklung  Selbstdifferenzirung  oder  ab- 
hängige Differenzirung  ist. 

Statt  aber  so  die  Gebiete  von  vornherein  willkürlich  räumlich 
zu  umgrenzen  und  nach  der  inneren  oder  äusseren  Lage  ihrer 
Differenzirungsursachen  zu  forschen  ,  können  wir  auch  umgekehrt 
die  Systeme  ursächlich  abgrenzen,  derart,  dass  jedes  System 
alle  zu  einem  Dift'erenzirungs  v  o'^r  g  a  n  g  e  beitragenden  Ursachen  um- 
fasst;  darnach  fällt  die  obige  Alternative  aus  und  die  Aufgabe  wird: 
die  Gewinnung  der  Topographie  der  zusammenwirkenden 
Differenzirungsursachen  für  jeden  einzelnen  Entwick- 
lungsvorgang. Aus  dem  Vergleiche  dieser  Topographie  der 
Ursachen  mit  der  Topographie  des  von  ihnen  geschaffenen 
Diff enzirungsproductes  würde  dann  die  obige  Alternative  von 
selber  ihre  Lösung  hnden. 

Jeder  Forscher,  der  sich  eingehend  mit  Entwicklungsmechanik 
befassen  wird,  wird  linden,  dass  er  bei  der  causalen  Beurtheilung 
jedes  sichtbaren  Entwicklungsgeschehens  immer  wieder 
zunächst  auf  diese  Frage  stösst;  und  keine  specieU  e  Unter- 

[')  Ganz  vollkommene  Selbstditferenziruni;  eines  (jebildes  kann  es,  wie  oben 
(S.  14)  schon  erwähnt,  nicht  geben;  denn  mindestens  muss  die  Auslösung,  der  erste 
Anstoss,  wie  z.  B.  das  Anzünden  eines  complicirten  Feuerwerkes,  von  aussen  kommen.] 


Selbstdittcroiiziruiii;-  des  guiizeji  Eies.  17 


suchiiug,  welche  wir  auf  diesem  Gebiete  vornehmen  können,  kann 
uns  wirklichen  [-1:25]  causalcn  Aufschluss  geben,  wenn  sie 
nicht  wenigstens  bis  zur  Ijösung  dieser  Frage  in  Bezug 
auf  den  untersuchten  \'organg  fortgeführt  worden  ist. 
Wenn  aber  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  durch  Lösung  einer  grösseren 
Anzahl  derartiger  Einzelfragen  der  Wirkungsumfang  jeder  dieser  beiden 
Principien  annähernd  festgestellt  ist,  dann  werden  wir  schon  tief  ein- 
gedrungen sein  in  den  jetzt  noch  geschlossen  vor  uns  liegenden  Com- 
plex  unbekannter,  eng  untereinander  verketteter  Probleme. 

Die  Frage,  ob  die  Entwicklung  des  befruchteten  E  i  e  s ,  im  Ganzen 
betrachtet,  Selbstdifferenzirung  ist,  oder  ob  zum  normalen  Ablaufe 
der  Entwicklung  directe  differenzirende  Einwirkungen  von  der  Aussen- 
welt  nöthig  sind,  ist  durch  den  bereits  publicirten  Beitrag  11  [Nr.  19] 
bezüglich  der  formalen  Entwicklung  des  Froscheies  im  Sinne  der 
Selbstdifferenzirung  entschieden.  Denn  es  zeigte  sich,  dass  keine 
der  regelmässig  vorhandenen  Kraftformen  ,  weder  die  Schwere ,  noch 
der  Erdmagnetismus,  noch  Licht-  und  Wärraestrahlen,  in  constanten 
oder  vielleicht  in  bestimmter  Weise  wechselnden  Richtungen  für 
den  normalen  Ablauf  der  Entwicklung  noth wendig  sind^);  Kräfte 
aber,  welche  in  beliebig  wecliselnden  oder  vom  Zufall  ab- 
hängigen Richtungen  auf  ein  Gebilde  wirken,  können  nicht 
im  Stande  sein,  eine  bestimmte  ,, typische"  Gestaltung  an 
ihm  „hervorzubringen."  Ist  so  erkannt,  dass  die  typische  for: 

i)  Dieses  Resultat  wurde  durch  laugsame  Umdrehung  der  Eier  in  einer 
vertiealen  Ebene  während  der  ersten  Tage  der  Entwicklung  gewonnen.  E.  Pflüger 
hat  es  in  seiner  jüngsten  Publication  (Arch.  f.  d.  ges.  Physiologie  Bd.  34)  für  ange- 
messen gehalten,  diese  Widerlegung  seiner  Auffassung  von  der  noth  wendigen  ge- 
staltenden Wirkung  der  Schwerkraft  für  die  normale  Entwicklung  unerwähnt  zu  lassen 
und  sich  dagegen  zur  Stütze  dieser  Auffassung  auf  A.  Rauber  zu  berufen,  welcher 
gleichfalls  Eier  hat  rotiren  lassen.  Räuber  hat  aber  erstens  die  Eier  in  einer  wag- 
rechten Ebene  rotiren  lassen,  so  dass  die  Schwerkraft  gar  nicht  in  jedem  Momente 
in  anderer  Richtung  auf  das  Ei  wirkte;  zweitens  hat  er  die  Scheibe  sich  stets  so 
schnell  drehen  lassen,  dass  die  Centrifugalkraft  auf  die  Eier  einstellend  wirkte  und 
also  selbst,  wenn  er,  wie  er  irrthümlicherweise  angibt,  die  richtende  Wirkung  der 
Schwerkraft  auf  diese  Weise  ganz  hätte  aufheben  können,  doch  eine  andere  Kraft 
constant  richtend  auf  das  Ei  wirkte.  Somit  lassen  Rauber's  Versuche  gar  keinen 
Schluss  über  die  Entwicklung  bei  Aufhebung  jeder  richtenden  äusseren  Einwirkung 
zu;  während  die  meinigen  direct  beweisen,  dass  bei  Aufhebung  jeder  richtenden 
äusseren  Einwirkung  die  Entwicklung  normal  vor  sich  gehen  kann. 

W.  RouX;  Gesammelte  Abhandlungen.il.  2 


18     Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmeclianik  des  Embryo. 


male  [426]  Entwicklung  des  Eies  im  Ganzen  als  Selbst- 
diff erenzirung  zu  bezeiclineu  ist,  .so  folgt  aber  nocli 
nicht  daraus,  dass  Licht  und  AVärme  nicht  vielleicht  als  Vor- 
bedingungen der  Entwicklung  überhaupt  unerlässlich  not  big  sein 
könnten ,  oder  dass  nicht  die  Seh  w  e  r  k  r  a  f  t  einen  f  o  r  male  n 
Einfluss  auf  die  Entwicklung  auszuüben  vermöchte. 
Vielmehr  sprechen  bekanntlich  die  Thatsachen  dafür,  dass  die  Wärme 
diejenige  Energie  ist,  deren  Zufuhr  den  Eiern  mancher  Thiere  wde 
den  Samen  der  Pflanzen  erst  (he  Gelegenheit  gibt,  ihre  Innern  Un- 
gleichheiten in  Wachsthum  und  qualitativer  Veränderung  zu  be- 
thätigen,  ähnhch  wie  leise  Erschütterungen  der  mit  Feilspänen  be- 
streuten Glasplatte  erst  dem  darunter  gehaltenen  Magnete  Gelegenheit 
verschafften,  die  Eisentheilchen  längs  der  Kraftlinien  zu  ordnen.  Und 
ebenso  lassen  Froscheier,  welche  entgegen  der  umkehrenden  Tendenz 
der  Schwerkraft  durch  Zwangslage  mit  dem  weissen  Pole  nach 
oben  erhalten  werden,  häufig  Missbil düngen  hervorgehen. 

Die  f^rkenntniss ,  dass  die  typische  formale  Entwicklung  des 
Froscheies  im  Ganzen  als  Selbstdifferenzirung  aufzufassen  ist,  gibt 
unserer  zunächst  vorzugsweise  auf  das  Morphologische  der  Entwick- 
lung gerichteten  Untersuchung  eine  sehr  angenehme  Umgrenzung 
dadurch,  dass  wir  die  ,, typisch"  gestaltenden  Kräfte  bloss  im 
b  e f  r  u  c  h  t  e  t  e  n  E  i  s  e  1  b  e  r  z  u  s  u  c  h  e  n  h  a  b  e  n.  [Eine  Einschränkung 
siehe  Nr.  22,  S.  114.] 

Nach  Gewinnung  dieser  Einsicht  ist  nun  weiterhin  die  Fi-age 
zu  behandeln,  ob,  eventuell  wie  weit  einzelne  ,,T heile" 
des  u  n  g  e  f  u  r  c  h  t  e  n  and  gefurchten  Eies,  der  B 1  a  s  - 
tula,  Gastrula  etc.  sich  gleichfalls  aus  sich  selber 
zu  d i f f e r e n z i r e n  vermögen,  oder  ob  ihre  Entwick- 
lung nur  unter  dif f er enzir enden  Correlationen  vieler 
oder  aller  Theile  vor  sich  gehen  kann.  In  der  Behandlung 
dieser  Aufgabe  werden  sich  meine  nächsten  bezüglichen  Untersuch- 
ungen mit  Ansichten    und   Bestrebungen    von   Pander  ^) ,   His  ^),    Köl- 

')  Chr.  H.  Pander,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  des  Hühnchens  im 
Ei.     Würzburg  1817  S.  40  und  Isis  1818  S.  524. 

^)  VV.  His,  Unsere  Kör^jerform  und  das  physiologische  Problem  ihrer  Ent- 
stehung 1874. 


Differenzirungsarten  der  Eithöile.  19 


LiKEPx^),  Panim-)  u.  A.  [427J  boi;-ogiicii;  uud  die  expe  riineniolle 
Methode  wird  Fragen  zu  einer  Entscheidung  bringen,  welche  mit 
der  descriptiven  jNhHliode  vergeblich  gesucht  worden  ist. 

Der  Ausfall  der  Antwort  über  unsere  Alternative  wii'd  tui-  (Vw 
Auffassung  mehrerer  fundamentaler  Fragen  von  bestiimiicuder  Be- 
deutung sein. 

Es  erhellt /Auiächst,  dass,  wenn  viele  Theile  des  P]ies  sich  rein 
aus  den  eigenen,  in  ihnen  liegenden  Kräften  differenziren ,    und  auf 
diese  Weise  die  spätere  grosse  Mannigfaltigkeit  entsteht,  dass  alsdann 
das  Ei  schon   von  vornherein    aus  vielen   verschiedenen   Theilen 
zusammengesetzt  sein  muss,    dass  die  Entwicklung  also  wesent- 
lich Metamorphose    von  Mannigfaltigkeit,    Evolution  in  un- 
serem Sinne   ist   trotz    der   formalen  Epigenesis  C.  F.  Wolff's  ; 
ferner  dass  bei  der  Furchung,  welche  das  Material  nicht  bloss  zer- 
kleinert,   sondern  wesentlich   zugleich   auch   in   gewissem  Masse   fest 
localisirt,  diese  differenten  Materialien  zugleich  in  einer  der  späteren 
Entwicklung  entsprechenden  Weise  geordnet   werden   müssen,    was 
nur  durch  bestimmte  qualitative  Sonderung  bei  der  Zelltheilung 
in  der  nach    einem  typischen  Schema    verlaufenden  Furchung  mög- 
lich  erscheint.     Damit   werden   die    causalen  Bedingungen   der   Ent- 
wicklung   vorzugsweise   in    das  Moleculargeschehen   verlegt   und   ent- 
ziehen  sich  vorderhand   grossentheils   unserer  w^eiteren    Erforschung. 
Das   ganze  gefurchte    Ei   ist  alsdann   vielleicht   bloss    die  Summe 
dieser  selbständigen  Theile,    und    es   ündet   während   der  Periode 
dieser    selbständigen    Differenzirung    der    Theile    kein    ein- 
heitliches Zusammenwirken  zu  einem  Ganzen   statt;    daher 
kann  auch  das  Ganze  keinen  regulirenden,  gestaltendenEin- 
fluss  auf  die  Theile  ausüben.   VV.  His' Princip  der  ,, organbildenden 
Keimbezirke"   erhält   dann    neben   seiner   descriptiven   zugleich   auch 
eine  einfache  causale  Bedeutung   und   lässt  sich  in  dieser  Bedeutung 
zurück  bis  auf  das  eben  befruchtete,    zum  Tlieil   auch  noch  auf  das 


1)  A.  KöLLiKER,  Entwicklungsgesctiichte  de.s  Menschen  und  der  höheren  Thiere 
1879  2.  Aufl.  S.  349  u.  f. 

-)  P.  L.   Panum,    Beiträge    zur   Kenntniss    der   physiologischen    Bedeutung   der 
angeborenen  Missbildungen.     Virch.  Arch.  1878  Bd.  72. 

2* 


20     Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


unbefruchtete  Ei  ausdehnen.     Die  Doppelbildungen   müssen  zur 
Zeit  der  ersten  Furchen  schon  angelegt  werden. 

Wenn  dagegen  die  Entwicklung  wesentlich  durch  Wechsel- 
wirkung vieler  oder  aller  Theile  vor  sich  geht,  so  braucht 
umgekehrt  das  befruchtete  Ei  nur  aus  wenigen  verschiedenen 
Th eilen  [428]  zu  bestehen,  welche  durch  wechselndes  Zusannnen- 
wirken  nach  und  nach  grosse  Coniplicationen  schaffen.  Die  Entwick- 
lung ist  dann  wesentlich  Production  von  Mannigfaltigkeit, 
Epigenesis  in  unserem  Sinne.  Es  findet  ein  wechselseitiges  Zu- 
sammenwirken der  Theile  zu  einem  Ganzen  statt,  wobei  ein  regu- 
lir ender  Einfluss  von  dem  Ganzen  auf  die  Theile  rück- 
wärts ausgeübt  werden  kann;  und  uns  ist  in  der  Feststellung  dieser 
Correlationen  ein  reiches  Feld  mit  den  Mitteln  der  Zeit  in  angriff- 
nehmbarer  Forschung  gegeben.  His'  Princip  der  organljildenden 
Keimbezirke  hat  dagegen  dann  nur  insofern  eine  causale  Bedeutung, 
als  es  die  Orte  der  Resultantenbildung  mannigfacher  Wechselwirkungen 
bezeichnet  und  es  ist  von  nur  untergeordnetem  Werthe,  diese  Orte 
schon  vor  der  Zeit  des  Eintrittes  dieser  Wirkungen  auf  das  noch  in- 
differente Keimmaterial  des  ungetheilten  oder  unbefruchteten  Eies 
zurück  zu  projiciren.  Die  Doppelbildungen  können  alsdann  viel, 
leicht  noch  zu  einer  Zeit  angelegt  werden,  in  welcher  durch  Correla- 
tion  die  Differenzirung  der  Achsenorgane  stattfindet. 

Desgleichen  wird  unsere  Auffassung  von  dem  speciellen  Wesen 
der  Befruchtung  und  von  der  Art  der  An  th  eil  nähme  des 
Samens  und  des  Eies  an  der  Bildung  des  Embryo,  sowie 
rückwärts  folgernd  auch  die  Auffassung  des  speciellen  Mecha- 
nismus der  Vererbung  von  dem  Ausfall  der  Antwort  auf  diese 
Frage  bestimmt  werden;  und  wir  köimen  über  diese  Probleme  wohl 
überhaupt  nur  von  diesem  Punkte  aus  allmählich  eine  gewisse 
Sicherheit  erlangen. 

Schliesslich  aber  können  S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g  und  a  b- 
h  ängige  Differenzirung  der  Theile  und  damit  Evolution 
und  Epigenesis  sich  wie  im  organischen  Geschehen  in  mannig- 
fachem Zusammenwirken  combiniren,  [eine  Art  des  Ge- 
schehens, welclie  ich  als  „gemischte  Differeuzirung'S  diff erentiatio 


Methodik  der  causalen  Morphologie.  21 

mixta  bezeichnen  will.  s.  Nr.  28  S.  605)] ;  und  es  wird  dann  unsere 
Aufgabe  sein,  bei  der  Deutung-  unserer  Beobachtungen  doppelte  Vor- 
sicht und  doppelten  Scharfsinn  aufzuweisen,  um  die  Antheile  jedes 
beider  Principien  richtig  von  einander  zu  sondern. 

Möge  mir  in  dem  Streben  nach  dieser  und  weiterer  Erkenntniss 
ein  langes  fruchtbringendes  Wirken  vergönnt  sein. 


[Dieser  Einleitung  seien  einige  in  gewisser  Hinsicht  ergänzende 
Worte  angeschlossen,  die  ich  einem  früheren  Referat  (Breslauer  ärztliche 
Zeitschrift,  1883,  Nr.  15,  Seite  164  u.  f.)  über  das  bedeutende  Werk 
WiLH.  Müller's:  Die  Massenverhältnisse  des  menschlichen  Herzens 
(Hamburg  1883)  vorausgeschickt  habe: 

,,Es  ist  eine  gegenwärtig  unter  den  Aerzten  verbreitete  und  nicht 
selten  geäusserte  Auffassung,  dass  die  menschliche  Anatomie 
eine  im  Wesentlichen  fertige  Wissenschaft  sei,  welche  auch 
bereits  in  dem  Lehrbuche  von  Henle  ihre  codifich^ende  Darstellung 
gefunden  habe.  Danach  bestehe  die  Aufgabe  des  anatomischen  Lehrers 
zur  Zeit  und  in  Zukunft  wesentlich  bloss  noch  darin,  diesen  Codex 
sorgfältig  zu  memoriren  und  den  Zuhörern  zu  reproduciren ;  und  mit 
dem  Aufhören  der  Erwerbung  und  Verbreitung  eigener  wissenschaft- 
licher Ansichten  komme  dem  Lehrer  der  menschlichen  Anatomie  nur 
mehr  noch  die  Rolle  eines  Schullehrers  zu.  Weitere  wissenschaftliche 
Bereicherungen  seien  ausser  auf  dem  Gebiete  der  Structur  des  C^entral- 
Nervensystems  nur  in  sehr  geringem  und  vorwiegend  von  der  Yer- 
vollkommnung  der  mikroskopischen  Technik  abhängigem  Maasse  mög- 
lich, und  der  Anatom  müsste,  um  überhaupt  forschend  thätig  zu  sein, 
sich  nothwendig  den  Thieren  zuwenden. 

Die  Vertreter  dieser  sicher  nicht  von  tiefster  Einsicht  zeugenden 
Auffassung  wird  es  befremden,  wenn  ich  ihnen  entgegen  die  Be- 
hauptung ausspreche:  Die  menschliche  Anatomie  ist^  gegen- 
wärtig gerade  so  weit  gefördert,  um  ihrem  Vertreter  zu  gestatten, 
gestützt  auf  das  vorliegende  reiche  descriptive  Kenntnissmaterial  dieser 
am  besten  gekannten  Species,  von  höheren  Gesichtspunkten  aus  die 
Untersuchung  des  Menschen  mit  Aussicht  auf  eine  reiche 


22    Nr.  13.    Einleitung  zu  den  Beiträgen  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


Ernte  noch  einmal  von  Grund  ans  beginnen  zu  können.  Nach 
annähernder  Erschöpfung  der  rein  descriptiven  Methode,  ferner  des  bis- 
her nur  innerlialb  eines  beschränkten  Aussichtskreises  verwertheten  phy- 
siologischen Gesichtspunktes  und  nach  einem  Uel^erblick  vom  verglei- 
chenden Standpunkte  aus  sind  wir  wohl  genügend  mit  Vorkenntnissen 
ausgerüstet,  um  mit  einiger  Aussicht  auf  Erfolg  nach  dem  alle 
anderen  überschauenden  causalen  Gesichtspunkte  empor- 
zustreben, von  welchem  aus  nicht  bloss  mannigfache  neueThat- 
sachen  zu  erkeimen  sein  werden,  welche  von  den  anderen  Gesichts- 
punkten aus  nicht  wahrnehmbar  waren,  sondern  von  welchem  aus 
auch  noch  ein  Einblick  in  das  wirkliche  morphogenetische 
Geschehen  an  sich,  in  das  Zusammenwirken  der  die  normalen 
Formen  gestaltenden  Kräfte  gewonnen  werden  kann.  Mit  solcher 
Kenntniss  der  Gausalzusammenhänge  werden  wir  von  der 
.,Kenntniss"  des  Thatsäch liehen  zur  ,,Erkenntniss"  desselben 
fortschreiten  und  dadurch  nicht  nur  unserem  Intellecte  eine  höhere 
Befriedigung  gewähren  und  dem  Lernenden  die  Arbeit  interessanter 
und  leichter  machen ;  sondern  der  Anatom  wird  zugleich  in  den  Stand 
gesetzt  werden,  auch  der  Pathologie  manche  neue  Anregung  zu  geben 
und  manchen  tieferen  Einl)lick  in  das  Wesen  der  pathologischen 
N^orgänee  zu  o-estatten,  welchen"  für  das  ärztliche  Handeln  und  für 
den  Erfolg  desselben  bestimmend  sein  wird. 

Schon  sind  in  dem  letzten  Decennium  einige  Früchte  dieser 
neuen  Untersuchungs weise  zu  verzeichnen  gewesen.  Die  Ausübung 
dieser  causalen  Forschung  ist  keineswegs  an  eine  Vervollkomm- 
nung der  technischen  Methodik  gebunden.  Im  Gegentheil,  manche 
der  älteren  Methoden  wird  dabei  wieder  zu  Ehren  kommen,  und  die 
gegenwärtig  das  allgemeine  Interesse  beherrschende  Farben  schale  in 
Verbindung  mit  dem  Microtom  sinken  zu  Hilfsmitteln  neben  vielen 
anderen  herab;  sie  stehen  gleichwerthig  neben  Pincettc  und  Scallpell, 
neben  Scheere  und  Schraubstock,  neben  Waage  und  Maassstab,  und 
zu  diesen  werden  sich  noch  Volumenometer  und  Aräometer,  Gonio- 
meter und  Planimeter,  Glühtiegel  und  Bürette  und  andere  Instrumente 
aus  den  Laboratorien  des  Physikers  und  Ghemikers  zu  gesellen  haben. 
Die    Universal metho de   des   causalen   Anatomen    wird   ebenso- 


Methodik  der  causalen  Morphologie.  23 


wenig  die  Anwendung  des  Messers  wie  des  Farbstoffes  oder  des 
Miiasses,  sondern  einzig  die  (leistesunatomie,  das  analytisclie, 
cansale  Denken  sein. 

Die  formbildenden  Ursachen  des  Organismus  sind  uns  zur 
Zeit  noch  grösstentheils  unbekannt.  Zu  den  im  Principe  bereits  am  läng- 
sten bekannten  forml)ildenden  Ursaclien  gehört  die  Function,  die  Voll- 
ziehung der  Function.  So  alt  aber  hier  die  Kenntniss  der  Thatsache 
im  Allgemeinen  ist,  so  verhältnissmässig  gering  ist  die  Kenntniss  der 
speciellen  Thatsachen  und  so  neu  ist  die  Kenntniss  der  Art,  wie  ihre 
zweckmässig  gestaltenden  Wirkungen  sich  vollziehen.  Unsere  speciellen 
Kenntnisse  dieser  ,, gestaltenden  Wirkung  der  Function"  oder  der 
functionellen  Anpassung  strebt  die  obenstehend  mit  ihrem  Titel 
bezeichnete  Arbeit  zu  vermehren;  und  ich  hoffe  durch  Skizzirung  der 
reichen  Resultate  derselben  den  Leser  zu  überzeugen,  dass  in  der 
That  die  Anatomie  auch  unsere  ,, Kenntnisse"  noch  wesentlich  be- 
reichern kann,  selbst  schon  bei  weitergehender  resp.  causaler  An- 
wendung des  an  sich  nicht  neuen  functionellen  Gesichtspunktes,  und 
dass  demnach  die  Anfangs  citirte  Ansicht  von  dem  Fertigsein  der 
menschlichen  Anatomie  nicht  die  Präsumtion  der  Richtigkeit  er- 
heben darf. 

Das  Thema  der  vorliegenden  Arbeit  ist  eines  der  häufigst  be- 
arbeiteten; und  kaum  wohl  hätte  man  erwartet,  durch  eine  erneute 
Untersuchung  viel  Neues  zu  erfahren.  Da  ausser  dem  Sujet  auch 
die  technische  Methode  der  Untersuchung  nicht  von  den  früher  ver- 
wandten Älethoden  abweicht,  so  muss  die  Gewinnung  der  neuen  Resul- 
tate von  dem,  was  der  Autor  von  sich  aus  hinzu  thun  kann,  abhängig 
gewesen  sein.  Dies  ist  in  der  That  der  Fall.  Unermüdlicher,  jahre- 
lang auf  dasselbe  Thema  verwandter  Fleiss,  kritische  Schärfe  in  der 
AVahl  und  Verwerthung  des  Materials  sowie  in  der  Erörterung  der 
Ergebnisse,  besonders  aber  eine  dem  Beginne  der  Arbeit  voraus- 
gehende, bis  in  die  letzten  bekannten  Componenten  fort- 
gesetzte Analyse  sind  die  Factoren,  welchen  wir  die  Bereicherung 
unseres  Wissens  durch  die  vorliegende  Arbeit  zu  danken  haben."] 


Nr.   14. 

Die  Entwieklungsmeehanik  der  Organismen, 
eine  anatomisclie  Wissenschaft  der  Zukunft. 

Festrede 

gehalten   in  Anwesenheit  Seiner  Excellenz    des  Herrn  Unterrichtsniiuisters 

Dr.  Gautsch  von  Frankenthurn 

.     zur  Feier  der  Eröffnung 

des 

neuen  k.  k.  a  n;iiom  is  ch  en  Institutes  zu  Innsbruck 

am  12.  November  1889. 


1  nli  A  1  t. 

Seite 

Bisherige  Richtungen  der  Anatomie  s.  Morpliologic 26 

1.  beschreibende 26 

2.  physiologische 26 

3.  entwickelungsgeschichtliche 26 

4.  vergleichende 27 

Die  ursächliche  Richtung  oder  Entwicklungsmochanik  der  Organismen      .     .  27 

Methoden  derselben 29 

1.  descriptive •     ■  30 

2.  vergleichende .  30 

3.  Benutzung  der  Varietäten 31 

4.  experimentelle 32 

Analytisches  Experiment 32 

Causale   Analyse  der  Leistungen : 

1.  der  Zellen 33 

physikalische  Erklärungen 33 

Nachahmung  der  C  o  p  u  1  a  t  i  o  n  der  U  e  s  c  h  1  e  c  h  t  s  k  e  r  n  e    .  34 

2.  der  höheren  Organismen 35 


Bisherige  Richtungen  der  Anatomie.  25 


Seite 

Formale  Analyse 37 

Ermittelung  des  Ortes,  der  Zeit  der  Ursachen -^^ 

Ermittelung  „beständiger  WirkungsAveisen" 39 

Ursache  der  „Einheitlichkeit"  des  Organismus 40 

Morphologische    Selhstrogulation:    Regeneration,    Postgene- 
ration   41 

Compensatorische  Hypertrophie  nicht  fungirender  Orgaue       ....  43 

Nutzen  der  Pathologie  für  die  causale  Morphologie 44 

Nutzen  der  causalen  Morphologie  der  Organismen 47 

z.  B.  für  die  Orthopädie 48 

für  die  bisherigen  Richtungen  der  Anatomie 51 


Euere  Excelleiiz! 

Ho  chan  sehn  liehe   Fe  st  Versammlung! 

Da  mir  durch  Euere  Excellenz  der  ehrenvolle  Auftrag  geworden 
ist,  dieses  neue  anatomische  Institut  zu  leiten  und  heute  vor  einer  so 
erlesenen  Versammlung  zu  eröffnen,  so  sei  es  mir  gestattet,  dies  mit 
der  Besprechung  einer  Wissenschaft  zu  thun,  welche  neben  und  mit 
dem  Unterrichte  hi  diesem  Baue  gepflegt  werden  soll ,  da  ich  ent- 
schlossen bin,  meine  schwache  Kraft  ihrer  Förderung  zu  widmen. 

Freilich  ist  diese  Wissenschaft,  von  der  ich  sprechen  werde,  in 
keinem  Stücke  dieserfi  in  Anlage  und  Ausführung  gleich  vollendeten 
Baue  zu  vergleichen ;  denn  sie  ist  nicht  nur  nicht  vollendet  oder  der 
Vollendung  nahe,  sondern  es  fehlt  zu  ihr  überhaupt  noch  der  Bau- 
plan; und  was  wir  von  ihr  zur  Zeit  haben,  ist  nicht  viel  mehr  als 
eine  Anzahl  regellos  gelagerter,  zum  Theil  behauener,  zum  Theil  auch 
noch  unbehauener  Steine.  Nur  wenige  der  bisherigen  Bauarbeiter 
haben  mehrere  Steine  zu  diesem  Baue  geliefert,  und  noch  wenigere 
sich  bemüht,  sie  in  zu  einander  passender  Weise  zu  ordnen.  Aber 
der  grösste  unter  uns  in  Vergangenheit,  Gegenwart  und  weiter  Zu- 
kunft, Carl  Erxst  v.  Baer,  hat  ihr  bereits  das  Ziel  vorbestimmt,  und 
dadurch  zugleich  Directiven  über  die  Fundirung  und  Anlage  des 
Baues  gegeben. 

Sie  erkennen  daraus,  dass  es  eine  Wissenschaft  der  Zukunft  ist, 
von  der  ich  zu  sprechen  beabsichtige;  diese  Wissenschaft  ist  die 
Entwickluno-smechanik  der  Oroanismen. 


26  Nr.  14.    Festrede. 


Die  Anatomie,  als  die  Lehre  von  den  Gestaltungen  der 
Organismen,  wird  gegenwärtig  in  vier  verschiedenen  Weisen  be- 
handelt, die  nach  und  nach  aufgetreten  sind. 

Schon  im  Alterthum  suchte  man  die  Theile,  welche  den  mensch- 
lichen, resp.  thierischen  Organismus  zusammensetzen,  in  ihrer  Be- 
schaffenheit kennen  zu  lernen.  Solches  Streben  führte  [-t]  zur  be- 
schreibenden Richtung  in  der  Anatomie.  Diese  Richtung  lehrt 
uns  auf  dem  Wege  einfacher  Formbeschreibung  die  Gestaltverhält- 
nisse aller  (Organe  des  Organismus,  zeigt  uns  die  Structurverhältnisse 
derselben  und  den  Aufbau  des  ganzen  (_)rganismus  aus  den  einzelnen 
Organen.  Der  Umfang  des  Stoffes  dieser  Disciplin  ist  zur  Zeit  be- 
reits ein  ausserordentlich  grosser,  kaum  mehr  von  einem  einzigen 
Menschen  zu  bewältigender;  trotzdem  ist  sie  selbst  noch  lange  nicht 
ihrer  Vollendung  nahe. 

Der  Trieb  des  Menschen,  den  Zweck,  resp.  den  Nutzen  jeder 
Naturbildung  zu  erkennen,  führte  in  seiner  Anwendung  auf  den 
Organisnms  schon  früh  zu  der  Frage  nach  dem  Nutzen  jedes 
Organes  und  später  des  Weiteren  nach  dem  Nutzen  jedes  Formver- 
hältnisses der  Organe;  und  diese  letztere  Frage  in  ihrer  steten  Wieder- 
holung und  Beantwortung  führte  zur  Ausbildung  der  sogenannten 
physiologischen  Richtung  der  Anatomie.  Sie  schliesst  sich  an 
die  Physiologie,  an  die  Lehre  von  den  Verrichtungen  der  Organe  an; 
und  sie  war  es,  die  zuerst  und  in  hohem  Masse  das  Material  der  be- 
schreibenden Richtung  belebte. 

Diese  beiden  ältesten  Richtungen  der  anatomischen  Wissenschaft 
waren  bis  in  das  vorige  Jahrhundert  die  vorzugsweise  gepflegten; 
und  doch  blieb  auf  dieser  Stufe  der  Kenntniss  eine  B^^age,  die  früh- 
zeitig jedem  denkenden  Menschen  sich  darstellt,  unbeantwortet:  die 
Frage  nach  der  Entsteh ungs weise  dieses  so  complicirt  und  zweck- 
mässig gebauten  Organismus. 

Unser  Jahrhundert  hat  mit  grossem  Fleisse  das  früher  in  dieser 
Beziehung  Vernaclüässigte  nachgeholt ,  und  es  ist  gegenwärtig  für 
uns  ein  hoher  intellectueller  Genuss,  zu  selien,  wie  z.  B.  ein  so 
äusserst  verwickelt  gebautes  Gebilde,  wie  das  menschliche  Gehirn, 
sich   nach    und   nach   aus   einer   oanz  einfachen  Anlage  von  zuerst 


Bisherige  Richtungen  der  Anatomie.  27 


drei,  dann  fünf  unt  einander  eomninnicirenden  Blasen  hervorbildet; 
und  die  Schwierigkeit,  eine  Uebersieht  über  den  sehliessliehen  Fornien- 
reiehthinn  zu  gewinnen,  ist  durch  die  Kenntniss  der  Entwicklungs- 
geschichte ausserordentlich  erleichtert. 

Endlieli  hat  dieses  Jahrhundert  noch  eine  Richtung  in  hohem 
Maasse  weitergebildet,  die  vergleichend  anatomische,  welche  die 
bezüglichen  Bildungen  bei  den  Thieren  aufsucht  und  neuerdings  unter 
der  Annahme  einer  genetischen  Beziehung  manches  Licht  auf  die 
l'\>rmverhältnisse  der  höherer  Organismen ,  ganz  besonders  auf  die 
bei  diesen  vorhandenen  rudimentären ,  nicht  mehr  fungirenden  Or- 
gane wirft. 

Wenn  wir  uns  nun  in  (Jedanken  in  eine  zukünftige  Zeit  ver- 
setzen, in  der  diese  vier  zünftigen  Richtungen  am  Ziele  [5]  der  Voll- 
endung angelangt  sein  werden,  also  in  eine  Zeit,  in  der  alle  typischen 
Theile  und  Structurverhältnisse  des  Menschen  bis  zum  kleinsten,  mit 
(Jen  vervollkommnetsten  optischen  Hilfsmitteln  wahrnehmbaren  Ge- 
bilde und  ihre  normalen  Variationen  fehlerlos  beschrieben  wären,  in 
der  wir  z.  B.  alle  typisch  gelagerten  Ganglienzellen  und  Nerven- 
bahnen des  Gehirns  und  Rückenmarkes  genau  kennten ,  in  der  wir 
ferner  den  speciellen  Nutzen  jedes  dieser  zahllosen  Formgebilde  er- 
kannt und  auch  die  Entstehungsweise  dieser  fast  unendlichen  Mannig- 
faltigkeit von  Einzelbildungen  erforscht  hätten,  und  in  der  auch  die 
vergleichende  Methode  ihr  Material  vollkommen  erschöpft  hat:  Würde 
sich  dann  unser  Wissenstrieb  bezüglich  der  organischen  Formen- 
bildungen befriedigt  fühlen?  Wäre  die  aus  diesen  vier  Richtungen 
gebildete  Morphologie  der  Organismen  dann  etwas  Vollendetes? 

Es  könnte  so  scheinen!  Und  wohl  werden  viele  gegenwärtige 
Forscher  diese  Ansicht  vertreten. 

Doch  ich  muss  sagen:  „Nein."  Denn  noch  fehlt  uns  ein  grosser 
Theil,  um  nicht  zu  sagen  der  beste  Theil  des  zur  vollen  Erkenutniss 
nöthigen  Wissens,  es  fehlt  die  Kemitniss  der  directen  Ursachen 
des  Entstehens  dieser  Gebilde. 

Das  jedem  Menschen,  wenn  auch  den  Einzelnen  in  sehr  ver- 
schiedenem Masse  angeborene  Causahtätsbedürfniss  wird  durch  die 
vergleichende  Anatomie  nur  zum  Theil  befriedigt. 

I 


28  Nr.  14.    Festrede. 


Soweit  auch  die  theoretischen  Grundlagen  dieser  Wissenschaft 
richtig  sind,  so  werden  wir  durch  sie  besten  Falles  doch  blos  er- 
fahren, welcher  Vorgeschichte  das  Ei  und  der  Samenkörper  ihre 
gestaltenden  Eigenschaften  verdanken;  aber  diese  selbst  bleiben  uns 
in  ihrer  Beschaffenheit  und  in  ihren  Wirkungsweisen  vollkommen 
unbekannt. 

Wir  wissen  sodann  noch  nicht,  welche  Kräfte  im  befruchteten 
Ei  vorhanden  sind,  und  in  welcher  Anordnung  sie  sich  befinden, 
dass  sie  es  vermögen,  die  Entwicklung  des  Individuums  einzuleiten; 
wir  wissen  nicht,  welche  Kraftcombinationen  im  weiteren  Verlaufe 
die  Entwicklung  bewirken;  kurz,  wir  wissen  nicht,  warum  aus  dem 
einfach  geformten  Ei  ein  hoch  complicirter,  typisch  gebauter  Organis- 
mus hervorgeht,  und  warum  der  auf  diese  Weise  ausgebildete  Organis- 
mus trotz  stetigen  Wechsels  des  Stoffes  lange  Zeit  sich  relativ  unver- 
ändert zu  erhalten  vermag. 

Erst  wenn  wir  auch  diese  Fragen  richtig  beantwortet  hätten, 
wenn  wir  zu  den  Thatsachen  der  vier  erstgenannten  Richtungen  also 
noch  die  Kenntniss  hinzugefügt  hätten,  welchen  Kräften  und  welchen 
Wirkungsweisen  dieser  Kräfte  jedes  Stadium  der  Entwicklung  des 
Individuums  und  schliesslich  jedes  einzelne  Organ  in  Gestalt,  Structur, 
Qualität,  Lage  und  [6]  Verbindung  seine  Entstehung  und  weiterhin 
seine  Erhaltung  verdankt,  dann  würden  wir  am  Ziele  unserer  bezüg- 
lichen Erkenntniss  sein  und  sagen  können:  Die  Morphologie  in 
unserem  Sinne  ist  fertig,  die  vollkommene  Kenntniss  und  Erkennt- 
niss der  normalen  Formenbildung  der  Organismen  ist  erreicht. 

Aber  Jeder,  der  die  causalen  Wissenschaften  kennt,  weiss,  dass 
sie  nie  das  Stadium  der  Vollendung  erreichen,  da  jede  neue  Kennt- 
niss von  Ursachen  neue  Fragen  nach  den  Ursachen  dieser  Ursachen 
gebiert.  Und  auch  wenn  wir  von  den  letzten  Ursachen  ganz  absehen, 
so  ist  es  doch  fraglich,  ob  wir  das  von  Carl  Ernst  v.  Baer  gesteckte 
Ziel:  „Die  bildenden  Kräfte  des  thierischen  Körpers  auf  die  allgemeinen 
Kräfte  oder  Lebensrichtungen   des  Weltganzen   zurückzuführen"  ^),  je 


1)  Carl  Ernst  v.  Baer,   Ueber  Entwicklungsgeschichte  der  Thiore.     Beobacht- 
ung und  Reflexion.     Theil  I,  1828,  p.  22. 


Metboden  der  Entwickelungsmechanik.  29 


erreichen  wei'den,  vorausgesetzt,  dass  die  zu  Urunde  liegende  Auf- 
fassung überhaupt  vollkommen  riehtig  ist. 

Doch  nicht  der  Besitz  der  vollen  Erkenntniss ,  sondern  das 
erfolgreiche  stetige  Streben  nach  Erkenntniss  ist  es,  was  uns  Be- 
friedigung gewährt. 

Diejenige  Wissenschaft,  welche  uns  diese  ursächliche  Er- 
kenntniss der  organischen  Gestaltung  mehr  und  mehr  ge- 
währen soll,  verdient  den  Namen:  Entwicklungsmechanik  der 
Organismen  und  nach  dem  Principe:  a  potiori  fit  denominatio,  darf 
diese  Bezeichnung  auch  auf  die  Erhaltungsmechanik  des  bereits 
Gebildeten,  als  auf  einen  gleichsam  statischen  Fall  der  ersteren  aus- 
gedehnt werden. 

Auf  welchem  Wege  aber  sollen  die  Aufgaben  dieser  Wissen- 
schaft gelöst,  ja  nur  mit  Aussicht  auf  Erfolg  in  Angriff  genommen 
werden?  Wissen  wir  doch,  dass  jede  Entwicklungsstufe  des  Organis- 
mus aus  hundert-  oder  tausendfachen  ^'leichzeitigen  Wirkungen  sich 
zusammensetzt,  und  dass  das  primäre  Geschehen  dabei  immer  ein 
moleculares ,  also  ein  innerhalb  unsichtbar  kleiner  Theile  sich  voll- 
ziehendes ist;  dass  die  für  uns  sichtbaren  Vorgänge  erst  aus 
zahllosen  solchen  Einzelvorgängen  sich  integriren. 

Wenn  wir  die  Entstehung  eines  künstlichen  Gebildes,  z.  B. 
eines  Gebäudes,  beobachten,  so  schliessen  wir  aus  den  beobachteten 
Vorgängen  sofort  auf  die  Ursachen  des  Geschehens;  wir  sehen  die 
Steine  fortgetragen  und  zurechtgelegt  durch  die  Arbeiter,  diese  er- 
kennen wir  als  in  ihrem  Thun  geleitet  durch  die  Anordnungen  des 
Maurermeisters  und  dieser  handelt  nach  den  Befehlen  und  dem  Plane 
des  Baumeisters. 

[7]  Aber  wie  sollen  wir  im  sich  entwickelnden  Organismus 
die  ursächlichen  Verhältnisse  erkennen,  wo  jeder  mikroskopisch 
kleine  Baustein  zugleich  Bauarbeiter  und  innerhalb  eines 
gewissen  Bereiches  wahrscheinlich  auch  Bauleiter  ist? 

(*)  Die  Ursachen  der  organischen  Gestaltungen  sind  uns  gegen- 
wärtig  weit   weniger  bekannt,   als   die  Ursachen   der   Bewegung   der 


*)  Die   in  Parenthese   gesetzten    Theile   wurden   wegen  Zeitmangels    nicht   ge- 
sprochen. 


30  Nr.  14.    Festrede. 


Himmelskörper  der  Menschheit  vor  Newton.  Und  der  zukünftige 
Newton  der  Bewegungen  der  den  Organismus  aufbauenden 
Theile  wird  wohl  nicht  in  der  glücklichen  Lage  sein,  diese  Be- 
wegungen blos  auf  drei  Gesetze  und  zwei  Komponenten  zurückführen 
zu  können.  Und  trotz  unserer  organischen  CJliemie  sind  wir  über  die 
lebensthätigen  Immediatbestandtheile  und  ihre  Eigenschaften  nicht 
mehr  orientirt,  als  die  Alchymisten  über  die  anorganischen  Körper 
und  deren  Eigenschaften. 

Auf  welchem  Wege  sollen  wir  nun  die  Kenntniss  der  Ursachen 
der  Entwicklungsvorgänge  gewinnen  V 

Zunächst  wurde  auch  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  der  Weg  der 
einfachen,  aber  möglichst  genauen  Beobachtung  des  nor- 
malen Geschehens  eingeschlagen,  und  mit  Hilfe  des  inductiven 
und  deductiven  Schliessens  wurde  aus  dem  Beobachteten  mancher 
ursächliche  Zusammenhang  abgeleitet.  BALForrt ,  Eu.  v.  Beneden, 
VON  Ebner,  Waldeyek,  Welsmann,  Rauber,  KLEiNEXBERr;,  Strasser,  Al.  Götte, 
(j.  Schwalbe  u.  A.  ,  vor  Allen  aber  Wilh.  His  haben  sich  dieser 
Methode  mit  Erfolg  bedient;  und  letzterem  Autor  verdanken  wir  eine 
ganze  Reihe  wichtiger  ursächlicher  Ableitungen.  Doch  ist  nicht  zu 
verkennen,  dass  die  Anwendbarkeit  dieser  Methode  für  ursächliche 
Ableitungen  eine  sehr  beschränkte  ist,  und  dass  die  auf  diese 
Weise  gewonnenen  Schlüsse  vielfach  nicht  die  für  so  fundamen- 
tale Fragen  wünschenswerthe  Sicherheit  darbieten.  Es  gibt  in 
jedem  einzelnen  Falle  eine  ganze  Reihe  von  Möghchkeiten ,  und  oft 
keine  sicheren  Argumente  für  die  Auswahl  blos  einer  einzigen  von 
diesen;  demi  das  dabei  verwendete  Argument,  dass  das  Einfachste 
auch  das  Wahrscheinlichste  sei,  lässt  uns  hier  oft  im  Stich,  schon 
deshalb,  weil  wir  die  organischen  Gestaltungsprincipien  vielfach  nicht 
genügend  kennen,  um  zu  verstehen,  was  für  sie  das  P^infachste  sei 
(s.  Nr.  18,  S.  506—515). 

[8]  Und  selbst  die  Benützung  der  ,,v  ergleichen  den"  Be- 
trachtung von  Verschiedenheiten  der  normalen  Entwick- 
lung bei  einander  nahestehenden  Thierclassen  vermag  uns, 
meiner  Meinung  nach,  nicht  vollkommene  Sicherheit  über  die 
Ursachen  dieser  Verschiedenheiten  zu  geben,  auch  Avenn  bei  ,, Varia- 


Analytisches  Experiment.  31 


tionen"  eines  Factors  ein  anderer  Factor  wiederliolt  in  derselben  Weise 
geändert  sich  zeigt.  So  schien  selbst  einer  der  besten  der  mit  dieser 
Methode  abgeleiteten  Schlüsse  noch  zweifelhaft,  nämlicli  die  Deutung 
Balfoür's^),  dass  die  blos  partielle  Theilung  (Furch ung)  der 
nahrungsdotterreichen  Eier  verschiedener  Wirbelthiere :  der  Haifische, 
Knochenfische  und  ^"ögel  in  der  Art  durch  die  grosse  Menge  des 
aufgespeicherten  Dotters  bedingt  sei,  dass  der  Bildungsdotter  und 
damit  die  theilenden  Kräfte  für  diese  Menge  quantitativ  zu  gering 
seien.  Denn  im  normalen  gegenwärtigen  Geschehen  ist  Alles  durch 
Jahrmillionen  lange  Verbesserung  so  eingerichtet,  dass  es  vollkommen 
dem  Bedürfniss  genügt ;  und  wenn  ein  Bedürfniss  zur  Durchtheilung 
vorhanden  gewesen  wäre,  würden  sicher  auch  die  Kräfte  dazu  nicht 
fehlen. 

Man  könnte  umgekehrt  die  ^''ermuthung  hegen,  die  anfängliche 
Furchung  blos  eines  Theiles  des  Dotters  sei  direct  functionell  bedingt, 
indem  eine  weitere  Zerlegung  zunächst  nicht  nöthig,  vielleicht  sogar 
störend  für  den  Ablauf  der  ersten  Entwicklungsvorgänge  wäre. 

Sicherer  führt  uns  schon  die  ursächliche  Deutung  des  Zusammen- 
hanges stets  zusammen  vorkommender  ,, Varietäten"  der  Ent- 
wicklung des  Individuums.  Wenn  z.  B.,  wie  bereits  in  mehreren 
Fällen  sich  gezeigt  hat,  beim  Fehlen  des  langen  Kopfes  des  Musculus 
biceps  brachii  stets  auch  der  Sulcus  intertubercularis,  in  welchem  die 
Sehne  dieses  Kopfes  normaler  Weise  liegt,  fehlt,  so  werden  wir  mit 
Sicherheit  auf  eine  ursächliche  Beziehung  zwischen  beiden  Bildungen 
schliessen  dürfen;  und  schon  unsere  heutige  geringe  entwicklungs- 
mechanische Einsieht  lässt  uns  des  Weiteren  folgern,  dass  nicht  die 
Sehne  fehlt,  weil  ihre  Verlaufsfurche  nicht  angelegt  ist,  sondern  dass 
der  Causalnexus  der  umgekehrte  sein  muss. 

Durch  die  Verwerthung  solcher  Vorkommnisse  hat  auch  die 
vorstehend  erwähnte  Deutung  Balb'our's  ein  höheres  Maass  von  Wahr- 
scheinlichkeit gewonnen;  indem  ich  nämlich,  allerdings  erst  in  einigen 
Fällen,  beobachtete,  dass  beim  Froschei,  welches  normaler  Weise 
der  totalen  Furchung  unterliegt,  im  Falle  abnorm  grosser  Einlagerung 

1)  Francis  M.  Balfour,  Handbuch  der  vergleichenden  Embryologie.  Deutsch 
von  B.  Vetter  1880.  Bd.  I,  p.  98  und  104. 


32  Nr.  14.    Festrede. 


von  Nahrungs-  [9]  dotier,  an  Riesen  eiern  vom  Achtfachen  des 
normalen  Voknnens  zunächst  l)los  theilweise  Zerlegmig  (partielle 
Furchung)  eintrat. 

Doch  der  Haupt  weg,  der  uns  zu  sicherer  Erkemitniss  der  Ur- 
sachen führt,  ist  der  des  Experimentes,  dieses  grossen  Hilfsmittels 
des  Menschen,  mit  dem  er  die  Natur  zwingt,  auf  seine  Fragen  Ant- 
wort zu  geben,  und  dem  er  die  riesenhaften  Fortschritte  in  der  Er- 
kenntniss  der  Natur  und  in  der  Dienstbarmachung  ihrer  Kräfte  ver- 
dankt. 

Aber  das  Experimentiren  an  sich  gibt  noch  nicht  die  Gewähr, 
dass  wir  dadurch  vorwärts  schreiten  in  der  Erkenntniss,  ebensowenig 
als  die  zahllosen,  Jahrhunderte  lang  fortgesetzten  Experimente  der 
Alchemisten  uns  in  der  Erkenntniss  der  Natur  wesentlich  gefördert 
haben.  Der  rasche  P'ortschritt  der  Chemie  seit  dem  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts,  ebenso  wie  schon  vorher  derjenige  der  Physik  beruhten 
auf  einer  l)esonderen  Art  des  Experimentes,  auf  dem  analytischen 
Experimente;  und  um  dieses  anstellen  zu  können,  rauss  ihm  das 
analytische  Denken  vorausgegangen  sein. 

Bei  der  somit  für  die  Lösung  unserer  Aufgabe  nöthigen  Analyse 
werden  wir  einmal  "an  die  bereits  vorliegenden  analytischen  Ergeb- 
nisse der  Biologie  anknüpfen  müssen,  vor  Allem  an  die  morphologisch - 
physiologische  Zerlegung  der  Organismen  in  Zellen  und  deren  Haupt- 
bestandtheile :  als  Zelheib,  Zellkern  und  eventuell  Centrosoma. 

Wir  wissen  jetzt,  dass  unser  individuelles  Leben  als  Ganzes  sich, 
ähnlich  dem  Leben  eines  Staates,  zusammengesetzt  aus  dem  Leben 
vieler,  nach  Hensen  etwa  30  Billionen  ^)  einzelner,  selbstlebender  Lidi- 
viduen,  der  sogenannten  Zellen;  wobei  jedoch  im  Organismus  die  Staats- 
bürger zumeist  nicht  das  Recht  der  Freizügigkeit  geniessen,  sondern 
grösstentheils  an  die  Scholle,  d.  h.  zwischen  ihre  Nachbarschaft  ge- 
bannt sind. 

Indem  die  causale  Forschung  an  die  Leistungen  dieser  uns  zu- 
sammensetzenden Elementar  Organismen  anknüpft,  können  zwei 
verschiedene  Wege  eingeschlagen  werden. 


1)   Victor    Hensen,      Die    Naturwissenschaft     im    Universitätsvevbaiirl.      Kiel 
1887,  p.  6. 


Nacliahnuing  der  Copulation  der  Geschlechtskerne.  33 

Einmal  köniu'n  wir  die  allgenieiiu'ii  gestultcMiden  Eigen- 
schaften, also  Eeistungen  der  einzelnen  Zelle  zu  erklären,  also 
auf  bereits  bekannte  Kraftformen  und  deren  Wirkungsweisen  zurück- 
zuführen suchen.  Damit  ist  bereits  begonnen  worden;  sowohl  be- 
züglich der  Zellen  innerhalb  höherer,  besonders  pflanzlicher  Organis- 
men, wie  auch  an  niederen,  blos  aus  einer  einzigen  Zelle  bestehen- 
den Lebewesen. 

[lOj  Bezüglich  der  Erklärung  gestaltender  Vorgänge  an  nieder- 
sten Lebewesen  haben  wir  z.  B.  den  Untersuchungen  Berthold's. 
Errera's  und  neuerdings  O.  Bütschli's  sowde  des  Physikers  G.  Quincke 
wichtige  Fortschritte  zu  verdanken.  Letztere  zeigten,  dass  die  gewöhn- 
lich fih'  automatisch  gehaltenen  Bewegungen  einzelner,  freilebender 
Zellen  ausseroj'dentlieh  ähnlich  sind  den  Bewegungen,  die  man  an 
Flüssigkeitstropfen  unter  Umständen  beobachten  kann,  wie  sie  auch 
au  diesei]  Lebewesen  wohl  als  vorhanden  annehmbar  sind  ;  und  es 
gelang  ihnen,  auf  Grund  der  Experimente  eine  Theorie  für  diese  Art 
der  mannigfachen  Be^vegungserschcinungen  aufzustellen^). 

Solche  Bestrebungen  sind  ausserordentlich  lehrreich  und  die  st) 
gewonnenen  Ergebnisse  sind  unerlässlich  nöthige  Vorstufen  weiterer 
Erkenntniss. 

Gleichwohl  glaube  ich  aber  nicht,  dass  sie  uns  bereits  so  nahe 
an  die  wirklichen  Ursachen  der  bezüglichen  organischen  ^''or- 
gänge  herangeführt  haben,  als  mehrfacli  angenommen  wird. 

Die  äusserliclie  Ue})ereinstimmung  zweier  Erscheinungen  darf 
uns  noch  nicht  verführen,  auch  eine  Uebereinstimmung  ihrer  Ursachen 
anzunehmen,  besonders  nicht  auf  dem  Gebiete  des  Organischen,  wo 
die  Verhältnisse  so  complicirte  sind,  dass  wir  sie  noch  nicht  annähernd 
zu  überblicken  vermögen.  Wie  ähnlich,  l)is  in  sehr  feine  Formen- 
verhältnisse hinein  sind  die  Verzweigungen  der  Blutgefässe  mit  den 
Verästelungen  der  Bäume ;  und  doch  sind  die  ersteren ,  wie  ich  ge- 
zeigt habe  (s.  Nr,  1  u.  2),  durch  Anpassung  an  die  Kräfte  der  in  den 
Blutgefässen  strömenden  Flüssigkeit  bedingt,  während  die  anderen 
auf  statischen  Grundlagen  beruhende  Erscheinungen  darstellen. 

1)  G.  Quincke,  üeber   Protoplasmabewegung.     „Biologisches   Centralbl." .    1888, 
S    499—506  und  0.  Bütschi,!,  Ueber  die  Structur  des  Protoplasma's,  1889. 
W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    ]I.  '^ 


34  Nr.  14.    Festrede. 


Auch  mir  ist  es  schon  vor  Jahren  gehingen,  einen  räthselhafteu 
vitalen  Vorgang  scheinbar  nachzuahmen,  wie  ich  bei  dieser  Gelegen- 
heit mittheilen  will. 

Es  ist  räthselhal't,  wodurch  bei  der  Befruchtung  des  Eies  die 
beiden  Träger  der  Vererbungsstoffe,  der  sehr  kleine  Samenkern  und 
der  etwas  grössere  Eikern  sich  innerhalb  der  grossen  Dotter- 
masse des  Eies  zusammenfinden;  während  diese  beiden  Kerne  sich 
einander  nähern,  ist  sehr  ausgeprägt  der  männliche,  in  noch  zweifelhafter 
Weise  der  weibliche  Kern^)  [11]  von  einem  Kranz  radiär  geordneter 
Theilchen  umgeben.  Wenn  man  nun  experimenti  causa  auf  eine  grosse 
Schale  mit  trüber  gesättigter  wässeriger  Carbolsäurelösung  zwei  Tropfen 
gefärbten  C'hloroforms  fallen  lässt,  so  entwickelt  sich  um  jeden  Tropfen 
sowohl  auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  wie  tief  in  die  letztere  hinein 
eine  radiäre  Strahlung;  und  sobald  diese  beiden  Zonen  sich  be- 
rührt haben,  bewegen  sicli  die  Tropfen,  auch  aus  einer  Entfernung 
von  mehreren  Centimetern ,  geraden  Weges  mit  stetig  zunehmender 
Geschwindigkeit  gegen  einander,  um  sich  mit  grosser  Gewalt  zu  ver- 
einigen. Der  kleinere  Tropfen  legt  dabei  den  grösseren  Weg  zurück, 
gleich  dem  kleineren  männlichen  Kern  im  Ei.  Nimmt  man  nicht 
ganz  gesättigte  Garbollösung  und  für  den  grösseren  Tropfen  statt 
Chloroform  Benzol,  so  entwickelt  sich  um  diesen  Tropfen  ein  schwacher 
Strahlenkranz  und  die  Erscheinungen  werden  damit  der  geschlecht- 
liehen Copulation  noch  ähnlicher. 

Man  könnte  wohl  versucht  sein,  auf  Grund  dieser  Ueberein- 
stimmung  der  Erscheinungen  und  des  Effectes  dieses  Ex- 
perimentes mit  dem  Copulationsphänomen  der  Geschlechts- 
kerne   zu   glauben,    das  Copulationsproblem    der  Befruchtung   wäre 

1)  Ich  habe  einige  Male  Andeutungen  davon  im  mikrotomirten  Froschei,  wäh- 
rend der  männliche  Kern  .schon  auf  der  zweiten  Strecke  seines  Weges,  auf  der  von 
mir  sogenannten  „Copulationsbahn"  begriffen  war,  wahrgenommen.  Da  nach  dem 
mitgetheilten  Experiment  auch  eine  nur  schwache  Existenz  dieses  Strahlenkranzes 
um  den  weiblichen  Kern  zu  dieser  Zeit  vielleicht  von  Wichtigkeit  für  den  Mechanis- 
mus der  Copulation  sein  kann,  so  i.st  es  wünschenswerth,  die  Thatsachen  an  günstigeren 
Objekten  noch  einmal  genau  darauf  zu  prüfen,  zumal  da  der  Strahlenkranz  im  Falle 
vielmal  geringerer  Entwicklung  als  am  Spermakern  und  als  vorher  bei  der  Eireifung 
auch  dem  besten  Beobachter  hätte  entgangen  sein  können.  [Die  neuere  Literatur 
dieser  Asteren  siehe  in  Ch.  S.  Minot,  Lehrbuch  d.  Eutwickelungsgesch.  d.  Menschen. 
Deutsch  von  Kaestner,  Leipzig  1894,  S.  119.J 


Nachahmung  der  Copnlation  der  Geschlechtskerne.  35 

durch  dieses  [in  seinen  Wirkungsweisen  scheinbar  leicht  verstcändUche] 
Experiment  gleichfalls  mechanisch  gelöst.  Doch  bei  genauerem  Ueber- 
legen  erkennen  wir,  dass  dieser  künstliche  Copulationsvorgang  nicht  nur 
mit  anderen  Stoffen,  sondern  unter  Mithilfe  einer  Wirkungsweise  sich 
voHzieht,  für  welche  im  Ei  keine  Gelegenheit  gegeben  sein  kann, 
denn  er  beruht  zum  Theil  auf  der  Ausbreitung  der  rasch  sich  bil- 
denden Dämpfe  des  Chloroforms,  resp.  Benzols  ^). 

Man  könnte  der  Ansicht  sein,  um  methodisch  vorzugehen,  müsste 
die  Forschung  durchaus  mit  den  einfachsten  Lebewesen 
beginnen:  und  man  dürfte  nicht  eher  in  der  ursächlichen  Erforsch- 
ung der  höheren  Organismen  weitergehen,  ehe  wir  nicht  im  Haupt- 
sächlichen die  Räthsel  der  Entstehung,  Gestaltung  imd  Erhaltung  der 
scheinbar  einfachen  Gebilde,  der  einzelnen  Zellen,  gelöst  hätten. 

Alsdann  wäre  diese  wichtige  und  uns  so  nöthige  Erforschung 
der  Ursachen  der  Lebensvorgänge  auf  lange  Zeit,  vielleicht  auf 
immer  in  die  Hände  der  Protistenforscher  und  der  Botaniker  p-elest; 
und  zumal  wirMediciner  müssten  uns  begnügen,  abwartend  zuzusehen. 

Dies  wäre  aber  durchaus  unangemessen.  Im  Gegentheil  sind 
mannigfache  ursächliche  Verhältnisse  des  Aufbaues  eines 
höheren  Organismus  aus  Summen  solcher  niederster  Or- 
ganismen viel  leichter  zu  ermitteln,  als  die  LTrsachen  der 
Grundvorgänge  an  letzteren. 

Die   freilebenden  niedersten  Organismen   entbehren  ja 

1)  Wenn  man  den  zweiten  Tropfen  Chloroform  nur  über  die  Oberfläche  der 
Schale  hält,  nähert  sich  ihm  der  auf  letzterer  schwimmende  Tropfen  ad  maximuni, 
stellt  sich  also  senkrecht  unter  ihn,  sobald  die  von  den  Dämpfen  des  freien  Tropfens 
auf  der  Oberfläche  der  Carbollösuntc  gebildete  Wirkungssphäre  diejenige  des  schwim- 
menden Tropfens  berührt  hat.  Bei  öfterer  Wiederholung  des  Versuches  mit  derselbe)! 
Carbolsäurelösung  wird  der  Vorgang  allmählich  schwächer  und  hört  schliesslich  auf: 
ein  Zeichen,  dass  dieser  Lösung  durch  die  Bildung  von  ümsetzungsprodukten  die 
(besonders  in  alter,  gestandener  Carbolsäurelösung  reichlich  vorhandenen)  zu  obiger 
Wirkung  nöthigen  Stoffe  entzogen  werden.  Ebenso  erschöpft  sich  die  Wirk- 
samkeit desselben  Chloroformtropfens.  .Je  dünner  die  Carbolsäurelösung,  um  so  schAvächer 
sind  die  geschilderten  Wirkungen,  und  bei  einem  gewissen  Grad  der  Verdünnung  sind 
.sie  nicht  mehr  wahrnehmbar:  [alles  Beweise,  dass  diese  Wirkung  nicht  bloss  ein  physi- 
kalisches Oberflächenphänomen  ist].  Bringt  man  den  Chloroformtropfen  unter  die  Ober- 
fläche, auf  den  Boden  des  Gefässes,  so  bleibt  die  Wirkung  auf  die  Berührungsfläche 
beider  Tropfen  beschränkt,  es  findet  keine  radiäre  Strömung  in  einer  grösseren  Flüssig- 
keitsmasse statt. 

3* 


36  Nr.  14.    Festrede. 


der  Fähigkeit,  zum  Aufbaue  höherer  Orgauismen  zusammen- 
zuwirken; also  ist  diese  Fähigkeit  etwas  Besonderes  und  da- 
her auch  für  sieh  Erforschbares.  Ausserdem  ist  in  den  höheren 
Organismen  eine  weitgehende  SpeciaHsirung  der  Zellen  ausgebildet: 
vielfach  sind  Zellengruppen  auf  Kosten  der  Vielseitigkeit  der  einzelnen 
Zellindividuen  nach  je  einer  Richtung  zu  besonderen  Leistungen 
entwickelt.  Wir  finden  daher  in  den  höheren  Organismen  nach 
mancher  Richtung  hin  [z.  B.  bei  den  differenzirten  und  daher 
weniger  vielseitig  leistungsfähigen  Geweben  oder  in  Folge  der  ge- 
ringeren Regenerationsfähigkeit]  sogar  einfachere  \^erhältnisse  vor 
(s.  Nr.  26  S.  60). 

Die  Botaniker  haben  an  ihrem,  für  diese  Forschungen  viel  zu- 
gänglicheren Materiale  auch  schon  an  höheren  Organismen  eine  ganze 
Reihe  von  Gestaltungsgesetzen  und  ursächlichen  Beziehungen  ermittelt, 
und  ich  brauche  nur  die  Namen  Jul.  Sachs,  Sghwendener,  Leitgeb, 
Pfeffer,  Wiesner,  Strassburger,  de  Vries  zu  nennen,  um  den  Kun- 
digen an  die  wichtigsten  Entdeckungen  auf  diesem  Gebiete  zu  erinnern. 

Wir  Mediciner  die  wir  den  höchsten  Organismus  am  genauesten 
kennen,  werden  in  der  Erforschung  der  Ursachen  des  Aufbaues 
desselben  und  ähnlich  gebauter  Organismen  aus  vielen  Zellen 
und  der  Erhaltungsursachen  dieses  Aufbaues  ein  Feld 
reicher  und  lohnender  Forschung  finden;  und  es  wird  auch  bei 
dieser  Thätigkeit  dem  denkenden  Beobachter  Manches  von  den  wesent- 
lichen allgemeinen  Eigenschaften  der  Zellen  sich  erschliessen,  und 
wahrscheinlich  gerade  solches,  welches  dem  Protistenforscher  weniger 
nahe  liegt  oder  für  ihn  weniger  leicht  festzustellen  ist. 

Die  gegenwärtigen  Forscher  auf  diesem  Gebiete  müssen  sich 
bescheiden,  die  Vorarbeiten  für  die  spätere  Gewinnung  dieser 
schwierigsten  Erkenntniss  zu  machen. 

Vielleicht  ist  die  von  C.  E.  v.  Bär  stammende  Analyse  der 
organischen  Gestaltungsvorgänge  in  gestaltliche  und  qualitative  (ge- 
webliche)  Differenzirung  zugleich  eine  causale. 

[13]  Sicher  aber  ist  dies  nicht  der  Fall  bezüglich  der 
gegenwärtigen    Ableitung    der    Formenbildungen    von    Fal- 


Formale  Analyse.  37 

tinigs-,  AiiS8tül])iiiigs-,  Verschinelziiiigs-,  Absclniüi'iings- 
vorgängeu  u.  dgl.;  sowic^  mit  der  Zurückrülirung  dieser  ^^o^gällge 
auf  VergTösserung,  ^"e^kleilUM•llllg,  Umgestaltung,  Tlieihuig  und  Uni- 
oi'dnung  der  Zellen. 

Diese  Unterscheidungen  sind  blos  gestaltliche ;  wir  wissen,  dass 
jeder  dieser  Vorgänge  durch  zum  Theil  verschiedene  Ursaclien  und 
verschiedene  derselben  durch  zum  Theil  gleiche  Ursachen  bedingt 
sein  können. 

Eine  Analyse  der  organischen  Gestaltungsvorgänge  nach  den 
Ursachen  und  deren  specifischen  Combinationen  steht  noch  aus. 
Wenn  diese  auch  ein  Ziel  unseres  Strebens  sein  muss ,  so  wird  es 
trotzdem  vorläufig  auch  für  die  Entwicklungsmechaiiik  sehr  m'itzlich 
sein,  weiterhin  die  Entwicklungsvorgänge  auf  Grund  des  el^en  er- 
wähnten formal-analytischen  Schemas  zu  zerlegen,  weil  bei 
diesem  Bestreben  die  formalen  Vorgänge  des  Genaueren  erforscht 
werden,  und  weil  diese  Zerlegung  immerhin  die  Zurückführung  einer 
^'ielheit  auf  eine  Minderheit  darstellt. 

Der  Zerlegung  der  Entwicklungsvorgänge  in  ursächliche  Compo- 
nenteu  werden  wir  uns  nur  allmählich  nähern  können,  und  zwar  durch 
Beantwortung  einiger  Vorfragen,  welche  meiner  Ansicht  nach  zu- 
nächst in  Angriff  zu  nehmen  sind ,  nämlich  der  Fragen  nach  der 
Zeit  der  ursäclilichen  Bestimmung  einer  Gestaltung  (s.  Nr.  IH) 
und  nach  dem  Ort  der  Ursachen  derselben  (s.  Nr.  13).  Durch  die 
Beantwortung  der  ersteren  Frage  erfahren  wir,  in  welcher  Periode 
der  Entwicklung,  durch  die  der  letzteren,  an  welchem  Orte  wir  die 
Ursachen  eines  Vorganges  zu  suchen  haben. 

War  es  für  die  Pathologie  von  Nutzen,  dass  die  Pathologen  seit 
Morgagni  zunächst  nach  dem  Sitze  und  dann  erst  nach  den  Ursaclien 
der  Krankheit  forschten,  so  haben  wir  wohl  einen  gleichen  Nutzen 
von  demselben  Gange  der  Untersuchung  auch  für  die  Ermittelung  der 
normalen  Entwicklungsursachen  zu  gewärtigen.  Wir  erfahren  so  z.  B., 
ob  die  Ursachen  eines  Gestaltungsvorganges  in  den  durch  ihn  umge- 
stalteten Theilen  selbst  gelegen  sind,  ob  der  Vorgang  also  als  ,,Selbst- 
differenzirung"  zu  betrachten  ist,  oder  ob  äussere  Theile  an  der 
betrachteten   Umgestaltung    mitwirken.     Mit    diesen    Vorkenntnissen 


38  Nr.  14.   Festrede. 


über  die  ursächlichen  Verhältnisse  werden  wir  auch  dem  Wesen  der 
Ursache  selbst  schon  ein  wenig  näher  kommen. 

[14]  Auf  diesem  Wege  war  es  mir  z.  B.  möglich,  zu  ermitteln, 
dass  die  Richtung  der  Mittelebene  des  Frosches  im  Ei  schon  zwei 
Tage  vor  der  ersten,  diese  Richtung  bekundenden  Organanlage  be- 
stimmt ist  (s.  Nr.  16),  dass  jedoch  im  unbefruchteten  Ei  diese  Be- 
stimmung noch  nicht  getroffen  ist,  sondern  dass  diese  Lage  gerade 
während  der  Befruchtung  normirt  wird  (s.  Nr.  20).  Durch  diese  Ein- 
sicht wurde  dann  die  Vermuthung  nahegelegt,  dass  diese  Bestimmung 
vielleicht  durch  die  Befruchtung  erfolge;  und  die  daraufhin  ange- 
stellten, lange  Zeit  erfolglosen  Versuche  ergaben  nach  Ermittelung 
der  geeigneten  Methode  die  Richtigkeit  dieser  Vermuthung.  Zugieicli 
zeigte  sich,  dass  wir  es  vermögen,  die  Befruchtungsrichtung  und 
damit  auch  die  Lage  des  Thieres  im  Ei  beliebig  zu  bestimmen, 
und  fernerhin,  dass  diejenige  Seite  des  Eies,  an  welcher  wir  den 
Samenkörper  eindringen  lassen,  zur  1  unteren  Körperhälfte  des 
Thieres  wird,  während  aus  derjenigen  Eihälfte  ,  in  welcher  zur  Zeit 
der  Befruchtung  der  weibliche  Zeugungstheil,  der  Eikern  liegt,  die 
Kopf  half  te  des  Thieres  hervorgeht  (s.  Nr.  21). 

So  gelang  es  auch,  durch  das  Experiment  nachzuweisen,  dass 
das  Material  zur  Bildung  des  Centralnervensj'stems  im  mehrfach  ge- 
theilten  Froschei ,  nicht ,  wie  man  bisher  annahm ,  oben  auf  der  ur- 
sprünglich schon  schwarzen  Seite  des  Eies,  sondern  seitlich  am 
Aequator  des  Eies  liegt,  und  dass  es  von  da  zu  beiden  Seiten  her- 
unter bewegt  wird,  um  erst  unter  nachträglicher  A'^ereiuigung  in  der 
Mittelebene  die  scheinbar  einheitliche  Anlage  des  Nervensystems 
zu  bilden  (s.  Nr.  22  u.  23). 

Wenn  wir  nun  auch  gegenwärtig  zumeist  die  specifischen 
Beschaffenheiten  der  Ursachen  selbst  nicht  werden  ermitteln 
können,  so  werden  wir  auf  Grund  unserer  Fragestellung  durch  die 
Bekanntschaft  mit  der  Oertlichkeit  der  Ursachen  vielfach  gestaltende 
Einwärkung-en,  zumTheil  weit  von  einander  entfernter  Theile 
erkennen. 

Wir  werden  damit  Factoren  ermitteln,  welche  normaler  Weise 
die  gestaltende  Thätigkeit  der  Zellen  und  Gewebe  ,, auslösen" 


Analyse  in  „beständige  Wirkungsweisen".  39 


oder  nach  Quantität,  Rielitung  und  (Qualität  nlteriron.  Und  auch  so 
weit  die  Veränderungen  rein  aus  in  den  veränderten  Theiien  selber 
gelegenen  Kräften  sich  vollziehen,  also  ,,Selbstdifferenzirungen"  dar- 
stellen, werden  wir  die  auslösenden  [15]  inneren  Momente  für  jede 
weitere  Veränderung  zu  ermitteln  uns  bestreben  müssen. 

Wir  müssen  mit  der  Zeit  auf  Grund  analytischer  Betrachtung 
der  ermittelten  gestaltenden  Reactionen  und  Wechselwirkungen 
möglichst  allgemein  zur  Wirkung  gelangende,  gestaltende  Wirkungs- 
gesetze (nicht  blos  Thatsachen-  und  Formengesetze)  ableiten  oder,  besser 
gesagt,  die  zahlreichen  Einzelgestaltungen  auf  eine  mit  der 
Zeit  immer  kleinere  Minderheit  gestaltender  ,,constanter 
Wirkungsweisen''  zurückführen:  eine  Aufgabe,  welche,  so  weit  es 
sich  um  Zurückführung  auf  mechanische  Massenwirkungen  handelt, 
bereits  von  W.  His^)  mit  Erfolg  in  Angriff  genommen  worden  ist. 

Danach  wird  es  des  Weiteren  versucht  werden  können,  die  auf- 
gefundenen beständigen  gestaltenden  Wirkungsweisen  des 
lebenden  Substrates  selbst  wieder  von  noch  allgemeineren 
Wirkungsweisen  abzuleiten,  und  diese  selber  schliesslich  gleich 
den  mechanischen  Massen  Wirkungen  auf  im  Bereiche  des  An- 
organischen erkannte  Wirkungsarten,  resp.  auf  die  ihnen 
supponirten  Kraftformeu  zurückzuführen. 

Diese  Art  des  Vorgehens  wird  uns  in  der  Erkenntniss  der  Ge- 
staltungsvorgänge der  höheren  Organismen ,  wie  ich  glaube ,  stetig, 
wenn  auch  nur  schrittweise,  weiter  führen. 

Bei  dieser  Tendenz  der  Zurückführung  der  hochcomplicirten  orga- 
nischen Vorgänge  auf  einfachere  Wirkungsweisen  dürfen  wir  aber  den 
Ueberblick  über  die  specifisch  organischen,  zur  Zeit  uner- 
klärbar erscheinenden  Verhältnisse  nicht  verlieren.  Dies  gilt 
besonders  bezüglich  derjenigen  Wirkungen,  auf  denen  die  Her- 
stellung und  Erhaltung  des  ,, Ganzen''  in  seinem  der  Species 
entsprechenden  Typus  beruht.  Die  Nichtberücksichtigung  dieser 
Vorgänge  würde  von  vornherein  zu  einer  unvollständigen  Vorstellung 
vom  Wesen  des  Organischen  Veranlassung  geben,    die   auch  bei  der 


1)  Wilhelm  His,  Unsere  Körperform  und  das  physiologische  Problem  ihrer  Ent- 
stehung.    Leipzig  1874. 


40  Nr.  14.    Festrede. 


Auffassung   anderer,    einfacherer    Vorgänge   leicht  irrthümHche ,     zu 
grob  Diechanische  Vorstellungen  nach  sich  ziehen  könnte. 

Es  scheint  mir,  class  in  Bezug  auf  diese,  die  typische  Ein- 
heit des  Ganzen  vermittelnden  Wirkungen  die  Lehre  von  dem 
Aufbaue  des  Organismus  aus  selbstlebenden  Theilen  uns  zu  einer 
Unterschätzung  derselben  geführt  hat. 

Da  die  uns  zusammensetzenden  Zellen  Nahrung  aufnehmen  und 
in  ihnen  gleichende  Substanz  umwandeln,  da  sie  sich  vermehren, 
eventuell  sich  bewegen  und  mannigfache  Stoffe  bilden  und  ausscheiden, 
da  sie  also  diese  wesentlichen  Grundverrichtungen  des  ganzen  In- 
dividuums haben,  so  ist  die  Auffassung  entstanden,  dass  der  ganze 
Organismus  blos  eine  Summe  dieser  relativ  selbstständigen  Ge- 
bilde ist. 

[16]  Man  denkt  sich,  wenn  ich  die  Anschauungen  der  Zeit  recht 
verstehe,  die  Einheit  des  ganzen  Individuums  dadurch  herge- 
stellt und  darauf  beruhend,  dass  die  selbstlebenden  Theile,  die  Zellen, 
zufolge  der  typischen  Vorgänge  der  Entwicklung  aus  dem  Ei  derart 
beschaffen  und  gelagert  sind,  dass  alle  ihrer  Natur  nach  zu  einem 
selbsterhaltungsfähigen  Ganzen  zusammenwirken  können  und  müssen, 
einfach  indem  sich  in  jeder  Zelle  die  in  ihr  liegenden  Kräfte  in 
qualitativ  constanter,  nur  quantitativ  und  zeitlich  von  aussen  regu- 
lirter  Weise  bethätigen. 

Die  Einheit  des  Ganzen  ist  nach  dieser  Auffassung  blos  eine 
typisch  functionelle;  und  die  Einheitlichkeit  derAction  aller  Theile 
wird  wesenthch  daduj'ch  vermittelt,  dass  der  Gebrauch  des  Ganzen 
einem  einzigen  Willen  unterstellt  ist. 

Indem  dem  Acte  der  Function  innerhalb  gewisser  Breite  zugleich 
eine  gestaltende  Einwirkung  auf  das  vollziehende  Substrat  von 
der  Art  zukommt,  dass  eine  mehrfach  ausgeübte  Function  in  Zukunft 
leichter  und  vollkommener  vollzogen  werden  kann,  so  ist  auch  die 
feinere  morphologische  Ausbildung  des  Gesammtorganismus  für  die 
von  der  centralen  Willensinstanz  intendirten  Vorrichtungen  von  die- 
sem Centrum  des  Ganzen  abhängig  gemacht;  und  ich  .selber  habe 
l'ür  diese    anscheinend  wunderbare  Fähigkeit   de]-  directen  „functio- 


Erhaltung  der  „ Einheit"  durch  regulatorische  Vorgänge.  41 


Hellen  Anpassung"  an  neue  Verrichtungen  eine  ausreichende, 
mechanisch  fundirte  Erklärung  gegeben  (s.  Nr.  4). 

Eine  weitere  Einheitlichkeit  wird  nach  der  bis  vor  Kurzem 
geltenden  Auffassung  nur  noch  durch  einige,  zwar  vom  Nervensystem 
aus,  aber  ohne  Bewusstsein  geleitete  regulatorische  Mechanismen, 
z.  B.  der  Athraung,  des  Herzschlages  etc.,  dargestellt,  denen  aber 
blos  ein  beschränkter  Wirkungskreis  zukommt. 

Erst  in  neuerer  Zeit  ist  in  der  wieder  mehr  zur  Anerkennung 
gekommenen  und,  wie  es  scheint,  auf  unzweifelhafte  Thatsachen  ge- 
stützten Lehre  von  den  trophi sehen  Nerven  ein  Factor  hervor- 
gehoben worden,  der  auf  eine  weitere  stoffliche  Centralisation 
hinweist  und  das  ,, gestaltliche"  Leben  der  Theile  in  grössere 
Abhängigkeit  von  centraler  Thätigkeit  bringt.  Doch  wird 
dieser  Factor  blos  für  die  Erhaltung  des  Gebildeten  oder  für  die 
Vollendung  der  typischen  Gestaltung  auf  dem  typischen  Wege  in 
Anspruch  genommen;  er  ist  daher,  wenn  auch  im  Einzelnen  seiner 
Wirkung  nach  vollkommen  [17)  dunkel,  doch  im  Ganzen,  als  etwas 
von  vornherein  Normirtes,  verständlich.  Immerhin  wird  dadurch  die 
Autonomie   der  Zellen   des  Leibes   schon   sehr  herabgesetzt. 

Es  gibt  mm  aber  „regulatorische"  Thatsachen  bei  ,, atypi- 
schen" Vorgängen,  welche  bei  gehöriger  Würdigung  auf  ein  viel 
innigeres  Zusammenwirken  der  Theile  zum  Ganzen  und  auf 
eine  grössere  x\bhängigkeit  der  Theile  vom  Ganzen  hindeuten. 
Das  ist  einmal  das  längst  bekannte,  aber  noch  vollkommen  un- 
verständliche Vermögen  der  Regeneration,  das  Vermögen  vieler 
Thiere,  fast  jedes  beliebige,  in  Verlust  gerathene  Stück  des  Körpers 
in  seiner  früheren  Beschaffenheit  wieder  herzustellen,  als  zufähig  ent- 
fernt war  und  als  daher  zur  Integrität  des  Ganzen  nöthig  ist. 

Dahin  gehört  auch  die  jüngst  von  mir  entdeckte  Fähigkeit  der 
Postgeneration  (s.  Nr.  22). 

Wenn  man  nämlich  ein  Froschei  gleich  nach  dem  ersten  der 
Befruchtung  folgenden,  äusserlich  sichtbaren  Gestaltungsvorgang,  nach 
der  Theiluug  des  Eies  in  zwei  gleich  grosse  Theile  an  einer  dieser 
Hälften  mit  einer  heissen  Nadel  in  geeigneter  Weise  operirt,  so  bleibt 
diese  Hälfte  unentwickelt,  während  die  andere  Hälfte   sich  zu  einem 


42  Nr.  14.    Festrede. 


normal  gestalteten  halben  Embryo ,  zu  einem  rechten  oder  linken 
halben  Thier,  je  nach  Umständen  auch  zu  einem  vorderen  halben 
Embryo  ausbildet. 

Das  ist  gewiss  überraschend;  wunderbar  aber  ist  es,  dass  darauf 
in  einer  späteren  Zeit  die  fehlende,  nocli  gar  nicht  gebildet  gewesene 
Hälfte  des  Thieres  von  der  vorhandenen  aus  vollkommen  nach  erzeugt 
wird;  und  dies  kann  auf  ähnliche  Weise  wie  bei  der  Regeneration 
geschehen,  indem  die  den  Körper  nach  der  Seite  des  Defectes  be- 
grenzenden Zellen  sich  vermehren  und  solche  Gestaltungen  liefern, 
dass  alles  zum  typischen  Ganzen  Fehlende  ersetzt  wird ;  es  kann  aber 
diese  Nacherzeugung  sogar  auch  aus  einem,  in  Folge  obiger  Ope- 
ration durcheinander  gebrachten  und  zum  Theile  veränder- 
ten Materiale  vor  sich  gehen  und  trotzdem  die  typischen  End- 
producte  herstellen. 

Welche  Leistung  aber  wäre  es,  wenn  nach  der  \^erwüstuug, 
nach  der  gänzlichen  Vernichtung  aller  Culturerzeugnisse  eines  grossen 
Theiles  eines  Reiches,  etwa  durch  den  Feind,  die  an  den  verwüsteten 
Theil  angrenzenden  Bewohner  und  [18]  ihre  Nachkommen  aus  eigener 
Initiative,  ohne  Anleitung  von  der  das  Ganze  vertretenden  Central- 
verwaltung  alles  Zerstörte,  obgleich  sie  dasselbe  in  Folge  ihrer  Ge- 
bundenheit an  die  Scholle  nie  gesehen  haben ,  vollkommen  in  der 
früher  vorhandenen  Weise  wieder  herstellen  wollten^),  darunter  auch 
solches,  was  functionell  gar  nicht  nöthig  ist,  wie  etwa  der  bunte 
Anstrich  mancher  Häuser,  entsprechend  der  Wiederherstellung  der 
früheren  typischen  Farbenzeichnung  der  Haut-). 

Und  auch ,  wenn  Zellen  von  inneren  Theilen  des  Körpers  her- 
kommen und  sich  am  Aufbau  des  Neuen  betheiligen,  wie  sollen  sie 
über  den  Aufbau  des  Fehlenden  instruirt  sein  und  wie  ihren  Auftrag 
oder  ihre  Intention  den  übrigen  selbstthätigen  Bausteinen  übermitteln? 

[1)  Der  hier  gemachte  Vergleich  ist  nicht  zutreffend,  weil  das  verwüstete  Stück 
Land  kein  typischer  Theil  eines  typischen,  stets  in  gleicherweise  hergestellten 
Gebildes  ist,  wie  zerstörte  Theile  von  Organismen.] 

-)  Neuerdings  ist  von  Boulenger  (Proceed.  of  the  Zoolog.  Soc.  of  London  1888. 
Port.  3.  S.  351 — 353)  gezeigt  worden,  dass  bei  der  Regeneration  von  Eidechsenschwänzen 
die  Beschuppung  des  regeneriten  Schwanzes  häufig  von  der  normalen  Form  abweicht 
und  der  Beschuppung  von  Vorfahren  entspricht ;  was  indess  nicht  weniger  räthsel- 
haft  ist. 


Vermittelung  der  Einheitlichkeit  des  Organismus.  43 

Es  gehört  zu  solclien  Leistungen  scheinbar  nielir  als  die  Tn- 
telhgenz  des  menschhchen  „beschränkten  Unterthanen Verstandes",  und 
doch  vollziehen  die  kleinen  Zellgebilde  diese  Leistungen  rasch  und 
sicher  (s.  Nr.  27  S.  302  und  28  S.  659)  i). 

Und  sogar  aus  dem  Eie  in  Folge  operativen  Eingreifens  aus- 
getretene Eitheiie  (Extraovate)  vermögen  noch  an  das  Normale  sich 
anschliessende  Bildungen  hervorzubringen  (s.  Nr.  24). 

Wodurch  soll  ferner  die  von  Trembley  und  Nussbaum^)  nach- 
gewiesene  Art  der  Regeneration  des  kleinen  Wasserpolypen,  der  Hydra, 
vermittelt  sein,  welche  aus  jedem  durch  die  ganze  Dicke  der  Leibes- 
wandung durchgehenden  Theilstück  diesei-  Wandung,  selbst  bei 
mangelnder  Nahrung,  also  ohne  Wachsthum,  blos  durch  Umordnung 
und  Umdifferenzirung  der  den  vorhandenen  Theil  zusammensetzenden 
Zellen  einen  kleineren,  dem  früheren  Ganzen  entsprechend  gestalteten 
Polypen  herstellt? 

Und  wie  wollen  wir  uns  weiterhin  z.  B.  den  an  einem  nieder- 
sten, einzelligen  Lebewesen,  der  Euglypha  alveolata  von  Gruber, 
Blochmann  und  Sc;hewiakoff  ^)  beobachteten  Vorgang  der  Encystirung, 
der  Bildung  eines  zweiten  Panzers  bei  Gefahr  der  Eintrocknung  aus 
den  Reserveplatten,  und  nach  dem  Aufhören  dieser  Gefahr,  die  Ver- 
wendung dieser  [19]  selben  Platten  unter  nachträglicher  Umordnung 
und  typischer  Zusammenfügung  zum  Panzer  eines  Tochterindividuums 
aus  der  Autonomie  der  Theile  erklären? 

Ich   bin  der  Meinung,  diese  Thatsachen*)   weisen  uns  auf  eine 

[1)  Die  „Sicherheit"  der  Vollziehung  der  Regeneration  bezieht  sich  blos  auf 
das  schliessliche  Endresultat  und  ist  blos  beim  Mangel  störender  Momente  vorhanden  ; 
andernfalls  wird  oft  nicht  ganz  Richtiges  gebildet;  auch  wird  bei  der  Regenera- 
tion manches  Unbrauchbare  eliminirt.] 

■-)  M.  NUSSBAUM,  lieber  die  Theilbarkeit  der  lebendigen  Materie.  „Arch.  f. 
mikrosk.  Anat.",  Bd.  XXIX. 

3)  ScHEWiAKOFF,  Ueber  die  karyokinetische  Kerntheilung  der  Euglypha  alveolata. 
„Morpholog.  Jahrb.",  1887,  und  A.  Gruber,  Ber.  der  naturforsch.  Gesellsch.  zu  Freib.  i.  B., 
Bd.  IV,  Heft  4. 

t)  Desgleichen  die  jüngst  von  Ribbert  und  seinen  Schülern  gemachten  Beobach- 
tungen, dass  auch  nach  Entfernung  noch  nicht  fungir ender  Organe  bei  Säuge- 
thieren,  z.  B.  eines  jugendlichen  Hoden,  Eierstockes,  oder  mehrerer  jugendlicher  Milch- 
drüsen das  andere,  resp.  die  anderen  gleichen  Organe  einer  compensatorischen 
Vergrösser ung  der  specifischen  Theile  unterliegen.  Vortrag  auf  der  Naturforscher- 
Versammlung  zu  Heidelberg,  1889. 


44  Nr.  14.    Festrede. 


grössere  Einheitliclikeit  unter  den  Tlieilen  des  Organismus 
hin,  als  wir  trotz  der  Annahme,  dass  jede  bezügliche  Zelle  noch 
einen  Theil  des  „Keimplasma'' enthalte,  gegenwärtig  zu  verstehen 
im  Stande  sind. 

Die  Entwicklungsmechanik  erhält  daher  in  dem  Suchen  nach 
der  ursächlichen  Vermittlung  der' die  typische  Einheit  des 
Ganzen  trotz  mannigfachen  Wechsels  der  Verhältnisse  her- 
stellenden, erhaltenden  und  wiederherstellenden  Vorgänge 
eine  weitere,  grosse  Aufgabe. 

Bei  der  Kürze  der  mir  zugemessenen  Zeit  muss  ich  davon  ab- 
sehen, einen  auch  nur  flüchtigen  Ueberblick  über  das  auf  dem  Wege 
des  Experimentes  in  der  Entwicklungsmechanik  bereits  Erreichte  zu 
geben;  und  ich  will  daher  nur  die  Namen  einiger  Autoren  nennen, 
welchen  wir  in  erster  Linie  bezügliche  Bereicherungen  verdanken: 
Ludwig  Fick,  Panum,  Dareste,  Pflüger,  Barfurth,  Th.  Boveri,  Born, 
0.  und  R.  Hertwig,   Nussraum,  A.  Grurer,    Chabry,   L.  Gerlach  u.  A. 

Eines  bin  ich  indess  verpflichtet,  noch  hervorzuheben:  nämlich 
die  überraschende  Thatsache,  dass  wir  das  Hauptmaterial  unserer  der- 
maligen ursächlichen  Erkenntniss  der  Entwicklungs-  und  Erhaltungs- 
vorgänge des  menschlichen,  resp.  thierischen  Organismus  Forschern 
verdanken,  welche  ihren  Zielen  nach  diesem  Gebiete  anscheinend  sehr 
ferne  stehen,  nämlich  den  Klinikern  und  Pathologen. 

Diese  Thatsache  beruht  auf  dem  Umstände,  dass  die  krankhaften 
Veränderungen  und  die  Missl)ildungen  uns  das  Verlialten  des  Organis- 
mus bei  Aenderung  oder  Ausfall  eines  oder  mehrerer  Theile  vor- 
führen, und  so  zum  Theil  dasselbe  darbieten,  was  wir  bei  dem  Ex- 
perimente künsthch  erstreben,  um  dadurch  den  Antheil  dieses  Gebildes 
an  der  Gestaltung  des  übrigen  Organismus  zu  ermitteln.  Dazu  kommt, 
dass  die  Pathologen  und  Kliniker  auch  selber  viele  scharfsinnige 
Experimente  gemacht  haben,  um  die  Ursachen  mancher  Gestaltungs- 
vorgänge aufzuklären. 

Jedoch  ist  nicht  unerwähnt  zu  lassen,  dass  auch  schon  Anatomen 
pathologische  Erfahrungen  für  die  Erkenntniss  der  [20]  Ursachen 
der  normalen  Bildungen  verwerthet  haben,  so  besonders  W.  Henke 
und  H.  V.  Meyer. 


Nutzen  der  Pathologie  für  die  Entwicklungsmechanik.  45 


Die  Anwendbarkeit  auch  der  nicht  blos  auf  Ausfallserscheinungen 
beruhenden  pathologischen  Erfahrungen  auf  die  normalen  Verhältnisse, 
die  Zulässigkeit  des  Rückschlusses  von  den  in  pathologischen  Ver- 
hältnissen beobacliteten  Gewebsreactionen  auf  die  normalen  Gewebs- 
leistungen  beruht  auf  der  weiteren  Erfahrung,  dass  die  Eigenschaft 
der  Gewebsreaction  so  wenig  von  der  Eigenschaft  der  ver- 
anlassenden äusseren  Ursache,  so  sehr  dagegen  von  den 
Eigenschaften  des  reagirenden  Substrates  abhängt,  dass 
diese  Ursache  fast  blos  als  das  „auslösende"  Moment  für  das 
in  Thätigkeittreten  des  specifischen,  an  sich  sehr  stabilen  Gewebs- 
mechanismus  zu  betrachten  ist.  Die  progressiven  abnormen  Leist- 
ungen sind  meist  blos  gesteigerte  oder  anachronistische  ßethätigungen 
der  normalen  Eigenschaften  [die  regressiven  Leistungen  interessiren 
uns  hier  nicht]. 

Diese  Stabilität  der  productiven  Reactionsweisen  der  Gewebe 
beraubt  uns  leider  der  Möglichkeit,  aus  den  Reactiouen  auf  verschieden- 
artige Einwirkungen  einen  Schluss  auf  die  inneren  Eigenschaften  des 
reagirenden  Substrates  zu  machen,  wie  wir  es  wohl  vermöchten,  wenn 
verschiedenartige  Einwirkungen  wesentlich  verschiedenartige  Reactio- 
uen zur  Folge  hätten. 

Immerhin  wird  bei  der  Verwerthung  pathologischer  Erfahrungen 
zu  Rückschlüssen  auf  die  normalen  Vorgänge  mit  Vorsicht  zu  ver- 
fahren sein.  So  dürfen  wir  z.  B.  aus  dem  interessanten  Ergebniss 
der  Untersuchungen  Thoma's  über  die  compensatorische  Verdickung 
der  innersten  Haut  zu  weit  gewordener  Blutgefässe  nicht  ohne 
besondere  darauf  gerichtete  Untersuchungen  annehmen,  dass  auch 
die  normale,  der  eigenen  Gestalt  des  Flüssigkeitsstrahles  angepasste 
Gestaltung  der  Lichtung  der  Blutgefässe  auf  diese  Weise  hergestellt 
werde. 

Dagegen  konnten  wir  aus  der  Beobachtung  Julius  Wolff's,  dass 
auch  in  abnormen  Verhältnissen,  z.  B.  bei  schief  geheilten  Knochen- 
brüchen, eine  dieser  neuen  Form  angepasste,  äusserst  zweckmässige 
Knochenstructur  entsteht,  sofort  schliessen,  dass  auch  die  normale 
Structur  der  Knochen  durch  wesentlich  dieselben  Mechanismen  der 
den  Knochen  zusammensetzenden  Gew^ebe  hergestellt   werden   kann. 


46  Nr.  14.    Festrede. 


class  diese  Structur  also  nicht  nothwendig  in  ihren  zahllosen  zweck- 
mässigen Einzelbildungen  uns  vererbt  zu  werden  braucht. 

Ebenso  gestatten  die  vielfachen  Veränderungen,  welche  die 
Muskeln,  Knochen  und  Bänder  nach  dem  Schwund  der  Ganglien- 
zellen der  sogenannten  Vorderhörner  des  Rückenmarkes  bei  der 
spinalen  Kinderlähmung  erfahren,  eine  ganze  Reihe  von  Schlüssen 
auf  gestaltende  Einwirkungen,  welche  [21]  auch  normaler  Weise  zur 
Ausbildung  und  ErhaUung  nöthig  sind;  während  aus  der  Thatsache, 
dass  zwischen  öfter  bewegten  Bruchenden  eines  Knochens  ein  Gelenk 
sich  ausbildet,  nicht  zu  folgern  ist,  dass  auch  die  normale  Gelenk- 
bildung auf  entsprechende  Weise  veranlasst  wird. 

Verdanken  wir,  wie  gesagt,  den  grössten  Theil  dessen,  was  wir 
bis  jetzt  von  gestaltenden  Causalzusammenhängen  im  Organismus 
sicher  wissen,  den  Pathologen  und  Klinikern,  so  könnte  man  leicht 
zu  der  Annahme  verführt  werden,  diese  Forscher  seien  die  berufenen 
Pfleger  der  Entwicklungsmechanik,  da  ihnen,  wie  bisher,  auch  ferner- 
hin solche  ,, Experimente  der  Natur"  in  grosser  Anzahl  vorkommen 
werden,  da  sie  immer  neue  bezügliche  Beobachtungen  und  Erfah- 
rungen machen  werden ,  aus  dem  Helfen  oder  Nichthelfen  mecha- 
nischer Eingriffe  immer  sicherere  Schlüsse  auf  die  Ursachen  von 
Störungen  der  normalen  Formen  gewinnen  werden.  Gewiss  ist  daher, 
dass  von  ihnen  die  Entwicklungsmechanik  auch  fernerhin  neue  An- 
regung und  Bereicherung  erfahren  wird. 

Aber  es  wäre  doch  gefehlt,  ihnen  noch  weiterhin  die  Pflege  der 
Entwicklungsmechanik  vorwiegend  zu  überlassen. 

Bei  ihnen  steht  naturgemäss  das  pathologische  und  thera- 
peutische Interesse  im  Vordergrunde;  ihr  Ziel  ist,  die  krankhaften 
Vorgänge  vollkommen  zu  erkennen  und  ihrer  Herr  zu  werden;  und 
nicht  viel  mehr,  als  diese  Interessen  es  unmittelbar  verlangen,  können 
von  ihnen  die  entwicklungsmechanischen  Probleme  behandelt  werden. 
Sie  haben  nicht  die  Zeit,  jahrelange  Untersuchungen  über  Aufgaben 
zu  machen,  von  denen  nicht  vorauszusagen  ist,  ob  die  Resultate  auch 
für  sie  verwerthbar  sein  werden.  Und  doch  müssen  solche  Unter- 
suchungen in  grosser  Anzahl  gemacht  werden.  Es  ist  genügend  be- 
kannt, wie  oft  schon  die  Verfolgung  von  wissenschaftlichen  Problemen 


Nutzen  der  Entwicklungsmechanik  für  die  Pathologie  und  Therapie.  47 


bis  in  die  subtilsten,  für  den  ferner  Stehenden  anscheinend  unfrucht- 
baren Einzelheiten  hinein  plötzlich  zu  einer  nicht  geahnten  Verwend- 
barkeit der  Ergebnisse  geführt  hat.  Ich  erinnere  nur  an  die  Unter- 
suchungen, die  der  Erfindung  des  Telephon,  des  Phonographen,  des 
Photophon,  der  Elektrotherapie  vorausgehen  mussten.  Und  wie  ist 
seinerzeit  die  Sorgfalt  verspottet  worden,  die  Galilei  der  Erforschung 
des  Umlaufes  der  Jupitermonde  zu  Theil  werden  liess ;  Avelchen  Nutzen 
aber  haben  später  die  von  ihm  ermittelten  Verhältnisse  für  die  Schiff- 
fahrt durch  die  damit  gewonnene  Gelegenheit  zu  genauen  Ortsbe- 
stimmungen gebracht? 

[Auch  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  der  ,, Nutzen"  blos  eine  Seite 
der  Dinge  bezeichnet;  und  dass  nur  Derjenige  Aussicht  hat,  das 
Wesen  einer  Sache  möglichst  voll  zu  erfassen,  der  sie  um 
ihrer  selbst  willen  studirt.] 

Die  Entwicklungsmechanik  rein  der  Pflege  der  praktischen 
Mediciner  und  Pathologen  zu  überlassen,  wäre  ähnlich,  als  wenn  die 
Ausbildung  der  Mechanik  ahein  den  praktischen  Technikern  über- 
lassen bliebe. 

[22]  Die  Praxis  geht  der  Theorie  zwar  stets  voran;  letztere 
baut  sich  zunächst  auf  den  bereits  durch  die  Praxis  ermittelten 
Thatsachen  auf. 

Aber  wie  langsam  war  in  der  Periode  der  reinen  Empirie 
der  Fortschritt  der  Technik  gegenüber  den  riesenhaften  Fort- 
schritten der  Neuzeit!  Welche  Tausende  von  Umwegen  wurden  vor 
Erreichung  eines  Zieles  gemacht!  Wie  viele  auf  dem  einen  Special- 
gebiete bereits  gewonnenen  Erfahrungen  mussten  Mangels  genügend 
allgemeiner  Behandlung  der  Probleme  auf  benachbarten  Special- 
gebieten auf's  Neue  von  Grund  aus  mühsam  erworben  werden! 

Gewiss  erinnert  es  den  Chirurgen  lebhaft  an  die  Geschichte  der 
orthopädischen  Behandlungsweiseu.  Wie  viele  Tausende 
von  Kindern  mit  Klumpfuss,  mit  Gelenkcontracturen  etc.  mussten 
ihre  Jugend  in  Folge  der  auf  falscher  Auffassung  der  Ursachen  der 
Affection  und  der  Wirkung  des  Mittels  beruhenden  nutzlosen  Apparate 
vertrauern,  ehe  die  zahllosen  Misserfolge  allmählich  zu  tieferer  Einsicht 
und  zu  angemessener  wirkenden  Apparaten  geführt  haben! 


48  Nr.  14     Festrede. 


Wir  müssen  sagen :  Diese  Umwege  hätten  schon  vor  Jahrzelniten, 
schon  seitdem  eine  richtige  Unterscheidung  der  Gewebe  gewonnen 
Avar,  durch  methodisch  angestellte,  analytische  T  hier  versuche 
vermieden  werden  können.  Aber  freiUch  erst  jetzt,  durch  die  aseptische 
Wundbehandlungsmethode,  sind  wir  in  den  Stand  gesetzt,  der  Ortho- 
pädie durch  exacte  experimentelle  Erforschung  der  gestal- 
tenden Reactionsweisen  der  Gewebe  und  ihrer  auslösenden 
Ursachen  eine  analytische,  für  die  Praxis  verwerthbare  Grundlage 
zu  geben.  Doch  diese  Aufgabe  wird  selber  nur  auf  der  Basis  ent- 
wicklungsmechanischer Einsicht  zu  lösen  sein  (s.  T,  S.   148)'). 

[1)  Da  der  hiei-  in  Kürze  ausgesprochene  Gedanke  hei  den  bezüglichen  Fach- 
leuten: Chirurgen,  Orthopäden  und  Gynäkologen  vollkommen  unge würdigt 
geblieben  ist,  .so  sei  seine  Bedeutung  hier  noch  an  einem  Beispiele  erläutert. 

Die  keilförmige  Gestalt  der  Wirbelkörper  bei  Scoliose  wird  von 
Compression  des  Knochens  an  der  coucaven,  von  Aufblähung  oder  Auseinander- 
ziehung des  Knochens  auf  der  convexen  Seite  der  Krümmung  abgeleitet. 

Directe  Erniedrigung  des  Knochens  durch  so  starken  Druck,  dass  er  zur  Ein- 
biegung mit  oder  ohne  Infraction  führt,  ist  Avohl  nur  ausnahmsweise  betheiligt,  meist 
handelt  es  sich  um  ein  K 1  einer b  leiben,  um  ein  Zurückbleiben  der  Höhe  des 
Knochens  im  Wachsthum  an  der  Seite  der  Concavität.  Es  ist  aber  bis  jetzt  nicht 
nachgewiesen,  dass  das  Wachsthum  des  Knochens  direct  durch  den,  von  den  ihn 
in  der  Jugend  an  den  Drucktiächen  bedeckenden  Knorpel  (wohl  aber  von  den  vom 
Perioste)  aus  übertragenen  Druck  gehemmt  werden  kann  (,s.  Nr.  10  S.  6  und  11), 
noch  dass  Zug  direct  das  K n  o  c h  e  n  wachsthum  (statt  des  Knorpelwachsthums)  an- 
regt. Auch  scheint  mir  nicht  annehmbar .  dass  durch  passive  Biegung  der  Wirbel- 
säule und  dadurch  bedingte  Verdrängung  des  Knochenmarkes  von  der  Seite  der  Con- 
cavität gegen  die  Convexität,  wie  Ntcoi.ArioNi  glaubt,  ein  chronischer  verstärkter 
Binnendruck  durch  das  verdrängte  Mark  auf  die  Spongiosa  der  convexen  Seite  aus- 
geübt werde  (selbst  wenn  solche  passive  Verdrängung  nachgewiesen  würde);  dies  scheint 
deshalb  nicht  möglich,  weil  spätestens  schon  nach  wenigen  Stunden  ein  vollkommener 
Ausgleich  in  dem  Drucke  des  ganzen  weichen  Inhaltes  eines  Wirbelkörpers 
stattfinden  muss,  ganz  abgesehen  davon,  dass  durch  Hlutabfluss  noch  viel  früher  ein 
localer  Ueberdruck  aufgehoben  werden  wird. 

Es  wird  nicht  genügend  berücksichtigt,  dass  die  Wirbelsäule  ausser  aus  Knochen 
vor  allem  primär  noch  aus  Knorpel  besteht,  wozu  noch  die  Zwischenscheiben,  Bänder, 
Knochenmark  und  Gefässe  kommen ,  von  denen  jedes  besondere  Reactionsqualitäten 
besitzt,  die  von  denen  des  Knochens  wesentlich  verschieden,  zum  Theil  ihnen  ent- 
gegengesetzt sind,  und  dass  aus  der  Gesammtreaction  aller  dieser  und  aus  ihrer 
gegenseitigen  Beeinflussung  die  Gesammtveränderungen  resultiren.  Daher  ist  es  zur 
Erlangung  wissenschaftlichen  Verständnisses  nöthig,  analytisch  vorzugehen 
und  durch  besondere  Experimente  oder  geeignete  pathologische  Beobachtungen  die 
gestaltenden  Reactionen  jedes  dieser  Gewel>e  resp.  Gebilde  auf  dauern- 
den und  auf  intermittirenden  Druck  und  Zug  für  sich  zu  ermitteln. 

Der   primäre    und,    wie    mir    scheint,    durch  Druck   und   Zug   passiv   bild- 


Nutzen  der  Entwickelungsmechanik  füi-  die  Orthopädie,  Gynäkologie  etc.    49 

Und  weiterhin ,  wenn  die  Ursachen  der  Entstehung  und  Er- 
haltung der  normalen  Eigenschaften  und  Formen  der  Organe  uns 
bekannt  wären,  welche  neue,  sicherere  Grundlage  wäre  damit  für  die 


samste  Bestuiidth  eil  der  Skelettheile  ist  der  Knorpel.  Ein  knorpeliges  mit 
eigener  Wachsthumsfähigkeit  versehenes  Gebilde  kann  durch  abnormen  Druck  in  der 
Druckrichtung  am  Wachsthum  gehemmt  werden;  dabei  kann  dieser  Knorpel,  in 
möghchster  Bethätigung  «einer  jugendlichen,  immanenten  Wachsthumsfähigkeit,  com- 
pensatorisch  seitwärts  herauswachsen,  weiterhin  an  Stelle  des  Wegfalles 
oder  der  Verringerung  normalen  Drucke  s  oder  gar  bei  V  orhand  en  sein  abnormem 
Zug  zu  abnorm  starkem   Wachsthum  veranlasst  werden. 

Die  so  vom  Knorpel  gebildete  Form  wird  dann  durch  die  dem  Knorpel  wachs- 
thum nachfolgende  endochondrale  substitutionelle  Knochenbildung  aus  Knochen  nach- 
gebildet (siehe  I,  Nr.  10,  S.  5).  In  der  Jugend  ist  also  in  erster  Linie  der  Knorpel 
das  durch  sein  immanentes  Wachsthumsvermögen  und  durch  seine  Reactionen  die 
Gestalt  der  Skelettheile  bestimmende  Material. 

Diese  Vorgänge  an  den  beiden  Geweben  können  gleichzeitig  stattfinden,  solange 
noch  eine  wachsthumsfähige  wenn  auch  nur  dünne  Knorpellamelle  den  Knochen  bedeckt. 

So  wird  bei  Entstehung  der  Scoliose  an  dem  nach  der  Concavität  zu  gelegenem 
Wirbeltheile  das  Knorpelwachsthum  an  den  Druckflächen  gehemmt,  also  der  Wirbel 
niedrig  werden,  und  zugleich  der  Knorpel  compensatorisch  seitlich  heraus  gegen 
die  Concavität  wachsen  ;  an  dem  nach  der  Seite  der  Convexität  zu  gelegenen  Rand- 
theile  wird  dagegen  verstärktes  Knorpelwachsthum  stattfinden,  welches  bei  gleich- 
zeitiger Insufficienz  der  Function  der  Zwischenwirbelscheibe  als  hydraulische  Presse 
in  Folge  von  Schwund  des  Nucleus  pulposus  (s.  Nr.  4,  S.  29)  sich  noch  weiter  gegen  die 
Mitte  hin  ausdehnt.  Dieser  so  bedingten  Knorpelform  folgt  die  endochondrale  Knochen- 
bildung fortwährend  nach  und  bildet  den  gleichgestalteten  knöchernen  Wirbel.  Dabei 
wird  zugleich  in  Folge  des  starken  Druckes,  der  in  dem  nach  der  concaven  Seite  gelegenen 
Theile  der  Wirbel  stattfindet,  die  Spongiosa  dickbalkig  und  dicht,  während  in  dem  der 
convexen  Seite  zu  gelegenen  Theile  die  Spongiosa  in  Folge  der  Entlastung  nur  weitmaschig 
und  dünnbalkig  wird;  und  diese  Spärlichkeit  würde  wohl  in  späteren  Stadien  noch 
grösser  sein  als  sie  ist,  wenn  nicht  beim  Liegen  auch  auf  dieser  Seite  Druck  stattfände. 

Die  dichte  Spongiosa  entsteht  also  wohl  weniger,  (oder  nicht)  durch  passive 
Zusammendrängung  der  schon  gebildeten  Spongiosa  als  vielmehr  durch  Activitäts- 
hypertrophie ;  die  Dünnheit  auf  der  entgegengesetzten  Seite  ist  als  Inactivitätsaplasie 
zu  denken,  soweit  nicht  noch  ein  anderes,  unbekanntes  Moment  betheiligt  ist,  auf 
welches  die  interessanten  Beobachtungen  Nicoladoni's  an  der  kindlichen  Scoliose 
(Denkschr.  d.  Wiener  Ac.  d.  Wiss    1894)  hinzuweisen  scheinen. 

Diese  in  erster  Linie  an  angenommene  Reactionseigenschaften  des  Knorpels 
anknüpfende  Ableitung  der  keilförmigen  Gestalt  des  scoliotischen  Wirbels  halte  ich 
für  wahrscheinlicher  als  die  der  Practiker;  aber  natürlich  muss  auch  ihre  Richtigkeit 
erst  durch  analytische  Experimente  geprüft  resp.  festgestellt  werden.  Die  so  experi- 
mentell ermittelten  Gewebsreactionen  können  dann  für  die  Ableitung  der  abnormen 
Formen  aller  aus  den  gleichen  Geweben  gebauter  Skelettheile  wie  z.  B.  der  des  Beckens, 
des  Fusses  in  den  speciellen  Verhältnissen  entsprechender  Weise  angewendet  werden 
und  werden  uns  endlich  einen  Einblick  in  die  wirklichen  Vorgänge  bei  den  Defor- 
mationen und  danach  auch  in  das  zur  Heilung  Nöthige  gestatten  (s.  1.  S.  147  u.  f.)]. 
"W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    Fl.  ^ 


50  Nr.  14.    Festrede. 


Beurtheilniig  ihrer  krankhaften  Veränderungen  gewonnen  I  Und  damit 
wäre  dann  endhch  auch  der  Boden  für  die  seit  Langem  erstrebte,  im 
wahren  Sinne  des  Wortes  wissenschaftliche,  das  heisst  auf 
vollem  Verständnisse  der  Vorgänge  beruhende  Heilkunde 
gewonnen. 

Je  w^eiter  wir  nun  gegenwärtig  von  diesem  Ziele  entfernt  sind, 
um  so  dringlicher  müssen  wir  sagen:  Es  ist  an  der  Zeit,  dass  die 
Entwicklungsmechanik  nicht  mehr  auf  die  gelegentliche  Pflege  auf 
anderen  Gebieten  thätiger  Forscher  angewiesen  sei;  sie  bedarf  zur 
Lösung  ihrer  grossen  fundamentalen  Aufgaben  berufsmässiger 
Pfleger,  und  diese  werden  die  Anatomen  sowie  die  entsprechend 
thätigen  Zoologen  sein,  als  diejenigen,  welchen  auch  bisher  schon 
die  Aufgabe  der  Erforschung  der  organischen  Gestaltungen  oblag. 

[23]  Wohl  wird  es  der  Entwicklungsmechanik  von  grösstem 
Nutzen  sein,  wenn  Männer  von  der  exacten,  mathematisch-physikali- 
schen Schulung  der  Physiologen  ihr  ihre  Thätigkeit  zuw^enden. 
Dies  wird  jedoch  leider  voraussichtlich  nur  vereinzelt  geschehen;  denn 
das  Hauptgebiet  der  physiologischen  Forschung  stellen  die  functionellen 
Leistungen  des  bereits  Gebildeten  dar,  wogegen  das  Interesse  für  die 
Function  des  Gestaltens,  des  Bildens  zurücksteht. 

Doch  dem  Anatomen,  dem  ,,Morphologen",  wie  er  sich  heut- 
zutage so  stolz  nennt,  kommt  es  zu,  nach  voller  Kenntniss  und  Er- 
kenntniss  der  organischen  Formenbildung  zu  streben  und  nicht  will- 
kürlich den  Begriff  des  löyog  auf  diesem  Gebiete  mit  der  Erörterung 
der  Beziehungen  zwischen  individueller  und  phylogenetischer  Ent- 
wicklung für  erschöpft  zu  halten. 

Der  Anatom  besitzt  in  den  vier  bisherigen  Richtungen  seiner 
Wissenschaft  zugleich  die  hauptsächlichen  Vorkenntnisse  für  die  er- 
folgreiche Bethätigung  des  Strebens  nach  der^fünften  Richtung  hin; 
und  wohl  nur  dem  Nebenumstande  der  von  den  üntersuchungsweisen 
der  descriptiven  Forschung  abweichenden,  für  die  Entwickluugs- 
mechanik  nothwendigen  experimentellen  Forschungsmethode  und  des 
Erfordernisses  noch  mannigfacher,  andersartiger  Vorkenntnisse  ist  es 
zuzuschreiben,  dass  diese  Disciplin  bisher  seitens  der  Anatomen 
relativ  wenig,  fast  nur  beiläufig  gepflegt  worden  ist.  Und  sie  erscheint 


Nutzen  der  Entwickelungsmechanik  für  die  aiiatoniischen  Wissenschaften.       51 

selbst  manchem  ihrer  Mitarbeiter  noch  so  neu,  cUiss  er  selbstständig 
ohne  gebührende  Beachtung  der  Leistungen  seiner  Vorgänger  vor- 
gehen und  ohne  Erwähnung  derselben  seine  Ergebnisse  publiciren 
zu  dürfen  glaubt;  ein  Verhalten,  das  seltsam  absticht  gegen  die  Ge- 
wissenhaftigkeit, mit  der  unsere  Zeit  z.  B.  durchweg  jeden  Urheber 
der  geringsten  technischen  Abänderung  einer  der  beschreibenden 
Forschung  dienenden  Untersuchungsmethode  citirt. 

(Die  Entwicklungsmechanik  wird  den  vier  bisherigen  Richtungen 
das,  was  sie  jetzt  und  in  Zukunft  von  ihnen  als  Vorbedingung  ihrer 
eigenen  Leistungen  empfängt,  reichlich  vergelten:  der  beschreiben- 
den Richtung,  indem  sie  die  Aufmerksamkeit  auf  bisher  übersehene 
formale  Eigenschaften  lenkt,  wie  es  z.  B.  schon  mit  der  von  den 
Corrosions-Anatomen  übersehenen  hydrodynamischen  Gestaltung  des 
Lumens  der  Blutgefäss  Verzweigungen  der  Fall  war  (s.  Nr.  1  u.  2);  der 
physiologischen  Richtung  durch  die  Ermittelung  sowohl  des  Wirkungs- 
umfanges  der  ,,functionellen  Anpassung",  wie  der  ursächlichen  Grund- 
lage dieses  Principes  der  ,, Selbstgestaltung  des  Zweckmässigen' \ 

Auch  die  Entwicklungsgeschichte  wird  wesentliche  Förder- 
ung von  der  Entwicklungsmechanik  zu  gewärtigen  haben,  und  zwar 
einmal,  indem  gleichfalls  mit  der  ursächlichen  [24]  Fragestellung  die  Be- 
obachtung nach  manchen  Richtungen  hin  verschärft  wird,  und  anderer- 
seits, indem  durch  die  Ermittelung  des  Wesens  der  einzelnen  Bild- 
ungsvorgänge richtigere  Werthurtheile  gewonnen  werden,  wo- 
nach z.  B.  Manches,  was  der  rein  formalen  Betrachtung  als 
sehr  erheblich  erscheint,  wie  etwa,  ob  die  Chorda  dorsalis  zur  Zeit 
ihrer  Anlage  mit  dem  äusseren,  inneren  oder  mittleren  Keimblatt 
im  Zusammenhange  steht,  blos  als  eine  geringe,  vorliegenden  Falles 
beim  Frosche  sogar  blos  zeitliche  Variation  ursächlicher  Ver- 
hältnisse erkannt  wird  (s.  Nr.  22  S.   144). 

Und  selbst  die  angewandte  vergleichende  Anatomie  wird 
in  die  Lage  kommen,  es  willkommen  zu  heissen,  wenn  ihr  in  der 
phylogenetischen  Deutung  ontogenetischer  Bildungen  an  manchen 
Puncten  nicht  vollkommen  sicheres  Fundament  urch  neue  causale 
Stützen  gefestigt  oder  durch  Uebernahme  der  Last  auf  andere  Grund- 


52  Nr.  14.    Festrede. 


lagen  entlastet  wird.  Es  ist  bewunderungswürdig,  welch'  hohes  Maass 
von  Einsicht  selbst-  bis  in  die  scheinbar  speciellsten  Organisations- 
verhältnisse uns  die  vergleichende  Anatomie  rein  auf  Grundlage  der 
einfachen  Formvergleichung  gewährt  hat.  Und  dass  dies  möglich 
war,  ja  dass  sogar  die  geformten  ,,Endproducte"  im  Thier- 
reiche  constanter  zu  sein  scheinen,  als  die  speciellen  Arten 
ihrer  Herstellung,  ist  für  die  Entwicklungsmechanik  von  grosser 
Bedeutung  (s.  Nr.  15  S.  444).  Doch  haben  auch  diese  Leistungen 
der  vergleichenden  Anatomie  ihre  Grenzen;  und  ich  erinnere  nur  an 
die  Unsicherheit  in  der  Deutung  der  Variationen  der  individuellen 
Entwicklung,  z.  B.  bezüglich  der  Hyperdactylie,  Oligodact^die,  abnorm 
gelagerter  Muskeln ,  Nerven .  Knochenkerne  etc.  Diejenigen  dieser 
Bildungen,  welche  in  älnilicher  Weise  bei  Thieren,  besonders  bei  den 
vermutheten  Ascendenten.  vorkommen,  werden  von  Manchen  ohne 
Weiteres  als  Rückschläge  gedeutet;  von  Anderen  wird  dem  zwar 
widersprochen.  Doch  leiden  manchmal  beide  Auffassungen  an  einer 
gewissen  Willkür.  Vor  vielen  derartigen  Entscheidungen  sollte 
meiner  Meinung  nach  erst  noch  die  Entwicklungsmechanik 
eingehends  zu  Rathe  gezogen  werden.  Sie  hat  uns  auf  Grund 
bezüglicher  Untersuchungen  zu  belehren,  ob  durch  eine  kleine,  sozu- 
sagen zufällige  Variation  gleich  ein  ganzer  Finger  mehr  entstehen 
oder  fehlen  kann,  ob  beim  Fehlen  des  fünften  Fingers  der  da,mit 
zum  Randfinger  gewordene  vierte  Finger  zufolge  der  Entwicklungs- 
mechanismeu  gleich  die  Beschaffenheit  eines  solchen,  also  des  fehlen- 
den fünften  Fingers  erlangt,  ähnlich  wie  bei  Graviditas  extrauterina 
an  dazu  nicht  bestimmter  Stelle  gleich  eine  wohlgebaute  Placenta 
materna  und  Decidua  entsteht;  oder  ob  im  Gegentheil  derartige  Aen- 
derungen,  [25]  nach  der  Beschaffenheit  des  normalen  Bildungsmecha- 
nismus zu  urtheilen,  so  vielseitig  und  typisch  begründet  sein  müssen, 
dass  sie  voraussichtlich  blos  entstehen  können,  wenn  schon  von  den 
Vorfahren  her  das  Keimplasma  eine  besondere  Disposition  dazu  mit- 
bringt. 

Wenn  z.  B.  die  ältere  Angabe,  dass  man  künstlich  die  Bild- 
ung einer  vermehrten  Finger  zahl  gelegentlich  der  Regeneration 
der   abgeschnittenen  Hand   bei  Tritonen  veranlassen   kann,    sich  be- 


Zukünftige.  Stellung  der  Entwickelungsmechanik.  53 

stätigte^),  so  erhielten  wir  dadurch  einen  Hinweis  nicht  blos  auf  die 
Natur  der  bezüghchen  Entwicklungsmechanismen,  sondern  auch  für 
die  Deutung  der  Hyperdactylie,  ebenso  wie  durch  die  Beobachtung, 
dass  die  Knochen  auch  in  neuen  Verhältnissen  eine  functionelle  Ge- 
stalt und  Structur  erlangen,  dass  die  Sehnen  in  Abhängigkeit  von 
den  Muskeln  entstehen,  die  Deutung  mancher  Variationen  dieser  Or- 
gane bestimmt  wird. 

Drei  von  den  bisherigen  Richtungen  der  Anatomie  bedienen 
sich  der  beschreibenden  Methode;  sie  werden  daher  mit  der  Zeit  ihr 
Material  erschöpfen  und  ein  Stadium  der  Vollendung  erreichen  oder 
ihm  unter  asymptotischer  Näherung  sehr  nahe  kommen;  auch  dio 
physiologische  Richtung  kann  die  gleiche  Stufe  erlangen. 

Nur  die  ursächliche  Richtung  kann  nie  ihr  Material  erschöpfen, 
und  nie  wird  ihr  die  Vollendung  vergönnt  sein;  aber  eben  darum 
wird  sie  auch  die  ewig  frische  und  ewig  productive  bleiben.  Es  ist 
der  normale  Gang  der  Wissenschaften,  dass  auf  die  Er- 
forschung der  „Thatsachen"  die  Erforschung  der  ,. Ursachen" 
folge.  Es  wird  daher  eine  Zeit  kommen,  von  der  an  dieser  jetzt 
von  Vielen  gering  geachtete,  scheinbare  Nebentrieb  am  Baume  der 
anatomischen  Wissenschaften  zum  Haupttrieb,  zur  Fortsetzung  des 
Stammes  werden  wird.  Die  Entwicklungsmechanik  wird  alsdann  einen 
Stamm  darstellen,  welcher  rasch  in  die  Höhe  strebt  und  gegenwärtig 
noch  nicht  geahnte  neue  Seitenzweige  treibt,  deren  Blätter  die  vier 
ersten  Aeste  in  ihren  Schatten  nehmen  und  Nahrnngsstoff  zur  Ent- 
faltung neuer  Knospen  für  sie  bilden  werden.) 

Wenn  das,  was  wir  bis  jetzt  an  causaler  Erkenntniss  besitzen, 
neben  den  vier  anderen  Richtungen  in  den  anatomischen  Unterricht 
aufgenommen  wird,  und  wenn  bezüglich  dessen,  was  wir  noch  nicht 
wissen,  die  causale  Fragestellung  bei  den  Schülern  im  Colleg  und  be- 
sonders auf  dem  Secirsaale  (etwa  anlässlich  aufgefundener  Varietäten) 
angeregt  wird,  und  sofern  es  offenkundig  wird,  dass  auch  diese  Richt- 
ung bereits  ihre  Anerkennung  findet,  so  werden    bald  Kräfte,   deren 


[1)  Dies   ist    D.  Barfürth    inzwischen    in   vorzüglicher  Weise  gelungen.    Siehe 
Archiv  für  P^ntwickehuigsmechanik  1894.  Bd.   1.   Heft  1  ] 


54.  Nr.  14.    Festrede. 


Interessen  auf  die  directe  ursächliche  Forschung  gerichtet  sind, 
in  vermehrter  Zahl  diesem  Zweige  der  Biologie  sich  widmen. 

Es  ist  mir  eine  ehrenvolle  Pflicht,  an  dieser  Stätte  dankend  zu 
erwähnen,  dass  hereits  Se.  Excellenz  der  königlich  preussische  Cultus- 
minister,  Herr  v.  Go.ssler,  dieser  Richtung  seine  Unterstützung  hat 
angedeihen  lassen,  indem  er  mir,  einem  Autor,  der  sich  ganz  zu  der- 
selben bekannt  hat ,  zur  Förderung  dieses  Strebens  ein  eigenes  In- 
stitut schuf. 

Indem  nun  Euere  Excellenz  mich  in  einen  grösseren  Wirk- 
ungskreis beriefen  und  mir  dieses  grosse  Institut  übergaben,  haben 
Hochdieselben  dieser  jungen,  einen  neuen  Weg  der  Erkenntniss  des 
Organischen  anbahnenden  Wissenschaft  somit  einen  weiteren  Impuls 
gegeben;  und  das  hochsinnige  Vorgehen  Euerer  Excellenz  wird  nicht 
verfehlen,  zur  Nachfolge  anzuregen  und  der  Entwicklungsmechanik 
neue  Kräfte  zuzuführen. 


Ni.  15. 

Ziele  und  Wege  der  Entwiekelungsmeehanik. 

1892. 

In  Merkel-Bon net's  „Ergebnisse  der  Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte". 

Bd.  II.  1892. 


Inhalt. 

Seite 

Bisherige  biologische  Erklärungsarten 58 

Phylogenetische  und  ontogenetische  Entwiekelungsmeehanik 60 

Bedeutung  der  Entwiekelungsmeehanik  für  die  Descendenzlehre : 60 

Vererbung  erworbener  Eigenschaften 61 

Assimilation  als  die  Bedingung  vererbbarer  Variationen  .  62 

Entwickelung  aus  inneren  und  äusseren  Ursachen 63 

Stetige  und  sprungweise  Entwickelung 63 

Freie  Variationen  der  einzelnen  Theile 64 

Entwickelungsmechanische    Zurückweisung    einiger  Einwendungen    gegen 

die  Descendenzlehre 66 

Stellung   der    derzeitigen  vergleichenden  Anatomie   zur  Entwiekelungsmeehanik  69 

Weiterer  Nutzen  der  Entwiekelungsmeehanik 72 

Specielle  Aufgabe  der  ontogenetischen  Entwiekelungsmeehanik 73 

Persönliches  Keimplasma  und  unpersönliches  Keimplasson 73 

Vorent Wickelung:  unpersönliche,  persönliche  und  aeeessorische      ....  74 
Unzulänglichkeit    causaler   Schlüsse    aus  Beobachtungen    der    normalen    Ent- 
wickelung       75 

Wesen  des  Organischen 76 

Morphologische  Assimilation:  Wesen  derselben 78 

Arten  derselben:  1.  präparative  Assimilation 79 

2.  generative  Assimilation 79 

3.  reparative  Assimilation 79 


56  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 

Seite 

Alloplasie 80 

VVachsthum  :  Arten  desselben 77 

1.  Massenwachsthum 81 

2.  Bios  dimensionales  Wachsthum 81 

Co  m  plexe  Vo  rgänge  und  conipl  exe  Componenten 82 

Die  letzten  lebenstb  ätigen   Best  andthe  il  e  der  Organismen  :     ....  83 

a)  Letzte  Elementar  orga  nism  e  n  :    1.  Automerizon 84 

2.  Idioplasson 85 

b)  Letzte  Elementarorgane:    1.  Autokineon 84 

2.  Isoplasson 84 

(xranula  Rieh.  Altmann's 85 

Möglichkeit    der    ursprünglichen    successiven    Entstehung    des 

Lebens 85 

Historische  Analyse  der  individuellen  Entwickelung 86 

Nächste  Aufgabe 87 

Specielle  Methodik  der  ontogenetischen  Entwickelungsmechanik 87 

Combination  verschiedener  Experimente ö9 

Beschränkte  Anwendbarkeit  des  Satzes :  Gleiche  Wirkungen  gleiche  Ursachen  92 

Causale  Verwerthung  der  Merkmale  höherer  Ordnung 93 

Constanz  der  Form  bei  Wechsel  der  Ursachen 93 

Directe  und  indirecte  Entwickelung 94 


Literaturverzeichniss. 

1.  Roux,  W.,  Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo.    Einleitung.    Zeit- 
schrift für  Biologie  Bd.  XXI,  N.  F.  HI,  München  1885.  • 

2.  —     Die  Entwickelungsmechanik  der  Organismen,  eine  anatomische  Wissenschaft 
der  Zukunft.     Festrede.     Wien  1890. 

3.  Dreyer,  F.,  Ziele  und  Wege  pathologischer  Forschung,  beleuchtet  an  der  Hand 
einer  Gerüstbildungsmechanik.     .Jena  1892. 

4.  Driesch,H.,Die  mathematisch-mechanische  Betrachtung  morphologischer  Probleme 
der  Biologie.     Jena  1891. 

5.  Roux,  W.,  Ueber   die   ersten  Theilungen   des  Froscheies  und  ihre  Beziehungen 
zu  der  Organbildung  des  Embryo.     Anat.  Anz.  1893,  S.  605—609. 

6.  —     Der  Kampf  der  Theile  im  Organismus.     Leipzig  1881. 

7.  —     Beiträge   zur   Morphologie    der   functionellen  Anpassung.     Nr.  1.     Archiv  f. 
Anat.  u.  Physiol.  anatom.  Abtheilung.     1883. 

8.  Eimer,  S.  H.  Th.,  Die  Artbildung  und  Verwandtschaft  bei  den  Schmetterlingen. 
Jena,  G.  Fischer,  1889. 

9.  —     Die  Entstehung  der  Arten  auf  Grund  von  Vererben  erworbener  Eigenschaften, 
nach  den  Gesetzen  organischen  Wachsens.     1.  Theil.     Jena  1888. 

10.  Haeckel,  E.,  Natürliche  Schöpfungsgeschichte.     8.  Aufl.     Berlin  1889. 

11.  —     Anthropogenie  oder  Entwickelungsgeschichte  des  Menschen.    4.  AuÜ.    1891. 

12.  Kölliker,  A.  v.,    Morphologie   und  Entwickelungsgeschichte    des    Pennatuliden- 
stammes  nebst  aligemeinen  Betrachtungen  zur  Descendenzlehre.    Frankfurt  1872. 


Literaturverzeichniss.  57 


18.    Weis  mann,  A..  Ueber  die  Vererbung.     Ein  Vortrag.     Jena  1883. 

14.  —     Das  Keimplasma,  eine  Theorie  der  Vererbung.     Jena  1892. 

15.  Wolff,  G.,  Beiträge  zur  Kritik  der  Darwinschen  Lehre.  Biolog.  Centralbl.  1890, 
Bd.  X,  S.  450 

16.  Roux.  W.,  Beitrag  III  zur  P]ntwickelungsmechanik  des  Embryo:  Ueber  die  Be- 
stimmung der  Hauptrichtungen  des  Froschembryo  im  Ei  und  über  die  erste 
Theilung  des  Froscheies.     Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  1885  Nr.  6  u.  f. 

17.  Wiesner,  J.,  Die  Elementarstructur  und  das  Wachsthum  der  lebenden  Substanz. 
Wien  1892. 

18.  Alt  mann,  R.,  Die  Granulalehre  und  ihre  Kritik.  Archiv  f.  Anat.  u.  Physiol.. 
anatom.  Abtheil.  1893  S.  55  u.  f. 

19.  Flemming,  W.,  Bericht  über  „Zelle",  in  Merkel-Bouuet,  Ergebnisse  der  Anatomie 
und  Entwickelungsgeschichte  1892  S.  43. 

20.  Roux.W.,  Kritik  der  Granulalehre  Rieh  Altmann's,  Verhandl.  der  anatom.  Gesell- 
schaft zu  Wien  S.  223,  1892,  Jena. 

21.  Rauber,  A.,  Formbildung  und  Forrastörung  in  der  Entwickelung  von  Wirbel- 
thieren.     Leipzig  1880. 

22.  Roux,  W.,  Ueber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen.  Drei  Mittheilungen. 
Bericht  des  naturw.med.  Vereins  zu  Innsbruck,  April  1893. 

23.  —  Beitrag  Vll  zur  Entwickelungsmechanik :  Ueber  Mosaikarbeit  und  neuere 
Entwickelungshypothesen.     Merkel-Bonnet,  anatom.  Hefte  1893,  Februarheft. 

24.  Bütschli.  0..  Ueber  die  Bedeutung  der  Entwickelungsgeschichte  für  die  Stam- 
mesgeschichte der  Thiere.  Jahresber.  d.  Senkenberg.  Ges.  zu  Frankfurt  a.  M. 
1876  S.  66. 

25.  Roux.W.,  Beitrag  !V  zur  Entwickelungsmechanik  :  Die  Bestimmung  der  Median- 
ebene des  Froschembryo  durch  die  Copulationsrichtung  des  Eikernes  und  des 
Spermakernes.     Archiv  f.  raikrosk.  Anatom.  1887,  Bd.  29. 

26.  Bertbold,  G..  Studien  über  Protoplasmamechanik.     Leipzig  1886. 

27.  Errera,  L..  Ueber  Zellenformen  und  Seifenblasen.  Tagebl.  d.  60.  Versammlung 
der  Naturforscher  zu  Wiesbaden  S.  246 — 248. 

28.  Bütschli,  0.,  Ueber  die  Structur  des  Protoplasma's.  Verband!,  d.  naturhist. 
med.  Ver.  zu  Heidelberg,  1889. 

29.  —  Untersuchungen  über  mikrosk.  Schäume  und  das  Protoplasma.  Leipzig  1892. 

30.  Quincke,  G.,  Ueber  Protoplasmabewegung  und  verwandte  Erscheinungen.  Tagebl. 
d.  62.  Vers,  der  Naturforscher  zu  Heidelberg  1889. 

31.  Dreyer,  F.,  Die  Principien  der  Gerüstbildung  bei  Rhizopoden,  Spongien  und 
Echinodermen.    Jenaische  Zeitschrift  f.  Naturwiss.  XXVI.  Bd.  N.  F.  XIX.  Bd.  1892. 

32.  Roux,  W..  Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  und  über  die  bei  der 
Postgeneration  und  Regeneration  anzunehmenden  Vorgänge.  Biol.  Centralbl.  1893 
Nr.  19. 

33.  —  Kritisches  Referat  über  H.  Spitzer 's  „Beiträge  zur  Descendenzlehre"  in: 
Göttinger  gelehrt.  Anzeiger  1886  Nr.  20  (Bemerkungen  über  Homologie,  die  Ur- 
sachen des  „biogenetischen  Grundgesetzes"  und  die  Grundbedingungen  der  Ver- 
erbbarkeit). 

34.  —  Ueber  die  Lagerung  des  Materials  des  Medullarrohres  im  gefurchten  Froschei. 
Verhandl.  d.  anat.  Ges.  zu  Würzburg.  Anat.  Anz. 


58  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


Es  ist  der  Wunsch  der  Redaction,  dass  künftigen  Berichten 
über  die  Ergebnisse  der  entwicklungsmechanischen  Forschungen  zu- 
nächst eine  Einleitung  über  die  Ziele  und  Wege  der  Entwicke- 
lungsmechanik vorausgehe. 

Verfasser  hat  sich  über  dieses  Thema  bereits  Mdederholt  und 
ausführlicher  geäussert,  als  es  hier  zu  thun  der  Raum  gestattet. 
Interessenten,  welche  sich  genauer  zu  informiren  wünschen,  seien 
daher  auf  diese  Publicationen  verwiesen  (1  und  2),  die  sich  möghchst 
eng  an  das  zunächst  zu  Erstrebende  und  Erreichbare  halten. 
Auch  sind  die  bezüglichen  Erörte-  [417]  rungen  der  jüngsten  An- 
hänger der  Entwicklungsmechanik:  H.  Driesch  (4)  und  F.  Dreyer  (3) 
dem  Leser  zu  empfehlen. 

Das  Ziel  der  Entwicklungsmechanik  der  Organismen  ist  eine 
bestimmte  Art  der  „Erklärung"  der  Organismen. 

Es  gibt  in  der  Biologie  verschiedene,  theils  coordinirte,  theils 
einander  superordinirte  Arten  der  Erklärung  der  vorhandenen  Gebilde. 

Die  historisch  erste  Art  der  Erklärung  eines  Organismus  be- 
stand in  dem  Nachweise  der  Zweckmässigkeit  seiner  Einricht- 
uno-en  für  sehie  eigene  Erhaltung  und  w^eiterhin  des  Nutzens  für  den 
Menschen  oder  andere  Lebewesen.  Statt  der  ersteren  Zweckmässig- 
keit sagen  wir  objectiver,  die  Selbstiiützliclikeil,  Autophelie  (von 
avTog  und  oHfikaia  Nutzen)  des  Organismus:  sie  ist  es,  welche  die 
Dauerfähigkeit  der  Organismen  herstellt,  resp.  erhöht. 

Danach  imponirte  es  dem  menschlichen  Geiste  als  Erklärung 
eines  Organismus,  wenn  man  darlegte,  auf  welche  Weise,  d.h.  unter 
welchen  äusseren  und  inneren  Form  Wandlungen  die  Complicirtheit 
seines  fertigen  Zustandes  nach  und  nach  aus  den  einfachen  For- 
men des  befruchteten  Eies  sich  hervorbildete.  Es  ist  die  Aufgabe 
der  beschreibenden  Entwicklungsgeschichte,  dies  für  alle 
Arten  der  Lebewesen  nachzuweisen.  Das  Wesen  dieser  Erklärung 
ist  die  beschreibende  Ableitung  des  formal  Complicirten  aus  dem 
formal  Einfachen. 

Die  dritte  Art  der  Erklärung  sucht  zunächst  das  Gleiche  für 
grosse  Gruppen,    ja,    für  die  Gesammtheit   der  Lebewesen,    zu 


Bisherige  biologische  Erklärungsarten.  59 

leisten.  Dabei  werden  die  verschiedenen  Lebewesen  in  Reihen  stei- 
gender ConipUcirtheit  und  möghchst  grosser  Aehnlichkeit  der  benach- 
barten Glieder  geordnet.  Danach  wurde  diesen  Reihen  genetische 
Bedeutung  untergelegt  und  somit  in  der  Abstammung  des  Com- 
plicirteren  von  dem  Einfacheren  den  verschiedenen  Lebewesen  ähn- 
liche ursächliche  Beziehung  zuerkannt,  wie  sie  in  den  verschiedenen 
Entwicklungsstadien  eines  Lebewesens  von  selber  sich  ausspricht. 

Es  wurde  sodann  nach  den  Ursachen  dieser  steigenden 
Complication  in  der  Reihe  der  Lebewesen  mid  der  dabei  statt- 
findenden typischen  Ausgestaltungen  in  Klassen,  Gattungen,  Arten 
gesucht.  Da  von  allen  Eigenschaften  der  Organismen  die  Selbst- 
nützlichkeit am  meisten  in  den  Vordergrund  tritt  und,  indem  sie 
die  Einrichtung  derselben  beherrscht,  das  wesentlichste  Merkmal  der 
Organismen,  die  ,, Organisation''  darstellt,  so  wurde  bei  dem  Suchen 
nach  den  Entstehungsursachen  der  Organismen  von  den  Begründern 
der  Descendenzlehre  mit  Recht  zunächst  vorzugsweise  die  Frage  be- 
handelt, wie  und  wodurch  complicirt  Nützliches  aus  Einfacherem  ohne 
Eingreifen  eines  zweckthätig  schaffenden  Wesens,  also  rein  mechanich 
entstehen  könne.  Und  Charles  Darwin  hat  in  der  [418]  besseren 
Erhaltungsfähigkeit  des  Nützlicheren  im  Kampfe  ums  Dasein  ein 
Auslese-  und  Steigerungsprincip  nachgewiesen,  durch  welches  aus  zu- 
fälligen Variationen  die  für  ihre  eigene  Erhaltung  nützlichsten  erhalten 
bleiben.  Bei  diesem  Nachweise  wurde  zugleich  von  vielen  Eigen- 
schaften der  Organismen  der  bisher  nicht  erkannte  Nutzen  aufgedeckt 
und  wohl  in  Folge  dessen  nicht  genügend  gewürdigt,  dass  noch 
vielerlei  Organismen  Artcharaktere  besitzen,  denen  ein  Nutzen  für 
das  Individuum  nicht  zuerkannt  werden  kann. 

Die  Variationen,  aus  denen  die  Auslese  züchtet,  wurden  zu- 
nächst einfach  als  gegeben  und  als  frei  um  die  vorhandene  Form 
oder  Qualität  als  Mittellage  variirend  angenommen. 

An  diese  drei  Arten  von  Erklärung  der  Organismen  hat  sich 
nun  eine  vierte  anzuschliessen ;  die  Wissenschaft  von  den  wirk- 
lichen Bildungsursachen,  von  den  verae  causae,  den  gestaltenden 
Kräften    und   deren  Combinationen ,    denen   das   Organismenreich  im 


60  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


Ganzen  und  in  jedem  Individuum  seine  Entstehung  verdankt:  die 
Entwicklungsmechanik  der  Organismen. 

Das  Ziel  dieser  Wissenschaft  ist  die  Ermittelung  der  ganzen 
Reihe  nächster,  naher  und  entfernter,  resp.  specieller  und  allgemeiner 
Ursachen  jedes  organischen  Bildungs-  und  Erhaltungsvorganges,  einer- 
lei, ob  es  sich  um  progressive  oder  regressive  Bildungen  oder  soge- 
nannte blosse  Umbildungen  handelt.  Je  nach  der  Definition  von 
Ursache  oder  Kraft  erhält  die  specielle  Definition  dieses  Zieles  eine 
andere  Fassung,  womit  aber  practisch  nichts  gefördert  wird;  es  sei 
daher  an  dieser  Stelle  davon  abgesehen,  solche  anderweit  (Nr.  13  und 
14)  bereits  angedeuteten  Fassungen  zu  reproduciren^). 

Die  Entwicklungsmechanik  der  Organismen  zerfällt  in  eine 
ontogenetische  und  phylogenetische  Entwicklungsmechanik. 
Beide  Theile  fügen  sich  später  einer  durch  sie  exacter  begründeten 
Descendenzlehre  als  wesentliche  Glieder  ein. 

Zunächst  wird  der  ontogenetische  Theil  lange  Zeit  fast  aus- 
schliesslich zu  pflegen  sein.  Wenn  dieser  Theil  schon  sehr  weit  aus- 
gebildet ist,  dann  wird  von  ihm  aus  auch  ein  Schimmer  der  Auf- 
hellung auf  die  Ursachen  der  Phylogenese  fallen,  und  damit  dieser 
zweite  Theil  eine,  wenn  auch  wohl  immer  noch  sehr  hypothetische 
Grundlage  gewinnen. 

Diese  an'  sich  geringe  Hoffnung  scheint  vielleicht  noch  ver- 
messen. Und  doch  hoffe  ich  mit  einiger  Berechtigung  diese  Worte 
zu  sprechen.  Denn  schon  gegenwärtig  kann,  wie  mir  scheint, 
die  entwickelungsmechanische  Denkweise  aufklärend,  min- 
destens mildernd  in  den  Widerstreit  der  verschiedenen 
Richtungen  der  „Descendenzlehre"  eingreifen,  blos  mit  dem 
Wenigen,  was  wir  bereits  erkannt  haben;  besonders  aber  durch  die 
klare  [419]  V'orstellung  dessen,  was  uns  an  entwickelungsmechanischen 
Kenntnissen  fehlt.     Es  sei  dies  etwas  im  Einzelnen  dargelegt. 

Es  sind  vier  Hauptfragen ,  über  welche  die  Anhänger  der  Des- 
cendenzlehre uneins  sind: 


[ij  Dieselben   finden   sich    methodisch   erörtert  in  der  „Einleitung"   des  Archiv 
für  Entwickelungsmechanik,  Bd.  I,  1894.1 


Gegen  Vererbung  erworbener  Eigenschaften.  61 


1.  Giebt  es  Vererbung  sogenannter  „erworbener"  Eigen- 
schaften, (las  heisst:  giebt  es  Uebertragung  von  Eigenschaften, 
welche  durch  äusserliche  Einwirkungen  auf  den  Personaltheil  des 
Individuums  an  diesem  Theil  aufgetreten  sind,  also  nach  A.  Weismann 
somatogener  Eigenschaften,  auf  den  in  den  Personaltheil  einge- 
schlossenen Germinaltheil?  Wenn  dies  der  Fall  wäre,  so  müssten 
1.  die  vom  Personaltheil  erworbenen  Eigenschaften  nicht  blos  auf 
das  Keimplasma  übertragen,  sondern  2.  zugleich  auch  aus  dem 
.entwickelten  Zustande  zurück  in  den  unentwickelten,  dem  Keimplasma 
adäquaten  Zustand  verwandelt,  also  implicirt  oder  involvirt  werden 
(s.  Roux  im  Jahresber.  v.  Hofmann  u.  Schwalbe  1881  S.  396). 

Oder  beruhen  im  Gegentheil  nach  A.  Weismann  (13  u.  14)  alle 
vererbbaren  Eigenschaften  nur  auf  blastogenen  Veränderungen,  also 
auf  primären  Veränderungen  des  Keimplasson  (s.  S.  73),  welches  sich 
continuirlich,  d.  h.  ohne  an  der  Differenzirung  des  Personal theiles  im 
Geringsten  theilzunehmen ,  von  einem  Individuum  auf  das  andere 
überträgt?  Alsdann  müssen  neue  Eigenschaften  z.  B.  an  dem  Vater 
nur  früher  entwickelt  und  daher  auch  früher  erkennbar  werden  als 
an  dem  später  zur  Entwickelung  gelangenden  Stücke  desselben  Keim- 
plasma, aus  dem  der  Sohn  und  die  Tochter,  welche  somit  richtiger 
als  die  jüngeren  Geschwister  (resp.  gewöhnlich  als  Stiefgeschwister) 
des  Vaters  und  der  Mutter  zu  bezeichnen  sind,  hervorgehen. 

Diese  Alternative  sei  hier  nicht  discutirt,  sondern  blos  berührt. 
Für  denjenigen,  der  sich  die  Grösse  des  Räthsels  der  angeblichen 
Uebertragung  von  Veränderungen  des  Personaltheiles  auf  den  Germi- 
naltheil vorgestellt  hat,  ist  die  von  Weismann  sorgfältig  begründete  und 
neben  ihm  auch  von  Owen  ,  Bütschli  (23) ,  Galton  ,  M.  Nussbaüm, 
JuL.  Sachs  u.  A.  angebahnte  Theorie  von  der  Continuität  des  Keim- 
plasma die  Erlösung  von  einem  auf  unserem  Erkenntnissvermögen 
lastenden  Alp,  die  Befreiung  von  zwei  der  schwierigsten  entwickelungs- 
mechanischen  Problemen  von  Problemen,  welche  viel  schwerer  lösbar 
erscheinen  als  das  der  Entstehung  des  Zweckmässigen  ohne  zweck- 
thätiges  Wirken.  [Es  sind  die  oben  angedeuteten  Probleme:  der 
Uebertragung  (Translatio)  formaler  und  bestimmt  localisirter 
Eigenschaften   vom   Elter   auf   den   in   ihm    lebenden  Keim   und   der 


62  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsinechanik. 


gleichzeitig  nöthigen  Zurück  Verwandlung  (Implication)  aus 
dem  entwickelten  in  den  unentwickelten  Zustand.  Letztere  müsste 
um  so  nöthiger  und  grösser  sein ,  je  grösser  der  Antheil  der  Epi- 
genesis  (s.  S.  6)  an  der  individuellen  Entwickelung  ist.j 

Als  nach  Erkenntniss  strebende  Wesen  werden  wir  dringend 
wünschen,  dass  sich  dieses  Fundament  von  der  Theorie  der  Continuität 
des  Keimplasson  immer  mehr  bewahrheiten  möge.  Nehmen  wir  im 
Interesse  der  Einfachheit  der  weiteren ,  hier  blos  flüchtigen ,  nicht 
nach  Vollständigkeit  strebenden  bezüglichen  Darstellung  wegen  diese 
Ansicht  als  vollkommen  gesichert  an. 

[420]  2.  Die  zweite  Differenz  betrifft  die  ,,Ent steh ung"  vererb- 
barer Variationen  des  Keimplasma.  Vererbbar  können  nach 
meiner  Auffassung  nur  solche  Variationen  des  Keimplasson  sein, 
welche  zugleich  vollkommen  ,, assimilationsfähig''  sind  (s. 
hierfür  und  bezüglich  des  folgenden:  Roux  in  Hermann  u.  Schwalbe, 
Jahresber.  d.  Anat.  u.  Physiol.  1887,  S  540  u.  528  u.  I.  Nr.  6  S.  807).  Die 
strittige  Alternative  ist  nun :  Sind  vererbbare  Variationen  des  Keimplasma 
stets  nur  durch  äussere  Einwirkungen  auf  dasselbe  oder  ausschliess- 
lich resp.  gelegentlich  ohne  solche  Einwirkungen,  also  aus  inneren 
Ursachen,  somit  durch  Selbstdifferenzirung  desselben  entstanden? 

Wer  verfügt  zur  Zeit  über  genügende  sachliche  Gründe,  uin 
eine  dieser  beiden  Ansichten  mit  Sicherheit  aus  seh  Hessen  zu  können? 
Niemand ! 

Warum  sollen  nicht  einmal  oder  einigemal  in  frühester,  früher 
und  späterer  Zeit  des  Organismenreiches,  wenn  einmal  assimilations- 
fähige Variationen  entstehen  konnten,  auch  äussere  Einwirkungen 
solche  Keimplasmavariationen  veranlasst  haben  und  warum  nicht  gar 
solche,  welche  nicht  blos  eine  einmalige  Aenderung  darstellten, 
sondern  Variationen,  nach  denen  auf  die  erste,  von  aussen  veran- 
lasste Aenderung  zufolge  dadurch  entstandener  innerer  Eigenschaften 
eine  ganze  Folge  von  Aenderungen  sich  anschloss?  Das  Keim- 
plasson ist  ja  seinem  Wesen  nach  ,,Selbstdifferenzirungs- 
substanz''.  Welche  uns  bekannten  Gründe  zwingen  weiterhin  etwa 
zu  der  Annahme,  dass  diese  Selbstdifferenzirung  stets  eine  indivi- 
duelle,   blos    auf    ein    Individuum    (oder    bei   Doppelbildung   auf 


Assimilation  als  die  Bedingung  der  Vererbung.  63 


zwei  Individuen)  hin  angelegt  sein  könne,  stets  mit  P  e  r  s  o  n  a  l  i  s  a  t  i  o  n 
des  Keimplasson  (s.  S.  73)  verbunden  sein  müsse;  dass  das  Keim- 
plasson  nicht  aus  gleichfalls  in  ihm  liegenden  Kräften  sich  verändern 
könne,  ohne  sich  dabei  zugleich  zu  individualisiren,  d.  h.  ohne  dabei 
Special theile  eines  Einzelwesens  anzulegen,  also  ohne  dabei  seine  Eigen- 
schaft als  Keimplasson  einzubüssen? 

Bei  solchem  immanenten  mechanischen  Veränderungs- 
vermögen kann  durch  nicht  ganz  gleichzeitiges  Auf  treten 
dieser  Selbstveränderung  bei  den  Nachkommen  des  ersten  Trägers 
des  durch  äussere  Einwirkung  dazu  disponirten  oder  durch  Selbst- 
differenzirung  alterirten  Keimplasson  eine  Veränderung,  eine  neue 
Eigenschaft  der  Individuen  au  einzelnen  Thieren  früher,  an  anderen 
später  auftreten  und  so  nach  Eimer  (8)  allmählich  sich  ausbreiten 
und  successive  ein  Artcharakteristicum  werden,  ohne  dass  man  in 
Folge  dieser Thatsache  genöthigt  ist,  mit  diesem  Autor  eine  Vererb- 
ung vom  Person  altheil  erworbener  Eigenschaften  anzunehmen. 

Es  ist  ferner  vorläufig  nicht  auszuschliessen ,  dass  sogar  Keim- 
plasson Variationen  entstanden,  welche  aus  inneren  Ursachen  nicht 
blos  eine  einzige,  sondern  gleichzeitig  mehrere  nützliche 
Variationen  hervorbringen  konnten ;  ja  es  ist  sogar  Keimplasson 
denkbar,  welches  zufällig  geradezu  befähigt  war,  mehrere  dauer- 
fähige Variationen  nach  einander  her-  [421]  vorzubringen,  unter 
Einwirkung  mehr  blos  auslösender  als  direct  differenzirender  äus- 
serer Einwirkungen. 

Was  die  Grösse  dieser  vererbbaren  Variationen  des  Keimplasson 
angeht,  so  liegen  keine  sicheren  sachlichen  Gründe  dafür  vor,  dass 
stets  nur  solche  Variationen  des  Keimplasson  assimilationsfähig, 
also  V  e  r  e  r  b  b  a  r  gewesen  wären,  welche  blos  kleine  Veränderungen 
des  entwickelten  Individuums  bedingen ,  wenn  schon  diese  ver- 
muthlich  die  weitaus  häufigeren  gewesen  sein  werden ;  immerhin  muss 
eine  sogenannte  sprungweise  Veränderung  der  Nachkommen 
als  möglich  bezeichnet  werden;  und  in  Verbindung  mit  sogleich  zu 
erörternden  weiteren  Principien  kann  daraus  auch  eine  sprungweise 
Differenzirung  des  Organismen  reich  es  abgeleitet  werden. 
Es  wären  nur  wenige   im  Laufe  der  Aeonen  der  organischen  Vorzeit 


64  Nr.  15.   Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 

vorgekommene  solche  Sprünge  nöthig  gewesen ,  um  die  Entstehung 
der  Hauptthierstämme  erheblich  zu  erleichtern. 

Es  ist  nicht  nachgewiesen  worden ,  dass  die  Entwickelung 
des  Organismenreiches  eine  stetige,  und  daher  nur  mit  kleinen 
Verbesserungen  fortschreitende  war;  vielmehr  ist  es  nicht  unmöglich, 
dass  im  Laufe  der  Aeonen  einigemale  Variationen  von  gleichzeitiger, 
so  mannigfacher  Nützlichkeit  vorgekonmien  sind ,  dass  ihr  zufälliges 
Auftreten  rechnerisch  geradezu  als  ausserordentlich  wenig  wahr- 
scheinlich bezeichnet  werden  rauss.  Ebenso  ist  es  umgekehrt  möglich, 
ja  wahrscheinlich,  dass  wiederholt  vollkommen  Dauerfähiges 
dadurch  aus  d  e  r  R  e  i  h  e  d  e  r  L  e  b  e  n  d  e  n  e  1  i  m  i  n  i  r  t  worden 
ist,  dass  das  Keimplasson  sich  in  pejus  veränderte  [worauf 
schon   die  Geschichte    mancher  Adels-  und  Fürstenfamilien  hinweist]. 

Daran  schliesst  sich  die  weitere  Streitfrage:  sind  die  durch 
äussere  oder  innere  Ursachen  bedingten  \^  a  r  i  a  t  i  o  n  e  n 
des  Keimplasson  der  Art  ,,frei'\  dass  jeder  Theil  des  entwickelten 
Jndividuums  um  seine  derzeitige  Norm  als  Mittellage  stets  nach  allen 
Seiten  hin,  also  auch  nach  der  Seite  des  Nützlichen  und  Schädlichen 
gleich  leicht  variirt ;  oder  sind  zufolge  der  Erhaltungs-  und  Varia- 
tionsmechanismen des  Keimplasson  diese  Variationen  zu  verschiedenen 
Zeiten  zufällig  nach  irgend  ein  er  Richtung  leichter  möglich  als  nach 
der  anderen?  (s.  I  S.  116.) 

Wer  vermag  darüber  etwas  Bestimmtes  zu  sagen?  Wenn  letzteres 
der  Fall  ist,  kann  dies  gelegentlich  zufällig  auch  nach  der  Seite  der 
Nützlichkeit  hin  geschehen,  so  dass  einige  schwierige  Stufen,  auf  denen 
viele  Organe  gleichzeitig  in  nützlicher  W^eise  vererbbar  variiren 
mussten,  wie  beim  Uebergang  vom  Wasser-  zum  Land-  (Luft-)  Leben 
überschritten  werden  konnten.  Und  es  kann  Aeonen  gedauert  haben, 
bis  zu  diesem  Schritte  sich  die  günstigen  Bedingungen  gefunden  haben 
(s.  I  S.  124). 

Sind  ferner  die  assimilationsfähigen  Keimplasmavariationen  auch 
in  der  Art  „frei",  dass  j  eder  kleine  Theil  des  „entwickelten" 
Indivi-  [422]  duums  für  sich  allein  vollkommen  unab- 
hängig von  allen  anderen  entwickelten  Tlieilen  variiren 
kann,   oder  müssen   bei  Variationen  von  Theilen  des  Keimplasson 


Griebt  es  freie  VariiitionV  65 


7AÜ'olge  correlativerEntwickelungsmechanismen  stets  Veränderungen 
vieler  entwickelter  Theile  gleichzeitig  vorkommen?  Ersteres 
könnte  nur  dann  das  alleinige  sein,  wenn  die  kleinsten  selbständig- 
variablen  Theilchen  des  entwickelten  Individuum  alle  auch  ganz  selbst- 
ständig, ganz  unabhängig  von  den  anderen,  aus  besonderen  Theilchen 
des  Eies,  also  rein  durch  Selbstdif¥erenzirung  sich  entwickelten,  wie 
es  Weismann  annimmt;  resj).  es  könnte  ersteres  nur  soweit  vorkommen, 
als  dieses  letztere  der  Fall  ist.  Wir  können  jedoch  von  keinem  er- 
kennbar variirten  Körpertheile  behaupten ,  dass  er  sich  vollkommen 
selbstständig  vom  Keimplasma  aus  verändert  habe ;  denn  die  ursäch- 
lich damit  verknüpften  Veränderungen  anderer  Theile  können  der 
Art  sein,  dass  wir  sie  nicht  erkennen  können.  Unsere  specielle  ent- 
wickelungsraechanische  Einsicht  ist  zu  solchem  Urtheil  noch  viel  zu 
gering. 

Es  kann  aber  andererseits  wohl  als  sicher  angenommen  werden, 
dass  die  Annahme  solcher  S  e  1  b  s  t  v  a  r  i  a  t  i  o  n  e  n  einzelner  entwickelter 
Theile  nicht  allgemein  richtig  ist,  schon  in  Rücksicht  auf  die  von 
Darwin  betonten,  von  mir  erklärten  und  unter  dem  Namen  der  fuuc- 
tionel  len  Anpassung  zusammengefassten  Thatsachen  (s.  Nr.  4  u.  7), 
welche  auf  functionell  vermittelten  gestaltenden  Korrelationen  beruhen, 
um  hier  von  vielen  anderen ,  noch  weniger  bekannten ,  aber  noth- 
wendigerweise  z.  B.  bei  der  Regeneration  anzunehmenden  differen- 
zirenden  Correlationen  ganz  abzusehen  (s.  Nr.  28). 

Wenn  es  aber,  woran  wohl  nicht  zu  zweifeln  ist,  gestaltende,  per 
continuitatem  et  eontiguitatem  vermittelte  Correlationen 
unter  grösseren,  nebeneinander  liegenden  und  auch  unter  nicht  unmittel- 
bar nebeneinander  liegenden  Theilen  des  Keimplasma  giebt,  dann 
müssen  mit  der  Variation  eines  Theiles  des  entwickelten  Individuums 
einige  oder  viele  andere  Theile  desselben  zugleich  variiren ;  es  kann  also 
erstens,  wie  schon  Darwin  hervorhebt,  eine  neue  nützliche  Eigen- 
schaft mit  der  Bildung  anderer  nicht  nützlicher  fest  verknüpft 
sein.  Wenn  erstere  sich  im  Kampfe  bewährt,  so  werden  die  letzteren 
unnützen  miterhalten  werden ,  sofern  sie  nicht  geradezu  so  schädlich 
sind,  dass  sie  den  Nutzen  des  Ersteren  aufwiegen  und  damit  die  Er- 
haltung des  ganzen  Veränderungscomplexes  aufhel)en.  Zweitens  können 

W.   Roux.  Gesammelte  Abhanrtkinfreii.    II.  '-> 


66  Ni'.   15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


o-eleö'entlich  so  vielfache  nützliehe  und  unnütze  Veränder- 
iingen  des  fertigen  Organismus  zugleich  aufgetreten  sein,  dass  sie 
die  Grundlage  eines  neuen  Stammes,  einer  neuen  Klasse,  Ordnung, 
Gattung,  Art  wurden. 

Ueber  all  diese  Eventualitäten  haben  wir  meiner  Meinung  nach 
zur  Zeit  noch  kein  bestimmtes  Urtheil  trotz  der  mannigfachen  bereits 
für  und  [423J  wider  angeführten  Gründe;  wir  können  keine  Even- 
tualität entschieden  zurückweisen  und  voji  keiner  behaupten,  sie  sei 
die  einzig  mögliche. 

Es  entspricht  also  die  schroffe  Betonung  der  Verschie- 
denheiten in  den  Auffassungen  Haegkel's  (10  und  11),  von 
Kölliker's  (12),  Weismann's  (13),  Eimer's  (8  und  9)  u.  a.  nicht 
dem  wirklichen  Stande  unseres  Wissens;  sondern  das  Urtheil 
über  Wahrheit  und  Irrthum  ist  bezüglich  dieser  Fragen  auf  ausser- 
ordentlich lange  Zeiten  hinaus  zu  vertagen,  nämlich  bis  die  Ent- 
wickelungsmechanik soweit  ausgebildet  ist,  dass  wir  einen 
tiefen  Einblick  nicht  blos  in  die  Mechanismen  der  Bild- 
ung der  Individuen  aus  dem  Keimplasma,  sondern  auch 
in  die  Mechanismen  der  Keimplasma- Variationen  gewonnen 
haben.  Dann  erst  werden  wir  auf  Grund  dieser  Kenntnisse  oder 
Wahrscheinlichkeiten  einen  freilich  immer  noch  sehr  unsicheren, 
Rückschluss  auf  das  Geschehen  in  früheren  Aeonen  machen  können. 
Es  ist  wohl  zu  vermuthen,  dass  alle  die  genannten  Modi  bei 
der  Entstehung  des  Organismenreiches  gelegentlich  be- 
theiligt gewesen  sind,  jedenfalls  schliesst  das  Vorkommen  eines 
dieser  Geschelmisse  das  frühere  oder  spätere  Vorkommen  des  anderen 
nicht  aus. 

Auf  unzureichender  Einsicht  sowohl  in  die  Bedeutung  der  Ent- 
wickelungsmechanik überhaupt,  als  in  den  Antheil,  welchen  ditferen- 
zirende  Correlationen  an  der  individuellen  Entwicklung  nehmen, 
beruht  eine  Summe  von  Einwendungen,  die  von  G.  Wolff  (14)  gegen 
die  Selectionstheorie  erhoben  worden  sind,  mit  denen  er  diese 
Theorie  definitiv  als  unrichtig  erwiesen  zu  haben  glaubt. 

Diese  Einwendungen  sind  anscheinend  mit  grossem  Scharfsinne 
aufgespürt,    classificirt   und    begründet,     entbehren    aber    gleichwohl 


Einwendungen  gegen  die  Descendenzlehre.  67 

meiner  Meinung  nach    durchaus    der   ihnen    zugeschriebenen    wider- 
legenden Kraft. 

G.  WoLFF  behauptet,  alle  Gebilde,  die  an  demselben  Organismus 
zwei-  und  mehrfach  vorhanden  und  einander  gleich  sind  (z.  B. 
Augen,  sowie  Schuppen,  Federn  symmetrisch  gleicher  Lagerung  etc.), 
spotten  der  Erklärung  durch  die  Selectionstheorie,  weil  sie  immer  in 
gleicher  Weise  variirt  haben  müssen,  also  keine  freien  Variationen, 
sondern  schon  ein  gesetzmässiges  Gebundensein  voraussetzen.  Wolff 
scheint  bei  diesen  Folgerungen  nicht  bedacht  zu  haben,  dass  die  pri- 
mären Variationen  nicht  die  Augen,  Schuppen  etc.  als  solche,  son- 
dern das  Keimplasma  betreffen;  sollte  er  dies  Moment  berücksichtigt 
haben,  so  muss  er  bei  seiner  Auffassung  als  selbstverständlich  ange- 
nommen haben,  dass  jedes  entwickelte  Einzelgebilde  schon  im  Keim- 
plasson  s  e  1  b  s  t  s  t  ä  n  d  i  g  vorhanden  sei  und  s  e  1  b  s  t  s  t  ä  n  d  i  g  v  a  r  i  i  r  e, 
was  wie  oben  erwähnt,  nicht  zutreffend,  mindestens  nicht  bewiesen  ist. 
Aus  den  gemeinsamen  Variationen  mehrerer  entwickelter  gleicher 
Theile  können  [424]  wir  blos  auf  ein  enges  entwickelungsmechanisches 
Verknüpftsein  der  virtuellen  Vorstufen  dieser  vielleicht  überhaupt  erst 
später  gegliederten  Bildungen  schliessen.  Im  noch  nicht  personellen 
„Keimpias  s  o  n"  ist  die  Anlage  der  Theile  der  Individuen  z.  B.  mit 
ihrer  späteren  Symmetrie  irgendwie  potentia  enthalten ;  wir  können 
aber  nicht  einmal  behaupten,  dass  die  späteren  symmetrischen  Theile 
schon  im  persönlichen  ,, Keimpias m a"  als  gesonderte  Gebilde  vor- 
handen sind;  das  Gleiche  gilt   von  den  einzelnen  Schuppen  etc. 

Ferner  meint  G.  Wolff:  ,,Die  Variirung  einer  Zelle  zur  Muskel- 
zelle konnte  nichts  nützen,  sofern  nicht  zugleich  eine  andere  Zelle 
sich  zur  Nervenzelle  differenzirte ;  die  Entwickelung  des  Auges  nützte 
nichts,  wenn  nicht  mit  ihr  die  Entwickelung  eines  Sehcentrums  Hand 
in  Hand  ginge";  es  müsse  also  auf  die  Freiheit  der  Variationen 
der  einzelnen  Theile  dabei  verzichtet  werden.  Dies  ist  richtig;  dies 
dürfen,  ja  müssen  wir  aber  auch.  Die  Freiheit  der  Variation  jedes 
einzelnen  Theiles  ist  eine  willkürliche,  theilweise  bereits  als  unzu- 
treffend erkannte  entwickelungsmechanische  Annahme,  die 
auf  der  weiteren,  ohne  Beweis  als  sicher  angenommenen  Annahme 
beruht ,    dass   alle   Theile   des    entwickelten   Individuums   rein   durch 


68  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsniechanik. 


Selbstdiff ereuzirung  ans  einzelnen  Th eilen  des  Eies  hervor- 
gingen, dass  die  individuelle  Entwickelung  eine  Evolution  wäre  (s.  S.  5). 

Da  die  Placenta  von  Mutter  und  Kind  gemeinsam  gebildet  wird, 
so  muss  nach  Wolff  zu  einer  bestimmten  Veränderung  des  Uterus 
immer  eine  gleichzeitige  Veränderung  des  Eies  postulirt  werden.  In 
diesem  Falle  kennen  wir  jedoch  schon  den  entwickelungsmechanischen 
Zusammenhang,  wenn  auch  nur  wenig,  so  doch  genügend,  um  diesen 
Einwand  direct  zurückweisen  zu  können ;  war  sehen,  dass  eine  functio- 
nell  zureichende  Placenta  auch  entsteht,  wenn  das  Ei  nicht  im  Uterus, 
sondern  in  der  Bauchhöhle  an  irgend  einer  Stelle  sich  entwickeU, 
und  schliessen  daraus,  dass  der  mütterliche  Antheil  an  der  Placentar- 
bildung  vom  Ei  aus  veranlasst  wird,  dass  die  Placenta  materna  nicht 
durch  reine  Öelbstdifüerenzirung  von  Theilen  der  Mutter  entstellt, 
sondern  dass  ihre  Bildung  als  abhängige  Differenzirung  vom  Ei, 
von  den  Chorionzotten  aus  angeregt  wird. 

Beziehungen  von  Theilen  eines  Organismus  zu  Theilen  eines 
andern  Organismus,  wie  die  Beziehungen  zwischen  beiderlei  Ge- 
schlechtsorganen, z.  B.  des  Penis  zur  Vagina,  bieten  gleichfalls  keine 
unlösbare  Schwierigkeit  dar ,  da  sie  dadurch  vermittelt  sein  können, 
dass  diese  beiderlei  Individuen  ursprünglich  in  demselben  Keimplasma 
gemeinsam  potentia  enthalten  sind. 

Welsmann's  Ableitung  der  Rückbildung  nicht  mehr  nöthiger 
Organe  durch  Wegfall  der  sie  brauchbar  erhaltenden  Naturzüch- 
tuug  verwirft  Wolff  auf  Grund  einer  Rechnung,  in  der  er  annimmt, 
dass  von  2n  Individuen  blos  wenige  untergehen.  Von  den  oft  über 
[425J  Tausend  befruchteten  Eiern  eines  Froschweibchens  erreichen 
aber  im  Gegentheile  oft  kaum  drei  bis  vier  die  Stufe  der  Geschlechts- 
reife; die  Auslese  ist  also  hier  eine  überaus  grosse  und  kann  daher 
wohl  auch  die  von  WeismaniN  angenommene  Wirkung  haben.  Es 
raüsste  festgestellt  werden ,  ob  derartige  Rückbildungen  blos 
bei  Arten  mit  so  grosser  Naturauslese  vorkommen^). 


[1)  Das  heisst  mit  anderen  Worten:  Nicht  mehr  gebrauchte  und  daher  nicht 
mehr  durch  Naturauslese  auf  ihrer  Höhe  erhaltene  Organe  werden  bei  sehr  starkem 
Kampfe  um's  Dasein,  bei  welchem  blos  Thätiges  bestehen  kann,  als  Theile,  welche 
Nahrung  verbrauchen  und  den  Organismus  belasten  ohne  ihm  zu  nützen,  direct  weg- 


Vergleichende  Anatomie  und  Entwickelungsmechanik.  69 


Auch  die  anderen  jüngsten  Opponenten  des  Darvvinisirnis, 
F.  DuEYEi!  (;■>,  S.  76)  und  11.  Dhiksch  (5,  S.  öT)  nrteilen  zu  leidit  über 
die  Selectionstheorie  ab;  sie  erlieben  wieder  den  alten  angeblichen 
Einwand,  dass  die  Selection  kein  activ  gestaltendes,  sondern  blos  ein  Aus- 
leseprincip  ist,  und  unterschätzen  daneben  die  summirenden  Wirkungen 
dieser  Auslese  aus  Variationen,  die  durch  der  Entwickelungsmeclianik 
zugehörende,  erst  durch  lange  Forschungsarbeit  aUmählich  erniittelbare 
Gestaltungsprincipien  hervorgebracht  worden  sind  (s.  auch  Nr.  33). 

Da  die  vergleichenden  Anatomen,  mit  Ausnahme  weniger,  die 
Entwickelungsmechanik  so  gering  achten,  dass  sie  dieselbe  vollkommen 
ignoriren,  oder  wie  Häckel  direct  für  überflüssig  erklären,  so  sei,  ob- 
schon  dies  bereits  aus  dem  Vorstehenden  liervörgeht,  noch  besonders 
darauf  hingewiesen,  dass  die  (Ir  undann ahmen ,  von  denen  die 
vergleichend  anatomischen  Untersuchungen  auszugehen 
pflegen,   in  ihrem  Wesen  auf,    ihren  Autoren  vermuthlich 


gezüchtet,  denn  ceteris  paribus  werden  Thiere,    welche  diesen  nutzlosen  Ballast  nicht 
haben,  in  diesem  Kampfe  leichter  erhalten  bleiben. 

(jir.  WoLFF  bemerkt  hierzu  (biol.  Centralblatt  1894  S.  612):  „Was  soll  man  dazu 
sagen,  wenn  W.  Roux  die  WEisiiANN'sche  Ableitung  der  Rückbildungen  durch  Weg- 
fall der  Selection  mit  der  Bemerkung  vertheidigt,  dass  , „die  Auslese""  (deren  Fehlen 
ja  die  betreffende  Wirkung  hervorbringen  soll)  hier  eine  überaus  grosse  ist  und  daher 
wohl  die  von  Weismann  angenommene  Wirkung  haben  kann". 

W.  erkennt  also  nicht,  dass  nicht  diejenige  Auslese,  welche  fehlt,  sondern  eine 
ganz  andere  Auslese  nach  Wegfall  dieser  das  Züchtende  ist 

Dies  Beispiel  bezeichnet  in  fast  typischer  Weise  die  leichte  Art,  wie  ein  Theil 
der  jungen  Generation  mit  den  Argumenten  für  Darwin  umgeht,  um  daraufhin  die 
Selectionslehre  für  widerlegt  zu  bezeichnen.  Das  ist  nicht  die  Art,  auf  welche  man 
der  Natur  ihre  Geheimnisse  abgewinnt. 

Die  oben  erwähnte  Möglichkeit,  dass  beide  Augen,  wenn  die  Bedingung  ihrer 
Entstehung  im  Keimplasma  oder  gar  im  Keimplasson  noch  eine  einheitliche  ist, 
—  und  da  im  noch  u  npersönli  eben  Keimplasson  sogar  die  späteren  zahllosen  pcM- 
sön  liehen  Samenkörper  oder  Eier  noch  nicht  einmal  gesondert,  sondern  blos  vir- 
tuell vorhanden  sein  können,  ist  dies  Geringere  wohl  erst  recht  annehmbar  —  dann 
auch  gemeinsam  variiren  können,  erscheint  dem  genannten  Autor  ein  „verwerfliches 
Versteckspiel ",  während  er  dagegen  aus  der  Thatsache  solcher  gemein  sanier  Varia- 
tionen ihre   „Unerklärbarkeit"  durch  die  Principien  der  Selectionslehre  ableitet. 

Derselbe  Autor  führt  als  eigene  neue  Ansicht  an,  dass  die  „zweckmässige  An- 
passung das  ist,  was  den  Organismus  zum  Organismus  macht",  ein  Gedanke,  der 
soweit  er  durch  Thatsachen  gestützt  ist,  von  mir  in  Nr.  4  behandelt  ist,  wo  die 
Selbstregulation  (besonders  die  morphologische,  durch  die  functionelle  An- 
passung dargestellte  Selbstregulation)  als  eine  der  das  Wesen  des  Organischen 
ausmachenden  Eigenschaften  dargethan  wird  is.  auch  S.  77).]. 


70  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


Uli  b  ew  US  s  t  en ,     e  iit  w  ick  e  lu  iigs  me  chani  s  ch  c  ii     V  o  rau  s  s  e  t  z- 
ungen   beruhen. 

Die  vergleichende  Anatomie  nimmt  immer  zunächst  an,  dass 
die  untersuchten  Organe  oder  Organismen  phylogenetisch  nur  unter 
allmähliclien  formalen  Aenderungen,  also  durch  continuirliche, 
nicht  sprungweise  Formwandlung  der  entwickelten  Theile  aus 
früheren  hervorgegangen  seien;  dies  setzt  aber  voraus,  dass  die  Ent- 
wickelungsmechanismen  dieser  Bildungen  und  die  Variationen  dieser 
Mechanismen  in  ganz  bestimmter  Weise  beschränkte  sind,  sodass  ihre 
Endpro  du  et  e  sich  formal  immer  blos  wenig  auf  einmal  ver- 
ändern. 

Indem  dieselbe  Annahme  für  jedes  einzelne  Organ  gemacht  wird, 
wird  weiterhin  vorausgesetzt,  dass  entweder  jedes  Organ  selbstständig 
sich  entv\dckeln  und  daher  auch  selbstständig  in  der  eben  erwähnten 
Weise  variiren  könne  oder  dass  kleine  Variationen  des  einen  Organ  es 
auch  nur  kleine  formale  Variationen  jedes  anderen,  mit  ihm  in  ge- 
staltenden Correlationen  stehenden  Organes  veranlassen. 

Als  specielle  Consequenz  der  ersten  Annahme  wird  ferner  zu- 
nächst immer  angenommen,  dass  analoge  Theile  desselben  Indivi- 
duums oder  analoge  Theile  der  Individuen  verschiedener  Arten  und 
Gattungen  desselben  Thierstammes  durch  Variationen  ursprünglich 
homologer  Theile  entstanden  seien,  eine  Annahme,  welche  die  Ent- 
stehung später  einander  gleicher  Gebilde  aus  ursprünglich  ungleichen 
Theilen  auszuschliessen  strebt  und  somit  gleichfalls  bereits  bestimmte 
Beschränkungen  der  uns  noch  unbekannten  l^ezüglichen  Entwickelungs- 
mechanismen  postulirt. 

Es  wird  lange  währen ,  bis  wir  die  entwickelungsmechanischen 
Ursachen  dieser  vergleichend  anatomischen  Annahmen  aufgefunden 
haben  werden;  immer  aber  müssen  letztere,  so  weit  sie  sich  bewahr- 
heiten, auf  solchen  Ursachen  beruhen.  Schon  aus  diesem  Grunde 
hat  die  vergleichende  Anatomie  Veranlassung,  mit  der  Entwickelungs- 
mechanik  Fühlung  zu  nehmen.  Die  vergleichende  Anatomie  ist  aber 
ausserdem  bereits  an  einem  Punkte  angelangt,  an  dem  sich  diese 
ihre  bisherigen  Grundannahmen  mehr  und  mehr  als  nicht  ausreichend 
zu  erweisen  begonnen  haben,  und  von  dem  an  sie  zu  weiterem  Ver- 


Vergleichende  Anatoniio  und  Entwickelungsmeclianik.  71 

ständniss  der  Formwandlungoii  nun  direct  cntwicki'lunosnu'clunii^^clicr 
Einsieht  bedarf  (s.  S.  51). 

Wenn  wir  dem  Gang  des  Entwickekuigsgescheheiis  des  ürga- 
nismenreiches  folgen,  wie  er  sich  nach  Weismann's  oben  erwähnter 
Theorie  darstellt,  so  handelt  es  sich  primär  immer  um  V^ariationen 
des  Keimplasma,  welche  ihrerseits  zmneist  nur  klein  sein  werden. 
Die  Entwickelungsmeclianik  wird  uns  nun  zu  lehren  haben,  in  welchen 
speciellen  Fällen  diese  kleinen  Aenderungen  des  Keimplasma  auch 
nur  kleine  Aenderungen  des  aus  ihm  Entwickelten  zur  Folge 
haben,  unter  welchen  Verhältnissen  dagegen  sie  grosse  Veränderungen 
des  letzteren,  wie  z.  B.  plötzliche  Vermehrung  der  Zahl  ganzer  Organe 
oder  Organcomplexe  veranlassen  können. 

Andererseits  aber  wird^clie  Entwickelungsmechanik  sich  kein 
Hilfsmittel  entgehen  lassen  dürfen  und  daher  auch  aus  den  bereits 
ermittelten  Thatsachen  der  vergleichenden  Anatomie ,  z.  B.  aus  den 
wirklich  sehr  häutig  blos  allmählichen  Form  Wandlungen  der  ent- 
wickelten Tlieile  während  der  Phylogenese,  sowie  aus  den  That- 
sachen des  sogenannten  biogenetischen  Grundgesetzes  Rückschlüsse 
auf  die  Natur  der  Entwickelungsmechanismen  zu  ziehen  sich  bestreben 
(s.  Nr.  6,  S.  801—804). 

Die  ablehnende  Haltung  der  Descendenztheoretiker  und  verglei- 
chenden Anatomen  gegen  die  Entwickelungsmechanik  beruht  auf  der 
Annahme,  dass  das  sogenannte  biogenetische  Grundgesetz 
allein  schon  eine  genügende  Erklärung  der  embryonalen 
Bildungen  darstelle,  und  dass  in  Folge  dessen  jede  weitere  directe 
Ableitung  dieser  Formen  überflüssig  sei. 

Diese  besonders  von  Haeckel  ^)  und  manchem  seiner  Schüler  ver- 
tretene Aufliassung  beruht  meiner  Meinung  nach  auf  einer  Verwechse- 
lung der  Leistungen  zweier  ganz  verschiedener  Erklärungsprincipien. 

Das  biogenetische  Grundgesetz  ist  blos  der  Ausdruck  der  Wieder- 
holung von  typischen  Bildungen;  es  sagt  jedoch  nichts  aus  über 
die  Kräfte,  welche  diese  Wiederholung  vollziehen.  Ohne 
diese    [427]    Kräfte   kann    aber  überhaupt   nichts  geschehen.     Es  ist 


1)  Anthropogenie,  4.  Aufl.  l«yi. 


72  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


nicht  recht  vci-stäiidlich,  dass  es  nicht  ein  erstrebenswerthes  Ziel  sein 
soll,    diese  Kräfte  und  ihre  speciellen  \\'irkirngsweisen  zai  erforschen. 

Dagegen  kann  es  den  vergleichenden  Anatomen  gleich- 
gültig sein,  ob  diese  tvpischen  Bildungen  durch  typische Zelltheilungen 
und  Zellordnungen  unter  Selbstdif f erenzirung  einzelner  Zell- 
complexe  erfolgen  oder  ob  mannigfache  ( 'orrelationen,  z.  B.  Massen- 
correlationen  unter  Druck,  Zug  oder  Spannung  der  Blutsäule  etc.  bei 
ihrer  Herstellung  betheiligt  sind,  wenn  sie  nur  sicher  hervorge- 
bracht werden. 

Zu  letzterem  gehört  aber,-;_dass  diese^gestaltenden  Kräfte  selber 
typisch  normirte  sind;  incon  stauten ,  mehr  zufälligen  und  daher 
variablen  Wirkungen  kann  dagegen  bei  diesen  Gestaltungen  nur  ein 
entsprechend  untergeordneter  Antheil  zukommen :  eine  Bedingung,  die 
allerdings  in  manchen  jetzigen  entwickelungsmechanischen  Ableitungen 
nicht  genügend  berücksichtigt  wird. 

Wird  somit  der  Entwickelungsmechanik  nach  längerer  Pflege 
dereinst  eine  grosse  Bedeutung  für  die  Descendenzlehre  zukommen, 
so  wird  ein  Aehnliches  zweifellos  auch  für  manche  Gebiete  der  Pa- 
thologie  und   Therapie  der  Fall  sein: 

Wenn  wir  die  normalen  Gestaltungs-  und  Erhaltungscor- 
relationen  der  Theile  des  Organismus  untereinander  kennen, 
und  ebenso,  wenn  wir  wissen  werden,  welche  Zellcomplexe  sich 
selbstständig,  unabhängig  von  anderen  entwickeln,  so  wird  dies  schon 
für  die  Auffassung,  eventuell  aucli  für  die  Behandlung  mancher  pa- 
thologischer Vorgänge  von  Bedeutung  sein ;  noch  mehr  wird  dies  der 
Fall  sein,  wenn  wir  die  wirklichen  Ursaclien  der  Gewebsleist- 
ungen:  des  Wachsthums  und  der  qualitativen  Differenzirung  etc. 
kennen;  denn  damit  werden  wir  aucli  der  Möghchkeit,  diese  Vor- 
gänge vielleicht  zu  beeinflussen,  erheblich  näher  gerückt  sein ,  wenn 
schon  die  modernen  Thatsachen  der  Pathologie  uns  diese  Zellvorgäuge 
als  so  sehr  in  sich  fest  geschlossen  kennen  gelehrt  liaben,  dass  sie  selbst 
bei  ])athologischcn' Störungen  fast  nur  quantitativ  alterirt  werden;  aber 
eben  deshalb  werden  wir  auch  nicht  lienöthigen,  sie  zu  Heilzwecken 
erheblich  qualitativ  zu  beeinflussen. 


Keimplassdil  und  K*Mni|iliisiHii.  73 

Die  i>Tösste  BefriiHliguiio-  wird  aWcr  unser  l^j'kcniiinisstriob  an 
sicli  oliiR'  Rücksiclil  aiil'  einen  ..Nutzen"  nach  andcivi-  Seite  hin  durch 
(He  fortschreitende  Einsit'ht  in  die  Trsachen  der  organischen  Rnt- 
wickelung  gewinnen. 

Der  phylogenetischen  Entwickelungsnjechauik  hat.  wie 
wir  oben  sahen,  eine  sehr  lange  Periode  der  Pflege  der  ontogeneti- 
sehen   K n t \v i c k e lu n g s ni e c h a n i k  voraus/Aigehen . 

[428]  Unser  gegenwärtiges  Bestreben  richtet  sich  daJier  nur  ani'  die 
Ermittelung  der  Mechanismen  der  individuellen  Entwickelung. 

Dabei  werden  die  Keimplasmata ,  Ei  und  Spermatosoma  mit 
allen  ihren  im  Laufe  der  Phylogenese  entstandenen  Eigenschaften  als 
gegeben  angenommen.  Wenn  wir  dem  (lange  des  ontogenetischen 
Geschehens  folgen  müssten ,  so  wäre  es  nächste  Aufgabe  der  Ent- 
wickelungsmechanik,  die  Eigenschaften  dieser  Keimstoffe  vollkommen 
zu  erforschen  und  aus  ihnen  unter  Berücksichtigung  der  hinzukommen- 
den äusseren  Momente,  alle  Entwickelungsvorgänge  der  Ontogenesis 
abzuleiten,    l^och  würden  wir  auf  diesem  Wege  nicht  vorwärts  kommen. 

Andererseits  kann  aber  noch  mehr  gefordert  werden,  wenn  wir 
die  individuelle  Entwickelung  vollkommen  ermitteln  wollen;  denn 
dazu  ist  es  nöthig,  dass  wir  nicht  erst  mit  dem  fertig  gebildeten  Ei 
und  Samenkörper  unsere  Eorschung  beginnen,  sondern  auch  die  Ent- 
stehung dieser  beiden  aus  dem  noch  indiiferenten  Keimstoff  verfolgen. 

Das  Keimplasson,  welches  bei  der  Entwickelung  des  Individuums 
reservirt  wird  und  welches  die  Matrix  der  Oogonien  und  Spermato- 
gonien  darstellt,  ist  vielleicht  überhaupt  noch  nicht  auf  einzelne  Wesen 
angelegt  und  kann  daher  als  „unpersönlicher  Keimstoif",  als  „Keim- 
plasson" im  eigentlichen  oder  engeren  Sinne  (als  keim  bilden  der  Stoff' 
oderKeimbildungsstoff,  von  nXdGoov.  bildend)  bezeichnet  werden.  Ei  und 
Samen  dagegen  sind  ihrem  Haupttheil  nach  sicher  bereits  auf  die  Bildung 
von  Einzelwesen  angelegte  Keime,  also  gebildete  Keime,  Keimplas- 
mata (von  ro  nldof.ia^  das  Gebildete).  Alle  die  Bildungsstufen,  die  von 
dem  hypothetischen  Stadium  des  unpersönlichen  Keimplasson  zur 
Herstellung  des  persönlichen  oder  individuellen  Keimplasma 
zu  durchlaufen  sind,  gehören  also  mit  zur  individuellen,  aber  bei 
den  geschlechtlich  sich   vermehrenden  Wesen    in    zwei    getrennten 


74  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickeluiigsmechanik. 


Bahnen  verlanfenden,  Entwickelung.  Solches  unpersönUche 
Keimplasson  kann  es  jedoch  blos  geben,  wenn  die  individuelle  Ent- 
wickelung nur  von  sehr  wenigen  Theilen  durch  Wechselwirkung  der- 
selben aufeinander  ausgeht  [also  unter  Epigenesis  in  meinem 
Sinne  (s.  S.  5)  sich  vollzieht];  nicht  aber,  wenn  nach  Weisimann 
im  Keimplasma  schon,  den  einzelnen  entwickelten  Kürpertheilen 
entsprechend  viele,  besondere  Theile  vorhanden  sind  [und  die  indivi- 
duelle Entwickelung  daher  in  Evolution  besteht]. 

Ich  habe  alle  Entwickelungsvorgänge,  die  von  dem  Stadium  des 
ungegliederten  Keimplasson  bis  zur  Reife  des  einzelnen  Eies  und 
Samenkörpers  vor  sich  gehen,  unter  dem  Namen  oiitogeiietisclie 
Vorentwickeluiig  zusammengefasst. 

Soweit  die  hierbei  entstandenen  Bildungen  auf  das  spätere  In- 
dividuum unverändert  übertragen  werden  (z.  ß.  die  durch  die  telo- 
lecithale  Anordnung  der  Eisubstanzen  gegebene  dorsiventrale  Richtung 
des  Froschembryo)  oder  soweit  sie  Vorstufen  späterer  individueller 
Bildungen  darstellen,  sind  sie  als  Bildmigen  der  individuellen  oder 
persönlichen  V  o  r  e  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  zu  bezeichnen.  Ihnen  gehen  vieh 
leicht  noch  allgemeinere,  nicht  auf  ein  einziges  Individuum  angelegte 
Veränderungen  des  Keimplasson  voraus,  welche  alsdann  eine  unper- 
sönliche Vor  entwickelung  darstellen.  Die  individuelle  Vorent- 
wickelung  ist  vielfach  begleitet  von  Vorgängen,  deren  Producte  blos 
für  die  vorübergehende  Sonderexistenz  der  Fortpflanzungskörper,  so-' 
wie  eventuell  für  den  Mechanismus  der  Copulation  nöthig  sind ;  diesen 
Theil  der  Vorentwickelung  habe  ich  als  accessorische  Vorent- 
wickelung  bezeichnet  (s.  Nr.  20,  S.  2  und  Hermann  und  Schwalbe, 
Jahresbericht  der  Anat.  u.  Physiol.  1887,  S.  536). 

Es  ist  Aufgabe  der  ontogenetischen  Entwickelungsmechanik,  auch 
alle  diese  Vorgänge  der  individuellen  Vorentwickelung  zu  erforschen ; 
ebenso  wie  es  Aufgabe  der  phylogenetischen  Entwickelungsmechanik 
wäre,  die  Vorgänge  der  phylogenetischen  Vorentwickelung, 
der  Bildung  des  Keimplasson  resp.  Keimplasma  auf  dem  Wege  der 
Entwickelung  des  ganzen  Organisnienreiches  vom  Anfang  des  Organi- 
schen an  bis  zur  Herstellung  des  Keimplasson  der  jetzt  lebenden 
Organismen  zu  ermitteln,  wenn  dies  möglich  wäre. 


Liqjorsönliche  und  ]HTsiniliili('  Voreiitwickelung.  75 

Nach  der  Anzahl  dor  heivits  über  ursächhche  Verliältnisse  der 
individuellen  iMitwickclun^  vorliegenden  Angaben  wäre  die  Entwicke- 
hmgsmechanik  eine  der  am  meisten  gepflegten  Wissenschaften  und 
selber  bereits  auf  einer  hohen  Stufe  der  Entwickelung;  denn  die  For- 
scher auf  dem  Gebiete  der  beschreibenden  Entwickelungsgeschichte 
haben  über  die  Entstehung  vieler  formaler  Bildungen  schon  recht  be- 
stimmte Urtheile  ausgesprochen.  Doch  diesen  Urtheilen  fehlt  fast 
ausnahmslos  eine  genügende  sachliche  Begründung;  es  fehlen  die 
„Beweise''  für  die  Richtigkeit  gerade  dieser  speciellen  Auffassung; 
wie  denn  mit  den  descriptiven  Forschungsme thoden  an 
normalen  Objecten  ,, sichere"  Beweise  für  ursächliche 
Zusammenhänge  überhaupt  „nicht"  erbracht  werden 
k  (innen. 

Es  wird  übersehen,  dass  aus  c  o  n  s  t  a  n  t  e  n  Beziehungen  zwischen 
normalen  Erscheinungen  oder  Vorgängen  über  die  vermittelnde 
Ursache  dieser  Constanz  deshalb  keine  sicheren  Schlüsse  gezogen 
w^erden  können,  weil  wir  die  ( Jomplicirtheit  der  normalen  Wechsel- 
wirkungen noch  nicht  annähernd  übersehen  können'). 

Wenn  wir  zur  Zeit  unser  Augenmerk  auf  einen  constanten  Be- 
gleiter eines  Vorganges  richten  und  in  ihm  die  Ursache  des  letzteren 
erblicken,  können  wir  fast  sicher  sein,  dass  ausser  ihm  noch  mehrere 
Factoren  da  sind,  die  wir  nur  nicht  wahrgenommen  haben.  Es  ver- 
rät h  w  e  n  i g  E  i  n  s  i  c  1 1 1  i  n  d  i  e  V  o  r  g  ä  n  g e  d  er  Natu  r ,  den  augen- 
fälligsten, zuerst  bemerkten  Begleitungsumstand  aucli 
für  den  wesentlichen,  ursächlichen  zu  halten. 

[4:30]  Die  causalen  Forscher  würden  einen  Umweg  einschlagen 
und  sich  selber  ein  i\.rmuthszeugniss  ausstellen,  wenn  sie  ihr  Werk 
damit  anfangen  wollten,  diese  mannigfachen  nicht  bewiesenen  Aus- 
sprüche  descriptiver  Forscher   auf  ihre   Richtigkeit  zu  prüfen.     Von 


[  1)  Obgleich  diese  so  wichtige,  für  die  Methode  der  causalen  biologischen  Forschung 
bestimmende  Sachlage  wiederholt  hervorgehoben  worden  ist  (s.  Nr.  14,  S.  7  und  8, 
Nr.  30,  S.  2),  so  scheint  sie  doch  bei  manchen  descriptiven  Forschei-n  nur  sehr  langsam 
Verständniss  zu  finden,  denn  sie  fahren  fort,  ihre  Mos  descriptiven  Beobachtungen 
causal  zu  verwerthen  und  die  experimentell  gewonnenen  Ergebnisse  unbeachtet  zu 
lassen,  so  z.  B.  0.  Hektwig,  Kollmann  u.  A.  Die  eingehende  Begründung  dieser  Sach- 
lage siehe  in:   „Einleitung"'  zum  Arch.  für  Entwickelungsmechanik  Bd.  I.   1894,  S.  11. J 


76  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


diesen  ganzen  Urtlieilen  ist  kaum  mein'  zu  verwerthen  als  die  Ein- 
sicht ,  dass  ungleiches  Wachsthum  eine  der  nächsten  Ursaclien  der 
Gestaltbildung  ist;  aber  schon  über  den  Sitz  solchen  formbestimmen- 
den Wachsthums  bei  den  einzelnen  Gestaltungen  sind  die  bisherigen 
Angaben  vollkommen  unzuverlässig;  geschweige  denn,  dass  sie  über 
die  Ursachen  des  Wachsthums  selber  i\.ufklärung  gäben. 

Wir  haben  uns  das  normale  Entwickelungsgeschehen  der  Orga- 
nismen als  durch  so  überaus  complicirte,  und  in  Folge  dessen 
von  den  anorganischen  Vorgängen  so  abweichende  Wirkungen  bedingt 
vorzustellen,  dass  wir  jetzt,  beim  Beginne  exacter  causaler  Forschungen, 
in  keinem  Falle  sagen  können,  was  für  die  Natur  der  einfachere 
Weg  wäre,  da  wir  die  vorhandenen,  ursächlichen  Momente  noch 
nicht  ahnen,  geschweige  deim  keimen;  und  doch  beruhen  die  causalen 
Ableitungen  descriptiver  Forscher  wesentlich  darauf,  dass  sie  glauben, 
ihre  Ableitung  stelle  den  einfachsten  Herstellungsmodus  der  be- 
trachteten Bildung  aus  der  vorhergehenden  dar.  Schon  die  That- 
sachen,  auf  denen  das  sogenannte  biogenetische  Grundgesetz  beruht, 
widersprechc^n  vielfach  direct  der  Erzeugung  der  Individuen  auf  dem 
formal  einfachsten  Wege. 

Die  einzige  sichere  causale  Forschungsmethode  auf 
organiscliem  Gebiete  ist  die  des  Experimentes;  und  zwar 
des  analytischen  Experimentes.  Diese  Thatsache  ist  bisher  nicht 
genügend  gewürdigt  worden. 

Es  scheint  angemessen,  den  weiteren  p]rörterungen  als  Basis  eine 
Definition  des  Wesens  der  Organismen  vorauszusenden. 

Die  Organismen  sind  Naturkörper,  welche  durch  eine  bestimmte 
Summe  von  theils  besonderen,  theils  auch  im  anorganischen  Reiche 
vorkommenden  Vorgängen,  sogenannten  Leistungen  Charak- 
ter i  s  i  r  t  sind.  Diese  allgemeinen,  wesentlichen  Leistungen  der  Orga- 
nismen sind: 

1 .  Die  S  e  1  b  s  t  a  s  s  i  m  i  1  a  t i  o  n  ^)  incl.  Massenwachsthum  (s.  Nr.  15, 


1)  Das  Wort  Assimilation  wird  ausser  in  seiner  wörtlichen  Bedeutung  der  .'\n- 
ähnlichung  gewöhnlich  auch  zur  Bezeichnung  einer  Anähnlichung  bis  zur  vollkom- 
menen Gleichheit  gebraucht.  Ks  sei  daher  zur  Unterscheidung  letztere  Art  der 
Assimilation    als  vollkommene  Assimilation,    erstere    als    unvollkommene 


Wesen  des  Organischen.  77 


8.  434),  die  Production  specifiscli  striicturii-ter,  den  betreffenden 
Organismen  selber  gleichender  Substanz, 
[431]  2.  die  (NB.  scheinbare)  Selbstbewegung  im  Sinne  von 
Massenbewegung  aus  eigener  innerer  Kraft,  auf  oder  ohne 
wahrnehmbare  äussere  Anregung  aber  unter  Auslösung 
des  Verbrauches    von    aufgespeichertem    Spannkraftmateriale, 

3.  die    S  e  1  b  s  t  a  u  s  s  c  h  e  i  d  u  n  g    des    unbraucl ibar   G e word enen, 

4.  die    Selbsttheilung,    eine    bestimmte,     feste   Coordination 
von  Selbstbewegungen. 

Alle  diese  Functionen  dienen  der  eigenen  Erhaltung  dieses 
Naturkörpers;  seine  Erhaltung  ist  dadurch  wesenthch  Selbst- 
erhaltung und  zwar  im  Ganzen  wie  im  Einzelnen;  er  be- 
sorgt sich  soweit  als  irgend  möglich  alles  zu  seiner  Erhaltung 
Wesentliche  selber.  Diese  Selbsterhaltung  wird  sehr  erheblich 
gesteigert  durch 

Assimilation  bezeichnet.  Die  bei  diesen  Ausdrücken  gemeinte  Aehnlichkeit  oder 
Gleichheit  besteht  zwischen  dem  diese  Thätigkeit  ausübenden  Assimilans  und  seinem 
Product,  dem  Assimilatum. 

Diese  eigentliche  Assimilation  kann  zur  Unterscheidung  von  einer  anderen, 
gelegentlichen,  wenn  auch  nicht  recht  passenden  Verwendung  des  Wortes  Assimilation 
als  Selbstassimilation,  Assimilatio  sui,  bezeichnet  werden. 

Die  Vermehrung  einer  organischen  Substanz  kann  nun  erstens  durch  die 
eigene  vermehrende  Thätigkeit  derselben,  also  durch  vollkommene  Selbstassimilation 
geschehen  und  ist  dann  als  actives  Wachsthum  oder  als  Selbstwachsthum 
derselben  zu  benennen.  Andererseits  kann  aber  eine  organische  Substanz  auch  durch 
fortgesetzte  Bildung  und  Abscheidung  von  selten  einer  anderen,  davon  verschiedenen, 
allein  dabei  thätigen  Substanz  (Matrix)  hervorgebracht  werden,  wie  z.  B.  die  Epidermis 
vom  Rete  Malpighi  oder  die  Cuticulae. 

Es  Avird  daher  stets  für  uns  nöthig  sein  zu  ermitteln,  welches  von  beiden  (z.  B. 
bei  dem  Wachsthum  jeder  Art  von  Zellgranulis)  der  Fall  ist.  Die  letztere  Art  der 
Vermehrung  kann  in  Bezug  auf  den  dabei  thätigen  Theil  unvollkommene  Selbstassi- 
milation desselben  darstellen;  sie  kann  und  wird  aber  auch  häufig,  wie  z.  B.  bei  der 
Bildung  von  Fett  aus  Ei  weiss,  ein  Product  liefern,  das  dem  thätigen  Theil  noch  un- 
ähnlicher ist  als  das  zur  Bildung  dieses  Productes  verwendete  Material.  Da  hierbei, 
vom  Standpunkte  des  Productes  aus  betrachtet,  Substanz  in  dem  schon  vor- 
handenen Producte  gleiche  Substanz  durch  Thätigkeit  einer  dritten  Substanz  ver- 
wandelt wird,  wie  bei  der  unvollkommenen  Assimilation ,  indem  das  Assimilans  ihm 
selber  Ungleiches  aber  einem  anderen  Fremden  Gleiches  bildet,  so  können  diese 
beiden  Arten  von  bildender  und  abscheidender  Thätigkeit  im  Gegensatz  zur  voll- 
kommenen Selbstassimilation  auch  als  Fr  emd  assi  m  ila  tion  und  solche  Art  der 
Vermehrung  einer  vorher  vorhandenen  Substanz  als  passives  AVachsthiim  der- 
selben bezeichnet  werden. 


78  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


5.  die  S  e  1  b  s  t r  e  g  u  1  a  t  i  o  n  in  all  diesen  Leistungen,  [welche  in 
Folge  des  Vermögens  der  gestaltenden  f unctionellen 
Anpassung  (s.  Nr.  4)  auch  bis  /au-  Ausbildung  geeigneter 
Gestaltungen,  also  bis  zur  Selbstgestaltung  des  Selbst- 
nützlichen geht. 

[Diese  Selbstregulation  betrifft  die  Gros  se  und  in  manchen  Fällen 
auch  ein  wenig  die  Qualität  der  einzelnen  Functionen  (s.  Nr.  4,  Capitel  V) 
und  schliesst  an  sich  nichts  Teleologisches  ein,  obschon  letzteres 
jüngst  behauptet  worden  ist  (s.  H.  Driesch,  Analytische  Theorie  der 
organischen  Entwickelung,  Leipzig  LS94).  Soweit  die  Selbstregulation  sich 
weiterhin  in  complicirteren  Gestaltung sfunctionen,  bei  der  Re-  und 
Postgeneration  äussert,  ist  zwar  ihre  Wirkungsweise  zur  Zeit  noch  nicht 
im  Speciellen  vorstellbar;  aber  gleichwohl  ist  kein  Grund,  diese  Leist- 
ungen im  Gegensatz  zu  dem  mechanischen  als  teleologische  zu  be- 
zeichnen, da  ihre  Leistungen  typisch  beschränkte  sind,  indem 
sie  bei  jedem  Organismus  blos  diesem  Organismus  entsprechende 
typische  Producte  heferu  (s.  Nr.  20,  S.  302;  Nr.  28,  S.  658)]. 

Selbstassimilation,  Selbstljewegung ,  Selbstausscheidung,  Selbst- 
theilung,  Selbstregulation,  die  vereinigt  die  Selbsterhaltung  Ijewirken, 
stellen  vereint  das  Wesen  der  Organismen  dar  (s.  Nr.  4,  Cap.  V). 

Wenn  wir  von  der  untersten  Stufe  des  Lebens  absehen,  welche 
äusserlich  gestaltlos  erscheint,  so  haben  alle  anderen  Organismen  noch 
das  Vermögen  besonderer,  typischer  Selbstgestaltungen: 
qualitativer  und  formaler  Selbstdifferenzirungen;  und  weiterhin  konnnen 
noch  mancherlei  besondere,  gleichfalls  der  Selbsterhaltung  dienende 
Leistungen  hinzu,  darunter  auch  die  seelischen  Functionen. 

[432]  Die  Organismen  sind  in  Folge  dessen  fast  vollkommen 
in  sich  selber  geschlossene  Complexe  äusserst  vielfacher 
innerer  Wechselwirkungen,  für  welche  von  aussen  her  nur  die 
Vorbedingungen  geliefert  werden  müssen;  während  die  besondere 
Qualität  aller  normalen  und  selbst  der  pathologischen  Wirkungen  im 
Organismus  selber  bestimmt  wird. 

Solche  überaus  grosse  Complication  von  Wirkungen  ist  sogar 
schon  bei  dar  elementarsten,  scheinbar  einfachen  Leistung  der  Lebe- 
wesen,   bei    der  Selbstassimilatioii    anzunehmen    und  zwar  bereits 


Arten  der  Assimilation.  79 


in  einem  Grade,  dass  wir  uns  diese  Function  im  l'inzelnen  gar  nicht  vor- 
zustellen vermögen.  Dabei  nehme  ich  noch,  wie  es  sachlich  wahrschein- 
lich ist,  als  erleichternd  an,  dass  es  Selbstassimilation  im  ,, ana- 
lytischen" Sinne,  also  in  dem  Sinne,  dass  jeder  „einzelne 
Theil"  eines  „kleinsten",  vollkommener  Selbstassimila- 
tion fähigen  Stückchens  lebender  Substanz  ihm  selber 
gleiche  Einze  Uli  eile  bilde,  nicht  giebt,  sondern  dass  jeder 
assimilirende  Einzeltheil  an  der  Bildung  ihm  selber  nicht 
gleichender  Substanz  betheiligt  ist,  und  dass  erst  ein  ge- 
wisser Complex  von  Einzeltheilen,  welche  auf  diese  Weise 
neu  gebildet  worden  sind,  dem  Complexe  aller  an  dieser 
Bildung  betheiligten  Einzeltheile  wieder  gleicht. 

Trotz  unseres  Mangels  an  Einsicht  in  die  Vorgänge  der  Assimi- 
lation scheint  es  nützlich,  schon  jetzt  diese  Vorgänge  in  mehrere 
Gruppen'  wesentlich  verschiedenartiger  Leistungen  zu  sondern. 

Als  erste  Art  der  Assimilation,  als  präparative  Assimilation 
sei  erwähnt  die  Umarbeitung  einfacheren  Materiales  zu  complicirterem, 
dem  lebensthätigen  Materiale  mehr  ähnlichem,  aber  noch  nicht  selber 
lebensthätigem  Materiale:  die  Vorbereitung  niederen  Materiales  zur 
späteren  Verwendung  bei  der  Bildung  lebensthätiger  Elementartheile, 
wie  auch  die  Bildung  dauernd  niederer  organischer  Substanz ,  z.  B. 
nicht  selber  assimilationsfähiger  Intercellularsubstanz,  soweit  diese  auf 
progressivem,  aufsteigendem  Wege  (nicht  auf  regressivem  Wege  durch 
Umwandlung  [Dissimilation]  höherer  lebensfähiger  organischer  Sub- 
stanz) producirt  wird. 

Die  zweite  Art  oder  Stufe  der  Assimilation ,  die  generative 
Assimilation  producirt  dann  aus  dem  so  vorbereiteten  Materiale 
neue  letzte  lebensthätige  Elementargebilde  entsprechend  der 
weiter  unten  gegebenen  und  begründeten  Uebersicht  über  dieselben 
(Isoplasson  ,  Autokineon ,  x4.utomerizon ,  Idioplasson) ;  sie  besteht  also 
in  der  Bildung  neuer  elementarer  Maschinentheile. 

Die  dritte  Art  der  Assimilation,  die  reparative  Assimilation, 
leistet  die  Wiederherstellung  nicht  zu  sehr  abgenutzter  letzter  lebens- 
thätiger Elementar-  [433]  gebilde;  sie  besteht  also  in  der  Reparatur 
geschädigter  elementarer  Maschinentheile,  sei  es  durch  blosse  Zurecht- 


Nr.   15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickeluugsmechanik. 


Ordnung  verschobener  oder  durch  neue  Verbindung  getrennter  Be- 
standtheile  derselben,  sei  es  ohne  oder  mit  Verwendung  neuen  aber 
nur  niederen,  höchstens  durch  Modus  1  producirten  Materiales.  Das 
Vorkommen  solcher  Reparatur  Avird  voraussichtlich  ein  sehr  ausge- 
dehntes sein ,  weil  ohne  dasselbe  alle  bei  längerer  Thätigkeit  eines 
Organes  auch  nur  wenig  abgenutzten  morphologischen  Bestandtheile 
desselben  gänzlich  eliminirt  und  durch  ganz  neue  ersetzt  werden 
müssten,  was  eine  grosse  Verschwendung  darstellen  würde  und  grosse 
Functionsstörungen  zur  Folge  haben  müsste. 

Wie  ähnlich  die  zweite  und  dritte  Assimilationsweise  einander 
in  ihren  Vorgängen  und  gestaltenden  Ursachen  sind ,  und  wieviel  es 
Uebergangsstufen  zwischen  beiden  giebt,  ist  zur  Zeit  nicht  zu  sagen ; 
gleichwohl  scheint  mir  die  Auseinanderhaltung  dieser  Gruppe  nütz- 
lich, weil  jede  qualitative  und  damit  causale  Analyse  förder- 
lich und  nöthig  ist  (s.  auch  Nr.  33  Schluss). 

Die  Wiederherstellung  höherer  Einheiten  von  Elementar- 
gebilden: der  Zellen,  ferner  der  Organe,  sowie  grösserer,  aus 
mehreren  Organen  oder  Organstücken  zusammengesetzter  Theile  des 
Organismus  wird  als  Regeneration  bezeichnet.  Wie  weit,  resp. 
wodurch  sich  diese  in  ihrem  Wesen  von  der  Reparatur  der  Elementar- 
organe unterscheidet,  ist  natürlich  gleichfalls  unbekannt. 

Zu  den  echten  oder  morphologischen  Assimilations- 
arten, welche  der  Neubildung  und  Reparatur  specifisch  structu- 
rirter,  also  m  o  r  p  li  o  1  o  g  i  s  c  h  e  r  Bestandtheile  dienen ,  wäre  noch 
eine  vierte  Art  hinzuzufügen,  wenn  man  nicht  angemessener  Weise 
vorzieht,  ihre  ^"orgänge  unter  einen  anderen  allgemeinen  Namen, 
unter  die  Alloplasie:  die  normale  (resp.  pathologische)  Bildung  von 
den  lebeusthätigen  Theilen  und  ihren  Vorstufen  v  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  e  r 
Stoffe,  zu  subsumiren.  Dies  betrifft  hier  die  Bildung  der  blos  als 
Betriebsmaterial  dienenden  V  e  r  b  r  a  u  c  h  s  s  t  o  f  f  e  ,  die  Bildung  der 
Secrete,  des  geeigneten  Spannkraftmateriales  für  die  rasche  Production 
kinetischer  Energie  in  Form  von  Massenbewegung  oder  Wärme,  also 
die  Bildung  von  Materialien,  die  oft  den  organischen  Gebilden  nicht 
viel  ähnhcher  oder  gar  weniger  ähnlich  sein  werden,  als  das  Material, 
aus  dem  sie  bereitet  werden,    und    hcA  welchen  das  eventuelle  Aehn- 


MassenwaLlistluiiii  und  rein  dimensiuiiules  Wachsthum.  81 

licherwerden  mit  den  lebensthätigen  Gebilden  gleichsam  nur  eine  un- 
wesentliche Eigenschaft  ist. 

Die  wunderbaren  Vorgänge  der  organischen  Selbst-Assimilation 
sind  also  als  äusserst  complicirte  vorzustellen;  da  sie  trotzdem  so 
überaus  constante  Resultate  geben,  müssen  sie  unter  Selbstregulation 
in  festgeschlossenen  Molecularverbänden  sich  vollziehen.  Wir  müssen 
daher  mit  ihnen  meist  als  einheitlichen  Ganzen  rechnen  und  werden 
uns  vorläufig  damit  zu  begnügen  haben,  dass  wir  suchen ,•  äussere 
Gomponenten  zu  ermitteln,  die  die  Thä-  [434]  tigkeit  dieser  Com- 
plexe  auslösen  und  quantitativ,  wohl  kaum  auch  qualitativ  zu  alte- 
riren  A'ermögen. 

Aehnliches  gilt  für  die  Vorgänge  der  Selbstbevvegung,  Selbst- 
theilung  und  der  anderen,  höheren  Selbstgestaltungen'). 


1)  Es  wird  vielleicht  auffallen,  dass  die  für  die  Ausbreitung  und  dadurch  für 
die  Erhaltung  des  Organismenreiches  so  unerlässlich  nöthige,  sowie  bei  der  Ent- 
wickehing  der  Individuen  so  wichtige  Function  des  Wach  st  h  ums  nicht  als  eine 
wesentliche  Grundfunction  der  Organismen  mit  aufgeführt  worden  ist.  Dies  ist 
darin  begründet,  dass  das  morphologisch  so  einheitlich  durch  ein  Grösserwerden 
charakterisirte  Wachsthum  bei  der  analytischen  Untersuchung  sich  schon  jetzt  auf 
andere  Elementarfunctionen  zurückführen  lässt.  Ich  zerlege  das  Wachsthum  iu  das 
Älasseuwachstlium  und  in  das  blos  dimensionale  Wachsthum.  Ersteres  besteht 
in  der  Verraeh  rung  der  speci  fisch  structurirten  organischen  Substanz 
und  beruht  somit  auf  der  Assimilation.  Producirt  diese  mehr  als  zum  Ersatz  des  Ver- 
brauchten nöthig  ist,  so  resultirt  Vermehrung  der  organischen  Substanz ;  und  es  ist 
zu  diesem  Ergebniss  wohl  nur  eine  besondere ,  die  Assimilation  steigernde  Ursache 
nöthig  (und  auch  diese  nur,  soweit  die  Aufspeicherung  organischer  Substanz  bei  gleich- 
massig  fortgesetzter  Assimilation  nicht  einfach  auf  einer  Verminderung  des  Ver- 
brauches beruht).  Je  nach  der  vermehrten  organischen  Substanz  sind  verschiedene 
Unterarten  des  Massenwachsthums  zu  unterscheiden,  z.  ß.  das  Pi'otoplasma-,  Kern-, 
Intercellularsubstanzwachsthum  etc.  neben  dem  Wachsthum  der  ganzen  Gewebe  und 
Organe. 

Ausser  dieser  „Vermehrung  der  organischen  Substanz"  kommen  noch  Ver- 
grösser u  n  g  e  n  organischer  Gebilde  ohne  jede  Vermehrung  der  Masse 
specifisch  organischer  Substanz  vor;  diese  Vergrösserungen  sind  also  blos  dimensio- 
nale, weshalb  der  Vorgang  ihrer  Entstehung  als  rein  dimeusionales  Wachsthum 
bezeichnet  werden  kann.  Es  vergrössern  sich  dabei  gewöhnlich  eine  oder  zwei  Di- 
mensionen auf  Kosten  der  andern,  wie  es  z.  B.  His  für  frühe  Stadien  des  Lachskeimes 
nachgewiesen  hat.  Findet  andererseits,  wie  oft  bei  Pflanzen,  für  die  äussere  Messung 
eine  Vergrösserung  aller  drei  Dimensionen  zugleich,  ohne  jede  oder  ohne  entsprechende 
Vermehrung  der  organischen  Substanz  statt,  dann  ist  die  Vergrösserung  einer  oder 
mehrerer  Dimensionen  im  Innern  keine  continuir liehe,  sondern  es  Jnlden  sich 
daselbst  Räume,  welche  nicht  von  organischer  Substanz  eingenommen  sind. 

Das  rein  dimensionale  Wachsthum  beruht  also  nicht  auf  der  Assimilation, 
W.  Roux,  Gesammelte  Alihandlungen.    IL  6 


82  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


Wir  müssen  also  sehr  oft  mit  diesen  und  anderen  unübersehbar 
compHcirten,  aber  in  sich  f  e  s  t  ge  s  eh  1  o  s  s  enen  Gruppen  von 
Vorgängen  als  Einheiten  rechnen;  ich  will  daher  diese  oft  in  glei- 
cher Weise  vorkommenden  Gruppen  von  Vorgängen  als  com pl exe 
Vorgänge  resp.  complexe  Componenteii  der  organischen  Gestaltungs- 
vorgänge bezeichnen  ^). 

[435],  Bei  den  meisten  organischen  Gestaltungvorgängen  wird  in 
Folge  dieser  Sachlage  eine  Analyse  bis  auf  lauter  physikalisch-chemische, 
also  ganz  oder  relativ  einfache  Componenten  nicht  möglich  sein. 
Aber  wohl  können  bei  organischen  Vorgängen  mit  den  complexen 
Componenten  einfache  Com]')onenten  zu  gemeinsamen  Wirkungen 
sich  verbinden. 

Da  somit  eine  Analyse  der  organischen  Gestaltungsvorgänge  in 
einfache  physikalisch-chemische  Ursachen  vorläufig  nicht  möglich  ist, 
so  sind  wir  auch  nicht  in  der  Lage,  die  Gestaltungsvorgänge  nach 
solchen  Ursachen  einzutheilen. 

Wir  müssen  daher  alle  solche  complexen  Componenten  und 
danach  wenigstens  zu  ermitteln  suchen,  welche  Arten  von  Wechsel- 
wirkungen zwischen  ihnen  vorkommen,  und  auf  was  für  allge- 
meineren Wirkungsweisen  wieder  jede  dieser  M'^irkungsarten  be- 
ruht. Wir  werden  aber  bei  jedem  beobachteten  Gestaltungsvorgang 
stets  zu  erforschen  streben,  ob  nicht  auch  eine  oder  mehrere  ein- 
fache Componenten  dabei  betheiligt  sind,  und  werden  eventuell 
versuchen,  die  Qualität  und  Quantität  ihrer  Wirkung  zu  er- 
mitteln.    Auch   können  Correlationen  complexer  Componenten  durch 

sondern  blos  auf  Massenumlagerungen.  die  ihrerseits  von  besonderen,  zur  Zeit  un- 
beltannten  gestaltenden  Ursachen  abhängen.  Beide  Arten  des  Wachsthums 
kommen  in  mannigfacher  Art  miteinander  verknüpft  vor;  und  wir  haben  alsdann  stets 
die  Ursachen  des  Massenwachsthums  von  den  Ursachen  der  Oertlichkeit  resp.  Rich- 
tung der  An-  und  Einlagerungen  zu  scheiden.  Vielleicht  aber  kann  auch  gelegentlich 
durch  die  Ursachen  der  dimensionalen  An-  oder  Einlagerungen  zugleich  auch  die  Oert- 
lichkeit der  verstärkten  Assimilation  mehr  oder  weniger  bestimmt  werden;  oder 
die  auslösenden  Ursachen  beider  Vorgänge  können  sogar  identisch  .sein,  wie  z.  B. 
wohl  bei  der  durch  dehnende  Einwirkungen  veranlassten  Verstärkung  des  Wachsthums 
von  Pflanzentheilen  in  der  Dehnungsrichtung,  soweit  dieses  Wachstbum  mit  Ver- 
stärkung des  Massenwachsthums  verbunden  ist. 

|i)  Eine  Anzahl  derselben  ist  aufgeführt  in  der  ,, Einleitung"  zu  dem  Archiv 
für  Entwickelungsmechanik,  Bd.  I,  1894,  S.  5  u.  f.] 


Letzte  Elementaroigaiiisiiien  und  Elementarorgane.  83 

schon  vorhandene  oder  erst  von  ihnen  producirte  einfachere  Conipo- 
neuten  vermittelt  werden. 

Diese  Analysen  Avären  womöglich  solange  fortzusetzen,  bis  wir 
endlich  auf  lauter  anorganische  Componenten  gekommen  wären. 

Auf  die  Ermittelung  einer  oder  mehrerer  Wirkungsweisen  kann 
dann  die  Ermittelung  der  Wirkungsgrössen  folgen;  auf  die  qualitative 
Sonderung  der  Wirkungen  die  mathematische  Behandlung  derselben; 
nicht  umgekehrt,  wie  einer  der  jüngeren  Autoren,  H.  Driesch  (4),  für 
richtig  zu  halten  scheint. 

Bei  diesem  Bestreben,  die  organischen  Entwickelungsvorgänge  auf 
immer  einfachere  complexe  und  auf  wirklich  einfache,  physikalisch- 
chemische Componenten  zurückzuführen,  haben  wir  zunächst  an  die 
vorliegende  biologische  Analyse  der  Organismen  anzuknüpfen: 
an  die  Zerlegung  der  complicirten  Organismen  in  Organe,  der  Organe 
in  Gewebe,  der  Gewebe  in  Zellen  und  Intercellularsubstanzen ,  der 
Zellen  in  Zellleib  mit  Zellkern,  Centrosoma,  Zellmembran  etc. 

Dieser  Analyse  hat  die  weitere  Zerlegung  der  genannten 
Zellbestandtheile  in  einfachste  resp.  kleinste  lebenstliätige  Be- 
standtheile  zu  folgen,  soweit  Lebensthätigkeit  von  kleineren 
T heilen   vorhanden  ist. 

Wenn  w^ir  uns  auf  die  obengenannten  allgemeinsten  Functionen 
der  Organismen  beschränken,  so  kann  es  zunächst  kleinste  Zelltheile 
geben,  welchen  die  Fähigkeiten  der  Selbstassimilation  (incl.  Massen- 
wachsthum),  Selbstausscheidung,  Selbstbewegung  und  Selbsttheilung, 
also  alle  elemen  [436]  tarsten  Lebensleistungen  zukommen,  sodass  sie 
den  Namen  letzte  Elenientarorganismen  verdienen.  Solche  werden  von 
Wiesner  (17)  angenommen,  als  unsichtbar  klein  gedacht  und  als 
Piasomen  (abgekürzt  aus  Plasmatosomata)  bezeichnet.  Weismann  nennt 
sie  Biophoren  (13),  de  Vries  Pangene.  Da  die  Chlorophyllkörper 
nach  dem  Urtheile  der  Pflanzenphysiologen  diese  drei  Eigenschaften 
haben,  werden  sie  sichtbare  solche  Gebilde  oder  Gruppen  unsichtbar 
kleiner  derselben  darstellen. 

Ich    will  zum  Z weck  einer   systematischen   E  i  n  t  h  e  i  1  u  n  g 

(Tcbilde  mit  diesen  Eigenschaften  nach  ihrer  höchsten  Leistung,    doi- 

Selbsttheilung  (im   Gegensatz  zur  Theilnng  durcli  äussere  Einwirk- 

6* 


84  Nr.  15.    Ziele  und   Wege  der  Entwickeliiiigsmechanik. 


nng,  z.  F>.  durch  Emiilsion8l)ewe,2;uno-en,  s.  Nr.  20  8.  29)  als  Automeri- 
zoiiteii  bezeichnen.  Zu  ihnen  gehören  vielleicht  auch  die  Aüerbac:h- 
PFrr/NER 'sehen  Körner  der  Chromosomen,  ferner  die  Centrosomen,  sowie 
die  Aleuroplasten,  Elaioplasten  und  eventuelle  sonstige  Piastiden  im 
Sinne  Wiesnek's,  sofern  ihre  Tlieilung  wesentlich  aus  in  ihnen  selber 
liegenden  Kräften  erfolgt  und  soweit  erstere  niclit  eine  noch  höhere 
Stufe  darstellen. 

Die  Automerizonten  brauchen  aber  nicht  nothwendig  die  letzten, 
das  heisst  kleinsten  und  einfachsten  leben sthätigen  Theile  zu  sein; 
sondern  nach  unserer  obigen  l"^ebersicht  über  die  wesentlichsten 
Lebensleistungen  kann  es  noch  zwei  niedere  Arten  lebensthätiger 
Cebilde  geben,  denen  aber  blos  der  Rang  letzter  Eleineiitarorgaiie 
zukommt,  weil  sie  nicht  mehr  alle  elementarsten  Functionen  in  sich 
vereinen : 

Neben  oder  in  den  Automerizonten  können  Gebilde  vorkommen, 
die  blos  die  Fähigkeiten  der  Selbstbewegung,  Selbstassimilation  incl. 
Massenwachsthum  und  Selbstausscheidung  haben ;  diese  seien  nach  der 
höchsten  Leistung,  der  Selbstbewegung,  als  Autokiiieonteu  bezeichnet. 

Neben  oder  wiederum  in  diesen  kann  es  Gebilde  geben,  die  blos 
der  Selbstassimilation  (incl.  Massenwachsthum)  und  Selb.stausscheidung 
fähig  sind  ,  die  als  Autoisoplassonten  oder  kürzer  als  Isoplassoiiten 
bezeichnet  werden  sollen. 

Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  es  letzte  Elementargebilde  des 
Lebens  (Isoplasson,  Autokineon  oder  Automerizon)  geben  sollte,  welche 
ihrer  wesentlichen  Beschaffenheit  nach  nur  in  der  Art  (alsdann  wohl 
nur  nach  dem  Modus  3)  zu  assimiliren  vermöchten,  dass  sie  ihren 
Massenbestand  nur  erhalten  aber  nicht  vermehren  könnten.  Sollte 
es  solche  organische  Elementargebilde  geben,  so  müssten  ihnen  die 
anderen  mit  der  Fähigkeit  der  Vermehrung  ihrer  organischen  Masse 
ausgestatteten  als  Auxonten  besonders  gegenüber  gestellt  werden. 
Erstere  müssten  dann  von  anderen  höheren  Bionten  auf  dem  Wege 
unvollkommener  Assimilation  producirt  werden,  sofern  sie  in  unserem 
Organismus  als  Bestandtheile  vorkommen. 

[437]  lieber  den  Automerizonten  stehen  wahrscheinlich  noch 
Zellbestandtlieile,  die  ausser  den  Leistuno-en  dieser  noch  besondere 


Möglichkeit  der  successivcn  Entstehung  des  ersten  Lebens.  85 

gestalteiule  \Mrkuiigeii  in  .sicli  selber  und  auf  die  anderen  ge- 
nannten Bionten  auszuüben  vermögen ;  die  Idioplassoiiten ').  Ver- 
nuithlich  konnnt  unter  anderen  noch  unbekannten  Zelltheilen  den 
Chromatinkörneben  dieser  Rang  zu. 

Die  Eigenscbaften  des  Isoplasson,  Autokineon,  Autome- 
rizon,  Idioplasson  stellen  zugleicb  die  Reihenfolge  dar,  in 
welcher  die  organischen  Leistungen  ursprünglich  ent- 
standen und  aufgespeichert  sein  können  (womit  die  Möglich- 
keit einer  ursprünglichen  siiccesiveii  Entstellung  des  Lebens  aus 
den  anorganischen  Vorgängen  angedeutet  erscheint,  s.  Nr.  6, 
Cap.  V).  Isoplasson  kommt  als  Flamme ,  wie  auch  mannigfach  als 
Ijei  gewöhnlicher  Temperatur  verlaufender  chemisch  -  physikalischer 
Assimilationsprocess  im  Anorganischen  in  einfachster  Weise  vor. 

Der  bis  torische  Clang  cier  Analyse  der  Entwickelungs- 
vorgänge  war  zunächst  ein  anderer;  zum  Theil  weil  die  Zerlegung 
der  Organismen  in  Zellen  erst  eine  spätere  Errungenschaft  ist. 

Es  wurden  die  comphcirten  Form  Verhältnisse  von  Umbildungen 
der  Form  der  Keimblätter  abgeleitet;  und  die  formalen  Vorgänge 

1)  [Obgleich  die  Existenz  besonderer  Gebilde,  welche  blos  die  Eigenschaften 
des-  Isoplasson  und  Autokineon  haben,  zur  Zeit  nicht  nachgewiesen  ist,  so  scheint 
mir  doch  ihre  theoretische  Unterscheidung  nöthig  und  nützlich,  eben  weil  es  eine 
analytische  Unterscheidung  ist,  denn  sie  schärft  unsere  Distinctioneu,  bewahrt 
uns  daher  vor  Einseitigkeiten  und  deutet  ausserdem,  wie  erwähnt,  die  Möglichkeit 
der  successiven  Entstehung  des  Lebens  an.]  Es  steht  kein  Bedenken  ent- 
gegen, dass  alle  diese  denkbaren  Arten  von  Zellbestandtheilen  in  Form  von  mehr 
oder  weniger  rundlichen ,  deutlich  abgegrenzten  Gebilden  schon  im  Leben 
oder  erst  nach  dem  Tode  sich  darbieten.  Zu  ihnen  kommen  ferner  nicht  selbst- 
thätige  Zellbestandtheile,  die  ditferente  Producte  der  Thätigkeit  dieser  ele- 
mentaren Bionten  darstellen  und  die  man  als  Alloplasten  zusammenfassen  kann, 
z.  ß.  Fetttröpfchen  und  die  Proteosomen  Loew's;  auch  sie  können  granulös  sein  und 
sind  es,  soAveit  sie  bereits  bekannt  sind. 

Alle  diese  differenten  Gebilde  können  somit  unter  den  Begriff  der  Zellgranula 
RicH.  Altmann's  fallen.  Es  erhellt  daraus,  dass  die  „Granula"  nicht  ohne  Weiteres 
als  „letzte  Elementarorganismen"  bezeichnet  werden  dürfen;  sondern  es  wird  müh- 
samster, ausserordentlich  vieljähriger  Arbeit  bedürfen,  um  nach  und  nach  einige 
Sorten  derselben  ihrer  wahren  Natur  nach  zu  erkennen  und  in  obiges  Schema  einzu- 
fügen. Ai.TMA.w  hat  offenbar  die  schon  bei  unserer  jetzigen  geringen  biologischen 
Einsicht  vorhandene  grosse  Zahl  von  „Möglichkeiten"  nicht  genügend  überdacht,  da 
er  sich  (18)  noch  jüngst  so  bestimmt  und  einseitig  über  die  Natur  seiner  „Granula" 
geäussert  hat,  obschon  er  von  Fkkmming  (19j  und  gleichzeitig  von  mir  (20)  auf  die 
Nothwendigkeit  genauerer  Unterscheidungen  hingewiesen  worden  war. 


gf5  Nr.  16.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


der  Entstehung  dieser  Umbildungen  wiederum  möglichst  genau  er- 
mittelt. Dabei  wurden  einige  allgemeiner  vorkommende  Formen- 
änderungen: Biegung,  Faltung,  Abschnürung,  Vereinigung  etc.  beob- 
achtet und  die  speciellen  Formenbildungen  darauf  zurückgeführt; 
das  war  indess  eine  blos  formale  Analyse.  Die  weitere  Anal3^se 
bestand  in  der  Zurückführung  dieser  Formenänderungen  auf  Wachs- 
thum  (Pander,  His  u.  a.),  Schwund  und  Massenumlagerung. 

[438]  A.  Rauber  (21,  S.  61)  wies  danach  auf  die  Nothwendigkeit  hin, 
die  Entwickelungsvorgänge  auf  die  Functionen  der  Zellen  zurück- 
zuführen und  unterschied  folgende  „Grundfunctionen  der  ontogene- 
tischen  Entwickelung" :  1.  Zellvermehrung,  als  numerisches  Wachsthum. 
2.  Zellvergrösserung ,  allgemeiner:  trophische  Formveränderung  der 
Zellen,  als  trophisches  Wachsthum.  3.  Zellenwanderung,  als  fugitives 
Wachsthum.     4.    Zellendilferenzirung ,    als  düTerentielles  Wachsthum. 

Räuber  legt  seiner  Analyse  also  mit  Recht  die  elementaren  Zell- 
functionen  zu  Grunde;  doch  sind  die  Bezeichnungen  dift'erentielles 
und  fugitives  Wachsthum  nicht  zutreffend;  erstere,  weil  Differen- 
z  i  r  u  n  g  kein  W  a  c  h  s  t  h  u  m  ist  u  n  d  auch  nicht  n  o  t  h  w  e  n  d  i  g 
m  i  t  i  h  m  v  e  r  b  u  n  den  sein  m  u  s  s ;  letztere  weil  es  sich  ebenso  gut 
und  im  Organismus  w^ohl  öfter  noch  um  eine  active  Näherung  [s.  Nr.  ^2] 
gegen  den  Ort  des  Zieles,  als  um  ein  Fliehen  vom  gegenwärtigen 
Ort  handeln  wird.  Ferner  ist  der  Zellvergrösserung  noch  die  Zell- 
verkleinerung hinzuzufügen. 

Die  Zurückführung  der  sichtbaren  Entwickelungsvor- 
gänge auf  die  gestaltenden  Leistungen  der  Zellen  ist  gewiss 
unbedingt  nöthig;  und  ihr  hat,  wie  schon  gesagt,  die  weitere  Zu- 
rückführung dieser  Leistungen  auf  die  Leistungen  der  ein- 
zelnen selbstthätigen  Zelltheile:  der  letzten  Elementarorga- 
nisnien  und  der  Elementarorgane  zu  folgen. 

Wir  werden  aber  auch  daneben  nicht  zögern  dürfen,  schon  bevor 
diese  Erkenntniss  gewonnen  ist,  nach  den  Ursachen  dieser  Leistungen 
der  Zellen,  resp.  ihrer  selbstthätigen  Bestandtheile  zu  forschen.  Es 
wird  sich  dabei  meist  zunächst  blos  um  auslösende  resp.  quanti- 
tativ und  qualitativ  regulirende  Ursachen  dieser  Thätig- 
keiten  handeln;  denn  die  Ursachen  der  Qualität  dieser  Thätigkeiten 


Nächste  Aufgabe.  87 


selber  werden  meist,  nämlich  soweit  es  sicli  um  <lie  ,,complexen  Lebens- 
vorgänge" handelt,  unserer  Untersuchnng  vorläulig  unzugänglich  sein. 

Da  jede  typische  Aenderung  ausser  in  ihrer  Qualität,  auch 
noch  ihrer  Zeit,  ihrem  Ort,  ihrer  Richtung  und  Grösse  nach  be- 
stimmt sein  muss,  so  muss  auch  für  jede  dieser  Bestimmungen 
eine  Ursache  vorhanden  sein  und  von  uns  aufgesuclit  werden. 

Ich  habe  meine  Untersuchungen  mit  dem  Aufsuchen  zunächst 
der  Zeit  der  Bestimmung,  dann  der  (3 ertlich keit  der  Ursache  eines 
bestimmten  Formverhältnisses  begonnen;  danach  war  es  möglich,  aucli 
die  nächste  Ursache  desselben  zu  ermitteln.  Es  scheint  mir  dies 
der  bei  methodischen  Forschungen  für  gewöhnlich  einzuschlagende 
Weg,  der  uns  stetig  weiter  zu  neuer  Erkenntniss  führen  wird. 

Was  hätte  es  genützt,  nach  dem  Orte  oder  der  Ursache  der  Be- 
stimmung der  Medianebene  des  Embryo,  welche  Ebene  erst  mit  der 
Anlage  [439]  des  Urmundes  erkennbar  wird,  zu  suchen,  bevor  die 
Zeit  dieser  Bestimmung  ermittelt  war.  Nachdem  jedoch  erkannt  war, 
dass  diese  Bestimmung  nicht  erst  mit  Anlage  des  Urmundes,  sondern 
bereits  mit  der  ersten  Furchung,  ja  vor  derselben,  aber  noch  nicht 
im  unbefruchteten  Eie  bestimmt  ist,  konnte  die  normale  Ursache  dieser 
Richtung  in  der  Copulationsrichtung  des  Ei-  und  Spermakernes  er- 
mittelt werden.  Danach  gelang  es  dann  auch,  die  nächsten  Ursachen 
der  bei  mancherlei  abnormen  Verhältnissen  am  E  i  1  e  i  b  e  (nicht  am 
Furchungskern  selber)  vorkommenden  Abweichungen  von  dieser 
Richtung  zu  erkennen  [s.  Nr.  21]. 

Um  aus  den  vielen  gleichzeitig  auftretenden  Veränderungen  eines 
Embryo  die  wesentlichen  ursächlichen  Beziehungen  eines  der  Unter- 
suchung unterzogenen  Bildungsvorganges  zu  ermitteln,  haben  Avir  ein 
nicht  unerhebliches,  wenn  auch  nur  negatives  Hilfsmittel  in  der  ver- 
gleichenden Betrachtung  der  Nebenumstände  desselben  Bildungs- 
vorganges bei  verschiedenen  Thiergattungen  oder  -Klassen.  Denn 
nur  die  allen  Wiederholungen  desselben  Vorganges  g  e  m  e  i  n  s  a  m  e  n 
Umstände  werden  wesentliche  sein;  dabei  ist  aber  nicht  zu  übersehen, 
dass  sie  darum  noch  niclit  noth wendig  auch  wesentlich  sein  müssen. 

Immerhin  ist  der  Nutzen  solcher  vergleichender  Beobachtung 
zumal  jetzt  bei  den  Anfängen  causalen  Strebens  ein  sehr  erheblicher. 


88  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


Unsere  Vorstellungen  und  Vermnthungen  Averden  durch  diese  Ver- 
gleichung  oft  von  einer  falsclien  Bahn  abgehalten  und  auf  den  richtigen 
Weg  geführt  werden. 

Der  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Entwickelungsmechanik  muss 
«ich  daher  bei  seinen  aus  practischen  Gründen  oft  längere  Zeit  an  ein 
einziges  Object  gebundenen  Forschungen  stets  bestreben,  grössere  onto- 
genetische  Entwickelungsreihen  zu  überblicken ;  ja  wenn  es  möglich  wäre, 
sollte  er  die  ganze  beschreibende  thierische  und  pflanzliche  Entwicke- 
lungsgeschichte  kennen  und  bei   seinen  Ableitungen  berücksichtigen. 

Ausser  den  Veränderungen,  die  durch  das  künstliche  Experiment 
gesetzt  werden ,  kommen  als  M  i  s  s  b  i  1  d  u  n  g  e  n  oder  als  blosse  Varia- 
tionen oder  als  Folgen  von  Erkrankungen  nicht  selten  Verände- 
rungen der  Organismen  vor,  die  denen  des  analytischen  Experimentes 
an  ihnen  annähernd  oder  ganz  entsprechen,  und  daher  in  ähnlicher 
Weise  wie  dieses  zu  causalen  Ableitungen  zu  verwerthen  sind. 

Noch  weit  mehr  als  bei  den  stets  mit  weniger  Gomponenten  arbei- 
tenden Versuchen  an  anorganischen  Objecten  ist  bei  der  Anstellung 
und  besonders  bei  der  Deutung  von  Experimenten  an  Organis- 
men ein  gewisses  Maass  vorausgreifender  eigener  Einsicht 
unerlässlich  nöthig.  Wer  sich  solche  nicht  angeeignet  hat,  der  wird 
vielfach  sehr  irrthümliche  Schlüsse  aus  seinen  Experimenten ,  oder 
aus  denen  anderer  ziehen;  dem  kann  es  sogar  geschehen,  [440]  dass 
sich  ihm  die  unljekannte  ( 'omplicirtheit  der  organischen  A'erhältnisse 
in  solchem  Maasse  ausdehnt,  dass  er  aus  den  Folgen  eines  Experi- 
mentes  überhaupt   keinen   speciellen  Schluss   zu   ziehen  sich  getraut. 

So  hat  ein  Autor  gegen  ein  vom  Ref.  angestelltes  Experiment, 
in  welchem  Froscheier  einen  Tag  länger  als  normal  in  ihrer  Lage 
mit  der  weissen  Seite  nach  unten  erhalten  und  somit  die  sonst  in 
dieser  Zeit  eintretende  Aufwärtsdrehung  des  Eies  verhindert  worden 
war  (wobei  sich  zeigte,  dass  die  Medullarwülste  unter  Herabschieben 
von  Material  auf  dieser  ursprünglich  weissen  Unterseite  des  Eies  zur 
Anlage  kommen),  den  Einwand  erhoben ,  dies  Experiment  gestatte 
keinen  Schluss  auf  die  normalen  Verhältnisse,  da  das  Ei  in  abnorme 
Bedingungen  gebracht  worden  sei ;  unter  ganz  normalen  Bedingungen 
würde   nach    diesem  Autor   das  Medullarrohr   auf  der  Mitte  der  (von 


Nothwendigkeit  der  Combination  vor  schied  c  n  o  r  Experimente.  89 

vornherein)  schwarzen  Oberseite  entstanden  sein  (s.  Hermann  und 
Schwalbe  Jahresber.  1881),  S.  (Ul). 

Wenn  nun  wohl  kein  mit  der  Sachlage  Vertrauter  diesem  spe- 
ciellen  Urtheile  zustimmen  wird,  so  müssen  wir  uns  gleichwohl  stets 
gegenwärtig-  halten,  dass  wir  die  bei  jedem  organischen  Bildungs- 
vorgange betheiligten  (Komponenten  wahrscheinlich  noch  nicht  an- 
nähernd übersehen  und  daher  nicht  sicher  zu  beurtheilen  vermögen, 
wieviel  und  welche  Componenten  wir  auch  bei  einem  möglichst  ana- 
lytischen Experimente  alteriren.  Wir  können  daher  erst  dann  sicher 
sein,  die  Ergebnisse  eines  Experimentes  richtig  gedeutet  zu  haben, 
wenn  die  Ergebnisse  zweier  oder  mehrerer  verschieden- 
artiger Experimente  ül)cr  denselben  Vorgang  auf  die  glei- 
chen Zusammenhänge  hindeuten. 

In  dem  soeben  citirten  Falle  hatte  Ref.  deshalb  zugleich  das  Er- 
gebniss  des  angeführten  Experimentes  durch  Versuche  mit  tief- 
greifenden localen  Defecten  als  Marken  controlirt;  und  diese  ganz 
anderen  Versuche  hatten  zu  demselben  Schluss  über  die  Anlagestelle 
des  Medullarrohres  geführt  [s.  Nr.  23]. 

Durch  starke  Pressung  der  Froscheier  zwischen  parallelen  verti- 
calen  Glasplatten  gelang  es  ihm  ferner,  das  normale  seitliche  Herab- 
wachsen der  Urmundshppen  ganz  zu  verhindern;  die  später  gebildeten 
Medullarwülste  formirten  dabei  einen  den  Aequator  des  Eies  rings 
umziehenden  Gürtel;  es  zeigte  sich  also  die  für  diesen  Fall  voraus- 
gesagte Asyntaxia  medullaris  totalis  (Roux)  [s.  Nr.  29  S.  607J. 

Der  aus  diesen  drei  verschiedenen  Experimenten  folgende  Schluss, 
dass  die  Gastrulation  des  Frosches  durch  bilaterale  Epibolie  und  Con- 
crescenz  auf  der  Unterseite  des  Eies  erfolgt,  und  dass  die  Aussenseite 
der  Urmundsränder  die  Anlagestelle  der  Medullarwülste  ist,  ist  daher 
ein  so  sicherer,  dass  er  weder  durch  die  an  sich  erfreuliche  nach- 
trägliche Zu-  [441]  Stimmung  von  Seiten  descriptiver  Forscher 
(v.  Davidoff,  0.  Hertwig,  Keibel  u.  A.)  an  Sicherheit  etwas  gewinnen 
konnte,  noch  durch  den  AA''iderspruch  derselben  hätte  etwas  einbüssen 
können;  vielmehr  müssen  derartig  ermittelte  Thatsachen  als  die  ersten 
festen  Grundsteine  unserer  Kenntniss  von  den  Vorgängen  der  Ent- 
wickelung  betrachtet   werden ,    derart  zugleich ,    dass    alle    solche  An- 


90  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmeclianik. 


sichten,  welche  mit  diesen  Thatsachen  wirkhch  unvereinbar  sind, 
mit  Sicherheit  als  unrichtig  bezeichnet  werden  können. 

Die  Entwickelungsmechanik  muss  sich,  wie  jede  neue  Richtung 
in  der  Wissenschaft,  die  ihr  gebührende  Stellung  erst  nach  und  nach 
erwei'ben.  Aber  gleichwohl  wird  es  unsere  Nachkommen  wohl  befrem- 
den, dass  die  jetzt  herrschende  descriptive  Richtung  diese  sicheren 
Angaben  der  Entwickelungsmechanik  so  lange  ignorirt  hat,  bis  de- 
scriptive Forscher  zu  denselben  Ansichten  gelangten,  und  besonders, 
dass  sie  diesen  letzteren  Angaben  mehr  Werth  beilegt  als  ersteren. 
Dies  wird  ein  bleibendes  Zeugniss  für  das  ungenügende  Verständniss 
der  betreffenden  Forscher  von  dem  Werthe  des  Experimentes  sein 
[s.  Nr.  22  S.  21J. 

Solche  Experimente  müssen  aber  wirklich  gemacht  sein,  und 
die  Natur  muss  darauf  entsprechend  reagirt  haben.  Es  ist  eine  nicht 
zu  billigende  Auffassung,  wenn  Rauber  (Zoologischer  Anzeiger,  1886, 
S.  170)  nach  einem  Experiment,  welches,  wie  zu  erwarten,  sogleich 
mit  dem  Tode  der  Objecte  endete,  die  Meinung  äussert:  ,,Es  wird 
aber  für  die  meisten  schon  hinreichend  sein,  auch  nur  in  Gedanken 
das  genannte  Experiment  (Vertausehung  der  Furchungskerne  eines 
Kröten-  und  eines  Froscheies)  auszuführen,  um  zu  der  Ueberzeugung  (!) 
zu  gelangen,  dass  aus  jenem  Froschei  keine  vollständige  Kröte, 
aus  dem  Kröteiiei  kein  vollständiger  Frosch  hervorgegangen  sein 
Avürde."  Dies  Gedankenexperiment  ist  durchaus  nicht,  wie  er  meint, 
überzeugend  dafür,  dass  auch  dem  Protoplasma  Vererbungstendeuz 
innewohnt. 

Die  Analyse  scheint  es  mit  sich  zu  bringen,  dass  die  entwicke- 
lungs-mechanische  Forschung  bei  den  einfachsten  Lebewesen,  den 
Protisten,  beginnen  müsste ;  und  gewiss  können  manche  wichtigen 
Causalverhältnisse  an  diesen  niedersten  Lebewesen  leichter  und  sicherer 
als  an  Metazoen,  ja  zum  Theile  nur  an  ersteren  ermittelt  werden. 
Es  sei  hier  nur  an  die  überaus  lehrreichen  Experimente  von  M.  Nuss- 
BAUM,  A.  Gruber,  Bruno  Hofer,  M.  Verworn,  E.  G.  Balbiani  über  die 
besonderen  Leistungen  des  Zellkernes  und  des  Zellleibes  erinnert. 

Es  ist  aber  darauf  hinzuweisen,  dass  andererseits  die  höheren 
Organismen  in  manchen  Beziehungen  günstigere  Verhältnisse  für  die 


Ermittelung  physikalisch-chemischer  Componenten.  91 


analytische  Forsclimig  darbieten;  einmal  weil  bei  ihnen  durcli  die 
weitgehende  [4J:2]  Arbeitstheilung  die  Fähigkeiten  der  einzelnen  Gewebe 
weniger  vielseitige  sind ,  und  zweitens  deshalb ,  weil  das  Vermögen 
der  Regenerationsfähigkeit  bei  ihnen  viel  geringer  ist  als  bei  den 
niederen  Organismen  und  wir  daher  bei  ersteren  den  Mechanismus 
der  normalen,  directen  Entwickelung  reiner  für  sich  studh-en 
können  (s.  S.  35). 

Mit  der  Zurückführung  organischer  Gestaltungen  auf  anorganische, 
physikalische  Componenten  ist  schon  ein  sehr  erfreulicher  Anfang  ge- 
macht von  Berthold  (26),  ErcxEra  (27)  u.  A.  in  Bezug  auf  pflanzliche, 
seitens  Bütschli  (28  u.  29),  Quincke  (30),  Dreyer  (3  u.  31)  u.  A.  in 
Bezug  auf  thierische  Gestaltungen.  Die  Schlüsse  sind  jedoch  bis  jetzt 
grösstentheils  blos  Analogieschlüsse;  es  haftet  ihnen  daher  noch  eine 
grosse  Unsicherheit  an. 

Die  Urtheile  dieser  Autoren  beruhen  darauf,  dass  an  anorgani- 
schen Objecten  auf  experimentellem  Wege  den  organischen  ähnliche 
resp.  gleiche  Formbildungen  hervorgebracht  wurden,  woraus  auf  eine 
Gleichheit  der  Ursachen  geschlossen  wurde. 

Trotz  des  Nutzens  dieser  Versuche  und  der  wohl  theilweisen 
Richtigkeit  der  aus  ihnen  gezogenen  Schlüsse ,  scheint  es  doch ,  dass 
man  sich  dabei  manchmal  die  organischen  Verhältnisse  zu  einfach 
vorstellt.  Wir  kommen  damit  leicht  in  die  Gefahr,  dass  sich  auf 
morphologischem  Gebiete  ähnliche  Irrthümer  wiederholen,  wie  sie  vor 
30 — 20  Jahren  unter  den  Physiologen  ähnlichen  Strebens  vorgekom- 
men sind.  Da  waren  Ernährung  und  Secretion  blosse  Diffusions-  und 
Filtrationsvorgänge ,  Wachsthum  war  blosse  Quellung ,  Bildung  einer 
Niederschlagsmembran  um  einen  Tropfen  war  Zellbildung. 

Bei  den  l'ebertragungen  der  Ursachen  anorganischer  Gestaltungs- 
A'orgänge  auf  ähnliche  organische  Gestaltungen  wird  leicht  der  Wir- 
kungsantheil  der  experimentell  geprüften  Componenten  an  den  organi- 
schen Gestaltungen  überschätzt,  indem  sie  als  alleinige  oder  als  die 
formbeherrschende  aufgefasst  wird.  Dabei  wird  dann  übersehen,  dass 
fast  jede  Componente  im  Organischen  durch  andere  entgegen  wirkende 
Kräfte  mehr  oder  weniger,  ja  derart  in  ihrem  Antheile  an  der  schliess- 
lichen  Resultante  Ijeschränkt  werden  kann,  dass  ihr  Antheil  gar  nicht 


92  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


mehr  erkennbar  ist.  Im  Bereiche  anorganischer  Blasen  z.  B.  herr- 
schen bei  äusserer  Ruhe  die  Plateau'schen  Gesetze  der  Blasenspan- 
nung; im  Bereiche  der  Organismen  kann  ihnen  durch  active  Leistungen, 
durch  S]3annungen  und  Contractionen  also  unter  Kraftaufwand,  voll- 
kommen Widerstand  geleistet  werden;  ebenso  wie  der  Dift'usion  durch 
lebende  Wände  activ  widerstanden  werden  und  Flüssigkeit  entgegen  den 
Gesetzen  der  Filtration  nach  der  Seite  des  Ueberdruckes  abgeschieden 
werden  kann.  Die  Salze  des  Fischeies  unterliegen  [443]  erst  nach  dem 
Tode  desselben  der  Dift'usion ;  und  kleine  Insecten  leben  längere  Zeit  in 
einer  Luft,  in  der  sie  nach  ihrem  Tode  in  wenigen  Minuten  eintrocknen. 

Die  bei  solchen  Uebertragungen  verwendete  L^mkehr  des  Satzes: 
„gleiche  Ursachen  geben  gleiche  Wirkungen'^  in:  „gleiche  Wirkungen 
beruhen  auf  gleichen  Ursachen"  ist  uns  menier  Meinung  nach 
auf  organischem  Gebiete  zur  Zeit  nicht  gestattet;  ich  habe  das 
früher  schon  [s.  Nr.  13]  an  manchen  Beispielen  dargelegt.  So  z.  B. 
sind  die  Aeste  der  Bäume  an  ihrem  Ursprünge  sehr  ähnlich  kegel- 
förmig gestaltet,  wie  das  Lumen  der  Blutgefässe  am  Astursprunge; 
auch  findet  beim  Ursprünge  eines  relativ  dicken  x-^stes  am  Baume 
eine  Ablenkung  des  Stammes  nach  der  anderen  Seite  statt,  wie  dies 
bei  den  Blutgefässen  auch  geschieht;  gleichwohl  beruhen  diese  beiderlei 
Gestaltungen? auf  wesentlich  anderen  Ursachen. 

Der  Schluss:  ,, gleiche  Wirkungen,  gleiche  Ursachen"  ist  blos 
bei  vollkommener  Uebereinstimmung  dieser  Wirkungen  gestattet; 
er  setzt  also  für  uns  die  vollkommene  Kenntniss  der  Wirkungen 
voraus,  die  wir  zur  Zeit  auf  organischem  Gebiete  in  keinem  Falle 
haben  und  selbst  auf  anorganischem  Gebiete  oft  entbehren. 

Wir  können  z.  B.  an  einem  in  bestimmter  Richtung  laufenden 
Billardballe  nicht  erkennen,  ob  ei-  diese  Bewegung  iiiacht,  weil  er  in 
dieser  Richtung  einen  centralen  Stoss  erhalten  hat,  oder  weil  gleich- 
zeitig oder  nacheinander  zwei  Stösse  entsprechend  verschiedener  Richt- 
ungen auf  ihn  gewirkt  haben.  W^enn  wir  aber  nicht  blos  von  seiner 
Massenbewegung,  sondern  auch  von  der  bei  dem  Anstosse  stattgefun- 
denen Aenderung  seiner  Molecularverhältnisse  vollkommene  Kenntniss 
hätten,  wenn  wir  also  die  stattgehabte  ,, Wirkung"  vollkommen 
kennten,  würden  wir  diese  Ursachen  richtio-  erschliessen  können.    Ist 


Causale  Verwerthung  der  Merkmale  höherer  Ordnung.  93 

die  Kii.ucl  ans  weniger  elastischer  und  weicherer  Sul)stanz,  so  werden 
die  beiden  Stösse  änsserhch  sichtbare  Eindrücke  hinterlassen,  und  bei 
genauer  Berücksichtigung  dieser  Nebencharaktere  werden 
die  Ursachen  des  ^''organges  richtig  zu  beurtheileii  sein. 

Wir  müssen  uns  stets  gegenwärtig  halten,  dass  dieselbe  Form 
auf  sehr  verschiedene  Weise  und  durch  entsprechend  ver- 
schiedene Ursachen  hervorgebracht  werden  kann.  Derselbe 
Gegenstand  kann  bildlich  in  gleicher  Gr()sse  mit  vollkommen  gleichen 
Conturen  und  Schatten  durch  Holz-  und  Steinschnitt,  durch  Stahl- 
und  Kupferstich,  in  Photographie  und  Lichtdruck  etc.  hergestellt  sein; 
trotzdem  ermöglicht  uns  die  Berücksichtigung  der  Charaktere 
zweiter  Ordnung,  diese  Art  seiner  Herstellung  zu  erkennen. 

Da  wir  kaum  je  vollkommene  Kenntniss  eines  organischen 
Bildungsvorganges  gewinnen  werden,  so  ist  es  nöthig,  um  trotzdem 
auf  seine  [444]  Ursachen  schliessen  zu  können,  bewusst  und  sorg- 
fältig die  Merkmale,  gleichsam  die  Differentiale  zweiter,  ja 
dritter  Ordnung  aufzusuchen,  welche  an  sich  schon,  besonders 
aber  in  ihren  Variationen  oft  ziemlich  zuverlässige  Schlüsse  auf 
die  Ursachen  gestatten. 

Doch  gibt  es  auch  Fälle,  in  denen  selbst  die  Merkmale  zweiter 
Ordnung  zwischen  organischen  und  anorganischen  Gestaltungen  über- 
einstimmend erscheinen,  obwohl  die  beiderlei  Vorgänge  nicht  auf  den- 
selben Ursachen  beruhen.  Das  ist  z.  B.  bei  der  künstlichen  Nach- 
ahmung der  Copulation  der  Geschlechtskerne  durch  die  Selbst  Ver- 
einigung zweier  Chloroformtropfen,  die  auf  alte,  gestandene,  wässrige 
Carbollösuug  gethan  worden  sind  [s.  S.  34],  der  Fall.  Hierbei  findet 
ausser  der  activen  Näherung  eine  prachtvolle  grosse  Radiation  in  der 
Flüssigkeit  statt ;  gleichwohl  beruht  der  Vorgang  auf  Wirkungsweisen, 
die  im  Ei  nicht  möglich  sind. 

Die  organische  Natur  bietet  oft  gerade  das  Gegentheil  zu  dem 
Satze:  ,, gleiche  Wirkungen,  gleiche  Ursachen"  dar.  Diese  Thatsache 
berechtigt  zu  dem  Ausspruche,  dass  die  organischen  Formen 
vielfach  constanter  sind,  als  die  Arten  ihrer  Entstehung 
[siehe  S.  52],  also  auch  constanter,  als  ihre  unmittelbaren 
Bildun  gs  Ursachen.     Die   vergleichende    Entwickelungsgeschichte 


I 


94  Nr.  15.    Ziele  und  Wege  der  Entwickelungsmechanik. 


liat  dafür  bekanntlicli  viele  Beispiele  geliefert.  Hier  nur  eines:  Die 
Gattung  Peneus  z.  B.  durchläuft  in  ihrer  Ontogenese  ein  Nauplius- 
stadium;  das  Endproduct  aber  ist  eine  Garneele;  während  die  übrigen 
Garneelen  des  Naupliusstadiums  ganz  entbehren. 

Der  citirte  Satz  gilt  aber  nicht  blos  für  Thiere  verschiedener 
Arten  und  Gattungen ,  sondern  auch  für  ein  und  dasselbe 
Individuum.  Es  sei  zunächst  an  diejenigen  Organismen  erinnert, 
die  sich  normalerweise  sowohl  durch  die  äusserlich  nicht  dilferenzirten 
Eizellen,  wie  durch  Selbsttheilung  des  entwickelten  Individuums 
vermehren,  ferner  gehört  hierher  die  Re-  und  Postgeneration. 

Ein  rechter  oder  ein  vorderer  halber  Froschembryo  producirt  die 
fehlende  Hälfte  nach,  wobei  die  Entwickelungsvorgänge  zum  Theil 
wesentlich  andere  sein  müssen,  als  bei  der  normalen  Entwickelung. 
Diese  Verschiedenheit  der  Bildungsweisen  derselben  Endproducte,  die 
bei  manchen  Regenerationen  sogar  unter  denselben  äusseren  Form- 
wandlungen  verläuft  wie  die  Entwickelung  aus  dem  Ei,  gab  mir  Ver- 
anlassung zur  Unterscheidung  verschiedener  Entwickelungsarten : 
der  directen  (bei  den  höheren  Thieren  der  allein  normalen)  Ent- 
wickelung aus  dem  ganzen  Ei,  und  der  indirecten  Entwickelung- 
oder  derjenigen  Entwickelung,  welche  nach  Selbsttheilung  oder  nach 
künstlicher  Theilung  des  entwickelten  Individuums,  sowie  auch  bei 
tiefgreifenden  Störungen  der  normalen  Entwickelung  z.  B.  bei  sehr 
hochgradigen  Deformationen  der  Eier  statt  hat  [s.  Nr.  28  u.  31]. 

[445]  In  der  d  i  r  e  c  t  e  n  E  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  nimmt  die  Selbstdifferenzir- 
ung  einzelner  Furchungszellen,  resp.  des  Gomplexes  ihrer  Derivate  oder 
mancher  späterer  Zellcomplexe  in  Folge  regelrechter  qualitativer  Scheid- 
ung des  dieser  Entwickelungsweise  dienenden,  durch  dieBefruchtung  acti- 
virten  idioplastischen  Materials  einen  grösseren  Raum  ein,  als  bei  der 
indirecten  Entwickelung,  welche  mehr  durch  Correlationen  aller 
oder  vieler  Theile  charakterisirt  ist  und  deren  specifisches  gestaltendes 
Material  nach  meiner  Auffassung  erst  durch  die  besonderen ,  die  in- 
directe  Entwickelung  veranlassenden  Momente  activirt  wird. 

Es  wird  daher  eine  weitere  Aufgabe  der  Entwickelungsmechanik 
sein,  die  besonderen  Vorgänge  jeder  dieser  verschiedenen  Entwickelungs- 
arten und  deren  vollziehende  oder  vermittelnde  Ursachen  zu  ermitteln. 


Nr.  16. 

Ueber  die  Zeit  der  Bestimmung'  der  Haupt- 
riehtungen des  Frosehembryo. 

1883. 

Mit  Tafel  IV. 

Leipzig,  Wilhelm  Enrelmann.  Juni  1883. 


Inhalt. 

Seite 

Problem  der  Richtungsbestimmung 96 

A.  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo 97 

Frühere  Beobachtungen         97 

Methode:  1.  dauernder  Merkmale 98 

2.  Beziehung  auf  ein  äusseres  System  von  Richtungen  99 

Fehlerquellen 100 

Fragestellung 102 

Versuche  an  Rana  fusca 103 

T,          „    Rana  esculenta 108 

Gesetz    des   Zusammenfallens   der  ersten  Furchungsebene  mit 

der  Medianebene  des  Embryo 110 

B.  Zeit  der  Bestimmung  der  Qualitäten   köpf-  und   schwänz  war  ts 

bei  gegebener  Hauptrichtung  bei  Rana  esculenta 112 

Furchungsschema 115 

Beeinflussung    der     Stellung    der     ersten     Furchungsebene     durch 

Quetschung 118 

Einstellende  Wirkung  der  Schwerkraft  auf  das  Ei  und  die  ersten 

Furchen  in  Folge  angeblichen  speci fischen  Gewichtes.     .  120 
Eventuelle  Wirkung  der  Copulationsr ichtun g   auf   die  Richt- 
ung der  Medianebene       121 

Zeit  der  Bestimmung  der  Doppelbildungen 122 


I 


96  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Problem    der   Richtungsbestimmiing. 

Von  den  wunderbaren  Vorgängen  der  formalen  und  qualitativen 
„Selbstdiffereiiziruiig-  des  sich  entwickelnden  Eies",  als  deren 
Kesultat  uns  der  Cyclus  embryonaler  Formenbildungen  entgegentritt, 
ist  nach  der  Analyse  einer  der  wichtigsten,  wenngleich  bis  jetzt 
wenigst  beachteten  Vorgänge  die  ,, Bestimmung  der  Richtungen 
des  Geschehens''.  Denn  fast  alle  Vorgänge  der  Entwickelung 
können  nicht  nach  allen  Richtungen  in  gleicher  Weise  erfolgen,  sie 
müssen  vielmehr  bestimmten  Prädilectionsrichtungen  folgen  oder  übei-- 
haupt  nur  in  einer  ganz  bestimmten  Richtung  sich  vollziehen,  um 
das  System  bestimmt  gerichteter  Gestaltungen,  welches  das  fertige 
Individuum  im  Ganzen  und  in  seinen  Theilen  darstellt,  hervorzubringen. 

Dies  gilt  so woh  1  für  die  q  u  a n  t  i  t a  t  i  v  e  n  E]  1  e  m  e  n  t  a  r  v  o  r  g  ä  n  g  e 
des  Wachsthums  und  der  Theilung  der  einzelnen  Zellen  und  ganzer 
Zellcomplexe,  wie  für  die  Vorgänge  continuirlich  sich  ver- 
breitender qualitativer  Differenz!  rungen. 

Mag  dabei  die  Richtung  der  uns  bekannten  einzelnen  foi-- 
malen  und  qualitativen  Differenzirungsvorgänge  e  r  s  t  m  i  t  den  b  e- 
t reffenden  Vorgängen  selber  bestimmt  werden,  oder  mag 
sie  bereits  vorher,  weit  früher  schon  in  anderen  Vorgängen 
ihre  Normirung  erhalten,  immer  wird  es  für  uns  von  Interesse 
sein,  zu  wissen,  wann  die  Richtungen  des  einzelnen  Geschehens  zu- 
erst normirt  werden ,  den  n  d  a  n  n  erst  w  erden  w  i  r  a  u  c  h  m  i  t 
Aussicht  auf  Erfolg  nach  den  wahren  Ursachen  dieser 
Normirung  forschen  können. 

Die  Vermuthung  liegt  nahe,  dass  violleicht  das  ganze  Ent- 
wickelungsgeschehen  von  vorn  herein  in  der  Weise  normirt  sein 
muss,  dass  von  vornherein  in  bestimmter  Weise  Richtung 
auf  Richtung  sich  setzen  muss,  um  das  spätere  in  den  Rich- 
tungen [4]  seiner  Formen  normirte  Individuum  hervorzubringen,  dass 
ein  eontinuirliches  System  auf  einander  sich  setzender  Richtungen 
zu  diesem  F^ndziol  unerlässlich  niithiu-  ist  fverp-l.  Nr.  27  S.  oCß  u.  f.l. 


}*r(tl)lein  der  Richtungslicstitiinuuig  im   Kiiihryo.  97 

Zur  Beurtheiluiig  dieser  letzteren  Frage  verspricht  die  Kennt- 
iiiss  der  /.eitlic  lien  Bestimuiuug  der  HauptrichtuiigeD  des 
späteren  Individuums  uns  am  meisten  Aufschluss  /u  geben;  denn 
diese  Richtungen  werden  voraussichtHeh  (He  am  frühesten  und  tiefsten 
angelegten  sein;  ausserdem  sind  es  auch,  als  die  Hauptrichtungen, 
die  am  leichtesten  erkennbaren  ,  und  vielleicht  wird  die  Erkenntniss 
dieses  fundamentalsten  Richtungsvorganges  uns  einen  Einblick  in  die 
Richtungsbildung  überhaupt  thun  lassen. 

Fast  aber  scheint  es,  als  hätten  wir  uns  doch  in  der  Wahl 
unseres  Themas,  welches  uns  zu  diesem  Zwecke  führen  soll,  vergriffen; 
denn  ist  nicht  die  Axenhildung  des  Embryo,  die  Ausbildung 
der  definitiven  Axenorgane  einer  der  späteren  Vorgänge, 
welchem  das  in  sich  fest  geordnete  Richtungssystem  der  Eurchung 
vorausgeht,  um  dann  aber  zur  Bildung  der  richtungslosen 
Blastula  zu  führen  und  damit  jeden  Zusammenhang  mit  der  späteren 
bilateralen  Symmetrie  des  Embryo  von  der  Hand  zu  weisen'?  Stellt 
sich  uns  nicht  somit  die  Bildung  der  Embryonalaxe  als  ein 
ganz  neuer  Vorgang,  als  die  Einführung  einer  ganz  neuen 
Richtung  in  das  vorher  in  keiner  Weise  eine  bilaterale  Symmetrie 
erkennen  lassende  Geschehen  dar?  Und  gewinnt  es  damit  nicht  den 
Anschein .  als  ob  die  spätere  Hauptrichtung  nicht  von  vornherein 
normirt  sei.  sondern  vielleicht  einer  zufälligen  Ungleichheit  der  äusseren 
Einwirkungen  die  Entscheidung  ihrer  Verlaufsrichtung  verdanke? 

Diese  Zweifel  und  diese  Fragen  sind  es  nun .  über  welche  wir 
uns  in  rheser  Arbeit  Gewissheit  verschaffen  wollen. 

A.  Bestimmung   der    Hauptrichtungen   des   Embryo   im  Ei. 

Blicken  wir  uns  zunächst  in  dei-  Litteratur  nach  bereits  vorhan- 
denen Angaben  um,  so  finden  wir  wenig,  welches  uns  Gewissheit 
verschaffen  könnte.  Am  früliesten  scheint  Köllikeh  eine  auf  unser 
Thema  bezügliche  Beobachtung  gemacht  zu  haben.  Er  beschreibt^) 
eine  schon  in   den  frühesten  Furchungs-    [5]    Stadien  des  Hübnereies 

1)  A.  Köllikeh.  Die  Entwickeluugsgeschichte  des  Menschen  und  der  höhereu 
Thiere.     Zweite  Aufla.üe,  S.  79.  1879. 

W.  Rou\.  Go<;ammelte  AbhandlimsGii.    H.  ' 


\ 


98  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 

eonstant  sich  zeigende  Ungleichheit  der  Grösse  der  Furchungskugehi 
der  Art,  dass  nach  entgegengesetzten  Seiten  der  Keinischeibe  einer- 
seits die  orrössten,  andererseits  die  kleinsten  Zellen  sich  finden.  Er 
knüpft  an  diese  Beobachtung  vermuthungsweise  die  Aensserung,  dass 
der  schneller  sich  furchende  Theil  zum  späteren  hinteren  Theile  des 
Blastoderma  sich  gestalte,  in  dem  die  ersten  Spuren  des  Embryo  ent- 
stehen. Danach  würde  schon  in  einer  sehr  frühen  Zeit  eine  wenn 
auch  noch  sehr  unbestimmte  Andeutung  des  Vorn  und  Hinten  zu 
erkennen  sein,  sofern  die  Richtigkeit  dieser  Vermuthung  erwiesen  wäre. 

Viel  bestimmter  sind  die  Angaben  eines  neueren  Autors. 
J.  P.  NuEL  theilt  in  seiner  Arbeit  über  die  Entwickelung  des  Petro- 
myzon  Planeri')  parenthetisch  mit.  dass  er  schon  am  unbefruchteten 
Eie  dieser  Thiere  eine  Verschiedenheit  in  der  Grösse  der  Dotterkörner 
habe  wahrnehmen  können,  welche  sich  bis  zum  Auftreten  der  Rücken- 
furchen erhalte,  und  es  sei  zu  beobachten,  dass  die  Rückenfurche 
durch  die  Mitte  des  feinkörnigen  Abschnittes  hindurch  gehe.  Er 
folgert  daraus,  dass,  sofern  sich  seine  Beobachtung  bestätige,  die 
künftige  Rückenfurche  schon  im  unbefruchteten  Eie  bestimmt  sei. 
Wir  erfahren  aber  nichts  von  ihm  über  die  Gestalt  der  feinkörnigen 
Masse;  wir  wissen  daher  nicht,  ob  sie  länglich  oder  rund  ist,  und  ob 
daher  die  Mitte  derselben  eine  bestimmte  Linie  oder  blos  ein  Punct 
ist,  durch  welchen  unendlich  viele  Mittellinien  gelegt  werden  können. 
Ausserdem  findet  sich  auch  keine  .Vngabe  über  das  Verhalten  der  so 
früh  schon  bezeichneten  Richtung  zu  den  Furchungsrichtungen. 
Immerhin  ist  diese  Mittheilung:  von  hohem  Interesse ;  und  es  ist  blos 
eine  weitere  Bestätigung  derselben  und  eine  genauere  Detaillirung 
derselben  abzuwarten,  um  ihr  die  eine  hohe  Bedeutung  zuzuerkennen. 

Ausserdem  deutet  sie  einen  Weg  an,  auf  welchem  sicherer  Weise 
unsere  Frage  gelöst  werden  kann,  nämlich  auf  dem  Wege  des 
Suchens  nach  speciellen,  formalen  oder  qualitativen  Charak- 
teren des  Eies,  welche  sich  durch  die  erste  Periode  der  Entwicke- 
lung hindurch  bis  zum  Auftreten  der  definitiven  [6]  bezüg- 
lichen Organanlagen  erhalten  und  uns  so  directe Beziehung  des 


1)  Archive«  de  Biologie,  Bd.  U,  S.  410.    1881. 


Methoden.  99 

.späteren  Geschelieii.s  auf  das  Ei  gestatten.  Solelie  Charaktere  können 
Zinn  Theil  in  der  äusseren  (Testalt  des  Eies  liegen,  zum  Theil 
alnM-  müssen  sie  im  Ei  liegen;  und  es  werden  immer  von  Xothen 
sein  eine  Linie  und  zwei  bestimmt  charakterisirte  Puncte,  von  denen 
wenigstens  der  eine  ausserhalb  der  Linie  liegen  muss,  oder  drei  Puncte, 
welclie  nicht  in  einer  geraden  Linie  liegen  und  nicht  blos  durch  ihre 
Lage  charakterisirt  sind,    oder  zwei  nicht  parallele  feste  Richtungen. 

Es  wird  nicht  leicht  sein,  die  nöthige  Anzahl  Merkmale  von  der 
erforderlichen  Dauer  im  Wechsel  der  Entwickelungsvorgänge  zu  finden, 
und  es  muss  noch  zweifelhaft  erscheinen,  ob  in  der  That  Nuei.  ein 
solches  Beispiel  im  Ei  des  Petromyzon  aufgefunden  hat. 

Es  giebt  aber  noch  einen  anderen  und  in  dem  Erfolge  seines 
Betretens  Aveniger  von  der  (4unst  des  Zufitlls  abhängigen  Weg,  unseren 
Zweck  zu  erreichen.  Wenn  nämlich  das  Ei  eine  geeignete  feste  und 
dicke  Hülle  hat,  um  es  auf  einer  Unterlage  fixiren  zu  können,  so 
sind  wir  im  Stande,  das  ganze  sichtbare  Geschehen  während 
der  Entwickelung  auf  ein  ., äusseres"  festes  System  von  Rich- 
tungen zu  beziehen  [s.  Nr.  31,  S.  270].  Diesen  Weg  schlug  ich 
ein;  und  ich  wählte  das  in  dieser  Beziehung  scheinbar  ungemein 
günstige  Froschei.  welches  mir  von  den  Versuchen  meines  Gollegen 
BoR\.  welcher  mit  sehr  grossen  Massen  arbeiten  rausste.  immer  in 
genügender  Anzahl  zur  Verfügung  stand.  College  Born  war  so  liebens- 
würdig, mir  immer  das  für  meine  Beobachtungen  nöthige  Material 
mit  zu  befruchten  und  mir  auch  ausserdem  seine  reichen  Kenntnisse 
und  Erfahrungen  auf  dem  betreibenden  Gebiete  zu  Gute  kommen  zu 
lassen. 

Das  Froschei  ist  nun  aber  für  unseren  Zweck  einer  vollkommen 
unveränderlichen  Fixation  des  Eies  gegen  ein  äusseres  System  von  Rich- 
tungen bei  genauerer  Prüfung  nicht  so  günstig,  als  es  auf  den  ersten 
Gedanken  erscheinen  mag. 

Denn  einmal  ist  das  Ei  nicht  an  der  dasselbe  einschliessenden 
Gallerthülle  selber  befestigt,  sondern  es  schwimmt  nur  innerhalb  der- 
selben und  zwar  in  einer  mit  Flüssigkeit  erfüllten  Höhle,  welche  so 
eng  ist,  dass  sie  das  Ei  fast  berührt  und  bei  Aenderung  der  Durch- 
messer des  Eies  bald  die  weitere  Umgestaltung  des  Embryo  hemmen 


100  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


würde,  wenn  sie  sich  nicht  [7]  zugleich  selber  vergrösserte.  Aber  die 
Vergrösserung  ist  so  gering,  dass  eine  geringe  Dehnung  oder  Com- 
pression  der  Gallerthülle  schon  den  eingeschlossenen  Embryo,  sobald 
er  die  Kugelform  verlässt,  zwmgt,  sich  mit  seiner  grössten  Dimension 
in  die  eventuell  vorhandene  grösste  Dimension  der  Höhle  der  Gallert- 
hülle einzustellen,  also  seine  bisherige  Stellung  zu  verändern.  Anderer- 
seits ist  die  Gallerthülle  im  Uterus  noch  relativ  dicht  und  dünn  und 
quillt  erst  im  Wasser  auf,  und  zwar  setzt  sich  dieser  Process  Tage  lang 
fort^),  während  die  erste  Furchung,  also  der  sichtbare  Beginn  der  Ent- 
wickelung,  bereits  3  bis  4  Stunden  nach  der  Befruchtung  seinen  An- 
fang nimmt. 

Diese  Verhältnisse  bedingen  eine  Anzahl  Fehlerquellen,  welche 
ich  zwar  zumeist  im  Voraus  abgeleitet  hatte,  deren  Einfluss  aber  und 
deren  Schwierigkeiten  der  Beseitigung  ich  bedeutend  unterschätzt 
hatte.  Erst  durch  eine  beträchtliche  Anzahl  misslungener,  das  heisst 
nicht  zu  irgend  einem  bestimmten  Resultat  führender  Versuche,  lernte 
ich  die  Grösse  dieser  Fehler  und  die  Mittel,  sie  zu  bekämpfen,  kennen. 
Sie  im  Einzelnen  zu  schildern,  würde  den  Leser  ermüden  und  mehr 
Raum  einnehmen ,  als  die  Mittheilung  der  wenigen  schliesslich  fast 
fehlerfreien  Versuche.  Die  letzteren  liessen  sich  leider  nicht  weiter 
vermehren,  da  inzwischen  die  diesjährige  Laichperiode  abgelaufen  war; 
trotzdem  aber  ist  das  Resultat,  wie  ich  glaube,  durch  die  mitgetheilten 
Zahlen  vollkommen  sichergestellt. 

Der  Umstand,  dass  das  Ei  in  der  Gallerthülle  schwimmt,  er- 
fordert eine  vollkommene  Ruhigstellung  des  ganzen  Gebildes,  weshalb 
die  Glasschalen  mit  den  Eiern  auf  den  Tisch  aufgeklebt  und  jede 
Erschütterung  des  letzteren  sorgfältig  vermieden  wurde.  So  musste 
das  Ei  in  der  Stellung,  welche  es  nach  der  Ruhigstellung  einnahm,  zu- 
folge des  Gesetzes  der  Trägheit  verharren,  so  lange  nicht  Aender- 
ungen  der  Massenvertheilung  im  Eie  selber  eine  Drehung  um  den 
Schwerpunkt  nöthig  machten.     Indess  eine  absolute  Ruhe  war  nicht 


[1)  Dio  (Juellung  der  Gallerthülle  des  Froscheies  steht  merkwürdiger  Weise 
in  Beziehung  zur  En twickel  ung  des  von  ihr  umschlossenen  Eies;  denn  wenn 
letzteres  sich  nicht  entwickelt  oder  auf  der  Blastula  und  Gastrulastufe  stehen  bleibt, 
so  nimmt  auch  der  Binnenraum  der  Gallerthülle  und  die  Menge  des  Fruchtwassers 
in  ihm  nicht  mehr  oder  nur  noch  sehr  wenis  zu.l 


Fehlerquellen,  101 

herzustellen ;  und  es  war  überhaupt  nur  dann  ein  Resultat  zu  er- 
halten, wenn  Aenderungen  der  Massenvertheilung,  welche  zu  Dreh- 
ungen um  eine  andere,  als  die  für  unsere  Versuche  nöthige  feste 
Axe,  innerhalb  unseres  Untersuchungszeitraumes  nicht  vorkamen; 
ein  Verhältniss,  über  welches  nur  durch  die  [8]  Versuche  selber  Auf- 
klärung zu  gewinnen  war,  'la  wir  eben  die  Lage  der  für  uns  festen 
Axe.  das  heisst  der  eephalocandalen  Richtung  nicht  kannten,  sondern 
sie  erst  bestimmen  \\'ollten.  Die  Beobachtungen  ergaben  nun,  dass  in  der 
That  solche  Veränderungen  des  Eies  in  der  uns  interessirenden  Periode 
nicht  vorkommen,  sofern  dieselbe  nur  möglichst  abgekürzt  wird,  z.  B. 
sofern  wir  den  ersten  Moment  abpassen,  in  dem  das  entscheidende 
Stadium,  die  sichtbare  Ausbildung  der  Rückenfurche  zu  erkennen  ist. 
Sehr  bald  danach  aber  ändern  sich,  wie  aus  einer  mitgetheilten 
Tabelle  zu  ersehen  ist,  die  Massenverhältnisse  derart,  dass  das  Re- 
sultat durch  eine  Beobachtung  erst  zu  dieser  späteren  Zeit 
vollkommen  verwischt  wird. 

Die  zweite  Schwierigkeit  bildete  die  Fixirung  der  Gallert- 
hülle.  Es  war  hier  das  Problem  zu  lösen,  wie  eine  elastische,  sich 
gleichmässig  ausdehnende  Kugel  derart  in  einer  Flüssigkeit  zu  fixiren 
ist,  dass  sie  beim  Ausdehnen  nicht  gehemmt  Avird  und  andererseits 
keine  Drehung  erfährt.  Ich  fixirte  zunächst  die  Eier  auf  dem  Wachs, 
mit  welchem  die  Glasschalen  zu  diesem  Zwecke  ausgegossen  waren, 
durch  feine  Insectennadeln ,  welche  durch  die  periphere  Zone  der 
Gallerthülle  senkrecht  in  den  Boden  eingestochen  wurden.  Ich  glaubte 
dadurch  eine  zwar  mit  geringer,  aber  doch  bei  mehr  als  vier,  bei 
sechs,  acht  Nadeln  allseitig  ziemlich  gleicher  und  daher  nicht  zu 
Drehungen  Veranlassung  gebender  Compression  verbundene,  genügende 
Fixation  hervorbringen  zu  können.  Indessen  das  Resultat  entsprach 
nicht  den  Erwartungen.  Daher  wurde  weiterhin  versucht,  durch  eine 
geringe  Dehnung  der  Gallerthülle  beim  Aufstecken,  die  durch  die 
Quellung  entstehende  Compression  zu  bekämpfen ,  wovon  ich  mir 
einen  günstigen  Erfolg  versprach,  da  zugleich  durch  Einlegen  in 
Eiswasser  die  Entwicklung  der  befruchteten  Eier  verzögert 
wurde,  so  dass  die  Q,uellung  zur  Zeit  der  Fixation  vor  Eintritt  der 
Furchung  schon  weite]-  vorgeschritten  war.  als  bei  ungehemmter  Ent- 


102  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Wickelung.  Aber  .selbst  bei  Verzögerung  des  Beginnes  der  Furchung 
und  der  Fixation  auf  10  Stunden  wurde  das  Ziel  nicht  erreicht.  Nach- 
dem ich  niicli  von  der  absoluten  Ilngeeignetheit  dieser  Methode  über- 
zeugt hatte,  probirte  ich  zwei  neue  Arten  der  Fixation.  Erstens  die  Sus- 
pension der  Eier  an  einer  durch  die  Gallerthülle  gestossenen.  wagrecbt 
befestigten  Nadel.  [9]  zweitens  die  Fixirung  durch  unter  einem  Winkel 
von  45  Grad  zum  Boden  in  den  unteren  Theil  der  Gallerthülle  ge- 
stossene  regulär  angeordnete  Nadeln.  Warum  die  erstere  dieser  Be 
festigungsarten  nicht  zum  Ziele  führte,  weiss  ich  nicht;  ich  vermuthe 
nur,  dass  die  stärkeren  Schwankungen,  welche  bei  Erschütterungen 
durch  vorüberfahrende  Wagen  dabei  eintraten ,  die  Ursache  davon 
waren.  Die  zweite  Methode,  welche  bei  dem  Vorhandensein  einer 
leichten  Verschiebbarkeit  der  Gallerthüllen  an  den  Nadeln  theoretisch 
ziemlich  genügend  erscheint,  ergab  bessere  Resultate.  Die  Schwierig- 
keit besteht  aber  bei  ihr  darin,  die  Nadeln  vollkommen  regulär  unter 
sich  unfl  zum  Eie  zu  vertheilen  .  weshalb  die  Fixation  mit  blos  zwei 
Nadeln  sich  am  meisten  bewährte.  Es  soll  unten  das  Resultat  dieser 
Methode  im  Einzelnen  mitgetheilt  werden. 

Da  unser  Zweck  ist.  die  Zeit  dei  ersten  Bestimnmng  der  Körper- 
axen  des  Embryo  zu  ermitteln,  und  da  beim  Froschei,  wie  bei  allen 
telolecithalen  Eiern .  also  den  Eiern  mit  einseitig  angehäuftem  Nah- 
rui]gsdotter  die  Rücken-  und  Bauchseite  schon  durch  dieses 
Lageverhältniss  bestimmt  ist.  indem  die  Seite  der  Lagerung 
des  Nahrungsdotters  stets  zur  Bauchseite  wird'),  so  war  also  blos  die 
.,eine''  noch  fehl  en  de  Rieh  tu  ngsbestim  nj  ung  der  Median- 
ebene  zu  ermitteln.  Diese  Bestimmimg  muss  in  die  Zeit  vor  dem 
sichtbaren  Auftreten  der  Rückenfurche,  also  in  die  Zeit  der  Gastrula. 
der  Blastula  oder  der  Furchung  fallen. 

Die  Furchung  stellt  die  ersten  äusserlichen  Entwickelungsvor- 
gänge  dar.  und  diese  sind  zugleich  unter  sich  bestimmt  gerichtete; 
währenrl  die  Blastula  ausser  der  dorsoventralen  äusserlich  keine  Rich- 
tung weiter  unterschieden  zeigt.  Von  der  Gastrula  ist  es  bekannt, 
dass  schon  bald  nach  Beginn  ihrer  Bildung  die  Rückenseite  des  Blasto- 

fi)  Dies  war  zur  damaligen  Zeit  die  allgemein  tür  richtig  gehaltene  Auffassung. 
Siehe  dagegen  Nr.  21  8.  158  und  Nr.  -JB  S.  698.] 


Erste  Fragestellung.  103 

porus  an  dunklerer  Färbung  kenntlich  ist,  womit  zugleich  der  Punct 
bezeichnet  ist.  an  dem  die  Rückenfurchc  sich  zu  entwickeln  beginnt. 
Ich  war  aber  nicht  im  Stande,  dieses  früheste,  übrigens  auch  bezüg- 
lich der  künftigen  Richtung  der  Rückenfurche  noch  etwas  unbestimmte 
Stadium  beobachten  zu  können,  da  die  bezügliche  Stelle  des  Eies  stets 
unten  liegt,  während  für  uns  blos  die  Oberfläche  der  Beobachtung 
zugänglich  war.  Da  die  Blastula  keine  Richtungen  erkennen  lässt, 
so  ging  ich  direct  zur  Furchung  zurück  und  [10]  zwar  auf  den  Aus- 
gangsmoment derselben.     So  stellte  ich  die  Frage: 

Besteht  zwischen  der  Richtung  der  ersten  Furchungs- 
ebene  und  der  Richtung  der  Medianebene  des  späteren  Embryo 
irgend  eine  con staute  Beziehung  oder  sind  beide  vollkommen  un- 
abhängig von  einander? 

Tm  ersteren  Falle  musste  ein  constantes  Winkelverhältniss  beider 
Richtungen  sich  ergeben,  im  letzten  mussten  immer  verschiedene 
Winkelgrössen  sich  darstellen. 

Die  thatsächlichen  an  Rana  fusca  angestellten  Beobachtungen 
ergaben  nun  zunächst  das  letztere  Verhalten ;  es  traten  wiederholt  bei  Ver- 
suchsreihen von  12  bis  16  Eiern  Winkel  aus  allen  Decaden  von  0—90*^ 
hervor;  und  bei  der  Constanz  dieses  Auftretens  lag  es  in  der  That 
sehr  nahe ,  dieses  als  das  richtige  Resultat  anzusehen  und  weitere 
Versuche  zu  unterlassen.  Trotzdem  aber  sagte  ich  mir,  dass  auch 
ein  solches  Resultat  nur  nach  Beseitigung  aller  nur  denkbaren  und 
sich  zeigenden  Fehlerquellen  als  sicher  angenommen  werden  dürfe, 
und  d  ass  also  im  vorliegenden  Falle  ein  ,, solches''  Resultat 
überhaupt  nicht  ,.f  est  stellbar"  sein  könne,  da  die  eine 
Fehlerquelle,  welche  aus  der  Suspension  des  Eies  in  einer  Flüssigkeit 
auch  bei  den  geringsten  Erschütterungen  folgt,  weder  zu  beseitigen 
noch  zu  messen  ist.  Also  unsere  Untersuchung  konnte  ein  einen 
,, sicheren'' Schluss  gestattendes  Resultat  überhaupt  nur 
dann  geben,  wenn  eine  annähernd  ,,constante"  Beziehung 
in  verschiedenen  Versuchsreihen  hervortrat,  da  bei  der  In- 
constanz  der  Grösse  der  Fehlerquellen  diese  für  sich  kein  constantes 
Resultat  hervorbringen  konnten.  Zeigte  sich  aber  dauernd  ein  incon- 
stautes  Resultat,   so  waren  wir  unfähig,    zu  entscheiden,    ob  dies  das 


104  Nr.   16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 

wahre  Resultat  selber  oder  blos  die  Wirkung  der  Fehlerquellen  sei; 
und  wir  gewannen  somit  überhaupt  kein  Resultat. 

Diese  Gründe  und  dabei  die  üeberzeugung,  dass  doch 
irgend  eine  feste  Beziehung  zwischen  den  bezüglichen  Richtungen 
bestehen  müsse,  dass  unmöglich  die  Continuität  der  Rich- 
tungen des  „normalen"  ersten  embryonalen  (xeschehens  an 
einer  Stelle  unterbrochen  sein  könne,  und  dass  eine  der 
Hauptrichtungen  normalerweise  nur  durch  einen  Zufall, 
das  heisst  durcli  eine  nicht  normirte  äussere  Einwirkung 
bedingt  werde,  veranlassten  [11]  mich  unermüdlich  die  Fehler- 
quellen aufzusuchen  und  zu  vermeiden  [s.  Nr.  27  S.  330]. 

Das  erste  etwas  ., bessere"  Resultat,  das  heisst.  welches  schon 
eher  eine  con staute  Beziehung  zwischen  der  ersten  Furchungsebene 
und  der  späteren  Medianebene  hervorblicken  Hess,  ergab  die  Fixation 
des  Eies  mit  zwei  unter  Winkeln  von  45^  gegen  den  Boden  geneigten 
Nadeln,  nach  vorausgegangener  6 stündiger  Behandlung  mit  Eiswasser. 
Beim  ersten  Versuche  mit  dieser  Methode  entwickelten  sich  blos  drei 
Eier  bis  zur  Anlage  der  Rückenfurche,  und  sie  zeigten  Richtungs- 
difl'erenzen  beider  Ebenen  von  2*'.  10*^  und  1¥\  Da  beide  Ebenen 
normaler  Weise  stets  in  Richtung  der  Schwerkraft  stehen,  so  ist 
ihr    Neigimgswdnkel   leicht   von    oben   zu  messen. 

Nur  in  seltenen  Fällen  war  die  M  e  d  i  a  n  e  b  e  n  e  gegen  die 
Horizontale  geneigt;  in  diesen  auf  eine  äussere  Hemmung  oder 
auf  eine  innere  Abnormität  deutenden  Fällen  war  fast  immer  auch 
der  Winkel  beider  uns  angehen<len   Ebenen  ein  grösserer. 

Die  zweite  Versuchsreihe  mit  dieser  Methode  ergab  das  folgende 
Resultat.  Da  ich  bei  der  vorletzten  Versuchsreihe  zuerst  die  Beob- 
achtung gemacbt  liatte,  dass  die  bereits  etwas  weiter  entwickelten 
Rückenfurchen  stärker  von  der  in  die  Wachsplatte  eingezeichneten 
Richtung  der  ersten  Furchungsebene  abwichen,  als  die  eben  erst  zum 
Vorschein  kommenden  Furchen,  so  schlos.«  ich  daraus  auf  eine  Dreh- 
ung des  Eies  nach  dem  Auftreten  dieser  Furchen,  weshalb  ich  von 
da  an  mich  bemühte .  immer  bei  allen  Eiern  den  ersten  sicheren 
Moment  zu  beobachten .  wo  die  Richtung  der  Rückenfurche  in  ge- 
nügender Weise    über   den  Rand    der    nach    oben  gewendeten  Fläche 


Versuche  an  Iva  na  fusca.  105 


des  Eies  zum  Vorschein  gekommen  war,  um  sicher  gemessen  werden 
7A\  können.  Aus  diesem  Grunde  wurde  bei  den  nächsten  Serien  auch 
die  Grösse  dieses  Fehlers  durch  wiederliolte  Messungen  bestimmt  und 
die  folgende  Tabelle  gewährt  zugleich  den  Einblick  in  dieses  Verhältniss. 
Betrachten  wir  zunächst  die  zuerst  beobachteten  Resultate,  so 
betragen  die  Abweichungen  der  beiden  Ebenen  in  fünf  von  den  acht 
Fällen  nur  Null  bis  zehn  Grad;  und  nehmen  wir  die  drei  Resultate 
des  ersten  Versuches  mit  dieser  Methode  hinzu,  so  fallen  von  11  Eiern 
bei  sieben  derselben  die  beiden  Ebenen  [12]  fast  zusammen,  bei 
einem  weiteren  beträgt  die  Differenz  nur  14°  und  nur  bei  drei  von 
elf  zeigen  sich  grössere  WinkeldifEerenzen,  von  20",  28°  und  67°. 
4'»  früh       5^         1^        S^       10»^        9h   abends 

1.  9°  20*^      26°      44°      67°      67° 

2.  3°  4°        8°      22°      42^      42° 

3.  4°  4°        4°      28°      58°      58° 

4.  0°  0°        0°      14°      63°     153° 

5.  10°  14°      20"      20°      33°      33° 

6.  20°  24°      42°      50°      80°      80° 

7.  28°  28°      37°      45°      35°      50° 

8.  67°  71°      75°      81°      54°      59° 

Betrachten  wir  die  Querreihen,  so  sehen  wir,  dass  bei  einigen 
Eiern  schon  innerhalb  einer  Stunde  eine  Drehung  von  10°  stattge- 
funden hat,  dass  die  Drehung  in  drei  Stunden  im  Maximum  26°  er- 
reichte, und  dass  nach  sechs  Stunden  zumeist  ein  neues 
Stadium  des  Gleichgewichts  eingetreten  war.  Wären  die 
Eier  erst  um  5^  zum  ersten  Male  gemessen  worden,  so  wäre  das 
Resultat  ein  weit  ungünstigeres  gewesen,  und  um  7  '^  hätten  wir  schon 
ein  Ergebniss  mit  dem  früheren  Charakter,  mit  Vertheilung  der  Winkel 
auf  alle  Decaden  erTialten.  Bei  den  beiden  ungünstigsten  Fällen,  mit 
Abweichungen  der  Flächen  von  28°  und  67°  findet  sich  die  Bemer- 
kung,  dass  diese  Eier  zur  ersten  Beobachtungszeit  früh  4  Uhr  schon 
am  weitesten  entwickelt  waren,  also  wohl  schon  in  Folge  der  Gestalt- 
änderung sich  gedreht  hatten. 

Bei  der  vorhergehenden  Versuchsreihe  beobachtete  icli  an  einem 


106  Nr.   16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Eie  einen  räthselhaften  Vorgang,   welcher,   da  er  nicht  direct  hierher 
gehört,  in  einer  Anmerkung  besprochen  werden  soll '). 

[13]    Die   nächste   Verbesserung   der   Fixationsmethode   bestand 


1)  Eines  der  Eier  gelangte  nämlich  nach  der  Bildung  der  Medullarfurche  und 
dem  damit  verbundenen  Länglichwerden  nicht  zu  einer  Euhestellung,  sondern  es  drehte 
sich  drei  Tage  lang  mit  zwischen  2 — 6  iMinuten  wechselnder  Umdrehungsgeschwindig- 
keit rechts  herum  um  die  dorsiventrale  Axe ;  aber  einmal  war  eine  Umkehr  der  Um- 
drehungsrichtung Avahrzunehmen.  welche  ich  nur  eine  halbe  Stunde  beobachten  konnte, 
da  dann  die  Beobachtung  unterbrochen  Averden  musste ;  und  bei  Wiederaufnahme  der- 
selben nach  einigen  Stunden  drehte  sich  der  Embrj-o  wieder  rechts  herum.  Erschüt- 
terung, Insolation  der  Morgensonne  frei  oder  durch  eine  Loupe  etwas  verstärkt, 
Dunkelheit  hatten  keinen  erkennbaren  Einfluss  auf  die  Umdrehungsgeschwindigkeit; 
dagegen  schien  Zusatz  warmen  Wassers  dieselbe  zu  beschleunigen,  Zusatz  kalten 
Wassers  sie  zu  verzögern.  Die  Kraft,  welche  die  Umdrehung  beAvirkte.  blieb  räthsel- 
haft,  da  die  Umdrehungsaxe  in  der  Gallerthülle  verschiebbar  Avar;  bei  Schiefstellung 
des  Glases  nämlich  kehrte  der  Embryo  in  der  Gallerthülle  zu  seiner  Avagerechten 
Stellung  zurück  und  drehte  sich  weiter  um  die  senkrechte  Axe;  damit  wurde 
es  unwahrscheinlich,  dass  vielleicht  eine  Art  abnormer  Weise  vorhandener,  gewun- 
dener Hagelschnur  durch  Aufdrehen  der  Windung  beim  Quellen  die  Umdrehung  be- 
wirke. Nur  bei  sehr  starker  Neigung  wurde  die  Drehung  durch  die  Wandung  der 
Höhle  gehemmt;  man  sah,  dass  der  Embryo,  wenn  sein  Kopf  oder  SchAvanz  an  einer 
bestimmten  Stellung  ankam,  sich  nur  ganz  langsam  bewegte,  nachdem  aber  diese 
Stelle  überwunden  Avar,  mit  grösserer  GeschAvindigkeit  die  übrigen  drei  Quadranten 
durchlief.  Bei  noch  stärkerer  Neigung  trat  vollkommene  Hemmung  an  der  betreffen- 
den Stelle  ein.  Die  einzige  Möglichkeit  erschien  mir  danach  die,  dass  elektrische 
Ströme  links  herum  in  der  Oberfläche  des  Embryo  vom  Kopfe  über  die  linke 
Seitenfläche  caudalwärts  und  über  die  rechte  Seite  zurück  zum  Kopfe  kreisten  und 
dem  Embryo  so  durch  Rückstoss  die  Umdrebungsbewegung  rechts  herum  er- 
theilten.  Da  ich  meine  Aufmerksamkeit  bei  der  beschränkten  Dauer  der  Laich- 
periode anderen  Vorgängen  zuwenden  musste,  unterblieben  auf  NachAveis  dieser  hypo- 
stasirten  Ströme  gerichtete  Untersuchungen,  obgleich  mir  noch  fünf  weitere  solche 
„Wende-Embryonen"  von  zum  Theil  noch  grösserer,  zumeist  aber  geringerer  Um- 
drehungsgeschwindigkeit vorkamen.  So  unterblieb  auch  der  vielleicht  ein  interessantes 
Ergebniss  liefernde  Versuch,  den  Embryo  electrisch  zu  tödten  und  dann  das  weitere 
Verhalten  bezüglich  der  Umdrehung  zu  beobachten.  Bei  einem  mit  dem  Brennglas 
getödteten  Embryo  hörte  die  Bewegung  auf,  AA-as  aber  hierbei  auch  durch  Coagulation 
der  Suspensionsflüssigkeit  bedingt  sein  konnte.  Woher  kommen  aber  die  electrischeu 
Ströme  und  warum  sollen  sie  bei  anderen,  ebenfalls  normalen  Embryonen  fehlen? 
Oder  Avaren  sie  überall  vorhanden  und  blos  die  BewegungsAviderstände  in  der  Suspen- 
sionsflüssigkeit ungleich?  Ganz  langsame,  stetige  Umdrehungen  h  20—30  Minuten 
scheinen  in  der  That  öfter  vorzukommen.  Die  BeAvegungen  hören  auf,  A\'enn  der 
Embryo  so  lang  ist,  dass  er  trotz  der  seitlichen  Umbiegung  des  Schwanzes  an  die 
Gallerthülle  anstösst. 

t  [Diese  BeAA-egung  war  schon  von  Swammerdam  gesehen  und  bereits  von  Bischoff 
mit  Recht  auf  Wimperbewegung  zurückgeführt  Avorden  (siehe  W.  Preyer,  Specielle 
Physiologie  des  Embryo.     Leipzig  1885.  S.  392).  i 


\  crsuclio   iiii   lüiiiii   fusra.  107 

in  der  Bet'estiguiiii'  durch  zwei  .suiikrcclil  zu  eiiumdcr  derart  durch 
die  Gallerthülle  gestossene  Nadehi,  dass  die  beiden  Nadehi  sich  in 
der  Mitte  der  innerlialb  (ier  Gallerthülle  gelegenen  Stücke  berühren. 
Diese  Nadeln  wurden  dann  auT  den  Boden  des  Gei'ässes  gelegt  und 
mit  einigen  Stiftchen  so  befestigt,  dass  sie  weder  die  Gallerthülle 
zerren,  noch  bei  Er-  [14]  schütterungen  schlottern  konnten.  Das  Ei 
ruht  hierbei  auf  einer  sehr  breiten  Fixationsfläche ,  und  die  Gallert- 
hülle kann  sich  fast  ungehemmt  ausdehnen,  ohne  dass  die  geringste 
Drehung  möglich  ist.  Die  mit  dieser  Methode  gewonnenen  Winkel 
betrugen  0»,  0^,  0°,  1°,  2»,  2°,  2«,  5«,  11»,  12«,  15»,  18»,  21«,  27«,  40«; 
also  von  lö  Fällen  stimmen  zehn  fast  überein .  die  -weiteren  fünf 
w^eichen  successive  weiter  ab.  aber  nur  zwei  in  höherem  Maasse. 

Gleichzeitig  mit  dieser  Art  wairde  eine  ganz  neue,  viel  einfachere 
Methode  versucht,  w^elche  auf  einer  Beobachtung  meines  Collegen 
Dr.  Born  beruht.  Derselbe  theilte  mir  mit.  dass  die  Eier,  welche  in 
dem  Gefäss,  in  dem  sie  befruchtet  werden,  sehr  fest  am  Boden  an- 
kleben, wenn  man  sie  in  demselben  belässt,  und  trotz  der  hochgradigen 
Auflockerung  durch  die  Q.uellung  noch  nach  einigen  Tagen  festhaften. 
Ich  bezweifelte  zunächst  die  Verwendbarkeit  dieser  Art  der  Fixation 
blos  an  der  äussersten  Peripherie  der  Hülle,  weil  bei  der  Autlockerung 
der  Hülle  und  in  Folge  der  kleineren  Befestigungsfläche  und  der 
grösseren  Entfernung  derselben  von  dem  Mittelpunct  des  Eies  jede 
Erschütterung  ein  viel  grösseres  Schlottern  desselben  hervorbringen 
musste  und  hervorbrachte,  als  bei  den  früheren  Methoden;  dann  er- 
schien es  auch  zweifelhaft,  ob  wirklich  die  Fixation  so  lange  genügend 
festhalten  würde.  Der  Versuch  ergab  indess,  dass  die  Fixation  bei 
Rana  fusca  sogar  noch  einen  Tag  länger,  als  nöthig  ist,  anhält;  und 
auch  andererseits  mussteu  die  Vortheile  die  Nachtheile  überwiegen, 
denn  ich  erhielt  mit  ihr  die  c  onst ante sten  Resultate.  Die  meisten 
Eier,  w^elche  so  sich  selber  fixirt  hatten,  und  deren  erste 
Theilungsrichtung  in  die  Wachsplatte  eingezeichnet  war,  waren,  wie 
leider  häutig,  schon  vor  der  Anlage  der  Rückenfurche  abgestorben, 
so  dass  blos  acht  Eier  mit  folgenden  Winkeln  übrig  bheben:  0«,  0*^, 
l",  1°.  30,  5".  20*^,  270.  Also  von  acht  Eiern  stimmen  sechs  fast 
ab.solut  überein;  zw^ei  wichen  ab,  von  denen  aber  das  mit  der  grössten 


108  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Abweichung  am  Rande  des  Gefässes  stand  und  in  seiner  Ausdehnung 
durch  die  AVandung  des  Gefässes  gehemmt  \vorden  war.  Ich  erwartete 
nun,  dass  bei  der  hier  mögUclien,  fast  allseitig  ungehemmten  Aus- 
dehnung der  Gallerthülle  auch  die  nachträgliche  Drehung  der  Eier 
nach  Bildung  der  Rückenfurche  äusserst  gering  ausfallen  würde;  trotz- 
dem standen  sie  [15]  andern  Tages  in  Winkeln  von  61°,  30°,  31", 
84°,  74°,  85°,  88°,  90°  zur  Richtung  der  ersten  Th eilung. 

In  diesem  Stadium  der  Untersuchung  endigte  die  Laichperiode 
der  Rana  fusca,  und  es  musste  daher  die  Laichung  der  Rana 
esculenta  abgewartet  werden.  Diese  schob  sich  durch  die  Kälte  im 
Mai  sehr  lange  hinaus,  um  sich  in  den  ersten  warmen  Tagen  am 
Ende  des  Monats  um  so  rascher  zu  vollziehen  und  in  einer  einzigen 
Woche  ihren  Abschluss  zu  finden.  In  Folge  dieser  Verkürzung  der 
Periode  konnten  blos  drei  Versuchsreihen  angestellt  werden,  welche 
durch  die  viel  grössere  Empfindlichkeit  der  Eier  dieses  Thieres  ganz 
im  Allgemeinen  wie  besonders  gegen  den  schädlichen  Einfluss  des 
Wachses  sehr  gelichtet  wurden.  Andererseits  machte  sich  eine  be- 
sondere Eigenschaft  Fehler  schaffend  beim  ersten  Versuche  geltend, 
welchen  Fehlern  erst  nach  Erkenntniss  der  Ursache  bei  den  beiden 
anderen  Versuchen  begegnet  werden  konnte.  Die  Eier  kleben  näm- 
lich im  Uterus  aneinander,  und  bei  dem  Versuch,  sie  in  der  Sameur 
flüssigkeit  zu  vertheilen,  bilden  sich  feine  Fäden,  welche  sich  während 
der  ganzen  Dauer  des  Versuches  erhalten  und  so  die  Eier  unter- 
einander und  ausserdem  noch  mit  dem  Boden  verbinden.  Da  sie 
auf  dem  Wachsboden  nicht  gut  sichtbar  sind,  war  mir  ihr  Andauern 
entgangen  und  erst  das  ungünstige  Resultat  des  Versuches  machte 
mich  auf  sie  aufmerksam;  sie  wurden  daher  in  den  beiden  nächsten 
Versuchen  sorgsam  entfernt ;  im  letzten  Versuch  wurde  schon  ihre  Bil- 
dung möglichst  vermieden,  da  nach  den  Erfahrungen  des  zweiten 
Versuches  die  Entfernung  nicht  gut  vollkommen  möglich  ist.  Bei 
den  beiden  letzten  Versuchen  wurden  ausserdem  Glas ge fasse  ohne 
Wachsbodeu  bevorzugt,  einerseits  wegen  der  stark  giftigen  Wir- 
kung des  letzteren,  zweitens  weil  die  Wachstafeln  oft  feine  Poren  besassen, 
welche  die  Verschiebung  des  Befestigungstheiles  der  Gallerthülle  auf 
dem  Boden  einseitig  hemmen   und  so  Drehungen  veranlassen  mussten; 


besetz  der  nornialoii  Cninciilonz  der  hezügliclKMi   h'ichtunMcn.  109 

drittens  weil  bei  dieser  Art  der  Befestigung  die  Wtichstafeln  über- 
haupt überflüssig  waren,  indem  die  Notirung  der  Dichtungen 
fast  ebenso  genau  auf  einem  Blatt  Papier,  welches  seitlich 
überstehend  aussen  auf  den  Boden  der  Glasschale  auf- 
geklebt war,   an  einer  Situationsskizze  der  Eier  iieschehen   konnte. 

Die  Resultate  an  R  a  n  a  e  s  c  u  1  e  n  t  a  waren  nun  folgende :  Beim 
ersten,  noch  mit  nacJi weisbaren  Fehlern  behafteten  Ver-  [16]  such: 
0°,  0»,  1«,  5°,  120,  220,  300^  420^  (^iqo  gjo^  750  ßeim  zweiten  Versuch, 
mit  nachträglicher  Entfernung  der  vorhandenen  Verbindungsfäden 
zwischen  den  Eiern:  1«.  2°,  4«,  6",  9»,  IP,   18".  25",  48o. 

Beim  dritten  Versuch  unter  Vermeidung  der  Entstehung  solcher 
Fäden:  O«.  0»,  0«,  0«,  1",  3»,  4«,  5».  5«,  6«,  T».  8°,  10«,  22«,  29°.  Von 
15  Eiern  fielen  also  bei  13  die  Richtungen  der  ersten 
Furchungseben  e  und  der  Medianebene  des  Embryo  voll- 
kommen oder  fast  vollkommen  zusammen,  nur  in  zwei 
Fällen  waren  erhebliche  Abweichungen,  von  22^  resp.  29".  vorhanden. 

So  ist  es  inis  also  gelungen  ,  nach  einem  langen  Kampfe  mit 
den  Fehlerquellen  <lieselben  derartig  zu  unterdrücken,  dass  von  der 
anfanglichen  vollkommenen  Zerstreuung  der  Winkeldif- 
ferenz auf  alle  Decaden  eine  fast  vollkommene  C'oncentration 
derselben  um  die  Nulllage  sich  als  constant  hergestellt  hat. 

Die  noch  verbleibende  kleine  Abweichung  von  ö"  bis  10"  wird 
jeder,  der  einmal  derartige  Versuche  gemacht  hat,  bei  der  Kleinheit 
der  runden  schwimmenden  Kugeln  als  so  gering  beurtheilen,  dass  er 
sich  im  Gegentheil  wundern  wird  über  die  Möglichkeit,  die  Fehler  so 
weit  zu  vermeiden.  Die  Concentration  um  den  Nullpunkt  ist  eine  so 
evidente,  dass  sie  wohl  Niemand  verkennen  wird,  um  so  mehr,  als 
die  Abweichungen  sieli.  wie  noch  hinzugefügt  werden  muss,  nach 
beiden  Seiten  hin,  nach  rechts  und  links,  fast  gleichmässig  vertheilen. 
So  ist  es  wohl  berechtigt ,  w^enn  ich  das  hervorspringende  Be- 
streben, die  Richtungen  beider  Ebenen  zusammenfallen 
zu  lassen,  als  das  Gesetzmässige  auffasse  und  die  ge- 
fundenen kleineren  und  grösseren  Abweichungen  nicht 
auf  Abweichunoen  von  dem  Gesetz,  sondern  auf  die  noch' 


110  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo 

re  stiren  den    Fehlerquellen    des    \"  ersuch  es    zurückführe 
und  so  das  Gesetz  aufstelle: 

Mit  der  Ebene  der  ersten  Furchun^-  wird  [unter  normalen 
Verhältnissen]  beim  Froschei  zugleich  auch  die  künftige  Median- 
ebene des  Individuums  bestimmt,  und  zwar  fallen  beide  zusammen  ^). 

Wenn  wir  jetzt  die  Bedeutung  dieses  Gesetzes  im  Spe- 
ciellen  erörtern,  so  wird  nocli  deutlicher  die  Berechtigung,  die  gefun- 
denen Abweichungen  auf  die  Fehlerquellen  zurückzuführen,  hervortreten. 

[17]  Die  erste  F'urchung  theilt  das  Eimaterial  in  zwei  gleiche 
Hälften,  und  nach  der  Vollendung  der  Theilung  wird  normalerweise 
nur  noch  wenig  Material  bei  den  folgenden  Furchungen  über  diese 
Grenze  geschafft.  Wenn  nun  die  spätere  Medianebene,  welche  den 
Organismus  in  zwei  symmetrische  Hälften  theilt.  eonstant  in  diese 
Gegend  der  Furchungsebene  und  nachweisbar  oft  mit  ihr  zusammen- 
fällt, so  geht  daraus  hervor,  dass  die  erste  Furchung  in  diesen 
Fällen  die  Bedeutung  der  Zerfällung  des  Eimaterials  in  die 
den  beiden  späteren  Körperhälften  entsprechenden  Theile 
hat.  Darnach  aber  wird  es  unwahrscheinlich,  dass  in  anderen  Fällen 
ein  durch  die  ganze  Zelle  durchgehendes  Stück  von  15  oder  "20 
Winkelgraden  von  je  einer  dieser  beiden  ersten  Hälften  nachträglich 
abgetrennt  und  zur  Bildung  der  anderen  Körperhälfte  mit  verwandt 
werde.  [Bezüglich  a b normer  Verhältnisse  siehe No.  31  S.  266  undNo.  33. 1 

Nachdem  so  das  Hauptresultat  festgestellt  und  formulirt  ist. 
muss  der  Leser  noch  etwas  des  Genaueren  unterrichtet  werden,  unter 
welchen  Umständen  es  gewonnen  ist. 

Nach  dem  Auftreten  der  ersten  Furche  wurde  die  Richtung  der 
selben  sofort  in  das  Wachs  oder  auf  das  Papier  fixirt.  Aber  oft 
kommt  es  vor,  dass  sich  ihre  Richtung,  sei  es  durch  Massenaustausch 
der  beiden  noch  unvollkommen  getrennten  Theile,  noch  öfter  aber 
durch  Drehung  des  Eies  erhebhch  ändert.  Dies  beides  dauert  ge- 
wöhnlich blos  bis  nach  dem  Beginn,  resp.  bis  nach  der  Vollendung 
der  zweiten  Furchung,  nach  w'elcher  dann  ein  neuer  mit  einem  Kj'euz 


[1)  Ueber  das  Verhalten  bei  nachträglicher  Zerlegung  der  ersten  Fui-chungs- 
ebene  nach  der  dritten  Furchung  durch  Verschiebung  der  vier  oberen  Zellen  um  45** 
gegen  die  vier  unteren  siehe  Nr.  28,  S.  667]. 


Naclitfiiglichc   Abiindpruimeii  Ul 

bezeichneter  Strich  oomacht  wnnle.  Diese  also  oft  blos  (hirch  Dreh- 
ung, oft  aber  auch  durch  wirklichen  Massenaustausch  vercänderte  resp. 
corrigirte  Richtung  der  ersten  Furchungsebene  ist  es,  auf 
welche  unsere  fein  constantes  Verhalten  ergebenden!  Messungen 
sich  beziehen. 

Auf  die  eventuell  alterirende  Wirkung  der  Bildung  einer  soge- 
nannten Brechungsfurche,  welche  durch  Hächenhafte  Berührung 
zweier  sich  normaler  Weise  blos  mit  den  Kanten  gegenüberstehenden 
Furchungskugeln  der  zweiten  Theilung  entsteht,,  und  stets  die  eigent- 
lichen Hauptfurchen  ablenkt,  hatte  ich  anfangs  geachtet;  aber  zu 
dieser  Zeit  waren  die  Fehler  der  Methode  noch  zu  gross,  um  solche 
Feinheiten  beurtheilen  lassen  zu  können.  Bei  der  letzten  Versuchs- 
reihe mit  R.  fusca  und  bei  R.  escul.  war  diese  Furche  aber  nicht 
wieder  aufgetreten.  [18)  Bei  den  „späteren"  Theilungen  stellen 
sich  öfter  Zellen  wieder  in  die  Medianlinie  und  vertheilen 
ihr  Material  bei  den  weiteren  Theilungen  auf  die  beiden  Ei- 
also  auch  Körperhälften,  ohne  indessen  in  Folge  ihrer  Kleinheit 
im  Stande  zu  sein,  die  Richtung  der  Medianlinie  dadurch  zu  ändern  '). 

Mit  diesem  Resultat  ist  also  die  Richtung  der  Medianebene  fest- 
gestellt und  zwar  ist  die  erste  Furchungsebene,  wie  sie  durch  die 
nächste  Furchung  corrigirt  wird,  schon  die  Medianebene.  Damit  ist 
zugleich  auch  die  dorsi ventrale  Richtung  genauer  bestimmt,  als  dies 
am  unbefruchteten  Ei  durch  die  Polarität  des  Keim-  und  des  Nahrungs- 
dotter angedeutet  ist;  denn  die  erste  Furche  geht  nicht  immer  durch  die 
Mitte  des  Bildungsdotters,  wohl  aber  durch  die  Mitte  des  ganzen  Eies. 
[Diese  Abweichungen  sind  durch  etwas  zu  geringen  Wasserzusatz  und 
dadurch  veranlasste  Zwangslage  des  Eies  bedingt,  s.  Nr.  20  S.  43.] 

[1)  Da  diese  Vorgänge  nicht  immer  stattfinden,  also  atypisch  sind,  so  können 
diese  an  einen  abnormen  Ort  gelangten  Zellen  nicht  zufolge  ihrer  ursprünglichen  normal 
activirten  Qualitäten,  also"  auch  nicht  von  selber  zu  den  dieser  Lagerung  entsprechen- 
den Theilen  des  Embryo  sich  entwickeln;  sondern  sie  müssen  von  den  Zellen  des  Haupt- 
complexes  aus  zur  richtigen,  ihrer  Lagerung  im  Ganzen  entsprechenden  Differenzirung 
veranlasst  werden.  Da  aber  zugleich  auch  diese  in  ihrer  normalen  Anordnung  etwas 
gestört,  wenn  auch  weniger  alterirt  worden  sind,  so  muss  dasselbe  in  entsprechend 
minderem  Maasse  auch  an  ihnen  stattfinden;  so  dass  also  nicht  mehr  normale  s.  di- 
recte,  sondern  indirecte  P]ntwickelung  vorliegt,  welche  unter  Activirung  von  idio- 
plastischem  Reservematerial  in  den  Zellen  und  von  Regulationsmechanismen  statt- 
findet (siehe  Nr.  28  S.  667  und  Nr.  31  S.  279).] 


I 


112  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


B.    Zeit  der  Bestimmung  der  Qualitäten  Icopf-  und  schwanz- 
wärts   bei   gegebener  Hau|jtrichtung. 

Es  fehlt  nun  noch  als  letzte  Bestimmung  an  den  Hauptricht- 
ungen die  Entscheidung  übei'  die  Qualitäten  kopl-  und 
schwänz wärts;  und  es  ist  die  Frage:  Wird  die  Entscheidung  dar- 
über, welches  Ende  der  Medianebene  resp.  der  ersten  Furchuugsebene 
den  Kopf,  welches  den  Öchwanztheil  liefern  soll ,  aucli  schon  in  den 
Anfangsstadien  der  Eurchung  getroffen;  oder  ist  vielleicht  die  Be- 
stimmung dieser  Differenz  erst  einer  späteren  Entwickelungsstufe 
und  vielleicht  unter  Betljeiligung  einer  äusseren  Einwirkung  vorl)e- 
halten? 

An  den  Eiern  von  Eana  fusca  konnte  ich  darüber  zu  keinem 
Resultate  kommen,  da  die  Furchung  hier  zu  unregelmässig  und  an- 
dererseits zugleich  auch  wieder  zu  regelmässig  verlief;  letzteres,  weil 
die  drei  ersten  Meridianfurchen  alle  grösste  Kreise  waren,  welche  sich 
alle  in  denselben  beiden  Puncten  schnitten;  zu  unregelmässig,  weil 
die  weitere  Furchuug  kein  typisches  Schema  erkennen  hess,  wozu 
wohl  die  in  den  meisten  Fällen  stattgehabte  Eisbehandlung  beitragen 
mochte. 

Bei  Rana  esculenta  verlief  die  F\u*chung  fast  stets  nach  beiden 
Richtungen  hin  so  günstig,  dass  ich  schon  an  der  ersten  Serie  Eier 
das  charakteristische  Furchungsschema  aufstellen  konnte,  welches  dann 
durch  die  beiden  folgenden  Serien .  von  kleinen  Abweichungen  ab- 
gesehen, durchaus  bestätigt  wurde.  Dieses  so  einheitlich  und  leicht 
erkennbar  aufgetretene  Furchungsschema  ist  aber  wesenthch  ver- 
schieden von  den  neuerdings  [19]  von  Rauber  ^)  für  dieselbe  Species 
aufgestellten  Schemata,  welche  auch  unter  sich  selber  in  hohem  Maasse 
von  einander  abweichen.  Aus  diesem  letzteren  Verhalten  lässt  sich  wohl 
ableiten,  dass  Rauber  Eier  mit  verschiedenartig  gestörten  F'urchungen 
vor  sich  gehabt  hat;  nur  eines  seiner  Bilder  (Fig.  34)  lässt  die  Züge 
des  von  mir  beobachteten  Schemas  erkennen  (s.  Nr.  20  S.  40). 

1)  A.  Rauber,  Neue  Grundlegungen  zur  Kenntniss  der  Zelle.  Morphologisches 
.lahrh.  Bd.  VIII,  Tafel  XI.  F.   1. 


Typische  schiefe  EinstelUiriii  des  {'lies  von   Haiia  esculenta.  113 

Die  erste  Furelumgsebene  gelil  aueli  liier  durch  den  Mitt.elj)unet 
des  Eies  und  steht  senkrecht.  Die  zweite  Furehiing  erfolgt  wie 
gewöhnlich  rechtwinkelig  zur  ersten,  liegt  aber  excentrisch 
und  schneidet  somit  nur  einen  Kugelabschnitt  ab.  Dadurch  ist  von 
vornherein  ein  Unterschied  zwischen  den  zwei  durch  diese  Quer- 
i'urchung  getrennten  Theilen  des  Embryo  gemacht;  es  bleibt  blos  die 
Frage,  zu  welchem  von  beiden  Körpertheilen  der  kleinere ,  res]),  der 
grössere  Abschnitt  werden  wird,  und  ob  überhaupt  eine  constante 
Beziehung  darin  besteht. 

Zunächst  ist  die  excentrische  Lage  der  zweiten  Furchungsebene 
constant  noch  genauer  bestimmt.  Das  Ei  dieser  Species  stellt  sich 
nämlich,  jedenfalls  zufolge  einer  inneren  Verschiedenheit 
des  specifischen  Gewichtes  des  Materials  (s.  S.  120)  immer  so 
ein,  dass  die  Mitte  des  braunen  Poles  nicht  rein  nach  oben, 
sondern  etwas  nach  einer  Seite  gerichtet  ist;  auf  der  andern 
Seite  kommt  daher  oben  etwas  von  der  Randzone  des 
weissen  Poles  zum  Vorschein.  Nach  dieser  letzteren  Seite 
hin  ist  stets  die  zweite  Furche  excentrisch  gelagert. 

Das  durch  diese  Einstellung  entstehende  Bild  der  oberen  Hälfte 
des  Eies  wird  stets  durch  die  erste  Furchungsebene  annähernd 
symmetrisch  getheilt;  und  da  die  Einstellung  schon  vor  der 
zweiten  Theilung  (ich  habe  leider  nicht  beobachtet,  ob  auch  schon 
vor  der  ersten  Theilung  oder  schon  vor  der  Befruchtung) 
erfolgt,  so  ergiebt  sich,  dass  dieser  Unterschied  der  vorderen  und 
hinteren  Körperhälfte  schon  sehr  frühzeitig  normirt  wird. 

Indem  diese  Excentricität  und  ihre  Lage  nach  dem  weissen 
Rande  in  die  Diagramme  eingetragen  wurden,  konnte  am  Beginn  der 
Bildung  der  Rückenfurche  beobachtet  Averden,  welchem  [201  Körper- 
theil  der  kleinere  Kugelabschnitt  entsprach;  und  so  ergab  sich  aus- 
nahmslos, dass  es  die  hintere  Körperhälfte  ist,  da  ausnahmslos  es 
diejenige  Seite  war,  wo  die  Medullarfalteu  allmählich  von 
unten  nach  oben  zum  Vorschein  kamen*). 


[1)  Dass  diejenige  Seite,  „wo  die  MeduUarfalten  allmählich  von  unten  nach  oben 
zum  Vorschein  kommen^  die  , hintere"  s.  caudale  Seite  sei,  wurde  auf  Grund  der  damals 
von  Niemand  bezweifelten  älteren  Angabe  erschlossen,  dass  das  Medullarrolir  auf  der 
W.  Rons,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  y 


114  Nr.   16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Es  ist  hierbei  zu  erwähnen,  dass  bei  unseren  Ranae  esculentae 
die  Hückenfurehe  mit  den  Medullarfalten  nach  dem  von  den  Fischen 
lier  überkommenen  Typus  sich  anlegen,  indem  sie  vom  Gastrulamund 
aus  empor  sich  entwickehi.  Dasselbe  war  bei  den  Kanae  fuscae  des 
C'anton  WaUis  der  Fall,  während  bei  den  Ranae  fuscae  der  hiesigen 
Gegend  zuerst  die  Anlage  der  Hirnplatte  mit  den  vorderen  Enden 
der  Medullarfalten  erfolgt,  wie  es  auch  ().  HERT^vI(;^)  gesehen  hat.  Diesei- 
Unterschied  der  Anlage  des  Centralnervensystems  bei  Thieren  der- 
selben Gattung  resp.  Species  wird  embryologisch  von  grossem  In- 
teresse, sobald  man,  wie  berechtigt  erscheint,  annimmt,  dass  nicht 
die  Processe  an  sich  wesentlich  verschieden  sind,  sondern 
dass  blos  eine  ,, chronologische"  V^erschiedenheit  bezüglich 
des  Anfangs  des  Processes  besteht.  So  folgert  aus  der  erwähnten 
Verschiedenheit,  dass  die  Medullarfalten  sich  vom  Urmund  aus  nicht 
durch  einen  Sprossungsvorgang,  welcher  seinem  Wesen  nach  mit  Vor- 
wärtsschiebung des  Materials  verbunden  sein  müsste,  sich  entwickeln, 
sondern  dass  der  Faltenbildungsprocess  blos  über  das  ruhende  Material 
vom  Urmund  aus  abläuft  und  dabei  die  quere  Öchlussplatte  als  eine 
stets  von  neuem  Materiale  dargestellte  Welle  nach  aufwärts  und  vorn 
sich  fortpflanzt.  Diesen  Vorgang  konnte  ich  an  einem  etwas  ab- 
normen Ei  direct  beobachten.  Das  Ei  hatte  in  der  Mitte  des  oberen 
Poles   eine   mit  fein   gewundenen    Furchen    versehene    und    dunkler 


Oberseite  des  Eies  zur  Anlage  käme.  Da  später  Pflüger  und  ich  nachwiesen 
(s.  Nr.  21,  S.  158),  dass  diese  Auffassung  unrichtig  ist.  sondern  dass  die  Medullar- 
platte  auf  der  Unterseite  zur  Anlage  kommt  und  erst  nachträglich  durch  Drehung 
um  eine  Avagrechte  transversale  Axe  um  etwa  170°  nach  oben  gelangt,  sind  die  in 
dieser  Abhandlung  gegebenen  Bezeichnungen  von  köpf-  und  schwanzwärts  also 
gleichfalls  unrichtig,  und  müssen  miteinander  geradezu  vertauscht  werden. 
Dies  gilt  natürlich  auch  für  die  Abbildungen  der  zugehörigen  Tafel  IV.  In  der  1884 
verfassten  Abhandlung  Nr.  18  findet  sich  Seite  444  bereits  die  durch  ünterlegung 
eines  Spiegels  gewonnene  genauere  Bestimmung,  dass  normaler  Weise  bei  Rana 
esculenta,  „der  Urmund  immer  auf  derjenigen  Seite  des  Eies  entstand,  wo  der  weisse 
Pol  mit  einem  Saum  an  der  oberen  Fläche  des  Eies  sichtbar  wurde".  Danach 
war  nun  noch  die  Lage  der  Anlage  stelle  des  Urmundes  zur  Kopf-  und  Schwanz- 
seite des  Embryo  exakt  zu  bestimmen,  was  in  Nr.  23  geschehen  ist.] 

1)  0.    Hertwig,   Die  Entwickelung   des  mittleren  Keimblattes  der  Wirbelthiere. 
Zweiter  Theil.     1883. 


Furchuiigsschema  von   l\ana  (^sculentii.  115 

bruuii  gefärbte  Stelle,  und  ieli  erwartete  mit  Spcaniniii«;-  (li(^  Bildtiiig- 
der  Rückenfurche,  da  diese  Marke  mir  den  wirklichen  Vorgang  der 
Ausbreitung  der  Medullarfalten  erkennen  lassen  musste.  Die  Medullar- 
falten  rückten  nach  ihrem  Auftreten  immer  näher  an  die  unbeweg- 
lich liegen  bleibende  braune  Stelle  heran  und  die  Schlussplatte  der 
Falten  gelangte  so  an  den  vorderen  Rand  derselben,  lief  dann  in  ihr 
weiter,  so  dass  sie  in  der  Mitte  stand,  und  schliesslich  am  Ende  an- 
gelangt, bheb  die  Schluss-  [21]  platte  als  Gehirnplatte  stehen.  Der 
dunkelbraune  Fleck  blieb  darauf  am  vorderen  Ende  des  Medullar- 
rohres,  welches  sich  vollkommen  normal  weiter  bildete ,  noch  lange 
erkennbar.  So  wurde  also  direet  beobachtet,  Avie  diese  Querfalte  ohne 
jede  V^orwärtsschiebung  des  Materials  nach  vorwärts  sich  fortpflanzte 
und  dass  diese  Fortpflanzung  unter  wellenförmig  fortschreitender  Er- 
hebung und  Senkung  des  in  loco  verbleibenden  Materials  geschah. 
So  können  wir  auch  annehmen,  dass  bei  den  Ranae  fuscae  der 
hiesigen  Gegend  der  Process,  indem  er  am  anderen  Ende  anfängt, 
blos  eine  Alteration  der  Richtung,  welche  in  einer  blos  zeit- 
lichen Alteration  des  Geschehens  ihren  Grund  haben  kann, 
erfahren  hat;  und  es  erscheint  dabei  nicht  unverständlich,  dass  nun 
die  Gehirnwulstbildung  sich  nicht  in  umgekehrter  Richtung  fort- 
pflanzt, sondern  auf  ihren  definitiven  Ort  beschränkt  bleibt.  Man 
wird  am  Schlüsse  ersehen,  dass  diese  iVusführung  nicht  ohne  Be- 
ziehung für  die  Consequenzen  unseres  Resultates  bei  der  speciellen 
Anwendung  desselben  ist^). 

Es  sei  nun  noch  das  Furchungsschema  der  Ranae  es- 
culentae  kurz  skizzirt,  da  wir  mit  Hilfe  desselben  in  die  Lage  ver- 
setzt werden,  vorkommende  Abweichungen  der  ersten  Furch- 
ungen    in     ihrer    Bedeutung    zu    erkennen.      Figur   1    [auf 


[1)  Diese  scheinbar  so  sichere  Beobachtung  erwies  sich  bei  späteren  Beobach- 
tungen als  nicht  zuverlässig,  indem  sich  zeigte,  dass  das  oberflächliche  Pigment 
selber  gegen  die  unterliegende  Eisubstanz  verschoben  wird  und  dass 
solche  Flecken  verschwinden  und  neue  auftreten,  welche  letzteren  man  bei  nicht  conti- 
nuirlicher  Beobachtung  leicht  mit  den  früheren  verwechseln  kann.  Deshalb  habe  ich 
später  zwei  sicherere  Methoden  zur  ßeurtheilung  der  erwähnten  Verhältnisse  der  Bildung 
der  Medullarplatte  in  Anwendung  gebracht  (siehe  Nr.  21  S.  158  und  Nr.  23).J 


116  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Tai".  TV]  stellt  die  beiden  ersten  Furchen  auf  dem  l)ereits  durch  die 
erste  Aequatorialfurche  umgrenzten  animalen  Pol  des  Eies  dar.  Die 
punctirton  Linien,  welche  die  rechten  Winkel  des  Furchungskreuzes 
halbiren,  geben  die  ,, ersten"  Andeutungen  der  dritten 
Meridianfurche;  aber  diese  Richtungen  ändern  sich,  noch 
ehe  die  Furchen  tief  einschneiden,  und  zwar  in  derWeise, 
dass  die  Furchen  schliesslich  wie  in  Figur  2  verlaufen.  In 
Figur  1  sind  die  der  ersten  Furch ungsebene,  also  der  Medianebene, 
anliegenden  beiden  Furchungskugeln  jeder  Körperhälfte  die  hintere 
mit  a.  die  vordere,  grössere  mit  b  bezeichnet,  die  von  der  Mediau- 
ebene  ausgeschlossenen  Zellen  mit  a'  und  b'.  Figur  2  zeigt 
nun,  dass  die  dritten  Meridianfurchen  von  ihrer,  dem  universellen 
Normalschema  entsprechenden  anfänglichen  Anlage  abweichen ,  und 
zwar  in  einer  Weise,  dass  sie  sich  nicht  mehr  im  Kreuzungspunct 
der  beiden  ersten  Furchen  schneiden,  sondern  derart,  dass  der  Durch- 
schnittspunct  der  dritten  Furchen  der  hinteren ,  kleineren  Eihälfte 
bei  Ausführung  der  dazu  erforderlichen  Verlängerung  weit  hinein  in 
die  vordere  Körperhälfte  verlegt  wird,  während  [22]  der  gleiche 
Kreuzungspunct  der  beiden  dritten  Meridianfurchen  des  vorderen 
Kürperabschnittes  entweder  stehen  bleibt,  wie  in  Figur  3,  oder,  wie 
gewöhnlich,  auch  weiter  in  die  vordere  Körperhälfte  hinein  verschoben 
wird  (Fig.  2).  Daraus  resultirt  für  die  medialen  Zellen  der  hinteren 
Körperhälfte,  für  a,  a,  eine  schmale  keilförmige  Gestalt  und  für  die 
lateralen  Zellen  a'  der  vollkommene  Ausschluss  von  der  Medianebene. 
Für  die  lateralen  Zellen  der  vorderen  Eihälfte  dagegen  ergiebt  sich 
aus  dem  Nachvorwärtsrücken  der  Durchschnittspuncte  der  beiden 
dritten  Meridianfurchen  eine  quere  Lagerung  der  Zellen  zur  Median- 
ebene und  eine  ausgiebige  Berührungsfläche  beider  aneinander  in 
dieser  Ebene  (Figur  2),  sofern  nicht,  wie  nicht  selten,  die  beiden  keil- 
förmigen Zellen  a,  a  der  hinteren  Hälfte  über  das  Gebiet  der  ur- 
sprünglichen zweiten  Furche  sich  nach  vorn  verschieben  und  so  die 
Zellen  b',  b'  von  einander  trennen.  Selten  kommt  eine  annähernd  sym- 
metrische Anordnung  auch  um  die  zweite,  um  die  excentrische  Meri- 
dianfurche vor,  wie  Fig.  4  andeutet;  noch  seltener  aber,  zweimal 
von    32    Fällen ,    beobachtete    ich    eine    mangelnde    P^xcentricität    der 


Entstehung  der  „zweiten"  Fmcho  nls  erste.  11' 


zweiten   Furche,    womit  sie   dann   wieder   dem    universellen    Schema 
entspricht^). 

Tn  einem  für  uns  besonders  interessanten  Falle  endlich  lac;  die 
„erste'- Furche  excentrisch,  sie  ging  also  nicht  durch  den  Mittel- 
punct  des  Eies;  und  ihre  Excentricität  lag  ganz  wie  bei  einer  nor- 
malen zweiten  Furche  nach  dem  von  oben  sichtbaren  Saum  des 
weissen  Poles  hin.  Sie  hatte  somit  zwei  Eigenscliaf ten  der 
„zweiten"  Furche.  Die  zu  weit  auftretende  Furche  dagegen 
halbirte  das  Ei  und  stand  im  Uebrigen  senkrecht  zur  ersten  und 
beide  standen,  wie  normal,  senkrecht  zur  Horizontalebene.  Da  ich 
ein  typisches  Furchungsschema  kennen  gelernt  hatte,  welches  für 
jede  der  beiden  ersten  Furchen  noch  ein  weiteres  charakteristisches 
Merkmal  enthält,  so  erwartete  ich  mit  Interesse  das  Auftreten  diesei- 
weiteren  Furchen,  und  in  der  That,  obgleich  die  dritten  Meridional- 
furchen  nicht  vollkommen  dem  Schema  entsprachen,  so  schien  doch 
zu  erkennen  zu  sein,  dass  die  ,, zweite"  Furche  die  Symmetrie- 
ebene darstellte.  Volle  Entscheidung  konnte  bei  der  Unregel- 
mässigkeit der  dritten  Längsfurchen  in  diesem  Falle  blos  die  spätere 
Medullarfurche  liefern.  Leider  aber  starben  sämmtliche  Eier  dieser 
Glasschale,  wahrscheinlich  durch  Vergiftung  durch  das  Wachs, 
123]  vor  der  Zeit  al).  Immerhin  bleibt  das  Vorkommniss  interessant 
genug,  um  später  auf  ähnliche  Vorkommnisse  zu  achten,  da  wir  jetzt 
in  der  Lage  sind,  wenn  auch  die  bisherigen  einzigen  Charak- 
tere, die  „chronologischen",  verwechselt  sein  sollten 
durch  die  übrigen  Charaktere  die  Furchen  in  ihrer  wahren  Bedeutung 
zu  recognosciren^). 

Als  Gesammtresultat  hat  sieb  somit  herausgestellt,  dass  alle 
Hauptrichtungen  des  Embryo  schon  zur  Zeit  der  Bildung 
der  zweiten  Furche  normirt  sind;  und  daraus  folgt,  dass  die 
normale  embryonale  Entwickelung  in  diesen  Beziehungen 
von   Anfang  an    ein    festes    System    von    Richtungen    ist, 


[1)  Ueber  die  relativeGros.se  der  Zellen  als  nächste  Urs a  che  dieser  Lage- 
rung der  Furchen  siehe  W.  Roux,  Arch.  für  Entwickelungsmechanik  Bd.  IL  1895] 

[^)  Weiteres  über  Anachronismen  der  Furchung  siehe  Nr.  18  S.  444. 
Nr.  20  S.  43  u.  f.  u.  Nr.  22  S.  22.] 


118  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


welches  keine  Unterbrechung  zeigt ,  und  wo  einem  späteren  Zufalle 
[in  dieser  Beziehung]  nichts  mehr  zur  Bestinnnung  überlassen  bleibt. 

Sehen  wir  uns  weiterhin  nach  Bestätigung  oder  Erweiterung 
unseres  Resultats  auf  den  Gebieten  anderer  Thiertypen  um,  so  hegen 
manche  Beobachtungen  vor,    welche   zu  diesem  Zwecke   sich  eignen. 

Bezüglich  der  Bestinnnung  der  Längsaxe  des  Thieres  schon 
mit  oder  vor  der  ersten  Furchung  findet  sich  bei  L.  Aueubach^)  die 
Angabe,  dass  bei  dem  länglichen  Ei  von  Ascaris  nigrovenosa 
aus  dem  einen  spitzeren  Pol,  welcher  im  Eileiter  uteruswärts  liegt, 
und  welcher  vermuthlich  zuerst  vom  Samen  getroffen  wird,  sich  der 
Kopftheil  des  Wurmes  entwickelt.  Da  hier  die  specifische  Gestaltung 
des  Eies  wohl  durch  die  Wirkung  des  Eileiters  bedingt  ist,  die  Rich- 
tung des  Eileiters  aber  zugleich  auch  die  Stelle  des  eindringenden 
Samens  bestimmt,  so  lässt  sich  nicht  entscheiden,  ob  die  Bestimmung, 
dass  der  spitze  Theil  das  Kopfende  liefert,  dem  Ei  schon  vor  der 
Befruchtung  inhärirt,  oder  ob  erst  durch  Vermittelung  der  stets  von 
dieser  Seite  her  erfolgenden  Befruchtung  diese  Entscheidung  getroffen 
wird.  Die  Längsaxe  des  Thieres  aber  ist  schon  im  Ei  bestimmt, 
der  Zweifel  bezieht  sich  blos  auf  das  Vorn  und  Hinten  an  derselben. 
Der  Autor  schildert  ausführhch  die  Umdrehung  der  conjugirten  Kerne 
um  90  Grad,  ferner  die  weiteren  Th eilungen ,  ohne  bei  der  sonst  so 
minutiösen  Beschreil3ung  [24]  aller  Nebenumstände  der  Schwierig- 
keiten zu  erwähnen,  die  es  der  Beobachtung  hätte  machen  müssen, 
wenn  diese  ^^orgänge  nicht  in  bestimmter  Stellung  zur  Richtung  der 
optischen  Axe  des  Mikroskopes  sich  vollzogen  hätten.  Es  scheint 
demnach  berechtigt,  zu  vermuthen,  dass  letzteres  der  Fall  gewesen 
ist,  das  heisst,  dass  die  Umdrehungsaxe  der  conjugirten 
Kerne  Avie  die  ersten  Furchungsebenen  annähernd  senk- 
recht gestanden  haben^).  Da  die  Lagerung  des  Eies  im  breit- 
gedrückten Eileiter  eine  zufällige  und  unveränderliche  ist,  so  folgt, 
dass  das  ,,äu  s  sere"  Moment  einer  geringen  ,, Quetschung" 
durch     das    Deckglas    schon    von    Anfang    an    Veranlassung 


i)  L.  Auerbach,  Organologische  Studien,  1874 — 1875.     S.  195  u.  flgde. 
[-)  Diese  damals  von   mir  geäusserte  Vermuthung   hat  jüngst  Herr  AuERBAnn 
mündlich  bestätigt  (siehe  F.  Braem  im  biolog.  Gentralbl.  1894  S.  341.1 


Bestimmung  der  ersten  Furcluingsrichtungen  durch  Pressung  des  Eies.       119 

gewesen  sei,dass  die  Umdrehung  der  conjugirten  Korno  senk- 
recht zur  Druckrichtiing  vor  sieh  geht  und  weiterhin,  sei 
es  damit  zugleich  oder  unabhcängig  davon,  aucli  die  senkrechte 
Richtung  der    ersten   Furchungsebenen    bestimmt    werde. 

Nachdem  aber  einmal  diese  Entscheidungen  l)eim  An- 
lang der  Entwickelung  getroffen  sind,  werden  sie  auch  für 
den  ganzen  ferneren  Verlauf  derselben  massgebend  bleiben 
müssen. 

Weiterhin  lassen  die  Abbildungen  von  Ch.  Jui.ix*)  über  die  Ent- 
wickelung des  Männchen  von  Rho])alura  Giardii  sehr  deutlich 
erkennen,  dass  auch  hier  durch  die  erste  Fm*che  schon  die  Richtung 
der  Längsaxe  des  Thieres  und  zugleich  die  Entscheidung  über  vorn  und 
hinten  getroffen  wird ;  nur  liegt  diese  Axe  nicht,  wie  beim  Frosch,  in 
der  Riclitung  der  „ersten"  Furchungsebene,  sondern  steht  senkrecht  da- 
zu; sie  liegt  also  in  der  Richtung  der  ersten  Kernspindel,  gleich  wie-  bei 
Ascaris  nigrovenosa.  Die  erste  Tlieilung  zerlegt  nämlich  das  Ei  von 
Rhopalura  in  eine  grössere  und  eine  kleinere  Zelle,  von  denen  die 
erstere  lange  Zeit  ungetheilt  bleibt  und  dabei  von  den  Nachkommen 
der  letzteren  Zelle  nur  unvollkommen  eingehüllt  wird,  so  dass  der 
der  kleinen  Zelle  abgewendete  Theil  der  grossen  Zelle  lange  genug 
frei  bleibt,  um  mit  Hilfe  der  weiteren  Bildungen  das  Vorn  und  Hinten 
sicher  unterscheiden  zu  können.  Die  kleinere  Zelle  liefert  hier  das  Ecto- 
derm,  die  grössere  das  [25]  Entoderm.  Die  Abbildungen  von  van  Beneden 
über  die  Entwickelung  der  Conocyema  polymorpha  ^)  deuten  auf  ganz 
das  gleiche  Verhalten  hin. 

Dagegen  stehen  unsere  obigen  Beobachtungen  im  Widerspruche 
mit  der  älteren  Anga,be  van  Beneden's^),  dass  beim  Kaninchen  die 
Segmente  der  ersten  Furchung  dem  Epi blast  und  dem  Hypoblast 
entsprächen.  In  Anbetracht  aber  der  Schwierigkeit  einer  derartigen 
Feststellung  bei  der  Säugethierentwickelung  und  des  Umstandes,  dass 


1)  Gh.  Jülin,  Contribution  ä  l'histoire  des  Mezoaires.  Reeherches  sur  Torgani- 
sation  et  le  developpement  embryounaire  des  Orthonectides.  Arcb.  de  Biologie 
T.  IIT,  1882. 

^)  Arch.  de  Biologie,  T.  IIl,  pl.  VIIl. 

a)  V.\N  Beneden,  Developpement  embryonnaire  des  Mammiferes.  Bull,  de 
l'Acad.  Belgique  1874. 


120  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


diese  von  den  Beobachtungen  anderer  üntersucher  abweichende  An- 
gabe noch  keine  Bestätigung  gefunden  hat,  können  wohl  zunächst 
erst  letztere  abgewartet  werden,  ehe  wir  uns  ein  Urtheil  darüber 
zu  bilden  versuchen. 

Fragen  wir  zuletzt  noch  nach  den  Ursachen,  welche  die  so 
früh  bestimmten  Hauptrichtungen  normiren  können,  so  entziehen 
sich  die  Ursachen  derjenigen  Richtungen,  welche  schon  vor  der  Be- 
fruchtung bestimmt  werden,  zur  Zeit  fast  gänzlich  unserer  Beurtheilung. 
Es  ist  aber  nicht  zu  übersehen,  dass  eine  einzige  Richtung 
ohne  den  Charakter  des  Räthselhaf ten  entstehen  kann,  so- 
fern zwei  verschiedene  Substanzen  im  Eie  vorhanden  sind, 
welche  die  Neigung  haben,  sich  von  einander  zu  scheiden, 
wie  dies  bei  dem  Vorhandensein  von  Nahrungs-  und  Bildungs- 
d  Ott  er  zumeist  der  Fall  ist.  Wenn  von  diesen  jeder  sich  für  sich  sam- 
melt, so  entstehen  zwei  Massen,  durch  deren  Mittelpuncte  eine  Richtung, 
die  dorsi ventrale  Richtung,  bestimmt  ist;  und  wenn  dann  zugleich  der 
Bildungsdotter  s})ecifisch  leichter  ist,  als  der  Nahrungs- 
dotter, so  wird  er  sich  bei  schwimmenden  Eiern  stets  nach  oben 
richten  (s.  S.  19  u.  Nr.  19  S.  5).  Ob  aber  durch  dieses  Moment 
allein  schon  die  senkrechte  Stellung  der  beiden  ersten 
F  u  r  c  h  u  n  g  s  e  b  e  n  e  n  l:)estimmt  wird ,  oder  ob  d  i  e  e  r  s  t  e  F  u  i-  c  h  u  n  g s- 
ebene  allein  durch  den  nach  oben  verlegten  Massen- 
niittelpunct  der  specifisch  leichteren  Substanz  und 
durch  den  Massenmittelpunct  des  ganzen  Eies  vollkommen  bestimmt 
wird  und  aus  diesem  Grunde  [26]  die  senkrechte  Stellung  er- 
langt, oder  ob  hierbei  noch  andere  Momente  mitwirken,  darüber 
müssen  wir  uns  zur  Zeit  des  Urtheils  enthalten.  Ich  will  nur  noch 
darauf  hinweisen,  dass  uns  die  centrolecithalen  Eier  der  Arthropoden, 
bei  welchen  der  Nahrungsdotter  in  der  Mitte  des  Eies  eingeschlossen 
ist,  und  die  alecithalen  Eier  der  Säuger,  wo  die  geringe  Menge  vor- 
handener Dotterkörner  im  ganzen  Eie  vertheilt  ist,  darauf  aufmerk- 
sam macht,  dass  immerhin  die  Sonderung  des  Nahrungs-  und 
des  Bi  Iduugsdot  ters  auf  zwei  verschiedene  Seiten  des 
Eies  schon  ein  besonderer  Vorgang  ist,  welcher  nicht  ohne 
Weiteres  als  selbstverständlich  anzunehmen  ist. 


Eventuelle  Wirkung  der  Copulationsrichtuug.  121 


Soweit  die  Richtungen  erst  nach  der  Befruchtung  entstehen, 
kann  man  daran  denken,  dass  (he  ßefrucJitung  irgendwie  mit 
richtungsbestimmend  wirke;  dass  z.  ß.  der  Conjugations- 
richtung  des  weiblichen  und  männlichen  Vorkernes  dabei 
eine  entscheidende  Bedeutung  zukomme;  eine  Vermuthung 
über  deren  eventuelle  Berechtigung  natürlich  nur  die  directe  Beobach- 
tung an  durchsichtigen  Eiern  Aufschluss  zu  geben  vermag  (s.  Nr.  20 
S.  19  u.  Nr.  21).  Vor  einer  Ueberschätzung  dieses  vermuthlichen 
Einflusses  des  Befruchtungsvorganges  auf  die  Richtungsbe- 
stimmung wird  uns  die  Erwägung  schützen,  dass  es  Thiere  giebt, 
wo  sowohl  befruchtete  und  unbefruchtete  Eier  vollkommen  entwicke- 
lungsfähig  sind,  und  dass  selbst  Eier  der  Wirbelthiere  ohneBefruclitung 
erste  Stadien  der  Entwickelung  zu  durchlaufen  vermögen.  Diejenigen 
Richtungen,  welche  unter  allen  nöthigen  Cautelen  vorgenommene 
Wiederholungen  der  Beobachtung  als  an  unbefruchteten  Wirbel- 
thiereiern  auftretend  nachweisen  werden,  können  dann  also  sicher 
nicht  als  von  der  Richtung  des  eindringenden  Samenfadens  resp.  von 
der  Copulation  srichtung  der  beiden  Vorkerne  abhängig 
aufgefasst  werden. 

Schliesslich  sei  noch  die  Bedeutung  unseres  Resultates  für  ein 
pathologisches  Vorkommniss,  [für  die  Missbildungen  mit  Ver- 
doppelung der  Axenorgane]  angedeutet. 

Wir  haben  die  Axenbestimmung  als  einen  bereits  mit  dem 
Beginne  der  Entwickelung,  also  lange  vor  der  Anlage  der  besonderen 
Axenorgane  sich  vollziehenden  Vorgang  kennen  gelernt.  Dies  ent- 
spricht der  Beziehung,  dass  die  Median  ebene  nicht  blos  der 
[27]  „Ort''  ist,  an  dem  die  „Axenorgane"  liegen,  sondern 
dass  sie  diejenige  Fläche  ist,  zu  welcher  in  den  beiden 
Körperhälftenjxlles  symmetrisch  angelegt  wird.       » 

Danüt  bleibt  meiner  Meinung  nach  wenig  Wahrscheinhchkeit 
für  die  Annahme  Ahlfeld's  ^),  dass  Druck  der  Zona  pellucida  auf  das 
Bildungsmaterial  des  Embryo  in  einem  Stadium  kurz  vor  dem  Auftreten 
der  Primitivrinne  die  Fruchtanlage  mit  dem  Erfolge  zu  spalten  vermöge, 


1)  Fr.  Ahlfeld.  Die  Missbildungen  des  Menseben.     1880.     S.  10. 


122  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptricbtungen  des  Embryo. 

dass  danach  Doppelbildungen  entstehen.  Das  Gleiche  glaube  ich  be- 
züglich der  Ansicht  L.  Geki.ach's  ^),  dass  er  durch  Beschränkung  der 
Athmuugsgelegenheit  in  der  Richtung  der  vorwachsenden  Primitiv- 
rinne (mittelst  Ueberfirnissen  der  Schale  des  Hühnereies  auf  der  ent- 
sprechenden Stelle)  eine  Spaltung  im  Weiters]jrossen  der  Primitivrinne 
und  damit  in  dem  ganzen  Embryo  hervorzubringen  vermöge  und 
vermocht  habe.  Selbst  wenn  dieses  Axenorgan  oder  die  specielle 
Embryonalanlage  durch  diese  Mittel  spaltbar  wären,  so  würde  trotz- 
dem unmöglich  eine  dem  „Gesetz  der  symmetrischen  Aus- 
bildung um  die  eigene  Medianebene  und  dem  Gesetz  der 
symmetrischen  Vereinigung  beider  Individualanlagen" 
[W.  Roux]  folgende  Doppelbildung  hervorgehen  können;  sondern 
höchstens  würde  ein  aus  zwei  auseinanderstehenden  symmetrischen 
Hälften  bestehendes  Doppelgebilde  entstehen,  dessen  beide  Theile 
durch  nicht  zu  Grganen  geordnete  Gewebebildungen  in  einen  durch- 
aus nicht  den  Gesetzen  symmetrischer  Ausbildung  und  Vereinigung- 
folgenden  Zusammenhang  gebracht  sind  (s.  Nr.  20  S.  46).  Denn  wir 
haben  zur  Zeit  keine  Berechtigung,  den  Axeiiorganen  der- 
artige differenzirende  Wirkungen  auf  ihre  Umgebung  zu- 
zuerkennen, dass  von  ihnen  aus  die  Bildung  der  ganzen 
übrigen  Theile  der  betreffenden  Metameren  ausgelöst, 
oder  sonst  veranlasst  werden  könnte.  Vielmehr  ist  in  Anbe- 
tracht unseres  Resultates  zu  vermutheu,  dass  beide  Processe,  Axen- 
bildung  und  die  Vertheilung  des  Materiales  für  die  Organe 
in  frühester  Zeit  der  Entwickelung  stets  gemeinsam  sich  voll- 
ziehen, dass  sie  beide  Folgen  eines  [28]  und  desselben  Vor- 
ganges sind;  und  bezüglich  der  Entstehung  der  Doppelbildungen 
werden  wohl  diejenigen  der  Wahrheit  am  nächsten  kommen,  welche 
mit  B.  ScHULTZE  die  Ursachen  und  die  Entstehungszeit  der 
Doppelbildungen  in  die  früheste  Zeit,  also  vor,  während 
oder  direct  nach  der  Befruchtung  verlegen,  sodass  von  vorn- 
lierein     eine    andere    Materialvertheilung    um    zwei    Axen 


1)  L.   Gerlach,    Ueber   die   künstliche   Erzeugung    von    Doppelbildungen    beim 
Hühnchen.     Sitzungsber.  d.  phys.  med.  Societät  zu  Erlangen  vom  8.  November  1880. 


Zeit  der  Bestimmung  der  DoppornilduiiRpii.  12? 


.'tcattfinden  kann').     [Ueber   eine   neue  Möglichkeit  erst  späterer  Eiit- 
stehimg  von  Doppelbildungen  siehe  Nr.  22  S.  287.  j 

Breslau,   11.  Juni  1883. 


[1)  Die  vorstehende  Abhandlung  stellt  meine  erste  Untersuchung  über  die 
Probleme  der  Entwickelungsniechanik  des  Embryo  dar.  Ich  stellte  dieselbe  an. 
nachdem  die  vorausgegangene  Prüfung  der  angreifbaren  Probleme  mir  das  Problem 
der  „Bichtungsbestimmung"  des  gestaltenden  Geschehens  als  eines  der 
einer  exacten  Behandlung  am  meisten  zugänglichen  hatte  erscheinen 
lassen,  und  nachdem  das  Nachdenken  über  die  Methode  der  causalen  Forschung 
mich  zu  der  fruchtbar  gewordenen  Erkenntniss  geführt  hatte,  dass  wir  vor  der  Er- 
mittelung der  Ursachen  des  gestaltenden  Geschehens  erst  die  Zeit  und  die  Oert- 
lichkeit  der  Ursachen  erforschen  müssen. 

Diese  erste  Untersuchung  hatte  insofern  ein  besonderes  Schick- 
sal, als  kurz  nach  dem  Beginn  derselben  der  bedeutende  Physiologe  E.  PFLikiER 
von  anderer,  engerer  Fragestellung  ausgehend ,  Versuche  über  die  Wirkung  der 
Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen  an  der,  Ende  Mai  und  Anfang  Juni 
laichenden  Rana  esculenta  anstellte  und  dieselbe  Beziehung  der  ersten  Furche  zur 
Medianebene  auffand,  als  ich  sie  im  März  desselben  Jahres  an  Rana  fusca  ermit- 
telt hatte.  Während  ich  jedoch  vor  der  Publication  des  Ergebnisses  6  Wochen 
wartete,  um  dasselbe  an  Rana  esculenta  zu  prüfen  und  so  zu  sichern  und  ihm  all- 
gemeinere Bedeutung  zu  geben,  publicirte  Pflücer  das  Ergebniss  des  ersten,  am 
6.  Juni  angestellten  Versuches  bereits  am  10.  Juni  und  gewann  so  eine  üruckpriorität 
von  3  Tagen  vor  mir. 

Obgleich  Pklüoer  die  Unabhängigkeit  und  Selbstständigkeit  meiner  Untersuch- 
ung ausdrücklich  kundgiebt  (Abhandig.  11  S.  31  Pflüoer's  Arch.  Bd.  32.  1883)  und 
obgleich  meine  Fragestellung  eine  andere  war,  so  hat  diese  Druckpriorität 
von  3  Tagen  doch  für  mehrere  Autoren  genügt,  um  den  Geheimrath 
Pflüger  für  den  Eröffner  des  Gebietes  der  Entwickelungsniechanik 
und  den  jungen  Privatd oc ent en  für  seinen  Nachfolger  auf  diesem 
Gebiete  auszugeben,  obgleich  wir  dasselbe  gleichzeitig  von  verschiedenen 
Seiten  und  mit  wesentlich  verschiedenen  Absichten  betreten  haben :  Pflüger  mit  der 
Absicht,  ein  einziges  Agens  (in  genialer  Weise)  auf  seine  gestaltende  Wirkung  zu 
prüfen,  ich  um  lebenslänglich  auf  ihm  zu  arbeiten  und  mit  einem,  auf  Grund  voraus- 
gegangener Prüfung  der  vorliegenden  Aufgaben,  ausgesuchten  Problem  den  Anfang  zu 
machen. 

Der  erste  Referent  über  beide  Arbeiten,  J.  W.  Sfengei.,  berichtete  (Biolog. 
Centralblatt  1883,  S.  -j'cKj)  ausführlich  über  Pflügers  Arbeit,  mit  einigen  Zeilen  über 
die  meine  und  nahm  von  meiner  Auffassung  über  die  Art  der  Wir- 
kung der  Schwerkraft  (s.  S.  19  und  25)  keine  Notiz  —  vielleicht  in  wohl- 
wollender Absicht,  da  ich  die  „fundamentale  differenzirende  Wirkung  der  Schwer- 
kraft", an  die  damals  auf  Grund  des  PrLÜGER'schen  Versuches  allgemein  geglaubt 
wurde,  nicht  erkannt,  sondern  die  Wirkung  der  Schwerkraft  blos  als  eine  die  un- 
gleich specifisch  schweren  Eitheile  einstellende  richtig  bezeichnet  hatte.] 


124  Nr.  16.    Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo. 


Figureiierkläruiig  zu  Tafel    IV. 

Die  Figuren  stellen  die  normale  Einstellung  des  befruchteten  Eies  von  Rana 
esculenta  (s.  viridis)  von  oben  gesehen  dar,  sowie  die  Stellung  der  ersten  Furchen 
zu  dieser  Einstellung. 

Die  Zahlen  1 — IV  bezeichnen  die  Reihenfolge  des  Auftretens  der  Furchen. 

Das  Genauere  siehe  im  Texte  Seite  19,  20  und  21. 

Die  Bezeichnungen  „Kopftheil"  und  , Schwänzt  heil"  sind  nach  den  in 
Nr.  20  und  23  mitgetheilten  Beobachtungen  mit  einander  zu  vertauschen,  da 
der  Embryo  erst  durch  Drehung  des  Eies  um  170"  die  bezeichnete  Stellung  erlangt. 


Nr    17. 

lieber  die  Bedeutung-  der  Kerntheilungsfiguren. 
Eine  hypothetische  Erörterung. 

1883. 
Leipzig,  Wilhelm  Engklmann.  August  1888. 


Inhalt. 

Seite 

Thatsachen  der  indirecten  Kerntheilung 126 

Functionelle  Bedeutung  derselben 129 

Beliebige  Halbirung  der  Kernmasse 129 

Halbirung  der  Masse    der   einzelnen  Qualitäten   des  Kerns:  qualita- 
tive Halbirung 129 

Erfordernisse  derselben 129 

Zerlegung  in  viele  Stücke 130 

Ordnung  derselben: 131 

Im  einfachsten  Falle 131 

Im  complicirten  Falle 132 

Fadenanordnuug       133 

Bestimmte  qualitativ  ungleiche  Theilung 137 

Definition  des  Zweckes  der  indirecten  Kerntheilung 138 

Bedeutung  der  Theilung  des  Chromatins 139 

Bedeutung»  der  Theilung  des  Achromatins 140 

Drei-  und  vierfaclie  Kerntheilung 140 

Hauptacte  der  indirecten  Kerntheilung: 

.Moleculare  Theilung* 140 

,,Massen  sonderung"       140 

Mannigfaltigkeit  der  Qualitäten  des  Kerns 141 

^Metastructur"  des  Kerns  und  Protoplasmas 143 

Bedeutung  des  Kerns  für  die  Entwickelung  und  Regeneration     .     .     .  143 


126  Nr.  17.    üeber  die  Bedeutung  der  Kerntheilnngsfiguren. 


[3J  Die  iiidirecte  Keriitheilung  ist  jetzt  durch  die  unermüdlichen 
Untersuchungen  vieler  ausgezeichiieter  Forscher  als  die  fast  alleinige 
Form  der  Kernvermehrung  nachgewiesen;  und  nur  in  wenigen  ver- 
einzelten Fällen  haben  auch  die  gegenwärtigen  Hilfsmittel  das  Vor- 
kommen einer  einfachen,  directen  Theilung  des  Zellkernes  nicht  ver- 
neinen können. 

Damit  ist  an  die  Stelle  des  so  einfachen  REMAK'schen  Schemas 
der  directen  Sonderung  der  Kernmasse  in  zwei  Hälften  ein  sehr 
complicirter  und  in  seiner  Bedeutung  unverständlicher  Vorgang  als 
der  fast  ausschliessliche  getreten.  Obwohl  über  manche  Einzelheiten 
dieses  Vorganges  noch  Differenzen  der  Anschauung  bestehen ,  so 
treten  doch  aus  den  Beobachtungen  aller  neuereu  Forscher  gewisse 
Hauptzüge  des  Geschehens  übereinstimmend  hervor.  Es  ist  daher 
wohl  nicht  mehr  verfrüht,  nach  der  Bedeutung  dieser  gemein- 
samen Hauptzüge  zu  fragen  und  zu  suchen. 

Die  Frage  nach  der  Bedeutung  eines  biologischen  Vorganges 
kann  in  zweifacher  Beziehung  gestellt  werden.  Einmal  in  Beziehung 
auf  die  Function  desselben  für  das  biologische  Gebilde,  an  w^elchem 
er  vorkommt;  zweitens  aber  kann  die  causale  Bedeutung,  können 
die  Ursachen,  denen  er  seine  Entstehung  und  seinen  Fortgang  ver- 
dankt, Gegenstand  unseres  Interesses  und  unserer  Forschung  sein. 

In  den  folgenden  Zeilen  wollen  wir  uns  über  die  erstere  Frage 
einige  Aufklärung  zu  verschaffen  suchen;  hoffen  aber,  in  kurzer  Zeit 
auch  über  die  zweite  Beziehung  einige  Mittheilungeu  machen  zu 
können. 

[4]  Der  Vorgang  der  indirecten  Kerntheilung  lässt  sich  nach  den 
jüngsten  Untersuchungen  Flemming's^),  Strasburger's^)  und  PFrrzxER's^), 
sowie  nach  den  zusammenfassenden  Werken  der  beiden  ersten  Autoren*) 
in  seinen  Hauptzügen  folgendermassen  skizziren. 


1)  Archiv  für  mikrosk.  Anat.  Bd.  XX. 

2)  1.  c.  Bd.  XXI. 

3)  1.  c.  Bd.  XXII.  Heft  4. 

i)  Ed.  Strasburger,    Zellbildung   und   Zelltheilung.    III.  Aufl.     Jena  1880.     W. 
FlemmixNg,  Zellsubstanz,  Kern-  und  Zelltheilung.     Leipzig  1882. 


I 


Tliatsiichcn  der  indiivctcn  Kerntliciliiiiii.  127 

Eine  Veriiielinnuj;  des  Cliromatins  in  dem  fciiicii  Chromatin- 
fadennetz,  welches  den  ruhenden  Kern  durchzieht,  leitet  den  Theilungs- 
vorgang  ein;  der  Nuclens  geht  in  diesem  Netze  auf:  das  ganze  Chroma- 
tin ordnet  sich  zu  einem  einzigen  unverästelten,  relativ  dicken  Faden, 
welcher  seinerseits  aus  einer  einzigen  Reihe  von  Chromatin- 
kügelchen  hergestellt  wird  und  einen  lebhaft  in  seinen  einzelnen 
Theilen  bewegten  Knäuel  formt.  Alsdann  Herstellung  einiger  Ord- 
nung in  diesem  Knäuel,  indem  der  Faden  sich  mehr  an  der 
Peripherie  der  Kernhöhle  unter  Freilassung  des  Centrums  derselben 
anlagert  und  gleichzeitig  mehr  oder  weniger  regelmässige,  annähernd 
radiär  gestellte  Schlingen  bildet:  Kranzform  des  Chromatinfadens. 
Tm  Centrum  Auftreten  eines  Achromatinkörperchens ,  von  w-elchem 
Achromatinfäden  radiär  gegen  die  centralerseits  gelegenen  Umbiegungen 
der  Schlingen  sich  erstrecken.  Zertheilung  des  bisher  einheitlichen 
Chromatinfadens  in  annähernd  gleichlauge  Segmente.  Diese  Seg- 
mentation  kann  angeblich  auch  schon  im  Stadium  der  unregelmässigen 
Knäuelform  erfolgen,  die  Segmente  haben  annähernd  die  Länge  des 
Durchmessers  der  Kernhöhle.  Anordnung  sämmtlicher  Segmente 
unter  winkeliger  Biegung  derselben,  soweit  sie  dieselbe  nicht  schon 
haben,  mit  der  Umbiegung  der  Schlinge  gegen  das  Achromatinkörper- 
chen  als  Centrum  und  unter  radiärer  Divergenz  der  Schenkel:  Stern- 
form der  Chromatinfigur.  Dieser  Mutt erstem  kann  räumlich  all- 
seitig gleich  entAvickelt  sein  oder  aber  von  den  beiden  Seiten  der  zu- 
künftigen  neuen  Zellen  her  abgeplattet  sein  und  so  eine  Aequa- 
torialplatte  zwischen  denselben  herstellen. 

[5]  In  diesem  Stadium,  angeblich  auch  schon  im  Kranzstadium 
oder  sogar  im  Knäuelstadium  erfolgt  eine  Längsspaltung  der 
Fad eu Segmente,  welche  auf  einer  Theilung  jeder -Chromatinkugel 
in  zwei  Hälften  beruht,  so  dass  aus  jeder  Kugelreihe  zwei  neben- 
einander liegende  Reihen,  aus  jeder  Mutter  schlinge  also  zwei 
Tochter  schlingen  hervorgehen. 

Ferner  Theilung  des  Achromatin-Körperchens  in  zwei 
Theile,  welche  rasch  sich  von  einander  trennen,  bis  sie  in  die  schon 
länger  vorhandenen  beiden  Radiationscentren  des  Zellprotoplasma,  in 
die  Ceutren   der   künftigen    neuen  Zellen  getreten  sind.     Die  Achro- 


128  Nr.  17.    üeber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 


matinfäden.  welche  von  dem  Achromatinkürperchen  zu  den  central 
gelegenen  Schlingenumbiegungen  gehen,  bilden  danach  zwei  c  o  n  i  s  c  h  e 
Faden  spindein,  deren  einander  der  Lage  nach  entsprechende  Fäden 
sich  ineinander  fortsetzen.  Längs  dieser  Fäden  gleiten  die  Chroma- 
tinschlingen  mit  ihrer  ümbiegungsstelle  voran  gegen  die  beiden  neuen 
Polcentren  hin. 

Auf  diesem  Wege  nach  den  neuen  Centren  bietet  die  Gesammt- 
heit  der  Schlingen  jeder  Tochterzelle,  in  Folge  ihrer  Richtung  auf 
das  neue  Centrum  hin,  Aehnlichkeit  mit  einem  Stern  dar,  besonders 
bei  Ansicht  längs  der  Theilungsaxe:  die  Tochtersterne;  und  in- 
dem sich  weiterhin  die  peripheren  Enden  der  Schiingenschenkel  unter- 
einander verbinden,  entsteht  jederseits  eine  Kranzform:  die  Tochter- 
kränze. Während  weiterer  Annäherung  gegen  das  neue  Centrum 
hin  verdickt  sich  der  Chromatinfaden  und  biegt  sich  unregelmässig, 
wodui-ch  eine  Wiederholung  der  Knäuelform  entsteht,  welche  das 
zweite  Stadium  in  der  Vorbereitung  zur  Theilung  des  Muttersternes 
darstellte.  Danach  bildet  sich  der  neue  Kern  unter  weiterer  Ilück- 
wärtsmetamorphose  zur  Ruheform  zurück. 

In  den  einfachsten  bis  jetzt  beobachteten  Vorkommnissen  von 
Pflanzen  werden  die  Segmente  des  Knäuels  als  Körner  beschrieben, 
welche  eine  äquatoriale  Platte  bilden  und  sich  in  Richtung  der 
Platte  halbiren.  Jede  Hälfte  eines  Kornes  gleitet  dann 
längs  eines  Achromatinfadens  demjenigen  neuen  Zellpole  zu, 
welchem  sie  von  der  Theilung  her  schon  zugelegen  ist. 
Von  anderer  Seite  wird  indess  bestritten,  dass  Körner  die  Aequatorial- 
platte  bilden,  vielmehr  sollen  es  gleichfalls  Fadensegmente,  nur  aber 
von  sehr  grosser  Kürze  sein,  welche  ent  [6]  sprechend  kurzschenkelige 
Schlingen  bilden  und  sich  später  der  Länge  nach  theilen,  wie  oben 
geschildert. 

Es  läuft  also  bei  jeder  Kern  theilung  ein  ungemein  reiches  Formen- 
spiel ab,  und  die  Mannigfaltigkeit  desselben  wird  noch  durch  vor- 
kommende Variationen  vergrössert.  Von  letzteren  haben  wir  die 
zeitlichen  Variationen  des  Auftretens  der  Segmentation  sowie  der 
Längstheilung  der  Chromatinfaden  bereits  erwähnt ;  dazu  kommt  noch 
ungleiche  Länge  der  Segmente  und  ungleiche  Umknickung  derselben 


Erfordernisse  „qualitativer  Halbirung".  129 


ZU  Ungleichschenkeligen  Schhngen,  vereinzeltes  Auftreten  von  seitlicli 
angefügten  Körnern  an  den  norinal  l^los  cinreiliigen  Chroniatin- 
faden  u.  a. 

Wir  wünschen  nun  zu  erfahren,  wozu  dieses  ganze  weit- 
läufige Formenspiel  da  ist,  welchen  Nutzen  es  für  den  End- 
zweck der  Theilung  des  einfachen  Kernes  in  zwei  Hälften 
hat.  Da  hier  ein  elementarer  \''organg  vorliegt,  welchen  fast  alle 
Zellen  bei  ihrer  Theilung  durchmachen,  welcher  aber  Zeit  und  Kraft 
erfordert,  so  muss  er  einen  sehr  evidenten  Nutzen  haben, 
um  überhaupt  allmählich  gezüchtet  und  erhalten  wordi'U 
zu  sein.  Er  muss  also  in  viel  höherem  Maasse  den  biologischen 
Bedürfnissen  entsprechen,  als  der  Zeit.  Kraft  und  Structur  sparende 
^'^organg  der  directen  Halbiruug  des  Kernes  durch  Ein-  und  Ab- 
schnürung in  der  Mitte  desselben. 

Im  Falle  der  Zweck  der  Kerntheilung  blos  eine  einfache 
Halbirung  der  ,, Masse"  des  Kerns  und  die  räumliche  Trennung 
beider  Hälften  von  einander  wäre,  so  erhellt,  dass  der  Vorgang 
der  indirecten  Kerntheilung  einen  enormen  Umweg  für 
dieses  nahe  Ziel  darstellte,  dass  er  also  durchaus  unzweckmässig  wäre. 

Anders  wird  das  Urtheil,  wenn  das  Ziel  der  Kerntheilung  nicht 
blos  eine  beliebige  Halbirung  der  Kernmasse,  sondern 
irgend  eine  ,, bestimmte"  Sonderung  auch  der  „Qualitäten" 
ist,  welche  diese  Masse  zusammensetzen. 

Denken  wir  uns,  es  sei  z.  B.  ein  Gemenge  verschiedener 
Substanzen  derartig  zu  halbiren,  dass  in  jeder  Hälfte  auch 
die  Hälfte  von  jeder  aller  vorhandenen  Substanzen  sich  findet 
[qualitative  Halbirung  (s.  Nr.  20  S.  27)].  Um  diesen  Zweck  zu 
erreichen,  werden  wir  das  Substanzgemenge  möglichst  gut  umrühren 
resp.  schütteln,  bis  anzunehmen  ist,  alle  Substanzen  seien  vollkommen 
gleich  gemischt  in  der  ganzen  [7]  Masse  vertheilt;  halbiren  wir  jetzt 
die  Masse  durch  Theilung  in  der  Mitte,  so  ist  der  Zweck  erreicht. 
Diese  Methode  ist  sehr  einfach;  führt  aber  leider  nicht  immer  zum 
Ziel ;  denn  sie  eignet  sich  blos  dann,  wenn  unter  übrigens  günstigen 
Umständen  von  jeder  Quahtät  so  viel  Substanz  vorhanden  ist,  dass 
sie  gleichmässig    in    der  ganzen   übrigen   Substanz    vertheilt  werden 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II. 


130  Nr.  17.    lieber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 


kann;  und  sie  wird  ausserdem  blos  in  dem  Falle  ohne  Naclitheil 
anwendbar  sein,  w^enn  eine  solche  gleichmässige  Vermengung  aller 
Bestandtheile  unter  einander  nicht  durch  gegenseitige  Beeinflussung 
zur  Alteration  und  Decomposition  der  Qualitäten  fülirt. 

Ist  aber  von  jeder  Substanz  nur  so  wenig  vorhanden, 
dass  sie  höchstens  selber  nur  in  eine  ganz  geringe  Anzahl  gleich- 
artiger Theile  theilbar  ist,  oder  wird  eine  beliebige  Vermischung  der 
Qualitäten  nicht  ohne  i\.lteration  derselben  vertragen,  so  wird  das  Pro- 
blem der  Halbirung  der  ganzen  Masse  unter  Halbirung  der  Masse 
auch  jeder  einzelnen  Qualität  ein  schwieriges. 

Die  Aufgabe  ist  unter  diesen  Bedingungen  um  so  leichter 
zu  lösen,  je  ,, kleiner"  die  Masse  des  ganzen  Gebildes  und 
je  geringer  die  Anzahl  der  der  Menge  nach  zu  halbirenden 
Qualitäten  ist,  weil  in  beiden  Fällen  um  so  leichter  eine  gleich- 
artige Mischung  herstellbar  ist  und  weil  dabei  jede  Qualität  mit  immer 
weniger  anderen  Qualitäten  in  Berührung  kommt. 

Beides  können  wir  erreichen,  wenn  wir  die  so  qualitativ  zu 
halbirende  Masse  successive  in  immer  kleinere  Stücke  zerlegen;  dabei 
bleibt  in  jedem  Stücke  bei  einander,  was  zusammenlag,  also  zusammen- 
passte;  und  die  Zahl  der  Qualitäten  in  jedem  einzelnen  Stückchen 
wird  mit  der  Masse  des  Stückchens  zugleich  geringer.  Wird  diese 
mechanische  Zerlegung  so  weit  fortgesetzt,  dass  eben  so 
viel  oder  noch  mehr  Theilstücke  als  Qualitäten  in  der  ganzen 
Masse  vorhanden  sind,  und  halbiren  wir  nun  genau  der 
Masse  nach  jedes  Stück  und  legen  die  eine  Hälfte  jedes 
Stückes  auf  die  eine,  die  andere  auf  die  andere  Seite,  so 
wird  die  Summe  aller  Stücke  der  einen  Seite  .nicht  blos  an 
Masse,  sondern  auch  an  qualitativer  und  procentischer  Zu- 
sammensetzung der  der  anderen  Seite  ziemlich  voll- 
kommen gleichen.  Dieser  Zweck  wird  um  so  vollkommener  er- 
reicht werden,  je  mehr  die  Zahl  der  primären  Theilstücke 
die  der  Qualitäten  [8]  übertrifft.  M^enn  weiterhin  bei  der  mechani- 
schen Zerlegung  der  ganzen  Masse  die  Rücksicht  beobachtet  worden 
ist,  dass  diejenigen  Theile,  welche  in  der  ungetheilten  Masse  neben 
einander    lagen ,    auch    in    den    Stücken    wieder    neben    einander    zu 


Erfordernisse  „(lualitativer  Ualbirung'.  131 


liegen  kommen,  so  werden  aueli  keine  scliädlichoii  Wechselwirkungen 
der  letzteren  auf  einander  eintreten.    [Weiteres  s.  Nr.  20  S.  27   u.  f.] 

Bei  dieser  Art  der  Theilung  ist  aber  mehreres  von  uns  unter 
Leitung  des  sondernden  Verstandes  mit  der  Hand  vollzogen  werden, 
was  ohne  diese  nur  durch  bestimmte  mechanische  \'orrichtungen  er- 
reicht Averden  kann;  dies  gilt  vornehmlich  bei  und  nach  der 
Halbirung  der  primären  T  heil  stücke  für  die  richtige  Verth  ei- 
lung je  einer  dieser  Hälften  auf  je  eine  der  beiden  Ablagerungs- 
stätteu. 

Der  Act  der  „Zerkleinerung"  des  Materiales,  der  „primären  Thei- 
lung" muss  sich  ohne  äussere  Hilfe  von  selber  vollziehen,  sei  es 
durch  active  Constriction  oder  durch  Dicentration  mit  vollkommener 
Anordnung  um  die  Specialcentra  oder  auf  sonst  eine  Weise. 

Die  so  gebildeten  Stücke  aber  müssen  von  vornherein  in  be- 
stimmter Weise  gelagert  werden,  um  später  nach  ihrerHalbirung  in  jeder 
ihrer  ,, Hälften"  mit  Sicherheit  an  den  richtigen  Ort  dirigirt 
werden  zu  können.  Am  einfachsten  wäre  für  diesen  Zweck  die 
Anordnung  zu  einer  einschichtigen  Platte,  welche  ihre  bei- 
den Oberflächen  den  künftigen  Aufnahmeorten  der  Theil- 
producte  zuwendet  [eine  Aequato  rialplatte].  Werden  dann 
alle  Körner,  w^elche  die  Platte  zusammensetzen,  in  Richtung  der 
Platte  halbirt,  so  kann  es  für  die  richtige  Sonderung  der  „Hälften" 
schon  genügen,  wenn  nur  immer  die  Hälften  desselben  Kornes  die 
Fähigkeit  haben,  sich  gegenseitig  abzustossen;  denn  sie  werden  als- 
dann durch  diese  Abstossung  richtig  getrennt  und  tiefer  in  ihre 
künftigen  Bezirke  hineingetrieben  werden.  Noch  sicherer  wird  dies 
geschehen,  wenn  sich  in  jedem  dieser  Bezirke  ein  Attractionscentrum 
für  die  Körner  vorfindet,  welches  dieselben  activ  dem  Centrum  zuführt. 

Sofern  aber  .diese  Theilungsvorgänge  nicht  in  absolut  ruhiger 
Umgebung  stattfinden,  wenn  vielmehr  von  aussen  her  Erschütterungen, 
Deformationen  einwirken,  so  wird  leicht,  trotz  dieser  beiden 
ordnenden  und  richtig  vertheilenden  Kräfte,  doch  noch  eine  Unord- 
nung vorkommen,  welche  zu  Ueberführung  [9]  zweier  Hälften  des- 
selben Kornes  auf  dieselbe  Seite  Veranlassung  werden  könnte.  Dies 
würde  aber  trotz  solcher  störenden  Einwirkungen  verhindert  werden 

9* 


132  Nr.  17.    Uebet  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 


können,  wenn  Einrielitung  getroffen  wäre,  dass  jedes  noch  unge- 
theilte  Korn  schon  an  zwei  von  den  beiden  künftigen  An- 
ordnungscentren ausgehende  Fäden  gelegt  ist,  so  dass  auch 
nach  der  Tlieilung  sofort  jedes  Halbirungskorn  an  einen  Faden  ge- 
legt ist,  an  welchem  es  sicher  seinem  Ziele  zugeführt  werden  kann, 
unbeirrt,  ob  lebhafte  Bewegungen  in  der  Umgebung  die  Theile  gegen- 
einander verschieben,  wenn  nur  die  Leitfäden  selber  nicht  zerrissen 
und  nicht  von  ihrem  Centrum  losgelöst  werden. 

So  kann  durch  solche  dreifache  Vorrichtung  die  Sicherheit 
der  zweckentsprechenden  Führung  jedes  Halbirungskornes 
eine  sehr  grosse  und  auch  gegen  äussere  Störungen  geschützte  werden. 
Sie  wird  noch  etwas  verstärkt,  wenn  immer  je  zwei  zusammengehörige 
Halbirungskörner  auch  nach  ihrer  Trennung  von  einander  noch  durch 
einen  Faden  verbunden  bleiben,  weil  dadurch  die  beiderseitigen  Leit- 
fadenspindeln zu  einem  in  sich  geschlossenen  Gebilde  vereinigt  werden 
und  so  eine  grössere  Stabilität  erhalten,  welche  äusseren,  eventuell 
zu  Verwirrung  und  Abreissuug  von  Fäden  führenden  Verschiebungen 
mehr  Widerstand  entgegen  zu  setzen  vermag. 

Diese  Einrichtung  wird  für  einfache  Verhältnisse  aus- 
reichen. So  lange  nur  wenige  und  relativ  grosse  Körner  die  Aequa- 
torialplatte  bilden,  kann  man  sich  denken,  dass  die  Anordnung  der 
K()rner  zu  einer  allenthalben  blos  einschichtigen  Platte  durch  Ver- 
klebung oder  durch  Anziehung  der  Körner  untereinander,  sofern  die- 
selben polarisirt  sind,  genügend  sicher  erhalten  werden  kann. 

Schwieriger  wird  dies  sein ,  wenn  die  Zahl  der  zu  h a  1  b i r e n - 
den  Mutterkörner  eine  sehr  grosse  ist,  wenn  sie  selber  aber 
sehr  klein  sind.  Noch  schwieriger  werden  aber  die  Verhältnisse, 
wenn  die  Mutterkörner  sich  wegen  zu  grosser  Zahl  überhaupt  nicht 
in  dem  für  die  Aeciuatorialplatte  vorhandenen  Raum  zu  einer  ein- 
schichtigen Anordnung  bringen  lassen. 

Erörtern  wir  zunächst  den  ersteren  Fall,  in  welchem  letzteres 
zwar  noch  möglich  ist,  die  grosse  Zahl  und  die  geringe  Kleinheit  der 
Mutterkörner  aber  bestinmite  Sicherungseinrichtungen  zur  Aufrecht- 
erhaltung oder  Wiederherstellung  der  [10]  Ordnung  in  der  Aequa- 
torialplatte,    namenthch  bei   störenden  äusseren  Einwirkungen   nöthig 


P)rt'ordernisse  ^qualitativer  Halbirnnc-.  133 


crsclieinen  lässt.  Die  iK'rsU'llun^  und  l':rlinltiiii,-i-  (k']'  cinscliicliti.uvii 
platten  Anordnung  wird  erleichtert  scheinen,  weini  es  nicht  dem  Zu- 
fall überlassen  ist,  wie  die  etwa  durch  eine  vorübergehende  Kraftwirk- 
nng  zu  einer  Platte  angeordneten  Körner  sich  durch  gegenseitige  An- 
ziehung oder  durch  ^^erklebung  in  dieser  x4.nordnung  erhalten,  son- 
dern wenn  fortwährend  straff  ordnende  Kräfte  thätig  sind.  Da  zweierlei 
Wirkungen  hervorzubringen  sind,  so  werden  mindestens  zwciei'Ici 
Kräfte  nöthigsein:  eine  Kraft,  welche  die  Einschiclitigkeit  der  Körner- 
ordnung herstellt  und  erhält,  resp.  wieder  herstellt,  und  eine  Kraft, 
welche  die  Zusammenfassung  zur  Platte  bewirkt  und  erhält. 

Wir  haben  uns  in  dieser  Erörterung  nicht  mit  speciellen  Ur- 
sachen zu  befassen,  sondern  dieselben  blos  soweit  zu  erwägen,  um 
beurtheilen  zu  können,  ob  durch  dieselben  unser  Zweck  sicher  er- 
reicht werden  kann.  Denken  wir  uns  also  blos,  die  Körner  seien 
durch  eine  Kraft  fest  zu  einreihigen  ,, Fäden"  angeordnet; 
was  übrigens  leicht  von  selber  geschieht,  sobald  die  Körner  polarisirt 
sind  und  sofern  zugleich  passive  äussere  Bewegung  nicht  fehlt,  welch(> 
den  vereinzelten  seitlich  sich  anfügenden  Körnern  nachträglicli  noch 
Gelegenheit  giebt,  bei  einer  Lockerung  des  Zusanniienhangs  durch 
die  Biegung  in  die  Reihe  sich  einzufügen,  was  man  leicht  an  schwim- 
menden Kugelmagneten  —  an  Korkkugeln,  welche  entgegengesetzt  mit 
zwei  magnetischen  stählernen  Heftzwecken  besteckt  sind  —  beobachten 
kann.  Diese  einreihige  Anordnung  ist  dann  eine  sehr  feste,  denn  bei 
äusseren  Einwirkungen  wird  sie  sich  zwar  biegen  aber  hinterher  wieder 
strecken,  da  sich  die  Wirkung  der  einzelnen  Kugelmaguete  zu  einem 
grossen  Stabmagnete  sumuiirt,  welcher  nur  im  gestreckten  Zustand  sich 
im  inneren  Gleichgewichte  befindet.  Uebrigens  könnte  auch  diese  ur- 
sächHche  Ableitung  hier  umgangen  werden,  wenn  wir  uns  rein  an 
das  Formale  halteü-und  die  fest  formirten  Fadenreihen  als  gegeben 
betrachten.  Fragen  wir  aber,  um  uns  über  die  Sicherheit  der  Ein- 
richtung zu  vergewissern,  nach  solchen  garantirenden  Kräften,  so 
wird  kaum  eine  bessere  Ursache  auffindbar  sein. 

Werden  nun  diese  Fäden  tlurch  eine  starke  Centralkraft  zu- 
sammengefasst,  so  ist  mit  tliesen  beiderlei  Kräften  eine  sehr  [11]  feste 
Anordnung  hergestellt,  welcher  blos  noch  eines  fehlt,  die  Anordnung 


134  Nr.  17.    Ueber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 


der  Fäden  in  der  Aequatorialebene.  Diese  kann  durch  die  Art  der 
centralen  Zusammenfassung  bedingt  sein.  Die  Fäden  selber  dürfen 
natürlich  nicht  länger  sein,  als  dem  für  die  Aequatorialplatte  vor- 
handenen Raum  angemessen  ist. 

Die,  eine  einfache  und  leicht  in  Ordnung  zu  haltende  Gliederung 
der  Aequatorialplatte  bewirkende  Aufreihung  der  Mutterkörner  zu 
Fäden  kann  aber  noch  einen  weiteren  wesentlichen  Nutzen  gewähren, 
sofern  sie  nämlich  l:)ei  der  Theilung  der  Körner  sich  auf  die  Tochter-  • 
körner  überträgt,  der  Art,  dass  der  Mutterfaden  sich  durch  diese 
Theilung,  unter  Erhaltung  der  Anordnung,  der  Länge  nach  in  zwei 
Tochterfäden  spaltet.  In  diesem  Falle  bedarf  zu  dem  Hinführen  der 
Tochtertheile  gegen  das  neue  Centrum  statt  jedes  einzelnen  Kornes 
jetzt  blos  noch  jeder  einzelne,  aus  Hunderten  oder  Tausenden  von 
Körnern  gebildete  Tochterfaden  eines  „Leitfadens".  Die  Grösse  dieses 
Nutzens  ist  nicht  zu  unterschätzen.  Denn  wenn  jedes  der  Tausende 
von  Körnern  eines  besonderen  Leitfadens  bedürfte,  so  würde,  ganz 
abgesehen  von  der  Neigung  zur  Verwirrung  so  vieler  Fäden,  die 
grosse  Zahl  derselben  gar  nicht  von  derselben  Seite  her  gegen  einen 
Punkt  hin  zu  convergiren  vermögen.  Andererseits  auch  würde  es 
eine  grosse  Verschwendung  an  Leitmaterial  darstellen,  wenn  ein  Faden, 
der  die  Festigkeit  haben  soll ,  verhältnissmässig  kräftigen  äusseren 
Tractionen  zu  widerstehen,  selber  blos  einer  ganz  geringfügigen  Last 
zur  Fixation  zu  dienen  hätte.  Diese  Vereinfachung  kann  noch  gesteigert 
werden,  ohne  dass  ein  Nachtheil  für  die  Sicherheit  der  Sonderung 
der  Tochterkörncr  eintritt,  wenn  immer  zwei  benachbarte  Mutterfäden  am 
centralen  Ende  in  einander  übergehen  und  sich  so  zu  einer,, Schleife" 
vereinigen.  Die  Lösung  der  Tochterfäden  von  einander  und  ihre 
Ueberführuug  zu  den  neuen  Centren  wird  dadurch  niclit  wesentlich 
erschwert  und  das  Leitfadenmatei'ial  noch  um  die  Hälfte  vermindert. 
Diese  Vereinigung  von  Fäden  darf  aber  l)los  an  derjenigen  Seite  sich 
hnden,  wo  später  die  trennende  Kraft  angreift ;  wäre  sie  dagegen  an  der 
entgegengesetzten  Seite,  hier  also  an  der  Peripherie,  so  würden  später 
bei  der  Lösung  und  Entfernung  der  Tochterfäden  durch  einen  vom 
centralen  Ende  ausgehenden  [12]  Zug  leicht  Verschhngungen  und 
Zerreissungen  der  Fadenschlingen  vorkommen. 


Erfordernisse  , qualitativer  Halbining".  135 


So  haben  wir  also  die  Nothweiidio-keit  und  den  Nutzen  einer 
Ordnung  der  Körner  in  Fäden  und  in  Fadenschlingen 
kennen  gelernt.  Mit  dieser  zweckmässigen  (diederung  aber  ist  nun, 
wie  sich  weiterhin  ergiebt,  die  Nothwcndigkeit  der  Anordnung  des 
Materiales  zu  einer  Aequatorialplatte  eine  weniger  zwingende  geworden. 
denn  es  erhellt,  dass  eine  Sonderung  der  centrirten  Toehterschleifen,  von 
denen  jede  in  ihrer  Mitte  durch  einen  Faden  gezogen  wird,  in  Richtung 
des  Zuges  fast  gleichgut  möglich  sein  wird,  sei  es,  dass  die  Schenkel 
der  Schlingen  alle  blos  in  einer  Aequatorialplatte  angeordnet  sind 
oder  nach  allen  Richtungen  des  Raumes  auseinander  stehen.  Ist  also 
die  Zahl  der  Fäden  eine  so  grosse,  dass  sie  nicht  alle,  ohne  sich  zu 
stören,  in  einer  Aequatorialebene  Platz  haben,  so  wird  ohne  grossen 
Nachtheil  eine  Divergenz  nach  allen  Richtungen  des  Raumes  vor 
sich  gehen  können.  Indessen  ein  Vortheil  für  die  Leichtigkeit 
der  Sonderung  der  Schlingen  nach  zwei  entgegengesetzten  Seiten 
wird  der  äquatorialen  Anordnung  stets   gewahrt  bleiben. 

Die  Bildung  der  Fäden  von  der  nöthigen  Länge  eines  Doppel- 
radins  des  vorhandenen  Raumes  kann  einzeln  vor  sich  gehen,  was 
aber  eine  eigenthümliche  Vielgliederigkeit  des  Geschehens  von  vorn- 
herein voraussetzen  würde.  Einfacher  scheint  es,  dass  zuerst  ein 
einheitlicher  Faden  für  das  Ganze  entsteht,  welcher  nachträg- 
lich in  Stücke  von  der  gehörigen  Länge  abgegliedert  wird. 

Findet  die  Bildung  eines  einzigen  Fadens  statt,  so  muss  dieser, 
da  er  vielmal  länger  sein  soll,  als  der  Durchmesser  des  vorhandenen 
Raumes,  sich  nothwendig  in  Windungen  legen.  Vollkommene  Gleich- 
artigkeit der  Körnchen  in  der  Grösse  der  Kugelgestalt  und  einen 
gleichartigen  Vereinigungsmodus  aller  Körner  vorausgesetzt,  giebt  es 
verschiedene  annähernde  Gleichgewichtsfiguren,  in  welche  der  Faden 
in  Folge  der  Raun^ljeschränkung  sich  legen  kann,  je  nach  den  bei 
der  Fadenbildung  zufällig  mit  formbestimmend  gewesenen  accessori- 
schen  Momenten.  Der  Formen  vollkommenen  inneren  Gleichgewichtes 
des  Fadens  würde  es  nur  wenige  geben;  aber  der  Widerstand  der 
Suspensionsflüssigkeit  und  der  Mangel  vollkommener  [13]  äusserer 
und  innerer  Ruhe  wird  die  Entstehung  derselben  unmöglich  machen. 
Der  Faden  wird   sich  daher  zu  einem  ziemlich  un regelmässigen 


136  Nr.  17.    Ueber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 

Knäuel  ballen.  Beginnt  dagegen  die  später  die  einzelnen  Segmente  ord- 
nende Centralkraft  schon  vor  dem  Eintritt  der  Segmentirung  zu  wirken, 
und  die  Centralkraft  kann  bei  der  unmagnetischen  Natur  der  organi- 
schen Substanz  nur  eine  electrische  sein  [?],  so  werden  die  Windungen 
sich  mehr  oder  weniger  radiär  mit  ihren  Schenkeln  einstellen  und  so 
eine  regelmässige  Form  bilden,  welche  man  anfangs  mit  einem  Kranze, 
später  mit  einem  Stern  vergleichen  kann.  Denn  allmählich  werden 
die  central  gerichteten  Umbiegungen  in  Folge  der  electrischen  An- 
ziehung sich  immer  mehr  dem  C'entrum  nähern,  die  äusseren  Um 
biegungen  aber,  in  dem  elastischen  Bestreben,  sich  möglichst  wenig 
zu  biegen,  den  Raum  immer  mehr  ausnutzen ,  also  möglichst  an  die 
Umgrenzung  der  Kernhülle  gelangen.  Wenn  nun  durch  eine  centri- 
fugale  oder  sonst  eine  Kraft  die  periphei'en  Schlingen  durchgerissen 
werden,  so  ist  damit  der  ganze  Fadenstern  in  zweischenkelige  Schleifen 
von  der  nöthigen  Länge  und  mit  centraler  Umbiegungstelle  zerlegt 
und  damit  diese  wichtige  Form  hergestellt.  Hörte  die  centrale  Kraft 
wieder  auf  zu  wirken,  noch  ehe  jede  Schleife  an  einen  vom  Centrum 
ausgehenden  Faden  befestigt  ist,  so  würden  die  Schleifen  durch  jede 
äussere  Einwirkung  mit  Leichtigkeit  durcheinander  gebracht  und  be- 
liebig verbogen  werden  können,  und  es  würde  dann  den  Anschein 
gewinnen,  als  ob  die  Segmentirung  in  gleich  lange  Fäden  schon  im 
Stadium  der  Knäuelbildung  durch  eine  wunderbare,  die  Länge  be- 
stimmende innere  Eigenschaft  stattgefunden  hätte. 

Unsere  bisherige  Deduction  beabsichtigte,  diejenigen  Vorgänge 
und  Vorrichtungen  kennen  zu  lernen,  welche  zu  einer  auch 
gegen  von  aussen  kommende  geringe  Störungen  „gesicher- 
ten" Erreichung  unseres  Zweckes  führen  konnten.  Unser 
Zweck  war  die  Halbirung  eines  Substanzgemenges  nicht  blos  der 
Totalmasse,  sondern  auch  der  Masse  jeder  einzelnen  Qualität  nach 
innerhalb  eines  abgeschlossenen  Raumes  und  allein  durch  die 
Kräfte  des  in  diesem  Räume  sich  befindenden  Materiales. 
Wir  hal)en  dabei  eine  complicirte  Anzahl  von  A'^orgängen  und 
Bildungen  als  unerlässlich  nötliig  oder  als  am  einfachsten  zum 
[14]  Ziele  führend  erkannt,  welche  Zug  für  Zug  übereinstimmen 
mit  den  Vorgängen  und  Bildungen,    die  als   das  Typische  der  Kern- 


Erfordernisse  bestimmter  qualitativ  ^nni:loich(M"   Thriinng. 


theilung     beobachtet    und    einij;;n\os    unserer    Erörterung    aufgeführt 
worden  sind. 

Wenn  der  von  uns  behandelte  Zweck  zugleich  der- 
jenige  der  Kerutheilung  wäre,  so  würden  damit  alle  die 
wunderbaren  Vorgänge  der  Kerutheilung  als  durchaus 
zweckmässig  erkannt  sein.  Umgekehrt,  ila  wir  nach  un'serer 
gegenwärtigen  biologischen  Auffassung  nicht  annehmen  dürfen,  dass  ein 
so  allgemein  verbreiteter,  so  viel  Zeit  und  Kraft  kosten- 
der und  dabei  so  complicirter  und  jedenfalls  schwierig 
zu  erwerbender  Vorgang  nutzlos  sein  könne,  ist  eine  ge- 
wisse Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  unser  Zweck  auch  der 
Zweck  der  Kerntheilung  ist. 

Dies  gilt  indess  blos,  sofern  es  nicht  noch  andere  Zwecke 
giebt,  welche  ganz  derselben  ^'orr  ichtungen  und  Vor- 
gänge zu  ihrer  Erreichung  bedürfen.  Wenn  es  deren  giebt, 
so  müssen  sie  jedenfalls  dem  unsrigen  im  Wesen  verwandt  sein ;  denn 
ein  sehr  complicirter  Mechanismus,  welcher  in  allen  Theilen  sich  voll- 
kommen zu  einer  bestimmten  Function  passend  zeigt,  wird  nicht 
leicht  einer  ganz  heterogenen  Function  ebenfalls  fähig  sein. 

Es  erhellt  nun,  dass  unser  Mechanismus  ebensowohl 
wie  zur  „Halbiruiig"  der  Masse  jeder  einzelnen  Qualität 
auch  zu  jeder  anderen  „bestimmten"'  Theihmg-  der  (Qualitäten  die 
mechanischen  Bedingungen  darstellt,  sei  es,  dass  z.B.  mög- 
lichst das  Ungleiche  der  Hauptqualitäteu  sich  sondern 
oder  sonst  eine  mechanische  Theilung  der  Qualitäten  nach 
einem  ,, bestimmten''  Principe  durchgeführt  werden  soll. 

Immer  muss  bei  j  eder  Art  „bestimmter"  Qualitäteiitheihiiijf 
die  ganzeMasse  vorher  in  eine  von  derZahl  der  Qualitäten 
a  b  h  ä  n  g  i  g  e  A 11  z  a]^  1  T  h  e  i  1  e  z  e  ]■  1  e  g  t  w  erden;  inid  dann  müssen  die 
geeigneten  Vorrichtungen  getrott'en  werden;  dass  nach  der 
,,Halbirung"  dieser  „Muttertheile"  jeder  der  beiden  ,,Tocli- 
tertheile"  auf  die  richtige  Seite,  an  den  rechten  Ort  gebracht 
werde. 

Nach  welchem  Princip  dabei  die  Qualitäten  selber 
sich  sondern,  hängt  lediglic h  von  den  inneren  Vorgängen 


138  Nr.  17.    Ueber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren. 


bei  der  Halbirung  der  Mutterkürner  ab,  welche  sich  unserer 
Kenntnissnahme  entziehen.  [Weiteres  siehe  Nr.  20  S.  29;  Nr.  21  S.  187; 
Nr.  27  S.  323.] 

Es  ist  nicht  unwahrscheinhch ,  dass  in  der  That  die  Natur 
(lieser  Soiideruiigeii  eine  verschiedene  sein  kann.  Ich  Iiabe  in  diesem 
Frühjahr  durcli  eine  Reihe  von  Versuclien  an  Rana  [15]  fusca  und  R. 
esculenta  nachgewiesen  (s.  Nr.  16),  dass  die  erste  Theilung  des  befruchteten 
Froscheies  die  Richtung  der  künftigen  Medianebene  des  Embryo  be- 
stimmt und  das  Eimaterial  in  zwei  den  beiden  symmetrischen  Körper- 
liälften  entsprechende  Tlieile  sondert,  eine  Beobachtung,  welche  ich 
sehr  bald  noch  durch  einen  Versuch  Pflücjer's^)  bestätigt  fand.  Da- 
nach ist  zu  vermuthen,  dass  bei  der  ,,ersten"  Furchuug  nicht  blos 
das  Material  des  Eiprotoplasma ,  sondern  auch  des  Kernes  in 
gleiche  Qualitäten  gethoilt  wird.  Da  ich  aber  weiterhin  fand, 
dass  die  zweite  Theilung  bereits  das  Vorn  und  Hinten  bestimmt,  und 
da  die  ungleiche  Entwickelung  des  Vorn  und  Hinten  an  ungleiches 
Material  geknüpft  vorzustellen  ist,  so  wird  es  wahrscheinlich,  dass 
bei  der  „zweiten"  Theilung  auch  das  Kernmaterial  qualitativ 
ung'leich  zerlegt  wird  ^). 

Nach  dieser  Erörterung  können  wir  den  Zweck  der  Kern- 
theilungsfiguren definiren:  Die  Kerntheilungsfiguren, 
die  Gestaltungen  der  indirecten  Kerntheilung,  sind  Mecha- 
nismen, welche  [wenn  sie  in  Thätigkeit  gesetzt  werden]    es    ,,er- 


^)  Ueber  den  Einlluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theihmg  der  Zellen  und  auf 
die  Entwickelung  des  Embryo.     Pfiäiger's  Arch.  Bd.  XXXI.  1883. 

[-)  Es  ist  also  hier,  S.  137,  sogleich  daraufhingewiesen  worden,  dass  meine  Er- 
klärung der  fuuctionellen  Bedeutung  der  indirecten  Kerntheilung  auch  für  „quali- 
tativ nngleiclie"  Theilung  gilt.  Daher  ist  es  mir  ein  Räthsel,  dass  von  Anfang 
an  eine  Anzahl  Autoren  mir  die  Ansicht  unterstellt  hat,  die  indi- 
recte  Kerntheilung  eigne  sich  blos  zur  qualitativen  „Halbirung". 
Obgleich  ich  dieser  Angabe  sogleich  entgegengetreten  bin  (s.  Nr.  20.  S.  26  und  f.), 
so  hat  sich  dieselbe  in  Folge  des  üblichen  Abschreibens  von  Citaten  ohne  Einsicht 
in  das  Original  bis  in  die  neueste  Zeit  erhalten  und  findet  sich  jüngst  noch  bei 
Hansemann  (Studien  über  den  Altruismus  der  Zellen,  1893)  gegen  mich  angewendet; 
obgleich  der  Autor  bei  Einsichtnahme  in  meine  Schriften  gefunden  haben  würde,  dass 
er  in  Bezug  auf  Kerntheilung  durchaus  auf  meinem  Standpunkt  steht  und  meinen 
Beobachtungen  Beweismaterial  für  seine  Ansichten  hätte  entnehmen  können.] 


Möglichkeit  allmählicher  Züohtiiny  der  Kerntlieilungsinechanisnien.  139 

möglichen",  den  Kern  niclit  blos  seiner  Masse  sondt-rn 
auch  der  Masse  und  Beschaffenheit  sei  ner  einzelnen  Quali- 
täten nach  [„gleich"  oder  in  bestimmter  Weise  „ungleich") 
zu  th eilen. 

Der  wesentliche  Kerntheilungsvorgang  ist  (lie,.ll:ill)i- 
rung"  der  Mutterkörner;  alle  übrigen  Vorgänge  haben  den  Zweck, 
von  den  durch  diese  Theilung  entstandenen  Tochterkörnern  des- 
selben Mutterkornes  immer  je  eines  in  das  t'entrum  der  einen,  das 
andere  in  das  Centrum  der  anderen  Tochterzelle  sicher  überzu- 
führen. Gegen  Ende  dieses  letzteren  Vorganges  treten  schon  eine 
Reihe  von  Metamorphosen  auf,  welche  die  complicirte  Theilungs- 
struetur  wieder  zurückbilden,  und  so  den  Kern  zur  Annahme  der 
Structur  des  Ruhezustandes  vorbereiten. 

[16]  Solche  complicirte  zweckmässige  Einrichtungen  konnten 
nicht  auf  einmal  im  Organismenreiche  auftreten;  sondern  sie  mussten 
aus  einfachsten  Anfängen  unter  stetig  steigender  Vollkommenheit 
durch  Auslese  von  vorgekommenen  immer  günstigeren  Variationen 
innerhalb  lauger  Zeiträume  gezüchtet  werden.  Daher  mussten  auch 
die  niedrigsten  Anfänge  schon  einen  Nutzen  gewähren;  und  aus 
diesem  Grunde  ist  in  obiger  Deduction  zunächst  eine  einfachere 
Einrichtung  geschildert  worden,  welche  für  den  Fall  genügend  ist, 
dass  der  Kern  blos  in  wenige  Theile  zerfällt  zu  werden  braucht. 
Nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Beobachtungen  hat  es  aber  den 
Anschein,  als  wenn  so  einfache  Verhältnisse,  wo  keine  Faden- 
anordnung der  Mutterkörner  nöthig  ist,  nirgends  mehr  vor- 
kommen. Doch  ist  wohl  erst  eine  weitere  Ausdehnung  der  Unter- 
suchungen abzuwarten,  ehe  sich  ein  definitives  Urtheil  in  dieser  Be- 
ziehung fällen  lässt. 

Vergleichen  ■is'ir  unsere  Ableitungen  specieller  mit  den  Kern- 
theilungsvorgängen,  so  beziehen  sie  sich  vorzugsweise  auf  die  Thei- 
lung des  Chromatins,  und  dieses  beherrscht  in  der  That 
die  K erntheil ungs Vorgänge,  besonders  bei  den  Thieren.  Bei 
den  Pflanzen  aber  tritt  das  Achromatin,  welches  wir  nach  unserer 
Deduction  nur  in  der  Rolle  der  Leitfäden  kennen  gelernt  haben, 
durch  grössere  Massigkeit  hervor. 


140  Nr.  17.    Uebfir  die  Bedeutung  der  Korntheilungsfiguren. 


Es  ist  daher  denkbar,  dass  die  „ Achromatienf äden" 
nicht  blos  für  diese  Function  da  sind,  sondern  dass  sie 
selber  wertlivolles  K  e  r  n  m  a  t  e  r  i  a  1  darstellen,  welches 
gleichfalls  ,, qualitativ  getheilt"  werden  soll.  Da  sie  feine 
Fäden  bilden,  welche  nach  der  Theilung  des  Mutterpolcentrum  in 
die  beiden  Tochterpolcentren  sofort  doppelseitig  sich  vorfinden,  so  ist 
es  wahrscheinlich,  dass  eine  Längstheilung  der  Fäden  stattgefunden 
hat.  Und  wenn  auch  die  Bildung  eines  continuirlichen  Fadens  nicht 
ebenso  günstig  für  die  Qualitätentheilung  ist  als  eine  Aufreihung  des- 
selben aus  getrennten  Kugehi,  weil  Längsverschiebung  der  Substanz 
stattfinden  kann ,  so  kann  doch  dieser  Fehler  durch  die  grössere  Fein- 
heit des  Fadens  zum  Theil  ausgeglichen  werden.  Immerhin  stellt 
ein  dünner  Faden  eine  sehr  feine  Massenzerkleinerung 
dar,  welche  durch  Längstheilung  des  Fadens  schon  zu 
einer  ziemlich  vollkommenen  ,,Q,ualitätensonderung"  ge- 
eignet erscheinen  m  u  s  s .  Vielleicht  ist  [1 7]  dann  auch  die 
Theilung  des  Polcentrum  als  eine  Theilung  in  unserem 
Sinne,  als  qualitative  Theilung  aufzufassen. 

Bei  gleichzeitiger  Drei-  oder  Viertheilungeines  Kernes 
kann  derselbe  Mechanismus  sich  bethätigen,  nur  müssen  die 
Mutterkörner  sich  gleichzeitig  in  drei  oder  vier  Tochterkörner  zer- 
theilen  und  alle  übrigen  Einrichtungen  gleichzeitig  entsprechend  ver- 
vielfältigt werden. 

Der  sachkundige  Leser  wird  vielleicht  schon  länger  mir  im 
Geiste  zwei  Einwände  gemacht  haben ,  welche  nicht  stillschweigend 
übergangen  werden  dürfen. 

Die  indirecte  Ker  ntheilung  zerfälltnach  der  hier  entwickel- 
ten Auffassung  w  e  s  e  n  1 1  i  c  h  i  n  z  w  e  i  H  a  u  p  t  a  c  t  c :  in  die  „iiiolek ulare 
Theilung"*,  die  Theilung  der  Mutterkörner,  welche  letzteren  erst  durch 
die  Vorbereitungsstufe  der  ,, Materialzerkleinerung"  herzustellen 
sind,  sofern  nicht  wie  Pfitzner  vermuthet,  auch  im  ruhenden  Kern 
das  Material  schon  in  Form  kleiner  Körnchen  vorhanden  ist;  und 
zweitens  in  die  ,, Massentheilung"  [besser  „Massensoiideruug"], 
welche  den  Zweck  hat,  von  je  zwei  versch wisterten  Toch- 
terkörnchen  immer  je  eines  auf  je  eine  Seite  zu  schaffen: 


Vorbedingungen  unserer  Deutung.  141 

zugioich  dasjenige  Moment,  welclies   haiiptsäclilirli    den  ranzen  sicht- 
baren Mechanismns  der  Kernt! leilungsfiguren  nötliig  macht. 

Wenn  diese  Bedeutung  der  Massensonderung  richtig  ist,  dann 
muss  die  Beobachtung  erweisen,  dass  normaler  Weise  nie  dem- 
selben Mutterfaden  entstammende  Tocliterf ädcn  au!  die- 
selbe Seite  kommen,  sondern  dass  sie  stets  aul  beide  Seiten 
vertheilt  werden;  denn  ohne  dies  würde  das,  was  nach  unserer 
Meinung  der  Zweck  der  ersten,  der  „Molekulartheilung"  ist,  wieder 
aufgehoben  und  diese  selber  demnach  überflüssig  werden.  Stras- 
burger hat  bereits  in  den  leichter  zu  übersehenden  ^^erhältnissen 
einiger  Pflanzen  entsprechende  Beobachtungen  gemaclit.  und  Fi.emmi.nc; 
hat  ein  Gleiches  in  den  complicirten  Verhältnissen  des  allseitigen 
Muttersternes  der  Amphibien  vermuthet.  So  ist  wohl  Hoffnung,  dass 
es  der  darauf  gerichteten  Aufmerksamkeit  gelingen  wird,  dies  als  das 
allgemeine  Verhalten  nachzuweisen  ^). 

Die  zweite  Hypothese,  auf  welcher  unsere  ganze  Erklärung  be- 
ruht und  mit  welcher  sie  steht  und  fällt,  ist  die  ungemeine 
Mannigfaltigkeit  des  Kernes  an  Qualitäten,  welche  wohl 
bezweifelt  werden  kann,  sofern  man  blos  das  Morpholo-[18Jgische  ins 
Auge  fasst  und  hervorhebt,  dass  der  Kern  sich  durch  unsere  gegen- 
wärtigen Färbemittel  nur  in  vier  verschiedene  Substanzen  clifferenziren 
lässt,  während  zugleich  das  Chromatin,  welches  gerade  der  Haupt- 
gegenstand der  feinsten  Theilung  ist,  uns  vollkommen  homogen  er- 
scheint. Eine  kurze  biologische  Reflexion  über  das  Wesen  des  Organi- 
schen wird  indessen  wohl  diesen  Zweifel  beseitigen. 

Wer  das  Leben  in  seinem  Wesen  betrachtet,  der  \\drd  nicht 
glauben,  dass  es  eine  chem  ische  Definition,  eine  chemische 
Formel  für  dasselbe  geben  könne.  Es  muss  sogar  zweifelhaft 
erscheinen,  ob  es  überhaupt  auch  nur  eine  chemische  Definition  seines 
Substrates  geben  könne,  denn  es  ist  nicht  erwiesen,  dass  die  wesent- 
lichen   Vorgänge,    deren    Gesammtheit    wir     als    Leben 


[1)  Diese  damals  bei  den  geringen  thatsächliclien  Unterlagen  etwas  gewagte 
Annahme  hat  sich  bald  durchaus  bestätigt.  Da  diese  Annahme  der  Kernpuukt  meiner 
ganzen  Auffassung  ist,  so  hat  letztere  durch  diese  Bestätigung  ein  sehr  gewichtiges 
Zeugniss  für  ihre  Richtigkeit  erhalten.] 


142  Nr.  17.    Ueber  die  Bedeutune;  der  Kenitheilun^sfiguren 


bezeichnen,  nicht  vielleicht  durch  ganz  verschiedene  Sub- 
strate vollzogen  werden  können,  dass  nicht  z.B.  die  Rolle  des 
Kohlenstoffs  unter  anderen  äusseren  Umständen  durch  Silicium  ver- 
tretbar sei  u.  dgl.  Das  Leben  ist  seinem  Wesen  nach  Process 
und  kann  daher  nicht  statisch  definirt  werden;  sondern 
nur  eine  processuahsche,  also  functionelle  Definition  kann  dem 
Wesen  des  Organischen  sich  nähern.  Wer  nun  zu  den  anerkannten 
minimalen  functionellen  Vorgängen  des  Lebens,  zu  Assimilation, 
Dissimilation,  Ausscheidung  und  Reflexbewegung  mit  mir  noch  die 
Fähigkeit  des  Selbstregulation  in  allen  Vorgängen  [Nr.  4  Capit.  V]  und 
die  Fähigkeit  der  Gestaltung  aus  chemischen  Prozessen  [s.  I,  S.  208  Anm.] 
(ohne  welche  letztere  schon  die  Reflexbewegung  und  die  indirecte  Kern- 
theilung  nicht  möglich  wären)  für  unerlässlich  zum  Wesen  gehörig 
hält,  der  wird  sich  Zellleib  und  Zellkern  als  chemisch-physikalische 
Einrichtungen,  als  thätige  Fabriken  von  so  hoher  Complicirtheit  vor- 
stellen, dass  man  sie  nicht  einfach  in  der  Mitte  auseinander  schneiden 
kann,  um  zwei  solche  Fabriken  zu  erhalten.  Sondern  zu 
letzterem  Zwecke  muss  von  jedem  gesondert  fungirenden 
Theile  eine  Verdoppelung  hergestellt  werden  (vielleicht  die 
Vermehrung  des  Chromatins  vor  der  Theilung)  und  diese  identischen 
Theile  müssen  dann  nach  den  neuen  Anlageorten  [19]  translocirt 
und  entsprechend  mit  den  zugehörigen  Theilen  vereinigt  werden. 

Die  scheinbare  Homogeneltät  der  ganzen  Chromatinmasse,  so- 
wie des  Protoplasma  wird  denjenigen  nicht  täuschen,  der  sich  ver- 
gegenwärtigt, dass  wir  das  Molekulargeschehen  der  Zelle  nur 
wie  eine  grosse  Fabrik  aus  einem  in  den  höchsten  Regio- 
nen schwebenden  Luftballon  betrachten,  dass  die  Durch- 
messer der  Vorgänge  millionenmal  kleiner  sind  als  die 
Entfernung,  aus  der  wir  sie  mit  dem  Mieroscop  besich- 
tigen, und  dass  uns  daher  das  Verschiedenste  als  homogen  erscheinen 
kann.  Scheint  doch  schon  eine  lebende  Quelle  mit  ihren  reich  ge- 
gliederten Organsystemen  dem  naiven  Beobachter  als  eine  liomogene 
schleimartige  Masse;  und  stehen  wdr  nicht  dem  Molekulargeschehen 
fast  noch  mehr  als  blos  naiv  gegenüber? 

Es    muss    aus    den    eomplic  irten    A^errichtungen    des 


Metastructuron  des  Urgaiiischcii.  148 

scheinbar  homogenen  organischen  Substrates  mit  Sicher- 
heit eine  complicirte  Structur  gefolgert  werden. 

Mit  der  Erkenutniss  des  nothvvenchgen  Vorhandenseins  solchci- 
nicht  sichtbaren  und  niclit  sichtbar  zu  machenden,  blos  zu 
erschliess enden  Structur,  welche  ich  in  einer  besonderen  Ab- 
handlung über  diesen  Gegenstand  als  „Metastriictur"  bezeichnen  werde, 
(s.  I,  S.  187),  muss  unsere  Hypothese  von  der  complici  rten  Zu- 
sammensetzung des  Chromatins  wesentlich  an  Wahrscheinlich- 
keit gewinnen.  Und  der  Umstand,  dass  für  die  Kerntheilung  so  compli- 
cirte Einrichtungen  zur  qualitativen  Theilung  getroffen  sind,  welche  für 
den  Zellleib  fehlen,  lässt  dann  rückwärts  schliesseu,  dass  der  Zell- 
leib  in  viel  höherem  Maasse  durch  Wiederholung  gleich 
beschaffener Theile  gebildet  wird  als  der  Kern;  und  daraus 
folgt,  dass  für  die  Entwickelung  des  Embryo,  sowie  vielleicht 
auch  für  das  Regenerationsvermögen  der  niederen  Thiere  der 
Kern  wichtiger  ist  als  der  Zellleib,  eine  Folgerung,  welche  in 
vollkommener  Uebereinstimmung  mit  den  neueren  Ergebnissen  über 
den  Vorgang  der  Befruchtung  steht. 

Breslau,  den  26.  August  1883. 


I 


Nr.  18. 

Beiträge  zur  Entwiekelung'smeehanik  des  Embryo. 

Nr.  P).    Zur  Orientirung  über  einige  Probleme  der 
embryonalen  Entwickelung. 

1885. 
Zeitschrift  für  Biologie  Bd.  XXI.    München.  Juli  1885. 


Inhal  t. 


Seite 


I.  Versuch  über  den   An t heil    der    Vertheilnng    freier   Electricität 

an  der  Formbildung  des  Embryo 147 

Reaction  der  Umgebung  einer  Wunde  des  Embryo 149 

Zeichen  des  Absterbens  junger  Embryonen        150 

Framboisia  embryonalis  finalis  minor  externa  et  interna  151 

Framboisia  embryonalis  major 152 

II.  Versuche  über  die  Wirkung  künstlicher  Defecte  und  damit  verbun- 
dener Störungen  der  Anordnung  derEitheile  aufdieEntwicke- 

ludgdes  Froscheies 153 

Unmittelbare  Folge  des  Anstechens:  „Extr aovat" 155 

Zeichen  des  Todes  des  Eies  während  der  ersten  Stadien  der  Furchung  155 

Todesursachen  nach  dem  Anstechen 156 

Allgemeine  Uebersicht  der  Folgen  des  Anstech ens  während 

der  Furchung  für  die  weitere  Entwickelung 157 

Normale  Gestaltung 157 

Verzögerung  der  Entwickelung 158 

Stillstand  der  Entwickelung 158 


1)  Die    diesem   ersten  Beitrage   vorausgeschickte    , Einleitung"    ist   am    Anfang 
dieses  Bandes  (als  Nr.  13)  abgedruckt. 


Inlialt.  145 

Seite 

Abnonnitäten  der  Bildung: ir)9 

Asyntaxia  medullaris.  Hydrops,  Lordosis.  Scoliosis.  Defecte  160 

Specielle,  localisirte  Folgen: 160 

1.  des  Anstechens  während  der  Furcliung 161 

Entwickelung  des  Extraovates 162 

2.  des  Anstechens  der  Blas  tu  la 175 

Folgerungen  daraus: 179 

Entbehrlichkeit  eines  Theiles  des  Eimateriales      ....  179 

Störungen  der  Anordnung  des  Dotters 180 

C  Ire  um  Scripte  Defecte 180 

3.  der  Operationen  an  der  Gastrula 186 

Griebt  es  ein  „formales"  Leben  des  Embryo'?      .     .     .  187 

Bedeutung  der  Lagerung  der  Theile 187 

Folgen  grosser  Spaltungen  der  Gastrula 190 

Selbstdifferenzirung  grosser  Stücke  der  Gastrula ....  192 

Folgen  nach  Bildung  von  Zungenlappen 193 

Folgen  nach  Spaltungen  der  Medianebene 194 

4.  der  Operation  nach  Anlage  der  Medullär  vvülste       .     .     .  196 

5.  der  Operationen  nach  Schluss  des  Medullarrohres     .     .  199 
Folgerungen  aus  3. — 5 200 

II.   lieber   den    Antheil    der   Selbstilifferenzirung    und   differenzireiuler 

Correlationen  an  der  individuellen  Entwickelang 2U2 

A.  Selbstdifferenzirung: 202 

Vorkommen  derselben 202 

Definition  der  , formalen"  und    der  , qualitativen"  Selbstdiife- 

renzirung 208 

B.  Differenzirende  Correlationen: 211 

1.  Die  functionelle  Anpassung 211 

Mechanisch  vermittelte  functionelle  Anpassung 214 

Trophisch  vermittelte  functionelle  Anpassung 214 

2.  Züchtende    Theilauslese    im    Organismus    bewirkende 

Correlationen 216 

Ableitung  der  Möglichkeit   des  Kampfes    der  Theile  aus   dem 

Wesen  des  Organischen 217 

Zurückweisung  irrthümlicher  Behauptungen  W.  WrNn-r's  217—223 

Directer  Kampf  der  Theile  im  Organismus       218 

Indir^cter  Kampf  der  Theile  im  Organismus 219 

Differenzirende  Leistungen  des  Kampfes  der  Theile  in  Com- 

bination  mit  der  functionellen  Anpassung 221 

Selbstausmerzung  von  Theilen  des  Organismus  ....  223 
Möglicher    Antheil    der   Theilauslese   an   der    Ent- 
wickelung   22y 

Antheil  der  Theilauslese  an  der  Entstehung  und  Loca- 

lisation  der  verschiedenen  Bindesubstanzen      .     .     .  227 
W.  Roux.  Gesammelte  Abhandlungen.    11. 


I 


Ii6  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

Seite 
an    der  Localisation  der  Diaphysen,  Epiphysen, 

Apophysen 228 

3.  Mechanische  Masse  neorrelationen 232 

Beurtheilung  der  Ursachen  von  Configurationsänderiingen  .     .     .  283 
Mögliche  Ursachen  der  Biegungsconfigurationsänderung  eines 

Stabes 235 

Unmöglichkeit,   die  Ursachen   einer  Formänderung 

aus  der  blossen  Beobachtung  zu  erschliessen    .  239 

Nutzen  der  Beobachtung  der  gleichzeitigen  Structu  ränderung  239 
Definition    der    , mechanischen    Massencorrelation" 

240  und  253 

Vorkommen  „mechanischer  Massencorrelationen" 240 

Beurtheilung  der  Angaben  von  W.  His 241 

Versuche  über  die  Wirkung  passiver  Deformation  auf 

denEmbryo 244 

Inneres  Gleichgewicht  der  Theile 245 

Prüfung  der  Anpassungsfähigkeit  an  passive  Deformation :  245 

an  Froschembryonen 245 

an  Froscheiern 246 

an  Hühnerembryonen:        246 

Versuch    über   den    Selbstschluss    des   Medullar- 

rohres 246 

Künstliche    Erzeugung    von    „Rautengruben"     durch 

vitale  Anpassung  an  passive  Deformationstendenz  248 
Beobachtung  des  Selbstschlusses  des  Darmrohres  251 
Durch  mechanische  Massencorrelation    , vermit- 
telte"  , vitale"  Umformung 253 

4.  Andere  bekannte  dif ferenzirende  Correlationen      .     .  253 


[429]  Die  im  Folgenden  mitgetheilten  Versuche  wurden  zum  Theil 
schon  vor  mehreren  Jahren  ausgeführt')  ehe  noch  die  causale  Analyse 
der  Entwickelungs Vorgänge  bis  zu  dem  in  der  „Einleitung"  [siehe 
S.  14]  angedeuteten  Stadium  fortgeschritten  war.  Sie  sind  daher  zum 
Theil  nicht  direct  auf  jenes  Ziel  gerichtet,  welches  ich  als  das  zu- 
nächst zu  erstrebende  bezeichnet  habe;  und  auch  die  diesem  Ziele 
zustrebenden  sind  noch  nicht  bis  zu  ihm  selber  fortgeführt.  Diese  Ver- 
suche sowie  diejenigen  der   nächsten  Beiträge   und  die   ihnen  einge- 


1)  Die  Hauptthatsachen  dieser  Untersuchung  wurden  unter  dem  Titel  „Vorläufige 
Mittheilung  über  causal-ontogenetische  Experimente"  am  15.  Februar  1884  in  der 
Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur  vorgetragen. 


Einfluss  electrischer  Vertheiluni;  auf  die  Ciestaltung.  147 

fügten  theoretischen  Erörterungen  sollen  vielmehr  nur  zur  ersten 
Orientirung  sowohl  über  die  Natur  der  vorliegenden  Pro- 
bleme wie  über  die  Art  und  Weise,  wie  diese  der  Unter- 
suchung zugänglich  zu  machen  sind,  dienen.  In  den  späteren 
Beiträgen  werden  dann  mit  den  so  gewonnenen  neuen  Mitteln  die 
ins  Auge  gefassten,  wohl  umgrenzten  Probleme  der  eingehenden 
Einzelbearbeitung  unterzogen  werden. 


I.  Prüfuiija:  des  Aiitlieils  der  Vertheiliing:  „freier  Eleotricität"  au  der 
Fonnbildini^  des  Embryo. 

Schon  Chr.  Pander  ^)  und  H.  Lotze^)  vermutheten  in  ungleichem 
Wachsthum  der  verschiedenen  Theile  der  Keimblätter  den  ursäch- 
lichen Vorgang  für  die  Entstehung  der  Formen  des  Illmbryo,  W.  His^) 
hat  es  sich  angelegen  sein  lassen,  die  thatsächliche  Richtigkeit  dieser 
Vermuthung  nachzuweisen,  indem  er  durch  genaue  Messungen 
zahlreiche  Ungleichheiten  in  den  Massen-  oder  Flächenvergrösserungen 
verschiedener  Theile  feststellte  und  daraus  die  vorkommenden -Form- 
änderungen abzuleiten  versuchte. 

[430]  Den  Ursachen  dieser  ungleichen  Locaiisation 
des  Wachsthums  ist  man  noch  nicht  nachgegangen.  Dem  Nach- 
denken über  dieselben  bieten  sich  viele  Denkmöglichkeiten  dar,  unter 
welchen  nur  auf  dem  Wege  des  Versuches  die  realen  Ursachen  aus- 
gelesen werden  können. 

Anfänglich  schien  es  mir  nicht  unmöglich,  dass  electrische 
P]nergie  durch  ihre  Art,  sich  auf  gekrümmten  Oberflächen 
ungleich  zu  ver theile n,  einen  helfenden  Antheil  an  dem  ungleichen 
Wachsthum  der  Keimblätter  haben  könne.  Sofern  ihr  selber  nämlich 
eine  Wachsthum  am^egende  Wirkung  zukommt,  konnte  auf  Grund  einer 
schon  vorhandenen  geringen  Formenmannigfaltigkeit  durch  die 


1)  Dr.  Pander,  Beiträge   zur  Entwickelungsgeschichte   des  Hühnchens   im    Eie 
1817.  S.  40. 

2)  RuD.  Herm.  Lotze.    Allgemeins    Physiologie   des  körperlichen   Lehens    1851. 
S.  353. 

'^)  W.  His,  Unsere  Körperform  und  das  physiologische  Problem  ihrer  Entsteh- 
ung 1874,  desgleichen  in  zahlreichen  Specialarbeiten. 

10* 


148  Nr.  18.    Zur  Oriendrung  über  die  Probleme  etc. 

ungleiche  Localisation  der  Electricität  und  das  entsprechend  ungleiche 
Wachsthum  eine  immer  grössere  Mannigfaltigkeit  producirt 
werden'). 

Um  auf  die  einfachste  Weise  einen  derartigen  Antheil 
electrischer  Energie  an  der  normalen  äusseren  Gestaltung 
festzustellen,  spiesste  ich  soeben  aus  der  Gallerthülle  ausgeschlüpfte 
Froschembryonen  mit  je  einer  langen  Insectennadel ,  welche  durch 
Kopf,  Hals,  Rücken  oder  den  Schwanz  gesteckt  war,  auf  den  Wachs- 
boden des  Gefässes  fest.  Die  Einführung  eines  Leiters  von  so  grosser 
Oberfläche  musste  die  vermuthete  electrische  Vertheilung  auf  alle 
Fälle  erheblich  stören,  selbst  wenn  die  Oberfläche  des  Embryo  schlecht 
leitete  und  die  Störung  durch  fortwährende  Neuproduction  von  Elec- 
tricität zum  Theil  compensirt  wurde;  und  bei  der  Richtigkeit  der 
obigen  Annahme  hätten  dann  ganz  deforme  Bildungen  die  Folge 
dieses  Eingriffes  sein  müssen. 

Zugleich  war  beabsichtigt,  durch  die  Zerstörung  der  Gehirn- 
blasen, des  Hals-  und  Lendenmarkes,  welche  mit  der  Ein- 
führung der  Nadeln  an  diesen  Stellen  verbunden  war,  einen  eventuellen 
Einfluss  dieser  Tlieile  auf  die  weitere  Entwickelung,  ins- 
besondere auf  die  noch  erübrigende  Anlage  und  Ausbildung  der 
Extremitäten  festzustellen. 

Ein  Theil  der  so  mit  dicken  Metallpfählen  von  ^/s  des  Rumpf- 
durchmessers durchstochenen  Froschlarven  starb,  unter  grauer  Ver- 
färbung und  Maceration  von  der  Wunde  aus,  allmählich  ab.  Dabei 
aber  zeigte  sich,  dass  der  Schwanz  und  Rumpf  noch  reflectorisch  er- 
regbar blieben,  ja  manchmal  erhöhte  Erregbarkeit  darboten,  und  dies 
auch,  wenn  schon  der  ganze  Kopf  und  ein  Theil  [431]  des  Halsmarkes 
durch  Maceration  abgefallen  war,  indem  die  noch  vorhandenen  Theile  bei 
leichtem  Berühren  oder  Anstechen  noch  kräftige  Biegungen  ausführten. 


[1)  Bei  dieser  Vermittelung  epigenetischer  Entwickelung  müssten 
aber  die  embryonalen  Formen  nach  jeder  Anfangsform  typische,  von  den  Gesetzen 
der  electrischen  Vertheilung  bestimmte  Formen  durchlaufen,  z.  B.  der  Art,  dass 
immer  an  den  stark  vorgewölbten  Stellen  das  Wachsthum  am  stärksten  stattfände  und 
jede  anfänglich  kleine  Erhebung  zu  einem  langen  Vorsprung  sich  differenzirte,  so  dass 
der  Embryo  Stechapfelform  erlangte,  sofern  nicht  gleichzeitig  noch  andere,  diesen 
Einfluss    überbietende  Wachsthumsprincipien  thätig  wären.] 


Einfluss  electri3oher  Vertheilung  auf  die  Gestaltung  des  Embryo.  149 

Andere  Embryonen  dagegen  entwickelten  sich  normal  weiter 
in  ihren  Körpert'ormen;  die  Kiemen  wurden  angelegt  und 
wohl  ausgebildet,  selbst  wenn  die  Nadel  unmittelbar  neben  der  be- 
treffenden Stelle  sich  befand  und  dorsalwärts  die  Nachbarschaft 
der  Kiemenwurzel  zerstört  hatte,  [was  auf  erhebliche  Unabhängig- 
keit der  Entwickelung  der  betreffenden  Theile  von  ihrer  zerstörten  Nach- 
barschaft, also  auf  Selbstdiff erenzirung  dieser  Theile  hinweist]. 

Schliesslich  gelang  es  gewöhnlich  den  Embryonen,  sich  durch 
heftige  Bewegungen  unter  Zerreissung  der  Körpersubstanz  auf  einer 
Seite  der  Nadel  von  letzterer  zu  befreien;  wonach  dann  aber  in  der 
Regel  Maceration  von  der  Wunde  aus  eintrat,  welche  successive  zum 
Tode  führte.  Von  den  wenigen  Ueberlebenden,  bei  denen  die  Wunde 
theils  wohl  durch  Regeneration,  theils  unter  Vernarbung  allmählich 
sich  schloss,  habe  ich  noch  keines  bis  zur  Ausbildung  der  Extremi- 
täten forterhalten,  da  dazu  Monate  lange  sorgfältige  Pflege  in  einem 
entsprechend  eingerichteten  Aquarium  nöthig  ist. 

Zeigten  diese  Versuche,  dass  eine  Vertheilung  freier  Elec- 
tricität  auf  der  Oberfläche  des  Embryo  keinen  Antheil  an 
der  normalen  Gestaltung  desselben  haben  könne,  so  ist 
daraus  aber  noch  nicht  zu  folgern,  dass  electrische  Wirkungen 
überhaupt  kein  en  Antheil  an  der  normalen  Entwickelung  nähmen, 
dass  nicht  vielleicht  von  Zelle  zu  Zelle  oder  innerhalb  der 
Zellen  solche  Wirkungen  stattfänden^). 

Bei  diesen  Versuchen  wurden  noch  zwei  Nebenbeobachtungen 
gemacht,  welche  durch  allgemeineres  Vorkommen  bei  späteren  Ver- 
suchen eine  gewisse  practische  Bedeutung  erhielten. 

Reaction  der  Umgebung  einer  Wunde  des  Embryo. 
Erstens    färbte    sich    die    Umgebung    einer    Verletzungs- 
stelle  bei  den  Embryonen  von  Rana  esculenta  gewöhnlich  rasch, 

[1)  H.  Strasser  nimmt  neuerdings  eine  gestaltende  Wirkung  der  Vertheilung 
freier  Electricität  an  der  äusseren  und  inneren  Gestaltung  des  Centralnervensystems 
an.  Er  gedenkt  nicht  der  vorstehenden  Versuche,  welche  zugleich  auch  gegen  eine 
derartige  Wirkung  an  inneren  Theilen  sprechen,  da  durch  dieselben  auch  die  elec- 
trische Vertheilung  an  diesen  Theilen  total  alterirt  worden  sein  müsste.  (Siehe 
STR.A.PSER  in  Merkel-Bonnet,  Ergebnisse  der  Anatomie  Bd.  I,  1891)]. 


150  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

d.  h.  in  ein  bis  zwei  Stunden  dunkelbraun;  die  Besichtigung  mit 
dem  Microscope  liess  eine  Anhäufung  von  Pigmentzellen  er- 
kennen, welche  eine  dichtgeschlossene  mehrfache  Phalanx  bildeten, 
also  sich  ähnhch  gegen  die  Verletzungsstelle  verhielten,  wie  die  weissen 
Blutkörperchen  zu  einem  reizenden  Körper  im  Organismus  (s.  Nr.  18, 
S.  473).  Wenn  die  Wunde  geheilt  war,  verschwand  gewöhnlich 
auch  hald  wieder  dieser  Pigmentring ;  nur  selten  blieb  er  noch  einige 
Tage  bestehen.  Diese  Erscheinung  wurde  an  den  [432]  getödteten 
und  gehärteten  Embryonen  von  Werth,  indem  sie  intra  vitam  ent- 
standene Verletzungen  von  post  mortem  an  dem  spröden  Materiale 
leicht  entstehenden  Defecten  zu  unterscheiden  gestattete.  Ich  habe 
von  diesem  Zeichen  einen  häufigen  Gebrauch  gemacht,  ohne  aber, 
von  anderen  Interessen  geleitet,  schon  den  V^organg  dieser  Pigmen- 
tirung  selber  genauer  festzustellen.  Ich  vermag  daher  zur  Zeit  noch 
nicht  anzugeben,  ob  die  Anhäufung  durch  Vermehrung  der  Pigment- 
/.ellen  in  loco,  unter  Theilung  der  vorhandenen  oder  unter  Pigment- 
bildung in  bisher  farblosen  Epithelien  stattfand,  oder  aber,  wie  mir  am 
wahrscheinlichsten  schien,  durch  Wanderung  der  Pigmentzellen 
der  Umgebung  nach  der  Verletzungsstelle  hin  erfolgt.  Dem  ent- 
sprechend würde  dann  wohl  auch  das  Verschwinden  des  angehäuften 
Pigmentes  auf  verschiedene  Weise  sich  vollziehen.  Wenn  wirklich 
eine  Pigmentzellenwanderung  vorliegt,  so  wird  dies  für  die  Auffassung 
der  Umschliessung  der  Blastula  mit  Pigmentzellen  vor  und 
während  der  Gastrulabildung  und  für  manche  andere  Vorgänge 
von  hoher  Bedeutung  sein  können. 

Zeichen  des  Absterbens  junger  Embryonen. 

Bei  dem  Absterben  der  Embryonen  trat  eine  besondere  Erschei- 
nung auf.  Bei  den  Embryonen,  welche  von  einer  Wunde  aus  mace- 
rirten,  zeigte  die  Oberflächenschicht  in  der  Umgebung  der  Wunde 
eine  grobkörnige  Beschaffenheit,  welche  mit  der  fortschreitenden  Ne- 
crose  sich  als  ein  schmaler  Saum  neben  der  Wunde  am  Körper  ver- 
breitete. Die  Besichtigung  mit  dem^Micro-scop  liess  erkennen,  dass 
an  diesen  Stellen  die  Epithelzellen  Kugelgestalt  angenommen 


Framboisia  embryonalis  finalis.  151 

hatten.  Manchmal  trat  diese  Erschoinuno-  auch  ausserhalb  der  Vm- 
gebuug  der  Wunde  am  ganzen  Embryo  auf. 

Bei  meinen  späteren  Versuchen  beobachtete  ich  dieses  Verhalten 
auch  unter  anderen  Umständen,  und  zwar  schon  in  früheren  Phasen 
der  Entwicklung,  von  der  (lastrula  an.  Da  sich  weiterhin  zeigte, 
dass  ein  Embryo,  welcher  diese  Oberflächenboschaffenheit 
darbot,  sich  nicht  mehr  weiter  entwickelte,  wenn  schon  er 
bei  Schutz  vor  schädhchen  Einrichtungen  noch  mehrere  Tage  lang 
sich  zu  erhalten  vermochte,  so  diente  mir  das  Auftreten  dieser  Er- 
scheinung bald  als  werth volles  erstes  Zeichen  des  Aufhören s 
der  Entwickelungsfähigkeit  und  des  kommenden  Todes  bei 
Embryonen  in  denjenigen  frühen  Stadien,  in  denen  die  noch 
fehlende  Reflexerregbarkeit  keine  directe  [433]  Prüfung  der  Lebendig- 
keit gestattet. 

In  Folge  des  practischen  Nutzens  dieses  ersten  Symptomes 
kommenden  Todes  jüngster  Embryonen  will  ich  die  Erscheinung  mit 
einem  besonderen  Namen  belegen  und  sie  weiterhin  als  „Framboisia 
embryonalis  finalis"  mit  dem  Beinamen  minor  bezeichnen;  letzteres 
weil  wir  noch  ein  zweites  ähnliches  Vorkommniss  davon  zu  unter- 
scheiden haben  werden,  welches  Anspruch  auf  das  Epitheton  ,, major" 
hat.  Die  pathologische  Bedeutung  dieser  Framboisia  minor  glaube 
ich  darin  sehen  zu  mässen,  dass  die  Epit hellen  ihre  speci fische 
functionelle  Natur,  sich  unter  gegenseitiger  Abplattung  zu 
einer  continuirlichen  Schicht  zusammenzuschliessen,  ver- 
loren haben,  und  daher  entweder  aus  einem  Reste  noch  vorhan- 
dener Lebenskraft  sich  activ  zu  Kugeln  zusammenziehen  wie  vordem 
im  Stadium  der  Furchung  und  Blastula  vor  Uebernahme  ihrer  epithe- 
lialen Function,  oder  vielleicht  auch  nur  von  ihrer  vielleicht  elastischen 
Zellenmembran  zu  Gebilden  kleinster  Oberfläche  zusammengepresst 
werden. 

Die  symptomatische  Bedeutung  dieses  Zustandes  würde  darauf 
beruhen,  dass  stets  auch  der  übrige  Organismus  seine  specifische 
Lebensfähigkeit  verliert,  wenn  erst  die  ihn  überkleideuden^)  Epithehen 

[1)  Diese  Framboisia  minor  kommt,  auch  an  den  inneren  epithelialen 
Theilen  beim  Absterben  sehr  junger  Embryonen  vor  (Framboisia  minor  interna, 


152  Nr.  18.    Zur  Orientirune  über  die  Probleme  etc. 


soweit  verändert  sind,  dass  sie  ihre  Function  nicht  mehr  vollziehen, 
oder  umgekehrt,  dass  die  Epithelien  erst  dann  ihre  specifische  Function 
verlieren,  wenn  schon  die  von  ihnen  umschlossenen  Theile  ihre  Ent- 
wickelungs-  und  dauernde  Selbsterhaltungsfähigkeit  eingebüsst  haben. 
Da  die  Framboisia  minor  oft  läi^gere  Zeit  auf  einer,  auch  unverletzten, 
Stelle  localisirt  blieb,  ehe  sie  weiter  schritt,  so  beweist  dies,  dass 
solcher  Tod  auch  längere  Zeit  „local"  bleiben  kann.  Die 
um  heilende  Verwundungen  sich  anhäufenden  Pigmentzellen  bilden 
manchmal,  wie  es  scheint,  mehrere  Lagen  Zellen  auf  einander;  die 
oberflächlichsten  Pigmentzellen  nehmen  dann  gleichfalls  Kugelgestalt 
an  und  es  entsteht  so  ein  der  Framboisia  minor  ähnliches  Aussehen, 
welches  aber  umgekehrt  ein  Zeichen  des  Le))ens  statt   des  Todes  ist. 

Gleichzeitig  mit  dieser  Framboisia  minor  oder  auch  schon  vor 
djem  Auftreten  derselben  ist  oft  eine  noch  gröbere  Unebenheit  der 
Oberfläche  von  Embryonen  wahrnehmbar ;  es  finden  sich  auf  einem 
Körpertheile  zahlreiche  mit  blossem  Auge  sichtbare  Excresceuzen, 
welche  entweder  noch  mit  glatten  oder  schon  kugelig  gewordenen 
[434]  Epithelzellen  bedeckt  sind  und  also  wohl  auf  Wuciierungen 
einer  unter  dem  Epithel  gelegenen  Schichte  beruhen^).  Diese  Fram- 
boisia embryonalis  major  würde  damit  schon  mehr  der  als  Framboisia 
bekannten  Hautkrankheit    des    Menschen    bleichen.     Sie    kann   viele 


.s.  das  Sachregister),  sei  dieses  Absterben  durcli  innere  Zustände  bedingt  oder  erfolge 
('S  langsam  durch  äussere  Einwirkungen  z  B.  von  Glycerin,  Borsäure,  auf  die 
Blastula,  Gastrula  etc.  Siehe  W.  Roux.  Verbandl.  der  anat.  Sect  der  Naturforscher- 
versammlung zu  Wien  1894. 

Nicht  selten  findet  man  die  Erscheinungen  der  Framboisia  interna  auf  Abbildungen 
seitens  descriptiver  Forscher  dargestellt,  wo  die  betreffenden  Formen  für 
n  ormal  gehalten  Averden.  Da  die  Framboisia  minor  aber  ein  Zeichen  des  langsamen  Auf- 
hörens der  Entwickelung  und  danach  des  Lebens  ist  (s.  S.  159),  so  ist  wohl  anzunehmen, 
dass  auch  die  letzten  Eutwickelungsvorgänge  schon  etwas  alterirt  waren.  Die  Deut- 
ung solcher  Objecte  kann  daher  zu  u  n  r  i  c  h  t  i  g  e  n  Ü  r  t  h  e  i  1  e  n  über  die  normalen 
Bildungsvorgänge  führen.     Siehe  übrigens  auch  S.  173.] 

[1)  Die  microscopische  Besichtigung  einiger  Schnittpräpaiate  zeigte  blos  Ver- 
dickung des  Epithellagers;  und  in  manchen  Fällen  beruhte  diese  Verdickung 
offenbar  auf  Hemmung  der  normalen  Ausbreitung  des  Epithellagers,  so  z.B.  im 
Bereiche  des  äusseren  Keimblattes  bei  der  von  mir  durch  Anwendung  von  Borsäure 
auf  die  Gastrula  hervorgebrachten  Zerstörung  der  Anlage  der  Medullarplatte.  bei  der 
künstlichen  A  m  y  e  1  i  a. 


Defeclversuche  am  Froschei.  153 

Tage  auf  einem  grossen  Tlieile  des  Embryo  bestehen,  und  denselben 
z.  B.  den  Schwanz  erheblich  deformiren,  ehe  dei-  Tod  des  Thiores 
eintritt. 

Ich  glaube  sie  als  ein  Zeichen  davon  auffassen  zu  sollen,  dass  die 
.,Gesammtentwickelung"  der  betreffenden  (leücnd  gestört  ist 
und  einzelne  Theile  derselben  nun  vor  ihrem  Absterben  noch  eine  Zeit 
lang  wucheruugsfäh  ig  sind  und  daher  atypisch  wachsen,  wie 
die  von  W.  Zahn  aus  ihrer  normalen  Umgebung  losgelösten  und  in 
erwachsene  Thiere  implantirten  embryonalen  Organtheile.  Manclnnal, 
besonders  an  dem  Epithelsaum  des  Schwanzes  der  Froschembryonen, 
bilden  auch  in  deutlich  erkennbarer  Weise  blos  Epithelzellen 
solche  grösseren  Excrescenzen. 

Das  wesentlich  von  der  Framboisia  minor  Unterscheidende  ist, 
dass  bei  der  Framboisia  major  immer  mehrere  Zellen  sich  zur  Bildung 
eines  Vorsprungs  vereinigen,  während  bei  der  Framboisia  minor  nur 
die  einzelnen  Zellen  durch  ihre  eigene  Rundung  prominiren. 

II.  Ilefeetversuclie  am  Froschei. 

Durch  die  erwähnten  Versuche  wurde  ich  über  die  grosse 
Widerstandsfähigkeit  der  Froschembryonen  gegen  mecha- 
nische Eingriffe  belehrt  und  erkannte,  dass  dieselbe  erheblich 
grösser  ist,  als  diejenige  von  Hühnerembryonen,  an  welchen  ich 
schon  in  früherer  Zeit  als  Student  experimentirt  hatte. 

[Ohne  noch  von  den  früheren  Versuchen  Valentin's,  Leückaivi's 
und  Schrohe's  Kenntniss  zu  haben,  hatte  ich  im  Jahre  1874  an  Hühner- 
embryonen zum  Theil  in  ähnlichem  Sinne  V^ersuche  angestellt,  aber 
genau  genommen  dabei  weiter  nichts  erkannt,  als  dass  die  Entwicke- 
lung  durch  Eröffnu4ig  des  Eies  und  Verletzung  des  Keimes  nicht 
nothwendig  aufgehoben  wird,  dass  hochgradige  Ent\^dckelungsstörungen 
die  Folge  sein  können,  und  dass  es  sehr  schwer  ist,  äussere  Schäd- 
lichkeiten von  einem  eröffneten  Eie  fern  zu  halten.  Im  Uebrigen 
waren  die  Resuhate  zu  inconstant,  und  ich  will  blos  einen  dieser 
[435]  Versuche  mittheilen,  welcher  nach  einer  anderen  als  der  er- 
warteten Seite  hin  etwas  Interessantes  erkennen  liess. 


154  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Ich  verfolgte  bei  ihm  den  utopischen  Zweck ,  durch  Injection 
von  Farbstoffen  in  die  Keimhöhle,  das  untere  Keimblatt  und  damit 
auch  alle  seine  Derivate  zu  kennzeichnen.  Der  Eingriff  wurde  mit  einer 
fein  ausgezogenen  Glascanüle  ausgeführt  und  war  an  sich  nicht  ab- 
solut tödtlich.  Durch  Niederschlag  aus  sehr  verdünnten  Carminlösungen 
erzeugte  feine  Carminkörnchen,  sowie  auch  Anilinblau  wurden  festge- 
halten ;  der  Zweck  wurde  natürlich  niclit  erreicht.  Von  Interesse  war 
aber  das  Verhalten  des  Keimes  gegen  Kürnchen^von  sogen  unlös- 
lichem Berlin  er  blau.  Dieser  Farbstoff  war  nämlich  nach  weiterer 
Bebrütung  des  Eies  nicht  mehr  aufzufinden;  dagegen  zeigte  die  Um- 
gebung der  Einstichstelle,  welche  bei  der  Injection  der  erst  erwähnten 
Farbstoffe  immer  am  intensivsten  gefärbt  war,  sowie  einige  andere 
Stellen  des  Keimes  eine  intensiv  gelbe  Färbung,  so  dass  w^ohl 
anzunehmen  ist,  dass  das  eisenhaltige  Material  hier  zu  einem  gelben 
Farbstoff  umgearbeitet  worden  ist.] 

Die  erkannte  grössere  Widerstandsfähigkeit  junger  Froschembry- 
onen ermuthigte  mich,  auch  an  den  Eiern  dieser  Thiere  mecha- 
nische Eingriffe  vorzunehmen. 

Zunächst  hatte  ich  die  Frage  vor  Augen,  ob  das  Keimplasma 
zur  Zeit  der  ersten  Furchungen  schon  entsprechend  den 
späteren  Einzelbildungen  different  beschaffen  und  be- 
stimmt localisirt  sei.  Durch  Substanzverluste,  welche  dem  Eie 
in  diesen  Entwickelungsphasen  beigebracht  wurden ,  musste ,  sofern 
der  Eingriff  überhaupt  ertragen  wurde,  eine  gewisse  Aufklärung  über 
diesen  Punkt  zu  gewinnen  sein. 

Daher  versenkte  ich,  zum  ersten  Male  im  Frühjahre  1882^),  nicht 
ohne  ein  geheimes  Bangen,  die  Spitze  der  Präparirnadel  in  das  seine 
Furchung  beginnende  Ei  und  betrat  damit  einen  neuen  Weg  der 
Forschung,  welcher  uns  über  manche  wichtige  Frage  Aufklärung  ver- 
heisst,  die  auf  anderen  Wegen  vergeblich  gesucht  worden  ist.  Ich 
war  mir  der  Rohheit  dieses  Eingriffes  in  die  geheimnissvolle  Werk- 
stätte aller  Kräfte  des  Lebens  wohl  bewusst,  und  verglich  ihn  selber 
mit  dem  Einwurfe  einer  Bombe  in  eine  neu  gegründete  Fabrik,  etwa 


:i)  Siehe  Nr.  31,  S.  260.] 


Defectversuche  am  Froschei.  155 

in  eine  Kimstspinnerei,  welcher  in  der  Absicht  vorgenommen  sei,  um 
an  der  Aenderung  der  Production  und  an  dem  Verlaufe  der  weiteren 
[436]  Entwickclung  der  Fabrik  nach  der  angerichteten  Zerstörung 
einen  Rückschluss  auf  ihre  innere  Organisation  zu  machen.  Immer- 
hin schien  mir  diese  Methode  noch  einen  Vorzug  vor  mancher  der 
bisher  geübten  Methoden  zu  besitzen,  so  vor  der  Versetzung  des 
Eies,  dieses  Analogon  seiner  wachsenden  Fabrik,  in  höhere  oder 
geringere  Wärme  oder  in  einseitig  wirkende  Wärmestrahlung 
oder  in  bestimmte- chemische  Substanzen.  Denn  wenn  durch  diese 
Alteration  der  äusseren  Umstände  auch  eine  Alteration  in  der  Aus- 
bildung der  Fabrik  eintrat,  so  Hess  sie  doch  nur  die  aller  allgemeinsten 
Schlüsse  zu;  während  hier  durch  die  Möglichkeit,  die  directe  Zer- 
störung bestimmt  zu  localisiren,  unter  Umständen  etwas  spe- 
ciellere  Aufschlüsse  gewonnen  werden  kö|nnten. 

Der  Erfolg  des  ersten  Versuches  ermuthigte  zur  Wiederholung; 
so  wurden  weiterhin  Eier  von  Rana  fusca  und  später  auch  von  Rana 
esculenta  sowohl  vor  der  Furchung  wie  nach  dem  Beginne  derselben 
in  allen  Phasen  bis  zur  siebenten  Theilung  angestochen  und  dabei 
an  verschiedenen  Eiern  derselben  Phase  mit  dem  Orte  der  Verletzung 
zwischen  verschiedenen  Stellen  der  schwarzen  und  weissen  Hemisphäre 
und  der  Uebergangszone  beider  gewechselt. 

Die  unmittelbare  sichtbare  Folge  des  Anstechens  war 
beim  Herausziehen  der  Nadel  ein  Austritt  schwarzer  oder  vermengt 
weiss-schwarzer  Eisubstanz;  und  die  Menge  dieses  „Extraovates"-  nahm 
oft  in  den  nächsten  Stunden  nach  der  Verletzung  noch  erheblich  zu. 
Das  Extraovat  bildete,  soweit  es  innerhalb  der  Gallerthülle  gelegen 
war,  einen  Knollen,  der  sich  in  vielen  Fällen  nachträglich  an 
seiner  ganzen  Oberfläche  schwarz  (Rana  fusca)  resp.  braun 
(Rana  esculenta)  färbte,  und  sich  viele  Tage  lang  unverfärbt  in  der 
Nuance  der  Lebensfarbe  erhielt. 

In  vielen  Fällen  blieb  die  Hauptmasse  des  Extraovates  durch 
einen  Strang  mit  dem  Eie  in  Verbindung  und  markirte  so  noch  nach 
drei  bis  vier  Tagen  am  bereits  gebildeten  Embryo  eine  Stelle,  welche 
in  einem  gewissen  Sinne  der  Anstichstelle  des  Eies  entsprechen  musste. 
Wenn  ein  solcher  Faden  nicht  bestand,  so  war  kurze  Zeit  nach  dem 


156  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Aufhören  des  Ausfliessens  von  Substanz  die  Anstichstelle  nicht  mehr 
kenntlich,  indem  die  anfängliche  leichte  Einziehung  und  Faltung 
der  dünnen,  und,  wie  sich  aus  letzterem  Verhalten  ergiebt,  fast  starren 
Oberflächenschicht,  der  Ei^  resp.  Zellrinde,  sich  bald  ausglich. 
[437]  Die  angestochene  Zelle  selber  vergrösserte  sich  augen- 
scheinlich wieder  durch  Zufluss  aus  der  Nachbarschaft, 
sofern  die  Operation  während  der  ersten  Furchungen  geschah,  [d.  h., 
die  durch  Abgabe  von  Inhalt  nach  aussen  stark  verkleinerte  Zelle, 
deren  Rinde  daher  ,,collabirt"  war,  wurde  oft  bald  unter  Ver- 
kleinerung ihrer  Nachbarn  und  unter  Verschiebung  ihrer 
Grenzen,  also  unter  Zufluss  von  Substanz  aus  den  Nach- 
barn wieder  vergrössert,  und  so  ihre  schlaffe  Rinde  wieder  bis  zur 
Glattheit  gefüllt;  ein  Vorgang,  der  wohl  auf  noch  unvollkommener 
Trennung  besonders  der  zuletzt  erst  gesonderten  Zellen  und  auf  der 
elastischen  Spannung  der  Zellrinde  beruht  (s.  Nr..  22  S.  146)]. 

Ein  Theil  der  operirten  Eier  furchte  sich  nicht  oder  blos  noch 
einige  Male  weiter.  Der  Tod  des  Eies  markirte  sich  in  diesen 
frühesten  Phasen  der  Entwickelung  dadurch,  dass  die 
Furchungskugeln  ihre  eigene  Rundung  verloren  und  die 
Gesammtheit  derselben  sich  unter  fast  vollkommenem  Verstreichen 
der  Furchen  wieder  zu.  einer  einzigen  Kugeloberfläche  abplattete;  ein 
Beweis  wohl,  das  die  selbständige  Rundung  jedes  Furchungs- 
theiles  activ  aus  eigener  Kraft  hergestellt  und  erhalten 
wird.  Es  tritt  also  während  der  Furchung,  formal  betrachtet,  gerade 
die  entgegengesetzte  Absterbeerscheinung  ein  als.  später,  nachdem 
erst  die  oberflächlichen  Furchungskugeln  einmal  ihre  epitheliale  Func- 
tion zu  übernehmen  begonnen  haben  (s.  S.  151). 

\^on  hohem  Interesse  ist  auch  das  Verhalten,  dass  vor  oder 
nach  der  ersten  oder  zweiten  Furch ung  angestochene  Eier  sich 
manchmal  blos  auf  der  unversehrten  Hälfte  weiter  furch- 
ten, [Semimorula,  s.  Nr.  22  S.  125],  während  auf  der  angestochenen 
Seite  blos  die  bereits  begonnene  oder  noch  die  ihr  nächstfolgende 
Furchung,  und  dann  zumeist  in  atypischer  Richtung,  vor  sich  ging. 
Darin  bekundet  sich  eine  sehr  wichtige  Unabhängigkeit  der 
Furchungssegmente  von  einander;    während   aber  andererseits 


Defectversuche  am  Froschei.  167 

(las  weitere  Verhalten,  dass  der  überlebende  Thcil  nicht  mit  mc\\v  als 
vier  bis  fünf  Furchungen  den  anderen  überdauerte,  aueh  auf  eine 
gewisse  Abhängigkeit  der  Theile  von  einander  hinzudeuten  scheint, 
welche  freilich  ohne  w^eitere  Prüfung  zunächst  auch  einfach  auf  einen 
schädlichen  Einfluss  der  absterbenden  Substanz  auf  die  benachbarte 
lebende  bezogen  werden  kann. 

Die  sich  nicht  mehr  weiter  entwickelnden  Eier  verloren  zum 
Theil  sehr  bald  ihre  schöne  schwarz-  oder  hellbraune  Färbung  und 
wurden  grau  verfärbt;  und  das  ,, Fruchtwasser",  wie  wir  der 
ivürze  halber  die  Flüssigkeit  zwischen  Gallerthülle  und  Ei  oder  Em- 
bryo nennen  wollen,  trübte  sich.  Dieses  Verhalten  glaube  ich  als 
Zersetzung  durch  Infection  auffassen  zu  sollen,  da  ein  anderer  Theil 
der  seinen  Tod  bekundenden  Eier  noch  Tage  lang  seine  Lebens-  [438] 
färbe  behielt  und  sie  erst  nach  dem  Auslösen  aus  der  Gallerthülle 
verlor.  Blieb  also  nach  dem  Eintritt  des  oben  angegebenen  Zeichens 
des  Todes  die  Verfärbung  aus,  so  glaubte  ich  den  Tod  selber  als 
eine  directe  Folge  des  Eingriffs  auffassen  zu  müssen ;  während  andern- 
falls, wenn  kurze  Zeit  nach  dem  Eingriffe  schon  Verfärbung  sich 
zeigte,  der  Tod  die  Folge  der  Infection  sein  konnte,  und  daher  keinen 
Schluss  auf  die  Gefährlichkeit  der  vorgenommenen  Verletzung  an 
sich  zuliess. 

Für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  sprach  auch,  dass  sehr 
häufig  der  Tod  mit  Verfärbung  bei  der  geringsten  Verletzung,  welche 
einen  nur  minimalen  Substanzaustritt  zur  Folge  hatte,  oder  in  einer 
ganzen  Schale  operirter  Eier  eintrat;  während  vielmal  grössere  Sub- 
stanzverluste in  einer  anderen  Glasschale  ausnahmslos  vertragen 
wurden. 

Nach  dieser  Auffassung  stellt  sich  die  Infection  als  die 
hauptsächlichste  Todesursache  der  operirteu  Eier  dar;  und 
als  ich  gelernt  hatte,  diese  zu  bekämpfen,  sank  die  Sterblichkeit* in 
manchen  Serien  auf  etwa  20^/0.  Leider  aber  machten  sich  bei  den 
diesjährigen  Versuchen  (1884)  in  Folge  der  Ungunst  äusserer  Ver- 
hältnisse [arbeiten  in  einem  feuchten,  etwas  schimmeligen  Raum],  neue 
Infectionsquellen  geltend,  welche  mir  auch  die  sorgfältigst 
angelegten    Versuchsreihen   durchaus    zerstörten,   so    dass 


158  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


ich  die  Fortset/Aing  dieser  Art  Versuche  schon  auf  spätere  Jahre, 
bis  7Aim  Eintritt  besserer  äusserer  VerhäUnisse,  verschieben  wollte, 
als  zuletzt  noch  einige  Serien  sich  gut  entwickelten,  welche  aber  in 
Bezug  auf  die  spätere  Verwerthung  ihrer  eventuellen  Resultate  weniger 
sorgfältig  vorbereitet  waren. 

Die  grössten  Substanz  Verluste,  welche  nach  einseitigem 
Anstechen  ertragen  wurden,  ohne  die  Entwickelungsfähigkeit  voll- 
kommen aufzuheben,  erreichten  etwa  ein  Fünftel  bis  ein  Viertel 
der  gesammten  Eisubstanz.  Dagegen  furchten  sich  durch  und 
durch  gestochene  Eier  nur  in  seltenen  Fällen  noch  mehrere  Male  weiter, 
auch   wenn   der   nachfolgende  Substanzaustritt  ein  nur  geringer  war. 

Die  Erscheinungen  der  weiteren  Entwickelung  der 
operirten  Eier  zunächst  im  Allgemeinen  angebend,  so  sind 
diese  sowohl  der  Uebersicht  halber,  wie  wohl  auch  ihren  Ursachen 
nach,  in  drei  verschiedene  Gruppen  zu  sondern. 

[439]  Ein  grosser  Theil  der  die  Operation  überlebenden  Eier 
entwickelte  sich,  der  äusseren  Form  und  dem  späteren  munter 
beweglichen  Verhalten  der  Embryonen  nach  zu  urtheilen,  voll- 
kommen normal^).  Eine  höhere  Sterblichkeit  schien  ihnen 
aber  doch  eigen  zu  sein,  indem  sie  häufig  von  kleinen,  bei  den  zum 
Zwecke  der  Besichtigung  nothigen  Umwendungen  erhaltenen  Ver- 
letzungen aus  abstarben.  Viele  Embryonen  waren  auffallend  klein; 
und  es  schien  diese  Kleinheit   nicht  blos  von  der  Menge  des  stattge- 


[1)  Das  heisst,  die  operirten  Eier  entwickeln  sich  zu  normal  ge  stalteten  Ge- 
bilden. Dass  die  einzelnenEntwickelungsvorgänge  selber  ganz  die  normalen  gewesen 
waren,  ist  daraus  nicht  zu  folgern;  sondern  im  Gegentheil,  da  das  Ei  abnorm  beein- 
flusst  war  und  die  Störung  ausgeglichen  wurde,  so  mussten  Regulationsmecbanis- 
men  in  Thätigkeit  getreten  sein  (s.  Nr.  27,  S.  301,  Nr.  28,  S.  619,  Nr.  31,  S.  274). 
Darauf  weist  auch  die  meist  beobachtete  Verzögerung  der  Entwickelung  hin.  Da 
jedoch  die  Furchung  nicht  wesentlich  verzögert  war,  so  bekundet  sich  wohl,  dass  die 
Störungen  grossen  Theils  erst  nach  der  Furchung  ausgeglichen 
wurden. 

Zu  solchen  Vergleichungen  des  zeitlichen  Ablaufes  der  Entwicke- 
lung ist  aber  nöthig,  dass  die  Vergleichsobjecte  neben  einander,  in  gleich  grossen 
Schalen  mit  gleich  hohem  Rande  und  gleich  viel  Wasser  sich  befinden  und  besonders 
auch  in  der  Bedeckung  der  Schalen  vollkommen  gleich  gehalten  werden;  denn  schon 
geringe  ungleiche  Wasserverdunstuug  genügt,  um  durch  ungleichen  Wärmeverlust 
die  Geschwindigkeit  der  Entwickelung  erheblich  zu  beeinflussen]. 


Allgemeine  Folgen  der  Openvtionou  während  der  Furchung.  159 

habten  Verlustes  an  Keimniaterial  abliäiioig-  zu  sein ,  denn  sie  war 
auch  bei  in  dieser  Hinsicht  ganz  unerheblichen  Extraovaten  deutlich 
ausgesprochen.  Ich  glaube  sie  daher  noch  mit  einer  anderen  Er- 
scheinung in  Verbindung  setzen  zu  müssen,  mit  einer  häutig  sehr 
ausgesprochenen  Verzögerung  der  formalen  Entwickelung, 
welche  ihrerseits  in  einem  gewissen  Gegensatze  zu  dem  zeitlich  nor- 
malen, nicht  wesentlich  vorzögerten  Ablaufe  der  Furchung 
zu  stehen  schien  oder  richtiger  vielleicht  gerade  davon  abhängig  war. 
Während  dieser  längeren  Dauer  wurde  vielleicht  ein  grösserer  Theil 
des  Dottermaterials  im  Stoffwechsel  verbraucht.  ^Vus  dem  gleichen 
Grunde  vielleicht  geschah  es,  dass  viele  äusserlich  wohlgebildete  und  auf 
Reize  gut  reagirende  Larven  um  die  Zeit  der  Kiemenbildung,  augen- 
scheinlich durch  zu  frühes  Zuendegehen  des  Nahrungsdotters,  starben, 
indem  dieser  bereits  aufgezehrt  war,  ehederSchwanz  sein  Selbst - 
erhaltungsvermögen  verloren  hatte  und  als  weiteres  Nah- 
ruugsmaterial  verwendet  werden  konnte. 

Weiterhin  aber  ist  zu  erwähnen,  dass  manche  der  äusserlich 
normal  geformten  Embryonen  aufeinerniederenEntwickelungs- 
stufe  stehen  blieben  und  Framboisia  minor  oder  auch  major 
ausbildeten,  ohne  dass  eine  neu  hinzugekommene  Schädlichkeit  als 
Ursache  dieses  plötzlichen  Stillstandes  hätte  nachgewiesen  werden 
können.  Solcher  Stillstand  fand  nach  der  Bildung  der  Medullarwülste, 
oder  nach  Schluss  des  Medullarrohres,  oder  zur  Zeit  der  Anlage  der 
Kiemen  statt,  um  das  Stehenbleiben  auf  der  Gastrulastufe,  Avelches 
auch   sonst  häufig  vorkommt,  nicht  zu  erwähnen. 

[Diese  beiden  Abnormitäten:  die  Verzögerung  und  der  Still- 
stand der  Entwickelung  bekunden  also,  dass  die  Störungen  in  diesen 
Fällen  doch  nicht  ganz  ausgeglichen  worden  waren.] 

Die  zweite  Gruppe  von  Folgeerscheinungen  des  Anstechens 
wird  durch  Abnormitäten  gebildet,  welche  auch  an  „nicht'^ 
operirten  Eiern  nicht  selten  zu  beobachten  sind.  Zunächst  sind 
zu  erwähnen  die  zahlreichen  Deformitäten  bei  [440]  der  Bildung 
und  bei  dem  verzögerten  oder  ausbleibenden  Schlüsse  des  Urmundes 
mit  Divergenz  und  Verbiegung  der  Medullarwülste,  ja  mit 
Spaltung  [des  Bodens]  der  Medullarfurche  von    hinten  nach 


160  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

vorn  [.isyntaxia  modullaris, s.  S.  166  Anm.].  Ferncrdie  hvclropischen 
Aufblähungen:  zunächst  der  Hydrops  dauernder  Gastrulae 
(welcher  namenÜich  bei  Entwickelung  der  Eier  in  Zwangslage 
äusserst  häufig,  nach  blossem  Anstechen  der  Eier  aber  selten  ist). 
Dann  später  der  Hydrops  der  Halsgegend,  seltener  der  mitt- 
leren oder  hinteren  Bauchgegend,  oder  des  ganzen  Leibes. 

Ausserdem  resultirten  häufig  Verbiegungen  des  Embryo, 
von  denen  Lordosen  bis  zu  einem  rechten  Winkel  zwischen  Hais- 
und Schwanztheil,  oder  Scoliosen  bis  fast  zur  Berührung  von  Kopf 
und  Schwanz  während  eigentlichen  embryonalen  Lebens,  d.  h.  inner- 
halb der  Gallerthülle,  zur  Norm  gehören.  Diese  Bildungsalterationen 
gleichen  sich  nach  der  Befreiung  von  der  Gallerthülle  rasch  aus ;  aber 
blos  sofern  diese  Entledigung  von  der  Hülle,  wie  unter  normalen  Ver 
hältnissen  stets  der  Fall  ist,  zu  einer  Zeit  geschieht,  wo  der  Embryo 
schon  active  Locomotionsbewegungen  ausführt.  Embryonen ,  welche 
ich  schon  vor  dieser  Zeit  aus  der  Gallerthülle  herausgenommen  hatte, 
behielten  ihre  Krümmungen  manchmal  noch  längere  Zeit,  bis  zum 
Eintritt  der  Bewegungen.  Der  spätere  rasche  Ausgleich  nach 
dem  Beginne  der  Bewegungen  stellt  ein  schönes  Beispiel 
„functioneller  Orthopädie"  (Roux)  dar/'). 

Die  dritte  Gruppe  den  Operationen  folgender  Erscheinungen 
besteht  in  localisirten  Abnormitäten,  welche  an  nicht  operirten 
Eiern  nicht  oder  nur  äusserst  selten,  an  den  operirten  aber  relativ 
häufig  vorkamen. 

Um  die  Ent\dckeluug  der  operirten  Eier  mit  dem  normalen 
Entwickelungsverlauf  vergleichen  zu  können,  wurden  von  jeder  Ver- 
suchsreihe unversehrte  Eier  derselben  Versuchsthiere  erhalten  und 
gepflegt.  So  konnte  auch  die  relative  Häufigkeit  von  Missbildungen 
und  die  Natur  derselben  bei  operirten  und  nicht  operirten  verglichen 
und  dadurch  sicher  festgestellt  werden,  dass  die  zu  erwähnenden 


[1)  D.  B.\RFURTH  beobachtete,  dass  nach  schiefem  Abschneiden  des  Schwanzes 
von  Amphibienlarven  die  Regeneration  zunächst  rechtwinkelig  zur  Wunde,  also  schief 
zur  Längsrichtung  des  Thieres  erfolgt,  und  fand  dann,  dass  die  nachfolgende  Streckung 
durch  die  Schwimmfunction  sehr  beschleunigt  wird.  (Versuche  zur  functionellen  An- 
passung. Arch.  f.  micr.  Anat.  1891.  Bd.  37.  S.  392-405).  Siehe  auch  -Tulius  Woi.kf 
in  Nr.  10.1 


Üperatioiien  während  der  Furchuiig.  161 


Missl)il(l  uno-on  dor  opoi'irton   F.ioi-  o-rüsste  n  t  h  ci  I  s    als   Kolocii 
der  stattgeliabten  Eingriffe  anzusehen  sind. 

Um  dem  Leser  selber  ein  Urtheil  über  die  bisherigen  Ergeb- 
nisse sich  bilden  7ai  lassen,  will  ich  hier  einen  etwas  ausführlielu'n 
Bericht  über  (he  augestellten  Versuche  geben,  weleheni  daini  die 
Zusammenfassung  der  Ergebnisse  und  die  daraus  abzuleitenden  [441] 
Schlüsse  folgen  werden.  Es  wird  jedoch  überall  hervortreten,  dass 
bis  jetzt,  zufolge  der  diesjährigen  ungünstigen  Verhältnisse,  blos 
erst  noch  erste  Orientirungs  versuch  e  vorliegen,  und  dass 
die  Lückenhaftigkeit  der  Versuchsreihen  nur  sehr  allgemeine  Folger- 
ungen zu  ziehen  gestattet. 

1.    Operationen  am  Ei  vor  und  während  der  Furcliunj^^. 

Unmittelbar  vor  der  Befruchtung-  angestochene  Eier  haben 
sich  nur  äusserst  selten  und  dann  nur  einige  Mal  und  zwar  atypisch 
gefurcht. 

Von  den  Eiern  von  Rana  fusca,  welche  etwa  eine  Stunde  vor 
dem  präsumptiven  Eintritt  der  ersten  Furchung  angestochen  waren, 
entwickelte  sich  der  grösste  Theil.  Eine  Anzahl  von  diesen  vollzog 
unter  normalen  äusseren  Formen  den  Schluss  des  Medullarrohres 
und  wurde  in  diesem  Stadium  aufbewahrt.  Einem  Embryo  wurde  die 
Gelegenheit  zur  weiteren  Entwickelung  gelassen ,  soweit  bis  er,  noch 
normal  gebildet,  aus  der  Gallerthülle  ausgeschlüpft  war.  Die 
Entwickelung,  besonders  der  Schluss  des  Urmundes  und  der 
Rückenfurche,  waren  erheblich  verzögert,  obgleich  oder  gerade,  weil 
in  der  Furchung   keine   wesentliche  Verlangsamung   eingetreten  war. 

Ausserdem  waren  verschiedene  Abnormitäten  zu  beobachten. 
Zunächst  nach  dem  Anstechen  am  ,,schwarz  en"  Pol.  Einige  Eier 
blieben  im  Stadium  der  Gastrulabildung  stehen;  und  eine  solche 
Gastrula  hat  dieBirnform,  welche  erst  mit  der  Ausbildung 
der  Medullarwülste  zu  entstehen  pflegt,  angenommen ,  ohne 
selber  Medullarwülste  gebildet  zu  haben.  Bei  zwei  gleich- 
falls bereits  birnförmigen  Embryonen  war  nur  die  vordere  Hälfte 
der  Medullarwülste    angelegt    [Hemiembryo  anterior  s.  Nr.  221; 

W.  Rous,  Gesammelte  Abhandluniren.    II.  -i  ^ 


162  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


einer  brachte  das  Mednllarrohr  nur  vorn  zum  A^erschluss,  während 
hinten  die  M ediillarwülst e  getrennt  blieben  [Asyntaxia 
mediillaris.]  Zwei  Embryonen  zeigten  Abnormitäten  am  Kopfe: 
bei  dem  einen  ist  die  rechte  Kopfhälfte  in  frontaler  Richtmig  zu 
schmal  und  auch  sonst  etwas  deform  und  entbehrt  des  Haft- 
na  pf  es,  Avel  eher  sonst  sogar  beim  Fehlen  der  Geh  irnb  lasen 
sich  auszubilden  pflegt  und  in  diesem  Falle  an  der  anderen  Hälfte 
deutlich  ausgeprägt  ist.  Bei  dem  anderen  Embryo  ist  der  ganze  Kopf- 
theil  zu  klein  und  verbildet. 

Zwei  der  hierher  gehörigen  Eier  waren  auf  der  Blastulastufe 
stehen  geblieben.  Das  Extraovat,  welches  wolil  wenigstens  '/i5  der 
ganzen  Eisubstanz  betragen  mochte,  war  durch  einen  dünnen  Strang 
mit  dem  Ei  in  Verbindung  geblieben  und  zeigte  ein  wichtiges 
Ver- [442]  halten,  das  ich  weiterhin  an  fast  allen  aufbe- 
wahrten Extraovaten  feststellen  konnte').  Der  Eiaustritt  ist 
an  seiner  Oberfläche  schwarz  und  lässt  daselbst  eine  gleichmässige 
Körnelung  von  derselben  Korngrösse  als  die  der  P]isubstanz  selber,  er- 
kennen; die  Oberfläche  des  Austrittes  besteht  also  aus  Furchungs- 
kugeln.  Die  Frage,  ob  diese  blos  als  Epithelien  vom  Ei  herüberge- 
wachsen sind  und  so  das  Extraovat  überzogen  haben,  oder  ob  die 
ausgetretene  Substanz  sich  selber  gefurcht  hat,  entscheidet  sich  auf  dem 
Durchschnitt  durch  Ei,  P]xtraovat  und  ihren  Verbindungsstrang  dahin, 
dass  die  ausgetretene  Eimasse  selber  und  zwar  oft  in  toto  seg- 
mentirt  ist.  Der  Durchschnitt  zeigt  zugleich,  dass  der  Austritt  in 
diesem  Falle  vorzugsweise  aus  schwarzer  Substanz  besteht,  welche 
einige  concen  tri  sehe  Schichten  bildet.  Dies  letztere  Verhalten 
deutet  wohl  auf  mehrmalige  Wiederholungen  des  Austretens  der 
Substanz  hin.  Die  Färbung  mit  saurem  Carmin  und  die  Zerlegung 
in  microscopische  Schnitte  liess  dann  weiterhin  die  Existenz  von 
Zellkernen  in  den  Furchungskugeln  d  es  Extraovates  nach- 
weisen. 

Da  die  Extraovate,  wie  gleich  allgemeiner  gesagt  sein  soll,  häufig 


[1)  Es  wurden  aber  blos  solche  Extraovate  aufbewahrt,  welche  die  Lebens- 
farbe behalten  hatten.  Die  Mehrzahl  der  Extraovate  verfärbten  sich,  starben  also 
ab,  und  zerfielen  beim  Herausnehmen:  sie  waren  nicht  celhilirt.j 


Operationen  während  iler  Fiucliung.  163 


eine  eigenthüniliclie  Gestalt  zeigton,  welche  nicht  ohne  besondere 
Feststellungen  allein  auf  die  Wiederholungen  der  Substanzaustritte 
und  auf  die  Widerstände  der  Gallerthülle  zurückgeführt  werden  darf, 
so  könnte  man  vielleicht  nach  Erkenntniss  der  Segment ii'ung  auch 
eine  active  Gestaltbildung  und  eine  entsprechende  Structurbildung 
als  mitbetheihgt  vermuthen.  Erstere  hätte  nur  durch  genaue  Ver- 
folgung der  eventuellen  nachträglichen  Formwandlungen  des  Extra- 
ovates  nachgewiesen  werden  können,  was  leider  bis  jetzt  nicht  ge- 
schehen ist,  da  die  Segmentirung  erst  an  den  conservirten  Präparaten, 
nach  Befreiung  von  der  GalUu-thülle,  wahrgenonnnen  wurde.  Eine  be- 
sondere auf  Selbstgestalt  ung  hindeutende  Structur  konnte  ich  an 
den  Schnitten  der  Extraovate  nur  insoweit  nachweisen,  als  eine  ge- 
schlossene Epithelschicht  an  der  Oberfläche  derselben 
sich  herstellte.  CTeber  die  wichtige  Frage  von  der  Abstannnung 
dieses  Kernmateriales  werden  erneute  Versuche  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung des  Verhaltens  derjenigen  Extraovate,  welche  von 
vorn  herein  nicht  durch  einen  Strang  mit  dem  Ei  in  Verbindung 
geblieben  sind,  im  nächsten  Frühjahr  Aufschluss  geben  [s.  Nr.  24]. 

[443]  Die  am  ,, weissen"  Pole  angestochenen  Eier  sind 
zumeist  trüb  geworden  und  nur  wenige  haben  sich  zwei  Tage  lang 
entwickelt;  zwei  davon  unter  Bildung  eigenthümlicher,  das  Ei  parallel 
oder  in  leichter  Convergenz  umziehender  Furchen,  je  zwei  an  einer 
Gastrula  (vielleicht  blos  post  mortem  entstandene  Falten). 

Beim  Anstechen  naeli  der  ersten  Furehung  beobachtete  ich 
zunächst,  dass  manchmal  die  zweite  Furche  auf  der  angestochenen 
Seite  durch  die  Anstichstelle  hindurch  sich  bildete,  auch 
wenn  die  Furche  selber  dadurch  ,, schräg"  zur  ersten 
Furche  und  zur  anderen  Hälfte  der  zweiten  Furche,  im  Bereiche 
der  anderen  Zelle,  zu  stehen  kam  [s.  S.  165   Anm.]. 

Von  vier  verletzten  Eiern  eines  Versuches  an  Rana  fusca  ent- 
wickelten sich  zwei,  von  denen  eines  eine  nicht  voll k  ommen  g  e- 
schlossene  Gastrula  mit  Anlage  asymmetrischer  Medullar- 
wülste  [Asyntaxia]  bildete;  der  Tod  erfolgte  unter  Trübung,  also  wohl 
durch  Infection.  Das  andere  Ei  schloss  den  Urmund  und  zum  Theil  das 
Medullarrohr  und  bildete  eine  normale  Schwanzanlage;  vor  der 
letzteren  aber   ist  das  Medullarrohr    offen    geblieben,    und    der 

11* 


16i  Nr.  18.    Zur  Orientirnng  über  die  Probleme  etc. 


Embryo  zeigt  fin  seiner  ventralen  Wandung  einen  circumscripten 
Defeet  der  schwarzen  Schicht,  durch  welchen  die  weisse  darunter 
liegende  Schicht  sichtbar  wird.  Er  stirbt  am  vierten  Tage  allmählich 
von  einer  Verletzung  am  Kopfe  aus,  aber  indem  die  Wundstelle  grau 
macerirt  erscheint  und  der  Epithelsaum  in  der  Umgebung  in  den 
Zustand  der  Framboisia  minor  übergeht,  welche  sich  mit  dem  Weiter- 
schreiten <ler  Maceration  zugleich  weiter  verbreitet  . 

Ueber  die  Folgen  der  Verletzung-  nach  der  zweiten  Furchung- 
steht  mir  ein  reicheres  Material  mit  besserer  Localisation  zur  Ver- 
fügung, da  eine  der  diesjährigen  Serien  (von  1884)  hierher  fällt. 
Nachdem  ich  im  vorigen  Jahre  gefunden  hatte,  dass  die  erste  Furche 
unter  normalen  Verhältnissen  schon  die  Richtung  der  künftigen 
Medianebene  bestimmt  (s.  Nr.  16)  und,  abgesehen  von  kleinen  Cor- 
rectionen  während  der  nächsten  Furchungen,  das  Material 
des  Eies  dem  entsprechend  theilt,  erhielt  eine  genaue  Notirung  der 
Anstichstelle  einen  höheren  Werth. 

Zugleich  hatte  ich  gefunden,  dass  bei  Rana  esculenta  schon  zur 
Zeit  der  ersten  Furche  über  das  Vorn  und  Hinten  [Cephal  und  Caudal] 
entschieden  ist,  da  die  Eiaxe  sich  schräg  einstellt  und  [444]  der  Ur- 
mund  immer  zuerst  auf  derjenigen  Seite  entstand,  wo 
der  weisse  Pol  mit  einem  Saum  an  der  oberen  Fläche 
des  Eies  sichtbar  w  u  r  d  e ,  und  dass  die  zweite  Furche  dieser  Un- 
gleichheit der  durch  sie  geschiedenen  Theile  dadurch  Ausdruck  giebt, 
dass  sie  mehr  nach  diesem  weisse  n  Theile  hin  gelagert  ist. 

Zugleich  aber  hatte  ich  nach  einer  einzigen  gemachten  Beobach- 
tung die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  unter  noch  unbekannten 
Umständen  die  so  durch  ihre  Stellung  zur  Eiaxe  und  zum  künf- 
tigen Embryo  physiologisch  bestimmte  normal  ,, zweite" 
Furche  zeitlich  auch  als  ,, erste"  auftreten  könnte.  Diese 
Vermuthung  bestätigte  sich  in  diesem  Jahre  unerwünscht  häuf  ig 
und  zwar  unter  Umständen,  welche  zugleich  eine  Localisirung  zu  er- 
schweren geeignet  war.  Doch  glaube  ich  die  Ursache  dieses  Vor- 
kommnisses aufgefunden  zu  haben  und  diese  Fehlerquelle  daher  bei 
den  nächsten  Versuchen  vermeiden  zu  können.  Damit  erklärt  und 
erledigt    sich    auch    R.aubei'.'s    irrthümliche    Einwendung,    dass    nor- 


Operationen  während  der  Furchung.  in5 


inalerweise  die  erste  Fiurhe  (|iier  zur  künitigeu  Mcdiaiiebeiie  stehe, 
denn  er  hat  seiner  Angabe  nach  unter  Umständen  untersucht,  welche 
ich  als  die  Ursache  dieses  ,,A  nachronisnius  der  i'^urcheu'" 
erkannt  habe^). 

Zunächst  will  ich  einige  beim  Ansteclien  in  diesem  Stadium 
beobaclitete  Einzelheiten  erwähnen,  ohne  damit  aher  andeuten  zu 
wollen,  dass  sie  gerade  diesem  Stadium  eigenthümlich  wärfii.  hi 
mehreren  Fällen  wurde  eine  feine  Nähnadel  durch  das  viertheilige 
Ei  hindurch  und  in  den  Wachsboden  des  Gefässes  gesteckt  und  stocken 
gelassen.  Die  im  einen  Falle  unversehrt  gebliebenen  drei  Zellen 
theilten  sich  danach  noch  einmal,  bildeten  die  Aequatoriall'urche  und 
platteten  sich  darauf  zur  gemeinsamen  Kugelform  des  Eies  ab  (s.  S.  löd); 
die  durchstochene  Zelle  theilte  sich  dagegen  nicht  weiter.  Im  Wesent 
liehen  derselbe  Erfolg  trat  ein,  wenn  zwei  neben  einander  gelegene 
Zellen  gleichzeitig  durchspiesst  waren.  Man  kann  fragen,  welche 
Correlation  der  Zellen  unter  einander  durch  die  Verletzung 
der  „einen''  Zelle  gestört  wurde,  oder  welche  deletäre  Wirkung 
von  der  verletzten  auf  die  unverletzte  Zelle  ausging,  um  den  'fod 
aller  [4-45]  hervorzubringen.  AVenn  alle  vier  Zellen  in  gleicher  Weise 
dadurch  verletzt  wurden,  dass  die  Nadel  längs  der  Furchungsaxe 
eingestochen  war,  theilten  sich  alle  blos  noch  einmal.  Die  Näh- 
nadeln selber,  welche  einen  Tag  in  dem  Ei  verweilt  hatten,  zeigten 
g  a  n  z  b  e  s  t  i  m  m  t  e  A  r  r  o  s  i  o  n  s  f  i  g  u  r  e  n ,  welche  nach  der  Herausnahm  e 
und  nach  dem  Abwischen  noch  deuthch  die  intraovale  Strecke  und 
die  äussere  und  innere  Grenze  der  in  der  Gallerthülle  befindlich  ge- 
weseneu Strecke  erkennen  Hessen  und  auf  sehr  kräftige  oxydirende 
Wirkungen  aher    dieser   Theile   hindeuteten.     An    ehier    zur    Durch 


1)  Vgl.  meine  Erwiderung  auf  Raubf.k's  Vortrag  im  Tageblatt  der  .57.  Vor- 
sanimlung  der  Naturforscher  und  Aerzte  zu  Magdeburg  1884  S.  330.  [Es  ist  der 
Unistandr  dass  den  Eiern  nach  der  Befruchtung  wenig  Wasser  zugesetzt  wurde  und 
sie  sich  daher  in  ihrer  Hülle  nicht  rechtzeitig  mit  dem  weissen  Pol  nach  unten  drehen 
konnten  (siehe  ferner  S.  176).  Durch  diese  Zwangslage  entstanden  innere 
Störungen,  von  denen  ich  das  Auftreten  der  Querfurche  als  erste  ableitete.  Der 
Mechanismus  dieses  Verhaltens  wurde  erst  später  von  mir  ermittelt  (s.  Nr.  20,  S.  52 
und  Nr.  21.  S.  201).  Räuber  hatte,  wie  er  mittheilte,  gleichfalls  den  Eiern  wenig 
Wasser  zugesetzt:  seine  Eier  befanden  sich  also  auch  zumeist  in  Zwangslage  (s.  Nr. 
20,  S.  43). J 


166  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

stechung  verwendeten  Stecknadel  war  ein  brauner  Fleck,  wohl 
von  Schwefelkupfer  herrührend,  zu  bemerken. 

Einige  Male  beobachtete  ich,  dass  nach  dem  blossen  Anstechen 
einer  der  vier  Zellen  die  der  Anstichstelle  nächste  Furche 
sich  nachträglich  verschob,  bis  sie  durch  die  Anstich- 
stelle hindurchgingt),  wobei  dann  auch  die  anderen  Furchen  in 
ihrer  Richtung  etwas  mitalterirt  wurden,  und  einmal  eine  vorher 
nicht  vorhandene  sog.  ,,  Brechungsfurche"  entstand.  Im 
Beitrag  III  [Nr.  20,  S.  22]  wird  über  weitere  Alterationsversuche  der 
Furchen  berichtet. 

Einer  meiner  ersten  Anstechversuche  an  Froscheiern  bestand 
darin,  dass  eine  der  vier  Zellen  des  zweimal  gefurchten  Eies  von 
Rana  fusca  oben  grob  aufgeschlitzt  wurde,  blos  um  zu  sehen,  wie 
viel  eventuell  vertragen  werde.  Es  trat  sehr  viel  Eiinhalt  aus.  Gleich- 
wohl entwickelte  sich  das  Ei  weiter  und  liess  einen  deuthchen  Ace- 
phalus  hervorgehen.  Vor  den  Kiemenhöckern  des  in  seiner  Ent- 
wickelung  stark  verzögerten  Embryos  befand  sich  nur  eine  unregel- 
mässig geformte,  aber  allenthalben  schwarz  überzogene  Masse  von 
kaum  einem  Viertel  der  Masse  eines  normalen  Kopfes,  während 
der  übrige  Theil  des  Embryo  vollkommen  normal  gestaltet 
war^),  aber  auf  Berühren  und  Anstechen  nicht  recht  reagirte.  Am 
sechsten  Tage  macerirte  das  Thier  vom  vorderen  Ende  aus  und  es 
trat  Framboisia  minor  am  Rumpfe  ein. 


|i)  Dies  und  das  ähnliche,  auf  Seite  163  mitgetheilte  Vorkoninmiss  konnte  man 
so  deuten,  dass  auch  das  Moment  des  geringsten  Tb  eil  ungswi  der  stan  de  s 
bei  der  Bestimmung  der  Richtung  der  Zelltheilung  manchmal  in  gewissem  Grade 
mit  zur  Geltung  kommt,  da  hier  unter  Abweichung  von  der  Norm  diejenige  Stelle 
aufgesucht  wurde,  an  welcher  die  ziemlich  starre  (aber  elastische)  Eirinde  bereits  durch- 
brochen war. 

Doch  war  in  den  letzterwähnten  Fällen  die  neue  Furche  mit  der  sie  aus- 
gleitenden neuen  Rinde  schon  tief  in  das  Ei  hinein  bereits  gelüldet;  und  diese 
Furche  verschob  sich  nur.  Da  sich  auch  sonst  ergeben  hat,  dass  das  Moment  ge- 
ringsten Zelltheilungswiderstandes  kein  herrschendes  ist,  indem  manchmal  sogar 
in  den  Richtungen  grössten  Theilungswidcrstandes  getheilt  wird  (s.  Nr.  31,  S.  275), 
so  ist  es  wohl  wahrscheinlicher,  dass  die  alterireude  Einwirkung  des  Fremd- 
körpers im  Zellleib  den  hereits  eingeleiteten  Sonderungsvorgang 
aus  seiner  Richtung  alt-  und  auf  diese  Stelle  hinlenken  kann.] 

[2)  Dies  weist  auf  Sei  bstdiff  er  en  z  i  rung  dieses  übrigen  Theiles  hin.] 


Operationen  während  der  Furchunp;.  Ifi? 


Bei  der  diesjährigen  W-r  sucli  s  rcilic  (1SS4)  (an  Rana  escu- 
lenta)  wurden  die  Anstielistellen  in  kleine  Situationsskizzen  der  oberen 
Hemisphäre  nebst  der  Lage  der  beiden  ersten  Furclicn  und  der  Stell- 
ung des  weissen  Saumes  eingetragen.  Bei  einer  Anzahl  der  Eier  aber 
stand  die  Eiaxe  fast  senkrecht  oder  bei  anderen  fand'en  Pig- 
mentnmlage-  [446]  rungen  in  der  Kirinde  statt  (s.  Nr.  20 
S.  52),  so  dass  zur  Zeit  der  Operation  vorn  und  hinten  am  Eie  oft 
uicht  sicher  zu  bestimmen  war.  Von  28  ojjerirten  Eiern  dieser  Serie 
entwickelten  sich  11  anscheinend  normaL  13  bildeten  Abnormitäten 
und  4  starben  vor  der  Gastrulabildung  ab. 

1.  (Nr.  113.)  xVnstich  rechts  hinten  an  der  Clrenze  des  Weissen 
und  Braunen,  also  in  der  Gegend  der  präsumptiven  Anlage  des  Ur- 
munds.  Effect:  Am  Rande  des  Urmundes  hängt  noch  das  Extraoval 
und  ist  so  fein  gefurcht  als  das  Material  der  Gastrula  selber.  Der 
Urmund  ist  noch  weit  offen,  aber  seine  Ab gr e n zu ngs furche 
von  braunen,  kugelig  gerundeten,  also  Framboisia  minor  dar- 
stellenden Zellen  ausgefüllt;  und  letztere  haben  sich  auch  noch 
auf  den  angrenzenden  Theil  des  weissen  Dotters  ausgebreitet. 
Dieser  interessante  abnorme  Vorgang  wurde  wiederholt  an  Eiern  be- 
obachtet, welche  mehrere  Tage  lang  auf  der  Gastrulastuf e 
stehen  blieben,  ohne  im  Stande  zu  sein,  sie  zu  überschreiten. 

2.  (Nr.  1 14.)  Die  gleiche  Operation  mit  dem  gleichen  Effect. 

3.  (Nr.  116.)  Verletzung  wiederum  a  n  der  Stelle  der  j)  r  ä  - 
sumptiven  Urmundsanlage  etwas  rechts  neben  der  ersten  Furche. 
Die  Medullär  Wülste  werden  gut  ausgebildet,  aber  die  Rückenfurche 
schliesst  sich  niclit;  ihre  ventrale  Vereinigung  zeigt  hinter  der 
Mitte  der  Länge  der  Medullarf urche  einen  quergestellten 
Defect  in  der  braunen  Schicht,  innerhalb  dessen  weisse  Substanz 
sichtbar  ist  (s.  S.  160)^).  Ueber  diese  Stelle  ist  der  ganze  Embryo 
lordo tisch  rückwärts  gekrümmt,  so  dass  der  hinterste  Theil  und 
der  Nackentheil  sich  fast  berühren,  wobei  sich  neben  dem  Defect 
die  Medullarwülste  stark  seitwärts  ausbiegen.  Kopftheil 
von  vorn  her  abgeplattet,  aber  trotz  mangelnden  Schlusses  des  Medul- 

I  1)  Auch  diese  Missbildung  wurde  später  von  mir  nach  der  Erkenntniss  ihrer 
Bedeutung  alsAsyntaxia  meduUaris  bezeichnet  (s.  Nr.  22,  S.  133, Nr.  23,  S.  700).J 


168  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


larrohres  schon  etwas  specifisch  geformt;  Haftnapfpigmeiit  schon  beider- 
seits gut  ausgebildet  und  scharf  abgegrenzt. 

4.  (Nr.  140.)  Anstich  an  derselben  Stelle,  aber  mehr  rechts  von 
der  ersten  Theilungsebene.  Defect  wie  vorher  (Asyntaxia),  Em- 
bryo aber  weiter  entwickelt;  Schwanz  ausgebildet,  gleichfalls  lordotisch 
rückwärts  gebogen,  berührt  den  schon  etwas  mehr  dilferenzirten  Kopf- 
theil,  in  dessen  vorderstem  Bereiche  die  Medullarwülste  sich  berühren. 
Die  seitliche  Ausbiegung  der  Medullarwülste  an  der  Defect- 
und  Biegungsstelle  ist  asymmetrisch,  mehr  nach  links  [447]  ent- 
wickelt. Haftnapf  anläge  beiderseits  vorhanden.  [Eine  andere  Skizze 
trägt  leider  gleichfalls  die  Nr.  140  und  ist  bei  ihr  die  Anstichstelle 
links,  aber  als  auf  der  Unterfläche  des  Eies  gemacht,  notirt;  der 
zweite  unter  Nr.  140  aufbewahrte  Embryo  ist  weiter  entwickelt,  aus- 
geschlüpft und  anscheinend  normal.] 

5.  (Nr.  117.)  Neben  der  ersten  Theilungsebene  am  Rande  der 
oberen  Hälfte  des  Eies  (rechts  hinten  oder  links  vorn)  angestochen. 
Embryo  stark  deform,  schwer  zu  deuten.  Medullarrohr  anscheinend 
geschlossen.  Links  vorn^)  am  Rumpfe  und  seitlich  an  der  Halsgegend 
hängt  noch  die  ausgetretene  braune  Substanz  heraus;  Embryo  nach 
dieser  Stelle  hin  stark  concav  gebogen.  Scheitelpigment  verstärkt; 
Haftnapfpigment  und  Haftnäpfe  nicht  angelegt,  Schwanzanlage 
unterscheidbar. 

6.  (Nr.  118.)  Anstich  am  Rande  der  unteren  Hälfte  des  Eies, 
entweder  rechts  hinten  oder  links  vorn.  Embryo  der  Hauptsache 
nach  normal  gestaltet  mit  deutlicher  Kopfmodellirung  and  Schwanz- 
anlage, nach  der  linken  Seite  concav  gebogen;  nur  rechts  am  Halse 
ein  kleiner  streifenförmiger  Defect  der  braunen  Schicht,  durcli  wclclien 
weisse  Substanz  hervortritt. 

7.  (Nr.  119.)  Anstich  rechts  neben  der  ersten  Furchungsebene 
etwas  nach  vorn  von  der  Mitte  des  Eies,  also  an  der  rechten  vorderen 
(grossen)  Zelle.     Die  Symmetrieebene  der  Pigmentvertheilung  auf  der 

1)  In  Bezug  auf  das  Ei  bedeutet  [noch  in  dieser  Schrift]  hinten  stets  die 
Seite,  wo  die  erste  Anlage  des  ürmunds  erwartet  M'urde,  vorn  die  entgegenge- 
setzte Gegend  (s.  S.  164  und  S.  113  Anm.).  Am  Embryo  bedeuten  hinten  und 
vorn  schwänz-  und  scheitelwärts.  Oral  wird  blos  am  Rumpfe  verwendet,  da  e.s 
an  Hals  und  Kopf  logischerweise  die    verschiedensten  Richtungen    bezeichnen  würde. 


Operationen  während  der  Furchung;.  IfiO 

oberen  Hemisphäre  und  die  erste  Furche  fallen  nicht  zusainnion, 
sondern  bilden  einen  Winkel  von  45".  Embryo  nach  links  zusammen- 
gebogen bis  zur  Berührung  von  Kopf  und  Schwanz.  Körperform  im 
Ganzen  wohlgebildet  mit  Kiemenansätzen  und  Haftnäpfen,  nur  der 
Scheitel  des  Kopfes  klein,  faltig,  wie  von  mehreren  Seiten  zu- 
sammengedrückt. Beim  Conserviren  des  Embryo  am  ITmltcn  Tage 
hing  das  Extraovat  nach  einer  Notiz  im  Journal  noch  (hu'ch  einen 
dünnen  Strang  ,,obeu"  (soll  wohl  heissen  am  [4:-l:8]  Scheitel)  mit  dem 
Kopfe  zusammen;  doch  ist  die  Ansatzstelle  dieses  Stranges  nicht 
mehr  mit  Sicherheit  aufzufinden.  Die  linke  Seite  des  Embryo  durch 
Durchschneiden  des  Embryo  sichtbar  gemacht ,  ist  blass  und  etwas 
platt,  zeigt  aber  nirgends  einen  Defect.  Häutig  ist  die  Seite,  nach 
welcher  das  Embryo  gebogen  ist,  blass,  pigmentarm.  Die  Biegung 
selber  aber  ist  auffallend  häufig  nach  links  erfolgt. 

8.  (Nr.  115.)  Anstich  dicht  links  neben  der  ersten  Furchungs- 
ebene  an  der  hinteren  Ecke  der  vorderen  Zelle.  Embryo  ent- 
sprechend der  Entwickelungsstufe  von  vier  Tagen  im  Ganzen  wolil 
ausgebildet,  Medullarrohr  geschlossen ;  Kopf  und  Schwanz  wohl  model- 
lirt  und  nach  links  gebogen ;  Rest  des  Urmundes  unter  dem  Schwanz 
etwas  nach  rechts  verlagert.  Rechts  am  Halse  ein  brauner  Höcker. 
Links  ist  neben  dem  Medullarrohr  auf  der  Grenze  des  Hals- 
und  Rumpftheiles  ein  circumscripter  braun  umgebener  kleiner 
Defect! 

9.  (Nr.  120.)  Anstich  dicht  neben  der  ersten  Furchungsebene, 
entweder  etwas  links  vor  oder  rechts  hinter  dem  oberen  Eipole.  Em- 
hijo  im  Ganzen  wolilgegliedert  und  geformt,  Rumpf  und  Schwanz 
bis  zur  Berührung  nach  links  gebogen;  Gehirntheil  des  Kopfes 
zu  klein,  besonders  links  braun  pigmentirt  und  faltig  verkrüppelt. 
Das  Extraovat,  vielleicht  ^'is  des  Eies  betragend,  war  noch  vor  dem 
Conserviren  durch  einen  Strang  mit  dem  Kopfe  verbunden,  ist  seg- 
mentirt  in  derselben  Feinheit  wie  die  Masse  eines  Durchschnittes  aus 
dem  Rumpfe  des  Embryo.  Das  Extraovat  ist  viel  grösser  als  der 
Verkleinerung  des  Kopfes  entspricht. 

10.  (Nr.  141.)  Anstich  in  der  Mitte  der  oberen  Fläche  der  linken 
vorderen  Zelle.  Embryo  wie  der  vorhergehende  entwickelt  und  nach  links 


170  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


zusammengebogen.  Kopf  gleichfalls  etwas  faltig  deformirt,  besonders 
links  im  Gehirntheil,  daselbst  findet  sich  eine  schmale,  schräg  ver- 
laufende promiuirende  Leiste,  welche  nach  dem  Vergleich  mit  anderen 
Embryonen,  wo  eine  solche  Leiste  noch  stellenweise  gespalten  war 
und  das  Weisse  hindurchsehen  oder  gar  hervortreten  liess,  als  die 
Narbe  eines  eben  geschlossenen  Defectes  der  oberflächlichen 
Schichte  aufgefasst  werden  kann. 

[449]  11.  (Nr.  142.)  Die  hintere  rechte  Zelle  vorn  oben  rechts 
angestochen.  Embryo  durch  Krümmung  blos  im  Halstheile  bis  zur  Be- 
rührung von  Koj)f  und  Schwanz  nach  rechts  zusammengebogen,  sonst 
wohlgeformt,  bis  auf  einen  links  vorn  am  Kopfe  sich  findenden  De- 
fect  der  braunen  Oljerflächenschicht,  welcher  die  Gegend  des  fehlen- 
den linken  Haftnapfes  einnimmt.  Das  Pigment  ist  aber  um  diesen 
Defect  nicht  zu  einem  geschlossenen  Abgrenzungssaum  verdichtet ; 
auch  hat  das  Epithel  der  Umgebung  nicht  angefangen,  sich  mit  einem 
abgerundeten  Saum  auf  den  Defect  auszubreiten;  derselbe  begrenzt 
sich  im  Gegentheil  scharfrandig  mit  vielen  feinen  Zacken  und  ist  so- 
mit als  postmortal  beigebracht  zu  betrachten,  da  jede  Reaction  des 
lebenden  Organismus  fehlt.  Dagegen"  zeigt  sich  nach  der  Zerschnei- 
dung des  Embryo  an  der  Umbiegungsstclle  seitlich  an  der  rechten 
Kopfhälfte  ein  länglicher,  von  lebendiger  Reaction  der  Umgebung 
zeugender  Defect  in  der  Oberflächenschicht. 

Die  andern  missbildeten  Embryonen  sind,  durch  Abfall  der 
Etiquetten  oder  durch  Zerstörung  in  Verlust  gerathen.  Desgleichen 
zwei  schon  nach  30  Stunden  zur  Untersuchung  der  Verletzungsstelle 
im  Blastulastadium  aufgehobene  Eier. 

Von  weiteren,  anscheinend  normalen,  l)ereits  ausgeschlüpften  Em- 
bryonen sind  sechs  nach  Verletzung  der  oljeren,  drei  nach  V^erletzung 
der  unteren  Hemisphäre  entstanden.  Sie  bekamen  schliesslich  zumeist 
Hydrops  der  Halsgegend  unter  starker  seitlicher  Verwölb- 
ung  der  Kopfnieren.  An  einem  der  Embryonen  ist  eine  circum- 
scripte  hydropische  Stelle  auch  noch  mitten  in  der  Bauchgegend. 
Ein  zehnter  Embryo  zeigte  dagegen  allmählich  eine  runzelige  Defor- 
mation des  Schwanzes  mit  abnorm  starker  Pigmentirung  und  Frani- 
boisia  major  et  minor. 


Operationen  wfthrond  der  Furchung.  171 


Beim  Anstechen  nach  der  dritten  Furche,  also  nach  der 
ersten  Aeqiiatorialfurche ,  erhielt  ich  neben  anscheinend  normalen 
Quappen  und  nicht  weiter  sich  entwickelnden  Eiern  folgende  Defor- 
mitäten resp.  Defectbildungen.  Bei  Verletzung  an  der  oberen  Hemi- 
sphäre von  Rana  fusca:  Ein  Embryo  zeigt  die  Medullarwül.sU' 
ventral  nicht  durch  schwarze  Substanz  verbunden,  sondern  in  ganzer 
Länge  durch  die  zu  Tage  tretende  weisse  Substanz  von  ein- 
ander geschieden  und  nach  hinten  dive  rgirend').  Medullar- 
furche  dabei  natürhch  [450]  offen;  gleichwohl  traten  an  dem  nicht 
abgegliederten  Kopftheil  die  Haftnäpfe  auf.  Links  am  Halse  ist  eine 
circumscripte  stark  prominirende  Geschwulst.  Ein  anderer  Em- 
bryo, 5  Tage  alt,  ist  wohlgebildet  in  Kopf,  Rumpf  und  Schwanz, 
aber  mit  einem  schrägen,  schmalen,  in  der  Vernarbung  begriffenen 
Defect  der  schwarzen  Schicht  auf  der  rechten  Seite  des  Leibes  und 
Halses.  Zwei  der  normalen  Embryonen  wurden  nach  dem  Aus- 
schlüpfen noch  bis  zur  quer  verbreiterten  Quappenform  forterhalten 
und  schienen  auch  da  noch  vollkommen  normal  und  ernährten  sich  gut. 

Für  die  Anstechung  in  späteren  Stadien  derEurchuug 
ist  zu  bemerken ,  dass  eine  genaue  Notirung  der  Anstichstellen ,  ob 
vorn,  hinten,  rechts  oder  links  dadurch  fast  werthlos  wird,  dass  die 
erste  Furche  nicht  mehr  kenntlich  ist  und  bei  unseren  Anstech- 
V  ersuchen  leicht  Drehungen  des  Eies  eintreten  können.  Letztere 
werden  voraussichthch  auch  die  Veranlassung  gewesen  sein,  dass 
in  einigen  Fällen  von  Anstechversuchen  nach  der  zweiten  Furche 
die  Seite  des  notirten  Anstichs  nicht  der  Seite  des  Defectes 
am  Embryo  entsprochen  hat;  denn  wenn  unversehens  [beim 
Fassen  des  Eies  mit  der  Pincette  und  beim  Einstechen  der  Nadel] 
eine  Drehung  von  45 "^  stattgefunden  hat,  so  war  eine  sichere  Be- 
ziehung der  Furcijen  nicht  mehr  möglich-). 


[')  Also  Asyntaxia  medullaris  tutali>.  welche  nach  der  später  ge- 
wonnenen Einsicht  in  diesem  Falle  dadurch  bedingt  ist,  dass  die  ventralen  Theile 
in  ihrer  Entwickelung  gestört  werden,  weshalb  auch  das  seitliche  Herabwachsen,  die 
bilaterale  Epibolie  eine  unvollkommene  blieb  (s.  Nr.  23).] 

[■^)  Dieser  Fehler,  welcher  den  Werth  der  hier  vorliegenden  Versuche  für  die 
L  0  c  a  1  i  s  a  t  i  o  n  d  e  r  G  e  g  e  n  d  e  n  d  e  s  E  m  b  r  y  o  a  u  f  d  a  s  E  i  sehr  herabsetzt,  wurde 
in  späteren  Jahren  durch  ge  ringe ren  Wasserzusatz  zu  den  Eiern,  in  Folge  dessen  sich 


172  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Von  Verletznilgen  nach  der  vierten  Furche  habe  ich  folgende 
Präparate  von  Rana  fusca  aufgehoben:  drei  Embryonen,  deren  Eier 
an  der  Grenze  der  weissen  und  schwarzen  Hemisphäre, 
also  vielleicht  in  der  Gegend  der  Anlage  des  künftigen  Urmundes 
angestochen  und  nach  vier  Tagen  aufgehoben  wurden.  Einer  ist 
normal  gestaltet;  der  andere  in  den  Hauptformen  desgleichen,  zeigt 
aber  in  der  Mitte  d  er  Länge  des  sonst  überall  geschlossenen 
Nervenrohres  ein  kleines  rundes  Loch,  zu  welchem  ein  weisser 
Pfropf  heraussieht,  ein  Zeichen,  dass  auch  ventral  das  Medullarrohr 
an  der  Stelle  durchbrochen  sein  wird  [Asyntaxia  meduUaris]. 
Lordose  nicht  stärker  als  auch  sonst  in  diesem  Stadium.  Der  dritte 
Embryo  ist  gleichfalls  im  Allgemeinen  normal  gegliedert,  zeigt  aber 
in  derselben  Gegend  des  Rückens  und  weiter  nach  hinten  ein 
weites  seitliches  Auseinanderweichen  der  Medullar- 
wülste  [Asyntaxia],  verbunden  mit  starker  Lordose  des 
Embryo.  Das  Medullarrohr  ist  oral  davon  geschlossen,  aboral 
sind  die  beiden  Schwanz-  [451]  anlagen  vereinigt  aber 
stark  in  die  Breite  gebildet.  Von  der  starken  Rückwärtsbie- 
guiig  geht  jederseits  eine  Falte  schräg  ventral  und  vorwärts  über 
den  Leib.  Wir  haben  also  zweimal  eine  Verbildung  resp.  Defect  des 
Medullarrohres  hinter  der  Mitte  desselben ,  wie  beim  Anstechen  des 
Eies  an  gleicher  Stelle  nach  der  zweiten  Furche.  Der  eine  dieser 
beiden  Fälle  zeigt  bereits  ein  kräftiges  erfolgreiches  Regenera- 
t  i  o  11  s  b  e  s  t  r  e  b  e  n ,  und  wir  wissen  nicht ,  ob  der  ersterwähnte  sich 
präsentirende  Embryo  überhaupt  keine  Störung  in  seiner  Entwickc- 
lung  erlitten  hatte,  oder  ob  sie  bereits  Avieder  ausgeglichen 
ist.  Wenn  eine  Störung  vorhanden  war,  so  muss  sie  indess  sehr  ge- 
ring gewesen  sein,   so   dass  sie  bei  der  Besichtigung  des  Eies  iiiner- 

die  Gallerthülle  stark  auf  das  Ei  presst,  besonders  aber  durch  frühzeitige  Controlle  des 
unmittelbaren  Erfolges  der  Operation  vermindert.  Ausserdem  war  bei  diesen  ersten 
Versuchen  nicht  bei  Nacht  beobachtet  worden,  weshalb  die  primären  Entwickel- 
ungsstörungen  unbemerkt  geblieben  und  blos  die  secundären  nach  der  damals  noch 
nicht  bekannten  Postgeneration  noch  vorhandenen  oder  durch  noch  unvoll- 
kommene Postgeneratiou  bedingten  Alterationen  wahrgenommen  worden  waren.  Die 
daraus  sich  ergebende  Inconstanz  der  Resultate  war  die  Veranlassung,  dass  hier 
auch  nur  sehr  wenige,  auf  die  Localisation  bezügliche  J' o  1  gerungen 
abgeleitet  wurden.] 


Operntionon  wiilirond  dor  Kiiroliuns;.  173 

halb  (lor  CJallertliülle  übersolien  wortlon  konnte;  denn  icli  luihc  moisl 
die  Regel  befolgt,  sobald  wahrgenommene  Entwickelungsstcirungen  ans- 
gegliehen  zu  werden  begannen,  die  Embryonen  /u  eonserviren ,  da 
es  mir  vorerst  nieht  nm  das  Studium  der  Regeneration,  sondern  der 
Entwickelungsalterationen  /u  thun   war. 

Vom  Ansteclien  an  der  scliwarzen  Hemisphäre  nach 
dem  Auftreten  der  vierten  Furche  besitze  ich  acht  Embryonen,  gleich- 
falls im  /Vlter  von  vier  Tagen.  Die  Zahl  der  in  jener  Serie  operirten 
Eier  ist  nicht  notirt,  aber  es  ist  anzunehmen,  dass  alle  i^ier,  welche 
sich  überhaupt  nach  dem  Eingritfe  nocli  über  die  Blastida  hinaus 
entwickelt  haben,  aufgehoben  worden  sind.  Drei  Embryonen  zeigen 
bei  normaler  Anlage  der  einzelnen  äusseren  Theile  eine  Auftreibung 
der  Kopf-  und  Halsgegend,  welche  im  Spiritus  zu  einer  starken 
Schrumpfung  mit  vielfachen  Verbiegungen  führte,  so  dass  wohl  ein 
hydropischer  Zustand  eines  Hohlraumes  vorhanden  gewesen  ist. 

An  einem  dieser  Embryonen  ist  durch  Verletzung  nach  dem  Härten 
der  Medullarkanal  im  Hals-  und  hinteren  Kopftheil  geöffnet;  er  zeigt 
sich  erweitert  und  stellenweise  prominiren  die  Epithelien 
halbkugelfürmig  gegen  das  Lumen,  ein  Zeichen,  dass  die  Fram- 
boisia  minor,  welche  an  der  äusseren  Oberfläche  dieses  Embryo  vor- 
handen ist,  auch  an  der  inneren  Oberfläche  [also  Framhoisia 
interna]  möglich  ist.  Der  Embryo  war  also  schon  vor  dem Conserviren 
von  selber  abgestorben,  ohne  dass  ausser  der  früheren  Operation  eine 
Schädlichkeit  eingewirkt  hatte.  Ein  anderer  Embryo  ist  normal  ge- 
staltet, [452]  hat  aber  eine  grosse  Narbe  auf  der  rechten  Seite 
von  Rumpf  und  Hals;  ein  zweiter  desgleichen.  Ein  Embryo 
hat  den  Kopf  mit  den  Haftnäpfen,  sowie  Kiemenanlagen  gebildet; 
aber  alles  ist  faltig  verschrumpft  an  Kopf  und  Rumpf,  und  in  der 
Mitte  des  Rückens  fehlt  die^^rechte  Hälfte  des  Medullar- 
rohres  nebst  den"^  angrenzenden  Seitentheilen  des  Rumpfes 
und  durch  den  Defect  tritt  ein  grosses  viereckiges  Stück  weisser  Masse 
zu  Tage.';- Ein  anderer  Embryo  zeigt  die  Medullarwülste  blos 
vorn  und  hinten  vereinigt^),  sonst  aber  in  ihrerganzen  Ausdehnung 
ein  grosses,  mit  wei.«ser  Masse  angefülltes  Loch  umgrenzend. 
[1)  Also  Asyntaxia  medullaris  totalis.] 


174  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Dem  noch  übrigen  Embryo  felilt  die  ganze  rechte  Hälfte  des 
Rumpfes  und  Halses  einschliesslich  des  rechten  Medullar- 
wulstes;  und  an  deren  Stelle  tritt  wiederum  eine  weisse  Masse  aus 
der  schwarzen  Umrandung  heraus.  Gleichwohl  zeigt  die  linke  Kopf- 
seite eine  Haftnapf  anläge  und  Scheitelpigment.  So  viel  ich  weiss, 
ist  eine  derartige  Missbildung  mit  Entwickelung  blos  einer  Antimere, 
die  ich  als  Hemicormus  lateralis  bezeichnen  wilP),  noch  bei 
keinem  Wesen  beobachtet  worden. 

Nach  dem  Anstechen  der  weissen  Hemisphäre  sind 
sechs  Embryonen  aufbewahrt,  gleichfalls  vier  Tage  alt,  davon  drei 
anscheinend  normal  sind.  Einem  sonst  normal  beschaffenen  fehlt  die 
linke  Schwanzanlage  und  der  angrenzende  Theil  der  Rumpf- 
wandung [Dreiviertel-Embryo];  einem  anderen  fehlt  die  rechte 
Schwanz  an  läge  und  an  der  rechten  Seite  des  Rumpfes  ist  noch 
ein  schmaler  Defect  in  der  Oberflächeinschicht.  Das  letzte  Ei  ist  auf 
dem  Stadium  der  Gastrulabil düng  stehen  geblieben;  es  schien  eine  regu- 
läre Rückenfurche  angelegt  zu  haben  [?];  dieselbe  ist  aber  durch  Ver- 
Schrumpfung  und  Framboisia  nachträglich  wieder  undeutlicher  geworden. 

Nach  dem  Anstechen  an  der  unteren  Seite  des  Eies  ist  also 
entweder  keine  Verbildung  oder  ein  dorsal  oder  ventral  an  dem 
hintersten  Theile  des  Embryo  gelegener  Defect  entstanden. 
Nach  dem  Anstechen  an  der  hinteren  Grenze  des  Weissen  und 
Schwarzen  waren  die  Störungen  in  der  Mitte  des  Medullarrohres,  und 
bei  Verletzung  innerhalb  des  schwarzen  Theiles  der  oberen 
Hemisphären  zeigten  sich  Störungen  oder  [4-53]  Defecte  ven- 
tral oder  dorsal  an   der  Kopfhäl-fte  des  Embryo. 

Beim  An.stechen  nach  der  fünften  Segmentirung  erhielt  ich 
wieder  einmal  ein  P'ehlen  fast  der  ganzen  rechten  Seite  von 
Kopf,  Hals  und  Rumpf  [Hemiemhryo  dexter],  bei  undeuthcher 
Abgliederung  dieser  Theile  linkerseits.  Ein  anderer  Embryo  hat  sich 
viel  weiter  entwickelt,  ist  ausgeschlüpft  und  hat  Kiemen;  auf  der 
rechten  Seite  des  Rumpfes  aber  fehlt  die  Hälfte  der  schwarzen 
Bedeckungsschicht:   gleichwohl   ist  die  zu  Tage  tretende  weisse 


[i)  Diese    Art   von  Missbildimg    wurde   später   als    Hemiemhry o    latcr alis, 
spociell  sinisler    von   mir  bezeichnet  (s.  Nr.  22,  S.   129).J 


Operationen  während  der  Furchuug.  175 


Masse  nicht  al)n()rni  aus  doiii  Defectc  lu'rniisge\V()ll)t,  ein 
Beweis,  dass  das  oberflächliche  Stratum  nielit  diese  dar- 
unter liegenden  Thoile  zurückzuhalten  und  in  ihrer  Form 
zu  bestimmen  l)raucht  [also  ein  Beweis  der  Selbsterhaltung 
der  Gestalt  des  Dotters]  i).  Hinten  am  Rumpfe  ist  jederseits 
ein  kleiner  brauner  Stummel,  Tumoi-  herausgewachsen,  auf  der 
einen    Seite  aber  etwas  weiter  vorn  als  auf  der  anderen. 

Nach  der  sechsten  Theilung  entstanden  bei  Anstechung  am 
schwarzen  Pol  folgende  Defecte.  So  bei  einem  Embryo  ein  Defect 
rechts  neben  dem  nur  vorn  und  hintcni  geschlossenen  Medullar- 
rohr;  zugleich  fehlt  der  mittlere  Theil  des  rechten  Medullar- 
wulstes  selber;  die  hnke  Seite  des  Kopfes  zeigt  fast  normale  Form 
der  einzelnen  Theile,  während  rechts  nur  der  Haftnapf  unterscheidbar 
ist.  Bei  dem  anderen  Embryo  fehlt  das  hintere  Drittel  des 
rechten  Medullarwu  Istes  und  die  angrenzende  seitliche 
R  u  m  p  f  w  a  n  d  u  n  g ;  ein  Strang  des  Extraovates  tritt  mit  der  durch 
den  Defect  zu  Tage  tretenden  weissen  Masse  in  ^''erbindung ;  das 
MeduUarrohr  ist  in  der  vorderen  Hälfte  geschlossen.  Der  Kopf  nor- 
mal gestaltet,  mit  Kiemenansätzen  und  Haftnäpfen. 

Von  sieben  am  weissen  Pol  angestochenen  Eiern  haben  drei 
Embr3'onen  Defecte  am  Hinterleib  und  in  der  Schwanzanlage; 
ein  Embryo  hat  einen  gespaltenen  Schwanz,  welcher  in  viel- 
fach geknickte  sonderbare  Formen  ausgewachsen  ist,  aber 
metamere  Gliederung  nur  in  seinem  dicksten  Haupttheil  erkennen  lässt. 
Zwei  Embryonen  sind  normal.  Diese  und  derjenige  mit  dem  abnormen 
Schwanz  werden  einige  Wochen  erhalten  und  ernähren  sich  gut,  bis 
sie  wegen  Aufblähung  am  Halse   getödtet  und  conservirt  werden. 

[454]    2.  Blastiila,  19  Stunden  nach  der  Befruchtung-  angestochen. 

1.  (Nr.  133.)  Auf  der  Mitte  des  oberen  Poles  dicht  neben  der 
Medianebene    angestochen.     Etwa    '/i5    der    Eisuljstanz    betragendes 


[1)  Das  nicht  gerade  seltene  Hervordringen  von  Dotter  aus  dem  Urmund  vor 
dem  Schluss  des  letzteren  deutet  demnach  wohl  darauf  hin,  dass  diese  Dotterzellen- 
masse passiv  durch  di  e  Um  sohl  iessu  ngsschi  ch  t  hervorgedrängt  wird,  ob- 
schon   im  Innern  noch  Höhlungen  vorhanden  sind] 


176  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


gefurchtes  und  mit  einem  Netz  von  Pigmentzellen  überzogenes  Extra- 
ovat.  Embryo  5  Tage  alt,  stark  nach  links  gebogen,  sonst  an- 
scheinend normal  bis  auf  einen  kleinen  Tumor  am  Schwänze  in 
der  Nähe  der  Schwanzspitze.     Kein  äusserer  Defect. 

2.  (Nr.  137.)  Anstich  oben  hinten  an  der  Grenze  des  Braunen 
in  der  ersten  Furch ungsebene.  Embryo  5  Tage  alt,'  ausgeschlüpft, 
gut  entwickelt. 

3.  (Nr.  135.)  Embryo  normal  geformt,  hat  aber  eine  grosse 
bi'aune  Narbe  am  Hhiterleib. 

4.  (Nr.  134.)  Hinten  an  der  Grenze  des  Braunen  in  der  Gegend 
der  ersten  Furchungsebene  angestochen.  Embryo  ausgeschlüpft,  nor- 
mal gegliedert,  aber  bis  zur  Verklebung  von  Kopf  und  Schwanz  nach 
links  coucav  gebogen;  hatte  nach  dem  Journal  früher  einen  kleinen 
Defect  rechts  am  Halse.  Doch  führt  hierüber  die  Beobachtung  des 
Embryo  innerhalb  der  Gallerthülle  leicht  zu  Täuschungen,  wenn  der 
im  Fruchtwasser  verbliebene  Theil  des  Extraovates  nachträglich  mit 
einer  Stelle  des  Embryo  verklebt!  Jetzt  ist  blos  der  Kopf  etwas 
verschrumpft. 

5.  (Nr.  125.)  Anstich  am  Rande  in  der  Gegend  der  ersten 
Furchungsebene.  Embryo  gut  entwickelt  in  Kopf,  Rumpf  und 
Schwanz;  hnks  neben  dem  Schwänze  ist  das  grosse,  etwa  V^  be- 
tragende Extraovat  noch  in  Verbindung  mit  dem  Hinterleibe 
und  verdrängt  die  Schwanzspitze  nach  rechts.  Austritt  braun  mit 
gefurchtem  Materiale  überzogen.  Der  Schwanz  selber  hat  links  nahe 
seiner  Spitze  eine  circumscript  hervortretende  Geschwulst. 

Vier  Embryonen  sind  anscheinend  ganz  normal ,  zwei  davon 
l)is  zur  Berührung  von  Kopf  und  Schwanz  nach  links  gebogen. 

In  einer  andern  ({lasschale  wurden  26  Eier  gleichfalls  nach 
19  Stunden  angestochen ,  welche  aber  behufs  anderer  Beobachtungen  die 
ersten  drei  Tage  in  Zwangslage  fixirt  waren;  sie  waren  indess 
derart  aufgesetzt,  dass  die  Eiaxe  ziemlicli  in  normalem  Grade  ge- 
neigt stand;  fraglich  musste  blos  bleiben,  ob  die  Neigung 
auch  [455]  nach  der  richtigen,  der  inneren  Anordnung  der 
specifisch  ungleich  schweren  Eitheile  entsprechenden 
Seite  erfolgt  war. 


Operationen  an  der  Bkstula.  177 


1.  (Nr.  106.)  Erste  Furche  stand  (juer  auv  S  y  in  nie  trie- 
ebene  der  Einstellung  des  Pigmentes.  Anstich  in  der  Mitte 
des  oberen  Poles.  Embryo  ohne  sichtbaren  Defect,  dorsale  Theile  an 
Kopf,  Rumpf  und  Schwanz  gut  angelegt,  aber  ventral  eine  grosse 
Aufblähung,  welche  den  ganzen  Embryo  deformirt  und  rückwärts 
concav  biegt. 

2.  (Nr.  107.)  Erste  Furche  steht  wiederum  quer,  An- 
stich von  oben  in  der  Mitte  des  seh warz-weissen  Saumes, 
also  an  der  Stelle  der  ersten  Anlage  des  Urmundes.  Em- 
bryo: Kopfanlage  sehr  undeutlich  gegliedert,  Lordosc  bis  zur  Berühi"- 
ung  von  Kopf-  und  Schwanzanlage,  Medullär  röhr  in  der  Mitte 
mit  einem  grossen  Defect  [Asyntaxia].  Extraovat  gross,  viel- 
leicht ^h  des  ganzen  Eies  betragend,  gefurcht,  unregelmässig  mit 
braunem  intercellularem  Pigment  bedeckt. 

3.  (Nr.  108.)  Anstich  in  der  Nähe  des  Randes  der  oberen 
Hemisphäre;  Extraovat  so  gross  wie  in  Nr.  107  und  ebenso  beschaffen. 
Embryo  etwas  weiter  entwickelt  als  Nr.  107,  aber  mit  ebenso  ge- 
legenem Defect  [Asyntaxia]  und  gleicher  Lordose. 

4.  (Nr.  109.)  Anstich  neben  der  Mitte  des  oberen  Poles.  Genauere 
Angabe  über  die  Lage  der  Anstichstelle  ist  in  dieser  Serie  manchmal 
nicht  möglich,  da  bei  Zwangslage  die  Pigment verth eilung  oft 
eine  zu  unregelmässige  wird  und  auch  die  zweite  Furche  oft 
zuerst  auftritt.  MeduUarrohr geschlossen,  Kopf  gut  modelhrt,  Embryo 
nach  rechts  gebogen ;  neben  der  kleinen  Schwanzanlage  ist  rechts  ein 
kleiner  Defect  der  Oberflächenschicht;  Rumpf  im  Verhältniss 
zum  Kopf  auffallend  zu  kurz.  Extraovat  etwa  Vg  des  Eies 
betragend,  gefurcht,  pigmentirt. 

5.  (Nr.  110.)  Extraovat  sehr  gross,  fast  V^  des  Eies  be- 
tragend, gefurcht.  Embryo:  Kopf  gut  angelegt,  ebenso  Schwanzan- 
lage vorhanden,  LVdose  bis  zur  Berührung  beider;  Rumpf  dorsal 
so  verkürzt,  dass  sich  zwischen  Kopf-  und  Schwanzanlage 
nur  ein  sehr  kleines  Stück  MeduUarrohr  findet.  Dieses 
ist  in  der  Mitte  seitlich  verbreitert  aber  fast  geschlossen 
und    bietet    nur    rechts    noch    eine    kleine    weisse    Stelle    dar. 

[Defect  und  bereits  fast  geschlossene  A  s  y  n  t  a  x  i  a  medullaris.] 

12 

W.  Roux,  Gesammelte  Al.liHDJlungen.    II. 


178  Nr.  18.    Zur  Orientiruns  über  die  Probleme  etc. 


f).  (Nr.  111.)  Blastula  am  Rande  angestochen.  Embryo: 
Medullarrohr  in  ganzer  Ausdehnung  offen  gebheben ;  gleichwolil  [456] 
Kopftheil  durch  weitere  Ghederung  vorn  und  an  den  Seiten  kennt- 
hch^  Leib  nach  rechts  verl)Ogen  und  wie  narbig  eingezogen. 

7.  (Nr.  112.)  Neben  der  Mitte  des  oberen  Poles  angestochen. 
Austritt  etwa  '/^  c^^^  Eies  betragend,  gefurcht.  Embryo:  lordotisch 
gekrümrat,  Medullarrohr  ganz  offen,  mit  Verbreiterung  an  der  Stelle 
der  Concavität  und  daselbst  ein  Defect  [Asyntaxia],  durch  welchen 
die  weisse  Substanz  noch  sichtbar  ist;  Kopf  vorn  und  an  den  Seiten 
schon  etwas  mehr  gegliedert  als  in  Nr.  111. 

8.  (Nr.  121.)  Anstich  ganz  am  Rande.  Elxtraovat  etwa  ^ji 
der  Masse  des  Embryo  erreichend,  haftet  noch  mit  ziemlich 
breitem  kurzem  Verbindungsstrang  rechts  neben  und  unter  dem 
Schwänze  und  besteht  offenbar  vorwiegend  aus  Dottermaterial,  etwas 
über  die  Hälfte  desselben  darstellend.  Embryo  sonst  normal  ent- 
wickelt, weiter  als  alle  vorhergehenden  dieser  Serie,  nur  der  Schwanz 
durch  das  Extraovat  nach  links  abgeknickt. 

9.  (Nr.  122.)  Anstich  an  der  Stelle  der  späteren  Anlage  des  Ur- 
mundes(?);  Extraovat  sehr  gering,  dunkelbraun,  gefurcht.  Embryo 
anscheinend  vollkommen  normal  im  Stadium  des  Ausschlüpfens. 

10.  (Nr.  123.)     Desgleichen  in  Anstich  und  Effect. 

11.  (Nr.  124.)  Erste  Furche  steht  quer.  Ansticli  rechts  neben 
der  zweiten  (physiologisch  aber  ersten,  d.  h.  die  Medianebene  be- 
stimmenden) Furche,  fast  in  der  Mitte  der  oberen  Hemisphäre.  Em- 
bryo im  Ganzen  normal,  aber  mit  assymmetiischer  Entvvickelung  des 
Kopfes. 

12.  (Nr.  138.)  Erste  Furche  quer.  Anstich  dicht  hinter  derselben 
etwas  links  von  der  präsumptiven  Median  ebene.  Embryo  wohlge- 
gliedert im  dorsalen  Theil,  mit  langem  Schwanz.  Gesichtstheil  des 
Kopfes  fehlt  fast  ganz  und  zeigt  zahlreiche  weisse  kleine  Aus- 
wüchse. Hinterer  Theil  des  Rumpfes  ohne  Dotter;  letzterer  liängt 
als  runder  Klumpen  ventral  an  der  Halsgegend. 

Ausserdem  finden  sich  noch  acht  Embryonen  von  im  Allge- 
meinen normaler  Bildung  entsprechend  einer  Entwickelung  von  sechs 
Tagen   vor;    davon   hat   einer    einen   verschrumpften  Kopf,   drei 


Folgerungen  aus  den  AnsticIivcrsnciKMi  nm  Ki.  179 


liaben  Hydrops  der  v(MilralcMi  Ilalsgegend.  Das  lOxtraovat  war  bei 
einigen  dunkelbraun,  bei  anderen  liell. 

[457]  Aus  den  Versucben  dieser  Serie  ergiebt  sicli  also,  dass 
aueb  beim  Ansteeben  des  Eies  in  einem  sebr  späten  Furobungs- 
stadiuni,  auf  der  l^lastulastufe,  nocb  circumscripte  l)efeot(> 
um  P^mbryo  die  Folge  von  Substanzaustritten  sein  krauien; 
aber  sie  Avaren  auffallenderweise  relativ  seltener  als  bei  den 
gleichen  Eingriffen  in  früberen  Stadien,  wäbrend  man  docb 
eber  erwarten  sollte,  dass  sie  bei  späteren  Operationen  immer  sicherer 
eintreten  würden.  Es  lassen  sieb  indess  aucb  dafür  schon  verschie- 
dene Gründe  denken;  vielleicht  ist  das  Material  des  Ectoblast  schon 
zäher,  fester  unter  sich  vereinigt,  und  blos  das  Döttermaterial 
ist  noch  locker  genug,  um  in  reichlicherer  Menge  durch 
den  Stichkanal  auszutreten;  eine  Auffassung,  welche  durch  die 
Versuche  an  den  späteren  Stadien  eine  grössere  Wahrscheinlichkeit  erhält. 

Die  Ergebnisse  dieser  vorstehend  mitgetheilten  A  n  s  t  e  c  b  - 
versuche  am  Froschei  vor  und  während  der  Furchung 
lassen  trotz  der  Unvollständigkeit  der  Versuche  doch  schon  einige 
Folg-eniiigen  ableiten,  welche  uns  bedeutsame  Fingerzeige  über  die 
Beschaffenheit  des  Eies  und  die  Art  der  ersten  Entwickelungsvorgänge 
desselben  geben. 

Wir  erhielten  als  Allgemeinstes  das  Resultat,  dass  nicht  alles 
Keimmaterial  unerlässlich  nöthig  für  die  Entwickelung  ist; 
eine  Folgerung,  welche  indess  auch  schon  aus  einem  fast  als  normal 
zu  bezeichnenden  Vorkommniss  sich  ergiebt.  Beim  Verschlusse  des 
ürmundes  wird  nämlich  sehr  häufig  ein  kleiner,  manclunal  auch  ein 
recht  ansehnlicher  Theil  des  weissen  gefurchten  Keimmaterials,  der 
Dotterpfropf,  abgeschnürt  und  so  von  der  Betheiligung  an  der  Bildung 
des  Embryo  ausgeschlossen,  ohne  dass  diese  selber  dadurch  erkenn- 
bar alterirt  würde.  In  diesem  letzteren  Falle  werden  aber  bestimmt 
gelagerte,  weisse  und  wohl  nur  alsNabrungsdotter  zu  verwendende^) 
Theile  entfernt;  während  in  unseren  Versuchen  aus  verschiedenen 


[1)  Diese  Annahme  scheint  nicht  ganz  richtig,  denn  wenigstens  die  oberfläch- 
lich gelegenen  Zellen  dieses  Pfropfes  würden  Avohl  zu  bestimmten  Theilen  des 
Kntoderm  geworden  sein,  wenn  sie  nicht  abgestossen  worden  wären.] 

12* 


180  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


(legenden  des  Eies  fein-  und  grobkörniges,  schwarzes  und  weisses 
Material  oft  ohne  erkennbaren  Nachtheil  dem  Entwiekehmgsprocess 
entzogen  wurde. 

Weiterhin  haben,  wir  gesehen,  dass  das  befruchtete  Ei  durch 
unsere  mechanischen,  die  grosse  Massenanordnung  [NB.  vor- 
zugsweise des  Dotters,  weniger  des  Kernmaterials]  störenden  Ein- 
griffe nicht  zu  einer  ganz  abnormen  Thätigkeit  veranlasst 
worden  ist  [s.  Nr.  22  S.  2.%].  Vor  Beginn  der  Versuche  hatte  ich 
daran  gedacht,  dass  durcli  dieselben  vielleicht  einige  U  n  o  r  d  n  u  n  g 
unter  den  Organen  entstehen  [458]  könne,  oder  dass  sogar 
ganz  heterogene  wunderbare,  nicht  auf  einfache  Weise  von  den 
Störungen  ableitbare  Formbildungen  die  Folge  der  Eingriffe  sein 
würden.  Dass  nichts  Derartiges  geschehen  ist,  ist  hochbedeutsam; 
doch  sind  die  Versuche  noch  zu  unvollständig,  um  diese  Bedeutung 
mit  Bestimmtheit  formuliren  zu  lassen. 

Statt  so  allgemeiner  Wirkung  der  Störung  ergab  sich  vielmehr, 
dass  die  ,,circumscripten  Defecte"  der  Eisubstanz  häufig 
,,circumscripte  Defecte"  oder  ,,circumscripte  Verbildungen" 
an  dem  im  Uebrigen  wohlgestalteten  Embr^^o  zur  Folge 
hatten;  zweitens  zeigte  sich,  dass  wesentlich  derselbe  Effect  ent- 
stand, einerlei  in  welchem  Stadium  derFu]*chung  die  Ver- 
letzung vo  rgenomm  en  war,  dass  also  die  Eingriffe  in  den  früheren 
Perioden  derEntwickelungnicht  allgemeinere,  auffallend  grössere  Bezirke 
des  Embryo  afficirende  und  in  stärkerem  Maasse  von  der  normalen  Bild- 
ung abweichende  Folgen  hervorbrachten,  als  die  gleichen  Eingriffe  in 
späteren  Stadien  der  Furch ung;  wiederum  zwei  für  die  Auffassung 
der  Entwickelungs Vorgänge  hochbedeutsame  Thatsachen. 

Die  bisherigen  Resultate  der  Anstechung  vor  der  Furchung 
und  nach  dem  Beginne  derselben  weichen  insofern  von  einander 
ab,  als  im  ersteren  Falle  keine  Defecte  in  der  schwarzen 
Oberflächen  sc  hiebt,  sondern  blos  das  Ausbleiben  der  Bildung- 
einzelner  Theile  aus  derselben  bei  ununterbrochener  Continuität  des 
äusseren  Ectodermstratums  zu  l^eobachten  war;  einige  Male  wurde 
dasselbe  auch  im  zweiten  Falle  beobachtet.  Grössere  Versuchsreihen 
an  vor  der  Theilune;  verletzten  Eiern  müssen  erst  feststelhm.  ob  dies 


Folgerungen  ans  den   Ansticlivorsucli(»n   am   Ei.  181 

ein  dieser  Periode  constaiit  zukoiiuiu'iuk's  Merkmal  ist.  oder  ob  iiiclil 
auch  circumscripte  Defecte  in  der  Contiiuiität  des  Ectoderm  vorkoiniiien 
können. 

Man  ^vird  vielleicht  geneigt  sein ,  aus  den  V'ersuehsergebuissen 
auch  schon  speciellere  Schlüsse,  besonders  über  die  eventuelle  Ver- 
schiedenheit und  über  die  Localisation  des  Keimmateriales 
[für  die  Theile  des  Embryo]  im  Eie,  sowie  über  ISelbstdiff  erenzi- 
rung  der  Eitheile  zu  ziehen;  doch  würden  diese  Folgerungen 
zur  Zeit  verfrüht  sein  und  müssten  gewärtigen,  durch  die  weiteren 
\''ersuche  mderlegt  zu  werden.  Ich  behalte  mir  daher  die  Entschei- 
dung nach  diesen  Richtungen  hin  vor,  bis  ich  einerseits  die  Ur- 
sache des  häufigen  Ausbleibens  jedes  [459]  Defectes  am  Em- 
bryo sicher  ermittelt  habe  [s.  »S.  186  den  Hinweis  auf  die  ausgetretene 
Kernsubstanz,  ferner  Nr.  22  S.  285  und  Nr.  24  8.  2],  und  bis  anderer- 
seits die  Methode  der  Localisation  so  verbessert  ist,  dass 
die  Resultate  der  Wiederholung  desselben  Eingritt'es  constant 
geworden  sind,  und  es  sich  danach  verlohnt,  die  künstlichen  Miss- 
bildungen genau  microscopisch  zu  untersuchen  und  so  alle  Alterationen 
der  Entwickelung  nicht  blos  die  äusserlich  sichtbaren  festzustellen  [s. 
Nr.  22  S.  287]. 

Die  so  gewonnene  Möglichkeit,  eine  bestimmte  »Stelle 
am  Eie  auf  eine  circumscripte  Stelle  am  Embryo  zu  be- 
ziehen, verspricht,  uns  manche  genauere  Auskunft  über 
die  Bildungs Vorgänge  selber  gewinnen  zu  lassen. 

Gegenwärtig  sei  blos  auf  die  Bedeutung  der  Erscheinung  hin- 
gewiesen, dass  nach  dem  Anstechen  des  Eies  in  der  ersten  Furchungs- 
ebene  am  oberen  schwarz-weissen  Saum,  bei  Rana  esculenta,  also  an 
der  Stelle  der  Anlage  des  künftigen  Urmundes,  der  Defect  am  Em- 
bryo immer  dicht  hinter  der  Mitte  des  primitiven  Medullarrohres  sich 
fand;  während  der  aboral  davon  liegende  Abschnitt  des  Rohres,  ebenso 
wie  der  orale  Theil  normal  waren.  [Siehe  die  folgende  Ableitung 
berichtigend  S.  185  Anm.]  Dies  weist  wohl  darauf  hin,  dass  der 
hintere  Theil  des  Medullarrohres  auf  der  weissen  Hemisphäre  ge- 
bildet wird,  und  dass  dies  durch  Vorwachsen  der  dorsalen  Urmunds- 


182  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

lippe  gegen  die  ventrale  hin  geschieht ,  wie  dies  schon  Pflüger  ^)  zu- 
folge seiner  Beobachtung  der  Wanderung  des  Urmundes  angenommen 
hat.  Denn  wenn  man  annehmen  wollte,  dass  nur  die  äussere  und 
die  dorsale  Umgebung  des  Urmundes  wüchse  und  dadurch  allein 
der  dorsale  ßand  des  Urmundes  passiv  nach  hinten  also  ventral  ver- 
schoben würde,  so  würde  auch  die  Defectstelle  mitverschoben  werden. 
Eine  solche  Verschiebung  findet  nach  0.  Hertwiü's  Angaben  über 
die  Verdünnung  des  Ectoblast  in  gewissem  Grade  statt;  darüber 
geben  meine  bisherigen  Versuche  keine  Auskunft,  da  keine  Vor- 
kehrungen getroffen  wurden,  um  dies  festzustellen.  Jedenfalls  aber 
ist  hinter  der  Anstichstelle  in  der  Gegend  der  ersten  Anlage  des  Ur- 
mundes viel  Ectoblast  neu  entstanden,  und  ich  will  dasselbe  ent- 
sprechend seiner  besonderen  genetisclien  Bedeutung  mit  einem  be- 
sonderen Namen  belegen  und  als  hinteres  Medullarfeld  bezeichnen. 
Da  mit  [460]  der  Anlage  des  Urmundes  hier  eine  Furche  entsteht, 
welche  selber  nach  hinten  rückt,  so  muss  das  hinter  der  Anstichstelle 
neu  gebildete  Gewebe  aus  Material  gebildet  werden ,  welches  vorher 
die  Wandung  dieser  Furche  dargestellt  hat.  Die  Furche  ist  die  Oeff- 
nung  der  Urdarmhöhle  und  ihre  Wandung  besteht  aus  einem  dem 
Saum  derselben  nächsten  Theile,  dem  Entoblast,  und  dem  dem  Saum 
abgewendeten  Theile,  dem  Dotterlager. 

(D  a  s  D  0 1 1  e  r  1  a  g  e  r  dem  Entoblast  sei  b  o  r  z  u  z  u  r  e  c  h  n  e  n , 
weil  es  mit  ihm  continuirlich  zusannnenhängt,  wie  O.  Hertwk;  thut-), 
scheint  mir  functionell  betrachtet,  nicht  ohne  Weiteres 
zulässig.  Sofern  bei  Substanzverlusten  blos  der  Oberflächen- 
schicht des  weissen  Poles  constant  sich  Defecte  in  der  Wandung 
der  Urdarmhöhle  ergeben  sollten,  so  würde  zu  folgern  sein,  dass  das 
an  der  unteren  Eioberfläche  gelegene  Material  das  Entoblast  liefert; 
gleichwohl  würde  ich  das  nach  innen  davon  gelegene  Dottermaterial 
nur  dann  zum  Entoblast  rechnen,    wenn    auch    iiach   Austritt    dieses 


1)  E.  Pflüger,  Ueber  den  Einfluss  der  .Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen 
und  auf  die  Entwickelung  des  Embryo.  Zweite  Abhandlung.  PFi.tJGER's  Archiv 
Bd.  32  S.  39. 

2)  0.  HERTWTf;,  die  Entwickelung  des  mittleren  Keimblattes  der  Wirbelthiere. 
1881.    S.  26. 


Folgerungen  aus  den  Anstichvcrsnchen  am  Ei.  183 


Materials  solche  Defeete  entstünden.  [Weiteres  sielie  im  Register  unlei-: 
Dotterzellen.]  Ich  erwähne  dies  hier  nur,  um  anzudeuten ,  wie  meine 
Methode  uns  vielleicht  zu  weiteren,  üher  die  Leistungsfähigkeit  der  de- 
scriptiven  Methode  hinausführendenUnterscheidungen  zu  führen  vermaü' 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  woher  das  Material  für  den  hinteren 
Theil  des  Medullarrohres,  für  das  hintere  Medullarfeld,  stammt,  oh 
von  der  weissen  Oherflächenschicht,  also  von  dem  Entoblast,  oder  von 
dem  ihm  anliegenden  Dottermaterial.  Nach  dem  gegenwärtigen  Stand- 
punkte der  Forschung  wird  man  natürhch  das  Letztere  anzunelnnen 
geneigt  sein,  und  man  wird  vermuthen,  dass  die  von  O.  Hehtwk; 
aufgezeigte  Vegetationszone  am  imieren  Saum  des  Urmundes  das 
Dottermaterial  verarbeitet  und  nach  aussen  neues  Ectoblast,  iiacli 
innen  neues  Entoblast  hefert,  welche  beiden  dann  gemeinsam  den 
Dotterpfropf  in  dorsiventraler  Richtung  und  zugleich  von  den  Seiten 
her  convergirend  allmählich  überdecken  und  so  den  Urmund  ver- 
kleinern. Zugleich  wird  es  fraglicli,  wie  weit  neigen  diesem  Modus 
der  Gastrulabildung  durch  Ueberwucherung  der  unteren 
Fläche  der  Blastula  [Epibolia]  von  dem  dorsalen  Seitenrande  des 
Eies  her  noch  eine  active  Einstülpung  des  Entoblast  statthndet;  nach 
[461]  den  Abbildungen  0.  Hertwig's  (1.  cit.  Taf.  II  Fig.  1-5)  zu 
urtheilen,  brauchte  sie  nur  minimal  zu  sein.  Eine  ,, Einstülpung" 
des  ,, Ectoblast"  zur  ,, Bildung"  der  Urdarmhöhle  dagegen 
kann  durch  die  von  mir  beobachtete  Tluitsache  wohl  als 
widerlegt  betrachtet  werden. 

Bezüglich  der  Entstehung  des  hinteren  Medullarfeldes 
ist  ausser  der  Bildung  von  der  Vegetationszone  am  Rande  der  dorsalen 
und  lateralen  Urmundslippe  aus,  auch  noch  die  Zusammen  Schieb- 
ung des  Ectoblast  von  den  beiden  Seiten  her  (s.  Nr.  23  S.  701) 
als  eine  Möglichkeit  zu  erwähnen;  doch  würde  dann  wohl  die  dorsale 
Lippe  einen  weniger  reinen  Bogen  darstellen,  sondern  am  Rande  einen 
medianen  Einschnitt  und  im  \"erlaufe  eine  Raphe  zeigen.  [Eine 
solche  ist  in  seltenen  Fällen  besonders  gegen  Ende  der  Laichperiode 
der  Frösche  manchmal  zu  sehen  und  bei  Tritonen  von  Ch.  vax  Bambeke 
beschrieben  worden.] 

Ueber  die  Bedeutung  der  Thatsache,  dass  nach  dem  Anstechen 


184  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


am  weissen  Pole  des  Eies  Defecte  in  dem  Ectoderm  des  Hinterleibes 
entstanden  sind,  hoffe  ich  gleichfalls  nach  Verbesserung  der  Methode 
in  Bezug  auf  genaue  Localisation  des  Extraovates  Aufklärung  ge- 
winnen zu  können,  desgleichen  über  die  Quellen  des  Materiales  des 
mittleren  Keimblattes. 

Der  Befund,  dass  die  dorsale  Stelle  des  schwarz-weissen  Saumes 
am  Eie  fast  der  Mitte  des  Medullarrohres  des  Embryo  entspricht, 
giebt  mir  ausserdem  Veranlassung,  meine  früher  ausgesprochene 
Ansicht  über  die  Bedeutung  der  zweiten  Furche  (s.  Nr.  16)  genauer 
zu  präcisiren  und  damit  zugleich  quantitativ  zu  modificiren.  Nach 
dem  Nachweise,  dass  die  erste  Furche  die  künftige  Medianebene  des 
Embryo  bestimmt,  beobachtete  ich  weiterhin  bei  Rana  esculenta,  dass 
die  zweite  Furche  derart  excentrisch  sich  bildet,  dass  sie  dem  oben 
an  einer  Seite  der  braunen  oberen  Hemisphäre  sichtbar  werdenden 
weissen  Saum  genähert  ist.  An  dieser  bei  Rana  esculenta  somit 
doppelt  bestimmten  Seite  entstand  stets  der  Urmund;  von  da  aus 
entwickelte  sich  nach  aufwärts  der  Kopftheil,  so  dass  also  zur  Zeit 
der  zweiten  Furche  schon  über  die  Richtung  kopf-schwanzwärts  ent- 
schieden ist.  Da  wir  nun  aber  gesehen  haben,  dass  die  Anlagestelle 
des  Urmundes  an  der  Seite  des  Eies  fast  der  Mitte  des  primitiven 
Medullarrohres  entspricht,  während  letzteres  sich  auf  der  weissen 
Hemisphäre  noch  weiter  nach  abwärts  entwickelt,  so  erhellt,  dass 
[462]  es  richtiger  ist,  zu  sagen :  mit  der  zweiten  Furche  ist  schon 
über  die  Lage  der  ,,dorsi-ventralen  Richtung"  am  Froscheie  erkenn- 
l)ar  entschieden;  während  die  Richtung  ,, kopf-schwanzwärts"  schon 
am  unbefruchteten  Froscheie  durch  die  Richtung  von  oben  nach 
unten  annähernd  gegeben  ist.  Als  ich  im  vorigen  Jahre  diese  Ver- 
liältnisse  untersuchte,  galt  die  Eiaxe  als  die  dorsiventrale  Axe 
des  Embryo;  und  da  sich  auch  später  der  Embr3^o,  wenn  er  nicht 
in  Zwangslage  erhalten  wird,  dementsprechend  situirt  zeigt,  so  war 
zunächst  keine  Veranlassung,  an  der  Richti'gkeit  dieser  überkommenen 
Auffassung  zu  zweifeln.  Demnach  fehlte  nach  der  Bestimmung  der 
Medianebene  durch  die  erste  Theilung  blos  noch  die  Entscheidung 
über  kopf-scluvanzwärts  innerhalb  dieser  Ebene.  Nachdem  wir  nun 
aber   gesehen     haben ,      dass    die     Eiaxe    mehr     der   Längsaxe     des 


Folgerungen  aus  don  Anstich versuchon  am  Ki.  iRö 


Embryo  entspricht,  muss  luinniehr  der  Embryo  im  N^erhältiiiss  zum 
Eie  gegen  die  frühere  Auffassung  um  einen  rechten  Winkel  gedreht 
werden;  und  die  noch  nicht  bestimmte  Richtung  wird  so  die dorsiventralc. 
Ob  die  Bestimmung  dieser  Haupt richtung  wirkhch  erst  mit 
der  zweiten  Furche  geschieht,  ob  sie  sogar  gerade  durch  die  zweite 
Theilung  geschieht  und  unabändei-Hcl]  durch  (heselbe  lixirt  ist, 
oder  ob  pa  t  hologisclie  Eingriffe  noch  naeliträglich  eine 
Aenderung  ihrer  Lage  im  Verhältniss  zum  ganzen  Eie 
hervorzubringen  vermögen,  wird  in  dem  dritten  Beitrage  erörteit 
[s.  Nr.  20,  31  u.  33].  Ich  will  nicht  unterlassen,  besonders  hervorzuheben, 
dass  mit  dieser  gegenwärtigen  Bestimnumg  der  annähernd  senkrechten 
►Stellung  der  Längsaxe  des  Embryo  im  Eie  nicht  ausgedrückt  ist,  dass 
die  zweite  Furche  etwa  der  mittleren  Frontalebene  des  späteren  Embryo 
entspräche  und  dementsprechend  das  Keimmaterial  derart  sondere, 
daös  die  beiden  dorsalen  Zellen  wirklich  allein  das  Material  für  das 
ganze  Medullarrohr  liefern.  Besondere  Untersuchungen  haben  darüber 
erst  zu  entscheiden  und  festzustellen,  ob  nicht  der  vorderste  Theil 
des  Medullarrohres  noch  im  Bereich  der  oberen,  der  hinterste  Theil 
desselben  noch  im  Bereich  der  unteren  Kuppe  der  beiden  ventralen 
Zellen  entsteht.  Die  dritte  Furche  des  Froscheies  scheidet  denmach 
das  Material  für  den  kopfwärts  gelegenen  Theil  von  dem  für  den 
hinteren  Theil  des  Embryo.  ^) 

[1)  Diese  Abweichung  in  der  Stellung  des  Embryo  zum  Ei  blos  um  90"  von 
der  überlieferten  Annahme  hat  sich  bei  meinen  späteren  Untersuchungen  (Nr.  23)  noch 
als  zu  gering  erwiesen ;  es  wurde  nöthig ,  noch  lun  weitere  80—  90"  von  der  früheren 
Auffassung  abzuweichen,  wodurch  der  Embryo  wieder  wagrecht  im  Eie  zu  liegen 
kommt,  aber  mit  der  Medullarfläche  nach  unten  gewendet  ist  (s.  Nr.  16,  S.  20).  Die 
Lage  des  Defectes  in  der  Mitte  des  Medullarrohres  bei  Anstich  in  der  (legend  der 
Urmundanlage  erwies  sich  später  (Nr.  22)  blos  als  letztes  Postgenerations- 
stadium nach  vorher  vorhandener,  fast  vollkommener  Asyntaxic  der  Medullarwülste 
(Nr.  23,  S.  701).]  ^ 

Und  auch  durch  Anstich  fa.st  an  jeder  anderen  Stelle  der  Morula 
und  ßlastula  kann,  wie  ich  später  beobachtet  habe,  bei  ausgedehnter  Verwundung, 
resp.  durch  zu  starken  Druck  auf  das  Ei  und  entsprechend  grosses  Extraovat  die 
Gastrulation  gestört,  die  rechtzeitige  Ueberwachsung  der  weissen  Unterseite  des 
Eies  gehemmt  werden.  Indem  gleichwohl  nach  vollkommen  aseptischer  Operation 
die  Differenzirung  fortschreitet  und  die  Medullarwülste  gebildet  werden  (soweit  ihr 
Anlagematerial  nicht  direct  zerstört  ist),  resultirt  in  allen  diesen  scheinbar  so  ver- 
schiedenen Fällen  dieselbe  Missbildung  der  mehr  oder  weniger  grossen  Asy  n- 


186  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


[■463]  Für  die  Function  der  ersten  Furche,  das  Material 
der  beiden  A  n  t  i  m  e  r  e  n  z  u  scheiden,  glaube  ich  in  dem  erwähnten 
Hemicormus  [Hemiembryo]  lateralis,  welcher  beim  Anstechen 
nach  der  vierten  Furche  entstand,  einen  schönen  Beweis  zu  finden ;  da 
der  vorhandene  Defect  genau  der  Grenze  der  ausgebildeten  Antimere 
folgte.  Die  Erklärung  ergiebt  sich  daraus,  dass  zur  Zeit  der  vierten 
Furche  die  zuerst  entstandene  Furche  jedenfalls  am  vollkommensten 
ausgebildet  ist,  so  dass  nach  dem  Anstechen  der  einen  Eihälfte  beim 
Austreten  von  Eisubstanz  keine  schon  dilferenzirte  Bildungssubstanz 
aus  der  anderen  Hälfte  mehr  nachfiiessen  konnte,  während  aus  der 
verletzten  Zelle  fast  das  ganze  der  Furche  benachbarte  Material  austrat. 

Ich  werde  es  mir  angelegen  sein  lassen,  den  Antheil  aus- 
getretener ,,Ivernsubstanz"  an  der  Entstehung  der  Defecte 
festz  ust  eilen.  ^) 

Um  gleich  einen  U eberblick  über  die  ungefähren  Folgen 
der  Verletzung  des  Eies  auch  in  späteren  Phasen  der 
Entwickelung  zu  gewinnen,  habe  ich  noch  einige  ähnliche  Versuche 
an  iüteren  Embryonen  gemacht. 

ll.  Operationen  au  der  (iuistrula. 

Fünf  Gastrulae  von  Raiia  fusca  mit  noch  offenem  Urmund 
\vurden  a n  d e m  sc h  w a r z e n  T li  e i  1  o  a  n g e s t o c h e n  :  Zwei  Eier, 
bei  denen  nur  sehr  wenig  schwarz  und  weiss  gefärbte  Masse  ausge- 
treten war,  bilden  die  Rückenwülste;  das  eine  normal,  das  andere 
aber  mit  einem  circ  um  Scripten  Defect  in  der  schwarzen  Schicht 
des  Kopftheiles;  beide  aberstellten  danach  die  Entwickelung  ein. 
Die  drei  anderen  Eier  hatten  viel  weisse  Masse,  bestehend  aus  Zellen, 
wohl  vorwiegend  des  Dotterlagers,  austreten  lassen  und  entwickelten 
sich  nicht  weiter.  Dasselbe  war  bei  den  am  Dottertheil  selber  an- 
gestochenen Eiern  der  Fall. 

taxia  medullaris.  Nachträglich  wird  diese  Störiiug  ausgeglichen;  und  da  diese 
verspätete  Näherung  und  Verschmelzung  von  der  cephalen  und  oft  auch  von  der 
caudalen  Seite  her  rascher  erfolgt  als  in  der  Mitte,  so  findet  man  kurz  vor  ihrer 
Beendigung  oft  ein  Loch  annähernd  in  der  „Mitte"  der  Medulla. 

[1)  Dies  war  das  wesentlichste  Moment:  dasselbe  konnte  aber  beim  Froschei 
wegen  der  Undurchsichtigkeit  desselben  nicht  durch  directe  Beobachtung,  sondern 
blos  durch  complicirte  Schlüsse  beurtheilt  werden  (s.  Nr.  24).] 


Operationen  an  der  (uTstrnla.  187 

Da  ohne  Wn-lctzung  des  Dotterlagers  beim  Anstcclien  der  Gastriila 
der  Substanzaustritt  sehr  gering  und  die  bisher  gemachte  Wunde  stets 
sehr  klein  war  ,  so  wurden  nun  g  r  ö  s  s  e  r  e  S  c  h  n  i  1 1  w  u  n  d  e  n  mit 
einer  Lanzette  gemacht,  zuerst  blos  um  die  Widerstandsfähig- 
keit zu  prüfen ;  dann,  als  sich  dieselbe  genügend  gross  erwiesen  hatte, 
um  die  Wirkung  der  C  ontinui  tätstre  nn  ung,  sowie  der  bei 
der  Operation  oft  e.ntstehenden  groben  passiven  Deformation 
auf  die  weitere  Entwickelung  kennen  zu  lernen. 

[4:6J:]  Fünf  Gastrulae  von  Rana  fusca,  von  welchen  jede  au  einer 
anderen  Stelle  in  geringer  Ausdehnung  gespalten  worden  war, 
haben  alle  die  Rückenfurche  gebildet;  zwei  davon  haben  sich  nor- 
mal weiter  entwickelt  und  sind  erst  nach  Anlage  der  Kiemenhöcker 
aufgehoben  worden.  Die  drei  anderen  gingen  ohne  weitere  Entwicke- 
lung zu  Grunde.  Von  einigen  in  der  Entwickelung  schon  vor  dem 
Eingriff  um  einen  Tag  zurückgebliebenen  Gastrulae,  welche  in  gleicher 
Weise  operirt  waren,  hat  nur  eine  die  Rückenfurche  angelegt,  ist 
aber  danach  gleich  den  anderen  abgestorben. 

Von  den  passiven  Deformationen,  glaubte  ich  früher  viel- 
leicht einen  besonderen  Einfluss  zu  gewärtigen  zu  haben.  Denn  ich 
hatte  mir  vorgestellt,  dass  das  Ei,  da  es  eine  bestimmte  Form  her- 
vorbringt, auch  umgekehrt  vielleicht  dieser  bestimmten  Form  für 
seine  blosse  Erhaltung  wie  für  seine  Wciterentwickelung  benöthige;  ich 
dachte,  dass  der  Embryo  vielleicht  in  den  frühesten  Phasen 
ein  aus  der  Lagerung  aller  Theile  zu  einander  resultiren- 
des,  auf  geheimnissvolle  Weise  vermitteltes,  „formales  Ge- 
b-ammtlehen''  führe,  dessen  Alteration  an  einer  Stelle,  wenn  nicht 
gleich  das  Leben  ganz  aufhebe,  so  doch  gleich  die  Bildung  an  allen  oder 
fast  allen  Stellen,  nicht  blos  innerhalb  der  unmittelbaren  Nachbarschaft, 
in  ganz  abweichende  Bahnen  zu  lenken  vermöge.  Es  war  also  die  Vor- 
stehung, dass  die  embryonale  Form  der  frühesten  Stadien  nicht 
blos  eine  gewordene  sei,  nicht  blos  eine  Summe,  ein  geformtes 
Nebeneinandei  von  im  Wesentlichen  selbstständigen,  d.  li.  selbsterhal- 
tungs-  und  selbstdifferenzirungsfähigen  Theilen  darstelle,  welche  Summe 
zufolge  der  den  Theilen  innewohnenden  Eigenschaften  und  zufolge  der 
auf  dem  früheren  Stadium  erlangten  Form  einfach   mechanisch   sich 


188  N)-.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


weiter  forme ;  son dem,  dass  die  Lebensfähigkeit  d  e  s  E  m b  r  y o  aus 
der  Gesammtanordnung  aller  Theile  resultire,  und  dass  daher 
der  Form  an  sich  eine  wesentliche  functionelle  Bedeutung 
auch  für  die  blos  momentane  Erhaltung  des  von  dem  späteren  Leben 
wesenthch  verschiedenen  Embryonallebens  zukomme;  und  dass  dies 
bereits  in  einer  Periode  der  Fall  sei,  wo  die  Theile  noch  nicht  zu  ein- 
zelnen Organen,  welche  bestimmte,  den  späteren  Functionen  vergleich- 
bare Leistungen  für  das  Ganze  zu  vollziehen  haben,  differenzirt  sind 
[siehe  S.   192  u.  Nr.  22  S.  132,  Nr.  28  S.  663  u.  Nr.  29  S.  609]. 

Ich  bin  überzeugt,  dass  manchem  meiner  Leser  diese  Vorstel- 
lung [465]  ebenso  mystisch  wie  von  vornherein  unwahrscheinlich  er- 
scheinen wird.  Indess,  wenn  man  vor  einem  geschlossenen  Gomplex 
unbekannter  Probleme  steht,  ist  es  schwer  zu  sagen,  was  wahrschein- 
lich, was  unwahrscheinlich  ist.  Es  ist  nicht  ohne  Prüfung  von 
vornherein  zurückzuweisen,  dass  in  der  (Jomplication  der  Ver- 
hältnisse während  der  embryonalen  Entwickelung,  wo  wir  Leistungen 
vor  sich  gehen  sehen,  die  sonst  in  ähnlicher  Weise  in  der  Natur  nicht 
vorkommen  und  von  uns  leider  auch  nicht  künstlich  nachgemacht 
werden  können,  dass  da  auch  besondere  Arten  von  Energien 
entstehen,  für  welche  ausserhalb  dieser  Processe  und  auch  selbst 
in  dem  späteren  ,,f  unctionellen  Leben"  des  Individuums,  ausser 
Ijei  der  Regeneration,  keine  Gelegenheit  mehr  gegeben  ist;  Energien, 
welche  ebenso  sehr  in  ihren  Wirkungen  von  den  uns  zur  Zeit  be- 
kannten Arten  der  Energie  verschieden  sind,  wie  es  die  Electricität 
von  den  übrigen  Energien  ist;  und  die  Electricität  ist  lange  genug 
unbekannt  geblieben,  obgleich  ihre  Erzeugungsbedingungen  relativ 
einfache  sind. 

Wer  nicht  blind  das,  was  als  höchstes  Resultat  unserer  Unter- 
suchungen erst  gewonnen  werden  muss,  in  Form  der  allerdhigs  sehr 
gebräuchlichen  petitio  principii  als  selbstverständlich  und 
keines  Beweises  bedürftig  von  vornherein  annimmt,  der  wird  sich  beiden 
causalen  Untersuchungen  der  embryonalen  E  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  immer 
unsere  ^Eventualität  vor  Augen  zu  halten  und  sich  zu  fragen  haben, 
ob  die  von  ihm  beobachteten  Vorgänge  sich  unter  die  Leist- 
ungen bekannter  Kraftformen  subsummiren  lassen,  oder 


Operationen  an  der  Uastnila.  189 


ob  sie  zur  Annnlinio  besonderer  ..  ]Vi  r /.a  ih/s /re  ise)r\  wie 
differenzireiidor  Fernwirkungen  u.  dero-l.,  uiul  dniiiit  /,iir 
Annahme  besonderer  Eneri^ien  nOthioen. 

Da  es  uns  überhaupt  nicht  um  Wahrseheinhchkeit,  sondrni  um 
dereinstige  Gewissheit  zu  thun  ist,  ist  es  gut,  das  (Je  biet  der 
Möglichkeiten  möglichst  in  Gedanken  zu  c  rsch  ()p  fen  , 
um  so  die  Augen  i'ür  alle  eventuellen  Vorkommnisse  zu 
öffnen.  Denn  bekanntlich  ist  es  mit  dem  Sehen  wie  mit  dem  Hören: 
Es  nimmt  auch  mit  den  Augen  jeder  blos  das  wahr,  was  er  versteht 
und  wie  er  es  versteht. 

Wir  werden  aber  erkennen,  dass  wir  weder  auf  Grund  der  Lehre 
von  den  Missbildungen ,  noch  auf  Grund  der  von  uns  angestellten 
Experimente  obige  Vorstellung  schon  jetzt  als  durchaus  irrthümlich 
zurückweisen  können;  wenngleich  ich  hoffe,  dass  [466]  es  durch  die 
weiteren  Untersuchungen  mehr  und  mehr  geschehen  wird.  In  der 
„Einschränkung"  dieser  Möglichkeit  [des  Bestehens  eines 
,, formalen"  Lebens  des  Embryo  und  des  Antheiles  entsprechender, 
besonderer,  im  anorganischen  Geschehen  nicht  vorkommender  Ener- 
gien an  der  individuellen  Entwickelung]  liegt  für  mich  der  eigent- 
liche Werth  der  in  diesem  Beitrage  bisher  mitgetheilten 
und  noch  mitzutheilenden  Versuche.  Denn  damit  wird  unserer 
Erforschung  des  Lebens  ein  immer  weiteres  Feld  eröffnet;  und  blos 
aus  diesem  Grunde  schienen  sie  mir  schon  jetzt  der  Veröffentlichung 
werth,  obgleich  sie  an  sicheren  speci eilen  Ergebnissen,  welchen  sich 
wohl  vorzugsweise  das  Interesse  der  Mehrzahl  der  gegenwärtigen  Leser 
zuwenden  wird,  nur  erst  wenig  bieten. 

Schon  bei  den  blosen  Anstechversuchen  während  der  Furchung 
war  die  Prüfung  dieser  Eventualität  mit  ins  Auge  gefasst;  denn  das 
Eindringen  mit  der  Nadel  und  der  Austritt  von  Substanz  musste  die 
Anordnung  der  zurückbleibenden  Theile  erheblich  stören. 
Nachdem  durch  diese  Versuche  erkannt  war,  dass  in  dem  Stadium 
der  „Furchung"  eine  solche  Störung  der  Ordnung  keine  Al- 
teration der  allgemeinen  Entwickelung  hervorzubringen 
vermag  [besser  gefasst:  dass  die  hervorgebrachten  Störungen  der 
Anordnung-  der  Theile  des  Eies  die  Entwickelung  desselben  nicht  uoth- 


190  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc 

wendig  auflioben  und  auch  nicht  in  ganz  neue  Bahnen  zu  lenken  ver- 
mochten], sollte  dasselbe  nun  auch  geprüft  werden,  nachdem  zum 
ersten  Male  eine  specifischeMacrostructur  ausgebildet  war  und 
damit  die  besonderen  gestaltenden  Kräfte  des  Eies  ihre  formen- 
schaffende Thätigkeit  in  erkennbarer  Weise  begonnen  hatten. 
Da  Versuche  mit  l)losser  Dpformafion  des  noch  innerhalb  der 
Gallerthülle  befindlichen  Embryo  nicht  recht  gelangen,  so  musste  die 
Deformation  durch  ausgedehnte  Spaltung  hervorgebracht 
werden,  wobei  aber  die  Wirkung  der  Trennung  und  der  mit  ihr 
eventuell  verbundenen  Entspannung  die  Deutung  der  Resultate  er- 
schweren konnten  (siehe  auch  S.  204). 

Ich  brachte  daher  17  Gastrulae  (Nr.  160)  von  Rana  osculenta 
je  einen  grossen,  mehr  als  einen  halben  Eiumfang  betragen- 
den Schnitt  bei,  wobei  passive  Deformationen  entstanden,  die  in 
vielen  Fällen  nicht  sogleich  durch  die  Elasticität  der  übrig  bleiben- 
den Substanzbrücke  wieder  ausgeglichen  wurden.  In  drei  Fällen  wurde 
die  Gegend  der  künftigen  Rückenfurclie  quer  durchschnitten, 
einmal  mehr  oral,  dann  in  der  Mitte,  beim  letzten  mehr  aboral;  alle 
drei  Eier  bildeten  die  Medullarfurche  und  die  dieselbe  begrenzen- 
den Rückenwülste  mit  fast  vollkommen  normaler  Gestalt;  und 
die  Rückenwülste  waren  bis  dicht  an  die  Wundrändor  her- 
an entwickelt.  Sogar  das  beim  [467]  letzten  Eie  fast  ganz  abge- 
trennt gewesene  niedrige  Stück  des  hintersten  Körperendes  hat 
seine  Rückenwülste  gebildet  und  dieselben  schon  bis  ziu'  Be- 
rührung genähert;  es  ist  durch  eine  dicke  Lage  weisser  Zellen  mit 
dem  vorderen  Stücke  vereinigt  resp.  noch  von  ihm  getrennt,  während 
bei  den  beiden  anderen  Embryonen  die  Coaptation  eine  noch  voll- 
kommenere ist.  Dreimal  stand  der  Schnitt  schräg  zur  Medullar- 
furche; gleichwohl  sind  wiederum  die  Rücke nwülste  bis  zur 
Wunde  ausgebildet,  aber  die  Medullarfurche  etwas  verzogen,  bei 
einem  Embryo  durch  radiäre  strahlige  Narbencontraction  in  höherem 
Maasse. 

Ein  Embryo  hat  eine  normale  Medullarfurche  gebildet,  ob- 
gleich ihm  von  hinten  her  in  frontaler  Richtung  der  halbe  Leib 
durchspalten    ist;    sogar    schon    die    Haftnapfanlage    ist    vorn 


Operationen  aii  der  Gastrula.  191 


erkennbar.  Ein  anderer  Embryo  Imt  l)los  den  linken  l{ücken- 
wulst  und  vorn  und  binten  einen  sebr  kleinen  Tbeil  des  recbten; 
die  Gegend  des  übrigen  Tbeiles  rechterseits  ist  durcli  einen  grossen, 
weit  klaffenden  scb ragen  Spalt  eingenommen,  welcber  aucb  nocli  ein 
wenig  in  die  mediale  Seite  des  linken  Rückenwnlstes  sieb  fortsetzt, 
der  trotzdem  aber  an  der  betreffenden  Stelle  sieb  aussen  mit  fast 
normaler  Eorm  vom  Leib(^  abbebt. 

Ein  anderer  Embryo  mit  vollkommener  llückenfurcbc  ist  quer 
am  ganzen  Leib  gespalten  l)is  beiderseits  zu  den  wolilgebildeten 
Rückenwülsten;  die  Wunde  ist  auf  der  einen  Seite  des  Leibes  nocb 
offen;  auf  der  andern  Seite  ist  das  Pigment  dicbt  auf  einer  ver- 
scbrumpften  Stelle  um  die  fast  gescblossene  Wunde  angesammelt ; 
der  ganze  Embryo  ist  kugelig  statt  länglich. 

Fünf  Gastrulae  haben  sich  um  die  grosse  nocb  weit  geöffnete 
und  durch  weisse  Zellen  ausgefüllte  Wunde  zusammen  gewölbt,  ohne 
Anlage  von  Medullär  furchen  erkennen  zu  lassen;  einmal  unter 
strahliger  Narbenbildung.  Ein  Ei  bat  etwas  wie  eine  verzerrte  Me- 
dullarfurche  gebildet,  ein  anderes  war  zweimal  quer  zur  künftigen 
Rückenfurche  fast  rings  herum  durchschnitten  und  lässt  gleichwohl 
einen  schwachen  aber  nicht  recht  gelungenen  Versuch  zur  Bildung 
von  Rückenwülsten  erkennen. 

Diese  Eier  zeigten  am  Tage  nach  der  Operation  in  der  Um- 
gebung der  Wunde  bereits  Anfänge  von  Framboisia  minor,  wes- 
halb sie  alle  [468]  conservirt  wurden ;  erst  nach  Entfernung  der  Gallert- 
hülle wurde  erkannt,  dass  zwei  der  ersterwähnten  Embryonen  mit 
normaler  Rückenfurche,  noch  vollkommen  glatte  Oberfläche  besassen. 
Aber  warum  waren  die  anderen  abgestorben,  da  doch  eine  Infection 
nicht  erfolgt  war? 

Das  letzte  Ei  endlich  zeigt  allein  eine  Bildung,  welche  vielleicht  auf 
Lenkung  fast  der  Gesammtheit  der  bildenden  Kräfte  in  andere  Bahnen 
gedeutet  werden  könnte.  Der  Urmund  ist  noch  weit  offen  und  nor- 
mal  gerundet;  aber  der  übrige  Theil  der  Gastrula  zeigt  eine  reiche 
Anzahl  verschieden  gerichteter  und  durch  tiefe  Einziehungen  ge- 
schiedener Wulstbildungen,  von  denen  mehrere  paarweise  einander 
parallel  sind,  sodass  sich  nicht  ein  Paar  bestimmt  als  Rückenwülste 


192  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


erkennen  lässt.  Die  Verwundungsstelle  ist  nicht  mit  Sicherheit  auf- 
findbar; das  Ei  ist  im  Ganzen  klein  und  es  liegt  die  Vermuthung 
nahe,  dass  sehr  viel  Dottermaterial  ausgetreten  ist  und  in  Folge  dieser 
Verkleinerung  des  Inhaltes  die  Oberfläche  sich  gefaltet  hat.  Doch 
ist  das  ganze  Gebilde  zugleich  so  in  der  Riclitung  vom  Urmund  aus 
verlängert  und  gebogen,  und  die  Wülste  sind  so  flick  und  prominent, 
dass  ich  sie  nach  dem,  was  ich  sonst  an  zugleich  mit  grossen  Ver- 
letzungen von  Gastrulae  entstehenden  passiven  Faltenbildungen  ge- 
sehen habe,  nicht  rein  als  solche  aufzufassen  wage.  Ich  glaube 
vielmehr,  dass  dieser  mechanischen  Tendenz  zur  Wulstbil- 
dung noch  durch  vitale  Vorgänge  Vorschub  geleistet  worden 
ist.  Nachstehend  (Nr.  18,  S.  521)  werden  Beobachtungen  mitgetheilt 
werden,  welche  die  Art  dieser  Unterstützung  mechanischer  Bildungs- 
tendenzen genauer  charakterisiren.  Nicht  aber  glaube  ich,  dass 
dieses  eine,  allen  anderen  isolirt  gegenüberstehende  Vorkommniss  uns 
zwingt,  dasselbe  im  Sinne  der  oben  ausgesprochenen  Eventualität 
aufzufassen  und  anzunehmen,  dass  durch  die  locale  Störung  der  Gastrula 
ein  formales  Gesammtleb'en  derselben  in  neue,  aber  in  sich  selbst- 
ständige, nicht  von  blos  mechanischen  Umformungstendenzen  ab- 
gängige Bahnen  gelenkt  worden  sei. 

Vielmehr  glaube  ich,  dass  das  Verhalten  der  16  anderen  Em- 
bryonen ,  insbesondere  der  ersten  8  Embryonen ,  eher  für  eine  ent- 
gegengesetzte Auffassung  [für  S  o  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g  d  e  r  M  e  d  u  1- 
larwülste  und  von  Stücken  derselben  aus  den  entsprechen- 
den Thei'len  der  Gastrula]  spricht  und  sich  damit  an  die  Folger- 
ungen anschliesst,  welche  man  aus  einigen  bekannten  Missbildungen  zu 
[•469]  ziehen  sich  geneigt  fühlt,  besonders  aus  dem  Schistosoma  re- 
flexum,  in  welchem  trotz  der  Umstülpung  der  ganzen  Leibeswandungen 
nach  hinten,  alle  Theile  angelegt  sind  und  in  ihrer  Formabweich- 
ung sich  einfach  aus  der,  selber  auf  eine  einheitliche  Ur- 
sache zurückführbaren,  Gesammtdef  orm  ation  ableiten 
lassen  [s.  Nr.  29  S.  609,  Nr.  28  S.  663].  Danach  würde  die  normale 
Entwickelung  der  Gastrula  weniger  an  ein  System  be- 
stimmter Richtungen  in  der  Lagerung  ,, entfernter"  Theile 
zu  einander,    sondern    an    die   Continuität    und    Lagerung; 


J 


Operationen  an  der  Gastrulti.  Id-l 

nächst  „benachbarter''  Theile  gebunden  sein.  Die  weiteren 
Versuche  werden  sogar  darauf  hindeuten,  dass  auch  nach  Aufhebung 
dieser  letzteren  Bedingungen  noch  eine  gewisse  Weiterentwickelung 
möglich  ist.  dass  also  ein  gewisses  „Selbstdifferenzirungsver- 
mögen"  der  Theile  der  Gastrula  eine  Strecke  weit  besteht.  Aber 
wir  werden  auch  noch  manchem  Embryo  begegnen,  dessen  abnorme 
Gestalt  gegenwärtig  nicht  mit  Sicherheit  blos  auf  die  mechanisch 
vermittelten  Folgen  der  Verletzung  zurückführbar  ist. 

Bei  mehreren  Gastrulae  von  Rana  fusca  wurde  neben  dem  noch 
offenen  Urmund,  concentrisch  mit  demselben  die  Gegend  der 
künftigen  Medullarwülste  quer  durchschnitten,  um  die  eventuelle 
Alteration  in  der  Bildung  dieser  und  in  der  Ausbildung  der  Chorda 
und  des  mittleren  Keimblattes  zu  studiren.  Aber  die  Entwicklung 
wurde  an  den  wenigen  bis  jetzt  in  dieser  Weise  o})erirten  Eiern  zu 
früh  gehemmt,  um  nach  diesen  Richtungen  hin  Beobachtungen  zu 
gestatten.  Eine  Gastrula  aber  scheint  den  Urmund  noch  etwas  ver- 
engt zu  haben;  die  andere  bildete  einen  schneppen förmigen 
Ansatz  als  Anlage  der  Medullarwülste.  ^  Tags  darauf  [470! 
befanden  sich  alle  Eier  im  Zustande  der  Framboisia  minor;  und 
der  Urmund  war  durch  Anfüllung  seiner  Grenzfurche  mit  schwarzen 
Zellen  ausgeglichen. 

Um  zu  erkennen,  ob  fast  ganz  von  ihrer  normalen  Umgebung 
losgelöste  Theile  sich  noch  weiter  differenziren  können,  wurden 
an  sieben  (^astrulae  mit  geschlossenem  Urmund  grosse  Zungen- 
lappen von  etwa  einem  Drittel  einer  halben  Eioberfläche  ausge- 
schnitten. Vier  der  Eier  entwickelten  sich  weiter,  und  bildeten 
die  Rückenwülste.  Ein  Embryo  zeigte  anderen  Tages  nur  noch 
in  der  Mitte  der  Medullarfurche  ein  tiefes,  in  seinem  Grunde  durch 

')  Es  waren  Ranae.  fuscae  aus  Königsberg,  welche  ich  der  Liebenswürdigkeit 
des  Herrn  Prof.  LaxVGEndop.ff  verdanke.  Diese  begannen  alle  die  Anlage  des  Medullar- 
rohres  gleich  denen  des  Ganton  Wallis  (s.  Nr.  16,  S.  20  und  Nr.  22.  S.  128)  nach  dem 
von  den  Fischen  her  überkommenen  phylogenetisch  älteren  Typus  am  Urmund  selber ; 
während  die  Ranae  luscae  der  hiesigen  Gegend  [Breslau],  wie  nach  0.  Hertwig  auch 
die  der  Umgebung  von  Jena,  zuerst  den  queren  Gehirnwulst  mit  den  vorderen  Enden 
der  Medullarwülste  an  ungefähr  der  bleibenden  Stelle  desselben  bilden. 
W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlunijen,    II.  18 


194  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


weisse  Substanz  verschlossenes  Loch,  welches  enger  wurde,  während 
sich  der  vordere  Theil  des  MeduUarrohres  schloss.  Ein  anderer  Em- 
bryo zeigte  anderen  Tages  nur  noch  einen  schmalen  noch  klaffenden 
Spalt  in  der  M  e  d  u  1 1  a r f  u r  c h e  ,  un d  das  Medul larrohr  schloss 
sich  weiterhin  vollkommen  und  nichts  Abnormes  war  bemerkbar. 
Von  einem  dritten  Embryo  ist  nur  notirt,  dass  er  ein  Anhängsel 
im  Gesichtsth  eil  gehabt  hat.  Die  Bildung  der  Rücken- 
furche war  also  über  Nacht  auch  im  Bereiche  der  Zungen- 
lappen vor  sich  gegangen;  aber  die  zu  rasche  Wiedervereinigung 
mit  der  Nachbarschaft  lässt  bezüglich  der  Selbstdifferenzirung  noch 
keinen  sicheren  Schluss  zu. 

Ausserdem  wurde  an  drei  (jastrulae  von  Rana  esculenta  noch 
die  nach  meiner  Regel  über  die  Bedeutung  der  ersten  Furche  im 
Voraus  bestimmte  Stelle  der  künftigen  Medullarfurche  der 
Länge  nach  gespalten,  um  den  Effect  dieses  Eingriffes  kennen 
zu  lernen ,  insbesondere  um  die  Behauptungen  Ahlfeld's  und 
L.  Gerlagh's  zu  prüfen,  dass  die  Doppelbildungen  erst  zur  Zeit  der 
Anlage  der  Rückenfurche  durch  eine  die  w-eitere  Bildung  trennend© 
Ursache  entstehen  könnten. 

Die  erste  so  behandelte  Gastrula  (Nr.  127),  an  welcher  blos  der 
mittlere  Theil  der  Länge  der  künftigen  Medullarfurche  aufgeschlitzt 
war,  wurde  schon  12  Stunden  nach  der  Operation  aus  der  Gallert- 
hülle genommen,  weil  sie  hinter  den  anderen  zurückgeblieben  zu 
sein  schien.  Sie  zeigte  sich  gleichwohl  bei  der  unverhüllten  Ansicht 
erheblich  weiter  -entwickelt.  Der  vordere  Theil  des  linken  Medullar- 
wulstes  und  der  quere  Gehirnwulst  sind  angelegt  aber  etwas  deform ; 
[471]  weiter  aboral  findet  sich  statt  der  Medullarfurche  ein  dunkel- 
brauner Ring  um  eine  helle  Stelle,  innerhalb  deren  ein  schmaler 
Schlitz  in  der  hellbraunen  Oberflächenschicht  sichtbar  ist.  Der  Em- 
bryo ist  ventral  stark  aufgebläht,  der  Urmund  geschlossen. 

(Nr.  126.)  Die  gleiche  Operation.  Embryo  andern  Tages  etwas 
weiter  entwickelt,  deformirt,  schwer  zu  deuten.  Ein  grosser 
rhombischer  Schlitz,  durch  welchen  weisse  Masse  zu  Tage  tritt, 
nimmt  fast  die  halbe  Oberfläche  ein;    neben  ihm  auf  einer  Seite  ein 


Operationen  an  der  Gastrula.  195 

(iunkelbraiincr  Willst.  Das  Pigment  ist  .dout  1  ich  i  ii  t  r  ucol  1  u  1  a  r, 
nicht  intercellular  gelagert.  An  dei-  anderen  Seite  des  Kmbryo  ein 
grosser  brauner  Fleck  im  Zustande  der  Framboisia  minor. 

(Nr.  182.)  Die  Gegend  der  künftigen  Rückoniurche  längs 
aufgeschlitzt.  Der  Embryo  ist  andern  Tages  noch  aufgeplatzt, 
aber  weiter  entwickelt  mit  jMedullarwülsten  und  Jlaftnäpfen;  die  Plirn- 
wülste  sind  jedoch  noch  nicht  vollkonnnen  zum  Abschluss  vereinigt; 
6  Tage  alt  aufgehoben.  Kopf  normal  entwickelt.  Dorsal  lindet  sich 
in  der  aboralen  Hälfte  eine  Spaltung  des  Thieres,  und  jede  Hälfte 
besitzt  gegen  den  Spalt  hin  einen  dicken  braunen  Wulst 
anscheinend  von  der  Gestalt  eines  geschlossenen  Medullar- 
rohres,  von  welchem  aus  dann  noch  eine  neu  gebildete  braune 
Schicht  sich  etwas  über  den  Spalt  weg  gegen  die  andere  Seite  hin 
erstreckt,  ohne  dass  jedoch  in  der  Mitte  des  Spaltes  diese  beiderseitigen 
Massen  sich  erreichen.  Jede  Hälfte  hat  ausserdem  einen  beson- 
deren, geknickten  und  mit  einem  Ephitelsaum  versehenen 
Schwanz;  so  dass  sich  der  ganze  Embryo  anscheinend  in  der  Form 
einer  Duplicitas  posterior  darstellt.  Die  Querschnitte  zeigen  aber,  dass 
die  Längswülste  nicht  durch  je  ein  geschlossenes  Medullarrohr 
gebildet  werden,  sondern  dass  der  linke  aus  Urwirbelmassen,  der 
rechte  aus  indifferentem  Gewebe  besteht.  Links  ist  ausserdem 
die  Chorda  unter  der  Mitte  der  Urwirbelmasse  gelagert;  und  letz- 
tere erscheint  annähernd  symmetrisch  gegen  die  Chorda  grup- 
pirt.  Medial  von  der  Chorda  liegt  die  nicht  geschlossene  linke  Hälfte 
des  Medullarrolire.s,  während  die  rechte  Hälfte  in  gleicher  Beschaffen- 
heit rechts  in  der  Tiefe  neben  der  rechten  Urwirbelmasse  sich  findet. 
Es  war  also  nicht  zu  erkennen,  ob  etwa  jede  von  ihrem  Gegenpart 
getrennte  Antimere  sich  durch  Regeneration  eine  neue  Antimere  zu 
schaffen  im  Begriffe'*  war;  nur  die  symmetrische  Umgruppirung  der 
linken  [472]  Urwirbelmasse  um  die  in  toto  links  befindliche  Chorda 
konnte  Derartiges  andeuten.  Embryonen,  welche  länger  am  Leben 
geblieben  sind  und  bei  denen  auch  die  Chorda  halbirt  ist,  werden 
über  diese  Eventualität  Auskunft  geben. 


13* 


196  Nr.   18.    Zur  Orientiruna;  über  (He  Probleme  etc. 


4.    Operationen  an  Embryonen  nach  Ausbildung  der  Medullarwülste. 

(Nr.  156.)  Die  Rückenfurche  liegt  auf  der  Unterseite,  da  sie 
sich  in  Zwangslage  entwickeln  musste  und  daher  sich  nicht  durch 
Drehung  des  Eies  nach  oben  wenden  konnte.  Durch  Andrängen  mit 
stumpfer  Gewalt  ist  die  ventrale  Vereinigung  der  Medullarwülste 
in  der  oralen  Hälfte  der  Länge  nach  aufgesprengt  worden.  Embryo 
weiter  entwickelt.  Resultat:  Schwanz  einfach,  normal;  Lordose  im 
Bereich  des  Rumpfes.  Kopf  im  Bereiche  des  Gehirn theiles 
deutlich  g  e  t  h  e  i  1 1 ,  Gesicht  einfach  mit  zwei  normalen  Haf tnäpfeu . 
Hydrops  der  vorderen  Halsgegend. 

(Nr.  176.)  Median  ebene  längs  der  Rückenfurche  von 
hinten  her  gespalten.  Embryo  von  6  Tagen,  vollkommen 
normal  mit  langem  ungetheiltem  Schwanz. 

(Nr.  171.)  Rücken  Wülste  durch  stumpfe  Gewalt  quer  ge- 
spalten. Embryo  von  6  Tagen  im  Ganzen  normal,  nur  eine 
Knickung  des  allenthalben  geschlossenen  Medullarrohres  hinter  dem 
Halstheil,  und  eine  circumscripte  stark  prominirende  Geschwulst 
Hnks  und  dorsal  an  der  Knickungsstelle.  Ist  es  Geschwulstbildung 
aus  abgesprengten  Theilen  des  Medullarrohres? 

(Nr.  0).  Rücken  Wülste  sofort  nach  dem  Auftreten  derselben 
quer  durchschnitten.  Embryo  von  5  Tagen,  vollkommen  normal 
entwickelt;  Kopf  wohlgegliedert  mit  Haftnäpfen  und  Kiemenansätzen, 
Schwanz  normal;  nur  aboral  vom  Halsmark  links  eine  quere  Narbe 
am  geschlossenen  Medullarrohr  erkennbar. 

Operationen  auf  der  ventralen  Seite  des  Embryo 
nach  Anlage  der  Rücken wülste: 

(Nr.  177.)  Auf  der  Mitte  des  Bauches  einen  Längsschlitz  ge- 
macht. Embryo  schon  andern  Tages  vollkommen  normal,  keine 
Wunde  und  Narbe  sichtbar,  Heilung  also  per  primam  inten- 
tionem  diesmal  wohl  im  wahren  Sinne  durch  unmittelbare  Ver- 
klebung oder  Ausfüllung  der  dabei  gebliebenen  minimalen  Spalten 
[473j  durch  Wa|nderung  und  Theilung  der  Nachbarzellen. 
Embryo  6  Tage  alt.  ebenfalls  noch  normal  weiter  entwickelt,  aufgehoben. 


Operationen  am  Embryo.  197 

(Nr.  179.)  Mitten  auf  der  ventralen  Seite  ein  Loeli  u'eniaclit. 
Embryo  von  (3  Tagen,  vollkommen  normal. 

(Nr.  181.)  Links  hinten  ventral  ein  Loch  gemacht.  Kmbrv(^ 
(3  Tage  alt,  normal. 

(Nr.  178.)  Mitten  auf  der  Bauchseite  (oberen  »Seite  des  Eies  in 
Zwangslage)  ein  grosses  mehrfach  geschlitztes  Loch  gemacht.  Anderen 
Tages  ist  das  Loch  braun  umgeben,  wie  sich  auch  sonst  oft  um 
eine  Verletzungsstelle  in  noch  späteren  Stadien  innerhalb  kurzer  Zeit, 
in  einer  halben  Stunde  schon  (s.  oben  S.  150)  das  Pigment  anhäuft. 
Der  6  Tage  alte  Embryo  ist  vollkommen  normal  und  lässt  keine  be- 
sondere Pigmentirung  oder  Narbe  am  Bauche  mehr  erkennen. 

(Nr.  170.)  Vor  dem  Gehirn wulst  angestochen.  Embryo  von 
6  Tagen,  Kopf  normal  .  Hinterleib  und  Schwanz  verschrumpft  in 
Framboisia  major,  also  im  Absterben. 

Also  nach  Operationen  am  Bauche  sind  zunächst  keine  formalen 
Störungen  der  weiteren  Entwickelung  bemerkbar  geworden. 

(Nr.  159.)  Neun  Embryonen  von  Rana  esculenta  mit  eben  auf- 
getretener Medullarfurche  fast  total  quer  durchschnitten,  so 
dass  bei  den  meisten  nur  noch  eine  ganz  schmale  Brücke 
die  vordere  und  hintere  Körperhälfte  zusammenhält.  An- 
deren Tages  alle  conservirt.  Ein  Embryo  mit  noch  etwas  breiterer 
ventral  gelegener  Brücke  hat  sich  normal  weiter  entwickelt;  das  Medul- 
larrohr  ist  vorn  und  hinten  geschlossen  und  der  Kopf 
normal  ausgestaltet,  obgleich  die  Mitte  des  Rückenmarkes 
durch  eine  grosse  mit  weisser  Masse  erfüllte  quere  Wunde  gespalten 
ist.  Bei  den  anderen  Embryonen  ist  die  äussere  Leibeswandung  fast 
ringsherum  gespalten,  die  Vereinigung  nur  durch  weisses  Material 
hergestellt;  gleichwohl  aber  zeigt  sich  lebendige  Reaction  durch  Bil- 
dung eines  Epitßelsaumes  an  den  Wundrändern;  ein  solcher 
Saum  findet  sich  sogar  an  zwei  Embryonen  mit  vollständig 
g  e  t r  e  n  n  t e  n  K ö  r p  e r  h  ä  1  f  t  e  n.  Aber  keiner  dieser  sieben  Embryonen 
hat  sich  weiter  entwickelt;  warum?  Bei  einigen  ist  in  der  Umgebung 
der  Wunde  anderen  Tages  leichte  Framboisia  minor  waln-nehmbar. 

[474]    Weiterhin    wurden  Verletzungen   in   der  Gegend   des 


Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


künftigen    Gesichtes,    ventral    von    dem    queren    Geliirn- 
wulste  vorgenommen: 

(Nr.  157.)  Längs  der  Mittellinie  die  ventrale  Seite  bis  zum 
Gehirnwulst  aufgeschlitzt.  Embryo  von  5  Tagen,  dorsal  normal,  da- 
gegen Gesichtstheil  verkümmert.  Hals  und  vordere  Rumpf - 
gegend  aufgebläht,  in  der  Mittellinie  offen  und  ein  dunkelbrauner 
Körper  hängt  aus  der  (ursprünghch  hy dropischen?)  Höhlung  heraus. 

(Nr.  155.)  Ventral  in  der  Medianebene  gegen  den  Gehirnwulst 
hin  gespalten.  Embryo  von  5  Tagen,  an  Schwanz  und  Rumpf  zu 
klein,  in  der  Mitte  durch  eine  tiefe  braune  Furche  geschieden  in 
zwei  Theile,  von  denen  jeder  einen  Haftnapf  trägt.  Rechts  am  Halse 
eine  grosse  braune  Geschwulst. 

(Nr.  158.)  In  der  gleichen  Art  operirt  mit  ähnlichem  nach- 
folgendem Effect;  nur  fehlt  die  Spalte  in  dem  viel  zu  kleinen  Ge- 
sichtstheil, und  vorn  am  Brusttheil  befindet  sich  ein  grosser  dunkel- 
brauner erhabener  Narbenstreifen.  Hinterleib  und  Schwanz  mit  vielen 
kleinen  Excrescenzen :  Framboisia  major. 

(Nr.  150.)  Den  Gehirnwulst  selber  gespalten.  Embryo 
von  6  Tagen,  entwickelt.  Vor d er hirn blasen  getheilt,  durch 
eine  Furche  geschieden  und  zu  klein,  Gesichtstheil  scheitelwärts 
von  den  Haftnäpfen  nicht  vorhanden.  Hydrops  der  Hals- 
gegend.    Entwicklung  von  Rumpf  und  Schwanz  normal. 

(Nr.  180.)  Angeblich  gleichfalls  den  Gehirnwulst  gespalten. 
Embryo  von  6  Tagen,  mit  normal  gestaltetem  Kopfe,  nur  rechts 
zwischen  dem  Haftnapfe  und  den  Kiemen  ein  runder  weisser  Defect. 

(Nr.  128.)  Den  Gehirnwulst  gespalten.  Anderen  Tages  schon  das 
Medullarrohr  geschlossen  und  Kopf  normal,  blos  vorn  etwas  niedrig. 

(Nr.  175.)  Die  linke  Ecke  des  queren  Gehirn wulstes  zer- 
quetscht. Anderen  Tages  schon  von  normalem  Aussehen  und  weiter 
entwickelt.     Embryo  von  6  Tagen  vollkommen  normal. 

(Nr.  129.)  Linke  Ecke  des  Gehirnwulstes  zerschlitzt.  Embryo 
von  5  Tagen,  entwickelt,  Kopf  im  Einzelnen  normal  gestaltet,  aber 
asvmmetrisch ,  so  dass  der  linke  Haftnapf  vielmehr  scheitelwärts  steht. 


Operationen  am  Embryo.  199 


5.  Operationen  an  Frosclienibryoncu  nach  Scliluss  des  Medullarrolires 
und  nach  Anlage  des  Schwanzes  und  der  Hal'tnäpfe. 

[475]  (Nr.  152.)  Kopf  von  vorn  her  durch  die  Haftnäpfe  hindurch 
gegen  den  Nacken  hin  durch  stumpfen  Druck  aufgeplatzt.  Bei  der 
Besichtigung  nach  drei  Stunden  schon  ein  brauner  Hof  um  die 
Wunde  wahrnehmbar,  deren  Oeft'nung  sich  bereits  durch  Näherung 
der  Wundränder  erhebhch  verkleinert  hat.  Anderen  Tages  blos  noch 
eine  feine  Furche  beiderseits  am  Kopfe  sichtbar,  aber  der  Kopf  er- 
heblich zu  klein;  Schwanz  im  Zustande  der  Fromboisia  major. 

(Nr.  154.)  Kopf  von  vorn  schräg  gegen  den  Nacken  hin  ge- 
spalten. Anderen  Tages  der  Gesichtstheil  klaffend  gespalten,  aber 
die  Wundränder  schon  braun  überhäutet  und  nur  in  der  Tiefe  noch 
einen  weissen  aber  dunkelbraun  umgebenen  Fleck  zeigend. 

(Nr.  172.)  Die  gleiche  Operation  mit  gleichem  Effect.  Nach  zwei 
Tagen  Embryo  an  Rumpf  und  Schwanz  schön  weiter  entwickelt. 
Kof wunde  auch  in  ihrem  Grunde  überhäutet,  aber  noch  weit  klaffend. 
Kiemenanlagen  indess  nicht  wahrnehmbar. 

(Nr.  163.)  Den  Nacken  des  Embryo  gespalten.  Nach  zwei 
Tagen  nichts  Abnormes  am  Kopfe  wahrnehmbar,  aber  an  Rumpf  und 
Schwanz  Andeutungen  von  Framboisia. 

(Nr.  174.)  Die  vorderste  Kuppe  des  Kopfes  quer  zur  Längs- 
axe  des  Thieres  abgeschnitten.  Nach  zwei  Tagen  die  Quer- 
schnittfläche des  Medullarrohres  durch  eine  dunkelbraune  Lage  quer 
verschlossen,  desgleichen  der  Querschnitt  des  Gesichtstheiles,  und 
beide  durch  eine  frontale  Furche  von  einander  getrennt.  Das  ganz 
abgeschnittene  Stück  im  Zustande  der  Framboisia  major  et 
minor;  die  Schnittfläche  nicht  überhäutet,  die  Zellen  derselben  gleich- 
falls kugelrund. 

(Nr.  149 )  Das  Hintertheil  des  Embryo  gequetscht  bis  zum  Rest 
des  Urmundes.  Nach  drei  Stunden  ist  ein  brauner  Hof  um  die 
Wunde  sichtbar.  Anderen  Tages  Schwanzanlage  ungetheilt  vor- 
handen, rechts  hinten  am  Rumpfe  eine  grosse  klaffende  Wunde  mit 
zerfetzten  Rändern,  kein  Heilungsbestreben  erkennbar;  Hinter- 
leib im  Zustand  geringer  Framboisia  major  et  minor. 


200  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Folgerungen    aus   den  Reactionen    der   operirten  Gastrulae 

und  Embryonen. 

Wenn  wir  die  bei  den  Operationen  an  der  Gastrula  und 
an  näclistfolgenden  Phasen  der  Entwicklung  erhaltenen  Re- 
sultate im  Allgemeinen  zusammenfassen,  so  ergiebt  sich,  dass  die 
Sub-  [476]  Stanzaustritte  sehr  gering  waren .  sofern  nicht  direct  das 
Dotterzellenlager  verletzt  worden  war.  Dem  entsprechend  entstanden 
auch  keine  Bildungsdefecte  mehr  im  Ectoderm,  sondern  die 
scheinbaren  Defecte  sind  als  die  klaffenden  Wunden  selber  aufzufassen. 
Fand  gute  Coaptation  der  Wundränder  statt,  so  heilte  die  Ver- 
letz u  n  g  p  e  r  p  ri  m  a  m  i  n  t  e  n  t  i  o  n  e  m ;  fehlte  die  Coaptation,  so  wurde 
die  Wunde  allmählich  von  der  Oberflächenschicht  überwuchert  und 
eine  Narbe  kennzeichnete  noch  längere  Zeit  die  Verletzungsstelle. 

In  keinem  Falle  war  bemerkbar,  dass  die  blossliegende 
weisse  Schicht  von  sich  aus  ein  neues  Ectoderm  gebildet 
hätte,  wie  dies  auch  selbst  bei  den  Bildungsdefecten  der  während 
der  Furch ung  angestochenen  Eier  nicht  der  Fall  war;  ein  interessanter 
Hinweis  auf  Waldeyer's  Annahme,  dass  schon  mit  der  Bildung  der 
Keimblätter  die  Materialien   functionell  geschieden  sind^). 

Die  Folgen  für  die  weitere  Entwickelung  des  Embryo 
waren  verschiedene:  ein  Theil  der  Embr3'0nen  starb  bald  nach  der 
Verletzung,  auch  wenn  anscheinend  keine  Infectiou  eingetreten  war,  ab. 
Es  war  nicht  zu  entscheiden,  ob  der  Tod  die  Folge  der  Zusammenhangs- 
trennung der  Theile  an  sich  oder  vielleicht  durch  den  Mangel  epi- 
thelialen Schutzes,  unter  Eindringen  von  Fruchtwasser  in  den  Embryo 
bedingt  war.  Sofern  aber  der  Ein))ryo  durch  weitergehenrle  Reaction 
an  der  Wundstelle  ein  längeres  Ueberleben  bekundete,  blieb  auch 
die  weitere  Entwickelung  nicht  aus.   Diese  weitere  Entwicke- 


[I)  Diese  Frage  wurde  später  von  D.  Barkuhth  eingehend,  mit  der  ihm  eigenen 
Sorgfalt  und  Gründlichkeit  behandelt  (Experimentelle  Untersuchung  über  die  Regene- 
ration der  Keimblätter  bei  den  Amphibien  (Meiikel-Bonnet's  anatom.  Hefte  1893. 
S.  311—354),  mit  dem  Ergebniss,  dass  sich  bei  der  Regeneration  keines  der  Keim- 
blätter in  ein  anderes  umwandelt.  „Die  Keimblätter  sind  in  Bezug  auf  Regeneration 
und  Postgeneration  specificirt;  dasselbe  gilt  von  grösseren  isolirton  Komplexen  des 
Ectoderms  und  Entoderms,  resp.  des  Dotterlagers.'' 


Folgerungen  aus  den  Reactionen  der  Gastrnlae  und  Embryonen.  201 

lung  fand  selbst  bei  sehr  uusgedelinten  S  j);il  t  viiigen  der  (las t- 
rula  oder  des  Embryo  statt,  und  bildete  entweder  normale 
Formen  selbst  bis  dicht  an  die  Wundränder  aus,  oder  es 
entstanden  Formenalterationen,  welche  aber  meist  nicht  mehr  von 
der  Norm  abwichen,  als  unmittelbar  aus  der  mit  der  Verletzung  ver- 
bundenen passiven  Deformation  sich  ableiten  hess.  Nur  in  wenigen 
Fällen  entstanden  allgemeinere  Verbildungen,  welche  man  vielleicht 
auf  eine  Störung  allgemeinerer  Bildungscorrelationen  beziehen  könnte 
(s.  S.  187  und  192). 

Einige  Male  traten  in  unmittelbarer  Umgebung  oder  auch  ent- 
fernter von  derselben  grössere,  wohlumgrenzte  Geschwulstbild - 
ungen  auf.  Ob  sie  durch  passiv  beim  Eingriffe  disloci  rtes  Material 
bedingt  waren,  wird  vielleicht  die  mikroskopische  Untersuchung  der- 
jenigen Fälle  ergeben,  wo  sie  neben  dem  Medullarrohr  ge-  [4:77]  legen 
sind,  und  die  Operation  die  Anlagestelle  dieses  Organes  getroffen  hatte. 

Specielle  Schlüsse  über  unsere  fundamentale  Alternative: 
S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  ung  vieler  einzelner  Theile  des  Eies  und  des 
Embryo,  oder  durch  dif f erenzirende  Correlation  naher  und 
entfernter  Theile  unter  einander  sind  auch  nach  diesen  Versuchen 
nur  in  sehr  eingeschränktem  Maasse  möglich,  da  unsere  Versuche 
noch  zu  unvollständig  sind  und  die  Frage  nach  dem  Antheil 
der  Regeneration  noch  nicht  gelöst  ist.  Indess  bekundet 
das  Verhalten,  [dass  die  Störungen,  welche  in  einigen 
Fällen  durch  die  Operationen  in  der  Entwickelung  entstan- 
den waren,  auf  die  Operationsstelle  beschränkt  sich  zeigten, 
bei  normaler  Entwickelung  des  übrigen  Körpers,  und]  dass 
in  vielen  Fällen  die  Differenzirung  der  von  einander  ge- 
trennten Theile  der  Medullarwülste  bis  dicht  an  die  Wund- 
stelle heran  stattfand,  immerhin  eine  erhebliche  Unab- 
hängigkeit der  Entwickelung  der  bezüglichen  Theile  von 
dem  Zusammenhang  mit  ihrer  Nachbarschaf  t. 

[Zugleich  ergab  sich,  dass  Störungen  der  ventralen  Theile 
derGastrula  und  des  Embryo  die  Entwickelung  der  dor- 
salen Hälfte,  insbesondere  des  Medullarrohres,  nicht  noth- 
wendig  beeinträchtigen  (s.  auch  S.   185  Anm.)j. 


202  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Es  wird  nöthig  sein,  zunäclist  möglichst  vielseitige  Erfahrungen 
an  diesem  unserem  besonders  günstigen  Versuchsobject ,  an  dem 
Froschei ,  zu  sammeln ,  um  eine  vollkommene  Uebersicht  über  seine 
Leistungsfähigkeit  zu  gewinnen  und  danach  Schlüsse  ziehen  zu 
können,  welche  zunächst  zwar  nur  für  dieses  Ei,  aber  für 
dieses  auch  unzweifelhaft  Geltung  haben.  Der  Vergleich  mit  dem 
Verhalten  anderer  Eier,  z.  B.  von  Thieren,  welche  eine  höhere 
Regenerationsfähigkeit  besitzen,  wie  z.  B.  des  Triton  oder  der 
Kröte  [oder  niederer  Thiere :  Seeigel,  Medusen  etc.],  wird  uns  dann  zu 
richtigen  Verallgemeinerungen  dieser  zunächst  blos  an  einer  Species 
gemachten  Beobachtungen  führen. 

III.  Aiitheil  der  „Selbstdiit'erenziruiijj:"  und  „differeiizirender  Correla- 
tioiien"  an  der  eml[)ryonalei>  Entwickelung-. 

Für  beide  Glieder  unserer  xVlternative ,  für  ,,Selbstdifferen- 
zirung''  und  für  ,,differenzirende  Wechselwirkungen''  von 
Theilen  des  Eies  liegt  bereits  ein  werthvolles  anderweites  Beob- 
achtungsmaterial nebst  einigen  theoretischen  Vorarbeiten  vor.  Wir 
wollen  auf  Grund  dieser  beiderlei  Vorarbeiten  zunächst  einen  vor- 
läufigen Ueberblick  über  den  Antheil  beider  Principien  zu 
gewinnen  suchen  und  werden  dabei  noch  einige  neue  Beobachtungen 
hinzufügen. 

A.    Selbstdiiferenzirung-  von  Theilen  des  Eies. 

Zunächst  sind  für  die  „Selbstdifferenzirungsfähigkeit  von 
Theilen"  des  Eies  und  Embryos  eine  Anzahl  Beobachtungen  mit- 
zutheilen,  welche  damit  zugleich  auch  für  den  Mangel  einer  die 
normale  Gestaltung  ,, beherrschenden"  und  „alle"  Störungen 
ausgleichenden  [478]  ,, Selbstregulation"  sprechen  und  er- 
kennenlassen, dass  nicht  jede  frühere  Entwickelungsphase  „in 
ihrer  Gesammtheit"  die  nothwendige  Vorbedingung  des  Ein- 
trittes „einzelner  Theile"  der  folgenden  Phase  ist.  Letzteres 
stellt  eine  für  die  Auffassung  der  Entwickelung  nicht  unwesenthche 
Beschränkung  der  bedeutungsvollen    Erkenntniss    von  Bergmann   und 


^(t^-H^f 


Selbstdifferenzirting  von  Theilon  des  Eios.  203 

Leuckaht^)  und  von  His-)dai',  dass  jeder  oinzt^lnc  l'jilwickclungsinomenl 
die  nothwendige  Folge  des  vorausgehenden  und  die  Bedingung  des 
folgenden  ist. 

In  diesem  Sinne   sind   einmal  die  zahlreichen  ,,Anaehronis-   / 
men''  vom  ersten  Beginne  der  Entwickelung  an  und  während 
des  ganzen  Verlaufes  der  Kntwiekelung  hindurch  zu  vei'werthen. 

Der  Anfang  beginnt  häufig  schon  so  heterochron,  wie  ich  im  '  ^x*^;*^  „ 
vorigen  Jahre  angedeutet  und  in  diesem  Jahre  vielfach  bestätigt  g'^-il^^'^'"'*'^ 
funden  habe,  dass  die  durch  ihre  Beziehungen  zu  dem  weiteren  Ver- 
lauf der  Entwickelung  wohl  charakterisirte,  normale  erste  Furche 
erst  als  zweite  auftritt,  ohne  dass  dadurch  die  Entwickelung 
selber  gestört  wird .  Weiterhin  sind  während  der  g  a  n  z  e  n  F  u  r  c  h  u  n  g 
zeitliche  Verwechselungen  ausserordentlich  häufig;  sie 
bedingen  vorzugsweise  die  grossen  UnregelmässigkeitendesFurch- 
ungsbildes,  welche  von  anderer  Seite  für  ,, besondere  Furch-  . 
ungstypen"  gehalten  worden  sind^).  Sehr  häufig  ist  ferner,  wie 
erwähnt,  das  Nichtgeschlossensein  des  Urmundes  zur  Zeit  des 
Auftretens  der  Rückenwülste  (s.S.  160  u.  166,  Anm.)  und  das  theil- 
weise  Andauern  dieses  Zustandes  noch  bis  zur  Zeit  des  Schlusses  desMe- 
dullarrohres  und  der  Anlage  der  Kiemenhöcker  und  der  Haftnäpfe. 
Diese  letzteren  Bildungen  können  an  der  vorderen  Körperhälfte  an- 
scheinend vollkommen  normal  vor  sich  gehen,  obgleich  die  hintere 
Körperhälfte  durch  das  weite  Offenstehen  des  Urmundes  eine  ganz 
abnorme  Gestalt  besitzt.  Ferner  wurden  an  einer  misslungenen 
Kopfanlage  ohne  Gehirnblasen  die  Haftnäpfe  angelegt.  Noch 
auffallender  ist,  dass,  wie  ich  einige  Male  sah  (vgl.  S.  161),  auch  beim 
gänzlichen  Ausbleiben  der  Medullarwülste,  doch  allmählich  die 
Gastrula  ihre   runde  GestaU   zu  jener  Birnform  umänderte,    welche 

1)  Bergmann  uud  Leuckert,  Vergleichende  Anatomie  und  Physiologie  des  Thier- 
reiches  1851. 

2)  W.  His,  Unsere  Körperform.  1874. 

|a)  Daneben  ist  die  Mannigfaltigkeit  der  Furcbungsbilder  besonders  durch 
Variationen  in  der  relativen  Grösse  der  Furchungszellen  bedingt.  Die  ungleiche 
Grösse  der  Zellen  veranlasst  auch  die  Verschiedenheiten  der  normalen  Furchungs- 
typen.  z.  B.  die  von  Rana  fusca  und  escnlenta.  Siehe  W.  Ruux  in  Arch.  für  Ent- 
wickelungsmechanik.   Bd.  11. 


204  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


sonst  erst  mit  der  Anlage  und  Ausbildung  des  Medullarrohres  zu  ent- 
[4:79]  stehen  pflegt.  Ferner  gehört  hierher  der  gleichfalls  bereits  er- 
wähnte Acephalus  nach  dem  Anstechen  des  in  der  dritten  Furclmng 
begriffenen  Eies,  da  der  übrige  Körper  normal  gestaltet  war,  die 
Hemiembryones  laterales  dexterund  sinister  (S.  174)  und  anterior 
(Ö.  161),  sowie  überhaupt  die  vorstehend  mitgetheilte  Thatsache,  dass  auf 
circumscripte  Defecte  am  sich  furcbeuden  Eie  nur  circumscripte 
Defecte  am  Embryo  zu  folgen  brauchen,  bei  normaler  Gestaltung 
der  nicht  von  dem  Defecte  betroffenen  Gegenden  des  Embryo. 

[Diese  Arten  des  Verhaltens  bekunden,  dass  die  normal  weiter 
entwickelten  Theile  nicht  der  f  e  h  1  e  n  d  e  n  Theile  und  n  i  c  h  t  d  e  r  n  o  r- 
malen  entsprechenden  En twickelungsstuf e  der  zurückge- 
bliebenen Theile  zu  ihrer  Entwickelung  bedürfen,  also  in 
entsprechendem  Maasse  sei  bs  t  st  ä  nd  ig.  unabhängig  von  diesen 
sich  zu  entwickeln  vermögen.] 

Diese  Beweise  ,, unvollkommener  Selbstregulation  und  Re- 
generation" des  Froschembryo  und  zugleich  ,, selbstständiger  Dif- 
ferenzirung  einzelner  Theile"  desselben  werden  in  ihrer  Bedeu- 
tung verstärkt  durch  eine  grosse  Zahl  von  Missbildungen,  welche 
an  höheren,  zum  Theil  auch  an  gleichstehenden  und  niederen  Wirbel- 
thieren  beobachtet  worden  sind.  So  finden  sich  bei  den  gröbsten 
Deformationen,  z.  B.  beim  Aufgeplatzt-  oder  Offengebliebensein 
des  Medullarrohres,  ebenso  des  Leibes  mit  ümkehrung  von  Brust, 
Bauch  und  Becken  nach  rückwärts  (Schistosoma  reflexum), 
ferner  bei  hochgradigen  Ansammlungen  von  Flüssigkeit  in 
den  Körper-  oder  Orgauhöhlungen:  die  nicht  direct  von  der  Ur- 
sache zerstörten  Organanlagen  wohl  differenzirt  und  nicht 
mehr  in  ihrer  Ausbildung  gehemmt  und  nicht  mehr  defor- 
mirt,  als  sich  von  der  ,, mechanischen"  Gesammtdeformation 
der  ganzen  Gegend  ableiten  lässt;  so  dass  also  die  embryo- 
nalen Organe  in  ihnen  angezwungenen  Formen  sich  ,, ent- 
wickeln" können,  wenn  sie  nur  Raum  und  Nahrung  und  Schutz 
vor  äusseren  Schädlichkeiten  haben  (s.  S.   1(S7). 

Ferner  können  bei  Erfüllung  dieser  letzteren  drei  Bedingungen 
viele  später  unentbehrliche  Theile  des  Embryo  fehlen,  ohne 


Selbstdifferenzinnie;  von  Tlioileii  des  Eies.  205 


dass  dadiircli  dio  WeiteTcntwickoluno-  dos  ül)ri,ü:oii  Theiles 
aufgehoben  oder  auch  nur  in  hohem  Maasse  altorirt  wird. 
Es  kann  das  Gehirn  oder  der  ganze  Kopf  fehlen  bei  übrigens  ziem- 
lich normalem  Rumpf  (Acephalus).  der  Rumpf  fehlt  bei  entsprechen- 
der Bildung  des  Kopfes  (Acormus),  ebenso  die  Augen  (Anophthal- 
mie)  bei  Vorhandensein  ihrer  äusseren  Schutzapparate,  es  fehlt  die 
ganze  äussere  Leibesghederung  (Amorphus)  bei  blosser  Existenz 
einzelner  innerer  Organe,  oder  auch  diese  sind  blos  stückweise  vor- 
handen, schliessHch  fehlt  jede  Sonderung  einzelner  Organe  bei  blosser 
Ausbildung  der  Gewebe.  Panum^)  hat  in  Bezug  auf  diesen  Gesichts- 
[480]  punct  eüi  reiches  Material  gesammelt  und  daraus  den  Sehluss 
abgeleitet,  dass  ,.die  in  Rede  stehenden  Gebilde  dem  Be- 
griffe eines  Organismus  nicht  entsprechen";  da  ihre  Theile 
nicht  den  Zwecken  des  Ganzen  dienen  und  das  Ganze  keinen  Selbst- 
zweck hat;  dieselben  sind  nach  ihm  vielmehr  als  geschwulstartige 
Conglomerate  verschiedener  von  einander  unabhängiger  Gewebe  und 
Gebilde  anzusehen,  welche  wie  selbstständige  Gewächse  oder  Pflanzen 
sich,  kraft  ihres  eigenen  Lebens,  unter  gemeinschafthchen  Lebens- 
bedingungen entwickelt  haben.  F.  Makchand-)  hat  auf  Grund  obiger 
Thatsachen  diese  Auffassung  verallgemeinert,  indem  er  sagt,  dass 
auch  schon  der  normale  Embryo  in  seinen  früheren  Stadien 
dem  Begriffe  eines  Organismus  nicht  entspricht. 

Die  Ursachen  dieser  hochgradigen  Defect-  und  auch  zum  Theil 
der  grossen  Deformationsmissbildungen  wirken,  so  viel  wir  jetzt  sehen, 
schon  zu  Zeiten,  ehe  die  einzelnen  Organe  und  Gewebe  vollkommen 
angelegt  oder  ausgebildet  sind;  darausfolgt,  dass  die  betreffenden 
Theile  des  Embryo  „nach"  so  hochgradigen  Störungen 
ihrer  selbst  oder  ihrer  Nachbarschaft  nicht  blos  noch  am 
Leben  zu  bleiben,  sondern  sogar  in  einer  oft  noch  an  das  Nor- 
male erinnernden  Weise  sich  formal  und  geweblich  zu 
d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  e  n  vermögen.    Dasselbe  wird  vielleicht  noch  genauer 


1)  P.  L.  Panum,  Beitiäge  zur  Kenntniss  der  physiologischen  Bedeutung  der  an- 
geborenen Missbildungen.     Virchow's  Archiv  1878  Bd.  72,  S.  85. 

■••)  F.  Makchand.  Realencyklopädie  der  gesaramten  Heilkunde  von  Eulonburg 
1881,  Artikel:  Missbildungen  S.  7. 


206  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


festzustellen  sein  durch  die  von  W.  Zahn  ^)  eingeführte,  weiterhin  von 
G.  Leopold'^)  und  E.  Fischer^)  fortgesetzte  Transplantation  embryo- 
naler Theile  in  Ernährung  und  Schutz  gewährende  Organe  erwachsener 
Thiere;  wobei  sich  schon  jetzt  gezeigt  hat,  dass  manche  isolirte 
embryonale  Theile  nicht  blos  zu  wachsen,  sondern  sich 
in  annähernd  normaler  Weise  ge weblich  weiter  zu  dif- 
ferenziren  vermögen.  Desgleichen  lassen  die  Keime  der  Der- 
moidkystome  ausser  Haut,  Haaren  und  Drüsen,  auch  wohlgebildete 
Zähne  mit  Kiefertheilen  ausser  Zusammenhang  mit  [481]  den  nor- 
malen Nachbartheilen  des  Organismus  hervorgehen.  Wohl  auch  ent- 
halten verschleppte  Geschwulst  keime,  welche  sich  zu  meta- 
statischen Geschwülsten  entwickeln,  zur  Zeit  ihrer  Verschleppung  noch 
nicht  immer  schon  die  differenzirten  Gewebe ,  die  wir  nach  ihrem 
Wachsthum  in  ihnen  finden.  Dann  würde  auch  hier  selbstständige 
gewebliche  Differenzirung  vorliegen;  wobei  aber  von  den  Blutgefässen 
abzusehen  ist,  da  diese  entweder  von  der  Nachbarschaft  direct  hinein- 
wachsen oder  doch  von  ihr  aus  unter  der  Wirkung  functione  11  er 
Reize  in  den  Tumor  hinein  wachsen  und  danach  sich  differen- 
ziren,  somit  der  ,,functionellen  Anpassung"  zugehören. 

Schliesslich  sind  auch  hier  die  abgeschnürten  sog.  Neben- 
organe zu  verwerthen;  vor  allem  diejenigen,  welclie  eine  spe- 
cifische,  dem  Gebilde  ,,im  Ganzen"  angepasste  Structur 
haben,  die  die  gröbere  Structur  des  ,, norm  alen  "  Organes 
wiederholt  ;  dies  kommt  freilich  nur  bei  sehr  wenigen  Organen 
vor;  vielleicht  bei  den  accessorischen  Nebennieren,  wo 
die  hierbei  allein  vorhandene  Rindensubstanz  die  normale  regel- 
mässige Anordnung  der  Zellstränge  zeigt*).  Zweitens  können  aber 
auch   die    abgeschnürten  Theile    von  Organen,    welche    keine    solche 


1)  F.  WiLH.  Zahn,  Sur  le  sort  des  tissus  implaute.s  dans  l'orgamsme.     Genevo 
1878  und  Virchow's  Archiv  1884  Bd.  95  S.  369-387. 

2)  G.  Leopold,    Experimentelle   Untersuchungen  über   die   Antiologie    der   Ge- 
schwülste     Virchow's  Archiv  1881  Bd.  85. 

3)  E.  Fischer,  Ueber  Transplantationen  von  organ.  Material.    Deutsche  Zeitschr. 
f.  Chirurgie  1882  Bd.  17  S.  61  und  S.  362. 

4)  Vgl.  F.  Marchand,  Ueber  accessorische  Nebennieren  im  Ligamentum  latum. 
Virchow's  .Archiv  1883  Bd.  92. 


Selbstdifferenziriiug  Von  Tlieilen  des  Eies.  207 


specifiscbo,  besondere  Costa Ituiigskräfte  des  (Jaiizcn  voraussetzende 
Striictiir  haben,  von  entsprechender  Bedeutung  sein;  so  die  Neben- 
milzen  und  Nebenlebern,  deren  gröbere  Structur,  wie  ich 
zeigen  werde,  vorwiegend  in  das  Gebiet  der  functionellen  Anpassung 
fällt.  Diese  Organe  sind  für  uns  von  Bedeutung,  sofern  ihre 
Isolirung  von  der  normalen  Umgebung  schon  „vor"  der  Voll- 
endung ihrer  specifisehen  Ge  web  ebilduug  erfolgt  war 
und  sofern  diese  specifische  (Jlewebebildung  nicht  auch  blos  eine 
Folge  der  functionellen  Anpassung  ist'). 

Wir  ersehen  ans  den  angeführten  Beispielen,  dass  viele  ,,Theile" 
des  Embryo  unter  günstigen  Ernährungsumständen 
sich  unabhängig  von  ihrer  näheren  oder  ferneren  Um- 
gebung geweblich  und  formal  zu  differenziren  vermögen, 
und  dass  dies  sogar  in  annähernd  normaler  Weise  sre- 
schehen  kann.  Daraus  geht  hervor,  dass  die  Differenzirung 
dieser  Theile  an  sich  nicht  eine  Function  der  Wechsel- 
wirkung zwischen  ihnen  und  den  andern  Theilen  ist.  [482] 
Also  eine  gewisse  gewebliche  und  formale  Selbstdiffe-  / 
renzirung  vieler  Theile  des  sich  entwickelnden  Eies  ist 
bereits  erwiesen.  Ich  werde  durch  besondere  Specialunter- 
suchungen im  Einzelnen  festzustellen  suchen,  welche  kleinsten 
Theile  sie  betrifft,  in  Avelcher  Periode  der  Entwickeluno- 
sie  anfängt,  wie  weit  sie  geht,  und  ob  Gomplexe  dieser 
kleinsten  Theile  sich  wiederum  weiter  zu  differenziren 
vermögen  als  die  einzelnen  Theile  für  sich  (s.  Nr.  22,  S.  140). 

Man  kann  geneigt  sein,  auch  aus  den  bereits  bekannten  Ver- 
hältnissen der  normalen  Entwickelung  Schlüsse  auf  Selbst- 
differenzirung  von  Theilen  zu  ziehen  und  vielleicht  anzunehmen, 
dass  z.  B.  diejenigen  Organe,  welche  frühzeitig  von  ihrer 
Umgebung  gesondert  werden,  wie  das  Gehörorgan,  die 
Augenblase  [die  Niere,  Leber  etc.],  die  Extremitätenknospe 
sich  in  sich  selber  differenziren.     Da  aber  die  Isolirung  dieser  Theile 


[1)    Bezüglich    der  Entstehung    der   Structur   der   Leber    vergleiche    W.    Roux, 
Einleitung  zum  Archiv  für  Entwickelungsmechanik.  Bd.  I,  S.  7. 


208  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


durch  eine  abgrenzende  und  abgesehen  von  grobmechauischen  Wir- 
kungen wohl  die  Ueb ertragung  differenzir ender  Einwir- 
kungen hemmende  Bindege webskapsel]  nirgends  eine  voll- 
kommene ist  [indem  ausser  den  ernährenden  Gefässen  auch  noch 
Nerven  diese  Kapsel  durchsetzen],  und  wir  zunächst  noch  auf  gänzlich 
unbekannte  Möglichkeiten  Rücksicht  zu  nehmen  haben,  so  können 
diese  Folgerungen  vorläufig  nicht  über  den  Werth  von  Vermuth- 
ungen  hinaus  gelangen. 

Die  Selbstdifferenzirung  räumlich  begrenzter  Theile. 
für  deren  Betheiligung  an  der  Entwickelung  wir  hier  einige  Beweise 
aufgeführt  haben,  kann,  wie  schon  angedeutet,  von  zweierlei  Art 
sein:  rein  formaler  oder  cjualitativer  Art.  Die  ,,fonnale'-'  Selhst- 
differenzirung  ist  die  leichter  verständliche  und  kann  z.  B- 
auf  ungleichem  Wachsthum  der  Theile  beruhen;  denn 
wenn,  wie  schon  (S.  9)  erwähnt  worden,  ein  ganz  einfach  geformtes 
Gemenge  zu  verschiedenem  Wachsthum  der  Theile  befähigter  Sub- 
stanzen in  die  Lage  versetzt  wird,  diese  latenten  Ungleichheiten  zu 
bethätigen,  so  müssen  nothwendig  entsprechend  viele  verschiedene 
Formen  die  Folge  diese]-  vielfachen  ungleichen  Vergrösserungen  der 
Theile  sein.  Obgleich  nun  die  Gelegenheit  zu  diesem  Wachsthum, 
die  Nahrungszufuhr  vielleicht  von  aussen  kommt,  und  der  Vorgang 
alsdann  in  seiner  Totalität  erfasst,  nicht  als  Selbstdifferenzirung  be- 
zeichnet werden  kann,  so  kann  doch  das  Formale,  was  dabei  ent- 
steht in  seiner  Form  rein  von  den  Lagerungsverhältnissen  der  mit 
ungleicher  Waehsthumskraft  begal;)ten  Theile  abhängig  sein;  und  die 
Formenbildung  als  [4-83]  solche  muss  dann  als  formale  Selbstdiffe- 
renzirung bezeichnet  werden,  trotz  der  stattfindenden  Aufnahme  von 
Energie.  Wenn  dagegen  das  ungleiche  Wachsthum  blos  von  un- 
gleicher, durch  äussere  Kräfte  bestimmter  Vertheilung  der  Nahrung 
abhinge,  und  somit  diese  äusseren  Kräfte  die  zu  bildende  Form 
direct  bestimmten,  dann  wäre  natürlich  die  Formenbildung  nicht 
mehr  als  formale  Selbstdifferenzirung,  sondern  als  iinvolll-ommen 
passive  Differenzirnny  zu  betrachten. 

Bei  dem  ungleichen  Wachsthum  aus  eigenen  Kräften  müssen 
aber  auch    mechanische  Wechselwirkungen    zwischen    den 


Öelbstdiffereuziruug  von  TlieiliMi  des  Eies.  209 

Theileii  entstehen  und  passive  G  esta  1 1  im.o-,>  n  (hulurch  Iktvoi-- 
gebracht  werden,  worühor  hinten  (S.  232)  ausführlicli  gehandelt 
werden  wird. 

Natürhch  können  formale  Selbstdifferenzirungen  auch 
durch  ungleiche  Verkleinerung  von  Theilen,  sowie  durch 
blosse  Umformung  oder  [Jmordnung  der  Theilo  ohne 
Aenderung  ihrer  iMusse  oder  durch  Clombination  aller  dieser 
Arten  von  Forniwandlungen  entstehen. 

Die  ..qitaiitative"  Selhstdifferenzirnny  räumlich  ab- 
gegrenzter Bezirke  des  Eies  oder  Embryos  angehend,  so 
hat  ausser  bei  vollkommener  Selbstständigkeit  der  Differenzirungs- 
vorgänge  in  dem  betrachteten  Bezirk  ohne  jede  Zufuhr  oder  Abgabe 
von  Energie  [also  bei  reiner  Umwandlung  von  im  Differenzirungsbezirk 
schon  vorhandener  potentieller  Energie  in  kinetische  Energie],  unsere 
Bezeichnung  auch  hier  wieder,  wie  bei  der  formalen  Selbstdifferenzirung, 
noch  in  dem  anderen  Falle  Berechtigung,  dass  eine  Zufuhr  oder  Ab- 
gabe von  Energie  für  den  Differenzirungsvorgang  unerlässlich  nötliig 
ist,  sofern  nur  auch  hier  die  specifische  Natur  der  Veränderung 
vorwiegend  durch  die  Kräfte  der  Materie  des  bezüghchen  Bezirkes 
bestimmt  ist;  wir  werden  dann  den  Vorgang  als  „unvoUliommene 
Selhstdifferenziriing''^  bezeichnen.  Wird  z.  B.  ein  Gemenge  verschie- 
dener, trockener,  chemischer  Substanzen  in  ozonhaltige  Luft  gebracht, 
so  werden  viele  derselben  sich  verändern,  jede  Substanz  an  allen 
Orten,  wo  Theile  von  ihr  vorhanden  sind  und  jede  in  anderer  Weise. 
Die  qualitative  Natur  jeder  dieser  Veränderungen  ist  natürlich  mit 
durch  die  besondere  Eigenschaft  des  Sauerstoffs,  mit  jedem  dieser 
FCörper  eine  Verbindung  von  ganz  bestimmten  Eigenschaften  einzu- 
gehen, bedingt.  Aber  der  Grund  des  uns  hier  vorzugsweise  interes- 
sirenden  specifi sehen  Verhaltens  unserer  Substanzmenge,  eine 
bestimmte  Anzahl  neuer,  typischer  Verbindungen  hervor- 
gehen zu  lassen,  liegt  in  der  schon  vor-  [484]  her  vorhandenen  Zu- 
sammensetzung ;  und  der  Ausbreitungsbezirk  jeder  dieser  neugebildeten 
Substanzen  ist  gleichfalls  durch  die  Natur  unserer  Substanz  bedingt. 
AVir   werden    daher   die  Sauerstoffzufuhr  nur  als  die  unerlässlich 

W.  Koux,  Gesammelle  AbiianJluiigen.    II.  •'* 


210  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


nöthige  „Vorbedingung"  zu   der   neuen  Differenzirung  des 
ganzen  Substanzgemenges  betrachten^). 

Findet  umgekehrt  innerhalb  einer  gleichartigen  Substanz  an 
einer  oder  mehreren  Stellen  derselben  eine  Veränderung  durch  Ozon, 
welches  von  aussen  her  blos  diesen  Stellen  zugeführt  wird,  statt,  so 
ist  letzteres  natürlich  als  die  ,, Ursache"  der  qualitativen  Dif- 
ferenzirung ,, dieser  Stellen",  das  heisst  des  ,, Formalen",  der 
Localisation  dieser  Veränderung  zu  bezeichnen,  da  ihm  jetzt  das  Speci- 
fische  der  vor  sich  gehenden  Veränderung,  die  Species  loci,  zukommt. 

Ist  dagegen  die  Oertlichkeit  beiden  Theilen  von  vorn- 
herein in  gleicher  Weise  eigen,  so  kann  bei  der  Bildung- 
binärer  Verbindungen  natürlich  nur  von  gleichwerthigen  Com- 
ponenten  die  Rede  sein.  Bei  der  Bildung  ternärer  und  höherer 
Verbindungen  wird  es  sich  unter  diesem  Verhältniss  vielleicht 
empfehlen,  die  einfachere  Componente  als  die  Bedingung 
von  der  c  o  m  p  1  i  c  i  r  t  e  r  e  n  als  der  Ursache  der  specifischen 
Natur  der  Veränderung  beider  zu  unterscheiden,  weil  anzunehmen 
sein  wird,  dass  die  specifische  Natur  der  neuen  Verbindung  in 
höherem  Maasse  von  der  zusammengesetzteren  Componente  be- 
stimmt wird. 

Findet  zwischen  zwei  Nachbarn  des  obigen  Substanzgemenges 
chemische  Wirkung  statt,  so  wird  dies  blos  innerhalb  des  beiden 
Theilen  gemeinsamen  Berührungsbezirkes  möglich  sein,  und  wir  können 
nach  der  eben  gegebenen  Distinction  die  beiden  Componenten  benennen. 
Die  Veränderung  der  zusammengesetzteren  Componente  wird  als  un- 
vollkommene Selbstdifferenzirung,  die  der  einfacheren  Componente 
als  abhängige  Differenzirung  zu  bezeichnen  sein;  die  Veränderung 
des  von  beiden  Substanzen  gebildeten  Systemes  dagegen  als  vollkom- 
mene Selbstdifferenzirung  dieses  Systemes.  Ist  aber  zum  Vorgang 
dieser  Veränderung  vielleicht  noch  Zufuhr  von  Energie,    z.    B.  von 

|i)  Soweit  die  sogenannten  „qualitativen"  (z.  B.  geweblichen)  Differen- 
zirungen  der  Organismen  in  der  Produlttion  specifisch  organischer,  sei  es  sicht- 
barer oder  unsichtbarer  Structuren  bestehen  oder  mit  solcher  Bildung  verbunden 
sind,  sind  sie  zu  den  formalen  üifferenzirungen  zu  rechnen.  Unsere  Distinction 
bezieht  sich  l)los  auf  die  während  der  Ontogenese  stattfindenden  chemischen  Ver- 
änderungen. 


Arten  „differenziromler  Wecliselwiikiingeu"   im  Organismus.  :ill 

Wärme  oder  Licht,  n()thig,  so  liegt  uiivoIlkoiiuiK'nc  SelbstditTereii/ji'u lin- 
des Systemes  vor. 

Nach  diesen  Principien  werden  in  den  speciellen  Beiträgen  die 
Unterscheidungen  gemacht  werden. 

B.    Arten  „(liffereiizireiuler  Wechsehvirkiiiif>eii"  der  Tlieile  dos 

()r;2:aiiisnius. 

[485]  Nachdem  so  ein  erster  Ueberbhck  über  das  Wesen  und 
eventuelle  Vorkommen  der  Selbstditt'erenzirung  von  Theilen  des  Em- 
l)rvo  gewonnen  ist,  wollen  wir  nun  auch  über  die  eventuellen  difterenzi- 
renden  Correlationen  uns  einen  solchen  zu  verschaffen  suchen. 

Wir  kennen  l)ereit8  drei  Arten  differenzirender  Correlationen 
s.  abhängiger  Differenzirung  etwas  genauer,  das  heisst weniger 
ungenau  als  andere  gegenwärtig  blos  unbestimmt  zu  vermuthende  Arten. 

1.    Die   functionelle  Anpassung. 

Um,  in  der  Entwickelung  des  Individuums  rückwärts  schreitend, 
mit  dem  besser  Bekannten  anzufangen,  ist  zunächst  die  functionelle 
Anpassung  zu  erwähnen.  Mit  dieser  Bezeichnung  habe  ich  (Nr.  4  u.  7) 
alle  progressiven  und  regressiven  Anpassungsvorgänge  der  Organe  zu- 
sammengef asst ,  welche  durch  die  eigene  Functionsvollziehung  oder 
Unterlassung  vermittelt,  werden;  und  desgleichen  soll  dieselbe  Be- 
zeichnung auch  für  das  Product  jedes  solchen  Vorganges  verwendet 
werden. 

Die  so  bezeichneten  Wechselwirkungen  zwischen  Function  und 
dem  dieselbe  vollziehenden  Substrate  sind  schon  seit  Lamarck  Gegen- 
stand besonderer  Aufmerksamkeit  der  Naturforscher  gewesen,  und  zahl- 
reiche Forscher  haben  sich  über  die  Art  der  Vermittelung  und  über 
die  Ursachen  dersell^en  im  Allgemeinen  oder  in  Bezug  auf  einzelne  Organe 
oder  Gewebe  geäussert;  so:  Joh.  Müller'),  Ca\.statt^),  Herm.  Meyer ^), 


i)  Joh.  Müller,  Handbuch  der  Physiologie  1837. 

2)  Canstatt,  Wagner's  Handwörterbuch  der  Physiologie  1842  Bd.  1.  Artikel: 
Atrophie. 

3)  Herm.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Physiologie  der  Nervenfaser.  Tübingen 
1843,  und  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiologie  1867.  Die  Statik  und  Mechanik  des  menscli- 
lichen  Knochengerüstes  1873. 

14* 


212  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


•J.  Hekle'),  Ludw.  FiGK-.  R.  ViRCHOW^).  A.  FicK*),  C.  Ludwig 5)^ 
W.  Henke«),  H.  Spencer ^j,  [486]  W.His»),  Oh.  Darwin"),  E.  HaegkelI»), 
J.  Ranke  1^).  L.  Hermann^-),  J.  Wolff^^),  Steudener  ^*),  J.  Cohnheim^^)  H. 
kStrasser^^),  C.  Bardeleben  1'),  H.  Nasse^^j,  F.  Busch i^),  M.  Ka.ssowitz-"), 
DU  Bois-Reymond^^),  Ed.  Rindfleisch-'^),  W.  Freyer ^^),  S.  Stricker^*). 
Diese  Aeusserungeii  sind  zumeist  blos  gelegentliche ;  und  keiner 
dieser  Autoren  hat  eine  Theorie  ausgearbeitet,  welche  dem  gegenwärtigen 


1)  J.  Henle,  Handbuch  der  ratiouellen  Pathologie  1846  Bd.  I. 

-)  LuDW.  FiCK,    Ueber  die  Ursachen    der  Knochenformen    1857.     Ueber  die  Ue- 
.staltung  der  Gelenkflächen.     Arch.  f.  Anat.  i\.  Physiol.  1859. 

•^)  R.  ViRCHOW,  Die  Zellularpathologie  1858. 

1)  A.  FicK,  Moleschott's  Untersuchungen  1860  Bd.  III. 

3)  C.  Ludwig,  Lehrbuch  der  Physiologie  1861. 

tj)  W,  He.nke,  Handbuch  der  Anatomie  und  Mechanik  der  Gelenke  1863. 

■<)  H.  Spencer,  Principien  der  Biologie  1864  Bd.  1. 

^)  W.  His,  Ueber   die   Häute    und  Höhlen    des   Körpers.     Academ.    Programm, 
Basel  1865.     Unsere  Körperform  1874  S.  128. 

'•')  Ch.  Darwin,  Das  Variiren  der  Pflanzen  und  Thiere  im  Zustande  der  Dome- 
stikation. 

10)  E.  Haeckel,  Generelle  Morphologie  der  Organismen  1866,  und:  Natürliche 
Schöpfungsgeschichte. 

n)  J.  Ranke,  Die  Blutvertheilung  und  der  Thätigkeitswechsel  der  Organe  1871. 
1-)  L.  Hermann,  Grundriss  der  Physiologie  des  Menschen  1872. 

13)  J.  WoLFF,  Ueber  die  innere  Architektur  der  Knochen.  Virchow's  Arch. 
1870  Bd.  50.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Heilung  der  Fracturen,  v.  Langenbeck's 
Arch.  f.  Chirurgie  Bd.  14.  1872  Das  Gesetz  der  Transformation  der  inneren  Architektur 
der  Knochen  bei  pathologischen  Veränderungen  der  äusseren  Knochenform.  Sitzungs- 
ber.  d.  Akad.  d.  Wiss.  zu  Berlin,  phys.-math.  Gl.  vom  24.  April  1884.  —  Koester, 
Verhandl.  d.  phys.-med.  Ges.  zu  Würzburg,  Juni  1872. 

14)  Steudener,  Abhandl.  d.  naturf.  Gesellsch.  in  Halle  1875.    Bd.  13.    Heft  3. 
lii)  J.  Cohnheim,  Vorlesungen   über  allgemeine  Pathologie.    1877.    Bd.  1. 

16)  H.  Strasser,  Zur  Entwickelung  der  Extremitätenknorpel  bei  Salamandern 
und  Tritonen.  Morpholog.  Jahrb.  1877,  Bd.  3,  und:  Zur  Kenntniss  der  functionellen 
Anpassung  der  quergestreiften  Muskeln.    1883. 

17)  C.  Bardeleben,  Ueber  den  Bau  der  Arterienwand.  Sitzungsber.  d.  Jenaischen 
Ges.  f.  Med.  u.  Nat.  10.  Mai  1878.  S.  16. 

18)  H.  Nasse,  Pflüger's  Archiv  Bd.  23,  S.  361  f. 

19)  F.  Busch,  Regeneration  und  entzündliche  Gewebebildung.  Samml.  klin.  Vor- 
träge von  Volkmann.  1880.  Nr.  178. 

-0)  M.  Kassowitz,  Die  normale  Ossification.  Wien,  medicin.  Jahrb.  von  Stricker, 
1880. 

-1)  Du  Bois-Reymond,  Ueber  die  Uebung.    Festrede  1881. 

--)  Ed.  Rindfleisch.  Die  Elemente  der  Pathologie  1883. 

-3)  W.  Preyer,  Elemente  der  allgemeinen  Physiologie  1883. 

-1)  S.  Stricker,   Vorlesungen   über  allgemeine  u.  experimentelle  Pathologie  1883. 


DiflPerenzirende  Correlationcn  der  Theile:   1.  Fnnctionellp  AnpasRiinfj.  218 

Staiidpunkto  unserer  Kenntnisse  der  Tliatsaclicn  (ienü^e  zu  leisten  vei-- 
mag.  Ich  habe  micli  l)estTeht,  dieses  Ziel  zu  erreichen  (s.  Nr.  4)  und 
angefangen,  in  einer  besoncleren  Serie  [487|  von  ,, Heiträgen  zur  Mor- 
phologie der  functionellen  Anpassung"  (s.  Nr.  7—11)  unsere  Kenntniss 
der  bezüglichen  Vorgänge  zu  vervollstäudigen;  daselbst  werden  auch 
die  Leistungen  der  genanntem  Autoren  eingehend  gewürdigt  werden. 
Ich  verweise  daher  bezüglich  des  Genaueren  auf  diese  Darstellungen 
und  werde  hier  das  Principielle  nur  so  weit  erörtern,  als  es  für  unseren 
speciellen  Zweck  dadurch  nöthig  gemacht  wird,  dass  die  Wirkung 
dieses  Principes  vielfach  tief  in  das  embryonale  Leben 
eingreift. 

Die  functionelle  xVnpassung  kann  ihre  Wirkung  in  einem 
Organe  natürlich  erst  beginnen,  wenn  dasselbe  nach  seiner  An- 
lage zum  ersten  Male  ausser  seiner  Selbsterhaltungs-  undEnt-' 
wickelungsf  unctionen  seine  specifische,  demGanzen  dienende 
Function  ausübt,  also  erst,  nachdem  es  selber  schon  bis  zu  der 
hierfür  nöthigen  Vollkommenheit  durch  andere  Gestaltungsprincipien 
ausgebildet  worden  ist.  Dieser  Moment  tritt  aber  bei  einigen  Or- 
ganen, z.  B.  beim  Ectoblast,  beim  Entoblast,  bei  dem  Herzen  und 
bei  den  Blutgefässen  sehr  frühzeitig  ein ;  und  schon  E.  v.  Baer  ') 
ist  ,,fest  überzeugt,  dass  erst  durch  die  Bewegung  des  Blutes  die  Ge- 
fässwand  in  dem  Gefässhof  sich  bildet-);  H.  Virchow"^),  J.  Jaxo.sik"*) 
und  J.  KoLLMAN.N^)  haben  jüngst  die  verdauende  Thätigkeit  der  eben 
erst  gebildeten  Entoblastzellen  des  Dotterwalles  erkannt;  und  ich  habe 
oben  darauf  hingewiesen,  dass  beim  Absterben  der  Gastrula  und  älterer 
Embryonen,  die  Zellen  des  Ectoblast  ihre  polyedvische  „functioncU.e 
Gestalt^'  verHeren  und  sie  mit  der  Kugelgestalt  vertauschen;  erstere 
ein  Zeichen,  dass  sie  schon  als  Epithelzellen  fungirt  haben. 

Mit  der  öftei^en  Functionirung  erlangt  die  Function  unter  Vermit- 

i)  K.E.  V.  Baer,  lieber  die  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere.  1828.  Hd.  1,  S.  15. 

[2)  Siehe  dagegen  I,  S.  83  Anm.] 

'')  H.  ViRCHow,  Ueber  das  Epithel  im  Dottersack,   Diss.  Berlin  1875. 

4)  J.  Janoj'IK,  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Keimwulstes  bei  A^ögeln.  Wiener 
Sitzungsber.  1881.  Bd.  84.  Abth.  3. 

■i)  J.  Kollmann,  Der  Randwulst  und  der  Ursprung  der  IStützsubstanz.  Arcli.  f. 
Anat.  u.  Physiol.,  anat.  Abth.  1884. 


214  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


telung  der  functionellen  Anpassung  mehr  und  [488]  mehr  die  Herr- 
schaft über  das  fungü'ende  Substrat,  so  dass  die  anderen  bildenden 
Kräfte  in  der  Erlialtung  und  weiteren  Ausbildung  des  Organes  mehr 
und  mehr  zurücktreten.  Die  allgemeine  Möglichkeit  dieser  in  ihren 
Leistungen  immer  das  den  gegebenen  Verhältnissen  Entsprechende 
schaffenden  Rückwirkungen  der  Function  auf  das  sie  vollziehende 
Substrat  beruht  im  Allgemeinen  darauf,  dass  jede  Function  ein  Ge- 
schehen ist  und  als  solches  die  Fähigkeit  hat,  auf  andere  in  seinem 
Wirkungsbereiche  befindhche.  ihm  nicht  conforme  Zustände  oder  Vor- 
gänge, modificirend,  eventuell  conformirend  einzuwirken. 

1.  Diese  modificirende  Wirkung  kann  eine  rein  mecha- 
nische sein  und  so  lange  dauern,  bis  das  fungirende  Substrat  in 
eine  gewisse  mechanische  Uebereinstimmung  mit  dem  functionellen 
Vorgang  gebracht  ist,  bis  z.  B.  die  Sehnenfasern  in  der  Rich- 
tung des  Muskelzuges  gelegen  sind  (W.  His),  oder  bis  zwei  zu- 
sammengehörige Gelenkflächen  sich  zu  einer  gewissen,  der  Führung 
entsprechenden  Uebereinstimmung  abgeschliffen  haben  (Luuw.  Fick). 
Der  Wirkungsumfang  dieser  ,, mechanisch  vermittelten  func- 
tionellen Anpassung",  oder  kürzer  dieser  ,, mechanischen  func- 
lionellen  Anpassung"  ist  noch  nicht  recht  festgestellt,  gleichwohl 
aber,  wie  es  scheint,  erheblich  überschätzt  worden. 

2.  Die  Hauptvvirkungen  der  functionellen  Anpassung  müssen  com- 
])licirter  vermittelt  sein  und  beruhen  nacli  meiner  Auffassung  (s.  Nr.  4)  auf 
einer  ganz  besonderen  (Qualität  des  fungirenden  Substrates,  vermittelst 
deren  in  einem  von  der  Häufigkeit  der  Wiederholung  der  Function 
abhängigen  Maass.  die  den  functionellen  Verhältnissen  entsprechendste 
Grösse,  Gestalt  und  Structur  jedes  Organes  des  Individuums  durch 
die  Function  selber  sich  herstellen  muss.  Da  so  die  Configuration 
der  Organe  durch  die  von  aussen  her  zugeführte,  die  Function  ver- 
anlassende und  bestimmende  Energie  bedingt  ist,  muss  die  Gonügu- 
rationsbildung  selber  als  eine  correlative  Bildung  bezeichnet  werden. 
Doch  ist  zu  erwähnen,  dass  zu  dem  angegebenen  vollkommenen  Effecte 
höchster  Zweckmässigkeit  noch  ein  anderes,  nachstehend  (S.  216)  er- 
örtertes Princip  der  ( 'orrelation ,  welches  von  den  früheren  Autoren 
übersehen  worden  ist,  helfend  eingreifen  muss.    Das  Wesen  der  einen 


Differenzirende  Correlationen  der  Theile:   1.    Functionelle  Anpassung.         215 

solchen  Effect  ermöglichenden  Gewebsqualität  ist  d.'irin  l)estehend  zu 
denken,  dass  mittelbar  oder  unmittelbar  die  specifische  [489] 
Function  eine  „trophische",  die  Assimilation  anregende» 
Wirkung  für  jedes  einzelne  kleinste  fungirende  Theilchen 
besitzt,  resp.,  wenn  letzteres  nicht  selber  assirailirt,  dessen  Matri  x  zur 
Bildung  neuer  fungirender  Theilchen  anzuregen  vermag,  während 
umgekehrt  ohne  Function  die  Selbsterhaltungsiähigkeit  der  Theile 
sich  vermindert,  resp.  kein  Ersatz  der  geschwundenen  Theile  stattfindet. 

Diese  Art  der  Anpassung  wollen  wir  daher  als  die  atrophisch 
vermittelte  f unctionelle  Anpassung^'  der  mechanisch  ver- 
mittelten gegenüberstellen.  Die  scheinbar  teleologische  Wirk- 
ung dieser  Substanzqualität  auf  die  Gestalt  und  Structur  der  Organe 
beruht  theils  darauf,  dass  diese  Qualität  ein  Princip  „mechani- 
scher^'  der  geleisteten  Arbeitsgrosse  jedes  kleinsten  Theil- 
chens  entsprechender  ,,SeIbstI öhmmg''  darsteWt.  Es  ist  evident, 
dass,  wenn  ein  solches  mechanisches  Princip  sich  auch  auf  die  ganzen 
Individuen  übertragen  liesse,  in  den  socialenEin  rieh  tun  gen  dieser 
eine  gleiche  Vollkommenheit  sich  ausbilden  könnte  resp.  müsste^). 

Anderen  Theiles  aber  ist  die  Ursache  der  scheinbar  teleologischen 
Wirkung  dieser  Gewebsqualität  darin  zu  erkennen,  dass  letztere  zu- 
gleich eine  Art  von  Wechselwirkung  unter  den  fungirenden  Theilen 
ermöglicht,  welche  auf  dem  Wege  der  Auslese  unter  den  Theilen  zur 
stetigen  Vervollkommnung  führen  muss,  wie  in  dem  nächsten  Ab- 
schnitt dargethan  werden  wird.  Als  Hilfsprincip  für  die  Massenver- 
sorgung grösserer  Theile  mit  Nahrung  kommt  noch  hinzu,  dass  von 
den  Orten  des  Substanzverbrauches  aus  im  Bedarfsfalle  besondere 
Mechanismen  für  verstärkte  Nahrungszufuhr  ausgelöst  werden  können. 
Diese  gröberen  Mechanismen  verdanken  aber  gleichfalls  nur  der  func- 
tionellen  Anpassung   der   betheiligten  Gefässe   und  Nerven   ihre   ent- 

[1)  Die  Ansicht  der  neuesten  Volksbeglücker,  dass  es  „ungerecht"  sei,  jeden 
nach  seinen  „Leistungen"  zu  lohnen,  sondern  dass  jeder  Mensch  gleich  viel  zugetheilt 
erhalten  müsse,  war  damals  noch  nicht  entdeckt.  Es  ist  aber  auch  kaum  annehm- 
bar, dass  Organismen  sehr  leistungsfähig  werden  würden,  in  denen  jeder  von  den  Zellen 
aller  Gewebe  stets  gleich  viel  Nahrung  zugetheilt  würde.  Das  Maximum  au  Leist- 
ungsfähigkeit eines  Ganzen  kann  blos  erreicht  werden,  wenn  jeder  Theil  desselben 
nach  dem  Maasse  der  Nothwendigkeit  und  Grösse  seiner  Leistung  für  das  Ganze 
gelohnt  wird.] 


216  Nr.   18.    Zur  Orientirung  über  die   Probleme  etc. 


sprechende  Ausbildung;  gleichwohl  wurden  sie  früher  als  die  primären 
und  alleinigen  Vermittler  der  functionellen  Anpassung  der  Organe 
aufgefasst.  Ich  habe  nachgewiesen,  dass  diese  Auffassung  irrthümlich 
sein  muss,  besonders  deshalb,  weil  die  functionellen  Structuren  viel 
feiner  sind  als  die  Capillarbezirke  und  weil  die  functionelle  Anpassung 
dimensional  beschränkte  Hypertrophien  und  Atrophien ,  /..  B.  blos 
der  Dicke  oder  blos  der  Länge  der  [490]  Muskeln  hervorzubringen 
vermag,  was  beides  nicht  durch  die  Art  der  Blutvertheilung  bewirkt 
werden  kann. 

Zu  weit  verbreiteten  ,,diff erenzirenden"  Correlationen 
der  Theile  des  Organismus  führt  dieses  Princip  dadurch,  dass  die  Organe 
in  vielfachen  ,  ,f  u  n  c t  i  o  n  e  1 1  e  n  C o  r  r  e  1  a t i  o  n  e  n' '  unter  einander  stehen, 
indem  die  Function  eines  Organes  die  vieler  anderen  veranlasst. 
Die  Ganglienzelle  setzt  den  Nerven ,  dieser  den  Muskel ,  dieser  die 
Fascien,  Sehnen,  Knochen  und  Gelenke  in  Thätigkeit;  und  in  allen 
oder  den  meisten  dieser  Theile  finden  zugleich  Aenderungen  der 
Circulation  statt,  welche  die  Gefässe  und  schliesslich  das  Herz  in 
ihrer  Thätigkeit,  wiederum  unter  Vermittelung  von  Nervenbahnen 
imd  Nervencentren  alteriren.  Durch  diese  functionellen  Correlationen 
kann  schon  während  der  Heranbildung  vieler  Organe  im 
Embryo  vom  ersten  Beginne  besonderer,  nicht  blos  auf 
die  eigene  Selbsternährung  der  Organe  gerichteter  Func- 
tionen an,  unter  Vermittelung  der  functionellen  Anpassung,  das 
feinere  functionelle  Zusammenpassen,  die  functionelle  Har- 
monie aller  Theile  zu  einander  entstehen.  So  kann  auch  bei 
primärer  Aenderung  eines  einzigen  Organes  im  Embryo  eventuell  die 
ganze  übrige  Organisation  eine  derartige  Abweiclumg  von  der  normalen 
Ausbildung  erfahren,  dass  das  Individuum  doch  selbstständig  lebens- 
fähig ist  und  bald  nach  dem  Beginne  der  betreffenden  Functionen  iji 
allen  seinen  Theilen  als  harmonisch  gebildet  sich  darstellt  [s.  Nr.  4]. 

2.    Der  zur  „Theilauslese"'   führende   ,, züchten  de  Kampf   dei- 
Theile"  im  Organismus. 

Fin  zweites  Princij)  möglicher  difterenzirender  Correlationen  ist  die 
züchtende  Theilauslese  im  (h-js;:aiiisunis  [s.  Nr.  4  u.  5]. 


Directcr  Kampf  der  Theilo.  217 

nieThcilaiislcsc  im  ( )rij,;misiiuis  kann  das  Piodud  zweier  wcscnt- 
licli  verschiedener  Vorgänge  sein.  Einmal  ist  eine  directe  oder  indirecto 
Wech  sei  Wirkung  zwisclien  selbsterhaltungst'äliigen  lehensthätigen 
Theilen  des  Organismus  möglicli  [die  durcli  Züchtung  einiger  und 
Vernichtung  anderer  Qualitäten  oder  durch  Veranlassung  localer 
Ausbildung  oder  localen  Schwundes  zur  1)  i  \  i  er  e  n  /  i  )•  u  n  g  l'iihrt]  und 
die  man  ihrem  Wesen  nach  mit  einigem  Rechte  als  Kam])t'  bezeichnen 
kann.  Ausserdem  aber  können  auch  lebensthätige  Theile,  welclie  be- 
stimmte, unter  den  vorhandenen  Verhältnissen  nicht  mehr  selbster- 
haltungsfähige  Qualitäten  besitzen,  einfach  schwinden  und  so  aus  dem 
Organismus  eliminivt  werden,  wodurch  die  Qualitäten  des  Organisnnis, 
resp.  des  betreifenden  Organes  eine  entsprechende  Aenderung  erfahren. 
[Diese  Selbstausmerzung  von  Theilen  kann  nur  soweit  zu  den  Cor- 
relationen  der  Theile  gerechnet  werden,  als  die  sie  schädigende 
Aenderung  der  äusseren  Verhältnisse  dieser  Theile  im  Laufe  der 
Ontogenese  durch  Theile  des  Organismus  selber  i)roducirt  wird,  also 
nicht  durch  ausserhalb  des  Organismus  liegeiKle  Verhältnisse  be- 
dingt ist.  Genaueres  als  hier  blos  der  Uebersicht  über  die  Correla- 
tionen  wegen  reproducirt  ist,  siehe  in  der  ausführlichen  Darlegung  Nr.  4. 

[4:91]  1.  Betrachten  wir  zunächst  die  durch  Kampf  ver- 
mittelte Auslese.  Um  das  Wesen  dieser  Art  Vorgänge  uns  klar 
zu  machen,  müssen  wir  uns  etwas  weiter  umsehen. 

Da  die  Zellen  assimiliren  und  sich  so  einen  wesentlichen  Theil 
ihrer  in  der  Aussenwelt  nicht  unmittelbar  vorhandenen  Existenzbe- 
dingungen selber  produciren,  so  stellen  sie,  wie  die  ganzen  Individuen 
.,Selbsterhältungsprocesse"  dar;  und  sie  sind  dies  vielleicht  gleich 
den  Individuen  in  einem  Jioch  höheren  Sinne  dadurch,  dass  ihnen 
innerhalb  gewisser  Grenzen  noch  die  Fähigkeit  der  „Selbstregulation'- 
zukommt,  in  der  ic^h  die  wesentlichste  allgemeine  Eigenschaft 
des  Organischen  erbhcken  zu  müssen  glaube^).  Diese  besteht  darin, 
dass  beim  Fehlen  eines  Erhaltungsbedürfnisses  z.  B.  der  Nahrung,  die 
Fähigkeit  sich  dieselbe  zu  verscliaffen,  sie  aus  der  nächsten  Umgebung 
anzuziehen  und  aufzunehmen,  eine  gewisse  Strecke  weit  mit  der  Grösse 
des  Bedürfnisses  steigt;  während  bei  überschüssig  vorhandener  Nahrung 

1)  S.  Bd.  l  Nr.  4,  l\apitel  V:  Ueber  das  Wesen  des  Organischen  u.  Bd.  II  S.  78. 


218  Nr.  18.    Zur  Orientirun-?  über  die  Probleme  etc. 


die  Aufnahme  sich  bald  verringert;  oder  z.  B.,  dass  bei  einem  Druck 
durch  die  Nachbarschait  auch  (Ue  Druck  Widerstandsfähigkeit  der  Zellen 
sich  ein  wenig  steigert. 

Solche  durch  Selbsterzeugung  eines  Theiles  ihrer  Existenz- 
bedingungen und  durch  Selbstregulation  von  den  anorganischen 
physikalisch -chemischen  Processen  unterschiedene  und  so  durch  ein 
Fürsich  sein,  durch  eigenes  Selbst  ausgezeichnete  Vorgänge  (s.  I, 
S.  241  Anm.)  können  in  Folge  dessen  auch  in  andere  Arten 
von  Wechselwirkungen  untereinander  treten  als  die  „an- 
organischen" Processe.  Bei  den  Wechselwirkungen  dieser  letzteren 
werden  stets  alle  Componenten  verändert  und  zu  einer  „Resultante" 
vereinigt.  Von  miseren  „Selbsterhaltungsprocessen"  dagegen 
kann  der  eine  den  anderen  durch  seine  Anwesenheit  total 
in  seiner  „Sonderexistenz"  vernichten,  während  ersterer 
selber  unverändert  den  anderen  überdauert. 

Da  hier  somit  das  Resultat  der  Wechselwirkung  beider 
dasselbe  ist,  wie  bei  einem  bewussten  Kampfe  zweier  Indi- 
viduen, so  habe  ich  es  für  berechtigt  gehalten,  auch  denselben 
Namen  dafür  zu  verwenden,  zumal  da  für  diese  erst  neu  beachtete 
Art  der  AVechselwirkung  ohne  Bewusstsein,  kein  besonderer  Name  exi- 
stirt,  und  der  ganze  Vorgang  sich  auf  die  angedeutete  [■1-92]  Weise 
principiell  von  den  anorganischen  Wechselwirkungen  unterscheidet. 

Da  die  Flammen  durch  ihre  Assimilation  und  eine  gewisse 
vSelbstregulation  Selbsterhaltungsprocesse  darstellen,  so  kann 
man  sie  zur  Demonstration  derartiger  Kampfesweisen  be- 
nutzen. Es  lässt  sich  zeigen,  wie  eineWachsflamme  mit  einer  Gas- 
flamme zugleich  unter  einen  umgekehrt  aufgehängten  Glastrichter  ge- 
bracht, von  letzterer  vernichtet  wird  und  zwar  an  einer  Stelle,  wo 
sie  vorher  ganz  gut  sich  weiter  zu  erhalten  vermochte.  Die  Wachs- 
flamme kann  ihrerseits  wieder  eine  Stearinflamme  ver- 
nichten. Ebenso  kann  man  die  Wachsthumshemmung  einer 
schwächeren  Flamme  durch  eine  stärkere  deutlich  vorführen, 
wenn  man  zwei  Papier  streifen,  von  denen  aber  der  eine  mit  Oel  ge- 
tränkt ist,  gleichzeitig  anzündet  und  unter  den  Glastrichter  bringt. 
Nachdem  die  Terpentinölflamme   schnell  gross  aufgewachsen   ist  und 


Indiroctor  Kampf  dor  Tlioilc  219 

ihr  Material  aufgezehrt  hat,  langt  die  his  (hihiii  klein  gebliebene 
Papierflamme  erst  an,  sich  weiter  zu  vergrössern. 

Es  giebt  in  der  Pathologie  zahlreiche  Vorkommnisse,  welche 
auf  einen  Kampf  unter  den  Zellen  hinweisen,  so  das  Eindringen  von 
einer  Zelle  in  eine  andere  unter  entsprechender  Usur  der  Substanz 
der  letzteren,  z.  B.  bei  der  Aufzehrung  der  durch  ITnterbrechung  der 
Blutcirculation  geschwächten  Muskelfasern  durch  einwandernde  weisse 
Blutzellen  (s.  I,  S.  258).  Der  Kampf  unter  den  selbsterhaltungsfähigen 
Theilen  einer  Zelle  dagegen  wird  sieli  schwerer  durch  directe  Beob- 
achtung nachweisen  lassen. 

Diese  Wechselwirkung  von  Zellen  oder  sonstigen  selbsterhal- 
tungsfähigen Theilen  des  Organismus,  welche  mit  Verkleinerung  oder 
gänzlicher  Vernichtung  des  Einen  durch  das  sich  vergrössernde  oder 
allein  überlebende  Andere  verbunden  ist,  kann  auf  sehr  verschiedene 
Weise  vor  sich  gehen. 

Erstens  kann  dieser  Kampf  ein  ,,directer"  sein,  indem  die 
eine  Zelle  durch  ihr  Wachsthum  die  andere  Zelle  beim  Mangel  des 
Raumes  direct  am  weiteren  W  a c h  s t h u m  li e m m  t ,  oder  s i e 
direct  erdrückt,  derart,  dass  letztere  immer  kleiner  wird  und 
schliesslich  schwindet.  Bei  Raummangel  werden  also  ceteris  paribus 
die  druckfesteren  Zellen  allein  übrig  bleiben  und  allein  sich  weiter  ver- 
[493]  mehren.  Ferner  kann  eventuell  die  eine  Zelle  die  andere 
direct  aufzehren,  wie  es  wohl  in  dem  erwähnten  pathologischen 
Beispiele  und  normalerweise  im  Embryo  mit  den  Dotterzellen  seitens 
der  Zellen  des  Keimes  geschieht  [oder  wie  es  mit  dem  Schwanz  der 
Anurenlarven  stattfindet]. 

Oder  zweitens  der  Kampf  ist  ein  in  direct  geführter,  in- 
dem die  eine  Zelle  der  anderen  nur  die  Nahrung  vorweg  nimmt, 
sofern  letztere  nur  spärlich  vorhanden  ist  und  eine  der  Zellen  stärkere 
chemische  Affinitäten  besitzt.  Solche  Wechselwirkung  kann  auch 
zwischen  nicht  benachbarten  Zellen,  ja  zwischen  ganz  entfernten 
Organen  stattfinden,  indem  die  stärkst  assimihrenden  Zellen  am  rasche- 
sten dem  spärlichen  Blute  so  viel  Nahrung  entziehen,  dass  der  Ge- 
halt desselben  an  den  betreffenden  Stoffen  bald  so  gering  wird,  dass 
die    schwächeren  Organe   nur  wenig   oder   bald   nichts   mehr  ihm  zu 


220  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


entnehmen  vermögen.  Dieses  Verhältniss  erklärt  wohl  zum  Tlieil 
die  ungleiche  Gewichtsabnahme  der  Organe  bei  der  Inanition, 
zumal  da  hierbei  die  thätigsten ,  also  am  meisten  verbrauchenden 
Organe,  wie  Herz  und  Gehirn,  am  wenigsten  schwinden.  In  dieser 
Wechselwirkung  werden  also  ceteris  paribus  nur  die  kräftigst  assimi- 
lirenden  Zellen  übrig  bleiben.  Es  leuchtet  ein ,  dass ,  wenn  diese 
kräftigeren  Gebilde  nicht  im  (Organismus  vorhanden  gewesen  wären, 
die  schwächeren  noch  hätten  weiter  leben  können,  und  dass  umge- 
kehrt in  dem  Maasse,  als  die  schwächeren  Tlieile  noch  Nahrung  auf- 
nehmen, diese  den  stärkeren  entzogen  wird.  Und  es  ergiebt  sich,  dass, 
wenn  die  schwächeren  Tlieile  einmal  auf  die  geschilderte  Weise  durch 
die  Existenz  der  stärkeren  etwas  benachtheiligt  worden  sind,  ein  Cir- 
c  u  1  u  s  der  S  e  1  b  s  t  s  t  e  i  g  e  r  u  n  g  d  e  r  \^  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  h  e  i  t  eingeleitet 
ist,  welcher  erstere  Theile  beim  Andauern  der  äusseren  ungünstigen 
^^erhältnisse  allmählich  zum  Tode,  also  zurP]limination  des  Schwächeren 
führen  muss. 

Sind  noch  andere  Mittel  zum  Leben  nöthig,  so  können  natür- 
lich die  Theile  auch  noch  diese  Erfordernisse  einander  wegnehmen, 
z.  ß.  den  functionellen  Reiz.  Wenn  z.  B.  in  den  Muskelfasern  Theile 
sind,  welche  den  functionellen  Reiz  ceteris  paribus  leichter  aufnehmen 
als  die  anderen,  so  werden,  nach  der  zur  Erklärung  der  functionellen 
Anpassung  gemachten  Annahme,  bei  einer  für  die  Erhaltung  der 
ganzen  Faser  ungenügenden  Reizzufuhr  die  leichter  erregbaren  Theile 
die  weniger  leicht  erregbaren  durch  A^orwegnahme  einer  Lebensbe- 
dingung der  Vernichtung  überliefern. 

[494]  In  diesen  beiden  Arten  directen  und  indirecten  Kampfes 
führt  die  Auslese  zu  einer  Züchtung  besonderer  Qualitäten  im  Orga- 
nismus; und  die  allein  zur  Erhaltung  ausgelesenen  Theile  werden 
durch  das  ungleiche  Verhalten  der  Theile  des  Organismus  gegen  eine 
äussere  Ursache  (Raum-  oder  Nahrungsmaugel)  bestimmt,  welclie  an  sich 
alle  in  die  Wechselwirkung  "eintretenden  Theile  in  gleicherweise  betrifft. 

Zweitens  kann  umgekehrt  auch  bei  gleicher  Qualität  der 
Theile  eine  Auslese  durch  locale  Begünstigung  von  Theilen 
zu  Stande  kommen,  welche  in  der  Art  ihres  Zustandekommens  noch 
den  Namen    eines   indirecten   Kampfes  verdient  und   wiederum  zu 


Auslose  (Imvli  localt-  Hegünstisuni;.  221 

einer  totalen  A^eniiclitunu'  der  Ivxistcii/,  di's  cinni  diii'cli  ilie  l^xistcii/ 
des  anderen  füln-t.  Diese  Art  der  Wechselwirknng  beruht  auf  <ler 
Tendenz  zu  bestimmter  Locali.sation  der  Function  in  manchen  Organen 
mid  auf  der  trophischen  Wirkung  der  Function  selber,  welche  wir 
als  die  Grundlage  der  functionellen  Anpassung  bezeichnet  haben. 
Diese  trophisch  vermittehe  functionelle  Anpassung  wüi-de  für  sich 
allein  wesentlich  blos  die  leistungsfähige  Gr()sse  der  Organe  auszu- 
bilden vermögen;  in  N'erbindung  mit  der  jetzt  zu  erwähnenden  Art 
der  Auslese  wird  sie  zu  einem  Princip  erhoben,  welches  die  Organe 
bis  zur  vollkommensten  Anpassung  an  die  Function  in 
., Gestalt  und  Strnctur"  auszubilden  vermag  (s.  Nr.  4. 
Kapitel  IV). 

Stellen  wir  uns  diese  directe  Anpassung  der  Structur  an 
die  Function  z.  B.  beim  Knochen  vor.  Ein  zwischen  zwei  wag- 
rechten Knochenplättchen  befestigtes,  mit  ihnen  an  seinen  Enden  ver- 
schmolzenes Knochenbälkchen  stehe  statt  in  der  Richtung  des  senkrech teii 
Druckes  schräg  zu  derselben ;  alsdann  wird  dasselbe  durch  den  Druck 
mehr  oder  weniger  gegen  die  Plättchen  geneigt  werden .  A  n  d  e  n  b  e  i  d  e  n 
c  o  n  c  a  V  e  n  W  i  n  k  e  1  n  ist  alsdann,  wie  in  einem  späteren  Beitrage  zur 
Morphologie  der  functionellen  Anpassung  dargethan  werden  wird,  die 
Beanspruchung  eine  stärkere,  als  auf  der  entgegenge- 
setzten convexen  Seite;  nach  obiger  Annahme  der  trophischen 
Wirkung  der  Function  wird  daher  Knochen  concaverseits  angelagert 
werden.  [Dies  wird  sich  so  lange  fortsetzen,  als  die  Ungleichheit  be- 
steht, also  als  diese  Seiten  noch  concav  sind.]  Durch  den  neugebildeten, 
mehr  in  der  ursprünglichen  Druckrichtung  liegenden  Knochen  hin- 
durch pflanzt  sich  nun  ein  grösserer  Theil  des  Druckes  fort,  wodurch 
der  Knocheu  an  der  Gonvexität  gleichzeitig  entsprechend  entlastet 
wird;  es  findet  also  daselbst  Functionsentziehung  und  daher 
[495]  allmählich  Inactivitätsschwund  statt,  möge  dieser  nun  direct 
vor  sich  gehen  oder  durch  ein  Sinken  der  Widerstandsfähigkeit  des 
entlasteten  Knochens  gegen  die  Osteoclasten  bedingt  sein.  In  dem 
Maasse  als  convexerseits  Knochen  schwandet,  wird  dadurch  die  con- 
cave  Seite  noch  stärker  beansprucht  als  vorher,  hypertrophirt  also 
noch  mehr  und  entlastet  wiederum  auf  der  anderen  Seite;  [und  Gleich- 


222  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


gewicht  ist  erst  hergestellt,  wenn  beide  Seiten  gleich  sind,  wenn  das 
Bälkchen  ganz  in  Richtung  des  Druckes  steht]. 

In  gleicher  Weise  wird  in  allen  Organen  mit  ,,localisirter 
Functionsgelegenheit"  bei  constanter  Functionsweise  durch  Hyper- 
trophie an  den  Stellen  stärkerer  Function  den  Stellen  schwächerer  Func- 
tion mehr  und  mehr  der  functionelle  Reiz,  die  Gelegenheit  zur  Func- 
tion entzogen;  und  die  so  gelegenen  Theile  werden  entweder  direct 
rückgebildet  oder  nacli  ihrem  jjhysiologischen  Schwund  nicht  wieder 
ersetzt.  Ein  ,, Gleichgewicht  zwischen  Function  und  Substrat'' 
ist  erst  hergestellt,  wenn  allenthalben  die  fungirende  Substanz  in 
den  Richtungen,  resp.  an  den  Orten  stärkster  Function 
gelegen  ist.  Findet  umgekehrt  irgendwo  an  einer  fungirenden  Stelle 
primär  Schwund  aus  irgend  einer  Ursache  statt,  so  erhalten  dadurch 
nun  andere  Stellen  Gelegenheit  zur  Function  und  werden  dadurch  zu 
weiterer  Ausbildung  befähigt.  So  entsteht  durch  diese  indirecte 
„Concurrenz  um  die  Function'^  mit  Hilfe  der  ,,trophisch  vermit- 
telten fuuctionellen  Anpassung"  eine  so  feine,  der  Function  auf  das 
Vollkommenste  angeschmiegte  „functionelle  Structur",  wie  sie 
aus  den  kleinsten  von  der  Function  direct  trophisch  beeinflussten 
Formelementen  zusammengesetzt  werden  kann.  Was  nun  für  die 
Structur,  also  für  die  Theile  der  Organe  gilt,  gilt  natürlich  auch  für 
die  Integration  der  Theile  zum  ganzen  Organe.  Die  Organe  werden 
daher,  sofern  nicht  äussere  Hindernisse  einwirken,  auf  dieselbe  Weise 
in  ihrer  Gestalt  der  Function  angepasst  werden,  bis  sie  blos  noch  den 
Ausdruck  der  Gestalt  der  Function  darstellen,  somit  eine  ,, functio- 
nelle Gestalt"  besitzen.  (Diese  Auseinandersetzung  ist  viel  zu  kurz, 
um  einwandfrei  zu  sein;  für  das  Genauere  verweise  ich  auf  meine 
bezüghchen  bereits  publicirten  (Nr.  4,  5,  7— 11)  und  noch  bevorstehen- 
den Specialarbeiten). 

Bei  dieser  ersten,  als  ,,Kampf"  bezeichneten  Wechseh\drkung 
von  Theilen  fand  eine  directe  oder  indirecte  B e nacht h ei ligung  in 
der  Selbsterhaltung  des  einen  Theiles  durch  die  Existenz  und 
Weiterentwickelung  des  anderen  statt;  und  die  Folge  war  erstens  bei 
.,diffuser"  Vertheilung  der  Lebensbedingungen  das  Ueberleben 
der  [4961  am  kräftigsten  sie  ausnutzenden  Qualitäten  unter  Vernich- 


Ausnierzuiii^   oder  yelbsteliininatioii.  223 

tung  der  weniger  kräftigen,  also  aiielu'ineN'cnniiiilcrung  der  urspriinglicli 
vorhandenen  Qualitäten ;  zweitens  bei  1  o  c  a  1  i  s  i  r  t  e  r  Lebensbedingung 
war  die  Folge  eine  vollkommene  Ausgestaltung  der  Form 
stärkster  Localisation  dieser  Bedingung,  also  eine  formale Ditteren- 
zirung.  In  beiden  Fällen  würde  der  eine  Theil  nicht  zu  Grund  ge- 
gangen sein,  wenn  nicht  der  andere  vorhanden  gewesen  oder  gebildet 
worden  wäre  und  ihn  durch  seine  Existenz  geschädigt  hätte;  in  glei- 
cher Weise  wie  unter  den  Individuen  eine  gute  Stelle,  wenn  nicht 
ein  tüchtigerer  Bewerber  vorhanden  gewesen  wäre,  dem  wenigei- 
tüchtigen  zu  seinem  und  seiner  Nachkommen  Nutzen  zugefallen  wäre ; 
oder  in  Bezug  auf  die  localisirte  Begünstigung,  wie  die  zufällig  im 
einer  Eisenbahn  gelegenen  Städte  sich  entwickeln,  während  die  früher 
blühenden,  aber  blos  an  einer  Chaussee  gelegenen  Städte  in  der  Con- 
currenz  um  den  Erwerb  mit  diesen  durch  ihre  Lage  begünstigteren 
Concurrenten  allmählich  zurückgehen  müssen  und  zugleich  in  dem 
Maasse,  als  sie  abnehmen,  dadurch  wieder  zur  weiteren  Entwickelung 
ihrer  Concurrenten  beitragen,  in  dem  Maasse  aber,  als  sie  noch  ferner- 
hin, mit  oder  ohne  Aufwand  grösserer  Anstrengung  sich  erhalten,  die 
Entwickelung  dieser  hindern. 

Man  kann,  da  die  Bezeichnung  ,,Kampf"  vielfach  Anstoss  erregt 
hat,  für  derartige  Wechselwirkung  nach  Preyer  auch  (he  Bezeichnung 
Concurreuz  oder  das  gegenwärtig  so  beliebte  Wort  Wettbewerb 
gebrauchen;  die  Bezeichnung  ist  ja  Nebensache;  die  Hauptsache  ist, 
dass'wir  erkannt  haben,  dass  derartige  zur  Theil  auslese  führende 
und  damit  das  sog.  Zweckmässige,  das  heisst:  das,, Dauer- 
fähige" schaffende  Correlationen  innerhalb  des  Indivi- 
duum vorkommen. 

W.  WuNDT  dagegen  sagt^),  dass  ich  mit  meinen  darauf  bezüg- 
lichen Erörterungen  „solche  Leben serscheinungen,  die  man  sonst  ge- 
wohnt war,  in  ihren  causalen  Beziehungen  aufzufassen",  blos  „in 
teleologische  Formen  umgedeutet"  hätte.  Der  Autor  giebt  vielleicht 
kund^),  wer  die  vorstehend  erörterten  Lebenserscheinungen  vor  mir 
„in  ihren  causalen  Beziehungen  zu  erfassen  gewohnt  war",  und  worin 

1)  W.  WüNDT,  Logik  Bd.  2,  S.  437. 

[■^)  Dies  hat  jedoch  W.  Wundt  bis  jetzt  unterlassen.] 


224  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


in  meinen  Anslnhi-nno-en  die  ,,teleolo,oisclie  rnideutung"  besteht  (s.  ], 
S.  145). 

[4:97]  3.  Aussei-  dieser  Auslese  als  Folge  des  Kampfes  oder  der 
Concurrenz,  also  einer  unmittelbaren  oder  mittelbaren  Wechselwirkung 
der  Theile  untereinander,  kann  nun  noch  eine  Auslese  durch 
d  i  ]•  e  c  t  e  A  u  s  m  e  r  z  u  n  g  oder  8  e  1  b  s  t  e  1  i  m  i  n  a  t  i  o  n  o  h  n  e  eine 
Wechsel  wirk u  ng  der  Th  eile,  unter  denen  ausgelesen  wird, 
stattfinden,  in  gleicher  Weise,  wie  aus  einem  GTemische  von  Eisen-, 
Messing,  und  und  Kupferspähnen  mit  dem  Magnete  alle  eisernen 
Theile,  oder  durch  Erhitzen  aus  einer  Mischung  von  Substanzen  alle 
liüchtigen  Bestandtheile  ausgesondert  werden  können.  Solche  Aus- 
merzung kann  innerhalb  des  Organismus  bei  jeder  Aenderung  der 
Lebensmittel  und  äusseren  Lebensumstände  eintreten.  So  werden  bei 
chronischem  Nahrungsmangel  ceteris  paribus  diejenigen  Zellen, 
welche  zu  ihrer  Erhaltung  mehr  Nahrung  nöthig  haben  als  die 
anderen,  zunächst  durch  Verhungern  eliminirt  werden;  und  durch 
das  alleinige  Uebrigbleiben  der  mit  weniger  Nahrung  erhaltungsfähigen 
Theile  wird  der  Organismus  zu  einer  Sp arm  aschine  umgezüchtet 
werden.  Oder  bei  chronischer  Einwirkung  von  Giften  (Blei, 
Arsenik)  werden  alle  nicht  widerstandsfähigen  Theile  ausgemerzt 
und  die  widerstehenden  nebst  ihren  Nachkommen  fernerhin  allein 
den  Oro-anismus  zusammensetzen,  wie  dies  alles  von  mir  schon 
mehrfach  auseinandergesetzt  worden  ist.  Immer  muss  bei  solchen 
Aenderungen  der  Lebensumstände  eine  Aussonderung  des  dabei  nicht 
Dauerfähigen,  nicht  weiter  Selbsterhaltungsfähigen  stattfinden;  die 
dauerfähigen  Theile  dagegen  bleiben  allein  übrig,  werden  zur  ferneren 
Erhaltung  „ausgelesen".  Also  die  Qualitäten  des  Organismus,  resp. 
des  von  der  Alteration  der  Umstände  allein  betroffenen  Organes. 
werden  vermindert  und  so  gieichmässiger,  somit  zugleich  different 
von  dem  früheren  Zustande  des  Organismus. 

Alle  diese  erörterten  Arten  der  Auslese  können  und  werden 
häufig  gleichzeitig  stattfinden,  auch  bei  Aenderung  blos  einer  Lebens- 
bedingung. Wir  hatten  bei  unserer  gesonderten  Betrachtung  der 
möglichen  Auslesearten  stets  die  übrigen  Verhältnisse  als  gleichbe- 
schaffen   vorausgesetzt ,   was    in  Wirklichkeit   nicht   der   Fall   zu    sein 


Tli»>ilauslese  im  Orgauismus.  225 


braiiclit.  Alsdann  ist  es  denkbar,  dass  z.  IV  diircli  doii  ruiictioncllcn 
Reiz  Theile  so  gestärkt  worden,  dass  sie  sieli  vcjrnichren  und  dabei 
ibre  Naebbarn  direct  erdrücken  oder  als  Nabrung  verwenden,  sie  ani'- 
zebren  (directer  Kampf);  andere  Tbeile  werden  [498]  vielleicbt  blos 
so  weit  gekräftigt,  dass  sie  bei  der  blossen  Erbaltung  ibres  Volumens 
den  anderen  die  niebt  für  alle  ausreicbende  Nabruno-  vorwesnehmen 
(indirecter  Kampf);  oder  aber  manebe  Tbeile  werden  zufolge  ibrer 
eigenen  Natur  durcb  den  functionellen  Reiz  in  ibrer  Selbsterbaltungs- 
fäbigkeit  geschädigt  und  daber  direct  ausgemerzt. 

Diese  Auslese  des  allein  unter  den  gegebenen  Verhältnissen 
Selbsterbaltungsfäbigen  und  der  Ersatz  des  nicht  Dauerfähigen  durcb 
die  Nachkommen  des  ersteren  erhöbt  natürlich  die  Dauerfälligkeit 
des  ganzen  Individuum  in  den  neu  eingetretenen  Verhältnissen; 
die  Folge  ist  also  eine  Anpassung  an  diese  Verhältnisse;  und 
da  dabei  das  Individuum  als  Ganzes  erhalten  bleibt,  so  erscheint  uns 
diese  Anpassung  als  eine  directe,  was  sie  auch  in  Bezug  auf  das  Indi- 
viduum ist.  Aber  man  darf  dabei  nicht  vergessen,  dass  diese  directe 
und  daher  anscheinend  teleologisch  vermittelte  Anpassung  doch  nur 
durch  Auslese  entstanden  ist:  wie  nach  Ch.  Darwin  die  Anpas- 
sung der  Art  auf  Kosten  der  Individuen,  so  entsteht  die 
Anpassung  des  Individuum  an  seine  Specialbedingungen 
auf  Kosten  seiner  Tbeile  (s.  Nr.  7). 

Ich  habe  diese  von  mir  schon  mehrfach  behandelten  Arten 
von  Correlationen  hier  aufs  neue  ausführlich  dargelegt,  weil,  wie  ich 
ersehen  habe,  das  Verständniss  dieser  Vorgänge  auf  grosse  Schwierig- 
keiten gestossen  ist;  und  weil  ein  klarer  Einblick  in  die  ver- 
schiedenen Möglichkeiten  für  die  Verwendung  des  Principes 
der  Theilauslese  im  Organismus  auch  bei  der  Deutung 
der  individuellen  Entwickelungsvorgänge  unerlässlich 
nöthig  erscbein^ 

Der  wirkliche  Antbeil  der  Theilauslese  an  den  Ent- 
wickelungsvorgängen  kann  natürlich  nur  durcb  specielle 
Untersuchungen  und  zumeist  unter  Anwendung  besonderer  erst 
noch  zu  erfindender  Metboden  festgestellt  werden.  Hier,  bei  der  ersten 
]^Tp|^p^pj^^^    ^^l^gp  f\\^  y^^^Y  Zeit   als   mögheb   in  Betracht  zu   ziehenden 

W.  U(iux,  üesammelte  Abhandlungen.    II.  '^ 


226  Nr.   18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

(lift'eroiizirenden   Correlationen  kann  l)los  oui  solche  D  eiik  möglich - 
keiten  hingewiesen  werden. 

[Erörtern  wir  nun  noch  kurz  beispielweise  den  eventuell  mög- 
lichen Antheil,  den  die  Theilauslese  an  der  normalen 
Ontogenese  nehmen  kann  oder  richtiger  im  Laufe  der 
Phylogenese  (s.  S.  232)  gehabt  haben  kann.] 

Während  der  Entwickelung  ändern  viele  Theile  ihre  Beschaffen- 
heit, indem  sie  7ai  den  specifischen  Geweben  sich  differenziren.  Da- 
bei kommt  es  vielleicht  vor,  dass  Theile  desselben  [499]  Ge- 
webes in  irgend  einer  für  die  Selbsterhaltung  wichtigen 
Eigenschaft  ungleich  werden,  so  dass  z.B.  stärker  wachsende, 
druckfestere  Zellen  andere  in  diesen  Beziehungen  schwächere  direct 
hemmen  oder  ganz  vernichten  können;  woraus  dann  eine  voll- 
kommenere Gleichartigkeit  und  höhere  Selbsterhaltungsfähigkeit  des 
ganzen  Gewebes  resultirt. 

Ferner  wechseln  mit  der  weiteren  Entwickelung  die 
nachbarlichen  Lebensumstände  vieler  Organe  oder 
Organ  theile  und  es  werden  diejenigen  Bionten,  welche  in  dieser 
Veränderung  der  Umgebung  etwa  nicht  dauerfähig  sind,  direct  ab- 
sterben oder  soweit  geschwächt  werden,  dass  sie  von  den  stärkeren 
Theilen  als  Nahrung  verwendet  werden.  Soweit  solches  unter  den 
Zellen  vorkommt,  wird  es  sich  mikroskopisch  feststellen  lassen  und 
man  kann,  wie  J.  Kollmanx^)  mit  Recht  erwähnt,  schon  die  Auf- 
zehrung der  Dotterzellen  durch  die  Zellen  des  Keimes  in  diesem 
Sinne  auffassen;  soweit  es  aber  blos  lebensthätige  Zell  theile  be- 
trifft, wird  es  schwer  nachweisbar  sein. 

Wir  wissen  noch  nicht,  wie  sich  die  ,,Selbstdiff e- 
renzirung"  der  Theile  und  die  ,,correlative  Differenzirung" 
der  Theile  gegen  einander  abgrenzen;  aber  soweit  diffe- 
renzirende  Wirkungen  von  einzelnen  Theilen  auf  ihre  Um- 
gebung ausgehen,  können  auch  unter  dieser  alterirenden  Wirkung 
nichtblos  latente  Unterschiede  dieser  Theile  in  wahrnehmbare 


')  J.  Kollmann,  Der  Randwulst  und   der  Ursprung   der  Stützsabstanz.     Arcli. 
f.  Anat.  u.  Entwick.  von  His  u.  Braune.    1884    S    382. 


Entstehungsursachen  der  verschiotlenon  Bindesubstanzea.  227 


verwandelt  werden,  wie  l)ei  der  Sichtbarmaclnni^  des  plioto- 
graphischen  Bildes  durch  Uebergiessen  der  Platte  mit  schwefelsaurem 
Eisenoxydul,  sondern  es  kann  vielleicht  mancher  Theil  unter 
dieser  umändernden  Einwirkung  seine  Selbsterhaltungsfähigkeit 
einbüssen,  und  so  einfach  ausgemerzt  werden  unter  üebrigbleiben 
der  allein  differenzirbaren  und  somit  für  die  weitere  Entwickelung 
brauchbaren  Substanzen . 

Zum  Beispiel  könnten  an  Stellen,  wo  öfters  Zug  einwirkt  (s.  I, 
S.  96),  von  verschiedenen,  daselbst  befindlichen  Zellen  vielleicht  blos  solche 
sich  zu  erhalten  vermögen,  welche  sich  durch  Bildung  zugfester  Substanz, 
also  faserigen  Bindegeivehes,  gegen  diese  Einwirkung  zu  schützen 
vermögen;  während  da,  wo  neben  Druck  und  Zug  auch  starke 
Verschiebung  der  Substanzschichten  gegen  einander  (Ab- 
scheerung,  s.  Nr.  9,  S.  131)  [500]  stattfindet,  blos  Zellen  übrigbleiben, 
welche  durch  Bildung  von  Knorpelcj  rund  Substanz,  als  des  ge- 
eignetsten Mittels,  sich  dagegen  genügend  zu  schützen  im  Stande  sind. 
Noch  empfindlichere  Zellen  können  sich  durch  Bildung  starrer  Inter- 
cellularsubstanz  von  Knochengritnäsuhstanz  Ruhe  verschaffen, 
aber  nur  an  Stellen,  wo  sich  bereits  die  für  die  Bildung  dieser 
Substanz  nöthigen  Vorbedingungen  :  ein  gewisser  Schutz  vor 
Abscheerung  bei  Wirkung  reinen  Druckes  oder  des  Wechsels  von 
reinem  Druck  und  Zug  vorfinden.  [Zu  diesem  Schutz  vor  Ab- 
scheerung ist  ziemliche  Ruhigstellung  der  Gegend  d.  h.  Schutz 
vor  gröberen  Deformationen  nöthig,  wie  er  in  der  Umgebung  ver- 
kalkten Knorpels  oder  an  der  Oberfläche  der  knorpeligen  Diapln'sen 
sich  findet;  auch  die  Bildung  faserigen  Bindegewebes,  welche  ein 
Vorläufer  des  geflechtartigen  Knochengewebes  ist,  dient  in  dieser 
Weise.] 

So  könnte  an  Stellen  vermischten  Muttergewebes  doch  ein 
durchaus  [?]  gleichartig  dif ferenzirtes  Gewebe  entstehen;  und 
dasselbe  würde  sich  nach  der  Theorie  von  der  functionellen  An- 
passung zugleich  zu  der  zweckmässigsten,  das  heisst  der  LocaUsation 
dieser   Beanspruchung    vollkommen   entsprechenden   Gestalt  formen; 

denn    die  Entstehungsbedingung     des   Gewebes    würde    die 

15* 


228  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


specifische  Einwirkung  sein,  welcher  Widerstand  zu  leisten  zu- 
gleich die  specifische  Function  dieser  Gewebe  ist^). 

Die  Ossificationsweise  der  knorpelig  präformirten  See- 
le tth  eile  scheint  manchen  Fingerzeig  nach  dieser  Richtung  hin  zu 
geben :  einmal  dadurch ,  dass  die  K n o c h e n b i  1  d u n g  am  M i 1 1 e  1  s t ü c k 
der  länglichen  Scelettheile  und  zAvar  als  ein  pheripherer 
Mantel,  somit  an  der  Stelle  geringster  Abscheerung  bei 
Biegung  des  Scelettheiles,  beginnt  (Diaphyse),  und  zweitens,  dass  an 
den  Gelenkenden  die  Ossification  mitten  im  Innern  des  Knorpel- 
stückes, also  wiederum  an  der  Stelle  geringster  Abscheerung  vor 
sich  geht  (Epiphyse). 

Ferner  scheint  auch  die  , , G r ö s s e  der  E p i  p h y  s e n  "  in 
einem  bestimmten  Verhältniss  zur  Wirkungssphäre  der 
an  den  Gelenken  bei  der  Bewegung  entstehenden  Ab- 
scheerung zu  stehen.  Da  je  nach  der  Excursionsgrösse  des  Ge- 
lenkes, nach  der  Form  und  Dicke  des  Scelettheiles  und  nach  der 
mittleren  Grösse  der  Druckbelastung  bei  der  Bewegung  des  Gelenkes 
ein  mehr  oder  w^eniger  grosses  Stück  des  Knochenendes 
von  den  Abs  c  heerungskräften  erfasst  und  gegen  das  in  eine 
Knochenschale  gehüllte  ,, Mittelstück",  die  Diaphyse,  verschoben  wird,  so 
erklärt  sich,  dass  z.  B.  am  Kniegelenk  dicke,  am  Ellenbogengelenk 
dünne  Epiphysen  sich  finden,  und  dass  die  Epiphysen  der  Pfannen 
niedriger  sind  als  die  der  Gelenkküpfe.  Ebenso  würde  es 
verständhch  sein,  dass  mit  dem  Wachsthum  des  Epiphysen- 
kernes  die  ,,  Gegenabs  cheerung "  gegen  die  Diaphyse 
hin  sieh  immer  mehr  auf  eine  dünne  Schicht  coii- 
centrirt;  [501]  und  dass  natürlich  auch  von  beiden  Abscheerungsflächen 
jeder  Epiphyse  das  stärkste  Wachsthum  an  derjenigen  von  ihnen 
stattfindet,  welche  von  z  w ei  Seiten  her  Nahrung  bezieht,  also  an  dem 
intermediären  Epiphysenknorpel,  nicht  am  Gelenk-Knorpel. 

Ebenso  las  st  sich  die  „Gestalt  und  Localisation''  der 
meisten  „Apophysen"  (so  z.  B.  am  Becken,  am  Schulterblatt,  an 


[1)  Zur  Entstehung  von  typischen  Gestaltungen  sind  aber,  was  nicht  zu 
übersehen  ist,  schon  bestimmte  typische,  wenn  auch  nur  einfachere  (Gestaltungen 
als  Vorbedingungen  nöthig.] 


Entstohungsursachen  der  Diaphysen  nnr]  Epiphysen.  229 


(Ion  Wirbeln)  diosoin  für  die  lOpiphyscn  ei'örterteii  ( Jesiclilsi.imcte 
unterordnen;  die  intermediären  Kpi))!) ysen  -  und  iVpophysen- 
linicn  würden  die  Localisiitionsstellen  der  stärksten  Ab- 
scheerung,  also  diejenigen  Stellen  bezeichnen,  wo  in  Folge  der  Be- 
festigung der  Muskeln  und  ihrer  Wirkung  an  dem  Seelettheil  die 
stärksten  Verschiebungen  paralleler  Substanzsehiehten  gegen  einander 
stattfinden.  Da  Abseheerung  der  si)eei  t'i  sehe  Thätigkeits- 
reiz  der  Chon  drob  lasten  sehi  würde,  so  verstünde  es  sich  von 
sell)er,  dass  an  diesen  Stellen  das  stärkste  Knorpelwaclisthum  statt- 
fände. Ferner  erklärt  sich  bei  unserer  Annahme  der  Umstand,  dass 
auch  die  kurzen  Knorpel,  sowie  die  Entdiondrome  und  die  FjC- 
ehondrosen  von  innen  aus  verkalken  und  ossificiren. 

Es  leuchtet  ohne  Weiteres  ein,  dass  diese  Ableitung  der  Bildung 
der  Seelettheile  ebenso  zulässig  ist,  wenn  die  specifischen  Bindesub- 
stanzen nicht  durch  Auslese  aus  verschiedenen  vermengten  Blastemen 
entstanden,  sondern  wenn  dieselben  aus  einem  gemeinsamen  Ur- 
blastem  hervorgegangen  sind,  welches  schon  durchweg  die  Eigenschaft 
mitbrachte,  auf  die  geschilderten  specifischen  Einwirkungen  hin  diese 
specifischen  Gewebe  hervorgehen  zu  lassen;  und  dass  es  dafür  auch 
unwesentlich  ist,  ob  die  specifische  Intercellularsubstanz  von  den 
Zellen  aus  gebildet  wird  oder  direct  in  der  Intercellularsubstanz  des 
ürblastemes  ^)  in  Folge  des  Reizes  sich  bildet.    Auch  die  noth-  [502] 

1)  Für  Abhängigkeit  der  Bildung  des  Bindegewebes  und  des  Knorpels 
von  äusseren  Einwirkungen  auf  das  Urblastem  (den  parablastischen  Gewebekeim) 
hat  sich  schon  His  (Die  Häute  und  Höhlen  des  Körpers  1865  S.  27,  und  Körperform 
1874  S.  128)  und  zwar  sehr  apodiktisch  ausgesprochen;  dabei  sind  aber  die  specifi- 
schen functionellen  Reize  dieser  Gewebe,  welche  er  doch  verniuthlich  gleich  wie  ich 
als  die  Bildungsursachen  hat  supponiren  wollen,  nicht  ganz  zutreffend  bezeichnet. 
So  lässt  er  Bindegewebe  ausser  durch  Zug  auch  noch  durch  Druck  entstehen,  ob- 
gleich es  sich  im  normalen  Individuum  blos  da  findet,  wo  entweder 
reiner  Zug  stattfindet,  oder  wo  die  Verhältnisse  derartig  sind,  dass  ein- 
wirkender Druck  sich  in  Zug  umsetzen  muss:  Knorpel  entsteht  nach  ihm 
da,  wo  gleichmässiger  Druck  oder  Zug  seitens  der  Nachbartheile  auf  die  parablasti- 
schen Massen  wirkt,  nach  H.  Strasser  (Entwickelung  der  Extremitätenknorpel  1879, 
S.  18)  durch  Druck  und  Zug,  während  M.  Kassowitz  (Die  normale  Ossification  1879. 
S.  206)  schon  Druck  mit  Reibung  und  Verschiebung  als  den  specifischen  Lebensreiz 
des  Knorpels  erkannt  und  sorgfältig  begründet  hat.  Dagegen  giebt  letzterer  Autor 
bezüglich  der  Ursachen  der  Knorpelverkalkung  und  jeder  Art  von  Knochenbilduiii; 
diesen  Gesichtspunkt  vollkommen  auf  und  behauptet  (a.  a.  0.  S.  348),  dass  in  letzter 


230  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

wendige  Reihenfolge  des  „Auftretens  der  Biudesubstanzen'' 
bleibt  dabei  dieselbe. 

Ein  noch  halb  flüssiges  Gewebe  kann  weder  rein  auf 
Zug  noch  rein  auf  Druck  in  Anspruch  genommen  werden; 
denn  die  weiche  Substanz  wird  bei  den  Einwirkungen  nachgeben,  und 
es  wird  starke  Verschiebung  benachbarter  Substanzschichten  gegen 
einander,  Abscheerung,  eintreten.  Jede  Einwirkung  wird  sich 
dabei  in  unendlich  viele  Beanspruchungsiichtungen  zerlegen.  Es  muss 
daher  bei  Zugeinwirkung  zunächst  ehi  faseriges  Gewebe  mit  ver- 
wirrten Fasern  in  dem  weichen  Grundgewebe  entstehen;  und  nur 
bei  von  Anfang  an  immer  derselben  Zugrichtung  und  schon  geeig- 
neterer Beschaffenheit  des  Urblastemes  zur  faserigen  Bindegewebsbil- 
dung konnte  relativ  früh  ein  rein  in  der  directen  Zugrichtung  als  der 
Kichtung  stärkster  Beanspruchung  gelegenes  specitisches  Gewebe 
sich  bilden. 

Ebenso  entsteht  bei  Druck  auf  ein  weiches  Gewebe  zugleich 
starke  Abscheerung,  also  ist  die  Bedingung  für  Knorpel  gegeben 

Erst  nach  des  Knorpels  genügender  Ausbildung  kann, 
in  Folge  der  ungleichen  Localisation  der  Abscheerung,  an  den  S.  228 
charakterisirten  Stellen  der  Verringerung  der  Abscheerung, 
zunächst  die  ,, Knorpelverkalkung",  dann  die  ,, geflechtartige 
Knochenbildung"  und  nach  dadurch  hergestellter  noch 
grösserer  Ruhe  und  dadurch  bedingter  Reinheit  der  Zug- 
und  D  ru  c  k  b  ean  s  pru  c  h  ung  die  Bildung  ,,lamellösen 
Knochens"  einsetzen  und  letztere  dann  successive  weiter  schreiten, 
indem    durch    die    vorhandene    Knochenlage    immer    eine 


Instanz  doch  immer  das  iieriostale  nnd  endostale  Gefässsystem  allein  die  äussere 
Form  und  die  innere  Architektur  der  Knochen  bestimmten;  und  Murisikr  (Arch.  f. 
Kxj^erim.  Pathologie  Bd.  o)  lässt  Knochen  durch  Z  u  g  an  dem  Periost  gebildet  werden. 
Die  allgemeinen  Gesichtspunkte  dieser  Auffassung  habe  ich  bereits,  ehe  ich  die  An- 
sichten dieser  Autoren  kannte,  ausführlicher  entwickelt  (Kampf  der  Theile  1881  S.  176), 
mich  daselbst  aber  noch  der  oben  (S.  227)  gegebenen  Definition  der  specifischen 
Functionen  der  einzelnen  Bindesubstanzen  enthalten.  Die  ersten  Keime  derartiger 
Ableitung  der  ßindesubstanzbildung  finde  ich  bei  Ludwig  Fick  (Ursachen  der  Knochen- 
formen 1857),  welcher  auch  schon  (S.  9)  „äusserste  Ruhe  und  Abwesenheit  aller  Be- 
wegung" (richtiger:  „Verschiebung")  als  Vorbedingung  der  Knochenbildung  für  nothig 
erachtet. 


Verschiedene  Ursachen  embryonaler  und  phyldgcnrti.sclier  (iesfalfuiii;cn.      231 

nächste  Niielibarsc-lik'lit  ,,ruliio;  gostelK'-  wird;  und  dies  so 
lange,  bis  endlich  die  Stellen  stärkster  Abscheemng  neben  den  inter- 
mediären Epiphysenschichten  erreicht  werden  nnd  damit  die  Möglich- 
keit der  Funetionsberaubmig  des  Knorpels  durch  den  Knochen  vor- 
läufig [bis  dieser  Knorpel  von  selber  alterschwafh  wird]  ihr  l'jide  crrciclil. 

[503]  Trotz  der  Uebereinstimmung  der  so  abgc  Ici  tc  t  t'u 
Prädilectionsstellen  mit  den  wirklichen  Anfangsstellen 
der  Knochenbildung  und  trotz  des  Umstandes,  dass  die  Binde- 
substanzenbildung im  Embryo  den  von  uns  als  nothwendig  vorge- 
zeichneten Weg  in  der  That  einhält,  sprechen  doch  sehr  gewichtige 
Thatsachen  gegen  die  Gültigkeit  unserer  Ableitung  für 
die  ,,cmbryonale"  Ent Wickelung.  So  einmal  das  Vorkommen 
ziemlich  wohlgebildeter  Phalangen  in  solchen  sechsten  Fingern,  welche 
blos  durch  Haut,  Nerven  und  Gefässe  mit  der  Hand  verbunden  sind 
(und  ich  möchte  nicht  wagen,  ohne  besondere  Untersuchungen  an- 
zunehmen, dass  an  diesen  Stellen  von  den  Muskeln  kommende  Sehnen 
erst  nachträglich  geschwunden  seien);  ferner  das  Vorkommen  von 
ziemlich  wohlgeformten  Knorpeln,  Knochen  und  Sehnen  in  muskel- 
losen Extremitäten  (Allessaxdrini,  E.  H.  Weber),  sowie  in  Epignathis, 
in  Sacralteratomen,  in  Amorphis,  die  Bildung  der  Reit-  und  Exercir- 
knochen,  sowie  die  Myositis  interstitialis  ossiticans  progressiva  und  be- 
sonders die  Ossification  der  Vogelsehnen.  Eigens  darauf  gerichtete 
Untersuchungen  werden  erst  die  Entscheidung  über  den  wahren  Werth 
dieser  Einwendungen  zu  bringen  haben ;  dabei  wird  sich  auch  zeigen, 
ob  in  diesen  „selbstständig"  entstehenden  Scelettheilen  die 
Gewebe  vollkommen  normal  gesondert  sind,  oder  ob  sich  vielleiclit 
atypische  Gewebsvermischungen  in  ihnen  besonders  häufig  vorfinden. 

Es  scheint,  was  Gegenbaur^)  bezüglich  der  Entstehung  der  Ge- 
lenke bemerkt,  allgemeinere  Geltung  zu  haben;  nämlich  dass 
in  der  „embryonalen"  Entwickelung  Theile  selbstständig 
angelegt  und  bis  zu  einem  f unctionsfähigen  Grade  ausge- 
bildet werden,  welche  phylogenetisch  durch  functionelle 
Anpassung  (sowie  Kampf  der  Theile  oder  andere  Ursachen)  ausge- 
bildet worden  sind. 

1)  C.  Gegenbaur,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen  lö8o  S.  113. 


232  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Es  scheinen  die  f unctionellen  Reize  blos  noch  für 
den  Rest  der  Entwickelung,  der  in  das  eigentliche 
functionelle  Leben  selber  fällt,  nothwendig  zu  sein,  wie  ich 
das  schon  bei  früherer  Gelegenheit  ausführlicher  erörtert  habe^). 

Unsere  Ableitung  über  die  Entstehung  der  verschie- 
denen Bindesubstanzen  und  die  Gestaltung  aus  ihnen  kann 
danach  nur  mehr  eine  „phyloyenetiscJte'-'  Bedentnng  bean- 
spruchen [504]  und  weiterhin  vielleicht  für  das  eigentliche  „func- 
tionelle Leben"  des  Individuums,  sowie  für  die  Heilung 
der  Knochenbrüche  den  Zusammenhang  der  EntAvicke- 
lungsvorgänge  bezeichnen;  während  dagegen  die  Periode 
der  „ersten  Anlage"  und  der  ihr  folgenden  weiteren  Aus- 
bildung der  Organe  von  ,, selbstständigen",  d.  h.  den  sich 
differenzirenden  Theilen  selber  innewohnenden  Bildungs- 
energien beherrscht  ist,  die  aber  wohl  nur  in  den  allge- 
meinen Zügen  die  von  uns  charakterisirten  Bildungen 
nachahmen,  und  in  den  Feinheiten:  in  den  Richtungen  der 
Bälkchen  der  ^^Wachstliumsarchitehtnr'\  in  der  Gestalt  der 
Epiphysenlinien  etc.  mannigfache  Abweichungen  erkennen 
lassen.  Für  diese  Periode  hat  vielleicht  die  Auffassung  Kassowitz' 
von  der  Bestimmung  der  Gestalt  und  Structur  der  Knochen  durch 
das  Gefässsystem  (S.  229  Anm.)  eine  gewisse  Gültigkeit. 

3.    Mechanische    Massencorrelationen. 

Eine  dritte  seit  längerer  Zeit  als  mitbetheiligt  bei  der  embryo- 
nalen Entwickelung  erkannte,  aber  gleichfalls  in  ihrem  Wirkungs- 
umfang  noch  nicht  annähernd  bestimmte  Art  differenzirender  Corre- 
lationen  ist  die  „mechanische  Massencorrelation"^).  Dieselbe  er- 
giebt  sich  als  nothwendige  Folge  theils  des  continuir liehen 
Zusammenhangs,  theils  des  räumlichen  Zusammenge- 
drängtseins ungleich  sich  vergr össernder,  verkleinernder 
oder  sich  umordnender  Tlieile.     Um   dieses  Princip   richtig  zu 


1)  Nr.  4,  S.  52,  S.  180  u.  S.  201,  Nr.  8,  S.  5  u.  50. 

[2)  Mehrere  Autoren    citiren    diese   von    mir   eingeführte  Bezeichnung   zu  kurz 
blos  als :  Massencorrelation.     Die  Definition  siehe  S.  240.1 


Differenzirende  Correlationen :    3.  Mechanische  Massencorrelationon  23.- 


verstehcn  und  seine  Wirkungen  von  denen  der  von  uns  sog.  for- 
malen Selbstdifferenzirung  sondern  zu  können,  nuiss  etwas  weiter 
ausgeholt  und  eine  theoretisehe  h^kizze  der  Formenbildung  voraus- 
geschickt werden,  welche  aber  unserem  gegenwärtigen  ))eschränktcn, 
blos  auf  die  T  o  p  o  g  r  a  p  h  i  e  der  Ursachen  gerichteten  Zwecke  an- 
gepasst  sein  soll. 

Eine  der  Betrachtung  unterworfene  Summe  materieller  Tlicilchen 
heisst  ein  „materielles  System".  Die  Gesammtheit  aller  gegen- 
seitigen Lagerungsbeziehungen  dieser  Theilchen  heisst  die  „Con- 
ti guration"  des  Systemes.  Unter  der  „Form"  des  Systemes 
dagegen  ist  die  gegenseitige  Lagerung  aller  die  ()l)er fläche  des 
Systemes  bildenden  Theile  zu  verstehen. 

Sofern  es  uns  blos  um  die  Kenntniss  der  jeweiligen  Lagerung 
der  die  Oberfläche  bildenden  Theile  des  S3^stemes  zu  thun  ist,  kann 
die  Form  desselben  für  sich  betrachtet  werden;  wenn  wir  aber  auch 
nach  der  genauen  Kenntniss  der  eventuellen  Form  Wandlungen 
[505]  streben,  zugleich  aber  keine  Garantie  gegeben  ist,  dass  immer 
dieselben  Theile  die  Oberfläche  bilden,  sondern  wenn  es  möglich  ist, 
dass  bei  den  Wandlungen  auch  innere  Theile  an  die  Oberfläche  ge- 
langen oder  oberflächliche  Theile  in  die  Tiefe  treten,  so  wird  es  für 
das  Verständniss  auch  der  blossen  Formwandlungen  nötliig  sein,  immer 
zugleich  auch  die  Anordnung  der  inneren  Theile,  also  im  Gegensatz 
zur  Form  die  „Structur"  des  Systemes  mit  in  den  Bereich  der 
Betrachtung  zu  ziehen.  Dies  wird  um  so  unerlässhcher,  wenn  zu- 
gleich auch  die  Erforschung  der  Ursachen  der  Formwandlungen  das 
Ziel  der  Untersuchung  sein  soll.  Es  kann  vorkommen,  dass  die  Ur- 
sachen der  Formänderung  bald  mehr  in  den  oberflächlichen  oder 
mehr  in  den  inneren  Theilen  liegen.  Wir  werden  uns  daher  zu  be- 
streben haben,  die  Configuration  aller  Theile  des  Systemes  in  jeder 
Phase  der  Wandlung  zu  kennen  und  die  Bahnen  aller  Theile  zu 
verfolgen  (s.  S.  2). 

Jede  Formbildung  ist  blos  eine  Aenderung  der  früheren  .An- 
ordnung der  die  neue  Oberfläche  des  Systemes  bildenden  Theile; 
und  ebenso  ist  jede  neue  Configuration  blos  als  die  Aenderung 
einer  früheren  Lagerungsbeziehung  der  Theile  des  ganzen  materiellen 


234  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


Systemes  zu  betrachten  und  ab/Aileitcn.  Die  Lageänclerung  von 
Theilen  zu  einander  vollzieht  sieh  durch  Bewegung  eines  oder  mehrerer 
oder  aller  Theile. 

Jede  Aenderung  des  Bewegungszustandes  eines  T  heil  es  kann 
nur  unter  IVIitwdrkung  einer  von  aussen  auf  den  Tb  eil  wirkenden 
Kraft  hervorgebracht  werden  und  nin-  unter  einer  der  ihm  ertheilten 
Beschleunigung  gleich  grossen  und  entgegen  gerichteten  Reaction. 
Wirkung  und  Gegenwirkung  bilden  zusammen  ein  „dynami- 
sches Sj^stem". 

Zwei  Theile  können  entweder  in  der  Richtung  ihrer  Verbin- 
dungslinie eine  Aenderung  ihrer  gegenseitigen  Lage  erfahren ,  oder 
zugleich  resp.  ausschliesslich  rechtwinkelig  zu  dieser  Linie  gegen 
einander  verschoben  werden  (s.  Nr.  9,  S.  131).  Die  Aenderung  in 
der  Richtung  der  Verbindungslinie,  Näherung  oder  Entfernung, 
kann  entweder  durch  die  den  Theilen  selbst  innewohnenden  Kräfte 
bedingt  sein,  und  ist  dann  als  xoWkommcue  S  el  h  s  f  d  i  ff  er  en^i  r  nn<j 
des  materiellen  Systemes  zu  bezeichnen ;  beide  Theile  bilden  dann 
für  sich  zugleich  ein  dynamisches  System,  Oder  [506]  von  aussen 
einwirkende  Kräfte  bringen  diese  Veränderung  allein  oder  zum  Theil 
hervor,  wobei  eine  der  Grösse  des  überwundenen  Deformationswider- 
standes entsprechende  Vermehrung  der  Energie  des  durch  die  beiden 
Theile  gebildeten  Systemes  stattfindet;  und  die  Aenderung  selber  ist 
als  correlative,  s.  ahhüngige  Differensirunij  zu  bezeichnen.  Das 
dynamische  System  dieser  Veränderung  umfasst  ausser  den 
beiden  Theilchen  noch  die  Theilchen,  welche  die  Träger  der  zur 
Wirkung  gelangten  Aus  senk  raft  gewesen  sind. 

Die  gegenseitige  Lageänderung  der  Theile  in  jeder  zu  ihrer  Ver- 
1  )indungslinie  rechtwinkelige n  Richtung  (Verschiebung  oder  „Ab- 
scheerung"  der  Theile)  kann  natürlich  nur  durch  äussere  Kräfte 
hervorgebracht  werden. 

Aeussere  Kräfte  können  je  nach  ihrer  Wirkung  auf  die  beiden 
Theile  sowohl  ausserhalb  wie  auch  innerhalb  der  ^'erbindungslinie 
der  Theilchen  gelegen  sein. 

Damit  haben  wir  die  Grundvorgänge  für  unsere  zunächst  blos 
topographisch   causale  Betrachtung  genügend  unterschieden 


Verschiedene  Ursachen  von  Configiirationsänricriinp;cn.  235 


und  zugleich  die  spätere  Beziehung  auf  die  bei  den  Acnderuugen  zu 
überwindenden  Widerstände  gegen  Zug,  Druck  und  iVbschee- 
rung  (s.  Nr.  9,  S.  131)  angebahnt. 

Also  nur  Näherung  und  Entfernung  der  Thcilc  kann  so- 
wohl durch  Selbstdifferenzirung  wie  durch  abhängige  Dif- 
ferenzirung  in  unserem  Sinne  entstehen;  Abscheerung  der 
Theile  gegen  einander,  gleich  wie  Drehungen  und  Verschiebungen 
des  ganzen  Systemes  können  nur  als  ..passive  Differeii- 
ziriingen"  der  Theile  resp.  des  Systemes  erzeugt  werden.  Doch 
können  diese  passiven  Veränderungen  zum  Theil  sofort  als  Selbst- 
differenzirungen  erscheinen,  sofern  wir  den  Umfang  des  betrachteten 
Systemes  so  erweitern  ,  dass  die  vorher  ä  u  s  s  e  r  e  n  Kräfte  jetzt  mit 
zum  System  gehören. 

Untersuchen  wir  nun  mit  Rücksicht  auf  unseren  speciellen  Zweck, 
1.  durch  welche  Configurationsänderungen  anscheinend 
dieselbe  complicirte  Formänderung  hervorgebracht  wer- 
den kann,  und  2.  durch  welche  verschiedenen  Anord- 
nungen der  Kräfte  diese  Configurationsänderungen  be- 
dingt sein  können. 

Nehmen  wir  als  Beispiel  eine  comphcirte  Formänderung  der- 
jenigen Art,  wie  sie  in  der  embryonalen  Entwickelung  häufig  vor- 
kommt, eine  Faltung.  Es  wird  genügen,  die  Biegung  eines 
schmalen,  [507]  parallel  contourirten  Stabes  aus  elastischer 
Substanz  zu  untersuchen. 

Dieser  Stab  kann  erstens  rein  passiv  durch  äussere  Kräfte  ge- 
bogen werden,  indem  wir  denselben  am  einen  Ende  in  einen  Schraub- 
stock spannen  und  am  anderen  Ende  rechtwinkelig  zur  Oberfläche 
eine  Kraft  wirken  lassen,  oder  auch,  indem  einfach  beide  Enden  des 
Stabes  gegeneinander  gedrängt  werden.  Die  Formänderung  wird 
bei  genügender  Elasticität  des  Stabes  in  beiden  Fällen  für  die  flüch- 
tige Betrachtung  die  gleiche  sein;  und  die  Configurationsänderung 
ist  der  Hauptsache  nach  gemeinsam  dadurch  charakterisirt,  dass  auf 
der  convexen  Seite  die  Theile  in  der  Biegungsrichtung  von  einander 
entfernt  werden  und  zwar  mit  von  aussen  nach  innen  abnehmender 
Intensität,  während  auf  der  concaven  Seite  die  Theile  mit  nach  aussen 


236  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


zunehmender  Intensität  einander  genähert  werden.  Die  Aussenkräfte 
vermehren  die  Energie  des  Stabes  und  bilden  mit  den  Widerständen 
der  Tnnenkräfte  ein  dynamisches  System. 

Genauer  untersucht  wird  aber  sowohl  die  äussere  Gestalt  wie  die 
innere  Structur  des  gebogenen  Stabes  in  beiden  Fällen  in  charakteristi- 
scher, auf  die  ungleichen  Entstehungsursachen  der  Biegung  hindeuten- 
der Weise  verschieden  sein;  sowohl  an  den  Angriffsstellen  der  Kräfte 
wie  auch  im  übrigen  Verlaufe  des  ejastischen  Stabes.  Die  Ungleich- 
heiten an  den  Angriffsstellen  kann  man  mit  Hilfe  der  von  mir 
angegebenen  Methode  der  mechanischen  Selbsterzeugung  der  Trajec- 
torien  (siehe  Nr.  9,  S.  127)  deutlich  sichtbar  machen.  Die  Verschie- 
denheiten in  dem  Verbindungsstücke  zwischen  den  Augriffs- 
stellen  treten  mit  dieser  Methode  wohl  auch ,  aber  weniger  deutlich 
hervor;  sie  lassen  sich  indess  leicht  berechnen  und  bestehen  im 
Wesentlichen  darin,  dass  die  neutrale  Zone,  in  der  Dehnung  und  Com- 
pression  sich  gegen  einander  abgrenzen,  im  letzteren  Falle  mehr  gegen 
die  convexe  Seite  hin  verschoben  ist,  weil  die  Compression  die  Deh- 
nung überwiegt.  Wenn  am  einen  Ende  des  Stabes  die  Aussenkräfte 
wegfallen,  nimmt  derselbe  wieder  seine  gestreckte  Gestalt  an. 

Es  giebt  [508]  ausser  den  erwähnten  beiden  Arten  der  Ver- 
theilung  der  äusseren  Kräfte  noch  unendlich  viele  Combina- 
tioncn  von  Aussenkräf ten,  welche  im  (Troben  dieselbe  Bie- 
gung hervorbringen  können.  So  z.  B.  können  die  Kräfte  auf 
den  beiden  Längsseiten  des  Stabes  in  verschiedenster  Weise  vertheilt 
sein;  und  es  würde  kaum  im  Bereiche  der  Möglichkeit  hegen,  selbst 
durcli  die  genaueste  Betrachtung  blos  der  äusseren  Form  diese  An- 
ordnung genau  zu  bestimmen;  während  die  Kenntniss  der  ganzen 
Configuration  dies  mit  grösserer  Sicherheit  gestatten  würde ;  sofern  be- 
kannt wäre,  dass  die  Aenderung  überhaupt  blos  die  Wirkung  äusserer 
Kräfte  ist. 

Eben  d  i  e  s  e  1 1)  e  Formänderung  k  a  n  n  a  b  e  r  a  u  c  h  a  u  s 
der  Wirkung  von  Kräften,  welche  denTlieilen  des  Stabes 
innewohnen,  entstehen.  Wemi  z.  B.  auf  der  einen  Längsseite 
alle  Theile  sich  stärker  anziehen  und  daher  activ  einander  nähern, 
auf  der  anderen  Seite  aber  einander  abstossen  und  sich  von  einander 


Verschiedene  Ui'sachen  von  Coniisuiatiünsänderungen.  237 


entfernen,  so  wird  (K'i'Stal)  sicli  nach  crstt'rci"  Seite  hin  coiu-nv  l>i('i;vn. 
Bei  geeigneter  \'ertheilung- dieser  anziehenden  nnd  abstossenden  Kräl'te 
könnten  sogar  anch  an  denjenigen  Stellen,  welche  die  AngritTsstellen 
bei  der  passiven  Deformation  bildeten,  ganz  dieselben  C'onügurationen 
der  Theile  entstellen  wie  bei  der  passiven  Deformation  ;  nur  müsslen 
dann  vorliegenden  Falles  die  nnendlieh  zahlreichen  \'erschiedeii- 
heiten  in  der  Kraftvertheilung  alle  einzeln  dnrch  entsprechend 
zahlreiche  besondere  Ivraftgrossen  derTheilchen  verursacht 
sein,  während  sie  passiven  Falles  alle  mit  einem  Male  von  blos 
zwei  Ursachen  aus  erzeugt  werden.  Würden  wir  eine  derartige 
Uebereinstimmung  in  der  Configuration  vieler  Tli eilchen  gefunden 
haben,  dass  sie  alle  von  blos  zwei  Ursachen  ableitbar  wären,  so  würden 
wir  wohl  eine  gewisse  Neigung  hegen,  die  zwei  entsprechenden  Kräfte 
auch  als  die  Ursache  derselben  anzunehmen.  Die  gegenwärtige  Er- 
örterung weist  uns  aber  darauf  hin,  dass  mit  dieser  Annahme  die 
Entstehungsmöglichkeiten  noch  nicht  erschöpft  sind. 

Je  nach  der  Anordnung  und  Natur  der  den  Stab  biegenden 
inneren  Kräfte  könnte  die  Vertheilung  von  Wirkung  und  Gegenwir- 
kung derartig  sein,  dass  z.  B.  bei  der  geringsten  Verletzung 
des  aus  eigenen  Kräften  gebogenen  Gebildes  dasselbe 
in  seinem  ganzen  Verlaufe  sich  wieder  ein  wenig  oder 
mehr  oder  ganz  streckt,  ähnhch  wie  eine  [509]  Bologneser 
Glasthräne  beim  Abbrechen  ihrer  Spitze  ihre  ganze  Gestalt  total 
verliert  (wobei  sie  sich  in  zahllose  Stückchen  zersplittert).  Solches 
Verhalten  würde  ein  Zeichen  sein,  dass  der  ganze  gebogene  Stab  ein 
einziges  dynamisches  System  bildet.  Andererseits  könnte  vielleicht 
z.  B.  blos  ein  Drittel  des  Stabes  nach  Verletzung  sich  strecken,  und 
das  Gleiche  bei  weiterer  Verletzung  des  noch  gebogenen  Theiles  ein- 
treten. Diese  durch  eine  Verletzung  entspannten  Systeme  könnten 
sich  allemal  nach  beiden  Seiten  von  der  Verletzungsstelle  gleich  weit 
verbreiten ;  oder  aber  sie  könnten  eine  feste  Lagerung  am  Stabe  haben, 
derart,  dass  bei  Verletzung  irgend  einer  Stelle,  z.  B.  des  mittleren  oder 
eines  äusseren  Drittels,  immer  dieses  ganze  Drittel  sich  streckt,  wonach 
dann  der  ganze  Stab  als  aus  drei  geschlossenen,  für  sich  bestehenden 
und   blos   aneinander  gereihten  Systemen  gebildet,  aufzufassen  wäre. 


238  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

Oder  umgekehrt,  der  gebogene  Stab  lässt  sich  in  beliebig 
kleine  Stückchen  zerlegen,  ohne  dass  eines  derselben  seine 
der  Biegung  des  Ganzen  entsprechende  Gestalt  ändert,  ein 
Beweis,  dass  in  jedem  kleinsten  Stückchen  die  Krcäfte  sich  im  Gleich- 
gewichte befinden,  dass  die  Bezirke  von  Wirkung  und  Gegen- 
wirkung unendlich  klein  sind. 

Ferner  könnte  dieselbe  Form  des  Stabes  durch  Thätigkeit 
innerer  Kräfte  blos  auf  ,, einer"  Längsseite  stattfinden. 
Indem  z.  B.  auf  einer  Seite  alle  Theile  sich  gegenseitig  mit  der 
nöthigen  Kraft  anziehen,  werden  sie  unter  passiver  Dehnung  der 
anderen  Seite  das  Gebilde  gleichfalls  krümmen.  Der  Stab  zerfällt 
dann  in  einen  Bezirk  der  Selbstdiff erenzirung ,  welcher  zufolge 
seines  Zusammenhanges  mit  einem  anderen  Bezirke  diesen  passiv 
deformirt;  die  Aenderung  des  ganzen  Stabes  ist  gleichwohl  aber 
als  Selb.stdifferenzirung  desselben  zu  bezeichnen.  Für  die  äussere 
Betrachtung  ^\^rd  es  nicht  möglich  sein,  den  Sitz  der  activen 
Deformation  zu  ermitteln;  wohl  aber  mit  Hülfe  des  Experimentes: 
schneiden  wir  den  Stab  auf  der  concaven  Seite  an ,  so  wird 
er  sich  an  dieser  Stelle  strecken;  wird  er  auf  der  convexen 
Seite  angeschnitten,  so  wird  er  sich  an  der  Verletzungsstelle  noch 
stärker  krümmen  und  uns  so  einen  Schluss  auf  die  Vertheilung 
der  deformirenden  Kräfte  gestatten.  Ist  aber  das  Material  nicht  ge- 
nügend elastisch,  so  wird  sich  die  passiv  deformirte  Zone  an  die  De- 
formation innerlich  anpassen,  und  der  Effect  beim  Anschneiden 
bleibt  aus.  In  [510]  gleicher  Weise  kann  der  Stab  durch 
active  Ausdehnung  einer  Seite  gebogen  werden,  wobei 
natürlich  die  Sehne  des  gebildeten  Bogens  eine  etwas  grössere  sein 
wird  als  im  umgekehrten  Falle.  Auch  bei  dieser  correlativen  inneren 
Differenzirung  können  geschlossene  dynamische  Systeme  gebildet 
werden,  je  nach  Anordnung  der  activen  Kräfte ;  so  dass  die  Biegung 
gleichsam  so  erfolgt,  als  hätten  sich  in  einer  in  gerader  Linie  an- 
einander gefügten  Reihe  von  Bausteinen  alle  Steine  nach  derselben  Seite 
hin  keilförmig  zugeschärft;  dies  z.  B.  Avenn  ein  Theil  der  Massen- 
theilchen  einer  Längsseite  gegen  die  andere  hin  translocirt  worden  ist. 
Dieselbe  Bieiruncr  des  Stabes  kann  natürlich  auch  durch 


Verschiedene  ürsaclieu  von  Configiiiiitionsiimlcruiisjc'n.  239 


C(>iiil)in;ition  iiussorcM'  und  innci'er  Ki'iiftc  lici'voruchi'iU'li  t 
werden.  Strebt  /..  15.  der  Stab  sich  der  Lauge  nach  auszudehnen 
und  wird  daran  (hn-ch  seithche  Widerlager  gehemmt,  so  entsteht  ein 
Bogen,  an  dessen  Bildung  beide  Ursachen  gleichen  Anthcil  haben, 
so  dass  die  Unterscheidung  von  Vorbedingung  und  si)eciHsclier  Ur- 
sache nicht  zu  niaclu'u  ist.  Hat  aber  der  Stab  eine  dünne  Stelle, 
welche  sich  daher  am  stärksten  biegt,  so  ist  für  diese  Ungleichheit 
der  Biegung  die  spccifische  ,,Ursaclie"  also  innerhalb  des  mat(M-iellcn 
Systenies  gelegen,  und  die  Aussenkräfte  waren  blos  die  ,,\\^rbe- 
dingung"  dieser  specifischen  Biegung.  Auch  in  diesem  Falle  wird 
beim  Wegfall  der  Aussenkräfte  der  elastiche  Stab  sich  wieder  strecken. 

Es  erhellt  aus  dieser  kurzen  Uebersicht,  dass  es  ausserordentlich 
schwer  sein  wird,  aus  der  blossen  Beobachtung  einer  Form- 
änderung auf  die  ^^  e  r  t  h  e  i  1  u  n  g  der  Ursachen  derselben 
zu  schliessen,  und  dass  eine  positive  Gewissheit  durch  diese 
im  wahren  Sinne  des  Wortes  ,, oberflächliche"  Methode  überhaupt 
nicht  zu  gewinnen  ist.  Eine  etwas  grössere  Wahrschein- 
lichkeit richtiger  Beurtb  eilung  wird  durch  die  Hin  zu- 
nähme der  Betrachtung  der  ,,  inneren  Um  Ordnungen" 
angebahnt. 

Die  organischen  Gebilde,  deren  Formwandlungen  wir  zu  unter- 
suchen haben,  besitzen  durch  ihre  Zusammensetzung  aus  lauter 
einzelnen  Bausteinen,  den  Zellen,  in  der  Gestalt  und  Anordnung 
dieser  Elemente  eine  Structur,  deren  Veränderungen  bei  gehöriger  \^or- 
sicht  manche  Schlüsse  auf  die  Ursachen  stattfindender  Deformationen 
der  aus  ihnen  zusammengesetzten  Gebilde  gestatten.  Je  [511]  nach 
der  Richtung  und  Vertheilung  der  umgestaltenden  Kräfte,  nach  dem 
Lageverhältniss  der  activen  und  passiven  Theile  zu  einander,  wird  diese 
Structur  durch  verschiedene  Umgestaltung  und  Umordnung  der  Ele- 
mente eine  verschiedene  Aenderung  erfahren  können.  In  der  genauen 
Verfolgung  dieser  structurellen  Aenderungen  ist  somit 
ein  Mittel  gegeben,  einen  we  iteren  Einblick  in  den  eigent- 
lichen „Vorgang"  der  Formbilduug  zu  erlangen  und  gewisse 
Schlüsse  auf  die  Localisation  und  Richtung  der  die 
Bildung    bewirkenden    Kräfte    zuziehen.     Es   war  daher  ein 


240  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

grosser  Fortschritt  unserer  Keniitniss  und  Erkenntniss  dadurch  an- 
gebahnt worden,  dass  His  ^),  welcher  zuerst  die  mechanische  Corre- 
lation  als  ein  wichtiges  fornibildendes  Princip  der  individuellen  Ent- 
wiekelung  in  ausgedehntem  Maasse  zur  Erklärung  verwandt  hat, 
auch  zuerst  die  Beschaffenheit  der  Structur  in  solchem  Sinne  beob- 
achtete und  verwerthete,  worin  ihm  dann  H.  Strasser-)  u.  A.  nach- 
gefolgt sind.  Bis  jetzt  hat  sich  indess  diese  Verwerthung  blos  auf 
die  einfachsten,  ohne  eine  besondere  Theorie  verständlichen  Bildungen 
beschränkt.  Bei  der  in  den  Organismen  vorhandenen,  durch  Wachs- 
t  h  u  m ,  V  e  r  m  e  h  r  u  n  g ,  W  a  n  d  e  r  u  n  g,  passive  und  vielleicht 
auch  noch  active  Gestaltung  der  Zellen  gegebenen  grossen 
Zahl  von  Möglichkeiten,  wird  die  weitere  Ausnutzung  dieses  Principes 
mit  grossen  Schwierigkeiten  verbunden  sein  und  nicht  ohne  ein- 
gehende analytische  Untersuchung  möglich  sein. 

Wir  sahen,  dass  durch  Ausdehnung  oder  Zusammenziehung  von 
circumscripten  Theilen  einer  grösseren  Masse,  diese  letztere  auf 
grössere  Strecken  hin  oder  in  ihrer  Totalität  deformirt  werden  kann. 
Die  passive  Umformung  von  Theilen,  durch  sich  ändernde 
Nachbartheile,  sowie  auch  die  passive  Formung  activ  sich  ändernder 
Theile  durch  äussere,  der  intendirten  Aenderung  Widerstand  leistende 
Theile  wollen  wir  als  ,,inechaiiisclie  Masseiicorrelatioii"  bezeichnen 
siehe  auch  S.  253). 

Vorkommen  mechanischer  Massencorrelation  im  Embryo. 

Es  ist  nun  die  Frage,  ob,  und  eventuell,  wie  weit  solche  Corre- 
lationen  bei  der  embryonalen  Entwickelung  vorkommen  und  form- 
[512]  bildend  betheihgt  sind. 

Ungleiche  Vergrösserung  zusammenhängender,  rings  umschlossener 
Theile  ist  von  His  vielfach  nachgewiesen;  also  müssen  Falten- 
bildungen u.  dergl.  gleichfalls  stattfinden.  Daraus  folgt  nun  aber 
noch  niclit,  das  die  Falten  passiv  unter  Vermittlung  durch  einen 


1)  W.  His,  Unsere  Körperform  1874. 

2)  H.  Strasser,  Zur  Entwickelung  der  Extremitätenkuorpel  bei  Salamandern  und 
Tritonen.     Morphol.  Jahrbuch  1879  Bd.  5. 


Vorkommen  mechanischer  Masseiicorn'liitidnen.  241 


äusseren  Ausdolm  ungs widerstand  orzeui;t  worden  seien;  soiidci'n 
es  kann  mit  der  Vergrösserung  zAigieicb  aus  eigenen  inneren 
Kräften  das  Material  sich  so  umordnen,  dass  es  sicli  von  selber 
biegt,  wie  vorstehend  austuhrhcli  erörtert  worden  ist;  dabei  wird 
dann  der  Widerstand  der  Seitentheile  gar  nicht  für  die  Deformation 
in  Anspruch  genommen,  sondern,  was  wolil  davon  zu  trc^nnen  ist, 
nur  für  die  Rückwirkung  der  eventuell  dabei  stattiindendeii  \'er- 
schiebung  des  l^assenmittelpunctes  des  sich  umformenden  Theiles. 
Sofern  aber  die  Ausbiegung  nur  durch  den  seitlichen 
Dehnungswiderstand  bedingt  ist,  so  muss  die  Biegung 
eine  ganz  bestimmte,  von  der  E 1  a  s  t  i  c  i  t  ä  t  s  g  r  ö  s  s  e  des 
M a t  e  r i  a  1  e s  an  jeder  Stelle,  ferner  von  der  Dicke  dieser 
Stellen  u.  s.  w.  abhängige  werden.  Sofern  eine  üeber- 
einstimmung  der  Biegungsform  mit  diesen  Factoren  nicht 
vorhanden  ist,  ist  dies  ein  Beweis,  dass  wenigstens  noch 
andere  Kräfte  als  der  äussere  seitliche  Widerstand  die  Form- 
bildung beeinflusst  haben  müssen. 

Die  Versuche,  welche  ich  bisher  zur  Entscheidung  dieser  Fragen 
gemacht  habe,  sind  noch  sehr  wenig  zahlreiche  und  hatten  zumeist 
blos  den  Zweck,  die  thatsächliche  liichtigkeit  einigei-  bezüglicher  An- 
gaben von  W.  His  zu  prüfen. 

His  leitet  seine  bezüglichen  ürtheile  nur  aus  descriptiven  Be- 
obachtungen der  Vorgänge  und  aus  einem  directen  Experimente  am 
Keime  ab,  durch  welches  er  feststellte,  dass  die  Keimblätter  über- 
haupt elastisch  sind.  Er  besthnmt  die  formalen  Vorgänge  möglichst 
o-enau  durch  Zeichnung  und  Messung  und  sucht  dann  nach  der  ein- 
fachsten Ursache,  durch  welche  die  Formwandlungen  hervorge- 
bracht werden  kann.  Die  einfachste  Ursache  einer  Biegung  bilden, 
wie  wir  o-esehen  haben,  äussere  biegende  Kräfte  und  nächstdem  die 
Ausdehnungshemmung  durch  äussere  Widerstände.  So  kommt  His 
dahin,  die  meisten  Formen  von  derartigen,  grösstentheils  ausserhalb 
der  geformten  Tlieile  gelegenen  Ursachen  abzuleiten  (Körper- 
form, Brief  4 — 6). 

[513]  So  empfehlenswerth  es  im  Allgemeinen  ist,  nach  den  ein- 
fachsten   Ursachen    einer    Erscheinung    zu    suchen,   so    ist    es  in 

W.  Roux,  Gesammelte  AWiaiidlungoii.  JI.  16 


242  Nr.   18.    Zur  Orientirang  über  die  Probleme  etc. 


ganz  neuen  Verhältnissen,  wie  bei  den  in  ihrem  Wesen  noch 
unbekannten  embryonalen  \^orgängen,  doch  sehr  gewagt,  die  ,, ein- 
fachsten" Ursachen  ohne  Weiteres  auch  für  die  ,, wirk- 
lichen" Ursachen  anzusehen. 

Ausserdem  aber  gilt  der  Satz  von  der  einfacheren  Er- 
zeugung von  Biegungsforraen  durch  ,, äussere"  Kräfte  nur 
für  die  ,,regelmässigsten"  Formen  und  auch  da  nur  sehr  be- 
dingt. Sobald  es  sich  aber  um  die  Herstellung  ganz  be- 
stimmter complicirter  Formen  handelt,  werden  die  Be- 
dingungen für  die  ,, äusseren"  Kräfte  und  für  die  Beschaffen- 
heit des  umzuformenden  Materiales  ebenso  complicirte  oder  leicht 
noch  compli  cirtere,  als  für  die  Gestaltung  durch  den  zu 
formenden  Theilen  selber  innewohnende  Kräfte.  Um  inner- 
halb einer  Platte  eine  ganz  bestimmt  geformte  Ausbiegung  durch  ausser- 
halb der  Biegungsstelle  aber  noch  in  der  Platte  selber  gelegene  Kräfte 
hervorzubringen,  wäre  neben  einer  sehr  bestimmten  und  entsprechend 
mannigfachen  Vertheilung  dieser  Aussenkräfte  eine  ebenso  bestimmte 
und  mannigfache  Beschaffenheit  des  zu  formenden  Plattentheiles  in 
seiner  Dicke  und  Elasticität  nothw^endig;  und  bei  der  geringsten 
Aenderung  dieser  Eigenschaften  des  zu  biegenden  Theiles  würde  der- 
selbe eine  andere,  atypische  Form  erlangen.  Dieses  Princip  der 
Gestaltung  ist  somit  ein  sehr  unsicheres  und  wird  in  der 
Technik  deshalb  für  sich  allein  nicht  verwandt.  Dasselbe  gilt  aber  aucli 
für  die  Biegung  sich  ausdehnender  Theile  blos  durch  Stauung  gegen 
äussere  Widerstände. 

Die  Dicke  und  Elasticität  der  Theile  werden  zwar  von  His  bei  der 
allgemeinen  Erörterung  der  Formbildung  als  wichtige  Componenten 
aufgeführt,  aber  bei  der  speciellen  Ableitung  der  einzelnen  Formen 
wird  die  erstere  nicht  genügend,  die  letztere  gar  nicht  speciell  berück- 
sichtigt. So  wird  nicht  gewürdigt,  dass  bei  den  wichtigsten  Biegungen, 
denen  zur  Bildung  der  Medullarfaltcn  zum  Schluss  des  Medullarrohres, 
ferner  bei  der  Bildung  der  Kopfanlage  die  Biegung  an  dickeren,  oder 
gerade  an  den  dicksten  Stellen  der  Platte  stattfindet;  während  doch, 
bei  passiver  Erzeugung  der  Biegung  durch  Ausdehnungswiderstand, 
die  Biegung  ceteris  paribus  an  den  dünnsten  Stellen  erfolgt.    So  spricht 


Vorkoiiinien  mechanischer  MassencoiTehitioncii.  24'> 

IJis  noch  in  seiner  jüng'sten  bezüglichen  [514-|  AhhaiKhung')  von 
einer  ,, mechanischen  Verdünnnno'^  der  ventralen  Wandung  des  Me- 
duUarrohres  bei  der  Erhebung  der  Seitentheile  des  letzteren  zum 
Schlüsse  des  Rohres.  Danach  müsste  die  Erhebung  der  Öeitcntlieile 
passiv  erfolgen,  was  im  vorderen  Theile  des  Medullarrohres  nur  durch 
einen  Druck  von  Seiten  des  daselbst  fünfmal  dünneren  Hornblattes 
möglich  wäre.  Die  Substanz  des  Hornblattes  müsste  deshalb  eine  2r)iiinl 
grössere  Elasticität  besitzen  als  die  der  ventralen  Wandung  des  Medul- 
larrohres, eine  Voraussetzung,  welche  jedenfalls  besonders  zu  beweisen 
wäre.  Desgleichen  ist  kein  Versuch  gemacht,  die  bei  solchen  passiven 
Formungen  entstehenden,  weit  ausgebreiteten  Spannungen  innerhalb 
der  Platte,  deren  His  zwar  gedenkt,  wirklich  nachzuweisen. 

Hat  His  mit  Recht  aus  seinen  genauen  Messungen  über  das 
ungleiche  Wachsthum  der  Theile  auf  die  Nothwendigkeit  eintreten- 
der Biegungen  geschlossen,  so  konnte  er  natürlich  nicht  so- 
weit gelangen,  nachzuweisen,  dass  gerade  im  Einzelnen 
diejenigen  Formen  entstehen  mussten,  welche  dem  be- 
treffenden Embryo  eigen  sind;  indem  aber  die  Schlüsse  bis  auf 
diese  speciellen  Formen  ausgedehnt  werden,  kommt  in  die  Conclusio 
eine  Bestimmung,  die  in  der  Prämisse  nicht  enthalten  war. 

His  übergeht  ferner,  dass  der  Causalnexus  der  von  ihm  er- 
mittelten Masse  num  läge  rungen,  wie  aus  unserer  obigen  allge- 
meinen Darlegung  hervorgeht,  auch  gerade  der  ,, umgekehrte"  des 
von  ihm  angenommenen  sein  kann;  indem  nämlich  dieTendenz 
zur  Biegungsformation  einer  Stelle  gerade  das  Primäre 
sein  und  in  ihrer  Bethätigung  vielleicht  sogar  passiv  durch  Deh- 
nung das  nöthige  Wachsthum  der  Umgebung  veranlassen 
kann;  und  dass  zwischen  diesen  beiden  extremen  Fällen 
eine  unendliche  ^i,eihe  von  Möglichkeiten  liegt,  über  deren 
wirklichen  Antheil  an  der  Entwickelung  nur  das  Experiment,  nie 
aber  die  Messung  der  stattfindenden  Massenumlagerungen  ent- 
scheiden   kann;    denn    diese    selben    Massenumlagerungen 


1)  W.  His,    Ueber  das  Auftroten    der  weissen  Substanz   und  der  Wurzelfasern 
am  Rückenmark  menschlicher  Embryonen.     Arch.   f.  Anat.  und  Entwickelungsgesch. 

1883  S.  1G5. 

16* 


244  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


können,  wie  wir  gesehen  haben,  in  Bezug  anf  das  Umgelagerte  ebenso- 
w  o li  1  a  c  t  i  V  e  w  i  e  p  a s  s  i  v  e  s  e i  n .  Eine  derartige  Auffassung  ist  schon 
in  der  Ausführung  Paxder's  ')  enthalten,  welcher  sagt,  dass  [515]  seine 
Leser  sich  ,,wo  von  den  Faltungen  der  Keimhäute  die  Rede  ist,  niclit 
leblose  Membranen  vorstellen  sollen,  deren  mechanisch  gebildete 
Falten  nothwendig  sich  über  die  ganze  Fläche  verbreiten ,  ohne  sich 
auf  einen  bestimmten  Raum  beschränken  zu  lassen;  denn  dieses 
müsste  unvermeidlich  zu  irrigen  Ansichten  führen.  Die  die  Meta- 
morphose der  Häute  bedingenden  Falten  sind  vielmehr  selbst  orga- 
nischen Ursprungs  und  bilden  sich  an  xiem  gehörigen  Orte, 
sei  es  nun  durch  Vergrösserung  der  dort  schon  vorhandenen  oder 
durch  ein  Hinzutreten  neuer  Kügelchen,  ohne  dass  dadurch  der  übrige 
Theil  der  Keirahäute  verändert  würde". 

Wenn  ich  hier  im  Elinzelnen  den  Ausführungen  Hi.s'  mehrfach 
entgegengetreten  bin,  so  will  ich  nicht  unterlassen  zugleich  auszu- 
sprechen, dass  ich  trotzdem  das  grosse  Verdienst  zu  würdigen  w^eiss, 
welches  His  sich  durch  sein  energisches  Bestreben  und  die  fleissige 
Arbeit  für  die  Begründung  einer  causalen  Auffassung  und  Erkennt- 
niss  der  individuellen  Entwickelungsvorgänge  erworben  liat. 

Versuche  über  die  Wirkung  passiver  Deformationen  auf  den 
Embryo  und  über  den  ,,Selbstschluss  "  des  Darm-  undMedul- 

larrohres. 

Um  den  Embryo  directauf  die  eventuellen,  bei  passiver 
Biegung  entstehenden,  über  grosse  Flächen  verbreiteten 
Spannungen  zu  prüfen,  zerschnitt  ich  lebende  Froschembryonen 
im  Stadium  der  Medullarfurche  quer  und  der  Länge  nach  in  viele 
Stücke;  an  keinem  Stücke  al)er  war  eine  Formänderung 
wahr  nehm  bar.  Dasselbe  war,  wie  vorn  erwähnt,  bei  den  grossen  Ent- 
spannungssclmitten  und  bei  der  Bildung  von  Zungenlappen  an  noch 
weiter  lebenden  Froschembryonen  der  Fall,  soweit  nicht  zugleich  pas- 
sive Deformationen  künstlich  hervorgebracht  worden  waren;  auch  hier 
fand   keine  Ausgleichung   der  Medullarfalten  statt.     Dies  beweist, 


')  Pander,  Beiträge  zur  Entwickelun^'SgescIiiclite  des  Hühnchens.    1817     S.  40. 


Vitale  Anpassungsfähigkeit  an  passive  Deformationen.  245 


thiss  jedes   der   so   liergestellteii  Stiiclcc  dieser  Forinvii    in, 
„innerem  GJeiclKjewichte''  sich  befand. 

Daraus  folgt  aber  noch  nicht,  dass  sie  nicht  durch  passive  Umform- 
ung entstanden  seien.  Denn  sofern  eine  sehr  vollkommene 
Anpassungsfähigkeit  desMateriales  an  solche  passive  Um- 
formung vorha  ndon  ist,  so  braucht  in  jedem  Momente  nur 
ein  minimaler  Ueherschnss  von  Z/van;/  vorbanden  zu  sein. 

Zur  Prüf  u n  g  a  u  f  d  e  r  a  r  t  i  g  e,  h  o  c  h  g  r  a  d  i  g  e  A  n  p  a  s  s  u  n  g  s- 
fähigkeit  des  Embryo  wurden  die  Embryonen  innerhalb  ihivr 
Gallerthülle  durch  Einklemmen  zwischen  Nadeln  verbogen. 
AVenn  die  Nadeln  nach  der  Deformation  sofort  wieder  entfernt  wurden, 
so  nahm  der  Embryo  sogleich  wieder  seine  frühere  Gestalt  an;  blieben 
sie  da- [516] gegen  nur  einige  Stunden  stecken,  so  war  die  De- 
formation schon  eine  zunächst  bleibende  geworden  und 
wurde  erst  im  Laufe  me.hr  er  er  Stunden  wieder  rück- 
gängig gemacht;  ein  Beweis ,  dass  bereits  innere  A  n  p  a  s  s  u  n  g 
an  die  neue  Form  eingetreten  war,  welche  aber  im  Laufe  der  weiteren 
Entwickelung,  vielleicht  durch  die  bei  der  Deformation  gehemmten, 
die  normale  Gestalt  intendirenden  ^)  Wachsthumskräfte  wieder  ausge- 
glichen wurde. 

Die    so    erwiesene     rasche    vitale    Anpassungsfähigkeit 


[1)  Da  His  an  dieser  Fassung",  da.ss  die  durch  äussere  Einwirkung  hervor- 
gebrachte und  erst  im  Laufe  mehrerer  Stunden  nach  dem  Aufhören  der  Einwir- 
kung allmählich  wieder  rückgängig  gemachte  Deformation  durch  die  „die  normale 
Gestalt  intendirenden  Wachsthumskräfte"  wieder  ausgeglichen  werde,  An- 
stoss  genommen  hat,  (Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  anat.  Abth.  1894,  S.  52),  so  sei  statt 
der  „intendirenden"  Wachsthumskräfte:  auf  die  Herstellung  der  normalen 
Form  „eingestellten"  Wachsthumskräfte  gesagt.  Wir  sehen  häufig,  dass 
ein  durch  Nahrungsmangel  im  Diekenwachsthum  zurückgebliebenes  Kind,  oder  ein 
durch  mechanische  Einwirkung  am  normalen  Wachsthum  gehemmter  Theil  eines  jugend- 
lichen Organismus  nach  dem  Wegfall  dieser  Ursache  rasch  das  Versäumte  nachholt; 
woraus  zu  schliessen  ist,  dass  die  durch  den  Keim  ül)ertragenen  immanenten 
Wachsthumsgr össen  durch  eine  zeitliche  Hemmung  ihrer  Bethätigung  nicht 
vernichtet  werden.  Der  von  His  herausgezogenen  „elastischen  Nachwirkung" 
kann  bei  dieser  Langsamkeit  der  Rückbildung  des  Groben  unserer  Deformation  nur 
ein  ganz  untergeordneter  Antheil  zukommen,  da,  soweit  Elasticität  betheiligt  ist, 
das  Grobe  der  Deformation  rasch  nach  dem  Aufhören  der  deformirenden  Kraft 
wieder  rückgängig  gemacht  wird.] 


246  Nr.  18.    Zur  Orientlrung  über  die  Probleme  etc. 

der   Embryonen    an    erzwungene    D  e  f  o  r m a t i o n e n   in   der 
Periode  der  raschesten  Differenzirung  hat  mich  nicht  gewundert. 

Aber  es  überraschte  mich  weiterhin  zu  sehen,  dass  auch  be- 
fruchtete ungefurchte  sowie  in  der  ersten  Furchung  be- 
griffene Frosch eier,  welche  doch  aus  fast  Hüssigem  Materiale 
bestehen,  durch  obige  Methode  zu  einer  den  Zwang  über- 
dauernden Aenderung  ihrer  Gestalt  veranlasst,  z.B.  drei- oder 
viereckig  gemacht  werden  konnten^).  Dabei  zeigte  sich  aber, 
dass   die  Eier  unter  der  Wirkung    dieses  Zwanges   leicht  abstarben. 

Diese  Versuche,  nebst  einem  gleichfalls  an  Froschembryonen 
vorgenommenen  Versuche  über  die  Entstehung  der  Rautengrube 
wurden  bereits  vor  zwei  Jahren  (1882)  angestellt,  und  die  Absicht, 
weitere  Versuche  an  Hühner embryonen  vorzunehmen,  war  in 
Vergessenheit  gerathen.  Erst  jetzt  im  Oktober  bei  der  Ausarbeitung 
dieser  Schrift  wurde  ich  wieder  daran  erinnert,  und  versuchte  das 
Versäumte  nachzuholen ;  aber  von  allen  in  dieser  späten  Zeit  nocli 
bebrüteten  Eiern  entwickelten  sich  blos  einige  \venige ,  an  welchen 
ich  die  folgenden  Beobachtungen  machte. 

Ein  Hühnerembryo  von  40  Brütstunden  mit  am  Kopf- und  Halstheil 
geschlossenem  Medullarrohr  wurden  durch  seitliche,  der  Medianlinie 
parallele  Schnitte  aus  der  Umgebung  ausgelöst  und  herausgenommen. 
Obgleich  auf  der  einen  Seite  nur  noch  ein  Stück  Seitentheil  von  der 
l)reite  des  Medullarrohres  neben  diesem  letzteren,  auf  der  anderen 
Seite  aber  fast  nichts  vom  Seitentheil  des  Embryo  mein-  vorhanden 
war,  breiteten  sich  die  noch  unvereinigten  Theile  der  Me- 
li ullarwülste  doch  nicht  seitlich  aus;  auch  nicht,  nachdem  die 
hintere  Hälfte  des  Embryo  mit  dem  noch  offenen  Medullarrohr  von 
der  vorderen  geschlossenen  Hälfte  getrennt  Avorden  war.  Vorgenommene 
momentane  Verbiegungen  des  Embryo  glichen  sich  immer  sofort 
wieder  vollkommen  aus. 

[517]  Bei  einem  anderen  Embryo  mit  noch  breiterem  Anliang  der 
Urwirbel    und    Seiten  platten ,    sowie  bei   einem   in  toto   herausgenom- 


[1)  Dies  deutet  Avohl  auf  eine  grosse  murphologische  Anpassungs- 
fähigkeit der  Ei- resp.  Furchungszelle,  speciell  derEirinde  hin,  die  sich  ja  auch 
in  der  raschen  Neubildung  der  letzteren  bei  den  P'urchungen  selber  bekundet.] 


»Selbstschluss-'  des  Modullarrohres.  247 


meiien  Embryo  wurdon  von  den  beiden  Seiten  bei-  die  .Scitcntbeile 
gegen  das  noch  offene  Mediülarrohr  hingedrängt,  um  es  entsprechend 
His'  Annahme  dadurch  zu  verengen,  resj).  zmn  Sclduss  /u  bringen. 
Aber  es  bogen  sicii  nur  die  Scitentheile  in  sich  oluie  Effect 
für  das  Medul  larrohr;  und  erst  als  die  Ealten  dieser  Theile  direct 
an  die  Urwirbel  und  (hese  dadurch  an  (he  Mcthilhirwülste  angepresst 
wurden,  wurden  auch  diese  letzteren  einander  genähert.  Also  ein 
Beweis,  dass  die  Seitentheile  viel  biegsamer  sind  als  das 
Medullarrohr  und  daher  letzteres  nicht  passiv  verengen 
können. 

Diese  Embryonen  wurden  zuletzt  in  viele  Stücke  zerschnitten, 
doch  änderte  keines  derselben  erkennbar  seine  Gestall.  Bei  einem 
weiteren  Embryo  aber  rollte  sich  der  rechte  Seitentheil  des  Horn- 
blattes längs  des  noch  offenen  hinteren  Theiles  des  Medullarrohres 
dorsal  medianwärts  ein  und  bedeckte  so  die  Medullarfurche. 

Alle  folgenden  Embryonen  wurden  aus  dem  Eic  sofort  in  er- 
wärmte physiologische  Kochsalzlösung  übertragen,  während  die  bisbcr 
erwähnten  nur  in  Brunnenwasser  von  Zimmertemperatur  gethan  wor- 
den waren. 

Ein  Embryo  von  35  Brütestunden,  mit  noch  ganz  offenem 
Medullarrohr,  zeigt  blos  vorn  in  einer  kleinen  Strecke  die  Medullar- 
wülste  schon  bis  zur  Berührung  genähert.  Die  deutliche  Erhebung 
der  Wülste  erstreckt  sich  blos  bis  zum  ersten  Urwirbel  nach  hinten. 
Die  Seitentheile  sind  jederseits  nur  in  einer  Ausdehnung  von  der 
Breite  der  Medullarfurche  mit  herausgenommen.  Trotzdem  wird 
keine  seitliche  Verbreiterung  der  Medullarfurche  durch 
den  Wegfall  des  von  Hi^  vermutheten  seitlichen  Druckes 
bemerkbar.  Eine  Viertelstunde  nach  der  ersten  Beobachtung  er- 
streckt sich  die  Erhebung  des  Medullarwulstes  bis  zum  vierten  Ur- 
wirbel, und  im  Bereiche  des  vorderen  Theiles  des  Medullarrohres 
haben  sich  die  Ränder  desselben  erheblich  genähert,  an  einer  ge- 
messenen Stelle  von  0,23  mm  auf  0,05  mm.  So  wurde  also  eine 
weitere  Erhebung  und  Näherung-der  M  e  d  u  1 1  ar  w  ü  Iste 
direct  beobachtet,  nachdem  die  Seitentheile  des  Embryo 
abgeschnitten  worden  waren;  ein  Beweis,    dass  diese  Vorgänge 


248  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 

unabhängig  von  diesen  Seitentheileu  [518]  vor  sich  gehen  können,  also 
wohl  „Selbstdiffereuzirung"  der  sich  umformenden  Theile 
des  Medallarroh  res  darstellen,  da  die  Urwirbel  im  vorderen  Theile 
des  Embryo  gleichfalls  nicht  die  nöthigen  Bedingungen  für  geeignete 
Beeinflussung  des  Medullarrohres  darbieten^). 

Die  Entstehung  der  R  a  u  t  e  n  g  r  u  b  e  leitet  Hi.-^  von  der 
Brückenkrümmung,  von  der  dorsalwärts  concaven  Biegung  des  primären 
Hinterhirnes  ab,  auf  Grund  der  ähnlichen  Form,  welche  ein  der  Länge 
nach  etwas  aufgeschlitzter  Gummischlauch  zeigt,  wenn  er  gegen  den 
Schlitz  hin  concav  gebogen  wird. 

Um  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  zu  prüfen,  hatte  ich  zu- 
nächst Frosch embryonen  verwendet,  obgleich  diese  normal  eine 
JDesonders  kleine  Brückenkrümmung  und  schmale  Rautengrube  haben. 
Ich  bog  lebende  Embryonen  mit  noch  offener  Medullarfurche  dorsal- 
wärts um  bis  zum  rechten  Winkel;  aber  es  entstand  nur  eine  sehr 
geringe  Abflaehung  und  seitliche  Verbreiterung  der  Medullarvvülste. 
Ein  Embryo,  welcher  über  Nacht  in  einer  Lordose  von  00"  erhalten 
worden  war ,  hatte  am  andern  Morgen  diese  Gestalt  bleibend  ange- 
nommen; das  Medullarrohr  war  noch  offen,  zeigte  aber  keine  Rauten- 
grube. Ich  weiss  nicht,  ob  er  nicht  vielleicht  sehr  bald  abgestorben 
war.  Es  ist  zu  bemerken ,  dass  bei  Froschembryonen  sehr  häufig- 
erhebliche  Lordosen  durch  Raumbeengung  innerhalb  der  Gallert- 
hülle sich  ausbilden,  ohne  dass  eine  Bildungsab weichung  des 
Medullarrohres,  etwa  Wiederaufplatzen  desselben  mit  nachträg- 
licher Bildung  einer  Rautengrube  im  Lendentheil  entstünde. 

Die  Experimente  an  den  wenigen  Hühner  embryonen  dieses 
Herbstes  ergaben  folgende  Resultate. 

Der  obige  erste  Embryo  mit  noch  im  Ganzen  offenem,  vorn 
aber  schon  im  Schlüsse  begrift'enen  Medullarrohre  wurde,  in  Wasser 
von  Zimmertemperatur  befindlich,  in  seinem  Halstheil  um  etwa  90° 
rückwärts  gebogen,  ohne  dass  jedoch  eine  wesentliche 
Verbreiterung  der  Medullarfurche  an  der  Stelle  entstand. 
Nach   dem  Aufhören   der   biegenden  Einwirkung  schnellte   er  wieder 


[1)  Weiteres  ßeweismaterial  für  den  „Selbstschluss"  des  Medullarrohres  bietet 
die  Gestalt  der  Semiinedulla  dorsalis  lateralis  dar,  s.  Nr.  22,  S.  144.] 


Künstliche  Rautengrube  des  Medullanohros.  249 


in  seine  frühere  Form  /uriiek.  Dasselbe  Resnltat  ergal)  der  obige 
iMnbrvo  mit  schon  in  (U'r  vorderen  Hälfte  geschlossenem  Medulkir- 
rohr.  Erst  nach  niehrinals  wiederholter  Rückwärtsbiegnng  um  viel 
über  90°  platzte  unterhalb  der  Ectoderm  das  Medullarrohr  auf. 

[519]  Der  letzte  obige  Embryo  wurde,  nachdem  er  unter  meinen 
Augen  das  Medullarrohr  weiter  ausgebildet  hatte,  im  hinteren 
Kopftheil  90"  rückwärts  gebogen,  ohne  dass  die  Medul- 
lär wülste  seitlich  auseinander  wichen,  wie  es  an  einem 
aufgespaltenen  ({ummirohr  bei  gleicher  Biegung  ge- 
schieht. 

Aus  diesen  Versuchen  ergiebt  sich  also  übereinstinnnend,  dass  die 
Mass  enanor  dnun  ge  n  bei  diesen  Hühner-  und  Froscli- 
embryonen  nicht  derartig  waren,  dass  sich  nach  His'  Ver- 
muthuug  durch  solche  Rückwärtsbiegung  rein  „passiv" 
eine  Rauteugrube  erzeugen  Hesse. 

Gleichwohl  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  in  ehier  solchen  Biegung 
eine  mechanische  Tendenz  zu  einem  Auseinanderweichen  der 
seitlichen  Wülste  vorhanden  ist,  welcher  aber  durch  den  Widerstand 
der  äusseren  Nachbarschaft  mehr  oder  weniger  das  Gleichgewicht  ge- 
halten werden  kann.  Nachdem  aber  die  forterhaltene  Biegung 
15  Minuten  ohne  deformirenden  Erfolg  geblieben  war,  be- 
merkte ich,  dass  sich  auf  einmal  das  Medullarrohr  an  der  Bieg- 
uno-sstelle  seitlieh  verbreiterte,  und  dass  eine  ähnliche  Ver- 
breiter ung  auch  mitten  im  Kopftheil,  welcher  nach  rückwärts  con- 
vex  gebogen  war,  stattfand;  innerhalb  weiterer  4  Minuten  wurde 
dann  bereits  das  Maximum  der  Erweiterung  erreicht  und  eine  vor- 
her gemessene  Stelle  hatte  sich  dabei  von  0,03  mm  auf  0,13  mm  ver- 
breitert. 

Ein  anderer  Hühnerembryo  mit  einem  am  Kopftheil  bereits  ge  - 
schlössen  eu,  in  der  hinteren  Hälfte  im  Schlüsse  begriffenen  Me- 
dullarrohr wurde  in  der  gleichen  Weise  im  Kopftheil  convex,  im 
hinteren  Halstheil  aber  erheblich  über  einen  rechten  Winkel,  etwa 
150^  concav  rückwärts  gebogen,  beides  gleichfallsohnemomen- 
tanen  erweiternden  Effect  auf  das  Medullarrohr.  Nach 
einiger  Zeit  jedoch  öffnete  sich  der  mittlere  Kopftheil  des  Rohres 


250  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


unterhalb  des  Ectodenn  und  die  Augenblasen  erlangten  ganz  abnorme 
Gestalt;  weiter  caudal,  etwa  in  der  dorsal  vom  aboralen  Herz- 
rand gelegenen  Gegend  des  Medullarrobres  hildete  sich 
eine  ivohlije formte,  durch  scharf  ahgeJcnickte  Seilivärtshieg- 
nug  der  Medullarwülste  ausgezeichnete  .^Banfengruhe^'-  aus. 
Kopf wärts  davon  waren  die  Medullarwülste  n  och  ein  z  w  e  i  t  e  s  M  a  1 
seitlich  aus  gebogen,  aber  an  nicht  vollkommen  symmetrisch  ge- 
legeneu Stellen,  so  dass  diese  zweite  Oettinung  des  Medullarrobres  eine 
mehr  schlanke,  rhomboide  Form  darbot  (siehe  S.  252). 

An  diesen  Fall  schliesst  sich  wohl  das  oben  erwähnte  Vorkomm- 
niss  von  seitlicher  Ausbiegung  der  Medullarwülste  in  der  [520]  mitt- 
leren Rumpfgegend  bei  stark  lordotischen  Froschembryonen  an,  deren 
Eier  während  der  Furch ung  angestochen  waren  (S.  167,  Nr.  116; 
S.  178,  Nr.  112  und  S.  172,  dritter  Embryo);  auch  in  diesen  Fällen 
war  typische  Rautengrubenform  vorhanden  ^). 

Das  letzte  entwickelte  Ei  war  unzweifelhaft  schon  von  der  Henne 
bebrütet;  denn  es  ))ot  nach  36 stündiger  künstlicher  Bebrütung  einen 
Embryo  von  etwa  6  0  Brütstunden  dar;  dieser  \yurde  daher 
blos  zu  Verbiegungsversuchen  verwandt.  Der  Embryo  bekundete  wie 
alle  früheren  Embryonen  eine  sehr  vollkommene  Elasticität 
und  kehrte  nach  jeder  momentanen  Deformation  rasch  zu  seiner  nor- 
malen Gestalt  zurück. 

Jede  Verbieguug  jedoch,  welche  5  Minuten  lang 
(NB.  im  warmen  Wasser )  passiv  erhalten  worden  war, 
zeigte  sich  als  bereits  durch  innere  xVnpassung  für 
einige  Zeit  fixirt.  Der  Embryo,  an  welchem  die  Öeitentheile 
ziemlich  breit,  etwa  in  doppelter  Medullarrohrbreite  jederseits  erhalten 
waren,  überlebte  die  Herausnahme  aus  dem  Eie  um  zwei  Stunden. 
Der  hinterste  Theil  des  Embryo  war  bei  einer  ungeschickten  Mani- 
pulation hall)  abgequetscht  worden  und  wurde  deshalb  ganz  abgetrennt. 


[1)  Dieselbe  konnte  aber  hier  umgekehrt  auf  Hemmung  des  nachträglichen 
Schlusses  der  Asyntaxia  beruhen;  ganz  abgesehen  davon,  dass  an  dieser  Stelle 
stets  der  nachträgliche  Schluss  am  spätesten  erfolgt  (s.  S.  185,  Anm.),  also  blos  die 
besondere  seitliche  Verbreiterung  auf  Hemmung  durch  die  Lord  ose  gedeutet 
werden  kann.l 


„Selbstschluss''  des  Darmrohrcp.  251 


Einige  Zeit  naeli  der  irercUisnahme  liel  mir  auf,  das«  .sich  an 
einer  Stelle  die  Seitentheile  von  beiden  Seiten  her  ventral  bis  last 
znr  Berührung  genähert  hatten.  Ich  vermuthete  7Ainächst,  dass  es  eine 
bleibend  gewordene  unbeabsichtigt  vorgenommene  passive  Aenderung 
sei.  Es  wurde  nun  jede  weitere  Beeinflussung  vermieden ,  und  es 
zeigte  sich,  dass  sich  die  seitlichen  Wandungen  einander  immer  mehr 
näherten,  sich  fest  zusammenschlössen  bis  zur  Berührung,  dann  noch 
weiterhin  zur  Vereinigung  des  so  gebildeten  P^nddarmes  und  zwar 
derart,  dass  die  Ränder  der  Seitentheile  sich  wieder  nach  aussen 
wölbten,  während  mehr  medullarwärts  gelegene  Stellen  zur  Berührung 
mit  einander  gelangten.  Dieser  somit  direct  beobachtete  „Selhst- 
schJnss  des  Darw rohyes''  betraf  nur  das  hintere  Drittel  des  Embryo, 
Hess  also  die  Gegend  hinter  dem  Herzen  offen.  Dagegen  war  der 
Schluss  auch  an  dem  abgetrennten  hintersten  Stücke  des  Embryo 
aber  in  etwas  geringerem  Maasse  zu  beobachten.  Die  Stelle  stärkster 
Krümmung  [521]  lag  hier  aber  jederseits  näher  der  Mediane))ene ; 
die  mehr  lateralen  Tlieile  wurden  blos  passiv  mitgenommen,  ohne 
sich  zu  biegen. 

Wir  haben  also  zu  dem  oben  beobachteten  Selbstschluss  des 
Medullarohres  in  diesem  Selbstschluss  des  Darmrohres 
noch  ein  zweites  Beispiel,  nicht  durch  Stauung  gegen  äussere  Theile, 
sondern  activ  an  dem  Umformungsherd  selber  erzeugter 
Biegung  kennen  gelernt'). 

Nach  welcher  von  den  oben  erörterten  Möglichkeiten  aber  diese 
Biegung  durch  Selbstdif f erenzirung  vor  sich  geht,  ob  unter 
keilförmiger  Selbstumgestaltung  der  Zellen,  oder  unter  Zellwachsthum 
oder  Zellansammlung  auf  der  convexen  Seite  oder  durch  Zellschwund 
oder  -Auswanderung  an    der    concaven   Seite  etc.,    das    ist    natürlich 


[1)  Diesen  Versuchen  kann  noch  der  Einwand  entgegengehalten  werden,  dass 
vielleicht  die  Kochsalzlösung  nicht  ganz  die  entsprechende  Concentration  gehabt  hätte 
und  dasb  daher  der  Selbstschluss  durch  eine  schrumpfende  Wirkung  des  fremden 
Mediums  bedingt  gewesen  sei.  Um  dem  zu  begegnen,  habe  ich  jüngst  die  Operation 
im  Ei  selber  vornehmen  und  das  Ei  danach  noch  einige  Stunden  der  Brutwärme  aus- 
setzen lassen,  worüber  im  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  berichtet  werden  wird. 

His  gedenkt  in  seiner  S.  245  Anm.  genannten  Arbeit  der  vorstehend  mitge- 
theilten  Versuche  überhaupt  nicht. 


252  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


nur  durch  besondere,  diesem  Zwecke  angepasste  Untersucbungsweisen 
zu  ermitteln. 

Der  Umstand,  dass  der  Selbstscliluss  beider  Rohre  nach  der 
Abtrennung  von  der  seitUchen  Umgebung  so  rasch  erfolgte, 
deutet  vielleicht  darauf  hin,  dass  diese  Umgebung,  im 
Gegensatze  zu  der  Vorstellung  von  His,  als  Hinderniss  für 
den  Schluss  aufzufassen  ist  ;  sofern  man  nicht  annehmen  will, 
dass  durch  die  abnormen  Bedingungen  besondere  den  Schluss  be- 
wirkende Kräfte  ausgelöst  worden  wären,  oder  dass  auch  innerhalb 
des  Eies  der  Verschluss  sich  zu  derselben  Zeit  und  mit  derselben 
Geschwindigkeit  vollzogen  haben  würde;  w^as  wenigstens  für  das 
Darmrobr  vielleicht  ein  wenig  zu  früh  gewesen  wäre.  Aber  aller- 
dings entsteht  um  diese  Zeit  am  Entoblast  eine  ähnliche  Biegung, 
welche  indess  unter  normalen  V-'erhältnissen  nicht  zum  Verschlusse 
führt,  vielleicht,  weil  die  Seitentheile  durch  den  Dotter  noch  zu  sehr 
auseinander  gehalten  werden. 

Bezüglich  der  Rautengrube  dagegen  erhielten  wir  das  Resultat, 
dass  es  möglich  ist,  durch  Rückwärtsbiegung  desMedullar- 
rohres  eine  entsprechend  gestaltete  Grube  sogar  an  nicht 
dafür  bestimmter  Stelle  zu  erzeugen.  Zugleich  aber  erkannten 
wir,  dass  die  Umformung  dabei  nicht  einfach  mechanisch  und 
rein  passiv  vor  sich  geht,  wie  bei  der  Biegung  eines  aufge- 
schlitzten Gummischlauches  [denn  dann  hätte  sie  wie  beim  Gummi- 
schlauch zugleich  mit  der  ursächlichen  Deformation  entstehen  müssen], 
sondern  dass  die  Entstehung  der  Rautengrube  erst  durch  die 
sehr  rasche  anpassende  Lebensthätigkeit  der  Gewebe  [wohl 
Wachsthum  an  den  Stellen  und  in  Richtung  des  Zuges,  Verminderung 
an  den  Stellen  verstärkten  Druckes]  ermöglicht  wird.  Aus  diesem 
Befunde  lässt  sich  aber  noch  nicht  sicher  folgern,  dass  die 
„normale"  Rautengrube  wirklich  auf  diese  Art  entstehe; 
[522]  sondern  es  wird  diese  Eventualität  dadurch  blos  in  den  Bereich 
der  empirischen  Möglichkeiten  gerückt. 

Die  so  von  mir  künstlich  hergestellte  Rautengrube  gehört  der 
Art  ihrer  Entstehung  nach  genau  genommen  nicht  mehr  in  die  Gruppe 
mechanischer  Massencorrelationen.     Doch  empfiehlt  es  sich  wohl, 


Andere  differenzirende  Correlationeu.  253 


diese  Art  ..(hncli  »icr/i  (( tnsrhc  M  et  ssen  cor  ycl  a  ii  on  rer- 
mittcUer  vitaler  Uniforunn/;/''  mit  als  Untcnibtlicilniio-  in 
diesen  Absclmitt  aufzunehmen,  Aveil  sie  verm  u  tlil  i  cli  die  häu- 
figere ist  gegenüber  der  „rein  mechcui  isclicn  jlfafifie)/- 
correlation" ,  der  rein  passiven  Umformung  lebenden  Materiales. 
Denn  es  wird  liei  mechanischen  Massencorre  lation  en 
im  Organismus  meist  wohl  zunächst  nur  eine  selir  ge- 
ringe passive  Umgestaltung  stattfinden;  und  erst  in 
dem  Maasse,  als  an  diese  Um^estal  tung  durch  vitale 
Vorgänge  successive  innere  Anpassung  stattgefunden 
hat,  wird  allmählich  die  Umgestaltung  weiter  vor- 
schreiten. 

Ich  beabsichtige,  alle  bis  jetzt  bekannten  Beispiele  von  gestaltenden 
Massencorrelationen  zu  sammeln,  um  in  späteren  Beiträgen  eine  voll- 
kommene Uebersicht  über  dieselben  zu  geben.  Vielleicht  unterstützen 
mich  die  betreffenden  Autoren  freundlicher  Weise  durch  gefällige 
Uebersendung  von  Separatabzügen  oder  von  Litteraturnachweisen  in 
der  Ausführung  dieser  mühevollen  Arbeit. ') 

4.  Andere  diff erenzirende  Correlationen. 

Es  ist  keine  Veranlassung  anzunehmen,  dass  mit  den  erörterten 
drei  Arten  von  Wechselwirkungen  :  der  fun  ctionellen  AnjDassung, 
der  zur  Theilauslese  führenden  Correlation  und  der 
m  e  c  h  a  n  i  s  c  h  e  n  j\I  a  s  s  e  n  c  0  r  r  e  1  a  t  i  o  n  die  Möglichkeiten  ,  ,differen- 
zirender"  Correlationen  für  den  normalen  ^^erlauf  der  Entwickelung 
erschöpft  seien.  Da  wir  den  Antheil  der  Selbstdifferenzirung  an  der 
Entwickelung  noch  nicht  kennen,  sind  wir  schon  aus  diesem  Grunde 
nicht  im  Stande,  das  Gebiet  der  correlativen  Differenzirung  zu  um- 
grenzen und  daraufliin  zu  bestimmen,  wie  weit  die  diesem  Principe 
zugehörigen  Wirkungen  sich  auf  die  erörterten  drei  Arten  zurück- 
führen lassen.  Dem  gegenüber  müssen  wir,  um  nichts  zu  über- 
sehen, uns  vorläufig  vorstellen,  dass  vielleicht  sehr  viele  elementaren, 
bereits  bekannten  und  noch  unbekannten,  qualitativen  und  quantita- 


1)  Diese  Bitte  liat  sicli  gäiizlieii  erfolglos  erwiesen.] 


254  Nr.  18.    Zur  Orientirung  über  die  Probleme  etc. 


tiven  \^eränderungen  selbstständig,  das  lieisst  ohne  äussere  Einwirkung 
auf  den  Diffe- [523]  renzirungsbezirk  sich  vollziehen.  Andererseits 
aber  ist  auch  stets  daran  zu  denken,  dass  vielleicht  viele 
dieser  Vorgänge  von  näheren  oder  e  n  tf  eruteren  Theilen 
d 6 s  O r g an i s m u s  ausgelöst  oder  in  einer  d i  f  f  e r e n z i r e n d e n 
Weise  beeinflusst  werden  können. 

Es  ist  wohl  nicht  nöthig,  noclniials  liervorzuheben,  dass  jede 
Differenzirung,  an  sich  betrachtet,  das  Product  von  Wechseh 
Wirkung  ist;  und  dass  es  uns  bei  der  Unterscheidung  von  selbst- 
ständiger und  abhängiger  Differenzirung  immer  nur  darauf 
ankommt,  zu  ermitteln,  ob  die  specifische  Ursache  einer  Ver- 
änderung in  dem  Bezirke  der  wahrnehmbaren  Veränderung  selber 
oder  ausserhalb  desselben  gelegen  ist  (s.  S.  208).  Wir  wollen  allmählich 
die  einzelnen  Differenzirungsvorgänge  sowie  für  jeden  der- 
selben die  Ausdehnung  und  Lage  seines  Ursachenbezirkes 
sowie  die  Zeit  dieser  Verursachung  kennen  lernen,  weil  wir  auf  (Irund 
dieser  Kenntniss  dann  weiterhin  Schlüsse  über  die  Natur  der  Ursachen 
ableiten  und  so  Handhaben  für  die  Erforschung  ihrer  selbst  gewinnen 
können  (s.  S.  16). 

Es  fehlt  nicht  an  Erscheinungen,  welche  auf  ihrem  Wesen  nach 
nicht  näher  bekannte  Correlationen  hinweisen;  z.  B.  die  Aus- 
bildung der  secundären  Geschlechts  Charaktere,  welche  in  so 
entschiedener  Abhängigkeit  von  der  Beschaffenheit  der  Geschlechts- 
drüsen, ja  angeblich  sogar  von  der  Geschlechtsdrüse  der  entsprechen- 
den Körperhälfte  stehen;  ferner  die  secundären  Veränderungen 
bei  der  Schwangerschaft,  soweit  sie  nicht  der  ^unctionellen  An- 
passung zugehören.  Desgleichen  die  Erscheinung  der  vorzeitigen 
Reife  des  ganzen  Körpers  (A.  Kussmaul i).  Ferner  vielleicht  zum 
Theil  die  Ursachen  des  verschiedenen  Habitus  des  ganzen 
Körpers  oder  der  Gesichtsbildung,  z.  B.  die  neuerdings  von 
Kollmann''')  nachgewiesenen  Correlationen  der  Ge sieht sbildung. 
Im  dritten  Beitraoe  wird  auf  eine  andere  neue  Correlation  gefahndet 


1)  A.  Kussmaul,  Würzburger  med.  Zeitschr.  Bd.  3  S.  321—360. 
••i)  J.  KoLF.MANN,    Correspondenzblatt   der   deutschen   antlirop.  (lesellsch.     1888. 
Nr.   11. 


Andere  difloreiizirontle  Corrolationen.  255 

werden  (s.  Nr.  20,  S.  50  iiml  Nr.  oO).  Man  wird  tcriici'  daran  deid<en 
müssen,  dass  nianclu^  Beispiele  der  von  Cn.  Darwin  unter  dem  Namen 
„correlative  Variabilität"  /Aisammengerassten  [524]  Erselieinnn,ü;eii 
von  gemeinsam  auftretenden  Abänderungen  der  Individuen,  z.  B.  der 
Art,  dass  Pferde  mit  einem  weissen  Stern  auf  der  Stirn  gewöhnlich  weisse 
Füsse  haben,  vielleielit  einer  fridi zeitigen  Correlation  von  Theilen  im 
Eie  ihre  Entstehung  verdanken  kiUmen. 

Dagegen  ist  das  von  Goethe  und  Geoffroy  St.-Hilaire  aufgestellte 
Gesetz  der  Compensation  des  Wachsthums,  wie  ich  darge- 
than  habe  (s.  Nr.  4),  auf  die  Wirkung  der  function  eilen  An- 
passungin X'erbindung  mit  dem  Kamjife  der  Theile  zu- 
rück zuf  üb  ren\). 

Breslau,  December  1884. 


[1)  lieber   weitere    dif  feren  zirende  Cor  rel  ati  onen   siehe  Nr.  22.  S.  279, 

Nr.  28.  Nr.  30  und  33. 


Nr.  19. 

Beiträge  zur  Entwiekelungsmeehanik  des  Embryo. 

Nr.  II.  Ueber  die  Entwickelung  der  Froscheier  bei  Auf- 
hebung der  richtenden  Wirkung  der  Schwere. 

1884. 
Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  vom  22.  März  1884. 


Inhalt. 

Seite 
1.  Normaler    Weise    von    der    Schwerkraft    beeinflusste    (iestaltungen    des 

Froscheies 257 

Nachweis  der  Ungleicheit  des  specifischen  (lowichtes  des  Nahrungs- 
und Bildungsdotters 260 

Pkll'ger's  Auffassung 262 

11.  Nachweis     des    Nichtnöthigseins     gestaltender     Einwirkung    der 

Schwerkraft  zur  normalen  Entwickelung  des  Eies 264 

Rotationsapparat 265 

Rasche  Umdrehung 266 

Langsame  Umdrehung 267 

Ergebnisse 268 

Ueberschlagseier 272 

Wirkung  der  Viscosität  der  Eier 273 

III.  Unnöthigkeit  gestaltender  Einwirkungen    des    Lichtes,    der  Wärme 

und  des  Erdmagnetismus  zur  normalen  Entwickelung  des  Eies     .     .  274 


Wirkung  der  Sch\verkraft.  257 


I.  Normaler  Weise  von  der  Schwerkral't  beeiiiflusste  Gestaltuugeii  des 
sich  eutwickelndeii  Frosclieies. 

[1]  Das  Ei  des  braunen  Frosches  (Ran a  fiisca),  welches  den  im 
Folgenden  zu  berichtenden  Versuchen  unterzogen  wurde,  ist  normal 
kugelrund  und  Lässt  an  seiner  Oberfläche  einen  weissen  kleineren 
runden  Abschnitt  und  einen  die  übrige  Oberfläche  einnehmenden 
schwarzen  Theil  unterscheiden.  Die  Linie,  welche  die  Mitten  dieser 
beiden  Theile  der  Oberfläche  verbindet,  hcisst  die  i^^iaxe  und  geht 
zufolge  der  erwähnten  runden  Abgrenzung  beider  Abschnitte  gegen 
einander  zugleich  durch  den  Mitte Ipunct  des  Eies.  Wenn  dagegen 
wie  nicht  selten,  der  weisse  Theil  von  der  runden  Gestalt  abweicht, 
so  wird  die  Lage  der  Eiaxe  etwas  zweifelhaft. 

Nachdem  die  Befruchtung  des  Eies  stattgefunden  hat,  übt  nach 
alter  Erfahrung  die  Schwere  eine  richtende  Wirkung  auf  das  Ei  und 
einen  Theil  der  in  ihm  sich  abspielenden  Vorgänge  aus. 

Das  Ei  dreht  sich  zunächst,  sobald  die  Gallerthülle  genügend  ge- 
quollen ist,  innerhalb  derselben  mit  dem  schwarzen  [2]  Theile  nach 
oben,  wodurch  der  weisse  Abschnitt  dem  Auge  entzogen  und  die  Ei- 
axe  zugleich  senkrecht   gestellt  wird^).     Zufolge  dieser   typi- 

[1)  Diese  senkrechte  Einstellung  der  Eiaxe  ist  für  Rana  fusca  die  Regel.  Doch 
haben  Borx  und  ich  gleichzeitig  auch  Abweichungen  davon  beobachtet.  Ich  habe 
dieselben  etwas  verfolgt  und  darüber  gelegentlich  einer  Discussion  (s.  Breslauer  ärzt- 
liche Zeitschrift,  April  1884,  Nr.  8)  folgende  Angabe  gemacht.  Es  fanden  sich  geringe 
Abweichungen  von  der  senkrechten  Einstellung  „sehr  häufig."  „Bei  einem  braunen  Frosch 
stellten  sich  sogar  alle,  das  will  sagen  die  beobachteten  etwa  120  Eier,  so  hochgradig, 
zwischen  20  und  30  Grad,  schief  mit  den  Eiaxen  ein,  dass  sie  der  Schiefstellung  der 
Eier  von  Rana  esculeuta  gleichkamen.  Dabei  boten  interessanter  Weise  auch 
viele  dieser  Eier  zugleich  das  von  mir  beschriebene  Furchungs- 
schema  der  „Rana  esculenta"  dar"  (s.  S.  115). 

„Da  die  Schiefstellung  der  Eiaxe  so  variabel  in  ihrem  Vorkommen  ist,  so 
werden  wir  ihr  keine  hohe  Bedeutung  für  den  Mechanismus  der  Ent- 
wickelung  zuerkennen  dürfen.  Aber  als  Hülfsmittel  der  Forschung  ist 
sie  von  grosser  Bedeutung.  Denn  wir  erhalten  durch  diese  Schiefstellung 
ausser  einer  festen  Linie  noch  einen  Punct  im  Eie,  den  höchsten  Punct 
des  weissen  Poles,  so  dass  genügend  Anhaltepuncte  zur  Orientirung 
über  manche  Vorgänge  in  und  auf  dem  Eie  dadurch  gegeben  sind.  Ich  verwende 
gegenwärtig  diese  Schiefstellung  der  Eiaxe  zu  Versuchen  darüber,  ob  das  Oral 
und  das  Aboral  des  künftigen  Fmbryo  schon  im  unbefruchteten 
W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  17 


258  Nr.  19.    Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


sehen  Einstellung  aller  entwickelungsfähigen  Eier  führt  der  schwarze 
Tlieil  aucli  den  Namen  oberer  Pol  oder  obere  Hemisphäre. 

Die  Ebenen  der  beiden  ersten  Theilungen,  welclie  danach  statt- 
finden, stehen  gleichfalls  senkrecht  und  schneiden  sich  daher  auch  in 
einer  senkrechten  Linie  der  Furch ungsaxe,  welche  mit  der  Eiaxe 
/zusammenfällt.  Die  nächste  Theilung  findet  in  wagrechter  Richtung  statt 
und  die  beiden  gleichzeitig  auftretenden  nächsten  Furchen  stehen  gleich- 
falls wieder  senkrecht ;  so  dass  also  die  Schwere  die  Richtung  der  ersten 
äusserlich   sichtbaren  Vorgänge  vollkommen  zu  beherrschen   scheint. 

Zu  diesen  seit  lange  bekannten  Thatsachen  wurden  im  vorigen 
Jahre  mehrere  newe  hinzugefügt.  Zunächst  stellte  ich  fest,  dass  die 
Medianebene  des  künftigen  Embryo  normaler  Weise  mit  der  ersten 
Furchungsebene  zusammenfällt  (Nr.  16),  wonach  die  Schwere  also 
auch  noch  die  spätere  Organisation  zu  beeinflussen  schien,  ein  Ver- 
halten, welches  noch  fast  gleichzeitig  mit  mir  auch  von  E.  Pflüger 
aufgefunden  wurde  ^)  (s.  S.  123,  Anm.). 

Eine  weitere  hierher  gehörige  Beobachtung  machte  ich  an 
den  Eiern  vom  Wasserfrosch  (Rana  esculenta  s.  viridis)  (S.  113). 
Bei  dieser  Species  stellt  sich  die  Eiaxe  nicht  senkrecht,  son- 
dern derart  schief  ein,  dass  bei  der  Ansicht  von  oben  neben 
dem  hier  braunen  oberen  Pol  an  einer  Seite  noch  ein  mondsichel- 
förmiger  Saum    des   hier  gelbweissen   unteren   Poles   zum  Vorschein 


Frosch  ei  fest  gegeben  ist,  oder  ob  diese  Richtungen  erst  nach  der  Befruchtung 
des  Eies  bestimmt  werden." 

Auch  Max  Schiltze  hat  als  das  Gewöhnliche  angegeben,  dass  bei  Rana  fusca 
die  Eiaxe  sich  senkrecht  einstellt.  Sein  Sohn  0.  Schui.tzk  hat  dagegen  behauptet, 
dass  die  Eiaxe  dieser  Species  sich  normaler  Weise  45"  schief  einstelle.  Bei  Prüfung 
an  den  Eiern  der  Frösche  seines  Aufenthaltsortes  (Würzburg)  fand  ich  jedoch  gleich- 
falls fast  durchweg  die  senki-echte  Einstellung,  woneben  wieder  Abweichungen  von 
5 — 10°  vorkommen  (Biolog.  Centralbl.  1888,  Nr.  8,  S.  404).  Es  zeigte  sich,  dass 
der  Autor  die  Eier  erst  kurz  vor  der  Furchung  beobachtet  hatte,  zu  einer  Zeit,  in 
der  bereits  eine  typische  einseitige  Aufhellung  eines  halbmondförmigen  Theiles  der 
oberen  Hemisphäre  stattgefunden  hatte  und  dass  er  diese  Zone  mit  als  zur  weissen 
Hemisphäre  gehörig  aufgefasst  hatte,     (lieber  diese  Aufhellung  s.  Nr.  21,  S.  163). 

Ebenso  erwies  sich  die  weitere  Angabe  des  letztgenannten  Autors  nicht  zu- 
treffend, dass  auch  die  unbefruchteten  Eier  die  Schiefstellung  von  45"  darböten 
(siehe  auch  S.  260  u.  Nr.  20,  S.  11).] 

1)  E.  Pflüger,  Ueber  den  Eintiuss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen. 
Pflüger's  Arch.     1883.   Bd.  XXXI. 


i 


Wirkung  der  Schwerkraft.  259 


konnnt.  Die  erste  Furchuno-sebene  steht  bei  bei  K.  l'iisca  senkreelit, 
ist  aber  so  orientirt,  dass  sie  dieses  Bild  S3^mmetris('li  tlieilt,  was  blos 
inöglich  ist,  wenn  sie  zugleich  durch  den  höchsten  Punct  der  gelben 
Randsichel  und  durch  die  schiel"  stehende  Eiaxe  hindurch  geht.  Durch 
die  schiefe  Einstellung  der  Eiaxe  zur  Richtung  der  Schwerkral't  wird 
hier  also  auch  schon  die  Richtung  der  ersten  Furchungsebenc'  und 
[3]  mit  ihr  die  Richtung  der  künftigen  Medianebone  des  Embryo  noch 
vor  der  Theilung  bestimmt. 

An  diesjährigen  Eier  Stocks  eiern  von  Rana  esculenta  sah  ich 
trotzder  noch  mangelndenEntwickelungsfähigkeit  schon  schief  eEinstel- 
lung  beim  Schwimmen  im  Wasserglas  eintreten.  S  o  f  e  r  n  die  gl  e  ic  h  e  Ein- 
stellung reifer  Eier  im  Wasser  sich  nach  der  Befruchtung  nicht  ändert, 
würde  hier  also  schon  im  unbefruchteten  Eie  die  Lage  der  Median- 
ebene und  das  Oral  und  Aboral  neben  dem  Dorsal  und  Ventral  be- 
stimmt sein,  womit  alle  Hauptrichtungen  des  Embr^^o  be- 
reits vor  der  Befruchtung  gegeben  wären  (s.  Nr.  20,  S.  16). 

Einige  weitere  bezügliche  Thatsachen  lernten  wir  durch  E.  Pflüger 
kennen  ^),  welcher  gefunden  hatte,  dass  man  die  Eiaxe  auch  künstlich 
in  schiefer  Stellung  erhalten  kann,  sofern  man  die  Gallertliülle  des 
Eies  nur  so  wenig  quellen  lässt,  dass  zwar  die  Entwickelung  vor 
sich  geht,  das  Ei  aber  sich  nicht  in  seiner  Hülle  drehen  kann.  Unter 
Anwendung  dieser  Methode  beobachtete  er,  dass  auch  bei  beliebiger 
künstlicher  Schiefstellung  der  Eiaxe  die  Furclmngsaxe  senkrecht 
steht,  dass  aber  die  erste  Furchungsebene  in  jedem  beliebigen  Winkel 
zu  der  Eiaxe  stehen  könne;  während  die  Medianebene  des  Embryo 
wie  bei  der  physiologischen  Schiefstellung  der  Eiaxe  stets  eine  senk- 
rechte Ebene  durch  diese  Axe  darstellt^).    [4]  Weiterhin  fand  Pflügeh, 


1)  loco  cit.  und:  Ueber  den  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der 
Zellen  und  auf  die  Eni^wickelung  des  Embryo.  Zweite  Abhandlung.  Pfi.Cuer's  Arch. 
1883.  Bd.  XXXII. 

2)  Pflüger  hat  die  physiologische  Schiefstellung  der  Eiaxe  bei  Rana 
esculenta  und  damit  zugleich  übersehen,  dass  die  wichtige  Bestimmung,  die  er  für 
die  künstliche  Schieferhaltung  derselben  auffand,  bereits  von  mir  für  die  normale 
Schiefstellung  der  Eiaxe  bei  Rana  esculenta  beobachtet  und  beschrieben  worden  war. 

Desgleichen  erwähnt  er  nicht,  dass  ich  auch  schon  bei  Rana  escul.  (S.  113 
u.  164)  gefunden  hatte,  dass  von  dem  mittelsten  zugleich  höchsten  Puncte  des  von 
ölten    her  am  Eie   sichtbaren    weissen   Saumes   aus   gegen    die   Mitte   der   schwarzen 

17* 


260  Nr.  19.    Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


dass  diejenigen  Tlieile  des  Eies,  welche  bei  Zwangslage  nach  oben  zu 
liegen  kommen,  sich  rascher  furchen,  als  die  nach  unten  gelegenen, 
selbst  wenn  es  weisse  Theile  sind,  welche  sich  doch  bei  ihrer  normal 
nach  abwärts  gekehrten  Lage  langsamer  als  die  normaloberen  schwarzen 
Theile  zu  furchen  pflegen.  Schliesslich  noch  beobachtete  er,  dass  der 
Urmund  an  wechselnder  Stelle  des  weissen  Poles  entstehen  kann,  je 
nach  der  Neigung,  die  man  der  Eiaxe  künstlich  verliehen  hat. 

Es  liegen  somit  eine  ganze  Anzahl  von  Erscheinungen  vor,  welche 
auf  eine  richtende  Wirkung  der  Schwerkraft  auf  das  be- 
fruchtete Ei  und  auf  das  Entwickelungsgeschehen  des- 
selben hinweisen.  Es  fragt  sich  nun,  wie^man  sich  diese  Wirkung 
der  Schwere  vorzustehen  hat.  Die  älteren  Autoren  dachten  bezüglich 
der  wenigen  ihnen  bekannten  Verhältnisse  an  ungleiches  specifi- 
sches  Gewicht  der  weissen  und  der  schwarzen  Eimasse;  und  auch 
ich  habe  nach  meinen  Befunden  mich  nicht  veranlasst  gesehen,  etwas 
anderes  als  Ursache  zu  vermuthen  (s.  S.  113  u.  120)  und  will  hier  einige 
Beweise  für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  hinzufügen. 

Ungleichheiten  des  specifi  sehen  Gewichtes  der  Ei- 
theile  sind  mit  Sicherheit  schon  vor  der  Befruchtung  vorhanden. 
Es  wird  zwar  behauptet^),  ,,dass  die  unbefruchteten  Eier,  in  Wasser 
geworfen,  auf  immer  die  Lage  behalten,  welche  sie  einmal  angewiesen 
erhielten".  Dies  ist  aber,  wie  ich  durch  mehrfache  Versuche  festge- 
stellt habe ,  nicht  richtig ;  sondern  die  u  n  b  e  f  r  u  c  h  t  e  t  e  n  E  i  e  r  d  r  e  h  e  n 
sich  blos  langsamer,  erst  im  Laufe  einer  oder  mehrerer 
Stunden,  [nachdem  sie  in  Wasser  geworfen  worden  sind,  inner- 
halb der,  auf  den  Boden  festklebenden,  Gallerthülle;  während  be- 
fruchtete Eier  unter  gleichen  Verhältnissen  dazu  eine  halbe  Stunde 
brauchen.]  Nachdem  die  befruchteten  Eier  erst  in  ihrer  Hülle 
durch  Quellung  derselben  beweglich  geworden  sind ,  benöthigen  sie 
nach    passiver    Umdrehung    blos    noch    einer    oder    weniger  Minuten 


Hemisphäre  hin  sich  die  Rückenfurche  entwickelt,  womit  die  Richtung  des  Hinten 
und  Vorn  [Kopfwärts  und  Seh  wanz  w  ärt  s]  des  künftigen  Embryo  schon  in 
frühester  Zeit  bestimmt  erkannt  werden  kann,  ein  Verhalten,  dessen  Feststellung  einen 
Haupttheil  meiner  Arbeit  ausmacht. 

1)  E,  Pflüclr,  loc.  cit.,  erste  Abhandlung,  S.  311. 


Wirkung  der  Schwerkraft.  2G1 


zur  Rückkehr  in  die  senkrechte  SteHung  der  Eiaxe  mit  dem  weissen 
Pol  nach  unten. 

Sogar  Eier,  welche  noch  nicht  in  den  Uterus  übergetreten  waren 
und  noch  der  Gallerthülle  entbehrten,  ja  selbst  noch  ganz  unfertige 
Eier  des  Eierstocks  von  erst  der  halben  Grösse  der  Norm  zeigten 
dieselbe  Drehung  und  Einstellung,  sobald  sie  in  eine  Flüssigkeit 
von  geeignet  hohem  specifi sehen  Gewichte,  um  darin  schwim- 
men zu  können,  gethan  wurden.  Dieses  Vermögen  hört  zwar  bei 
unbefruchteten  Eiern  drei  bis  vier  Tage  nach  der  Herausnahme  aus 
dem  Mutterleibe  auf,  ist  aber  gleichwohl  nicht  an  [5]  die  Lebens- 
fähigkeit und  an  die  Lebenseigenschaften  des  Eies   direct  gebunden. 

Dies  ergiebt  sich  daraus,  dass  alle  normal  gestalteten  unbefruchte- 
ten Eier  sich  ebenso  rasch  drehten,  wenn  sie  durch  Kochen 
getödtet,  und  aus  der  Gallerthülle,  sofern  solche  schon  vorhanden, 
ausgelöst,  in  eine  als  Vehiculum  verwendete  Mischung  von  Wasser- 
glas und  Wasser  gebracht  wurden.  Nach  jeder  künstlichen  Um- 
wendung  kehrten  sie  rasch  in  ihre  alte  Lage  mit  aufwärts  gerichtetem 
schwarzem  Pole  zurück^).  Da  sie  beim  Kochen  gewöhnlich  ihre  runde 
Gestalt  verlieren,  könnte  man  dies  vielleicht  zum  Theil  auf  die  un- 
regelmässige Gestalt  zurückführen  wollen,  eine  Auffassung,  gegen 
welche  aber  die  weitere  Beobachtung  sprach,  dass  alle  diese  selben 
Eier,  ohne  ihre  Gestalt  erkennbar  verändert  zu  haben,  nach  einigen 
Stunden  des  Schwimmens  im  Wasserglase  nunmehr  ihre  weissen  Pole 
aufwärts  wendeten  und  nach  künstlicher  Abänderung  dieser  Stellung 
ebenso  rasch  zu  dieser  neuen  Stellung  zurückkehrten.  Unter  der  Ein- 
wirkung des  Wasserglases  ist  also  allmählich  die  ursprünglich  spe- 
cifisch  leichtere  schwarze  Hemisphäre  die  specifisch  schwerere 
geworden;    ein    Verhalten,    welches    mit    verschiedenen    Reagentien 


[1)  Bezüglich  der  Frage,  ob  die  befruchteten  und  unbefruchteten,  in  toto 
schwimmenden  Eier  sich  in  dieser  Hinsicht  verschieden  verhalten,  habe  ich  kurze  Zeit  da- 
rauf (Breslauer  ärztliche  Zeitschrift,  April  1884,  Nr.  8)  gelegentlich  die  etwas  genauere 
Angabe  gemacht,  „dass  befruchtete  und  unbefruchtete  Eier  sich  beide  innerhalb  weniger 
Secunden  drehten  und  fest  einstellten.  Es  schien,  dass  die  befruchteten  Eier  da- 
bei nochein  wenig  rascher,  im  Mittel  etwa  in  sechs,  die  unbefruchteten  im  Mittel 
in  zehn  Secunden  ihre  Einstellung  nach  grösster  Entfernung  von  der  Gleichge- 
wichtslage erreichen."     (Weiteres  s.  Nr.  20,  S.  12).] 


2G2  Nr.  19.    Entwickelung  der  Frosclieier  bei  Aufhebung  der  richtenden 

geprüft,  vielleicht  zu  weiteren  Aufschlüssen  über  die  Natur  der  ungleich 
specifisch  schweren  Eisubstanzen  führen  wird.  Ungleichheit  des 
specifischen  Gewichtes  zeigten  nicht  blos^^die  ganzen  Eier,  son- 
dern auch  Stücke,  welche  parallel  der  Eiaxe  aus  dem  Ei 
herausgeschnitten  waren  [indem  sie  schwimmend  sich  in  gleicher 
Weise  einstellten  wie  die  ganzen  Eier]. 

Pflüger  sieht  bei  seiner  ausführlichen  Deutung  der  bekannten 
und  der  von  ihm  gefundenen  bezüglichen  Thatsachen  von  einer 
sorgfältigen  Erwägung  der  mit  der  ,, Ungleichheit  des  spe- 
cifischen Gewichtes"  und  der  ,, halbflüssigen  Beschaffenheit" 
des  Eiinhaltes  gegebenen  Möglichkeiten  ab^)  und  führt  von 
vornherein  ein  mit  dem  Reize  des  Geheimnissvollen  der  Wirkungs- 
weise umgebenes,  nach  seiner  Meinung  alle  Zelltheilungen  überhaupt 
beeinflussendes  Princip  der  Wirkung  der  Schwerkraft  ein. 

Er  sagt^):  ,,Die  verticale  Lage  der  ersten  beiden  Furchungs- 
ebenen,  sowie  die  horizontale  der  Dritten  und  der  Ort  in  dem  Ei, 
wo  diese  Theilungsebenen  liegen,  ist  also  nur  ein  specieller  [6]  Fall 
eines  allgemeineren  noch  unbekannten  G  e  s  et  ze  s,  wonach 
die  Schwerkraft  die  Organisation  beherrscht."  Ferner  S.  63: 
,,Die  Schwere  allein  l)estimmt  vermöge  der  Richtung  der  Eiaxe, 
welche  dieser  (seil,  in  den  Richtungen  der  Meridiane  um  die  Eiaxe 
gelegenen)  Molecülreihcn  die  herrschende  wird.  Es  ist  diejenige 
Reihe,  welcher  allein  im  Ei  die  ausgezeichnete  Eigenschaft  zukommt, 
in    einem   verticalen    primären    (d.   h.    durch    die  Eiaxe    gehenden) 


[1)  Da  ich  früher  schon  die  von  der  Schwerkraft  abhängigen  Gestaltungen  am 
Froschci  auf  das  ungleiche  specifische  Gewicht  der  Eitheile  zurückgeführt  hatte 
(s.  S.  113  u.  120),  so  glaubte  ich,  hier  mit  der  neuerlichen  bezüglichen  Anführung  des  un- 
gleichen specifischen  GeAvichtes  und  der  halbflüssigen  Beschatfenheit  der  Eimassen  es 
genügend  angedeutet  zu  haben,  dass  die  Wirkung  der  Schwere  auch  bei  der  sogenannten 
„Zwangslage  der  Eier"  darin  bestehe,  dass  die  specifisch  schwereren  Theile  sich 
senken,  die  specifisch  leichteren  Theile  aufsteigen,  sodass  im  Groben  wieder  die  normale 
Anordnung  hergestellt  werde,  während  überhaupt  nur  die  P]irindc  fixirt  worden 
war.  0.  Hertwig  hat  sich  ein  halbes  Jahr  danach  in  gleichem  Sinne  ausgesprochen 
(Welchen  Einfluss  übt  die  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen,  1884).  G.  Born 
dagegen  hat  gleichzeitig  mit  den  hier  mitgetheilten  Versuchen  die  entsprechenden 
Umordnungen  dir e et  nachgewiesen  (Breslauer  ärztl.  Zeitschr.  v.  26.  April  1884 
und  Arch.  f.  micr.  Anat.  1885,  Bd.  24,  S.  475).     Siehe  auch  Nr.  20,  S.  50  u.  54.] 

'^)  loc.  cit.  zAveite  Abhandlung  S.  24. 


Wirkung  der  Schwerkraft.  263 


Meridian  zn  liegen."  ,, Welche  von  den  Molecülreihen  des  durch  die 
Schwerkraft  ansgewidilten  Meridianes  die  bevorzugten  sind,  entscheidet 
abermals  die  Schwerkraft,  denn  die  höher')  gelegene  jNIeridianhälfte 
enthält  die  Bildungsstätte  des  Nervens^^stems".  Ferner  stellt  er  sich 
vor,  ,,dass  zu  der  Zeit,  wo  alle  meridial  (=  nieridional)  gerichteten 
Molecülreihen  noch  gleich werthig  sind,  die  Schwerkraft  eine  Mol e- 
cülreihe  von  vielleicht  ganz  geringer  Ausdehnung  bevorzugt,  so- 
dass nur  diese  organisirend  wirkt  und  allmählich  alles  Nähr- 
material für  ihre  Wachsthumstendenz  verbraucht,  während  alle  übrigen 
zurückgedrängten  meridial  polarisirten  Molecülreihen  eine  andere,  später 
zu  besprechende  Bestimmung  finden"  (indem  sie  nämlich  zum  Auf- 
baue der  Geschlechtsorgane  vorbraucht  werden,  S.  67). 

Er  geht  nun  weiter  in  seinen  Folgerungen  und  sagt  noch  S.  64 : 
,,lch  würde  mir  also  vorstellen,  dass  das  befruchtete  Ei  gar  keine 
wesentliche  Bezieliung  zu  der  späteren  Organisation  des 
Thieres  besitzt,  so  wenig  als  die  Schneeflocke  in  einer 
wesentlichen  Beziehung  zu  der  Grösse  und  Gestalt  der  Lawine 
steht,  die  unter  Umständen  aus  ihr  sich  entwickelt.  Dass  aus  dem 
Keime  immer  dasselbe  entsteht,  kommt  daher,  dass  er  immer 
unter   dieselben   äusseren  Bedingungen   gebracht  ist." 

Die  besonders  prägnanten  Stellen  sind  von  mir  durch  gesperrten 
Druck  hervorgehoben.  Nach  der  letzten  Ausführung  hätten  wir  also 
anzunehmen,  dass  aus  dem  Ei  des  Hechtes,  des  Grasfrosches,  des 
Hühnchens,  welche  frisch  befruchtet  nach  Pflüger  gar  keine  wesent- 
liche Beziehung  zu  der  späteren  Organisation  des  Thieres  haben,  nur 
deshalb  ein  Hecht,  ein  Grasfrosch  oder  ein  Hühnchen  wird,  weil 
jedes  dieser  Eier  [7]  immer  unter  bestimmte  äussere  Bedingungen 
kommt,  welche  aus  dem  einen  Eie  einen  Hecht,  aus  dem  anderen 
einen  Frosch,  aus  dem  dritten  ein  Hühnchen  gestalten;  und  wenn 
man  die  Hechteier'*  unter  die  Schwer-  oder  sonstigen  äusseren  Beding- 
ungen des  Froscheies  brächte,  dann  würden  demgemäss  nicht  Hechte, 
sondern  Frösche  (aber  wohl  mit  den  chemischen  Qualitäten  der  Hechte) 
daraus  werden?  Und  was  entsteht,  wenn  Hühner-,  Tauben-  und  Sper- 
lingseier gleichzeitig  in  denselben  Brütofen  gelegt  werden? 

[1)  Vergleiche  dagegen  Nr.  21,  S.  158.] 


264  Nr.  19.    Entvvickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


Sehen  wir  hiervon  ab ,  so  geht  aus  Pflüger's  Ausführung  her- 
vor, dass  ohne  die  Wirkung  der  Schwerkraft  keine  embryo- 
nale E  n  t  w i  c  k  e  1  u  n  g  möglich  sei,  weil  mit  ihr  ein  h auptsächlich stes 
gestaltendes  und  differenzirendes  Moment  fehle.  Dem  befruchteten 
Eie  fehlen  nach  Pflüger  die  zur  Entwickelung  nothwendigen  gestalten- 
den Kräfte,  und  sie  müssen  erst  von  aussen  her  hinzugebracht  werden. 
Ich  dagegen  halte,  und  befinde  mich  dabei  wohl  im  Einverständniss 
mit  der  Mehrzahl  meiner  Leser,  die  Auffassung  für  wahrscheinHcher, 
dass  die  formale  und  vielleicht  auch  die  qualitative  Ent- 
wickelung des  befruchteten  Eies  ein  Process  vollkommener 
„SelbstdiffereiiziruHg-"  ist,  für  dessen  normalen  Ablauf  nur  Schutz 
vor  äusseren  Störungen  und  Zufuhr  von  Nahrung,  Spannkraft  oder 
lebendiger  Kraft  nöthig  ist,  ohne  dass  diesen  Agentien  indess  eine 
directe  differenzirende  [d.  h.  die  Art  der  Gestaltung  bestimmende] 
Wirkung  zukomme. 

Ob  dies  für  die  qualitative,  chemische  Entwickelung  rich- 
tig ist,  muss  vor  der  Hand  dahingestellt  bleiben  (siehe  S.  200). 
Dass  aber  die  ,, formale"  Differenzirung  in  dem  befruchteten 
Eie  unabhängig  von  äusseren  „gestaltenden"  Einwirkungen 
ablaufen  „kann",  soll,  wenigstens  für  das  Ei  der  Rana  fusca, 
im  Folgenden  dargethan  werden. 


II.  Nachweis  des  Niehtnöthig'seius  gestaltender  Eiiiwirkun^^  der 
Schwerkraft  zur  normalen  Entwickelung  des  Eies. 

Wenn  nach  Pflügeh  die  Schwere  allein  denjenigen  Meridian  um 
die  Eiaxe  bestimmt,  in  welchem  die  Entwickelung  beginnt  und  die 
Embryonalanlage  stattfindet,  dann  müsste  bei  Aufhebung  der  richten- 
den Wirkung  der  Schwere  keine  oder  keine  annähernd  zu  einem  nor- 
malen Resultate  führende  Entwickelung  eintreten.  Denn  wenn  die 
Entwickelung  nur  in  dem  obersten  Meridian  erfolgen  kann ;  wo  soll 
sie  statt-  [8]  finden,  wenn  es  keinen  solchen  giebt,  wenn  in 
jedem  folgenden  Momente  ein  anderer  Meridian  der  oberste  ist,  wenn 
das  Gebilde  also  fortwährend  gedreht  wird.  Wenn  ferner  die  Schwer- 
kraft  nicht  blos   eine   das  ungleich    specifisch  schwere  Material  ord- 


Wirkung  der  Schwerkraft.  265 


nende  Wirkung  hat,  sondern  eine  die  Entwickelung  veran- 
lassende, differenzirende  Wirkung  ausübt,  was  soll  geschehen, 
sofern  die  Schwerkraft  durch  eine  andere  Kraft  mehr  oder  minder 
aufgehoben  oder  gar  übercompensirt  wird? 

Aus  diesen  Fragen  ergeben  sich  zwei  Versuche:  erstens  lang- 
same fortwährende  Umdrehung  des  Eies  zur  fortwährenden  Aende- 
rung  des  obersten  Meridians  und  eine  rasche  Umdrehung  zur  Auf- 
hebung der  Schw^erkraft  durch  die  Centrifugalkraft. 

Zur  Ausführung  entlieh  ich  von  den  Herren  Professor  Ferd.  Cohn 
und  Privatdocent  Dr.  Frank  Schwab/  allliicr  die  von  ihnen  zu  botani- 
schen Versuchen  verwendeten  Apparate,  welche  mir  mit  liebenswürdig- 
ster Bereitwilhgkeit  zur  Verfügung  gestellt  wurden.  Ein  kleines,  um 
eine  „wagerechte"  Axe  sich  drehendes  Wasserrad,  welches, 
ohne  zu  stark  zu  spritzen,  bis  84  Umdrehungen  in  der  Minute  aus- 
führen konnte  und  in  einem  Blechkasten  gelagert  war,  der  einen 
maximalen  Radius  von  22  cm  gestattete. 

Die  Beschleunigung  v  durch  die  Centrifugalkraft  beträgt: 

4  TT-  r 

n'  =  9,869. 
Da    nun    für    unseren    Apparat    die    maximale    Umdrehungs- 
geschwindigkeit pro  Secunde 

t  =  7,7  =  0,71  Secunde, 
84 

ferner  r  =  0,22  m, 

so    ist    nach    obiger    Formel    die    erreichbare    maximale    Centrifugal- 

beschleunigung 

4  .  9,869  .  0,22      8,684 


V  ^= 


17,2  m  pro  Secunde. 


(0,71)2  0504 

Die  Beschleunigung  durch  die  Schwere  pro  Secunde  beträgt 

^  g  =  9,81  m. 

Demnach  verhält  sich  v  :  g  =  17,2  :  9,81 

V  =  1,83  g. 
[9]  Mit  dem  gegebenen  Apparate  konnte  also  eine  Centrifugalkraft 
von  fast  der  doppelten  Grösse  der  Schwerkraft  hervorgebracht  werden. 
Wenn  die  Eier  mit  der  angegebenen  Geschwindigkeit  an  dem  Radius 


266  Nr.  19.    Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


von  0,22  rotirten,  so  mnsste,  da  die  hier  berechnete  Grösse  der  Centri- 
fugalkraft  radiär  nach  aussen  wirkt  und  bei  der  Drehung  in 
einer  „senkrechten"  Ebene  fortwährend  ihre  Stellung  zur 
Richtung  der  Schwerkraft  ändert,  die  Resultante  beider  Kräfte  in 
jeder  Phase  der  Umdrehung  eine  andere  sein.  Bei  tiefster  Stellung 
mussten  beide  Kräfte  sich  summiren,  also 

V  =  g  +  V  =  2,83  g 
sein,  während  sie  sich  beim  Durchgang   dui-ch  den  höchsten  Punct 
subtrahirten  und 

V  =  g  -  V  =  -  0,83  g 
übrig  blieb,    so    dass    also    hier   die  Schwerkraft  vollkommen    aufge- 
hoben und  noch  um  0,83  ihrer  Grösse  durch  die  Centifugalkraft  über- 
compensirt  Avurde. 

In  den  Zwischenphasen  der  Bewegung  wirkte  die  Schwere  nach 
unten  hin  ablenkend  auf  die  radiär  gerichtete  Beschleunigung  der 
Centrifugalkraft  in  l^eim  Absteigen  immer  stärker,  beim  Aufsteigen 
immer  schwächer  werdendem  Maasse.  Die  Eier,  welche  an  diesem 
Radius  befestigt  waren,  stellten  sich  dementsprechend  durcli 
Drehung  innerhalb  der  äusserlich  fixirten  Gallerthülle 
nicht  mehr  mit  dem  weissen  Pole  nach  unten,  sondern  mit  dem 
weissen  Pole  centrifugal,  also  radiär  nach  aussen  ein.  Das 
Gleiche  war  nocli  der  Fall  bei  einem  Radius  von  11  cm,  l)ei  welchem 
in  oberster  Stellung  die  Scliwerkraft  gerade  fast  vollkommen  auf- 
gehoben Av^ar. 

Für  die  langsamste  Umdrehung,  wo  die  Centrifugalkraft 
nicht  mehr  in  bemerkbarer  Weise  wirken,  sondern  blos  fortwährend  den 
obersten  Meridian  wechseln  sollte,  wurden  die  Eier  zunächst  an  einem 
Radius  von  2,5  cm,  was  einer  Centrifugalkraft  von  0,24  g  entspricht, 
befestigt,  so  dass  also  selbst  in  der  obersten  Stellung  die  Schwere 
noch  um  das  Dreifache  über  die  Centrifugalkraft  überwiegt.  Zu 
meiner  Ueberraschung  aber  stellten  sich  auch  hier  noch  die  Eier 
mit  dem  weissen  Pol  allmählich  centrifugal  ein;  ein  Beweis,  dass 
selbst  diese  blos  ein  Viertel  der  Schwerkraft  betragende 
Centrifugalkraft  eine  stärkere  „richtende"  Wirkung  auf 
das  Ei   aus-[10]übte,  als  die  Schwerkraft.    Der  Grund  war  leicht 


Wirkung  der  Schwerkraft.  267 


einzusehen.  Da  die  Eier  mit  dem  Rade  oedreht  wurden,  bcliit'lten 
sie  immer  dieselbe  Dichtung  zu  der  radiär  nach  aussen  wirkenden 
Centrifugalkraft  und  diese  erhielt  daher,  indem  sie  immer 
in  „derselben"  Richtung  aui"  die  Eier  wirkte,  i'in  Ueber- 
gewieht  über  die,  wenn  auch  stärkere,  so  dorli  lortwälirend 
in  „anderer"  Richtung  an  dem  gedrehten  Ei  angreifende 
Schwerkraft. 

Deshalb  wurde  noch  ein  Rad  an  die  Welle  angesetzt,  welches 
die  Umdrehungsgeschwindigkeit,  um  das  Sechsfache  herabgesetzt, 
auf  eine  Neben  welle  übertrug').  Die  an  dieser  Welle  in 
Radien  von  1  —  8  Centimeter  befestigten  Eier  behielten 
während  der  Umdrehung  die  beliebig  durcheinander 
gerichteten  Anfangsstellungen  ihrer  Eiaxen  bei;  ein 
Beweis,  dass  die  Centrifugalkraft  keine  erkennbare  ,, ein- 
stellende Wirkung"  mehr  ausübte. 

Da  der  Apparat  sehr  primitiv  war  und  daher  theils  an  sicli 
schon,  noch  mehr  aber,  wenn  der  Schwerpunct  durch  ungleiche  Var- 
theilung  der  Eiermassen  nicht  in  der  Umdrehungsaxe  der  Welle  lag, 
ungieichmässig  ging,  so  war  zu  befürchten,  dass  vielleicht  schon 
durch  die  Stösse  und  Erschütterungen  die  Entwickelung  gestört  resp. 
verhindert  werden  würde.  Um  diesen  eventuellen  Einfluss  für  sich 
kennen  u]id  abschätzen  zu  lernen ,  wurde  auf  der  Hau[)twelle  an 
einem  Radius  von  10,5  Centimetern  ein  an  einer  immer  wagerecht 
bleibenden  Axe  leicht  drehbarer  Wagen  angehängt,  wie  an  der 
russischen  Schaukel  oder  dem  amerikanischen  CJaroussel; 
die  Eier,  welche  in  diesen  Wagen  eingelegt  wurden,  hatten  somit 
alle  Erschütterungen  durch  den  ungleichmässigen  Gang  auszuhalten, 
blieben  a])er  dabei  der  Schwerkraft,  al)gesehen  von  den  Schwankungen 


[1)  0.  SciRLTZE  liat  (Verhaiull.  il.  aiiat.  (ies.,  Mai  1894,  S.  130  imd  150)  ange- 
nommen, das  Rad  hätte  hei  diesem  Versuche  ',«  der  ohen  bemerkten  maximalen 
möglichen  84  Umdrehungen,  also  14  Umdrehungen  in  der  Minute  gemacht  und  die 
Centrifugalkraft  habe  daher  auch  hier  noch  einstellend  gewirkt.  Diese  Annahme  ist 
nicht  zutreffend ;  denn  als  es  darauf  ankam,  die  Umdrehungsgeschwindigkeit  zu  ver- 
ringern, wurde  natürlich  auch  die  Triebkraft  durch  Zudrehen  des  Hahnes  der  Wasser- 
leitung soweit  herabgesetzt,  dass  eben  noch  Umdrehung  erfolgte,  sodass  die  Zeit  einer 
Umdrehung  etwa  1—2  Minuten  betrug.] 


268  Nr.  19.    Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufliebung  der  richtenden 

des  Wagens  in  der  Nähe  des  oberen  Durchganges,  m  constant  der- 
selben Richtung  zu  ihren  Eiaxen  ausgesetzt. 

Nachdem  jede  der  geschilderten  Abtheilungen  des  Apparates, 
die  schnell,  die  langsam  sich  drehenden,  sowie  die  nicht  sich  drehende 
l)los  schwebende,  mit  je  10—18  frischbefruchteten  Eiern  befrachtet^) 
und  der  Apparat  selber  mit  der  angegebenen  Geschwindigkeit  in 
Thätigkeit  gesetzt  war,  erwartete  ich  mit  grossem  Interesse  die  Zeit 
der  ersten  Furchung. 

Es  zeigte  sich,  dass  die  erste  Furche  in  allen  Gefässen 
zur  richtigen  Zeit  auftrat,  dass  weiterhin  fast  die  ganze 
Furchuug  normal  verlief,  dass  ein  normaler  Urmund  ge- 
bildet wurde  und  dass  die  Bildung  der  [11]  Rückenfurche,  der 
Gehirnwülste,  der  Verschluss  des  Nervenrohres,  später  die 
Ausbildung  der  Haftnäpfe,  der  Kiemenansätze  und  des  Schwanzan- 
satzes vollkommen  normal  sich  vollzogen.  Nicht  einmal  eine 
Verzögerung  in  der  Entwickelung  der  bewegten  Eier  gegen- 
über den  zugleich  befruchteten  und  in  Ruhe  neben  dem  Apparat 
stehenden  Probeeiern  war  wahrnehmbar.  Es  blieben  auch  nicht  mehr 
bewegte  Eier  unentwickelt,  als  dem  gleichen  Verhalten  bei  den  Probe- 
eiern entsprach.  Auf  dem  zuletzt  angegebenen  Entwickelungstadium, 
nach  4  Tagen,  wurden  die  Embryonen  von  dem  Apparat  herunter- 
o-enommen  und  zum  Vergleich  mit  den  nicht  bewegten  Probethieren 
weiterhin  erhalten.  Gegenwärtig  sind  die  Versuchsembryonen  munter 
bewegliche  Kaulquappen  mit  langen  Kiemenfäden  und  langen 
Schwänzen  und  besser  entwickelt  als  die  Probethiere,  da  diese  in 
grösserer  Zahl  in  einem  Gefässe  gleicher  Grösse  sich  befinden.  Im 
günstigsten  Falle  erhielt  ich  von  11  eingelegten  Eiern  10  muntere 
Quappen.     Das    gleiche  Resultat    wurde  bei  der    Wiederholung    des 


[*)  Die  Eier  wurden  zwischen  nasse  Watte  gelegt;  darauf  wurden  die  am  Rade 
fest  angebrachten,  viereckigen,  aus  Draht  geflochtenen  Körbchen  mit  ihnen  voll  gefüllt 
(s.  S.  269),  sodass  weder  die  Watte  gegen  die  Körbchen,  noch  die  Gallerthülle  der  Eier 
gegen  die  Watte  sich  verschieben  konnte,  in  Folge  dessen  die  Gallerthüllen  alle  Drehungen 
des  Körbchen  mit  machen  mussten.  Die  Eier  selber  konnten  sich  danach  nur  noch 
innerhalb  dieser  Hüllen  drehen,  was  nur  langsam  geschieht  und  bei  rascher  Drehung 
des  Rades  allmählich  zur  Einsteilung  des  weissen,  specifisch  schwereren  Poles  radiär 
nach  aussen  führte,  bei  der  langsamen  Umdrehung  aber  ausblieb.] 


Wirkung  (Um-  Schwerkraft.  269 


VersiU'lis  in  allon  soiiu'ii  'riioiliMi  erlangt.  Dabo!  wui'dcn  /uoicicli 
einige  Pflügep,  "sehe  T  r  o  c  k  e  n  c  i  e  r  mit  u  n  g  e  n  ü  g  e  n  d  ge- 
quollener Gallertliülle  eingesetzt,  sowohl  auf  die  Haupt-  wie 
auf  die  langsam  rotirende  Nebenwelle.  Auch  sie  furchten  sich  nor- 
mal, starben  aber  dann  zumeist  unter  Eintrocknung  ah.  Nur  in 
Einem  Behälter,  in  welchen  von  dem  spritzenden  Wasserrad  etwas 
Flüssigkeit  durch  eine  Spalte  des  Gefässes  hineingelangt  Avar,  ent- 
wickelten sie  sich  weiter;  sie  wurden  aber  nach  dem  zweiten  Tage  all- 
mählich so  feucht,  dass  die  Gallerthülle  noch  quoll  und  noch  nach- 
träglich eine  centrifugale  Einstellung  der  weissen  Pole  des  Eies  er- 
folgte; während  sie  bisher  in  ihren  zufällig  beim  Einladen  erhaltenen 
Stellungen  der  Eiaxen  trotz  der  Uebercompensation  der  Wirkung 
der  Schwerkraft  durch  die  der  Centrifugalkraft  verblieben  waren. 

Es  war  nun  von  hohem  Interesse  festzustellen,  wie  sich  bei 
dieser  Aufhebung  der  Wirkung  der  Schwere  die  Furchungsebenen, 
die  'Furch ungsaxe,  der  Urmund  und  die  Rückenfurche  einstellten. 
Es  zeigte  sich,  dass  die  Furchungsaxe  immer,  auch  bei  den  nach 
Pflüger  innerhalb  der  Gallerthülle  fixirten  Eiern  mit  der  Eiaxe 
zusammenfielen,  dass  die  erste  Horizontalfurche  mit  wenigen 
Ausnahmen  wie  normal  näher  dem  [12]  schwarzen  Pole  lag, 
dass  die  schwarzen,  jetzt  weder  oberen  noch  unteren  Zellen 
sich  rascher  theilten,  als  die  weissen,  und  dass  der  Urmund 
normaler  Weise  am  Rande  der  weissen  und  schwarzen  Hemi- 
sphäre sich  befand.  Die  Rückenfurche  erstreckte  sich  von  ihm  aus 
in  demselben  Meridian  der  Eiaxe  über  die  schwarze  Hemisphäre  hin. 

Um  diese  Thatsachen  zu  ermitteln,  wurden  zu  geeigneter  Zeit 
Eier  succesive  aus  den  einzelnen  Behältern  des  Apparates  herausge- 
nommen, der  Apparat  aber  sofort  wieder  in  Bewegung  gesetzt  und 
nach  einigen  Minuten  die  Eier  wieder  eingelegt;  eventuell  wurden 
auch  einige  der  Eier  zu  genauerer  Besichtigung  ganz  herausge- 
nommen, ohne  wieder  eingelegt  zu  werden.  Ob  wie  normal  die  erste 
Furchungsebene  auch  zugleich  die  Richtung  der  künftigen  Median- 
ebene bestimmte,  war  bei  meiner  Versuchsanordnung,  wo  die 
Eier  in  nasse  Watte  verpackt,  in  kleine  Drahtkörbchen 
gestopft   waren,    nicht  feststellbar.     Es   ist  aber  vielleicht  zu  ver- 


270  Nr,  19.    Entwickelung  der  Frosch eier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


muthen,  da  alle  übrigen  Vorgänge  sich  wie  unter  normalen  Verhält- 
nissen vollzogen  hatten. 

Nur  bezüglich  der  Furchung  ist  eine  interessante  Abweichung 
aufgefallen.  Bei  einigen  der  undrehbar  in  der  Gallerthülle  fixirten 
Eiern ,  welche  in  zu  dieser  Beobachtung  geeigneter  Weise  an  der 
Wandung  des  Glasgefässes  angeheftet  waren ,  beobachtete  ich ,  dass 
der  mittlere  Theil  des  weissen  Poles  sehr  lange  ungefurcht  blieb,  und 
dass  sich  an  Einer  Seite  der  so  entstandenen  unpaaren  grossen  weissen 
Polzelle  das  Pigment  in  einigen  symmetrisch  gestalteten  und  ange- 
ordneten kleinen  Zellen  besonders  reichlich  fand.  Dadurch  entstand 
eine  hyperbel-ähnliche  Abgrenzungslinie  gegen  die  hier  besonders 
rein  weisse  Polzelle,  welche  in  ihrer  Gestalt  und  in  dem  grellen  Con- 
trast  dunkelster  Pigmentirung  neben  dem  hellsten  Weiss  der  erst 
einen  Tag  später  auftretenden  Anlage  des  Urmundes  glich.  Sofern, 
wie  wahrscheinlich,  ['?]  diese  Stelle  selber  der  des  Urmundes  entspricht, 
so  hätten  wir  hier  bei  Aufhebung  der  Schwere  ein  Verhalten,  welches 
schon  nach  der  fünften  Theilung  des  Eies  die  Anlage  des  Urmundes 
und  damit  der  Medianebene  und  des  Rückenmarkes  erkennen  liess, 
und  auf  einen  die  normale  Entwickelung  hemmend  alterirenden  Ein- 
liuss  der  Schwere  hinweisen  würde,  sofern  nicht  auch  schon  bei 
Wir-  [13]  kung  der  Schwere  diese  Bildung  gelegentlich  vorkommt 
und  nur  liisher  übersehen  worden  ist.  Weitere  Beobachtungen  werden 
über  diese  Frage  Entscheidung  bringen  und  vielleicht  noch  weitere 
feinere  Abweichungen  von  dem  Furchungsschema  des  der  Schwere 
unterworfenen  Eies  erkennen  lassen,  welche  uns  dazu  führen,  den 
Idealtypus  eines  Furchungsschemas  des  nicht  von  äusse- 
ren gestaltenden  Kräften  alterirten,  sondern  rein  aus 
den  eigenen  inneren  Kräften  gestaltenden  Eies  kennen  zu 
lernen.  Darauf  scheint  schon  hinzudeuten,  dass  die  sogenannten 
Horizontalfurchen,  statt  in  Kreislinien,  in  Zickzack- 
linien gebrochen  das  Ei  umzogen^)  (s.  Nr.  28,  S.  G67). 


[ij  Die  hier  an  gedrehten  Eiern  beobachteten  Erscheinungen  wurden  später 
auch  bei  nicht  gedrehten  Eiern  wahrgenommen.  Es  ist  daher  anzunehmen,  dass  die 
Schwerkraft  unter  normalen  Verhältnissen,  d.  h.  sofern  die  Eier  sich  in  ihren  Hüllen 
normaler  Weise  drehen  können,  das  reine  S  elb  stdiff  er  enzirungs-Furchun  gs- 


Wirkung  der  Schwerkraft.  271 


Es  sei  schlic\sslich  nocli  erwähnt,  dass  an  einigen  der  langsam 
gedrehten  Eier  die  beiden  ersten  Fnrchen  in  ihrer  Tiefe  weiss  waren, 
dass  vom  weissen  Pole  aus  die  weisse  Substanz  in  die  Furchen  fast 
bis  zur  Mitte  des  schwarzen  Poles  eingedrungen  war,  während  nor- 
maler Weise  die  schwarze  Substanz  längs  der  Furchen 
melir  oder  weniger  auf  die  weisse  Hemisphäre  übergreift; 
ein  Phänomen,  was  also  auf  abnorme  Wan-derung  der  weissen 
Substanz  zwischen   die  schwarze  hinein  hindeutet. 

Was  dürfen  wir  nun  aus  diesen  Versuchsergebnissen  schliessen? 
Zunächst  wohl,  dass  Pflüger's  Auffassung  von  der  Wirkung  der  Schwer- 
kraft auf  die  embryonale  Entwickelung  nicht  richtig  ist,  dass  im  Gegen- 
theil  die  Schwerkraft  ,, nicht  unerlässlich  nöthig"  für  die 
Entwickelung  ist,  dass  ihr  keine  ,,notliwendige"  richtende 
und  die  Differenzirung  veranlassende  Wirkung  zukommt^). 
Denn  wir  haben  sowohl  die  lokalisirte  Wirkung  der  Schwere  durch 
die  langsame  Umdrehung  der  Eier  ,,aufgehoben",  als  auch  die 
Schwerkraft  selber  zum  Theil  aufgehoben  und  durch  die  Cen- 
trifugalkraf t  „ersetzt",  ohne  dass  der  Verlauf  der  Entwickelung 
aufgehoben,  gestört  oder  auch  nur  verzögert  worden  wäre. 

Danach  können  alle  die  im  Vorstehenden  aufge- 
führten Wirkungen  der  Schwere  nur  als  „accessorische" 
Eingriffe  betrachtet  werden,  an  welche  die  Entwickelung  des 
befruchteten  Eies  mit  ihrer  qualitativen  und  formalen  Differenzirung 
nicht  gebunden  ist.  Eine  eingehende  Erklärung  dieser  Einwirkungen 
der  Schwere  wird  meinerseits  erst  nach  dem  Abschluss  weiterer  be- 
reits angefangener  Untersuchungen  versucht  werden. 


Schema  des  „Eies"  nicht  alterirend  beeinflusst.  Bei  Zwangslage  dagegen  bewirkt 
die  Schwerkraft  innere  Uraordnungen  der  ungleich  specifisch  schweren  Eisubstanzen ; 
und  wenn  diese  bis  zu^  Beginne  der  Furchung  sich  nicht  vollkommen  vollzogen 
haben,   treten  störende  Abweichungen  vom   normalen  Furchungstypus  auf  (s.  Nr.  20 

und  31).] 

[1)  Da  somit  die  Schwerkraft  nicht  nöthig  für  die  Entwickelung  ist,  so  ist 
aus  dem  Versuche  mit  den  rasch  gedrehten  und  centrifugal  sich  einstellenden 
gleichfalls  normal  entwickelten  Eiern  auch  nicht  zu  folgern,  „dass  die  gestaltende 
Wirkung  der  SchAverkraft  durch  die  Centrifugalkraft  ersetzt  werden  könne",  wie  es 
Rauber  aus  einem  im  gleichen  Frühjahr  angestellten  Versuche  mit  Drehung  von  Fisch- 
eiern  aber  in  einer  wag  rechten  Ebene  abgeleitet  hat  (s.  S.  17,  Anm).J 


272  Nr.  19.    Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 

[14]  Gegen  die  Suffieienz  meiner  Versuche  für  die  dar- 
aus gezogene  Folgerung  könnten  zwei  Einwände  erhoben  werden. 
Einmal  könnte  man  sagen,  die  Rotation  um  eine  eonstante  Axe  sei 
eine  so  gleichmässige  Bewegung,  dass  sie  auch  bei  sehr  langsamer 
Umdrehungsgeschwindigkeit  schon  eine  gewisse  Ordnung  unter  den 
Theilen  von  ungleichem  specifischem  Gewichte  hervorzubringen  ver- 
möge; zumal  in  senkrecht  zur  Rotationsebene  stehenden  Linien.  So- 
mit könne  sie  vielleicht  doch  in  etwas  die  richtende  Wirkung  der 
Schwerkraft  ersetzen;  und  die  Eier  würden  sich  bei  Aufhebung  dieser 
ordnenden  Wirkung  nicht  mehr  entwickelt  haben. 

Um  diesen  Einwand  zu  entkräften,  brachte  icli  bei  der  zweiten 
und  dritten  Wiederholung  des  ganzen  Versuches  an  der  langsam  sich 
drehenden  Neben  welle  noch  ein  6  cm  langes  Reagenzglas  an,  in  welchem 
von  einander  isolirte  Eier  in  einer  das  Glas  blos  zur  Hälfte  erfüllenden 
Flüssigkeit  lagen.  In  diesem  Glase  fielen  bei  jeder  Umdrehung  zwei- 
mal die  Eier  unter  verschiedentlicher  Ueberstürzung  von  dem  einen 
Ende  des  Glases  nach  dem  anderen;  was  bei  einem  Theile  derselben 
immer  zugleich  mit  seitlichen  Drehungen  verbunden  war,  so  dass  die 
Richtung  der  Eier  zur  Rotationsebene  wenigstens  bei  jeder  Umdreh- 
ung einmal  geändert  wurde.  Auch  diese  ,,Ueberschlagseier" 
entwickelten  sich  normal  und  die  Furchungsaxe  der- 
selben fiel  mit  der  Eiaxe  zusammen.  Die  Embryonen 
waren  von  normaler  Gestalt,  aber  klein  und  schwächlich. 

Als  zweiter  Einwand  könnte  geltend  gemacht  werden,  dass  die 
Umdrehungsgeschwindigkeiten  nicht  genügend  abgestuft  gewesen 
wären,  um  mit  Sicherheit  den  ganz en_^Eiinh alt  der  richtenden 
Wirkung  der  Schwere  entziehen  zu  können.  Man  könnte  sagen,  dass 
zwar  das  Verhalten  der  Oberfläch  en  schiebt  des  Eies  con- 
trollirt  worden  und  dabei  festgestellt  worden  sei,  dass  sie  bei  den 
Eiern  auf  der  Hauptwelle  centrifugal  mit  dem  weissen  Pole  einge- 
stellt war,  w^ährend  sie  den  Eiern  an  der  Nebenwelle  beliebig  mit 
ihren  beiden  Theilen  durcheinander  stand,  und  somit  hier  in  der 
That  nicht  durch  eine  äussere  Kraft  gerichtet  wurde.  Dies  gelte  in- 
dess  aber  nur  für  die  Oberfiächenschicht  selber  und  erkläre  sich  da- 
durch, dass  diese  durch  die  Viscosität  der  [15j  umgebenden  Flüssig- 


Wirkung  der  Schwerkraft.  273 

kcit  iinierhalb  der  Eimembraii  an  rasclioii  DiThun^cn  und  daniit  an 
der  EinstellunLi;  nach  der  Schwere  verhindert  gewesen  sei.  Im  Innern 
des  Eies  hingegen  sei  vielleicht  der  flüssige  Inhalt  mit  seinem 
ungleichen  specifischen  Gewichte  durch  die  Trägheit  und 
durch  die  Schwere  fixirt  worden;  er  sei  der  Unulrelnnig  der  Ober- 
flächenschicht  nicht  gefolgt,  und  die  Seh  wer e  habe  somit  in  meinen 
langsamen  Umdrehungsversuchen  doch  den  wesentlichsten  Theil 
des  Eies,  den  Kern  und  seine  Umgebung,  fixirt.  Dies  würde 
an  sich  nur  für  die  Stadien  vor  und  während  der  ersten  Theilungen 
von  Bedeutung  sein;  wird  aber  dadurch  gauz  unmöglich  gemacht, 
dass  der  Ei-Inhalt  so  dickflüssig  ist,  dass  von  einer  so 
raschen  Verschiebung  seiner  Theile  bei  der  Kleinheit  des 
Eies  keine  Rede  sein  kann;  und  dies  gilt  in  nocli  erhöh terem 
Maasse  für  den  Inhalt  des  microscopisch  kleinen  Furchungskernes, 
selbst  wenn  dessen  Inhalt  dünntlüssig  wie  Aether  wäre.  Geeignete 
Versuche  mit  dem  Ei-Inhalt  [vieler  ausgepresster]  noch  der  Gallert- 
hülle entbehrender  Eier  erwiesen  die  Richtigkeit  dieser  Ableitung. 

Somit  können  wir  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  meine  Ver- 
suche sufficient  waren,  nicht  blos  die  Oberflächenschicht, 
sondern  das  ganze  Ei  in  seinem  gesammten  Inhalt  der 
richtenden  Wirkung  der  Schwere  zu  entziehen,  und  dass 
daher  auch  unser  Scliluss  berechtigt  ist,  dass  eine  solche  Wirkung  für 
die  Ent^nckelung  der  Froscheier  nicht  nöthig  ist^).  Weiteres  s.  S.  298. 


[1)  Im  Jahre  1894  hat  0.  Schultze  Rotationsversuche  an  Froscheiern  angestellt, 
und  hielt  dabei  die  Eier  in  Zwangslage,  wie  auch  ich  in  einem  Versuche  (s.  S.  269);  er 
sor'^te  aber  durch  Einfügung  der  Eier  in  eine  geschlossene  Glasröhre  dafür,  dass  die 
Eier  trocken  blieben,  sodass  jedes  Ei  ganz  unbeweglich  gegen  seine,  aussen  am  Glas 
iixirte  Gallerthülle  war;  zugleich  Hess  er  noch  vielmal  langsamer  als  ich  rotiren 
(in  1  bis  2  Stunden  eine  Umdrehung),  und  sah,  dass  dabei  die  Eier  abstarben. 
Der  Autor  folgert  aus^diesem  Ergebniss,  dass  die  Schwerkraft  doch  zur  Ent- 
wickeluug  unerlässlich  nöthig  wäre. 

Auf  die  bezügliche  Mittheilung  auf  der  Anatomenversammlung  zu  Strassburg 
erwiderte  ich  Folgendes  (Verhandl.  d.  anat.  Ges.  1894,  S.  146  u.  f.): 

„Zu  dem  Vortrage  des  Herrn  0.  Schultze  „über  die  unbedingte  Abhängig- 
keit n'ormaler  organischer  Gestaltung  von  der  Wirkung  der  Schwer- 
kraft" habe  ich  zunächst  zu  bemerken,  dass  ich  nirgends  behauptet  habe,  die 
Schwerkraft  oder  andere  äussere  Einwirkungen  vermöchten  nicht  unter  Umständen 
störend  oder  alterirend  auf  die  Entwickelung  zu  wirken;  sondern  mein  Aus- 
AV.  Eoux,  Gesammelte  Alshandlungen.    II.  18 


274  Nr.  19.   Entwickelung  der  Froscheier  bei  Aufhebung  der  richtenden 


III.  Mclitiiöthi^sein  gestaltender  Einwirkung  des  Lichtes,  der  Wärme 
und  des  Erdmagnetismus  zur  normalen  Entwickelung  des  Froscheies. 

Prüfen  wir  noch  kurz  andere  äussere  Kräfte,  welche  auf 
das  Ei  einwirken  und  daher  vielleicht  einen  richtenden  Einfluss  auf 
die  Entwickelungs -Vorgänge  ausüben  könnten,    so  lässt  sich  weder 


Spruch,  dass  die  Entwickelung  des  befruchteten  Eies  „ S elbstdif ferenz ir ung" 
ist,  bedeutet,  dass  zur  normalen  Entwickelung  äussere  gestaltende  Einwirkungen 
nicht  nöthig  sind"  [s.  oben  S.  271]. 

„Aus  Pflüger's  Versuch  mit  dem  Ergebniss,  dass  sogleich  nach  der  Besamung 
schief  oder  fast  umgekehrt  aufgesetzte  und  in  Zwangslage  erhaltene  Eier  sich  gleich 
normalen  Eiern  zuerst  senkrecht  und  wagerecht  furchen  und  an  der  oberen,  obschon 
letzt  weissen  Seite  zuerst  und  kleiner  sich  theilen  als  auf  der  schwarzen  Unter- 
seite, habe  ich  nie  eine  besondere  organisirende,  „meridional  polari- 
sirende"  Wirkung  der  Schwerkraft  ersehen  können;  sondern  da  ich  das  von 
früheren  Autoren  blos  vermuthete  ungleiche  specifische  Gewicht 
der  verschiedenen  Dottersubstanzen  experimentell  nachgewiesen 
hatte  und  die  halbflüssige  Beschaffenheit  derselben  von  den  ersten  Anstichversuchen 
(1882)  her  kannte,  habe  ich  mit  Bezugnahme  auf  meine  frühere  Aeusserung  (von  1883, 
i.  Nr.  16,  S.  25)  über  die  einstellende  AVirkung  der  Schwerkraft  auf  die  Theiie  des 
Froscheies  abgeleitet,  dass  der  Schwerkraft  bei  diesen  Versuchen  blos 
seine  „einstellende"  Wirkung  auf  die  „ungleich  schweren"  inneren 
Theiie  »ukommt,  und  dass  bei  solcher  Zwangslage  am  noch  nicht  in  mehrere 
Zellen  zerlegten  Ei  nur  die  Eirinde  fixirt  wird  (s.  1884,  Nr.  19,  S.  4  u.  5  und 
Nr.  20.  S.  54).  Born  hat  in  demselben  Frühjahr  (1834)  diese  inneren  Umordnungen 
an  microtomirten  Eiern  direct  nachgewiesen  und  gezeigt,  dass  der  Kern  nebst  dem 
ihn  umgebenden  protoplasmatischen  Dotter  aufsteigt;  und  daraus  hat  er  mit  Recht 
die  erwähnten  Erscheinungen  abgeleitet. 

Dass  die  Schwerkraft  zur  Entwickelung  des  Froscheies  nicht  nöthig 
ist,  bewies  ich  durch  langsame,  etwa  1—2  Minuten  dauernde  Umdrehungen  der 
in  nasse  Watte  verpackten  Froscheier  um  eine  wagerechte  Axe  bei  einem  Radius 
von  1—8  cm.  Im  Moment  des  Anhaltens  des  Rades  standen  die  hellen  Pole  der  in 
stark  gequollener  Gallerthülle  befindlichen,  also  innerhalb  der  Gallerthülle  drehbaren 
Eier  jedes  Kästchens  nach  den  verschiedensten  Seiten ;  dies  bekundete,  dass  bei 
dieser  Umdrehungsgeschwindigkeit  weder  die  Schwerkraft,  noch  die  Centrifugalkraft 
auf  die  Eier  einstellend  wirkte;  denn  wenn  die  Schwerkraft  noch  einstellend  auf 
die  Eier  gewirkt  hätte,  so  würden  die  weissen  Pole  nach  abwärts  gerichtet  gewesen 
sein;  wenn  dagegen  die  Centrifugalkraft  einstellend  Avirkt,  wie  es  bei  grösserer  Um- 
drehungsgeschwindigkeit oder  bei  mehrmals  grösserem  Radius  der  P' all  ist, 
so  stellen  sich  die  Eier  alle  mit  ihrem  weissen,  aus  specifisch  schwererer  Substanz 
gebildeten  Pole  radiär  nach  aussen  ein. 

Da  in  unserem  Versuche  also  die  Schwerkraft  auf  die  Einstellung  der  Eier 
nicht  richtend  zu  wirken  vermochte,  die  EntAvickelung  gleichAvohl  aber  in  allen  Stadien 
normal  verlief,  so  ist  zu  folgern,  dass  zur  normalen  Entwickelung  die  bei  ruhig 
stehenden  Eiern  stets  vorhandene  einstellende  Wirkung  der  Schwerkraft  auf  die 


Wirkung  der  Schwerkraft.  275 


dem  Liclite,  noch  der  Wärme,  nocli  dem  Erdmagnetismus 
eine  solche  die  Richtung  der  besprochenen  Gestaltungen 
beeinflussende  Wirkung  zuerkennen.  Dies  geht  aus  fol 
gender  Beobachtung  hervor. 

Wenn  man  mehrere  Hundert  Eier  hi  demselben  Glase  stehen 
hat,  auf  welche  jedes  dieser  Agentien  in  gleicher  Richtung  wirkt,  [das 
Licht  vom  Fenster  aus,  die  Wärme  vom  nahen  Ofen  aus  (denn  es  wurde 
an  Eiern  aus  dem  Süden  bezogener  Frösche  bereits  von  Ende  Februar 
an  experimentirt,  während  in  Breslau  noch  Frost  stattfand)],  so  sieht 
man  sowohl  die  ersten  Furchen  wie  später  die  Rückenfurchen 
derselben  auch  bei  direct  benachbarten  Eiern  beliebig  durchein- 
ander stehen.  Wenn  einmal  mehrere  Furchen  parallel  gerichtet 
sind  und  z.  B.   nach  dem  Fenster  hin  orientirt  zu   sein  scheinen,  so 


Eier  nicht  nöthig  ist.  Ich  habe  ausserdem  Versuche  gemacht,  aus  denen  hervor- 
geht, dass  die  inneren  ordnenden  Kräfte  im  Ei  der  Wirkung  der  Schwer- 
kraft sogar  in  geringem  Maasse  direct  entgegenzuwirken  vermögen 
(s.  Nr.  20,  S.  19). 

Pflüger  hat  ferner  beobachtet,  dass  bei  vollkommen  senkrechter  Umkehr 
des  eben  befruchteten,  also  noch  ungefurchten  Froscheies  und  bei  Erhaltung  in  dieser 
Zwangslage  die  Entwickeln ng  ausbleibt;  Born  hat  gezeigt,  in  Avelcher  Weise 
dabei  die  ungleich  specifisch  schwei-en  Eisubstanzen  durcheinander  kommen.  Aus 
diesem  Versuche  folgt,  dass  in  dieser  erzwungenen  Stellung  die  Schwerkraft  durch 
Veranlassung  allzu  stai-ker  Umordnung  der  verschiedenen  Dottermassen  störend  auf 
die  Entwickelung  des  Eies  wirkt.  0.  Schultze's  Versuch  mit  überaus  lang- 
samer, je  2 — 4  Stunden  dauernder,  fortgesetzter  Umdrehung  der  fixirten  Eier  stellt 
nach  meiner  Meimmg  einfach  eine  Verstärkung  der  schädigenden  Wirkung 
der  Schwerkraft  von  diesem  Versuche  Pflüger's  dar;  wie  Hr.  Schultze  denn 
auch  mittheilte,  dass  die  Eier  dabei  in  toto  grau  wurden;  ein  Beweis,  dass  die  ver- 
schiedenen Eisubstanzen  sehr  stark  durcheinander  gemischt  worden  waren. 

Daraus  aber,  dass  die  Schwerkraft  unter  Umständen  störend  auf  die  Ent- 
wickelung wirken  kann,  ist  nicht  zu  folgern,  dass  sie  zur  normalen  Entwickelung 
nöthig  sei.  Es  wäre  ein  falsches  Princip,  dass  dasjenige,  was  die  Ent- 
wickelung „störend"  beeinflussen  kann,  darum  auch  zur  , normalen" 
Entwickelung  „nöthig"  wäre;  es  kann  mich  z.B.  jemand  todtstechen,  woraus 
jedoch  nicht  zu  folgern  ist,  dass  das  Stechen  zu  meiner  Entwickelung  nöthig  wäre. 
Die  hier  von  0.  Schultze  gezogene  Folgerung  ist  umso  weniger  zulässig,  als  durch 
den  erwähnten  Rotationsversuch  von  mir  direct  dargethan  worden  ist,  dass  die  Ent- 
wickelung auch  ohne  die  richtende  Einwirkung  der  Schwerkraft  normal  zu  verlaufen 
vermag".  [Diese  Darlegung  hat  jedoch  keine  überzeugende  Wirkung  auf  meinen 
Gegner  ausgeübt,  wie  aus  seiner  ausführlichen  Abhandlung  hervorgeht  (s.  0.  Schultze, 
Ueber  die  Bedeutung  der  Schwerkraft  für  die  organische  Gestaltung.  Verh.  d.  phys.- 
med.  Ges.  zu  Würzburg  1894.  Bd.  28,  Nr.  2).] 

18* 


276    Nr.  19.  Entwickelung  d.  Froscheier  bei  Aufhebung  d.  richtenden  Wirkung  etc. 

belehrt  die  Betrachtung  der  übrigen  Eier,  dass  hier  blos  eine  zufällige 
Uebereinstimmung  vorliegt. 

[16]  So  dürfen  wir  also  unsern  Schluss  verallgemeinern  und 
sagen:  Die  „formale"  Entwickelung  des  Froscheies  „be- 
darf" keiner  richtenden  und  gestaltenden  Einwirkung 
von  aussen;  das  befruchtete  Ei  trägt  und  producirt  alle 
zur  normalen  Entwickelung  nöthigen  „gestaltenden" 
Kräfte  in  sich  selber:  die  „formale"  Entwickelung  des 
befruchteten  Eies  ist  ein  Process  vollkommener  Selbst- 
diff erenzirung  (s.  Nr.  22,  S.  2). 

Mit  dieser  Einsicht  ist  das  Problem  der  formalen  Entwickelung 
des  befruchteten  Eies  etwas  schärfer  in  seinem  Wesen  erkannt  und 
bestimmter  abgegrenzt  worden;  es  wird  daher  vielleicht  möglich  sein, 
dasselbe  nun  auch  mit  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  für  sich  in  Angriff 
zu  nehmen. 

Vorstehende  Untersuchung  wurde  vom  1.  bis  15.  März  d.  J.  im 
hiesigen  anatomischen  Institut  ausgeführt  mit  einem  Versuchsmaterial, 
welches  mir  vom  Collegen  Bobn  von  seinen  Versuchen  freundlichst 
überlassen  wurde.- 

Breslau,  den  17.  März  1884. 


Nr.  20. 

Beiträge  zur  Entwiekelung-smeehanik  des  Embryo. 

Nr.  III.    lieber   die  Bestimmung   der   Hauptrichtungen   des 
Froschembryo  im  Ei  und  über  die  erste  Theilung  des 

Froscheies. 

1885. 

ßreslauer  ärztliche  Zeitschrift  1885,  Nr.  6—9,  vom  28.  März  an. 

Separat-Abdruck,  ausgegeben  am  21.  April  1885, 


Inhalt. 

Seite 

Begriflf  der  „Vorentwickelung" 280 

Individuelle  Entwickelung  -/.iz   e^o^/jv 281 

Periode  der  organbildenden  Entwickelung 281 

Periode  der  functionellen  Entwickelung 281 

Von  den  Geschlechtszellen  übertragene  Gestaltungen  (Evolution)     .     .     .  283 

Richtungsbestimm  ungimEi 284 

I.  Früheste  Zeit  der  Bestimmung  der  Richtung  der  Medianebene    .     .  286 

Methode 289 

Ergebnisse 290 

Einsteilung  schwimmender  unbefruchteter  Eier      ....  290 

Einstellung  schwimmender  befruchteter  Eier 291 

Verstärkung  der  Ungleichheit  des  spec.  Gewichtes 

durch  die  Befruchtung 291 

Verhalten  sich  furchender  Eier 291 

Verhalten  sich  nicht  furchender  Eier 292 

Eventuelle  Fernwirkung  zwischen  Samen  und  Ei      ....  293 

Definition  ^befruchtenderWirkung" 294 


278  Nr.  20.  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Seite 

Die  entscheidende  Einstelhmg  erfolgt  erst  während  der  Befruchtung  295 

Ordnung  des  Eimaterials  entgegen  der  Schwerkraft 297 

IL  Bestimmung   der  Richtung   der  Me  dianebene    durch   den 

beliebig  gewählten  Befruchtungsmeridian 298 

III.  Aeussere  Beeinflussuug  der  Richtung  der  ersten  Furche     ....  301 

a)  Wirkung  der  Schwere  bei  Zwangslage 301 

b)  Wirkung  künstlicher    „Gestalt"    der  Eier    auf  die   Thei- 
lungsrichtung 302 

IV.  Erfordernisse  der  Entwickelung  der  ^mehrzelligen"  Or- 
ganismen        306 

A.  Richtige  qualitative  Material  Scheidung 308 

Bedeutung  des  Mechanismus  der  ^indir ecten"  Theilung  308 

Mechanismus  der  „qualitativen  Hai birung^ 308 

Viele  Qualitäten  in  jeder  Microsomenscheibe   ......  309 

Mechanisches  Princip  der  qualitativen  Halbirung  .     .     .  310 

Princip  der  mechanischen  Halbirung  durch  Emulsion      .  311 

Qualitativ  „ungleiche"  Theilung 311 

Bedeutung  der  Achromatintheilung 312 

Widerlegung  einer  Auffassung  Strasbürger's .  312 

Widerlegung  der  Deutung  Rabl"s 313 

Abnorme  indirecte  Kerntheilungen 314 

B.  Herstellung  der  typischen  Anordnung  der  Theile 316 

Selbstregulationsmechanismen 316 

Annahme   richtender   Wirkung    zwischen    Zellleib    und 

Zellkern  und  zwischen  benachbarten  Zellen      .     .     .  317 

Wirkt  der  electrische  Strom  richtend  auf  die  Zelltheilung?  .     .  319 

Strahlungen  und  Windungen  im  befruchteten  Ei 321 

(Abhängigkeit  der  Entwickelung  von  der  Luft) 322 

(Unabhängigkeit   der    Organanlage   von   der  Lager- 
ung derLuftqu  eile)   322 

V.  Bedeutung  der  ersten  Furchungen 324 

Verhalten  in  Zwangslage 325 

a)  Beziehungen  zwischen  „erzwungener"  Stellung  der  Eiaxe 

und  der  Richtung  der  ersten  Furcha 325 

b)  Beziehung  zwischen  der  Richtung  der  ersten  Furche  und 

der  Richtung  der  Medianebene  bei  Zwangslage   ....  328 

Wesender„normalen"Furchung 331 

Entstehungsmöglichkeit  der  Doppelbildungen 332 

VI.  „Causale  Bedeutung"  einiger  Beziehungen  der  ersten  Entwickel- 

ungsvorgänge  zu  einander 335 

1.  Ursache  der   ersten  Theilung   des  Eies   von  Rana  esculenta   in 

Richtung  der  Symmetrieebene  seiner  Einstellung 335 


•  »Vorentwickelung.  279 

Seite 
Qualitative     ti  ii  li      r  i  c  ii  t  ende      W  e  (,•  li  s  c  1  w  i  r  k  u  ii  i;  e  n 

zwischen  Zell  leib  und  Zellkern BoT 

2.  Ursache  der  ersten  Thoilung  des  Froscheies  (iuer  zur  ^<\  iniiiotrie- 
ebene  der  erzwungenen  Einstellung  desselben 338 

3.  Ableitung  der  normalen  ontogenetischen  Gestaltung      .     .     .  341 
Nächste  Ursache  der  Gastrulation 342 

4.  Ursache  der  Entwickelung  der  Eier  bei   schiefer  Zwangslage  343 


[1]  Bei  dem  Versuche  einer  vorläufigen  causalen  Analyse, 
der  bereits  bekannten  Entwickelungsvorgänge,  mit  welchem 
ich  meine  Bestrebungen  zur  causalen  Begründung  der  Entwickelungs- 
geschichte  begann ,  zeigte  sich  sehr  bald ,  dass  wir  von  den  eigent- 
lichen ,,Vorgängeu"  der  individuellen  Entwickehnig  nur  sehr  wenig 
wissen,  da  es  fast  immer  nur  die  Producte  dieser  Vorgänge  sind, 
welche  wahrgenommen  und  in  ihren  formalen  Resultaten  beschrieben 
worden  sind.  Um  so  weniger  ist  es  bis  jetzt  möglich  gewesen,  bereits 
einen  das  Wesen  erhellenden  Einblick  in  die  causalen  Zusammen- 
hänge dieser  geheimniss vollen  Vorgänge  zu  gewinnen. 

Einen  der  Gründe  dieser  Unkenntniss  glaube  ich  darin  hnden  zu 
müssen,  dass  es  durchaus  unbekannt  ist,  von  welcher  Basis  aus 
dieEntwickelung  des  Individuums  anhebt;  so  dass  wir  nicht  zu 
beurtheilen  vermögen,  was  der  von  uns  beobachtete  Theil  derEntwicke- 
lung  seinem  AVesen  nach  darzustellen  hat,  ob  er  blos  eine  Metamor- 
phose von  unendlich  vielen,  bereits  in  Ei  und  Samen  vorhandenen 
Verschiedenheiten  oder  eine  wirkliche  Neuerzeugung  einer  unzählbaren 
Mannigfaltigkeit  von  einer  nur  wenig  complicirten  Anfangsstufe  aus 
ist,  wenn  schon  bezüglich  der  .sichtbaren,  formalen  Bildungen  nach 
C.  Fr.  Wolff's  fundamentalem  Nachweise  an  letzterem  nicht  mehr 
gezweifelt  werden  konnte. 

Zufole-e  dieser  Einsicht  hielt  ich  es  für  angemessen,  ausser  in 
dem  in  Beitrag  1  ^)  betretenen  Wege  der  directen  Inangriffnahme  mehr 


1)  Nr.  18.  Derselbe  wurde  vor  dem  Beginne  der  Ausarbeitung  der  hier 
folgenden  Abhandlung  verfasst,  erschien  aber  in  Folge  des  langen  Latenzstadiums 
bei  der  betreffenden  Zeitschrift  erst  nach  dieser  Abhandlung,  was  scheinbare  Ana- 
chronismen in  der  Ordnung  der  Arbeiten  und  in  der  Darstellung  veranlasst. 


280  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


oder  weniger  vorgeschrittener Eiitwickelungsvorgänge  den  vorliegen- 
den grossen  Problemencomplex  auch  von  der  Seite  seines 
„Anfanges"  [2]^)  her  in  Angriff  zu  nehmen,  und  so  zugleich  die 
eigentlich  vorliegende  Aufgabe  besser  in  ihrem  Wesen  zu  bestimmen  und 
die  Reihe  der  Auffassungsmöglichkeiten  zu  beschränken.  Es  muss  dabei 
ermittelt  werden  ,  i n  w e  1  c h e m  V e r h ä  1 1 n i s s  Ei  u n  d  S a m e n k ö r p e r 
ihrer  Beschaffenheit  nach  zu  der  complicirten  Beschaffen- 
heit des  aus  ihne]i  hervorgehenden  Individuums  stehen. 

Im  Falle  das  Keimmaterial  dieser  Generatoren  von  jenem  Zu- 
stande desselben  an  gerechnet,  in  welchem  noch  keine  Sonderung 
in  ,,einzelne''  Eier  oder  Spermato  zoen,  oder  besser  von  jenem 
Zustande  au,  in  welchem  auch  noch  keine  Sonderung  in  weib- 
liches oder  männliches  Material  stattgefunden  hat  (sofern  es 
überhaupt  einen  solchen  Zustand  giebt),  bis  zu  dem  Zustande,  in  wel- 
chem beide  Theile  fähig  sind ,  sich  zur  Entwickelung  eines  Indivi- 
duums zu  vereinigen,  Veränderungen  erfährt,  welche  sich 
ihrerseits,  unverändert  oder  verändert,  auf  das  ,, Indivi- 
duum" übertragen,  so  wird  alsdann  in  der  individuellen  Ent- 
wickelung eine  Periode  zu  unterscheiden  sein,  welche  in  zwei 
getrennten  Bahnen  sich  vollzieht  und  von  uns  als  „Yorentwickeluiig" 
bezeichnet  werden  soll.  In  dieser  Vorentwickelung  werden  alle 
eventuellen  Veränderungen  zu  verzeichnen  sein,  welche  nicht 
für  die  vorübergehende  Sonderexistenz  von  Ei  und  Spermatozoon  und 
nicht  für  den  Mechanismus  der  Copulation  beider  benöthigt  sind, 
sondern  welche  von  der  ursprünglichen,  noch  nicht  auf  ein 
einziges  Individuum  angelegten  Beschaffenheit  des  elter- 
lichen Keimplasmas  überführen  zu  Zuständen,  welche  nach 
der  Befruchtung  erhalten  bleiben  oder  Aveiter  fortgebildet 
werden  (s.  S.  74). 

Dieser  doppelläufigen  „individuellen"  Vorentwickelung  steht 
gegenüber  die  „phylogenetische"  Vorentwickelung,  die  Bildung 
des  Keimplasmas    auf    dem  AVege  der  Entwickelung  des 


[1)  Die  Paginirung  im  Text  ist  diejenige  des  Separatabdruckes  aus  der  Bres- 
lauer ärztlichen  Zeitschrift.] 


Perioden  der  Ontogenesis.  281 


gcinzen  Organismenreiches  vomAnfang  des  Organischen  an  l)is  zur 
Herstellung  des  beiderseitigen  Keimplasmas  des  (zu  dieser  Zeit  selbst 
noch  embryonalen) Elternpaares  des  uns  interessirenden,  werdenden  Indi- 
viduums. Diese  letztere  Periode  umfasst  somit  alle  durch  Vererbung 
übertragbaren  Erlebnisse  sämmtlicher  directen  \"orfahren  unseres  In- 
dividuums. Die  Untersuchung  dieser  Vorgänge  und  ihrer  Oausal- 
zusammenhänge  bildet  ein  Forschungsgebiet  für  sich  [das  der  phylo- 
genetischen Entwickelungsmechanik  s.  S.  60]. 

[3]  Wir  werden  uns  hier  nur  mit  der  directen  Entwicke- 
lung  des  Individuums  beschäftigen. 

Es  würde  schwerlich  der  Lösung  unserer  Aufgabe  förderlich  sein, 
wenn  wir,  der  Entwickelung  selber  folgend,  mit  der  eingehenden  Unter- 
suchung der  eventuellen  Vorentwickelung  beginnen  und  erst  nach 
Lösung  dieses  Problemes  zur  eigentlichen  individuellen  Ent- 
wickelung, welche  mit  dem  Acte  der  Befruchtung  beginnt, 
weiter  schreiten  wollten.  Es  verspricht  mehr  Erfolg,  mit  dieser  letz- 
teren Periode  anzufangen,  deren  Vorgänge  sich  leichter  beobachten 
oder  erschliessen  lassen,  da  sie  mehr  direct  wahrnehmbare  Producte 
bilden,  als  die  individuelle  Vorentwickelung. 

Diese  individuelle  Entwickelung  xax'  e^(r/tjv  wollen  wir  für 
unsere  causalen  Zwecke  wiederum  in  zwei  Abtheilungen  theilen:  in 
eine  erste  Periode,  in  welcher  die  einzelnen  Organe  angelegt  und 
bis  zur  Befähigung  zum  Beginne  einer  specifischen  Func- 
tionsw^eise  ausgebildet  werden,  und  in  eine  zweite  Periode,  inner- 
halb welcher  diese  Organe  specifische  Functionen  ausüben, 
und,  wie  sich  bereits  mehrfach  gezeigt  hat,  durch  diese  Func- 
tionsvollziehung  zugleich  in  ihrer  weiteren  Ausbildung 
gefördert  werden.  Die  erstere  Periode  will  ich  a  potiori  die 
Periode  der  orgaiibildendeii  EntAvickelung  nennen,  und  die  zweite 
soll  als  die  PeriodS  der  funetioiielleii  Entwickelung  bezeichnet  wer- 
den. Man  könnte  den  ersteren  Abschnitt  auch  als  Periode  der  selbst- 
ständigen Entwickelung  (s.  Nr.  4,  S.  180  und  Nr.  28,  S.  666) 
dem  letzteren  Abschnitte,  dessen  Leistungen  mit  der  Zeit  immer  mehr 
von  der  Function  abhängig  werden,  gegenüberstellen,  —  sofern  die 
Function    als    ein    der    eigentlichen    Entwickelung    fremdes    Moment 


282  Nr.  20.   Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


betrachtet  wird,  welches  blos  secundär  einen  Antheil  an  der  Ausbildung 
der  bereits  functionsfähigen  Organe  erlangt  liat.  Lieber  die  sachliche 
Berechtigung  dieser  iiuffassung  kann  erst  entschieden  w^erden,  wenn 
wir  die  Wirkungsprincipien  der  jetzt  als  „selbstständig"  bezeichneten 
Entwdckelung  annähernd  kennen.  Gegenwärtig  mache  ich  diese 
Distinction  vorwiegend  aus  practischen  Gründen,  um  von  dem  grossen 
Complex  zumeist  noch  ganz  unbekannter  und  daher  nicht  von 
einander  zu  sondernder  Wirkungsweisen  der  ersteren  Periode 
in  der  zweiten  Periode  einen  beträchtlichen  Theil  zu  gesonderter 
Untersuchung  abzutrennen,  welchem,  wie  es  scheint,  ein  von  den 
anderen  ver-  [4]  schiedenes  Princip  zu  Grunde  liegt,  dessen  Wesen 
wir  bereits  näher  getreten  sind  (s.  Nr.  4,  7,  8  und  9). 

Beide  Perioden  begrenzen  sich  gegen  einander  fast  für  jedes 
Organ  des  Körpers  zu  einer  anderen  Zeit  (s.  Nr.  4),  da  die  verschiedenen 
Organe  in  sehr  verschiedenen  Phasen  der  individuellen  Entwickelung 
ihre  specifischen  Functionen  beginnen ;  so  beginnen  z.  ß.  die  das  Blut 
bildenden  und  vertheilenden  Organe  schon  bald  nach  dem  Anfange 
der  individuellen  Entwickelung,  die  Augen  oder  die  Grosshirnriude 
erst  in  einem  relativ  späten  Stadium  der  Entwickelung  zu  fungiren. 

Nach  Aufstellung  dieser  Unterscheidung  wird  daher  von  jedem  ein- 
zelnen Organ  höherer  oder  niederer  Ordnung  festzustellen  sein,  welchen 
gestaltenden  Antheil  an  der  Herstellung  seiner  Beschaffenheit  im  erwach- 
senen Individuum  die  function eilen  Energien  gehabt  haben 
und  welches  nach  Abzug  dessen  der  übrig  bleibende  Antheil  der  un- 
bekannten, im  obigen  Sinne  ,, selbstständigen"  Entwickelungsvorgänge, 
als  das  Product  der  specifischen  Entwickelungsenergien,  ist. 

Die  Leistungen  der  ,,functionellen  Entwickelung"  und  ihre  Causal- 
zusammenhänge  werden  von  mir  in  einer  besonderen  Serie  von  Unter- 
suchungen unter  dem  Titel  „Beiträge  zur  Morphologie  der  functionellen 
Anpassung"  behandelt,  weshalb  an  dieser  Stelle  von  ihnen  abgesehen 
wird.  Wir  wenden  daher  unsere  Aufmerksamkeit  hier  n  u  r  d  e  n 
Vorgängen  der  „organbildendeu  Periode"  der  individuellen 
Entwickelung  nebst  denen  der  individuellen  Vorentwickelung  zu.  Von 
diesen  beiden  wird  wiederum  auf  längere  Zeit  hinaus  vorzugsweise 
die  erstere  uns  beschäftigen. 


Antheil  der  Evolution.  283 


Begiunoii  wir  mit  der  Untersuch mio-  dieser  Periode  der  selbst- 
ständigen  oder  organbild  enden  Entwie  kel  ung,  so  fehlt  es 
uns,  wie  erwähnt,  schon  an  der  Kenntniss  dessen,  womit  sie  selber 
einsetzt,  von  welcher  Basis  aus  sie  anhebt.  Wenn  wir  /Aniächst  das 
Morphologische  bevorzugen,  so  fragt  es  sich  daher,  wie  viel,  resp. 
welche  Formenverhältnisse  des  Embryo  bereits  in  Ei  oder 
Samen  gesondert  vorgebildc^t  sind,  um  sich  verändert  oder 
unverändert  auf  den  Embryo  zu  übertragen. 

Obgleich  nach  C.  Fr.  Wolff  die  formale  Entwickelung  unter 
successiver  Bildung  neuer  Formen  vor  sich  geht,  also  ,,formale"  Epi- 
gone sis  ist,  so  [5]  hat  gleichwohl  die  weitere  Forschung  bereits  darge- 
than,  dass  doch  einige  wesentliche  Formverhältnisse  direct  von 
Ei  und  Samen  auf  den  Embryo  übergehen,  also  der  Evolution 
zugehören. 

Da  nämlich  Ei  und  Samen  in  ihren  wesentlichsten  Theilen  den  Bau 
einer  Zelle  besitzen,  indem  sie  aus  Zellleib  und  Zellkern  bestehen, 
während  weiterhin  bei  der  Befruchtung  nach  W.  Flemming,  Str.\sburger, 
Hensen  u.  A.  blos  die  einander  entsprechenden  Theile  dieser  Zellen  mit- 
einander verschmelzen,  so  stellt  das  aus  ihnen  hervorgehende  Gebilde 
gleichfalls  eine  Zelle  dar.  Indem  nun  dieser  Zustand  bei  der  Entwicke- 
lung einfach  erhalten  bleibt  oder,  bei  den  höheren  Organismen,  unter 
einer  Vermehrung  dieser  Zelle  sich  dadurch  complicirt,  dass  diese 
Zelle  durch  vorzugsweise  gemeinsame  Theilung  von  Zellkern  und 
Zellleib  nach  den  Gesetzen:  omnis  cellula  e  cellula  (Virchow)  und 
omnis  nucleus  e  nucleo  (Flemming)  immer  neue  Zellen  liefert,  so  be- 
steht auch  das  voll  entwickelte  Individuum  wesentlich  ent- 
weder blos  aus  einer  Zelle  oder  aus  einer  Summe  vieler  Zellen,  welche 
ilire  allgemeine  Zellstructur  durch  directe  Uebertragung 
von  Ei-  und  Samenzelle  her  überkommen  haben,  nebst  den 
secundär  von  diesen  Elementarorganen  gelieferten  Bildungen.   , 

Ausser  dieser  groben  Zellstructur  besitzen  jedenfalls  Ei  und 
Samenkörper  noch  specifische  chemische  Structuren  und  dy- 
namische Me  tastructuren  als  Grundlage  einerseits  der  all- 
gemeinen Zellfunctionen,  andererseits  der  specifische n  Ent- 
wickelungseuergien    (soweit    letztere    ,, Energien     der 


284  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Lage"  sind),  welche  sich  gleichfalls  verändert  oder  unverändert 
übertragen.  In  diese  nicht  sichtbar  zu  machenden  Verhältnisse  werden 
wir  aber  nur  sehr  langsam  und  nur  auf  dem  leicht  zu  Irrthümern  führenden 
Wege  grösserer  Schlussketten  einen  Einblick  gewinnen  können.  In 
Beitrag  1  (Nr.  18)  habe  ich  Thatsachen  mitgetheilt,  welche  in  dieser 
Weise  verwendbar  sind,  und  es  wird  mein  Bestreben  sein,  Weiteres 
nach  dieser  Richtung  hin  zu  ermitteln. 

Neben  diesen  feinsten  Gestaltungen  kann  es  aber  trotz  der 
formalen  Epigenese  Wolff's  noch  gröbere  Gestaltungsverhältnisse, 
ja  ,,Ge  staltung  eu  allg  em  einsten  Charakters"  geben,  welche 
unverändert  auf  den  Embryo  übergehen.  Dies  sind  die 
Richtungs  Verhältnisse,  die  Rieh-  [6]  tungen  von  Materialordnungen, 
Materialbewegung  [oder  qualitativen  Materialveränderungen],  die  Bil- 
dungsrichtungen, welche  die  Hauptrichtungen  des  embryonalen  Leibes 
schon  von  vornherein  fest  bestimmen  können,  wenn  sie  auch  erst 
relativ  spät,  erst  mit  der  Anlage  specieller  Organe  für  uns  direct 
wahrnehm  bar  werd  en . 

Die  vorstehenden  Erwägungen  haben  mich  seiner  Zeit  veran- 
lasst, an  diesem  Puncte  mit  den  empirischen  Untersuchungen  zu  be- 
ginnen.    (Nr.  16.) 

Bekannt  war  nach  dieser  Seite  hin  bereits,  dass  au  Eiern  mit 
einseitig  angeordnetem  Nahrungsdotter  schon  eine  Richtung  des 
Embryo  durch  die  Lagerungsbeziehung  des  Nahrungsdotters  zum 
Bilduugsdotter  gegeben  ist,  welche  beim  Huhn  der  dorsiventralen 
Richtung,  beim  Frosch  dagegen  mehr  der  Richtung  kopfschwanz- 
wärts')  entspricht.  Bei  vielen  anderen  Eiern  ist  eine  Richtung  des 
Embryo  durch  das  Vorhandensein  einer  Längsaxe  des  Eies  gegeben. 
Meine  LTntersuchungen  lehrten  nun  (Nr.  16),  dass  bei  Rana  esculenta 
schon  zur  Zeit  der  Bildung  der  ersten  Furche  am  Ei  durch  die 
schiefe  Einstellung  der  Eiaxe,  welche  einen  Theil  des  weissen  Poles 
als  halbmondförmigen  Saum  an  die  obere  Hemisphäre  bringt,  auch 
schon  über  dorsal  und  ventral  des  künftigen  Embryo  entschieden 
ist,  indem  die  dorsale  Seite  des  Embryo  stets  an  der  durch  diesen 
hellen  Saum  bezeichneten  Seite  des  Eies  angelegt  wurde.  Weiterhin 
[1)  Genaueres  s.  Nr.  23,  S.  701]. 


Ursachen  der  Richtung  kopfschwanzwärts.  285 


/.eigte  sich,  dass  die  erste  Furcliungsebene  bereits  die  Medianebene 
des  künftigen  Embryo  darstellt,  so  dass  also  die  Hauptrichtuugen 
des  Embryo  schon  am  Anfange  der  eigentlichen  individuellen  Ent- 
wickelung  fest  normirt  sind.  Aehnliche  Verhältnisse  haben  die  Unter- 
suchungen von  Ch.  Julin,  van  Beneden  über  einige  Wirbellose  er- 
geben; und  J.  P.  NuEL  hat  bezügliche  Angaben  über  das  Ei  von 
Petromyzon  Planeri  gemacht. 

Diese  Kenntnisse  sind  indess  noch  nicht  genügend  für  die  Er- 
ledigung unserer  Frage  nach  den  von  Ei  und  Samen  auf  den 
Embryo  sich  übertragenden  Richtungen;  und  noch  weniger 
sind  sie  es  ftir  das  eigentliche  Ziel  unseres  Strebens,  für  den 
Einblick  in  die  „Ursachen"  dieser  Bestimmungen. 

[7]  Fragen  wir  zunächst  nach  den  Ursachen  der  bereits  be- 
kannten That  Sachen,  so  ist  es  am  leichtesten,  eine  solche  für  die 
schon  am  unbefruchteten  Froscheie  gegebene  Richtung  kopfschwanz- 
wärts aufzufinden,  da  sie  offenbar  in  der  bipolar  enAnordnungdes 
Keimplasmas  und  des  Nahrungsdotters  beruht,  also  in  dem 
Vorhandensein  zweier  differenter,  von  einander  gesonderter  Massen,  deren 
Massenmittelpuncte  natürlich  eine  Richtung  fest  normiren.  Doch 
wissen  wir  noch  nicht,  o  b  d  i  e  R  i  c  h  t  u  n  g  s  b  e  s  t  i  m  m  u  n  g  für  den  Em- 
bryo gerade  durch  die  Massenmittelpuncte  selber  oder 
durch  eine  andere,  vielleicht  zugleich  von  der  ,,Form"  der  Massen 
abhängige  Beziehung  u  r  s  ä  c  h  1  i  c  h  v  e  r  m  i  1 1  e  1 1  wird,  und  ob 
überhaupt  die  Lagerungsbeziehung  dieser  Theile  von  vornherein 
schon  eine  feste  ist  [s.  S.  120]. 

Zunächst  können  wir  dabei  blos  fragen,  waru  m  i  m  mer  das  Kopf- 
wärts  resp.  Dorsal  auf  Seiten  des  ,,Keim2)Iasmas''  [besser  des  BMungs- 
dotters],  dasSchwanzwärts  resp.  Ventral  nach  dem  Nahrungsdotter 
hin  gerichtet  ist.  Eine  functionelle  Veranlassung  dafür  ergiebt 
sich  aus  der  Bestimmung  des  Nahrungsdotters,  von  bestimmten  Zellen, 
welche  als  Verdauungsorgaue  fungiren,  aufgezehrt  zu  werden,  so  dass  also 
diese  dem  Entoblast  entsprechenden  Zellen  in  nachbar- 
schaftlichen Beziehungen  zum  Nahrungsdotter  liegen,  und 
am  einfachsten  also  auch  schon  entstehen  müssen,  wenn  nicht 
überhaupt  die  Ausübung  dieser  Function  schon  eine  noth- 


286  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

wendige  Vorbedingung  oder  gar  Ursache  der  Anlage  und 
Ausbildung  der  Zellen  des  Verdauungstractus  dieser  Thiere 
ist.  Es  erhellt,  dass  dieses  letztere  Causalverhältniss  nur  für  diejenige 
Stelle  des  Entoblast,  welche  am  frühesten,  welche  vielleicht  vom  Mo- 
mente ihrer  Anlage  an  fungirt,  unerlässlich  zu  sein  brauchte,  um  damit 
auch  den  Anlageort  des  ganzen  mit  ihr  zusammenhängenden,  in 
anderer  Weise  und  erst  viel  später  fungirenden  A'erdauungsstratums 
zu  bestimmen.  Die  ^''erschiedenheiten  der  genaueren  Lagerung  beim 
Vogel-  und  Froschei  erscheinen  daneben  von  untergeordneter  Be- 
deutung ;  denn  es  ist  für  diesen  Hauptzweck  unwesentlich,  ob  der 
Nahrungsdotter  mehr  an  einer  Seite  oder  mehr  gleichmässig  auf  resp. 
unter  dem  Entoblast  liegt;  dies  steht  offenbar  auch  mit  den  un- 
gleichen Mengen  von  Nahruugsdotter  bei  diesen  verschiedenen  Eiern 
in  Zusammenhang,  da  diese  Ungleichheiten  nach  Balfour  und 
Haeckel  auch  schon  den  [8]  Mechanismus  der  Furchung  und  damit 
die  ganzen  ersten  Anlagen  alteriren. 

Schwieriger  ist  es,  über  die  eventuellen  Ursachen,  welche 
die  beiden  a  n  d  e  r  e  n  R  i  c  h  t  u  n  g  e  n  b  e  s  t  i  m  m  e  n ,  eine  ^Vorstellung 
zu  gewinnen;  und  bei  solchem  Bestreben  tritt  uns  entgegen,  dass 
Avir  die  ,,Zeit"  dieser  Bestimmung  noch  nicht  genau  genug 
kennen;  denn  weim  sie  gleichfalls  schon  vor  der  Befruchtung  nor- 
mirt  wären,  so  würden  dadurch  die  ,, ursächlichen"  Möglich- 
keiten andere  sein,  als  wenn  diese  Normirung  erst  während  oder 
nach  der  Befruchtung  geschieht. 

I.   Früheste  Zeit  der  Bestimmung  der  Richtung:  der  Medianeheue  ^). 

Für  die  daher  zunächst  nothwendige  genaue  Untersuchung 
des  zeitlichen  Verhaltens  dieser  Richtungsbestimmung  ist  es 
nöthig,  uns  klar  zu  machen,  was  zum  Zwecke  dieser  beiden  letzten 
Richtungsbestimmungen  noch  erforderlich  ist,  nachdem  schon  eine 
Bildungaxe  und  die  Entscheidung  über  die  Qualität  ihrer  beiden 
Enden  als  köpf-  und  schwänz theilig  gegeben  sind.     Durch  diese  eine 

[1)  Die  Abschnittübersehriften  in   dieser  Abhandlung  sind  sämmtlich  erst  dem 
Wiederabdruck  eingefügt  worden.] 


I.  Früheste  Zeit  der  Bestimmung  der  Richtung  der  Medianebene.  287 

Axe  können  iincntllirli  viele  Ebenen  als  künftige  Medianebenen 
des  Embryo  gelegt  werden;  weini  von  diesen  eine  als  solche  l)e- 
stimmt  worden  ist,  so  tragt  es  sich  noch,  an  welchen  von  beiden 
Theilen  derselben  das  Ventral  resp.  Dorsal  entstehen  soll.  Es  sind 
also,  analytisch  betrachtet,  noch  zwei  Entscheidungen 
zn  treffen,  welclie  daher  auch  zeitlich  und  ursächlich 
von  einander  getrennt  sein  k (> n n e n .  in  letzterem  Falle 
würde  die  Medianebene  blos  das  Material  der  beiden  Antimeren 
scheiden,  dieses  Material  jederseits  aber' in  sicli  noch  so  gleichartig 
beschaffen  oder  gemengt  sein,  dass  das  Dorsal  oder  Ventral  an  sich 
erst  noch  durch  eine  besondere  Ursache  different  gemacht  werden 
müsste.  Andererseits  aber  können  beide  Bestimmungen  auch  ur- 
sächlich und  zeitlich  zusammenfallen,  sofern  der  Bildungsvorgang 
der  Art  ist,  dass  auf  irgend  einer  nicht  in  der  bereits  gegebenen  Axe 
gelegenen  Stelle  des  Eies  Material  entsteht  oder  sich  ansammelt, 
welches  seiner  Natur  nach  nur  einen  dorsalen  oder  ventralen  Theil 
bilden  kann.  Dann  ist  durch  die  Lage  dieses  einzigen  besonders 
qualificirten  Punctes  mit  dem  Dorsiventral  zugleich  auch  die 
Lage  der  Medianebene  normirt. 

Dies  sind  indess  nur  die  M  i  n  i  m  a  1  b  e  d  i  n  g  u  n  g  e  n,  welche  noch 
für  die  vollkommene  Axenbestimmung  des  Embryo  zu  erfüllen  sind.  Es 
ist  selbstverständlich,  dass  in  Wirklichkeit  [9]  die  Verhältnisse  viel  com- 
plicirter  sein  können,  indem  z.  B.  statt  eines  einzigen  diffe- 
renten  Theiles,  von  welchem  aus  dann  alle  übrigen 
Th(?ile  geordnet  und  bestimmt  werden  müssten  [Epigenesis], 
tausend  verschiedene  Theile  zugleich  eine  bestimmte  Lagerung  oder  Ver- 
änderung erfahren  können,  welche  über  Dorsiventral  entscheidet,  ob- 
gleich, wie  dargethan,  schon  jeder  einzelne  zu  dieser  Bestimmung 
genügt  haben  würde.  Es  wird  eine  spätere  Aufgabe  sein,  die  spe- 
cielle  Natur  dieser  Verhältnisse  zu  vermitteln;  zunächst  soll  unser 
Bemühen  nur  das  Zeithche  dieser  Bestimmung  festzustellen  suchen. 

Da  unter  normalen  Verhältnissen  bei  der  schiefen  Einstellung 
der  Eiaxe  von  Rana  esculenta  das  Dorsal  durch  den  hellen  Saum 
der  von  oben  sichtbaren  Eihälfte  gegeben  ist,  und  da  weiterhin  dieser 
Saum  durch  die  erste,  Avie  erwähnt,  die  Medianebene  des  Embryo  dar- 


288  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


stellende  Furche  stets  symmetrisch  getheilt,  also  halbirt  wn*d,  so 
scheint  hier  der  Fall  vorzuliegen,  dass  eine  qualitative  Verschieden- 
heit mit  dem  Dorsal  zugleich  die  Medianebene  bestimmt. 

Es  fragt  sich  nun,  wann  diese  Verschiedenheit,  welche 
die  Richtung  der  Medianebene  desEmbrj'o  im  Ei  bedingt, 
selber  normirt  wird. 

Auch  das  unbefruchtete  Ei  der  R.  escul.  stellt  sich 
mit  seiner  Axe  schief  ein;  und  sofern  diese  Einstellung- 
identisch  ist  mit  derjenigen  zur  Zeit  der  ersten  Furchung, 
so  würde  also  in  der  That  schon  am  unbefruchteten  Eie  die  Lagerung 
des  künftigen  Embryo  in  allen  Hauptrichtungen  vollkommen  gegeben 
sein;  wonach  der  ,,formalen  Evolution"  also  ein  sehr  erheblicher 
Antheil  an  der  Entwickelung  zukäme;  und  der  Samenkörper 
würde  nur  in  verhältnissmässig  ,, untergeordneter"  mehr  auf 
das  Einzelne  beschränkter  oder  gar  blos  anregender  Weise  sich 
an  der  Entwickelung  des  Individuums  betheiligen. 

Dagegen  könnte  der  A  n  t  h  e  i  1  d  e s  8  p  e  r  m  a  t  o  z  o  o  n  an  d e r  0 n- 
togenese  ein  noch  fast  dem  Ei  ,,gleichwerthiger"  sein, 
wenn  z.  B.  durch  die  Richtung  seiner  Copulation  mit  dem 
Ei  kern  die  noch  fehlende  eine  Richtung  zur  Fixirung  der  Median- 
ebene und  vielleicht  sogar  die  Entscheidung  über  die  Lagerung  des 
Dorsal  und  Ventral  bestimmt  würde. 

Je  nach  der  Entscheidung  dieser  Frage  müsste  sich  auch  unsere 
Auffassung  über  die  erste  Zeit  und  die  Ursache  der  Entstehung 
der  Doppelbildungen  mit  vollkommener  und  unvollkommener 
Verdoppelung  der  Axenorgane  richten.  Schon  jetzt  spricht  aber  gegen 
eine  Bestimmung  aller  Axen  des  [10]  Embryo  vor  der  Befruchtung 
die  wichtige  Beobachtung  H.  Fül's^),  dass  er  beim  Eindringen  von 
mehreren  Spermatozoen  in  das  Ei  eine  mehrfache  Urmundbildung 
entstehen  sah. 

Zu  dem  Versuche,  diese  fundamentale  Frage  am  Frosch- 
ei  zu  entscheiden,  waren  besondere  Vorrichtungen  nöthig.  Denn 
einmal   bietet  das   Froschei    keine    geeigneten   Differenzirungen    dar, 

1)  H.  FciL,  Recherclies  sur  la  fecondation  et  le  commencemeiit  de  Tlienogenie 
chez  divers  animaux.     1879. 


I.    Früheste  Zeit  der  Bestimmung  der  Richtung  der  Medianebene.  289 

welche  zu  eoiitrolliren  gestatten,  ob  genau  dieselbe  Einstellung  vor 
und  nach  der  Befruchtung  vorhanden  ist;  denn  unter  derselben  Ein- 
stellung ist  nicht  blos  die  Neigung  der  Eiaxe,  welche  direct  be- 
obachtet  werden  kann,  zu  verstehen,  sondern  auch  die  Erhaltung 
immer  desselben  „obersten"  Meridianes.  Um  die  Einstellung 
dieses  Meridianes  controlliren  zu  können,  klebte  ich  an  die  Gallert- 
hülle des  Eies  ein  Stückchen  Haar.  Damit  nun  aber  das  Ei  sich 
nicht  innerhalb  dieser  Hülle  drehen  könne,  musste  die  Quellung  der- 
selben in  Schranken  gehalten  werden.  Das  Ei  war  daher  in  eine 
Flüssigkeit  zu  bringen,  Avelche  neben  geeignet  hohem  specifischem 
Gewichte,  um  das  Ei  schwimmend  zu  erhalten,  eine  zu  starke  Quellung 
der  Gallerthülle  nicht  gestattete  und  zugleich  die  Spermatozoen  nicht 
schädigte. 

Nach  mehreren  Versuchen  erwies  sich  folgende  Methode  als 
die  brauchbarste.  Das  Ei  wurde  nur  wenige  Minuten  in  die  Samen- 
flüssigkeit gethan  und  darin  zugleich  mit  dem  Haar  armirt.  Danach 
wdrd  es  unter  sorgfältigster  Vermeidung  der  Entstehung  von  Luft- 
bläschen am  Ei  in  ein  kleines  Glas  übertragen,  welches  am  Grunde 
Quecksilber  zum  Zwecke  der  Spiegelung  der  Unterfläehe  des  Eies  und 
darüber  eine  dicke  Lösung  von  reinstem  Gummi  arabicum  als  Men- 
struum  enthält.  Leider  wirkte  die  zum  Schwimmen  der  Eier  geeignete 
(nimmilösung  direct  wasserentziehend  auf  die  Gallerthülle,  so  dass 
sich  das  Ei  in  Folge  des  gestiegenen  specifischen  Gewichtes  zu  Boden 
senkte,  sofern  nicht  rechtzeitig  noch  dickere  Lösung  zugesetzt  wurde; 
womit  aber  natürhch  ein  Circulus  vitiosus  eingeleitet  war,  w^elcher  es 
ausserordentlich  schwer  machte,  das  Ei  bis  zum  Eintritt  der  Furchung 
schwimmend  zu  erhalten,  zumal  die  Gummilösung  wohl  auch  auf 
[11]  den  Samen,  selbst  wenn  er  schon  in  die  Gallerthülle  eingedrungen 
war  noch  nachtheilig  einwirkte,  da  sich  die  grosse  JNIehrzahl  der  Eier 
nicht  furchte. 

Nach  der  Uebertragung  in  das  Menstruam  nahm  das  schwimmende 
FA  rasch  eine  bestimmte  Stellung  ein,  zu  welcher  es  auch,  nach  mehr- 
fachem Anstossen  von  verschiedenen  Seiten  her,  immer  wieder  zurück- 
kehrte. Nach  solcher  Prüfung  wurde  sofort  die  Stellung  durch  Abbildung 
der  oberen  oder  unteren  Hemisphäre  nebst  Angabe  der  Dicke  der  Gallert- 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    ]I. 


290  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


hülle  und  der  Stellung  des  Haares  abgezeichnet  und  weiterhin  alle  fünf 
bis  zehn  Minuten  controllirt,  um  alle  eventuellen  Stellungsveränderungen 
rechtzeitig  zu  bemerken  und  gleichfalls  zu  fixiren.  Anfänglich  wurden 
die  Eier  nur  zwei  Minuten  im  Samen  gelassen  und  dann  sogleich  in 
das  Menstruum  übertragen.  Da  sie  sich  aber  nicht  furchten,  und  da 
zugleich  in  den  ersten  zehn  Minuten  keine  Aenderung  bemerkt  wairde, 
so  Hess  ich  die  späteren  Eier  vier  Minuten  im  Samen,  um  die  Samen- 
körper recht  tief  in  die  Gallerthülle  eindringen  zu  lassen,  ehe  die 
schädliche  Wirkung  der  Gummilösung  begann,  wurden  die  Eier  noch 
zuvor  vier  bis  sechs  Minuten  an  der  Luft  gehalten,  weil  sie,  zum 
Zw^ecke  der  Verhütung  zu  starker  Quellung,  nicht  so  lange  im  Samen 
verbleiben  durften. 

Bei  jedem  Versuche  wurden  zum  Vergleich  ,,unbef  ruchtete" 
Eier  in  der  gleichen  Weise  behandelt  und  in  ihrem  Verhalten  be- 
obachtet; nur  dass  sie  statt  in  Samen  in  filtrirtes  (Jderwasser  gelegt 
wurden.  Ausser  den  Eiern  von  Rana  esculenta  stellten 
auch  die  schwimmenden  unbefruchteten  Eier  von  „Rana 
fusca"  sich  mit  ihren  Eiaxen  meist  stark  geneigt  ein. 
Von  14  Eiern,  deren  erste  Einstellung  vier  bis  zwölf  Minuten  nach 
dem  Momente  der  Einlegung  in  Wasser  aufgezeichnet  wurde,  haben 
elf  Stück  in  den  ersten  drei  Stunden  ihre  Einstellung  nicht  geändert; 
bei  den  meisten  fand  sogar  erst  nach  fünf,  bei  einigen  erst  nach 
zwanzig  Stunden  eine  solche  Aenderung  statt.  Zwei  Eier  dagegen 
haben  sich  fortwährend  langsam  gedreht;  eines  desgleichen,  aber  erst 
nach  ein  und  einhalb  Stunden.  Die  Aenderuugen  betrafen  sowohl 
die  Neigungen  der  Eiaxe  wie  den  obersten  Meridian.  In  zwei  Fällen 
änderte  sich  auch  die  Stellung  der  Eiaxe  zum  Haar,  ein  Zeichen, 
dass  das  Ei  sich  innerhalb  der  Gallerthülle  drehen  konnte. 

[12]  Das  Resultat  ist  also,  dass  bei  ,, unbefruchteten" 
Eiern  während  der  ersten  Stunden  nach  dem  Einlegen 
in  Wasser  zumeist  keine  innere  Umordnung  des  ungleich 
specifisch  schwereren  Materiales  stattfindet,  w^elche  zu 
einer  Verlagerung  des  Schwerpunctes  führt.  In  selteneren 
Fällen  war  dagegen  eine  stetige  Umordnung  wahrnehmbar. 


I.    Früheste  Zeit  der  Bestimmun.n-  der  Hirlitiuig  der  Mcfliancbene.  291 


\\iii  47  Eiern,  welelu'  in  Samen  eino-elesit  waren,  bildeten 
blos  acht  die  erste  Furche,  keines  theilte  sich  weiter;  ein  Zeichen  der 
starken  Schädigung,  welche  durch  die  Gummilösung  hervorgebracht 
wurde.  Es  wird  von  Interesse  sein  zu  ermitteln,  ob  dies  durch 
Schädigung  des  Samens  in  der  Art  bedingt  ist,  dass  er  blos  noch  den 
ersten  primärsten  Entwickelungsvorgang  hervorzubringen  vermag,  so 
dass  also  gleichsam  seine  feineren  Eigenschaften  alterirt  wurden  und 
er  daher  blos  eine  „Partialhefrtichtung^'  zu  vollziehen  im  Stande 
war,  oder  ob  eine  dauernde  Schädigung  des  Eies  durch  die  Gummi- 
lösung stattfindet ;  eine  Frage,  welche  vielleicht  durch  baldiges  Ueber- 
tragen  des  Eies  aus  der  Gummilösung  in  Wasser  zu  erledigen  sein  wird. 

Es  war  deutlich  bemerkbar,  dass  die  Eier  nach  der  Be- 
fruchtung viel  rascher  in  ihre  Einstellung  zurückkehrten, 
wenn  sie  aus  derselben  entfernt  worden  waren,  als  vor  der  Be- 
fruchtung, wodurch  meine  erste  bezügliche  Mittheilung  vervoll- 
ständigt wird  [s.  S.  261].  Der  weisse  Pol  wurde  nach  der  Befruch- 
tung meist  sogar  so  rasch  wieder  nach  unten  gewendet,  dass  es 
schwer  war,  ihn  überhaupt  durch  l)losses  Umstossen  des  Eies  sicht- 
bar zu  machen.  Also  hatte  sich  der  Unterschied  im  specifi- 
schen  Gewichte  der  schwarzen  und  weissen  Hemisphäre 
durch  die  Befruchtung  ausserordentlich  vergrössert^).  Da- 
gegen kam  es  bei  manchen  ,, unbefruchteten"  Eiern  vor,  dass 
sie  überhaupt  in  jeder  ihnen  gegebenen  Stellung  sich  schwim- 
mend erhielten;  [ihr  Schwerpunct  lag  also  im  Centrum  des  Eies]. 

Die  später  gefurchten  Eier  gehörten  sämmtlich  derRana  ,,f  usca" 
an  und  hatten  anfangs  eine  Neigung  ihrer  Eiaxen  von  ca.  90°,  60°, 
50*^,  50«,  30^  20°,  20°,  20°;  sie  veränderten  ihre  Neigung  schon 
13  bis  30  Minuten  nach  der  Besamung,  einmal  erst  nach  90  Minuten, 
und  zwar  um  zur  ,,senkrech'ten"  Einstellung  der  Eiaxe  über- 
[13]  zugehen,  welche  meist  in  Zeit  von  ein  bis  zwei  Stunden, 
also  noch  vor  der  Copulation  der  beiden  Pronuclei  erreicht 


[1)  Ueber  das  Principielle  solcher  Aenderungen  siehe  M.  Verworx,  die  Fähig- 
keit der  Zelle,  activ  ihr  specifisches  Gewicht  zu  verändern.  Arch.  f.  d.  ges.  Physiol. 
Bd.  53.  1892.  S.  141.  Hier  dagegen  beruht  die  Aenderung  wohl  wesentlich  auf  verstärkter 
Ansammlung  des  Bildungsdotters   an   einer  (vorher  bestimmten?)  Stelle,   s.  S.  295]. 

19* 


292  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


war.  Diese  Einstellung  erfährt  dann,  wie  nach  den  Beobach- 
tungen an  in  Wasser  befindlichen  Eiern  zu  schliessen  ist,  auch 
während  der  Furchung  keine  Aenderung  mehr. 

Ich  hatte  bei  der  Verwendung  der  Ranae  fuscae  gehofft,  dass 
sich  unter  den  vielen  Eiern  auch  einige  mit  dauernder  Schiefstellung 
der  Eiaxe  finden  würden,  da  ich  solches  Verhalten  im  vorigen  Jahre 
einige  Male  beobachtet  hatte  [s.  S.  257].  Diese  würden  dann  statt 
der  Eier  von  Rana  esculenta,  von  denen  wegen  ihrer  grossen  Em- 
pfindlichkeit gegen  Schädlichkeiten  sich  leider  keines  gefurcht  hat, 
haben  erkeimen  lassen,  ob  die  schiefe  Einstellung  nach  der  ersten 
Furche  mit  derjenigen  vor  derselben  identisch  ist. 

Das  Genauere  der  stattgefundenen  Eibewegungen  ist  nicht  leicht 
aus  den  Diagrammen  der  einzelnen  Einstellungen  zu  entnehmen.  Ich 
bediente  mich  zu  diesem  Zwecke  einer  zur  Hälfte  geschwärzten  AVachs- 
kugel,  an  welche  für  jedes  einzelne  Ei  ein  Holzstäbchen,  entsprechend 
der  Stellung  des  Haares  am  Ei,  angedrückt  wurde,  so  dass  durch 
Nachahmung  der  aufgezeichneten  Einstellungen  blosse  Drehungen  des 
Eies  durch  äussere  Kräfte,  Verschiebungen  desselben  innerhalb  der 
Gallerthülle,  und  Drehungen  des  Eies  durch  Verlagerung  des  Schwer- 
punctes  auseinandergehalten  werden  konnten.  Die  letzteren  zerlegte 
ich  der  Uebersicht  wegen  in  Stellungsänderungen  eines  charak- 
terisirten  Eidurchmessers,  der  Eiaxe,  und  in  Umdrehungen  um 
diesen  Durchmesser.  Es  zeigte  sich,  dass  mit  dem  üeb er- 
gang der  anfangs  schrägen  Eiaxe  zur  senkrechten  Ein- 
stellung bei  Rana  fusca  zugleich  mehr  oder  weniger  grosse 
Umdrehungen,  im  Maximum  von  100°,  um  die  Eiaxe  ver- 
bunden waren,  einBeweis,  dass  nicht  eine  einfache  Senkung 
des  unteren  Endes  der  Eiaxe  auf  dem  nächsten  Wege  stattfand. 

Die  in  Samenflüssigkeit  befeuchteten  Eier,  welche  sich 
nicht  furchten,  l)oten  ehi  sehr  verschiedenes  Verhalten  dar,  welches 
indess  wohl  mit  Recht  auf  die  beiden  bisher  kennen  gelernten  Fälle 
zurückgeführt  werden  muss.  18  von  39  Eiern  [14]  änderten  nämlich 
ihre  Einstellung  mehrere  Stunden  lang  gar  nicht,  verhielten  sich  so- 
mit ganz  wie  unbefruchtete  Eier.  Da  wir  nun  in  der  Gummilösung 
eine  Schädlichkeit  kennen  gelernt  haben,  und  da  die  bezüglichen  Eier 


I.    Früheste  Zeit  der  Bestiniiiumg  dn-  U'iclitiui;;  der  Modiiuiobcne.  293 

immer  die  letzten  jeder  \Vr8Uchsserie  bildeten,  wo  dei'  iSamen  schon 
gelitten  hatte,  so  ist  die  Annahme  wohl  znlässii>-,  dass  diese  VAev 
überhaupt  nicht  befruchtet  worden  waren. 

Die  übrigen  Eier  änderten  ihre  Einstellung,  doch  zumeist  erst 
nach  ein  bis  zwei  Stunden,  nur  eines  schon  nach  32  Minuten.  Die 
Neigung  der  Eiaxe  wurde  zumeist  vermindert,  bei  R.  t'usca  manch- 
mal bis  zur  senkrechten  Einstellung,  bei  R.  esculenta  dagegen  weniger; 
zugleich  fanden  häufig  60—80"  betragende  Umdrehungen  um  die 
Axe  statt,  so  dass  sich  ein  anderer  Meridian  nach  oben  einstellte  als 
anfangs.  Das  Verhalten  war  also  wesentlich  wie  bei  den  sich  furchen- 
den Eiern.  Nur  eine  unvollkommene  Wirkung  der  Befruch- 
tung machte  sich  dadurch  bemerkbar,  dass  sich  die  Eiaxe n  der 
Ranae  fuscae  meist  nicht  bis  zur  senkrechten  Einstellung 
drehten;  und  ausserdem  fällt  die  Verzögerung  in  dem  Beginne 
der  inneren  Umordnungen  auf.  Letztere  ist  indess  vielleicht 
einfach  aus  der  Schwächung  der  Samenkörper  und  dem  dadurch  ver- 
zögerten Eintritt  des  Samenkörpers  in  das  Ei  erklärbar,  oder  w^enn 
die  darauf  gerichtete  weitere  Untersuchung  dies  nicht  bestätigen  sollte, 
auf  eine  schwächere  Wirkung  und  langsameres  \'^ordringen  des  Samen- 
körpers innerhalb  des  Eies  zurückzuführen. 

Umgekehrt  ist  bei  den  sich  furchenden  Eiern  der  baldige  Ein- 
tritt der  Stellungsänderung  schon  15  Minuten  nach  dem  Einlegen  in 
Samen  auffällig,  da  O.  Hertwig  ^)  die  Samenthierchen  erst  eine  Stunde 
nach  dem  Einlegen  in  den  Samen  durch  die  dicke  Gallerthülle  hin- 
durch und  oben  in  das  Ei  eingedrungen  vorgefunden  hat^).  Man 
könnte  danach  mit  Kupffer  und  Benegke ^)  annehmen,  dass  schon  par 
distance  eine  alterirende  Wirkung  zwischen  Spermato- 
zoon und  Ei  stattfinde,  oder  aber  dass  je  nach  Umständen,  viel- 
leicht bei  [15]  etwas  höherer  Temperatur  (?),  die  Samenkörner  rascher 


1)  0.  Hertwig,  Beitr.  zur  Kenntn.  d.  Bildung,  Befruchtung  und  Theilung  des 
thierischen  Eies.     Theil  II.    Morph.  Jahrb.  III,  S.  46,  1877. 

[2)  Newport  (Philos.  Transact.  Roy.  Soc.  Bd.  144,  S.  229,  1854)  gieht  an,  dass 
erst  30  Minuten  nach  der  Befruchtung  der  Samen  die  Gallerthülle  des  Froscheies  durch- 
setzt habe.] 

iä)  Kupffer,  C.  und  B.  Beneckk,  der  Vorgang  der  Befruchtung  am  Ei  der  Neun- 
augen.    Königsberg  1878. 


294  Nr.  20.   Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


die  Hülle  durchdringen,  oder  dass  das  Durchdringen  der  Eirinde 
selber  vom  Momente  der  Berührung  des  Eies  an  längere  Zeit  in  An- 
spruch nimmt.  So  lange  erneute  Versuche  die  letzteren  Eventuali- 
täten nicht  direct  widerliegen,  wird  man  ihnen  wohl  den  Vorzug  zu 
geben  haben.  Von  hohem  Interesse  bleibt  jedenfalls,  dass  wenn 
nicht  schon  früher  so  bereits  von  der  ersten  Berührung 
zwischen  Samenkörper  und  Ei  an  solche  Substanzumord- 
nungen  vor  sich  gehen;  und  somit  schon  eine  erhebliche  ge- 
staltende Wirkung  des  Samenkörpers  auf  das  Ei  statt- 
findet, ehe  noch  die  Copulation  der  Kerne  sich  vollzogen 
hat,  welche  nach  0.  Hertwig')  erst  eine  bis  ein  und  eine  halbe  Stunde 
später  vor  sich  geht. 

Ob  man  diese  Gestaltung  bereits  als  eine  „befnieliteiide" 
Wirkung-  bezeichnen  will,  wird  davon  abhängen,  was  man  eigent- 
lich unter  Befruchtung  zu  verstehen  hat,  wovon  wir  leider,  abgesehen 
von  den  sichtbaren  morphologischen  Vorgängen  der  Copulation,  nocii 
keine  specielle,  irgendwie  durch  Gründe  vor  anderen  Möglichkeiten 
bevorzugte  Vorstellung  haben.  Ich  bin  aber  dafür,  dass  jede  ge- 
staltende Wirkung,  wie  überhaupt  jede  Wirkung  des  Samen- 
körpers auf  dasEi,  als  eine  „befruchtende"  zu  bezeichnen 
ist,  welche  eine  normale  Bildung  des  Embryo  oder  die 
nothwendige  Vorstufe  einer  solchen  darstellt. 

Die  Art  der  Entstehung  dieser  Wirkung  angehend,  so  kann, 
nach  der  Lage  der  Pigmentstrasse  des  Samenkörpers  im  Eie  (van 
Bambeke,  G.  Born)  zu  schliessen,  da  derselbe  zwar  an  verschiedenen 
Stellen  des  schwarzen  Poles  eindringt,  aber  sich  dann  nach  der  Eiaxe 
hin  bewegt,  diese  Umordnung  der  Eisubstanzen  vielleicht  mit  dem 
Samenkörper  setber,  etwa  mit  einer  Gruppirung  des  specifisch 
leichteren  Bildungsdotters  um  den  Samenkörper  in  Zusammen- 
hang gebracht  werden;  eine  Auffassung,  welche  jüngst  von  O.  Hertwig 
(loco  cit.)  auf  Grund  von  vorliegenden  Beobachtungen  an  Fischeiern 
und  an  den  Eiern  Wirbelloser  näher  begründet  worden  ist. 


I 


1)  0.  Hertwig.     Welchen  Einfiuss    übt   die  Schwerkraft   auf   die  Theilung  der 
Zellen?  .Jena  1884,  S.  16. 


I.    Früheste  Zeit  der  Bestimmung  der  Kichtung  der  Medianebene.  295 

Bezüglich  der  momentanen  Conla  et  wirkling  zwischen 
Ei  und  Samen  ist  ein  Analogen  aus  dem  ßereicho  chemischer  [16] 
Veränderungen  zu  erwähnen,  darin  bestehend,  dass  nach  van  Beneden  ^) 
das  Spermatozoon  der  Ascaris  megalocephala  in  dem  Momente  der 
Berührung  mit  dem  Ei  schon  sich  derart  chemisch  verändert,  dass 
es  mit  Carmin  färbbar  wird. 

Wenn  nun  auch  gerade  die  Eier  von  Rana  esculenta,  die  wegen 
der  schiefen  Stellung  der  Eiaxe  für  uns  besonderes  Interesse  besitzen, 
sich  nicht  gefurcht  haben,  so  dürfen  wir  doch  wohl  annehmen,  dass 
sie  sich  im  Falle  der  Furchung  nicht  in  der  Weise  anders  verhalten 
haben  würden,  dass  sie  sich  etwa  gleich  den  unbefruchteten  Eiern 
gar  nicht  gedreht  hätten,  da  doch  immer  die  ersten  befruchteten,  wenn 
auch  nicht  gefurchten  Eier  jeder  Serie  sich  gedreht  haben.  So- 
mit können  wir  also  auch  für  Rana  esculenta  das  an  den  Eiern  der 
Rana  fusca  vollständig  beobachtete  Resultat  aussprechen,  dass  die 
vor  der  Befruchtung  bestehende  Neigung  der  Eiaxe  und 
Einstellung  des  obersten  Meridianes  in  der  Regel  nach 
der  Befruchtung  nicht  erhalten  bleibt.  Es  stellt  also  diejenige 
physiologische  schiefe  Einstellung  des  Eies  von  Rana  esculenta,  welche 
für  die  Lage  der  ersten  Furche  und  damit  der  Medianebene  des  Emhryo 
am  Eie  bestimmend  wird,  sich  erst  während  der  Befruchtung  her 2). 
(Weiteres  s.  Nr.  21,  S.  63.) 


ii  Ed.  van  Beneden.  Recherches  sur  la  maturation  de  l'oeuf  et  la  Fecondation 
Arcli.  de  Biologie  1883,  T.  IV.     Auch  separat  erschienen.     Leipzig  1883. 

[-)  Zu  dieser  Verlegung  des  Schwerpunctes  genügt  schon  das  Vermögen, 
den  Bildungsdotter  unter  den  schwarzen  Theil  der  Eirinde  zu  sammeln. 
Wenn  dies  auf  allen  Seiten  gl  eich  massig  geschieht,  so  muss  der  Schwerpunct 
in  die  „  Eiaxe  "  fallen,  da  diese  ja  blos  die  mittlere  Verbindungslinie  der  schwarzen 
und  weissen  Eirinde  darstellt.  Ist  diese  Ordnung  nicht  auf  allen  Seiten  gleich- 
massig,  so  resultirt  eine  entsprechende  seitliche  Verlagerung  des  Schwerpunctes 
von  der  Eiaxe  und  damit  eine  entsprechende  Schiefstellung  der  letzteren.  Diese 
Verhältnisse  lassen  sich  also  sehr  leicht  ableiten.  Doch  scheint  bei  der  Rana  escu- 
lenta sich  auf  der  einen  Seite  eine  besonders  beschaffene  Substanz  zu  sammeln 
rs.  Nr.  21.  S.  163  Anm.  und  198). 

Bei  Rana  fnsca  können  wir  also  sagen:  Die  typische,  um  die  Eiaxe 
nach  allen  Richtungen  dem  specifischen  Gewichte  nach  gleiche  An- 
ordnung der  Dottersubstanzen  des  unbefruchteten  Eies  wird  erst 
durch   die  „  V orwi rkung  "    der  Besamung  her-  resp.  wieder  hergestellt. 

An  Teleo  stier  eiern   sehen  wir  die  Keim  Scheibe  erst  längere  Zeit  nach 


296  Nr.  20.   Bestimmung  der  Hauptriclitungen  des  Embryo  etc. 


Die  Stellungsänderungen  sowohl  der  Eiaxe  wie  des  obersten 
Meridianes  waren  bald  gross,  bald  gering  und  standen  beide  in  keiner 
Constanten  Beziehung  ihrer  Grösse  zu  einander;  es  steht  daher  auch 
der  Annahme  nichts  im  Wege,  dass  eimnal  blos  eine  Neigungsände- 
rung der  Eiaxe  oder  auch  diese  nicht  eintritt,  trotz  stattgehabter  Be- 
fruchtung. 

Was  dürfen  wir  aus  diesem  Ergebniss  bezüglich  unserer  Frage 
nach  der  Zeit  der  Bestimmung  der  Richtungen  schliessen?  Hätte 
sich  gezeigt,  dass  die  Eieinstellung  vor  und  nach  der  Befruchtung 
ganz  dieselbe  bleibt,  so  konnte  positiv  abgeleitet  werden,  dass  das 
Dorsal  und  \^entral  des  künftigen  Embryo  schon  am  unbefruchteten 
Eie  fest  bestimmt  sind.  Bei  dem  negativen  Ergebniss  hin- 
gegen ist  in  dieser  Hinsicht  kein  sicherer  Schluss  zuziehen. 
Denn  wenn  wir  auch  gesehen  [17]  haben,  dass  das  leichteste  resp. 
schwerste  Material  des  Eies  sich  während  der  Befruchtung  an  einer 
anderen  Stelle  sammelt  als  vor  derselben,  so  wissen  wir  doch 
nicht,  ob  nicht  diese  Stelle  schon  vorher  bestimmt  war.  Letz- 
teres ist  bezüglich  der  Anordnung  des  Materials  zur  Eiaxe  bei  li. 
fusca  sogar  evident  der  Fall,  da  sich  hier  der  Schwerpunct  in  die  Ei- 
axe einstellte  oder  doch  mit  wenigen  Ausnahmen  ihr  entschieden  zu- 
strebte. Man  kann  daher  mit  gutem  Grunde  die  Vermuthung  äussern, 
dass  diese  Umordnung  vielleicht  blos  die  Wiederherstellung 
der  eigentlichen  natürlichen  Anordnung  der  Eisubstanzen 
sei;  denn  eine  Ursache,  welche  vor  der  Befruchtung  das  Material 
aus  seiner  natürlichen  Ordnung  zu  bringen  strebt,  ist  fast  bei  allen 
Eiern  vorhanden,  da  die  Eier  im  Eierstock  und  Uterus  sich  in 
Zwangslage   befinden,   dabei  aber  mit  ihren  Eiaxen  fast  beliebig. 


der  Befruchtung  sichtbar  werden;  indem  sich  das  vorher  vertheilte  Proto- 
plasma gegen  eine  Stelle  der  Peripherie  zusammenzieht.  Dasselbe  geschieht,  wie  ich 
fand,  auch  erheblich  eher  nach  der  Befruchtung  als  normal  (auch  ohne 
Befruchtung?),  in  Folge  von  electrischer  Reizung  des  Eies  (s.  Nr.  25, 
S.  105) ;  es  besteht  somit  auch  hier  eine  Prädisposition  zur  Ansammlung  des  Bil- 
dungsdotters an  einer  Stelle;  doch  wissen  Avir  nicht,  ob  hier  diese  Stelle  etwa  erst 
durch  die  Befruchtung  bestimmt  wird.  Beim  Frosch  dagegen  ist  diese  Stelle  schon 
vorher  durch  die  braune  Rinde  der  Hauptsache  nach  gegeben;  doch  kommt  daneben 
auch  der  Befruchtung  noch  ein  ordnender  EinHuss  zu  (s.  Nr.  21,  S.  204)]. 


1.    Früheste  Zeit  der  Bestinuming  der  liicbtuug  der  Mediauobene.  297 

nur  mit  einem  kaum  sicher  feststellbaren  Ueberwiegcn  der  Abwärts- 
wendung der  weissen  Pole  durcheinander  gerichtet  sind  und  bereits 
aus  ungleich  schwerem  Material  zusammengesetzt  werden.  Ich  habe 
in  Beitrag  2  (s.  S.  260)  mitgetheilt,  dass  selbst  um-oife  Eier  von 
erst  der  halben  natürhchen  Grösse  sich  beim  Schwimmen  in  Wasser- 
glas mit  dem  weissen  Pole  nach  unten  einstellen,  und  dass  dasselbe 
auch  mit  jedem  behebigen  Stückchen  des  Eies,  welches  schwarze  und 
weisse  Substanz  enthält,  der  Fall  ist.  Diese  ungleich  schweren 
JMaterialien  müssen  daher  bei  Zwangslage  der  Eier  in  schräger  Stel- 
lung der  Axe  eine  Neigung  haben,  sicli  nach  der  Schwere  zu  ordnen ; 
dieses  könnte  um  so  vollkommeuer  vor  sich  gehen,  als  das  Weibchen 
vor  der  Befruchtung  Tage  lang  ruhig  sitzt. 

Es  müssen  somit  im  Eie  Kräfte  wirksam  sein,  welche 
schon  zur  Zeit  der  typischen  Ordnung  der  ungleich  schweren 
Substanzen  ,,der  Schwere  entgegen"  diese  Ordnung  herstellen 
und  danach  sie  erhalten.  Diese  Kräfte  wirken  voraussichtlich  auch 
während  der  Lagerung  der  Eier  im  Uterus  noch ;  sie  sind  aber  vielleicht 
gegenüber  der  stetig  in  derselben  Richtung  umordnenden  Tendenz 
der  Schwere  nicht  ganz  zureichend.  Dieselben  erfahren  wohl,  nach 
den  mitgetheilten  Versuchen  zu  schliessen,  während  der  Befruchtung 
eine  Steigerung^);  [18]  diese  Steigerung  ist  indess  ihrerseits  wieder, 
wie  wdr  aus  Born's  Beobachtungen  über  die  inneren  Strömungen  bei 
Zwangslage-)  ersehen,  keineswegs  ausreichend,  um  das  Material  bei 
jeder  Stellung  der  Eiaxe  in  normaler  Anordnung  zu  erhalten.  Die 
active  Ordnung  des  Materiales  während  der  Befruchtung, 
welche  zugleich  mit  Erhöhung  der  Ungleichheiten  des  specifischen 
Gewichtes  verbunden  ist ,  1j  r  a  u  c  h  t  e  i  m  M  i  n  i  m  um  b  1  o  s  in 
einer  Sammlung  der  gleichartigen  Substanzen  zu  bestehen 
und  so,   vielleicht   entsprechend   dem  Verhalten   bei  Pana  esculenta, 

[1)  Andererseits  ist  auch  vielleicht  das  protoplasmatische  Gerüst  des  unbe- 
fruchteten Eies  noch  etwas  weniger  weichtiüssig,  als  nach  seiner  Anregung  zur 
Thätigkeit  im  befruchteten  Eie,  sodass  aus  diesem  Grunde  trotz  der  tage-  ja  wochen- 
langen Zwangslage  nicht  annähernd  so  hochgradige  Störungen  im  Innern  entstehen, 
wie  sie  im  befruchteten  Eie  bei  gleicher  Lage  innerhalb  weniger  Stunden  stattfinden 
(s.  Nr.  21,  S.  179).] 

ä)  G.  BoRX.  üeber  den  Einfluss  der  Schwere  auf  das  Froschei.  Breslaucr 
ärztl.  Zeitschr.  Nr.  8.    1884. 


298  Nr.  20.   Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


keine  besonders  hervortretende  Tendenz  lial)eii,  den  Schwerpnnct 
gerade  in  die  Eiaxe  zu  verlegen.  Da  letzteres  aber  bei  Rana 
fusca  ausgesprochen  der  Fall  ist,  muss  hier  eine  besondere  Prädis- 
position dazu  vorhanden  sein,  welche  entweder  schon  als  solche  im 
unbefruchteten  Eie  angelegt  sein  muss,  oder  vielleicht  zunächst  mit 
der  Neigung  des  in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung  vom  oberen 
Pole  eindringenden  Samenkörperchens,  gegen  die  Eiaxe  vorzudringen, 
in -Zusammenhang  steht;  wobei  aber  wieder  die  Ursache  des  letzteren 
Verhaltens  eine  frühere  selbstständige,  oder  erst  durch  die  Normirung 
der  Stellung  des  weibhchen  Pronucleus  gegebene  sein  muss. 

Es  ist  wohl  überflüssig,  besonders  zu  erwähnen,  dass  die  Lage- 
ander  u  n  g  d  e  s  S  c  h  w  e  r  p  u  n  c  t  e  s,  Avelche  zu  den  beobachteten  Stellungs- 
änderungen des  Eies  Veranlassung  gegeben  haben,  nicht  durch  die 
,, Schwerkraft",  sondern  „entgegen"  derselben  stattgefunden 
haben.  Die  Kraft,  mit  welcher  sie  vor  sich  gehen,  lässt  sich  leicht  für 
jedes  Ei  aus  dem  Moment  des  Auftriebes  einer  nn  das  Ei  angehängten, 
geeignet  grossen  Luftblase  berechnen,  welche  so  situirt  ist,  dass  sie 
das  Ei  zu  seiner  Ausgangsstellung  zurückführt.  Diese  Grösse  ist  nach 
einigen  im  vorigen  Jahre  angestellten,  allerdings  noch  sehr  ungenauen 
Versuchen,  ziemhch  erhebhch,  wenn  schon  sie,  wie  erwähnt,  nicht 
ausreichend  ist,  um  bei  schräger  Zwangslage  der  Eiaxe  die  innere 
Ordnung  aufrecht  zu  erhalten. 

Durch  diesen  Befund  wird  das  Resultat  des  Beitrages  2  (s.  S.  271),  dass 
die  Entwickelung  ohne  die  Schwerkraft  stattfinden  [19]  kann,  dahin 
erweitert,  dass  die  ersten  Entwickelungs Vorgänge  die  ord- 
nende Wirkung  der  Schwerkraft  innerhalb  gewisser 
Grenzen  dir e et  zu  überwinden  und  in  einer  der  Wirkung 
dieser  Kraft  entgegengesetzten  Weise  vor  sich  zu  gehen 
vermöQ'en. 


II.   Uel)er  die  „Ursache"  der  Bestimmung-  der  Riclitung-  der 

^[ediaiiebeiie. 

Da  die  vorstehend   mitgetheilten  Versuche  die  Frage ,    von  wel- 
cher wir  ausgingen,  nicht  zu  entscheiden  vermocht  hatten,  versuchte 


II.  Ueber  die   „Ursache"  der  ßesthnmung  der  Richtung  der  Medianebenc.       299 


ich  es,  direct  zu  ermitteln,  ob,  entsprechend  einer  schon  in  meiner 
ersten  bezüglichen  Arbeit  (s.  S.  121)  geäusserten  Vermuthung,  der 
Samenkörper  zugleich  mit  der  Copulationsrichtung  die 
Richtung  der  ersten  Theilung  zu  bestimmen  vermöge. 

Man  könnte  geneigt  sein,  in  diesem  Sinne  bereits  eine  sehr  sorg- 
fältige Beobachtung  L.  Auerbach's')  zu  verwerthen.  Dieser  Forsclier 
hat  festgestellt,  dass  bei  Ascaris  nigrovenosa  das  Samenkörperchen 
immer  an  dem  dem  Uterus  zugewendeten  Pole  des  ovalen  Eies  ein- 
dringt, dass  die  Copulation  beider  Pronuclei  in  der  Längsaxe  des  Eies 
erfolgt,  worauf  eine  Drehung  des  Conjugationskernes  um  90°  statt- 
findet, nach  welcher  dann  Kern  und  Zellleib  sich  rechtwinkelig  zur 
Längsaxe  theilen.  Die  Theilung  des  conjugirten  Kernes  erfolgt  somit 
stets  rechtwinkelig  zur  Copulationsrichtung  der  beiden  Pronuclei.  Aber 
beide  Acte  sind  hier  in  ihrer  Richtung  schon  am  unbefruchteten  Ei 
durch  die  Längsaxe  des  Eies  fest  bestimmt,  so  dass  wir  nicht  wissen 
können,  ob  nicht  dies  erstere  Verhältniss  blos  als  in  Abhängigkeit 
von  Wirkungen  des  länglich  gestalteten  Zellleibes  stehend 
aufzufassen  und  damit  bereits  vor  der  Befruchtung  normirt  ist.  Durch 
solchen  Einfluss  des  Dotters  müssen  wohl  auch  die  conju- 
girten Kerne  während  ihrer  Conjugation  die  Drehung  um 
90°  erfahren. 

Die  Entscheidung  unseres  Problems  k  a  n  n  n  u  r  a  n 
einem  Eie  gewonnen  werden,  bei  welchem  die  Copulations- 
richtung frei  vom  Experimentator  bestimmt  werden  kann,  und  wo  die 
Furchungskern-  und  erste  Dottertheilung  in  constanter 
Beziehung  zu  dieser  ,, willkürlich  gewählten"  Copu- 
lationsrichtung erfolgt;  oder  wo  [20]  dies  wenigstens  bezüg- 
lich der  Theilung  des  Furchungskernes  der  Fall  ist,  wenn 
auch  vielleicht  schon  bald  nach  dem  erkennbaren  Bestimmtsein  der 
letzteren  die  ganze  Kernspindel  durch  den  Dotter  soweit  gedreht  wird, 
dass  die  Kerntheilungsebene  mit  der  schon  prädestinirten  Dotter- 
theilungs ebene  zusammenfällt.  In  diesem  letzteren  Falle  würde  dann 
blos  die  Richtung  der  Kerntheilung  von  der  Conj  ugations- 


1)  L.  Auerbach.     Organologische  Studien,  1874,  Abschnitt  111,  S.  212. 


300  Nr.  20.    Bestimmung  der  Haiiptrichtungen  des  Embryo  etc. 


rieh  tu  11g  abhängig  sein,  was  aber  immerhin  von  grosser  Bedeutung 
wäre,  da  wir  in  dem  Kerne  die  Hauptqualitäten  der  Entwicke- 
lungsf  ähigkeit  zu  vermuthen  haben.  Letzteres  ist  der  Grund, 
warum  wir  der  Feststehung  der  Bestimmungsursachen  dieser  Richtung 
besondere  Aufmerksamkeit  widmen,  obgleich  es  denkbar  ist,  dass  sie 
als  die  erste  Richtung,  nach  welcher  die  späteren  gerichteten  Vor- 
gänge sich  in  gesetzmässiger Weise  zu  orientiren  haben,  vielleicht  ge- 
rade, gleich  der  Wahl  eines  Coordinatensystemes,  in  ihrer  eigenen 
Bestimmung  am  meisten  variabel,  von  zufälligen  Neben- 
umständen abhängig  sein  kann.  Dies  würde  dann  bedeuten, 
dass  von  diesem  ersten  gerichteten  Geschehen  aus  die 
späteren  Vorgänge  erst  bestimmt  werden.  Umgekehrt  aber 
könnten  auch  Massenanordnungen,  welche  die  Richtungen  der  Dotter- 
theilungen  bestimmen,  schon  mehr  oder  weniger  im  unbefruchteten 
Eie  präexistiren  und  daher  auch  die  erste  Theilungsrichtung  schon 
ziemlich  genau  im  Voraus  bestimmen. 

Um  den  eventuellen  ImhAuss  des  Samenkörpers  auf  die  Be- 
stimmung der  uns  noch  fehlenden  Richtungen  des  Embryo  direct  zu 
prüfen,  machte  ich  Versuche  mit  künstlicher  ^)  ,,localisirter  Be- 
fruchtung" am  Froschei,  indem  ich  mit  einer  feinst  ausge- 
zogenen Glascanüle  Samen  in  die  Gallerthülle  nahe  dem 
Aequator  injicirte.  Dies  geschah  in  der  Absicht,  den  Sperma- 
tozoen  an  der  betreffenden  Stelle  einen  ^^orsprullg  zu  verschaffen, 
so  dass  die  Befruchtung  des  Eies  von  diesem  bekannten  Meridiane 
aus  erfolgen  musste.  Damit  sich  der  Samen  innerhalb  der  Hülle 
nicht  auf  dem  Ei  ausbreiten  könne,  wurden  die  Eier  sehr  trocken 
gehalten.  Der  Versuch  war  nur  bei  R.  fusca  mit  Aussicht  auf 
Erfolg  ausf ülir])ar,  da  wir  nur  hier  durch  senkrechte  Aufstellung 
des  Eies  die  natürliche  Lage,  welcher  das  Innere  zustrebt,  künstlich 
herstellen  können;   während   l)ei  Eiern   mit  normaler  Weise  schiefer 


[1)  Da  beim  Froschei  die  Befruchtung  normaler  Weise  blos  durch  ein  einziges 
Spermatozoon  bewirkt  wird,  so  ist  seine  normale  Befruchtung  also  überhaupt  eine 
Jocalisirte".  Das  Wesen  der  künstlichen  localisirten  Befruchtung  besteht  danach 
darin,  dass  wir  nach  unserem  Belieben  den  Meridian  bestimmen,  von  dem  aus  die 
Befruchtung  stattfindet.] 


Wirkung  der  Scliwerkratt  auf  die  Eiiistolhnij?  der  KcnispiiuleJ.  301 

Einstellung  der  Eiaxe  uns  die  speeielle  nalürliclie  JMnstelluno-  unbe- 
[21]  kannt  ist,  und  daher  jede  von  _uns  gegebene  Lage  meist  eine 
Zwangslage  sein  wird.  Dabei  gerätli  das  Samenthierchen  hcäufig  in  die 
unter  solchen  Umstcänden  entstehende,  von  Bohn  nachgewiesene  innere 
Strömung  und  erfährt  so  eine  uns  nicht  bekannte  Richtungsänderung. 
Ich  erwartete  nun,  dass  vielleicht  die  erste  Furche  immer  in 
dei-selben  Weise  zu  diesem  Befruchtungsmeridiane,  entweder  recht- 
winkelig zu  ihm  oder  in  ihm  selber  liegen  werde,  und  dass  letzteren 
Falles  immer  dieselbe  Seite  des  Embryo  an  der  Eintrittsseite  des 
Samens  in  das  Ei,  die  dorsale  oder  ventrale  Seite  sich  entwickeln 
werde,  woraus  dann  ein  bestimmter  Schluss  hätte  gezogen  werden 
können.  Es  furchten  sich  aber  von  sehr  vielen  so  behandelten  Eiern 
nur  vereinzelte  und  bei  diesen  war  bis  jetzt  keine  Beziehung  der 
ersten  Furche  zu  dem  vermuthlichen  Befruchtungsmeridian  zu  er- 
kennen. Erneute,  analytische  Versuche  mit  microscopischer  Prüfung 
der  Sicherheit  der  Methode  in  Bezug  auf  den  Ort  der  Befruchtung 
und  auf  die  Bahn  der  Spermatozoen  im  Eie  werden  vielleicht  soviel 
Aufschhiss  ergeben,  um  nach  positiver  oder  negativer  Seite  hin  einen 
sicheren  Schluss  zu  gestatten.  Wenn  indess  mit  dieser  Methode  kein 
sicherer  Auf  schluss  zu  gewinnen  ist,  so  werde  ich  mich  bestreben, 
die  Entscheidung  an  durchsichtigen  runden  Eiern  ohne  ]\Iicrophyle 
zu  gewinnen^) 

III.    Sonstige  Momeute,   welche   die  Iliclituiig-  der  ersten  Fiirehc  und 
damit  die  Richtung-  der  Medianebene  des  Embryo  beeinflussen  können. 

a)  Bezüglich  der  Wirkung  der  S c h w e r e  gilt  als  Regel,  dass 
die    erste    Furche    sowohl    bei    physiologischer    Einstellung    wie    bei 

1)  Die  diesjährigen  (1885)  Versuche  an  Rana  fusca  scheinen  bereits  die  obige 
Vermuthung  zu  bestätigen.  Die  erste  Furche  und  mit  ihr  die  3Iedianebene  des 
Embryo  ging  bei  senlirecht  stellender  Eiaxe  in  öO  von  60  Fällen  durch  die  von 
mir  gewählte  Eintrittsstelle  des  Samens  in  das  Ei,  und  die  Seite  dieser  Ein- 
trittsstelle Avurde  in  10  von  11  Fällen  zur  ventralen  [richtiger  caudaleu]  Seite  des 
Embryo.  Genaueres  über  diese  fundamentale  Beziehung  wird  in  einem  Nachtrage 
mitgetheilt  werden  (s.  Nr.  21). 

[Die  vorliegende  Abhandkmg  war  auf  Grund  der  Versuche  des  Jahres  1884  ver- 
fasst  worden  (s.  S.  304)  und  nur  einige  Ergebnisse  der  Laichperiode  des  Jahres  1885 
konnten  während  des  Druckes  noch  aufgenommen  werden.] 


302  Nv.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Zwangslage  senkrecht  steht.  Doch  ist  es  werthvoll  für  manche 
Schlüsse,  zu  beachten,  dass,  wie  ich  sah,  dies  bei  Zwangslage 
nicht  ausnahmslos  richtig  ist,  indem  unter  diesen  Umständen  die  erste 
Furche  nicht  selten  stark  [22]  geneigt,  ja  sogar  manch- 
mal wagerecht  orientirt  ist;  zugleich  schneidet  sie  dabei 
häufig  nur  ein  kleines  Stück  des  Eies  ab,  statt  dasselbe  zu  halbiren. 
Solches  Vorkomraniss  zeigte  sich  besonders  bei  Rana  esculenta  gegen 
Ende  der  Laichperiode  und  alsdann  manchmal  an  fast  allen  Eiern 
eines  Weibchens  und  auch  bei  nur  sehr  geringem  Zwange,  sodass 
normale  Furchungen  nur  vereinzelt  vorkamen.  Die  meisten  dieser 
sich  so  abnorm  verhaltenden  Eier  bildeten  blos  diese  erste  Furche 
oder  höchstens  noch  unregelmässige  Bruchstücke  der  zweiten  Furchung. 
Es  wird  von  hohem  Interesse  sein,  solche  Eier  genauer  zu  unter- 
suchen und  zu  ermitteln,  warum  die  erste  Furche  sich  nicht  senk- 
recht stellte.  Ich  hoffe,  an  solchen  Eiern  die  Entscheidung  gewinnen 
zu  können,  ob  die  Kernspindeln  für  sich  einem  richtenden 
Einfluss  der  Schwere  unterliegen  ;  wenn  schon  dies  nur 
ein  accessorisches  Moment  sein  könnte,  da,  wie  ich  gezeigt 
habe,  die  Entwickelung  auch  olme  jede  richtende  Wirkung  dei-  Schwere 
normal  verläuft. 

b)  Wirkung  der  Deformation   der  Eier  auf  die  Theilungs- 

richtung. 

Weiter  unten  mitzutheilende  electrische  Versuche  veranlassten 
mich,  Eier  in  möglichst  enge  Glasröhren  zu  aspiriren.  Bei 
dieser  Gelegenheit  beobachtete  ich  ein  höchst  auffallendes  Verhalten 
schon  in  dem  nicht  electrisirten  Theile  der  Röhren.  Zunächst  die 
Gestaltverhältnisse  der  so  behandelten  Eier  angehend ,  so  blieb  ein 
grosser  Theil  der  Eier  kugelig,  ein  anderer  Theil  wurde  in  Richtung  der 
Röhre  verlängert,  manchmal  bis  über  das  Doppelte  des  Querdurch- 
messers; andere  Eier  waren  in  Richtung  der  Röhre  linsenförmig  ab- 
geplattet, wieder  andere  hatten  Kegelgestalt  erhalten.  Trotz  dieser 
verschiedenen  Gestalt  theilteu  sich  fast  alle  Eier  zuerst 
quer  zur  Röhre,  so  dass  die  verlängerten  Eier  ihrer  klein- 


Wiikuni;-  der  Deformation  der  Kier  ;iuf  die  'riioilungsrichtuiiu;.  303 

sten  und  oiii  Tlieil  der  liiiscii  U')rn\  i-;-oii  Kicr  ihrer  ,,grüssteii" 
Durchschnittst' lache  nach  hal  hirt  wurden. ')  Ikn  nur  wenigen 
Eiern  stand  die  erste  Furche  in  Längsrichtung  der  Röhre, 
desgleiclien  war  sie  nur  selten  schräg  gestellt;  letzteres  vorzugs- 
weise bei  kegei-  und  keilförmiger  Deformation  des  Eies.  Die 
Längsrichtung  der  Furche  fand  sich  am  häufigsten  bei  den  [stets  quer 
zur  Röhre  stehenden]  linsenförmigen  Eiern,  so  dass  also  auch  liier,  wie 
bei  den  stark  in  Richtung  der  Röhre  verlängerten  Eiern,  das  Ei  längs 
der  ,, kleinsten"  Dimensionen  getheilt  wurde.  Da  mit  [23]  den 
derartigen  Deformationen  gleichzeitig  mehrere  Umstände, 
welche  vielleicht  die  Zelltheilungsrichtung  beeinflussen, 
alterirt  werden,  so  können  wir  die  Ursache  dieser  Prädilections- 
richtungen  uns  zur  Zeit  noch  sehr  verschieden  vorstellen.  Es  könnte 
der  „kleinste  Theilungs  wider  stand"  eine  Prädisposition  abgeben, 
wogegen  aber  spricht,  dass  bei  der  zweiten  Theilung  der  zuerst  quer  ge- 
theilten  hnsenförmigen Eier  die  Theilungsebene  der  grössten  Fläche 
folgte;  dieser  Einwand  würde  sich  in  gleicher  Weise  gegen  die  An- 
nahme richten,  dass  den  Kernen  Gelegenheit  gegeben  werde, 
sich  möglichst  weit  von  einander  zu  entfernen. 

A  m  w  a  h  r  s  c  h  e  i  n  1  i  c  h  s  t  e  n  erscheint  m  i  r  vor  der  Hand,  dass 
die  speciüsclie  „Gestalt"  der  Protoijlasmaaiiliäufuiigen  bei  diesen 
differenten  Eigestalten  eine  bestimmt  richtende  Eiinvirkuiig-  auf 
die  Kenispiiidel  ausübt,  und  dass  aus  dieser  fiestalt  Prädilectious- 
richtung-eii  folgten,  unter  welchen  diejenige  bevorzugt  wird,  welche 
der  Richtung-  am  nächsten  liegt,  in  welcher  der  Kern  schon  aus 
seinen  eig-enen  inneren  Kräften  sieh  zu  theilen  tendirt  [also  welche 
der  immanenten  Theilungsrichtung  des  Kernes  am  nächsten  liegt]  (s. 
Nr.  20,  S.  52  und  Nr.  21,  S.  203.) 

Besonderes  Interesse  boten  die  kegelförmigen  Eier  dar. 
Diese  standen  mit  der  Kegelaxe  annähernd  in  der  Längsrichtung  der 
Röhre,  theilen  sich  zumeist  quer,  also  annähernd  parallel  zur  Basalfläche ; 
und  die  erste  Furche  war  immer  der  Basalfläche  viel  näher 
als  der  Spitze,  so  dass  sich  die  Abstände  etwa  wie  1:2  oder  1:3 


[1)  Genaueres  siehe  Nr.  31,  S.  274.] 


304  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtuagen  des  Embryo  etc. 

verhielten.  Dies  zeigt  wiederum,  dass  nicht  ein  Bestreben  der 
Kerne,  in  möglichst  grosse  Entfernung  von  der Theilungs- 
ebene  zu  gehingen,  oder  eine  Tendenz,  die  kleinsten  Flächen 
zu  theilen,  die  Theilungsrichtung  [allein]  bestimmt. 

Die  microscopischen  Untersuchungen  und  Messungen  werden 
bei  den  diesjährigen  Wiederholungen  dieser  vorjährigen  Versuche 
genaueren  Aufschluss  über  die  inneren  Vorgänge  bei  diesen  eigen- 
thümlichen  Vorkommnissen  geben,  besonders  bezüglich  der  Ver- 
theilung  der  beiden  Dottermassen  und  der  Stellung  der 
Kernspindel  zu  denselben.  Desgleichen  wird  es  von  Interesse 
sein,  die  eventuellen  Alterationen  des  Furchungsschemas  bei 
diesen  D  e  f  o  r  m  a  t  i  o  n  e  n  kennen  zu  lernen  und  ihre  Ursachen  auf- 
zusuchen. 

Das  allgemeine  Vorherrschen  der  Querstellung  der  ersten  Thei- 
lung  zur  Glasröhre  angehend,  so  kann  der  deformirende  [24]  ,,Druck 
an  sich"  nicht  als  directe  Ursache  in  Anspruch  genommen  werden, 
da  er  bei  den  länglichen  und  linsenförmigen  Eiern  in  verschiedenen, 
rechtwinkelig  zu  einander  stehenden  Richtungen  wirken  muss,  während 
die  Theilung  beider  oft  parallel  erfolgte.  AVir  stehen  hierbei  somit 
vor  einem  Käthsel,  dessen  Lösung  ich  indess  glaube  bereits  auf  der 
Spur  zu  sein.  Auch  ist  es  mir  im  vorigen  Jahre  bereits  gelungen, 
das  auffällige  Ueberwiegen  der  Querstellung  zu  vermindern. 

Aus  der  letzten  Publication  E.  Pflüger's^)  ist  zu  ersehen,  dass 
er  gleichfalls  im  Frühjahre  1884  Eier  künstlicli  deformirt  und  den 
Einfluss  dieser  Alteration  auf  die  Theilungsrichtungen  beobachtet  hat. 
Er  presste  die  Eier  zwischen  verticale  Glasscheiben  und  sah,  dass 
dabei  die  erste  Furche  vorwiegend  das  plattgedrückte  Ei  rechtwinkelig 
zu  den  Glasplatten  theilte  und  senkrecht  stand. 

Pflügek  nimmt  an,  dass  die  Streckung  der  Kernspindel  in  der 
Richtung  erfolgt,  welche  ihr  den  kleinsten  Streckungs widerstand 
bietet;  der  kleinste  Streckungswiderstand  liegt  nach  ihm  in  dem  dünn- 
flüssigeren Eiinhalte  und  zwar  in  der  grössten  Dimension  des- 


1)  E.  Pfiä'ger.  Ueber  die  Einwirkung  der  Schwerlvraft  und  anderer  Beding- 
ungen auf  die  Richtung  der  Zelltheilung.  Dritte  Abhandlung.  Pflüger's  Arch.  Bd. 
XXXIV,  4884. 


Wirkung  der  ^(i estalt'  der  Blastoinereii  auf  ihre  Theilungsrichtung.  305 

selben.  Aus  meinen  obigen  Mittheilungen  geht  hervor,  dass  PFLÜiiEi? 
blos  eine  der  verschiedenen,  wie  es  scheint  entgegengesetzten  Mög- 
hclikeiten  beobachtet  hat,  wonach  der  Werth  seiner  blos  dieser  einen 
Thatsache  angepassten  „Theorie"  sich  von  selbst  ergiebt')  (siehe  Nr.  29, 
S.  cm,  Nr.  30  u.  31,  8.  274). 


[1)  Im  Frühjahr  1883  (s.  S.  118)  hatte  ich  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass 
an  Eiern  von  Ascaris  geringe  Pressung  der  Eier  zwischen  wagrechte 
Platten  bedingen  könne,  dass  die  ersten  Theilungsebenen  recht- 
winkelig zu  den  Platten  stehen. 

Im  nächsten  Frühjahr  1884  haben  dann  Pflüger  und  ich  bezügliche  Versuche 
angestellt;  und  0.  Hertwig  hat  im  selben  Jahre  auf  Grund  vergleichender  Betrachtung 
der  normalen  Furchung  (s.  unten  S.  39)  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  die  Kernaxe 
bei  der  Theilung  sich  „in  die  Richtung  der  grössten  Protoplasmaansammlungen  der 
Zelle"  stellt,  und  er  erblickt  den  Nutzen  oder  Grund  dieser  Einstellung  bei  länglichen 
Eiern  darin,  dass  dabei  die  Durchfurchung  mit  der  geringsten  Arbeit 
verbunden  ist. 

Ich  habe  meine  hier  mitgetheilten  Versuche,  wie  man  sieht,  erst  nach  diesen 
Autoren  publicirt;  glaube  jedoch,  dass  meine  Selbstständ  igkeit  genügend  daraus 
hervorgeht,  dass  ich  eine  bezügliche  Idee  ein  Jahr  vor  ihnen  ausge- 
sprochen habe.  Beide  Autoren  citiren  auch  im  Jahre  1883  resp.  1884  diese  Ab- 
handlung, Nr.  16,  von  mir.     Weiteres  siehe  Nr.  30  und  Nr.  31,  S.  274  u.  f. 

Die  späteren  Autoren,  H.  Driesch,  G.  Born,  T.  H.  Morgan  und  H.  E.  Ziegler 
haben  sich  der  Auffassung  der  Wirkung  der  „Gestalt" ,  der  „grössten  Dimension" 
angeschlossen;  sie  Hessen  jedoch  die  zweite  zugleich  von  mir  hervorgehobene  Com- 
ponente,  welche  allerdings  die  schwächere,  seltener  ausschlaggebende,  gleichwohl  aber 
doch  zu  berücksichtigen  ist,  unbeachtet. 

Das  Princip  der  Theilung  nach  der  „kleinsten  F  lache"  wird  von  Berthold 
(in  seinen  ausgezeichneten  Studien  über  Protoplasmamechanik,  1886,  S.  219)  vertreten. 

Eine  eigene  Auffassung  äussert  F.  Braem  (Ueber  den  Einfiuss  des  Druckes  auf 
die  Theilung  der  Zellen  etc..  Biolog.  Centralbl.  1894,  Nr.  10),  indem  er  dem  Druck 
als  solchem,  nicht  blos  der  durch  ihn  hervorgerufenen  Gestalt  der  Zelle  einen 
bestimmenden  Einfluss  auf  die  Theilungsrichtung  zuerkennt  und  in  diesem  Sinne 
Pfi.üger's  Princip  des  kleinsten  Widerstandes  verwendet. 

Man  sieht,  die  Auffassungen  und  die  Versuchsergebnisse  sind  noch  sehr  ver- 
schieden; und  es  sind  noch  weitere  Deutungen  möglich  (s.  Nr.  20,  S.  52).  Es  em- 
pfiehlt sich  also  nicht,  alles  auf  die  „Richtung  der  grössten  Proto- 
pl  asmaraasse "  zu  schematisiren  und  das  Abweichende  todt  zu 
schweigen;  sondern  jede  neue,  abweichende  Thatsache  ist  zu  beachten.  Es  ist 
dringend  nöthig,  dass  die  gepressten  Eier  im  Nahrungs-  und  Bildungsdotter  verschieden 
gefärbt,  microtomirt  und  nach  Born 's  Plattenmodellir-Methode  reconstruirt  werden,  um 
weiteren  Aufschluss  zu  gewinnen.  Die  Erkenntniss  dieser  Nothwendigkeit  (s.  S.  39) 
und  andererseits  die  Unmöglichkeit,  diese  überaus  zeitraubende  Arbeit  neben  meinen 
dienstlichen  Obliegenheiten  zu  bewältigen,  hat  mich  abgehalten,  meine  weiteren  Pres- 
sungsversuche in  entsprechender  Weise  zu  veröffentlichen  (s.  Nr.  29,  S.  605  und  Nr.  31, 
S.  274  und  276  Anm.).] 

W.  Roux.  Gesammelte  Äbliandluti'^'cn.    If.  20 


306  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungeu  des  Embryo  etc. 


IV.   Erfordernisse  der  Entwickeluii^  der  „mehrzelligen"  Organismen. 

Den  weiteren  Versuchen  über  die  erste  Farcliung  lag  eine  andere 
Idee  zu  Grunde.  Die  analytische  Betrachtung  der  Entwickelungs- 
probleme  hatte  mich  zu  der  Möglichkeit  geführt,  dass  die  normale 
Ontogenese  der  „mehrzelligen"  Individuen  in  ihren  specifi- 
schen  Unterschieden  von  der  Ontogenese  der  „einzelligen" 
Wesen  1.  auf  einer  VervoJll-onnnnung  der  „qtt al itativen'' 
Leistungen  der  indirecten  h'ernthe il /in g  beruhen  könne 
in  V-^erbindung  2.  mit  der  neu  hinzugekommenen  Fähig- 
keit, dass  die  in  Theilung  begriffenen  Bestandtheile  der 
Zelle  [25]  sowohl  sich  gegeneinander  bestimmt  ordnen, 
wue  auch  iwn  den  bereits  vorhandenen  Nachhar seilen  in 
ihrer  Lager ung  zu  diesen  heeinfl usst  werden  (s.  unten  S.  45). 
Diese , ,o r  d  n  e  n  d  e  n' '  W  i  r k  u  n  g e  n  könnten  schon  v  o  r,  w  ä  li  r  e  n  d  o  d  e  r 
auch  zum  Theil  erst  nach  der  Theilung  stattfinden  und 
dürften  zumeist  wohl  nicht  blos  einfach  mechanisch  durch  den 
Massendruck  der  Theile  vermittelt  werden. 

In  den  Kern  verlege  ich  die  wesentlichsten  (Qualitäten 
zur  Individuenbildung,  da  für  dessen  Theilung  besondere  Vor- 
richtungen getroffen  sind ;  weiter  unten  ist  ausserdem  auf  die  Gründe 
verwiesen,  welche  bereits  vor  mir  von  anderen  Autoren  für  dieselbe 
Auffassung  geltend  gemacht  worden  sind. 

Die  indirecte  Kern  theil  ung  Ix'traclite  ich  [s.  Nr.  17]  als 
einen  Mechanismus,  welcher  geeignet  ist,  die  Theilung  des  Kernes 
nicht  blos  seiner  Gesannntmasse ,  sondern  auch  der  Masse  seiner 
einzelnen  Substanzen  nach  zu  ermöglichen.  Die  einfachste  Leistung 
dieses  Mechanismus  ist  die  „Halbirung"  der  Masse  jedes  dieser 
den  Kern  zusammensetzenden  Bestandtheile;  und  diese 
Leistung  wird  für  alle  einzelligen  Organismen,  Protisten 
die  einzig  nöthige  sein. 

Sofern  nun  bei  den  Metazoen  der  Vorgang  der  indirecten 
Kern  theilung  in  der  Weise  vervollkommnet  wurde,  dass  bei  der 
Theilung  jedes  Mutterkornes  in  die  beiden  Tochterkörner  nicht 


IV.  Erfordernisse  der  Entwickelung  „mehrzelliger"  Organismen.  307 


blos  eine  mecluiiiische  Halbirimg,  sondern  eine  „bestimmte  qiuili- 
tative  Sonderung"  sieh  vollziehen  konnte,  so  war  in  Verbindung 
mit  dem  obigen  Principe  der  Ordnung  der  Theilungsproducte 
ein  Mechanismus  geschaffen,  welcher  aus  einem  Stoff  gern  enge 
oder  aus  einer  complicirten  chemischen  Resultante  durch  Zerlegung 
und  bestimmte  Anordnung  der  Theile  ein  Gebilde  herstellen  kann, 
dessen  verschiedene  Qualitäten,  sobald  sie  in  die  Lage  kommen,  ihre 
Ungleichheit  in  der  Wechselwirkung  untereinander  und  mit  anderen 
Agentien,  z.  B.  Wärme,  Sauerstoff  oder  anderen  Nahrungsmitteln,  zu  be- 
thätigen,  die  mannigfachsten  Qualitäten  und  Formen  des 
Ganzen  u  n  d  d  e  r  T  h  e  i  1  e  hervorbringen  können.  Diese  Mannig- 
faltigkeit wird  sich  immer  mehr  compliciren,  je  öfter  sich  die  Thätig- 
keit  beider  Principien  wiederholt  [Epigenesis]. 

Die  so  entstehenden  complicirten  Gebilde  werden  in  Ge- 
stalt und  Beschaffenheit  in  strengster  Abhängigkeit  von  den  ursprüng- 
lichen Qualitäten  des  Ausgangsgebildes  [und  deren  Anordnung]  stehen ; 
und  gleiche  A  usgangsbildungen  müssen  gleiche  Folgebild- 
uugen  liefern  (s.  S.  8). 

[26]  Wird  ferner,  wie  innerhalb  gewisser  Grenzen  aus  den 
Untersuchungen  und  Ausführungen  von  Megznikow  ^),  Ncssbaum  ^), 
Balbiam  ^)  und  Weismanx  *)  zu  folgern  ist,  von  der  ersten  Theilung  des  Eies 
an  bei  jeder  Theilung  oder  blos  bei  einer  bestimmten  Folge  von 
Theilungen  immer  ein  alle  Qualitäten  enthaltender  Theil 
des  Kernes  „qualitativ  halbirt"  [das  Material  für  die  Rege- 
neration und  sonstige  ,,indirecte"  Entwickelung  nach  Störungen  der 
normalen  Entwickelung  s.  Nr.  30  S.  3],  während  die  übrige  Substanz 
bald  qualitativ  ungleich  oder  gleich  sich  theilt,  so  enthält  später  jede 
dieser  Zellen  noch  Material,  welches  unter  geeigneten  äusseren  Be- 
dingungen wieder  ein  ganzes  neues  I  n d  i  vi  d u  u  m  1  i  e  f  e r  n  k  a n n ; 
wobei  dann  gleichfalls  wieder  eine  Reservation  von  Material 
für  künftige  neue  Individuen  stattfinden  wird.  Beschränkt  sich  nach 
der    ersten   Theilung    diese    nebenherlaufende    qualitative 

1)  Mecznikow.    Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.   Bd.  XVI,  1866,  S.  491. 

2)  NUSSBAUM.     Arch.  f.  micr.  Anat.   Bd.  XVJII,  1880. 

3)  Balbiani.     Compt.  rend.  1882,  S.  927. 

^j  A.  Weismann.     Ueber  die  Vererbung.     Ein  Vortrag,  Jena  1883,  S.  6. 

20* 


308  Nr.  2Ö.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Halbirung  auf  einige  Zellen  und  ihre  Abkömmlinge,  so  werden 
blos  diese  die  Fähigkeit  der  Bildung  neuer  Individuen  besitzen.  Oder 
diese  Reservirung  von  Material  kann  bei  den  übrigen  Zellen  in  quali- 
tativ unvollkommener  Weise  vor  sich  gegangen  sein,  derart,  dass 
jeder  Zellart  blos  ein  regeneratives  Erzeugungsvermögen  be- 
stimmter Gewebe  oder  Gewebegruppen  mit  beschränkter  Gestal- 
tungsfähigkeit zukommt,  welches  unter  geeigneten  Umständen  sich 
zu  bethätigen  vermag. 

Wir  sehen,  dass  mit  Hülfe  unserer  beiden  Principien  sich  die 
allgemeinen  Erscheiiningen  der  individuellen  Entwickelung  aus  einem 
bestimmt  qualificirten  Keimmaterial  ableiten  lassen.  Es  wird  nun 
meine  Aufgabe  sein,  zu  versuchen,  ob  sich  die  thatsächliche  Wirk- 
samkeit des  hierbei  aufgestellten  Princips  der  ,, richtenden"  Wirk- 
ung des  Zellleibes  und  der  Nachbarzellen  auf  die  Thei- 
lungsrichtung  sich  vermehrender  Kerne  resp.  Zellen  nach- 
weisen lässt. 

A.    Richtige  qualitative  Materialscheidung. 

Ehe  wir  hier  zu  diesem  Zwecke  den  ersten  Schritt  thun,  will 
ich  noch  das  andere,  bereits  früher  von  mir  aufgestellte  Princip 
der  „qualitativen  Kerntheilung"  [s.  Nr.  17]  verth eidigen,  da  das- 
selbe von  anderen  Autoren  [27]  theils  missverstanden,  theils  in  seiner 
Zulässigkeit  angezweifelt  worden  ist. 

Meine  Deutung  der  Figuren  [besser  Gestaltungen]  der  indirecten 
Kerntheilung  besagt,  wie  erwähnt,  dass  dieselben  Mechanismen  sind, 
welche  [wenn  sie  in  Thätigkeit  gesetzt  werden,]  es  ermöglichen, 
den  Kern  nicht  blos  seiner  Masse,  sondern  auch  der  Masse  und  Be- 
schaffenheit seiner  einzelnen  Qualitäten  nach  in  bestimmten 
Weisen  zu  theilen,  s.  S.  137. 

Der  sichtbare  Mechanismus  der  indirecten  Kerntheilung,  so  wie  wir 
ihn  kennen,  d.  h.  die  Zerlegung  eines  Substanzgemenges  in  viele  einzelne 
Theile  [Mutterkörner],  oder  das  Ausziehen  desselben  in  einen  sehr  feinen 
also  relativ  langen  Faden  mit  nachträglicher  mechanischer 
,, Halbirung"  der  Masse  jedes  Kornes  oder  der  Dicke  des  Fadens 
in  seiner  ganzen  Länge,  und  die  nachfolgende  ^^ertheilung  der  beiden 


A.    Richtige  qualitative  Materialscheidung.  309 

Prodiicte  jeder  Halbiruiig  auf  zwei  verschiedene  Seiten,  ist  ein 
Mechanismus,  welcher  für  sich  allein  [d.  h.  beim  Fehlen  be- 
sonderer sondernder  Kräfte  in  den  Mutterkörnern  während  deren 
Th eilung]  stets  bewirken  muss,  dass  auf  beiden  Seiten  nicht  blos 
gleiche  Gesammtmengen,  sondern  auch  [fast]  gleiche  Mengen  der 
einzelnen  Substanzen  sich  finden;  eine  Wirkung,  welche  ich  als 
„qualitative  Halbirung-"  bezeichnet  habe.  Dies  folgt  aus  der  Noth- 
wendigkeit  des  Fehlerausgleiches  bei  öfterer  Wiederholung  einer  Opera- 
tion, welche  mit  nach  allen  Richtungen  hin  gleich  wahrscheinlichen 
Fehlern  verbunden  ist;  [denn,  wenn  dabei  auch  an  jedem  Korn  oder  an 
jeder  einzelnen  Stelle  eines  langen  Fadens  bei  genauer  Halbirung  der 
Masse  die  daselbst  befindlichen  verschiedenen  Qualitäten  ungleich  ge- 
theilt  worden  sind,  so  werden  sich  doch  diese  Ungleichheiten  bei 
hundertfacher  oder  tausendfacher  Wiederholung  dieser  Fehler  gegen- 
seitig ausgleichen ,  so  dass  die  gewonnenen  beiden  Gesammtmassen 
gleiche  procentische  Zusammensetzung  haben].  Je  zahlreicher  bei 
gleicher  beabsichtigter  Genauigkeit  der  qualitativen  Halbirung  eines 
Substanzgemenges  die  verschiedenen  Stofie  desselben  sind,  um  so 
grösser  muss  nach  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  die  Zahl  der 
Theile  sein,  in  welche  dasselbe  zu  zerlegen  ist.  Die  Zahl  der  Theile 
muss  danach  unter  Umständen  grösser  sein  als  die  Zahl  der  ver- 
schiedenen Substanzen. 

Die  andeutungsweise  Berücksichtigung  dieser  Noth wendigkeit 
kann  allein  in  meiner  Schrift  Strasburger  ^)  und  C.  Rabl^)  zu  der 
irrthümlichen  Annahme  veranlasst  haben,  ich  wollte  in  jede 
Microsomenscheibe  nur  eine  einzige  Qualität  verlegen. 
Es  leuchtet  aber  ein,  dass  auch  bei  Zerlegung  des  Substanzgemenges 
in  \delmal  mehr  Theile,  als  es  Stoffe  enthält,  doch  jeder  Theil  seiner- 
seits noch  von  vielen  oder  sogar  [28]  von  allen  Stoffen  enthalten  kann, 
sofern  nur  von  jedem  Stoffe  die  nöthige  Anzahl  Molekel  in  dem  Ge- 
menge vorhanden  ist.  Mit  dieser  Berichtigung  wird  Strasburger 's 
bezüglicher  Einwendung   der  Boden   entzogen;    dieselbe   würde   aber 


1)  Ed.    Straseurger.     Die    Controversen    der  indiiecton   Kerntheilung.      Bonn 

1884,  S.  53. 

2)  Carl  Rabl.     üeber  Zelltheilung.     Morphol.  Jahrbuch.  Bd.  X.  S.  327. 


310  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

auch  an  sich  nicht  beweiskräftig  sein;  denn  wenn  Strasburcer  inter- 
essanter Weise  auch  aus  einer  versprengten  Microsomensclieibe  ein 
normal  gestaltetes  Pollenkorn  sich  hat  entwickeln  sehen,  so  lässt  sich 
aus  der  beobachteten  Fähigkeit  der  Scheibe,  sich  zu  einem  normal- 
gestalteten Pollenkorn  zu  gestalten,  noch  nicht  folgern,  dass 
letzteres  auch  das  Vermögen  besessen  habe,  ein  Ei  zur  Bildung  eines 
normalen  Pfianzenindividuums  zu  befähigen.  Es  ist  sehr  häufig,  dass  be- 
fruchtete Froscheier  sich  furchen  und  eine  normal  aussehende  Gastrula 
anlegen,  aber  nicht  im  Stande  sind,  sich  weiter  zu  entwickeln 
trotz,  so  viel  wir  sehen,  ganz  derselben  äusseren  Bedingungen,  in  denen 
ihre  Nachbarn  die  normale  Entwickelung  ungehemmt  durchlaufen ;  ein 
Zeichen,  dass  nicht  die  äusseren  Verhältnisse,  sondern  der  Mangel 
der  geeigneten  Qualitäten  zum  Durchlaufen  der  höheren  Entwickelungs- 
stufen  die  Ursache  des  Entwickelungs-Stillstandes  jener  Eier  war. 
Und  es  ist  zur  Unannehmlichkeit  des  Experimentators  leider  nicht 
selten,  dass  normal  gestaltete  Spermatozoen  nicht  befruchtungs- 
fähig sind. 

Es  ist  weiterhin  wohl  ohne  weitere  Auseinandersetzung  verständ- 
lich, dass  die  der  Länge  nach  erfolgende  Halbirung  eines  im 
Verhältniss  zu  seiner  Dicke  sehr  langen  Fadens  annähernd 
die  gleiche  Wirkung  haben  muss,  als  wenn  der  Faden  erst  noch  der 
Quere  nach  in  Stücke  zerlegt  und  dann  erst  jedes  Stück  halbirt  wird. 
Ja,  man  könnte  ohne  grossen  Nachtheil  sogar  die  ganze  Masse  blos 
zu  einer  dünnen  Scheibe  ausbreiten  und  diese  letztere  der  Fläche 
nach  ,, allenthalben"  in  ihrer  Dicke  „halbiren."  Denn  das 
wesentliche  Princip  dieser  Methode  ist,  dass  je  grösser  bei 
gleicher  Masse  eines  Gemenges  die  ,,Halbirungs fläche" 
ist,  um  so  genauer,  ceteris  paribus ,  m i t  d e r  H a  1  b i r u n g  d e r 
Gesa  m  m  t  m  a  s  s  e  a  u  c  h  die  Massen  der  einzelnen  Best  a  n  d  - 
theile  ,, halbirt"  werden.  Diese  auf  einer  einfachen  Folgerung 
der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  beruhenden  Theilungsmechanismen 
stellen  also  ein  mechanisches  Princip  der  „qualitativen" 
H  a  1  b  i  r  u  n  g  V  o  n  S  u  b  s  t  a  n  z  g  e  m  e  n  g  e  n  dar,  welches,  so  viel  ich  von 
Technologen  erfahren  habe,  [29]  noch  nicht  technisch  verwandt  worden, 
also  vielleicht  auch  überhaupt  noch  nicht  bekannt  gewesen  ist. 


A.    Richtige  qualitativo  Mateiialschcidunij;.  311 

Sollen  aber  die  (Qualitäten  schliesslieli  nielit  aiil' beiden  Seiten 
einander  gleielien,  sondern  in  iro-cnd  einer  t^-aiiz  bestimmten 
Weise  „ungleielie"  sein,  so  schafft  gleichwohl  dieser  selbe  grobe 
Mechanismus  hierfih'  wenigstens  sehr  günstige  Vorbedingungen, 
weil  er  das  Material  in  viele,  also  entsprechend  kleinere  Theile 
zerlegt,  welche  von  den  dazu  nöthigen  inneren  sondernden  Kräften 
vollkommener  beherrscht  werden  können  als  grössere  Stücke,  und  weil 
er  jedes  von  beiden  Sonderungsproducten  sicher  der  l)ei  der  Sonderung 
bestimmten  Seite  zuzuführen  vermag. 

Bei  der  qualitativen  „Halbirung"  waren  für  die  Theilung 
der  Mutterkörner  nur  mechanisch  theilende  Kräfte  nöthig,  die 
höchst  einfacher  Natur  sein  können.  Wenn  z.  B.  in  einer  vollkommen 
homogenen  Emulsion,  [z.  B.  von  ()el  in  dünner  Lösung  von  kohlen- 
saurem KaH],  in  welcher  die  emulgirenden  Kräfte  allenthalben  gleich 
stark  waren  und  daher  alle  letzten  Emulsionskörner  fast  vollkommen 
gleich  gross  sind  (was  mir  allerdings  künstlich  nur  selten  annähernd 
herzustellen  gelungen  ist  und  auch  nur  mit  den  stärksten,  mir  nicht 
zu  Gebote  stehenden  Objecten  genau  controUirt  werden  kann^),  so 
wird  eine  nur  eben  zu  weiterer  Tlieilung  ausreichende ,  durch  eine 
Alteration  des  Emulgens  oder  Emulgenduni  bedingte  Erhöhung 
des  Emulgirungscoefficienten  jedes  Korn  in  nur  zwei 
und  natürlich  vollkommen  gleich  grosse  Tochterkörner 
zerspalten. 

Bei  der  ,,ungleichon''  qualitativen  Theilung  der  Mutter- 
körner sind  dagegen  besondere,  sowohl  die  specifische  Sonderung 
bewirkende  wie  die  beiden  Theilungsproducte  richtig  nach  den  beiden 
neuen  Centren  hinwendende  Kräfte  nöthig,  von  denen  wir  uns 
zur  Zeit  keine  specielle  Vorstellung  machen  können;   die  aber  jeden- 


[ij  Diese  Methode  scheint  überhaupt  schwer  brauchbar,  da  ungleiche  mecha- 
nische Bewegung  die  Theilungsgrösse  beeinflussen  wird  und  solche  Ungleichheit 
immer  bei  der  Emulgirung  entsteht;  sodass  erst  besondere  Vorrichtungen  für  die 
Bildung  gleich  grosser  Tropfen  getrotfen  werden  müssten.  Sind  aber  lauter,  der 
Emulsionsfähigkeit  der  Lösung  etc.  entsprechende  kleinste,  also  einander  gleich 
grosse  Tropfen  vorhanden,  dann  werden  sie  natürlich  bei  genügender  Erhöhung  des 
Emulgirungscoefficienten  alle  h  albirt  werden  und  danach  also  wieder  gleich  gross  sein.] 


312  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


falls  um  SO  exacter  werden  wirken  können,  je  kleiner  die  auf  einmal 
zu  sondernde  Masse  ist. 

Dies  sind  die  Ausführungen  meiner  Arbeit;  und  wenn  dabei  der 
Mechanismus  der  Chromatin -Theilung  in  den  Vordergrund  der  Er- 
örterung gestellt  worden  ist,  so  wurde  doch  nicht  unterlassen  (S.  140), 
zugleich  den  Mechanismus  der  Achromatintheilung  in  der  hier 
reproducirten  Weise  zu  berücksichtigen  und  die  Möglichkeit  einer 
bleichen  Deutuno-  desselljcn  zu  erwähnen ,  soweit  thatsächlich  eine 
Längs-Spaltung  dieser  Fäden  stattfindet. 

So  lange  dieser  Mechanismus  als  der  der  indirecten  [30]  Kern- 
theilung  anerkannt  ist,  kann  Niemand  behaupten,  dass  der 
Kerntheilungsmechanismus  diese  beiden  Arten  von  Wir- 
kungen nicht  ,, ermögliche".  Mag  uns  die  weitere  Forschung  in 
der  erfreulichsten  Weise  mit  Aufklärungen  über  die  Functionen  und 
Veränderungen  des  Zellkernes  im  Ganzen,  sowie  des  Chromatin  oder 
Achromatin  im  Besonderen  überraschen,  an  dieser  Auffassung  des 
Mechanismus  kann  dadurch  nichts  geändert  werden.  (Weiteres  s. 
Nr.  21,  S.  187  und  Nr.  27,  S.  323). 

Ein  Anderes  ist  es  bezüglich  der  Frage,  ob  diese  Bedeutung 
des  Kerntheilungsmechanismus  seine  einzige,  wesentlichste  ist. 
So  lange  Niemand  einen  anderen  Zweck  nachweist,  für  welchen  eben- 
falls alle  Phasen  dieses  Mechanismus  unerlässlich  nöthig  sind,  ist  sie 
jedenfalls  die  einzige,  welche  wir  kennen,  und  ausserdem  zugleich 
die  erste,  welche  diese  bisher  so  unverständlichen  Vorgänge 
unter  den  Gesich  tsp  unc  t  eines  wesentlichen  Nutzens  ge- 
bracht hat. 

Ed.  Strasburger's  Auffassung  (loco  cit.  S,  58),  dass  die  Kern- 
theilungsfiguren  blos  dazu  da  seien,  die  genaue  Halbirung  der  Ge- 
sammt- Masse  zu  bewerkstelligen,  würde  l)los  den  einfachsten  Special- 
fall des  von  mir  angegebenen  Zweckes  darstellen;  da  derjenige 
Mechanismus,  welcher  die  einzelnen  Stoffe  durch  Fehlerausgleich  mög- 
lichst genau  halbiren  muss,  dies  damit  natürlich  auch  für  dic^  Summe 
dieser  Stoffe  thut,  was  icli  nicht  besonders  zu  erwähnen  für  nöthig 
gehalten  habe.  Diese  Auffassung  Strasburger's  scheint  mir  aber 
schon  an  sich  unhaltbar.    Denn  was  soll  es  bedeuten,  dass  genau 


A.   Richtige  qualitative  Material  Scheidung.  313 


die  Masse  lialbirt  werden  soll,  wenn  es  unwesentlich  wäre,  aus 
welchen  Qualitäten  sie  bestünde?  Dies  könnte  blos  von  Bedeutung 
sein,  wenn  eben  auch  blos  die  Masse  als  solche  (vielleicht  als  Ballast?), 
nicht  aber  in  ihren  Qualitäten  /Air  Wirkung  gelangte.  Dann  müsste 
man  erwarten,  dass  die  so  sorgsam  in  ihrer  Gesamrat-Masse  bestimmte 
Substanz  nun  wenigstens  auch  constant  dieselbe  Menge  behielte,  nicht 
aber  des  Wachsthums  fähig  sei  und  ihr  Volumen  vielfach  veränderte. 

Wohl  aber  kann  es  wichtig  sein,  dass  von  allen  oder  vielen 
Substanzciualitäten  des  Mutterkernes  eine  gewisse,  vielleicht 
minimale  Menge  in  jedem  Tochterkerne  sich  finde,  wenn 
schon  einige  oder  viele  der  vorhandenen  Substanzen  des 
Kernes  später  [31]  zeitweilig  eine  Vermehrung  erfahren 
und  eine  besondere  Function   für  den  ZeJUeib  vollziehen. 

Jüngst  ist  nun  von  C.  Rabl  (loco  cit.)  eine  neue  Hypothese  über 
die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren  aufgestellt  worden.  Rabl 
macht  am  Schlüsse  des  ersten  Theiles  seiner  Untersuchung  über  die 
Zelltheilung  die  Annahme,  dass  in  dem  ruhenden  Kern  ein  Rest  der 
Kernfäden  erhalten  bleibe  mit  wesentlich  derselben  ^-'erl  aufs  weise  wie 
in  dem  Knäuel  (S.  323).  Von  diesen  typisch  um  zwei  Pole  geordneten 
,, primären  Kernfäden"  gehen  nach  einer  zweiten  Annahme  Rabl's 
seitliche  Fäden  als  seitliche  Fortsätze  aus  und  von  diesen  vielleicht 
noch  tertiäre  etc.  Die  einzelnen  Fäden  kchinen  untereinander  in  Ver- 
bindung treten,  und  in  den  Knotenpuncten  des  dadurch  entstandenen 
Netzes  können  sich  gröbere  Chromatinmassen  zu  nucleolenartigen  Ge- 
bilden oder  zu  wirklichen  Nucleolen  sammeln.  Beim  Beginne  der 
Theilung  strömt  nun  nacli  Rabl's  weiterer  Annahme  die  Ohromatin- 
substanz  auf  den  so  vorgebildeten  Bahnen  in  die  primären  Kernfäden, 
wodurch  in  der  einfachsten  Weise  wieder  der  Mutterknäuel  aufgebaut 
werde.  Die  Theilung  der  chromatischen  Substanz  des  Kernes  sei  in 
letzter  Instanz  auf  eine  Längsspaltung  der  somit  stets  vorhandenen 
Knäuelfäden  zurückzuführen.  Rabl  bezeichnet  danach  diesen  Modus 
der  Kerntheilung  als  den  denkbar  einfachsten  und  sieht  hierin 
den  genügenden  Grund,  warum  sich  derselbe  verwendet  findet. 

Dem  gegenüber  frage  ich,  ist  es  wirklich  einfacher,  ehien 
bipolar    centrirten    Gomplex    vieler   Fadenschlingen    in    jedem    seiner 


314  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


Fäden  der  Länge  nach  zu  halbiren  und  dafür  zu  sorgen,  dass  von 
jeder  Mutterschlinge  immer  die  eine  TochterschHnge  auf  die  eine,  die 
andere  auf  die  andere  bestimmte  Seite  gebracht  werde,  olme  dass  bei 
diesem  sehr  wenig  einfaclien  Acte  Verwirrung  der  Schhngen,  welche 
den  ganzen  Mechanismus  stört,  oder  auch  nur  ein  Irrthum  in  der 
Vertheilung  auf  beide  Seiten  stattfindet.  Wie  viel  wohlgeordnete, 
sehr  exact  zu  einander  passende  Einzelhandlungen  sind  dazu  nöthig  1 
Es  wird  schwer  werden,  nachzuweisen,  dass  dieser  complicirte,  so 
leicht  Störungen  unterliegende  Mechanismus  den  ursprünglich  in  dem 
Zellkern  der  zuerst  sich  in  dieser  Weise  theilenden  Zellen  gelegenen 
[32]  Kräften  ,, leichter  fallen"  musste,  als  die  Einschmelzung  auch  noch 
der  primären  Kernfäden  und  die  einfache  Halbirung  der  ganzen  Masse 
nach  Remak  mit  nachträglicher  Neuerzeugung  der,  soviel  thatsächlich 
bekannt  ist,  von  der  polaren  Centrirung  abgesehen,  sehr  atypischen  Con- 
fisuration  des  ruhenden  Kernes.  Und  sollen  auch  in  den  leichter  zu 
übersehenden  ^''erhältnissen  derjenigen  Protisten,  welche  sich  gleichfalls 
indirect  theilen,  z.  B.  bei  Actinosphaerium  Eichhornii,  entgegen  den 
klaren  Angaben  R.  Hertwig's,  im  ruhenden  Kerne  schon  solche  Sub- 
stanzanordnungen vorhanden  sein,  wie  sie  bei  der  Theilung  entstehen? 

So  interessant  dieser  Erklärungsversuch  wegen  der  Verwendung 
des  Principes  der  Einfachheit  ist,  so  scheint  er  mir  doch  durchaus 
aussichtslos.  Jedenfalls  aber  bedürfen  die  ad  hoc  gemachten  An- 
nahmen der  Existenz  der  polar  geordneten  Fadenschlingen  mit  ihren 
secundären  und  tertiären  Fäden  im  ruhenden  Kerne,  und  zumal  die 
grössere  Einfachheit,  also  die  grössere  Leichtigkeit  der  Erzeugung 
dieses  Theilungsmodus  für  die  ursprünglich  in  dem  Kerne  thätigen 
Kräfte  gegenüber  der  REMAK'schen  Theilung  des  besonderen  Nachweises. 

Als  ich  meine  Auffassung  zuerst  aussprach,  musste  ich  gleich- 
falls zwei  Hypothesen  zu  Grunde  legen,  von  denen  aber  nur  die  eine 
ad  hoc  gemacht  war.  Diese  bestand  darin,  dass  die  beiden  Theilungs- 
producte  jedes  Mutterkornes  normaler  Weise  immerauf  die  beiden 
neuen  Centren   vertheilt  würden  ^),   wofür   damals   nur   wenige  Beob- 


I' 


i)  Dies  schliesst  nicht  aus,  dass  nicht  pathologischer  Weise  Abweich- 
ungen von  diesem,  wie  oben  erwähnt,  sehr  conipHcirten  Vertheilungsmodus  zur 
Beobachtung  kommen  können,    welclie   dann   als  Störungen  des  Mechanismus  aufzu- 


A.    Richtige  qualitative  Materialscheidung.  315 


achtungen  FLEMMiNti's  vorlagx'ii.  Diese  sind  abei-  clvirch  die  Beobacli- 
tungeu  von  Rabl,  Heu.-^er,  STRASBiiKiEu  und  FLEMMiN(i  inzwischen  er- 
heblich vermehrt  worden.  Dieselbe  Annahme  liegt  ausserdem  aber 
auch   der  i\.uffassung  Rabl's   zu  Grunde. 

Die  zweite,  somit  einzige  meiner  Ansicht  eigene  Hypothese,  be- 
steht darin,  dass  [33]  der  Kern  viele  verschiedene  Qualitäten 
enthalte,  deren  bestimmte  Vertheilung  auf  die  Tochter- 
zellen von  Wichtigkeit  sei.  Diese  Annahme  findet  ausser 
in  dem  oben  von  mir  angegebenen  Grunde  ihre  Stütze  in  der  be- 
reits vor  Decennien  von  Leudkart,  später  von  Hi.s  betonten  Noth- 
wendigkeit,  dass  die  Typus-,  Gattungs-  und  Artcharaktere  nebst  den 
erbliehen  Individualcharakteren  der  Eltern  irgendwie  stofflich  im  Eie 
enthalten  sein  müssen,  in  Combination  ferner  mit  Beale's  und  Hasse's^) 
Auffassung  von  der  Bedeutung  des  Kernes  und  mit  der  von  O.  Bütschli, 
().  Hertwig,  W.  Flemmixg  u.  A.  begründeten  neuen  Lehre  von  der  Be- 
fruchtung. Ich  habe  ausserdem  in  Beitrag  1  [s.  S.  179]  neue  Thatsachen 
mitgetheilt,  welche  gleichfalls  dafür  sprechen,  dass  die  specifischen 
Qualitäten  mehr  in  dem  Kerne   als  in  dem  Dotter  des  Eies  liegen^'). 


fassen  sind;  dieselben  können,  wenn  sie  innerhalb  eines  schon  differenzirten  Gewebes 
vorkommen,  vielleicht  ohne  jeden  Nachtheil  für  das  Individuum  wie  für  das  functionelle 
Leben  der  betreffenden  Zelle  ertragen  werden;  ingleichem,  wie  auch  aus  directen 
Theilungen  innerhalb  dieser  Sphäre  wohl  kein  Nachtheil  für  das  Zellleben  resultiren 
würde,  während,  wenn  sie  bei  den  Furchungen  des  Eies  vorkämen,  dadurch 
vielleicht  zu  Missbildungen  oder  zu  gänzlicher  Störung  der  Entwickel- 
ung  Veranlassung  gegeben  würde. 

[Unregelmässige  Vertheilung  von  Chromosomen  wurde  später 
nachgewiesen  von  Th.  Boveri  Ijei  der  Bildung  von  Richtungskörpern  (Befruchtung 
der  Eier  von  Ascaris  megalocephala,  Sitzgsber.  d.  Ges.  f.  Morph.,  München  1887, 
S.  77);  von  E.  Klebs,  und  besonders  von  D.  Hansemann  (Die  Speciticität,  der 
Altruismus  und  die  Anaplasie  der  Zellen,  1893,  S.  88),  welcher  die  Art  der  Kern- 
theilung  für  die  Lehre  von  den  Geschwülsten  verwerthete  (siehe  auch  Boveri  in  Nr.  27, 
S.  294);  ferner  von  Val.  Haeckeb,  (Ueber  generative  und  embryonale  Mitosen,  sowie 
über  pathologische  Ke^ntheilungsbilder.  Arch.  f.  microsc.  Anat.  Bd.  43,  1894,  S.  759 
bis  787).] 

1)  C.  Hasse.     Morphologie  und  Heilkunde.     Zweite  Auflage,  1880,  S.  12. 

[2)  Diese  sind:  Die  Beobachtungen,  dass  oft  nach  sehr  grossen  Dotter- 
substanzaustritten aus  operirten  Eiern  kein  Defect  am  Embryo  entstand, 
während  ceteris  paribus  nach  sehr  kleinem  Substanzverlust  (Kern)  sehr 
grosse  Defect e  auftraten;  und  ferner,  dass  trotz  der  grossen  Störung  der  nor- 
malen Anordnung  der  verschiedenen  Dottersubstanzen,  die  durch  die  Operation 
am  Ei  und  deren  Folgen  hervorgerufen  wurde,  gleichwohl  dieEntwickelung  möglich  war.] 


316  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Aus  diesen  Gründen  glaube  ich,  dass  meine  Auffassung  der 
Leistungen  der  indirecten  Iverntheilung ,  da  sie  den  durch  sie  zu  er- 
klärenden Thatsachen  vollkommen  entspricht  und  keine  besonderen 
Hilfsannahmen  mehr  nüthig  hat,  auch  dem  wahren  Wesen  der  in- 
directen Kerntheilung  näher  .steht,  als  die  Auffassung  Rabl's,  welche 
zur  Zeit  jeder  sie  speciell  stützenden  thatsächlichen  Unterlage  entbehrt. 

Daher  w^erde  ich  meine  vorläufigen  Ansichten  über  die  Möglich- 
keiten der  Entwickelungsvorgänge  so  lange  auf  dieser  Grundlage 
aufbauen,  als  die  Consec|uenzen  dieser  Auffassung  nicht  mit  den  neu 
entdeckten  Thatsachen  in  unlösbaren  Widerspruch  treten,  resp.  so 
lange  nicht  von  mir  oder  anderen  eine  Hypothese  gefunden  ist,  welche 
den  Thatsachen  auf  eine  noch  einfachere  Weise  gerecht  wird. 

B.    Herstellung  der  ,, richtigen  Anordnung^'  der  qualitativ 

bestimmten  Theile. 

Wenn  also  die  Iverntheilung  die  Qualitäten  richtig  von  ein- 
ander zu  sondern  vermag,  so  ist  für  die  oben  angedeutete  Entwickelungs- 
möglichkeit  noch  erforderlich,  dass  diese  Sonderungsproducte 
in  die  richtige  Lagerung  zu  den  verschiedenen  Theilen 
des  Zellleibes  und  zu  den  bereits  vorhandenen  Nachbar- 
zellen gebracht  werden. 

Man  könnte  anzunehmen  geneigt  sein,  dass  diese  Lagerung 
schon  mit  der  chronologischen  Theil  u  ngsordn  ung  in  der 
Weise  [34]  fest  verbunden  wäre,  dass  aus  inneren  Gründen  jede 
folgende  Th eilung  eine  bestimmte  Stellung  zur  Richtung  der  vorher- 
gehenden Theilung  einnähuie,  wofür  das  typische  Furchungsschema 
der  Thiereier  und  die  Theilungsordnung  an  dem  Vegetationskegel 
der  Pflanzen  zu  sprechen  scheinen. 

Solche  starre  Ordnung  schlösse  indessen  jede  „Selbst- 
regulation" aus;  und  durch  einen  einzigen  Fehler  würde  die  ganze 
folgende  Reihe  von  Th  eilungen  in  eine  falsche  Bahn  gelenkt.  Die 
Tliatsaclien  beweisen  indess,  dass  Furchungsanachronismen 
ohne  Na  cht  heil  ertragen  werden.  Und  es  ist,  so  viel  ich  weiss, 
noch  keinem  Forscher  aufgefallen,  dass  bei  grösseren  Thieren  der- 
selben Species  die  Zellen   entsprechend  grösser  seien  als  bei  Indivi- 


B.  UerstoUung  der  , richtigen  Auoixliiung"  der  qualitativ  bestiimutcn  Thcile.    317 


duen,  welche  in  Folge  Nahrungsmangels  kleiner  geblieben  shid;  dem- 
nach würde  die  ungleiche  Grösse  der  Individuen  wohl  mit 
einer  ungleichen  Zahl  von  Zelltheil  ungen  in  Verbindung 
zu  bringen  sein,  welche  bei  dem  obigen  Modus  zu  einer  sehr 
wesentlichen  Störung  führen  müsste^). 

Es  sind  nun  im  Speciellen  verschiedene  Selbstregulations- 
mechanismen  denkbar.  Von  diesen  werden,  meiner  Ansicht  nach, 
diejenigen  am  meisten  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben,  welche 
dem  vorhandenen  Bedürfniss  nach  Selbstregulation  am  vollkommensten 
genügen.  Ich  vermuthe  also  sowohl  einen  qualitativen  und 
zugleich  richtenden  Causa Inexus  zwischen  der  qualita- 
tiven Natur  der  Kern-  und  der  Protoplasmatheilung  einer- 
seits, wie  auch  dieser  beiden  mit  der  Beschaffenheit  und 
Lagerung  der  Nachbarzellen.  Letzterer  Causalnexus  hätte  zu 
bewirken,  dass  bei  einem  lieber  wiegen  eines  bestimmt  ,,qualifi- 
cirten  Sonderungsbestrebens"  in  einer  Zelle  von  den  Nach- 
barzellen aus  bestimmt  werde,  welche  ,, Richtung"  die  Kern- 
spindel bei  dieser  Sonderung  einzunehmen  haben;  während  vielleicht 
auch  umgekehrt  bei  einer  durch  die  Lage  der  Nachbarzellen 
mechanisch  gegebenen  Zwangslage  für  die  Kernspindel 
(s.  S.  303)  mit  der  so  von  der  Nachbarschaft  bestimmten 
Theilungsrichtung  auch  zugleich  ein  gewisser,  wenn  auch  vielleicht 
blos  innerhalb  prädisponirter  Alternativen  auswählender  Einfluss 
auf  die  Qualität  der  sich  vollziehenden  Sonderung  ausgeübt 
werden  könne. 

Bei  Zelltheilungen  innerhalb  gleichartiger  Umgebung, 
also  innerhalb  eines  geschlossenen  Gewebe  Stratums,  würden  sich 


[1)  Daraus  folgt  also,  dass  die  qualitative  Differenzirung  nicht  „fest" 
an  die  „Zahl"  der  Zelltheilungen,  also  aucli  nicht  fest  an  die  Zelltheilung  selber 
gebunden  sein  kann^dass  nicht  mit  „jeder"  Zelltheilung  an  sich  eine  be- 
stimmte qualitative  Veränderung  verbunden  sein  kann  in  der  Art,  dass 
einer  somatischen  Zelle  der  10.,  IL,  12.,  20.  und  50.  Generation  von  der  Eizelle  her 
schon  in  Folge  dieser  Generationszahl  eine  bestimmte  Qualität  zukommt.  Für  die  Ge- 
schlechtszellen ist  dies  vielleicht  zum  Theil  anders;  doch  werden  wohl  auch  da  die  im 
40.  Lebensjahr  producirten  Samenzellen  höhere  Generationen  darstellen,  als  die  im 
30.  Jahre  producirten,  ohne  dass  eine  typische  qualitative  Verschiedenheit  in  ihren 
Leistungen  sich  bekundete.! 


318  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

die  Be-  [35]  Ziehungen  erheblich   vereinfachen   und  mechanische  Mo- 
mente einen  erhebhcheren  Einfluss  gewinnen  können. 

Obgleich  ich  nicht  angeben  kann,  wie  durch  die  bekannten 
Formen  von  Energie  diese  Wirkungen  vermittelt  werden  sollten,  so 
würde  ich  es  docli  als  eine  durchaus  unwissenschaftliche  Concession 
an  die  Selbstgenügsamkeit  unserer  Zeit  ansehen,  wenn  ich  annehmen 
wollte,  dass  nichts  geschehen  könne,  als  was  wir  aus  den  zur  Zeit 
bekannten  Kraftformen  abzuleiten  vermögen.  Bietet  uns  doch  das 
organische  Geschehen  fast  in  jeder  seiner  Leistungen  solche  That- 
sachen  dar.  Icli  habe  daher  schon  im  ersten  Beitrag  darauf  hinge- 
wiesen, dass  hier,  im  Organischen,  durch  millionenfache  Aus- 
lese und  Häufung  von  zufällig  entstandenen  Processen 
Com]»licationen  geschaffen  sind,  die  wir  voraussichtlich  zum 
grossen  Theile  nie  künstlich  nachahmen  können;  und  in  welchen 
daher  auch  V\^i  r  k  u  n  g  s  w  e  i  s  e  n  vorkommen  können,  die  von 
allem  von  uns  künstlich  Herstellbaren  so  verschieden  sind, 
dass  zu  vielen  nie  eine  das  Specielle  erklärende  Brücke  wird  ge- 
schlagen werden  können,  ausser  der  durch  das  allgemeine  Gesetz  von 
der  Erhaltung  der  Energie  bereits  gewonnenen.  Gleichwohl  dürfen 
wir  nicht  mit  dem  Streben  nachlassen,  stetig  den  Complex 
des  U n b e k a n n t e n  zu  a' e r k  1  e i n e r n. 

Aus  diesen  Hypothesen  erwächst  uns  zunächst  die  Aufgabe, 
thatsächlich festzu.stellen,  ob  solche  richtende  Wirkungen  zwischen 
Zellkern  und  Zellleib,  sowie  von  Zelle  auf  Zelle  vorkommen, 
und  weiterhin,  ob  in  der  That  die  formalen  Leistungen  der  indivi- 
duellen Entwickelung,  soweit  sie  in  der  Anordnung  der  Zellen  be- 
ruhen, auf  diese  Weise  vermittelt  werden. 

Bezüglich  der  richtenden  Wirkung  von  Zelle  auf  Zelle 
haben  sich  meine  V^ersuche  ausser  den  vorstehend  (S.  302  u.  f.)  und 
den  in  Beitrag  1  (s.  S.  1(33,  106  und  250)  mitgetheilten  mechanischen 
Beeinflussungen  der  Zellgestalt,  welche  bei  dieser  Frage  mit 
von  Bedeutung  sein  können,  bis  jetzt  darauf  beschränkt,  zu  i)ro- 
biren,  ob  die  Zelltheilungsrichtung  von  aussen  her  durch 
derartige  „fernwirkende"  Kräfte   beeinflusst  werden  kann. 


Wirkung  dor  Klootricität  ;iuf  die  Kichtung  der  Zelltlieilung.  319 


wie   sie   vielleicht   als    in    den   Zollen   vorhanden    vennuthet   werden 
könnten. 

AVirknng   der   Electricität    anf    die   Kichluno-   der 
Zelltheilung. 

[36]  Je  grösser  die  Zelle  ist,  um  so  eher  schien  eine  Beeinflussung 
durch  unsere  gröberen  Mittel  möglich;  deshalb  erschien  mir  das 
Froschei,  als  eine  sehr  grosse  Zelle,  auch  für  diesen  Versuch  sein- 
geeignet. 

Zunächst  wollte  ich  den  eventuellen  Einfluss  eines  galva- 
nisch en  Stromes  auf  die  Richtung  der  ersten  Ei-Theilung 
prüfen.  Die  Mittel  dazu  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Professor 
O.  E.  Meyer,  welcher  mir  die  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Apparate 
mit  liebenswürdiger  Bereitwilligkeit  lieh.  Ich  aspirirte  soeben  be- 
fruchtete Frosch-  und  Kröteneier  in  möglichst  enge  Glasröhren  und 
umwickelte  jede  der  Röhren  auf  der  Hälfte  ihrer  Länge  in  einer  ge- 
schlossenen Lage  mit  einem  dicken,  übersponnenen  Kupferdraht, 
durch  welchen  dann  ein  Strom  von  zwei  grossen  BuNSEN'schen  Ele- 
menten bis  zum  Eintritt  der  ersten  Theilung  geleitet  wurde.  Das 
Verhältniss  des  Durchmessers  des  Stromkreises  zur  Länge  der  Kern- 
spindel, welche  ich  mir  als  den  wohl  am  leichtesten  von  der  ganzen 
Zelle  beeinflussbaren  Theil  vorstellte,  war  danach  etwa  dasselbe,  wie 
bei  einer  Tangentenbussole,  sodass  eine  Wirkung  des  starken  Stromes 
wohl  hätte  eintreten  können,  Avenn  die  umströmten  Gebilde  über- 
liaupt  in  einer  richtenden  Weise  beeinflussbar  waren. 

Solches  schien  nun  auch  gleich  bei  dem  ersten  Blick  auf  die 
sich  furchenden  Eier  evident  sich  zu  bekunden,  denn  fast  alle 
Furchen  standen  quer  zu  der  wagrecht  liegenden  Glas- 
röhre. Dasselbe  zeigte  sich  aber  auch,  wie  oben  schon  mitgetheilt, 
in  dem  nicht  umströmten  Theil  der  Röhre.  Ich  lernte  nun  zwar 
bald  dieses  letztere  zu  vermeiden,  damit  aber  fand  auch  die  gleich- 
artige Einstellung  innerhalb  des  umströmten  Theiles  der  Röhre  ihr 
definitives  Ende.  Somit  war  keine  Wirkung  unseres  Stromes  vor- 
handen,   welclie    die   innere  Tendenz    der  Eier,    die    erste  Furche  in 


320  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


einer  an  jedem  Ei  für  sieh  bestimmten  Riehtmig  zu  bilden,  vollkommen 
zu  überzwingen  und  die  Theilungen  alle  in  annähernd  die  gleiche  Rich- 
tmig  zur  Richtung  des  Stromkreises  zu  stellen  vermocht  hätte. 

Trotzdem  aber  konnte  der  Strom  eine  erhebliche  richtende 
Wirkung  ausgeübt  haben,  welche  aber  nicht  wahrnehmbar  wurde, 
da  uns  die  eigenthche  Ausgangsstellung  unl)ekannt  war.  Um  diese 
letztere  zu  kennen,  stellte  ich  die  Röhren  bei  einem  weiteren  Ver- 
suche senkrecht.  Aber  [37]  es  war  gleichwohl  keine  Ablenkung 
der  ersten  Furche  aus  ihrer  verticalen  Richtuno:  be- 
m  e  r  k  b  a  r. 

Dieses  Resultat  lässt  indess  immer  noch  keine  sichere  neg-ative 
Deutung,  an  welcher  uns  fast  ebenso  viel  wie  an  einer  positiven 
liegen  muss,  zu ;  denn  es  konnte  seinen  Grund  darin  haben,  dass  die 
einstellende  Wirkung  der  Schwere  zufolge  des,  wie  wir  gesehen  haben, 
bei  befruchteten  Eiern  erheblich  grösseren,  ungleichen,  specifischen 
Gewichtes  der  oberen  und  unteren  Hemisphäre  zu  gross  war,  gegen- 
über der  alterirenden  Wirkung  des  Stromes,  oder  dass  der  Strom 
gerade  tendirte,  die  Kernspindel  in  die  Stromebene  zu  stellen, 
Avobei  die  erste  Furche  noch  in  ihrer  verticalen  Richtung  bestärkt 
werden  musste. 

Der  darauf  hin  angestellte  nächste  Versuch  mit  schräger  Stellung 
der  Röhren  ergab  leider,  wie  schon  viele  ^^ersuche  in  früheren  Jahren, 
kein  Resultat,  da  die  Eier  sich  nicht  mehr  furchten.  Die  Laichperiode 
des  Jahres  1884  war  zu  Ende;  und  es  blieb  für  dieses  Jahr  1885  die  Wieder- 
holung dieses  letzten  Versuches  nebst  dem  weiteren  Versuche  der  Um- 
strömung der  Eier  bei  gleichzeitiger  Aufhebung  der  richten- 
den Wirkung  der  Schwere  durch  langsame  Rotation  der  um- 
strömten  Eier  in  einer  Verticalebene  zu  erledigen  übrig,  um  zu 
einem  bestimmten  Schlüsse,  sei  es  im  positiven  oder  negativen  Sinne, 
zu  gelangen.  Eine  neue  Versuchsmöglichkeit  wird  ferner  gewonnen 
sein,  wenn  es  mir  gehngen  sollte,  durch  „künstliche  localisirte  Befruch- 
tung'' die  natürliche  Theilungsrichtung  sicher  im  Voraus  zu  bestimmen. 

Einige  Male  hatte  ich  auch  ein  Ei  zwischen  die  Pole  eines 
grossen  Electromagueten  an  einem  Coconfaden  aufgehängt,  um  zu 
sehen ,    ob  sich  die    erste  Furche   in  bestimmter  Richtung   zu   ihnen 


Strahlungen  und   Windungen  im  bol'iuchteten  Ei.  321 


einstelle;  doch  fehlte  es  an  einer  geeigneten  Glashülle  für  den  Apparat, 
so  dass  die  Luftbewegung  nicht  einmal  sieher  zu  beurtheilen  gestattete, 
ob,  wie  zu  erwarten  ist,  die  Eier  selber  diaraagnetisch  sind.  Eier, 
welche  sofort  nach  der  Befruchtung  in  eine  relativ  weite 
Glasröhre  aspirirt  und  zwischen  die  Pole  d  es  Electromag- 
neten  gelegt  worden  waren,  Hessen  gleich  den  von  demselben  Strom 
direct  umströmten  Eiern  keine  bestimmte  Einstellung  ihrer  ersten 
Furche  erkennen.    [Weiteres  siehe  Nr.  25,  S.  11,  26  u.  37.] 

Strahlungen  und  Windungen  im  befruchteten  Ei. 

Bei  den  Umströmungsversuchen  kamen  noch  einige  Besonder- 
heiten zur  Beobachtung.  Bei  einigen  Eiern  war  die  erste  und  zweite 
Furche  abnorm  gestaltet.  Bei  anderen ,  sich  [38]  nicht  furchenden 
Eiern  traten  in  der  Umgebung  der  Eiaxe  gleichzeitig  mehrere 
weisse  Flecken  oben  in  dem  schwarzen  Felde  auf,  und  diese 
weissen  Theile  entfernten  sich  alsdann  radiär  von  ein- 
ander, so  dass  man  den  Eindruck  erhielt,  ein  aufsteigender  weisser 
Körper  sei  dicht  unter  der  Oberfläche  in  Stücke  zersprengt  worden; 
und  diese  Theile  entfernten  sich  auch  noch  weiter  von  einander, 
nachdem  sie  schon  die  Oberfläche  erreicht  hatten.  Einige  Male  lagen 
in  jedem  der  auf  diese  Art  entstehenden  sechs  Strahlen  mehrere 
weisse  Puncte,  und  die  Strahlen  selber  Avaren  alle  gleichmäs- 
sig  um  etwa  90°  spiralig  nach  rechts  gewunden.  Durch  diese 
gleichmässige  Windung  aller  Strahlen  um  die  vertical  stehende  Eiaxe 
unterscheiden  sich  dieselben  evident  von  gelegentlich  an  b  e  f  r  u  ch  t  eten 
Eiern  in  Zwangslage  in  den  seitlichen  Theilen  der  Oberfl.äche  vor- 
kommenden hellen  Spiralen,  welche  symmetrisch  zur  Sym- 
metrieben e  der  Pigment irung  verlaufen  und  in  ihrem  Anf angs- 
theile der  Richtung  des  aufsteigenden  Stromes  folgten,  dann 
aber   convolute^nartig  sich  abwärts  einrollen. 

Einmal  entstand  bei  zu  starker  Erwärmung  der  Spirale  an 
einem  absterbenden  Ei  auf  der  Mitte  des  braunen  Poles  ein  weisser 
Fleck,  welcher  bald  sechs  Strahlen  aussandte,  von  denen 
zwei  in  der  Richtung  des  Stromes  standen,  während  die 
vier  anderen   rechtwinkelig    zu   dieser  Rieh  tung   orientirt 

W.  Rous,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  21 


322  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embrj-o  etc.  _ 

waren.  Man  könnte  danach  zu  vermuthen  geneigt  sein,  dass  ein 
ausgeprägter,  irgendwie  bestimmt  charakterisirter  electrotonischer  Zu- 
stand im  Sinne  Faraday's  in  den  umströmten  Froscheiern  entstehe. 
Dem  entgegen  muss  ich  aber  zunächst  erwähnen,  dass  ähnhche  schein- 
bare Zerspaltung  eines  aufgestiegenen  Stückes  weisser  Substanz  auch 
einige  Male  an  nicht  electrisch  beeinflussten  Eiern,  welche 
sich  gleichfalls  trotz  der  Befruchtung  nicht  furchten,  wahrgenommen 
wurden.  Unbefruchtete  Eier  dagegen  liessen  bei  tagelangem 
Stehenbleiben  allmählich  ganz  unregelmässig  vertheilte  Flecken  ent- 
stehen. Danach  haben  wir  also  in  den  erwähnten  Zeichnungen 
,,be  fruchtet  er",  aber  nicht  sich  furchender  Eier  immerhin  eine 
Thätigkeit  besonderer,  in  gewisser  Hinsicht  typischer  Weise 
gestaltender  Kräfte  zu  erbhcken.  Ich  habe  diese  Eier  auf- 
gehoben; und  gedenke  nach  weiterer  Aufspeicherung  solchen  Mate- 
riales,  dasselbe  im  Zusammenhange  zu  bearbeiten. 


Abhängigkeit  der  Entwickelung  von  der  Luft,  Unabhängig- 
keit der  Organanlage  von  der  Lagerung  der  Luftquelle. 

Einige  der  Glasröhren  mit  befruchteten  Eiern  liess  ich  [39]  zu 
weiterer  Beobachtung  liegen.  Es  ergab  sich  nach  einigen  Tagen,  dass  sich 
an  jedem  Ende  der  Röhre  nur  das  nächste  Ei  ungehemmt  weiter  ent- 
wickelt hatte  und  zur  Zeit  der  Beobachtung  eine  normale,  eben  im  Schluss 
begriffene  Rückenfurche  darbot;  während  das  zweitnächste  Ei  blos 
die  Gastrula  gebildet  hatte  und  das  dritte  auf  der  Stufe  der  ganz 
oder  fast  vollendeten  Blastula  stehen  geblieben  war,  gleich  den  übrigen 
zwischen  beiden  Enden  gelegenen  Eiern.  War  dagegen  eine  grosse  Luft- 
l)lase  zwischen  den  Eiern  in  der  Röhre  vorhanden,  so  entwickelten  sich 
die  ihr  anhegenden  Eier  gleichfalls  weiter;  und  zwar  bildete  sich  der 
Urmund  in  keiner  constanten  Lage  zur  Berührungsstolle 
der  Luftblase  m  i  t  der  Blastula!  Dieser  interessante  Befund 
ist  wohl  ein  Zeichen,  dass  die  ,, Furchung"  noch  bei  sehr  ge- 
ringer Gelegenheit  zum  Gasaustausch  vor  sich  gehen 
kann,  während  zurBildung  neuer  Gestaltung  durch, ,Wachs- 
thum"    ein    höheres    Maass    von   Luftaufnahme    nöthio-    ist. 


Abhängigkeit  der  Entwickelung  von  der  Luft  etc.  323 


Weiterhill  ergicbt  sich,  dass  dio  „Lage"  der  Luftquelle 
zur  Blastula  keinen  differenzirendn  Einfluss  von  der  Art 
ausübt,  dass  etwa  immer  dieselben  Organe  des  Emi3ryo 
sich  an  der  der  Luft  zugewendeten  Seite  entwickelten^). 

Bezüglich  der  gegenseitigen  richtenden  Wirkung 
zwichen  dem  sich  theilenden  Zellkerne  und  den  Theilen 
des  ihn  umgebenden  Zellleibes  hoffe  ich  [entsprechend  meiner 
bereits  im  Jahre  1883  (s.  S.  118)  geäusserten  Vermuthung  und  den 
oben  S.  303—305  mitgetheilten  Versuchen  (siehe  Nr.  30)],  an  den  künst- 
lich deformirten  Eiern  durch  genaue  Prüfung  der  Stellung  der  Kern- 
spiudel  zu  den  von  einander  nnterscheidbaren  Dottermassen  die  nöthige 
Aufklärung  gewinnen  zu  können.  Jüngst  hat  sich  0.  Hertwig-)  gleich- 
falls für  eine  solche  richtende  Wechselwirkung  und  zwar  auf  Grund 
vergleichend  anatomischer  und  physiologischer  Tliat- 
sachen  ausgesprochen.  Er  sagt:  „Der  Furchungskern,  von  welchem 
auf  das  Protoplasma  Kraftwirkungen  ausgehen,  wie  die  strahlen- 
förmige Anordnung  der  Plasmatheilchen  um  ihn  lehrt,  sucht  stets 
die  Mitte  seiner  Wirkungssphäre  einzunehmen."  S.  19.  „x4.n  dem 
Furchungskern  bilden  sich  die  zwei  vor  jeder  Theilung  auftretenden 
Kraftcentren  in  der  Richtung  grösster  [40]  Protoplasma-Ansammlung 
der  Zellen."  S.  20.  Und  ferner:  „Dem  Protoplasma  und  Kern,  indem 
sie  wechselseitig  auf  einander  einwirken,  kommt  die  Fähigkeit  zu, 
ihr  Lageverhältuiss  zu  reguliren."  S.  21  [siehe  hierzu  Nr.  31,  S.  276]. 
Diese  Aussprüche  erfolgen  auf  Grund  der  ihnen  entsprechenden  Kern- 
einstellung bei  normalen,  verschieden  geformten  Eiern.  Die  dadurch 
schon  gewonnene  „Wahrscheinlichkeit"  kann  aber  zu  einer 
,,Gewissheit"  erst  erhoben  werden,  wenn  es  uns  gelingt, 
dasselbe  Verhalten  in  verschiedenartigen,  von  uns  künst- 
lich erzeugten  Bedingungen  zu  beobachten.  Auf  solches 
Verhalten  weisen  bereits  ein  weiter  unten  (S.  336)  mitgetheiltes  Vor- 


[')  Esist  vielmehr  zu  folgern,  dass  jede  Seite  der  Blastula  und  Gastrula 
die  Athmungsfunction  übernehmen  kann  und  dass  von  jeder  Seite 
aus  die  Luft  im  ganzen  Gebilde  vertheilt  werden  kann.] 

2)  0.  Hertwig.  Welchen  Einfluss  übt  die  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der 
Zellen?    Jena  1884. 

21* 


324  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

kommniss  an  in  Zwangslage  befindlichen  Eiern  sowie  die  vorn  S.  303 
mitgetheilten  Deformationsversuche  hin. 


y.    Bedeutung:  der  ersten  Furchungeii. 

Weitere  Beobachtungen  sollten  mich  über  die  Bedeutung 
der  ersten  F  u  r c  h  e  noch  sicherer  unterrichten,  als  es  bereits  durch 
meine  erste  Untersuchung  (Nr.  16)  geschehen  war.  Als  normales 
Verhalten  hatte  sich,  wie  schon  erwähnt,  ergeben,  dass  diese  senk- 
recht sich  einstellende  Furche  bei  Rana  esculenta  das  Bild  der 
oberen  Eihälfte,  welches  auf  einer  Seite  durch  einen  hellen,  sichel- 
förmigen Saum  ausgezeichnet  ist,  symmetrisch  theilt  (s.  Taf.  IV), 
dass  sie  also  in  die  Sjanmetrieebene  der  Pigmentirung  bei  der  vor- 
handenen schiefen  Einstellung  des  Eies  fällt;  ferner  dass  die  Furchen  der 
vierten  Furchung  normaler  Weise  gleichfalls  dazu  symmetrisch  orientirt 
sind,  und  dass  in  gleicher  Weise  bei  Rana  esculenta  wie  fusca  die 
Medianebene  des  späteren  Embryo  in  die  erste  Furchungsebene  fällt  ^). 

1)  Diesem  Zusammenhang  liegt  ein  Furchungschema  zu  Grunde,  welches  in 
jenen  wesentlichen  Eigenschaften,  die  uns  die  Möglichkeit  gewähren,  die  Hauptricht- 
ungen des  Embryo  am  Eie  schon  nach  der  ersten  Furche  zu  erkennen,  zuerst  von 
mir  aufgestellt  und  als  N  ormalf  urchungsscb  ema  der  Rana  esculenta  bezeichnet 
worden  ist  (s.  S.  113  u.  f.).  Bei  dieser  Gelegenheit  bemerkte  ich,  dass  dasselbe 
total  verschieden  ist  von  dem  kurz  zuvor  seitens  A.  Raiber's  für  diese  Species  auf- 
gestellten Normal-Furchungsschema.  Gegen  diese  Angabe  erhebt  dieser  Autor  Ein- 
spruch (Zoolog.  Anz.  1883,  S.  461  und  Zoolog.  Jahresber.  1883,  Abth.  IV,  .S.  129), 
indem  er  behauptet,  dass  unser  beider  Schemata  vollkommen  übereinstimmten,  und 
beschwert  sich  zugleich,  dass  ich  seine  Vorarbeit  nicht  anerkannt  hätte.  Nun  aber 
gründet  sich  Raubkr's  Normalschema  auf  die  Anwesenheit  einer  Brechungs- 
furche (vergl.  Morph.  Jahrb.  VIII,  S.  262  u.  274),  während  das  meine  auf  dem 
Fehlen  einer  solchen  beruht,  wodurch  erstdie  Beziehung  zur  künftigen  Medianebene 
erkennbar  wurde.  Zweitens  giebt  R.  bezüglich  derjenigen  Beziehungen  meines  Schemas, 
welche  bereits  von  früheren  Autoren,  zuletzt  von  Rauber  beschrieben  worden  sind, 
und  für  welche  ich  auf  Rauber's  Abbildung  verwiesen  habe,  extra  eine 
Vorschrift,  wie  dieselben  aus  der  „Normalstellung"  der  Furchen  seines  Schemas  ab- 
zuleiten seien  (S.  275).  Damit  ist  wohl  der  Einspruch  R.'s  genügend  charakterisirt. 
Aber  selbst,  wenn  R.  diese  vor  ihm  bereits  bekannten  Züge  als  die  normalen  hin- 
gestellt hätte,  so  würde  dieses  Schema  damit  für  unseren  Zweck  noch  gar  nicht 
brauchbar  gewesen  sein,  denn  es  fehlten  noch  alle  dafür  nöthigen 
Hauptmomente:  erstens,  dass  bei  diesem' Schema  di  e  E  iaxe  schräg  steht,  wo- 
durch allein  Vorn  und  Hinten  so  früh  erkennbar  werden;  zweitens,  dass  die  erste  Furche 
durch  die  Sy  m  m  etrieeb  ene  dieser  Schiefstellung  geht;  drittens,  dass  die  zweite 


V.  Bedeutung  der  ersten  Furchungen.  325 


a)  Beziehung    zwischen    „erzwungener"    Stellung   der   Eiaxe 
und  der  Richtung  der  ersten,  rcsp.  zweiton  Furche^). 

[4:1]  Von  allen  den  vorstehend  genannten  normalen 
Lage-Beziehungen  der  ersten  Furchungen  zu  einander 
sowie  zur  Eiaxe  und  zur  Medianebene  sind  mir  im  Jahre  1884 
zahlreiche  Abweichungen  vorgekommen;  die  Beziehung  zur  Sym- 
metrieebene der  Pigmentirung  war  sogar  in  der  grossen  Mehrzahl 
der  Fälle  verändert.  Da  es  mir  nicht  wahrscheinlich  schien,  dass  so 
fundamentale  Verhältnisse  ohne  besondere  Ursache  in  ihrem  Wesen 
variiren,  suchte  ich  nach  einer  solchen  Ursache,  und  glaube  sie 
darin  erblicken  zu  dürfen,  dass  in  diesem  Jahre  alle  meine 
Eier  behufs  Verwendung  der  Mehrzahl  derselben  zu  anderen  Ver- 
suchen^) sich  wenigstens  einige  Stunden  lang,  von  der  Be- 
fruchtung angefangen,  in  ,, Zwangslage"  befanden  (s.  Nr.  22, 
S.  117  und  Nr.  31,  S.  250  und  251). 

Furche  excentrisch  und  zwar  normaler  Weise  immer  derselben,  dem 
Hinten  entsprechenden  Seite  genähert  ist.  und  viertens,  dass  auch  die 
Furchen  der  vierten  Theilung  normaler  Weise  zur  ersten  Furchungsebene  sym- 
metrisch orientirt  sind.  Bei  Rauber's  und  seiner  Vorgänger  Beobachtungen  dagegen 
fehlt  jede  Beziehung  der  Furchungsaxe  zur  Eiaxe,  desgleichen  die  Be- 
ziehung der  vierten  Theilung  auf  die  erste,  da  sie  schon  in  diesem  Stadium 
die  erste  und  zweite  Furche  nicht  mehr  von  einander  unterschieden  haben,  und  die 
Beziehung  der  Medianebene  des  Embryo  auf  die  ersten  Furchungsebenen  (s.  Nr.  21, 
S.  160). 

[1)  Die  hier  verwendete,  von  Pflüger  eingeführte  Zwangslage  durch  un- 
genügende Quellung  der  Gallerthülle  ist  mit  nur  geringer  Deformation 
der  Eier  verbunden,  weshalb  man  sie  als  ,, einfache  Zwangslage"  bezeichnen  kann. 
Gleichwohl  weisen  Vorkommnisse  (die  Abweichungen  der  ersten  oder  zweiten  Furch- 
ungsebene aus  der  Symmetrieebene  des  Rindenpigmentes)  darauf  hin,  dass  die  Rich- 
tung der  ersten  Furche  dabei  manchmal  durch  geringe  Gestaltäude- 
rung  beeinflusst  ist.  Stärker  ist  dies  bei  Eiern  der  Fall,  welche  durch  starke 
Deformation  (Aspiration  in  Glasröhren  oder  Pressung  zwischen  Platten  bei  geringer 
aber  doch  stärkerer  Quellung  der  Gallerthülle)  in  erzwungener  Lage  erhalten  werden; 
diese  übrigens  nicht  so  feste  Zwangslage  kann  als  Deformationszwangslage  be- 
zeichnet werden.  Die  Zwangslage  unterscheide  ich  weiterhin  in  .schiefe  oder  gerade, 
je  nachdem  die  Eiaxe  in  abnormer  oder  normaler  Richtung  fi.xirt  wird  (s.  Nr.  21, 
S.  195  Anm.).i 

[')  Zu  den  in  Nr.  18  mitgetheilten  Anstechversuchen.  Diese  machen  nöthig, 
dass  das  Ei  beim  Fassen  seiner  Hülle  mit  der  Pincette  und  beim  Anstechen  sich  in 
dieser  Gallerthülle  nicht  drehen  könne,  damit  man  auch  wirklich  die  beabsichtigte 
Stelle  verletze.] 


326  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Diese  Abweichung  bekundete  sich  einmal,  Avie  schon  oben  erwähnt, 
darin,  <lass  bei  vielen  Eiern  die  erste  Furche  nicht  vollkommen 
senkrecht,  ja  sogar  einige  Male  fast  wagrecht  stand;  doch  ent- 
wickelten sich  alle  diese  Eier  nicht  weiter. 

Für  Eier  in  Zwangslage  stellte  Pflüger  ^)  den  Satz  auf,  dass  ein 
und  dasselbe  Ei  bei  der  ersten  Entwickelung  sich  in  sehr  verschie- 
dene Richtungen  theilen  kann,  „je  nachdem  man  willkürlich  den 
Winkel  wählt",  den  die  Eiaxe  mit  der  Richtung  der  Schwer- 
kraft macht.  Ordnet  man  aber  die  Zahlen  seiner  eigenen  Tabelle 
nach  den  Neigungen  der  [42]  Eiaxe,  so  steht  z.  B.  bei  90°,  also 
bei  immer  derselben  willkürlich  gewählten  Neigung  die  erste 
Furchungsebene  in  Winkeln  von  0«,  0°,  O«,  22°,  33",  40°,  50«,  60",  1>0« 
zur  Eiaxe;  in  gleicher  Weise  verhalten  sich  seine  übrigen  Zahlen. 

[Statt  einer  Abhängigkeit  des  Winkels  der  ersten  Theilungsebene 
von  dem  willkürlich  gewählten  Neigungswinkel  der  Eiaxe  wäre  also  rich- 
tiger eine  vollkommene  Unabhängigkeit  beider  von  einander 
aus  den  Messungen  Pflüger 's  abzuleiten] ;  und  Pflüger  spricht  solches, 
ohne  den  vorstehenden  Satz  zu  widerrufen,  implicite  selber  aus,  indem 
er  in  seiner  dritten  Abhandlung,  S.  1,  angiebt:  ,,dass  die  Schwerkraft 
die  Richtungen  der  Zelltheilungen  in  dem  sich  entwickelnden  Ba- 
trachiereie  beherrscht,  so  dass  ,, keine"  wesentliche  Beziehung 
zwischen  Lage  der  Eiaxe  und  der  Richtung  der  Furchungen 
existirt."  [Doch  entspricht  auch  diese  Angabe  nicht  meinen  Erfah- 
rungen, wie  jetzt  dargethan  werden  soll.] 

Von  493  von  mir  im  Jahre  1884  beobachteten,  in  Zwangslage 
[mit  meist  nur  geringer  erzwaingener  Schiefstellung  der  Eiaxe]  be- 
findlichen Eiern  von  Rana  esculenta  stand  bei  106  Stück  (21,5°/o)  die 
erste  Furche  in  Richtung  der  durch  die  Eiaxe  gehenden  verticalen 
Symmetrieebene,  bei  56  (ll°/o)  innerhalb  20°  nahe  dieser  Richtung. 
Dagegen  stand  bei  173,  also  35°/o  der  Eier,  die  erste  Furche  recht- 
winkelig zur  Symmetrieebene,  und  bei  weiteren  90  Stück  (18  °/o)  inner- 
halb 20°  dieser  Richtung  genähert ;  während  in  den  noch  verbleiben- 
den Raum   von    50°    zwischen    diesen   Extremen    nur   der  Rest   von 


1)  Pflüger's  Arch.  Bd.  XXXII,  S.  15. 


V.    Bedeutung  der  ersten  Furchungen.  327 

68  Eiern  (14  *\'o)  fällt.  Es  zeigt  sich  also,  wie  aueli  gleichzeitig 
College  Born  beobachtet  liat,  bei  Zwangslage  der  Eier  ein  anf- 
fallend  liäufiges  reclitwinkelig  Stehen  der  ersten  Fnrche 
znr  verticalen  Symnietrieebene,  welche  ihrerseits  durch  die 
Eiaxe  bestimmt  ist.  Ausserdem  finde  ich  eine  sehr  ausge- 
sprochene Gruppirnng  der  Abweichungen,  sowohl  um  diese 
Richtung,  wie  um  die  Symmetrieebene  selber,  so  dass  zusammen  8(5 "^/o 
der  ersten  Furchungsebenen  diesen  beiden  Richtungen  zu- 
gehören, während  blos  14°/o  in  den  ÖO*'  umf assendenZwischen- 
raum  zwischen  diesen  beiden  Hauptgruppen  fallen  (s.  S.  335  u.  f.) 

Ich  habe  zugleich  beobachtet,  dass  bei  diesen  letzteren  von  vor- 
stehender Regel  abweichenden  Eiern  grösstentheils  schon  nach  der 
zweiten  Furche  die  Pi g mentvertheilung  in  der  Eirindc  der- 
artig umgearheilet  ivar,  dass  nachträglich  die  J^ehereinstim- 
mnng  mit  einer  der  beiden  Hanptrichtungoi  [das  heisst  mit  der 
Richtung  der  ersten  oder  zweiten  Furche]  sich  hergestellt  fand 
(s.  S.  521). 

Damit  ist  ein  für  die  Auffassung  des  Mechanismus  der  ersten 
Entwickelungsvorgänge  höchst  bedeutsamer  Irrthum  Pflüger's  beseitigt, 
indem  an  die  Stelle  des  „Fehlens"  jeder  [43]  wesentlichen 
Beziehung  der  ersten  Furche  zur  Eiaxe  der,, Wechsel  zwischen 
einer  ganz   bestimmten  Alternative"    tritt-),    welchen   wir,   wie 


[1)  Diese  fundamentale,  durch  zahlreiche  Wiederholungen  sicher  gestellte 
Beobachtung,  welche  auf  sehr  actuelle  Beziehungen  zwischen  der 
pigmentirtenSubstanz  der  Ei  rinde  einerseits  und  der  Anordnung  des 
unter  ihr  liegenden  Bildungsdotters  und  den  Qualitäten  des  Zell- 
kernes andererseits,  also  zwischen  der  sogenannten  primären  Eiaxe  und  dem 
Eiinhalt  hinweist,  ist  bis  jetzt  von  keinem  nachfolgenden  Beobachter  beachtet 
worden  (s.  Nr.  30). 

[^)  Entsprechend  der  Ausführung  auf  Seite  109  wurden  auch  hier  die  Ab- 
weichungen als'^um  Theil  auf  Versuchs-  und  Beobachtungsfehlern  be- 
ruhend aufgefasst.  Spätere  Beobachtungen  mit  gleichem  Resultat  machen  es 
wahrscheinlich,  dass  diese  Abweichungen  zu  einem  erheblichen  Theil  wirklich  im  Ver- 
alten der  inneren  Theile  des  Eies  selber  begründet  sind  und  nicht  blos  auf  nach- 
träglichen Drehungen  des  Eies  beruhen  (s.  Nr.  20,  S.  51). 

Alsdann  hat  an  die  Stelle  des  von  Pflüger  behaupteten  Fehlens  jeder 
Beziehung  zwischen  der  Eiaxe  und  den  beiden  ersten  Furchen,  besser  gesagt, 
zwischen  dem  „pigmentirten  Rindentheil"  und  den  durch  die  beiden 
ersten  Furchungen   gesonderten    „inneren"   Dottermassen  bei  schiefer 


328  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


wir  sehen  werden,  schon  jetzt  in  seinen  Ursaclien  annähernd  zu  ver- 
stehen im  Stande  sind. 

b)    Beziehung    zwischen    der  Richtung    der    ersten   Furche 
und  der  Richtung  d  er  Medianebene  bei  „einfacher  Zwangs- 
lage" (s.  S.  325)  der  Eier. 

Die  Feststellung  der  Bedeutung  der  ersten  Furche  für  den 
späteren  Embryo  angehend,  so  wurde  bei  75  von  den  erwähnten,  in 
Zwangslage  erhaltenen  Eiern  ausser  der  Stellung  dieser  Furche 
zur  Symmetrieeljene  der  oberen  Ansicht  noch  die  Stellung  der  Rücken- 
furche resp.  der  Ort  der  ersten  Urmundsanlage  bestimmt.  Davon  fielen 
bei  blos  15  Eiern,  also  20  "/o,  die  erste  Furche  und  die  Medianebene  des 
Embryo  mit  der  Symmetrieebene  der  Pigmentirung  zusammen,  während 
bei  weiteren  11,  also  14°/o,  dasselbe  annähernd,  mit  Abweichungen  inner- 
halb 20°,  der  Fall  war.  Diese  34*^/0  der  Eier  zeigten  somit  in  der 
Zwangslage  wesentlich  dasselbe  Verhalten  als  Eier,  welche  ihre 
physiologische  Schiefstellung  der  Eiaxe  durch  Eigendrelmngen 
eingenommen  haben. 

Bei  24  der  Eier,  bei  welchen  die  erste  Furche  rein  quer,  bei 
13,  wo  sie  annähernd  quer  zur  S^anmetrieebene  stand,  fiel  gleich- 
wohl die  Median  ebene  vollkommen  resp.  annähernd  mit  der 
Richtung  der  Symmetrieebene  zusammen^).  Diese  Eier,  zu- 
Zwangslage eine  Beziehung  zu  treten,  Avelche  nicht  so  fest  ist,  wie  oben  ge- 
folgert wurde,   sondern  um  zwei  Prädi  le  cti  on  sr  ic  htungen  variirt. 

Mit  anderen  Worten  heisst  dies :  Bei  Zwangslage,  also  bei  dadurch  veranlasster 
Störung  der  normalen  Lage  der  pigmentirten  Rindensubstanz  zu 
den  inneren  Dotter  Substanzen  kommt  „während"  der  beiden  eisten 
Furchungen  oft  der  normale  Einfluss  der  p  igm  enti  rten  Rindensub- 
stanz auf  die  Bestimmung  d  e  r  „  R  i  c  h  t  u  n  g  "  der  ersten  E  i  t  h  e  i  1  u  n  g  e  n 
nicht  voll  zur  (leltung,  sondern  der  Einfluss  der  ,.  inneren"  Dotter- 
substanz e  n  auf  die  T  h  e  i  1  u  n  g  s  r  i  c  h  t  u  n  g  überwiegt. 

Unsere  zweite  Beobachtung  zeigt,  dass  alsdann,  während  und  nach  der  zweiten 
Furchung.  das  R  in  d  en  pi  gm  e  n  t  nachträglich  zu  einer  der  beiden  ersten 
Theiluugen,  also  zu  der  durch  die  ersten  Theilungen  bewirkten  Sonde- 
rung der  inneren  Dottersubstanzen  „sj-m  metrisch 'geordnet  wird: 
und  zwar  geschieht  dies,  wie  später  mitgetheilt  wird,  fast  ausnahmslos  um  diejenige 
der  beiden  ersten  Furchen,  mit  welcher  später  die  Median  ebene  des  Embryo  zu- 
sammenfällt. 

[')  üeber  das  Verhalten  bei  Pressung  der  Eier  zwischen  wagrechte  und  senk- 
rechte Platten  siehe  Nr.  29,  S.  607.1 


V.   Bedeutung  der  ersten  Furchungen.  329 


sammen  49''/o  der  beobachteten,  stellen  das  W'i-halten  dar,  wek-lie  von 
Räuber^)  als  das  ausschliessliche  Vorkommen  unter  normalen 
Verhältnissen  hingestellt  worden  ist.  Da  aber  Haihkü,  nach  seiner 
mündlichen  Angabe,  mit  w  e  n  i  g  a  n  gefeuchtet  e  n  Eiern  experimen- 
tirte,  so  war  jedenfalls  bei  seinen  Versuchen  zumeist  Zwangslage  wie 
bei  den  meinigen  vorhanden;  und  es  ist  blos  zu  verwundern,  dass 
Rauber  diese  Einstellung  als  die  ,, ausschliessliche"  aufführt. 

Ich  fasse  dieses  Vorkommniss  als  einen  Anachroiiisinus  der 
Furclumg-,  als  eine  bei  Zwangslage  sehr  häufig  eintretende 
zeitliche  Verwechselung  der  beiden  ersten  Furchen  (siehe 
S.  117)  auf-),  wobei  also  die  eigentlich  zweite,  normalerweise  quer 
zur  Symmetrieebene  stehende  Furche  zuerst  entstanden  ist, 
■wobei  gleichwohl  aber  die  Medianebene  des  Embryo  in  der  Richtung 
der  hier  erst  als  zweite  entstandenen,  aber  durch  ihre  Stellung  in  der 
Symmetrieebene  und  eben  durch  ihre  genannte  Beziehung  zur  Median- 
ebene Avohl  charakterisirten,  nor-  [-1:4]  maier  Weise  ersten  Furche 
liegt.  Dieser  Möglichkeit  war  bereits  in  meiner  ersten  Arbeit  auf 
Grund  einer  damals  einzigen  bezüglichen  Beobachtung  gedacht  und 
ich  habe  auf  der  Naturforscherversammlung  in  ^Magdeburg  Herrn  Rauber 
diese  Deutung  entgegengestellt.  (Sitzungsber.  der  Vers,  der  Naturf. 
1884  S.  330.)  Da  aber  Herr  Rauber  in  seinem  kurzen  dem  Drucke 
übergebenen  Referat  den  bezüglichen  Theil  seines  Vortrages  ausge- 
lassen hat,  so  muss  meine  Er^^'iderung  an  jener  Stelle  wie  aus  der 
Luft  gegriffen  erscheinen. 

Die  von  mir  gemachte  Annahme  wird  durch  zahlreiche  beobachtete 
sonstige  Anachronismen  der  typischen  Furchungsordnung 
bei  Zwangslage  gestützt.  In  einer  Glasschale  mit  20  Eiern  trat  sogar 
bei  4  Eiern  die  dritte  verticale  Furche  vor  der  ersten  Aequa- 
torial furche  au.^,  wobei  also  sogar  eine  zeitliche  Verwechselung 
einer  wagrechten  Furche  mit  einer  senkrechten  Furche  stattfand. 
[Weiteres  s.  Nr.  22,  S.  22.]     Wenn  somit  die  Reihenfolge  der   quali- 


ij  Zool.  Anz.  1883,  S.  462.  und  Vortrag  auf  der  Vers.  d.  Naturf.  zu  Magde- 
burg 1884. 

[-)  üeber  den  Mechanismus  dieses  Anachronismus  siehe  Nr.  20,  S.  52  und 
Nr.  21.  S.  201.] 


330  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

tativ  verschiedenen  Eitheilungen  bei  derselben  Species  so  leicht  alterir- 
bar  ist,  so  wird  es  verständlicher,  dass  auch  bei  nahe  verwandten 
Species  darin  Verschiedenheiten  bestehen,  wie  A.  Goette') 
es  bezüglich  der  Würmer  angiebt,  wo  die  erste  Furche  bald  die 
Medianebene  darstellt,  bald  Vorn  und  Hinten  scheidet. 
Dieser  Autor  erwähnt  zugleich  auch  schon  das  Vorkommen  von  Fur- 
chungsauachronismen  innerhalb  derselben  Species  bei  den  Würmern. 
In  diesem  Wechsel  ist  aber  nach  meinen  Erfahrungen  bezüg- 
lich des  Frosches  das  Wesentliche,  Bleibende,  dass  die  ersten 
drei  Theilungen  des  Eies  normalerweise  in  einer  ,, festen  Be- 
ziehung zu  den  Hauptaxen  des  Embryo"  stehen,  dass  näm- 
lich eine  dieser  Furchen  die  Medianebene  darstellt,  eine 
Dorsal  und  Ventral,  eine  andere  Kopf-  und  Schwanz wärts 
scheidet,  und  dass  mit  diesen  Axenbestimmungeu  auch  schon 
die  angehörigen  ,, Qualitäten" ,  das  Dorsal  und  Ventral,  das 
Oral  und  Aboral  von  einander  differenzirt  und  in  ihrer 
Lage  an  jeder  von  beiden  Hälften  der  betreffenden  Axe 
normirt  sind. 

Beiden  übrigen  12  Eiern,  also  bei  16*^/0,  wurde  ein  scheinbar 
abweichendes  Verhalten  beobachtet,  dessenThatsächlichkeit 
indess  erst  [45]  durch  weitere  Versuche  geprüft  werden  muss, 
ehe  zu  einer  Erklärung  seiner  eventuellen  Bedeutung  ge- 
schritten werden  kann  (s.  Nr.  21,  S.  196;  Nr.  29,  S.  608  u.  Nr.  30, 
S.  4). 

Aehnliche  Abweichungen  kamen  häufiger  bei  Eiern 
in  Ztvangslage,  iveJche  nach  der  ersten  bis  vierten  Furche 
umgedreht  und  in  dieser  Lage  bis  zum  Auftreten  der 
Rückenfurche  erhalten  worden  waren,  zur  Beobachtung;  doch 
sind  hier  auch  die   fehlererzeugenden  Kräfte  noch  grössere. 

Da  Pflüuer  die  in  Zwangslage  noch  waltende  Gesetz- 
mässigkeit der  Lage  der  ersten  resp.  zweiten  Furche  zur 
Ei  axe  übersehen  hat,  er  aber  gleichwohl  die  Medianebene  des 
Embryo  durch  die  verticale  Symmetrieebene  der  Eieinstellung  bestimmt 

1)  A.  GoKTfK.  Abhandlungen  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere.  Heft  I, 
S.  7,  Heft  II,  S.  56. 


EJntstehungsmöglichkeit  der  Doppelbildungen.  331 


fand,  wie  ich  es  vorher  schon  l'ür  (Ue  normale  ScliieistcHnng  der  Ei- 
axe  mitgetheilt  hatte,  so  konnnt  er  zu  der  Auffassung'  (Abhandhnig  TI, 
S.  31),  dass  bei  Zwangslage  die  Ebene  der  ersten  l*\irchung  mit 
der  Medianebene  die  verschiedensten  Winkel  mache,  womit  also 
jede  Beziehung  der  ersten  Furche  zur  Medianebene  auf- 
gehört haben  würde.  Damit  wäre  auch  das  von  mir  und  danach 
von  Pflüger  gefundene  Gesetz,  dass  die  erste  (resp.  nach  vorstehen- 
der Erörterung  gelegentlich  zweite)  Furche  die  Medianebene  des  Frosch- 
embryo darstellt,  blos  der  Ausdruck  eines  zufälligen,  leicht  trenn- 
baren Zusammenfallens  gewesen,  und  hätte  demnach  auch  nur  ge- 
ringe ontogenetische  Bedeutung  gehabt.  Indem  ich  durch  die  vor- 
stehend mitgetheilten  Beobachtungen  und  Ausführungen  diese  Auf- 
fassung als  irrthümlich  nachgewiesen  habe,  mache  ich  mir  dies  Ge- 
setz in  seiner  fundamentalen  Bedeutung,  dass  die  erste  (resp.  zweite) 
Furche  bereits  das  Material  der  beiden  Antimeren  des  künftigen  Em- 
bryo scheidet,  auf's  Neue  zu  eigen'). 

Das  Wesen  der  [normalen]  Furchung  besteht  demnach,  wie  ich 
schon  in  meinen  Arbeiten  über  die  Bestimmung  der  Hauptrichtungen 
und  über  die  Bedeutung  der  indirecten  Kerntheilung  angenommen  habe, 
[abgesehen  von  der  Zerlegung  des  Eies  in  kleinere  Zellen]  darin, 
dass  sie  das  [durch  die  Befruchtung  „activirte"] ^)  Keimmaterial 
„qualitativ"  scheidet  und  es  zugleich  in  einer  Weise  zu 
einander  „ordnet",  welche  die  Lage  der  späteren  diffe- 
renzirten  Organe  des  Embryo  im  Voraus  bestimmt.  Diese 
qualitative  Scheidung  und  bestimmte  Lagerung  betrifft 
„vorzugsweise"   das   „Kernmaterial"  [46]  und    wird  durch 


[1)  Da  indess  die  erzwungene  Schiefstellung  der  Eiaxe  in  diesen  Versuchen 
eine  nur  wenig  von  derVerticalen  abweichende  war,  und  sie  gleichwohl  so  erhebliche 
Abweichungen  von  der  Norm  hervorbrachte,  so  ist  vielleicht  nicht  mit  Unrecht  zu 
vermuthen,  dass  bei  erzwungener  stärkerer  Schiefstell ungdie  Procent- 
zahlen der  Abweichungen  noch  grössere  werden,  und  noch  mehr 
wird  dies  wohl  gesteigert  werden  können,  wenn  die  Zwangslage,  wie  bei 
Pressung  der  Eier  zwischen  Platten  oder  bei  Aspiration  in  enge  Röhren  noch  mit 
starker  „Deformation'-  der  Eier  verbunden  ist.  (Nr.  29.  S.  607  und  Nr.  31, 
S.  265  u.  f.)] 

[•-')  Ueber  die  gemachte  Einschaltung  siehe  Nr.  22,  S.  138,  sowie  Nr.  27  u.  28.] 


332  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


die  ,,in(iirecte"  Kerntheilung  vermittelt  [s.  S.  306  u.  Nr.  22, 
S.  138]  1). 

O.  Hert\aig  hat  sich  im  iVnschluss  an  die  von  mir  ausgesprochene 
Auifassmig  der  Bedeutung  der  indirecten  Kerntheihmg  jüngst  in  ähn- 
hcher  Weise  über  die  Bedeutung  der  Furchung  geäussert  und  dabei 
zuerst  und  mit  Recht  auf  die  Wichtigkeit  der  gleichzeitig  stattfinden- 
den Vermehrung  des  Kernmaterials  hingewiesen.  Er  sagt-):  „Als 
das  Wesentlichste  und  Wichtigste  der  ersten  Entwickelungs Vorgänge 
betrachte  ich  die  Vermehrung,  Individualisirung  und  gesetzmässige 
^'ertheiluno•  der  Kernsubstanz". 


En tste hu ngsm ü glich keit    der   Doppelbildungen. 

Diese  Bedeutung  der  Furchung  beschränkt  meiner  Meinung  nach, 
wie  ich  nicht  unterlassen  will  bei  dieser  Gelegenheit  nochmals  her- 
vorzuheben (s.  S.  122),  die  Möglichkeit  der  Anlage  von 
„Doppelbildungen  mit  Verdoppelung  von  Axenorganen" 
auf  die  Zeit  vor  und  bis  zur  Vollendung  der  ersten  Furchung,  wofür 
sich  früher  schon  B.  Schultze^),'  Fol*)  und  F.  Marchand ^)  ausgesprochen 
haben.  Letzterer  sagt  schon :  ,,wir  müssen  annehmen,  dass  den  beiden 
Embryonalanlagen  auch  zwei  Furchungscentren  entsprechen". 


f  1)  Es  war  hier  wie  früher  (s.  S.  327  Anm.)  angenommen,  dass  die  beobachteten 
kleinen  Abweichungen  von  den  beiden  Hauptrichtungen  auf  Versuchs-  oder  Beobach- 
tungsfehlern beruhen  und  dass  also,  von  dem  typischen  Anachronismus  abgesehen, 
das  Entwickelungsgeschehen  auch  bei  Zwangslage  der  Eier  normal  verliefe.  Dasselbe 
wurde  für  die  16°,'o  gröberer  Abweichungen  vermuthet. 

Daher  bezog  sich  die  hier  gegebene  Definition  der  Bedeutung 
der  Furchung  trotz  der  gleichzeitigen  Berücksichtigung  der  Zwangslage  doch  nur 
auf  normales  Geschehen. 

Bei  wirklichen  Abweichungen  des  Geschehens  wird  in  Folge  frühzeitiger 
Activirung  von  Reserveidioplasson  der  Furchung  andere  Bedeutung  zu- 
kommen (s.  Nr.  28).] 

a)  0.  HERTWKi,  das  Problem  der  Befruchtung  und  der  Isotropie  des  Eies,  eine 
Theorie  der  Vererbung.     Jena  1884,  S.  36. 

'■>)  Bernh.  ScHui/rzE,  Ueber  anomale  Duplicität  der  Axenorgane.  Virch.  Arch., 
Bd.  7.  1854  und  Sur  les  Monstres  doubles.     Compt.  rend.  1856,  I,  Nr.  23. 

4)  loco  cit. 

y)  F.  Marchand,  Artikel:  Missbildungen  in  Eulenburg's  Realencyclopädie  der 
Heilkunde,  1881,  S.  16. 


Entstehungsmöglichkeit  der  Doppelbildungen.  -  333 

Die  Doppelbil  du  HOCH  mit  Verdoppehniü;  von  Axen- 
organeii  unterliegen  in  ilirer  ,, Anlage"  einem  unnz  be- 
sonderen Gesetze  [s.  S.  122J.  Dies  Gesetz,  welches  icli  kurz 
das  „Gesetz  der  doppelten  Symmetrie  der  Orgajiaiilas:eii"  nennen  will, 
bestimmt,  dass  jede  dieser  Doppelbildungen  in  allen  ihren  Theilen 
symmetrisch  zu  einer  Ebene,  zur  Hauptsymmetrieebene,  angelegt 
ist,  und  dass  ein  Gleiches  wiederum  bei  jeder  der  so  gebildeten  bei- 
den Antimeren  der  Fall  ist,  so  weit  in  ihr  Verdoppelung  sich  findet. 
Durch  dieses  Gesetz  wird  die  Reihe  der  Möglichkeiten  um  ein  mehr- 
fach Unendliches  auf  die  in  ihrer  Gesammtheit  aber  immer  noch  un- 
endlich grosse  [47]  Mannigfaltigkeit  von  Bildungen  in  einer  Weise 
beschränkt,  welche  wir  uns  am  leichtesten  dadurch  vorstellen  können, 
dass  wir  zwei  gleich  entwickelte  Embryonen  symmetrisch  nebenein- 
ander legen  und  von  den  beiden  einander  zugewendeten  Antimeren 
jeder  derselben  durch  je  einen  ebenen  Schnitt  symmetrische  Stücke 
abschneiden  und  die  Schnittflächen  beider  Embryonen  vereinigen; 
dabei  ist  es  zugleich  gestattet,  die  Embryonen  vor  dem  Durchschneiden 
symmetrisch  zu  verbiegen,  so  dass  der  Schnitt  eine  Strecke  weit  der 
Medianebene  jedes  Embryo  folgen  und  sie  dann  verlassen  kann.  Die 
Schnittebene  kann  hierbei  natürlich  an  unendlich  vielen  Stellen  und 
in  unendlich  vielen  verschiedenen  Richtungen  geführt  werden,  und 
es  scheint,  dass  keine  der  so  umgrenzten  Möglichkeiten  von  der  Natur 
verschmäht  werde ^).  Dieses  wunderbare  Gesetz  ist,  wie  ich 
mich  an  dem  reichen,  die  seltensten  Fälle  enthaltenden  Material  der 
hiesigen  Sammlung  überzeugt  habe,  in  der  ,,  An  läge"  der  Organe 
ausserordentlich  fein  durchgeführt,  wenn  auch  nachträglich 
durch  ungleiches  Wachsthum  oder  ungleiche  äussere  Begünstigung- 
erhebliche  Asymmetrien  entstehen.  Dadurch,  dass  die  Doppel- 
bildungen mit  Verdoppelung  von  Axenorganen  diesem  Gesetze  unter- 
liegen, bekundet  siSi,  dass  dieselben  causal  und  daher  auch  systema- 
tisch getrennt  werden  müssen,  von  allen  anderen  Doppelbildungen 
sowohl  von  den  \"erdoppelungen   einzelner  nicht  axialer  Organe  (der 


1)  Vergl.  P.  L.  Panum,  Beiträge   zur  Kenntniss  der  physiologischen  Bedeutung 
der  angeborenen  Missbildungen.     Virchow's  Arch.  1878,  Bd.  72. 


334:  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 


I 


Extremitäten  etc.),  wie  aucli  von  den  wenigen  Missbildungen  'mit 
Verdoppelung  der  Axenorgane,  welche  diesem  Gesetze  nicht  unter- 
liegen (Inclusionen) ,  was  schon  von  B.  Schultze  (loc.  cit.)  mit  Recht 
hervorgehoben,  aber  von  späteren  Autoren  nicht  genügend  gewürdigt 
worden  ist. 

Unserer  Auffassung  der  Furchung  nach  würde  also  die  Haupt - 
symmetrieebene  der  Doppelbildung  einer  normalen 
ersten  Furche  entsprechen,  da  sie  das  Keimmaterial  quali- 
tativ halbirt;  und  es  wird  dadurch  erklärhch,  dass  alles,  was  an- 
gelegt wird,  symmetrisch  zu  dieser  Ebene  ist.  Nun  müsste  aber  für 
die  Medianebene  jeder  dieser  Antimeren  noch  einmal  eine  der  ersten 
vergleichbare  Furche  entstehen,  welche  [48]  wiederum  das  Material  quali- 
tativ halbirt,  aber  nur  so  weit  es  halbirbar,  also  doppelt  vorhanden 
ist^).  Unerklärbar  und  tief  bedeutsam  ist  es,  dass  das  Material  gerade 
so  weit  doppelt  vorhanden  sein  müsste,  um  in  der  weiteren  Ent- 
wickelung  einen  für  sich  vollkommen  normal  angelegten  Theil  einer 
Antimere  bis  an  eine  in  jedem  Falle  andere,  ebene  Abgrenzungs- 
fläche  auszubilden,  wobei  eine  grosse  Anzahl  von  Organen  bis  an 
diese  Begrenzungsfläche  normal  angelegt  werden,  obgleich  ihr  übriges 
Stück  von  vornherein  fehlt.  Letzteres  scheint  auf  eine  sehr 
vollkommene  ,,Selb  stdif  f  erenzirung"  der  auch  nur  ein- 
zelnen Organtheilen  entsprechenden  Keimtheile  hin- 
zuweisen; und  diese  Keimtheile  müssten  dann  wohl  von  Anfang  an 
schon  entsprechend  verschieden  sein.  Dagegen  spricht  nun  aber  die 
andere  Thatsache,  dass  alle  Theile  der  unvollkommenen  Antimere 
bis   zu    ein    und    derselben   Abgrenzungsebene    vorhanden 


[1)  Diese  zweite  F\irclie  würde  wohl  bei  einem  normalen  Ei  rechtwinkelig 
zur  ersten  stehen,  da  auch  hier  die  beiden  Furchungszellen  wie  normal  halbkugelig 
sind  und  daher  die  Gestalt  des  Bildungsdotters,  Avelche  ja  die  Richtung  der  Kern- 
spindel bedingt,  auch  die  normale  ist.  Soweit  eine  besondere  Vertheilung  der 
Dottersubstanzen  nöthig  ist,  müsste  sie  secundär  um  die  Richtung  der  Kernspindel 
erfolgen,  wie  (s.  S.  327  und  S.  337)  bei  Zwangslage  beobachtet  Avorden  ist.  So  würde 
sich  erklären,  dass  G.  Born  (Ueber  die  Furchung  des  Eies  bei  Doppelbildungen, 
Breslauer  ärztliche  Zeitschr.  1887,  Nr.  lö)  keine  bestimmte  äussere  Abnormität  im 
Verlaufe  der  Furchung  an  Eiern,  welche  Doppelbildungen  lieferten ,  wahrnehmen 
konnte,  wie  ich  bereits  im  Referate  dieser  Arbeit  bemerkt  habe  (s.  Hkrmann-Schwalbe's 
Jahresbericht  der  Anatomie  und  Physiologie,  anat.  Abthlg.  1887,  S.  590).] 


VI.    ,Causale  Bedeutung"  einiger  Beziehungen  etc.  335 


sind,  was  seinerseits  am  einfacbsten  von  einer  von  der  Me- 
dianebene ausgelienden  Dif f erenzirnn g  ableitbar  zu  sein 
scheint,  wobei  die  ursprünglicheKeimsub stanz  noch  relativ 
einfache  Beschaffenheit  besitzen  könnte  und  erst  im 
Laufe  der  Entwickelung  selber  ihre  grosse  Mannigfaltig- 
keit erlangen  würde'). 

Wir  stehen  bei  diesen  Doppelbildungen  vor  einem  der  grössten 
und  interessantesten  Räthsel,  welchem  wir  auch  unter  Zuhülfenahme 
der  Entstehung  der  partiellen  Antimeren  durch  Regeneration 
von  den  nach  Ansicht  einiger  Autoren  durch  eine  äussere  Einwirkung 
von  einander  getrennten  vollkommenen  Antimeren  aus,  nicht  wesentlich 
näher  treten  würden,  zumal  da  ein  Ersatz  der  zur  „Einheit" 
des  Individuum  fehlenden  Theile  ein  für  jetzt  ebenso 
unlösbares  Problem  einschliesst. 


yi.   „Causale  Bedeutung'^  eiiiig'er  Beziehungen  der  ersten  Ent- 
Avickelungsvorgänge  zu  einander. 

1.    Ursache   der   ersten  Theilung   des  Eies    von  ,,Rana  escu- 
lenta"  in  Richtung  der  Symmetrieebene  seiner  Einstellung. 

Suchen  wir  nun  zum  Schlüsse  uns  eine  vorläufige  Auffassung 
der  causalen  Bedeutung  einiger  der  bis  Jetzt  sicher  gestellten  Bezieh- 
ungen der  ersten  Entwickelungsvorgänge  zu  einander  zu  bilden,  so 
ist  zunächst  zu  erörtern,  warum  die  erste  Furche  bei  der  physiolo- 
gischen Schiefstellung  der  Eiaxe  von  Rana  esculenta  in 
Richtung  der  Symmetrieebene  dieser  Einstellung  steht. 

Diese  Schiefstellung  der  Eiaxe  ist  der  Ausdruck  der  Ansamm- 
lung der  Hauptmasse  der  specifisch  leichteren  Substanz  an  einer  Stelle 
ausserhalb  der  Eiax^,  also  ausserhalb  der  Verbindungslinie  der  Mitten 
der  [49]  braunen  und  weissen  Eirinde.  Demnach  zieht  sich  die  speci- 
fisch leichtere  Masse,  der  Bildungsdotter,  von  der  Oberfläche  aus 
im  Inneren  nach  derjenigen  weissen  Seite  des  Eies  hin,  welche  sich  in 


[1)  Diese  Eventualität  wurde  durch  die  späteren  Versuche   gestützt  (s.  Nr.  22, 
S.  287).] 


336  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

Folge  dessen  etwas  nach  oben  dreht.  Der  Bildungsdotter  ist  also  etwas 
in  die  Länge  gezogen  und  die  senkrechte,  dieser  Längsrichtung  paral- 
lele Mittelebene  stellt  sich  als  die  Symmetrieebene  dieser 
Massenanordnung  dar.  Die  Richtung  der  ersten  Furche,  also  der 
,,Theilungsebene"  des  Zellleibes,  welche  in  diese  Symmetrieebene 
fällt,  ist  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  über  Zelltheilung  als  in 
fester  Beziehung  stehend  zur  , ,  T  h  e  i  1  u  n  g  s  e  b  e  n  e  "  des  Kernes 
aufzufassen,  da  beide  Ebenen  immer  als  z  u  s  a  in  m  e  n  f  a  1 1  e  n  d 
beobachtet  w  o  r  d  e  n  s  i  n  d.  (0  b  d  i  e  s  e  B  e  z  i  e  h  u  n  g  eine  cl  u  r  c  h  - 
aus  constante  ist,  werden  uns,  wie  ich  hoffe,  die  Untersuchungen 
von  den  oben  erwähnten  linsen-,  kegel-  und  keilförmig  deformirten 
Eiern  lehren.)  Der  Kern  selber  bildet  bei  seiner  Theilung  eine 
längliche  Figur,  deren  Axe  rechtwinkelig  zu  seiner  Theilungsebene 
orientirt  ist.  Wenn  nun,  wie  oben  angenommen  worden  ist,  dieses 
Gebilde  mit  den  Substanzen  des  Zellleibes  in  einer  richten- 
den Wechselwirkung  steht,  so  wird  bei  einer  ursprünglichen  Ab- 
weichung beider  von  ihrer  Gleichgewichtslage  zu  einander  das  weniger 
massige  und  daher  leichter  bewegliche  Gebilde  von  beiden,  der  Kern, 
natürlich  die  stärkere  Ablenkung  aus  seiner  Richtung  erfahren,  während 
der  Zellleib,  den  vorliegenden  Grössenverhältnissen  beider  entsprechend, 
kaum  merkbar  alterirt  werden  wird. 

Für  die  Einstellung  der  Kernspindel  ergeben  sich  aus 
der  länglichen  symmetrischen  Anordnung  der  verschiedeneu 
Dottermassen  somit  zwei  Prädilectionsrichtungen,  in  welchen 
allein  Gleichheit  der  Wirkungen  von  beiden  Antimeren 
des  Zellleibcs  her  auf  die  Kernspindel  stattfindet,  also  eine 
gewisse  Stabilität  vorhanden  ist.  Eimnal  die  rechtwinkelige 
Einstellung  der  Kernspindel  zur  Symmetrieebene;  in 
dieser-  Stellung  kommen  beide  Enden  der  Kernspindel  unter  beider- 
seits ganz  gleiche  Zehleibsubstanzen,  weshalb  sie  für  diejenige  Thei- 
lung, welche  das  Material  für  die  beiden  Antimeren  scheidet,  die 
naturgemässe  ist,  da  dabei  auch  der  Kern  seine  Substanzen  meiner 
Annahme  nach  qualitativ  halbirt. 

Ist,  wie  aus  der  normalen  Furchung  zu  schliessen,  beim  Froschei 
nach    der  Befruchtung    zunächst    eine   Tendenz    zu    solcher    qualita- 


Causale  JJedeutung  einiger  Beziehungen  etc.  337 


[50]  tiven  Ilalbiruiio-  im  Korn  und  vielleicht  auch  im  Dotter  vorhanden, 
so  wird  sich  diese  Einstellung  herstellen,  sofern  nach  unserer  An- 
nahme die  ,,qualitative  Natur  der  Theilung"  des  einen  dieser 
Zelltheile  einen  ,, richtend  en"  Einfluss  auf  die  Stellung  zu 
dem  anderen  Zelltheile  ausübt. 

Die  zweite  stabile  Stellung  der  Kernspindel  ist  na- 
türlich ihre  Lage  in  der  Symmetrieebene.  Hierbei  werden 
aber  die  Enden  der  Kernspindel  unter  zwar  für  jedes  einzelne  Ende 
von  den  beiden  Antimeren  des  Zellleibes  her  gleiche,  aber  für  beide 
Enden  verschiedene  Einwirkung  gelangen;  und  bei  einer  qualitativen 
Wechselwirkung  zwischen  Zellleib  und  sich  tb eilendem  Kern  ist  es 
naturgemäss,  dass  in  dieser  Stellung  der  Kern  sich  qualitativ 
ungleich  theilt. 

Dass  bei  diesen  beiden  ersten  Theilungen  die  Theilungs ebenen 
senkrecht,  die  Kernspindeln  also  wagrecht  stehen,  muss 
seinen  Grund  in  der  ,, Anordnung  der  Massen  des  Zell- 
leibes" durch  die  Schwere  haben,  da  diese  ja  selber  in  der  dem 
Eie  durch  die  Schwerkraft  gegebenen  Einstellung  im  stabilen  Gleich- 
gewicht sich  finden. 

Wenig  wahrscheinlich  ist  es  dagegen,  dass  die  Schwere 
„direct"  die  wagrechte  Einstellung  der  beiden  ersten  Kern- 
spindeln als  wesentliches  Moment  hervorbringt,  da  sich  b e  i  R a n a 
fusca  diese  Kernspindeln  auch  bei  langsamer  Rotation 
der  Eier  in  einer  Verticalebene  (Nr.  19)  in  gleicher  Weise 
zur  Eiaxe  einstellen.  Aus  dem  gleichen  Grunde  nehme  ich  auch 
für  die  Richtung  der,  bei  Ruhestellung  des  Eies  senkrecht  stehen- 
den Kernspindel  der  dritten  Theilung,  wie  für  die  Richtungen 
der  Kernspindeln  bei  allen  weiteren  Theilungen  an,  dass 
sie  durch  die  „Anordnung  der  Massen  des  Zellleibes"  [resp. 
durch  deren  ,, Gestalt"  s.  S.  303],  bestimmt  werden. 

Die  typische  Stellung  der  Kernspindeln  zur  Richtung 
der  Schwere  hat  ihren  Grund  demnach  wesentlich  darin, 
dass  die  Schwere  bei  Ruhelage  des  Eies  entweder  das  ganze 
Ei  oder,  bei  Befestigung  der  ,,Eirinde"  durch  sogenannte 
Zwangslage,    die    Hauptmasse    des    Eiinhaltes    nach    dem 

99 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II,  ^^ 


338  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

specifisclieii  Gewicht  der  Dottersubstaiizen  einstellt  und 
diese  Massen  ihrerseits  die  Stellung  der  Kernspindeln  be- 
stimmen. 

2.  Ursache  der  ersten  Theilnng  des  Froscheies  „quer"  zur 
Symnietrieebene  der  erzwungenen  Einstellung  desselben. 

Die  Einstellung  schon  der  ersten  Kernspindel  in  die  Symmetrie- 
ebene erfolgt,  wie  wir  gesehen  haben,  nur  bei  Eiern,  welche  sich  in 
Zwangslage  befinden.  Hier  sind  aber  wesentlich  dieselben  Ver- 
hältnisse wie  bei  den  Eiern  der  Rana  esculenta;  nur  ist  [51]  die  läng- 
liche Gestaltung  des  Bildungsdotters  wohl  eine  noch  erheblichere;  und 
an  die  Stelle  der  ,,äusserlich  sichtbaren"  Symmetrieebene 
tritt  eine  von  der  inneren  Strömung  abhängige  und  vielleicht 
manchmal  etwas  gekrümmte  Fläche,  welche  wohl  nicht  immer 
ziemlich  genau  mit  e  r s  t  e  r  e  r  [also  mit  der  senkrechten  Symmetrie- 
ebene der  Anordnung  der  pigmentirten  und  der  hellen  Rindensub- 
stanzen] zusammenfällt  und  dadurch  die  oben  (S.  327)  er- 
wähn ten,,  Varia  tio  neu  der  ersten  Furche  um  die  Symmetrie- 
ebene" resp.  um  die  verticale,  rechtwinkelig  zu  dieser  stehende  Ebene 
bedingt. 

Es  bedarf  also  nur  einer  besonderen  Erörterung  darüber,  warum 
bei  schiefer  Zwangslage  so  häuf  ig  die  Kernspindel  sich  in 
d  i  e  S  y  m  m  e  t  r  i  e  e  b  e  n  e  stellt,  während  sie  bei  R.  escul.  ohne  Zwangs- 
lage immer  quer  steht.  Dies  wird  mit  der  in  beiden  Fällen  ver- 
schiedenen Ursache  der  Schiefeinstellung  zusammenhängen. 

Bei  R.  escul.  bildet  sich  die  schiefe  Einstellung  nach  Seite  295 
mit  dem  Eindringen  des  Samenkörpers  aus ;  und  es  liegt  nahe,  darin 
auch  die  Ursache  zu  erblicken;  dies  ist  vorstellbar,  indem  wir  einmal 
mit  O.  Hertwic,  annehmen,  dass  das  Protoplasma,  der  leichtere  Theil, 
sich  um  diesen  Körper  sammelt,  da  es  eine  Strahlung  um  ihn  bildet  und 
zweitens,  dass  die  Symmetrieebene  der  Einstellung  normalerweise  zu- 
gleich die  Copulationsebene  beider  Pronuclei  wird  (eine  ^^ermuthung 
[s.  S.  121]  welche  ich  in  diesem  Jahre  auf  ihre  thatsächhche  Richtig- 
keit prüfen  werde  [s.  Nr.  21].  Wenn  nun  die  erste  Kern  theil  ungs- 
ebene    stets   in    der    Copula tionsrichtung    gelegen    w^äre. 


Ursache  des  Entstehens  der  , zweiten"  Furche  als  erste.  339 

was  den  möglichst  einlticheu  Fall  der  qualitativen  Hal- 
birung  vorstellen  würde,  so  würde  sich  die  erste  Kernspindel  quer 
zur  Symmetrieebene  und  die  erste  Furche  in  die  Symmetrieebene 
stellen. 

In  Zwangslage   dagegen    findet  gerade    während  des  Ein- 
dringens des  Samenkörpers   eine   durch   die  Schwerkraft  erzwungene 
Strömung  statt,  welche  diesen  Körper  erfasst  und  meiner  Vorstellung 
nach  je  nach  der  Eintrittsstelle  in  diese  Strömung  verschieden  umrichten 
wird.     Hierbei  müssen  wieder  zwei  Prädilectionsrichtungen  der 
Endeinstellung  vorhanden  sein;  einmal  in  Richtung  der  aufsteigen- 
den Strömung,  wenn  der  Samenkörper  in  der  Nähe  dieser  Axe  in 
das  Ei  eingedrungen  war.    Wenn  der  Samenkörper  nahe  einer  dieser 
Stellen    eindrang,   so   wird  er   durch   die  Strömung  der  Mitte    dieser 
noch  mehr  genähert  werden  und  so  entsteht  für  die  Copulation,  und 
unter  obiger  Annahme  daher  auch  für  die  erste  Theilung  eine  Prädi- 
lection  entweder  in  Richtung  [52]  der  Sj^mmetrieebene  oder  quer  zu 
derselben.    Die  relative  Grösse  dieser  beiden  Bezirke  bedingt  alsdann, 
welche    erste  Theilungsrichtung  prävalirt.     Eine   ungefähre  Anschau- 
ung   von    diesen    Strömungen    und    von    der  Erfassung    des   Samen- 
körpers durch  die  aufsteigende  Strömung  habe  ich  durch  einige  Prä- 
parate gewonnen,  welche  College  Born  mir  freundlicher  Weise  demon- 
strirte.     Wenn  ich  die  Selbstständigkeit  der  hier  gemachten  Ausfüh- 
rungen nachträglich  aufgeben  wollte,   so   würde  ich  jedenfalls  durch 
die  Einsicht  in  die  soeben  erschienene  ausführliche  Abhandlung  Born's^) 
schon  jetzt  zu  etwas  bestimmteren  Urtheilen  gelangen  können. 

Wir  dürfen  aber  nicht  übersehen,  dass  auch  schon  die  bei  schiefer 
Zwangslage  vorhandene,  starke,  bilateral  symmetrische  An- 
ordnung des  Dottermaterials  schon  für  sich  allein  die 
Ebene  der  äqualen  und  inäqualen  Theilung  dieses  Mate- 
rial es  bestimmen  kann,  und  dass  der  Kern  durch  diese  so  be- 
stimmt gegebene  Tendenz  in  seiner  Stellung  zum  Dottermateriale 
derartig  beeinflusst  werden  kann,  dass  er  derjenigen  der  oben 
erörterten    P  rä  di  1  e  et  ion  sein  Stellungen    ,,  ganz"    zuge- 

1)  G.  Born.  Biologische  Untersuchungen.  I.  Ueber  den  Einfluss  der  Schwere 
auf  das  Froschei.     Arch.  f.  micr.  Anat.   Bd.  24,  1885. 

22* 


340  Nr.  20.    Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  etc. 

wendet  wird,  deren  Richtung  er  am  nächsten  steht,  und  dass 
dadurch  dann  auch  die  Natur  der  nächsten  Kerutlieilung  in 
Bezug  auf  äquale  und  inäquale  Sonderung  bestimmt 
werden  kann  [s.  Nr.  21,  S.  198  u.  204j. 

Das  bei  geringer  schiefer  Zwangslage  des  Eies  manchmal  seltene, 
manchmal  (am  Ende  der  Laichperiode?)  häufigere  Vorkommen  einer 
in  Mittelstellung  zur  Symmetrieebene  der  Eirinde  und  zur  dazu 
rechtwinkeligen  Richtung  stehenden  ersten  Furche  würde  dann  den 
Fall  darstellen,  wo  von  keiner  Seite  her  ein  solches  Uebergewicht 
stark  genug  ist.  Auffallend  ist  nur,  dass  in  diesen  Fällen  gewöhnlich 
nachträglich  so  starke  Umarbeitungen  der  A n  o  r  d  n  u n  g  des 
braunen  Rindenmateriales  zu  beobachten  waren  [s.  S.  327], 
dass  nach  Vollendung  der  zweiten  Furche  schon  eine  der  beiden  Prädi- 
lectionsrichtungen  nachträglich  hergestellt  war,  [das  heisst,  dass  die 
neue  Anordnung  des  Rindenpigmentes  symmetrisch  zu  einer  der 
beiden  ersten  Furchen  orientirt  war.  Nicht  selten  wurde  diese  ümord- 
nung  auch  schon  v  o  r  dem  Beginn  der  zweiten  Furchung  vollkommen 
hergestellt]  ^).  Es  machte  so  den  Eindruck,  als  ob  die  Kerntheilungs- 
richtung  fester  eingestellt  sei,  als  d  a  s  Dottermaterial, 
so  dass  letzteres  sich  mehr  der  ersteren  anpasste. 

In  welcher  Art  die  angenommene  richtende  Wechsel- 
wirkung zwischen  Kern  und  Zellleib  vorzustellen  sei,  ist  zur 
Zeit  nicht  zu  sagen,  ob  als  d  e  r  m  a  g  n  e  t  i  s  c  h  e  n  ^)  vergleichbare 


[1)  Da  hier  die  erste  Furche  schief  zur  Symmetrieebene  der  oberflächlichen 
Pigmentanordnuug  stand,  so  galt  dasselbe  natürlich  auch  für  die  Kernsiiindel  dieser 
ersten  Theilung  und  letztere  war  daher  also  nicht  symmetrisch  oder  rechtwinkelig 
zu  ersterer  eingestellt.  Ueber  die  Ursache  dieses  Verhaltens  können  wir  vielleicht 
durch  Microtomirung  solcher  Eier  einigen  Aufschluss  gewinnen,  indem  wir  die  An- 
ordnung der  „inneren"  Do tter Substanzen  studiren,  und  sehen,  ob  zu  dieser 
Anordnung  die  erste  Furche  symmetrisch  oder  rechtwinkelig  steht.] 

[^)  Dieser  Vergleich  mit  magnetischer  Wirkung  wurde  später  von 
0.  Hertwig  aufgenommen  und  verwendet  (s.  Die  Zelle  und  die  Gewebe,  1892,  S.  175), 
ohne  dass  jedoch  von  ihm  versucht  wurde,  die  Richtigkeit  zu  beweisen,  was  aller- 
dings auch  überaus  schwierig  wäre  und  den  Besitz  genauester,  eigens  dafür  gemachter 
Apparate  voraussetzt,  da  die  Fehlerquellen  sehr  grosse  sind. 

Genauer  äusserte  sich  jüngst  H.  E.  Ziegler  (Ueber  Furchuug  unter  Pressung, 
Verhandl.  d.  anat.  Ges.  z.  Strassburg,  1894,  S.  140  Anm.)  indem  er  sagt:  Bei  der 
Zelltheilung  stellt    sich    die  Kernspindel   so,    dass   die  von  dem  Protoplasma  auf  den 


Ableitung  der  normalen  ontoa;enctischen  Gestaltungen.  341 


Fermvii'kung,  ob  vermittelt  durch  Diü'usionsströnuingeii  etc. ; 
[53]  nur  secundäre  oder  untergeordnete  Bedeutung  aber  möchte  ich 
dabei  in  normalen  Verhältnissen  grob  mechanischen  Wirkungen  zu- 
erkennen, (s.  Nr.  31,  S.  276  Anm.)  Ausserdem  braucht  die  Wirkung 
vom  Zellleib  auf  die  Kernspindel  keine  directe  zu  sein;  sondern  es 
könnten  sich  vielleicht  unter  Umständen  zuerst  im  Zellleib 
Sonderungseentren  bilden,  zwischen  welche  sich  dann 
erst  secundär  durch  Beeinflussung  die  K  e  r  n  s  p  i  n  d  e  1  einstellt. 
Nach  der  ersten  Theiluug  ist  die  ,,indiff er ente  Kugelgestalt" 
für  die  weiterhin  sich  theiienden  Zellen  verloren  und  die  ,,differente 
Zellgestalt"  kann  nun,  indem  sie  mit  bestimmter  Anordnung  der 
differenten Materialien  des  Zellleibes  verbunden  ist,  als  wesentlicher 
Factor  die  Zelltheilungsrichtung  beeinflussen.  In  welcher 
Weise  dies  sich  geltend  macht,  hoffe  ich  an  den  oben  erwähnten 
kegel-,  linsen-  und  pyramidenförmig  deformirten  Eiern  ermitteln  zu 
können. 

3.  Ableitung  der  „normalen"  ontogenetischen 
Gestaltungen. 

Indem  schon  bei  der  zweiten Theilung  bestimmt  cjualificirtes 
Kernmaterial  sich  mehr  dem  weissen  Pole,  das  andere  mehr 
dem  schwarzen  Pole  zuwendet,  sofern  durch  schiefe  Einstellung 
des  Eies  zu  einer  solchen  \^erschiedenheit  Gelegenheit  gegeben  ist, 
ist  es  verständlich,  dass  bei  dieser  schiefen  Einstellung  immer  die- 
selbe (dorsale  [richtiger  cephale])  Seite  des  Embryo  sich  dem 
höher  stehenden  weissen  Theile  des  Eies  zugew^endet  zeigt. 
Indem  nun  weiterhin  nach  unseren  Principien  qualitativ  ungleiche  Kern- 
und  Zelltheilungen  vor  sich  gehen  und  sich,  ihren  Qualitäten  ent- 
sprechend, gegen  einander  richten,  muss  allmählich  ein  aus  typisch 
geordneten  Quantitäten  bestehendes  Gebilde  hervorgehen,  welches 
seine  einfache  Form  verliert,  sobald  diese  ungleichen  Theile 
beginnen,  formal:  wachsend,   schwindend   oder  blos  sich  umformend 

Pol  der  Spindel  ausgeübte  Anziehungskraft  jederseits  gleich  ist.  Doch  bleibt  hier 
zweifelhaft,  was  für  Anziehungskraft  der  Autor  meint  (s.  o.  S.  305  Anm.).  Vielleicht 
meint  Z.  gleich  mir  (Nr.  31,  S.  276  Anm.)  statt  „Anziehung"  blos  „Ziehung"  der 
Protoplasmafäden 


342  Nr.  20.    Bestimmung  der  HaiTptrichtungen  des  Embryo  etc. 

oder  umlagernd,  ihre  Ungleichheit  zu  bethätigen.  Dieses 
Princip  der  „Gestaltung"  aus  „uugleiehen  Qualitäten"  durcli  „Betliätiia:- 
ung"  der  Unglelehlieiten  ist  in  der  Einleitung  zur  Entwickelungs- 
niechanik  ausführlicher  erörtert  worden  (s.  S.  9). 

Nächste  Ursache   der   Gastrulation. 

Die  erste  evidente  Wachsthumsthätigkeit  ist  die  Bildung  der 
dorsalen  Urmundslippe.  Der  beimFrosche  normalerweise  als 
zweite  stattfindenden  T  h  e  i  1  u  n  g  wird  es  vorzugsweise  zu  verdanken 
sein,  dass  diese  Lippe  und  damit  auch  das  Medullarrohr  sich  bei 
schiefer  Stellung  der  Eiaxe  stets  „auf  Seite  des  höchsten 
Saumes  des  Weissen"  anlegt  (s.  Nr.  29,  S.  608).  Mit  dieser  Auf- 
fassung von  der  Ursache  der  Gastrulation  trete  ich  [54]  in  einen 
gewissen  Gegensatz  zu  der  Auffassung  meines  Collegen  Born,  da  derselbe 
annimmt^),  dass  die  Einstülpung  an  der  höchsten  Stelle  deshalb  beginne, 
weil  hier  die  sich  ausbreitende  obere  Kugelschale  zuerst  einen  Ausbrei- 
tungswiderstand an  der  träger  sich  theilenden  dickeren  unteren  Hälfte 
finde^).  Während  ich  der  Ansicht  bin,  dass  hierher  besonders  quali- 
ficirtes  Material  durch  die  zweite  und  spätere  Theilungen  gebracht 
worden  ist,  welches  zufolge  dieser  Qualitäten  sowohl  am  frühesten  zu 
W'achsen,  wie  auch  das  Medullarrohr  mit  seinen  specifischen,  histolo- 
gischen und  chemischen  Qualitäten  zu  bilden  vermag^).  [Bezüglich 
abnormer  Verhältnisse  siehe  Nr.  28  S.  657  u.  661]. 


1)  G.  Born,  über  den  Einfluss  der  Schwere  auf  das  Froschei.  Breslauer  ärztl. 
Zeitschr.  1884,  Separatabdruck  S.  11. 

'')  Born's  Auffassung  könnte  aber  von  Bedeutung  werden  in  den  von  mir  bei 
Zwangslage  und  bei  Pressung  der  Eier  zwischen  Platten  wiederholt  beobachteten 
Fällen,  wo  die  erste  Anlagestelle  des  Urmundes  nicht  der  Medianebene  entspricht 
(s.  Nr.  31,  S.  266.  Anm.),  indem  hier  vielleicht  die  Anlage  an  der  von  Born  be- 
zeichneten Stelle  beginn  t. 

[i)  Es  giebt  Autoren,  welche  glauben,  die  In vaginationsgastrula  ent- 
stünde durch  den  Luftdruck,  indem  die  Oberflächenschicht  mehr  wachse  als 
dem  Inhalt  entspricht.  Wenn  dies  geschähe,  müsste  die  Einstülpung  an  der  dünnsten, 
am  wenigsten  festen  Stelle  erfolgen;  dies  wäre  beim  Froschei  am  Dach  der  Blas- 
tula.  Solches  habe  ich  einige  Mal  gesehen;  es  fehlte  die  Blastulahöhle  als 
solche  und  ihr  Inhalt  ganz;  das  Dach  lag  dicht  auf  dem  platten  Boden  der  daher 
blos  durch  einen  capillaren  Spaltraum  dargestellten  Höhle,  und  nur  ringsum  am  Rande 
war  der  dickere  Grundtheil  des  Daches  aufrecht  stehen  geblieben.  Diese  Missbildung 
ist  aber  nicht  der  Gastrulation  vergleichbar.     Eine  auf  diese  Weise  bedingte  mecha- 


Ursache  der  Entwickelung  der  Eier  bei  schiefer  Zwangslage.  343 

4.   Ursache  der  Entwickelung  der  Eier  bei  schiefer 

Zwangslage. 

Pflüger's  Befund,  dass  er  durch  beliebig  gegebene  Zwangslage 
des  Eies  das  Medullarrohr  vermittelst  der  Schwere  an  jeder  beliebigen 
Stelle  des  Eies,  richtiger  der  „Oberfläche"  desselben  hervorbringen 
konnte,  bedeutet  bei  der  fast  flüssigen  Beschaffenheit  und  dem  von 
mir  nachgewiesenen  ungleichen  specifischen  Gewichte  der  Theile  des 
Eiinhaltes,  welche  in  Folge  dessen  eben  durch  die  Schwere  umge- 
ordnet werden ,  nur,  dass  die  Bildung  des  Medullarrohres 
von  der  Beschaffenheit  der  oberflächlich  sichtbaren, 
durch  den  äusseren  Zwang  in  ihrer  Lage  erhaltenen  ,,,Ei rinde"  un- 
abhängig verlaufen  kann;  nicht  aber  darf  man  schliessen,  dass  die 
Schwere  direct  differenzirende,  ,,meridionalpolarisirende"  Wirkungen, 
wie  PflijGer  annimmt,  ausübe;  sondern  man  darf  ihr  blos  eine  ,, ein- 
stellende Wirkung"  auf  die  ungleich  schweren  Theile  zu- 
erkennen, wie  dies  bereits  in  meiner  ersten  Arbeit  1883  (s.  S.  113,  120 
und  weiterhin  S.  262)  geschehen  ist.  In  Beitrag  1  zur  Entwickelungs- 
mechanik  habe  ich  Defect- Versuche  mitgetheilt,  s.  S.  180,  welche  auf 
andere  Weise  zu  noch  viel  weiter  gehenden  Folgerungen  über  eine 
gewisse  Unabhängigkeit  der  Entwickelung  von  der  Lage 
der  Dottertheile  Veranlassung  geben,  und  welche  bereits  ein  Jahr, 
bevor  Pflüger  in  dieser  Richtung  zu  experimentiren  anfing,  angestellt 
worden  sind. 

Breslau,  Mitte  März  1885. 


nische  Einstülpung  Avürde  aber  auch  nicht  unterhalb  des  Aequators  entstehen 
können,  da  hier  die  Wandung  noch  viel  dicker  ist,  als  am  Dachgrunde. 

Die  normale  erste  Anlage  des  Urmundes  erfolgt  unter  Production 
ganz  besonderer  localer  Structur,  nämlich  unter  Bildung  von  einigen  in  der 
Oberfläche  liegende^,  die  erste  Anlage  der  dorsalen  Urmundslippe  darstellenden 
parallelen  Cylinderzellen  und  unter  radiärer  Umgestaltung  resp.  Umordnung  der  nach 
abwärts  davon  gelegenen  Dotterzellen  zur  Begrenzung  eines  kleinen  wagrechten  Spaltes. 

Daraus,  dass  ich  die  sogenannte  Invaginationsgastrula  von  typisch  localisirtem 
ungleichen  Wachsthum  der  Wandungstheile  der  ßlastula  ableite,  folgt  jedoch  nicht, 
dass  nicht  durch  physikalische  Momente,  wie  stärkere  oder  schwächere  Concentration 
des  umgebenden  Mediums  die  Bildung  derselben  wesentlich  alterirt  werden  kann, 
wie  dies  Curt  Herbst  und  Jabques  Loeb  gelungen  ist.] 


Nr.  21. 

Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 

Nr.  IV.   Die  Bestimmung  der  Medianebene  des  Froschembrvo 

durch  die  Copulationsrichtung  des  Eikernes  und  des 

Spermakernes  ^). 

1887. 

Mit  Tafel  V. 

Archiv  für  microscop.  Anatomie.    Bd.  29.     Februar  1887. 


Inhalt. 

Seite 

Einleitung 345 

Mögliche  Fehler  der  früheren  Versuche 358 

I.  Neue    Versuche   mit   künstlicher    localisirter    Befruchtung    bei    nor- 
maler Einstellung  der  Eier     .          354 

Ihre  Ergebnisse  :  Coincidenz  des  ersten  Furchungsmeridianes 

und  des  Ein  tr  ittsmeri  dian  e  s  des  Samenkörper  s  am  Ei     .  356 
Nachweis    desselben   Gesetzes    an    nicht  künstlich    localisirten   be- 
fruchteten Eiern 358 

Methoden  der  „künstlichen"  localisirten  Befruchtung 350 

IL  Bedeutung  der  Coinc  idenz  des  ersten  Furchun  gsnieridianes  und 

des  E  intrittsmeridianes  des  Samenkörpei-s 363 


1)  Der  Inhalt  der  die  normalen  Verhältnisse  betreffenden  Theile,  Capitel  I 
und  II,  wurde  in  der  anatomischen  Section  der  Naturforscherversammlung  zu  Berlin, 
am  23.  Sept.  1886  vorgetragen. 


Einleituiia;.  345 


Spito 

A.  Nächste  Ursachen  der  Coincidenz 364 

a)  Wirkung  der  D  u  r  chbr  ecli  ungss  te  1 1  e  der  Eirinde      .     .     .  364 

b)  Wirkung  der  intra  ovalen   Bahn  des  Samenkürpers      .     .     .  36r> 

c)  W  i  r  k  u  n  g  d  e  r  C  o  p  u  1  a  t  i  o  n  s  r  i  c  h  t  u  n  g  d  e  i-  CJ  e  s  c  h  1  e  c  h  i  s  • 
kerne 365 

Mechanismus  der  Copulation 367 

1.  Penetrationsbahn       371 

Kern  schiebt  des  Eies        373 

2.  Copulationsbahn 376 

Nächste    Ursache    der     normalen    Coincidenz    des    Sameneintritts- 

nieridians  mit  dem  Verlaufs-  und  Copulationsmeridian       .     .     .  381 
Bestimmung   der  ersten  T heilungsebene   des   Eies   durch    die 

Copulationslinie  der  Yorkerne 383 

a)  Erste  Theilung  des  Furchungskernes 384 

Kerntheilungsmechanismus: 384 

„Sonderungsrichtung"  und   Theilungsrichtung  385 

b)  Erste  Theilung  des  Dotters 388 

c)  Ursache  der  Coincidenz  der  K  e  r  n  -  und  derDotter  theilungs- 
flächen       389 

ß.  Functionelle  Bedeutung  der  Coincidenz 390 

a)  für  die  Theilung  des  Furchungskernes 390 

b)  für  die  Theilung  des  Dotters 394 

III.  Beziehungen  zwischen  der  C  opul  ation  srichtung  und  der  Richtung 
der  ersten  Furche,  sowie  der  Median  ebene  des  Embryo  bei 
„Zwangslage" 396 

Ergebnisse  localisirter  Befruchtung  bei  Zwangslage         399 

Alterationen  des  Copulationsmechanismus  bei  Zwangslage 404 

IV.  Concurrenz  der  Wirkung  der  Befruchtungsseite  und  der  künstlichen 
Senkung  des  braunen  Dotters  auf  die  Bestimmung  der  caudalen  Seite 

des  Embryo       . 407 

Ursache  der  Bestimmung  der  caudalen  Seite  des  Embryo  im  Ei     .     .  409 

Ergebnisse 412 


[157]  Aus  früher  dargelegten  Gründen  habe  ich  die  speciellen  ent- 
wickehuigs-mechanischeu  Untersuchungen  des  Embryo  mit  der  Er- 
mittelung der  Ursa'chen  der  allgemeinsten  Gestaltungen  des  Wirbel- 
thierkörpers  begonnen,  indem  ich  die  Richtungsursachen  der  Haupt- 
dimensionen desselben  zu  erforschen  mich  bestrebte  [s.  S.  96]. 

Da  die  Entwickelung  des  Wirbelthieres  aus  dem  Ei  eine  Folge 
von  Vorgängen  darstellt,  in  welchen  erst  relativ  spät  die  Richtungen 
des  Embryo  durch  die  Anlage  der  speciellen  Organe  erkennbar   wer- 


346         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 


I 


den,  so  mnsste,  nm  mit  Aussicht  auf  Erfolg  nach  den  Ursachen 
suchen  zai  können,  zunächst  diejenige  Phase  der  Eutwickelung  er- 
mittelt werden,  in  der  die  wirkliche  Bestimmung  dieser  Richtungen 
sich  vollzieht.  Meine  Untersuchungen  beziehen  sich  zunächst  blos 
auf  die  Eutwickelung  des  Froschembryo. 

Schon  von  Baer  war  festgestellt  worden,  dass  in  der  Zu-  [138] 
sammensetzung  des  unbefruchteten  Froscheies  aus  einem  pigmentirten, 
unter  natürlichen  Befruchtungsverhältnissen  des  Eies  nach  oben  sich 
einstellenden  Pole  (s.  Hemisphäre)  und  einem  weissen,  nach  unten 
gewendeten  Pole  eine  Richtung  des  künftigen  Embryo  normirt  ist, 
und  zwar  angeblich  derart,  dass  die  Verbindungslinie  der  Mittel- 
puncte  dieser  beiden  Pole,  die  sogenannte  ,,Eiaxe",  in  ihrer  Richtung 
vom  dunklen  zum  hellen  Theile  die  dorsiventrale  Richtung  des  Em- 
bryo kennzeichnet. 

Diese  letztere  Angabe  ist  indessen  nicht  richtig,  sondern  die 
Eiaxe  entspricht  in  der  Richtung  vom  schwarzen  zum  weissen  Pole 
entweder  einer  cephalocaudalen,  oder,  umgekehrt  als  Baer  annahm, 
einer  ventridorsalen  Richtung  des  Embryo.  Ersteres,  sofern 
man  berücksichtigt,  dass  die  Lage  des  ,, sichtbaren"  Embryo  unter 
partiellen  aber  grossen,  während  der  Gastrulation  vor  sich  gehenden, 
Materialumlagerungen  ^)  hervorgebracht  wird,  und  wenn  man  dabei 
die  ursprünglichen  Materiallagerungen  als  Norm  für  die  Bezeichnung 
der  Lagerungsbezeichnung  des  künftigen  Embryo  auf  das  unbefruchtete 
Ei  annimmt,  was  entwickelungsmechanisch  natürlich  das  einzige 
Richtige  ist. 

Vernachlässigt  man  dagegen  diese  Materialverschiebungen,  so 
wird  man  aus  der  Thatsache,  dass  bei  der  „natürlichen"  Einstel- 
lung des  Eies  mit  dem  weissen  Pole  nach  unten,  aber 
bei  Fixation,   welche  jede   spätere  Umdrehung   des  Eies   in  toto 


[1)  Diese  Materialumlagerungen  sind  aber  in  der  hier  vorliegenden  Abhand- 
lung auf  Grund  der  Angaben  0.  Hertwig's,  als  in  cephalocaudaler  Richtung 
erfolgend,  angenommen  worden.  Da  sich  diese  Angaben  bei  meinen  weiteren,  in 
Nr.  23  mitgetheilten  Versuchen  nicht  als  richtig  erwiesen,  so  ist  die  hier  gegebene  Be- 
zeichnung der  Lage  des  virtuellen  Embryo  auch  entsprechend  unrichtig.  Die  von  mir 
auf  eigene  Beobachtungen  gegründete  Bezeichnung  der  Lage  des  reellen  Embryo  ist 
dagegen  richtig,  weshalb  ich  sie  jetzt  im  Druck  besonders  hervorgehoben  habe.] 


Einleitung.  347 

verhindert^)    das    Medullarrohr    in    ganzer    Länge    auf    der 
ursprünglich     weissen    Unterseite     des    Eies    gebildet 

[')  Ich  hatte  angenommen,  Pflüokr  habe  schon  diesen  einfachsten,  das  Ei 
am  wenigsten  in  abnormale  Verhältnisse  bringenden  Versuch  gemacht 
und  hatte  ihn  daher  nicht  weiter  geschildert.  Pfi.ikjer  hat  jedoch,  wie  ich  später  fand, 
blos  au  von  Anfang  an  in  abnorme  Stellung  gebrachten  und  durch  Zwangslage 
darin  erhaltenen  Eiern  beobachtet,  dass  das  Rückenmark  auf  der  Unterseite  des  Eies 
liegt  (Abhandlung  11,  S.  60)  und  daraus  (NB.  unzutreffend)  geschlossen,  dass  es  aus 
der  Substanz  der  weissen  Hemisphäre  entstehe  (Abh.  U,  S.  47). 

Da  Pflüger's  Eier  also  vom  Beginne  der  Entwickelung  an  in  sehr  abnormen 
Verhältnissen  sich  befanden,  so  ist  der  von  Schultze  erhobene  Einwand  (s.  Nr.  23, 
S.  701  Anm.),  dass  diese  abnormen  Verhältnisse  auch  abnorme  Entwickelungsweise, 
abnorme  Lage  des  reellen  Embryo  zum  Eie  hervorgebracht  hätten,  nicht  ohne  Weitei-es 
als  unberechtigt  zu  bezeichnen. 

Dieser  Einwand  trifft  aber  nicht  zubeidem  hiervon  mir  erwähnten 
Versuche,  bei  welchem  die  Eiaxe  von  Anfang  an  in  normaler  Stellung  sich  be- 
fand und  erst  die  beim  Beginne  der  Gastrulation  eintretende  Drehung  des  Eies  ver- 
hindert wurde,  da  hier  der  Zwang  erst  zu  wirken  anfing,  nachdem  das  Ei 
klein  gefurcht,  also  unter  normalen  Verhältnissen  in  sehr  viele  Zellen  zerlegt 
worden  war. 

Dieser  Versuch  wird  am  einfachsten  so  angestellt,  dass  man  einen  Haufen  Eier 
wie  gewöhnlich  in  reichliche  Samenflüssigkeit  wirft  und  erst  nach  mehreren,  3  bis 
6  Stunden,  also  lauge  nachdem  die  Eier  sich  selber  normal  eingestellt  haben,  die 
Flüssigkeit  abgiesst  (damit  die  Hüllen  für  unseren  weiteren  Zweck  nicht  zu  sehr 
quellen).  Darauf  lässt  man  die  Schalen  so  lange  (mehrere  Stunden)  offen  stehen,  bis 
die  Hüllen  genügend  eingetrocknet  sind,  um  die  späteren  Drehungen  der  Eier  zu  ver- 
hindern. Den  nöthigen  Grad  dieses  Eintrocknens  kann  man  nur  durch  eigene  Erfahrung 
an  Eiern  in  Probeschalen  ermitteln,  die  man  umdreht  und  sieht,  ob  die  stets  mit  ihren 
Hüllen  am  Boden  fest  angesaugten  Eier  sich  noch  innerhalb  dieser  Hüllen  drehen. 

Zuerst  wandte  ich  eine  umständlichere  und  schon  von  Anfang  an  leicht  mit 
etwas  (wenn  auch  für  das  Resultat  de  facto  unerheblichem)  Zwang  verbundene,  ge- 
legentlich eines  kritischen  Referates  (biolog.  Centralbl.  1888.  S.  408j  mitgetheilte 
Methode  an,  die  ich  nebst  der  Schilderung  des  Verlaufes  des  Versuches  hier  gleich- 
falls folgen  lassen  will:  „Ich  setzte  die  einzelnen  Froscheier  (von  Bana  fiisca  und 
-ß.  esculenta)  mit  der  Lanzette  in  normaler  Weise,  d.  h.  mit  der  Mitte  der  weissen 
Hemisphäre  gegen  den  ebenen  Boden  der  Glasschale  auf,  befruchtete  sie  mit  so  wenig 
Samenflüssigkeit,  dass  die  Eier  durch  ungenügende  Quelluug  ihrer  Gallerthülle  der 
Möglichkeit  beraubt  waren,  sich  innerhalb  dieser  Hülle  zudrehen.  Wahrschein- 
lich nimmt  die  Gallerthülle  bei  dem  Mangel  äusserer  Flüssigkeit 
'das  während  de»  Befruchtung  vom  Ei  ausgeschiedene  Perivitellin 
auf  und  presst  daher,  wie  im  unbefruchteten  Zustande,  die  Oberfläche  des  Eies,  so 
dass  es  sich  nicht  in  derselben  drehen  kann.  Die  Gallerthülle  ist  ihrerseits  bei  diesem 
Versuche  fest  mit  dem  Boden  der  Glasschale  verklebt ;  und  man  kann  sich  nach 
Ablauf  der  ersten  5  Furchungen,  ohne  den  Versuch  zu  stören,  durch  Umdrehen  oder 
sonstige  Stellungsänderung  der  Schale  jederzeit  überzeugen,  dass  das  Ei  auch  im 
Laufe  von  einigen  Stunden  seine  Stellung  zu  dem  Boden  des  Gefässes  nicht  zu  ver- 
ändern vermag,    dass  es  also  an  jeder  Drehung  innerhalb   der  Hülle  verhindert  ist." 

„An  diesen  Eiern  kann  man  dann,  je  nach  der  Temperatur  des  Raumes,  nach 


348        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrlchtung. 

wird,  folgern,  dass  die  Axe  des  Frosclieies  in  der  Richtung;  von 
oben  nacli  unten  der  ventridorsalen  Richtung:  des  Embryo  entspricht. 

ein  bis  zwei  Tagen,  beobachten,  dass  der  Urmund,  wie  auch  sonst,  dicht  unterhalb  des 
Eiäquators  angelegt  wird,  indem  ein  zuerst  ganz  schmaler,  dann  breiterer,  hyper- 
bolisch gestalteter  uud  weiterhin  hufeisenförmiger,  schwarzer  Saum  entsteht; 
ferner,  dass  dieser  schwarze  Saum  mehr  und  mehr  nach  unten  auf  die  weisse  Hemisphäre 
übergreift,  dann  durch  Vereinigung  der  seitlichen  Enden  seiner  Schenkel  zu  einem 
Anfangs  weiten  schwarzen  Ringe  sich  zusammenschliesst,  welcher  mehr  auf  der  der 
Anlagestelle  des  ürmundes  entgegengesetzten  Hälfte  der  Unterseite  des  Eies  sich 
befindet  und  innerhalb  dessen  der  noch  nicht  „bedeckte"  Rest  der  weissen  Hemi- 
sphäre (der  Dotterpfropf)  sichtbar  ist.  Dieser  Ring  verengt  sich  mehr  und  mehr  von 
der  Seite  der  ersten  Urmundsanlage  her,  so  dass  schliesslich  blos  ein  kleines  Loch 
übrig  bleibt,  welches  der  Stelle  der  ersten  Urmundsanlage  fast  entgegengesetzt  situirt 
ist.  Das  von  Pflüger  gebrauchte  und  von  anderen  Autoren  citirte  Bild,  dass  der 
Urmund  durch  die  weisse  Unterseite  des  Eies  „wie  ein  Schiff  durch 
das  Wasser"  geht,  ist  daher  kein  glückliches  und  hat  wohl  mit  Veranlass- 
ung  zu  einer  missverständlichen  Auffassung  gegeben." 

,,In  dieser  so  gebildeten,  an  ihrer  Aussenfläche  schwarzen  „Dorsalplatte". 
welche  gegen  den  Boden  des  Gefässes  gewendet  ist  und  auf  dem  Durchschnitt  sich 
zunächst  nur  als  aus  einer  äussern  und  einer  Innern  Schicht  gebildet  erweist,  ent- 
stehen dann  die  beiden  MeduUarwülste  in  ihrer  ganzen  Länge  und  sind  stets  so 
orientirt,  dass  der  quere  Gehirnwulst  etwa  der  Stelle  der  „ersten"  Anlage 
des  Urmundsaumes  entspricht,  während  das  hintere  Ende  der  MeduUarwülste 
neben  der  Stelle  des  letzten  Restes  des  Ürmundes  gelegen  ist." 

„Ich  schloss  aus  diesem  Befund,  dass  das  Material  des  MeduUarrohres,  sowie 
überhaupt  der  dorsalen  Hälfte  des  Embryo  über  die  weisse  Unterseite  des  Eies  von 
üben  herabgeschoben  wird  und  dass  dabei  der  Urmund  in  cephalocaudaler  Richtung 
verlagert  und  von  den  beiden  Seiten  her  verengt  wird." 

„Bei  dieser  Versuchsanordnung,  verbunden  mit  sorgfältiger,  oft  wiederholter, 
auch  nächtlicher  Beobachtung  ist  eine  Täuschung  nicht  möglich;  und  durch  zu  starke 
Quellung  der  Gallerthülle  bedingte  Drehungen  des  ganzen  Eies  können  dem  aufmerk- 
samen und  mit  dem  Cyklus  der  Erscheinungen  schon  vertrauten  Beobachter  nicht 
entgehen." 

„Vielleicht  aber  kann  es  der  üeberlegimg  bedürfen,  zu  verstehen,  warum  das 
Ei  in  seiner  Hülle  nicht  „drehbar"  ist,  gleichwohl  aber  die  geschilderten  Material- 
uralagerungen  an  seiner  Oberüäche  vollziehen  kann.  Die  Erklärung  ist  indess  nicht 
schwer.  Bei  einer  Drehung  des  Eies  müssen  alle  Puncto  der  Oberfläche  des  Eies, 
mit  Ausnahme  der  beiden  Axenpuncte  der  Drehung,  sich  zugleich  und  in  der 
gleichen  Richtung  gegen  die  anliegende  Innenfläche  der  Gallerthülle  verschieben ; 
und  dazu  sind  eben,  wie  die  Probe  zeigt,  bei  genügender  Verhinderung  der  Quellung 
die  Widerstände  zu  gross.  Bei  dem  Herabwachsen  des  Materials  der  Dorsalplatte 
dagegen  findet  immer  blos  an  einem  Theil  der  Oberfläche  Materialverschiebuug 
statt,  indem  zugleich  die  im  Wege  liegenden  Dotterzellen  (activ  oder  passiv?)  den 
Platz  räumen,  um  nach  oben  zu  treten  und  die  Furchungshöhle  entsprechend  zu 
verengen." 

„Hat  man  aber  ein  wenig  zu  viel  Wasser  zugesetzt,  so  sieht  man  während  der 
zweiten  Hälfte  der  Gastrulation  das  Ei  sich  mit  dem  Urmund  nach  der  Seite  der 


I 


Einleitung.  349 

Erstere  Bezeichnung  drückt  also  die  Lagerung  des  „virtuellen", 
letztere  Bezeichnung  die  Lage  des  „reellen"  P^mbryo  zur  Axe 
des  „unbefruchteten"  Eies  aus.  Obgleich  nun  die  erstere  Be- 
zeichnungsweise, entwickelungs-mechanisch  gesprochen,  die  richtigere 
wäre  und  ich  dieselbe  aus  diesem  Grunde  bereits  eingeführt  habe 
(Nr.  18  und  20),  so  sehe  ich  mich  doch  in  Folge  der  zur  Zeit  noch 
herrschenden,  an  die  äusseren  Formen  anknüpfenden  Vorstellungs- 
weise veranlasst,  in  Zukunft,  wenn  nicht  [159J  ausdrücklich  anders 
bemerkt  ist,  wenigstens  eine  „Mittelbezeichnung"  zu  gebrauchen, 
wonach  die  Axe  des  unbefruchteten  Froscheies  in  ihrer 
Richtung  vom  ,, schwarzen  zum  weissen  Pol"  einer  Rich- 
tung des  Embryo  vom  ,,ventricephalen  zum  dorsicaudalen" 
Theile  entspricht^). 

Aus  den  früher  von  mir  beobachteten  und  mitgetheilten  Varia- 
tionen (s.  S.  257)  in  der  Einstellung  der  Axe  des  ,, befruchteten" 
Eies  geht  bei  der  stets  senkrechten  Stellung  der  Furchun'gsaxe  hervor, 
dass  die  Stellung  des  Embryo  zur  Axe  des  ,, unbefruchteten" 
Eies  überhaupt  eine  etwas  variable  ist.  Eine  festere,  wenn 
auch  vielleicht  durch  Erhaltung  des  Eies  „in  künstlicher 
Schiefstellung  noch  ein  ivenig  zu  variirenäe^'  Besiehung 
besteht  ztvischen  der  Lage  des  Emhryo  und  der  „Furchungs- 
axe^^  des  Eies,  welche  letztere,  wie  ich  gezeigt  habe,  bei  Rana  es- 
culenta  erst  während  der  Befruchtung  in  ihrer  Lage  zur  Eiaxe 
kenntlich  wird. 

,,Eine"    Richtung    des   Embrvo   ist   also   schon   annähernd 


ersten  Urmund  sanlage  drehen  und  so  den  bereits  gebildeten  Theil  der  Dor- 
salplatte des  Embryo  successive  nach  oben  bringen.  Es  ist  also  im  Eie  eine 
Tendenz  zu  einer  Drehung  vorhanden,  aber  nicht  derart,  dass  es  sich  mit  der  Ober- 
seite nach  u,nten  dreht,  wie  0.  Schültze  zur  Entwerthung  meines  Versuches  an- 
nimmt, sondern  im  G^egentheil  zu  einer  Drehung,  welche  die  unten  angelegten  Theile 
nach  oben  wendet  und  so  die  umgekehrte  Täuschung  hervorbringt:  diejenige  Täusch- 
ung, auf  der  die  Angaben  sämmtlicher  früheren  Autoren  beruhen.  Diese  Drehung 
hat  schon  Pflüger  bei  Bomhinatur  igneus  beobachtet;  doch  scheint  sie  nach  seinen 
Angaben  hier  erst  nach  dem  Ende  der  Gastrulation  vor  sich  zu  gehen."] 

[1)  Diese  .,C  ompromissbezeichnung  "  wäre  besser  unterblieben, 
da  sie  die  bereits  bezüglich  des  ^.reellen"  Embiyo  von  mir  gewonnene  richtige  Vorstel- 
lung nur  erschwert.  Sie  wurde  daher  später  auch  wieder  ausser  Gebrauch  gelassen. 
Ich  glaubte  aber,  sie  beim  Wiederabdruck  dieser  Abhandlung  nicht  entfernen  zu  dürfen.] 


350        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

durch  die  Gestaltung  des  unbefruchteten  Eies  gegeben,  und  zu- 
gleich ist  auch  schon  über  die  Qualität  der  beiden  Seiten  dieser 
Richtung  entschieden. 

Danach  fehlt  zur  vollkommenen  Bestimmung  der  Lage  des 
Embryo  im  Ei  blos  noch  eine  weitere  Richtungsbestimmung  und  die 
Entscheidung  über  die  Qualität  zweier  Puncte  dieser  Richtung.  Durch 
die  Ei-  resp.  Furclmngsaxe  lassen  sich  in  unendlich  vielen  Richtungen 
Meridianebenen  legen. 

Es  war  nun  die  Frage,  in  welche  dieser  unendlich  vielen 
Richtungen  die  Medianebene  des  Embryo  zu  liegen  kommt, 
und  welche  von  beiden  Hälften  dieser  Medianebene  zur 
ventricaudalen,  resp.  dorsicephalen  Seite  des  Embryo 
wird;  ferner  wann  und  wodurch  diese  Bestimmungen  ge- 
troffen werden^). 

[Wie  früher  (S.  300)  bemerkt,  könnte  gerade  diese  erste  Rich- 
tung als  die  Anfangsrichtung  in  ihrer  eigenen  Bestimmung 
am  meisten  variabel  und  von  zufälligen  Nebenumständen  ab- 
hängig sein.]  Daselbst  habe  ich  Versuche  mitgetheilt,  aus  welchen 
bezüglich  des  Zeitlichen  dieser  Bestimmungen  hervorgeht,  dass 
gleichfalls  erst  während  der  Befruchtung  das  Ei  der  Rana  esculenta 
diejenige  Schiefstellung  der  Eiaxe  annimmt,  d.  h.  diejenige  innere 
Anordnung  der  ungleich  schweren  Eitheile  ausbildet,  mit  welcher 
über  die  künftige  Richtung  der  Medianebene  des  Embryo  und  über 
die  Qualität  ihrer  Theile  die  Entscheidung  getroffen  ist,  indem  stets 
diejenige  Seite  des  Eies,  wo  die  weisse  Hemisphäre  am  höchsten 
heraufreicht  und  gewöhnlich  schon  von  oben  sichtbar  ist,  zur  dorsi- 
cephalen, die  entgegengesetzte  zur  ventricaudalen  Seite  des  Embrj^o 
wird.  Die  erste  Furchungsebene  theilt  diese  obere  Ansicht  des  Eies 
von  [160]  Rana  esculenta  symmetrisch  und  stellt  zugleich  'die  Median- 
ebene des  Embrvo  selber  dar  2)^).    Das  Letztere  gilt  in  gleicherweise 


[1)  Versuche  über  die  Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf  die  Richtung  der 
ersten  Furcbung,  sowie  auf  die  Besamungs-  und  Copulationsrichtung  siehe  Nr.  25. 
S.  37,  52  und  63.] 

2)  Dem  erneuten  Widerspruche  Rauber's  (Zool.  Anzeiger  1886.  S.  158)  gegen 
diese  von  mir  und  gleich  darauf  von  Pflüger  festgestellte  Thatsache  kommt  eine 
sachliche  Bedeutung  nicht  zu.   Ich  habe  die  Fehlerquellen  der  Versuche  dieses  Autors 


Einleitung.  351 

auch  für  Rana  fusca,  wo  iiidess  die  Eiaxe  sich  gewühiihcli  senkrecht 
einstellt  und  daher  nicht  durch  eine  Hoherstellung  der  weissen  Hemi- 
sphäre auf  einer  Seite  verräth,  ob  zur  Zeit  der  ersten  Furche  bereits 
die  Entscheidung  über  die  dorsicephale  und  ventricaudale  Seite  ge- 
troffen ist.  Gleichwohl  glaubte  ich,  die  Erfahrung  an  Rana  esculenta 
auch  auf  diese  Species  übertragen  zu  dürfen,  da  ich  wenigstens  fest- 
steilen konnte,  dass  auch  die  Eier  der  Rana  fusca  ihre  definitive  Ein- 
stellung erst  während  der  Befruchtung  gewinnen.  Die  weiteren  Aus- 
führungen werden  zeigen,  dass  diese  Annahme  berechtigt  war. 

Damit  war  die  Zeit  dieser  zweiten  Bestimmung  der  Median- 
ebene auf  die  Befruchtungsperiode  oder  auf  das  unbefruchtete  Ei  be- 
schränkt. Nunmehr  erschien  es  möghch,  die  Entscheidung  über  diese 
Alternative  zugleich  mit  der  Ermittelung  der  speciellen  Ursache  zu 
gewinnen.  Wenn  die  Bestimmung  erst  während  der  Befruchtung 
getroffen  wird,  so  lag  die  V^ermuthung  nahe,  dass  die  Bestimmung 
auch  an  den  Vorgang  der  Befruchtung  selber  geknüpft  sei.  Da  die 
Copulation  der  beiden  Kerne  der  wesentlichste  bis  jetzt  erkannte 
morphologische  Vorgang  der  Befruchtung  ist  und  sich  schliesslich 
wenigstens  in  einer  bestimmten  Richtung  vollziehen  muss;  und  da 
ferner  die  erste  Theilung  mit  der  Theilung  des  durch  diese  Copulation 
entstandenen  Furchungskernes  beginnt,  so  schien  mir  die  Vermuthung 


bereits  früher  genügend  angegeben  (S.  329),  und  aus  den  weiteren  Ausführungen 
dieser  Abhandlung  ist  zu  ersehen,  dass  ich  im  Stande  bin,  seine  Resultate  nach 
Belieben  zu  erzeugen.  Räuber  hat  entweder  die  Technik,  p]ier  ganz  zwang- 
los aufzusetzen,  noch  nicht  ei-lernt,  oder,  trotz  meiner  Warnung,  pathologische  Eier 
vom  Ende  der  Laichperiode  zur  beabsichtigten  Feststellung  des  normalen  Verhaltens 
verwendet. 

[3)  Da  beim  Vorhandensein  einer  sogenannten  Brechungsfurche  (s.  Nr.  28, 
S.  667),  welche  stets  erst  bei  der  Bildung  der  zweiten  Furche  aus  der  ersten 
Furche  hervorgeht,  der  mittlere  Theil  derselben  am  weitesten  von  der  ursprüng- 
lichen Richtung  der  ^rsten  Furche  abweicht,  so  ist  es  nach  der  Krkenntniss  der 
wichtigen  Bedeutung  dieser  ersten  Furche  ein  directer  Fehler,  wenn  die  gegen- 
wärtigen Autoren,  noch  dem  Beispiel  Coste's  folgend,  in  ihren  Abbildungen  die 
Eier  so  situiren,  dass  das  Mittelstück  der  Brechungsfurche  mit  der 
alleinigen  ersten  Furche  einer  anderen  Abbildung  die  gleiche  Richtung 
erhält  (so  z.  B.  in  0.  Hertwig's  Lehrb.  d.  Entwickelungsgesch.  4.  Aufl.  1893. 
S.  65).  Der  geringste  Fehler  wird  gemacht,  wenn  man  die  gebrochene  erste  Furche 
mit  der  geraden  Verbindungslinie  ihrer  beiden  Enden  zu  der  noch  allein  vorhandenen 
ersten   Furche  parallel  stellt.] 


352        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

der  Prüfung  werth ,  dass  die  Copulationsrichtung  selber  das  Moment 
für  die  Bestimmung  der  ersten  Theilungsrichtung  und  damit  der 
Richtung  der  Medianebene  des  Embryo  sei  [s.  S.  121].  In  diesem 
Falle  erschien  es  auch  möglich ,  dass  diese  wichtige  Bestimmung  bei 
allen  durch  Befruchtung  erzeugten,  bilateral-symmetrischen  Wesen 
[161]  durch  dieselbe  Ursache  getroffen  werde.  Die  Entscheidung 
über  die  also  motivirte  Frage  suchte  ich  durch  künstliche  locali- 
sirte  Befruchtung  der  Froscheier,  d.  h.  durch  Befruchtung  jedes 
Eies  von  einem  beliebig  von  mir  gewählten  Meridian  aus  zu 
gewinnen ')  und  Seite  301  habe  ich  bereits  das  erste  vorläufige  Er- 
gebniss  in  einer  Anmerkung  mitgetheilt:  „Die  erste  Furche  und 
mit  ihr  die  Medianebene  des  Embryo  ging  bei  senkrecht  stehender 
Eiaxe  (von  Rana  fusca)  in  50  von  66  Fällen  durch  die  von  mir  ge- 
wählte Eintrittsstelle  des  Samens  in  das  Ei,  und  die  Seite  dieser  Ein- 
trittsstelle wurde  in  10  von  11  Fällen  zu  immer  derselben,  nämlich 
ventralen  [richtiger   caudalen  (s.  S.  346  Anm.)]  Seite  des  Embryo". 

Die  genauere  Bedeutung  dieses  Ergebnisses  ist  folgende.  Der 
Raum,  den  ich  bei  dem  immerhin  groben  Vorgange  der  localisirten 
Befruchtung  des  Eies  als  Eintrittsstelle  des  Samens  ansehen  musste, 
umfasste  etwa  20 — 30*^  der  Eiperipherie;  und  in  diesem  kleinen,  von 
mir  frei  gewählten  Bezirk  lag  also  bei  75°/o  der  Eier  die  eine  Seite  der 
ersten  Furche,  während  diese  Furche  nur  bei  25 ^/o  der  Eier  in  die 
Strecke  der  übrigen  150  '^  der  halben  Peripherie  zu  liegen  kam.  Dieses 
günstige  Verhäitniss  wird  noch  dadurch  gesteigert,  dass  in  10  von 
11  Fällen,  also  in  90*^/o,  diese  Stehe  zugleich  eine  bestimmte  Qualität 
in  Bezug  auf  den  künftigen  Embryo  besass,  so  dass,  wenn  man  dies 
Verhalten  auf  die  ganzen  66  Eier  ausdehnt,  die  75°/o  Treffer  auf 
die  30*^  der  Befruchtungsstelle  gegenüber  zu  stellen  sind  den 
25°/o  Abweichungen  auf  die  übrigen  330°  der  ganzen  Ei- 
peripherie. 

Trotz   dieser    günstigen  Zahlen   glaubte  ich  doch  das   Resultat 


I 


[1)  Da  das  Froschei  normaler  Weise  blos  von  einem  einzigen  Samenthier  be- 
fruchtet wird,  seist  seine  normale  Befruchtung  immer  eine  localisirte,  das  heisst 
auf  eine  einzige  Stelle  des  betreffenden  Eies  beschränkte.  Bei  der  künstlichen 
localisirten  Befruchtung  aber  wird  diese  Stelle  von  uns  bestimmt.] 


Einleitung.  353 

ntx-b  nicht  als  vullkonimen   gesichert   anselien   zu  dürfen,    und  zwar 
aul"  Grund  eines  Einwandes,   den  ich  mir  zu   niachrn  iüv  nöthig  hielt. 

Die  üGEier,  welche  sich  entwickelten,  repräsentirten 
nämlich  blos  etwa  den  sechsten  Theil  aller  derjenigen 
Eier,  welche  ich  locahsirt  zu  befruchten  versucht  hatte.  Fünf  Sechstel 
der  Eier  hatten  sich  nicht  entwickelt.  Es  Avar  daher  die  Annahme 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  nur  diejenigen  Eier  sich 
entwickelt  hätten,  in  denen  ich  bei  der  localisirten  Be- 
fruchtung zufällig  in  die  Gegend  der  eventuellen  prä- 
formirten  Sameneintrittsstelle  gekommen  war;  und  dies 
war  um  so  eher  möglich,  als  ich  bei  diesen  Versuchen  mich  stets 
zugleich  bestrebt  hatte,  eventuell  an  andere  Stellen  gekommenen 
Samen  durch  Berührung  mit  einer  geeigneten  Flüssigkeit  seiner  Be- 
fruchtungsfähigkeit zu  berauben.  Denn  wenn  [162]  auch  am  Froschei 
keine  besonders  gestaltete  Microphyle  wahrnehmbar  ist,  und  wenn 
auch  VAN  Bambeke  und  Borx  den  Samenkorper  bei  verschiedenen 
Eiern  in  sehr  verschiedener  Höhe  zwischen  der  Mitte  der  schwarzen 
Hemisphäre  und  dem  äquatorialen  Rande  derselben  eingedrungen 
fanden,  so  folgt  daraus  doch  noch  nicht,  dass  nicht  für  jedes  Ei  eine 
besondere  Eintrittsstelle  vorgebildet  sei.  Da  diese  Autoren  nicht  an- 
zugeben in  der  Lage  waren,  aus  welchem.  Grunde  der  Samenkörper 
in  verschiedener  Höhe  eingedrungen  war,  so  könnte  man  diese  That- 
Sache  gerade  in  dem  Sinne  des  Bestehens  einer  bestimmten  Eintritts- 
stelle verwerthen.  Ist  aber  jedes  Ei  mit  einer  bestimmten  Eintritts- 
stelle versehen  und  geht  die  erste  Furche  stets  durch  diese  Stelle, 
so  vermögen  wir  nicht  zu  beurtheilen,  ob  dieses  letztere  Verhältniss 
durch  die  Copulationsrichtung  oder  nicht  durch  eine  unsichtbare  An- 
ordnung verschieden  beschaffener  aber  gleich  aussehender  Eitheile 
schon  vor  der  Befruchtung  bedingt  ist. 

Auch  die  oben  (S.  295)  angeführte  Beobachtung,  dass  beiRanaescu- 
lenta  erst  während  der  Befruchtung  die  bleibende  und  für  die  Lage 
der  Furchungsaxe  sowie  des  Embryo  zur  Eiaxe  bestimmende  ,, Ein- 
stellung" des  Eies  hergestellt  wird,  giebt  noch  keine  Sicher- 
heit dafür,  dass  auch  die  „Bestimmung"  derselben  erst 
während    der   Befruchtung    und    durch    dieselbe    getroffen 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungeju.    II.  "^ö 


354         Nr.  21.   Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 


wird;  denn  diese  Einstellung  könnte  schon  am  unbefruchteten 
Ei  ,, virtuell"  normirt  sein  und  durch  den  Befruchtungsvorgang 
nur  erst  reell  geworden  sein;  eine  Art  des  Verhaltens,  für  welche 
die  gleichfalls  schon  erwähnte  Thatsache  angeführt  werden  kann,  dass 
schwimmende  unbefruchtete  Eier  der  Rana  fusca  sich  alle  in  sehr 
verschiedener  Weise  schief  einstellen,  während  der  Befruchtung  aber 
die  senkrechte  Einstellung  annehmen,  das  heisst  ihre  ungleich  schweren 
Dottertheile  derart  umordnen,  dass  der  Schwerpunct  unter  die  INIitte 
der  schwarzen  Hemisphäre  verlegt  wird,  also  eine  typische  Bezieh- 
ung zu  einer  schon  am  unl^efruchteten  Ei  gegebenen  Gestaltung  ge- 
winnt (s.  S.  296). 

Um  also  jeden  Einwand  gegen  eine  latente  bilaterale 
Construction  des  Froscheies  zu  beseitigen,  mussten  so 
günstige  Versuchsresultate  mit  der  localisirten  Befruchtung  ge- 
wonnen werden,  dass  von  einer  stattgehabten  ,, Auslese" 
keine  Rede  mehr  sein  kann. 

I.   Neue  Versuche  mit  küustlicli  localisirter  Befruclitung  bei  „uor- 
maler"  Stelhiug  der  Eier. 

In  diesem  Frühjahr  (1886)  ist  es  mir  nun  gelungen,  die  Me- 
thode der  localisirten  Befruchtung  in  dem  Maasse  zu  vervollkommnen, 
dass  sich  von  je  12  Eiern  einer  Versuchsreihe  mindestens  9, 
[163]  manchmal  10  oder  11  entwickelten,  so  dass  also  die 
Wahrscheinlichkeit  eines  zufälligen  Treffens  der  even- 
tuellen präformirten  Eintrittsstelle  nicht  mehr  existirt. 
Dabei  war  die  Zahl  der  Treffer  unter  diesen  sich  entwickelnden  Eiern 
zum  Theil  dieselbe,  zum  Theil  eine  noch  höhere,  als  im  vorigen 
Jahre,  indem  einige  Male  von  11  Eiern  bei  10  die  erste 
Furche  durch  die  frei  von  mir  gewählte  Sameneintritts- 
stelle hindurchging. 

Zugleich  gelang  es  mir  in  diesem  Jahr  auch  zum  ersten  Mal,  die 
künstliche  localisirte  Befruchtung  bei  ,,Rana  esculenta"  mit  Erfolg 
auszuführen  und  dabei  zu  beobachten,  dass  die  dieser  Species  eigene 
typische  Schiefstellung  der  Eiaxe  ,  d.  h.  die  20 — 30"  be- 
tragende Senkung  der  schwarzen  Hemisphäre  stets  nach 


I.   Neue  Versuche  mit  künstlich  localisirter  Befruchtung  etc.  355 


der  Seite   der  Samencint rit tsstel  1  c  hin    erfolgte').      Da  die 
Seite   dieser  Senkung   stets    zur   vent  ricaudal  en    [richtiger 

[1)  Weiterhin  fand  ich  (Biolog.  Centralblatt  1888,  Bd.  VIII,  S.  405),  „dass  bei 
Kana  fusca  kurze  Zeit  vor  der  Furchung  auf  der  der  „  Befruchtungsseite" 
gegenüberliegenden  Seite  der  schwarzen  Hemisphäre  eine  Pigment- 
wanderung vor  sich  geht,  welche  daselbst  eine  Aufhellung  in  Form 
eines  halbmondförmigen  hellgrauen  Saumes  hervor  bringt.  Da  dieser 
helle  Saum  unmittelbar  an  die  senkrecht  nach  unten  gerichtete,  weisse  Hemisphäre 
anstösst,  so  wird  jemand,  der  die  Eier  vorher  nicht  gesehen  hat,  ihn  leicht  mit  zu 
dieser  rechnen  und  annehmen,  das  Ei  habe  sich  entsprechend  gedreht,  während 
jedoch  die  Eiaxe  dabei  senkrecht  stehen  geblieben  ist,  Avie  man  bei  genauem  Zusehen 
leicht  daran  erkennen  kann,  dass  eben  die  wirklich  weisse  Hemisphäre  noch  rein 
nach  unten  gewendet  ist.  Wer  die  Eier  vorher  gesehen  hat,  dem  wird  es  auch  nicht 
entgehen  können,  dass  die  weisse  Hemisphäre,  wenn  man  diesen  veränderten  Theil 
der  schwarzen  mit  dazu  rechnen  wollte,  oft  auf  das  Doppelte  und  darüber  hinaus 
vergrössert  worden  wäre." 

„Bei  den  an  Pigment  ärmern  Eiern  von  Eana  esculenta  sind  diese  Verhältnisse 
viel  schwerer,  sogar  sehr  schwer  zu  beurtheilen;  doch  ist  es  mir  in  diesem  Jahre, 
gegen  das  Ende  der  Laichperiode,  zu  welcher  Zeit  das  Pigment  viel 
beweglicher  wird,  indem  die  Samenflecke  sehr  gross  und  deutlich 
werden  und  sogar  typische  concentrische  Liniensysteme  nicht  selten 
auftreten,  gelungen,  an  mehreren  Eiern  von  Rana  esculenta  auch  die  erwähnten 
der  Eana  fusca  entsprechenden  Pigmentwanderungen  sicher  zu  beobachten.  Ich  ver- 
mag danach  jedoch  nicht  zu  sagen,  ob  die  bei  letzterer  Species  typische  hochgradige 
Schiefstellung  der  Hemisphären,  welche  sich,  wie  ich  gezeigt  habe,  nach  der 
Befruchtung  ausbildet  und  die  braune  Hemisphäre  stets  nach  der  Befruch- 
tungsseite senkt,  blos  eine  scheinbare  ist  und  durch  solche  Pigmentwanderung, 
nicht  aber  durch  Drehung  und  Schiefstellung  der  Eiaxe  bedingt  ist," 

Ein  Autor,  0,  Schultze,  hatte  (Biolog,  Centralbl  1888,  Bd.  VII,  Nr.  19)  die 
Angabe  gemacht,  die  erste  Furche  und  dementsprechend  die  Medianebene  des  Embryo 
liefe  in  den  meisten  Fällen  durch  die  Stelle,  an  welcher  das  Keimbläschen  verschwunden 
ist,  und  hatte  behauptet,  „derjenige  Punct  des  Pigmentrandes  sive  Aequators,  welcher 
dem  verschwindenden  Keimbläschen  am  nächsten  liegt,  bezeichnete  die  Stelle  der  An- 
lage des  Urmundes".  Alle  Richtungen  des  Embryo  wären  daher  schon  am 
unbefruchteten  Eie  bestimmt.  0.  Hertwig  rechnet  (Einfluss  der  Schwerkraft, 
1884,  S.  22)  schon  vor  Schultze  mit  der  Möglichkeit,  „dass  die  Austrittsstelle  der 
Richtungskörper  die  Bildung  der  ersten  Theilungsebene  des  Eies  beeinflusst. " 

Darauf  habe  ich  unter  Hinweis  auf  die  vorstehend  und  in  Nr.  20  mitgetheilten 
Versuche  noch  Folg^pdes  erwähnt  (Biolog.  Centralbl.  1888  Bd.  VIII,  S.  401): 

„Ich  habe  schon  vor  fünf  Jahren  dieses  Lageverhältniss  der  ersten  Furche 
zur  „Fovea  germinativa"  beachtet  und  mich  dabei  bald  überzeugt,  dass  eine  ur- 
sächliche Beziehung,  welche  den  Meridian  der  Furchungsebene  bestimmt,  darinnen 
nicht  besteht.  Diese  Fovea  germinativa  stellt  bei  Rana  esculenta  einen  hellen 
runden  Fleck  von  ziemlich  beträchtlicher  Grösse,  nämlich  von  ein  Fünftel  bis 
ein  Drittel  der  Grösse  des  Radius  des  ganzen  Eies  dar,  und  ist  meist  derart  ge- 
lagert, dass  sie  mit  einem  Puncte  ihrer  Fläche  am  obern  „Pole"  d.  h.  in  der  Mitte 
der  braunen  Hemisphäre,  also  am  obern  Ende  der  „Eiaxe"  gelagert  ist.   Da  die  erste 

23* 


356        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

caudalenj  Seite  des  Emb  ry  o  wird,  so  ist  damit  zugleich  die  ent- 
sprechende vorjährige  Beobachtung  an  Rana  fusca  nun  auch  für  Rana 
esculenta  gewonnen  worden.  An  Rana  fusca  konnte  ich  sie  in  diesem 
Jahre  nicht  des  Weiteren  feststellen,  da  ich  genöthigt  worden  bin,  meine 
Versuche  in  hygienisch  so  ungünstigen  Räumen  der  Ana- 
tomie anzustellen,  dass  fast  alle  Eier  schon  nach  zwei 
Tagen  durch  Verschimmelung  abstarben^). 

Auf  Grund  der  mitgetheilten  Versuche  können  jetzt  mit  Sicher- 
heit die  folgenden  Thesen  aufgestellt  werden  : 

1.  Das  Ei  der  Rana  fusca  und  esculenta,  ,,kann" -) 
von   jedem    beliebigen  Meridian   aus   befruchtet    werden. 


Furche  durch  die  Eiaxe  geht,  wird  sie  alsdann  natürlich  hei  jeder  Stellung  in  einem 
der  unendlich  vielen,  durch  diese  Linie  legbaren  Meridiane  immer  diesen  Fleck 
schneiden ;  die  Lage  dieses  letzteren  ist  also  nicht  im  Stande,  einen  Meridian  zu  be- 
stimmen. Dies  wäre  blos  möglich,  wenn  die  erste  Furche  durch  die  Mitte  dieses 
grossen  Fleckes  ginge;  man  sieht  aber  ohne  Mühe,  dass  dies  nicht  der  Fall  ist, 
sondern  dass  die  erste  Furche  diesen  Fleck  an  beliebigen  Stellen,  selten  in  der  Mitte, 
durchschneidet. 

Wenn  der  Fleck  stärker  excentrisch  gelagert  ist,  dann  wäre  noch  bessere 
Gelegenheit  gegeben,  durch  ihn  den  ersten  Furchungsmeridian  zu  bestimmen. 
Jedoch  nur  relativ  selten  durchschneidet  dann  die  erste  Furche  diesen  Fleck  und  geht 
nur  selten  einmal  durch  die  Mitte  desselben ;  und  wenn  nach  Bildung  der  zweiten  Furche 
(wie  es  bei  Rana  esculenta  gewöhnlich  der  Fall  ist)  der  Fleck  noch  sichtbar  ist,  so  kann 
man  von  der  Kreuzungsstelle  beider  Furchen  aus  leicht  den  Winkel  bestimmen,  den  der 
erste  Furchungsmeridian  mit  einem  eventuellen  Furchungsmeridum,  der  durch  die 
Mitte  der  Fovea  germinativa  ginge,  machen  würde;  derselbe  beträgt  häufig  über  45'^ 
und  selbst  80—90°  ist  nicht  selten.  Es  ist  also  klar,  dass  der  Meridian  der 
Furchungsebene  „nicht"  durch  die  Lage  der  Fovea  germinativa  be- 
stimmt wird."] 

1 )  Dies  ist  auch  zugleich  der  Grund,  warum  ich  meine  Versuche  über  die  E  n  t- 
wickelung  angestochener  Eier  und  über  die  besondere  Entwickelung  der 
dabei  entstehenden  Extraovate  vorläufig  nicht  mit  Erfolg  habe  fortsetzen 
können. 

[-)  Daraus  folgt  noch  nicht,  dass  von  allen  Meridianen  die  Befruchtung  gleich 
leicht  möglich  ist;  „denn  es  ist  ja  möglich,  dass  jedes  Ei  vielleicht  eine  Stelle  hat, 
wo  die  Eirinde  etwas  weniger  fest  und  so  etwas  leichter  durchdringlich  für  den 
Samenkörper  ist,  so  dass  bei  gewöhnlicher  allseitiger  Besamung  von  etwaigen  gleich- 
zeitig an  der  Eioberfläche  angekommenen  Samenkörpern  der  an  dieser  Stelle  befind- 
liche zuerst  eindringt  und  die  Befruchtung  bewirkt.  Dass  hierin  aber  ein  typisches 
Verhalten  nicht  vorliegt,  bekundet  sich  wohl  darin,  dass  auch  bei  Eiern,  welche 
mit  viel  Samenflüssigkeit  umgeben  sind,  auf  den  Schnitten  die  Sanienkörper  in  sehr 
verschiedener  Höhe,  in  sehr  verschiedenem  Abstände  vom  Eiäquator  eingedrungen 
sich  zeigen.     Danach  hat    schon   das  Vorhanden.sein    „einer  für  normale  Verhältnisse 


I.    Neue  Versuche  mit  künstlich  localisirter  Befruchtung  etc.  357 


2.  Bei  Eiern  von  Rana  i'usea  und  esenlenta,  welche 
keinem  äusseren  Zwang  unterworfen  sind,  wird  die  Rich- 
tung der  ersten  Furche  und  der  Medianebene  des  Embryo 
durch  die  beliebig  gewählte  Lage  der  Sameneintritts- 
stelle bestimmt;  [beide  Ebenen  liegen  in  der  durch  die  Ein- 
trittsstelle des  befruchtenden  Samenkörpers  bezeichneten  verticalen 
Meridianebene  des  Eies,  in  dem  ,, Befruchtungsmeridian".] 

3.  Die  vSeite  der  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers 
in  das  Ei,  die  „Befruchtungsseite"  des  Eies^),  wird  (bei 
normaler  Stellung  der  Eiaxe)  zur  ventricaudalen^)  Seite  des 
Embryo,  (lieber  die  Ursache  dieses  Verhaltens,  sowie  über  das 
Verhalten  bei  Zwangslage,  siehe  Nr.  21,  Seite  205). 

Um  die  Ursache  der  auch  bei  den  diesjährigen  Versuchen 
noch  vorgekommenen,  wenn  auch  spärlichen,  blos  10 — Ib^l^  be- 
tragenden Abweichungen  zu  ermitteln ,  habe  ich  alle  diese  Eier 
sofort  nach  dem  Auftreten  der  ersten  Furche  durch  Erhitzen  auf 
80*^  C.  getödtet  und  theils  frisch  mit  dem  Gefriermicrotom,  theils  [164] 
erst  später  nach  der  Härtung  in  Alkohol  parallel  der  Furchungsebene 
geschnitten.      Die   Aussicht,    auf    diese  Weise    noch   etwas   über    die 


präformirten  Sameneintrittsstelle,  die  in  freier  Natur  stets  gewählt  werden  würde ", 
wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich :  denn  dann  Avürde  sie  wohl  eine  typische  Lagerung 
haben  und  auch  durch  eine  typische  Gestaltung  dieser  Stelle  wie  bei  andern  Eiern 
ausgezeichnet  sein,  wovon  indess  gleichfalls  am  Froschei  nichts  auffindbar  ist.  Wenn 
aber  auch  eine  Prädilectionsstelle  der  Befruchtung  vorhanden  wäre,  so  würde  das 
nach  meinem  Befunde,  dass  das  Ei  von  jedem  Meridian  aus  zu  normaler  Entwicke- 
lung  befruchtet  werden  „kann",  nur  von  ganz  untergeordneter  Bedeutung 
sein.  Und  das  Grleiche  gilt  natürlich  von  der  Bestimmung  der  Medianebene  des 
Embryo  durch  die  Copulationsrichtung.  Da  die  Medianebene  des  Embryo  selbst  bei 
von  uns  frei  gewähltem  Befruchtungsmeridian  durch  diesen  bestimmt  wird,  so 
wird  dies  um  so  wahrscheinlicher  für  die  normalen  Verhältnisse." 

„Zudem  habe  ich  letztere  Thatsache  auch  als  für  die  normalen  Verhält- 
nisse gilt  ig  bewiesen  (S.  358),  indem  ich  mit  viel  Samenflüssigkeit  befruchtete 
und  mit  überschüssigem  Wasser  versetzte  Eier  nach  dem  Auftreten  der  ersten  Furche 
tödtete  und  parallel  derselben  schnitt;  wonach  sich  die  Sameneintrittsstelle  wie  der 
Samenschweif  in  der  Furchungsebene  gelegen  fand."  (Biolog.  Centralblatt,  1888, 
Bd.  VIII,  S.  406.) 

[1)  Im  Original  findet  sich  der  Ausdruck  „Befruchtungsseite"  zuerst  auf 
Seite  204  und  208  dieser  Abhandlung;  es  erschien  mir  aber  zweckmässiger,  ihn  gleich 
hier  in  Verwendung  zu  ziehen.] 

[2)  Richtiger  ,  caudalen  "  Seite,  s.  S.  348,  349  Anm.,  Nr.  22,  S.  5  u.  Nr.  23,  S.  701.1 


358        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtuug. 

Befruchtungsrichtung  ermittehi  zu  können,  gründet  sich  auf  die  Beob- 
achtung Born's^),  dass  die  zuerst  von  Bambeke  beschriebene  und  in 
ihrer  Bedeutung  erkannte  Pigmentstrasse,  welche  der  Samenkörper 
im  Froscheie  hinter  sich  herzieht,  oft  noch  zur  Zeit  der  ersten  Furche 
sichtbar  ist.  Die  Schnitte  zeigen  deuthch,  dass  die  erste  Furchungs- 
ebene  sowohl  durch  die  Anfangsstelle  der  Pigmentstrasse  an  der  Rinde, 
wie  auch  durch  den  weiteren  Verlauf  derselben,  also  durch  die  Bahn 
des  Samenkörpers  hindurchging,  wie  dies  Fig.  1  auf  Tafel  V  sche- 
matisch darstellt. 

Somit  bildeten  diese  Eier  keine  Ausnahme  von  obiger  Kegel  2, 
sondern  es  ist  anzunehmen,  dass  nur  die  Localisation  der  Befruchtung 
auf  die  von  mir  vorher  l)ezeichnete  Stelle  nicht  gelungen  war. 

Zugleich  erhalten  wir  mit  dieser  Wahrnehmung  eine  leicht  zu  hand- 
habende Methode  zur  wenigstens  partiellen  Prüfung  der  Regel  2.  Es 
muss  auch  bei  dem  nicht  kün.stlich  localisirt,  sondern  in  ge- 
wöhnlicher Weise  befruchteten  (aber  nicht  in  Zwangs- 
lage gehaltenen  !)  Eie  in  dem  längs  der  ersten  Furchungs- 
ebene  geführten  Schnitte  die  ,,  Pigm  ent  Strasse"  ange- 
troffen werden.  Da  durch  Regel  1  definitiv  festgestellt  ist,  dass 
der  Samenkörper  an  jedem  beliebigen  Meridian  eindringen  kann, 
so  kann  ein  solcher  Befund  an  nicht  localisirt  befruchteten  Eiern 
nun  auch  nicht  gut  mehr  auf  das  Eindringen  des  Samens  an  einer 
präformirten  Eintrittsstelle  und  auf  eine  präformirte  Coincidenz  der 
Lage  derselben  mit  der  Lage  der  ersten  Theilungsebeue  bezogen 
werden.  College  Born  war  so  liebenswürdig,  25  Eier  verschiedener 
Anurenspecies  in  der  bezeichneten  Richtung  zu  schneiden  und  mir 
zur  Benutzung  zu  übergeben.  Ich  habe  dann  nach  seiner  Methode 
noch  selber  über  80  Eier,  theils  parallel  der  ersten  Furche,  theils 
rechtwinkelig  zu  ihr  geschnitten  und  die  gehegten  E  r  w  a  r  t  u  n  g  e  n 
fanden  sich  in  erfreulichster  Weise  bestätigt,  soweit  die 
Pigmentstrasse  überhaupt  noch  zu  sehen  war;  letzteres  ist  allerdings 


1)  G.  Born,  Biologische  Untersuchungen.  II.  Weitere  Beiträge  zur  Bastardir- 
ung  zwischen  den  einheimischen  Anuren.  Archiv  f.  microsc.  Anatomie.  Bd.  27, 
S.  224. 


Methode  der  küustlicli  localisirten  Befruchtung  der  Frosclieier.  'ü59 


bei  (Itui  wenig  pigmentirten  Eiern,  besonders  von  Rana  csenleiita,  oft 
niclit  mein'  der  Fall. 

Methode   der  künstlieli   loealisirten   Berrnclitung  der 

Froscheier. 

[165]  Znr  \'ollziehung  der  loealisirten  Befruchtung  der 
Froscheier  verwandte  ich  zwei  verscliiedene  Methoden,  deren 
beider  Voraussetzung  die  Annahme  0.  Hertwicvs^)  ist,  dass  unmittel- 
bar nach  dem  Eindringen  des  ersten  Samenkörpers  in  die  Eirinde 
normaler  Weise  Schutzmechanismen  ausgelöst  werden,  welche  das 
Eindringen  weiterer  Samenkörper  verhindern.  [Da  sich  diese  Metho- 
den als  geeignet  erwiesen ,  so  folgt  aus  diesem  Ergebniss  eine  sichere 
Bestätigung  der  Annahme  Hertwig's.] 

Bei  der  von  mir  zuerst  und  am  meisten  angewendeten  Methode, 
welche  sich  jedoch  nur  für  Rana  fusca  eignete  (s.  S.  300),  gab  ich 
den  Samenkörpern  an  der  beabsichtigten  Befruchtungsstelle  dadurch 
einen  Vorsprung,  dass  ich  entweder  ein  wenig  Samen  mit  einer  fein  aus- 
gezogenen und  leicht  in  die  ( lallerthülle  eingedrückten  Glascanüle  in  die 
Substanz  dieser  Hülle  injicirte,  oder  besser  mit  einer  Scheere  einen 
Schnitt  längs  eines  senkrechten  Meridianes  in  die  Gallert- 
hülle machte  und  dann  der  Stelle  ein  wenig  Samen  mit  dem  Pinsel 
zusetzte.  Da  somit  die  Samenkörper  an  diesen  Stellen  einen  kleineren 
Weg  bis  zur  Eioberfläche  zurückzulegen  hatten,  mussten  sie  hier  auch 
zuerst  ankommen,  und  das  Ei  also  von  dieser  Stelle  aus  befruchtet 
werden.  Letzteres  war  aber  blos  dann  zu  erwarten,  wenn  der  Samen 
sich  nicht  in  dem  bei  der  Quellung  der  Hülle  entstehenden  Raum 
zwischen  der  Eioberfläche  und  der  sogenannten  Dotterhaut  seitlich 
ausbreiten  konnte.  Um  diese  Ausbreitung  zu  verhindern ,  wurde  in 
den  ersten  30  Minuten  nach  der  vorgenommenen  Befruchtung  nur 
wenig  Wasser  zugegeben;  erst  nach  Ablauf  dieser  Zeit  wurde  reich- 
lich Wasser  zugesetzt,  um  die  Eier  aus  der  Zwangslage  zu  befreien. 
Es  erhellt,  dass  die  Fehlerquellen  dieser  Methode  derart  sind, 
dass     sie    nur    A  b  w  e  i  c  h  u  n  g  e  n    von    dem    erwarteten    Resultat 


1)  Morpholog.  Jahrbuch.  Bd.  III.    1877.   S.  76. 


360        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtunj 


bewirken,  nicht  aber  fälschlicher  A\'eise  die  Entstehung  desselben 
begünstigen  können. 

Die  unbefruchteten  Eier  der  Rana  esculenta  erwiesen  sich 
jedoch  als  so  empfindlich  gegen  die  geringsten  mechanischen  Ein- 
wirkungen ^),  dass  die  Befruchtung  mit  diesem  Verfahren  in  keinem 
[166]  Falle  gelaug.  Daher  verwandte  ich  für  die  P^ier  dieser  Species 
eine  andere  Methode,  Avelche  zunächst  auf  der  Ano-abe  O.  Hertwig's 
(loco  cit.)  und  Born's^)  beruht,  dass  die  Samenkörper  immer  durch 
die  schwarze  Eiriude  eindringen. 

Da  der  üebergang  von  der  braunen  zur  weissen  Beschaffenheit 
der  Rinde  ein  allmählicher  ist,  so  vermuthete  ich,  dass  auch  der  Ein- 
dringungswiderstand  mit  der  Nähe  der  weissen  Hemisphäre  nur  all- 
mählich zunehme.  Ausserdem  hegte  ich  die  Vorstellung,  dass  viel- 
leicht in  Folge  der  Anhäufung  der  feineren  Dottersubstanzen  unter 
der  Mitte  der  schwarzen  Hemisphäre  eventuelle,  das  Eindringen  be- 
günstigende Kräfte  derselben  um  so  stärker  auf  den  Samenkörper 
wirken  würden ,  je  näher  letzterer  der  Umgebung  der  Mitte  der 
schwarzen  Hemisphäre  sicli  befinde.  Daraus  ergab  sich  die  C'onse- 
quenz,  dass  die  Leichtigkeit  des  Eindringens  des  Samenkörpers  in 
das  Ei  von  der  Umgebung  der  Mitte  der  schwarzen  Hemisphäre  gegen 
den  äcpiatorialen  Rand  derselben  stetig  abnehme,  sodass  ceteris 
paribus  die  Befruchtung  von  demjenigen  Meridian  aus  er- 
folgen müsste,  in  welchem  der  Samen  am  nächsten  der  ,, Um- 
gebung" der  Mitte  des  schwarzen  Poles  an  die  Eirinde  [also 
am  weitesten  nach  oben]  gelangte.  [Die  ,, Mitte"  selber  dagegen 
scheint  sich  wieder  weniger  zur  Befruchtung  zu  eignen,  da  man  auch 
bei  Zwangslage,  wo  dieselbe  nicht  oben  steht,  an  ilir  nur  sehr  selten 
den  Samenkörper   eingedrungen  findet,    s.  S.  370.]     Ich   setzte  daher 


1)  Es  illustrirt  sehr  die  Sicherheit  und  S  el  bst  regula  ti  o  u  im  Ab- 
laufe der  Entwickelun  gsme  ch  anism  en,  dass  die  „befruchteten"  Eier 
grobe  Deformationen,  Erschütterungen  und  grosse  Substanzverhiste  erfahren  können, 
ohne  dass  dadurch  ihre  Entwickelungsfähigkeit  aufgehoben  oder  in  falsche  Bahnen 
gelenkt  wird,  während  bei  den  unbefruchteten,  unthätigen  Eiern  der  genannten 
Species  schon  sehr  geringe  mechanische  Einwirkungen  die  Entwickelungsfähigkeit 
vernichten. 

'-)  Archiv  f.  microsc.  Anatomie.   Bd.  24.    S.  522. 


Methode  der  künstlich  localisirten  Befruchtung  der  Froscheier.  361 


die  Eier  der  Raua  escnlenta  senkrecht  auf  und  legte  an  jedes 
derselben  ein  Stückchen  feinen  Seidenfadens  längs  eines  senk- 
rechten Meridianes  derart  an,  dass  das  obere  Ende  des  Fadens  noch 
ein  wenig  von  dem  INIittclpmicte  der  schwarzen  Hemisphäre  entfernt 
blieb  und  gab  dann  von  unten  her  etwas  Samen  zu  [s.  auch  S.   174]. 

"Wie  aus  den  schon  oben  niitgetheilten  Resultaten  hervorgeht, 
liat  der  Erfolg  der  Erwartung  durchaus  entsprochen.  Der  Faden  muss 
aber  rechtzeitig,  spätestens  20  Minuten  nach  der  Befruchtung,  wieder 
entfernt  werden,  damit  er  nicht,  bei  der  Abnahme  der  äusseren  Samen- 
flüssigkeit durch  die  Quellung  der  Gallerthülle,  das  Ei  presst  und  so 
zugleich  die  obere  Hemisphäre  etwas  nach  seiner  Seite  senkt,  denn 
eine  solche  geringe  Zwangslage  vermag  nach  meinen  frühe- 
ren Beobachtungen  schon  für  sich  allein  die  Richtung  des 
Embryo  [und  die  Lage  der  caudalen  Seite  desselben  gegen  den 
Faden  hin]  zu  bestimmen.  Um  diese  gefährliche  Fehlerquelle  ganz 
zu  vermeiden,  setzte  ich  das  Ei  ein  wenig  nach  einer  anderen  Seite 
geneigt  auf  (s.  Nr.  21  S.  204)  und  gab  alle  5  Minuten  ein  wenig 
Wasser  zu.  Nach  30  Minuten  wurde  dann,  wie  bei  Rana  fusca,  soviel 
Wasser  zugesetzt,  dass  [167]  das  Ei  sich  bald  innerhalb  der  Gallei't- 
hülle  drehen   konnte  und  damit  jedem  Zwange  enthoben  war. 

Die  Einzelheiten  der  Ausführung  und  die  A  n  o  r  d  n  u n  g  de r 
Versuche  waren  folgende.  Aus  dem  eröffneten  Uterus  wurde  das 
Ei  mit  einer  kleinen  gut  polirten  Präparirlancette ,  welche  durch  Ab- 
schleifen ihrer  scharfen  Kanten  und  ihrer  Spitze  beraubt  war,  heraus- 
gehoben und  mit  dem  weissen  Pol  auf  eine  runde  Glasplatte  von 
3,2  cm  Durchmesser  gesetzt,  auf  welcher  ein  Durchmesser  durch  einen 
eingeritzten  Pfeil  markirt  war.  Wenn  das  Ei  bei  Rana  fusca  nicht 
vollkommen  senkrecht  stand,  oder  wenn  die  Eiaxe  bei  Rana  esculenta 
zu  stark  geneigt  war,  wurde  die  Glasplatte  derart  schief  gehalten, 
dass  die  Schwerkraft  das  nur  erst  leicht  adhärirende  Ei  durch  eine 
geringe  Rollung  in  die  gewünschte  Lage  brachte.  Dann  wurde  bei 
der  ersten  Methode  das  Ei  der  Rana  fusca  in  dem  parallel  zum 
Pfeile  gerichteten  Meridian  von  der  Fahnenseite  des  Pfeiles  her  in 
der   ansres-ebenen     Weise    mit    der  Samencanüle    oder    der    Scheere 


362        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

behandelt,  und  letzteren  Falles  der  klaffende  Meridianschnitt  ein  wenig 
mit  einem  in  Samen ^)  getauchten  Pinsel  berührt,  wonach  dann 
mit  dem  Pinsel  an  den  Fusspunct  des  Eies  etwas  Wasser  zugesetzt 
wurde.  Die  das  Ei  tragende  Platte  wurde  darauf  in  ein  rundes 
flaches  Glas  mit  1,5  cm  hohem  Rande  gelegt,  an  dessen  Unterfläche 
ein  rechteckig  geschnittenes  Papier  angeklebt  war.  Nachdem  der 
Pfeil  der  Objectplatte  dem  am  Glase  haftenden  Rande  des  Papieres 
parallel  gerichtet  und  derart  gestellt  worden  war,  dass  die  Pfeilspitze 
mir  abgewendet  und  zugleich  das  Papier  nach  rechts  vom  Glase  vor 
mir  lag,  wurde  zunächst  die  Zeit  der  Befruchtung  auf  den  Zettel 
notirt  und  die  Objectplatte  ringsum  mit  einem  nassen  Pinsel  Ijefeuchtet, 
ohne  dem  Ei  selber  dadurch  Wasser  zuzuführen.  Die  Glasschale  wurde 
mit  einer  an  der  Unterseite  gleichfalls  befeuchteten  Glasscheibe  be- 
deckt. Darauf  wurde  das  nächste  Ei  in  der  gleichen  Weise  behandelt; 
und  danach  (etwa  nach  2  Minuten)  Avurde  die  Objectplatte  des  vorher 
befruchteten  Eies  aus  der  Schale  genonnnen,  von  rechts  nach  links 
einen  Moment  umgedreht  und  die  durch  ungleiche  Adhäsion  bei  der 
Befeuchtung  gewöhnlich  entstandene  geringe  Schiefstellung  rasch 
durch  einen  kleinen,  radiär  zum  Ei  gestellten  und  mit  der  Spitze  die 
Richtung  des  höchsten  Standes  des  Weissen  markirenden  Pfeil  mit  einem 
sogenannten  Porzellanschreibstift  auf  der  Glasplatte  markirt.  Danach 
wurde  das  Ei  [168]  wieder  zurück  in  die  Schale  gelegt  und  in  der 
angegebenen  Weise  zum  Papierrand  orientirt,  um  nach  dem  soeben 
gemachten  Pfeil  die  Richtung  der  Ablenkung  aufzuzeichnen,  und  die 
Zeit  dazu  notirt.  Diese  Controlle  wurde  alle  5  Minuten  wiederholt, 
notirt   und  jede   ev.  Stellungsänderung   durch    ein   neues  Bild  fixirt. 


« 


[1)  Es  hat  sieh  bei  der  künstlich  localisirten  Befruchtung  als  sehr  nützlich 
erwiesen,  den  Samen  nicht  mit  reinem  Wasser,  sondern  mit  ^/s — \4pr0centiger  Koch- 
salzlösung anzusetzen,  da  beim  Ansetzen  mit  reinem  Wasser  nur  wenige  der  besamten 
Eier  sich  entwickeln.  Es  scheint,  dass  die  Spermatosomen,  welche  ja  in  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  zu  leben  gewohnt  sind,  durch  reines  Wasser  etwas  geschwächt  werden. 
Bei  Anwendung  von  stärkerem  Kochsalzgehalt  von  1 — 2°,o  entstand  künstliche 
Polyspermie  (wie  sie  am  Ende  der  Laichperiode  nicht  selten  von  selber 
vorkommt)  offenbar  durch  Verlangsamung  oder  Abschwächung  der  Thätigkeit  der 
Schutzmechanismen  gegen  das  Eindringen  weiterer  Samenkörper  nach  dem  Anlangen 
des  ersten. 


II.  Bedeutung  dei  gefundenen  Coincidenz  des  ersten  Furchungsmeridianes  etc.    363 

Wenn  die  Gallerthülle  Flüssigkeit  angezogen  bat,  ist  das  J^]i  unverrückbar 
an  der  Glasplatte  festgesaugt;  und  die  nacb  den  ersten  5  Minuten  später, 
gewöhnlich  erst  viel  später  noch  eintretenden  Stellungsänderungen  sind 
daher  auf  Drehungen  des  Eies  innerhalb  seiner  Hülle  zu  beziehen. 
Da  der  Wasserzusatz  auch  nach  den  ersten  30  Minuten  immer  noch 
ein  etwas  spärlicher  war,  so  konnten  solche  Drehungen  auch  nach 
dieser  Zeit  nur  langsam  im  Laufe  von  Minuten  sich  vollziehen;  und 
die  kurzen,  nur  etwa  5  bis  10  tSeeunden  dauernden  Umdrehungen 
zur  Besichtigung  der  Unterseite  hatten  keinen  Einfiuss  auf  die  Stel- 
lung. Zur  Vermeidung  dieser  Umdrehungen  hatte  ich  im  vorigen 
Jahre  die  Unterseite  durch  Spiegelung  aufgenommen;  diese  Methode 
erwies  sich  jedoch  als  viel  ungenauer,  weil  durch  das  unerlässliche 
seitliche  Vorbeisehen  an  dem  Eie  stets  schiefe  Projectionen  entstehen, 
aus  welchen  es,  auch  unter  möglichst  gieichmässigem  Umkreisen  des 
Eies  mit  dem  Auge  bei  geringer  Schiefstellung  der  Eiaxe,  sehr  schwer  ist, 
die  Richtung  und  den  Grad  dieser  Schiefstellung  genau  zu  ermitteln. 

Es  gehört  schon  einige  Uebung  und  strenges  Einhalten  einer 
bestimmten  Ordnung  in  allen  Manipulationen  dazu,  um  12  Eier  in 
dieser  Weise  nach  einander  aufzusetzen  und  alle  rechtzeitig  auf  ihre 
Einstellung  und  den  Wassergehalt  zu  prüfen  und  keine  Verwechse- 
luug  vorkommen  zu  lassen. 

Im  Ueberschuss  zugesetztes  Wasser  wurde  mit  einer  gebogenen 
und  zugespitzten  Glasröhre  weggesaugt. 


II.    Bedeutung-  der  gefundenen  Coincidenz  des  ersten  Furchungs- 
meridianes und  des  „Eintrittsnieridianes"  des  Samenkörpers. 

A.  Nächste  Ursachen   der  Coincidenz. 

Nachdem  wir^die  Thatsachen  und  die  Art,  wie  sie  gewonnen 
worden  sind,  kennen  gelernt  haben,  liegt  es  uns  ob,  die  specielle  Ijc- 
deutung  derselben  zu  ermitteln. 

Obgleich  die  Entwickelungsmechanik  selber  erst  in  den  ersten 
Furchungen  sich  befindet,  so  ist  es  doch  schon  möglich,  die  Ent- 
stehung dieser  Coincidenz    in   mehrere  ursächlich   verschiedene  Vor- 


364        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

[169]  gäuge  zu  zerlegen  und  den  causalen  Werth  jedes  einzelnen  der- 
selben für  das  gemeinsame  Resultat  zu  prüfen. 

Analysiren  wir  den  Vorgang  der  Befruchtung  des  Eies 
in  unserem  Bedürfniss  entsprechender  Weise,  so  können  wir 
zunächst  folgende  Einzelvorgänge  unterscheiden.  Erstens  die  Durch- 
brechung der  harten  Eirinde  durch  den  Samenkörper; 
zweitens  den  Verlauf  desselben,  resp.  des  aus  ihm  entstehenden 
Spermakernes  d  u  r  c  h  d  e  n  Dotter;  drittens  die  C'  o  p  u  1  a  t  io  n  beider 
Vor  kerne.  Jeder  dieser  Vorgänge  könnte  vielleicht  für  sich  allein 
das  die  Richtung  der  ersten  Furche  bestimmende  Moment  enthalten. 

a)  Für  die  Wirkung  der  Durchbrechungsstelle  der  Ei- 
rinde durch  den  Samenkörper  auf  die  Lage  der  ersten 
Furche  kann  man  zwei  in  Beitrag  1  zur  Entwickelungsmechanik 
s.  S.  163  u.  166  mitgetheilte  Beobachtungen  anführen.  Bei  Frosch- 
eiern ,  welche  schon  die  erste  Furche  gebildet  hatten ,  sah  ich  nach 
dem  Anstechen  derselben  mit  einer  feinen  Präparirnadel  die  zweite 
Furche  mehrmals  durch  die  Anstichstelle  hindurchgehen, 
auch  wenn  dadurch  diese  Furche  schief,  statt  wie  normal  rechtwinke- 
lig, zur  ersten  zu  stehen  kam.  Beim  Anstechen  nach  Bildung  der 
zweiten  Furche  kam  es  vor,  dass  die  der  Anstichstelle  nächstgelegene 
Furche  sich  nachträglich  soweit  verschob,  bis  sie  durch 
die  Anstichstelle  selber  hindurchging.  Man  kann  geneigt 
sein,  diese  Beobachtungen  so  zu  deuten,  dass  die  Theilung  leichter 
an  derjenigen  Stelle  des  Zellleibes  entsteht,  wo  der  Sonde- 
rungswiderstand am  geringsten  ist  oder  ein  Reiz  das 
Protoplasma  getroffen  hat  [s.  dagegen  S.  166  Anm.].  Dass  die 
Eirinde  durch  ihre  Härte  der  Theilung  besonderen  Wider- 
stand darbietet,  sehen  wir  an  den  vielen  feinen  Falten,  welche 
sich  bei  den  ersten  Furchungen  an  der  Theilungsstelle  bilden.  Die 
Eirinde  ist  also  fest  und  elastisch.  Eine  flüssige  oder 
auch  nur  weiche  und  geschmeidige  Substanz  würde  diese  Erschei- 
nung nicht  darbieten  können.  Gegen  die  Anwendung  dieser  Er- 
fahrung auf  unseren  Fall  kann  aber  geltend  gemacht  werden,  dass 
das  Loch,  welches  der  Samenkörper,  trotz  seiner  anziehenden  Wir- 
kung •  auf   die   braune  Dottersubstanz ,  in   dieser   harten  Eirinde  her- 


n.  Bedeutung  der  gefundenen  Coincidenz  des  ersten  Furchungsmeridianes  etc.    365 

vorbringt,  an  Dnrchmesser  miiulcstens  lOnial,  an  Fläclic  mindestens 
lOOmal  kleiner  ist,  als  die  grobe  mit  einer  0,1  mm  dieken  Nadel 
eingestochene  Oeffnung;  nnd  dass  daher  die  Verminderung  des  Sonde- 
rungswiderstandes an  der  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  zu  gering 
sei,  um  entgegen  eventuellen  Tendenzen  zur  Sonderung  an  einem 
anderen  Orte  in  Betracht  zu  kommen.  Allerdings  kann  fl70]  für 
die  leiclitere  Theilung  an  der  Durchtrittsstelle  des  Samenkörpers  noch 
die  weitere  Beobachtung  angeführt  werden,  dass  die  Bildung  der 
ersten  Furche  nicht  blos  in  dem  Durch trittsmeridian,  sondern  häufig 
auch  auf  derselben  Seite  der  schwarzen  Hemisphäre  anhebt,  auf  wel- 
cher der  Samenkörper  eingedrungen  war.  Doch  habe  ich  auch  Aus- 
nahmen gesehen,  in  denen  die  erste  Furchung  auf  der  entgegen- 
gesetzten Hälfte  des  Eintrittsm  eridianes  begann.  Und 
andererseits  sieht  man  aufschnitten,  welche  eine  halbe  oder  viertel 
Stunde  vor  dem  Beginne  der  äusserlich  sichtbaren  Thei- 
lung quer  zur  präsumptiven  Furchungsebene  durch  das  Ei  gelegt 
worden  sind,  dass  bereits  eine  deutliche  innere  pigmentirte 
Sonderungsebene  des  Dotters  ausgebildet  ist. 

b)  Für  die  Bestimmung  der  ersten  Furche  durch  die 
,, intraovale  Verlaufsbahn''  des  Samenkörpers  resp.  Samen- 
kernes kann  geltend  gemacht  werden,  dass  dabei  durch  die  An- 
ziehung des  pigmentirten  feinkörnigen  Dotters,  welcher 
als  Pigmentstrasse  dem  Samenkern  folgt,  eine  bilaterale 
Symmetrie  in  der  Anordnung  der  Dottersubstanz  hervor- 
gebracht wird,  die  zugleich  bestimmend  wirke  für  die  Lage  der 
Medianebene  des  bilateral-symmetrischen  Embryo.  Daran  ist  umso- 
mehr  zudenken,  als  bei  der  durch  zwangsweise  Schiefstellung  des 
Eies  entstehenden  künstlichen  bilateralen  Symmetrie  der  inneren  Anord- 
nung der  Dottersub^tanzen  wohl  die  Medianebene  des  Embryo,  aber 
nicht  die  erste  Furche,  fast  immer  in  die  Richtung  der  Symmetrie- 
ebene zu  hegen  kommt  [s.  S.  328  n.  f.].  Auch  haben  wir  oben 
(S.  358)  gesehen,  dass  unter  normalen  Verhältnissen  die  erste  Furch- 
ungsebene die  Pigmentstrasse  der  Länge  nach  theilt. 

c)  Für  die  bestimmende  Wirkung  des  dritten  unterschie- 
denen Vorganges,    der  Copulation    der   beiden  Vor  kerne,    in 


366        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

ihrer  Richtung  auf  die  Richtung  der  ersten  Theilung  des 
Eiesist  bis  jetzt  blos  anzuführen,  dass  die  erste  Furchungsebene 
auch  das  centrale  Ende  der  Pigmentstrasse  der  Länge 
nach  theilt,  und  dass  dessen  Verlaufsrichtung,  wie  ich  mich 
mehrfach  an  vor  der  Furchung  geschnittenen  Eiern  überzeugen  konnte, 
auch  die  Richtung  der  Copulation  beider  Vorkerne  an- 
deutet. 

Bei  normaler  Einstellung  des  Eies  vollziehen  sich, 
wie  die  Schnittbilder  zeigen,  alle  diese  drei  Vorgänge  inner- 
halb derselben,  zugleich  durch  die  Eiaxe  gehenden  senk- 
rechten Meridianebene,  und  diese  wird,  wie  wir  sahen,  zur 
ersten  Furchungsebene.  Daher  ist  eine  Unterscheidung  der  Wir- 
kungsweise jedes  einzelnen  dieser  eventuellen  Factoren  in  diesen 
Fällen  nicht  möglich. 

[171]  Mein  Bestreben  war  daher  darauf  gerichtet,  diese 
Coincidenz  gestört  aufzufinden:  und  es  gelang  mir  inderThat, 
an  einigen  Eiern  festzustellen,  dass  die  erste  Furche  nicht  durch  die 
Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  selber,  sondern  mehr  oder  weniger 
dicht  an  derselben  vorbei  ging.  Hierbei  waren  zugleich  zwei  ver- 
schiedene Fälle  zu  unterscheiden :  Die  Furchungsebene  verlief  parallel 
neben  der  Pigmentstrasse  und  letztere  führt  dann  in  die  Nähe  von 
einem  der  beiden  Furchungskerne ;  die  Copulation  hatte  also  an  diesem 
stark  exaxial  gelegenen  Orte  stattgefunden,  aber  die  Theilung  war 
wie  gewöhnlich  durch  die  Eiaxe,  jedoch  der  Copulations- 
richtung parallel,  erfolgt  (Taf.  V,  ¥ig.  2).  Im  zweiten  Falle 
stand  die  Pigmentstrasse  mit  ihrem  Anfangstheil  schief 
zur  Furchungsebene,  lief  aber  mit  ihrem  centralen  Ende 
ihr  parallel  aus  (Fig.  3). 

Die  Begrenzung  der  ersten  Furche  stellt  auf  den  parallel  zu  ihr 
durch  sie  geführten  Schnitten  eine  schräge,  durch  gleichmässige, 
dichte  Pigmentirung  ausgezeichnete  und  durch  zwei  scharfe,  einfach 
gebogene  Contouren  begrenzte  Fläche  an  der  schwarzen  Randseite 
des  Schnittes  dar;  die  Stelle  der  Furche  ist  also  an  den  Schnitten 
noch  vollkommen  deutlich  zu  erkennen.  (N.  B.  Dies  ist  aber  blos  dann 
der  Fall,  wenn  das  Ei  bei  dem  zum  Zwecke  der  Abtödtung  und  der 


Mechanismus  der  Copulation.  367 


Icicliteren  Entfernung;-  der  ( iallortliiille  nütliigen  Erhit/,en  niclit  ülxn- 
80°  C.  erwärmt  worden  ist;  andernfalls  schrumpft  und  faltet  sieh  die 
Eioberfläche,  und  die  Furehe  ist  selbst  für  die  Loupenbetrachtung 
kaum  mehr  sichtbar.  Auch  darf  man,  um  diese  schräge  Fläche  noch 
deutlich  an  den  Schnitten  sehen  zu  können,  vor  dem  Einbetten  zur 
Markirung  nicht  zu  viel  Farbe  in  die  Furche  geben,  weil  diese  wegen 
ihrer  Opacität  sonst  dieses  wichtige  Merkmal  unsichtbar  macht.) 

Da  am  Ende  der  Laichperiode  vielfach  Abnormitäten 
auftreten,  so  schnitt  ich  auch  in  dieser  Zeit  befruchtete  Eier  parallel 
der  ersten  Furche  und  war  so  glücklich,  mehrere  Eier  zu  finden,  bei 
denen  diese  Furche  weder  durch  die  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers, 
noch  durch  die  sich  anschliessende  Strecke  der  Pigmentstrasse  hin- 
durchging. Die  Pigmentstrasse  verliess  in  diesen  Fällen  die  Meridian- 
ebene der  Eintrittsstelle  sogleich  und  vollzog  allmählich  eine  seitliche 
Abweichung  von  40 — 50°,  um  dann  erst  der  Eiaxe  zuzustreben;  und 
nur  diese  Endstrecke  des  Verlaufes  des  Samenkörpers  fiel 
in  die  Eichtung  der  ersten  Furchungsebene  (Fig.  4)  [s.  S.  203]  ^). 

Mechanismus   der  Copulation. 

[172]  Um  die  Bedeutung  dieser  Abweichungen  im  Ver- 
laufe des  Samenkörpers  von  der  Regel  zu  erkennen,  ist  es  zu- 
nächst nöthig  zu  wissen,  warum  normaler  Weise  die  unterschiedenen 
drei  Vorsänge  innerhalb  derselben  Meridianebene  sich  vollziehen. 
Diese  Coincidenz  ist,  wie  ich  fand,  eine  Folge  des  eigenthüm- 
lichen  Mechanismus  der  Copulation;  und  wir  müssen  daher 
diesen  zunächst  etwas  genauer  kennen  lernen. 


[1)  Gelegentlich  eines  Referates  im  biologischen  Centralblatt  (1888,  Bd.  VII J, 
S.  403)  machte  ich  über  solche  Abweichungen  die  weitere  Mittheilung:  „Wenn  näm- 
lich, wie  es  im  Anfang  des  Versuches,  ehe  das  Ei  festgeklebt  ist,  sehr  leicht  geschehen 
kann,  bei  irgend  einer  Manipulation  das  Ei  erheblich  schief  gestellt  worden 
ist  und  nun  30  Minuten  in  dieser  Lage  bleibt,  um  erst  danach  aus  ihr  be- 
freit zu  werden,  so  geht  die  erste  Furche  nicht  durch  den  Befruchtungs- 
meridian. Diese  Fälle  bilden,  wie  ich  mich  bald  überzeugt,  da  ich  die  Eier  oft 
von  unten  besichtigte  und  ihre  jeweilige  Stellung  abzeichnete,  eben  die  Ausnahmen. 
An  ihnen  machte  ich  aber  eine  andere  wichtige  Entdeckung,  näm- 
lich, dass  bei  diesen  Eiern  nicht,  wie  es  „normal"  der  Fall  ist,  die 
Stelle  der  „ersten"  ürmundsanlage  in  der  Medianebene  gelegen  ist, 
worüber  ich  anderwärts  ausführlicher  berichten  werde."] 


368        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

Die  Angaben  über  die  speciellen  Vorgänge  der  Copulation  der 
Vorkerne  im  Froschei  seitens  der  frülieren  Beobachter  sind  nur  mehr 
gelegentliehe,  da  es  sich  bei  den  Untersuchungen  dieser  Autoren  zu- 
nächst darum  handelte,  überhaupt  die  Thatsache  dieser  Copulation 
festzustellen.  Ch.  van  Bambeke,  der  Entdecker  dev  Thatsache,  dass 
bei  den  Amphibien  der  Weg  des  Samenkörpers  im  Ei  sich  durch  eine 
nachgezogene  Pigments trasse  markirt,  sagt  in  seiner  ersten  dies- 
bezüglichen Arbeit^)  von  der  Pigmentstrasse  des  Samenkörpers  von 
Triton  und  Axolotl :  ,,La  longueur  de  celui-ci,  y  compris  son  renfle- 
ment  terminal,  sa  direction  varient.  Cette  derniere  est  generalement 
rectiligne,  quand  le  conduit  est  court,  mais  celui-ci  se  prolonge-t-il 
davantage,  sa  direction  est  celle  d'une  iigne  courbee  ou  d'ane  ligne 
brisee;  d'autrcs  fois  on  observe  une  disposition  en  spirale  ou  ondulee 
liraitee  ä  une  ])artie  du  conduit  ou  se  montrant  sur  tout  son  trajet; 
ce  dernier  etat  etait  surtout  evident  sur  un  oeuf  de  Triton  helveticus 
(fig.  11).  Nous  avons  trouve  comme  plus  grande  longueur  des  con- 
duits,  en  mesurant  une  ligne  menee  de  la  base  ä  l'origine  de  la  di- 
latation  nucleaire,  264  //,  soit  ä  peu  pres  le  quart  du  diametre  de 
l'fp.uf.  Toute  fois,  par  suite  de  la  courbure  des  conduits,  leur  extre- 
mite  interne  est  plus  rapprochee  de  la  peripherie  que  du  centre  du 
globe  vitellin.  Leur  largeur,  generalement  plus  considerable  ä  la  base 
(16  /<),  dimhiue  apres  un  trajet  plus  ou  moins  long,  pour  conserver 
alors  le  menie  diametre  (en  moyenne  8  /n)  juscj[u'ä  la  dilatation 
terminale." 

In  einer  späteren  Arbeit^)  giebt  van  Bambeke  an:  ,,Le  trajet  de 
la  trainee  pigmentaire  des  Urodeles  est  generalement  [173]  represente 
par  une  ligne  brisee";  und  fügt  bezüglich  der  Kröte  hinzu:  ,,Ün  y 
remarque  en  efEet  une  ligne  ä  trajet  egalement  brise,  plus  foncee  que 
la  masse  triangulaire  qu'elle  traverse". 

Wir  finden   in   diesen  Angaben   die   wesentlichen  Bestandtheile 


1)  Ch.  van  Bambeke.  Sur  les  trous  vitellins  que  presentent  les  oeufs  fecondes 
des  Amphibiens,   Bull,  de  l'Acad.  roy.  de  Belgique,   2'ne  serie.   T.  XXX  1870,  S.  65. 

-)  Derselbe,  Recherches  sur  l'embryologie  des  Batraciens.  Bull,  de  l'Acad. 
roy.  de  Belgique.     2'"e  serie.     T.  LXI.     1876.     S.  27. 


Mechanismus  der  Copulation.  369 


des  Verlaufes  schon  mit  enthalten;  aber  einmal  fehlt  die  ursächliche 
Beziehung  der  beobachteten  Verschiedenheit  auf  die  Lage  der  Ein- 
trittsstelle des  Sameukörpers ,  andererseits  sind  einige  seiner  Beob- 
achtungen offenbar  an  abnormen  Eiern  gemacht.  Er  fand  wiederholt 
mehrere  solcher  Pigmentstrassen  im  Ei,  während  ich  in 
etwa  100  geschnittenen  Eiern  dies  blos  einmal  beobachtete 
und  dies  Ei  stammte  vom  Ende  der  Laichperiode,  zu  welcher  Zeit 
Abnormitäten  sehr  häufig  sind^).  Zu  diesen  gehört  auch,  wenigstens 
meinen  Erfahrungen  am  Froschei  nach,  der  spiralig  gewundene 
Verlauf  der  Pigmentstrasse.  Ebenso  deutet  sein  Befund  eines 
zweiten,  wurstförmig  gebogenen  Pigmentzuges  im  Ei  der  Kröte  (Cra- 
paud  commun)  auf  Befruchtung  unter  schiefer  Zwangslage  des 
Eies  hin,  Avas  um  so  leichter  der  Fall  gewesen  sein  konnte,  als  die 
Distinction  der  Zwangslage  von  der  freien  Einstellung  erst  sieben  Jahre 
später,  durch  Pflüger,  gemacht  worden  ist. 

Bezüglich  der  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  in  das  Ei 
macht  0.  Hertwig^)  folgende  Angabe:  ,,Bei  Rana  temporaria  erfolgt 
der  Eintritt  des  befruchtenden  Spermatozoon  in  den  Dotter  stets  am 
schwarzen  Pol  zur  Seite  des  schleierförmig  ausgebreiteten  Excret- 
körpers  auf  der  vom  Eikern  abgewandten  Eihälfte."  Soweit  durch 
diese  letztere  Angabe  die  Befruchtungsrichtung  als  schon  vor  der  Be- 
fruchtung selber  normirt  anzusehen  w^äre,  ist  sie  bereits  durch  meine 
vorstehend  mitgetheilten  Versuche  widerlegt.  Ich  kann  [174]  noch 
hinzufügen,  dass  ich  au  geschnittenen  Eiern,  selbst  bei  ungewöhnlich 
grossem  Abstand  des  Eikernes  von  der  Eiaxe,  den  Samenkörper 
manchmal  auf  derselben  Eihälfte,  in  welcher  der  Eikern 
lagerte,   von   noch   weit   über  den  Eikern  hinaus  seitlich  gelagerten 


1)  Meine  Untersuchungen  bestätigen  also  die  Angaben  von  0.  Hertwig  und 
Born,  dass  normaler  Weise  blos  ein  Samenkörper  in  das  Froschei  eindringt.  Treten  aber 
mehrere  Samenkörper  ^in,  so  zeigt  entweder  blos  der  erste  oder  gar  keiner  den  unten 
zu  schildernden  typischen  intraovalen  Verlauf.  Es  ist  von  hohem  Interesse  wohl 
auch  für  die  Pathologie  der  menschlichen  Entwickelung  und  besonders  für  die 
Beurtheilung  der  Ursachen  der  „Sterilität",  dass  so  leicht  qualitative 
Veränderungen  des  Eies  entstehen,  welche  die  Entwickeluugsfähigkeit 
desselben  aufheben  oder  in  abnorme  Bahnen  lenken. 

-)  0.  Hertwig,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Bildung,  Befruchtung  und  Theilung 
des  thierischen  Eies.     Zweiter  Theil.     Morphol.  Jahrb.     Bd.  III.     1877.     S.  82. 
W.  Koux,  Gesammelte  Abhandlungen.    H.  •^^ 


370        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

Puncten  eingedrungen  gefunden  habe.  Daraus  und  aus  Beob- 
achtungen an  vielen  anderen  normal  befruchteten  und  gestellten  Eiern 
geht  zugleich  hervor,  dass  der  Samenkörper  mit  seinem  Eintritt 
nicht  an  die  „nächste"  Umgebung  des  am  oberen  Ende  der 
Eiaxe  gelagerten  Excretkörpers  gebunden  ist. 

Wohl  aber  spricht  sich  sehr  deutlich  eine  Prädisposition  für 
den  Eintritt  des  Samenkörpers  ,,in  der  Nähe"  des  oberen 
Endes  der  Eiaxe  aus.  Diese  Prädisposition  muss  um  so  stärker 
sein,  als  bei  der  an  diesen  Eiern  vorgenommenen  Einzelbefruchtung 
für  jedes  derselben  der  Same  nur  spärlich,  kaum  bis  zur  Benetzung 
der  unteren  zwei  Dritttheile  des  Eies  zugegeben  wurde,  sodass  die 
gegen  die  Mitte  des  schwarzen  Poles  hinstrebenden  Samenkörper  die 
Gallerthülle  in  schiefer  Richtung  durchsetzen,  also  einen  weiteren  Weg 
zurücklegen  mussten,  als  die  den  unteren  Theilen  zustrebenden.  Da 
bei  stark  schief  aufgesetzten  Eiern  dieses  Verzögerungsmoment  weg- 
fiel, so  wunderte  ich  mich  nicht,  bei  ihnen  in  noch  evidenterer  Weise 
diese  Prädilection  ausgesprochen  zu  finden;  wenn  schon  die  genaue 
Beurtheilung  der  Eintrittsstelle  in  Folge  der  Zusammenstauung  der 
braunen  Rinde  nach  aufwärts  an  Eiern  in  schiefer  Zwangslage  oft 
erschwert,  manchmal  unmöglich  gemacht  ist. 

Andererseits  habe  ich  nur  selten  g  e  s  e  h  e  n  (s.  Fig.  7,  Taf .  V), 
dass  die  Pigmentstrasse  den  ,, oberen"  weissen  Dotter 
durchsetzte;  somit  scheint  der  Eintritt  in  der  Mitte  des  schwarzen 
Poles  durch  die  Darunterlagerung  dieses  weissen  Dotters  erschwert 
zu  werden. 

Diese  Beobachtungen  an  nicht  localisirt  besamten  Eiern  bestätigen 
also  die  oben  von  mir  geäusserte  Vermuthung,  auf  welche  ich  meine 
zweite  Methode  der  künstlichen  locahsirten  Befruchtung  gründete;  und 
es  müsste  Verwunderung  erregen,  dass  es  mir  bei  der  ersten  Methode 
gelungen  ist,  auf  andere  Weise  eine  Prädilection  zu  schatfen,  wenn 
nicht  bei  senkrechter  Einstellung  diese  erste  Methode  zugleich  immer 
auch  mit  der  Benutzung  dieser  Art  Prädilection  verknüpft  gewesen 
wäre,  indem  an  der  Einschnitt-  oder  Einstichstelle  der  Samen  zugleich 
auch  am  weitesten  in  die  Höhe  und  so  der  Mitte  der  schwarzen  Hemi- 


1.    ^Penetrationsbahu"  des  Samenkörpers  im  Ei.  371 

Sphäre  am  nächsten  kam,  und  wenn  ich  niclit  bei  der  locahsirten 
Befruchtung  schief  gestellter  Eier  stets  besonders  tief,  bis  etwa  /.ur 
Mitte  der  Dicke  der  Gallert-  [175]  hülle,  eingeschnitten  hätte. 

lieber  den  Verlauf  des  Samenkörpers  im  Ei  macht 
0.  Hertwic.  keine  besondere  Mittheilung.  Bobn's  bezügliche  Angaben 
beziehen  sich  auf  Eier  in  künstlicher  Schief  läge  und  auf  Bastard- 
befruclitung,  sind  daher  für  unseren  Zweck  der  Feststellung  der  wesent- 
lichen Vorgänge  des  normalen  Copulationsmechanismus  gleichfalls 
nicht  zu  verwerthen. 

Die  genauere  Beobachtung  des  Verlaufes  der  Pig- 
mentstrasse des  Samenkörpers  bei  verschiedenen  Lagen 
der  Eintrittsstelle  desselben  am  Ei  liess  einen  aus  zwei  typisch 
verschiedenen  Vorgängen  sich  zusammensetzenden 
Mechanismus  der  Zusammenführung  der  beiden  Vor- 
kerne erkennen. 

1.    ,, Penetrationsbahn"   des  Samenkörpers  im  Ei. 

Sehen  wir  von  der  extraovalen  Bahn  des  Samenkörpers 
durch  die  Gallerthülle  zum  Ei  ab,  so  ist  als  erster  besonderer,  wohl 
durch  besondere  Kräfte  bedingter  mechanischer  Act  der  Befruchtung 
des  Froscheies  die  Durchbrechung  der  starren  Eirinde 
durch  den  Samenkörper  und  der  sich  anschliessende 
,, erste  intraovale  Verlauf"  zu  unterscheiden.  Letzterer  führt 
den  Samenkörper  tief  in  das  Ei  hinein,  in  einer  meist  graden  Rich- 
tung, welche  annähernd  rechtwinkelig  zur  Tangente  der 
Eintrittsstelle  der  Peripherie  steht,  jedoch  mit  einigen 
typischen  Variationen  (vergl.  Fig.  6 — 11).  Genauer  könnte  man  näm- 
lich sagen:  der  erste  intraovale  Verlauf  des  Samenkörpers  strebt 
„geraden  Weges^"  der  Eiaxe  zu,  da  che  Bahn  fast  mit  wenigen 
Ausnahmen  in  der  durch  die  Eintrittsstelle  und  durch  die  Eiaxe 
gegebenen  Meridianebene  gelegen  ist.  Aber  der  Zielpunct  der  Bahn 
ist  sehr  verschieden  gelegen.  Beim  Eindringen  in  der  Nähe  der 
Mitte  des  schwarzen  Poles   liegt  er  manchmal  am  unteren  Ende  der 

Eiaxe  (oder  gar  ausserhalb  des   Eies,   also   in   der  Verlängerung  der 

24* 


372        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  CopulationsricMung. 

Axe);  während  er  bei  seitlicher,  dem  Aequator  genäherten  Eintritts- 
stelle dem  Eicentrum  näher  liegt  ^). 

Charakteristisch  ist  es  für  diese  Verl  aufs  strecke,  dass  die 
Richtung  derselben  noch  keine  directe  Beziehung  zum  Eikern 
erkennen  lässt,  sodass  der  erste  Verlauf  des  Samenkörpers 
als  „reine  Penetrationsbewegung"  in  den  ,, Zellleib"  des 
Eies,  in  den  Dotter  sich  charakterisirt. 

[176]  Manchmal  stellt  der  Anfangstheil  der  Pigmentstrasse  einen 
breiten  Pigmentkegel  dar,  in  welchem  es  schwer  ist,  die  eigentliche  Bahn 
des  Samenkörpers  zu  erkennen.  Ich  nahm  alsdann  für  letztere  die 
Linie  dichtester  Pigmen tauhäuf ung ,  welche  auch  gewöhnlich  der 
Kegelaxe  nahe  lag.  Diese  grosse  Pigmen  tan  häuf  ung  um  den 
Anfangstheil  der  Bahn  des  S  a m  e  n  k  ö  r  p  e  r  s  findet  sich  be- 
sonders gegen  Ende  der  Laichperiode  der  Species;  und  sie 
geht  da  manchmal  so  weit,  dass  die  Continuität  der  braunen 
Rinde  zerrissen  wird  und  ,,Extraovate"  entstehen,  sodass 
also  zum  Theil  dieselben  Vorgänge  auftreten,  wie  sie  Born  bei  Ba- 
stardirungen  häufig  angetroffen  hat.  Gegen  das  Ende  der  Laich- 
periode  muss  entweder  die  Pigmentsubstanz  des  Eies  sehr 
beweglich  werden,  oder  die  dieselbe  bewegenden  Kräfte 
müssen  sich  erheblich  verstärken. 

In  anderen  Fällen  ist  die  Pigmentstrasse  schon  von  Anfang  an 
dünn;  manchmal  auch  beginnt  sie  schief  zur  Oberfläche  und  erlangt 
erst  im  weiteren  Verlauf  die  geschilderte  annähe  r  n  d  r  a  d  i  ä  r  e 
Richtung;  es  wird  dann  zweifelhaft,  ob  hier  noch  das  primäre 
Verhalten  vorliegt  oder  ob  nachträgliche  Verschiebungen  stattge- 
funden haben. 

Die  Länge  dieser  ,,Peiietratioiisl}alm"  des  Samenkörpers  variirt 
unter  normalen  Verhältnissen  relativ  wenig ;  und  da  uns  die  Berück- 
sichtigung   dieser   Länge    dem    wahrscheinlichen,    actuellen  Ziel    der 


[1)  Dieses  Verhalten  wird  besser  durch  folgende  Fassung  bezeichnet:  Ent- 
sprechend dem  rechtwinkelig  zur  Eirinde  erfolgenden  Eintritt  des  Samenkörpers 
und  dem  geraden  Verlauf  desselben  im  ersten  Theil  seiner  Bahn  ist  der  scheinbare 
Zielpunct  dieser  Bahn  in  Folge  der  Abweichung  des  Eies  von  der  Kugel- 
gestalt, besonders  aber  in  Folge  der  oben  entstehenden  Abplattung  (s.  S.  377 
Anm.),   ein  mit  der  Lage  der  Eintrittsstelle  am  Eie  wechselnder. 


1.    ,  Penetrationsbahn "  des  Saraenkörpers  im  Ei. 


373 


Bewegung  näher  führt,  so  seien  hiei-  einige  an  Eiern  von  Rana  fusca 
angestellte  Messungen  derselben  mitgetheilt. 


— 

■  - 

— 

Mittlerer  Abstand 

Zeit 

Lauge  der 

Querdurchmesser 

Länge  der  Pene- 

der  Copulations-Bahn 

nach  der 

Eiaxe 

des  Eies 

trations-Bahn 

von  der  Oberfläche 

BefruchtuDg 

des  Eies 

mm 

mm 

mm 

mm 

1  h.  40  Min. 

1,55 

1,52 

0,292 

0,390 

^ 

1,53 

1,66 

0,275 

0,357 

1,56 

1,53 

0,325 

0,390 

2  h.  40  Min. 

1,46 

1,56 

0,290 

0,390 

1,13 

1,49 

0,260 

0,340 

1,36 

1,49 

0,292 

0,390 

71 

1,20 

1,46 

0,260 

0,325 

n 

1,30 

1,36 

0,292 

0,325 

1,20 

1,59 

0,260 

0,325 

1,49 

1,65 

0,357 

0,390 

[177] ; 

1,56 

1,56 

0,357 

0,390 

1,36 

1,40 

0,325 

0,390 

j» 

1,43 

1,-56 

0,455 

0,420 

1,43 

1,49 

0,260 

0,420 

1,36 

1,43 

0,260 

0,450 

V 

1,49 

1.56 

0,390 

0,487 

Die  Variationen  in  der  Länge  der  Penetrationsbahn 
des  Samenkörpers  bewegen  sich  also  (bei  der  um  V*  wechselnden 
Eigrösse)  zwischen  260  und  390  /^  nur  einmal  Averden  455  ^i  er- 
reicht. Dieser  Fall,  wie  die  ihm  benachbarten  der  letzten  sechs  Eier 
der  Tabelle  betrifft  stark  dem  Aequator  genäherten  Eintritt  des 
Samenkörpers. 

Dieser  erste  Verlauf  führt  den  Samenkörper  immer 
annähernd  derselben  Schicht  des  feinkörnigen  Dotters  zu. 

Bei  Rana  fusca  ist  diese  Schicht  deutlich  braun  gefärbt  und 
stellt  die  obere  Schicht  des  centralen  braunen  Dotters  dar  (s.  Taf.  V, 
K.  Seh.,  Kernschicht,  Fig.  5).  Da  dieser  „centrale  braune  Dotter"  oben 
mit  dem  „braunen  Seitendotter"  (br.  S.  Fig.  5)  ringsum  zusammen- 
hängt, so  kann  man  diese  Schicht  auch  als  Verbindungsschicht  des 
braunen  Seitendotters  ansehen.    Sie  liegt  zugleich  unterhalb  des  oberen 


374        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

weissen  Dotters  imd  kann  bei  mächtiger  Entwickelung  desselben  direct 
an  diesen  angrenzen. 

In  den  Erläuterungen  der  sclieraatischen  Figur  5,  der  Abbildung 
einer  durch  die  Eiaxe  gelegten  Meridianebene  des  Eies  von  Rana 
fusca  war  ich  genöthigt  zum  Zwecke  genauerer  Bezeichnung  einige 
neue  Termini  einzuführen.  An  die  Stelle  des  von  Borx  als  „heiler 
Innentleck"  bezeichneten  Theiles,  welcher  unter  der  Mitte  der  braunen, 
daselbst  verdünnten  festen  Eirinde  liegt,  führe  ich  den  mehr  die 
Substanz  und  ihre  Lage  bezeichnenden  Namen  „oberer  weisser 
Dotter''  ein  und  habe  ihn  oben  bereits  entsprechend  verwendet; 
dieser  Dotter  ist  feinkörnig,  halbflüssig  und,  wie  sich  ausser  durch 
seine  Lage  im  senkrecht  eingestellten  Eie  auch  noch  durch  seine 
Umlagerungen  bei  schiefer  Zwangslage  ergiebt,  von  geringerem 
specifischen  Gewicht,  als  die  übrigen  Dottersubstanzen. 
Die  anderen  in  [178]  der  Figurenerklärung  gebrauchten  Termini 
„brauner  Seitendotter",  ,, centraler  brauner  Dotter"  sind 
ohne  weiteres  aus  der  Abbildung  verständlich  ^). 

Da,  wie  wir  sehen  werden,  die  zweite  Strecke  des  intraovalen 
Verlaufes  des  Samenkörpers  innerhalb  der  unter  dem  oberen  weissen 
Dotter  befindlichen  Schicht,  bis  zu  Avelcher  der  Samenkörper  in  den 
Dotter  eindringt,  gelegen  ist;  da  ferner,  sei  es  vor  oder  erst  während 
der  Befruchtung,  der  Eikern  in  dieselbe  aufsteigt  und  auch  der  durch 
die  Copulation  gebildete  Furchungskern  in  ihr  gelagert  ist  und  inner- 
halb ihrer  sich  theilt,  so  halte  ich  es  für  zweckmässig,  dieser  wi en- 
tigen Schicht  einen  besonderen   Namen,   den  Namen  „Kern- 

[1)  Ein  neuerer  Autor,  0.  Schultze,  hatte  bezüglich  der  Grösse  der  Dotter- 
körner die  Angabe  gemacht:  „Je  mehr  wir  nach  dem  höchsten  Puncte  des  Eies  gehen, 
um  so  mehr  nimmt  die  Grösse  der  Uotterelemente  ab  und  zwar  so,  dass  bei  nor- 
maler Einstellung  in  jeder  Horizontalebene  die  Dotterkörner  gleich  gross 
sind."  Dazu  habe  ich  folgende  Berichtigung  gegeben  (Biolog.  Centralbl.  1888.  Bd.  8. 
S.  406):  „Es  ist  bekannt,  dass  im  Allgemeinen  die  Grösse  der  Dotterkörner  von 
unten  nach  oben  abnimmt;  aber  es  liegen  Körner  verschiedener  Grösse  nebeneinander 
und  grössere  über  kleinern;  ganz  abgesehen  von  dem  centralen  braunen  Dotter, 
der  zwar  oft  fast  nicht  pigmentirt,  immer  aber  ziemlich  feinkörnig  ist,  während 
wagrecht  neben  ihm  ringsum  grosse  Dotterkörner  gelagert  sind." 

„Ferner  ist  es  nicht  thatsächlich  gestützt,  wie  der  Autor  vertritt,  dass  „„der 
höchste  Punct  des  Pigmentrandes  einer  grösseren  Protoplasmamenge  entspricht,  als  die 
in  der  Horizontalebene  gegenüberliegende  Stelle  des  Eies"".  (Weiteres  s.  S.  198  Anm.).] 


1.    ^Penetrationsbalui"  des  Sameiikörpers  im  Ei.  375 


tichicJif"  (h's  Eies  beizulegen.  Icli  tliue  dies,  obgleich  ich  /ur  Zeit 
nicht  anzugeben  vermag,  ob  sie,  abgesehen  vom  s])ecitischen  Ge- 
wicht, aus  besonders  qualii'icirter  Substanz  besteht,  oder 
ob  die  Localisation  der  genannten  Gebilde  und  Vorgänge  auf  sie 
blos  dadurch  bedingt  ist ,  dass  sie  den  Ort  der  r  e  s u  1 1  i  r  e  n  d  e  n 
Wirkungen  aller  auf  die  Kerne  wirkenden  Dottertheile  darstellt, 
oder  ob  der  Samenkörper  normaler  Weise  deshalb  nur  Vs 
des  Dotterdurchmessers  durchläuft,  weil  seine  eventuellen 
Penetrationskräfte  durch  die  inzwischen  erfolgte  Umwandlung 
zum  Spermakern  (van  Bambeke,  O.  Hertwig)  aufgehört  haben. 

Da  bei  schiefer  Zwangslage  des  Eies  alle  die  unterschiedenen 
Eisubstanzen  nicht  durch  ordnende  Kräfte  in  ihrer  relativen  Lage  er- 
halten werden,  sondern  sich  unter  dem  Einfluss  der  Schwere,  der 
Wirkung  dieser  entsprechend,  verschieben,  so  kann  man  geneigt  sein, 
solche  ordnenden  Kräfte  überhaupt  nicht  als  wesentlich  bei  der  Er- 
haltung der  normalen  Anordnung  des  Eies  nach  der  fertigen  Bil- 
dung desselben  betheiligt  anzusehen,  und  anzunehmen,  dass  ,, wäh- 
rend der  Bildung"  die  Anordnung  derart  getroffen  wor- 
den sei,  dass  die  Schwere  bei  normaler  Stellung  des  Eies 
diese  Anordnung  allein  erhalte.  Dem  entsprechend  sei  dann 
anzunehmen,  dass  die  Lage  der  Kern  schiebt  des  Eies  blos 
durch  das  specifische  Gewicht  derselben  bedingt  sei,  und 
dass  auch  nur  aus  einer  Uebereinstimmung  der  specifischen  Gewichte 
die  Kerngebilde  ihren  Platz  in  ihr  nehmen. 

Gegen  eine  solche  einfache  Art  der  Erhaltung  der 
inneren  Anordnung  lassen  sich  aber  schon  gegenwärtig  einige 
Gründe  anführen,  so  z.  B.  der  Umstand,  dass  die  unbefruchteten 
Eier  trotz  der  meist  im  Ovarium  und  im  Uterus  vorhandenen,  Wochen, 
ja  Monate  lang  dauernden  Zwangslage  in  schiefer  Stellung  nur  sehr 
geringe  Umordnungen  durch   die  Schwer-  [179]    kraft  erleiden^)  und 

[1)  Um  dieser  Monate  lang  anhaltenden  Wirkung  der  Schwerkraft  activ  zu 
widerstehen,  müssten  die  ordnenden  Kräfte  im  unbefruchteten  Ei  vielraal  grösser 
sein,  als  im  befruchteten  Ei,  da  sie  in  ihm  keine  zwei  Stunden  zn  widerstehen  ver- 
mögen. P]s  scheint  daher  annehmbarer,  dass  im  unbefruchteten  Ei  das  Protoplasma 
fester,  rigider  sei,  trotz  gleichen  oder  grösseren  Gebaltes  des  Eies  an  Paraplasma 
wie  nach  der  Befruchtung  (s.  S.  297  Anm.).] 


376        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene   durch  die  Copulationsrichtung. 


dass,  wie  ich  S.  298  gezeigt  liabe,  Avälireiid  der  Befrachtung  Umord- 
nungen  vor  sich  gehen,  welche  der  Wirkung  der  Schwere  entgegen- 
gesetzt sind. 

Wir  müssen  also  wohl  im  unbei'ruchteten  wie  auch  noch 
mehr  im  befruchteten  Eie  Ordnung  erhaltende,  resp.  neu 
ordnende  Kräfte  als  wirksam,  annehmen,  welche  aber  unter 
Umständen  sich  schwächer  erweisen,  als  die  Wirkung  der  Schwere 
auf  die  Eitheile  von  ungleichem  specifischen  Gewichte. 

Ueber  die  eigenthümliche  dynamische  Bedeutung  der  unter- 
schiedenen Kerns  chic ht  des  Dotters  ist  daraus  noch  kein  be- 
stimmtes Urtheil  zu  entnehmen,  als  dass  sie  nicht  blos  durch  das 
specifische  GcAvicht  ihrer  Bestaudtheile  ihre  Lagerung 
erhält  und  zum  Aufenthaltsort  der  Kerngebilde  wird. 

2.    „Copulationsbahn"   des   Samenkörpers   im   Ei. 

Wenn  die  erste  Strecke  vom  Samenkörper  durchlaufen  ist,  so 
wird,  meist  unter  ziemlich  schroffer  Umbiegung,  eine  zweite 
Verlaufsrichtung  eingeschlagen,  welche  den  Samenkörper,  oder 
richtiger  den  inzwischen  aus  ihm  gebildeten  Samenkern,  grade n 
Weses  dem  Eikern  nähert,  und  zwar  meist  ihm  direet  zuführt, 
daher  sie  „nucleopetale  Verlaufsrichtung"  und  ihre  Bahn  die 
,,Copulationsbahn"  heissen  soll^). 

In  einigen  Fällen  jedoch  war  der  Samen  kern  durch  seine  gerade 
fortgesetzte  zweite  Verlaufsrichtung  ziemlich  dicht,  seithch,  ober-  oder 
unterhalb  an  dem  Eikern  vorbeigeführt  worden,  und  bei  einigen 

[1)  RuD.  FicK  macht  in  .seiner  sorgfältigen  Untersuchung  über  die  Reifung  und 
Befruchtung  des  Axolotleies  (Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  1893.  Bd.  56,  S.  576)  die  Mit- 
theilung, dass  die  „Copulationsbahn"  beim  Axolotlei  häufig  nicht  gleich  von  Anfang 
an  gegen  den  Eikern  hin,  sondern  sogar  von  ihm  weggewendet  ist.  Andeutungen 
davon  habe  ich  auch  beim  Froschei  einige  Male  beobachtet  und  zwar  bei  Zwangslage. 
Ehe  man  annehmen  kann,  dass  hier  eine,  besondere  Bedeutung  beanspruchende 
normale  Erscheinung  vorliegt,  ist  es  also  nöthig,  die  Axolotleier  nach  der  Besam- 
ung recht  rasch  in  die  Möglichkeit  zu  versetzen,  sich  senkrecht  einzustellen,  oder 
besser,  sie  gleich  von  vornherein  senkrecht  aufzusetzen  und  viel  Samenflü.ssigkeit 
zuzusetzen,  um  zu  sehen,  ob  dann  diese  Erscheinung  auch  noch  vorkommt.  Dass 
eine  innere  Strömung  im  Ei  den  Samenkörper  leicht  passiv  mitnehmen  kann,  ist 
verständlich;  und  zwar  kann  dies  um  so  leichter  geschehen,  je  geringer  die  Copu- 
lationskräfte  sind  (s.  S.  181).] 


2.  „Copulationsbabn"  des  Samenküipers  im  Ei.  377 

anderen  hätte  dasselbe  geschehen  müssen,  wenn  das  Ei  nicht  /u  i'iüli 
getödtet  und  die  weitere  Bahn  in  der  bisherigen  Richtung  fortgesetzt 
worden  wäre.  Letzteren  Fahes  war  der  Samenkern  dem  Eikern  schon 
bis  fast  an  das  Loth  vom  Eikern  auf  die  zweite  Verlaufsrichtung  ge- 
nähert, ohne  dass  die  Bahn  eine  Ablenkung  nach  dem  Eikern  zu 
darbot.  Ich  vermuthe,  dass  in  diesen  relativ  seltenen  Fällen  Störungen 
des  normalen  Copulationsmechanismus  vorlagen. 

Die  zweite  Verlaufsstrecke  liegt  annähernd  parallel  dem  mitt- 
leren Tlieile  der  schwarzen  Eirinde^);  daher  war  es  möglich,  ihren 
Abstand  von  derselben  anzugeben ,  wie  es  in  der  Tabelle  auf  S.  372 
bereits  geschehen  ist.  Man  sieht,  dass  die  Schwankungen  dieses  Ab- 
standes  nur  zwischen  0,32  und  0,48  mm,  resp.  zwischen  27  und  32°/o 
der  Eiaxe  sich  bewegen  und  die  Figuren  (>  bis  11  geben  eine  gute 
Anschauung  davon. 

Wenn  wir  die  verschiedenen  zweiten  Bahnen  der  Samenkörper 
aller  geschnittenen  Eier  von  Rana  fusca  zusammennehmen  und  [180] 
uns  dabei  vergegenwärtigen,  dass  der  Eintrittsmeridian  beliebig  ge- 
wählt werden  kann,  so  können  wir  alle  diese  Bahnen  zu  einer  run- 
den Scheibe  intregiren,  innerhalb  deren  bei  jedem  Eie  normaler  Weise 
dieser  zweite  Verlauf  sich  vollzieht,  und  diese  fällt  dann  mit  dem  zu- 
sammen, was  oben  als  „Kernschicht"  des  Dotters  bezeichnet 
wurde.  Da  diese  Schicht  also  nicht  bis  zum  Rande  des  Eies 
sich  erstreckt,  so  würde  sich  der  Name  ,, Kernplatte"  oder  ,, Kern- 
scheibe" mehr  für  sie  geeignet  haben,  wenn  diese  Bezeichnungen 
nicht  zu  sehr  die  Vorstellung  erweckten,  dass  das  betreffende  Gebilde 
selbst  aus  Kernsubstanz  bestehe,  während  die  Bezeichnung  Kernschicht 
schon  eher  andeutet,  dass  es  sich  blos  um  den  Aufenthaltsort  der 
Kerne  handelt. 

Der  Winkel,  den  die  erste  und  zweite  Verlauf sricli- 
tung  miteinander   machen,   ist   ein   wesentlich  verschiedener  je 

[1)  Das  Ei  ist  in  den  Stadien  der  E'iguren  6 — 9  oben  stark  eben  und  fasl  wagrecht 
abgeplattet;  diese  Abplattung  entsteht  jedoch,  nach  der  blossen  Erinnerung  zu  urtheilen, 
frühestens,  etwa  eine  Stunde  vor  dem  Beginne  der  Furchung,  also  zwei  Stunden  nach 
der  Besamung,  somit  etwa  erst  zur  Zeit  oder  kurz  nach  der  Copulation  der  Geschlechts- 
kerne. Es  giebt  also  frühere  Stadien  (Fig.  10  und  11),  in  denen  die  Abplattung  noch 
nicht  voi'handen,  aber  die  Copulationsbahn  schon  weit  ausgebildet  ist.] 


378        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

nach  der  Lage  der  Sameneintrittsstelle.  Ist  der  Samenkörper  in  der 
Nähe  der  Mitte  des  oberen  Poles  eingedrmigen ,  so  beträgt  er  einen 
rechten;  je  näher  aber  die  Sameneintrittsstelle  dem  Aequator  gelegen 
ist,  nm  so  mehr  nähert  er  sich  einem  gestreckten  Winkel,  wie  gleich- 
falls die  Figuren  (3 — -11  zeigen.  Dieses  so  deutlich  ausgesprochene 
Verhalten  war  eben  die  Veranlassung,  die  Bahn  des  Samenkörpers 
in  der  angeführten  Weise  in  zwei  typisch  verschiedene  Bahnstrecken 
zu  zerlegen. 

Die  Länge  der  zweiten  Verlaufsstrecke  muss  nach  dem  von 
der  ersten  ^Nlitgetheilten  gleichfalls  von  der  Lage  der  Eintrittsstelle 
abhängig  sein  und  mit  deren  Entfernung  von  der  Mitte  des  schwarzen 
Poles  Avachsen. 

Die  Umknickungsstelle  der  Bahn  in  Fig.  11  bei  seitlicher  Ein- 
trittsstelle des  Samenkörpers  bezeichnet  meiner  Auffassung  nach  den 
äussersten  Rand  der  ,, Kernschicht" ').  Die  Pigmentstrasse  erstreckt 
sich  an  der  Umknickungsstelle  vom  ersten  zum  zweiten  Verlauf  manch- 
mal auch  etwas  nach  der  der  zweiten  Verlaufsrichtung 
entgegengesetzten  Seite,  und  andererseits  eilt  sie  dem  Samen- 
körper manchmal  etwas  voraus.  Letzteres  sah  ich  indess  blos 
in  einigen  wenigen  Fällen,  in  denen  die  beiden  Vorkerne  einander  schon 
sehr  nahe  waren,  so  dass  man  an  eine  gleichsam  anziehende  Wirkung 
des  Eikernes  auf  die  Pigmentsubstanz  denken  kann.  Dies  scheint  um  so 
mehr  berechtigt,  als  sich  in  manchen  Eiern  eine  zweite,  aber 
nur  kurze  Pigmentstrasse  findet,  welche  von  der  ,, Mitte" 
des  schwarzen  Poles,  also  von  der  Ausstossungsstelle  der 
Pol-  [181]  körper  aus  radiär  in  den  weissen  oberen  Dotter 
sich  erstreckt  und  daher  vielleicht  als  ,, Pigmentstrasse  des 
rück  kehr  enden  Eikernes"  aufzufassen  ist. 

Die  Lagerung  des  Eikernes  angehend,  so  fand  ich  im 
unbefrucliteten  Ei  ihn  gewöhnlich  etwas  oberhalb  des  Cent  rums 
des  Eies,  im  Mittel  ^/ä  des  Eiradius  nach  oben  vom  Centrum  gerückt, 
sodass  er    also  noch  ^/s  Radius    von  der  Mitte    des    schwarzen  Poles 


[1)  Nacli  der  ausgezogenen  Gestalt  des  , oberen"  weissen  Dotters  zu  urtheilen, 
befand  sich  das  Ei  dieser  Figur  etwas  in  Zwangslage,  und  in  ganz  geringem 
Maasse  war  dies  auch  bei  dem  Ei  der  Figur  10  der  Fall.] 


2.    ^Copulationsbahn"  des  Samenkörpers  im  Ei.  379 

entfernt  blieb.  Seine  „Exaxialität"  betrug  gewöhnlicli  nur  'ho  bis 
V20  des  Querdurchmessers  des  FAes,  einmal  aber  l'and  ich  sie  aul'  V^ 
vergrössert. 

Zur  Zeit  der  Copulation  dagegen  beiludet  sich  der  Eikern 
stets  in  der  V-^  ^^^'^  V^  Eiradius  höher  gelegenen  ,, Kernschicht",  zu 
welcher  er  also  während  der  Befruchtung  wieder  aufgestiegen  sein 
muss.  Die  Kernschicht  muss  man  sich,  nach  den  vorkommen- 
den Variationen  in  der  Lage  der  beiden  Kerne  während  der  nucleo- 
petalen Bewegung  des  Samenkernes,  als  etwa  ^/s  Eiradius  dick  vor- 
stellen; und  es  wird  in  dieser  Schicht  der  Eikern  bald  ober- 
halb   bald   unterhall)  des  Spermakernes    gelagert  gefunden. 

Unentschieden  muss  es  zunächst  bleiben ,  ob  nicht  doch  nor- 
maler Weise  noch  eine  dritte  normale  Verlaufsstrecke  des 
Samenkörpers  resp.  Samenkernes  zu  unterscheiden  ist,  oder  ob  die 
wenigen  Fälle,  in  denen  die  zweite  Strecke  an  dem  Eikern  vorbei- 
führte, als  pathologische,  sei  es  durch  abnorme  Widerstände 
oder  Strömnngen  der  Dottersubstanz  bedingte,  aufzufassen  sind.  Bei 
schiefer  Zwangslage  des  Eies  d.  h.  bei  Fixation  derselben  in  ab- 
normer Stellung,  sieht  man  sehr  häufig  die  Pigmentstrasse  eine  dritte, 
rückläufige  Strecke  darbieten;  und  wenn  auch  diese  zweite  Bie- 
gung der  Pigmentstrasse  zum  Theil  erst  nachträglich  durch  die  Strö- 
mung hervorgerufen  sein  kann,  so  kann  diese  Erklärung  bei  genauer 
Beurtheilung  der  speciellen  Strömungsverhältnisse  doch  oft  nur  für 
einen  Theil  derselben  in  Anspruch  genommen  werden;  während  es 
unzweifelhaft  ist,  dass  der  Samenkörper  häufig  durch  die  Strömung 
erfasst  und  von  ihr  zunächst  am  Eikern  vorbeigeführt  wird,  so  dass 
dann  erst  eine  rückläufige  Bewegung  zur  Copulation  führt. 

Ausserdem  aber  spricht  in  hohem  Maasse  für  die  directe  nucleo- 
petale  Tendenz  der  zweiten  Strecke  die  Beobachtung,  dass  in 
den  allerdings  nur  seltenen  Fällen  von  schiefer  Zwangslage,  wo  der 
Samenkern  auch  am  Ende  seiner  zweiten  Bahn  nur  innerhalb  einer 
schwachen  Strömung  zu  verlaufen  hat,  diese  zweite  Strecke  deutlich 
eine  rein  nucleopetale,  manchmal  der  Strömung  [182]  direct 
entgegenlaufende  Richtung  darbietet,  trotz  der  stattgehabten 
starken  Umordnung  der  verschiedenen  Dottersubstanzen,  insbesondere 


380        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

auch  der  Kernschicht ;  ein  V^erhalten,  welches  deuthcli  erkennen  lässt, 
dass  der  Spermakern  nicht  etwa  der  Spitze  des  ,, weissen 
oberen  Dotters"  oder  der  ihr  benachbarten  Substanz  der 
Kernschicht  folgt,  welche  letztere  ja  normaler  Weise  der  Sitz  des 
Eikernes  und  damit  auch  der  Ort  ist,  gegen  welchen  die  zweite  Strecke 
des  Samenkörpers  gerichtet  ist.  Und  da  bei  normaler  Stellung  des 
Eies  das  Vorbeigehen  des  Sperraakernes  am  Eikern  doch  nur  selten 
ist,  so  ist  es  wohl  richtiger,  dieses  Vorkommniss  auch  unter  diesen 
Verhältnissen  als  durch  abnormale  Umstände  bedingt  aufzufassen  und 
keine  dritte  Verlaufsbahn  des  Samenkörpers,  resp.  seines 
Derivates  des  Samen  kern  es,  als  normalen  Bestandtheil  des  Copu- 
lationsmechanismus  anzunehmen. 

Es  scheint,  dass  die  nucleopetalen  Kräfte  der  Vorkerne  in  ver- 
schiedenen Eiern  sehr  verschieden  sind,  sowohl  an  Intensität  und  Aus- 
dehnung wie  auch  in  der  Zeit,  in  der  sie  wachgerufen  werden.  Viel- 
leicht auch  kommt  den  nach  Hert^vig  im  Dotter  vertheilten  Theilen 
des  Keimbläschens  in  manchen  Fällen  eine  anziehende  Wirkung  auf 
den  zum  Spermakern  modificirten  Kopf  des  Samenkörpers  zu. 

In  einigen  Fällen  war  aus  der  Richtung  der  Längsaxe  des  Ei- 
kernes und  aus  der  Anordnung  der  umgebenden  Dottertheile  zu  er- 
schliessen,  dass  auch  der  Eikern  eine,  wenn  auch  nur  kleine, 
das  Doppelte  seiner  Länge  betragende  [gegen  den  anderen  Ge- 
schlechtskern gerichtete]  Bewegung  vollzogen  hatte. 

Ueber  die  vollziehenden  Ursachen  dieser  beiden  typischen 
Verlaufsrichtungen  des  Samenkörpers  im  Ei  kann  ich  zur  Zeit  keine 
Angaben  machen.  Doch  hoffe  ich  durch  die  Untersuchung  künst- 
lich deformirter  Eier  und  unter  Berücksichtigung  der  Eventualität, 
dass  derBeginn  d  er  nucleopetalen  Verlauf  srichtung  viel- 
leicht mit  der  Vollendung  der  Umwandlung  des  Kopfes 
des  Samenkörpers  zum  Spermakern  zusammenfällt,  einige 
Aufschlüsse  gewinnen  zu  können. 

Es  sei  noch  erwähnt,  dass  auch  von  der  typischen  Richtung 
der  Penetrationsbalin  Abweichungen,  zumal  kleine,  nicht  selten 
vorkommen.  Dieselben  variiren  bei  verschiedenen  Eiern  um  die  typische 
radiäre  Richtung  als  Mittellage  nach  beiden  Seiten,   treten  aber,  wie 


Ursache  der  Coincidenz  des  Sameueintrittsmeridians  etc.  381 

es  scheint,  nur  selten  aus  der  Meridianelx'nu  der  Sameneintrittsstelle 
seitlich  heraus. 

Als  ein  dritter  besonderer  xVct  wird  vielleicht  die  Copu- 
lation  [183]  im  engeren  Sinne,  die  Vereinigung  der  bereits  bis  zur  Be- 
rührung genäherten  Kerne  zu  einem  einzigen  Kerne,  sofern  solche  Ver- 
einigung, entgegen  den  Beobachtungen  van  Beneüen\s  an  Ascaris  mega- 
locephala,  beim  Frosch  vorkommt,  einschliesslich  der  speciell  für  diese 
Vereinigung,  oder  richtiger  für  die  nächste  Theilung,  nöthigen  vor- 
bereitenden Umänderung  in  der  Structur  und  Beschaffenheit  der  noch 
isolirten  Kerne,  zu  unterscheiden  sein,  üeber  die  hierher  gehörigen 
Vorgänge  habe  ich  am  Froschei  keine  sichere  Kunde  gewinnen  können. 
Ich  kann  blos  angeben,  dass  ich  in  einigen  Fällen  in  dem  Spermakern, 
als  er  dem  Eikern  schon  sehr  nahe  war,  Gebilde  wie  die  Chromatin- 
schleifen  einer  zerstörten  Kerntheilungsfigur  sah.  Da  die  Präparate  nicht 
für  den  Zweck  derartiger  Beobachtungen  vorbereitet  waren,  so  konnte 
ich  keine  Gewissheit  darüber  erlangen,  ob  hier  analoge  Vorgänge  bei 
der  Copulation  sich  in  den  Kernen  abspielen,  wie  sie  bei  Ascaris  megalo- 
cephala  vorkommen,  deren  Kenntniss  wir  van  Beneden  verdanken. 

Ursache    der   Coincidenz    des    Sameneintrittsmeridians    mit 
dem  Verlaufs-  und  dem  Copulationsmeridian. 

Wenn  nun  auch  unsere  Kenntniss  der  einzelnen  Gopulations- 
vorgänge  und  ihrer  Ursachen  noch  sehr  gering  ist,  so  genügt  doch 
die  gewonnene  Kenntniss  der  typischen  Natur  dieser  Vorgänge 
wenigstens  für  unseren  nächsten  Zweck,  für  die  Erklärung  der  in 
der  Regel  stattfindenden  Coincidenz  des  S  a  m  e  n  e  i  n  t  r  i  1 1  s  m  e  r  i  - 
dians  mit  dem  Verlaufs-  und  dem  Copulationsmeridian 
und  ebensowohl  auch  für  die  Erklärung  der  gelegentlichen  Störung 
dieser  Coincidenz. 

Da  der  Sani^nkörper  zunächst  radiär  eindringt,  so  hat  er  die 
Richtung  gegen  die  E  i  a  x  e  hin,  er  bewegt  sich  also  innerhalb  der 
durch  die  Eintrittsstelle  und  die  Axe  gegebenen  „Meridianebene"  des 
Eies  ^).     Wenn  er  nun  umbiegt,  um  direct   dem  Eikern   zuzustreben. 


[1)  Dieser  Meridian  könnte   aber    „schief"   stehen   und    damit  von   dem   der 
stets   senkrecht   stehenden    ersten   Furche   abweichen   müssen,   sofern   die  Eiaxe 


382        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtun^ 


SO  wird  er  diese  Ebene  nicht  zu  verlassen  brauchen,  sofern  der  Eikern 
selber  innerhalb  dieser  Axe  gelegen  ist. 

Dies  ist  nun  nach  meinen  Messungen  allerdings  gewöhnlich  nicht 
genau  der  Fall;  aber  ich  fand  die  Abweichungen  meist  so  gering, 
blos  ^/i5— ^/so  des  Eidurchmessers  betragend,  dass  die  dadurch  ent- 
stehende Abweichung  aus  der  Eintrittsmeridianebene  in  die  Fehler- 
breite unserer  Beobachtungen  fällt  und  daher  nicht  bemerkbar  wird 
Wir  haben  es  ja  beim  Froschei  mit  einem  blos  1,5  mm  grossen, 
nur  annähernd  runden  und  auch  im  Innern  nur  annähernd 
mit  Rotationsstruktur  versehenen  Gebilde  zuthun,  dessen Eiaxe 
also  [184]  gar  nicht  genau  bestimmt  werden  kann.  Die  Pigment- 
strasse des  Samenkernes  ist  auch  manchmal  sehr  dick  und  in  ihrer 
braunen  Substanz  ungleich  dicht,  und  stellen  weise  wie  in  Diffusion 
gegen  den  Nachbardotter  begriffen,  so  dass  ihre  Mittellinie  un- 
deutlich wird.  Dazu  kommen  noch  die  unvermeidlichen  Fehler  bei 
der  beabsichtigten  derartigen  Einstellung  des  Eies  auf  dem  Microtom, 
dass  die  Schnittebene  parallel  der  ersten  Furchungsebcne  liege.  Ueb- 
rigens  ist  auch  bei  normaler  Einstellung  die  Furchungsebene 
häufig  gar  nicht  genau  eine  Meridianebene.  Es  kommen  also 
eine  grosse  Zahl  kleiner  Abweichungen  vor,  die  erst  später,  bei 
beabsichtigten  Annäherungen  zweiten  Grades  eingehende  Berück- 
sichtigung finden  können. 

Ist  jedoch  die  seitliclie  Abweichung  des  Eikernes  aus  der  Eiaxe 
eine  grössere,  wie  es  bei  längerer  Retention  der  Eier  im  Uterus  in 
Folge  verspäteter  Brunst  vorzukommen  scheint  und  leicht  erklärlich 
ist,  so  wird  die  seitliche  Abweichung  der  zweiten  Strecke  aus  der  Meri- 
dianebene der  Eintrittsstelle  auch  entsprechend  grösser.  Die  Winkel- 
grösse   dieser  Ablenkung   ist   natürlich  zugleich   von  der  Entfernung 


I 


schief  steht,  wie  es  bei  Rana  esculenta  der  Fall  ist,  und  sofern  zugleich  die  „Ein- 
trittsstelle" des  Samenkörpers  seitlich  von  der  durch  die  schiefe  Eiaxe  gehenden 
senkrechten  Meridianebene  gelegen  wäre.  Letzteres  ist  aber,  wie  wir  sahen 
(s.  S.  163),  nicht  der  Fall,  sondern  die  Eiaxe  neigt  sich  mit  ihrem  oberen  Ende 
gegen  die  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  hin.  Deshalb  steht  die  durch  die 
Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  und  durch  die  schiefstehende  Eiaxe  gehende  Meridian- 
ebene gleichwohl  senkrecht  und  kann  deshalb  auch  mit  der  senkrechten  ersten 
Furche  zusammenfallen,  da  sie  in  ihrer  sonstigen  Richtung  übereinstimmen.] 


Ursache  der  Coincidenz  des  Saiiieneintrittsineridians  etc.  383 

abhängig,  in  welcher  schon  die  rein  nucleopetale  Bewegung  beginnt. 
Je  grösser  diese  Entfernung,  um  so  kleiner  ist  ceteris  paribus  dieser 
Winkel,  wie  die  Figuren  12  und  13,  Tat".  A"^  zeigen. 

Ausnahmen  von  der  Coincidenz  können  natürlich  auch 
entstehen,  wenn  eine  andere  Abweichung  von  dem  normalen  Verlaufe 
der  Copulation  vorkommt,  wenn,  wie  z.  B.  in  dem  ersten  von  mir 
beobachteten  Falle,  der  Samenkörper  nicht  radiär,  sondern  stark  seit- 
lich aus  der  Eintrittsmeridianebene  abgelenkt  seine  erste  Bahn  zu- 
rücklegt; ferner  wenn  die  zweite  Strecke  aus  unbekannter  Ursache 
den  Spermakern  zunächst  seitlich  an  dem  Eikern  vorbeigeführt  hat; 
oder  wenn  besondere  Kräfte  die  Kerne  während  der  letzten  Copu- 
lationsphase  oder  den  durch  sie  gebildeten  Furchungskern  nachträg- 
lich herumdrehen,  wofür  wir  weiterhin  Beispiele  kennen  lernen  werden. 

Für  die  bisher  erwähnten,  bei  normaler  Stellung  der  Eiaxe 
vorgekommenen  Ausnahmen  war  es  also  nicht  nöthig  an  Ur- 
sachen der  letzteren  Art  zu  appelliren;  sondern  wir  sahen  im  Gegen- 
theil  die  erste  Furchungsebene  mit  der  Endstrecke  der  Verlaufsrich- 
tung des  Spermakernes  gegen  den  Eikern  zusammenfallen. 

Da  aber  die  Coincidenz  der  Furchungsebene  mit  den  oben  er- 
wähnten Momenten  sich  in  den  Fällen  stärkerer  Abweichungen  auf 
den  letzten  Theil  der  Bahn  des  Samenkörpers  beschränkt  zeigt 
(s.  auch  Nr.  27,  S.  203),  so  sind  wir  berechtigt,  die  ersteren  Tlieile,  [185] 
wenn  sie  überhaupt  einen  bezüglichen  Einfluss  ausüben,  so  doch  als 
minderwerthig  gegenüber  dem  letzteren  Momente  aufzufassen  und 
zu  sagen: 

Unter  normalen  Verhältnissen  wird  die  ,,specielle  Rich- 
tung" der  ersten,  stets  senkrecht  stehenden  und  durch  den Mittel- 
punct  des  Eies  gehenden  „Theilungs ebene"  des  Froscheies  durch 
die  Richtung  di^r  „Copulationslinie"  der  beiden  Vorkerne 
bestimmt  und  steht  derselben  parallel  oder  geht  durch  diese 
Linie  selber  hindurch. 

Zerlegen  wir  dies  Ergebniss  behufs  Erörterung  seiner  speciellen 
Bedeutung,  so  sind  zunächst  zwei  Componenten  zu  unterscheiden: 
Die  Theilung  des  Furchungskernes  und  die  Dottertheilung. 


384        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

a)  Richtung  der  ersten  Tlieilung  des  Furcliungskernes. 
Für  den  Kern  lautet  der  Satz: 

Die  Richtung  der  normalen  ersten  Tlieilung  des  „Fur- 
chungskernes"  wird  durch  die  Copulationsrichtung  der  Vor- 
kerne bestimmt;  die  Theilung  erfolgt  in  der  durch  die 
Copulationslinie  gehenden  ,,verticalen"  Ebene. 

Zerlegen  wir  zunächst  diesen  Befund  des  Weiteren. 

Die  Copulationsrichtung  ist  reell  durch  diejenige  Linie 
gegeben,  innerhalb  deren  sich  die  Massenmittelpuncte  beider  Vorkerne 
während  der  Copulation  gegeneinander  hinbewegen;  dieselbe  ist  vor- 
stehend als  „Copulationslinie"  bezeichnet  worden.  Da  die  ,,Thei- 
lungsstelle"  eines  körperlichen  Gebildes  nicht  blos  eine  Linie,  sondern 
eine  Fläche  darstellt,  so  fehlen  bei  gegebener  Copulationslinie,  in  deren 
Richtung  die  Theilung  erfolgen  soll,  für  die  Theilung  noch  zwei  be- 
stimmende Momente:  die  ,, Gestalt  der  Theilungsfläche",  die  ge- 
nauere Richtung  dieser  Fläche.  Die  Gestalt  der  Theilungsfläche 
ist  unter  normalen  Verhältnissen  die  der  Ebene;  der  Nützlichkeits- 
grund dieser  Gestalt  wird  weiter  unten  im  Zusammenhang  mit  anderen 
Erscheinungen,  so  weit  es  angeht,  erörtert  werden. 

Da  durch  eine  gerade  Linie  unendlich  viele  verschieden  gerichtete 
Ebenen  gelegt  werden  können,  so  muss  noch  ein  besonderes  Moment 
die  fehlende  zweite  Richtung  bestimmen.  Die  Entscheidung  über 
diese  specielle  Richtung  ist  derart  getroffen,  dass  die  ,,Kernthei- 
lungsebene"  vertical  steht.  Es  wird  zu  untersuchen  sein,  ob  die 
bestimmende  Ursache  dieser  Richtung  im  Kern  selber  liegt  oder  von  der 
Lage  der  Dottertheile  in  irgend  einer  Weise  abhängig  ist.  Es  wäre  denk- 
bar, dass  bei  der  ersten  (und  zweiten)  Theilung  innerhalb  des  Kernes  der- 
artig ungleich  schwere  Theile  sich  befänden,  dass  durch  [186]  die 
Wirkung  der  Schwere  auf  dieselben  die  Theilungsrichtung  die  senk- 
rechte Richtung  erlangte.  Andererseits  könnte  z.  B.  auch  eine  be- 
sondere Tendenz  der  Kernspindel,  sich  in  den  längsten  durch 
den  Kern  gehenden  Durchmesser  des  Protoplasmas,  des  Bil- 
dungsdotters einzustellen,  in  Anspruch  genommen  werden,  da  zu 
dieser  Zeit  der  wagrecht  durch  den  Furchunoskern  gelegte  Durchmesser 


4 


Richtung  der  ersten  Theilung  des  Furchungskernes.  385 


des  Bilduiigsdotters  in  der  Tliat  der  grüsste  ist.  Nur  spricJii  gegen 
die  Verwendung  dieses  Principes,  dass  ich  an  linsenförmig  defor- 
mirten  Eiern  die  erste  Furche  durch  den  Linsenäquator  gehen  sah 
(S.  303),  so  dass  die  Kernspindel  sich  also  gerade  nach  der 
kleinsten  Dimension   des   Bildungsdotters   eingestellt  hatte. 

Die  „Lagerung"  der  Kerntheilungs ebene  ,,im  liaume" 
ist  nicht  immer  durch  die  primäre  Lage  der  Copulationslinie  der 
Vorkerne  gegeben,  sondern  diese  Ebene  fällt  normalerweise  in  eine 
durch  die  ,,Eiaxe"  gelegte  verticale  Ebene,  also  in  eine  verti- 
cale  ,, Meridianebene"  des  Dotters.  Die  räumliche  Lagerung  der 
Theilungsebene  des  Kernes  wird  somit  vom  Dotter  bestimmt. 
Da  die  Theilungsebene  des  Kernes  bei  Halbirung  der  Masse  desselben 
stets  in  der  Mitte  der  Kernsubstanz  gelegen  ist,  so  ist  also  anzunehmen, 
dass  der  Kern  mit  seiner  immanenten  Copulationslinie  dieser  parallel, 
sei  es  vor  oder  erst  während  der  Theilung,  entsprechend  im 
Dotter  verschoben  wird,  wenn  die  Copulationslinie  nicht  die 
Richtung  auf  den  verticalen  Eidurchmesser  hatte. 

Für  das  weitere  Verständniss  ist  es  nöthig ,  uns  über  die  Be- 
deutung einiger  Verhältnisse  des  Kerntheilungsmechanis- 
mus  klar  zu  werden. 

Um  Missverständnissen  vorzubeugen,  ist  es  zunächst  erforderlich, 
sich  den  Unterschied  in  der  Bedeutung  der  Bezeichnungen  „Theiluiig^s- 
richtuiig"  und  „Soiuleruiigsrichtung"  des  Kernes  klar  gegenwärtig  zu 
halten. 

Da  die  ,,Theilungsfiäche"  einer  Masse  den  ,,Ort"  aller  bei  der 
Theilung  stattgefundenen  einzelnen  Zusammenhangstren- 
nuugen  bezeichnet,  so  ist  die  ,,Theilungsrichtung"  durch  die 
Richtung  (genauer  durch  die  Richtungen)  dieser  Fläche  gegeben.  Die 
„Souderungsrichtung",  reell  vertreten  durch  die  Axe  der 
Kernspindel,  giebt  dagegen  die  Richtungen  an,  in  fl87]  welcher 
die  beiden  Theilstücke  von  einander  ,,entfernt"  werden;  was 
normaler  Weise  rechtwinkelig  zur  Theilungsfläche  geschieht. 

Da  die  Kerntheilung  nicht  nach  dem  REMAK'schen  Schema  der 
einfachen  Durchtheilung   einer   einheitlichen   Masse   erfolgt,    sondern 

"W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen,    11.  25 


386         Nr.  21.    Bestimmung  der  Mediauebene  durch  die  Copulationsrichtuiig. 

einen  complicirten ,  mit  Spaltung  vieler  einzelner  fadenartiger  Ge- 
bilde verbundenen  Mechanismus  darstellt,  so  kann  von  einer  „einheit- 
lichen" Theilungsfläche  im  eigentlichen  Sinne  nicht  die  Rede  sein, 
sondern  nur  soweit,  als  das  in  mehrere  Stücke  zerlegte  Kern- 
material vor  der  eigentlichen  Theilung  derart  geordnet  und  die  Thei- 
lung  jedes  Stückes  derart  vollzogen  wird,  dass  in  der  That  alle 
diese  Theilungen  dann  in  ein  und  dieselbe  Ebene  fallen.  Es  wird 
aber  keine  wesentliche  Störung  hervorrufen,  wenn  hiervon  Abweich- 
ungen vorkommen. 

Erscheint  schon  dadurch  die  Richtung  der  Theilungsebene 
als  nicht  das  Wesentlichste  für  die  Richtung  der  Kernthei- 
lung,  so  spricht  sich  dies  noch  mehr  dadurch  aus,  dass  der  Thei- 
lungs Vorgang  auch  nicht  mit  der  Anordnung  der  zu  theilenden  Sub- 
stanz in  dieser  Ebene  beginnt,  sondern  mit  der  ^"erlängerung  des 
Kernes  in  der  Sonderungsrichtung  anhebt. 

Die„Sonderungsrichtung"ist  also  die  primäre,  wichtigere 
von  beiden  Richtungen.  Indem  bei  der  Vorbereitung  zu  diesem 
Sonderungsvorgang  das  Material  symmetrisch  zu  einer  rechtwinkelig 
zu  dieser  Richtung  stehenden  Ebene  gruppirt  Avird ,  erhalten  wir  als 
wesentliches  Gebilde  die  „Symmetrieebene  der  Sonderungs- 
mechanismen". Die  ,, Theilungsebene"  fällt  nun,  sofern  über- 
haupt alle  Längsspaltungen  der  Schleifen  in  derselben  Ebene  erfolgen, 
die  Schleifen  also  nicht  verdreht  oder  verschoben  sind,  mit  dieser 
Symmetrieebene  der  Sonderung  zusammen. 

Dies  muss  als  sehr  zweckmässig  erscheinen,  sofern  man  die 
Bedeutung  der  Kerntheilung  nicht  blos  in  einer  einfachen  mecha- 
nischen Zerlegung  des  Kernmaterials  in  zwei  Stücke,  sondern  ent- 
sprechend der  von  mir  aufgestellten  Hypothese  (S.  138  und  311)  in 
einer  qualitativen  Sonde rung  desselben  erblickt.  Die  specielle 
Art,  wie  die  vielen  verschiedenen  Substanzen  des  Kernes  qualitativ 
von  einander  gesondert  werden  sollen,  kann  je  nach  dem  speciellen 
Falle  eine  sehr  verschiedene  sein,  immer  aber  muss  dafür  gesorgt 
sein,  dass  das  geschiedene,  qualitativ  l3estimmte  Material  jeder  Schleife 
der-  [188]  jenigen  Sonderungsseite  zugeführt  wird,  der  es  zugehört; 
und  dies  wird  am  sichersten  geschelion  können,  wenn  es  schon  vor 


Richtung  der  ersten  Theilung  des  Furchungskernes.  387 


(1er  Tlieiluni;-  dieser  Seite  voUkoninion  zugeweiulet  ist;  ist  dies  aber 
der  Fall,  dann  wird  die  Theilungsebene  mit  der  Symmetrieebene  der 
Sondermig  identisch  sein.  Obgleich  somit  diese  „Sj^mmetrieebene 
der  Sonderling"  von  den  beiden,  in  Qualität  und  Ursachen  ver- 
schiedene Vorgänge  bezeichnenden  aber  normaler  Weise  zusam- 
menfallenden Ebenen  die  primäre  und  wichtigere  ist,  so  wollen 
wir  doch  den  bisher  gebrauchten  und  allgemein  angenommenen  Aus- 
druck der  ,,Theilungsel)ene"  fernerhin  für  beide  Vorgänge 
im  Gebrauche  bevorzugen,  sofern  es  sich  in  der  Erörterung  nicht 
um  den  Sonderungs Vorgang  an  sich  handelt. 

Der  Nutzen  des  Umstandes,  dass  die  Sonderungsmechanismen 
von  einer  Ebene  aus  nach  entgegengesetzten  Seiten  hin  wirken, 
leuchtet  unmittelbar  ein;  denn  es  ist  selbstverständlich,  dass  die  son- 
dernden Kräfte  leichter  zu  einer  „Ebene"  bestimmt  orien- 
tirt  werden  können,  als  zu  einer  gebogenen  Fläche.  Gegen 
diese  Ebene  nun  könnten  die  sondernden  Kräfte  in  verschiedener  Weise 
wirken,  z.  B.  derart  schief,  dass  die  Sonderung  jederseits  schief  zu 
dieser  Ebene  vor  sich  geht.  Dann  müssten  die  Kräfte  für  die  Ueber- 
führung  jeder  einzelnen  Chromatinschleife  nach  Grösse  und  Richtung 
besondere  sein,  und  für  jeden  anderen  solchen  Sonderungswinkel 
müssten  alle  Kräfte  neu  normirt  werden. 

Bei  ,, rechtwinkeliger"  Stellung  der  Sonderungsrich- 
tung zur  Symmetrieeben e  der  Sonderung  dagegen  können 
die  Kräfte  alle  die  gleichen  und  ihre  Anordnung  bei 
allen  Kerntheilungen  dieselbe  sein;  dieser  gewöhnliche 
Mechanismus  der  Kerntheilung  ist  also  der  regelmässigste 
und  darum  der  einfachste,  leichteste  und  sicherste.  Und  es 
können  bei  Constanz  dieses  Richtungsverhältnisses  alle  Kernthei- 
lungen mit  eir\em  und  demselben  „groben"  Mechanismus 
vollzogen  werden;  natürlich  abgesehen  von  den  feineren  intra- 
molecularen  Sonderungsvorgängen,  welche  je  nach  der  Natur 
der  qualitiven  Materialscheidung  die  Qualitäten  der  Mutterkörner  und 
Chromosomen  in  verschiedener  Weise  von  einander  sondern.  Die  für 
jeden  solchen  Individualfall  nöthigen  speciellen  Sonderungseinrich- 
tungen sind  dann  aber  auf  das  Minimum,  eben  blos    auf    das  In- 

25* 


388        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durcli  die  Copulationsrichtung. 

di  vi  du  eile  des  Falles  beschränkt;  und  die  „grobe  Sonderung" 
die  Ueberführung  der  einzelnen  Theilungsproducte  nach  den  neueren 
Centren  geschieht  mit  Hülfe  des  obigen  „universellen  Ueher- 
fn  h  r  u  n  g  s  m  ecJta  n  i  s  m  u  6'. " 


b)  Erste  Theilung  des  Dotters. 

[189]  Für  die  Theilung  des  Zellleibes  sagt  unser  Gesetz: 
Die  erste  Theilung  des  Dotters  erfolgt  bei  zwanglos 
gehaltenen  Eiern  gleichfalls  in  der, , Richtung"  derCopulation 
der  Vorkerne.  Hierbei  treffen  wir  wieder  auf  denselben  noch  vor- 
handenen Mangel  an  Bestimmung.  Es  fehlt  noch  eine  Bestimmung 
der  Richtung,  ferner  die  Bestimmung  der  Gestalt  der  Theilungsfläche 
und  der  räumlichen  Lagerung  derselben. 

Die  ,, Gestalt"  der  Theilungsfläche  des  Dotters  ist  (nor- 
maler Weise)  gleichfalls  die  ebene;  ob  aus  denselben  Nützlichkeits- 
gründen wie  beim  Kern,  ist  nicht  zu  sagen;  doch  ist  zugleich  daran 
zu  denken,  dass  hier  eine  einheitliche  zusammenhängende  Masse 
zu  theilen  ist,  und  dass  die  Ebene  ceteris  paribus  die  kleinste 
Trennungsfläche  darstellt.  Die  reellen  Theilungs Ursachen  sind 
uns  ebenso  unbekannt  wie  bei  der  Kerntheilung.  Die  noch  fehlende 
eine  Bestimmung  für  die  Richtung  der  ersten  Dottertheilung  ist 
wieder  die  verticale,  aber  nicht  analog  Pflügek's  Auffassung  in  Folge 
einer  geheimnissvollen  ,,di£ferenzirenden"  AA'irkung  der  Schwere,  son- 
dern blos  in  Folge  der  Einstellung  der,  wie  ich  direct  nachgewiesen 
habe,  ungleicli  specifisch  schweren  Dottertheile  (s.  S.  260).  Dies 
ergiebt  sich  auch  daraus,  dass  bei  Zwangslage  in  abnormer  Stel- 
lung des  Eies  die  erste  Theilungsfläche  des  Dotters,  entgegen 
Pflüger's  Angabe,  häutig  nicht  ganz  senkrecht,  ja  manchmal  stark 
geneigt  steht,  und  auch  nicht  ganz  eben,  sondern  geknickt, 
gebogen  oder  windschief  verdreht  ist,  weil  die  ümordnung  der 
ungleich  specifisch  schweren  Dottersubstanzen  zur  Zeit  des  Auftretens 
der  ersten  Furche  oft  noch  nicht  beendet  ist.  Die  Lage  der  so  in 
ihrer  Richtung  bestimmten  ersten  Dottertheilungsebene  ist  normaler 
Weise    durcli    den   Mittelpunct    des    Eies    gegeben.     Bei    Zwangslage 


Richtung  der  ersten  Theilung  des  Dotters.  3S9 

kommen  auch  liiervon  häiiHg  Abweichungen  vor,  /Aunnl  weini  <h'e 
zweite  Furche  zuorst  entsteht.  Die  Ursache  dieser  Lage  muss 
natürlich  im  Dotter  selber  liegen,  um  so  mehr,  als  diese  Ebene 
nicht  durch  die  Kerntheilungsebene  schon  gegeben  ist,  sondern  als 
im  Gegentheil  der  Kern  mit  seiner  immanenten  Theilungs- 
ebene  derart  verschoben  wird,  dass  diese  seine  Theilungsebene 
in  den  ihr  parallelen  Meridian  des  Dotters  gelangt,  welcher  Meridian 
eben  7Air  Theilungsebene  des  Dotters  wird. 

3.  Ursachen  der  Coincidenz  der  Richtung  und  der  Lage 
der  , ,Kernth ei lungsf lache"  und  der  , ,D o tt er th eil ungs fläche". 

[190]  Da  ,,bei  normaler  Stellung"  des  Eies  die  beliebig  von  mir  be- 
wirkte C'opulationsrichtung  mit  der  ,.Kerntheilungsrichtung"  zugleich 
die  Richtung  des  verticalen  Theilungsmeridianes  des  Dotters  bestimmt, 
so  ist  letzterer  also  somit  von  ersterer  abhängig^).  Ob  die  ,,verticale" 
Richtung  der  ersten  ,, Kerntheilungsebene"  abhängig  von 
der  Einstellung  der  „Dottermassen"  ist,  war  zur  Zeit  nicht 
sicher  zu  sagen;  [es  ist  aber  wahrscheinlich,  da  die  durch  die 
Kernspindel  bezeichnete  ,, Sonderungsrichtung"  von  der  ,, Gestalt" 
des  Protoplasmas  abhängt  (s.  S.  302  und  336)].  Dagegen  konnte  eine 
Abhängigkeit  des  Kerns  von  den  Dottermassen  sicherer  bezüg- 
lich der  Lage  der  Kerntheilungsebene  zum  Dotter  angenommen 
werden;  dies  ist  auch  in  seiner  Nothwendigkeit  unmittelbar  ver- 
ständlich. Für  sich  muss  sich  zwar  der  Kern  innerhalb  seiner 
eigenen  Substanz  theilen;  und,  so  viel  wir  wissen,  geschieht  dies 
stets  unter  Halbirung,  also  in  der  Mitte  derselben.  Wenn  aber 
ausserdem  eine  Theilung  des  Zellleibes  vor  sich  gehen  soll,  so  ist  die 
Theilungsfläche  des  Dotters,  als  des  grösseren,  äusseren,  aber 
gleichfalls  sich  ganz  durchscheidenden  Theiles  natürlich  in  gewissem 
Sinne  das  Bestimmende;  sonst  müsste  durch  die  Fortsetzung  der 
Dottertheilungsfläche  in  anderer  Lage  zum  Kern  dieser  eventuell  noch- 
mals mitgetheilt  werden  ^). 

[1)  Für  abnorme  Verhältnisse  bei  Zwangslage  siehe  S.  338  u.  404  u.  f.] 

[2)  Diese  Ableitung  der  Abhängigkeit  der  Lage  der  Kei-ntheilungsfläche  von 
der  Lage  der  Dottertheilungsfläche  ist  „nicht  zwingend",  obschon  beide  Flächen, 
damit    der    erwähnte    üebelstand    vei'mieden   werde,    auch    örtlich    zusammenfallen 


390        Nr.  21.    Besiimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

B.  Function  eile  Bedeutung  der  Bestimmung  der  ersten  Ei- 
theilung  durch  die  Copulationsrichtung  der  Vorkerne. 

Nach  dieser  Zerlegung  des  gewonnenen  Gesetzes  in  seine  ein- 
zelnen Bestandtheile  und  der  Erörterung  über  die  Bedeutung  einzelner 
Mechanismen  der  Kerntheilung  können  wir  nun  zur  Erörterung  der 
wahrscheinlichen  functionellen  Bedeutung  des  Gesetzes,  dass 
die  Theilungsebenen  des  Kernes  und  Dotters  in  der  Copu- 
lationsrichtung gelegen  sind,  übergehen. 

a)  Nutzen  für  die  Theilung  des  Furchungskernes. 

Man  kann  über  die  specielle  Bedeutung  der  Copulation  des  Sper- 
makernes und  des  Eikernes  sehr  verschieden  denken;  jedenfalls  wird 
man  annehmen,  dass  sie  in  irgend  einer  Weise  wesenthch  verschie- 
dene Materialien  zusammenbringt,  bestehe  auch  die  Verschiedenheit 
blos  darin,  dass  im  einen  Kern  die  individuellen  Eigenschaften  des 
Vaters,  im  anderen  die  der  Mutter  potentia  mit  enthalten  sind.  Ferner 
ist  unzweifelhaft,  dass  vor  der  Verschmelzung  diese  beiden  Massen 
dicht  aneinander  gelagert  sind. 

Es  könnte  nun  weiterhin  eine  „vollkommene"  V ermi  s  c h u  ng 
der  specifischen  Substanzen  des  Eikernes  und  des  Samen- 
kernes stattfinden,  sodass  in  der  Anordnung  der  verschiedenen  Kern- 
theile  jede  Beziehung  zu  der  Richtung  der  Zusammenführung  voll- 
kommen aufgehoben  würde.  Dann  würde  weder  ein  mechani- 
scher, noch  ein  Nützlichkeits-Grund  vorhanden  sein,  zu- 
folge dessen  bei  der  danach  eintretenden  Sonderung  eine 
bestimmte  Beziehung  zu  der  somit  ganz  ver-[191]  wischten 
Zusammenführungsrichtung   beider  Kerne    sich    herstellen 


müssen,  sofern  beide  Theilungen  zeitlich  zusammenfallen.  Es  wäre  wohl 
denkbar,  dass  das  vielmal  kleinere  Kerngebilde  gleichwohl,  wie  normaler  "Weise  die 
Richtung,  mit  seiner  Lage  auch  die  Lage  der  Dottertheilungsfläche  bestimmte 
(s.  S.  411).  Sofern  aber,  wie  es  meist  der  Fall  ist,  die  Kerntheilung  sich  vor  der 
Zellleibtheilung  vollzieht,  können  die  gebildeten  Tochtersterne  an  beliebige  Stellen 
des  Zellleibes  gebracht  werden,  ohne  dass  dadurch  die  Kerntheilung  als  solche  alterirt 
wird;  Kern-  und  Dottertheilungsfläche  brauchen  dann  also  nicht  mehr  zusammen- 
zufallen; was  aber  nicht  hindert,  dass  letzteres  doch  meist  der  Fall  ist.] 


a)  Nutzen  der  Coincidcnz  für  die  Theilunir  des  Furchuncskernos.  391 


sollte.  Wenn  trotzAlem  eine  solche  Beziehung-  sich  ausspräche,  so  würden 
wir  annehmen  müssen,  dass  der  Grund  ein  ausserhalb  des  Kernes, 
ein  im  Zellleib  gelegener  sei.  Da  wir  aber  einen  solchen  Grund  nicht 
kennen,  sondern  im  Gegentheil  festgestellt  haben  (S.  366),  dass  die 
Theilungsebene  in  keinen  constanten  Riehtungsbeziehungen  zu  den 
durch  den  Samenkörper  hervorgerufenen  Umordnungen  des  Dotters 
zu  stehen  braucht,  so  glaube  ich  diese  Möglichkeit  abweisen  zu  müssen. 

Auf  Grund  derThatsache  aber,  dass  eine  solche  con- 
stante  Beziehung  zwischen  der  C'opulationsrichtung  und 
Kernt heilungsrichtung  vorhanden  ist,  erhebt  sich  die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  d  i  e  G  o  p  u  1  a  t  i  o  n  z  u  k  e  i  n  e  r  v  o  1 1- 
kommenen  Vermischung  geführt  hat,  sondern  dass  die  Go- 
pulationsrichtung  auch  während  der  beginnenden  Kerntheilung  in  der 
Anordnung  der  Substanzen  nach  der  Art  ausgesprochen  ist,  dass  da- 
durch die  Theilungsrichtung  beeinflusst  wird. 

Das  am  Froschei  festgestellte  Gesetz  führt  also  zunächst  zu  einer 
ähnlichen  Vorstellung  von  den  inneren  Vorgängen  der  Gopulation, 
wie  sie  van  Benedex  ^)  an  Ascaris  megalocephala  gewonnen  hat.  Dieser 
ausgezeichnete  Beobachter  stellte  fest,  dass  bei  iVscaris  megalocephala 
während  der  Gopulation  der,  vier  Ghromatinschleifen  enthaltenden 
Vorkerne  sich  je  zwei  Schleifen  des  Spermakernes  und  je  zwei  Schleifen 
des  Eikernes  zusammenordnen  und  sich,  mit  ihnen  blos  äusserlich 
vereint,  dem  Gentrum  der  zugleich  gebildeten  Furchungskugel  zu  be- 
wegen; und  er  nimmt  an,  dass  auch  vor  oder  bei  allen  späteren  Thei- 
lungen  keine  Verschmelzung  der  beiderlei  männlichen  und  weiblichen 
Materialien  stattfinde. 

Aber  nicht  blos  aus  dem  negativen  Grunde,  dass  l)ei  voll- 
kommener Vermischung  der  Kernsubstanzen  eine  feste  Beziehung  der 
Theilungsrichtuuo-  auf  die  ganz  verwischte  Gopulationsrichtuug  wider- 
sinnig wäre,  können  wir  eine  „unvollkommene"  Vermischung 
der  beiden  Kern  Substanzen  erschhessen ;  sondern  mit  dieser 
letzteren  Annahme    wird    auch    zugleich    klar,  warum    die 


')  Ed.  vak  Benedex,  Recherches  sur  la  maturation  de  Toeuf  et  la  Fecondation. 
Arch.  de  Biologie.     T.  IV.    1883.     (Auch  separat  erschienen.     Leijizig  1883.) 


392        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

erste  The iluiig  gerade  ,,in"  der  Copuhitionsrichtung,  nicht 
aber  rechtwinkelig,  oder  in  constanter  Wei.se  schief  zu 
letzterer  erfolgt,  das  soll  heissen,  welcher  Nutzen  dieser  Ein- 
richtung zukommt. 

Wenn  z.B.  bei  der  C'opulation  gar  keine  Vermischung 
der  beiden  einander  zugeführten  Theile  stattfindet,  sondern  jeder  Theil 
sich  für  sich  halbirt,  und  die  eine  Hälfte  desselben  mit  [192]  einer 
Hälfte  der  anderen  Substanz  auf  dieselbe  Seite  geschafft  werden  soll, 
so  ist  es  das  Einfachste,  dass  die  Theilung  l^cider  gleich 
in  der  Conjugationsrichtung  erfolge;  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
weil  dann  keine  nachträgliche  Umordnung  der  Substanzen 
n  öthig  ist,  denn  die  Theilstücke  liegen  dann  gleich  von  vornherein  dem 
neuen  Ziele  zugewendet,  wie  Fig.  14  auf  Tafel  V  zeigt.  (Darin,  sowie 
in  den  folgenden  fünf  Figuren,  bezeichnen  die  mit  Feder-Fahnen  ver- 
sehenen Pfeile  die  Copulationsrichtung,  a  b  die  Theilungsebene  der 
beiden  bis  zu  halbkugeliger  Abplattung  einander  genäherten  Kerne, 
die  Pfeilspitzen  dagegen  die  ,, Sonderungsrichtung"  (s.  S.  385) ;  in 
allen  Figuren  sind  in  den  beiden  Kernen  dieselben  Arten  von  Kern- 
substanzen angenommen,  wie  sie  in  Fig.  14  dargestellt  sind,  d.  h.  im 
einen  Kern  dunkelbraun  und  weiss,  im  anderen  Kern  weiss,  sowie 
grob  und  feinkörnig  bezeichnete  Substanz.) 

Dies  gilt  in  gleicher  Weise,  wenn  bei  der  Copulation  eine  Ver- 
mischung der  l)eiden  Kernsubstanzen  vor  sich  geht,  sofern  diese 
nur  so  unvollkommen  ist,  dass  noch  eine  ungleiche  (Iruppirung  der 
verschiedenen  Kernsubstanzen  längs  der  Copulationsrichtung  bestehen 
bleibt  (wie  Fig.  15  zeigt). 

Würde  in  diesen  beiden  Fällen  die  Theilung  rechtwinkelig 
zur  Copulationsrichtung  erfolgen,  also  die  ,, Sonderung"  in  der  Copu- 
ationsrichtung  sich  vollziehen  (Fig.  1(5),  so  würde  natürlich  so- 
weit die  Vermischung  unvollkommen  war,  die  Wirkung 
der  Copulation  wieder  aufgelioben.  Stünde  die  Theilungs- 
richtung  schief  zur  Copulationsrichtung,  so  würde  der  Effect  sich 
aus  den  beiden  erörterten  Componcnten  zusammensetzen,  und  also 
eine  Iheilweise  Wiederaufhebung  der  vorher  erst  liervorgebrachten 
Vermischung  sich  als  die  Folge  ergeben. 


a)  Nutzen  der  Coincidenz  für  die  Theiliing  des  Fiucliungskernes.  393 


Soll,  wie  es  ncn-nial  «;eselieheii  miiss,  bei  der  ersten  Tlieiliing  des 
Furclmngskernes  das  Material  beider  Vorkerne  qualitativ  halbirt 
werden,  so  kann  dies  durch  jede  Ebene,  welche  durch  die  Copu- 
lationslinie"  gelegt  ist,  geschehen,  sofern  das  Material  um  diese  Linie 
nach  allen  Richtungen  hin  gleich  beschaffen  ist.  Ist  letzteres  nicht 
der  Fall .  dann  muss  es  sich  derart  ordnen ,  dass  es  durch  irgend 
eine  dieser  Ebenen  so  geschieden  werden  kann.  Diese  Ordnung  muss 
beim  Ausbleiben  jeder  Vermischung  sich  natürlich  in  jedem  Kerne 
für  sich  vollziehen ;  bei  stattfindender  Mischung  aber  kann  sie  während 
der  Vermischung  vor  sich  gehen. 

Soll  das  Material  des  durch  die  Copulation  gebildeten 
Furehungsker nes  ,, qualitativ  ungleich"  getheilt  werden, 
wie  es  z.  B.  bei  schiefer  Zwangslage  des  Froscheies  geschieht,  wo  die 
zweite,  die  ventricaudale  und  die  dorsicephale  Seite  des  Embryo 
scheidende  Furche  häufig  zuerst  entsteht,  oder  wie  es  z.  ß.  auch 
bei  Ascaris  [193]  normaler  Weise  vorkommt,  dann  erweist  sich  wieder- 
um unser  Theilungsmodus  als  der  beste,  d.  h.  der  einfachste.  Hier- 
bei soll  nach  beiden  Seiten  verschiedenes  Material  kommen.  Als- 
dann sind  wieder  zwei  principiell  verschiedene  Fälle  zu  unterscheiden, 
je  nachdem  bei  der  Copulation  Vermischung  der  Materialien  der 
Vorkerne  erfolgt  oder  nicht. 

1 .  Tritt  g  a  r  k  eine  V  e  r  m  i  s  c  h  u  n  g  e  i  n  ,  so  muss  sich  in  jede  m 
einzelnen  Kerne  das  Material  der  richtigen  Seite  des  Dotters  zu- 
wenden; so  in  Fig.  17,  Taf.  ^"  von  dem  hellen  Kern  z.  B.  das  grobkörnige 
und  im  dunklen  Kern  das  braun  pigmentirte  Material  nach  derselben 
Sonderungsseite.  Geschieht  dabei  die  Sonderung  rechtwinkelig  zur 
Copulationsrichtung,  wie  in  Fig.  17,  erfolgt  also  die  „Theilung"  selber 
in  der  Copulationsrichtung,  so  vollzieht  sich,  wie  üian  sieht,  der  Act 
wieder  möglichst  einfach,  da  die  beiden  Kernmaterialien  alsdann 
ihrem  Ziele  schon  zugewendet  liegen.  Sollte  aber  die  „Theilung" 
rechtwinkelig  zur  Copulation slinie ,  die  Sonderung  also  in  dieser 
Linie  erfolgen,  so  würde,  wie  Fig.  18  zeigt,  der  Effect  der  Copula- 
tion einfach  wieder  aufgehoben,  auch  wenn  jedes  der  verschiedenen 
Materialien  jedes  Kernes  sich  der  richtigen  Seite  zugewendet  hätte. 
LTni  diesen  Effect  zu  vermeiden,  müssten  die  beiden  an  einander 


394         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

liegenden  Schichten  des  brauneu  und  des  feinkörnigen  Materiales  erst 
ihren  Platz  total  vertauschen,  also  die  beiderlei  Kernsubstanzen  sich 
doch  und  zwar  in  bestimmter  Weise  vermischen,  um  zu  der  nothigen 
Anordnung  der  Fig.  19  zu  gelangen;  und  dies  würde  nicht  ohne  Zeit 
und  Kraft  kostende  Umstände  zu  erreichen  sein. 

2.  Wäre  vorher  eine  unvollkommene  Vermischung  in  der 
Copulationsrichtung  vor  sich  gegangen,  so  würde  sie  bei  dieser  letzteren 
Theilungsrichtung  wiederum  soweit  aufgehoben,  als  sie  noch  unvoll- 
kommen war,  und  nur  bei  der  dazu  rechtwinkeligen,  ersteren  Theilungs- 
weise  würde  sie  erhalten  bleiben.  Die  Theilung  in  schräger  Richtung 
zur  Copulationsrichtung  würde  als  eine  entsprechende  Combiuation  der 
zweckmässigen  und  der  unzweckmässigen  Einrichtung  aufzufassen  sein. 

So  können  wir  also  die  f  u  n  c  t  i  o  n  e  1 1  e  Bedeutung  des 
Gesetzes,  dass  die  erste  Theilung  des  Furchungskernes 
normalerweise  in  der  Copulationsrichtung  der  Vor- 
kerne erfolgt,  dahin  definiren,  dass  diese  Art  der  Theilung 
bei  einer  anzunehmenden  ,,fehl  enden"  oder  ,,  unvoll- 
kommenen Vermischung"  der  Substanzen  der  Vorkerne  allein 
diejenige  ist,  welche  keine  in  der  Copulationsrichtung  vorsieh 
gegangene  An  ein  anderlagerung  od  er  Vermischung  der  beiden 
Kernmaterialien  wieder  aufhebt.  Sie  stellt  somit  den  besten 
und,  wie  wir  gleichfalls  sahen,  auch  noch  in  anderer  Hinsicht  den  ein- 
fachsten, öconomischsten  Mechanismus  der  Theilung  durch 
Copulation  verbundener,  aber  nicht  oder  nur  unvoll- 
kommen vermischter  Materialien  dar. 

b)  Nutzen  für  die  Theilung  des  Dotters. 

Nachdem  wir  so  den  Nutzen  unseres  Gesetzes  für  die  Kern- 
[194]  theilung  soweit,  als  zur  Zeit  möglich,  erörtert  haben,  fragen  wir 
nun  nach  der  Be  deutung  des  die  Dottertheilung  angehenden  Theiles  des 
Gesetzes;  also  was  es  bedeutet,  dass  ,, normaler"  Weise  der  Dotter 
des  Froscheies  sich  in  derjenigen  verticalen  Meridianebene 
theilt,  welche  parallel  der  Copulationsrichtung  ist. 

Wenn  der  den  Kern  umschliessende  Dotter  derart  gleich- 
artig beschaffen  und  angeordnet  ist,  das  er,  wie  es  vielleicht  beim 


b)  Nutzen  der  Coincidenz  für  die  Theilung  des  Dotters,  395 

Ei  des  Seeigels  der  Fall  ist,  in  jeder  iiiehtung  durch  eine  Meridian- 
ebene nicht  blos  quantitativ,  sondern  auch  (jualitativ  halbirl  wird,  so 
ist  kein  innerer  (Jrund  vorhanden,  dass  diese  Theilungsebene  des 
Kernes  nicht  auch  zur  Theilungsebene  des  Zellleibes  werde,  sofern 
die  Theilungsebene  des  Kernes  überhaupt  in  einer  Meridianebene  des 
Dotters  liegt.  Wenn  dies  nicht  der  Fall  ist,  so  kann  der  Kern  ent- 
weder auf  dem  nächsten  Wege  dieser  Richtung  zugedreht  werden, 
wobei  also  auch  seine  Theilungsrichtung  im  Räume  gedreht  wird; 
oder  der  Kern  wird  parallel  seiner  Theilungsebene  seitlich  verschoben, 
bis  diese  in  die  Richtung  eines  Radius  gelangt  ist.  Welches  von 
beiden  weniger  Kraft  erfordert,  lässt  sich  allgemein  nicht  angeben; 
denn  dies  wird  voraussichtlich  von  dem  Verhältniss  der  Winkelgrösse 
der  nöthigen  Drehung  zur  Grösse  der  nöthigen  seitlichen  Verschie- 
bung, also  zur  Grösse  des  exaxialen  Abstandes  des  Kernes  von  der 
seiner  Copulationslinie  parallelen  Mericlianebene  abhängen. 

Ist  dagegen,  wie  beim  Frosch  ei,  die  Anordnung  der  ver- 
schiedenen Dottermassen  zu  einander  derart  ungleich,  dass  sie 
eine  Rotationsstructur  um  blos  eine  Axe  darstellt,  dann  wird  bei 
der  quantitativen  und  qualitativen  Halbirung  der  ganzen  Masse  die 
Theilungsebene  durch  diese  Axe  gehen  müssen.  Sofern  dabei  die 
Copulationsrichtung  die  Axe  schneidet,  so  ist  es  das  Einfachste, 
dass  die  Theilungsebene  des  Dotters  zugleich  durch  die  Copulations- 
richtung geht;  dabei  muss  der  Kern  soweit  um  die  Copulations- 
richtung gedreht  werden,  bis  seine  ,, immanente  Thei- 
lungsebene", sofern  er  schon  eine  solche  hat,  ganz  in  die  Rich- 
tung dieser  durch  die  Copulationslinie  bestimmten  Meridian- 
ebene des  Dotters  fällt. 

Steht  der  Kern  excentrisch,  und  schneidet  zugleich  die  Copu- 
lationsrichtung nicht  die  Axe,  so  werden  die  Verhältnisse  complicii'ter, 
und  wir  vermögen  nicht  anzugeben,  welcher  Weg  w^ohl  mit  dem 
geringsten  Kraftaufwande  zum  Ziele  führen  würde. 

[195]  Ist  die  Rotationsstructur,  wie  es  beim  Ei  der  Rana  fusca 
der  Fall  ist,  derart  aus  ungleich  specifisch  schweren  Theilen  gebildet, 
dass  die  Schwerkraft  die  Axe  vertical  einstellt,  dann  ist  bei  Er- 
füllung    unserer     erwähnten    Minimalbedingung     der    Drehung    des 


396         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 


Copulatioiiskernes  um  die  Copulationslinie  bis  zum  Zusammenf alleu  seiner 
imanenten  ,,Theilungsebene"  mit  der  gleichfalls  durch  die  Copulations- 
richtung  gegebenen  meridioualen,  verticalen  Theilungsebene  des 
Dotters  zugleich  die  erste  ,, Sonderungsrichtung"  des  Kernes  wa ge- 
recht gestellt. 

Wir  erkennen  also  auch  in  dem  Verhalten  der  Dotter- 
theilungsrichtung  zur  Kerntheilungsrichtung  eine  „ein- 
fachste" Einrichtung,  welche  sich  den  gegebenen  Verhält- 
nissen der  Dotterstructur  anpasst  und  die  Theilung  mit 
dem  M  i  n  i  m  u  m  von  rieht  e,n  d  e  n  u  n  d  o  r  d  n  ende  n  Kräfte  n 
vollzieht. 

III.  Beziehungen  zwischen  der  Copulationsrichtung  und  der  Richtung 

der  ersten  Furche,  sowie  der  Medianebene  des  Emhryo  hei 

„Zwangslage". 

Scheidet,  wie  es  in  Zwangslage^)  häufig  geschieht,  die  erste 
Furche  nicht  das  Material  für  die  beiden  Antimeren  des  Embryo, 
sondern  ungleiches  Material,   indem   die  physiologisch  zAveite  Furche 


[')  Unter  „schiefer  Zwangslage"  oder  einfach  blos  unter  „Zwangs- 
lage" ist  verstanden,  dass  das  Ei  in  einer  Stellung  fest  gehalten  wird,  entweder  die  es  von 
selber  nicht  eingenommen  hätte,  oder  die  es  zur  betreffenden  Zeit  ohne  diesen  äusseren 
Zwang  nicht  mehr  behalten  würde.  Die  erstere  Zwangslage  wird  dadurch  herge- 
stellt, dass  das  unbefruchtete  Ei  mit  seiner  Eiaxe  schief  oder  wagrecht  oder  mit  dem 
schwarzen  Pol  ganz  nach  unten,  auf  die  Unterlage  aufgelegt  wird,  und  dass  danach 
durch  entsprechend  geringen  Zusatz  von  Samen  resp.  Wasser,  die  Quellung  der 
am  Boden  sich  festsaugenden  Galierthülle  so  beschränkt  wird,  dass  sich  die  letztere 
noch  dauernd  fort  auf  das  Ei  presst,  in  Folge  dessen  dasselbe  sich  nach  Pflüoer 
nicht  drehen  und  sich  also  nicht  entsprechend  der  Anordnung  seiner  ungleich  speci- 
fisch  schweren  Eisubstanzen  einstellen  kann.  (Am  noch  nicht  oder  erst  wenig  gefurchten 
Ei  finden  darnach  aber  durch  die  Schwerewirkung  innere  Umordnungen  der 
ungleich  specifisch  schweren  Substanzen  in  jeder  Zelle  statt  (s.  S.  262  u.  343)  die 
natürlich  um  so  unerheblicher  für  das  ganze  Ei  sind,  in  je  mehr  Zellen  dasselbe  be- 
reits zerlegt  ist.  Ob  auch  Verschiebungen  der  Zellen  selber  aus  solchem 
Grunde  entstehen,  ist  nicht  bekannt,  jedenfalls  aber  schwieriger.) 

Wenn  man  den  Zwang  erst,  nachdem  die  Eier  sich  gedreht  haben,  herstellt 
(s.  S.  347  Anm.),  kann  man  die  Eier  in  ihrer  anfänglichen  natürlichen  Ein- 
stellung fixiren,  was  ich  als  „gerade  Zwangslage"  bezeichnen  will.  Damit 
wird  die  normale  spätere,  bei  der  Gastrulation  und  bei  der  Bildung  des 
Medullarrohres  eintretende  Drehung  des  Eies  verhindert,  und  man  erfährt  so, 
wie  der  Urmund  und  das  Rückenmark  zur  ursprünglichen  normalen  Stellung  der  Eiaxe 
orientirt  sind  (s.  S.  325  Anm.).] 


Wirkung  der  Copulationsrichtung  bei  Zwangslage.  397 


zuerst  auftritt,  so  gclit  iuu-h  die  'riu'ilungscboiie  des  Dotters  häußg 
nicht  durch  die  Mitte  des  Eies  und  steht  noch  niclit  vollkommen  senk- 
recht. Da  die  Beziehungen,  die  in  <hesen  abnormen  Verhältnissen 
noch  zwischen  der  Copulationsrichtung  und  der  ersten  Theilungsrich- 
tung  des  Kernes  und  des  Dotters  bestehen,  uns  einen  weiteren 
Einblick  in  die  Bedeutung  und  den  Wirkungs umfang 
unseres  Gesetzes  thun  zu  lassen  versprechen  und  zugleich  eine 
gewisse  Controlle  der  Richtigkeit  der  bisherigen  Ausführungen  ermög- 
lichen ,  so  schliesse  ich  gleich  die  Schilderung  der  bezüglichen  Ver- 
hältnisse der  Froscheier  in  Zwangslage  mit  ,, geneigter"  Eiaxe  an. 

Bezüglich  der  Beziehung  zwischen  der  ersten  Furchungsebene 
und  der  Medianebene  des  Embryo  bei  schiefer  Zwangslage  des  Eies 
macht  Pflüger ^)  die  Angabe,  dass  keine  Beziehung  zwischen  erster 
Furche  und  der  Medianebene  des  Embryo  mehr  bestehe,  indem  die 
Medianebene  stets  durch  die  einzige  senkrechte  Ebene,  welche  durch 
die  schief  stehende  Eiaxe  gelegt  werden  kann,  hindurchgehe,  während 
die  erste  Furche  in  jedem  beliebigen  Winkel  zu  [196]  dieser  verti- 
calen  „Sy mm etrie ebene  der  Einstellung",  wie  ich  sie  genannt 
habe,  stehen  könne.  Born^)  und  ich  (S.  328)  haben  dagegen 
gleichzeitig  gezeigt,  dass  diese  Angabc  nicht  zutreffend  ist,  indem 
sich  deutlich  ausspricht,  dass  die  erste  Furche  vorzugsweise  um  die 
Symmetrieebene  oder  um  die  dazu  rechtwinkelig  stehende  Vertical- 
ebene  variirt;  und  ich  habe  dargethan,  dass  letzteren  Falles  die  ihrer 
Bedeutung  nach  der  normalen  zweiten  Furche  entsprechende  Furche 
zuerst  gebildet  worden  ist,  wie  das  auch  sonst  gelegentlich'^),  häufiger 
am  Ende  der  Laichperiode,  vorkommt. 

Weiterhin  beobachtete  ich  an  in  schiefer  Zwangslage  erhaltenen 

1)  Pflüger,  Ueber  den  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen 
und  auf  die  Entwickeluug  des  Embryo.    Archiv  f.  d.  ges.  Physiologie.  Bd.  XXXIl,  1883. 

-)  G.  Born,  BiT^logische  Untersuchungen.  I.  Ueber  den  Einfluss  der  Schwere 
auf  das  Froscliei.     Archiv  f.  microsc.  Anatomie,  1885,  Bd.  24,  S.  335. 

[?• )  Wenn  man  einen  Klumpen  Eier  in  die  Samenflüssigkeit  legt,  ohne  ihn  sogleich 
auszubreiten,  wenn  in  Folge  dessen  mehrere  Lagen  Eier  übereinander  auf  dem 
Boden  des  Gefässes  liegen,  befinden  sich  auch  bei  reichlichem  Zusatz  von  Wasser 
die  Eier  der  unteren  Lagen  lange  Zeit  in  Zwangslage  und  verhalten  sich  daher  — 
soweit  nicht  zufällig  einige  derselben  mit  ihrer  Eiaxe  die  richtige  Einstellung 
beim  Auffallen  erlangt  hatten  —  wie  absichtlich  in  Zwangslage  gebrachte  und  er- 
haltene Eier.  I 


398         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsriclitung. 

Eiern,  dass  bei  einer  Mittelstellung  der  ersten  Furche 
zwischen  diesen  beiden  P  r  ä  d  i  1  e  c  t  i  o  n  s  r  i  c  h  t  u  n  g  e  n  die 
Median  ebene  des  Embryo  deutlich  nachweisbar  nicht  in  der 
Richtung  der  ,, ursprünglichen"  Symmetrieebene  der  Ein- 
stellung gelegen  ist,  sondern  gleichfalls  wieder  entweder  mit  der 
Richtung  der  ersten  Furche  zusammenfällt  oder  rechtwinkelig  zu  ihr 
orientirt  ist,  also  mit  der  zweiten  Furche  zusammenfällt.  Bei  diesem 
Schief  stand  der  ersten  Furche  zur  ursprünglichen  Symmetrie- 
ebene der  Einstellung  des  Eies  sah  ich  dann  nach  Bildung 
der  ersten  und  zweiten  Furche  eine  ,, Umarbeitung  der  ober- 
flächlichen Pigmentanordnung"  vor  sich  gehen  (S.  327),  welche 
das  Pigment  entweder  um  die  erste  Furche  oder  um  die 
rechtwinkelig  zu  ihr  stehende  Verticalebene  symmetrisch 
gruppirte.  Ersteren  Falles  lag  dann  die  Medianebene  wiederum  in 
Richtung  der  ersten  Furche ,  letzteren  Falles  dagegen  rechtwinkelig 
zu  derselben. 

Nur  in  blos  IG^'m  betragenden  Fällen  (s.  S.  330)  wich 
trotz  scheinbar  guter  Erhaltung  der  Zwangslage  die  Medi- 
anebene von  diesem  Schema  ab  und  fiel  in  keine  der 
beiden  ersten  Furche  n.  Da  aber  die  durch  die  Schwerkraft 
bedingte  mechanische  Tendenz  zu  Abweichungen  durch  Drehung  der 
Gastrula  bei  Zwangslage  eine  sehr  grosse  ist,  und  wir  die  Sufficienz 
des  Zwanges  nicht  genau  zu  beurtheilen  vermögen,  so  sind  diese  Ab- 
weichungen, trotz  aller  von  mir  aufgewendeten  Sorgfalt  zur  Vermeidung 
dieses  Fehlers,  doch  vielleicht  auf  diese  Fehlercj[uelle  zurück- 
zuführen. Aber  wenn  dies  auch  nicht  der  Fall  wäre,  so  können  wir 
bei  unseren  gegen-  [197]  wärtigen,  auf  Annäherungen  ersten 
Grades  gerichteten  Bestrebungen  diese  selteneren  Vorkomm- 
nisse einstweilen  bei  Seite  lassen  (s.  Nr.  29,  S.  608). 

Es  sei  an  dieser  Stelle  gleich  noch  erwähnt,  dass  die  scheinbaren 
Ausnahmen  auch  darauf  beruhen  können,  dass  ich  gleich  wie  Pflüger 
und  Born  die  Lage  der  Medianebene  des  Embryo  bei  Zwangslage 
nach  der  Stelle  der  „ersten"  Anlage  des  Urmundes  beurtheilt 
habe;  dies  geschali  einmal  auf  Grund  der  Beobachtung,  dass  diese 
Stelle  normaler  Weise   mit  der  Rückenfurche  in  denselben  verticalen 


Localisirte  Befruchtung  an  in  schiefer  Zwanffslase  befindlichen  Eiern.        399 


Meridian,  fällt  und  dass  auch  ))ei  vielen  controllirten  Fällen  von  Zwangs- 
lage dasselbe  der  Fall  war.  Durch  die  Benutzung  dieser  ersten  er- 
kennbaren Organanlage  wurde  die  Beobachtungsdauer  um  einen  Tag 
abgekürzt  und  zwar  um  einen  Tag,  an  dem  die  Tendenz  zu  nach- 
träglicher Drehung  des  Eies  an  der  Gallerthülle  besonders  gross  wird. 
Es  erscheint  mir  nun  aber  fraglich  und  besonderer  Untersuchung 
bedürftig,  ob  in  ,, allen"  Fällen  von  ,, Zwangslage",  besonders 
auch  bei  „schräger"  Befruchtung  (siehe  S.  402),  die  Stelle 
der  .,ersten"  Urmunds  anläge  mit  dem  Meridian  der 
Rückenfurche  und  damit  mit  der  Medianebene  des  Em- 
bryo zusammenfällt  (s.  Nr.  31,  S.  267). 

Bei  starker  „erzwungener"  Neigung  der  Eiaxe  wird  stets  diejenige 
Seite  des  Eies,  nach  welcher  der  schwarze,  vorzugsweise  den  fein- 
körnigen Bildungsdotter  enthaltende  Pol  geneigt  ist,  zur  ventricaudalen 
Seite  des  Embryo. 

Wir  haben  also  zu  fragen:  Ist  auch  in  diesen  durch  schiefe 
Zwangslage  des  Eies  gegebenen  und  scheinbar  sehr  mannig- 
faltigen Verhältnissen  die  Copulationsrichtung  des  männ- 
lichen und  weiblichen  Kernes  noch  das  Bestimmende  für 
die  Richtung  der  ersten  Eitheilung  und  der  Medianebene 
des  künftigen  Embryo?  Oder  spricht  sich  wenigstens  deutlich 
eine  Tendenz  zu  derartiger  Wirkung  aus,  wenn  auch  vielleicht 
alterirende  Momente  gleichzeitig  mit  zur  Geltung  kommen? 
Ich  habe  micli  bereits  S.  338  in  letzterem  Sinne  vermuthungsweise 
ausgesprochen. 

Localisirte   Befruchtung   an   in  schiefer  Zwangslage  befind- 
lichen Eiern. 

Um  Gewissheit  zu  erhalten,  machte  ich  zunächst  Experimente 
mit  localisirter  Befruchtung  an  künstlich  in  Schiefstellung  erhaltenen 
Eiern. 

1.  Zuerst  befruchtete  ich  Eier  von  Rana  fusca  mit  annähernd 
wagerecht  gestellter  Eiaxe  derart  von  der  Seite,  dass  der  Samen- 
körper ungefähr  rechtwinkelig  zur  Symmetrieebene  der  Ein- 


400  Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

Stellung  eindringen  musste.  Mehrere  in  gleicher  AVeise  loeahsirt 
befruchtete  [198]  und  geeignet  geschnittene  Eier  hessen  erkennen, 
dass  thatsächlich  in  diesem  Falle  der  Samenkörper  quer  verlaufen 
und  die  Copulation  in  querer  Richtung  erfolgt  war.  Dasselbe  er- 
gab sich  an  einigen  nicht  localisirt  befruchteten  aber  in  schief  er  Zwangs- 
lage erhaltenen,  microtomirten  Eiern,  in  welchen  zufällig  der  Samen- 
körper seitlich  von  der  Symmetrieebene  der  Einstellung  eingedrungen 
war.  All  die  zehn  in  dieser  Weise  localisirt  befruchteten  Eier  bildeten 
die  erste  Furche  in  der  Befruchtungsrichtung;  die  erste  Furche 
stand  also  quer  zur  Symmetrieebene  der  Einstellung,  und  er- 
Avies  sich  auch  durch  die  weitere  Entwickelung ,  bei  der  die  Median- 
ebene des  Embryo  mit  der  Symmetrieebene  zusammenfiel,  als  eine 
echte,  physiologisch  bezeichnet,  zweite  Furche.  Das  Resultat  war  also 
ganz  so,  wie  ich  es  S.  338  vorausgesagt  hatte. 

Die  Tendenz  zur  ,,Tlieilung  des  Furchungskernes  in  der 
Copulationsrichtung''  ist  somit  so  stark,  dass  es  unter  diesen 
Umständen  leichter  fällt,  die  ihrer  ,, Qualität"  nach  ,, zweite" 
Furche  ..zuerst"  zu  bilden,  als  von  dieser  Tendenz  zur  Thei- 
lung  in  der  Copulationsrichtung  abzuweichen. 

Während  bei  der  normalen  ersten  Furche  das  Material  für  die 
beiden  Antimeren  des  Körpers  geschieden  wird ,  das  Kernmaterial 
also  in  jedem  einzelnen  seiner  qualitativ  verschiedenen  Bestandtheile 
halbirt  werden  muss,  so  wairde  in  unseren  Fällen  davon  abgewichen, 
und  das  Iv e r  n m  a t e r i a  1 ,  zuerst  ungleich,  in  d i  e  M a s s e  f  ü r  d i e 
ventricaudale   und  dorsicephale  Seite   des  Embryo  getheilt. 

Ich  hege  die  Vorstellung,  diese  Alteration  der  qualita- 
tiven Natur  der  Kerntheilung  sei  bedingt  worden  durch 
denEinfluss  der  auf  beiden  Seiten  von  der  präsumptiven 
T  h  e  i  1  u  n  g  s  r  i  c  h  t  u  n  g  liegenden  ungleichen  Dotter- 
materialien, von  denen  nach  den  im  Beginne  dieses  Ab.schnittes 
mitgetheilten  Beobachtungen  die  braunen  Massen  mehr  der  ventri- 
caudalen,  die  weissen  mehr  der  dorsicephalen  Seite  des  Embryo  in  ihrer 
Lage  entsprechen')     Diese  Lagerungsbeziehung   des  Embryos  zu  den 


1)  In  einem  kritischen  Referat  (Biolog.  Centralblatt,  1887,  Bd.  7,  S.  423)  sage 
ich  weiterhin   liierüher:    .Die  directe  Beobachtung  ergiebt,   dass  die  grössere  Anhäu- 


Localisirte  Befruchtung  an  in  schiefer  Zwangslage  befindlichen  Kiern.         401 


Eimaterialien  ist  jedenfalls  nicht  derart  aufzufassen,  als  wenn  nur  die 
Zellen  der  ventrieaudalen  Seite  des  Embryo  in  ihrem  Zellleil)  aus  Bil- 
dungsdotter, diejenigen  der  dorsicephalen  Seite  dagegen  aus  Nah- 
rungsdotter  bestünden.  Sondern  die  Beziehung  ist  wohl  darin  be- 
gründet, dass  das  Ei  „e.xpli cite"  schon  einer  ,,Blastula"  ent- 
spricht, d.  h.  die  Materialien  zu  derselben  bereits  vorräthig  und 
entsprechend  geordnet  enthält,  während  das  Material  zur  Weiter- 
1 )  i  1  d  u  n  g  derselben  z  u  r  Cl  a  s  t  r  u  1  a ,  also  zur  Ausbildung  der  dor- 
salen Hälfte  des  Embryo  nur  erst  [199]  potentia  nur  „implicitc" 
vorhanden  ist  und  erst  durch  Wachsthum  und  Differenzi- 
rung  ,,explicite"  hergestellt  werden  muss  (s.  Nr.  23,  S.  704). 
Deshalb  sind  vielleicht  die  Entwickelungsmechanismen  derart  einge- 
richtet, dass  das  Kernmaterial  für  die  dorsicephale  Körperhälfte  bei 
den  ersten  Kerntheilungen  gleich  mehr  der  Seite  des  Nahrungsdotters 
zugeordnet  wird. 

Ich  denke  mir,  der  Einfluss  dieser  verschiedenen  Dottermassen  des 
ungetheilten  Eies  habe  bei  der  nach  unserem  Gesetze  bestehenden  Prädis- 
position, das  Kernmaterial  vorliegenden  Falles  nach  den  beiden  un- 
gleichen Seiten  hin  zu  sondern,  bewdrkt,  dass  die  qualitative  Natur  dieser 
Kerntheilung  derart  wurde,  dass  jeder  Dotter seite  des  Eies  das 
ihr  normal  zukommende  Kernmaterial  zugeführt  wurde, 
dass  also  die  eigentlich  als  zweite  zu  vollziehende  Sonderungsweise 
hier  zuerst  ausgelöst  wurde:  Ein  sehr  interessantes  Beispiel  directer 
Anpassung,  resp.  ,,prästabilirter  Selbstregulation''  und  zu- 
gleich ein  Zeichen  der  Ueberlegenheit  der  mechanischen  Ten- 
denz zur  ,, Sonderung"  nach  der  ,,r echtwinkelig''  zur  Copu- 
lation  gelegenen  Richtung  über  die  gleichzeitig  vorhandene  Ten- 
denz, das  Kernmaterial  zuerst  qualitativ  zu  ,,halbiren". 

Es  ist  nun  weiterhin  aber  mcht  wohl  anzunehmen,  dass  das  bei 
Zwangslage    so    häufige  Zuerst-Auftreten    der   zweiten  Furche  immer 


fang  der  protoplasmatischen  dotterkörnerfreien  Substanz,  fast  entsprechend  dem 
Grade  der  Schiefeinstellung  des  Eies,  auf  der  Betruchtnngsseite  des  Eies  sich  findet. 
Wodurch  trotzdem  die  Senkung  dieser  letzteren  Seite  bedingt  ist,  muss  erst  noch 
ermittelt  werden.  Bis  jetzt  kann  Ref.  blos  mittheilen,  dass  er  manchmal  auf  der 
Befruchtungsseite  vorwiegend  grosse,  auf  der  anderen  Seite  oben  vorwiegend  kleinere 
Dotterköruer  neben  der  protoplasmatischen  Schicht  fand  (s.  S.  374  Anm.). 
W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  26 


402         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

durch  das  Eindringen  des  Samenkörpers  an  dem  seitlichen  Bezirlc  be- 
dingt sein  solhe;  denn  dieser  Bezirk  mag  blos  jederseits  etwa  ein  Fünftel 
der  zugehörigen  Hälfte  der  schwarzen  Hemisphäre  betragen ;  während 
ich  bei  relativ  geringer  erzwungener  Schiefstellung  des  Eies  (s. 
S.  326)  schon  in  35 ''/o  der  Fälle  reine  Querstellung,  in  weiteren  IS'^/o 
diu  erste  Furche  innerhall)  20°  dieser  Stellung  genähert  fand.  Nach 
BoRx's  Beobachtungen  (1.  c.)  ist  das  Verhältniss  bei  starker  Neigung 
der  Eiaxe  ein  noch  grösseres. 

Es  müssen  also  noch  andere  in  diesem  Sinne  wirkende  Ur- 
sachen vorhanden  sein.  Dem  entsprechend  habe  ich  auch  bei  anderen 
Experimenten  Querstelluug  der  ersten  Furche  erhalten;  sogar  bei  Be- 
fruchtung des  Eies  von  der  Symmetrieebene  aus  4  mal  von  11  Fällen, 
während  in  den  anderen  7  Fällen  die  erste  Furche  in  die  S3anmetrie- 
ebene  fiel. 

2.  Bei  ,, schräger"  Befruchtung  von  einem  etwa  45"  seit- 
lich von  der  Symmetrieebene  gelegenen  Meridian  aus  entstand 
einige  j\Iale  (4  mal  von  15  Eiern)  die  erste  Furche  in  dieser  schiefen 
Richtung;  alsdann  wurde  aber  während  dieser  und  der  nächsten 
Furcliung  die  o  b  e  r  f  1  ä  c  h  1  i  c  h  e  P  i  g  m  e  n  t  o  rd  n  u  n  g  u  m  g e  a  r  b  e  i  t e  t, 
entweder  symmetrisch  zur  ersten  oder  zur  rechtwinkelig  dazu  stehen- 
den [200]  zweiten  Furche  (s.  S.  327). 

Wir  können  uns  auf  Grund  der  vorstehend  mitgetheilten  That- 
sachen  diese  Erscheinung  so  erklären,  dass  die  Copulation  in  diesen 
Fällen  trotz  der  inneren  Strömungen  durch  die  Zwangslage  in  Rich- 
tung des  Eintrittsmeridians  erfolgt  war  und  dass  die  mechanische 
Tendenz  zurTheilung  in  der  Copulations-Richtung  so  stark 
war,  dass  durch  die  Wechselwirkung  zwischen  den  Dottersub- 
stanzen und  den  Kerntheilungsproducten  die  Dottersub- 
stanzen  entsprechend  der  qualitativen  Natur  der  Kernproducte  umge- 
ordnet und  um  dieselbe  gruppirt  wurden.  Hierbei  wurde  aber  wieder- 
um von  den  verschiedenen  Dottersubstanzeu  durch  ihre  Lage  zu  der  im- 
manenten Sonderungsrichtung  des  Kernes  darüber  entschieden,  ob  diese 
erste  Kerntheilung  eine  qualitative  Halbirung  oder  die  qualitativ  un- 
gleiche Theilung  für  ventral  und  dorsal  wurde.  Eine  qualitative 
Halbirung,  also  die  Bildung  einer  physiologisch  ersten  Theilung  wird 


Localisirte  Befruchtung  an  in  schiefer  Zwangslage  befiadlichen  Eiern.         403 


Wühl  entstehen,  wenn  die  durch  die  Copulationsrichtung  gegebene 
immanente  Theihnigsrichtung  des  Keriies  der  Symmetrieebene  der  Ein- 
stellung und  damit  der  Dotterströmung  näher  stand,  als  der  recht- 
winkelig zu  dieser  Ebene  stehenden  Richtung.  Letzteren  Falles  da- 
gegen wird  die  Kernspindel  mit  ihren  Enden  wohl  den  ungleichen 
Dottersubstanzen  zugewendet;  und  dies  ist  dann  die  Veranlassung, 
dass  sich  auch  das  Kernmaterial  ungleich  theilt  und  die  physiologische 
zweite  Furche,  welche  das  ventricaudale  Material  vom  dorsicephalen 
scheidet,  zuerst  entsteht. 

Nach  meinen  Beobachtungen  scheint  blos  die  Wahl  zwischen 
der  physiologisch  ersten  Theilungsart  und  der  ihr  phy- 
siologischer Weise  nächstfolgenden  zu  sein.  Verwechse- 
lungen solchen  Grades  kommen  ja  auch  bei  späteren  Furchungen,  wie 
ich  gezeigt  habe,  noch  häutig  vor.  Dagegen  scheint  es  nicht  möghch  zu 
sein,  dass  die  vierte  Furche,  welche  in  dem  vorstehenden  Falle  in  Rich- 
tung und  Qualität  vollkommen  der  immanenten  Theilungstendenz  in  der 
Copulationsrichtung  und  wohl  annähernd  auch  der  Anordnung  des 
Dottermaterials  entsprochen  haben  würde,  zuerst  hätte  gebildet  werden 
können.  Ob  vielleicht  die  obigen  16"/o  Ausnahmen  (S.  398),  in 
denen  die  Medianebene  des  Embryo  in  keine  der  beiden  ersten 
Furchungsebenen  fiel,  ausnahmsweise  auf  einem  solchen  grösseren 
Anachronismus  beruhen,  ist  zur  Zeit  nicht  zu  sagen,  (s.  Nr.  29,  S. 
607  Anm.).  In  den  früher  mitgetheilten  Fällen,  in  welchen  die  wage- 
rechte, normalerweise  dritte  Furche  zuerst  gebildet  wurde, 
fand  keine  weitere  Ent\viekelung  statt. 

[201]  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  schräg  zur  Symmetrieebene 
vorgenommener  Befruchtung  entstand  aber  die  erste  Furche  nicht  in 
der  Richtung  des  verticalen  Eintrittsmeridianes,  sondern  in  der  Sym- 
metrieebene oder  wiederum  annähernd  rechtwinkelig  zu  ihr. 

Es  ist  nun  zu  ermitteln,  was  diese  Abweichungen  von  der 
Norm,  ingleichen  wie  auch  die  oben  erwähnte  Querstellung. der 
ersten  Furche  bei  Befruchtung  innerhalb  der  Symmetrie- 
ebene  bedeuten. 

26* 


404         Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtuiig. 

Alterationen  des  Copnlationsmechanismus  bei  schiefer 
Zwangslage  der  Eier. 

Um  die  letzteren  Thatsachen  zu  verstehen,  müssen  wir  uns  eine 
Vorstellung  von  den  durch  künstliche  Schiefstellung  der  Eier  hervorge- 
rufenen Alterationen  des  Copulationsmechanismus  machen. 
Diese  sind  zum  Theil  unmittelbar  durch  die  Schiefstellung  des  Eies 
selber  bedingt. 

1.  Behandeln  wir  zunächst  die  Folgen,  die  aus  d  e  r  S  t  e  1 1  u  n  g 
des  ,,  E  i  k  e  r  n  s  "  bei  Zwangslage  sich  ergeben. 

Da  der  ,,  Ei  kern"  zwar  in  der  Eiaxe  oder  dicht  neben  ihr 
sich  befindet,  aber  dem  oberen  Ende  derselben  stark  genähert  ist,  so 
ergiebt  sich  aus  der  abnorm  schiefen  Stellung  der  Eiaxe  schon  eine  Ab- 
weichung der  ersten  Furche  aus  dem  ,, senkrechten"  Eintritts- 
meridian,  weil  der  Samenkörpef,  wenn  er  seine  erste,  annähernd 
radiäre  Bahn  zurückgelegt  hat,  und  nun  unter  Umbiegung  dem  ,,Ei- 
kern"  zustrebt,  den  senkrecht  durch  die  Eintrittsstelle  gelegten 
Meridian  verlassen  und  somit  eine  Richtung  seitlich  von  ihm  ein- 
schlagen muss;  wenn  schon,  wie  früher  gezeigt,  diese  beiden  Bahnen 
sich  noch  in  demselben,  durch  die  Eiaxe  gelegten  Meridian  voll- 
ziehen. Dieser  letztere,  jetzt  schief  stehende  Meridian  ist  aber  nicht 
mehr  von  Bedeutung,  da  die  erste  Furche  nicht  ihm  folgt,  sondern 
auch  bei  Zwangslage  (wenigstens  annähernd)  senkrecht  steht. 

Dieses  Senkrechtstehen  der  ersten  (und  zweiten)  Furche  auch 
bei  Zwangslage  ist  nun  aber  nicht  als  etwas  für  sich  a  priori  (Je- 
gebenes,  sondern  als  durch  die  Umordnungen  der  ungleich  schweren 
Substanzen,  welche  durch  die  Schwere  hervorgebracht  werden.  Be- 
dingtes aufzufassen.  Dies  ist  auch  daran  zu  erkennen,  dass  die  erste 
Theilungsf lache,  wenn  sie  quer  zur  Symmetrieebene  gerichtet  ist, 
anfangs  gewöhnlich  noch  stark  schief  steht,  ja  oft  auch  nicht 
einmal  eben,  sondern  geknickt  und  windschief  verdreht  ist. 
Wenn  also  die  senkrechte  Stellung  der  ersten  Furche  bei 
schiefer  Zwangslage  durch  die  inneren  Substanzumordnungen  bedingt 
ist,  so  kann  man  zu  vermuthen  geneigt  sein,  dass  auch  der  Kern 
in  gleicher  Weise  daran  theilnehme,    dass   er   daher    ebenfalls    mit 


Alterationen  des  Copulationsmechanismus  bei  Zwangslage  der  Eier.  405 


nach  oben  trete,  sodass  bei  dem  nucleopetalen  Verlauf  doch  keine 
seitliche  Abweichung  des  Samenkörpers  eintrete. 

Dies  Verhalten  prüfte  ich  an  Eiern,  welche  1  ^J2  bis  P/4  [202] 
Stunden  nach  der  Befruchtung-,  also  um  die  Zeit  der  Copulation  der 
Kerne  getödtet  waren;  sie  rührten  grösstentheils  von  «den  Versuchen 
des  Collegen  G.  Born  über  die  Wirkung  der  Schwere  her  und  waren 
mir  von  demselben  mit  liebenswürdiger  Bereitwilligkeit  zur  Durchsicht 
überlassen  worden.  Es  zeigte  sich,  dass  der  Eikern  in  der  That 
zur  Zeit  der  Copulation  sich  manchmal  schon  in  der  neuen, 
senkrechten  Eiaxe  befand,  während  er  aber  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  noch  erheblich  zurückgeblieben  war;  so  dass 
also  durch  diese  exaxia,le  Stellung  des  Eikern  es  in  der 
der  That  ein  weiterer  Theil  der  bei  schiefer  Zwangslage  des  Eies 
auftretenden  Qu  er  Stellungen  der  ersten  Furche  seine  Er- 
klärung findet. 

2.  Ausser  der  Beeinflussung  der  Stellung  des  ,,Eikernes"  bei 
künstlicher  Schiefstellung  des  Eies  ist  nun  aber  auch  die  Beein- 
flussung der  Bahn  des  ,,Sameukörpers''  durch  die  inneren 
Strömungen  von  Bedeutung.  Diese  inneren  Umordnungen  bestehen, 
wie  Born  (loc.  cit.)  gezeigt  hat,  in  einer  aufsteigenden  Strömung 
des  schwarzen  Dotters  und  des  von  mir  so  genannten  ,, oberen  weissen 
Dotters"  (des  „hellen  Innenfleckes"  Born's)  und  in  absteigender 
Bewegung  des  bei  normaler  Stellung  ,, unteren"  weissen  Dotters,  vor- 
zugsweise auf  der  dem  Aufsteigen  entgegengesetzten  Seite  des 
Eies.  Dazu  kommt  noch  eine  secundäre  Bewegung,  ein  Wiederab- 
sinken eines  Theiles  des  aufgestiegenen  braunen  Dotters  nach  den 
Seiten  und  in  der  Richtung  des  absinkenden  weissen  Dotters,  wohl 
bedingt  durch  das  Nachdrängen  erst  später  oben  anlangender  brauner 
Dottermassen.  Für  unseren  gegenwärtigen  Zweck  kommt  blos  die 
ersterwähnte,  aufsteigende  Strömung  des  braunen  und  des  oberen 
weissen  Dotters  in  Betracht,  und  zwar  nur  in  der  Ausdehnung  und 
Intensität,  die  sie  bis  zur  Copulation  der  beiden  ^''orkerne,  also  bis 
1^/2  oder  1^/4  Stunden  nach  der  Befruchtung  bei  Zimmertemperatur 
erlangt  hat. 


406        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

Der  Samenkörper  dringt  auch  hier  /Aniächst  radiär  ein;  sobald 
er  al)er  in  den  Bereich  dieser  aufsteigenden  Strömung  kommt,  wird 
er  in  der  Richtung  derselben  abgelenkt  und  schlägt  dann  die  Rich- 
tung der  Resultirenden  beider  Bewegungstendenzen  ein. 

Liegt  die  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  ganz  ,, seitlich" 
von  der  Symmetrieebene  und  nahe  dem  Aecjuator,  wie  in 
den  oben  zuerst  mitgetheilten  Versuchen,  so  kommt  er  nur  am  Ende 
seiner  zw^eiten,  nucleopetalen  Bahn  in  die  Strönnmg,  welche  zugleich 
an  dieser  dem  Centrum  des  Eies  nahen  Stelle  nur  schwach  ist.  Er 
[203]  wird  daher  nicht  wesentlich  in  seiner  Richtung  alterirt,  sofern  der 
Eikern  noch  nicht  erheblich  aufgestiegen  ist. 

Je  näher  aber  die  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  der  Symmetrie- 
ebene und  der  Mitte  des  schwarzen  Poles  liegt,  um  so  früher  und 
kräftiger  wird  er  von  der  zu  dieser  Ebene  parallel  aufsteigenden  Strö- 
mung erfasst  und  in  ihr  fortgeführt,  so  dass  er  an  Stelle  der  nuclei- 
petalen  Richtung  eine  an  dem  Eikern  vorbeiführende  Richtung  erhält. 
Erst,  wenn  der  Spermakern  dem  Eikern  schon  sehr  nahe  ist  und  damit 
zugleich  in  die  dem  Centrum  des  Eies  nähere,  weniger  stark  strömende 
Schicht  gelangt  ist,  tritt  dann  eine  rein  nucleopetale  Bewegung 
ein,  die  meist  cjuer  oder  schräg  zur  Strömungsrichtung 
und  zur  Symmetrieebene  orientirtist  und  häutig  zugleich 
rückläufigen  Charakter  hat. 

So  bietet  also  die  Führung  des  Samenkörpers  durch  die  Strö- 
mung ein  zweites  Moment  der  Abweichung  der  ersten  Furche  aus 
dem  verticalen  Eintrittsmeridian  des  Samenkörpers  und  zugleich  der 
Schiefstellung  der  ersten  Furche  zur  Symmetrieebene  dar.  Und 
man  kann  darin  eine  neue  Bestätigung  der  oben  (S.  383)  dargelegten 
Ansicht  erblicken,  dass  weder  die  Lage  der  Eintrittsstelle, 
noch  die  Substanzen  der  Pigment  Strasse  des  Samen- 
körpers das  Bestimmende  für  die  ,, Richtung"  der  ersten 
Theilung  des  Dotters  sind,  sondern  dass  dies  Moment  in 
der  ,,Richtung  der  Copulation"  der  Kerne  zu  suchen  ist. 
Indess  bei  genauerer  Prüfung  zeigt  sich,  dass  letzteres  Moment  i]i 
den  hier  vorliegenden  Verhältnissen  doch  nicht  die  einzige  bestim- 
mende Componente  sein  kann;  denn  die  erste  Furche  steht  bei  schiefer 


Concurrenz  tlor  Wirkung  der  Bofnichtuns.ssoito  und  der  Z\v;ini;'slage.  407 


Z\vaiiu'<l;iuo  ZU  liäuÜL:,- fast  rein  (|iicr;  wäliivnd  wir  für  die  Mclir/ahl  dov 
Fälle  zufolge  dieses  Moments  nur  eine  Prädisposition  zu  schiefer  Stell- 
ung der  Gopulationsrichtung iiufgefunden  haben.  Esmuss  also  noch  ein 
die  Schiefstellung  zur  reinen  Querstellung  umbildender 
Ein  flu  SS  von  irgend  einer  Seite  ausgeübt  werden.  Die  einfachste  und 
nach  den  früheren  l>eobaehtungen  und  Ausführungen  naheliegendste 
Erklärung  erscheint  mir  die,  dass  die  durch  die  Strömung  deut. 
lieh  ,, bilateral-symmetrisch"  geordneten  Dottermassen  der- 
art „drehend"  auf  den  in  seiner,  blos  annähernd  querstehen- 
den Copulationsrichtung  sich  zu  theilen  tendirenden  oder 
beginnenden  Furchungskern  wirken,  dass  diese  Richtung  voll- 
kommen quer  steht,  wonach  die  Theilungsproducte  innerhalb  der  Sym- 
metrieebene der  schwarzen  und  weissen  Dotterhälfte  zugeführt  werden. 
[20-I-I  Dass  bei  solchem  annähernden  Querstand  der  Theilungs- 
richtung  die  eigentlich  zweite,  das  Material  für  ventricaudal  und  dorsi- 
cephal  sondernde  Furche  in  Folge  der  Beeinflussung  der  Theilungs- 
qualität  des  Kernes  durch  die  ümordnung  der  umgebenden  verschie- 
denen Dottermassen  entsteht ,  haben  wir  oben  scJion  in  einfacheren 
Fällen  constatirt.  Das  Neue  ist  hier  nur,  dass  diese  Dottermassen 
zugleich  ,, drehend"  auf  die  Theilungsspindel  oder  auf  den 
Furchungskern  wirken;  während  umgekehrt  die  Richtung 
dieser  Spindel  auch  umordnend  auf  die  Dottermassen  wirken 
kann.  Warum  bald  dies,  bald  jenes  eintritt,  ist  nicht  sicher 
zu  sao-en;  aber  es  ist  klar,  dass  wenn  eine  von  beiden  Richtungs- 
tendenzen  stärker  oder  fester  ist  als  die  andere,  sie  die 
schwächere  veranlassen  wird,  sich  mehr  nach  ihr  umzurichten.  Wahr- 
scheinlich finden  bei  solcher  Wechselwirkung  stets  beiderseitige 
Ablenkungen  statt,  von  denen  sich  aber  die  geringeren  unserer 
Wahrnehmung  entziehen  (s.  S.  303,  327,  339). 


^ 


IV.    „Concurrenz"    der   Wirkung^   der   „Befruchtiuigsseite"    und   der 

künstlichen  Senkung-   des    braunen  Dotters   auf   die  Bestimniung-  der 

„ventricaudalen"  Seite  des  Embryo. 

Ich  habe  nun  nocli  einige  weitere  Experimente  gemacht,  um  die 
Concurrenz   der  Wirkung   der  Befruchtungsseite   und    der   durch   die 


408        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

Zwangslage  hervorgebrachten  t3^pischen  Anordnung  der  Dotterniassen 
anf  die  Bestimmung  der  ventricaudalen  Seite  des  Em)3ryo,  sowie  auf 
die  Theilungsrichtung  des  Dotters  zu  ermittehi. 

Zunächst  befruchtete  ich  Eier,  welche  in  noch  nicht  ganz  wage- 
rechter Stellung  der  Eiaxe  fixirt  waren,  deren  schwarzes  Ende  der 
Eiaxe  also  etwas  nach  aufwärts  gewendet  war;  die  localisirtc  Be- 
fruchtung geschah  in  der  Symmetrieebene,  und  zwar  von  oben  her, 
in  der  Nähe  des  Aequators,  also  auf  der  Seite  des  höher  stehenden 
Weissen.  Da  nach  meinen  früheren  Experimenten  die  ,,Befruch- 
tungsseite"  zur  ventricaudalen  Seite  des  Embryo  wird 
(S.  355),  Avährend  die  Seite  des  höher  stehenden  Weissen  bei  Rana  escu- 
lenta  n  o  r  m  a  1  e  r  Weise  und  im  Falle  schiefer  Zwangslage  bei  allen 
f"'röschen  stets  der  dorsicephalen  Seite  des  Embryo  entspricht,  so 
musste  hierbei  ein  ^^^iderstreit  einander  entgegensetzter  Bildungsten 
denzen  eintreten,  der  deuthch  die  Ueberlegenheit  eines  der  beiden 
Momente  bei  dieser  Eilage  erkennen  liess.  Die  Entscheidung 
fiel  geo-en  das  Ueberwiegen  der  Wirkung  des  Samen kör- 
pers  aus;  die  höchste  Stelle  des  Weissen  wurde  stets  zur  dorsice- 
phalen Seite  des  Embryo.  Es  ist  indess  nach  meinen  Erfahrungen 
an  Rana  esculenta,  wo  unter  normalen  Verhältnissen  der  braune 
Dotter  auf  der  ,, Befruchtungsseite"  stets  sich  senkte,  auch  wenn 
er  ursprünglich  auf  dieser  Seite  ein  wenig  erhoben  war,  ersichtlich, 
dass  der  Sieg  einer  der  beiden  Tendenzen  von  dem  Grade  der  Nei- 
gung der  Eiaxe  abhängt.  [Bei  schiefer  Zwangslage  entsteht  die  ven- 
tricaudale  Seite  des  Embryo  gleichfalls  stets  auf  der  Seite  des  tiefer 
stehenden  braunen  Dotters,  und  das  Wesen  des  jetzigen  Versuches 
bestand  also  darin,  dass  zuerst  durch  Zwangslage  der  braune  Dotter 
nach  der  einen  Seite  gesenkt  war  und  dass  versucht  wurde  durch 
Befruchtung  auf  der  entgegengesetzten  Seite  die  Bildung  der  ventri- 
caudalen Seite  des  Embryo  dahin  zu  lenken.] 

Das  gemeinsame  Resultat  beider  Versuche  der  localisirten 
Befruchtung  und  der  Zwangslage  ist  also  dasjenige,  dass  stets  die- 
jenige Seite  des  Eies,  wo  mehr  ,, brauner"  Dotter  ist,  zur 
ventricaudalen  Seite  des  Embryo  [205]  wird.  Dies  geschieht 
nach  Obigem  deshalb,  weil  diese  Masse  bewirkt,    dass   bei   der 


i 


Concurrenz  der  Wirkung  der  Befruchtungsseite  und  der  Zwangslage.         409 

Kei'iitlieiliing  sich  ihr  das  dieser  KOrperhälfte  entsprechen  de 
Kernmaterial  zuwendet,  mag  die  hetreffende  Theihnig  nun  als 
erste  oder  zweite  vor  sich  gehen. 

Wenn  aber  die  Einstellung  des  Eies  derart  ist,  dass  die  Eiaxe 
ganz  oder  annähernd  senkrecht  steht,  so  ist  die  Ansamm- 
lung des  feinkörnigen  Dotters  um  den  Saraenkürper  gross 
genug,  um  stets   diese  Seite  zur  ventricaudalen  zu  machen. 

[Wir  können  also  sagen :  D  i  e  B  e  f  r  u  c  h  t  u  n  g  b  e  s  t  i  m  m  t  u  n  t  e  r 
ganz  normalen  Verhältnissen  dadurch  die  ,, Richtung"  der 
ersten  F u r c h u n g s e b e n e  und  der  M e d i a n e b e n e  des  Em- 
bryo „im  Eileib",  dass  sie  eine  Abweichung  der  um  die 
Eiaxe  nach  allen  Richtungen  gleichen  Anordnung  des 
Dottermateriales  des  unbefruchteten  Eies  bewirkt.  Diese 
Anordnung  des  Dotters  bewirkt,  dass  die  erste  Furche 
und  die  Medianebene  des  Embryo  in  die  Symmetrieebene 
dieser  Anordnung  gebracht  werden. 

Die  so  hervorgebrachte  Anordnung  des  Dotters  be- 
stimmt auch  die  caudale  und  cephale  Seite  des  Embryo, 
indem  die  Seite  des  höherstehenden  hellen  Poles  zur 
cephalen,  die  des  tieferstehenden  dunklen  Poles  zur 
caudalen  Seite  des  Embryo  wird. 

Da  diese  Anordnung  des  Dotters  leicht  künstlich,  durch  schiefe 
Zwangslage,  geändert  werden  kann  (s.  S.  382),  so  ist  der  Einfluss 
der  Befruchtungszelle  auf  die  genannten  Richtungen  leicht  zu  ver- 
wischen und  durch  den  der  schiefen  Zwangslage  zu  ersetzen.] 

[Das  wesentliche  Ergebniss  also  ist,  dass  das  activirte  unbe- 
fruchtete Ei  einen  um  die  Eiaxe  nach  allen  Richtungen 
wesentlich   gleichen   Bau    hatM    und    dass   erst   die   durch 


[1)  Dieser  Bau  des  inactiven  unbefruchteten  Eies  wird  in  Folge  der  Zwangs- 
lage der  Eier  im  Mutterleibe,  wie  wir  Seite  290  u.  f.  sahen,  abgeändert,  so  dass 
es  oft  vor  der  Befruchtung  nicht  vorhanden  ist.  Wir  ersahen  aber  an  den 
schwimmenden  Eiern  von  Rana  fusca,  dass  nach  der  Besamung  schon  zur  Zeit  der 
ersten  Berührung  des  Eies  durch  den  Samenkörper  diese  typische  Indifferenz  wieder 
hergestellt  wird,  da  jetzt  die  vorher  schiefstehende  Eiaxe  sich  senkrecht  einstellte;  so 
entsteht  das  typische  activirte  unbefruchtete  Ei,  mit  dem  wir  in  obigen  Sätzen 


410        Nr.  21.     Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

die  Befruchtung  oder  durch  andere  Momente  hervorge- 
brachte Differenzierung  in  der  Anordnung  der  Dottersub- 
stanzen die  Lage  der  Medianel)ene  des  Embryo  ,,im  Ei- 
leibe" bestimmt  wird. 

Der  Umstand,  dass  bei  Abweichungen  der  intraovalen  Bahn  des 
Samenkörpers  aus  der  verticalen  Meridian  ebene  der  Samen- 
eintrittsstelle die  erste  Theilung  statt  durch  diese  Ebene  durch 
die  davon  abweichende  verticale,  der  Copulationsrichtung  fol- 
gende Ebene  geht,  könnte  so  gedeutet  werden,  dass  die  immanente 
Theilungsrichtung  des  Furchungskernes  im  Conflictsfalle  ein  stärker 
die  Richtung  der  ersten  Theilung  des  Dotters  bestimmendes  Mo- 
ment ist  als  die  nicht  sehr  grosse  Differenzirung  in  der  Anordnung 
des  Dotters,  welche  durch  den  intraovalen  Verlauf  des  Samenkörpers 
bedingt  ist.  Ob  die  Lage  der  Median  ebene  ,, innerhalb"  des  Ei- 
kernesnach  der  Copulation,  also  ,, innerhalb  des  Furchungskernes", 
auch  so  leicht  durch  äussere  Einwirkung  verändert  werden  kann,  wie 
diejenige  innerhalb  des  Ei  leib  es,  ist  zur  Zeit  ebensowenig  be- 
kannt, wie  es  unbekannt  ist,  ob  die  ursprüngliche  Lage- 
rung des  Materiales  des  Spermakernes  nach  der  Seite  des 
Sameneintrittes  hin  mit  an  der  Bestimmung  der  Lage- 
rung der  Schwanzhälfte  des  Embryo  nach  dieser  Seite  hin 
betheiligt  ist.  Wir  wissen  beim  Frosch  überhaupt  nichts  von  der 
Art  der  Vertheilung  des  Materiales  des  männlichen  und  weiblichen 
Kernes  auf  die  Furchungszellen.] 

Im  nächsten  Versuche  wurde  die  künstliche  Schiefstellung 
der  localisirt  befruchteten  Eier  blos  D/2  Stunden,  also  nur  bis 
zur  Copulation  erhalten;  dann  wurden  die  Eier  mit  der  Eiaxe 
senkrecht  gestellt.  Dabei  ergaben  sich  jedoch  dieselben  Resultate  in 
Bezug  auf  die  Riclitung  der  ersten  Furche,  wie  bei  forterhaltener 
Zwangslage,  jedenfalls,  weil  die  vor  sich  gegangenen  Umordnungen 
nicht  so  rasch  wieder  vollkommen  rückgängig  gemacJit  wurden;  ganz 


rechnen.  Nach  ihm  erst,  mit  dem  Eindringen  des  Samenkörpers  in  den  Dotter,  bildete 
sich  die  definitive  Schiefstellung  der  Eiaxe  bei  Rana  esculenta.  und  noch 
später  hei  Rana  fusca  die  typische  Aufhellung"  der  Eirinde  an  der  der  Be- 
fruchtungsseite gegenüberliegenden  Seite  aus,  welche  die  Lage  der  künftigen  Median- 
ebene erkennen  lassen.] 


Concurrenz  dei'  Wirkung  der  Befruclitungsseite  und  der  Zwangslage.         411 


abgesehen  von  der  \\'irknng  der  in  der  oben  geschilderten  Weise   in 
eine  Prädilectionsbahn  gelenkten  Copulationsrichtung. 

Lehrreicher  ist  der  letzte  Versuch,  in  welchem  die  Eier  an- 
fangs zwar  senkrecht  standen,  aber  nach  der  Copulation 
stark  schief,  bis  fast  zn  wagerechter  Stellung  der  Eiaxe,  aufgestellt 
wurden.  Hier  ergab  sich  das  interessante  Resultat,  dass  die  erste 
Furche  stets  durch  die  Symmetrieebene  hindurchging, 
mochte  auch  der  Samenkörper  in  dazu  rechtwinkeliger  Rich- 
tung eingedrungen  sein  und  die  Copulation  sich  in  dieser  Rich- 
tung vollzogen  haben ;  und  dass  auch  hierbei  wiederum  die  Seite  des 
höher  stehenden  AVeissen  zur  dorsicephalen  wurde,  mochte  auch  die 
localisirte  Befruchtung  auf  dieser  selben  Seite  vorgenommen  worden  sein. 

Wir  ersehen  also,  dass  eine  starke,  fast  90 '^  erreichende  Nei- 
gung des  Eies,  resp.  die  dadurch  bewirkte  bilateral-symmetrische 
Anordnung  der  Dottermassen  eine  ausschlaggebende  Wir- 
kung auf  die  Theilungsrichtung  des  Dotters  hat.  Man  könnte 
vermuthen,  dass  sich  diese  Wirkung  auch  auf  die  Theilungsrichtung 
des  Furch ungskernes  erstrecke,  derart,  dass  die  Coincidenz  der  Co- 
pulationsrichtung und  der  Theilungsrichtung  desselben  aufgehoben  sei. 

Dagegen  spricht  nun  die  von  mir  in  mehr  als  60  Fällen  con 
statirte  weitere  Thatsache,  dass  bei  ,, geringen"  erzwungenen 
Schiefstellungen  der  Eiaxe  bis  im  Maximum  zu  etwa  20'^  die 
Dottermassen  entsprechend  der  durch  die  ,, Copulations- 
richtung" gegebenenTheilungsrichtung  umgeordnet  wurden; 
und  dass  eher  die  zweite  Furche  zuerst  gebildet,  als  dass  von  dieser 
Beziehung  [206]  abgewichen  wurde  (s.  auch  S.  361). 

Eine  neue  Annahme  ist  aber  überhaupt  gar  nicht  nothwendig, 
da  beide  Beziehungen  sich  durch  die  oben  S.  407  schon  gemachte 
und  begründete  Annahme  vereinen  lassen,  dass  die  durch  die 
Zwangslage  bilateral-symmetrisch  geordneten  Dottermassen 
einen  ,, drehenden",  bestimmt  ,, einstellenden"  Einfluss  auf 
den  Furchungskern,  sei  es  schon  während  seiner  Bildung  oder 
nach  derselben,  ausüben;  und  dass  dann  der  so  eingestellte  Kern, 
indem  er  sich  in  ,, seiner  Copulationsrichtung"  theilt,  bewirkt, 
dass  auch  der  Dotter  sich  in  dieser  Richtung  theilt.    Weniger  möchte 


412        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 


ich  folgern,  dass  etwa  der  bilateralsymmetrisch  geordnete  Dotter  an 
sich  eine  Tendenz  zur  „Theihnig"  in  der  Symmetrieebene  oder  recht- 
winkehg  zu  ihr  habe  .und  deshalb,  als  der  grössere ,  den  anderen  um- 
schliessenden  Theil  des  Eies  bewirke,  dass  auch  dieser,  der  Kern,  in  der 
Theilungsebene  des  Dotters  sich  theilen  müsse.  Für  meine  Annahme 
spricht  auch  noch  eine  zuerst  von  Auerbach  ^)  an  x'^-scaris  nigrovenosa 
gemachte  Beobachtung.  Bei  diesem  Thier  dringt  der  Samenkörper 
stets  von  einem  spitzen  Pol  in  das  ovale  Ei  ein ;  und  während  der 
Conjugation  drehen  sich  die  beiden  aneinander  gepressten  Kerne  um 
00°,  bis  ihre  mittlere  Verbindungslinie  quer  zur  Längsaxe  des  Eies 
steht.  Der  Furchungskern  theilt  sich  dann  in  dieser  durch  Drehung 
nachträglich  quer  gestellten  Copulationsrichtung,  entspricht  also  zu- 
gleich meinem  Gesetz.  Da  hier  aber  ein  t  y  p  i  s  c  h  e  s  Verhalten  vor- 
liegt, so  konnte  man  aus  demselben  nichts  über  die  specielle  Ursache 
der  Richtung  dieser  Kerntheilung  folgern.  Nachdem  es  mir  beim 
Froschei  gelungen  ist,  das  Ei,  also  auch  den  Dotter,  in  jeder  von  mir 
beliebten  verticalen  Richtung  zur  ersten  Theilung  zu  veranlassen  und 
als  das  bestimmende  Moment  eine  directe  ursächliche  Bezieh- 
ung zwischen  der  Copulationsrichtung  und  der  Theilungs- 
richtung  des  Furchungskernes  festzustellen,  so  kann  man  nun 
wohl  diese  Deutung  auch  auf  den  Fall  von  Ascaris  übertragen.  Durch 
die  Ausdehnung  auf  ein  wirbelloses  Thier  erhält  dann  das  Gesetz 
einen  gewissen  Anschein  allgemeiner  Geltung,  deren  wirklicher  Um- 
fang indess  nur  durch  bezügliche  Untersuchungen  an  allen  Thier- 
klassen  ermittelt  werden  kann. 

Erg-ebiiisse. 

A.  Unter  normalen  Verliältnissen,  d.  h.  bei  ,, zwangloser"  Auf- 
setzung des  normalen,  nicht  durch  zu  lange  Verzögerung  der 
Laie h  u  n  g  veränderten  F  r  o  s  c  h  e  i  e  s : 

[207]  1.  Das  unbefruchtete  Froschei  enthält  nur  eine  Haupt- 
richtung der  künftigen  Medianebene  des  Embryo  schon  bestimmt; 
diese  ist  durch  die  bipolare  Anordnung   des  Dottermaterials   gegeben 


I 


M  Organologische  Studien  1873. 


Ergebnisse.  413 

und  hezeiebnet  in  der  Iviclitnng  der  „Eiuxe"  vom  schwarzen  zum 
weissen  Pol  die  v  e  n t  r  i  d  o  r  s  a  l  e  Ivichtung  des  Embryo. 

2.  \\^n  den  unendlich  vielen,  verschieden  gericliteten  Meridian- 
ebenen, welche  durch  diese  Eiaxe  gelegt  werden  köimen,  wird  die- 
jenige zur  Mediauebene  des  Embryo,  in  deren  Richtung 
die  Copulation  der  beiden  Vorkerne  erfolgt. 

3.  Die  Copulationsrichtung  ist  keine  feste,  gegebene,  sondern 
kann  durch  ,, künstliche  localisirte  Befruchtung"  in  jeden  be- 
liebigen verticalen  Meridian  verlegt  werden. 

4.  Die  so  beliebig  gewählte  ,,Befruclitungsseite"  des  Eies 
wird  zur  ventricaudalen  Seite  des  Embryo,  die  entgegengesetzte 
zur  dorsicephalen  ^)  Seite. 

Das  Einzelne  angehend  ergab  sich: 

5.  Die  erste  Theilung  des  durch  die  Copulation  des  Sperma- 
kernes und  des  Eikernes  gebildeten  Furchungskernes  erfolgt  in 
der  Copulationsrichtung;  die  „Sonderung"  der  beiden  Theilungs- 
producte  von  einander  geschieht  rechtwinkelig  zur  Theilungs- 
richtung. 

6.  Die  functionelle  Bedeutung  des  Zusammenfallens  der 
Copulationsrichtung  und  der  Theilungsrichtung  des  Furchungskernes 
besteht  darin,  dass  nur  in  diesem  Falle  der  Effect  der  Copu- 
lation bei  der  Theilung  in  keinem  x\nthcile  wieder  rück- 
o-äno-io-  o-emacht  wird,  sei  dieser  Effect  nun  blos  eine  bestimmte 
Aneinanderlagerung,  oder  eine  wirkliche  (aber  unvollkommene) 
Vermischung  der  beiden  Kernsubstanzen  in  der  Copulationsrichtung. 
Ausserdem  gewährt  diese  Theilungsrichtung  die  Möglichkeit  einer 
,,bestimmten"  Sonderung  der  copulirten  Massen  mit 
einem  iSliniraum  von  richtenden  Kräften. 

Das  Zusami^enfallen  der  Theilungsrichtung  mit  der  Copulations- 
richtung stellt  somit  den  „einfachsten  Mechanismus"  der  Thei- 
lung durch  Copulation  verbundener,  aber  nicht  vollkommen  ver- 
mischter Massen  dar. 

7.  Die  erste  Dotter  theilung  erfolgt  in  der  der  Copulations- 
richtung parallelen,  durch  die  Eiaxe  gehenden  Meridianebene. 

[1)  Richtiger  blos:  „caudalen"  und  „cephalen"  Seite  (s.  S.  348,  425  u.  Nr.  23).] 


? 


414        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 


8.  Da  die  Copulationsriclitung  beliebig  gewählt  werden  kann, 
so  darf  aus  den  ermittelten  eonstanten  Beziehungen  derselben  zur 
[208]  Tlieilungsrichtung  ein  directer  Schluss  auf  die  Urs  ach e  dieser 
letzteren  Richtung  gezogen  werden,  was  an  Eiern,  wo  die  Samenein- 
trittsstelle eine  vorher  gegebene,  also  typische  ist,  oder  wo  die  Tliei- 
lungsrichtung schon  durch  die  Gestaltung  des  Eies  vorher  vollkommen 
bestimmt  ist,  nicht  statthaft  ist. 

Wir  dürfen  schliessen : 

a)  Die  erste  Tlieilungsrichtung  des  Furchungskernes 
wird  ,, durch"  die  Copulationsrichtung  der  Vorkerne, 
und  zwar  in  der  Weise  bestimmt,  dass  sie  mit  ihr  zu- 
s  a  m  m  e  n  f  ä  1 1 1. 

b)  Damit  wird  auch  die  erste  Theilungsrichtung  des  Dotters 
durch  die  C-opulationsrichtung,  und  zwar  in  der  Weise  bestimmt, 
dass  sie  ihr  parallel  steht  oder  eventuell  mit  ihr  zusammenfällt. 

c)  Die  specielle  Lage  des  Embryo  im  Eie  wird  durch  die  Be- 
fruchtungsrichtung des  Eies  bestimmt,  und  zwar  wird  diejenige  Seite 
des  Eies,  durch  welche  der  Samenkörper  eingedrungen  ist  (die  Be- 
fruchtungsseite), zur  ventricaudalen  [caudalen]  Seite  des 
]']  m  b  r  3^  o. 

9.  Der  Copulationsvorgang  der  Kerne  vollzieht  sich  in  zwei 
typischen,  verschiedenen  intraovalen  Verlauf s rieh tuiigen 
resp.  -Bahnen  des  Samenkörpers:  erstens  in  einer  an  die  Durch- 
brechungsstelle der  schwarzen  Eirinde  sich  anschliessenden,  annähernd 
radiären  Richtung,  welche  den  Samenkörper  tief  in  das  Ei,  bis  zur 
,  Kern  Schicht"  des  Dotters  führt  (die  „Penetrationsbahn"), 
zweitens  in  einer  iiucleopetalen  Richtung,  welche  beide  Kerne  ein- 
ander, vorzugsweise  aber  den  Samenkern  dem  Eikern,  innerhalb  der 
,, Kernschicht"  des  Dotters  zuführt  (die  „Copulationsbahn"). 

B.  Bei  Zwaiig-slago  der  Eier  mit  schiefer  Einstellung  der  Eiaxe 

ergaben  sich  folgende  Beziehungen : 

10.  Ist  die  erzwungene  Neigung  der  Eiaxe  gering,  blos 
bis  20^*  betragend,  sind  oft  noch  die  Regeln  Ausschlag  gebend,  welche 
bei  normaler  Stelluno-  bestimmend  wirken. 


Ergebnisse.  415 

11.  Das  Dottermatei'ial  wird  letzteren  Pralles  derart  umgeordnet, 
dass  es  symmetrisch  zur  ersten  durch  die  Copulationsi'iehtung  nor- 
mirten  'Pheilungsriehtimg  steht. 

12.  Die  bei  starker,  20 — 30"  übersteigender  Neigung  der 
Eiaxe,  durch  die  Wirkung  der  »Schwere  auf  die  speeihsch  ungleich 
schweren  Dottersubstanzen  erzeugte  symmetrische  Anordnung  der  ver- 
schiedenen Dottermaterialien  wirkt  derart  auf  die  erste  Theilung 
des  Eies,  dass  die  Ebene  dieser  Theilung  meist  [also  nicht  immer] 
zu  der  Symmetrie-  [209]  ebene  in  bestimmter  Weise  orientirt  ist,  indem 
sie  entweder  in  dieser  Symmetrieebene  selber  liegt  oder 
rechtwinkelig  zu  ihr  steht. 

13.  Auch  in  diesen  Phallen  erfolgt,  soweit  es  nachweisbar 
ist,  die  erste  Kerntheilung  in  der  Copulationsrichtung  der 
Vor  kerne. 

14.  Die  Stellung  des  Eikernes  wird  durch  die  Schiefstellung  der 
Eiaxe,  die  Bahn  des  Saraenkörpers  wird  durch  die  Strömung  des 
Dotters  derart  beeinflus.st,  dass  die  Copulation  häufig  in  annähernd 
quer  gestellter  Richtung  zur  Symmetrieebene  der  Schiefstellung  des 
Dotters  erfolgen  muss.  Daraus  ergiebt  sich  schon  eine  entsprechend 
häutige  ,, annähernde"  Querstellung  der  ersten  Furche. 

15.  Da  aber  die  erste  Furche  Ijei  Zwangslage  überwiegend  häufig 
entweder  „rein''  quer  zur  Symmetrieebene  oder  rein  in 
Richtung  derselben  orientirt  ist,  so  muss  noch  eine  ,, drehende 
Wirkung"  des  symmetrisch  angeordneten  Dotters  auf  den 
F  u  r  c  h  u  n  g  s  k  e  r  n ,  während  oder  nach  der  Copulation,  angenommen 
werden. 

Diese  Drehung  ist  als  derart  erfolgend  zu  denken,  dass  der 
Furchungskern  mit  seiner  immanenten  Copulationsrichtung  entweder 
der  Symmetrieebene  parallel  oder  rechtwinkelig  zu  ihr  gestellt  wird, 
und  zwar  je  nachdem  die  Copulationsrichtung  einer  dieser  beiden 
Richtungen  näher  steht. 

16.  Findet  die  Drehung  des  Furchungskernes  mit  seiner  Copu- 
lationsrichtung in  die  Richtung  der  Symmetrieebene  des 
Dotters  statt,  so  scheidet  die  erste  Kerntheilung  das  Material  der  bei- 


416         Nr.  21.  Bestimmung  der  Medianebene  durch  die  Copulationsrichtung. 

den  Antimereii   des   Embryo;   die  erste  Theilmigsebeiie  der  Dotters 
wird  damit  7Air  Medianebeiie  des  Embryo. 

17.  Geschieht  die  Drehung  des  Furchungskernes  derart,  dass 
er  mit  seiner  Copulationsrichtung  rechtwinkelig  zur  Symmetrie- 
ebene des  Dotters  steht,  so  wird  bei  der  ersten  Kerntheilung  das 
Kernmaterial,  wie  bei  einer  normalen  zweiten  Furchung,  in  solches 
für  die  caudale  und  cephale  Seite  des  Embryo  geschieden. 

18.  Bei  starker  zwangsweiser  Schiefstellung  der  Eiaxe  wird 
stets  die  Seite  des  gesenkten  schwarze  n  Poles  zur  caudalen 
Seite  des  Embryo.  Bei  nur  geringer  Neigung  der  Eiaxe  jedoch 
vermag  auch  im  Widerstreit  dieser  Tendenz  mit  derjenigen  der 
Befruchtungsrichtung  (Regel  4  und  8  c)  die  Befruchtungsseite  des 
Eies  zur  caudalen  Seite  des  Embryo  zu  werden;  dies  aber  nud  dann, 
wenn  die  ,,Umordnung"  des  Dotters  derart  gelingt,  dass  zur  Zeit 
[210]  der  zweiten  Furche  die  Eiaxe  mit  ihrem  schwarzen  Polenach 
der  Seite  des  Samenkörpers  geneigt  ist. 

10.  Das  erste  ursächliche  Moment  für  die  Anlage  der 
caudalen  Seite  des  Embryo  auf  der  Seite  der  Neigung  des 
oberen  Endes  der  Eiaxe  ist  [sei  es  bei  Zwangslage  oder  bei  nor- 
maler Stellung  des  Eies]  in  der  Anhäuf  ung  bestimmten  Dotters 
auf  dieser  Seite  zu  vermuthen,  und  dadurch  vermittelt  vorzustellen, 
dass  dieser  Anhäufung  sich  die  der  caudalen  Seite  des  Embryo  zu- 
gehörigen Substanzen  des  Furchungskernes  bei  dessen  Theilung  zu- 
wenden. 


Nach  der  Vollendung  des  Satzes  vorstehender  Abhandlung  ge- 
lano;te  Herr  Collea-e  G.  Born  durch  die  Gunst  des  Zufalles  in  den  Be- 
sitz  der  embryologischen  Arbeiten  G.  Newport's,  welche  in  den  Philos. 
Transactions  der  Jahre  1850 — 54  vertheilt  sind  und  eine  Fundgrube 
bisher  nicht  bekannt  gewordener  ausgezeichneter  Untersuchungen  und 
wichtiger  Ergebnisse  darstellen.  Ich  nehme  Gelegenheit,  aus  den- 
selben sofort  diejenigen  Ergebnisse,  welche  auf  meine  früheren  Ar- 
beiten und  auf  die  vorliegende  Abhandlung  Bezug  haben,  kurz  nach- 
zutragen.   Sie  finden  sich  in  den  nachgelassenen,  von  G.   V.  Ellis  im 


Ergebnisse.  417 

Jahre  1854  lieraiiSi<;cü;eboneu  Papieren  Nfavpokt's:  Kesearches  oii  tlie 
Impregnation  of  tlie  Amphibia ;  and  on  the  Early  Stages  ol"  Develop- 
ment of  the  Embryo.  (Third  Series.)  By  thc  late  GEOR(iF:  Neavport, 
F.  R.  S.,  F.  L.  S.  Selected  and  arranged  from  the  Authors  M.  S.  8., 
GEORtiE  ViNER  Ellis,  Prof.  of  Anatomy  in  University  College,  London. 
Connnnnicated  by  Sir  John  Forbes,  M.  D.,  F.  R.  S.  Philos.  Trans- 
act.  1854. 

G.  Newport  hat  sehon  gefunden,  dass  die  erste  Furchungsebene 
der  Medianebene  des  Froschembryo  entspricht,  wie  Pfliiger  und  ich 
entgegen  Rauber  neuerdings  festgestellt  haben.  Nf.wport  führte  auch 
bereits  an  einigen  Eiern  localisirte  Befruchtung  aus,  indem  er  die 
Eier  mit  einem  in  Samenflüssigkeit  getauchten  Stecknadelkopf  be- 
rührte. Er  beobachtete  dabei,  dass  die  erste  Furche  der  Befruchtungs- 
stelle  sehr  nahe  lag,  und  dass  der  Befruchtungsseite  des  Eies  die 
,, Kopfseite"  des  Embryo  entsprach.  Wenn  nun  auch  diese  letztere  An- 
gabe nach  meinen  obigen  Mittheilungen  nicht  zutreffend  ist,  so  schliesst 
[211]  sie  doch  bereits  das  richtige  Ergebniss  ein,  dass  der  Embryo 
zur  Befruchtungsseite  eine  ,, bestimmte"  Lagerung  hat.  Newport  hat 
also  in  Bezug  auf  diese  wichtigen  Experimente  (he  Priorität '),  wenn 
schon  seine  Versuche  noch  nicht  genügend  zahlreich  und  nicht  ge- 
nügend variirt  waren,  um  die  Ergebnisse  vollkommen  sicher  zu  stellen. 
Diese  wie  auch  manche  anderen  wichtigen  Beobachtungen  Neavport's 
scheinen  bei  seinen  Zeitgenossen  kein  Verständniss  gefunden  zu  haben 


')  Da  bei  blossem  Betupfen  mit  Samen  stets  Zwangslage  des  Eies  ent- 
steht und  da  diese  Lage,  wie  Pflüoer,  Born  und  ich  gezeigt  haben,  allein  schon  zur 
Bestimmung  der  Richtung  der  ersten  Theilung  und  der  Schwanz-  resp.  Kopfseite  des 
P^mbryo  genügt,  so  musste  geprüft  werden,  ob  Newport  schon  dies  Moment  gekannt 
hat.  Denn  wenn  ihm  dasselbe  nicht  bekannt  war  und  er  also  nicht  gleich  mir  be- 
sonders Sorgfalt  darauf  verwendete,  das  Entstehen  und  die  Wirkung  der  Zwangslage 
direct  zu  vermeiden,  so  liegt  es  nahe,  dass  er  beim  Betupfen  die  noch  nicht  an  der 
Unterlage  haftenden  Eier  in  eben  derselben  Ebene  in  der  er  befruchten  wollte,  etwas 
neigte,  und  danach  ebensowohl  wie  durch  localisirte  Befruchtung  durch  Zwangslage 
zu  demselben  Resultat  gekommen  sein  kann. 

Herr  College  Born  hatte  die  Güte,  von  diesem  Gesichtspuncte  aus  die  bezüg- 
lichen Schriften  Neuports  durchzusehen;  und  es  ergab  sich,  dass  Newport  die 
Zwangslage  und  ihre  Bedeutung  für  die  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Embryo 
nicht  gekannt  hat.  Es  muss  daher  zweifelhaft  bleiben,  ob  Newport 
wirklich  durch  localisirte  Befruchtung  oder  durch  Zwangslage  die 
Richtungen  des  Embryo  bestimmt  hat. 

W.  Koiix,  Gesanunelle  Abhan(llnii<'eii.    IJ.  ^' 


418        Nr.  21.    Bestimmung  der  Medianebene  durcli  die  Copulationsrichtung. 


und  daher  ganz  der  Vergessenheit  anheim  gefallen  zu  sein;  denn  sie 
finden  sich  in  keinem  der  bekannteren  embryologischen  Werke  er- 
wähnt. So  ist  es  wohl  gekommen,  dass  sie  unfruchtbar  für  die  Wissen- 
schaft geblieben  sind  und  erst  wieder  aufgefunden  wurden,  nachdem 
die  ihnen  entsprechende  Forschungsweise  methodisch  in  Angriff  ge- 
nommen und  die  Thatsachen  selber  aufs  Neue  ermittelt  worden  waren: 
Leider  das  gewöhnliche  Schicksal  vereinzelter,  über  den  Vorstellungs- 
kreis der  Zeitgenossen  hinausgehender  Leistungen. 

Breslau,  Februar  1887. 


Erklärung  der  Figfiiren  auf  Tafel  Y. 

Pig.  1 — 4.  Schematische  Darstellung  der  Lage  der  ersten  Furche  des  Froscheies  zur 

Pigmentstrasse  des  Samenk.'irpers. 

Pig.  =  Pigmentstrasse  des  .Samenkörpers. 

F.  =  erste  Furche. 
Fig.  5.       Meridianschnitt  längs  der  Axe  eines  Eies  von  Rana  fusca. 

ob.  w.  =  oberer  weisser  Dotter  (feinkörnig). 

br.  S.  =  brauner  Seiteudotter. 

c.  br.  —  centraler  brauner  Dotter. 

u.    w.  =  unterer  weisser  Dotter  (grobkörnig). 

E.  K.  =  P]ikern. 

K.  Seh.  =  Kernschicht  des  Dotters. 

m.  br.  R.  =  mittlere,  s.  obere  braune  Rinde  (dünn). 

s.  br.  R.  =  seitliehe,  s.  untere  braune  Rinde. 

w.  R.  =  weisse  Rinde. 
Fig.  (5 — 11.     Schnitte  durch  Eier  von  Rana  fusca  parallel  der  ersten  Furchungsebene. 

Fig.  6  u.  7  bei  fast  mittlerer, 

Fig.  8  bei  halb  seitlicher, 

Fig.  9—11  bei  dem  Aequator   nächster  Lage  der  Eintrittsstelle  des  Sanien- 
körpers. 

Fig.  10    bei    geringer,    Fig.    11    bei   stärkerer  ursprünglicher   Schiefstellung 
(Zwangslage)  des  Eies. 

Pen.  4"  Cop.  =  Pigmentstrasse  des  Samenkörpers. 

Pen.  =  Penetrationsbahn  i      ,       „  i 

^,  /^       1   ,•       ,    ,        >     des  Samenkorpers. 

Oop.  =  Copuiationsbahn    ) 

Fig.  12  und  13.  Schematische  Darstellung  der  Winkelgrössc  der  Ablenkung  der 
ersten  Furche  von  dem  Eintrittsmeridian  des  Samenkörpers  bei  gleicher 
exaxialer  Stellung  des  Eikenies  aber  ungleicher  Länge  der  Copulationsbahn 
des  Samenkörpers. 

Fig.  14-19,  siehe  Text  S.  892-94. 


Nr.  22. 

Beiträge  zur  Entwiekelungsmeehanik  des  Embryo. 

Nr.  V.   Ueber  die  künstliche  Hervorbringung  „halber"  Em- 
bryonen durch  Zerstörung  einer  der  beiden  ersten  Furchungs- 
zellen,  sowie  überdieNachentwickelung(Postgen  erati  on) 
der  fehlenden  Körperhälfte. 

1888. 

Mit  Tafel  VI  und  VII. 

ViRCHOw's  Archiv  Bd.  114.     Oktober  1888. 


Inhal  t. 

Seite 

Einleitung:  Ueber  die  Selbstdifferenzirung  des  Eies 421 

Von  der  Lage  der  , Befruchtungsseite "  am  Eie  abhängige  Gestaltungen  des 

Embryo ■ 425 

Versuche   über   die    Wirkung  der   Zerstörung    einer   Eihälfte   auf    die 

Entwickelung  des  Eies 428 

Versuchsmethode 428 

Conservirungsmethode 430 

Ergebnisse  der  Versuche 432 

I.  Vorgänge  an  der  „nicht''  operirteii  Eiliälfte 433 

A.  Entstehung  „seitlicher "  Halbbildungen,  Hemipoeesis  late- 
ralis      433 

1.  Semimorula  verticalis 434 

2.  Semiblastula  verticalis 435 

3.  Semigastrula  lateralis 435 

4.  Heniiembryo  lateralis 437 

Anachronismen  der  Entwickelung 438 

27* 


420  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

Seite 

Seminiedulla  lateralis 439 

Semichorda  dorsalis  lateralis 441 

Anentoblastia,  Anenteria 442 

Asyntaxia  medullaris  s.  Diastasis  medullaris    ....  443 

B.  Entstehung    „vorderer"   Halbbildungen,    Hemipoeesis   an- 
terior       444 

Seraigastrula  anterior 445 

Heniiembryo  anterior 445 

Hemitherium  anterins 446 

C.  Ein  vi  ertel-  un  d  Dreivi  ert  ei  bildungen 446 

D.  „Obere"  Theilbildungen      .     .' 448 

Seniiblastulae  superiores 448 

Folgerungen: 448 

a)  Selbstdifferenziriing  der  Furchungszellen 448 

b)  Bedeutung  der  normalen  Furchung 450 

c)  Ursache  der  bilateralen  Symmetrie 451 

d)  Unabhängigkeit  der  Zelltheilung  von  den  Nachbarzellen    .     .     .  452 

e)  Active  Umordnung  und  Gestaltung  der  Zellen 453 

f)  Bedeutung  der  Abweichungen  der  Halbbildungen  von  der  Norm  453 

g)  Mechanismus  der  Gastrulation 454 

Satz  der  „Mosaikarbeit" 455 

h)  Anlagestelle  der  Chorda,  des  MeduUarwulstes  und  des  Mesoblast  456 
i)  Selbstloslüsung    der  Chorda.  Medulla,  des  Ento-    und  Ectoblast 

von  einander 457 

k)  Selbstgestaltung  des  ^ledullarrohres 458 

H.  Vorgänge  in  der  ..operirten"  Eihiilfte 459 

A.  Zersetzungs-  und  andere  abnorme  Vorgänge 461 

1.  Zersetzung  des  Dotters 461 

Vacuolisation 462 

2.  Abnorme  Veränderung  der  Kerne 462 

Normale  Beschaffenheit  der  Kerne 462 

Abnorme  Kerngebilde 464 

3.  Demarcation  und  Verbindung  beider  Eihälften 467 

B.  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte 468 

1.  Erste  Art  der  Reorganisation 469 

a)  Nucleisation  der  operirten  Eihälfte 469 

1.  durch  Kernbildung  in  loco 470 

2.  durch  Nucleitransmigration 471 

Pigmentanordnung  bei  der  Kerntheilung 478 

b)  Nachträgliche  Cellulation  der  operirten  Eihälfte   ....  475 

Sonnenbildung 475 

multiple  simultane  Cellulation 475 

2.  Zweite  Art  der  Reorganisation 479 

3.  Dritte  Art  der  Reorganisation 481 


Ueber  dio  tSelbsttliffcreiiziruiig  des  Eies.  421 

Seite 

C.  Postgeiieiation  der  „nicht  gebildet  gewesenen"  Tlieiie  des  Knibryo  484 

a)  des  Ectoblast • 485 

1.  der  seitlichen  Halbbildungen 485 

Bedeutung  der  Thatsachen 492 

Wachsthum  des  postgenerirten  Ectoblast  durch  Unidiffe- 

renzirung  der  Dotterzellen 495 

G  esc li wulstkeime? 495 

Störung  der  Richtung  der  Postgencration 495 — 500 

Postgeueration  von  der  Medullarplatte  aus 499 

„Unterbrechungsfläche" 498 

2.  Postgeneration   des  Ectoblast    der   vorderen  Halbbildungen  500 
bj  des  Mesoblast 501 

Störung  seiner  Dift'orenziruiigsrichtung 503 

c)  des  Entoblast 504 

d)  Folgerungen  aus  den  Thatsachen 507 

Entwickelung  durch  abhängige  Differenzirung     ....  508 

Unterschied  der  Vorgänge  der  Postgeneration  und  der  normalen 

s.  directen  Entwickelung 510 

Unterschied  von  den  Vorgängen  der  Regeneration  .     .     .     .  511 

Theoretische  Erwägungen 513 

Neue    Möglichkeit    der    Entstehung    von    Doppelbil- 
dungen      516 

Zusammenfassung  der  Hauptergebnisse 518 


Einleitung. 
Ueber  die  Selbstdiffereiiziruiig  des  Eies, 

[113]  Die  nachstehend  mitzutheilenden  Untersuchungen  schKessen 
sich  innig  an  vier  meiner  ))isherigen  entwickehmgsmechanischen  Ar- 
l3eiten  an  und  setzen  datier  zum  vollen  Verständniss  die  Kenntniss 
wenigstens  der  Resultate  dieser  voraus.  Da  ich  imn  die  Erfahrung  ge. 
macht  habe,  dass^  meine  bisherigen  Arbeiten  schon  vielen  speciellen 
Fachgenossen  so  gut  wie  unbekannt  geblieben  sind,  so  erscheint  es  an- 
gemessen, dieser,  zum  Theil  für  einen  weiteren  Leserkreis  bestimmten 
Abhandlung,  die  bezüglichen  Resultate  kurz  vorauszuschicken. 

Die  folgende  Untersuchung  stellt  einen  Beitrag  zur  Lös- 
ung der  Frage  der  ,,Selbstdiff erenzirung"  dar  [s.  S.  15],  d.  h. 
zur  Ermittelung  darüber,  ob,   eventuell  wie   weit  das  befruchtete  Ei, 


422  Nr.  22.    Die  Heivorbiingung  halber  Embryonen. 


im  Ganzen  und  in  einzelnen  Tlieilen  desselben ,  sich  für  sich  selbst- 
ständig zu  entwickeln  vermöge;  oder  ob  im  Gegentheil  die  normale 
Entwickelung  nur  unter  „gestaltenden"  Einwirkungen  der 
Aussenwelt  auf  das  befruchtete  Ei,  bezw.  unter  „diff erenziren- 
den  AVechsel Wirkungen"  der  auf  dem  Wege  der  Zelltheilung  (Fur- 
chung) von  einander  geschiedenen  Eitheile  auf  einander  sich  zu  voll- 
ziehen „vermag." 

[IIJ:]  Für  das  Ei  im  Ganzen  löste  ich  die  Frage,  indem  ich 
Eier  so  langsam  in  einer  senkrechten  Ebene  rotiren  liess,  dass 
die  Centrifugalkraft  nicht  einstellend  auf  sie  wirkte,  und  die  Eier 
nur  fortwährend  ihre  Richtung  zur  Schwerkraft,  zum  magnetischen 
Meridian,  sowie  zur  Licht-  und  Wärmecj[uclle  änderten;  es  ergab  sich, 
dass  dadurch  die  normale  Entwickelung  weder  aufgehoben,  noch 
alterirt,  oder  auch  nur  verzögert  wurde.  Wir  schliessen  daraus,  dass 
die  ,, typischen"  Formenbildungen  des  sich  entwickelnden  Eies 
und  Embryos  zu  ihrer  Entstehung  entsprechend  gestaltender  Ein- 
wirkung dieser  äusseren  Ageutien  nicht  „bedürfen,"  dass  also  die 
„formale"  Entwickelung  des  befruchteten  Eies  in  diesem  Sinne 
als  „Selbstdifferenzirung"  betrachtet  werden  darf  (s.  S.  276). 

Indess  bleiben  doch  noch  einige  Möglichkeiten  von  ,,äusse- 
ren"  gestaltenden  Einwirkungen,  wenn  auch  nur  sehr  all- 
gemeinen Charakters,  die  durch  diesen  Versuch  nicht  ge- 
prüft sind;  zum  Beispiel  die  von  His')  gemachte  Hypothese,  dass 
manche  Zellen  eine  Neigung  haben,  gegen  diejenige  Richtung  hin- 
zuwandern, von  welcher  her  der  Sauerstoff  eindringt,  so 
dass  sie  deshalb  die  Oberfläche  des  Keimes  vergrössern.  Ebenso 
ist  es  denkbar,  dass  die  oberflächhch  liegenden  Furchungskugeln 
der  Blastula  und  Gastrula  nur  deshalb  allmählich  an  ihrer  nach 
aussen  gewendeten  Fläche  sich  mehr  und  mehr  abplatten,  weil  von 
aussen  her  Ein w i  r k u n g e n  erfolgen,  die  ihre  Um ä n d e r u n g  z u 
f  ungirenden  Epithelien  veranlassen  und  damit  ein  mechanisches 
Bestreben  zu  möglichst  d  i  c  h  t  e  m  Z  u  s  a  m  m  e  n  s  c  h  1  i  e  s  s  e  n  unter  einander 
und  zu  möglichster  Verkleinerung  der  nach  aussen  hingewendeten  Fläche 

1)  W.  His,  Untersuchungen  über  die  Bildung  des  Knochenfischembryo  (Salmen), 
Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  anat.  Abth.  1878.  S.  220. 


lieber  die  Selbstdifferenziruiu;  des  Eies.  423 


licrvorrulVn,  im  (Gegensatz  zu  iliiH'iii  Irülici-cii  IJcstroben 
niüglichster  Iviindiing  jeder  einzelnen  Zelle.  Diese  J)enk- 
Mogliclikeiten  werden  noeh  auf  ihre  Realität  zu  prüfen  sein.  Und 
ebenso  ist  nicht  zu  übersehen ,  dass  die  Einwirkung  äusserer  Agen- 
tien  die  unerlässliche  „Vorbedingung"  der  Entwiekelung  sein 
kann,  wenn  schon  ihnen  keine  direct  „gestaltende"  Wirkung  zu- 
kommt. 80  geht  z.  B.  ohne  eine  gewisse  Zufuhr  von  Wärme  und 
später  auch  von  Sauerstoff  eine  Entwiekelung  überhau[)t  nicht  vor 
sich.  Aber  daraus  darf  nicht  gefolgert  werden,  dass  diese  Agentien 
etwa  bestimmten,  welcher  Theil  des  Eies  [115J  die  Urmunds- 
anlage  [s.  S.  322J,  oder  die  Medullarspalte ,  die  Augen  hervor- 
bringe, oder  dass  sie  die  Ursache  für  die  speci fische  Gestaltung 
der  Theile  seien,  wenn  schon  bei  abnormer  Vergrösserung  der  Wärme- 
zufuhr nach  Panum,  Dareste  und  L.  Gerlach  abnorme  Bildungen  re- 
sultiren. 

80  ist  also  die  ,, formale"  Entwiekelung  des  befruchteten 
Eies,  von  einigen  ,, allgemeineren  Gestaltungen"  abgesehen, 
als  ohne  äussere  „gestaltende"  Kräfte  sich  vollziehend  er- 
kannt, und  wir  haben  daher  die  typisch  gestaltenden  Kräfte 
in  dem  Ei  selber  zu  suchen;  was  der  weiteren  Untersuchung  eine 
sehr  angenehme  Abgrenzung  giebt. 

Nach  (heser  Einsicht  schien  es  mir  nüthig,  zunächst  zu  ermit- 
teln, ob  zur  Bildung  der  normalen  Gestaltungen  in  dem  Ei 
alle  oder  viele  Theile  desselben  zusammenwirken  „müssen"; 
oder  ob  im  (5}egentheil  die  durch  die  Furchung  von  einander 
gesonderten  Theile  des  Eies  unabhängig  von  einander 
sich  zu  entwickeln  ,, vermögen";  eventuell  welchen  Antheil  jedes 
dieser  beiden  Principien,  das  der  dif  f  erenzirenden  Wechsel - 
wirkune;  der  Theile  auf  einander  und  das  der  Selbstdifferen- 
zirung  der  Theile,  an  der  normalen  Entwiekelung  nimmt. 

Im  Sinne  einer  gewissen  Selbstständigkeit  der  Entwiekelung  der 
einzelnen  Furchungskugeln  konnte  schon,  wenn  auch  nicht  mit  Sicher- 
heit, die  Thatsache  verwendet  werden,  dass,  wie  von  mir  (Xr.  IG) 
mid  kurz  darauf  von  Pflüger  für  das  Froschei  gefunden  worden  war, 
die  erste  Theilungsebene  des  Eies  bereits  die  Medianebene  des  künf- 


424  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

tigcii  Embryo  darstellt,  so  dass  sie  das  Material  der  rechten  und 
linken  Körperliälfte  scheidet;  eine  Thatsache,  die  unabhängig  davon 
von  VAN  Beneden  und  Julin^)  für  die  Ascidien  festgestellt  wurde;  und 
danach  machte  M.  v.  Kowalewski -)  Beobachtungen,  welche  auf  ein 
gleiches  Verhalten  bei  einem  Knochenfisclie  (Carassius  auratus)  hin- 
deuten. Zugleich  fand  ich,  was  weiter  unten  zu  verwerthen  sein  ^\ird, 
dass  die  zur  Medianel)ene  des  künftigen  Thieres  rechtwinkelig  stehende, 
[116]  normaler  Weise  erst  als  zweite  auftretende  Furche  leicht  schon 
als  erste  gebildet  werden  kann;  und  später  gelang  es  mii-,  diesen 
Anachronismus  künstlich  hervorzurufen  (s.  S.  329  u.  400). 

Ferner  war  bereits  den  älteren  Autoren  bekannt,  dass  die  obere, 
schwarze  ,, Hemisphäre"  des  Froscheies  stets  einer  bestimmten  Seite 
des  Embryo  entspricht,  nach  Angabe  der  Autoren  der  dorsalen  Seite ; 
nach  Pflüger's  und  meinen  Untersuchungen  konnte  jedoch  diese  Auf- 
fassung nicht  mehr  für  richtig  gelten ;  und  neuerdings  hal^e  ich  durch 
bestimmt  localisirte  Defecte  am  gefurchten  Ei  erwiesen ,  dass  der 
mittlere  Theil  der  schwarzen  Hemisphäre  des  Froscheies, 
im  Gegensätze  zu  der  früheren  Auffassung,  das  Material  für  die 
Oberfläche  des  Bauches  des  Embryo  liefert  [s.  unten  und 
Nr.  23  und  Nr.  2(3,  S.  32]. 

Ausserdem  fand  ich,  dass  auf  dem  Stadium  der  ersten  Theilung 
des  Froscheies  auch  schon  die  Kopf-  und  Schwanzseite  des  Embryo 
bestimmt  und  bei  Rana  esculenta,  dem  grünen  oder  Wasserfrosch, 
an  einer  Schiefstellung  der  Eiaxe  auch  bereits  erkennbar  sind;  ein 
Verhalten,  welches  für  die  Ascidien  wiederum  selbstständig  von  van  Be- 
neden und  JuLiN  und  später  von  M.  v.  Ko^vALEwsKI  (a.  a.  O.)  für  Ca- 
rassius festgestellt  wurde  (ohne  dass  jedoch  letzterer  Autor  Veranlassung 
genommen  hätte,  seine  Vorgänger  in  der  Ermittelung  dieses  funda- 
mentalen Verhaltens  an  relativ  nahestehenden  Thierklassen  zu  nennen). 
Es  ist  zu  erwähnen,  dass  bezügliche  Beobachtungen  sich  bereits  in 
dem  1854  veröffentlicliten  Nachlass  von  G.  Newport  verzeichnet  finden, 


1)  El».  VAN  Beneden  et  Cn.  Julin,  La  segmentation  chez  les  Ascidiens  et  ses 
rapports  avec  l'organisation  de  la  larve.     Arcli.  de  Biologie.     T.  V.  1884. 

-)  Mtei:z.  V.  KowALEWsKi,  üeber  die  ersten  Entwickeliingsprocesse  der  Knochen- 
fische,    Zeitschr.  für  wissensch.  Zool,  1886.     Bd,  43,  S.  434, 


Ueber  die  Solbsklifferenziruiis  des  Eies.  425 


wok'lie  iiulc'ss  keine  Beaclitung  gefunden  liatten  und  erst  naeliträglicli 
wieder  aufgefunden  worden  sind  (s.  S.  417).  Weiterhin  zeigte  ich 
(Nr.  21),  dass  normaler  Weise  die  Entscheidung  üher  die  Richtung 
der  Medianebene  und  über  die  Lage  der  Kopf-  und  Schwanzseite  des 
Embr3'o  im  Ei  durch  die  C'o[)ulation  des  iSamenkernes  und  des  Eikernes 
getroffen  wird,  indem  die  Medianebene  in  der  Copulationsrichtung 
verläuft  und  indem  diejenige  Hälfte  des  Eies,  welche  der 
„männliche"  Kern  bei  der  Copulation  durchläuft,  zur 
,,caudalen"  Hälfte  des  Embryo  wird,  während  aus  der  ent- 
gegengesetzten Eihälfte  die  cephale  Hälfte  des  Embryo  hervorgeht.  Der 
directe  Causalnexns  war  da-  [117]  durch  zu  erkennen  möglich,  dass 
es  mir  gelang,  jedes  Ei  von  einem  beliebig  gewählten  Meridian  aus 
zu  befruchten;  während  bei  anderen  Thieren,  wo  zwar  auch  die  Befruch- 
tungsseite des  Eies  mit  einer  bestimmten  Seite  des  Embryo  zusammen- 
fällt, wo  aber  das  Samenthier  an  einer  typischen  Stelle  in  das  Ei  ein- 
dringt, ein  solcher  Schluss  nicht  mit  Sicherheit  gezogen,  sondern 
höchstens  in  Form  einer  Vermuthung  geäussert  werden  kann  ^).  So  auch 


1)  Nach  meinen  bisherigen  Untersuchungen  sind  beim  Froschci  „normaler" 
Weise  folgende  Gestaltungen  in  ihrer  „Lage"  durch  die  beliebig  wähl- 
bare „Lage"  der  Befrnchtungsstelle  bedingt: 

1.  Der  Sanienkörper  nimmt  eine  typische  geknickte  Bahn  innerhalb  der  durch 
die  Sameneintrittsstelle  hindurchgehenden  verticalen  Meridianebene:  innerhalb  der 
„Befruchtungsebene". 

2.  Die  Copulation  der  beiden  geschlechtlichen  Kerne  erfolgt  innerhalb  der  Be- 
fruchtungsebene. 

3.  Auf  derjenigen  Seite  des  Eies,  welche  der  „Befruchtungsseite"  gegen- 
überliegt, hellt  sich  bei  Raua  fusca  die  dunkle  Hemisphäre  in  Form  eines,  der  weissen 
Hemisphäre  anliegenden  halbmondförmigen  grauen  Saumes  auf.  Dieser  Saum  ist 
symmetrisch  zu  dem  „Befruchtungsmeridian"  orientirt.  Beim  grünen  Frosch  ver- 
schiebt sich  gleichfalls,  wenn  vielleicht  auch  auf  etwas  andere  Weise  [durch  innere 
Dotterumlagerung,  welche  eine  Drehung  des  Eies  bewirkt"?],  das  Pigment  derart,  dass 
auf  der  gleichen  Seite  die  helle  Eirinde  weiter  heraufreicht. 

4.  Die  erste  Surchung  erfolgt  in  der  Ebene  des  Befruchtungsmeridianes. 

[4a.  Die  erste  Furchung  beginnt  oben  am  Ei  und  zwar  zumeist  deutlich  an 
der  der  Befruchtungsseite  gegenüberliegenden  Seite  des  Eies,  um  von  da  oben  gegen 
die  Befruchtungsseite  fortzuschreiten.] 

5.  Die  erste  Anlage  des  Urmundes  erfolgt  im  Befruchtungsmeridian,  und  zwar 

6.  auf  der  der  Befruchtungsseite  gegenüberliegenden  Hälfte  des 
Eies,  also  auf  derjenigen  Seite  (siehe  3),  wo  die  helle  resp.  aufgehellte  Eirinde  höher 
heraufreicht  und  zwar  bei  Rana  fusca,  ungefähr  an  der  Grenze  des  nachträglich 
aufgehellten  Saunies, 


426  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


I 


l)eini  Hühnerei,  wo  ein  solches  Be-  [118]  stinnntsein  der  Lage  des  Embryo 
zu  den  Axen  des  ganzen  Eies  schon  lange  bekannt  war,  wenn  aiicli 
die  sichere  Beziehung  der  Medianebene  zur  ersten  Furche  und  die 
genauere  Beziehung  dieser  zur  Copulationsrichtung  noch  fehlt.  A.  von 
KöLLiKER  hatte  schon  vermuthet^),  dass  der  schneller  sich  furchende 
Theil  der  Keimscheibe  des  Hühnereies  zum  späteren  hinteren  Theil 
des  Blastoderma  sich  gestaltet,  in  welchem  die  ersten  Spuren  des 
Embryo  entstehen;  und  His^)  hat  des  Weiteren  gezeigt,  dass  in  der 
Keim  Scheibe  des  gelegten  Hühnereies  jeder  Bezirk  des  äusseren 
Keimblattes  einem  bestimmten  Theile  des  künftigen  Thieres  entspricht. 
Für  die  Hervorbildung  dieser  Theile  aber  nimmt  His,  im  Gegensatz 
zur  eventuellen  ,,Selbstdifferenzirung  der  einzelnen  Bezirke"  mecha- 
nisch e  W  e  c  h  s  e  1  w  i  r  k  u  n  g e  n  des  Entstehungsbezirkes  mit  der  näheren 
oder  ferneren  Nachbarschaft  derselben  an.  Für  zwei  dieser  Gebilde, 
für  das  Medullarrohr  [s.  Nr.  22,  S.  144]  und  das  Darmrohr  konnte 
ich  indess,  durch  Abtrennung  ihrer  Anlagen  von  deren  seithcher  Um- 
gebung, nachweisen  (s.  S.  244  u.  f.),  dass  solche  Wechselwirkungen  mit 
der  Nachbarschaft  n  i  c h  t  nöthig  sind ;  denn  der  Schluss  derselben  voll- 
zog sich  trotz  Isolirung  ihrer  Anlagen  und  zwar  sogar  abnorm  rasch. 
Danach  haben  wir  die  gestaltenden  Ursachen  für  die  Bildung 
dieser  Rohre  in  den  das  Rohr  zusammensetzenden  Theilen  zu 
suchen;  und  die  Nachbarschaft  setzt  der  Bildung  derselben  eher  einen, 
erst  allmählich  zu  überwindenden  Widerstand  entgegen.  Aus  diesen  Er- 
gebnissen ist  natürlich  nicht  zu  folgern,  dass  alle  Organe  ihre  Form 

7.  Die  seitlichen  ürmundslippen  entwickeln  sich  symmetrisch  zum  Befruch- 
tungsmeridian. 

8.  Die  beiden  Medullarwülste  und  der  ganze  spätere  Embryo  werden  .sym- 
nietri.sch  zum  „ Befruchtungsmeridian "  angelegt,  also  die  Ebene  des  Befruchtungs- 
meridianes  wird  zur  „  Medianebene "  des  Thieres. 

9.  Die  „ Befruchtungsseite "  des  Eies  wird  zur  caudalen  Seite  des  Thieres. 
Um  Einblick  in  die    dieser  vielfachen  Coincidenz  su  Grunde  liegenden  Causal- 

zusammenhänge  zu  gewinnen,  habe  ich  mich,  und  zwar  mehrfach  mit  Erfolg,  bemüht, 
durch  abnorme  Bedingungen  künstliche  Trennungen  dieser  Coincidenzen 
hervorzubringen  (s.  8.  325,  408)  und  ich  werde  nicht  unterlassen,  anderweit  darüber 
zu  berichten  (s.  Nr.  32.  S.  267). 

1)  A.  KöLLiKER,  Entwickelungsgeschichte  des  Menschen  und  der  höheren  Thiere. 
Leipzig  1879. 

'')  His,  Unsere  ivörperform  und  das  physiologische  Problem  ihrer  Entstehung.  1874. 


üeber  die  Solbstdifforenzirung  des  Eies.  427 


durch  ,«Selbst(lifferenziniii,u-  des  C'omploxes  der  sie  zusuiuinen- 
setzeiiden  Tlieile"  erlangen;  vielmehr  ist  solches  erst  von  Fall  zu 
Fall  zu  ermitteln,  und  für  viele  Formen,  z.  B.  für  die  der  Gestalt  der 
Leber,  Lungen  (His,  Braune),  Knochen  (A.  Fick),  für  die  Bahnen  mancher 
Gefässe  (G.  Schwalbe)  u,  a.  ist  es  ausser  allem  Zweifel,  dass  sie  durch 
meclianisehe  Wechsehvirkungen  mit  Nachbartheilen  hervorgebracht 
werden;  wie  ich  denn  auch  durch  Erzeugung  einer  künstlichen, 
[119]  die  dcformirende  Einwirkung  überdauernden  Rautengrube 
am  Medullarrohr  gezeigt  habe  (s.  S.  249),  dass  der  Embryo  eine  sehr 
hochgradige  ,, vitale"  Anpassungsfähigkeit  an  passive 
Deformationen  besitzt,  so  dass  auch  für  die  normale  Rauten- 
grube entsprechend  der  Annahme  von  His  die  principielle  Möglich- 
keit  solcher  Entstehung  erwiesen  ist. 

xA.usser  diesen  Thatsachen  sprechen  auch  zahlreiche  lliatsachen 
der  Pathologie :  Dermoidcystome  etc.,  die  ich  loco  ultimo  cit.  zusammen- 
gestellt habe  (s.  S.  203),  für  die  ,,Selbstdiff  erenzirung  von  Ei- 
theilen". 

Doch  nur  das  directe  Experiment  am  Ei  kann  uns  über 
den  wirklichen  Antheil  der  Selb stdiff erenzirung  der  Theile 
des  Eies  an  der  normalen  Eutwickelung  eine  vollkommen  sichere 
Aufklärung  verschaffen ;  und  ich  habe  schon  vor  Jahren  ^)  mich  in 
diesem  Sinne  bemüht  und  im  Allgemeinen  dargethan,  dass  Operationen 
am  sich  furchenden  und  gefurchten  P^i,  welche  einen  Substanzaustritt 
setzen,  nicht  Aufhebung  der  Entwickelung  oder  allgemeine  Ver- 
bildungen  des  Embryo  bewirken,  sondern  dass  normal  gestaltete 
Embryonen  mit  nur  einem  cir cumscripten  Defect  oder 
einer  circumscripten  Verbildung  die  Folge  davon  sind. 

Um  speciellere  Kenntniss  zu  gewinnen,  benutzte  ich  im  Früh- 
jahr 1887   den  •siach  xlbschluss  zeitraubenderer  Versuche   (s.  Nr.  23) 


1)  „Vorläufige  Mittheilung  über  causal-oiitogenetische  Experimente",  Vortrag 
gehalten  am  15.  Febr.  1884  in  der  Schlesisehen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur. 
Durch  Versäumniss  der  Einsendung  eines  Referates  meinerseits  ist  es  bedingt  gewesen, 
dass  in  dem  betreffenden  Jahresbericht  der  Schles.  Ges.  etc.  überhaupt  ein  Vermerk 
über  jenen  Vortrag  sich  nicht  vorfindet.  Derselbe  ist  erst  in  Beitrag  1  z.ur  Ent- 
wjckelungsmechanik,   Zeitschr,  für  Biol.  1885,  veröffentlicht  worden  (s.  S,  153—186), 


428  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

verbliebenen  Rest  der  Laiehperiode  zu  geeigneten  Experimenten,  über 
welche  ich  im  Folgenden  l:)erichten  will  ^). 

Wenn  nun  auch,  wie  sich  zeigen  wird,  das  Ergebniss  derselben 
ein  reiches  war,  musste  doch  manche  wichtige  Frage,  welche  bei  einer 
weiteren  Fortsetzung  und  nur  geringen  Abänderungen  der  ^^ersuche 
leicht  mit  liätte  entschieden  werden  können,  vorerst  noch  unerledigt 
bleiben,  so  dass  auch  die  vorliegende  Abhandlung  wieder  nur 
eine  ,, Abschlagszahlung"  an  das  behandelte  Thema  der 
, S el b s td i f f e n z i r u ng "  darstellt. 

Versuche    über  die   AVirkuiig   der  Zerstörung   einer  Eihälfte   auf   die 
Eutwiekelung   des  Eies. 

\^  e  r  s  u  c  h  s  m  e  t  h  o  d  e. 

[120]  Die  A n o r d  n u n g  d  er  \^ e r  s u c h e  war  folgende : 

Bei  den  ersten  Versuchen  wurden  die  Eier  vom  grünen  Frosch, 


[1)  Die  Hauptergebnisse  derselben  wurden  zuerst  in  der  Section  für  pathologische 
Anatomie  der  Naturforscberversammlung  zu  Wiesbaden  am  22.  Sept.  1887  unter 
Demonstration  noch  nicht  microtomirter  Hemiembryonen  vorgetragen; 
in  Folge  Aufforderung  Avurde  der  Vortrag  mit  der  Demonstration  in  der  vereinigten 
Section  für  Anatomie  und  Zoologie  wiederholt.  Die  Präparate  wurden  nebst  den 
Loupen  herum  gegeben  und  von  den  zahlreichen  Anwesenden  besichtigt  (s.  Tagblatt 
der  Naturforschervers.  S.  77,  78,  254,  272).  Vergleiche  Nr.  31,  S.  248  und  260.]  Der 
anatomische    Anzeiger   1887,    Nr.  25,  brachte  über  diesen  Vortrag  folgenden  Bericht: 

1 .  „Herr  W.  Roux  ( Breslau )  spricht  über  S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u u  g  der 
Furchungskugeln.  Er  verfolgte  nach  der  Zerstörung  einer  der  ersten  beiden 
Furchungskugeln  des  Froscheies  das  Schicksal  der  überlebenden  anderen  Zelle.  Dieselbe 
furchte  sich,  bildete  eine  Semimorula,  dann  eine  Semiblastula,  eine  Semi- 
gastrula  lateralis  und  schliesslich  einen  Hemiembryo  lateralis.  Im  Aveiteren 
Verlaute  der  Entwickelung  trat  häufig  Regeneration  der  ganzen  bisher 
fehlenden  Körperhälfte  ein,  so  dass  schliesslich  ein  normaler  Embryo  hervor- 
ging. Diese  Regeneration  vollzieht  sich  meist  imter  Auswanderung  von  Kernen 
aus  der  lebenden  in  die  nicht  entwickelte  Hälfte  und  unter  dadurch  ver- 
mittelter secundärer  Organisation  dieser  letzteren.  In  einigen  Fällen  blieb  die 
Regeneration  aus.  Der  Autor  legte  eine  Anzahl  entsprechender  Präparate  vor  und 
fügte  noch  einige  blos  aus  einer  vorderen  Hälfte  bestehende  Embryonen 
hinzu,  die  er  durch  Anstechen  der  ZAvei  hinteren  Furchungskugeln  nach  der  zAveiten 
Furchung  hervorgebracht  hatte.  Auch  ZAvei  „Hemiembryones  posteriores"  |s.  dagegen 
S.  447]  waren  nach  entsprechend  variirter  Operation  entstanden.  Die  aus  der  operirten  Zelle 
ausgetretene  Eisubstanz,  das  Extraovat,  macht  gleichfalls  einige  Stufen  von 
Entwickelung  durch  (wie  der  Autor  schon  früher,  Zeitschr.  f.  Biologie  1885,  mit- 
getheilt  hat).  Eine  ausführliche  Publication  Avird  nach  Beendigung  der  microscopischen 
Untersuchung  erfolgen.'' 


Versuclismethode.  429 


Rana  esculenta,  in  (ihisschalon  einzeln  aufgesetzt,  dann  während 
der  Bildung  der  ersten  Furche  in  Bezug-  auf  die  Schiefstellung  der 
Sehwarzen  Hemisphäre  und  auf  die  Richtung  der  Furche  abgezeichnet 
und  danach  eine  der  beiden  ersten  Furchungskugeln  mit  einer  feinen 
Nadel  ein-  oder  mehrmals  angestochen.  Darauf  wurde  die  jetzige 
Stellung  des  Eies  mit  -der  Zeichnung  verglichen,  bei  Abweichung  eine 
neue  entworfen,  und  es  wurden  die  Orte  der  Anstichstellen,  sowie  die 
Lage  der  durch  dieselben  ausgetretenen  Eisubstanzen  (Extraovate) 
[s.  S.   155  und   1(32]  in  die  Zeichnung  eingetragen. 

Leider  entwickelten  sich  die  meisten  Eier  in  diesen  ersten 
Versuchen  entweder  gar  nicht  oder  normal,  trotzdem  die  an- 
gestochene Eizelle  sich  oft  stark  entleerte  und  durch  Nachfluss  von 
der  Nachbarzelle  wieder  angefüllt  wurde,  so  dass  also  jedenfalls 
ausser  dem  Substanzverlust  noch  eine  sehr  starke  Um- 
ordnung  der  Eisubstanzen  vorhanden  sein  musste.  Ich 
konnte  daher  nur  an  wenigen  Eiern  die  äusserlich  sichtbaren  A'' or- 
gäuge nach  der  Zerstörung  blos  einer  Furchungskugel    beobachten. 

Da  an  manchen  der  Eier,  wie  auch  an  den  zu  jedem  Versuche 
angesetzten  nicht  operirten  Probeeiern  bereits  vereinzelt  Missbil- 
dungen auftraten,  wie  sie  gegen  Ende  der  Laichperiode  sich 
einzustellen  pflegen  und  von  mir  bereits  früher  kurz  beschrieben  wor- 
den sind  [s.  S.  159] ;  da  also  mit  jedem  Tag  die  normale  Ent- 
wickelungsfähigkeit  der  Eier  ganz  aufhören  konnte,  so  operirte  ich 
jetzt  grosse  Massen  nicht  isolirter,  sondern  in  der  Schale  beisammen 
liegender  Eier  nacli  Bildung  der  ersten  Furche,  um  dann  nach  einigen 
Stunden  oder  am  anderen  Tage  diejenigen  auszulesen  und  ge_ 
sondert  aufzustellen,  bei  welchen  sich  die  operirte  Furchungskugel 
nicht  gefurcht  hatte.  Manchmal  trat  auch  während  der  Operation 
der  ersten  Eier  s^chon  die  zweite  Furche  auf,  und  ich  stach  dann 
zwei  der  neben  einander  liegenden,  oder  blos  eine  der  vier 
Furchungskugeln  an. 

Da  selbst  bei  mehrfachem  Anstechen  einei*  Zelle  mit  der  einfachen 
feinen  Nadel  trotz  grosser  Extraovate  sich  die  Zelle  oft  noch  normal 
entwickelte,  so  machte  ich  vom  dritten  Tage  ab  die  Nadel  heiss, 
indem  ich  eine  Messingkugel  als  Wärmeträger  an  ihr  anbringen  liess 


I 


430  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


und  diese  Kugel  entsprechend  erhitzte.  [121]  Dabei  wurde  blos 
,,ein"  Einstich  gemacht,  aber  die  Nadel  gewöhnlich  so  lange  im 
Ei  gelassen,  bis  eine  deutliche  hellbraune  ^^erfärbung  der  Eisubstanz 
in  ihrem  Umkreise  entstand.  Diese  Substanz  haftete  dann  beim 
Herausziehen  der  Nadel  etwas  an  derselben  und  bildete  auch  hinterher 
noch  einen  breiten,  schwach  vorspringenden  Kegel ;  ein  Zeichen,  dass 
sie  fester  geworden,  also  wohl  halb  geronnen  war.  In  Folge  dessen 
traten  nun  auch  aus  der  Anstichstelle  keine  E  x  t  r  o  v  a  t  e  mehr  aus. 
Jetzt  erhielt  ich  ein  besseres  Resultat;  und  zwar  derart,  dass  bei 
etwa  20  "/o  der  operirten  Eier  blos  die  unversehrte  Zelle  den  Ein- 
griff überlebte,  während  die  Mehrzahl  ganz  zu  Grunde  ging  und 
einige  wenige,  bei  denen  wohl  die  Nadel  schon  zu  kalt  gewesen  war, 
sich  normal  entwickelten.  Ich  habe  so  im  Ganzen  über  100  Eier  mit 
getödteter  einer  Hälfte  zur  Entwickelung  gebracht  und  aufbewahrt; 
und  davon  wurden  80  ganz  microtomirt.  V^on  den  für  letzteren  Zweck 
ausersehenen  Eiern  wurden  von  Zeit  zu  Zeit  mehrere  herausgenommen 
und  getödtet,  von  den  früheren  Stadien :  der  Morula  und  Blastula 
mehr  als  von  den  späteren,  schon  mit  speciellen  Organanlagen 
versehenen^). 

An  den  nicht  operirten  Probeeiern  jedes  Versuches  wurde 
neben  anderen  Missbildungen  gleichfalls,  aber  seltener,  das  Aus- 
bleiben der  Entwickelung  einer  der  beiden  oder  einer  der 
vier  ersten  Furchungskugeln  beobachtet.  Diese  Eier  wurden 
zum  Vergleiche  mit  den  operirten  gleichfalls  ausgelesen  und  auf  ver- 
schiedenen Stadien  conservirt  und  microtomirt.  Dasselbe  geschah 
auch  mit  Eiern,  w^elche  sich  trotz  der  Besamung,  d.  h.  trotz  des  Ein- 
legens  in  die  Samenflüssigkeit,  nicht  entwickelt  hatten. 

Da  die  Behandlung  der  Eier  behufs  der  Conservirung  und 
Färbung  für  die  Befunde  an  den  Kernen  von  Bedeutung  ist  und  auch 
an  sich  manche  Schwierigkeiten  darbietet,  so  will  ich  aucli  darüber, 
soweit  als  für  ersteren  Zweck  nöthig  ist,  und  als  ich  in  letzterer  Hin- 
sicht von  den  früheren  Autoren  etwas  abweichende  Erfahrung  ge- 
wonnen   habe,  kurz  berichten.     Die  Abtödtung  geschali^  in   kleiner 


[1)  (Jenaueres  über  die.sc  MeÜiotlcn  siehe  Nr.  81.] 


Versuclismethode.  431 

Abweichung  von  O.  Hkutwk;  nacli  Wowx  durch  Emlcgen  der  Eier  in 
Wasser  statt  von  100  ))los  von  80'-  (".  während  nur  einiger  Minuten, 
welche  genügen,  um  nicht  blos  das  Ei  zu  tödten  und  durch  Clerin- 
nung  ziemlich  widerstandsfähig,  [122]  sondern  auch  um  die  Gallert- 
hülle leicht  abschneidbar  zu  machen.  Die  Härtung  und  Aufbe- 
wahrung geschah  nach  Born  in  70-  bis  80  ^/oigem  Alcohol,  die  Färbung  au 
den  ganzen  Eiern  nach  0.  Schultze  in  Boraxcarmin  mit  Ausziehen  in 
schwach  salzsaurem  Alcohol.  Dann  fand  zum  Zweck  der  Einbettung 
Uebertragung  auf  eine  Nacht  in  Alcohol  absol.,  einige  Minuten  in  Toluol, 
mehrere  Stunden  oder  nach  Belieben  auch  Tage  lang  in  altes  ver- 
harztes dickes  Terpentinöl  statt.  Aus  letzterem  auf  Fliesspapier  ge- 
bracht und  durch  Betupfen  mit  in  Toluol  getränktem  Pinsel  von  dem 
oberflächlichen  Terpentin  befreit^  wurden  die  Eier,  welche  dann  voll- 
kommen zum  Zeichnen  geeignet  sind,  trocken  aufbewahrt.  Aber  man 
muss  sich  hüten ,  beim  Abspülen  zuviel  Toluol  zu  verwenden ,  da 
sonst  nicht  genug  Terpentinharz  im  Object  bleibt,  um  dasselbe  ge- 
schmeidig zu  erhalten ;  nach  der  Verflüchtigung  des  Toluols  werden 
die  Eier  sonst  steinhart  und  sind  dann  entsprechend  spröde  beim 
Schneiden.  Ist  dies  doch  geschehen,  wie  es  mir  leider  mit  der  Mehr- 
zahl der  in  Wiesbaden  auf  der  Naturforscherversammlung  demon- 
strirten  Präparate,  in  dem  Bestreben,  die  Oberfläche  recht  vollkommen 
vom  Terpentin  zu  reinigen,  passirt  war,  so  sind  sie  indess  doch  noch 
nicht  ganz  verloren.  Sondern  ich  erweichte  dieselben  durch  2 — Stägiges 
Einlegen  in  eine  30°/oige  Lösung  von  kohlensaurem  Kali,  worauf 
sie  auf's  Neue  entwässert  und  mit  Terpentin  getränkt  wurden.  Ein 
Theil  derselben  blieb  unversehrt  und  erwies  sich  nach  dem  Schneiden 
bei  der  microscopischen  Besichtigung  auch  innerlich  ziemlich  wohl 
conservirt;  aber  mehrere  waren  aussen  bereits  so  stark  erweicht,  ehe 
auch  das  Innerei  genügend  weich  geworden  war,  dass  sie  bei  den 
folgenden  Manipulationen  sich  äusserlich  abnutzten  und  ich  blos  noch 
Reste  zum  Schneiden  zu  verwenden  hatte,  welche  indess  glücklicher- 
weise gerade  noch  die  wichtigsten  Stellen  darboten. 

Das  Einschmelzen  geschah  in  gesottenem  Paraffin  nach  Spee, 
welches  bei  50°  flüssig  wurde;  ich  habe  das  Einschmelzen  über  Nacht 
gegenüber  kürzer    dauerndem,   blos  lialbstündigem  Einschmelzen   für 


432  Nr.  22,    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


besser  befunden  und  auch  von  einer  Steigerung  der  Temperatur  auf 
60°  C.  keinen  Schaden  gesehen.  Die  Gefahr  des  Hartwerdens  der 
Eier  finde  ich  nur  im  Tokiol,  welches  sicli  total  verflüchtigt,  wonach 
dann,  wie  erwähnt,  wenn  nicht  zugleich  [1231  eine  andere  Flüssig- 
keit oder  weiche  Substanz,  wie  das  Terpentinharz  oder  Paraffin,  ein- 
dringt, die  Eier  steinhart  werden. 

Die  Erhaltung  und  Färbung  der  Kerne  war  in  vielen  der  Prä- 
parate recht  gut,  und  die  mitotischen  (iebilde  daher  gut  zu  sehen; 
in  anderen  scheinbar  gleich  behandelten,  aber  beim  Tödten  vielleicht 
doch  zu  sehr  erwärmten  Objecten  war  das  feinere  Ötructurdetail  der 
Kerne  nicht  mehr  recht  erkennbar. 

Die  unten  gemachten  Mittheiluugen  über  abnorme  Kernformen 
sind  schon  ihrer  Natur  nach  nicht  auf  etwaige  Veränderungen  durch 
die  Behandlung  der  Eier  zurückzuführen;  und  ausserdem  fanden  sie 
sich  auch  in  solchen  Präparaten,  welche  anderen  Ortes  recht  gut  con- 
servirte  normale  Kerne  zeigten.  In  manchen  Embryonen  waren  trotz 
o-uter  Conserviruug;  der  Structur  der  ruhenden  Kerne  so  ausserordent- 
lieh  wenig  Kerntheilungsfiguren  wahrneliml)ar,  dass  ich  mit  Flemminc; 
annehmen  muss,  die  Melu'zahl  der  bei  der  stetig  fortschreitenden  Ent- 
wickelung  jedenfalls  zahlreich  stattfindenden  Kerntheilungen  wurde 
während  des  Abtödtens  der  Eier  durch  Erwärmen  entweder  zur  Kuhc- 
form  zurückgebildet  oder  rasch  vollendet. 

Ergebnisse  der  Versuche. 

Die  Versuche  selber  bestanden,  wie  angegeben,  darin,  dass  nach 
dem  Auftreten  der  ersten  Furche  am  befruchteten  Ei ')  die  (124]  eine 


1)  Von  J.  Dewitz  ist  jüngst  (Biolog.  Centralblatt.  1887.  S.  93)  mitgetlieilt 
worden,  dass  unbefruchtete  Fr  osch  eier  zur  „  F  ii  rch  ung  "  angeregt  werden 
könnten  und  zwar  durch  Einlegung  in  S  ubl  im  at  1  ös  ung.  Die  angekündigte 
ausführliche  Mittheilung  steht  noch  aus;  gleichwohl  ist  diese  Angabe  schon  unbe- 
anstandet in  verschiedenen  Zeitschriften  referirt  worden.  Ich  versuchte  dieselbe  zu 
prüfen,  indem  ich  unbefruchtete  Froscheier  in  eine  Reihe  von  24  Schalen  mit  ver- 
schieden starken  Sublimatlösungen  (von  0,001— 1,4 "^o)  legte.  In  den  schwächsten 
Lösungen  entstand,  soweit  überhaupt,  erst  nach  stundenlangem  Liegen  eine  Trübung 
der  Gallerthlille  und  des  Eiwassers.  Etwas  stärkere  Lösungen  bewirkten  in  kürzerer 
Zeit  grössere  Trübungen  der  Gallerthülle  und  tlockige  Gerinnung  des  Eiwassers. 
Dagegen  bemerkte  ich  bei  O.ö^'üiger  Lösung,  dass  die  Eier  vielfach  längs 
halber  oder  fast  ganzer  Meridiane  aufplatzten,  wobei  entweder  die  Hrucli- 


A.   Entstehung  „seitlicher"  Halbbildungen.  433 

der  gebildeten  beiden  Zellen  durch  eine  Operation  geschädigt  und  so 
ihrer  Entwickelungsfähigkeit  beraubt  wurde.  Indem  wir  jetzt  zur 
Mittheilung  der  Ergebnisse  der  Versuche  übergehen,  seien  zunächst 
die  Vorgänge,  welche  sich  nach  diesem  groben  Eingriff  an  der  nicht 
operirten  Eihälfte  abspielten,  dargestellt. 


I.  Vorgäiig-e  an  der  „nicht"  operirten  Eihälfte. 

A.    Entstehung    ,, seitlicher"    Halbbildungen,    Hemipoeesis 

lateralis. 

In  vielen  Fällen  war  an  der  nicht  operirten  Zelle  keine  Ent- 
wickelungserscheinung  wahrnehmbar;  vielmehr  traten  die  früher 
von  mir  geschilderten  Absterbeerscheinungen  (s.  S.  157),  graue  Ver- 
färbung und  Fleckenbildung,  auf.  In  anderen  Fällen  machte  diese 
Furchungskugel  einige  weitere  Furchungen  durch ,  um  dann ,  wie 
gleichfalls  a.  a.  O.  geschildert,  unter  maximaler,  bis  zum  Schwund 
der  äusseren  Furchen  führender  Abplattung  der  Zellen  an  ein- 
ander, wiederum  abzusterben.  Auf  Grund  der  sogleich  zu  schildern- 
den dritten  Art  des  Verhaltens  sind  wir  berechtigt  anzunehmen,  dass 
in  diesen  ersteren  beiden  Fällen  die  äusserlich  anscheinend  unver- 
sehrt erhaltene  Zelle  doch  mit  von  dem  operativen  Eingriff  direct 
betroffen  worden  war  und  deshalb  starb,  nicht  aber  in  Folge  des 
Fehlens  der  Mitwirkung  der  anderen  Zelle  ihre  Entwickelung  einge- 
stellt hatte. 

Im  dritten,  bei  den  letzten  Versuchen  etwa  20°/o  der  ope- 
rirten Eier  erreichenden   Falle   lebte   die  nicht  operirte  Zelle  weiter. 


ränder  scharf,  leicht  gezackt  und  körnig  in  Folge  starker  Gerinnung  des  Dotters 
waren;  oder,  wenn  die  Gerinnung  zur  Zeit  des  Aufplatzens  der  zuerst  geronnenen 
und  dabei  geschrunr«)ften  Oberflächenschicht  noch  nicht'  tief  genug  eingedrungen 
war,  so  drang  flüssiger  Dotter  in  feinen  Linien  aus  dem  Spalt,  um  dann  gleich- 
falls zu  gerinnen.  Gelegentlich  standen  solche  Spalten  auch  annähernd  recht- 
winkelig zu  einander  und  boten  so  bei  flüchtiger  Betrachtung  ein  den  ersten  Furch- 
ungen ähnliches  Bild  dar.  In  anderen  Fällen  erfolgte  das  Aufplatzen  des  P]ies  nicht 
in  grössten  Kreisen  desselben  oder  überhaupt  nicht  in  Kreislinien,  sondern  in  unregel- 
mässig schief  zu  einander  stehenden  Linien.  Solche  Gerinnungserscheinungen 
darf  man  jedoch  nicht  als  „  Furchungen  "  und  damit  als  vitale  Vorgänge  von  ganz 
bestimmter  entwickelungsmechanischer  Dignität  bezeichnen. 

AV.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  28 


434:  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Man  konnte  dabei  verschiedenerlei  Folgen  erwarten,  z.  B.  dass  abnorme 
Vorgänge  sich  abspielen  würden,  welche  zu  absonderlichen  Formen- 
bildungen führten;  oder  dass  diese  ,,eine"  Eihälfte,  da  sie  doch  eine 
ganze  Zelle  mit  einem  nach  manchen  Autoren  (welche,  entgegen  meiner 
wiederholt  und  deutlichst  ausgesprochenen  Meinung  (s.  S.  311),  in  dem 
Mechanismus  der  indirecten  Kerntheilung  gleichwohl  angeblich  ,,me- 
auctore"  eine  ,,nur"  zur  qualitativen  Halbirung  geeignete  Einrichtung 
sehen)  dem  ersten  Furchungskern  in  seiner  [125]  Qualität  , , vollkom- 
men^'gleichen  Kerne  sich  zu  einem  ganzen,  nur  entsprechend 
kleineren  Individuum  entwickeln  werde.  Statt  derartiger  Ueber- 
raschungen  geschah  indess  das  Allerüberraschende:  Die  „eine"  Zelle 
entwickelte  sich  in  vielen  Fällen  der  Hauptsache  nach  zu 
einem  normal  gebauten  ,, halben  Embryo",  derart,  dass  blos 
im  Bereiche  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  der  ope- 
rirten  Eihälfte  kleine  Abweichungen  entstanden,  welche 
in  dem  Abschnitte  über  das  Verhalten  dieser  letzteren  Hälfte  mit  zu 
erwähnen  sein  werden. 

1.  Semimorula  verticalis.  Durch  fortgesetzte  Theilungen  der 
unversehrten  Eihälfte  wurde  zunächst  ein  Gebilde  hergestellt,  welches 
den  Namen  einer  Semimorula  verticalis  verdient,  da  es  im  Wesent- 
lichen wie  die  verticale  Hälfte  einer  Morula  gebaut  war.  Diese  Be- 
zeichnung will  besagen :  es  entstand  ein  halbkugeliges  Gebilde,  welches 
oben  aus  dichtgedrängten  pigmentirten  kleineren,  unten  aus  nicht 
pigmentirten  grösseren  Zellen  besteht  [s.  S.  156].  Indess,  ein  ße- 
standtheil  der  normalen  Morula  war  bei  den  geschnittenen  11  Semi- 
morulae  verticales  nicht  ordentlich  ausgebildet:  nämlich  die  Fur- 
chung sh  oh  le.  Dieselbe  hätte  einen  an  der  unentwickelten  Hälfte  an- 
liegenden, annähernd  halbkugeligen,  von  dicht  aneinander  geschlossenen 
Zellen  begrenzten  Hohlraum  darstellen  müssen.  Statt  dessen  aber 
sind  die  Zellen  hmen  blos  locker  gelagert  und  lassen  mannigfache 
Zwischenräume  zwischen  sich;  oder  es  ist  ein  grösserer,  aber  auch 
nicht  scharf  umgrenzter  Hohlraum  vorhanden,  welcher  durch  eine 
Zellenlage  auch  von  der  unentwickelten  Hälfte  getrennt  ist.  Manch- 
mal fehlt  jede  Andeutung  von  Hohlraumbildung,  also  selbst  die  lockere 
Lagerung  der  Zellen. 


Ä.    Entstellung  „seitlicher"  Halbbildungen.  436 


2.  Semiblastula  verticalis.  Das  zunäclist  folgende  Stadium  der 
Keimblase,  der  Blastula,  ist  formal  durch  keine  scharfe  Grenze  von 
der  Morula  getrennt,  da  die  Gestalt  der  Blastula  aus  der  der  Morula 
wesentlich  durch  weitere  Zerkleinerung  der  Zellen  und  Vergrösserung 
der  umschlossenen  Höhlung  hervorgeht  unter  allmählicher,  aber  bei 
den  einzelnen  Individuen  ausserordentlich  verschiedener  Verdünnung 
des  Daches  der  Höhle. 

Diesem  Stadium  entsprechend  habe  ich  mehrere  Semiblastulae 
verticales  vorgefunden  und  microtomirt.  Von  Interesse  ist  dabei, 
dass  auf  dieser  Stufe  der  Binnenhohlraum  sich  bei  der  Mehr- 
zahl durch  dichtgelagerte  Zellen  wohl  abgegrenzt  [126] 
erweist,  so  dass  im  Vergleiche  mit  dem  Verhalten  der  Semimorulae 
also  eine  nachträgliche  Ordnung  und  dichte  Zusamme|n- 
schliessung  der  Zellen  stattgefunden  haben  muss.  Die  so  ge- 
bildete Blastulahöhle  liegt  einige  Male  ganz  in  der  entwickelten 
Hälfte  eingeschlossen,  d.  h.  sie  ist  von  der  nicht  entwickelten  durch 
eine  ein-  oder  mehrfache  Zelllage  getrennt  (Taf.  VI  Fig.  1);  einige 
Male  grenzte  sie  direct  an  die  annähernd  ebene  Abgrenzungsfläche 
der  unentwickelten  Hälfte;  ein  Mal  aber  setzt  sie  sich  auf  diese 
Hälfte  fort  (Fig.  2)  und  hat  somit  annähernd  die  Form  einer  voll- 
kommenen Blastulahölile  erlangt,  was  aber  wohl  nur  durch  abnorm 
grosse  Ausscheidung  von  Flüssigkeit  seitens  der  sich  entwickelnden 
Hälfte  bedingt  war.  In  einem  Falle  fehlt  jede  Andeutung  einer  Hohl- 
raumbildung, indem  die  Zellen  aller  Orten  dicht  zusammengeschlossen 
liegen  und  so  auch  direct  an   die   nicht   entwickelte   Hälfte    grenzen. 

3.  Semig-astruiae  verticales.  Von  der  nächst  höheren  Entwicke- 
lungsstufe,  von  der  Gastrulation,  hatte  ich,  wie  ich  glaubte,  eine 
sehr  grosse  Anzahl  von  Halbbildungen  conservirt.  Nach  dem  Micro- 
tomiren  zeigte  sich  aber  leider,  dass  die  Mehrzahl  noch  auf  der  Blas- 
tulastufe  sich  befand,  und  dass  eine  beginnende  Gastrulation  nur  durch 
eine  leichte  Einschlagung  des  freien  Randes  der  Semiblas- 
tula gegen  die  operirte  Eihälfte  hin  bei  der  äusseren  Besich- 
tigung vorgetäuscht  worden  war.     Ein  anderer  Tlieil  dagegen  bot  in 

dem  freien  Randwulste  bereits  einer  höheren  Stufe  zukommende  Bil- 

28* 


436  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


düngen  dar,  so  dass  ich  unter  den  microtomirten  Eiern  nur  über  drei 
wirklich  der  Gastrulastufe  entsprechende  Halbbildungen  verfüge. 

Die  normale  Gastrula  lässt  bereits  deutlich  die  Medianebene 
erkennen  als  diejenige  durch  den  Mittelpunct  des  ganzen  kugeligen 
Gebildes  gelegte  Ebene,  welche  zugleich  den  hufeisenförmigen  Urmund 
und  im  Innern  die  sich  an  ihn  anschliessende  Urdarmhöhle  sym- 
metrisch theilt.  Die  Urdarmhöhle  ist  nach  aussen  bedeckt  von  einer 
dünnen  zweischichtigen  äusserlich  dunkel  gefärbten  Platte,  deren  huf- 
eisenförmiger Saum  mit  der  anliegenden  weissen  Eimasse  eben  den 
Urmund  formirt.  Diese  Platte  lässt  die  dorsale  Hälfte  des  Embryo 
hervorgehen,  weshalb  ich  sie  als  ,, Dorsalplatte"  bezeichnet  habe. 
Die  Mitte  des  hufeisenförmigen  Saumes  entspricht  in  ihrer  Richtung 
der  Kopfseite,  die  offene  [127]  Stelle  des  Bogens  der  Schwanzseite 
des  Embryo.  Später  legen  sich  die  beiden  Hälften  des  huf- 
eisenförmigen Saums  der  Dorsalplatte,  in  cephalocauda- 
1er  Richtung  fortschreitend,  aneinander,  um  mit  einan- 
der zu  verschmelzen.  Die  Medianebene  des  Embryo  theilt  den 
hufeisenförmigen  Saum  normaler  Weise  symmetrisch. 

An  den  Halbbildungen  dieses  Stadiums  ist  es  indess,  vn.e  erwähnt, 
wegen  der  Einschlagung  des  freien  Randes  der  Hälfte  ausserordentlich 
schwer,  die  bezüglichen  Gestaltverhältnisse  bei  der  äusseren  Betrach- 
tung genau  genug  wieder  zu  erkennen,  um  beurtheilen  zu  können,  ob 
man  eine  seitliche,  vordere  oder  hintere  Semigastrula  vor  sich  hat. 

Fig.  3  auf  Tafel  VI  stellt  ein  ziemlich  altes  Stadium  dar,  dessen 
Durchschnitt  man  geneigt  sein  könnte,  auf  einen  Medianschnitt  durch 
eine  Semigastrula  anterior  zu  beziehen.  Da  indess  die  Schnittrich- 
tung nicht  rechtwinkelig  zur  Abgrenzungsebene  der  entwickelten  und 
der  unentwickelten  Hälfte,  sondern  ihr  fast  parallel  geführt  war,  und 
da  die  Dorsalplatte  fast  in  ganzer  Läno-e  vorhanden  ist,  so  erweist 
sich  das  Bild  doch  als  Durchschnitt  durch  eine  Semigastrula  lateralis  i); 


[1)  Da  Gastrula  (von  /;  -//■".-.i^'j  der  Bauch),  Blastula  (von  ö  [i/.a^ro?  der  Keim), 
Morula  (von  -&  ^cpov  die  Maulbeere,  Brombeere)  Wörter  griechischer  Abstammung 
sind,  so  wäre  es  trotz  der  ihnen  von  Haeckel  angefügten  lateinischen  Endung 
doch  vielleicht  angemessener  gewesen,  auch  die  Namen  dieser  Halbbildungen  gleich 
denen  der  Embryonen  griechisch  zu  bilden  und  zu  sagen  Hemigastrul  u,  Hemi- 
blastula  und  Hemimorula.l 


A.  Entstehung  „seitlicher"  Halbbildungen.  437 


eine  Diagnose,  die  in  der  geistigen  Integration  aller  Durclischnitts- 
bilder  ihre  leichte  und  sichere  Bestätigung  findet.  Das  Urdarmlumen 
ist  trotz  seiner  grossen  Länge  noch  durchaus  blos  spaltförmig;  das 
äussere  Keimblatt,  der  Ectoblast,  ist  wohl  abgesetzt  gegen  das  innere 
Keimblatt,  den  Entoblast;  die  Blastulatiüssigkeit  und  damit  die 
Blastulahöhle  F  ist  noch  erhalten,  was  normalerweise  um  diese 
Zeit  nicht  mehr  der  Fall  ist.  Ihre  an  den  mehr  seitlichen  Schnitten 
erkennbare  Lagerung  auf  der  der  Dorsalplatte  entgegen- 
gesetzten, also  ventralen  Seite  des  Eies  (sowohl  in  der  ent- 
wickelten wie  unentwickelten  Hälfte)  bekundet  deutlich  die  Unrich- 
tigkeit der  Auffassung  der  bisherigen  Autoren,  nach  welcher  die  Seite 
der  Blastulahöhle  des  Eies  zur  dorsalen  Seite  des  Embryo  werden  soll. 

4.  Hemiembryoiies  laterales.  Die  nächste  Entwickelungsstufe 
bietet  normaler  Weise  äusserlich  die  erste  specielle  Organanlage  dar, 
die  Anlage  des  Centrainer vensystems  in  Gestalt  der  Medullarplatte 
mit  ihren  zu  den  Medullarwülsten  erhobenen  beiden  seitlichen 
Rändern.  Die  Medullarwülste  stehen  im  Bereiche  des  Kopftheiles 
anfangs  in  grossem  Abstand  einander  gegenüber  und  nähern  sich 
dann  allmählich  bis  fast  zur  Berührung  (Taf.  VII.  Fig.  1  u.  2).  In 
diesem  [128]  Stadium  führt  der  Keim  bereits  den  Namen  Embryo. 
Wir  haben  nun  zu  fragen,  was  die  nicht  operirten  Eihälften  diesem 
Stadium  Entsprechendes  gebildet  haben. 

Die  Figuren  3 — 5  auf  Tafel  VII  stellen  drei  der  am  normalsten 
ausgefallenen  Bildungen  von  verschiedenen  Graden  der  Ausbildung 
dar.  Diese  sowie  Jioch  vier  andere  entsprechende  Gebilde,  welche 
ich  besitze,  zeigen  als  Gemeinsames  das  Vorhandensein  blos 
„eines"  Medullarwulstes,  der  aber  in  ganzer  Länge  gebildet 
und  von  nebensächlichen  Abweichungen  abgesehen  nor- 
mal gestaltet  ist  (s.  S.  174). 

Dabei  muss  ich  erwähnen,  dass  schon  normaler  Weise  die  For- 
men des  Medullarwulstes  auch  auf  den  verschiedenen  Alters- 
stufen keineswegs  ganz  stereotyp  sich  in  der  Weise  wiederholen,  wie  sie 
von  EcKER-ZiEGLER  SO  schöu  modcllirt  und  von  späteren  Autoren  mehr- 
fach abgebildet  worden  sind.     Sondern   es    kommen    hiervon    ziem- 


438  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


lieh  hochgradige,  zum  Theil  bereits  von  O.  Hertwig^)  und  mir 
beschriebene  [s.  S.  193]  Variationen  vor,  von  denen  manche  Rück- 
schläge auf  Vorgänge  darzustellen  scheinen,  wie  sie  von  Fischen 
her  bekannt  sind  und  welche  wohl  hauptsächlich  nur  auf  Anachro- 
nismen in  der  Differenzirung  und  dem  Wachstimm  der  verschiedenen 
Theile  beruhen. 

Solche  Anachronismen  zeigen   sich   auch    in    der    relativen 
Verzögerung    oder   Beschleunigung    der   Entwickelung    der 
einzelnen  Keimblätter  gegeneinander,  so  dass   z.  B.   bei   noch 
ziemlich  indifferenten  Medullarwülsten  manche   sonst  normalen  Em- 
bryonen im  Mittelblatt,  im  Entoblast  und  in  Chorda    dorsalis    schon 
Formenbildungen  aufweisen,  wie  sie  normal   erst   gegen   den  Schluss 
des  Medullarrohrs    vorkommen.     Es    ist   in   diesen   Fällen    also    eine 
deutliche  Verzögerung   der  Entwickelung   im   Bereiche    des 
Ectoblast  im  Verhältniss  zur  Entwickelung  der   beiden   an- 
dern  Keimblätter  vorhanden.     Solche    Variationen    können   leicht 
zu  Streitigkeiten  unter  den  Beobachtern  Veranlassung  geben,    sofern 
einer  derselben  aus  einem  zu  geringen  Materiale  allgemeinere  Folge- 
rungen ableitet.     Auch  in  der  Geschwindigkeit  der  Entwickelung 
der  beiden   „seitlichen"  Körperhälften   kommen  Ungleich- 
[129]  heiten  geringeren  Grades  vor  und   bieten   dann    den   Vor- 
theil  dar,  dass  man  zweierlei  Entwickelungsstufen  an  demselben 
Object  zu  beobachten  Gelegenheit  hat. 

Gegen  Ende  der  Laichperiode,  sowie  bei  ungenügendem 
Luftzutritt,  treten  solche  auf  Hemmungen  bezw.  Verzögerungen 
mancher  Vorgänge  beruhenden  formalen  Abweichungen  häufig  auf, 
werden  aber  oft  im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung  wieder 
ausgeglichen. 

Von  den  in  Folge  der  obigen  Operation  erhaltenen  Hernie m- 
bryones  laterales,  welche  natürlich  leicht  als  linke  und  rechte  zu 
unterscheiden  sind,  habe  ich  sechs  microtomirt.  Die  Besichtigung 
der  Querschnitte  erweist  die  Medullarplatte  als  blos  halb  vorhanden, 
was  auf  den  älteren  Stadien,  wo  schon  der  Medullarwulst  gebildet  ist 


1)  0.  Hertwig,  Die  Entwickelung  des  mittleren  Keimblattes  der  Wirbelthiere. 
Jena  1883.  Taf.  V.  Fig.  5. 


A.    Entstehung  „seitlicher"  Halbbildungen.  439 


und  inne  typische  Structur  besitzt,  besonders  deutlicli  zu  erkennen  ist 
(Taf.  VI,  Fig.  4).  Die  typisclie  Anordnung  der  Zellen  des  schon  älteren 
Medullarrohres  ist  an  manchen  Präparaten  schön  ausgebildet,  an 
anderen  Stellen  aber  weniger  ausgesprochen.  Die  älteren  Embryonen 
zeigen  im  Kopftheil  die  Medullarsubstanz  entsprechend  verdickt  und 
ausgestaltet.  Der  ursprünglich  seitliche  Theil  des  Ectoblast 
(das  Hornblatt),  welcher  früher  mit  dem  Seitenrande  der  Medullar- 
platte  verbunden  gewesen  ist  und  bei  der  Bildung  des  Medullarwulstes 
mit  ihm  erhoben  und  der  Medianlinie  genähert  worden  ist,  hat  sich 
bei  dem  ältesten  Embryo  bereits  von  dem  Medullartheil  ge- 
sondert, obgleich  hier  keine  Gelegenheit  zur  Verschmel- 
zung mit  einer  gleichen  Lage  der  anderen  Hälfte  gegeben 
ist,  und  ragt  zunächst  frei  gegen  diese  andere  unentwickelte  Hälfte. 
Dieser  freie  Rand  wie  auch  der  dorsale  Rand  der  Seinimedulla  late- 
ralis sind  ventral  eingebogen,  was  auch  an  normalen  Embryonen 
vorkommt. 

Die  Ur darmhöhle  findet  sich  blos  auf  der  entwickelten  Hälfte 
ausgebildet  und  erstreckt  sich  gleichfalls  nur  bis  zur  Chorda.  In 
ihrem  Lumen  ist  sie  öfter  zu  eng,  noch  spaltförmig;  anderenfalls  ist 
sie  zwar  etwas  ausgeweitet,  aber  im  Bereiche  des  Kopftheiles  noch 
durch  zu  grosse  Anhäufung  von  Dotter  verengt.  Der  Entoblast 
zeigt  sich  normal  beschaffen. 

Als  neu  kommt  dieser  Phase  normaler  Weise  die  Ausbildung 
des  Mesoblast  und  der  Chorda  dorsalis  zu.  Auch  unsere  ,, halben"  Em- 
bryonen haben  diese  Theile  gebildet.  Vom  Meso-  [130]  blast  habe 
ich  kein  Object  der  sehr  kurzen  Phase,  in  welcher  über  die  Abkunft 
dieses  Blattes  Klarheit  gewonnen  werden  kann.  Es  ist  auf  allen  Prä- 
paraten schon  vollkommen  gesondert  und  zeigt  in  einigen  Fällen  ganz 
die  normalen  Querschnittformen  und  normale  Anordnung  der  Zellen. 
An  den  älteren  Embryonen  ist  die  Scheidung  in  Seitenplatten  und 
Ursegmentplatten  im  Gange  oder  schon  vollzogen ;  am  ältesten  Em- 
bryo sind  die  letzteren  bereits  in  die  ürsegmente  zerlegt.  Es  ist  also 
die  eine  seitliche  Hälfte  des  Mesoblast  normal  entwickelt 
worden  (vgl.  Taf.  VI,  Fig.  4,  Ms). 


440  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Die  Chorda  dorsalis  ist  als  medianes  Organ  von  beson- 
derem  Interesse  in  Rücksicht  darauf,  ob  aucli  sie  blos  halb  oder  etwa 
ganz  gebildet  worden  ist. 

Um  dies  zu  beurtheilen,  ist  eine  genauere  Besprechung  des  nor- 
malen Verhaltens  nüthig.  Ihre  vollkommene  Absonderung  von 
den  drei  anderen  Blättern  erfolgt  in  dem  mehr  caudal  gelegenen  Theile 
später  als  mehr  ee})hal  und  zwar  zuerst  vom  Ectoblast,  dann  vom 
Mesoblast,  zuletzt  vom  Entoblast  ^).  Gelegentlich  ist  in  der  Mitte  noch  eine 
Strecke  der  Chorda  nicht  ganz  vom  Entoblast  gesondert,  während  sie 
weiter  hinten  schon  vollkommen  isolirt  ist,  um  noch  weiter  hinten  wieder 
ein  jüngeres  Stadium  der  Bildung  darzubieten^).  Sie  ist  an  den  Stellen 
ihrer  vollkommenen  Sonderung  von  rundem,  oder  ovalem,  oder  ob- 
longem Querschnitt  und  zeigt  au  verschiedenen  Stellen  ihrer  Länge 
sehr  verschiedene  Dicke,  letztere  im  Allgemeinen  von  hinten  nach 
vorn  ab-  [131]  nehmend;  ein  Verhalten,  von  dem  aber  aucli  wieder 
evidente  Ausnahmen  vorkommen:  Manchmal  bemerkt  man  sclion 
eine  regelmässig  wiederkehrende  An-  und  Abschwellung.  Ausserdem 
ist  diese  D  i  c  k  e  a  u  c  h  b  e  i  v  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  e  n  I  n  d  i  v  i  d  u  e  n  g  1  e  i  c  h  e  r 
E  n  t  wi  c  k  e  1  u  n  g  s  s t u  f  e  sehr  verschieden,  fast  um  das  Doppelte 
in  der  Zahl  der  Zellen  an  annähernd  entsprechenden  Stellen  schwankend. 

Unsere  Halbbildungen  nun  zeigten  an  einigen  Stellen  die  Chorda- 
zellenschicht  noch  mit   dem  Darmentoblast  in   Zusammenhang,  und 


1)  Ich  sah  beim  Frosch  deutlich  eine  Metamerie  bei  der  Abgliederung 
der  Chorda  dorsalis  vom  Mit telbl att  ausgesprochen,  indem  auf  jedem  3.  oder 
4.  Schnitt  die  Scheidung  noch  kaum  erkennbar  ist,  während  an  den  zwischenliegenden 
Schnitten  die  Sonderung  durch  die  Umordnung  der  Zellen  sich  bereits  als  eine  voll- 
kommene zeigt;  dies  ist  der  Fall  zur  Zeit,  wo  die  Chorda  noch  mit  dem  Entoblast 
in  Zusammenhang  steht,  aber  doch  schon  als  ein  erhobener  Strang  zwischen  den 
beiderseitigen  Mittelblatthälften  gelegen  ist,  der  nur  an  ganz  wenigen  Stellen  auch 
noch  mit  dem  Ectoblast  in  Verbindung  steht,  d.  h.  noch  nicht  durch  Umord- 
nung seiner  Zellen  von  ihm  gesondert  ist. 

-')  Zugleich  sieht  man  in  diesem  Bereiche  der  eben  erst  vollendeten  Absonde- 
rung vom  Entoblast,  wie  letzteres  den  so  entstandenen  Defect  seiner  Conti- 
nuität  wieder  schliesst.  Dies  geschieht  nämlich  zunächst  genau  so  wie  beim 
Beginn  der  Wundheilung  durch  Abplattung  der  Epithelzellen  des 
Randes  und  so  ve  rmittelte  Herüber  schieb  ung  über  den  Defect.  Erst 
nachträglich  findet  dann  Vermehrung  und  Erhöhung  der  Epithelzellen 
statt. 


A.  Entstehung  „seitlicher"  Halbbildungen.  441 

dorsal  abgebogen,  wie  bei  der  normalen  Bildung,  aber  in  der  Aus- 
dehnung blos  entsprechend  einer  seitlichen  Hälfte  der  Anlage.  Zu- 
meist aber  ist  die  Chorda  bereits  ganz  gesondert  midist  von  rundem 
oder  schwach  ovalem  Querschnitt.  Es  ist  also  nicht  blos  ein 
„Halboval"  gebildet  worden.  Die  Durchmesser  erschienen  mir  nach 
Grösse  und  Zahl  der  Zellen  etwas  kleiner  als  bei  den  vollkommenen 
Embryoneu;  doch  war  in  Folge  der  erwähnten  Ungleichheiten  der 
normalen  Dicke  eine  Sicherheit  nicht  zu  gewinnen.  Ich  will  daher 
blos  erwähnen,  dass  die  Peripherie  ihres  Querschnittes  an  den  dünnsten 
Stellen  aus  fünf  Zellen  gebildet  wurde ,  während  in  scheinbar  ent- 
sprechenden Stadien  und  Stellen  normaler  Embryonen  die  volle  Chorda 
gewöhnlich  acht  bis  zehn,  einige  Male  aber  auch  nur  sechs  Zellen  zählte. 

Es  sei  aber  an  dieser  Stelle  gleich  eingeschaltet,  dass  ich  doch 
mehrere  sicher  erkennbare  halbe  Chordae,  Semichordae  dorsales  laterales, 
an  sogleich  zu  schildernden  Präparaten  vorgefunden  habe  (s.  S.  443 
und  447):  Danach  muss  der  gegenwärtige  Befund  fast  vollkommener 
Chordae  wohl  nicht  auf  primäre  totale  Bildung,  sondern  elier 
auf  sehr  frühzeitige  „Nachbildung"  der  fehlenden  Seiten- 
hälfte bezogen  werden^). 

Die  Medianebene  des  Hemiembryo,  welche  bei  unseren  Halb- 
bildungen blos  durch  die  Abgrenzungsflächen  der  entwickel- 
ten und  der  unentwickelten  Hälfte  des  Eies  gegeben  ist^), 
stellte  in  manchen  Fällen  auf  dem  Querschnitt  eine  gerade  Linie  dar; 
das  heisst  die  dorsale  und  ventrale  Kante  der  Semimedulla,  der  Mittel- 
punct  der  Chorda,  der  dorsale  und  ventrale  Rand  des  Ectoblast  lagen 
annähernd  in  einer  geraden  Linie ;  in  cephalocaudaler  Richtung  aber 
war,  wie  schon  gesagt,  die  Semimedulla  lateralis  nach  d.er 
fehlenden  Hälfte  hin  concav  gebogen.  [Also  ist  die  normale 
gerade   Haltung    des    Medullarwulstes    keine    vollkommene    Selbstge- 

[1)  Da  dies  auch  der  Fall  war,  wenn  die  operirte  Eihälfte  gar  nicht  in  Zellen 
zerlegt  war  (s.  unten),  so  liegt  in  dieser  Ergänzung  der  Semichorda  lateralis  die  erste 
Beobachtung  von  Postgeneration  ohne  Verwendung  des  Materiales  der 
anderen  Eihälfte  vor.] 

[-)  Dies  Verhalten  liefert  einen  neuen  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  in  Nr.  16 
mitgetheilten  Beobachtung,  dass  die  erste  Furchungsebene  zugleich  der  Medianebene 
des  Embryo  entspricht.] 


442  Nr.  22.   Die  Hervorbringuug  halber  Embryonen. 

staltung  desselben,  sondern  wird  unter  der  Gegenwirkung  der  anderen 
Seite  hervorgebracht  oder  erhalten.] 

[132]  Wohl  gleichfalls  in  das  Gebiet  der  durch  das  Fehlen 
einer  Hälfte  gestörten  mechanischen  Massencorrelationen 
gehörig  ist  eine  einige  Male  beobachtete  seitliche  Verlagerung 
der  Chorda  dorsal is  und  ein  entsprechendes  Zurückbleiben  des 
dorsalen  Theiles  des  Entoblast  gegen  die  durch  die  Semimedulla  und 
die  ventralen  Theile  bezeichnete  Medianlinie.  Es  ist  immerhin  inter- 
essant, dass  die  axialen  Theile  in  so  erheblicher  Verschie- 
bung gegen  einander  angelegt  und  ausgebildet  werden 
können.  [Denn  es  bekundet  wieder  (s.  S.  187),  dass  die  Entwicke- 
lung  mancher  Theile  sogar  der  Haupttheile  nicht  an  die  richtige  gegen- 
seitige Lagerungsbeziehung  derselben  gebunden  ist,  dass  also  die  Ent- 
wickelung  nicht  an  die  „Form"  als  solche  gebunden  ist, 
dass  der  Embryo  kein  formelles  Leben  führt  [s.  Nr.  28,  S.  663]. 

Asyntaxia  medullaris   und  Anentoblastia. 

Anders  begründet  erscheint  ein  gleichfalls  wiederholt  beobachtetes 
Fehlen  des  Entoblast  und  der  Urdarm höhle  bei  gleichzei- 
tigem Vorhandensein  sowohl  eines  annähernd  wohlgebildeten  Medullar- 
wulstes,  wie  der  Chorda  und  des  halben  Mittelblattes.  Da  ich  diese 
Missbildung,  die  ich  xViientoMastia  nennen  will,  und  aus  der  auf 
älterer  Stufe  wohl  Aneiiteria  hervorgehen  wird,  nicht  blos  an  lateralen 
Hemiembryonen  sondern  auch  an  bilateral  entwickelten,  operirten 
und  nicht  operirten  Embryonen  mehrfach  beobachtet  habe,  so  ist  die- 
selbe also  nicht  in  so  directe  Beziehung  zu  unseren  gegenwärtigen 
Experimenten  zu  setzen  [s.  Nr.  26,  S.  34Anm.].  Ich  werde  sie  daher 
anderwärts  ausführlicher  beschreiben  und  will  hier  nur  noch  einige, 
weiter  unten  zu  verwerthende,  Mittheilungen  beifügen.  Zunächst  ist  zu 
erwähnen,  dass  in  den  bilateralen  Fällen  diebeiden  Medullarwülste 
weit  auseinander  gelegen  sind^),  indem  sie  die  Seitenränder 
des  eine  längliche,   fast  ebene  Platte  darstellenden  Embryo 


[1)  Mehrere  durch  Operationen  am  Ei  hervorgebrachte  Fälle  dieser  Missbildung 
wurden  bereits  S.  167 — 177  erwähnt.] 


Asyntaxia  medullaris  und  Anentoblastia.  443 


einnehmen,  und  dass  unter  jedem  Medullarwulst  eine  schöne,  aber 
gleichfalls  runde,  durch  die  Zusammensetzung  aus  blos  3  bis  4 
Zellen  auf  dem  Querschnitt  wohl  charakterisirte  ,,Semichorda  dor- 
salis''  lateralis  vorhanden  ist[s.  S.  447].  Aehnliches,  aber  geringeres 
Auseinanderstehen  der  Medullarwülste  fand  sich  auch  mehrfach  blos 
partiell,  besonders  im  Bereiche  der  hinteren  Hälfte  des  Rückenmarkes. 
Hierbei  war  auf  Schnitten  das  Vorhandensein  vom  Entoblast 
nachweisbar;  andererseits  aber  war  mit  Leichtigkeit  durch  wieder- 
holte Beobachtung  am  lebenden  Ei  festzustellen,  dass  der  grosse 
Spalt  zwischen  beiden  Medullarwülsten  den  Urmund  bezw. 
den  Rest  desselben  darstellt.  Da  nun  auch  nach  anderen  Be- 
obachtungen von  mir  die  jederseitige  halbe  Medullarplatte 
in  der  ,, seitlichen"  Lippe  des  Urmundes  angelegt,  und  die 
normale  einheitliche  Form  durch  Näherung  und  Verschmelzung  dieser 
Lippen  [133J  hergestellt  wird,  so  kann,  wenn  man  genau  sein  will, 
das  hier  constatirte  Ausbleiben  dieser  Vereinigung  nicht  gut  mit  dem 
für  das  bereits  wiederholt  an  höheren  Thieren  beobachtete  Resultat 
üblichen  Ausdruck  Rhachischisis  hezeichnet  werden,  sondern  wir 
müssen  dafür  Asyntaxia  medullaris  (von  dovvra^ia,  NichtVereinigung) 
gebrauchen  oder  rein  das  Resultat  bezeichnend  Diastasis  medul- 
laris  anwenden.  Ich  gebe  ersterer  Bezeichnung  den  Vorzug,  da  sie 
das  Wesen  andeutet.     [Weiteres  siehe  S.  447  und  Nr.  23,  S.  700.] ') 

InFällen  der  Asyntaxia  medullaris  blos  im  mittleren  und  cau- 
dalen  Theile  des  Embryo  sah  ich  dann  mit  der  Zeit  öfter  nachträglich 
eine  weitere  Näherung  der  Medullarwülste  und  zwar  mehr  auf  der  cau- 
dalen  Seite  stattfinden,  so  dass  schliesslich  nur  noch  ein  Loch  in  der 
Mitte  der  Länge  des  Medullarrohres  blieb,  welches  aber 
weiterhin  auch  noch  geschlossen  wurde.  Es  lag  also  hier  nur  eine 
Verzögerung  des  Herab  Wachsens  der  jederseitigen  halben  Dor- 
salplatte vom  Aequator  des  Eies  her  vor,  während  die  qualitative 


[1)  0.  Hertwig  hat  danach  unter  dem  Titel  „Urmund  und  Spina  bifida"  (Arch. 
f,  micr.  Anat.  1892.  Bd.  39,  S.  353—503)  eine  ausgedehnte  Abhandlung  über  diese 
Missbildung  verfasst,  welche  aber  dem  hier  und  in  Nr.  23,  S.  700  in  wenigen  Worten 
geschilderten  Thatbe.stand  kaum  etwas  Neues  hinzufügt  [s.  Nr.  31,  S.  269]:  zugleich 
wird  darin  meine  Ableitung  der  Gastrulation  des  Froscheies  acceptirt  und  in  einigen 
schematischen  Figuren  dargestellt  (s.  Nr.  23,  S.  701  Anm.).] 


444  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

Differeiizirung,  dadurch  nicht  gehemmt,  die  Medulhirwülste 
vor  der  Verschmelzung  der  Dorsalplattenhälften  herstellte.  Durch 
diese  Form  der  Diastasis  medullaris  und  die  Ableitung  des  Spalt- 
raumes vom  Urmund  wird  auf's  Deuthchste  eine  Analogie  der 
Bildung  der  Embryonalanlage  bei  Amphibien  mit  der- 
jenigen der  Fische  illustrirt  und  damit  auch  die  Asyntaxia 
medullaris  an  die  von  Räuber')  für  die  Knochenfische  beschriebene 
„Verzögerung  des  Anschlusses  der  Keimringhalften  zur  Bildung  der 
mittleren  und  hinteren  Embryonalanlage"  angeschlossen.  Rauber  ver- 
wendet dabei  den  Namen  „Dehiscenz"  der  Embryonalanlage,  der  mir 
aus  dem  angeführten  Grunde  weniger  gut  erscheint,  als  die  von  mir 
gebrauchten  Ausdrücke.  Desgleichen  halte  ich  auch  den  von  ihm 
für  das  Resultat  dieser  Verzögerung  gewählten  Ausdruck  „Hemidi- 
dymus"  blos  so  lange  für  geeignet,  als  noch  die  frühere  Zusammen- 
werfung dieser  Bildungen  mit  wirklichen  Doppelbildungen  zu  be- 
kämpfen war;  was  indess  gegenwärtig  nach  von  v.  Regklixghausen's^) 
gründhcher  Erörterung  der  Frage  wohl  nicht  mehr  nöthig  ist.  Zu- 
gleich gewinnt  mit  [IS-l]  unserer  Deutung  der  an  Fröschen  beob- 
achteten Diastasis  medullaris  die  von  v.  Recklinchausen  ausgesprochene 
Auffassung  der  Rückenmarkspaltbildungen  eine  weitere  Stütze. 

B.    Entstehung    „vorderer"    Halbbildungen,   Hemipoeesis 

anterior. 

Ausser  den  ,, lateralen"  Halbbildungen  habe  ich  nun  noch  einige 
andere  unvollkommene  Bildungen  [also  Theilbil düngen]  zu  scliildern, 
welche  zum  Theil  gleichfalls  bei  Operation  nach  der  ersten  Furche  er- 
halten worden  sind  und  sich  dann  an  eine  nicht  seltene  Variation  in  der 
Zeitfolge  der,  wie  wir  sahen,  eine  bestimmte  Dignität  für  den  künftigen 
Embryo  habenden  ersten  Furchungen  anschliessen.  Manchmal  entsteht, 
wie   ich  früher  entgegen  Rauber  und   Pflüger    dargethan    habe,    die 


')  Rauber,  A.,  Formbilduug  und  Formstörung  in  der  Entwickelung  von  Wirbel- 
thieren.     Leipzig  1880.     S.  35  und  123. 

2)  V.  Recklinghausen,  Untersuchungen  über  die  Spina  bifida.  Berlin  1886  u. 
ViRCHOw's  Archiv  Bd.  105. 


B.     Entstehung  , vorderer*  Halbirungen.  445 


eigentlich  zweite,  köpf-  und  scliwanzwärts  scheidende,  Furche  als  erste  ^) ; 
und  von  solchen  Eiern  war  zu  hoffen,  dass  durch  das  Operiren  nach 
dieser  ersten  Furchung,  wenn  die  nicht  operirte  Zelle  der  Entwicke- 
lung  fähig  war,   anders  situirte  Halbbildungen    hervorgehen  würden. 

Das  Gleiche  suchte  ich  nach  der  zweiten  Furchung  durch 
Anstechen  der  beiden  cephalen  vorderen  oder  hinteren  (caudalen) 
Zellen  zu  erreichen. 

Es  ist  mir  nun  in  der  That  gelungen,  auf  diese  Weise  vordere 
und  hintere  Halbbildungen  hervorzubringen.  So  habe  ich  eines  Tages 
eine  erhebliche  Anzahl  von  Seinigastrulac  anteriores  hervorgebracht 
und  sie  zur  weiteren  Entwickelung  stehen  lassen.  Es  entwickelten 
sich  daraus  schöne  vordere  halbe  Embryonen,  Heiniembryoiies  an- 
teriores, von  denen  mir  indess  bei  der  weiteren  Entwickelung  die 
grosse  Mehrzahl  durch  ein  im  zweiten  Theil  zu  schilderndes  Vorkomm- 
niss  [Postgeneration  s.  Nr.  22,  S.  261]  als  Halbgebilde  in  Verlust  ge- 
rieth,  so  dass  ich  gegenwärtig  [135]  blos  über  vier  conservirte  vordere 
halbe  Embryonen  verfüge. 

Die  Figuren 6 un d  7  Taf .  VH  stellen  zwei  dieser  Hemiembryones 
anteriores  äusserlich  dar;  und  man  sieht,  dass  Fig.  6  blos  die 
vordere  Hälfte  der  beiden  Medullarwäilste  besitzt.  Zum  Vergleiche 
können  die  zwei  in  Fig.  1  und  2  dargestellten  normalen  Embryonen 
dienen,  wenn  sie  auch  etwas  andere  Entwickelungsstufen  darstellen. 
Die  beim  Embryo  von  Fig.  6  in  frontaler,  bei  dem  von  Fig.  7  in  nicht 
ganz  quergestellter  Richtung  geführten  Durchschnitte  bekunden    den 


1)  Meine  Auffassung  dieses  Vorkommnisses  der  abweichenden  Stellung  der 
Medianebene  des  Embryo  von  der  Ebene  der  ersten  Furchung  als  blos  eines  Ana- 
chronismus wird  durch  weitere  Beobachtungen  von  Anachronismen  gestützt.  So 
habe  ich  sogar  statt  der  ersten  „  wagerechten"  Furchung,  welche  als 
dritte  Furchung  aufzutreten  pflegt,  noch  eine  „dritte  senkrechte" 
Furchung  am  ganzen  Ei  oder  blos  in  einer  Hälfte  desselben  beobachtet 
und  danach  normale  Embryonen  hervorgehen  sehen  (s.  S.  324  Anm.).  Die  dritte 
und  vierte  „senkrechte"  Furchung  sind,  wie  sich  bei  Rana  esculenta  nach  dem 
von  mir  angegebenen  Furchungsschema  leicht  feststellen  lässt,  sehr  häufig  ver- 
tauscht; und  dies  geschieht  auch  wieder  oft  blos  an  „Theilen"  eines  Eies. 

In  diesem  Jahre  (1887)  habe  ich  auch  durch  künstliche  Deformation 
des  Eies  und  ohne  Nachtheil  für  die  Entwickelung  bewirkt,  dass  die  die 
Medianebene  darstellende  Furche  erst  als  dritte  und  zwar  nach  der 
Horizontalfurchung  gebildet  wurde  (s,  Nr.  29,  S.  605,  Nr.  31,  S.  266). 


446  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


normalen  inneren  Bau  der  Medullarplatte  mit  ihren  Medullarwülsten, 
sowie  der  Chorda,  des  Mittelblattes  und  des  Entoblast,  welcher  letztere 
aber  eine  nur  spaltförmige,  also  für  den  Kopftheil  dieser  Entwicke- 
lungsstufe  zu  enge,  Urdarmhöhle  umschliesst;  dies  ist  jedenfalls  da- 
durch bedingt,  dass  die  normaler  Weise  in  caudiventraler  Richtung 
erfolgende  Verschiebung  des  Dotters  hier  durch  den  Widerstand  der 
unentwickelten  hinteren  Eihälfte  unmöglich  gemacht  war.  Die  hintere 
Körperhälfte  fehlt  wie  abgeschnitten;  bei  Fig.  11  b  ist  schon  ein  Theil 
,, nachgebildet"  (siehe  unten). 

Ich  will  noch  erwähnen,  dass  die  hiesige  (Breslauer)  anatomische 
Anstalt  jüngst  einen  weit  entwickelten,  schon  dem  Ausgetragensein 
nahen  Kalbsfötus  erhielt,  der  in  seinen  äusserlich  sichtbaren  Theilen 
ein  typisches „Heiiiitheriiiin  anterius"  darstellt;  indem  die  ganze  hintere 
Rumpfhälfte  wie  quer  abgeschnitten  fehlt.  Die  Eingeweide  sind  zur 
Zeit  noch  durch  eine  durchscheinende,  vom  Defectrande  entspringende 
Haut  bedeckt  und  gestatten  daher  keine  genauere  Beurtheilung ;  doch 
wird  diese  hochinteressante,  sich  so  augenfällig  an  meine  vorstehend 
mitgetheilten  Experimente  anschliessende  Missbildung  seitens  eines 
Doctoranden  einer  genaueren  Beschreibung  unterzogen  werden  [siehe 
Nr.  27,  S.  288]  1). 

Von  den  entsprechenden  hinteren  Halbbildungen  habe  ich 
keine  sicheren  Exemplare.  Eine  der  vier  aufgehobenen  Semi- 
gastrulae  ist  vielleicht  wegen  der  Dicke  und  Kürze  der  Urmundslippe 
als  eine  Posterior  anzusprechen. 

C.  Ein  viertel-  und  Dreiviertelbildungen. 

Bei  einigen  Eiern,  welche  ich  nach  der  zweiten  Furchung  anstach, 
suchte  ich  theils  blos  eine  der  vier  vorhandenen  Furchungskugeln  zu 
tödten,  theils  blos  eine  nicht  zu  tödten.  Von  letzteren  Experimenten 
rühren  einige  v e r t i c a  1  e  \M e r t e  1  m o r u  1  a e  und  Viertelblastulae 
her;  von  ersteren  einige  Drei  viertelblastulae  und  zwei  Dr  el- 
vi er  telembry  onen.  Letztere  besitzen  [136]  die  hintere  Körper- 
hälfte und  eine  Seitenhälfte  der  vorderen  Hälfte.     Diese  Embrvonen 


[1)  P.  EcKARDT,  Ueber  Hemitheria  anterior.     Diss.  inaug.     Breslau  1889.] 


C.   Einviertel-  und  Dreiviertelbildungen.  447 

hatte  ich  vor  der  Naturforscherversammhmg  in  Wiesbaden  nur  noch 
mit  Terpentin  benetzt  gesehen  und  dabei  über  die  zum  ersten  Male 
erbhckte  hintere  Halbbildung  die  beim  einen  zudem  nur  wenig  er- 
hobene Fortsetzung  des  einen  Medullarwulstes  nach  vorn  übersehen, 
welche  sich  hinterher  nach  dem  vollkommenen  Abtrocknen  und  des 
Weiteren  auf  den  Durchschnitten  als  eine  ächte  vordere  Hälfte  eines 
Medullarwulstes  erwies.  Deshalb  wurde  dieser  beiden  Embryonen 
auf  jener  Versammlung  einfach  als  „hinterer  Halbbildungen"  Erwäh- 
nung gethan  [s.  S.  428  Anm.]. 

Der  eine  dieser  Dreiviertelembryonen  (Fig.  12)  ist  gut 
entwickelt,  und  ebenso  lehrreich  für  uns,  als  es  ein  reiner  Hemiembryo 
posterior  sein  würde.  Denn,  nachdem  wir  gesehen  haben,  dass  die 
rechte  und  linke  Körperhälfte  sich  jede  für  sich  entwickeln 
,,kann",  so  ist  [vielleicht]  anzunehmen,  dass  das  auf  der  einen  Seite 
allein  vorhandene  linke  hintere  V^iertel  sich  gleichfalls  für 
sich  aus  der  betreffenden  Furchungszelle  des  Vierzellen- 
stadiums entwickelt  habe.  Die  Figur  lässt  deutlich  die  Medullar- 
wülste  erkennen,  die  vordere  Hälfte  des  rechten  ist  äusserlich  etwas 
abnorm  gestaltet  und  weiterhin  zeigt  sich  eine  ausgesprochene  Asyn- 
taxia  medullaris  (s.  S.  442). 

Die  Asyntaxia  medullaris  erklärt  sich  hier  wohl  einfach 
aus  dem  Fehlen  einer  ,, vorderen"  Seitenhälfte.  Da  die  Seiten- 
lippen des  Urmundes  sich  normaler  Weise  zuerst  vorn  vereinigen, 
und  die  Vereinigung  successive  in  der  Richtung  von  vorn  nach  hinten, 
d.  h.  in  cephalocaudaler  Richtung,  fortschreitet,  so  ist  es  leicht  er- 
klärlich, dass  beim  Fehlen  einer  vorderen  Seitenhälfte  eine  Asyntaxia 
medullaris  statt  hat.  Die  Querschnitte  durch  diesen  Embryo  zeigen 
die  Medullarwülste  im  Innern  wohl  gebaut;  ferner  findet  sich  unter 
dem  rechten  Medi^Jlarwulst  eine  unzweifelhafte  ,,Semichorda  dor- 
salis  lateralis."  Die  Diagnose  ist  hier  dadurch  unzweifelhaft,  dass 
das  Gebilde  eine  grosse  Strecke  weit  blos  von  drei,  manchmal 
vier,  Zellen  auf  dem  Querschnitt  zusammengesetzt  ist.  Die 
Semichorda  ist  aber  gleich  den  obigen,  nicht  ganz  sicheren  Semichordae, 
von  ,, rundem"  Querschnitt;  [sie  hat  also  keine  „Halbgestal- 
tuug",    sondern]    die    halbe   Zahl   der   Zellen   hat   sich   vollkommen 


448  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


zusammengeschlossen  und  damit  gegen  die  von  einem  anderen  Keim- 
blatt gebildete  Umgebung  epithelartig  abgeschlossen.  Links  ist  die 
Chorda  nicht  deutlich  erkennbar.  In  der  hinteren  Hälfte  [137]  ist 
die  Urdarmhöhle  vorhanden  und  wohlgestaltet.  Vorn  ist  nur  rechter- 
seits  eine  halbe  Urdarmhöhle  als  schmaler  Spaltraum  angelegt. 

Von  besonderem  Interesse  ist  bei  diesem  Embryo  die  Per- 
sistenz der  Blastulahöhle  unter  dem  normalen  Dach  derselben. 
Die  Blastulahöhle  liegt  in  der  Mitte  der  Länge  des  Embryo ;  und  man 
sieht  daher  deutlich,  dass  die  Medullarwülste  auf  der  dem  Dach 
der  Blastulahöhle  „entgegengesetzten"  Seite  des  Eies  sich 
befinden,  dass  also  das  Dach  der  Blastulahöhle,  welches  der 
ursprünglich  allein  schwarzen,  oberen  Llälfte  des  Eies  entspricht, 
entgegen  den  Angaben  der  älteren  Autoren,  zur  ,, ventralen"  Seite 
des  Embryo  wird.  Es  liegt  wohl  nahe,  zwischen  der  Asyntaxia  der 
Medullarwülste  und  der  ausgebliebenen  Obliteration  der  Blastulahöhle 
einen  Causalnexus  anzunehmen. 

D.  „Obere"  Theilbildungen. 

In  meinem  letzten  Experiment  versuchte  ich  bei  einigen  Eiern 
blos  die  oberhalb  bezw.  unterhalb  der  ,, ersten  wagerechten" 
Furche  gelegenen  Zellen  zu  zerstören.  Daher  rühren  einige 
deutliche  Semiblastulae  superiores,  welche  blos  das  Dach  der  Furchungs- 
höhle  aus  Zellen  gebildet  darbieten,  während  der  Boden  der  wohlge- 
stalteten Blastulahöhle  aus  nicht  cellulirter  Substanz  besteht. 

Die  Fortsetzung  dieser  Versuche  wird  uns  hoffentlich  Genaueres 
über  die  weitere  Entwickelung  dieser  letzteren  Bildungen  und  damit 
über  den  genaueren  Antheil  der  oberhalb  und  unterhalb  der  ersten, 
wagerechten  Furche  gelegenen  Furchungskugeln  an  der  Bildung  des 
Embryo  lehren. 

Folg-erung'en  aus  diesen  Befunden. 

a)  S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g. 

Bezüglich  des  Allgemeinen  ersehen  wir  aus  diesen  Befunden, 
dass  jede  der  beiden  ersten  Furchungskugeln  sich  unab- 
hängig von  der  anderen  zu  entwickeln  ,, vermag"  und  daher 


Selbstdifferenzirung.  449 


^vohl  auch  unter  normalen  Verhältnissen  sich  unabhängig 
entwickelt  [s.  Nr.  26,  S.  28],  und  zwar  geschieht  diese  selbst- 
ständige Entwiekelung  in  einer  Weise,  welche  nur  in  über- 
raschend wenigen,  grob  mechanisch  erklärbaren,  Verhält- 
nissen von  den  normalen  Bildungen  abweicht. 

Diese  Art  der  Entwiekelung  wurde  aufwärts  verfolgt  bis  zur 
Ausbildung  der  Medullarwülste,  zur  Anlage  der  Gehirnblasen, 
zur  Anlage  der  Chorda  dorsalis  und  zur  Bildung  des  Mesoblast  sowie 
zur  Abgliederung  desselben  in  Ursegm entplatten  und  Seiten- 
platten, und  zur  Zer-  [138]  legung  der  Ursegmentplatten  in  die  Ur- 
segmente. 

Ob  mit  diesem  Grade  der  Entwiekelung  die  obere  Grenze  der 
selbstständigen  Entwickelungsfähigkeit  erreicht  ist,  vermag  ich  zur  Zeit 
nicht  zu  sagen;  es  liegt  aber  auch  zur  Zeit  nichts  vor,  was  zu  einer 
solchen  Annahme  nöthigt,  so  lange  die  Ernährung  noch  ohne  Blut 
vor  sich  geht ;  denn  der  bei  seiner  künstlichen  Abtödtung  am  weitesten 
entw^ickelte  Hemiembryo  der  Fig.  5  zeigte  keinerlei  Absterbeerschei- 
nungen, weder  die  von  mir  als  Zeichen  des  beginnenden  Absterbens 
beschriebene  Framboisia  embryonalis  minor  noch  die  major.  Ueber 
das  Verhalten  nach  der  Bildung  der  Blutgefässe  und  des 
Herzens  kann  nur  die  directe  Beobachtung  entscheiden. 

Eine  Selbstständigkeit  der  Entwiekelung  kommt  auch 
den  beiden  vorderen  und  den  beiden  hinteren  Furchungskugeln 
[letzteren  aber,  wie  es  scheint,  nur  in  geringerem  Grade],  „in  der 
Gesammtheit  ihrer  Derivate"  zu. 

Damit  haben  wir  also  eine  neue  Bestätigung  unserer  bereits 
früher  gewonnenen  Einsicht  erhalten,  dass  die  [normalen]  Ent- 
wickelungsvorgänge  nicht  als  ein eFolge  der  Zusammen- 
wirkung ,,aller^'  Theile  oder  auch  nur  ,, aller'' Kerntheile 
des  Eies  betrachtet  werden  dürfen;  sondern  an  die  Stelle 
,, solcher"  [d.  h.  zwischen  „allen"  Theilen  stattfindenden]  diffe- 
renzirenden  Wechselwirkungen  aufeinander  tritt  die 
Selbstdifferenzirung  der  ersten  Furchungsz eilen  und 
des  Complexes  der  Derivate  jeder  derselben  zu  einem  be- 
stimmten Stück  des  Embryo. 

oq 

\V.  Koux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  ^^ 


450  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Dies  gilt  sowohl,  wenn  die  zuerst  auftretende  Furche, 
wie  normal,  die  rechte  und  linke,  als  auch  wenn  sie  ana- 
chronistisch die  cephale  und  cauclale  Hälfte  von  ein- 
ander scheidet. 

Jede  d i e s e r  F u r c h u n g s k u g e  1  n  enthält  a  1  s o  n i c h t  n u r 
das  ,,BildungsmateriaF'  zu  dem  entsprechenden  Stück 
des  Embryo,  sondern  auch  die  ,,differenzir enden  und  ge- 
staltenden Kräfte". 

b)  B e d e u t u n g  d er  F u r c h u n g. 

Damit  wird  meine  früher  bezüglich  der  Bedeutung  der  normalen 
Furchung  gemachte  Annahme  (s.  S.  138  und  331)  für  die  ersten 
Furchungon  zur  Gewissheit  erhoben;  wir  können  sagen: 

Die  F  u  r  c  h  u  n  g  scheide  t  den  die  „directe  ^)  Eiitwickehing-" 
d  e  s  I  n  d  i  V  i  d  u  u  m  s  V  o  1 1  z  i  e  h  e  n  d  e  n  T  h  e  i  1  des  K  e  i  m  m  a  t  e  r  i  a  1  e  s 
insbesondere  des  Kernmateriales  ,, qualitativ"  und  be- 
stimmt mit  der  dabei  stattfindenden  ,, Anordnung"  dieser 
verschiedenen  gesonderten  INI a t e r i a  1  i e n  d a h er  z u g  1  e i c h 
[139]  die  ., Lage"  der  späteren  differenzirten  Organe  des  Em- 
bryo (einschhesslich  nachträglicher  ,, typischer"  Materialumlagerungen). 

Ueber  die  V^ertheilung  desjenigen  Idioplasmas  da- 
gegen, welches  erst  bei  der  ,, Regeneration"  und  der  weiter 
unten  kennen  zu  lernenden  ,, Postgeneration"  in  Thätig- 
keit  tritt  und  vielleicht  in  jeder  Zelle,  bezw.  in  jedem  Kern,  sich 
mehr  oder  weniger  vollkommen  vorfindet,  ist  damit,  wie  ich  aus- 
drücklich  bemerke,   nichts  präj  udicirt^). 


[1)  Die  „directe"  Entwickelung,  die  hier  zum  ersten  Mal  bestimmt  unter- 
schieden wird,  ist  zunächst  die  „normale"  Entwickelung;  doch  kommen  viele  Vorgänge 
derselben  auch  noch  unter  manchen  abnormen  Verhältnissen  vor.  Beide  Bezeichnungen 
sind  aber  nicht  synonym,  als  welche  sie  manche  Autoren  seitdem  gebrauchen;  sondern 
die  „directe"  Entwickelung  ist  der  weitere  Begriff  (s.  Nr.  26,  S.  58, 
Nr.  27,  S.  303,  Nr.  31,  S.  279.] 

■-)  Wenn  somit  die  ersten  beiden  Furchungskugeln  das  Material  für  die  rechte 
und  linke  Körperhälfte  enthalten,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  bei  der  geringsten  Un- 
vollkommenheit  der  „qualitativen  Halbirung "  die  eine  Körperhälfte  früher  oder 
später  entsprechend  anders  werden  muss  [soweit  nicht  Correction  durch  Selbstregulation 


Ursache  der  bilateralen  Symmetrie.  451 

Und  ebenso  wenig  soll  »mit  dieser  Angabe  der  durch  unsere 
Experimente  bereits  sicher  erkannten  Bedeutung  der  ersten  Furch- 
ungen gesagt  sein,  dass  im  Für chungsstadium  nicht  noch 
andere  Vorgänge  wie  z.  B.  etwa  die  Ausbildung  vieler  ver- 
schiedenen Qualitäten  im  Keimmaterial,  die  Vermehrung 
des  specifisch  diiTerenzirten  Keimmateriales  stattfänden^). 


I  c)  Ursache  der  bilateralen  Symmetrie. 

Wenn  danach  die  erste  Furchung  das  Material  der  rechten 
und  linken  Körperhälfte  von  einander  sondert,  also  das  Keimmaterial 
„qualitativ  halbirt",  um  mich  dieses  von  mir  eingeführten  Aus- 
druckes zu  bedienen,  so  ist  dabei  doch  nicht  ausser  Acht  zu  lassen, 
dass  dieses  qualitativ,  d.  h.  seiner  chemischen  und  procen- 
ti sehen  Zusammensetzung  nach  beiderseits  gleiche  Material 
nicht  auch  ,, morphologisch"  gleich  ist;  denn  seine  Anordnung 
ist  auf  der  einen  Seite  derart,  dass  eine  rechte,  auf  der  andern 
Seite  derart,  dass  eine  linke  Körperhälfte  daraus  hervorgeht.  In 
welchem  Anordnungsverhältniss  diese  fundamentale  Ungleich- 
heit, die  die  Grundlage  der  bilateralen  Symmetrie  dar- 
stellt, zur  Zeit  der  ersten  Furche  begründet  ist,  ob  etwa  blos  in 
der  halbkugeligen  „Gestalt"  des  Dottermateriales  [s.  Nr.  30,  S.  149] 
und  in  deren  ,, einstellender  Wirkung"  auf  die  eventuell 
verschiedenen  Kernbestandtheile  oder  in  der  „selbstständigen"- 
Anordnung  der  Kernbestandtheile  sind  Fragen,  [HO]  welche  für 
sich  zu  beantworten  sein  werden,  und  welche  ich  hier  blos  er- 
wähne, um  zu  verhindern,  dass  man  mir  wieder,  in  Folge  zu 


eintritt]  ixnd  dass  die  Aenderung,  wenn  sie  mediale  Theile  betraf,  bis  an  die  Median- 
ebene des  Individuums  sich  erstrecken  muss.  So  erklärt  sich  vielleicht  die  sogenannte 
Halbseitig keit  mancher  Bildungs-  und  Erhaltungsabweichungen  bis  zu  dieser 
Ebene,  z.  B  frühzeitiges  Ergrauen  der  Haare  einer  Seite  (bei  sonst  noimalem  Ver- 
halten der  Theile,  in.sbesondere  der  Nerven)  der  Hemiatrophia  facialis,  Riesen- 
wuchs einer  Kopfhälfte  u.  s.  w. 

1)  Die  Vermehrung  der  Qualitäten  kann  natürlich  nur  durch  Wechsel- 
wirkung der  vorher  vorhandenen  Qualitäten  stattfinden.  Die  oben  gemachte  An- 
nahme schliesst  also  ditferenzirende  Correlationen  der  Theile,  Epigenesis  ein. 

29* 


452  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

grosser  Kürze  meiner  Ausführung,  durchaus  fremde  An- 
sichten (s.  S.  138)  unterstellt^). 

Es  liegt  nahe,  den  obigen  Schluss bezüglich  der  ,, qualitativen 
Materialscheidung  auch  auf  die  folgenden  Furchungen"  aus- 
zudehnen. Wie  weit  eine  solche  Ausdehnung  berechtigt  ist,  hoffe  ich 
durch  weitere  Versuche  darthun  zu  können^);  in  Gleichem,  wie  auch 
zu  entscheiden,  ob  bezw.  wie  weit  die  Nachkommen  der  ,, späterer 
Furchungskugeln"  für  sich  selbst  dif f erenzirungsfähig 
sind;  oder  ob  die  zur  Bildung  des„Embryo"  fortschreitende 
Differenzirung  doch  an  die  Coexistenz  einer  grösseren 
Gruppe,  etwa  aller  Nachkommen  einer  der  „vier"  ersten 
Furchungskugeln,  gebunden  ist,  der  so  dass  wir  in  jeder  ,,vier" 
ersten  Furchungszellen  bereits  die  „kleinsten"  selbstdifferen- 
zirungsfähigen  Eit heile  erreicht  hätten,  was  ich  indess  trotz 
des  scheinbar  dafür  sprechenden,  sogleich  zu  erörternden  Mechanis- 
mus der  Gastrulation  nicht  vermuthe. 

Gehen  wir  nun  zu  den  specielleren  entwickelungsme- 
c hanischen  Folgerungen  aus  den  mitgetheilten  Thatsachen  über. 

d)    Unabhängigkeit  der   Zelltheilung  von  den  Nachbar- 
organen. 

Zunächst  ist  aus  dem  normalen  Verlaufe  der  Entwickelung  der 
unversehrten  Furchungszelle  [beim  Fehlen  der  normalen  Nachbar- 
zellen im  Bereiche  der  nicht  entwickelten  Antimere]  zu  folgern,  dass 
die  soeben  erörterte  qualitative  Scheidung  des  Zellleib-  und 
des  Kernmateriales,  welche  bei  der  Furchung  stattfinden  muss, 
ohne  die  Einwirkung  der  Nachbarzellen  richtig  vor  sich 
gehen  ,,kann,  also  wohl  auch  ,, normaler  Weise"  ohne  diese 
vor  sich    geht;    zweitens    dass   der  Kern    seine   für  die   richtige 

[1)  Diese  Vorsicht  hat  indessen  nicht  den  gewünschten  Erfolg  gehabt;  sondern 
einige  Autoren  haben  mir  gleichwohl  bestimmte  einseitige  Ansichten  unterstellt,  die 
sie  dann  zu  widerlegen  suchten.] 

[^)  Dieser  Ausspruch  bekundet  wohl,  dass  der  Satz  über  die  Bedeutung  der 
Furchung  als  qualitativer  Materialscheidung  auf  Seite  450  blos  für  die  zwei  ersten 
Furchungen  als  erwiesen  angenonimen  worden  war;  wenn  schon  es  danach  sehr 
nahe  liegt,  dasselbe  Geschehen  auch  auf  die  weiteren  Furchungen  auszudehnen.] 


Active  Umordnung  und  Gestaltung  der  Zellen.  458 


Anordnung  der  geschiedenen  Materialien  wichtige ,  richtige  Stellung 
in  der  Furchungszelle  ohne  eine  an  die  Lebensthätigkeit 
der  Nachbar  Zellen  geknüpfte  Einwirkung  derselben  erlangt; 
und  dass  das  Gleiche  auch  bei  den  späteren  Theilungen  innerhalb 
des  Nachbarbezirkes  der  operirten  Zelle  der  Fall  ist;  weshalb  sich 
diese  Unabhängigkeit  vielleicht  auch  ohne  einen  Irrthum  verallge- 
meinern lassen  wird. 

e)   Active  Umordnung  und  Gestaltung  der  Zellen. 

Weiterhin  folgere  ich  aus  diesem  Nichtnöthigsein  der  einen 
verticalen  Eihälfte  für  die  Entwickelung  der  anderen,  dass  die  ßla- 
stulagestaltung  ohne  weitgehende  Spannungen  im  Materials, 
also  auch  ohne  weitaus  sich  erstreckende  mechanische 
Wechselwirkungen  der  Theile  vor  sich  geht;  so  dass  ich  dem- 
nach geneigt  bin,  die  typische  Blastulagestaltung  auf  ,,active 
Umordnung  der  Zellen"  zurückzuführen;  wobei  [141]  viel- 
leicht nach  His  eine  Neigung  mancher  Zellen,  der  Oberfläche  als  der 
Zufuhrstelle  des  Sauerstoffs  näher  zu  kommen,  betheiligt  ist.  Ferner 
bekundet  die  schöne  prismatische  Gestalt  der  Epit hellen  im 
Dache  der  Semiblastulahöhle  bis  nahe  an  den  in  manchen  Fällen 
freistehenden,  abgerundeten  Rand  derselben,  die  schon  bei  der  dritten 
ja  sogar  zweiten  Zelle,  vom  freien  Rande  aus  gerechnet,  sich  vor- 
findet, dass  auch  diese  Gestaltung  n  i  c  h  t  p  a  s  s  i  v  durch  Zusammen- 
drängung  vieler  Zellen  in  einer  geschlossenen  Fläche,  sondern 
durch  ein  „Bestreben  der  benachbarten  Zellen,  sich  dicht 
zusammenzuschliessen"und  vielleicht  noch,  sich  zugleich 
rechtwinkelig  zur  Oberfläche  zu  verlängern,  bedingt  sein 
muss;  sofern  die  Streckung  nicht  auch  nur  eine  Folge  der  hohen  In- 
tensität des  ersteren>  Bestrebens  ist. 

f)  Bedeutung   der  Abweichungen   der  Halbbildungen  von 

der  Norm. 

Die  oben  beschriebenen  „Abweichungen"  mehrerer  Semi- 
blastulae  von  dem  normalen  Bau  bewiesen,  ebenso  wie  auch  die 


45i  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

Abweichungen  auf  den  anderen  höheren  Entwickelungsstufeu  ,,neben" 
den  unter  den  gleichen  Bedingungen  beobachteten  „nor- 
mal" gestalteten  Halbbildungen  weiter  nichts,  als  dass 
Abnormitäten  bei  den  Halbbildungen  leichter  vorkommen 
können  als  unter  normalen  Verhältnissen;  die  speciellen  Ur- 
sachen dieser  Abweichungen  und  der  durch  die  Unvoll  ständig- 
keit des  Keimes  gegebenen  Prädisposition  dazu  zu  ermitteln,  wird  eine 
spätere,  vielleicht  sehr  lehrreiche  Aufgabe  sein.  [s.  Nr.  27, 
S.  295  u.  Nr.  28,  S.  616]. 

g)  Mechanismus  der  Gastrul  ation. 

Die  nächsten  Bildungsvorgänge  bewirken  die  G  a  s  t  r  u  1  a  t  i  o  n.  Mein e 
früheren  (S.  342,  348  Anm.),  sowie  die  vorstehend  (S.  436)  gemachten  und 
die  weiter  unten  noch  folgenden  (S.  457,  Anm.  2  u.  460  Anm.)  Angaben 
enthalten  über  diesen  Vorgang  für  den  aufmerksamen  Leser  schon  ge- 
nügendes Material,  um  die  bisherige,  jüngst  auf's  Neue  von  0.  Schultze 
allerdings    ohne    Angabe    eines    sachlichen    Grundes   vertretene    Auf- 
fassung, dass  die  Urdarmhöhle  durch  „Einstülpung"  nach  „oben" 
entstünde,   und   dass  daher   die   ursprünglich   schon   schwarze   obere 
Seite  des  Eies  der  Dorsalseite  des  Embryo  entspreche,  als  irrig  zu 
erkennen.    Ich  werde  indess  diesem  Vorgang  der  Gastrulation,  wel- 
cher sich  mehr   des  Interesses   der  Fachgenossen   erfreut,    als  meine 
entwickelungsmechanischen  Bestrebungen,  eine  besondere  Darstellung 
meiner   Auffassung  und    der  Widerlegung  der  gegnerischen   Auffas- 
sung widmen,   um  die  Fachgenossen  nicht  zu  nöthigen,   für  die  Be- 
friedigung ihrer  Wissbegier  in  dieser  einen  Frage  wider  [1-1:2]  Willen 
meine   ganzen  entwickelungsmechanischen  Arbeiten  lesen  zu  müssen 
[s.  Nr.  23].    Wir  ziehen  hier  daher  nur  folgende  Schlüsse:  Die  Gastru- 
lation vollzieht  sich  in  jeder  Antimere  selbstständig,  und 
das  Gleiche  ist  auch  in  der  caudalen  und  cephalen  Hälfte 
der  Fall.    Demnach  gilt  es  auch  für  die  betreffenden  Viertel, 
und  wir  können   mit  Berücksichtigung   der  beobachteten  Weiterent- 
wickelung dieser  Viertel  schliessen: 

Die  Entwickelung   der   „Froschgastrula"   und  des  zu- 
nächst" daraus  hervorgehenden  Embryo  ist  von  der  zwei- 


Satz  der  .Mosaikaibeit".  455 


ten  Furchung  an  eine  Mosaikarbeit  und  zwar  aus  mindestens 
„vier"  verticalen,  sich  selbst  ständig  entwickelnden  Stücken 

[s.  Nr.  27,  S.  281]^). 

Wie  weit  nun  diese  Mosaikbildung  aus  mindestens 
,,vier"  Stücken  bei  der  weiteren  Entwickelung  durch  ein- 
seitig gerichtete  Materialumlagerungen  und  durch  ,,differenzirende 
Correlationen''  umgearbeitet  und  in  der  Selbstständigkeit 
ihrerTheile  „beschränkt"  wird,  ist  erst  noch  zu  ermitteln  ^).  [Weiteres 
siehe  Nr.  26,  S.  34,   s.  auch  S.  317.]     Die  bekannten  Verlagerungen 

[1)  Ueber  die  Beschränkung  in  der  Ausdehnbarkeit  dieses  Satzes,  welche  viel- 
leicht durch  die  bei  Amphioxus,  Fundulus  etc.  nicht  in  genügendem  Maasse  von 
selber  sich  erhaltende  „Gestalt"  jeder  der  vier  ersten  Furchungszellen  und  deren  aus- 
lösende Wirkung  (s.  S.  451)  bedingt  ist,  siehe  das  „Nachwort"  und  Nr.  30,    S.  148.] 

[-)  Trotz  dieser  unmittelbar  meinem  Ausspruche  über  „die  Mosaikarbeit  der 
„Froschgastrula"  und  des  nächsten  Embryostadiums  aus  mindestens  vier 
Stücken"  angeschlossenen  Beschränkung  bezüglich  der  weiteren  Entwickelung  und 
trotz  des  Hinweises  auf  eventuelle  „  differ enzirende  Wechselwirkungen" 
ist  mir  unterstellt  worden,  ich  hätte  das  Princip  der  Mosaikarbeit  als  „allgemeines 
Princip  der  Entwickelung"  aufgestellt  und  den  Antheil  differen- 
zir ender  Correlationen  an  der  Ontogenese  verleugnet;  wonach  dann  zur 
Widerlegung  dieser  „Irrthümer"  eine  ganze  Litteratur  entstanden  ist. 

Richtig  ist,  dass  ich  für  den  Anfang  der  Ontogenese  die  von  mir  nachge- 
wiesene Selbstdifferenzirung  der  ersten  Furchungskugeln  betont,  auf  die  eventuelle 
Möglichkeit  weiterer  Ausdehnung  dieses  Principes  auf  kleinere  Stücke  hingewiesen, 
ausserdem  aber  erwähnt  habe,  dass  vielleicht  sogar  diese  Selbstdifferenzirung  aus 
vier  Stücken  im  Laufe  der  nächsten  weiteren  Entwickelung  schon  beschränkt  wird 
und,  dass  innerhalb  solcher,  der  Selbstdifferenzirung  fähigen  Stücke  differ  en- 
zirende Correlationen  anzunehmen  sind.  Da  über  die  Art  dieser  letzteren  Corre- 
lationen zur  Zeit  nichts  Sicheres  bekannt  war  und  nocli  ist,  habe  ich  mich  nicht  ein- 
gehender über  sie  geäussert,  sondern  mich  begnügt,  auf  ihre  Nothwendigkeit  hinzu- 
weisen. 

Eine  solche  Beurtheilung  entspricht  aber,  wie  es  scheint,  nicht  den  Vorstell- 
ungen mancher  Autoren;  sondern  sie  nehmen  als  selbstverständlich  an,  dass  ein  Autor, 
der  ein  Wirkensprincip  ermittelt  hat,  dasselbe  statt  als  eine  Componente  als  die 
einzige  Componente  hinstelle;  und  wenn  letzteres  nicht  geschehen  ist,  so  wird  doch 
von  ihnen  die  gemachte,  aber  nicht  bei  jeder  einzelnen  Gelegenheit  wiederholte  Ein- 
schränkung nicht  gewürdigt ,  sondern  eine  einseitige  Auffassung  wird  unterstellt  und 
danach  bekämpft. 

Da  ich  der  qualitativen  Kerntheilung  den  Hauptantheil  an  der  typischen 
ontogenetischen  Gestaltung  zuerkenne,  wird  nach  demselben  Verfahren  der  von  mir 
erbrachte  Nachweis  (Nr.  20,  21  u.  30)  unbeachtet  gelassen,  dass  unter  normalen  Ver- 
hältnissen die  Befruchtung  durch  Hervorbringung  einer  gewissen  Anordnung  der 
verschiedenen  Dotterbestandtheile  darüber  entscheidet,  was  köpf-  und 
schwanzwärts  am  Froschei  wird,  indem  die.se  Anordnung  ihrerseits  bestimmt,  welche 
Kerntheile  ihr  zugeführt  werden.   Damit  ist  ein  Princip  der  Wirkung  der  Zell- 


456  Nr.  22.    Die  Hervoibringung  halber  Embryonen. 


der  Dotterzellen  wäbrend  der  Gastrulatioii  sind,  sofern  letztere  nur 
Reservematerial  darstellten,  hierbei  nur  von  untergeordneter  Bedeu- 
tung. 

h)  Anlagestelle  der  Chorda,  des  Medullarwulstes  und  des 

Me  so  blast. 

Die  Hemiembryones  laterales,  sowie  dieAsyntaxia  me- 
dullär is  belehren  uns  des  Weiteren,  dass  in  dem  medialen  Saum 
des  U r m u n d e s  der  Semigastrula  lateralis  sich  auch  die  seit- 
liche Hälfte  der  ,, Chorda  dorsalis"  anlegt,  während  an  der 
angrenzenden  Aussenfläche  desselben  die  Medullarplatte 
mit  dem  Medullär  wul  ste  gebildet  wird.  Ausserdem  geht  auch 
die  Anlage  des  Mesoblast  in    der  ,, Dorsalplatte"  vor  sich. 

Von  Interesse  ist,  dass  die  Chorda  und  der  Mesoblast  [ob- 
schon  sie  normaler  Weise  vom  Entoblast  abstammen  sollen  und  ob- 
schon  dies  für  die  Chorda  auch  bei  unseren  Halbbildungen  zu  be- 
obachten war]  auch  gebildet  werden  in  den  Fällen,  wo  der 
Därmen  tob  last  fehlt,  und  sogar  wenn  der  Darmentoblast  ganz  fehlt, 
wie  die  in  einigen  Fällen  von  Asyntaxia  medullaris  vorhandene  A  n  - 
en toblas tie  zeigt.  Ferner  ist  es  lehrreich,  dass  sich  der  seitliche 
Theil  des  Ectoblast  und  die  Medullarplatte  an  dem  Umschlagsrande 
auch  bei  unseren  Halbbildungen  von  einander  trennen,  obgleich  hier 
keiner  dieser  beiden  Theile  des  ursprünglichen  Ectoblast  dann  Ge- 
legenheit hat,  sich  mit  seines  Gleichen  zu  vereinigen,  sondern  zu- 
nächst mit  einem  freien  Rande  gegen  die  operirte  Hälfte  anstösst. 

i)    Selbstloslösung    der  Chorda,    Medulla,    des  Entoblast 

und  Mesoblast  von  einander.     ,, Selbstordnung"  der 

Chordazellen. 

Die  abweichende  Gestalt  der  Semichorda  von  einer  [143]  „late- 


leibtheile  auf  den  Zellkern  für  die  Ontogenese  ausgesprochen  und 
für  einen  wichtigen  Fall  nachgewiesen,  welches  jetzt  von  anderer  Seite 
als  neu  aufgestellt  wird. 

Während  ich  weiterhin  schon  lange  die  Ontogenese  als  eine  Comb i- 
nation  von  Evolution  und  Epigenesis  (siehe  diese)  bezeichnet  habe,  hat  ein 
Autor  (H.  Driesch,  Analytische  Theorie  der  organischen  Entwickelung,  1894)  jüngst 
bemerkt,  dass  diese  Ansicht  von  ihm  herrührt,  weil  er  sich  in  bestimmterer  (nach 
meiner  Auffassung  in  vorläufig  weit  zu  bestimmter)  Weise  über  den  Antheil  differen- 
zirender  Correlationen  in  den  frühesten  Stadien  geäussert  hat.l 


Selbstloslösung  der  Chorda,  Medulla,  des  Entoblast  etc.  457 


ralen    Halbbildung",    die    sich    darin    äussert,  dass    die    Semichorda 
statt  eines  halbkreisförmigen   einen  runden  Querschnitt  zeigt,  erklärt 
sich  leicht  bei  Berücksichtigung  der  wirklichen  Bildungsvorgänge.    Die 
Bildung  der  Chorda   des  Froschembryo   erfolgt   nicht,  wie  ge- 
wöhnlich  gesagt    wird,    durch    „Abschnürung"    der    betreffenden 
Zellengruppe  vom  Entoblast,   da  gar  keine  äusseren  Theile  an  der 
betreffenden    Stelle    sich    finden,    welche    eine    Abschnürung    hervor- 
bringen  könnten;    sondern  wir  müssen-  bei    dem  Fehlen  jeder  Vor- 
richtung zu  einer  solchen  passiven  Umformung  schliessen,  dass  die 
Absonderung  der  Chordazellen  von  ihrer  Nachbarschaft 
durch  eine  „active  Umordnung  und  Umgestaltung"  dieser 
Zellen     sich    vollzieht.     Diese   Nachbarschaft   ist    bei   den   late- 
ralen Halbbildungen  nach   aussen   der   Ectoblast,   speciell    dieMedul- 
larplatte,    nach    innen    der  Entoblast,    denn    das    Chordaepithel 
stellt  hier    die   Uebergangsstelle   zwischen   diesen    beiden 
Schichten    dar^)   und    lateral    der   Mesoblast.      Nach    der    ,,ac- 
tiven    Selbstloslösung"    dieser    Nachbartheile    von    ein- 
ander ordnen  sich   die   freien  Randzellen    des  Chordatheiles   von 
beiden  Seiten  her  zusammen,  dass  sie  sich  mit  ihren  Seitenflächen  be- 
rühren und  so  einen  in  sich  geschlossenen  Strang  formiren.     Die  so 
bekundete  Tendenz  der  Chordazellen  zu  möglichst  inniger 
Aneinanderlagerung    derselben    und    somit    zu    vollkommenem 
epithelialem  Abschluss  gegen  die  Umgebung  ist  nun,  nach 
unserem  Befunde  zu  schliessen,  nicht  derart  vertheilt,  dass  die  Zellen 
jeder  Hälfte  sich  für  sich  zu  einem  Halbrund   ordnen,   sondern  dass 
sich    die    vorhandenen  Zellen   gleicher  Art    möglichst  eng 
vereinigen  und  so  nach    aussen  möglichst    sich  abschliessen.     Da- 
nach scheint  sehr  rasch  die  oben  beschriebene  Verdickung  der  Semi- 
chorda^) vor  sich  zu  gehen. 


[1)  Dies  ist  auch  der  Grund,  dass  nicht  selten  Zellen  der  Chorda  dorsalis 
gleich  den  Zellen  des  Ectoblast  Pigment  enthalten,  wie  ich  gelegentlich  mit- 
getheilt  habe  (Biolog.  Centralbl.  1888,  S.  412).] 

2)  Zugleich  wirft  diese  Bildung  der  Semichorda  auch  ein  Licht  auf  die  grossen 
Verschiedenheiten  der  sogenannten  „Abstammung"  der  Chordazellen 
vom  Ecto-,  Euto-  oder  Mesoblast,  bei  nahe  stehenden  Klassen,  ja  sogar  Ord- 
nungen und  Familien,  wie  sie  wohl  aus  der  Verschiedenheit  der  Angaben  zahlreicher 


458  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

k)  Selbstgestaltung   des  Medullarrohres. 

[l-t-l]  Beim  Medullarrohr  dagegen  haben  wir  in  vollkommenerer 
Weise  die  Zellen  jeder  Hälfte  in  den  Hauptsachen  annähernd  die 
typische  Form  des  halben  Querschnittes  herstehen  sehen,  wo- 
raus zu  folgern  ist,  dass  diesen  Zellen  eine  besondere  gestaltende, 
im  Einzelnen  ordnende  Potenz  eigen  ist;  dieselbe  ist  indess 
doch  nicht  ganz  sufficient  zur  Herstellung  der  normalen  Querschnitt- 
form, da  wir  die  Semimedulla  stark  in  dorsiventraler  Richtung  zu- 
sammengesunken fanden,  wohl  wegen  des  Fehlens  der  zugleich  als 
Stütze  dienenden  anderen  Hälfte.  Eine  neue  Bestätigung  finden  wir  da- 
mit für  meine  schon  in  der  Einleitung  [s.S.  426  u.  247]  dargelegte  Ansicht, 
dass  die  Erhebung  des  Medullarwulstes  an  dem  Material  der  Medul- 


gewissenhafter  Forscher  als  thatsächlich  bestehend  gefolgert  werden  niuss.  Da  die 
Chorda  dorsalis  aus  dem  Epithel  des  seitlichen  freien  Randes  der  seitlichen  Urmunds- 
lippen  gebildet  wird,  und  sich  diese  Lippen  normaler  Weise  schon  während  der  Gastru- 
lation  mit  einander  vereinigen  derart,  dass  gewöhnlich  zuerst  das  Ectoblast  mit 
dem  Ectoblast  der  anderen  Hälfte  verschmilzt  und  sich  dabei  meist  zugleich  voll- 
kommen von  dem  CLordaepithel  sondert,  so  erscheint  dann  die  Chorda  mit  dem  Ento- 
blast  in  Zusammenhang  und  formirt  eine  Rinne,  welche  sich  in  die  Urdarmhöhle 
öffnet.  Da  das  Mittelblatt  in  dieser  selben  Uebergangsgegend  der  Blätter  angelegt 
wird,  so  steht  es  anfangs  mit  dem  Chordaepithel  in  Zusammenhang,  welcher  sich 
alsdann,  wie  ich  oben  mitteilte,  in  metamerer  Weise  löst.  Erst  wenn  dies  geschehen 
ist,  sondert  sich  das  Chordaepithel  vom  Entoblast  durch  Umordnung  seiner  Zellen  und 
letzteres  vereinigt  sich  von  beiden  Seiten  her  in  der  oben  beschriebenen  Weise. 

Nun  kommen  aber  „kleine  Anachronismen"  in  diesen  dreierlei 
Trennungen  beim  Frosche  vor,  und  dann  „stammf*,  nach  der  Auffassung  der  blos 
beschreibenden  Embryologie,  welche  das  Wesen  der  Vorgänge  unberücksichtigt 
lässt,  die  Chorda  bald  vom  Entoblast,  bald  vom  Ectoblast,  bald  vom 
Mesoblast  ab. 

Und  auch  bei  Thierklassen,  wo  der  Mechanismus  der  Gastrulation  nicht  mehr 
ein  derartiger  ist,  sondern  wo,  wie  ich  gesagt  habe  [Nr.  23,  S.  703],  schon  während  der 
„Furchung"  ein  Theil  der  Arbeit  der  „Gastrulation"  in  der  Material- 
lagerung geleistet  wird,  werden  in  Folge  dieser  urspünglich  so  geringen  Unter- 
schiede auch  schon  relativ  geringe,  später  typisch  gewordene  Variationen  in  der 
„Sonderung"  genügen,  um  das  Material  der  Chorda  ganz  oder  theils  zum  Ecto-, 
Ento-  oder  Mesoblast  zu  schlagen. 

Ich  bin  mir  wohl  bewusst,  mit  diesen  entwickelungsmechanischen  Gedanken 
in  hohem  Maasse  von  der  Auffassung  der  beschreibenden  Entwickelungsgeschichte, 
insbesondere  von  dem  in  ihr  herrschenden  Dogma  der  vollkommenen  ent- 
wickelungsgeschichtlichen  Homologie  der  Keimblätter  der  Wirbel- 
thiere  abzuweichen.  Ich  denke  jedoch,  dass  meine  Auffassung  allmählich  Anklang 
finden  wird. 


Vorgänge  in  der  ^operirten"  Eihälfte.  459 

larplatte  nicht  passiv  durch  lateral  andrängende  Seitentheile  erfolgt; 
da  bei  einem  solchen  Vorgang  zugleich  die  hier  vorhandene  eine  seit- 
liche Hälfte  der  Medullarplatte  nach  der  nicht  entwickelten  Seite  hätte 
herübergeschoben  werden  müssen,  wovon  [145]  nichts  wahrnehmbar 
war.  Die  oben  erwähnte  Verlagerung  der  medianen  Theile  war  wenig- 
stens nicht  derart,  dass  sie  auf  diese  Ursache  zurückführbar  wäre. 

II.   Vorgänge  in  der  „operirten"  Eihälfte. 

Nachdem  wir  somit  das  Verhalten  der  unversehrten  Furchungs- 
kugel  kennen  gelernt  und  in  seiner  entwickelungsmechanischen  Be- 
deutung erörtert  haben ,  wenden  wir  uns  nunmehr  zur  anderen  Ei- 
hälfte, zu  dem  Verhalten  der  operirten  Zelle. 

Das  Verhalten  dieser  Eihälfte  zeigte  grosse  Mannigfaltigkeit 
schon  für  die  äussere  Betrachtung  und  noch  mehr  beim  Studium  des 
Innern  an  successiven  Durchschnitten.  Die  dabei  wahrgenommene 
Mannigfaltigkeit  von  Bildungen  lässt  auf  eine  ganze  Reihe  von  Vor- 
gängen schliessen,  welche  ich  in  drei  Gruppen  scheiden  will. 

Erstens  Vorgänge  in  der  Substanz  der  operirten  Eihälfte,  welche 
diese  Substanz  mehr  oder  weniger  unbrauchbar  machen  und  welche 
daher  als  ,,Z  er  Setzungsvorgänge"  bezeichnet  werden  können, 
wenn  man  sich  nicht  daran  stösst,  dass  darunter  auch  progres- 
sive Vorgänge,  nämlich  Kernvermehrungen  mit  einbegriffen 
werden,  deren  Producte  aber  ihrem  weiteren  Verhalten  nach  gleichfalls 
als  abnorm  aufgefasst  werden  müssen. 

Zweitens  Vorgänge,  welche  verändertes  Material  der  operirten 
Eihälfte  wieder  brauchbar  machen  und  zugleich  für  eine  nachträgliche 
Entwickelung  des  Weiteren  vorbereiten.  Diese  sollen  als  ,, Reorgani- 
sationsvorgänge" zusammengefasst  werden. 

Ihnen  folgen  dann  drittens  Vorgänge,  welche  durch  nachträgliche 
Entwickelung  die  von  vornherein  fehlenden  Körpertheile  in  ganz  oder 
fast  normaler  Vollkommenheit  herstellen.  Diese  Vorgänge  werde  ich 
aus  weiter  unten  zu  erörternden  Gründen  als  Vorgänge  ,, der  Postgene- 
ration" bezeichnen  und  so  von  vornherein  von  der  Regeneration 
entwickelt  gewesener,  aber  in  Verlust  gerathener  Körpertheile 
zu  scheiden. 


460  Nr.  22.  Die  Hervorbringuug  halber  Embryonen. 

Zu  dem  Speciellen  übergehend,  so  ist  zunächst  vorauszuscliicken, 
dass  viele  der  mit  nicht  erliitzter  Nadel  angestochenen  Eizellen, 
trotz  dieses  groben  Eingriffes  und  trotz  grosser  Extraovate,  sich  nor- 
mal entwickelten^);  während  in  anderen  [146]  Fällen  mit  nur  sehr 
geringem  Substanzaustritt  gleichwohl  die  Entwickelung  ausblieb.  Dies 
führt  zu  der  Annahme,  dass  Substanzen  sehr  verschiedener 
entwickelungsmechanischer  Dignität  in  der  Furchungs- 
zelle  enthalten  sind;  und  zwar  einmal  Substanzen,  welche 
für  die  Entwickelung  nicht  unerlässlich  nöthig  sind,  und 
zweitens  Substanzen,  deren  Austritt  in  sehr  geringer 
Menge  aus  der  Furchungszelle  oder  deren  Störung  der  Anord- 
nung die  Entwickelungsfähigkeit  der  letzteren  aufhebt.  Bei 
dem  gegenwärtigen  Standpuncte  unserer  Kenntnisse  werden  wir  die 
letzteren  Substanzen',, vorzugsweise"  als  Kernbestandtheile 
betrachten. 

Ich  bemühte  mich  deshalb  bei  der  Operation  mit  der  kalten 
Nadel,  den  Kern  durch  mannigfache  intraovale  Bewegungen  in  der 
Anordnung  seiner  Theile  zu  stören,  was  mir  aber,  wie  oben  schon 
erwähnt,  nur  so  selten  gelang,  dass  ich  es  vorzog,  fernerhin  die 
Wärme  noch  als  zerstörendes  Agens  zu  Hülfe  zu  nehmen; 
wonach  dann  auch  die  gewünschte  Wirkung  eintrat. 

Die  operirte  und  durch  das  Extraovat  zum  Theil  entleerte 
Zelle  füllte  sich  oft  rasch  wieder  theilweise  von  der  un- 
versehrten Nachbarzelle  aus,  was  besonders  deutlich  bei  An- 
stich blos  einer  der  vier  ersten  Zellen  nach  der  ^Weiten  Furchung 
zu  erkennen  war  [s.  S.  156].  Die  operirte  Zelle  erschien  gewöhn- 
lich bald  weisslich  oder  wenigstens,  statt  an  der  Oberfläche  gleich- 
massig  braun  zu  sein,  blos  noch  dunkel  gesprenkelt;  und  wir  werden 
als  Erklärung  dieser  Erscheinung  das  Pigment  im  Inneren  um  be- 
sondere Gebilde  angehäuft  finden. 


1)  Hinsichtlich  der  topographischen  Beziehungen  der  Theile  des  Eies  zu  denen 
des  Embryo  ist  es  von  Interesse,  dass,  wenn  der  Stiel  des  Extraovates  mit 
dem  Ei  bezw.  Embryo  in  Verbindung  blieb  und  der  Anstich  an  der  schwarzen, 
, oberen"  Hemisphäre  erfolgt  war,  dann  dieser  Stiel  später  auf  der  „ventralen" 
Seite  des  Embryo  sass  [s.  Nr.  23,  S.  700,  wo  nicht  das  zweigetheilte  Ei,  sondern 
die  Blastula  mit  dem  gleichen  Erfolg  ,oben"  angeschoben  worden  ist]. 


Zersetzungs-  und  andere  abnorme  Vorgänge.  461 


A.    Zersetzungs-  und  andere  abnorme  Vorgänge. 

Auch  bei  Anwendung  der  „heissen"  Nadel  verhielten  sich 
die  operirten  Zellen  noch  sehr  verschieden;  und  wir  wollen  zunächst 
diejenigen  Fälle  schildern,  in  denen  die  operirte  Furchungs- 
kugel  auch  späterhin  gar  keine  Entwickelungserschei- 
nungen  darbot,  weil  in  diesen  Fällen  die  oben  erwähnte  erste  Gruppe 
von  Vorgängen,  die  Zersetzungsvorgänge  am  reinsten  zur  An- 
sicht gelangen.  Es  ist  dabei  nicht  zu  übersehen,  dass  ich,  wie  mit- 
getheilt,  am  Ende  der  Laichperiode  also  zu  einer  Zeit  arbeitete, 
in  der  die  Entwickelung  schon  an  sich  leicht  in  abnormer  Weise  vor 
sich  geht  und  störende  Einwirkungen  weniger  leicht  ertragen 
werden  [also  die  Selbstregulationsmechanismen  sehr  geschwächt  sind]. 

Die  Substanz  der  Furchuugskugel  blieb  auch  in  diesen  extremen 
Fällen  keineswegs  unverändert,  sondern  sowohl  der  Zell-  [147]  leib 
wie  der  Kern  gingen  Veränderungen  ein,  welche  um  so  weiter  aus- 
gebreitet sich  zeigten,  je  später  ich  das  Ei  nach  der  Operation  auf- 
gehoben hatte,  also  zugleich  auch,  je  weiter  die  nicht  operirte  Hälfte 
bereits  entwickelt  war;  ohne  dass  ich  indess  mit  dieser  letzteren  An- 
gabe einen  Causalnexus  zwischen  dem  Fortschritten  der  beiderseitigen 
Veränderungen  andeuten  möchte. 

1.    Zersetzung  des  Dotters. 

In  dem  Zellleib,  also  dem  Dotter  der  operirten  Zelle,  finden 
sich  rundliche  oder  ovale,  von  einem  einfachen  aber  scharfen  Contour 
umgrenzte  Hohlräume  in  der  Grösse  von  10 — IbOj-i  und  in  der  Zahl 
von  wenigen  bis  zu  Hunderten  schwankend.  Der  Inhalt  dieser  ,,Va- 
cuolen"  ist  i^j  Boraxcarmin  nicht  gefärbt  und  überhaupt  nicht  wahr- 
nehmbar, wobei  jedoch  zu  erwähnen  ist,  dass  die  Schnitte  auf  einem 
feingranulirten  Eiweissunterguss  liegen,  so  dass  ähnliche  Beschaffen- 
heit des  ungefärbten  Vacuoleninhalts  an  dünnen  Schnitten  oft  nicht 
unterscheidbar  sein  würde;  doch  habe  ich  auch  an  dicken,  blos  in 
Canadabalsam  liegenden  Schnitten  den  Inhalt  nicht  wahrnehmen 
können.  Da  diese  Gebilde  dem  Begriff  der  Vacuolen  entsprechen,  so  will 


462  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


ich  den  Vorgang  ihrer  Bildung  als  „Vacuolisation"  des  Dotters 
bezeichnen.  Diese  Vacuolisation  findet  sich  sowohl  im  Bereich  des 
mehr  protoplasmatischen  Bildungsdotters,  wie  in  dem  an  Dotter- 
körnern reichen  Nahrungsdotter,  welche  beide  noch  weniger  scharf 
geschieden  sind  als  gewöhnlich.  Die  ^^acuolisation  ist  oft  so  dicht, 
dass  die  einzelnen  Vacuolen  auf  dem  Querschnittsbilde  stellenweise 
nur  durch  einen  feinen  protoplasmatischen  Faden  von  einander  ge- 
trennt sind;  und  manchmal  sind  von  diesen  Gebilden,  die  körper- 
lich betrachtet  Trennungshäute  darstellen,  nur  noch  Reste  vorhanden, 
so  dass  eine  Communication  oder  Verschmelzung  der  Vacuolen  sicht- 
bar sich  ausspricht.  Sind  nur  wenige  ^^acuolen  vorhanden,  so  liegen 
sie  entweder  zerstreut  oder  in  Gruppen  beisammen;  und  letzteren 
Falles  sieht  dann  der  übrige  Dotter  auf  grosse  Strecken  hin  nor- 
mal aus. 

Ausser  dieser  Vacuolisation  finden  sich  im  Dotter  Stellen ,  wo 
das  Protoplasma  ein  grob-,  vorzugsweise  aber  ,,feinmaschiges  Netz- 
werk" bildet,  welches  der  Dotterkörner  entbehrt  und  zuweilen  durch 
Einlagerung  zahlreicher  braunschwarzer  oder  im  durchfallenden  Licht 
leicht  in's  Grünliche  spielender  Körnchen  ausgezeichnet  ist. 

2.    Abnorme  Veränderung  der  Kerne. 

[148]  In  dem  Zellleib  der  operirten  Zelle  finden  sich  nun  des 
Weiteren  Gebilde  eingelagert,  welche  ich  als  Kerngebilde  auffasse. 

a)  Um  diese  Behauptung  zu  begründen,  muss  ich  zunächst  die 
Beschaffenheit  der  „normalen"  Kerne  des  Froschkeimes 
schildern,  wie  sie  sich  nach  der  oben  mitgetheilten  Behandlung:  Er- 
wärmung auf  80"  C,  Alcohol,  Boraxcarmin  etc.,  darstellt.  Die 
Kerne  bieten  auch  hier  in  den  verschiedenen  Entwickelungsstufen 
des  Keimes,  sowie  in  den  verschiedenen  hochgradig  differenzirten 
Zellen  derselben  Stufe  sehr  verschiedene  BeschalTenheit  dar  (ent- 
sprechend GoETTE,  Ch.  van  Bambeke  u.  A.) 

In  den  Furchungskugeln  der  noch  jungen  Morulaform  des 
Keimes  zeigen  sich  die  Kerne  als  gleichmässig  feinkörnige,  röthliche 
rundliche  oder  ovale,  von  einem  einfachen  Contour  begrenzte  Masse 


Abnorme  Veränderung  der  Kerne.  463 

von  10 — oO  /<  Durchmesser,  welche  in  selir  feinkörniges,  zum  Tlieil  farb- 
loses, zuniTheil  schwurz  pio-mentirtes Protoplasma  eingelagert  ist.  Ueber- 
wiegend  häufig  jedoch  ist  der  Kern  geschrumpft  und  es  ist  zwischen 
ihm  und  dem  Protoplasma  ein  grosser  leerer  Hof;  manchmal  ist  so- 
gar der  Kern  herausgefallen ,  sodass  man  blos  den  grossen  durch 
mehrere  Schnitte  hindurcligehenden,  aber  durch  die  geschilderte  proto- 
plasmatische Umgebung  als  Keruhöhle  charakterisirten  Hohlraum  sieht. 

Gelegenthch  fand  ich  auch  eine  in  der  regelmässigen  Anord- 
nung ihrer  gefärbten  Theile  wohl  erhaltene,  aber  nur  aus  wenigen, 
kurzen,  deutlich  gekörnten  Fädchen  bestehende  Aequatorialplatte.  Die 
Figuren  der  anderen  Kerntheilungsstadien  scheinen,  wie  oben  er- 
wähnt, während  der  Erwärmung  gewöhnlich  entweder  rückgebildet 
oder  rasch  der  Endstufe  zugeführt  zu  werden,  da  sie  nur  sehr  selten 
zur  Beobachtung  kommen.  (Es  ist  zu  erwähnen,  dass  den  Chromatin- 
körnchen  des  Kerns  gleichgefärbte  Körnchen  sich  nicht  selten  zwi- 
schen je  zwei  Furchungskugeln  in  grösserer  oder  geringerer  Anzahl 
angehäuft  vorfinden);  [die  benachbarten  Furchungsz eilen  be- 
grenzen nämlich  oft  in  der  Mitte  ihrer  Berührungs- 
flächen eine  mit  Flüssigkeit  erfüllte  Höhle.  Der  Inhalt  der 
Blastulahöhle  ist  oft  in  gleicher  Weise  gefärbt  und  körnchenhaltig  als 
der  dieser  Höhle].  Ist  die  Umgebung  des  scharf  abgegrenzten,  rötli- 
lichen  Kerngebildes  stark  mit  braunen  Körnchen  durchsetzt,  so  hat 
der  Kern  ringsherum  einen  dunklen,  bei  der  Besichtigung  stark  auf- 
fallenden Hof.  Ist  der  Kern  in  Theilung  begriffen,  so  findet  sich 
die  braune  Körnchenmasse  gegen  das  Ende  der  Theilung  hin 
manchmal  blos  an  den  beiden  Polen,  also  auf  den  distalen 
Seiten  im  Protoplasma  angehäuft  (s.  weiter  Seite  473). 

[149]  In  dem  Blastulastadium  zeigen  sich  die  Kerne  deut- 
lich durch  eine^rothe,  doppelt  contourirte  Wandung  umgrenzt  und 
stellen  runde  oder  ovale  Bläschen  von  10 — 20  (.i  dar,  in  deren  Innern 
rothe  Körnchen  zerstreut  oder  zu  einem  weitmaschigen  Faden- 
netz aufgereiht  liegen;  während  der  übrige  Inhalt  fast  farblos  und 
äusserst  fein  granulirt  ist,  so  dass  das  ganze  Gebilde  nur  blass  rosa 
aussieht. 

Auf   der   Ga st rula stufe   finden    sich    in    den   Dotterzellen 


464:  Nr.  22.  Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

noch  wesentlich  dieselben  Kernbil düngen  wie  in  der  Blastula,  auch 
noch  ebenso  blass,  aber  schon  etwas  kleiner,  nur  8 — 12  /<  im  Durch- 
messer haltend.  In  den  epithelialen  Zellen  der  Keimblätter  da- 
gegen fallen  die  hier  noch  kleineren  Kerne  von  blos  6 — 8  i-i  Durch- 
messer durch  intensivere  Rothfärbung,  also  durch  Chromatin- 
reichthum  auf;  sie  sind  so  dicht  aus  rothen  Körnchen  zusammenge- 
setzt, dass  ein  Kernnetz  nicht  zu  erkennen  ist  und  dass  auch  der 
doppelte  Grenzcontour  schwer  zu  sehen  ist'). 

Nach  der  Bildung  der  Medullarwülste,  also  im  ,,Embryo",  fin- 
den wdr  die  Kerne  von  der  Beschaffenheit  derjenigen  der 
Epithelien  der  Gastrulastufe.  Die  Kerne  der  Dotterzellen 
sind  aber  immer  noch  blasser  und  grösser  als  die  der  Epithel- 
zellen. 

b)  In  der  operirten  ,, nicht"  entwickelten  Furchungs- 
kugel  finden  sich  nun  folgende  Gebilde,  die  ich  als  Kerngebilde 
ansprechen  möchte: 

Erstens  rundliche  oder  ovale  Gebilde  von  20 — 30  /<,  manchmal  bis 
60  |f<  Durchmesser,  aus  gleich  massig,  nur  blass  oder  auch  inten- 
siver roth  gefärbter,  äusserst  feinkörniger  Substanz,  welche  sich 
durch  einen  einfachen  aber  scharfen  Co ntour  von  der  Umgebung 
absetzt;  sie  entsprechen  also,  abgesehen  von  abnormer  Grösse,  in  ihrer 
Beschaffenheit  den  Kernen  der  Morulastufe.  Manchmal  sind  diese 
Gebilde,  wohl  wieder  infolge  von  Schrumpfung,  durch  einen  farblosen, 
halbmond-  oder  ringförmigen  scharf  umgrenzten  Hof  von  der  proto- 
plasmatischen Umgebung  geschieden;  und  andererseits  bilden  in 
letzterer  angehäufte,  braunschwarze  Körnchen  nicht  selten  einen  Pig- 
menthof um  den  Kern.  [150]  Diese  Kerngebilde  liegen  meist  soli- 
tär  und  schliessen  sich  ihrer  Beschaff enlreit  nach  an  die  oben  als 
sehr  selten  in  einer  Semimorula  beobachteten,  aus  gleichmässig  blass- 
roth  gefärbter,  einfach  contourirter  Substanz  gebildeten  Kerne  an. 

Zweitens  finden  sich  in  diesem  nicht  in  Zellen  zerlegten  Dotter 

Gebilde,    welche    an    die   bläschenförmigen    Kerne     der    nächst 

älteren  Entwickelungsstufe ,    der  Blastula,   sich   anreihen  und  blos 

[1)  Die  Schilderung  dieser  normalen  Kerne  der  Morula  und  Gastrula  ist  ge- 
legentlich des  Wiederabdruckes  etwas  verbessert  M'orden.] 


Abnorme  Veränderung  der  Kerne.  465 


durch  ihre  meist,  aber  nicht  immer  vorhandene  ungewöhnliche 
Grösse  von  40  —  60(^1  sich  von  ihnen  unterscheiden.  Sie  be- 
sitzen eine  doppelt  contourirte  Wandung  aus  gefärbter  Substanz  und 
zeigen  im  Inneren  ein  grobmaschiges,  aus  aneinander  gereihten  rotheu 
Körnchen  gebildetes  Fadengerüst;  während  die  Hauptmasse  des  In- 
haltes wiederum  äusserst  feinkörnig  und  nur  sehr  blass  roth  oder 
ungefärbt  ist.  Neben  diesen  grossen  Gebilden  finden  sich  häufig  eben 
solche  von  mittlerer  Grösse  (16 — 30  /ii)  und  sogar  solche ,  welche  mit 
blos  8  /<  Durchmesser  bis  zur  Grösse  der  Gastrula-  und  der 
Embryokerne  herabgehen,  und  nur  durch  ihre  Chromatin- 
armuthund  durch  dichte,  haufenweise  Zusammenlagerung 
sich  von  den  kleinen  normalen  Kernen  dieser  Stadien  unterscheiden. 
Solche  ,,Kernnester"  vereinigen  oft  Kerne  der  verschiedensten  Grösse 
und  können  aus  6 — 30  Kernen  bestehen.  Einige  dieser  Kerngebilde 
haben  auch  wieder  einen  braunschwarzen  Pigmenthof,  welcher  oft 
auch  das  ganze  Kernnest  umgiebt. 

Diese  beiden  Formen  schliessen  sich  also  an  normale  Kernfor- 
men an,  und  sind  blos  durch  ungewöhnliche  Grösse,  und  die  erstere 
Form  noch  durch  tiefere  Färbung  von  auch  im  normalen  Keime  vor- 
kommenden Formen  unterschieden. 

Eine  dritte  Gruppe  dagegen  umfasst  vom  Normalen  in 
höherem  M a  a s  s  e  a  b  w  e  i c h  e  n  d  e  B i  1  d  u  n  g  e n ;  nämlich  rundliche 
oder  ovale  Gebilde  von  8 — 30  //  aus  tief  dunkelroth  gefärbter,  nur 
äusserst  schwach  gekörnter,  fast  homogen  erscheinender  Substanz, 
welche  mehr  oder  weniger  zahlreiche,  anscheinend  leere,  vacuolen- 
artig  abgerundete  Hohlräume  einschliesst.  Sie  sind  von  einem  ein- 
fachen, aber  scharfen  Contour  umgrenzt.  Diese  scharfe,  gerundete 
Umgrenzung  und  das  grosse  Vermögen  Farbstoff  aufzunehmen  sind 
in  diesem  Falle  die  alleinigen  Charaktere,  welche  mich  veranlassen, 
diese  Gebilde  nicht  dem  Zellleib,  sondern  den  Kerngebilden  zuzu- 
zählen. Ist  die  Körnelung  der  rotheu  [151]  Substanz  deutlicher  und 
die  Vacuohsirung  derselben  so  hochgradig,  dass  die  rothe  Substanz 
im  Inneren  nur  noch  dünne  Septa  darstellt,  so  erhalten  diese  Ge- 
bilde (Taf.  VI  Fig.  2  K')  ein  der  soeben  beschriebenen  zweiten  Form 
etwas    ähnliches   Aussehen.     Auch   die    dieser  dritten    Gruppe    zuge- 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandinngen.   II.  30 


466  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


hörigen  Bildungen  liegen  oft  zu  mehreren,  3—6  und  mehr,  dicht  bei 
einander,  und  bilden  so  gleich  der  vorigen  Nester,  welche  gelegent- 
lich von  mehr  oder  weniger  reich  angesammeltem,  braunpigmentirtem 
oder  unpigmentirtem  Protoplasma  umgeben  sind  (Fig.  2KN).  Auch 
kommen  in  manchen  Nestern  die  Gebilde  beider  Gruppen  ver- 
mengt vor. 

Einige  Male  fand  ich  grosse  Kerne  von  30 — 40  f^i  mit  doppelt 
contourirter,  rother  Wandung,  welcher  letzteren  im  Inneren  zunächst 
einzelne  rothe  Körnchen  anlagen;  während  weiter  einwärts  zahl- 
reiche, verwirrt  liegende,  durch  einfach  aufgereihte  Körnchen  gebildete 
Stäbchen  eine  zweite  Schicht  bildeten,  die  nach  innen  noch  einen 
grösseren  farblosen  Raum  freiliess. 

Diese  soeben  geschilderten  Kerngebilde  der  operirten 
Zelle  finden  sich  in  dem  Dotter,  ohne  eine  Prädilectionsstelle  er- 
kennen zu  lassen.  Insbesondere  finden  sie  sich  nicht  in  grösserer 
Anzahl  in  der  Nähe  der  entwickelten  Hälfte  des  Keimes 
und  sind  dieser  Hälfte  auch  nirgend  derart  genähert,  dass  anzu- 
nehmen wäre,  sie  seien  aus  derselben  herübergetreten  ^). 

Demnach  verbleibt  nur  die  Möglichkeit,  sie  von  dem  „Fur- 
chungskern"  der  ,, operirten"  Furchungszelle  herzuleiten. 
Für  diese  Annahme  spricht  auch,  [dass  dieselben  Gebilde  sich  einige 
Male  auch  in  Extraovat  vorfanden  (s.  S.  468)  und]  dass  dieser  Kern 
ja  bekanntlich  eine  grosse  Neigung  zur  Vermehrung  zeigt.  Ueber 
die  Ursache  der  Besonderheiten  der  in  unseren  Fällen  gebildeten 
Kerne  vermag  ich  nichts  auszusagen. 

Dagegen  ist  es  von  hohem  Interesse  und  zeugt  gleichfalls  für 
die  Richtigkeit  unserer  Auffassung  über  die  Abstammung  dieser  ab- 
normen Kerne,  dass  sich  ganz  dieselben  drei  Arten  von  Kern- 
gebilden (wie  auch  die  oben  beschriebene  Vacuolisation 
des  Dotters)  bald  nach  der  Befruchtung  voii  Eiern  finden, 
welche,  ohne  operirt  zu  sein,  blos  in  Folge  lange  Zeit  verhaltener 
Laichung   nach    der   Befruchtung    sich   nicht    entwickelten. 


[1)  Bezüglich  der  Behauptung   eines  Autors,   es  liege  Polyspermie  vor,    siehe 
die  frühere  Angabe  S.  470  Anm.  und  Nr.  31.] 


Demarcation  und  Verbindung  beider  Eihälften.  467 


Wenn  man  sie  hier  von  dem  Eikern  oder  Spermakern  ableiten  wollte, 
von  denen  eine  Tendenz  zur  Vermehrung  bis  jetzt  nicht  bekannt 
[152]  ist,  so  würde  man  damit  für  dieselbe  Bildung  eine  andere  Ab- 
stammung annehmen  müssen  als  in  den  normal  getheilt  gewesenen 
operirten  Eiern,  wo  kein  Ei-  und  Spermakern  mehr  vorhanden  war. 
Und  da  in  den  im  Ganzen  entwickelten  Eiern  keine  Gelegenheit  zum 
Uebertritt  aus  einer  entwickelten  Hälfte  gegeben  ist,  so  ist  das  Ge- 
meinsame beider  Fälle,  welches  als  die  gleiche  Quelle  der  gleichen 
Bildungen  angesehen  werden  kann,  nur  der  Furchungskern. 

3.  Demarcation  und  Verbindung  beider  Eihälften. 

Yon  Interesse  und  Wichtigkeit  ist  ferner  das  Verhalten  beider 
Eihälften  gegen  einander. 

Häufig  bildet  sich  eine  schon  äusserlich  sichtbare  Abgrenzung 
dadurch  aus,  dass  die  entwickelte  Hälfte  etwas  grösser  wird  als  die 
operirte  und  ihren  Rand  gegen  die  letztere  etwas  einzieht^),  so  dass 
auf  dem  Blastulastadium  eine  dem  Urmundsaume  ähnliche  Furche 
entsteht. 

Auf  dem  Durchschnitte  sieht  man  schon  in  frühen  Stadien 
häufig  eine  deutliche  Demarcationslinie  als  den  Ausdruck  einer  be- 
sonderen ,,Demarcationsschicht^'.  Diese  stellt  eine  4 — S /ii  dicke 
Lage  feinkörniger,  also  von  Dotter körnern  freier,  theils  farb- 
loser, theils  schwach  roth  gefärbter  und  in  der  Nähe  des  oberen 
Randes  zumTheil  schwarzbraun  pigmentirter  Substanz  dar,  welche 
man  für  Protoplasma  halten  kann,  das  von  einer  der  beiden  Fur- 
chungskugeln  abgeschieden  worden  ist.  Ich  vermuthe,  dass  sie  von 
der  operirten  Zelle  herstammt,  da  sie  mit  ihr  in  Continuität  steht, 
und  die  Zellen  der  lebenden  Hälfte  sich  an  manchen  Stellen  durch 
eckigen  Spaltraum  gegen  sie  absetzen.  Diese  Demarcationsschicht 
geht  gewöhnlich  von  der  freien  Oberfläche  des  Eies  aus  und  dringt 
ungleich  tief,  manchmal  bis  zu  einem  Drittel  des  Eidurchmessers  ein. 


[1)  Dies  bekundet  also  schon  eine  gewisse  Tendenz,  die  Wunde  zu  schliessen, 
welche  später  H.  Driesch  an  Seeigel-Halbbildungen  und  ich  an  älteren  Halbbildungen 
des  Frosches  in  höherem  Maasse  beobachtet  haben  (s.  Nr.  26,  S.  45)]. 

30* 


468  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

An  den  Stellen,  wo  diese  Deniarcationsschicht  fehlt, 
kommt  es  vor,  sofern  nicht  die  Zellen  der  entwickelten  Hälfte  sich 
in  einem  Spalt  von  der  operirten  absetzen,  dass  beide  Eihälften 
unmittelbar  sich  berühren,  und  eine  scharfe  Grenze  an 
diesen  Stellen  nicht  erkennbar  ist,  weil  die  Zellen  dieser 
Stelle  der  lebenden  Hälfte  auf  der  Seite  nach  der  operir- 
ten Hälfte  hin  selber  keine  scharfe  Umgrenzung  darbieten, 
während  dies  an  dem  anderen  Theil  ihrer  Peripherie  doch  ausge- 
sprochen der  Fall  ist. 

[153]  Dies  führt  uns  zu  einem  anderen  Verhalten  der  operirten 
Zelle.  Nur  etwa  bei  einem  Dritttheil  aller  microtomirten  Halbbil- 
dungen sind  die  oben  beschriebenen  Veränderungen  des  Dotters  und 
die  abnormen  oder  wenigstens  abnorm  zusammengelagerten  Vermeh- 
rungsproducte  des  Furchungskernes  vorhanden  (abgesehen  davon, 
dass  in  manchen  Fällen  diese  abnormen  Derivate  des  Fur- 
chungskernes fehlten,  sich  aber  im  Extraovat  vorfanden). 


B.  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte. 

[246].  Schon  bei  vielen  Eiern,  welche  die  beschriebenen  Ab- 
normitäten darbieten,  finden  sich  in  der  operirten  Hälfte  zugleich 
Anzeichen  von  Vorgängen,  welche  auf  eine  nachträgliche  Organisa- 
tion der  operirten  Eihälfte  hindeuten  und  dannt  die  nachträgliche 
Bildung  der  fehlenden  Körperhälfte  [unter  Verwendung  des 
Materiales  der  operirten  Eihälfte]  anbahnen^);  das  Gleiche  ist 
noch  in  höherem  Maasse  und  schon  in  früherer  Zeit  der  Fall 
bei  Eiern,  welche  in  der  operirten  Hälfte  die  beschriebenen  Abnormi- 
täten vermissen  lassen. 

Diese  Reorganisationserscheiuungen  in  der  operirten 
Zelle  sind  formal  in  dreierlei  Weise  aufgetreten.  Es  wird  sich  aber 
zeigen,  dass  zwei  davon  in  ihrem  Wesen  nicht  sehr  von  einander 
unterschieden  sind;  und   wir  werden   aucli   in   der  Lage  sein,   wenn 


[1)  Ueber  die  Nachbildung  der   fehlenden  Körperhälfte   ohne  Verwendung  des 
Materials  der  operirten  Eihälfte  siehe  Nr.  26  S.  45]. 


Erste  Art  der  Reorganisation  der  oporirten  Eihälfte.  469 


auch  nicht  die  Ursachen  der  ^^org•ä^g•e  selber,  so  doch  die  Ursachen 
ihrer  Verschiedenheiten  anzusehen. 


1.  Erste  Art  der  Reorganisation, 
a)  Nucleisation. 

Neben  allen  oben  beschriebenen  Stufen  von  Halbbildungen  aus 
der  entwickelten  einen  Furchungskugel,  von  der  Semimorula  bis  zum 
Hemiembryo  finden  sich  nämlich  in  der  operirten  Zelle  Zellkerne 
von  normaler,  den  oben  (S.  462)  miterschiedenen  Altersstufen  ent- 
sprechender Beschaffenheit  vor.  Diese  verschiedenen  Altersstufen 
sind  in  der  operirten  Zelle  derart  vertreten,  dass  neben  einer  Semimo- 
rula nur  die  entsprechend  jungen,  nicht  scharf  contourirten ,  wenig 
Uhromatin  enthaltenden  normalen  Formen  vorkommen.  Zugleich 
sind  diese  jungen  Kerne  der  operirten  Zelle  häufig  von  einem  relativ 
grossen  Hof  feinkörnigen  Dotters  umgeben,  in  welchem  dicht  um  den 
Kern  meist  reichlich  braune  Pigmentkörnchen  gelagert  sind.  Be- 
merkenswerth  ist  dabei,  dass  diese  Kerne  meist  kleiner  als  die  in 
der  entwickelten  Hälfte  sind. 

[247]  Bei  älteren  Keimen,  neben  Halbbildungen  der  Blastula- 
und  Gastrulastufe  findet  man  gleichfalls  oft  diese  jugendlichen  Kern- 
formen neben  schon  kleineren,  schärfer  contourirten  und  deutlich  ge- 
färbten, also  älteren  Formen  vor. 

Diese  normal  Iteschaffenen  Kerne  sind  in  dem  Dotter  der  ope- 
rirten Zelle  vertheilt  und  der  Dotter  selbst  zeigt  in  vielen  Fällen  auch 
bei  genauester  Besiclitigung  keine  Scheidung  in  einzelne  Zellen; 
während  auf  der  entAnckelten  Seite  die  einzelnen  Zellen  scharf  ge- 
schieden sind. 

Von  besonderer  AA-'ichtigkeit  ist  nun  die  Frage  nach  der  Her- 
kunft dieser  Kerne.  Dieselbe  lässt  sich  durch  die  genaue  Be- 
achtung ihrer  Lagerung  und  die  ^-^erwerthung  einiger  anderer  Erschei- 
nungen mit  ziemlicher  Bestimmtheit  lösen  und  auf  zwei  Quellen 
zurückführen. 


470  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


1 .  N u c  1  e i s  a t i o  in  1  o  c o. 

Erstens  sprechen  Tliatsachen  dafür,  dass  diese  Kerne  von  de m 
Furchungskern  der  operirten  Zelle   a))stammen   können. 

Es  wurde  oben  schon  erwähnt,  dass  gegen  Ende  der  Laichperiode 
partielle  Entwickelung  des  Eies  auch  ohne  Operation 
vorkommt.  In  mehreren  solcher  Eier  waren  sogar  blos  drei  oder  vier 
Zellen  von  der  Beschaffenheit  der  Zellen  im  Stadium  des  üeberganges 
von  der  Morula-  zur  Blastulastufe  vorhanden;  während  die  ganze  übrige 
Eimasse  nicht  in  Zellen  gegliedert  war,  aber  an  manchen  Stellen  mit 
den  oben  l)eschriebenen  Formen  abnormer  Kerne,  wie  auch  auf  grosse 
Strecken,  hin  mit  „jugendlichen",  normal  aussehenden  Kernen  in 
grosser  Anzahl  durchsetzt  war.  Manchmal  war  gerade  in  der  Um- 
gebung der  wenigen  normalen  Zellen  die  Eisubstanz  so  stark  vacuo- 
lisirt,  dass  an  einen  Uebertritt  von  Kernen  aus  diesen  nicht  gedacht 
werden  kann.  Wir  werden  also  anzunehmen  haben,  dass  der  Fur- 
chungskern theils  abnorme,  theils  anscheinend  normale  Derivate  ge- 
bildet habe,  was  ja  in  diesen  Fällen  mit  Sicherheit  schon  daraus  her- 
vorgeht, dass  überhaupt  alle  Kerne  von  dem  einen  durch  die  Ver- 
einigung des  Samen-  und  des  Eikernes  gebildeten  ersten  Furchungs- 
kern abstammen  ^). 

[248]  In  den  Fällen,  in  welchen  ich  diese  im  ungegliederten, 
das  heisst  nicht  in  Zellen  zerlegten  Dotter  befindlichen,  normal  aus- 
sehenden Kerne  von  dem  der  betreffenden  Eihälfte  zugehörigen  Fur- 
chungskern ableiten  zu  müssen  glaube,  sind  die  Kerne  selber  im 
Dotter  unregelmässigvert  heilt,  manchmal  liegen  mehrere  Kerne 
in  einer  Reihe  und  bilden  mit  ihren  nach  beiden  Seiten  lang  ausge- 
zogenen Pigmenthöfen  deutliche  Bogen  linien.  Eine  Beziehung  zur 
Abgrenzungsebene  gegen  die  entwickelte  Eihälfte  ist  nicht  wahr- 
nehmbar. 


1)  An  Vielkernigkeit  durch  Polyspermie  ist  in  den  hier  geschilderten  Fällen, 
obgleich  sie  gelegentlich  gegen  Ende  der  Laichperiode  am  Froschei 
vorkommt,  nicht  zu  denken;  die  Erscheinungen  bei  der  Polyspermie  sind  trotz 
mancher  Aehnlichkeit  doch  wesentlich  andere. 


Erste  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte.  471 


2.  Nucleisatioii  der  operirten  Eihälfte  durch  Niiclei- 
transmigration. 

Andererseits  aber  kommt  es  auch  vor,  dass  die  noch  in  geringer 
Anzahl  vorhandenen,  normal  gestalteten,  jugendlichen  Kerne 
der  operirten  Eihälfte  nahe  an  der  entwickelten  Hälfte  liegen 
und  in  deren  Nähe  dichter  gestellt  sind,  während  sie  in  der 
distalen  Seite  noch  fehlen.  Gelegentlich  findet  man  auch  einen  Kern 
gerade  in  oder  unmittelbar  neben  einer,  aber  alsdann  stets  nur 
ganz  dünnen  ,,Demarcationslinie".  Hinter  einer  dicken  De- 
marcatiouslinie,  oder  an  Stellen,  wo  die  Zellen  der  entwickelten  Seite 
durch  einen  Spalt  von  der  operirten  geschieden  sind,  desgleichen 
hinter  der  durch  die  heisse  Nadel  hervorgebrachten  dicken  Scholle 
von  geronnenem  Dotter,  fehlen  die  normalen  Kerne  bei  manchen 
Eiern  auf  dem  Stadium  der  Morula  und  Blastula  entweder  ganz,  oder 
es  sind  blos  wenige  Kerne  in  grossen  Abständen  vorhanden. 

Dies  alles  deutet  schon  auf  einen  U ebertritt  von  Kernen  aus 
der  entwickelten  Hälfte  hin,  welcher  an  den  Stellen  erfolgte,  wo 
keine  hindernde  Scheidung  beider  Eihälften  stattgefunden  hat. 

Ich  habe  nun  noch  zweierlei  Beobachtungen  gemacht,  welche 
diese  Vermuthung  für  manche  dieser  Kerne  zur  Gewissheit  steigern. 
In  der  Gegenhälfte  einer  Semiblastula  fand  ich  die  wenigen  vor- 
handenen Kerne  in  zwei  lange  Bogenlinien  geordnet,  welche 
letztere  von  dem  Dache  der  Semiblastula  ausgingen  und  durch 
die  in  der  Richtung  der  Bogen  zu  langen  Schweifen  ausgezogenen 
schwarzen  Höfe  der  Kerne  noch  deutlich  die  Bahnen  der  von  der 
entwickelten  Hälfte  entfernteren  Kerne  erkennen  liessen. 

In  diesem  Präparate  ist  von  den  Grenzzellen  des  Daches  der 
Semiblastula  gerade  keine  im  Momente  der  Theilung  fixirt,  so  dass 
der  unmittelbare  Kernübertritt  nicht  gesehen  werden  kann.  Dies 
letztere  ist  mir  nun  aber  an  einigen  anderen  Präparaten  aufzufinden 
gelungen.  Auf  der  Morula-  und  jungen  [249]  Blastulastufe  findet 
man,  wie  S.  468  erwähnt,  manchmal  Grenz z eilen  der  entwickelten 
Hälfte  nur  nach  dieser  letzteren  Seite  hin  wohl  abgegrenzt,  während 
nach  der  operirten  Hälfte  hin  die  Grenze  fehlt,  so  dass  diese  Zellen 


li 


472  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

contiiiuirlich  in  die  Substanz  der  unentwickelten  Hälfte 
übergehen;  ein  Verhalten,  wie  es  bekanntlich  auch  normal  nach  der 
ersten  wagrechten  Furche  des  Froscheies  und  noch  weit  länger  bei 
den  meroblastischen  Eiern  am  Keimrande  sich  vorfindet.  Enthalten 
diese  Zellen  in  unserem  Falle  einen  ruhenden  Kern,  so  liegt  der- 
selbe gegen  die,  durch  eine  benachbarte  Spalte  oder  Demarcationslinie 
leicht  zu  ziehende,  Grenzlinie  beider  Hälften  hin,  also  nach  der  un- 
entwickelten Hälfte  hin,  verschoben:  dies  manchmal  derart,  dass  der 
Kern  auf  diese  Linie  selber  zu  liegen  kommt.  In  zwei  Fällen  waren 
aber  solche  Kerne  gerade  in  Theilung;  und  man  sah  so  die 
eine  Kernhälfte  20—40  f.i  weit  in  die  unentwickelte  Eihälfte 
hineinragen.  Zugleich  sah  ich  einmal,  wie  die  dieser  Kernhälfte 
zugehörige  Hälfte  des  Pigmenthofes  dem  Kern  selbst  weit  (20  ii)  vor- 
ausgeeilt Avar;  während  an  der  anderen,  in  der  Zelle  verbleibenden 
Hälfte  der  halbe  Pigmenthof,  entsprechend  der  früher  gemachten  An- 
gabe, gleichfalls  auf  der  distalen  Seite  des  Kernes,  aber  letzterem 
näher  gelegen  war. 

Diese  Erscheinungen  des  Uebertrittes  von  Kernsub- 
stanz aus  der  entwickelten  in  die  operirte  Hälfte  habe  ich 
sowohl  auf  der  Blastula-  wie  auf  der  Gastrulastufe  der  ersteren  Hälfte 
beobachtet. 

Somit  ist  erwiesen,  dass  eine  Versorgung  der  operirten  Eihälfte  mit 
neuen  Kernen  von  der  entwickelten  Hälfte  aus,  also  eine  „Nucleitrans- 
migration"  vorkommt;  und  die  obigen  Mittheilungen  machen  es  wahr- 
scheinlich, dass  dieser  Vorgang  manchmal  in  ausgedehn- 
ter Weise  stattfindet.  Doch  lässt  sich  natürlich  später  nichtnach- 
weisen,  wie  viele  der  anscheinend  normal  beschaffenen  Kerne  der 
operirten  Hälfte  diese  Abkunft  haben,  wie  viele  dagegen  von  dem 
ursprünglichen  Furchungskerne  abstammen.  Wahrscheinlich  ist  es 
dagegen,  dass-  die  Transmigration  der  Kerne  nur  im  An- 
s  c  h  1  u  s  s  a n  d  i  e  K  e  r  n  t  h  e  i  1  u  n  g  innerhalb  einer  an  die  unentwickelte 
Hälfte  austossenden  Zelle  vor  sich  geht,  w^eil  ohnedies  die  Zelle  selbst 
ganz  kernlos  werden  würde. 

Es  ist  vielleicht  von  Bedeutung,  dass  die  normal  beschaffenen, 
[250]  als  übergetreten  aufgefassten  Kerne  mit  einem  feinkörnigen 


Erste  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte.  473 


Protoplasmiihol'  umgeben  sind,  von  dem,  nach  dem  direct  beob- 
achteten Kernübertritt  zu  urtheilen,  vielleiclit  ein  Theil  aus  der 
entwickelten  Hälfte  [nebst  Centrosomen?  s.  Nr.  26,  S.  34]  mit 
übergetreten  ist. 

Häutig  beobachtete  ich  au  den  normal  aussehenden  Kernen  der 
unentwickelten  Eihälfte  schöne  K  erntheilungsfiguren.  An  jugend- 
lichen, noch  mit  einem  Pigmenthof  umgebenen  Kernen  war  dabei 
ein  eigenthümliches  Verhalten  der  Pigmentsubstanz  wahrzunehmen. 
Zur  Zeit  der  Aequatorialplatte  ist  das  Pigment  manchmal  blos  an 
den  Seiten  des  Kernes,  also  neben  der  Aequatorialplatte  als 
gerader  Streif  oder  als  Pigmentanhäufung  vertreten,  während  die  Um- 
gebung der  Pole  der  Kernspindel  vollkommen  pigment- 
frei ist.  Auf  späteren  Stadien  der  Theilung  dagegen  ist  manch- 
mal das  Pigment  nur  an  den  beiden  „distalen"  Seiten  der 
Umgebung  der  Kernpole  angehäuft.  Zwischen  diesen  Extre- 
menkommen alle  Uebergangsformen  vor.  Einmal  sah  ich  auch 
einen  blassen,  in  Theilung  begriffenen  und  von  Pigment  umgebenen 
Kern  sehr  lang  ausgezogen  und  zugleich  in  Form  einer  Halb- 
kreislinie gebogen. 

Auf  späteren  Stadien  der  Blastula  oder  Gastrula  findet  man  die 
übergetretenen  Kerne  manchmal  schon  ziemlich  gleichmässig  in  der 
operirten  Eihälfte  vertheilt,  so  dass  anzunehmen  ist,  dass  die  über- 
getretenen Kerne  allmählich  tiefer  in  die  noch  nicht  mit  Kernen  ver- 
sorgte Dottermasse  eindringen,  bis  eine  manchmal  annähernd  gleich- 
massige  Vertheilung  hergestellt  ist.  Und  bei  dieser  Ve r theil ung 
der  Kerne  in  einer  nicht  cellulirten  Masse  ist  natürlich  der 
oben  (S.  472)  für  die  Transmigration  geltend  gemachte  Grund  hin- 
fällig, zufolge  dessen  die  Kernwanderung  nur  im  Anschluss  an  eine 
Kerntheilung  vor^sich  gehen  konnte.  Vielmehr  lassen  die  Beispiele 
der  Wanderung  des  Keimbläschens  vor  der  Bildung  des  ersten 
Richtungskörperchens,  später  die  Rückwanderung,  ferner  die  Wan- 
derung des  Samenkernes  im  Ei,  besonders  während  seiner  blossen 
Penetrationsbahn,  auf  welcher  er,  wie  ich  gezeigt  habe,  noch  nicht 
dem  Eikern  entgegengeht,  sondern  einfach  in  die  Eimasse  eindringt, 
daran  denken,  dass  auch  hier  vielleicht  eine  von  der  Kerntheilung 


474  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

unabhängige  Ortsveränderung  der  Kerne  stattfinden  kann.  [Es 
müssen  also  auch  ohne  gleichzeitige  Kerntheilung  energische  attrac- 
tive  und  tractive  Wechselwirkungen  zwischen  Zellkern 
und  Protoplasma  vor  sich  gehen.]  Jedoch  setzen  die  vacuoli- 
sirten  Theile  des  Dotters  und  noch  mehr  die  durch  die  heisse  Nadel 
geronnene,  [251]  schwach  gelblich  schimmernde  Dotter- 
scholle,  sowie  die  unmittelbare  Umgebung  der  Kernnester,  dieser 
Wanderung  der  normal  gestalteten  Kerne  einen  besonderen  Widerstand 
entgegen. 

In  anderen  Fällen  sind  auch  neben  einer  ,,Semigastrula"  in  der 
operirten  Eihälfte  nur  ,,wenige"  und  zugleich  noch  ,, neben"  der 
entwickelten  Hälfte  gelegene,  normale  Kerne  walirnehmbar ; 
so  dass  also  zu  vermuthen  ist,  dass  der  U ebertritt  in  diesen  Fällen 
erst  in  späterer  Zeit  erfolgt  oder  nur  sehr  langsam  vor  sich  gehen 
konnte.  Desgleichen  scheint  auch  die  Vertheilung  der  bereits  über- 
getretenen Kerne  in  dem  Dotter  der  operirten  Zelle  manchmal  langsam 
vor  sich  zu  gehen. 

Wir  werden  im  Weiteren  sehen,  dass  die  als  normal  beschaffen 
bezeichneten  Kerne  weitere  Stufen  der  Entwickelung  durch- 
machen, während  die  abnorm  beschaffenen  oder  nur  abnorm  zu 
Nestern  zusammengelagerten  Kerngebilde  dieser  Entwickelung  so 
lange  Widerstand  entgegensetzen,  bis  sie  von  weiter  entwickelten 
Zellen  eingeschlossen  und  allmählich  verzehrt  worden  sind. 

Von  Interesse  ist  auch,  dass  die  abnorm  gestalteten,  sowie  die 
annähernd  normal  gestalteten,  aber  zu  Nestern  zusammenliegenden 
also  gleichfalls  ein  abnormes  Verhalten  darbietenden  Kerne  schon  die 
rothe  bläschenförmige  Beschaffenheit  darbieten,  während  die  anderen, 
von  mir  für  normal  gehaltenen,  im  Dotter  verth eilten  Kerne  noch 
die  fast  farblose  Jugendform  mit  Pigmenthof  zeigen ;  und  ferner,  dass 
manche  dicht  neben  einer  Semigastrula  gelegenen  Kerne  gleichfalls 
diese  Jugendform  darbieten  und  mit  einem  grossen  Pigmenthof  um- 
geben sind,  während  in  der  Gastrula  selber  solche  Kerne  nicht  mehr 
sich  vorfinden;  so  dass  es  scheint,  als  habe  die  übergetretene  Kern- 
hälfte sich  in  dem  Dotter  der  unentwickelten  Hälfte  zu  einem  früheren 
Stadium  verjüngt  [?].    Weiteres  siehe  Nr.  30,  S.  3. 


Erste  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte.  475 

b)  Nachträgliche  Cellulation  der  operirten  Eihälfte. 

Erörtern  wir  nun  das  Verhalten  des  Dotters  zu  den  in 
in  ihm  vertheilten,  scheinbar  normal  beschaffenen  Kernen. 

Während  in  der  entwickelten  Hälfte  zur  Zeit  der  Morula 
und  Blastula  die  Gliederung  in  Zellen  meist  sehr  leicht  sichtbar 
ist,  indem  auf  den  Durchschnitten  deutliche  Linien  feinkörniger, 
an  Dotterkörnern  freier  Substanz  an  den  Berührungsflächen 
der  Zellen  die  Zellgrenzen  markiren,  und  während  an  vielen 
anderen  Stellen  durch  einen  feinkörnigen  Saum  sich  abgrenzende, 
stark  gerundete,  also  in  beginnender  Framboisia  minor  be- 
griffene [252]  Zellen  Lücken  zwischen  sich  lassen,  so  erscheint 
auch  nach  der  Vertheilung  normal  beschaffener  Kerne  im  ganzen 
Dotter  der  operirten  Hälfte  derselbe  oft  noch  als  eine  einzige 
zusammenhängende  und  nirgends  durch  die  beschriebenen  Linien  in 
Zellterritorien  gesonderte  Masse. 

Doch  ist  in  manchen  Präparaten,  wohl  als  Vorläufer  einer 
solchen  Sonderung  in  Zellen,  eine  Zunahme  der  Menge  des  fein- 
körnigen Bildungsdotters  um  die  Kerne  wahrnehmbar ;  und  ausserdem 
treten  Radiationsfiguren,  sogenannte  Sonnen,  um  die  Kerne 
auf  (s.  Tafel  VI  Fig.  1).  Diese  Radiationen  bestehen  darin,  dass  auf 
dem  Durchschnittsbilde  radiäre  Züge  von  feinkörnigem  Dotter 
die  Masse  der  groben  Körner  des  Nahrungsdotters  in  radiär 
geordnete  keilförmige  Segmente  zerlegen,  und  dass  an  den- 
jenigen Stellen,  wo  diese  Dotterstrahlen  sehr  dünn  sind,  die  meist 
ovalen  Dotterkörner  mit  ihrer  Längsaxe  in  Richtung  des 
Radius  gestellt  sind.  [Centrosomen  waren  bei  der  angegebenen 
Vorbehandlung  der  Objecte  nicht  wahrnehmbar.]  Zwischen  benach- 
barten Sonnen  ist  fast  immer  ein  Streifen  nicht  radiirter  Substanz 
wahrnehmbar. 

Diesem  Stadium  der  Bekernung  oder  Nucleisation  des  Dotters 
folgt  dann  die  wirkliche  Zerlegung  der  Dottermasse  in  den 
einzelnen  Kernen  zugehörige  Zellleiber,  die  Cellulation. 
Diese  Sonderung  bekundet  sich  durch  die  Ausbildung  der  feinkörnigen, 
an  Dotterkörnern  freien  Trennungslinien  und  stellenweise  auch  durch 


476  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


das  Vorhandensein  von  Lücken  zwischen  den  abgerundeten  Seiten 
benachbarter  Zellen. 

Diese  Cellulation  des  Dotters  geht  ebenso  wie  die  Nucleisation 
desselben  zu  sehr  verschiedenen  Zeiten  vor  sich.  Sie  kann 
neben  einer  Semigastrula  noch  fehlen  und  neben  einer 
jungen  Semimorula  oder  Semiblastula  schon  in  demMaasse 
vorhanden  sein,  dass  die  Zellen  nur  wenig  grösser  sind  als 
in  der  normalen  Hälfte  [s.  Nr.  26,  S.  45]. 

Die  Ausbreitung  dieser  Cellulisation  im  Räume  zeigt  ein  typi- 
sches Verhalten,  welches  von  besonderer  Wichtigkeit  ist:  Die  nach- 
trägliche Cellulation  der  operirten  Eihälfte  beginnt  stets 
unmittelbar  neben  der  entwickelten  Hälfte  und  schreitet 
von  da  aus  continuirlicli  fort^),  [kann  aber  um  mehrere  Kerne 
gleichzeitig  stattfinden.    Siehe  auch  Nr.  26,  S.  35.] 

[253]  Einige  Male  habe  ich  eine  isohrte  Zelle  in  ringsum  noch  nicht 
cellulirter  Substanz  aber  in  der  Nähe  der  entwickelten  Hälfte  liegend 
gesehen. 

Die  Zellen,  in  welche  die  operirte  Furchungskugel  auf  diese 
Weise  nachträglich  zerlegt  wird,  sind  von  sehr  verschiedener  Grösse 
innerhalb  desselben  Präparates:  meist  etwas,  manchmal  aber  auch 
mehreremale  grösser  als  die  Dotterzellen  der  entwickelten  Hälfte;  ver- 
einzelt kleiner;  grosse  und  kleine  Zellen  liegen  unmittelbar  neben 
einander.  Gelegentlich  sah  icli  Theilungserscheinungen  an  den  grösse- 
ren Zellen,  so  dass  also  die  durch  secuudäre  Zerlegung  des 
bekernten  Dotters  gebildeten  Zellen  auch  der  weitereu 
Zerlegung  durch    Theilung   fähig  sind,    gleich    den  Furchungs- 


1)  Solclie  Eier  bieten  alsdann  ein  ähnliches  Verhältniss  dar.  wie  erst  am  Ende 
der  Laichperiode  befruchtete  nicht  operirte  Froscheier.  Die  Durchfurchung  bleibt 
nämlich  gegen  Ende  der  Laichperiode  auf  der  unteren,  weissen  Hälfte 
manchmal  lange  aus;  und  noch  ausgesprochener  ist  dies  auch  schon  zur  normalen 
Zeit  an  „Riesen eiern"  vom  2 — 2'/2fachen  des  normalen  Durchmessers.  Daselbst  ist 
die  mittlere  Hälfte  der  Unterseite  des  Eies  oft  noch  ganz  ungefurcht,  während  die 
obere,  schwarze  Seite  schon  in  ganz  feine  Theile  zerlegt  ist.  Diese  Rieseneier  „be- 
weisen" also  direct  die  HAECKEL-BAi.FouR'sche  Hypothese,  dass  die  partielle  Furch- 
ung durch  die  Anhäufung  grösserer  Mengen  von  Dotter  im  Ei  bedingt 
sei;  während  dei'selbe  Effect  an  Eiern  von  normaler  Grösse  gegen  Ende  der  Laich- 
periode wohl  auf  eine  Abnahme  der  sondernden  Kräfte  zurückzuführen  ist. 


Erste  Art  dor  Reorganisation  der  operirten  Kiliälfte.  477 

kugeln.  Zu  derselben  Annahme  gelangen  wir  (Ivu'cli  die  Beobach- 
timg, dass  auf  dem  Stadium  des  Hemiembryo  der  einen  Hälfte  die 
andere,  operirte  Hälfte,  wenn  oder  -so  weit  sie  überhaupt  cellulirt  ist, 
meist  aus  kleinen  Zellen  gebildet  sich  zeigt. 

Worin  eigentlich  die  Reorganisation  innerhalb  der  anscheinend 
mit  Abkömmlingen  des  der  operirten  Eihälfte  zugehörigen  Furchungs- 
kernes  versorgten  Dotterpartien  besteht  und  an  welchem  von  beiden 
Theilen  sie  sich  vollzieht,  wissen  wir  nicht.  Wir  sahen  blos,  dass 
die  mit  der  Kerntheilung  normaler  Weise  verbundene 
Dottertheilung  in  Zellen  ausgeblieben  war,  vermögen  aber 
nicht  zu  beurtheilen,  ob  dies  durch  Veränderung  des  Dotters  oder 
der  Kerne  oder  beider  bedingt  war.  Und  deshalb  entzieht  es  sich 
uns  zugleich,  durch  w^elches  Theiles  Reorganisation  nun 
die  nachträgliche  Radiation  und  Cellulation  des  Dotters 
ermögHclit  wurde,  und  auf  welchen  Wirkungen  und  Ursachen  sie 
beruht.  In  denjenigen  Theilen,  welche  mit  transmigrirten  Kernen 
versehen  worden  sind,  könnte  man  vermuthen,  dass  der  Einfluss 
dieser  normalen  Kerne  eine  Reorganisation  des  Dotters 
bewirkt  habe.  Und  da  die  Cellulation  stets  nur  in  Berüh- 
rung mit  [254]  schon  cellulirtem  Material  vor  sich  ging, 
so  liegt  es  nahe,  in  dieser  Berührung  einen  zu  höherer 
vitaler  Gestaltung  anregenden  Einfluss  anzunehmen. 

Die  soeben  geschilderte  Art  der  nachträglichen  Cellulation 
des  Dotters  erstreckt  sich,  in  Gleichem  wie  oben  von  der  Nuclei- 
sation  desselben  berichtet  wurde,  nur  auf  die  nicht  sichtbar  ver- 
änderten, nicht  vacuolisirten  und  nicht  mit  abnormen 
Kernen  versehenen  Theile;  w^ährend  die  in  dieser  Weise  abnor- 
men Partien  durch  einen  weiterhin  zu  schildernden,  abweichenden 
Modus  und  zwa;;  erst  später  wieder  verwendbar  gemacht  werden. 

Die  in  dem  Dotter  der  unentwickelten  noch  nicht  cellulirten  Ei- 
hälfte zerstreuten  Kerne  erinnern  auf  dem  Stadium  grösserer  Proto- 
plasmaansammlung um  sie  mit  ihren  radiärsn  Protoplasmaausläufern 
etwas  an  die  plasmodienartigen  Zellen,  welche  Kupffer  und  Gensgh') 
in    dem    Dotter    der    Knochenfische     beobachtet    haben ,    und    des- 


1)  H.  Gensch,  Die  Blutbildung  auf  dem  Dottersack  bei  Knochenfischen.    Arch. 
f.  micr.  Anat.  1881.  Bd.  19.  S.  146. 


4:78  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


gleichen  an  die  ähnlichen  Bildungen,  die  Rückert^)  bei  Sela- 
chiern  neben  dem  Rande  der  Keimscheibe  gefunden  undMerocyten 
genannt  hat.  Die  Merocyten  Rügkert's  sind  durch  ungewöhnliche 
Grösse  oder  durch  grössere  Zahl  der  Kerne  ausgezeichnet^),  während 
hier  bei  uns  die  übergCAvanderten  Kerne  die   normale  Grösse  haben. 

Gemeinsam  aber  ist  den  von  diesen  Autoren  beschriebenen  Bil- 
(^lungen  und  den  unseren,  dass  sie  sich  für  die  Verwendung  der  Dotter- 
masse zum  Aufbau  des  Organismus  nützHch  erweisen,  wie  wir  bezüglich 
der  unseren  aus  der  weiter  unten  zu  schildernden  Postgeneration  ersehen 
werden.  Dagegen  bekunden  die  von  mir  beobachteten  abnorm  be- 
schaffenen, durch  ihre  Grösse  jedoch  den  grossen  Kerngebil- 
den dieser  Autoren  entsprechenden  Kerne  in  Bezug  auf  Nützlich- 
keit, so  viel  ich  bis  jetzt  sehe,  zunächst  das  entgegengesetzte  Ver- 
halten, indem  gerade  an  denjenigen  Stellen,  wo  sie  lagern,  die 
Cellulation  ausbleibt;  [255]  ja  manchmal  werden  sie  ganz  an 
den  Rand  gedrängt,  durch  geordneten  Zusammenschluss 
der  unterliegenden  Zellen  abgesondert  und  so  eliminirt, 
also  ganz  von  der  Verwendung  zum  Aufbau  des  Organismus  ausge- 
schlossen. 

Die  erste  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte  bestand 
in  der  Versorgung  derselben  mit  einer  ,, grösseren  Anzahl"  von 
Kernen,  und  in  der  ,, nachträglichen"  Abgliederung  von 
Zellterritorien  um  jeden  dieser  vielen  Kerne.  Auf  diese  Weise 
werden  aber,  wie  erwähnt,  nur  die  nicht  sicbtbarlich  veränderten 
Partien  des  Dotters  reorganisirt ,  und  auch  diese  nicht  immer,  denn 
mehrere  Male  sah  die  nicht  entwickelte  Gegenhälfte  einer  Semiblastula 
auf  den  optischen  Durchschnittsbildern  norinal  aus  und  war  auch 
nicht  allenthalben  durch  eine  Demarcationslinie  von  ersterer  geschieden, 
und  gleichwohl  waren  keine  Kerne  in  ihr  auffindbar. 


1)  F.  RüCKERT,  Zur  Keimblattbildung  bei  Selachiern.    München  1885. 

2)  Dies  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  vielleicht  manche  meiner  „Kernnester " 
mehr  den  Merocyten  Rückert's  entsprächen,  und  dass  deshalb  die  Kernnester  so  lange 
persistiren ,  nämlich  bis  alle  hochgradig  veränderte  Dottersubstanz  wieder  assimilirt 
wäre.  Doch  scheint  mir  dies  in  Folge  des  oben  angeführten  Verhaltens  weniger  zu- 
treffend. 


Zweite  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte.  479 

2.  Zweite  Art  der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte. 

Die  vacuolisirten  Partien  des  Dotters  und  die  Bezirke  mit  den 
abnormen  Kernen  bleiben  l)ei  dieser  ersten  Art  der  Wiederver- 
wendung stets  un betheiligt.  Wo  diese  Substanzen  unmittel- 
bar neben  der  lebenden  Hälfte  liegen,  ist  der  Uebertritt 
von  Kernen  lange  Zeit  ganz  gehemmt;  und  frühestens  am 
Ende  der  Blastulastufe  fand  ich  Bilder,  welche  auf  eine  zweite  Art 
der  Reorganisation  hindeuten,  und  zwar  auf  eine  Reorganisation, 
die  sich  vorzugsweise  auf  diese  hochgradig  abnormen  Sub- 
stanzen erstreckt. 

Neben  einer  solchen  Semiblastula  sieht  man  eine  oder  wenige 
vollkommen  abgegrenzte,  rundliche  Zellen  jenseits  der  Median- 
ebene in  die  noch  an  Dotterkörnern  reichere  Partie  zwischen  den 
Vacuolen  eingelagert  und  halb  oder  fast  ganz  von  dieser  Substanz 
umschlossen.  Diese  Zellen  weichen  durch  ihre  rundliche  Gestalt, 
wie  auch  durch  verschiedene  bald  etwas  erheblichere,  bald  geringere 
Grösse  und  durch  grösseren  Gehalt  an  Dotterkörnern  von  den  polyedri- 
schen  Zellen  der  normalen  Nachbarschaft  in  der  entwickelten  Hälfte 
ab;  aber  sie  führen  immerKerne  vonderselben  Beschaffen- 
heit als  diese  normalen  Zellen.  Nur  äusserst  selten  habe  ich 
noch  jenseits  dieser  rundlichen,  im  Verhältniss  zu  den  durch  Modus  I 
gebildeten  Zellen  kleinen  Zellen  noch  einen  freien  Kern  in  der 
Dottersubstanz  gesehen. 

Derselbe  Modus  ist  auch  neben  Semigastrula  und  Hemi- 
embryones  zu  beobachten,  und  geht  auch  von  den  Dotter- 
zellen [256]  dieser  Gebilde  aus  und  kann  sich  tiefer  in  die  un- 
entwickelte Hälfte  hineinerstrecken. 

Ich  glaube  ^iese  Erscheiimng  so  auffassen  zu  müssen,  dass  die 
schon  weiter  entwickelten,  kleineren  Zellen  oder  ihre 
Kerne  fähig  sind,  auch  in  höhergradig  veränderten  Dotter  einzu- 
dringen und  ihn  ,, wieder  zu  beleben";  bestehe  diese  Wieder- 
belebung nun  darin,  dass  die  Zelle  an  der  Grenze  den  an- 
liegenden Dotter  ,,als  Nahrung  aufnehme"  und  bei  der 
Theilung   dieser  Zellen  dann   die  eine   der  Tochterzellen  in  dem  ur- 


480  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


sprünglich  fremden  Gebiete  liegt;  oder  dass  bei  einer  Theilung,  wie 
beim  ersten  Modus,  der  Kern  mit  sehr  wenig  Protoplasma 
übertritt,  mit  dem  Unterschied  jedoch,  dass  er  dann  aber  nicht 
weiter  wandert  und  sich  nicht  eher  theilt,  als  bis  die 
Umgebung  durch  seinen  Einfluss  wieder  so  weit  belebt 
ist,  dass  er  sie  um  sich  zu  einer  abgeschlossenen  Zelle  gruppirt. 
Welches  von  beiden  das  Richtige  ist,  ob  Verdauung  und  neue 
Assimilation  auch  dos  Bildungsdotters,  oder  directe  Wieder- 
belebung [des  Nichtlebenden  aber  noch  Lebensfähigen],  ist  vor- 
läufig nicht  zu  sagen  ^). 

Diese  zweite  Art  des  Reorganisation  ist  vielleicht  ähnlich 
der  von  Rügkert  bei  Selachiern  beschriebenen  normalen  Verwendungs- 
weise  von   Kernen   zum   Aufbaue   des    Embryo,   indem  daselbst   die 


[1)  Diese  Stelle  ist  sehr  missdeutet  worden,  besonders  von  0.  Hertwig  (Ueber 
den  Wertli  der  Furchungszellen  für  die  Organbildung  des  Embryo.  Arch.  f.  micr. 
Anat.  Bd.  42.  1893/94). 

Meine  Auffassung  beruht  auf  der  von  W.  Preyer  betonten  und  von  mir,  wie  ich 
sehe,  mit  Unrecht  als  allgemein  bekannt  vorausgesetzten  Unterscheidung  von 
„Nicht  mehr  Lebendem,  aber  noch  Lebensfähigem"  und  wirklich 
„Todtem".  nichtwiederzußelebendem.  Welcher  Grad  von  Veränderungen 
die  Grenze  zwischen  beiden  darstellt  und  ob  resp.  woran  dieses  Grenzstadium 
microscopisch  zu  erkennen  ist,  ist  unbekannt;  daher  wäre  es  müssig,  hier  bei  dieser 
Gelegenheit  bestimmte  Unterscheidungen  machen  zu  wollen.  Jedenfalls  lag  es  mir 
fern,  wirkHch  Todtes  im  Sinne  Preyer's  direct  (nicht  durch  Verdauung  und  neue 
Assimilation)  wiederbelebt  werden  zu  lassen  (Weiteres  siehe  S.  79  „reparative  Assi- 
milation"). 

Von  „todter"  Substanz  spreche  ich  hier,  das  heisst  in  diesem  Abschnitt,  wo 
es  genauer  darauf  ankommt,  blos  beim  dritten  Modus  der  Reorganisation,  welcher  bei 
sichtbar  veränderter  Substanz  stattfindet  und  erwähne  dabei  zugleich  (S.  484),  dass 
diese  Reorganisation  „zweifellos  auf  dem  Wege  der  Verdauung  und  Assimilation"  durch 
die  Zellen  vor  sich  gehe.  In  den  früheren  Abschnitten  dagegen  habe  ich  allerdings 
oft  statt  von  der  „ihrer  eigenen  Entwickelungsfähigkeit  beraubten  Eihälfte"  kurz  von 
der  „operirten"  oder  der  „getödteteu"  Eihälfte  gesprochen. 

Es  kann  aber  überhaupt  als  zweifelhaft  aufgefasst  werden,  ob  das  Ausbleiben 
der  Cellulation  des  mit  Kernen  versehenen  Dotters  wirklich  auf  „Nichtleben"  des 
Dotters  beruht  und  vielleicht  sogar  auch,  ob  es  bei  dem Voi'handensein  sichtbarer 
Veränderungen  des  Dotters  durch  diese  bedingt  ist,  oder  ob  nicht  etwa  der  Mangel 
anCentrosomen  oder  dieSch  wache  derselben  die  Ursache  ist ;  in  diesem  Falle 
wäre  dann  nicht  eine  „Wiederbelebung"  des  „nichllebenden"  Protoplasmas  nöthig,  sondern 
eine  Vermehrung  und  Vertheilung  resp.  Activirung  von  Centrosomen.  Diese  Auf- 
fassung ist  aber  wieder  davon  abhängig,  ob  Kernvermehrung  ohne  Centrosomen  mög 
lieh  ist.     Wir  kommen  also  bei  jeder  Deutung  auf  Unbekanntes.] 


Dritte  Art  der  Reorganisation  des  Materiales  der  operirten   Kihälftc  481 


kleinen,  neben  der  Keimscheibe  sich  findenden  Kerne  mit  ihrem  kleinen 
Protoplasmamantel  sich  vom  Dotter  alhnähiich  ablösen  und  neue 
Zellen  bilden.  In  beiden  Fällen  findet  Abgliederung  des  Ma- 
teriales gleich  in  ,, kleine  Zellen,  allmähliches  Vorrücken" 
dieses  Prozesses  im  nicht  ganz  belebten  Materiale  und 
Verwendung  für  den  Organismus  statt. 

Auf  diese  Weise  sah  ich  grössere  Strecken  der  ope- 
rirten Hälfte  wieder  belebt;  neben  einer  Semiblastula  fand  sich 
bereits  die  ganze  zweite  Hälfte  des  Daches  durch  solche,  noch  un- 
regelmässig gestaltete,  meist  rundliche  Zellen  gebildet,  während  der 
übrige  Theil  der  operirten  Purchungskugel  noch  nicht  cellulirt  war. 
Zwischen  den  neuen  wohlabgegrenzten  Zellen  waren  auch  Reste  noch 
nicht  verwendeten  Dotters  vorhanden. 

Diese  Art  der  Reorganisation  vervollkommet  viel- 
fach das  Werk,  welches  die  zuerst  geschilderte  Art  nicht 
zu  vollenden  vermochte. 

Es  ist  ferner  daran  zu  denken,  dass  in  späterer  Zeit,  wenn  die 
auf  erstere  Art  gebildeten  Zellen  schon  durch  Theilung  [257]  kleiner 
geworden  sind,  derselbe  Process,  statt  von  den  Zellen  der 
„entwickelten"  Hälfte,  auch  von  ihnen  ausgehen  und  die  in 
ihrem  Bereiche  liegenden  abnormen  Massen ,  besonders  die  Kern- 
nester, „aufzehren"  kann.  Darauf  deuten  Stellen  hin,  wo  einzelne 
nicht  grosse  Zellen  in  eine  Gruppe  von  den  oben  geschilderten  ab- 
normen grossen,  rothen  Kernen  eingedrungen  sind.  An  manchen 
Stellen  der  wiederbelebten  Hälfte  findet  man  auch  viele  dunkelrothe 
Schollen  die  Intercellularräume  ausgussartig  erfüllen.  Man  könnte 
dieselben  wohl  für  die  Reste  abnormer  Kerne  ansehen  mögen ;  gleich 
aussehende  Bildungen  finden  sich  indess  auch  gelegentlich  in  der 
normal  entwickelten  Hälfte  auf  mehreren  Schnitten  an  den  einander 
entsprechenden  Stellen. 

3.  Dritte  Art  der  Reorganisation    des  Materiales  der  ope- 
rirten Eihälfte. 

Diesen  beiden  Arten  der  Ausdehnung  der  Wirkungssphäre  der 
Zellen  der   entwickelten  Hälfte    auf    die    operirte    und    zugleich    der 

W.  Ronx,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  "-^ 


452  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Wiederbelebung  und  Verwendung  ihres  Materiales  für  den  künftigen 
Organismus  reiht  sieh  noch  eine  dritte  Art  der  Reorganisation 
an,  welche  unter  „Umwachsung"  der  „todten"  Hälfte  von 
der  äusseren  Schicht  der  entwickelten  Half te  aus  sich  voll- 
zieht. 

Dieser  Modus  findet  sich  in  Präparaten,  wo  der  Dotter  der 
operirten  Eihälfte  in  deren  Innerem,  insbesondere  an  der  Abgrenzungs- 
fläche gegen  die  entwickelte  Hälfte  hin,  ganz  vacuolisirt  oder  mit 
vielen  abnormen  Kernen  durchsetzt  ist.  Ob  diese  Zersetzung 
und  die  abnorme  Kernbildung  allein  durch  die  Operation  hervorge- 
rufen ist,  oder  ob  sie  durch  die  abnorme  Retention  der  Eier  im  Uterus 
(da  ich  ja  am  Ende  der  Laiehperiode  operirte)  bedingt  ist,  ist  für 
unseren  gegenwärtigen  Zweck  ohne  Bedeutung.  In  anderen  Fällen 
weniger  ausgedehnter  und  vielleicht  auch  qualitativ  geringerer 
Zersetzung  findet  sich  der  dritte  Modus  neben  dem  zweiten  zu- 
gleich vor.     Die  Erscheinungen  dabei  sind  folgende. 

Von  allen  oder  manchen  Th eilen  der  Peripherie  der  ent- 
wickelten Hälfte  ausgehend  erstreckt  sich  eine  pigmen- 
tirte  Zelll  age  auf  die  unentwickelte  Hälfte  mehr  oder  weniger 
weit  fort;  diese  Lage  ist  an  ihren  der  entwickelten  Hälfte  näheren 
Partien  in  ihrer  Dicke  aus  zw^ei  oder  drei  annähernd  denen  der  Nach- 
barschaft der  entwickelten  Hälfte  gleichenden  Zellen  gebildet,  während 
sie  gegen  den  freien,  die  Grenze  des  bereits  Ueberzogenen  darstellen- 
den Saum  einige  oder  mehrere  Zellen  w^eit  [258]  manchmal  blos  aus 
einer  Zelle  in  der  Dicke  dargestellt  wird.  Und  während  erstere 
Zellen  mehr  rundlich  oder  cubisch  sind,  zeigen  sich  letztere  platt 
und  sind  zum  Theil  gegen  den  freien  Saum  noch  zugeschärft, 
verhalten  sich  also  wie  auch  sonst  Epithelien,  wie  selbst  hohe 
Cylinderepithelien  bei  der  Ueberhäutung  eines  Defectes. 
(gelegentlich  sind  jedoch  auch  einige  der  Randzellen  dick  und  springen 
erheblich  über  den  noch  nicht  umwachsenen  Nachbartheil  vor.  An  man- 
chen Stellen  sind  die  untersten  Zellen  dieser  Umschliessungsschicht  oder 
auch  die  einschichtig  gelagerten  Randzellen  gegen  die  umschlos- 
sene Masse  convex  gestaltet  und  ruhen  dann  in  entsprechenden 
Grübchen    der  nicht   cellulirten  Dottersubstanz.     In  Verbindung   mit 


Dritte  Art  der  Reorganisation  des  Materialos  der  operirteu  Eihälfte.  483 

der  Tliatsache,  dass  die  Aiissenfläche  der  übcrhäuteten  Partien  nicht 
nur  nicht  der  Dicke  des  mehrscliichtigen  Theilos  der  Umwachsungs- 
schicht  entsprechend,  sondern  überhaupt  fast  gar  nicht  über  den 
regelmässig  gekrümraten  Bogencontour  der  unentwickelten  Hälfte  sich 
erhebt,  ist  mit  Sicherheit  zu  folgern,  dass  die  hier  gelagerten 
Um  Schliessungszellen  den  Raum  früherer  Dotter  Substanz 
einnehmen  und  es  liegt  daher  nahe,  anzunehmen,  dass  sie  sich 
auch  auf  Kosten  der  von  ihnen  umschlossenen  Substanz 
„ernähren",  vergrössern  und  vermehren.  Die  Abstammung 
dieser  U m s c h  1  i e s s u n g s z e  1 1  e n  aus  der  entwickelten  Ei- 
hälfte kann  nicht  zM'eifelhaft  sein,  da  in  manchen  Fällen  sonst 
nirgends  Zellen  oder  normale  Kerne  in  der  operirten  Hälfte  sich  finden. 

Wir  haben  also  drei  Modi  kennen  gelernt,  auf  welche  von  der 
entwickelten  Hälfte  aus  die  operirte  wieder  belebt  und  damit,  wie  wir 
sehen  werden,  zugleich  zu  ihrer  Verwendung  zur  Entwickelung  vor- 
bereitet wird.  Der  erst  er e  Modus  fand  offenbar  blos  bei  geringer 
Veränderung  des  Material  es  der  operirten  Hälfte  statt  und  be- 
wirkte wohl  eine  „directe  Wiederbelebung"  des  [„nichtleben- 
den" aber]  nur  wenig  veränderten  Dotters,  welcher  dann  eine 
Abgliederung  in  gesonderte  Zellterritorien  nachfolgte ;  die  Wiederbeleb- 
ung geht  dabei  zwar  auch  successiv,  aber  doch  sehr  rasch  vor  sich 
und  es  sind  oft  schon  im  ganzen  Bezirk  Kerne  vertheilt, 
ehe  die  Cellulation  um  die  der  entwickelten  Hälfte  unmittelbar 
benachbarten  Kerne  beginnt  und  von  da  aus  dann  rasch  auf  die 
übrigen  Theile  sich  fortsetzt. 

Die  beiden  anderen  Modi  dagegen  sind  fähig,  auch  in  höhe- 
[259]  rem  Maasse  veränderte  Substanz  wieder  zum  Aufbau  brauchbar 
zu  machen.  S^e  sind  mit  früherer  Cellulation  verbunden,  schreiten 
aber  nur  langsaiu  im  Räume  fort.  Der  eine  davon  vollzog  sich  im 
Inneren  der  operirten  Zelle;  und  es  war  un gewiss,  ob  er  die  ver- 
änderte Substanz  direct  wieder  belebt  oder  erst  auf  dem  Wege  der 
Aufnahme  als  Nahrung  und  der  Assimilation  in  lebende  Substanz 
überführt.  Der  letztere  Modus  dagegen  ging  von  der  Oberflächen- 
schicht der  entwickelten  Hälfte  aus,  umschloss  die   veränderte  Masse 

31* 


484:  Nr.  22.    Die  Hervorbiingung  halber  Embryonen. 


von  aussen  und  führte  sie  wohl  zweifellos  auf  dem  Wege  der 
„V e  r  d au u  n  g"  u n  d  A  s  s i m  i  1  a  t  i o  n  meder  in  lebende  Substanz  über. 
Alle  drei  ]\Iodi  der  Reorganisation  kommen  häufig  neben  '  ein- 
ander vor;  der  zweite  steht  dem  dritten  offenbar  sehr  nahe  und  stellt 
vielleicht  zugleich  eine  Zwischenform  zwischen  dem  ersten  und  dritten 
dar,  sofern  bei  dem  zweiten  Modus  der  U ebertritt  einzelner 
Kerne  wirklich  zum  Wesen  desselben  gehört;  andererseits 
Avürde  er  mit  dem  dritten  Modus  in  seinem  Wesen  identisch  sein 
und  blos  eine  durch  die  räumlichen  Verhältnisse  bedingte  kleine 
Modification  desselben  darstellen. 

C.  „Postgenenition"  der  „nicht  gebildet  gewesenen"  Theile  des 

Embryo. 

An  den  wiederbelebten  Massen  der  operirten  Furchungskugel 
vollziehen  sich  weiterhin  Vorgänge,  welche  ich  den  blossen  Reorgani- 
sationsvorgängen als  Vorgänge  der  „Nacherzeugung"  der  „nicht  ge- 
bildeten' '  Theile  des  Organismus,  als  „P  o  s  t  g  e  n  e  r  a  t  i  o  n  s  v  o  r  g  ä  n  g  e" 
gegenüberstellen  möchte,  da  die  Verhältnisse  auf  einen  diese  Schei- 
dung begründenden  principiellen  Unterschied  zwischen  ihnen  hindeuten. 

Die  Postgenerationsvorgänge  stellen,  wie  wir  sogleich  sehen 
werden,  die  fehlende  Körperhälfte  her.  Da  diese  Hälfte  aber  über- 
haupt noch  nicht  gebildet  war,  so  kann  für  diese  ihre  nachträgliche 
Bildung  der  Name  ,, Regeneration"  schon  aus  diesem  Grunde  keine 
Verwendung  finden.  Und  da  eine  derartige  h  o  c  h  g  r  a  d  i  g  e  R  e  g  e- 
neration,  welche  eine  ganze  halbe  Körperhälfte  wieder 
ersetzt,  für  Wirbelthiere  überhaupt  nicht  bekannt  ist, 
so  muss  es  zweifelhaft  bleiben,  ob  die  Vorgänge  einer  solchen  Rege- 
neration mit  den  jetzt  zu  schildernden  der  Postgeneration  identisch 
sein  würden  (s.  S.  511).  Von  vorn  herein  kann  eher  ein  gewisser 
Unterschied  erwartet  werden,  weil  bei  der  [hier  zu  schildernden] 
Postgeneration  ein  T  h  e  i  1  d  e  s  u  r  s  p  r  ü  n  g  1  i  c  h  e  n ,  der  fehlende  n 
Körperhälfte  zugehörigen  Bildungsmateriales,  der  Bil- 
dungs-  und  Nahrungs  [260]  dotter  und  ein  Theil  des  Kernmateriales 
bei  Modus  I  wieder  belebt  und  direct  verwendet  wird.  (Eine 
andere  Art  s.  Nr.  26,  S.  45.) 


Postgeneratiou  des  Ectoblast  485 


\'^on  dem  dritten  Reorganisationsmodus,  wie  er  für  sich  am 
ganz  zersetzten  Dotter  vorkommt,  liabe  ich  zur  Zeit  nicht  genügend 
vorgeschrittene  Übjecte,  um  zu  wissen,  ob  das  durch  ihn  wiederbe- 
lebte Material  auch  zur  Postgeneration  verwendet  werden  kann;  von 
dem  zweiten  Modus  kann  ich  das  auch  nur  vermuthen,  so  dass  also 
die  im  Folgenden  zu  schildernden  Postgenerationser- 
scheinungen zunächst  nur  als  auf  die  ,,erste"  Reorgani- 
sationsweise folgend  aufzufassen  sind. 

a)  Postgeiieration  des  Ectoblast. 

1.    Der   ,,seitlichen"    Halbbildungen. 

Die  Postgeneration  beginnt  ausser  lieh  mit  einem  Vorgang, 
welcher  dem  des  dritten  Reorganisationsmodus  ähnlich  erscheint, 
nämlich  mit  der  rmschliessung  der  operirten  Hälfte  durch 
eine  besondere,  pigmentirte,  mit  dem  Ectoblast  der  ent- 
wickelten Hälfte  in  Continuität  stehende  Zellschicht. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  zeigt  sich  aber  auf  den  Durch- 
schnitten und  besteht  einmal  darin,  dass  im  letzteren  Falle  die  wei- 
teren, zur  Bildung  eines  typischen  Ectoblast  führenden 
Dif f erenzirungen  sogleich  einsetzen,  während  ich  ersteren 
Falles  Derartiges,  wie  erwähnt,  trotz  grosser  Ausdehnung  der  Um- 
schliessungsscliicht  noch  nicht  beobachten  konnte. 

Die  Um  Schliessung  der  nachträglich  cellulirten  Eihälfte  durch 
eine  schwarze  Ectoblastschicht  geht  hauptsächlich  in  cephalo- 
caudaler  und  ventridorsaler  Richtung  vor  sich,  so  dass 
bald  nur  noch  ein  weisses  Loch  am  caudalen  Theil  des  Em- 
bryo neben  dem  vorhandenen  einen  Medullarwulst  in  dem  schwarzen 
oder  braunen  Ueberzuge  sich  findet  (Taf.  VH  Fig.  4  u.  3).  Dieses  ge- 
rundete Loch  sieht  ähnlich  aus  wie  die  Hälfte  eines  noch  weiten  Ur- 
mundes  oder  Urafters.  An  der  Bildung  desselben  ist  auch  eine 
Umschliessung  in  caudicephaler  Richtung  betheiligt,  welche 
indess  nur  bis  zur  Stelle  des  normalen  Urafters  sich  erstreckt.  Diese 
ganze  Umschliessung  verläuft  also  für  die  äussere  Betrachtung  ähn- 
lich wie  die  normale  Gastrulation. 


486  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Ausserdem  ündet  sich  manchmal  längs  neben  dem  Medullar- 
wulst  und  mit  der  Meduharplatte  in  Kontinuität  ein  schmaler 
schwarzer  Saum,  welcher  der  Umschhessung  in  cephalocaudaler 
Richtung  vorausgeeilt  ist  und  auf  ein  directes  Fortschreiten 
der  Ectoblastbildung  von  der  Medullarplatte  der  ent- 
wickelten Hälfte  aus  zu  [261]  beziehen  ist. 

Oft  schon  nach  erst  halber  Umschhessung  der  nachcelluhrten 
Eihälfte,  manchmal  erst  später  nach  ganzer  Umschhessung,  folgt 
dann  die  Ausbildung  des  zweiten  fehlenden  Medullar- 
wulstes  nach  und  geht,  soviel  ich  bis  jetzt  gesehen  habe,  bei  den 
,, seitlichen"  Halbbildungen  stets  in  cephalocaudaler 
Richtung  vor  sich.  Dieser  letztere  Vorgang  vollzieht  sich 
innerhalb  weniger  Stunden  und  ein  halber  Tag  oder  eine  Nacht 
genügt  oft  vollkommen,  um  einen  Hemiembryo  lateralis  in  einen 
ganzen  Embryo  mit  zwei  schönen  Medullarwülsten  zu  verwandeln 
[s.  Nr.  31,  S.  253]  1). 

Das  Entsprechende  geschieht  bei  den  Hemiembryones  „ante- 
riores"; und  eben  durch  diese  rasche  Postgeneration  der  hinteren 
Körperhälfte  sind  mir  die  meisten  meiner  vorderen  halben  Embryonen 
in  dem  Bestreben  möglichst  alte  Exemplare  zu  gewinnen,  als  solche 
in  Verlust  gerathen.  Die  Postgeneration  der  fehlenden  hinteren 
Körperhälfte  geht,  wie  ich  beobachtete,  gleichfalls  von  der  entwickelten 
Eihälfte  aus  und  schreitet  stetig  nach  hinten  fort,  und  zwar  ge- 
wöhnlich an  der  ganzen  Abgrenzungslinie  des  Defectes  nicht  ganz 
gleichmässig,  sondern  auf  der  dorsalen  Seite  rascher. 

Fig.  7  b    zeigt   einen  Fall,    wo  die  Postgeneration  blos  von   den 

Medullarwülsten   und   deren  Nachbarschaft   ausgegangen    und    schon 

ziemlich  weit  fortgeschritten  ist.     Einer  Verwechselung  mit  einem 

etwaigen  blossen  Anachronismus   der  Entwickelung   der    vor- 

[1)  0.  Hertwiü,  welcher  diese  Angabe  nicht  beachtet  hat,  hat  Hemiembryonen 
nicht  sehen  können  und  verneint  daher  ihr  „Vorkommen"  (s.  Nr.  31).  Er  hat  erst 
die  schon  fast  vollkommen  ergänzten  Embryonen  mit  blos  einem  Defect  am  hinteren 
Ende  gesehen  ;  dieses  Stadium  ist  viel  dauerhafter,  weil  bei  der  vorzugsweise  in  cephalo- 
caudaler Richtung  fortschreitenden  Postgeneration  das  durch  die  heisse  Nadel  geronnene 
Dottermaterial  an  diese  letzte  Steile  verschoben  wird  und  nun  der  Aveitereu  Ditferen- 
zirung  einen  lange  dauernden,  wohl  erst  durch  YerniitteluDg  des  langsamen  Modus  3 
der  Reorganisation  allmählich  zu  überwindenden  Widerstand  entgegensetzt  fs.  S.  499)]. 


Postgeneration  des  Ectoblast.  487  , 


(leren  und  hinteren  Hälfte,  also  mit  einer  blos  verspäteten,  aber  sonst 
normal  sich  vollziehenden  Bildung  der  hinteren  Hälfte  wird,  abge- 
sehen von  den  inneren  Vorgängen,  schon  durch  dieses  „successive" 
Fortschreiten  ihrer  Bildung  von  dem  bereits  Entwickelten 
aus  vorgebeugt. 

Findet  diese  Postgeneration  bei  Hemiembryones  ,, laterales" 
statt,  so  holt  sie  in  der  Bildung  des  zweiten  Medullär wulstes  die 
andere  Hälfte  ein^)  und  die  Entwickelung  schreitet  dann  in  beiden 
Antimeren  weiter,  das  Medullarrohr  wird  geschlossen,  der  Kopf 
und  Schwanz  und  die  Ursegmente  des  Rumpfes  werden  beiderseits  zu 
normaler  Gestalt  ausgebildet.  Zum  Theil  entstehen  dabei  muntere, 
zum  Theil  aber  auch  bei  äusserlich  normaler  Gestaltung  matte, 
schwächliche,  leicht  absterbende  Kaulquappen. 

Manchmal  auch  ist  die  Postgeneration  unvollkommen 
oder  [262]  sie  bleibt  ganz  aus,  wie  in  Fig.  4  und  5,  während 
sich  die  entwickelte  Hälfte  weiter  differenzirt.  In  diesen  ältesten 
meiner  Fälle  ist  die  Cellulation  der  operirten  Hälfte  im  Inneren  noch 
unvollendet;  neben  dem  Medullarrohr  liegt  ein  grosser  Block  fein- 
körniger, schwach  gelblicher,  wahrscheinlich  geronnener  Substanz, 
der  der  Zerlegung  Widerstand  geleistet  und  wohl  auch  die  äussere 
Umwachsung  gehemmt  hat. 

Die  Besichtigung  von  Durchschnitten  durch  solche  in  Post- 
generation begriffene  Hemiembryonen  lässt  nun  weiteren  Einblick  in 
die  Vorgänge  der  Postgeneration  gewinnen. 

Zunächst  ist  zu  erwähnen,  dass  bei  der  Postgeneration  der 
einen  Körperhälfte  eine  Furchungshöhle  und  dem  entsprechend 
auch  später  eine  Blastulahöhle  nicht  gebildet  wird.  [Hierbei 
ist  natürlich  anzusehen  von  dem  oben  mitgetheilten  nicht  seltenen 
Fall,  wo  die  Furchungshöhle  der  Semiblastula  wohl  durch  zu  grosse 
Flüssigkeitsausscheidung  in  die  noch  gar  nicht  cellulirte  operirte 
Hälfte  sich  hineingebildet  hatte.    Und  desgleichen  entsteht  manchmal 


[1)  Geht  die  Postgeneratioii  dabei  rascher  vor  sich  als  die  normale  Entwickelung, 
oder  wird  die  Entwickelung  der  normalen  Hälfte  in  Folge  des  Fehlens  einer  gleich 
entwickelten  anderen  Hälfte  verzögert?] 


488  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


eine  grosse  Höhle  von  etwa  300  (.i  Durchmesser  an  anderer  Stelle  *), 
welche  leicht  eine  Furchungshöhle  vortäuschen  kann,  sofern  sie  nahe 
der  Oberfläche  liegt  und,  wie  es  vorkommt,  diese  oberflächliche  Grenz- 
schicht bereits  nach  dem  zweiten  Modus  cellulirt  worden  ist.  Die 
genauere  Betrachtung  ergiebt  dann  durch  die  feineren  Unterschiede 
die  richtige  Deutung.] 

Die  Durchschnitte  zeigen  an  den  Stellen  der  Um  Schliessung  der 
operirten  Eihälfte  mit  einer  besonderen  braunen  Zellschicht  auf  den 
ersten  Blick  wiederum  ähnliche  Bilder,  wie  bei  der  Umwachsung  der 
durchaus  zersetzten,  nicht  cellulirten  Eihälfte ;  und  ich  muss  es,  wie 
oben  gesagt,  in  Zweifel  lassen,  ob  letzterer  Vorgang  nicht  eine  Vor- 
stufe der  Postgeneration  sein  kann.  Die  zu  schildernden  ^'^orgänge 
dieser  letzteren  habe  ich  indess  bis  jetzt  blos  an  Eiern  beobachtet, 
wo  schon  der  grösste  Theil  des  Inneren  der  operirten  Furchungskugel 
cellulirt  war  und  nur  [263]  noch  wenige  abnorm  beschaffene,  nicht 
cellulirte  Stellen  vorhanden  waren ;  während  ich  die  Reorganisation 
durch  Umwachsung  nur  an  fast  durchaus  abnorm  gewordenen  Ei- 
hälften  vorgefunden  habe. 

Bald  aber  stellen  sich  charakteristische  Unterschiede  in  der  Um- 
schliessung  durch  Postgeneration  von  derjenigen  durch  Reorganisation 
nach  dem  dritten  Modus  ein.  Falls  keine  störenden  veränderten 
Massen  im  Wege  liegen,  sind  zunächst  die  Umschhessungszellen  regel- 
mässiger gestaltet  und  formiren  eine  in  ihrem  Bau  dem  normalen 
Ectoblast  der  primär  entwickelten  Hälfte  entsprechende  Schicht. 
Diese  steht  ., stets"  mit  letzterem  in  continuirlichem  Zu- 
sammenhang. 

Der  Ectoblast  der  normal  entwickelten  Eihälfte  wird 
an  den  seitlichen  und  ventralen  Theilen  des  Embryo  auf  der  Stufe 
der  noch  nicht  vereinigten  Medullär wülste  durch  zwei  einander  be- 
rührende Zeflschichten  dargestellt,  von  denen  die  äussere  aus  einer 
einfachen  Reihe  etwas  platter,   nur  an   manchen  Stellen  schon 


1)  Eine  Neigung  zur  Flüssigkeitsabscheidung  nach  innen  scheint  übei- 
haupt  vorhanden  zu  sein,  denn  die  beschriebene  Vacuolisation  ist  wohl  auch  da- 
rauf zurückzuführen ;  und  selbst  unbefruchtete  Eier  bilden  am  Ende  der  Laichperiode 
in  einigen  Tagen  während  des  Imwasserliegens  diese  Veränderung  aus. 


i'ostgeueration  des  Ectoblast.  489 


fast  cubischer  Zellen  gebildet  wird.  Dieselben  bestehen  aus  fein- 
körniger, aussen  braun  pigmentirter  Zellleibsubstanz  und  aus  grossen, 
tief  rotli  gefärbten  Kernen.  Diese  Zellen  formiren  in  ihrer  Gesammt- 
heit  mit  ihrer  schwach  convexen  Aussenfläche  einen  der  Oberfläche 
des  ganzen  Eies  entsprechend  gebogenen  einfachen  Contour,  während 
sie  nach  innen  zu  in  Folge  ihrer  ungleichen  Höhe  mehrfache  unregel- 
mässige Zacken  bilden.  Die  innere  Schicht  des  Ectoblast  ist 
gleichfalls  aus  einer  in  den  seitlichen  und  ventralen  Partien  des  Em- 
bryo einfachen  Lage  aber  sehr  platter  Zellen  dargestellt,  welche 
gleichfalls  noch  aus  feinkörniger  Substanz,  aber  doch  von  etwas 
gröberem  Korn,  gebildet  sind  und  etwas  kleinere,  gleichfalls  tief  roth 
gefärbte  Kerne  einschliessen,  Die.se  Zellen  schliessen  sich  nach  innen 
zu  zur  Bildung  eines  glatten,  nur  der  Biegung  der  ganzen  Schicht 
entsprechend  gebogenen  Contours  zusammen;  mit  ihrer  unregel- 
mäsigeu  Aussenfläche  dagegen  schmiegen  sie  sich  in  die  Unregel- 
mässigkeiten der  Jnnenflächeder  äusseren  Schicht  ein.  Durch  diesen 
glatten  Contour  scheiden  sich  also  die  Zellen  des  Ecto- 
blast vollkommen  scharf  von  den  unter  ihnen  liegenden, 
von  ihnen  bedeckten  Th eilen. 

Die  Umschliessungsschicht  der  operirten  Eihälfte  ist 
nun  [264]  nach  der  Seite  der  entwickelten  Hälfte  hin  in  gleicher 
Weise  gebildet,  so  dass  ich  nicht  anstehe,  diese  Schicht  hier  gleich- 
falls als  Ectoblast  aufzufassen;  zumal  da  sie  auch  in  der  weiteren 
Entwickelung  sich  als  solches  bewährt. 

Doch  sind  in  je  grösserem  Abstände  von  der  normalen  Hälfte 
und  um  so  näher  dem  freien  Rande  dieses  neugebildeten  Ectoblastes 
die  Zellen  desselben  noch  um  so  unregelmässiger  gestaltet  und 
um  so  weniger  geordnet.  Zum  Theil  auch  sind  diese  Zellen 
grösser,  und  besonders  die  der  inneren  Schicht  sind  durch  Reich- 
thum  an  grossen  Dotterkörnern  ausgezeichnet.  Stellenweise 
fehlt  auch  die  vollkommene  Zusammenschliessung  derselben  zu  einem 
glatten  Ab grenzungs contour  gegen  die  von  ihnen  umschlossene 
Masse. 

Letztere  besteht  aus  den  secundär  gebildeten  grossen  Zellen, 
die  ich  als   „Dotterzellen"    bezeichnen    will,    weil    sie    durch  ihre 


4.90  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Grösse,  sowie  durch  ihre  Anfüniiiig  mit  grossen  Dotterkörnern  und 
ihren  grossen  bläschenartigen,  schwach  rothgefärbten  Kern  den  nor- 
malen Dotterzellen  gleichen. 

Obgleich  die  Kerne  der  tiefen  Lage  des  neuen  E ctoblast 
schon  kleiner  und  dunkelroth  gefärbt  und  die  Zellen  selber  schon 
deutlich  langgestreckt  sind,  so  stellen  diese  Zellen  durch  ihre  be- 
deutendere Grösse  und  noch  unregelmässige  polyedrische  ({estalt  und 
ihre  unvollkommene  Ordnung  Uebergänge  zu  den  noch  grösseren, 
an  Dotterkörnern  reicheren ,  und  noch  weniger  typisch  geordneten 
„Dotterzellen"  dar,  deren  Kerne  in  den  neben  dem  Ectoblast 
gelegenen  Zellen  nicht  selten  gleichfalls  kleiner  und  tiefroth  sich 
zeigen. 

Gegen  den  freien  Haum  des  neuen  Ectoblast  hört  dann 
an  manchen  Präparaten  jede  Abgrenzungsmöglichkeit  des 
Ectoblast  gegen  die  Dotterzellen  auf.  Die  Zellen  bieten  blos 
noch  nach  aussen  hin  einen  einfachen  glatten  Abgrenzungscontour 
dar,  was  indess  bei  den  oberflächlichen  Dotterzellen  auch  der  Fall 
ist;  und  dieser  erstere  äussere  Contour  läuft  meist  ohne  jede 
Knickung  in  den  von  den  Dotterzellen  gebildeten  über,  so  dass 
also  die  Ectoblastzellen  nicht  als  eine  nachträgliche  Auf- 
lagerung auf  die  Unterlage  sich  darstellen,  wie  es  theilweise 
l)ei  der  „Umwachsung"  der  todten  Eihälfte  dar  Fall  war,  sondern  dass 
sie  durchaus  das  unterliegende  Dotterzellmaterial  substituiren. 

Das  Pigment  ist  in  den  äusseren  Zellen  des  Ectoblastrandes 
blos  noch  in  der  aus s ersten  dünnen  Rinde  der  Zellen  gelagert, 
gleich  wie  [265]  aucli  in  den  sich  anreihenden  noch  ganz  grossen, 
aber  mit  schon  stärker  gefärbten  Kernen  versehenen  Dotterzellen. 
Weiter  hinaus  vom  Umschliessungsrande  folgen  dann  nichtpigmen- 
tirte  Dotterzellen  mit  den  blassen  Kernen^). 

Die  am  Umschliessungsrande  gelegenen  Ectoblastzellen  sind 
zugleich  auch  grösser  als  die  anderen  und  haben  keine  typische 
Gestalt,  zum  Theil  sind  sie  sogar  rund  und  liegen  locker,    Lücken 


[< )  Dieser  ganzen  Schilderung  entsprechende  Befunde  erhielt  D.  Barfurth  bei 
seiner  sorgfältigen  Untersuchung  über  die  ,.Regeneration  der  Keimblätter."  Siehe 
Anat.  Hefte  1893,  S.  311-354.] 


Postgeneration  des  Ectoblast.  491 

zwischen  einander  lassend  wie  Dotterzellen  der  Blastula  und  haben 
grosse  rothe  Kerne. 

Führen  wir  uns  diese  Avichtigen  Befunde  noch  einmal  zu- 
sammenfassend und  in  ihrer  Reihenfolge  von  den  indifferen- 
ten Dotterzellen  zu  dem  vollkommen  formirten  Ectoblast 
vor,  so  finden  wir  zunächst  am  weitesten  die  Veränderung 
der  Kerne  v  o  r  g  e  s  c  h  r  i  1 1  e  n ,  indem  in  sonst  vollkommen  unver- 
ändert aussehenden  Dotterzellen  schon  tief  rothe  Kerne  sich  finden. 
An  der  Oberfläche  ist  damit  zugleich  verbunden  die  Pigmentbil- 
dung; diese  erstreckt  sich  noch  auf  grosse,  in  ihrer  Gestalt  ganz 
unveränderte  Dotterzellen,  so  weit  sie  schon  einen  tiefroth  gefärbten 
Kern  haben.  Dann  folgt  die  Zerkleinerung  der  grossen 
Zellen  durch  Theilung  bei  noch  vollkommen  unregelmässiger  An- 
ordnung und  Gestalt  derselben.  In  der  nächsten  Zone  findet  Zu- 
sammenschliessung und  Formung  der  Zellen  zu  einer  auch 
gegen  die  Unterlage  hin  schon  etwas  abgeschlossenen  Schicht 
statt;  und  danach  erst  formiren  beim  weiteren  Zusammen- 
schluss  die  Zellen  die  beiden  typisch  gestalteten,  oben  geschilder- 
ten Schichten. 

Während  so  z.  B.  in  der  Mitte  der  Uebergangsschicht  die 
Zellen  zwar  klein  geworden  sind  und  rothe  Kerne  haben,  aber  noch 
nicht  die  richtige  Gestalt  und  Anordnung  besitzen,  also  noch  nicht 
vollkommene  Ectoblastzellen  sind,  vermögen  sie  doch  schon  den 
Reiz  zu  der  ihnen  gleichen  Bildung  weiter  zu  geben,  und 
sie  selber  werden  erst  dann,  wenn  schon  mehr  geordnete 
und  typischer  gestaltete  Zellen  neben  ihnen  liegen,  auch  ver- 
anlasst, diese  specielleren  Veränderungen  vorzunehmen. 

Also  die  vollkommene  Einordnung  in  den  Schichten- 
verband und  danach  die  typische  Gestaltung  sind  die  erst 
zuletzt  eintretenden  Vorgänge.  Die  Einordnung  ist  aber  das 
Frühere  vor  der  typischen  Gestaltung,  denn  ich  finde  die  tiefe  Lage 
des  Ectoblast  an  manchen  Stellen  schon  für  sich  formirt,  aber  noch 
aus  abnorm  grossen  und  dicken  Zellen  gebildet.  Da  diese  Vorgänge, 
[266]  Kernumwandlung,  Pigmentbildung,  Zelltheilung, 
Zellordnung,  Zellgestaltung  hier   bei   der  Postgeneration 


492  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


o-esondert  vorkommen,  so  sind  sie  als  in  gewissem  Maasse 
voneinanderunabliängige,  besondere  Vorgänge'  zu  betrachten, 
von  denen  jeder  demnach  auch  seine  besondere  Ursache  haben  muss. 
Wie  weit  diese  Unabhängigkeit  geht,  insbesondere,  ob  die 
früher  angeführten  Stufen  stets  die  Vorbedingung  der 
nächstgenannten  sind,  vermag  ich  vorläufig  nicht  7Ai  sagen 
(s.  S.  509). 

Morphologische  Bedeutung   dieser   postgenerativen  Ver- 
grösserung  des  Ectoblast. 

Fragen  wir  nimmchr  sogleich  nach  der  morphologischen  Be- 
deutung dieser  Befunde,  d.  h.  suchen  Avir  aus  ihnen  den  „Vorgang" 
dieser  postgenerativen  Ausbildung  des  Ectoblastes  nicht 
nach  seinen  Kräften  seil.  Ursachen,  sondern  als  gest  alt  lieh  und 
qualitativ  veränderndes  Geschehen  abzuleiten. 

Zunächst  könnte  man  denken,  die  Ausbreitung  des  Ectoblast  auf 
der  operirten  Seite  geschehe  durch  Flächenwachsthum  des  Ectoblast 
auf  der  normalen  Hälfte  und  durch  der  Vergrösserung  entsprechen- 
des Her  über  schieben  nach  der  operirten  Eihälfte.  Da  wir  aber 
den  Ectoblast  ganz  den  Raum  der  Dotterzellen  substituiren  sahen,  so 
müssten  hierbei  grosse  Verschiebungen  der  letzteren  vor  sich  gehen, 
die,  wenn  sie  rein  passiv  erfolgten,  mit  hochgradigen  Stauungen  und 
entsprechenden  Umformungen  der  Dotterzellen  verbunden  sein  müssten. 

Dass  bei  ,,passiven"  Verschiebungen  von  Zellen  letztere 
in  ihrer  Gestalt  entsprechend  der  mechanischen  Defor- 
mationstendenz verändert  werden  können,  davon  habe  ich 
mich  in  einigen  Fällen  direct-.  überzeugen  können.  Einmal  sah  ich 
die  Zellen  einer  noch  einschichtigen  regenerirten  Ectoblastlage  neben 
einer  sehr  grossen,  der  Oberfläche  genäherten  Vacuole  zu  beiden 
Seiten  derselben  genau  so  gestaltet,  wie  es  geschehen  raüsste,  wenn 
eine  einfache  Lage  von  cubischen  weichen  Gebilden  durch  eine  an- 
drängende Blase  auseinander  gedrängt  würde;  das  heisst,  die  Zellen 
waren  in  Richtung  des  Druckes  abgeplattet,  in  dazu  rechtwinkliger 
Richtung  verbreitert;  und  da  bei  einer  sich  ausdehnenden  Blase  diese 
Richtung   die  radiäre  ist,    so  war    diese  ^'eränderung    entsprechend 


Morphologische  Bedeutung  dieser  Postgeneratiori  des  Ectoblast  etc  J:98 


verschieden  gerichtet:  in  der  Mitte  der  Berührungsfläche  war  eine 
Zelle  einfach  platt,  an  den  beiden  Seiten  dagegen  waren  die  Zellen 
entsprechend  schief  verlagert  und  deformirt,  derart,  dass  die  so  ge- 
bildeten, der  Kugel  angeschmiegten  Zellen  der  [267]  beiden  Seiten 
mit  ihren  gepressten  Enden  entsprechend  divergirten.  In  einem  an- 
deren Falle  fanden  sich  in  der  Gegenhälfte  einer  Semiblastiila  die 
schwarzen  oberen  Zellen  am  Aequator  neben  einem  daselbst  liegenden 
Klumpen  veränderter,  gelblicher,  wahrscheinlich  geronnener  Substanz 
so  abweichend  gestaltet,  wie  auch  weiche  Gebilde  von  der  Gestalt  der 
daneben  liegenden  normalen  Zellen  hätten  werden  müssen,  wenn  sie 
gegen  einen  nicht  nachgebenden  Klumpen  gepresst  worden  wären. 

Obgleich  nun  in  unserem  Fall  trotz  der  Substitution  des  Raumes 
der  Dotterzellen  durch  Ectoblastzellen  keine  solchen  Deformationen 
vorhanden  sind,  so  wollen  wir  doch  daraus  noch  kein  Argument  gegen 
die  Verdrängung  der  Dotterzellen  durch  die  Ectoblastzellen  entnehmen. 
Denn  da  bei  der  normalen  Gastrulation  durch  den  vorwachsen- 
den  Saum  des  ürmundes  gleichfalls  eine  solche  räumliche 
Substitution  vorkommt,  ohne  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
zugleich  eine  solche  passive  Deformation  der  ausweichenden  grossen 
Dotterzellen  erkennbar  ist,  so  könnte  die  hierfür  zu  machende  An- 
nahme, dass  die  Zellen  schon  bei  dem  leichtesten  stetigen  ein- 
seitigenDruck  zu  einer  Art  ,,activer"  Umor dnung,  activer 
Räumung  des  Feldes  veranlasst  werden  könnten,  auch  hier 
in  Anspruch  genommen  werden.  Und  wenn  wir  einmal  solches  Ver- 
mögen annehmen,  dann  kann  auch  das  in  unserem  Falle  vorhandene 
Fehlen  einer  Höhle  (der  Furchungshöhle),  in  welche  die  ver- 
drängten Zellen  wie  bei  der  Gastrulation  ausweichen  könnten,  nicht 
als  absolutes  Hinderniss  aufgefasst  werden.  Es  müsste  die  Um- 
lagerung  dann^nur  eine  viel  allgemeinere  werden. 

Sicherer  aber  spricht  gegen  die  Umschliessung  der 
operirten  Eihälfte  durch  „Herüberschieben"  des  Ecto- 
blastes  von  der  entwickelten  aus  das  Fehlen  einer  scharfen 
Grenze  des  Ectoblast  an  seinem  freien  Rande  gegen  die  Dotter- 
zellen. 

Dagegen    zeugen    die   gerade    an    dieser    Stelle    sich    findenden 


494  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Uebergangs zeilformen  zum  mindesten  ohne  Weiteres  für  eine 
A^ergrösserung  des  Ectoblast  von  seinem  freien  Rande  aus.  Dieses 
Kandwachsthum  des  Ectoblast  könnte  aber  an  sich  auf  sehr 
verschiedene  Weise  vor  sich  gehen.  Einmal  durch  Vermehrung  der 
schon  vollkommen  difTerenzirten  Ectoblastzellen  unter  Aufzehrung  der 
daselbst  liegenden  Dotterzellen.  Doch  fand  ich  an  dieser  Stelle  nicht 
die  Bilder,  die  man  sonst  bei  der  Aufzehrung  [268]  von  grösseren 
Zellen  durch  kleinere,  z.  B.  bei  der  Aufzehrung  von  quergestreiften 
Muskelfasern  durch  weisse  Blutzellen  nach  Aufhebung  derBlutcirculation, 
hndet;  nämlich  dass  die  auf  zehrende  Zelle  in  die  aufgezehrte 
mit  einem  ,,convexen"  Rande  mehr  oder  weniger  tief  eindringt. 

Im  Gegentheil  grenzen  sich  hier  die  Zellen  gewöhnlich  ziem- 
lich „eben"  gegeneinander  ab;  was  ich  für  ein  wichtiges  Zeichen 
dafür  halte,  dass  jede  derselben  gegen  den  „Druck"  des  Naehbargebildes 
gleich  hräftig  ihre  Gestalt  zu  ivahren  vermag. 

Hier  und  da  sieht  es  manchmal  aus,  als  dränge  eine  Ectoblast- 
zelle  mit  ihrer  Spitze  zwischen  die  vor  ihr  liegenden  Dotterzellen  ein, 
aber  wenn  auf  diese  Weise  die  Vergrösserung  erfolgte,  dann  brauchte 
nicht  eine  vollkommene  Reihe  von  üebergangsformen  zwischen 
Dotter  und  Ectoblastzellen  vorhanden  zu  sein,  sondern  eine  typische 
Art  von  Vordringungszellen  am  freien  Rande  des  neuen  Ectoblast 
Avürde  genügen. 

Eine  weitere  Möglichkeit  wäre  die,  dass  zwar  die  Hauptmasse  der 
Ectoblastzellen,  die  Zellleiber,  nicht  wandern,  dass  aber  die  fortschreitende 
Differenzirung  durch  Kernwanderung,  durch  Uebertritt  von  soeben  durch 
Kerntheilung  gebildeten  Kernen,  mit  oder  ohne  einen  kleinen  Proto- 
plasmahof [incl.  Centrosoma]  aus  den  Ectoblastzellen  in  die  Dotter- 
zellen vermittelt  werde.  Wenn  ich  nun  weiter  unten  auch  Dotter- 
zelleu,  welche  gerade  im  Differenzirungssaum  gelegen  sind  und  zwei 
verschiedene  Kerne  enthalten,  als  in  dieser  Zone  vorkommend  zu  be- 
schreiben haben  werde,  so  werden  wir  doch  auch  zugleich  erkennen, 
dass  der  zweite  kleinere  Kern  hier  sicher  als  ein  Abkömmling  des 
daneben  liegenden  grösseren  Kernes  der  Dotterzelle,  nicht  aber  als  ein 
von  aussen  eingewandertes  Gebilde  zu  betrachten  ist.  Dagegen  habe 
ich  imr  ein  Mal  einen  Kern  scheinbar  auf  der  Grenze  zweier  Zellen 


Morphologische  Bedeutung  dieser  Postgeneration  des  Ectoblast  etc.  495 

liegen  sehen,  aber  häufig  constaüren  können,  dass  an  der  Grenze 
der  Differenzirungszone  grosse  Dotterzellen  blos  einen, 
aber  schon  ,,tiofrothen,"  oder  auch  erst  nur  ein  wenig  tiefer  rothen 
Kern  enthielten,  als  die  entfernteren  Dotterzellen,  denen  sie  sonst 
glichen,  so  dass  also  auch  Uebergangsstufen  zwischen  den 
Kernen  sich  finden. 

Weisen  wir  somit  diese  Möglichkeiten  zurück,  so  spricht  da- 
gegen das  \^orhandensein  der  allmählichen,  in  typischer 
Reihen-  [269]  folge  mit  dem  grösseren  Abstände  von  dem 
bereits  vollkommen  differenzirten  Ectoblast  auf  einander 
folgenden  Uebergangsformen  von  den  typisch  gestalteten  und 
geordneten  Ectoblastzellen  zu  den  typischen  Dotterzellen  direct 
dafür,  dass  die  Vergrösseruug  des  Ectoblast  an  seinem  freien  Rande 
auf  der  operirten  Eihälfte  durch  ,, Umwandlung"  der  Dotterzellen  in 
Ectoblastzellen  sich  vollzieht.  Ich  schliesse  also:  Der  Ectoblast 
wächst  auf  der  „nachcellulirten"  und  sich  ,, nachentwickeln- 
den" Hälfte  des  Eies  durch  Fortschreiten  der  Differen- 
zirung  im  ,,ruh enden"  Dotterzellen-Materiale  und  zwar 
unter  direct  er,  mit  Theilung  verbundener  ,,Um  Wandlung" 
der  Dotterzellen  in  Ectoblastzellen. 

Die  hier  gezogenen  Folgerungen  werden  nun  in  einigen  Puncten 
bestätigt  und  erweitert  durch  Beobachtungen,  die  ich  bei  Gelegen- 
heit von  Störungen  des  normalen  Verlaufes  dieser  Post- 
generation des  Ectoblastes  machen  konnte. 

Manchmal  befinden  sich  nämlich  auf  der  reorganisirten  Seite 
unter  den  Dotterzellen  mit  den  grossen  blassrothen  bläschenför- 
migen Kernen  noch  grössere  Zellen  mit  den  oben  beschriebenen 
jugendlicheren  farblosen,  noch  von  einem  Pigmenthof  umgebenen 
Kernen,  wie  sie  n«r  der  Morula  und  jungen  Blastula  normaler  Weise  zu- 
kommen (Tal  VI,  Fig.  4  J).  Diese  Zellen  bleiben  dann  undifferen- 
zirt^)  und   setzen   der   fortschreitenden  Dif ferenzirung  ein 


5)  Diese  in  Schichten  höher  entwickelter  Zellen  vereinzelt  sich  findenden, 
weniger  differenzirten  Zellen  (siehe  Taf.  VI,  Fig.  4,  J.)  erinnern  an  das  Bild,  was 
ich  mir  nach  Virchow"s  und  Cohxheim"s  Hypothese  von  den  ,,Gesch\vulstkeimeii" 
gemacht  habe.     Damit   soll   natürlich   nicht  angedeutet  sein ,    dass   Körpertheile ,   in 


4.96  Nr.  22.   Die  Heivorbringung  halbei-  Embryonen. 


Hemm-  [270]  niss  derart  entgegen,  dass  die  weitere  Bildung 
von  kleineren  Zellen  mit  tiefrotlien  Kernen  entweder  in  zwei 
Lagen  gespalten  an  ihnen  vorbeigeht;  oder,  wenn  eine  solche  Zelle 
selber  am  äusseren  Rande  des  Eies  liegt,  die  Ectoblastbildung 
von  der  Oberfläche  etwas  in  die  Tiefe  abgelenkt  wird.  Auch 
hierbei  sind  wieder  alle  die  geschilderten  Uebergangsformen 
von  den  fertigen,  typisch  geordneten  und  gestalteten  Ectoblastzellen 
bis  zu  den  unveränderten  Dotterzellen  wahrnehmbar,  und  zwar  auf 
Bahnen,  welche  keineswegs  von  vornherein  zur  Ectoblastbildung  be- 
stimmt gewesen   sein    können.     Dagegen   fehlt   es  aucli  hier   wieder 

welchen  Geschwülste  entstehen,  deshalb  als  postgenerirte  aufzufassen  seien;  obgleich 
Ausbleiben  der  primären  Entwickelung  einiger  Furchungskugeln  und  Postgeneration 
der  fehlenden  Theile  vielleicht  bei  Säugern  ebensowohl  spontan,  d.  h.  ohne 
Operation,  nur  in  Folge  verspäteter  Befruchtung  des  reifen  Eies  u.  s.  w. 
vorkommt,  wie  bei  Fröschen.  [Aber  die  Postgeneration  ist  bei  den  Säugern  viel 
geringer  (s.  Nr.  27,  S.  289)J.  Der  Anblick  solcher  in  der  DifFerenzirung  hinter  ihrer 
Umgebung  zurückgebliebener  Zellen  regte  in  mir  den  Vorsatz  an,  meine  gegenwärtigen 
und  alle  zukünftigen  Schnittserien  von  Embryonen  auf  solche  eventuellen  Geschwulst- 
keime durchzusehen  und  für  ältere  Stadien  nach  Färbungsmethoden  zur  Differenzirung 
derselben  zu  suchen.  Wenn  alle  anderen  Autoren,  welche  gleichfalls  über  derartiges 
Material  verfügen,  dasselbe  thun  wollten  —  und  diese  Anmerkung  soll  eine  Anregung 
dazu  geben  —  so  würden  wir  wohl  in  absehbarer  Zeit  wissen,  ob  solche  „Keime" 
bei  so  vielen  Individuen  und  im  einzelnen  Individuum  in  so  grosser  Anzahl  sich  vor- 
finden, dass  wir  alle  oder  einen  erheblichen  Antheil  der  nach  acuter  oder  chro- 
nischer Reizung  an  der  Reizstelle  auftretenden  „Geschwülste"  auf  die 
„zufällige"  Anwesenheit  solcher  Keime  zurückzuführen  vermögen 
(NB.  sofern  sie  sich  „dauernd"'  erhalten).  In  einem  sonst  normalen  Frosch- 
embryo mit  bereits  geschlossenem  MeduUarrohre  habe  ich  acht  solcher  nicht  differen- 
zirter  Zellen  von  Mer  Beschaftenheit  der  Zellen  des  Morulastadiums,  d.  h.  grosse, 
meist  runde  Zellen  mit  nicht  färbbarem ,  aber  von  schwarzem  Pigment  umgebenen 
Kerne,  in  alle  drei  Keimblätter  zerstreut,  aufgefunden. 

[Da  diese  Notiz  bei  den  Pathologen,  ausgenommen  von  A.  HA^'A^•  und  C. 
ScHuoHARDT,  ganz  unbeachtet  geblieben  war,  habe  ich  entsprechende  Präparate  auf 
der  Naturforscherversammlung  zu  Wien  1894  in  der  pathologischen  Section  demon- 
strirt  und  allgemeines  Interesse  dafür  gefunden. 

Ich  zeigte  solche  Furchungszellen  auch  in  älteren  sonst  normalen  Embryonen. 
Besonders  häufig  sind  sie  nach  verzögerter  Laichung,  so  dass  die  Möglichkeit 
der  gleichen  Entstehungsursache  in  Folge  verspäteter  Befruchtung  des  reifen  Eies 
im  Uterus  beim  Menschen  nicht  ohne  Weiteres  abzuweisen  ist.  Ob  diese  Zellen  aber 
später  die  embryonale  Fähigkeit  weiterer  Dilferenzirung  sowie  längere  Zeit  dauernder 
Vermehrung  und  entsprechenden  Wachsthums  noch  bethätigen  können  und  also  unter 
geeigneten  Umständen  sich  als  wirkliche  „Geschwulstkeime"  verhalten,  ist  ihnen 
natürlich  nicht  anzusehen.  Ueber  das  electrische  Verhalten  siehe  Nr.  25,  S.  218. 
(Siehe  auch  Bd.  I,  S.  300  u.  f.)]. 


Morphologische  Bedeutung  dieser  Postgeneration  des  Ectoblast.  497 


vollkommen  an  Stauungserscheinungen  und  an  Erscheinungen  des 
Aufgefressenwerdens  der  Dotterzellen.  Die  kleinen,  weder  schon 
typisch  gestalteten  noch  geordneten  Zellen  sc  hl  i  essen  sich  schon 
frühzeitig  gegen  die  Unterlage,  also  annähernd  recht- 
winkelig zurRichtung  der  f  ortschreitendenDifferenzirung, 
zu  einer  ,, glatt  contourirten"  Schicht  zusammen  und  son- 
dern sich  damit  bereits  von  der  Unterlage  ab,  zu  einer  Zeit, 
wo  im  Innern  des  Stratums  selber  noch  keine  typische  Ordnung  und 
Gestaltung  der  Zellen  sich  findet. 

Dieselbe  Störung  des  regelmässigen  Fortschreitens 
der  Ectoblastbildung  kann  durch  das  Vorhandensein  der  oben 
beschriebenen,  aus  abnormen  Kernen  und  der  sie  umgebenden  fein- 
körnigen Substanz  gebildeten  Massen  bedingt  werden,  welche  schon 
der  Cellulation  widerstanden  haben.  In  einigen  solchen  Fällen  sah 
ich  die  Ectoblastzellen  in  der  Tiefe  gegen  diese  nach  aussen 
davon  gelegenen  Massen  zu  einem  glatten  Ab  grenz  ungs  conto  ur 
zusammen  geordnet,  so  dass  diese  fremd  gewordene  Substanz  durch 
den  epithelialen Zusammenschluss  der  Zellen  direct  ausgeschlossen 
worden  war. 

Manchmal  sieht  man  auch  die  Ectoblastbildung  durch  eine  noch 
grosse,  an  sich  normal  aussehende  [271]  Dotterzelle  mit  dem  schon 
schwach  rothen  Kerne  gestört,  d.  h.  etwas  nach  der  Tiefe  abgelenkt; 
es  muss  also  diese  Zelle  trotz  ihrer  scheinbar  normalen  Beschaffen- 
heit zur  Differenzirung  ungeeignet  gewesen  sein  und  dadurch  die 
fortschreitende  Differenzirung  abgelenkt  haben.  Hinter  ihr  kehrt 
dann  aber  die  Ectoblastbildung  sofort  wieder  zur  Oberfläche  zurück, 
und  nur  die  Verdickung  des  Ectoblast  an  dieser  Stelle  nach  der  Tiefe 
zu  bekundet  uns  die  Ablenkung  der  Differenzirungsrichtung. 

Bei  einem  vier  ersteren  Fälle  von  Störung  des  Fortschreitens 
der  Ectoblastbildung  in  der  normalen  Richtung  durch  einige  jung  ge- 
bliebene Zellen  mit  farblosen  Kernen  beobachtete  ich  zugleich  in  dem 
äusseren  Nebengebiete  neben  der  etwas  in  die  Tiefe  abgelenkten 
P^ctoblastbildung  innerhalb  mehrerer  Dotterzellen  ausser  dem 
grossen,  blassrothen,  bläschenartigen  Kern  noch  einen 
kleineren  von   etwa   V4 — '/^   des  Durchmessers   des  ersteren. 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlunijeii.    II.  B2 


498  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

Dieser  zweite  Kern  war  tiefer  rotli  gefärbt,  während  der  grössere  etwas 
blasser  aussah,  als  jene  in  den  Nachbarzellen  mit  blos  einem  Kern.  Der 
zweite  Kern  lag  dicht  am  grösseren  und  war  einmal  an  seiner  freien 
Seite  von  einer  radiären  Anordnung  der  Dotterkörner  umgeben.  Einige 
Male  sah  ich  ihn  noch  nicht  vollkommen  von  dem  grossen 
Kern  gesondert,  so  dass  er  wie  eine  Abschnürung  desselben  er- 
schien, gegen  welche  sich  die  noch  im  grossen  Kern  vorhandenen 
wenigen  Chromatinfäden  radiär  ordneten,  während  die  Hauptmasse 
des  Chromatins  in  den  zweiten  Kern  übergetreten  war.  Was 
diese  eigenthümlichen  Bildungen  bedeuten,  vermag  ich  zunächst  nicht 
zu  sagen;  ich  lioiTe,  im  nächsten  Frühjahr  (1888),  wenn  ich  die  Conser- 
virung  nicht  mehr  wie  bisher  blos  dem  Zwecke  der  Gewinnung  einer 
ersten  Uebersicht  über  die  gröberen  formalen  Vorgänge  nach  der  Ope- 
ration am  Ei  anpasse,  sondern  bei  der  Conservirung  mehr  Rücksicht 
auf  die  Erhaltung  der  Kerne  nehme,  darüber,  wie  über  manche 
andere  in  dieser  ersten  Abschlagszahlung  an  das  grosse  Thema  nur 
flüchtig  berührte  Frage,  Aufschluss  zu  gewinnen. 

Die  vorstehende  Schilderung  bezog  sich  nur  auf  die  Bildung 
neuen  Ectoblastes  von  der  „ventralen"  Seite  der  primär 
entwickelten  Hälfte  aus;  und  von  dieser  Seite  aus  wird,  wie  er- 
wähnt, der  grösste  Theil  des  Ectoblastes  geliefert  [abgesehen  von  dem 
erwähnten  Wachsthum  des  am  cephalen  Theil  neugebildeten  Ecto- 
blasts  in  cephalocaudaler  Richtung]. 

Von  der  ,, dorsalen"  Seite  des  Embryo  her,  also  von  der 
Medullarplatte  aus,  findet  dagegen  eine  Umschliessung  zunächst 
blos  im  Be-  [272]  reiche  desjenigen  Theiles  derselben  statt,  an  dem 
bereits  Ecto-  und  Entoblast  sich  geschieden  haben,  und 
die  Keimblätter  also  mit  einem  ,, freien  seitlichen  Rande" 
endigen,  wie  an  einem  künstlichen  Defect,  was  an  der  ventralen 
Seite  von  vornherein  der  Fall  ist. 

Da  hier  ein  allgemeineres  Verhalten  vorliegt,  so  will  ich  für 
den  „freien  seitlichen  Rand"  der  Schicht  einen  besonderen  Namen 
einführen  und  ihn  als  „Uiiterbrecliuiigsfläclie",  das  heisst  als  Fläche, 
welche  die  Fortsetzung  der  Schicht  unterbricht,  bezeichnen 
[s.  S.  507  und  Nr.  26,  S.  37  und  Nr.  27,  S.  294]. 


Morphologische  Bedeutung  dieser  Postgeneration  des  Ectoblast.  499 

Diese  Sonderling-  vollzieht  sich  auf  der  Dorsalseite  des  Hemi- 
embryo  zuerst  am  Kopftheil  und  schreitet  dann  in  cephalocaudaler 
Richtung  fort.  Ausserdem  aber  findet  sich  diese  Bedingung  öfter 
auch  ganz  hinten  am  Embrj^o  erfüllt,  sofern  daselbst  eine  Ento- 
blastbildung  an  der  Innenseite  des  Medullarwulstes  noch  nicht  vor 
sicli  gegangen  ist  und  also  die  Urdarmhöhlenanlage  noch  fehlt.  Auch 
hier  erstreckt  sich  in  Folge  dessen  die  Ectoblastbilduug  herüber  auf 
die  andere  Eihälfte. 

Bei  denjenigen  Halbbildungen,  welche  bereits  einen  wohlent- 
wickelten ganzen  Medullarwulst  haben,  ohne  dass  auf  der  anderen 
Seite  wenigstens  eine  Anlage  seines  Pendant  erkennbar  ist,  wo  also 
die  Reorganisation  und  damit  auch  die  Postgeneration  derart  gehemmt 
worden  ist,  dass  „ältere"  wirkliche  Halbbildungen  sich  vor- 
finden, da  liegen  als  Ursache  dieser  Hemmung  neben  dem  ent- 
wickelten Medullarwulst  auf  der  operirten  Eihälfte  eine  oder  mehrere 
Schollen  von  noch  nicht  oder  noch  nicht  vollkommen  cellulirtem, 
schwach  gelblich  schimmerndem  Dotter,  welche  wahrscheinlich  das 
durch  die  heisse  Nadel  direct  zur  Gerinnung  gebrachte  Dottermaterial 
darstellen.  Für  diese  letztere  Auffassung  spricht  auch,  dass  um  den 
Stiel  des  Extraovates,  also  um  die  Anstichstelle,  häufig  ein 
Hof  ungefurchter  ähnlich  beschaffener  Substanz  übrig- 
bleibt. 

An  Objecten,  wo  kein  solches  Hemmniss   sich   findet,   oder   wo 

dasselbe  doch  so   schwach   war,    dass   es    schon    früher,    vermuthlich 

auf  die  zweite   oder   dritte  Reorganisationsweise   überwunden    wurde, 

konnte  ich  die  Resultate  der  von  der  „Medullarplatte"   aus 

fortschreitenden    Postgeneration   verfolgen.      Diese    Lamelle 

erstreckt  sich  manchmal  etwas  verjüngt  auf  die  operirte  Eihälfte  herüber 

und  ist  daselbs?  aus  mehrschichtigem  Cylinderepithel  gebildet;  weiter 

lateral  ist  die  Formation  keine  [273]  geschlossene  mehr,  und  wir  finden 

alle  die  oben    beschriebenen  Uebergangsstufen    zu    den  Dotterzellen. 

Bedeckt   ist   diese  Schicht   nach    aussen   von    einer   einzelligen   Lage 

braun  pigmentirter  cubischer  Zellen,  die  als  Fortsetzung  des  Ectoderm 

sich  darstellt  und  an  ihrem  freien  Seitenrande  in  ganz   platte  Zellen 

übergeht. 

32* 


500  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

An  einigen  Stellen,  wo  wieder,  wie  schon  an  der  ventralen  Seite 
beobachtet  (S.  495),  durch  eingelagerte  junge  Dotterzellen  mit  farblosen 
Kernen  die  fortschreitende  Differenzirung  nur  an  einer 
kleinen  Localität  gehemmt  wurde,  finden  sich,  an  die  halbe  Medullar- 
platte  sich  anschliessend,  einige  entsprechend  hohe,  pigmentirte  Cylin- 
derzellen  auf  der  operirten  Hälfte  bis  zu  dem  Hinderniss;  über 
dieses  hinaus  sind  dann  wieder  blos  einige  zunächst  kleine,  dann 
grössere  Dotterzellen  mit  schon  tief  rothen  Kernen  vorhanden.  Auch 
in  einigen  noch  ganz  grossen  Dotterzellen  der  anschliessenden  Ge- 
gend mit  grossen  Kernen  ist  die  mit  Carmin  färbbare  Substanz 
stark  vermehrt,  so  dass  diese  Vermehrung  der  chromatischen 
Substanz  somit  als  der  erste  Vorgang  der  beginnenden 
neuen  Differenzirung  der  Dotterzellen   aufzufassen  ist. 

Auch  durch  eventuell  vorhandene  Lücken  zwischen 
der  veränderten,  noch  n ic h t  cell ulirtenSubstanz  dringt 
dann  die  Differenzirung  mit  Vermehrung  der  chroma- 
tischen Kernsubstanz  und  Zerlegung  der  grossen  Dotter- 
zellen vor  und  bildet  wiederum  eine  von  der  Oberfläche  ausge- 
schlossene Fortsetzung  der  Ectoblastanlage.  Manchmal  scheinen  hier- 
bei solche  junge  Ectoblastzellen  isolirt  zu  liegen,  aber  auf  dem 
nächsten  Schnitte  findet  man  dann  die  Continuität  mit  der  Schicht 
hergestellt.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  wie  grosse  Strecken  weit  oft 
die  blosse  Bildung  kleiner  Zellen  mit  tiefrothen  Kernen  und  noch 
weiter  die  Chromatinvermehrung  der  Kerne  in  den  grossen  Dotter- 
zellen der  eigentlichen  Ectoblastbildung,  die  in  der  Herstellung  einer 
zusammengeschlossenen  Schicht  geordneter  Zellen  besteht,  vorausgeht. 

2.  Postgeneration  des  E ctoblast  der  „vorderen" 
Halbbildungen. 

Bezüglich  der  Postgeneration  der  hinteren  Körperhälfte  von  der 
vorderen  aus  kann  ich  zu  dem  auf  Seite  486  Mitgetheilten  nach  den 
Befunden  an  nur  zwei  in  Sagittalschnitte  zerlegten  Embryonen  blos  hin- 
zufügen, dass  der  noch  nicht  weiter  differenzirte,  also  der  seitliche 
TheildesEctoblast  sich  in  der  gleichen  Weise  weiter  bildet 
wie  bei    der  Postgeneration  der   lateralen   Körperhälf te. 


Postgeneration  des  Ectoblast  der  „vorderen"  Halbbildungen.  501 


Dagegen  geht  die  Post  gen eration  der  hinteren  Hälfte 
der  M  edullarplatte,  welche,  [274]  wie  wir  oben  sahen,  so  ausser- 
ordentlich rasch  erfolgt  (Taf.  VII,  Fig.  7  b),  nicht  durch  Umwandlung  in 
der  Fortschreitungsrichtung  gelegener  Dotterzellen  vor  sich.  Der  Ecto- 
und  Entoblast  gehen  am  hinteren  Rande  der  Medullarplatte  conti- 
nuirlich  in  einander  über;  es  stossen  daher  in  diesem  Bereiche  die 
Keimblätter  nicht  mit  einer  Unterbrechungsfläche  au  die  Dotterzellen, 
und  die  geschlossenen  Schichten  sind  stets  durch  einen  Spalt  von 
der  Dottermasse  der  hinteren  Hälfte  geschieden.  Da  trotzdem  Post- 
generation stattfindet,  so  müssen  d  i  e  b  e  t  r  e  f  f  e  n  d  e  n  Z  e  1 1  e  n  a  1  s  o 
in  der  Schicht  selber  producirt  werden,  und  das  dazu 
nöthige  Material  also  von  den  Seiten  her  genommen 
werden.  Diese  Postgeneration  vollzieht  sich  also  in  einer  der 
Regeneration  entsprechenden  Weise,  wovon  unten  des 
Weiteren  gehandelt  werden  wird. 


b)  Postgeneration  des  Mesoblast. 

Unter  dem  Ectoblast  findet  sich  vielfach  schon  eine  weitere, 
besonders  differenzirte  Schicht,  welche  stets  mit  dem  Mesoblast 
der  normalen  Hälfte  im  Zusammenhang  steht  und  den  gleichen 
Namen  verdient. 

Der  normale  Mesoblast  besteht  im  ventralen  und  lateralen 
Theil  des  Mittelstückes  des  Embryo,  auf  dem  Stadium  des  nahen  oder 
eben  vollendeten  Schlusses  des  Medullarrohres,  abgesehen  von  aller- 
dings nicht  seltenen  Variationen,  wie  der  Ectoblast  gleichfalls  aus 
zwei  einzelligen  Lagen,  w^elche  aber  an  manchen  Stellen  nicht  scharf 
geschieden,  son(^ern  durch  Ineinandergreifen  der  Zellen  zu  einer  ein- 
zigen Schicht  vereinigt  erscheinen.  Nach  aussen  und  innen  aber 
bietet  der  Mesoblast  glatte  Abgrenzungscontouren  dar.  Die  Zellen 
sind  erheblich  grösser,  dicker  und  an  Dotterkörnern  reicher  als  die 
des  Ectoblast  und  führen  kein  Pigment ;  sie  besitzen  aber  gleichfalls 
tief  roth  gefärbte,  also  chromatinreiche  Kerne.  Die  innere  Schicht 
des  Mesoblast  besteht  vorwiegend  aus  abgeplatteten  Zellen. 


502  Nr.  22.  Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Diese  Mesoblastschicht  setzt  sich  nun  von  manchen  Hemiem- 
bryones  laterales  auf  die  operirte  und  nachträglich  cellulirte  Eihälfte 
fort.  Ihre  Zellen  sind  dabei  nach  aussen  hin  meist  schon  zu  einem 
glatten  Abgrenzungscontour  zusammengeschlossen,  sofern  daselbst 
bereits  Ectoblast  gebildet  ist;  wenn  jedoch  die  Bildung  dieses  letzteren, 
durch  Widerstand  leistendes  Material  verzögert,  noch  nicht  so  weit 
vorgedrungen  ist,  finde  ich  den  Mesoblast  nach  aussen  noch  nicht 
scharf  abgegrenzt.  Desgleichen  ist  nach  [275]  innen  zu  vielfach 
keine  scharfe  Grenze  vorhanden,  indem  Zellen  des  Mesoblast  noch 
mit  ihren  Ecken  mehr  oder  weniger  tief  zwischen  anliegende  Dotter- 
zellen eingreifen  und  umgekehrt.  Nicht  selten  auch  besitzt  eine  solche 
anliegende  Dotterzelle  einen  eben  solchen,  intensiv  rothen,  kleineu 
Kern  als  die  Mesoblastzelle ;  und  manche  dieser  innen  anliegenden 
Dotterzellen  sind  gleichfalls  klein.  Diese  Uebergangaformen  und 
die  unvollkommene  Abgrenzung  der  Schichten  nach  innen 
vermehren  resp.  verstärken  sich  gegen  den  freien  Rand  des  Mesoblast 
hin  und  finden  sich  auch  an  ihm  selber.  Je  näher  diesem  Rande, 
um  so  weniger  sind  die  Zellen  des  neuen  Mesoblast  zu  zwei  getrennten 
Lagen  gesondert,  sondern  die  äusseren  und  inneren  Zellen  greifen 
tief  zwischen  einander  ein,  oder  es  liegen  gar  noch  dritte  Zellen 
zwischen  ihnen. 

Die  Vorsprünge  der  Zellen  des  neugebildeten  Mesoblast  nach 
iimen  bekunden  uns  wieder,  dass  die  Ausbreitung  desselben  nicht 
durch  Wachsthum  an  Stellen,  welche  vom  freien  Rande  ent- 
fernt liegen  und  unter  Vorschieben  des  distal  davon  befind- 
lichen Theiles  vor  sich  gehen  kann,  sondern  dass  das  Wachsthum 
der  Schicht  am  freien  Ende  selber  stattfinden  muss. 
Erscheinungen  von  Massenverschiebungen,  von  Aufzehren  der  Dotter- 
zellen durch  die  specifischen  Zellen,  oder  von  Kernübertritt  aus  letz- 
teren in  die  Dotterzellen  sind  gleichfalls  nicht  wahrnehmbar ;  so  dass 
wir  also  auf  Grund  der  beschriebenen  Uebergangsformen,  wie  beim 
Ectoblast,  annehmen  müssen:  die  Bildung  und  das  Wachsthum 
des  Mesohlast  auf  der  operirten  und  reorganisirten  Ei- 
hälfte erfolgt  durch  „Fortschreiten  der  Differenzirung^^ 
im    „ruhenden"    Dotter  seil  enmateriale    und    zwar    unter 


Postgeneration  des  Mesoblast.  503 

directer,    mit    Theilniig    verbunclener  Um  Wandlung    der 
d  u  r  c  li  n  a  c  h  t  r  ä  g  1  i  c  h  e  C  c  1 1 11 1  a  t  i  o  n  g e  b  i  1  d  e  t G  n  D  o  tt  e  r  z  e  1  ]  e  n. 

Diese  Umwandlung  vollzieht  sich  auch  liier  wiederum 
wie  beim  E c t o b  1  a s t  b  1  o s  da,  wo  die  D o 1 1 e r z e  1 1  e n  von 
schon  weiter  als  sie  selber  dif f erenzirten  Mesoblast- 
zellen  berührt  werden. 

Obgleich  aber  diese  Berührung  auch  mit  den  nach  innen  zu 
gelegenen  Zellen  erfolgt,  so  schreitet  die  Mesoblastbildung  doch 
nur  in  Richtung  der  Fläche  fort.  Manchmal  aber  sieht  man, 
dass  nach  innen  vom  Mesoblast  eine  Dotterzelle  in  Kern  und  Grösse 
die  Beschaffenheit  einer  Mesoblastzelle  erlangt  hat,  gleichwohl  aber 
vom  Mesoblast  ausgeschlossen  ist.  Wenn  also  beim  Vorschreiten  der 
Differen-  [276]  zirung  mehr  als  zwei  Zellen  (quer  zur  Fläche  gezählt) 
in  Grösse  und  Kern  die  Beschaffenheit  von  Mesoblastzellen  erlangt 
haben,  so  werden  doch  blos  die  beiden  ,, äusseren"  dem  Meso- 
blast verbau  de  eingefügt,  die  inneren  dagegen  bleiben  ausge- 
schlossen (s.  Taf.  VI  Fig.  4).  Dies  gilt  indess  blos  für  die  ventrale 
und  laterale  Gegend.  Ist  dagegen  die  Regeneration  schon  bis  zu  den 
mehr  dorsal  gelegenen  Theilen  vorgeschritten,  so  wird  wunderbarer 
Weise  entsprechend  der  grösseren  Dicke  des  Mesoblast  an  dieser  Ge- 
gend in  der  normalen  Hälfte  auch  hier  eine  dickere,  aus  mehr  als 
zwei  Zellen  gebildete  Mesoblastschicht  hergestellt. 

Es  müssen  also  noch  die  besondere  Gestaltung  bestim- 
mende Kräfte  am  rechten  Orte  vorhanden  sein  oder  zur 
Wirkung  gelangen,  um  die  dieser  Gegend  des  künftigen  Embryo 
zugehörige  specifische  Formation  herzustellen:  Kräfte  und  Vorgänge, 
für  welche  uns  jede  Ahnung  eines  Verständnisses  fehlt. 

Die  pos^generative  Mesoblastbildung  geht  auch  in  d o r s i - 
ventraler  Richtung  vor  sich,  und  zwar  unter  wesentlich  denselben 
Erscheinungen,  wie  sie  soeben  geschildert  worden  sind,  nur  in  ent- 
sprechend dickerer  Lage.  Sie  findet  aber  wiederum  blos  von 
solchen  Stellen  aus  statt,  wo  Ecto-  und  Entoblast  schon 
von  einander  getrennt  sind  und  daher  die  Chorda  unmittelbar 
neben  der  operirten  Hälfte  liegt. 


504  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Auch  bei  der  Mesoblastpostgeneratioii  ist  zu  bemerken,  class 
jüngere  Dotterzellen  mit  noch  nicht  färbljaren  Kernen,  sowie 
auch  Reste  von  noch  nicht  cellulirter  Substanz,  die  Differen- 
zirung  hemmen  und  so  die  Mesoblastbildung  an  ihnen  vorbei 
in  die  Tiefe  ablenken  oder  die  Bildung  in  zwei  Schichten  trennen ; 
aber  nach  der  Umgehung  eines  solchen  Hindernisses  schlägt  die 
weitere  Differenzirung  bald  wieder  die  richtige  Bahn  ein :  wiederum 
ein  in  seinem  Wesen  durchaus  räthselhafter  \^organg. 

Da  die  Mesoblastbildung  bald  hinter  der  Ectoblastbilduug 
zurückgeblieben,  bald  ihr  vorausgeeilt  angetroffen  wird,  je  nach  den 
zufälligen  Hindernissen  durch  im  Wege  liegende  nicht  differenzirungs- 
fähige  Zellen,  welche  die  eine  oder  andere  Schicht  zu  überwinden 
bezw.  zu  umgeben  hat,  so  ergiebt  sich,  dass  beide  Differenzi- 
r  u  n  g  e  n  u  n  a b  h  ä  n  g  i  g  von  e  i  n  a  n  d  e  r  v  o  r  sich  g  e  h  e  n  k  ö  n  n e  n. 
Die  „Uebergangs Zellen"  von  den  typischen  Mesoblast- 
Zellen  zu  d e n  D o 1 1 e r z e  1 1  e n  haben  d a s s e  1  b e  A u s s e h e n  wie 
die  „Uebergangszelleu"  [277]  zwischen  den  Ectoblast- 
Zellen  und  D  o  1 1  e  r  z  e  1 1  e  n  ;  man  kann  daher,  Avenn  keines  von 
beiden  dem  anderen  vorausgeeilt  ist,  nur  durch  ^^erfolgen  des  An- 
schlusses der  Reihe  der  Uebergangszelleu  an  eines  dieser  Keimblätter 
erkennen,  welchem  derselben  sie  zugehören,  da  ja,  wie  wir  sahen, 
auch  Ectoblastzellen  in  die  Tiefe  eindringen  können. 

c)  Postgeiieratiou  des  Eiitoblast. 

Wir  kommen  nun  zur  Postgeneration  des  Entoblast  in  der 
operirten  Eihälfte  und  zur  Bildung  der  von  demselben  umschlossenen 
U  rd  arm  höhle. 

Da  die  äussere  Umwachsung  der  operirten  Hälfte  mit  Ectoblast 
der  Hauptsache  nach  in  den  Richtungen  der  normalen  Umschliessung 
der  weissen  Unterseite  des  Eies,  also  wie  bei  der  Gastrulation,  erfolgte, 
so  lag  es  nahe,  zu  vermuthen,  dass  dieser  Vorgang  der  Postgeneration 
eine  Wiederholung  der  normalen  Gastrulation  darstelle;  dass  also  bei 
der  Umschhessung  der  operirten  Eihälfte  mit  Ectoblast  an  der  Innen- 
seite desselben  zugleich  eine  innere  Epithellage,  der  Entoblast,  ge- 
bildet, und  damit  zugleich  aucli    ein  Spalt    zwischen    dem   Entoblast 


Postgeneration .  des  Entoblast.  505 


niid  der  von  ilini  bedeckten  Eiobcrflüche  als  Anlage  der  Urdarmhöhle 
hergestellt  werde. 

Die  Besichtigung  der  Schnitte  zeigte  nun  aber  gerade  das  Ge- 
gentheil.  Es  wurde  bei  der  Umschliessung  der  operirten  Ei- 
hälfte  mit  Ectoblast  kein  Entoblast  gebildet;  sondern  der 
Ectoblast  blieb,  wie  wir  schon  gesehen  haben,  unmittelbar  dem  unter- 
liegenden Dotter  angeschmiegt,  so  weit  nicht  zugleich  der  Mesoblast 
gebildet  wurde.  Die  fehlende  Hälfte  des  Entoblast  und  die 
von  ihm  umschlossene  Urdarmhöhle  werden  vielmehr  nur 
von  dem  schon  gebildeten  Entoblast  des  Hemiembryo  aus 
postgenerirt. 

Als  Vorläufer  dieser  Postgeneration  macht  sich  seitens 
der  Dotterzelien  der  operirten  Eihälfte  eine  radiäre  Anordnung 
der  Dotter  Zellen  um  die  mediale  dorsicephale  Ecke  der  Urdarmhöhle 
der  entwickelten  Hälfte  bemerkbar.  Diese  Anordnung  ist  zugleich 
mit  entsprechend  keilförmiger  Gestaltung  der  Dotterzellen  verbunden 
und  durchsetzt  manchmal  die  ganze  Dottermasse  der  operirten  Ei- 
hälfte, soweit  diese  noch  nicht  in  die  beiden  äusseren  Blätter  diffe- 
renzirt  ist. 

Darauf  zeigt  sich  als  nächstes  Stadium  eine  Fortsetzung  der 
Urdarmhöhle  von  der  dorsicephalen  Ecke  aus  in  Form  einer  [278] 
queren  Spalte  in  die  andere  Hälfte  hinein.  Dies  bekundet 
sich  dadurch,  dass  jetzt  die  Zellen  zu  beiden  Seiten  dieses 
Spaltes  dicht  zur  Bildung  eines  glatten  Abgrenzungscon- 
tours  zusammengeschlossen  sind,  wobei  die  der  Medianebene 
nächsten  Zellen  auch  schon  rechtwinkelig  zu  diesem  Contour  sich  aus- 
dehnen, während  die  mehr  seitlichen  noch  zum  Theil  die  schiefe,  radiäre 
Anordnung  erkennen  lassen.  Um  die  seitliche  Ecke  dieses  Spaltes 
sind  dann  di^  übrigen  Zellen  radiär  geordnet,  wie  dies  ja 
auch  während  der  ersten  Bildung  der  normalen  Urdarmhöhle  am 
Fundus  derselben  der  Fall  ist. 

Es  geht  also  eine  eigenthümliche  ordnende  und  ge- 
staltende Wirhung  von  der  Urdarmliölile  oder  deren  Wan- 
dung aus.  Die  Zellen,  welche  den  Spalt  begrenzen,  sind  sehr  hoch 
und  dick,  und   diejenigen  Zellen,   welche    die  dorsale  Wandung   der 


506  Nr.  22.  Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Urdarnihöhle  bilden,  haben  auch,  wie  auf  der  normalen  Hälfte,  tief- 
rothe  Kerne,  während  in  der  ventralen  Wandung  die  Kerne  in  beiden 
Hälften  blass  sind. 

Die  Entobl  astzellen  der  postgenerirten  Seite  grenzen  sich 
wie  die  der  norroalen  Seite,  mit  annähernd  ,,geraden"  Flächen 
gegen  einander  ab,  so  dass  also  wiederum  nichts  von  einem  Auf- 
gefressenwerden durch  diejenigen  der  normalen  Hälfte  wahrnehmbar 
ist.  Da  auch  wieder  die  Erscheinungen  von  Massenverschiebungen 
und  Stauungen  fehlen,  so  schliesse  ich,  dass  die  vorher  schon  am 
Ort  befindlichen  Zellen  sich  umgeordnet  und  umgeformt 
haben;  und  da  diese  Differenzirung  auch  hier  wieder  nur  in  Con- 
tinuität  mit  dem  Entoblast  der  anderen  Hälfte  vor  sich  geht,  so  nehme 
ich  wiederum  an,  dass  der  Diff  er  enziru  ngreiz  von  den  be- 
reits diff erenzirten  Zellen  ausgeht  und  in  dem  ruhenden 
Dotterzellenmaterial  sich  ausbreitet  und  die  Differenzi- 
rung desselben  veranlasst. 

Diese  Postgener'ation  des  Entoblast  geht  ferner,  ent- 
sprechend dem  Verhalten  der  anderen  Keimblätter,  blos  von  dem 
T heile  des  Entoblast  aus,  der  schon  vom  Ectoblast  getrennt  ist, 
der  also  mit  einem  freien  Rande,  mit  einer  ,, Unterbre- 
chungsfläche",  wie  bei  einem  Substanzverlust,  endet  und  mit 
diesem  an  das  Material  der  operirten  Hälfte  anstösst. 
Ausserdem  vermisse  ich  die  Postgeneration  des  Entoblast  noch  an 
mehreren  jüngeren  Präparaten,  wo  diese  Trennung  bereits  vollzogen 
ist,  die  Medullarrohranlage  im  Kopftheil  aber  noch  wenig  specifische 
[279]  Differenzirung  aufweist.  Erst  an  älteren  Objecten,  bei  welchen 
diese  Differenzirung  schon  sehr  ausgesprochen  ist,  finden  sich  auch 
Erscheinungen  der  Postgeneration  des  Entoblast;  dieselbe  setzt 
also  erst  ziemlich  spät  ein.  Allmählich  wird  dann  die  auf  die 
geschilderte  Weise  angelegte  spaltenförmige  Urdarmhöhle  vergrössert 
und  ausgeweitet. 

Aus  den  auf  diese  Weise  postgenerirten  Keimblättern  formen 
sich  dann  im  weiteren  Verlaufe,  wie  oben  erwähnt,  normale  Or- 
gane; den  Modus  dieser  weiteren  Nachentwickelung  habe  ich  indess 
noch  nicht  des  Genaueren  verfolgt. 


Folgerungen  aus  den  vorstehenden  Thatsachen  der  Postgeneration.  507 


(1)  Folgerungen  aus  den  vorstehenden  Thatsachen  der  Postgeneration. 

Fassen  wir  das  Ergebniss  unserer  Schlüsse  über  die  Vor- 
gänge der  postgenerativen  Bildung  der  Keimblätter  zu- 
sammen, so  konnten  wir  folgende  Arten  des  Geschehens  als  für  alle 
drei  Keimblätter  gültig  feststellen  '). 

Erstens:  die  Postgeneration  der  Keimblätter  der  Halb- 
bildungen geht  immer  von  den  schon  differenzirten  Keim- 
blättern der  normal  entwickelten  Eihälfte  aus;  sie  greift  erst  dann 
auf  die  nachträglich  cellulirte  Dottermasse  über,  wenn, 
resp.  wo  ein  solches  Keimblatt  mit  einer  „Unterhrecliungs- 
fläclie"  [also  mit  den  ,, Seitenflächen"  seiner  Zellen  (s.  Nr.  26, 
S.  37)]  an  diese  Masse  grenzt.  Die  an  diesen  Stellen  begonnene 
Bildung  setzt  sich  stets  „continuirlich"  in  der  Dottermasse 
der  unentwickelten  Eihälfte  fort.  Gegen  den  freien  Rand 
der  fortschreitenden  Keimblattdifferenzirung  finden  sich  stets  all- 
mähliche ,,Uebergangsstufen"  zwischen  den  indifferenten 
Dotterzellen  und  den  Zellen  des  bereits  vollkommen  dif- 
ferenzirten Keimblattes.  Unter  Zurückweisung  anderer  Möglich- 
keiten kommen  wir  daher  zu  dem  Schlüsse,  dass  sich  diese  fort- 
schreitende Differenzirung  in  dem  schon  vorher  am  Orte 
befindlichen  und  während  der  Differenzirung  daselbst  ver- 
bleibenden Materiale,  also  im  „ruhenden"  Dotterzellenmate- 
riale  durch  directe  Umbildung  der  Dotterzellen  (bei  dem 
Ecto-  und  Mesoblast  zugleich  unter  Theilung  derselben)  vollzieht. 

Bezüglich  der  Oertlichkeit  der  Ursachen  dieser  Vor- 
gänge lassen  sich  nun  weiterhin  einige  Schlüsse  ableiten: 

Da  das  auf  die  erwähnte  Weise  nachträglich  zu  Keimblättern 
differenzirte  Dotterzellenmaterial  in  seinem  den  ,,Leib"  der 
Zellen  bildenden  Material  durch  die  Operation  vielfach  in  Un- 
[280]  Ordnung  gebracht  worden  war,   und  da  auch  das  Kern- 


1)  Das  in  einem  Puncte  abweichende  Verhalten  bei  der  Postgeneration 
der  hinteren  Hälfte  des  Medullarrolires  der  vorderen  Halberabryonen  wird  im 
Zusammenhang  mit  der  Regeneration  seine  Erörterung  finden  (s.  S.  .512). 


508  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

material  der  aus  ihm  nachträglich  gebildeten  Zellen  nicht  durch 
eine  „typische"  Vertheilung  seinen  Platz  erhalten  hatte, 
sondern  von  dem  Furchungskern  theils  der  operirten,  theils  der 
nicht  operirten  Eihälfte  abstammend  zufälligen  Momenten  seine 
Lagerung  verdankt,  so  konnte  die  für  die  ,, normale"  Ent- 
wickelung  denkbare  Annahme,  dass  an  ,, typischen"  Orten 
immer  ,, typisches",  zu  ganz  bestimmter  selbstständiger 
Entwickelung  befähigtes  Material  gelagert  sei,  und  dass 
deshalb  eine  ordentliche  Keimblattbildung  vor  sich  gegangen  sei, 
in  diesem  Falle  nicht  zulässig  erscheinen. 

Sondern  wir  müssen  schliessen,  dass  die  Ursache  für  diese 
..typische'"''  Weiterhildmig  der  Keimhlätter  der  primär  ent- 
ivichelten  Hälfte  innerhalb  der  operirten  Eihälfte  auf  Kräften 
heruht,  ivelche  von  den  KeimhJättern  der  ersteren  Hälfte 
ausgehen. 

Es  kann  auch  Jemand  behaupten,  dass  trotz  dieser  Um  Ord- 
nung das  Material  der  operirten  Hälfte  sich  ,, selbstständig"  zu 
normalen  Bildungen  entwickelt  habe,  und  dass  gleichsam  blos  zu- 
fälhg  diese  Entwickelung  immer  in  Berührung  mit  dem  bereits  Ent- 
wickelten sich  vollziehe  und  blos  zufällig  von  da  aus  stets  continuir- 
lich  sich  ausbreite.  Hierbei  müsste  es  aber  von  vornherein  in  jeder 
Zelle  liegen,  dass  sie  ein  klein  wenig  später  ihre  Umwandlung  voll- 
ziehe, als  die  in  der  Diiferenzirungsrichtung  hinter  ihr  und  etwas 
früher  als  die  in  dieser  Richtung  vor  ihr  gelegene  Zelle.  Es  wäre 
zu  verwundern,  wenn  ohne  einen  die  räumliche  Continuität  der 
Differenzirung  sichernden  Causalnexus  nicht  Anachronismen  (wie  ich 
sie  doch  sonst  häufig  bei  der  Entwickelung  beobachtet  habe)  und 
daraus  resultirende  Störungen  der  Continuität  vorkommen  sollten. 
Deshalb  und  Aveil  es  in  unserem  Falle  von  „abnormen"  Bil- 
dungen durchaus  wunderbar  wäre,  woher  die  prästabilirte 
Harmonie  der  Differenzirungsfolge  kommen  sollte,  glaube  ich 
hier,  wo  immer  die  Continuität  im  Fortschreiten,  selbst  bei  im  Wege 
liegenden  Störungen  gewahrt  war,  einen  directen  Causalnexus 
annehmen  zu  müssen. 


Folgerungen  aus  den  vorstehenden  Thatsachen  der  Postgeneration.  509 


Welcher  Art  dieser  Cansalnexus  aber  im  Speciellen  ist,  vermag 
ich  natürlich  nicht  zu  sagen.  Ich  habe  die  Möglichkeit  zurückgewiesen, 
dass  in  unserem  Falle  das  differenzirte  Material  selber  durch 
Wachsthum  und  Vermehrung  der  differenzirten  Zellen,  sei  es  auch 
blos  am  freien  Rande,  fortschreite,  oder  in  anderen  [281]  Worten 
dass  die  Vergrösserung  des  dii^erenzirten  Gebildes  durch  Assimilation 
in  die  Zellen  aufgenommener  Nahrung  vor  sich  geht.  Sondern  ich 
nehme  dagegen  an,  dass  die  fortschreitende  JDifferenzirung 
bei  unserer  Postgeneration  durch  directe  assimilirende 
und  äifferensirende  WirJcung  differensirter  Zellen  auf 
andere  ihnen  unmittelhar  henachharte,  iveniger  differen- 
zirte Zellen  sich  im  Räume  ausbreitet. 

Bei  diesem  letzteren  Vorgang  sind  aber  sehr  verschiedene  Grade 
der  Einwirkung  möglich.  Es  kann  z.  B.  von  den  differenzirten 
Zellen  eine  die  Differenzirung  blos  ,, auslösende"  Wirkung 
ausgehen,  während  nach  diesem  Anstoss  die  ganze  Reihe  der 
nöthigen  Veränderungen  sich  von  selber  vollzieht ;  oder  es  kann  um- 
gekehrt „jede"  dieser  einzelnen  Veränderungen  von  der  diffe- 
renzirten Zelle  nicht  blos  „veranlasst,"  sondern  auch  durch- 
aus „bewirkt"  werden;  und  zwischen  diesen  Extremen  sind  zahl- 
lose Zwischenstufen  denkbar.  In  Folge  der  ,, atypischen  An- 
ordnung des  hier  in  „typischer"  Weise  differenzirten  Mate- 
ria les  bin  ich  aber  geneigt,  die  Einwirkung  der  differenzirten  Zelle 
auf  die  nicht  differenzirten  nicht  als  eine  blos  auslösende  oder 
blos  anregende  zu  denken. 

Da  wir  ferner  festgestellt  haben,  dass  die  fünf  von  mir  unter- 
schiedenen Veränderungen  der  Dotterzellen  bei  der  Bil- 
dung des  Eciioblast  an  ihnen:  Chromatinvermehrung  in  den 
Kernen,  Pigmentbildung,  Zelltheilung ,  Zellorduung  und  Zellgestal- 
tung von  der  Stelle  der  vollkommenen  Differenzirung  aus  verschie- 
den weit  sich  fortpflanzen,  so  ist  also  zu  schliessen,  dass  für 
jeden  dieser  Vorgänge  eine  besondere  differenzirende 
Einwirkung  stattfinden  muss,  und  dass  diese  verschiedenen 
Einwirkungen,   abgesehen  von   der  Einhaltung  der  angegebenen 


510  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 

Reihenfolge,  unabhängig  von   einander  vor  sich   gehen   und 
sich  selber  ungleich  weit  fortpflanzen  können  (s.  S.  491). 

Dieser  im  Wesentlichen  ,,assimilirenden"  Wirkung  der 
di  fferenzirten  Zellen  auf  andere  Zellen  bei  der  postgenerativen 
Ausbreitung  der  Keimblätter  müssen  natürlich  bei  der  weiteren 
Postgeneration,  bei  der  Bildung  der  einzelnen  typischen  Organe 
aus  diesen  Blättern  in  anderem  Sinne  ,,differenzirende"  Wir- 
kungen folgen;  denn  es  ist  wohl  ebenfalls  nicht  annehmbar,  dass 
die  verschieden  gelagerten  Zellen  des  postgenerirten  Keimblattes  da- 
mit schon  die  Fähigkeit  zu  ,, typisch"  verschiedener  „selbstständiger" 
Entwickelung  erlangt  haben  sollten,  eine  Eventualität,  welche,  wie 
ich  hoffe,  der  directen  experimentellen  Prüfung  zugänglich  sein  wird. 
Freilich  schliessen  [282]  auch  diese  weiterhin  anzunehmenden  difie- 
renzirenden,  an  jedem  Orte  eine  typische  Bildung  hervorbringenden 
Einwirkungen  für  uns  zur  Zeit  unlösbare  Probleme  ein. 

Unterschied  der  Vorgänge  der  Postgeneration  und  der  nor- 
malen s.  directen  Entwickelung. 

Es  war  nun  wichtig,  durch  Vergleichung  mit  den  normalen 
Vorgängen  der  Keimblattbildung  festzustellen,  ob  die  Vorgänge 
der  postgeuerativen  Bildung  derselben  ganz  neue  Arten  der 
Bildung  darstellen,  oder  ob  nicht  vielmehr  in  ihnen  blos 
eine  kleine  Variation  oder  gar  blos  eine  Heterotopie  und 
Heterochronie  von  Arten  von  Vorgängen,  welche  auch  bei 
der  normalen  Bildung  sich  vollziehen,  vorliegt.  Bei  der  Aus- 
führung eines  solchen  Vergleiches  hemmt  uns  aber  die  Unsicherheit 
unserer  Kenntnisse  über  die  normalen  Vorgänge.  Ich  will  daher 
die  eingehende  Discussion  dieser  Frage  auf  eine  spätere  Abhandlung 
verschieben,  in  welcher  ich  Erfahrungen  und  Schlüsse  über  die  wirk- 
lichen Vorgänge,  nicht  blos  über  den  formalen  Schein  der  Bildung 
der  Keimblätter  mittheilen  werde. 

Gegenwärtig  sei  blos  erwähnt,  dass  meine  derzeitigen  Beobach- 
tungen mich  auf  die  Seite  derjenigen  Autoren,  z.  B.  Scott,  Osborn, 
Bambeke,   Calberla    u.  A.  verweisen,    welche  die   Ausbreitung   der 


Unterschied  derVora;änge  der  Postscneration  u.  dci  normalen  Entwickelung.     511 


ein  Mal  angelegten  Keimblätter  nicht  blos  durch  Nachkom- 
men der  Zellen  dieser  ersten  Anlage,  sondern  auch  unter 
Aufnahme  und  Differenzirung  neuer,  anliegender  Zellen  vor 
sich  geht;  so  dass  also  darin  eine  Uebereinstimmung  mit  der 
Ausbreitung  des  postgenerirten  Keimblattes  sich  bekundet 
[s.  Nr.  26,  S.  49]. 

Ein  evidenter  Unterschied  spricht  sich  jedoch  in  der  „An- 
lage" der  primären  und  der  postgeneriten  Keimblätter 
darin  aus,  dass  die  Ursachen  für  die  Anlage  der  ersteren  in  der 
sich  entwickelnden  verticalen  Eihälfte,  bezw.  wie  wir  sahen,  so- 
gar blos  in  dem  verticalen  Eiviertel,  in  dem  sie  angelegt  werden, 
selber  sich  befinden,  während  wir  bezüglich  der  postgenerativen 
Keimblätter  anläge  schhessen  mussten ,  dass  sie  blos  in  Ab- 
hängigkeit von  den  Keimblättern  der  primär  entwickel- 
ten Hälfte  vor  sich  geht.  Aus  diesem  ersten  Unterschied  war 
ein  zweiter  abzuleiten,  derjenige,  dass  Ecto-  und  Entoblast  nicht 
wie  bei  der  Gastrulation  beide  im  Zusammenhang  ange- 
legt und  vergrössert  wurden,  sondern  dass  jedes  dieser  Blät- 
ter ohne  jede  Verbindung  und  Beziehung  zu  dem  anderen 
gebildet  wurde. 

Unterschied  der  Vorgänge    der  Postgeneration  und  der  Re- 
generation. 

Vergleichen  wir  nun  die  Vorgänge  der  Postgeueration  noch 
nicht  gebildeter  Theile  mit  denen  der  Regeneration  gebildeter, 
[283]  aber  in  ^'erlust  gerathener  Körpertheile ,  so  tritt  uns  wieder 
unsere  Unkenntniss  zum  Theil  hemmend  entgegen;  denn  Regeneration 
der  eigentlichen ,, Keimblätter",  das  heisst  Regeneration  an  so  jungen  Em- 
bryonen, weicht^  noch  aus  den  eigentlichen,  nicht  bereits  weiter  differen- 
zirten  Keimblättern  gebildet  sind,  ist  mir  nicht  bekannt  (s.  S.  490  Anm.). 
Indess  lassen  sich  vielleicht  die  an  älteren  Individuen  gewonnenen 
Ergebnisse  in  einer  Hinsicht  auf  so.  jugendliche  Stadien  übertragen 
und  so  mit  der  beschriebenen  Postgeneration  der  Keimblätter  ver- 
gleichen. Nämlich  die  allgemein  festgestellte  Thatsache,  dass  ver- 
letzte Gewebe   sich  nur   aus   den  Nachkommen  ihrer  eige- 


512  Nr.  22.    Die  Hervorbriiigung  halber  Embi-yonen. 

nen  Elemente  regeneriren').  Sofern  dann  dies  auch  für  früh- 
zeitige embryonale  Regeneration  gilt,  so  ist  dadurch  ein  funda- 
mentaler Unterschied  von  der  hier  von  uns  beobachteten 
Art  der  Postgeneration  ausgesprochen,  bei  welcher  ja,  wie 
wir  gesehen  haben,  das  Zellmaterial  „nicht"  von  den  Elementen 
des  sich  postgenerirenden  Blattes  abstammt,  sondern  zum 
Theil  durch  das  sehr  durcheinander  gekommene  Kern-  und  Dotter- 
material der  operirten  Eiliälf te,  zum  Theil  durch  nur  an  z  u  f  ä  1 1  i  g  e  n 
Stellen  übergetretenes  und  dann  vertheiltes  Kernmaterial  der  primär 
entwickelten  Hälfte  gebildet  wird^). 

Eine  wichtige  Uebereinstimmung  zwischen  Postgeneration 
und  Regeneration  spricht  sich  jedoch  darin  aus,  dass  beide  nur 
von  den  schon  präexistirenden  Gewebsschichten  und  nur 
nach  Plerstellung  von  Unterbrechungsf lachen  (s.  o.  S.  498) 
vor  sich  gehen.  (NB.  Das  Bindegewebe  —  blos  das  lockere?  — 
macht  davon  eine  Ausnahme,  seiner  Function  als  Gewebe  zur  Ver- 
bindung der  Theile  und  damit  zugleich  als  Lückenbüsser  entspre- 
chend, indem  es  schon  wuchert,  wenn  nur  seine  normale  seitliche  Ab- 
grenzungsfläche der  Abgrenzung  durch  eine  anliegende  Schicht  anderen 
Gewebes  beraubt  wird.  Ob  aber  auch,  wenn  es  dabei  zugleich  voll- 
kommen vor  fremden  Einwirkungen  geschützt  wäre?) 

Wir  dürfen  aber  nicht  versäumen,  daran  zu  erinnern,  dass 
bei  der  Postgeneration  der  hinteren  Hälfte  des  Embryo  von  der 
vorderen  aus  im  Bereiche  des  medullären  Abschnittes  der  Dorsal- 
platte die  Vorgänge  anders,  anscheinend  gerade  umgekehrt  [284]  als 
bei  der  sonstigen  Postgeneration  verlaufen,  indem  hier  Ecto-  und 
Entoblast  im  Zusammenhang  bleiben,  also  keine  „freien" 
Seitenräder  vorhanden  sind  (s.  Nr.  28,  S.  657  u.  661),  weshalb 
auch  die  Differenzirung  nicht  auf  das  anliegende  Dottermaterial  über- 
greift, sondern  die  Aufnahme  oder  Bildung  neuer  Zellen  von  anderer 
Seite  her  vor  sich  gehen  muss  (s.  S.  501). 

1)  Vergl.  P.  Fraisse,  Die  Regeneration  von  Geweben  und  Organen  bei  den 
Wirbelthieren,  besonders  Amphibien  und  Reptilien.     Berlin  1881.  S.  153. 

fä)  Vergleiche  dazu  die  mir  später  gelungene  Heranziehung  ganzer  Frosch- 
embryonen blos  aus  je  einem  halben  Ei  ohne  Verwendung  der  operirten  Eihälfte 
Nr.  26,  S.  45.1 


Theoretische  Erwägungen.  513 


Icli  bin  überzeugt,  dass  die  soeben  erwähnten  Verschiedenheiten 
dev  Postgeneration  von  der  Regeneration  und  beider  von  der  nor- 
malen Ent Wickelung  nicht  in  dem  Sinne  aufzufassen  sind,  dass 
bei  der  Post-  und  Regeneration  wesentlich  „neue"  bei, 
der  normalen  Entwickelung  nicht  vorkommende  specielle 
Bildungsvorgänge  stattfinden.  Denn  ich  halte  es  für  durch- 
aus unwahrscheinKch ,  dass  es  bei  demselben  Individuum  zwei 
oder  drei  in  dem  Wesen  ihres  Mechanismus  verschiedene 
Arten  der  Erzeugung  derselben  Körpertheile  gebe;  sondern 
man  wird  vermuthen,  dass  die  Nachbildung  und  die  Wiederbildung 
in  der  Art  ihrer  Grund  Vorgänge  blos  unter  minimalen,  durch  den 
Charakter  des  Ersatzes  fehlender  Theile  von  der  Abgrenzungsfläche 
des  Defectes  aus  bedingten,  Abweichungen  von  der  normalen  Ent- 
wickelung sich  vollziehen,  während  im  Uebrigen  die  Grundvorgänge 
dieselben  seien.  Ja  es  könnte  sehr  lehrreich  sein,  umgekehrt  aus  der 
Thatsache  der  Regeneration,  Postgeneration  in  Verbindung  mit  diesem 
vermutheten  Principe  ihrer  Vollziehung  durch  dieselben  Grundvor- 
gänge wie  die  der  normalen  Ontogenese,  abzuleiten,  w^elche  Arten 
von  Grundvorgängen  allein  diese  dreierlei  Bildungsarten  zu  liefern 
vermöchten  [Etwas  einschränkend  siehe  S.  520  und  Nr.  2ß,  S.  49, 
Nr.  27,  S.  303,  Nr.  31,  S.  279  u.  f.]. 

Theoretische  Erwägungen. 

Es  regt  sich  nun  weiterhin  die  Frage,  woher  das  Material, 
in  welchem  sich  die  Postgeneration  vollzieht,  dieFähigkeit  zu 
dieser,  wenn  auch  nur  abhängigen  Differenzirung  hat. 
Man  kann  zunächst  daran  denken,  dass  in  dem  Dottermaterial  der 
operirten  Eihälfte,  w^elches  ja  bei  den  nachentwickelten  Gebilden  nach 
der  Nucleisation  wieder  belebt,  cellulirt  und  zum  Aufbau  verwendet 
worden  ist,  die  Ursache  der  specifischen,  wenn  auch  nur  abhängigen 
Differenzirungsfähigkeit  zu  typischen  Gebilden  gelegen  sei.  So  kämen 
wir  zu  der  allgemeinen  Frage,  ob  die  Ursache  der  Entwickelung 
mehr  im  Zellleib  oder  im  Zellkern  zu  suchen  sei.  Ich  will  indess 
nicht  auf  diese  Frage  im  Allgemeinen  eingehen,  da  das  Für  und 
[285]  Wider  in  letzter  Zeit  zur  Genüge  behandelt  worden  ist,  zuletzt 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhaadlungen.    U.  "J" 


514  Nr.  22.    Die  Hervorbringuns  halber  Embryonen. 


zusammenlassend  von  C.  Weigert^)  in  dem  Sinne  der  Majorität  der 
Autoren,  dass  die  idioplastischen  Functionen  an  den  Kern  geknüpft 
sind,  und  jüngst  von  G.  Platner^)  mit  der  Auffassung,  dass  dem 
Protoplasma  der  hervorragendste  Antheil  an  der  Gestaltbildung  bei  der 
Entwickelung  zukommt,  während  dieser  Autor  sich  ,,die  Rolle  des 
Kernes  nur  den  Diensten  analog  denkt,  welche  dem  Chemiker  die 
Hitze  leistet".  Ich  will  blos  sogleich  erwähnen,  dass  letzterer  Autor 
Born  und  mir  die  Ansicht,  dass  der  Kern  allein  die  Differenzirung 
bewirke,  mit  Unrecht  als  ein  von  uns  ,,als  selbstverständlich  voraus- 
gesetztes Axiom"  zuschreibt.  Eine  solche  Auffassung  hat  keiner  von 
uns  irgend  wo  ausgesprochen. 

Neben  den  von  Fol,  Strasburger,  van  Beneden,  Nussbaum, 
Gruber  u.  A.  gelieferten  Thatsachen  habe  ich  auch  meinen  eigenen 
Versuchen  ein  Argument  für  die  im  Verhältniss  zum  Zell- 
kern untergeordnete  idioplastische  Bedeutung  des  Proto- 
plasmas entnommen;  nämlich  die  Thatsache,  dass  trotz  mehr- 
fachen U  m  r  ü  h  r  e  n  s  des  Inhaltes  einer  der  beiden  ersten 
Furchungs kugeln  mit  einer  eingestochenen  Nadel,  sowie  trotz 
grosser,  bis  ein  Fünftel  des  Eiinhaltes  betragender,  Extra- 
ovate  und  trotz  der  bei  diesem  Austritt  nothwendig  entstehenden 
Umordnung  der  verschiedenen  Dottersub.stanzen  vielfach  normal 
gestaltete  Embryonen  gebildet  wurden  [s.  S.  179].  Dies 
scheint  mir  die  grössere  gestaltende  Bedeutung  des  Kernes 
[und  eventuell  mit  ihm  eng  verbundener  Theile  des  Zell- 
leibes (Centr(^somen)]  für  die  Entwickelung  zu  beweisen  [siehe 
Nr.  24,  S.  2].  Das  Gleiche  folgert  Born  mit  Recht  aus  seinen  Ver- 
suchen über  die  Einwirkung  der  Schwere  auf  die  Froscheier  ^),  indem 
er  zeigte,  dass  bei  der  Zwangslage  der  Eier  hochgradige  innere  Um- 
ordnungen  des  Dottermateriales  entstehen,  ohne  dass  dadurch  die 
Entwickelung  in  abnorme  Bahnen  gelenkt  wird ;  und  ich  möchte  von 
diesem  allgemeinen  Befunde  noch  besonders  hervorheben,  dass  nach 

1)  C.  Weigert,    Neuere    Vererbungstheorien.     Schmidt's    Jahrbücher    Bd.    115. 
S.  89  u.  f. 

2)  G.  Platxer.  Korn  und  Protoplasma.    Habilitationsschrift.    Breslau  1887. 

3)  G.  Born,  Ueber  den  Einfiuss  der  Schwere  auf  das  Froschei.  Archiv  f.  micr 
Anat.  Bd.  24.  S.  533. 


Theoretische  Erwägungen.  515 


Born's  deutlicher  Abbildung  diese  ubuoniie  AiioiMluuiig  der  ver- 
schiedenen Dottersubstiinzen  noch  nach  der  dritten  [286]  Fur- 
chung  sehr  augenfällig  vorhanden  ist,  so  dass  also  den  acht 
Furch ungskuge In  eine  dem  normalen  Verhalten  nicht  ent- 
sprechende Mischung  der  verschiedenen  Dottersubstanzen 
zugekommen  ist  und  dass  diese  Abnormität  nunmehr  wohl 
auch  nicht  mehr  rückgängig  gemacht  werden  kann. 

Gegen  das  Bedingtsein  der  postgenerativen  Gestaltungsfähigkeit 
der  Masse  der  operirten  Eihälfte  durch  die  specifischen  Qualitäten 
des  mitverwendeten  Dottermateriales  der  operirten  Eihälfte  scheint 
mir  direct  zu  sprechen,  dass  dieses  Dottermaterial  vielfach  so  hoch- 
gradig verändert  war,  dass  schon  die  ganze  Masse  mit  zahlreichen, 
zwanzig  und  mehr.  Kernen  durchsetzt  war,  ohne  dass  um  einen  ein- 
zigen derselben  eine  Abgliederung  des  Zellleibes  erfolgt  war  ^),  während 
in  anderen  Fällen  schon  um  den  dritten  und  vierten  Kern  eine  solche 
Abgliederung  und  zwar  einer  dann  entsprechend  grösseren  Masse 
stattgefunden  hatte;  und  ich  habe  entsprechende  Unterschiede  der 
nachträglichen  Cellulation  auch  von  aussen  an  Halbbildungen  beob- 
achtet, welche  später  durch  Postgeneration  sich  vollkommen  ergänzten. 

Danach  hätten  wir  also  die  Ursache  der  Fähigkeit  des 
Materiales  der  operirten  Eihälfte  zur  Nachentwickelung 
vorzugsweise  in  dem  ,, Kernmaterial"  derselben  zu  suchen, 
soweit  sie  nicht,  wie  dargethan,  als  abhängige  Differenzirung 
von  den  differenzirenden  Qualitäten  der  Theile  der  primär  und  selbst- 
ständig entwickelten  Eihälfte  zu  betrachten  ist.  Wie  viel  idioplastische 
Fähigkeiten  der  abhängige  Theil  bei  dieser  letzteren  Art  der  Gestal- 
tung mitzubringen  hat,  ist  nicht  zu  sagen;  das  wesentliche  zur  Zeit 
Erkennbare  war  nur,  dass  die  operirte  Eihälfte  trotz  des  Ueber- 
trittes  von  Kernen  aus  der  normal  sich  entwickelnden  Hälfte 
nicht  selbstständig  entwickelungsfähig  ist,  also  kein  Voll- 
idiopla sm a  [Weigert]  oder  keine  Biff er ensirung snr z eilen  enthält. 

Und  andererseits  ist  es  von  hoher  Bedeutung,  dass  die  unver- 
sehrte Eihälfte,  während  sie  selber  noch  in  rascher  typi- 
scher Differenzirungsfolge  begriffen  ist,  Zellkern-  und  viel- 

[1)  Siehe  S.  480  Anm.l. 

33* 


516  Nr.  22.   Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


leicht  auch  Zellleibmaterial  abgeben  kann,  ohne  dass  dadurch 
in  dem  Gange  ihrer  Entwickelung  eine  erkennbare  Störung  eintritt. 
Diese  Abgabe  von  Kernmaterial  ist  indess  kein  besonderer  Vorgang, 
denn  er  findet  am  Rande  der  Keimscheibe  der  mesoblastischen  Eier 
normaler  Weise  statt;  und  auf  ihn  glaube  ich  oft  auch  die  Fur- 
chung der  gestielten  Extraovate  zurückführen  zu  müssen. 
[287]  Nach  den  mitgetheilten  Beobachtungen  über  die  successive 
Nachbildung  der  durch  die  Operation  am  Ei  schon  in  ihrem  Anlage- 
material  zerstörten  bezw.  alterirten  Theile  des  Embryo  können  wir 
nun  auch  die  Bedeutung  meiner  in  einer  früheren  Arbeit  [S.  180] 
gemachten  Angabe,  dass  nach  diesen  Operationen  im  Ganzen  normal 
gestaltete  Embryonen  mit  nur  einem  circumscripten  Defecte 
oder  einer  circumscripten  Verbildung  resultiren,  bezüglich  der 
Bedeutung  eines  Theiles  der  als  Verbildungen  bezeichneten  Vorkomm- 
nisse etwas  genauer  präcisiren.  Zum  Theil  waren  in  jenen  Fällen 
wirkliche  schrumpfungsartige  Verbildungen  der  Oberfläche  im  betref- 
fenden Bezirk  vorhanden,  deren  Verständniss  mir  noch  fehlt.  Zum 
Theil  aber,  und  dies  bezieht  sich  besonders  auf  Kopf-  und  Rücken- 
theile  schon  weit  differenzirter  Embryonen,  waren  es  Bildungen,  welche 
früheren  Stadien  der  normalen  Entwickelung  immerliin  ähnlich  waren, 
und  aus  welchen  allmählich  auch  normale,  denen  der  anderen  Kör- 
perhälfte gleichende  Bildungen  hervorgingen ;  so  dass  also  diese  Art 
der  damals  gesehenen  ,, Verbildungen"  wohl  als  Formen  der  ,,nach- 
träglichen  Bildung",  der  Postgeneration  aufzufassen  sind. 

Neue    Möglichkeit    der   Entstehung   von    symmetrischen 

D  o  p  p  e  1  b  i  1  d  u  n  g  e  n. 

Mit  der  im  Vorstehenden  festgestellten,  noch  vor  wenigen  Jahren 
von  mir  selber  für  unmöglich  gehaltenen  [s.  S.  122]  Thatsache,  dass 
von  der,  auf  dem  Wege  der  Selbstdifferenzirung,  primär  gebildeten 
seitlichen  Hälfte  des  Embryo  aus  die  fehlende  Hälfte  durch  ab- 
hängige Differenzirung  aus  einem  nicht  selbstdifferenzirungsfähigen 
Eimateriale  nachgebildet  werden  kann,  haben  wir  vielleicht  eine 
neue  Möglichkeit   erworben,    die   Entstehung  von   Doppel- 


Neue  Möglichkeit  der  Kntstehung  von  symmetrischen  Doppelbildungen.       517 


bilduiigeii  abzuleiten').  Hierbei  ist  wichtig,  dass  [288j  die  nach- 
trägliche Bildung  von  den  freien,  der  eigentlichen  Medianebene 
entsprechenden  seitlichen  Rändern  der  Keimblätter  ausgeht,  und  dass 
die  Postgeneration  successive  und  so  weit  fortschreitet,  als  zur  a))- 
hängigen  Dit^erenzirung  fähiges  Material  vorhanden  ist. 

Die  Möglichkeit  solcher  Entstehung  von  Doppelbildungen  ist 
zugleich  geknüpft  an  die  Präexistenz  einer  anderen  Missbildung, 
nämlich  an  die  unvollkommene  oder  ganz  ausgebliebene  Vereinigung 
der  beiden  Medullarwülste,  also  an  die  oben  kurz  erwähnte  Asjai- 
taxia  medullaris  totalis  bezw.  partialis.  Hierbei  endigen  das 
Hornblatt,  die  Semimedulla,  die  Semichorda  und  unterhalb  der  Chorda  das 
]\Iittelblatt  frei.  Sofern  nun,  im  Bereiche  des  weiten  Auseinanderstehens 
der  Entoblast  noch  eine  Zeit  lang  fehlt  und  die  genannten  Organe  sich 
nicht  zu  sehr  einrollen,  so  stossen  diese  Halborgane  direct  ^n  Dotter- 
zellen, in  welchen  dann  nach  obiger  Erfahrung  die  abhängige  Diffe- 
renzirung  vor  sich  gehen  könnte.  Jede  Antimere  würde  in  dem  Dotter 
unter  Umwandlung  desselben,  räumlich  successive  fortschreitend  so 
weit  ein  Stück  der  anderen  Hälfte  postgeneriren,  bis  beide  Bildungen 
in  der  Medianebene  des  ganzen  Eies  zusammenstossen.  In  dieser 
Berührungsebene  müssen  dann  die  nachträglich  gebildeten  Stücke  von 
seithchen  Körperhälfteu  mit  einander  entsprechenden  Th eilen 
zusammentreffen,  sofern  die  Bildung  von  beiden  Seiten  her  annähernd 
gleichmässig   erfolgt.     V\'iv   erhielten   dann   also    auf    eine    secundäre 


1)  Dagegen  kann  ich  Leo Gerlach's Angabe,  dass  er  durch  IJeberfirnissen  der 
HühuereierDoppelbildungen  hervorgebracht  habe,  noch  jetzt  und  so  lange  nicht 
zustimmen,  als  er,  wie  bis  jetzt,  im  Ganzen  blos  zwei  unzweifelhafte  Doppelbildungen 
(auf  60  in  dieser  Weise  beeinflusste  Eier)  erhalten  hat.  Das  kann  sehr  Avohl  Zufall 
sein.  Ich  habe  als  Student  unter  200  bebrüteten  Eiern  drei  ausgesprochene  Duplici- 
tates  anteriores  erhalten,  während  doch  die  Mittelzahl  von  Dareste  aus  10  000  Eiern 
nur  eine  Doppelbildung  auf  250  Eier  ergiebt,  also  4 mal  kleiner  ist.  Wenn  Gterlagh 
bei  weiterer,  aber  leider  seit  6  Jahren  unterlassener  Fortsetzung  seiner  Versuche 
mindestens  30  Doppelbildungen  (auf  etwa  500,  von  verschiedenen  Höfen  stammende 
Eier)  erhalten  haben  wird,  dann  werde  ich  an  einen  causalen  Zusammenhang  des 
Resultates  mit  seiner  Versuchsweise  glauben;  eher  aber  halte  ich  die  Annahme  einer 
causalen  Beziehung  zwischen  beiden  nicht  für  zulässig. 

[Der  Autor  hat  danach  selber  (mündlich)  zugegeben,  dass  sein  Schluss  unzu- 
treffend war;  womit  nun  wohl  diese  selbst  von  R.  Virchow  (sein  Arch.  Bd,  103,  S.  33) 
als  erwiesen  angesehene  Angabe  definitiv  eliminirt  ist.] 


518  Nr.  22.    Die  Hervorbringung  halber  Embryonen. 


Weise  unvollkommene  Doppelbildmigen,  welche  dem  in  der  Sache 
schon  von  Megkel  deutlich  beschriebenen,  von  mir  benannten  Gesetz 
der  „doppelten  Symmetrie  der  Organanlagen"  entsprechen. 
Namentlich  würde  auf  diese  Weise  die  noch  nicht  während  ihrer  Ent- 
stehung beobachtete  Duplicitas  dorsalis  hervorgehen  können,  und 
zwar  häufiger  die  Duplicitas  dorsicaudalis,  seltener  dorsi- 
cephalica^).  Bei  einem  Erfolge  würde  dann  auch  die  Prüfung  der 
AHLFELD'schen  Hypo-  [289]  these  der  Erzeugung  solcher  Doppelbil- 
dungen durch  Spaltung  des  Embryo  längs  der  Medullarfurche  wieder 
aufzunehmen  sein. 

Ergebnisse. 
Nach  Zerstörung  einer  der  beiden  ersten  Furchungszellen,,  vermag' ' 
die  andere  Furchungszelle  sich  auf  dem  normalen  Wege  zu  einem  im 
WesentUchen  normalen  halben  Embryo  zu  entwickeln.  Auf  diese 
Weise  erhielten  wir  Hemiembryones  laterales  und  anteriores 
nebst  den  entsprechenden  Vorstufen  der  Semimorula,  Semiblästula  und 
Semigastrula.  Auch  wurden  Dreiviertel-Embryonen  mit  Fehlen 
einer  seitlichen  Kopfhälfte  durch  Anstechen  des  Eies  nach  der  zweiten 
Furchung  gewonnen.  Es  konnte  daher  der  Satz  aufgestellt  werden:  Die 
Entwickelung  der  Gastrula  und  des  zunächst  daraus  hervorgehenden 
Embryo  ist  von  der  Viertheilung  des  Eies  an  eine  Mosaik  arbeit  aus 
mindestens  vier  verticalen,  im  Wesentlichen  selbstständig  sich  ent- 
wickelnden Stücken  (S.  454). 

Ferner  sahen  wir  an  der  Missbildungsform  der  Anentoblastia, 
dass  das  äussere  und  das  mittlere  Keimblatt  auch  beim 
Fehleu  des  Darmentoblast  ihre  specifischen  Einzelbil- 
dungen zu  diff erenziren  vermögen,  und  zwar  auch  dann,  wenn 
die  Form  des  ganzen  Embryo  in  Folge  obigen  Fehlens  eine  abnorme 
wird.  Desgleichen  wird  hierbei  jederseits  die  Semichorda  dorsalis 
lateralis  gebildet  (S.  442). 

[1)  Die  hier  ausgesprochene  neue  Möglichkeit  der  l^ntstehung  von  Doppel- 
bildungen wurde  von  F.  Klaussner  (Mebrfachbildungen  bei  Wirbelthieren ,  eine  tera- 
tologische  Studie,  München  1890)  in  ausgedehnter  Weise  verwerthet  und  von  H.  Endres 
(Anstichversuche  an  Froscheiern,  Jahresber.  d.  Schles.  Ges.  f.  vaterl.  Cultur,  Sitzg. 
V.  15.  Nov.  1894  u.  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  II  1895)  experimentell 
als  richtig  erwiesen.] 


Ergebnisse.  519 

Die  durch  die  Operation  ihrer  Entwickelungsfähigkeit  beraubte 
Furchungszelle  kann  aUmähhch  wiederbelebt  werden  (S.  480). 

Diese  Reorganisation  erfolgt  zum  Theil  unter  Uebertritt  einer 
grösseren  Anzahl  von  Zellkernen  (nebst  Protoplasma?)  aus  der  normal 
entwickelten  Eihälfte,  unter  Vertheilung  der  eingewanderten  Kerne  in 
der  ganzen  Dottermasse,  soweit  diese  nicht  schon  durch  Abkömmlinge 
des  ihr  zukommenden  Furchungskernes  mit  Kernen  versehen  ist,  so- 
wie unter  nachträglicher  Vermehrung  dieser  beiden  Arten  von  Kernen. 
Dieser  Bekernung  oder  Nucleisation  der  operirten  Furchungskugel 
folgt  später  eine  Cellulation  nach,  indem  um  jeden  Kern  eine 
Zellenabgliederung  des  Dotters  vor  sich  geht.  Hochgradig  veränderte 
Theile  widerstehen  dieser  Art  der  Wiederbelebung,  werden  jedoch  in 
späterer  Zeit  auf  etwas  modificirte  Weise  gleichfalls  wieder  verwend- 
bar gemacht  (S.  468—484). 

Der  Reorganisation  der  operirten  Eihälfte  schliesst  sich  eine 
[290]  nachträghche  Entwickelung,  eine  „Postgeneration"  derselben 
an,  welche  zu  einer  vollkommenen  Ergänzung  der  fehlenden  Seiten- 
hälfte oder  hinteren  Hälfte   des  Embryo  führen  kann  (S.  484 — 513). 

Diese  Postgeneration  erfolgt  nicht  auf  dieselbe  Weise  wie  die 
normale  Entwickelung  der  primär  gebildeten  Hälfte;  sie  ist  daher 
nicht  blos  als  verspätete,  aber  normaler  Weise  sich  vollziehende  Ent- 
wickelung anzusehen  (S.  510).  Dies  spricht  sich  darin  aus,  dass  die 
Postgeneration  der  Keimblätter  in  der  nachgebildeten  Hälfte  nicht 
wie  bei  der  primären  Entwickelung  durch  selbstständige  erste 
Anlage  der  Keimblätter  vor  sich  geht,  sondern  dass  die  Postgeneration 
nur  von  den  bereits  in  der  entwickelten  Hälfte  gebildeten  Keimblättern 
aus  stattfindet.  Dies  geschieht  jedoch  nur  von  solchen  Stellen  aus, 
wo  die  Keimblätter  der  primär  entwickelten  Hälfte  des  Embryo  schon 
derart  von  einander  geschieden  sind,  dass  jedes  Keimblatt  mit 
einem  freien  Seitenrande,  mit  einer,,Unterbrechungsf lache",  wie 
bei  einem  künsthchen  Defect,  an  die  nichtentwickelte  Eihälfte  an- 
stösst  (s.  S.  498).  In  Folge  dieser  Bedingung  findet  bei  der  Er- 
gänzung der  lateralen  Halbbildungen  keine  eigentliche 
Gastrulation  statt  (s.  S.  511). 


520  Nr.  22.    Die  Hervorbi'ingung  lialber  Embryonen. 

Die  postgenerative  Bildung  der  Keimblätter  geht  in 
dem  durch  die  nachträgliche  Cellulation  gebildeten  Zellmateriale  vor 
sich,  indem  der  Process  der  Diff erenzirung  in  dem  „ruhen- 
den" Zellmateriale  fortschreitet.  Die  zur  Bildung  eines  Keim- 
blattes nöthigen  verschiedenartigen  Differenzirungen  pflanzen  sich 
hierbei  mit  ungleicher  Geschwindigkeit  in  dem  noch  indifferenten 
Zellmateriale  fort  (S.  507—510). 

Da  die  verschiedenen  Dottermaterialien  und  die  Zellkerne  der 
operirten  Eihälfte  keine  typische  Lagerung  haben,  sondern  in  ihrer 
Lagerung  durch  zufällige  Momente  bestimmt  werden,  so  konnte  nicht  an- 
genommen werden,  dass  die  typische  Ausbreitung  und  die  typischen 
Resultate  der  Postgeneration  durch  eine  typische  Ordnung  bestimmt 
qualificirter ,  der  „Selbstdiff erenzirung"  fähiger  Substanzen  bedingt 
sind.  Wir  glauben  daher  schliessen  zu  müssen,  dass  bestimmte 
diff erenzir ende  Einwirkungen  von  dem  bereits  differen- 
zirten  Materiale  auf  das  ihm  anliegende  noch  indifferen- 
tere Zellmaterial  ausgehen  (S.  507). 

Während  durch  unsere  Befunde  die  ,, primäre"  s.  ^^directe^' 
Entivichelung  (s.  S.  450)  der  ersten  Furchungszellen  als  „Selbst- 
diff erenzirung"  [291]  derselben,  bezw.  des  Complexes  ihrer  Nach- 
kommen sich  erwiesen  hat,  sind  die  reorganisirten  Eitheile 
nur  einer  ,,  abhängigen  Diff  erenzirung"  durch  Einwirkung 
schon  differenzirter  Theile  fähig  (S.  508). 

An  einer  neuen  Form  von  Missl)ildungen ,  der  ,,Asyntaxia 
medullaris",  dem  Ausbleiben  der  normalen  Verschmelzung  der 
beiden  seitUchen  Hälften  der  Medullarrohranlagen,  welche  gewöhnlieh 
mit  entsprechendem  Mangel  des  Darmblattes  (Anentoblastia)  ver- 
bunden ist,  konnte  weiterhin  eine  selbstständige  Entwickelungsfähigkeit 
des  äusseren  und  mittleren  Keimblattes  beim  Fehlen  des  inneren 
Keimblattes  constatirt  werden. 

Breslau,  Januar  1888. 


Erklärung  der  Abbildungen.  521 


Erklärung'  der  Abbilduiijj^eii. 

Tafel  VI  und  VII. 

Sämmtliche  Figuren  stellen  Froscliembryonen  (von  Rana  fusca  und  escu- 
lenta)  dar. 

F  Furcliungsliöhle.  Ec  Ectoblast  (äusseres  Keimblatt).  En  Entoblast  (inneres 
Keimblatt).  Ms  Mesoblast  (mittleres  Keimblatt).  Ch  Chorda  dorsalis.  Md  Medullar- 
wulst.     U  Urdarmhöhle,  in  Fig.  8   Taf.  VII  Urmund.      D  Dotterzellen.     V  Vacuolen. 

Tafel  VI. 

Fig.  1.  Semiblastula  verticalis,  senkrechter  Meridianschnitt.  Die  Zellen  schema- 
tisirt  gezeichnet,  a  Eine  blos  nach  der  entwickelten  Seite  des  Eies  hin  ab- 
gegrenzte Zelle. 

Fig.  2.  Semiblastula  verticalis,  Schnitt  desgl.  Ausdehnung  der  Furchungshöhle 
in  die  unentwickelte  Hälfte  des  Eies.  KN  Kernnest.  K'  Sehr  grosser  Kern 
mit  Netzstructur. 

Fig.  3.  Semigastrula  lateralis,  schräger  Längsschnitt. 

Fig.  4.  Hemiembryo  sinister,  Querschnitt.  S — S  Die  Medianebene.  Die  rechte 
Hälfte  des  Eies  ist  bereits  vollkommen  nachcellulirt;  die  Postgeneration  der 
Keimblätter  hat  begonnen.  Chorda  dorsalis  bereits  zur  normalen  Grösse  des 
Querschnittes  nachentwickelt.  J  Zwei  jugendlich  gebliebene  Dotterzellen 
(Furchungszellen). 

Tafel  VII. 

Fig.  1.  Rückenfläche  eines  normalen  Froschembryo  mit  noch  auseinander  stehenden 
Medullarwülsten. 

Fig.  2.  Desgl.  mit  schon  vereinigten  Medullarwülsten. 

Fig.  3.  Hemiembryo  dexter,  mit  schon  fast  vollendeter  Postgeneration  des  äus- 
seren Keimblattes. 

Fig.  4.  Desgl.,  älter,  aber  mit  geringerer  Postgeneration. 

Fig.  5.  Hemiembryo  sinister,  noch  älter,  fast  ohne  Postgeneration. 

Fig.  6.  Hemiembryo  anterior,  bereits  in  Postgeneration  begriffen. 

Fig.  7.  Hemiembryo  anterior,  älter,  a  Ventrale  Seite,  h  Haftnapf,  b  Dorsale 
Seite.     Die  Postgeneration  der  MeduUarwülste  schon  Aveit  fortgeschritten. 

Fig.  8.  Dreiviertel  Embryo  mit  Asyntaxia  medullaris  (Roux).  Die  linke 
Kopfhälfte  ist  nicht  entwickelt,  der  Ectoblast  jedoch  im  Bereiche  derselben 
bereits  postgenerirt.     U  Offen  gebliebener  Theil  des  Urmundes. 


Nr.    23. 

Ueber  die  Lagerung*  des  Materiales  des  Medullar- 
rohres  im  gefurchten  Frosehei'^. 

1888. 

Bericlit  der  anatomischen  Gesellschaft  über  die  Versammlung  zu  Würzburg  im  Mai  1888, 
anatom.  Anzeiger,  Bd.  3,  Nr.  23. 

Mit  4  Textfiauren. 


Inhalt. 

Seite 
Lage  des  Embryo  im  Ei 528 

Gastrulation : 

Wanderung  des  Urmundes 525 

Asyntaxia  medullaris 526 

Ei-gebnisse  des  Anstichs  der  normal  situirten  Blastula 527 

Verschiedenheit  der  Gastrulation  bei  den  Wirbelthierclassen 584 

Verschiedenheit    der    Materialsonderung    während    der    Furch  ung 

bei  den  Wirbelthierclassen 585 

Die    Pnrchung    der    höheren    Vertebraten    leistet  Arbeit 

der  Gastrulation  bei  den  niederen  Classen 536 

Verschiedenheit    der    Massen   des    „entwickelten"    und    „unentwickelten" 

Materiales  der  Blastula  der  Wirbelthierclassen 537 

1)  Diese  Abhandlung  hat  in  der  Publication  die  Priorität  vor  der  ihr  voran- 
gesetzten Nr.  22 ;  doch  sind  beide  gemeinsam  auf  Grund  von  Experimenten  des  Früh- 
jahres 1887  entstanden.  Dies  ist  auch  die  Veranlassung,  dass  in  der  vorgesetzten 
Abhandlung  schon  dieselben  Erfahrungen  über  Gastrulation  und  Asyntaxia  medullaris 
verwerthet  werden. 


Lagerung  des  Materiales  des  MeduUarrohres.  523 


[697J  Meine  Herren !  Ich  möchte  kurz  über  einige  Versuche  berich- 
ten, die  ich  anstellte,  um  einen  Einblick  in  dieMassen  Verschiebungen 
zu  gewinnen,  welche  bei  der  Gastrulation  des  Froscheies  vor 
sich  gehen,  und  um  so  einen  Aufschluss  darüber  zu  erhalten, 
welchen  „Gegenden"  der  ,, Morula"  resp.  „Blastula"  das  Ma- 
terial des  MeduUarrohres  entstammt. 

Der  mit  Hülfe  der  PFLücER'schen  Zwangslage  von  mir  ange- 
stellte Versuch  (s.  S.  347)  an  Froscheiern,  welche  in  ,, normaler" 
Weise  mit  ihrer  schwarzen  Hemisphäre  nach  oben,  also  mit  der 
weissen  Hemisphäre  nach  unten  auf  eine  Glasschale  aufgesetzt  und 
durch  ungenügende  Quellung  der  Gallerthülle  verhindert  worden 
waren,  die  sonst  während  der  Gastrulation  stattfindende  Drehung 
innerhalb  ihrer  Gallerthülle  auszuführen,  hatte  in  Uebereinstimmung 
mit  einem  anders  gewonnenen  Schlüsse  Pflüger's  ergeben,  dass  die 
Medullarwülste  normaler  Weise  nicht,  wie  bisher  angenommen  worden 
Avar  (s.  S.  524  Fig.  2),  auf  der  oberen,  schon  von  vornherein  schwarzen 
Hälfte  des  Eies  zur  Anlage  kommen,  sondern  dass,  entsprechend 
Fig.  3,  die^  Medullarw^ülste  in  ,, ganzer"  Länge  ,,auf"  der 
,, unteren",  ursprünglich  weissen,  erst  während  der  Gastrulation 
schwarz  gewordenen  Eihälfte  gebildet  werden.  Die  Prüfung, 
ob  diese  Methode  wirklich  jede  Drehung  des  ganzen  Eies  verhindert, 
ist  jederzeit  während  des  Versuches  durch  Umkehr  oder  Schiefstellung 
der  Glasschale,  an  deren  Boden  das  Ei  mit  seiner  Hülle  festhaftet, 
leicht  anzustellen;  und  es  kann  daher  ein  Zweifel  an  der  Sicherheit 
der  Methode  im  einzelnen  Falle  nicht  bestehen;  wenn  dagegen  in 
einem  Falle,  durch  zu  starke  Quellung  der  Gallerthülle,  das  Ei  noch 
drehbar  geblieben  ist,  dann  dreht  sich  die  Gastrula  schon  vor  der 
Bildung  der  Medullarwülste  derart,  dass  die  Medullarwülste  nach  ihrer 
Anlage  entweder  nicht  oder  nur  noch  mit  ihrem  hinteren  Ende  auf 
der  nach  u  n  t  e  n  gewendeten  Seite  des  Eies  sichtljar  sind. 

Es  war  nun  die  Frage,  von  woher  dieses  Material  der   auf  der 
Unterseite     des    Eies     angelegten    ,,Medullarp]atte"     der     Gastrula 


524 


Nr.  23.    lieber  die  Lagerung  des  Materiales  des  MeduUarrohres  etc. 


[6981 


FiiT.     1. 


Fi£i-.  2. 


02. 


Fii?.  3. 


F  i  g  u  r  e  n  e  r  k  1  ä  r  u  11  g : 

Schemata  der  Lage  des  ür- 
niimdes  und  der  Medullarwülste 
des  Frosches  zur  ursprünglich 
oberen  schwarzen  Hemisphäre 
des  Eies,  ü'  Stelle  der  ersten 
Anlage  des  Urmuudes.  U-  Stelle 
des  letzten  Restes  des  Urmundes. 
G  querer  Gehirnwulst,  resp.  Stelle 
der  Anlage  desselben. 

Fig.  1.  Blastula  im  Beginne 
der  Gastrulation. 

Fig.  2.  A  eitere  Auffassung 
von  der  Lage  der  Medullar- 
wülste. 

Fig.  3.  Wirkliche  Lage  der 
Medullarwülste. 

Fig.  4.  Lage  des  rechten  Me- 
dullarwulstesbei  Asyntaxia  me- 
dullaris  totalis  (Roux)  (die  bei 
dieser  Missbildung  vorhandene 
Abplattung  des  Keimes  als  aus- 
geblieben gedacht). 


Fig.  4. 


Asyntaxia  medullaris.  525 

[699]  stamme'),  l^ie  ausführliche  Schilderung,  welche  Üscah  Hkhtwk; 
iu  seiner  Arbeit  über  die  Entwickeluno-  des  mittleren  Keimblattes  der 
Wirbelthiere,  1881,  S.  10,  bezüglich  der  bei  der  Gastrulation  des  Tri- 
toneies von  oben  her  gegen  den  Urmund  hin  stattfindenden 
Materialverschiebung  macht,  schien  vollkommen  für  die  Erklärung 
der  neuen  Beobachtung  auszureichen,  sofern  man  imr  nicht,  gleich 
Hertwig,  das  Material  sich  am  Urmundrande  nach  innen  umschlagen, 
sondern  an  der  Aussenfiäche  weiter  über  die  Unterseite  sich  fortschieben 
liess.  Damit  würde  zugleich  auch  die  über  die  ganze  Unterseite 
hin  erfolgende,  Fig.  I  von  U'  bis  U^  verlaufende,  etwa  170°  be- 
tragende Verschiebung  des  Urmundes   ihre   Erklärung  finden. 

Weiterhin  schien  damit  zu  stimmen,  dass  ich  beim  Anstechen 
des  Aequators  der  Morula  an  der  Stelle  der  künftigen  ersten  Urmunds- 
anlage  wiederholt  einen  circumscripten  Defect  in  der  Mitte  des  Me- 
dullarrohres  erhielt.  Ich  hatte  also  Veranlassung,  anzunehmen,  das 
Material  des  künftigen  Embryo  sei  in  der  Morula  und  Blastula  derart 
vertheilt,  dass  das  Material  der  Kopf  half  te  des  Embryo  der  oberen 
Eihälfte  entspreche,  dass  also  der  virtuelle  Embryo  gleichsam  senk- 
recht, mit  dem  Kopfende  oben,  in  der  Blastula  stehe.  Auf  diese  [ 
Weise  glaubte  ich  zugleich  eine  Erklärung  gefunden  zu  haben,  w^elche  l 
von  der  bisherigen  Auffassung,  dass  das  ganze  Material  der  Rücken- 
hälfte ursprünglich  oben  sei,  möglichst  wenig,  blos  um  die  Hälfte, 
abwich  (s.  S.  185). 

Die  Versuche  des  nächsten  Jahres  aber  belehrten  mich  schon, 
dass  der  circumscripte  Defect  in  der  Mitte  des  Medullarrohres  kein 
,,primäres"  Bildungsphänomen  ist,  sondern  dass  er  nur  das 
vorletzte  Phänomen  eines  Reparationsvorganges  darstellt,  dessen 
entwickelungsmechanische  Erklärung  ich  unten  (Seite  528)  ange- 
deutet habe. 

Zugleich  aber  beobachtete  ich,  ohne  dass  ein  Eingriff  am  Ei 
stattgefunden  hatte,  mehrfach  eine  typische  Form  von  Missbil- 
dung, welche  einen  weiteren  Aufschluss  gewährte.  Ich  fand  nämlich 
im  Ganzen  10  Embryonen,  bei  welchen  der  Urmund  sich   nicht 

[1)  Pflüger  hatte  geschlossen,  dass  das  Material  des  Medullarrohres 
aus  der  Substanz  der  weissen  Hemisphäre  stamme  (s.  seine  Abh.  II,  S.  47).] 


526         Nr.  23.    Ueber  die  Lagerung  des  Materiales  des  Medullarrohres  etc. 


verengte,  sondern  die  ganze  weisse  Unterseite  des  Eies  noch  sehen 
liess,  während  schon  die  Differenzirung  der  schwarzen  Seite  so  weit 
vorgeschritten  war,  dass  am  Aequator  des  Eies  neben  dieser 
weissen  Masse  jederseits  ein  wohlausgebildeter  Medullär wulst 
sich  fand,  der  nur  vorn  und  hinten  mit  dem  der  anderen  Seite  in 
Verbindung  stand  (Fig.  IV).  Die  durchaus  schwarze  Oberseite 
liess  dabei  nach  innen  von  den  den  Seitenrand  bildenden  Medullar- 
[700]  Wülsten  die  wohlgebildeten  Urwirbelsegmente  und  die  Haftnäpfe 
erkennen.  Die  Querschnitte  durch  diese  Missbildung  zeigen  unter 
jedem  der  beiden  Medullarwülste  eine  durch  die  halbe  Anzahl  der 
sie  zusammensetzenden  Zellen  charakterisirte  Semichorda  dorsalis  und 
lassen  zugleich  erkennen,  dass  der  En toblast  fehlt.  Diese  Miss- 
bildung deutete  ich  so,  dass  in  Folge  des  Fehlens  des  Entoblast  das 
normale  Herabwachsen  der  beiden  seitlichen  Hälften  der  Medullar- 
platte  von  dem  Aequatorrand  der  Blastula  her,  und  damit  auch 
die  Vereinigung  dieser  beiden  Hälften  in  der  Medianlinie  auf  der 
Unterseite  ausgeblieben  ist.  Deshallj  nannte  ich  diese  Missbildung 
Asyiitaxia  medullaris  (s.  8.  443)  von  dowraHa,  NichtVereinigung)') 
resp.  AiientoTblastia  (Darmblattlosigkeit)  (s.  S.  442  u.  Nr.  31,  S.  269). 
Ich  habe  dieselbe  in  meiner  Arbeit  über  die  künstlich  erzeugten  halben 
Embryonen  (s.  S.  442  u.  447)  bereits  kurz  beschrieben.    Die  Richtig- 


1)  0.  Hertwjg  hat  sich  in  der  Deutung  dieser  Missbildung  ganz  an  meine 
Auffassung,  dass  hier  ein  „Ausbleiben"  der  normalen  Vereinigung  der  beiden 
seitlichen  Medullaranlagen  vorliegt,  angeschlossen. 

Gleichwohl  bestrebt  er  sich,  einen  anderen  Namen  statt  des  obigen,  das 
Wesen  bezeichnenden  dafür  einzuführen,  indem  er  in  seinen  Abhandlungen  den 
älteren  Namen  „Spina  bifida"  darauf  anwendet. 

Das  mit  letzterem  Ausdrucke  von  Alters  her  Benannte  ist  aber  in  ver- 
schiedene Missbildungen  als:  Rachischisis,  Myelocele,  Meningocele  etc.  zerlegt 
worden  (s.  v.  Recklingh.\usen,  Untersuchungen  über  Spina  bifida,  Berlin  1886,  170  S. 
2  Taf.),  von  denen  keine  unserem  Befunde  des  Ausbleibens  der  ventralen  Ver- 
einigung der  Medullaranlagen  entspricht. 

Da  die  Asyntaxia  medullaris  bereits  vor  der  Anlage  der  Wirbelsäule,  der 
Columna  spinalis,  entsteht,  wäre  etwas  richtiger  als  Spina  bifida  die  Bezeichnung 
Medulla  bifida;  doch  liegt,  wie  wir  sahen,  auch  keine  Spaltung  vor,  sodass  auch 
das  Beiwort  bifida  unzutreffend  ist.  Aus  diesen  P]rwägungen  habe  ich  den  neuen 
bezeichnenden  Namen  Asyntaxia  medullaris  gebildet  und  glaube  daher,  dass  er 
sich  trotz  der  nicht  mitgetheilten  (wie  es  scheint  auch  nicht  rein  sachlichen)  Gegen- 
gründe des  genannten  Autors  einbürgern  Avird. 


Lagerung  des  Materiales  des  Medullarrohres.  527 


keit  obiger  Deutung  wurde  nun  durch  die  diesjährigen  Versuche,  in 
welchen  ich  unter  anderem  aucli  diese  Missbildung  „künstlich" 
erzeugte,  bestätigt  ^). 

In  diesem  Jahre  verletzte  ich  die  Morula  und  Blastula, 
nach  gegen  früher  verbesserter  Methode,  zunächst  in  der  Mitte 
der  oberen  Hälfte,  also  am  schwarzen  Pole  des  Eies,  Nach  der 
bisherigen  Annahme  der  Autoren,  dass  das  Rückenmark  auf  der 
oberen  Hälfte  des  Eies  angelegt  werde,  musste  der  eventuelle  Defect, 
resp.  die  Narbe,  alsdann  in  der  Mitte  der  Länge  des  Medullarrohres 
sich  linden,  siehe  Fig.  2.  Es  zeigte  sich  aber,  wie  ich  nach  dem 
Mitgetheilten  nun  schon  mit  Sicherheit  erwartete,  dass  der  Defect 
oder  die  Narbe  ausnahmslos  auf  der  Bauchseite,  und  zwar  speciell 
blos  auf  dem  Bauche  des  Embryo  sich  vorfand.  Daraus  geht  also 
mit  Sicherheit  hervor,  dass  die  mittleren  Furchungskugeln 
der  „schwazen  oberen"  Hemisphäre,  also  des  sogenannten  an i- 
malen  Poles,  der  Morula  und  Blastula  die  ,, Bauchgegend"  des 
Embryo  aus  sich  hervorgehen  lassen  [s.  S.  460  Anm.  und  Nr.  20, 
S.  32]. 

Weiterhin  zerstörte  ich  die  erste  Anlage  der  ürmunds- 
lippe  (Fig.  1  U^).  Nach  der  älteren  Auffassung  hätte  dann  der 
Defect  am  hinteren  Körperende  sich  finden  müssen;  es  fand  sich 
aber  ein  Bildungsdefect  im  queren  Gehirnwulst,  entsprechend  Fig.  3  G. 
Es  entspricht  also  die  erste  mediane  Anlage  der  Urmunds- 
lippe  dem  queren  Gehirnw^ulst  des  Embryo^), 

Verletzte  ich  die  Blastula  oder   die   schon   beginnende  Gastrula 


[1)  Diese  Erzeugung  geschah  einmal  durch  Anstich,  wie  auf  S.  701  und  früher 
S.  162,  167  u.  f.  mitgetheilt  ist,  weiterhin  aher  auch  durch  Pressung  der  Eier 
vom  Beginn  der  Entwickelung  an  bis  zur  Bildung  der  Medullarwülste  zwischen  senk- 
rechten Platten,  wobei  eine  Form  entsteht,  die  ganz  der  Textfigur  Nr.  4  (S.  524) 
entspricht  (siehe  ^r.  29  S.  607). 

Dieser  letztere  Versuch  beweist  direct  die  Richtigkeit  meiner  Auffassung, 
dass  das  Material  des  späteren  Medullarrohres  an  der  Blastula  ringförmig  das  Ei 
und  zwar  annähernd  in  der  Aequatorgegend  umgiebt;  durch  die  starke  Pressung 
wird  das  Herabwachsen  verhindert.] 

[2)  Da  kleine  Brennmarken  rasch  ahgestossen  oder  resorbirt  werden,  müssen 
die  Marken,  welche  bis  nach  Bildung  der  Medullarwülste  bleiben  sollen,  etwas  tief 
und  gross  sein.  Meine  Versuche  sind  daher,  wie  ich  schon  gelegentlich  eines  Vor- 
trages von  W.  His  auf  der  Naturforscherversammlung  zu  Nürnberg  (1893)  mittheilte, 


528  Nr.  23.    lieber  die  Lagerung  des  Materiales  des  MeduUarrohres  etc. 


seitlicli  am  Aequator,  so  zeigte  sich  später  ein  Dei'ect  annähernd 
in  der  Mitte  eines  Medullarwulstes^). 

Verletzte  ich  das  Ei  bei  beginnender  Gastrulation  an  der 
der  Urmundsanlage  gegenüberhegenden  Stehe  des  Aequators,  Fig.  1  U  ^, 
[701]  so  Avar  ein  Defect  am  caudalen  Körperende  die  Folge,  ent- 
sprechend Fig.  3  U^,  während  er  nach  der  älteren  Auffassung, 
siehe  Fig.   2,    hätte  am  Kopfende  sich  finden  müssen. 

Fand  die  Verletzung  unten  in  der  Mitte  des  weissen  Poles 
statt,  so  war  später  äusserlich  kein  Defect  w^ahrnehmbar.  War  die 
Verletzung  mehr  excentrisch  auf  der  Unterfläche,  so  war  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Asyntaxia  medullaris  die  Folge;  deren  in 
vielen  Fällen  erfolgende  nachträgliche  Heilung  öfter  derart  vor 
sich  ging,  dass  die  beiden  Medullarwülste  sich  vorn  und  hinten  ein- 
ander näherten  und  mit  einander  verschmolzen,  so  dass  vor  der  voll- 
kommenen Vereinigung  nur  noch  ein  Loch  in  der  ,, Mitte"  des 
MeduUarrohres  vorhanden  war.  Dieselbe  Bildung  entsteht  öfters 
auch,  wenn  man  unmittelbar  neben  der  ersten  Urmundsanlage  die 
weisse  Hemisphäre  in  der  Medianlinie  (Fig.  1  unterhalb  U^)  ange- 
stochen hat;  und  so  erklärt  sich  meine  eingangs  (S.  525)  mitgetheilte 
frühere  bezügliche  Beobachtung  nacli  dem  Anstechen  der  Morula  an 
der  entsprechenden  Stelle. 

[Es  ist  ein  gelegentlich  beim  Frosch  vorkommender  kleiner 
Anachronismus,  dass  die  bilaterale  Epibolie  nicht,  wie  in  der  Norm 
rein  in  cephalocaudaler  Richtung  fortschreitet,  sondern  dass  am  cau- 
dalen Ende  bereits  Vereinigung  der  beiden  seitlichen  Theile  statt- 
findet, wenn  die  Vereinigung  von  der  cephalen  Seite  erst  bis  zur 
Mitte  gelangt  ist,  alsdann  sieht  man  bei  genauer  Verfolgung,  dass  der 


nicht  so  fein,  dass  ich  auf  Grund  des  hier  berichteten  Befundes  der  Angabe  dieses 
Forschers  entgegentreten  könnte,  dass  der  quere  Gehirnwulst  nicht  in  der  ersten 
Anlage  der  dorsalen  Urmundslippe,  sondern  unmittelbar  vor  derselben  liege  und 
seinerseits  selber  nicht  durch  Concrescenz  entstehe.  Eben  deshalb  habe  ich  meine 
verschiedenen  Marken  um  90'^  auseinandergelegt,  da  es  sich,  wie  die  ganze  Arbeit  zeigt, 
in  ihr  nicht  um  ein  feines  Detail,  sondern  entsprechend  dem  seinerzeitigen  Nicht- 
wissen um  die  Hauptlagerungsverhältnisse  handelte.] 

[1)  Dieselben  Ergebnisse  erhielt  neuerdings  am  Ei  von  Siredon  pisciformis 
D.  Barfurth  (Ueber  die  organbildenden  Keimbezirke  und  künstlichen  Missbildungeu 
des  Amphibieneies.  Mkrkel-Bonnet's  anat.  Hefte  1893,  S.  35.5—389).] 


(iastriilation  des  Froscheies  durch  bilaterale  Epibolie.  529 


Blastoporus  gegen  Schliiss  desselben  iiiclit  hinten, 
sondern  nahe  der  Mitte  des  Medulhirrohres  liegt;  Viel- 
leicht kommen  solche  zeitHch  geringen,  aber  in  ihren  descriptiven 
Folgen  sehr  bedeutend  seheinende  Abweichungen  bei  anderen  Thieren 
häufiger  vor,  und  es  beruhen  darauf  manche  bezüglichen  Differenzen 
der  Autoren.  (Vergl.  S.  457  Anm.  2.)  Nach  Asyntaxia  medullaris  kommt, 
wie  erwähnt,  diese  Art  der  Verschliessung  oder  Verengerung  des  Blasto- 
porus  häufiger  vor.] 

Durch  diese  Versuche  ist  wohl  ausser  Zweifel  gestellt,  dass  die 
ältere  Auffassung,  welche  noch  jüngst  von  0.  Sghultze')  sehr  ent- 
schieden vertreten  worden  ist,  nicht  richtig  ist. 

Wir  haben  uns  vielmehr  vorzustellen,  dass  das  Material  zur 
späteren  Bildung  der  Medullarplatte  jederseits  durch  seitliches 
Herab  wachsen  vom  Aequatorr  ande  aus  auf  die  Unterseite  des 
Eies  geschoben  wird,  und  dass  diese  von  beiden  Seiten  her  einander 
entgegen  wachsenden  Platten  unten  in  der  Medianebene  miteinander 
verschmelzen.  Diese  Verschmelzung  findet  successive  und  zwar 
in  cephalocaudaler  Richtung  statt.  Auf  diese  Weise  erklärt  sich 
zugleich  die  in  der  gleichen  Richtung  erfolgende  Wanderung  des 
ürmundes  um  etwa  170*^  über  die  Unterfläche  des  Eies  (Fig.  1  von 
U^  nach  U").  Die  Gastrulation  des  Froscheies  vollzieht  sich  also 
wesentlich  durch  Ueberwachsung  der  weissen,  unteren  Hälfte  des 
Eies  von  den  beiden  Seitenhälften  des  Aequators  aus,  also  durch 
„bilaterale  Epibolie"  [s.  S.  454  u.  183).  Eine  Einstülpung  kommt 
dabei  ])los  insoweit  vor,  als  das  Nahrungsdottermaterial  der  unteren 
Hälfte  zugleich  nach  oben  gegen  das  Dach  der  Furchungshöhle  hin- 
wandert oder  verdrängt  wird  bis  zur  vollkommenen  Berührung  des 
Daches,  also  bis  zum  Schwunde  der  Furchungshöhle^)^). 


1)  0.  ScHü^TZE,  Zur  ersten  Entwickelung  des  braunen  Erdfrosclies;  in  der 
Gratulationsschrift  für  A.  von  Kölliker,  Leipzig  18S7  und  Biologisches  Centralblatt 
1S87  Bd.  7,  Nr.  19. 

['■i)  Diese  Auffassung  von  der  Gastrulation  und  Concrescenz  der  Amphibien  hat 
vielfache  Zustimmung  gefunden. 

In  dem  Umstände,  dass  0.  Hertwig  sie  später  (NB.  unter  Berufung  auf  vor- 
stehende Untersuchung)  in  populärer  Weise  dargestellt  und  illustrirt  hat,  haben  einige 
andere  descriptive  Autoren  Veranlassung  gefunden,  diese  Auffassung  ihm  zuzu- 
schreiben, so  z.  ß.  Charles  Sedgwick  Minot  (Lehrb.  d.  Entwickelungsgesch.  d.  Menschen 
W.  Eoux,  Gesammelte  Abhandlungen.    11.  34 


530  Nr.  23.   üeber  die  Lagerung  des  Materiales  des  Medullarrohres  etc. 


Gut  gefärbte  Schnitte  durcli  eine  beginnende  Gastrula  zeigten 
mir  dementsprechend  auch  die  Mitosen  in  der  Aequatorgegend, 

1894  S.  168)  und  J.  Kollmank  (Spina  bifida  und  der  Canalis  neurentericus,  Verhandl. 
d.  auat.  Ges.  1893). 

Ich  habe  mehrfach  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  Ergebnisse  experi- 
menteller Arbeiten  von  descriptiven  Anatomen  erst  beachtet  worden  sind ,  nach- 
dem und  nur  soweit  als  ein  anderer  descriptiver  Forscher  sie  verwerthet  hat;  ein 
Zeichen  davon,  wie  wenig  die  betreffenden  Autoren  über  den  Werth  des  Experimentes 
unterrichtet  sind  (s.  S.  89).  Auf  dieser  Verkennung  beruht  es  weiterhin,  dass  sie 
Abhandlungen,  die  unter  dem  Namen  Entwickelungsmechanik  erscheinen,  nicht  für 
lesenswerth  halten. 

W.  His,  der  schon  seit  lange  die  bezügliche  Concrescenz  für  die  Fische  auf- 
gestellt und  vertreten  hatte,  hat  sich  gleichfalls  meiner  Auffassung  von  der  Concres- 
cenz  bei  den  Amphibien    angeschlossen  (s.  Arch.  f.  Auat.  u.  Physiol.,  1894,  S.  326). 

RicH.  Semon  theilt  mit  (Die  äussere  Entwickelung  des  Ceratodus  Forsten,  Abdr. 
aus  Semon,  zool.  Forschungsreisen  in  Australien  etc.  Jena.  1893,  S.  83),  dass  seine 
Beobachtungen  an  Ceratodus  für  die  Richtigkeit  der  Gastrulation  durch  „bilaterale 
Epibolie"  sprechen. 

Th.  Morgan  berichtet,  nachdem  er  früher  abweichende  Resultate  erhalten  hatte, 
neuerdings  (The  Formation  of  the  Embryo  of  the  Frog,  anat.  Anz.  1894.  Bd.  IX, 
S.  697 — 705),  dass  er  die  hier  von  mir  geschilderten  Versuche  mit  wesentlich  demselben 
Ergebniss  nachgemacht  hat. 

F.  Keibel  dehnt  die  auf  die  bilaterale  Epibolie  sich  stützende  „Concrescenz- 
theorie"  auch  auf  einen  Säuger  aus  (Studien  zur  Entwickelungsgeschichte  des 
Schweines,  in  G.  Schwalbe's  Morphol,  Arb.  Bd.  III.  1893,  S.  117).] 

Doch   fehlt  es  auch  nicht  an  Gegnern  (siehe  Anm.  3). 

[3)  Diese  Auffassung  von  dem  geringen  Antheil  einer  , Einstülpung" 
an  der  Gastrulation  findet  sich  bereits  vor  dieser  Abhandlung  in  einem  kritischen 
Referat  von  mir  vertreten  (s.  biolog.  Centralblatt  1887,  Bd.  VII,  S.  425). 

üebrigens  ist  noch  beizufügen,  dass  vielleicht  der  allererste,  durch  Um- 
ordnung  und  Umgestaltung  von  Zellen  sich  vollziehende  Anfang 
derUrmundbildung  (s.  S.  342,  Anm.  3)  auch  eine  „Einstülpung"  darstellt;  doch 
müsste  um  dies  festzustellen ,  uachgev/iesen  werden ,  dass  bei  dieser  Umordnung 
oberflächlich  am  Ei  gelagerte  Zellen  in  die  Tiefe  gelangen,  was  schwer  zu  er- 
mitteln sein  wird. 

In  einem  im  gleichen  Jahre  (1888)  erschienenen  Referate  sage  ich  weiterhin 
über  den  Vorgang  der  hier  oben  kurz  geschilderten  Gastrulation  durch  bilaterale 
Epibolie  folgendes  (biolog.  Centralbl.  Bd.  8,  S.  410): 

„Die  oben  (S.  346)  geschilderte  Thatsache,  dass  der  Urmund  von  seiner 
Anlagestelle  aus  über  die  ganze  Unterseite  des  Eies  wandert  und  die  dabei  statt- 
findenden Formänderungen  desselben  sind  nach  dem  Resultate  der  Anstechver- 
suche so  aufzufassen,  dass  nach  der  ersten  Anlage  des  Urmundes  die  beiden  Seiten- 
schenkel seines  Saumes  von  den  Seiten  her,  zunächst  neben  der  Anlagestelle  bis  zur 
Berührung  und  sofortigen  Verschmelzung  einander  entgegen  wachsen;  und  es  ist  zu 
schliessen,  dass  dies  auch  weiterhin  in  cephalocaudaler  Richtung  vor  sich  geht, 
abgesehen  von  einer  späteren  selbststäudigen,  aber  nicht  sehr  ausgedehnten  Ver- 
schmelzung beider  Seitenlippen  am  „hintern"  Ende". 


Gastrulation  des  Froscheies  durch  liihiterale  Epibolie.  531 


also  der  Götte'scIioh  Randzono,  am  häufigsten,  immer  2 — 3  in  jedem 
Schnitt;  während  auf  der  scliwarzen  Hemisphäre  blos  auf  jede  8.  bis 

0.  ScHULTZE  vertritt  dagegen   eine  andere  Auffassung,    die   nebst   meiner  Ent- 
gegnung hier  Platz  finden  möge  (loco  cit.  S.  411  u.  f.): 

SoHiLTZE  handelt  nur  von  z\y anglos  aufgestellten  Eiern  und  sagt:  „„Die  von 
dem  dunklen  Eiabschnitt  ausgehende,  in  allen  Meridianen  nach  unten  erfolgende  Zell- 
verschiebung findet  etwas  unterhalb  der  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Urmundes  höchst 
gelegenen  Stelle  der  hellen  Hemisphäre,  d.  i.  dicht  unter  dem  Aequator  zuerst 
Widerstand  (Born),  weshalb  sich  hier  die  Wachsthumsrichtung  in  eine  anfangs  radiär 
nach  innen  gerichtete  umändert.  Von  diesem  Augenblicke  an  werden  an  der  dorsalen 
Innenfläche  oberhalb  des  Urmundes  die  Dotterzellen  nach  aufwärts  verschoben ,  und 
wird  hierdurch  naturgemäss  der  Schwerpunct  des  Eies  nach  dem  spätem  Rücken  hin 
verlagert.  Da  das  Ei  in  den  Hüllen  beweglich  ist,  muss  sich  demgemäss  der  Urmund 
senken,  und  beginnt  nun  das  Ei  seine  erste  Rotation  um  eine  Horizontalaxe,  welche 
senkrecht  auf  der  Medianebene  steht.  Diese  dauert  entsprechend  der  nach  aufwärts 
gerichteten,  zunehmenden  Verschiebung  der  Dotterzellen  fort,  bis  dieselben  in  dem 
höchsten  Punct  der  Eikugel  angelangt  sind.  Nunmehr  tritt  zugleich  mit  der  Er- 
weiterung des  Urdarms  ein  Abwärtssinken  der  Dotterzellen,  die  mittlerweile  in  der 
Gegend  des  spätem  Kopfes  angelangt  sind,  au  der  dem  Urmund  gegenüberliegenden 
Innenfläche  ein ;  und  die  natürliche  Folge  dieser  stets  symmetrisch  zur  Medianebene 
erfolgenden  Zellverschiebung  ist,  dass  das  Ei  nunmehr  in  demselben  Bogen,  in  welchem 
es  vorher  unter  Senkung  des  Ürmunds  rotirte,  um  eine  gleiche  Horizontalaxe  in 
rückläufiger  Drehung  unter  dem  Einfluss  der  Schwere  sich  bewegt."" 
Dazu  bemerkte  ich : 

„Bei  diesem  Nachweis  bleibt  nach  meiner  Meinung  noch  Folgendes  zu  fragen: 
Woher  weiss  der  Autor,  dass  die  Zellen  an  der  Stelle  der  ersten  Urmundsanlage  einen 
derartigen  AViderstaud  finden  (denn  Born  hat  diese  Ansicht  blos  als  Vermuthung  ge- 
äussert und  einen  Beweis  nicht  erbracht),  dass  zufolge  dessen  sich  hier  die  Wachs- 
thumsrichtung in  eine  nach  innen  gerichtete  umändert?  [s.  S.  342  Anm.2].  Meint  er,  dass 
dieses  Wachsthum  nach  innen  keine  Widerstände  zu  überwinden  habe?  Woher  weiss 
er,  dass  der  Urmund  blos  deshalb  sich  senkt,  weil  die  Dotterzellen  nach  oben  treten 
und  dass  diese  Senkung  durch  eine  Drehung  des  Eies  bedingt  ist?  Woher  weiss  S., 
dass  nicht  entsprechend  meiner  Annahme  der  Vorgang  eher  der  umgekehrte 
ist,  dass  im  Gegentheil  eine  mechanische  Tendenz  zur  „Aufwärts- 
drehung" auf  diese  Seite  vorhanden  ist,  weil  die  protoplasmatischen,  also 
specifisch  leichteren  Zellen  zuerst  auf  dieser  Seite  (am  ruhend  ge- 
dachten Ei)  „herabwachsen"  (statt  durch  Drehung  des  ganzen  Eies  nach  unten 
zu  kommen),  dass  aber  dieser  Drehungstendenz  durch  die  eine  Strecke  weit  in  die 
Höhe  Avandernden,!  specifisch  schwereren  Dotterzellen  anfangs  mehr  oder  weniger  voll- 
kommen das  Gleichgewicht  gehalten  wird?  Woher  weiss  S.,  dass  die  spätere 
direct  nachgCAviesene,  seiner  angeblich  vorausgegangenen,  aber  nicht  thatsächlich 
festgestellten,  entgegengesetzt  gerichtete  Drehung  durch  ein  Herabsinken  dieser 
vordem  Dotterzellen,  und  nicht,  wie  nach  Pflüger's  und  meinen  Thatsachen  zu 
schliessen  ist,  durch  (active  oder  passive?)  Aufwärts  -  Verlagerung  der  hintern 
grössern  Dotterzellmasse  bei  der  Ausweitung  der  Urdarmhöhle  bedingt  ist?  Woher 
weiss  S.  ferner  dasjenige,  was  die  Grundlage  seiner  Anschauung  bildet,  dass  der 
untere  Saum  des  Urmundes  immer  dieselbe  Lage  zur  Hauptmasse  des  Eies  einnimmt, 

34* 


582  Nr.  23.  Ueber  die  Lagerung  des  Materiales  des  Mediillarrohres  etc. 


11.  Zelle  eine  Kerntheilungsfigiir  kam  und  in  der  unteren  weissen 

Hälfte  noch  nicht  in  jedem  Schnitte  eine  einzige  auffindbar  war  (vergl. 

Anmerkung  ^)  auf  S.  533). 

und  dass  niclit  im  Gegentheil,  wie  Pflüger  angenommen  hat  und  ich  oben  darge- 
than  habe,  der  Urnnind  sich  stetig  gegen  die  Hauptmasse  des  Eies  verschiebt? 
Alle  diese  Alternativen  hätte  S.  durch  beweisende  Beobachtungen  oder  durch 
zwingende  Schlüsse  aus  solchen  in  seinem  Sinn  zur  Entscheidung  bringen 
müssen.     Dies  ist  aber  in  keinem  Falle  versucht  worden." 

„S.  hätte  meiner  Meinung  nach  die  drei  Beobachtungen:  dass  beim  zwanglos 
aufgesetzten  Froschei  der  Urmund  sich  zunächst  um  80"  senkt,  dann  um  90°  sich 
in  rückläufiger  Bewegung  wieder  hebt,  und  dass  beim  Beginne  der  Gastrulation  eine 
relativ  kleine  Gruppe  von  Dotterzellen  auf  der  Seite  der  Urmundsanlage  sich  über 
das  Niveau  des  Bodens  der  Furchungshöhle  erhebt  (Stricker),  voranstellen  und 
danach  unbefangen  prüfen  müssen,  zu  welcher  Auffassung  sie  zwingen:  dabei  würde 
es  ihm  wohl  nicht  haben  entgehen  können,  dass  seine  Deutung  nicht  die  einzig 
mögliche  ist,  sondern  dass  die  soeben  von  mir  kurz  angedeutete,  meist  entgegen- 
gesetzte Auffassung  ebenfalls  möglich  ist.  Letztere  hat  aber  den  Vorzug,  dass  sie 
alle  Thatsachen,  auch  die  von  Pflüger  und  mir  angegebenen  erklärt,  während  die 
seinige  diese  Thatsachen  negiert." 

S.  hat  sich  durch  diese  Einwendungen  nicht  beeinflussen  lassen,  sondern  hat  in 
einer  weiteren  Abhandlung  („Ueber  die  Entwickelung  der  Medullarplatte  des  Frosch- 
eies".  Zeitsehr.  f.  wiss.  Zool.  1882,  Bd.  47)  seine  frühere  Auffassung  aufs  Neue  ver- 
treten; wogegen  ich  (im  Jahresber.  von  Hofmann-Schwalbe,  anat.  Abth.  1889,  S.  610) 
folgende  weiteren  Einwendungen  gemacht  habe:  „Dem  gegenüber,  dass  S.  die  von 
mir  constatirte  Verschiebung  des  Urmundes  des  Froscheies  gegen  die  weisse  Hemi- 
sphäre des  Eies  (um  etwa  170")  als  ganz  irrthümlich  bezeichnet,  ist  daran  zu 
erinnern,  dass  S.  selber  bereits  eine  Verschiebung  von  105°  beobachtet  hat.  Dazu 
kommt  noch  bei  der  Streckung  der  ersten  Anlage  der  Medullarwülste,  welche 
S.  dabei  nicht  berücksichtigt  hat,  eine  Verschiebung  des  Urmundes  von  etwa  25" 
nach  hinten,  wonach  dann  die  Angabe  S.'s  blos  noch  40"  von  meinen  ab- 
weichen. Auch  für  diese  geringe  Differenz  findet  sich  in  meinen  Arbeiten  bereits  die 
Erklärung." 

„S.  beobachtete  ferner  ein  Feststehen  oder  nur  geringes  Verschieben  des 
Urmundes  gegen  kleine  a  b  n  o  r  m  e  Prominenzen  der  schwarzen  Hemisphäre  des  Eies 
und  schliesst  daraus,  dass  der  Urmund  gegen  die  „Hauptmasse  des  Eies"  feststeht, 
obschon  er  dies  nur  gegen  die  oherßächlichste  Ze  Hinge  dieses  sich  stark  verändern- 
den Eitheiles  wahrgenommen  hat;  während  ich  mit  dickeren,  durch  mehrere  Zelllagen 
hindurchgehenden,  also  wohl  relativ  festeren  Marken  arbeitete.  Uebrigens  lassen 
sich  auch  viele  Beobachtungen  S.'s  mit  den  meinen  in  Einklang  bringen,  wider- 
sprechen ihnen  also  nicht." 

„Ausserdem  glaubt  S.  die  Resultate  von  meinen  Versuchen,  in  denen  ich  die 
Eier  einen  Tag  länger,  als  es  von  selber  geschieht,  in  ihrer  anfänglichen  senk- 
rechten Einstellung  erhalten  hatte  (S.  347)  als  pathologisch  ganz  für 
die  Beurtheilung  des  normalen  Geschehens  verwerfen  zu  müssen, 
obgleich  dabei  die  Entwickelung  ohne  Verzögerung  unter  vollkommen  den  normalen 
Formenbildungen  und  unter  Entstehung  normaler  Embryonen  blos  mit  anderer  Lage 
zur  Erdaxe  sich  vollzog.     S.  ist  daher  genöthigt  anzunehmen,  ein  so  geringer,  auf 


Gastrulation  des  Froscheies  durch  bilaterale  Epibolie.  533 


[702j  Diese  Auffassung  der  Gastrulation  des  Frosche ies  stellt 
keineswegs  isolirt  da,  sondern  es  liegen  im  Gegentlieil  Beobachtungen 


die  ganze  EioberHäche  gleichmässig  vertheilter,  auf  das  schon  klein  gefurchte  Ei 
Avirkender  Zwang  veranlasse,  dass  das  MeduUarrobr,  statt  wie  nach  S.,  normaler 
Weise  auf  der  oberen,  nun  pathologischer  Weise  auf  der  unteren  Hemisphäre 
des  Eies  angelegt  werde.  Da  ich  ferner  nach  Anstich  der  Mitte  der  oberen  Hälfte 
der  Blastula  den  dadurch  hervorgebrachten  kleinen  und  scharf  umgrenzten  Defect 
auf  dem  Bauche  des  Embryo  fand,  so  müsste  durch  diesen  localen  Eingriff  wieder- 
um die  Medullarrohrbildung  von  ihrer  angeblich  normalen  Stelle  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite  des  Eies  vertrieben  worden  seien.  Mit  gleichem  Rechte  oder  besser 
Unrechte  wäre  anzunehmen,  dass  S/s  Eier  Abnormitäten  darstellten,  welche  keinen 
Rückachluss  auf  das  Normale  gestatteten;  denn  sie  zeigten  anormale  Bildungen  gerade 
im  Ectoblast,  um  den  es  sich  handelt,  und  mehrere  Eier  entwickelten  sich  nicht 
weiter.  Schliesslich  ist  von  Bedeutung,  dass  die  von  S.  verwendete  Methode  der 
Verwerthung  zufälliger  Pigmeotanhäufungen  an  der  Oberfläche  von  mir  selber  her- 
rührt und  mir  dasselbe  Ergebniss  lieferte  (s.  S.  114),  wie  ihm;  dass  aber  später 
von  mir,  nachdem  ich  die  Fehlerquellen  der  Methode  [das  Verschwinden  solcher 
Flecke  und  die  gleichzeitige  Bildung  neuer  Flecke,  sowie  die  Pigment  Wande- 
rung auf  dem  Ei]  erkannt  hatte,  das  mit  ihr  gewonnene  Resultat  als  unrichtig 
verworfen  wurde." 

Jüngst  hat  B.asilius  Lwoff  (Die  Bildung  der  primären  Keimblätter  und  die 
Entstehung  der  Chorda  und  des  Mesorderms  bei  den  Wirbelthieren.  Moskau  1894.) 
über  die  Gastrulation  der  Amphibien  gehandelt  und  gegen  die  von  mir  ermittelten 
Thatsachen  weitläufig  polemisirt.  J]s  ist  ihm  jedoch  unbekannt,  dass  ich  die 
Wanderung  der  dorsalen  Urmundslippe  nicht  erdeutet,  sondern  beobachtet  habe,  dass 
ich  bei  zwischen  senkrechten  Platten  gepressten  Eiern  vollkommene  Asyntaxia 
raedullaris  erhielt  (s  Nr.  29,  S.  607),  dass  die  von  ihm  auf  Seite  525  vermisste  Auf- 
klärung sich  auf  Seite  528  findet,  dass  meine  Marken  durch  mehrere  Zelllagen  tief- 
dringend waren,  dass  bei  beginnender  Gastrulation  an  den  Seiten  noch  die  Lage- 
rungsverhältnisse der  Blastula  vorhanden  sind,  dass  ich  das  Material  des  Medullar- 
rohres  nicht  blos  in  die  jeweiligen  Urm und slippen  verlege,  mit  der  Verschmelzung 
der  Urmundslippen  nicht  die  (NB.  dorsale)  Verschmelzung  der  M  e  d  u  1 1  a  r  w  ü  1  s  t  e 
geschehen  lasse  (über  welche  Verschmelzung  er  mir  eine  nicht  von  mir  geäusserte  An- 
sicht unterstellt),  dass  nur  bei  heilender  Asyntaxia  medullaris  die  Schliessung 
des  Blastoporus  mit  der  (NB.  ventralen)  Vereinigung  der  Medullarwülste  zusammenfällt. 
Zu  seiner  Aufklärung  sei  noch  bemerkt,  was  allerdings  aus  meinen  früheren  Mit- 
theilungen schon  hervorgeht,  dass  ich  schliesse,  dass  der  quere  Gehirnwulst  zum  Theil 
aus  demjenigen  Material  der  Blastula  oder  beginnenden  Gastrula  entsteht,  in 
welchem  diejenige  Marke  gemacht  war,  welche  sich  später  in  diesem  Wulst 
liegend  zeigt,  und  dass  manches  dieser  Materialien  festliegt,  z.  B.  des  queren  Ge- 
hirnwulst oder  des  oberen  Pol,  während  die  seitlich  am  Aequator  angebrachten 
Marken  und  ihre  Umgebung  sich  verschieben.  Die  „Verbesserung"  meiner  Methode 
gegen  die  in  Nr.  18  berichteten  ersten  Orientirungsversuche  an  der  Blastula  und 
Gastrula  bestand  in  besserer  Erhaltung  der  Eier  in  Zwangslage  während  der  Operation 
(nach  S.  347  Anm.),  in  genauerer  Ausführung  der  Operation  und  in  baldiger  und 
wiederholter  Controlle  des  unmittelbaren  Effectes  derselben  (s.  S.  171  Anm.  u.  Nr.  31).] 

1)  Aus  diesen  Beobachtungen  ergiebt   sich   also,    wie  schön  S.  348  angegeben. 


531  Nr.  23.  Ueber  die  Lagerung  des  Materiales  des  Medullarrohres  etc. 

vor,  welche  auf  ein  gleiches  Geschehen  bei  der  Gastrulation 
von  Fischen  hindeuten.  So  hat  z.  B.  His  schon  im  Jahre  1874  in 
seiner  Schrift  „Ueber  unsere  Körperform"  und  weiterhin  1876  auf 
Grund  seiner  Beobachtungen  am  Salmenkeim  folgende  Schluss- 
folgerung über  die  Anlage  des  Rumpfes  ausgesprochen:  ,,Die  Masse, 
aus  welcher  die  Rumpfanlage  hervorgeht,  ist  im  Randwulst  der 
Keimscheibe  aufgespeichert;  und  sie  gelangt  dadurch  an  ihren  Ort, 
dass  je  weilen  die  dem  hinteren  Ende  des  bereits  abgegliederten 
Embryo  zunächst  liegenden  Strecken  an  diesen  sich  heranschieben 
und  ihn  nach  rückwärts  verlängern.  Ist  der  Dotter  bis  auf  einen 
kleinen  Rest  umwachsen,  so  ist  vom  Randwulste  nur  noch  ein  kleiner 
das  hintere  Körperende  bildender  Ring  übrig,  dessen  Hälften  schliess- 
lich gleichfalls  sich  verbinden." 

Diese  Angabe  über  die  Bildung  eines  Knochenfischembryo 
steht,  wie  man  sieht,  durchaus  in  Uebereinstimmung  mit  den  Folge- 
rungen, die  aus  meinen  Versuchen  am  Frosch  ei  sich  ergeben  haben. 
Und  desgleichen  hat  auch  Rauber  im  Jahre  1880  eine  von  ihm,  aller- 
dings wenig  gut,  als  „Dehiscenz"  der  Embryonalanlage  bezeich- 
nete Missbilduug  von  Fischembryonen  beschrieben,  welche  einem  un- 
vollkommenen Grade  meiper  ,,Asyntaxia  medullaris"  zu  entsprechen 
scheint. 

Wir  können  daher  den  Satz  aufstellen:  Die  schwarze,  am  Ei- 
äquator  angelegte  Urmundslippe  des  Froscheies  entspricht  dem 
Randwulste  der  Knochenfische.     Das  Material  für  die  Me- 


dass  die  Eiaxe  des  befruchteten  Eies  bei  , normaler  Einstellung  des  Eies  in  ihrer 
Richtung  vom  schwarzen  zum  weissen  Pol  der  ventridorsaleu  Richtung  des 
„reellen"  sichtbaren  Embryo  entspricht.  Danach  entspricht  weiterhin  die  „Be- 
fruchtungsseite" des  Eies  (s.  S.  355)  der  caudalen,  die  gegenüberliegende 
Seite  des  Eies  (des  „höherstehenden  Weissen")  der  cephalen  Seite  des  „reellen" 
Embryo.  Der  , virtuelle"  Embryo  dagegen  ist  als  aus  zwei,  mit  ihrer  „Dorsalseite" 
um  180"  von  einander  getrennten  und  damit  den  Aequator  der  Blastula  einnehmenden, 
jbauchwärts"  aber  vereinigten  und  „oben"  am  Ei  gelegenen  Hälften  gebildet  vorzu- 
stellen (s.Fig.  4,  S.  524);  die  Lage  seiner  caudalen  und  cephalen  Seite  dagegen  entspricht 
wesentlich  der  Lage  derselben  Seite  des  reellen  Embryo,  da  das  Herabwachsen 
über  die  untere  Eihälfte  nicht,  wie  ich  früher  nach  0.  Hertwig  annahm,  wesent- 
lich in  cephalocaudaler  Richtung,  sondern  wesentlich  von  beiden  lateralen 
Seiten  her  erfolgt. 


Leistung  von  Arbeit  der  Gastrulation  durch  die  Furchung.  535 

(liillarplatte  des  Froscheies  liegt  „in",  und  wohl  noch  auf- 
wärts „neben"  dem  „ganzen",  das  Ei  „rings"  umziehenden 
Umschlagsrande  des  Epiblast  in  den  Hypoblast. 

Die  Abweichung  bei  den  Elasmobranchiern  lässt  sich  von 
diesem  Verhalten  ableiten,  wenn  man  sich  vorstellt,  dass  das  Plus 
an  Nahrungsdotter  dieser  Eier  in  der  Mitte  des  caudalen  Theiles 
des  Ringes  der  Randzone  angehäuft  worden  sei,  dass  damit  der  Ring 
des  Bild ungsmateriales  hinten  in  der  Mitte  gesprengt  und  das  Bil- 
dungsmaterial jederseits  längs  der  Randzone  nach  der  Kopfhälfte  hin 
verschoben  worden  sei. 

Das  Verhalten  der  Amnioten  ergiebt  sich  durch  eine  Steigerung 
wesentlich  derselben  Verhältnisse  bis  zur  fast  vollkoinmenen  Zu- 
sammenlagerung des  rechten  und  linken  Schenkels  dieses  Bildungs- 
materials zur  Berührung  beider  Theile  in  der  künftigen  Medianebene. 

Für  die  placentalen  Säuger  ist  blos  die  Besonderheit  an- 
[703]  zunehmen,  dass  diese  Anordnung,  nachdem  sie  einmal  von 
den  Reptilien  erworben  und  dann  auf  die  niederen  Säuger  überge- 
gangen war,  geblieben  ist,  obgleich  die  ursprüngliche  Ver- 
anlassung, die  grosse  Anhäufung  von  Nahrungsdotter 
wieder  geschwunden  war. 

Diese  Vorstellungen  sind  jedoch  blos  anschauliche  Hülfs- 
vorstellungen  und  sollen  und  können  durchaus  nicht  den  ,, phylo- 
genetischen Entwickelungsmechanismus"  bezeichnen,  wel- 
cher noth wendigerweise  ein  ganz  anderer  gewesen  sein  muss.  Be- 
zügHch  desselben  ist  vielmehr  zu  denken,  dass  die  grosse  An- 
häufung von  Nahrungsdotter  andere  ontogenetische  Me- 
chanismen nötig  machte,  welche  an  die  Stelle  der  unmöglich 
gewordenen  Herüberschiebuug  der  beiden  lateralen  Hälften  der  Me- 
dullarplatte  über  die  grosse  Nahrungsdottermasse,  bis  zur  gegenseitigen 
Berührung  der  Hälften,  eine  andere  Ordnung  des  Bildungs- 
dotters, sowie  des  K  e  r  n  m  a  t  e  r  i  a  1  s ,  während  der  F  u  r- 
chune:  setzten.  Diese  Mechanismen  können  wir  uns  nach  Darwin 
als  durch  lang  fortgesetzte  Selbstauslese  von  kleinen  zufällig  in 
dieser   Richtung   liegenden  Abweichungen   der  Bildungsmechanismen 


536  Nr.  23.  Ueber  die  Lagerung  des  Materiales  des  MeduUarrohres  etc. 


gezüchtet  denken,  und  zwar  natürlich  als  zweimal,  fürElasmo- 
branchier  und  Reptilien  gesondert,  erworben. 

Das  Wesentliche  dieser  neuen  Mechanismen  besteht  darin, 
dass  sie  das  Keimmaterial  ,, schon  während  der  Furchung" 
derart  ordnen,  dass  z.  B.  bei  den  ,,Amnioten"  das  Material 
der  beiden  Antimeren  der  Medullarplatte  schon  von  vorn- 
herein unmittelbar  nebeneinander  gelagert  wird  und  nicht 
erst  durch  die  Gastrulation  zusammengeführt  zu  werden  braucht. 

Wir  sehen  also,  dass  das,  was  bei  den  Fischen  (mit  Aus- 
nahme der  Elasmobranchier)  und  wohl  auch  beim  Am[)hioxus,  sowie 
bei  den  Amphibien  in  Bezug  aui  die  Material  läge  rung  die 
,, Gastrulation"  zugleich  mit  der  Bildung  der  Keimblätter  leistet,  bei 
den  anderen  Vertebraten  grossentheils  schon  während  der  Furchung 
hergestellt  wird,  womit  ein  Theil  der  Function  der  Gastrulation  über- 
flüssig geworden  ist  und  die  Gastrulation  selber  nunmehr  entsprechende 
Vereinfachung  erfahren  konnte. 

[Kurz  gefasst  können  wir  sagen: 

Die  „Fnrchnng"  der  liöheren  Vertehraten  leistet  in  Be- 
zug cotf  die  Materiallagernng  bereits  Arbeit,  ivelche  hei 
den  niederen  Vertebraten  erst  diirch  die „GastrtfJation"  ge- 
leistet tvird.J 

Da  ferner  nach  der  hochgrachgen  \''erminderung  des  Nahrungs- 
dotters bei  den  Ptaeen taten  dieser  Bildungsmodus  natürhch  erst 
recht  ausreichte,  so  war  keine  Veranlassung,  ja  keine  Mög- 
lichkeit vorhanden,  nachträglich  durch  Auslese  einen 
anderen,  etwa  wieder  dem  früheren  gleichen,  Mechanis- 
mus zu  züchten;  im  Gegentheil  trurden  noeli  einige  weitere 
Vereinfachungen  der  Gastrulation  möglich. 

Noch  wichtiger  als  die  ,, formalen"  Verschiedenheiten  der 
Furchung:  als  äquale  und  inäquale,  totale  und  j^artielle  Furchung, 
sind  somit  für  die  typisch  verschiedene  Anordnung  des 
Keim-  [704]  materiales  in  Bezug  auf  die  spätere  Organi- 
sation bei  den  verschiedenen  Wirbelthierclassen  resp.  Ordnungen  die 
q  u  a  1  i  t  a  t  i  v  e  n  Vei'schiedenheiten  der  M  a  t  e  r  i  a  1  s  c  h  e  i  d u  n  g ,  w  e  1  c  h  e 


Verschiedene  Bedeutung  des  Eimateriales  bei  den  Wirbelthierclassen.         537 

bei  jeder  einzelnen  Furcliung  vor  sich  geht.  Nur  bei  der 
„normalen"  ersten  Theilung  findet  vielleicht  bei  allen  Klassen  die- 
selbe Materialscheidung,  nämlich  die  qualitativ  gleiche  Theilung,  die 
Scheidung  des  Materiales  der  beiden  Antimeren,  statt. 

Bei  dem  Ueberblick  über  die  Materiallagerung  im  Klastulu- 
Stadium  der  Wirbelthiere  springt  zugleich  ein  anderes  Verhalten  in 
die  Auge]  1,  nämlich  der  bei  den  ,, niederen"  Klassen  relativ  grosse, 
ja  bedeutend  überwiegende  Antheil,  den  das  Material  der 
künftigen  „Bauchwandung"  des  Embryo  im  Verhältniss 
zu  dem  Bildungsmateriale  des  ganzen  übrigen  Körpers 
ausmacht;  während  dieser  Antheil  des  „Bauclimateriales" 
hei  den  „höher en'-'-  Wirhelclassen  auf  dem  der  Blastula  ent- 
sprechenden Enttvickelnngsstaditim  ein  immer  geringerer  ivird 
unter  gleichseitiger  Zunahme  des  Materiales  für  die  „dorsale 
Hälfte''''  des  Embryo. 

Dies  Verhalten  ist  meiner  Meinung  nach  so  zu  verstehen,  dass 
bei  den  niederen,  der  Gastraea  näher  stehenden  Klassen  das  Ma- 
terial der  Bauchwandung"  auf  der  Blastulastufe  schon  viel 
,, weiter  entw^ickelt"  ist  als  das  Material  der  medullären 
Hälfte  des  Embryo,  welches  vielmehr  nur  erst  als  unentwickeltes 
Material  in  der  Uebergangszone  des  Epiblast  in  den  Entoblast  auf- 
gespeichert ist. 

So  stellt  die  Froschblastula  in  ihrem  überwiegenden  Antheile 
bereits  ziemlich  weit  entwickeltes  Material  des  Ecto-  und  Ento- 
blast der  Bauchw^andung  des  Embryo  dar;  während  später  aus 
dem  kleineren,  in  und  neben  dem  Ring  der  Randzone  gelegenen 
Materiale,  wenn  auch  unter  Aufzehrung  des  dem  Entoblast  einge- 
lagerten Dotters,  der  ganze  übrige  Embryo  hervorgeht.  Auch  bei 
den  Elasmobranchiern  liefert  der  überwiegende  Antheil  der  Keim- 
scheibe blos  Material  der  Bauchwandung. 

Bei  den  „iVmnioten"  findet  jedoch  nur  ein,  je  höher  um  so 
kleinerer,  „Randtheil"  der  Keimscheibe  zur  Bauchwan- 
dung, und  zwar  ausnahmslos  zum  vorderen,  kopfwärts  gewende- 
ten Theile  der  Bauchwandung  V  e  r  w  e  n  d  u  n  g.  Also  b  e  i  d  e  n  h  ö  h  e  r  e  n 


538  Nr.  23.   Ueber  die  Lagerung  des  Materiales  des  Medullarrohres  etc. 

Klassen  ist  auf  der  „Blastulastufe"  das  Material  der  Bauch- 
wandung mehr  erst  ^^implicite'"'-  d.  h.  noch  weniger  ent- 
wickeltvorhanden, während  das  „dorsale"  Material  schon 
mehr  „explicite"  (s.  S.  401)  sich  vorfindet,  als  bei  den 
niederen  Klassen. 

Diese  Unterscheidung  von  mehr  und  weniger  entwickeltem  Ma- 
teriale  der  verschiedenen  Theile  des  Eies  einer  und  derselben  Ent- 
wickelungsstufe ,  also  früherer  und  späterer  Entwickelung  der  Theile 
erweist  sich  bei  gebührender  Würdigung  auch  bei  der  Beurth eilung 
manches  anderen  auffallenden  quantitativen  Verhaltens,  z.  B.  der 
relativen  Grösse  der  Primitivrinne,  als  nützlich. 


Nr.  24. 

Ueber  die  Entwiekelung  des  Extraovates  der 

Froseheier. 

1889. 

Jahres-Bericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur. 

Wanderversammhme  zu  Kattowitz  am  29.  und  30.  Juni  1889. 


[1]  Sticht  man  eiiiFroschei,  welches  sich  bereits  ge- 
furcht und  bis  zur  Blast u last ufe  entwickelt  hat,  mit  einer 
behufs  Desinfection  unmittelbar  vorher  erhitzten  Nadel  an,  so  tritt 
eine  mehr  oder  weniger  grosse  Anzahl  von  Zellen  aus  dem  Ei  aus, 
sammelt  sich  in  der  Gallerthülle  zu  einem  Körper  von  pilzförmiger 
Gestalt  an  und  lebt  noch  eine  Zeit  laug  weiter.  Interessant  ist,  dass 
die  ausgetretene  Eisubstanz,  das  Extraovat,  nicht  gleichmässig 
aus  Zellen  besteht,  sondern  dass  es  gewöhnlich  eine  mehr  oder  weniger 
dicke  Rinde  von  blos  aus  Dotter  gebildeter  Substanz  besitzt.  Der 
braune  Farbstoff  ist  im  Extraovat  unregelmässig  vertheilt. 

Einige  Tage  nach  der  Operation  findet  man  das  Extraovat  oft 
noch  in  seiner  ursprünglichen  Farbe  erhalten,  also  nicht  verfärbt, 
sondern  wohl  noch  lebend.  Auf  dem  Durchschnitt  trifft  man  noch 
die  anfängliche  Unordnung  in  der  Lagerung  der  verschiedenen  Be- 
standtheile:  de^  gefärbten  und  ungefärbten  Dotters,  sowie  der  Zell- 
kerne. Zellgrenzen  sind  meist  nicht  wahrnehmbar.  Die  Zellkerne 
dagegen  sind  kleiner  und  enthalten  mehr  Chromatin,  d.  h.  sie  färben 
sich  intensiver  als  die  Kerne  der  Blastula  zur  Zeit  der  Operation. 
Es  hat  also  eine  Vermehrung  und  qualitative  Weiterent- 
wickelung derZellkerne,,aber  keine  Ordnung  derselben 
und  des  Dotters  um  dieselben  stattgefunden. 


54:0  Nr.  24.    lieber  die  Entwickelung  des  Extraovates  der  Froscheier. 


Operirt  man  dagegen  das  Froschei  kurze  Zeit  nach  der 
Befruchtung:  nach  der  Bildung  der  ersten  Furche,  so  ent- 
wickelt sich  das  Extraovat  meist  nicht ;  und  das  Gleiche  gilt  oft  auch 
für  die  angestochene  Eihälfte.  Ein  Zellkern  ist  in  diesen  Fällen  im 
Extraovat  nicht  nachweisbar.  In  wenigen  Fällen  findet  jedoch  eine 
Entwickelung  statt.  Das  Extraovat  wird  in  anfangs  wenige  Zellen 
mit  deutlichen  Grenzen  zerlegt.  Das  vorher  unregelmässig  ver- 
theilte  Pigment  ist  jetzt  in  der  Peripherie  der  Zellen,  besonders 
an  der  freien  Seite  der  oberflächlich  gelegenen  Zellen  ange- 
ordnet. Danach  finden  weitere  Zelltheilungen  statt.  Das  höchst 
entwickelte  Extraovat  bietet  sogar  eine  Entwickelungsstufe  dar,  die 
der  [2]  G  a  s  t  r  u  1  a  in  den  wesentlichsten  Puncten  entspricht.  Es  sind 
zwei  deutlich  durch  einen  glatten,  continuirlich  über  viele  Zellen 
weglaufenden  Contour  geschiedene  Schichten  gebildet,  von  denen  die 
äussere,  dem  Ectoblast  entsprechende,  oberflächlich  aus  einer  ein- 
fachen Lage  stark  pigmentirter  Plattenepithelien  besteht,  unter  welcher 
unregelmässig  gestaltete,  aber  dicht  zusammen  gedrängte  kleinere 
Zellen  in  ein-  bis  dreifacher  Zahl  sich  finden  und  mit  ihrer  innersten 
Lage  den  erwähnten  glatten  Abgrenzungscontour  bilden.  An  der 
einen  Seite  zieht  sich  der  glatte  äussere  Oberflächencontour  im  Bogen 
in  die  das  Innere  bildende  Zellenmasse  hinein;  und  der  so  gebildete, 
der  Anlage  der  Urdarmhöhle  entsprechende  Spaltraum  ist  von 
grösseren  dotterreicheren  Zellen  begrenzt.  An  einer  Stelle  zeigen 
sogar  an  diesem  Uebergangsrande  des  äusseren  in  das  innere  Blatt 
die  Zellen  des  Ectoblast  eine  Anordnung,  welche  deutlich  an  die  Ver- 
hältnisse bei  der  Bildung  der  Medullär  a  n  1  a g  e  der  H  e  m  i  e  m  b  r  y  o  n  e  s 
laterales  erinnert  [Genaueres  siehe  S.  798]. 

Es  zeigt  sich  also,  dass  Extraovate,  in  welche  nur  ein  einziger 
Kern,  und  zwar  die  Hälfte  oder  ein  Viertel  des  Furchungs- 
kernes  übergetreten  ist,  in  hohem  Maasse  und  in  einer  an 
normale  Bildung  erinnernden  Weise  e  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  s- 
fähig  sind^). 


[i)  Weiteres  über  die  Entwickelung  des  Extraovates  siehe  in  der  schönen 
Arbeit  D.  Barfurth's:  Experimentelle  Untersuchung  über  die  Regeneration  der  Keim- 
blätter bei  den  Amphibien.   Merkel-Bonnet's  anatom.  Hefte  1893.  Heft  9.  S.  311—354.] 


Nr.  25. 

Beiträge  zur  Entwiekelungsmeehanik  des  Embryo. 

Nr.  VI.  Ueber  die  „morphologische  Polarisation"  von  Eiern 
und  Embryonen  durch  den  electrischen  Strom 

sowie 

Ueber  die  Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf  die  Richtung 
der  ersten  Theilung  des  Eies^). 

1891. 

Aus  dem  k.  k.  anatomisclien  Institute  zu  Innsbruck. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.    Mathem.-naturw. 

Classe;  Bd.  CI.  Abth.  III. 

Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  17.  Dezember  1891. 

Mit  Tafel  VIU— X. 


Inhalt. 

A.  Morphologisch    polarisirende  Wirkung    des    electrischen    Stromes    auf 

„lebende"   Objecte. 

I.  Abschnitt.  Seito 

1.  Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Eier  von  Rana  fusca:  .  545 

auf  ein  parallel  contourirtes  Band  von  Laich 546 

auf  eine  runde  Scheibe  von  Laich .549 

bei  wechselnder  Durchströmungsriclitung 551 

auf  schwimmende  Eier 552 

auf  unbefruchtete  Eier 552 

auf  mecha^iisch  insultirte  Eier 552 

auf  getheilte  Eier :  Morula,  Blastula  und  Gastrula 552 

[-)  Unter  „morphologischer  Polarisation "  sind  im  Folgenden  die  von  mir 
beobachteten  polar  localisirten,  sichtbaren,  bleibenden  eigenartigen  Ver- 
änderungen lebender  Objecte  (aus  dem  Stamm  der  Wirbelthiere)  bei  intraelectro- 
lytärer  electrischer  Durchströmung  verstanden  (s.  S.  545  Anm.  1). 

Der  erstere  Theil  des  Haupttitels  hätte  daher  auch  umgekehrt  lauten  können : 
Ueber  polar  localisirte,  eigenartige,  bleibende  sichtbare  Reactionen  von 
Eiern  und  Embryonen  auf  den  electrischen  Strom  bei  intraelectrolytärer  Durchströmung.] 


542      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Seite 

2.  Polarisirende  Wirkung  eines  „Gleichstromes"  auf  Froscheier      .     .     .     554 

3.  WirTct    der    „Wechselstrom"    auf   die    Richtung    der    ersten   Ei- 

theihing  ? 556 

beim  Durchströmen  556,  beim  Umströmen 557 

II.  Abschnitt. 

1.  Weitere    polarisirende    Wirkung    des    Wechselstromes    auf    Eier    von 
Eana  fusca: 

auf  Eierstockseier 558 

auf  trocken  gehaltene  Eier  558,  auf  in  Salzlösung  gelegene  Eier      .     .  559 

bei  wechselnder  Durchströmungsrichtung 560 

Wirkung  sehr  schwachen  Stromes  560,  verschiedener  Stromdauer    .     .  561 

Grösse  der  Polfeder 561 

Verhalten  deformirter  Eier 562 

Veränderungen  der  Eier  nach  der  Durchströmung 562 

Dauer  der  Polarisationsfähigkeit 562 

Aufhebung  derselben  durch  Erwärmung 563 

Wirkung  auf  „Embryonen"  von  Rana  fusca 563 

Einfluss    der  Differenz   des  Leitungsvermögens  von  Ei  und  Electrolyt  567 

2.  Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Gleichstromes: 

auf  Froscheier  und  Embryonen 569 

3.  Wirkt     der    „Gleichstrom"     auf    die     Richtung    der    ersten    Ei- 

theilungf  . 571 

4.  Polarisirende  Wirkung  des  AVechselstromes  auf   Organe   des   erwach- 

senen Frosches 572 

auf  die  Gallenblase 572 

auf  das  Froschherz 574 

auf  andere  Organe 575 

III.  Abschnitt:  Weitere  polarisirende  Wirkungen  auf  lebende  Objecte. 

Einleitung :     .     . 576 

Erläuterung  von  Termin i s  technicis 579 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf: 

Aethalium  septicum 582 

Hydra  fusca 583 

Wirkung  auf  Rana  esculenta: 

1.  Wirkt  der  „Wechselstrom"     auf  die  Besamungsrichtung?  .     .  583 

auf  die  Copulaiionsrichtung? 584 

2.  Polarisirende  Wirkung  sehr  schwachen  Stromes  auf  das  Ei     ...     .     585 

3.  Polarisirende  Wirkung  auf  Eierstockseier  586,  auf  reife  Eier  ....     586 

auf  deformirte  Eier  588,  auf  Extraovate,     .     .     ,     .     .     .     .     589 
auf  einander  sehr  nahe  Eier       590 

4.  Polarisirende  Wirkung  auf  in  Zellen  getheilte  Eier 591 

a)  Specialpolarisation 591 

b)  Generalpolarisation 595 

5.  Polarisirende  Wirkung  auf  Embryonen 597 


Inhalt.  543 


Seite 

6.  Einfluss  der  Wärme  auf  die  Polarisationsfälligkeit 600 

Einfluss  der  Carbolsäure  auf  die Reactionsfähigkeit  ungetlieilter  Eier  601 

7.  Prüfung  des  Leitungsvermögens  der  Eier 601 

8.  Polarisation  bei  Ablenkung  der  Stromfäden 602 

Wirkung  auf  von  Metall  umschlossene  Eier 602 

Wirkung  auf  von  Dielectricis  umschlossene  Eier 603 

Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Rana  esculenta: 603 

auf  die  Eier 604 

auf  das  Herz  und  die  CTalleublase 606 

Wirkung  des  AVechselstromes  auf  Triton  alpestris: 

auf  ungetheilte  Eier 608 

auf  in  Zellen  getheilte  Eier 611 

a)  Specialpolarisation 611 

b)  Generalpolarisation 612 

Art  des  Vorganges  der  Polarisation 613 

Variationen  der  Polarisation 614 

Wirkung  auf  Extra ovate 619 

auf  isolirte  Zellen 620 

auf  innere  Theile  der  Gastrula 623 

Wirkung  des  AVecliselstromes  auf  Telestes  Agassizii: 

auf  die  Eier,  Morulae  vind  Embryonen 625 

auf  Herz  imd  Gallenblase ■ 682 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Lacerta  agilis: 

auf  die  Eier 683 

auf  die  Gallenblasse 634 

auf  die  Embryonen 634 

Wirkung  des  AVechselstromes  auf  Gallus  domesticiis 686 

Wirkung  des  galvanischen  Stromes  auf  Hühnerembryonen     ....  642 
Wirkung  des  AVechselstromes  auf  Sängethiere: 

auf  Eier  und  Embryonen 646 

auf  die  Gallenblasen 647 

Vorkommen  des  Stromschatten 650 

Durch    den    AVechselstrom    „nicht"    morphologisch    polarisirbare 

Organe 653 

[Nachtrag:  Morphologisch polarisirende  Wirkung  der  Schläge  der  Ley dener 

Flasche  auf  Eier  und  Embyonen] 656 

I 

B.   Polare   Localisation   der   Wirkung   des    electrischen    Stromes   an 

„nicht  lebenden"  Intraelectrolyten. 
IV.  Abschnitt. 

1.  Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Gallerte 659 

2.  Wirkung  auf  Quecksilber 660 

3.  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  „feste"  metallische  Intraelectrolyten 

Definition  des  Intraelectrolyten 668 


544      Nr.  25.    Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Seite 

Wirkung  auf  kugelige  Gebilde 674 

Verhalten  einander  sehr  naher  Kugeln 676 

auf  platte  Gebilde 679 

Verhalten  des  rechten  Winkels 680 

der  Kupferscheibe 684 

auf  Draht 686 

auf  einen  Kugelschalenabschnitt 689 

auf  unvollkommene  Intraelectrolyten 689 

Wirkung  des  Gleichstromes  auf  feste  metallische  Intraelectro- 
lyten      692 

Wirkung  auf  metallische  Intraelectrolyten  von  der  Gestalt  der  unter- 

suchtenorg  an  ischen  Gebilde 701 

Wirkung  bei  besser  als  der  Intraelectrolyt  leitenden  Medien: 703 

scheinbare  „Aeqiiatorisation" 703 

Methode,  jedes    beliebig e  Gebilde   seiner   Gestalt   und    seinem 
Lei  tvng  SV  ermö'g  en     entsprechend     reactionsfähig     auf    den 

electrischen  Strom  zu  machen 703 

Bedingungen  der  „Polarisation" 705 

Methode  der  der  directen  Ermittelung   des   Verlaufes  der  Strom- 
fäden gegen  e inen  Intraelectrolyten     707 

Verlauf  gegen  metallische  Intraelectrolyten : 

im  Wechselstrome 708 

im  Gleichstrome 710 

gegen  organische  Intraelectrolyten 712 

Abnahme  der  intraelectrolytären Wirkung  des  galvanischen  Stromes  mit 
der  Zunahme  des  Abstandes  von  den  Electroden  trotz  gleich  bleiben- 
den Querschnittes  der  Strombahn 714 

C.  Erklärungsversuche  und  Zusammenfassung. 

1.  Ursache  der  polaren  Localisation  der  Veränderungen 727 

2.  Ursache  der  scharfen  Begrenzung  der  Aequators 731 

3.  Ursachen  der  speciellen  Gestaltungen  der  Polfeder: 733 

a)  Stromschatten 733 

b)  Bestimmung  der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder    .     .     .  737 

c)  Unterschiede  der  Localisation  der  Polfeder  bei  metallischen  und 

bei  lebenden  Intraelectrolyten        740 

4.  ZtLsamme'nstellung    der    specif  ischen    R  eactionsweiscn    der 

lebenden  embryonalen   Objecte  auf  den  electrischen  Strom  741 

5.  Bedingungen  der  beschriebenen  polaren  Reactionen   der  lebenden  Objecte  747 
Verhalten    der    lebenden    Objecte    bei    nicht    intraelectr oly tärer 

Durchströmung 748 

6.  Ursachen  der  Specialpolarisation  der  Zellen  des  getheilten  Eies.     .  752 

7.  Ursachen  der  Generalpolarisation  des  in  Zellen  getheilten  Eies  .  759 
Figurenerklärung 763 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  545 


A.  Morphologische  polarisirendeWirkung  des  electrischen 
Stromes  auf  „lebende"  Objecte  als  Intraelectrolyten  ^). 

I.  Abschnitt^). 
1.  Polarisirende  Wirkung  des  „Wechselstromes"  auf  Frosclieier. 

[27]  Vom  5.  bis  9.  April  d.  J.  (1891)  machte  ich  Versuche  an  Eiern 
des  bramien  Grasfroscbes  (Rana  fusca)  mit  dem  Wechselstrom,  der 
zur  electrischen  Beleuchtung  des  k.  k.  anatomischen  Institutes  zu 
Innsbruck  dient.  Der  verwendete  transformirte  Strom  hat  eine  Span- 
nung von  100  Volt,  die  in  einigen  Versuchen  mit  wesentlich  dem 
gleichen  Erfolg,  durch  Umschaltung  am  Transformator,  auf  50  Volt 
herabgesetzt  war.  Darauf  wurden  auch  Versuche  mit  einem  Gleich- 
strom von  43  Volt  angestellt.  Der  Zweck  der  Versuche  war:  fest- 
zustellen, ob  der  electrische  Strom  die  Richtung  der  ersten 
Theilung  des  Eies  zu  beeinflussen  vermag. 

[28]  Die  Beantwortung  dieser  Frage  schien  mir  von  Bedeutung, 
da  wir  mit  ihrer  Entscheidung  im  positiven  oder  negativen  Sinne 
eine  Andeutung  darüber  erhielten,  ob  bei  den  morphologischen 
Vorgängen  der  indirecten,  mitotischen  Kerntheilung  elec- 
trische Wirkungsweisen  einen  wesentlichen  Antheil  haben 
oder  nicht.  Denn  es  ist  klar,  dass  diese  typischen  Gestaltungen 
durch  den  electrischen  Strom  alterirt  werden  müssen,  sofern  sie  selber 
durch  electrische  Kraftwirkungeu  vermittelt  werden. 

Ein  sicheres  negatives  Ergebniss  musste  diese  Eventualität  als 
unzutreffend  erweisen^),    ein   positives    zu   weiteren  Untersuchungen 


[1)  Als  „Intraelectroly t''  bezeichne  ich  einen  bei  seiner  electrischen  Durch- 
strömung rings  ton  einem  Electrolyten  umschlossenen,  also  die  Electroden  nicht 
berührenden  Körper  (s.  Nr.  25,  S.  145).] 

■'J)  Ein  Bericht  über  die  in  Abschnitt  I  mitgetheilten  Beobachtungen  wurde  am 
11.  April,  über  die  des  Abschnittes  II  am  7.  Mai  1891  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Wien  verschlossen  eingereicht  und  durch  ßeschluss  vom  16.  April 
resp.  14.  Mai  gütigst  in  Depot  genommen. 

[•^)  Obgleich,  wie  wir  sehen  werden,  selbst  die  Anwendung  m  aximaler,  eben 
noch  vom  Zellleib  ertragener  Ströme  ein  negatives  Ergebniss  lieferte,  so  ist  gleich- 
wohl die  aufgeworfene  Frage,  ob  bei  der  indirecten  Kerntheilung  electrische  Wirkungen 
AV.  Rous,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  gg 


546      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


darüber  auffordern,  ob  die  beobachtete  Wirkung  des  electrischen 
Stromes  eine  directe  Wirkung  auf  die  mitotischen  Theiluugsvorgänge 
ist  oder  durch  Einwirkung  auf  den  Zellleib  vermittelt  wird,  beides 
gleich  wichtige  Eventualitäten. 

Aus  diesen  Gründen  hatte  ich  schon  im  Jahre  1885  (s.  S.  319), 
die  gleiche  Frage  geprüft,  aber  ein  negatives  Ergebniss  erhalten. 
Doch  musste  der  mir  damals  zur  Verfügung  stehende  Strom,  ein 
Gleichstrom  von  drei  BuNSEN'schen  Elementen,  viel  zu  schwach  er- 
scheinen, um  eine  sichere  negative  Folgerung  zu  gestatten.  Zur  Ab- 
leitung eines  solchen  Schlusses  mussten  Ströme  von  einer  Stärke  an- 
gewendet worden  sein,  die  der  deletär  wirkenden  Stromstärke  benach- 
bart war.  Da  zu  vermuthen  war,  dass  der  Strom  meiner  jetzigen 
Anstalt  die  genügende  Stärke  haben  werde,  und  da  zudem  bei  den 
früheren  Versuchen  die  in  eine  Glasröhre  aspirirten  Froscheier  nur 
von  einer  aussen  umgewundenen  Spirale  aus  umströmt,  nicht  aber 
die  Eier  selber  durchströmt  worden  waren,  so  nahm  ich  diese  Ver- 
suche wieder  auf  und  begann  zunächst  mit  der  noch  nicht  verwen- 
deten Methode  der  directen  Durchströmung. 

Sogleich  bei  dem  ersten,  an  einem  Sonntag  Nachmittag  (den 
5.  April)  behufs  Orientirung  ül^er  die  etwa  nöthige  Versuchsanordnung 
angestellten  Versuche  trat  ein  evidentes  Resultat  der  Einwirkung  des 
Wechselstromes  hervor. 

[29]  An  einem  2  cm  breiten  und  4  cm  langen,  der  Länge  nach 
durchströmten,  wagrecht  orientirten  Bande  von  Froschlaich  aus 
vor  zwei  Stunden  befruchteten  Eiern  bemerkte  ich  bei  einer,  nach  zehn 
Minuten  vorgenommenen  Besichtigung  schon  an  jedem  Eie  eine 
senkrecht  stehende,   das  Ei   halbirende   Furche,    welche 


betheiligt  sind,  damit  noch  nicht  als  sicher  im  negativen  Sinne  entschieden 
zu  betrachten;  denn  es  könnten  innerhalb  des  Kerns  local  so  hohe  Spannungen  pro- 
ducirt  werden,  dass  sie  durch  den  schwachen  Wechsel-  und  galvanischen  Strom, 
welcher  bereits  zerstörend  auf  die  Eintrittsstelle  am  Zellleib  wirkt,  nicht  wesentlich, 
d.  h.  die  formalen  Vorgänge  sichtbar  ändernd,  beeiuflusst  würden.  Selbst  die  An- 
wendung der  hochgespannten  Electricität  der  Leydener  Flasche  würde  bei  negativer 
Wirkung  keine  Entscheidung  bringen,  da  sie  bei  ihrer  höheren  Spannung  auch  eine 
entsprechend  stärkere  Tendenz  hat,  die  Oberfläche  der  Leiter  einzunehmen,  wes- 
halb es  uns  nicht  gelingt,  sie  in  erheblicher  Spannung  in  den  Zellkern  hineinzuleiten.] 


Polarisirendo  Wirkuni;-  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  547 


an  allen  Eiern  rechtwinkelig  zur  Stromriclitung  orien- 
tirt  war.  Ich  glaubte  natürlich,  die  fragliche  richtende  Wirkung 
des  Stromes  auf  die  Eithciluug  gefunden  7A\  haben;  nur  wunderte 
mich,  dass  die  erste  Furche  eine  ganze  halbe  Stunde  eher,  als  ich 
nach  der  Zimmertemperatur  erwartet  hatte,  aufgetreten  war.  Als  ich 
diese  Furche  jedoch  mit  der  Loupe  besichtigte,  fiel  mir  sogleich  auf, 
dass  sie  ein  wenig  weiter  war,  als  normale  Theilungsfurchen  des 
Froscheies  zu  sein  pflegen,  und  dass  sie  sich  nach  der  Tiefe  zu  nicht 
verengte,  nicht  sich  zu  einem  engen  Spalt  verjüngte. 

Dies  Hess  erkennen,  dass  hier  eine  ganz  andere  Erscheinung  vor- 
lag; und  die  nächsten  sogleich  vorgenommenen,  etwas  variirten  Ver- 
suche bestätigten  diesen  Schluss. 

Die  neue  Erscheinung  erregte  durch  ihre  typischen  Gestaltungen 
mein  Interesse  derart,  dass  ich  ihr  eine  Zeitlang  ausschliesslich  nach- 
ging. Diese  Sachlage  ist  der  Grund,  dass  in  den  folgenden  Mit- 
theilungen zwei  in  ihrem  Wesen  verschiedene,  aber  theil- 
weise  in  der  nöthigen  Versuchsanordnung  und  dem  Versuchsmateriale 
übereinstimmende  Themata  zugleich  behandelt  werden,  und  dass 
ich  überhaupt  eine  Gruppe  von  Erscheinungen  bearbeitet  habe,  die, 
wie  sich  bald  herausstellte,  mehr  in  das  Gebiet  der  jetzigen  Physio- 
logie, als  in  das  der  Entwickelungsmechanik  gehört. 

Die  nächsten  Versuche  ergaben  im  Wesentlichen  nachstehende 
Resultate. 

Beim  Durchströmen  eines  geraden  Bandes  Froschlaich  von  5 
bis  9  cm  Länge,  2  bis  2,5  cm  Breite  und  einer  einzigen  Eilage  Höhe, 
in  Richtung  der  Länge  des  Bandes,  von  1,7  cm  breiten  Platinelec- 
troden  aus,  entstand  an  jedem  der  vor  ein  bis  drei  Stunden  be- 
fruchteten Eier  innerhalb  15  bis  30  Secunden  eine  deutliche  Schei- 
dung der  annähernd  kugeligen  Oberfläche  in  drei  Felder,  welche 
durch  zwei  einander  parallele  kreisförmige  [30]  Grenzlinien  gesondert 
sind,  nämlich  in  zwei  einander  gegenüber  liegende,  den  Electroden 
zugewendete  „Polfelder"  mit  veränderter  Oberfläche  und  ein  zwischen 
ihnen  gelegenes  ,, äquatoriales  Gürtelfeld"  ohne  solche  Verän- 
derung.   Diese  Scheidung  der  Oberfläche  erfolgt  gewöhnlich  zunächst 

durch  Aufhellung  im  Bereiche  des  Polfeldes  unter  anfänglichem  Ent- 

35* 


548      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

stehen  einer  netzartigen  oder  punctirten  helleren  Zeichnung;  manch- 
mal treten  auch  schon,  ehe  eine  Verfärbung  der  Oberfläche  erkennbar 
ist,  auf  der  unteren,  hellgrauen,  oft  fast  weissen  Hemisphäre  des  Eies  die 
beiden  Parallelkreise  als  schwärzliche  Linien  auf  und  be- 
wirken so  die  erste  sichtbare  Scheidung  in  die  drei  Abschnitte.  Bei 
weiterer  Einwirkung  des  Stromes  vertieft  sich  nach  ein  bis  zwei  Minuten 
die  Stelle  dieser  beiden  Parallelkreise  zu  je  einer  deutlichen,  oben  tieferen 
Ringfurche,  und  in  derselben  treten  oben  weisse  Flecken,  durch  Aus- 
tritt von  Eisubstanz  bedingt,  auf.  Längs  der  Mitte  des  Aequator- 
g  ü  r  t  e  1  s  entsteht  unter  vollkommener  A  u  f  h  e  1 1  u  n  g  s  e  i  n  e  r  R  ä  n  d  e  r  auf 
der  helleren  Unterseite  des  Eies  nicht  selten  eine  schwärzliche  Linie 
mit  oder  ohne  scharfe  seitliche  Grenzen,  also  eine  Pigmentanhäufung. 
An  der  schwarzen,  oberen  Hemisphäre  des  Eies  sieht  man,  wenn  die 
Polfelder  sich  nicht  genügend  aufhellen,  nur  die  beiden  Ringfurchen. 

Während  somit  im  Einzelnen  das  Bild  der  Veränderungen,  und 
zwar  je  nach  der  Dauer  und  Stärke  des  wirkenden  Stromes  und  wohl 
auch  nach  der  Beschaffenheit  der  Eier  selber,  ein  etwas  verschiedenes 
st,  so  ist  das  Wesentliche  der  Erscheinungen  vollkommen  constant, 
nämlich  die  Theilung  der  Eioberfläche  in  zwei  den  Electroden  zuge- 
wendete sichtbar  veränderte  Polfelder  und  einen  sie  trennenden, 
nicht  veränderten,  oder  nur  schwach  in  anderer  Weise 
veränderten  Aequatorgürtel;  und  zwar  sind  diese  drei  Felder 
bei  der  erwähnten  Anordnung  des  Versuches  durch  zwei  fast  oder 
ganz  parallele,  continuirlich  (ungezackt)  verlaufende,  rechtwinkelig  zur 
Stromrichtung  orientirte  Ringlinieii  gegen  einander  abgegrenzt. 

Der  Abstand  dieser  beiden  Grenzlinien  von  einander  ist  an 
Eiern,  welche  in  der  Nähe  der  Electroden  stehen,  am  geringsten  und 
nimmt  gegen  die  Mitte  des  Stromfeldes  allmälich  zu.  Ist  der  Strom 
durch  Einschaltung  grosser  Widerstände  geschwächt,  so  vergrössert 
sich  der  Abstand ;  arbeitete  ich,  wie  gerade  beim  [31]  ersten  Versuche, 
ohne  solche  Widerstände,  so  treten  die  sich  erhebenden  Ränder  der 
beiden  Polfelder  oben  einander  so  nahe,  dass  der  von  ihnen  begrenzte, 
tiefer  liegende  Aequatorgürtel  blos  als  der  schmale  Grund  einer  ein- 
zigen Furche  erscheint. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  549 


Ueber  die  Stellung  der  beiden  Grenzlinien  7A\  einander  und 
zur  Richtung  der  Stromlinien  erfuhr  ich  Weiteres  durch  eine  Aende- 
rung  der  Versuchs-Anordnung,  indem  statt  der  Verwendung  eines 
parallel  contourirten  Bandes  von  Froschlaich,  die  ganze  „runde" 
Schale  gleichmässig  mit  einer  einzigen  Lage  von  Frosch- 
eiern ausgefüllt  und  dies  Material  von  zwei,  einander  ent- 
gegengesetzten Stellen  des  Randes  der  Schale  aus  und 
unter  Benutzung  schmälerer  Electroden  d  u  r  c  h  s  t  r  ö  m  t  w  u  r  d  e.  Die 
Gesammtheit  der  beiden  Linien  von  allen  Eiern  markirt 
alsdann  typische  Curven,  die  leichter  zu  erkennen  sind,  wenn 
man  die  Schale  nach  Beendigung  des  Versuches  umdreht  und  die 
hellen  unteren  Hemisphären  betrachtet,  als  bei  Besichtigung  der 
schwarzen  Furchen  auf  der  schwarzen  oberen  Eihälfte.  Da  die  Frosch- 
eier durch  ihre  dicken  Gallerthüllen  von  einander  geschieden  sind 
und  nicht  in  den  Curven  entsprechenden  Reihen  liegen,  so  bilden  die 
beiden  Grenzlinien  aller  der  etwa  200  Eier  einer  Schale  keine  conti- 
nuirlich  gezeichneten  Curven;  sondern  man  muss  sich  die  Curven 
aus  den  vielen  nebeneinanderliegenden  Bruchstücken  selber  integriren, 
was  aber  bei  Benutzung  einer  schwachen  Loupe  nicht  schwerfällt. 
Das  Bild,  welches  man  so  gewinnt,  ist  folgendes:  Die  Curven  be- 
ginnen, entsprechend  dem  zuerst  mitgeth eilten  Versuche,  alle  recht- 
winkelig zu  der  mittleren  geraden  Verbindungslinie 
der  Electroden  und  wenden  sich  dann,  die  ,, nächste"  Elec- 
trode  im  Bogen  umziehend,  unter  allmählicher  Vergrösse- 
rung  ihres  Ab  stand  es  gegen  den  Rand  der  Schale,  um  daselbst 
in  rechtem  Winkel  zur  Umrandung  zu  enden.  Die  Krüm- 
mung der  Curven  ist  daher  unmittelbar  neben  den  Electroden  am 
stärksten  und  nimmt  bis  zu  der  in  gerader  Richtung  verlaufenden 
mittelsten  Linie  allmähch  ab.  Beide  Grenzlinien  der  drei  Felder 
jedes  Eies  entsprechen  dieser  Schilderung;  es  sind  also  beide  blos 
gegen  die  nächste  Electrode  concav;  nur  an  den  in  der  recht- 
winkelig zur  Stromrichtung  orientirten  Mittellinie  der  Schale  liegen- 
den Eiern  ist  jede  von  beiden  Grenzlinien  gegen  eine  andere  Elec- 
trode concav.  [32]  Auch  stehen  nur  an  den  durch  diese  Mittellinie 
halbirten  Eiern  und   an    den    in    der    geraden   Verbindungslinie    der 


550      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Electroden  sich  befindenden  Eiern  die  Grenzlinien  symmetrisch  zu 
einem  Eimeridian,  wenngleich  dies  der  flüchtigen  Betrachtung  an 
vielen  Stellen  so  scheinen  mag.  Bei  genauer  Betrachtung  der  für  diese 
Unterscheidung  charakteristischen  Stellen  an  vollkommen  normalen 
Eiern  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass  die  Richtung  dieser  Linien 
ihrem  Wesen  nach  nicht  zu  einer  im  Ei  selber  gelegenen  Linie 
typisch  bestimmt  ist,  sondern  dass  die  Bestimmung  von  aussen  her, 
in  je  nach  der  zufälligen  Lage  der  Eier  zu  den  Electroden  und  zur 
Gesammtform  des  electrischen  Eeldes  verschiedener  Weise  getroffen 
wird.  Desgleichen  hängt  auch  der  Abstand  dieser  Grenzlinien  wesent- 
Hch  von  den  genannten  äusseren  Umständen  ab  (mit  der  Einschrän- 
kung, dass  bei  grösseren  Eiern  sie  vielleicht  ceteris  paribus  weiter 
von  einander  entfernt  sind,  worüber  ich  in  Ermangelung  von  Riesen- 
eiern noch  keine  Beobachtungen  machen  konnte). 

Ich  halte  die  durch  diese  Grenzlinien  markirten  Flächen  für 
Potentialniveauflächen,  also  für  äquipotentiale  Flächen  des 
ganzen  electrischen  Feldes. 

In  der  Ueberzeugung,  dass  meine  Vorstellung  von  der  Gestalt 
der  äquipotentialen  Flächen  die  zutreffende  ist,  will  ich  die  erwähnten 
Grenzlinien  des  durchströmten  Froscheies  weiterhin  als  „Niveauringe" 
bezeichnen;  doch  will  ich  die  Möglichkeit  nicht  als  ausgeschlossen 
hinstellen,  dass  die  Physiker  bei  genauerem  Vergleiche  kleine  typi- 
sche Abweichungen  obiger  Niveauringe  von  den  von  ihnen  berech- 
neten Niveaulinien  ermitteln  werden;  Abweichungen,  die  aber  dann 
wohl  nur  durch  secundäre  Momente  bedingt  sind  und  den  Haupt- 
charakter unserer  Niveauringe  als  äquipotentialer  Linien  nicht  alteriren 
werden. 

An  manchen  Eiern,  an  denen  die  Polfelder  sehr  grobkörnig 
wurden,  war  die  Grenze  letzterer  auch  nicht  continuirlich  gerichtet, 
sondern  gezackt,  und  die  Gesammtkrümmung  der  Grenzlinien  ent- 
sprach dann  auch  nicht  vollkommen  dem  Durchschnitt  von  Niveau- 
flächen des  electrischen  Feldes  durch  die  Eioberflächen.  Diese  im 
Anfange  der  Versuche  an  den  [33]  frischen  Eiern  nicht  vorgekommenen 
Fälle  halte  ich  indess  für  abnorm,    für  bedingt  durch   die  künstliche 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  551 

Verzögerung  der  Laichuiig,  wobei  auch  schon  am  normalen  Furchung s- 
schema  viele  Abweichungen  vorkommen. 

Noch  charakteristischer  als  bei  der  letzterwähnten  Versuchsan- 
ordnung, noch  evidenter  nur  äquipotentialen  Flächen  entsprechend, 
werden  die  durch  die  Niveauringe  gebildeten  Curven,  wenn  man  die 
Electroden  nicht  an  den  Rand,  sondern  entfernt  vom  Rande 
der  runden  Schale  und  auf  die  Fläche  der  Froschlaichlage 
aufsetzt.  An  den  Eiern,  welche  alsdann  von  oben  aus  durchströmt 
werden,  liegen  die  beiden  Niveauringe  fast  wag  recht,  während 
sie  an  den  wagrecht  durchströmten  entfernteren  Eiern  senkrecht  stehen. 
Es  ist  vollkommen  deutlich,  dass  die  durch  die  beiden  Niveau- 
ringe markirten  Flächen  rechtwinkelig  zu  den  Stromlinien 
stehen.     (Vergl.  Fig.  2,  Taf.  X  nebst  der  Figurenerklärung.) 

An  den  bei  dieser  letzteren  Anordnung  seitlich  im  Stromfeld 
befindlichen  Eiern  entstehen  im  Bereiche  des,  bei  ihnen  brei- 
teren Aequatorgürtels  häufig  nachträglich,  im  Laufe  von  Stunden 
oder  Tagen  vielfache  Zersetzungen,  grössere  weisse  und  schwarze 
Flecken,  sowie  auch  intensiv  sch'Warze  Puncte  von  zum  Theil  regel- 
mässiger, sternförmiger  Anordnung,  während  im  Bereiche  der  Pol- 
felder nach  der  Durchströmung  keine  nachträglichen  Veränderungen 
zu  erkennen  sind. 

Wenn  man  Eier,  die  schon  längere  Zeit  durchströmt  worden 
sind,  nachträglich  in  anderer  Richtung,  z.  B.  rechtwinkelig  zur  früheren 
Richtung  durchströmt,  so  findet  keine  neue,  dieser  Stromrichtung  ent- 
sprechende Ringbildung,  überhaupt  keine  äusserlich  erkennbare  Aende- 
rung  des  zuerst  erzeugten  Bildes  statt  (s.  Nr.  25,  S.  41). 

Wird  dagegen  die  wagrecht  stehende  Schale  mit  den  Eiern 
während  der  Durchströmung  continuirlich  gegen  die  am  Rand  ein- 
tauchenden feststehenden  Electroden  gedreht,  so  entsteht  statt 
der  beidenPolf  eider  ein  ,,Polgürter'  und  statt  des  Aequator- 
gürtels ein  oberes  und  ein  unteres  rundes  Feld.  Werden 
die  Eier  während  der  Durchströmung  auch  noch  aus  der  wagrechten 
Ebene  gebracht,  z.  B.  in  einer  hohen  mit  Wasser  gefüllten  Schale 
zwischen  den  Electroden  nach  allen  Richtungen  in   ihrer  Lage   ver- 


552      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

ändert,  so  tritt  keine  Sonderung  in  abgegrenzte  Felder 
mehr  auf. 

[34]  Schwimmen  die  Eier  in  einer  FKissigkeit  von  geeignet 
hohem  specifischen  Gewicht  (Wasserglas  oder  Lösung  von  Gummi 
arabicum),  so  behalten  dieselben  während  der  Durchströmung  ihre 
vorher  eingenommene  zufällige  Anordnung  bei  und  drehen  sich  auch 
nicht  um  eine  Axe ;  desgleichen  tritt  auch  nach  der  Bildung  der  Pol- 
felder während  der  weiteren  Durchströmung  sowie  nach  dem  Auf- 
hören derselben  eine  Aenderung  der  Anordnung  ohne  äusseres  Zu- 
thun  nicht  ein.  Werden  die  mit  Polfeldern  versehenen  schwim- 
menden Eier  gegeneinander  verschoben,  oder  um  ihre  verticaleu 
Axen  verdreht,  so  behalten  sie  die  ihnen  gegebene  Anord- 
nung bei,  selbst  wenn  auf's  Neue  ein  Strom  durch  die  Schale  ge- 
leitet wird. 

Unbefruchtete  aber  reife,  der  Gebärmutter  entnommene,  in 
Wasser  gequollene  Eier  reagiren  in  ähnlicher  Weise  auf  den 
Wechselstrom.  Auch  hier  entstehen  zwei  Niveauriuge  an  jedem  Ei; 
die  Polfelder  werden  hell  und  netzförmig  gezeichnet.  Doch  sind  in 
der  Beschaffenheit  der  Oberfläche  kleine  Unterschiede  vorhanden  und 
die  Reaction  geht  viel  langsamer  vor  sich. 

An  mechanisch,  durch  Drücken  mit  den  Fingern  oder  durch 
Pressen  zwischen  Glasplatten  insultirten  und  de formirten  Eiern 
entstehen  zum  Theil  keine,  zum  Theil  mit  ihren  Niveauringen  von 
dem  gewohnten  Anblick  abweichende  Stellungen  einnehmende 
Polfelder.  Von  besonderem  Interesse  ist  bei  diesem  Verfahren  das 
Verhalten  der  entstandenen  Dotterhernien,  der  Extraovate. 

Der  Reife  nahe,  aber  noch  unreife  Eier  aus  der  Bauchhöhle 
und  vom  Eierstock  standen  mir  noch  nicht  zur  Verfügung.  Kleine 
unreife  Eierstockeier  für  das  nächste  Jahr  zeigten  keine  Reaction 
auf  den  Wechselstrom,  auch  wenn  sie  schon  eine  schwarze  und  weisse 
•  Hemisphäre  ausgebildet  hatten  (s.  Nr.  25,  S.  39). 

Geschieht  die  Durchströmung  nach  der  Anlage  oder  Vollendung 
der  ersten  Furche,  also  während  der  ersten  Theilung  des  Eies,  so 
findet  gleichwohl  die  Scheidung  in  die  beiden  Polfelder  und  den 
Aequatorgürtel  statt.    Doch  ist  das  Bild  nur  dann  dem  früheren,  am 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  553 


noch  uDgetheilten  Eie  gewonnenen,  wesentlich  gleich,  wenn  die  erste 
Furche  zufällig  ganz  oder  annähernd  rechtwinkelig  oder  ganz  parallel 
zu  den  Nivauflächen  steht.  Weicht  die  erste  Furche  dagegen  etwa 
10—45"  von  der  Richtung  der  gedachten  Niveauflächen  des  ganzen 
Eies  ab,  dann  erfährt  [35]  der  jeder  von  beiden  Zellen  zukommende 
Antheil  am  Aequatorgürtel  eine  deutliche  Verwerfung  gegen  das 
Aequatorstück  der  anderen  Zelle;  auch  sind  die  der  Thei- 
lungsfurche  des  Eies  anliegenden  Theile  des  Aequators 
stark  von  der  Richtung  der  Niveaulinien  des  homogen  ge- 
dachten electrischen  Feldes  abgelenkt;  s.  Taf.  VIII,  Fig.  7 u.  Nr.  25,  S.69. 

Nach  der  Entstehung  der  zweiten  Furche  wird  das  Bild 
dieser  Verwerfungen  oft  noch  etwas  complicirter ;  doch  ist  auch  hier 
die  Bildung  zw^eier  Polfelder  am  Eie  und  einer  Aequatorialzone  voll- 
kommen deutlich. 

War  das  Ei  zur  Zeit  der  Durchströmung  schon  in  mehr  Zellen 
zerlegt,  also  im  Morula  Stadium  befindlich,  so  entstand  wieder  ein 
continuirlicher,  durch  zwei  Niveauringe  begrenzter  Aequatorialgürtel ; 
aber  ausserdem  traten,  diesem  letzteren  ziemlich  parallel,  auf  den 
Polfeldern  jederseits  2—3  helle  Ringe  auf,  die  anscheinend 
durch  Austritt  von  Dottersubstauz  aus  den  den  Niveauflächen  an- 
nähernd parallelen  normalen  Furchen  (Zellgrenzen)  entstehen,  aber 
zum  Theil  wohl  auch  durch  weisse  Verfärbung  der  Oberfläche  (im 
Bereiche  der  unteren  Hemisphäre  des  Eies)  bedingt  sind,  worüber 
erst  die  microscopische  Untersuchung  genaueren  Aufschluss  geben 
kann.  Die  in  noch  kleinere  Zellen  zerlegte  Blastula  liess  ausser  den 
beiden  Niveauringen  noch  mehr  solcher  secundärer  Parallel- 
kreise hervorgehen,  deren  Zahl  wiederum  der  Zahl  der 
vorhandenen  Zellreihen  entsprach  (s.  Nr.  25,  S.  69  u.  f.). 

Im  Stadium  der  Gastrula  traten  kaum  noch  äusserlich  sicht- 
bare polare  Veränderungen  auf. 

Alle  durch  den  Strom  in  der  geschilderten  Weise  alterirten  Eier 
entwickelten  sich  nicht  weiter;  auch  drehten  sich  dieselben  nach  Auf- 
wärtswenduug  des  Bodens  der  Schale,  an  welchem  die  Eihüllen  an- 
haften, selbst  im  Verlauf  von  24  Stunden  nicht  wieder  mit  der  hellen 
Seite  nach    unten,   wie    dies  befruchtete    Eier   in    wenigen  Minuten, 


554      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

unbefruchtetein  2 — 3  Stunden  thun.  Das  Ausbleiben  letzterer  Erschei- 
nung beruht  jedoch  nicht  auf  Vermengung  der  Eisubstanzen  ungleichen 
specifischen  Gewichtes  (des  Nahrungs-  und  des  Bildungsdotters),  son- 
dern nur  auf  Befestigung  des  Eies  gegen  die  Gallerthülle;  denn  mit 
dieser  Hülle  herausgenommene  Eier  nahmen,  wenn  man  sie  in  Wasser- 
glas schwimmen  liess,  rasch  die  normale  Stellung  mit  dem  hellen 
Theile  nach  unten  wieder  ein. 

[36]  Am  Dotter  eines  gelegten  Hühnereies,  sowde  an  den  Eier- 
stockseiern zweier  Tauben  konnte  ich,  nach  Anwendung  des  mir  zur 
Verfügung  stehenden  Stromes  bei  äusserer  Besichtigung  keine  denen 
der  Froscheier  entsprechenden  Veränderungen  wahrnehmen. 

2.  Polarisireiide  AVirkung  des  „(xleichstromes*«  auf  Froscheier. 

Die  Kunstmühlenbesitzer  Herren  Gebrüder  Rauch  in  Mühlau 
gestatteten  mir  am  8.  April  freundlichst  die  Benutzung  des  mit  der 
kleineren  ihrer  Dynamomaschinen  unter  einer  Tourenzahl  von  1200 
per  Minute  erzeugten  Gleichstromes  von  43  Volt  Spannung;  ich 
verwendete  von  demselben  nur  eine  schwache  Stromschleife.  Um 
möglichst  verschiedene  Stromdichten  zugleich  zu  prüfen,  setzte  ich 
die  Electroden  einander  nahe  im  ßinnenraume  des  runden  Strom- 
feldes auf. 

Bei  diesem  Strom  zeigte  sich  eine  Verschiedenheit  der  von  beiden 
Electroden  ausgehenden  Wirkungen  zunächst  schon  an  der  Gallert- 
hülle. Während  beim  Wechselstrom  die  Gallerthülle  un- 
verändertblieb, entstand  hier  um  die  durch  stärkere  Gasent Wicke- 
lung ausgezeichnete,  also  negative  Electrode  zunächst  eine  Auf- 
hellung der  Gallerthüllen,  der  später  beim  Kochen  eine  opak- 
weis se  Trübung  folgte;  in  der  Umgebung  der  Anode  dagegen 
entstand  ein  bläulich  hyaliner  Schimmer  in  der  ihr  zugewende- 
ten Substanz  der  Gallerthüllen,  der  sich  nach  dem  Kochen  noch  erhielt. 

An  reifen  u n h efr u chteten  Eiern  entwickelte  sich  in  weiter, 
die  quere  Mittellinie  des  electrischen  Feldes  überschreitender  Um- 
gebung der  positiven  Electrode  an  den  Eiern  blos  ein  grosses 
grau  verfärbtes,    des  Anode  zugewendetes    und    demnach    der  Kürze 


Polarisirende  Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Froscheier.  555 

halber  als  auodisclies  oder  positives  zu  bezeichnendes  Pol  fei  d 
mit  einer  deutlichen  Niveauringfurche  als  Grenze.  An  den 
weiter  gegen  die  negative  Electrode  hin  gelegenen  Eiern  trat  danach 
eine  kathodenwärts  liegende  Niveauringlinie  hinzu  als 
einzige  Marke  der  Scheidung  auf  dieser  Seite  des  Eies ;  und  b  1  o  s  die 
der  Kathode  nächsten  zwei  Reihen  Eier  hatten  ein  verfärbtes, 
aber  grosses  kathodisch  gelegenes  Polfeld  unter  Fehlen 
eines  anodischen.  Die  seitlich  im  Stromfeld  liegenden  Eier 
boten  vielfach  zwei  schwach  verfärbte  Polfelder  und  zwischen 
ihnen  einen  unverfärbten  Aequatorgürtel  dar ;  aber  an  manchen  Eiern 
fand  sich  nur  anodenwärts  ein  verfärbtes  Polfeld,  kathodenwärts  da- 
gegen wieder  blos  eine  Niveauringlinie.  Die  Richtungen  und  [37] 
Krümmungen  der  Niveauringe  entsprachen  wieder  durchaus  der  ihnen 
gegebenen  Bezeichnung. 

An  befruchteten,  zwischen  den  Electroden  gelegenen  Eiern 
zeigten  sich  nach  kurz  dauernder  Durchströmung  zwei  Niveauringe 
von  deutlicher  Schärfe;  das  anodische  Polfeld  war  gross  und  nur 
wenig  verfärbt;  das  kathodische  zeigte  sich  an  manchen  Eiern  etwas 
verfärbt,  an  anderen  gleich  dem  Aequatorgürtel  unverf ärbt,  und  war  i  n 
derStromrichtung  verlängert  und  in  verticaleLängsfalten  ge- 
bogen. Im  seitlichen  Theile  des  Stromgebietes  war  im  Bereiche  des 
Aequatorgürtels  der  Eier  nach  einigen  Stunden  vielfache  Zersetzung,  wie 
oben  beim  Wechselstrom  beschrieben,  wahrnehmbar.  Weit  seitlich  und 
nach  hinten  von  den  Electroden  waren  die  Eier  unverändert  und 
theilten  sich  später  normal.  Am  Uebergang  zwischen  beiden  letzt- 
genannten Abschnitten  fanden  sich  Eier  mit  zwei  sehr  kleinen 
verfärbten  Polfeldern;  an  diesen  Eiern  bildete  sich  später 
im  breiten  Aequatorgürtel  die  typische  erste  Furche  und 
stand  auffallend  häufig  in  Richtung  der  mittleren  Ver- 
hindungslinie  heider  Pole. 

Es  ergab  sich  also  ein  deutliches  Ueberwiegen  der  Wirkung 
dieses  Gleichstromes  auf  der  anodischen  Seite  der  Eier,  im 
Uebrigen  aber  doch  eine  doppelseitige,  wenn  auch  schwächere  Wir- 
kung als  beim  Wechselstrom.  Bei  dem  Versuch  an  unbefruchteten 
Eiern  zeigte  sich  deutlich  eine  Abnahme  der  anodischen  und  katho- 


556      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

dischen  Wirkung  mit  dem  Abstände  der  Eier  von  der  gleichnamigen 
Electrode. 

3.  Wirkt  der  „AVechselstrom"  auf  die  Riclituiig-  der  ersten  Theiluiig- 

des  Frosclieies? 

Von  Bedeutung  war  mir  die  Wahrnehmung,  dass  bei  dieser 
hohen  Spannung  von  43  Volt  die  seitlich  gelegenen  Eier  schon  keine 
Polfelder  mehr  bildeten,  dass  ich  also  schon  an  der  unteren  Grenze 
dieser  Wirksamkeit  angelangt  war.  Ich  suchte  daher,  unter  Einschal- 
tung eines  grossen  Widerstandes,  auch  mit  dem  höher  gespannten 
Strom  meiner  Anstalt  diese  Grenze  und  versuchte,  die  Eier  mit 
dem  stärksten,  nicht  mehr  deletär  wirkenden  Strom  zu  be- 
einflussen. Dadurch  wurde  möglich,  endgiltig  zu  prüfen,  oh  der 
Wechselstrom  eine  Wirl'ung  auf  die  Bichfung  der  ersten 
Theilnng  des  Eies  ausüht,  welche,  wie  ich  (Nr.  16)  und  bald 
[38]  darauf  Pflüger^)  festgestellt  haben,  die  Medianebene  des  Frosch- 
embryo  darstellt,  so  dass  sie  also  das  Eimaterial  qualitativ  und  quan- 
titativ halbiren  muss  und  daher  meiner  Meinung  nach  eher  auf  den 
Wechselstrom  reagiren  könnte,  als  auf  den  Gleichstrom,  der  sich  mehr 
für  die  zweite,  nach  meinen  Beobachtungen  köpf-  und  schwanzwärts  son- 
dernde Theilung  zu  qualificiren  scheint.  Damit  war  ich  zum  Ausgangs- 
problem der  vorstehend  mitgetheilten  Versuche  zurückgelangt.  Dahin 
fülirte  auch  die  der  vorigen  Seite  erwähnte  Beobachtung,  dass  an  Eiern 
mit  zwei  sehr  kleinen  Polfeldern  die  erste  Furche  auffallend 
häufig  in  der  mittleren  Verbindungslinie  beider  Polfelder 
lag.  Durch  Aspiration  von  Eiern  in  enge  Glasröhren  (wodurch  die 
Eier  verlängert  werden)  und  darauf  folgende  Durchströmung  längs 
der  Röhre  hätte  sich  sogleich  entscheiden  lassen,  ob  diese  Richtung 
der  Furche  als  besondere  Wirkung  des  Stromes  oder  blos  der  Ver- 
kleinerung des  Eies  in  eben  dieser  Richtung  durch  Wegfall  der 
an  den  Polen  befindlichen,  veränderten  Substanz  bedingt  sei;  denn 
Pflüger  und  ich  haben  experimentell  nachgewiesen,  dass  die  ersten 


1)  E.  PflL'ger,  Ueber  den  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen. 
Pkllger's  Arch.  f.  Physiologie  1883.  Bd.  XXXI. 


Wirkt  der  Wechselstrom  auf  die  Richtung  der  ersten  Theilung  etc.         557 

Tlieilungeu  des  Froscheies  gewöhnlich  in  den  kleinsten  Richtungen 
des  Zellleibes  erfolgen  (s.  S.  303). 

Da  jedoch  schon  bei  den  Versuchen  des  8.  April  an  den  Probe- 
eiern Zeichen  von  der  entwickelungsstörenden  Wirkung  der  künstlich 
verzögerten  Laichung  aufgetreten  waren,  sah  ich  mich  veranlasst,  eine 
dieser  beiden  Fragen  zu  bevorzugen,  um  wenigstens  noch  eine  Frage 
erledigen  zu  können,  und   wählte   die   erstere,    principiell   wichtigere. 

Ich  schwächte  den  Wechselstrom  von  über  20  Ampere  Stärke 
und  100  Volt  Spannung  in  Ermanglung  eines  Rheostaten  durch  den 
Widerstand  einer  halbprocentigen  Kochsalzlösung  in  einem  Glasrohre 
von  81  cm  Länge  und  7  mm  Durchmesser  so  stark  ab,  dass  nach 
Aufsetzung  der  Electroden  nahe  der  Mitte  der  7—9  cm  im  Durch- 
messer haltenden  Schalen  nur  die  den  Electroden  nächsten  Eier  Pol- 
felder bildeten.  Mit  diesem  Wechselstrom  wurden  nun  Eier  in  ver- 
schiedenen Phasen,  nämlich  während  der  Copulation  der  beiden 
Geschlechtskerne,  während  der  Existenz  des  Furchungskernes 
und  während  der  [39]  Theilung  des  letzteren  durchströmt. 

Als  die  erste  Furche  aufgetreten  war,  zeigte  sich,  das  die 
Richtungen  dieser  Furchen  an  den  etwa  200 — 250  Eiern  einer 
Schale  keine  Beziehung  zu  den  Niveauflächen  oder  Kraftlinien 
erkennen  Hessen.  Zu  einem  vollen  Resultat  fehlt  jedoch  noch  die 
Prüfung  an  einem  maximalen  ertragenen  Gleichstrom  (s.  Nr.  25,  S.  52). 

Schliesslich  wiederholte  ich  auch  den  schon  vor  sechs  Jahren 
mit  einem  schwachen  Gleichstrom  erfolglos  angestellten  Versuch  der 
Um  Strömung  der  Eier  jetzt  mit  dem  Wechselstrom.  Es  wurden 
frisch  befruchtete  Eier  in  eben  noch  so  weite  Glasröhren  aspirirt, 
dass  sie  keine  Pressung  in  denselben  erlitten,  und  darauf  bei  wag- 
rechter Lage  der  Röhre  mit  dem  zur  Vermeidung  zu  hoher  Erwär- 
mung durch  eine  eingeschaltete  Schale  von  schwacher  Kochsalzlösung 
genügend  abgeschwächten  Wechselstrom  stundenlang  in  dicht,  aber 
blos  in  einer  Lage  um  die  Röhre  gewundenen  Spiraltouren  um- 
strömt. Jedoch  auch  bei  dieser  Versuchsanordnung  war 
keine  richtende  Wirkung  des  Stromes  auf  die  erste 
Theilung  des  Eies,  also  keine  Wirkung  einer  dynami- 
schen Induction  zu  erkennen;  die   erste   Furche   der  verschie- 


558      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

denen  Eier  stand  weder  durchweg  quer  zum  Solenoid  oder  längs  des- 
selben oder  wagrecht,  sondern,  wie  sonst  bei  zwangloser  Aufsetzung 
der  Eier,  allenthalben  senkrecht,  aber  in  den  verschiedensten  Rich- 
tungen. [Der  Wechselstrom  vermag  somit  als  solcher, 
weder  bei  Durch  Strömung  noch  bei  Umströmung  der 
Eier  eine  richtende  Wirkung  auf  die  Eitheilung  aus- 
zuüben.]    (Weiteres  siehe  Seite  63). 


IL  Abschnitt^). 

1.  Weitere  polarisirende  Wirkung-  des  „Wechselstromes"  auf 
Froscheier  und  -Embryonen. 

Zunächst  habe  ich  zu  erwähnen,  dass  es  mir  durch  eine  zur 
Verstärkung  der  Stromwirkung  führende  Aenderung  der  Versuchs- 
anordnung gelungen  ist,  auch  an  noch  im  Eierstock  befind- 
lichen Froscheiern  Veränderungen  hervorzurufen,  die  den 
an  unbefruchteten  Uteruseiern  mit  dem  Wechselstrom  gewonnenen 
zum  Theil  entsprechen. 

An  dotterkörnerhaltigen  Eierstockseiern,  welche  mehrere 
Stunden  in  Wasser  gelegen  hatten,  entstanden  unter  nur  sehr  geringer 
Verfärbung  der  Polfelder  zwei  deutliche  Niveauringfurchen, 
welche  wie  mit  einer  Nadel  eingeritzt  erschienen.  Bei  den  Eiern  von 
erst  der  halben  Grösse  reifer  Eier,  war  der  von  diesen  Niveaufur- 
ch e  n  begrenzte  A  e  q  u  a  t  o  r  g  ü  r  t  e  1  nicht  nur  [40]  relativ,  sondern 
auch  absolut  breiter,  als  bei  den  daneben  befindlichen  fast  reifen, 
grösseren  Eiern. 

Danach  gelang  es  mir  auch  an  frischen  Eierstöcken,  welche  nicht 
in  Wasser  gelegen  hatten,  aber  in  Wasser  durchströmt  wurden,  feine 
Niveaufurchen  nach  der  Durchströmung  an  den  Eiern  wahrzunehmen ; 
doch  sind  sie  in  Folge  des  Mangels  jeder  Verfärbung  schwer  zu  sehen. 

Die  Substanz  ausgewachsener,  in  V2  "^/o  Kochsalzlösung  zer- 
quetschter und  zerschnittener  Eierstockseier  liess  andern  so  ge- 
wonnenen Saft  weder  bei  Verwendung  des  schwachen,  noch  des  starken 


1)  Vergl.  die  Anmerkung  2  am  Beginne  des  ersten  Theiles. 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier.  559 


Wechselstromes  eine  besondere  Wirkung  des  Stromes  oder  eine  be- 
sondere Reaction  der  Substanz  erkennen. 

AVenn  der  geschlossene  Uterus  mit  seinen  eingeschlossenen 
Eiern  direet  durchströmt  worden  war,  konnte  ich  keine  Bildung 
von  Polfeldern  wahrnehmen,  auch  nicht,  wenn  die  Eier  nach  der 
Durchströmung  in  Wasser  gelegt  worden  waren.  Bei  Lagerung  von 
Eiballen  zwischen  zwei  Stücke  gequollenen  Laiches  wurden  dagegen 
durch  Punctirung  auf  der  hellen  Hälfte  des  Eies  zwei  Polfelder  markirt, 
die  einen  mit  helleren  Rändern  versehenen  Aequatorgürtel  begrenzten. 
Wurden  die  trockenen  Uteruseier  jedoch  einzeln  zwischen  die  ge- 
quollene, aber  durch  Fliesspapier  abgetrocknete  Gallerthülle  anderer 
Eier  gelegt,  so  zeigten  sich  beim  Durchströmen  schon  nach  vier  Mi- 
nuten deutliche  Niveauringe.  Während  dieser  Zeit  aber  waren  die 
Gallerthüllen  der  trockenen  Eier  schon  deutlich  erkennbar  gequollen. 
Also  ein  gewisses  Minimum  von  Wasser  ist  für  die  beschrie- 
bene Reaction  nöthig. 

Unbefruchte  Eier,  welche  aus  dem  Uterus  in  vier-  und  mehr- 
procentige  Kochsalzlösung  gelegt  worden  w^aren,  und  eine  Stunde 
darin  verweilt  hatten,  gaben  selbst  bei  sieben  Minuten  dauernder 
Durchströmung  nicht  die  specifische  Reaction;  gleiche  Eier  in 
2°/o  Lösung  Hessen  erst  spät  zwei  den  Niveauringen  entsprechende 
Reihen  von  Puncten  wahrnehmen;  auch  sogleich  in  l^jo  Kochsalzlö- 
sung übertragene  Eier  reagirten  noch  trag.  Eier,  w^elche  1 V*  Stunde 
in  4*^/0  Kochsalzlösung  verweilt  hatten,  darauf  in  Wasser  übertragen 
worden  waren  und  nach  1 — 15  Stunden  fünf  Minuten  lang  durch- 
strömt wurden,  zeigten  keine  Reaction. 

[41]  Dagegen  bildeten  Eier  mit  in  Wasser  gequollenen 
Gallerthüllen,  wenn  sie  in  gesättigte  Kochsalzlösung  oder 
dergleichen  Borsäure-,  Boraxlösung  versetzt  und  sogleich  darin  durch- 
strömt wurden,  schön  die  Polfelder  und  Niveauringe. 

Im  Anfang  durchströmte  ich  die  Eier  viel  länger  als  mierläss- 
lich  nöthig  war,  um  die  Polfelder-  und  Niveaulinienbildung  hervor- 
zurufen, weil  die  Reaction  auf  der  schwarzen,  oberen  Eihälfte  bei 
Rana  fusca  viel  später  sichtbar  wird,  als  auf  der  hellen  Unterseite 
des  Eies.    Aus  dieser  Zeit  stammt  auch  der  im  ersten  Abschnitt  mit- 


560      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

getheilte  Versuch  (s.  S.  551),  in  welchem  die  zweite,  in  anderer  Rich- 
tung als  die  erste  bewirkte  Durchströmung  ohne  sichtbaren  Erfolg 
blieb,  weil  die  Reactionsfähigkeit  der  Eier  schon  erschöpft  war.  Wenn 
man  dagegen  die  erste  Durchströmung  nur  während  des  Minimums 
der  zur  Bildung  der  Niveaulinien  aj.if  der  Unterseite  nöthigen  Zeit 
oder  Weniges  darüber  durchströmt  und  darauf  die  Stromrichtung 
ändert,  entstehen  zu  den  schon  vorhandenen,  neue  dieser  Rich- 
tung entsprechende  Niveaulinien  und  Polfelder.  Durch- 
strömt man  zuerst  mit  schwachem  Strom  bis  zur  Bildung  der  Niveau- 
linien, darauf  mit  starkem  Strom  in  der  gleichen  Richtung  wie  früher, 
so  wird  der  vorher  breite  Aequator  verschmälert,  indem 
zugleich  zwei  weisse  Bänder  auf  Kosten  des  früheren  Aequators  ent- 
stehen. Verwendet  man  zuerst  den  starken  und  danach  den  schwachen 
Strom  in  zur  früheren  gekreuzter  Richtung,  so  kann  man  bei  geeignetem 
Verhältniss  in  der  Zeitdauer  beider  Wirkungen  noch  einen  zweiten 
Effect  hervorbringen. 

Bei  sehr  geschwächtem  Strom  (durch  Einschalten  einer 
Wassersäule  von  129  cm  Länge  und  7  mm  Durchmesser)  ist  nach 
5  Minuten  noch  keine  Wirkung  an  den  befruchteten  Eiern  erkennbar; 
selbst  bei  Ersetzung  des  Wassers  durch  V4°/o  Kochsalzlösung  war 
nach  11  Minuten  unten  blos  ein  leicht  gedunkelter  Aequatorgürtel 
mit  helleren  Rändern,  oben  keine  Aenderung  zu  sehen.  Nach  Ver- 
kürzung dieser  Röhre  auf  81  cm  dagegen  entstanden  minimale, 
bei  Rana  fusca  nur  aus  einem  oder  wenigen  Flecken,  bei  Rana  es- 
culenta  deutlich  aus  kleinen  Extr  ao  v  at  e  n^)  (s.  S.  155)  be- 
stehende Pol f eider  und  zwar  nur  [42]  an  den  in  der  Nähe  der 
Electroden  befindlichen  Eiern ;  manchmal  fand  sich  nach  der  näheren 
Electrode  zu  ein  etwas  grösseres,  nach  der  entfernteren  Elec- 
trode   ein  kleineres  Polfeld  oder  auf  letzterer  Seite  gar  keines. 

Bei  der  gewöhnlich  verwendeten,  reichlich  starken  Anordnung 
dagegen  bieten  sich  beide  Polfelder  jedes  Eies  beim  Wechselstrom 
für  die  einfache  Besichtigung  gleich  gross  dar.  Nicht  selten  jedoch 
glaubt  man  an  einem  Eie,  bei  Besichtigung  der  noch  in  ihrer  Hülle 
und  in  der  Glasschale  befindlichen  Eier  mit  der  Loupe,  deutlich  eine 
grosse  Differenz  der  Polfelder  wahrzunehmen;  nach  der  Ausschälung 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier  etc.      561 

jedoch  ist  meist  kein  oder  nur  ein  geringer  Grössenunterscliied  vor- 
handen, der  auf  Ungleichmässigkeit  in  der  Suhstanz  der  Hälften  des 
betreffenden  Eies  beruhen  muss,  wenn,  wie  gewöhnhch  bei  gleich- 
massiger  Anordnung  der  Eier,  die  Eier  der  Umgebung  solche  Unter- 
schiede nicht  darbieten. 

Bei  nicht  gleichmässiger  Vertheilung  der  Eier  in  der 
Schale,  beim  Vorhandensein  von  Lücken  oder  Brücken  im  Eistratum 
wird  die  Breite  der  Aequatorgürtel  neben  einander  liegender  Eier 
manchmal  erheblich  verschieden,  und  die  oft  stark  divergir enden 
Richtungen  der  beiden  den  Aequator  begrenzenden  Niveau  ringe 
entsprechen  natürlich  nicht  mehr  den  Richtungen  der  Niveaulinien 
eines  homogenen  d.  h.  gleichleitenden,  die  ganze  Glasschale 
einnehmenden  electrischen  Feldes. 

Kurzdauernde  Einwirkung  des  Stromes  auf  befruchtete 
Eier  bildet  blos  die  Polfelder  ohne  Niveauringe  aus.  Selbst  bei 
wenig  längerer  Durchströmung  kommt  es  vor,  dass  erst  nach  der 
Unterbrechung  des  Stromes  die  besondere  Färbung  und  manch- 
mal doppelte  Contourirung  der  Niveauringe  entsteht. 

Bei  längerer  Dauer  der  Einwirkung  eines  starken  Stromes 
dagegen  steigern  sich  die  Veränderungen  eine  Zeit  lang;  es  treten 
grössere  Flecken  auf,  und  selbst  auf  der  oberen  schwarzen  Hemisphäre 
entstehen  grosse,  weisse  Flecken  (Extraovate) ,  die  von  den  Niveau- 
linien sich  auf  das  Gebiet  des  Aequatorgürtels  überlagern  können. 

Die  Grösse  der  Polfelder  hängt  auch  an  reifen,  befruchte- 
ten und  unbefruchteten  Eiern  ceteris  paribus  von  der  Qualität 
der  Eisubstanz  ab;  dies  macht  sich  am  Ende  der  [43]  Laichperiode, 
wo  die  Eier  schon  etwas  gelitten  haben,  besonders  bemerkbar ;  indem 
in  denselben  Niveauflächen  neben  einander  liegende  Eier  gleicher 
Grösse  erhebliche,  unregelmässige  Ungleichheiten  in  der  Breite  des 
Aequatorgürtels  darbieten.  Diese  Verschiedenheiten  sind  jetzt  am 
Ende  der  Laichperiode  von  Rana  fusca  so  gross,  dass  sie  den  Ver- 
such, die  Wirkung  der  Grösse  der  Eier  auf  die  Grösse  der  Polfelder 
festzustellen,  erfolglos  machten,  indem  an  durch  einander  gesäten 
Eiern  verschiedener  (aber  blos  zwischen  1,8  bis  2,5  mm  wechselnder) 
Grösse  keine  constante  Verschiedenheit  sich  feststellen  liess. 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  ,  36 


562      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

An  zwischen  Glasplatten  zusammengepressten,  unbe- 
fruchteten Eiern  entstehen  auch  bei  erheblicher  Deformation  noch 
die  Polfelder;  aber  ihre  Ränder  bieten,  wie  im  ersten  Theil  bereits 
erwähnt,  von  den  normalen  Niveaucurven  eines  homogenen 
Feldes  mannigfach  ab  weichende  Richtungen  dar.  Bei  dem 
Pressen  platzt  das  Ei  oft  auf ;  an  den  so  entstandenen,  in  der  Gallert- 
hülle eingesclilossenen,  mit  dem  Eie  noch  zusammenhängenden  Ex. 
traovaten  konnte  ich  jedoch  keine  sichere  Polarisation  wahrnehmen, 
weder  eine  selbstständige,  vom  Eie  unabhängige,  noch  eine  mit  ihm 
in  Verbindung  stehende,  wie  sie  zu  erwarten  wäre,  wenn  die  Niveau- 
linien des  Eies  gerade  die  Richtung  auf  das  Extraovat  hin  hatten 
(s.  S.  589). 

Die  früher  mitgetheilten,  beim  Durchströmen  während  der  ersten 
oder  zweiten  Furchung  entstehenden  Verwerfungen  der  Theile 
des  Aequatorgürtels  gegen  einander  werden  um  so  geringer,  je 
stärker  der  Strom  ist. 

Auch  längere  Zeit  nach  der  Durchströmuug  der  Eier 
finden  noch  mannigfache  Veränderungen  in  den  Eiern  statt,  die  als 
Folgen  der  Durchströmung  aufzufassen  sind.  So  zersetzte  sich 
zumBeispiel  die  Substanz  der Aequatorscheiben  unter  Vacuoli- 
sirung  und  Fleckenbildung  in  einer  Weise,  wie  sie  auch  sonst,  aber 
nur  an  älteren  Eiern  vorkommt ;  bei  noch  jungen  Eiern  fand  sie  sich 
blos  an  den  mit  Polfeldern  versehenen  Eiern,  während  andere  Eier 
derselben  Schale,  die  am  Rande  der  Schale  standen  und  keine  Pol- 
felder gebildet  hatten,  drei  Tage  lang  ihr  normales  Aussehen  behielten. 
Die  Polfelder  selber  dagegen  erscheinen  weniger  veränderlich;  im 
Bereiche  der  geraden  Stromlinie  sind  sie  nach  der  Behandlung  der 
Eier  mit  starkem  [44]  Strome  ganz  unveränderlich,  also  wohl  todt; 
während,  wie  früher  mitgetheilt,  an  d e n  b r  e i  t e n  A e q u a  t o r g ü r t e  1  n 
in  derselben  Schale  seitlich  stehender  Eier  sogar  noch  die  erste 
Furchung  stattfand.  Die  Aequatorscheiben  stellen  also 
die  am  wenigsten  veränderte  Substanz  dar. 

Die  Fähigkeit  der  Eier  in  der  beschriebenen  Weise  auf  den 
Strom  zu  reagiren,  erhält  sich  an  den  aus  dem  Körper  ent- 
nommenen Eiern   ziemlich  lange.     So  boten  in   Wasser  versetzte, 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier  etc.       5ß3 


unbefruchtete  Eier  sie  noch  nach  l'/a  Tagen  dar.  Und  Eier  von  vor 
drei  bis  vier  Tagen  getödteten  und  mit  eröffnetem  Leibe  gelegenen 
Weibchen,  deren  Eier  zum  Theil  an  die  Uteruswandung  angetrocknet 
waren,  bildeten  noch  die  Niveauringe,  obgleich  die  zur  Probe  besamten 
aber  nicht  durchströmten  Eier  sich  nicht  furchten,  also  nicht  mehr 
entwickelungsfähig  waren. 

Dagegen  verlieren  die  Eier  durch  vier  Minuten  langes 
Einlegen  in  Wasser  von  45—4(3°  dies  Vermögen  auf  den 
Strom  zu  reagiren;  wohl  ein  Zeichen,  dass  gleichwohl  diese  Reaction 
an  Lebenseigenschaften  dieser  Eier  gebunden  ist. 

Die  während  der  vorstehend  mitgetheilten  Versuche  entwickelten 
Embryonen  gaben  Gelegenheit,  auch  an  weiteren  Entwickelungsstufen 
die  Wirkung  des  ^\^echselstromes  zu  studiren.  Es  zeigte  sich,  dass 
an  noch  in  ihrer  Gallerthülle  befindlichen  Froscliemhryonen,  sei  es 
mit  noch  oifenem  oder  mit  schon  geschlossenem  Medullarrohr ,  ja 
auch  sogar  an  schon  seit  seinigen  Tagen  ausgeschlüpften  freien  Em- 
bryonen der  Wechselstrom  scharf  abgegrenzte  veränderte  Pol- 
felder hervorbringt,  die  durch  einen  anscheinend  unveränderten 
Aequatorgürtel  getrennt  sind.  Doch  bleibt  bei  schon  ausgeschlüpften 
Embryonen  manchmal  die  scharfe  Begrenzung  der  Polfelder  gegen 
das  Aequatorfeld  aus.  Im  Bereiche  der  Polfelder  tritt  leichte  graue 
Verfärbung  auf,  die  anscheinend  auf  Rundung  der  Epithelzellen,  be- 
sonders der  farblosen,  und  auf  allmählichem  Abfall  derselben  beruht: 
eine  dem  Tode  des  Embryo  vorausgehende  Veränderung,  die  ich  als 
Framboisia  embryonalis  finalis  minor  bezeichnet  habe  (s.S.  151). 
Diese  Veränderung  setzt  sich  auch  nach  dem  Auf-  [45] 
hören  der  Durchströmung  noch  fort  unter  Verschärfung  der 
Abgrenzungslinien  der  Polfelder  gegen  den  unveränderten  Aequator- 
gürtel. Hat  man  bei  starker  Anordnung  zu  lange  durchströmt,  so 
greift  die  Framboisia  minor,  wie  sonst  beim  Absterben,  rasch  auf  den 
ganzen  Embryo  über,  und  man  übersieht  alsdann  leicht  die  zuerst 
vorhanden  gewesene  polare  Localisation  der  Veränderung. 

Werden  jüngst  ausgeschlüpfte  oder  durch  Scheerenschnitt  etwas 

vor  der  Zeit  zur  Welt  gebrachte  Embryonen  in  dicke  Lösung  von 

Gummi  arabicum  gethan  und  durchströmt,   so   sieht   man  an   den 

36* 


56i      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


den  Electroden  nächsten  Stellen  die  Zellen  sich  runden,  aber  nur 
wenige  abfallen;  eine  deutliche  Grenze  der  veränderten  Theile  gegen 
ein  unverändertes  mittleres  Feld  ist  jedoch  nicht  wahrnehmbar,  ob- 
gleich gieichalterige  Embryonen  derselben  Abkunft,  zur  Probe  in 
Wasser  durchströmt,  ein  scharf  begrenztes  Aequatorfeld  darbieten. 
In  Wasserglas  gelegte  Embryonen  bilden  auch  ohne  Durchströ- 
mung sofort  starke  universelle  Framboisie.  Ist  das  Wasserglas 
aber  beim  Einlegen  des  Embryo  schon  durchströmt,  so  ist  die  alsdann 
auch  in  längerer  Zeit  eintretende  Epithelablösung  nur  gering,  so  dass 
zu  schliessen  ist,  die  Epithelzellen  werden  jetzt  meist  sofort  getödtet, 
ehe  sie  noch  Zeit  hatten,  sich  in  sich  selber  zusammenzuziehen.  Die 
bei  der  Framboisia  minor  von  den  Embryonen  abgefallenen  Epi- 
thelzellen werden  gewöhnlich  durch  typische  Strömungen  an  zwei 
Stelleu  der  Umgebung  des  Embryo  angehäuft,  nämlich  in  der 
Umgebung  der  Schwanzspitze  und  in  der  Umgebung  der  beiden, 
dicht  bei  einander  befindlichen  Haftnäpfe. 

Die  Breite  des  Aequatorgürtels  der  Embryonen  wächst 
ceteris  paribus  mit  der  in  Richtung  des  Stromes  gemessenen  Länge 
des  Embryo,  (also  mit  1.  cos.  a,  wenn  a  den  Winkel  zwischen 
Stromrichtung  und  Embryo  bezeichnet);  dieses  Wachsthum  ist  aber 
keineswegs  proportional  dieser  Länge;  das  geht  auch  schon  daraus 
hervor,  dass  der  Aequator  meist  parallel  contourirt  ist,  obgleich  die 
Embryonen  an  beiden  Seiten  convex  sind.  Die  Breite  des  Aequa- 
torgürtels steht  also  nicht  etwa  in  einem  bestimmten  Ver- 
hältniss  zu  der  von  jedem  Stromfaden  durchsetzten  intra- 
embryonalen Länge,  sondern  mehr  zu  Verhältnissen  der 
äusseren  Configuration. 

[46]  Die  Breite  des  Aequatorgürtels  der  Embryonen  nimmt  ferner 
mit  Abnahme  der  Stromstärke  zu.  Bei  schwächerem  Strom  werden 
also  ceteris  paribus  die  Polfelder  kleiner,  während  der  Aequatorgürtel 
entsprechend  an  Breite  gewinnt,  so  dass  schliesslich  blos  noch  die 
beiden  äussersten,  den  Electroden  zugewandten  Enden  die  Framboisie 
darbieten.  Bei  weiterer  Stromschwächung  ist  dann  keine 
„morphologische"  Wirkung,  also  keine  gestaltliche  Ver- 
änderung   mehr    wahrnehmbar,    sondern    es    finden    an    schon 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier  etc.      565 


genügend  weit  entwickelten  Embryonen  b  1  o  s  Z  u  c  k  u  n  gen  statt.  Dieses 
dem  früher  über  die  Eier  Mitgetheilten  entsprechende  Verhalten  der 
Embryonen  bekundet  also  wiederum,  dass  nur  Ströme  von  gewisser 
Stärke  die  geschilderte  morphologische  Polarisation  der  bezüglichen 
durchströmten  organischen  Körper  hervorbringen,  während  schwächere 
Ströme  ohne  eine  solche  deletäre  Polarisation  zu  bewirken  diese 
Körper  durchfliessen.  Die  Breite  des  Aequatorgürtels  ist  aber  ausser- 
dem auch  erheblich  von  der  Gestalt  des  Embryo  abhängig. 

Für  die  Lage  des  Aecjuatorbandes  am  Embryo  zeigt  sich 
unter  Anderem  von  Bedeutung,  dass  das  mit  einer  Spitze  gegen 
die  nächste  Electrode  gerichtete,  caudale  Polfeld  in  Richtung 
des  Stromes  länger  ist,  als  das  eine  stumpfere  Form  der 
Electrode  zuwendende  andere,  cephale  Polfeld.  Die  Wirkung 
dieser  Componente  ist  sehr  bedeutend. 

Die  Intensität  der  im  Bereiche  der  Polfelder  stattfindenden 
Veränderungen  ist  ausser  durch  die  Intensität  des  Stromes  und  die 
Dauer  seiner  Einwirkung  wesentlich  wiederum  durch  die  Gestalt, 
sowie  durch  die  Richtung  der  Flächen  zu  den  Stromfäden  bestimmt. 
Gegen  die  Electrode  gewendete  Spitzen  werden  eher  und  stärker  ver- 
ändert als  stumpfere  Flächen. 

Wenn  man  sich  die  Richtung  der  Stromfäden  von  einer  Elec- 
trode aus  vorstellt,  so  sieht  man,  dass  die  dieser  Electrode  zugewen- 
deten Flächen  des  nach  ihr  hin  gelegenen  Stückes  des  Embryo,  welche 
also  direct  von  den  aus  der  Flüssigkeit  in  den  Embryo 
„eintretenden"  Stromfäden  getroffen  werden,  eine  stärkere 
Veränderung  erfahren,  als  die  hinter  Vors prün gen  des 
Embryo  gelegenen,  demselben  Polfeld  zugehörigen  Oberflächen. 
Dieser  Stromsc haften  beweist  zugleich,  dass  die  im  Bereiche  der 
Polfelder  beobachteten  Veränderungen  durch  den  Ein-  resp. 
Austritt  [47]  der  Stromfäden  veranlasst  werden.  Der  Strom- 
schatten ist  sehr  ausgesprochen ;  aber  die  räumliche  Ausdehnung  seines 
Gebietes  entspricht  nicht  dem  Schatten,  den  die  zuerst  von  den  Strom- 
fäden des  Electrolyten  getroffenen  Flächen  in  Richtung  dieser  Fäden 
werfen  würden ;  sondern  das  der  geringeren  Veränderung  nach  als  im 
Stromschatten  befindlich  zu  erkennende  Gebiet  ist  kleiner,  was  auf  den 


566      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Eintritt  seitlicher  Stromfäden,  also  auf  Ablenkung  derselben 
von  ihrer  eigentlichen  Richtung  liinweist. 

Auch  mehrere  bis  zur  Berührung  zusammengedrängte  und  quer 
oder  schräg  zur  Richtung  der  Berührungsflächen  durchströmte  Em- 
bryonen werfen  auf  einander  einen  Stromschatten. 

Die  Richtung  des  Aequatorgürtels,  respective  seiner 
beiden  Grenzlinien  weicht  bei  den  complicirter  gestalteten 
Embryonen  sehr  erheblich  von  den  Niveaulinien  des  umge- 
benden homogenen  electrischen  Feldes  ab;  diese  Abweichungen  sind 
bei  jungen,  noch  schwanzlosen  aber  cephal  und  caudal  verdickten, 
sowie  an  schon  mit  dem  Schwanzstummel  versehenen,  aber  in  Folge 
Raummangels  in  der  Gallerthülle  seitwärts  gebogenen  Embryonen 
erheblicher  als  bei  etwas  älteren,  freien,  schon  gestreckten  und  ausser 
den  Kiemen  keine  grösseren  Verwölbungen  besitzenden  Embryonen. 
Letztere  lassen  bei  Stellung  in  Richtung  der  Stromlinien  oder  der 
Niveauflächen  wieder  deutlich  die  Annäherung  der  Aequatorränder 
an  die  bei  ,, kugeligen"  Gebilden  (Eiern,  Morulae  und  Blas- 
tulae)  gewonnenen  Potentialniveaucurven  erkennen;  bei  diesen 
Stellungen  gewinnt  man  auch  an  den  complicirter  gestalteten  jüngeren 
Embryonen  noch  bezüglich  gerichtete  Aequatorgürtel ;  aber  die  Ab- 
weichungen sind  doch  schon  erheblicher. 

Bei  schiefer  Lage  der  Embryonen  zu  den  Stromlinien  erhält 
das  Aequatorband  mannigfach  gebogenen  Verlauf.  Es  können  ferner 
an  einem  in  der  Mitte  eingeschnürten  Embryo  zw^ei  wohl 
contourirte  nicht  sichtbar  veränderte  Aequatorbänder  auf- 
treten. Auch  Stücke  von  lebend  zerschnittenen  Embryonen 
zeigen  eine  den  mitgetheilten  Regeln  annähernd  entsprechende  Polari- 
sirung  und  in  den  Polfeldern  die  Framboisia  minor;  aber  wenn  die 
Schnittfläche  der  Electrode  zugewendet  ist,  wird  von  der  Seitenfläche 
fast  blos  der  anstossende  Epithelrand  verändert. 

Desgleichen  bieten  unvollkommen  zertheilte  Embryonen 
ausserordent-  [48]  lieh  mannigfach  gestaltete  Polfelder  dar. 
Das  Genauere  dieser  Verhältnisse  kann  nur  an  der  Hand  von  Ab- 
bildungen mitgetheilt  werden  und  verdient  vorher  noch  weitere  Be- 
obachtung. Wesentlich  ist  noch,  dass  an  Embryonen  mit  umgebogenem 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froscheier  etc.      567 

Schwänze,  die  Umbiegungsstelle  in  ihrem,  auf  den  mittleren  Strom- 
faden bezogen,  lateralen  Theil  kein  Aequatoralband  enthält,  was 
wiederum  wohl  durch  seitlich  eindringende  Stromfäden  bedingt  ist. 

Da  bei  der  polarisirenden  Wirkung  des  Stromes  voraussichtlich 
auch  die  Differenz  des  Leitungsvermögens  der  organischen 
Körper  und  des  Menstruums  von  Bedeutung  ist,  so  variirte  ich  letz- 
teres, indem  ich  es  mehr  der  Leitungsfähigkeit  der  Eier  zu  nähern 
suchte.  Ich  verwandte  zunächst,  wie  schon  oben  mitgetheilt,  gesättigte 
Lösungen  von  Kochsalz,  von  Borsäure  und  von  Borax ;  in  all  diesen 
Lösungen  ging  an  vorher  in  Wasser  gelegenen,  noch  in  ihrer 
Gallerthülle  befindlichen  Froscheiern  die  Bildung  der  Pol- 
felder vor  sich.  Da  aus  ihrer  Gallerthülle  ausgeschlüpfte  Embryonen 
beim  Einlegen  in  Wasserglas  oder  in  auch  nur  ö^'/oige  Kochsalz- 
lösung auch  ohne  Durchströmung  sofort  universelle  Fram- 
boisia  minor  ausbilden,  so  sind  sie  zur  Prüfung  der  Wirkung  des 
Stromes  bei  diesem  Menstruum  nicht  zu  gebrauchen. 

Die  gesättigte  Kochsalzlösung  hat  von  den  angewandten  Lö- 
sungen das  beste  Leitungs vermögen.  Aber  es  ist  wohl  daran  zu 
denken,  dass  die  an  verschiedenen  Salzen  so  reichen  Eier  vielleicht 
noch  besser  leiten ;  daher  versuchte  ich  30 °/oige  Schwefelsäure, 
die  ein  drei  Mal  besseres  Leitungsvermögen  als  gesättigte  Kochsalz- 
lösung und  überhaupt  das  beste  Leitungs  vermögen  von  allen  wässe- 
rigen Flüssigkeiten  hat.  Wenn  die  Schwefelsäure  erheblich  besser 
leitet  als  die  Eier,  dann  durfte  meiner  Meinung  nach  keine  Polari- 
sation an  ihnen  entstehen.  Beim  Versuch  ergab  sich  zunächst,  dass 
die  Schwefelsäure,  ein  starkes  Gift  für  das  Ei,  schon  nach  30  Secunden 
die  2 — 3  mm  dicke  gequollene  Gallerthülle  durchsetzt.  Daher  ver- 
stärkte ich  die  Versuchsanordnung  ad  maximum,  so  dass  an  Eiern, 
welche  in  Wasser  durchströmt  wurden,  schon  nach  5  Secunden  die 
Polfelder  zu  sehen  waren.  Danach  Hessen  befruchtete  Eier  von  Rana 
fusca,  20  Secunden  lang  in  30  vol.  procentiger  Schwefelsäure 
durchströmt,  keine  sicher  feststellbare  Polarisation  er- 
kennen, obschon  [49]  sie  bei  gleich  darauf  vorgenommener  Durch- 
strömung in  Wasser  innerhalb  kürzerer  Zeit  schön  ausgeprägte  Pol- 
felder, aber  nur  von  einer  für  diese   starke  Anordnung   auffallenden 


568      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Kleinheit  entwickelten.  Wenn  ein  in  30  vol.  procentiger  Schwefel 
säure  schwimmendes  Ei  mit  seiner  Gallerthülle  direct  die  Electrode 
berührt,  so  scheint  eine  Spur  der  Polfelderbildung  an  ihm  statt- 
zufinden. 

Auch  bei  eine  Minute  dauernder  Durchströmung  in  30,  ebenso 
wie  noch  in  5  vol.  procentiger  Schwefelsäurelösung  entsteht  keine 
deutlich  sichtbare  Polarisation.  In  4  vol.  procentiger  Schwefelsäure 
scheint  schon  eine  schwache  Polfelderbildung  aufzutreten. 

In  2  vol.  procentiger  Schwefelsäurelösung  werden  dagegen  nach 
längerer  Durchströmung  deutliche,  grobgefleckte,  aber  für  die  ange- 
wandte Stromstärke  nur  sehr  kleine  Polfelder  gebildet. 

Es  war  nicht  zu  beurtheilen,  ob  die  Polfelder  so  klein  sind,  weil 
nur  so  wenig  Stromfäden  aus  dem  Menstruum  in  das  Ei  treten,  oder 
weil  die  Eier  durch  die  Schwefelsäure  gelitten  haben. 

In  blos  1  vol.  procentiger  Lösung  entstehen  die  Polfelder  noch 
langsam ;  die  wieder  grobe,  weisse  F 1  e  c  k  u  n  g  breitet  sich  sehr 
allmählich  von  den  den  Electroden  zugewendetsten  Theilen  der  Eier 
aus,  und  die  am  Rande  des  Polfeldes  befindlichen  Flecke  verlängern 
sich  in  zum  Pole  radiärer  Richtung  und  bilden  so  einen  typi- 
schen Kranz.  A  m  A  e  c[  u  a  t  o  r  zieht  s  i  c  h  w  i  e  d  e  r  d  a  s  P  i  g  m  e  n  t 
von  den  Rändern  gegen  die  Mitte  zurück.  Die  Polfelder  ent- 
wickeln sich  aber  seitlich  am  Eie  meist  nicht  mehr  bis  zu  der  den 
Niveaulinien  entsprechenden  Ausdehnung  und  stellen  somit  zwei  um 
die  Pole  selber  centrirte  Kappen  des  Eies  dar,  ein  Verhalten,  welches 
ich  wieder,  wie  schon  früher  an  durch  verzögerte  Laichung  geschä- 
digten Eiern,  für  eine  abnorme  Reactionshemmung  halte.  In  ^/2 
vol.  procentiger  Schwefelsäure  zeigt  sich  wesentlich  das  gleiche  Verhalten. 
—  Messungen  des  Leitungsvermögens  der  Eier  im  Vergleich  mit  dem 
Leitungsvermögen  der  5  vol.  procentigen  Schwefelsäure  können  er- 
kennen lassen,  bei  wie  viel  grösserem  Leitungsvermögen  des  Men- 
struums  als  dem  der  Eier  die  Polarisation  derselben  in  Folge  Durch- 
strömung mit  einem  Strome  von  an  sich  geeigneter  Stärke  eben  noch 
entsteht  (s.  S.  GOl). 


Weitere  polarisirende  Wirkung  des  galvan.  Stromes  auf  Froscbeier  etc.       569 


2.    Weitere  polarisirende  Wirkung-  des  „jj^alvanischen"  Stromes 
auf  Froscheier  und  -Embryonen. 

[50]  Herr  College  Wassmuth,  der  interimistische  Leiter  des  k.  k. 
physikalischen  Institutes,  war  so  freundlich,  mir  15  Bunsen'sche  Ele- 
mente von  20  cm  Höhe  zu  leihen.  Der  mit  diesen  Elementen  erzeugte 
Strom  wurde  auf  die  jetzt  allein  vorhandenen,  im  Allgemeinen  viel 
empfindlicheren  Eier  des  grünen  Wasserfrosches,  Rana  esculenta,  an- 
gewandt und  liess  bei  Nebeneinanderschaltung,  wie  erwartet,  auch  bei 
starker  ^^ersuchsanordnung  (kleine  Schale,  Abstand  der  Electroden 
von  blos  1,6  cm)  innerhalb  drei  Minuten  keine  Wirkung,  weder  auf 
die  Eier  noch  auf  die  Gallerthüllen  derselben  erkennen.  Daher  wurde 
weiterhin  nur  noch  mit  hintereinandergeschalteten  Elementen 
experimentirt  unter  Gewinnung  folgender  Ergebnisse: 

Die  Wirkung  dieses  Stromes  auf  die  Gallerthüllen  und  auf  die 
befruchteten  Eier  entspricht  wesentlich  der  früher  mitgetheilten 
Wirkung  des  mit  der  Gleichstrom-Dynamomaschine  erzeugten  Stromes. 
Zuerst  entstehen  wieder  die  gegen  die  positive  Electrode  (Anode) 
hin  gewendeten  anodischen  oder  positiven  Polfelder.  Von  oben  ge- 
sehen, wird  der  Bereich  dieses  Feldes  am  noch  ungetheilten  Eie  auf 
einmal  leicht  graulich,  trüb,  darauf  sogleich  hellbraun,  und  grenzt 
sich  oben  durch  eine  deutliche  Furche  ab;  darauf  steigt  ein,  gewöhn- 
lich zungenförmiger  Strom  der  hellbraunen  Substanz  auf  und  breitet 
sich  oben  bohnenförmig  aus,  verschwindet  aber  einige  Zeit  nach  der 
Stromunterbrechuug  oder  beim  sofortigen,  behufs  Fixation  vorgenom- 
menen Kochen  in  den  meisten  Fällen,  wohl  durch  Vertheilen  der  aus- 
getretenen Substanz  im  Eiwasser,  wieder.  Die  Besichtigung  der  aus 
der  Hülle  ausgeschälten  Eier  zeigt  das  positive  Polfeld  unten  mit  hellen 
Flecken  bedecl^t,  die  durch  ein  eckig-maschiges  Netz  schwarzbrauner 
Linien  getrennt  sind.  Dieses  anodische  Polfeld  stellt  in  seiner  Gestalt 
einen  Kugelal)schnitt  dar  und  setzt  sich  durch  seinen  oberen,  vor- 
springenden Rand  von  dem  übrigen,  oft  in  Richtung  des  Stromes 
d  e  u  1 1  i  c  h  V  e  r  1  ä n  g  e  r  t e  n ,  mit  einigen  leichten  L  ä  n  g  s  f  u  r  c  h  e  n  und  ent- 
sprechenden  Wülsten  versehenen  Theil  des  Eies  ab.   Au  letzterem  Theil 


570      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

findet  sich,  dem  positiven  entgegengesetzt,  das  oft  kleinere,  der  negativen 
Electrode  zugewendete  ,, negative"  oder  ,, kathodische"  Polfeld. 
Dasselbe  entsteht  später  als  das  positive  und  ist  durch  noch  rund- 
liche helle  Fleckchen,  die  kleiner  sind  als  [51]  die  zuletzt  eckigen 
Flecken  des  anodischen  Feldes,  charakterisirt ;  es  hat  meist  keine  deut- 
liche Grenze;  selten  ist  unten  am  Eie  als  Grenze  eine  dunkle  Linie 
oder  eine  Reihe  von  Flecken  vorhanden.  Die  Veränderungen  sind 
viel  geringer  als  am  positiven  Felde.  Zwischen  beiden  Polfeldern  liegt 
der  in  seiner  Farbe  meist  unveränderte  Aequatorgürtel.  Das  Ei  ist 
oben  manchmal  abgeplattet. 

An  unbefruchteten  Eiern  ist  die  AVirkung  des  Gleichstroms 
wesentlich  die  gleiche;  doch  ist  die  ,, positive"  Niveaulinie  ge- 
wöhnlich weiss  und  der  austossende  Aequatorrand  um  so  dunkler; 
manchmal  ist  jedoch  auch  eine  schwarze  anodische  Niveaufurche 
vorhanden.  Das  anodische  Polfeld  kann  rosettenartig  ausge- 
bogen sein.  Das  kathodische  Polfeld  ist  mit  weissen  runden 
Flecken  versehen  und  kann  einer  scharfen  Grenze  entbehren. 
Nach  der  Ausschälung  und  Härtung  sah  ich  am  Aequator  und  katho- 
dischen Theile  des  Eies  von  dem  einen  auf  den  andern  Theil  über- 
tretend, durch  seichte  Furchen  getrennte  Längswülste,  von  denen 
die  beiden  obersten  in  Richtung  des  Stromes,  die  mehr  seitlichen  aber 
etwas  nach  der  Seite  concav  verliefen,  beiderseits  aber  symmetrisch  zu 
einander  geordnet  waren.  Manchmal  hat  das  kathodische  Polfeld  eine 
deutliche  Grenze  und  ist  auch  eine  besondere  negative  Niveaulinie 
vorhanden.  Die  Summe  der  Niveaulinien  bildet  bei  gleichmässiger 
Zusammenlagerung  der  Eier  in  der  Schale  wiederum  deutliche  Potential- 
niveaufiächen. 

Setzte  ich  die  Electroden  zuerst  im  ßinnenraume  der  Schale  auf 
und  sodann  am  Rande  derselben,  wobei  die  neu  zwischen  die  Elec- 
troden gelangten  Stellen  in  zur  früheren  fast  umgekehrten 
Richtung  d  u  r  c  h  s  t  r  ö  m  t  wurden,  so  zeigten  die  Eier  dieser  Stellen 
dann  jederseits  ein  Polfeld  vom  Charakter  des  anodischen 
Polfeldes,  sodass  sich  also  die  beim  Wechsel  ström  beobachteten 
Veränderungen  leicht  aus  den  alternirend  in  entgegengesetzten 
Richtungen  erfolgenden  Wirkungen  des  Gleichstroms  ableiten  lassen. 


Wirkt  der  ^Gleichstrom"  auf  die  Richtung  der  ersten  Eitheilung?  571 

Die  ursprünglich  zwischen  den  Electroden  gelegenen  Eier  dagegen 
Hessen  durch  den  zweiten,  geschwächten  Strom  keine  diesem  Strom 
entsprechende  iVnsbildnng  von  neuen  Niveauringen  nach  aussen  von 
den  früheren  erkennen. 

Auch  an  Eiern,  welche  in  der  ersten  und  zweiten  Theilung 
begriffen  waren,  traten  wesentlich  dieselben  Veränderungen  [52]  durch 
den  Gleichstrom  auf;  doch  folgte  der  aufsteigende  Substanzstrom  den 
zufällig  der  positiven  Electrode  zugewendeten  Furchen,  und  zwar  zu- 
nächst getheilt  als  zwei  Ströme,  an  jeder  Wandungsfläche  der  Furche 
einen;  später  aber  vereinigen  sich  die  neben  einander  aufgestiegenen 
hellbraunen  Massen. 

An  Gastrulae  bewirkte  der  Gleichstrom  nur  geringe  Verände- 
rung: man  sah  ein  leicht  grau  verfärbtes,  aber  grosses,  kathodi- 
sches,  ein  anscheinend  kleineres  anodisches  Polfeld,  welche 
beide  einen  seine  schwarze  Farbe  behaltenden,  wenig  scharf  begrenzten 
Aequatorgürtel  zwischen  sich  fassten.  An  den  Polfeldern  selbst  entstand 
blos  Rauhigkeit  mit  einigem  Epithelabfall  combinirt.  Wenn  bereits 
die  Medullär  platte  an  der  Gastrula  vorhanden  ist,  so  durchsetzt 
der  Aequatorgürtel  mit  seinen,  Niveauringe  darstellenden  Grenzen 
diese  Anlage  des  Centralnervensystemes  ohne  jede  Unterbrechung 
oder  Richtungsänderung.  Durch  besondere  Veränderungen  ausge- 
zeichnete Niveauriuge  oder  gar  Niveaufurchen  entstehen  gleichfalls 
nicht  im  Bereiche  der  Anlage  des  Centralnervensystemes. 

Noch  in  der  Gallerthülle  befindliche  Embryonen  mit  soeben  ge- 
schlossenem Med u Harro hr  zeigten  dieselben  Veränderungen, 
aber  intensiver,  mit  stärkerem  Epithelabfall.  Das  positive  Polfeld 
wurde  zuerst  weisslich,  das  negative  schien  wieder  grösser.  Schon 
ausgeschlüpfte,  sogar  mit  Kiemenfäden  versehene  Embryonen  bekamen 
unter  Wirkung  des  Gleichstromes  die  beim  Wechselstrom  ausführlich 
nach  Ausdehnung,  Lage  und  Richtung  erörterten  Erscheinungen  der 
Framboisia  minor  im  Bereiche  der  Polfelder. 

3.  Wirkt  der  „Gleichstrom"  auf  die  Richtung  der  ersten  Eitheilung? 

Zur  Vervollständigung  des  früher  (S.  556)  über  die  Wirkung 
des  Stromes  auf  die  Richtung   der   normalen  ersten  Thei- 


572      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

lungsebene  des  Eies  mitgetheilteii ,  blos  mit  dem  Wechselstrome 
angestellten  Versuches,  wiederholte  ich  jetzt  dasselbe  Experiment  mit 
dem  maximalen  ertragenen  Gleichstrom.  Die  Dm'chströmung 
begann  zwei  Stmiden  nach  der  Befruchtung  und  dauerte  VU  Stunden 
bis  zum  Auftreten  der  ersten  Furche.  Der  Strom  war  gerade  so 
stark,  dass  die  der  Electrode  nächsten  Eier  noch  kleine  Polfelder 
bildeten.  Die  ersten  Furchen  waren  jedoch  wieder  wie  beim 
Wechselstrom  vollkommen  atypisch  gerichtet,  und  liessen 
somit  trotz  1^4 stündiger  Wirkungsdauer  [53]  in  ihrer  Richtung 
keine  Beziehung  zu  den  Kraftlinien  des  Stromfeldes  er- 
kennen. Damit  ist  dargethan,  dass  auch  der  Gleichstrom  als 
solcher^)  auf  die  Richtung  der  ersten  Theilung  des  Fur- 
ch ungskern  es  und  des  Eileibes  eine  bestimmende  Wirkung 
nicht  auszuüben  vermag  (s.  S.  584). 

4.   Polarisireiide  Wirkung-  des  Wechselstromes  auf  Org-ane  des 
„erwachsenen"  Frosches. 

Bei  Ausdehnung  der  Versuche  mit  dem  Wechselstrom  auf 
andere  organische  Objecto  ergab  sich  zunächst  ein  positives  Resultat 
an  der  noch  lebenden  Gallenhl ase  des  Frosches.  Dieses  an- 
nähernd kugelig  gestaltete,  5 — 7  mm  grosse  Gebilde  lieferte  nach 
Unterbindung  des  Ausführuugsganges,  bei  praller  Füllung  Polfelder, 
deren  Grenzen  typische  Niveauflächen  des  umgebenden  Electrolyten 
darstellen.  Je  nach  der  Dicke  der  Wandung  kann  man  nach  1  bis 
4  Minuten  die  den  beiden  Polen  nächsten  Theile  durch  grüne  Farbe 
von  dem  blaugrauen  Mittelstück  sich  abhelfen  sehen ;  bei  fortgesetzter 
Durchströmung  breitet  sich  die  diesen  Farbenwechsel  bedingende 
Exosmose  der  Galle  weiter  aus;  die  grünen  Polfelder  werden 
allmählich  grösser,  um  dann,  bei  nicht  zu  starkem  Strome 
auf  gewisser  Grösse  stehen  zu  bleiben,  so  dass  das  zwischen 
ihnen    gelegene    unveränderte  Aequatorband    eine    constante   Breite 


[1)  Bei  so  starker  Anwendung,  dass  etwas  grössere  Polfelder  entstehen,  ist  es 
aber  möglich,  dass  die  dadurch  veränderte  Gestalt  des  übrigen,  noch  lebenden 
Theiles  des  Zellleibes  die  Theilungsrichtung  beeinflusst  (s.  S.  555,  556,  sowie  803).] 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  „erwachsene"  Organe  etc.    573 

erhält,  welche  in  einem  umgekehrten  Verhältniss  zur  Stromstärke  steht. 
Ist  die  Anordnung  sehr  stark,  so  verschmelzen  beide  Polfelder  zuletzt 
in  der  Mitte  mit  einander.  Ist  umgekehrt  der  Strom  sehr  schwach, 
so  bleiben  die  Polfelder  sehr  klein,  um  bei  gewisser  Schwäche  des 
Stromes  überhaupt  nicht  zu  entstehen.  Ein  so  schwacher  Strom 
durchfliesst  dann  also  wieder  den  Gegenstand,  ohne  ihn 
in  der  beschriebenen  sichtbaren  Art  zu  polarisiren.  Ist 
das  Wasser  ein  wenig  mit  Schwefelsäure,  wenn  auch  nur  sehr  schwach 
eingesäuert,  so  vollzieht  sich  die  ganze  Veränderung  in  wenigen 
Secunden  und  die  Polfelder  werden  statt  dunkel-,  hellgrün. 

Durchströmt  man  eine  in  Wasser  durchströmte,  bereits 
polarisirte  Gallenblase  zum  zweiten  Male  rechtwinkelig  zur  frühe- 
ren Richtung,  so  bildet  sich,  aber  erst  nach  längerer  Durchströmung 
als  vorher,  auf  den  jetzt  polaren  Seiten  des  Aequatorgürtels  ein  grünes 
Feld,  jedoch  blos  in  der  Mitte  des  Aequatorbandes  aus;  die  seit- 
lichen Eänder,  also  die  den  Polfeldern  der  ersten  Durch- 
strömung anliegende  Zone  des  Aequators,  bleibt  blaugrau, 
sie  wird  also  nicht  mehr  diifusibel  durch  den  Strom.  Während  Er- 
wärmen einer  lebenden  Gallenblase  auf  [54]  52°  C,  wohl  durch  Tödtung 
des  Epithels,  bewirkt,  dass  schon  nach  4  Minuten  die  ganze  Gallen- 
blase grün  ist,  waren  auch  dadurch  die  letzterwähnten,  bei  der  zw^eiten 
Durchströmung  unveränderlich  gebliebenen  Niveauringe 
nicht  mehr  für  die  Galle  diffusibel  zu  machen  (s.  Taf.  VIII, 
Fig.  12). 

Die  gleiche  Eeaction  giebt  die  prallgefüllte,  unterbundene  Gallen- 
blase ganz  junger  Kaninchen^  Avenn  man  sie  quer  oder  schräg 
zum  Strom  stellt.  Diese  Gallenblasen  sind  länglich  (9 — 11  mm 
lang,  2  —  3  mm  dick).  Bei  Längseintheilung  derselben  im  Strome 
konnte  ich  mit  meinem  Wechselstrom  keinen  scharf  abgegrenzten 
Aequator  mehr  hervorbringen,  wohl  aber  in  den  anderen  genannten 
Einstellungen. 

Bei  schriiger  Einstellung  entsteht  das  Polfeld  jederseits 
zuerst  an  der  der  Electrode  nächsten  Stelle  des  gewölbten  Endes  der 
Blase  und  breitet  sich  von  da  aus  längs  der  Seitenkanten  sowie  nach 
oben   und   unten  aus,    ohne    aber    das    andere    Ende    der  Blase   zu 


574      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

erreichen.  Daraus  ergiebt  sich,  class  an  jedem  seitHchen  Ende  blos 
ein  Polfeld  vorhanden  ist,  und  dass  der  Aequator  daselbst  eine 
Stelle  einnimmt,  welche  fast  direct  gegen  eine  Electrode 
gewendet  ist.  Die  einander  parallelen  Grenzen  der  Polfelder  ent- 
sprechen dabei  nicht  mehr,  wie  an  der  runden  Gallenblase  und  an 
den  runden  Eiern  des  Frosches,  den  Niveaulinien  des  umgebenden 
electrischen  Feldes,  sondern  sie  entsprechen  dem  oben  für  die  läng- 
lichen, aber  sonst  einfach  gestalteten  Embrj'onen  Mitgetheilten. 

Die  Gallenblasen  von  Hühnern  und  Tauben  sind  sehr 
dickwandig;  darauf  beruht  es  vielleicht,  dass  ich  auch  nach  Ver- 
kleinerung der  Blase  durch  Abschnüren  von  Theilen  derselben,  keine 
deutlich  abgegrenzten  Polfelder  erhielt,  selbst  nicht,  nachdem  ich  ihre 
Wandung    durch    Einlegen    in    warmes    Wasser    geschwächt     hatte. 

Auch  das  Frosch  herz  lässt  bei  derselben  Versuchsanordnung 
eine  polar  localisirte  Reaction  erkennen.  Die  Polabschnitte  werden 
tonisch  contrahirt  und  sind  daher  blass,  die  nicht  contrahirte 
rot  he  Aequator  Scheibe  lässt  annähernd  die  Richtung  von  Niveau- 
flächen hervortreten,  besonders  deutlich,  wenn  man  drei  Herzen  zu- 
gleich in  concavem  Bogen  um  eine  Electrode  gruppirt.  Das  Herz 
mag  seine  Spitze,  Basis  oder  eine  Seitenfläche  der  Electrode  zuwenden, 
die  drei  Aequatorscheiben ,  von  denen  jede  durch  die  ganze  Herz- 
substanz durchgeht,  bilden  zusammen  [55]  ziemlich  gut  die  Krüm- 
mung der  Potentialniveauflächen  dieser  Stelle  des  electrischen  Feldes. 
Doch  liegt  hier  keine  morphologische,  dauernde,  sondern  nur 
eine  functionelle  polar  localisirte  Veränderung  vor,  beruhend  auf  der 
polaren  Muskelerregung  im  Sinne  von  Hering,  Biedermann  u.  A.  Immer- 
hin ist  für  uns  die  übereinstimmende  Localisation  von  Interesse, 
wenngleich  diese  Localisation  zum  Theil  anders  bedingt  sich  zeigt, 
indem  sie  auch  auf  die  Schattenseiten  übergreift.  (Ueber  die 
Methode  dieses  Versuches  siehe  S.  606.) 

Nach  diesen  Befunden  lag  natürlich  die  Vermuthung  nahe,  dass 
vielleicht  auch  in  anderen  organischen,  lebenden  oder  todten  Gebilden, 
wenn  nicht  auch  in  anorganischen  Körpern  der  electrische  Strom  bei 
geeigneter  Spannung  und  Stärke  für  die  Qualität  und  Grösse  des 
durchströmten  Objectes  und  für  die  Grösse  der  Differenz  des  Leitungs- 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  „erwachsene"  Organe  etc.    575 


verinögeiis  zwischen  Menstriumi  und  Object  eine  der  beschriebenen 
entsprechende  sichtbare  Polarisation  unter  Zerlegung  des  Objectes 
in  zwei  Polabschnitte  intensiverer  Wirkung  und  einen  zwischen  ihnen 
gelegenen  Abschnitt  geringster  Wirkung,  eventuell  noch  unter  beson- 
derer Aeusserung  an  den  oberflächlichen  Grenzlinien  der  drei  Ab- 
schnitte hervorbringt.  Es  ist  aber  nicht  zu  erwarten,  d a s s  alle 
lebenden  O b  j  e c t e  vermögen,  so  sichtbar  darauf  zu  r e a- 
giren,  wie  die  Froscheier  es  durch  Bildung  veränderter  Polfelder  und 
Bildung  besonders  gefärbter  Niveaugrenzlinien,  resp.  wirklicher  Furchen 
thun,  wie  es  ferner  die  jungen  Froschembryonen  durch  das  Verhalten 
der  Epithelzellen,  sich  in  sich  zu  contrahiren  und  daher  den  epithelialen 
Verband  zu  lösen  bekunden,  wie  sie  die  Wandung  der  Gallenblase 
durch  ihre  Eigenschaft  im  Bereiche  der  Polfelder  sehr  diffu- 
sibel,  im  Bereiche  der  Niveaulinien  aber  impermeabel 
zu  werden  erkennen  lässt,  und  wie  es  das  Froschherz  durch  Con- 
traction  im  ganzen  Bereiche  der  Polabschnitte  thut. 

Obschon  zu  vermuthen  ist,  dass  alle  Organe  des  erwachsenen 
Frosches  und  anderer  erwachsener  Wirbelthiere  von  den  Physiologen 
dem  electrischen  Strom  unterworfen  worden  sind,  ohne  dass  jedoch 
ein  hieher  gehöriges  Resultat  mir  bekannt  wäre,  so  veranlasste  mich 
doch  der  neue  Befund  an  der  Gallenblase,  diese  Prüfung  mit  meinem 
Strom  und  meiner  Versuchsanordnung  nochmals  vorzunehmen.  Ich 
durchströmte  daher  mit  dem  Wechselstrom  die  Milz,  Stücke  der 
Leber,  der  [56]  Haut,  der  Nerven  und  das  Auge,  ohne  dass 
eine  ,, sichtbare"  polare  Veränderung  auftrat. 

Um  eventuell  entstandene  unsichtbare  Verschiedenheiten  nach- 
träglich sichtbar  zu  machen,  legte  ich  die  Organe  in  die  zur  Färbung 
der  Gewebe  üblichen  Farbstoff lösungen,  indess  ohne  Erfolg.  Auch 
wenn  die  Organe  schon  während  der  Durchströmung  in 
der  Farbstofflösung  lagen,  war  keine  polare  Färbungs- 
differenz bei  der  blossen  Loupenbesichtigung  wahrzunehmen.  Die 
microscopische  Untersuchung  der  Objecte  steht  noch  aus. 

Desgleichen  liessen  mit  Farbstofflösung  prall  gefüllte 
abgeschnürte  T  h  e  i  1  e  der  Harnblase   und    der  Lunge    des 


576      Nr.   25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Frosches  nach  der  Durchströmung  keine  pohir  localisirten  Ver- 
ändern n  g  e  n  erkennen. 


III.   Abschnitt. 
Weitere  polarisireiide  Wirkungen  auf  leibende  Objecte. 

Einleitung. 

Nachdem  in  den  vorstehenden  beiden  Mittheilungen  einige  neue 
Erscheinungen  in  der  Reihenfolge  ihrer  Ermittelung  vorgeführt  worden 
sind,  ist  es  unsere  Aufgabe,  ihnen  ihren  Platz  unter  den  Gruppen 
bereits  bekannter  Erscheinungen  anzuweisen.  Da  kann  wohl  kein 
Zweifel  sein,  dass  wir  es  in  diesen  typisch  gestalteten  Reactionen  der 
Froscheier  und  -Embryonen  auf  den  electrischen  Strom  mit  Verände- 
rungen zu  thun  haben,  die  sich  trotz  mannigfacher  neuer,  fremder 
Züge  auf's  Engste  an  die  Entdeckung  W.  Kühne's  ^)  anschliessen,  dass 
die  Protisten  durch  den  electrischen  Strom  polar  erregt  und  even- 
tuell auf  der  Polseite  zerstört  werden. 

Reizte  Kühne  eine  Amöbe  mit  dem  Gleichstrom,  so  wurde  der 
der  Anode  zugewendete  Theil  der  Amöbe  trüb  und  verwandelte  sich 
in  eine  wie  körniger  Sago  aussehende  Substanz.  Der  der  Kathode 
zugewendete  Theil  dagegen  zeigte  in  seinem  Innern  und  an  seiner  Ober- 
fläche vielfache  Blasenbildung.  Auch  die  von  Kühne  beobachtete, 
nicht  deutlich  polare  Reaction  der  Amöbe  auf  den  Inductions ström 
ist  für  uns  von  Bedeutung.  Wurde  eine  Amöbe  wiederholt  mit  nicht 
zu  starken  Inductionsströmen  gereizt,  so  contrahirte  sie  sich  zu  einer 
bewegungslosen  Kugel,  welche  undurchsichtig  und  trüb  wurde  und 
endlich  einen  kugelig  geronnenen  Klumpen  darstellte.  Bei  Reizung 
mit  einem  [57]  starken  Strom  platzte  dasThier  und  entleerte 
seinen  Inhalt  zum  grossen  Theil. 

Noch  bedeutsamer  sind  für  uns  die  Beobachtungen  W.  Kühne's  an 
Actinosphaerium  Eichhornii  (loco  cit.  S.  56  u.  f.).   Auf  Einwirkung 


1)  W.  Kühne,    Untersuchungen   über   das  Protoplasma   und   die  Contractilität. 
Leipzig  1864. 


Weitere  polarisirende  Wirkungen  auf  lebende  Objecte.  577 


eines  sclnvacheii  Inductionsstromes  werden  bei  diesem  Protist  blos  die 
gegen  die  Electroden  gewendeten  Fortsätze  eingezogen,  während  die 
seitlich  am  Thier  entspringenden,  rechtwinkehg  zum  Strom  orientirten 
Fortsätze  unverändert  bleiben.  Auch  zerplatzen  nur  auf  den  Pol- 
seiten des  Thieres  die  Blasen  der  Rindensubstanz  desselben.  Wo 
der  Strom  eintritt,  ist  selbst  bei  minimaler  Reizung  die  Erscheinung 
ebenso  wie  da,  wo  er  austritt;  und  nur  diejenigen  Randtheile,  deren 
Strahlen  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung  stehen,  bedürfen  mächtigerer 
Reizungen,  um  in  Bewegung  zu  gerathen  (S.  59).  Im  Gleichstrom 
wird  der  der  Anode  zugewendete  Theil  des  Organismus  eingeschmolzen, 
zerfällt  zu  einem  Brei,  während  der  kathodische  Theil  (beim  Ein- 
schleichen in  den  Strom)  unverändert  bleibt.  Beim  raschen  Strom- 
schluss  sowie  beim  Unterbrechen  des  Stromes  fand  an  diesem  Theile 
Einziehung  der  Pseudopodien  und  Platzen  einiger  Blasen  statt.  Die 
zum  Strome  rechtwinkehg  stehenden  Strahlen  bleiben  jedoch  auf  dem 
wohlerhaltenen  seitlichen  Rande  des  Protist  stehen,  sofern  nicht  be- 
sonders starke  Ströme  verwendet  werden.  Ausser  der  Einziehung 
der  Pseudopodien,  dem  Zerplatzen  der  Blasen  führt  Kühne  auch  den 
Zerfall  auf  der  Anodenseite  des  Thieres  auf  Contraction  des  Proto- 
plasmas zurück. 

Auch  für  Nerven  und  Muskeln  ist  die  polare  Localisation  der  elec- 
trischen  Erregung  dargethan.  Pflüger,  v.  Bezold,  Engelmann,  Hering, 
Biedermann  u.  A.  haben  das  Gesetz  erwiesen,  dass  die  Erregung  bei 
der  Schliessung  des  galvanischen  Stromes  von  der  Kathode ,  bei 
Oeffnung  von  der  Anode   ausgeht. 

Der  in  diesen  Angaben  sich  aussprechende  Gegensatz  zwischen 
der  specifischen  Localisation  der  Schliessungs-  und  Oeffnungserregung 
an  den  Polen  bei  dem  erwähnten  Protist  gegenüber  dem  Verhalten 
der  Nerven  und  Muskeln  wurde  bestätigt  durch  eine  jüngste  Arbeit 
Max  Verworn's^),  welcher  [58]  Autor  an  einer  ganzen  Reihe  von 
Protisten  die  Angabe  Kühne's  bestätigte.  Doch  fand  er  auch  einige 
Flagellaten  und  Ciliaten,  welche  nebst  den  Bacterien  auf  der  Kathoden- 


i)  M.  Verworn,    Die  polare   Erregung   der   Protisten   durch    den  galvanischen 
Strom.     Pflüger's  Archiv  für  Physiologie  Bd.  45  u.  46. 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.   IL  37 


578      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Seite  die  Schliessungserregung  darbieten.  Bei  Anwendung  des  In- 
ductionsstromes  beobachtete  Verworn  gleich  Kühne  auf  beiden  Pol- 
seiten einen  körnigen  Zerfall,  während  der  mittlere  Theil  des  ein- 
zelligen Organismus  zunächst  unverändert  blieb. 

Meine  mitgetheilten  Versuche  mit  dem  Gleichstrom  zeigten, 
dass  die  F  r  o  s  c  h  e  i  e  r  ä  h  n  1  i  c  h  A  c  t  i  n  o  s  p  h  ä  r  i  u  m  bei  geschlossenem 
Strome  zuerst  und  am  stärksten  auf  der  Anodenseite  al- 
terirt  werden,  und  dass  erst  erheblich  später  eine  weniger  starke 
und  oft  weniger  scharf  begrenzte  ^'^eränderung  auf  der  Kathodenseite 
stattfindet. 

Ueber  die  besondere  Wirkung  des  Stromschlusses,  respective 
der  Stromunterbrechung  habe  ich  keine  Versuche  gemacht,  was  bei 
der  von  mir  beobachteten  Reactionsweise  wohl  auch  schwerer  möglich 
gewesen  wäre,  immerhin  aber  durch  Ein-  und  Ausschleichen  hätte 
geschehen  können. 

Meine  V  e  r  s  u  c  h  e  sollen  nicht  die  Beispiele  über  die  specielle 
LocaHsation  der  Schliessungs-  oder  Oeffnungsveränderung  auf  die 
Kathoden-  oder  Anodenseite  vermehren  ;  sondern  d  er  Sc h  av e r p u n  c  t 
derselben  liegt  in  d  e r  n e u e n  A r t  d  e r  R e a c t i o  n  e i n  e s  a u c h 
noch  nicht  als  reactionsf ähig  bekannt  gewesenen  leben- 
den Materiales,  besonders  aber  in  der  scharf  umgrenzten, 
typisch  gestalteten  Localisation  dieser  Reaction,  w^elche 
letztere  bei  unserem  Material  so  scharf  umschrieben,  so  bestimmt  ge- 
staltet auftritt,  dass  sie  unwillkürlich  zur  eingehenderen  Betrachtung 
und  zur  Frage  nach  ihren  Ursachen  auffordert  und  vielleicht  auch 
den  Physiologen  Gelegenheit  geben  wird,  den  Ursachen  der  po- 
laren Natur  der  electrischen  Erregung  etwas  näher  zu  treten. 

Es  wird  zunächst  unsere  Aufgabe  sein,  die  Ausdehnung  des 
Vorkommens  bezüglicher  Veränderungen  des  Weiteren 
zu  ermitteln  und  zugleich  festzustellen,  ob  etwa  noch  Varia- 
tionen der  Art  und  Localisation  auftreten,  welche  uns  einen 
weiteren  Blick  in  das  Wesen  der  Vorgänge  zu  thun  gestatten. 

Da  jedoch  die  besprochenen  Reactionen  embryonaler  Protoplasten 
auf  den  electrischen  Strom  mit  denjenigen  "\^orgängen,  auf  welchen 
die  mich  speciell  angehenden,  normalen  Gestal-  [59]  tungen  der  Orga- 


Erläuterung  einiger  Termini  technici.  579 


nisiiicn  beruhen,  nur  in  geringer  Beziehung  zu  stehen  scheinen, 
so  beabsichtige  ich  nicht,  die  neuen  Erscheiniingen  bis  in's  Letzt- 
möffhche  zu  verfolgen. 


'ö' 


Erläuterung  einiger  T  e  r  m  i  n  i  technici. 

Ehe  \Yir  weiterschreiten,  seien  einige  Termini  erläutert,  deren  (ge- 
brauch die  Darstellung  in  diesem  grösseren  Abschnitte  verkürzen  wird. 

Unter  den  Polen  eines  durchströmten  Gebildes  wird  jederseits 
die  der  Electrode  dieser  Seite  nächste,  also  gegen  die  Electrode  vor- 
springende Stelle  verstanden.  Die  Polseiten  sind  die  gegen  die 
Electroden  gewendeten  Seiten  eines  Gebildes.  Als  Polmeridiane 
werden  die  über  die  Oberfläche  des  betreffenden  Gebildes  von  Pol  zu 
Pol  gezogenen  Linien  minimaler  Krümmung  benannt.  Das  Polfeld 
bezeichnet  den  Pol  und  dessen  Umgebung,  wenn,  respective  sow^eit 
die  Theile  durch  den  Strom  polar  verändert  worden  sind.  Pol  an- 
schnitt sei  der  Abschnitt  des  durchströmten  Objectes,  der  etwa  durch 
eine  Fläche  minimaler  Krümmung  abgetrennt  wird,  welche  durch  die 
Grenzlinie  oder,  \venn  sie  vorhanden  ist,  durch  die  Grenzfurche  des 
Polfeldes  hindurch  gelegt  werden  kann.  Die  beiden  Flächen  fassen 
zwischen  sich  die  Äeqnatorscheihe.  Wenn  vom  Äequator  gesprochen 
wird,  so  ist  immer  der  von  den  Polfeldern  flankirte  mittlere  Theil  der 
Oberfläche  des  durchströmten  Gebildes,  also  genauer  der  electri sehe 
Äequator  gemeint;  und  unter  der  Breite  des  Aeqüators  verstehen 
wir  seine  Ausdehnung  in  Richtung  des  Stromes.  Da  letzterer  bei 
unserer  wagrechten  Anordnung  der  Electroden  zu  einander,  und 
bei  der  wagrechten  Stellung  unserer  Schalen  immer  in  wagrechter 
Richtung  verläuft,  so  ist  der  Äequator,  soweit  er  Niveauflächenrichtung 
des  ganzen  Feldes  hat,  immer  senkrecht  orientirt. 

Bei  Anwendung  des  Gleichstroms  wird  das  der  Anode  zuge- 
wendete Polfeld  als  positives  oder  anodisches,  das  der  Kathode 
zugewendete  als  negatives  oder  kathodisches  Polfeld  der  Kürze 
halber  bezeichnet,  ohne  dass  damit  irgend  etwas  über  die  anodische 
oder  kathodische  Natur  dieser  Polfelder  angedeutet  sein  soll.  Das- 
selbe gilt  von  der  Bezeichnung   der   beiden  Polseiten    eines  Gebildes. 

37* 


580      Ni\  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Von  dem  „electrischen  Aequator"  ist  zu  nnterscheiden  der  Ei- 
äquator,  worunter  man  am  Frosch-  und  Tritonei  die,  bei  [60]  ge- 
wöhnlicher Einstelhing  des  Eies  wagrechte  Grenzzone  des  oberen,  pig- 
raentirten:  braunen  oder  schwarzen,  mehr  protoplasmatischen  und 
daher  specifisch  leichteren  Eiabschnittes  gegen  den  unteren,  hellen, 
mehr  aus  den  specifisch  schwereren  Dotterkörnern  gebildeten,  bald 
grösseren,  bald  kleineren  Eiabschnitt  versteht.  Diese  beiden,  gewöhn- 
lich ungleich  grossen  Eiabschnitte  werden  als  obere,  braune  oder 
dunkle,  und  untere  oder  helle  Hemisphäre  bezeichnet.  Unter  Eiaxe 
versteht  man  die  gerade  Verbindungslinie  der  Mittelpuncte  der  Ober- 
flächen beider  Hemisphären. 

Ferner  seien  noch  einige  Termini  der  ersten  Entwickelungsstufen 
kurz  erläutert.  Das  in  eine  grössere  Zahl  von  abgerundeten  und  ent- 
sprechend nach  aussen  sich  vorwölbenden  Zellen  zertheilte  Ei  führt 
wegen  seiner  Aehnlichkeit  mit  einer  Maulbeere  den  Namen  Morula. 
Es  hat  in  seinem  Innern  eine  kleine  Höhle.  Ist  diese  Höhle  gross 
geworden,  so  heisst  das  Ei  Keimblase  s.  Blastula;  dabei  sind  zu- 
gleich die  Zellen  mehr  aneinander  und  nach  aussen  abgeplattet  und 
so  klein,  dass  man  sie  mit  unbewaffnetem  Auge  nicht  mehr 
gut  erkennt.  Das  nächste,  gleichfalls  noch  kugelig  gestaltete 
Stadium  heisst  Bauchlarve  s.  Gastrula  und  entsteht  unter  Bildung 
einer  neuen,  mit  der  Aussenwelt  communicirenden  Höhle  im  Innern; 
die  Mündung  dieser  Höhle  heisst  derUrmund.  Danach  wird  aussen 
eine  lange  Furche  am  Ei  gebildet,  die  M  e  d  u  1 1  a  r  f  u  r  c  h  e ,  deren  beide 
tländer  sich  einander  nähern,  schliesslich  vereinigen.  Das  so  aus  der 
inneren  Wandung  der  Furche  hervorgegangene  Rohr  ist  das  Med ul- 
larrohr,  die  Anlage  des  Centralnervensystems.  Diese  Entwickelungs- 
stufc  führt  bereits  den  Namen  Embryo.  Derselbe  ist  nicht  mehr 
kugelig,  sondern  länglich  und  an  den  Seiten  abgeplattet;  er  besteht 
schon  aus  drei  Keimblättern,  dem  äusseren  oder  E  c  t  o  b  1  a  s  t ,  dessen 
das  Medullarrohr  bildender  Tlieil  als  Med  ullarplatte  bezeichnet 
wird,  zweitens  dem  inneren  oder  En toblast,  welches  die  Aus- 
kleidung des  Darmcanals  und  seiner  Derivate  bildet;  und  zwischen 
diesen  beiden  Blättern  findet  sich  das  mittlere  Keimblatt  oder  das 
Mesoderm.     Die  weiterhin  mitgetheilten  Versuche  an  Froscheiern  er- 


Methode  zur  Gewinnung  von  Gleichstrom  aus  Wechselstrom.  581 


strecken  sich  allein  auf  den  grünen  Wasseri'roscli  (Rana  escu- 
lenta),  der  aus  dem  Etschthal  bezogen  war,  da  die  zu  den  Versuchen 
der  früheren  Mittheilungen  fast  ausschliesslich  [ftl]  verwendeten  Eier 
des  brauneu  Grasf rösches  (Rana  fusca)  nicht  mehr  brauchbar  waren. 

Für  gewöhnlich  wurde  mit  dem  Wechselstrom  gearbeitet; 
daher  ist  immer  da,  wo  einfach  von  Strom  die  Rede  ist,  der  Wechsel- 
strom gemeint.  Da  die  Herrichtung  der  BuNSEN'schen  Batterie  natür- 
lich besondere  Umstände  und  Kosten  verursachte,  so  wurden  mit 
diesem  Gleichstrom  nur  wenige  Versuche  gemacht. 

Erst  später  gelang  es  mir,  eine  Einrichtung  zu  treffen,  mn 
aus  dem  mir  zur  steten  Verfügung  stehenden  Wechselstrom  einen 
Gleichstrom  zu  gewinnen;  was  eine  grosse  Bequemlichkeit  darstellt. 
Indess  besitzt  der  Apparat  noch  Mängel,  deren  Beseitigung  zunächst 
anzustreben  ist '). 

Die  Durcliströmung  fand,  wenn  nicht  anders  vermerkt,  in 
runden  Glasschalen  und  in  Wasserleitungswasser  statt.  Das  In- 
strumentarium bestand  in  Platinelectroden,  einem  Stromschalter, 
einem  etwas  trag  reagirenden  Federbart-Galvanoscop,  welches 
nur  grobe  Schätzungen  der  Stromstärke  von  ^/lo  Ampere  uud  darüber 
gestattete,  so  dass   es  bei  den   grossen  Widerständen  meiner  Objecto 


[ij  Die  Entdeckung  dieser  Methode  der  Gewinnung  eines  Gleich- 
stromes aus  einem  Wechselstrom  knüpft  an  eine  zufällige  Beobachtung  an. 
Ich  hatte  in  den  starken  Wechselstrom  meines  Institutes  zur  Abschwächung  eine 
Schale  mit  schwacher  Kochsalzlösung  eingeschaltet  und  bemerkte  in  der  Beobachtungs- 
schale auf  einmal,  dass  der  metallische  Intraelectrolyt  blos  auf  einer  Seite  ein  dunkles 
Polfeld  bildete,  während  gleichzeitig  von  den  Electroden  der  ersteren  Schale  in  Folge 
von  Erhitzung  ein  Ton  ausging. 

Ich  leitete  daher  zur  Verbesserung  der  Anordnung  den  Wechselstrom  durch 
einen  WAGNER'schen  Hammer  und  fand  bald  mit  der  Schraube  eine  Einstellung  des- 
selben, bei  welcher  die  Umgebung  des  einen  von  beiden  in  Phenolphthalleinlösung 
getauchten  Electroden  sich  röthete.  Der  so  gewonnene  Gleichstrom  ändert  aber 
leicht  seine  Ricjitung,  zumal  bei  plötzlicher  Aenderung  des  Leitungswiderstandes. 
Dieser  Fehler  wird  gemildert,  wenn  man  den  Wechselstrom  durch  z  wei  WAGNER'sche 
Hämmer  laufen  lässt. 

Die  Messung  mit  Amperemeter  und  Voltameter  ergaben,  dass  der  Wechselstrom 
beim  Passiren  des  Hammers  um  32°'o  geschwächt  wurde  und  dass  von  dem  übrigen 
Strom  57  °o  Gleichstrom  aber  43  "/o  noch  Wechselstrom  waren. 

Man  gewinnt  also  mit  dieser  Methode  keinen  reinen  Gleichstrom,  auch  ist  er 
intermittirend ;  aber  vielleicht  hat  er  physiologisch  interessante  Wir- 
kungen?] 


582      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


meist  Dicht  reagirte,  und  einem  Amperemeter  mit  Theilmig  von 
1 — 12  Amperes.  Die  Verwendmig  letzterer  beiden  Instrumente,  sowie  der 
BuNSEN'schen  Elemente  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Collegen  Wass- 
MUTH,  des  interimistischen  Vorstandes  des  k.  k.  physicalischen  Institutes 
der  Universität.  Leider  erst  gegen  den  Schluss  der  Untersuchungen  Hess 
ich  mich  herbei,  ein  Horizontalgalvanometer  von  Reiniger,  Gebbert 
und  Schall  in  Erlangen,  welches  von  Vio— 5  Milliampere  getheilt  ist, 
sowie  oblonge  Glas  schalen  anzuschaffen,  womit  dann  manche, 
neuen  Aufschluss  gewährende  Versuche  ermöglicht  wurden. 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Aethalium  septicum. 

An  Protisten  begonnene  Versuche  gab  ich  sofort  als  unnöthig 
auf,  nachdem  ich  die  oben  citirteu  ausgedehnten  Untersuchungen 
Veravorn's  kennen  gelernt  hatte.  Ich  theile  daher  nur  einige  Versuche 
an  dem  gleichfalls  von  Verworn  geprüften  Aethalium  septicum  mit, 
obschon  ich  von  diesem  Materiale  noch  nicht  das  geeignete  Ent- 
wickelungsstadium  angetroffen  hatte ,  und  daher  nur  einige ,  zum 
Theile  eigentlich  nicht  hieher  gehörige  Beobachtungen  an  ihm  ge- 
macht habe. 

Ich  fand,  dass  die  aus  der  Lohe  nach  dem  Regen  entnommenen 
Theile  der  Lohblüthe  sich  sehr  verschieden  gegen  den  (62]  Wechsel- 
strom verhalten.  An  Stückchen  mit  amöboiden  Fortsätzen  w^urde 
manchmal  beim  Stromschluss  die  Rinde  jedes  freien  Fortsatzes  ge- 
sprengt, und  während  der  Dauer  des  Stromes  fand  ein  Ausströmen 
von  Inhalt  statt,  welches  mit  der  Stromunterbrechung  cessirte,  mit 
dem  neuen  Schlüsse  wieder  einsetzte.  Bei  anderen,  anscheinend 
gleichen  Fortsätzen  blieb  jedoch  diese  Re actio n  aus. 
Bios  einmal  trotz  vieler  Versuche  beobachtete  ich  an  zwei  solchen 
Fortsätzen  auf  der,  einer  Electrode  zugewendeten  Seite  unmittelbar 
nach  dem  Stromschlusse  eine  Bildung  von  Kerben  und  danach 
von  glänzenden  Körnern  von  S,ö  fi  Grösse  an  dieser  Stelle 
der  35 — 70  /^i  messenden  Fortsätze  eines  Klumpens  von  0,4  mm 
Durchmesser.  Später  trat  blasige  Entartung  dieser  Fort- 
sätze   ein.     Die    Protoplasmakörnchen    mancher    Fortsätze    Averden 


Wirkt  der  Wechselstrom  auf  die  ßefruchtungsrichtung?  583 


während  des  Durchströmens  stärker  sichtbar,  unscheineiid  durch  Aui"- 
liören  eines  nach  der  Durchströmung  vorhandenen  minimalen  Zitterns 
der  Substanz.  AehnUcli  giebt  W.  Kühne  (1.  c.  p.  31)  an,  dass  bei 
der  Durchströmung  der  Amöben  mit  dem  Inductionsstrome  die 
Körnchenbewegung  in  denselben  aufhört. 

Nicht  selten  findet  man  durch  dunkle  Körner  schwach  bräunlich 
gefärbte  Protoplasmakugeln  von  84—100  f.i ,  die  sich  während  der 
Durchströmung  durch  zwei  parallele  Furchen  einschnüren,  sodass  ein 
der  unten  mitgetheilten  Anfangsreaction  der  Fischeier  sehr  ähnliches 
Bild  entsteht;  jedoch  kommen  bei  Aethalium  diese  Bildungen  auch 
ohne  Durchströmung  häufig  vor. 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Hydra  fusca. 

Von  wirbellosen  Metazoen  prüfte  ich  nur  das  Verhalten  der  Hydra 
fusca  an  einigen  Exemplaren,  Avelche  ich  der  Güte  des  Herrn  Collegen 
VON  Lendenfeld  verdanke.  Sie  reagirten  gleichfalls  deutlich  polar. 
An  den  direct  bestrahlten  Pol  selten  fand  Contraction  der 
Zellen  unter  Entleerung  ihres  Inhaltes  statt;  ein  Vor- 
gang, dessen  allmähliches,  von  beiden  Polen  ausgehendes  räumliches 
Weit  er  seh  reiten  am  Thiere  bei  wiederholten  momentanen  Strom- 
schh essungen  deutlich  verfolgt  werden  konnte.  Die  Zellen  der 
Aequatorgegend  blieben  längere  Zeit  unversehrt.  In  den  Polfeldern 
fand  zuerst  eine  Schichtensonderung  statt,  welche  genauere  Unter- 
suchung verdient. 

Wirkung  des  „Wechselstromes"  auf  Raua  esculeiita. 

1.  Wirkt  der  „Wechsels trom"  auf  die  Besamungsrichtung 
#und  auf  die  Copulationsrichtung? 

[63]  Zu  den  Amphibien  zurückkehrend,  sei  zunächst  als  Fort- 
setzung der  Ausgangsbestrebungen  der  vorliegenden  Untersuchung 
über  einige  Versuche  zur  Ermittelung  eventueller  Einwirkung  des 
Wechselstromes  auf  die  Besamungsrichtung  des  Eies,  sowie  auf  die 
Copulationsrichtung  des  Eikernes  und  Samenkernes   berichtet,  wobei 


584       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

zugleich  auch  eine  für  unsere  zweite  Aufgabe  wichtige  Beobaclitung 
gemacht  wurde. 

Um  nicht  etwa  einen  Einfluss  des  Wechselstromes  blos  auf  die 
Bewegung  der  Samenkörper  innerhalb  der  Gallerthülle  der  Froscheier 
festzustellen,  da  das  „zuerst"  an  der  schwarzen  Eirinde  ankommende 
Samenthierchen  das  Froschei  befruchtet,  sondern  um  den  Einfluss 
d  e  s  S  t  r  o  m  e  s  auf  d  i  e  B  e  s  a  m  u  n  g  d  e  s  E  i  e  s  zu  ermitteln,  wurden 
Eier  des  grünen  Frosches  erst  zehn  Minuten  nach  der  Begiessuug 
mit  Samen  (also  zu  einer  Zeit,  da  die  Samenkörper  die  Gallerthülle 
schon  bald  durchdrungen  haben  und  an  das  Ei  selber  gelangen)  mit 
dem,  durch  Einschaltung  der  81  cm  langen,  mit  V<t  procentiger  Koch- 
salzlösung gefüllten  Röhre  geschwächten  Strom  in  constanter  Rich- 
tung durchströmt.  Es  konnte  sich  dabei  herausstellen,  dass  etwa  die 
Samenkörper  leichter  an  den  Polen  oder  an  dem  electrischen  Aequator 
eintreten,  was  daran  zu  erkennen  gewesen  sein  würde,  dass  die  später 
auftretende  erste  Theilungsebene  des  Eies  durch  diese  Stelle  hindurch 
ginge;  denn  ich  habe  früher  experimentell  nachgewiesen  (Nr.  21), 
dass  bei  zwanglos  gehaltenen  Froscheiern  die  erste  Theilungsebene 
(welche  zugleich  das  Ei  halbirt  und  senkrecht  steht)  durch  die  Ein- 
trittsstelle des  Samenkörpers  in  das  Ei  hindurch  geht.  Die  Durch- 
strömung wurde  fortgesetzt,  bis  die  Eier  sich  nach  32  Minuten  mit 
den  hellgelben  Hemisphären  nach  unten  gedreht  hatten,  also  bis  zum 
ersten  äusseren  Zeichen  der  erfolgten  Befruchtung.  Als  nach  2^/4 
Stunden  die  erste  Theilung  eintrat ,  standen  jedoch  die  T  h  e  i  - 
lungsebenen  der  Eier  ohne  jede  constante  Richtung  zu 
den  Stromlinien. 

[64]  Unmittelbar  nach  der  Strom  Unterbrechung  in  dieser  Schale 
wurde  mit  demselben  Strom  eine  andere  Schale  durchströmt,  deren  Eier 
sich  soeben  gedreht  hatten.  Es  geschah,  um  zu  prüfen,  ob  die  Strom- 
richtung  auf  die  Richtung  der  nun  folgenden  Vereini- 
gung des  Samenkernes  und  des  Eikernes  wirke,  welche 
Vereinigungsrichtung,  wie  ich  loco  cit.  gezeigt  habe,  gleichfalls  die 
Richtung  der  ersten  Furche  zu  beeinflussen  vermag.  Nach  2^4  Stunden 
lang  fortgesetzter  Durchströmung  trat  die  erste  Theilung  ein;  aber 
die  Richtungen  dieser  Theilungen  Hessen  wieder  keine  Beziehungen 


Wirkt  der  Wechselstrom  auf  die  Befruchtungsrichtung?  585 


zu  deu  Stromriclitungüii  erkennen.  Da  ich  in  Abschnitt  I,  (s.  S.  556) 
dargethan  habe,  dass  der  Wechselstrom  als  solcher  nach  statt- 
gehabter Copulation  dieser  Kerne  nicht  richtend  auf  die  „erste 
Theilung"  des  Furchungskernes,  sowie  auf  die  des  Zellleibes 
der  Eier  zu  wirken  vermag,  so  hätte  eine  jetzt  hervorgetretene 
Constanz  in  der  Stellung  dieser  ersten  Theilungsrichtung  zur  Strom- 
richtung eine  Einwirkung  des  Stromes  auf  die  Copulationsrichtung 
erschliessen  lassen. 

Während  dieser  lang  dauernden  Durchströmung  hatten  blos 
die  den  Electroden  nächsten  Eier  Polfelder,  und  zwar  blos  von  sehr 
geringem  Umfange  gebildet.  Es  erhellt  also,  dass  die  anderen,  ferner 
stehenden  Eier  mit  der  stärksten  noch  ertragenen  Strom- 
dichte behandelt  worden  waren.  Da  damit  aber  keine  richtende 
Wirkung  auf  die  Besamungsrichtung  und  auf  die  Copulationsrichtung 
erzielt  worden  ist,  so  geht  hervor,  dass  der  Wechselstrom  eine 
r  i  c  h  t  e  n  d  e  W  i  r  k  u  n  g  auf  d  i  e  V  o  r  g  ä  n  g  e  der  Besamung  des 
Eies  und  der  Copulation  der  V  o  r  k  e  r  n  e  überhaupt  nicht 
auszuüben  vermag;  und  da  die  Durchströmung  auf  die  Periode 
der  Theilung  des  durch  die  Copulation  gebildeten  Furchungskernes 
und  des  Zellleibes  ausgedehnt  worden  war,  so  ist  zugleich  auch  die 
Unwirksamkeit  des  Wechselstromes  auf  die  Richtung  der  Theilungs- 
vorgänge  des  Furchungskernes  und  des  Dotters  auf's  Neue  bestätigt 
worden  (s.  S.  572). 

2.  Pol arisir ende  Wirkung  sehr  schwachen  Stromes 

auf  das  Ei. 

Die  mit  den  kleinen  Polfeldern  versehenen  Eier  zeigten  zugleich 
ein  interessantes  Verhalten  ihres  Aequators.  Dieser  fast  die  ganze 
Eioberfläche  eiftnehmende  Aequator  war  hell  geworden  und  in  der 
Richtung  von  Polmeridianen  braun  gestreift,  siehe  Taf.  VIII 
Fig.  4.    Die  so  veränderten  Eier  hatten  die  erste  Furche  nicht  gebildet. 

[65]  Die  daran  sich  anreihenden  Eier  in  der  Mitte  des  Strom- 
feldes hatten  blos  punctförmige  Polfelder  gebildet  und  be- 
sassen  im  Aequator  die  erste  Furche,  welclie  wieder,  wie  schon 


586      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

im  ersten  Abschnitte  ein  Mal  beobachtet  und  mitgetheilt  ist  (s.  S.  556),  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  (an  20 von  30  Eiern)  die  Polfelder  direet 
verband.  Bei  den  übrigen  Eiern  aber,  welche  keine  äussere  Verände- 
rung durch  den  Strom  erkennen  liessen,  standen  die  ersten  Furchen 
in  beliebigen  Richtungen  durcheinander. 

3.  Weitere  polarisirende  Wirkungen  auf  ,,ungetlieilte"  Eier 
von  Rana  esculenta. 

Die  früheren  Mittheilungen  üljer  Froscheier  bezogen  sich  fast 
ausschliesshch  auf  den  braunen  Gras fro seh,  die  nachfolgenden 
dagegen  ausschliesslich  auf  den  grünen  Wasserfrosch,  Rana  esculenta. 
Diese  Froscheier  sind  mir  von  früher  her  als  die  weit  empfindlicheren 
bekannt;  und  dementsprechend  traten  auch  unter  den  vorliegenden 
Verhältnissen  einige  Reactionen  stärker  auf.  x4.usserdem  gestattet  die 
hellbraune  Färbung  eine  genauere  Beobachtung  der  Veränderungen 
der  oberen  Hemisphäre,  als  sie  bei  den  schwarzen  Eiern  der  anderen 
Species  möglich  war.  Drittens  wurde  jetzt,  nachdem  in  den  früheren 
Beiträgen  die  Hauptzüge  des  Bildes  der  Veränderungen  festgestellt 
waren,  die  Aufmerksamkeit  mehr  den  Einzelheiten  zuge- 
wendet und  dadurch  eine  principiell  wichtige  Erweiterung 
unserer  Kenntniss  der  bezüglichen  Reactionen  gewonnen. 

Auch  für  die  Eierstockseier  von  Rana  esculenta  bestätigte 
sich ,  was  ich  früher  von  denen  der  Rana  f usca  angegeben  habe ; 
nämlich,  dass  der  Aequator  um  so  grösser  ist,  je  kleiner 
die  Eier  sind.  Während  z.  B.  ein  Ei  von  1,7  mm  Durchmesser 
bei  10  Minuten  langer  Durchströmung  einen  Aequator  von  blos 
0,16  mm,  also  von  O'^/o  hat,  ist  ceteribus  paribus  der  Aequator  eines 
Eies  von  0,37  mm,  0,24  mm,  also  64 o/o  breit.  Dies  verschiedene  Ver- 
halten rein  proto])lasmatischer  und  andererseits  dotterkörnerhaltiger 
Eier  entspricht  der  an  reifen  Eiern  gemachten  Beobachtung,  dass  der 
Aecjuator  im  Bereiche  der  oberen  braunen  Hemisphäre 
deutlich  breiter  ist,  also  im  unteren,  vorzugsweise  aus  Nahrungs- 
dotter bestehenden  Theile,  sowie  dass  bei  abnormer  Stellung  des 
Eies  mit  der  braunen  Hemisphäre  statt  nach  oben,  seitlich  gegen 
eine  Electrode  hin,    das  braune  Polfeld  viel   kleiner  wird  als 


Weitere  polarisirende  Wirkungen  auf  ungetheilte  Eier  von  Rana  esculenta.       587 


das  helle.  Anden  noch  durchscheinenden,  also  noch  nicht  nahrungs- 
dotterhaltigen  [66]  Eiern  bis  herab  zu  einem  Durchmesser  von  z.  B. 
0,29  mm  sind  die,  letzteren  Falles  blos  0,04  mm  breiten,  Polfelder 
durch  Trübung  des  Protoplasmas  und  scharfe,  ebene, 
parallele  Abgrenzung  der  Trübung  gegen  den  0,21  mm 
breiten  Aequator  vollkommen  deutlich.  An  noch  kleineren  Eiern 
(die  kleinsten  messen  0,12  mm)  konnte  ich  auch  mit  Zeiss'  Objectiv 
A  keine  Polarisation  erkennen.  Jedoch  auch  grössere  Eier,  welche 
so  trocken  lagen,  dass  sie  nicht  von  ein  Wenig  Gewebesaft  um- 
geben waren,  liessen  gleichfalls  keine  Reaction  erkennen. 

Veränderungen  der  ungetheilten  reif  en  Eier  von  R.  esculenta: 
Nur  bei  kurzdauernder  Durchströmung  ist  im  Bereiche  der 
braunen  Hemisphäre  der  Aequator  breiter  und  nimmt  bis  zum 
Beginne  der  unteren  hellgelben  Hemisphäre  stetig  an  Breite  ab,  um  auf 
dieser  letzteren  dann  gleich  schmal  zu  bleiben,  s.  Taf.  VIII  Fig.  1.  Bei 
längerem  Durchströmen  dagegen  wird  der  Aequator  oben  schmäler, 
oft  so  schmal,  dass  blos  eine  Furche  übrig  bleibt.  Diese  nachträg- 
liche Veränderung  ist  bei  Rana  esculenta  durch  die  Ue  her  Wöl- 
bung der  Polabschnitte  über  den  Aequator  und  durch  das 
Aufsteigen  aus  ihnen  ausgetretener  Substanz  bedingt.  Auf  der  unteren 
Hemisphäre  sind  oft  ganz  deutliche  weisse  Niveaulinien  oder 
schon  Niveaufurchen  vorhanden,  ehe  die  Polfelder  selber  merk- 
lich weisser  geworden  sind;  die  „Niveaulinien^^  sind  also  Stellen 
erster  stärkster  Veränderung.  Der  Aequator  ist  auf  der 
unteren  Hemisphäre  oft  weisser  als  die  schwach  gelblich  gebhe- 
benen  Polfelder.  Auch  oben  wird  der  Aequator  oft  heller  durch 
Wegwanderung  des  braunen  Pigmentes  von  den  Rändern, 
so  dass  es  wieder  blos  in  der  Mitte  des  Aequators  noch  als  ein  brauner 
Streif  vorhanden  ist,  während  unten  der  anfangs  noch  in  der  Mitte 
des  Aequators  verbliebene  gelbliche  Streifen  bald  unter  zunehmender 
Verschmälerung  verschwindet. 

Bei  sehr  schwachem  Strom  dagegen  bilden  die  ungetheilten 
Eier  nur  ein  oder  mehrere  Extraovattröpfchen  an  den  beiden  Polen 
des  Eies.  Sind  mehrere  Extraovate  entstanden,  so  liegen  sie  manch- 
mal in  einer  wagrechten  Linie,  nahe  am  Eiäquator,  manchmal  aucli 


588      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


in  einer  senkrechten  Linie,  manchmal  in  nnregehnässiger  Anordnung 
um  den  Pol;  ein  Verhalten,  welches  also  auf  verschiedene  örtliche 
Disposition  [67]  der  Eier  zur  Bildung  der  Extraovate,  resp.  zur  Durch- 
brechung der  Eirinde  hinweist. 

Ueber  die  Dauer  dieser  Reactionsf  ähig  keit  wurden  noch 
einige  Beobachtungen  gemacht. 

Vier  Tage  lang  in  Wasser  gestandene,  unbefruchtete,  schon 
hochgradig  zersetzte  vacuolisirte  Eier,  bei  welchen  schon  Oel 
sich  ausgeschieden  und  oben  angesammelt  hatte,  bildeten  noch 
schöne  Niveauringe,  innerhalb  deren  die  Eirinde  auch  aufplatzte 
und  Eiinhalt  austreten  liess.  Diese  noch  reagirenden  Eier  hatten 
aber  noch  den  schwach  gelblichen  und  schwach  durchscheinenden 
Ton  der  Eirinde.  Dagegen  reagirten  blos  drei  Tage  alte,  auf  Eis 
gestandene  gleichfalls  unbefruchtete  Eier,  die  ihren  gelblichen 
transparentenTon  verloren  hatten  und  daher  oben  opakbraun 
oder  grauweiss,  unten  opakweisslich  waren,  nicht  mehr;  dasselbe 
war  der  Fall  bei  vollkommen  un verfärbten,  aber  durch  Car- 
boldämpfe  vergifteten  Eiern. 

An  oben  zersetzten  und  daselbst  nicht  mehr  deutlich  reagi- 
renden Eiern  kommt  es  vor,  dass  sich  auf  der  unteren  Hemisphäre 
noch  deutliche  Niveaufurchen  bilden;  die  Reaction  ist  also 
ein  localer,  nicht  ein  vom  ganzen  Ei  vermittelter  Vorgang. 

Die  Polfeldergrenzen  verlieren  ihre  den  Niveauflächen  des  um- 
gebenden homogenen  electrischen  Feldes  entsprechende  Richtung, 
wenn  die  runde  Gestalt  der  Eier  erheblich  alterirt  wird.  Sind 
z.  B.  die  Eier  während  der  Durchströmung  zwischen  parallele  ebene 
Glasplatten  gepresst  und  dadurch  abgeplattet,  so  ist  der  Aequator 
zwar  an  den  Rändern  noch  parallel  contourirt,  an  den  abgeplatteten 
Flächen  dagegen  stark,  fast  zu  einer  runden  Scheibe  verbreitert,  und 
die  Polfelder  sind  demnach  etwa  viertelmondförmig  (s.  Taf.  IX  Fig.  14). 
AVerden  die  Eier  in  enge  Glasröhren  aspirirt  und  dadurch  mannig- 
fach deformirt,  so  erhalten  keilförmig  gestaltete,  etwas  schief  zur 
Röhre  stehende  Eier  beim  Durchströmen  einen  k  e  i  1  f  ö  r  m  ig  e  n  Ae  qu  at  o  r ; 
ovale  schief  stehende  Eier  bilden  einen  stark  schief  zur  Hauptrichtung 
des  Stromes  stehenden,  aber  noch  parallel  contourirten  Aequator. 


Weitere  polarisirende  Wirkung  auf  ungetheilte  Eier  von  Rana  esculenta.      589 


Bei  der  Beurtheilung  dieses  neuen  Verhaltens  ist  jedoch  daran 
zu  denken,  dass  zwei  Componenten  zugleich  geändert  wor- 
den sind,  ausser  der  Gestalt  des  Eies  auch  die  Gestalt  [68]  des 
sie  umgebenden  electri sehen  Feldes.  Wir  werden  später  die 
l)esonderen  Wirkungen  jeder  dieser  beiden  Componenten  getrennt  zu 
beurtheilen  Gelegenheit  nehmen. 

Zwischen  parallele  ebene  Glasplatten  gepresste  Gastrulae 
können,  trotz  gleich  grosser  Abplattung  als  an  den  eben  erwähnten 
Eiern,  gleichwohl  noch  einen  parallel,  geradlinig  contourirten  Aequator 
bilden ;  wobei  man  sich  wohl  daran  zu  erinnern  hat,  dass  die  Gastrulae 
gewöhnlich  eine  dicker  gequollene  Gallerthülle  besitzen  als  die  noch 
ungetheilten  Eier.  Doch  kommt  an  solchen  Gastrulae  auch  die  er- 
wähnte centrale  Verbreiterung  des  Aequators  vor,  stark 
ausgesprochen,  jedoch  blos,  wenn  die  Gastrula  beim  Pressen  aufge- 
platzt ist  und  danach  ihre  beiden  durch  Pressung  entstandenen 
Flächen  eingesunken,  also  concav  sind,  wie  die  Seiten  eines  rothen 
Blutkörperchens. 

Die  Extraovate  ungetheilter  oder  einige  Mal  getheilter,  an- 
gestochener oder  gepresster  Eier  sind  immer  nackt,  das  heisst 
nicht  mit  der  typischen  elastischen  Eirinde  überzogen. 
Trotz  aller  Sorgfalt  in  der  Beobachtung  ist  es  mir  nicht  gelungen, 
eine  Bildung  von  Polfeldern  an  dieser  frisch  ausgetretenen  Ei- 
substanz  wahrzunehmen. 

An  Extraovaten  gepresster  Gastrulae  dagegen  konnte  ich 
wiederholt  sehen,  dass  sie  in  ein  Polfeld  oder  bei  geeigneter  Lage 
zwei  durch  einen  unveränderten  Aequator  getrennte,  gleich  denen 
der  Gastrula  selber  grau  verfärbte  Polfelder  bildeten.  Das  Extra- 
ovat  steht  in  diesen  Fällen  mit  der  Gastrula  noch  im  Zusammenhang 
und  bildet  nur  dann  zwei  Polfelder  und  einen  eigenen  Aequator, 
welcher  stets  mit  dem  der  Gastrula  zusammenhängt,  wenn  das  Extra- 
ovat  seitlich  vom  Stammtheil,  also  in  denselben  Niveauflächen 
mit  ihm  gelegen  ist.  Ist  dagegen  das  Extraovat,  vom  Stammtheil 
aus  gerechnet,  schief  zur  Stromrichtung  gelegen  oder  gar  einer  Elec- 
trode  zugewendet,  so  bildet  es  blos  ein  einziges,  dem  des  Stamm - 
theiles  zugehöriges  Polfeld. 


590      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Das  Gemeinsame  aller,  sichtbare  Polfelder  bilden- 
den Extraovate  aber  ist,  dass  sie  noch  einen  Epithel- 
überzug von  der  Gastrula  besitzen;  und  nur  soweit  dieser 
vorhanden  ist,  findet  erkennbare  Reaction  statt.  Dies  scheint  anzu- 
deuten, dass  nackte  Extraovate  deshalb  nicht  reagiren, 
weil  ihnen  ein  reactionsf ähiger  Ueberzug  fehlt.  Indess 
habe  ich  an  Eiern,  welche  in  enge  Glasröhren  aspirirt  und  dabei  auf- 
geplatzt waren  unter  Ent-  [69]  leerung  des  grössten  Theiles  ihres  In- 
haltes, trotz  des  Vorhandenseins  der  längsgef alteten  E i r i n d e  am 
mittleren  Theile,  welche  jede  Veränderung  gut  hätte  wahrnehmen 
lassen,  beim  Durchströmen  keine  polaren  Veränderungen  be- 
obachten können. 

Einmal  hatte  ich  ein  seltenes,  theoretisch  besonders  wichtiges 
Verhalten  zu  beobachten  Gelegenheit.  Unter  den  Eiern  eines  Weib- 
chens fanden  sich  z  av  e  i  Eier,  welche  durch  eine  gemeinsame 
äussere  Gallerthülle  mit  einander  vereinigt  waren,  derart, 
dass  sie  gegen  einander  abgeplattet  und  nur  durch  eine  Gallertlage 
von  ein  Drittel  des  Eidurchmessers  von  einander  getrennt  waren. 
Siehe  Taf.  VIII,  Fig  5.  Ich  durchströmte  dieselben,  um  das  Specifische 
dieses  Falles  möglichst  zu  verwerthen,  in  Richtung  ihrer  Verbindungs- 
linie und  erhielt  an  jedem  Ei  ein  grosses,  je  die  halbe  Eioberfiäche 
einnehmendes,  äusseres  und  ein  kleineres,  dem  des  anderen  Eies 
zugewendetes,  inneres  Polfeld;  letztere  beiden  nahmen  ausser  der 
Abplattungsfläche  nur  noch  einen  schmalen  Saum  der  angrenzenden, 
gewölbten  Fläche  ein.  Beide  Polfelder  jedes  Eies  waren  durch  einen 
parallel  contourirten  Aequator  von  einander  getrennt.  Derselbe  Frosch 
bot  noch  zwei  mit  einander,  aber  weniger  nahe,  durch  ihre  Gallert- 
hüllen vereinigte  Eier  dar,  so  dass  dieselben  sich  nicht  an  einander  ab- 
platteten. Siehe  Taf.  VIII,  Fig.  6.  Beim  Durchströmen  auch  dieser  Eier 
in  der  Verbindungsrichtung  entstanden  wieder  zwei  äussere  grössere, 
und  zwei  gegen  einander  gewendete,  kleinere  Polfelder;  doch  waren 
hier,  bei  grösserem  Abstände  der  beiden  Eier,  die  Breitenunterschiede 
der  inneren  und  äusseren  Polfelder  nicht  so  erheblich  als  bei  den 
erste ren  einander  näheren  Eiern. 


Specialpolarisation  der  Zellen  des  getheilten  Eies.  591 


4.    Polarisirende  Wirkung  des   Wechselstromes    auf 
,,getheille"  Eier  von  Rana  esculenta. 

Gehen  wir  nun  zu  dem  eigenthümhchen  Verhalten  der  ein- 
oder  mehrfach  getlieilten  Eier  über. 

Bei  genauerer  Betrachtung  und  Erwägung  der  in  der  ersten 
]\Iittheilung  schon  kurz  erwähnten  Reactionen  in  mehrere  Zellen  ge- 
heilter Eier  (S.  553),  erkannte  ich,  dass  darin  eine  Specialpolarisation 
der  einseinen  Zellen  sich  ausspricht.   (Siehe  Taf.  VIII,  Fig.  7 — 11.) 

Ich  nahm  daher  Gelegenheit,  dieses  fundamentale  ^''erllalten  des 
Weiteren  kennen  zu  lernen. 

An  dem  in  zwei  und  mehr  Zellen  getheilten  Ei,  ebenso  wie  an 
der  Morula  und  noch  an  der  schon  in  kleine  Zellen  zerlegten  [70]  Blas- 
tula  beobachtete  ich,  dass  jede  Zelle  der  Eioberfläche  für  sich 
polarisirt  wird;  dies  derart,  dass  die  blos  an  den  Polseiten  des 
Eies  liegenden  Zellen  je  ,,ein"  von  aussen  sichtbares  Polfeld 
erhalten,  welches  dem  electrischen  Pole  dieser  Seite  des  Eies  zu- 
gewendet ist,  während  der  Aequator  den  distal  vom  Pol  gelegenen  Theil 
der  freien  Oberfläche  der  Zelle  einnimmt.  Die  Polfelder  neben 
einander  liegender  Zellen  formiren  die  erwähnten  concentrischen  Ringe 
um  den  Pol,  welche  Ringe  aber  durch  die  unregelmässige  Lagerung 
der  Zellen  sich  aus  lauter  Bruchstücken  zusammensetzen.  Die  im 
Polmittelpunct  gelegene  Zelle,  hat  ihr  Polfeld  in  der  Mitte 
der  Zelle,  ihren  Aequator  ringsum  und  unterscheidet  sich  da- 
mit von  den  anderen  Zellen. 

Die  Zellen,  welche  in  der  Mitte  zwischen  beiden  Polen,  also 
am  electrischen  Aequator  des  Eies  liegen  oder  den  Aequator 
von  aussen  her  noch  erreichen  (siehe  Taf.  VIII  Fig.  9  u.  10)  und  zugleich, 
wie  es  nach  den  ersten  Theilungen  und  noch  bei  der  Morula  der  Fall 
ist,  so  stark  sicÄ  verwölben,  dass  sie  von  beiden  Electroden  aus,  durch 
direct  aus  dem  Electrolyten  stammende  Stromfäden,  unter  keiner  oder 
nur  geringer  Ablenkung  derselben  von  ihrer  Bahn  im  Electrolyten 
getroffen  werden  können,  bilden  bei  genügend  starkem  Strom  gegen 
jede  Electrode  hin  ein  Polfeld  aus,  zwischen  welchen  beiden  der 
Zelläquator  gelegen  ist.     Dies  geht  so  weit,  dass  auch  neben  der  aqua- 


592      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

torialen  Mittelebene,  z.  B.  auf  der  linken  Hälfte  des  Eies,  also 
gegen  die  linke  Electrode  liegende  Zellen,  wenn  die  rechts  neben  ihnen 
liegenden  Zellen  gerade  eine  Lücke  lassen,  durch  welche  von  der 
rechten  Electrode  her  Stronifäden  aus  den  Electrolyten  in  die  erstere 
Zelle  eintreten  können,  diese  Zelle  dann  ausser  ihrem  grossen  hnken, 
noch  ein  deutliches,  wenn  auch  entsprechend  kleineres,  rechtes  Pol- 
feld ausbildet.  Aber  auch  anders  gelagerte,  zweite,  kleine  Zellpolfelder, 
welche  offenbar  eine  etwas  andere  genetische  Bedeutung  haben,  kommen 
vor  (siehe  Taf.  VIII  Fig.  8  und  10): 

An  erst  in  zwei  (Fig.  8),  vier  oder  acht  Zellen  getheilten  Eiern  sieht 
man  bei  so  kräftiger  äusserer  Rundung  dieser  Zellen,  dass  zwischen  ihnen 
gut  geöffnete  Furchen  entstehen,  an  der  Begrenzung  der  annähernd 
oder  ganz  quer  zum  Strom  orientirten  Furchen  der  Aequatorgegend, 
sowohl  in  der  Tiefe  derselben  wie  auch  gegen  ihre  Oeffnung  hin  auf- 
steigend, die  typische  Polfeldveränderung  an  den  die  Furche  begren- 
zenden Zellwänden.  Manchmal  schien  [71]  die  Veränderung  blos  an 
den  mehr  oberflächlichen  Theilen  der  Furchenwandung  vorhanden  zu 
sein  und  in  der  Tiefe  zu  fehlen ;  was  indess  sehr  schwer  zu  sehen  ist. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  Polfeldbildung  in  der  Tiefe  von  quer 
zum  Strom  orientirten  Furchen  steht  ein  gleichfalls  bei  Durch- 
strömung in  Wasser  beobachtetes  Ausbleiben  der  Veränderung 
an  ganz  gleich  gerichteten,  aber  mehr  auf  der  Polseite  des 
Eies  gelegenen  Furchen.  Es  war  deuthch  zu  erkennen,  dass  das 
Polfeld  sich  blos  auf  den  direct  von  den  Electroden  aus  bestrahlten 
Theil  der  Zelloberfläche  ausdehnte  und  nicht  auf  die  Wandungen  der 
hinter  dieser  Zelle  liegenden  Furche  übergriff.  Um  dieses  auffällige 
Verhalten  zu  verstehen,  werden  noch  weitere  Beobachtungen  über  die 
speciellen  Bedingungen  seines  Vorkommens  zu  machen  sein. 

Nach  anderer  Richtung  in  einem  Gegensatz  zu  der  in  der  Aus- 
bildung von  Polfeldern  sich  bekundenden  Wirkung  der  directen  Be- 
strahlung der  Zelloberfläche  steht  die  Thatsache,  dass  an  dem  schon 
jn  kleine  Zellen  zerlegten  Ei  nicht  die  ganze,  den  Stromfäden  ent- 
gegenstehende Fläche  der  Zelle,  sondern  immer  blos  der  pol  war  ts 
gelegene  Theil  dieser  Fläche  verändert  wird,  während  der 
distal  davon  liegende  Theil,  der  immer  noch  unter  einem  mehr  dem 


Specialpolarisation  und  Generalpolarisation  getheilter  Froscheier.  593 


rechten  sich  nähernden  Winkel  gegen  die  Stromfäden  des  umgebenden 
Feldes  gerichtet  ist  als  ein  Theil  des  Polfeldes  der  nächst  distalen 
Zellen,  unverändert  bleibt  und  so  den  Zelläquator  darstellt. 

Die  Niveaulinien  der  einzelnen  Zellen  platzen  bei  weiter 
fortgesetzter  Durchströmung  rasch  auf  und  stellen  so  die  weissen  Linien 
dar,  die  ich  in  der  ersten  Mittheilung  noch  auf  aufgeplatzte  Furchen 
zwischen  den  Zellen  bezog.  Diese  Täuschung  ward  dadurch  her- 
vorgerufen, dass  sich  die  ZellpoJf eider  wie  die  Polfelder  des  ganzen, 
ungetheilten  Eies  gegen  ihren  Aequator  etwas  erheben  und  so  durch 
eine  Furche  abgrenzen.  Dabei  ändert  sich  auch  etwas  die  Gestalt  der 
Zellen  und  Polfelder  durch  Abplattung  der  Zellen  und  durch  Schluss 
der  Furchen  zwischen  letzteren,  so  dass  man  in  diesem  Stadium  sehr 
leicht  die  Polfelder  zur  polwärts,  statt  zur  distal  vom  Eipol  gelegenen 
Zelle  rechnet;  diese  Täuschung  ist  oft  eine  so  vollkommene,  dass  nur 
die  genaue  Verfolgung  des  ganzen  Processes  von  seinem  Beginn  an 
vor  derselben  bewahren  kann. 

[72]  Die  Zellpolfelder  werden  im  Bereiche  der  oberen,  braunen 
Hemisphäre  des  Eies  von  Rana  esculenta  graubraun,  im  Bereiche  der 
gelblichen,  unteren  Hemisphäre  weis sl ich.  Die  Grösse  dieser  Polfelder 
nahm  vom  Eipol  gegen  den  electrischeu  Aequator  des  ganzen  Eies 
ab.  Die  Polfeldbildung  beginnt  bei  mittelstarkem  Strom  am  electri- 
scheu Pol  des  Eies  und  breitet  sich  von  da  aus  ausserordentlich  rasch 
auf  die  distal  gelegenen  Zellen  und  weiterhin  langsamer  auf  jeder 
einzelnen  Zelle  in  distaler  Richtung  aus. 

Ist  das  Ei  noch  nicht  feingetheilt,  so  bekommt,  wie  erwähnt, 
jede  Zelle  des  ganzen  Gebildes  ihr  Polfeld  und  ihren  Aequator. 
Ein  eigentlicher  electrischer  Gesammtäquator  des  Eies 
besteht  dabei  also  nicht,  er  umfasst  blos  die  von  beiden  Pol- 
seiten gegen  einander  stehenden  Zelläquatoren  der  Zellen  dieser  Gegend ; 
dem  entsprechend  ist  er  auch  nicht  durch  eine  fortlaufende  Linie 
jederseits  contourirt,  sondern  je  nach  der  Lage  der  ihn  bildenden 
Zellenäquatoren  bald  etwas  breiter,  bald  etwas  schmaler. 

Bei  der  weiter  fortgeschrittenen  Zertheilung  in  die  kleineren 
und  weniger  vorspringenden  Zellen  der  älteren  Blast ula  und  der 
Gastrula  dagegen    bleibt    ein   Gürtel,    von    den    Polen   am 

W.  Ronx,  Gesammelte  AbliandluDgen.    If.  38 


594      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

weitesten  abgelegener  Zellen  deutlich  unpolarisirt;  und 
wir  erhalten  damit  einen  Gesammtäquator,  der  aber  bei  genauem 
Zusehen  wieder  ungleich  breit  ist,  da  er  durch  Specialpolfelder  der 
austossenden  Zellen  begrenzt  wird;  je  kleiner  diese  Zellen  smd,  um 
so  weniger  treten  natürlich  diese  Ungleichheiten  hervor.  An  älteren 
Gastrulae  bleibt  auch  bei  stärkster  Anordnung  meines  Stromes  immer 
ein  Aequator  von  wenigstens  Vn  Eidurchmesser  oder  3 — 4  Zellen 
Breite  zunächst  ohne  äusserlich  sichtbare  Polfelder  der  Zellen.  Zu- 
gleich waren  an  alten  Gastrulae  die  Zellen  der  Polseiten  anscheinend 
auf  ihrer  ganzen  freien  Oberfläche  hellgrau  verändert. 

Die  durch  den  Strom  ausgelösten  Veränderungen  des  Eies 
setzen  sich  noch  eine  Zeit  lang  nach  der  Einwirkung  des 
Stromes  fort.  Wenn  man  nach  blos  2 — 3  Secunden  dauernder  Ein- 
wirkung eines  Stromes  von  geeigneter  Stärke  auf  ein  noch  ungetheiltes 
oder  schon  mehrfach  getheiltes  Ei  unterbrochen  hat,  kommt  es  sogar 
vor,  dass  zur  Zeit  der  Stromunterbrechung  noch  keine 
Veränderung  amEi  zu  sehen  ist,  sondern  dass  die  Verände- 
rung erst  danach  beginnt.  Wurde  unterbrochen,  als  schon  die 
Pol-  [73]  feldbildung  einsetzte,  so  kann  man  beobachten,  dass  erst 
nach  der  Stromunterbrechung  die  Veränderung,  etwas  pol- 
wärts  vom  Rande  des  Gesammtpolfeldes ,  so  heftig  wird,  dass 
daselbst  an  der  oberen  Eihälfte  unter  starkem  Aufplatzen  und 
entsprechender  Entleerung  der  Zellen  dieser  Zone  eine  durch- 
gehende Niveaufurche  entsteht.  Wurde  dagegen  längere  Zeit, 
20" — 40''  durchströmt,  so  entsteht  diese  Niveaufurche  in  grösserem 
Abstände  vom  Pol.  Bei  Unterbrechung  des  Stromes  localisirt  sie  sich 
an  ihrem  jeweiligen  Ort.  Bei  erneuter  Durchströmung  kann  sie  nach 
der  dadurch  bedingten  Ausbreitung  der  Polfeldbildung  gegen  den 
Aequator  gleichfalls  avanciren;  oder  es  entsteht  ohne  Verschwinden 
der  ersten  durch  Stromunterbrechung  localisirten  Niveaufurche,  bei 
erneutem  Durchströmen  äquatorwärts  jederseits  eine  neue,  alsdann 
weniger  tiefe  Furche,  oder  blos  ein  pigmentirter  Ring  (N.  B.  nur 
im  Bereiche  der  oberen,  braunen  Hemisphäre  wird  die  Veränderung 
so  intensiv;  es  entsteht  also  jederseits  blos  ein  Halbring.) 

Wartet  man  einige  Minuten  nach  einer  kurzen,  10"— 20"  dau- 


Specialpolarisation  und  Generalpolarisation  getheilter  Froscheier.  595 


ernden  kräftigen  Durchströmuno;  einer  Morula  oder  Jungen  Blastula, 
so  sieht  man  die  Zellen  sicli  meist  stark  abplatten  und  die 
früher  offenen  Furchen  zwischen  ihnen  sieh  entsprechend  schliessen. 
Durchströmt  man  dieses  so  zur  Kugel  abgeplattete  Gebilde  nochmals,  so 
entstehen  jetzt  unter  polarer  Veränderung  der  bisherigen  Zell- 
äquatoren  auf  den  beiden  Polseiten  des  Eies,  wie  an  einem  ungetheilten 
Ei  zwei  grosse  einheitliche  (reneraJ-PoIfelder;  und  zwischen  ihnen 
bleibt  ein  einheitlicher,  durch  durchgehende,  parallele,  ungebrochene 
Contouren  begrenzter  schmaler  Aequator,  dessen  Ränder  einander 
näher  liegen,  als  die  erwähnten  früheren,  durch  starkes  Aufplatzen 
entstandenen  beiden  Furchen.  Bei  der  Morula  liegt  natürlich  im 
Bereich  dieses  Gener aläquators  ein  Theil  der  oben  erwähnten 
kleinen  Zellpolfelder;  diese  aber  werden  jetzt  undeutlich  oder  von 
den  Zellen  abgestossen.  Manchmal  ist  der  so  nachträglich  ent- 
standene Generaläquator  in  seinen  Grenzlinien  doch  nicht  ganz  un- 
gebrochen und  nicht  ganz  parallel  contourirt,  und  bei  einem  erst  in 
4  Zellen  getheilten  Ei  ist  er  schmäler  als  der  frühere  Specialäquator 
einer  einzigen  Zelle,  siehe  Taf.  \^IIIFig.  11  nebst  der  Figurenerklärung. 

[74]  Natürlich  entsteht  auch  bei  ununterbrochen  fortge- 
setzter Durchströmung  mit  der  Zeit  dasselbe  Bild;  auch  hierbei 
platten  sich  die  Zellen  allmählich  ab,  und  die  Specialpolfelder  der  ein- 
zelnen Zellen  werden  allmählich  grösser  bis  zum  Verschwinden  des 
Zelläquators  an  den  im  Bereiche  der  Generalpolfelder  ge- 
legenen Zellen. 

Wenn  auch  die  Rundung  der  Furchungszellen  für  die  Bildung 
der  kleinen  zweiten  Polfelder  von  Bedeutung  erscheint,  indem  dadurch 
Gelegenheit  zur  Bestrahlung  von  der  zweiten  Seite  her  gegeben  wird, 
so  kann  die  Rundung  doch  nicht  als  die  Ursache  der  Spe- 
cialpolarisation der  einzelnen,  die  Morula  und  Blastula  zu- 
sammensetzenden Zellen  angesehen  werden;  denn  dieselbe 
Einzelpolarisation  findet  auch  an  der  hellen,  unteren  Hemisphäre  statt, 
wo  die  Zellen  nur  durch  minimale  Furchen  geschieden  sind,  und  mit 
ihrer  freien  Oberfläche  im  Niveau  der  Gesammtkrümmung  des  Eies 
liegen.  Auch  tritt  im  Bereich  der  oberen  Hemisphäre  die  Special- 
polarisation der  Zellen  auf,  wenn  man  durch  Abkühlung  im  Eis- 

38* 


596      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

schrank  die  Lebensenergie  der  Zellen  vorübergehend  derart  herab 
gedrückt   hat,    dass    sich   die    oberen    Zellen    gleichfalls    abge- 
plattet haben. 

Von  Eiern  ferner ,  welche ,  ohne  auf  Eis  gestanden  zu  haben, 
also  aus  innerer  Ursache  die  durch  die  dritte,  vierte  oder  fünfte  Thei- 
lung  gebildeten  Furchungszellen  von  selber  wieder  abgeplattet 
haben,  bildete  ein  Theil  beim  Durchströmen  rasch  zwei  allgemeine 
Polfelder  und  zwei  durchgehende  Niveaulinien  für  das  ganze  Ei, 
indem  die  im  ersten  Momente  entstandenen  kleinen  Special- 
polfelder der  einzelnen  Zellen  sich  sofort  über  die  ganze  Aussen- 
fläche  der  betreffenden  Zellen  ausdehnten;  dies  Verhalten  ist  wohl 
zugleich  ein  Beweis,  dass  nicht  die,  die  Zellen  im  Innern  des 
Eies  treünenden  Zellmembranen  oder  die  Kittsubstanz 
zwischen  ihnen  die  Ursache  der  electrischen  Sonderung 
der  Specialpolarisation  der  Zellen  sind.  Da  zudem  einige 
dieser  abgeplatteten  Eier  ihre  Zellpolfelder  behielten,  so  folgt  daraus 
wiederum,  dass  einerseits  nicht  die  Abplattung  an  sich  bei  den 
andern  Eiern  die  Ursache  der  totalen  Veränderung  der  Zellen, 
der  Generalpolarisation  durch  den  Strom  war,  ebenso  wie  auch, 
dass  die  vorspringende  Wölbung  der  normalen  Zellen  nicht  die  Ur- 
sache der  Specialpolfelderbildung  ist. 

[75]  Um  die  Richtigkeit  dieser  letzteren  Anschauung  des  Weiteren 
darzuthun,  suchte  ich  das  Ei  schwach  zu  vergiften,  und  so  in 
seiner  Lebensenergie  zu  schwächen,  womöglich  ohne  die  Gestalt  der  Zellen 
zu  verändern:  Wenn  man  Eier  mit  wohlgerundeten  Zellen 
durch  kurz  dauerndes  Einlegen  in  ^/ao  gesättigte  wässerige  Carbolsäure- 
lösung  schwach  vergiftet,  so  behalten  sie  ihre  runde  Zellgestalt,  gleich- 
wohl aber  dehnen  sich  bei  der  Durchströmung  die  im 
ersten  Momente  entstandenen  Specialpolfelder  sofort 
weiter  über  die  ganze  direct  bestrahlte  Zelloberfläche 
aus,  und  es  entsteht  so  ganz  rasch  jederseits  ein  einheitliches, 
aber  im  Bereiche  der  oberen  Hemisphäre  aus  gerundet  vorspringenden 
Zellen  bestehendes  Polfeld;  und  zwischen  beiden  liegt  der  von 
zwei    durchgehenden,    parallelen    Grenzlinien    begrenzte    General- 


Polarisirende  Wirkung  dos  Wechselstromes  auf  Froschembryonen.  597 


Aeqiiator.  Die  Polfelder  greifen  sogar  etwas  über  die  Zellkanten 
gegen  die  Furchen  bin  über.     Weiteres  siebe  Seite  GOO. 

Diese  Beobachtungen  beweisen  wohl,  dass  die  Sx)eciaJ Pola- 
risation der  einzelnen,  die  Morula  undBlastula  zusammen- 
setzenden Furchuugszellen  an  eine  mit  der  Vitalität 
derselben  schwindende  Eigenschaft  geknüpft  ist. 
Ueber  die  Natur  dieser  Eigenschaft  werden  wir  unten  etwas  Weiteres 
erfahren. 

Ein  wenig  längere  Zeit  mit  der  Carbollösung  behandelte  Eier 
reagiren  nicht  mehr  auf  den  Strom,  entwickeln  sich  aber  auch 
nicht  weiter  und  erhalten  sich  viele  Tage  lang  unverändert ;  während 
lebende,  aber  sich  nicht  weiter  entwickelnde  Eier  sich  in  wenigen 
Tagen  zersetzen. 

Auch  abnormer  Weise  schon  vor  der  Zeit  der  ersten  Ei- 
theilung  (vielleicht  durch  das  Eindringen  mehrerer  Samenthierchen) 
an  ihrer  oberen  Hälfte  in  viele  Stücke  zerschnürte  Eier  bildeten 
beim  Durchströmen  Specialpolfelder  an  den  einzelnen,  durch  Furchen 
von  der  Umgebung  abgesonderten  Stücken  des  Zellleibes.  Einige 
Eier  aber  entwickelten  trotz  dieser  kugeligen  Gliederung  wieder  sofort 
die  allgemeinen  Polfelder. 

5.  Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf 
Froschembryonen. 

Gastrulae  und  junge  Embryonen  von  R.  esculenta  ergeben 
bei  genügend  starkem  Strom  grau  verfärbte  Polfelder  mit  scharfem, 
deutlichen  Grenzcontour ,  der  einen  sc h malen  un verfärbte nAequa- 
tor  einschliesst.  Auch  dem  Ausschlüpfen  nahe,  sowie  erst  vor 
Kurzem  ausgeschlüpfte  Embryonen,  welche  beide  schon  [76]  ein  ge- 
schlossenes Medullarrohr  haben,  bilden  scharf  gegen  den  unveränderten 
Aequator  begrenzte  Polfelder ;  nur  muss  man ,  um  sie  deutlich  zu 
sehen,  nach  3 — 4  Minuten  dauernder  Durchströmung  noch  eine  halbe 
bis  eine  Stunde  warten.  Die  Polfelder  sind  je  nach  der  complicirteu 
oder  einfacheren  Gestalt  der  Embryonen  und  nach  der  Stellung  der- 
selben zur  Stromrichtung  sehr  verschieden  gestaltet ;  und  der  Aequator 
ist   im   ersten  Falle   nicht  selten   zickzackartig   gebrochen    und   zeigt 


598     Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

dabei  in  manchen  Stellungen  zur  Stromrichtung  wieder ,  wie  bei  R. 
f usca,  eine  Neigung  zu  Parallelismus  seiner  Contouren ,  obgleich  bei 
anderen  Stellungen  starke  Abweichungen  davon  vorkommen.  Auch 
treten  stellenweise  oder  ringsum  wieder  (vergl.  S.  566)  zwei  Aequator- 
bänder  auf,  welche  durch  ein  drittes,  an  die  schmalen  centralen 
Polfelder  des  zwei-  bis  vierfach  getheilten  Eies  (Taf.  VIII  Fig.  8  und  9) 
erinnerndes  Polfeld  von  einander  getrennt  sind.  Die  Richtung  des 
Aequators  entspricht  gleichfalls  wieder  nicht  mehr  der  Fortsetzung 
der  Niveauflächendes  umgebenden  homogenen  Mediums,  vergl.S.566; 
doch  ist  wohl  selbstverständlich,  dass  die  Ränder  des  Aequators 
äquipotentiale  Linien  ,,des  Embryo"  darstellen. 

Wir  wissen  noch  nicht,  ob,  respective  wie  weit  diesen  äusseren 
Veränderungen  der  Embryonen  innere  entsprechen,  wenn  schon  au 
durchscheinenden  Gebilden,  wie  den  kleinen  Eierstockseiern  des 
Frosches,  sowie  an  dem  Froschherzen  und  anderen  später  zu  er- 
wähnenden Organen  die  inneren  Theile  des  Polabschnittes,  bei  Be- 
sichtigung auch  ohne  vorausgegangene  Microtomirung  verändert  zu 
sein  scheinen.  Aus  dem  Verhalten  der  Embryonen  geht  aber  deut- 
lich hervor,  dass  sich  die  Gesammtreaction  eines  Embryo 
nicht  aus  der  Veränderung  der  in  Richtung  der  Stromfäden  des 
homogen  gedachten  electrischen  Feldes  liegenden,  einzelnen,  etwa 
für  sich  selbst  veränderten  Substanzfäden  integrirt,  sondern  dass 
jeder  einzelne  Embryo,  wie  auch  nach  den  Beobachtungen  an 
Rana  fusca  jedes  abgeschnittene,  für  sich  im  Electrolyten 
liegende,  lebende  Stück  eines  solchen,  ,,als  Ganzes"  beein-- 
flusst  wird.  Denn  die  Reaction  erfolgt  in  einer  Weise,  dass  die  in 
den  Richtungen  der  Stromlinien  des  homogenen  Mediums  ge- 
legenen Substanzfäden  des  Embryo  sehr  verschieden,  z.  B.  an  beiden 
Enden  oder  blos  an  einem  Ende  oder  gar  nicht  verändert  [77] 
werden  würden.  Schon  deshalb  ist  nicht  anzunehmen,  dass  die 
juxta-  und  intraembryonalen  Stromfadenstücke  in  ihren  Richtungen 
denen  eines  homogenen  Feldes  derselben  Stelle  entsprechen,  worüber 
unten  Weiteres  ermittelt  werden  wird. 

Selbst  über  vier  Wochen  alte  Kaulquappen  von 
Rana    fusca    Hessen    noch    Spuren    von    unserer    Polari- 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Froschembryonen.  599 


sation  erkennen.  Wenn  man  eine  solche  Quappe  von  10  mm 
Rumpf-  und  18  mm  Sehwanzlänge  der  Länge  nach,  eine  andere  da- 
gegen in  Querrichtung  etwa  16  Minuten  durchströmt  hat,  so  löst  sich 
nach  1  bis  2  Stunden  an  ersterer  das  Epithel  am  Kopf  und  Schwanz, 
an  letzterer  an  rechter  und  linker  Seite  beim  Bepinseln  ab,  während 
es  im  Bereiche  der  Mittelstücke,  also  des  Aequators  noch  fest  haftet. 

Um  die  feineren  Vorgänge  der  Polfeldbildung  an 
Embryonen  zu  studiren,  wurden  Froschlarvenschwänze  in 
dorsiventraler  Richtung  unter  gleichzeitiger  microscopischer  Beob- 
achtung mit  Zeiss'  Objectiv  C  und  D  15  Minuten  lang  durchströmt. 
Doch  waren  die  Larven  leider  schon  erheblich  älter,  als  diejenigen, 
welche  noch  scharf  umgrenzte  Polfelder  ergaben. 

Die  vielfach  verästelten  Pigmentz eilen  zogen  sich  auf 
ihre  Hauptbalken  zusammen;  viele  pheripheren  Aeste 
wurden  dabei  isolirt  und  contrahirten  sich  zur  Kugel. 
Während  in  den  Epithelzellen  des  nicht  durchströmten  Probe- 
embryo der  Kern  kaum  zu  sehen  war,  h  eh  amen  während  und 
nach  der  Durchströmung  die  Kerne  der  Oberflächenepi- 
thelien  je  eine  dicke  glänzende  Memhran,  und  im  Innern 
entstanden  viele  glänzende  Fäden.  Dann  verloren  die  Kerne 
ihre  Grenzen  und  an  Stelle  der  glänzenden  Fäden  entstanden 
grössere  und  kleinere  glänzende  Körner  ;  die  grösseren  Körner 
verschwanden  darauf,  die  kleineren  Körner  vertheilten  sich  in  der 
Kernhöhle.  Die  Zellen  fielen  vom  Schwänze  ab,  behielten 
dabei  aber  ihre  eckige  Gestalt;  dieser  Zellabfall  fand  etwa  ^U 
Stunden  nach  dem  Beginn  der  Durchströmung  an  der  Stelle  stärkster 
Stromwirkuug  statt.  Framboisia  minor,  d.  h.  Rundung  der  einzelnen 
Epithelzellen  unter  Lösung  des  Verbandes  mit  den  Nachbarepithelien 
trat  in  diesem  vorgeschrittenen  Stadium  der  Entwickelung  nur  an 
einzelnen  Stellen  schwächerer  Stromwirkung  und  erst  nach  1 — P/* 
Stunden  auf.  Um  diese  Zeit  ist  in  vielen  Epithelzellen  der  Kern 
ganz  geschwunden. 

Zu  bemerken  ist,  dass  auch  an  einem  zum  Vergleiche  abge- 
schnittenen, nicht  durchströmten  [78]  Schwänze  einer  gleich- 
alterigen  Quappe  die  Kerne  gleichfalls  aber  erst  später  dicke  Mem- 


600      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


branen  gebildet  hatten,  dass  an  manchen  Stellen  zwischen  den 
Zellen  über  Nacht  viel  Intercellularsubstanz  abgeschieden 
wurde,  und  dass  auch  an  diesen  Zellen  die  Kerne  nicht  mehr  erkenn- 
bar waren.  Diese  nicht  polaren  structurellen  Reactionen  embryonaler 
Zellen  auf  den  electrischen  Strom  und  ohne  solchen,  blos  nach  der  Abtren- 
nung vom  Körper  werden  von  mir  an  geeigneteren  Objecten  genauer  eji'- 
mitteltund  danach  einer  eingehenderen  Mittheilung  vmterzogen  werden^). 

6.  Einfluss  der  Wärme  und  der  Vergiftung  auf  die  Polari- 
sation sfähigkeit  des  Froscheies. 

Der  Einfluss  der  Wärme  auf  die  Polarisationsfähigkeit  der  Eier 
von  Rana  esculenta  entspricht  wesentlich  dem  bereits  vom  braunen 
Frosch  Mitgetheilten. 

Noch  u n g e f  u r c h t e  Eier  reagiren  nach  kurz  dauerndem  Ein- 
legen in  Wasser  von  39*^,40*^ — 45"C.  noch  stärker  und  rascher  als 
nicht  erwärmte;  Abkühlung  durch  Eis  verzögert  und  schwächt 
dieReaction  auf  den  Strom.  Durch  3  Minuten  langes  Erwärmen 
der  noch  uugefurchten  Eier  in  Wasser  von  47 — 48*^  C.  wird  die  Reaction 
träge,  die  Polfelder  werden  nur  wenig  verfärbt  und  etwas  kleiner  als 
sonst,  der  Aequator  wird  also  entsprechend  breiter,  vmd  die  Niveau- 
furchen sind  blos  wie  leicht  eingeritzt.  Nach  ebenso  langer  Erwärm- 
ung in  AVasser  von  48—49"  bleibt  die  Reaction  auf  den  Strom 
aus.  Dasselbe  geschieht  auch  schon  nach  5  Mmuten  langem  Ein- 
legen der  Eier  in  Wasser  von  46"  C. 

Morulae,  welche  durch  2  Minuten  langes  Einlegen  in  Wasser  von 
40,  46  oder  sogar  48"  C.  erwärmt  worden  sind,  reagiren  sehr  rasch, 
bilden  sofort  die  Special  polfei  der  (s.  S.  593),  und  an  der  Grenze  der- 
selben treten  an  den  oberen  Zellen  kleine  Tropfen  Dotters  durch  die 
Eirinde.  Nach  2V4  Minuten  langem  Liegen  in  Wasser  von  49°  C. 
wachsen  beim  Durchströmen  die  Specialpolfelder  sofort  über  die  ganze 
Aussenfläche  der  Zelle  aus,  und  es  entstehen  die  beiden  General- 
polfelder  mit  den  beiden  durchgehenden  Niveaulinien  als  Grenzen. 

[1)  Ueberhaupt  sind  in  vielen  Epitlielstraten ,  besonders  des  Entoderm,  die 
Zellgrenzen  während  des  Lebens  nicht  sichtbar,  sondern  treten  erst 
beim  Absterben  der  Zellen   unter  Abscheidung  von  Intercellularsubstanz  liervor.J 


Electrisches  Leitungsvermögen  des  Froscheies.  601 

Etwas  pohvärts  von  diesen  Linien  war  die  Veränderung,  die 
Verfärbung  am  stärksten,  nahm  dann  polwärts  etwas  ab,  um  am 
Pole  selber  wieder  stärker  zu  sein.  2^2  Miiniten  in  Wasser  von  49°  C. 
verbliebene  Eier  behalten  normale  Gestalt  und  Farbe,  reagiren  also 
nicht  mehr. 

Befruchtete,  mehrere  Tage  alte  Eier,  welche  durch  Carbolsäure- 
dämpf e  schwach  vergiftet  worden  waren  (s.  S.  596),  und  [79]  sich 
deshalb  nicht  entwickelt  hatten,  zeigten  nach  der  Behandlung  mit 
einem  starken  Strom  einen  ebenso  schmalen  Aequator,  als  normale 
Eier;  aber  die  Polfelder  waren  nur  wenig  verfärbt,  hatten  keine  Extra- 
ovate  gebildet,  und  an  Stelle  der  Niveaufurchen  w^aren  blos  pigmen- 
tirte  Niveaulinien  entstanden.  Dieselbe  Abschwächung  der  Reaction 
bei  normaler  Ausdehnung  derselben  findet  auch  an  frisch  mit  Carbol- 
säure  vergifteten,  noch  ungefurchten  Eiern  statt;  und  an  beiden  Arten 
von  Eiern  vollzog  sich  nach  der  Durchströmung  allmählich  eine 
erhebliche  Verbreitung  und  Aufhellung  des  Aec|uators.  Nach- 
dem solche  Eier  12  Tage  gestanden  hatten,  war  der  Aequator 
stark  gewölbt  und  die  Rinde  des  Aequators  besser  erhalten  als  die 
Rinde  im  Bereiche  der  Polfelder,  welche  o))en  zersetzt  und  macerirt  war. 

7.  Electrisches  Leitungsvermögen  des  Froscheies. 

Mit  Hülfe  des  oben  erwähnten  Federbart-Galvanoscopes  prüfte 
ich  die  im  Abschnitt  11  ausgesprochene  Vermuthung  (s.  S.  567),  dass 
die  beobachtete  Polarisation  unter  Freibleiben  eines  Aequators  viel- 
leicht zum  Theil  auf  einem  besseren  Leitungs vermögen  des  salz- 
reichen Eies  als  das  des  Electrolyten,  innerhalb  dessen  die  Polarisation 
gelang,  beruhe.  Obgleich  mit  diesem  trägen  und  nicht  mit  einer 
Scala  ausgestatteten  Instrument  nur  grobe  Schätzungen  möglich  waren, 
und  ich  keine  unpolarisirbaren  Electroden  zugerüstet,  sondern  nur  die 
Platinelectroden  angewandt  hatte,  schien  doch  als  sicher  sich  zu  er- 
geben, dass  frisch  bereitetes  Ragout  fin  von  zur  Ablösung  reifen  Eier- 
stockseiern, sowie  von  jungen  Embryonen  noch  nicht  ein- 
mal so  gut  leitet,  als  halbprocentige  Kochsalzlösung. 
Da  wir  nun  in  fünfprocentiger  und  in  concentrirter  Kochsalzlösung, 
sowie  in  zweiprocentiger  Schwefelsäure  die  Polfeldbildung  haben   vor 


602      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

sich  gehen  sehen,  so  hat  sich  obige  Vermuthung  anscheinend  nicht 
bestätigt.  Doch  ist  daran  zai  denken,  dass  nicht  d  i  e  E  i  e  r  selber 
in  diesen  Lösungen  lagen,  sondern  b  1  o s  ihre  Gallert- 
hüllen,  und  dass  innerhalb  der  1 — 1,5  mm  dicken,  mit  Wasser  ge- 
tränkten, und  daher  wohl  schlechter  als  das  Ei  leitenden  Hülle  die 
Stromfäden  noch  eine  erhebliche  Umordnung  erfahren  konnten;  und 
dass  vor  der  Durchströmung  nicht  in  Wasser,  sondern  blos  in  ein- 
procentiger  Kochsalzlösung  gelegene  Eier  nur  schwach  reagirten,  wo- 
bei aber  zugleich  die  Möglichkeit  einer  schädigenden  Neben-  [80]  Wirkung 
vorliegt,  weil  in  vierprocentiger  Salzlösung  gelegene  Eier  auch  nach 
dem  längeren  Liegen  in  Wasser  nicht  mehr  reagirten.  Neue  Versuche 
müssen  also  mit  halbprocentiger  Kochsalzlösung  durchgeführt  werden. 
Leider  lässt  sich,  was  im  einen  Frühjahr  versäumt  ist,  bei  diesen,  an 
die  Laichperiode  gebundenen  Versuchen  erst  im  nächsten  Frühjahre 
nachholen,  welches  ich  aber  anderen  Versuchen  zu  widmen  gedenke. 

8.  Wirkung  bei  Ablenkung  der  Stromfäden. 

Werden  Eier  i  n  e  i  n  e  n  R  i  n  g  v  o  n  2,0  mm  dickem  B 1  e  i  d  r  a  h  t 
oder  in  eine  aus  solchem  Bleidraht  gebildete  und  rechtwinkelig 
zum  Strom  gestellte  Gabel  gelegt,  so  bilden  sie  beim  Durchströmen 
nur  kleine,  blos  schwach  höckerige,  wenig  scharf  begrenzte  Pol- 
f  eider,  wenn  das  Wasser  den  Draht  überschwemmt;  steht  das  Wasser 
nicht  so  hoch,  so  bilden  die  Eier  keine  Polfelder.  Wird  dagegen  an 
der  Gabel  das  Verbindungsstück  durchschnitten,  so  bilden  die  zwischen 
den  Drähten  liegenden  Eier  bei  transversaler  Stellung  der  Drähte 
natürlich  fast  ebenso  grosse  und  durch  Niveaufurchen  begrenzte  Pol- 
felder, als  frei  im  Electrolyten  liegende  Eier.  In  einer  längs  des 
Stromes  liegenden,  nicht  überschwemmten,  engen  Metallgabel  bil- 
deten blos  die  beiden  ersten  der  Oeffnung  der  Gabel  folgenden  Eier 
Polfelder. 

Diese  Ergebnisse  sind  unmittelbar  als  durch  Ableitung  der 
Stromfäden  bedingt  verständlich,  ebenso  wie  die  folgenden  mit  Ein- 
legung von  nicht  überschwemmten  Glasbälkchen  in  das 
electroly tische  P^eld:  Von  Eiern,  welche  zwischen  zwei  einander 
nahen,    rechtwinkelig    zum    Strom    orientirten    Glasbälkchen    liegen, 


Wirkung  der  Ablenkung  der  Strom  fäden.  603 

bilden  blos  die  den  Enden  der  Glasbälkchen  nüchstliegenden  die  Pol- 
felder,  und  zwar  kleinere,  weniger  veränderte  als  die  freien  Eier.  An 
den  Eiern  in  der  Mitte  dagegen  entstehen  keine  Polfelder.  Bildet 
man  aus  den  Glasbälkchen  einen  spitzen  Winkel,  so  kann  man  gleich- 
falls nach  der  Grösse  der  Polfelder  an  den  eingelagerten  Eiern  die 
Abschwächung  des  Stromes  an  den  betretfenden  Stellen,  sowie  aus 
der  Richtung  der  Aequatorränder  die  abgelenkte  Richtung  der  Strom- 
fäden erkennen.  Wird  blos  eine  Glasleiste  rechtwinkelig  zu  den 
Kraftlinien  in  das  Stromfeld  gelegt,  so  bilden  wiederum  die  ihr  an- 
liegenden Eier  zwei  Polfelder;  aber  diejenigen  an  der  Mitte  der  Leiste 
entwickeln  solche  nur  von  geringerer  Ausdehnung  und  geringerem 
Grade  der  Veränderung,  als  die  an  den  Enden  gelegenen. 

[81]  Bringt  man  zwischen  die  Eier  Quecksilberkü gelchen, 
so  nähern  sich  die  Kügelchen,  wie  auch  sonst  beim  Durchströmen 
einander,  verschmelzen,  und  die  der  so  entstandenen  Quecksilber- 
masse zufällig  anliegenden  Eier  bilden  unregelmässige,  die 
nicht  vom  Quecksilber  berührten  aber  nur  kleine  Polfelder. 

In  Dielectricis,  wie  geschmolzene  Carbolsäure,  Olivenöl  ein- 
gebettete Froscheier  reagirten  nicht,  auch  bei  grösster  Nähe  der 
Electroden,  so  dass  also  eine  Wirkung  statischer  Induction 
nicht  erkennbar  war;  ebenso  wie  auch,  nach  dem  in  Abschnitt  I 
]Mitgetheilten ,  an  den  im  Solenoid  liegenden  Eiern  keine 
Wirkung  einer  dynamischen  Induction  zu  bemerken  war. 
Wurden  dieselben  Eier  unmittelbar  darauf  in  Wasser  durchströmt, 
so  reagirten  sie. 

Zerreibt  man  fast  zur  Ablösung  reife  Eierstockseier 
in  halbprocentiger  Kochsalzlösung,  und  durchströmt  von  der  Masse 
einzelne  Tropf  en  im  Wasser,  so  ist  keine  Veränderung,  also  auch 
keine  Polarisation  erkennbar.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn 
man  die  Masse,  um  sie  zu  formen,  mit  eingedickter  Lösung  von 
Gummi  arabicum  versetzt  hat. 

Polarisirende  Wirkung  d e s  Gleiehstromes  auf  Rana  esculenta. 

Auch  auf  die  Eier  von  Rana  esculenta  wandte  ich  den  Gleich- 
strom an  und  erhielt  ausser  der  Bestätigung  der  am  braunen  Frosch 


604      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

gewonnenen  Befunde  noch  einige  neue  Resultate  durch  Ausdehnung  der 
Versuche  auf  andere  Entwickehmgsstufen. 

Noch  durchscheinende  Eierstockseier  bilden  ein  weiss- 
lich  trübes,  anodisches  und  ein  helles,  wässerig  durchscheinendes 
kathodisches  Polfeld;  letzteres  wird  allmählich  etwas  länglich  und 
kann  schliesslich  aufplatzen,  so  dass  sich  der  Eiinhalt  in  die 
umgebende  Flüssigkeit  entleert.  Oft  sieht  man  durch  das  trübe 
anodische  Polfeld  das  grosse,  klar  gebliebene  Keimbläs- 
chen schon  bei  Loupenbetrachtung  durchscheinen. 

An  gleichen  Eiern,  welche  aber  nicht  von  etwas  Wasser  oder 
Gewebesaft  umspült  waren,  konnte  ich  (NB.  bei  Auf  Setzung  der  Electro- 
den  auf  ein  Stück  des  Eierstockes ,  und  bei  Anwendung  von  blos 
8  Bunsen)  gleich  wie  beim  AVechselstrom  keine  deutliche  Veränderung 
wahrnehmen.  Ebenso  bilden  dotterkörnerhaltige,  grössere  Eierstocks- 
eier bei  Anwesenheit  von  Flüssigkeit  deutliche  Polfelder,  zuerst  ein 
scharf  begrenztes  [82]  rauh  werdendes,  anodisches,  darauf  ein  w-eniger 
deutliches,  aber  an  den  der  Kathode  nahen  Eiern  aufplatzendes  kathodi- 
sches Polfeld.  Die  bekannte  katophorische  Wirkung  des  Gleich- 
stromes auf  der  Kathodenseite  ist  also  hier  eine  sehr  starke. 

Unbefruchtete,  reife  Eier  von  Rana  esculenta  bilden  gleich- 
falls zunächst  ein  grosses,  leicht  graubraun  verfärbtes  positives,  darauf 
ein  kleineres,  aber  in  der  Nähe  der  Kathode  an  Grösse  zunehmendes 
negatives  Polfeld. 

Befruchtete  Eier  zeigten  wesentlich  dasselbe  Verhalten;  an 
ihnen  beobachtete  ich  im  Bereiche  der  Polfelder  an  der  oberen 
Hemisphäre  einen  Durchtritt  feinen,  weissen  Dotters  durch 
die  ganze  Fläche  der  betreffenden  Eirinde  nach  aussen,  wo- 
durch also  die  graue  Verfärbung  des  Polfeldes  zum  Theil  bedingt 
ist.  An  durch  Eis  gekühlten  Eiern  entstand  erst  zwei  Minuten  nach 
dem  Auftreten  des  anodischen  Feldes  auf  der  kathodischen  Eihälfte 
eine  braun  pigmentirte  Niveaulinie,  oder  bei  anderen  Eiern  ein 
anfangs  kleines,  dann  fast  zur  Grösse  des  positiven  anwachsendes 
wenig  verfärbtes  Polfeld.  Die  positive  Eihälfte  behält  ihre  Wölbung, 
die  negative  wird  wieder  in  Richtung  des  Stromes  etwas 
verlängert  und  gefaltet. 


Polarisirende  Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Rana  esculenta.  605 


Bei  geringem  Electrodenabstand,  also  bei  starker  Anordnung, 
breitet  sicli  die  anodische  Polfeldbildung  nicht  erkennbar  successive 
vom  electrischen  Pol  des  Eies  aus,  sondern  tritt  anscheinend  gleich- 
zeitig in  einem  grossen  Polfelde  auf;  und  die  Veränderung  ist 
sogleich  in  der  Nähe  der  Niveaulinie  am  stärksten,  so  dass 
z.  B.  an  der  Morula  in  der  Nähe  der  Niveaulinie  die  Zellen  ganz 
weiss  oder  ganz  aufgerissen  sind,  während  am  Pole  ihre  braune 
Farbe  nur  schwach  grau  verfärbt  ist. 

Bei  schwachem  Strom  entsteht  auf  der  negativen  Seite  des 
Eies  überhaupt  kein  Polfeld.  Bei  starker  Anordnung  nimmt  die 
Grösse  der  Polfelder  deutlich  in  der  Nähe  der  Electroden  trotz  gleichen 
Querschnittes  der  Strombahn  zu,  und  die  unmittelbar  neben  der 
Kathode  stehenden  Eier  werden  in  ihrer  dieser  Electrode 
zugewendeten  Hälfte  geradezu  zerrissen;  während  die  neben 
der  Anode  befindlichen  Eier  stark  veränderte  Polfelder  von  der  typi- 
schen Form  des  positiven  Polfeldes  bekommen. 

Wird  blos  kurze  Zeit  (30  Secunden)  durchströmt  und  darauf  die 
Stromrichtung  umgekehrt,  so  erhält  man  beider-  [83]  seits  Ver- 
änderungen von  der  Beschaffenheit  eines  positiven  Pol- 
feldes, und  das  Ei  bietet  das  Aussehen  eines  mit  dem  Wechsel- 
strom behandelten  Eies  dar.  Wird  erst  später  die  Stromrich- 
tung gewechselt,  wenn  schon  die  negative  Niveaulinie  vorhanden  war, 
so  kann  man  bei  geeigneter  Dauer  der  zweiten  umgekehrten  Durch- 
strömung Eier  mit  jederseits  zwei  Niveaulinien  erhalten,  von 
denen  die  beiden  vom  Aequator  entfernteren  den  Kathoden  entsprechen; 
ein  Bild,  welches  ich  auch  einige  Male  bei  besonderer  Anordnung  unter 
Anwendung  des  Wechselstromes  erhalten  habe. 

In  der  ersten  oder  zweiten  Furchung  begriffene,  ebenso 
wie  schon  bis  zur  Morulastufe  weiter  getheilte  Eier  von  Rana 
esculenta  bil(^eten  innerhalb  20 — 30  Secunden  vom  positiven  Pole  des 
Eies  aus  sich  ausbreitende  Specialpolfelder  an  den  einzelnen 
Zellen,  aber  blos  an  den  Zellen  der  Anodenseite  des  Eies. 
Das  Zellpolfeld  liegt  wieder  polwärts,  der  Zelläquator  distal  davon. 
Springt  von  der  kathodischen  Eihälfte  eine  (also  dem  Aequator  nahe) 
Zelle  so  stark  vor,  dass  sie  noch  von  der  Anode  aus  durch  die  Flüssig- 


606      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

keit  hindurch  direct  beströmt  werden  kann,  dann  bildet  diese  Zelle 
gleichfalls  ein  entsprechendes,  kleines,  positives  Polfeld. 

Auch  Gastrulae  mit  halboffenem  Urmund  wurden  durchströmt; 
sie  bildeten  zunächst  ein  leicht  grau  verfärbtes  positives,  dann  ein 
ebenso  beschaffenes  negatives  Generalpolfeld. 

Herzen  von  Rana  esculenta,  welchen  wie  früher  bei  Anwen- 
dung des  Wechselstromes  (s.  S.  574),  um  das  Blut  in  der  Herzwan- 
dung zu  stauen  und  so  den  Aequator  durch  Dehnung  sichtbar  zu 
machen,  mit  einem  durch  den  Sinus  transversus  pericardii  ohne  jede 
Verletzung  der  Vorhofsganglien  hindurchgeführten  Faden  distal  vom 
Ursprung  des  Bulbus  arteriosus  die  beiden  Arterien  unterbunden 
waren,  und  welche  danach  so  rasch  in  Zusammenhang  mit  den  Vor- 
höfen herausgeschnitten  worden  waren,  dass  der  Ventrikel  wohl 
bluthaltig,  aber  nicht  prall  gefüllt  war,  bildeten  bei  der  Durchströ- 
mung mit  dem  Gleichstrom  nach  einer  oder  einigen  Contractionen 
zunächst  ein  von  dem  anodischen  Pol  des  Herzens  ausgehendes,  stetig 
wachsendes,  bis  über  die  Hälfte  des  Herzens  einnehmendes  blasses 
Feld  tonischer  Contraction ;  darauf  entstand  auf  die  [84]  gleiche  Weise 
auch  auf  Seite  der  Kathode  ein  kleinerer  Abschnitt  tonischer  Con- 
traction ;  und  schliesslich  war  zwischen  den  blassen  Feldern  blos  noch 
eine  rothe  bluthaltige  Scheibe,  welche  entsprechend  weiter  gegen  die 
Kathode  zu  gelagert  war  und  die  Hauptrichtung  einer  Niveaufläche 
hatte.  Sind  die  Vorhöfe  gegen  die  Anode  gewendet,  so  beginnt  der 
Tonus  an  ihnen  und  den  Arterien,  und  die  Aequatorscheibe  steht 
schliesslich  etwa  in  der  Mitte  des  Gesammtherzens,  also  nahe  der 
Basis  des  Ventrikels,  wobei  w^ohl  die  Begünstigung  des  kathodischen 
Feldes  durch  die  Herzspitze  von  Bedeutung  ist,  ebenso  wie  bei 
Wendung  der  Herzspitze  gegen  die  Anode  die  rothe  Aequatorscheibe 
ganz  an  die  Basis,  an  die  Grenze  des  ^^entrikels  verlegt  wird.  Der 
Versuch  gelingt  auch,  zumal  mit  dem  Wechselstrom  gut,  ohne  künst- 
liche Blutstauung  durch  Unterbindung,  besonders  in  starker  Koch- 
salzlösung; selbst  in  fünf-  oder  zehnprocentiger  Kochsalzlösung  wur- 
den noch  contrahirte  Polfelder  gebildet,  statt  eines  contrahirten  Aequa- 
tors,  den  man  nach  dem  besseren  Leitungsvermögen  dieser  Electro- 
lyten  vielleicht  erwartet  hätte. 


Polarisirende  Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Rana  esculenta.  607 


Schwerer  als  beim  Wechselstrom  gelingt  es  mit  dem  Gleich- 
strom, dieselbe  Reactioii  ein  zweites  Mal  in  anderer  oder  in  derselben 
Richtung  als  beim  ersten  Male  hervorzubringen.  Immerhin  ist  nicht 
zu  zweifeln,  dass  in  beiden  Fällen  beim  Herzen  keine  in  ihrer 
Natur  der  der  Eier  und  Embryonen  vergleichbare,  morpho- 
logische Reaction,  sondern  blos  eine  polar  localisirte  Con- 
traction,  also  eine  functionelle  Reaction,  vorliegt.  Mit  dem  Wechsel- 
strom kann  man  dreimal  polare  Contraction  an  demselben  Herzen 
veranlassen,  ohne  dass  eine  sichtbare  bleibende  Veränderung  eintritt, 
während  letzteres  bei  den  Eiern  und  Embryonen  und  bei  der 
Gallenblase  schon  bei  der  ersten  Reaction  der  Fall  ist;  bei  diesen 
schwindet  keine  einmal  sichtbar  gewordene  Veränderung 
wieder.  An  dem  Herzschlauch  junger  Embryonen  werden  wir  auch 
noch  bleibende,  morphologische  Polarisation,  aber  vielleicht  nicht 
unbedingt  deletärer  Natur  kennen  lernen. 

Werden  Gallenblasen  des  AVasserf rösches  mit  sehr  schwachem 
Wechselstrom  durchströmt,  so  behalten  die  grünen  Polfelder  ihre 
geringe  Grösse  bald  constant  (13  Minuten  [85]  lang  geprüft);  darauf 
rechtwinkelig  durchströmt,  bekommt  der  vorherige  Aec|uator  eben  so 
grosse  Polfelder,  die  constant  bleiben;  aber  nach  Verstärkung  der 
Anordnung  wachsen  sie  und  können  den  Aequator  ganz  zum  Ver- 
schwinden bringen.  Am  Polfeld  sind  beim  schwachen  Strom  zu  unter- 
scheiden ein  dem  Pol  sich  anschliessender  Theil  mit  grünlich  gelbem, 
körnigem  opaken  Beschlag,  und  distal  daran  grenzend  eine  blos  blau 
durchscheinend  gewordene  Zone  neben  dem  trüb  graublau  gebliebenen 
Aequator.  Mit  obigem  Gleichstrom  behandelt,  bilden  mitten  zwischen 
den  Electroden  liegende  Gallenblasen  sehr  rasch  gegen  die  positive  Elec- 
trode  ein  grosses,  fast  die  halbe  Blase  einnehmendes,  gegen  die  negative 
Electrode  nur  ein  ganz  kleines  grünes  Polfeld.  Die  seitlich  im  runden 
Stromfeld  stehenden  Blasen  zeigten  nur  das  positive  Polfeld.  Bei  darauf  in 
umgekehrter  Richtung  erfolgender,  6  Minuten  langer  Durchströmung 
bildeten  dieselben  Blasen  auf  der  früher  negativen,  jetzt  posi- 
tiven Seite  gleichwohl  kein  Polfeld;  auch  war  danach  durch  er- 
neute Durchströmung  in  der  ersten  Richtung  keine  weitere  Vergrösse- 
rung  der  bei  der  ersten  Durchströmung  erhaltenen  Polfelder  zu  erzielen. 


608      Nr.  25.  Morphologisch  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


In  fimf-  oder  zehnprocentiger,  ja  in  concentrirter  Koch- 
salzlösung durchströmte  Gallenblasen  bildeten  grüne  Pol  fei  der 
statt  eines  etwa  erwarteten  grünen  Aequators.  Selbst  in 
so  gut  leitender  Flüssigkeit  wie  verdünnte  Schwefelsäure  wurden  zu- 
erst die  Polabschnitte  verfärbt^). 

Polarisirende  Wirkung  des  „Wechselstromes"  auf  „Triton 

alpestris." 

Ein  zu  unseren  Versuchen  sehr  geeignetes  Material  stellen  ferner 
die  Eier,  Morulae  und  Embryonen  des  Triton  alpestris  dar.  Die  an 
den  beiden  Froschspecies  gemachten  Beobachtungen 
wurden  daran  in  allen  wesentlichen  Puncten  bestätigt. 
Zugleich  bot  dieses  Material  Gelegenheit,  unsere  Kenntnisse  zu  er- 
weitern, da  die  Eihüllen  hier  leicht  zu  entfernen  sind  und  das  nackte 
Ei  während  der  Durchströmung  microscopisch  (mit  ZEiss-Objectiv  A 
bis  C)  beobachtet  werden  kann;  ferner  auch,  weil  die  Empfindlichkeit 
des  Materiales  eine  sehr  grosse  ist.  Ich  theile  auch  die  kleinen  be- 
sonderen, zum  Theil  sehr  wechselnden  Züge  mit ;  denn  wann  schliess- 
lich aus  den  beobachteten  [86]  Erscheinungen  die  wirklichen  Vor- 
gänge der  Reaction  und  deren  ursächliche  Vermittel ung  abgeleitet 
werden  sollen,  womit  aber  erst  nach  der  Microtomirung  und  der  ihr 
folgenden  inneren  Besichtigung  der  Objecto  begonnen  werden  kann, 
so  sind  uns  die  feinen  Züge  unerlässlich  nötliig,  ja  viel  wichtiger  als 
das  stets  vieldeutige,  constantere  Geschehen  erster  Ordnung;  denn 
die  Vorgänge  zweiter  Ordnung  und  die  unter  ihnen  vor- 
kommenden Variationen  sind  es,  die  uns  das  Wesen 
eines  Geschehens  verrathen. 

Die  Tritoneier  stellen  sich,  wie  die  des  Frosches,  mit  der  pig- 
mentirten  hellbraunen  Hemisphäre  nach  oben,  mit  der  hellgelben 
Hemisphäre  nach  unten  ein;  sie  sind  manchmal  in  der  wagrechten 
Richtung  etwas  länglich  gestaltet. 

Werden  ungefurchie  Tritoneier  mit  sehr  geschwächtem 
Strom  blos  eine  Secunde  durchströmt,  so  bekommen  sie  erst  hinterher 
ein  Polfeld,  welches  aber  nur  sehr  klein  ist;  bei  zwei  Secunden  langer 

1)  Ueber  die  Reactionen  der  Organe  des  ,  erw  achsenen"  Frosches  auf  den 
galvanischen  Strom  siehe  Nr.  25  S.  131  Anm. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  609 

Durchströmung  kiiim  das  danach  entstehende  Polfeld  schon  90" 
emnehmen,  ist  aber  blos  schwach  grau  verfärbt  und  durch 
eine  seichte  Niveaufurche  umgrenzt;  während  nach  fünf 
Secunden  langer  Durchströmung  das  Polfeld  fast  nicht  grösser,  aber 
viel  intensiver  verändert  ist.  Doch  sah  ich  auch  bei  ganz  derselben 
Anordnung  nach  blos  eine  Secunde  dauernder  Durchströmung  am 
Pole  einige  kleine,  punctförmige  Extraovate  entstehen,  und 
nach  einer  Durchströmung  von  blos  einer  halben  Stunde  eine  sehr 
schwache  Verfärbung  in  einer  Ausdehnung  von  fast  90°  auftreten. 
Die  Reactionen  gleich  alter  Eier  bei  ganz  gleichen  äusseren  Beding- 
ungen sind  also  sehr  verschieden. 

Tage  lang  auf  Eis  gestandene,  noch  kalte  ungefurchte  Eier 
reagiren  auch  bei  relativ  langdauernder  Durchströmung  wieder  sehr 
schwach ,  bilden  braune  Niveaulinien,  wenig  verfärbte  Polfelder ; 
nach  2V4  Minuten  langer  Durchströmung  ist  jedoch  der  Aequator 
blos  noch  etwa  Ve  Eidurchmesser  breit,  um  schliesslich  nach  acht 
Minuten  langer  Stromdauer  bei  einer  Breite  von  ^/lo  Durch- 
messer stehen  zu  bleiben  und  etwas  zu  verblassen.  Auf  eine 
rechtwinkelig  zur  ersten  folgende  zweite  Durchströmung  reagirte  als- 
dann der  Aequator  nicht  mehr.  Ein  ähnliches  Erlöschen  der 
Reactionsfähigkeit  sah  ich  nach  sehr  [87]  langer  Durchströmung  auch 
an  schon  getheilten  Eiern,  z.  B.  an  den  in  der  zweiten  Furchung  be- 
griffenen Eiern,  darin  sich  aussprechen,  dass  der  nach  Zerstö- 
rung der  Specialäquatoren  der  Zellen  entstandene  Ge- 
neraläquator nicht  continuirlich  gerichtet,  sondern  oben 
bajonettförmig  geknickt  war  und  es  auch  bei  fortgesetzter  Durch- 
strömung blieb. 

Bei  geringer  Verstärkung  der  Anordnung  vergrössern  und  ver- 
mehren sich  die  Extraovate;  auch  treten  an  zahlreichen  Stellen 
der  Eirinde  kleine  Tröpfchen  des  Eiinh altes  wie  durch 
Poren  aus  und  confluiren  nach  und  nach  zu  einer  einheitlichen 
Masse,  zu  einer  Polkappe,  die  entsprechend  der  Farbe  der  Extra- 
ovate anfangs  oben  braun ,  unten  w^eiss  ist.  Allmählich  steigen  die 
weisseren  Massen  von  unten  auf  und  vermengen  sich  oben  mit  der 
braunen  Masse. 


AV.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II. 


39 


610      Nr.  25.  Morphologische  electriscbe  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

In  der  Nähe  der  Electroden  stehende  ungetheilte  Eier  bilden 
manchmal  im  Bereich  der  hellbraunen,  oberen  Eihälfte  am  Aequa- 
tor  Pigmentstreifen,  welche  annähernd  die  Richtung  von 
Polmeridianen  haben. 

Vor  dem  Beginn  der  Niveaufurchenbildung  entstehen  an 
ungefurchten  Eiern  manchmal  in  der  elastischen  Eirinde  im  Bereich 
des  Aequators  dicht  gestellte,  einander  parallele,  quer  zur  künf- 
tigen Furche  orientirte  feine  Falten,  ähnlich  den  Falten, 
wie  sie  sonst  bei  Entstehung  der  ersten  Theilungsfurche  in 
der  Rinde,  aber  in  etwas  anderen  Richtungen,  auftreten. 
Diese  Falten  machen  hier  wie  dort  den  Eindruck  von  Dehnungs- 
falten.  Die  Bildung  der  Niveaufurchen  beginnt  mit  einer 
Einschnürung  an  der  Niveaulinie,  und  darauf  erhebt  sich  oben 
am  Ei  der  anliegende  Rand  der  Polfelder.  Vielleicht  ist  der  Beginn 
dieser  beiden  Vorgänge  als  die  Ursache  der  Fältelung  der  Eirinde 
an  diesen  Stellen  aufzufassen.  Die  Ueberwölbung  des  Polfeldes 
über  den  entsprechend  einsinkenden  Aequator  ist  beim  unge- 
furchten Tritonei  noch  stärker  als  bei  Rana  esculenta  und  kann  bei 
starkem  Strom  ^je  Eidurchmesser  erreichen  (siehe  Taf.  VIII  Fig.  13). 

Bei  dreimaliger  kurzdauernder  Durchströmung  derselben  Eier 
sah  ich  jedesmal  die  Bildung  einer  Niveaufurche,  welche  letztere 
während  der  nächsten  Durchströmung  sich  mehr  oder  weniger  ab- 
glich und  durch  zungenförmige ,  in  ihrer  Farbe  ver-  [88]  änderte 
Sprossen  des  wachsenden  Polfeldes  überschritten  wurde.  Die  so  all- 
mählich auf  Ve  Eidurchmesser  verringerte  Breite  des  Aequators  wurde 
dann  während  fünf  Minuten  anhaltender  weiterer  Durchströmung 
beibehalten,  wonach  sich  der  Aequator  wieder  im  Ganzen  etwas  grau 
verfärbte,  und  darauf  bei  erneuter  Durchströmung  in  zur  ersten  recht- 
winkeliger Richtung  keine  Polfelder  mehr  bildete,  sondern  blos  noch 
etwas  grauer  wurde. 

An  einem  befruchteten,  noch  ungetheilten  Ei  verfolgte  ich 
genauer  die  am  Aequator  vor  sich  gehenden  Pigmentwan- 
derungen, siehe  Taf.  VIII  Fig  3.  Von  der  Niveaulinie  aus  bildeten  sich 
im  braunen  Aequator  der  oberen  Hemisphäre  weisse,  regelmässig 
neben  einander  liegende  pigmentlose  Felder,  die  sich  äquator- 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  611 


wärts  abrnndcten  und  von  einander  durch  stehengebliebene  braune, 
in  dem  Pigment  des  Aequators  auslaufende  Streifen  getrennt  waren, 
so  dass  die  braune  Aequatorrinde  also  gegen  das  Polfeld  hin  Arcaden 
bildete;  diejenigen  Arcaden,  welche,  am  wagrechten  Eiäquator  lagen, 
waren  etwas  aufwärts  gerichtet,  während  die  oberen  annähernd  Pol- 
meridianrichtung hatten.  Mit  der  Zeit  wurden  die  Arcaden  höher, 
danach  schwanden  die  trennenden  braunen  Säulen,  und  da- 
mit war  am  braunen  Aequator  die  helle  seitliche  Grenzlinie 
entstanden  (s.  F*ig.  13),  neben  welcher  nach  aussen  die  oft  dunkel- 
braun ])igmentirte  Niveaulinie  als  Vorläufer  der  Niveaufurchen- 
bildung gelegen  ist. 

An  unbefruchteten  Eiern,  welche  schon  so  alt  waren,  dass  sie 
gelitten  hatten,  blieben  die  Durchtritte  von  Eiinhalt  durch  die  Eirinde 
aus;  die  Polfelder  überwölbten  auch  nicht  den  Aequator,  welcher 
oben  im  Bereiche  der  braunen  Hemisphäre  weiss  wurde  und  sogar 
bei  10 — 20  Minuten  lang  dauerndem  Durchströmen  seine  in  der  ersten 
Minute  gewonnene  Grösse  behielt. 

Einige  ungefurchte  Eier  waren  derart  zersetzt,  dass  oben 
statt  der  Eirinde  ein  runde  Hohlräume  einschliesseudes 
Netzwerk  von  Balken  sich  fand.  Gleichwohl  bildeten  diese 
Eier  Polfelder,  Niveaufurchen,  einen  convexen  Aequator,  alles 
dies,  obgleich  oben,  also  an  der  Stelle  der  intensivsten  Veränderungen 
die  zusammenhängende  typische  Eirinde  fehlte. 

Die  yetlieiJten  Eier  angehend,  so  bildeten  diese  die  Special- 
polfelder der  einzelnen  Zellen  nach  den  für  das  [89]  Froschei  an- 
gegebenen Regeln  (s.  S.  591)  und  behielten  damit  auch  an  vielen  Zellen 
den,  unter  einem  scheinbar  sehr  wirksamen  Winkel  zu  den  Stromfäden 
stehenden  Zelläquator.  An  Eiern,  welche  erst  in  vier  oder  acht  Zellen 
zerlegt  sind,  reicht  jede  Zelle  noch  bis  zur  Eimitte ;  da  nun  die  Spe- 
cialäquatoren  der  Zellen  alle  distal  vom  Pol,  also  gegen  die  recht- 
winkehg  zur  Stromrichtung  stehende  Mittelebene  des  Eies  gerichtet 
sind,  so  formiren  alle  Specialäquatoren  der  Zellen  wieder  den 
zusammenhängenden,  scheinbar  einheitlichen  Aequator, 
der  aber  durch  die  gebrochene,  nicht  in  continuirlich  gleicher  Rich- 
tung durchgehende  Begrenzung  bekundet,  dass  er  nicht  ein  wirk- 

39* 


612      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

lieber  Generaläquator  ist.  Diese  Auffassung  bestätigt  sich 
auf's  Neue  nacb  weiterer  Tbeilung  des  Eies,  wo  dann  Zellen  vor- 
banden sind,  die  durch  andere  von  der  Mitte  getrennt  sind,  indem  jede 
dieser  Zellen  ihren  eigenen,  von  dem  der  mittleren  Zellen  durch  die 
Polfelder  dieser  getrennten  Aequator  erhält.  Dieses  Verhalten  bleibt 
bei  lebensfrischen  Morulae,  jaBlastulae  mit  gerundeten  Zellen 
auch  noch  auf  einer  Stufe  der  Zellzerkleinerung  von  dem  Maasse 
bestehen,  dass  drei  oder  vier  Zellen  die  Breite  des  eben  erw^ähnten 
Gesammtäquators  jüngerer,  erst  in  vier  oder  acht  Zellen  zerlegter 
Eier  einnehmen,  wobei  gleichwohl  aber  jede  einzelne  dieser  kleinen 
Zellen  für  sich  polarisirt  ist ;  nur  die  der  mittelsten  Niveaufläche  des 
Eies  anliegenden  Zellen  berühren  noch  mit  ihren  Aequatoren  ein- 
ander und  formiren  so  wiederum  ein  scheinbar  einheitliches,  aber 
jetzt  nur  sehr  schmales  Aequatorband.  Diese  Einheitlichkeit  ist  jedoch 
erst  bei  schon  fein  getheilten  Blastulae  wirklich  vorhanden;  denn 
wenn  die  Tbeilung  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten  ist,  erhält,  wie 
beim  Eroschei,  ein  Theil  der  diesen  Aequator  bildenden  Zellen  jeder- 
seits  ein  Polfeld,  nämlich  diejenigen  Zellen,  welche  durch  ihr  Vor- 
springen und  zufolge  der  Gunst  der  Nachbarschaft  von  beiden  Seiten 
her  durch  direct  aus  dem  Electrolyten  kommende  Stromfäden  getroffen 
werden  können. 

Bei  sehr  schwachem  Strome  sah  ich  nach  längerer  Durch- 
strömung an  Blastulae,  dass  die  beiden  mittelsten  Zell- 
reihen, die  oben  den  scheinbar  einheitlichen  Aequator  darstellten, 
jede  ihr  Rindenpigment  fast  ganz  ifi  dem  iwltvärts  ge- 
legenen Ende  der  Zelle  anhäuften,  und  dass  die  Zellen 
selber  fast  [90]  zum  doppelten  ihrer  vorherigen  Grösse 
in  der  Stromrichtung  verläng  er  t  wurden. 

Werden  Tritoneier  nach  der  vierten  und  fünften  Tbeilung  mit  V20 
gesättigterCarbolsäurelösung  vergiftet  und  danach  durchströmt, 
so  bilden  sie,  wie  die  entsprechend  behandelten  Froscheier,  bei  voll- 
kommener Erhaltung  der  Zellrundung,  zunächst  die  Specialpolfelder 
der  Zellen ;  diese  Einzelfelder  vergrössern  sich  aber  sofort  auf  den 
Polseiten  des  Eies  über  die  ganze  Aussenfläche  der  Zelle  zur  Bildung 
der  beiden  G  e  n  e  r  a  1  p  o  1  f  e  1  d  e  r   des   Eies ;   während  gleiche ,   nicht 


Polarisireiule  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  613 

vergiftete  Eier  ihre  7Aierst  gebildeten  Specialpolfelder  mehrere  Minuten 
laug  iu  coustanter  Grosse  behalten,  sie  aber  in  verstärktem  Maasse 
verändern  und  Zellniveaufurchen  entstehen  lassen,  um  erst  später 
auf  einmal  zur  Bildung  der  Generalpolfelder  überzugehen. 

Mit  Zeiss'  Objectiv  A  konnte  ich  an  einer  in  kleine  Zellen  ge- 
theilten  Blastula  Folgendes  beim  Durchströmen  erkennen.  Zuerst 
entstellt  an  den  seitlichen  braunen  Zellen  im  Bereiche  des  Zellpol- 
feldes eine  ganz  feine  weisse  Granuli  rung,  wie  durch  Dotter- 
substauz,  die  durch  die  Rinde  getreten  ist;  jede  Zelle  bildet  ihre 
braune  Niveaulinie;  danach  erfolgt  Aufplatzen  der  Zell- 
rinde längs  der  Niveaulinie  [offenbar  in  Folge  von  Con- 
traction  des  Protoplasma  an  der  Grenze  des  Veränderten 
und  Unveränderten]  und  massiger  Austritt  von  Zellinhalt, 
in  welchem  man  oft  eine  helle,  wohl  dem  Kern  entsprechende 
Stelle  sieht.  Es  erfolgt  also  hier  dasselbe  im  Kleinen,  was  ich  an 
den  ersten  Furchungskugeln  und  am  ganzen  ungetheilten  Frosch- 
und  Tritonei  gesehen  hatte.  Die  Specialpolfelder  der  Zellen  waren 
im  vorliegenden  Falle  am  Pole  am  grössten  und  nahmen  gegen  den 
electrischen  Aequator  des  Eies  allmählich  an  Grösse  ab.  Die  Zelle 
in  der  Mitte  des  Polfeldes  hatte  statt  einer  Anhäufung  des  Pigmentes 
in  einer  Niveaulinie  einen  grossen,  braunen,  runden  Fleck  in 
der  Mitte  der  Aussenfläche  der  Zelle,  der  zugleich  das  Polfeld  dar- 
stellte und  von  einem  helleren  Saume,  dem  Zelläquator,  rings  um- 
geben war. 

Die  Verfärbung  der  Polfelder  ist  also  deutlich  mit 
dem  Durchtritte  von  weissem  Zellinhalt  durch  die  Zell- 
rinde verbunden;  zugleich  findet  eine  Pigmentanhäufung  an  der 
Niveaulinie  statt;  darauf  erfolgt  Gontraction,  Aufplatzen  der  Zellen  und 
Entleerung  von^viel  Zellinhalt  als  Extracellulat. 

[91]  Auch  an  einer  noch  älteren  Entwickelungsstufe,  an  einer  dem 
Schlüsse  nahen  Gastrula,  welche  umgekehrt,  d.  h.  mit  dem  Ur- 
munde  nach  oben  gewendet  lag,  konnte  ich  deutlich  sehen,  dass  noch 
jede  einzelne  Zelle  ein  Polfeld  bildete,  welches  gegen  den  Pol 
gewendet  war. 

Im  feineren   Verhalten  schon  vielfach  gefheilter  Eier 


614      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

bieten  sich  jedoch  wieder,  wie  beim  ungetheilten  Ei,  nach  Stromstärke, 
Stromdauer  mid  offenbar  auch  in  hohem  Maasse  nach  der  Indi- 
vidualität der  Eier  mannigfache  t heilweise  entgegen- 
gesetzte ,, Variationen"  dar,  die  jetzt  dargestellt  werden  sollen. 
Die  Versuche  sind  jedoch  noch  nicht  zahlreich  genug,  um  uns  zu 
gestatten,  diese  Verschiedenheiten  vollkommen  nach  den  drei  genannten 
Momenten  zu  sondern. 

An  der  grob  und  fein  getheilten  Morula,  sowie  auch  an  der 
Blast ula  sah  ich  wiederholt  deutlich,  dass  in  einem  bestimmten 
Stadium  der  Durchströmung  die  Zellpolfelder  in  einem  gewissen 
grösseren  Abstände  vom  Pole  und  in  einem  kleineren  von  der  Niveau- 
linie am  grössten  sind,  und  dass  das  der  Bildung  der  Specialpolfelder 
(selbst  nach  sofortiger  Unterbrechung  des  Stromes)  nachfolgende  Auf- 
platzen der  Zellen  längs  der  Niveaulinien  am  stärksten  erfolgt  in  einer 
Zone  des  Eies  etwa  um  V-i — V^  Polfeldradius  weit  polwärts  vom 
Aequatorrande :  das  Aufplatzen  ist  an  dieser  Stelle  so  stark,  dass  die 
daselbst  befindlichen  Zellen  ganz  verschwinden  und  die  jederseits  an- 
grenzende Zellreihe  auch  noch  sehr  stark  verändert  wird.  Die  pol- 
wärts, sowie  die  gegen  den  Aequatorrand  hin  von  dieser  Zone  des 
Auf  platzens  gelegenen  Zellen  sind  dann  weniger  intensiv  verändert, 
und  zwar  die  ersteren  mit  gegen  den  Pol  stetig  abnehmender  Inten- 
sität. Während  also  die  erste  Wirkung  vom  Pole  sich  ausgebreitet 
hat,  wird  dieser  fernerhin  doch  am  wenigsten  vom  ganzen  Polfeld 
verändert.  Durchströmt  man  dann  das  Ei  nochmals  in  gleicher  Rich- 
tung, so  schreitet,  wie  beim  ungetheilten  Ei,  die  Veränderung  gleich 
auf  Kosten  des  Aequators  weiter,  und  es  bildet  sich  bald  eine  nun- 
mehr jederseits  sogleich  continuirlich  gerichtete  durchgehende  Niveau- 
linie aus,  die  stets  äquatorwärts  von  der  früheren  Stelle  stärkster  Ver- 
änderung gelegen  ist. 

[92]  Wenn  man  dagegen  continuirlich  durchströmt,  so  bildet  sich 
nicht  an  der  erst  erwähnten  Zone  eine  so  starke  Veränderung  aus, 
sondern  die  Veränderung  schreitet  noch  eine  Zeit  lang,  wenn  auch 
mit  rasch  abnehmender  Geschwindigkeit,  äquatorwärts  fort,  und  erst 
später  entsteht  eine  vom  Pole  entfernter  gelegene  Zone  stärkster  Ver- 
änderung, also  des  Aufplatzens. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  615 


Nach  sehr  kurz  daueruder  Durcliströmmig  war  die  LocaH- 
sation  der  intensivsten  Veränderung  eine  andere.  Bei  blos  drei  Secun- 
den  hinger  Durchströmung  hörten  die  Veränderungen  erst  einige  Zeit 
nach  der  Unterbrechung  auf,  waren  aber  deutHch  am  Pole  selber  am 
intensivsten;  die  Zellen  daselbst  waren  in  toto  weiss  geworden,  während 
die  entfernten  oberen  Zellen  entsprechend  der  Breite  ihrer  Polfelder 
blos  zu  ein  halb  bis  ein  Drittel  weiss  waren. 

Bei  längerer  Durchströmuug  dagegen  sah  ich  im  Gegensatze 
zur  obigen  Mittheilung  einige  Male,  dass  die  Polfeldbildung  nicht  am 
Pole,  sondern  an  einer  etwas  davon  entfernten  Zone  begann  und  sich 
von  da  polwärts  und  äquatorwärts  ausbreitete. 

Bei  sehr  schwachem  Strome  entstanden  an  einem  erst  in 
der  dritten  Furchung  begriffenen  Ei  nach  30  Secunden  langer  Durch- 
strömung Polfelder  mit  braunen  Niveaulinien  als  Grenzen,  und  äquator- 
wärts unmittelbar  daneben  brach  die  Eirinde;  es  bildete  sich  jedoch 
auch  bei  zehn  Miniiten  langer  weiterer  Durchströmung  kein  allge- 
meiner Aequator,  und  die  Polfelder  vergrösserten  sich  nicht;  während 
zum  Beispiele  bei  einer  Gastrula  mit  dem  gleichen  Strome  eine  Zeit- 
lang eine  stetige  Vergrösserung  stattfand. 

Viele,  behufs  Verzögerung  der  Entwickelung  in  dem  Eis- 
schranke aufbewahrte  Eier  blieben  auf  der  Gastrula- 
stufe  stehen  und  verfärbten  sich  allmählich  grau.  Beim  Durch- 
strömen entleerten  manche  dieser  grauen  Gastrulae  ihre  oberflächlich 
liegenden  Zellen  in  sehr  starkem  Maasse,  so  dass  fast  das  ganze  Proto- 
plasma nebst  dem  Zellkern  ausgestossen  wurde;  und  zwar  geschah 
dies  bei  genügend  starkem  Strome  an  der  ganzen  Oberfläche  der 
Gastrula.  Andere  solche  Gastrulae  bildeten  nur  geringe  Extracellu- 
late,  welche  auf  den  Polseiten  am  stärksten  waren.  Wieder  andere 
bildeten  blos  e^ne  graue  Verfärbung  der  Polseiten. 

[93]  Eine  eventuelle  Verschiedenheit  in  der  Breite  des  Ge- 
sammtäquators  an  lebenskräftigen  und  an  geschwächten 
Eiern  schien  mir  von  Bedeutung  für  die  Theorie  der  beobachteten 
Erscheinungen ;  daher  habe  ich  mich  bemüht ,  an  den  noch  vorhan- 
denen letzterwähnten  Gastrulae  Sicheres  darüber  zu  ermitteln,  ohne 
iudess  ein  klares  Resultat  gewinnen  zu  können.    An  einigen  Gastrulae 


616      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

trat  auch  bei  einem  schwachen  Strome  an  den  Polseiten  so  viel  Extra- 
cellulat  aus,  dass  es  sich  von  der  Eioberfläche  ganz  loslöste,  con- 
fluirte  und  aufsteigend  den  in  Folge  der  Schwäche  des  Stromes  breiten 
Aequator  bedeckte  und  ihn  so  rasch  der  Beobachtung  entzog ;  während 
doch  längere  Zeit  durchströmt  werden  muss,  um  einen  definitiven, 
von  der  Strömungsdauer  und  Reactionsgeschwindigkeit  unabhängigen 
Aequator  zu  erhalten. 

Der  Vergleich  nun  solcher  schon  verfärbter,  alter  Gastrulae  mit 
noch  braunen  in  Bezug  auf  die  Breite  des  Aequators  hat  kein  sicheres 
Resultat  ergeben;  denn  erstens  waren  die  initialen  Polfelder  unter 
gleichen  äusseren  Umständen  nur  wenig  und  in  nicht  constanter 
Weise  verschieden,  zweitens  reagirten  beim  Wachsthum  der  Polfelder 
beide  Sorten  von  Gastrulae  nicht  prompt,  so  dass  der  electrische 
Aequator  des  Eies  nicht  seine  typische,  oben  in  der  Mitte  breiteste, 
von  da  gegen  den  Eiäquator  etwas  abnehmende,  dann  auf  der  unteren 
Hemisphäre  constante  Breite  hatte;  ferner,  weil,  wie  erwähnt,  die 
Extracellulate  oft  aufstiegen  und  die  Grenze  verdeckten.  Und  wenn 
aucli  zu  erkennen  war,  dass  die  Grössenunterschiede  nur  gering  sind, 
so  wissen  wir  nicht,  ob  die  älteren  Gastrulae  ihren  Aequator  deshalb 
nicht  unter  ^/lo  Eidurchmesser  verkleinerten,  weil  sie  noch  wider- 
standsfähiger waren,  oder  Aveil  sie  schon  fast  getödtet,  also  nicht 
mehr  reactionsfähig  waren. 

Zur  Entscheidung  dieser  Alternative  vorgenommene  secundäre 
Durchströmungen  in  rechtwinkelig  zur  ersteren  stehender  Richtung 
ergaben  nur  noch  so  unbestimmte  Reactionen ,  dass  man  eher  zur 
letzteren  Annahme  geneigt  sein  konnte.  Erkennbar  war,  dass  der 
Aequator  nach  längerem  Durchströmen  von  etwa  fünf  Minuten  eine 
feste,  aber  oft  unregelmässig  gestaltete  Grenze  gewann,  dass  dann  der 
so  begrenzte  Aequator  lange  Zeit  bei  fortgesetztem  Durchströmen 
sich  unverändert  erhielt,  um  dann  [94]  bei  den  noch  braun  ge- 
wesenen Gastrulae  mit  einem  Male  sich  in  toto  zu  ver- 
färben. An  den  schon  vor  der  Durchströmung  grau  gewordenen 
Gastrulae,  an  denen  die  Polfelder  eben  nur  durch  Bildung  deutlicher 
Extracellulate  kenntlich  sind,  ist  natürlich  eine  solche  plötzliche  Ver- 
färbung des  Aequators  nicht  feststellbar. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  617 

An  einigen  wenig  reagirenclen  Gastrulae  trat  so  wenig  Dotter 
aus  den  Zellen  aus,  dass  man  ausser  dem  Aequator  auch  das  Polfeld 
noch  genauer  sehen  konnte ;  da  erkannte  ich,  dass  am  Pole  und  dessen 
nächster  Umgebung  die  Zellen  noch  braun  waren,  während  der  Aequa- 
tor  schon  auf  ^/s  Eidurchmesser  verkleinert  war,  und  die  Zellpolfelder 
neben  ihm  stark  grau  verfärbt  sich  darboten. 

Der  Pol  war  also  auch  hier  wieder  die  Stelle  o-erina'e- 
rer  Reaction.  Man  könnte  denken,  dies  rühre  davon  her,  dass 
die  Pole  bei  der  gewöhnlichen  Einstellung  der  Eier  immer  an  dem 
Eiäquator  liegen,  vf elcher  weniger  empfindlich  sei,  so  dass  also  die 
geringere  Veränderung  auf  schwächerer  Reactionsfähigkeit  beruhe. 
Diese  Auffassung  wird  jedoch  dadurch  widerlegt,  dass  an  der  Stelle, 
wo  die  Niveaulinien  den  Eiäquator  schneiden,  eine  intensive  Verände- 
rung sich  findet. 

Es  muss  zunächst  dahin  gestellt  bleiben,  ob  diese  schwächere 
Affection  des  Poles  auf  einem  an  dieser  Stelle  geringeren  Einfall 
von  Stromfäden,  was  nicht  wahrscheinlich  ist,  oder  auf  geringerer 
Brechung  der  eintretenden  Stromfäden,  oder  auf  eineiu 
besonderen  Verhalten  des  Eies  als  Ganzen  ,  zufolge  dessen  es 
mehr  an  der  Grenze  des  electrischen  Aequators  und  des  Polfeldes  reagire, 
beruht.  Letzteres  würde  erklärlich  machen,  dass  bei  schwächeren 
Strömen  die  allein  vorhandene,  aber  starke  Verfärbung  am  Pole  sich 
findet,  weil  dabei  das  Polfeld  eben  blos  auf  den  Pol  sich  beschränkt; 
aber  es  wäre  nicht  zu  verstehen,  wie  die  in  einzelne,  für  sich  reagi- 
rende  Zellen  getheilte  Morula  und  Blastula  ebenfalls  so  als  Ganzes 
reagiren  sollte. 

Manchmal  platzt  an  der  oberen  Hälfte  der  Blastula 
längs  der  Niveaufurche  die  ganze  Zellenlage,  welche  den 
grossen  innerey  Hohlraum  von  oben  bedeckt,  in  grosser  Ausdehnung 
auf,  und  es  entleert  sich  aus  dem  Spalte  eine  so  reichliche  Menge 
Inhalt,  als  erfolgte  eine  Contraction  des  ganzen  Gebildes.  [95]  Das 
Maximum  der  späteren  Veränderungen  der  Blastula  ist  jedoch  deut- 
lich an  den  Niveaulinien  localisirt.  Liegt  die  Blastula  mit  dem 
braunen  Pol  nicht  wie  gewöhnlich  nach  oben,  sondern  nach  der  Seite 
einer   Electrode    hin,    so    kann    man    sehen,    dass    wieder,    wie  am 


618       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

ungetheilten  Ei  bei  gleicher  Lage,  das  braune  Polfeld  kleiner 
-wird  als  das  gelbe. 

Bezüglich  des  Einflusses  der  GesiaU  des  Gebildes  auf 
die  Gestalt  und  Lage  der  Polfelder  wurden  noch  einige  wichtige 
Beobachtungen  gemacht.  An  einer  durch  Alter  etwas  geschrumpften, 
nach  einer  Seite  zugespitzten  und  in  dieser  Richtung  mit  einer  tiefen 
Längsfurche  versehenen  Gastrula,  die  in  Längsrichtung  durchströmt 
wurde,  entstand  auf  der  spitzen  Seite  ein  viel  grösseres  Pol- 
feld als  auf  der  stumpfen  und  in  der  Tief  e  der  schmalen  Furche, 
obwohl  sie  im  Bereiche  des  Polfeldes  lag,  blieb  die  Ver- 
änderung aus.  Letzteres  Verhalten  wurde  an  mehreren  anderen, 
mit  tiefen  Gruben  versehenen  Gastrulae  bestätigt,  selbst  wenn  die 
Oeffnung  der  Grube  gegen  die  Electrode    hin  gewendet  worden  war. 

Auch  eine  Semiblastula,  an  welcher  also  blos  die  eine  Hälfte 
der  beiden  durch  die  erste  Eitheilung  gebildeten  Zellen  sich  ent- 
wickelt hatte,  wurde  durchströmt,  und  zwar  in  Richtung  der  Vereinig- 
ung beider  Hälften.  Die  ungetheilte  Eihälfte  reagirte  nicht, 
während  ander  entwickelten  Hälfte  alle  Zellen  ihren  Inhalt  aus- 
stiessen,    sodass  also  kein  Gesammtäquator   stehen  blieb. 

Ein  Triton- Enihri/o  mit  eben  erst  geschlossener  Medullar- 
furche  entwickelte  Polfelder  wie  ein  entsprechender  Froschembryo 
und  liess  erkennen,  dass  im  Bereiche  des  Polfeldes  jede  Ober- 
flächenzelle einen  weissen  Vorsprung  (Extracellulat?) 
bildete,  wodurch  die  graue  Färbung  der  Polfelder  bedingt  war. 

Nach  dieser  Schilderung  der  äusseren  Erscheinungen  der  Polari- 
sation der  Tritoneier  seien  noch  einige  Experimente  mitgetheilt,  welche 
angestellt  wurden,  um  den  diesen  Erscheinungen  zu  Grunde 
liegenden   Vorgängen  ein  wenig  näher  zu  treten. 

[96]  Man  könnte  denken,  die  Bildung  der  Niveaufurchen  und 
ihr  Aufplatzen  wären  Vorgänge,  die  an  das  Vorhandensein  der  ganzen 
Eirinde  gebunden  wären,  indem  der  Zug  nach  innen  nur  dann 
zum  Platzen  der  Eirinde  führen  könnte,  wenn  diese  am  Nachrutschen 
von  der  Seite  her  durch  ihr  Geschlossensein  und  che  Anfüllung  mit  In- 
halt gehindert  wäre.  Dies  zu  prüfen,  brachte  ich  nackte,  ungetheilte 
Eier  vor    der   Durchströmung    zum    Platzen.       Beim    Durchströmen 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  619 


jedoch  bildeten  sich  im  Bereiche  der  Niveauhnicn  erst  kleine,  runde 
Extraovate,  darauf  platzte  die  Eirinde  im  ganzen  oberen  Bereiche 
der  Niveaulinie  wie  gewöhnlich,  der  Rand  des  Polfeldes  sank  alsdann 
rasch  seitlich  abwärts,  wie  nach  unten  gedrängt,  so  dass  ein  breiter 
Spalt  entstand.  Die  Durchbrechung  der  Eirinde  ander  Niveau- 
linie ist  also  ein  Vorgang,  dessen  Ursachen  an  der  Stelle 
der  sichtbaren  Veränderung  oder  in  unmittelbarer  Um- 
gebung derselben  sich  befinden.  In  dem  durch  den  Spalt 
sichtbar  gewordenen,  halbflüssigen  Eiinhalte  waren  lebhafte  nach  ver- 
schiedenen divergirenden  Richtungen  gehende  Strömungen  erkennbar, 
die  aber  alle  nach  aussen  führten.  Während  der  Dauer  der 
Durchströmung  vergrösserte  sich  das  durch  den  Spalt  ent- 
leerte Extraovat;  wieder  eine  Erscheinung,  welche  auf  Contraction 
hinweist. 

An  einem  Ei,  welches  nach  dem  Zerdrücken  zum  grössten 
Theile,  etwa  '/s  ausgeflossen  war,  und  daher  noch  aus  der  lang 
gedehnten,  längs  gefalteten  Eirinde  mit  wenig  Inhalt  bestand,  zogen 
sich  die  Niveaulinien  tief  ein,  wie  an  einem  normalen  unge- 
theilten  Ei,  und  die  Polfelder  wölbten  sich  danach  stark  über; 
allmählich  aber  verbreiterte  sich  der  Aequator  und  erhielt  wieder 
Streifen  in  polmeridional  er  Richtung. 

Nachte,  d.  h.  nicht  mit  Eirinde  überkleidete  Extraovate  lassen 
auch  beim  Tritonei  k e i n e  polare  Veränderung  erkennen;  sie  ver- 
ändern sich  aber  an  ihrer  Oberfläche  in  einer  besonderen  Weise, 
welche  jedoch  auch  ohne  Durchströmung  vorkommt  und  wohl  nur 
durch  die  Berührung  mit  dem  Wasser  bedingt  ist. 

Polare  Veränderungen,  Niveaufurchenbildung  und  dadurch 
bewirkte  Abgrenzung  einer  unveränderten  Aequatorzone  finden  blos 
an  den  mit  Eirinde  bedeckten  Theilen  statt.  Ein  solchesEx- 
traovat  kann  zwei  verfärbte  Polfelder  bilden.  Liegt  daneben  ein  nacktes, 
noch  mit  ersterem  in  Zusammenhang  stehendes  Extraovat,  welches 
[97]  aber,  wie  oft,  durch  eine  tiefe  Furche  vom  anderen  abgesetzt 
ist,  so  ist  ein  Einfluss  des  nackten  Extraovates  auf  die  Lage  der  Pol- 
felder au  dem  mit  Rinde  versehenen  Extraovat  nicht  wahrnehmbar. 

Fehlt  dagegen  eine  solche  trennende  Furche  und  liegt  das  nackte 


G20       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Extraovat  gegen  eine  Electrode  hin,  so  bekommt  auf  dieser  Seite  der  mit 
Rinde  versehene  Theil  des  Extraovates  kein  oder  ein  entsprecliend 
schmaleres  Polfeld,  und  der  Aequator  wird  so  breit,  als  gehöre  er  dem 
ganzen  Gebilde  an.  Ist  auf  der  anderen  Seite  noch  ein  nacktes,  nicht 
durch  eine  Einschnürung  abgesondertes  Extraovat,  so  kann  auch  auf 
dieser  Seite  das  Polfeld  ganz  fehlen,  und  der  Aequator  wird  somit  noch 
breiter.  Stehen  die  nackten  Extraovate  im  Stromfelde  seitlich  vom 
rindenbedeckten  Stammtheile  des  Eies,  so  sieht  man,  dass  die  beiden 
tiefen  Niveaufurchen  des  letzteren  sich  nicht  auf  den  anliegenden, 
unbedeckten  Theil  fortsetzen.  Also  zur  Bildung  der  Niveau  fur- 
chen ist  wie  zur  Polfeldveränderung  die  Rinde  und  viel- 
leicht noch  das  ihr  unmittelbar  anliegende  Protoplasma 
n  ö  t  h  i  g. 

Auch  ein  losgelöstes  Stückchen  eines  schon  in  dritter  Furchung 
begriffenen  Eies,  welches  in  seiner  Grösse  einer  Furchungszelle  ent- 
sprach und  rings  mit  Eirinde  bekleidet  war,  reagirte  wie  ein  ganzes 
Ei  mit  zwei  Polfeldern  und  aufgeplatzten  Niveaulinien. 

An  weiter  in  Zellen  zerlegten  Eiern  bekommt  man  natürlich 
keine  mit  Rinde  bedeckten  eigentlichen  Extraovate  mehr.  Dagegen 
erhält  man  nun  leichter  isoJirte  ganze  Zellen,  deren  Verhalten 
gleichfalls  von  Interesse  ist. 

Vollkommen  isolirte,  also  einzeln  freiliegende,  braune  oder 
weisse  Blastulazellen  bilden  gewöhnlich  keine  Polfelder 
beim  Durchströmen,  sondern  platzen  an  beiden  Polen  auf  und 
entleeren  fast  vollkommen  ihren  Zellinhalt,  und  zwar,  sofern  kein 
äusseres  Hinderniss  vorhanden  ist,  in  Richtung  des  Stromes  (siehe 
Taf.  IX,  Fig.  17),  ein  Beweis  der  allseitig  symmetrischen  Rindencon- 
traction  um  den  mittleren  Stromfaden;  der  mittlere,  die  Zellrinde 
vorstellende  Theil  mit  etwas  Inhalt,  bildet  oft  blos  einen  Punct  von 
niclit  Vioo  der  ganzen  Zellmasse.  W.  Kühne,  sowie  M.  Verworn^) 
haben  in  ähnlicher  Weise  [98]  Protisten  bei  der  Durchströmung 
aufplatzen  sehen.  Dies  Verhalten  erinnert  auch  an  dasjenige  der 
ganzen  ungetheilten  Eier,  welche,  allerdings  nur  bei  sehr  schwachem 
Strom,  blos  an  den  Polen  Extraovate  und  sonst  kein  Polfeld   bilden. 

1)  W.  Kühne,  M.  Verworn,  siehe  S.  576  und  577. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier.  621 


Hier  an  den  freien  Zellen  erfolgt  aber  das  Aufplatzen  momentan 
beim  Stromschlusse  und  mit  so  grosser  OefEuung  jederseits,  dass  bei 
der  augenscheinlichen  Contraction  der  Rinden  schichten  die 
Entleerung  des  Eiinhaltes  so  rasch  sich  vollzieht,  dass  weder  Zeit 
noch  Gelegenheit  zu  einem  Durchtritte  durch  die  Fläche  der  Zellrinde 
gegeben  ist. 

Berühren  sich  „zwei"  in  Stromrichtung  zusammen- 
liegende Zellen  so  wenig,  dass  sie  sich  nur  wenig,  aber  doch  deutlich 
an  einander  abplatten,  so  entsteht  das  Extracellulat  zuerst  nur 
an  den  freien  Polpuncten,  danach  aber  auch  an  dem  Berühr- 
ungspuncte,  obgleich  an  dieser  Stelle  keine  Stromfäden  vomElec- 
trolyten  aus  eindringen  können. 

Viele  der  isolirten  Zellen  reagiren  nicht.  Zerfällt  eine  Blas- 
tula  beim  Zerreissen  gleich  von  selber  in  viele  einzelne  Zellen^  war  also 
der  Zellverband  schon  gelockert,  indem  sich  die  Zellen  schon  vorher 
gerundet  hatten,  d.  h.  befinden  sie  sich  in  dem  Zustande,  den  ich 
als  Framboisia  embryonalis  finalis  interna  benannt  habe 
(s.  S.  151,  Anm.  1),  der  ein  Zeichen  des  Absterbens  ist,  so  kommt  es 
vor,  dass  keine  dieser  Zellen  mehr  auf  den  Strom  reagirt. 

Da  indess  ebenso  alte  und  gleich  aussehende,  ein  wenig  abge- 
blasste  Blastulae  und  Gastrulae  im  Ganzen  durchströmt  oft  noch  deut- 
liche Polfelder  unter  Austritt  von  weissen  Kugeln  aus  den  Zellen, 
also  unter  Aufplatzen  der  Zellen  bilden,  so  lässt  sich  schliessen,  dass 
durch  die  vollkommene  Isoliruug  und  das  Liegen  in  Wasser  oder 
halbprocentiger  Kochsalzlösung  die  Zellen  derart  geschädigt  werden, 
dass  sie  den  Rest  ihrer  noch  vorhanden  gewesenen  Reactionsfähig- 
keit  einbüssen. 

An  einigen  freiliegenden  Zellen  einer  zerrissenen  Gastrula, 
welche  nicht  wie  viele  andere  beim  Durchtrennen  an  beiden  Polen 
aufgeplatzt  wd!ren,  sah  ich  nach  Auftropfen  warmer  Chromsäure  und 
nachträglichem  Auswaschen,  zwei  hellere  proto-  [99]  plasmatische 
Polabschnitte  und  zwischen  ihnen  einen  ein  Drittel  des  Zelldurch- 
messers breiten,  nicht  scharf  abgegrenzten  Aequator,  in  dem  die 
Dotterkörner  angesammelt  waren  (siehe  Taf.  VIII  Fig.  16). 

Die  isolirten   älteren  Zellen   von   etwa   35 — 110  [.i  können   also, 


622       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


wenn  sie  überhaupt  auf  den  Strom  reagiren,  dies  auf  zweierlei  Weise 
thun :  entweder  platzen  sie  an  den  Polen  auf,  oder,  viel  seltener,  bilden 
sie  bei  doppelseitiger  Bestrahlung  zwei  durch  Ansammlung  des  Proto- 
plasmas gebildete  Polabschnitte;  und  in  dem  Protoplasma  findet 
letzteren  Falles  manchmal  eine  sehr  starke  Ausscheidung  von 
grossen  Tropfen  statt.  Man  darf  mit  dem  zuletzt  beschriebenen 
ßeactionsbilde  nicht  verwechseln  das  nicht  seltene  ^'^orkommen  von 
auch  im  nicht  durchströmte n  Ei  sich  findenden  Zellen,  deren 
Dotter  erst  an  zwei  Seiten  halbmondförmig  angehäuft  ist, 
wodurch  der  mittlere  protoplasmatische  Theil  dann  einen  hellen, 
zwischen  zwei  Polfeldern  liegenden  Aequator  vortäuschen  kann. 

Ein  einziges  Mal  beobachtete  ich  an  einer  durch  Zerreissung 
einer  Blastula  isolirten  Zelle,  welche  dabei  aufgeplatzt  war,  und  etwa 
ein  Viertel  ihres  Inhaltes  in  einer  Richtung  entleert  hatte,  die  recht- 
winkelig zu  der  späteren  Durchströmung  stand,  dass  der  ausgetre- 
tene Zellinhalt  beim  Durchströmen  sofort  wieder  eingezogen 
wurde;  ein  Aufplatzen  an  den  Polen  fand  danach  aber  nicht  statt. 
Es  scheint  also,  dass  die  durch  den  Strom  veranlasste  Contraction 
sich  unter  veränderten  Umständen  in  sehr  verschiedener  Weise  be- 
thätigen  kann.  Gleichfalls  nur  einmal  sah  ich  an  zwei  sich  berühren- 
den runden  Zellen  einer  zerrissenen  Gastrula  beim  Durch- 
strömen eine  circuläre  Strömung  in  denselben.  Die  eine  Zelle 
bildete  dabei  einen  Fortsatz  in  Richtung  des  Stromes  und  sie  ver- 
schob sich  etwas  gegen  die  andere  Zelle,  während  jedoch  die  Ver- 
klebungsstelle  beider  Zellen  ihren  Ort  nicht  änderte. 

Wurde  eine  bereits  durchströmte  Gastrula  zerrissen  und  die 
isolirten  Dotterzellen  nochmals  durchströmt,  so  platzten  mehrere  von 
ihnen  nun  sogleich  auf;  dass  Gleiche  thaten  auch  die  oberflächlichen 
Zellen  ganzer  Dotterklumpen ;  doch  war  nicht  bekannt,  ob  die  bei  der 
zweiten  Durchströmung  noch  in  dieser  Weise  reagirende  Substanz 
nicht  etwa  aus  der  Aequatorscheibe  stammte. 

[100]  Ein  anderes  Mal  beobachtete  ich  ein  noch  zusammen- 
hängendes Stück  einer  Blastula,  von  welcher  vollkommen  isolirte 
Zellen  beim  Durchströmen  an  beiden  Polen  aufplatzten ;  gleichwohl 
sah  ich  an  den  das  Stück  bildenden  Zellen   dasselbe   Verhalten    wie 


Polarisiiende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tritoneier,  623 


au  einer  ganzen  Blastula,  indem  jede  gegen  eine  Electrode  gewendete 
Zelle  zuerst  ein  dieser  zugewendetes  Polfeld  bildete  und  danach  an 
der  Niveaulinie  aufplatzte.  An  einem  platten  Stückchen  von  einer 
braunen,  frischen  Gastrula  platzten  blos  die  Zellen  an  den  polar- 
wärts  gelegenen  Rändern  des  Stückes  auf,  die  Zellen  auf  den  Flächen 
dagegen  reagirten  nicht ;  es  zeigte  sich,  dass  sie  im  Stromschatten 
lagen.  Es  war  also  dasselbe  Verhalten,  wie  es  die  plattgepresste 
Froschgastrula  bei  der  parallel  zu  den  Seitenflächen  erfolgenden 
Durchströmung  darbot;  hier  reagirten  auch  blos  die  Zellen  des  be- 
strahlten Randes. 

Schliesslich  wurden  schon  ohne  Microtomirung  einige  Beobach- 
tungen über  das  innere  Verhalten  der  durchströmten  GastrnJae 
des  Triton  gemacht. 

Auch  an  Gastrulae  entsteht  manchmal  durch  Aufplatzen  im 
Bereiche  der  Niveaufurche  oben  ein  grosser  offener  Spalt,  ein 
Loch;  aus  diesem  sah  ich  einmal  viele  kugelige  Zellen,  jede  mit 
zwei  trüben,  polar  gegenüber  stehenden  Abschnitten,  heraus- 
strömen. Ein  anderes  Mal  beobachtete  ich  an  einer  noch  deutlich 
braunen  Gastrula,  dass  die  Dotterzellen  aussen  weiss,  trüb  wurden, 
ihre  gelbliche  Farbe  also  aussen  verloren.  Als  danach  eine  Spaltung 
an  einer  der  Niveaufurchen  entstand,  tödtete  ich  sofort  das  Ei  in  er- 
wärmter Chromsäure;  darauf  sah  man  an  der  Bruchstelle,  dass  die 
Zellen  aussen  w^eiss-trüb,  innen  gegen  die  Höhlung  der 
Gastrula  hin  noch  gelblich  und  durchscheinend  waren. 
Isolirte  dieser  Zellen  im  auffallenden  Lichte  bei  Zeiss'  Objectiv 
A.  u.  C.  betrachtet,  zeigten  das  äussere,  trübe  Polfeld  in  einigem  Ab- 
stände vom  Pole  mit  einem  Ringe  blasenartiger  grosser  Er- 
hebungen besetzt,  siehe  Taf.  VIIIFig.  15 ;  optisch  gleich  sich  verhaltende 
kleinere  Tropfen  waren  im  Polabschnitt  selber  enthalten  und  nahmen 
an  Grösse  sowcflil  gegen  den  Pol  wie  gegen  den  beide  Polfelder  trennen- 
den Aequator  ab.  Dieser  letztere  war  parallel  contourirt,  breit  und 
erschien  leicht  braun,  homogen  und  schwach  durchscheinend.  Der 
scharf  gegen  ihn  abgegrenzte  [101]  innere  Polabschnitt  w^ar  mit 
Dotterkörnern  erfüllt  und  trüber  als  der  Aequator,  gleichwohl  aber 
viel  durchscheinender  als  der  äussere  Polabschnitt. 


624      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Diese  Erscheinungen  fanden  sich  zumeist  an  den  Dotterzellen, 
doch  auch  an  manchen  braunen  Zellen  der  oberen  Hemisphäre.  Beim 
Erschüttern  des  Microscopes  wendeten  sich  die  in  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  befindlichen  Zellen  mit  den  weissen  Polen  nach 
oben,  wohl  ein  Zeichen,  dass  dieser  Abschnitt  specifisch  leichter 
war.  Eine  der  Zellen  wurde  gemessen;  sie  war  97  f.i  gross,  der 
Aequator  10  //,  also  Vio  Durchmesser  breit,  während  das  ganze  Ei 
einen  Aequator  von  Vs  Durchmesser  hatte. 

Bei  durchfallendem  Lichte  war  ein  abgegrenzter  Aequator 
an  diesen  polarisirten  Zellen  nicht  mehr  zu  sehen;  sondern  die 
ihn  bildende  äusserst  feinkörnige  (wohl  protoplasmatische)  Substanz 
ging  continuirlich  in  die  Substanz  des  weissen  äusseren  Polfeldes  über, 
die  oben  mit  den  0,9 — 0,5  f-i  grossen  Tropfen  durchsetzt  war,  während 
die  den  Kranz  bildenden  freien,  blasigen  Erhebungen  bis  21  i-i  Durch- 
messer erlangten.  Der  innere  Polabschnitt  war  gleichmässig  und  dicht 
mit  den  2,1 — 3,5  f.i  grossen  Dotterkörnern  erfüllt.  Bei  manchen  dieser 
Zellen  war  das  weisse  Polfeld  etwas  zugespitzt,  das  gelbe,  innere 
war  immer  halbkugelig.  Dieses  Gestaltverhältniss  konnte  auch 
einen  Antheil  an  der  Aufwärtswendung  der  weissen  Pole  bei  Er- 
schütterung haben.  Andere,  vielleicht  nicht  von  der  Oberfläche  stam- 
mende Zellen  zeigten  auch  im  auffallenden  Lichte  blos  ein  weisses 
Feld  ohne  blasige  Erhebungen  und  ein  gelbes  Feld,  ohne  einen  Aequator 
zwischen  sich  zu  fassen.  Wie  weit  so  veränderte  Zellen  sich  ins 
Innere  des  Eies  erstrecken,  wird  später  nach  Microtomirung  der  auf- 
gehobenen Objecte  vielleicht  erkennbar  sein. 

Ob  das  gelbe  Feld  als  Polfeld  oder  blos  einfach  als  der  nach 
der  Sonderung  des  Protoplasmas  vom  Dotter  und  nach  dem 
Uebertritt  der  Hauptmasse  des  Protoplasmas  in  das  vom 
Strom  bestrahlte  Zell  stück  verbliebene  Zellrest  aufzufassen  ist, 
sei  für  jetzt  dahin  gestellt.  Verworn  sah ')  an  Amoeba  limax,  verru- 
cosa und  diffluens,  welche  aber  nicht  mit  dem  Wechselstrom,  sondern 
[102]  mit  dem  galvanischen  Strom  behandelt  waren,  das  hyaline 
Protoplasma  sich  auf  der  Kathodenseite  sammeln,  während  das  körnige 


1)  M.   Verworn,  Pflüger's  Arch.  Bd.  48,  Taf.  3. 


Polarisireiide  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Fischeier.  625 

die  iVuodeiiseite  eiuiiahni;  und  au  Pelomyxa  palustris  wurden  Reste 
des  hyalinen  Protoplasmas  an  der  Katliodenseite  als  hyaline  blasen- 
förmige  Erhebungen  hervorgepresst, 

Polarisirende   Wirkung   des   Wechselstromes   auf   Fiscli- 
eier  (von  Telestes  Agassizii). 

Ehe  wir  aufwärts  zu  den  an  Reptilien  gemachten  Beobachtungen 
übergehen,  sei  über  bezügliche  Erscheinungen   an  Fischen   berichtet. 

Aus  der  Classe  der  Fische  verwandte  ich  Eier  und  Organe  von 
5  Stück  des  kleinen  Knochenfisches  Telestes  Agassizii  (H  e  c  k  e  1) ,  des 
Laugen. 

Es  traten  hier  im  Wesentlichen  die  vom  Frosche  be- 
kannten Erscheinungen  wieder  auf,  doch  fügte  sich  auch 
wieder  mancher  neue  Zug  in  das  Bild  ein;  und  manche  Erscheinungen 
traten  verstärkt  hervor,  andere  zeigten  sich  abgeschwächt. 

Die  Eier  dieses  Fisches  bestehen,  im  Groben  betrachtet,  aus  einer 
grossen,  gelblich  durchscheinenden  kugeligen  Dottermasse,  welche  von 
einer  dünnen  Protoplasmaschicht  überzogen  ist,  die  sich  auch  vielfach 
in's  Innere  fortsetzt. 

Nach  der  Befruchtung  des  Eies  scheidet  sich  die  Hauptmasse 
des  inneren  Protoplasmas  als  Bildungsdotter  an  einer  Stelle  aus 
und  bildet  hier  einen  Hügel,  ähnlich  wie  die  Hornhaut  am  Augapfel. 
Die  übrige  Hauptmasse  stellt  den  Nahrungsdotter  dar.  Der  ent- 
standene Hügel  heisst  die  Keim  Scheibe,  und  diese  allein  wird  bei 
der  Furchung  in  Zellen  zerlegt.  Die  Verbindungslinie  der  Mitte  der 
Keimscheibe   und   der  Mitte    des  Nahrungsdotters   heisst   die  Eiaxe. 

Beim  Durchströmen  solcher  befruchteter,  noch  ungetheil  ter  Eier 
mit  dem  mir  zur  Verfügung  stehenden  Wechselstrom  bildete 
jedes  Ei  rasch  eine  tiefe  Furche,  welche  das  Ei  fast  ganz 
durchtheilte  und  annähernd  halbirte.  Die  Furchen  standen  a n  - 
scheinend  regellos  im  Strom feld  durcheinander.  Bei  denken- 
der Betrachtung  aber  fiel  auf,  dass  keine  einzige  Furche  ganz  oder 
auch  nur  annähernd  in  Richtung  der  Stromfäden  des  electrolytischen 
Feldes  stand,  sondern  dass  eine  annähernd  rechtwinkelige  Stel- 
lung zu  dieser  Richtung,  aber  mit  häufigen  [103]  Abweichungen  von 

"W.  Iloux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  40 


626      Nr.  2ö.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

20 — 30°  sich  in  dieser  Mannigfaltigkeit  ausspricht.  Betrachtete  man 
Eier,  deren  Furche  in  einer  Niveaufläche  des  electrisclien  Feldes 
stand,  so  waren  es  solche,  deren  Eiaxe  entweder  senkrecht  oder,  wenn 
schief  resp.  wagrecht,  aber  gleichwohl  auch  in  einer  Niveaufläche, 
oder  gerade  in  einer  Stromlinie  stand. 

Sorgt  man  dafür,  dass  alle  Eier  senkrecht  stehen,  so  stellt 
die  Summe  dieser  Furchen  wieder  ebenso  schön  wie  beim  Froschei 
die  Niveauflächen  dar.  Der  Grund  der  Furche  entspricht 
dem  Aequator,  die  beiden  Seitenmassen  den  Polfeldern  resp. 
Polabschnitten,  welche  im  Bereiche  der  Keimscheibe  trüb  werden 
und  etwas  feine,  schwer  sichtbare  Substanz  austreten  lassen, 
während  das  Protoplasma  des  Aequators  vollkommen  klar 
bleibt,  siehe  Taf.  IX  Fig.  18.  Im  Bereiche  des  Dotters  ist  manchmal, 
aber  nicht  immer  eine  Trübung  an  der  Oberfläche  der  durch  die 
Niveaufurchen  markirten  Polfelder  deutlich. 

Der  Vorgang  dieser  Reaction  bei  einem  mit  der  Eiaxe 
senkrecht  stehenden  Ei  ist  folgender.  Es  entstehen  nach  wenigen 
Secunden  der  Durchströmung  im  Bereiche  der  Keimscheibe  die  beiden 
trüben  Polfelder,  darauf  unter  ^>rlängerung  des  Eies  in  der  Strom- 
richtung zwei  seichte  Furchen  im  Abstand  von  etwa  Vs  Eidurchmesser, 
rechtwinkelig  zur  Stromrichtung ;  diese  Furchen  vertiefen  sich  und  nähern 
sich  etwas  einander  und  ihre  sich  erhebenden  Seitentheile  knicken  sich 
fast  rechtwinkelig  gegen  den  electrisclien  Aequator  des  Eies  ab.  Die  durch 
die  Furchen  abgegrenzten  Polabschnitte  vergrössern  sich  und  überhöhen 
somit  ringsum  den  allmählich  schmaler  und  auch  im  Ringdurchmesser 
kleiner  werdenden  Aequator,  so  dass  schliesslich  der  Aequator  in 
der  Tiefe  zwischen  den  beiden  einander  genäherten  Polfeldern  fast 
verschwindet  und  das  Ei  anscheinend  durch  eine  einzige  tiefe  Furche 
getheilt  ist.  Der  Profilcontour  des  Aequators  ist  nach  aussen  convex 
oder  auch  gerade  und  wird  seitlich  durch  die  rechtwinkelig  zu  ihm 
sich  erhebende  Innenfläche  der  Polabschnitte  begrenzt.  Die  Keim- 
scheibe dehnt  sich  dabei  mit  ihren  mittleren  Theilen  allmählich,  am 
meisten  jederseits  längs  des  electrisclien  Aequators  und  der  Niveau- 
kanten gegen  den  Dotter  nach  abwärts  aus. 

Um  den  Vorgang  auf  das  beim  Froschei  beobachtete  Geschehen 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Fischeier.  627 

zu  beziehen,  so  entstehen  Niveaufurchen,  welche  viel  [104]  tiefer 
einschneiden  als  beim  Froschei,  und  die  Polabschnitte  ver- 
grössern  sich  dabei  entsprechend  mehr  auf  Kosten  der  Sub- 
stanz der  Aequatorscheibe.  Im  Bereiche  der  Keimscheibe  kommt 
noch  eine  ausgesprochene  Trübung  des  Protoplasmas  des  Polab- 
schnittes hinzu.  Aus  dem  Polfeld  wird  auch  hier  etwas  Substanz 
ausgeschieden,  aber  nur  als  ein  zarter  Schleier,  also  nicht  an- 
nähernd so  viel,  als  beim  Frosch-  und  Tritonei  durch  die  Rinde  der  Pol- 
felder hindurchtritt.  Der  Abstand  der  Polabschnitte  ist,  gleich  wie 
beim  Froschei,  im  Bereiche  des  Bildungsdotters  (seil,  der  Keim- 
scheibe) wieder  etwas  grösser  als  im  Bereiche  des  Nahrungs- 
dotters. Auch  hier  überdauert  der  Ablauf  der  Veränderungen,  be- 
sonders die  Abschnüruug  der  Polabschnitte  von  der  Aequatorscheibe, 
die  Durchströmung,  wenn  diese  von  nur  kurzer  Dauer  war. 

Steht  die  Axe  des  Eies  annähernd  in  Richtung  der  Strom- 
linien seines  Ortes  im  electrischen  Felde,  so  schnürt  sich  die 
Keimscheibe  etwas  vom  Dotter  ab  und  wird  für  sich  in  zwei 
trübe  Polabschnitte  und  einen  zwischen  ihnen  liegenden, 
hell  bleibenden  Aequator  von  Niveauflächenrichtung  zer- 
legt; aber  diese  drei  Theile  scheiden  sich  nicht  durch  Furchen  von 
einander,  siehe  Taf.  IX  Fig.  19. 

Die  beobachteten  Abw^eichungen  in  den  Richtungen  der  Grenz- 
furchen der  Polabschnitte  von  den  Richtungen  der  Niveauflächen  des 
electrischen  Feldes  lassen  sich  vielleicht  auf  die  unverkennbare  mecha- 
nische Tendenz  des  Eies,  die  Furchen  annähernd  durch  die 
Mitte  sowohl  der  Keimscheibe  wie  des  Dotters  hindurch  zu 
bilden,  zurückführen,  obgleich  geringe  Abweichungen  nicht  selten 
sind.  Verläuft  der  durch  die  Mitte  der  Keimscheibe  gehende  Aequator 
im  Dotter  stark  excentrisch,  so  findet  bald  eine  Abknickung  der 
Aequator  schreibe  und  ihrer  Grenzfurchen  statt.  Ueberhaupt  folgt 
der  Aequator  der  Keimscheibe  strenger  der  Richtung  der  Niveauflächen, 
als  der  Aequator  des  Dotters,  der  auch  bei  geeigneter  Stellung  der 
Eiaxe  oft  etwas  schief  zur  bezüglichen  Niveaufläche  des  Mediums 
verläuft.  Bei  schief  mit  der  Keimscheibe  gegen  eine  Electrode  stehen- 
den Eiern  kommt  es  auch   vor,    dass   die  Niveauringfurchen   zu- 

40* 


628      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

uäclist  rein  auf  dem  Dotter  entstehen  und  dann  sich  seitHch 
gegen  die  Keimscheibe  verschieben.  Hier  hat  sich  also  wohl  das 
Rinden-[105]protoplasma  des  Dotters  im  Bereiche  des  Niveau- 
ringes zuerst  contrahirt,  und  dann  erst  hat  sich  die  Contraction 
auf  die  Keimscheibe  fortgesetzt. 

Die  trüb  gewordenen  Polabschnitte  der  Keimscheibe 
sind  (in  Folge  einer  Contraction  ?)  e  r  h  e  b  1  i  c  h  fester  a  1  s  i  h  r  e  U  m- 
gebung,  wie  man  beim  Zerreissen  wahrnimmt. 

Hat  sich  der  zur  Keimscheibe  gehörige  Bildungsdotter  vor 
der  Durchströmung  noch  nicht  vom  Nahrungsdotter  abgesondert,  so 
geschieht  diese  Sonderung  rasch  beim  Durchströmen 
und  erinnert  so  an  die  Bildung  eines  protoplasmatischen  und  eines 
die  Dotterkörner  enthaltenden  Polabschnittes  an  den  Zellen  der  durch- 
strömten Gastrula  des  Triton. 

Auch  an  blos  amöboiden  Fortsätzen  der  Keimscheihe, 
wie  sie  nach  der  Auslösung  des  lebenden  ungetheilten  Eies  aus  seiner 
Hülle  entstehen,  ebenso  wie  an  durch  S  cheerenschnitt  isolirten 
Stückchen  selbst  blos  von  Vs  der  ungefurchten  Keimscheihe  bilden 
sich  die  trüben  Polfelder  und  zwischen  ihnen  bleibt  ein  heller, 
parallel  contourirter,  scharf  begrenzter  Aequator .  An  grösseren,  von  beiden 
Seiten  bestrahlten  Stücken  erfolgt  auch  noch  Abschnürung  der  Pol- 
abschnitte. 

An  ganz  nackten  Eiern  sieht  man,  dass  auch  am  Dotter  im 
Bereiche  der  Niveaufurche  die  oberflächliche  Protoplasma- 
rinde trüb  wird,  gleich  dem  Protoplasma  in  den  Polabschnitten 
der  Keimscheihe. 

Bei  eventueller  Quercontraction  zur  Eiaxe  bleiben  die  in  und 
neben  der  Eiaxe  verlaufenden  parallelen  Säulen  von  Dotter- 
körnchen, die  durch  Protoplasma  von  einander  getrennt  sind,  er- 
halten, werden  aber  gedehnt. 

Bei  geringer  Erwärmung  der  Fi  seh  ei  er  erfolgt  ebenfalls  wie 
beim  Frosch  die  Re actio n  auf  den  Strom  rascher.  Nach  fünf  Mi- 
nuten langer  Erwärmung  der  Eier  auf  40 "  C.  jedoch  bleibt  bereits  das 
sonst  rasch  vorübergehende  Stadium  der  starken  Ueberhöhung  des 
Aequators  mit  noch  weit  offener  Aequatorfurche  lange  Zeit  bestehen. 


Polarisirende  Wirkuns  des  Wechselstromos  auf  Fischeier.  629 


Nach  vier  Minuten  langer  Erwärmung  aui'  4G  °  C.  ist  die  Kcimsclieibo 
schon  trüb  und  reagirt  gewöhnhch  nicht  mehr  ;  im  Bereiche  des  Dotters 
jedocli  fand  bei  einigen  Eiern  noch  eine  geringe  Einschnürung  statt. 

An  schon  ein-  oder  mehrfach  getheilten  Fischeiern  entstehen 
trübe  Special polfelder,  welche  meist  den  für  die  [106]  Frosch- 
eier gegebenen,  durch  die  Bestrahlung  bedingten  Regeln  entsprechen. 
Ist  jedoch  die  Keimscheibe  im  Morulastadium  gegen  die 
Electrode  gewendet,  so  schnürt  sie  sich  zuerst  wie  am 
noch  ungetheilten  Ei  durch  eine  tiefe,  in  Niveauflächenrichtuug 
stehende  Furche  vom  Dotter  ab,  wird  dadurch  selber  etwas  ab- 
geplattet kugelig  und  zeigt  später  zwei  durch  einen  unveränderten 
Aequator  getrennte,  aus  theilweise  polarisirten  Zellen  gebildete  Pol- 
seiten, aber  keine  Niveaufurchen. 

Da  bei  diesen  Eiern  die  Zerlegung  in  Zellen  nur  einen  kleinen 
Abschnitt  der  Eikugel  ergreift,  so  ist  Gelegenheit  zu  einigen  weiteren, 
über  die  am  in  toto  zerlegten  Frosch-  und  Tritonei  hinausgehenden 
Beobachtungen  gegeben.  Leider  hinderte  Mangel  an  Material,  diese 
Möglichkeit  genügend  auszunutzen.  Zwei  Mal  sah  ich,  dass  die  schief 
zu  den  Electroden  stehende ,  getheilte  Keim  Scheibe  auf  der 
einen  Seite  im  Profilcontour  drei  mit  je  einem  Polfeld  versehene 
Zellen  enthielt;  darauf  folgte  eine  einzige,  trotz  ihrer  auf  eine r 
Seite  der  Electrode  direct  zugewendeten  Fläche  unver- 
änderte, also  den  Aequator  repräsentirende  Zelle,  wäh- 
rend die  allein  noch  übrige  anstossende  Zelle  der  anderen  Seite,  welche 
nur  von  der  anderen  Electrode  bestrahlt  wurde,  mit  ihrem  einen 
Polfeld  zugleich  die  ganze  zweite  Polseite  der  Profilansicht  der  Keim- 
scheibe repräsentirte.  Dies  Verhalten  lässt  sich  kaum  noch  auf  die 
vom  Frosch  und  Triton  bekannten  Verhältnisse  beziehen;  und  ich 
habe  auch  Vertheilungen  der  Polfelder  gesehen,  die  dies  noch  weniger 
als  möglich  erscheinen  lassen,  also  eine  eigene  Deutung  erfordern 
werden.  So  beobachtete  ich  z.  B.  eine  Morula  mit  schief  zu  den 
Niveauflächen  stehendem,  also  anscheinend  von  einer  Seite  her  be- 
strahltem Aequator,  der  von  zwei  einander  gleich  grossen,  aber 
anscheinend  auch  von  einer  und  derselben  Electrode  bestrahlten,  aus 
gesondert  polarisirten  Zellen  bestehenden  Polfeldern   flankirt  wurde. 


630      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Grössere  und  kleinere  Stücke  der  Morulakeimscheibe 
bilden  gleichfalls  zwei  Polfelder,  ohne  sich  jedoch  dabei  sichtbar  zu 
contrahiren.  Bei  Besichtigung  mit  Zeiss'  Objectiv  E  sieht  man,  dass 
viele  der  29 — 35  /<  grossen  Zellen  durch  reichlichen  Gehalt  an  kleinen 
und  grossen  Körnchen  ganz  trüb  sind. 

[107]  Vier  Tage  alte,  durchscheinende  Emhryonen  dieser  Fisch- 
art, welche  das  Rückenmark  geschlossen  und  den  kugeligen  Dotter 
schon  zu  */ö  umwachsen  hatten,  bildeten  auch  noch  Polfelder  und 
einen  scharf  begrenzten  annähernd  parallel  contourirten  Aequator. 
Zuerst  wurde  die  epitheliale  Bedeckung  des  Dotters,  dann  das 
äussere  Epithel  des  Embryo  trüb  im  Bereiche  der  Polfelder. 
Bei  Durchströmung  in  sagittaler  Richtung,  also  parallel  zur  Median- 
ebene des  Embryo  verschmälerte  sich  das  Rückenmark  in  trans- 
versaler Richtung  und  erhöhte  sich  dem  entsprechend  erheblich 
in  dorsi-ventraler  Richtung,  und  im  Bereiche  der  Polfelder  wurde  eine 
geringe  Menge  fast  flüssiger  klarer  Substanz  von  ihm  ausgeschieden. 
Die  Rückenmarkssubstanz  selbst  blieb  durchscheinend,  schien  also 
nicht  polarisirbar  zu  sein;  doch  wurden  wegen  der  geringen  Zahl 
der  Embryonen  die  Versuche  nicht  genügend  variirt,  um  dies  als 
sicher  auffassen  zu  dürfen. 

Vorspringende  bestrahlte  reagirende  Theile  werfen  wieder 
einen  Schatten  auf  die  in  der  Stromrichtung  hinter  ihnen  hegenden 
Theile  desselben  Polabschnittes,  so  dass  diese  Theile  erst  später 
trüb  werden. 

Auch  S  tu  che  von  Embryonen  reagiren  polar;  an  ihnen  zieht 
sich  während  der  Reaction  zugleich  die  den  Dotter  umschhessende 
Schicht  derart  zusammen,  dass  der  Dotter  aus  der  Schnittstelle  zum 
Theil  ausgepresst  wird.  Die  Schnittfläche  des  Dotters  selber  erlangt, 
so  weit  sie  bestrahlt  ist,  nur  geringe,  punctirte  oder  fadenförmige 
Trübung,  wohl  entsprechend  der  geringen  Protoplasmavertheilung 
im  Dotter. 

Die  durchscheinende  Beschaffenheit  des  Fischeies  hätte  Gelegen- 
heit geboten,  uns  über  eventuelle,  beim  Durchströmen  im  Bereiche 
des  Aequators  vor  sich  gehende  moleculare  Veränderungen  durch  die 
Beobachtung   eines    hindurchgesandten    polarisirten   Lichtstrahles    zu 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Fischembryonen.  631 


nnteiTiebtcii ;  doch  Avar  icli  zu  dieser  Zeit  noch  zu  sehr  mit  der  Ueber- 
sicht  über  die  Hauptformen  der  vorkommenden  gröberen  Verände- 
rungen beschäftigt,  um  schon  an  die  Ermittehmg  der  feineren  Ver- 
häknisse  zu  gehen ;  imd  später  konnte  ich  kein  weiteres  Fischmaterial 
erhalten. 

An  noch  durchscheinenden  Eierstochseiern  bis  aufwärts  zu 
einer  Grösse  von  etwa  0,5  mm  bringt  der  Wechselstrom  mannig-  [108] 
fache,  aber  nicht  polar  localisirte  Veränderungen  hervor,  die 
jedoch  selbst  bei  neben  einander  liegenden  Eiern  des  Eierstockes  oft 
verschieden  sind.  Fast  ausnahmslos  indess  entsteht  in  dem  mit  einer 
klaren  Flüssigkeit  erfüllten,  grossen,  von  einer  Membran  umschlossenen 
.,Keimljl üschen",  an  dessen  Innenwand  eine  Anzahl  glänzender 
Körnchen  (Nucleolen)  liegen,  rasch  eine  starJce  Vermehrung  dieser 
Körnchen;  danach  entsteht  weiterherin  eine  protoplasmaähnliche, 
dichte,  feinliörnige,  gelhlichbrännliche,  trnhe  Masse,  in  der 
die  glänzenden  grösseren  Körner  liegen,  die  sich  dann  allmählich  re- 
trahirt,  manchmal  zu  einer  Scheibe  mit  vielen  zackigen,  kantigen 
Ausläufern.  Den  Zwischenraum  zwischen  der  Kernmembran  und 
dieser  compacten  Kernmasse  füllt  klare  Flüssigkeit  aus.  In  wenigen 
Zellen  ver dicht  sich  rasch  die  Kernmemhr ctn  um  das  Drei- 
bis  Sechsfache.  Im  „Zelileib"  scheiden  sich  der  Eimembran  an- 
liegende, nicht  glänzende  (paraplasmatische)  grosse  halbkugelige 
Tropfen  von  etwa  34  in  aus,  die  selten  sich  zu  runden  Tropfen  ab- 
lösen und  dann  die  äusserliche  Zellschicht  vacuolisirt  erscheinen  lassen. 
Das  vorher  helle  Protoplasma  sondert  sich  bei  etwa  ein  Zehntel 
der  Eier  in  eine  äussere,  gelbliche  homogene  und  eine  innere 
feinkörnige  Schicht,  die  beide  zusammenhängen. 

Bei  Eiern,  welche  schon  einige  Dotterkörner  enthalten,  werden 
dieselben  zwischen  diesen  beiden  Schichten  angehäuft.  Diese 
Veränderung  Erfolgt  in  10 — 15  Minuten;  während  nichtdurchströmte 
Eier,  24  Stunden  nach  dem  Tode  desselben  Fisches  der  Bauchhöhle 
entnommen,  noch  normales  Aussehen  darbieten.  In  Wasser  liegende, 
nicht  durchströmte  unreife  Eier  behalten  lange  ihr  wässeriges 
Keimbläschen,  scheiden  aber  bald  Flüssigkeits tropfen  gegen 
die  Eihaut  hin  aus,  und  zwar  in    grösserer   Zahl    als    die    durch- 


632       Nr.  25.  Morphologisclie  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


strömten  Eier  dies  thun.  Ist  diese  Ausscheidung  bei  durchströmten 
Eiern  zAifällig  an  zwei  gegenüberhegenden  Stellen  localisirt,  so  kann 
es  den  Anschein  einer  Polarisation  erwecken;  doch  berichtigt  die  va- 
riable Richtung  dieser  Pole  zur  Stromrichtung  sofort  diese  Auffassung. 
Auch  die  erwähnte  Sonderung  des  homogenen  Protoplasmas  kann 
sich  in  dieser  Weise  anscheinend  polar  localisiren.  lieber  diese 
besondere  Structuren  producirenden,  also  „morphologisch" 
wichtigen  Veränderungen  durch  den  electrischen  Strom, 
gedenke  ich  genauere  Untersuchungen  anzustellen. 

[109]  Das  Herz  des  erwachsenen  Telestes  bildet  im  Wechselstrom 
zwei  blasse,  tonisch  contrahirte  Polabschnitte  und  eine  rothe  Aequator- 
scheibe,  letztere  annähernd  in  Richtung  der  Niveaufläche  des  Ortes. 
Der  Tonus  der  Polabschnitte  überdauerte  die  Durchströmung.  Auch 
die  Vorhöfe  betheiligten  sich  an  dieser  Reaction;  und  man^kann  bei 
Aenderung  der  Stromrichtung  das  zuerst  erhaltene  Reactionsbild  um- 
arbeiten lassen. 

Die  G all enhl äsen  dieses  Fisches  sind  dünnwandig  und  re- 
agiren  daher  sehr  schnell:  schon  nach  30  Secunden  sind  die  Rol- 
fe Id  er  sichtbar.  Zuerst  entstehen  auf  dem  dunkelgrünen  Grund  an 
dem  Pole  rundliche,  dann  eckig  werdende  und  mit  einander  zu- 
sammenfliessende  hellgelbe  Flecken,  die  annähernd  gerundete 
Maschen  einschliessen.  Dieser  Vorgang  breitete  sich  von  den  Polen 
aus  und  führte  bei  der  von  mir  gewöhnlich  angewandten  Stromstärke 
schliesslich  unter  steter  Verschmälerung  zum  Verschwinden  des 
Aequators.  Bei  Durchströmung  der  Blase  in  Längsrichtung  geht 
die  Vergrösserung  der  Polfelder  manchmal  unter  Vor  aussen  düng 
gelber  Zacken  gegen  den  Aequator  vor  sich.  Bei  äusserst  ge- 
schwächtem Strom  blieben  die  Polfelder  auch  während  25  Minuten 
langer  Durchströmung  nur  kleine  Käppchen. 

Anhängende  Lebersubstanz  beeinflusst  in  keiner  er- 
kennbaren Weise  den  Verlauf  der  sichtbaren  Niveaulinien  an 
der  Gallenblase;  dagegen  wirft  das  angewachsene  Fett  als  sehr 
schlechter  Leiter  natürlich  einen  kräftigen  Schatten  und  alterirt 
so  die  Gestalt  der  Polfelder,  indem  an  der  Stelle  'dieses  Schattens 
die  Veränderung  ausbleibt. 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Eidechseneier.  633 

Polarisircndc  Wirkung  des  Wechselstromes  auf 
Lacerta  agilis. 

Von  Reptilien  untersuchte  ich  nur  Eidechsen  (Lacerta 
agilis). 

Die  von  einem  dicht  anliegenden  Follikelepithel  umschlossenen 
jungen  Eierstockseier,  also  die  Eierstochsfollikel  ergaben  bei  Be- 
handlung mit  dem  Wechselstrom  folgende  Resultate: 

Durchscheinende  Eierstocksfollikel  von  0^5  bis  1,5  mm  Grösse, 
deren  Eier  erst  sehr  wenige  Dotterkörner  enthalten,  bilden  deutlich  trübe 
Polfelder;  diese  beginnen  als  isolirte  trübe  [110]  Puncte  am  Pole, 
dann  confluiren  die  Puncte,  während  am  Rande  neue  solche  Puncte 
auftreten,  sich  weiter  ausbreiten  und  eckig-maschige  Netze  bilden 
von  21 — 30  i-i  Maschenweite.  Mit  Zeiss'  Objectiv  C  sieht  man  an 
Eiern  von  0,9—1,0  mm  Grösse,  dass  die  trüben  Puncte  und  Netze 
aus  feinkörnigem  Protoplasma  mit  eingeschlossenem  Kern  bestehen, 
also  getrübte  Follikelepithelzellen  sind. 

Diese  Polfelder  wachsen  noch  erheblich  nach  dem  Aufhören 
des  Stromes;  ja  bei  kurz  dauernder  Durchströmung  treten  sie  über- 
haupt erst  mehrere  Minuten  danach  auf;  durch  Einlegen  in  Chrom- 
säure werden  sie  deutlicher  und  scharf  begrenzt.  Nicht  isolirte 
Eierstocksfollikel  bilden  blos  je  ein  Polfeld,  nämlich  blos 
auf  der  ganz  freien,  vom  Wasser  umgebenen  Seite,  nicht  auf 
der  anderen  zum  Theil  durch  benachbarte  Follikel  bedeckten  Seite, 
obgleich  die  benachbarten  Follikel  durch  eine  tiefe ,  mit  dem  Men- 
struum  erfüllte  Furche  getrennt  sind.  Beim  Durchströmen  eines 
solchen  umgestülpten  Eierstockes  tritt  demnach  die  beschattende 
Wirkung  des  reactionsfähigen  Substrates  in  ähnlich  ausge- 
sprochener Weise  hervor,  wie  sie  oben  für  querstehende  Furchen 
am  Pole  der  Morula  des  Wasserfrosches  und  des  Triton  beschrieben 
worden  ist.  An  blos  mit  einem  Polfeld  versehenen  Eierstocksfollikeln 
breitete  sich  nach  dem  Durchströmen  beim  Liegen  in  Wasser  die 
Trübung  vom  Polfelde  allmählich  während  einer  halben 
Stunde  über  das  ganze  Ei  aus,  aber  mit  vom  Pole  aus  abnehmender 
Intensität.     An  grossen,  dotterkörnerhaltigen  Eiern  von  7  mm  Durch- 


634      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

messer  vermochte  ich  nach  der  Durchströmung  keine  Polarisation  zu 
sehen  oder  durch  Chromsäure  sichtbar  zu  machen. 

Die  GallenhJase  der  Eidechse  verhält  sich  im  Wesentlichen 
wie  die  der  übrigen  untersuchten  Thiere.  Die  Polfelder  werden 
grün,  in  verdünnter  Schwefelsäure  rasch  opak  gelb;  obschon  die 
ausfliessende  Galle  selber  nicht  opak  gelb  wird. 

Auch  an  den  Emhryonen  der  Eidechse  wurden  einige  bezüg- 
liche Beobachtungen  gemacht.  Es  standen  blos  von  drei  schwangeren 
Eidechsen  Embryonen  zur  Verfügung,  welche  in  den  beobachteten 
Stadien  noch  durchscheinend  waren  und  daher  gestatteten ,  das  Ver- 
halten einiger  inneren  Organe  kennen  zu  lernen. 

[111]    An   diesen   Eidechsen-Embryonen   mit   schon   stark    vor-  l 

springendem   Mittelhirn  (und   mit   Extremitätenstummeln)    reagirte  I 

vorzüglich   das   Gehirn   auf  den   Strom.     Durchströmt    man   mit  \ 

starkem  Strom  in  cephalocaudaler  Richtung,  so  bildet  die 
vorspringende  Blase  des  Mittelhirns  zuerst  ein  kleines  trübes 
Polfeld  an  dem  der  Electrode  nächsten  Theil,  welches  in  3  Minuten 
schon  fast  die  halbe  Kugel  einnimmt;  danach  entsteht  auch  an  der 
gleichfalls  direct  bestrahlten  dorsalen  Wandung  des  Hinter- 
hirns, Z  w  i  s  c  h  e  n  h  i  r  n  s  und  V  o  r  d  e  r  h  i  r  n  s  eine  Trübung.  Gleich- 
zeitig wird  die  ausgedehnte,  entgegengesetze  basale  Seite  des 
ganzen  Gehirnes  trübe;  und  zwischen  diesen  beiden  Polfelderu 
l)leibt  ein  grosser,  annähernd  parallel  contourirter  Streifen  des  Gehirns 
vollkommen  durchscheinend :  nur  im  Bereich  der  ventralen  Wandung 
der  Mittelhirnblase,  welche  in  Folge  der  kugeligen  Gestalt  der  Blase 
noch  besonders  bestrahlt  wird,  entsteht  dem  grossen  dorsalen  Polfelde 
gegenüber  ein  besonders  abgegrenztes  kleineres,  etwas  weniger  trübes 
aber  vollkommen  deutliches  Polfeld.  Die  scharf  begrenzten  polaren 
Trübungen  der  Gehirnwandung  werden  auch  nach  der  Unterbrechung 
der  Durchströmung  des  Embryo  noch  eine  Zeit  lang  intensiver; 
Avährend  der  schmale  Aequator  selbst  nach  längerer  Durchströmung 
noch  durchscheinend  bleibt.  Der  gleichfalls  unter  günstigem 
Winkel  bestrahlte  Anf angstheil  des  Rückenmarkes  bekommt  nur 
e i n e  s c h w a c h e  T r ü b u n g.  Ferner  wird  der  schlingenf örmige  Herz- 
schlauch an  den  Polseiten  trüb.    Das  Gleiche  gilt  von  den  Pol- 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Eidechsenembryonen.        635 

Seiten  der  Kiemenbogcii  und  der  Exti  emitätenstummel; 
sie  werden  ebenfalls  oberflächlich  trüb;  doch  konnte  ich  an  ihnen 
»   keinen  deutlichen  Aequator  wahrnehmen. 

Durchströmt  man  einen  Eidechsen-Embryo  des  gleichen  Stadiums 
in  der  Richtung  vom  Stirnhirn  zum  Nachhirn,  so  sind  die 
trüben  Polfelder  in  der  Hirnwandung  entsprechend  anders  vertheilt, 
aber  ebenfalls  scharf  begrenzt;  am  Stirn-,  Zwischen-  und  Mittelhirn 
ist  je  ein  vorderes  Polfeld ;  am  Mittelhirn,  durch  hellen  Aequator  ge- 
trennt, ein  hinteres  Polfeld,  und  daran  schliesst  sich  die  trübe  Hinter- 
hirndachplatte; letzterer  ventral  gegenüber  liegt  der  stark  trübe, 
dicke  ventrale  Theil  des  Nachhirns.  Am  Rückenmark  sind  die  Ver- 
änderungen wieder  ]112]  weniger  deutlich;  dagegen  sind  sie  wieder 
vollkommen  ausgesprochen  an  den  derzeitigen  Pol  selten  des  Herz- 
schlauches. Auch  die  G e h ö r b  1  ä s c h e n  bilden  polare,  aber  unscharf 
begrenzte  Trübungen.  Auf  einem  etwas  jüngeren  Stadium 
reagirte  das  noch  sehr  dünne  Dach  des  Zwischenhirns  und 
vierten  Hirnbläschens  nicht  erkennbar,  so  dass  bei  geeig- 
neter Stromrichtung  den  betreffenden  Abschnitten  das  zweite  Polfeld 
fehlte,  wie  es  übrigens  im  Bereiche  des  Nachhirns  vorher  schon  der 
Fall  war. 

Die  Hirnwandung  der  Emhryonen  verdicht  sich  im  Be- 
reiche der  Polfelder  schon  während  des  Durchströmens  und 
noch  nach  demselben  innerhalb  einer  Viertelstunde  sehr  stark, 
stellenweise  auf  das  Vier-  bis  Sechsfache  unter  Bildung  von 
gleichfalls  trüben,  soliden  Höckern  und  Wülsten,  die  zum 
Theil  regelmässig  angeordnet  sind,  und  in  den  Binnenraum  der  Hirn- 
blase vorspringen;  manchmal  ist  ihre  Bildung  schon  in  einer  halben 
Stunde  so  stark,  dass  sie  sich  von  den  beiden  Polfeldern  aus  in  der 
Mitte  berühren  und  so  den  durchscheinenden  Aequator  unterlagern. 
Anfangs  solide  Wülste  können  später  zu  Falten  der  Hirnw^andung 
Averden,  indem  sich  der  äussere  Theil  der  Wandung  mit  einstülpt. 
Die  Falten  sind  in  Richtung  des  Stromes  gelegen. 

Zum  Theil  ähnliche,  aber  natürlich  nicht  polar  localisirte  Ver- 
änderungen der  Hirnwandung  erhält  man  ohne  Durchströmung,  je- 
doch viel  langsamer,   wenn   man  die  Hirnblase   aufschneidet  und  die 


G36      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

verwendete  wässerige,  mit  wenig  Va^/oiger  Kochsalzlösung  versetzte 
Menstruumflüssigkeit  eindringen  lässt.  Hierdurch  wird  die  Hirnwan- 
dung unter  Quellung  von  innen  aus  trüb. 

Das  Herz  der  Embryonen  reagirt  langsamer  als  das  Gehirn 
und  schlägt  gewöhnlich  noch,  wenn  schon  am  Hirn  die  Polfelder  ent- 
wickelt sind. 

Auch  die  ÄU anfois  liess  deutlich  polare  weissliche  Trü- 
bung erkennen,  besonders  ausgesprochen  auf  der  Höhe  der  nach 
aussen  vorspringenden  direct  bestrahlten  Falten,  in  den  Furchen 
nicht  deutlich.  Ist  die  Allantois  prall  gefüllt,  so  sind  die  Polfelder 
etwas  deutlicher  umgrenzt,  und  daher  auch  ein  parallel  contourirter 
Aequator  eher  zu  erkennen;  aber  nie  [113]  ist  der  Uebergang  vom 
trüben  Polfeld  zum  durchscheinenden  Aec^uator  ein  so  plötzlicher  wie 
am  Gehirn  desselben  Embryos. 

Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Em- 
bryonen des  Huhn  (Gallus  domesticus). 

Ferner  reagiren  sehr  gut  Hiilin  er  e mhry onen  von  2V2  bis 
7  Brüttagen  auf  den  Wechselstrom,  während  die  schon  früher  geprüfte 
ebene  Keimscheibe  keine  Polfelder  hatte  erkennen  lassen. 
Da  dieses  Material  gut  durchscheinend  ist  und  fast  zu  jeder  Zeit  be- 
schafft werden  kann,  so  wurden  an  ihm  die  Beobachtungen  etwas 
weiter  ausgedehnt,  als  dies  an  den  Embryonen  der  drei  Eidechsen 
möglich  war.  Die  Embryonen  wurden  in  ^s^^/oiger  Kochsalzlösung 
von  35°— 39°  C.  durchströmt.  Schon  nach  3  bis  5  Minuten  tritt  an 
jeder  Polseite  der  Hirnhlasen  eine  scharf  umgrenzte  Trübung 
der  Wandung,  ein  deutliches  Polfeld  auf,  welches  wieder  je  nach 
der  Lage  des  Embryo  zu  dem  Electroden  verschieden  situirt  ist,  wie 
dies  bereits  von  den  Eidechsen-Embryonen  geschildert  worden  ist. 

Die  durchscheinende  Beschaffenheit  gestattet,  mit  schwachen 
Objectiven,  Zeiss  A  und  C,  zu  beobachten,  und  lässt  erkennen,  dass 
es  die  innere  Schicht  der  HirnhJnsenunindung  ist,  welche 
trnh  wird.  Bald  entstehen  im  Bereiche  der  Polfelder,  besonders 
am  Mittelhirn,  ausgesprochene,  wieder  in  Strom  rieht  im;/  ge- 
Jeyene  Wülste  nnd  Falten  der  Wandung,  siehe  Taf.  IX,  Fig.20, 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Hühnerembryonen.  637 


und  zwar  vorzugsweise  nach  innen  gegen  den  Binucnraum  zu;  während 
der  scharf  begrenzte  Aequator  jeder  Hirnblase  klar  durchscheinend 
und  ungefaltet  bleibt,  und  zwar  klarer  durchscheinend  als  der  bezüg- 
liche Theil  des  bei  jedem  Versuchsbeginne  zum  Vergleiche  in  37  bis 
39°  C.  warme  gleiche  Kochsalzlösung  eingelegten  gleichalterigen  Probe- 
Embryos.  Letztere  werden  allmählich  etwas  trüb,  während  die  durch- 
strömten Embryonen  zunächst  durchscheinender  werden, 
als  sie  waren,  so  weit  sich  nicht  Polfelder  an  ihnen  bilden. 
Erst  nach  einer  Viertel-  bis  halben  Stunde  breiten  sich  die  Trübungen 
der  durchströmten  Embryonen  auch  über  die  Aequatortheile  aus  und 
werden  etwas  hyalin;  damit  wird  der  durchströmte  Embryo  nicht 
durchströmten,  in  nicht  mit  Salz  versetztem  Brunnenwasser  liegenden 
Embryonen  ähnlich,  welche  allgemein  trüb,  etwas  hyalin  schimmernd 
werden,  aber  ihre  ungefalteten  Hirn-  [114]  Wandungen  behalten.  Die 
Hirnwulstungen  oder  Faltungen  der  durchströmten  Embryonen  bilden 
dann  einen  leicht  sichtbaren  Unterschied.  An  in  V2°/oiger  Kochsalz- 
lösung ohne  Durchströmung  liegenden  Embryonen  dagegen  w^erden 
viele  verschiedene  Schichten  trüb,  andere  bleiben  Tage  lang  durch- 
scheinend, so  dass  die  Differenzirung  viel  mehr  sichtbar  wird,  als  im 
Leben  und  als  an  electrischen  Embryonen. 

Die  polaren  Trübungen  linden  sich  wieder  auch  an  der  basalen 
Seite  des  Gehirns  in  entsprechender  Weise,  obgleich  hier  die 
Hirn  Wandung  nicht  so  frei  liegt  wie  dorsalerseits,  sondern  vom 
Kieferbogen,  vom  Mittelblattgewebe  und  vom  Kopfdarai  bedeckt  ist. 
An  dem  dünnen  Dach  des  vierten  Ventrikels  ist  die  Trübung  nur  an 
den  Rändern  ganz  deutlich. 

Die  primäre  Augenhlase  reagirt  wie  das  Gehirn.  Die 
sec'undäre,  schwarz  pigmentirte  Augenhlase  reagirt  sehr  trag 
mit  Faltungen  und  Abschnürungen,  besonders  an  den  Polen, 
und  mit  Verfärbung  und  Hellwerden,  gleichfalls  besonders  an 
den  Polseiten,  siehe  Taf.  IX,  Fig.  20.  Doch  entstehen  keine  scharf 
abgegrenzten  Polfelder  und  dem  entsprechend  auch  kein  solcher 
Aequator.  Die  Linse  zeigt  auch  Veränderungen.  Die  Wandung  der 
Gehörhläschen  wird  gleichfalls  trüb,  event.  gefaltet,  aber  wieder 
nur  mit   undeutlicher  polarer  Begrenzung   der   Veränderung. 


638      Nr-  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Auch  das  RücJxenmarl'  liess  in  seinem  cephalen  Theil  polare 
Trübung,  aber  wenig  deutlich  erkennen. 

Manchmal  glaubte  ich  auch  polare  Trübung  im  freien  Theil 
des  äusseren  Keimblattes,  im  äusseren  Ueberzug  des  Körpers 
zu  erkennen;  doch  war  die  Abgrenzung  keine  scharfe,  und  ist  bei 
der  Zartheit  dieser  Epithelschicht  das  Urtheil  unsicher.  Nur  ist  eine 
starke,  jedoch  wie  bei  den  Eidechsen-Embryonen,  nicht  deutlich  polar 
begrenzte  Trüb  ung  des  Epithels  der  Extremitätenstummel, 
sowie  der  sehr  direct  von  Stromfäden  getroffenen  Ob  erfläch  en- 
theile der  Schhcndhögen  zu  erwähnen. 

An  jungen  Embryonen  von  2—2^2  Tagen,  an  denen  mit  dem 
Microscop  ohne  vorherige  Microtomirung  der  Kopfdarm  sichtbar  ist, 
sah  ich  eine  starke,  in  manchen  Fällen  deutlich  polar  localis irte 
Trübung  seines  Epithels,  also  des  Entohlast.  Das  Epithel  der 
Rachenmembran  und  der  inneren  Seiten  der  [115]  Schlundbögen  ist  auch 
ohne  Durchströmung  schon  trüb;  diese  Trübungen  aber  werden  er- 
heblich verstärkt  bei  geeigneter  Lage  der  Electroden.  Auch  andere 
stark  durchstrahlte  Theile  des  Entoblast,  besonders  der  vorspringende 
Umschlagsrand  der  vorderen  Darmwand  zum  Dottersack,  werden  bei 
Durchströmung  in  geeigneter  Richtung  auf  den  Polseiten  deutlich  trüb. 

An  dem  noch  S-förmigen  Herzen  wird  gleichfalls  auf  den  Pol- 
seiten  eine  Trübung  durch  den  Wechselstrom  hervorgebracht. 
Weiterhin  entstehen  an  den  Seitenplatten  des  mittleren  Keimblattes, 
sowie  an  den  Ursegmenlen  des  Kopfes,  Halses  und  vorderen  Rumpfes 
polare  Trübungen.  Manchmal  bekommt  jedes  Ursegment  je 
eine,  bei  Längsdurchströmung  proximale  und  distale,  weisslich 
trübe  Grenzscheibe,  bei  Querdurchströmung  ein  mediales  und  ein 
laterales  weisses  Feld ;  andere  Male  ist  die  polare  Localisation  der  Trüb- 
ungen undeutlich. 

Ein  Mal  sah  ich  nach  einer  nicht  bis  zur  Polfeldbildung  an  den 
Ursegmenten  fortgesetzten  Durchströmung  innerhalb  einer  Stunde  an 
der  ganzen  lateralen  Seite  jedes  Rumpf  Segmentes  ein  schmales 
Stück  sich  abschnüren  und  einige  davon  sogleich  mit  dem  davor 
und  dahinter  liegenden  Stück  zu  einem  einheitlichen  Strang 
sich  verbinden.     Erwähnenswerth   ist,   dass  vor   der  Abschnürung 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Hühnerembryonen.  639 


jeder  laterale  Rand  des  Ur Segmentes  sich  Avie  durch  transver- 
sale Einschnitte,  welche  aber  wohl  durch  Umordnung  der  Epithcl- 
zellen  bedingt  waren,  in  4  oder  5  Sprossen  sonderte,  dass 
diese  sich  vom  Urscgment  absclmürten  und  dann  zu  dem  Längsstrang 
sich  vereinigten.  Es  ist  die  Bildung  des  Urnierenganges,  die 
ich  da  direct  von  der  Dorsalseite  des  Embryo  aus  beobachtet  habe; 
ob  dieselbe  durch  die  electrische  Behandlung  beschleunigt  war,  oder 
ob  sie  für  gewöhnlich  so  rasch  verlauft,  müssen  erst  weitere  Beob- 
achtungen darthun. 

Im  Bereiche  der  polaren  Trübungen  der  Ursegmente 
scheint  der  Zellverband  gelöst,  denn  man  sieht  mit  Zeiss  C  nur  noch 
viele  Zellkerne  von  7  i-i  Grösse;  also  hat  wohl  Framboisia  interna 
stattgefunden  wie  beim  äusseren  Epithel  der  Frosch-Embryonen. 
Aehnliches  sieht  man  auch  an  den  Polfeldern  von  Stücken 
des  Rückenmarkes  und  Gehirnes,  sowie  an  der  Chorda 
dorsalis;  doch  ist  Genaueres  erst  nach  der  Microtomirung  der  Ob- 
jecte  festzustellen.  Dies  gilt  auch  [116]  allgemein  für  die  zwischen 
den  epithelialen  Gebilden  gelegene  Bindesubstanz,  an  welcher  ich 
in  frischem  Zustande  keine  Veränderung  wahrnehmen  konnte. 
In  getrübten  Stellen  des  Entoblast  sieht  man  schon  mit  Zeiss  C  viele 
glänzende  Kügelchen  von  1,4 — 3,5  {.i  Grösse.  Diese  sind  es  wohl, 
welche  die  Trübung  bedingen. 

Am  Mittelhirnbläschen  entsteht  auch  manchmal  eine  be- 
sondere Niveaulinie,  welche  dunkler  ist  als  der  benachbarte 
Theil  des  Polfeldes,  dessen  Grenze  sie  darstellt. 

Der  Aequator  beträgt  bei  der  angewandten  Stromstärke  an  der 
Mittelhirnblase  etwa  ^/s  der  Ausdehnung  des  Gebildes  in  Richtung 
des  Stromes;  bei  den  beiden  Grosshirnbläschen  ist  er  breiter.  Die 
Aequatoren  der  Mittelhirn  blase,  der  Zwischenhirnblase  und  der  Gross- 
hirnbläschen sind  nicht  einander  parallel,  sondern  es  ist,  wie  bei  den 
schief  zur  Stromrichtung  stehenden  Gallenblasen  der  Kaninchen,  eine 
Ablenkung  des  Aequators  von  der  Niveauflächenrichtung  des  Men- 
struums  nach  der  grössten  Ausdehnung  der  bezüglichen  Blase  wahr- 
nehmbar; dies  gilt  daher  besonders  für  die  Grosshirnbläschen  und 
für  das  Zwischenhirn,  siehe  Taf.  IX  Fig.  20.   Es  gelten  hier  über- 


640      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  (lehilde  etc. 

haupt  die  früher  von  der  Localisation  der  Polfelder  an 
Froscheiern  und  -Embryonen  und  an  Gallenblasen  aufge- 
stellten Regeln  von  der  directen  Bestrahlung  und  vom  Strom- 
schatten. 

Das  das  Hirn  umgebende,  selber  nicht  erkennbar  re- 
agirende  Mittelblatt-Getvele  beeinflusst  nicht  die  Anordnung 
der  Polfelder  an  den  von  ihm  eingehüllten  Organen;  die  Hirn- 
blasen verhalten  sich,  als  ob  ihre  bestrahlten  Formen  unverhüllt  da 
lägen.  So  Hess  auch  die  Einhüllung  in  das  Amnion  keine  die  Locali- 
sation alterirende  Wirkung  erkennen,  von  einer  geringen  Verzögerung 
der  Polfeldbildung  abgesehen,  welche  ich  zu  bemerken  glaubte. 

Am  Hers  schlauch  des  Hühnerembryo  bilden  die  beim  Durch- 
strömen sich  trübenden  Theile  den  äussersten  Theil  der  Wan- 
dung und  stellen,  bei  Zeiss  C  gesehen,  eine  gelbliche,  dichte,  die 
einzelnen  Zellen  nicht  mehr  recht  erkennen  lassende  Schicht 
von  zum  Beispiel  21  /n  dar;  während  man  an  den  nicht  polarisirten 
Stellen  der  Rinde  die  einzelnen  7 — 14  /^i  grossen  Zellen  deutlich  unter- 
scheiden kann.  Die  polarisirten  trüben  [117]  Stellen  scheinen 
aus  dicht  gedrängten  Zellkernen  von  7  f.i  Grösse  zu  bestehen. 
An  einem  blos  durch  Liegen  in  warmer,  ^/4"/oiger  Kochsalzlösung 
getrübten  Herzschlauch  war  diese  Schicht  nicht  auffindbar. 

Alle  bisher  durchströmten  Gebilde,  mit  Ausnahme  der  Stücke 
von  Froschembryonen,  waren  durch  gerundete  oder  auf  andere  Weise 
nach  aussen  vorspringende  Flächen  begrenzt.  Es  ist  daher  die  Ver- 
muthung  zu  prüfen,  ob  diese  Gemeinsamkeit  der  Formen  nicht  viel- 
leicht Veranlassung  zu  der  gefundenen  Gemeinsamkeit  in  der  Loca- 
lisation der  Veränderungen  aus  zwei  durch  einen  unveränderten  Aequa- 
tor  getrennte  Polfelder  ist.  Da  in  den  Hirnblasen  Hohlgebilde  mit 
nicht  collabirender  Wandung  vorhanden  sind,  war  Gelegenheit  gegeben, 
diese  Vermuthung  zu  prüfen. 

Ich  zerschnitt  daher  den  Kopf  von  Hühnerembryonen 
und  Hess  in  die  offene  Höhlung  des  Stückes  vom  Vorder- 
und  Mittelhirn  den  Strom  direct  eintreten.  Es  zeigte  sich,  dass 
jetzt  nicht  etwa  ein  trüber  Polriug  am  offenen  Rande,  eine  Polkappe 
am  blinden  Ende  und  zwischen  beiden  ein   unveränderter  Aequator, 


Polarisireiide  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Hiilmt'reier.  041 


an  dem  eine  halbe  Kugelsehale  darstellenden  Gebilde  entstanden, 
sondern  das  ganze  bestrahlte  Gebilde  wurde  trüb.  Zugleich 
sah  mau  jetzt  sehr  deutlich,  dass  nur  die  innere  Schicht  der 
Hirn  Wandung  sich  trübt  und  zunächst  allein  die  wieder  in 
Richtung  des  Stromes  gelegenen  Wülste  bildet.  Ist  da- 
gegen das  direct  in  seine  Höhlung  bestrahlte  Hohlgebilde  relativ 
lang,  sackartig,  dann  sieht  man,  dass  die  Umgebung  des  Ein- 
ganges und  der  Fundus  viel  trüber  werden,  als  der  zwischen 
ihnen  gelegene  mittlere  Theil.  Wird  aber  ein  so  gestaltetes  Hohl- 
gebilde parallel  der  Schnittfläche  durchströmt,  so  reagirt 
es,  als  wenn  es  noch  geschlossen  wäre,  also  wie  irüher 
beschrieben. 

Ein  zwei  Tage  bebrütet  es  Hühner  ei  wurde  ,,/<ner- 
öffnet''  in  der  Längsrichtung  des  Embryo  durchströmt 
und  danach  der,  abgesehen  vom  Gehirntheil,  noch  flach  ausgebreitete 
Embryo  herausgenommen.  Er  hatte  trübe  Polfelder  an  der  be- 
strahlten Seite  des  vorderen  Endes  des  Gehirnes,  dann  einen  quer- 
gestellten trüben  Streif  im  Bereiche  des  Rückenmarkes  hinter  dem 
Nachhirn,  entsprechend  einer  zufällig  daselbst  vorhandenen  Biegung, 
deren  Oberfläche  von  Stromfäden  getroffen  werden  konnte,  [118] 
ferner  Trübung  des  Entoblast  an  der  Umschlagsstelle  desselben  vom 
hinteren  Ende  des  Vorderdarmes  zum  Dottersack.  Besonders  an  den 
trüben  Stellen  zeigten  auffallend  viele  Zellen  bei  hoher  Einstellung 
des  Systems  Zeiss'  Immers.  II  zwei  matte,  annähernd  den  Electroden 
zugewendete  Felder,  die  durch  einen  hellen ,  homogen  erscheinenden 
Aequator  getrennt  waren;  jedoch  habe  ich  in  keinem  anderen  Falle, 
selbst  nicht  nach  (3  Stunden  langer  Durchströmung  ganzer  Hühner- 
eier solche  polaren  (?)  Trübungen  am  Embryo  und  solche  scheinbar 
polarisirten  Zellen  wieder  aufgefunden. 

Nach  Zerreissung  des  Embryo  wurden  alle  Zellen  der  Riss- 
fläche, sowohl  der  Ghorda  wie  des  Rückenmarkes,  kugelig. 
An  den  trüben  Stellen  fanden  sich  zahlreiche  Körnchen  zwischen  den 
Zellen  und  bildeten  wohl  die  Ursache  der  Trübung.  Auch  die  noch 
innerhalb  der  Chordascheide  befindlichen  Zellen  der  Chorda 
dorsalis  dieses  Embryos  zeigten  sich  nach  dem  Durchströmen  gerundet, 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  41 


642      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

hatten  also  Framboisia  interna  gebildet;  zum Theil  hatten  sie  unter 
Aufnahme  von  Flüssigkeit  zugleich  ein  bis  etwa  zum  Neunfachen 
des  Normalen  gesteigertes  Volumen  angenommen. 

Weitere  Aufklärung  über  die  Gestaltungs Ursache  des  Pol- 
feldes gewährten  die  noch  ganz  oder  fast  ganz  platten,  jüngeren 
Hü  h  n  e  rem  hryon  en. 

An  Stücken  von  einem  blos  40  Stunden  lang  bebrüteten  Em- 
bryo wurde  deutlich,  dass  die  polaren  Trübungen  an  den  gegen 
die  Electroden  gewendeten  Flächen  oder  Kanten 
beginnen,  und  auch  an  den  direct  bestrahlten  T heilen 
von  K  r  ü  m  m  u  n  g  e  n  des  Medullarrohres ,  sowie  des  Ectoblast, 
auftreten. 

Nur  20  Stunden,  ja  erst  wenige  Stunden  bebrütete  Keimscheiben, 
welche  früher  bei  plattem  auf  dem  Boden  liegen  nicht  reagirten, 
bildeten  nach  dem  Zusammenfalten  an  dem  gegen  die  Electrode  ge- 
wendeten Umbiegungsrande  schwache,  nach  dem  Wiederausbreiten 
noch  sichtbare  Trübungen,  besonders  aber  vorspringende  Buckeln  des 
Ectoblast,  ähnlich  den  am  Gehirn  der  älteren  Embryonen  beobachteten 
Wülsten,  aber  kleiner;  und  zwar  entwickelte  von  zwei  parallel  neben 
einander  liegenden  Falten  jede  einzelne  zwei  durch  einen 
besonderen  Aecjuator  getrennte  Polfelder  entsprechend  ihren 
den  Electroden  zugewendeten  beiden  Seiten.  Auch  in  der  Area 
opaca  trübte  sich  [119]  der  Ectoblast  etwas,  wenn  auch  nicht 
so  deutlich  als  auf  der  Zona  pellucida  und  dem  Embryo. 

Wirkung  des  ,, galvanischen"  Stromes  auf  Hühnerembryonen. 

Auf  den  galvanischen  Strom  von  12  BuN.SEN'sclien  Elementen 
reagirten  die  Hühnerembryonen  zum  Theil  noch  stärker,  als  auf  den, 
gewöhnlich  verwendeten,  Wechselstrom. 

An  Hühnerembryonen  von  5 — 7  Brüttagen  entsteht  z  u  erst 
wieder,  wie  beim  Froschei,  das  anodische  Polfeld,  welches  schon  nach 
einer  Minute  am  Mittelhirn  stark  ausgeprägt,  nach  vier  Minuten 
schon  „gefaltet"  ist  (s.  S.  636).  Drei  Minuten  nach  dem  Beginne 
der  Durchströmung  trat  das  kathodische  Polfeld  auf,  aber  zuerst  nur 


Polarisirende  Wirkung  des  galvunischen  Stromes  auf  Hühnerembryonen.      643 

an  den  in  der  Nähe  der  Katliodo  liegenden  Embryonen.  Aelinliches 
zeigte  sich  auch  an  den  anodenwärts  liegenden  Embryonen  be/Äiglich 
des  positiven  Polfeldes,  jedoch  in  minderem  Maasse.  (NB.  Die  P]m- 
bryonen  lagen  in  runder  Schale.) 

Für  die  Lage  der  Polfelder  gilt  das  für  den  Wechselstrom  Mit- 
getheilte.  Schon  nach  fünf  Minuten  war  die  Wirkung  im  anodischen 
Polfeld  so  stark,  dass  einige  der  Falten  der  Hirnwandung,  welche 
auch  hier  wieder  in  Richtung  des  Stromes  lagen,   aufplatzten. 

Auch  die  secundären  Au  gen  blasen  reagiren  wieder  stark; 
die  hell  gewordenen  Polfelder  sind  hier  zum  Theil  besser  vom 
schwarz  gebliebenen  Aequator  abgegrenzt  als  beim  Wechsel- 
strom, und  zeigen  zum  Theil  auch  Faltung  in  Richtung  des  Stromes. 

Ganz  evident  ist  beim  Gleichstrom  die  Wirkung  auf  den  äusseren 
Körperüberzug;  der  Ectoblast  wird  geradezu  weiss,  wo  er  direct 
bestrahlt  wird.  Besonders  stark  ist  diese  Veränderung  wieder  an  den 
Extremitäten,  deren  Polfelder  zwar  auch  hier  nicht  deutlich  abge- 
grenzt waren,  aber  doch  einen  Aequator  von  geringerer  \^eränderung 
zwischen  sich  zu  haben  schienen.  Auch  das  bestrahlte  Epithel 
der  Kiemenbogen  wird  besonders  stark  weiss,  und  die  Allantois 
ist  deutlich  polarisirt.  Die  den  Boden  des  Gefässes  be- 
rührenden, oder  ihm  sehr  nahen  Seiten  der  Embryonen 
bleiben  durchscheinend;  blos  die  aufwärts  gebogenen,  gegen  die 
Electroden  gewendeten  Ränder  an  den  Unterseiten  bieten  noch  die 
Veränderung  dar,  so  dass  zum  Beispiel  ein  am  Boden  liegendes  Auge 
entsprechend  [120]  der  zugewendeten  Electrode  nur  ein  anodisches, 
kein  kathodisches  Polfeld  hat. 

Bei  diesen  Versuchen  ttel  wieder,  siehe  S.  605,  auf,  dass  die  Wir- 
kung mit  dem  Abstand  von  der  Electrode  stark  abnahm, 
indem  das  anodische  Polfeld  an  den  von  der  Anode  entfernteren 
Embryonen  später  auftrat  und  schwächer  verändert,  respective  kleiner 
war,  als  an  den  der  Anode  näheren  Embryonen ;  dasselbe  galt  in 
noch  stärkerem  Maasse  für  das  kathodische  Polfeld. 

Dieses  Verhalten  erinnert  an  eine  Beobachtung  von  Verworx 
an  einem  langen,  in  Stromrichtung  liegenden,  mit  vielfachen  knolligen 
Verdickungen,  versehenen  Faden  der  Lohblüthe,    der  gleichfalls   mit 

41* 


644       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

dem  Gleichstrom  behandelt  worden  war.  Seine  Figur  7  auf  Tafel  IV 
zeigt,  dass  an  diesem  Faden  die  anodische  Veränderung  auf  den 
Anodenseiten  aller  Knollen  nicht  blos  bis  zur  Mitte  des  Fadens,  son- 
dern fast  in  ganzer  Länge  auf  ^/lo  desselben  vorhanden  war,  dass 
aber  diese  Veränderung  an  Intensität,  sowie  an  Ausdehnung  an  den 
einzelnen  Knollen  von  dem  Anodenende  des  Fadens  stetig  abnahm, 
und  dass  an  den  der  Anode  nächsten  Knollen  die  anodische  Ver- 
änderung auch  auf  der  der  Anode  abgewendeten  Seite,  an  den  ent- 
fernteren Knollen  blos  auf  der  direct  der  Anode  zugewendeten  Seite 
sich  findet.  Verworn^)  sagt  darüber;  S.  276:  ,, Diese  Intensitätsab- 
nahme der  Verfärbung  von  dem  positiven  Pol  aus  nach  dem  nega- 
tiven liinüber  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Wirkung  des 
Stromes  an  den  anodischen  Stellen  um  so  schwächer  ist,  je  weiter 
diese  von  der  positiven  Electrode  entfernt  liegen,  so  dass  es  also  an 
entfernteren  Stellen  einer  längeren  Stromdauer  bedarf,  bis  der  körnige 
Zerfall  einen  macrosco})iscli  bemerkbaren  Umfang  angenommen  hat.'' 

Die  mögliche  Ursache  dieses  Verhaltens  angehend,  so  liegt  in 
der  langen  continuirlichen  Ausdehnung  in  Stromrichtung 
seitens  eines  wohl  besser  als  das  umgebende  Menstruum 
leitenden  Gebildes  ein  Moment,  welches  diese  Erscheinung  der 
Aljuahme  der  Wirkung  mit  dem  Abstand  von  der  bezüglichen  Elec- 
trode durch  A  s  [)  i  r  a  t  i  o  n  und  V  o  r  w  e  g  n  a h  m  e  d  e  i'  S  t  r  o  m  f  ä  d  e  n 
durch  die  [121]  der  Electrode  näheren  Stellen  des  Gebil- 
des auf  eine  sehr  einfache  Weise  erklären  lässt.  Versuche  über 
die  wahre  Bedeutung  dieses  Vorkommnisses,  die  gezeigt  haben  wür- 
den, was  es  für  ein  Bewandtniss  mit  ihm  hat,  sind  von  Vehworn, 
dessen  Untersuchung  einen  anderen  Zweck  verfolgte,  nicht  angestellt 
worden. 

Da  man  Hühnerembryonen  fast  das  ganze  Jahr  haben  kann, 
verschob  ich  weitere  Versuche  über  dieses  X^erhalten  und  nahm  sie 
erst  wieder  auf,  als  leider  am  hiesigen  Orte  die  befruchteten  Eier 
schon  zu  Ende  gingen. 

Es  waren  bisher  run  de  Glasschalen  verwendet  worden,  sodass 


1)  M.  Vkrworn,  Pklüger's  Arch.,  Bd.  46,  1889. 


Polarisirende  Wirkung  des  galvanischen  Stromes  auf  Hühnerembryonen.      645 


das  Strombett  sich  gegen  die  Mitte  stark  verbreiterte,  also  die  Stroin- 
diclitigkeit  abiiahui.  Dies  zu  eliminiren,  nahm  ich  bei  Wiederauf- 
nahme der  \'ersuche  eine  oblonge  Schale  in  (lebrauch,  welche  nur 
wenig  breiter  war  als  die  Platinelectroden.  In  dieser  Schale 
wurden  zwei  Hühnerembryonen  von  acht  Tagen  Brütedauer  durch- 
strömt* von  denen  jedoch  der  eine  Embryo  nicht  grösser  und  weiter 
entwickelt  war,  als  ein  normaler  Embryo  von  fünf  Tagen,  obwohl  er 
noch  lebte,  wie  das  schlagende  Herz  bekundete.  Der  grössere 
dieser  Embryonen  lag  nahe  der  Anode,  an  die  Seitenwand 
des  Glases  gelehnt,  mit  dem  Hinterende  gegen  die  Anode  gewendet; 
und  dicht  neben  seinem  Kopf  wurde  der  kleine  Embryo  gegen  die- 
selbe Glaswand  gelehnt,  auch  mit  dem  Steiss  gegen  die  Anode  ge- 
richtet. Bei  der  Durchströmung  wurden  zunächst  die  in  der  Nähe 
der  Anode  liegenden  Theile  des  grossen  Embryo  trüb,  weiss,  und 
zwar  die  linke  Hiiiter-  und  Vorderextremität  in  toto  auf  beiden  Seiten 
ohne  Aequator;  auch  sah  man  eine  Zeit  lang  die  trüb  gewordenen 
Knorpelstr alilen  der  Zehen  und  die  trüb  gewordene  Knorpel- 
substanz des  Tarsus  durchscheinen;  ferner  wurde  der  Steiss  in 
toto  trüb;  vom  Rumpf  blos  die  Anodenseite,  desgleichen  vom  Kopf. 
Die  Kathoden  Seite  des  Kopfes  und  Rumpfes,  und  der  in 
Richtung  des  Stromes  liegende  Hals  blieben  durchscheinend. 
Der  kleine  Embryo  blieb  im  Ganzen  hell  und  erhielt  blos 
am  Dach  des  Mittelhirns,  welches  der  Kathode  am  nächsten  stand, 
in  Richtung  des  Stromes  verlaufende  Wülste,  wobei  dieser  Theil  nur 
wenig  trüb  wurde  und  sich  dadurch  augenfällig  von  den  weissen 
oder  weisslichen  Polfeldern  des  anderen  Embryo  unterschied.  Der 
[122]  kleine  Embryo  selbst  aber  bekam  keine  deutlichen 
anodischen  Polfelder.  Die  gegen  die  Boden-  und  Seitenfläche  ge- 
lehnten und  die  angrenzenden  Theile  beider  Embryonen  blieben  gleich- 
falls hell. 

Wir  haben  also  in  der  Nähe  der  Anode  an  den  Extremitäten 
anodische  Polfelder  von  starker  Intensität  der  Veränderung, 
welche  letztere  sogar  beide  Seiten  erfasste  und  keinen 
Aequator  erkennen  liess;  mit  der  Entfernung  von  der  Electrode 
nahm  die  Wirkung   rasch  alj  und  beschränkte   sich  blos  auf  die  der 


646      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Electrode  zugewendeten  Flächen.  Ein  kathodiscbes  Polfeld  war  nur  an 
dem  der  Kathode  nahen  kleinen  Embryo  und  blos  am  nächsten  Theiie 
sichtbar;  allerdings  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  kathodische  Ver- 
änderung überhaupt  weniger  sichtbar  ist.  Zugleich  war  noch  die 
Wirkung  des  Schattens  hier  sehr  deutlich,  indem  gegen  die  Glaswand 
(T-ewendete  Flächen  der  Embryonen  unverändert  geblieben  waren. 
Da  die  beiden  Embryonen  und  ihre  Theiie  in  Stromrichtung  hinter- 
einander lagen,  konnte  man  denken,  die  Abnahme  der  Wirkung  mit 
dem  Abstände  von  den  Electroden  beruhe  auf  Beschattung  der  distalen 
Theiie.  Um  diese  Vermuthung  zu  prüfen,  respective  zu  beseitigen, 
wollte  ich  drei  kleine  Embryonen  derart  seitlich  gegeneinander  ver- 
schoben in  die  Strombahn  zwischen  die  Electroden  vertheilen,  dass 
sie  sich  nicht  beschatten  konnten.  Die  noch  bebrüteten  Eier  waren 
jedoch  nicht  befruchtet,  und  waren  zur  Zeit  (im  November)  befruchtete 
Eier  hierorts  auch  nicht  mehr  zu  erlangen,  so  dass'  damit  diese  Ver- 
suche ein  Ende  nehmen  mussten. 

Zum  Schlüsse  prüfte  ich  daher  noch  den  kleinen  Embryo, 
der  bei  seiner  Lage  in  Richtung  des  positiven  Stromes  hinter  dem 
grossen  Embryo  trotz  so  langer,  fast  eine  halbe  Stunde 
dauernder  D u r c h s t r ö m u n g  kein  a n o d i s c h e s  P o  1  f e  1  d  ge- 
bildet hatte,  indem  ich  ihn  in  der  früheren  Richtung  neben  die 
Anode  legte ;  alsbald  wurde  er  ganz  w e i s s  a u f  d e r  A n o d e n- 
seite,  und  an  der  Gehirnbasis  entstanden  wieder  die  typischen 
parallelen  Wülste  in  Richtung  des  Stromes.  Dasselbe  mit 
dem  ganz  gleich  behandelten  Kopf  des  grossen  Embryo  gethan,  er- 
gab jetzt  ein  ganz  anderes  Resultat;  obgleich  er,  neben  der  Anode 
liegend,  in  derselben  Richtung  wie  früher  durchströmt  wurde,  verlor 
er  seine  anodischen  Trübungen,  statt  sie  zu  verstärken. 

[123]  Das  interessante  Verhalten  der  anscheinend  ringsum  in 
gleicher  Weise  anodisch  veränderten  Extremitäten  konnte  nun  gleich- 
falls nicht  weiter  untersucht  werden. 

Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Säugethiere. 

An  Säuget  liieren  wurden  bis  jetzt  nur  wenige  Versuche  ge- 
macht.    Ich   verfolgte  blos    den  Zweck   zu  controlliren,    ob   die   bei 


Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Säugethierembryonen.        647 


iilU'ii  anderen  WirbeUhierclassen  heobachtete  Reactions- 
fähiiikeit  der  „embryonalen"  Organe  bier  aneli  vorbanden 
sei.  Nur  an  den  Gallenblasen  wurden  wegen  ibrer  besonderen  for- 
malen Qualitication  einige  neue  Experimente  angestellt. 

Was  die  Eivr  angeht,  so  verwendete  icb  zunächst  die  Eier  der 
weissen  3Iaus.  Diese  Eier  bieten  oft  schon  ohne  Durchströmung  ein 
polarisirtes  Aussehen  dar,  ähnlich  demjenigen  einiger  Zellen  der  Triton- 
ga.sti'ula  (s.  8.  622),  indem  Dotterkörner  an  zwei  einander  gegenülK'r 
stehenden  Seiten  gelagert  sich  finden  und  ein  helles,  bei  zufällio; 
})assender  Richtung  desselben  leicht  für  den  electrischen  Aequator 
aufzufassendes  Mittelfeld  frei  lassen.  Es  ist  mir  jedoch  mit  dem 
Wechselstrom  weder  an  den  isolirteii  ,, unreif  en  Eiern"  noch 
an  den  ganzen  Eierstocksfollikeln  der  Maus  gelungen,  Rol- 
feldbildung  zu  veranlassen;  und  das  Gleiche  gilt  von  den 
Eiern  des  Kaninchens  und  des  Schweines,  obgleich  die  Eier 
der  beiden  ersteren  unmittelbar  nach  der  Tödtung  dem  Thiere  ent- 
nommen wurden. 

Dagegen  bildeten  ,,Emhryonen''  der  weissen  Maus  von 
einem  Stadium  der  ausgeprägten  Nackenkrünnnung  und  Andeutung 
der  Zehenstrahlen  in  den  Extremitätenstummeln  wieder,  ebenso  wie 
die  Hühnchen-  und  Eidechsenembryonen  annähernd  gleicher  Ent- 
wickelungsstufe,  im  Wechselstrom  die  Polfelder  an  den  Hirn- 
blasen und  am  Rückenmark.  Auch  wird  die  Oberfläche 
der  Extremitäten  wieder  besonders  weisslich  trüb.  So- 
mit ist  wenigstens  auch  an  Embryonen  von  Säugethieren  diese  Reac- 
tionsfähigkeit  nachgewiesen. 

Die  Gall enJjlasen  neugeborener  oder  wenige  Tage 
alter  Kaninchen  verhalten  sich  im  Wesentlichen  gleich 
denen  des  Frosches;  sie  sind  aber  nicht,  gleich  diesen,  rund, 
sondern  länglich,  zwei-  bis  dreimal  so  lang  als  breit.  Bei  schwachem 
Strom  sieht  man  deutlich ,  dass  die  Polfeldbildung  in  Form  [124] 
grüner  Flecken  an  den  Polen  beginnt,  sich  von  da  allmählich  aus- 
breitet, während  die  erstgebildeten  Flecken  grösser  werden  und  con- 
fluiren.  Nach  zum  Beispiel  5  Minuten  langer  Durchströmung  hatte 
der  Aecjuator    blos    noch    eine  Ausdehnung   von    einem    Drittel    der 


648      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

durchströmten  Längsrichtung,  und  nach  weiteren  (S  Minuten  war 
diese  Grösse  nur  auf  ein  Viertel  der  Länge  verkleinert. 

^^^ird  eine  Gallenblase  der  Länge  nach  in  so  wenig  Wasser 
durchströmt,  dass  die  obere  Fläche  nicht  vom  Wasser  bedeckt 
ist,  so  entstehen  die  Polfelder  blos  an  dem  im  Wasser  liegenden 
Theil  und  sind  derart  gestaltet,  dass  der  Aequator  nicht  parallel 
wie  bei  vollkommener  Umschliessung  der  Blase,  contourirt  ist,  sondern 
sich  von  unten  her  allmählich  zu  der  unveränderten,  nicht  ein- 
tauchenden, blos  benetzten  oberen  Fläche  der  Blase  verbreitert. 
Dieses  Verhalten  beweist  erstens  wiederum,  dass  nur  im  Bereich 
des  Ein-  und  Austrittes  von  Stromfäden  die  Veränderung 
vor  sich  geht  und  zugleich,  dass  bei  vollkommener  Eintauchung 
auch  von  einem  höheren  Niveau  aus  Stromfäden  gegen  die  Seiten- 
wand der  Gallenblasen  convergiren  und  eintreten. 

Um  zu  prüfen,  ob  die  beobachtete  Erhöhung  der  Diosmose  im 
Bereich  der  Polfelder  auch  für  andere  Flüssigkeiten  als  Galle 
zur  Wirkung  gelange,  wurden  die  Gallenblasen  von  zwei  fast 
erwachsenen  Kaninchen  durch  Unterbindung  in  je  zwei  Ab- 
schnitte zerlegt  und  dem  einen  Theil  zu  seiner  Galle  noch  wässerige 
neutrale  Carminlösung  eingespritzt.  Nach  fünf  Minuten  dauernder 
Durchströmung  bekam  dieser  Abschnitt  rot  he  Flecken  im  Be- 
reiche seiner  Polseiten,  obgleich  die  Blasen wandung  sehr  sehnig 
war.  Die  grünen  Flecke  der  anderen  Abtheilung  ergänzten  sich 
nach  Einlegen  in  leicht  mit  Schwefelsäure  angesäuertes  Wasser  sofort 
zu  continuirlichen,  scharf  gegen  den  Aec[uator  abgesetzten  Polfeldern, 
während  an  dem  Carmin  haltigen ,  sehnigeren  Abschnitte  die  rothe 
Fleckung  nur  wenig  deutlicher  ward ,  aber  nicht  zu  continuirlichen 
Polfeldern  confluirte. 

Um  zu  studiren,  wie  sich  ceteris  paribus  die  Breite  des 
Aequators  bei  ungleicher  absoluter  Grösse  der  durch- 
strömten Gebilde  verhält,  unterband  ich  wieder  G all enhl äsen 
[125]  vier  Wochen  und  darüber  alter  Ä'fUiiwcÄe«  im  Verlaufe 
ihrer  Länge.  Zugleich  beabsichtigte  ich,  die  Wirkung  des  Schattens, 
den  diese  nahen  Abschnitte  vielleicht  auf  einander  werfen ,  kennen 
zu  lernen, 


Polarisiieiide  Wirkiiiii?  des  Wechselstromes  auf  (iallenblasen.  649 


Bei  Läiigsdiircliströmung  einer  solchen,  au  ihrem  stuiij])i'en  Ende 
zur  Kugel  abgeschnürten  Gallenblase  mit  schwachem  Strom  entstand 
zuerst  am  freien,  spitzen  Ende  der  Blase,  dann  am  freien  Theile  der 
Kugel  je  ein  Polfeld,  nicht  al)er  an  den  neben  der  Einschnürung 
liegenden  gewölbten,  einander  zugewendeten  Flächen;  selbst  bei  13  Mi- 
nuten währender  Durchströmung  nicht.  Erst  nach  Ansäuerung  des 
Wassers  mit  Schwefelsäure  und  erneuter  Durchströmung  entstanden 
an  diesen  Flächen  auch  Polfelder.  Der  längere,  D  nun  lange,  zugleich 
dünnere,  also  wohl  auch  dünnwandigere  Abschnitt  hatte  in  dieser 
langen  Zeit  einen  Aequator  von  7  mm,  die  Kugel  mit  5  mm  Durcli- 
messer  einen  Aequator  von  1,5  mm  Durchmesser  behalten;  woraus 
deutlich  hervortritt,  dass  das  in  Richtung  des  Stromes  grössere 
Gebilde  })rocentisch  erheblich  kleinere  Polfelder  gebildet 
hatte  als  das  kleinere.  Dieser  Versuch  wäre  sehr  beweisend,  weil 
das  längere  Stück  zugleich  dünner  und  dünnwandiger  war,  also  dem- 
nach eher  einen  procentisch  kleineren  Aequator  hätte  erhalten  sollen, 
wenn  es  nicht  zugleich  mehr  c  y  1  i  n  d  r  i  s  c  h ,  das  andere  dagegen 
kugelförmig  gewesen  wäre,  so  dass  also  die  cetera  paria  in  Bezug  auf 
die  Gestalt  nicht  vorhanden  waren. 

An  einer  Gallenblase  mit  dickem  Fundus  und  erheblich  dünnerem 
Ausführungstheil  wurde  letzterer  Theil  abgeschnürt  und  die  Gallen- 
blase quer  zum  Strom  gestellt,  so  dass  jetzt  beide  Abschnitte  ihre 
Rotationsflächen  den  Stromfäden  darboten;  da  war  zu  sehen,  dass  an 
dem  dünneren  Abschnitt  d  i  e  P  o  1  f  e  1  d  e  r  schon  entwickelt 
waren,  als  an  dem  Pol  des  dickeren  erst  die  ersten  Flecken 
auftraten.  Nach  10  Minuten  war  der  Aequator  des  2,7  mm  dicken 
Theils  blos  1,4  mm  breit,  während  er  am  4,5  mm  dicken  Abschnitt 
noch  3,2  mm  maass.  Dieses  Verhalten  würde  also  den  an  ungleich 
grossen,  unreifen  Froscheiern  gemachten  Beobachtungen  vollkommen 
widersprechen,  wenn  nicht  anzunehmen  wäre,  dass  der  dickere  Ab- 
schnitt der  Gallenblase  eine  seinem  grösseren  Umfange  entsprechende, 
grössere  [126]  Wandungsdicke  hätte.  Die  cetera  paria  sind  leider 
nicht  vollkommen  herzustellen. 

Nach  der  anderen  Seite  aber  haben  wir  in  diesen  und  mehreren 
entsprechenden  Versuchen   ein   vollkommenes  Resultat  in   einer  viel 


650       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

wichtigeren  Frage  erhalten:  an  all  den  in  Unterabth eilungen 
geschnürten  Gallenblasen  bildet  jede  U  n  t  e  r  a  b  t  h  e  i  1  u  n  g 
bei  genügend  starkem  Strom  ihre  eigenen  Polfelder  und  ihren 
eigenen  Aequator,  und  zwar  dies  nicht  blos,  wenn  die  Gebilde  im 
Strom  neben  einander  liegen,  wobei  es  selbstverständlich  ist,  sondern 
auch,  wenn  sie  in  Richtung  des  Stromes  hintereinander  sich 
befinden;  nur  treten  die  beiden  einander  zugewendeten  Polfelder  erst 
später  auf.  Obgleich  jede  so  behandelte  Gallenblase  ein  aus  einheit- 
licher Substanz  bestehendes  Continuum  darstellt,  bildet  sie  also  doch 
vier  Polfelder  mit  zwei  Aequatoren;  jedenfalls  weil  sie  eine  tiefe 
Ringfurche  hat,  in  welche  der  Electrolyt  eingreift  und  von 
Stromfäden  durchsetzt  wird.  Bei  sehr  lang  dauernder  Durch- 
strömung gehen  die  beiden  mittleren  Polfelder  am  Grunde  der  Furche 
in  einander  über.  Dann  gleicht  also  die  Reaction  wesentlich  der  von 
Froschembryonen  mit  einer  Einschniü-ung  in  der  Mitte  des  Leibes, 
welche  bei  Durchströmung  auch  zwei  Aequatoren  und  ein  drittes,  sie 
trennendes  Polfeld  entwickelten. 

S  t  r  0  m  s  c  h  a  1 1  e  D . 

In  der  Tiefe  der  Furchen  zwischen  diesen  Abschnitten  entsteht 
aber  die  Verfärbung  erst  spät,  auch  an  den  nicht  vom  Faden  be- 
deckten Theileu.  Diese  Stellen  befinden  sich  also  in  einem  Strom - 
schatten.  An  Gallenblasen,  welche  in  keilförmige  Abschnitte  ge- 
schnürt waren,  erhielt  auch  der  Aequator  des  keilförmigen  Abschnittes 
bei  Querdurchströmung  keilförmige  Gestalt. 

Da  ich  über  den  Stromschatten  etwas  mehr  zu  erfahren 
wünschte,  machte  ich  einige  bezügliche  Experimente. 

Um  zu  sehen,  ob  auch  an  Stellen,  wo  der  Strom  nicht  vom  Elec- 
trolyten  aus  in  den  ,,Intraelectrolyten"  eintritt,  sondern  beim  blossen 
Durchtritt  durch  den  letzteren  eine  genügend  starke  Wirkung  ent- 
steht, wurden  zwei  Kaninchengallenblasen  durch  zwei  Liga- 
turen mit  ihren  Langseiten  fest  gegen  einander  gepresst  und 
quer  durchströmt.  Nach  acht  Minuten  langer  Durchströmung 
war  in  einem  Falle  an  den  sich  berührenden  Endabschnitten  die 
Berührungsstelle    weniger  gelblich   als   die    [127]   freie    Um- 


Stromschatten.  651 


gebving,  welche  ein  deutliches  Polfeld  gebildet  hatte.  An  dem 
am  innigsten  zusammengepressten  mittleren  Abschnitte  waren  die 
ausgedehnten  Berührungsflächen  noch  weniger  gefärlU  und 
oben  von  einem  nur  sehr  schmalen  freien  Polfeld  saumartig  begrenzt. 
Die  Schattenwirkung  war  also  deutlich.  Es  war  jedoch  kein  absoluter 
Schatten,  und  bei  längerer  Durchströmung  wurden  diese  Berührungs- 
flächen vollkommen  polfarben. 

Au  Gallenblasen,  welche  noch  mit  der  Leber  verwachsen 
waren,  entstanden  Polfclder  auch  an  dieser  Verwachsungs- 
stelle. 

Wurde  dagegen,  um  eine  nur  geringe  Schattenwirkung  erkennen 
zu  können,  die  Gallenblase  einer  Eidechse,  in  ihrer  Leber  liegend 
blos  45  Secunden  durchströmt,  so  bot  sie  an  dem  freien  Theil 
Polfelder  dar,  die  einen  parallel  contourirteu  Aequator  einschlössen, 
während  im  Bereiche  der  mit  der  Leber  verwachsenen  Ober- 
fläche die  Blasenwandung  noch  die  frühere  blaue  Oberfläche 
gleich  dem  Aequator  besass.  Eine  beschattende  Wirkung  der  Leber 
war  also  vollkommen  deutlich.  Trotz  dieser  quantitativen  Wirkung 
vermag  jedoch  die  Leber  die  Lage  des  Aequators  an  der 
Blase  nicht  wesentlich  zu  alteriren.  Wenn  man  nämlich  die 
Leber  blos  auf  einer  Seite  der  Blase  wegnimmt  und  die  andere  an- 
gewachsene Hälfte  der  Leber  gegen  eine  Electrode  wendet,  so  liegt 
nach  genügender  Durchströmung  der  Aequator  der  Gallenblase  gleich- 
wohl in  der  Mitte  derselben  wie   bei   einer  freiliegenden  Gallenblase. 

Die  vorliegende  Lebersubstanz  wirkt  also  nicht  als  Pol- 
feld wie  die  Vorhöfe  des  Fisch-  und  Froschherzens  bei  glei- 
cher Lage,  indem  sie  den  Aequator  auf  dem  Ventrikelabschnitt  gegen 
sich  hin  zu  verschieben  vermochten.  Daraus  könnte  man  vielleicht 
ableiten  wollen,  dass  die  Leber  durch  den  Strom  wirklich  nicht  polari- 
sirt  werde,  und  dass  nicht  etwa  ihr  polares  Verhalten  blos  nicht  sicht- 
bar sei ;  dies  wäre  aber  eine  nicht  zulässige  Schlussfolgerung. 

Bei  den  vorstehenden  Versuchen  über  den  Stromschatten  lagen 
die  Gebilde,  die  sich  beschatten  sollten,  immer  blos  neben  einander. 
Wurden  weiterhin,  behufs  vollkommener  Umschliessung,  Triton- 
eier auf  den  lebenden  Leberlappen  eines  Kaninchens  gelegt,  und  mit 


652       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


einem  andern  grossen  Leberla})pen  gut  zugedeckt  und  15  Secunden 
mit  schwachem  Strom  [128]  behandelt,  so  bildeten  sie  nur  ganz 
schwache  Polfelder,  etwa  wie  an  den  freien  Probeeiern  nach  blos  zwei 
Secunden  langer  Durcliströmung. 

Wurden  unbefruchtete  Froscheier  in  die  lebende  Harnblase  des 
Frosches  getlian,  also  von  einer  nicht  reagirenden  Haut  vollkommen 
umschlossen,  so  bildeten  sie  bei  0  Minuten  langem  Durchströmen  die 
Polfelder  wie  ein  freies  Ei;  wohl  weil  die  Durcliströmung  für  die 
emphndlichen  Froscheier  trotz  des  äusseren  Hindernisses  viel  zu  lange 
gedauert  hatte.  Dagegen  entstanden  an  der  ( rallenblase  eines  jungen 
Kaninchens,  welche  in  ein  Stück  Harnblase  desselben  Thieres,  eng 
umschlossen,  eingebunden  war,  bei  7  Minuten  dauerndem  Durch- 
strömen nur  sehr  kleine  Polfelder  derart,  dass  der  Aequator  3,5  mm 
Breite  von  5  mm  (Jrganlänge  in  Stromrichtung  besass,  während  an 
einer  anscheinend  gleichen,  freiliegenden,  ebenso  lange  durchströmten 
Gallenblase  diese  Breite  blos  40  "/o  der  Länge  betrug.  Die  leidende 
Harnblase  schwächte  also  die  Stromwirkung  erheblich. 

Schliesslich  wurden  reactions fähige  Gebilde  in  ein  anderes, 
gleichfalls  reagirendes  Substrat  vollkommen  eingeschlossen, 
indem  Tritoneier  in  die  schon  ziemlich  dickwandige  Gallenblase  eines 
vierwöchentlichen  Kaninchens  derart  gethan  wurden,  dass  sie  eng  von 
ihr  umschlossen  waren.  Nach  nur  5  Secunden  dauernder  Durch- 
strömung mit  geschwächtem  Strom  hatten  sie  gleichwohl  schon  in 
gewohnter  Weise  reagirt.  Die  Stromfäden  vermögen  also  auch  nach 
dem  Durchgang  durch  ein  auf  sie  specifisch  reagirendes  Substrat  so- 
gleich ein  weiteres  reagirendes  Substrat  zu  alteriren;  also  wo  die 
Stromfäden  auf  ein  reagiren  des  Substrat  unter  geeigneten 
Nebenumständen  treffen,  da  wird  es  alterirt,  auch  wenn 
dieselben  Stromfäden  vorher  schon  gleiche  Arbeit  geleistet  haben. 

Dieses  Verhalten  des  Wechselstromes  ist  jedem  Physiker  selbst- 
verständlich, und  ein  besonderer  Nachweis  erscheint  daher  überflüssig. 
Mich  veranlasste  nidess  zu  dieser  Prüfung  das  beim  Gleichstrom 
beobachtete  scheinbar  abweichende  Verhalten,  indem  ein  der  Elec- 
trode  näherer  grosser  Hühnerembryo  fast  vol  Ikommen 
die  Veränderung  des  in  Stromrichtung  hinter  ihm  liegen- 


fl 


Nicht  minpluilot?isch  polarisirbare  Organe.  653 


den  kleineren  verliinder  te,  ja  indem  trutz  gleich-  [129J  bleibenden 
Querschnittes  der  eleetrolytisehen  Bahn  die  polarisirende  Wirkung  mit 
dem  Abstand  von  der  l)ezügliclien  Electrode  abnahm  (S.  (540).  J)a  wir 
gesehen  haben,  dass  solche  Wirkungsweise  dem  Wechselstrom  nicht 
zukommt,  werden  wir  daraul'  hingewiesen,  dass  sie  kein  allgemeines 
sondern  nur  ein  mit  der  specifischen  Wirkungsart  des 
Gleichstromes  in  Zusammenhang  stehendes  Verhalten  ist. 

Nicht  inorpholo^iscli  polarisirbare  Organe. 

W^enn  man  an  so  vielen  lebenden  Objecten,  wie  vorstehend  be- 
richtet, Monate  lang,  täglich  mit  immer  wesentlich  demselben  Erfolg 
polarer  Trübungen  oder  gröberer,  polar  localisirter  formaler  Verände- 
rungen experimentirt ,  so  bildet  sich  unwillkürlich  die  Vorstellung, 
diese  Reactionsfähigkeit  sei  eine  allgemeine  Eigenschaft  der  lebenden 
Organe.  Um  so  mehr  fällt  es  daher  auf,  wenn  plötzlich  bei  einem 
Objecte  keine  Reaction  eintritt;  und  man  ist  zunächst  versucht,  dies 
auf  eine  ungenügende  Versuchsanordnung  zurückzuführen.  Diese 
Vermuthung  hat  sich  auch  für  manche  Fälle  als  zutreffend  erwiesen, 
indem  sich  bei  entsprechender  Aenderung  der  Anordnung  schliess- 
lich noch  die  Reaction  zeigte.  So  ist  es  mir  schwer  geworden, 
den  noch  platten  Embryo  und  die  secundäre  Augenblase 
des  Hühnchens  zum  Reagiren  zu  bringen. 

Nicht  gelungen  ist  es  mir  jedoch,  mit  dem  Wechselstrom 
polare  morphologische  Veränderungen  von  keimplasmahaltigen  Ge- 
bilden hervorzubringen  an  den  Hodencanülchen,  an  deren  isolirten 
Epithelien  und  ebenso  nicht  an  diQW  S per matozoen  ^qq  erwachsenen 
Kaninchens,  des  Täuberichsund  Frosches;  nicht  an  Eierstockseiern 
einer  erwachsenen  Henne,  weder  an  Eiern  von  7  mm  bis  herab 
zu  0,3—0,2  mm  Durchmesser,  desgleichen  nicht  an  Eierstockseiern 
von  0,2—0,3  mm  Durchmesser  einer  Taube,  sowie  an  Eierstocks- 
eiern der  weissen  Maus,  des  erwachsenen  Kaninchens ,  des- 
gleichen an  Eierstockseiern  erst  einige  Wochen  alter  Kaninchen  und 
an  Eierstockseiern  des  Fisches  Tel estes  Agassizii.  Von  allen 
diesen  Objecten  wurden  isolirte  und  noch  im  Eierstock  befindliche 
Eier  durchströmt. 


i 


654       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gehilde  etc. 


Es  wurde  in  diesen  Fällen  auch  die  stärkst  mögliche  Anord- 
nung: Vv'Voige  Kochsalzlösung  als  Electrolyt,  nahe  [130]  Electroden, 
steter  Wechsel  der  Flüssigkeit,  sobald  sie  40  °  C.  warm  geworden  war, 
angewendet;  auch  stundenlang  fortgesetzte  Durchströmung  in  schwäche- 
rer, bei  grösserem  Electrodenabstand  sich  nicht  über  40*^  C.  erwär- 
mender Lösung  wurde  in  Anwendung  gebracht. 

Von  anderen  Thierclassen  reagirten  nicht  mit  sichtbaren  polar 
localisirten  Veränderungen  eine  Daphne  und  ihre  durch  Druck  aus 
ihr  befreiten  Embryonen,  ebenso  eine  Clepsine,  Paramaecien,  Ascaris 


nigrovenosa ;  doch  wurde  hier  die  Versuchsanordnung  nicht  genügend 
varnrt.  | 

Von  ericachimnen   oder  noch  jungen   WirheJtltivreti   prüfte  ? 

ich  nach  dem  allgemeinen  Erfolg  mit  den  Gallenblasen  aller 
Wirbelthierclassen  zunächst    andere   blasen  förmige,   eine   dif-  ^ 

fusionsfähige  Flüssigkeit  einschliessende  Organe  in  abgebundenen 
Stücken  von  nicht  über  9  mm  Durchmesser  besitzender  Grösse:  so 
die  Harnhlasen,  Schallblasen  und  Lungen  des  Frosches,  die 
innere  Schicht  der  Sehtvimmblase  des  Telestes,  die  Harnblase 
des  Kaninchens.  Die  Tunica  muscularis  (resp.  hbrosa  der  Schwimm- 
blase) wurde  abpräparirt  und  die  Blase  mit  Harn,  Wasser,  gefärbtem 
Wasser  oder  Galle  gefüllt,   alles  jedoch    ohne.  Er  folg.     Auch  nach-  J 

trägliches   Einlegen    in    stark    verdünnte    Chrom  sä  urelösung,  ^ 

welche  die  Polfelder  an  wenig  reagirenden  Embryonen 
manchmal  erst  deutlich  sichtbar  gemacht  hatte,  sowie  in 
verdünnte  Schwefelsäure,  die  sich  bei  Gallenblasen  so  bewährt  hatte, 
blieb  ohne  Erfolg;  es  waren  an  diesen  neuen  Objecten  keine,  durch 
eine  Besonderheit  gekennzeichneten  Polfelder  sichtbar  zu  machen. 

Gleich  negative  Erfolge  ergab  dieAnwendung  des  Wechsel- 
stromes bei  allen  anderen  Organen  halb  oder  ganz  ertvachse- 
ner  Wirbelthiere,  als:  Leber,  Milz,  Lungen,  Flimmerschleimhaut 
der  Mundhöhle,  Schleimhaut  der  Trachea,  hyalinem  Knorpel,  Gehirn 
und  Rückenmark  des  Frosches;  desgleichen  an  Leber,  Milz,  Gehirn, 
Rückenmark,  Flimmerschleimhaut  der  Trachea  des  Kaninchens.  Das 
Vas  deferens  und  Stücke  der  Adductoren  des  Oberschenkels  dieser 
Thiere  contrahirten  sich  bei  Längs-  und  Querdurchströmung  sogleich 


Nicht  morphologisch  polarisirbare  Organe.     ,  655 


in  toto,  jedenfalls  weil  der  Strom  zu  stark  war,  da  ja  Engelmann  und 
BiEDERiMANN  hier  mit  schwachen  Strömen  die  polare  Erreguno;  nach- 
gewiesen haben.  Ich  verwandte  absichtlich  den  starken  Sti'oiu,  da 
es  nicht  meine  Absicht  war,  hier  polar  [131]  localisirte 
functionelle  Leistungen,  sondern  morphologische  Ver- 
änderungen, etwa  Trübung  hervorzurufen. 

Dasselbe  Ergebniss  zeigte  sich  an  den  Organen  der  Taube ;  nur 
bildeten  Theile  des  Dr  üsenmagens  nach  der  Durchströmung 
mehr  Secret  an  den  gegen  die  Electroden  gewendeten 
Kanten  und  Ecken  als  im  Bereich  der  Fläche  des  der  Länee 
nach  durchströmten  platten  Stückes.    (Weiteres  siehe  Nr.  25,  S.  216.) 

Aus  diesen  Versuchen  ergiebt  sich,  dass  an  den  Organen  der 
genannten  ganz  oder  Ji  aller wachsenen  Thiere  die  ^,emhryo- 
nale^'  Fähigkeit  zu  den  beschriebenen  polaren  ^^morphologi- 
schen^''  Beactionen  auf  den  „Wechselstrom^^ ,  tvenn  sie  über- 
hanpt  noch  vorhanden  ist,  jedenfalls  sehr  viel  geringer  ist 
als  in  früher  embryonaler  Periode;  es  wäre  daher  für  die  ver- 
schiedenen Wirbelthierclassen  diejenige  Entwickelungsperiode  festzu- 
stellen, in  welcher  dieses  Vermögen  zuerst  sich  stark  vermindert  oder 
aufhört  zu  existiren.  Beim  Frosch  war  schon  an  vier  Wochen  alten  Kaul- 
quappen kaum  noch  ein  deutlich  polar  begrenzter  Abfall  des  Epithels, 
und  zwar  nur  in  zusammenhängenden  Fetzen  statt  wie  früher  in 
einzelnen  Zellen  im  Bereiche  der  Polseiten  wahrzunehmen,  ein  sicherer 
Beweis  der  verminderten  Reactionsfähigkeit  der  betreffenden  Zellen^). 


Ich  erkenne  wohl,  dass  die  obenstellend  mitgetheilten  Ergeb- 
nisse noch  viele  Lücken  darbieten,  und  dass  daher  auch  nach  der 
Microtomirung  der  aufgehobenen  polarisirten  Objecte  unsere  Kennt- 


1)  Bei  Anwendung  des  kräftigen  „Gleichstromes"  von  20  BuNSEN-Elementen 
lassen  auch  Organe  des  „erwachsenen"  Frosches,  wie  Leber  und  Niere, 
sichtbare  polare  Veränderungen:  Trübung  auf  der  anodischen,  anfäng- 
liche Trübung,  dann  Aufhellung  und  Quellung  auf  der  kathodischen  Seite 
erkennen.  An  der  Leber  sind  beide  Polabschnitte  eine  Zeit  lang  durch  einen  deutlich 
begrenzten,  nicht  sichtbar  veränderten  Aequatorabschnitt  von  einander  getrennt.  Die 
Milz  und  Stücke  der  Haut  zeigen  wenigstens  deutlich  die  bekannte  aufhellende 
kataphorische  Wirkung  auf  der  kathodischen  Seite. 


Goß      Nr.  •25.   Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

nisse  nicht  ausreichen  werden,  alle  beobachteten  Erscheinungen 
unter  sich  und  mit  bekannten  allgemeinen  Principien  in  Zusammen- 
hang zu  bringen. 

Die  erwähnten ,  durch  den  electrischen  Strom  veranlassten, 
polar  localisirten  sichtbaren  sive  morphologischen  Ver- 
änderungen sind  iedoch  grösstentheils  deletärer  Natur  und 
stehen  daher  den  normalen  [132]  gestaltenden  Vorgängen,  deren  Er- 
mittelung mein  Ziel  ist ,  in  ihrem  Wesen  so  fern ,  dass  ich  nicht  be- 
absichtige, die  bezüglichen  Versuche  fortzusetzen;  sondern  icli  werde 
eher  den  im  Laufe  der  Versuche  erhaltenen  Fingerzeigen,  dass 
der  electrische  Strom  auch  die  normal en  „Gestaltinni sv or g äny e!''- 
.zu  heeinf  lassen  vermag,  folgen.  Bis  jetzt  haben  wir  unter  den  polaren 
Veränderungen  in  dieser  Richtung  z.  B.  Wanderung  des  Rinden- 
pigments, die  Abschnürung  des  Protoplasmas  durch  Furchen- 
bildung, structurelle  Veränderungen  des  Kernes  (8.  631)  beobachtet 
(weiteres  s.  Nr.  Üö,  S.  211);  und  es  müssten  sich  erst  bei  der  Micro- 
tomirung  Hinweise  ergeben,  dass  diese  Furchenbildung  in  ihrem  Vor- 
gange Aehnlichkeiten  mit  derjenigen  bei  der  normalen  Eitheilung 
besässe  (s.  S.  610),  um  mich  zu  veranlassen,  ihr  ein  erneutes  Studium 
und  neue  Versuche  zu  widmen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  „Eiern"  und  den  epithelialen  Theilen 
junger  ,, Embryonen"  der„Wirbelthiere"  eine  Reactionsfähig- 
keit  auf  den  Wechselstrom  eigen  ist,  welche  an  den  Geweben 
des  ,, erwachsenen"  Thieres  nicht  mehr  sich  vorfindet  (von 
der  Gallenblase  abgesehen,  welche  zwar  stark,  aber  vielleicht  in  qualitativ 
etwas  anderer  Weise  reagirt).  Zum  Theil  dieselbe  resp.  ähnliche  Re- 
actions weise  auf  den  electrischen  Strom  bieten  jedoch  die 
„Protisten"  und  „Coelenteraten"  während  des  ganzen  Lebens 
dar;  eine  phylogenetisch  gewiss  interessante  Thatsache. 

Nachtrag:    Morphologische  polarisirende  Wirkung  der 
Schläge  der  Le3'dener  Flasche  auf  Embryonen. 

[Aus    einem   Autoreferat    in    den    Berichten    des    naturwissen- 
schaftiich-medicinischen    Vereins    zu    Innsbruck,  Bd.  XX.,  1892  Sep.- 


Morpholog.  polarisirende  Wirkung  der  Schläge  der  Leydener  Flasche  etc.     657 

Abdr.  S.  56  sei  noch  eine  dort  niitgetheilte  weitere  Beobachtung 
hier  angefügt: 

, , Weitere  Versuche  an  J  F  ü  1 1  n  e  r  e  m  b  r  y  o  n  e  n  und  Frosch- 
eiern  haben  ergeben,  dass  auch  die  durch  Einschaltung  zweier  grosser 
Leydener  Flaschen  verstärkten  Schläge  der  mit  einer  Gläser'schen 
Influenzmaschine  erzeugten  hochgespannten  Electricität  bei  geeigneter 
^^ersuchsanordnung  entsprechende  Wirkungen  an  der  Eintrittsstelle 
hervorzubringen  vermögen,  wie  sie  oben  von  dem  copialen,  aber 
niedrig  gespannten  galvanischen  Strom  mitgetheilt  worden  sind." 

Die  Anordnung  war  aber  dabei  keine  „intraelectrolytäre",  da 
dieser  hochgespannte  Strom  zu  sehr  an  den  Oberflächen  der 
Leiter  seinen  Verlauf  nimmt;  sondern  die  Embryonen  wurden  frei 
auf  eine  Glasplatte  aufgesetzt  und  die  Drahtenden  fest  an  die  Em- 
bryonen gehalten.  Die  polare  Locahsation  des  A]igriffes  war  damit 
schon  ganz  gegeben.  Wir  können  also  dem  Versuch  blos  entnehmen, 
dass  die  lebende  embryonale  Substanz  auch  auf  diese  Form 
der  Electricität  mit  Trübungen  resp.  Verfärbungen  an  der 
Eintrittsstelle  reagirt. 

Zugleich  ist  noch  an  die  Versuche  A.  Rollett's  über  die  Wir- 
kung der  Schläge  der  Leydener  Flasche  auf  das  Blut  zu  erinnern. 

RoLLETT  hat  gefunden  (Sitzungsber.  d.  kaiserl.  Acad.  zu  Wien 
1863  Bd.  47  und  1864  Bd.  50,  Abthg.  II),  dass  detibrinirtes  Blut 
durch  Entladungsschläge  einer  Leydener  Flasche  (aber  nicht  durch 
den  galvanischen  Strom)  aufgehellt  wird,  und  dass  bei  erst  theil weiser 
Aufhellung  die  jeweilige  Grenzfläche  des  Aufgehellten  gegen  den 
noch  nicht  veränderten  Theil  die  Stromvertheilung  in  der  Flüssigkeit 
anzeigt.  Beim  Blute  des  Frosches  erfahren  zugleich  die  einzelnen 
Blutkörperchen  gestaltliche  Veränderungen,  welche  in  manchen 
Fällen  blos  partielle  sind  und  an  den  beiden  spitzen  Enden 
der  elliptischen  Gebilde  beginnen. 

Obschon  Verf.  nicht  angiebt,  dass  diese  Veränderungen  gegen 
die  Electroden  gewendet,  also  polar  localisirt  gewesen  seien ,  so  ist 
gleichwohl  an  die  Möglichkeit  zu  denken,  dass  den  unseren  in  der 
Localisation  entsprechende  Erscheinungen  vorliegen ,  da  wir  gesehen 
haben,  dass  bei  länglichen  Gebilden  (Gallenblasen)  die  Veränderung 

W.  Rous,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  4^ 


658       Nr.  25.  Morphologische  electristhe  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

an  den  spitzen  Enden  beginnt,  selbst  wenn  die  Längsrichtung  er- 
heblich von  der  Stromrichtung  abweicht.  Sofern  die  Substanz  des 
Froschblutkörperchens,  da  sie  nach  Rollett  gleichfalls  auf  den  Strom 
reagirt,  nicht  am  stumpfen  und  am  spitzen  Theile  desselben  geradezu 
ein  von  dem  des  andern  Theiles  verschiedenes  Verhalten  gegen  die 
electrische  Einwirkung  besitzt,  was  aber  nicht  wahrscheinlich  ist,  so 
ist  die  Anwendung  unserer  Deutung  der  Localisation  dieser  Ver- 
änderungen auf  die  Blutkörperchen  wohl  berechtigt. 


B.  Polare  Localisation  der  Wirkung  des  electrischen 
Stromes  an  „nicht"  lebenden  „Intraelectrolyten" ^). 

IV.  Abschnitt. 

Die  im  Vorstehenden  mitgetheilten  Thatsachen  schliessen  manche 
speciellen  und  allgemeineren  Probleme  ein. 

Da  ich  jedoch  kein  Physiolog  bin,  so  muss  ich  mich  darauf 
beschränken,  blos  für  das  Specifische  der  Beobachtungen,  für  die 
speciellen  ,, Gestaltungen"  der  wahrgenommenen  polaren 
Veränderungen  die  Erklärung,  also  die  ursächliche  Ab- 
leitung zu  versuchen.  Es  bleibt  den  Fachmännern  vorbehalten, 
die  allgemeineren  Probleme,  wie  das  der  primären  Ursachen  der 
besonderen  Wirkung  des  electrischen  Stromes  an  den 
Ein-  und  Austrittsstellen  organischer  Körper,  der  elec- 
trischen Leitung  flüssiger  Körper,  des  Wesens  der  Electrolyse  etc., 
weiter  zu  führen  und  insbesondere  zu  beurtheilen,  wie  weit  etwa  die 
neuen  Thatsachen  hiezu  eine  Handhabe  bieten. 

[133]  Aus  dem  gleichen  Grunde  werde  ich  mich  im  Folgenden  auch 
blos  solcher  Ausdrücke  und  Vorstellungen  bedienen ,  welche  der 
älteren,  sinnlich  leichter  vorstellbaren  Auffassung  der  Electricität  ent- 
sprungen sind,  wenn  schon  an  der  baldigen  Alleinherrschaft  der 
FARADAY-MAXwELL'schen  Auffassungen  kaum  mehr  zu  zweifeln  ist. 
Ich  bin  ferner   überzeugt,   dass    ich   auf   dem   mir  fremden  Gebiete 


1)  Definition  siehe  S.  545  Anm.  und  672. 


Wirkung  dos  galvan.  Stromes  auf  Stücke  von  (ielatiue.  659 


manchen  Umweg  gemacht  habe ,   und   ersuche  daher  den  Fachmann 
um  Nachsicht. 

Zunächst  wollte  ich  ermittehi,  ob  in  der  beobacliteten, 
„scharf  begrenzten",  polaren  Localisation  der  durch 
den  Strom  veranlassten  Veränderungen  ein  b  1  o  s 
„lebenden"  Objecten  zukommendes  Verhalten  sich 
ausspräche. 

1.  Wirkung  des  galvanischen  Stromes  auf  Gelatine. 

Ueber  das  negative  Ergebnis s  an  dicken  Tropfen  von 
trübem  Gummi  arabicum,  von  Eiweiss  und  von  zerstossenen 
reifen  Eierstockseiern  des  Frosches  bei  Behandlung  derselben  mit 
dem  Wechselstrom  ist  oben  schon  berichtet.  Dasselbe  hat  mich  nicht 
gewundert. 

Dagegen  hatte  ich  erwartet,  dass  Stückchen  von  Gelatine, 
welche  mit  Phenolphthalleinlösung  und  ausserdem  bei  einigen 
Versuchen  mit  Glaubersalzlösung  getränkt  waren  und  in 
einer  Lösung  von  Glaubersalz  liegend  vom  ,, Gleichstrom"  durch- 
strömt wurden ,  auf  der  der  Anode  zugewendeten  Seite  sich ,  wenn 
auch  nur  wenig,  roth  färben  würden.  Aber  selbst  wenn  die  Anord- 
nung möglichst  verstärkt  wurde,  indem  zwei  parallele,  mit  den  Rändern 
einer  kleinen  Glasschale  verschmolzene,  aus  dieser  Gallerte  gebildete 
Septa  in  die  Strombahn  durch  den  aus  Glaubersalzlösung  gebildeten, 
den  oberen  Rand  der  Septa  nicht  erreichenden  Electrolyten  einge- 
schaltet waren,  fand  auch  bei  langer  Durchströmung  keine  Spur  von 
Röthung,  also  keine  Abscheidung  von  Natron  an  den  betreffenden 
Seiten  statt.  Die  Jonen  erhielten  also  keine  Veranlassung,  sielt  auf 
ihrer  Wanderung  an  diesem  „geformten'^  Gebilde  in  bemerkbar 
werdendem  Maasse  zu  stauen.  Auch  bei  umgekehrter  Anordnung, 
wenn  die  Phenolphthalleinlösung  in  den  genannten  Electrolyten  gethan 
war,  fand  an  den  nicht  damit  getränkten,  reinen  oder  mit  Glauber- 
salzlösung imprägnirten  Gelatinesepten  keine  Röthung  statt,  so  stark 
auch  an  der  Kathode  die  Röthung  auftrat. 

Derselbe  negative  Erfolg  zeigte  sich,  wenn  eine  lebende 
Froschleher  in  einer  mit  Phenolphthallein  versetzten  Glauber- 

■  42* 


660       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Salzlösung  [134]  zerschnitten  worden  war,  und  die  Streifen  quer  in 
die  Strombahn  gelegt  wurden.  Diese  Versuchsergebnisse 
sprechen  gegen  die  Abscheidung  von  freiem  Natron, 
sei  es  an  der  Aus-  oder  an  der  Eintrittsstelle  des 
Stromes,  oder  an  den  Durchtrittstellen  sowohl  der  Gallerte 
wie  auch  t  h  i  e  r  i  s  c  h  e  r  0  r  g  a  n  e.  Die  von  den  Physiologen  an  und 
in  den  Organen  nachgewiesene  äussere  und  innere  Polarisation 
wird  also  wohl  auf  eine  andere  Art  vermittelt  sein. 

2.  Polarisirende  Wirkung  auf  Quecksilbertropfen. 

Nach  diesen  vergeblichen  Versuchen  griff  ich  zum  Queck- 
silber, um  einerseits  noch  den  bildsamen  flüssigen  Aggregatzustand 
dem  Strome  darzubieten  und  andererseits  die  Localisation  der 
Jonen  auf  der  Oberfläche  des  Tropfens  beobachten  zu 
können. 

An  diesem  Material  machte  ich  eine  Reihe  von  Beobachtungen, 
che  den  Physikern,  wenn  nicht  alle,  so  doch  zum  Theil  bekannt  sein 
werden;  da  sie  aber  für  die  Deutung  unserer  biologischen  Beobach- 
tungen verwerthbar  sind,  so  sollen  sie  hier  mitgetheilt  werden. 

Das  zunächst  verwendete  Quecksilber  hatte  schon  oft  zum 
Amalgamiren  des  Zinkes  der  Batterie  gedient,  war  also  stark  mit 
Zink  und  vielleicht  noch  in  anderer  Weise  verunreinigt.  Als  ich 
später  durch  die  Güte  des  Herrn  Collegen  Sennhofer  in  Besitz  von 
chemisch  reinem,  frisch  aus  Zinnober  destillirtem  Quecksilber  ge- 
kommen war,  zeigte  dieses  in  manchen  für  uns  interssanten  Einzel- 
heiten ein  anderes  Verhalten;  weshalb  die  Versuche  mit  beiden  ge- 
sondert dargestellt  werden  sollen. 

Wird  ein  Tropfen  des  in  der  angegebenen  Weise  verun- 
reinigten Quecksilbers  von  etwa  4  mm  Durchmesser  in 
Wasser  mit  dem  „Wechselstrom"  durchströmt,  so  verlängert 
er  sich  in  Richtung  des  Stromes  und  bildet  bei  geeigneter 
Anordnung  vier  rechtwinkelig  zum  Strom  orientirte  Quer- 
ivülste,  deren  Oberfläche  fortdauernd  oxcilhrt.  Bei  etwas  anderer 
Anordnung  der  Electroden  zum  Quecksilbertropfen  nimmt  letzterer 
Stern  form  an  und  kann  leicht  zum  Rotiren  nach  links   oder 


I 


Polarisirende  Wirkung  auf  Quecksilbertropfen.  661 


rechts  herum  ucbracht  werden;  ganz  interessante  electro-dyna- 
niische  Wirkungen,  die  uns  aber  nicht  weiter  angehen. 

In  15 — 20  vol.  procentiger  Schwefelsäure  dagegen  tritt  keine 
G  e  s  t  a  1 1  ä  n  d  e  r  u  n  g  des  Tropfens  mehr  ein ,  sond ern  es  [135 1 
bedeckt  sich  das  Quecksilber  bei  momentanem  Stromschluss  an 
beiden  Polseiten  mit  Gasbläschen,  mid  zwischen  diesen  beiden 
Polen  bleil)t  ein  blanker  Aequator. 

Dieses  Bild,  welches  polarisirten  Froscheiern  ähnlich  sieht,  ver- 
schwindet rasch,  lässt  sich  aber  eine  Minute  lang  fixiren,  wenn  man 
der  verdünnten  Schwefelsäure  eine  dicke  Lösung  von  Gummi  arabicum 
zusetzt.  Durchströmt  man  länger,  so  vermehren  sich  die  Gasbläschen 
rasch  derart,  dass  sie  successive  die  ganze  obere  Fläche  einnehmen 
und  den  anfänglicli  vorhandenen,  von  Bläschen  freien 
Aequator  zum  Verschwinden  bringen.  An  dem  auf  dem  Glase 
aufliegenden ,  abgeplatteten  unteren  Theile  des  Tropfens  kann  man 
durch  Spiegelung  wahrnehmen,  dass  auf  den  Polseiten  mehr  Bläschen 
entstehen  als  nach  dem  Aequator  zu.  Die  unten  entstandenen  Bläs- 
chen strömen  gegen  den  nächsten  Pol  zu  und  dabei  bewegen  sich 
die  vom  Aequator  herkommenden  fast  wagrecht;  auf  der  oberen  Hälfte 
sieht  man  deuthch,  dass  die  Bläschen  in  Richtung  von  Pol- 
meridianen  des  Quecksilbertropfens  oscilliren,  unabhängig 
von  der  Richtung  ihrer  gleichzeitigen  Locomotion  am  Tropfen.  Mit 
der  Stärke  des  Wechselstromes  und  mit  der  Verdünnung  der  Schwefel- 
säure bis  etwa  auf  ein  halbes  Procent  nimmt  die  Amplitude  dieser 
Oscillationen  zu,  mit  der  Grösse  der  leicht  sich  vereinenden  Bläs- 
chen ab. 

Bei  Anwendung  eines  stark  geschwächten  Stromes  und  sehr  ver- 
dünnter Schwefelsäure  entsteht  eine  regelmässige  Circulation 
der  Bläschen  innerhalb  jedes  Quadranten  der  Oberfläche 
des  Tropfens.  Bei  schwächstem  Strom  und  schwächster  Schwefel- 
säure entstehen  nur  wenige  Blasen,  die  um  die  Mittellinie  des 
Aequators  rechtwinkelig  zu  demselben  oscilliren  und  bei 
Wanderung  der  Electroden  dem  neuen  Aequator  entsprechend  mit- 
wandern. 

Setzt    man    dem  Wasser,    in  welchem    der    Quecksilbertropfen 


662       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

stehende  Schwingungen  bildet,  oder  bei  etwas  anderer  Anordnung 
sternförmige  Gestalt  annimmt  und  sich  dreht,  so  viel  Tropfen 
Schwefelsäure  zu,  dass  Gasblasen  am  Tropfen  entstehen,  so  hören 
mit  der  Zunahme  der  Blasenbildung  diese  Schwingungen 
zugleich  auf,  was  wohl  darin  begründet  ist,  dass  jetzt  die  Ober- 
tiäche  des  Quecksilbers  direct  in  anderer  Weise  beeinflusst  wird.  Die 
Schwingungen  des  Quecksilbertropfens  [136]  hören  aber 
auch  auf,  wenn  am  Tropfen  und  seiner  Umgebung  sich  scheinbar 
nichts  geändert  hat,  sofern  nur  eine  der  beiden,  weit  vom  Tropfen 
^""^rnten  Electroden  mit  Quecksilber  überzogen  ist,  wobei 
dann  an  dieser  Electrode  ein  weisses  Pulver  gebildet  wird.  Die  Erschei- 
nungen sind  so  wechselvoll,  dass  man  ohne  besondere  darauf  gerichtete 
Untersuchmigen  nicht  behaupten  kaim,  dass  sie  blos  auf  Aenderungen 
der  manche  ähnliche  Wirkungen  hervorbringenden  Capillarität  be- 
ruhen. 

Im  ,, galvanischen  Strom"  von  zwölf  BuNSEN'schen  Elementen 

verhielt  sich  das  mit  Zink  verunreinigte  Quecksilber  folgendermaassen. 

In  schwacher  Kochsalzlösung  läuft  ein  Quecksilbert  ropfen 

gegen  die  Anode,  um  sich  mit  ihr  zu  vereinigen,  sogar  unter  Ueber- 

win düng  einer  nicht  geringen  Steigung ;  wird  diese  Vereinigung  durch 

stärkere  Schiefstellung  verhindert,  so  erkennt  man  deutlich,  dass  der 

Tropfen  sich  gegen  die  Kathode  znsx)itzt  und  sich  durch  eine 

geringe   Verjüngung  gegen   den   gerundeten   anodischen    Theil 

ahsetzt:  wohl  eine  Aeusserung  derselben  Wirkungsweise,  auf  der  das 

Capillarelectrometer  beruht.    Circulirt  die  Anode,  so  folgt  der  anodische 

Theil  im  Kreise  ihr  nach,   während   der  kathodische  Theil   natürlich 

seinen    Ort    nicht    verlässt,   aber    seine    Richtung    entsprechend   den 

Richtungen  der  Stromfäden  ändert.  Die  kathodische  Spitze  des  Tropfens 

zeigte   bei   diesen   Aenderungen    unregelmässige    Ecken,   die   ich  auf 

Verunreinigung   ihres  Quecksilbers  beziehe;    während   der  anodische 

Theil   immer   gerundete   Formen   darbot   und  auch   flüssiger  zu  sein 

scheint.   Die  eingesch n ü rte  Stelle  h a t  Ni v e a ufl ä che n r i c h tu ng. 

Bei  längerer  Durchströmung  wurde   der  anfangs   grössere,  anodische 

Theil  des  Tropfens   kleiner  unter  entsprechende]'  \^ergrösserung   des 

eckigen,  kathodischen  Theiles. 


Polarisirende  Wirkung  auf  Quecksilbertropfen.  663 


In  einer  Lösung  von  doppeltkohlensaurem  Natron  zeigt 
sich  wesentlich  dasselbe  Verhalten ;  nur  ist  der  Zug  /Air  Anode  noch 
stärker,  so  dass  er  noch  höhere  Steigung  des  Gefässbodens  überwindet 
und  leicht  den  Tropfen  zerreisst;  nach  dem  ersten  Abreissen  eines 
anodischen  Stückes  habe  ich  dasselbe  blos  noch  ein  zweites  Mal  be- 
obachtet; das  kathodische  Stück  wird  an  der  Oberfläche  trüb. 

In  Brunnenwasser  spitzt  sich  die  kathodische  Hälfte 
des  Quecksilbertropf ens  nicht  zu,  sondern  [137]  behält  ihre 
Lagerung  und  Gestalt,  während  die  anodisch o  Hälfte  sich  etwas 
gegen  die  Anode  hin  bewegt,  also  entsprechend  spitzer  wird;  diese 
Gestaltung  ändert  sich  sofort  entsprechend  dem  oben  Gesagten,  wenn 
man  Lösung  von  doppeltkohlensaurem  Natron  derart  zusetzt,  dass 
sie  zwischen  beiden  Electroden  ausgebreitet  ist.  Alsdann  wird  sogleich 
die  Kathodenseite  des  Tropfens  spitz.  Sobald  ein  Tropfen  Queck- 
silber an  die  Platinkathode  gekommen  war,  und  diese  sich 
damit  überzogen  hatte,  fand  beim  Stromschluss  keine  Steigung 
des  freien  Quecksilbertropfens  gegen  die  Anode  mehr 
statt  (s.  S.  662). 

Ein  Tropfen  des  ,, chemisch  reinen"  Quecksilbers  wurde  zu- 
nächst mit  dem  Strom  von  zwölf  Bunsen' sehen  Elementen  in  einer 
Lösung  von  doppeltkohlensaurem  Natron  durchströmt.  Dabei 
wandert  der  ganze  Tropfen  wieder  gegen  die  Anode  hin.  Der  Tropfen 
wird  oval  und  zwar  jetzt  mit  dem  spitzeren  TheiJ  gegen  die  Anode  zu 
(s.  S.  662).  Auf  der  Kathodenseite  entstehtein  Beschlag  des  Tropfens, 
der  o;egen  die  Anodenseite  sich  hinzieht.  Beim  Unter- 
brechen  wandert  der  Gxydbeleg  gegen  die  Anodenseite, 
um  unter  ihr  zu  verschwinden.  Beim  Schluss  tritt  der  Beschlag  von 
der  Spitze  des  Tropfens  gegen  die  Kathodenseite,  so  dass  die  zuge- 
spitzte Anodenseite  blank  ist  und  durch  einen  grauen,  parallel  be- 
grenzten Oxydring  von  dem  stumpfen  Kathodentheil  geschieden 
ist.  Je  näher  die  Electroden  einander  und  damit  dem  Tropfen  sind, 
um  so  mehr  verschiebt  sich  dieser  Gürtel  gegen  die  Kathode,  um 
so  mehr  spitzt  sich  die  blanke  Anodenseite  des  Tropfens  zu;  bleibt 
aber  immer  noch  anodenwärts  orientirt,  bis  bei  geeigneter  Nähe  eine 
halsartige  Einschnürung  des  Tropfens  anodenwärts   vom 


! 


664      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Oxydring  stattfindet  und  weiterhin  ein  Abreissen  eines  Stückes 
unter  Hinführung  desselben  gegen  die  Anode  erfolgt. 

Sobald  der  abgerissene  Tropfen  die  Anode  berührt,  bekommt 
er  eine  gelbe  Ueberzugsschicht;  bei  erneutem  Stromschluss  gleitet 
er  langsam  gegen  die  Kathode  und  rennt  nach  Berührung 
derselben  manchmal  wie  angezogen  und  abgestossen  zwischen  bei- 
den Electroden  hin  und  her. 

Bei  Durchströmen  chemisch  reinen  Quecksilbers  in  Wasser- 
leitungswasser  entsteht  wesentlich  dasselbe.  In  sehr  ver- 
dünn t  e  r  S  e  h  w  e  f  e  1  s  ä  u  r  e  findet  auch  dieselbe  [138]  Gestaltänderung 
des  Tropfens  statt;  das  zugespitzte  Ende  ist  gegen  die  Anode  ge- 
wendet; der  Tropfen  wandert  aber  gegen  die  Kathode  (statt 
wie  bisher  gegen  die  Anode).  Der  Oxvdring  nimmt  die  be- 
schriebene Stellung  ein,  und  bei  Wanderung  mit  einer  Electrode 
um  den  Tropfen  herum  folgt  der  dem  wandernden  Pole  zugewendete 
Theil  des  Tropfens  der  Electrode,  und  es  wird  deutlich,  dass  der 
Oxydring  im  Ganzen  immer  Niveauflächenrichtung  an- 
nimmt, wenn  schon  das  Aequatorband  bei  einigen  Anordnungen 
sich  zwar  parallel,  aber  wellig  contourirt  zeigt.  Bei  Zusatz  von  m  e  h  r 
Schwefelsäure  entsteht  an  der  Stelle  des  Oxydbandes  ein  Kranz 
von  Gasblasen,  innerhalb  dessen  die  einzelnen  Blasen  in  Spiraltouren 
laufen. 

Behandelt  man  den  in  Lösung  von  kohlensaurem  Natron 
liegenden,  noch  von  der  Behandlung  mit  dem  Gleichstrom  her  zum 
Theil  mit  Oxyd  bedeckten,  vorher  chemisch  reinen  Quecksilbertropfen 
in  dieser  Lösung  mit  dem  ,,Wechselstrom",  so  erhält  man  je  nach 
der  Stromstärke  verschiedene  Bilder,  welche  alle  für  uns  von  Bedeu- 
tung sind. 

Bei  sehr  schwachem  Strom  und  bei  blosser  Berührung  der 
Flüssigkeit  mit  der  einen  Electrode  entstehen  auf  der  Oberfläche 
des  Tropfens  mit  dem  Stromschluss  aus  den  Ox^^dbröckeln  Reihen 
in  Richtung  der  von  den  Electroden  ausgehenden  Stromfäden, 
derart,  dass  die  Oberfläche  des  Tropfens  in  zwei  polare 
Hälften  getheilt  ist,  von  denen  jede  mit,  den  genannten  Rich- 
tungen entsprechenden  Reihen  von  braunen,  schwingenden  (?)  Flecken 


Polarisivende  Wirkung  auf  Quecksilbertropfen.  065 


bedeckt  ist,  die  sich  fortwälirend  seitlich  verschieben  und  am  seit- 
lichen Rande  des  Tropfens  auf  die  Unterfläche  absinken,  um  dann 
an  der  Polseite  wieder  aufzusteigen.  Der  sehr  schwache  Strom 
bewegt  also  die  auf  der  Oberfläche  des  Quecksilbers  liegenden  Theile 
noch  in  Richtung  der  Stromfäden  des  ganzen  electrischen 
Feldes.  Je  nach  der  Stromdichte  bleibt  ein  blanker  Aequator- 
gürtel  frei -oder  nicht. 

Bei  geringerer  V  e  r  s  t  ä  r  k  u  n  g  d  e  s  Stromes  durch  ein  Minimum 
tieferes  Eintauchen  der  Electroden  oder  bei  stattgehabter  Erwärmung 
des  Menstruum  tritt  schon  eine  geringe  Convergenz  der  Bröckel- 
reihen gegen  die  Polseite  des  Tropfens  ein.  Bei  tiefem  Ein- 
tauchen der  Drahtelectrode  bedecken  sich  die  [139]  beiden  Pol- 
seiten  mit  einer  geschlossenen  Schicht  von  Oxydmasse, 
und  die  so  entstandenen  ,, Polfelder"  sind  durch  „Niveau- 
linien" des  ganzen  Stromfeldes,  nicht  durch  Linien  begrenzt, 
welche  um  die  Pole  des  Tropfens  centrirt  sind.  Sie  schliessen  einen 
blanken  Aequator  ein.  In  diesen  Polkappen  geht  Bewegung  vor 
sich;  die  seithchen  Partien  sinken  wieder  ab;  und  wenn  nicht 
gleich  Ersatz  vorhanden  ist,  gewinnt  es  den  Anschein,  als  wäre  das 
Polfeld  um  den  Pol  des  Tropfens  centrirt.  Beobachtet  man  das  Ab- 
sinken, so  sieht  man  die  absinkenden  Theile  aber  längs  der  Niveau- 
linie über  den  seitlichen  Tropfenrand  gleiten  und  so  die  normale 
Grenze  der  defect  gewordenen  Polkappe  noch  markiren.  Je  kleiner 
der  Quecksilbertropfen  im  Verhältniss  zur  Grösse  und  zum  Abstände 
der  Electroden  ist,  um  so  deuthcher  tritt  natürlich  der  Unterschied 
zwischen  Niveaulinien  des  ganzen  Feldes  und  um  die  Tropfenpole 
centrirten  Linien  hervor. 

Wird  die  Stromdichte  für  den  Tropfen  durch  Näherung  der 
Electroden  verstärkt,  so  verschiebt  sich  jederseits  die  Oxyd- 
schicht äquatorwärts,  so  dass  die  Pole  blank  werden;  die 
Oxydbrocken  oscilliren  jetzt  in  Bichtungeu  von  Folmeri- 
dianen  des  Tropfens  und  begrenzen  sich  polwärts  mit  einer  um 
den  Tropfenpol  centrirten  Linie,  gegen  den  noch  blanken  schmalen 
Aequator  mit  einer  annähernd  einer  Niveaulinie  des  ganzen  Feldes 
entsprechenden   Linie.     Je    näher    die   Electroden    einander    gebracht 


666      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


werden,  um  so  grösser  werden  die  blanken  Polfelder,  um  so  mehr 
rücken  die  beiden  braunen  Bänder  gegen  einander,  schliesslich  bis 
zur  Berührung  in  der  Mitte  und  formiren  so  deutlich  ein  dichtes 
braunes  Aequatorband.  Dabei  sind  dann  die  Ränder  dieses  Bandes 
nicht  mehr  polwärts  centrirt,  sondern  entsprechen  Niveaulinien;  der 
braune  Aequator  ist  also  jetzt  ein  durch  Niveaulinien 
begrenztes,  gleich  breites  Band,  dessen  Theile  nicht  mehr 
oscilliren.  Bei  weiterer  Näherung  der  Electroden  gegen  den  Tropfen 
wird  dieser  Aequator  schmäler,  bei  Entfernung  wieder  breiter. 

Manchmal  sieht  man  beim  Stromschluss  die  beiden,  aus  fibriren- 
den  Bröckeln  bestehenden  braunen  Niveaulinien  sofort  in  gewissem 
Abstände  von  ihren  Polen  entstehen,  darauf  in  kurzer  Zeit  einander 
sich  nähern,  um  dann  in  constantem,  der  [140]  Stromdichte  entspre- 
chendem Abstände  stehen  zu  bleiben ;  es  entstehen  also  beim  Strom- 
schluss sogleich  Polfelder  von  gewisser  Grösse,  die  bei  weiterer  Durch- 
strömung allmählich  eine  Vergrösserung  erfahren,  also  ganz  wie  es 
von  den  Eiern  des  Frosches  und  Triton  beschrieben  worden  ist. 

"Wird  ein  in  starker  Schwefelsäure  mit  dem  Gleichstrom 
behandelter  Tropfen  reinen  Quecksilbers,  welcher  in  Folge  dessen 
noch  an  seiner  ganzen  Oberfläche  mit  einer  trüben  Staubschicht  be- 
deckt ist,  in  derselben  Flüssigkeit  mit  dem  Wechselstrom  behandelt, 
so  zieht  sich  die  bedeckende  Schicht  auf  die  beiden  Polfelder  zurück 
und  lässt  einen  Aequator  blank  hervortreten.  Bald  jedoch  wird  der 
graue  Staub  vom  Tropfen  fortgeführt.  Nach  dem  Zusetzen  von  Wasser 
wird  beim  Durchströmen  die  ganze  Oberfläche  des  Tropfens  trüb  be- 
deckt, und  erst  bei  der  Stromunterbrechung  sammelt  sich  der  Ueber- 
zug  wieder  auf  die  Polfelder  und  lässt  einen  Aequator  frei. 

Es  hat  sich  also  bei  der  electrischen  Behandlung  von  Quech- 
8  il  her  tropfen  in  verschiedenen  Electrolyten  in  Bezug  auf  die  LocaJi- 
sation  der  durch  den  electrischen  Strom  hervorgerufenen  Verände- 
rungen an  der  Oherfläche  eine  ivesentliche  Uehereinsiimmung 
der  Ersclieinungen  mit  den  an  Eiern  hei  gleicher  äusserer  Ein- 
wirliung  gemacJiten  Beohachtungen  ergeben:  Eine  Zerlegung  der 
Oberfläche  in  drei  verschiedene  Abschnitte,  in  zwei  gegen  die  Elec- 
troden gewendete  Pol  fei  der,    welche  sich  anders  verhalten  als   der 


Polarisirende  Wirkung  auf  Quecksilbertropfen.  667 


von  ihnen  begrenzte  Aequator.  Letzterer  bat  wieder,  von  vorban- 
denen  kleinen  Abweichungen  abgesehen,  im  Ganzen  die  Richtung 
der  Niveaufläclien  der  betreffenden  Stelle  des  electri- 
schen  Feldes.  Im  Gleichstrom  nahm  der  unreine  Queck- 
silber tropfen  sogar  eine  Form  an,  welche  der  unter  der  gleichen 
Einwirkung  entstandenen  G  e  s  t  al  t  an  d  er  un  g  des  Frosch  eies 
etwas  entspricht ,  indem  auch  bei  ihm  während  der  Durchströmung 
in  Kochsalzlösung  der  der  Anode  zugewendete  T  h  e  i  1  gerundet 
und  dicker  wurde  als  der  übrige  The il,  welcher  sich,  wie 
beim  Froschei  gegen  die  negative  Electrode  verlängerte; 
die  Grenze  beider  Abschnitte  hat  bei  beiden  Objecten  die  Richtung 
der  bezüglichen  Niveaufläche.  Besondere  Linien  am  Aeqiiator, 
welche  in  ihrer  liichtung  von  Polmeridianen  den  Richtungen 
der  einige  Male  beobachteten  Pigmentstreifen  am  elec- 
trischen  Aequator  der  Eier  entsprechen,  sowie  ein  besonderes 
Verhalten  der  beiden  Grenzen  [141]  des  Aequator s,  der 
..Niveaulinien''',  bei  einem  Versuche  am  Quecksilbertropf  en  vergrössern 
die  U  e  b  e  r  e  i  n  s  t  i  m  m  u  n  g. 

Schliesslich  wurde  bei  einer  Versuchsanordnung  auch  ein  Wachs- 
tliiim  der  beim  Stromschluss  sogleich  aufgetretenen  Pol  fei  der 
während  der  Dauer  der  Durchströmung  am  Quecksilbertropfen,  ent- 
sprechend dem  Verhalten  d  e  r  P  o  1  f  e  1  d  e  r  der  t  h  i  e  r  i  s  c  h  e  n 
Eier  beobachtet. 

Diese  mehrfache  U e b e r e i n s t i m m u n g  in  den  wesent- 
lichsten Merkmalen  der  Localisation  der  durch  den  elec- 
trischen  Strom  an  lebenden  Objecten  und  am  Quecksilber  her- 
vorgerufenen Veränderungen  scheint  auf  eine  Uebereinstimmung 
auch  der  Ursaclien  dieser  Localisation  in  beiden  .Fällen  hinzu- 
weisen, wenn  schon  der  Versuch  mit  der  in  Phenolphthallein  ge- 
tränkten Gallerte  (s.  S.  659)  n  i c h t  fü r  einen  An th eil  de r  Jonen  bei 
de)-  Polarisation  der  organischen  Gebilde  zu  sprechen  vermag. 

Wir  haben  also  ermittelt,  dass  die  in  Richtung  von  Niveau- 
flächen scharf  umgrenzte  Localisation  derReaction  auf  den 
Strom  keine  specifische  Leistung  der  vitalen  Substanzen  ist. 
Und  mit  der  Feststellung  dieser  principiellen  Uebereinstimmung   des 


668       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Verhaltens  bei  organischen  und  einem  anorganisclien  Objecte  hätte 
ich  als  Nicht-Physiker  und  Nicht-Physiologe  mich  vielleicht  begnügen 
können. 

3.  Polarisirende  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  festemetal- 
1  i  s  c  h  e  1  n  t  r  a  e  1  e  c  t  r  o  1  y  t  e  n  von  verschiedener  Gestalt. 

Doch  das  Quecksilber  ist  blos  in  rundlicher  Gestalt  7ai  ver- 
wenden; es  blieb  daher  die  Frage,  ob  auch  bei  den  complicirter 
gestalteten  anorganischen  und  organischen  Gebilden  eine  Ueberein- 
stimmung  auftritt.  Deshalb  beschloss  ich,  noch  mit  festen  Metallen, 
welche  sich  in  jede  Gestalt  bringen  lassen,  einige  Versuche  anzustellen. 
Und  weiterhin  verlangte  es  mich,  auch  der  Ursache  der  scharf 
begrenzten  polaren  Localisation  selber  näher  zu  treten. 
Dieser  letztere  Zweck,  sowie  der  Umstand,  dass  sich  bei  den  festen 
Metallen  einige  Verschiedenheiten  in  der  Localisation  der 
Polfelder  gegenüber  der  der  lebenden  reactionsfähigen  Ge- 
bilde ergaben,  nöthigten  zu  einer  weiteren  Ausdehnung  der  Ver- 
suche an  diesen  Metallen,  insbesondere  aber  zu  einem  analytischen 
Vorgehen,  so  dass  an  ihnen  Experimente  mit  Formen  angestellt 
werden  mussten,  denen  ich  im  Gebiete  des  Organischen  zum  Tlieile 
keine  -wesentlich  gleichen  gegenüberzustellen  habe,  welche  somit  leicht 
als  nicht  hieher  gehörig  beurtheilt  werden  könnten. 

[142]  Die  festen  Metalle  erwiesen  sich  als  sehr  geeignet;  und 
die  nach  den  ersten  brauchbaren  Resultaten  vorgenommene  Durch- 
sicht der  Literatur  zeigte,  dass  bezügliche  Erscheinungen  schon  im 
Jahre  1880  von  A.  Guebhard^)  beschriel^en  worden  sind.  Er  durch- 
strömte mit  dem  galvanischen  Strom  blanke  Metallplatten  in 
Lösungen  von  Metallsalzen,  ohne  die  Electro.den  in  Berührung  mit 
der  Platte  zu  bringen  und  beobachtete  die  an  beiden  Polseiten  der 
Platte  entstehenden  Niederschläge,  insbesondere  den  der  Anode  zuge- 
wendeten   Metallniederschlag.      Sein    Interesse   wandte    sich    den    bei 


1)  GuEBHARD,   Adrien-,    Conipt.   rend.   Bd.    90,   S.  984  und  1124.    1880,   Bd.  93,  f 

ö.  403,  582  und  792,  1881,  Bd.  94,  S.  437  und  581.  1882,  L'Electrien,  Bd.  2,  S.  59-67,  • 

273-283,  429—439.  1881-1882.  Journal  de  Physique,  (2)  Bd.  1,   S.  205-222.    1882.  f 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten  etc.      669 


dümiem  Niederschlag  entstellenden  farbigen  Linien  zu,  und  er  zeigte, 
dass  bei  gewisser  Anordnung  des  Versuchs  diese  Linien  äquipotentiale 
Curven  darstellen. 

An  seine  Publication  schlössen  sieh  sofort  zahlreiche  theoretische 
Erörterungen  und  Versuche  anderer  Autoren  mit  dem  galvanischen 
Strom  an,  so  von  E.  Mach,  L.  Dit.scheinei'.,  A.  Tribe,  Rorn,  Volterra 
und  Pasqualini,  von  denen  uns  jedoch  blos  die  Mittheilungen  der  letzt- 
genannten Autoren  näher  angehen. 

RoiTi^)  fand,  dass  auf  der  Kupferplatte  der  Metallniederschlag 
auf  der  Eintrittseite  des  Stromes  ausgebreiteter  stattfindet  als  der 
Oxydniederschlag  auf  der  Austrittseite.  Den  zwischen  beiden  Nieder- 
schlägen unbedeckt  bleibenden  Raum  leitet  er  von  einem  Polarisations- 
strom ab,  welcher  sich  vom  primären  Strom  subtrahirt. 

A.  Tribe  ^)  dagegen  beobachtete  an  hohlen,  in  axialer  oder  äqua- 
torialer Lage  zwischen  Electroden  in  Kupfervitriollösung  durchströmten 
silbernen  Röhren,  dass  der  Kupferniederschlag  auf  der  Eintrittsseite 
des  Stromes  weniger  ausgebreitet  ist  als  der  Oxydniederschlag  auf  der 
anderen  Seite. 

[143]  ViTo  Volterra^)  berechnet,  dass  die  Linien  gleicher  Fär- 
bung mit  den  Linien  gleichen  Potentiales  identisch  sind  für  eine 
Kugel  von  Blech,  sowie  unter  Umständen  für  den  Abschnitt  einer 
Kuge  loberfläche . 

Pasqualini*)  hat  die  Abhängigkeit  der  Ausdehnung  des  vom 
Niederschlag  frei  bleibenden  Raumes  von  der  Stromintensität,  von  der 
Natur  des  Metalles  und  des  Electrolyten,  sowie  von  der  Concentration 
des  letzteren  untersucht. 

Statt  der  Metallplatte  wurde  ein  verticaler,  in  100  gleiche  Grade 
im  Kreise  herum  getheiiter  Messing-,   resj^ective  Kupfercylinder   von 


1)  RoiTi,  N.  Cim.  Bei.  X,  S.  97,  1881. 

2)  A.  Tribe,  Ueber  die  Vertheilung  der  p]Iectricität  auf  hohlen  Conductoren  in 
Electrolyten.  Phil.  Mag.  Bd.  16,  S.  384—386,  1883. 

3)  ViTO  Volterra,  SuUe  ligure  elettrochimiche  di  A.  Guebhard.  Atti  della  R. 
Acc.  delle  Sc.  di  Torino,  Bd.  18.  Febr.  1883  und  Ueber  die  electrochemischen  Bilder 
auf  der  Oberfläche  eines  Cylinders.  N.  Cim.  Bd.  13,  S.  119—139,  1883. 

4)  PAriQUALiM,  L.,  Ueber  die  electrochemischen  Bilder  auf  der  Oberfläche  eines 
Cylinders.  N.  Cim.  Bd.  14,  S.  26-38,  1883. 


670      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


28,5  mm  Durchmesser  in  möglichst  neutraler  Zinklösung  verwendet. 
Die  Ausdehnung  des  auf  diesen  Cylinder  niedergeschlagenen  Zinkes 
ist  bei  gleicher  Stromintensität  constant  und  kann  etwa  90°  erreichen; 
grösser  wird  sie  kaum  auch  bei  grosser  Vermehrung  der  Intensität; 
die  Ausdehnung  des  braunen  Niederschlages  auf  der  anderen  Seite 
wird  fast  eben  so  gross. 

Der  Winkel  a  von  der  Aequatorialebene  bis  zu  den  Nieder- 
schlägen steht  bei  constanter  Concentration  mit  der  Stromesdichtigkeit 
in  der  Relation 

D  a  sin  a  =  N 
wobei  N  eine  Constante  ist. 

Bei  verschiedenen  Concentrationen  der  Zinkvitriollösung  von 
der  Leistungsfähigkeit  {.i  ist  N/jt<  constant.  Nach  Volterra  ist  unter 
der  Annahme,  dass  die  entblösste  Stelle  von  einem  Polarisationsstrom 
herrührt,  wenn  R  der  Radius  des  Cylinders,  «j  -j-  gg  :=  e  die  electro- 
motorischen  Kräfte  dieses  Stromes  an  den  Niederschlägen  sind: 


11441  wo 


und 


K 


4  DR  ,„     T-       o   \ 

li, —  k  cos-a  , 


^  d(f 

1/  1  —  F  sin^  (p 


E  = 


V  1 — k-^iw^  cpdcp 
und  k  =  sin  cc  ist. 

Auch  diese  Formel  wurde  von  Pasqualini  bestätigt.  (Re- 
ferirt  nach  Beiblätter  zu  den  Annalen  der  Physik  und  C-hemie, 
Bd.  8,  1884.) 

Durch  die  vorliegenden  Arbeiten  ist  das  Gebiet  noch  nicht  er- 
schöpfend  bearbeitet. 

Es  fehlen  noch  alle  Versuche  über  das  Verhalten  beim 
„Wechselstrom";  und  auch  bei  Verwendung  des  Gleichstromes 
bieten  Variationen  der  Versuchsbedingungen  manche  auffällige  Er- 
scheinung dar,  von  denen  es  zweifelhaft  erscheinen  muss,  ob  sie  durch 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  Intraolectiolyten  etc.     G71 

den  von  Rom    und    N'olteuua   angenonnnenen    Polarisationsstroni    er- 
klärbar sind. 

x4.1s  Nielit-Pliysiker  werde  ich  mich  theoretischer  Erörterungen 
enthalten  und  mich  aul"  die  Wiedergabe  meiner  Versuchsergebnisse 
beschränken,  soweit  sie  zum  Verständniss  der  an  lebenden  Objecten 
beobachteten  Erscheinungen  beitragen.  Bei  diesen  Versuchen  wurde 
manche  Vermuthuhg  experimentell  geprüft,  welche  von  einem  Phy- 
siker von  vorn  herein  ausgeschlossen  worden  wäre. 

Wer  jedoch  auf  biologischem  Gebiete  arbeitet,  wird  bald 
daran  gewöhnt,  die  Richtigkeit  jedes  scheinbar  zwingenden 
positiven  oder  negativen  Deductionsschlusses  vor  seiner  Ver- 
wendung immer  erst  noch  auf  ihre  empirische  Bestätigung 
zu  prüfen,  da  unsere  biologischen  Grundsätze  zumeist  blos  Annälie- 
rungen  an  die  Wahrheit  sind.  Auf  einem  mir  fremden  Gebiete  war 
diese  Vorsicht  noch  mehr  geboten ;  und  ich  denke,  es  wird  aus  dem- 
selben Grund  vielleicht  auch  manchem  meiner  biologischen  Leser  die 
Darstellung  dieser  primitiven  Ableitungen  willkommen  sein. 

Es  ist  ferner  zu  erwähnen,  dass  Mateucci  einen  Draht  in  einer 
feuchten  Hülle  unter  Verbindung  der  Electroden  eines  galvanischen 
Stromes  mit  dieser  Hülle  durchströmt  und  gefunden  hat,  dass  dann 
auf  Polarisation  beruhende  Ströme  auftreten,  welche  den  electromoto- 
rischen  im  Nerven  gleichen;  und  L.  Hermann  hat  einen  in  verdünnter 
Schwefelsäure  liegenden  Platindraht  als  [145]  „Kernleiter"  verwandt. 
Doch  hatten  diese  Versuche  nicht  die  Ermittelung  der  specifischen 
Localisation  der  Polarisation  zum  Ziel. 

Es  entstehen  nach  obigen  Citaten  an  dem  in  einen  Electro- 
lyten  eingelegten,  die  Electroden  nicht  berührenden  Metallstück  beim 
Durchströmen  mit  dem  galvanischen  Strom  zwei  den  Electroden  zu- 
gewendete Felder  oberflächhcher  Veränderung  des  Metalles  und 
zwischen  beiden  bleibt  ein  oberflächhch  nicht  verändertes  Gebiet; 
auf  erstere  will  ich  gleich  den  für  die  an  lebenden  Objecten  beob- 
achteten polaren  Veränderungen  eingeführten  Namen  Polfelder, 
auf  letzteres  den  Namen  Aequator  ausdehnen. 

Der  im  Electrolyten  liegende,  die  Electroden  nirgends  berührende 


672      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Körper  werde  kurz,  wenn  auch  nicht  ganz  correct,  als  „lutraelectrolyt" 
hezeichnet. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Ergebnissen  der  eigenen,  vorwiegend 
und,  wo  nicht  besonders  anders  bemerkt,  stets  mit  dem  Wechsel- 
strom angestellten  Versuche  über. 

Zunächst  seien  die  für  Wechselstrom   und  galvanischen 
Strom  gemeinsamen  Wirkungsweisen  mitgetheilt. 

Die  Polfeldveränderung  beginnt  immer  an  den  den  Elec- 
troden  nächsten  Theilen  des  Metallstückes,  den  Polen,  und 
breitet  sich  von  da  anfangs  rasch,  allmählich  langsamer  aus,  um  schliess- 
lich stabil  zu  bleiben.  Die  Intensität  der  Veränderung  ist  hier  ah- 
weichend  von  den  Eiern  stets  an  den  „Folen'^  (s  S.  579)  des  Intra- 
electrolyten  am  grössten  und  nimmt  von  da  continuirlich  ab;  bei  lange 
dauernder  Durchströmung  nimmt  sie  derartig  stetig  zu,  dass  dann  auch 
die  Greuzschichte  des  Polfeldes  gegen  den  blanken  Aequator  stark  ver- 
ändert ist,  so  dass  also  ein  greller  Contrast,  kein  allmählicher  Ueber- 
gang  zwischen  beiden  Theilen  besteht.  Dies  gilt  natürlich  nur,  wenn 
der  Electrolyt  nicht  schon  ohne  Strom  das  eingelegte  Metall  verändert. 

Nach  Stronnmterbrechung  geht  bei  neuem  Schluss  die  weitere 
Polfeldbildung  nicht  wieder  erst  von  den  Polen  des  Stückes  aus; 
sondern  sofort  mit  dem  Schluss  schreitet  auch  die  Grenze  des  Pol- 
felds fort.  Daher  breitet  sich  auch  durch  rasch  intermittirende 
Ströme  das  Polfeld  aus ;  während,  wenn  jede  neue  Polfeldbildung  an 
den  Polen  beginnen  und  von  da  sich  ausbreiten  müsste,  es  eine  Unter- 
brechungsgeschwindigkeit geben  müsste,  bei  welcher  das  Polfeld  nicht 
wachsen  könnte.  Dasselbe  [146]  erfahren  wir,  wenn  man  nach  jeder 
kurzen  Durchströmung  das  gebildete  Polfeld  mit  Ausnahme  seiner 
Aequatorgrenze  mit  Putzpulver  wegputzt.  Bei  erneuter  Durchströmung 
sieht  man  dann  das  Polfeld  sogleich  auf  Kosten  des  Aequators  sich 
ausdehnen,  obgleich  an  dem  blank  geputzten  Pol  selber  die  Verände- 
rung von  Neuem  an  den  Polen  beginnt  und  den  von  früher  her  er- 
haltenen Rest  des  Polfeldes  noch  nicht  erreicht  hat. 

Daraus  dürfen  wir  schliessen,  dass  die  später  erfolgende  Bildung 
des  distalen  Theiles  der  Polfelder  wohl  nur  dadurch  bedingt  ist, 
dass   an   diesen  Stellen  die   Zahl  der   eintretenden   Strom- 


Wirkling  dos  Wechselstromes  auf  feste  motallisclie  Intraelectrolyten.         673 

fäden  bei  kürzerer  Dauer  der  Durcliströraung  zu  gering 
ist,  um  schon  eine  siclitbare  Veränderung  hervorzubringen. 
Diese  Auffassung  wird  bestätigt  dadurch,  dass  bei  Anwendung  des 
G 1  ei  c  li  s  t  r  o  ni  es  auf  Kupfer  in  Kupfervitriol  schon  nach  einer  äusserst 
kvu'zen  Durchströmung,  welche  blos  ein  ganz  kleines  sichtbar  mit 
Metall  beschlagenes  Eintrittspolfeld  hervorgebracht  hat,  beim  Heraus- 
heben gleichwohl  schon  die  ganze  Grösse  des  erst  nach  viel 
längerem  Durchströmen  sichtbar  werdenden  Polfeldes  benetzbar 
geworden  ist,  während  der  Aequator  noch,  wde  vorher  die  ganze 
Münze,  unbenetzbar  ist.  Beim  Austrittspolfeld  dagegen  ist  die  Be- 
netzungsfläche  nicht  grösser  als  die  jeweilig  sichtbare  mit  Oxyd  be- 
deckte Ausdehnung  desselben. 

Mit  der  Zunahme  der  Stromdichte  nimmt  auch  die  relative 
Grösse  der  Polfelder  zu,  also  die  Breite  des  Aequators  ab,  wie  cües 
schon  die  obengenannten  Autoren  festgestellt  haben.  Besonders 
abhängig  ist  die  ,, sichtbare"  Grösse  der  Polfelder  von  der 
specifischen  Beschaffenheit  der  Oberfläche.  So  bilden  z.  B. 
von  Schrotkörnern,  Rehposten  u.  dgl.,  welche  in  Kochsalzlösung 
durchströmt  werden,  einige  derselben  ganz  schwach  veränderte,  kleine 
Polfelder,  während  an  daneben  liegenden,  gleiches  Aussehen  dar- 
bietenden Exemplaren  gleicher  Grösse  grosse ,  stark  veränderte  Pol- 
felder entstehen ;  diese  Verschiedenheit  beruht  hier  wohl  nur  auf  zu 
geringer  Veränderlichkeit  der  Oberflächenschichte  und  auf  dadurch 
bedingtem  Unsichtbarbleiben  der  dem  Aequator  benachbarten  Theile 
des  Polfeldes,  selbst  bei  längerer  Durchströmung.  Dagegen  ist  voll- 
kommen deutlich,  dass  an  ihres  Ueberzuges  beraubten,  also  blanken 
Rehposten  etc.  der  Aequator  viel  kleiner  wird,  als  ceteris 
paribus  an  noch  mit  ihrer  harten  [147]  Oxydkruste  versehenen, 
deren  Polfelder  ajich  nach  sehr  langem  Durchströmen  mit  stark  ver- 
änderten Rändern  einen  breiteren  Aequator  begrenzen. 

Wirkung  des  Wechselstromes. 

Wenden  wir   uns   zu   den   speciellen  Ergebnissen   der  mit  dem 
Wechselstrom  angestellten  Versuche,  so  sei  zunächst  der  Einfluss 

W.  ßoux,  Gesammelte  Abhandlungen.   II.  4ö 


674       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

der  Gestalt  und  Grösse  des  Intraelectrolyten  auf  die  Gestalt 
und  Lage  der  Polfelder,  resp.  des  Aequators  dargestellt  und  mit  der 
Kugelgestalt  begonnen. 

1,  Werden  Bleikugeln  oder  Messingkugeln  in  einem  grossen 
electrolytischen  Felde  vertheilt  und  durchströmt,  so  bilden  die 
Grenzlinien  der  Pol  fehler  deutlich  die  äq^uipotentialen 
Curven  eines  homogenen  electrischen  Feldes,  gleich  den 
Froscheiern. 

Beide  P  o  1  f  e  1  d  e  r  freistehender  Kugeln  werden  im  Wechsel- 
strom gleich  gross  ;  nur  in  unmittelbarer  Nähe  einer 
Electrode  tritt  ein,  wohl  von  der  divergirenden  Richtung  der  Strom- 
fäden abhängiges  deutliches  K 1  e  i  n  e  r  s  e  i  n  des  dieser  Electrode 
zugewendeten  Polfeldes  unverkennbar  hervor.  Der  hier  deut- 
liche Unterschied  ist  aber  immerhin  so  gering,  dass  es  nicht  zu  ver- 
wundern ist,  dass  ein  entsprechendes  Verhalten  an  den  von  einer 
dicken,  die  Beobachtung  durch  Lichtbrechung  erschwerenden  Gallert- 
hülle umgebenen  und  l)los  2,5  mm  grossen  Froscheiern  nicht  sicher 
festgestellt  werden  konnte. 

Die  relative  Grösse  der  Polfelder  steht  bei  den  Metallkugeln 
der  von  mir  geprüften  Dimensionen,  ähnlich  wie  bei  den  Froscheiern, 
ceteris  paribus  / n  ei n e m  u m gekehrten  Ve r h ä Itniss  z u r  Grösse 
des  Kugeldurchmessers,  was  aus  folgender  Tabelle  hervorgeht. 
Die  kugeligen  Gebilde  derselben  wurden  alle  zwei  und  eine  halbe 
Minute  lang  in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  in  einer  Schale  von 
63  mm  Durchmesser,  bei  56  mm  Electrodenabstand ,  bei  Mittelstellung 
zwischen  beiden  Electroden  und  constanter  Flüssigkeitshöhe  unmittel- 
bar nach  einander  durchströmt.  Da  die  Versuche  unmittelbar  nach 
einander  vorgenommen  wurden,  ist  wohl  auch  die  Stromstärke  als 
wesentlich  die  gleiche  anzunehmen. 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten.         675 


[1481 


Bleikugel     mit     Oxydüber- 
zus 


Durchmesser 
der  Kugel 

Durchmesser  des 
Aequators 

Breite  des 
Aequators  in 
Procenten  des 
Durchmessers 

der  Kugel 

6,8  mm 

1,3- 

-1,5 

mm 

20^/0 

5,7 

1.7- 

-2,5 

30 

2,8 

1,1 

40 

2,0 

1,0 

50 

1,2 

0,8 

66 

Blanke  Bleikugel 


I     6,8  mm 
'     2,6 
I     l!5 


0,3 — 0,6  mm 

0,6—0,7 

0,5 


70/0 
24 
33 


Wachskugel  mit  sogenami-|     .^ 
tem  Silberblatt  überzogen  / 


mm  1,5  mm 


9°/o 


2,8—3,8  mm 

180/0 

1,5—2,0 

240/0 

1,4—1,5 

290/0 

Wachskugel  mit  Apotheker-  J       ' 

Goldblatt  überzoR-en  ]       ' 

4,9 


Wenn  auch  diese  Messungen  an  sich  sehr  ungenau  sind, 
so  zeigen  sie  in  B'olge  der  starken  Variationen  der  Durchmesser  doch 
die  Hauptsache  deutlich;  und  es  ergiebt  sich  zugleich,  da.ss  Kug ein 
von  hleinerem  Durchmesser  ceteris  parihus  sogar  hei  dem- 
selben Stoff  einen  absolut  grösseren  Äequator  bekommen  können 
als  grössere,  wie  wir  das  an  den  ungleich  grossen,  unreifen  Frosch- 
eiern noch  stärker  ausgesprochen  fanden. 

Durch  lange  fortgesetztes  Durchströmen  wird 
dieser  Unterschied  geringer,  wie  folgende  Tabelle ,  gleich- 
falls für  halbprocentige  Kochsalzlösung,  aber  bei  schwächerem 
Strome  zeigt: 

Durch-  Breite  des  Aequators 


messer  m 

/ 

Millimeter 

nach  1  Min. 

Durch- 
strömung 

Bleikugel    .     .     . 

.     6,8 

3,0  mm 

Messingkugel 

.     7,0 

2,0 

» 

.     2,65 

1,35 

» 

.     1,3 

0,85 

» 

.     1,3 

0,9 

dieselbe  in 
°/o  des 
Durch- 
messers 

44 
28 
51 
65 
69 


nach4Min. 

Durch- 
strömung 

2,2  mm 

1,85 
1,2 
0,75 
0,75 


dieselbe 
in  "/o  des 
Durch- 
messers 

33 
26 
46 

57 
57 
43* 


676      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

[149]  Ausserdem  geht  aus  beiden  Tabellen  hervor,  dass  ver- 
schiedene Metalle  ceteris  paribus  verschieden  grosse  Pol- 
felder bilden,  wofür  wir  ein  entsprechendes  Verhalten  an  jedem 
einzelnen  Froschei  hatten,  indem  immer  im  Bereich  des  unteren, 
nahrungsdotterreichen,  hellen  Abschnittes  der  Aequator  allenthalben 
gleich  schmal  war  und  sich  im  Bereiche  des  oberen,  mehr  protoplas- 
matischen Bildungsdottertheiles  stetig  nach  oben  verbreiterte. 

Die  Tabellen  zeigen  für  halbprocentige  Kochsalzlösung 
als  Electrolyten  folgende  Reihenfolge  der  abnehmenden  Grösse 
der  Polfelder  an  Kugeln  von  6,8 — 7  mm  Durchmesser:  blankes 
Blei,  Messing,  Bleischrot  mit  Rinde,  Apothekergoldblatt.  Ge- 
legentlichwurden an  metallenen  Gebilden  einige  Beobachtungen  gemacht, 
welche  daraufhindeuten,  dass  sichfür  andere  Electrolyten,  z.B.  für  schwefel- 
saures Natron,  Salzsäure  diese  Reihenfolge  vielleicht  ändern  würde. 

Dem  Polfelde  anhaftende  Luftbläschen  werfen  als  schlechte  Leiter 
natürlich  einen  starken  Schatten,  so  dass  an  ihrer  Haftstelle  und  deren 
nächster  Umgebung  die  Metalloberfläche  unverändert  bleibt,  und  in 
der  darauffolgenden  Zone  das  Polfeld  geschwächt  ist. 

Eine  zweite  an  Bleikugeln,  in  anderer  Richtung  als  die 
erste,  vorgenommene  Durchströmung  bewirkt  Entstehung  neuer 
entsprechend  gelagerter  Polfelder,  die  natürlich  im  Bereich  des  früheren 
Aequators  am  deutlichsten  sind.  An  Messingkugeln  sieht  man 
nach  nur  kurzer  zweiter  Durchströmung,  dass  im  Bereiche  der 
neuen  Polfelder  die  beiden  Seitentheile  des  früheren 
Aequators  als  scharf  heg  renkte  blanke  Niveaulinien  von 
der  Veränderung  frei  gehliehen  sind,  tvie  es  entsprechend 
an  der  Gallenblase  des  Frosches,  hier  selbst  nach  langdauernder 
zweiter  Durchströmung,  noch  der  Fall  war. 

Sind  sivei  Kugeln  in  Richtung  der  Str omfäden  unter 
Vs  ihres  Durchmessers  einander  genähert ,  so  iverden  die  ein- 
ander zugetvendeten  Polfelder  derselben  deutlich  kleiner, 
und  zwar  um  so  kleiner  (also  ähnlich,  wie  wir  es  an  der  zu  zwei 
Kugeln  eingeschnürten  Gallenblase  sahen) ,  aber  zugleich  stärker  ver- 
ändert, je  näher  die  Kugeln  einander  stehen;  die  einander  abge- 
wendet c  n   P 0 1  f  e  1  d e r   d e r  M  e  t  a  1 1  k  u  g  e  1  n    werden    um    so 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten.         677 


grösser,  derart,  dass  sie  /AÜetzt  mehr  als  die  Hälfte  der  Kugel- 
oberfläche einnehmen.  Berühren  sich  beide  Kugeln  mit  blanken 
Stellen,  sind  sie  also  leitend  verbunden,  [150]  dann  entstehen  blos 
noch  die  einander  abgewendeten  weit  über  die  Hälfte  der  Kugelober- 
fläche einnehmenden  Polfelder;  beide  Kugeln  also  reagiren  wie  ein 
einziges  Stück. 

Auch  nebeneinander,  also  in  äquatorialer  Richtung  benach- 
bart liegende  Kugeln  beeinflussen  einander  aber  erst  bei  grösserer 
Nähe,  indem  der  Aequator  beider  sich  gegen  die  Stelle 
g  r  ö  s  s  t  e  r  Nähe  hin  plötzlich  stark  verbreitert,  wohl  weil 
die  Stromfäden  sich  hier  auf  zwei  Gebilde  vertheilen.  Ist  die  Ver- 
bindungslinie einander  sehr  naher  Kugeln  schief  zur  Stromrich- 
tung gestellt,  so  wird  der  Aequator  gegen  diese  Stelle  hin  all- 
mählich breiter,  und  die  beiden  Polfelder  jeder  Kugel  werden  wieder 
ungleich  gross.  Gegen  die  Berührungsfläche  beider  Kugeln  am  Boden 
erfolgt  gleichfalls  eine  Verbreiterung  des  Aequators;  während  beim 
Froschei,  welches  durch  die  Gallerthülle  an  dieser  Berührung  ge- 
hindert wird,  eine  solche  Verbreiterung  fehlte,  aber  an  aus  der  Hülle 
befreiten  Embryonen  deutlich  ausgesprochen  war. 

An  den  beiden  inneren,  kleineren  Polfeldern  einander  sehr 
naher,  in  Richtung  des  Stromes  h  i  n  t  e  r  e  i  n  a  n  d  e  r  liegender 
Messingkugeln  bei  Durchströmung  mit  dem  Wechselstrom 
in  ^/sprocentigerKochsalszlösung  sah  ich  eigenthümliche  Erscheinungen, 
siehe  Taf.  IX,  Fig21.  An  den  beiden  einander  nächsten  Stehen  ist 
ein  dunkelgrüner,  gleichmässig  rundlicher  Fleck  (1),  der 
mit  scharfer  Grenze  abschliesst ;  darauf  folgt  nach  aussen  ein  m  e- 
t allisch  gebli  ebener  Ring  (2),  auf  diesen  eine  braune  Zone  , 
welche,  nach  innen  scharf  begrenzt,  mit  starker  Veränderung  anhebt, 
nach  aussen  dber  allmählich  schwächer  wird  und  so  in  einen  (4) 
wieder  metallischen  blanken  Hof  übergeht.  Dieser  wird 
aussen  begrenzt  durch  eine  (5)  blau  grüne,  viel  breitere  Zone, 
welche  nach  innen  mit  starker  Veränderung  beginnt  und  nach  aussen 
allmählich  an  Intensität  der  Veränderung  abnimmt  und  ihrer  Farbe 
nach  dem  äusseren  Polfeld  entspricht.  Das  dunkle  Centrum  (Nr.  1) 
kann  auch  fehlen,  dann  wird  das  Centrum  entsprechend  Nr.  2  durch 


678      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

eine  helle  metallische  Scheibe  gebildet.    Auch  an  Bleikugeln  entstehen 
entsprechende  Zonen  bei  gleicher  Versuchsordnung. 

Da  hier  zwei  blanke  metallische  Ringe  zwischen  den  veränderten 
Zonen  liegen,  kann  also  die  zonale  Färbung  nicht  blos  auf  optische 
Interferenz  zurückgefühi-t  werden;  und  da  ich  mir  [151]  derartiges 
zonales  Verhalten  auch  nicht  aus  dem  sinusoidalen  Verlauf  der 
Phasen  meines  Wechselstromes  ableiten  konnte,  so  prüfte  ich  noch 
das  Verhalten  so  naher  hinter  einander  liegender 
Messingkugeln  im  ,, Gleichstrom",  wieder  in  Vzprocentiger  Koch- 
salzlösung. 

Es  zeigte  sich,  dass  jetzt  die  beiden  inneren  Pol  fei  der  nicht 
wie  beim  AVechselstrom  kleiner  wurden,  sondern  eben  so  gross,  eher 
sogar  ein  wenig  grösser  schienen  als  die  äusseren.  An 
den  einander  nächsten  Stellen  beider  Kugeln  entstanden  wieder  wie 
beim  Wechselstrom  Ri  n g z  o n  e  n.  Am  k  a t h  o  d i  s  c  h  e  n ,  rothbraunen, 
inneren  Pol  fei  d  ist  in  der  Mitte  eine  noch  fast  blanke,  also  nur 
wenig  veränderte  Scheibe  ohne  scharfe  Ränder,  oder  das  Centrum  ist 
schwärzlich;  darauf  folgt  die  stärker  veränderte,  breite  rostbraune 
Zone,  die  peripher  einen  schmalen  schwarzgrünen  Saum  geringer  Ver- 
änderung zeigt.  Das  äussere  kathodische  Polfeld  kann  auch  im  Cen- 
trum neben  seiner  rostbraunen  Hauptfarbe  noch  einen  deutlichen 
schwarzen  Schimmer  haben  undzwarin  grosser  Ausdehnung.  Das  innere 
Anoden-Po Ifeld  ist  in  der  Mitte  ganz  blank;  dann  kommt  ein  grün- 
schwarz gefärbter  Ring,  der  stark  verändert  anhebt,  aber  nach  aussen 
allmählich  ausläuft;  daran  schliesst  sich  die  breite  Zone  des  nach  dem 
Aufhören  der  Bläs'chenbildung  blanken  Bläs'chenfeldes,  neben  dessen 
peripherem  Rand  nach  aussen  manchmal  eine  deutliche,  verschieden 
breite  Trübung  sich  findet,  besonders  oben  und  seitlich  an  der  Kugel. 
Das  äussere  anodische  Bläs'chenfcld  zeigt  gleichfalls  manchmal  diese 
unregelmässig  gestaltete  Randtrübung,  ist  aber  sonst  durchwegs  blank, 
nachdem  die  Bläs'chen  entfernt  worden  sind.  Die  Randtrübung  ist 
offenbar  ohne  Bedeutung;  sie  rührt  wohl  von  freien  Jonen  her,  welche 
von  den  Electroden  oder  vom  kathodischen  Polfeld  aus  sich  ausge- 
breitet haben. 


Wirkung  des  Wechselstroinos  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten.         679 


Wenn  nun  auch  gewiss  der  zwischen  den  beiden  einander  nahen 
Polfeldern  entstehende  Polarisationsstrom  an  diesen  Erscheinungen 
einen  Antheil  hat,  so  bedarf  doch  die  Ursache  dieser  zonal 
s  c  h  a  r f  b  e  g r  e  n  z  t e  n  ^^  e  r ä  n  d  c  r u  n  g  e  n  V  e  r s  c h  i  e  d  e  n  s  t  e  r  In te n - 
sität  noch  der  Aufklärung. 

Selbst  unvollkommen  vom  Electrolyten  bedeckte  Kugeln 
bilden,  soweit  sie  in  der  Flüssigkeit  liegen,  Polfelder  mit  äquipoten- 
tialen Curven  ihrer  Aequatorränder,  im  Unterschied  zu  dem  Ver- 
halten der  unvollkommen  bedeckten  Gallenblasen,  bei  welchen 
[152]  die  Polfeldgrenzen  unter  diesem  Verhältnisse  stark  von  den 
Niveaulinien  der  Stelle  des  electrolytischen  Feldes  abwichen. 

2.  Gehen  wir  zum  Verhalten  j)/«if^ er  GehUäe  über,  so  tritt 
bei  ihnen,  im  Gegensatz  zu  den  Kugeln,  bezüglich  der  Grösse  und 
Gestaltung  der  Polfelder  deutlich  der  Einfluss  der  Höhe  der  über, 
respective  der  Breite  der  seitlich  vom  Intraelectrolyten  stehenden  leiten- 
den Flüssigkeit  hervor,  so  auch  bei  runden  Scheiben. 

Die  Erzeugung  eines  geradlinig  parallel  c  o  n  t  o  u  r  i  r  t  e  n 
A  e  q  u  a  t  o  r  s  auf  der  Fläche  von  r  u  n  d  e  n  Scheibe  n  in  runden 
Schalen  bei  Mittelstellung  des  Gebildes  zwischen  den  Electroden  ist 
ausser  von  d  e  r  H  ö  h  e  der  Flüssigkeit  noch  von  mehreren  anderen 
Umständen  abhängig.  Bei  geringem  Abstände  der  platten  Electroden 
in  enger  Schale  genügt  gewöhnlich  eine  Höhe  der  überstehenden 
Flüssigkeit  von  etwas  über  dem  Radius  des  Gebildes.  Ist  bei  gleichem 
Electrodenabstand  die  Schale  grösser,  so  ist  eine  grössere  Höhe  nöthig, 
welche  bei  grösserem  Electrodenabstand  noch  erheblich  vermehrt 
werden  muss.  Dabei  ist  aber  am  seitlichenRande  der  runden  Scheibe 
der  Aequator  immer  noch  schmaler  als  der  Aequator  auf  der  Fläche. 
In  dem  Maasse  als  die  überstehende  Flüssigkeitsschichte  niedriger 
ist  (bei  gleicly  bleibender  seitlicher  Ausdehnung  der  Flüssigkeit),  ent- 
steht in  der  Mitte  des  platten  Gebildes  eine  zunehmende  Verbreiterung 
des  Aequators,  bis  bei  unbedeckter  oder  nur  eben  benetzter  oberer 
Fläche  diese  keine  Polfelder  mehr  bildet. 

Dies  Verhalten  entsjjrichf  der  centralen  Verbreiterung 
des  Äeqnators  an  den  zwischen  Glasplatten  flach  gepressten 
Froscheiern  ^  auf  deren  platte  Flächen  Stromfäden  nur  von  der  Höhe 


680      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

der  geringen  Dicke  der  gepressten  Gallerthülle  aus  eintreten  konnten. 
Dasselbe  gilt  natürlich  auch  für  die  Unterfläche  platter  Gebilde ;  wes- 
halb diese  bei  ebenem  Boden  des  Gefässes  unverändert  bleibt,  selbst 
bei  dünnster  Substanzlage,  wie  sie  feinste  Goldblättchen  darbieten: 
alles  Beweise,  dass  nur  der  Eintritt  des  Stromes  aus  dem  Electro- 
lyten  in  das  Metall  und  der  Austritt  in  den  Electrolyten,  nicht  aber 
die  Durch  Strömung  der  Oberfläche  des  vom  ElectroMen  umgebenen 
Metalles  die  Veränderung  des  letzteren  hervorruft;  dass  also  die  an 
der  Ein-  und  Austrittsstelle  entstehenden  Jonen  eine  wesentliche  Ur- 
sache dieser  Veränderungen  sind,  was  allerdings  für  Metalle  keines 
Beweises  mehr  bedurfte.  (Siehe  bezüglich  organischer  Gebilde  dagegen 
Seite  (360.) 

[153]  Mit  diesen  Verhältnissen  im  Zusammenhang  steht  auch 
der  Befund,  dass  an  den  Seitenflächen  platter  Gebilde  der  Aequator 
bei  oben  überstehender  Flüssigkeitsschicht  oben  schmaler  ist  und 
gegen  den  Boden  hin  sich  continuirlich,  wenn  auch  nicht  viel,  ver- 
breitert. Daraus  ergiebt  sich,  dass  nicht  blos  im  gleichen  Niveau  mit 
dem  Objecte,  sondern  auch  aus  höheren  Schichten  seitliche 
Stromfäden  in  die  Seitenfläche  des  Gebildes  eindringen. 

Da  die  Eier  und  jungen  Embryonen  alle  gerundete  Gebilde 
sind,  und  ihr  electrischer  Aequator  der  Mitte  nahe  liegt,  also  diejenige 
Stelle  einnimmt,  an  welcher  die  Stromfäden  eines  homogenen  Feldes 
fast  tangential  zur  Oberfläche  des  Gebildes  verlaufen  würden,  hatte 
ich  daran  gedacht,  dass  dieser  ungünstige  Einfallswinkel  vielleicht 
an  der  Entstehung  des  Aequators  einen  wesentlichen  Antheil  habe. 
Die  Beobachtungen  an  platten  Metallstücken,  deren  ganze  obere  Fläche, 
bei  geeigneter  Lage  der  Electroden,  parallel  zu  den  Stromfäden  eines 
homogenen  Feldes  steht,  gleichwohl  aber  grosse  Polfelder  bildete, 
zeigten,  dass  diese  Ansicht  für  Metalle  nicht  zutrifft;  was  aber  noch 
keinen  Schluss  auf  die,  Millionen  mal  schlechter  und  wenn  überhaupt 
so  nur  wenig  besser  als  der  Electrolyt  leitenden  organischen  Kör- 
per gestattet. 

Versuche  mit  einem  gebogenen  Stanniolstreifen  dagegen 
ergaben,  dass  in  der  Mitte  eines  der  Länge  nach,  siehe  z.  B.  Taf.  X 
Fig.  24,  durchströmten  Metallstreifens  ein  rechtwinkeliger  metal- 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  lutraelectrolyten.        681 


lisch  er  Vorspruiig  von  der  Höhe  der  hall)en,  in  Richtung 
des  Stromes  gemessenen  Breite  des  Aequators  aa  vorhanden  sein  kann, 
ohne  dass  dieser  Vorsprung  verändert  w i r d ;  daraus  scheint 
zu  folgern,  dass  ihn  keine  Stromtaden  treffen,  obgleich  die  Strom- 
fäden eines  homogenen  Feldes  rechtwdnkelig  auf  ihn  einfallen  würden. 
Da  sich  an  dieser  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung  stehenden  Metall- 
platte auch  bei  längerer  Durchströmung  keine  Jonen  abscheiden,  wie 
es  sonst  an  einer  in  gleicher  Weise,  aber  frei  stehenden  Platte  ge- 
schieht, ist  es  ein  Beweis,  dass  die  Jonen  nicht  allenthalben 
in  der  interpolaren  Strecke,  sond  ern  nur  längs  der  Strom- 
fäden wandern.  Ist  die  am  Aequator  vorspringende  Platte  höher 
als  hier,  so  bekommt  sie  jederseits  ein  eigenes  Polfeld,  aber  nur  in  der 
Mitte  ihrer  beiden  Flächen;  die  Seitentheile  und  Ränder  bleiben  als 
Aequator  frei.  Stanniol  wurde  immer  in  Glaubersalzlösung 
durchströmt. 

[154]  Eine  ähnliche  Reaction  tritt  auf,  wenn  ein  rechtwinkelig 
gebogener  Blechstreifen  mit  dem  einen  Schenkel  rechtwinkelig  zur 
Gesammt-Stromrichtung,  mit  dem  andern  also  längs  derselben  orientirtist 
(s.  Taf.  X  Fig.  25).  Alsdann  werden  je  nach  der  relativen,  aber  auch 
von  der  Stromdichte  abhängigen  Länge  beider  Schenkel  verschiedene 
Befunde  erhalten.  Der  freie  Endtheil  des  Längsschenkels  wird  wie  ge- 
wöhnlich verändert.  Ist  der  querstehende  Schenkel  etwa  ein  Drittel 
so  lang  als  der  andere,  so  erhält  diejenige  Fläche  des  queren  Schenkels, 
welche  gegen  den  in  Richtung  des  Stromes  stehenden  Schenkel  hin 
gewendet  ist,  kein  Polfeld,  die  andere  quergerichtete  Fläche  dagegen 
entwickelt,  als  einer  Electrode  nächst  liegende  Fläche  ein  kräftiges, 
ihre  ganze  Ausdehnung  einnehmendes  und  auch  noch  auf  die  Aussen- 
fläche  des  Längsschenkels  eine  Strecke  weit  sich  fortsetzendes  Polfeld. 

Wird  det  Querschenkel  niedriger,  so  greift  sein  Polfeld  allmählich 
über  die  Ränder  auf  die  Gegenseite  über,  aber  mit  nur  schwacher 
\^eränderung,  und  schliesslich  entsteht  auch  auf  der  an  letztere  an- 
schliessenden Fläche  des  Längsschenkels  ein  zugehöriges  Polfeld, 
welches  aber  immer  noch  durch  eine  blanke  Stelle  an  der  hohlen 
Biegungsseite  von  dem  Umgreifungsfelde  getrennt  ist.  Wird  der  Quer- 
schenkel höher,  so  erhält   er   (siehe  Fig.  25)    auf    der    vorher    freige- 


682      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

bliebenen  Seite  ein  centrales,  die  Ränder  der  Fläche  frei  lassendes 
Polfeld;  bei  weiterer  relativer  Znnahmc  des  Qnersclienkels  werden 
unter  Wachsthum  des  centralen  Polfeldes  auch  die  Ränder  der  Fläche 
mit  verändert;  der  Aequator  bleiljt  aber  immer  auf  dem  längs  des 
Stromes  gestellten  Schenkel,  auch  wenn  dieser  blos  einen  kleinen 
Bruchtheil  der  seitHchen  Ausdehnung  des  Querschenkels  bildet;  nur 
setzt  sich  der  Aequator  bei  sehr  kleinem  Längsschenkel  auf  den  Seiten- 
rand des  queren  Schenkels  fort. 

Bei  einem  geraden,  in  Stromrichtungund,  wie  in  allen  unseren 
Versuchen,  wenn  nicht  anders  erwähnt,  mitten  zwischen  den 
Electroden  liegenden,  Stab  findet  sich  beim  Wechselstrom  der 
Aequator  in  der  Mitte  der  Länge  des  Stabes.  Dies  ändert  sich,  wenn  ein^ 
Theil  des  Stabes  rechtwinkelig  abgeknickt  wird  ;  der  neue  Aequator  liegt 
dann  nahe  der  Mitte  des  jetzt  noch  in  Richtung  des  Stromes  gestellten 
Schenkels  aber  etwas,  und  zwar  [1551  auf  der  Aussenseite  weniger 
als  auf  der  Lmenseite  des  Winkels,  gegen  den  Querschenkel  hin  ver- 
schoben ;  siehe  Fig.  25.  Der  Querschenkel,  dessen  Theile  ja  alle  in 
fast  denselben  Niveauflächen  liegen,  hat  also  einen  viel  geringeren  Einfluss 
auf  die  Lagerung  des  Aequators  als  der  viele  Niveauflächen  durchsetzende 
Längsschenkel,  obwohl  ersterer  von  viel  mehr  Stromfäden  getroffen  wird. 
Ein  Uebergreifen  des  einer  Electrode  zugehörigen  Pol- 
feldes auf  eine  dieser  Electrod  e  abgewendete  Fläche 
findet  bei  metallenen  Intraelectrolyten  auch  schon  unter  einfacheren 
Verhältnissen  statt,  z.  B.  an  einem  Ring;  da  sieht  man  deutlich,  dass 
die  Polfelder  anfangs  blos  auf  den  gegen  die  Electroden  gewendeten 
Aussenflächen  entstehen,  dann  allmählich  um  die  Ränder  des  Ringes 
herum  etwas  auf  die  Innenseite  übergreifen ,  und  zwar  natürlich 
in  der  Nähe  der  Aequatorgegend  am  geringsten,  in  der  Nähe  der 
Pole  am  weitesten.  Es  gehören  also  hier,  in  Folge  ihrer  Ijagerung 
in  der  Nähe  z.  ß.  der  rechten  Electrode,  zum  rechten  Polfeld  Flächen- 
theile,  welche  ihrer  Richtung  nach  am  directesten  von  der  linken 
Electrode  aus  bestrahlt  werden  könnten. 

Dies  Uebergreifen  eines  Polfeldes  auf  eine  Gegenseite  der  Haupt- 
fiäche,  welches  wir  in  geringerem  Maasse  schon  an  zwei  leitend  ver- 
bundenen   Kugeln    gesehen    haben ,   lässt    erkennen ,   dass    bei    den 


AVirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metalliscbe  Intraelectrolyten.        G83 

Metallgebilden  an  dem  für  die  Stromfelder  eines  homogenen  Feldes 
im  Schatten  liegenden  Theile  der  Oberfläche  ein  wirklicher  Strom- 
schatten, wie  wir  ihn  an  grobgcfnrchten  Eiern  nnd  Embryonen  kennen 
gelernt  haben ,  nur  rasch  vorübergehend  vorkommen  kann.  Wenn 
man  z.B.  einen  platten  Stern  aus  Metall  durchströmt,  so  bekommt 
er  nur  zwei  Polfelder;  und  die  Polfeldbildung  beginnt  zwar  auf  den 
gegen  die  Electroden  gewendeten  Flächen  der  Zacken,  so  dass  anfangs 
ein  Schatten  auf  den  den  Polen  zum  Theil  näheren,  aber  abgewendeten 
Seitenflächen  der  Strahlen  liegt ;  während  von  den  Polen  entferntere, 
aber  den  Electroden  zugew^endete  Flächen  schon  verändert  sind.  Die 
Veränderung  greift  aber  rasch  auch  auf  die  im  Bereiche  der  beiden 
Gesammtpolfelder  des  Gebildes  liegenden,  von  der  nächsten  Electrode 
abgewendeten  Flächen  über;  und  zwar  wird  dies  wieder  rascher  an 
den  den  Polen  näheren  als  an  den  dem  Aequator  benachbarten  Stellen 
sichtbar,  an  welchen  wohl  die  Stromfäden  relativ  spärlicher  sind.  Die 
in  der  Tiefe  sivi scheti  den  Zacken  [156]  gelegen en  Stellen 
dagegen  bleiben,  ivie  in  der  Tiefe  der  Furchen  an  Em- 
bryonen, lange  Zeit  unverändert^  jedenfalls  in  Folge  des  vorher 
schon  erfolgenden  Uebertrittes  der  Stromfäden  in  die  seitlichen  Wan- 
dungen der  Furche.  Dies  ist  somit  ein  Schatten  durch  Wegleitung  der 
Stromfäden  von  anderen  Tlieilen  des  Intraelectrolj^tcn ;  aber  die  Weg- 
leitung geschieht  letzteren  Falles  bereits  im  Electrolyten. 

Wird  ein  eben  und  blank  geschliffener  Kupferkreuzer  in 
^/5 — i/io  gesättigter  Glaubersalzlösung  mit  dem  Wechselstrom  durch- 
strömt, so  entsteht  manchmal  mit  den  benetzbar  werdenden,  gelben 
oder  grünen  Polfeldern  zugleich  eine  orangenfarben  e  Trü- 
bung zwischen  beiden,  also  im  Bereiche  des  breiten  Aequators, 
welche  nicht  benetzbar  ist  und  jederseits  durch  eine  gleichfalls 
nicht  benetzbare,  blau  Je  gebt  i  ebene  Niveanl  inie  vom  Pol- 
feld getrennt  ist.  Mit  dem  W  a  c  h  s  t  h  u  m  d  e  r  P  o  1  f  e  1  d  e  r  w  erden 
diese  blanken  Niveaulinien  einander  genähert,  auf 
Kosten  des  mittleren,  vorher  trüben  xVequatorf eldes. 

Die  Bildung  unveränderter  Niveaulinien  ist  also  ein 
besonderer,  sogar  schon  bestehende  Veränderungen  auf- 
hebender Process. 


684      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Der  Aeqiiator  einer  18,3  mm  grossen  Kupferscheibe  war  in  der 
Mitte  breiter  als  am  Rande,  obgleich  die  Flüssigkeit  über  der  Münze 
20  mm  hoch  stand,  was  zAir  Bildung  paralleler  Contouren  in  anderen 
Verhältnissen  übergenug  gewesen  wäre.  Dies  hängt  wohl  mit  dem  guten 
Leitungsvermögen  des  Kupfers  zusammen,  zufolge  dessen  wohl  auch 
der  Aequator  schon  an  sich  sehr  breit  blieb.  Die  Polfelder  hatten  eine 
besonders  [fefärhte,  aussen  schwarze,  innen  orangefarbene  Grenzlinie 
(jeyen  den  Aequator.  Das  Anlaufen  des  mittleren  Theiles  des 
Aequators,  so  wesentlich  es  für  die  Bekundung  besonders  sich  ver- 
haltender Niveaulinien  ist,  hängt  nur  von  Nebenumständen  ab; 
denn  es  bleibt  manchmal  bei  scheinbar  ganz  derselben  Versuchsan- 
ordnung aus.  Ich  erhielt  es  liäufiger,  wenn  die  Münze  nicht  eben 
erst  frisch  geputzt,  sondern  vor  dem  Durchströmen  schon  ein  wenig 
angelaufen  war. 

Ebenso  treten  Verschiedenheiten  hervor  bei  einer  zweiten, 
rechtwinkelig  zur  ersten  stattfindenden  Durchströmung  der 
runden  Kupferplatte.  Dabei  erhält  man  z.  B.  zwei  weitere  grüne, 
an  die  vorherigen  sich  anschliessende  Polfelder;  und  von  den  vier  Ecken 
des  übrigbleibenden  cpiadratischen  [157]  Aequators  gehen  vier 
hellere  Linien  in  diagonaler  Richtung  ab.  Nach  dem  Ab- 
wischen zeigt  sich  an  diesen  Linien  das  Metall  noch  fast  blank,  was 
sich  aus  einem  unten  mitgetheilten  Befunde  bei  rechtwinkelig  zu  ein- 
ander erfolgenden  Durchströmungen  mit  dem  Gleichstrom  erklärt,  wo 
jedoch  blos  eine  solche  schiefe  Niveaulinie  gebildet  wurde.  Dass 
hier  vier  solche  Linien  entstellen,  ergiebt  sich  dann  wohl  aus  den 
vierfachen  Stromrichtungen  des  gekreuzt  angewandten  Wechselstromes. 

Nach  weniger  lang  dauernder  primärer  Durchströmung  als  im 
eben  erwähnten  Falle  wird  bei  der  secundären,  rechtwinkeligen  Durch- 
strömung der  neue  Aequator  viel  dunkler,  orange;  die  nenen  Niveafi- 
linien  sind  einander  parallel  und  werden  seihst  im  Be- 
reiche des  primären,  orangefarbenen  Ae qnators  hl a nie, 
kupferfarbig  unter  Rückbildung  des  Orange;  im  Bereiche 
der  gelben,  primären  Polfelder  dagegen  sind  sie  schwärzlich;  und 
allmählich  wird  der  äussere  Rand  hell,  der  innere  schwarz,  als  tvenn 
die   schtvarse    Snhstanz   gegen    den    Aequator   zu   verschoben 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallische  lutraelectrolyten.         685 


wäre,  ähnlich  also,  ivie  es  oft  an  dem  Pifjment  in  der  Rinde 
des  Froscheies  der  Fall  war.  Nach  dem  Abwischen  sind  auch 
diese  Theile  der  Niveauhnien  wieder  heller  als  die  Umgebung,  ja  last 
blank;  also  hat  auch  hier  eine  Rückbildung  der  primären  Verände- 
rung, welche  das  Metall  trüb  machte,  stattgefunden. 

An  den  Niveaulinien  findet  also  .ziceifellos  eine  beson- 
dere FinwirJcitng  statt. 

Die  primären  Polfelder  sind  auch  im  Bereiche  des  von  den 
Niveauhnien  umgrenzten  secundären  Aequators  stark  verändert 
worden,  so  dass  dieser  also  gleichfalls  wieder  nicht  als  indiffe- 
rente Zone  aufzufassen  ist. 

Bei  längerem  Durchströmen  von  kupfernen  Gebilden  mit  dem 
Wechselstrom  in  durch  den  Strom  siedender  P/o  Kochsalzlösung 
W'ird  die  Grenzlinie  des  Polfeldes  immer  schärfer  und  dunkler;  der 
Aequator  bekommt  einen  schwärzlichen  Hauch  bis  auf  jeder- 
seits  eine,  seinen  Rand  bildende,  allenthalben  gleich  breite  helle 
Niveaulinie. 

Wurde  Kupferdraht  in  warmer  verdünnter  Schwefelsäure  liegen 
gelassen ,  so  dass  das  Kupfer  schwarz  anlief ,  so  wairden  beim  Durch- 
strömen die  Polfelder  zunächst  heller,  die  dunkle  [158]  Färbung 
verstärkte  sich  am  Aequator,  danach  wurden  die  Polfelder 
auch  dunkel  und  waren  durch  eine  helle  Niveaulinie  vom 
dunklen  Aequator  getrennt.  Auch  an  Bleischeiben  kann  man 
bei  gekreuzter  Durchströmung  Andeutungen  von  solchen  Niveau- 
linien hervorbringen. 

Sind  zwei  Metallplatten  rechtwinkelig  zur  Strom- 
richtung  aufgestellt  und  durch  eine  wenn  auch  nur  minimale  Schicht 
des  Electrolyten  getrennt,  so  bekommt  jede  Platte  auf  jeder  ihrer 
beiden  Flächeif  je  ein  Polfeld,  welches  je  nach  der  Dicke  der  Platten 
auch  auf  die  Seitenränder  derselben  übergreift  und  daselbst  mit  dem 
andern  den  Aequator  begrenzt.  Berühren  sich  jedoch  die  Platten 
leitend  oder  werden  sie  sonst  leitend  verbunden,  so  bekommen  die 
einander  zugewendeten  Flächen,  wie  bei  den  sich  berührenden  Kugeln, 
kein  Polfeld  mehr;  erst  bei  einem  Abstand  von  mehr  als  der  Breite 
der  leitend  verbundenen  Platten  entstehen    auch   an    den   einander 


686       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

zugewendeten  Flächen  Polfelder,  welche  aber  nur  schmal  und  an  den 
Rändern  gelegen  sind  und  wieder  nur  durch  ein  Uebergreifen  der 
äusseren  Polfelder  um  die  Ränder  herum  nach  innen  zu  bedingt  sind. 

Wird  eine  dreieckige  Platte  mit  der  Spitze  gegen  eine  Elec- 
trode  gewendet,  so  wird  natürlich  das  spitze  Polfeld  länger  als 
das  stumpfe;  aber  der  Unterschied  ist  nicht  so  gross  als  zwischen 
dem  Schwanz-  und  Kopfpolfeld  von  Froschembryonen,  welche  der 
Länffe  nach  durchströmt  wurden. 

Dass  für  die  Ausdehnung  der  Polfelder  und  damit  für 
Lagerung  des  Aequators  ceteris  paribus  wesentlich  die  Grösse 
der  Oberflächen,  nicht  die  Grösse  der  von  ihnen  um- 
grenzten Massen  in  Betracht  kommt,  ist  schon  aus  früher 
Mitgetheiltem  ersichtlich.  Um  es  noch  besonders  darzuthun,  löthete 
ich  an  einen,  1,5  mm  dicken  Bleistreifen  quer  einen  ebenso  breiten, 
aber  viermal  so  langen  Stanniolstreifen  von  Vi  2  mm  Dicke,  dessen  freies 
Ende  ich  in  einer  der  Dicke  des  Bleies  entsprechenden  Höhe  um- 
bog, um  eventuelle  Spitzenwirkungen  zu  beseitigen.  Obgleich  nun 
die  Masse  der  einen  Seite  an  20  Mal  grösser  war  als  die  der  anderen, 
lag  der  Aequator  in  Folge  der  beiderseits  fast  gleichen  Gestaltung 
der  Oberfläche  fast  in  der  Mitte  des  der  Länge  nach  durchströmten 
Gebildes. 

[159]  An  langen  Stücken  Metalldrahtes,  also  an  Gebilden  von 
sehr  ungleichen  Dimensionen,  traten  einige  Verhältnisse  besonders  deut- 
lich hervor.  Der  Aequator  in  Richtung  des  Stromes  stehender  Drähte 
erweist  sich  ceteris  paribus  an  längeren  Gebilden  zwar  grösser, 
aber  verhältnissmässig  viel  kleiner  als  an  kürzeren.  So  er- 
gaben sich  z.  B.  bei  einem  Electrodenabstand  von  114  mm  an  einem 
Bleidraht  von  1,8  mm  Dicke  bei  gleich  dauernder  Durchströmung 
in  demselben  Gefässe  für  den  Aequator  folgende  Maasse: 

Breite  des  Aequators 
Länse  des 


^    ,  in  Procenten  der 

Drahtes  absolut       t  ••  j       n     uj. 

Lange  des  Drahtes 


35,0  mm  3,6  mm  10 '^lo 

8,0     „  3,0     „  370/0 

1,8     „  1,7     „  940/0 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  feste  metallisclie  Intraelectrolyten.         687 

All  diesem  Ergebniss  ist  das  Vcrliältniss  der  Breite  des  Gebildes 
zur  durchflossenen  Länge  desselben  nicht  erheblich  betheiligt;  denn 
eine  quer  zur  Fläche  durchströmte  runde  Scheibe  von  8,5  mm  Radius, 
1,8  mm  Dicke  (respective  durchMosseuer  Länge)  ergab  einen  Aequator 
von  gleicher  Breite  als  der  letzt  erwähnte  Draht  von  blos  0,9  mm 
Radius  und  1,8  mm  durchflossener  Länge. 

Nimmt  die  durchflossene  Länge  noch  weiter  ab,  so  dehnt  sich 
der  Aequator  von  den  Seitenkanten  nocli  auf  die  querstehenden 
Hauptflächen  des  Intraelectrolyten  aus ;  es  bekommt  z.  B.  ein  Stanniol- 
blättchen  von  V12  mm  Dicke,  welches  quer  zur  Fläche  durch- 
strömt wird,  bei  geeigneter  Stromdichte  auf  jeder  Fläche  ein  grosses, 
centrales  Polfeld,  welches  von  einem  schmalen  Aequator  von 
etwa  0,1—0,2  mm  umsäumt  ist.  Dieser  Aequatorsaum  ist  bei 
gleicher  Stromdichte  an  einer  quadratischen  Platte  von  25  mm  Kanten- 
länge nur  wenig  breiter  als  bei  einem  Quadrate  von  0,6  mm  Kanten- 
läiige.  Ist  dagegen  die  Strom  dichte  sehr  gering,  so  ent- 
steht kein  Aequator  mehr  am  Rande  der  beiden  Flächen. 
Der  Aequator  wird  also  hier  bei  geringerer  Stromdichte  (aber  längerer 
Durchströmung)  kleiner  als  bei  grösserer  Stromdichte  und  kürzerer 
Durchströmun  gsd  auer . 

[160]  Von  gleich  langen,  aber  ungleich  dicken,  quer  abge- 
schnittenen Drahtstücken,  welche  in  axialer  Richtung  durchströmt 
werden,  erhält  ceteris  paribus  das  dickere  Stück,  wie  immer  in 
Richtung  des  Stromes  gemessen,  einen  breiteren  Aequator; 
während  bei  Querdurchströmung,  gleich  wie  an  den  Kugeln,  die 
dickeren  Stücke  in  gleichen  Zeiten  einen  relativ,  oft  sogar  absolut 
kleineren  Aequator  erhalten. 

Liegt  der  axial  durchströmte  Draht  in  der  Mitte  zwischen  beiden 
Electroden,  scf  sind  ceteris  paribus  beide  Polfelder  gleich  gross.  Ist 
der  Draht  dagegen  einer  Electrode  näher,  so  wird  das  Polfeld  dieser 
Seite  kleiner;  doch  treten  die  Unterschiede  ähnlich  wie  bei  Kugeln 
erst  bei  grosser  Nähe  des  einen  Endes  gegen  die  Electrode,  also  erst 
bei  grosser  LTngleichheit  des  beiderseitigen  Abstandes  von  den  Elec- 
troden hervor,  was  sich  wohl  leicht  aus  der  divergirenden  Richtung  der 
Stromfäden  in  der  Nähe  der  kleinen  Electrode  bei  rundem  Felde  ableitet. 


688      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


An  den  länglichen  Gallenblasen  der  Kaninchen  haben 
wir  im  Gegensatz  zu  den  runden  Gallenblasen  des  Frosches  bei  Durch- 
strömung ersterer  i  n  schiefer  Richtung  gesehen,  dassder  Aequator 
schief  zu  den  Niveauflächen  des  umgebenden  homogenen  electrischen 
Feldes  orientirt  war.  Um  dies  Verhalten  auch  am  Metall  zu  prüfen, 
wurde  ein  blanker  cylinderischer  Kupferdraht  von  31  mm  Länge 
und  1,5  mm  Dicke  in  einer  runden  Glasschale  von  46  mm  Durch- 
messer in  Wasserleitungswasser  durchströmt.  Er  lag  2  mm  hoch  vom 
Boden  des  Gefässes  auf  zwei  lockeren  Fliesspapierröllchen  und  war 
in  einer  Höhe  von  6 — 7  mm  vom  Wasser  überdeckt.  Der  Mittelpunct 
seiner  Länge  kam  bei  den  verschiedenen  Durchströmungen  immer  in  den 
Mittelpunct  der  mittleren  geraden  Verbindungslinie  beider,  einen  Ab- 
stand von  40  mm  besitzenden  Electroden  zu  liegen,  und  nur  der  Winkel 
des  Drahtes  mit  dieser  Mittellinie,  damit  aber  auch  der  Abstand  der  Draht- 
enden von  den  Electroden,  wurden  verändert;  derDraht  wurde  nach  jedem 
Versuche  blank  geputzt.  Die  Durchströmungszeit  betrug  je  15  Minuten. 
[1611 


I. 

II.          '              III. 

IV. 

V. 

Winkel  des 
Drahtes  mit  der 
mittleren  Verbin- 
dungslinie der 
Electroden 

Winkel  des 
Aequators  init 
der  Längsrich- 
tung des  Drahtes 

Winkel  des 
Aequatorsmitder 
mittleren  Niveau- 
linie des  elec- 
trischen Feldes 

Breite  des  Aequa- 
tors. in  Richtung 
des  Drahtes  ge- 
messen 

Breite  des  Aequa- 
tors, rechtwin- 
kelig zu  seinen 
Grenzlinien  ge- 
messen 

0« 
4,5 
9 
18 
36 
54 
72 
81 
90 

90  0 

38 

26 

19 

12 

5 

2 

1 

0 

0« 
47 
55 
58 
42 
31 
16 

8 

0 

2.0  mm 

2,0 

3,0—3,5 

3,3—4,0 

3,5-5,0 

4,5—8,0 

23 

30 

31 

2,0  mm 

2,0? 

2,0? 

1,1 

0,8 
0,8 
0,7 
0,7 
0,7 

Die  Messungen  leiden  wegen  unscharfer  Grenzen  der  Polfelder 
und  nicht  vollkommen  runder  Gestalt  des  Kupferdrahtes  an  Unge- 
nauigkeiten;  ausserdem  ist  der  Aequator  bei  den  mittleren  Schief- 
stellungen  etwas   gebogen,  so  dass  er  in   der  Mitte   einen  grösseren, 


Wirkung  des  Wechselstromes  auf  toste  metallische  Intraclectrolyten.        689 

in  Columne  II  aDgegebeiien,  Winkel  mit  der  Längsrichtung  des  Drahtes 
bildet,  als  an  den  Enden;  auch  ist  der  Aequator  an  den  Enden,  in 
Richtung  des  Drahtes  gemessen,  breiter  als  in  der  Mitte,  was  in 
Columne  1\  zum  Ausdruck  kommt.  Die  Columne  III  zeigt  daher 
blos  annähernd  die  Ahweichunyen  des  Aeqnutors  von  den 
Niveaucurven  eines  fjiomog enen"  Feldes  an;  aber  es  fällt  aui", 
dass  diese  Abweichungen  schon  bei  9—18°  Schiefstellung 
des  Drahtes  ihr  Maximum  erreichen,  was  bei  den  im  Ver- 
hältniss  zu  ihrer  Dicke  weniger  langen  und  am  verschlossenen  Ende 
verdickten  Gallenblasen    der  Kaninchen  nicht  hervortrat. 

Ein  Kugel  schalenabschnitt  ans  StannioJhJech  lüdet 
bei  axialer  Durch  Strömung  auf  der  convexen  Seite  ein  centrales^ 
grosses  und  ein  schmales  marginales  Polfeld,  iv eiche  beide  den 
Aequator  zwischen  sich  fassen.  Ist  der  Abschnitt  klein,  also  flach, 
so  ist  die  concave  Fläche  von  einem  in  der  Mitte  schwächeren  Polfeld 
eingenommen;  ist  er  tief,  so  beschränkt  sich  wieder  wie  [162]  bei 
tiefen  Furchen  das  Polfeld  auf  den  Randtheil.  Also  die  metallene 
Kugelschale  verhält  sich  im  Principiellen  ebenso,  wie  wir  es  an 
dem  abgeschnittenen  Vorderhirn  des  Hühnerembryo  sahen. 
Wesentlich  dasselbe  gilt  natürlich  auch  für  entsprechende  Abschnitte 
anderer  Rotationskörper-Schalen,  deren  Erzeugungslinie  gegen  die 
Axe  coucav  ist. 

Steht  ein  Ende  oder  beide  Enden  eines  Drahtes  oder  Bandes 
aus  dem  Electrolyten  heraus,  so  erfolgt  die  Reaction  des  intra- 
electrolytären  Theiles  so,  als  wenn  die  äusseren  Theile  nicht  vor- 
handen wären,  wie  wir  ein  Gleiches  auch  schon  an  der  nicht  voll- 
kommen eingetauchten  Kugel  gesehen  haben. 

Anders  ist  dagegen  das  Verhalten,  wenn  die  Enden  des  Me- 
tallstückes innofrlialb  der  Electrolyten  stehen,  die  leitende  Ver- 
bindung derselben  aber  zum  Th eil  ausserhalb  des  Electrolyten 
si('h  befindet.  Unter  diesen  Umständen  hängt  die  Abweichung  der 
Reaction  von  derjenigen  eines  vollkommen  eingetauchten  Gebildes 
gleicher  Gestalt  wesentlich  von  der  Stellung  des  Intraclectrolyten  zu 
den  Stromfäden,  resp.  Niveauflächen  ab. 

Steht  der  ganze  intraelectrolybare  Theil  des  Gebildes  in  Rich- 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandiunsen.    II.  44 


690       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

tiing  einer  Niveaufläche,  ist  es  z.  B.  ein  in  einer  Ebene  ge- 
bogener Draht,  welcher  mit  seinen  eingetauchten  Endtheilen  mitten 
zwischen  beiden  Electroden  rechtwinkelig  zur  Verbindungslinie  orientirt 
ist,  so  findet  eine  principielle  Abweichung  von  dem  Verhalten  bei 
entsprechender  vollkommener  Eintauchung  nicht  statt.  Die  R  e  a  c  t  i  o  n 
erfolgt,  als  wenn  lauter  einzelne  neben  einander  liegende 
Stücke  vorhanden  wären,  da  innerhalb  einer  Niveaufläche  keine 
Wirkung  vor  sich  geht;  und  es  ist  daher  vollkommen  nebensächlich,  ob 
alle  oder  nicht  alle  Theile  eines  Drahtes  eingetaucht  sind,  nur  dass  sich 
selbstverständlich  die  Wirkung  auf  die  eingetauchten  Theile  beschränkt. 

Von  den  anderen  Stellungen  sei  blos  die  einfachste  in  ihrem 
Verhalten  geschildert.  Steht  das  Gebilde  mit  seinem  intra- 
electroly tären  Theil  in  Richtung  des  Stromes  und  hat  z.  B. 
zwei  gleich  lange  in  gleichem  Abstände  gegen  die  Electroden  gerichtete 
wagrechte  eingetauchte  Schenkel,  während  das  verbindende  Mittelstück 
so  gebogen  ist,  dass  es  aus  dem  Electrolyten  heraus  ragt,  so  sind 
die  Polfelder  der  Schenkel  gleich  gross;  der  Ort  des  Aequators 
hängt  dabei  von  [163]  der  Stromdichte  ab.  Ist  die  Stromdichte 
eine  grosse,  so  werden  die  ganzen  intraelectrolytären  Theile  polari- 
sirt,  und  der  x^equator  ist  dann  wohl  als  extraelectrolytär  liegend 
zu  denken.  Ist  die  Stromdichte  gering,  so  reichen  die  Polfelder  nicht 
so  weit;  und  es  ist  auf  jeder  Hälfte  noch  ein  gegen  den  extraelectro- 
ly tären  Theil  zu  gelegener  Aequator  vorhanden.  Ist  kein  Aequator 
innerhalb  der  Flüssigkeit  vorhanden ,  so  kann  man  schon  ein  erheb- 
liches Stück,  z.  B.  ^/s  der  Länge  des  einen  wagrechten  Schenkels  und 
darüber  abschneiden,  ehe  bei  denselben  übrigen  Versuchsanordnungen 
der  Aequator  auf  der  anderen  Seite  aus  dem  extraelectrolytären  Theil 
des  Drahtes  in  die  Flüssigkeit  herabrückt.  Schneidet  man  noch  mehr 
auf  der  frülieren  Seite  ab,  so  entsteht  zwischen  dem  Aequator 
und  dem  extraelectrolytären  Theil  noch  ein  Polfeld, 
welches  dann  also  zu  dem  Polfeld  des  verkürzten  Schen- 
kels jenseits  der  electroly tären  Verbindung  gehört. 

Taucht  der  verkürzte  Schenkel  nur  noch  mit  der  Spitze  in  die 
Flüssigkeit,  und  steht  diese  Spitze  in  derselben  Niveaufläche  als  das  Aus- 
trjttseude  des  anderen  Schenkels,  so  bewirkt  das  Eintauchen  natürlich 


Wirkung  dos  Weohsolstroiiies  auf  feste  metallisclie  Intraeleetrolyten.         691 


keine  Veräiidenuig  der  Lage  des  Aequators  am  wagrechten  Schenkel; 
steht  jedoch  die  Spitze  der  anderen  Electrode  näher,  so  findet  eine 
Verschiebung  des  Aequators  nach  dieser  Seite  hin  statt.  Sind  die 
senkrecht  verlaufenden  eingetauchten  Theile  des  Drahtes  von  erheb- 
licher Länge  im  Verhältniss  zum  wagrechten  Schenkel,  so  kommen 
die  oben  für  rechtwinkelige  Intraeleetrolyten  angegebenen  Regeln  mit 
zur  Geltung.  Doch  sind  die  Schatten  Wirkungen  selbst  bei  grosser 
Nähe  der  Enden  breiter  Metallstreifen  alsdann  viel  geringer  als  bei 
intraelectrolytärer  Verbindung,  und  die  Intensität  der  Veränderungen 
weist  manche  Abweichung  auf,  besonders  wenn  beide  Enden,  von 
ihrem  Verbindungstheil  aus  gerechnet,  nach  derselben  Seite,  also 
gegen  ein  und  dieselbe  Electrode  gewendet  sind. 

Stehen  beide  ungleich  langen  Enden  nur  senkrecht  in  der  Flüssig- 
keit, aber  in  Riclitung  des  Stromes  hintereinander,  so  bekommt  das 
kurze  Ende  ringsum  ein  kräftiges  Polfeld,  das  lange  ein  kräftiges 
auf  der  Seite  der  nächsten  Electrode  und  ein  schwaches,  nach  oben 
allmählich  abnehmendes  auf  der  Gegenseite,  doch  reicht  letzteres  nur 
bis  zur  Höhe  des  anderen  Drahtendes,  sofern  dieses  in  nicht  zu 
grosser  Entfernung  sich  findet. 

[164]  Werden  die  beiden  Enden  des  Drahtes  in  getrennte 
Schalen  getaucht,  in  welcher  jeder  eine  Electrode  sich  findet,  so 
werden  die  Drahtenden  natürlich  in  ihrer  ganzen  intraelectrolytären 
Ausdehnung  verändert;  ein  Aequator  entsteht  an  keinem  derselben, 
auch  wenn  das  eine  Ende  sehr  lang  in  Richtung  des  Stromes  ver- 
läuft, während  das  andere  Ende  nur  eben  eintaucht.  Taucht  da- 
gegen ein  breites  Metallband,  z.  B.  von  Stanniol,  in  die  beiden  mit 
Glaubersalzlösung  gefüllten  Schalen,  und  sind  die  wagrechten,  gegen 
die  Electroden  gewendeten  Enden  rechtwinkelig  abgeknickt  gegen 
den  aufsteigenden  Verbindungstheil,  so  entsteht  in  der  Winkelöflinung 
an  der  Knickungslinie  und  deren  wagrechter  und  senkrechter  Um- 
gebung ein  grosses  frei  bleibendes,  von  veränderten  Flächen  um- 
grenztes Feld,  welches  leicht  für  einen  Aequator  gehalten  werden 
kann.  Dass  diese  Auffassung  nicht  richtig  ist,  zeigt  eine  Verschmä- 
lerung  des  Streifens,  wobei  sich  das  Feld  von  den  Rändern  her  ver- 
kleinert und  schliesslich  verschwindet ;  es  ist  also  blos  durch  Vorweg- 

44* 


692       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


nähme  der  Stromfäden  durch  die  Ränder  des  freien  Feldes  und  deren 
Umgebung  bedingt  gewesen,  wie  bei  einer  Furche;  während  ein 
Aequator  durch  eine  in  Richtung  der  Niveaufiäche  erfolgte  Verschmä- 
leruug  bei  derselben  Anordnung  in  Richtung  des  Stromes  nie  ver- 
schwindet; wie  wir  ja  auch  beim  rechtwinkeligen  Intraelectrolyten 
die  frei  bleibende  Seite  der  Transversalplatte  wohl  nicht  zum  Aequator 
rechnen  durften. 

Wenn  man  einen  über  halb  so  breiten  als  weiten  Ring  aus 
Stanniol  mit  einer  Seitenkante  auf  den  Boden  des  Glases  legt  und 
in  ihn  hinein  ein  nicht  über  ^/s  der  Breite  des  Ringes  hohes  Stanniol- 
bänkchen  setzt,  so  bleibt  letzteres  beim  Durchströmen  des  Electrolyten 
unverändert.  Es  ist  also  durch  den  äusseren  Ring  vollkommen  be- 
schattet. Der  Ring  erhält  in  dem  aus  einer  Lösung  von  schwefel- 
saurem Natron  bestehenden  Electrolyten  jederseits  aussen  ein  stark 
verändertes  Polfeld,  welches,  wie  früher  mitgetheilt,  über  die  obere, 
von  Flüssigkeit  etwas  überragte  Kante  des  Ringes  ein  wenig  auf  die 
Innenseite  übergreift.  Dieselben  Polfelder  entstehen,  wenn  der  Ring 
an  irgend  einer  Stelle  aufgeschnitten  ist,  aber  noch  360°  umschhesst. 
Wird  der  Ring  nochmals  durchschnitten  und  damit  die  metalhsche 
[165]  Leitungseinheit  zerstört,  so  bildet  natürlich  jedes  Stück  seine 
besonderen  Polfelder  und  seinen  eigenen  Aequator. 

Wirkung  des  Gleichstromes  auf  feste  metallische 
Intraelectrolyten. 

Da  wir  auch  Versuche  mit  dem  Gleichstrom  an  anorganischen 
Gebilden  mitgetheilt  haben,  und  da  es  zum  Verständniss  der  im 
Wechselstrom  beobachteten  Erscheinungen  nöthig  ist,  seien  noch  einige 
Versuche  mit  dem  galvanischen  Strom  an  metallischen 
festen  Intraelectrolyten  mitgetheilt. 

Zur  Uebereinstimmung  mit  den  früher  bei  den  organischen  Ge- 
bilden angewandten  Bezeichnungen  soll  auch  hier  als  positives 
oder  anodisches  Polfeld  wieder  rein  ,,topographisch"  das 
gegen  die  positive  E 1  e  c  t  r  o  d  e  (Anode)  gewendete  P  o  1  f  e  1  d 
bezeichnet  werden,  obgleich  es  kathodischer  Natur  ist, 


Wirkung  des  „Gleichstromes"  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten.         693 


da  liiiT  der  sog'enanuto  })Ositive  Stroiii  aus  dem  Electrolytcn  austritt 
uud  sicli  an  ilun  daher  die  (Aitionen  abscheiden. 

Es  interessireu  uns  hier  weniger  die  qualitativen  Eigenschaften 
der  ^'^eränderungen  des  Intraelectrolyten,  welche  natürlich  dieselben 
sind  als  die  an  Electroden  aus  der  gleichen  Substanz  in  den  gleichen 
Flüssigkeiten  vor  sich  gehenden  Veränderungen,  deren  Farbe  auch 
mit  der  Dauer  und  Dichte  des  Stromes  häufig  wechseln;  sondern  wir 
beschäftigen  uns  wesentlich  nur  mit  der  Localisation  dieser  Ver- 
änderungen, und  zwar  blos  an  ehifacher  gestalteten  Gebilden,  nach- 
dem wir  mit  dem  Wechselstrom  bereits  den  Eiufluss  der  Gestalt  in 
einer  für  unsere  Zwecke  genügenden  Weise  ermittelt  haben.  Diese 
Localisation  ist,  wie  schon  von  Rom  und  von  Tribe  angegeben  und 
oben  rnitgetheilt  worden  ist,  für  verschiedene  Metalle  und  Electrolyten 
zum  Theil  verschieden,  so  dass  diese  immer  mit  namhaft  gemacht 
werden  ixiüssen. 

Eine  runde  B 1  e  i  s  c h  e  i  b  e ,  in  10—  20 procentiger  Salzsäure 
durchströmt,  bildet  beim  Durchströmen  zunächst  ein  auf  drei  Viertel 
des  Durchmessers  der  Scheibe  und  darüber  sich  ausdehnendes,  gerad- 
linig, scharf  begrenztes,  schwarzes  negatives  und  ein  erst 
später  auftretendes,  mit  Bläschen  besetztes  positives  Polfeld,  mit 
dessen  Auftreten  und  Wach sthum  das  n  e  g  a  t i  v  e  Feld  d  u  r  c  h  A  u  f  h  e  1  - 
lung  vom  Aequator  aus  unter  Verschiebung  des  letzteren  ver- 
kleinert wird.  Dieses  positive  Polfeld  Avird  erst  allmählich 
schwarz  und  ist,  wie  auch  in  Kochsalzlösung,  nicht  scharf  gegen 
den  relativ  breiten  Aequator  begrenzt,  sondern  [166]  läuft  mit 
abnehmender  Intensität  seiner  Veränderungen  gegen  ihn  aus. 

Bei  seitlicher  Verschiebung  der  A  n o d e  verschiebt  sich  ent- 
sprechend das  positive  Polfeld  und  der  Aequator  wieder  unter  me- 
tallischer Aufhellung  des  früheren  negativen  Polfeldes 
im  Bereiche  des  neuen  Aequators,  ein  Beiveis,  dass  der 
Aequator  keine sivegs  eine  neutrale  Zone  darstellt.  Die 
durch  längeren  (Gebrauch  zu  diesen  Versuchen  entstehende  Verun- 
reinigung der  Säure  wirkt  alterirend  auf  die  Polfeldbildung  ein.  Zu- 
letzt veranlasst  solche  Säure  selbst  am  frisch  polirten  Blei  schon  für 
sich    momentan    ein  Schwarzwerden.     Bei    der   Durchströmung    wird 


694      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

diese  Schwärzung  auf  der  positiven  Seite  und  im  Bereiche  des 
Aequators,  vom  positiven  Pol  ausgehend,  sogleich  zurückgetrieben, 
so  dass  die  Fläche  blos  noch  mattgrau  ist;  dasselbe  entsteht  auch 
an  jeder  Stelle,  über  welche  man  die  positive  Electrode  hält. 

Eine  Bleischeibe  bekommt,  in  h a  1  b p r o c e n t i g e r  Koch- 
salzlösung durchströmt,  zuerst  ein  schwarzes  negatives  Pol- 
feld,  welches  allmählich  vom  Pole  sich  ausbreitet.  Aber  ihm  vor- 
aus läuft  bei  diesem  Fortschreiten,  dem  Grenzcontour  des  schwarzen 
Polfeldes  parallel,  eine  braune  gegen  den  Aequator  scharf, 
gegen  den  hellen  schmalen  Zwischenraum  zwischen  ihr 
und  dem  schwarzen  Theil  des  Polfeldes  unscharf  be- 
grenzte Linie.  Der  Abstand  des  Aequatorrandes  dieser  Linie  vom 
negativen  Polfeld  bleibt  anscheinend  constant,  während  die  braune 
Veränderung  selbst  sich  allmählich  rückwärts  gegen  das  schwarze 
Polfeld  ausdehnt.  Dies  negative  Polfeld  kann  die  Mitte  der  Scheibe 
überschreiten. 

Erst  eine  erhebliche  Zeit  nach  dem  Auftreten  des  negativen 
PoKeldes  beginnt  die  Sichtbarwerdung  des  viel  kleineren,  weniger 
trüben,  nicht  scharf  gegen  den  Aequator  begrenzten,  son- 
dern allmähHch  gegen  ihn  auslaufenden  positiven  Polfeldes. 

In  vierprocentiger  Kochsalzlösung  wird  das  negative  Polfeld 
viel  grösser.  Bei  seitlicher  Verschiebung  der  Anode  erhält  das  negative 
Polfeld  einen  S-förmigen  Grenzcontour  gegen  den  Aequator. 

Noch  mit  ihrer  Oxydrinde  versehene  Bleikugeln,  in 
Kochsalzlösung  durchströmt,  verhalten  sich,  wie  beim  Wechsel- 
[167]  Strom,  wieder  unter  sich  sehr  verschieden;  während  die  eine 
ein  grosses,  nur  mit  Bläschen  bedecktes  negatives  und  ein  kleines, 
mit  grösseren  Bläschen  versehenes  positives  Polfeld  bildet,  entsteht 
an  einer  anderen  ein  gelbes  kleines  negatives  und  ein  grosses  posi- 
tives mit  Bläschen  bedecktes  Polfeld. 

Blanke  Schrotkugeln  bilden  rasch  ein  grosses  gelbes  nega- 
tives Polfeld  und  ein  positives  Bläschenfeld. 

Stanniol,  in  Kochsalzlösung  durchströmt,  wird  wenig  ver- 
ändert; dagegen  entsteht  in  Salzsäure  ein  mehr  als  die  Hälfte 
einnehmendes,     geradlinig     scharf     begrenztes     negatives,    ein    viel 


Wirkung  des  , Gleichstromes"  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten.         695 


kleineres,  wieder  iilhnählicli  gegen  den  Aequator  auslaufendes,    posi- 
tives Polfeld. 

Eine  mit  Apotheker- Goldblatt  überzogene  Wachskugel 
bildet  in  löprocentiger  Salzsäure ,  wie  in  halbproeentiger  Kochsalz- 
lösung nur  ein  ganz  kleines  schwärzliches  negatives  Polfeld  ohne 
scharfe  Grenze  und  ein  entsprechendes  positives  Bläschenfeld. 

Kupfer  eignet  sich  durch  schärfere,  ja  grelle  Begrenzung 
des  Polfeldes  gegen  den  Aequator  und  grössere  Mannigfaltigkeit 
des  Verhaltens  besser  für  unsere  Zwecke  als  Blei,  welches  in  manchen 
Flüssigkeiten  nur  allmählich  gegen  den  Aequator  auslaufende  Polfeld- 
veränderungen bildete.  Daher  Avurden  mit  dem  Kupfer  mehr  Ver- 
suche angestellt. 

Ein  abgeschliffener  Kupferkreuzer  in  Gl  auber Salzlösung 
durchströmt,  bekommt  blos  ein  negatives,  minimales,  gerade  begrenztes, 
grünlich-gelbes  Polfeld ,  trotz  grösster  Näherung  der  Electroden  bei 
vier  BuNSEN'schen  Elementen ;  ein  Zeichen  für  den  grossen  Einfluss 
der  Natur  des  Electrolyten  auf  die  Grösse  des  Polfeldes. 
In  Kochsalzlösung  wird  gleichfalls  nur  ein  kleines  negatives  Pol- 
feld gebildet,  welches  aber  immerhin  grösser  ist,  als  in  der  Glauber- 
salzlösung. 

In  Salzsäure  entsteht  an  der  Ku])f  er  münze  wieder  ein 
sichtbares,  positives  Polfeld,  welches  erheblich  kleiner  ist  als  das  bis 
fast  zur  Mitte  oder  noch  darüber  hinaus  sich  ausdehnende  graubraune 
negative;  dies  positive  Polfeld  besteht  aus  zwei  ganz  ver- 
schiedenen Th eilen:  einem  polar  gelegenen,  gerade  abgegrenzten 
schwarzblauen  und  darauf  aus  einem  eventuell  ebenso  breiten,  blos 
durch  einen  andersfarbigen  Metallschimmer  [168]  ausgezeichneten, 
ä  q  ua  t  o  r  w  ä'r  t  s  durch  eine  orange  -  kupferige  Linie  be- 
grenzten Theil.  Auch  im  negativen  Polfeld  kommen  wieder 
mehrere  geradlinig  begrenzte,  grell  gegen  einander  abstechende, 
in  sich  selber  aber  fast  gleichartige  Zonen  von  Veränderungen 
vor,  so  dass  nicht  wohl  eine  nur  allmähliche  Abnahme  der  In- 
tensität .  der  Veränderung  vom  Pole  gegen  den  Aequator  angenommen 
werden  kann. 


696       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Wenn  die  Kupfermünze  nicht,  wie  gewöhn! icli,  in  der 
Mitte  zwischen  beiden  Electroden,  sondern  näher  der  Kathode 
sich  befindet,  so  wird  in  Salzsäure  das  sogenannte  positive  Polfeld  mit 
seinen  beiden  Abschnitten  grösser;  bei  Näherung  gegen  die  positive 
Electrode  wird  das  negative  Polfeld  grösser  als  bei  Mittelstellung.  Ver- 
unreinigung der  Salzsäure  mit  Kupfervitriol  alterirt  sofort  die  relative 
Grösse  beider  Polfelder  zu  einander. 

Wenn  eine  Kupfermünze  in  Kupfervitriol  durchströmt  und  da- 
nach mit  Putzpulver  wieder  blank  geputzt  worden  ist,  so  wird  bei 
Durchströmung  in  Salzsäure  dies  frühere,  durch  den  metallischen 
Kupferniederschlag  gebildete  Polfeld  wieder  sichtbar  und  die  Grenz- 
linie des  früheren  Aequators  kann  im  Bereiche  des  neuen  positiven 
Polfeldes  unverändert  bleiben. 

Wird  ein  glatt  geschliffener  Kupferkreuzer ,  mitten  zwischen 
beiden  Electroden  liegend ,  in  K  u  p  f  e  r  v  i  t  r  i  o  1 1  ö  s  u  n  g  durch- 
strömt, so  entsteht  ein  schwarzes,  anfangs  halbmondförmiges  nega- 
tives Polfeld,  welches  schmaler  ist  als  das  stets  durch  eine  gerade 
Linie  begrenzte ,  mit  metallischem  Kupfer  beschlagene  positive  Pol- 
feld. Bei  sehr  langer  Durchströmmig  aber  (z.  B.  10  Minuten)  wird 
das  negative  Polfeld  allmählich  grösser ,  sogar  etwas  grösser  als  das 
positive. 

Auf  dem  positiven  Polfeld  der  glatt  und  eben  abgeschlif- 
fenen Kupfermünzen  schlägt  sich  das  Kupfer  zuerst  an  den 
Randstellen  der  früher  erhabenen  Theile  der  weggeschliffenen  Prägung 
nieder;  auf  dem  negativen  Polfeld  haftet  nach  dem  Wegwischen 
des  Oxydes  letzteres  fester  an  den  früher  erhaben  gebliebenen  (also 
weniger  dichten)  Stellen,  so  dass  auf  beiden  Pol  fehlem  die 
vollkommen  .  ahgescliliffene  Schrift  und  sonst  i  (je  fr  Uli  er 
vorhanden  geicesene  Frügnng  wieder  sichtbar  wird^). 

Liegt  die  Kupfermünze  neben  der  negativen  Electrode,  so 
wird  der  Aequator  gegen  sie  hin  concav,  bei  genügend  langem  [169] 
Durchströmen  zugleich   parallel   contourirt,   und   beide  Polfelder  sind 


[1)  Sollte  dieses  so  entdeckte,  interessante  Verhalten  nicht  technische  oder 
gelegentlich  gerichtliche  Verwendung  finden  können? 


Wirkung  des  ^Gleichstromes"  auf  feste  metallische  Intraelectrolyten. 


69: 


zuletzt  in  der  jNIitte  gleich  breit;  neben  der  positiven  Electrode  wird 
der  Aequator  gegen  diese  concav;  beides  auch  (N.B.  in  den  zn  allen 
Versuchen  verwendeten,  runden  Glasschalen),  wenn  die  Electroden 
eben  und  breiter  sind  als  die  Kupfermünze. 

Bei  fortgesetztem  Durchströmen  läuft  manchmal  der  Aequator 
im  (ianzen  trüb  an,  ohne  sich  vorher  noch  verschmälert  zu  haben, 
oder  bekommt  grosse  unregelmässige  Flecken,  was  beides  wohl  nur 
durch  Ausbreitung  der  auf  dem  sogenannten  kathodischen  Polfeld 
des  metallischen  Intraelectrolyten  gebildeten  Anionen  bedingt  ist. 

Ueber  den  zeitlichen  Gang  der  Verschmälerung  des  Aequa- 
tor s  giebt  folgende  Tabelle  Auskunft.  Sie  wurde  durch  Versuche  an 
einem  auf  einer  Fläche  ebengeschliffenem  Kupferkrenzer  von  19  mm 
Durchmesser,  bei  mittlerer  Stellung  zwischen  den  platten  Electroden 
von  32  mm  Abstand,  in  einer  runden  Schale  von  40  mm  Durchmesser 
bei  einer  Stromstärke  von  anfangs  etwa  0,3  Amperes  und  einer  Höhe 
der  Flüssigkeit  von  14  mm  gewonnen. 


Dauer  der 

Breite  des 

Durchströmung 

Aequators 

30" 

2,0  mm 

r 

1,7 

2' 

1,3 

3' 

1,0 

4' 

0,8 

6' 

0,3 

8' 

0,2 

10' 

0,15 

12' 

0,13 

Die  letzten  Messungen  sind  bei  den  natürlich  nicht  ganz  scharfen 
Grenzlinien  blos  Schätzungen;  und  die  Erw^ärmung  der  Flüssigkeit 
hatte  die  anfängliche  Stromstärke  erheblich  erhöht.  Der  Aequator 
ist  noch  zuletzt  vollkommen  blank;  die  Polfelder  dagegen  sind  un- 
mittelbar neben  ihm  gleich  intensiv  ver-  [170]  ändert.  Das  positive 
Polfeld  war  schliesslich  in  der  Mitte  8,8  mm,  das  negative  10  mm 
breit.     Während  zuerst  das   positive  Polfeld    rascher  wuchs,    änderte 


698      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

sich  das  V^erhältniss  /Ailetzt  in  umgekehrtem  Sinne.  Uebrigens  ist 
auch  die  Beschaffenheit  der  Metall oherfJ äche  von  erheh- 
Jicheni  Einflüsse  auf  die  absolute  und  relative  Grösse 
beider  Polfelder,  ivie  auch  Froscheier  vom  selben  Frosch 
e n tsprechend  verschieden  reagirte n.  Im  Bereiche  des  negativen 
Polfeldes  löst  sich  die  in  der  Umgebung  des  Poles  gebildete  Masse  in 
zusammenhängenden  l^reiten  Stücken  ab,  und  beim  Abspülen  sieht 
man,  dass  der  bezügliche  Bezirk  sich  mit  einer  geraden  Linie  begrenzt. 
Auch  sonst  treten  beim  Abspülen  oder  Abwischen  wieder,  durch  gerade 
oder  gebogene  Linien  scharf  begrenzte  Zonen  verschiedenen  Verhaltens 
im  negativen  Polfeld  auf,  wie  auch  schon  vorher  solche  sichtbar  sind. 
Im  Bereiche  des  positiven,  metalhschen  Polfeldes  ist  dies  gleichfalls, 
aller  in  ixiinderem  Maasse  der  Fall. 

Wurde  auf  eine  Kupfermünze  mit  Siccativ  ein  Netzwerk  ge- 
zeichnet, so  reagirte  beim  Durchströmen  in  Kupfervitriollösung  natür- 
lich nicht  jedes  begrenzte  und  vom  andern  oberflächlich  isolirte  Feld 
für  sieh ;  sondern,  da  sie  unter  diesem  Netz  homogen  verbunden  sind, 
so  reagirt  das  Ganze  wie  gewöhnlich,  nur  fehlt  an  den  mit  Harz  be- 
deckten Stellen  die  Veränderung ;  nach  dem  Reinigen  springen  daher 
auf  der  negativen  Seite  die  Netzlinien,  auf  der  positiven  die  um- 
schlossenen Felder  vor ;  im  Bereiche  des  Aequators  ist  von  der  früheren 
Netzzeichnung  nichts  mehr  zu  sehen. 

Durchströmt  man  die  bereits  ein  Mal  in  Kupfervitriol- 
lösung durchströmte  Kupfermünze  nochmals,  aber 
rechtwinkelig  zur  früheren  Richtung,  siehe  Taf.  IX,  Fig.  22b, 
so  bleibt  die  dem  früheren  positiven  Polfeld  anliegende 
Zone  a  des  primären  Aequators  auf  der  Seite,  wo  sie  durch  die 
Drehung  hi  den  Bereich  des  neuen  negativen  Feldes  gelangt  ist, 
unverändert,  wird  nicht  schwarz;  doch  dehnte  sie  sich  bei  meinen 
Versuchen  vom  neuen  Aequator  nur  ein  Stück  aus,  ohne  den  Rand 
der  Münze  zu  erreichen.  Dies  Verhalten  erinnert  wieder  an  die  nn- 
ver änderten  Niveaulinien  der  3IessingJru gel n  und  der 
Froschgallenblase  bei  der  zweiten,  in  anderer  Richtung  erfolgenden 
Durchströmung  mit  dem  Wechselstrom.  Bei  länger  fortgesetzter 
Durch  ström  ung  ändert  jedoch  die  [171]  blanke  Linie  hier 


Wirkung  des  ,  Gleich  ström  es"  auf  feste  metallische  Tntraelectrolyten.        699 

ihre  Riclitnng  (s.  Fig.  22c),  von  derselben  Ecke  des  Aeqiiators  aus- 
gehend, lenkt  sie  siel  1  allmählich  gegen  45*^  ab  und  bildet  die  Grenze 
zweier  verschiedener  Theile  des  secundären  negativen  Polfeldes,  nämlich 
eines  grossen  Abschnittes,  bestehend  aus  den  im  Bereiche  des  secun- 
dären negativen  Polfeldes  gelegenen  Antheilen  des  primären  negativen 
Polfeldes,  ferner  des  primären  Aequators,  sowie  des  an  letzteren  Theil 
anstossenden  Stückes  des  primären  positiven  Polfeldes,  innerhalb 
welches  Theiles  die  frühere  Veränderung  vom  primären  Aequator 
aus,  eben  unter  Verschiebung  der  sichtbar  gewordenen  Niveauhnie  a, 
vollkommen  rückgängig  gemacht  worden  ist  und  die  gewöhnliche 
Oxydbildung  stattgefunden  hat. 

Beim  Abwischen  verliert  dies  aus  drei  ursprünglich  verschiedenen 
Theilen  gebildete  Stück  des  secundären  negativen  Polfeldes  seine 
schwarze  Bedeckung.  Das  übrige  Stück  des  secundären  negativen  Pol- 
feldes, der  Zwickel,  dagegen  ist  nicht  schwarz,  sondern  blos  braunroth 
geworden ;  an  ihm  findet  sich  das  Oxyd  an  früherem  Kupferniederschlag. 
Es  finden  noch  manche  andere  Besonderheiten  bei  in  verschiedenen  Rich- 
tungen aufeinanderfolgenden  Durchströmungen  statt,  welche  Zeichen 
erst  allmählicher  Umarbeitungen  aus  den  früheren  Pol- 
feldern in  die  der  neuen  Richtung  entsprechenden  sind;  doch 
würde  ihre  Mittheilung  über  unser  jetziges  Ziel  hinausgehen.  Die- 
selben sind  ausgeprägter,  wenn  die  primäre  Durchströmung  längere 
Zeit  gedauert,  also  kräftigere  Veränderungen  hervorgebracht  hat. 
Die  blank  bleibende  Linie  a  entsteht  dadurch,  dass  der  zwischen 
dem  primären  positiven  Polfeld  und  dem  neuen,  auf  dem  primären 
Aequator  sich  anlegenden  negativen  Polfeld  liegende  Theil  weniger 
verändert  wird  als  der  übrige  Theil  des  Aequators;  aber  wir  sind 
nicht  in  der  Lage  zu  unterscheiden,  ob  dieser  Theil  in  Folge  dieser 
einem  Aec|uator  entsprechenden  Lagerung  sich  so  verhält,  oder  ob 
er  schon  von  der  ersten  Durchströmung  her  an  sich  weniger  ver- 
änderlich ist,  denn  auch  für  letztes  haben  wir  in  unseren  Experimenten 
Analogien  gefunden.  Da  d  i  e  s  e  b  1  a n  k  e  S t e  1 1  e  ab  e r  w  a n  d  e  r t,  und  zwar 
auf  das  früher  positive  Polfeld  hin,  also  unter  Rückbildung  des  positiven 
Niederschlages ,  so  bezeichnet  es ,  dass  vom  primären  Aequator  aus 
unter  Einwirkung  des  sogenannten  Strom austrittes  eine  solche  Rück- 


700      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  ©ebilde  etc. 

bildnng  sich  [172]  ausbreitet,  der  dann  die  typische  Oxydbilduug 
nachfolgt  und  dass  zwischen  beiden  Gebieten  eine  gewisse  Strecke 
frei  bleibt,  an  welcher  also  die  Bedingungen  zur  Oxydation  fehlen 
wie  bei  einem  Aequator,  und  wohl  auch  aus  demselben  Grunde,  da 
hier  wieder  positives  und  negatives  Polfeld  einander  gegenüberstehen, 
so  dass  also  die  erstere  obenerwähnte  Möglichkeit  hier  wegfällt,  während 
zugleich  im  ganzen  jetzt  negativ  gelagerten  Theil  des  ursprünglich 
positiven  Polfeldes  auch  schon  Veränderungen  vom  Charakter  eines 
negativen  Polfeldes  vor  sich  gehen. 

Wenn  Kupferdraht  in  l^/niger  Kochsalzlösung  mit  einem  inter- 
mittirenden  Gleichstrom  so  lange  durchströmt  wird,  dass  die  Flüssig- 
keit siedet,  läuft,  entsprechend  dem  schon  für  den  Wechselstrom  mit- 
getheilten  Verhalten,  der  Aequator  trüb  an,  mit  Ausnahme 
seiner  beiden  Randlinien,  welche  also  wieder  besonders  be- 
schaffene, weniyer  veränderlicher  Niveaulinien  darstellen. 

Aehnliches  geschieht  auch  ohne  Sieden,  und  zwar  viel  deutlicher, 
wenn  der  Salzlösung  eine  Spur  Salzsäure  zugesetzt  war.  Dann  erhält 
man  mitten  im  Aequator  zwei  (Ivnl'le  Linien,  die  durch  eine 
hellere  getrennt  sind. 

Für  die  Ableitung  der  im  Wechselstrom  beobachteten 
Erscheinungen  aus  denen  des  Gleichtroms  sind  zunächst 
zwei  Fälle  zu  unterscheiden:  Erstens  die  Fälle,  in  denen  beim  Gleich- 
strom, in  Folge  der  specifischen  Natur  oder  in  Folge  geringer  Strom- 
stärke, kein  Polfeld  die  Mitte  überschreitet;  dann  können 
sich  die  Wirkungen  beider  entgegengesetzt  gerichteten  Ströme  innerhalb 
des  gemeinsamen  Feldes  jeder  Seite  aufeinandersetzen.  Da  schon  beim 
Gleichstrom  die  Polfelder  verschiedene  Zonen  liatten,  so  werden  diese 
Verhältnisse  ziemlich  complicirt  sein,  und  wir  sehen  davon  ab,  sie 
im  Einzelnen  zu  verfolgen,  zumal  da  an  unseren  lebenden  Objecten 
keine  entsprechenden  zonalen  Erscheinungen  aufgetreten  sind.  Uns 
interessirt  daher  allein  noch  die  Localisation  des  Aequators  und  die 
Erscheinungen  an  den  Niveaulinien.  Da  beide  Polfelder  im  Gleich- 
strom gewöhnlich  ungleich  gross  sind,  der  Aequator  also  nicht  in  der 
Mitte  liegt,  so  giebt  es  bei  entsprechendem  Wechselstrom  einen  mittleren 
Aequatorabschnitt,  der  für  beide  Stromrichtungen  reiner  A  equator 


Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf  metallischo  lutraelectrolyten  etc.       701 

ist,  also  aueli  im  Wechselstrom  unverändert  bleiben  wird,  und  du- 
neben einen  Saum,  der  je  nach  der  Strom r ich tung  bald 
Aequator,  bald  Rand  des  grösseren  Polfeldes  ist.  hi 
diesem  Bereiche  ist  natürlich  eine  andere  Wirkung  zu  erwarten. 

[173]  Ueberschreitet  zweitens  ein  Polfeld  im  Gleich- 
strom die  Mittellinie,  so  müsste  bei  entsprechendem  Wechselstrom 
eine  mittlere  Zone  entstehen,  in  der  bei  jeder  von  beiden  Stromrich- 
tungen dies  Polfeld  vorhanden  ist,  wo  die  Veränderungen  sich  also 
steigern,  so  dass  in  der  Mitte  somit  kein  Aequator  wäre.  Daneben 
käme  dann  wieder  jederseits  eine  Zone,  wo  abwechselnd  der  Aequator 
und  das  grössere  Polfeld  sich  linden,  so  dass  hier  eine  Stelle  geringerer 
Veränderungen  vorhanden  wäre.  Darauf  folgt  nach  aussen  ein  dritter 
Abschnitt  von  der  Grösse  des  kleineren  Polfeldes  im  Gleichstrom,  wo 
immer  Polfeldveränderung  stattfindet,  abwechselnd  positive  oder  nega- 
tive; dass  sich  diese  aufeinandergesetzten  positiven  und  negativen 
Veränderungen  nicht  aufheben,  haben  wir  gesehen,  da  wir  kräftige, 
mit  der  Durchströmungsdauer  sich  steigernde  Veränderungen  an  dieser 
Stelle  erhalten  haben.  Es  muss  fraglich  erscheinen  und  bleiben,  ob 
auf  diese  Weise  diejenigen  Fälle  zu  erklären  sind,  in  denen  wir  einen 
veränderten  Aequator  von  zwei  Zonen  geringerer  Veränderung  ein- 
gefasst  erhielten,  da  ich  keine  Versuche  gemacht  habe,  um  die  Rich- 
tigkeit dieser  Ableitungen  zu  prüfen. 

Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf  metallische 

lutraelectrolyten  von  der  Gestalt  der  untersuchten 

organi sehen  Körper. 

Weiterhin  prüfte  ich  noch  an  Metallmodellen  direct  das  Ver- 
halten der  Formen  einiger  früher  durchström ter,  complicirter 
gestalteter  organischer  Gebilde. 

Bezüglich  der  Morula  wurde  eine  aus  einer  Birn  geschnittene 
oder  aus  Wachs  gebildete  und  mit  10  halbkreisförmig  vor- 
springenden, einander  fast  berührenden  Vorwölbungen  ver- 
sehene Scheibe  mit  sogenanntem  Silberblatt  überzogen 
und  durchströmt;  diese  reagirte,  wie  schon  aus  dem  früher  Mit- 
getheilten  sich  ergiebt,  als   Ganzes    mit  Bildung    zweier    Pol- 


702      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

f  cid  er  und  eines  Aequators,  nicht  aber  jeder  Buckel  für  sich.  Nur 
wurden  wieder  wie  bei  dem  Stern  aus  Blei  zuerst  die  direct  be- 
strahlten, später  erst  die  der  nächstgelegenen  Electrode 
abgewendeten,  Theile  der  Buckel  verändert;  und  erst  bei 
längerer  Durchströmung  findet  auch  eine  Veränderung 
in  der  Tiefe  der  Furchen  [174]  zwischen  den  im  Bereiche  der 
Polfelder  gelagerten  Buckeln  statt,  zuletzt  an  den  mehr  seitlich  dem 
Aequator  nahen,  also  schwächer  bestrahlten  und  zugleich  mehr  in 
Schattenrichtung  liegenden  Furchen. 

Diese  Reaction  als  Ganzes  entspricht  also  der  lieaction 
der  durch  Carholsäure  geschwächten  Morula. 

Beklebt  man  blos  die  gewölbte  Seite  jedes  Buckels  mit 
einem  besonderen  Stückchen  Silberblatt,  welches  das  der 
Nachbarschaft  nicht  berührt,  so  erhält  natürlich  beim  Durchströmen 
jede  Vor  Wölbung  auf  dieser  Aussenf  lache  zwei  durch 
einen  Aequator  getrennte  Polfelder.  Dies  entspricht  nicht  dem 
Verhalten  der  lebenskräftigen  Morula,  deren  Zellen,  von  denen  der 
Aequatorgegend  des  Eies  abgesehen,  aussen  blos  ein  einziges  Pol- 
feld zeigten. 

Wird  jedoch  ausser  der  freien  convexen  Fläche  der 
Vor  Wölbung  auch  noch  ein  jeder  Vor  Wölbung  zugehöriges 
Stück  der  grossen  Seitenfläche  der  Scheibe  mit  Stanniol 
beklebt,  so  entsteht  ein  Pol aris ati onshild ,  ivelches  an  den  con- 
vexen Flächen  dem  der  leben sliräfti gen  Morula  fast  vollständig 
gleicht.  Jeder  Abschnitt  hat  wieder  zwei  Polfelder,  von  denen  aber 
an  den  dem  Polbezirk  zugehörigen  Theilen  das  eine  auf  die  grosse 
Seitenfläche  (also  in's  Innere  der  Morula)  fällt  und  daher  an  der 
Morula  von  aussen  nicht  sichtbar  sein  würde,  so  dass  man  von  aussen 
blos  ein  einziges  Polfeld  und  den  Aequator  wahrnimmt.  Aber  an 
den  mehr  lateralen  Abschnitten  kommen  wieder  zwei  Polfelder  aussen 
zum  Vorschein,  was  bei  der  Morula  blos  an  den  direct  am  electrischen 
Aequator  des  Ganzen  gelegenen  Zellen  der  Fall  war.  Es  fehlt  hier 
aber  auch  der  Schatten  durch  die  bei  der  kugeligen  Morula  vorhan- 
denen Nachbarzellen. 


Electrische  „Aequatori s ation ".  703 

Um  die  Wirkung  der  Gestalt  der  iioeli  complicirter  ge- 
formten Embryonen  direct  zu  prüfen,  schnitt  ich  das  Nachbild 
eines  schon  mit  Kiemenhöckern  versehenen  Embryo  aus  einem 
Stückchen  Blei.  Nach  kurz  dauernder  Durchströmung  desselben  in 
verschiedenen  Richtungen  zeigten  sich  die  früher  an  den  Frosch- 
enihrijonen  heohachteten  Gestalten  des  Äequators.  Bei  etwas 
länger  dauernden  Durchströmungen  entstanden  dagegen  durch  das 
Schwinden  des  Schattens  bedingte  Abweichungen. 

Wirkung  des  Stromes  bei  viel  besser  als   der  In  tra- 
de et  rolyt  leitendem  Medium. 

Bisher  wurden  Metalle  in  Flüssigkeiten,  also  vielmal  besser  als 
der  Electrolyt  leitende  Substanzen  durchströmt  und  die  Locali- 
[175]  sation  der  Polfelder,  also  des  Stromfädeneintrittes 
und  -Austrittes  studirt. 

Die  von  uns  untersuchten  organischen  Körper  dagegen  leiten 
millionen  Mal  schlechter  als  Metalle;  nach  meinen  rohen,  mit  Hülfe 
des  wenig  empfindlichen  Galvanoscopes  und  blos  mit  polarisirbaren 
Electroden  angestellten  Versuchen  schätzte  ich  das  Leitungsver- 
mögen de)'  Froscheier  ettva  gleich  dem  der  ^hprocentigen  Koch- 
salzJösung.  Da  wir  Eier  und  Embryonen  auch  in  besser  als  sie 
selber  leitenden  Flüssigkeiten,  in  stärkerer  Kochsalzlösung  und 
und  in  Schwefelsäurelösung  untersucht  haben,  so  wollte  ich  auch  das 
A'^erhalten  von  anorganischen  Körpern  in  besser  als  sie  leitenden 
Electrolyten  direct  prüfen. 

Zu  diesem  Zwecke  machte  ich  Kugeln  aus  mit  Wasser  zu- 
bereitetem Mehlteig,  wälzte  sie,  um  sie  reactionsf ähig  zu 
machen,  in  Messingfeiisp  ahnen  ^)  und  durchströmte  in  4''/o  Koch- 


[1)  Das  Wesen  dieser  sehr  einfachen  Methode,  jedes  beliebige  Gebilde 
seiner  Gestalt  und  seinem  eigenen  Leitungsvermögen  entsprechend 
„reactionsfähig"  auf  den  electrischen  Strom  zu  machen,  besteht  darin,  dass 
man  seine  Oberfläche  mit  vielen,  von  einander  „getrennten"  Theilchen  einer 
auf  den  Strom  reagirenden  Substanz  überzieht.  Dann  kommt  die  Gestalt  und  das 
Leitungsvermögen  des  Gebildes  in  der  Lage,  Grösse  und  Veränderungsintensität  der 
Polfelder  voll  zur  Geltung. 

üeberzieht  man  dagegen ,    wie   es  von  uns  zu  anderem  Zwecke   geschehen  ist, 


704      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Salzlösung.  Bei  Anwendung  des  Wechselstroms  erhielt  eine  Kugel 
von  19  mm  Durchmesser,  wie  erwartet,  Andeutungen  eines  schwärz- 
lichen Äequators,  und  zw^ar  von  11  mm  Breite,  in  V2  °/o  Koch- 
salzlösung von  blos  6  mm  Breite;  jedoch  war  die  Schwärzung  blos 
oben  und  unten,  als  an  den  durch  die  nahen  Abgrenzungen  des 
Feldes  besonders  begüngstigten  Stellen,  gut  ausgeprägt  und  scharf 
contourirt.     Die  Pole  dagegen  hlieben  unverändert. 

Eine '  vollkommene  Aequatorisatioii,  d.  h.  einen  ausgebildeten 
schw^arzen  Aequator  erhält  man,  wenn  man  eine  mit  Messing- 
spähnen  betupfte  Wachskugel  mit  dem  Wechselstrom  zu  durch- 
strömen versucht;  solche  Kugel  wird  richtig  äcjuatorisirt  statt 
polarisirt.  Dieser  Aequator  bestand  aus  6—8  parallelen  ring- 
förmigen, aber  nicht  continuirlich  ringsherum  gehenden  schwarzen 
Streifen  von  verschiedener  Breite,  die  durch  gelb  gebliebene, 
breitere  oder  schmälere  Ringstreifen  getrennt  sind.  Erstere 
bestehen  meist  aus  Gruppen  von  Messingspähnen,  von  welchen  jeder 
zwei  schwarze  Polfelder  und  einen  gelben  Aequator  hat.  Manchmal 
findet  man  auch  Spähne  ganz  schwarz  gefärbt;  diese  standen  wohl 
mit  anderen  in  leitender  Berührung,  so  dass  nicht  jeder  für  sich  Pol- 
felder und  Aequator  bilden  konnte. 

Eine  mit  einem  Goldblättchen  überzogene  Wachskugel 
bildet  dagegen  natürlich  wieder  veränderte  Polfelder  bei  unver- 
ändertem Aequator. 

Wird  die  mit  Messingspähnen  bestreute  Wachskugel  mit 
dem  Gleichstrom  behandelt,  so  entstehen  am  Aequator  un-  [176] 
mittelbar  nebeneinander  zwei  verschiedene  Zonen,  gegen  die  Anode 
liin  eine  schwärzliclie ,  gegen  die  Kathode  hin  eine  gelblichgrüne,  so 
dass  also  der  beim  Wechselstrom  gleichartige  Aequator  jetzt,  ent- 
sprechend der  Verschiedenheit  der  Anode  und  Kathode,  durch  zwei 
veränderte  Aequatoren  vertreten  wird. 

Um  auch  Körper,  welche  nur  wenig  besser  leiten  als  die 
Flüssigkeit,   zu  prüfen,  wurde  Mehl  mit  löprocentiger,   noch  mit 


den  Körper  mit  Stanniol  bl  att,  dann  gelangt  blos  die  Gestalt  des  Körpers,  aber 
nicht  sein  Leitungs vermögen,  sondern  wesentlich  das  des  Ueberzugs  bei  der  Locali- 
sation  der  polaren  Veränderungen  zvxr  Wirkung. 


Bedingungen  der  „Polarisation".  705 

Koohsalz  lind  Glaubersalz  versetzter  »Schwefelsäure  angerührt  und 
die  daraus  gebildete,  mit  Messingspähnen  bestreute  Kugel  bis 
zum  Sieden  in  Wasser  durchströmt,  welchem  ein  wenig  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  zugesetzt  war,  weil  sonst  der  Strom  zu  schwach  war, 
um  eine  deutlich  begrenzte  Reaction  zu  veranlassen;  es  entstanden, 
wie  zu  erwarten ,  nur   kleine  seh  w  ä  r  z  1  i  c  h  e  P  o  1  f  e  1  d  e  r. 

Bedingungen  der  ,, Polarisation". 

Wenn  Körper  von  verschiedenem  Leitungs vermögen 
sich  berührend  umschli essen,  so  muss  je  nach  der  positiven 
oder  negativen  Differenz  des  Leitungsvermögens  des  inneren  Körpers 
gegen  den  äusseren  und  dieses  gegen  den  Electrolyten  an  der  Grenz- 
schicht derselben  eine  verschieden  gelagerte  Reaction  erfolgen. 

Dieses  darzustellen,  machte  ich  eine  oberflächlich  mit  Messing- 
spänen versehene  Wurst  aus  mit  Wasser  angerührtem  Mehlteig,  und 
umgab  sie  mit  einer  Schicht  von  mit  Schwefelsäure  angesäuertem 
Teig,  der  aussen  gleichfalls  mit  Messingspänen  bestreut  ward.  Bei 
querem  Durchströmen  in  Wasser  mit  wenig  Kochsalz  entstanden 
aussen  am  gesäuerten  Teig  schivarse  Pol  fehler ,  innen  an 
dem  wässerigen  Teig  ein  schwarzer  Aeqtiator,  und  die  in 
ihrer  Lage  den  äusseren  Polfeldern  entsprechenden  Polseiten  blieben 
unverändert. 

Wurde  umgekehrt  eine  Messingkugel  (von  2,5  mm)  mit  wässerigem 
Teig  umgeben  bis  zur  Grösse  einer  Kugel  von  12  mm,  diese  mit 
Messingspänen  bestreut  und  in  2 o/o  Kochsalzlösung  durchströmt,  so 
entstand  aussen  natürlich  wieder  ein  sclitvarz  geringelter 
Aequator  bei  unveränderten  Polseiten,  während  die  um- 
schlossene Messingkugel  grüne  Polfelder  und  einen  unver- 
änderten Ae'quator  darbot,  welch  letzterer  in  seiner  Lage  natür- 
lich dem  äusseren  schwarzen  Aequator  entsprach. 

Die  Ursache  der  so  specifisch  localisirten  Veränderungen  am 
metallischen  Intraelectrolyten  wird  zweifellos  wesentlich  in  [177]  dem  ent- 
sprechend localisirten  Ein-  und  Austritt  von  Stromfäden  bestehen. 
Ausserdem  aber  haben  wir  mehrfach  Verhältnisse  kennen  gelernt, 
welche  nicht  von   dieser  Annahme   sich   ableiten  lassen. 

W.  Eoux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  45 


706      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  (iebilde  etc. 


Es  ist  klar,  dass  gegen  die  Polenden  eines  Intraelectrolyten, 
welcher  besser  leitet  als  der  Electrolyt,  die  Stromfäden  wie 
aspirirt  convergiren  müssen,  um  so  mehr,  je  grösser  diese 
Leitungsdifferenz  ist,  und  zwar  gegen  die  der  betreffenden  Electrode 
nächsten  Theile  in  stärkerem  Maasse,  als  gegen  die  von  der  Electrode 
entfernteren  Theile  des  Intraelectrolyten,  und  dass  daher  in  der  Mitte 
der,  in  mittlerer  Stromrichtung  gemessenen,  Länge  des  Gebildes  eine 
Stelle  geringsten  Strom einf alles  vorhanden  ist.  Trotzdem  müssen 
jedoch  auch  in  der  Mitte  Stromfäden  einfallen,  respective 
austreten,  und  diese  Stelle  müsste  daher  bei  längerer  Durch- 
strömung verändert  werden,  da,  entgegen  Faraday's  früheren  An- 
gaben, festgestellt  worden  ist,  dass  auch  der  schwächste  gal- 
vanische Strom  Electrolyse  hervorbringt,  sofern  keine  electro- 
motorische  Eigenkraft  wirksam  ist.  Die  Polfelder  müssten  ferner 
gegen  diese  Stelle  hin  stetig  an  Intensität  der  Veränderung  ab- 
nehmen, so  dass  eine  schroffe  Grenze  des  Polfeldes  nicht 
existirte.  Statt  dessen  haben  wir,  zum  Beispiel  beim  Kupfer  einen 
blank  bleibenden  Aequator  erhalten,  der  ohne  Uebergang  durch 
eine  stark  veränderte  Schicht  begrenzt  ward. 

Dies  würde  sich  bei  Anwendung  des  ,,  Gleichstrom  es"  ohne 
weiteres  durch  den  von  Rom  und  Volterra  angenommenen  nega- 
tiven Pol arisations ström  erklären,  welcher  durch  die  Flüssigkeit 
über  den  Aequator  weg  circulirt,  und  diejenigen  Stromtheile ,  die 
nicht  stärker  sind  als  er  selber,  vernichtet. 

Auch  bei  Anwendung  des  ,, Wechselstromes"  lässt  sich 
dieselbe  Erklärung  anwenden;  denn  während  jeder  Phase  ist  er 
ein  Gleichstrom,  der  durch  die  bewirkten  beiderseitigen  polaren  Ver- 
änderungen einen  negativen  Polarisationsstrom  hervorruft,  der  nur 
eben  mit  dem  primären  Strom  seine  Richtung  wechselt,  aber  sich 
immer  von  ihm  subtrahirt. 

Wir  haben  aber  auch  Erscheimingen  kennen  gelernt,  welche 
auf  diese  Weise  nicht  sn  erldären  sind,  zum  Beispiel  die  beim 
Durchströmen  von  Blei  in  halbprocentiger  Kochsalzlösung  beobachtete 
Thatsache,  dass  das  negative  Polfeld  nicht  conti-   [178]   nuir- 


Neue  Methode  zur  diiecten  Eimitteluua;  des  Verlaufes  der  Stromfäden  etc.    707 


lieh  ist,  sondern  dass  ihm  eine  Linie  besonderer  Verände- 
rnng  vorausgeht,  welche  vom  Hauptpolfeld  längere  Zeit 
durch  eine  unveränderte  Zone  getrennt  ist,  so  dass  zwei 
blanke  Stellen  (zwei  Aequatoren?)  vorhanden  sind;  ferner  dass  ge- 
wöhnlich nur  das  kathodische  Polfeld  eine  schroffe  Grenze 
hat,  während  das  anodische  Polfeld  allmählich  gegen  den  Aequator 
ausläuft.  Desgleichen  die  Beobachtung,  dass  an  sehr  dünnen  quer- 
durchströmten Metallplatten  der  Aequator  bei  schwachem  Strom 
schmaler  wird  als  bei  starkem  Strom,  während  sich  an  in 
der  Stromrichtung  ausgedehnteren  Metallkörpern  dieses  Verhältniss 
umkehrt. 

Diese  Verhalten  weisen  darauf  hin,  dass  noch  andere  Momente, 
darunter  auch  formale  Verhältnisse,  eine  erhebliche  Rolle  mit 
spielen,  dass  also  die  Sachlage  eine  erheblich  complicirtere  ist. 
Hierauf  deuten  auch  die  bei  einer  zweiten,  in  anderer  Richtung  er- 
folgenden Durchströmung,  selbst  bei  Anwendung  des  Wechselstromes 
unverändert  bleibenden  Niveaulinien  der  ersten  Durch- 
strömung hin.  Andererseits  kann  im  Sinne  des  Polarisationsstromes 
das  Zurückweichen  des  zuerst  entstandenen  grossen  negativen  Pol- 
feldes beim  Auftreten  des  positiven  Polfeldes  gedeutet  werden.  Als 
Nichtfachmann.  und  um  mich  nicht  zu  sehr  in  ein  mir  ferner  stehendes 
Thema  zu  vertiefen,  nahm  ich  Abstand  davon,  die  Aufklärung  dieser 
Verhältnisse  zu  versuchen. 

Neue  Methode   zur   d  i  r  e  c  t  e  n   Ermittelung   des  Verlaufes 
der  Stromfäden  im  Elec trolyten. 

Ich  wünschte  aber  wenigstens  ein  eigenes  Urtheil  über  den 
Verlauf  der  Stromfäden  zu  gewinnen,  besonders  deshalb,  weil 
wir  vielfac4i  dieselben  Localisationen  der  polaren  Ver- 
änderungen wie  an  Metallen,  auch  an  organischen  Ge- 
bilden beobachtet  haben,  obschon  letztere  kaum  oder  nicht 
besser  leiten  als  der  Electrolyt.  In  Ermangelung  eines  geeigneten 
Galvanometers  konnte  ich  die  Niveauflächen  nicht  durch  Einsetzen 
der    Drahtenden    aufsuchen,    was    auch    bei    unseren   Verhältnissen 

äusserst  mühsam  gewesen  wäre. 

45* 


708      Nr.  25.  Morpliologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Ich  verwandte  daher  die  oben  mitgetheilte  Beobachtung,  dass 
der  Aeqiiator  von  intraelectrolytär  durchströmten  „Kugeln" 
die  Richtung  der  Niveauflächen  der  betreffenden  Stelle  des 
die  Kugel  umgebenden  Feldes  annimmt,  in  Folge  dessen  er  also 
eine  directe  Ableitung  der  Richtung  des  ,, rechtwinkelig" 
zu  ihm  erfolgenden  Verlaufes  des  mittleren  Stromfadens, 
auch  für  den  Fall  der  Abwesenheit  dieser  Kugeln  gestattet. 

Die  Methode  ist  nun  einfach  die,  dass  man  den  Intraelec- 
trolyten  z.  B.  einen  geraden,  in  der  Verbindungsrichtung  der  Elec- 
trode  liegenden  Bleistab  (s.  Taf .  X  Fig.  23)  mit  mehreren  Reihen 
von  [179]  2,5  mm  grossen  Messingkugeln  umstellt,  die  innerste 
Reihe  im  Abstand  etwa  eines  Radius  von  ihm.  Beim  Durchströmen  in 
einem  die  Reactionskugeln  durch  seine  Jonen  angreifenden 
Intraelectrolyten  z.  B.  in  halbprocentiger  Kochsalzlösung  mit  dem 
Wechselstrom  erhält  man  dann  durch  die  Curven,  w^ eiche  die  Niveau- 
Hnien  der  Polfelder  bilden,  rasch  ein  klares  Bild  über  den  Gang 
der  Stromfäden,  gegen  den  Intraelectrolyten,  indem  man 
allenthalben  dazu  rechtwinkelige  Linien  zieht  ^),  wie  es  zum  Beispiel 
in  Fig.  23,  Taf.  X  dargestellt  ist. 

Man  ersieht,  dass  gegen  die  beiden  Polenden  und  die  anliegen- 
den Theile  Stromfäden  weit  von  der  Seite  her  convergiren,  so  dass 
sie  an  den  Enden  sehr  dicht  stehen  müssen  und  an  den  Seiten  fast 
senkrecht  zur  Oberfläche  des  Intraelectrolyten  eintreten.  Gegen  die 
Mitte  des  Stabes  zu  nimmt  die  Dichtigkeit  der  Stromfäden  und  ihr 
Einfallswinkel  ab ;  und  neben  der  Mitte  selber  zeigt  die  daselbst  be- 
findliche Kugel  nach  lange  fortgesetzter  Durchströmung  an,  dass  die 
spärlichen  Stromfäden  hier  der  Oberfläche  parallel  verlaufen;  aber 
die  Contouren  der  Polfelder  bekunden,  dass  diese  Stromfäden  von 
aussen  her  gekommene,  gegen  den  Intraelectrolyten  eingebogene, 
aber  ihn  nicht  erreichende  sind,   und  auch  gleich  wieder   sich   nach 

[1)  Herr  Hofrath  V.  von  Ebner  überreichte  in  der  Sitzung  vom  17.  Dec.  1891 
die  vorstehende  Abhandlung  der  kaiserl.  Acad.  d.  Wiss.  zu  Wien  zum  Druck. 

In  derselben  Sitzung  wurde  laut  Sitzungsbericht  1891,  Nr.  27,  S.  255  durch 
Herrn  Prof.  E.  Mach  eine  Abhandlung  von  W.  Paschei.es  vorgelegt,  in  welcher  die- 
selbe neue  Met  h  ode  zur  Ermittelung  des  Verlaufes  der  Stromlinien 
angewandt  wird]. 


Neue  Methode  zur  directen  EriiJittelung  des  Verlaufes  der  Stromfäden  etc.     709 

aussen  abbiegen.  Beim  Blei  ist  der  Aequator  sehr  klein;  und  man 
kann  daher  hier  am  geraden  Stabe  nicht  erkennen,  ob  auf  ihn  selber 
Stromfäden  einfallen. 

Um  dies  beurtheilen  zu  können,  eignet  sich  besser  ein  Kupfer- 
draht, der  in  dem  gleichen  Electrolyten  durchströmt  wird.  Man 
sieht  daselbst  an  den  Kugeln,  welche  neben  dem  breiten  Aequator 
stehen,  der  sich  in  der  Mitte  verdunkelt  und  an  den  beiden  Seiten 
zu  frischer  Kupferfarbe  aufhellt,  dass  Stromfäden  auch  in  den 
breiten  hellen  T  h  e  i  1  einfallen  müssen.  Da  bei  diesem  Metall 
die  Polfelder  unmittelbar  neben  dem  Aequator  sogleich  stark  ver- 
ändert sind,  deutet  dies  schon  an,  dass  hier  ein  kräftigerer  Polari- 
sationsstrom zwischen  den  Polfeldern  bestehen  muss, 
als  bei  den  ganz  allmählich  gegen  den  Aequator  schwächer  werden- 
den ,  und  mit  kaum  deutlich  wahrnehmbarer  Grenze  endenden  Pol- 
feldern des  in  Kochsalzlösung  durchströmten  Bleies. 

Darauf  durchströmte  ich  unter  gleichen  Umständen  einen 
Stanniolstreifen  von  33  mm  Länge  (siehe  Taf.  X,  Fig.  24)  in 
Glaubersalzlösung,  welcher  Streifen  aber  in  der  Mitte  derart  gebogen  war, 
dass  er  einen  rechtwinkelig  zu  ihm  stehenden  Vorsprung  von  2,5  mm 
hatte.  Die  Kugeln  zu  beiden  Seiten  [180]  des  letzteren  bekamen 
erst  nach  sehr  langem  Durchströmen  Polfelder,  und  zwar  jede  deren 
drei,  ein  äusseres,  schräges  zuführendes,  ein  kleines  gegen  den  näch- 
sten Theil  des  Balkens,  und  ein  drittes,  gegen  den  Vorsprung  ge- 
wendetes, so  dass  diesem  letzteren,  sowie  dem  anstossenden,  zwischen 
aa  sich  erstreckenden  Aequator  sicher  Stromfäden  zugeführt  werden. 
Sie  werden  aber  entweder  zu  schwach  sein,  um  sichtbare  Wirkung 
hervorzubringen,  oder  sie  werden  ganz  durch  den  Polarisationsstrom 
in  ihrer  Wirkung  annullirt;  da  der  durch  Biegung  des  Stanniolstreifens 
gebildete  Vorsprung  doppelte  Wandung  besitzt,  zwischen  welcher  in 
der  Mitte  der  Electrolyt  eingedrungen  ist,  muss  der  Polarisationsstrom 
auch  den  ganzen  Vorsprung  durchsetzen. 

Schliesslich  prüfte  ich  noch  einen  rechten  Winkel  aus  Blei, 
dessen  einer  Schenkel  in  Niveauflächenrichtung  steht,  um 
zu  sehen ,  wie  sich  die  Stromfäden  zu  derjenigen  Fläche  desselben 
verhalten,  welche   gegen  den  längs  des   Stromes   gestellten  Schenkel 


710      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

gewendet  ist,  und  welche,  wie  oben  mitgetheilt,  bei  der  Durchströmnng 
unverändert  bleiben  kann,  sofern  der  Querschenkel  nicht  zu  hoch  im 
Verhältniss  zu  dem  anderen  Schenkel  und  den  sonstigen  Verhältnissen 
ist.  Hier,  in  Tai.  X,  Fig.  25,  entstand,  aber  erst  nach  langem  Durch- 
strömen, ein  ganz  schwaches  centrales  Polfeld. 

Die  Figur  zeigt  durch  die  schmalen  schwachen  Polfelder  der 
Kugel,  dass  gegen  diese  Fläche  hin  einige  wenige  Stromfäden  diver- 
girend  ausstrahlen;  ferner  ist  aus  den  grossen  dunklen  Polfeldern 
der  oberen  Kugeln  zu  erkennen,  dass  ein  dichter  Zug  von  Stromfäden 
an  der  freien  Kante  des  Querschenkels  vorbei  nach  aussen  abbiegt. 
Es  ist  interessant,  aus  welcher  Ursache  dies  geschieht.  Die  recht- 
winkelig anstossende  schmale  Seitenfläche  ist  stark  verändert  von  der 
jenseitigen  (linken)  Electrode  aus;  und  wir  haben  früher  gesehen, 
dass  diese  Veränderung  sogar  noch  über  die  Seitenkante  weg  ein 
wenig  auf  die  rechte  Hauptfläche  übergreifen  kann.  Warum  aber 
bleibt  diese  grosse  Fläche  im  Uebrigen  fast  frei,  unter  Abbiegung 
eines  von  der  anderen  Electrode  her  auf  sie  gerichteten  dichten 
Stromes?  Es  scheint  mir  deshalb,  weil  die  links  eintretenden  Fäden 
nach  dem  Ohm 'sehen  Gesetz  grösstentheils  durch  den  metallischen 
[181]  Längsschenkel  fortgeleitet  werden,  so  dass  nur  ein  kleiner  Theil 
den  Weg  durch  die  Flüssigkeit  nimmt;  und  der  Polarisationsstrom, 
der  über  die  Oeffnung  des  Winkels  zwischen  beiden  Polfeldern  ver- 
läuft, vernichtet  sie  wohl  grösstentheils.  Man  könnte  nun  fragen: 
Warum  dringen  aber  nicht  die  von  der  rechten  Electrode  ausgehen- 
den dichten ,  gegen  diese  Fläche  gerichteten  Stromfäden  in  sie  ein, 
sondern  biegen  plötzlich  seitwärts  ab?  Wenn  sie  einen  anderen  Weg, 
als  die  von  der  anderen  Electrode  ausgehenden  Stromfäden  nehmen 
könnten ,  würden  sie  dies  wohl  thun ;  da  es  nicht  geschieht ,  scheint 
sich  hier  die  Nothwendigkeit  der  Identität  der  Wege  beider  electrischer 
Ströme  auszusprechen,  sofern  die  dualistische  Electricitätstheorie  die 
richtigeist;  für  die  unitarische  Theorie  besteht  diese  Eventualität  erst 
gar  nicht. 

Nach  diesen  Beobachtungen  des  Verlaufes  der  Stromfäden 
im  Wechselstrom  konnte  es  überflüssig  scheinen,  denselben  Ver- 
such noch    mit  dem  ^^Gleichstrom"-    zu  wiederholen,   denn  es  war 


Neue  Methode  zur  directen  Ermittelung  des  Verlaufes  der  Stromfäden  etc.     711 

vorauszusehen,  dass  der  Verlauf  derselben  ganz  der  gleiche  sei.  In- 
dess  gewohnt,  auch  scheinbar  selbstverständhchen  Ableitungen  nicht 
eher  zu  trauen,  als  bis  sie  sich  bewahrheitet  haben,  stellte  ich  einen 
Probeversuch  an,  und  erhielt  ein  überraschend  abweichendes 
Resultat,  welches  in  Taf.  X,  Fig.  26  dargestellt  ist. 

Yon  fünf,  neben  der  in  der  Verbindungsrichtung  der  Electrode 
stehenden  Längskanten  der  Bleiplatte  in  annähernd  gleichen  Ab- 
ständen aufgestellten  Messingkugeln  bildete  beim  Durchströmen  in 
8  ''/oiger,  mit  etwas  verdünnter  Schwefelsäure  versetzter  Kochsalzlösung 
die  links  an  der  Ecke  des  negativen  Poles  aufgestellte  Kugel  ein 
negatives,  braunes  Polfeld  von  einer  Richtung  seiner  Grenze,  welche 
bekundet,  dass  die  Stromfäden  gegen  die  Bleiplatte  nur  sehr  wenig 
convergiren;  das  Polfeld  der  zweiten  Kugel  stand  auch,  aber  noch 
weniger  in  dieser  Weise,  schief ;  die  dritte  entwickelte  ein  kathodisches 
Polfeld  von  geringer  Grösse  mit  rechtwinkelig  zur  Kante  der  Blei- 
platte stehendem  Grenzcontour ;  so  dass  also  die  Stromfäden  hier 
parallel  der  Seitenkante  der  Bleiplatte  verlaufen.  Die  vierte  Kugel, 
welche  schon  neben  dem  positiven  Polfelde  liegt,  hat  nicht  deutlich 
reagirt;  die  fünfte,  neben  dem  Anfang  des  positiven  Polfeldes  liegende^ 
[182]  hat  ein  deutliches  negatives  Polfeld,  welches  andeutet,  dass  die 
Stromfäden  hier  stark  von  dei-  Seite  her  gegen  den  Stab  convergiren. 
Die  seitlich  befindliche,  zweite  parallele  Reihe  von  Kugeln,  zeigt  an, 
dass  der  Strom  durch  alle  Kugeln  unabgelenkt  in  der  Verbindungs- 
richtung der  Electroden  verläuft. 

Das  Resultat  ist  also  ein  wesentlich  anderes  als  das 
mit  dem  Wechselstrom  gewonnene.  Die  Stromfäden  des  Gleich- 
stromes convergiren  nur  äusserst  wenig  gegen  den  kathodischen  Theil 
des  Bleistückes,  obgleich  das  negative  Polfeld  weit  über  die  Hälfte  der 
ganzen  Platte  einnimmt  und  früher  entsteht,  als  das  kleine  positive 
Polfeld.  Das  Fehlen  der  Veränderung  an  den  Kugeln  neben  dem 
Aequator  und  in  der  Nahe  desselben  kann  auf  den  durch  die  Flüssigkeit 
geschlossenen  Gegenstrom  zurückgeführt  werden. 

Den  abweichenden  Verlauf  der  Stromfäden  von  denjenigen  beim 
Wechselstrom  vermuthete  ich  dadurch  bedingt,  dass  das  kathodische 
Polfeld  sehr  schlecht  leitet,  was  sich  um  so  mehr  geltend  machen 


712      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

musste,  als  die  Messingkugeln  im  Gleiclistrom  nur  schwach  reagirten. 
Dadurch  wurde  lange  fortgesetztes  Durchströmen  nöthig,  um  deutlich 
abgegrenzte  Polfelder  hervorzubringen,  während  dessen  auch  der  Pol- 
feldbelag des  Bleistückes  ein  ziemlich  dicker  wurde.  Unsere  jetzige 
Beobachtung  stellt  also  nicht  den  Verlauf  der  Stromfäden  gegen  das 
Metall  an  sich,  sondern  zugleich  das  Verhalten  gegen  die  stark  ver- 
änderten Polfelder  fest. 

Um  die  Wirkung  der  kathodischen  \^eränderungen  auf  den 
Stromeintritt  vielleicht  abschwächend  zu  variiren,  bog  ich  aus  einem 
Platin  blech  ein  Kästchen  zusammen,  und  legte  es  statt  der  Blei- 
platte in  den  Strom.  Jetzt  zeigten  che  Messingkugeln,  welche  neben 
die,  wieder  in  Richtung  der  Verbindungslinie  der  Electroden  gelegene, 
Seitenkante  aufgesetzt  worden  waren,  durch  die  Richtung  ihres  katho- 
dischen Polfeldes  einen  etwas  stärkeren  S  t  r  o  m  f  ä  d  e  n  e  i  n  t  r  i  1 1 
von  der  Seite  her  an,  aber  nur  nahe  an  den  Polkanten  und  immer 
noch  mit  viel  g  e  r  i  n  g  e  r  e  r  C  o  n  v  e  r  g  e  n  z  von  d  e  n  S  e  i  t  e  n  her 
gegen  das  Metall  als  bei  dem  zum  Vergleiche  hinterher  vorgenom- 
menen Durchleiten  des  (allerdings  mindestens  dreimal  stärkeren) 
Wechselstromes.  Zwischen  den  längs  der  Mitte  aufgestellten 
Kugeln  läuft  [183]  der  Gleichstrom  wieder  parallel  der  Seitenkante 
des  Intraelectrolyten  und  erfährt  selbst  neben  dem  Aequator  des  Platins 
keine  so   erhebliche  Abschwächung    wie    beim   Blei    im   Gleichstrom. 

Dagegen  boten  beim  Durchströmen  eines  Messing balkens  in 
Kochsalzlösung  mit  dem  Gleichstrom  die  längs  der  Kante  aufge- 
stellten jNIessingkugeln  eine  Neigung  ihrer  Aequatoren  gegen  den 
Balken  dar,  welche  auf  einen  ebenso  ausgedehnten  „seitlichen" 
Eintritt  von  Stromfäden  hinweist,  wie  wir  ihn  gegen  einen 
Kupferdraht  im  Wechselstrom  gesehen  haben. 

Da  die  Leitungsdifferenz  zwischen  Electrolj^t  und  Intraelectrolyt 
auf  den  Verlauf  der  Stromfäden  im  ersteren  von  grossem  Ein- 
fluss  ist,  und  da  die  organischen  Kör}) er  millionenmal  schlechter 
leiten  als  Metalle,  so  wollte  ich  den  Verlauf  der  Stromfäden  in  der 
Nähe  letzterer  direct  feststellen.  In  Ermangelung  embryonalen  Ma- 
teriales  von  geeigneter  Grösse  konnte  ich  zur  Zeit  nur  Organe  des 
Erwachsenen  verwenden. 


Neue  Methode  zur  directen  Ermittelung  des  Verlaufes  der  Stromfäden  etc.    713 


Ich  umstellte  daher  ein  in  Wasserleitungswasser  liegendes 
Frosch  herz  seitlich  zur  Stromrichtung  mit  kleinen  Messingkugeln, 
Taf.  X  Fig.  27,  und  durchströmte  mit  dem  Wechselstrom.  Die  zwischen 
den  entstehenden  Polfeklern  jeder  Kugel  verbleibenden  Aequatoren 
boten  einige  Besonderheiten  dar,  aber  im  Ganzen  neigten  sie  sich 
gegen  das  Herz  hin;  ein  Beweis,  dass  von  der  ,, Seite"  her  Strom- 
fäden  in  das  Herz  eindringen. 

Wurde  der  Versuch  dagegen  in  halbprocentiger  Koch- 
salzlösung angestellt,  so  divergirten  die  Aequatorränder  gegen 
das  Herz  hin,  was  bekundet,  dass  die  Stromfäden  dem 
Herzen  ausweichen,  dass  also  das  Menstruum  besser  leitet  als  das 
Herz;  und  an  den  neben  einem  Herzen,  welches  in  fünf-  oder  zehn- 
procentiger  Kochsalzlösung  durchströmt  wurde,  liegenden 
Messiugkugeln  bog  sich  der  Aequator  (Taf.  X  Fig.  28)  in  einer  Weise 
ab,  welche  noch  viel  stärker  zeigt,  wie  die  Stromfäden  dem 
Herzen  ausweichen. 

Die  neben  einer  Gallenblase  des  Frosches  in  den  gleichen 
Medien  liegenden  Messingkugeln  zeigten  dasselbe  Verhalten  als  beim 
Herzen  (siehe  Fig.  29  und  30). 

Da  beide  Gehilde,  Herz-  und  GaUenhIase ,  nuch  in  dem 
viel  hesser  leitenden  Medium^  wie  wir  oben  erfahren  [184]  haben, 
beim  Durchströmen  polarisirt,  statt  äqnatorisirt  wurden,  so  he- 
iveist  dies  ivohl,  dass  die  „(jestaltliche"  Disposition  ein  erheb- 
lich schlechteres  Leitnngsvermögen  bei  diesem  Vorgang  zn 
über compensiren  vermag;  demnach  ist  es  auch  nichts  Besonderes 
mehr,  dass  die  Froscheier  selbst  in  verdünnter  Schwefelsäure 
veränderte  „Polfelder"  statt  eines  veränderten  Aequators 
gebildet  haben,  wie  wir  ihn  indess  an  der  mit  Messingspänen  be- 
streuten nichtleitenden  Wachskugel  sehr  ausgeprägt  und  an  der  Mehl- 
teigkugel, bei  welcher  also  wohl  die  Leitungsdifferenz  auch  noch 
grösser  war,  angedeutet  erhalten  haben. 

Als  dann  die  Herbstfrösche  ihre  Eier  für  das  nächste  Frühjahr 
gebildet  hatten,  prüfte  ich  das  Lei tungs vermögen  der  unreifen  Eier 
auf  die  gleiche  Weise,  indem  unmittelbar  neben  ein  längliches  Stückchen 
Eierstock    die    Messingkugeln    aufgestellt    wurden.      Bestand    das 


714      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Menstrumn  in  Wasserleitungswasser,  so  war  eine  deutliche 
Convergenz  seitlicher  Stromfäden  gegen  den  Intraelectrolyten 
aus  der  schiefen  Stellung  der  Kugeläquatoren  zu  erschliessen ;  diente 
dagegen  0,2procentige  Kochsalzlösung  als  Electrolyt,  so  gingen 
die  seitlichen  Stromfcäden  parallel  unabgelenkt  am  Eierstock 
vorbei.  Dies  ist  von  Bedeutung,  da  wir  in  diesem  Menstruum 
die  starke  Schattenwirkung  der  Eierstockgruppen  auf  ein- 
ander bei  Anwendung  des  Gleichstromes  erhalten  hatten. 
Damit  fällt  die  Möglichheit  hin,  dass  diese  Schattenwirliung 
auf  Aspiration  und  Vorwegnahme  der  Stromfäden  durch  die 
den  Electroden  näheren  Eier  bedingt  geivesen  sei,  worüber  so- 
gleich des  Weiteren  erörtert  Averdcn  soll. 


lieber  die  Abnahme  der  intraelectrolytären  Wirkung  des 
,, galvanischen"  Stromes  mit  der  Zunahme  des  Abstandes  von 
den   Electroden    trotz    gleich    bleibendem    Querschnitt    der 

Strombahn. 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  wollte  ich  noch  die  bei  Hühner- 
embryonen und  Froscheiern  im  Gleichstrom  beobachtete,  höchst 
auffällige  Abnahme  der  Wirkung  im  electrischen  Felde  mit  dem  Ab- 
stände von  den  Electroden  bei  gleich  bleibendem  Querschnitt  der 
Strombahn  auch  am  Metall  prüfen. 

Ich  legte  daher  in  eine  oblonge,  der  Länge  nach  zu  durch- 
strömende Schale  in  Stromrichtung  sechs  Messingkugeln  von  7  mm 
Durchmesser  im  Abstände  von  0,6—0,8  mm  von  einander.  Beim 
Durchströmen  ergab  sich  ein  dem  der  Hühnerembryonen  zum  Theil 
entsprechendes  Resultat.  Sowohl  die  anodischen  als  die  kathodischen 
Wirkungen  nahmen  ab.  [185]  Von  der  Anode  ausgerechnet  geschah  dies 
von  der  ersten  bis  vierten  oder  fünften  Kugel,  um  an  der  letzten  Kugel 
also  neben  der  Kathode  eine  plötzliche  Verstärkung  zu  erfahren.  Die 
Flächenausdehnung  der  kathodischen,  oxydirten  Polfelder  entsprach 
diesem  Verhalten  nicht  ganz,  denn  die  mittleren,  weniger  veränderten, 
allerdings  auch  weniger  deutlich  begrenzten  Polfelder   schienen    eher 


Abnahme  der  intraeletrolytären  Wirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc.       715 

etwas  ausgedehnter  als  das  erste ;  dagegen  war  das  Polfeld  der  letzten 
Kugel  trotz  seiner  intensiven  Veränderung  sehr  klein.  Bei  den  ano- 
dischen, Bläs'chen  bildenden  Polfeldern  nahm,  entsprechend  der  Inten- 
sität, also  der  in  der  Zeiteinheit  von  ihm  aufsteigenden,  Bläschen  auch 
die  Ausdehnung  des  ganzen  Feldes  von  der  ersten  bis  vierten  oder 
fünften  Kugel  ab;  die  letzte,  der  Kathode  nächste  Kugel  dagegen 
hatte  wieder  ein  Bläschenfeld  von  fast  der  Grösse  des  ersten,  welches 
aber  deutlich  weniger  Bläschen  aufsteigen  Hess  als  jenes. 

Bei  der  Beurtheilung;  dieses  Versuches  sind  verschiedene  Mo- 
mente  zu  berücksichtigen.  Die  Kugeln  standen  in  Stromrichtung 
hintereinander,  so  dass  sie  sich  beschatten  konnten ;  ferner  waren  sie 
derart  einander  genähert,  dass  die  Verbindungslinie  der  Kugeln  erheb- 
lich besser  leiten  musste,  als  die  rein  durch  den  Electrolyten  gehen- 
den Bahnen  neben  ihnen.  Ausserdem  waren  die  beiden  Endkugeln 
der  langen  Reihe  blos  noch  um  Kugelbreite  von  den  Electroden  ent- 
fernt und  konnten  daher  von  den  daselbst  abgeschiedenen  Jonen 
direct  chemisch  oder  durch  den  zwischen  der  Electrode  und  dem  zuge- 
wendeten Polfeld  der  nächsten  Kugel  entstehenden  Polarisationsstrom 
erheblich  beeinfiusst  werden.  Schliesslich  war  auch  die  blos  25  mm 
breite  Strombahn  im  Verhältniss  zu  der  60  mm  langen  Kugelreihe 
sehr  klein.  Daher  ordnete  ich  den  Versuch  einfacher  an,  unter  Ver- 
wendung von  blos  drei  Kugeln. 

Wurden  die  drei  Kugeln  in  der  Mittellinie  derselben  Glasschale 
im  Abstand  von  über  zwei  Kugeldurchmessern  aufgestellt,  so  trat  aus 
zahlreichen  Versuchen  hervor,  dass  das  anodische,  mit  Bläschen 
bedeckte  Polfeld  der  Kugeln  von  der  Anode  aus  etwas  an 
Grösse  abnimmt,  besonders  aber,  dass  die  Zahl  der  auf- 
steigenden Bläschen  in  dieser  Richtung  abnimmt,  so  dass 
an  einer  Abnahme  der  Stromwirkung  mit  dem  Abstände 
von  der  [186]  Anode  trotz  des  allenthalben  gleich  grossen 
Querschnittes  der  Strombahn  bei  dieser  Versuchsanordnung 
und  Dauer  nicht  zu  zweifeln  ist,  wenn  auch  der  Unterschied  bei 
weitem  nicht  so  stark  hervortritt,  als  er  bei  den  Hülmerembryonen  und 
Froscheiern  sich  zeigte. 


716      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Glebilde  etc. 

Die  Stromstärke  musste  bei  dieser  Anordnung,  um  die  Zalil  der 
aufsteigenden  Bläschen  gut  vergleichen  zu  können,  so  gering  genommen 
werden,  dass  das  kathodische  Polfeld  nur  aus  einem  schwachen,  noch 
wenig  scharf  begrenzten  Beschlag  bestand,  weshalb  die  Grössen  des- 
selben an  den  drei  Kugeln  nicht  genau  bestimmt  werden  konnten, 
um  einen  sicheren  Vergleich  zu  gestatten. 

Ueberhaupt  sind  die  einzelnen,  sich  oft  widersprechenden  Er- 
gebnisse dieser  scheinbar  einfachen  Versuche  in  Folge  des  ungleichen 
specifischen  Verhaltens  auch  der  in  gleicher  Weise  frisch  geputzten 
Messingkugeln  nicht  ohne  besondere  Vorsichtsmaassregeln  zu  deuten. 
Ich  habe  daher  obiges  Resultat  erst  als  gesichert  betrachtet,  nachdem 
ich  jede  der  drei  Kugeln  nach  einander  an  alle  drei  Plätze  situirt 
und  ihr  Verhalten  untereinander,  wie  mit  dem  Verhalten  der  anderen 
Kugeln  am  selben  Orte  verglichen  und  diese  Versuchsweise  an  zwei 
Mal  drei  weiteren  Kugeln  mit  anscheinend  demselben  Erfolg  wieder- 
holt hatte. 

dm  die  Wirkung  der  an  den  Electroden  abgeschiedenen  Jonen 
möglichst  abzuschwächen,  wurde  zu  jedem  Versuche  frische  Lösung 
genommen;  und  um  ihre  Ausbreitung  durch  Massenbewegung  zu 
vermindern,  wurde  jede  Electrode  mit  einer  dreifachen  Hülle  von 
Filtrirpapier  umgeben.  Nützlich  ist  es,  der  Lösung  einige  Tropfen 
Schwefelsäure  zuzusetzen  (wonach  die  Flüssigkeit  klar  bleibt),  und 
während  des  V^ersuches  abwechselnd  die  Flüssigkeit  in  der  Nähe  der 
einen  Electrode  aufzusaugen  und  neben  der  anderen  Electrode  wieder 
zuzusetzen. 

Drei  Bleikugeln  schienen  bei  gleicher  Anordnung,  aber  weniger 
deutlich,  dasselbe  Resultat  zu  ergeben. 

Stehen  die  drei  Messingkugeln  in  der  Stromrichtung  einander 
auf  0,6  mm  genähert,  so  bildete  die  der  Anode  nächste  Kugel  mehr 
Blasen  als  die  der  Kathode  nähere ;  am  wenigsten,  respective  gar 
keine  jedoch  die  mittlere  Kugel. 

[187]  Von  besonderer  Wichtigkeit  war  es  nun,  zu  erfahren,  ob 
auch  bei  derartig  schräger  Anordnung  der  drei  in  grossem  Abstände 
hintereinander  liegenden  Kugeln,  dass  sie  sich  möglichst  wenig  be- 
schatten können,  diese  bei  reiner  Hintereinanderlagerung  beobachtete 


Abnahme  der  intraelectrolytären  AVirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc.      717 


Abnahme  der  anodischen  PoHeldbilduiig-  mit  der  Entfernung  von  der 
Anode  noch  bestehen  bleibt  oder  aufhört. 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  eine  der  drei  Kugchi  in  die  Mitte 
der  oblongen  Strombahn,  eine  andere  nahe  der  Anode  und  der  einen 
seithchen  Glaswand,  die  dritte  nalie  der  Kathode  und  der  anderen 
seitlichen  AVand  aufgesetzt.  Nach  mehrfachen  anfangs  gleichfalls  sich 
Avidersj^rechenden  A^ersuchen  bin  ich  durch  die  Umstellungsmethode 
zu  dem  Resultate  gekommen,  dass  auch  hierbei  die  Abnahme  der 
anodischen  Wirkung  mit  zunehmender  Entfernung  von  der  Anode 
stattfindet,  so  dass  also  eine  Schattenwirkung  nicht  wesentlich  be- 
tlieiligt  ist. 

Diese  Abnahme  der  anodischen  polarisirenden  Wirkung- 
des  continuirlich  fliessenden  „Gleichstromes"  in  einem  electro- 
lytischen  Feld  von  allenthalben  [fast]  gleichem  Querschnitt  auf  mehrere 
Intraelectrolyten  mit  dem  Abstände  derselben  von  der  Anode 
muss  demnach  ihre  Ursache  in  einer  durch  den  Gleichstrom  bewirkten 
ungleichen  Beschaffenheit  in  der  Dichte  und  Zusammen- 
setzung der  electrolytischen  Strombahn  selber  haben. 

Dieses  eigenthümliche  Verhalten,  sowie  der  beobachtete,  von 
dem  des  Wechselstromes  abweichende  Verlauf  der  Stromlinien  des 
Gleichstromes  gegen  manche  Intraelectrolyten  veranlassten  mich,  zu 
prüfen,  ob  nicht  vielleicht  die  Stromlinien  im  homogenen  electri- 
schen  Felde  beim  Gleichstrom  sich  ceteris  paribus  anders  vertheilen, 
als  beim  Wechselstrom.  Es  wurden  daher  in  eine  runde  Schale, 
ringsum  nahe  dem  Rande  sowie  inmitten,  kleine  Messingkugeln  ver- 
theilt  und  von  zwei  entgegengesetzten  Puncten  des  Randes  aus  die 
stark  mit  Schwefelsäure  versetzte  Glaubersalzlösung  mit  Hülfe  von 
Nadelelectroden  durchströmt.  Es  zeigte  sich  aber  kein  deutlicher 
Unterschied  iii  den  durch  die  Aequatorränder  der  Kugeln  mar- 
kirten  Curven  von  denen  beim  Wechselstrom. 

Diese  Abnahme  der  Stromwirkung  innerhalb  der  Strombahn 
Ijei  gleichbleibendem  Querschnitt  derselben  widerspricht  anscheinend 
dem  FECHNER'schen  Gesetz,  dass  in  allen  Querschnitten  einer  Strom- 
bahn die  Stromstärke  gleich  gross  ist. 

[1881   Um   der   Ursache    dieses   Verhaltens    näher  zu   konnnen. 


718      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

wollte  ich  mich  zunächst  durch  Messung  von  dem  Verlauf  des  Poten- 
tialgefälles in  der  ganzen  electrolj^tischen  Bahn  unterrichten. 
Zu  diesem  Zwecke  wurden  an  das  erwähnte  Horizontal-Galvanometer 
zwei  Electroden  von  Platindraht  angeschlossen.  Die  Enden  dieser 
wurden  in  gleicher  Länge  rechtwinkelig  abgeknickt  und  im  Abstand 
von  10  mm  durch  eine  Korkplatte  gesteckt;  um  den  Parallelismus 
und  damit  den  bei  allen  Messungen  constanten  Abstand  dieser  Enden 
möglichst  zu  sichern,  wurde  ausserdem  noch  zwischen  die  Handhaben 
beider  Electroden  eine  Korkplatte  von  geeigneter  Dicke  gelegt  und  die 
Electroden  durch  Zusammenbinden  nochmals  gegen  einander  befestigt. 
Diese  beiden  Enden  des  Nebenkreises  wurden  stets  in  Richtung  der 
mittleren  ^''erbindungslinien  der  Electroden  des  Hauptstromes  eingesetzt 
und  zwar  der  Gleichmässigkeit  wegen  bis  auf  den  Boden  der  oblongen 
Glasschale,  bei  geringem,  blos  2  mm  hohem  Flüssigkeitsstande. 

Bei  Anwendung  der  breiten,  platten  Platinelectroden  für  den 
Hauptstrom,  welche  auch  bei  den  Versuchen  an  Embryonen  gedient 
hatten,  sowie  der  Platinnadelelectroden  für  den  Messkreis,  ergaben 
sich  nun  folgende  Verhältnisse,  welche  constant  hervortraten,  sofern 
die  V^orsicht  angewendet  wurde,  die  Messelectroden  nach  jeder  An- 
wendung in  einer  Schale  mit  '/^"/oiger  Kochsalzlösung  durch  Ein- 
tauchen abzuspülen.  Halbprocentige  Kochsalzlösung  bildete  auch  den 
Electrolyten. 

Mit  dem  schwachen  Gleichstrom  von  6  Bunsen  (mit  schon 
gebrauchter  Säure)  zeigte  sich  bei  momentaner,  blos  so  lang  dauernder 
Durchströmung,  bis  die  Magnetnadel  das  Maximum  ihrer  ersten 
Schwingung  erreicht  hatte,  der  Ausschlag  an  allen  Stellen  des  Electro- 
lyten (von  den  Orten  der  unmittelbaren  Nähe  der  Electroden  abge- 
sehen) fast  ganz  gleich  gross,  entsprechend  dem  anfänglichen  Ver- 
halten unter  gleichen  Umständen  durch strömter,  empfindlicher  Frosch- 
eier; jedenfalls  waren  die  Differenzen  so  gering,  dass  ihre  eventuelle 
Gesetzmässigkeit  nicht  festgestellt  werden  konnte.  Nach  auch  nur 
wenige,  etwa  10  Secunden  dauernder,  continuirlicher  Durchströmung 
dagegen  stieg  der  Ausschlag  beim  Einsetzen  neben  der  Anode  erlieb- 
hch  höher  und  fiel  von  da  allmählich  gegen  die  [189]  Kathode  ab, 
neben  welcher  annähernd  der  ursprüngliche  Werth  bestehen  bheb. 


Abnahme  der  intraelectrolytären  Wirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc.       719 

Bei  "\"er\vendm]g  von  10  Bunsen-Elementen  fand  diese  Steigerung 
so  rasch  statt,  dass  eine  ursprüngliche   Gleichheit  im  ganzen  Electro- 
lyten   nicht    mehr  feststellbar  war;  die  Wirkung  war   schon  bei  der 
ersten    Durchströmung  während    der  Bildung    des  ersten    Nadelaus- 
schlages nach   der  Anode   vier  Mal   so  gross  als  neben  der  Kathode 
und  fiel  von  der  Anode  stetig  ab.     Ein  Umrühren  des  Electro- 
lyten  nach    jeder   Messung  hatte  bei   diesem   starken    Strom   keinen 
sicher  erkennbaren   ausgleichenden  Effect.     Eine  Zeit  lang  stieg 
diese  Erhöhung   der  Wirkung.     Später   aber  trat  allmählich 
neben  der  Anode  ein  deutlicher  Abfall  ein,  und  es  entstand  eine  starke 
Steigerung  der  Wirkung  zwischen  der  Anode  und  derMitte  des 
Gefässes,  welche  weiterhin  bis  fast  an  die  Mitte  f  ortschritt  und  die  drei- 
fache Höhe  des  Ausschlages  neben  der  Anode  erreichte.  Von  diesem  Gipfel 
fand  nach  beiden  Seiten  hin  zunächst  ein  rascher,  weiterhin  ein  allmäh- 
licher Abfall  statt.   Bei  langfortgesetzter  continuirlicher  Durchströmung 
konnte  der  Abfall  an  der  Anode  bis  unter  den,  von  vorn  herein  fast 
stabilen  Werth  neben  der  Kathode  sinken  und  die  erwähnte  Erhöhung  in 
der  ]\Iitte  sich  vergrössern,  so  dass  sie  das  Achtfache  des  Werthes  an  der 
Anode  erreichte.  Durch  Umrühren  des  Electrolyten  wurde  diese  ganze 
Steigerung,  sowie  der  Abfall  an  der  Anode  zürn  Verschwinden  gebracht. 
Zusatz  von  neutraler  Lacmustinctur  nebst  einigen  Tropfen  Phe- 
nolphthallein  liess  erkennen,  dass   die   zuerst  entstehende  Steigerung 
in  keiner  Beziehung  zu  den  freien  an  den  Electroden  ausgeschiedenen 
Jonen  stand ;  dass  aber  die  secundäre  Steigerung  in  der  Nähe  der  Mitte 
dadurch  bedingt  war.    Diese  Steigerung  tritt  auf,  wenn  in  grösserer 
Umgebung  der  Anode  die  Lacmustinctur  entfärbt  war;  sie  erreichte 
ihr  ]Maximum,  sobald  diese  Schicht  der  Anionen  sich  mit  der 
rothen  Schicht  der  Cationen  berührte.  Nach  der  Unterbrechung 
des  primären  Stromes  zeigte  das  Galvanometer  bei  Messung  an  der 
Stelle  des  vorherigen  Maximums  einen  nicht  unerheblichen  Ausschlag 
in   der   Richtung   des    primären   Stromes   von    1    Milliampere   (gegen 
60,0  Milliampere  vorher  beim  Durchströmen) ;  an  den  Electroden  da- 
gegen   entstand    ein    entgegengesetzt   gerichteter   Aus-    [190]    schlag, 
und    zwar    an    der  Anode   von   — 0,3 ,   vor   der   Kathode    von  — 0,5 
Milliampere. 


720      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

War  die  Anode  nicht  von  Platin,  sondern  von  Kupfer,  so  blieb 
mit  der  Entfärbung  der  Lacmustinctur  auch  diese  secundäre  Steige- 
rung aus.  War  die  Platinkathode  erheblich  schmaler  als  die  Platin- 
anode ,  so  trat  von  vornherein ,  auch  bei  blos  momentaner  Durch- 
strömung, zwischen  Anode  und  der  Mitte  des  Feldes  eine  stärkere 
Erhöhung  der  Wirkung  ein,  als  an  der  Anode  selber;  diese  auffällige 
Erhöhung  kann  gleichfalls  nicht  durch  die  freien  .Jonen  bedingt  sein. 

Die  Werthe  ferner,  die  man,  sei  es  bei^  kurzer  oder  nach  langer 
Durchströmung,  erhält,  wenn  man  eine  der  Messelectroden  in  mög- 
lichst grosse  Nähe  einer  Electrode  des  primären  Stromes,  jedoch  ohne 
sie  zu  berühren,  setzt,  sind  vielmal  grösser  als  die  im  Binnenraum 
des  freien  Feldes  erhaltenen  Werthe  und  fallen  bei  geringerer  Ver- 
grösserung  des  Abstandes  rasch  ab.  Sie  sind  ausserdem  natürlich 
auch  noch  von  der  Gestalt,  respective  Grösse  dieser  Electroden  ab- 
hängig ;  so  neben  einer  dünnen  Nadelelectrode  mehrmals  grösser  als 
neben  einer  breiten  Blattelectrode.  In  obigen  Angaben  bedeutet ,, neben" 
der  Anode  oder  Kathode  daher  stets  einen  solchen  Abstand  der  nahen 
Messelectrode  von  mindestens  2  mm. 

Die  Messungen  wurden  bisher  unter  Verwendung  von  Platin- 
electroden,  also  von  polarisirbarem  Material,  angestellt,  und  dabei 
ein  der  Wirkung  des  continuirliehen  Gleichstromes  auf  die  gleich- 
falls polarisirbaren  Eier  und  Embryonen  entsprechendes  Verhalten 
wahrgenommen. 

Für  die  Beurtheilung  der  Bedeutung  der  auffälligen  Erscheinung 
war  es  nöthig,  zu  wissen,  ob  sich  diese  Ungleichheiten  der  Wirkung 
auch  an  unpolari sirbaren  Electroden  bemerkbar  machen 
würden.  Da  jedoch  in  Innsbruck  kein  Zinkdraht  zu  erhalten  war, 
musste  ich  Streifen  Zinkblechs  vom  Klempner  verwenden ,  die  nicht 
aus  reinem  Zink  bestanden  und  daher  wohl  auch  noch  etwas 
polarisirt  wurden.  Auch  mag  die  Anfertigung  der  Electroden  meiner- 
seits selber  mangelhaft  gewesen  sein. 

Bei  Anwendung  dieser  Electroden  als  Electroden  des  Messkreises 
blieb  die  im  ersten  Stadium  beobachtete  typische  Uu- 
[191]  gleichheit  der  AVirkung,  der  Abfall  von  der  Anode, 
aus;  diejenige  des  zweiten  Stadiums,  also  die  Erhöhung  an  der  Be- 


Abnahme  der  intraelectrolytären  Wirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc.      721 


rührungstcllc  der  Aiiioiien  luid  Cationen,  war  auf  ein  A'^iertel  ihrer 
vorherigen  Grösse  reducirt.  Es  ist  also  vielleicht  7A\  vermuthen,  dass 
sie  ganz  verschwunden  sein  wiu-de,  wenn  die  Electroden  vollkommen 
unpolarisirbar  gewesen  wären. 

Die  Versuche  wurden  durch  den  etwas  gewölbten  Boden 
und  die  ungleiche  Breite  der  Lichtung  aller  meiner  ob- 
longen G 1  a  s  s  c  h  a  1  e  n ,  sowie  durch  den  trotz  obiger  Cautelen  nicht 
vollkommen  unveränderlichen  Abstand  der  Messelec- 
t roden  erschwert;  doch  suchte  ich,  durch  Variationen  über  die  da- 
durch bedingten  Fehler  wegzukommen. 

Bei  den  Froscheiern,  welche  nur  relativ  kurze  Zeit  durchströmt 
worden  waren,  war  diese  erste  typische  Art  der  polarisirenden  Wir- 
kung, insbesondere  die  starke  Erhöhung  in  unmittelbarer  Nähe  der 
Electroden,  also  auch  an  der  Kathode,  sehr  ausgesprochen  zur 
Geltung   gekommen;   desgleichen    auch  bei   den   Hühnerembryonen. 

An  den  letzten  Hühnerembryonen,  welche  über  eine  Viertel- 
stunde lang  durchströmt  worden  waren ,  konnte  danach  ausserdem 
noch  die  zweite  Wirkungsweise  erheblich  mit  zur  Geltung  gekommen 
sein,  und  darauf  ist  vielleicht  das  mitgetheilte ,  dem  früheren  wider- 
sprechende Resultat  am  Schlüsse  des  letzten  Versuches,  Seite  646, 
zurückzuführen.  Jedenfalls  werden  weitere  Versuche  nöthig  sein,  um 
die  Sachlage  aufzuklären. 

Ich  Avollte  ferner  das  Verhalten  der  Strombahn  auch  während 
der  Ausbildung  dieser  ungleichen  Veränderungen  an  den  ver-  [192] 
schieden  gelagerten  Gebilden  aus  specifisch  reagirendem  Materiale 
messend  prüfen.  Da  jedoch  befruchtete  Hühnereier  zur  Zeit  (im  No- 
vember) hier  nicht  mehr  zu  erhalten  waren,  musste  ich  mich  auf  das 
Ovarium  des  Frosches  beschränken.  Ein  Stück  solchen  Organes 
wurde  mitten  fn  die  durch  einhalbprocentige  Kochsalzlösung  gebildete 
Strombahn  gelegt  und  die  Messelectroden  an  folgenden  Stellen  auf- 
gesetzt: 1.  neben  der  Anode,  2.  mitten  auf  den  Intraelectrolyten, 
3.  neben  der  Kathode;  ferner  an  2  a,  wobei  die  eine  Nadel  in  dem 
der  Anode  zugewendeten  Organrande  steckte  und  die  andere  der 
Anode  näher  in  der  Flüssigkeit  sich  befand;  2ß  dieselbe  Stellung 
nach   der  Seite   der  Kathode.     Stellung  1  a   und   3  a  bedeuten ,    dass 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandluni; en.   II.  4D 


722      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

die  eine  Messelectrode  der  der  Ziffer  entsprechenden  Electrode  des 
primären  Stromes  möglichst,  jedoch,  ohne  sie  zu  berühren,  genähert 
war.  Die  ersten  Versuche  wurden  schon  vorgenommen,  ehe  ich  un- 
polarisirbare  Mess-Electroden  angefertigt  hatte ;  sie  sind  daher  nur  mit 
Platinelectroden  angestellt. 

In  der  ersten  Ver.suchsreihe  wurde  continuirlich  durchströmt, 
das  Mess-Electrodenpaar  rasch  eingetaucht  und  so  lange  eingetaucht  er- 
halten, bis  die  Magnetnadel  nicht  mehr  oscillirte.  Das  Galvanometer 
zeigte  in  Stellung  la  einen  relativ  starken  Strom  (z.B.  0,25  Milliampere), 
bei  1  wieder  einen  viel  schwächeren  Strom  (z.  B.  0,04  Milliampere),  bei 
2a  stets  eine  erhebliche  Zunahme  (z.  B.  0,08  Milliampere),  bei  2  eine 
weitere  Zunahme  (z.  B.  0,18  Milliampere),  bei  2ß  einen  steten  starken  Ab- 
fall bis  unter  die  Grösse  von  der  Stellung  2  a,  bei  3  einen  w^eiteren  Ab- 
fall bis  ein  wenig  unter  den  Werth  der  entsprechenden  Stellung  1,  bei 
3  a  fast  denselben  Werth  als  bei  1  a.  Bei  derartiger  Querlagerung 
des  Intraelectrolyten ,  dass  er  die  ganze  Breite  der  Strombahn  ein- 
nahm ,  war  die  Steigerung  bei  2  a  und  besonders  bei  2  mehrmals 
grösser,  der  Abfall  bei  2  ß  dann  aber  vielmals  stärker  als  bei  Längs- 
stellung, wobei  die  Strombahn  in  halber  Breite  frei  blieb. 

Bei  Läugsstellung  des  Intraelectrolyten  ist  die  Zunahme  auch 
in  der  freien  Strombahn  neben  dem  Intraelectrolyten  deutlich  aus- 
gesprochen. Bei  Anwendung  stärkerer,  z.  B.  zweiprocentiger  Koch- 
salzlösung wurde  die  Steigerung  der  Stromstärke  bei  2  a  und  2  im 
Intraelectrolyten  nochmals  um  das  Mehrfache  vergrössert. 

[193]  Es  ergab  sich  also  eine  starke  Steigerung  des  Strom- 
gefälles innerhalb  und  in  der  Umgebung  des  Intraelec- 
trolyten, am  stärksten  inmitten  desselben,  weniger  stark 
am  Anodenrande,  noch  weniger  am  Kathodenrande  desselben.  Diese 
Steigerung  betrug  das  Sechs-  bis  Zwölffache  der  Stärke  des 
primären  Stromes  an  den  Stellen  vor  und  hinter  dem  Intra- 
electrolyten. Nach  der  Unterbrechung  des  primären  Stromes  war 
dagegen  an  keiner  Stelle  mehr  ein  Strom  mit  meinem  Instrumente 
nachweisbar;  eine  eventuelle  wirkliche  äussere  oder  innere  Polari- 
sation des  Eierstockes  konnte  demnach  bei  der  Empfindlichkeit  des 
Instrumentes  nur  unter  0,01  Milliampere  betragen. 


Abnahme  der  iiitraelectrolytären  Wirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc.       723 

Dieses  Verhalten  des  Tnti-aelectrolyten  wicli  also  bedeutend  von 
dem  vorher  hlos  am  Electi'olyten,  gleichfalls  bei  continnirlicher  Dnrch- 
strömnng  beobachteten  \'"erhalten  ab. 

Obgleich  dieses  Verhalten  blos  einen  Abweg,  der  uns  von  unserer 
Aufgabe  wegführt,  darstellt,  wie  ich  nach  weiteren  Versuchen  einsah. 
Sollen  doch  die  zur  Aufklärung  vorgenommenen  Experimente  in  ihren 
Ergebnissen  mitgetheilt  werden,  um  einen,  vielleicht  gleich  mir  uner- 
fahrenen Leser  vor  einer  falschen  Deutung  zu  bewahren. 

Um  zunächst  die  Wirkung  der  continuirlichen  Durchströmung 
zu  eliminiren,  prüfte  ich  das  Verhalten  bei  blos  momentanem 
Stromschluss;  hier  konnte  natürlich  nicht  die  Ruhestellung  der 
Magnetnadel  abgewartet  werden,  sondern  das  Maximum  des  ersten 
Ausschlages  musste  notirt  werden. 

•  Die  Methode  des  Eintauchens  der  Electroden  mit  der  Hand  ist 
aber  bei  diesem  Modus  natürlich  mit  einem  Fehler  verbunden,  in- 
dem l^ei  raschem  Eintauchen  die  erste  Schwingung  der  Nadel  nicht 
unerheblich  grösser  ausfällt,  als  bei  langsamem  Eintauchen.  Da  jedoch 
mein  Stromschlüssel  so  primitiv  war,  dass  beim  Schluss  und  Oeffnen 
durch  ihn  der  Tisch  erschüttert  und  daher  die  Magnetnadel  abgelenkt 
wurde,  musste  ich  die  Methode  beibehalten  und  durch  möglichste 
Gleichmässigkeit  den  so  bedingten  Fehler  zu  verringern  suchen ;  doch 
ist  es  klar,  dass  in  Folge  dessen  geringe  Verschiedenheiten  der  Strom- 
stärke, wie  sie  zwischen  Ort  1  und  3  auch  bei  blos  momentanem 
Stromschluss  zu  bestehen  scheinen,  im  Einzelnen  nicht  deutlich  be- 
urtheilt  werden  konnten,  so  dass  blos  die  Summe  aller  in  Folgendem 
[194:]  zu  besprechenden  Beobachtungen  hierin  einen  Schluss  gestattet. 

Die  Methode  der  momentanen  Durchströmung  auf  den  Eier- 
stock des  Frosclies  als  Intraelectrolyten  angewandt,  ergab  nun  z.  B. 
folgende,  theils  bei  Querlage  desselben  im  obigen  Sinne,  theils  bei 
Längslage  gewonnene  Werthe  in  Milliamperes  : 


46* 


724      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Bei  Querlage 

Bei  Längslage 

6ß 

B 

m 

In  halb- 
procentiger 
Kochsalz- 
lösung 

In  zwei- 
procentiger 
Kochsalz- 
lösung 

In 
Wasser- 
leitungs- 
wasser 

In  halbprocentiger  Koch- 
salzlösung 

0) 

% 

s 
o 

o     S 

's  .s 

f    "^ 

^      Ol 
—1    TS 

ö  'S 

.2   S 

rS      O 

ö  'S 

1 

2a 
2 
23 
2 

0,015 

0,09 

0,60 

0,03 

0,02 

0,02 
0,08 
0,62 
0,05 
0,01 

0.015 

0,10 

1,50 

0,06 

0,01 

0,02 

0,04 

0,085 

0,03 

0,02 

0,02 
0,03 
0,10 
0,02 
0,02 

0,02 

0,05 

0,07 

0,025 

0,03 

0,03 
0,07 
0,12 
0,03 
0,02 

0,03 
0,05 
0,09 
0,03 
0,03 

Es  ergab  sich  also  bei  momentaner  Durchströmung  wesenthch 
dasselbe  Verhalten,  wie  es  nach  continuirlicher  Durchströmung  be- 
obachtet worden  war;  nur  war  die  Wirkung  auf  den  Intraelectrolyten 
und  in  der  Nähe  desselben,  nach  der  Amplitude  der  ersten  Schwingung 
zu  urtheilen,  noch  mehrmals  grösser  als  in  der  Flüssigkeit,  indem 
die  Strom  Wirkung  im  Intraelectrolyten  das  Vierzig-  bis 
Hundertfache  der  Wirkung  im  Electrolyten  erreichte. 
Wenn  auch  von  dieser  Wirkung  ein  Theil  nur  scheinbar,  nur  auf 
die  Trägheit  der  Magnetnadel  zurückzuführen  ist ,  so  l)leibt  doch 
immer  noch  ein  ungeheuerer  Erfolg  übrig. 

Am  Schlüsse  jeder,  mit  demselben  Object  angestellten  Versuchs- 
reihe wurden  die  Nadeln  an  den  fünf  Orten  in  gleicher  Weise  auf- 
gesetzt ohne  gleichzeitige  Durchströmung ;  und  es  ergab  sich  nirgends 
mehr  ein  Ausschlag  der  Magnetnadel,  trotz  der  inzwischen  an  dem 
Ovarium  aufgetretenen  starken  morphologischen  Polarisation.  Dieses 
eigenthümliche  Verhalten  musste  nun  auf  seine  Ursache  zurück- 
geführt werden. 

[195]  Da  ich  im  ersten  Momente  über  seine  Bedeutung  nicht 
klar  war,  prüfte  ich  sogleich  die  weichen  Organe  des  Mutterfrosches, 
dem  das  Ovariuui  cntnommeu  war;  und  alle  zeigten  wesentlich  das- 
selbe Verhalten,  nur  war  die  Steigerung  bei  verschiedenen  Organen 
quantitativ  verschieden  und  stand  anscheinend  in  Abhängigkeit  von 


Abnahme  der  iiitracloctrolytären  Wirkung  bei  gleichem  Querschnitt  etc. 


der  Dicke  des  mit  der  Nadel  diirchstoclieneii  Organes.  Um  zu  sehen, 
ob  andere  organische  Bildungen  ähnlich  sich  verhielten,  wurde  Weizen- 
mehl mit  Vä^/oiger  Kochsalzlösung  angerührt,  und  der  so  gebildete 
Teig  in  die  Strombahu  gelegt.  Es  trat  wieder  die  gleiche  Erscheinung 
auf.  Da  ich  anderen  Tages  die  annähernd  unpolarisir baren 
Electroden  gemacht  hatte,  verwendete  ich  auch  diese,  und  da  zeigte 
sich,  dass  jetzt  die  Verstärkung  der  Stromwirkung  auf  der  Leber  und 
auf  dem  Teige  zwar  noch  evident  vorhanden  war,  aber  blos  das  Drei- 
bis  Vierfache  der  Wirkung  im  Electrolyten  erreichte. 

Um  jede  Berührung  des  Organes  oder  des  Teiges  zu  vermeiden, 
machte  ich  in  dieselben  entsprechend  situirte,  mit  Flüssigkeit  aus  der 
Umgebung  angefüllte  Löcher  und  hielt  in  diese  die  Messelectroden ; 
es  ergab  sich  jedoch  wieder  das  frühere  Resultat. 

Nachdem  somit  festgestellt  worden  war,  dass  hier  nicht,  wie  bei 
den  Versuchen  ohne  Intraelectrolyten ,  blos  eine  Ungleichheit  der 
Polarisation  bei  gleicher  Stromstärke,  sondern  eine  wirkliche  Ungleich- 
heit der  Stromstärke  vorlag,  kam  ich  der  Ursache  näher;  was  aller- 
dings bei  jedem  anderen  Untersucher,  der  nicht,  wie  ich,  so  gut  als 
zum  ersten  Male  mit  Electricität  experimentirte ,  wohl  früher  der  Fall 
gewesen  wäre. 

Da  auszuschliessen  war,  dass  hier  eine  wirkHche  Production  von 
electrischer  Energie  ausgelöst  durch  den  primären  Strom,  vorliege,  weil 
die  Physiologen  diese  Fähigkeit  der  Organe  längst  wahrgenommen 
haben  würden;  so  blieb  nur  die  Möglichkeit,  dass  die  geprüften  Körper 
so  viel  schlechter  als  das  verwendete  Menstruum  leiten,  dass  sie  ein 
starkes  Ausweichen  des  Stromes  in  die  den  Intraelectrolyten  umgebende 
Flüssigkeit  veranlassen. 

Die  beobachtete  Erscheinung  beruhte  dann  nicht  auf  einer  Ver- 
mehrung der  {Stromstärke  in  den  ganzen  bezüglichen  Stromquer- 
schnitten, sondern  blos  auf  einer  localen  Vergrösserung  der 
Stromdichte  an  einzelnen  Stellen  der  Querschnitte. 

[196J  Gegen  diese  Annahme  schien  jedoch  zu  sprechen  die  in 
der  Tabelle  auf  Seite  165  mitgetheilte  Beobachtung,  dass  auch  bei 
Verwendung  von  Wasserleitungswasser  als  Electrolyten,  welches  doch 
voraussichtlich  schlechter  als  das  Ovarium  leiten  wird,  an  diesem  eine 


726      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Steigerung  der  StromwirkuDg,    wenn    auch    nur    um   das   Vierfache, 
wahrgenommen  worden  war. 

Dass  aber  das  letztangenommene  Moment  stark  genug  in  diesem 
Sinne  zu  wirken  vermag,  zeigte  sich,  nachdem  ich  drei  Glasbälkchen 
über  einander  quer  mitten  in  die  Strom  bahn  bei  sonst  der  früheren 
gleichen  Versuchsanordnung  gelegt  hatte.  Es  ergaben  sich  an  den 
früheren  entsprechenden  Oertlichkeiten  folgende  Resultate: 


Ort  der 

Messung 

Unpolarisirba 

re  Electroden 

Platinelectroden 

Flüssigkeit,  um- 

gerührt 

la 

0,36  M.  A. 

0,24 

1 

0,32  M.  A. 

0,33 

0,09 

0,11 

2 

0,60 

0,69 

0,94 

1,40 

3 

0,22 

0,30 

0,015 

0,025 

3a 

— 

0,22 

0,09? 

— 

Es  zeigte  sich  also  eine  ähnliche  \^erstärkung  der  Wirkung  in 
der  Umgebung  der  Glasbälkchen  wie  bei  den  Organen  und  dem 
Mehlteig. 

Damit  ist  aber  zugleich  ein  neues  Käthsel  erstanden.  Ich  habe 
nämlich  nicht  beobachtet,  dass  der  auf  Seite  645  erwälmte,  in  der  Lücke 
zwischen  der  Wand  und  dem  grossen  Hühnerembryo  in  Stromrichtung 
hinter  diesem  liegende  kleine  Embryo  besonders  stark  verändert  worden 
wäre.  Im  Gegentheil,  er  blieb  fast  unverändert,  obgleich  der  Strom 
in  verstärktem  Maasse  durch  diese  Strasse  hätte  gehen  und  auf  ihn 
treffen  müssen;  auch  blieb  die  diesem  Strom  anliegende  Fläche  des 
grossen  Embryo  fast  unverändert. 

Da  das  Versuchsmaterial  jetzt  nicht  melir  zu  haben  ist,  muss 
ich  auf  die  jetzige  Weiterführung  der  Untersuchung  ver-  [197]  ziehten; 
und  aus  dem  oben  erwähnten  Grunde  gedenke  ich  auch  nicht,  sie 
später  wieder  aufzunehmen. 


Ursache  der  polaren  Localisatiou  der  Veränderungen.  727 


C.  Erklärungsversuche  und  Zusammenfassung. 

1.   Ursache  der  polaren  Localisatiou  der  Veräuderungen. 

Fragen  wir  zunächst  nach  den  Ursachen  der  allgemeinsten  Ver- 
hidtnisse  der  in  den  vorstehenden  Abschnitten  geschilderten  Erschei- 
nungen ,  also  nach  den  Ursachen  der  Scheidung  der  Oberfläche  der 
intraelectrolytär  durchströmten  Gebilde  in  zwei  veränderte  Pol felder 
und  einen  zwischen  ihnen  gelegenen  gürtelförmigen  Aequator. 

Wir  sahen,  dass  blos  an  denjenigen  Stellen  der  Oberfläche  der 
morphologisch  polarisirbaren  Gebilde,  seien  es  lebende  Organismen 
oder  Metalle  oder  sonstige,  von  uns  reactionsfähig  gemachte  Gebilde 
(s.  S.  703),  die  polaren  Veränderungen  stattfanden,  an  welchen  zu  er- 
schliessen,  ja  durch  Versuche  direct  nachzuweisen  war  (s.  S.  708  u.  f.),  dass 
daselbst  Stromfäden  ein-  oder  austraten,  w'ährend  an  anderen, 
zwar  kräftig  durchströmten  und  mit  dem  Electrolyten  benetzten 
Stellen,  an  welchen  aber  Stromfäden-Ein-  und  Austritt  nicht,  resp.  nur 
in  minimalem  Maasse  möglich  war,  unverändert  blieben. 

Daraus  war  zu  erschliessen,  dass  die  beobachteten  polaren  Ver- 
änderungen an  den  Ein-  und  Austritt  von  Stromfäden  gebunden  sind. 

Ferner  fanden  diese  Reactionen  nur  an  benetzten  Stellen 
statt;  an  trocken  durchströmten  Froscheiern  blieben  die  bezüglichen 
Veränderungen  auch  an  den  Ein-  und  Austrittsstellen  des  Stromes 
aus;  so  dass  also  die  Anwesenheit  einer  geeigneten  Flüssig- 
keit, eines  Electrolyten  als  weitere  Bedingung  anzusehen  ist. 

Neben  den  äusseren  oberflächlichen  Veränderungen 
fehlte  es  auch  nicht  ganz  an  inneren  Veränderungen.  Selbst 
an  Metallen  sind  solche  wahrnehmbar.  Wenn  auch  ein  früher  durch- 
strömtesBleist(ick  abgeschabt  und  blank  polirt  worden  war,  so  wurden 
manchmal,  auch  nach  Monaten,  beim  Einlegen  desselben  in  Salzsäure 
von  geeigneter  Concentration  die  früheren  Polabschnitte  wieder  erkenn- 
bar, indem  sie  rascher  verändert  w^urden  als  der  frühere  Aequator. 
Diese  inneren  Veränderungen  durch  den  Strom  sind  [198]  von  den 
Accumulatoren  her  bekannt;  die  hier  beobachtete  Localisatiou  der- 
selben  aber    verdient   vielleicht    eingehendere    Untersuchung.      Auch 


728       Nr.  25.   Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

treten  unter  Umständen  nach  dem  Durchströmen  Erscheinungen  von 
Passivität  des  Bleies  am  Aequator  auf. 

Die  lebenden  Gebilde  haben  wir  bis  jetzt  zumeist  nur  von 
aussen  betrachtet,  und  wissen  daher  noch  nicht,  wie  weit  sich  Ver- 
änderungen, die  denen  der  Oberfläche  ähnlich  sind  oder  mutatis 
mutandis  ihnen  entsprechen,  in's  Innere  erstrecken,  so  dass  wir  unser 
Urtheil  vorläufig  beschränken  müssen.  Nur  an  den  durchscheinenden 
Eierstockseiern  des  Frosches  und  den  Fischeiern,  sowie  an  den  Hühner-, 
Eidechsen-  und  Mausembryonen  glaubten  wir  schliessen  zu  dürfen, 
dass  die  wahrgenommenen  intensiven  Trübungen  der  Pol- 
f e  1  d e r  sich  allmählich  i n"s  I n n e r e  f o r t s e t z e n  und  schliess- 
lich die  ganzen  ,, Polabschnitte"  betreffen. 

Es  ist  also  zunächst  zu  fragen:  Warum  wird  nicht  die 
ganze  (Jberfläche  der  lebenden  Gebilde,  soweit  sie  dem 
Ein-  und  Austritt  von  Stromfäden  dienen  könnte,  also  so- 
weit sie  nicht  der  Glaswandung  unmittelbar  anliegt  oder  aus  dem 
Electrolyten  frei  heraussteht,  sondern  von  durchströmten  Electrolyten 
in  genügender  Dicke  der  Schicht  umgeben  ist,  verändert? 

Eine  spätere  Frage  wird  es  sein ,  warum  nicht  auch  die 
blos  „durchflossenen"  Theile  der  benetzten  ,, Oberflächen", 
siehe S.  648,  sowie  das  ,, durchströmte  Innere"  der  bezüglichen 
Organismen,  insbesondere  die  Substanz  der  Aequatorscheiben  ent- 
sprechende ^^  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n  erfahren. 

Da  wir  die  Stellen  der  polaren  Veränderungen  an  jedem  Gebilde 
durch  die  ihm  gegebene  Lagerung  zu  den  Electroden  beliebig  be- 
stimmen konnten,  so  muss  die  Oberfläche  jedes  dieser  Gebilde 
also  an  allen  Stellen  r e a c t i o n s f ä  h i g  auf  den  electrischen 
Strom  sein.  Daher  müssen  den  anderen,  vom  Electrolyten  umgebenen 
aber  unverändert  bleibenden  Theilen  der  Oberfläche  eines  Intraelectro- 
lyten  entweder  zu  wenig  Stromfäden  „z  ugeführt"  werden, 
als  dass  dieselben  durcli  ihren  Ein-  und  Austritt  eine  sichtbare  Wir- 
kung hervorbringen  könnten,  oder  die  an  sich  in  genügender  Zahl  hin- 
geführten Stromfäden  müssen  am  Eintritt  ,, verhindert"  worden 
sein,  was  bei  der  Gleichheit  der  ganzen  Oberfläche  nur  durch  ein 
besonderes  Agens  geschehen  kann. 


Ursache  der  polaren  Localisation  der  Veränderungen.  729 


[199]  Als  solches  Moment  wurde  im  vorigen  Abschnitt  ein 
zwischen  den  beiden  Polfeldern  circulirender,  dem  primären  Strom 
entgegengesetzter,  also  negativer  Polarisationsstrom  angenommen.  Mit 
dem  zuletzt  beschafften  Cialvanometer  habe  ich  diesen  Strom  an  einem 
m  e  t  a  1 1  i  s  c  h  e  n  Intraelectrolyten  unmittelbar  nach  der  Unterbrechung 
des  galvanischen  Hauptstromes  direct  nachgewiesen,  indem  icl i 
einen  intraelectrolytär  durchströmten  Kupferdraht,  um  die  polarisirende 
Wirkung  der  durchströmten  Flüssigkeit  auf  die  Messelectroden  aus- 
zuschalten, rasch  aus  der  halbprocentigen  Kochsalzlösung,  in  der  er 
durchströmt  worden  war,  in  frische  solche  Lösung  übertrug  und  die 
blanken  Kupferdrahtenden  des  Galvanometerkreises  auf  die  Polfelder 
oder  neben  dieselben  aufsetzte.  Der  Strom  war  dem  primären  Gleich- 
strom entgegengesetzt  gerichtet  und  betrug  im  Maximum  bei  meiner 
Anordnung  sofort  nach  der  Unterbrechung  des  primären  Stromes 
1,5  ^I.  Amp. ,  fiel  aber  rasch  ab.  Der  metallische  Intraelectrolyt  ver- 
hält sich  natürlich  wie  ein  Accumulator. 

Auf  die  gleiche  Weise  gelang  der  Nachweis  des  Polari- 
sationsstromes auch  an  dem  mit  dem  ,, Wech selstrom" 
behandelten  metallischen  Intraelectrolyten  nach  der 
Unterbrechung  des  primären  Stromes,  nur  war  natürlich  die  Richtung 
zum  letzten  primären  Strom  nicht  zu  beurtheilen.  Der  Polarisations- 
strom zeigte  sich  ein  wenig  stärker  als  der  nach  dem  Gleich- 
strom beobachtete;  freilich  war  auch  der  primäre  Strom  erhe)3- 
lich,  mindestens  dreimal  stärker,  als  der  verwendete  Gleichstrom. 
Die  specielle  Ursache  dieses  letzteren  Polarisationsstroraes,  sowie  über- 
haupt die  qualitative  Beschaffenheit  des  vom  Wechselstrom  erzeugten 
Polfeldes  bedürfen  wohl  der  Untersuchung.  Wenn  auch  Drechsel 
schon  die  Thatsache  der  Polarisation  der  Electroden  im  Wechselstrom 
nachgewiesen  Ifat,  so  ist  doch  die  Alkaliabscheidung  an  der  Kathode 
und  an  der  kathodisch  beschaffenen  Seite  eines  metallischen  Intra- 
electrolyten, also  am  sogenannten  ,, anodischen"  Polfeld,  nur  eine  sehr 
geringe,  wie  ich  oft  beobachtet  habe,  nachdem  dem  Electrolyten 
Phenolphthallein  zugesetzt  war.  Daher  kann  immerhin  die  relative 
Stärke  des  nach  der  Durchströmung  nachweisbaren  Polarisationsstroms 
Befremden  erregen  (siehe  auch  S.  700). 


730      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Für  das  Verhalten  der  31  e t all e ,  d e r e n  Ae q n utor  w i r  z ii- 
Dächst  besprechen  wollen,  ist  von  Bedeutung,  dass  beim  Fehlen 
einer  [200]  electromotorischen  Gegenkraft  auch  durch  den  schwächsten 
electrischen  Strom  schon  Electrolyse  veranlasst  wird,  und  dass  somit  die 
an  den  Ein-  und  Austrittsstellen  des  Stromes  an  der  Oberfläche  des 
Metalles  abgeschiedenen  Jonen  eine  Wirkung  hervorbringen  müssen. 

Bei  den  Metallen  summiren  sich  die  Reactionen  also  einfach 
mit  der  Stromdauer;  und  wenn,  von  der  in  der  Mitte  liegenden 
Indiff erenzlinie  abgesehen,  allenthalben  Stromfäden  eintreten, 
kann  schliesslich  ausser  dieser,  nur  ein  Minimum  breiten  Linie  b  1  o  s 
dasjenige  Stück  blank  bleiben,  welches  durch  den  nega- 
tiven Po larisations ström  genügend  geschützt  ist.  Vorher 
aber  besteht  bei  schwachem  Strom  längere  Zeit  für  die  Besichtigung 
ein  grösserer  Aequator,  dessen  Grösse  durch  ungenügende  locale 
Stromdichte  bedingt  ist. 

Bei  unseren  leh enden  Ohjecten  ist  wohl  zu  vermuthen,  dass 
mit  der  sichtbaren  ,,morp  hologisch en"  Polarisation  eine 
electrische  Polarisation  im  Sinne  der  Physiologen  ver- 
bunden ist,  ganz  abgesehen  von  der  sogenannten  ,,inneren 
Polarisation  feuchter  Leiter"  nach  du  Bois-Reymoxd;  verhält 
sich  doch  bei  den  Muskeln  und  Nerven  nach  L.  Hermann  jeder  ab- 
sterbende Querschnitt  negativ  gegen  den  lebenden;  und  unsere  Pol- 
feld er  sind,  wie  wir  an  den  Frosch  eiern  sahen,  eine  Sub- 
stanz, welche  an  den  Theilungsvor  gangen  der  Zelle  nicht 
mehr  th eilnimmt,  sondern  unter  Umständen  von  den  Zellen 
direct  abgestossen,  eliminirt  wird,  und  welche  auch  nicht 
mehr  jener  Veränderungen  (Vacuohsation  etc.)  fähig  ist,  wie  sie  sonst 
beim  allmählichen  Absterben  der  Eier  beobachtet  werden. 

Wesentlich  um  diesen  Polarisationsstrom  nachzuweisen,  hatte  ich  am 
Schlüsse  meiner  Untersuchungen  das  erwähnte  Horizontalgalvanometer 
beschafft,  dessen  Theilung  Zehntel  Milliamjiere  noch  gross  anzeigt, 
und  welches  auf  Hundertel  M.  A.  noch  reagiren  soll.  Aber  weder 
beim  Aufsetzen  auf  die  mit  dem  Gleichstrom  von  acht  Bunsen  durch 
directes  Anlegen  der  Electroden  stark  weisslich  polarisirten  Hühner- 
embryonen noch  auf  den  polarisirten  Eierstock   des  Frosches   gelang 


Ursache  der  scharfen  Begrenzung  des  Aequators  an  lebenden  Objecten.       731 


es  mir,  an  diesem  Instrument  einen  Ausschlag  hervorzubringen ;  auch 
nicht  wenn  die  Messelectroden  zur  Verringerung  des  Widerstandes  sehr 
nahe  neben  einander  und  wenn  sie  direct  an  die  Stellen  der  Electroden 
des  primären  Stromes  [201]  aufgesetzt  worden  waren.  Um  eine  Neben- 
schliessung zu  verhindern,  waren  die  Embryonen  nach  dem  Durchströmen 
dem  Electrolyten  entnommen  und  auf  trockenes  Fliesspapier  gelegt 
Avorden.  Dasselbe  negative  Resultat  ergab  sich  nach  Behandlung  dieser 
Objecte  mit  dem  Wechselstrom  beim  Aufsetzen  einer  Electrode  an  der 
Stelle  einer  früheren  Electrode  und  der  anderen  auf  den  Aequator.  Doch 
zeigte  dieses  Galvanometer  auch  den  Muskelstrom  des  Froschmuskels 
selbst  bei  wirksamster  Anordnung  nicht  an.  Den  Physiologen  dagegen 
wird  es  ein  Leichtes  sein,  mit  dem  du  Bois-REYMONo'schen  Multiplicator 
die  Entscheidung  über  den  hypothetischen  Strom  zu  geben. 

2.  Ursache  der  scharfen  Begrenzung  des  Aec[uators 
an  lebenden  Objecten. 

Ist  der  Polarisationsstrom  von  genügender  Stärke,  so  kann  er, 
Avie  bei  den  metallischen  Intraelectrolyten  zur  Ableitung  einer  scharfen, 
der  allmählichen  Abgieichung  entbehrenden  Grenze  der  Polfelder 
gegen  den  Aequator  verwendet  werden.  Aber  auch  ohne  diesen 
Strom  muss  sich  bei  den  lebenden  Wesen  eine  scharfe  Grenze 
ergeben,  da  nur  durch  Ströme,  welche  die  Reizschwelle  über- 
schreiten, die  polare  Reaction  ausgelöst  werden  kann,  während 
benachbarte  Stellen  nur  wenig  geringerer  Einwirkung  unverändert 
bleiben  werden. 

Unter  Berücksichtigung  der  Reiz.schwelle  wird  es  verständlich, 
dass  bei  stark  geschwächtem  Strom  selbst  nach  stundenlanger 
Durchströmung  die  Froscheier  nur  in  sehr  geringer  Ausdehnung 
polare  Veränd'erungen  darboten,  und  dass  weiter  seitlich  im  run- 
den Stromfelde,  also  in  noch  geringerer  Stromdichte  stehende  Eier 
gar  keine  Reaction  mehr  erkennen  Hessen.  Diese  beiden  Verhaltungs- 
weisen würden  bei  der  Zurückführung  des  Aequators  blos  auf  einen 
Polarisationsstrom  natürlich  nicht  zu  erklären   sein. 

Wie  sich  die  Breite  des  durch  dieses  IVIoment  bedingten  Aequa- 
tors zu  der   durch    den  hypothetischen   Polarisationsstrom    bedingten 


732       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

verhalte,  wird  erst  nach  der  Nachweisiuig  der  Stärke  dieses  letzteren 
erörtert  werden  können. 

•  Alle  Stellen,  an  welchen  die  für  die  Auslösung  der  polaren 
\^eränderungen  bestehende  Reizschwelle  nicht  überschritten  wird, 
werden  sich  solange  nicht  verändern,  bis  schliesshch  von  den  Pol- 
t'eldern  aus  das  einheitliche  lebende  Gebilde  durch  die  Veränderung 
zu  vieler  oder  zu  lebenswichtiger  Theile,  oder  [202]  durch  eventuelle 
innere  Wirkung  der  Durch  Strömung  (durch  innere  Polarisation)  als 
Ganzes  getödtet  worden  ist  und  daraus  resultirende  anderweite, 
auch  auf  den  Aequator  sich  erstreckende  Alterationen  vor  sich  gehen ; 
wie  wir  denn  an  Blastulae  und  Gastrulae  nach  lauger  Durch- 
strömung den  ganzen  Aec^uator  sich  plötzlich  in  toto  grau 
verfärben  sahen. 

Die  Reaction  nachUeberschreitung  der  Reizschwelle  im  Bereiche 
der  Polfelder  war  bei  demselben  Objecte,  dem  Froschei  oder  dem 
Tritonenei  je  nach  der  Stärke  und  Dauer  der  Gesammteinwirkung 
eine  örtlich,  graduell  und  vielleicht  auch  cjualitativ  verschiedene. 
Während  mit  den  schwächsten  Strömen  behandelte  Frosch-  und 
Tritoneneier  ihre  kleinen  Polfelder  unter  minimalem  Durchtritt  von 
Eiinhalt  durch  die  Eirinde  nur  verfärbten,  entstand  bei  starkem  Strom 
an  der  Grenze  des  Polfeldes  ausser  grossen  Austritten  von  Ei- 
inhalt eine  starke,  wohl  durch  Contraction  des  Rindenproto- 
plasma eingeleitete  Furche;  bei  geeigneter  Stromstärke  und 
Dauer  blieben  die  electrischen  „Pole"  des  Eies  fast  unver- 
ändert und  die  starke  Veränderung  der  Eirinde  localisirte 
s i (t h  in  der  Nähe  der  Niveaulinien.  Dies  alles  sind  Erschei- 
nungen ,  die  ihrer  Natur  nach  an  die  s p e c i f  i  s c h  vitalen  Eigen- 
schaften der  Objecte  anknüpfen. 

Weniger  grell  gegen  den  Aequator  abstechend  war 
die  Polfeldgrenze  an  den  Gehirnblasen  der  Hühner-,  Ei- 
dechsen- und  Mausembryonen;  bei  diesen  Gebilden  sowie  bei 
Gallenblasen  konnte  ausserdem  der  Aequator  durch  lange  fortgesetzte 
Durchströmung  unter  successiver  Verkleinerung  zum  Verschwinden 
gebracht  werden. 


Ursachen  der  speciellen  Gestaltungen  der  Polfelder.  733 

Au  den  p]x  tremi täten  der  Ilülmer-,  Eideehseii-  und 
Mausern brvonen,  sowie  an  der  Allantois  der  beiden  ersteren 
war  überhaupt  keine  scharfe  Grenze  zwischen  Polfeld  und 
Aequator  vorhanden,  ein  Verhalten,  welches  besonderer  Aufklärung 
bedarf. 

3.  Ursachen  der  speciellen  Gestaltungen  der  Polfclder. 

Gehen  wir  nun  zur  Ursache  der  speciellen  Gestaltver- 
hältnisse der  Polfelder  und  damit  auch  des  zwischen  ihnen  ge- 
legenen Aequators  über,  so  ist  zuerst  ein  Moment  im  Zusammenhange 
zu  besprechen,  dem  wir  sowohl  an  organischen  wie  an  anorganischen 
Gebilden  wiederholt  begegnet  sind,  und  welches  als  Strom  schatten 
bezeichnet  worden  ist. 

a)  Stromschatten. 

Wir  sahen,  dass  manche  Flächen  des  Intraelectrolyten  die  Ver- 
änderungen nicht  in  derjenigen  Intensität  darboten,  [203]  wie  sie 
nach  der  Dichtigkeit  der  Stromfäden  im  homogene n  electrischen 
Felde  an  der  betreffenden  Stelle  und  nach  der  Richtung  der  betreffen- 
den Fläche  zu  den  Stromfäden  zu  erwarten  gewesen  wären.  Auf  solche 
Flächen  bezog  sich  der  Ausdruck,  dass  sie  sich  im  Stromschatten 
befänden.  Unter  im  ,, Stromschatten"  befindlichen  Flächen 
eines  Intraelectrolyten  verstehen  wir  demnach  diejenigen 
Theile  seiner  Oberfläche,  auf  welche  bei  seiner  Durch- 
strömung weniger  Stromfäden  treffen,  als  nach  der  Lage  der 
Fläche  zu  den  Stromfäden  des  homogen  gedachten  electrischen 
Feldes  ihr  zukommen  würden. 

Nach  dieser  willkürlichen,  jedoch  für  uns  zweckmässigen  Defi- 
nition ist  d  ^r  Stromschatten  also  durch  Ablenkung  der 
Stromfäden  aus  ihrer  Richtung  im  homogenen  Felde  bedingt, 
und  zwar  entweder  in  Folge  von  Anziehung  oder  Abstossung 
derselben  durch  den  Intraelectrolyten. 

Der  Schatten  durch  Anziehung  von  Stromfäden  besteht  in 
der  Vorwegnahme  von  Stromfäden  durch  den  Electroden  näher  be- 
findliche Theile  eines  besser  als  der  Electrolyt  leitenden  Intraelectro- 


734       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


lyteii,  also  unter  Benachtheiligung  der  darauf  folgenden  Theile,  so 
z.  B.  durch  die  Ränder  und  angrenzenden  Seitenflächen  von  Furchen, 
welche  gegen  die  Electrode  gewendet  sind,  welche  also  in  Richtung 
des  Stromes  stehen ;  wie  wir  solchen  Schatten  an  derartig  orientirten 
Furchen  von  Froschembryonen ,  an  der  gefalteten  älteren  Gastrula 
des  Triton  und  an  genügend  tief  gewölbten  Stücken  der  Vorderhini- 
blasen  des  Hühnerembryo  gesehen  haben.  Ferner  bekundeten  wesent- 
lich denselben  Vorgang  Froscheier,  welche  in  einer  längs  des  Stromes 
gerichteten  Drahtgabel  lagen,  sowie  das  beim  Durchströmen  des  Feldes 
unverändert  gebliebene  Stanniolbänkchen  innerhalb  des  Stanniolringes. 
Ferner  zeigt  sich  dasselbe  an  den  schief  zur  Stromrichtung  liegen- 
den länglichen  Gebilden,  wie  den  Gallenblasen  der  Kaninchen,  an 
den  Eiern  von  Tritonen  und  Fröschen,  welche  in  eine  Glasröhre 
aspirirt,  dadurch  stark  länglich  geworden  und  durch  seitlich  daneben 
liegende  Eier  schief  zur  Röhre  gestellt  waren,  ebenso  wie  an  dem 
schief  liegenden  Metalldraht.  Alle  diese  behielten  beim  Durchströmen 
einen  nicht  rein  seitlich,  sondern  schief  gegen  die  Electroden  gewende- 
ten, wie  wir  sagten,  anscheinend  ,, beströmten"  Aecjuator,  [204]  der 
also  bei  gewöhnhchem  Verlauf  der  Stromfäden,  wie  er  im  homogenen 
Felde  stattfindet,  von  ebenso  vielen  Stromfäden  getroffen  worden  wäre, 
als  die  angrenzenden,  noch  den  gleichen  Winkel  mit  der  geraden 
Verbindungslinie  beider  Electroden  bildenden  Theile  der  Polfelder. 
Trotz  dieses  gleichen  Winkels  ist  der  eine  Theil  unverändert,  weil 
ilmi  durch  die  der  Electrode  nähere  Nachbarschaft  die  Stromfäden 
grösstentheils  vorher  weggesaugt  worden  sind.  Auch  die  mit  dem 
Abstände  von  der  Anode  abnehmende  anodische  Veränderung  der 
Knollen  des  Fadens  von  Aethalium  septicum  nach  der  Abbildung 
^■ERW0RN^s  könnte  neben  dem  auf  Seite  721  erörterten  Moment  auf 
^^orwegnahme  von  Stromfäden  durch  die  der  Anode  näheren  Theile 
beruhen,  da  die  Durchströmung  doch  wohl  in  gewöhnlichem  Wasser 
stattfand  und  das  Protist  also  besser  leitete  als  der  Electrolyt.  Im 
Wesentlichen  gleichfalls  derselbe  Vorgang,  wenn  auch  ein  wenig 
modificirt,  trat  an  einer  quergestellten  Drahtgabel  ein;  ebenso  natür- 
lich auch,  als  zwei  rechtwinkelig  zum  Strome  orientirte,  einander 
nahe,  leitend  verbundene  Platten  durchströmt  wurden;    dabei  bekam 


Ursachen  der  spociellen  Ciestaltungen  der  Polfelder.  735 


keine  von  beiden  an  der  Innenfläche  ein  PollVld,  wie  es  sofort  ge- 
schieht, wenn  die  leitende  Verbindung  unterbrochen  wird.  Dem 
ersteren  dieser  beiden  Fälle  Aehnliches  beobachteten  wir  im  Bereiche  des 
Organischen  an  den  inWasser  durchströmten,  geschwächten  Morulae 
des  Frosches  und  Triton,  welche  zwei  Generalpolfelder  bilde- 
ten. Diese  Polfelder  nahmen  die  ganze  gegen  die  Electrode  gewendete 
Seite  der  Zellen  ein  und  griffen  wohl  auch  ein  wenig  über  die  Ränder 
herum  nach  der  Gegenseite;  aber  die  beiden  Begrenzungsflächen  der 
vorhandenen  kleinen,  seitlich  gerichteten  Furchen  blieben  einige 
Zeit  lang  unverändert,  gleich  wie  in  Richtung  des  Stromes  stehende 
Furchen,  aber  unter  etwas  anderer  Vermittelung.  Während  l)ei  letzterer 
Stellung  in  die  Tiefe  der  Furchen  keine  Stromfäden  gelangen,  weil 
die  in  die  Oel^inung  der  Furche  eingetretenen  Stromfäden  vorher  in 
die  beiden  Seitenwände  übertreten  ;  werden  die  auf  die  beiden  Aussen- 
flächen  der  quer  stehen  den  Furche  resp.  Gabel  fallenden  Strom- 
fäden durch  die  leitende  Verbindung  derselben  in  einander  überge- 
leitet und  so  die  weniger  gut  leitende  Flüssigkeit  des  Binnenraumes 
umgangen,  resp.  die  auf  der  einen  Seite  [205]  eingetretenen  Strom- 
fäden gehen  durch  den  besser  leitenden  Vei'bindungstheil ,  um  erst 
auf  der  anderen  Seitenfläche  wieder  auszutreten. 

Der  Stromschatten  durch  Abstossung  von  Stromfäden 
findet  statt,  wenn  der  Intraelectroly t  schlechter  leitet  als 
der  Electrolyt,  da  der  nicht  sehr  hoch  gespannte  electrische  Strom 
entsprechend  dem  OnM'schen  Gesetz,  in  der  dem  relativen  Lei- 
tungsvermögen entsprechenden  Stärke  mehr  durch  den  besser 
leitenden  Theil  geht.  Es  blieben  daher  z.  B.  an  den  aus  mit  Wasser 
angerührtem  Mehlteig  gebildeten  Kugeln  die  Polseiten  unverändert, 
und  nur  am  Aequator  der  Kugel  wurden  die  an  der  ganzen  Oberfläche 
befindlichen  Me^singspäne  polarisirt.  Dasselbe  war  natürlich  der  Fall, 
wenn  ein  schlechter  leitender  Körper  in  Richtung  des  Stromes 
vordem  Int  raelectrolyten  lag,  wie  Fett  vor  der  Gallenblase,  Luft- 
blasen auf  der  Metallkugel  oder  Glasbalken  vor  den  Froscheiern.  Doch 
haben  die  den  Electroden  näheren,  also  gegen  sie  vorspringen- 
den Theile  immer  noch  eine  Begünstigung  für  den  Stromfädeneintritt 
vor  den  seitlichen   Theilen   voraus,   welche  Begünstigung   ein  ge- 


736      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

wisses  Maass  von  geringerem  Leitungsvermögen  zu  ül)ercompensiren 
vermag.  Dies  spracli  sich  darin  aus,  dass  in  ö^'/oiger  Kochsalz- 
lösung die  nach  unserer  Beobachtung  schlechter  leitende, 
runde  Gallenblase  noch  grüne  „Polfelder"  statt  eines 
grünen  ,,Aequators"  bildete. 

Eine  etwas  schwieriger  zu  verstehende  Art  anscheinender  Ab- 
stossung  von  Stromfäden  haben  wir  an  dem  metallischen  rechten 
Winkel  gesehen,  dessen  einer  Schenkel  normal  zum  Strome  des  homo- 
genen Feldes  stand  und  auf  der  Seite,  welche  dem  in  Richtung  des 
Stromes  stehenden  Schenkel  zugewandt  war,  blank  blieb,  obgleich 
die  Fläche  direct  der  anderen  Electrode  zugewendet  war.  Das  Nöthige 
über  diesen  Fall  ist  im  vorigen  Abschnitte  schon  gesagt,  s.  S.  681  u.  f. 
Nach  dem  Vorstehenden  kann  noch  hinzugefügt  werden,  dass  sich 
das  ganze  Verhalten  auf  den  Fall  einer  Metallgabel  reducirt,  deren 
einer  Schenkel  cjuer,  deren  anderer  Schenkel  in  Längsrichtung  zum 
Strome  orientirt  ist;  die  das  freie  Ende  "des  Querschenkels  umgehen- 
den, scheinbar  abgestossenen  Stromfäden  sind  im  Gegentheil  von  ihrer 
im  homogenen  Felde  seitlichen  Bahn  wie  durch  Anziehung  abge- 
lenkte Stromfäden.  Hiebei  [206]  braucht  das  Wort  „Anziehung" 
nicht  im  wörtlichen  Sinne  gedacht  zu  werden,  sondern  als  abgekürzter 
Ausdruck  dafür,  dass  durch  das  Convergiren  der  benachbarten  Strom - 
fäden  gegen  das  Metall  die  Bahn  im  Electrolyten  zum  Theil  frei 
wurde,  und  daher  seithche  Stromfäden  in  diesen  Theil  einbogen. 

Wir  haben  noch  Thatsachen  kennen  gelernt,  welche  auf  eine- 
weitere Art  des  Stromschattens  im  Sinne  unserer  Definition  hinzu- 
weisen scheinen,  auf  einen  Stromscbatten  in  Folge  localen  Verbrauches 
oder  localer  Abschwächung  von  Stromfäden  durch  eine  Arbeitsleistung; 
so  z.  B.  die  geringe  Veränderung  von  Eierstockeiern,  welche  durch 
benachbarte,  der  Electrode  näher  stehende,  aber  entsprechend  vor- 
springende Eier  von  der  directen  Bestrahlung  durch  diese  Electrode 
ausgeschlossen  sind  und  anscheinend  nur  die  Stromfäden  erhalten, 
welche  schon  das  davor  gelegene  Ei  passirt  liaben ;  ferner  die  Beob- 
achtung, dass  zwei  zusammengebundene  und  quer  zur  Berührungs- 
fläche durchströmte  Gallenblasen  an  diesen  Flächen  erst 
erheblich  später  sich  verändern,  als  an  den  direct  bestrahl- 


BestimiHung  der  Richtung  der  (Trenzlinieu  der  Polfelder.  737 


teil  Aus  seil!  lach  eil,  eine  entsprechende  Beobachtung  auch  an 
zusammengedrängten  Froschembryonen.  Emc  solche  Erklä- 
rung dieser  Thatsachen  würde  jedoch  dem  Gesetze,  dass  jode  locale 
^tromschwäohung  alle  Querschnitte  der  ganzen  Strombahn  in  gleicher 
AVeise  afficirt,  widersprechen;  es  wird  daher  eine  andere  Erklärung 
der  bezüglichen  Erscheinungen  zu  suchen  sein. 

Wohl  nicht  durch  Stromschatten  bedingt  war  das  Ausbleiben 
der  V'^eränderung  an  der  Fläche  der  ,, platt"  ausgebreiteten 
Keimscheibe  des  Hühnchens.  Diese  Fläche  lief  einfach  parallel 
den  Stromfäden  des  homogenen  Feldes,  und  in  Folge  der  nur  geringen 
Leitungsdifferenz  convergirten  seitlich  von  ihr  verlaufende  Stromfäden 
nicht  in  genügender  Anzahl  gegen  sie,  um  die  Reizschwelle  zu 
überschreiten. 

b)  Bestimmung  der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder. 

Nach  diesen  Erörterungen  können  wir  zu  einer  kurzen  Be- 
sprechung der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder  zu 
d  e  n  N  i  V  e  a  u  f  1  ä  c  h  e  n  d  e  s  „umgebenden",  homogenen,  d.  h.  in 
sich  allenthalben  gleich  leitenden  electrolytischen  Feldes 
übergehen. 

An  unserem  ersten  üntersuehungsobjecte,  den  Froscheiern,  hatte 
sich  gezeigt,  dass  die  Grenzlinien  der  Polfelder  gegen  den  [207]  Aequator 
den  Richtungen  der  Niveauflächen  des  umgebenden  electro- 
lytischen Feldes  entsprechen;  und  diese  Ueberein Stimmung  hätte 
leicht  zu  einer  falschen  Verallgemeinerung  verführen  können.  Doch 
die  an  länglichen,  schief  zu  den  Stromlinien  stehenden  Gebilden,  wie 
Gallenblasen  und  Embryonen,  beobachteten  Abweichungen  der  Pol- 
feldergreuzen  von  diesen  Niveauflächen  wiesen  auf  den  wahren  ursäch- 
lichen Zusammenhang  hin ;  zumal  da  bei  der  Stellung  dieser  Gebilde 
mit  der  Längsaxe  in  Richtung  der  Stromlinien  oder  rechtwinkelig 
dazu  die  Polfeldränder  wieder  annähernd  die  Niveauflächenrichtung 
erlangten.  Dadurch  wurde  klar,  dass  die  Lage  und  Richtung 
des  Aequators  sowohl  von  der  ,, Gestalt"  des  Intraelectrolyten 
wie  von  der  „Lage"  desselben  zur  Richtung  der  Stromfädeii 
abhängig  ist. 

NV.  Roux,  Gesammelte  Abhandluagen.    II.  "*' 


738      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Dass  jede  Wirkung  an  einem  in  sich  homogenen  Intra- 
electrolyten,  welche  sich  auf  ihm  begrenzt,  mit  einer  „äqui- 
potentialen Grenze"  des  ,,Intraelectrolyten"  abschliessen 
muss,  ist  selbstverständlich.  Es  bleibt  also  blos  übrig,  uns  auf 
elementarste  Weise  eine  Vorstellung  darüber  zu  bilden,  warum  diese 
äcjuipotentialen  Linien  des  Intraelectrolyten  bei  ,, Kugel- 
gestalt" desselben  sowie  bei  einigen  anderen  Formen  zugleich  die 
Richtung  der  äquipotentialen  Flächen  der  betreffenden 
Stelle  des  „umgebenden"  homogenen  Electrolyten  besitzen, 
und  warum  dies  bei  den  abweichenden  Gestaltungen  nicht  der  Fall  ist. 

Wir  nehmen  an,  der  in  einem  runden  homogenen  electrolytischen 
Felde,  dessen  schmale  ElectrodenamRande  einander  gegenüberstehen, 
liegende  Intraelectrolyt  sei  so  klein,  dass  die  Stromdichte  in  seinem  Be- 
reiche allenthalben  wesentlich  die  gleiche  sei;  und  ferner,  zunächst 
wenigstens,  dass  der  Intraelectrolyt  das  gleiche  Leitungsver- 
mögen besitze  als  der  Electrolyt.  Alsdann  werden  die  Stromfäd'en 
durch,  ersteren  nicht  abgelenkt.  Die  einen  kugeligen  Intraelectrolyten 
tangir enden  Stromfäden  bilden  mit  ihren  Berührungspuncten  dann 
nicht  blos  für  den  Intraelectrolyten  eine  äquipotentiale  Linie,  weil 
sie  die  Linie  allenthalben  gleich  minimaler,  nämlich  keiner  Wirkung 
darstellen ;  sondern,  da  aus  geometrischen  G  r  ü  n  d  e  n  diese 
Tangentenlinie  eine  rechtwinkelig  zu  den  betreffenden  Strom- 
fäden stehende  Linie  ist,  ist  sie  zugleich  auch  eine  [208]  äqui- 
potentiale Linie  für  das  homogene  electrolytische  Feld.  Die  letztere 
Annahme  trifft  zwar  genau  blos  für  ein  aus  parallelen  Strahlen 
gebildetes  sowie  für  ein  concentrisches  Strahlenbündel  zu,  dessen 
Symmetrie- Axe  durch  den  Mittelpunct  der  Kugel  geht,  also  eigentlich 
blos  für  Kugeln,  die  in  der  mittleren,  geraden  Verbindungslinie  der 
Electroden  gelegen  sind;  jedoch  werden  auch  an  den  seitlich  im 
Stromfelde  stehenden  Kugeln  die  Abweichungen  so  gering  sein,  dass 
sie  an  den  uns  angehenden  Objecten,  den  Froscheiern,  nicht  wahr- 
nehmbar sind.  Auch  die  durch  den  Umstand,  dass  die  Froscheier 
nicht  genau  kugelig  sind,  bedingten  Abweichungen  werden  kaum  fest- 
zustellen sein.  Da  der  Aequator  die  Zone  geringster  Veränderung, 
die  Taugirungslinie  aber  die  Linie  ohne  Einwirkung  ist,  so  wird  bei 


Bestimmung  der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder.  739 


symmetrischer  Lage  der  Kugel  zu  beiden  Electroden  die  Tangirungs- 
linie  die  Mittellinie  des  Aequators  darstellen.  Die  durch  andere 
Stellung  der  Eier  bedingten  i\bweichungen  werden  immer  nur  sehr 
klein  sein.  Dagegen  waren  die  durch  die  mangelnde  Homo- 
geneität  der  Eier  hervorgebrachten  Abweichungen  so  erheb- 
lich, dass  wir  sie  mit  Leichtigkeit  wahrnehmen  konnten.  Da  diese 
sich  jedoch  auf  die  obere  Hemisphäre  beschränkten,  so  erhielten 
wir  bei  der  Betrachtung  der  Schalen  mit  Eiern  von  unten  das  Bild 
anscheinend  vollkommen  äquipotentialer  Curven. 

Dieselbe  Ableitung  gilt  natürlich  auch  für  die  Tangentenlinie 
eines  länglichen  oder  platten  Rotationskörpers,  dessen  Axe  in  Rich- 
tung eines  Stromfadens  steht,  und  ferner  wie  für  die  Tangen- 
tenlinie annähernd  auch  für  die  übrigen  Linien  gleichen  Potentials. 
Verlaufen  die  Stromfäden  der  Stelle  des  Feldes  nicht  gerade,  so 
bedingt  dies  natürlich  wiederum  kleine  Abweichungen.  Leitet  der 
Intraelectrolyt  besser  als  derElectrolyt,  so  zieht  der  so  orientirte 
Rotationskörper  die  Stromfäden  an,  aber  allerseits  in  fast  gleicher 
Weise;  die  Tangirungslinie  bleibt  somit  dieselbe,  ebenso  die  Richtung 
der  äquipotentialen  Linien  des  Rotationskörpers. 

An  länglichen,  aber  schief  zu  den  Stromlinien  stehenden 
Rotationskörpern  und  an  unregelmässig  gestalteten  Gebilden  dagegen 
zeigten  sich  augenfällige  Abweichungen  zwischen  den  äquipotentialen 
Linien  des  Litraelectrolyten  und  denen  des  Electrolyten,  welche  nicht 
blos  durch  Abweichungen  der  [209]  Tangirungslinie  bedingt  waren, 
sondern  durch  die  ungleiche  Stromdichte  an  den  verschiedenen 
Stellen  des  Feldes;  diese  AbAveichungen  wurden  noch  durch  die 
Spitzenwirkung  in  dem  Maasse  verstärkt,  dass  z.  B.  an  langen  schief 
im  Stromfeld  stehenden  Gallenblasen  oder  Embryonen  jedes  Polfeld 
weit  über  das  der  Electrode  zugewendete  Ende  der  Blase,  also  auch 
über  die  Tangi-rungslinie  herübergreift  und  der  an  diese  Stelle 
angrenzende  Theil  des  Aequators  der  entgegengesetzten  Electrode  zu- 
gewendet, also  scheinbar  von  ihr  aus  stark  bestrahlt  ist. 

Wir  haben  alle  die  an  den   organischen  Gebilden  beobachteten 

Verschiedenheiten  in  der  Localisation    des   Aequators   an  metallenen 

Intraelectrolyten  in  genügendem  Maasse  nachgemacht,  um  zu  sehen, 

47* 


740      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

dass  iu   den  Itichtnngs Verhältnissen   des  Aequators  nichts 
den  1  ehenden  Körpern  als  solchen  Eig enthümliches  vorliegt. 

e)   Ursachen    der   Unterschiede   in    der   L o c a I i s a t i o n    der 
Polfelder  hei  Metallen  und  den  lehenden  Körpern. 

Besprechen  wir  nun  die  Ursachen  der  Hauptunterschied  e 
zwischen  dem  Verhalten  d e r  M  e  t a  1 1  e  und  der  1  e  b  e n d e n  Körp er 
in  der  Localisation  der  Polfelder,  so  sind  sie  auf  folgende 
Momente  zurückzuführen : 

Erstens  auf  das  vielmal  bessere  Lei tungs vermögen  der 
Metalle  als  das  der  organischen  Körper.  Dies  bedingt,  dass  bei 
den  Metallen  die  Stromfäden  sowohl  ausserhalb  des Intraelectrolyten 
wie  auch  eventuell  innerhalb  desselben  andere  Bahnen  einschlagen. 
Von  viel  grösserer  Entfernung  her  convergiren  die  Stromfäden  gegen 
den  metallischen  Intraelectrolyten,  werden  also  in  viel  höherem  Maasse 
von  ihrer  Richtung  abgelenkt.  So  wurden  bei  den  Metallen  auch 
die  in  der  Richtung  von  nicht  abgelenkten  Stromfäden  stehenden 
Seitenflächen  bis  auf  einen  schmalen  Aequator  verändert,  während 
bei  der  platten  Keimscheibe  des  Hühnchens  nur  die  polwärts  ge- 
wendeten Ränder  eine  Trübung  zeigten,  die  Seitenflächen  aber  unver- 
ändert blieben.  Und  bei  gerundeten  organischen  Gebilden  treten  sowenig 
Stromfäden  an  den  seitlichsten  Theilen  ein,  dass  die  grosseBreite 
des  daselbst  befindlichen  unveränderten  Aecjuators  schon 
wesentlich  darauf,  in  Verbindung  mit  dem  Moment  der 
Reizschwelle,  z  u  r  ü  c  k  f  ü  h  r  b  a  r  erscheint. 

Die  Verschiedenheit  der  Bahnen  innerhalb  des  Intraelectrolyten 
ist  manchmal  von  noch  grösserer  Bedeutung.  Berührten  sich  zwei 
in  Richtung  des  Stromes  hinter-  [210]  einander  liegende  Metallkugeln 
leitend,  so  bekam  jede  blos  ein  gegen  die  Electrode  gewendetes,  über 
die  Hälfte  der  Kugel  einnehmendes  Polfeld,  und  die  gegen  einander 
gewendeten  Flächen  steflten  den  Aequator  dar.  War  dagegen  eine 
Gallenblase  durch  Unterbindung  in  zwei,  den  Kugeln  ähnlich 
gestaltete,  substanziell  aber  continuirlich  verbundene  Abschnitte  zer- 
legt, so  bekam  gleichwohl  jeder  Abschnitt  zwei  Polfelder  und  seinen 
eigenen  Aequator. 


Zusammenstellung  der  beobachteten  specifischen  Reactionsweisen  etc.         741 


Dieser  scheinbar  i'midamentale  Unterschied  beruht  jedenfalls 
darauf,  dass  bei  den  Metallkugeln  alle  aussen  auffallenden  Stromfäden 
möglichst  weit  durch  die  metallene  Verbindung  als  den 
leichteren  Weg  gehen,  auch  wenn  sie  noch  so  dünn  ist ;  während 
bei  den  Gallenblasen,  da  deren  Substanz  nicht  viel  besser  leitet 
als  der  Electrolyt,  dies  nur  die  der  Verbindung  beider 
kugeligen  Theile  nächsten  Stromfäden  thun,  die  entfernter 
davon  befindlichen  aber  an  der  anderen  Seite  der  Kugel  wieder  aus- 
und  in  den,  beide  Kugeln  trennenden  Electrolyten  ein-  und  aus 
diesem  in  die  andere  Kugel  übertreten,  so  dass  an  beiden  einander 
zugewendeten  Flächen  auf's  Neue  die  specifische  Wirkung  stattfindet. 

Auf  dieselbe  Weise  erklären  sich  auch  die  an  Emhrijonen, 
welche  in  der  Mitte  eingeschnürt  sind,  beobachteten  zivei 
ÄpquatoreUf  die  durch  ein  drittes  ringförmiges  Polfeld  von 
einander  gesondert  sind,  diQ^^&iahQn  dlQ  Specialpolarisation  der 
gesondert  vorspringenden  GehirnhJasen. 

Die  weiteren  Unterschiede  der  Localisation  der  Verände- 
rungen knüpfen  vermuthlich  an  s p  e c  i f  i s  c h  v  i t  a  1  e  Eigenschaften 
der  Organismen  an;  so  vielleicht  die  stärkere  Affection  des 
Frosch-  und  Tritoneies  in  der  „Umgebung"  des  Poles  als 
an  diesem  selber,  sofern  hierbei  nicht  die  stärkere  „Brechung" 
der  Stromfäden  an  den  seitlichen  Theilen  wesentlich  mit 
betheiligt  ist;  ferner  der  Ueb ergang  der  Specialpolarisation 
zur  Generalpolarisation  der  Morulae,  in  Gleichem  wie  die  specifi- 
sche Natur  der  Reactionsweise  selber.  Die  vitalen  Eigen- 
schaften kamen  auch  einige  Mal  schon  bei  der  abnormen  Abgren- 
zung der  Polfelder  in  Betracht,  siehe  S.  550  und  568. 

4.  Zusammenstellung  der  beobachteten  specifischen  Reac- 
tionsweisen der  lebenden  ,, embryonalen"  Obj  ecte  auf  den 
electrischen  Strom. 

Wenn  wir  nun  zur  Besprechung  der  specifischen  Reactions- 
weisen der  lebenden  ,, embryonalen"  Substrate  übergehen, 
so  fehlt  uns  für  deren  Beurtheilung,  noch  mehr  als  [211]  für  die 
LocaHsation  der  Veränderungen,  die  Kenntniss  des  inneren  Verhaltens 


74:2      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

der  Gebilde,  weshalb  wir  uns  jetzt  nur  /Aisammenfassende  Vorstellungen, 
aber  keine  Erklärung  der  Vorgänge  bilden  können. 

Bei  den  noch  ungetheilten  befruchteten  Frosch-  und 
Tritoneiern  war  ausser  der  grauen  Verfärbung  der  Rinde  der 
Polfelder  und  der  Anhäufung  von  Pigment  an  den  Niveau- 
linien ein  die  erstere  Verfärbung  wesentlich  mitbedingender  Durch- 
tritt von  Zell  in  halt  durch  die  Rinde  in  diffuser  Weise  oder,  wie 
an  den  Niveaulinien,  respective  bei  sehr  schwachem  Strom  auch  an  den 
auf  die  Pole  beschränkten  kleinen  Polfeldern,  in  Form  grösserer  oder 
kleinerer  Tropfen  wahrnehmbar.  Ausserdem  fand  eine  irreparabele 
Contraction  des  Protoplasmas  in  den  Niveaufurchen  unter 
geringer  Näherung  derselben  gegen  einander  mit  gleichzeitiger  Erniedri- 
gung des  Aequators  und  Erhöhung  der  oberen  Ränder  der  Polabschnitte 
statt.  An  unreifen  Eiern  dieser  Thiere  entstand  auf  dem  hellen 
Nahrungsdottertheil  keine  Verfärbung  der  Polfelder,  son- 
dern blos  eine  weisse,  wie  eingeritzte  Niveaulinie.  An  den 
Frosch-  und  Tritoneiern  gingen  auch  im  Bereiche  des  Aecjuators 
Veränderungen,  besonders  der  Pigmentvertheilung  vor 
sich,  theils  indem  das  Pigment  sich  in  Richtung  von  Polmeri- 
dianen des  Eies  oder  meist  zu  einer  dunklen  mittleren  Gürtellinie 
des  Aequators  ordnete. 

Bei  den  noch  ungetheilten  b  e  f  r  u  c  li  t  e  t  e  n  F i  s  c  h  e  i  e  r  n  erfolgte 
zunächst  eine  vielleicht  auf  Contraction  des  Protoplasmas  beruhende 
Ansammlung  des  Haupttheiles  des  Protoplasmas  an  einer 
nicht  durch  den  Strom  bestimmten  Seite  des  Nahrungsdotters;  die 
auch  bei  diesen  Eiern  entstehenden  beiden  Einschnürungen  an 
den  Grenzen  der  Polfelder  folgten  blos  dann  den  Niveaufiächen 
des  umgebenden  Mediums,  wenn  die  Eiaxe  zufällig  selber  in  einer 
solchen  Fläche  oder  rechtwinkelig  zu  ihr  lag.  Anderenf^ls  zeigte  sich 
eine  Tendenz  dazu,  dass  die  von  der  Keimscheibe  ausgehenden  beiden 
Einschnürungen  sich  möglichst  parallel  der  Eiaxe  auch 
auf  den  Nahrungsdotter  fortsetzen;  derart  jedoch,  dass  bei 
Schiefstellung  der  Eiaxe  gegen  die  Stromrichtung  die  Einschnürungen 
sowohl  von  der  Richtung  der  Niveauflächen  wie  von  der  parallelen 
Richtung  zur  Eiaxe    abweichen.      Es  ist    also  vollkommen    deutlich. 


.  Zusamiueustellung  der  beobachteten  specifischen.  Reactionsweisen  etc.         743 

(lass  das  F i  s  c li  e  i  n  i  c h  t  .<;•  1  e  i c  h  d  e in  F  r o s ch e  i  fast  ,, li  o  m  o  g  e  n  " 
gegen  den  Strom  sieh  verhält,  sondern  dass  ein  fester  Mecha- 
nismus vorhegt,  der  die  [212]  Richtung  der  durch  den  Strom  ver- 
anhissten  Contractionen  beeinflusst.  Die  durch  die  Schnürfurchen 
abgegrenzten  ,,Polabsc]initte''  werden  trüjj.  Bei  Stellung  der  Eiaxe 
in  Richtung  des  Stromes  waren  diese  Trübungen  wieder  in  Richtung 
der  Niveauflächen  begrenzt  und  lagen  manchmal  beide  in  dem  kleinen 
Bereiche  des  Bildungsdotters.  Auch  bei  den  Fischeiern  wurde  Sub- 
stanz, jedoch  nur  sehr  wenig,  im  Bereiche  der  Polfelder 
und  blos  in  feinster  Vertheilung  aus  der  Oberfläche  hervor  getrieben. 

An  den  noch  durchscheinenden  E  i  e  r  s  t  o  c  k  s  e  i  e  r  n  d  e  s  F  r  o  s  c  h  e  s 
wurden,  wie  bei  den  Eiern  des  Fisches,  wie  es  schien,  nicht  blos 
die  ,, Polfelder",  also  die  oberflächlichen  Theile,  sondern  allmäh- 
lich die  ganzen  „Polabschnitte"  trüb. 

An  den  in  Zellen  getheilten  P^iern  fand  sich  wesentlich 
dieselbe  Art  der  Veränderung;  nur  sprach  sich  dabei  ein  Gegensatz 
zwischen  dem  Verhalten  isolirter  Zellen  und  noch  im  Verband 
der  Morula  oder  Blastula  befindlicher  Zellen  aus.  Erstere  platzten 
an  den  beiden  Polen  auf,  also  ähnlich  den  lange  Zeit  mit  sehr 
schwachem  Strom  durchströmten  ungetheilten  Eiern.  Die  nicht  isolirten, 
noch  im  Morula-Gastrul averbande  befindlichen  Zellen  da- 
gegen bildeten  Polfei  der,  die  mit  ihren  Niveaulinien  der  äusseren 
Ansicht  nach  weniger  um  den  eigenen  Zellpol,  als  vielmehr  um  den 
nächsten  electrischen  Pol  des  ganzen  Eies  centrirt  waren  und  dann 
längs  der  Niveaulinien  aufplatzten. 

Man  kann  sich  zur  Erklärung  vorstellen,  dass  die  isolirten 
Zellen  zu  einer  Polfeldbildung  keine  Gelegenheit  erhalten,  weil  sie 
sogleich  an  den  Polen,  als  an  den  stärkst  afficirten  Stellen  aufplatzen, 
wonach  bei  ^er  Contraction  des  Rindenprotoplasmas  der 
Inhalt  aus  diesen  beiden  Oeffnungen  sich  entleeren  musste,  so  dass 
er  nicht  mehr  diffus  durch  die  Zellrinde  gej^resst  werden  konnte  und 
diese  selber  auch  nicht  mehr  an  einer  Niveaulinie  aufzuplatzen  in  der 
Lage  war ;  letzteres  zugleich  noch  deshalb ,  weil  durch  die  beiden 
ausgetretenen  Protoplasmamassen  die  Stromfädenvertheilung  alterirt 
und  die  Gegend  der  sonstigen  Niveaufurchen  auf  diese  verlegt  wurde. 


744      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Wir  haben  an  Extraovaten  der  Frosch-  und  Tritoneier, 
sowie  an  mit  dem  Messer  hergesteUten  Theilen  des  Dotters  des  Fisch- 
eies gesehen,  dass  die  der  Rinde  beraubten  Eitheile  keine 
Polfelder  und  auch  keine  Niveauring-Gontraction  bilden. 
Die  natürliche  Rindenschicht  dagegen  ist  sehr  corltractil; 
denn  die  Umschlies-  [213]  sungsschicht  der  isolirten  Blastulazellen 
des  Tritons  konnte  sich  bei  der  Entleerung  ihres  Inhaltes  fast  um  -'^/loo, 
ohne  Falten  zu  bilden,  zur  Umschliessung  des  geringen  Inhalts- 
restes verkleinern. 

An  durchströmten  Gastrulae  des  Triton  wurde  schon  ohne 
Microtomirung,  durch  Zerzupfen  erkannt,  dass  Zellen  derart  polarisirt 
waren,  dass  sie  einen  gegen  die  Eioberfläche  gewendeten  hyalin-proto- 
plasmatischen  und  einen  inneren  dotterkörnerreichen  Polabschnitt 
besassen. 

An  jungen  Froschembryonen  wurde  im  Bereiche  der  Pol- 
felder Abfall  des  Epithels  in  einzelnen,  gerundeten  Zellen 
an  älteren  Embryonen  in  zusammenhängenden  Fetzen  beobachtet. 
An  den  durchscheinenden  Embryonen  des  Fisches,  der  Eidechse, 
des  Huhns  und  der  Maus  war  auch  bipolare  Trübung  an  inneren 
Organen,  besonders  am  Gehirn,  aber  auch  am  Entoblast,  an  den 
Ur wirbeln  und  am  Herz  von  aussen  wahrnehmbar.  Die  nach- 
folgende microscopische  Untersuchung  muss  erst  das  Genauere  über 
diese  Veränderungen  ergeben. 

An  dünnwandigen  Gallenblasen  aller  Wirbelthierklassen 
wurde,  wie  durch  den  Gleichstrom  so  auch  durch  den  Wechselstrom 
im  Bereiche  des  Polfeldes  sofort  eine  starke  Diosmose  hervorge- 
rufen, welche  vielleicht  durch  eine  Tödtung  oder  Schwächung 
der  die  Blase  auskleidenden  Epithelien  eingeleitet  wird. 

An  den  angrenzenden  Rändern  des  Aequators  der  Gallen- 
blasen dagegen  wurde  die  Diffusibilität  bei  geeigneter  Stromdichte 
derart  herabgesetzt  oder  aufgehoben,  dass  diese  Linien  bei  einer  zweiten, 
sie  direct  bestrahlenden  Durchströmung  gleichwohl  in  ihrer  Farbe 
unverändert  blieben,  was  an  ein  gleiches  Verhalten  derselben 
Linien  bei  Messingkugeln  und  Kupferplatten  erinnerte. 
Es  liegt  nahe,  dies  Verhalten  auf  einen  zwischen  dem  primären  und 


Zusammenstelluna;  der  beobachteten  specifischen  Reactionsweisen  etc.         745 


seciindären  Polfekl  sich  bildenden  Polarisationsstroni  zurückzuführen; 
derselbe  müsste  allerdings  sehr  stark  sein,  um  selbst  an  der  8 teile 
stärkster  Bestrahlung  die  Veränderung  verhindern  zu  können; 
doch  deutet  die  Rückgängigmachung  schon  vorhandener  Verände- 
rungen bei  der  auf  der  Kupferplatte  beobachteten  Wanderung  dieser 
Linie,  auf  einen  complicirteren  Zusammenhang  hin ;  und  dafür  spricht 
auch  die  an  den  Gallenblasen  gemachte  Beobachtung,  dass  diese 
Linien  selbst  durch  Erwärmen  der  Gallenblase  auf  50°  C. 
nicht  mehr  diffusibel  zu  machen  sind. 

[214]  Ehe  wir  zu  dem  letzten,  schwierigsten  Abschnitte  der  uns 
obliegenden  Erörterung  übergehen,  wollen  wir  einen  Ueberblick 
über  das  Allgemeine  der  bisherigen  Ergebnisse  werfen. 

Wir  haben  gefunden,  dass  lebendes  ,, embryonales"  Material 
von  Wirbelthieren  in  deutlich  sichtbarer  Weise  mit  structurellen 
und  gröberen  formalen  Veränderungen  auf  den  electrischen 
Strom  reagirt. 

[Wir  können  sagen  : 

Die  lebende  Zellleibsubstanz  der  frühen  Ent- 
wickeluugsstadien  der  Wirbelthiere  besitzt  eine  starke, 
zum  Theil  eigenartige,  Reactionsfähigkeit  auf  elec- 
trische  Einwirkungen,  auf  Gleichstrom,  Wechselstrom 
und  auf  die  Schläge  der  Leydener  Flasche  (s.  S.  657), 
welche  den  Zellen  des  älteren  Thieres  nicht  mehr 
zukommt,  welche  aber  bei  den  Protisten  und  bei 
Coelenteraten  (Hydra)  während  des  ganzen  Lebens 
sich  findet.] 

Die  specifische  Natur  dieser  Veränderungen  bedarf  noch  viel- 
facher Aufklärufig. 

[Der  allgemeinste  Charakter  des  beobachteten  V^erhaltens 
bestehtin  sehr  geringer  Widerstandsfähigkeit  dieses  embryonalen 
Materiales  gegen  den  electrischen  Strom  (Wechsel-  und  Gleichstrom) 
an  den  Ein-  und  Austrittsstellen  desselben  bei  wässeriger 
Umgebung.  Bei  trockner  Durchströmung  war  die  Reaction  gering 
oder  blieb  ganz  aus.    Die  allgemeinste  Reaction  bestand  in  deletärer 


746      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Veränderung,   an   den    durchscheinenden   (3bjecten    in    Trüb-    und 
Hartwerden  des  Zellleibes  auf  den  Polseiten  der  Gebilde. 

Aehnliche  deletäre  Wirkung  des  electrischen  Stromes  wie  hier 
au  den  Eiern  und  Embryonen  von  Wirbelthieren  wurde  von  Ki:HXE 
und  später  von  Verworn  an  den  Protisten  beobachtet  und  findet  sich 
bei  diesen  Organismen  während  des  ganzen  Lebens;  bei  den  Wirbel- 
thieren dagegen  war  solches  Verhalten  im  Erwachsenen  von  dem 
Epithel  der  Gallenblase  abgesehen  nicht  mehr  nachweisbar. 

An  unserem  Eimateriale  zeigten  sich  aber  noch  allerhand 
Besonderheiten,  welche  von  besonderen  Eigenschaften  des  Sub- 
strates abhängen  müssen:  Durchtritt  von  Ei  Inhalt  durch  die 
Ei  rinde  an  den  Ein-  und  Austrittsstellen  des  Stromes,  typisch 
localisirte  Pigment  Wanderungen  (Anhäufung  des  Pigmentes 
an  der  Grenzlinie  der  Polfelder,  ferner  in  der  Mitte  des  electrischen 
Eiäquators  und  bei  sehr  schwachem  Strom  die  Bildung  von  Pig- 
mentstreifen  an  dem  alsdann  breiten  Aequator  in  Richtung 
von  Polmeridianen  des  Eies),  und  localisirte  Contraction 
an  der  Grenze  des  Polfeldes  gegen  den  Aequator;  diese 
Veränderungen  fanden  nur  an  mit  Eirinde  bedeckten  Stellen  statt, 
waren  aber  nicht  an  Vorhandensein  des  ganzen  Eies  gebunden, 
sondern  entstanden  auch  an  Stücken  desselben,  waren  also  ganz 
locale  Vorgänge.  Diese  Gruppe  von  Veränderungen  bildete  die 
Veranlassung  für  die  Einführung  der  besonderen  Bezeichnung  der 
^^morphologischen  Polarisation'-',  welche  dann  aber  auch  auf 
die  später  gefundenen,  anderen  polar  localisirten,  bleibenden,  dele- 
tären  Veränderungen  mit  angewandt  wurde. 

An  Embryonen  kommen  dazu  die  Quellungen  der  Gehirnblasen- 
wandung im  Wechselstrom  und  Gleichstrom,  welche  zur  Bildung  von 
in  Richtung  des  Stromes  gelegenen  Wülsten  führte  und 
ähnliche  A^eränderungen  an  der  secundären  Augenblase. 

Von  (janz  hesonderer i)hysiologischer  Bignität  scheinen 
weiterhin  die  That  Sachen  der  „Speci  alpol  arisation"  der 
Zellen  lebenskräftiger  getheilter  Eier  und  der  „General- 
polarisatton"  geschwächter  getheilter  Eier  zu  sein;  sie  sind 
wohl  des  eingehendsten  Studiums   der  Physiologen    iverth. 


Bedingungen  der  beoLachteten  polaren  Reactionen  der  lebenden  Objecte.       747 


Ausserdem  wurden  auch  besondere  Beeinflussungen  phy- 
siologischer Gestalt ungs Vorgänge  wahrgenommen,  so  in  den 
Kernen  (s.  S.  598  und  631),  im  Zellleib  (s.  S.  621,  631)]. 

Die  Veränderungen  boten  alle  polare  Localisation  dar,  d.  h. 
sie  waren  auf  die  Polseiten  der  Gebilde  beschränkt.  Zu  der  ihrer 
Qualität  nach  schon  dauernden,  „morphologischen  Natur 
der  Veränderung"  kam  also  noch  eine  typische  Localisation  dieser 
A^eränderungen.] 

5.  Bedingungen  der  beobachteten  polaren  Reactionen 
der  lebenden  Objecte. 

Diese  Localisation  war  theils  abhängig  von  der  Gestalt  der 
untersuchten  Gebilde,  in  erster  Linie  aber  von  der  Versuchs- 
anordnung, nämlich  von  der  ,,intraelectrolytären"  Durch- 
strömungsweise; denn  diese  allein  machte  es  möglich,  dass  die 
Gestalt  der  Körper  so  zur  Geltung  kommen  konnte,  dass  geradezu 
eine  von  der  Gestalt  und  Leitungsfähigkeit  der  Gebilde  ab- 
hängige „SelhstgestaJtung  der  Ein-  und  Austrittstellen" 
des  Stromes  stattfand. 

Dieselbe  Anordnung  war  auch  l>ei  den  Versuchen  Kühne's  und 
Verwokn's  an  Protisten  angewendet  worden,  worauf  die  Ueberein- 
stimmung  in  der  Localisation  der  von  ihnen  beobachteten  Wir- 
kungen mit  den  obigen  beruht^). 

Fand  dagegen  keine  vollkommene  Eintauchung  statt,  wie  wir 
das  bei  einer  Gallenblase  gesehen  haben,  oder  war  der  Eintritt  von 
Stromfäden  aus  dem  Electrolyten  gehindert,  wie  an  den  Berührungs- 
stelleu der  Intraelectrolyten  mit  dem  Boden  oder  der  Seitenwand  des 
Glasgefässes,  so  blieben  auch  die  betreffenden  Stellen  unverändert, 
obgleich  sie  selbstverständlich  vom  Strome  durchflössen  wurden. 
Bei  den  gewöhnlichen  physiologischen  Versuchen  mit  Auflegen  des 
Objectes  auf  die  Bäuschchen  oder  mit  Aufsetzen  der  uupola-  [215]  risir- 
baren  Electroden  auf  das  Object  wird  die  Ein-  und  Austrittstelle  des 

[1)  Es  kann  vielleicht  als  zweifelhaft  erscheinen,  ob  es  den  genannten  Autoren 
schon  ganz  bewusst  war,  dass  das  Besondere  der  auch  von  ihnen  beobachteten 
polaren  Localisation  der  Reaction  der  Protisten  durch  die  hier  angegebenen  Compo- 
nenten  bedingt  ist.] 


748      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Stromes  vom  Experimentator  bestimmt ;  und  nur  von  diesen  Puncten 
uus  kann  sich  der  Strom  noch  innerhalb  des  Objectes  in  bestimmter 
Weise  vertheilen,  aber  immerhin  noch  zum  Theil  ähnhch  wie  in  der 
Wasserschale. 

L.  Hermann  hat  hervorgehoben,  dass  Muskeln  und  Nerven  aus 
Fäden,  umgeben  von  indifferenten  Leitern,  bestehen,  und  hat  daraus 
die  von  ihm  zur  Erklärung  der  Wirkung  des  electrischen  Stromes 
herangezogene  innere  Polarisation  abgeleitet.  Da  auch  das  Proto- 
plasi"!;ia  wässerige  Flüssigkeit,  das  Paraplasma,  zwischen  seinen  Fäden, 
Häutchen  oder  Körnchen  enthält,  so  sind  also  alle  auf  den  electri- 
schen Strom  reagirenden  lebenden  Substrate  in  gewissem 
Maasse  selber  als  ,,Intraelectrolyten"  zu  betrachten. 

Die  Selbstbestimmung  der  Eintrittsstellen  der  Stromfäden  durcli 
die  Objecte  ist,  wie  oben  dargethan  wurde,  um  so  grösser,  je  grösser  die 
Leitungsdifferenz  von  Electrolyt  und  Litraelectrol^'t  ist,  und  dabei  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  auch,  je  grösser  die  vom  Eleetrolyten  einge- 
nommenen Zwischenräume  zwischen  benachbarten  reagirenden  Intra- 
electrolyten  sind. 

Verhalten   der   lebenden  Objecte  bei   ,, nicht  intraelec tro- 
1  y  t  ä  r  e  r' '  I)  u  r  c  h  s  t  r  ö  m  u  n  g. 

Um  zum  Ueberfluss  das  Verhalten  embryonalen  Materiales  bei 
nicht  intraelectrolytärer  Durchströmung  direct  zu  beob- 
achten, setzte  ich  an  frei,  ohne  Flüssigkeit  in  einer  Glasschale  liegende 
junge  Hühnerembryoneu  die  Nadelelectroden  direct  auf; 
es  entstand,  wie  zu  erwarten,  blos  an  der  Berührungsstelle 
der  Anode  und  danach  in  der  Umgebung  derselben  weisse  Trü- 
bung, die  sich  allmählich  weiter  ausbreitete,  und,  wie  der 
nachher  gemachte  Durchschnitt  zeigte,  auch  in's  Innere  einge- 
drungen war  und  alle  anwesenden  Organe,  aber  die  verschiedenen 
Organe  in  nicht  ganz  gleicher  Stärke  und  nicht  ganz  gleicher  Aus- 
dehnung von  der  Electrode  aus,  weisslich  getrübt  hatte. 

Da  wir  bisher  gesehen  haben,  dass  diese  Wirkung  nur  an  der 
Berührungsstelle  der  reagirendenSubstanz  mit  einemElectro- 
lyten  stattfindet,  so  istaus  diesem  Eindringen  in'sinnere  zuschliessen. 


Verhalten  d.  lebenden  Objecto  bei  „nicht  intraelectrolytärer"  Durchströmung.     749 


(lass  die  in  unserem  Sinne  pohirisirte  ( getödtet  e)  orgu- 
nisclie  Substanz  sich  gegen  noch  unpolarisirte  lebende 
wie  ein  Electrolj't  verhält;  und  andererseits,  dass  die  noch 
unveränderte,  lebende  Suhstanz  keinen  Electrolyten  in  dem, 
Sinne,  dass  er  zur  Veranlassung  unserer  morphol  ogi- 
[216]  sehen  Reactioncn  ausreichte,  darstellt  oder  auch  nur 
einen  solchen  enthält,  trotz  des  Faraplasmas,  welches  allent- 
halben sich  findet  und  leicht  dafür  zu  halten  wäre.  An  der  Kathode 
fand  so  starke  Gasentwickelung  statt,  dass  man  erst  nach  dem  Aufhören 
der  Durchströmung  und  Wegspülung  der  Blasen  das  Feld  besichtigen 
konnte;  es  war  heller,  durchscheinender  und  weicher  geworden  und 
dehnte  sich  gleichfalls  in's  Innere  des  Embryo  aus;  an  den  Geliirn- 
blasen  aber  wurden  die  innersten  Theile  der  Wandung  etwas  trüb. 

Danach  wollte  ich  prüfen,  ob  vielleicht  dieses  Verhalten  der 
Hühnerembryonen  keine  vital  vermittelte  Reaction,  sondern  auf  Seite 
der  Kathode  blos  kataphorische  Wirkung  und  auf  Seite  der  Anode 
Gerinnung  sei,  ob  sie  also  Veränderungen  darstellen,  wie  sie  auch 
an  todten  organischen  Substanzen  vorkommen,  zumal  da  das  anodische 
Aveisse  Feld  durch  Aufsetzen  der  Kathode  wieder  hell  durchscheinend 
wurde.  Um  zu  ermitteln,  ob  die  beobachtete  Reaction  an  das  Leben 
der  Gewebe  gebunden  sei,  legte  ich  ein  Stück  des  vorigen  Embryo  drei 
Minuten  lang  in  ^'3  ''/o  ige  Kochsalzlösung  von  50  °C.  um  es  zu  tödten,  und 
durchströmte  es  dann  in  derselben  Richtung  als  früher;  er  wurde  an 
der  Anode  noch  weiss,  aber  reagirte  viel  träger.  Daher  verstärkte  ich 
die  Wirkung  der  Wärme  durch  drei  Minuten  langes  Erwärmen  eines 
anderen  frischen  Embryo  auf  60°  C. ,  wodurch  derselbe  schon  ein 
wenig  trüb  wurde;  beim  Durchströmen  trübte  sich  sodann  auf  den 
Anodenseiten,  aber  nur  sehr  langsam,  das  Innere  der  Embryo;  während 
eine  Oberfläche^schicht  von  etwa  0,7  mm  Dicke  nicht  mehr  trüber, 
sondern  im  Gegentheile  hell  durchscheinend  wurde.  Dies  deute  ich 
so,  dass  die  zunächst  erwärmte  oberflächliche  Schicht  voll- 
kommen getödtet  worden  war  und  daher  ihre  Reactions- 
fähigkeit  verloren  hatte,  während  die  tieferen  Theile  nur  noch 
schwach  reagirten.  Zu  weiteren  Versuchen  waren  wegen  der  Jahres- 
zeit keine  Embryonen  mehr  zu  erlangen. 


750      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 


Um  dies  an  Embryonen  bei  directer  Aufsetzung  der  Electroden 
beobachtete  Verhalten  mit  dem  Verhalten  ern-achsener  Organe 
zu  vergleichen,  wurden  die  Electroden  desselben,  nicht  starken  gal- 
vanischen Stromes  auf  die  Muskeln,  den  Darm,  die  Leber  des  erwach- 
senen Frosches  aufgesetzt;  es  entstand  jedoch  keine,  mit  der  an  den 
Embryonen  [217]  beobachteten,  vergleichbare  Trübung;  und  des- 
gleichen iDheb  eine  entsprechende  Reaetion  aus  bei  gleicher  Anwen- 
dung des  mindestens  dreimal  stärkeren  Wechselstromes,  welcher 
bei  geringem  Electrodenabstand  nur  durch  starke  Erwärmung  allmäh- 
lich eine  Trübung,  Gerinnung  hervorbrachte. 

Beim  Durchströmen  der  ( 1  a  1 1  e  n  b  1  a  s  e  n  des  erwachsenen  Frosches 
jedoch  entstand  bei  directem  Aufsetzen  der  Drahtelect roden 
an  der  Anode  ein  allmählich  auch  auf  deren  Umgebung  sich  aus- 
dehnender hellgrüner  Fleck,  aber  blos,  wenn  wässerige  Flüssig- 
keit, so  auch  schwache  Kochsalzlösung,  an  der  Berührungsstelle  sich 
vorfand;  wenn  dies  nicht  der  Fall  war,  so  bildete  sich  blos 
ein  trockener,  dunkler  Fleck. 

Diese  Versuche  haben  also  die  Annahme,  dass  die  in  den 
Abschnitten  I— IV  mitgetheilten  Localisationen  der  electrischen  Wir- 
kung durch  die  intraelectrolytäre  \^ersuchsanordnung  bedingt  sind, 
auf's  Neue  bestätigt. 

Wenn  wir  diese  und  die  früheren  Beobachtungen  zusammen- 
nehmen, so  kann  wohl  kein  Zweifel  bestehen,  dass  den  genannten 
Eiern,  Embryonen  und  den  Gallenblasen  eine  besonders 
leicht  eintretende,  zum  Theil  eigenartige  Reactionsfähigkeit 
auf  den  electrischen  Strom  zukommt,  sowie  dass  der  Ort  und  die 
Gestalt  dieser  durch  den  Strom  veranlassten  polaren  Veränderungen  von 
derEintrittsstelle  resp.  (Austrittsstelle)  der  Stromfäden  in  das  noch 
lebende  Substrat  abhängig  ist,  und  dass  die  Wirkung sfähigke it 
an   die  Berührung  mit  einem  Electrolyten  gebunden  ist. 

Es  ist  ferner  zu  vermuthen,  dass  die  bezüglichen  Verän- 
derungen nur  an  der  ,, Oberfläche"  der  ,, lebenden"  Substanz 
vor  sich  gehen  und  erst  nach  dem  Absterben  der  Oberflächen- 
schicht sich  bei  einigen  Gebilden  auch  auf  die  nächst  tiefer  liegende 
Schicht  und  so  fort  in  die  Tiefe  ausdehnen  können. 


Verhalten  d.  lebonclen  Objecte  bei  ,.nicht  intraelectrolytärer"  Durchströmung.     751 


Wenn  sich  somit  ero-chcn  hat,  dass  diese  so  auf  fähig  gestaltete 
Localisation  der  beobachteten  Veränderungen  nichts  den  betreffen- 
den Objecten  Specifisehes,  sondern  eine  Folge  der  Versuchsanordnung 
und  der  (lestalt  der  \^ersuchsobjecte  war,  so  treten  diese  doch 
int  mev  polar  JocaJi sirten  Veränderungen^  sowolil  durch  ihre 
ttiorpli  oloiiischen  Ch(traktere,  als:  Fi gmenfn-anderung,  Extra- 
ovate,  grobe  Trähiingen  und  durch  ihre  Beschränkung  auf 
eine  „Oherflächenschiclit"  oder  tvenigstens  durch  [218]  *  Ar 
Ausgehen  von  derselben  unter  Freilassen  mindestens  einer 
Aequatorscheibe  in  einen  Gegensatz  zu  der  von  Peltier  1834 
entdeckten  und  von  du  Bois-Reymond  und  L.  Hermann  u.  A.  weiterhin 
untersuchten  inneren  Polarisation  thierischer  Gebilde^  welche 
nicht  sichtbar  ist  und  sich  auf  die  inneren  Oberflächen  der 
lebenden  Theile,  angeblich  im  ganzen  Bereiche  der  durch- 
flossenen  Strecke  ausdehnt. 

Um  sie  von  letzterer  Polarisation  zu  unterscheiden,  habe  ich 
die  Entstehung  dieser  neuen  polaren  Veränderungen  nach  dem  einen 
ihrer  unterscheidenden  Hauptcliaraktere  als  ,,m  o  rp  holo  g  i  seh  e"  Fo  1  a  r  i- 
sation  bezeichnet. 

Es  muss  den  Physiologen  überlassen  bleiben,  die  Ursache  nach- 
zuweisen ,  warum  die  beschriebenen  V  e  r  ä  n  d  o  r  u  n  g  e  n  n  u  r 
von  der  ,,  Über  fläch  e  "  ausgehen,  obgleich  im  Inneren  der 
lebenden  Gebilde  ebenfalls  Gelegenheit  sowohl  zur  Abscheidung 
von  Jonen,  welche  nach  Bernstein  als  das  die  Veränderungen  ver- 
mittelnde Agens  anzusehen  sind,  wie  zur  Brechung  von  Strom- 
fäden gegeben  ist;  so  dass  in  Folge  dessen  die  Zelle  trotz  solcher 
inneren  Structur  nur  von  „aussen''  her  und  somit  als  ,, ein- 
heitliches Ganzes''  entsprechend  ihrer  äusseren  Gestalt 
polarisirt  tv^rd.  Es  ist  ferner  zu  erforschen,  worin  die  specielle 
Natur   der  Veränderungen   und   der  Mechanismus   derselben  besteht.- 

So  weit  es  richtig  ist ,  dass  beim  e  1  e c t r i s c h e n  Durch- 
strömen carcinomatöser  Körpertheile  gerade  die  Car- 
cinomz eilen  alterirt  werden  und  absterben,  kann  man  auf  Grund 
der  vorstehenden  Versuchsergebnisse  darin  eine  Bestätigung  ihrer 
von    ViRCHOw    und    Cühnheim    vermutheten    embryonalen    Natur 


752      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Grebilde  etc. 

erblicken;  eine  Annahme,  welcher  ich  eine  weitere  Unterlage  gegeben 
habe,  indem  ich  mehrfach  in  Embryonen  Zellen,  welche  abnormer 
Weise  auf  viel  niederer  Stufe  der  Differenzirung  als  die  der  Um- 
gebung stehen  geblieben  und  nicht  an  das  umgebende  Gewebe  mor- 
phologisch angeschlossen  waren,  an  den  verschiedensten  Stellen  auf- 
gefunden habe  (s.  S.  496  Anm.  u.  I,  S.  302). 

6.  Ursache  n  d  e  r  Specialpolarisatioii  der  Zellen  des  Eies. 

Es  erübrigt  zum  Schlüsse,  uns  eine  Meinung  über  das  zwei- 
fache Verhalten  des  schon  in  mehrere  Zellen  getheilten 
[219]  Frosch-  und  Tritoneies,  über  die  an  diesen  Gebilden 
beobachteten  beiden  verschiedenen  Localisationen  der  polaren  Reac- 
tionen  auf  den  electrischen  Strom  zu  bilden. 

An  der  lehenskräftigen  Morula,  Blastula  und  jüngeren 
Gastrula  bildete  ^ er? e  einzelne  Zelle  ein  besonderes  „Spe- 
ciidpolfeld'",  respective  deren  sivei,  und  einen  eigenen  „Special- 
äqf(((tor''  (s.  S.  591  und  611). 

An  der  yeschiv ächten  Morula  oder  Blastula  dagegen  ent- 
standen zwei  giOQ&Q  „Generalpolfelder''  am  ganzen  Ei,  die  einen 
über  die  Aequatorgegend  des  ganzen  Eies  weggehenden  ,,  Gener al - 
äquator"  begrenzten.  (Ueber  ein  etwaiges  bezügliches,  zweifaches 
Verhalten  auch  der  älteren  Gastrula  und  der  Embryonen  liegen 
genügende  Beobachtungen  zur  Zeit  nicht  vor;  doch  schien  es,  dass 
bei  letzteren  die  oberflächlichen  Zellen  durch  Contraction  gerundet 
and  ausserdem  zur  Abscheidung  von  Flüssigkeit  (Schleim  ?)  angeregt 
wurden ;  bei  älteren  Gastrulae  wurde  sowohl  Zellcontraction ,  siehe 
S.  615,  sowie  auch  Zell-Polfeldbildung  gleich  wie  an  der  jüngeren  Ga- 
strula beobachtet,  siehe  S.  614.) 

Es  ist  die  Frage,  was  jede  der  beiden  obigen,  an  denselben 
Objecten  vorkommenden  verschiedenen  Reactionsweisen  bedeutet, 
und  worin  die  Verschiedenheit,  ja  Gegensätzlichkeit  derselben  ihren 
Grund  hat. 

Bei  derGeneralpolarisation  verhält  sich  das  in  vieleZellen 
zerlegte  Ei  wie  das  ungetheilte  Ei;  bei  der  Specialpolari- 
sation der  einzelnen  Zellen  dagegen  reagirt  jede  Zelle  des  Eies 


Ursachen  der  Specialpolarisation  der  Zellen  des  Eies.  753 

für  sich.  Fragen  wir  zunäclist,  worauf  das  letztere  Verhalten  be- 
ruhen kann. 

Die  Zellen  der  Morula  und  Blastula  sind  normaler  Weise  jede 
für  sich  nach  aussen  convex  gewölbt.  Es  w^ar  daher  mein  erster 
Gedanke,  dass  dieses  Moment  vielleicht  wesentlich  zu  dem  Effecte 
beitrage;  und  da  bei  Schwächung  des  Eies  durch  längere  Durch- 
strömung die  Zellen  sich  abplatten,  bevor  dann  die  Generalpolarisatiou 
des  Eies  eintritt,  schien  diese  Annahme  sich  zu  bestätigen;  diese 
wTchselndeu  Gestaltverhältnisse  schienen  also  eine  ausreichende  Er- 
klärung für  den  Wechsel  der  Reaction  zu  geben. 

Um  diese  Auffassung  zu  prüfen,  wurden  mehrere  Experimente 
gemacht. 

Ich  fand  zwei  unget heilte  Eier,  welche  abnormer  Weise  eine 
grosse  Furche  gebildet  hatten,  die  einen  gewölbten,  zungen-  [220] 
förmigen  Theil  des  Zellleibes  unvollkommen  abson- 
derte. Diese  Eier  wurden  sogleich  in  einer  Richtung  durchströmt, 
welche  den  Zungenlappen  gegen  eine  Electrode  wendete.  Obgleich 
nun  dieser  Lappen  durch  eine  Furche  abgeschnürt  und  durch  in  sie 
eingedrungene  Flüssigkeit  vom  Haupttheil  des  Eies  zum  Theil  gesondert 
und  für  sich  gewölbt  war,  bildete  er  sogleich  ein  die  ganze  bestrahlte 
Fläche  einnehmendes  Polfeld  als  Theil  des  Generalpolf eldes 
dieser  Seite,  aber  kein  zweites  Polfeld  und  keinen  eigenen  Aequa- 
tor.  Es  trat  also  trotz  vollkommen  geeigneter  Form  keine  Special- 
polarisation ein. 

Weiterhin  hatte  ich  beobachtet,  dass  durch  Carbolsäuredämpfe 
getödtete  Morulae  ihre  nach  aussen  gewölbten  Zellformen  behielten, 
also  nicht  wie  sonst  die  Eier  vor  dem  Absterben  ihre  Oberflächen- 
zellen  abj)latteten.  Daher  vergiftete  ich  Morulae  in  geringerem 
Maasse  mit  Carbolsäure,  so  dass  sie  noch  reactionsfähig  blieben; 
beim  Durchströmen  zeigte  sich  dann,  dass  sie  trotz  Erhaltung 
ihrer  Zellrundung  rasch  die  beiden  Generalpolfelder 
bildeten. 

Ein  weiteres  Argument  boten  schon  die  normalen  Morulae  dar. 
Die  helle  Unterseite  des  getheilten  Frosch-  und  Tritoneies  hat  immer 
zur   Kugel  fläche    des    Gesammteies    abgeplattete,    ober- 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.   II.  48 


754:      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

flächlich  nur  durch  feine  seichte  Furchen  von  einander  getrennte 
Zellen;  gleichwohl  reagirten  auch  diese  Zellen  jede  für 
sich.  Das  Gleiche  war  einige  Male  bei  durch  Eis  geschwächten  Eiern 
auch  an  den  dadurch  abgeplatteten  Zellen  der  schwarzen  oberen 
Hemisphäre  der  Fall. 

Es  kann  also  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  Glie- 
derung der  äusseren  Oberfläche  in  viele  gerundete  Wo  1  - 
bungen  nicht,  wie  es  bei  den  Gehirn  blasen  und  eingeschnürten 
Gallenblasen  der  Fall  war,  die  Ursache  der  Special  Polari- 
sation der  die  Morula  zusammensetzenden  Zellen  ist. 
Ein  entsprecliendes  Verhalten  zeigte  auch  die  am  Rande  mit  halb- 
runden Vervvölbuugen  versehene  Metallplatte  beim  Durchströmen. 

Dem  wirklichen  Grunde  werden  wir  zugleich  mit  der  Unter- 
suchung der  Ursachen  des  speci eilen  Verhaltens  der  Zell- 
polarisation  näher  treten. 

Dies  Verhalten  bot  folgende  Hauptzüge  dar :  die  Polarisation  der 
einzelnen  Zellen  dehnte  sich  auf  alle  Zellen  der  Morula  und  Blastula, 
auch  auf  die  in  der  Gegend  des  sonstigen  electrischen  [221]  Eiäqua- 
tors  gelegenen,  also  von  aussen  am  wenigsten  bestrahlten  Zellen  aus. 
In  gewissem  Gegensatz  dazu  bildeten  die  näher  dem  Pole 
gelegenen,  mit  ihrer  Aussenfläche  fast  rechtwinkelig  gegen  die 
Stromfäden  gewendeten,  also  anscheinend  dicht  bestrahlten  Zellen 
nur  relativ  kleine,  oft  kaum  die  Hälfte  dieser  äusseren  Fläche 
einnehmende  Polfelder  aus,  während  der  andere,  polifugal  gelegene 
Theil  als  Aequator  der  Zelle  unverändert  blieb.  Es  ist  daher  die 
Reaction  der  schwach  bestrahlten  äquatorialen  Zellen  lebenskräftiger 
Eier  nicht  einfach  auf  eine  Herabsetzung  der  Reizschwelle  gegenüber 
den  mit  diesen  Zellen  nicht  reagirenden,  der  Generalpolarisation 
unterliegenden,  geschwächten  Eiern  zu  beziehen.  Nur  die  in  der 
Gegend  der  Mittellinie  des  electrischen  Eiäquators  liegenden  Zellen 
bildeten  zwei  äusserhch  sichtbare  Polfelder,  alle  anderen  Zellen  Hessen 
an  ihrer  Oberfläche  blos  ein  einziges  Polfeld  erkennen. 

Die  Deutung  dieser  Erscheinungen  ergiebt  sich  aus  den  oben 
mitgetheilten  analytischen  Experimenten  an  Metallen  und  Gallenblasen. 


Ursachen  der  Specialpolarisation  der  Zellen  des  Eies,  755 

Wir  haben  au  ck'ii  im  Electrolyten  vertlieilten  lUei-  und  Messing- 
kugeln gesehen,  dass  von  allen  durch  den  Electrolyten  von  einander 
getrennten  metallischen  Gebilden  jedes  für  sich  je  zwei  Polfelder  und 
einen  Aequator  bildete.  Dabei  sind  zwei  sondernde  Momente  zugleich 
vorhanden:  die  Einschaltung  eines  schlechteren  Leiters  zwischen 
bessere  und  die  Benetzung  der  Überfläche  des  Metalls  mit  dem  Elec- 
trolyten. Wir  müssen  daher  den  eventuellen  Antheil  jedes  dieser 
Momente  an  der  selbstständigen  Polarisation  uns  klar  machen. 

Die  Leitungsdilförenz  des  Electrolyten  und  der  Intraelectrolyten 
kann  nur  den  Ort  des  Ein-  und  Austrittes  der  Strorafäden  beein- 
flussen ;  aber  dieser  Ein-  oder  Austritt  hat  nur  dann  eine  polarisirende 
Wirkung,  wenn  er  aus  dem ,  respective  in  den  Electrolyten  erfolgt. 
Wenn  zwei  Kugeln  sich  metallisch  leitend  berühren,  geht  der  Strom 
an  der  Berührungsstelle  aus  einer  Kugel  in  die  andere,  ohne  dass 
Polfelder  daselbst  entstehen.  Also  die  doppelte  Polfeldbildung 
beruht  beim  Metall  sicher  auf  der  vollkommenen  Um- 
schliessung  mit  dem  Elec trolj^ten. 

Aber  die  Ausdehnung  der  einander  zugewendeten  Polfelder 
sehr  naher  Intraelectrolyten  ist  im  hohen  Maasse  von  [222]  der 
Leitungsdifferenz  zwischen  ihm  und  dem  Electrolyten  abhängig.  Au 
den  einander  nahen  Metallkugeln  wurden  die  einander  zugewendeten 
Polfelder  im  Wechselstrom  mit  dem  Maasse  der  Näherung  immer 
kleiner.  Wenn  jedoch  der  Electrolyt  fast  ebenso  gut  leiten  würde 
als  das  Metall,  so  würden  die  Stromfäden  im  Innern  der  Kugel  nur 
schwach  gegen  den  der  anderen  Kugel  nächsten  Punct  convergiren; 
sie  würden  in  höherem  Maasse  durch  die  seitlichen  Theile  der  ein- 
ander zugewendeten  Flächen  beider  Kugeln  gehen;  die  bezüglichen 
Polfelder  würden  also  sogar  trotz  einer  continuirlichen  Verbindung 
der  Kugeln  fast  ebenso  gross  werden  als  die  äusseren,  wie  dies  aus 
dem  gleichen  Grunde  bei  den  eingeschnürten  Gallenblasen  der 
Fall  war. 

Alis  der  gesonderten  Folarisation,  aus  der  „SpeciaJ- 
X)olarisation'^   der    einzelnen  Zellen    der   gansen  Morula   und 

Blastula  ist  also  zu   schliessen,   dass   jede   Zelle,    ivenn   nicht 

48* 


756      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

aUentlialhen  so  doch  grösstentheils,  durch  electrolytische  Suh- 
stans  in   unserem  Sinne  von  den  Nachharz  eilen  gesondert  ist. 

„Electrolytische  Substanz"  in  unserem  Sinne  ist  ein 
Electrolyt,  der  zur  Vermittelung  der  an  den  Zellen  wahrgenommenen 
morphologischen  Polarisation  der  von  ihm  berührten,  in  dieser 
Weise  reactionsf ähigen  lebenden  Substanz  geeignet  ist ;  unsere  electro- 
lytische Substanz  ist  also  eine  andere  Substanz  als  diejenige,  welche 
zu  der  „inneren  Polarisation"  der  Physiologen  ausreicht,  da  unser 
Electrolyt  primär  blos  an  der  Oberfläche  der  Zellen,  letztere  aber 
im  ganzen  Inneren  der  Bionten  vorhanden  ist. 

Polari sirbare  Oberfläche  einer  Zelle  ist  demnach  in  unseren 
Versuchen  die  Berührungsfläche  der  lebenden  Substanz  der  Zelle  mit 
einem  solchen  Electrolyten ;  mag  sie  nun  an  der  äusseren  Fläche  der 
Morula  oder  i  n  der  Morula  zwischen  den  Zellen  oder  gar  in  der  Zelle 
selber  liegen,  welch'  letzteres  aber  in  unserem  Falle  primär  nicht  der 
Fall  war,  sondern  bei  einigen  Objecten  erst  von  der  Oberfläche  aus 
durch  Absterben  im  Polabschnitt  allmählich  sich  ausbildete. 

Der  gleiche  Grund  tvie  für  diese  Specialpolarisation  der 
Zellen  gilt  natürlich  auch  hesüglich  der  gesonderten  Polari- 
sation der  Unvirdel,  des  Darmrohres  und  der  hasalen  Theile 
des  Gehirnes,  von  denen  ja  trotz  ihrer  Umschliessung  und  Ver- 
einigung durch  ein  anderes  Gewebe  jedes  seine  besonderen  Polfelder 
bildete;  die  unmittelbare  Umgebung  dieser  Theile  verhielt 
sich  also  zu  ihnen  wie  ein  Electrolyt.  Das  ist  bei  den  epitheli- 
alen Organen  nicht  zu  verwundern,  da  sie  alle  zu  dieser  Zeit  durch 
Lymph-  [223]  spalten  von  den  Theilen  des  umgebenden  inter- 
stitiellen Gewebes  getrennt  sind  oder,  wie  das  Gehirn,  im  Binnen- 
raum mit  Flüssigkeit  erfüllt  sind. 

Für  diese  Auffassung  spricht  auch  das  Verhalten  der  reifen 
und  unreifen  Froscheier,  welche  bei  vollkommener  Trocken- 
haltung nicht  erkennbar  reagirten. 

Beim  Herzen  reagirten  die  Vorhöfe  und  die  beiden 
Arterien,  auch  wenn  sie  gegen  die  Electroden  zu  gelegen 
waren,  mit  dem  Ventrikel  gemeinsam  als  eine  Einheit, 
obgleich  sie  doch  durch   faseriges  Bindegew^ebe  von  ihm  geschieden 


Ursachen  der  Specialpolarisation  der  Zellen  des  Eies.  757 

sind,  von  welchem  man  wohl  verniuthen  könnte,  tlass  es  als  Electrolyt 
fungiren  würde;  dieses  Verhalten  des  Herzens  bedarf  daher 
heson de rer  Un tersu c h n u g. 

Es  bleibt  ferner  zunächst  unbekannt,  worin  hei  der  Morula 
der  intercelhflare  Electrolyt  hesteht,  ob  in  der  Kittsubstanz, 
der  Zellrinde  oder  einer  nach  innen  von  ihr  gelegenen  Schichte. 

Nach  der  bisher  gewonnenen  Einsicht  sind  die  Erscheinungen 
der  Specialpolarisation  der  Zellen  der  Morula  und  Blas- 
tula,  soweit  sie  die  Breite  und  Lage  der  Polfelder  resp.  des  Aequa- 
tors  angehen,  analytisch  auf  folgende  Momente  zurückzuführen. 

Erstens  auf  die  Aenderung,  welche  die  Breite  des  Aequators 
einer  Kugel  erfährt,  wenn  sie  durch  eine  rechtwinkelig  zum  Strome 
stehende  electrolytische  ebene  Halbirungsfläche  zerlegt  wird.  Sind 
dann  die  durch  die  entstehenden  beiden  inneren  Polfelder  bedingten 
zwei  Aequatoren  zusammen  breiter  als  der  frühere  einfache  Aequator? 
Da  unsere  entsprechend  zerlegten  Eier  immer  neben  der  Theilungs- 
fläche  abgerundete  Kanten  hatten,  waren  wir  nicht  in  der  Lage, 
Beobachtungen  über  diesen  Fall  anzustellen.  Wir  sahen  vielmehr 
im  Grunde  der  ersten  Furche  an  beiden  Theilstücken  einen  veränderten 
Saum,  der  die  Grösse  und  Lage   des  Aequators  beeinflussen   musste. 

Zweitens:  Wird,  wenn  die  Scheidungsflächen  nicht  eben  sondern 
gegen  jede  der  Hälften  concav  sind,  der  Aequator  durch  die  Aus- 
dehnung der  mittleren  Polfelder  nach  aussen  hin,  also  auf  Kosten  der 
äusseren  Polfelder  verschoben?  Diese  Frage  ist  an  den  eingeschnürten 
Gallenblasen  in  zustimmendem  Sinne  beantwortet  worden. 

Drittens:  Treten  die  Wirkungen  1  und  2  auch  bei  unvollkom- 
mener Scheidung  und  zwar  in  mit  der  Zunahme  der  Scheidung  stärkerem 
Maasse  auf?  Bei  Metallen  war  solches  [224]  nicht  bemerkbar,  weil 
die  geringste  ifietallisch  leitende  Verbindung  der  Gebilde  zur  Fort- 
führung aller  Stromfäden  verwendet  wurde  in  Folge  des  millionenmal 
besseren  Leitungsvermögens  der  Metalle  als  der  Flüssigkeiten.  Bei 
den  eingeschnürten  Gallenblasen  dagegen  konnten  wir  diese 
Frage  bejahen,  denn  wir  sahen,  dass  der  Strom  theils  durch  den 
zunächst  nicht  polarisirten  Verbindungsstrang,  theils  durch 
den  Electrolyten  unter  Polarisationswirkung   an  der  Aus- 


758       Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

und  Eintrittsstelle  ging,  beide  Wege  unmittelbar  neben  einander 
ohne  eine  trennende  Zone  nehmend.  Also  können  auch  die  Zellen 
der  Morula  theils  durch  Electrolyten  getrennt,  theils, 
dazwischen  verstreut,  durch  leitende  Nicht-Electrolyten, 
wie  etwa  protoplasmatische  Intercellularbrücken  verbunden 
und  so  die  anzunehmenden  inneren  Polfelder  durch  viele  nicht  ver- 
änderte Stellen  unterbrochen  sein. 

Viertens  ist  von  Bedeutung  die  oben  für  lebendes  und  metal- 
lisches Material  festgestellte  Thatsache,  dass  kleine  Kugeln-relativ 
kleinere  Polfelder,  also  einen  relativ  grösseren  Aequator 
bilden  als  grössere  Kugeln.  Dazu  käme  noch  ein  weiterer  Factor, 
den  wir  aber  weder  bei  den  ungleich  grossen  Eiern  noch  bei  den 
frischen  und  bei  den  geschwächten  Morulis  ermitteln  konnten,  näm- 
lich die  eventuelle  Ungleichheit  der  Reactionssch welle  der  Zellen. 

Wenn  wir  auch  nicht  sicher  wissen,  wodurch  bei  den  Eiern 
der  Aequator  bedingt  war,  ob  allein  durch  zu  geringen  Stromfäden- 
einfall für  die  Höhe  der  Reizschwelle  oder  durch  einen  Polarisations- 
strom, so  haben  wir  doch  die  feststehende  Thatsache  gefunden,  dass 
immer  zwischen  der  Ein-  und  Austrittsstelle  des  Stromes  eine  freie 
Zone  bleibt,  welche  der  Bedingung  4  entspricht.  Dagegen  zeigt  ein 
Versuch  mit  einer  Gruppe  dicht  zusammenstehender,  sich  aber  nicht 
berührender  Metallkugeln,  dass  eine  Kugel,  welche  blos  ein 
einziges  Eintrittsfeld  hat,  mehrere  von  einander  voll- 
kommen getrennte  Austrittsfelder  und  umgekehrt  haben 
kann,  und  dass  die  gleichartigen  dieser  Felder  bei  entsprechender 
äusserer  Veranlassung  continuirlich  i  n  e  i  n  a  n  d  e  r  ü  b  e  r  g  e  h  e  n  k  ö  n  n  e  n . 

In  demMaasse,  als  zwischen  den  Zellleibern  Electro- 
lyten vorhanden  sind,  werden  daselbst  „fwwere"  d.  h.  an  der 
inneren  „Oberfläche"  der  Zellen  befindliche  Polfelder  auftreten; 
und  sobald  diese  gross  genug  sind,  werden  [225]  sie  nach  Moment  2 
den  mit  ihnen  zugleich  entstehenden  Zelläquator  auf  die  Aussen- 
fläche  treiben. 

Da  die  Zellen  mit  ihren  Nachbarflächen  sich  an  einander  abplatten, 
so  stossen  sie  mit  einander  parallelen  Flächen  zusammen.  Dies  ist 
ein   weiteres,   die   Grösse   der  inneren  Polfelder  und   damit  die  Lage 


{ 


Ursachen  der  Generalpolarisation  des  in  Zellen  getheilten  Eies.  759 

des  Aeqiiators  beeinflussendes  Moment.  Entsprechend  geschnittene 
und  ohne,  dass  sie  sich  berühren,  zusammengelegte  Blei- 
kugeln zeigen  beim  Durchströmen  ausser  dem  äusseren  kleineren 
Polfeld,  dass  die  inneren  Polfelder  die  ganzen  einander 
gleich  nahen  Flächen  einnehmen,  mögen  dieselben  quer  oder 
schief  zum  Strom  stehen.  Dasselbe  wird  auch  bei  nicht  metallischen 
Gebilden  der  Fall  sein.  Da  diese  inneren  Oberflächen  der  Zellen  bei 
mehrfach  getheiltem  Ei  mit  steigender  Theilungszahl  einen  immer 
grösseren  Theil  der  ganzen  Zelloberfläche,  sehr  bald  aber  schon 
über  die  Hälfte  einnehmen,  so  werden  also  die  ,,inn er en  Pol f eider" 
den  grössten  Theil  jeder  Zelloberfläche  einnehmen,  damit 
den  Aequator  auf  die  äussere  Oberfläche  treiben  und 
zugleich  die  Grösse  des  äusseren  Polfeldes  beschränken. 

Ferner  könnte  die  "Wirkung  einer  Aspiration  der  Stromfäden 
durch  die  Zellen  auf  die  Grösse  des  Zelläquators  hier  sehr  erheblich 
sein,  da  die  Zellen  unmittelbar  neben  einander  liegen  und  die  kleinen 
Polfelder  also  einander  sehr  nahe  sind,  so  dass  die  Stromfäden  des 
Electrolyten  sich  vollkommen  auf  letztere  vertheilen  könnten,  sofern 
nur  irgend  eine  erhebliche  Leitungsdifferenz  zwischen  den  Zellen  und 
dem  Electrolyten  besteht. 

Der  Umstand  endlich,  dass  die  in  der  Gegend  des  electri- 
schen  Aequators  des  ganzen  Eies  liegenden  Zellen  „zwei" 
äussere  Polfelder  darbieten,  erklärt  sich  einfach  daraus,  dass 
sie  allein,  als  seitlich  vorspringend,  von  beiden  Eectroden  aus  durch 
den  äusseren  Electrolyten  hindurch  direct  von  Stromfäden  getroffen 
werden,  während  alle  anderen  Zellen  die  Stromfäden  der  einen  Elec- 
trode  nur  erst  nach  dem  Durchgehen  derselben  durch  die  Morula 
erhalten  und  daher  durch  deren  Eintritt  innere,  von  aussen  nicht 
sichtbare  Pollelder  bilden  werden. 

7.  Ursachen  der  Generalpolarisation  des  in  Zellen 
getheilten  Eies. 

Nachdem  im  Vorstehenden  neben  den  Ursachen  der  speciellen 
Localisation  zugleich  dargelegt  worden  ist,  auf  was  für  einem  Ver- 
hältniss   meiner  Meinung  nach   die  Special-  [226]   polarisation 


760      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

der  Zellen  der  Morula  beruhen  muss,  ist  zu  erörtern,  wodurch  es 
bedmgt  ist,  dass  au  denselben  Gebilden  unter  Umständen,  sei  es 
nach  vorausgegangener  Specialpolarisation  oder  sogleich  beim  Durch- 
strömen eine  G  e  n  e  r  a  1  p  o  1  a  r  i  s  a  t  i  o  n  auftreten  kann ,  wobei  uns 
freilich  die  noch  mangelnde  Einsicht  in  das  Innere  des  Eies  wieder 
fühlbar  werden  wird. 

An  denjenigen  frischen  Morulae,  welche  nach  anfänglicher  Zell- 
polarisation in  Folge  längere  Zeit  fortgesetzter  Durchströmung  zur 
Generalpolarisation  übergehen,  scheint  dieser  Wechsel  leicht  ver- 
ständlich. Denn  da  bei  der  Zellpolarisation  Zellinhalt  nach  aussen 
durch  die  Zellrinde  hindurchtritt,  kann  man  denken,  derselbe  Vorgang 
finde  auch  im  Innern  statt ;  die  Zellrinde,  respective  die  mini- 
male Kittsubstanz  wären  die  Electrolyten  gewesen,  und 
sie  würden  durch  den  hindurchtreteuden  Zellinhalt  ihrer  Eigenschaft, 
als  Electrolyten  zu  wirken,  mehr  und  mehr  enthoben,  da  die  sich 
Id e r ü h r e n d e n  Zellen  jetzt  durch  Z e  1 1  i n h a  1 1  in  d i r e c t e , 
nicht  „morphologisch"  polarisirbare  Verbindung  gelangen  und 
daher  fast  wie  ein  Ganzes  reagiren ;  ähnlich  wie  zwei  Metallkugeln, 
die  sich  leitend  berühren ,  nur  dass  bei  den  organischen  Gebilden 
die  Verbindungsbrücken  in  dem  Maasse  ausgedehnter  sein  müssen, 
als  ihre  Substanz  nicht  erheblich  besser  leitet  als  der  sie  noch  theil- 
weise  trennende  Electrolyt.  Im  Falle  das  geschwächte  Protoplasma 
vielmal  besser  leitete  als  die  nicht  protoplasmatischen  Trennungstheile 
der  Zellen,  könnten  diese  fast  vollkommen  umgangen  werden. 

Indess  sind  diese  hypothetischen  inneren  Substanzdurchtritte 
noch  nicht  gesehen  worden;  ausserdem  wäre  auch  die  auf  sie  sich 
gründende  Erklärung  nicht  auf  diejenige  Generalpolarisation 
anwendbar,  welche  nach  der  Erwärmung  der  Morula  auf 
40°  C.  und  nach  der  Vergiftung  mit  Gar  hol  säure  sogleich 
beim  Durchströmen  eintritt.  Je  stärker  die  Erwärmung  oder  Ver- 
giftung war,  um  so  rascher  ging  die  beim  Beginne  der  Durchströmung 
auftretende  Zellpolarisation  unter  Wachsthum  der  Polfelder  und  Xer- 
schwinden  der  Zelläquatoren  im  Bereiche  der  Polseiten  des  Eies  in 
die  Generalpolarisation  über;  bei  den  höchsten  Graden  derartiger 
Beeinflussung  geschah  dieser  Uebergang  sogar  so   schnell,  dass  man 


Ursachen  der  Geiieralpolarisation  des  in  Zellen  gelheilten  Eies.  761 

kaum  die  initiale  Zellpolarisation  walirnehnien  konnte. 
Dabei  stand  die  Intensität  der  sichtbaren  Veränderungen  in  umge-  [227] 
kehrtem  Verhältniss  zur  Geschwindigkeit  ihres  Auftretens  und  zu 
ihrer  Ausbreitung;  zuletzt  trat  blos  noch  eine  schwache  Verfärbung 
auf,  kein  erkennbarer  Durchtritt  von  Substanz  durch  die  Rinde. 

Und  diese  grössere  Geschwindigkeit  der  Ausbildung 
der  Generalpolarisation  bei  minimaler  Intensität  der 
V  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  steht  wieder  in  einem  Gegensatz  zu  dem  h  o  c  h  - 
gradigen  Substanzdurchtritt  bei  Durchströmung  lebens- 
kräftiger Eier,  an  welchen  trotz  dieser  diffusen  Extracellulate 
erst  nach  mehreren  Minuten  und  erst,  nachdem  die  Niveau- 
linien der  äusseren  Theile  aufgeplatzt  waren  und  nachdem  dies 
schon  einige  Zeit  bestanden  hatte,  der  Uebergang  zur  General- 
polarisation stattfand. 

Daraus  ergiebt  sich  schon,  dass  die, erstere  Annahme  zur  Erklärung 
der  vorliegenden  Erscheinungen  nicht  zutreffend  ist. 

Man  kann  nun  an  andere  Momente  denken:  z.  B.  an  eine  Ab- 
nahme der  Widerstandsfähigkeit  der  Zellen  durch  die  schädigende 
Wirkung  der  Vergiftung,  der  Erwärmung  oder  der  länger  dauernden 
Durchströmung,  und  zwar  in  Anknüpfung  an  die  vorher  relativ  kleineu 
Polfelder  der  Zellen  und  an  den  grossen,  fast  die  Hälfte  der  freien 
Oberfläche  vieler  Zellen  einnehmenden  Aequator.  Besonders  weist 
auf  einen  initialen  Widerstand  der  lebenskräftigen  Morula  hin,  dass 
der  Aequator  vieler  Zellen  hier  fast  rechtwinkelig  gegen 
die  Stromfädeu  gerichtet  ist,  also  dicht  von  ihnen  getroffen 
werden  muss,  sofern  nicht  die  lebenskräftigen  Zellen  vielmal  besser 
leiten  als  die  geschwächten  und  daher  die  Stromfäden  vollkommen 
mit  den  der  Electrode  nächsten  Stellen  aufnehmen. 

Wenn  dief  Aenderung  des  Verhaltens  der  Morulazellen  nach 
Erwärmung  oder  Vergiftung  aber  auf  einer  Schwächung  ihres  Wider- 
standes gegen  den  Strom  beruhte,  dann  müsste  die  Veränderung  auch 
an  den  im  Bereiche  des  Generaläquators  liegenden  Zellen  weiter 
schreiten.  Da  an  diesen  Aequatorzellen  die  Veränderung  jedoch 
nicht  weiter  schritt,  ist  diese  Annahme  also  gleichfalls  unzutreffend. 
Dasselbe  gilt  auch  für  eine  eventuelle  Schwächung  der  Widerstands- 


762      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

fäbigkeit  durch  fortgesetzte  Durchströmung.  Hierdurch  würden  zwar 
die  Aequatorzellen  weniger  alterirt  werden,  da  sie  viel  weniger  dicht 
von  äusseren  Stromfäden  getroffen  werden.  Diese  durch  die  Dichtig- 
keit der  äusseren  [228]  Bestrahkmg  bedingte  Schwächung  müsste 
aber  von  der  Aequatorregion  gegen  die  Pole  hin  nur  ganz  allmählich 
zunehmen;  demnach  müsste  auch  die  Erscheinung  der  Vergrösserung 
der  Polfelder  vom  Aequator  her  continuirlich  zunehmen.  Statt  dessen 
entsteht  jederseits  am  Ei  ein  einheitliches,  durch  eine  braune  Niveau- 
linie vollkommen  scharf  begrenztes  Polfeld  und  ein  einheitlicher  all- 
gemeiner Aequator,  innerhalb  dessen  die  früher  vorhandenen  kleinen 
Polfelder  nicht  nur  nicht  wachsen,  sondern  rückgebildet,  eliminirt 
werden.  Die  Morula  reagirt  jetzt  ganz  wie  ein  ungetheiltes 
Ei,  also  wie  ein  einheitliches  Gebilde. 

Da  unsere  Erörterung  über  die  möglichen  speciellen  Ursachen 
des  Ueberganges  der  Specialpolarisation  der  einzelnen 
Zellen  des  get heilten  Eies  zur  Generalpolarisation  des 
ganzen  Eies  in  Folge  der  uns  noch  mangelnden  Einsicht  in  die 
inneren  Vorgänge  zur  Zeit  nicht  weiter  geführt  werden  kann,  müssen  wir 
bei  der  experimentell  abgeleiteten  Folgerung  stehen  bleiben  und  sagen : 
Die  am  normal  beschaffenen,  in  Zellen  getheilteti  Ei  als 
vorhanden  erschlossene,  vollkommene  oder  unvollkommene Treww«<?^^ 
der  Zellen  von  einander  durch  eine  wie  ein  Electrolyt 
wirkende  Siihstanz  ist  durch  die  g enannten,  die  Vitalität 
schädigenden  Mittel  ganz  oder  th eil iv eise  au f gehohen 
ivorden;  und  dies  ist  der  Grund,  dass  der  ganze  Complex  von 
Zellen  nunmehr  wie  ein  einheitliches  Gebilde  entsprechend  seiner 
äusseren  Gestalt  auf  den  electrisclien  Strom  reagirt  ^). 


[i)  Es  kann  verwundern,  dass  kein  physiologischer  Bericht  oder  sonst 
eine  bezügliche  physiologische  Arbeit  bis  jetzt  von  dem  Inhalte  dieser  Abhandlung 
Notiz  genommen  hat,  denn  dieselbe  enthält  manches,  was  in  dieser  Richtung  von 
Interesse  zu  sein  scheint: 

Ein  Mal  die  beson de renReactionsweisen  der  „embryonalen"  lebenden 
Substanz  der  Wirbelthiere  auf  den  electrischen  Strom,  s.  S.  741,  welche  den  Er- 
wachsenen fehlen;  ferner  die  zum  Tlieil  von  dem  Verhalten  anorganischer  Körper 
abweichende  Localisation  der  stärksten  Veränderung. 

Besonders  aber   scheint  mir   von    fundamentaler    Bedeutung    für    die 


Fisureneikläruns.  763 


Figureiierkläruiig  zu  Tafel  VIII — X. 

Allgeraeines.  Alle  Figuren  sind  scliematisirt,  die  der  lebenden  Objecte  sind 
nach  Momentscizzen  gezeichnet. 

Die  durch  den  electrischen  Strom  veränderten  , polaren"  Abschnitte  sind  in 
den  Figuren  1  und  3 — 20  blau  gefärbt.  In  Wirklichkeit  sind  die  hier  blau  markirten 
, Polfelder''  bei  den  Frosch-  und  Tritoneiern  der  Fig.  1 — 14  heller  als  der  von  ihnen 
begrenzte,  mit  Ausnahme  von  dessen  oft  aufgehellten  Rändern  fast  unveränderte 
electrische  Aequator. 

Wo  nicht  anders  erwähnt,  sind  die  abgebildeten  Objecte  mit  dem  Wechsel- 
strom durchströmt  worden. 

Die  mittlere  Stromrichtung,  die  gerade  Verbindungsrichtung  der  Elec- 
troden  ist  auf  den  Tafeln  immer  wagrecht,  also  in  Richtung  der 
Zeilen  verlaufend  angenommen. 

Fig.  1.  Kurze  Zeit  mit  nicht  starkem  Wechselstrom  durchströmtes  Froschei  von  der 
Seite  gesehen.     Siehe  Seite  547  u.  f.,  559. 

Fig.  2.  (Taf.  X).  Einfache  Lage  Froscheier  in  einer  mit  Wasserleitungswasser  ge- 
füllten Glasschale,  von  den  beiden  geraden,  die  senkrecht  eingBsetzten  Elec- 
troden  markirenden  Strichen  aus  durchströmt.  Die  Schale  danach  umge- 
dreht, und  die  Eier  von  unten  vergrössert  abgezeichnet;  die  „Polfelder" 
dunkel  markirt.    Siehe  S.  551. 

Fig.  3.  Kurze  Zeit  durchströmtes  Ei  des  Triton.  Die  Ränder  des  electrischen  Aequa- 
tors  sind  in  der  Entfärbung  begriffen.     Siehe  S.  610. 

Fig.  4.  Froschei,  stimdenlang  mit  äusserst  schwachem  Strom  durchströmt;  von  oben 
gezeichnet.  Polare  Extraovate.  Das  Ei  ist  nicht  schattirt,  um  die  im  Be- 
reiche des  sehr  breiten  electrischen  „Aequators"  entstandenen  Streifen  besser 
sichtbar  zu  machen.     Siehe  S.  585. 

Fig.  5.  Zwei  in  derselben  Gallerthülle  eingeschlossene  Froscheier,  in  Richtung  ihres 
geringsten  Abstandes  durchströmt;  von  oben  gesehen.     Siehe  S.  590. 

Beurtheilung  der  Lebensvorgänge,  zumal  wohl  für  die  Erkenntniss  der  Be- 
deutung des  Aufbaues  des  höheren  Organismus  aus  Zellen  die  That- 
sache,  dass  in  der  „lebenskräftigen"  Morula  und  Blastnla  ,,jede  einzelne 
Zelle  für  sich"  mit  zwei  durch  einen  Aequator  getrennten  veränderten  Pol- 
feldern auf  den  electrischen  Strom  reagirt  (Speciali)olarisation) ,  während 
nach  hochgradiger  Schwächung  dieses  Organismus  derselbe  nur  wie  ein 
noch  nicht  in  Zellen  zerlegtes  Ei  „als  Ganzes"  mit  zwei  Generalpolfeldern 
und  einem  Aequator  reagirt  (Generalpolarisation)  (s.  S.  591,  611,  752). 

Auch  gewäjart  die  electrische  Durchströmung  einer  mit  Froschlaich  erfüllten 
runden  Glasschale  einen  schönen  Vorlesungsver stich,  um  die .  electrischen 
Niveauflächen  zu  demonstriren  (S.  5bl);  und  die  S.  707  angegebene  einfache 
Methode  der  Ermittelung  des  Verl  auf  es  der  Stromfäden  gegen  einen 
Intraelectrolyten  könnte  der  Physiologie  bei  manchem  Versuche  gute  Dienste 
erweisen. 

LTm  die  Abhandlung  in  dieser  Hinsicht  nicht  ganz  umkommen  zu  lassen,  habe 
ich  daher  jüngst  selber  ein  Referat  über  sie  verfasst  (Biolog.  Centralblatt  Bd.  XV 
1895),  in  welchem  zugleich  auch  auf  die  electro  therapeutisch  c  Bedeutung 
dieser  Thatsachen  hingewiesen  wird. 


764      Nr.  25.  Morphologische  electrische  Polarisation  embryonaler  Gebilde  etc. 

Fig.  6.  Zwei  mit  ihren  Gallerthüllen  vereinigte  Froscheier,  wie  in  Fig.  5  durchströmt 
und  abgebildet.     Siehe  S.  590. 

Fig.  7.  Froschei  schief  zur  ersten  Furche  durchströmt;  von  oben  gesehen.  Siehe 
S.  553,  562  und  591. 

Fig.  8.  und  9.  Froscheier  rechtwinkelig  zur  ersten  Furche  durchströmt;  von  der  Seite 
gesehen.     Siehe  S.  591  und  592. 

Fig.  10.  Frosch-  sowie  Tritonei  nach  der  zweiten  Furchung  durchströmt;  von  oben 
gesehen.     Siehe  S.  591,  592.  611. 

Fig.  11.  Schief  stehendes  Froschei  nach  der  zweiten  Theilung  so  lange  durchsti'ömt, 
bis  die  anfängliche  Sp  e  cialpolari  satiou  der  vier  Zellen  (Special- 
polfelder blau)  unter  Wachsthum  der  Polfelder  (roth)  in  die  General- 
polarisation übergegangen  war;  von  oben  aus  gesehen.     Siehe  S.  595. 

Fig.  12.  Gallenblase  des  Frosches  von  oben  gesehen,  erst  in  Richtung  der  Höhe  des 
Blattes,  darauf  in  Richtung  der  Zeilen  durchströmt.  Die  beiden  „Niveaulinien" 
der  ersten  Durchströmung  sind  bei  der  zweiten  Durchströmung  unverändert 
geblieben.     Siehe  S.  573. 

Fig.  13.  Ei  des  Triton  alpestris  durchströmt;  von  der  Seite  gesehen.    Siehe  S.  610,  611. 

Fig.  14.  (Tafel  IX).  Ungetheiltes  Triton-  soAvie  Froschei  in  seiner  Hülle  zwischen  ebenen 
Glasplatten  platt  gedrückt  und  durchströmt;  von  oben  gesehen.  Siehe 
S.  562,  588. 

Fig.  15.  Oberflächliche  Zelle  des  Polfeldes  einer  alten  Tritongastrula;  Betrachtung 
bei  auflallendem  Licht;  äusserer  Polfeldabschnitt  blau,  innerer  roth  gezeichnet. 
Siehe  S.  623. 

Fig.  16.  Zelle  einer  alten  Tritongastrula,  isolirt  und  dann  durchströmt.  Die  beiden 
protoplasmatischen  Polabschnitte  blau,  die  dotterkörnerhaltige  Aequatorscheibe 
roth  gezeichnet.     Siehe  S.  621. 

Fig.  17.  Eine  wie  die  vorige  behandelte  Zelle,  welche  aber  beim  Durchströmen  an 
den  beiden  Polen  aufgeplatzt  ist  und  ihren  Inhalt  nach  beiden  Seiten  in 
Richtung  des  Stromes  entleert  hat.     Siehe  S.  620. 

Fig.  18.  Ei  von  Telestes  Agassizii;  rechtwinkelig  zur  Eiaxe  durchströmt;  von  der 
Seite  gesehen.     Siehe  S.  626. 

Fig.  19.  Gleiches  Fischei;  die  Keimscheibe  war  etwas  abgebogen,  wurde  in  Richtung 
ihrer  Axe  durchströmt.     Siehe  S.  627. 

Fig.  20.  Scizze  des  Kopfes  eines  Hühnerembryo  von  fünf  Brüttagen.  Die  Polfelder 
am  Mittel-,  Zwischen-  und  Vorderhirn  sind  blau  markirt ;  die  Veränderungen 
am  Hinterhirn  und  an  der  Hirnbasis  waren  nicht  gezeichnet  worden.  Am 
Mittelhirn  sind  die  in  Richtung  des  Wechselstromes  stehen- 
den Einfaltungen  der  Wandung  sichtbar.  Die  an  der  secundären 
Augenblase  gezeichneten  polaren  Faltungen  und  Abschnürungen  sind 
erst  nach  viel  länger  fortgesetzter  Durchströmung  aufgetreten,  durch  welche 
die  Hirnblasen  bereits  viel  weiter  verändert  Avorden  waren,  als  hier  gezeichnet 
ist.     Siehe  S.  636. 

Fig.  21.  Die  eine  von  zwei  einander  dicht  benachbarten,  in  Richtung  ihres  geringsten 
Abstandes  in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  mit  dem  Wechselstrom  durch- 
strömten Messingkugeln  von  7  mm  Durchmesser;  die  der  anderen  Kugel 
zugewendete  Fläche  dargestellt.     Siehe  S.  677. 

Fig.  22.  Eine  Kupferscheibe  in  Kupfervitriol  mit  dem  Gleichstrom  durchströmt; 

a)  Einmalige    Durchströmung   in  Richtung    der  Zeilen   der  Tafel.      Das   der 


Figureneiklärung.  765 


Anode  zugewendete  Polfeld  senkrecbt,  das  der  Kathode  ziigeAvendete  Pol- 
feld schräg  schraffirt.     Siehe  S.  696. 

b)  Dieselbe  Scheibe  um  90"  gedreht  und  auf's  Neue  in  Richtung  der  Zeilen 
durchströmt.     Schraffirung  wie  bei  a.     Siehe  S.  698. 

c)  Dasselbe  nach  länger  fortgesetzter  Durchströmung.     Siehe  S.  699. 

a  Bezeichnet  in  Fig.  b)  u.  c)  die  an  der  Grenze  des  primären  positiven  Pol- 
feldes und  des  primären  Aequators  bei  der  zweiten  Durchströmung  blank 
bleibende  Stelle  und  ihre  nachträgliche  Wanderung.  Siehe  S.  698 
und  699. 

Fig.  23 — 30.  Anwendung  der  neuen  Methode  zur  Ermittelung  des  Ver- 
laufes der  Stromfäden  gegen  Intraelectrolyten. 

Fig.  23.  Parallelepipedischer  Bleistab  in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  der  Länge 
nach  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt  nach  Nebenstellung  von  10 
Messingkugeln,  um  den  Verlauf  der  Stromfäden  gegen  ihn  zu  er. 
kennen.  Die  Polfelder  des  Stabes  schraffirt,  die  der  Kugeln  schwarz  ge- 
zeichnet.    Siehe  S.  708. 

Fig.  24.  Ein  in  der  Mitte  ausgebogener  Stanniolstreifen,  der  Länge  nach  in  Glauber- 
salzlösung mit  dem  Wechselstrom  durchströmt.  Die  Strecke  zwischen  aa  stellt 
den  unveränderten  electrischen  Aequator  dar.     Siehe  S.  680  und  709. 

Fig.  25.  Rechtwinkelig  gebogener  Balken  von  Blei ,  in  Richtung  des  wagrechten 
Schenkels  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt.     Siehe  S.  681  und  710. 

Fig.  26,  Parallelepipedischer  Bleibalken,  in  achtprocentiger,  mit  etwas  Schwefelsäure 
versetzter  Kochsalzlösung  mit  dem  Gleichstrom  seiner  Länge  nach  durch- 
strömt.    Siehe  S.  711. 

Fig.  27.  Froschherz  mit  Messingkugeln  umstellt  und  in  Wasserleitungswasser  der 
Länge  nach  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt;  die  Polfelder  der  Kugeln 
lassen  die  Convergenz  der  Stromfäden  (aber  etwas  zu  stark  gezeichnet) 
erkennen.     Siehe  S.  713;  auch  574  und  606. 

Fig.  28.  Ein  gleiches  Herz  in  fünfprocentiger  Kochsalzlösung  durchströmt;  lässt  die 
Divergenz  der  Stromfäden  sehen.     Siehe  S.  713;  auch  574  und  606. 

Fig.  29.  Gallenblase  des  Frosches  in  Wasserleitungswasser  durchströmt.  Siehe  S.  573 
und  713. 

Fig.  30.  Eine  gleiche  Gallenblase  in  fünfprocentiger  Kochsalzlösung  durchströmt. 
Siehe  S.  713. 


Nr.    26. 

Uetaer  das  entwiekelung'smeehanische  Vermögen 
jeder  der  beiden  ersten  Furehungszellen  des  Eies. 

1892. 

Referat,  erstattet  auf  der  Versammlung  der  anatomischen  Gesellschaft,  zu  Wien 

im  Juni  1892. 

Verhandlungen  der  anat.  Ges.  S.  22—60. 
Inhalt. 

Seite 
Beziehung  der  Medianebene  des  Embryo  zu  den  ersten  Furchen  des  Eies  .  768 
Beziehung    der    drei  Hauptrichtungen    des  Embryo    zu    den   drei   ersten 

Furchen 768 

Beziehung  des   Materials   der   ersten   Fui'chungsz eilen  zum  Material   der 

Antimeren  des  Embryo 769 

Enthält  jede  der  beiden  ersten  Furchungszellen  ausser  dem  Materiale  seiner 
Körperhälfte  des  Embryo  auch  noch  die  zur  Entwickelung  der- 
selben nöthigen  gestaltenden  Kräfte? 770 

Nichtnöthigsein  äusserer  Einwirkungen 770 

Gestaltende  Leistung  einer  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des 

Froscheies 773 

Selbstdifferenzirung  jeder  der  ersten  Furchungszellen      ....     775 
Ein  Beweis  für  die  Anlage  der  ventralen  Seite  des  Embryo  an 

der  schwarzen,  oberen  Seite  des  Froscheies 780 

Ausbreitung  dijferenzir  ender  Wirkung  b  l  o  s    von  den 

„Seitenflächen"  der  Epithelien 785 

Experimente  Chäbry's  an  Ascidien 788 

Experimente  C.  Fiedler's  und  H.  Driesch's  an  Seeigeln     .     .     .     790 
Eitheil-G ehilde   s.  Ei theilbil düngen :   z.B.    Halbeibild- 
ungen: 

a)  T  hei  Ige  bilde    s.   Theilbildungen,  Meroplasten: 

z.  B.  Halbgebilde,  Viertel-  und  Dreiviertelgebilde      .     .     .     792 

b)  G  an  zbild^ingen-.Hal'bei-Granzhil  dun  gen,  Viertelei- 
Ganzbildungen 793 


Nr.  26.  Entwickelungsmechanischeä  Vermögen  etc.  767 

Seite 

Activinuiü;  von  Reserve-Idioplasson 794 

Auslösung     der    Postgeneration     durch   falsche    Lage    der 

Thoile  zu  einander 795 

Bildung  eines  „glänzen''  Fi'oschembryo  nuf:  einem  ,, halben"  Ei    .  796 

Uemiembryo  lateralis  aus  einem  Exlraovat 797 

Ursache    der  früheren   Postgeneration  der   Seeigel-  als   der  Frosch- 
embryonen     798 

Uebergänge  zwischen  der  Postgeneration  mit  und  ohneVer- 

wendung  von  Material  der  operirten  Eihälfte  .     .     .  800 

Auslösende  Momente  der  Postgeneration  und  Regeneration      .     .     .  800 

Umdifterenzirung  bei  der  Post-  und  Regeneration 800 

Umdif f erenzirung  bei  der  normalen  Entwickelung    .     .  801 

Abhängige  Differenzirung  wandernder  Zellen 801 

Widerlegung  von  Einwendungen 802 

Beobachtungen  Chun's  über  Halbbildungen  bei  Ctenophoren     .     .     .  808 

„Directe"  sive  typische  Entwickelung 811 

Indirecte  s.  atypische  s.  regulatorische  Entwickelung       .     .     .  811 


Meine  Herren! 

[22]  Ich  möchte  Ihnen  über  unsere  derzeitige  Kenntniss  vom  ent- 
wickekingsmechanischen  Vermögen  jeder  der  beiden  ersten  Furchuugs- 
zellen  des  Eies  berichten.  Die  bezüglichen  bis  jetzt  vorhegenden 
experimentellen  Arbeiten  rühren  her  von  Chabry  (1)  ^),  Driesch  (2), 
Fiedler  (3)  und  mir  (Nr.  18  u.  22);  dazu  kommen  noch  jüngst  ver- 
öffentlichte theoretische  Erörterungen  O.  Hertwig's  (4)  in  seiner  Arbeit: 
Urmund  und  Spina  bifida,  eine  briefliche  Mittheilung  von  Prof.  Chun 
und  einige  neuere  Beobachtungen  von  mir. 

[23]  Nach  der  Arbeit  Driesch's  und  besonders  nach  den  Dar- 
stellungen 0.  Hertwig's  hat  es  den  Anschein,  als  wenn  in  den  Ergeb- 
nissen der  verschiedenen  Untersucher  principielle  Gegensätze  hervor- 
getreten wäreö.  Ich  will  gleich  erwähnen,  dass  ich  diese  Auffassung 
nicht  theile  und  diese  scheinbaren  Gegensätze  nur  auf  unvollkommene 
Information  der  beiden  Autoren  zurückführe.  Dieser  Umstand  lässt 
im  gedruckten  Bericht  eine  ausgedehnte  Verwendung  wörtlicher  Citate 
angezeigt  erscheinen. 

[1)  Die  einfachen  Ziffern  (1)  (12)  beziehen  sich  auf  das  Literaturverzeichniss 
des  Referates.! 


768  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

Als  Vorläufer  dieser  Versuche  sind  zu  betrachten:  die 
Feststellung  der  Beziehungen  der  ersten  Theilungsebenen  des  Eies  zu 
den  Hauptrichtungen  des  Embryo,  welche  eine  weitere  Zurückver- 
folgung von  His'  (5)  „Princip  der  organbildenden  Keimbezirke"  von 
der  Keimscheibe  bis  auf  die  ersten  Furch ungszellen  darstellt,  sowie 
meine  Ermittelungen  über  die  künstliche  Bestimmung  der  Richtung 
der  ersten  Furche  beim  Froschei  durch  den  beliebig  gewählten  Befruch- 
tungsmeridian (Nr.  21). 

Die  ersten  Furchungen  des  Eies  setzen  sich  bei  allen  Thier- 
classen  normaler  Weise  in  einer  typischen  Folge  von  Richtungen 
aufeinander,  gewöhnlich  in  recht\^dnkeligen Richtungen;  und  [soweit  bis 
j etzt  bekannt]  entspricht  bei  d  e  n  b  i  1  a  t  e  r a  1  -  s  y  m  m  e  t r i  s  c h  e  n  T h  i  e  r  e  n 
unter  ,, normalen"  Verhältnissen  eine  der  beiden  ersten 
Theilungsebenen  der  Medianebene  des  Embryo  resp.  des 
erwachsenen  Thieres^). 

Darin,  ob  die  erste  oder  die  zweite  Theilungsebene  die  Median- 
ebene darstellt,  kommen  häufig  nach  Goette  (9)  selbst  bei  nahe  ver- 
wandten Gattungen  Verschiedenheiten  vor;  auch  lassen  sich  nach 
meiner  Erfahrung  (Nr.  20)  in  dieser  Folge  bei  Froscheiern  Anachro- 
nismen leicht  künstlich  hervorrufen;  es  entsteht  dann  die  normaler 
Weise  zweite,  köpf-  und  schwanzwärts  scheidende  Furche  als  erste,  und 
die  normale  erste ,  der  Medianebene  entsprechende  Theilungsebene 
als  zweite. 

Immer  aber  stehen  unter  ,, normalen"  Verhältnissen 
die  drei  ersten  Furchen  des  Eies  in  „festen"  typischen 
Richtungsbeziehungen  zu  den  drei  Hauptrichtungen 
des  künftigen  Embryo. 

Bei  den  Fröschen  und  Ascidien,  mit  denen  wir  uns  im  Folgenden 
zunächst  zu  beschäftigen  haben  werden,  ist  es  normalerweise  die  erste 

[1)  Aufgefundene  Abweichungen  sind  jüngst  in  der  sehr  empfehlenswerthen 
Schrift  von  S.  Bergh,  Vorlesungen  über  allgemeine  Embryologie  (^1895,  S.  209)  zu- 
sammengestellt worden.  Dieser  Autor  ist  jedoch  im  Irrthum,  wenn  er  glaubt,  ich 
hätte  mit  der  hier  gegebenen  kurzen  und  nicht  weiter  begründeten  Zusammenfas- 
sung eventuell  abweichenden  Thatsachen  beschränkend  vorgreifen  wollen;  vor 
solcher  Annahme  hätte  ihn  wohl  der  Charakter  meiner  Originalarbeiten  abhalten 
können. 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  769 


Theiliingsebene  des  Eies,  welche  die  Medianebene  darstellt.  Das  ist 
für -die  ersteren  Thiere   durch  Newport  (16),   sowie   unabhängig  von 
einander  durch  Pflüger  (6)  und  mich  (Nr.  16),  für  die  Ascidien  durch 
E.  VAN  Bexeden  und  Charles  Julin  (7)  dargethan  worden.     Für  einige 
Echinodermen   sprach  Selenka  (8)  eine   bezügliche  Vermuthung   aus. 
Bei  Frosch-  und  Ascidieneiern  kann  man  nach  den  gleichen 
Untersuchern  auf  diesem  Theilungsstadium  an  secundären  Merkmalen 
[24]  der  Elastomere  auch  schon  das  spätere  Dorsal  und  Ventral, 
sowie  die  cephale  und  caudale  Seite  unterscheiden,  so  dass  also 
unsere  Hauptrichtungen    des   Embryo   am   zweigetheilten   Eie,    beim 
Froscheie    auch   schon   vor   der    ersten  Theilung,   bereits   eine  halbe 
Stunde  nach  der  Befruchtung  (Nr.  21),  erkennbar  bestimmt  sind,  und 
man  daher  auch  angeben  kann,  welche  von  beiden  Zellen  der  rechten, 
welche  der  linken  Körperhälfte  des  Embryo  in  ihrer  Lage  entspricht. 
Wenn  die  Abgrenzungsfiäche  der  beiden  ersten  Blastomere  schon 
die  Medianebene  darstellt ,   so  folgt  aus  dem  S3^mmetrischen  Verlaufe 
der  Entwickelung  zu  dieser  Ebene,  dass  jede  der  durch  sie  getrennten 
beiden   Furchungskugeln    „im    Wesentlichen"    das    Bildimgsmaterial 
für  die  fixen  Organe  der  entsprechenden  rechten  oder  linken  Körper- 
hälfte enthält,  abgesehen  also  von  den  atypische  Bahnen  einschlagen- 
den Wanderzellen.     Denn  da  die  Anlage  der  Organe  bilateral-sym- 
metrisch, also  auf  jeder  Seite   für  sich  erfolgt ,    so   können   höchstens 
in  der  unmittelbaren  Nähe   der  Trennungsebene   auf  kleinen  Irregu- 
laritäten beruhende,  geringe,    nebensächliche  Verschiebungen  des  im 
epithelialen  Verbände  fixirten  Materiales  über  die  Medianebene  hinaus 
stattfinden.  Auf  solche  eventuellen,  atypischen  Verschiebungen  kommt 
es  uns   hier  nicht  an.     Es  kann   also  das  Gesetz   aufgestellt  werden: 
Jede  der  beiden  ersten,  in  ihrer  Lage  der  rechten  und 
linken  Körperhälfte  des  Embryo  entsprechenden  Furch- 
ungszellen enthält  zugleich  auch  das  „Anlagematerial" 
der  bezüglichen   rechten   oder  linken  Körperhälfte^). 
Bei  denjenigen  Eiern,  wo  die  Medianebene  erst  durch  die  zweite 

[1)  lieber  das  Verhalten   bei   der   nicht   seltenen   nachträglichen  Verschiebung 
von  Furchungszellen  über  die  Ebene  der  ersten  Furche   siehe  Nr.  28,   S.  667;    dabei 
findet   dann   regulatorische,   s.  atypische  Entwickelung  statt,  während  wir 
hier  von  der  ganz  normalen  s.  typischen  Entwickelung  handeln  (s.  S.  777).] 
W.  Eoux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  49 


770  Nr.  26^,  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

Theilungsebeue  dargestellt  wird,  gilt  das  Gleiche  für  jedes  der  durch 
diese  Ebene  getrennten  beiden  Paare  von  Furchungszellen. 

Danach  liegt  nun  die  Frage  nahe: 

Enthält  jede  dieser  beiden  Zellen  (resp.  jedes  dieser 
beiden  Zellpaare)  ausser  dem  Materiale  auch  noch  die 
für  die  Entwickelung  desselben  nöthigen  gestalten- 
den „Kräfte"  oder  nicht? 

Das  bedeutet  in  den  Extremen  gefasst: 

„Kann"  jede  der  beiden  ersten  Furchungszellen  sich  ganz 
für  sich  selbst  zu  der  entsprechenden  halben  Körperhälfte 
entwickeln:  oder  können  entgegengesetzten  Falles  beide  Blastomeren 
nur  g  e  m  e i  n  s  a  m ,  und  n  u  r  p  a  r i  p  a  s  s  u  sich  zu  den  ent- 
sprechenden Körperhälften  entwickeln',  so  dass  keines  ohne  das 
andere  sich  entsprechend  zu  differenziren  vermag  und  keines 
dem  andern  etwas  in  der  Entwickelung  vorauseilen  oder  hinter 
dem  anderen  zurückbleiben  kann? 

Wenn  eine  dieser  Zellen  der  anderen  auch  nur  ein  Weniges 
vorauseilen  kann,  so  bedeutet  dies  schon  eine  entsprechende  Unab- 
hängigkeit von  dem  Zustand  ,,resp.  von  den  Vorgängen 
in  der  anderen  Hälfte,  also  ein  gewisses  Maass  von  „Selbst- 
differen  zirungsf  ähigkeit"  der  ersteren  Zelle. 

[25]  Zwischen  den  genannten  Extremen  sind  natürlich  auch  U  e  b  e  r- 
gänge  denkbar,  derart,  dass  blos  manche  Vorgänge  gemein- 
sam, andere  aber  selbstständig  stattfinden  konnten. 

Zunächst  war  darüber  zu  entscheiden,  ob  nicht  äusserenEin- 
wirkungen  auf  das  Ei  ein  erheblicher,  gestaltender  Einfluss  auf 
die  Entwickelung  desselben  zukomme.  In  dieser  Hinsicht  glaubt 
Pflüger  (6):  ,,die  Schwere  bestimmt,  welche  meridionale  Molekül- 
reihe die  herrschende  wird.  Es  ist  diejenige,  welcher  allein  im  Eie 
die  ausgezeichnete  Eigenschaft  zukommt,  in  einem  verticalen  pri- 
mären Meridian  zu  liegen".  „Welche  von  den  Molekülreihen  des 
durch  die  Schwerkraft  ausgewählten  Meridian  es  die  bevorzugten  sind, 
entscheidet  abermals  die  Schwerkraft,  denn  die  höher  gelegene  Meridian- 
hälfte enthält  die  Bildungsstätte  des  Nervensystems".   Pflüger  nimmt 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  771 


ferner  an,  dass  „die  Schwerkraft  eine  Molekülreihe  von 
vielleicht  ganz  geringer  Ausdehnung  bevorzugt,  so  dass 
nur  diese  organisirend  wirkt  und  allmählich  alles  Nährmaterial 
für  ihre  Wachsthumstendenz  verbraucht".  ,,Ich  würde  mir  also  denken, 
dass  das  befruchtete  Ei  gar  keine  wesentliche  Beziehung  zu 
der  späteren  Organisation  des  Thieres  l^esitzt,  so  wenig  als 
die  Schneeflocke  in  einer  wesentlichen  Beziehung  zu  der  Grösse  und 
Gestalt  der  Lawine  steht,  die  unter  Umständen  aus  ihr  sich  ent- 
wickelt. Dass  aus  dem  Iveime  immer  dasselbe  entsteht, 
kommt  daher,  dass  er  immer  unter  dieselben  äusseren 
Bedingungen  gebracht  i  s  t".  Pflüger  glaubt  so  gezeigt  zu  haben, 
dass  die  Schwerkraft  einen  zur  Entwickelung  des  Eies  noth  wendigen 
polarisirenden  Einfluss  ausübe,  und  dass  sie  auf  diese  Weise  diejenigen 
Theile  des  Eies  bestimmen  müsse,  welche  später  zur  Anlage  des 
Centralnervensy stemes  werden . 

Diese  Auffassung  habe  ich  (s.  Nr.  19)  widerlegt,  indem  ich  Frosch- 
eier auf  einem  sehr  langsam  rotirenden,  senkrecht  stehenden 
JRade  befestigte  und  mit  ihm  bewegt  werden  Hess,  wobei  die  Schwer- 
kraft in  jeder  Secunde  in  anderer  Richtung  auf  die  Eier  wirkte  und 
die  Centrifugalkraft  zu  schwach  war,  um  statt  ihrer  richtend,  ein- 
stellend auf  das  Ei  wirken  zu  können.  Es  zeigte  sich,  dass  gleich- 
wohl die  Entwickelung  in  normaler  Weise  vor  sich  ging.  Daraus 
geht  hervor,  dass  ein  richtender  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  das  Ei 
zu  seiner  Entwickelung  nicht  nöthig  ist.  Eine  gleiche  Unabhängig- 
keit der  Entwickelung  von  äusserer  Einwirkung  ergab  sich  an  in 
enge  Glasröhren  aspirirten  Eiern  (s.  S.  322)  in  Bezug  auf  den  Ort  der 
Anlage  der  ersten  Organe,  z.  B.  des  Urmundes  und  des  Rückenmarkes, 
der  Chorda  dorsalis  von  der  Stelle  des  Sauerstoffzutrittes  sowie 
von  der  Richtung  des  Lichtzutrittes  (s.  S.  274). 

[26]  Danach  bleiben  statt  der  speciellen  Gestaltungs anlagen 
der  Keimblätter  und  der  Organe  blos  noch  als  möglicher  Weise 
von  aussen  bedingt  einige  allgemeinste  Gestaltungen  (s.  S.  422), 
wie  die  Umbildung  der  rundlichen,  oberflächlichen  Morulazellen  zu 
oberflächhch  abgeplatteten,  sich  dicht  zusammenschliessenden  Zellen, 

oder  wie  die  von  His  (13)  zur  Erklärung  einiger  Umgestaltungen  des 

49* 


772  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisclies  Vermögen  jeder 

Keimes  angenommene  Wanderung  vieler  Zellen  des  Samenkeimes 
gegen  die  Luftquelle  hin. 

Für  die  Anlage  und  Ausbildung  der  speciellen  Organe,  auch 
der  Keimblätter  aber  können  wir  das  Gesetz  aufstellen: 

Zu  der  Hervorbringung  der  typischen  Formenbil- 
dungen aus  dem  befruchteten  thierischen  Ei  „bedarf"  es 
keiner  gestaltenden  äusseren  Einwirkung  auf  das  Ei,  sondern 
die  formale  Entwickelung  des  befruchteten  Eies  geschieht 
zufolge  der  in  dem  Ei  enthaltenen  gest  altenden  Kräfte;  sie 
ist  ,,Selbstdifferenzirung  des  Eies". 

Dies  ist  der  Fall,  obschon  zur  Entwickelung  die  Einwirkung 
äusserer  Agentien ,  wie  Wärme  und  Sauerstoff ,  nöthig  ist ,  welche 
Agentien  aber  nicht  den  Ort  und  die  Gestalt  der  Bildungen  bestimmen ; 
sondern  die  Zufuhr  dieser  Kräfte  ist  blos  als  allgemeine  Vorbe- 
dingung der  Entwickelungsvorgänge  anzusehen,  ebenso  wie  die  Auf- 
speicherung von  Nahrungsdotter  im  Ei  oder  die  Zufuhr  flüssiger 
Nahrung  von  aussen. 

Nachdem  wir  gesehen  haben,  dass  die  Entwickelung  des 
Eies  wesentlich  durch  die  in  ihm  selber  liegenden  gestalten- 
den Kräfte  vor  sich  geht,  können  wir  nun  zu  der  Ermittelung 
der  „Localisation  der  Entwickelungsursaclien  innerhalb  des  Eies" 
übergehen. 

In  dieser  Hinsicht  legte  ich  mir  (s.  S.  153)  zunächst  die  allgemeine 
Frage  vor,  ob  alle  Eitheile  zu  der  normalen  Entwickelung 
des  Eies  unbedingt  nöthig  seien,  ob  daher  beim  Fehlen  eines 
Theiles  des  Eies,  oder  auch  nur  nach  dem  Hervorbringen  von  Unord- 
nung in  der  Eisubstanz  durch  äussere  Eingriffe  die  Entwickelungs- 
fähigkeit  gleich  ganz  aufgehoben  wird,  oder  ob  etwa  bei  der  statt- 
habenden Entwickelung  ganz  seltsame  fremde,  den  normalen  nicht 
mehr  entsprechende  Bildungen  aus  diesen  Störungen  resultiren,  so 
dass  also  nach  einer  auch  nur  kleinen  Störung  der  typi- 
schen Verhältnisse  des  Eies  gleich  ganz  fremdartige  Pro- 
ducte  aus  dem  Ei  hervorgehen  würden. 

Zur  Beantwortung  dieser  Fragen  wurden  Eier  nach  der  ersten 
oder  zweiten   oder    einer   späteren   Furchung   angestochen,    und    das 


der  beiden  ersten  Furcüungszellen.  773 

Resiilttit  [27]  des  Eingriffes  bis  zur  Zeit  der  ersten  Differenzirung 
des  Gehirns  und  Rückenmarkes,  der  Haftnäpfe  und  der  Urwirbel 
abgewartet. 

Es  zeigte  sich,  dass  erstens  trotz  Entleerung  bis  etwa  \'o  der 
Menge  des  Eiinhaltes  ein  normaler  Embryo  entstehen  kann;  und 
andererseits  boten  viele  aus  anderen,  in  scheinbar  gleicher  Weise 
operirten  Eiern  hervorgegangene  Embryonen  bei  sonst  normaler 
Beschaffenheit  blos  circumscripte  locale  Defecte  oder  sonstige 
locale  Störungen  dar.  Diese  localeii  Defecte  erwiesen  sich  bei 
genauerer  Untersuchung  auf  sehr  verschiedene  Weise  bedingt.  Immer- 
hin war  aus  diesen  Experimenten  zu  folgern,  dass  nicht  alle  Eisub- 
stanz  zur  Entwickelung  unbedingt  nöthig  ist,  und  dass  auf 
locale  Störungen  am  Ei  local  beschrcänkte  Störungen  am 
Embryo  folgen  können;  woraus  des  Weiteren  hervorgeht,  dass 
sich  die  nicht  in  ihrer  Entwickelung  gestörten  Theile  in 
entsprechendem  Maasse  ,, unabhängig"  von  den  fehlenden 
oder  abnorm  gebildeten  Theilen  zu  entwickeln  ,, vermögen". 

Nach  diesen  Ergebnissen  bestrebte  ich  mich,  eine  der  beiden 
ersten  Furchungszellen  ganz  von  der  Entwickelung  aus- 
zuschliessen  (s.  Nr.  22). 

Die  Methode  ist  einfach.  Man  giesst  das  Wasser  von  den 
Froscheiern  ^U  Stunden  nach  der  Befruchtung  ab  und  lässt  die  Eier 
darauf  offen  stehen,  so  dass  ihre  Hülle  bis  zum  Eintritt  der  ersten 
Furchung  durch  Verdampfung  wieder  etwas  Wasser  verliert.  Dadurch 
legt  sich  die  Gallerthülle  dem  Ei  wieder  an,  und  dasselbe  kann  si(;h 
somit  nicht  mehr  so  leicht  in  derselben  verschieben;  was  für  eine 
sichere  Operation  nöthig  ist.  Ist  die  erste  Theilung  äusserlich  voll- 
endet, so  wartet  man  noch  einige  Minuten  und  sticht  dann  mit  einer 
heissen  Nadel  Hie  Zelle  an.  Um  die  Nadel  heiss  zu  erhalten,  muss 
an  ihr  eine  Metallkugel  als  Wärmeträger  angebracht  sein.  Das  Wesent- 
lichste des  ganzen  Versuches  ist,  den  richtigen  Wärmegrad  auszu- 
probiren.  Früher  gelang  es  mir  nur  bei  20  von  lüO  operirten  Eiern 
gerade  blos  die  eine  Zelle  zu  tödten,  in  diesem  Frühjahr  aber  bei 
80  von  100;  während  von  den  nicht  operirten  Probeeiern  keines 
Abnormitäten  bildete.     Man  sticht  von   oben  oder  von  der  Seite  her, 


774  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

parallel  der  Furchungsebene  in  geeigneter  Richtung  in  das  Ei,  um  in 
die  Gegend  des  Kernes  zu  gelangen  und  ihn  bei  einem  geringen 
Verweilen  mit  der  Nadel  von  etwa  5 — 10  Secunden  im  Ei  zu  tödten. 
Hat  man  das  Wasser  von  den  Eiern  zu  früh  abgegossen,  schon  ehe 
sie  sich  in  der  Gallerthülle  mit  den  hellen  Polen  nach  unten  einge- 
stellt hatten,  ist  ihnen  also  eine  künstliche  Stellung  aufgezwungen 
worden,  so  bildet  sich,  wie  oben  schon  angedeutet  wurde,  die  normaler 
Weise  als  zweite  auftretende  Furchung,  welche  köpf-  und  schwanz- 
wärts  scheidet,  häufig  zuerst,  und  [28]  man  zerstört  dann  mit  der 
Nadel  anderswerthige  Zellen  als  normaler  Weise,  mit  entsprechend 
anderem  Resultat.  Den  Mechanismus  dieses  Anachronismus  habe 
ich  des  Genaueren  dargelegt  (s.  Nr.  21). 

Das  Resultat  der  Versuche,  in  denen  es  gelang,  eine  der 
beiden  normalen  ersten  Furchungszellen  ganz  von  der  Entwickelung 
auszuschliessen,  war  nun  folgendes:  Es  entstand  aus  der  unversehrten 
Eihälfte  zunächst  eine  typische  senkrechte  Semimorula  mit  einer 
halben  Furchungshöhle,  darauf  eine  Semiblastula,  eine  rechte 
oder  linke  S  e  m i  g  a  s  t  r  u  1  a  ;  und  nach  der  Anlage  des  Medullar- 
wulstes  war  ein  rechter  oder  linker  Hemiembryo  vorhanden. 
Letztere  Stufe  ist  deutlich  als  Halbbildung  schon  äusserlich  kenntlich 
durch  ihren  einen  Medullarwulst,  der  weiterhin  die  halben  Hirnblasen 
bildet,  durch  den  einen  Haftnapf,  durch  die  eine  Reihe  der  Urwirbel 
auf  dem  Querschnitt,  ferner  durch  das  halbe  Lumen  des  Urdarmes 
und  in  seltenen  Fällen  auch  durch  eine  viel  dünnere  Chorda  dorsalis 
als  bei  einem  ganzen  Embryo.  Immer  aber  zeigte  die  vollkommen 
abgegliederte  Chorda  statt  eines  halbrunden  einen  gerundeten  Quer- 
schnitt, und  meist  war  die  Chorda  an  diesen  Hemiembryones 
later  a  1  es  fast  oder  ganz  so  dick  als  an  einem  ganzen  Embryo  (s.  Nr.  22). 

Nicht  selten  bieten  diese  Halbbildungen  geringe 
Abweichungen  von  der  normalen  Gestaltung  dar;  es  kommen 
Semiblastulae  mit  Zellen  in  der  Blastulahöhle ,  etwas  umgeformte 
Semigastrulae,  Hemiembryones  laterales  mit  zu  kleinem,  ja  mit  fast 
oder  ganz  fehlendem  Urdarm  mit  Verlagerung  der  Chorda  weit  seit- 
lich von  der  Semimedulla  vor. 


der  beiden  ersten  Furchunsszellen.  775 


Es  bedarf  aber  keiner  besonderen  Hervorhebung,  dass  auch 
schon  ein  ,, einziger"  Fall  der  Bildung  eines  reinen 
wohlgestalteten  seitlichen  Hemieembryo  aus  einem 
halben  Ei  die  „Möglichkeit"  dieser  Bildung  „beweist";  ich 
habe  jedoch  eine  ganze  Anzahl  derselben  erhalten  und  micro- 
tomirt. 

Die  auftretenden  formalen  Störungen  bekunden 
neben  dieser  Möglichkeit  nur,  dass  beim  Vorhandensein 
des  ,, ganzen"  Eies  die  Entwickelung  doch  noch  „sicherer" 
vor  sich  geht,  obschon  auch  eine  Eihälfte  sich  für  sich  allein  nor 
mal  zu  entwickeln  „vermag"  (s.  S.  453).  Und  dieser  Umstand  lässt 
uns  einige  Schlüsse  auf  die  Mechanismen  der  bezüglichen,  im  ganzen 
Ei  sicherer  sich  vollziehenden  Gestaltungen  ziehen. 

Wir  dürfen  also  das  weitere  Gesetz  aufstellen:  Je  „eine" 
der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Froscheies 
resp.  die  Gesammtheit  ihrer  Nachkommen  vermag  sich 
nach  Vernichtung  der  Entwickelungsf ähigkeit  der 
anderen  Zelle  als  Halbbildung  bis  zu  einem  „seit- 
lichen" halben  Embryo  mit  „e'inem"  Haftnapf,  ,, einem" 
Medullarwulst,  halben  Gehirnblasen,  „einem"  Gehör- 
bläschen, ,, einer"  Ch  orda  [29]  dorsalis  von  halber  Dicke, 
einem  halben  Urdarm,  zur  Bildung  eines  seitlich 
halben  Mesoblast  und  zur  Abgliederung  desselben  in 
Urwirbelplatten  und  Seitenplatten,  sowie  zur  Zer- 
legung der  Urwirbelplatten  in  die  typischen  Urwirbel 
zu  entwickeln. 

,,0b  mit  diesem  Grade  der  Entwickelung  die  obere  Grenze 
der  selbstsländigen  Entwickelungsfähigkeit  erreicht  ist, 
vermag  ich  zur  Zeit  nicht  zu  sagen;  es  liegt  aber  auch  zur  Zeit 
nichts  vor,  was  zu  einer  solchen  Annahme  nöthigt,  solange  die  Ernäh- 
rung noch  ohne  Blut  vor  sich  geht;  denn  der  bei  seiner  künstlichen 
Abtödtuug  am  weitesten  entwickelte  Hemiembryo  sinister  der  Fig.  5, 
Taf.  Vn  zeigte  keinerlei  Absterbeerscheinungen,  weder  die  von  mir 
als    Zeichen    des   beginnenden    Absterbens    beschriebene   Framboisia 


776  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

embryonalis  minor,  noch  die  major.  Ueber  das  Verhalten  nach  der 
Bildung  der  Blutgefässe  und  des  Herzens  kann  nur  die  directe  Beob- 
achtung entscheiden"  (s.  S.  449.). 

Entsprechende  Anstecliversuclie  nach  der  Bildung  der  zweiten 
Furche  oder  nach  der  Bildung  der  eigentlich  zweiten  Furche  als  erste 
Hessen  erkennen,  dass  eine  gleiche  Selbstständigkeit  der  Ent- 
wickeln n  g  auch  d  e  r  V  o  r  cl  e  r  e  n  und  eine  fast  gleiche  auch 
der  hinteren,  resp.  den  beiden  vorderen  und  den  beiden 
hinteren  Furchungskugeln  und  der  Gesammtheit  ihrer  Deri- 
vate zukommt.     (Genaueres  siehe  S.  446.) 

Ich  gebe  hier  eine  microtomirte  8emimorula,  eine  Semiblastula, 
eine  Semigastrula  und  zwei  Hemiembryones  laterales,  letztere  in  Quer- 
schnitten, herum,  und  bitte  Sie,  auch  die  nicht  entwickelte  Hälfte 
zu  beachten,  um  zu  constatiren,  dass  selbst  neben  den  Hemiembryonen 
in  der  anderen  Hälfte  weder  Organe  noch  Keimblätter  regulär 
oder  irregulär  angelegt  sind ,  noch  diese  Hälfte  in  Zellen  zer- 
legt, noch  mit  normalen  Kernen  versehen  ist,  so  dass  also 
kein  Zweifel  vorliegt,  dass  die  operirte  Eihälfte  von  der  nicht 
operirten  Hä  If te  um  die  ganze  Differenz  an  Gestaltungen 
überholt  ist,  die  zwischen  den  genannten  Organanlagen 
und  einer  nicht  cellulirten,  zum  Theil  blasig  zersetzten 
Dottermasse  besteht,  wobei  letztere  noch  mit  weit  über  eine  Zelle 
grossen,  abnormen,  in  unregelmässigen  Gruppen  zusammenliegenden 
roth  imbibirten  Massen,  eventuellen  abnormen  Kernmassen,  durch- 
setzt ist.  Ich  bitte  Sie,  auf  diese  Entwickelungsdifferenz  beider  Hälften 
zu  achten,  weil  von  O.  Hertwig  (4)  die  Ansicht  ausgesprochen  worden 
ist,  ich  hätte  gar  keine  wahren  Halbbildungen,  sondern  Ganzbil- 
dungen hervorgebracht,  die  aber  in  Folge  der  ihnen  zugefügten 
Schädigung  aus  einem  normal  und  einem  anormal  entwickelten 
Theile  bestünden. 

[30]  Aus  der  Thatsache  der  Entstehung  dieser  Halbbildungen 
ist  bezüglich  des  Sitzes  der  gestaltenden  Kräfte  das  Gesetz 
abzuleiten : 

Jede  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Frosch- 
eies enthält  alle  wesentlichen  gestaltenden  und  diffe- 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  777 

renzir enden    Kräfte    für    die    Anlage   der    halben    Ge- 
hirnblasen,   der   Gehörbläschen    nnd    der   dieser   Ent- 
wickelungsstufe  entsprechenden  anderen  Organe  des 
Embr^'O  in  sich. 
Ferner : 

Da  jede  der  beiden  ersten  Furchnngszellen  sich 
nuabhängig  von  der  anderen  zu  einer  normalen  seit- 
lichen Körperhälft  e  zu  entwickeln  vermag,  so  ist  anzu- 
pelimen,  dass  auch  bei  der  normalen  Entwickelung 
beider  Körperhälften  jede  der  beiden  ersten  Blasto- 
meren, d.h.  der  ,, ganze  Complex  ihrer  Nachkommen" 
sich  unabhängig  von  dem  Complexe  der  Nachkommen 
der  anderen  Elastomere  entwickelt i). 

,, Damit  haben  wir  also  erkannt,  dass  diese  Vorgänge  der  Ent- 
wickelung nicht  als  eine  Folge  der  Zusammen wirkung  aller  Theile 
oder  auch  nur  aller  Kerntheile  des  Eies  betrachtet  werden  dürfen; 
sondern  an  die  Stelle  solcher  differenzirenden  Wechselwirkungen 
aufeinander  tritt  die  Selbstdif  f  er  enzirun  g  jeder  der  ersten 
Furchungszellen  und  des  Complexes  ihrer  Derivate  zu 
einem  bestimmten  Stücke  des  Embryo;  das  gilt  sowohl,  wenn 
die  zuerst  auftretende  Furche,  wie  normal,  die  rechte  und  linke,  als 
auch,  wenn  sie  anachronistisch  die  cephale  und  caudale  Hälfte  von- 
einander scheidet.  Jede  dieser  Furchungskugeln  enthält  also  nicht 
nur  das  Bildungsmaterial  zu  dem  entsprechenden  Stücke  des 
Embryo,  sondern  auch  die  differenzirenden  und  gestaltenden  Kräfte". 
[S.  449.] 

Ich  leitete  aus  diesem  Verhalten  die  weitere  Folgerung  ab:  Die 
Furchuno-  scheidet  den  die  „directe  [s. typische] Entwickehing-" 
des  Individuums  vollziehenden  Theil  des  Zellleib-  und 
besonders  des  Kernmateriales  nach  Qualität  und  Quan- 
tität in  typischer  Weise  und  bestimmt  mit  der  dabei 
stattfindenden  Anordnung    dieser   verschiedenen, 


1 )  Genaueres   siehe  Nr.  33  nnd  W.  Roux,  Ueber  die  verschiedene  Entwickeluns 
isolirter  Blastomeren.     Arch.  f.  Entwickelunasmechanik  Bd.  1.    S.  608. 


778  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

gesonderten  Materialien  zugleich  die  Lage  der  späteren 
differenzirteu  Organe  des  Embryo  (einschliesslich  nach- 
träglicher typischer  Materialumlagerungen). 

,,Ueber  die  Vertheilung  desjenigen  Idiopl asm as  dagegen, 
welches  erst  bei  der  Rej^eneratioii  und  der  weiter  unten  kennen  zu 
lernenden  Postgeiieratioii  in  Thätigkeit  tritt  und  vielleicht  in 
jeder  Zelle,  bezw.  in  jedem  Kern  sich  mehr  oder  weniger  vollkommen 
vorfindet,  ist  damit,  wie  ich  ausdrücklich  bemerke,  nichts  präjudicirt. 
Und  ebensowenig  soll  mit  dieser  [31]  Angabe  der  durch  unsere 
Experimente  bereits  sicher  erkannten  Bedeutung  der  ersten  Furchungen 
gesagt  sein,  dass  im  Furchungsstadium  nicht  noch  andere 
Vorgänge,  wie  z.  B.  etwa  die  Ausbildung  vieler  verschie- 
dener Qualitäten  im  Keimmaterial,  die  Vermehrung  des 
specifischen  differenzirteu  Keimmateriales  etc.  stattfinden".   [S.  450.] 

„Wenn  danach  die  erste  Furehung  das  IVhiterial  der  rechten  und 
linken  Körperhälfte  von  einander  sondert,  also  das  Keimmaterial  ,,  qua- 
litativ halbirt",  um  mich  dieses  von  mir  eingeführten  Ausdruckes 
zu  bedienen,  so  ist  dabei  doch  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass 
dieses  qualitativ,  d.  h.  seiner  chemischen  und  procentischen  Zu- 
sammensetzung nach  beiderseits  gleiche  Material  nicht  auch 
,, morphologisch"  gleich  ist,  denn  seine  Anordnung  ist  auf  der 
einen  Seite  derart ,  dass  eine  rechte,  auf  der  andern  Seite  derart, 
dass  eine  linke  Körperhälfte  daraus  hervorgeht.  In  welchem  An- 
ordnungsverhältniss  diese  fundamentale  Ungleichheit,  die  die  Grund- 
lage der  bilateralen  Symmetrie  darstellt ,  zur  Zeit  der  ersten  Furche 
bedingt  ist,  ob  etwa  blos  in  der  halbkugeligen  Gestalt  des  Dotter- 
materiales  und  in  deren  entsprechend  einstellender  Wirkung  auf 
die  verschiedenen  Bestandtheile  des  Kernes,  oder  in  der  selbst- 
ständigen Anordnung  dieser  letzteren,  sind  Fragen,  welche  für  sich 
zu  beantworten  sein  werden  und  welche  ich  hier  blos  erwähne,  um 
zu  verhindern,  dass  man  mir  wieder,  wie  bezügHch  der  Bedeutung 
der  indirecten  Kerntheilung  in  Folge  zu  grosser  Kürze,  mir  durchaus 
fremde  Ansichten  unterstellt"  (S.  451).  Dass  die  indirecte  Kerntheilung 
derartige    qualitative    Materialscheidungen    ermöglicht,    glaube    ich 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  779 

(Nr.  17   und   besonders   Nr.  20,   S.    25 — 33)    zur    Genüge    dargethan 
zu  haben. 

Ich  hoffe  durch  weitere  Versuche  ermittehi  zu  können,  ,,ob, 
bezw.  wie  weit  die  Gesammtheit  der  Nachkommen  auch 
späterer  Furchungskugeln  für  sich  selbstdifferenzirungs- 
fähig  ist,  oder  ob  die  zur  erkennbaren  ersten  Anlage  der  genannten 
Organe  des  Embryo  fortschreitende  Differenzirung  doch  an  die  Coexistenz 
einer  ganzen  grösseren  Gruppe ,  etwa  aller  Nachkommen  einer  der 
vier  ersten  Furchungskugeln  gebunden  ist,  so  dass  wir  in  jeder  der 
vier  ersten  Furchungszellen  bereits  die  kleinsten,  so  hoch- 
gradig selbstdifferenzirungsfähigen  Eitheile  erreicht  hätten; 
was  ich  indess  trotz  des  scheinbar  dafür  sprechenden  Mechanismus 
der  Gastrulation  nicht  vermuthe."  [S.  452.] 

Ich  hatte  schon  früher  [S.  207]  auf  die  Nothwendigkeit  hinge- 
wiesen, die  kleinsten  selbstdifferenzirungsfähigen  Eitheile 
(der  iMorula,  Blastula,  Gastrula)  sowie  Embryotheile  zu  ermitteln; 
und  besonders  ist  festzustellen,  ob  grössere  Zellgruppen  in  höherem 
Maasse  selbstdifferen-  [32]  zirungsfähig  sind  als  kleinere,  und  ob  dies 
insbesondere  von  dem  Complex  aller  Nachkommen  einer  und  der- 
selben Furchungszelle,  vielleicht  der  Morula  oder  Blastula,  gleichfalls 
in  höherem  Maasse  gilt,  als  von  nebeneinanderliegenden,  ebenso 
grossen  Zellgruppen,  welche  aberblos  Theile  der  Nachkonmienschaft 
zweier  oder  mehrerer  Furchungszellen  darstellen  und  also  nicht  die 
Gesammtheit  der  Nachkommen  einer  früheren  Furchungszelle 
repräsentiren  (s.  Nr.  27,  S.  288,  Anm.). 

Gehen  wir  nun  zu  den  speciellen  entwickelungsmecha- 
ni sehen  Folgerungen  aus  dem  Vorkommen  der  Halbbildungen  über: 

Zunächst  sei  erwähnt,  dass  man  an  den  nur  in  einer  seitlichen 
Hälfte  entwick^ten  pigmentreichen  Eiern  von  Rana  fusca  oft  zugleich 
einen  weiteren  Beweis  für  meine,  durch  mehrere  andere  Argumente 
experimentell  begründete  Ansicht  (s.  Nr.  23)  erhält,  dass  das  Medullar- 
rohrmaterial  nicht  oben  an  der  Medianlinie  auf  der  schwarzen  Hemi- 
sphäre der  Morula,  sondern  neben  dem  Aequatorrande  dieser  Hemi- 
sphäre liege  und  von  da  beiderseits  nach  abwärts  geschoben  werde 
bis  zur  Verschmelzung  in  der  Medianlinie.     Man  sieht  nämlich,  dass 


780  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

der  reichliche  schwarze,  i'einkörnige  Bildungsdotter,  welcher 
specifisch  leichter  ist  als  die  Körner  des  Nahrungsdotters  und  daher 
die  Oberseite  des  Eies  bildet,  unmittelbar  neben  der  „ventralen" 
Seite  des  Hemiembryo,  also  entgegengesetzt  vom  MeduUar- 
wulst  liegt.  Manchmal  aber  kommt  jedoch  auch  das  Umgekehrte 
vor.  Dies  erklärt  sich  wohl  dadurch,  dass  in  diesen  Fällen  der  Inhalt 
der  operirten  Furchungszelle  noch  nicht  geronnen,  sondern  noch  halb- 
flüssig war  zu  der  Zeit ,  als  die  Bildung  des  Medullär wulstes  in 
der  anderen  Eihälfte  stattfand.  Zu  dieser  Zeit  dreht  sich  das  Ei 
mit  seiner  ursprünglichen  Unterseite  in  dem  Maasse  nach  oben,  als 
die  aus  vorwiegend  protoplasmatischen,  also  specifisch  leichten  Zellen 
gebildete  Medullarplatte  in  cephalocaudaler  Richtung  über  die  ur- 
sprüngliche Unterseite  des  Eies  sich  erstreckt;  durch  diese  Drehung 
wird  natürlich  die  anhaftende  andere .  Eihälfte  mit  ihrer  schwarzen 
Oberseite  in  entgegengesetzter  Richtung  nach  abwärts  bewegt.  Wenn 
diese  nicht  in  Zellen  zerlegte  Masse  nun  noch  halbflüssig  ist,  so 
steigt,  wie  es  Born  (11)  für  die  Zwangslage  befruchteter,  ungetheilter 
Eier  nachgewiesen  hat,  der  Bildungsdotter  und  der  zugehörige  Pig- 
mentdotter im  Innern  wieder  auf  und  gelangt  daher  im  vorliegenden 
Falle  nachträglich  neben  den  einen  INIeduilarwulst  zu  liegen.  Trotz 
dieser  scheinbaren  Ausnahmen  ist  der  zuerst  angeführte  Fall  voll- 
kommen beweisend  für  die  ausgesprochene  Auffassung,  weil  es  keine 
Fehlerquelle  giebt,  welche  den  specifisch  leichteren  Bil- 
dungsdotter „nachträglich"  auf  die  dem  Medullarwulst  ent- 
gegengesetzte Seite  [33]  des  Eies  zu  bringen  vermöchte, 
wenn  letzterer  sich  oben  neben  diesem  Dotter  angelegt 
hätte;  denn  es  fiele  die  Ursache  für  die  nachträgliche  Umdrehung 
des  Eies  fort,  da  alsdann  die  specifisch  leichtesten  Theile  von  vorn- 
herein oben  angelegt  würden  (s.  Nr.  31,  S,  254  Anm.) 

Ferner  ist  aus  dem  normalen  Verlaufe  der  Entwickelung  der 
unversehrten  Furchungszelle  zu  folgern,  dass  die  soeben  erörterte 
qualitative  Scheidung  des  Zellleib-,  besonders  aber  des 
Kernmaterial  es,  welche  bei  der  Furchung  unserer  Meinung  nach 
stattfinden  muss ,  ohne  die  Einwirkung  der  Nachbarz eilen 
richtig  vor  sich  gehen  kann,  also  wohl  auch  normaler  Weise 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  781 


ohne  diese  vor  sieh  gelit;  zweitens,  dass  der  Kern  seine  l'ür  die 
richtige  Anordnung  der  geschiedenen  Materiahen  wichtige,  richtige 
Stelle  und  Richtung  in  der  Furchungszelle  ohne  eine  an  die 
Lebensthätigkeit  der  Nachbarzellen  geknüpfte  Einwirkung 
derselben  erlangt,  und  dass  das  Gleiche  bei  den  späteren  Theilungen 
innerhalb  des  Nachbarbezirkes  dei-  operirten  Zelle  der  Fall  ist ;  wes- 
halb sich  diese  Unabhängigkeit  vielleicht  auch  ohne  einen  Irrthum 
verallgemeinern  lassen  wird.  Weiterhin  folgere  ich  aus  diesem  Nicht- 
nöthigsein  der  einen  verticalen  Eihälfte,  dass  die  Blastula-  und 
fxastrulagestaltung  ohne  weitgehende,  besonders  ohne  seit- 
liche Spannungen  im  Materiale,  also  auch  ohne  weitaus  sich 
erstreckende  mechanische  Wechselwirkungen  der  Theile  vor  sich 
gehen  kann,  so  dass  ich  demnach  geneigt  bin,  diese  typischen 
Gestaltungen  grösstentheils  auf  active  Umordnungen  der  Zellen  zurück- 
zuführen" (S.  452). 

Wir  ziehen  hier  daher  nur  folgende  Schlüsse:  Die  Gastru- 
lation  vollzieht  sich  in  jeder  Antimere  selbstständig;  und 
da  ich  auch  vordere  und  hintere  Halbembryonen,  also  auch  ent- 
sprechende Gastrulae,  sowie  nach  Zerstörung  von  drei  der  vier  ersten 
Furchungszellen  V i  e  r  t e  1  g a s  t  r  u  1  a e  erhalten  habe ,  so  ist  das 
Gleiche  auch  in  der  c e p h a  1  e n  und  c a u d a  1  e n  Hälfte  der 
Fall.  Demnach  gilt  es  auch  für  die  betreffenden  Viertel;  und  wir 
können  mit  Berücksichtigung  der  auch  an  diesen  letzteren  beobachteten, 
wenn  auch  geringeren,  Weiterentwickelung  schliessen: 

,,Die  [seil,  directe  s.  typische]  Entwickelung  der  Frosch- 
Gastrula  und  des  zunächst  daraus  hervorgehenden  Embryo 
ist  von  der  zweiten  Furchung  an  eine  Mosaikarbeit  und 
zwar  aus  mindestens  vier  verticalen,  sich  selbstständig  ent- 
wickelnden stücken."    [S.  455.] 

„Wie  weit  nun  diese  Mosaikbildung  aus  mindestens  vier 
Stücken  bei  der  weiteren  Entwickelung  durch  einseitig  ge- 
[34]  richtete  Materialumlagerungen  und  durch  differenzirende 
Correlationen  umgearbeitet  und  in  der  Selbstständigkeit 
ihrer  Theile  beschränkt  wird,  ist  erst  noch  zu  ermitteln.  Die 
bekannten  Verlagerungen  der  Dotterzehen  während  der  Gastrulation 


782  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

sind,  sofern  letztere  nur  Reservematerial  darstellen,  hierbei  nur  von 
untergeordneter  Bedeutung."  [S.  445.] 

Diesen  C-itaten  aus  meiner  früheren  Arbeit  fügeich  jetzt  noch  hinzu, 
dass  schon  nach  der  Zerlegung  des  Froscheies  in  acht 
Zellen,  durch  die  wagerechte,  dritte  Furchung  die  einzelnen 
Blastomeren  die  epibolische  Gastrulation  nicht  mehr 
in  den  groben  F o r m v e r h ä  1 1 n i s s e n  richtig  zu  ^- o  1 1  z i e h e n 
vermöge  n. 

,,Die  Hemiembryones  laterales  (sowie  auch  die  Asyntaxia  medul- 
laris)  belehren  uns  des  Weiteren,  dass  in  dem  medialen  Saum 
des  Urmundes  der  Semigastrula  „lateralis"  sich  die  ,, seit- 
liche" Hälfte  der  Chorda  dorsalis  anlegt,  während  an  der 
angrenzenden  Aussenfiäche  desselben  die  Medullarplatte  mit  dem 
Medullarwulste  gebildet  wird.  Ausserdem  geht  auch  die  Anlage  des 
Mesoblast  in  der  ,, Dorsalplatte"  vor  sich,  ^"on  Interesse  ist,  dass  die 
Chorda  und  der  Mesoblast  auch  gebildet  werden  an  den  Stellen,  wo 
der  Darmentoblast  fehlt,  und  sogar  wenn  der  Darmentoblast  ganz 
fehlt,  wie  die  in  einigen  Fällen  von  Asj^ntaxia  medullaris  vor- 
handene Anentoblastia  zeigte  [S.  442]  ^).  Ferner  ist  es  lehrreich, 
dass  sich  der  seitliche  Theil  des  Ectoblast  und  die  Medullarplatte 
an  dem  Umschlagsrande  auch  bei  unseren  Halbbildungen  von- 
einander trennen,  obgleich  keiner  dieser  beiden  Theile  des  ursprüng- 
lichen Ectoblast  dann  Gelegenheit  hat,  sich  mit  seinesgleichen  zu  ver- 
einigen, sondern  zunächst  mit  einem  freien  Rande  gegen  die  operirte 
Hälfte  anstösst." 

Mit  der  Bildung  eines  linken  oder  rechten  halben  Embryo  war 
aber  die  Leistungsfähigkeit  der  unversehrten  Eihälfte  nicht 
erschöpft.  Sondern  es  war  aus  den  specielleu  Befunden  zu  schliessen, 
dass  von   ihr  aus,  an   den    in    ihrer   Lage    vom    Zufall    abhängigen 


1)  0.  Hertwig  (4)  giebt  S.  428  an,  dass  selbst  in  den  böclisten  Graden  von 
Asyntaxia  medullaris  noch  eine  Kopfdarmhöhle,  also  ein  entsprechender  Theil  des 
Entoblast  vorhanden  und  somit  der  von  mir  für  die  extremen  Fälle  gegebene  Name 
Anentoblastia  nicht  zutreffend  sei.  Auf  Seite  368  berichtet  jedoch  Hertwig  selber 
von  einem  bezüglichen  Embryo,  bei  dem  jede  Einstülpung  fehlt,  welche  die  erste  An- 
lage einer  Kopfdarmhöhle  darstellen  würde. 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  783 


innigsten  Berührungsstellen  mit  der  operirten  Eilüili'te  in  vielen  Fällen 
eine  U  ebcr  Wanderung  von  Kernen  und  vielleicht  auch 
von  anliegenden  Protoplasmath eilen  (incl.  Centrosomen?) 
in  die  anstossende,  ihrer  eigenen  Entwickelungsfähigkeit  beraubte  [35] 
Eihälfte  stattfand  [S.  473] ;  diese  Kerne  vertheilten  sich  in  der  grossen 
Dottermasse;  und  darauf  folgte  später  eine  Zerlegung  der  operirten 
Hälfte  in  Zellen,  und  zwar  nicht  wie  bei  der  normalen  Thei- 
lung  eine  Zerlegung  der  ganzen  Massen  zunächst  in  zwei  an- 
nähernd gleiche,  also  grosse  Zellen  und  danach  dieser  wiede- 
rum in  je  zwei  entsprechend  kleinere  etc.,  sondern  die 
Abgliederung  erfogte  sogleich  in  kleinere  Zellen  wie 
bei  der  „N  a  c  h  f  u  r  c  h  u  n  g"  Waldeyer's  und  der  normalen  ,, Dotter- 
furchung"  H.  VmcHOw's  (14). 

Diese  Abgliederung  ging  stets  von  der  entwickelten  Eihälfte  aus 
und  schritt  von  da  aus  successive  in  der  grossen  Dottermasse 
fort.  Ich  habe  aber  auch  Fälle  beobachtet  und  beschrieben,  in  denen 
man  dem  nicht  vollkommen  getödteten  ursprünglichen  Kern  der 
operirten  Eihälfte  einen  wesentlichen'  Antheil  an  der  nachträglichen 
Bekernung  der  operirten  Eihälfte  und  daher  auch  an  der  späteren 
Zerlegung  in  Zellen  zuerkennen  musste  [S.  475]. 

Häufig  entwickelte  sich  die  nachträglich  bekernte  und  cellulirte 
zweite  Eihälfte  ganz  oder  zum  grössten  Theile ,  oder  auch  nur  zum 
kleineren  Theile  unter  Abstossung  eines  entsprechenden 
unbrauchbaren  zersetzten  Restes,  weiter;  und  die  nach- 
trägliche Ergänzung  der  ursprünglichen  seitlichen  Halbbildung  zu 
einem  vollkommenen  Individuum  war  das  Endresultat;  ein  Vorgang, 
den  ich  als  Postgeneration  bezeichnet  habe,  theils  in  logischem 
Gegensatze  zur  Hegeneration ,  theils  auch,  weil  die  Identität  beider 
Vorgänge  nicht  nachgewiesen  ist,  sondern  weil  bei  der  von  mir 
zuerst  beobachteten  Postgenerationsweise  ein  w^esentlicher  Unterschied 
sogleich  constatirt  wurde:  die  Verwendung  der  Dottermasse  der 
operirten  Zelle,  die  Vertheilung  von  Kernen  in  derselben  von  einer 
oder  mehreren  zufällig  gelagerten  Berührungsstellen  aus  mit  nach- 
träglicher Cellulation  dieser  Masse  [Weiteres  siehe  Seite  796]. 


784  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 


Entsprechendes  geschah  bei  den  Hemiembry ones  ante- 
riores. Die  P  0  s  t  g  e  n  e  r  a  t  i  o  n  der  hier  fehlenden  liinteren  Körper- 
liälfte  ging  von  der  entwickelten  Hälfte  ans  und  schritt  stetig  nach 
hinten  fort.  Einer  Verwechselung  mit  einem  etwaigen  blossen  Ana- 
chronismus der  Entwickelung  der  vorderen  und  hinteren  Hälfte,  also 
mit  einer  blos  verspäteten,  aber  sonst  normal  sich  vollziehenden 
Bildung  der  hinteren  Hälfte  wird,  abgesehen  von  den  inneren  Vor- 
gängen, schon  durch  dieses  successive  Fortschreiten  in  der  nach- 
träglichen Bildung  des  fehlenden  Stückes  von  dem  bereits  hochent- 
wickelten Theile  aus  vorgebeugt;  die  Postgeneration  der  seithchen 
Körperhälfte  geht  gleichfalls  vorwiegend  in  cephalocaudaler  Rich- 
tung vor  sich. 

Ueber  die  Vorgänge  der  postgenerativen  Bildung  der 
Keimblätter  in  dem  nachträglich  bekernten  und  cellulirten  Dotter- 
[36]  material  liessen  sich  folgende  Arten  des  Geschehens  als  für  alle 
drei  Keimblätter  giltig  aufstellen: 

„Die  Postgeneration  der  Keimblätter  in  der  operirten  Ei- 
hälfte  geht  aus  von  den  schon  differenzirten  Keimblättern  der  nor- 
mal entwickelten  Eihäll'te,  und  zwar  erst,  wenn  ein  solches  Keimblatt 
mit  einer  „Unt  erbrech ungsf  lach  e"  an  die  nachträglich  cellu- 
lirte  Dottermasse  stösst  (S.  498).  Die  an  diesen  Stellen  begonnene 
Bildung  setzt  sich  continuirlich  in  die  Dottermasse  fort.  Gegen  den 
freien  Rand  der  fortschreitenden  Keimblattdifferenzirung  finden  sich 
stets  allmähliche  Uebergangsstufen  zwischen  den  indifferenten  Dotter- 
zellen und  den  Zellen  des  bereits  vollkommen  differenzirten  Keim- 
blattes. Unter  Zurückweisung  anderer  Möglichkeiten  kamen  wir  daher 
zu  dem  Schlüsse,  dass  sich  diese  Differenzirung  in  dem  schon  vorher 
am  Orte  befindlichen  und  während  der  Differenzirung  daselbst  ver- 
bleibenden Materiale,  also  im  ruhenden  Dottermateriale  durch  directe 
Umbildung  der  Dotterzellen  (bei  dem  Ecto-  und  Mesoblast  unter  gleich- 
zeitiger Theilung  derselben)  vollzieht." 

Bezüglich  der  Oertlichkeiten  der  Ursachen  dieser  Vorgänge  liessen 
sich  weiterhin  einige  Schlüsse  ableiten: 

,,Da  das  auf  die  erwähnte  Weise  nachträglich  zu  Keimblättern 
differenzirte  Dottermaterial  in  seinem ,  den  Leib  der  Zelle  bildenden 


der  beiden  eisten  Furchungszellen.  785 

jNIateriale  clurcli  die  Operation  vielfach  in  Unordnung  gebracht  worden 
war,  und  da  auch  das  Kernmaterial  der  aus  ihm  nachträgUch  gebildeten 
Zellen  nicht  durch  eine  typische  Vertheilung  seinen  Platz  erhalten 
hatte,  sondern,  von  dem  Furchungskern  theils  der  operirten  ,  theils 
der  nicht  operirten  Eihälfte  abstammend ,  zufälligen  Momenten  seine 
Lagerung  verdankte,  so  konnte  die  für  die  normale  Entwickelung 
denkbare  Annahme,  dass  an  t3'pischen  Orten  immer  typisches,  zu 
ganz  bestimmter,  selbstständiger  Entwickelung  befähigtes  Material 
gelagert  sei,  und  dass  deshalb  eine  ordentliche  Keimblattbildung 
vor  sich  gegangen  sei,  in  diesem  Falle  nicht  zulässig  erscheinen. 
Sondern  wir  müssen  schliessen,  dass  die  Ursache  für  diese  typische 
Weiterbildung  der  Keimblätter  der  entwickelten  Hälfte 
innerhalb  der  noch  unentwickelten  Eihälfte  auf  Kräften 
beruht,  welche  von  den  Blättern  der  entwickelten  Hälfte 
ausgehen."   (S.  508.) 

An  den  Stellen,  wo  zufällig  der  Ectoblast  mit  seiner  Ober- 
fläche an  die  Dottermasse  stösst,  findet  dagegen  keine  Differen- 
zirung  in  derselben  statt;  ebenso  setzte  sich  die  Differenzirung  von 
Ecto-  und  Mesoblast  nur  in  Richtung  der  Ausdehnung  der  Schicht  in 
die  indifferente  Dottermasse  fort.  Es  scheint  daher  die  Thatsache 
vorzu-  [37]  liegen,  dass 

blos  von  den  ,,Seiteiilläclieii"  der  Epithelien  eine  diffe- 
renzirende  Wirkung  auf  anliegende  indifferente  Zellen 
ausgeht,  jedenfalls  ,, nicht"  von  ihrer  ,,Oberf  lache  " 
und  vielleicht  auch,  nicht  oder  nur  in  geringerem 
Maasse  von  ihrer  ,, Bas alf lache"  also  nicht  von  den  „po- 
laren" Flächen. 

Wenn  dabei  auch  von  etwas  schief  stehenden  Seitenflächen 
differenzirende-JVirkung  rechtwinkelig  zu  ihr  ausgeht,  so  kann  trotz 
dieser  Beschränkung  der  Differenzirungsrichtung  die  postgenerirte 
Schicht  bald  dicker,  bald  dünner  werden  und  typische  Biegungen 
erfahren,  wäe  es  der  Natur  entspricht.  Dieses  anscheinend  fundamentale 
Verhalten  bedarf  natürlich  vielfacher  weiterer  Beobachtung. 

Diese  abhängige  Differenzirung  hielt  ich  nicht  für  einen 
ganz  neuen,  der  normalen  Entwickelung  fremden,  etwa  blos  der  Post- 

\V.  Rons,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  50 


786  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 


generation  und  der  Regeneration  eigenen  Modus ;  sondern  ich  sprach 
in  meiner  Arbeit  schon  die  Vermutliung  aus  (s.  S.  510  und  513), 
dass  hier  vielleicht  blos  eine  Heteropie  von  Vorgängen  vor- 
liegt, welche  auch  bei  der  normalen  Entwickelung  sich 
vollziehen. 

,,Es  ist  ferner  von  hoher  Bedeutung,  dass  die  unverselirte 
Eihälfte,  während  sie  selber  noch  in  rascher  tj^pischer 
Differenzirungsfolge  begriffen  ist,  Zellkern-  und  vielleicht 
auch  Zellleibmaterial  abgeben  kann,  ohne  dass  dadurch 
im  Gange  ihrer  Entwickelung  eine  erkennbare  Störung  ein- 
tritt" (S.  517). 

Zum  Schlüsse  der  Arbeit  machte  ich  noch  eine  Anwendung  der 
neuen  Ergebnisse  auf  die  Möglichkeit  der  iVbleitung  von  Doppel- 
bildungen, indem  ich  sagte: 

„Mit  der  im  Vorstehenden  festgestellten,  noch  vor  wenigen 
Jahren  von  mir  selber  für  unmöglich  gehaltenen  Thatsache,  dass  von 
der,  auf  dem  Wege  der  Selbstditferenzirung,  primär  gebildeten  seit- 
lichen Hälfte  des  Embryo  aus  die  fehlende  Hälfte  durch  abhängige 
Differenzirung  aus  einem  nicht  selbst  differenzirungsfähigen  Ei- 
material  nachgebildet  werden  kann,  haben  wir  vielleicht  eine  neue 
Möglichkeit  erworben,  die  Entstehung  von  Doppelbildungen 
abzuleiten.  Hierbei  ist  wichtig,  dass  die  nachträgliche  Bildung  von 
den  freien,  der  eigenthchen  Medianebene  entsprechenden  Rändern  der 
Keimblätter  ausgeht,  und  dass  sie  successive  und  so  weit  fortschreitet, 
als  zur  abhängigen  Differenzirung  fähiges  Material  vorhanden  ist." 

„Die  Möglichkeit  solcher  Entstehung  von  Doppelbildungen  ist 
zugleich  geknüpft  an  die  Präexistenz  einer  anderen  Missbildung,  näm- 
lich an  die  unvollkommene  oder  ganz  ausgebliebene  Vereinigung  der 
beiden  Medullär wülste,  also  an  die  von  mir  kurz  geschilderte  Asyn- 
[38]  taxia  medullaris  totalis  bezw.  partialis.  Hierbei  endigen  das 
Hornblatt,  die  Semimedulla,  die  Semichorda  und  unterhalb  der  Chorda 
das  Mittelblatt  frei.  Sofern  nun  im  Bereiche  des  weiten  Auseinander- 
stehens der  Entoblast  noch  eine  Zeit  lang  fehlt  und  die  genannten 
Organe  sich  nicht  zu  sehr  einrollen,  so  stossen  diese  Halborgane 
direct   an  Dotterzellen,  in  welchen   dann  nach  obiger  Erfahruno-  die 


der  beiden  ersten  Furcliunjiszellen.  787 

abhängige  Differenzirung  vor  sich  gehen  könnte.  Jede  Antimere 
würde  in  dem  Dotter  unter  Umwiindhing  desselben,  räuniHch  successive 
lortsch reitend ,  so  weit  ein  Stück  der  anderen  Hälfte  postgeneriren, 
bis  beide  Bildungen  in  der  Medianebene  des  ganzen  Eies  zusammen- 
stosscn.  In  dieser  Berührungsebene  müssen  dann  die  nachträglich 
gebildeten  Stücke  von  seitlichen  'Körperhälften  mit  einander  ent- 
sprechenden Theilen  zusammentreffen,  sofern  die  Bildung  von  beiden 
Seiten  her  annähernd  gieichmässig  erfolgt.  Wir  erhielten  dann  also 
auf  eine  secundäre  Weise  unvollkommene  Doppelbildungen,  welche 
dem  in  der  Sache  schon  von  Meckel  deutlich  beschriebenen,  von  mir 
benannten  Gesetz  der  doppelten  Symmetrie  der  Organ- 
anlagen entsprechen.  Namentlich  würde  auf  diese  Weise  die 
Duplicitas  dorsalis  hervorgehen  können,  und  zwar  häufiger  die  Dup- 
licitas  dorsicaudalis,  seltener  dorsicephalica".    (S.  517.) 

Diese  neuere  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Doppel- 
bildungen, welche  dem  Ge.setz  der  doppelten  Symmetrie  entsprechen, 
beschränkt  damit  zugleich  die  früher  von  mir  in  Uebereinstimmung 
mit  Bernhard  Schliltze,  Hermann  Fol  und  F.  Marchand  (s.  S.  332)  ausge- 
sprochene Ansicht,  dass  diese  Doppelbildungen  schon  vor  der  Vol- 
lendung der  ersten  Furchung  angelegt  werden  ,,müssten",  und 
zwar  deshalb,  w^eil  für  diese  doppeltsymmetrischen  Doppelbildungen 
das  Eimaterial,  welches  ihnen  die  Entstehung  giebt,  um  die  Haupt- 
symmetrieebene symmetrisch  gelagert  und  beiderseits  gleich  beschaffen 
sein  muss.  Da  somit  diese  Ebene  vollkommen  sich  verhält  wie  die 
normale  erste  Furchungsebene ,  welche  gleichfalls  alles  Eimaterial 
qualitativ  halbirt,  schien  es  nöthig,  dass  diese  Doppelbildungen 
schon  zur  Zeit  der  ersten  Furchung  angelegt  sein  müssen,  und  dass 
ihre  Entwickelung  mit  einer  äusserlich  normalen  ,, ein- 
fachen" ersten  Furchung  beginnen  muss;  eine  Auffassung, 
welche  im  Jahre  darauf  durch  die  sorgfältigen  experimentellen  Unter- 
suchungen von  Born  (12),  wider  seine  eigene  Erwartung,  bestätigt  wurde. 
Zu  diesem  M o d u s  hätten  wir  nun  vielleicht  einen  neuen,  zu 
demselben  Endergebniss  führenden  kennen  gelernt  (s.  S.  518  Anm.). 

[39]  Eine   weitere  Arbeit   über  unser  Thema   rührt   von   einem 

50* 


788  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 


Schüler  Pouchet's,  L.  Chabry(I)  her.  Er  experiiiientirte  an  Ascidien- 
eiern  (Ascidia  aspersa) '). 

Chabry  bringt  das  Ascidienei  in  eine  Röhre  von  gleichem  Dnrch- 
messer  als  das  Ei  und  sticht  mit  einem  Glasfaden  unter  gleichzeitiger 
Beobachtung  mit  dem  Microscop  eine  einzige  Zelle  an.  Diese  Zelle 
stirbt  sogleich  ab,  indem  sie  körnig  wird.  Der  Tod  der  Zelle  durch 
blosses  Anstechen  ist  nach  Chabry  den  Ascidien  allein  eigen,  er  hat 
ilni  nirgend  anderswo  gefunden^). 

Durch  Zerstörung  einer  Zelle  nach  der  ersten  Furchung  dieses 
Eies  rundet  sich  die  überlebende  Zelle  fast  zur  Kugel;  sie 
tlieilt  sieh,  und  auf  dem  Stadium  der  Viertheilung  dieser  Zelle  ver- 
schieben sich  die  vier  Furchungszellen  gegeneinander,  bis  das  Ganze 
die  Form  einer  Kugel  bildet.  Nach  der  weiteren  Theilung  bildete  sich 
gleichwohl  daraus  eine  typische  halbe  Morula,  eine  halbe 
Gastrula,  schliesslich  eine  rechte  oder  linke  Halblarve,  also  ein 
halbes  Individuum.  Nach  Zerstörung  der  beiden  vorderen  Zellen  des 
viergetheilten  Eies  entsteht  ein  hinteres  Halbindividuum;  also  die 
potentiell  in  den  beiden  hinteren  Zellen  enthaltenen  Organe  entwickeln 
sich  allein.  Ebenso  kann  man  bei  Ascidien  auch  Viertel-  und  Drei- 
viertelindividuen erhalten. 

Alle  diese  Halbbildungen  sind  nach  Chabry  definitive;  und 
die  angestochene  Zelle  ist  auch  definitiv  todt.  Sie  unterliegt  also 
nicht,  wie  es  beim  Froschei  häufig  war,  einer  Wiederbelebung  und 
nachträglichen  Verwendung  zur  Ergänzung  der  Halbbildung. 

Chabry  konnte  die  Anstichmethode  des  Weiteren  verwenden, 
um  die  Anfangszellen  jedes  Organes  aufzufinden ,  was  durch  die 
directe  Beobachtung  der  normalen  Entwickelungsstadien  nicht  mög- 
lich war.  Er  hat  so  die  Furchungszellen  aufweisen  können ,  welche 
dem  Auge,  dem  Otholithen,  der  Chorda  dorsahs ,  dem  Atrium  und 
den  Haftpapillen  den  Ursprung  geben.    Er  resumirt  sich  dahin:  Jede 

[1)  Ueber  das  zeitliche  Verbalten  von  Chabry's  Versuchen  zu  den  von  mir 
angestellten  siebe  Nr.  31,  S.  260.] 

[^)  Dies  Object  bat  also  den  grossen  Vortbeil  vor  dem  Froschei  voraus,  dass 
jede  angestochene  Zelle  rasch  und  in  toto  abstirbt,  während  wir  beim  Froschei  die 
grösste  Mühe  hatten,  eine  ganze  Zelle  zu  tödten,  ohne  so  gewaltsam  vorzugeben, 
dass  nicht  gleich  das  ganze  Ei  mitgetödtet  wurde.] 


der  beiden  ersten  Furchuiigszellen.  789 

Fui'chiingszelle  liat,  wenigstens  bis  7Aim  Seclizehnzellenstadiuni  eine 
bestimmte  Potenz,  sie  entspricht  einem  bestimmten  Tlieile  des  Thieres ; 
wenn  man  eine  dieser  Zellen  zerstört,  erhält  man  eine  Defectbildung. 

Ein  Mal  sah  (S.  135)  er,  dass  ein  linkes  halbes  Individuum 
einen  Augenfleck  bildete,  wie  er  normal  nur  auf  der  rechten  Seite 
vorkommt.  Ghabry  deutet  diese  Erscheinung  dahin,  dass  beim  Fehlen 
der  rechten  Hälfte  ein  in  der  linken  Furchungskugel  des  zweiten 
Stadiums  vorhandenes  Rudiment  zur  Entwickelung  komme.  Gegen 
Regenerationsthätigkcit  spreche,  dass  blos  dieser  eine  Theil  der  rechten 
Körperhälfte  gebildet  werde.  Zum  Schlüsse  seiner  Arbeit  jedoch 
spricht  er  sich  in  Bezug  auf  dieses  Factum  etwas  weitergehend  folgen- 
dermaassen  aus: 

[40]  „Es  scheint  mir,  dass  durch  den  Tod  einer  Zelle  das  Ver- 
mögen der  überlebenden  Zellen  verändert  wird;  dass  sie  alsdann 
Theile  hervorgehen  lassen,  welche  sie  ohne  diesen  Umstand  nicht 
hervorgebracht  haben  würden". 

Betrachten  wir  die  von  Chabry  abgebildeten  Halblarven,  sowohl 
die  von  selber  entstandenen  der  Figuren  110  und  111,  sowie  die 
durch  Anstich  erzeugten  132  und  133,  so  fällt  auf,  dass  sie  ringsum 
durch  Ectoblast  bekleidet  sind,  dass  sie  keine  offene  ünterbrechungs- 
fläche  mehr  darbieten,  sondern  dass  die  Defectstelle  vollkommen  vom 
Ectoblast  verschlossen  ist.  Ebenso  scheinen  mir  auch  schon  die 
abgebildeten  Semigastrulae  (Fig.  108  u.  129)  nicht  mehr  diesen  Namen 
zu  verdienen,  sondern  schon  completirt  zu  sein.  Chabry  will  jedoch 
darin  keine  Re-  oder  Postgeneration  sehen,  wie  er  noch  jüngst  brief- 
lich gegen  mich  aussprach,  da  die  Vereinigung  sich  auf  die  Keim- 
blätter beschränkt  und  keine  Postgeneration  der  fehlenden  Organe 
bei  Ascidien  stattlinde. 

Immerhin  "beweisen  seine  Abbildungen  meiner  Meinung  nach, 
dass  von  der  entwickelten  einen  der  beiden  ersten  Blastomeren  aus 
mehr  gebildet  werden  kann,  als  einer  reinen  Halbbildung  zukommt, 
so  dass  principiell  ein,  wenn  auch  nur  geringer,  Grad  von  postgenera- 
tivem Vermögen  sich  bekundet,  welches  schon  auf  der  Gastrulastufe 
zu  wirken  beginnt. 

Da  bei  den  Ascidien  die  operirte  Zelle  stets  dauernd  unbrauch- 


790  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

bar  ist,  findet  diese,  wenn  auch  nur  geringe,  Postgeneration  hier  also 
allein  auf  Kosten  des  entwickelten  Elastomers  statt,  nicht  unter  Ver- 
wendung des  Dotters  der  anderen  Hälfte,  Avie  ich  es  bisher  vom  Frosch 
beschrieben  habe.  Dieser  Unterschied  ist  allerdings  kein  erheblicher, 
da  die  idioplastischen  Fähigkeiten  ja  nicht  wesentlich  in 
der  grossen  Dottermasse,  sondern  im  Kernmateriale  und 
vielleicht  noch  in  den  dem  Kern  eng  angeschlossenen  und  bei 
der  Transmigration  der  Kerne  wohl  mit  übertretenden  Centro 
somen  liegen. 

Wir  sehen  also,  dass  die  Resultate  der  Versuche  Ciiabry's  in 
den  wesentlichen  Puncten  mit  den  meinigen  übereinstimmen;  durch 
dieselben  wurde  das  von  einem  Wirbelthiere  geschilderte  Verhalten 
auch  für  niederste  Chordonier  als  giltig  erkannt. 

Eine  weitere  wesentliche  Bereicherung  erfuhren  unsere  bezüg- 
lichen Kenntnisse  durch  die  Züricher  Zoologen  H.  Driesch  und  Carl 
Fiedler,  welche  beide  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander  den 
Entschluss  gefasst  hatten,  meine  Versuche  an  Echinodermen  nachzu- 
machen, um  an  diesem  in  mancher  Beziehung  günstigeren  Material 
vielleicht  manches  Neue  zu  ermitteln. 

[4tl]  Dereine  dieser  Autoren  experimentirte  in  Neapel,  während  der 
andere  in  Triest  dasselbe  Thema  bearbeitete. 

Fiedler  (3)  operirte  insofern  mit  weniger  Glück,  als  es  ihm  nicht 
gelang,  seine  operirten  Eier  über  das  Gastrulastadium  hinaus  zu  er- 
halten. Er  stach  die  Eier,  besonders  von  Echinus  microtuberculatus, 
nach  der  ersten  Eitheiluno;  an  und  verwände  schliesslich  ausserdem 
noch  die  von  den  Gebrüdern  Hertwig  für  die  Absonderung  von  Theilen 
des  unbefruchteten  Eies  angegebene  Methode  des  Schütteins  der  Eier 
seinerseits  zur  Trennung  der  beiden  ersten  Furchungskugeln  von  ein- 
ander.    Fiedler  fand  Folgendes : 

Trat  nach  dem  Anstich  an  einem  der  beiden  Blastomeren  eine 
erhebliche  Protoplasmamenge  aus,  so  rundete  sich  das  Blastomer  und 
theilte  sich  weiter  wie  die  andere  unversehrte  Zelle;  nur  waren  ihre 
Nachkommen  längere  Zeit  an  ihrer  Kleinheit  kenntlich;  die  Blastula 
war  entsprechend  asymmetrisch  gestaltet,  aber  schliesslich  ging  ein 
normaler  Embryo  hervor. 


der  beiden  ersten  Furchuugszellen.  791 

Wurde  jedoch  nach  dem  Anstich  der  Kern  der  Zelle  ent- 
leert, was  bei  diesem  Material  leicht  zu  sehen  ist,  so  entwickelte 
sich  diese  Zelle  nie  weiter.  Die  unversehrte  Zelle  entwickelte  sich 
danach  zu  einer  typischen  Semimorula  verticalis,  von  der  Ge- 
stalt einer  halben  Kugelschale,  indem  sie  aus  zwei  kleinen  Zellen  des 
ersten ,  vier  des  zweiten  und  vier  des  dritten ,  die  normale  Morula 
bildenden  Zellkreises  bestand  und  dieselbe  Anordnung  dieser  Zellen 
zu  einander  wie  in  einer  entsprechenden  Hälfte  einer  ganzen  Morula 
besass.  Auch  auf  der  Halbbildung  des  achtundzwanzigzelligen  Stadiums 
zeigte  sich  dasselbe.  Weiterhin  zog  Fiedler  einige  Semiblastulae 
und  vielleicht  noch  Semigastrulae  heran.  Als  danach  Absterben  ein- 
trat, näherten  sich  auf  der  Blastulastufe  bereits  die  Ränder  der  halben 
Kugelschale  einander. 

Bei  Anstich  zweier  Zellen  nach  der  zweiten  Furchung 
entstand  immer  dieselbe  Art  der  Halbbildung ,  einerlei ,  ob  die  Zer- 
störung beide  Abkömmlinge  der  Zelle,  oder  je  einen  Abkömmling 
beider  Zellen  betraf.  „Die  vier  ersten  Blastomeren  sind  somit  noch 
untereinander  gleichwertig,  sowohl  in  äusserer  Gestalt  wie  inhaltlich, 
d.  h.  ihrem  entwickelungsgeschichtlichen  Werthe  nach."  Die  acht 
ersten  Blastomeren  sind  dagegen  blos  äusserlich  gleich ,  denn  durch 
Schütteln  isolirte  Vierzellen-Gruppen,  welche  äusserlich  nicht  zu  unter- 
scheiden waren,  lieferten  bei  der  nächsten  Theilung  ganz  verschiedene 
Achtergruppen  von  Blastomeren  und  zwar  acht  gleich  grosse 
Zellen,  oder  sechs  grössere  und  zwei  kleinere,  oder  vier  grössere  und 
vier  kleinere  Zellen.  Daraus  schhesst  Fiedler  zugleich  mit  Recht  [42] 
auf  die  entsprechende  Selbstdifferenzirung  der  Blastomeren,  da  gleich 
gestaltete  und  in  gleichen  äusseren  Bedingungen  befindliche  Zellgruppen 
so  verschiedene  Producte  lieferten. 

Während*  Fiedler  seine  Halbbildungen  nur  bis  zur  Blastulastufe 
lebend  erhalten  hat,  gelang  es  H.  Driesch,  seine  Gebilde  weiter  bis 
zur  ausgebildeten  Pluteuslarve  zu  züchten. 

Seine  Ergebnisse  stellen  einen  weiteren  grossen  Fortschritt  unserer 
Erkenntniss  dar. 

Driesch  (2)  arbeitete  von  vornherein  ausschliesslich  mit  der 
Schüttelmethode.   Indem  er  dieselbe  auf  Eier  anwandte,  welche  durch 


792  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

die  erste  Furche  getheilt  waren,  gelang  es  ihm  häufig,  beide  Eihälften 
von  einander  zu  trennen ;  wonach  allerdings  die  eine  Hälfte  gewöhn- 
lich abstarb. 

Die  überlebende  Zelle  furchte  sich  und  bildete  zunächst,  ent- 
sprechend dem  Befunde  Fiedler's,  eine  typische  Semimorula  in 
Gestalt  einer  hohlen  Halbkugel.  Im  weiteren  Verlauf  der  Ent- 
wickelung  aber  krümmten  sich  die  diese  Oeffnung  umgrenzenden  Rand- 
theile  gegeneinander  und  schlössen  sich  schliesslich  zusammen ;  damit 
war  aus  der  früheren  Semimorula  eine  vollkommene  Blastula, 
aber  von  entsprechend  geringerer  Grösse  als  aus  einem  ganzen  Ei, 
hervorgegangen.  Daraus  entstand  eine  kleine  Gastrula  und  eine  typisch 
gestaltete  und  im  Innern  normal  gebaute  ganze  kleine  Larve  des 
Pluteusstadiums. 

Driesch  hat  also  dargethan ,  dass  eine ,  und  daher  auch  wohl 
unter  Umständen  jede  der  beiden  ersten  Furchungszellen  der  genannten 
Seeigel  eine  normal  gebildete,  der  Form  nach  ganze  Larve  aus  sich 
hervorgehen  lassen  ,,kann". 

Driesch  will  für  diese  kleinen,  aus  einem  halben  Ei  hervorge- 
gangenen, ihrer  Organisation  nach  aber  ein  ganzes  Individuum  dar- 
stellenden, also  in  sich  vollkommenen  Gebilde  den  Namen  „Theil- 
bildungen"  einführen,  um  sie  von  meinen  „Halbbildungen"  zu 
unterscheiden.  Diese  Namengebung  halte  ich  indess  nicht  für  ganz 
zweckmässig.  Denn  da  ich  und  Chabry  ausser  den  Halbembryonen 
aucli  Dreiviertel-  und  Viertelembryonen  resp.  Gastrulae  hervorgebracht 
haben,  so  ist  Theilbildinig-  oder  Theilgelbilde  s.  Meroplast  [von  to 
fisQog,  der  Theil  und  Tr?MGTüv  gebildet,  nicht  zu  verwechseln  mit 
6  ßlaoTÖg  der  Keim]  der  angemessene  zusammenfassende  Name  für 
alle  diese  unvollkommenen  Gebilde.  Ich  möchte  daher  vorschlagen, 
die  Gebilde  Driesch's  kleine  Ganzbildungen,  s.  Microholoplasten  [von 
l^tiy.QÖg  klein ,  oXog  ganz]  oder  besser  Ha  Ihei-  Ga n zhil d n n g en,  z.  B. 
Halhei-Gan.semhryo  zu  nennen. 

Nach  ihrer  Abkunft  von  einem  halben  Ei  haben  wir  nach  den 
vorstehend  mitgetheilten  Thatsachen  also  zwei  verschiedene  Ha  J  h- 
eihildungen  (s.  Hemiooplasten  [von  rij.iL  =^  halb  und  to  v)Öv  das  Ei] 
specieW  HaJhci- Enihrj/onen)  kennen  gelernt:  erstens  HaJhgchiJde, 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  793 

Hemip  las  teil,  z.  B.  halbe  Embiyonen  oder  halbe  Gastrulae,  und 
Halhei-GanzJiil duucicn^  Hemioo-Holoplasten.  Sollte  es  ge- 
lingen, auch  [4:3]  ans  einem  Viertelei  eine  Gan/Anldung  zu  ziehen,  so 
'müsste  diese  als  Viertelei-Ganzbildung  unterschieden  werden. 
[Der  allgemeine  Name  ist  Eithcil-  GetiUle  z.  B.  Eitheil -Em- 
bryonen: Halbei-Embryoneu,  Yiertelei-Embryoiieii ;  und  diese  können 
also  Ganzbildungen,  z.  B.  Ganzembryonen  (s.  S.  796)  oder  Theilbil- 
dungen  z.  B.  Halbembryonen,  Viertelembryonen  sein.  Statt  Driesch's 
Anwendung  des  Wortes  ,,Theilbildung"  wäre  also  vollständiger  und 
dabei  bezeichnender  zu  sagen:  Eitheil-Bildung:,  z.  B.  Eitheil-Embryo, 
speciell:  halber  oder  ganzer  Halbei-Embryo  s.  Nr.  28,  S.  619.] 

Driesch  erwähnt  am  Eingang  seiner  Schrift,  dass  von  meiner 
Arbeit  über  die  halben  Embryonen  blos  der  erste  Theil  (über  die 
Entwickelung  der  unversehrten  Eihälfte)  auf  seine  Mittheilung  bezüg- 
liches Interesse  habe.  Dieser  Irrthum  hat  ihn  übersehen  lassen,  dass 
im  zweiten  Theil  meiner  Arbeit  im  Wesentlichen  das- 
selbe geschildert  wird  wie  in  der  seinen:  die  Entstehung 
einer  Ganzbildung  aus  einer  Halbbildung  unter  Verwendung  von  Kern- 
resp.  sonstigem  Zelhnaterial  der  entwickelten  Hälfte.  Der  Unterschied 
besteht  blos  darin,  dass  beim  Froschei  das  Dottermaterial  der  operirten 
Hälfte  ganz  oder  zum  Theile  mitverwendet  wurde,  und  dass  es  Fälle 
giebt,  in  denen  auch  Material  von  dem  Kern  der  operirten  Hälfte, 
wenn  dieser  nicht  genügend  zerstört  war,  wieder  mit  in  Verwendung 
kam.  Doch  hat  das  Ergebniss  Driesch 's  eine  grosse  Präcision  vor  dem 
meinigen  voraus. 

Das  erwähnte  Uebersehen  lässt  Driesch  einen  principiellen  Gegen- 
satz zwischen  seinen  Ergebnissen  und  den  meinen  finden ;  und  der- 
selbe Irrthum  kehrt  dann  bei  O.  Hertwig  wieder. 

> 

Ferner  stellt  Driesch  sein  Resultat  in  einen  fundamentalen  Gegen- 
satz zu  His'  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke;  und  er 
glaubt,  die  Unrichtigkeit  dieses  Principes  wenigstens  für  die  Echino- 
dermen  folgern  zu  müssen,  da  z.  B.  das  Randmaterial  einer  linken 
Semimorula  normaler  Weise  Substanz  der  Mediangegend  liefern  würde, 
während  es  nach  dem  Zusammenschluss  des  Randes  zur  Bildung  einer 


794  Nr.  26.    Entwickelungsmeclianisches  Vermögen  jeder 


kleinen  ganzen  Blastula  (Microholoblastula)  auf  die  reclite  Flanke 
des  späteren  Pluteus  kommt. 

Im  Anschluss  daran  betont  Driesch  :  „Man  kommt  über  die  ganz 
fundamentale  Verschiedenheit  der  Rolle,  welche  dasselbe  Keim- 
material, je  nachdem  eine  Ganz-  oder  zwei  „Theilbildungen"  aus 
dem  Ei  entstehen  —  und  eben  dies  kann  man  künstlich  bewirken  — 
zu  spielen  berufen  ist,  nicht  heraus."  Dieser  Auffassung  möchte  ich 
unter  diesen  Umständen  zunächst  die  Frage  entgegenstellen,  ob 
wirklich  ganz  dasselbe  Keimmaterial  hierbei  thätig  ist,  ob 
nicht  vielmehr  Idioplasma  in  Thätigkeit  tritt,  welches 
an  der  normalen  Entwickelung  sich  nicht  betheiligt 
[s.  S.  450]. 

Eine  weitere  Folgerung  des  Versuches  von  Driesch  ist,  dass,  weipi 
beide  ersten  Furchungszellen  durch  das  Schütteln  getrennt  werden, 
ohne  dass  eine  davon  verletzt  wird,  jede  derselben  sich  zu  einer  Ganz- 
bildung entwickeln  wird ,  dass  also  d  u  r  c  h  die  Trennung  Zwil- 
lingsbildung aus  einem  Ei  veranlasst  werden  kann,  was 
[44]  ihm  auch  auszuführen  gelungen  ist.  Wenn  dasselbe  geschehe, 
auch  bei  nicht  vollkommener  Trennung  der  beiden  Eihälften,  dann 
könnten  auf  diese  Weise  auch  Doppelbildungen  entstehen ;  und 
das  scheint  Driesch  wenigstens  in  einem  Falle  erreicht  zu  haben. 
Bei  diesen  Versuchen  kam  zugleich  ein  ganz  besonderes  Verhalten 
zur  Beobachtung. 

Von  vielen  nach  der  ersten  Theilung  geschüttelten  Eiern  wurden 
in  manchen  Fällen  die  beiden  Hälften  nicht  völlig  getrennt,  sondern 
unter  starker  Dehnung  der  Eihaut  der  sonst  im  Zweizellenstadium 
ziemlich  enge  Contact  der  Furchungszellen  nur  gelockert.  Von  diesen 
Eiern  bildeten  sechs  je  eine  eingeschnürte  Morula,  welche  sich  zu  ein- 
geschnürten Blastulae  weiterhin  entwickelten.  An  denBlastulaeerst 
bildeten  sich  die  Einschnürungen  weiter  aus  bis  zum 
Zerfall  in  zwei  gleiche  Microh  oloblastulae.  Auch  Theilung 
einer  Blastula  in  eine  Dreiviertel-  und  eine  Einviertelblastula  wairde 
beobachtet.  Driesch  spricht  sich  über  dieses  auffällige  Verhalten  nicht 
weiter  aus. 

Ich  deute  dasselbe  in  folgender  Weise:    Die  einge- 


I 

i 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  795 

sclinürte  Morula  bestund  aus  zwei  Halbbildungen  oder 
sonstigen  zwei  Theilbildungen  eines  Ganzen.  Da  beide  Theile  zu 
weit  von  einander  entfernt  waren  und  sich  nicht  in  der 
normalen  Weise  und  Ausdehnung  berührten,  erwachte 
in  jedem  Theil  das  Postgenerationsvermögen;  jeder  Theil 
änderte  sich  innerlich  zu  einer  Ganzbildung,  zu  einem 
^licroholoplasten  um,  und  auf  der  Vollendung  dieser  Stufe  lösten  sich 
beide  von  einander  [s.  Nr.  27,  S.  204  und  Nr.  28,  S.  657;  Nr.  30 
S.  150,  Anm.]. 

In  einem  Falle  jedoch  theilte  sich  eine  zuerst  nicht  eingeschnürte 
Blastula  nicht  ganz  durch ;  und  indem  jeder  von  beiden  verbundenen 
Theilen  sich  weiter  entwickelte,  entstand  eine  Doppelgastrula,  eine 
doppelte  Prismengastrula,  darauf  schliesslich  ein  doppelter  PI uteus: 
also  eine  echte  Doppelbildung  mit  bleibender  Verbindung 
beider  Individuen. 

Vergleichen  wir  die  Ergebnisse  an  Echinodermen 
mit  den  am  Frosche  und  an  A  sei  dien  gewonnenen,  so  stimmen 
sie  im  Principiellen  mit  ihnen  überein.  Aus  jeder  der 
beiden  Blastomeren  entsteht  wieder  zunächst  eine  typische 
Halbbildung,  eine  wohlgestaltete  halbkugelige  hohle  S  e  m  i  - 
morula.  Bei  den  Echinodermen  aber  tritt  auf  dieser  frühen  Stufe 
schon  Zusammenschluss  zu  einem  Ganzen  auf,  und  darauf  erfolgt 
Weiterbildung  als  Ganzes  zu  einer  typischen  kleinen  Ganzlarve. 

Die  Unterschiede  der  Ergebnisse  an  Fröschen,  Ascidien 
und  Seeigeln  sind  also  blos  zeitliche  und  quantitative, 
a b e r  k e i n e  p r i n ci p i e  1 1  e n.  Die  P o  st g e n e r a t i o n  findet  bei  Echino- 
dermen sehr  frühzeitig  statt  (auch  beim  Frosch  kann  sie,  jedoch 
nur  bei  Verwendung  des  Dotters  der  [45]  operirten  Seite 
[sofern  derselbe  nur  wenig  verändert  worden  ist  und  daher  die  Wieder- 
belebung sehr  rasch  erfolgt  (s.  S.  790  und  476)]  schon  auf  der 
Morulastufe  beginnen  und  wird  eine  vollkommene,  wie  gleich- 
falls beim  Frosche  M. 


[1)  Auch  F.  Keibel  (Studien  zur  Entwickelungsgeschichte  des  Schweines,  in 
Schwalbe's  morph.  Arh.  III,  1893,  S.  120)  spricht  sich  dafür  aus,  dass  bei  der  Er- 
gänzung der  Halbbildungen  der  Seeigel  Re-  resp.  Postgeneration  vorliege.] 


796  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 


Ich  habe  niln  meiner  früheren  Arbeit  nachzutragen,  dass  es 
mir  gehmgen  ist,  auch  beim  Frosch  aus  einem  halhen  Ei  ohne 
Betheilignng  der  anderen,  operirten  Fvrclinngsze'lh'  einen 
ganzen  Embryo,  also  einen  richtigen  Hemiooholoplasten, 
H all) e i-G an z emh r y 0 ,  heranzuziehen. 

Noch  in  dem  für  mich  gegründeten  en twickelungs mechani- 
sch en  Institut  der  Universität  zu  Breslau  versuchte  ich,  die  eine 
der  beiden  ersten  Furchungszehen  des  Froscheies  ganz  zu  entleeren, 
indem  ich  mit  einer  feinst  ausgezogenen  Glascanüle  eine  Furchungs- 
kugel  und  die  Gallerte  durch  und  durch  stach,  darauf  die  Spitze  der 
Canüle  bis  in  die  Zelle  zurückzog  und  den  Zelhnhalt  mit  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  ausspülte.  Es  zeigte  sich  jedoch,  dass,  wie  ich  schon 
aus  den  früheren  Anstechversuchen  erschlossen  hatte,  beiniFroschei 
die  beiden  ersten  Furchungszellen  nicht  genügend  vonein- 
ander gesondert  sind,  um  ,,eine"  allein  entleeren  zu  können. 
Meine  Hoffnung  nach  vollkommener  Entleerung  der  einen  Zelle  die 
andere  sich  runden  zu  sehen,  wurde  zwar  zunächst  [zum  Theil]  erfüllt, 
doch  füllte  sich  bald  die  anhängende  Rinde  der  anderen  Zelle  zum 
Theil  und  keines  der  so  operirten  Eier  entwickelte  sich.  So  musste  ich 
es  aufgeben,  die  früher  geäusserte  Vermuthung  [s.  S.  451]  zu 
prüfen,  ob  aus  dem  einen  der  beiden  Blastomeren,  sofern  es 
sich  zur  Kugel  runden  könne,  sogleich  eine  Ganzbildung 
hervorgehe;  was  nach  dem  Ergebnisse  Chabry's  am  Ascidienei, 
dass  die  eine  der  beiden  Zellen  sich  fast  zur  Kugel  rundete,  aber 
gleichwohl  eine  Semimorula  bildete,  auch  nicht  mehr  wahrschein- 
Hch  war.  [Genaueres  siehe  im  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  I, 
S.  597  u.  f.] 

Dagegen  hatte  ich  schon  zur  Zeit  meiner  ersten  Arbeit  einige 
Male  Andeutungen  erhalten,  dass  zu  späterer  Zeit,  von  der  weit 
entwickelten  „Halbbildung"  aus,  frühestens  von  der  Semigastrula 
Schritte  eingeleitet  wurden,  welche  bei  weiterer  Fortsetzung  zu  einer 
Tjniivandhing  der  Halhhildting  in  eine  GanzhiJdnng  ohne 
Betheilignng  der  operirten  Eihälfte  führen  konnten.  Es  ent- 
stand nämlich  einige  Male  eine  vom  Ectoblast  ausgehende  Ueber- 
häutung  der  Unterbrechungsfläche  der  Halbbildung.     Ich  habe  diese 


ilcr  1)oi(leii  ersten  Furchuiigszelloii.  797 


Beobachtung  damals  niclit  iiiitgetheilt,  weil  ich  diese  Arbeit  überhaui)t 
nur  als  eine  „Abschlagszahlung"  an  das  behandelte  Thema  aui'fasste 
und  bezeichnete  und  daher  beabsichtigte,  l)ald  eine  ergänzende  Abhand- 
lung ihr  folgen  zu  lassen,  ein  Vorsatz,  welcher  aber  durch  meine 
Uebersiedelung  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurde.  Jedoch  habe 
ich  noch  in  Breslau  melir er e H alhei-G anz emhry onen  gezogen  und 
das  Experiment  in  diesem  Frühjahr  mit  Erfolg  wiederholt. 

[•46]  Seltener  schon  an  Semigastrulae,  häufiger  erst  an  Hemi- 
embryones  laterales,  welche  mehrfach  mit  der  Pincette  etwas 
gedrückt  worden  waren,  um  die  Berührung  der  Halbbil- 
dung mit  der  todten  Eihälfte  zu  lösen,  wölbten  sich  später  die 
Randtheile  der  Halbbildung  gegen  einander  unter  „Wachsthum"  des 
äusseren,  später  auch  des  mittleren  Keimblattes.  Im  Fort- 
schreiten dieses  Vorganges  wurde  schliesslich  derDefect,  zuletzt  gewöhn- 
lich etwas  caudal  von  der  urprünglichen  Mitte  desselben,  geschlossen. 
Schon  ehe  dies  geschehen  war,  ging  von  dem  Kopftheil 
der  Semimedulla  eine  Postgeneration  der  fehlenden  Gegen- 
hälfte unter  Bildung  einer  zunächst  dünneu  Abschlussplatte 
vorsieh,  welche  sich  dann  in  cephalo-caudaler  Richtung  aus- 
dehnte, während  gleichzeitig  die  früher  postgenerirten  Tlieile 
sich  verdickten  und  die  Beschaffenheit  der  an  d  eren  Hälfte 
annahmen;  auch  die  Gehörblase  der  postgenerirten  Seite  ist  an 
meinem  ältesten  Embryo  schon  in  normaler  Grösse  ausgebildet,  des- 
gleichen der  postgenerirte  Haftnapf,  wie  Sie  an  der  hier  gegebenen 
Abbildung  und  an  dem  herumgereichten  Quersclmittspräparate  sehen 
werden.  Ich  habe  in  Breslau  vier  und  in  diesem  Frühjahre  bei  einem 
einzigen  Versuche  acht  solche  Halbei-Ganzbildungen  erhalten 
und  auf  verschiedenen  Stufen  der  Entwickelung  getödtet  ^).  Genaueres 
werde  ich  in^iner  besonderen  Publication  nach  weiterer  Vermehrung 
des  Materiales  mittheilen  (s.  Nr.  31,  S.  255  Anm.) 

Einen  entsprechenden  Befund,  Hernie mbryo  lateralis  mit 
Postgeneration   habe  ich    (S.  540)  auch  an  dem  Extraovat 


1)  Zwei  solcher  Halbeiganzbildungen  des  Frosches  wurden  unter  dem 
Demonstrationsmicroscop  herumgegeben;  die  eine  war  noch  in  Contact  mit  der  nicht 
entwickelten  Eihälfte. 


Nr.  26.    Entvvickeluiig.sniechanisches  Verniögeii  jeder 


eines  nach  der  ersten  Furchung  mit  der  kalten  Nadel  ange- 
stochenen Froscheies  gemacht:  Die  angestochene  Zelle  selber  hatte 
sich  nicht  entwickelt;  dagegen  hatte  das  Extraovat,  in  welches 
jedenfalls  der  Zellkern  übergetreten  war,  einen  bei  der  Conservirung 
bereits  in  Postgeneration  befindlichen  Hemieembryo  late- 
ralis gebildet,  denn  es  war  die  der  Medianebene  entsprechende 
Seite  des  Hemiembryo  schon  grösstentheils  durch  die  Ecto-  und  Meso- 
blastschicht  bedeckt. 

Von  Interesse  wäre  es  nun,  die  Ursache  zu  ermitteln,  warum 
die  rein  hemiooplastische  Postgeneration  beim  Frosch  so 
viel  spcäter  als  bei  den  Echinodermen  einsetzt.  Dies  kann 
ein  Mal  bedingt  sein  durch  das  Anhaften  der  operirten  Eihälfte 
an  der  zur  Halbbildung  entwickelten  anderen ;  unter  diesen  Umständen 
hat  auch  Chabry  ältere  unzweifelhafte  Halbbildungen  gewonnen,  so 
die  in  Fig.  75  und  76  abgebildete  rechte  Halbbildung  mit  bereits 
entwickelter  Chorda  dorsalis.  Zweitens  liegt  es  nahe,  an  die  wesent- 
liche V^erschiedenheit  beider  Eier  im  Dotterreichthum  anzuknüpfen; 
die  Echinodermen-  und  die  Ascidieneier  unterliegen  bei  ihrem  geringen 
Dottergehalt  der  totalen,  fast  gieichmässigen  Furchung;  die  Zellen 
sind  alle  [47]  mehr  gleich  gross,  also  wohl  auch  annähernd  gleich 
mobil  und  können  sich  somit  leichter  gegeneinander  wölben,  als  bei 
dem  zwar  auch  total  aber  stark  inäqual  gefurchten  nahruugsdotter- 
reichen  Froschei,  in  welchem  eine  grosse  träge  Masse  von,  meiner 
Meinung  nach  noch  indifferenten  Dotterzellen,  grösseren  vitalen, 
zumal  atypischen  Umgestaltungen  einen  erheblichen  Widerstand  ent- 
gegensetzt. 

Man  könnte  denken,  wenn  auch  auf  früher  Stufe  der  Entwicke- 
lung  schon  die  Folgen  des  Defectes  „zuerst'^  in  den  an  der 
„Unterbrechungsfläche"  selber  gelegenen  Zellen  alteri- 
rend  eintreten,  und  die  schlummernden  Postgenerations- 
fähigkeiten  der  bezüglichen  Kernbestandtheile  (oder  auch 
des  Centrosomay)  zur  Thätigkeit  erwecken,  so  sind  doch 
die  von  dem  trägen  Dotterzellmateriale  gesetzten  Widerstände  für  die 
erfolgreiche  Bethätigung  dieser  Mechanismen  noch  zu  gross;  schon 
deshalb,  weil  für  die  erfolgreiche  hemiooplastische  Postgenera- 


der  beiden  ersten  FurcliiuiKSzellen.  799 


tionstliätigkeit  eine  Einbiegung  der  Defectränder  gegeneinander 
hin  nütliig  7A1  sein  scheint.  So  lange  diese  nicht  stattgefunden  hat, 
Avurde  an  den  Hemiembryonen  des  Frosches  kein  Plus  von  Organ- 
anlagen gebildet.  Man  könnte  annehmen,  es  hätte  doch  die  Bildung- 
fehlender  Theile  auch  frei  nach  aussen  durch  Sprossung  erfolgen  können. 
Dass  aber  andererseits  Verschluss  der  Unterbrechungsfläche  nicht 
nöthig  ist,  bevor  weitere  Organanlagen  erfolgen,  zeigen  die  Fälle  mit 
starker  Ergänzung  der  Medullarplatte  bei  noch  nicht  ganz  geschlosse- 
nem Defect.  Die  Gegeneinanderkrümmung  der  Unterbrechungsränder 
beweist,  dass  die  Theile  sich  nicht  mehr  wie  bisher  auseinanderzu- 
halten vermögen,  sondern  dass  sie  zusammenstreben.  Dies  zeigt 
besonders  deutlich  die  halbkugelschalenförmige  Semimorula  der 
Seeigel,  an  welcher  plötzlich  die  Selbsterhaltungsfähig- 
keit dieser  Form  aufhört  und  eine  neue  Gestaltung  beginnt,  die 
rasch  zum  Abschluss  gelangt. 

Dass  früh  schon  das  Fehlen  dej  normalen  Nachbar- 
schaft in  den  zunächst  betheiligten  Zellen  sich  bemerkbar 
macht,  ersehen  wir  aus  der  Postgeneration  unter  Verwendung  des 
Dottermateriales  der  operirtenEihälfte:  Es  kann  schon  zur  Zeit  der 
jüngsten  Semimorula  Kernmaterial  in  die  operirte  Hälfte  übertreten 
und  dieselbe  in  grosse  Stücke  zerlegen,  sofern  die  operirte  Hälfte  nicht 
erheblich  verändert  ist  (s.  S.  795).  Je  stärker  dieses  Dottermaterial 
verändert  war,  um  so  später  erst  fand  Kernübertritt  statt, 
und  um  so  kleiner  waren  die  danach  immer  zuerst  neben  der 
entwickelten  Hälfte  abgegliedertenZ eilen.  Es  ist  also  zweifellos,  dass 
die  älteren  Kerne  und  Zellen  in  höherem  Maasse  die 
Fähigkeit  haben,  differentes  Material  und  Widerstände 
zu  überwinden. 

Die  Postgeneration  unter  Verwendung  des  Dottermateriales  ist 
[48]  offenbar  ein  viel  leichterer  Vorgang;  da  er  auf  den  frühesten 
Stufen  einsetzen  kann,  vielleicht  deshalb,  weil  er  in  der  Dotterfurchung 
ein  physiologisches  Vorbild  hat. 

Die  Postgeneration  der  Halbbildungen  unter  Verwen- 
dung von  Material  der  operirten  Eihälfte  ist  aber,  wie  ich 
schon  gesagt  habe,  nicht  principiell  von   der  rein   hemioopla- 


gOO  i^r.  26.    Entwickelungsmeclianisches  Vennögeii  jeder 


s  tisch  eil  Postgeiieration  verschieden.  Dies  geht  auch  daraus 
hervor,  dass  vollkommene  Postgeneration  unter  blos  theil- 
weiser  Verwendung  von  Dotter  der  anderen  Hälfte  vor- 
kommt. Ich  besitze  alle  U  eh  er  (j  an  gs  stufen  von  der  Postgene- 
ration unter  „voll k  ommener'^  Verivendung  des  Dotters  der 
anderen  Hälfte,  durch  die  Stufe  „h.alher'-'-  Verivendung  des- 
selben his  zu  keiner  Verivendung  dieses  Materiales.  Die 
auf  diese  verschiedenen  Weisen  gebildeten  Embryonen  unterscheiden 
sich  wesenthch  nur  der  Grösse  nach ;  abgesehen  von  einer  Abplattung 
nach  der  Seite  der  operirten  Eizelle,  welche  Abplattung  um  so 
stärker  ist,  je  mehr  Dotter  nicht  verwendet  ist,  da  beide 
Theile  gemeinsam  in  dem  durch  die  Gallertliülle  begrenzten  runden 
Raum  eingeschlossen  sind. 

Das  Bemerkbarwerden  des  D  e  f  e  c  t  z  u  s  t  an  d  e  s  innerhalb  des  Hemi- 
embryos  denke  ich  mir  weniger  bedingt  durch  das  Fehlen  des  Gegen- 
druckes au  der  Unterbrechungsfiäche ,  denn  dieser  ist  ja  bei  dicht 
anhegender  todter  Eihälfte  wie  auch  bei  der  Regeneration  verlorener 
Theile  nach  der  Ueberhäutung  des  Defectes  wieder  vorhanden ;  sondern 
es  fehlt  entweder  den  Zellen  eine  auf  die  Dauer  für  die  Stabilität 
der  Verhältnisse  nöthige  normale  qualitative  Wechselwir- 
kung auf  einer  Seite  bei  offenem  Defect  noch  ganz  oder,  nach  Ab- 
schluss  des  Defectes  aber  bei  noch  nicht  vollkommen  normaler 
Nachbarschaft,  theilweise;  oder  wenn  derartige  Wechselwirkungen 
zur  normalen  Erhaltung  nicht  nöthig  sein  sollten,  so  finden  viel- 
leicht von  der  abnormen  Nachbarschaft  aus  abnorme  Einwirkungen 
statt,  welche  die  post-  resp.  regenerativen  Vorgänge  in  den 
normalen  Zellen  auslösen  und  so  lange  unterhalten,  bis  jede 
Zelle  wieder  vollkommen  die  normale  Nachbarschaft  hat. 

Die  Bethätigung  der  auf  solche  Weise  „ausgelösten"  Postgene- 
rationsthätigkeit  kann  mechanisch  durch  eine  den  „Differenzirungs- 
f lachen",  also  den  „Seitenflächen"  der  Epithelien  anhegende 
jNIasse  gehemmt  werden.  Ist  die  anliegende  Masse  geeignet  zum 
Kernübertritt  bei  der  Theilung  der  Zehen,  so  erfolgt  der  Uebertritt, 
auch  weim  die  Masse  niclit  (oder  noch  niclit)  zur  Cellulation  sich 
eignet. 


der  beiden  ersten  Furcliungszellen.  801 


Bei  der  ^^hemioopl astischen  Postg euer af ton"  werden 
ebenso  wie  bei  der  „Regeneration"  in  erheblicher  Aus- 
dehnung vom  Defectrand  ausgehend,  bisher  am  Aufbau  bestimmter 
Organe  oder  Keimblatttheile  betheihgte  Zellen  eine  andere  Ver- 
wendung erhalten;  und  die  so  in  ihrem  Zellbestand  geschmälerten 
Gebilde  werden  durch  Aufnahme  distal  vomDefect  liegender 
Zellen  wenigstens  [49]  theil weise  sich  wieder  completiren  u.  s.  w. 

Dieselben  Zellen  dienen  also  hei  der  Postgeneration 
und  nicht  durch  Sprossung  bewirkten  Regeneration  nacheinander- 
zum  Aufhau  verschiedener  Organe  oder  Or gantheile. 

Es  ist  die  Frage,  ob  das  principiell  neue,  der  normalen  Ent- 
wickelung  fremde  Vorgänge  sind.  Es  scheint  zur  Zeit  nicht  unbedingt 
nöthig,  dies  anzunehmen.  Schon  von  C.  Vogt,  C.  Kupffer,  Stricker, 
His,  GoETTE,  Räuber  u.  a.  sind  Formenänderungen  des  Keimes  auf  active 
Zellumlagerungen  zurückgeführt  worden;  und  es  liegt  nahe,  zu  ver- 
muthen  und  verdient  eingehende  Prüfung,  ob  nicht  bei  dem  normalen 
Massenwachsthum  centraler  Tlieile  des  Embryos,  beson- 
ders meroblastischer  und  inäqual  sich  theilender  holo- 
blas tischer  Eier  (vor  dem  Beginn  der  Blutcirculation)  ursprüng- 
lich periphere  Zellen  des  Keimes  nacheinander  zum  Auf- 
bau immer  mehr  centraler  Theile  verwendet  werden, 
wobei  dieselben  Zellen  nacheinander  zum  Aufbau  verschiedener  Theile 
dienen,  gleichwie  bei  der  Post-  und  Regeneration  [s.  S.  511]. 

Daraus  würde  sich  zugleich  ergeben,  dass  formal  oder  qualitativ 
specifisch  differenzirte  Theile  sich  nicht  hlos  durch  directe 
Nachkommen  dieser  differenzirten  Zellen  zu  vergrössern 
brauchen,  sondern  dass  dies  auch  unter  Aufnahme  von  mehr 
oder  weniger  differenzirten  Zellen  anderer  Abkunft 
geschehen  kann.  Bezüglich  der  Differenzirung  des  „ivan- 
dernden"  [besonders  aber  des  in  nicht  vorher  g^nau  nor- 
mirter  Weise  wandernden]  Materielles  der  normalen  Ent- 
wickeln ng  wird  es  dann  wenig  wahrscheinlich,  dass  die- 
selbe ,,Selbstdiff erenzirung"  sei;  sondern  man  wird  eher 
annehmen,    dass,    wie   es  für  die  Post-   und  Regenerationsvorgänge 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandinngen.    IL  51 


802  Nr.  26.    Entwickelungsmeclianisches  Vermögen  jeder 

wegen  ihrer  zeitlichen  und  örtlichen  Atypie  nöthig  ist,  hier  abhängige 
Bifferenzirung  vorliege. 

Wenn  sich  solche  Vorgänge  bei  der  normalen  Entwickelung 
bestätigen,  würden  die  Vorgänge  der  Post-  und  Regeneration  wenig- 
stens nach  dieser  Seite  hin,  nicht  principiell  von  den  normalen 
Bildungsvorgängen  abweichen  ^). 

Es  soll  übrigens  nicht  behauptet  werden,  dass  die  Post- 
generationsvorgänge vollkommen  ebenso  exacte  Resultate 
lieferten  als  die  normale  Entwickelung,  dass  postgenerirte 
Froschembryonen  ganz  ebenso  lebensfähig  wären  als  vollkommen 
durch  directe  Entwickelung  hervorgebrachte  Individuen.  Die  vor- 
stehenden Mittheilungeu  über  die  Postgeneration  beziehen  sich  blos 
auf  die  grobe  Formung  der  Organe.  Bezüglich  des  Feineren  habe 
ich  schon  auf  kleine  Störungen,  auf  das  häufig  von  mir  beob- 
achtete Vorhommen  in  der  Differenzirnng  surüchge'bJie'bener 
Zellen,  welche  vielleicht  später  unter  geeigneten  Umständen  [50]  zu 
GeschwulstJceimen  werden  können,    hingewiesen  (S.  495.) 

Wir  kommen  nun  zu  den  Mittheilungen  0.  Hertwig's  (4). 

Dieser  Autor  erörtert  in  seiner  vor  einem  Monat  erschienenen  Arbeit 
über„Urmund  und  Spina  bifida"  (s.  oben  S.  526  Anm.)  zunächst,  im  An- 
schlussan  eine  Beschreibung  der  zuerst  von  mir  charakterisirten,  und  als 
Asyntaxia  medullaris  bezeichneten  Froschmissbildung,  die  Gastru- 
lation  der  Amphibien  in  einem,  meinen  bezüglichen  Mittheilungen  sich 
anschliessenden  Sinne  und  knüpft  daran  interessante  Verallgemeine- 
rungen. 

In  einem  späteren  Abschnitt  behandelt  er  theoretisirend  aus- 
führlich die  Entstehung  der  Doppelbildungen. 

Während  es  mir  sehr  erfreulich  ist,  bezüglich  der  ersten  Frage 
mich  mit  0.  Hertwig  in  Uebereinstimmung  zu  sehen,  muss  ich  in 
Bezug  auf  dieses  letztere  Thema  grossentheils  abweichende  Anschau- 
ungen vertreten  und  bin  zugleich  genöthigt,  mehrfach  mir  irrthümlicher- 
weise  unterstellte  Ansichten  zurückzuweisen.    Ich  gehe  hier  nur  soweit 


')  Vergl.   auch   D.  Barfurth's   interessante  Abhandlung    ,Zur   Reorganisation 
der  Ge\vebe^     Arch.  f.  microsc.  Anat.  Bd.  37,  S.  406—491,  1891. 


der  beiden  erfeten  Furchungszellen.  803 


auf  die  Besprechung  dieser  Erörterungen  Hep.twig's  ein,  als  sie  in 
den  engeren  Kreis  unseres  Themas  gehören. 

0.  Hertwict  sieht  in  dem  Ergebnisse  Driesch's,  dass  aus  einem 
halben  Seeigelei  stets  schliesslich  ein  ganzer  Pluteus  hervorging,  eine 
Bestätigung  seiner  „Vererbungstheorie",  nach  welcher  „jedes  T heil- 
stück der  Eizelle  durch  den  Kerntheilungsprocess  nach 
Quantität  und  Qualität  gleichviel  Erbmasse  in  ihrem  Kern 
erhält"  (loc.  cit.  S.  476).  Er  verallgemeinert  sogleich  das  Ergebniss 
Driesch's  vom  Echinodermenei  bis  zum  Froschei  und  meint:  ,,wenn 
es  möglich  wäre,  bei  einem  in  zwei  Halbkugeln  getheilten  Froschei 
die  eine  derselben  ohne  jede  Beschädigung  der  anderen  vollständig 
zu  entfernen,  so  müsste  sich  aus  der  Theilhälfte  eine  vollständige 
normale,  nur  etwas  kleinere  Froschlarve  züchten  lassen.  Die  Theil- 
hälfte würde  sich,  nachdem  sie  sich  weiter  gefurcht  hätte,  zu  einer 
normalen  Keimblase,  einer  normalen  Gastrula  etc.,  „in  der- 
selben Weise"  wie  das  ganze  Ei  umbilden  und  Avürde  nur  an 
Grösse  reduzirt  sein". 

In  diesem  Satze  drückt  wohl  das  Wort  ,, müsste"  ein  zu  grosses 
Vertrauen  in  die  derzeitige  Sicherheit  bezüglicher  Ableitungen  aus. 
Das  Specielle  angehend,  so  haben  wir  (S.  796)  gesehen,  dass  die  Bil- 
dung eines  ganzen  Embryos  aus  einem  halben  Froschei  nicht  ,,in  der- 
selben Weise"  vor  sich  ging,  wie  bei  der  Bildung  aus  einem  ganzen 
Ei;  denn  es  wurde  keine  normale  Blastula  und  Gastrula,  sondern 
eine  Semiblastula  und  Semigastrula  und  ein  Hemiembryo  gebildet.  [51] 
Hertwig's  Annahme  trifft  auch  nicht  einmal  für  das  Echinidenei  zu, 
da  auch  bei  diesem  zunächst  eine  typische  Halbbildung,  eine  Semi- 
morula  entstand. 

0.  Hertwig  fährt  fort:  „Wenn  es  ferner  möglich  wäre,  zwischen 
die  beiden  Furchungszellen  eines  Froscheies  in  ihrer  Berührungs- 
ebene einen  Isolator  dazwischen  zu  schieben,  der  jede  Beziehung 
zwischen  ihnen  aufhebt,  so  müsste  sich  aus  jeder  Hälfte  einzig  und 
allein  in  Folge  ihrer  Isolirung  ein  ganzer  normaler  Embryo  bilden. 
Aus  dem  Ei  würden  Zwillinge  hervorgehen". 

Auch  diesem  Satze  vermögen  wir  aus  den  gleichen  Gründon 
nicht  einfach  zuzustimmen;   denn  zunächst  entstünden   unter  diesen 

51* 


801  Nr.  26.   Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

Umständen,  wie  wir  aus  unseren  Befunden  wohl  ableiten  dürfen, 
zwei  Hemiembryonen ;  und  wenn  die  Ränder  der  Keimblätter  an 
dieser  Isolirungsplatte  hafteten,  dann  würde,  so  viel  wir  bis  jetzt 
sehen,  eine  Postgeneration  dieser  Hälften  7A1  Ganzbildungen  viel- 
leicht gar  nicht  eintreten. 

Da  O.  Hert\vig  über  die  von  mir  beschriebene  Postgeueration 
nach  Uebertritt  von  Kernen  aus  der  unversehrten  Eihälfte  nicht  infor- 
mirt  ist,  glaubt  er,  den  angeblichen  Gegensatz  zwischen  meinen  Ergeb- 
nissen einerseits  und  denen  Driesch's  und  seiner  Auffassung  anderer- 
seits beseitigen  zu  müssen  und  greift  zu  einem  zwar  einfachen,  aber 
doch  nicht  ganz  gewaltlosen  Mittel. 

Zunächst  übergeht  er  die  Thatsache  mit  Stillschweigen,  dass 
Driesch  (und  auch  Fiedler)  aus  dem  halben  Echinidenei  zunächst  eine 
typische  Halbbildung,  eine  Semimorula  resp.  auch  Semiblastula  erhalten 
haben.  Ich  glaube  nicht,  dass  diese  Halbbildungen  etwa  nichts  zu 
bedeuten  haben;  denn  es  deutet  doch  auf  ganz  typische  Zeilord- 
nungsmechanismen hin,  wenn  aus  einer  Zelle,  die  halbkugelig 
ist,  ja  sogar  durch  Abrundung  auf  der  Seite  der  fehlenden  Gegenzelle 
sich  der  Form  einer  ganzen  Kugel  nähert,  unter  vielfacher  Theilung 
dieser  Zelle  nicht  ein  Zellhaufen  von  der  Gestalt  der  frühe- 
ren einzigen  Zelle,  sondern  eine  hohle  halbe  Kugelschale 
gebildet  wird,  welche  nach  Fiedler  aus  den  typischen  Zellhalb- 
kreisen mit  typisch  verschieden  grossen  Zellen  bestellt.  Beiden  Thieren, 
w^o  die  Semimorula  sich  zu  einer  Semigastrula  und  einem  Hemiembryo 
entwickelte,  bekundete  sich  dann  auch  das  typisch  verschiedene 
entwickelungsmechanisch  e  Vermögen  der  verschiedenen 
Stellen  dieser  Halbbildung  (s.  Nr.  28,  S.  616). 

Bezüglich  meiner  Halbbildungen  aber  nimmt  Hertwig,  wie  schon 
oben  erwähnt,  an,  ich  hätte  „gar  keine  Halbblastula,  Halb- 
gastrula  oder  einen  Halbembryo  erhalten,  sondern  eine  ganze 
Blastula,  eine  ganze  Gastrula,  einen  ganzen  Embryo,  die  allerdings 
[52]  in  Folge  der  ihnen  zugefügten  Schädigung  aus  einem  normal 
und  einem  anormal  entwickelten  Theile  bestanden". 

Sie,  meine  Herren ,  haben  sich  an  den  demonstrirten  Objecten, 
wie  ich  glaube  überzeugt,   dass  die   operirte  Hälfte   nicht   anormal 


der  beiden  ersten  Furchungszelleu.  805 


entwickelt  ist,  dass  sie  keine  durcheinander  gekommenen  oder  miss- 
geformten Organanlagen,  auch  keine,  sei  es  auch  ungeordneten  Keim- 
blätteranlagen enthält,  dass  sie  überhaupt  nicht  in  Zellen  zer- 
legt, ja  nicht  einmal  mit  normalen  Kernen  versehen  ist,  dass  sie 
also   einfach   unentwickelt,  ja  vielfach  blasig  zersetzt  ist. 

Hertwig  sieht  nach  seiner  Auffassung  ,, durch  meine  Anstech- 
versuche nur  das  eine  bewiesen,  dass  bei  einem  ungestörten  Verlauf 
der  Entwickelung  das  Zellmaterial  der  einen  Körperseite  hauptsäch- 
lich von  einer  der  beiden  ersten  Furchungszelleu  abstammt",  eine 
Thatsache,  die  wir  oben  schon  in  präciserer  Weise  daraus  abgeleitet 
haben,  dass  normaler  Weise  die  Trennungsebene  der  beiden  ersten 
Furchungszelleu  zur  Medianebene  des  Embrj^o  wird,  und  dass  die  An- 
lage der  Organe  sj^mmetrisch  zu  derselben  erfolgt.  Des  Weiteren  findet 
Hertwig  „durch  die  Roux'schen  Versuche  nicht  den  Cardinalpunct  be- 
wiesen, dass  sich  aus  der  hnken  B'urchungszelle  nichts  anderes  als 
die  linke  Körperhälfte  unter  allen  Umständen  entwickeln  müsse, 
weil  sie  nur  für  diese  die  diiferenzirenden  und  gestaltenden  Kräfte 
enthielte",  eine  Auffassung,  die  von  mir  auch  nicht  geäussert  worden 
ist  [siehe  im  Gegentheil  S.  450,  508  u.  796]. 

„Nach  Roux  würden,  wenn  wir  uns  die  beiden  ersten  Furchungs- 
zelleu des  Froscheies  in  der  Theilungsebene  durch  einen  Isolator 
getrennt  denken,  aus  der  linken  und  rechten  Furchungszelle,  da  jede 
nur  die  differenzirenden  und  gestaltenden  Kräfte  für  die  linke  und 
rechte  Körperhäifte  des  Embryo  enthält  und  diff erenzirende 
Wechselwirkungen  überhaupt  in  Abrede  gestellt  werden, 
zuerst  eine  linke  und  rechte  Blastulahälfte,  Gastrulahälfte  und  schliess- 
lich zw^ei  vollständige  Körperhälften  entstehen". 

In  diesem  letzten  Citat  sind  die  von  mir  durch  gesperrten  Druck 
der  Wörter  hervorgehobenen  Gedanken  irrthümlich  mir  unter- 
geschoben. Insbesondere  bin  ich  verwundert  zu  lesen,  dass  von  mir 
„diff erenzirende  Wechselwirkungen  überhaupt  in  Abrede  gestellt  wer- 
den", nachdem  ich  eine  Schrift  über  diff  erenzirende  Wechselwirkungen 
im  Organismus  (s.  Bd.  I  Nr.  4)  und  mehrere  Abhandlungen  über  func- 
tionelle  Anpassungen  (Nr.  7—9),  die  ja  auf  differenzirenden  Correlationen 
beruhen,  verfasst  habe,  nachdem  ich  fernerhin  in  meinem  ersten  Beitrag 


806  Nr.  26.    Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

zur  Entwickelungsmeclianik  (s.  Nr.  1<S)  die  zur  Zeit  bekannten  differen- 
zirenden  Correlationen  auf's  Neue  zusammengestellt  und  in  meiner  Ar- 
beit über  die  halben  Embryonen  (Nr.  22),  wie  oben  citirt,  wiederholt  auf 
solche  Wirkungen  hingewiesen,  z.  B.  S.  508 — 510,  und  unter  Anderem 
gesagt  [53]  habe(S.  455):  ,,Wie  weit  nun  diese  Mosaikbildung  (der  Ga- 
strula)  aus  mindestens  vier  Stücken  bei  der  weiteren  Entwickelung  durch 
einseitig  gerichtete  Materialumlagerungen  und  durch  differenzirende 
Correlationen  umgearbeitet  und  in  der  Selbstständigkeit  ihrer  Theile 
beschränkt  wird,  ist  erst  noch  zu  ermitteln"  (s.  auch  S.  317). 

Des  Weiteren  habe  ich  die  Aufmerksamkeit  „auf  die  specifisch 
organischen,  zur  Zeit  unerklärbar  erscheinenden  Verhältnisse"  gelenkt. 
Dies  gilt  besonders  ,,bezü glich  derjenigen  Wirkungen,  auf 
denen  die  Herstellung  und  Erhaltung  des  „Ganzen",  in 
seinem  der  Species  entsprechenden  Tj^^us  beruht.  Die 
Nichtberücksichtigung  dieser  Vorgänge  würde  von  vornherein  zu  einer 
unvollständigen  Vorstellung  vom  Wesen  des  Organischen  Veranlassung 
geben,  die  auch  bei  der  Auffassung  anderer,  einfacherer  Vorgänge 
leicht  irrthümliche,  zu  grob  mechanische  Vorstellungen  nach  sich 
ziehen  könnte.  Es  scheint  mir,  dass  in  Bezug  auf  diese  die  typi- 
sche Einheit  des  Ganzen  vermittelnden  Wirkungen  die 
Lehre  vom  Aufbaue  des  Organismus  aus  selbstlebenden  Theilen  uns 
zu  einer  Unterschätzung  derselben  geführt  hat"  etc.  [Nr.  14,  S.  39—41]  ^). 

Hertwig  citirt  darauf  einige  meiner  Thesen,  um  ihnen  Anti- 
thesen entgegenzustellen. 

Dem  Satze:  ,,Die  Entwickelung  der  Froschgastruia  und  des 
zunächst  daraus  hervorgehenden  Embryos  ist  von  der  zweiten 
Furchung  an  eine  Mosaikarbeit  und  zwar  aus  mindestens  vier  ver- 
ticalen,  sich  selbstständig  entwickelnden  Stücken,"  stellt  er  die  all- 
gemeine Antithese  entgegen:  ,,die  Entwickelung  des  „Organismus" 


[1)  Genaueres  siehe  Nr.  28,  wo  die  bei  Defect  und  anderen  Störungen  ein- 
tretenden, die  Einheit  des  Ganzen  herstellenden  Correlationen  aus- 
führlicher erörtert  sind  und  Nr.  ;33. 

Siehe  auch  den  interessanten  Vortrag  von  C.  0.  Whitmax  (The  Inadequancy 
of  the  Cell-Theory  of  development.  Journ.  of  Morph.  1894,  VIII),  welcher  eine  noch 
weitergehende  Gemeinsamkeit  unter  den  Zellen  auch  unter  normalen  Verhältnissen 
vertritt.] 


der  beiden  ersten  Fnrchungszellen.  807 

ist  keine  Mosaikarbeit",  obgleich  sich  meine  These  im  Anschhisse  an 
die  zur  Zeit  vorhegenden  Thatsachen  blos  auf  die  Bildung  der  ,,Gast- 
rula"  aus  vier  selbstständig  gastrulirenden  Stücken  und  die  nächste 
Weiterbildung  dieser  Stücke  bezieht  (siehe  auch  S.  782). 

Ferner  opponirt  H.  gegen  die  folgenden  meiner  Sätze :  „Die 
normalen  Entwickelungsvorgänge  sind  nicht  als  eine  Folge  der  Zu- 
sammenwirkung aller  Theile  oder  auch  nur  aller  Kerntheile  des 
Eies  zu  betrachten,  sondern  an  die  Stelle  solcher  differenzirenden 
Wechselwirkungen  aufeinander  tritt  die  Selbstdifferenzirung  der 
ersten  Furchungszellen  und  des  Komplexes  ihrer  Derivate  zu 
einem  bestimmten  Stück  des  Embryo.  Jede  der  beiden  ersten  Fur- 
chungskugeln  enthält  also  nicht  nur  das  Bildungsmaterial  zu  dem 
entsprechenden  Stück  des  Embryo,  sondern  auch  die  differen- 
zirenden und  gestaltenden  Kräfte."  ,,Die  Furchung  scheidet  den 
die  directe  [s.  typische]  Eiitwickelung  des  [ndividiuums  vollziehenden 
Theil  des  Keimmateriales,  insbesondere  des  Kernmateriales  cjualitativ 
und  bestimmt  mit  der  dabei  stattfindenden  Anordnung  dieser  [54]  ver- 
schiedenen gesonderten  Materialien  zugleich  die  Lage  der  späteren 
differenzirten  Organe  des  Embryo." 

Diesen  Sätzen  stellt  Hertwig  die  Antithese  entgegen:  ,,die 
Theile  des  Organismus  entwickeln  sich  in  Beziehung  zu 
einander  oder  die  Entwickelung  eines  Theiles  ist  abhängig 
von  der  Entwickelung  des  Ganzen"  (S.  480).  Wir  haben  bereits 
gesehen  und  werden  unten  des  Weiteren  sehen,  dass^  soweit  diese 
angeblich  gegen  mich  gerichtete  Antithese  Richtiges  enthält, 
die  betreffenden  Gedanken  von  mir  schon  wiederholt  aus- 
gesprochen worden  sind  (z.  B.  in  Nr.  14). 

Hertwig  äussert  sich  weiterhin  S.  481 : 

„Nach  meiner  Auffassung  enthält  daher  jede  der  beiden  ersten 
Furchungszellen  nicht  nur  die  differenzirenden  und  gestaltenden 
Kräfte  für  eine  Körperhälfte,  sondern  für  den  ganzen  Organismus, 
und  nur  dadurch  entwickelt  sich  normalerweise  die 
linke  F  u  r  c  h  u  n  g  s  z  e  1  le  zur  linken  K  ö  r  p  e  r  h  ä  1  f  t  e ,  d  a  s  s 
sie  zu  einer  rechten  F u r c h u n g s z e  1 1  e  in  Beziehung  ge- 
setzt ist." 


808  Nr,  26.   Entwickelungsmechaniscbes  Vermögen  jeder 

Der  durch  gesperrten  Druck  markirten  Hälfte  dieses  Satzes 
werden  wir  nach  den  oben  mitgetheilten  gegentheiligen  Beob- 
achtungen gleichfalls  nicht  zustimmen  können. 

Schliesslich  führt  0.  Hertwig  S.  465  in  apodictischer  Form  neben 
einem  thatsächlichen  Grund  zwei  nicht  bewiesene  Vermuthunffen 
gegen  die  von  mir  ausgesprochene,  eventuelle  neue  „Möglichkeit"  der 
Entstehung  doppeltsymmetrischer  Doppelbildungen  aus  Embryonen  mit 
As_yntaxia  medullaris  durch  Vermittelung  der  Postgeneration  an.  Ich 
nehme  nicht  Veranlassung,  diese  Aussprüche  hier  zu  behandeln,  son- 
dern halte  es  für  erspriesshcher ,  die  Entscheidung  den  Ergebnissen 
der  bezüglichen  Versuche  zu  überlassen  (s.  S.  518  Anm.). 

Unsere  Thatsachenkenntniss  erhält  schliesslich  noch  eine  wesent- 
liche Erweiterung  durch  die  bisher  mitgetheilten  entsprechenden 
Befunde  bei  einem  weiteren  Thierstamm,  nämhch  bei  Cölente raten, 
speciell  bei  Ctenophoren. 

Herr  Prof.  Chun  in  Breslau  schrieb  mir  am  23.  vorigen  Monats, 
anlässlich  des  Urtheils  0.  Hertwig's  über  meine  Halbbildungen,  dass 
er  mit  den  meinigen  übereinstimmende  Beobachtungen  schon  vor 
vielen  Jahren  an  Ctenophoren  gemacht  habe,  die  er  mir  zugleich 
mittheilt  und  zu  eventueller  Veröffentlichung  freundlichst  zur  Ver- 
fügung stellt. 

Chun  hat  danach  schon  im  Sommer  1877  versucht  (und  es  in 
seiner  Fauna  und  Flora  des  Golfes  von  Neapel  I,  S.  102  angedeutet), 
durch  Schütteln  der  zweigetheilten  Eier  die  beiden  ersten 
Furchungszellen  zu  isohren  und  ihr  Schicksal  zu  verfolgen;  er  ist 
aber  durch  andere  [55]  Arl)eiteu  abgehalten  worden,  diese  Beobach- 
tungen zu  publiciren,  was  hiermit  geschieht.     Er  schreibt: 

,, Trennt  man  durch  Schütteln  zweigetheilter  Eier  den  lockeren 
Verband  der  Furchungszellen,  so  erhält  man  constant  Halblarven, 
welche  nur  4  Rippen ,  4  Meridionalgefässe  und  nur  einen  Fang- 
faden aufweisen.  Ich  habe  mehrmals  innerhalb  der  Eihülle  zwei 
Halblarven  beobachtet,  die,  falls  man  die  Eier  in  reichlichem  und 
gut  durchlüfteten!  Wasser  züchtet,  auch  ausschlüpfen."  „Bei  der 
Durchmusterung  des  reichen  Larvenmateriales,  welches  ich  1886  von 
einer  gelappten   Ctenophorc  —  BoHna  —  züchtete,  fiel  es    mir  auf, 


der  beiden  ersten  Fiircliungszellen.  809 

dass  nach  stürmischen  Tagen  eine  unverhältnissmässig  grosse  Zahl 
von  beträchtlich  herangewachsenen  Halblarven  auftrat.  Da  durch 
Wellenschlag  leicht  das  herbeigeführt  wird,  was  man  durch  Schütteln 
erzielt,  nämlich  Trennung  der  locker  zusammenhängenden  ersten 
Furchungszellen,  so  darf  ich  wohl  vermuthen,  dass  die  frei  gefischten 
Halblarven  auf  die  angedeutete  Weise  entstehen.  \''on  Interesse  war  es 
mir,  dass  solche  Halblarven  ebenso  wie  die  unversehrten 
Larven  g esc hlechts reif  wurden  und  Eier  ablegten.  Nach 
Rückbildung  der  Geschlechtsproducte  schicken  die  Halblarven  sich 
zur  Metamorphose  an;  und  nun  erfolgt  ein  Vorgang,  von  dem 
ich  zu  meiner  besonderen  Genugthuung  ersehe,  dass  Sie  ihn  bei 
Halblarven  der  Amphibien  beobachteten .  Die  fehlende  Hälfte 
wird  postgenerirt.  Von  den  in  der  Halblarve  angelegten  Gefässen 
aus  knospen  zunächst  ganz  klein,  dann  sich  verlängernd  die  fehlenden 
Gefässe  der  postgenerirten  Hälfte;  über  ihnen  erscheinen,  wiederum 
zunächst  ganz  minimal,  die  fehlenden  4  Rippen  und  zwischen  ihnen 
der  fehlende  zweite  Fangfaden.  Ich  besitze  alle  Stadien  dieser  Post- 
generation bis  zu  jungen  gelappten  Ctenophoren,  bei  denen  der 
Grössenunterschied  der  postgenerirten  Hälfte  ausgeglichen  ist." 

Weiterhin  äussert  sich  Chun  bezüglich  des  von  Driesch  beolj- 
achteten  abweichenden  Verhaltens  der  Echinodermeneier :  ,,Es  darf 
zunächst  nicht  übersehen  werden,  dass  Experimente  an  Echinodermen- 
und  Ascidieneiern  schon  deshalb  eigenartig  ausfallen  müssen,  weil 
es  sich  um  dotterarme,  äqual  sich  furchende  Eier  handelt,  während 
die  Eier  der  Amphibien  eine  inäc^uale  Furchung  aufweisen.  Ich  sehe 
überhaupt  in  diesen  Vorgängen  keinen  principiellen  Unterschied,  wie 
ihn  Hertwiü  (der  die  Thatsache  der  Postgeneration  gar  nicht  kennt) 
statuirt.  Thatsächlich  klüften  sich  die  getrennten  Furchungszellen 
der  Echinoderm^n  anfänglich  derart,  als  ob  sie  einen  Halbembryo 
zu  bilden  hätten,  —  nur  erfolgt  die  Postgeneration  viel  frühzeitiger, 
da  ein  Grössenunterschied  der  ersten  Furchungszellen  kaum  [56] 
merklich  hervortritt,  während  bei  Amphibien  und  Ctenophoren  offenbar 
die  grossen,  dotterreichen  Entodermzellen  der  frühen  Abrundung  zu  einer 
Gastrula  einen  Widerstand  entgegensetzen.  Ob  diese  Erklärung  zu- 
trifft, bleibt  dahingestellt  und  müssen  weitere  Experimente  entscheiden." 


810  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

Wir  habeu  also  auch  hier  wiederum  aus  dem  halben  Ei  un- 
zweifelhafte Exemplare  von  Halbbildungen  erhalten  und  mit  ihnen 
eine  weitere  Widerlegung  der  Ansicht  0.  Hertwig's,  dass  sich  nur 
dadurch  normaler  Weise  die  linke  Furchungszelle  zur  linken  Körper- 
hälfte entwickele,  dass  sie  zu  einer  rechten  Furchungszelle  in  Beziehung- 
gesetzt  sei. 

Da  ferner  auch  bei  den  dotterreichen,  inäqual  sich  furchenden 
Ctenophoreneiern  die  rein  hemiooplastische  Postgeneration  gleich  wie 
bei  dem  dotterreichen  Amphibienei  viel  später  einsetzt  als  bei  den 
dotterarmen,  fast  äqual  sich  furchenden  Echinodermen-  und  Ascidien- 
eiern,  so  erhält  die  oben  von  mir  und  soeben  von  Chun  ausgesprochene 
Ansicht,  dass  dieser  Dotterreichthum  vielleicht  die  Ursache  der  ver- 
späteten erfolgreichen  Postgeneratiousbestrebungen  ist,  nunmehr  eine 
erhebliche  Wahrscheinlichkeit  ^). 

Als  Gesammtergebniss  des  vorstehenden  Berichtes  haben  wir 
somit  die  Thatsache  gewonnen,  dass  bei  drei  verschiedenen 
Thierstämmen  bei  Chordoniern,  Echinodermen  und  Cölen- 
teraten  aus  einer  der  beiden  ersten  Furchungszellen,  wenn 
sie  von  der  anderen  getrennt  ist  oder  wenn  letztere  ge- 
tödtet  worden  ist,  zunächst  eine  ,, typische  Halbbildung",  ein 
,,Heiiiiplast-'  hervorgeht,  und  dass  danach  erst,  bei  den 
nähr ungsdotter armen  Eiern  (Echinus,  Ascidia)  auf  früherer, 
bei  den  nähr  ungsdotter  reichen  Eiern  (Rana,  Ctenophoren)  auf 
späterer  Stufe  eine  ,, Postgeneration"  der  fehlenden  Körper- 


[1)  Nach  S.  795  und  der  Nr.  30,  S.  148  und  im  , Nachwort"  gegebenen  Ableitung 
ist  die  hier  ausgesprochene  Auffassung  dahin  zu  präcisiren,  dass  der  Dotterreichthum 
erst  nach  mehreren  Furchungen  ein  wirkliches  „Hinderniss"  für  die  Postgeneration 
abgiebt  und  zwar  wohl  mehr  ein  Hinderniss  für  die  erfolgreiche  Bethätigung 
(durch  die  Trägheit  und  schwere  Bewegung  der  Dotterzellen),  als  für  die  Auslös- 
ung der  Postgeneration.  Dass  bei  den  dotterreichen,  oder  ausserdem  allgemein  bei 
den  den  höheren  Thieren  zugehörigen  Eiern  die  Auslösung  der  Postgeneration 
schon  am  Anfang  der  Entwickelung  schwerer  sei,  als  bei  den  anderen  Eiern,  muss 
nach  S.  795  und  der  citirten  Beobachtung  0.  Schui.tze's  (Nr.  30,  S.  148)  als  zweifel- 
haft erscheinen;  jedenfalls  ist  sie  danach  für  unsere  bezüglichen  Ableitungen  nicht 
erheblich  erschwert  und  sie  scheint  wesentlich  von  der  Leichtigkeit  der  Umordnung 
der  Dotter  Substanzen  des  zweigetheilten  Eies  abzuhängen,  die  aber  ihrerseits, 
wenigstens  bei  Umkehrung  der  Eier,  durch  die  ungleiche  Schwere  der  Dottersubstanzen 
geradezu  erleichtert  wird.j 


der  beiden  eisten  Furchungszelleu.  811 

hälfte  von  der  bisherigen  Halbbildung  ausgeht  und  zur 
Herstellung  einer  „Halbei-Ganzbildung",  eines  „Hemioo- 
holoplasteu"  führt. 

An  Stelle  der  angeblichen  Widersprüche  in  den  Ergebnissen  der 
verschiedenen  Experimentatoren  ist  also  eine  principielle  Ueber- 
einstimmung  in  den  Befunden  aller  Untersucher  getreten  ^). 

Aber  dafür  haben  wir  nun  einen  Widerspruch  in  den 
Thatsachen  eines  jeden  einzelnen  dieser  Experimentatoren 
erhalten:  erst  die  Hervorbringung  von  typischen  Halbbil- 
dungen, darauf  Eintritt  einer  Postgeneration,  die  schliess- 
lich zu  kleinen  Ganzbildungen  führt.  Erst  Selbstdifferen- 
zirung  des  aus  einer  oder  jeder  von  beiden  ersten  [57]  Furchungs- 
zellen  hervorgegangenen  Complexes  von  Zellen  zu  einer  Halb- 
bildung; darauf  plötzlich,  oft  erst  nach  weit  fortgeschrittener  Halb- 
bildungsentwickelung, die  Bethätigung  .eines  Vermögens  dieser  selben 
Zellen,  das  Ganze  herzustellen. 

Der  Gegensatz  dieser  beiderlei  Thatsachen  ist  kein  neuer;  es 
ist  der  alte  Gegensatz  zwischen  der  no'rmalen,  directen  [oder  typischen] 
Ent Wickelung,  wie  ich  sie  früher  S.  450  u.  520  bezeichnet  habe,  und 
der  indirecten  [atypischen]  Entwickelung:  der  Regeneration  (sei  es 
nach  natürlichem  Defect  in  Folge  der  Vermehrung  durch  Theilung  oder 
Knospung  oder  nach  künstlichem  Defect)  resp.  der  Postgeneration. 

Das  Frosch-  und  das  Ctenophorenei  geben  uns  Gelegen- 
heit, die  Leistungsfähigkeit  der  ,, typischen"  Entwickelung 
eine  grosse  Strecke  weit  für  sich  zu  verfolgen  und  zu 
erkennen,  in  wie  hohem  Maasse  auf  natürliche  Weise  abgegrenzte 
Eitheile  sich  selbstständig,  unabhängig  von  anderen  Eitheilen  zu  ent- 
wickeln ,,  vermögen".  Und  das  Verhalten  dieser  Eier  deutete  zugleich 
auf  zwei  Momdite  hin,  welche  die  weitere  Dauer  dieser  selbstständigen 


[1)  Für  die  hier  und  in  meinen  früheren  Schriften  vertretene  Auffassung  von 
der  Mosaikarbeit  ist  besonders  D.  Barfurth  in  seinen  geistvollen  kritischen  Referaten 
über  Regeneration  in  den  „Ergebnissen  der  Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte" 
1891 — 1893  eingetreten.  Siehe  auch  F.  Keibel,  Studien  zur  Entwickelungsgeschichte 
des  Schweines.  Schwalbe's  morph.  Arb.  Bd.  III,  1893,  S.  120. 

Ueber  neuere  Befunde  und  deren  Bedeutung  s.  Roux  im  Arch.  f.  Entwicke- 
lungsmechanik  I,  S.  596--617.i 


812  Nr.  26.  Entwickelungsmeclianisches  Vermögen  jeder 

Eiitwickelmig  der  Theile  begünstigen,  indem  sie,  wie  wir  annahmen, 
die  Betliätigung  des  Vermögens  zur  atypischen  Entwicke- 
ln ng  hemmten.  Beim  Frosch  konnte  so  durch  das  Anhaften 
der  todten,  zersetzten  Eihälfte  die  Postgenerationsfähigkeit  der 
anderen  Hälfte  noch  weit  über  die  Zeit  hinaus,  auf  w^elcher  sonst  die 
reine  Halbei-Postgeneration  (S.  796)  beginnt,  verhindert  und  damit  die 
hemiplastische  Entwickelung  verlängert  werden. 

Bei  den  Echinodermen  dagegen  trat  die  Postgeneration  schon 
so  früh,  schon  auf  der  Blastulastufe  ein,  dass  die  hemiplastische  Ent- 
wickelung zwar  nicht  von  den  Experimentatoren,  von  Driesch  und 
Fiedler,  aber  von  einem  Theoretiker,  O.  Hertwic,  übersehen  worden 
ist  und  daher  letzteren  Autor  zu  einer  irrthümlichen  Auffassung  von 
den  Vorgängen  veranlasste,  indem  er  die  Leistungen  der  Post- 
generation für  Leistungen  der  typischen  Entwickelung 
nahm. 

Die  Postyeneration  konnte  heim  Frosch  noch  frülier 
beginnen  aJ s  hei  den  Echinodermen,  sofern  ihr  eine  Er- 
leichterung gewährt  wurde,  nämlich  die  Gelegenheit  zum 
Uebertritt  von  Zellkernen  aus  der  direct  entwickelten  Hälfte  in  organi- 
sationsfähigen Dotter.  Wenn  dasselbe  auch  ohne  dies  Moment  geschehen 
wäre,  so  wäre  es  beimFroschei  gar  nicht  möglich  gewesen, 
die  verschiedenen  Leistungen  beider  Entwickelungsweisen ,  also 
auch  nicht  diese  selber  auseinanderzuhalten. 

Ich  habe  früher  schon  (S.  41—44)  auf  die  Gegensätzlich- 
keit dieser  beiden  Entwickelungsarten  hingewiesen,  und 
die  anscheinend  wunderbare  Natur  [58]  der  Re-  und  Postgeneration, 
wie  schon  viele  frühere  Autoren  bezüglich  der  Regeneration,  erörtert. 

Die  ,, typische  Ent  Wickelung"  des  Individuums  aus  dem  Ei 
findet,  abgesehen  von  dem  Dotter,  statt  aus  dem  für  die  typische 
Entwickelung  bestimmten  Kernmateriale,  indem:  „die  Furchung  den 
die  typische  Entwickelung  des  Individuums  vollziehenden  Theil  des 
Keimmateriales ,  insbesondere  des  Kernmateriales  qualitativ  scheidet 
und  mit  der  dabei  stattfindenden  Anordnung  dieser  verschiedenen 
gesonderten  Materialien  daher  zugleich  die  Lage  der  späteren  diffe- 
renzirten   Organe    des  Embryo    (einschliesslich   nachträglicher    typi- 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  813 


seil  er  Materialumlagerungen)  bestimmt"  (S.  450).  Für  sie  gilt 
His'  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke,  für  sie  wurde  nach- 
gewiesen, dass  die  Gastrulation  eine  Mosaik  arbeit  aus  vier  verti- 
calen  Stücken  ist.  Für  sie  habe  ich  gezeigt,  dass  sie  Selbst- 
diff  erenzirung  des  ganzen,  von  einer  der  ersten  Furchungskugeln 
abstammenden  ,, Z e II c o m p  1  e x e s  "  (nicht  aber  dieser  einzelnen  Zellen) 
ist;  es  wurde  aber  zugleich  auch  auf  eventuelle  „typische  cor  re- 
lative Diff erenzirungen"  innerhalb  jedes  dieser  Com- 
plexe  hingewiesen  (s.  S.  455  u.  Nr.  27,  S.  303). 

Bezüglich  der  ,, atypischen  Entwickelung"  der  E,e-  und 
Postgeneration  fügte  ich  unmittelbar  nach  dem  letzten  Citat  über  die 
Materialscheidung  bei  der  Furchung  bei:  „Ueber  die  Vertheilung  des- 
jenigen Idioplasmas  dagegen,  welches  erst  bei  Regeneration 
und  der  Postgeneration  inThätigkeit  tritt  und  vielleicht  in 
jeder  Zelle  bezw.  in  jedem  Kern  sich  mehr  oder  weniger  vollkommen 
vorfindet,  ist  damit,  wie  ich  ausdrücklich  bemerke,  nichts  präjudizirt". 

Ist  die  „typische  Entwickelung",  wie  wir  annehmen,  Bildung 
von  typisch  Geordnetem  aus  typisch  Geordnetem  unter  vollkommen 
typischem  Verlaufe  und  zwar  Entwickeluug  eines  typischen  formal 
Complizirtem  aus  einem  typischen  formal  Einfacheren,  so  ist  sie  also 
etwas  in  ihrem  Principe  durchaus  Verständliches,  sofern 
wirklich  der  Verlauf  in  allen  seinen  Theilen,  nicht  blos  in  den 
Hauptzügen  typisch  bestimmt  sich  vollzieht  und  sofern  die 
eventuellen  ,, atypischen"  Einzelvorgänge  doch  durch 
,, typische"  Regulationsmechanismen  vermittelt  werden. 

Dagegen  stellen  die  Post-  und  Regeneration  Entwickelungs- 
modi  dar,  welchen  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer  Erkenntniss, 
richtiger  unserer  ünkenntniss,  etwas  Metaphysisches  anhaftet 
(s.  S.  42,  Nr.  27  S.  302,  Nr.  28  S.  659).  Die  Umordnung  der  Zellen 
bei  der  Postgeneration  der  Semimorula  des  Echinideneis ,  des 
Hemiembryos  der  Frösche  und  der  Ctenophoren  sind  im  Wesen 
gleich ,  ja  eher  noch  weniger  räthselhafte  Vorgänge  wie  die  Um- 
ordnung der  Zellen  eines  aus  der  ganzen  Dicke  der  Leibeswandung 
gebildeten  [59]  beliebig  ausgeschnittenen  Stückes  der  Hydra  nach 
Trembley    und    Nussbaum    zu    einem    neuen    kleinen    Polypen.      Bei 


814  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

diesem  Polypen  ordnen  sich  die  Zellen  eines  atypisch  grossen  und 
daher  atypisch  begrenzten  Stückes  eines  Organismus  zu  dem 
typischen  ganzen  Organismus,  sei  es  ausschliesslich  durch  Umordnung 
der  Zellen  des  Stückes,  sei  es  unter  gleichzeitiger  Vermehrung  dieser 
Zellen.  Bei  unseren  Halbbildungen  geschieht  dasselbe  aber  von  einem 
in  gewissem  Sinne  typischen,  nämlich  aus  einer  der  beiden  ersten 
Furchungskugeln  abstammenden  Theile  des  Ganzen  aus.  Immer  aber 
geschieht  es  unter  anderer  als  der  normalen,  typischen  Verwendung 
vieler  Zellen,  also  unter  Aufbau  neuer  Theile  aus  bisher  anders 
verwendeten  Bausteinen,  in  denen  dabei  jedoch  wohl 
andere  idiopJastische  Bestandfheil e  in  Thätigheit  treten. 

Und  es  ist  zur  Zeit  fast  gleich  räthselhaft,  ob  diese  in  neuer 
Weise  verwendeten  alten  Bausteine  diesen  Aufbau  aus  eigener  Initiative 
vollziehen,  indem  jeder  Baustein  zugleich  auch  innerhalb  gewisser 
Sphäre  Bauleiter  im  Sinne  des  Ganzen  ist,  oder  ob  eine  solche  Leitung 
nur  von  denjenigen  Steinen  ausginge,  w^elche  etwa  noch  in  ihrer 
früheren  Stellung  und  Function  verbleiben. 

Die  ,, typische  Entwückelung"  ist  demnach  Bildung 
von  Geordnetem  aus  einem  in  sich  Geordneten  aber  aty- 
pisch Begrenzten,  und  zwar  Bildung  eines  typischen  Ganzen  aus 
einem  atypisch  begrenzten  (also  auch  atypisch  gelegenen)  Theile 
eines  solchen,  und  zw^ar  sowohl  aus  dem  Theile  eines  bereits 
an  der  Endstufe  formaler  Complication  angekommenen  oder  eines 
erst  auf  dem  Wege  dazu  begriffenen  Gebildes.  Aus  der 
atypischen  Begrenzung  des  sich  zum  t3^pischen  Ganzen  umbildenden 
Theiles  folgt,  dass  diese  Umbildung  sich  im  Speciellen  auf  einem 
jedem  Einzelfalle  angepassten  Wege  vollziehen  muss.  Diese 
Anpassung  ist  es,  die,  sofern  sie  eine  directe  ist,  den  Anschein 
des  Wunderbaren,  Methaphysischen  hat  (s.  Nr.  27,  S.  304). 

„Diese  regulatorischen  Thatsachen  hei  atypischen  Vor- 
gängen weisen  bei  gehöriger  Würdigung  auf  ein  inniges  Zusammen- 
wirken der  Theile  zum  Ganzen  und  auf  eine  grosse  Abhängigkeit 
der  Theile  vom  Ganzen  hin"  (S.  41),  trotz  der  ausgedehnten 
Selbstdifferenzirung  bei  der  directen  Entwickelung. 

Das  vorliegende  Problem  wird  dadurch  seltsam  beleuchtet,  dass 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  815 

diese  wunderbare  Leistung  nicht  die  letzte,  höcliste  Blütlie  des 
organischen  Gestaltungsvermögens  darstellt,  sondern  dass 
umgekehrt  dieses  Vermögen  auf  niederer  Stufe  in  viel  höherem 
Grade  vorhanden  ist  als  bei  den  höheren  Organismen,  wie 
sie  auch  bei  höherem  Alter  des  ein-  [60]  zelnen  Individuums  abnimmt, 
so  dass  im  Gegentheil  in  diesen  Perioden  das  Leben  sich  immer 
fester  typisch-mechanisch  gestaltet. 

DieEntiüichelnng  der  höheren  Organismen  ist  also  mit  einer 
bestimmteren 3Iechanisirung  der  Vorgänge,  mit  einer  Eineng- 
ung  des  Lebens  in  typischere  Bahnen  verhunden. 

Zwar  bethätigt  sich  auch  in  uns  noch  fortwährend  fast 
an  allen  Stellen  das  Vermögen  der  Regeneration  unter  Aus- 
merzung des  schadhaft  Gewordenen  und  unter  seiner  Ersetzung  durch 
Neues.  Aber  wie  beschränkt  zeigt  sich  dies  Vermögen  nach  grösseren 
Defecten!  Wie  ist  die  Regeneration  der  Nerven,  Knochen,  Muskeln, 
der  Haut  an  eng  bestimmte  Mechanismen  gebunden !  AVie  unvoll- 
kommen regenerirt  sich  hier  schon  das  einzelne  Organ;  und  in  wie 
viel  beschränkterem  Maasse  werden  erst  grössere,  aus  mehreren  Or- 
ganen zusammengesetzte  Stücke  nacherzeugt! 

Aber  eben  die  Beschränkung  der  Leistungsfähigkeit  dieses 
anscheinend  wunderbaren  Vermögens  auf  bestimmte  Mechanismen 
und  auf  einen  bestimmten  unvollkommenen  Grad  der  Leistung  bei 
den  höheren  Organismen  weist  darauf  hin,  dass  hier  doch 
nichts  Metaphysisches  vorliegt. 

Und  eben  diese  Beschränkung  und  Zerlegung  der  bezüglichen 
Vorgänge  bei  den  höchsten  Organismen  zeigt  uns  wieder,  wie  auch 
andere  Thatsachen,  dass  wir  hei  den  höchsten  Organismen  in 
mancher  Hinsicht  leichter  zu  übersehende,  weil  mehr  analysirte, 
am  einzelnen  f)rte  einfachere  Verhältnisse  vorfinden,  als  bei  den 
niederen  Organismen,  wo  noch  alle  Functionen  in  einem  Elemente 
beisammen  sind,  zeigt  uns,  dass  wir  menschlichen  Anatomen  also 
auch  vom  Standpuncte  der  „analytischen"  Forschung  aus 
berechtigt  sind,  das  Studium  mit  dem  Menschen  und  den 
Säugethieren  anzufangen,  freilich  unter  steter  Berücksichtigung  der 
Ergebnisse  auf  allen  übrigen  Gebieten  biologischer  Forschung  (s.  S.  36). 


816  Nr.  26.  Entwickelungsmechanisches  Vermögen  jeder 

Haben  wir  die  Ansicht  gewonnen,  ,,dass  uns  die  Thatsachen 
der  Regeneration  und  Postgeneration  auf  eine  grössere  Einheit- 
lichkeit unter  den  Theilen  des  Organismus  hinweisen,  als 
wir  trotz  der  Annahme,  dass  jede  bezügliche  Zelle  noch  einen  Theil 
des  ,, Keimplasmas"  enthalte,  gegenwärtig  zu  verstehen  im  Stande 
sind",  so  erhält  die  Entwickelungsmechanik  neben  ihrer  Aufgabe,  die 
Ursaclien  der  Vorgänge  der  directen  Entwickelung  zu  erforschen,  in 
dem  Suchen  nach  der  ursächlichen  V e  r  m  i  1 1  e  1  u  n  g  der 
die  typische  Einheit  des  Ganzen  auch  in  mannigfachen 
neuen  Verhältnissen  herstellenden ,  erhaltenden  und  wieder- 
herstellenden Post-  und  Regenerationsvorgänge  eine  weitere  grosse 
Aufgabe. 


[61]  Literaturverzeichniss. 

1.  L.  Chabry,  Contribution  ä  I'embryologie  normale  et  pathologique  des  ascidiens 
simples.     Paris  1887. 

2.  Hans  Driesch,  Entwickelungsmeclianische  Studien.  I.  DerWerth  der  beiden  ersten 
Furcliungszellen  in  der  Echinodermentwickelung.  Experimentelle  Erzeugung  von 
Theil-  und  Doppelbildungen.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.,  Bd.  53,  1891,  S.  160—184. 
1  Tafel. 

8.  Carl  Fiedler,  Entwickelungsmeclianische  Studien  an  Echiuodermeneiern.  In  der 
Festschrift  d.  Univ.  Zürich  f.  Hn.  v.  Naegeli  und  Hn.  v.  Koellikfr.  Zürich  1891. 

4.  Oscar  Hertwig,  Urmiind  und  Spina  bifida.  Eine  vergleichend  morphologische, 
teratologische  Studie  an  missgebildeten  Froscheiern.  Arch.  f.  microsc.  Anat., 
Bd.  89,  1892. 

5.  Wilhelm  His,  Unsere  Körperform  und  das  physiologische  Problem  ihrer  Ent- 
stehung.    Leipzig  1874. 

6.  E.  Pfllüger,  Ueber  den  Einlluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen  und 
auf  die  Entwickelung  des  Embryo.     Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.  Bd.  82,  1888. 

7.  Eduard  van  Beneden  et  Charles  Julin,  La  segmentatiou  chez  les  Ascidiens  dans 
ses  rapports  avec  l'organisation  de  la  larve.  Bull,  de  l'Acad.  roy.  de  Belgique, 
T.  VII,  Serie  3,  Nr.  5,  1884. 

8.  Emil  Selenka,  Studien  über  die  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere.  11.  Heft: 
Die  Keimblätter  der  Echinodermen.     Wiesbaden  1888. 

9.  Alexander  Goette,  Abhandlungen  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere.  IT.  Heft. 
Untersuchimgen  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Würmer.  Vergleichender 
Theil.    1884. 

10.  Eduard  van  Beneden,  Recherches  sur  la  maturation  de  I'oeuf  et  la  fecondation. 
Arch.  de  biolog..  T.  IV,  1884.     (Auch  separat  erschienen,  Leipzig,  Engelmann.) 


der  beiden  ersten  Furchungszellen.  817 


11.  Gustav  Born,  Biologische  Untersuchungen.  I.  Ueber  den  Einfluss  der  Schwere  auf 
das  Froschei.     Arch.  f.  micr.  Anat.  Bd.  24,  1885. 

12.  Derselbe,  Ueber  die  Furchung  des  Eies  bei  Doppelbildungen.  Breslauer  ärztl. 
Zeitschr.  1887,  Nr.  15. 

13.  WiLH.  His,  Untersuchungen  über  die  Bildung  des  Knochenöschembryo  (Salmen). 
Arch.  f.  Anat.  u.  Entwgesch.  II,  1878. 

14.  Hans  Virchow,  Das  Dotterorgan  der  Wirbelthiere.  I.  Theil.  Zeitschr.  f.  wiss. 
Zoolog.  Bd.  LIII,  Supplem. 

15.  WiLH.  Roux,  Zur  Frage  der  Axenbestimmung  des  Embryo  im  Froschei.  Biolog. 
Centralbl.  Bd.  VIK,  S.  399—413,  1888.  Siehe  auch  Hermann  &  Schwalbe,  Jahres- 
ber.  d.  Anat.  u.  Physiol.,  anatom.  Abth.  1889,  S.  610  u.  611. 

16.  George  Nevvport,  Researches  on  tbe  Impregnation  of  the  Amphibia,  and  on  the 
Early  Stages  of  Development  of  the  Embryo.     Philos.  Transact.  1854. 


"W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.   IL  52 


Nr.  27. 

Beiträge  zur  Entwiekelungsmechanik  des  Embryo. 

VII.   Ueber  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungs- 

hypothesen. 

1893. 

Anatomische  Hefte.  Herausgegeben  von  Fr.  Merkel  und  R.  Boxxet.   Februarheft  1893. 
Aus  dem  k.  k.  anatomischen  Institut  zu  Innsbruck. 


Inhalt. 

Seite 

DifFerenzirende  Correlationen 820 

Mosaikarbeit,  Definition 821 

Definition  der  Selbstdifferenzirung 821 

Selbstdifferenzirung  der  ersten  Furchungszellen 826 

Hemitheria  anterior  Roix 828 

Mangel  an  Postgeneration  bei  Säugern 829 

Leistung  der  durch  die  Befruchtung  activirten  Energien  .     .  830 

Activirung  des  Post-  und  Regener ationsmateriales      .     .  833 
Post-  und  Regeneration  durch  Umordnung  und  Umdifferen- 

zirung 836 

Regeneration  durch  Proliferation 837 

Mechanische  Formulirung  des Re-  und  Postgenerationsproblems  842 
Char akterisirung    der    „directen"    s. .  ty i>ischen    und    atypischen 
s.  reg enerativen  Entwickelung: 

Stellung  der  Knospung 843 

Beurtheilung   der  Auffassungen  0.  Hertwig's   über  Mosaikarbeit  und  Core- 

relationen ' 847 

Isotropie  des  Eies , 848 


DifFerenzirende  Correlationen.  819 


Seile 

„Ac  tu  eile  Eiaxe" 849 

Wahre  Bedeutung  des  „Principes  der  organbildenden  Keim- 
bezirke        850 

UnvoUkommenheitderlsotropiedesEies 851 

Beziehungen    zwischen    den    ersten  Furchungen    und    den  Hauptrichtungen 

des  Embryo 852 

Anachronismen  der  ersten  Furchungen 855 

Halbbildungen 856 

Beweise  gegen  die  Entwickelung  des  Organismus  durch  die  Wechsel- 
wirkung „aller"  Theile  des  Ganzen  untereinander 856 

Beweise  der  Selbstdiffere  nzirung:  Doppelbildungen 859 

Nothwendigkeit    ,  sondernder "    Kräfte   bei    der  M  icr  o  somen- 

theilung       862 

Einschränkung  der  Epigenesis  durch  iudirecte  Kerntheilung 863 

Einsteilende  Wirkung  der  Gestalt  der  Zelle  auf  die  Kernspindel     .     .     .  866 

Richtige  qualitative  Sonderung  des  Idioplasson 867 

Nothwendigkeit  der  Annahme  activen  und  inactiven  Idioplassons  868 
Herstellung  der  ,C  ont  in  ui  tat  typischer  Ungleichheiten": 

actueller:  durch  die  Entwickelung 869 

inactiver:  durch  das  Keimplasson 869 


[279]  Bevor  noch  das  von  mir  auf  der  Anatomenversammlung  zu 
Wien  erstattete  Referat  ,,über  das  entwickelungsmechanische  Vermögen 
jeder  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Eies"  im  Druck  vorlag, 
sind  bereits  mehrere  weitere  bezügliche  Publicationen  erschienen : 
ein  erfreuliches  Zeugniss  von  dem  wachsenden  Interesse  an  dem 
Gegenstand. 

Es  sind  experimentelle  Untersuchungen  von  H.  Driesch  (1)  und 
Edmund  B.  Wilson  (2)  sowie  zwei  theoretische  Abhandlungen  0.  Hertwig's 
(3  und  4). 

Aus  diesen  Publicationen  geht  hervor,  dass  eine  Auffassung  an 
Boden  gewinnt,  der  ich  nicht  zustimmen  kann. 

Ich  nehme  daher  Veranlassung,  diese  neuereu  Arbeiten  nach- 
stehend zu  besprechen,  um  die  ihnen  meiner  Meinung  nach  zukommende 
Bedeutung  darzulegen. 

Zugleich  möchte  ich  einige  Puncte  meiner  früheren  bezüglichen 

Erörterungen,  die  irrthümlich  interpretirt  worden  sind,  ausführlicher 

darstellen   und   die   neuerdings    von    einem    der    genannten   Autoren 

52* 


820  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypotliesen. 

gemachte  Unterstellung,  dass  von  mir  ein  Antheil  gestaltender 
Wechselwirkungen  an  der  Ontogenese  in  Abrede  gestellt 
worden  sei,  ergänzend  noch  weiterhin  widerlegen,  als  es  schon  in 
dem  erwähnten  Referate  gegen  die  gleiche  Unterstellung  O.  Hertwig's 
geschehen  ist. 

Zu  letzterem  Zwecke  citire  ich  zunächst  die  Thesen  meiner 
Habilitation  als  Privatdocent ;  dieselben  lauteten: 

[280]  1.  „Die  Leber  hat  und  braucht  keine  selbstständige 
äussere  Gestalt." 

2.  ,,Die  acinöse  Gliederung  der  Leber  ist  in  ihrer 
Anordnung  und  Gestaltung  durch  die  Blutgefässe 
bedingt." 

3.  Die  Leber  der  Säugethiere  durchläuft  in  ihrer  embryonalen 
Entwickelung  ein  Stadium,  in  welchem  sie  in  allen  wesentlichen 
(gestaltlichen)  Eigenschaften  der  des  Ammocötes  gleicht. 

4.  Die  Venen  verlaufen  im  Allgemeinen  an  den  Stellen 
geringsten  Druckes. 

5.  Die  Gestalt  und  Richtung  des  Lumens  der  Blutgefässe  an 
den  Verästelungsstellen  wird  durch  die  Wirkung  der  hämo- 
dynamischen  Kräfte  bestimmt. 

Von  diesen  fünf  Thesen  haben  also  vier  „gestaltende  Wirkungen 
von  Theilen  des  Organismus  auf  einander"  zum  Gegenstand. 

Meine  Antrittsvorlesung  handelte: 

,  ,Ueber  die  gestaltenden  C  o  r  r  e  1  a  t  i  o  n  e  n  im  thierisehen 
Organismus." 

Der  Inhalt  derselben  wurde  grösstentheils  in  das  4.  Capitel  meiner 
Schrift:  ,,Der  Kampf  der  Theile  im  Organismus"  aufgenommen,  welche 
die  gestaltenden  und  ciualitativ  differenzirenden  Correlationen  aus- 
führlicher erörtert. 

Auch  in  der  Einleitung  zu  meinen  Beiträgen  zur  Entwickelungs- 
mechanik  (Nr.  18)  habe  ich  die  gestaltenden  Correlationen  nochmals 
kurz  behandelt  und  im  ersten  Beitrag  (s.  S.  211 — 255)  eine  annähernde 
Uebersicht   der  zur   Zeit   bekannten  Correlationen   gegeben.     Ausser- 


Differeuzirende  Correlationen.  821 

dem  habe    ieli   mehrere  Specialmitersuchiingen   über  solche  pubHcirt 
(Nr.  7  —  9,  siehe  auch  Nr.  20  und  21,  sowie  das  Sachregister). 

Meine  biologischen  Untersuchungen  gingen  also  von  gestaltenden 
Correlationen ,  welche  die  Theile  des  Organismus  auf  einander  aus- 
üben, aus;  und  ich  habe  keine  Veranlassung  gehabt,  die  in  diesen 
Schriften  vertretenen  Auffassungen  zu  verwerfen. 

[281]  Diese  früheren  Untersuchungen  und  Erörterungen  be- 
handeln nur  spätere  Stadien  der  individuellen  Entwickelung. 

Eine  andere  Reihe  von  Untersuchungen,  welche  sich  auf  frühere, 
ja  auf  die  frühesten  Vorgänge  der  individuellen  Entwickelung  beziehen, 
liess  Wirkungen  eines  entgegengesetzten  Entwickelungsprincipes,  das 
ich  als  das  der  ,,Selbstdifferenziruug"  bezeichnete,  in  den  Vorder- 
grund treten. 

Unter  ,,SeIhstd ifferenzirnng^^  in  der  Entwickelung  eines 
,, Organismus"  resp.  eines  ,,Theiles"  desselben  verstehe  ich,  dass  eine 
Veränderung  oder  eine  ganze  Folge  von  Veränderungen  dieses  Or- 
ganismus, resp.  dieses  Theiles  desselben,  sich  durch  gestaltende 
oder  qualitativ  differenzirende  Energien  vollzieht,  welche  in 
dem  „veränderten  Ganzen",  resp.  in  dem  „veränderten 
Theile"  selber  gelegen  sind. 

Entsteht  ein  Ganzes  aus  mehreren  oder  vielen  sich  selbst- 
ständig differenzir enden  T heilen,  so  wird  es,  ähnlich  einer 
Mosaik,  aus  einzelnen  für  sich  gebildeten  Theilen  zu- 
sammengesetzt; diese  Art  der  Bildung  habe  ich  als  „Mosail- 
arheit"  bezeichnet. 

Die  Selbstdifferenzirung  steht  also  der  ahhängigen  oder 
correlativen  JDifferensirung  gegenüber;  letztere  findet  statt, 
wenn,  resp.  soweit  bei  der  Gestaltung  oder  qualitativen  Veränderung 
eines  Gebildes^  also  eines  umgrenzten  Theiles  oder  Ganzen,  ausser- 
halb desselben  gelegene  differenzirende  Ursachen  mitwirken. 

Die  Unterscheidung  dieser  beiden  Entwickelungsweisen  gründet 
sich  somit  allein  auf  den  Sitz  der  differenzir  enden,  im  Spe- 
ciellen  also  der  die  specifische  Natur  sowie  die  Oertlichkeit  und  Zeit 
der  Gestaltungen  oder  qualitativen  Veränderungen  bestimmenden 
Ursachen,   nicht  aber   auf  den  Sitz  der   Quelle  der  blos  als  Vor- 


822  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

bedingiing  zu  diesen  Veränderungen  etwa  nöthigen  Spannkräfte 
oder  lebendigen  Kraft  [s.  S.  14  und  208].  Dieser  bleibt  hierbei  ab- 
sichtlicli  ausser  Betracht,  um  die  Behandlung  der  Probleme  zu  er- 
leichtern und  die  Bezeichnungen  zu  vereinfachen;  auch  ist  es  für 
das  Wesen  der  Entwickelungsvorgänge ,  dessen  Ermittelung  unsere 
Hauptaufgabe  ist,  von  untergeordneterer  Bedeutung,  ob  die  [282]  zu 
den  specifischen  Veränderungen  zwar  nöthigen  aber  nicht  die  spe- 
cifische  Natur  und  auch  nicht  Ort  und  Zeit  der  Ent- 
W' icke  lungs  Vorgänge  bestimmenden  Kräfte  in  dem  ver- 
änderten Theile  selber,  z.  B.  als  Nahrungsdotter  aufgespeichert  sind 
oder,  wie  gewöhnlich  der  Sauerstoff,  das  Licht  und  die  Wärme,  von 
aussen  her  zugeführt  w'erden ;  wohl  aber  kann  auf  einem  weiteren 
Stadium  unserer  Kenntnisse  die  stete  Berücksichtigung  dieses  Momentes 
von  grosser,  insbesondere  auch   von    practischer  Bedeutung   werden. 

Um  Irrthümern  vorzubeugen  ist  stets  gegenwärtig  zu  halten, 
dass  es  Selbstdif  f  ereji  zirung  im  „analytischen"  Sinne, 
also  in  Bezug  auf  das  „Geschehen"  selber,  auf  die  Ver- 
änderung blos  des  gerade  veränderten  Theiles  nicht 
giebt  und  nicht  geben  kann,  da  entsprechend  dem  Beharrungs- 
gesetz nichts  von  selber  seinen  Zustand  zu  verändern  vermag  [siehe 
S.  14]. 

Die  E  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  besteht  also  ihrem  Wesen  nach 
in  Wechselwirkungen,  in  gegenseitigen  Beeinflussungen, 
was  ich  in  der  Einleitung  zu  meinen  Beiträgen  zur  Entwickelungs- 
mechanik  zu  erwähnen  nicht  unterlassen  habe. 

Nur  indem  auf  das  Eine  ein  Anderes  einwirkt,  kann  eine  Ver- 
änderung an  diesem  hervorgebracht  werden.  Betrachten  wir  das 
Andere  für  sich,  so  ist  die  Veränderung  desselben  abhängige  Diffe- 
renzirung;  betrachten  wir  beide  Theile  als  ein  System,  so  ist  diese 
Veränderung  Selbstdifferenzirung  ,, dieses  Systemes",  wobei  von  der 
vorausgegangenen,  vielleicht  äusseren  Ursache  abgesehen  wird,  welche 
den  zweiten  Theil  plötzlich  in  die  Lage  brachte,  auf  den  ersten  wirken 
zu  können. 

Die  Verwendung  dieser  Bezeichnungen  hat  also  im  rein  dyna- 
mischen Sinne  nur  sehr  untergeordneten  Werth,  denn  sie  bezeichnet 


Selbstdiffereiizirung  von  Eitheilen.  823 

im  Grimde  blos  willkürliche  Arten  unserer  Betrachtung  und  beruht 
zudem  auf  der  ausschliesslichen  Berücksichtigung  [283]  der  gestaltenden 
oder  qualitativ  differenzirenden  Ursachen;  aber  gleichwohl  hat  es 
Wertli  für  unsere  Erkenntniss  zu  ermitteln,  ob,  resp.  wie  weit  ein 
bestimmt  ,, abgegrenztes"  Gebilde  z.  B.  ein  Organ,  ein  Keim- 
blatt, ein  ganzer  Organcomplex  seine  Gestalt  resp.  Beschaffenheit  in 
ihm  selber  liegenden  oder  äusseren  „gestaltenden"  Ursachen 
verdankt. 

Das  reife  Ei  ist  ein  Mechanismus,  der  blos  einer  einmaligen 
äusseren  Einwirkung  (der  Befruchtung)  bedarf,  um  dann,  wie 
ich  gezeigt  habe  (Nr.  19),  aus  in  ihm  selber  hegenden  Gestaltungs- 
ursachen eine  grosse  Anzahl  von  typischen  Veränderungen 
in  typischer  Reihenfolge  sich  abspielen  zu  lassen,  so  dass 
die  nach  dieser  Einwirkung  vor  sich  gehenden  Veränderungen  in 
ihrer  Gesammtheit  als  Selbstdifferenzirungen  ,,des  Eies^'  be- 
zeichnet werden  können.  Durch  was  für  ein  Moment  bei  der  Partheno- 
genese die  Entwickelung  veranlasst  wird,  wissen  wir  nicht ;  wir  dürfen 
uns  diese  Ursachen  aber  äusserst  einfach,  vielleicht  als  blosse  ,,Aus- 
lösung"  vorstellen,  ähnlich  der  Anzündung  eines  lang  dau- 
ernden Wechsel  vollen  Feuer^verkes,  ohne  deshalb  die  specielle 
Einrichtung  des  Eies  mit  derjenigen  eines  Feuerwerkes  in  Parallele 
stellen  zu  wollen. 

Obgleich  also  die  Selbstdifferenzirung  kein  actives,  son- 
dern blos  ein  topographisches  Princip  ist,  wird  uns  der  Nach- 
weis seines  speciellcn  Antheiles  an  der  normalen  Ontogenese  gleich- 
wohl ein  nicht  zu  unterschätzendes  Maass  von  erster  Einsicht  in  die 
Entwickelungsvorgänge  gewähren;  und  ausserdem  wird  uns  dasselbe 
als  Hilfsprincip  für  die  erste  entwickelungsmechanische  Forschung 
äusserst  dienlich  sein.  Ich  habe  daher  nicht  ohne  besonderen  Grund 
es  allgemein  als  die  erste  Aufgabe  entwickelungsmechanischer  For- 
schungen bezeichnet  (Nr.  13),  zunächst  stets  den  Antheil  jedes  der 
beiden  genannten,  im  erörterten  Sinne  einander  entgegengesetzten 
Principien  an  der  formalen  oder  qualitativen  Veränderung  jedes  der 
entwickelungsmechanischen  Untersuchung  unterworfenen  Gebildes 
oder  Theiles  festzustellen.   [284]  Darin  sehe   ich   den  Weg,  der   uns 


824  Nr.  27.    Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

eine  erhebliche  Strecke  weit  stetig  und  direct  unserem  Ziele  zu- 
führt. Und  die  nachstehend  zu  erörternden  Differenzen  der  Auf- 
fassungen beziehen  sich  wesentlich  auf  diese  Frage. 

„Der  Ausfall  der  Antwort  über  unsere  Alternative  (seil.  Selbst- 
differenzirung  oder  abhängige  Differenzirung)  wird  für  die  Auf- 
fassung mehrerer  fundamentaler  Fragen  von  bestimmender  Be- 
deutung sein : 

„Es  erhellt  zunächst,    dass  wenn  viele  „Theile"  des  Eies  sich 
rein  aus  den  eigenen,  in  ihnen  selber  liegenden  gestaltenden  Kräften 
differenziren,  und  auf  diese  Weise  die  spätere  grosse  Mannigfaltigkeit 
entsteht,  dass  alsdann  das  Ei  schon  von  vornherein  aus  entsprechend 
vielen   verschiedenen  Theilen  zusammengesetzt  sein  muss,   dass  die 
Entwickelung    also    wesentlich    Metamorphose    von    Mannigfaltigkeit, 
Evolution  in  imserem  Sinne    ist,   trotz    der    formalen  Epigenesis 
C.  F.  Wolff's;  ferner  dass  bei  der  Furchung,  welche  das  Material 
nicht  blos  zerkleinert,  sondern  wesentlich  zugleich  auch  in  gewissem 
Maasse  fest  localisirt,  diese   differenten  Materialien  zugleich  in  einer 
der   späteren  Entwickelung   entsprechenden  Weise  geordnet   werden 
müssen,  was  nm*  durch  bestimmte  qualitative  Sonderung  bei  der  Zell- 
theilung   in   der   nach    einem    typischen    Schema   verlaufenden   Fur- 
chung möglich  erscheint.     Damit  werden   die   causalen  Bedingungen 
der  Entwickelung    vorzugsweise    in    das   Moleculargeschehen  verlegt 
und    entziehen    sich   vorderhand    grossentheils   unserer  weiteren  Er- 
forschung.    Das  ganze  gefurchte  Ei  ist  alsdann  vielleicht  blos  die 
Summe   dieser  selbstständigen  Theile,   und   es  findet   während   der 
Periode  dieser  selbstständigen  Differenzirung  der  Theile  kein  einheitliches 
Zusammenwirken  zu  einem  Ganzen  statt;  daher  kann  dann  auch  das 
Ganze  normaler  Weise  keinen  regulirenden,  gestaltenden  Einfiuss  auf 
die    Theile    ausüben.     W.  His'   Frincip    der   „organbildenden   Keim- 
bezirke" erhält   dann  neben   seiner   descriptiven   zugleich   auch    eine 
einfache  causale  Bedeutung  und  lässt  sich  [285]  in  dieser  Bedeutung 
zurück  bis  auf  das  eben  befruchtete,  vielleicht  zum  Theil  auch 
noch  auf    das    unbefruchtete   Ei    ausdehnen.     Die   Doppelbildungen 
müssen  zur  Zeit  der  ersten  Furchungen  schon  angelegt  werden." 


Antheil  der  Selbstdift'erenzirung  und  abhängigen  Differenzirung.  825 

,,Wenii  dagegen  die  Entvvickelung  wesentlich  durch  Wechsel- 
wirkungaller oder  vieler  T heile  vor  sich  geht,  so  braucht  umgekehrt 
das  befruchtete  Ei  nur  aus  wenigen  verschiedenen  Theilen  zu  bestehen, 
welche  durch  wechselndes  Zusammenwirken  nach  und  nach  grosse 
Complicationen  schaffen.  Die  Entwickelung  ist  dann  wesentlich  Pro- 
duction  von  Mannigfaltigkeit,  Epigenesis  in  unserem  Sinne.  Es  findet 
ein  wechselseitiges  Zusammenwirken  der  Theile  zu  einem  Ganzen  statt, 
wobei  ein  reguHrender  Einfluss  von  dem  Ganzen  auf  die  Theile  rück- 
wärts ausgeübt  werden  kann;  und  uns  ist  in  der  Feststellung  dieser 
Correlationen  ein  reiches  Feld  mit  den  Mitteln  der  Zeit  in  ansrilf- 
nehmbarer  Forschung  gegeben.  His'  Princip  der  organbildenden  Keim- 
bezirke hat  dagegen  dann  nur  insofern  eine  causale  Bedeutung,  als  es 
die  Orte  der  Res ultantenbil düng  mannigfacher  AVechselwirkungen 
bezeichnet ;  und  es  ist  von  nur  untergeordnetem  W  e  r  t  h  e , 
diese  Orte  schon  vor  der  Zeit  des  Eintrittes  dieser  Wirkungen  auf 
das  noch  indifferente  Keimmaterial  des  ungetheilten 
oder  unbefruchteten  Eies  zu  projiciren.  Die  Doppelbil- 
dungen können  alsdann  vielleicht  noch  zu  einer  Zeit  angelegt  werden, 
in  welcher  durch  Correlation  die  Differenzirung  der  Axenorgane 
stattfindet." 

,, Desgleichen  wird  unsere  Auffassung  von  dem  speciellen 
Wesen  der  Befruchtung  und  von  der  Art  der  Antheilnahme 
des  Samens  und  des  Eies  an  der  Bildung  des  Embryo,  sowie  rück- 
wärts folgernd  auch  die  Auffassung  des  speciellen  Mechanismus 
der  Vererbung  von  dem  Ausfall  der  Antwort  auf  diese  Frage 
bestimmt  werden ;  und  wir  können  über  diese  Probleme  wohl  über- 
haupt nur  von  diesem  Puncte  aus  allmählich  eine  gewisse  Sicherheit 
erlangen." 

[286]  „Schliesslich  aber  können  Selbstdif f erenzirung  und 
abhängige  Differenzirung  der  Theile  und  damit  Evo- 
lution und  Epigenesis  sich,  wie  im  anorganischen  Geschehen, 
in  mannigfachem  Zusammenwirken  combiniren;  und  es 
wird  dann  unsere  Aufgabe  sein,  bei  der  Deutung  unserer  Beob- 
achtungen doppelte  Vorsicht  und  doppelten  Scharfsinn  aufzuwenden, 


826  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

um  die  Antheile  jedes  beider  Principien  richtig  von  einander  zu 
sondern." 

In  diesen  der  Einleitung  zu  meinen  Beiträgen  zur  Entwicke- 
lungsmechanik  entnommenen  AV^orten  [s.  S.  19  und  20]  habe  ich  mich 
wohl  nicht  vorzugsweise  oder  gar  ausschliesslich  für  die  Selbstdifferen- 
zirung  ausgesprochen,  insbesondere  nicht  für  das  Vorhandensein  vieler 
Qualitäten  im  Dotter  des  unbefruchteten  Eies.  Sondern  es  erhellt, 
dass  von  mir  von  vornherein  die  verschiedenen  Möglichkeiten 
gleich  massig  in  Erwägung  gezogen  worden  sind;  ein 
Verhalten,  von  dem  ich  in  den  Arbeiten  0.  Hertwig's  keine  sicheren 
Anzeichen  finde.  Erst  auf  Grund  der  besonderen  Erwägung  bereits 
bekannter  und  der  eigenen  Ermittelung  neuer  Thatsachen  habe  ich 
mich  danach  über  den  wirklichen  Antheil  der  Selbstdifferenzirung 
geäussert  und  mich  dabei  den  vorliegenden  Thatsachen  augeschmiegt  und 
nahe  liegende  aber  vorzeitige  Verallgemeinerungen  unterlassen,  da  es  mir 
darum  zu  tliun  ist,  dass  zunächst  ein  möglichst  solides  Fundament  für 
das  einstige  Gebäude  der  Entwickelungsmechanik  gelegt  werde. 

Von  den  in  dem  erwähnten  Wiener  Referat  (Nr.  26)  ausführlich 
erörterten  Thatsachen,  welche  für  Selbstdifferenzirung  sprechen,  seien 
hier  blos  die  w^esentlichsten  kurz  mitgetheilt. 

Nach  Defecten  am  gefurchten  Ei  erhielt  ich  circumscripte 
Defecte  am  Embryo  (Nr.  18).  Nach  Tödtung  einer  der  beiden  ersten 
Furchungskugeln  (Nr.  22)  entwickelte  sich  die  überlebende  andere 
Furchungskugel  zu  einem  halben  linken  oder  rechten  Embryo  mit 
blos  einem  Medullarwulst,  einem  Ohrbläschen  etc.;  die  operirte 
Eihälfte  kann  dabei  unverändert  bleiben  oder  sich  zer-  [287]  setzen; 
entsprechende  microscopische  Präparate  wurden  dem  Auatomen-Congress 
demonstrirt.  Manchmal  schon  auf  der  Semigastrulastufe,  gewöhnlich 
erst  auf  der  Hemiembryostufe  begann  eine  „Postgeneration"  d.  h.  eine 
nachträgliche  Bildung  der  noch  nicht  gebildet  gewesenen  fehlenden 
Hälfte  des  Embryo  ohne  Benutzung  des  Materiales  der  getödteten 
Eihälfte  (s.  S.  796  u.  800).  Findet  Benutzung  des  Materiales  der  ge- 
tödteten Eihälfte  statt,    so  beginnt  die  Postgeneration  oft  viel  früher. 

Ich  hatte  ferner  beobachtet,  dass  die  vier  ersten  Furchungs- 
zellen  des  Froscheies  sich  jede  für  sich  zu  einer  Viertelgastrula,  und 


I 


HalbbildungoTi.  827 


je  zwei  dieser  vier  Zellen  sich  noch  weiter  '/a\  einem  rechten  oder 
linken,  vorderen  oder  hinteren  halben  Embryo  zu  entwickeln  ver- 
mögen. Dies  Ergebniss  habe  ich  in  die  Worte  gefasst:  „Die  Ent- 
wickelung  der  Froschgastrula  und  des  zunächst  daraus  her- 
vorgehenden Embryo  ist  von  der  zweiten  Furchung  an  eine 
Mosaikarbeit,  und  zwar  aus  mindestens  vier  verticalen,  sich 
selbstständig  entwickelnden  Stücken". 

Für  die  Zellen  des  Achtzellenstadiums  habe  ich  angegeben  (S.  782), 
dass  sie  die  Gastrulation  nicht  mehr  in  den  groben  Formverhältnissen 
richtig  zu  vollziehen  vermögen. 

Chabry  (5)  machte  entsprechende  Befunde  an  Ascidieneiern; 
doch  fand  die  hier  stets  ohne  Benutzung  der  operirten  Eihälfte  ver- 
laufende und  nur-  unvollkommene  Postgeneration  früher  als  beim 
Frosche  statt. 

C.  Fiedler  (6)  sah  aus  einer  der  beiden  ersten  Furchungskugehi 
des  Seeigeleies  eine  Semimorula  und  die  Semiblastula  in  Form  einer 
halben  hohlen  Kugelschale  hervorgehen.  H.  Driesch  (7)  fand  am 
gleichen  Material  dasselbe:  sah  dann  aber  weiterhin,  dass  die  Semi- 
morula oder  Semiblastula  ihren  Defectrand  zusammenschloss  und 
einen  ganzen,  normal  gestalteten,  aber  entsprechend  kleineren  Fluteus 
bildete. 

Chux  (s.  S.  808)  sah  aus  halben  Ctenophoren-Eiern  je  eine  halbe 
[288]  Larve  hervorgehen,  welche  erst  nach  der  Geschlechtsreife 
die  fehlende  Hälfte  postgenerirte. 

Alle  Experimentatoren  haben  also  aus  dem  halben  Ei  zuerst 
eine  typische  Halbbildung  erhalten;  und  beim  Froschei  liess  sich 
von  vornherein  bestimmen,  ob  eine  rechte  oder  linke  Embryohälfte 
entstehen  werde.  Eine  Verschiedenheit  bekundete  sich  nur  darin, 
dass  bei  Fröscheti  und  Cölenteraten  erst  auf  einer  späteren  Stufe  als 
bei  Ascidien  und  Echinodermen  die  Postgeneration  begann.  Die 
Ursache  dieses  Unterschiedes  erbhcken  Chun  und  ich  in  dem  grösse- 
ren Dotterreichthum  der  ersteren  Eier  als  der  letzteren  (s.  S.  810  Anm.) 

Es  ist  ferner  an  die  von  P.  Egkhart  (21)  beschriebene  Kalbs- 
missbildung eines  Hemitherium  anterius  zu  erinnern,  welche  äusser- 
lich  genau  die  vordere,  wie   mit  dem  Messer  abgeschnittene  Hälfte 


g28  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 


eines  fast  ausgetragenen  Kalbes  darstellte,  während  das  Amnion  an 
dem  äusseren  Defectrand  entsprang  und  der  Darmtractus  wenig  mehr 
als  die  Hälfte  darbot.  Diese  seltene  Form  von  Missbildung,  die 
Hemitheria  anterior^)  bekundet,  dass,  obwohl  die  der  hinteren  Kör- 
perhälfte entsprechenden  ersten  Furchungszellen  zu  Grunde  gegangen 
sind^),  die  vorderenFurchungszellenvon  untergeordneten  Störungen 
abgesehen,  sich  normal  entwickeln  können,  ohne  dass  eine 
ero-änzende  Postgeneration  einzutreten  braucht  oder  eingetreten 
wäre;  und  der  vorliegende  [289]  Fall  zeigt,  dass  diese  Theilentwickelung 
auch  bei  einem  Säugethier  und  zwar  sogar  fast  bis  zur  Geburtsreife 
des  Embryo  möghch  ist  und  dass,  offenbar  erst  in  viel  späterer  Zeit, 
als  bei  den  Froschembryonen  die  vollkommene  Postgeneration  ein- 
setzt, hier  eine  unvollkommene  Postgeneration  eines  Stückes  des  Darm- 
rohres stattgehabt  hat.  Es  gehören  vielleicht  auch  einige  Formen 
4es  Acardius,  welche  gleichfalls  hochentwickelte  Theilbil- 
dungen  von  Säugethieren  und  Menschen  darstellen,  hierher;  so  der 
typische  Acephalus  dipus  und  manche  Acormi,  wie  sie  vielfach 
beschrieben  worden  sind.  "Wenn  bei  so  abgegrenzten  Defecten  wie 
diesen  letzteren  auch  die  Zurückprojicirung  auf  das  gefurchte  Ei 
schwieriger  ist,  besonders  auch,  weil  offenbar  erheblicher  nachträg- 
licher Schwund  von  gebildet  gewesenen  Theilen  stattgefunden  hat, 
und  die  Entstehungsursache   als   später  wirkend  anzunehmen  ist,   so 


1)  Diesen  Namen  hatte  ich  der  von  mir  aufbewahrten  Missbildung  auf  der 
Etiquette  beigelegt  (s.  S.  446),  um  diesen  hohen  Grad  der  Fortentwickelung  einer 
Halbbildung  als  solcher  zu  unterscheiden  von  den  von  mir  künstlich  hervorgebrachten 
Hemiembryonen  des  Frosches,  welche  immer  schon  auf  früher  Entwickelungsstiife 
durch  Postgeneration  als  Halbbildungen  zu  existiren  aufhörten.  Der  an  sich  be- 
zeichnende Ausdruck  hat  jedoch  den  Nachtheil,  dass  er  bei  der  Aussprache  nicht 
von  den  Hemiterien,  halb  Missgebildeten  Js.  Geoffroy-Saint-Hilaire's  zu  unter- 
scheiden ist;  doch  glaubte  ich,  dass  dies  bei  der  vollkommen  verschiedenen  Bedeutung 
beider  Ausdrücke  nicht  zu  Missverständnissen  Anlass  geben  werde.  Herr  Eckhart  hat 
dann  bei  seiner  Beschreibung  den  Namen  von  der  Etiquette  her  ohne  Kenntniss  des 
Autors  und  seiner  Gründe  in  Verwendung  gezogen. 

['-)  Ueber  die  Ursache  des  Zugrundegehens  der  hinteren  Furchungszellen  wissen 
wir  natürlich  nichts  und  ebensowenig,  ob  die  primäre  Ursache  gleich  den  ganzen 
hinteren  Theil  betraf,  oder  ob  nach  directer  Zerstörung  blos  eines  Theiles  der  hinteren 
Furchungszellen  der  andere  Theil  derselben  secundär  zu  Grunde  ging,  weil  etwa 
blos  die  „Gesammtheit"  der  Derivate  einer  der  vier  ersten  Furchungszellen  so 
hochgradiger  Selbstdifferenzirung  fähig  ist  (s.  S.  452  und  779).j 


Mangel  an  Postgeneration  bei  Säugethierembryonen.  829 

beweisen  sie  doch  gleichfalls  eine  hohe  Selbstclifferenzirungs- 
fähigkeit  von  embryonalen  T heilen  und  zugleich  wieder  den 
relativen  Mangel  an  Postgenerationsfähiffkeit  der  Säuger  in 
diesen  speciellen  Fällen  und  damit  die  ^^beschränkte  ge- 
staltende Potenz''  der  erhaltenen  Furchungszellen  und  deren 
Nachkommen,  entgegen  den  Auffassungen  Driesch's  und  0. 
Hertwig's.  Ich  habe  früher  bereits  (S.  205)  auf  eine  bezügliche  Aeusse- 
rung  Panum's,  dass  die  in  Rede  stehenden  Missbildungen  ,,dem 
Begriffe  eines  Organismus  nicht  entsprechen"  und  auf  die  Verallge- 
meinerung F.  Marchanü's  (20),  dass  schon  der  normale  Embryo  in 
seinen  früheren  Stadien  dem  Begriffe  eines  Organismus  nicht  ent- 
spricht, hingewiesen.  Ferner  wurde  zugleich  die  bezügliche  Bedeutung 
der  von  W.  Zahn  entdeckten,  von  S.  Leopold  und  E.  Fischer  weiterhin 
verfolgten  selbstständigen  Weiterentwickelung  transplan- 
tirter  embryonaler  Organe,  sowie  der  Nebenmilzen  und  Neben- 
lebern und  der  Geschwülste,  insbesondere  der  zahntragenden  Dermoid- 
cystome  erörtert  und  bereits  folgender  Schluss  abgeleitet: 

,,Wir  ersehen  aus  den  angeführten  Beispielen,  dass  viele 
,,T heile"  des  Embryo  unter  günstigen  Ern  ährungsum- 
ständen  sich  unabhängig  von  ihrer  näheren  oder 
ferneren  Umgebung  ge weblich  und  formal  zu  differen- 
ziren  vermögen,  und  dass  dies  [290]  zum  Theil  sogar  in  an- 
nähernd normaler  Weise  geschehen  kann.  Daraus  geht  hervor,  dass 
die  Differenzirung  dieser  Theile  an  sich  nicht  eine  Function  der 
Wechselwirkung  zwischen  ihnen  und  den  anderen  Theilen  ist.  Also 
eine  gewisse  gewebliche  und  formale  Selbst differen- 
zirung  vieler  ,, Theile"  des  sich  entwickelten  Eies  ist  sicher 
vorhanden.  Ich  werde  durch  besondere  Specialuntersuchungen 
im  Einzelnen  festzustellen  suchen,  welche  kleinsten  Theile  sie 
betrifft,  in  welcher  Periode  der  Entwickelung  sie  anfängt,  wie  weit 
sie  geht,  und  ob  Complexe  dieser  kleinsten  Theile  sich  wiederum 
weiter  zu  differenziren  vermögen  als  die  einzelnen  Theile  für  sich." 

Darauf  habe  ich  die  formale  Selbstdifferenzirung  und  die  qua- 
litative Selbdifferenzirung  des  Weiteren  erörtert.  Ich  sehe  jedoch  von 
weiteren  Selbstcitaten  ab  ,  denn  es  ist  schhesslich  einfacher  und   auf 


830  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

die  Dauer  doch  nicht  ganz  zu  umgehen,  dass  die  Herren,  welche 
über  die  von  mir  behandelten  Probleme  sich  äussern  und  zu  meinen 
Auffassungen  Stellung  nehmen  wollen  ,  zum  Aeussersten  greifen  und 
meine  bezüglichen  Arbeiten  derart  lesen  müssen,  dass  sie  von  ihrem 
Inhalte  Kenntniss  haben. 

In  der  Entwickelung  eines  halben  Embryo  aus  dem  halben  Ei 
bekundet  sich ,  dass  in  diesem  halben  Ei  nicht  b  1  o s  das 
Material,  sondern  auch  die  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  e  n  d  e  n  gestalten- 
den Kräfte  zur  Bildung  der  betreffenden  Körperhälfte 
enthalten  sind;  dass  die  Entwickelung  derselben  also  von  der 
anderen  Eihälfte  unabhäugig,  also  Selbstdifferenzirung  ist. 

Weiterhin  bekundet  sich: 

dass  hei  diesen  Eiern  die  ,, durch  die  HefrucJituuff 
activh'ten  Enerfßien"'  jeder  der  ersten  beiden  Fur- 
chungskugeln  und  ihrer  Derivate  IjIos  auf  die  Bil- 
dung eines  „halhen'-''  Individutims  eingestellt  sind; 
dass  dagegen  die  ..Energien  sur  Postgeneration''  des 
Fehlenden  zwar  ..potentiell"'  vorhanden  und  durch  die 
Befruchtung  in  die  Möglichleit  gebracht  sind,  zur 
Thätigkeit  veranlasst  werden  zu  können,  [291]  dass 
aber  zu  dieser  Activirung  derselben  erst  noch  ein  besonderes 
Moment,  eine  Störung,  nöthig  ist;  und  dass  der  Auslösung 
oder  der  ersten  erkennbaren  Bethätigung  dieser  letzteren  Energien 
ein  bei  verschieden  beschaffenen  Eiern  verschieden  lang  dauerndes 
Stadium  der  latenten  Reizung  resp.  der  latenten 
Thätigkeit  vorausgeht. 

Diesem  Stadium  haben  wir  es  zu  verdanken,  dass  wir  über- 
haupt zweierlei  Entwickelungsarten,  eine  normale,  directe 
[s.  typische],  und  eine  indirecte,  regenerative    [atypische,  s.  regula- 


['jAIle  Pathologen  werden  bei  ihren  täglichen  Erfahrungen  an  den 
Tumoren  (besonders  den  Dermoidcystomen)  und  den  Doppelbildungen  für  dieSpeci- 
ficität  der  Zellen  eintreten.  Dasselbe  that  jüngst  ausführlich  D.  Hansemakn  (Die 
Specificität,  der  Altruismus  und  die  Anaplasie  der  Zellen,  1893),  ohne  sich  jedoch 
seiner  Uebereinstimnuing  mit  den  hier  vertretenen  Auffassungen  voll  bewusst  zu 
werden  (vgl.  S.  138  Anm.  2).] 


Actuelles  und  potentielles  , Ganzes".  831 

torische]  zu  unterscheiden  vermögen  (s.  S.  811 — 814).  Erstere  vollzieht 
sich  eine  Strecke  weit  unter  Selbstdifferenzirung  der  ersten  Furcli- 
ungszellen  und  des  Complexes  der  Derivate  jeder  derselben;  letztere 
setzt  tiefgehende  Correlationen  dadurch  voraus,  dass  gerade  die  zu  einem 
typischen,  aber  zur  Zeit  nicht  bestehenden,  mehr  oder  weniger 
w^eit  entwickelten  Ganzen  fehlenden  Theile  nachgebildet  werden. 

Würde  die  Postgeneration  sofort  nach  der  Isolirung 
einer  der  zwei  oder  vier  ersten  Furchungsz eilen  ein- 
setzen, und  somit  das  Ei  auf  dieser  niedersten  Entwicke- 
lungsstufe  schon  aus  dem  Stadium  des  hios  ,,potentiellen 
Ganzen"  zum  ..actneUen  Ganzen''''  erhöhen  ivorden  sein,  so 
hätten  wir  das  „Selbstdiff  erenzirung  svermögen  jeder 
dieser  Zellen"  zu  einem  entsprechenden  Stück  des  Em- 
bryo gar  nicht  zu  erkennen  vermocht,  sondern  wir  würden 
geschlossen  haben,  dass  die  vier  ersten  FurchungszeJlen 
„actuell"  {statt  hlos  „potentiell''''  einander  gleich  seien. 

In  diese  Lage  wären  wir  gekommen ,  wenn  die  neuen  Ver- 
suche von  Edmund  Wilson  (2)  an  Amphioxus  die  ersten  in  dieser 
Sache  gewesen  wären ;  und  wir  hätten  darin  verweilen  müssen, 
bis  bei  einer  Thierclasse  das  oben  erwähnte  Verhalten  beobachtet 
worden  wäre. 

Wilson  sah  nach  Isolirung  einer  der  beiden  oder  einer  der  vier 
ersten  Furchungszellen  des  Amphioxuseies  diese  Zelle  sich  t heilen 
wie  eine  ganze  Eizelle  und  direct  eine  voll-  [292]  kommene, 
aber  entsprechend  kleinere  Gastrula  bilden.  Hier  ist  also  das  ,,Latenz- 
stadium"  bis  zur  erkennbaren  Activirung  der  zur  Ergänzung  dienenden 
Kräfte  so  kurzdauernd,  dass  wir  nicht  zweierlei  Entwickelungsmodi  unter- 
scheiden können;  auch  kann  die  Postgeneratiou  hier  anscheinend 
sehr  einfach  vor  sich  gehen.  Wenn  die  Activirung  der  potentiellen 
Energien  zur  Herstellung  einer  Ganzbildung  hier  wirklich  sogleich 
nach  dem  ersten  äusserlich  sichtbaren  Schritt  der  normalen  Ent- 
wickehmg,  nach  der  ersten  Furchung  stattfindet,  wäre  es  gewiss  das 
Einfachste,  dass  aus  dem  ,,inactiven"  Idioplasson  [s.  Reserve- 
idioplasson]  sogleich  die  der  fehlenden  ,,actuellen" 
Körperhälfte   entsprechenden    „potentiellen"  Idioplasson- 


«32  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 


tbeile  „kinetisirt"  und  so  das  ^^actuelle  Ei''  completirt 
würde '). 

Bezüglich  einer  Furchiingszelle  des  Achtzellenstadiums 
beobachtete  Wilson  am  Amphioxusei,  wie  ich  am  Froschei  (S.  782), 
dass  sie  unfähig  ist,  eine  Gastrula  zu  erzeugen;  also  ist  ihr  Postgene- 
rationsvermögen ein  unvollkommenes  und  die  ^^potentielle  Toti- 
potens"  der  Zellen  des  Vierzellenstadiums  hier  anscheinend 
schon  zu  Ende. 

In  der  Bethätigung  ihres  „Vermögens  zur  typischen  s. 
directen Enttvichelung''''  eriveist  sich  jede  der  ersten Furchungs- 
sellen  des  Frosches,  der  Ascidie,  des  Seeigels  und  der  Ctenophoren  von 
der  andern  s pect  fisch  verschieden',  denn  jede  liefert  für  sich  ein  be- 
sonderes Stück  der  Blastula  resp.  der  Gastrula  und  des  zunächst  aus 
ihr  hervorgehenden  Embryo ;  in  der  Bethätigung  Wives ,,  Vermögens 
zur  Postgeneration"  d.  h.  zur  atypischen  s.  regulatorischen  Ent- 
wickelung,  dagegen  zeigen  sich  die  vier  ersten  Furchungs- 
zellen  gleich  vermögend  und  zwar  „totipotent". 

Soweit  diese  beiderlei  besonderen  „Leistungen"  an  be- 
sonderes ,, Material"  gebunden  sind,  werden  wir,  (worauf  ich 
schon  in  meiner  ersten  bezüglichen  Arbeit  hingewiesen  habe,  s.  S.  450) 
also  annehmen  müssen,  dass  dasjenige  ,, Material"  (Idioplasson)  der 
Furchungszellen,  welches  die  typische  Entwickelung  desselben 
veranlasst  resp.  bestimmt,  in  den  verschiedenen  Zellen  speci- 
fisch  verschieden  ist;  während  dasjenige  Material,  durch 
dessen  Thätig-  [293]  keit  die  Postgeneratioii  verursacht  wird, 
das  Reserveidioplasson  in  den  vier  ersten  Furchungszellen 
gleich  vermögend  und  zwar  „totipotent"  ist.  Als  das  [Haupt-] 
Depot  des  Idioplasson  sehen  wir  den  Kern  an,  von  welchem  aus  aber 
dasselbe  vielleicht  nach  Bedarf  in  den  Zellleib  übertritt.  Das  durch 
die  Befruchtung  activirte  Idioplasson  der  ,, typischen"  Ent- 
wickelung wird  also  durch  die  Furchung  „qualitativ  un- 
gleich'-\  das  nicht  activirte  Reserveidioplasson  der  Post-  und 
Regeneration  zunächst  ,,qualitativ  gleich''  getheilt. 

1)  Genaueres  siehe  in:  Roüx,  lieber  die  verschiedene  Entwickelung  isolirter 
erster  Blastomeren,  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  I,  S.  596-618. 


I 


Activirung  der  Energien  zur  atypischen  s.  regulatorischen  ?]ntwickelung.      833 

Ob  wirklich  mit  dem  Achtzellenstadium  diese  letztere  Gleichheit 
zu  Ende  ist,  bedarf  wohl  noch  der  weiteren  Untersuchung,  um  eine 
Hemmung  der  Entwickelung  dieser  Zellen  durch  Schädigung  mit 
Sicherheit  ausschliessen  zu  können.  Es  läge  nahe,  zu  vermuthen, 
dass  diese  ,, Ungleichheit"  in  der  Scheidung  des  Post-  und 
Regenerationsmateriales,  also  des  Reserveidioplasson  erst  mit 
der  Scheidung  des  Materiales  der  ,, Keimblätter"  von  ein- 
ander einträte,  und  dass  dann  noch  eine  Zeitlang  „innerhalb 
jedes  Blattes"  dieses  Idioplasson  wieder  ,, qualitativ  gleich" 
getheilt  würde,  so  dass  durch  die  Zusammenwirkung  beliebiger, 
iD3  Embryo  oder  voll  entwickeltem  Thiere  (z.  B.  Hydra)  neben  einander 
liegender  Stücke  der  beiden  primären  oder  auch  der  drei  resp.  vier 
Blätter  noch  das  Ganze  regenerirt  w^erden  könnte.  Die  Möglichkeit 
solchen  Zusammenwirkens  von  Zellen  mehrerer  Keimblätter  würde 
auf  bestimmte  Arten   der  Entwickelungsmechanismen  hinweisen. 

Durch  die  Befruchtung  werden  also  nach  meiner  Auf- 
fassung zunächst  ,, kinetische"  Energien  der  ,,directen 
s.  typischen"  Entwickelung  producirt  oder  ausgelöst. 

Durch  ,,i)e/ec2!"  oder  vielleicht  auch  durch  ,,Älteration  der 
Anordnung'' der  Theile  wird,  früher  oder  später,  Activirung  der 
nach  der  Befruchtung  zunächst  blos  potentiellen  Energien  zur 
regenerativen  s.  atypischen  Entwickelung  veranlasst;  letzteres 
geschieht  auch  noch  nach  dem  sogenannten  Abschlüsse  der  Entwicke- 
lung beim  Erwachsenen;  aber  bei  den  höheren  Thieren  alsdann  nur 
in  sehr  geringem  Grade.  Es  würde  als  ein  Beweis  der  Richtigkeit 
meiner  Auffassung  ge-  [29-1:]  deutet  werden  können,  wenn  man  an 
den  von  einander  getrennten  Blastomeren  des  durchscheinen- 
den zweigetheilten  Amphioxuseies  nach  der  Trennung  sehen  könnte, 
dass  ein  Theil^des  Kernes  bei  der  nächsten  Mitose  unbe- 
theiligt  bliebe^),  also  wohl  derjenige,  der  das  Material  zur  typischen 
Entwickelung  der  erhaltenen  Körperhälfte  darstellt,  während  blos  das 

[1)  Einen  Anfang  zur  Beobachtung  solcher  Ungleichheit  der  Kerntheilung  stellt 
bereits  die  fundamentale  Beobachtung  Th.  Boveri's  von  ungleichem  Verhalten  des 
Chromatins  bei  der  Bildung  von  Geschlechtszellen  imd  von  somatischen  Zellen  dar 
(Entstehung  des  Gegensatzes  zwischen  somatischen  und  Geschlechtszellen.  Sitzgsber. 
d.  Ges.  f.  Morph.,  München,  Bd.  VIII,  1892).! 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  öo 


834  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

Reserveidioplassoii  sich  theilte;  und  wenn  dann  bei  der  weiteren 
nächsten  Theikmg  der  so  gebildete,  anfänglicli  chromatinarme  Kern 
ebenso  viel  und  ebenso  grosse  und  dicke  Schleifen  bildete  als  der  der 
anderen  Zelle.  Doch  das  ist  blos  eine  dem  gegenwärtigen  Stande 
unserer  Auffassung  angepasste  Vorstellungsweise. 

Das  die  Regeneration  auslösende  Moment  braucht 
nicht  blos  wirkhcher  ,.Befect"  zu  sein;  sondern  in  ähnhcher  Weise 
kann  anscheinend  auch  eine  ^.Störung  der  normalen  Anord- 
nnng''  der  Zellen  wirken  (s.  Nr.  28,  S.  657);  wobei  man  allerdings 
annehmen  kann,  dass  dadurch  viele  Zellen  „ihrer  normalen 
Naclihar Schaft  heranht'-  werden,  so  dass  also  von  mir  so  genannte 
,,Unterhrechungsflächen^^  (s,  S.  498  und  784)  vorhanden  sind, 
,, selbst  wenn  schon  andere  Zellen  den  Platz  der  ver- 
drängten vollkommen  eingenommen  haben"  und  in  Folge 
dessen  keine  ,,S palten"  mehr  bestehen. 

Aber  selbst  ein  noch  viel  geringerer  Grad  von  Störung 
der   Anordnung,    bei    welchem    keine    Zelle    mit  ihrer    normalen 
Nachbarschaft    fremden   Zellen   in   Berührung    zu    kommen   braucht, 
kann  schon  Re-  resp.  Postgeneration  auslösen.     Das  geht, 
wie  mir  scheint,    aus  Versuchen   Driesch's    und  Wilson's    hervor,  in 
denen    aus    Seeigel-    und   Amphioxuseiern ,   welche    Avähreud    der 
ersten  Furchung  geschüttelt  und  daljei  statt  zertheilt,  blos  recht 
winkelig    zur    normalen   Theilungsebene   stark   ge  dehnt   wo  r den 
waren,  Doppelindividuen  entstanden  (s.  S.  794  u.  800).   Eine 
ähnliche  Bedeutung  haben  wohl  auch  die  Beobachtungen  Trembley's  und 
Nussbaum's  (14),  dass  umgestülpte  Hydren,  welche  auf  einer  durchge- 
steckten Borste  fixirt  waren,  gewöhnlich  zweiköpfige  Hydren  lieferten. 
Von   der  Regeneration  mancher  Protozoen,  z.  B.  Stentor,  [295] 
Stylonichia,  Vorticellinen  und  Metazoen  (Naideen),  welche  schon  vor 
der  Selbsttheilung  dieser  Thiere  stattfindet,  muss  es  zunächst  zweifel- 
haft sein,  wie  weit  sie  etwa  durch  eine  eventuelle  geringe  Streckung 
und  Einschnürung   also  doch   durch  Alteration   der  Lage  der  Theile 
ausgelöst  wird,   oder  wie   weit   hier   noch   besondere,    die   vorzeitige 
Regeneration  auslösende  Momente  vorhanden  sind. 

Gehen   wir   nun   zu   der   Besprechung   der  neueren  Publication 


Aetivirung  der  Energien  zur  atypischen  s.  regulatorisclien  Entwickelung.      835 

H.  Driesch's  (1)  ül)er.  Dieser  Autor  vernaclilüssigt  neuerdings  naeli 
dem  Vorgänge  0.  Hertwig's  (9)  die  von  Fiedler  (6)  und  von  ilnn 
selber  (7)  festgestellte  Thatsache,  dass  oft  aus  dem  halben  Seeigelei 
zunächst  eine  deutliche  halbe  Morula  und  halbe  Blastula  in  Form 
einer  „halben  Hohlkugel"  entsteht.  Er  folgert,  ohne  noch  von 
Wilson's  Ergebnissen  Kenntniss  zu  haben,  bereits  aus  der  darauf- 
folgenden Bildung  eines  normal  gebauten  ganzen  Pluteus,  den  omni- 
potenten Charakter  der  Furchungsz eilen"  und  stellt  die  Sätze 
auf:  ,,dass  die  Furchung  ein  gleichartiges  indifferentes 
Material  liefert,  von  dem  jedes  Element,  wenn  isolirt,  den  ganzen 
Organismus  liefern  kann".  ,,Ein  völlig  unbekanntes  Correlations- 
priucip  beherrscht  die  Formbilduug"  ^). 

Melleicht  hat  ihn  zu  dieser  Vernachlässigung  der  Semimorula 
die  gleichfalls  am  Seeigelei  von  ihm,  wie  früher  von  mir  am  Froschei 
beobachtete  Thatsache  veranlasst,  dass  nicht  selten  statt  der 
,, hohlen"  Halbkugel  ein  ,, solider",  beim  Seeigel  rundlicher 
Zellhaufen  gebildet  wird.  Diesem  soliden  rundlichen  Zellhaufen 
können  wir  aber  nicht  ansehen,  ol)  er  der  Ausdruck  davon  ist,  dass 
die  kinetische  Energie  in  diesen  Fällen  von  der  Isolirung  der  Fur- 
chungszellen  an  auf  die  Bildung  eines  Ganzen  eingestellt  war,  oder 
ob  seine  Entstehung  nicht  blos  auf  Störung  der  auf  die  Production 
einer  hohlen  Halbkugel,  einer  richtigen  Semimorula  gerichteten  Kräfte 
jjeruht.  Selbst  wenn  erstere  Annahme  richtig  wäre,  was  ich  aljei 
bezweifle,  so  würde  in  Folge  des  neben  diesen  Fällen  sicher 
constatirten  Entstehens  von  [296]  wirklichen  „Halbbil- 
dungen" aus  einem  ,, halben  Ei"  (s.  Nr.  28,  S.  616)  blos  geschlossen 
werden  dürfen ,  dass  die  bereits  für  verschiedene  Thierclassen  fest 
gestellten  Ungleichheiten  in  der  Geschwindigkeit  der  Aus- 
lösung und  Bethätigung  der  Postgenerationsmechanismen 
auch  schon  bei  ein  und  derselben  Art  vorkommen  kömien  (s.  S.  81], 
u.  Nr.  33). 

Driesch  legt  bei  seinen  Folgerungen  Ijesonderen  Werth   darauf, 
dass  das  vorhandene  ISIaterial,  welches   während  der  Furchung  eine 


[1)  Im  Sinne  von  Driesch  hat  sich  Aveiterhin  geäussert  C.  Herbst,  Zeitschr.  f. 
wiss.  Zool.  Bd.  55,  S.  462.] 

53* 


836  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Eutwickelungshypothesen. 


offene  hohle  Halbkugel  ist,  sich  einfach  durch  Zusammenlegung 
seiner  Ränder  zu  einer  ganzen  Blastula  schliesst,  ohne  dass  das 
fehlende  Furchungsmaterial  etwa  durch  Zellenknospung  ergänzt 
wird.     Er  folgert:  „Von  Regeneration  ist  keine  Rede." 

Diese  Folgerung  halte  ich  nicht  für  richtig. 

Trembley  giebt  an,  dass  die  Ränder  der  beiden  Theile  einer  der 
Länge  nach  halbirten  Hydra  binnen  einer  Stunde  verwachsen. 
Nüssbaum  (10)  nimmt  an,  dass  dabei  die  Zellen  amöboid  werden,  mit 
ihren  Leibern  zunächst  zusammenfliessen ,  um  sich  später  wieder  in 
normale  Zellterritorien  zu  gliedern.  Au  viel  kleineren  Stücken  sah 
NUSSBAUM,  dass  jedes  zunächst,  wie  bei  der  embryonalen  Entwickelung 
der  Polypen,  eine  geschlossene  Blase  bildete,  an  der  je  nach 
der  Grösse  verschieden  schnell  die  Tentakel  und  der  Fuss  sich  neu 
bildeten. 

Da  diese  Thiere  während  der  Regeneration  keine  Nahrung 
aufnehmen,  muss  also  all  dieses  durch  „Umordnung"  der  vor- 
handenen Zellen,  mit  oder  ohne  Verkleinerung  derselben  durch 
Theilung  vor  sich  gehen ;  und  dabei  muss  eine  entsprechende  „  U  m  - 
diff er enzirung"  schon  differenzirter  Zellen  stattfinden^). 

Der  Vorgang  dieser  Regeneration  von  Stücken  der  erwachsenen 
Hydra  ist  also  sehr  ähnlich  dem  der  Postgeneration  einer  Semiblastula 
des  Echinodermen. 

Es  giebt  also  eine  Regener afion  durch  ausschliessliche 
oder  überwiegende  ,,Um  o  r  dnun  g""  und  „  Umdifferoi- 
zirung'-''  von  Zellen^  ohne  oder  mit  nur  geringer  [297] 
,. Proliferation"  bei  der  Regeneration. 

Bei  den  e  r  w"  a  c  h  s  e  n  e  n  höheren  T  h  i  e  r  e  n  ü  1)  e  r  w  i  e  g  t 
umgekehrt  die  Proliferation  bei  der  Regeneration. 


[')  Bei  dieser  Thatsaclie  der  Regeneration  eines  kleinen  Stückes  der  erwachsenen 
Hydra  ohne  Nahrungsaufnalnne  zu  einer  entsprechend  kleinen  aber  ganzen  Hydra 
scheint  es  mir  nicht  angänglich,  „den  Begriff  der  Regeneration  auf  „„reine  Spros- 
sungsvorgänge""  zu  bescLränken"  (s.  Driesch  im  Arch.  f.  Entw.-Mech.  I.  S.  400); 
sondern  die  hier  eingeführte  Unterscheidung  einer  Regeneration  durch  Umordnung 
und  Unidifterenzirung  der  Zellen  ist  unerlässlich  nöthig;  auch  kommt  Gleiches  bei 
der  Postgeueration  vor  (s.  S.  498,  508,  785).] 


Regeneration  durch  Unidifleroiizirung  von  Zellen.  837 

Aber  Cmordnuiig  und  Umdif f erenzirung  von  Zellen 
findet  bei  jeder  Regeneration,  aucli  der  höheren  Wirbeltliiere, 
statt.  Die  Unterschiede  dieser  beiden  von  mir  unterschiedenen 
, ,  R  e  g  e  n  e  r  a  t  i  o  n  s  a  r  t  e  n  "  sind  also  wesentlich  q  u  a  n  t  i  t  a  t  i  v  e . 
(s.  S.  511  und  801.) 

Dass  bei  jeder  Regeneration  Umänderung  der  Anordnung  und 
von  der  früheren  verschiedene  \^erwendung  von  Zellen  stattfindet, 
ist  leicht  zu  erschliessen,  bestünde  sie  auch  blos  in  der  nicht  normalen 
Proliferation:  diese  letztere  Beschränkung  ist  aber  nicht  einmal  zu- 
treffend. Denn  wenn  es  Regeneration  ohne  andere  Verwendung 
bereits  differenzirter  Zellen  gäbe,  so  müsste  in  diesen  Fällen  die 
Regeneration  ausschliesslich  von  undifferenzirten  Zellen  des  Indi- 
viduums besorgt  werden,  also  ähnlich,  wie  man  es  früher  als  durch 
die  weissen  Blutzellen  geschehend  annahm,  was  von  P.  Fraisse  (11), 
GöTTE,  Carriere,  D.  Barfurth  (12)  u.  A.  als  irrthümlich  erwiesen  ist. 
Wir  müssten  somit  in  den  Geweben  allenthalben  besondere  für  die 
Regeneration  aufgesparte,  bisher  gar  nicht  verwendete  und  nicht 
dilferenzirte  Zellen  haben,  was  gleichfalls  nicht  zutrifft. 

Nach  den  vorliegenden  Thatsachen  und  unter  ^^erwendung 
meiner  Beobachtungen  über  die  Postgeneration  der  Semigastrulae 
und  Hemiembryonen  des  Frosches  dürfen  wir  ferner  schliessen,  dass 
bei  den  „höheren  Thieren"  während  des  früheren  Emhryo- 
naUehens  die  Post-  resp.  wohl  auch  die  Regeneration  mehr 
durch  Umordnnng  und  Umdifferenzirimg  von  Zellen,  im 
erwachsenen  Zustande  dagegen  mehr  durch  Neubildung  von 
Zellen  sich  vollzieht^). 

Aber  selbst  bei  der  Regeneration  der  ältesten  Individuen  findet, 
wie  die  Beobaditung  der  Wundheilung  zeigt,  zunächst  Umordnung 
mehrerer,  an  die  Untersuchungsfläche  angrenzender  respect.  ihr  be- 
nachbarter   Zellreihen    statt.      Die    Embryonen    der   höheren   Thiere 


[1)  Dieser  Unterscheidung  einer  Regeneration  durch  Umordnung  und  Umdifferen- 
zirung  einerseits  und  durch  Proliferation  andererseits  hat  sich  auf  Grund  eigener 
Beobachtungen  D.  Barfurth  angeschlossen  (Ueber  organbildende  Keimbezirke  und 
künstliche  Missbildungen  des  Amphibieneies.  Anatom.  Hefte  1893,  S.  375).]  (Weiteres 
siehe  Nr.  28,  S.  621  u.  657). 


838  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

[298]  bieten  also  wieder  vorübergehend  ein  Verhalten  dar,  wie  es  bei  den 
niederen  Thieren  das  bleibende  ist.  Ich  erinnere  dabei  an  das  von 
mir  entdeckte  entsprechende  Verhalten  von  Wirbelthier- 
embryonen  gegen  den  electrischen  Strom,  welches  in  früher 
Zeit  dem  Verhalten  der  Protisten  entspricht  (s.  S.  745). 

Driesch  stützt  sich  bei  seiner  Folgerung  der  Gleichwerthigkeit 
und  Indifferenz  der  Furchungszellen  weiterhin  auf  Beobachtungen 
an  durch  Druck  hochgradig  abgeplatteten  Eiern,  welche  auf  dem  acht- 
zelligen  Stadium  statt  aus  zwei  Zelllagen  zu  je  vier  Zellen  blos  aus 
einer  einzigen  Zelllage  zu  acht  Zellen  bestand.  Er  nimmt  an,  wenn 
in  den  verschiedenen  Furchungszellen  verschiedenes  idioplastisches 
Material  enthalten  sei,  so  müsse  dies  dabei  in  abnorme  Lagerung  zu 
einander  gebracht  worden  sein.  Da  gleichwohl  normale  Embryonen 
gebildet  werden,  sei  die  Gleichheit  und  Omnipotenz  evident. 

Ich  habe  schon  vor  Jahren  Froscheier  vor  und 
während  der  Furchung  [in  verschiedenen  Richtungen]  platt  ge- 
drückt und  dabei  statt  der  zweiten  senkrechten,  normalerweise  recht- 
w^inkelig  zur  ersten  stehenden  Furche  eine  zweite,  der  ersten  parallele 
Furche,  ferner  statt  der  ersten  wagrechten  Furchung,  welche  als  dritte 
Furchung  aufzutreten  pflegt,  noch  eine  dritte  senkrechte,  der  normalen 
vierten  entsprechende  Furchung  erhalten  und  danach  normale  Em- 
bryonen entstehen  sehen  (s.  S.  445  Anm.  und  Nr.  29,  S.  G05).  Bei  mir 
war  jedoch  die  aehtzellige  Platte  aus  zwei  vierzelHgen  Lagen  ge- 
bildet, da  die  dritte  senkrechte  Furchung  nicht,  wie  die  beiden  ersten, 
rechtwinkelig  zu  den  pressenden  Glasplatten,  sondern  annähernd  parallel 
zu  ihnen  gestellt  war.  Somit  ist  in  Driesch's  Fall  in  der  That  eine 
wesentlich  höhere  Abweichung  von  der  Norm  vorhanden  gewiesen. 

Aber  ich  meine,  es  müsste  die  weitere  Entwickelung  dieser 
Eier  erst  auf's  Genaueste  verfolgt  und  mit  der  normalen  Entwicke- 
lung vergHchen  werden,  und  es  müssten  wohl  auch  sonst  noch  weitere 
allgemeinere  entwickeluugsmechanische  Erfahrungen  gewonnen  werden, 
ehe  eine  specielle  Deutung  dieses  Versuches  möglich  sein 
wird,  ehe  [299]  man  insbesondere  behaupten  kann,  dass  er  weder 
auf  Anachronismus  ,  also  auf  leichten  Varietäten  der  normalen 
Entwickelung,  noch  auf  Vorgängen  der  vorstehend  charakteri- 


Totipotenz  der  ersten  Furehungszellen.  839 

sirteii     Arten     der     regulatorischen     Entwickelnng     beruhe, 
sondern  dass  hier  noch  die  ,,typische"  Entwickelung  vorHege^). 

[Nicht  eine  ,,Omnipotenz"  (Driescih)  wohl  aber]  die  „Totipotenz" 
der  ersten  Furehungszellen  ist  von  mir  vertreten  worden, 
aber  nicht  ihre  ,,Gleicliheit".  Die  Zellen  im  Ganzen  sind  un- 
gleich, denn  jede  bildet  für  sich  ein  anderes  Stück  des  Embryo;  un- 
gleich sind  ihre  die  normale  s.  typische  Entwickelung  bestimmen- 
den Theile;  gleich  und  toti potent  ist  blos  das  ausserdem  in 
ihnen  vorhandene  Reserveidioplasson. 

Die  Einsicht,  dass  bei  der  Re-  und  Postgeneration  völlig 
unbekannte  Correlationen  vorkommen  müssen,  ist  nicht  neu. 

Wir  werden  erst  ermitteln  müssen  und  auch  können,  ob  diese 
bei  der  Re-  und  Postgeneration  stattfindenden  Corre- 
lationen blos  anfangs  oder  während  der  ganzen  Dauer  der  Regene- 
ration stattfinden;  ferner  ob,  eventuell  bei  welchen  Thieren,  sie  vom 
ganzen  defecten  Gebilde  oder  blos  von  Theilen  desselben, 
etwa  den  die  Unterbrechungsfläche  bildenden  Zellen,  [letztere  im  weiteren 
Sinne  s.  S.  834J,  oder  von  Ganglien  etc.  ausgehen,  ehe  wir  beurtheilen 
können,  ob  O.  Hertavig's  weiter  unten  eingehender  zu  besprechender 
Ausspruch,  dass  alle  einzelnen  Theile  des  Organismus  sich  stets 
in  Beziehung  zu  einander  entwickeln,  dass  die  Entwickelung 
eines  Theiles  stets  abhängig  von  der  Entwickelung  des 
G  a n  z  e  n  i  s  t  (3),  auch  nur  für  die  Post-  und  Regeneration  Richtiges  enthält. 
Dagegen  spricht  aber  schon  jetzt  in  gewissem,  einschränkendem 
Sinne  die  Thatsache,  dass  die  Regeneration  bei  Tritonen  nach 
Spallaxzani  (21)  auch  stattfindet,  wenn  alle  vier  Extremitäten  zugleich 
abgeschnitten  worden  sind;  woraus  zu  folgern  ist,  dass  zur  Bildung 
neuer  Ex trejaii täten  der  einen  Antimere  die  Anwesenheit  der 
anderen  Extremitäten  wenigstens  , ,  n  i  c  h  t  n  ö  t  h  i  g  "  ist,  dass 
also  von  ihnen  zu  dieser  Bildung  keine  gestaltenden  Corre- 
lationen auszugehen  „brauchen". 

Es  ist  schon  mehrfach  die  0.  Hertwig's  Auffassung  ent-  [300] 


[1)  In  ähnlichem  Sinne  äusserte  sich  gleichzeitig  F.  Braem  (Das  Princip  der 
organbildenden  Keimbezirke  und  die  entwickelungsmechanischen  Studien  von  H. 
Drie-ch,  biolog.  Centralblatt,  März  1893,  S.  146-151).] 


840  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

gegengesetzte  Ansicht  ausgesprochen  worden,  dass  das  Begreuzungs- 
material  jedes  Durchschnittes,  an  dem  Regeneration  eines 
Thieres  erfolgt,  selber  die  gestaltenden  Ursachen  enthalte, 
um  die  pheripher  von  ihm  gelegenen  Theile  zu  reprocluciren.  Wenn 
wir  diese  Auffassung  ent wickelungsmechanisch  formuliren  wollten, 
müssten  wdr  sagen,  dass  jede  Zelle  noch  von  demselben  Material 
enthielte ,  welches  sie  befähigte ,  ihre  normalen  Nachkommen  und 
deren  Anordnung  bei  der  Ontogenese  zu  produciren,  und  dass  zufolge 
dessen  jede  einen  Defect  begrenzende  Zelle  auf's  Neue  zur  Wieder- 
holung ihrer  früheren  normalen  Leistung  befähigt  sei,  und  dass  sich 
auf  diese  Weise  die  Regeneration  vollziehe.  Bei  unvollkommener 
Entfernung  der  Nachkommen  einer  Zellgruppe,  also  bei  blossen  um- 
schriebenen Substanzverlusten  müsste  dann  entweder  eine  zweite 
Bildung  des  im  entvvickelungsmechanischen  Sinne  peripheren,  d.  h. 
descendirenden  Theiles,  also  eine  Doppelbildung  stattfinden,  oder  die 
noch  vorhandenen  Theile  müssten  die  Fähigkeit  haben ,  die  weitere 
Production  neuer  Theile  zu  verhindern  ;  was  in  dem  gedachten  Falle 
vielleicht  einfach  mechanisch  durch  räumhche  Behemmung  sich  voll- 
ziehen könnte. 

Sehen  wir  davon  ab,  dass  diese  Hypothese  eine  Entwickelung 
durch  fast  vollkommene  Selbstdifferenzirung  voraussetzt,  welche  nicht 
erwiesen  ist,  so  spricht  gegen  die  Richtigkeit  dieser  Auf- 
fassung erstens,  dass  bei  circumscripten  Defecten  der  Extremitäten, 
bei  Wunden  mit  grossem  Substanz verlust  der  Ersatz  deutlich  erkenn- 
bar nicht  überwiegend  in  centrifugaler  Richtung  vor  sich 
geht,  wie  es  sonst  wohl  zu  erwarten  sein  müsste,  sondern,  bei  ge- 
nügender Ernährungsgelegenheit  von  der  Peripherie  her,  in  gleichem 
Maasse  auch  von  ihr  aus  stattfindet.  Bios  bei  den  Cerebrospinal- 
nerven  ist  die  Regeneration  centrifugal  gerichtet;  ein  Verhalten, 
welches  wohl  mit  Recht  von  dem  Einfluss  der  central  gelagerten, 
den  Nervenfasern  zugehörigen  Ganglienzellen  abgeleitet  wird. 

Ferner  widerspricht  der  Wiederholung  der  embryonalen  Zell- 
folge bei  der  Regeneration  auch  dei'  Vorgang  der  Regeneration  [301] 
abgeschnittener  Extremitäten,  da  die  Ueberhäutung  der  Wunde  durch 
Epithelien   und   deren   Nachkommen  geschieht,   welche   am   Embryo 


Totipoteiiz  der  ersten  Furchungszellen.  841 

diese  Zellen  nicht  geliefert  haben;  denn  das  Ectoderm  des  Embryo 
ist  von  Anfang  an  allenthalben  continuirlieh  angelegt  und  wird  an 
den  Stellen  des  vorsprossenden  Extremitätenstunnnols  nicht  erst  durch 
Ueberwanderung  und  Verniehrnng  von  Randzellen  dieser  Stelle  nach- 
träglich producirt.  Entsprechendes  gilt  für  den  Mesodermantheil  der 
Extremitäten.  Es  liegen  vielmehr  bei  der  Regeneration  wieder  Fälle 
vor,  in  denen,  wie  ich  mich  anderwärts  ausgedrückt  habe  (S.  52  und 
93),  die  geformten  P  r  o  d  u  c  t  e  c  o  n  s  t  a  n  t  e  r  sind  als  die  speciellen 
Arten  ihrer  Herstellung^). 

Drittens  vollzieht  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Regeneration 
überhaupt  nicht  blos  durch  Bildung  neuer  Zellen,  sondern  auch 
durch  Umordnung  und  andere  Verwendung,  also  Umdifferen- 
zirung  (s.  Nr.  28,  S.  657)  bereits  differenzirter  Zellen;  diese  Art 
der  Regeneration  nun  kann  von  denselben  Zellen  in  ver- 
schiedenen, sogar  in  entgegengesetzten  Richtungen  aus- 
gehen. Halbiren  wir  z.  B.  eine  Hydra  durch  einen  Querschnitt,  so 
bildet  der  orale  Querschnitt  den  aboralen  Körpertheil,  der  aborale  den 
oralen  Theil.  Schneiden  wir  bei  einem  anderen  Individuum  einige  Zellen- 
breiten mehr  oral  durch,  so  l)ilden  die  jetzt  am  aboral  gelegenen 
Querschnitt  befindlichen  Zellen  den  oralen  Theil  des  Thieres,  obgleich 
sie  im  vorigen  Experiment  den  aljoralen  Theil  durch  Umgruppirung 
dargestellt  haben. 

Wenn,  wie  Avir  bei  Amphioxus  sahen,  schon  eine  einzige,  und 
nur  bis  auf  die  erste  Stufe  entwickelte  Zelle  das  ganze  fehlende  Stück 
ersetzt,  oder  wenn  im  ISIinimum  drei  Zellen  aus  den  drei  Leibes- 
schichten der  entwickelten  Hydra  dadurch,  dass  andere  Theile  des 
entwickelten  Individuums  fehlen,  zur  Entwickelung  eines  ganzen  In- 
dividuums angeregt  werden,  so  wirken  also  „Theile"  eines  mehr 
oder   weniger,   immer   aber   bereits   etwas   ,, entwickelten"  Indi- 


1)  E.  Hertwig  und  jüngst  F.  von  Wagner  (Einige  Bemerkungen  über  das  Yer- 
hältniss  von  Ontogenie  und  Regeneration.  Biolog.  Centralbl.  1893,  Bd.  13,  S.  287—296) 
haben  auf  die  Verschiedenheit  in  der  Betheiligung  der  Keimblätter  an  der  normalen 
Ontogenese  und  an  der  Regeneration  resp.  Knospung  bei  Wirbellosen  hingewiesen, 
also  sogar  auf  viel  gröbere  Unterschiede  zwischen  beiden  Bildungsarten,  als  sie  hier 
vertreten  worden  sind;  gleichwohl  aber  entstanden  auch  in  diesen  Fällen  dieselben 
typischen  Producte  wie  bei  der  geschlechtlichen  Vermehrung. 


842  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 


vidiuims  auf  das  in  ihnen  selber  enthaltene  Reserve- 
Idio-  [302]  plasson  fast  wie  eine  Befruclitnng  auf  das  Ei. 

Nur  wird  blos  das  dem  Ganzen  der  jeweiligen  Entwickelungs- 
stufe  Fehlende  gebildet.  Diese  Wirkungen  können  meiner  Meinung 
nach  nicht  blos  durch  den  Wegfall  des  Seit  endrucke  s  nach  Weigert 
„ausgelöst"  sein.  Es  müsste  vielmehr  das  in  einem  mehr  oder  weniger 
entwickelten  Zustande  vorhandene  Stück  die  Bildung  des  zu  dem, 
zur  Zeit  nicht  vorhandenen,  entwickelten  Ganzen  Fehlenden  veranlassen. 
Diese  Fassung  hat  indess  ein  m  e  t  a  p  h  y  s  i  s  c  h  e  s  G  e p  r  ä  g  e.  [Denn 
wie  soll  das  Vorhandene  die  Bildung  eines  anders  Beschaffenen 
Fehlenden  veranlassen ;  oder  wie  soll  etwa  gar  das  Fehlende ,  also 
dasjenige,  was  nicht  da  ist,  seine  eigene  Bildung  in  einem  Anderen 
veranlassen?  Man  könnte  ferner  sagen:  Wie  soll  ein  Ganzes  ent- 
stehen, welches  blos  ideell  vorhanden  ist?  Diese  Annahme  wäre 
aber  nicht  richtig,  denn  das  Ganze  ist  in  dem  defecten  Individuum  wohl 
r  e  e  1 1  V  o  r h  a  n  d  e  n ,  aber  in  unentwickelte  m  Zustande,  im  Reserve- 
idioplasson  der  Zellen;  defect  ist  blos  das  „entwickelte"  Ganze.] 

Wir  vermeiden  den  metaphysischen  Schein  und  ge- 
winnen eine  mehr  mechanische  Auffassung,  wenn  wir  an- 
nehmen, es  werde  (vielleicht  durch  das  Fehlen  normaler  qualitativer 
AVirkungen  von  der  Seite  des  Defectes  her)  in  den  die  Unterbrechungs- 
fläche bildenden  oder  ihr  benachbarten  Zellen  oder  Zellschichten  die 
volle  Thätigkeit  des  in  diesen  Zellen  enthaltenen,  zur  Veranlassung 
der  Bildung  eines  ganzen  Individuums  der  Species  befähigten  Reserve- 
Idioplasson  ausgelöst;  aber  das  entwickelt,  also  schon  differenzirt 
Vorhandene  hemme  durch  seine  Anwesenheit  und  Wirkung  die  Bil- 
dung der  ihm  entsprechenden  Theile ;  oder  es  würden  in  dem  zur 
Bildung  eines  ganzen  Individuums  oder  eines  bestimm- 
ten Stückes  befähigten  Reserveidioplasson  überhaupt 
blos  diejenigen  Theile  zur  Thätigkeit  angeregt,  welche 
noch  nicht  in  entwickeltem  Zustande  sich  vorfinden  (s.  S,  78 
und  Nr.  28,  S.  658  u.  f.). 

Bei  dieser  mechanischen  Fassung  des  Problems  müssen  wir 
aber  neben  ausgedehnter  Selbstdifferenziruug  vieler  Theile  Corre- 
lationen  supponiren ,  die   uns   zur   Zeit   ihrer    speciellen  Natur  nach 


Charaktere  der  directen  s.  typischen  Entwickehing.  843 


vollkommen  unbekannt  sind ;  doch  solche  Annahme  konnten  wir 
nach  obiger  Darlegung  auch  bei  der  metaphysischen  Fassmig  nicht 
vermeiden.  Ueber  diese  Correlationen  habe  ich  mich  schon  in  dem 
citirten  Referat  (s.  S.  814)  andeutungsweise  ausgesprochen;  da  es  sich 
jedoch  zur  Zeit  blos  um  allgemeinste,  vielleicht  von  der  Wahrheit 
sehr  weit  entfernte  Ver-  [303J  muthungen  handeln  kann,  halte  ich 
es  nicht  für  angezeigt,  dieselben  hier  zu  wiederholen  (s.  Nr.  28). 

Welcher  Art  nun  die  Correlationen  bei  der  regenerativen 
s.  regulatorischen  Entwickelung  auch  sein  mögen,  so  sind  wir 
doch  nicht  berechtigt,  dieselben  ohne  weiteres  auch  der  nor- 
malen s.  typischen  Entwickelung  zuzuschreiben,  wie  es 
seitens  H.  Driesch's  und  0.  Hertwig's  geschieht,  indem  sie  die  nach 
Defecten  am  Ei  auftretenden  V^orgänge  nicht  von  den  Vorgängen  der 
typischen  Entwickelung  sondern.  Diese  Identification  ist  nach  der 
bei  der  typischen  Entwickelung  constatirten  Selbstdifferen- 
zirung  der  ersten  Furchungskugeln  unzulässig,  obschon  die 
Regeneration  der  Hauptsache  nach  unter  denselben  „Formen" 
sich  vollzieht,  wie  sie  bei  der  normalen  Entwickelung  vorkommen, 
und  obschon  gewiss  auch  mancherlei  Bildungsvorgänge  beiden  Ent- 
wickelungsarten  gemeinsam  sein  wTrden,  trotz  der  bei  der  Regene- 
ration nöthigen  Correlationen. 

Diese  beiden  Entwickelungsarten  knüpfen  an  die  beiden 
Hauptarten  der  Vermehrung  der  Individuen  an:  die  regene- 
rative s.  regulatorische  Entwickelung  schliesst  sich  an  die  Ver- 
mehrung durch  ,,Theilung"  des  „entwickelten"  Individuums 
unter  Regeneration  jedes  Theilstückeszu  einem  Ganzen  an;  die  directe 
s.  typische  Entwickelung  dagegen  schliesst  an  die  Vermehrung  durch 
Theilung  einfacher,  d.  h.  äusserlich  nicht  oder  wenig  differenzirter 
Zellen,  der  ,, Fortpflanzungszellen"  der  Metazoen,  der  ,, ruhenden 
Zelle"  der  Protozoen  an. 

Zusammenfassend  ist  daher  zu  sagen:  Die  directe  s. 
typische  Entwiclcelung  des  Metazoen- Individuums  gellt  aus  von 
einer  einfach  erscheinenden  ganzen  Zelle  von  typischer  Abkunft,  der 
Eizelle.  Der  Beginn  dieser  Entwickelung  setzt  meist  mit  einer  Befruch- 
tung ein.    In  ihrem  Verlaufe  ist  sie  formal  charakterisirt  durch  die 


844  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

typische  Ganzfurehung,  die  Bildung  einer  ganzen  Morula,  Blastula,  Gas- 
trula  und  durch  die  sonstigen  bekannten,  für  jeden  Thierstamm  resp.  jede 
Species  typischen  äusseren  und  inneren  Formenwandlungen.  Ent- 
wickelungsmechanisch  ist  sie  bis  jetzt  charakterisirt  in  den  ersten  Stadien 
[(beim  Frosch)  durch  die  Bestimmung  der  ersten  Theilungsebene  durch 
die  Befruchtungsebene,  durch  die  Anlage  der  Schwanzseite  des  Embryo 
auf  der  Befruchtungsseite  des  Eies,  durch  die  Lage  der  Medianebene 
in  der  ersten  Furchungsebene  etc.  s,  S.  425  Anm.]  ferner  [304]  durch 
die  erwähnte  Selbstdif f erenzirung  der  ersten  Furchungszehen 
zu  bezüglichen  Theilstücken  der  Morula,  Gastrula  und  des  Embryo, 
in  etwas  späteren  Stadien  gleichfalls  durch  einige  wenige  von  mir 
nachgewiesene  Selbstdifferenzirungen  (Selbstschluss  des  Medullär-  und 
des  Darmrohres) ,  (s.  S.  246)  ferner  durch  einige  aus  den  Missbildungen 
erschlossene  Selbstdifferenzirungen  (s.  S.  203,  828),  sowie  durch 
mehrere  bereits   ermittelte  Arten   von  Correlationen  (s.  S.  211  u.  253). 

Ihr  Wesen  ist  bezeichnet  vornehmlich  durch  stets  denselben 
typischen  Ausgang  von  einer  [ihrer  Herkunft  und  Beschaffenheit 
nach  typischen],  äusserlich  ,,undifferenzirten"  ganzen  Zelle 
und  (von  geringen  Variationen  und  ihnen  entsprechenden 
directen  Anpassungen,  Selbstregulationen  hier  abgesehen, 
s.  Nr.  28,  S.  667  und  Nr.  31,  S.  279)  durch  in  allen  Fällen  denselben 
typischen  Verlauf.  Eben  in  Folge  dieses  immer  gleichen  Anfanges 
konnte  der  Verlauf  dieser  Entwickelung  etwas  Typischeres,  mecha- 
nisch Festeres,  in  bestimmte  Bahnen  Eingeengtes,  wie  es  in 
der  Selbstdif f erenzirung  grösserer  oder  kleinerer  Theile  sich 
ausspricht,  und  so  für  die  Production  grösserer  Complication 
Ausreichenderes  und  wohl  auch  Kürzeres  erlangen,  als  es  die 
zweite  Entwickelungsart  darbietet. 

Die  (itypische  üixq post-  oder  regenerative  s.  i^'g'KJatorisclie 
l^ntwicJieh(ng  dagegen  kann  von  einem  atypisch  grossen  ,, Stücke" 
eines  mehr  oder  weniger  „entwickelten",  differenzirten  Orga- 
nismus ausgehen,  wobei  die  Differenzirung  bereits  ihr  höchstes  Stadium 
erreicht  haben  oder,  wie  bei  der  Postgeneration  eines  zweigeth eilten 
Eies,  eben  erst  begonnen  haben  kann  (s.  auch  S.  834).  Ihr  Mechanis- 
mus muss  in  jedem  Specialfalle  je  nach  der  mehr  oder  weniger  differen- 


! 


Charactere  d.  atypischen,  s.  regulatorischen,  s.  regenerativen  Entwickelung.     845 

zirten  Ausgangsbeschaffenheit  sowie  nach  der  verschiedenen  relativen 
Grösse  und  Lage  des  fehlenden  Theiles  [oder  nach  der  Ausdehnung 
ev.  Art  der  sonst  stattgehabten  „Störung"'  (ö.  834)]  ein  äusserhch 
und  mehr  noch  innerlich  verschiedener  sein.  Die  regulatorische 
Entwickelung  hat  also  atypische  Ausgänge,  von  denen  aus  sie 
aber  gleichwohl  zu  typischem^)  Ende  führt.  In  Folge  dieser  ver- 
schiedenen Ausgänge  kann  trotz  des  typischen  Endproductes  der  Ver- 
lauf  kein  ganz  typischer  sein;  sondern  in  jedem  besonderen  Falle 
müssen  seiner  Besonderheit  angepasste  [305]  Kegu- 
lationsmechanismen  sich  bethätigen  (s.  Nr.  31,  S.  281).  Diese 
Anpassung  kann  nach  meiner  Vorstellung  nur  durch,  zur  Zeit  noch 
unbekannte,  Correlationen  vermittelt  w^erden,  sei  es  nun,  dass  die- 
selben ausschliesslich  oder  vorwiegend  beim  Beginne  der  Re-  und  Post- 
generarion,  bei  der  ersten  Activirung  von  Idioplassonten  oder  auch 
noch  in  späteren  Phasen  der  Bildung  sich  bethätigen. 

Da  die  entsprechenden  beiden  Vermehrungsarten  nicht  blos  bei  den 
Metazoen,  sondern  auch  bei  den  Protozoen  vorkommen,  so  ist  das 
Gleiche  wohl  auch  bezüglich  der  Entwickelungsarten  dieser  letzteren  der 
Fall.  Die  typische  Entwickelung,  welche  nach  der  Theilung  der  vor- 
her vereinfachten,  sogenannten  ruhenden  Zelle  einsetzt,  geht  dann 
aus  von  den  durch  diese  Theilung  gebildeten  einfach  erscheinenden 
Sporen,  Schwärmsprössliugen  oder  sonstigen  Theilsprösslingen  der  Spo- 
rozoen, Radiolarien,  Flagellaten  und  holotrichen  Ciliaten.  Die  rege- 
nerative Entwickelung  geht  aus  von  der,  neben  der  vorigen  vor- 
kommenden (Flagellaten,  Ciliaten)  oder  besonderen  Abtheilungen  (Rhi- 
zopoden,  Heliozoen)  fast  allein  dienenden  Vermehrungsweise  der  Selbst- 
theilung  des  differenzirten  hidividuums.  Hierbei  ist  gewöhnlich 
der  Anfang  ei»  typischer,  wie  auch  bei  der  Selbsttheilung  der  Meta- 
zoen, indem  die  Theilung  eine  Halbirung  darstellt  oder  eine  typische 
Ungleichheit  setzt,  und  bei  mancher  Ordnung  stets  in  Quer-  bei 
anderer  in  Längsrichtung  erfolgt.  Aber  das  Experiment  an  den  bezüg- 
lichen Meta-  und  Protozoen  ergiebt  bekanntlich,  dass  auch  nach  jeder 

[i)  Es  ist  aber  wichtig,  dass  dieses  typische  Ende  oft  doch  nicht  ganz 
erreicht  wird,  sondern  dass  Fehler,  Störungen  vorkommen,  und  dass  lebendes 
Material  dabei  eliminirt  wird,  auf  welch '  letzteres  Geschehen  besonders 
M.  NUSSBAUM  aufmerksam  gemacht  hat.l 


846  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

beliebigen  andereD,  bei  den  Protozoen  den  Zellleib  und  Zellkern 
gemeinsam  treffenden  Tlieilung  vollkommene  Regeneration  beider  Stücke 
stattfindet ;  so  dass  der  typische  Aiisgangspunct  bei  der  Selbsttlieilung 
l)los  ein  Specialfall  aus  der  unendlichen  Reihe  der  Möglichkeiten  ist  ^). 

Die  der  Theilung  des  differenzirten  Individuuius  folgende 
regenerative  Entwickelung  knüpft  somit  an  das  Lebende  in  seinem 
fertigen  Znstande  an  und  könnte  insofern  primärer  scheinen,  als  die 
typische  Entwickelung,  welcher  wenigstens  bei  [306]  Protisten  erst  die 
Rückbildung  des  differenzirten  Individuums  zu  einem  äusserlich  ein- 
facheren Zustande  vorausgeht.  Bei  den  Metazoen  haben  wir  aber  nach 
Weismaxx  u.  A.  das  Fortplianzungsmaterial  nicht  mehr  als  von  den 
differenzirten  somatischen  Zellen  produzirtes  Material,  sondern  als 
in  seinen  wesentlichen  Theilen  von  vornherein  vom  befruchteten  Eie 
reservirtes,  auf  dem  Wege  vollkommener  Assimilation  (s.  Bd.  I, 
S.  452)  gebildetes  und  vermehrtes,  undifferenzirt  gebliebenes 
Material  zu  betrachten.  Des  Weiteren  ist  die  ,,t3q3isclie"  Entwickelung 
als  Fortbildung  von  einem  stets  typischen  Anfangsganzen  auf  typischem 
Wege  zu  einem  typischen  Endganzen  für  uns  leichter  verständlich  und 
erscheint  uns  daher  auch  selber  leichter  zu  sein. 

Da  wir  Menschen  zu  den  höheren  Organismen  gehören, 
bei  welchen  die  ,, typische"  Entwickelung  die  ,, normale",  die 
regulatorische  s.  „regenerative"  und  postgenerative  aber  die  ,, ab- 
norme" ist,  und  da  die  letztere  nach  den  bekannten  Erfahrungen  über 
unsere  Regeneration  und  nach  den  Befunden  an  der  hochentwickelten 
Halbbildung  des  Kalbes  (Hemitherium  anterius,  Roux)  und  denAcephalis 
und  Acormis  des  Menschen,  selbst  wenn  sie  schon  während  der  ersten 
Furchungen  einsetzt,  nur  in  sehr  beschränktem  Maasse  Ersatz  zu 
liefern  vermag,  so  gewinnt  die  weitere  Verfolgung  der  Unter- 
scheidung der  beiden  Entwickelungsarten  des  Individuums 
ein   mehr   actuelles  Interesse;   [ganz   abgesehen    davon,  dass  die 


')  Aber  auch  für  die  Protisten  ist  erst  nocb  ^^■ie  für  die  Metazoen  zu  ermitteln, 
ob  nicht  durch,  sei  es  grössere  oder  nur  geringe,  Abstossungen  von  Material  nach 
künstlichen  Defecten  doch  ein  irgendwie  typisch  begrenztes  Stück  ge- 
schaffen wird,  von  dem  aus  dann  die  Regeneration  vor  sich  geht,  obschon 
andererseits  bei  der  Regeneration  der  Extremitäten  der  Amphibien  eine  solche  Ab- 
stossung  jedenfalls  nur   sehr  gering  sein  könnte. 


His'  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke.  847 


causale  Forschung  an  sieh  uns  nüthigt,  möglichst  zu  analy- 
siren,  und  auch,  wenn  beiden  Entwickelungsarten  \''ieles  gemein- 
sam ist,  doch  dieses  Gemeinsame  elienso  wie  das  Unterscheidende 
genau  zu  ermitteln  und  selbst,  wenn  die  typische  Ent Wickelung 
in  Folge  der  nie  ganz  ausbleibenden  Störungen  nie  ganz 
rein  für  sich  vorkommt,  doch  ihr  Wesen  und  ihre  Ursachen 
festzustellen  (s.  Nr.  31,  S.  279)]. 

Welcher  von  beiden  ,, extremen"  Entwickelungsarten  nun  die 
bei  der  Vermehr tou/  durcli  Knospirng  vorkommende  Entwicke- 
lung  am  nächsten  steht,  ist  wohl  allgemein  nicht  zu  sagen,  da  die 
Arten  der  Knosp ung  selber  erhebliche  Verschiedenheiten  darbieten. 
Soweit  die  Knospe  in  ihrer  anfänglichen  Differenzirung  eine  niederere 
Entwickelungsstufe  einnimmt,  als  das  Mutterthier,  muss  sie  sich  ent- 
wickeln; soweit  sie  schon  entwickelt  ist  und  bei  der  Ablösung  noch 
einen  ,,Defect"  des  Entwickelten  besitzt,  muss  sie  sich  postgeneriren. 


Nach  dieser  Erörterung  der  neuen  Thatsachen  und  nach  der 
Begründung  meiner  Auffassung  von  ihrer  Bedeutung  wollen  wir  zur 
Beurtheilung  derjenigen  theoretischen  Ausführ-  [307]  ungen 
0.  Hertwig's  übergehen,  welche  sich  gleichfalls  um  die  Alternative: 
differenzirende  AVechselwirkung  oder  Mosaikarbeit  von 
Th eilen  des  Eies  oder  Embryos  bei  der  Ontogenese  drehen. 

Hertwig  verwirft  in  seinem  Vortrage  über  ,, ältere  und  neuere 
Entwickelungstheorien"  nach  dem  Uebergang  zu  den  neueren  An- 
sichten zunächst  His'  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke. 
His  (22)  führt  die  Gestaltungen  der  Ontogenese  auf  ungleiches  Wachs- 
tlium  zurück  iind  nimmt  an,  ,,dass  die  Keimscheibe  des  Hühnchens 
die  Anlagen  der  Organe  in  flacher  Ausbreitung  vorgebildet  enthält" 
und  dass  innerhalb  eines  jeden  dieser  Bezirke  den  Theilen  eine 
Wachs thums er regung  innewohnt,  die  sie  bei  ihrer  Ablösung  vom 
Gesammtkeime  als  Mitgift  mit  sich  nehmen.  Und  er  fügt  hinzu:  ,,Wenn 
wir  consequent  sein  wollen,  haben  wir  diese  Bestimmung  (seil,  des 
Ortes  der  Organanlagen)  auch  auf  das  eben  befruchtete  und  selbst 
auf  das  unbefruchtete  Ei  auszudehnen". 


848  Nr.  27.    Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

Gegen  dies  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke  führt 
O.  Hertwig  die  von  Pflüger  (23)  so  genannte  „Isotropie  des  Eies", 
das  soll  heissen,  die  gieichwerthige  Beschaffenheit  der  ,,  Dotter - 
theile"  des  Eies  an,  welche  in  gewissem  Grade  aus  Pflüger 's, 
Born's  und  meinen  Versuchen  zu  folgern  ist. 

0.  Hertwig  hält  sich  jedoch  rein  au  Pflüger  und  stellt  daher 
den  beweisenden  Sachverhalt  nicht  richtig  dar.  Pflüger  setzte  Frosch- 
eier vor  der  Befruchtung,  entgegen  der  normalen  Eieinstellung,  mit 
dem  weissen  Pol  nach  oben  auf  und  Hess  durch  beschränkten  Wasser- 
zusatz die  Gallerthülle  nur  so  wenig  Cjuellen,  dass  sich  die  (am  Glas 
angeklebte,  also  aussen  fixirte)  Gallerthülle  dauernd  fest  auf  die  Ei- 
oberfläche  presste  und  '  so  eine  Drehung  verhinderte ;  gleichwohl 
erhielten  oft  nach  der  Befruchtung  die  beiden  ersten  Furchungen  die 
normale  senkrechte,  die  dritte  die  normale  wagrechte  Richtung,  und 
das  Medullarrohr  wurde  in  derselben  Stellung  zur  Schwerkraft  wie 
unter  normalen  Verhältnissen,  hier  aber  auf  der  der  normalen  An- 
lagestelle am  Ei  entgegengesetzten,  statt  auf  der  weissen  auf  der 
schwarzen  [308]  Seite  des  Eies  gebildet;  und  Pflüger  folgert  daraus, 
ausser  der  Isotropie  des  Dotters ,  dass  nicht  die  Lage  des  schwarzen 
und  weissen  Dotters,  sondern  die  Schwerkraft  die  Lage  des  Medullar- 
rohres  bestimme,  indem  diese  Kraft  eine  „meridional  polarisirende 
Wirkung"  auf  die  obersten  Dottertheile  ausübe. 

Nachdem  ich  die  Arbeit  Pflüger's  gelesen  hatte,  habe  ich  so- 
gleich ausgesprochen  und  es  später  an  geeigneter  Stelle  drucken  lassen 
(s.  S.  262  u.  343),  dass  Pflüger  bei  diesem  Versuche  nicht  das  Ei, 
das  heisst  den  Ei  in  halt,  sondern  blos  die  „Ei  rinde" 
fixirt  habe,  und  dass  der  halbflüssige  Eiinhalt  sich  umgeordnet 
habe,  indem  der,  wie  ich  experimentell  festgestellt  hatte,  specifisch 
schwerere  Nahrungsdotter  (S.  261)  sich  senkte,  der  leichtere  Bildungs- 
dotter aufstieg. 

Es  war  also  aus  dem  Versuche  Pflüger's  zunächst  blos 
zu  folgern,  „dass  die  Anlage  der  Organe  unabhängig  von 
der  weissen  oder  schwarzen  Eirinde  ist"  [oder  sein  kann.] 

Born  (16)  hat  unabhängig  von  mir  diese  Umlagerungen  durch 
(Urecte  Beobachtung  an   microtomirten  Eiern   nachgewiesen   und 


Unvollkommene  Isotropie  des  Dotters.  849 


gezeigt,  dass  auch  der  Zellkern  mit  dem  ihn  umgebenden  Bildungs- 
dotter aufsteigt.  Die  beiden  Hauptmassen  des  Dotters  und  des  Kerns 
nehmen  also  wieder  die  normale  Anordnung  ein,  bevor  die  Furchung 
beginnt.  Statt  der  „Eiaxe"  der  Autoren,  der  bedeutungslosen 
Verbindungslinie  der  Mittelpuncte  der  schwarzen  und  weissen  Ei- 
rinde,  hat  somit  die  aetuelle  Eiaxe  nach  meiner  Definition ,  die  Ver- 
bindungslinie des  Massenmittelpunctes  des  Nahrungs- 
und des  B  i  1  d  u  n  g  s  d  0 1 1  e  r  s ,  wieder  fast  ganz  die  normale 
Stellung  erlangt. 

Pflüger's  Schlussfolgerung  war  also  nicht  berechtigt.  GleichAvohl 
war  sie  bezüglich  der  Isotropie  nicht  ganz  unrichtig ;  denn  Born  zeigte, 
dass,  wenn  auch  die  Hauptmassen  wieder  die  normale  Lagerung  an- 
nehmen und  die  Einstellung  der  Kernspindel  bestimmen ,  doch  im 
Einzelnen  noch  mannigfache  abnorme  Vermengungen  von  [309] 
schwarzem  und  von  grob-  und  feinkörnigem  farblosem  Dotter  zur  Zeit 
der  dritten  Furchung  bestehen,  so  dass  also  viele  spätere  Furchungs- 
zellen  eine  abnormale  Mischung  dieser  drei  Dottersubstanzen  enthalten, 
während  gleichwohl  die  Entwickelung  normale  Eudproducte  liefert. 

In  gleicher  Weise  war  ein  gewisses  Maass  von  Isotropie  des 
Dotters  aus  Versuchen  von  mir  (Xr.  18)  zu  ersehliessen,  in  denen 
ich  das  befruchtete  Ei  vor  und  nach  der  ersten  Furchung  mit  der 
kalten  Nadel  ausstach ,  wobei  ein  grosser  Theil  des  Eiinhaltes ,  bis 
etwa  \/5  desselben  ausfloss  und  gleichwohl  sehr  oft  (jedenfalls ,  wenn 
der  Kern  unverletzt  blieb),  normale  Entwickelung  folgte.  Hier  hatte 
also  erstens  ein  grosser  Defect  verschiedener  Dottersubstanzen  statt- 
gefunden, und  zweitens  mussten  die  zurückgebliebenen  Theile  abnorm 
gemischt  sein;  gleichwohl  war  keine  Alteration  der  Entwickelung  als 
Folge  dieser  Aeoiderungen  zu  erkennen. 

Daraus  folgt  mit  Sicherheit,  dass  beim  Froschei  die  Theile 
des  Dotters  bestimmten  Organen  des  Embryo  nicht  der 
Art  entsprechen,  dass  mit  dem  Verlust  dieser  Dotter- 
theile  auch  bestimmte  spätere  Organe  fehlen,  und  dass 
mit  der  abnormen  Anordnung  derselben  auch  spätere 
Organe  entsprechend  abnorm  gelagert  würden. 

Ein    gewisses    hohes    Maass    von    Isotropie    des    E  i  - 

W.  Roux.  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  '  54 


850  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungsliypotliesen. 

dotters  ist  also  erwiesen  und  damit  die  Zurüclvverf  olgung 
des  Principes  der  organbildenden  Keimbezirke  auf  das 
,,ung  etil  eilte"  Ei  in  dem  Sinne,  dass  jeder  Theil  des  Dotters  be- 
stimmte Wachsthumsgrösse  besitze  und  einem  bestimmten 
Organ  entspreche,  als  nicht  zutreffend  erkannt.  (Umgerecht 
zu  urtheilen,  müssen  wir  uns  aber  erinnern,  dass  His  den  bezüglichen 
Ausspruch  bereits  im  Jahre  1874  gethan  hat,  also  zu  einer  Zeit,  wo 
die  fundamentalen  Untersuchungen,  die  uns  von  der  überwiegenden 
gestaltenden  Bedeutung  des  Kernes  über  die  des  Protoplasmas  belehrt 
haben,  noch  nicht  vorlagen.) 

Immerhin  aber  wäre  es  möglich,  bei  der  normalen  Ent- 
wickelung,  die  ein  typisch  festgeordnetes  System  von  Vor-  [310] 
gangen  darstellt,  die  einzelnen  Organe  auf  bestimmte  Dottertheile  des 
noch  ungetheilten ,  aber  schon  befruchteten  Eies  (s.  Nr.  21)  zu 
projiciren;  es  liätte  aber,  wie  ich  früher  (S.  20)  dargethan  habe,  das 
Ergebniss  dieser  grossen  j\Iühe  keinen  besonderen  Werth. 

Aber  für  das  geth  eilte  Ei,  für  die  Keimscheibe  resp.  für  die 
Morula  und  Blastula  hätte  diese  Projicirung  einen  grösseren  Werth, 
selbst  in  dem  Falle,  dass  die  den  einzelnen  Organen  entsprechenden 
Bezirke  nicht  auch  die  wesentlichen  besonderen  Kräfte  zu  ihrer  Diffe- 
renzirung  enthalten;  es  wäre  damit,  wenn  auch  keinem  causalen,  so 
doch  einem  topographischen  Interesse  gedient.  Wir  haben  aber 
gesehen ,  dass  das  durch  die  Furchung  geschiedene  Material  jeder  der 
ersten  und  daher  wohl  auch  noch,  wenn  auch  vielleicht  in  beschränkterem 
Maasse,  späterer  Furchungszellen  selbstdifferenzirungsfähig  ist;  sodass 
also  durch  dies  Princip  nicht  blos  feste,  d.h.  bei  der  normalen  Ent- 
wickelung  unveränderliche  t  o  p  o  g  r  a  p  h  i  s  c  h  e  B  e  z  i  e  h  u  n  g  e  n  ,  son- 
dern auch  directe  causale  Beziehungen  bezeichnet  werden. 

Das  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke  be- 
ginnt somit  erst  mit  der  Furchung  eine  „feste"  Bedeu- 
tung zu  erhalten;  dieselbe  ist  nicht  blos  eine  topogra- 
phische, sondern  auch  eine  causale;  und  sie  wird  mit  dem 
Fortschreiten  der  Furchung  eine  immer  speciellere,  denn  mit  der 
Furchung  werden  verschieden werthige,  der  „typischen"  Ent- 


Bestimmende  Wirkungen  der  Anordnung  der  Dottersubstanzen.  851 

Wickelung  dienende  Idioplassouten  mehr  und  mehr  von  einander 
geschieden  und  in  typischer  Anordnung  localisirt. 

0.  Hertwig  jedoch  folgert  allgemein  die  Unrichtigkeit 
des  Principes  der  organbildenden  Keimbezirke,  auch 
für  das  get heilte  Ei. 

Die  Isotropie  des  Dotters  ist  aber  trotz  der  Ergebnisse 
obiger  Experimente  keine  vollkommene.  Ein  Mal  ist  von  einigen 
Autoren  angegeben  worden,  dass  sie  in  noch  unbefruchteten  Eiern  be- 
stimmter Thiere  gefärbte  Körner  gesehen  haben,  die  später  eine  typische 
Lagerung  in  dem  Embryo  erhielten  (s.  S.  98),  indem  sie  immer  in 
demselben  Organ,  der  Leber  oder  [311]  dem  Auge  sich  wiederfanden. 
Daraus  ist  aber  noch  nicht  zu  folgern,  dass  diese  Theile  den  Ort  der 
Anlage  oder  gar  die  Anlage  des  betreffenden  Organes  bestimmen; 
sondern  es  kann  auch  blos  sein,  dass  sie  bei  normalem  Ablaufe  der 
Entwickelung  stets  dahin  geführt  werden.  Ein  Anderes  wäre  es, 
wenn  bei  Störung  der  normalen  Anordnung  des  Dotters  des  unge- 
furchten Eies  dann  auch  das  bezügliche  Organ  eine  entsprechend 
anormale  Lagerung  erhielte.  Doch  das  müsste  erst  bewiesen  werden, 
ehe  wir  damit  zu  rechnen  haben. 

Weiterhin  aber  steht  bei  den  telolecithalen  Froscheiern 
das  Lageverhältniss  des  Nahrungs-  und  Bildungsdotters 
mit  der  Lage  der  Hauptrichtungen  des  Embryo  im  Eie  in 
einem  „festen  causalen"  Zusammenhang. 

Erstens  kommt  allgemein  bei  den  telolecithalen  Eiern  der 
Nahrungsdotter  stets  dem  Entoblast  anzuliegen,  sodass  mit 
der  Lagerung  dieses  Dotters  eine  Richtung  vom  Ento-  zum  Ecto- 
blast,  beim  Frosch  die  dorsi ventrale  Richtung  des  Embryo  schon 
am  unbefruchteten  Ei  bestimmt  ist  (s.  Nr.  23).  Zweitens  halje  ich  für 
Rana  esculenta  (s.  Nr.  16)  festgestellt  erstens,  dass  das  Ei  nach  der  Befruch- 
tung sich  derart  schief  einstellt,  dass  auf  einer  Seite  die  weisse  Hemi- 
sphäre etwas  höher  steht,  ferner,  dass  die  Medianebene  des  Embryo 
diese  Ungleichheit  der  Einstellung  symmetrisch  theilt,  sodass  also 
die  Richtung  der  Medianebene  mit  dieser  Dottereinstellnng  schon 
bestimmt  wird;  und  schliesslich,  dass  die  Seite  der  höher  stehenden 

weissen  Hemisphäre  stets  zur  cephalenSeitedes  Embryo  wird,  womit  nor- 

54* 


852  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 


maier  Weise  alle  HauptrichtungeD  des  Embryo  im  Ei  fest  bestimmt  sind. 
Pflüger  hat  darauf  entsprechendes  für  Zwangslage  beobachtet,  woraus 
unter  Berücksichtigung  der  Untersuchung  Born's  zu  schliessen  ist, 
dass  das  geringe  Maass  von  nicht  durch  die  innere  Umordnung 
ausgeglichener  Dotteranordnung  diese  Entscheidung  über 
köpf-  und  schwanzwärts  bedingen  kann;  während  normaler 
Weise  diese  Einstellung  und  Bestimmung  des  Kopf- 
schwanzw^ärts  durch  die  Befruchtung  bedingt  wurd,  in- 
[312]  dem,  wie  ich  zeigte  (Nr.  21),  auch  bei  beliebig  localisirter  Befruch- 
tung die  schwarze  Hemisphäre  sich  auf  der  Eintrittsseite  des  Samen- 
körpers senkt,  und  an  der  gegenüber  liegenden  Seite  die  weisse  Hemi- 
sphäre weiter  nach  oben  sich  ausdehnt. 

Ich  habe  dann  dargethan  (S.  327, 335, 404  u.  f.),  dass  bei  Zwangslage 
die  Anordnung  des  Nahrungs-  und  Bildungsdotters  die  Einstellung  der 
ersten  Kern-Theiluugsspindel  des  Furchungskernes  beeinflusst,  und  habe 
auf  Grund  des  weiteren  Verhaltens  erschlossen,  dass  damit  zugleich  auch 
auf  die  Qualität  der  ersten  Kerntheilung  eine  Einwirkung  stattfindet 
derart,  dass  bei  Einstellung  dieser  Kernspindel  in  der  Symmetrieebene 
der  Dottermasse  die  ihrer  Qualität  nach  normalerweise  als  zweite  auf- 
tretende Furchung  unter  diesen  Umständen  als  erste  stattfindet. 

Wenn  also  das  Dottermaterial  auch  nicht  derart  verschieden  ist, 
dass  es  den  einzelnen  Organen  des  Embryo  entspricht,  so:  vermag 
(Joch  bei  den  telolecithalen  Froscheiern  eine  passiv  liervor- 
(jehraclite  Anordnung  der  heiderlei  Dottermassen,  des  Bil- 
dungs-  und  des  Nahrungsdotters,  alle  „Hanptrichtungen  des 
Embryo"  im  Ei  zu  hestimmen. 

Nach  der  Verwerfung  von  His'  Princip  der  organbildenden  Keim- 
bezirke wendet  sich  Hehtwig  zur  Besprechung  meiner  Versuche. 

Er  bezweifelt  unter  Nennung  blos  meines  Namens  als  Autoren 
zunächst  die  Angabe,  dass  ursächliclie  Beziehungen  zwischen 
den  drei  ersten  Theilungsebenen  des  Eies  und  den  Haupt- 
richtungen resp.  den  einzelnen  Körperregionen  des  ent- 
wickelten Organismus  bestehen,  dass  die  erste  Theilungsebene 
bei  manchen  Thieren  die  Medianebene  darstellt  (Nr.  16),  und  dass  dies 
bei  anderen  durch  die  zweite  Furchungsebene  (Nr.  20  und  21)  geschieht. 


Zeit  der  ßestimimnig  der  Hauptriclitungeu  des  Embryo.  853 

BezÄigliche  Thatsaclien  sind  nicht  allein  von  mir,  sondern  noch  von 
vielen  anderen  Autoren  festgestellt.  So  haben  ausser  [313]  mir  selbst- 
ständig Newport  sowie  Pflüger  für  den  Frosch^)  erwiesen,  dass  die  erste 
Furche  normalerweise  schon  die  Medianebene  des  Embryo  darstellt; 
ebenso  konnten  Seeligeu  sowie  van  Beneden  und  Julin  bestimmen,  dass 
auch  bei  Ascidien  die  erste  Furche  der  Medianebene  des  Embryo  ent- 
spricht, und  dass  die  dritte  Furche  das  Ecto-  und  Entodermmaterial  von 
einander  scheidet;  welch'  letzteres  von  M.  v.  Davidoff  für  das  von  ihm 
untersuchte  Object,  Distaplia,  bestätigt  wird.  Für  die  Achordaten  liegt 
gleichfalls  eine  grosse  Anzahl  entsprechender  Beobachtungen  vor  (17), 
welche  die  festen  Beziehungen  zwischen  den  Hauptrichtungen  des  Em- 
bryo und  den  ersten  Furchungsebenen  darthun  : 

Bei  den  Cölente raten  stellt  die  Durchschnittslinie  der  beiden 
ersten  Furchungsebenen  des  Eies  zugleich  die  Hauptaxe  des  Thieres, 
die  Verbindungslinie  des  oralen  und  aboralen  Poles  dar;  und  die  dritte, 
dazu  rechtwinkelig  stehende  Furche  scheidet  Ectodermmaterial  von 
Entodermmaterial.  Bei  den  Ctenophoren  entsprechen  ausserdem  die 
beiden  ersten  Furchungsebenen  den  beiden  gekreuzten  Symmetrie- 
ebenen des  Embr^^o. 

Bei  den  Polycladen  entstehen  durch  die  beiden  ersten  Furchen 
zwei  kleine,  dem  aboralen  und  zwei  grosse,  dem  oralen  Pole  entsprechende 
Zellen;  und  von  den  beiden  letzteren  entspricht  die  grössere  dem 
Hinterende,  die  kleinere  dem  Vorderende  des  Thieres.  Bei  den  Ortho- 
ne ctiden  und  Dicyemiden  ist  gleichfalls  vorn  und  hinten  gleich 
anfangs  zu  unterscheiden. 

Bei  den  Nematoden  scheidet  die  erste  Furche  den  Ectoderm- 
theil  des  Eies  vom  Meso-  und  Entodermtheil;  und  bei  Rhabditis  [314] 
nigrovenosa  isrnach  Götte  zu  dieser  Zeit  auch  schon  die  ventrale  und 
dorsale  Seite  sowie  das  Vorder-  und  Hinterende  des  Embryo  charakterisirt. 


1)  Das  abweicliende  Resultat  von  Frl.  Cornelia  Clapp  an  Eiern  von  Batrachus 
Tau,  in  welchem  von  33  Fällen  die  erste  Furche  nur  drei  Mal  mit  der  Medianehene 
zusammenfiel,  hat  schon  Born  (in  Ergehnisse  der  Anatomie  und  Entwickelungsge- 
schichte  von  Merkel  u.  Bonnet,  I.  Bd.,  S.  602)  auf  die  bei  dem  Versuche  an  diesen 
Eiern  vorhandenen  Fehlerquellen  zurückgeführt;  und  es  bedarf  nur  geringer  Versuchs- 
fehler, um  beim  Frochei  fast  ebenso  unrichtige  Zahlen  zu  erhalten  (siehe  auch  Nr.  31, 
S.  269  Anm.). 


854  Nr.  27.   ^Vlosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungsliypothesen. 


Bei  den  Rotatorien  sind  nach  der  zweiten  Furchung  schon 
alle  drei  Richtungen  des  Embryo  als  bestimmt  erkennbar;  und  die 
grösste  der  vier  Zellen  liefert  das  Ento-  und  Mesoderm. 

Bei  den  Polychäten  liefern  die  nach  der  dritten  Furchung 
vorhandenen  oberen ,  kleineren  Zellen  das  Ectoderm ,  die  unteren, 
grösseren  das  Entoderm.  Bei  den  Oligochäten  sind  nach  der  dritten 
Furchung  schon  alle  Hauptrichtungen  des  Embryo  kenntlich.  Die  Eier 
der  Hirudineen  haben  eine  Axe  mit  kenntlichem  animalen  Pol,  und 
schon  nach  der  ersten  Furchung  sind  alle  Hauptrichtungen  normirt. 

Bei  Bai  an  US  (Crustaceen)  entsteht  an  dem  länglichen  Ei  zuerst 
eine  Furche ,  welche  eine  vordere ,  protoplasmatische ,  den  Ectoblast 
liefernde  Zelle,  von  der  hinteren,  Dotterkürner  haltigen,  dem  Entoblast 
entsprechenden  Zelle  scheidet.  Bei  Cirrhipeden  (Policipes)  entspricht 
nach  NussBAüM  das  Kopfende  des  Nauplius  dem  stumpfen  Eipole,  das 
Schwanzende  dem  spitzen  oder  Befruchtungspole. 

(Das  Insectenei  dagegen  lässt  schon  vor  der  Befruchtung  an 
seiner  Gestalt  drei  Hauptrichtungen  erkennen,  welche  der  dorsalen  und 
ventralen  Seite  sowie  dem  Kopfende  und  Hinterende  und  den  lateralen 
Seiten  entsprechen ;  so  dass  alle  Hauptebenen  des  Embryo  schon  vor 
der  Befruchtung  bestimmt  sind)  [siehe  aber  S.  118,  299  und  414,  8]. 

Ich  glaube ,  das  angeführte  Material  dürfte  genügen ,  um  un- 
zweifelhaft darzuthun,  dass  trotz  der  Zweifel  0.  Hertwig's  solche  feste 
Beziehungen  zwischen  den  Hauptrichtungen  des  Embryo  und  den 
ersten  Furchungsebenen  des  Eies  und  damit  auch  zwischen  entspre- 
chenden Abschnitten  des  Embryo  und  den  Furchungszellen  bestehen; 
ebenso  wie  bei  manchen  Eiern  solche  festen  Beziehungen  schon 
zwischen  besonders  charakterisirten  Richtungen  des  unbefruchteten 
Eies  und  den  Hauptrichtungen  [315]  des  Embryo  vorhanden  sind. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  diese  ,, festen"  Bezieh- 
ungen nicht  zufällige,  sondern  causale  sind.  Durch  die  oben- 
stehend mitgetheilten  Experimente  mit  localis irter  Befruchtung, 
Zwangslage  und  Zerstörung  erster  Furchungszellen  sind 
diese  ursächlichen  Beziehungen  als  ganz  directe  dar- 
gethan. 

Hertwig  bezweifelt  weiterhin  die  von   mir  erwiesene   und  auch 


Anachronismen  der  Furchung.  855 

aus  den  Versuchen  Rauber's  ab/Aileitonde  Thatsache,  dass  beim  Frosche 
häufig  eme  zeitliche  Verwechselung  der  beiden  ersten  Furchen 
vorkommt,  ^h\n  kann  nämlich,  wie  ich  gezeigt  habe  (Nr.  20  u.  21), 
experimentell  hervorrufen,  dass  die  als  erste  auftretende  Furche  quer 
zu  derjenigen  Ebene  steht,  welche  die  aus  schwarzer  und  einem  Saum 
weisser  Hemisphäre  zusammengesetzte  obere  Ansicht  des  Eies  sym- 
metrisch theilt,  und  dass  sie  dabei  ko]3f-  und  schwanzwärts  des  Em- 
bryo von  einander  scheidet:  beides  die  Merkmale  der  normalen 
zweiten  Furchung.  Die  darauf  folgende  Furchung  steht  dann  in 
Richtung  der  genannten  Symmetrieebene  und  stellt  die  Medianebene 
des  Embryo  dar:  beides  die  Charaktere  der  normalen  ersten  Fur- 
chung des  Froscheies;  so  dass  wohl  hier  an  einen  Irrthum  nicht  zu 
denken  ist.  Götte  (18)  hat  ferner  beobachtet,  dass  von  nahe  ver- 
wandten Gattungen  der  Würmer  die  erste  Furche  bei  den  einen  die 
Medianebene  darstellt,  bei  andern  aber  rechtwinkelig  zur  Medianebene 
steht,  also  der  zweiten  Furche  ersterer  Thiere  entspricht. 

Gegen  den  unzweifelhaft  von  mir  festgestellten  Anachronis- 
mus der  beiden  ersten  Furchen  beim  Froschei  wendet  sich  Hertwig 
wieder  nicht  mit  Thatsachen,  sondern  mit  einer  Frage: 

,, Sollte  die  Natur,  wo  es  sich  um  fundamentale  Geschehnisse 
handelt,  sich  solche  Anachronismen  erlauben^)?  Oder  [316]  haben  wir 
nicht  in  diesen  Anachronismen  einen  Beweis  für  die  Unhaltbarkeit 
des  v^on  Roux  aufgestellten  Gesetzes  zu  erblicken?  Lehren  sie  uns 
nicht  vielmehr,  dass  zwischen  den  ersten  Furch ungsz eilen  und 
den  späteren  Körperabschnitten  des  Embryo  die  ursäch- 
lichen Beziehungen  eben  nicht  bestehen,  die  von  Roux  ange- 
nommen und  als  ,, Sonderungen  des  Bildungsmateriales  mit  den  difi'e- 
renzirenden  uijd  gestaltenden  Kräften''  bezeichnet  werden?" 

Darauf  äussert  Hert^vig  auf's  Neue  Zweifel  bezüglich  der  von 
mir  aus  einem  halben  Froschei  nach  Abtödtung  der  zweiten  Furchungs- 


1)  Bei  diesen  Anschauungen  0.  Hertwig's  ist  es  wohl  nicht  überflüssig,  daran 
zu  erinnern,  dass  bei  dem  fundamentalen  Geschehniss  der  Furchung  noch  grössere 
Variationen  als  ein  blosser  Anachronismus  zweier  Furchungen  vorkommen;  so  finden 
sich  bei  verschiedenen  Species  der  Gattung  Gammarus  verschiedene  Furchungs- 
typen,  und  bei  den  Cladoceren  Aveisen  sogar  das  Sommer-  und  das  Wintere!  des- 
selben Thieres  verschiedene  Furchungstypen  auf. 


856  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypotliesen. 

zelle  erhaltenen  Halbbildungen.  In  seiner  Arbeit:  „Ui'mund  und  Spina 
bifida"  hatte  er  die  Annahme  gemacht,  ich  hätte  gar  keine  Halbl;>il- 
duusen  sondern  Ganzbildungen  mit  einer  normal  und  einer  anormal 
entwickelten  Hälfte  hervorgebracht.  Diesen  Einwand  habe  ich  dadurch 
widerlegt ,  dass  ich  auf  dem  Anatomen-Congress  zu  Wien  im  Micro- 
scop  eingestellte  Querschnitte  bezüglicher  Objecte  während  meines 
^"ortrages  circuliren  liess,  an  welclien  zu  ersehen  war,  dass  die  zweite 
Hälfte  unentwickelt ,  ja  bei  manchen  Objecten  blasig  zersetzt  war. 
Vermuthlich  in  Folge  des  Berichtes  von  Theilnehmern  am  Congresse 
macht  Hertwig  jetzt  einen  anderen  Einwand.  Er  führt  nämlich  die 
Verschiedenheit  meiner  und  Driesch's  Resultate  jetzt  auf  den  Umstand 
zurück,  dass  in  meinen  Versuchen  die  die  Operation  überlebende 
Hälfte  nicht  wirklich  isolirt  war.  ,,Denn  neben  ihr  ist  in  der  Eihülle, 
die  durch  das  Anstechen  mit  heisser  Nadel  geschädigte  Eihälfte  zurück 
geblieben,  eine  Dottermasse,  welche  sich  weiter  verändert  mit  der  ge- 
sunden Zel-lenhälfte  in  Berührung  Ijleibt  und  zur  Ursache  wird,  dass 
diese  sich  in  mehr  oder  weniger  monströser  Weise  fortentwickelt/' 
Dem  muss  ich  entgegenhalten,  dass  die  unversehrte  Hälfte  sich 
oft  zu  einem  so  normalen  halben  Embryo  entwickelt  hat,  dass  von 
monströser  Entwickelung  keine  Rede  sein  kann.  Und  selbst,  Avenn 
solche  normale  Entwickelung  auch  nur  in  einem  einzigen  Fall 
vorgekommen  wäre ,  so  würde  dieser  Fall  a  1 1  e  i  n  schon  die 
,,  Möglichkeit"  [317]  der  Selbstentwickelung  der  einen 
Furchungskugel  zu  einem  halben  Embryo  dargethan  haben. 
Wie  stellt  es  Hertwig  sich  aber  vor,  dass  eine  ihrer  Entwickelungs- 
fähigkeit  gänzlich  beraubte  unentwickelte,  oft  blasig  zersetzte  Eihälfte 
die  andere  befähigen  soll,  sich  zu  einem  halben  Embryo,  ja  sei  es 
auch  nur  zu  einer  etwas  missgebildeten  Embryohälfte  zu  entwickeln? 
In  den  Versuchen  Chun's  (8)  aber  waren  beide  Eihälfteu  von  einander 
getrennt  und  lieferten  gleichwohl  sogar  geschlechtsreife  Halbbil- 
dungen. Hertwig  fragt  dagegen:  ,,Was  müssten  es  für  wunderbare 
Processe  sein,  wenn  sich  eine  wirkliclie  hallje  Blastula,  eine  wirkliche 
halbe  Gastrula  und  eine  wirkliche  Halblarve  bilden  sollte?" 

Zunächst  scheint  berücksichtigungswerth,  dass  diese  Halb- 
bildungen  sich   wirklich    gebildet  haben.     Und   „wunderbar"    er- 


I 


Umordnung  der  Furchungszellen.  857 

■scheint  mir  das  niclit;  selbst  nicht,  wenn,  wie  es  beim  Seeigelei  und 
den  Ascidien  in  der  That  der  Fall  war,  nach  Entfernung  der  getödteten 
Eihälfte  die  andere  Furchungszelle  sich  fast  zur  Kugel  abrundete; 
denn  das  geschah  bei  diesen  Thieren  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Post- 
generatiousmechanismen  noch  nicht  in  Thcätigkeit  versetzt  waren,  so 
lange  also  die  Mechanismen  der  typischen  Entwickelung  allein  arbeiteten. 
Da  konnte  sich  nach  meiner  Auffassung  dies  Geschehen  fast  ganz  wie 
normal  vollziehen.  Beim  Seeigel  sind  die  zwei  ersten  (NB.  soliden, 
nicht  ausgehöhlten)  Furchungskugeln  schon  normaler  Weise  stark  ab- 
gerundet und  jede  bildet  gleichwohl  unter  ,,Um Ordnung''-  des 
Materiales  der  Furchungszellen  eine  halbe  Morula,  in  Form 
einer  halben  HohlkugeP)  (s.  Nr.  28,  S.  614).  Hat  sich  nun  eine 
isolirte  erste  Furchungszelle  ganz  gerundet,  so  sind  entweder  diese 
Ordnungsmechanismen  ein  wenig  mehr  thätig,  oder  wenn  sie  es  nicht 
sind,  so  erhalten  wir  eine  Semimorula,  welche  ein  klein  wenig  von 
der  normalen  [318]  halbenHohlkugelform  abweicht;  eine  Differenz,  die 
so  gering  sein  wird ,  dass  wir  sie  bei  der  Weichheit  des  Materiales 
kaum  sicher  feststellen  könnten. 

Nachdem  Hertwig  so  diese  von  mir  und  anderen  ermittelten, 
zu  seiner  Theorie  nicht  passenden  sicheren  Thatsachen  auf  dialectische 
Weise  beseitigt  zu  haben  glaubt,  spricht  er  sich  ganz  im  Sinne  der 
oben  mitgetheilten  und  widerlegten  Auffassung  Driesch's  von  der 
Gleichheit  der  Furchungszellen  aus. 

Schliesslich  hat  Hertwig  auch  selber  ein  Experiment,  am  Tritonei, 
gemacht  und  gefunden :  ,,man  ,, könnte"  aus  demselben  höchstens 
schliessen :  Bei  den  Tritoneiern  wird  durch  die  erste  Theilungsebene  das 
Bildungsmaterial  für  die  Kopf-  und  für  die  hintere  Rumpf hälfte  gesondert. 
Bei  Tritonen  und  Fröschen  würden  sich  danach  aus  den  beiden  ersten 
Furchungskugeln  ganz  verschiedene  Körpergegenden  entwickeln,  bei 
den  Tritonen  die  vordere  und  die  hintere,  bei  den  Fröschen  die  linke 
und  rechte." 

Dieser  scheinbar  tiefgreifende  Unterschied  verliert  sich  sofort, 
wenn  wir  den  Zustand  beider  Eier  nach  der  zweiten  Furchung  betrachten; 


1)  Dieser   fast   allgemeine  Vorgang   der  Selbstumordnuug  der  Furchungszellen 
findet  bei  Turbellarien  (Polycladen  und  Tricladeu)  in  besonders  hohem  Grade  statt. 


<258  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

dann  hat  jedes  dieser  Eier  vier  Zellen,  welche  in  gleicher  Weise  den  vier 
Vierteln  des  Embryo  entsprechen. 

Der  gänzliche  Wegfall  dieses  angeblichen  Gegensatzes  beruht  ein- 
fach darauf,  dass  ein  solcher  Gegensatz  gar  nicht  besteht;  sondern  dass 
blos  eine  zeitliche  Vertauschung  der  beiden  ersten  Furchungen  vor- 
liegt. Hertwig's  einzige  bezügliche  Beobachtung  fügt  sich  somit 
vollkommen  in  die  von  mir  ausgesprochene  Auffassung. 

Hertwig  fährt  jedoch  fort:  ,,Ein  derartiges  Endergebniss,  meiine 
Herren,  ist  wohl  ein  deutlicher  Beweis,  dass  wir  auch  in  dieser  neueren 
Phase  der  Präformationstheorie  auf  einen  Abweg  gerathen  sind." 

Im  Anschluss  an  die  letzte  Besprechung  meiner  Arbeiten  folgt 
dann  das  Endurtheil: 

[319]  ,,Der  Fehler,  in  welchen  schon  so  viele  Forscher  bei  ihren 
Speculationen  über  das  Wesen  der  Entwickelung  verfallen  sind,  besteht 
darin,  dass  sie  Merkmale  des  ausgebildeten  Organismus  auf  die  unge- 
theilte  Eizelle  einfach  zurück  zu  projiciren  suchen  und  so  die  Dotter- 
kugel mit  einem  System  kleinster  Theilchen  bevölkern,  die  gröberen 
Theilen  des  Organismus  qualitativ  und  auch  in  räumlicher  Anordnung 
entsprechen  sollen." 

Dass  diese  x4.eusserung  auf  mich  Bezug  haben  soll,  hat  für  mich 
und  wohl  auch  für  jeden ,  der  meine  Arbeiten  kennt ,  etwas  Ueber- 
raschendes. 

O.  Hertwig  fährt  fort: 

,.Bei  diesem  Verfahren  wird  übersehen,  dass  das  Ei  ein  Or- 
ganismus ist,  der  sich  durch  Theilung  in  zahlreiche,  ihm  gleich- 
artige Organismen  „vermehrt",  und  dass  erst  durch  die  "Weelisel- 
Avirkungeii  „aller"  dieser  zahlreichen  Eleineiitarorganismeii  auf  jeder 
Stufe  der  Entwickelung  sich  der  Gesammtorganismus  allmählich 
fortsei n-eitend  gestaltet.  Die  Entwickelung  eines  Geschöpfes  ist  daher 
nimmermehr  eine  Mosaikarbeit;  vielmehr  entwickeln  sich  „alle"  ein- 
zelnen Theile  „stets"  in  Beziehung  zu  einander  oder  die  Ent- 
wickelung eines  Theiles  ist  stets  abhängig  von  der  Entwickelung  des 
Ganzen."  (Die  gesperrt  und  fett  gesetzten  Wörter  sind  von  mir  her- 
vorgehoben). 

Nach  dieser  Aeusserung  0.  Hertwig 's  wäre  also  die  Frage,  die 


Falsche  Epigenesis.  859 


ich  vor  sieben  Jahren  als  Alternative  mit  im  Speciellen  unendlich 
vielen  UebergangsmögHchkeiten  formnlirt  habe  (S.  20),  und  zu 
deren  Lösung  ich  die  Arbeit  mindestens  von  Decennien  für  nüthig 
hielt,  bereits  definitiv  entschieden  und  zwar  im  extremen  Sinne  der 
universellen  Weclisel Wirkung:  ,,dass  alle  einzelnen  Theile  des 
Organismus  sich  stets  in  Beziehung  zu  einander  entwickeln,  oder  dass 
die  Entwickelung  eines  Theiles  stets  abhängig  von  der  Entwicke- 
lung  des  Ganzen  ist." 

Ergänzend  äussert  er  sich  in  ,,Urmund  und  Spina  bifida !" : 

.,Nur  dadurch  entwickelt  sich  normalerweise  die 
[3201  linke  F  u  r  c  h  u  n  g  s  z  e  1 1  e  zur  linken  K  ö  r  p  e  r  h  ä  1  f  t  e  , 
dass  sie  zu  einer  rechten  F u r c h u n g s z e  1 1  e  in  Beziehung 
gesetzt  ist." 

Wie  sich  diese  Auffassungen  0.  Hertwig's  mit  der  Thatsache 
der  von  mir  beobachteten  xinachronismen  in  der  Entwickelung 
der  Keimblätter,  oder  gar  mit  dem  Fehlen  des  unteren  Blattes 
(Anentoblastia)  bei  wesentlich  normaler  Anlage  der  Theile  der 
beiden  anderen  Blätter  (S.  442)  und  mit  der  Bildung  der  halben 
Embryonen  vertragen,  kann  wohl  dem  eigenen  Urtheil  der  Leser 
überlassen  bleiben.  [Auch  der  flüchtigste  Leser  wird  erkennen,  dass 
diese  Thatsacheu  mit  Hertwig's  Auffassung  unvereinbar 
s  i  n  d ;  denn  wenn  so  grosse  Theile  in  der  Entwickelung  zurück 
bleiben  oder  gar  fehlen  können,  ohne  dass  die  anderen  Theile  dadurch 
in  ihrer  Entwickelung  gestört  werden,  so  folgt  mit  Sicherheit,  dass 
die  Entwickelung  dieser  letzteren  nicht  an  die  Wechselwirkung 
mit  den  fehlenden  Theilen  gebunden  ist,  dass  sie  also  nicht  durch 
die  Wechselwirkung  aller  Theile  des  Ganzen  sich  vollzieht.] 

Ferner  spricht  direct  gegen  den  Vollzug  der  indivi- 
duellen Entwickelung  durch  allgemeines  Avechselseitiges 
gestaltendes  Zusammenwirken  ,, aller"  Theile  zum  Gan- 
zen die  weitere  Thatsache,  das  bei  der  Hauptclasse  der  Doppel- 
bildungen, also  bei  denjenigen  Doppelbildungen,  welche  dem  von 
mir  formulirten  Gesetz  der  ,, doppelten  Symmetrie  der  Organanlagen" 
{S.  333)  entsprechen,  dass  bei  diesen  das  jedem  von  beiden  In- 
dividuen   in   symmetrisch  gleicher  Weise  fehlende  Stück 


860  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

wirklich  jedes  „beliebige'',  „eben"  abgegrenzte  Stück 
sein  kann;  und  dass  bei  ihnen  fast  alle  Organe  bis  zu  der 
Vereinigungsebene  in  „normaler  Gestaltung"  vorhanden 
sind,  so,  als  wenn  erst  von  entwickelten  geburtsreifen  Zwillingen 
nachträglich  in  ebener  Trennuugsfläche  symmetrische  Stücke  ab- 
geschnitten, und  die  Kinder  mit  den  Schnittflächen  zusammengefügt 
worden  wären.  Diese  normale  Gestaltung  defecter  Organe  bis  zu 
einer  beliebigen  Abgrenzungsebene,  z.  B.  die  einer  8  ähnliche  Doppel- 
Cornea  oder  Doppel-Linse  des  dritten  gemeinsamen  Auges,  spricht 
ebenso  sehr  für  das  \^  e  r  m  ö  g  e  n  von  S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g 
sogar  von  ,,Theilen"  dieser  Organe,  wie  die  gleichzeitige 
Ent Wickelung  von  zwei  so  ausgedehnt  vereinigten  Ge- 
Id i  1  d e n  zu  K ö r ]) e r n  ,  von  denen  jeder  in  sich  s e  1  1d e r  c e n - 
trirt  ist,  das  ,, Fehlen"  des  Thätigseins  allgemeiner,  sie 
zu  einem  ,, Ganzen"  zusammenfassender  Wechselwir- 
kungen d  i  r  e  c  t  bekundet. 

Die  Grundlage  dieser  ganzen  Ansichten  Hertwig's  bildet  seine 
von  ihm  so  genannte  „Vererbungstheorie"  (Nr.  9,  S.  476),  nach  welcher 
„jedes  [321]  ,,Theil stück"  der  Eizelle  durch  den  Kern- 
th  eilungsprozess  nach  Quantität  und  Qualität  ,, gleich 
viel"  Erbmasse  in  ihrem  (soll  heissen:  seinem)  Kern  enthält." 

Das  ßeweismaterial  für  diese  gieichwerthige  Vertheilung  der  Erb- 
masse auf  alle  Zellen  des  Organismus  findet  sich  in  seinem  jüngst 
erschieneneu  Buche  „Die  Zelle  und  die  Gewebe",  Seite  277  zusammen- 
gestellt und  besteht  in  Folgendem :  erstens  darin,  dass  jeder  Organis- 
mus zahlreiche  Ei-  und  Samenzellen  hervorbringt;  zweitens,  dass  bei 
vielen  Pflanzen  und  ebenso  auch  bei  vielen  niederen  Thieren  fast 
jeder  kleinste  Zellcomplex  des  Körpers  im  Stande  ist,  das  Ganze  aus 
sich  zu  reproduciren.  Bezüglich  des  Unvermögens  der  höheren  Thiere, 
sich  so  vollkommen  zu  regeneriren,  sagt  er  im  Anschluss  an  Jon. 
Müller  „deswegen  ist  man  aber  nicht  zu  der  Folgerung  gezwungen, 
dass  die  Zellen  der  höheren  und  niederen  Organismen  insoferne  ver- 
schieden wären,  als  die  letzteren  alle  Eigenschaften  derart  im  latenten 
Zustand,  also  die  Gesammtheit  der  Erbmasse,  die  ersteren  dagegen 
nur   noch  Theile   von   ihr   enthielten.     Denn   ebenso   nahe   liegt   der 


Specification  der  Kernsubstanz  bei  der  typischen  Entwickelung.  861 


Schluss,  dass  bei  den  höheren  Thicreii  das  Unvermögen  der  meisten 
Zehen ,  latente  Eigenschaften  zu  entfahen ,  an  den  äusseren  Beding- 
ungen Hegt,  z.  B.  an  der  zu  grossen  Differenzirung  des  Zehkörpers, 
in  welche  die  Erbmasse  eingeschlossen  ist  und  an  anderen  derartigen 
Verhältnissen." 

Dagegen  ist  zunächst  zu  erwähnen,  dass  auch  bei  den  niederen 
Thieren,  z.  B.  bei  Hydra  nicht  „fast  jeder  kleinste  Zellencomplex" 
des  Körpers  im  Staude  ist,  das  Ganze  aus  sich  zu  reproduciren ; 
sondern  dass  dazu  nach  Nussbaum  alle  drei  Zellschichten,  also  die 
Derivate  beider  Keimblätter  nöthig  sind ;  dass  dagegen  grössere  Zellen- 
complexe  blos  der  äusseren  oder  inneren  Schicht  dies  Vermögen  nicht 
besitzen.  Doch  das  ist  ein  für  das  gegenwärtig  behandelte  Problem 
unwesentlicher  Punct. 

Das  Wesentliche  liegt  darin,  dass  0.  Hertwig  folgert,  weil  in 
den  Geschlechtszellen  vollkommenes  Material  zur  Ver-  [322]  meh- 
rung  der  Individuen  und  in  allen  oder  vielen  somatischen  Zellen  voll- 
kommenes Material  zur  Regeneration  sich  finde,  sei  überhaupt  in 
allen  .somatischen  Zellen  vollkommen  das  gleiche  Idioplasson,  so 
dass  auch  die  normale  typische  Entwickelung  des  Individuums 
aus  dem  Ei  von  diesem  in  allen  Zellen  gleichen  Kern- 
mate riale  abgeleitet  werden  müsste.  Sachliche  Gründe  für 
diesen  Schluss  werden  wieder  nicht  beigebracht.  Ich  halte  denselben 
weder  logisch  noch  sachlich  für  berechtigt. 

Ich  halte  vielmehr  dafür,  dass  die  oben  erörterten  Thatsachen 
der  Halbbildungen  etc.  uns  zu  der  Annahme  nöthigen,  dass  durch 
die  Befruchtung  Idioplasson  activirt  wird,  M^elches  bei  den  Furch- 
ungen qualitativ  ,,ungleich"  sich  theilt;  das  ist  das  Material, 
welches  die  typische  Entwickelung  des  Individuums  bedingt; 
wäln*end  gleichzeitig  bei  den  ersten,  eventuell  auch  bei  späteren  Ei- 
theilungen  Vollkesimplasson  cj[ualitativ  halbirt  wird,  welches  der 
eventuellen  Post-  und  Regeneration   dient. 

Das  Idioplasson  zur  Bildung  der  männlichen  resp. 
weiblichen  Geschlechtszellen  dagegen  wird,  so  weit  es  nicht 
der  ,, Entwickelung"  dieser  Zellen  als  solcher,  das  heisst  ihres 
männlichen  oder  weiblichen  Charakters,   sondern   der  späteren  Ent- 


862  Nr.  27.  Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

Wickelung  des  Denen  Individuums  dient,  von  kleinsten  Varia- 
tionen abgesehen,  meiner  Meinung  nach  vom  befruchteten  Ei  an  bis 
zur  Bildung  der  Richtungskörperchen   immer   qualitativ  halbirt. 

Als  das ,, Hauptdepot"  dieser  beiderlei  idioplastischen  Materiahen 
(s.  S.  874),  in  welchem  aber  auch  „gearbeitet"  wird,  betrachte  ich 
den  Zellkern;  und  das  idioplastische  Material  desselben  vermuthe 
ich  vorzugsweise  in  der  bei  der  mitotischen  Theilung  der  Längs- 
spaltung und  danach  der  Vertheilung  auf  die  beiden  neuen  Centra 
unterliegenden  Substanz. 

Der  Mechanismus  der  indirecten  s.  mitotischen  Kerntheilung 
vermag  nun  sowohl  der  von  mir  so  genannten  qualitativen  Hal- 
birung,  d.  h.  der  Halbirung  der  Masse  jeder  einzelnen  Qualität, 
wie  auch  jeder  in  bestimmter  Weise  cj^ualitativ  un-  [323]  gleichen 
Theilung  (s.  S.  138  und  S.  311)  zu  dienen;  und  ich  habe  daselbst  auch 
schon  umgekehrt  dargethan,  dass  jede  dieser  beiclgn  Theilungs- 
weisen  des  Mechanismus  der  indirecten  Theilung  bedarf. 

Wenn  0.  Hertwig  annimmt,  dass  alle  Kerntheilungen  nach 
meiner  Terminologie  ,,c[ualitative  Halbirungen"  seien,  so  stützt  sich 
diese  Annahme  nicht  darauf  ,  dass  die  indirecte  Theilung  nur  diese 
zu  leisten  vermöchte.  Der  Unterschied  beider  Theilungen  liegt  blos 
in  der  Verschiedenheit  der  vor  und  während  der  Längs  Spal- 
tung  der  Kernfäden  wirkenden,    sondernden  Kräfte. 

Solche  besonderen  sondernden  Kräfte  sind  sowohl 
bei  der  qualitativen  Halbierung  wie  bei  der  qualitativ  un- 
gleichen Theilung  der  Kernsubstanz,  also  in  beiden  Fällen 
nöthig.  Ich  habe  zwar  dargethan,  dass  bei  genügend  grosser  Auf- 
reihung der  Kernsubstanz  in  viele  lange  Fäden  und  Halbirung 
dieser  Fäden  an  jedem  ideellen  Querschnitt  derselben,  eine  geringe 
Anzahl  von  Qualitäten,  welche  in  vielfacher  Wiederholung  in 
den  Fäden  vorgekommen,  rein  durch  die  Wahrscheinlichkeit  des  Fehler- 
ausgieiches  an  so  vielen  Halbirungs stellen  beim  Fehlen  beson- 
derer sondernder  Kräfte  auch  in  der  Masse  jeder  einzelnen  Qualität 
halbirt  werden  muss.  Gleichwohl  halte  ich  doch  unter  Berücksichti- 
gung der  geringen  Anzahl  von  Fäden  vieler  Eizellen  im 
Verhältniss    zu    den    selbst    bei    sehr   epigenetischer    Ent- 


Einschränkung  der  Epigenesis  durch  die  indirecte  Kernth eilung. 


Avickelung,  (d.  li.  wenn  man  die  Eutwiekeliing  des  Individuums 
vorzugsweise  als  wirkliche  Production  von  Mannigfaltigkeit  durch 
AVechselwirkung  einer  geringen  Zahl  verschiedener  Theile  auf  ein- 
ander auffasst)  zur  Uebertragung  der  elterlichen  Eigenschaften  noch 
nothigen  Anzahl  verschiedener  Qualitäten  dafür,  dass  auch 
schon  für  eine  „qualitative  Halbirung"  dieses  Materiales 
entsprechende  „sondernde"  Kräfte  thätig  sein  müssen. 
Dies  auch  deshalb,  weil  es  bei  genauer  Erwägung  wenig  wahrschein- 
lich ist,  dass  in  den  zu  spaltenden  Kernfäden  des  Eies  jede  Qualität 
so  vielfach  enthalten  sei,  um  durch  mechanischen  Fehlerausgleich  hal- 
birt  werden  zu  können. 

Ein  fernerhin  bei  der  Erwägung  des  Antheiles  der  verschiedenen 
[32J-]  Entwickelungsmöglichkeiten  zu  l:)erücksichtigender  Umstand  ist 
das  a  1 1  g  e  m  e  i  n  e  A"  o  r  k  o  m  m  e  n  der  indirekten  Kerntheilung  an  den 
Stellen,  wo  es  sich  um  Vermehrung  vonZellen  handelt,  die 
sich  noch  in  besonderer  Weise  ,,idiop  lastisch  "  be  thätig  en  sollen. 

Diese  Thatsache  schränkt,  wie  mir  scheint,  die  mög- 
lichen Arten  ,, gestaltender  Wechselwirkungen  innerhalb 
der  Zelle"  und  vielleicht  auch  der  Zellen  unter  einander  [also 
die  epigenetische  Entwickelung  s.  S.  5]  nicht  unerheblich 
ein.  Denn  zur  typischen  Entwickelung  durch  gestaltende  Wechsel- 
wirkungen von  nur  wenigen  verschiedenen  Theilen  auf  einander, 
müssen  die  jeweilig  gestaltend  thätigen  Theile  ein  typisches  festes 
System  von  Richtungen  bilden,  und  dies  muss  vom  Beginne  der  typi- 
schen individuellen  Gestaltung  an  der  Fall  sein  ^).  Bei  jeder  indirecten 
Kerntheilung  erhält  jedoch  das  Idioplasson  eine  neue,  von  seinem 
Ruhestadium  -wesentlich  verschiedene  Anordnung;  gestaltende  "W'ir- 
kungen,  die  .si^h  auf  die  frühere  Anordnung  gründeten,  müssen  daher 
durch   die  neue  Anordnung  gestört  resp.    unterbrochen  werden.     Es 


[1)  Nach  meiner  Auffassung  beginnt  die  ,,individuelle''  Gestaltung 
s.  Entwickelung,  abgesehen  von  der  individuellen  Vorentwickelung  (s.  S.  280 
u.  74),  mit  oder  sofort  nach  der  Befruchtung  und  wird  äusserlich  sichtbar  mit  der 
ersten  Furchung,  resp.  schon  vorher  z.  B.  mit  der  typischen  schiefen  Einstellung  des 
Froscheies,  mit  der  Sonderung  des  Bildungsdotters  vom  Nahrungsdotter  beim  Fischei. 
Nach  Driesch  und  0.  Hertwig  beginnt  die  individuelle  Entwickelung 
erst   auf  dem    Stadium    der   Morula  oder  B 1  a  s  t  u  1  a.] 


864  Nr.  27.   Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

müsste,  so  weit  die  bezüglichen  gestaltenden  Wirkungen  von  der  A  n- 
Ordnung  des  Ruhestadiums  abhängig  sind,  nach  jeder  Theilung  wieder 
wesentlich  die  gleiche  Anordnung  oder  zur  Weiterbildung  eine 
typisch  von  der  früheren  Anordnung  abweichende  Anordnung- 
hergestellt werden;  und  EntsiDrechendes  müsste  mit  der  Anordnung  der 
Substanztheilchen  in  den  Kernfäden  bei  der  Theilung  geschehen,  so- 
weit während  der  Theilung  typisch  gestaltende  Wechselwirkungen  statt- 
finden. Daher  scheint  mir  der  hohe  Wechsel  in  der  ,, Anord- 
nung" des  Idioplasson  daraufhinzuweisen,  dass  die  g estalte n- 
Wechselwirkungeu  nicht  sehr  von  der  gröberen,  sicht- 
baren Anordnung  des  im  Kern  enthaltenen  Idioplasson 
abhängig  sind;  dadurch  wird  ihr  wahrscheinlicher  Wirkungsumfang 
erheblich  eingeengt  und  zugleich  angedeutet,  dass  ihre  Wirkungen 
melir  innerhalb  kleinster  Theile  des  Idioplasson  sich  voll- 
ziehen; wodurch  Avir  weiterhin  zur  Annahme  einer  grösseren 
Anzahl  verschiedener  kleiner  Theile,  also  zur  Vergrösserung 
des  Antheiles  der  Evolution  an  der  individuellen  Entwickeluug  ge- 
führt werden. 

O.  Hertwig  lässt,  wie  wir  vernahmen,  das  idioplas tische  [325] 
Kernmaterial  aller  Theilstücke  des  Eies,  also  aller  Zellen  des  In- 
dividuums vollkommen  gleichartig  sein;  und  aus  einem  Com- 
pl  exe  solcher  gl  eich  beschaff  euer  Zellen  müssen  dann  nach 
ihm,  von  einem  nicht  näher  bezeichneten  Momente  an,  durch 
„Wechselwirkungen"  alle  die  ,, typischen"  Differenzie- 
rungen, welcher  jeder  Classe,  Gattung  und  Art  zukommen,  in 
Gleichem  wie  der  übertragene  Theil  der  den  Eltern  eigenthümlichen 
individuellen  Eigenschaften  entstehen. 

Im  Anschluss  an  Nägeli,  de  Vries  u.  A.  nimmt  Hertavig  an, 
„dass  im  Allgemeinen  jede  Zelle  eines  Organismus  den  ganzen 
Anlagecomplex  von  der  Eizelle  empfängt  und  ihre  besondere  Natur 
nur  dadurch  bestimmt  wird ,  dass  je  nach  den  Bedingungen  aus 
dem  Anlagekomplex  einzelne  Anlagen  oder  Idioblasten  in 
Wirksamkeit  treten,  während  die  anderen  latent  bleiben". 

In  welcher  Weise  aber  können  einzelne  Idioblasten  activ  werden, 
und    so    die  Natur    einer    Zelle    bestimmen?    In  Bezuo-   darauf   giebt 


Unzulänglichkeit  der  „Entwickelungstheorie"  0.  Hertwig's.  865 


0.  Hertwig  der  Hypothese  \x>n  de  Vries  vor  der  von  Nägeli  den 
Vorzug.  Jener  nimmt  eine  Beeinflussung  des  Zellcharakters  auf  ma- 
teriellem "Wege  an.  de  Vuies  denkt  sich,  dass  in  der  Anlagesubstanz, 
während  die  meisten  Pangene  (sive  Idioblasten  0.  Hertwig)  inactiv 
bleiben,  einige  in  Wirksamkeit  treten,  wachsen  und  sich  vermehren. 
Dabei  wandert  ein  Theil  von  ihnen  aus  dem  Kern  in  das  Protoplasma 
aus,  um  hier  ihr  Wachsthum  und  ihre  Vermehrung  in  einer  der 
Function  entsprechenden  Weise  fortzusetzen.  Das  Verlassen  des  Kerns 
kann  aber  stets  nur  derart  geschehen,  dass  alle  Arten  von  Idioblasten 
vertreten  bleiben. 

Nehmen  wir  an  ,  diese  Art  der  Bildung  wäre  an  sich  richtig, 
so  genügt  es  für  die  Entwickelung  eines  typischen,  den  Eltern  ent- 
sprechenden Organismus  jedoch  nicht,  das  ,, einige"  oder  „ein  Theil" 
von  Idioblasten  auswandern;  sondern  es  ist  nöthig,  dass  [326] 
immer  am  rechten  Ort  zu  rechter  Zeit  die  rechten  Idio- 
blasten activirt  werden. 

Wie  und  wodurch  soll  dies  nun  an  einem  Haufen 
oder  einer  Schichte  vollkommen  aus  „gleichem"  Material 
bestehender  Zellen  bewirkt  werden?  Denn  nicht  blos  die 
Zellkerne  sind  nach  Hertwig  einander  gleich,  sondern  auch  die  Zell- 
leiber sind  von  vornherein  einander  wesentlich  gleich,  da  ja  nach  ihm 
das  Dottermaterial  vollkommen  isotrop  ist.  Eine  entsprechende  typi- 
sche Ungleichheit  der  Gestalt  der  Zellen  von  Anfang  an,  von  wel- 
cher wohl  typische  grössere  Gestaltungen  sich  ableiten  Hessen,  nimmt 
er  auch  nicht  an ;  allerdings  sind  auch  die  Ungleichheiten  der  Gestalt 
der  Zellen  der  Blastula  oder  der  Keimscheibe  so  gering,  dass  nur 
wenige  tj^pische  Gestaltungen  davon  ableitbar  wären.  Und  auch  gegen 
die  typische  Ausbildung  dieser  Ungleichheit  der  Zellgestalt  würde  sich 
bei  den  Grundannahmen  der  qualitativen  Gleichheit  des  Idioplasson 
aller  Zellen  und  der  ursprünglichen  Gleichheit  der  isotropen  Zellleiber, 
ebenso  wie  gegen  die  typische  Activirung  von  Idioblasten  die  Frage 
richten:  woher  und  wodurch? 

Wodurch  kommt  das  System  an  ,, typischer"  Gestal- 
tung in  die  ganze,  nach  0.  Hertwig  vollkommen  „gleich- 
artige" Zellenmasse? 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  et 


366  Nr.  27.    Mosaikarbeit  und  neuere  EntwickelungshYpothesen. 

Die  Zell-  und  Kerntheilung  sind,  wie  ich  dargethan  habe,  an 
sich  dazu  geeignete  Vorgänge;  sie  können  als  bestimmt  gerich- 
tete mid  qualitativ  sondernde  Vorgänge  ,, typische"  Ver- 
schiedenheiten und  „typische"  Ordnung  produciren  und  so 
nach  und  nach  ein  äusserst  complicirtes  System  typisch  geordneter 
verschiedener  Theile  schaffen;  und  das  wesentliche  Urgeschehen  künf- 
tiger typischer  Gestaltung  vollzieht  sich  dabei  im  Kerumateriale  [s. 
S.  306,  311  u.  451]. 

Hertwig  traut  der  Kern-  und  Zelltheilung  in  Bezug  auf  Richtung 
vielleicht  deshalb  nicht  viel  zu,  weil  er  für  die  Furchung  die  Regel 
aufgestellt  hat  (19),  dass  ,,die  beiden  Pole  des  sich  theilenden  Kernes 
sich  in  der  Richtung  der  grössten  Protoplasmamassen  einstellen", 
Avodurch  allerdings  die  mit  diesem  Principe  zu  [327]  producirende 
Mannigfaltigkeit  in  ein  sehr  enges  Schema  gepresst  und  daher  be- 
schränkt wäre. 

Diese  von  Hertwig  nicht  exact  bewiesene  und  nicht  in  ihrem 
Geltungsbereich  festgestellte,  sondern  wohl  blos  aus  den  bekannten 
Gestalten  der  durch  die  ersten  Furchungen  gebildeten  Zellen  abge- 
leitete Regel  ist  indess  nach  meiner  Auffassung  auch  nur  für  die 
ersten,  wenig  differenzirtenZellen  „annähernd"  bezeichnend; 
nach  den  ersten  Theilungen  treten  andere  richtungsbe- 
stimmende Momente  auf  und  kommen  mit  zur  Geltung;  und 
später  kann  man  an  entwickeltem,  hochzelligem ,  einschichtigem 
Cylmderepithel  oft  sehen,  dass  die  Kern  Spindel  nicht  in  Längs- 
richtung der  Zelle  sondern  der  Querstellung  genähert  sich 
einstellt,  obgleich  zu  dieser  Möglichkeit  der  Raum  von  vorn  herein 
fehlt  und  erst  unter  Verdrängung  von  Nachbarzellen  besonders  ge- 
schaffen werden  muss,  und  trotzdem  oft  noch  erheblich  kleiner  bleibt 
als  der  Raum  in  der  Längsrichtung  der  Zelle  [s.  Nr.  31,  S.  276]. 

Es  ist  also  in  der  Wirklichkeit  reichliche  Gelegenheit  zu  den 
mannigfachsten  Anordnungen  der  bei  der  Kerntheilung  geschiedenen 
Idioplassonten  gegeben. 

Da  von  den  von  Anfang  der  Entwickelung  an  nach  Hertwig 
einander  vollkommen  gleichen  Kernen  tj^pische,  ungleiche, 
„gestaltende"  Wirkungen    zur   Bildung   des   Individuums    nicht  aus- 


Unzulänglichkeit  der  „Entwickclungstheorie"  0.  Hertwig's.  867 

gehen  können,  so  widerspricht  Hertwig  somit  seiner  eigenen 
,, Vererbungstheorie",  nach  welcher  alle  gestaltenden  Eigenschaften 
durch  das  Kernmaterial  übertragen  werden. 

Das  Gleiche  wäre  der  Fall,  wenn  Hertwig  sich  entschlösse,  ent- 
gegen seiner  Isotropie  des  Dotters  anzunehmen,  dass  die  Zellen  von 
vornherein  typiscJi  ungleiche  Zellleiber  hätten  und  dass  dadurch  die 
typische  Verschiedenheit  bei  der  Gleichheit  aller  Zellkerne  bewirkt 
würde;  denn  dann  würden  die  primären  idioplastischen  Eigenschaften, 
entgegen  seiner  Vererbungstheorie,  statt  im  Kern  im  Zellleib  liegen. 

Nach  seinen  Prämissen  muss  O.  Hertwig  die  Ursachen  der 
typischen  Gestaltungen  nach  aussen  von  den  Zellkernen 
und  [328]  den  Zellleibern,  also  ganz  nach  aussen  vom  Ei 
legen.  Ich  habe  aber  (Nr.  19)  durch  langsame,  in  einer  verticalen 
Ebene  erfolgende  Rotation  von  Eiern  nachgewiesen ,  dass  äussere 
gestaltende  Einwirkungen  zur  Entwickelung  des  befruchteten 
Eies  nicht  nöthig  sind;  auch  würden  diese  nicht  die  den 
Eltern  entsprechenden  Gestaltungen  bewirken  können. 

Weiterhin  kann  Hertwig  sich  nicht  denken,  dass  ,,bei 
der  indirecten  Kerntheilung"  die  richtige  qualitative 
Sonderuug  des  Materiales  sich  vollzöge.  Kann  er  es  sich 
deutlicher  vorstellen,  dass  sie  bei  der  Einwanderung  des  richtigen 
Kernmateriales  in  den  Zellleib  vor  sich  geht?  Oder  ist  dabei  keine 
besthnmte  typische  qualitative  Materialscheidung  nöthig?  Wie  diese 
nach  seiner  und  meiner  Annahme  nöthige  qualitative  Materialscheidung 
im  Speciellen  vor  sich  geht,  wissen  wir  beide  nicht. 

Nach  meiner  Annahme  aber  geht  diese  typische  Sonde- 
rung gerade  in  derjenigen  Phase  vor  sich,  in  der  die 
gestaltende  K-ernsubstanz  in  typische  Gebilde  von  kleinem 
Dickendurchmesser  zerlegt  und  aufgereiht  ist,  welche  dünnen 
Gebilde  leichter  von  sondernden  Kräften  in  ganzer  Aus- 
dehnung beherrscht  werden  können  als  grössere  Massen.  Das 
ist  die  Grundlage  der  von  mir  angenommenen  und  von  vielen  anderen 
Autoren  gebilligten  Bedeutung  der  indirecten  Kerntheilung. 

Entschliesst  sich  O.  Hertwig,  um  den  Haupttheil  seiner  „Ver- 
erbungstheorie" aufrecht  zu  erhalten,  zu  derx4.nnahme,  dass  die  typischen 

55* 


868  Nr.  27.    Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 


V'erschiedenheiten  in  der  Auswanderung  von  Idioblasten  in  letzter 
Instanz  doch  von  besonderen  Beschaffenheiten  der  Zellkerne  der 
verschiedenen  Zellen  abhängen,  so  muss  er  seiner  Behauptung  der 
vollkommenen  Gleichheit  aller  Zellkerne  widersprechen ;  bleibt  er  bei 
der  Gleichheit  aller  Zellkerne,  muss  er  das  Wesentlichste  seiner  Ver- 
erbungstheorie,  die  Uebertragung  der  Gestaltung  durch  das  Kern- 
material fallen  lassen. 

Das  ganze  Dilemma  löst  sich,  sobald  Hertwig  mit  mir 
von  Anfang  der  individuellen  Entwickelung  an  ,,actives" 
und  „in-  [329]  actives"  Idioplasson  unterscheidet  und  ersteres, 
welches  der  directen  s.  typischen  Entwickelung  des  Soma  dient,  von 
Anfang  an  in  typischer  Weise  ungleich,  letzteres  aber  eine  Reihe 
von  Zelltheilungen  hindurch  gleich  getheilt  werden  lässt.  Ueber  die 
spätere  Gleichheit  oder  Ungleichheit  der  Theilung  des  Regene- 
rations-  s.  Reserveidioplassons  mit  Hertwig  gegenwärtig  schon 
etwas  Bestimmtes  zu  sagen,  halte  ich  für  verfrüht. 

Das  Ergebniss  unserer  Kritik  der  „Entwickelungstheorie" 
O.  Hertwig's  ist,  class  in  derselben  nur  für  die  Keimzellen 
und  für  [das  allgemeine  Vermögen  zur  Post-  und  Regene- 
ration, nicht  für  die  speciellen  gestaltenden  Vorgänge  der 
Post-  und  Regeneration  und  der  directen  oder  normalen 
Entwickelung  der  Individuen  gesorgt  ist. 

Aber  doch  ist  die  Existenz  typisch  gebauter  und,  von  kleinen 
Abweichungen  abgesehen,  durch  Fortpflanzung  in  dieser  „typi- 
schen" Weise  ,, wiedererzeugter"  Individuen  so  sicher  gestellt, 
dass  sie  wohl  von  Niemanden,  sell)st  nicht  von  einem  Autor,  mit  dessen 
,, Theorie"  sie  sich  nicht  vereinbaren  lässt,  in  Abrede  gestellt  werden 
kann. 

Wir  müssen  daher  bei  unseren  Entwickelungstheorien  auch 
für  die  sichere  Uebertragung  entsprechender  typischer  Ge- 
staltungsweisen sorgen.  Denn  genau  genommen  sind  doch  von 
allem  Lebenden  die  Individuen  die  Hauptsache;  ohne  diese  hat 
weder  das  Keim-,  noch  das  Regeneration splasson  einen  Wert. 

Nur  weil   und   soweit   die  Zellen   von   der  Eizelle  ver- 
schieden geworden  sind,  stellen  sie  Theile  eines  ohne  Her- 


Nothwendigkeit  der  Continuität  typischer  Gestaltungen.  869 

vorbringung  eines  Det'ectes  niclit  t heilbaren  (lanzen,  also  eines 
„Individuum"  dar;  und  wohl  nur  dadurch  können  sie  nach  Ver- 
lusten in  der  obenstehend  erörterten  Weise  veranlassen,  dass  die 
diesem,  zur  Zeit  nicht  mehr  „actuell"  vorhandenen  Ganzen 
fehlenden  Theile  wieder  aus  dem  Reserveidioplasson  ge- 
bildet werden. 

Da  ich  in  den  ersten  Furchungszellen  und 'später  in  vielen  Zellen 
gleiches  Post-  und  Regenerationsplasson  annehme,  obgleich  die 
Leistungen  desselben  je  nach  der  Lage  und  Grösse  des  Defectes  sehr 
ungleich  sind,  so  kann  man  mir  einwenden,  [330]  dass  ich  selber 
gleich  Hertwig  eine  Activirung  von  „verschiedenen"  Idio- 
plassontheilen  aus  ,,gleichem"  Grundidi  oplasson  voraus- 
setze. Ich  halte  auch  keineswegs  die  Activirung  von  ruhenden 
K er nbestandt heilen  bei  der  normalen  Entwickelung  für 
unmöglich  oder  überflüssig ;  sondern  meine  Differenz  mit  Hertwig  be- 
zieht sich  darauf,  dass  diese  ungleichen  Activirungen,  soweit  es 
sich  um  typische  Vorgänge  der  normalen  Entwickelung  handelt,  auf 
mit  dem  „Anfang"  der  individuellen  Entwickelung  begin- 
nenden ,,typi  sehen"  Ungleichheiten  des  activen  Theiles 
der  Kerne  und  daraus  resultirenden  typischen  Ungleichheiten  ihrer 
Wirkungen  beruht. 

Indem  ihrerseits  diese  mit  dem  Beginne  der  i  n  d  i  v  i  d  u  e  1- 
len  Entwickelung  anhebenden  ,,actuellen"  Ungleichheiten 
auf  „inactiven"  Ungleichheiten  in  dem,  resp.  den  Fortpflan- 
zungskörpern beruhen,  stellt  die  ,, Continuität  des  Keim- 
plasson"  auch  die  Continuität  der  typischen  Ungleich- 
heiten der  Individuen  her. 

Bei  der  Post-  und  Regeneration  wird  die  Verschiedenheit  der 
Auslösung  in  der  (S.  842)  erörterten  Weise  von  den  typisch  ver- 
schiedenen Zellen  des  sich  post-  oder  regenerirenden ,  in  mehr  oder 
weniger  entwickeltem,  d.  h.  differenzirtem  Zustande  befindlichen 
Stückes  des  Individuums  bewirkt. 

Es  ist  also  in  jedem  Falle  ein  ,, typisch  Ungleiches" 
vorhanden,  w^elches  daher  auch  aus  „gleichem"  Bildungs- 
materiale  typisch  Ungleiches  activiren  kann. 


870  Nr.  27.    Mosaikarbeit  und  neuere  Entwickelungshypothesen. 

Ich  kDÜpfe  somit  bei  allem  individnellen  Geschehen  au  die  actuellen 
Ungleichheiten  an,  deren  Production  mit  den  ersten  ontogenetischen 
Entwickelungsvorgängen  beginnt  und  während  der  ganzen  Entwicke- 
luug  fortgesetzt  wird.  So  bleibt  die  „Continuität  typischer  Un- 
gleichheit" des  activen  Kernmateriales  vom  „Beginne  der 
individuellen  Entwickelung"  des  befruchteten  oder  parthe- 
nogenetisch  sich  entwickelnden  Eies  an  bei  allen  späteren  Vor- 
gängen, auch  bei  der  Regeneration  erhalten  und  wirksam  (s.  S.  104). 

Nach  Hertwig  dagegen  ist  eine  solche  Continuität  typischer 
Ungleichheiten  nicht  vorhanden;  sondern  erst  später  soll  aus  vielen 
vollkommen  unter  [331]  sich  gleichen  Theileu  durch  nicht 
typisch  vermittelte,  unbekannte  Ursache  plötzlich  typisch 
Ungleiches  entstehen. 

Möge  es  mir  gelungen  sein,  im  Vorstehenden  die  behandelten 
schwierigen  Probleme  sachlich  und  klar  genug  darzustellen,  um  den 
aufmerksamen  Leser  zu  einem  richtigen  Urtheil  über  den  gegen- 
wärtigen Stand  derselben  zu  befähigen. 

Innsbruck,  im  Dezember  1892^). 


1)  Beim  Abschluss  vorstehender  Abhandlung  erhielt  ich  das  neue  grosse  Werk 
Weismann's :  „Das  Keimplasma,  eine  Theorie  der  Vererbung".  Die  ausgebaute  Theorie 
dieses  hervorragenden  Forschers  kann  nicht  in  wenigen  Worten  besprochen  werden. 
Die  bisher  nur  flüchtige  Durchsicht  des  inhaltreichen,  geistvollen  Buches  zeigt  mir, 
dass  unsere  beiderseitigen  Anschauungen  in  Bezug  auf  mehrere  grundlegenden  Ver- 
hältnisse übereinstimmen.  In  manchen  Puncten  zieht  Weismann  behufs  der  Aufstel- 
lung seiner  Theorie  weitere  Consequenzen  aus  den  vorliegenden  Tbatsachen,  als  ich 
es  in  obenstehender  Erörterung,  die  nur  den  Zweck  hat,  die  Bedeutung  unserer 
gegenwärtigen  Kenntnisse  über  die  behandelnden  Probleme  klarzu- 
stellen und  dadurch  eine  Grundlage  für  weitere  Experimente  zu  gewinnen,  für 
angezeigt  gefunden  habe.  Da  ich  gleich  Weismann  die  wesentlichen  Ansichten  ein- 
gehend begründet  habe,  so  ist  auch  ohne  besondere  Darlegung  der  Leser  der  beiden 
Publicationen  in  den  Stand  gesetzt,  die  abweichenden  Auffassungen  (z.  B.  bezüglich 
des  Mechanismus  der  Regeneration  s.  S.  840)  gegeneinander  abzuwägen. 


Literaturverzeichniss.  871 


Literat  urverzeichniss. 

1.  H.  Driesch,  Entwickelungsmechanisches.     Anatom.  Anzeiger  1892,  Nr.  18. 
"2.  El'M.  B.  Wilson,    On  Multiple  and  Partial   development  in  Amphioxus.     Anatom. 
Anzeiger  1892,  Nr.  23. 

3.  0.  Hertwig,  Aeltere  und  neuere  Entwickelungs-Theorien.  Rede,  Berlin  1892. 

4.  Derselbe,  Die  Zelle  und  die  Gewebe.  Grundzüge  der  allgemeinen  Anatomie  und 
Physiologie,  9.  Capitel.     Jena  1892. 

5.  L.  Chabry,  Contribution  ä  l'embryologie  normale  et  pathologique  des  ascidies 
simples.     Paris  1887. 

6.  C.  Fiedler,  Entwickelungsmechanische  Studien  an  Echinodermeneiern.  In  der  Fest- 
sclirift  der  Univers.  Zürich  f.  Hrn.  v.  Nägeli  u.  Hrn.  v.  Kölliker,  1891. 

7.  H.  Driesch,  Entwickelungsmechanische  Studien  I.  Der  Werth  der  beiden  ersten 
Furchungszellen  in  der  Echinodermenentwickelung.  Experimentelle  Erzeugung  von 
Theil-  und  Doppelbildungen.     Zeitschrift  f.  wissensch.  Zool.  Bd.  53,  1891. 

8.  Chun,  briefliche  Mittheilung,  publicirt  in  meinen  ges.  Abhandl.  Nr.  26,  S.  54. 

[Siehe  auch  die  inzwischen  erschienene  Originahnittheilung : 

C.  Chun,  Die  Dissogonie,  Eine  neue  Form  der  geschlechtlichen  Zeugung. 
Kap.  7:  Zur  Entwickelungsmechanik  der  Ctenophoren.  Festschrift  f.  Rud. 
Leuckart.     Leipzig  1892.] 

9.  0.  Hertwig,  Urmund  und  Spina  bifida.  Arch.  f.  microsc.  Anat.  Bd.  39,  1892. 

10.  M.  NUSSBAUM,  Ueber  die  Theilbarkeit  der  lebendigen  Materie.  H.  Mittheilung,  Bei- 
träge zur  Naturgeschichte    des  Genus  Hydra.    Arch.  f.  micr.  Anat.  Bd.  29,  1887. 

11.  P.  Fraisse,  Die  Regeneration   von  Geweben  und  Organen    bei  den  Wirbelthieren, 
besonders  Amphibien  und  Reptilien.     Berlin  1885. 

12.  D.  Barfurth,  Zur  Regeneration  der  Gewebe.     Arch.   f.  micr.  Anat.  Bd.  37.  1891. 

13.  P.  Eckardt,  Ueber  Hemitheria  anterior.     Diss.  inaug.  Breslau  1889. 

14.  W.  His,   Unsere  Körperform  und  das   physiologische   Problem   ihrer  Entstehung. 
Leipzig  1875. 

15.  E.  Pflüger,  Ueber  den  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der  Zellen  und 
auf  die  Entwickelung  des  Eies.    Arch.  f.  d.  ges.  Physiologie  1883,  Bd.  32. 

16.  G.  Born,  Biologische  Untersuchungen  I:  Ueber  den  Einfluss  der  Schwere  auf  das 
Froschei.     Arch.  f.  microsc.  Anat.  Bd.  24,  1885. 

17.  E.  KoRSfiHELT  u.  K.  Heider,  Lehrbuch  der  vergleich.  Entwickelungsgeschichte  der 
wirbellosen  Thiere.     2  Theile.     Jena  1890—1893. 

18.  Alex.  Götte,  Abhandlungen  zur  Entwickelungsgeschichte  d.  Thiere.  II.  Heft,  1884. 

19.  0.  Hertwig,  Lehrbuch  der  Entwickelungsgeschichte,  I.  Aufl.,  S.  39. 

20.  F.  Marchand,  fiealencyclopädie   der  gesammten  Heilkunde   von  Eulenburg   1881. 
Artikel  Missbildungen. 

21.  Spallanzani,  Prodrome  di  un  opera  da  imprimersi  sopra   le  riproduzioni  animali. 
Modena  1768. 


Nr.  28. 

üeber  die  Speeifieation  der  Furehungszellen 

und  über  die 

bei  der  Postgeneration  und  Reg'eneration 
anzunehmenden  Vorgänge. 

1893. 

.Biologisches  Centralblatt\  Bd.  XIII.  Nr.  19—22,  ausgegeben  am  15.  September  1893. 

Mit  3  Textfieuren. 


Inhalt. 

Seite 

I.  Ueber  die  Speeifieation  der  Furchungszellen 873 

Typische  Ordnung  des  Eimateriales  bei  der  Bildung  der  Semimurala  876 

Definition  der  „Selbstdiff erenzirung' 881 

Die  normale  Furchung  ist  Selbstdifferenzirung  des  Eies 882 

.Theilbildungen",  Definition 884 

Hervorbringuug  gleicher  Producta  durch  verschiedene  Bildungs- 
reisen    .     .  ' 885 

Entwickelung   während    der    ersten    Furchungen    hochgradig 

deformirter  Eier 885 

Vorgänge  bei  der  Ergänzung  der  Halbbildungen 888 

Entwickelung  erst  nach  der  Furchung  deformirter  Eier    .     .     .     .     .  891 

Differenzirung  durch  Nachbar schafti^wirkung en 891 

Tl.  Ueber  die   bei   der  Re-   und  Postgeneration   nach   Defecten    und  nach 
sonstigen  Störungen  anzunehmenden  regulatorischen  Mechanismen  und 

diflferenzirenden  Wechselwirkungen 894 

Bei  Störungen  der  Anordnung  und  bei  Deformation      896  u.  901 


Specification  der  Furchuiigszellen.  873 


Seite 

Auslösungsmonieute  der  Regeneration 897 

Analyse  der  Correlationen  der  Re-  und  Postgeneration    .....  904 

Functionelle  Correlationen 904 

Gestaltliche  Correlationen 904 

Lageeigenschaften 905 

DifFerenzirung,  Definition  derselben 906 

Differentiatio  sui,  SelbstdifFerenzirung 907 

Differentiatio  ex  alio,  abhängige  Differenzirung 907 

Passive  Diiferenzirung 908 

Vollkommene,  unvollkommene] 

Permanente,  temporäre            /  ^^l^«*'  ^"^^^  abhängige  Differenzirung  908 

Anderdifferenzirungsgcbilde 910 

Alleindi/ferenz  irnngsgebilde 910 

Differenzirungs-Hawptgehilde 910 

Differenzirungs-Nebengebilde 910 

Concurrenz  diff er  en  zir ender  Wirkungen 910 

Variationen    als    Ursache    der    Züchtung    „regulirender " 

d  iffenzirender  Correlationen  (der  indirecten  Entwickelung)  911 

BedeiUung  der  „Lage"  der  Zellen       913 

Bedingungen  der  Wiederholung  typischer  Gestaltungen     ....  913 

Abhängige  Differenzirung  der  Mesenchymzellen 914 

Directe  s.  typische  Entwickelung 915 

Indirecte  s.  atypische  Entioi ckelnng 915 

Ueber  die  Entstehungsweise  der  Metazoen  aus  den  Protisten      .     .     .  916 


I.    UeTber  die  Specification  der  Furcliung^szelleii. 

[612]  Es  wird  jetzt  von  zwei  Autoren  der  Versuch  gemacht ,  eine 
Reihe  von  Thatsachen,  die  ich  experimentell  ermittelt  habe,  in  wesent- 
lich anderer  Weise  zu  deuten ,  als  es  von  mir  geschehen  ist.  Ich  habe 
aus  den  bezüglichen  Thatsachen  gefolgert,  dass  die  .,norniale"  in- 
dividueUe  E^ttvickeJ iing  „von  Anfang  an''''  ein  System  be- 
stimmt gerichteter  Vorgänge  ist,  welches  in  ..festen""  Bezieh- 
ungen zu  den  Hauptrichtungen  des  sp eiteren  Embryo  steht, 
derart ,  dass  jede  der  ersten  vier  Furchungszellen  nicht  blos  einem 
bestimmten  Viertel  des  Embryo  räumlich  entspricht,  sondern  auch 
für  sich  im  Stande  ist,  dieses  Viertel  hervorzubilden.  Letzteres  schloss 
ich  daraus,  dass  ich  aus  halben  resp.  Viertel-  und  Dreivierteleiern  halbe 
resp.  Viertel-  und  Dreiviertel-Embryonen  erhielt.     Diese  Art  der  Bil- 


374:  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


duDg  des  Embryo  aus  einzelnen  selbstständig  sich  entwickelnden 
Stücken  habe  ich  als  Mosaiharheit  bezeichnet'). 

Jede  dieser  ersten  Furchungszellen  erhält  daher  nach  meiner 
Meinung  einen  dieser  besonderen  Leistung  entsprechenden  Theil 
desjenigen  läiopJasson ,  tvelches  durch  die  Befruchtung 
„activirt^'  tvorden  ist.  Dieses  Material  ist  nach  meiner  Auf- 
fassung vorsugsiveise  im  Zellkern  enthalten  und  wird,  soweit 
letzteres  der  Fall  ist,  durch  die  „indirecte"  Kerntheilung 
in  entsprechender  Weise  qualitatir  ungleich  getheilt. 

Die  beiden  Annahmen  dieses  letzteren  Satzes  sind 
jedoch  nicht  unerlässlich  nothwendige  Glieder  meiner 
in  ihren  „wesentlichen"  Theilen  „experimentell"  erwiese- 
nen Auf  fassung;  [das  heisst,  ich  halte  nur  den  direct  experimentell 
begründeten  Theil  meiner  theoretischen  Auffassungen  für  sicher,  den 
nicht  in  gleicher  Weise  fundirten  Theil  für  hypothetisch,  also  für 
variabel]. 

[613]  Gegen  diese  Deutung  von  mir  und  danach  noch  von 
anderen  Autoren  ermittelter  bezüglicher  Thatsachen  hat  H.  Driesch 
auf  Grund  seiner  Deutung  der  an  sich  sehr  werthvollen  Ergebnisse 
von  ihm  an  Echinodermeneiern  angestellter  Versuche  und  0.  Hertwig^) 
ohne  eigene  thatsächliche  Unterlagen  auf  Grund  früherer  Speculationen 
und  in  Anlehnung  an  Driesch's  Einwendungen  erhoben;  wobei  jedoch 
beide  Autoren  genöthigt  waren  und  auch  nicht  Anstand  genommen 
haben,  die  vorliegenden  Thatsachen  theilweise  zu  vergewaltigen. 

Die  darauf  bezüglichen  Verhältnisse  sind  bereits  von  mir  aus- 
führlich dargelegt  worden  (Nr.  27);  und  die  neuen  seitdem  er- 
mittelten Thatsachen  passen  durchaus  zu  der  von  mir 
vertretenen  Auffassung,  so  dass  keine  Veranlassung 
vorliegt,  dieselbe   abzuändern. 

Es  ist  nicht  möglich,  die  vielen  Thatsachen   und   iln-e  Deutung 

1)  Dies  ist  eine  kurze  Zusammenfassung.  Die  den  Thatsachen  genauer  ange- 
passte,  mit  allerhand  Einschränkungen  versehene  genauere  Fassung  ist  in  der  Original- 
abhandlung nachzusehen  (s.  S.  446—448,  455  u.  f.). 

-)  Jüngst  hat  0.  Hertwig  versucht,  seinen  Widerspruch  nachträglich  durch 
thatsächliches  Beweismaterial  zu  stützen  (Sitzungsber.  der  k.  preuss.  Acad.  derWiss. 
zu  Berlin,  Mai  1893);  hierüber  s.  Nr.  29. 


J 


Specification  der  Furchungszellen.  875 


in  der  Kürze,  die  diese  Zeitschrift  vorschreibt,  nochmals  zu  schildern 
und  kritisch  zu  erörtern. 

Aus  dem  gleichen  Grunde  halte  ich  es  auch  nicht  für  der  Sache 
dienlich,  dass  Driesgh  jüngst  eine  vorläufige  Mittheilung  über  seine 
derzeitige  Auffassung  (Nr.  9  dieser  Zeitschrift)  publicirt  hat,  in  welcher 
er  ebenso  willkürlich  wie  mit  deu  Thatsachen  auch  mit  den  Gegen- 
gründeu  verfährt,  noch  dazu  ohne  dieselben  mitzutheilen,  so  dass  der 
Leser  auf  Driesch's  ürtheil  angewiesen  bleibt. 

Dies  veranlasst  mich  zu  einer  Entgegnung.  Bei  der  hier  nöthigen 
Kürze  kann  es  jedoch  nicht  der  Zweck  der  folgenden  Zeilen  sein, 
den  Leser,  über  den  ganzen  Stand  der  Streitfragen  zu  orientiren; 
sondern  ich  beabsichtige  blos  einige  Puncte  dieser  Aeusserungen  Driesch's 
richtig  zu  stellen  und  ein  Argument  von  mir  etwas  weiter  auszuführen, 
als  es  bisher  geschehen  war. 

Da  die  Discussion  aber  fundamentale  Fragen  der  Entwickelungs- 
mechanik  der  Organismen  betrifft,  so  darf  auch  eine  so  eng  beschränkte 
Behandlung  des  Themas  Interesse  beanspruchen;  Und  gerade  durch 
den  Widerspruch  und  das  dadurch  veranlasste  Ziehen  weiterer 
Consecjuenzen  wird  das  Wesen  der  vorliegenden  Probleme  be- 
leuchtet und  dem  allgemeinen  Verständnisse  näher  gebracht. 

Zunächst  sind  einige  angebliche  Berichtigungen  Driesch's  zu 
berichtigen. 

Driesch  stellt  gegen  Weismann,  Wilson  und  mich  in  Abrede,  dass  er 
aus  einem  halben  Echinodermenei  eine  halbe  ,,Blastula''  erhalten  habe. 
Die  genannten  Autoren  haben  dies  wohl  gleich  mir  den  hier  (s.  S.  878) 
reproducirten  Figuren  5  und  6  seiner  Arbeit  (s.  2)  ^)  entnommen, 
indem  sie  dabei  das  Wort  ,,Blastula",  übereinstimmend  mit  Selenka's 
[614]  Anwendung  desselben  auf  Echinodermen  (s.  3,  Taf.  VIII, 
Fig.  60  nebst  Erklärung),  in  der  allgemeinen  Bedeutung  als  ,, Keim- 
blase", d.  h.  als  rundliches  Gebilde  mit  relativ  grosser  Höhle  und 
entsprechend  dünner  Wandung  gebrauchten,  wie  es  auch  bei  Ver- 
gieichung  zwischen  verschiedenen  Thierclassen  allein  verwendbar  ist. 
Ein  Stadium,  welches  der  viel  späteren,  von  Driesch  unter  Abweichung 


1)  Die  Verweisungen  durch  eine  Zahl  aber  ohne  vorgesetztes  Nr.  beziehen  sich 
auf  das  dieser  Abhandlung  am  Schlüsse  angefügte  Literaturverzeichniss. 


g76  Nr.  28.    lieber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

von  Selexka  ausschliesslich  als  „Blastula"  bezeichneten  Bildung  ent- 
spricht, giebt  es  z.  B.  bei  Amphibien  nicht,  so  dass  diese  nach  Driesch 
gar  kein  Blastulastadium  hätten. 

Die  Bezeichnung  ,, typische  Morula"  will  Disiesch  jetzt  ebenfalls 
willkürlich  auf  „das  letzte  der  Blastulabildung  (letztere  in  seiner  eben 
erörterten  Auffassung  genommen)  vorhergehende  Furchungsstadium" 
beschränken;  ein  Vorgehen,  welches  wieder  zu  „Miss Verständnissen" 
und  ,, Berichtigungen"  Veranlassung  geben  kann,  da  dadurch  diejenige 
Bildung,  welche  von  den  genannten  Autoren  und  mir  als  Blastula  be- 
zeichnet wurden  ist,  nach  Driesgh  noch  nicht  einmal  eine  Morula  wäre. 

Weiterhin  findet  Driesch  es  unzutreffend,  dass  ich  bei  der  Bil- 
dung der  normalen  und  der  halben  Morula  von  ,,  Umord- 
nung"  des  Eimateriales  [also  für  die  ganze  Morula  von  Umord- 
nung  des  Materiales  des  ganzen  noch  ungetheilten  Eies,  für  die  halbe 
Morula  des  Materiales  einer  der  beiden  ersten  Blastomeren]  spreche 
(s.  S.  804  u.  S.  857);  er  sagt:  „Was  soll  die  Semimorula  mit  Umlagerung 
zu  thun  haben,  wo  sie  doch  gerade  die  1^'olge  des  Liegen  bleib  ens 
der  Zellen  am  Orte  ihrer  Entstehung  ist". 

Ich  ersuche  daher  den  Leser,  die  linke  Hälfte  der  hier  (S.  878) 
reproducirten  Fig.  G  Driesch's  mit  der  rechten  Hälfte,  welch'  letztere 
die  nicht  weiter  getheilte,  nur  vielleicht  beim  Absterben  ein  wenig 
mehr  gerundete  andere  Zelle  des  Zweizellenstadiums  darstellt,  zu  ver- 
gleichen. Mir  scheint,  es  muss  bei  der  Umbildung  der  früheren  linken 
fast  ebenso  gestalteten  Zelle  zu  der  dargestellten  entwickelten  Form  der 
linken  Eihälfte  mit  der  Furchung  zugleich  eine  sehr  erhebliche  und 
zwar  in  ihrem  Endresultat  ,, typische"  Materialumlagerung  vor 
sich  gehen,  da  die  einfache  Zelle  solid  und  nicht  entsprechend  der 
entwickelten  Form  ausgehöhlt  ist.  Von  einem  Entstehen  der  Semi- 
blastula  durch  Liegenbleiben  des  ,, Materiales  der  entsprechenden 
Zelle  des  Zweizellenstadiums",  um  welches  es  sich  hier  handelt,  kann  also 
wohl  nicht  die  Rede  sein.  Ob  diese  typische  Materialumlagerung  blos 
während  der  einzelnen  Zelltheilungen  oder  noch  unter  nachträg- 
lichen typischen  Verschiebungen  der  bereits  vollkommen  ge- 
sonderten Zellen  stattfindet,  ist  hier  ohne  Bedeutung. 

In  dieser  „typischen"  Materialumlagerung  zu  einer  höh- 


Gegen  die  Gleichheit  der  Furchungszellen.  877 

len  Halbkugel  bekundet  sich  nach  meiner  Meinung  siclier  das 
Vermögen  dieser  einen  Zelle  eine  wahre  Halbbildung  zu  pro- 
duciren. 

"Wenn  nach  Driesch  und  Hertwk;  jede  der  beiden  ersten 
Furchungszellen  beide  einander  ,, vollkommen"  gleich 
sind,  und  es  unter  normalen  Verhältnissen  allein  durch  die  Wech- 
selwirkung dieser  beiden  Zellen  aufeinander  bedingt  ist, 
dass  jede  der  Zellen  blos  eine  halbe  Morula  hervorbringt,  so  müsste 
nach  Tödtung  oder  nach  Entfernung  der  einen  von  beiden  Zellen,  die 
andere  sich  sogleich  zu  einer  ganzen  Hohlkugel  [615]  entwickeln, 
wie  es  nach  Wilson  beim  Amphioxns  im  gleichen  Falle  gescliieht  (ohne 
dass  jedoch  aus  letzterem  Verhalten  sicher  zu  folgern  wäre,  dass  beim 
Amphioxus  diese  Zellen  schon  unter  ,, normalen"  Verhältnissen  voll- 
kommen einander  gleich  wären;  sondern  dieses  Verhalten  kann  auf 
frühzeitigerem  Inthätigkeittreten  von  nicht  durch  die 
„Befruchtung",  sondern  erst  durch  den  „Defect"  acti- 
virtem  Idioplasson,  also  des  Reserveidioplasson,  oder 
auch  blos  auf  abnormer  Verschiebung  der  Zellen  beruhen ;  s.  u.  S.  879 
(und  S.  832). 

Aus  Driesch's  angeblicher  Berichtigung  gewinnt  der  Leser  weiter- 
hin den  Eindruck,  dass  die  für  die  Deutung  der  ersten  Entwickelungs- 
vorgänge  so  wichtige  Angabe,  beim  Seeigel  entstehe  aus  dem  halben 
Ei  eine  echte  Semimorula  von  der  Form  einer  ,,hohlen"  Halbkugel, 
eine  ihm  von  mir  gemachte  falsche  Unterstellung  sei ;  denn  die  Nicht- 
hohlheit  der  Semimorula  resp.  Semiblastula  ist  die  Grundlage  seiner 
ganzen  bezüghchen  Erörterungen,  ohne  welche  dieselben  keinen  Sinn 
haben;  auch  sagt  er  jetzt  S.  304  direct:  „Die  Semimorula  ist  also 
ein  als  Form-in  toto  gar  nicht  gekennzeichnetes  Gebilde". 

Um  dem  Leser  die  Möglichkeit  zu  einem  eigenen  Urtheile  zu 
gewähren,  habe  ich  Driesch's  bezügliche  Figuren  5  und  6  hier  repro- 
■duciren  lassen  und  zwar  nach  den  aus  seiner  Tafel  ausgeschnittenen, 
dem  Manuscripte  beigefügten  Originahen. 

Ein  Blick  auf  diese  Figuren  wird  über  die  Berechtigung  des  Begin- 
nens Driesch's  belehren.  Zudem  hat  Driesch  früher  (2,  S.  167)  gesagt: 
•  ,,Die  Furchung  isolirter  Furchungszellen    des    2-Z eilen- 


878 


Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchimgszellen  etc. 


Stadiums  von  Echinus  microtuherculatus  ist  also  eine  Halbbil- 
d ung ,  wie  sie  von  Roux  für  operirte  Froscheier  beschrieben 
■worden  ist."  Es  war  aber  der  Kernpunct  meiner  Beobachtungen, 
dass  die  [616]  Semimorula  des  Frosches  hohl  war.  Und  vorher  findet 
sich  bei  Driesch  die  Stelle,  ,,5^/2  Stunden  nach  der  Befruchtung  beginnt 
das  eigentliche  Interesse  des  Versuches;  indem  nämlich  im  Sinne  ab- 
soluter Selb  stdiff  er  enzir  ung  die  letzterwähnte  Theilung  eine 
typische  Hälfte  des  S  echzehnzellenstadiums,  wie  es  oben 


Fis.  1. 


Fis.  5. 


Fig.  6. 


Nach  Driesch  reproducirt. 

(Fig.  1)  dargestellt  ist,  in  Erscheinung  treten  lässt".  Diese  Figur  Driesgh's 

ist  hier  unter  gleicher  Nummer  reproducirt  und  stellt  die  junge  Morula 

mit  grosser  Furchungshöhle  dar;  also  ist  wohl  zu  vermutheu,  dass  die 

„typische  Hälfte"  davon  auch  hohl  gewesen  sei.    Dbiesch  sagt  ferner: 

„der  Halbkeim  bot  das  Bild  einer  vielzelligen  offenen  Halbkugel  dar, 

wenn  auch  die  Mündung  etwas  verengt  erschien".     In  seiner  letzten 

Publication  dagegen  sagt  er  (1,  S.  303);    „Fig.  2  zeigt  Bilder  der  Halb- 

furchung  eines  EcJiimts-Eies^   bei   welcher  von   einer  Semimorula,. 

d.  h.  einer  Halbkugel  gar  keine  Rede  sein  kann,  und  bei 

Sphaerechinus  ist  das  immer  s  o"  ^). 

1)  Ueber  die  Bedeutung  dieses  verschiedenen  Verhaltens  siehe  meinen  Aufsatz : 
Ueber  die  verschiedene  Entwickelung  isolirter  erster  Blastomeren.  Arch.  für  Ent- 
wickelungsmechanik  1895,  Bd.  I,  S.  596  u.  f. 


Bedeutung  der  Semimorula.  879 


Wenn  Driesch  diese  iraliercn,  thatsächlichen  Angaben  desavou- 
iren  will  und  nach  so  deutlichen  Aussprüchen  und  Abbildungen  die 
Semimorula  der  Echinodermen  als  ,,ein  als  Form  in  toto  gar 
nicht  gekennzeichnetes  Gebilde"  bezeichnet,  so  weiss  ich  nicht, 
welche  seiner  anderen  thatsächlichen  Angaben  wir  als  so  sicher  an- 
sehen dürfen,  dass  er  sie  nicht^  auch  widerruft'). 

Und  ich  habe  schon  (S.  454  und  835)  betont,  dass  das  Vor- 
kommen solider,  rundlicher  Semimorulae  ,, neben  dem 
Vorkommen  hohler  halbkugelförmiger"  für  unsere  Frage 
ohne  Bedeutung  ist;  da  die  letstereBildung  die  tijpische,  be- 
sondere gestaltende  Kräfte  hekundend e  Form  darstellt,  statt 
welcher  durch  geringe  Störungen  der  Thätigkeit  dieser  Kräfte, 
wie  sie  bei  Halbbildungen  leicht  vorkommen  können,  die  nichts 
besonderes  repräsentirende,  e  r s  t  e  r  e ,  solide  runde  Form  hervor- 
gehen kann.  Wenn  bei  Amphioxus  und  Spaerechinus  die  ersten 
Furchungszellen  etwas  weniger  fest  aneinander  haften  als  bei  anderen 
Eiern,  können  geringe  Erschütterungen  stets  die  Bildung  einer  Semi- 
morula verhindern,  auch  wenn  die  Tendenz  zu  letzterer  vorhanden  ist. 

Für  Driesch  dagegen  ist  jetzt  (2,  S.  304)  „die  Halbkugel  [das 
heisst  die  hohle  halbkugelige  Semimorula]  ein  in  g e w^ i s s e m  Sinne 
zufälliges  Resultat",  das  dadurch  entsteht,  dass  die  Zellen  der 
betreffenden  Eier  ,, weniger  stark  an  einander  gleiten"  als  in  den  an- 
deren Fällen ,  so  dass  sie  an  dem  Orte  liegen  bleiben ,  w^o  sie  ent- 
standen sind. 

Es  würde  richtiger  gewesen  sein  zu  sagen:  die  annähernd 
kugelige  solide  Semimorula  ist  ein  in  gewissem  Sinne  zu- 
fälliges Resultat,  welches  dadurch  entsteht,  dass  die  Zellen  durch 
abnormes  A  neinander  gleiten  von  dem  Orte  hinweg  gekommen 
sind,  an  den  sie  durch  die,  eine  typische  Halbbildung  producirenden 
Kräfte  hhigelagert  worden  wären.  Um  sich  von  der  Nothwendig- 
k  ei  t  besonderer,  gestaltener  resp.  ordnen  der  Kräfte  bei  der 


1)  Driesch  theilt  neuerdings  mit  (Analytische  Theorie  der  Entwickelung,  1894), 
dass  er  nicht  diese  Thatsachen  in  Abrede  stellen,  sondern  ihnen  blos  eine  andere 
Deutung  als  früher  beilegen  Avollte. 


880  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


Production  einer  „hohlen"  Halbkugel  aus  emer  soliden, 
sich  wiederliolt  theilenden  abgerundeten  Halbkugel  (wie  Fig.  6  linke 
Hälfte)  zu  überzeugen,  empfehle  ich  Driesch,  aus  Thon  diese  Vor- 
gänge nachzumodelliren  und  zu  [617]  versuchen,  zu  welchem  Resultat 
er  allein  mit  dem  Mechanismus  [atypisch  gerichteter]  Halbirung  und 
Abrundung  der  Stücke  gelangt^). 

Aber  wenn  auch  Driesch  das  wesentlichste  Characteristicum  der 
Semimorula  resp-  Semiblastula ,  die  halbe  Kugelschalenform  jetzt  in 
Abrede  stellt,  so  bleibt  doch  noch  die  gleichzeitige  und  vollkommen 
selbständige,  ebenfalls  auf  Echinodermen  (Echinus  microtuberculatus) 
bezügliche  Beobachtung  von  K.  Fiedler  (4),  welcher  aus  einer  der  beiden 
ersten  Furchungszellen,  noch  dazu  nach  vollkommener  Entfer- 
nung der  and  eren  Zelle,  in  zwei  Fällen  je  eine  ,, halbe  Blastula" 
gewonnen  hat,  von  der  er  sagt:  ,,die  überlebende  der  beiden  ersten 
ßlastomeren  lieferte  eine  aus  zahlreichen  kleinen  Zellen  bestehende 
,, hohle  Halbkugel".  Die  anfangs  weite  ,,Oeffuung"  verengte 
sich  nach  einigen  Stunden  zusehends,  worauf  leider  Absterben  eintrat"^). 

Die  Umdeutung,  welche  Driesch  zu  Gunsten  seiner  Auffassung 
mit  den  Ergebnissen  L  Chabry's  an  Ascidien  vorgenommen  hat,  ist 
bereits  von  D.  Bärfurth  als  unzutreffend  (5)  dargelegt  worden. 

Ebenso  rasch  fertig  wie  hier  mit  Thatsachen  ist  Driesch  auch  auf 
theoretischem  Gebiete,  welches  wir  jetzt  betreten.  Die  Argumen- 
tationen des  Gegners  bezeichnet  er  einfach  als  unzutreffend  und  er- 
setzt ■  den  Mangel  an  Beweisen  dafür  sowohl  wie  für  seine  eigene 
Auffassung   durch    apodictisch   geformte  Aeusserungen.     Er  engagirt 


1)  Genaueres  siehe  in  der  auf  S.  878  Anni.  citirten  Abhandlung. 

2)Neuerdings(s.S.879Anm.,S.  17— 19)  führt D. die  Thatsache,dass  aus  einzelnen 
der  beiden  ersten  Blastomeren  des  Seeigels  resp.  aus  Achterzellen  des  Amphioxus 
(Wilson)  Theilbildungen,  halbe  resp.  Achter-Klastulae  hervorgehen,  auf  „Störung" 
der  normalen  Entwickeluug  dieser  Zellen  zurück.  Dagegen  Avird  die  Ganzfurchung 
und  Ganz-Entwickelung  von  Eitheilen  als  das  Normale  bezeichnet;  während 
die  Bildung  desjenigen,  was  im  normalen  ganzen  Ei,  also  unter  wirklich  normalen 
Verhältnissen  aus  diesen  Eitheilen  hervorgeht,  sofern  diese  Bildung  in  den  isolirten 
Eitheilen  stattfindet,  als  Folge  von  Störung,  von  Hindernissen  aufgefasst  wird. 
Damit  ist  dann  der  wirkliche  Thatbestand  umgekehrt. 


Selbstdifferenzirung.  881 


sich  überhaupt  noch  viel  zu  sehr  für  Unbekanntes  durch  bestimmte 
Aussprüche  über  dasselbe  ^). 

^^on  zahlreichen,  auf  zu  flüchtiger  Redaction  beruhenden  Unzu- 
treffendheiten im  Ausdruck,  welche  Driesch's  Publicationen ,  besonders 
für  einen  Gegner  seiner  Auffassungen  trotz  nicht  zu  condensirter 
Darstellung  und  übersichtlicher  Anordnung  des  Stoffes,  schwerver- 
ständlich machen  und  viel  guten  Willen  sowie  reichliche  Zuthat  eigenen 
Salzes  seitens  des  gewissenhaften  Lesers  erfordern,  um  nicht  zahlreiche 
Widersprüche  in  ihnen  zu  finden,  sowie  von  nebensächlichen  unrich- 
tigen Reproductionen  meiner  Auffassungen  sehe  ich  ab  und  begnüge 
mich,  die  Puncte  zu  erörtern,  denen  ein  allgemeineres  Interesse  zu- 
kommt. 

Aus  den  Beobachtungen  von  Pflüger,  mir  und  Driesch,  dass 
durch  Druck  auf  das  sich  theilende  Ei  und  aus  Driesch's  eigener 
Wahrnehmung,  dass  auch  durch  Einwirkung  abnormer  Wärme  auf 
das  Ei  die  Furchung  in  abnorme  Bahnen  gelenkt  werden  kann,  folgert 
Driesch  (Nr.  2,  S.  55)  jetzt,  im  Gegensatz  zu  seiner  früheren  Meinung,  dass 
„die  normale  Furchung  keine  Selbstdifferenzirung(R,oux)  ist". 

Dies  Urtheil  beruht  auf  ungenügender  Kenntniss  der  von  mir 
gegebenen  Definition  des  Begriffes  der  „Selbstdifferenzirung". 
Da  ich  wiederholt  bemerkt  habe,  dass  die  richtige  Anwendung  dieses, 

i)  Diese  Einwendungen  gelten  auch  noch  für  die  neueren  Schriften  dieses  be- 
gabten und  eifrigen  jungen  Forschers.  Quellen  fortgesetzter  Missverständnisse  scheinen 
bei  seinen  Abhandlungen  und  bei  ihm  selber  einerseits  aus  seiner  trotz  schroffer  Form 
nicht  selten  unbestimmten  mehrdeutigen  Diction  und  andererseits  daraus  zu  fliessen, 
dass  er  noch  zu  sehr  von  seinen  eigenen  Gedanken  in  Anspruch  genommen  ist,  um 
fremde  Gedanken  leicht  aufnehmen  und  im  fremden  Sinne  beurtheilen  zu  können,  und 
dass  ihm  schon  kleine  Unterschiede  von  seinen  Auffassungen  so  erheblich  erscheinen, 
dass  er  darüber  das  Uebereinstimmende  nicht  bemerkt.  Bezüglich  einiger  Einzelheiten 
siehe  I,  S.  377,  11,^.  455  Anm.  2;  einige  wesentliche  Diflferenzpuncte  sind  in  Nr.  33 
näher  behandelt. 

Gegenüber  der  auffallenden,  auch  von  0.  Hertwig  reproducirten  Angabe,  dass 
ich  für  die  normale  Entwickelung  keine  „differenzir enden  Correlationen" 
der  Theile  annähme,  sei  auf  die  im  Sachregister  vermerkten  Stellen  verwiesen,  iu 
denen  über  dieselben  verhandelt  wird  und  wo  sogar  von  regulatorischen  ge- 
staltenden Correlationen  für  die  noch  als  normal  bezeichnete  Entwickelung  (s.  Nr.  31 
S.  279)  Gebrauch  gemacht  Avird.  Zudem  trennen  diese  Autoren  typische  und 
atypische  Entwickelung  nicht  oder  nicht  genügend  und  müssten  daher  im  Gegen- 
theil  noch  die  von  mir  für  die  atypische  Entwickelung  angenommenen  differenzirenden 
und  regulatorischen  Correlationen  mit  heranziehen. 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  56 


882  Nr.  28.    lieber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

für  unsere  causaleu  Forschungen  nothwendigen  Begriffes  einige  Schwie- 
rigkeiten in  sich  birgt,  so  will  ich  ihn  hier  nochmals  erläutern. 

Das  Wort  Selbstdiifereiiziruiig  und  sein  Gegentheil  die  abhängige 
Differenzirung  beziehen  sich  auf  den  Sitz  der  Veränderungssursachen 
[618]  eines  räumlich  oder  blos  in  Gedanken  abgegrenzten,  sich 
verändernden  Gebildes.  Liegen  die  Ursachen  dieser  Veränderungen  in 
dem  so  abgegrenzten  Gebilde  selber,  so  bezeichne  ich  die  Veränderung 
als  Selbstdiff erenziruug  ,, dieses  Gebildes",  und  zwar  dies 
auch  dann,  wenn  zu  dieser  Veränderung  die  Zufuhr  von  Energie,  sei 
es  in  Form  von  Wärme,  Sauerstoff,  flüssiger  oder  fester  Nahrung  etc., 
von  aussen  her  nöthig  ist,  sofern  nur  durch  diese  Zufuhr  nicht  die 
Art  und  Oertlichkeit  der  Gestaltung  bestimmt  wird  (s.  S.  821). 

Der  Ausdruck  SeJhstdifferensirung  soll  sich  hlos  auf 
die  ^,speci fischen'''  Ursachen  der  Veränderung ,  auf  die 
Ursachen  der  Art  und  Oertlichkeit  ev.  auch  der  Zeit  und 
Intensität  der  Veränderung  eines  Gebildes  beziehen  (s.  S.  908). 

Werden  diese  Eigenschaften  der  Veränderung  nicht  durch  diese 
Zufuhr  von  aussen  bestimmt,  so  stellt  diese  Zufuhr  blos  eine,  vielleicht 
unerlässliche,  Vorbedingung  der  Veränderung,  aber  nicht  die  spe- 
cifische  Ursache  derselben  dar;  diese  Zufuhr  kann  alsdann  auch 
schon  lange  vorher  stattgefunden  haben,  ohne  dass  die  Verände- 
rung stattfindet. 

Ich  habe  nun  früher  gezeigt,  dass  die  aus  typisch  gestaltenden 
und  qualitativ  sondernden  Vorgängen  sich  zusammensetzende  normale 
Furchung  beim  Frosch eie  auch  dann  normal  verläuft,  wenn  das  Ei 
auf  einer  senkrecht  stehenden,  langsam  rotirenden  Scheibe  fixirt  ist, 
so  dass  also  Schwerkraft,  Erdmagnetismus,  Licht-  und  Wärmestrahlen 
in  stetig  wechselnder  Richtung  auf  das  Ei  wirken,  also  keine  typisch 
gestaltenden  Wirkungen  an  ihm  hervorbringen  können.  Es  sind 
somit  zum  normalen  Verlaufe  der  Furchung  keine  gestaltenden 
äusseren  Einwirkungen  nöthig;  die  n  o  r  m  a  1  e  F  u  r  c  h  u  n  g  d  e  s  E  i  e  s 
ist  daher  als  Selbstdiff erenzirung  zu  bezeichnen,  ob- 
gleich z.  B.  ein  gewisses  Maass  von  Wärmezufuhr  unerlässliche  Vor- 
bedingung ist. 

Der  normale  Ablauf  der  Furchung  ist  ferner  abhängig 


Selbstdifferenzirung.  883 


von  der  normalen  Gestalt  des  Eies  (s.  S.  303);  da  das  Ei 
diese  früher  erlangte  Gestalt  aber  gleichfalls  ohne  äussere  gestalt- 
tende  Einwirkungen  einhält,  sind  solche  wiederum  zur  normalen 
Furchung  nicht  nöthig;  die  normale  Furchung  ist  also  Selbst- 
differenzirung des  Eies. 

Daraus  aber,  dass  Druck  und  höhere  Wärme  den  gestalt- 
lichen und  damit  vielleicht  auch  qualitativen  Verlauf  der  Furchung 
zu  ändern  vermögen,  kann  nicht  geschlossen  werden, 
dass  die  specifischen  Ursachen  der  ,, normalen",  gestalt- 
lichen und  qualitativ  sondernden  Vorgänge  der  Furch ung 
„nicht"  im  Eie  selbst  gelegen  seien.  Driesch's  Widerspruch 
ist  somit  hinfällig. 

Wenn  man  von  Seih stdifferenzirung  spricht,  muss 
man  immer  das  Ganze  oder  den  TJieil  nennen,  auf  w eichen 
sich  die  Aeiisserung  bezieht.  Man  kann  nicht  sagen:  ,,die  Ent- 
wickelung  ist  Selbstdifferenzirung",  denn  diese  Aeusserung  bezieht 
sich  nicht  auf  ein  abgegrenztes  Gebilde  oder  Stück,  sondern 
auf  die  Vorgänge  der  Entwickelung;  jede  Ent wickeln ng  ist  Ver- 
ändern n  g ;  und  jede  Veränderung  beruht  auf  Wechsel- 
wirkung, da  nichts  seinen  Zustand  von  selbst  ändern  kann  (s.  S.  14 
und  822). 

Es  ist  daher  auch  nicht  richtig  ausgedrückt,  wennDRiEscH,  angeblich 
um  mir  zu  opponiren,  (Nr.  1,  S.  303)  sagt:  „die  directe  (seil,  nor- 
male) ,, Entwickelung"  ist  keine  Selbstdifferenzirung  sondern  correlative 
Differenzirung" ;  [619]  er  hätte  sagen  müssen:  die  directe  Entwickelung 
(NB.  des  Eies)  ist  keine  Selbstdifferenzirung  der  einzelnen  Blasto- 
meren;  oder  wenn  seine  Opposition  eine  allgemeine  sein  soll,  hätte 
sie  lauten  müssen:  bei  der  directen  Entwickelung  des  Eies  kommt 
keine  Selbstdifferenzirung  einzelner  Zellen  oder  Zellcomplexe  vor. 
Das  würde  dann  im  Sinne  von  0.  Hertwig  heissen:  Die  directe  Ent- 
wickelung des  Eies  findet  nur  unter  Wechselwirkungen  aller  Zellen 
desselben  unter  einander  statt. 

Es  ist  ferner  nicht  zweckmässig  und  muss  zu  Missverständnissen 

führen,  dass  Driesgh  fortfährt,  entgegen  dem  Sprachgebrauche  die  aus 

einem  halben  Ei  hervorgegangenen  ,,ganzen"  Embryonen  als  Theil- 

56* 


884  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

bildungen  zu  bezeichnen,  zumal  nachdem  ich  dem  Sprachgebrauche 
entsprechend  als  „Theilbildungen"  (Meroplasten)  halbe,  Viertel- 
und  Dreiviertelembryonen  bezeichnet  habe  (S.  792). 

Man  nennt  nicht  ein  „ganzes  fertiges"  Haus,  das 
aber  blos  aus  der  Hälfte  des  ursprünglich  dazu  be- 
stimmten Materiales  erbaut  ist,  ein  Theilge bilde,  ein 
Th  eil  ha  US.  Die  von  mir  eingeführten  Bezeichnungen  Halbei-Ganz- 
bildungen  (Hemioohololasten) ,  Dreiviertelei-Ganzbildungen  sind  voll- 
kommen bezeichnend  und  schliessen  daher  jedes  Missverständniss 
aus.  Ich  werde  daher  bei  ihrer  Verwendung  verbleiben  und  glaube, 
dass  die  Verwirrungen,  die  durch  Driesch's  Bezeichnungsweise  ent- 
stehen, ihm  zur  Last  fallen. 

[Als  allgemeinen  Namen  für  die  aus  „  T  h  e  i  1  e  n"  eines  Eies 
entstehenden  Gebilde  empfehle  ich  die  Bezeichnung  Eitheil-Gebilde, 
z.  B.  Eitheil-Gastrulae,  Ei theil- Embryonen. 

Diese  können  sein  (s.  S.  792): 

a)  Theilgebilde  ,  Meroplasten:  z.  B.  Halbbildungen,  Viertel- 
bildungen, Dreiviertelbildungen,  und  zwar  Halbgastrulae,  Halb- 
embryonen etc., 

b)  G  a  n  z  b  i  1  d  u  n  g  e  n  :  z.  B.  Halbei-Ganzbildungen ,  Viertelei- 
Ganzbildung.  Diese  Ganzbildungen  können  nachträglich  aus 
Halbbildungen  durch  Postgeneration  hervorgehen,  oder  viel- 
leicht auch  bei  einigen  Thieren  sogleich  primär  entstehen 
(siehe  hierüber  Roux  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  I, 
S.  597  u.  f.)l. 


Die  hauptsächlichste  theoretische  Differenz  zwischen  Driesch 
sowie  0.  Hertwig  einerseits  und  mir  andererseits  besteht  darin,  dass 
erstere  Autoren  behaupten,  die  ersten  (8  resp.  16  oder  32) 
Furchungszellen  seien  in  ihrem  Wesentlichen  vollkommen 
gleichwerthig,  nur  in  Unwesentlichem  von  einander  ein  wenig 
verschieden;  jede  gliche  also  wesentlich  noch  der  ganzen  Eizelle. 
Driesch  folgert  dies  daraus,  dass  aus  jeder  einzelnen  der  2  resp.  4  ersten 
Furchungszellen    in    Folge    Tödtung    oder    Entfernung    der    anderen 


Bildung  gleicher  Producte  durch  verschiedene  Vorgänge.  885 

Blastomereu  (aber,  wie  wir  sahen,  meist  erst  nach  vorgängiger  Pro- 
ductiou  einer  deuthehen  Halbbildung)  gleichwohl  ein  ganzes  Indi- 
viduum entsteht;  besonders  aber  leitet  er  dasselbe  aus  seinen  jüngsten 
Versuchen  ab,  in  welchen  durch  Pressen  von  Echinodermen- 
eiern  während  der  ersten  Furchungen  die  Furchungskugeln , 
wie  er  angiebt,  so  abnorm  gelagert  waren,  dass  unter  vielen  Ver- 
suchen jede  Zelle  neben  jeder  anderen  zu  liegen  kam  [?] ,  mit  dem  Er- 
folg ,  dass  gleichwohl  daraus  eine  normal  gestaltete  Pluteuslarve 
entstand. 

Driesch  nimmt  auf  Grund  dieses  normal  gestalteten  ,,Pro- 
ductes"  ohne  jeden  Beweis  als  selbstverständlich  an,  dass  auch  die 
„Bildungsweise"  desselben  die  normale  sei,  dass  also  die 
uns  unbekannten  inneren  Vorgänge  bei  dieser  Entwickelung  mit  den 
Vorgängen  bei  der  normalen  Entwickelung  im  Wesen  identisch  seien. 
Er  thut  dies,  obgleich  es  genügend  bekannt  ist,  dass  gleichgestaltete 
Producte  auf  verschiedenen  Wegen  hervorgebracht  wer- 
den können,  dass  z.  B.  bei  der  Regeneration  nach  Selbsttheilung 
er-  [620]  wachsener  Thiere  oder  nach  künstlichem  Defect  derselben, 
von  bereits  Dif f erenzirtem  aus  die  fehlenden  Tlieile  wieder  und 
daher  nothwendiger  Weise  unter  wesentlich  anderen  Vorgängen 
producirt  werden,  als  bei  der  Entwickelung  aus  dem  nicht  differen- 
zirten  Ei  (s.  S.  52  und  93) ;  eine  Thatsache,  die  mich  zur  Unterschei- 
dung zweier  Entwickelungsarten  (S,  812  u.  843)  veranlasst  hat: 
der  directen  s.  typischen,  bei  den  höheren  Organismen  allein  die 
normale  Art  darstellenden  Entwickelung  aus  dem  nicht  erheblich 
sichtbar  differenzirten  Ei,  und  der  indirecten  s.  atypischen 
s.  regulatorischen  Entwickelung  oder  der  Entwickelung  fehlen- 
der Theile  eines*  Organismus  von  l^ereits  „entwickelten"  T  h  e  i  1  e  n 
desselben  aus. 

Wenn  Driesch  den  Nachweis  erbracht  hätte,  dass  die  Vorgänge 
dieser  Gestaltungen  wirklich  die  normalen  seien  (was  aber  nicht  ohne 
die  Ermittelung  dieser  Vorgänge  möglich  gewesen  wäre),  so  wäre  sein 
und  0.  Hertwig's  Schluss,  dass  die  ersten  8 — 32  Furch ungsz eilen 
nicht  specifisch  differenzirt,  sondern  gleichwerthig  seien, 
vielleicht  als  zutreffend  zu  bezeichnen. 


Nr.  '28.    üeber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


Dann  bliebe  aber  absolut  unverständlich,  dass  ich  schon 
vor  der  ersten  Furchung  am  normal  gehaltenen  Froschei  alle  Haupt- 
richtungen des  Embryo  sicher  vorausbestimmen  konnte,  und  dass  bei 
Operationen  am  zweigetheilten  Froschei  nach  Zerstörung  der  von  mir 
als  rechte  oder  linke,  bei  Anachronismen  als  cephale  oder  caudale 
Furchungszelle  erkannten  Zelle  stets,  wie  vorausgesagt,  ein  linker 
resp.  rechter,  c  au  dal  er  resp.  cephaler  halber  Embryo 
entstand.  Dass  ich  dies  mit  Sicherheit  voraussagen 
konnte,  beweist,  von  allen  anderen  Argumenten  abgesehen,  ab- 
solut sicher,  dass  diese  Bestimmungen  bereits  getroffen 
waren,  dass  also  schon  die  beiden  ersten  Theilzellen 
des  Eies  nicht  mehr  ,,gleichwerthig"  w^aren. 

Es  ist  selten,  dass  die  Beweiskraft  so  unwiderleglicher  Argu- 
mente nicht  erkannt  wird. 

Warum  entstand  ferner  nicht  ein  einziges  Mal  ein  schief  zu 
den  Hauptrichtungen  abgegrenzter  halber  Embryo?  Ja,  was  müsste 
überhaupt  aus  einer  typischen  halben,  hohlen  Semimorula,  die  sich 
nicht  schliesst,  entstehen,  wenn  alle  Zellen  derselben  gleich- 
wie r  t  h  i  g  sind  ? 

Sehen  wir  für  jetzt  davon  ab,  dass  es  noch  ganz  unbekannt 
ist,  welche  wahre  Bedeutung  die  unter  „starken"  Deforma- 
tionen des  Eies  gebildeten  Furchungszellen  in  ihrem  ,,acti- 
virten"  Idioplasson  zu  dem  activirten  Idioplasson  (s.  S.  830)  der 
normalen  Furchungszellen  der  Stadien  mit  gleicher  Zellen- 
zahl haben,  —  für  etwas  geringere  Deformationen  habe  ich 
nachgewiesen  (Nr.  20 u.  29  und  S.  838),  dass  eine  der  drei  ersten 
Furchen  noch  der  Medianebene  entspricht  —  so  wäre  es  die 
Hauptaufgabe  Driesch's  zur  Stütze  seiner  Auffassung  gewesen  zu  be- 
weisen ,  oder  zum  Mindesten  auf  Grund  von  Thatsachen  wahrscheinlich 
zumachen,  dass  die  Entwickelungs  Vorgänge  die  normalen  seien; 
ohne  dieses  stehen  alle  seine,  in  apodictischer  Form  geäusserten 
Folgerungen  vollkommen  in  der  Luft;  sie  beruhen  auf  einer  petitio 
principii. 

[621]  Driesch  begnügt  sich  jedoch  damit,  für  die  von  mir  und 
Chun   aus   halben  Frosch-  und  Ctenophoren  -  Eiern   erhaltenen  halben 


I 


ActiviruDg  der  regulatorischen  Entwickelung.  887 

Embryonen  eine  Ableitung  /ai  versuchen,  die,  wie  früher  gezeigt  wurde, 
an  sich  schon  hinfälhg  ist  und  selbst,  wenn  sie  für  diese  Thiere  zu- 
treffend wäre,  auf  mein  Hemitherium  anterius  des  Kalbes 
(s.  S.  827)  und  auf  die  Halbbildungen  von  Echinus  und  von  Ascidien 
(C'habry)  nicht  anwendbar  wäre.  Der  Versuch ,  die  Echinodermen- 
Halbbildungen  auf  die  oben  dargelegte  Weise  zu  beseitigen,  ist  ebenso 
missglückt  wie  derjenige,  die  Halbbildungen  der  Ascidien  auf  dem 
Wege  der  Umdeutung  zu  eliminiren  ^). 

Ich  vertrete  dagegen  die  Ansicht  (S.  830  u.  f.),  dass  bei  ah- 
normen  Verhältnissen  halber  oder  stark  gepresster,  wie 
durch  manche  chemische  Mittel,  z.  B.  Borsäure^),  Strychnin 
(Roux)  geschädigter  Eier  früher  oder  später  „ahnorme  Bildungs- 
vorgänge  stattfinden'-'',  Gestaltungs Vorgänge,  die  nicht  durch  die 
„Befruchtung"  als  solche  veranlasst  sind,  sondern  welche 
mehr  oder  weniger  mit  Vorgängen  übereinstimmen,  die  bei 
der  Re-  und  Postgeneration  vorkommen  und  durch  den  De- 
fect  resp.  durch  die  „Störung^'  der  normalen  „Änordmtng'''  aus- 
gelöst werden,  Vorgänge,  bei  denen  somit  idioplastisches  Ma- 
terial activirt  wird  und  in  herrschende  Thätigheit  tritt,  das 


[1)  Desgleichen  kommt,  Avie  ich  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  I,  S.  598 
u.  f.  dargethan  habe,  den  Versuchen  Driesch's  (Arch.  f.  Entwickelungsmech.  Bd.  I, 
S.  398)  an  Ascidien  eine  solche  vermeintliche,  die  Angaben  Chabry's  widerlegende 
Bedeutung  nicht  zu.] 

[2)  Im  Jahre  1889  prüfte  ich  Arzneimittel  am  Embryo,  besonders  die  sogenannten 
Plastica,  um  ein  das  Wachsthum  anregendes  Mittel  zu  finden  und  dies  zur  Erzeugung 
von  Missbildungen  und  zum  Studium  der  dabei  gestörten  gestaltenden  Correlationen 
anzuwenden. 

Darüber  ist  bis  jetzt  blos  eine  mit  Demonstration  von  microscopischen  Präpa- 
raten verbundene  Mittheilung  auf  der  Naturforscherversammlung  zu  Wien  publicirt 
worden,  dei-en  kurzer  (unvollständiger)  Bericht  lautet  (Verh.  d.  Ges.  deutsch.  Naturf. 
und  Aerzte  1893,''Theil  2,  Bd.  II,  S.  364): 

,An  der  Gastrula  bewirkt  die  Borsäure  Rundung  der  Zellen  der  „Medullar- 
platte"  (Framboisia  minor,  Roux)  mit  nachfolgendem  Abfall  des  Epithels  derselben. 
Doch  gelang  es  nicht,  Embryonen  ohne  Centralnervensystem  zu  erzeugen,  da  Regene- 
ration eintrat.  Nach  Schluss  des  Medullarrohres  angewendet,  bewirkte  die  Borsäure- 
(resp.  Borax-)lösung  Wachsthum  des  Riechepithels,  statt  nach  innen,  nach 
aussen,  so  dass  die  Geruchsorgane  an  derStirne  teleoscopisch  vorspringen. 
Ausserdem  schädigt  sie  die  Bildung  des  Blutes  und  der  Kopfsomiten  und  stört  be- 
sonders die  Zellkerne". 

Die  ausführliche  Publication  wird  im  Archiv  f.  Entwickelungsmechanik  erfolgen.] 


888  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

hei  der  normalen  Enttvichelung  nur  in  minimaler,  reguli- 
render  Weise  tliätig  ist  (s.  S.  663,  667,  669,  Nr.  31,  S.  279). 

Wir  haben  ersteren  Falles  typisch  ausgebildete,  unzweifelhafte 
Halbbildungen,  die  auf  einem,  bei  den  einen  Thieren  früheren, 
bei  den  anderen  späteren  Stadium  auf  ein  Mal  beginnen,  sich 
zu  einem  Ganzen  zu  completiren:  ob  das  zunächst  blos 
durch  nachträgliche  ZJmlagerung  und  entsprechend  nöthige 
Umdifferensirung  oder  auch  sogleich  mitunter  Proli- 
feration Yon  Zellen  geschieht,  macht  keinen  wesentlichen 
Unterschied;  diese  Umlagerungen  und  Umdiff  erenzirungen 
müssen  stets  zusammen  vorkommen  und  sind  das  Wesentlichste 
des  Geschehens,  ja  bei  der  Regeneration  der  Hydra  und  der  Post- 
generation des  Seeigels  das  ganz  oder  fast  ganz  Ausschliessliche;  die 
gleichzeitige  Vermehrung  von  Zellen,  die  Proliferation,  kann  daher 
nur  als  ein  dabei  qualitativ  nicht  wesentlicher  Nebenvorgang  betrachtet 
werden  (s.  S.  836  u.  f.). 

Driesch,  der,  wie  sich  inzwischen  gezeigt  hat,  ebenfalls  die  Ent- 
stehung von  Ganzbildungen  aus  Furchungsbruchtheilen  unter  die 
Gesichtspuncte  der  ümlagerung  und  Proliferation  gebracht  hat,  ver- 
steht jedoch  darunter  erheblich  Anderes  als  ich,  so  dass  unsere  Diffe- 
renz nicht,  wie  er  meint,  blos  eine  scheinbareist.  Driesch  erklärt 
nämlich  diese  beiden  Vorgänge  als  principiell  verschieden  und  nimmt 
an,  die  Ganzbildung,  aus  Furchungsbruchtheilen  durch  Ümlage- 
rung käme  blos  bei  den  einen  (Echinodermen,  Ascidien,  Amphi- 
oxus),  die  Postgeneration  durch  Prolife ration  bei  den  anderen 
Thieren  (Frosch,  Ctenophoren)  vor;  und  die  Ergänzung  durch 
Ümlagerung  rechnet  er,  wie  sich  aus  seinen  weiteren  Folge- 
rungen ergiebt,  willkürlich  zur  normalen  s.  typischen  Ent- 
wickeln ng. 

[622]  Der  Gegensatz  zwischen  den  beiderseitigen  Ansichten 
wird  noch  dadurch  illustrirt,  dass  Driesch  auch  beim  Amphioxus  die 
Halbei  Ganzbildung  durch  ümlagerung  entstehen  lässt,  obgleich 
er  Wilson's  Angabe  annimmt,  dass  bei  Amphioxus  aus  dem  halben 
Ei  gar  nicht  zuerst  eine  Halbbildung  intendirt  werde,  sondern  von 
der  ersten  Theilung  der  Halbeizelle  an  die  Zellordnung  einer  ganzen 


Activirung  der  regulatorischen  Entwickelung. 


Morula  vorhanden  sei,  so  dass  eine  nachträgliehe  Umordnung  der  ge- 
bildeten Zellen  gar  nicht  nöthig  wäre.  Dasselbe  Geschehen  wie  bei 
Amphioxus  nimmt  Driesch,  da  er  jetzt  die  Halbbildung,  die  ächte 
Semimorula  der  Echinodermen  verleugnet,  auch  für  diese  an.  Wir 
beide  verwenden  also  dieselben  Bezeichnungen  in  wesentlich  verschie- 
dener Weise. 

Driesgh's  ,, Umordnung"  dieser  Furchungszellen  ist  ein  ,,melir 
zufälliger  Act",  ein  ,, stärkeres  Gleiten  der  Zellen  an 
einander",  wodurch  ein  rundlicher  Zellhaufen  entsteht  und  wodurch 
allein  nach  Driesch's  Auffassung  schon  die  Bedingung  zu  einer  Ganz- 
bildung  gegeben  ist. 

Nach  meiner  Auffassung  handelt  es  sich  dagegen  bei 
dem  Schluss  der  Semimorula  oder  Semiblastula  ebenso  wie  des  Hemi- 
embryo  um  ein  in  Thätigkeittreten  ganz  neuer,  durch  die 
Wirkung  des  Defectes  activirter  Gestaltungsmechanis- 
men, oder  mit  anderen  Worten  um  Thätigwerden  des  Post-  und 
Regenerationsplasson  s.  Reserveidioplasson ;  und  es  müssen  dabei  mit 
der  Umordnung  der  Zellen  entsprechende  innere,  eventuell  auch 
äussere  Umdif  f  erenzirungen  der  bisher  activen  Theile  stattfinden. 

Das  Wesentliche  der  Verschiedenheiten  der  beider- 
seitigen Auffassungen  wird  besonders  deutlich,  w^enn  wir  die 
Consequenzen  derselben  ziehen: 

Nach  Driesch  müsste  aus  der  hohlen  Semimorula  des  Frosches, 
wenn  wir  ihren  Defectrand  durch  Zusammenlegen  auch  nur  passiv 
geschlossen  und  auf  diese  Weise  eine  in  Driesch's  Sinne  ganze 
Morula  aus  der  halben  gemacht  hätten,  diese  letztere  sich  in  Folge 
der  jetzigen  Lage  der  Zellen  zu  einander  ohne  Weiteres  zu  einer 
ganzen  Gastrula  und  einem  ganzen  Embryo  entwickeln. 

Nach  meiner  Meinung  dagegen  würde  daraus  ein  halber  Em- 
bryo mit  zusammengelegtem  Defectrande  entstehen,  sofern  nicht 
inzwischen  die  Postgenerationsmechanismen  thätig  geworden  sind. 
Schliesst  dagegen  eine  typische  hohle  Semimorula  oder  Semi- 
blastula auf  ein  Mal  ihren  Defectrand  von  selber,  so  ist  das  nach 
ineiner  Meinung  schon  der  Ausdruck  der  geweckten  Postgenerations- 
thätigkeit. 


890  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Wäre  aber  der  scheinbare  Selbstsehluss  nach  Driesch  blos  durch 
ein  zufäUiges  capillares  Zusammengleiten  der  Zellen  (das  viel- 
leicht durch  zeitweiliges  Einbringen  in  ein  geeignetes  Mittel 
wie  1  proc.  Kochsalzlösung  auch  künstlich  veranlasst  werden 
kann),  bedingt,  so  entstünde,  wenn  nicht  die  Postgenerationsmecha- 
nismen geweckt  werden ,  nach  meiner  Meinung  ebenfalls  nur  ein 
[in  seiner  Bildung  etwas  gestörter]  Hemiembryo  mit  zusammengelegtem 
Defectrand,  nicht  ein  ganzer  Embryo. 

Driesch  lässt  unter  den  nach  seiner  Auffassung  nicht  specificirten, 
einander  vollkommen  gleichwerthigen  ersten  8—16  oder  32 
Furchungszellen  durch  Entstehung  etwas  stärker  gespannter  Zellen 
oder  einer  sonstigen  physikalischen  Ungleichheit  eine  Differenz 
eintreten  und  [623]  damit  erst  Richtung  in  das  bisher  richtungslose 
Geschehen  kommen;  und  von  dieser  nach  seiner  eigenen  jNIeinung 
,, unwesentlichen"  protoplasmatischen ^)  Veränderung  geht  nun  das 
ganze  gerichtete  Geschehen  der  Bildung  des  Embrj^o  aus,  indem  es 
dabei  vollkommen  von  der  Lage  aller  Zellen  zu  diesen  zuerst  diffe- 
renzirten  Zellen  abhängt,  was  aus  jeder  wird.  Driesch  bezieht  sich 
dabei  auf  rechtwinkelige  also  feste  Coordinaten,  so  dass  geradezu  die 
räumliche  Lage  der  Zellen  zu  einander  als  solche  und  damit  die 
,, Gestalt  des  ganzen  Zellcomplexes'',  die  Gesammtconfigu- 
ration  des  Gebildes  von  wesentlichster  Bedeutung  für  die 
Gestaltungs-  und  Differenzirungsvorgänge  desselben  wäre. 

1)  Da  man  jetzt  anfängt,  ein  Mal  wieder  die  gestaltlichen  Leistungen  des 
Zellleibes  bei  der  Entwickelung  im  Gegensatz  zu  denen  des  Kernes  hervorzuheben, 
ja  bereits  zu  überschätzen,  so  sei  an  die  von  mir  ermittelten  Thatsachen  erinnert 
(s.  Nr.  20  und  21),  welche  darauf  hinweisen,  dass  die  Hauptriclitungen  des 
Embryo  bei  Zwangslage  zum  Theil  durch  die  Gestalt  sowie  durch  die  An- 
ordnung der  verschiedenen  Arten  des  Protoplasma  s  bedingt  sind, 
indem  dasselbe  nicht  blos  einstellend  auf  die  Kernspindel  wirkt,  sondern, 
entsprechend  der  Längs-  oder  Querslellung  der  Spindel  zur  Symmetrierichtung  des 
Protoplasmas,  die  qualitative  Natur  der  ersten  Kerntheilungen  be- 
stimmt und  so  bewirkt,  dass  zum  richtigen  Protoplasma  der  Kopfseite  auch  das 
richtige  Idioplasson  des  Kernes  kommt.  Zugleich  aber  erwiesen  seltene  Ausnahmen, 
dass  dem  Kernmaterial  bei  diesen  Wechselwirkungen  doch  die  grössere  dif- 
Jerenzirende  Bedeutung  zukommen  muss,  da  einige  Mal  die  Kopfseite  des 
Embryo  nicht  der  normaler  Weise  entsprechenden  Protoplasma- 
anhäufung zugewendet  war,  sondern  90°  seitlich  dazu  oder  noch  seltener  ge- 
radezu entgegengesetzt  stand.     Weiteres  siehe  Nr.  30. 


A 


Wirkung  der  Deformation  bereits  vielfach  getheilter  Eier.  891 

Demnach  könnten  annähernd  richtige  Differenzirungen 
nur  bei  normaler  äusserer  Gestalt  eines  Gebildes  vor  sich 
gehen;  und  Driesch  scheint  zu  glauben,  mit  dieser  Betonung  der 
eventuellen  differenzirenden  Bedeutung  der  Lage  von  Zellen  zu 
anderen  Zellen  ein  -wesentlich  neues  Gestaltungsprinci})  aufgestellt  zu 
haben.  Ich  glaube  jedoch,  so  weit  dasselbe  Richtiges  enthält,  ist  es 
bereits  von  jedem  vertreten  worden,  der  einmal  ernstlich  über  die 
Regeneration  nachgedacht  hat.  Driesch  kündigt  eine  ausführliche 
Abhandlung  über  seine  bezüglichen  Vorstellungen  an.  Ich  sehe  daher 
von  einer  Kritik  seiner  bisher  vorliegenden  kurzen  Aeusserungen  ab 
und  werde  nur  Veranlassung  nehmen,  weiter  unten  meine  ):)ezüglichen, 
auf  die  Thatsachen  der  Post-  und  Regeneration  sich  stützenden  Auf- 
fassungen etwas  ausführlicher  darzulegen,  als  es  bereits  andeutungs- 
weise (S.  484  u.  f.)  in  meiner  Schilderung  der  Postgeneration  der 
fehlenden  Froschhälfte  unter  Verwendung  des  Materiales  der  getödteten 
Eihälfte  geschehen  ist.  Zunächst  seien  einige  Thatsachen  in  Erinne- 
rung gebracht  resp.  neu  mitgetheilt. 

Ich  habe  schon  im  ersten  Beitrag  zur  Entwickelungsmechanik 
(S.  187  u.  192)  darauf  hingewiesen  und  es  danach  weiterhin  verfolgt 
(s.  Nr.  29,  S.  609),  dass  „nach''  der  Furchung  deformirte  Eier 
trotz  entsprechend  abnormer  Gestaltung  des  [624]  Ganzen,  von  einigen 
localen,  mechanisch  erklärbaren  Störungen  abgesehen,  einen  inner- 
lich so  wohl  gebildeten  Embryo  liefern^  als  iväre  der  Embryo 
erst  „nach"  seiner  EntivicTielung  allmählich  jpassiv  zu  seiner 
jetzigen  äusseren  Gestalt  deformirt  ivorden.  Ich  werde  die 
bezüglichen  Versuche  ausführlicher  darstellen.  Aus  ihnen  geht  her- 
vor, da.ss  eine  derartige  differenzirende  Wirkung  der  räumlichen 
Lage  der  Zellen,  wie  sie  Driesch  anzunehmen  scheint,  nicht  besteht, 
sondern  dass  die  richtigen  Differenzirungen  wesentlich  von  Wir- 
kungen per  continuitatem  et  contiguitatem,  also  von  „Nachhar- 
srhafts  Wirkungen"'  ah  hängen. 

Gegen  erstere  Auffassung  von  derWirkung  der  Gesammt- 
gestalt  vielzelliger  Gebilde  auf  die  Differenzirung  derselben 
spricht  auch,  wie  ich  schon  (S.  859)  erwähnt  habe,  die  grosse 
Gruppe     derjenigen    Doppelbildungen,    welche    dem    von    mir 


892  Nr.  28.   lieber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

formulirten  Gesetze  der  doppelten  Symmetrie  der  Orgaii- 
anlagen  folgen,  indem  hier  in  jedem  der  beiden  mit  einander  ver- 
schmolzenen Individualgebilde  alle  Organe  bis  zur  Vereinigungs ebene 
so  normal  gestaltet  sind,  wie  an  einem  normalen  Individuum,  welchem 
erst  nachträglich  die  fehlenden  Theile  abgeschnitten  wurden ;  ein 
Verhalten,  in  welchem  [von  den  Wirkungen  der  functionellen  An- 
passung natürlich  abgesehen]  keine  Wechselwirkung  der  entfernten 
Theile  beider  so  ausgedehnt  mit  einander  vereinigter  unvollkommener 
Individualanlagen  zu  einem  Ganzen  erkennbar  ist,  sondern  nach 
welchem  vielmehr  jedes  unvollkommene  Individuum  sich 
im  Wesentlichen  für  sich  entwickelt  zu  haben  scheint. 

Ehe  ich  zur  Darlegung  meiner  eigenen  Argumentation  in  Sachen 
der  behandelten  Hauptfrage  übergehe,  sei  noch  ein  unrichtiger  Schluss 
Driesch's  zurückgewiesen. 

Driesch  schliesst  folgendermassen  (Nr.  2,  S.  301): 

,,Der  Satz  Roux',  dass  die  directe  normale  Entwickelung  in 
den  ersten  Stadien  durch  S  e  1  b  s  t  d  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g  der  ersten 
Für chungsz eilen  charakterisirt  ist,  ist  widerlegt  durch  die  Ver- 
lagerung der  Furchungszellen  mit  nachfolgender  normaler  Ent- 
wickelung". (Driesch  musste  richtiger  sagen:  mit  nachfolgender  Lie- 
ferung späterer  normal  gestalteter  Producte.) 

Da  Driesch  jedoch  jetzt  selber  die  sichere  Thatsache  der  Ent- 
stehung halber  Frosch-  und  C*  t  e  n  o  p  h  o  r  e  n  -  E  m  b  r  y  o  n  e  n  aus 
halben  Eiern  nicht  mehr  bestreitet  und  er  auch  nicht  mit  Pflüger 
annimmt,  dass  diese  Gestaltung  der  Embryonen  durch  von  aussen 
einwirkende  Kräfte  erfolge ,  so  muss  er  auch  zugeben ,  dass  die 
gestaltenden  Kräfte  zur  Bildung  des  halben  Embryo  in  dem  halben 
Ei  vorhanden  sein  müssen ;  also  muss  auch  nach  Driesch's  Auffassung 
die  Entwickelung  dieser  isolirten  halben  Eier  ,,Selbst- 
diff erenzirung"  derselben  sein.  Driesch's  Widerspruch  gegen 
meine  Auffassung  schliesst  also  einen  logischen  Widerspruch  ein. 

Auf  Grund  dieses  irrthümlichen  Schlusses  folgert  Driesch  nun 
weiter:  ,,Ist  aber  die  directe  Entwickelung  in  ihrem  Beginne  keine 
Selbstdifferenzirung  sondern  correlative  Differenzirung  (zu  ergänzen  ist : 
der  ersten  Furchungs-  [625]  zellen,  s.  o.  S.  883),  dann  fällt  auch  jeder  (!) 


Mängel  der  Auffassungen  0.  Hertwic's  und  H.  Driesch's.  893 

Unterschied  zwischen  ihr  und  der  Totogeneration  beim  Seeigel,  Ani- 
phioxus,  Ascidie  und  Siphonophore  weg".  Diese  Totogeneration  lässt 
Driesch  durch  die  oben  erwähnte  mehr  „zufällige"  Umlagerung 
der  einander  angeblich  gleichwerthigen  Furchungszellen  zu  einem 
rundlichem  Zellhaufen  mit  nachfolgenden  differenzircnden  Wechsel- 
wirkungen entstehen. 

Selbst  w^enn  die  directe  Entwickelung  wirklich  keine  Selbst- 
differenzirung  der  ersten  Furchungszellen  wäre,  woraus  folgert  Driesch, 
dass  dann  auch  jeder  Unterschied  zwischen  ihr  und  der  von  ihm 
angenommenen  Art  der  Totogeneration  wegfällt? 

Driesch  müsste,  nach  Eliminirung  des  oben  nachgewiesenen 
logischen  Widerspruches ,  von  seinem  Standpuncte  aus  sagen :  blos 
isolirte  erste  Furchungszellen  entwickeln  sich  durch  Selbstdifferen- 
zirung,  die  sich  berührenden  aber  nicht ;  sondern  bei  diesen  geschieht 
die  Entwdckelung  blos  durch  gestaltende  Wechselwirkungen  aller 
Zellen  unter  einander.  Dabei  müsste  er  also  für  die  Ent- 
wickelung der  „isolirten"  Blastomeren  zu  Körperstücken 
einen  ganz  neuen,  von  der  normalen  Entwickelung  durchaus 
abweichenden  Modus  annehmen^);  und  dazu  käme  als  dritter 
besonderer  Modus  derjenige  der  nachträglichen  Postgeneration 
dieser  Stücke  des  Frosch-  und  Ctenophorenembryo  zu  ganzen  Em- 
bryonen. Driesch's  Auffassung  erweist  sich  also,  in  ihre  Conse- 
cpenzen  verfolgt,  auch  nicht  als  eine  Vereinfachung. 

Den  Modus  der  Entwickelung  einzelner  Blastomeren  zu  Körper- 
stücken denkt  sich  Driesch  allerdings  überaus  einfach.  Er  sagt 
(Nr.  1,  S.  306):  „Bei  Frosch  und  Ctenophore  ist  die  Blastula  eine 
Halbkugel,  die  eine  Ordinate  ist  ein  Durchmesser,  die 
andere  ist  d^r  auf  ihr  senkrechte  Radius:  daher  bildet  sich 
hier  ein  Halbembryo,  denn  in  der  anderen  Hälfte  des  Ordi- 
natenfeldes  liegt  gar  kein  Material,  auf  das  dieses  bestim- 
mend  w^irken   könne".     Gewiss   eine   sehr   einfache   Art   des   Ent- 


[1)  Dies  ist  ein  Argument,  auf  welches  ich  besonderen  Werth  lege,  da  ich  es 
nicht  für  Avahrscheinlich  halte,  dass  dieser  neue  Bildungsmodus  ein  so  einfacher 
sein  könne,  wie  ihn  Driesch  sich  vorstellt,  wenn  auch  die  Auslösung  desselben 
auf  einfachen  Verhältnissen  beruhen  kann  (siehe  Nr.  33,  das  „Nachwort").] 


894  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


Stehens  eines  halben  Organismus,  welche  aber  wohl  auf  einer  entweder 
zu  einfachen  oder  zu  früh  resignirenden  Auffassung  von  der  Ent- 
wickelung  beruht. 

II.  üeber  die  bei  der  Re-  uud  Postgeiieration  nach  Defecten  und  nach 

„sonstigen  Störungen"  anzunelimeuden  regulatorischen  Mechanismen 

und  dilferenzirenden  AVechselwirkungen. 

[656]  Es  sei  nun  meine  Argumentation  dem  Leser  zur  Beur- 
theilung  dargelegt;  ich  werde  mich  dabei  nur  über  die  bei  der  Re- 
und  Postgeueration  im  Allgemeinen  anzunehmenden  Mechanismen 
etwas  ausführlicher  verbreiten. 

In  früheren  und  späteren  meiner  Arbeiten  habe  ich  wiederholt 
die  Probleme  der  Re-  und  Postgeneration  berührt  und  mich  in  kurzen 
Bemerkungen  über  die  dabei  nöthigen  Vorgänge  ausgesprochen 
(s.  S.  484  u.  f.).  Da  ich  jedoch  nicht  gerne  mehr  Hypothesen 
ausspreche,  als  für  den  gerade  vorliegenden  Zweck  un- 
bedingt nöthig  ist,  so  habe  ich  es  bisher  unterlassen, 
meine  bezüglichen  hypothetischen  Auffassungen  ausführ- 
licher darzustellen. 

Jetzt  dagegen  ist  es  durch  den  Widerspruch  O.  Hertwig's  und 
H.  Driesch's  gegen  die  Deutung  meiner  Versuchsergebnisse  nöthig 
geworden,  die  Verschiedenheit  der  beiderseitigen  Meinungen  bis  in 
ziemlich  ferne  Consequenzen  hinein  zu  verfolgen,  und  dabei  besonders 
auch  die  Mechanismen  der  Regeneration  zu  berücksichtigen. 

Ich  argumentire:  da  sich  bei  Fröschen,  Ctenophoren,  Ascidien 
und  einem  Seeigel  die  isollrten  ersten  Furchungszellen  zu 
einzelnen  Stücken  des  Emhryo  entivicheln  Itöiinen^  so  ist 
zu  vermiithen,  dass  sie  dies  auch  unter  normalen  Verhält- 
nissen, d.  h.  tvenn  alle  Furchungszellen  in  nornialet'  Weise 
heisammen  sind,  thun'^). 


[1)  Dass  die  Entwickelung  der  isolirten  Halbei-Blastomeren  zu  Halbembryonen 
unter  den  normalen  Vorgängen  sich  vollzieht,  dafür  spricht,  dass  dabei  aus  jeder 
weiteren  Theilzelle  dieser  Elastomere  dasselbe  Stück  des  Embryo  hervor- 
geht, welches  bei  der  normalen  Entwickelung  des  ganzen  Eies  aus  dieser  gleichen 
Zelle  gebildet  wird.l 


Activirung  der  regulatorischen  Entwickelung.  895 


Dass  bei  den  einen  dieser  Tliiere  früher,  bei  den  anderen  erst 
später  die  Ergänzung  der  Theilbildung  beginnt,  beruht  auf  früherer 
resp.  späterer,  durch  den  Defect  bedingter  erfolgreicher  Activirung 
der  Postgenerationsmechanismen.  Die  Thatsache  der  von  mir 
beschriebenen  Postgeneration   steht  über   jedem  Zweifel^). 

Es  scheint  mir  nach  den  obigen  Darlegungen  passender,  dass 
wir  aucli  die  Ergänzung  der  typischen  Halbbildungen  der  Ecliino- 
dermen  und  Ascidien  nicht  nach  Driesch  blos  auf  zufälliges  stärkeres 
Aneinandergleiten  von  Zellen,  sondern  auf  Postgeneration ,  als  Aus- 
druck der  Thätigkeit  auf  die  nachträgliche  Herstellung  des  Ganzen 
gerichtete  Mechanismen,  zurückführen,  [657]  obschon  die  Ergänzung 
hier  bereits  auf  der  Blastulastufe  stattfindet  und  mit  dem  Schluss 
der  Defectränder  beginnt.  Für  diese  Annahme  spricht  besonders, 
dass  dieselbe  Art  der  Ergänzung,  welche  mit  dem  Schluss  der 
Defectränder  unter  Bildung  einer  Blase  beginnt,  nach  Nussbaum 
auch  bei  der  Regeneration  zerschnittener  erwachsener  Hydrae 
stattfindet^). 

Dass  Driesgh  neuerdings  (nach  privater  Mittheilung)  auch  aus 
den  acht  unteren  und  aus  den  acht  oberen  Zellen  des  16zelligen 
Echinodermen-Keimes  eine  ganze  Gastrula  erhielt,  beweist  weder  für 
noch  gegen  die  Specificität  des  entwickelten  Theiles  dieser  Zellen 
etwas;  sondern  es  bekundet  nur,  dass  diese  Zellen  noch  Voll-Post- 
generationsplasson  enthalten. 

Ich    habe    nun    weiterhin    fi-üher   (S.  834  und  795)    bereits    die 


1)  Der  Umstand,  dass  0.  Hertwig  die  Postgeneration  der  Froschembryonen 
ebenso  wie  die  vorher  vorhandenen  Halbbildungen  nicht  hat  sehen  können  (s.  Nr.  31), 
beruht  nur  darauf,  dass  er  letztere  verpasst  hat  oder  richtiger,  dass  er  nicht  darauf 
gepasst  hat,  indem  seine  täglichen  Beobachtungen,  wie  ich  erfahre,  durch  je  eine  17 
Stunden  lange  Pause  unterbrochen  waren  (s.  Nr.  31,  ö.  255  Anm.).  Und  obschon  seine 
Abbildungen  unmittelbar  zeigen,  dass  die  von  ihm  erhaltenen,  fast  ganzen  Embryonen 
nicht  einem  halben  Ei,  sondern  fast  dem  ganzen  Ei  entsprechen,  worauf  so- 
gleich von  mir  darauf  hingewiesen  wurde  (s.  Nr.  31,  S.  255),  haben  doch  viele  Autoren 
sich  durch  seine  bezüglichen,  unzutreffenden  Angaben  irrleiten  lassen. 

[2)  Eein  zufälliges,  also  atypisches  Gleiten  der  Zellen  der  halben  hohlen 
Semiblastula  würde  wohl  auch  nicht  einfach  zum  Schlüsse  des  Randes  der  Oeffnung 
unter  Erhaltung  der  Hohlheit  führen,  sondern  viele  Zellen  würden  dabei  in  das  Innere 
gelangen,  und  mannigfache  Unregelmässigkeiten  in  der  Dicke  der  Wandung  würden 
entstehen.] 


896  Nr.  28.   lieber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Vermuthimg  ausgesprochen,  ohne  ihr  die  Begründung  beizufügen, 
dass  ivesentlich  dieselben  Mechanismen  wie  hei  der 
He-  und  Postgeneration  ancli  oline  einen  „Defecf"^  in 
Thätigkeit  treten,  wenn,  sei  es  durch  verzögerte  Laichung,  also 
durch  innere  Ursachen  oder  bei  hochgradiger  künstiicher  Deformation 
der  sich  furchenden  Eier,  die  Furchung  hochgradig  abnorm  ver- 
laufen ist,  derart,  dass  nicht  zusammen  passendes  Kernmate- 
rial, eventuell  auch  Zellleibmaterial  in  benachbarten  Zellen 
neben  einander  sich  findet,  somit  gleich  oder  ähnlich,  als 
wenn  die  richtig  gebildeten  (differenzirten)  und  gelagerten 
Zellen  nachträglich  durcheinander  gebracht,  also  in  ihrer 
,,An Ordnung"  gestört  worden  wären. 

Versuchen  wir  zur  Begründung  dieser  Annahme  jetzt  uns  vorzu- 
stellen, was  für  Correlationen  bei  der  Re-  und  Postgeneration 
im  Allgemeinen  stattfinden  müssen,  und  welches  wohl  das  „aus- 
lösende Moment"  dieser  Vorgänge  sein  kann. 

Bei  der  von  mir  beobachteten  Postgeneration  z.  B.  des  Rücken- 
markes eines  Hemiembryo  anterior  zu  dem  eines  ganzen  Em- 
bryo (s.  S.  500)  müssen  die  am  Defectrande  und  noch  in  einigem 
Abstand  von  demselben  gelegenen  Zellen  Leistungen  übernehmen, 
die  sie  unter  normalen  Verhältnissen  nicht  vollbracht  haben  würden ; 
denn  sie  produciren  eine  hintere  Körperhälfte.  Dabei  müssen  nicht 
blos,,  Umlagerungen^\  sondern  auch  „Umdifferenzirungen'''' 
schon  differenzirter  Zellen  stattfinden,  wie  bei  der  von  mir 
neben  der  Regeneration  durch  „Proliferation''''  unterschie- 
denen Regeneration  durch  „Umdifferenzirung"  (S.  836). 
Bei  der  Postgeneration  einer  fehlenden  seitlichen  z.  B.  linken 
Körperhälfte  von  einer  rechten  aus  ohne  Verwendung  des  Materiales 
der  operirten  Eihälfte  (s.  S.  796)  hat  principiell  Aehnliches  wieder 
in  anderer  Weise  zu  geschehen.  Schneiden  wir  ferner  zwei  Hydrae, 
die  eine  etwas  oberhalb  der  Mitte,  die  andere  etwas  unterhalb 
der  Mitte  quer  durch,  so  schliesst  zunächst  jedes  der  vier  Stücke 
den  Wundrand  durch  Zusammenlegen  desselben  und  regenerirt 
sich  dann  in  einem  Tage  ohne  Nahrungsaufnahme  zu  einer  voll- 
kommenen,   aber    dem    Materialverlust    entsprechend    kleineren 


Auslüsungsursache  der  Regeneration.  897 

Hydra.  An  den  beiden  grösseren  Stücken  wird  ])ei  diesen  Experi- 
menten die  der  ursprüngliehen  Mitte  des  Tliieres  entsprechende  Zone 
in  dem  einen  Falle  den  fehlenden  Kopftheil  im  anderen  den  Fusstheil 
durch  Umlagerung  und  UmdilTerenzirung  produciren. 

[658]  Es  hängt  also  von  der  Lage  des  Defectes  zum 
Ganzen  resp.  von  der  Lage  der  Zellen  zum  Defect  ab, 
was  aus  den  an  der  Re-  und  Postgeneration  b  etil  eiligten 
Zellen  hervorgeht. 

Wodurch  wird  nun  die  Re- und  Postge  neration  ,. aus- 
gelöst"? 

Eine  besonders  aus  Pathologen  gebildete  Gruppe  von  Autoren 
erblickt  in  dem  durch  den  Defect  hervorgebrachten  Wegfall  des 
Seitendruckes  an  der  „Unterbrechungsfläche"  (s.  S.  498)  das 
ursächliche  Moment  der  Regeneration  (s.  S.  834).  Bei  der  Hydra 
aber  ist  nach  Schluss  der  Wundränder  ebenso  wie  bei  dem  bereits 
ül)erhäuteten  Stumpf  einer  abgeschnittenen  Extremität  des  Triton 
oder  überhaupt  gewöhnlich  nach  der  Ueberhäutung  eines  Wund- 
defectes  der  Seitendruck  wieder  hergestellt  und  gleichwohl 
finden  danach  die  specifischen  Vorgänge  der  Regeneration :  die  Um- 
differenzirung  und  Umordnung  der  bisher  andersartig  verwendeten 
und  beschaffenen  Zellen  zu  den  fehlenden  Organen,  ohne  oder  mit 
gleichzeitiger  Proliferation  des  Weiteren  statt. 

Der  Wegfall  des  Seitendruckes  könnte  also  blos  für  die  erste 
Auslösung  herangezogen  werden,  während  für  die  Auslösung  und 
Direction  der  folgenden  Vorgänge  ein  anderes  Moment  in  Anspruch 
o-enommen  werden  muss.  Es  ist  wohl  natürlicher,  dieses  zweite  Mo- 
ment,  sofern  es  von  Anfang  an  wirksam  sein  kann,  auch  für  die 
erste  Auslösung-  schon  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Es  scheint  mir  auch  ohne  diese  tha.tsächliche  Widerlegung  schon 
an  sich  wahrscheinlicher,  dass  die  ^.Auslösung"'  der  Regenerations- 
und  Pos  tg  euer  ationsme  chani  sm  671,  resp.  die  Activirung  des 
Reser veidioplasson  nicht  durch  solch  ein  qualitativ  un- 
wesentliches Moment,  wie  den  blossen  Wegfall  des  Seiten- 
druckes an  der  Unterbrechungsfläche,  sondern  durch  das  Wesent- 
lichste des  Vorganges,  durch  den  Wegfall  der  specinsch  differenzirten 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.  II.  57 


898  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Zellen,  und  somit  d n  r  c h  d a s  Fe h l e n  n  o  r m  a  1er  spec ifi s c h  e r 
JSfachhar  schaff  S'wirkttn  g  en  oder  mindestens  durch  Eimvir- 
Icung  ahnormer  Reize  in  Folge  der  neuen  Nachbarschaft 
bedingt  ist. 

Die  Vermindennig  des  Seitendruckes,  also  das  Vorhandensein 
des  zum  Ersatz  des  Fehlenden  nöthigen  Raumes  ist  dabei  nur  in 
dem  Falle  als  eine  nnerlässliche  Vorbedingung,  aber  nicht  als  Ur- 
sache der  Regeneration  anzusehen,  wo,  wie  bei  den  bereits  voll  ent- 
wickelten Individuen  der  höheren  Organismen,  wie  bei  uns,  die 
Regeneration  viel  weniger  unter  Umdii'f erenzirung  der  bereits 
vorhandenen  differenzirten  Zellen  des  regenerirenden  Gebildes  als 
vorzugsweise  unter  Bildung  neuer,  besonderen  Raum  einnehmender 
Zellen,  also  unter  Proliferation  vor  sich  geht  (s.  S.  836).  In  diesen 
Fällen  kann  durch  Wegnahme  des  durch  den  Defect  gesetzten 
Raumes,  z.  B.  durch  Vernähung  einer  am  Rumpfe  gelegenen  Defect- 
wunde  der  Ersatz  des  fehlenden  Stückes  fast  ganz  gehindert  werden. 
Doch  ist  bei  diesen  Organismen  die  Regeneration  überhaupt 
quantitativ  und  besonders  qualitativ  gering,  soweit  sie  nicht  ein- 
fach in  Activitätshypertrophie  besteht. 

[659]  Nach  dieser  meiner  Annahme  findet  in  Folge  des  Fehlens 
der  normalen  Nachbarschaft  oder  in  Folge  der  abnormen 
äusseren  Einwirkungen  zuerst  am  Defectrand ,  also  an  den  die 
Unterbrechungsfläche  begrenzenden  Zellen  eine  Veränderung 
statt,  die  zuerst  eine  Weckung  der  Regenerationsmechanismeu  in 
ihnen  veranlasst,  der  dann  Umdifferenzirung  und  Umordnung  dieser 
Zellen  folgt. 

Sobald  und  in  dem  Maasse  als  eine  Zellreihe  verändert  ist, 
tvirTit  nun  sie  seih  er  aus  den  gleichen  Gründen,  als  es  vorher 
geschah,  ivie  eine  ..Unterbrechung sfläche^'  alterirend  auf 
die  bisher  noch  normale,  vom  Defectrand  abgewendete  nächste 
Reihe  von  Zellen;  und  solche  Veränderungen  schreiten 
dann  stetig  vom  Defectrande  aus  fort. 

Die  Summe  der  zu  einer  Zeit  noch  nicht  veränderten  Zellen 
stellt  den  Stammcomplex  von  normal  verbliebenen  Zellen 
des  Individuums   dar.     Dieser   wird   also    eine  Zeit  lang   stetis   vom 


Auslösung  und  Direction  der  Regeneration.  899 

Defectrande  aus  durch  Umdifferenzirung  verkleinert,  bis  in  grösserer 
Entfernung  vom  Defectrande  die  Veränderung  der  Nachbarschaft  so 
gering  ist,  dass  sie  nicht  mehr  auslosend  wirkt.  Bei  relativ  sehr 
grossen  Defecten  dagegen  z.  B.  bei  der  Regeneration  blos  eines  kleinen 
Stückchens  der  Hydra  zu  einem  ganzen  Thier  kann  der  Stamm- 
complex  zeitweilig  vielleicht  fast  ganz  (oder  ganz?)  schwin- 
den, so  dass  vielleicht  blos  noch  eine  einzige  Zelle  dem  Zustande 
des  ursprünglichen  entwickelten  Individuums  entspricht  und  die 
ihr  entsprechende  Nachbarschaft  besitzt  (s.  S.  911). 

Neben  dem  Ersatz  des  Fehlenden  findet  also  bei  der  Post-  und 
Hegeneration  durcli  hlosse  ^.Umdifferenzirung"'  eine  sehr 
ausgedehnte  Umbildung  des  Organismus  statt.  Dies  ist 
ein  Nachtheil  der  Methode,  der  um  so  bedeutender  werden 
muss,  je  diff erenzirter  der  Organismus  ist.  Damit  steht 
es  vielleicht  im  Zusammenhang,  dass  die  höher  dif f erenzirten 
Organismen  Rege  nerations  weisen  erworben  haben, 
welche  mit  sehr  starker  ,, Proliferation"  bei  entsprechend 
eingeschränkter  Umdifferenzirung  einhergehen,  Mechanismen,  die  sich 
aber  bei  den  höheren  Organismen  auch  erst  bethätigen,  nachdem  das 
Individuum  diese  entsprechend  höhere  Stufe  seiner  Eutwickelung  er- 
reicht hat. 

Zur  Umgehung  metaphysischer  Vorstellungen  habe  ich  ange- 
nommen (S.  842),  dass  bei  der  Regeneration  in  dem  Regenerations- 
plasson,  welches  nach  einem  stattgehabten  Defect  allein  noch 
das  ganze  Individuum,  aber  nur  potentia  repräsentirt ,  in  Folge 
von  Einwirkung  des  noch  entwickelt  und  unverändert  vorhandenen 
Theiles  blos  diejenigen  Regenerationsmechanismen  in  Thätigkeit  treten, 
welche  das  nfcht  mehr  im  entwickelten  resp.  unveränderten  Zu- 
stande Vorhandene  herzustellen  vermögen.  Ich  muss  daher  an- 
nehmen, dass  diese  Regenerationsthätigkeit  von  dem  im  normalen 
resp.  normaleren  Zustande  Vorhandenen  aus  bestimmt  und  fort- 
während geleitet  wird,  wobei  neben  ,,  seit  lieh  en  "  Wirkungen 
die  ,,cen  trif  ugale"  Wirkungs-Richtung  überwiegen  wird, 
sofern  man  den  vom  Defectrand  entferntesten  Punct  des  Individuums 
als    Centrum    bezeichnet.     Die    genauere    Bestimmung    dessen, 

57* 


900  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furcliuugszellen  etc. 

[660]  was  zu  „geschehen"  hat,  findet  also  vorwiegend  in 
umgekehrter  Richtung  statt  als  die  Ausbreitung  der  ersten 
,, Anregung"  zur  Re-  oder  Postgeneration. 

Ist  die  Fähigkeit  zur  Auslösung  und  Bethätigung  von  Regene- 
ration nicht  an  alle  Zellen  gleich  vertheilt,  sondern  giebt  es  besondere 
Zellen,  welchen  allein  oder  vorzugsweise  die  Auslösung  und  Leitung 
der  Regenerationsmechanismen  zukommt,  wie  z.  B.  vielleicht  dem 
Schlundganglion  der  Schnecke  bei  der  Regeneration  des  abgeschnittenen 
Kopfes,  so  liegen  die  Verhältnisse  complicirter;  doch  eignet  es  sich 
nicht,  dieselben  bei  unserer  Unkenntniss  des  Thatsächlichen  hier  des 
Weiteren  zu  erörtern. 

Verbleiben  wir  daher  bei  dem  zuerst  besprochenen,  wohl  wesent- 
lich auf  die  Postgeneration  unserer  Halbbildungen  passenden  Fall, 
dass  alle  Zellen  derselben  Leibesschicht  annähernd  gleich 
stark  zur  Auslösung  und  Bethätigung  der  Regeneration 
befähigt  sind,  und  dass  die  Regeneration  überwiegend  durch 
Umdifferenzirung  erfolgt;  dabei  wird  die  verschiedene  Art  dieser 
Bethätigung  im  Einzelfalle  blos  von  der  speciellen  Lage  des  Defectes 
und  damit  von  der  Lage  der  Zellen  zu  dem  neuzubildenden  Stück 
abhängen.     Wir  haben  uns  dann  Folgendes  vorzustellen: 

Jede  distal  vom  jeweiligen  Stammcomplex  gelegene 
Zelle  wird  von  der  proximal  gelegenen,  sei  es  direct  oder 
indirect,  diff erenzirend  beeinflusst,  unterliegt  also  der  ab- 
hängigen D  i  f  f  e  r  e  n  z  i  r  u  n  g ;  ^v  ä  h  r  e  n  d  sie  selbst  zugleich 
auf  die  mehr  distal  gelegene  Zelle  diff  erenzirend  wirkt. 
Ein  Gleiches  wird  in  geringerem  Grade  auch  zugleich  in  seit- 
licher oder  gar  auch  in  umgekehrter  Richtung  stattfinden. 
In  jedem  folgenden  Momente  der  Umdifferenzirung  müssen  diese 
Nachbarschaftsdifferenzen  sich  ändern,  anfangs  sich  ver- 
grössern,  später  kleiner  werden,  um  schliesslich  zu  schwinden. 

Dabei  müssen  die  gröberen,  formalen  und  daher  sichtbaren 
Regenerationsveränderungen  sich  „successive"  vom  Defect- 
rand  ausbreiten,  wie  es  den  Thatsachen  entspricht. 

Die  für  unsere  jetzige  Hauptfrage  wichtigste  Thatsache  ist  bei 
den  ganzen  Vorgängen  die,  dass  regenerative  Mechanismen  nicht 


I 


Ausgleich  anderer  „Störungen"  durch  die  Kegenerationsmechamsmen.         901 

blos  an  den  Defectrand  begrenzenden  Zellen,  sondern  auch,  je  nach 
der  relativen  Grösse  des  Dei'ectes  und  in  umgekehrtem  Verliältniss 
zur  Betheiligung  von  Proliferation  an  der  Regeneration  resp.  Post- 
generation in  mehr  oder  weniger  grosser  J^ntfernnng  von  dem 
Defectrande  und  damit  zum  TheiJe  auch  in  Zellen  ausgelöst 
werden,  ivelche  ihre  bisherige  Nachharschaft  fast  ganz  oder 
ganz  behalten  haben;  nur  ist  diese  Nachbarschaf t  als  quali- 
tativ geändert  anzusehen. 

Nur  durch  diese  abnorme  Qualität  der  Nachbarschaft  ist  es  als 
vermittelt  vorstellbar,  dass  (bei  den  niederen  Thieren  oder  bei  nie- 
deren ontogenetischeu  Entwickelungsstufen  höherer  Thiere)  so  lange 
Regenerationsthätigkeit  ausgelöst  und  dirigirt  wird,  bis 
wiederu  m  j  ede  Zelle  normale  Nachbarschaft  hat.  [661]  Die 
specielle  Art  und  Wirkungsweise  dieser  regenerativen  Vorgänge  liegt 
zur  Zeit  weit  ausserhalb  des  Vorstellbaren. 

Auf  tvesentlich  die  gleiche  Weise  wie  diese  unter  Umord- 
nung  und  ümdifferenzirung  von  Zellen  stattfindende  Regeneration 
kann  nun  meiner  Ansicht  nach  auch  ohne  das  Vorhandensein 
eines  „JD efectes'-',  bei  den  Eiern,  ivelche  in  Folge  von  „Pres- 
su7ig'^  sich  hochgradig  abnorm  gefurcht  Jiaben,  die  Bildung 
eines  normal  gestalteten  Embryo  vermittelt  iverden. 

Bei  diesen  abnorm  gefurchten  Eiern  liegt,  wenn  auch  nur  erst 
wenig  differenzirtes,  so  doch  in  Folge  der  abnormen  Furchung  wohl 
nicht  ganz  zusammenpassendes  Material  neben  einander; 
dann  ist  hier  eine  principiell  ähnliche  Sachlage  vorhanden ,  wie  bei 
der  Regeneration  in  einiger  Entfernung  vom  Defectrande.  Es  ist  also 
anzunehmen,  dass  daher  auch  die  gleichen  Mechanismen,  und  zwar 
bei  dem  gleicl*en  Material  und  nicht  zu  grossen  Abweichungen  gleich- 
falls bis  zur  Erreichung  desselben  Endproductes ,  d.  h.  eines  normal 
gestalteten  Embryo ,  thätig  werden ,  resp.  thätig  bleiben.  An  den 
äusseren  Formen  der  Gebilde  kann  man  dies  leider  nicht  erkennen; 
aber  bekanntlich  verläuft  auch  die  Regeneration  oft  unter 
den  äusseren  Formen  der  normalen  s.  typischen  Entwicke- 
lung,  selbst  bei  der  Entwickelung  aus  dem  Stücke  eines  bereits  hoch 
differenzirten  Organismus  unter  Verwendung  dieses  ,,differenzirten" 


902  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


Materiales,  obgleich  die  inneren  Vorgänge  dabei  noth wendig  in 
mancher  Beziehung  wesentlich  andere  sein  müssen,  als  bei 
der  normalen  Entwickelung  aus  dem  nichtdif  ferenzirten  Ei  oder 
seinen,  typische  normale  Vorstufen  des  zu  Bildenden  darstellenden 
Furchungszellen. 

Da  wir  oben  erfahren  haben,  dass  thatsächhch  bereits  jede  der 
beiden  ersten  Furchungszellen  der  Frösche,  einer  Ctenophore,  Ascidie 
und  eines  Echinodermen  erkennbar  von  der  anderen  verschiedene 
Gestaltungsfähigkeit  hat,  indem  sie  einen  bestimmten,  rechten  oder 
linken  halben  Embryo  bildet,  und.  da  beim  Frosch  bereits  ebensolche 
Gründe  für  die  gleiche  Annahme  bezügliche  der  darauf  gebildeten  vier 
Zellen  vorliegen,  so  müssen  wir  auch  bei  der  Verlagerung  dieser  Fur- 
chungszellen gegen  einander  in  der  eben  dargelegten  Weise  damit  rechnen. 

Bei  Driesch's  und  O.  Hertwig's  Annahme  von  der  vollkommenen 
Gleichheit  dieser  ersten  Furchungszellen  müssen  übrigens  die  nor- 
malen Entwickelungsvorgänge  noch  verschiedener  von  denen  der 
Regeneration  sein,  obgleich  sich  beide  unter  denselben  äusseren 
Formen  vollziehen;  Driesch's  Schluss  ,,von  gleichen  Producten 
auf  gleiche  Bildungsweisen"  muss  somit  direct  als  unzu- 
treffend bezeichnet  werden;  womit  seine  ganze  weitere  Schluss- 
reihe ihre  angebliche  sichere  Basis  und  damit  ihre  eigene  Sicherheit 
verliert  (s.  S.  893). 

Da  wir  somit  mit  denselben  Mechanismen,  welche  wir 
für  die  Re-  und  Postgeneratiou  anzunehmen  triftigen 
Grund  hatten  auch  die  Entwickelung  bei  den  gleichsam  ver- 
lagerten oder  nicht  normal  specificirten  Furchungszellen  „stark" 
(s.  Nr.  29,  S.  707)  gepresster  Eier  ableiten  können,  also  ohne 
eine  besondere  Annahme  für  diesen  Fall  zu  machen,  so  scheint  mir 
diese  Ableitung  [662]  derjenigen  Driesch's,  welche  ganz  besondere 
Annahmen  machen  muss  und  sogar  das  fundamentale  P  r  i  n  c  i  p 
,,der  Continuität  der  Gestaltungen  von  Anfang  der  Ent- 
wickelung an"  (s.  S.  913  und  S.  869)  durchbricht,  vorzuziehen, 
ganz  abgesehen  davon,  dass  Driesch's  und  0.  Hert-\vig's  Auf- 
fassung mit  unumstösslichen  Thatsachen  in  directem 
Widerspruche  steht.     Meine  Auffassung   dagegen  steht  mit  allen 


Ausgleich  aller  Arten  von  Störungen  durch  Regenerationsmechanismen.       903 

bezüglichen    bekannten  Thatsaclien  im  Einklang,   ohne  es  nöthig  zu 
haben,  ihnen  irgend  Gewalt  anzutlmn. 

Wer  sich  über  die  Sachlage  genauer  zu  inforniiren  wünsclit,  den 
ersuche  ich,  die  in  manchem  Punctc  ausführlichere  Abhandlung 
Nr.  27  einzusehen. 

Es  erhellt,  dass  die  dargelegte  Auslösungs-  und  Be- 
thätigungs weise  der  Be-  und  Postgenerationsniechanismen 
derart  ist,  dass  diese  Mechanismen  überhaupt  durch  .Jede'' 
iiichi  unter  der  Beizschivelle  liegende  ,, Störung''  der  Anord- 
nung und  Beschaffenheit  von  Zellen  in  Thätigheit  gesetzt 
werden  müssen,  einerlei  durch  welche  innere  oder  mechanische, 
chemische,  thermische,  electrische  äussere  Ursache  diese  Störung 
selber  hervorgebracht  worden  ist.  [Doch  sind  natürlich  die  repara- 
torischen  Leistungen  von  der  bei  verschiedenen  Lebewesen  und 
ihren  Organen  und  Geweben  sehr  verschiedenen  Leistungsg rosse 
dieser  Mechanismen  abhängig.] 

Immerhin  verkenne  ich  nicht  und  habe  ich  nicht  verschwiegen, 
dass  auch  das  Besondere  meiner  Auffassung  noch  viele  Probleme 
einschliesst ;  und  ich  erkenne  an,  dass  der  Widerspruch  bei  der  Be- 
handlung so  fundamentaler  und  schwieriger  Fragen  an  sich  nützlich 
ist.  Er  vermindert  aber  seinen  Nutzen  und  sein  Verdienst,  wenn  er 
sich  in  apodictischen  Aeusserungen  und  in  Vergewalti- 
gung der  Thatsaclien  ergeht,  statt  alle  Argumente,  auch  die  der 
eigenen  Auffassung  widersprechenden,  eingehends  zu  prüfen  und 
gegen  einander  sorgfältig  und  möglichst  objectiv  abzuwägen.  Ich 
hoffe,  die  Zukunft  wird  befinden,  dass  meinem  eigenen  Streben  nach 
dieser  letzteren  Richtung  hin  der  Erfolg  nicht  versagt  war. 


Da^sich  die  Entwickelungsmechanik  wohl  fernerhin  mehr  und 
eingehender  als  bisher  mit  den  wichtigen  und  schwierigen  Problemen 
der  Regeneration  resp.  Postgeneration  zu  befassen  haben 
wird,  so  scheint  es  zeitgemäss,  dass  wir  versuchen,  uns  die  bezüg- 
lichen Vorgänge   noch   ein  wenig   genauer  vorzustellen   und   die  zu 


904  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Grunde  liegenden  Correlationen  mehr  sn  analysiren  ;  zumal 
da  auch  unter  „normalen'-^  Verhältnissen  gleiche  oder  ähn- 
liche Wi  r  /.'  u  n  g  sie  eise  n  [wenn  auch  in  beschränkterer  Localisation] 
vorhommen  iverden,  [ganz  abgesehen  von  den  Verhältnissen  bei 
den  häufigen  kleinen,  noch  als  normal  aufgefassten  Variationen 
oder  k  1  e  i  n  e  n  Störungen  der  Entwickelung ,  welche  die  Selbstregu- 
lationen auslösen  (s.  S.  911  und  Nr.  31.  S.  279)].  Ausserdem  ist  die 
genauere  Erörterung  nöthig,  um  die  Aufstellung  neuer  Alternativen 
anzubahnen,  über  welche  auf  experimentellem  Wege  eine  Entschei- 
dung gewonnen  werden  kann. 

Wir  haben  nach  dem  vorstehend  Dargelegten  bei  allen  regene- 
rationsfähigeu  Organismen,  soweit  als  die  erörterten  Eegenerations- 
wechseUüirkungen  der  Theile  gehen,  neben  den  functionellen 
Wechselbeziehungen  der  Theile  noch  gestaltliche  Wechselwir- 
kungen der  Theile  untereinander  als  möglich  anzunehmen.  Während 
des  Ablaufes  der  normalen  Entwickelung  kommen  dazu  noch  die 
normalen  ge-  [663]  staltenden  Wechselwirkungen.  Wie  weit 
beide  letzteren  Wirkungsarten  identisch,  und  worin  sie  von  einander 
unterschieden  sind,  ist  vorläufig  nicht  zu  sagen.  Aber  beim  Anfange 
der  vollkommen  normalen  Entwickelung  aus  dem  Ei  nehmen 
die  den  regenerativen  Wechselwirkungen  entsprechenden  Wirkungs- 
weisen, wie  es  scheint,  keinen  so  grossen  gestaltenden  Antheil, 
wenigstens  nicht  an  dem  Aufbaue  des  Organismus  aus  den 
einzelnen  ,, Vierteln",  da  jede  der  vier  ersten  Zellen  sich  eine 
Strecke  weit  zu  einem  besonderen  Viertel  des  Embryo  selbstständig 
entwickeln  kann  (siehe  S.  454). 

Da  aber,  wenn  ein  Stück  des,  wenn  auch  nur  erst  sehr  wenig- 
weit  entwickelten  aber  immerhin  bereits  entsprechend  differen- 
zirten  Ganzen  fehlt,  rascher  oder  langsamer  die  Mechanismen  zur 
Ergänzung  des  defecten  Entwickelten  in  Thätigkeit  treten,  so  müssen 
troig  dieser  selhstständigenJEnttvickelungsfähigJceit  der  Viertel 
doch  „gestaltliche^)  Wirkungen'''  zivischen  diesen  Theilen  mög- 
lich sein. 


[')  r^estaltliche"  Wirkungen  brauchen  uocb  nicht  , gestaltend"  zu  sein; 
sondern    die  Bezeichnung  gcstaltliche  Wirkungen   soll  hier  nur  eine  Beziehung  aus- 


i 


, Gestaltliches  Leben"  der  Theile.  905 

Von  derartigen  Wirkungen  wissen  wir  aber  nicht,  wie 
weit  sie  im  Allgemeinen  schon  unter  .^normalen'"'  Verhält- 
nissen stattfinden,  oder  ob  sie  überhaupt  erst  bei  ,, Stö- 
rungen" :  Defecten,  Verlagerungen  etc.  actuell  werden. 

Ausserdem  müssen  ebenso  räthselhafte  Besiehung en 
ziüischen  den  „entwickelten  Zellen"'  und  dem  von  ihnen  einge- 
schlossenen Regenerationsplasson  s.  Reserveidioplasson 
möglich  sein;  diese  werden  vielleicht  auch  erst  durch  die  Störung, 
durch  die  Veränderung,  die  das  Fehlen  eines  Theiles,  resp.  die 
Anwesenheit  abnormer  Nachbarschaft  setzt,  geweckt. 

Da  die  typisclie  Structur  und  Gestalt  der  Organe  sich 
aus  sehr  vielen  einander  functionell  gleichen  Zellen  zu- 
sammensetzt, so  liann  das  Q.ngQdiQMieiQ  ,,gestaltliche  Lehen"'' 
nicht  tvesentlich  an  die  heim  „fuiictionellen  Lehen''  thätigen 
Qualitäten  den  entwickelten  Zellen  geknüpft  sein;  sondern  es 
müssen  in  functionell  gleichenZellen  nochVerschiedenheiten 
vorhanden  sein,  welche  in  gewisser  Weise  und  innerhalb  ge- 
wisser Grenzen  der  Lage  der  Zellen  unter  den  Nachbarn  und 
dieser  im  ganzen  Organ  und  eventuell  des  Organes  im  Organismus 
entsprechen. 

Diese  ,^Lageeigenschaften''  entsprechen  nun  aber,  wie  ich 
oben  (S.  891)  für  den  auf  früher  Entwickelungsstufe  sehr  regenerations- 
fähigen Froschembryo  dargethan  habe,  nicht  einer  einzigen  ,, festen" 
räumlichen  Lage  jedes  Theiles  zu  den  anderen;  sondern 
nicht  unmittelbar  benachbarte  Zellen  können,  wie  zu 
folgern  war,  ohne  die  wesentlichen  Differenzirungsen  erkennbar  zu 
stören,  sehr  gegeneinander  verschoben  sein  und  ein  sehr  von 
der  normalen  G^talt  abweichendes,  aber  dieser  Abweichung  proportional 
im  Innern  normal  ausgestaltetes  Gebilde  aus  sich  produciren.  Dabei 
werden  die  Zellen  selbst  auch  entsprechend  deformirt  sein,  be- 
halten aber,  und  das  ist  wohl  das  Bedingende,   jede   ihre  nor- 


drücken, welche  eventuell  gestaltend  thätig  werden  kann;  wie  z.  B.  bei  ganz 
normalen  Verhältnissen  manche  Nachbarzellen,  von  blosser  Druckwirkung  abgesehen, 
sich  vielleicht  nicht  gestaltend  beeinflussen,  aber  doch  in  Wechselwirkungen  stehen, 
durch  deren  Wegfall  die  Regeneration,  also  gestaltende  Thätigkeit  ausgelöst  wird.] 


906  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchimgszellen  etc. 

male  nächste  berührende  ,, Nachbarsch  aft",  resp.  auch 
ihre  normale  „Continuität"  mit  entfernteren  Theilen. 

Ans  der  bezüglichen  Thatsache  eben  erschlossen  wir,  dass  die 
o-estaltlichen  Beziehungen  der  Theile  des  Embryo  nicht 
[664]  wesentlich  räumliche,  an  feste  gegenseitige  Lage  in  den 
drei  Dimensionen  des  Raumes  gebundene  (s.  S.  187,  204  u.  442),  sondern 
wesentlich  per  contiguitatem  et  continuitatem  vermittelte, 
von  mir  so  genannte  Nachbarschaftswirkungen  sind,  zu 
welchem  auch  eventuelle  cli emotac tische  (Nr.  32),  electrische 
u.a.  anscheinende  Fern  Wirkungen  gehören. 

Wenn  dagegen  diese  Nachbarschaftsbeziehungen  gestört  würden, 
dann  würde  auch  die  normale  Gestaltungsthätigkeit  selber  gestört  und 
dies  erkennbar  werden,  soweit  die  Störungen  nicht  durch  die  Regene- 
rationsmechanismen sogleich  ausgeglichen  werden. 

Ich  verkenne  nicht,  dass  die  oben  S.  891  berichtete,  der  äusseren 
Deformation  des  Embryo  ,, entsprechende",  Umgestaltung 
innerer  Theile,  welche  sich  nach  dieser  Auffassung  einfach  mecha- 
nisch aus  der  passiven  ,,räumlichen"  Verlagerung  bei  Erhaltung 
der  normalen  Contiguität  und  Continuität  der  Zellen  und  aus 
den  Druckwirkungen  der  wachsenden  Theile  auf  einander  ergiebt,  auch 
unter  Verwendung  eines  ,, mystischen"  Principes  räumlicher  Lage- 
wirkungen aus  den  Aenderungen  der  Gesammtconfiguration  abge- 
leitet werden  kann ;  nur  scheint  es  mir  nicht  augebracht,  dies  bei  dem 
Vorhandensein  der  anderen  Möglichkeit  anzunehmen. 

Wir  wollen  nun  noch  die  verschiedenen  gestaltenden  Be- 
ziehungen unter  den  thätigen  Theilen  des  Organismus  etwas 
genauer  präcisiren  und  behufs  späterer  Verwendung  mit  besonderen 
Bezeichnungen  belegen. 

Unter  ^.Differenzirung''''  verstehen  wir  dabei  blos  „mor- 
phologische Veränderung en^\  also  formale,  structurelle  sowie 
sogenannte  qualitative  [wie  die  chemischen  Differenzen  der  Gewebe, 
die  ja  im  Wesen  auch  structurelle  sind],  immer  aber  mehr  oder 
weniger  lange  Zeit  „bleibende"  (resp.  bei  fortschreitender  Differen- 
zirung    eine  Vorstufe    anderer    bleibender  Aenderungen  darstellende) 


Definition  der  Selbstdifferenzirungsgebilde.  907 

VeränderiiDgen ,  im  Gegensatz  zu  den  blos  ,.fnnctionellen",  einer 
kurz  vorübergehenden  Leistung  dienenden  und  danach  sogleich  wieder 
rückgebildeten  Veränderungen  (s.  I,  S.  321  u.  316  Anm).  Da  jedoch 
die  rein  functionellen  Veränderungen  bei  längerer  Dauer  oder  öfterer 
Wiederholung  z.  B.  in  Form  der  Activitätshypertrophie  und  der  qua- 
litativen functionellen  Anpassung  auch  zu  bleibenden,  also  morpho- 
logischen Veränderungen  (somit  zu  Differenzirung)  führen  (s.  Nr.  4 
und  7),  so  fallen  soweit  auch  an  sich  rein  functionelle  Corre- 
lationen  in  den  Bereich  unserer  causalmorphologischen  s. 
entwickelungsmechanischen  Forschung. 

Es  sind  zunächst  die  oben  (S.  882)  erörterten  Unterscheidungen 
der  Vorgänge  der  Selhstclifferenzirung,  differentiatio  sui,  und 
der  abhängigen  Differenzirung ,  differentiatio  ex  alio,  auf  die 
dabei  thätigen  Theile  zu  übertragen  (s.  S.  16). 

Als  Selhstd  iffe r e n zirung sg ehilde  (Organe,  Zellen  oder 
active  Zelltheile  (letztere  s.  S.  83)  resp.  active  Zellderivate)  sind  zu 
bezeichnen  Gebilde,  welche,  resp.  soweit  sie  aus  in  ihnen  selber 
liegenden  Ursachen  sich  verändern.  Dabei  ist  abgesehen  von  nöthigen 
äusseren  Einwirkungen,  welche  blos  als  Vorbedingungen  aufzu- 
fassen sind,  wie  Zufuhr  von  Nahrung,  Sauerstoff  und  Wärme;  dies 
gilt  also  nur  [665]  sofern  resp.  soweit  diese  äusseren  Einwir- 
kungen nicht  das  specifische  Verhalten:  die  Qualität,  den  Ort, 
die  Zeit  und  Grösse  der  Veränderung  bestimmen ;  die  Zeit  bestimmen 
sie  nicht,  wenn  die  bezügliche  Veränderung  nicht  früher  als  normal 
stattfindet,  obschon  diese  Vorbedingungen  bereits  früher  erfüllt  sind; 
den  Ort  nicht,  wenn  sie  ausgedehnter  verbreitet  sind  als  die  bezüg- 
liche Aenderufig;  die  Intensität  nicht,  wenn  trotz  Schwankungen 
dieser  äusseren  Bedingungen  die  Grösse  der  Veränderungen  nicht 
geändert  wird;  die  Qualität  nicht,  wenn  es  sich  um  gestaltende 
Aenderungen  handelt  und  bei  sogen,  qualitativen  Aenderungen,  wenn 
die  Vorbedingungen  nicht  stoffliche,  sondern  blos  thermische,  mecha- 
nische etc.  sind.  Dagegen  wird  natürlich  der  Sauerstoff  oder  anderes' 
Material,  welches  mit  organischen  Theilen  in  chemische  Verbindung 
tritt,  die  Qualität   dieser  Verbindung   mitbestimmen  ,  wenn  oft   auch 


908  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furcliungszellen  etc. 


nur  zu  einem  verhältnissmässig  kleineren  T heile,  als  es  bei  an- 
organischen Verbindungen  geschieht. 

Als  abhängige  Bifferenzirungsgeljilde  sind  Gebilde  so  lange 
resp.  soweit  zu  bezeichnen,  als  ihre  Veränderung  ganz  oder  zu  einem 
wesentlichen  Theile,  d.  h.  nach  Art,  Zeit,  Ort  oder  Intensität  der 
Veränderung,  von  ausserhalb  des  Gebildes  bestimmt  wird. 

Sind  Art,  Ort,  Zeit  und  Grösse  der  Veränderung  eines  Gebildes 
alle  von  aussen  her  bestimmt,  ist  also  die  Differenzirung  desselben 
ähnlich  wie  die  aus  einem  Marmorblock  gemeisselte  Gestalt  voll- 
k  0  m  m  e  n  von  den  äusseren  Einwirkungen  abhängig,  so  kann  dieser 
höchste  Grad  abhängiger  Veränderung  wohl  qXq  passive  Differen- 
zirung und  das  Gebilde  qIq  passives  Differenzirungsgehilde 
bezeichnet  werden. 

Da  Art,  Ort,  Zeit  und  Intensität  einer  Veränderung 
jedes  durch  eine  andere  Ursache  bedingt  sein  und  jede 
derselben  entweder  in  dem  betreffenden  Gebilde  selber  liegen  oder 
ihm  von  aussen  zugeführt  werden  kann,  so  kann  auch  eine  und 
dieselbe  Veränderung  in  Bezug  auf  eine  oder  einige  dieser 
Eigenschaften  eine  Selb  st  differenzirung  und  in  Bezug  auf 
andere  zugleich  eine  abhängige  Differenzirung  des  ver- 
änderten Gebildes  sein,  so  dass  wir  vollliommene  und  un- 
voUhommene  Selhstdifferenzirung^  differentiatio  siii  perfecta 
et  imperfecta  zu  unterscheiden  haben  ^).  Durch  diese  vielen  Möglich- 
keiten wird  unsere  Aufgabe  der  vollständigen  Erforschung  aller  Ursachen 
jeder  morphologischen  Veränderung  überaus  schwierig  und  complicirt. 

Ferner  kommt  es  vor,  dass  „dasselbe  Gebilde"  sich  nach  ein- 
ander bald  mehr  oder  ganz  durch  Selbstdifferenzirung,  bald  mehr  durch 


[1)  Eine  Veränderung  eines  Gebildes,  welche  nach  der  einen  oder  einigen 
dieser  vier  Eigenschaften  jeder  Veränderung,  z.  B.  nach  ihrer  Art,  ihrem  Ort  von 
innen,  nach  anderer  Eigenschaft  z.  B.  nach  Zeit  oder  Intensität  von  aussen 
bestimmt  wird,  kann  als  „gemischte  Differenzirung",  Differentiatio  raixta, 
von  der  „unvollkommenen  Selbstdifferenzirung"  unterschieden  werden, 
welche  letztere  alsdann  nur  noch  den  Antheil  innerer  und  äusserer  Componenten  bei 
der  Veränderung  blos  nach  einer  und  derselben  dieser  vier  Eigenschaften  jeder 
Veränderungen  bezeichnen  würde.  Doch  ist  diese  Distinction  wohl  zu  fein,  um  auf 
allgemeine  Verbreitung  Aussicht  zu  haben,  und  vielleicht  auch  nicht  unerlässlich 
nöthig.l 


Ditfereiiziruiigs-Definitioncn.  909 


abhängige Differenzirung  verändert;  und  dies  nicht  blos  bei  verschiedenen 
Veränderungen,  sondern  auch  bei  späteren,  aber  unter  anderen  Ver- 
hältnissen sich  vollziehenden  Wiederholungen  scheinbar  derselben 
Veränderung.  Dasselbe  Gebilde  kann  also  bald  Selbstdiffe- 
renzirungs-,  bald  abhängiges  Differenzirungs-Gebilde,  bald 
beides  zugleich  sein. 

[666]  So  kann  für  die  meisten  Organe,  z.  B.  Knochen,  Muskeln, 
Drüsen  eine  erste  Periode  der  Anlage  und  des  ,,selbst- 
s tändigen"  Wachsens  und  Erhaltens  von  einer  späteren 
Periode  des  ,,f  u  n  c  t  i  o  n  e  1 1  e  n  L  e  b  e  n  s"  unterscheiden,  in  welcher 
letzteren  weiteres  Wachsthum  und  dauernde  Selbsterhaltung  nur 
unter  dem  Einfluss  der  Ausübung  der  Function  stattfinden:  eine 
practisch  z.  B.  besonders  orthopädisch  überaus  wichtige  aber  gewöhn- 
lich  nicht  berücksichtigte  Verschiedenheit  (s.  I,  S.  348  und  II,  S.  281). 

Ferner  ist  oft  die  Gestaltung  eines  Organ  es  theils  von 
innen  theils  von  aussen  her  bedingt. 

So  ist  z.  B.  die  Entwickelung  der  specifischen  Structur  der 
Leber  wohl  als  Selbstdifferenzirung  der  Leber  aufzufassen, 
die  Leber  also  nach  dieser  Richtung  hin  ein  Selbstdifferenzirungs- 
Gebilde ;  während  ihre  gleichzeitig  ausgebildete  äussere  Gestalt 
bei  gegebener  Masse  des  Organes  blos  einen  Abguss  des  Raumes 
zwischen  den  Nachbarorganen,  also  eine  passive  Differenzirung 
darstellt.  Aehnliches  gilt  z.  B.  für  Lungen  und  Nieren,  weniger  für 
Gehirn  und  Muskeln  und  zum  Theil  auch  noch  für  die  Knochen 
(s.  I,  S  734). 

Im  Gegensatz  zu  den  in  der  Selbstständigkeit  ihrer  Differen- 
zirung wechselnden  Gebilden,  den  tempoi' ären  Selhstdifferen- 
zirungsgehilfden  und  den  tempor är  ahhäng igen  Differen- 
zirnng s g ehilden  kann  es  nun  Gebilde,  z.  B.  Zellen  oder  Zelltheile, 
geben,  welche  stets  der  Selbstdifferenzirung  unterliegen.  Diese  seien 
als  pe r m anente  Selhstd iff  e r en 2 ir un g s g eh i I d e ,  ihr  Gegentheil 
3i\s permanent  abhängige  Bifferenzirungsgehilde  bezeichnet. 

Von  Wichtigkeit  ist  ferner  noch  neben  der  Bezeichnung  des  ab- 
hängig differenzirten  Gebildes  die  Bezeichnung  des  diese  Thätigkeit 
ausübenden,  resp.  veranlassenden  Gebildes. 


910  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Gebilde,  welche  auf  andere  differenzirend  wirken,  will  ich 
Anderdifferenzirnngsge'bilde  (z.  B.  Anderdifferenzirungszellen) 
nennen. 

Die  differenzirende  Wirkung  kann  von  einer  gleichzeitigen  oder 
eben  vorausgegangenen,  selbstständigen  oder  unselbstständigen  Aende- 
rung  des  differenzirend  wirkenden  Gebildes  abhängen.  Es  ist  aber 
auch  denkbar,  dass  Gebilde  auf  andere  differenzirend  wirken,  ohne 
sich  selber  dabei  morphologisch  zu  verändern  oder  unmittelbar 
vorher  verändert  zu  haben;  solche  Gebilde  würden  bei  ihren  gestalten- 
den Einwirkungen  blos  aufgespeicherte  Energie  verbrauchen,  ohne  ihre 
eigene  Structur  dabei  zu  ändern. 

Selbstdifferenzirungsgebilde,  welche,  resp.  so  lange  sie  nicht  auf 
andere  diÖerenzirend  wirken,  seien  als  Alleinselbstdifferenzirungsgebilde 
oder  kürzer  als  AUeindifferenzirungsgehilde^)  (z.  B.  Allein- 
differenzirung  SS  eilen)  bezeichnet. 

Es  wird  ferner  nöthig  werden,  den  relativen  Grad  differen- 
zirender  Wirkungen  verschiedener  Gebilde  (z.  B.  von  Zellen  oder  Zell- 
.theilen),  welche  Theile  eines  und  desselben  organischen  Gebildes  sind, 
zu  unterscheiden. 

[667]  Die  stärker  differenzirend  wirkenden  Gebilde  seien  als 
Differenzirungs-Hauptgebilde  (z.  B.  Differensiriings-Haupt- 
z eilen),  die  schwächeren  als  Differenzirungs- Nebengebilde 
(z.  B.  Bifferensirungs-Nehensellen)  bezeichnet. 

Da  z.  B.  nach  Entfernung  des  Zellkerns  der  Zellleib  der  Pro- 
tisten nicht  regenerationsfähig  ist,  so  weist  dies  darauf  hin,  dass  dem 
Kern  der  Rang  eines  Differenzirungs-Hauptgebildes  gegen- 
über dem  Zellleib  zukommt. 

Schon  bei  der  Beurtheilung  der  normalen  Bildungsvorgänge 
wird  es  wichtig  sein,    die  verschiedene   Grösse   des  Wirkungsfeldes- 
und  der  Wirkungsintensität  der  Diff erenzirungs-Haupt- 
zellen  und  der  Differenzirungs-Nebenzellen  zu  kennen. 

Besonders  wichtig  wird  aber  diese  Distiuction  unter  abnormen 
Verhältnissen;    denn    dann    wird    oft    eine    directe    Concurrenz 

1)  Dies  sind  wenig  schone  Bezeiclmungen ,  für  welche  ich  gern  in  Vorschlag 
gebrachte  bessere  acceptiren  würde. 


Regulatorische  Dirt'erenzirungen  bei  der  typischen  Entwickeking.       911 

zwischen  den  verschiedenen  Anderdifferenzirungszellen  vor- 
kommen, in  welcher  gewöhnUcli  die  Differenzirnngslianptzellen  über 
Diäerenziruugsnebenzellen,  unter  abhängiger  Umdifferenzirung  letzterer 
siegen  werden.  Doch  ist  es  denkbar,  dass  auch  ein  Complex  von 
Differenzirungsnebenzellen  über  eine  oder  einige,  in  seinen  Wirkungs- 
bereich gerathene  Differenzirungshauptzellen  siegt  und  sie  der  eigenen 
differenzirenden  Einwirkung  unterwirft. 

Sok'herlei  Vorgänge  müssen ,  wie  wir  oben  (S.  898)  sahen ,  in 
ausgedehntem  Maasse  bei  der  Re-  und  Postgeneration  ange- 
nommen werden  (s.  auch  S.  500  u.  f.).  Die  dem  Stammcomplex 
der  zerschnittenen  Hydra  näher  liegenden  Zellen  werden  bei  der 
wirklichen  Regenerationsthätigkeit  im  Allgemeinen  sich  als  Differen- 
zirungshauptzellen zu  den  distalen  Nachbarn  verhalten;  diese  somit 
als  Differenzirungsnebenzellen  zu  betrachtenden  Gebilde  werden  aber 
gleichzeitig  auf  die  weiter  distalen ,  dem  Defect  näheren  Zellen ,  als 
Differenzirungshauptzellen  wirken ;  während  vorher  bei  der  Auslösung 
der  Regeneration  der  Prozess  der  Umänderung  die  umgekehrte  Rich- 
tung einschlagen  musste. 

Solche  WirJcnngen  müssen  meiner  Meinung  nach  auch 
schon  innerhalh  der  Breite  der  ,, normalen^'  Entiüichelung  in 
Folge  der  häufigen  „Variationen"  nöthig  sein;  dies  hann  der 
Grund  der  phylogenetischen  Züchtung  dieser  regulirenden 
differenzirenden  WechseUvirlcungen  geivesen  sein  (s.  auch  Nr.  31, 
S.  279).  So  habe  ich  schon  vor  Jahren  beobachtet,  dass  nicht  selten 
nach  der  dritten,  wagrechten  s.  äquatoriellen  Furchung  des  Froscheies 
die  vier  kleineren  oberen  Furchungszellen  sich  gegen  die 
vier  unteren  grösseren  um  20  —  45^  verschieben,  wodurch  das 
obere  Stück  det"  ersten  Furchungsebene,  welche  die  Mediauebene  des 
Embryo  darstellt,  entsprechend  gegen  das  grössere  untere  Stück  ver- 
dreht wird.  [Zu  diesen  Störungen  gehört  schon  die  Bildung  der 
Brechungsfurehe  bei  der  zweiten  Furchung  (s.  S.  351  Anm.)  und 
die  schon  auf  Seite  111  erwähnten  nachträglichen  Verlagerungen 
kleinerer  Furchungszellen,  ferner  die  Drei-  statt  Zweitheilung  des 
Eies,   wobei  nach  Born  auch  normale  Embryonen  entstehen^).] 

[')  Jüngst  hat  V.  von  Ebner  (Die  äussere  Furchung  des  Tritoneies  und  ihre  Be- 


912  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Fiirclningszellen  etc. 


Es  schien  mir  aus  den  vor  Jahren,  etwa  1886,  angestellten  Be- 
obachtungen hervorzugehen,  dass  bei  diesen  Verschiebungen  der 
vier  oberen  P^urchungszellen  (s.  S.  270)  gegen  die  vier  unteren 
(1  i  e  M  e  d  i  a  n  e  b  e  n  e  des  s  p  ä  t  e  r  e  ii  Embryo  der  R  i  c  h  t  u  n  g  des 
,, unteren"  Stückes  der  Furchungsebene  folgte,  wonach  die 
unteren  vier  Zellen  die  Differenzirungshauptzellen  bei  dieser  Bestim- 
[668]  mung,  die  oberen  dagegen  nur  Differenzirungsnebenzellen  dar- 
stellen würden  [s.  Nr.  31,  S.  267]. 

Wird,  wie  bei  sehr  starker  Pressung  der  Eier  während  ihrer 
Furchung  wohl  anzunehmen  ist,  die  Abnormität  in  der  Lagerung  oder 
Beschaffenheit  der  Furchungszellen  sehr  stark,  so  können  wir  nicht 
olme  darauf  gerichtete  genaue  Beobachtungen  beurtheilen,  welche 
Gruppe  von  Zellen  die  weitere  Entwickelung  überwiegend  bestimmen 
wird;  es  ist  aber  nicht  zu  verwundern,  wenn  dabei  die  Median- 
ebene nicht  mehr  mit  einer  der  drei  ersten  Furchungs- 
ebenen  zusammenfällt  (s.  S.  923  Anm.  u.  Nr.  31,  S.  269). 

Aehnliches  kann  mutatis  mutandis  bei  den  durch  abnorme 
Wärme  veranlassten  Abnormitäten  der  Furchung  (s.  Nr.  6, 
S.  12)  der  Fall  sein.  Auch  hier  entzieht  sich  jedoch  das  Wesentliche 
des  einzelnen  Falles  vorläufig  unserer  Beurtheilung,  so  dass  zur  Zeit 
dieses  ßeobachtuno-smaterial   weder    zur  Stütze    für  noch 


Ziehung  zu  den  Hauptrichtungen  des  Embryo,  in  der  Festschrift  für  A.  Rollett  1893) 
Beobachtungen  über  starke,  schon  normaler  Weise  vorkommende  Verschie- 
bungen der  Furchungszellen  an  Tritoneiern  gemacht,  wobei  gleichfalls  die 
Ebene  der  ersten  resp.  zweiten  Furchung ,  die  Medianebene  überschritten  wurde. 
Dieses  häufige  Vorkommniss  kann  aber,  wie  hier  oben  angedeutet,  die  Ur- 
sache der  phylogenetischen  Züchtung  von  Regulationsmechanismen 
gewesen  sein,  welche  diese  Störungen,  sei  es  durch  Umdifferenzirung  oder  zum 
Theil  auch  vielleicht  durch  nachträgliche  ümordnung,  wieder  ausgleichen.  Im 
letzteren  Sinne  spricht  sich  auch  v.  Ebner  unter  Berufung  auf  meine  Beobachtungen 
in  Nr.  32  aus.  Die  normalen  Störungen  selber  sind,  wie  ich  zeigen  werde,  zum  Theil 
mechanisch  bedingt,  (lieber  die  Bedeutung  der  Variationen  der  relativen  Grösse 
der  Furchungszellen  für  den  formalen  Charakter  des  Furchungsschema,  siehe  Archiv 
für  Entwickolungsmechanik,  Bd.  II). 

W.  Patten  (Artificial  Modification  of  the  Segmentation  and  Blastoderm  of 
Limulus  Polypheraus.  Zool.  Anz.  1894,  S.  72  u.  f.)  fand  sogar,  dass  die  Eier  von 
Limulus  in  der  freien  Natur,  wo  sie  hin-  und  hergedreht  werden,  sich  an  der  ganzen 
Oberfläche  furchen,  während  sie  in  einer  Glasschale,  wo  sie  am  Boden  ankleben, 
sich  nur  auf  der  oberen  Seite  furchen.] 


Nothwendigkeit  der  Continuität  , typischer"  Gestaltungen.  913 

gegen  eine  der  beiden  einander  entgegenstehenden  Auf- 
fassungen verwendet  werden  kann. 

Infolge  dieser  Correl ationen  ist  es  natürlich  vielfach 
von  der  „Lage''''  der  Zellen  su  anderen  Zellen  abhängig^  ivas 
aus  ihnen  wird. 

Wenn  abhängige  DifSerenzirungszellen  neben  andere  Anderdiffe- 
renzirungszellen  zu  hegen  kommen,  als  es  normal  geschieht,  so  wird 
etwas  Anderes  aus  ihnen  als  bei  der  normalen  Nachbarschaft^), 

Sofern  ein  Complex  zusammenpassender  Differenzirungs- 
nebenzellen  unter  Umständen  stärker  differenzirend  wirken  kann,  als 
eine  geringere  Anzahl  oder  einzelne  Diff erenzirungshauptzellen ,  so 
kann  bei  Verlagerung  letzterer  neben  oder  unter  erstere  Zellen  diese 
Lageänderung  zur  Folge  haben,  dass  selbst  aus  Differenzirungs- 
hauptzellen  etwas  Anderes  hervorgeht  als  unter  normalen 
Verhältnissen  aus  ihnen  entstanden  wäre. 

Neben  diesen  vielfachen  differenzirenden  Wechselwirkungen  dürfen 
wir  aber  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  complicirte  ,, typische"  Ge- 
staltungen der  Organismen  nur  von  „typischen"  Gestaltungen 
aus  reproducirt  werden  können.  Die  typische  Wieder- 
holung organischer  Gestaltungen  setzt  [von  einfachen,  auch  im 
Anorganischen  in  gleicher  AVeise  und  aus  gleichen  Ursachen  vor- 
kommenden Gestaltungen  abgesehen]  eine  ununterhrochene  Con- 
tinuität typischer  Gestaltungen  voraus. 

Zum  Wesen  einer  typischen  Gestaltung  eines  Organis- 
mus gehört  typische  Beschaffenheit,  typischer  Ort  und  typische  rela- 
tive Zeit  der  betreffenden  Gestaltung.  Solche  Gestaltung  kann  daher 
blos  entweder  aus  „lauter"  typisch  beschaffenem  und  gelager- 
tem Materiale^  oder  zweitens,  bei  Verwendung  atypisch  be- 
schaffenen oder  gelagerten  Materiales,  unter  dem  bestimmen- 
den gestaltenden  Einfluss  von  TjqDischem  auf  dieses  aty- 
pische Material  hervorgebracht  werden. 


[1)  Oder  mit  anderen  Worten:  das  Schicksal  nicht  ganz  selbstdifferen- 
zirungsfähiger,  sondern  irgendwie  der  abhängigen  Differenzirung  unterliegender 
Zellen  ist  eine  „Function  der  Lage"  dieser  Zellen  zib  anderen,  auf  sie 
diiferenzirend  wirkenden  Zellen.] 

W.  Eoux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  58 


914  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


Zum  Beispiel  kann  aus  Mesenchymzeilen,  welche 
atypische  Bahnen  gewandelt  sind,  typische  Gestaltung 
nur  unter  dem  gestaltenden  Einfluss  typisch  gelagerter 
Zellen  (der  epithelialen  Keimblätter  oder  des  Mesenchyms)  ent- 
stehen. Oder  wenn  Friedr.  Dreyer  die  Gestaltung  des  Radiolarien- 
gerüstes  als  durch  die  Kräfte  der  Blasenspannungen,  also  wesentlich 
einfach  physicahsch  bedingt  auffasst,  so  müssen  doch,  soweit  als  diese 
Gestaltung  in  specieller  [669]  Beschaffenheit  und  Lage  bei  den  Nach- 
kommen in  der  gleichen  Weise  wiederholt  wird,  die  diese 
typische  Wiederholung  bestimmenden  Momente  vererbte 
sein,  [womit  wiederum  das  wesenthch  Bestimmende  im  Organismus 
selber  hegt  und  der  anorganischen  Componente  nur  ein  relativ  unter- 
geordneter Antheil  zukommt]. 


Ueberblicken  wir  schliesslich  die  vorstehend  behandelte  Haupt- 
frage, so  könnte  es  scheinen,  der  Kampf  der  Meinungen  fände  in  letzter 
Instanz  darüber  statt,  ob  es  wesentlich  blos  eine  einzige  Art  der  Eut- 
wickelung  der  Individuen  giebt,  aus  welcher  dann  alle  vorliegenden 
Thatsachen  abgeleitet  werden  können,  oder  ob  zwei  wesentlich  ver- 
schiedene Arten  der  individuellen  Entwickelung  vorkommen.  Von  der 
Vermehrung  durch  Knosp ung  etc.  haben  wir  in  unserer  Erörterung 
abgesehen  (s.  S.  843). 

Es  hat  sich  aber  gezeigt,  dass  0.  Hertwig  und  H.  Driesgh  „drei" 
wesentlich  verschiedene  Entwickelungsarten  für  dieselbe 
Species  annehmen  {s.  S.  893)  und  zugleich  mehrere  Thatsachen 
verleugnen  müssen,  insbesondere  die,  dass  man  beim  Frosch  unter 
normalen  Verhältnissen  ausnahmslos  bereits  vor  der  ersten 
Furch  ung  die  drei  Hauptrichtungen  des  Embryo  bestimmen  kann, 
sowie  dass  man  sicher  vorhersagen  kann,  ob  eine  der  beiden  ersten 
Furchungszellen  nach  Zerstörung  der  anderen  Zelle  einen  rechten  oder 
hnken,  vorderen  oder  hinteren  halben  Embryo  liefern  wird.  Diese 
Auffassung  kann  demnach  nicht  richtig  sein. 

Die  verschiedenen,  nicht  von  einer  einzigen  Bildungsweise  ab- 
leitbaren   Thatsachen    haben    mich    dagegen    veranlasst,    zwei    ent- 


Typische  und  atypische  Entwickelung.  915 


sprechend    verschiedene   Bildungsmodi    aufzustellen   (s.  S.  811 
und  843): 

Erstens  einen  Bildungsmodus  für  die  normale  Entwickelung,  den 
ich  als  Modus  der  directen  s.  typischen  Enttvichelung  bezeichnete, 
weil  er  typisch  verläuft;  derselbe  ist,  von  speciellen  Einzelheiten  abge- 
sehen, besonders  durch  hochgradige  Selbstdifferenzirung  einiger  oder 
vieler  „Theile"  des  gefurchten  Eies,  resp.  Theile  des  Embryo  charak- 
terisirt  und  stellt  von  Anfang  an  ein  typisches  System  bestimmt 
gerichteter  differenzirender  Vorgänge  dar,  welches  in  festen  Beziehungen 
zu  den  Hauptrichtungen  des  späteren  Embryo  steht. 

Zweitens  den  Modus  der  indirecten  s.  atypische  s.  regu- 
latorische Entwich  elung,  welcher  bei  unserer  früheren  Kenntniss 
blos  für  die  Re-  und  Postgeneration  anzunehmen  war,  dem 
sich  aber,  wie  oben  dargelegt,  auch  die  Entwickelung  bei  hoch- 
gradig abnormer  Furchung  nach  sehr  starker  Pressung  der 
Echinodermen-  und  Froscheier  und  bei  sonstigen  Störungen  ein- 
fügt. Diese  atypische  Entwickelung  ist  im  Gegensatz  zu  ersterer 
charakterisirt  durch  entsprechend  atypischen  aber  von  einem 
stets  vorhandenen,  wenn  auch  nur  kleinen,  „typischen" 
Theile  aus  geleiteten  Verlauf  und  wird  vermittelt  durch  hoch- 
gradige regulirende  gestaltende  Correlationen  der  Theile  unter 
einander. 

Es  ist  aber  nicht  ausgeschlossen,  dass  beiden  Entwickeln ngs- 
arten  mannigfache  Arten  von  Correlationen  gemeinsam 
sind;  im  Gegentheil  die  normale  s.  typische  Entwickelung  bedarf 
hei  den  häufig  vorkommenden  kleinen  Abweichungen  sogar 
der  „regulirenden'^  Gorrelationen;  so  kommen  auch  bei  beiden 
Entivickelungß arten  Umdifferenzirungen  von  bereits  Diffe- 
renzirtem  vor. 

[670]  Soweit  es  angemessen  ist,  für  verschiedene  Ur- 
sachen auch  verschiedenes  Material,  also  für  verschiedene 
Energie  auch  verschiedenen  Stoff  als  Sitz  resp.  Quelle  derselben  an- 
zunehmen, nehme  ich  zweierlei  Hauptbildungsstoffe  an; 
das  Idioplasson  der  typischenEntiv ickelung ^  welches  gewöhnlich 

durch    die   Befruchtung,   bei  Parthenogenesis    durch    ein   anderes, 

58* 


I 


916  Nr.  28.    Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 


unbekanntes  Moment,  activirt  wird;  und  das  Idioplasson  der  aty- 
pischen Entwiclielting  [s.  Beserveiäioplasson)  welches  bei  der 
typischen  Entwickelung  zeitweise,  besonders  am  Beginn  der  individuellen 
Entwickelung,  qualitativ  halbirt,  später  bei  manchen  Thieren  zeit- 
und  theilweise  qualitativ  ungleich  getheilt  wird,  und  welches  erst 
durch  einen  Defect  an  dem  bereits  mehr  oder  weniger  ent- 
wickelten Ganzen  oder  durch  Störung  der  Anordnung  oder 
Qualität  der  entwickelten  Theile  activirt  wird. 

Normalerweise  herrscht  das  Idioplasson  der  typischen'EiB.i^Ack.Q- 
luug  über  die  nicht  selbst  differenzirungsfähigen  Theile  des  Eies.  Ist 
das  Reserveidioplasson  activirt,  so  vermag  es  als  temporäres  Diffe- 
renzirungshauptplasson  die  Herrschaft  über  bereits  Diffe- 
renzirtes  zu  übernehmen  und  Umdifferenzirung  desselben 
zu  veranlassen^). 


Wir  wollen  versuchen,  noch  einen  etwas  weiteren  Einblick  in 
das  Wesen  der  beiderseitigen  Auffassungen  zu  gewinnen,  indem  wir 
die  zu  Grunde  liegenden  Verschiedenheiten  vom  Ontogenetischen  in's 
Phylogenetische  zurück  verfolgen  und  sie  auf  die  Entstehung  der 
Metazoen  aus  den  Protisten  anwenden. 

Die  Protisten  sind  gleich  der  befruchteten  Eizelle  der  Haupt- 
sache nach  vollkommen  selbstdifferenzirungsfähig,  denn  in  demselben 
Tümpel,  also  unter  wesentlich  denselben  äusseren  Bedingungen,  ent- 
wickeln sich  die  verschiedensten  Protistenformen  neben  einander,  jede  in 
ihrer  typischen  Weise.  Auch  Protisten  sind  einer  directen  s.  typischen 
Entwickelung,  ausgehend  von  einer  bestimmten  Art  der  Selbsttheilung 
des  encystirten,  vereinfachten  Individuums  fähig;  daneben  kommt 
allgemein  die  Regeneration  des  entwickelten  Individuums,  sei 
es  nach  typischer  Selbsttheilung  desselben  oder  nach  zufälligem  Defect 


[1)  Von  beiden  Idioplassonarten  vermuthe  ich,  dass,  so  lange  sie 
ruhen,  also  soweit  sie  nicht  activirt  sind,  sie  vorzugsweise  im  Zellkern 
angehäuft  sind  und  dass,  soweit  letzteres  der  Fall  ist,  ihre  richtige  Vertheilung 
bei  der  Zelltheilung  durch  die  indirecte  Kerntheilung  bewirkt  wird.] 


Ableitung  der  Metazoen  aus  den  Protisten.  917 


vor.  Die  Verschiedenheiten  zwischen  beiden  Entwickeknigsarten  mögen 
dabei  quantitativ  viel  geringer  sein  als  bei  den  Metazoen;  qualitativ 
aber  besteht  wieder  der  Gegensatz  zwischen  tj^pischer  Entwickelung 
des  typisch  DifFereuzirten  aus  einem  Einfacheren  einerseits  und 
Ergänzung  eines  in  bestimmter  Weise  Dii^erenzirten  aber  atypisch 
Defecten  von  dem  bereits  differenzirten  Zustande  aus.  Wir  haben 
also  auch  in  diesen  Fällen  schon  die  oben  (S.  916)  unterschiedenen 
zwei  Arten  von  Idioplasson  anzunehmen. 

Ein  vielzelliges  Wesen,  ein  Metazoon,  konnte  aus  diesen 
einzelligen  selbstdifferenzirungsfähigen  Protisten  entstehen,  indem  die 
Nachkommen  einer  Zelle  zusammenblieben  und  sich  dabei,  w^ohl  zu- 
nächst an  den  Berührungsflächen,  nicht  mehr  so  voll  aus  differenzirten, 
wie  es  beim  einzelnen  Freileben  jeder  Zelle  geschah.  Also  durch  das 
Zusammenbleiben  wurde  veranlasst,  dass  sich  jede  der  gleich werthigen 
Zellen  nicht  mehr  zu  einem  ,, Ganzen"  entwickelte.  Vielleicht  war 
eine  ähnliche  Vorstellung  die  erste  Veranlassung  zu  der  Ansicht 
O.  Hert-wig's. 

[671]  Für  die  hochentwd ekelten  Metazoen  indess,  für  welche 
O.  Hertwig  (s.  7  u.  8)  diese  Entwickelungsart  behauptet:  für  Am- 
phibien und  Echinodermeu  wie  auch  für  Ctenophoren,  Ascidien  und 
Amphioxus  ist  die  Sachlage  meiner  Meinung  nach  eine  wesentlich 
andere. 

Wir  dürfen  nicht  annehmen,  dass  alle  die  Eigenschaften 
dieser  hochentwickelten  Thiere  blos  durch  ,, Hemmung" 
der  Ausbildung  von  Eigenschaften  der  Protisten,  also 
durch  Rückbildung  entstanden  sind;  das  würde  zu  der  Auf- 
fassung führen,  dass  wir  blos  degenerirte  Protisten  seien.  Im  Gegen- 
theile,  diese  Entwickelung  geschah,  wenn  auch  auf  Kosten  der  Viel- 
seitigkeit der  einzelnen  Zellen  jedenfalls  durch  Erwerbung  vieler 
neuer  Eigenschaften:  der  specifischen  Gewebsqualitäten 
und  neuer  typischer  Gestaltungen  durch  den  Aufbau  aus 
vielen  Zellen. 

Wir  stehen  somit  nun  auf's  Neue  vor  der  Frage,  auf  was  für 
allgemeinen  Entwickelungsmechanismen  die  der  Ausbildung  dieser 


918  Nr.  28.   Ueber  die  Specification  der  Furchungszellen  etc. 

Qualitäten  und  Gestaltungen  zu  Grunde  liegenden  Mechanismen  beruhen. 
Denkbar  sind  sehr  verschiedene  Weisen,  wenn  auch  ihre  Zweck- 
mässigkeit sehr  ungleich  ist;  und  alle  werden  mit  „Selbstregu- 
lation" innerhalb  gewisser  Breite  behufs  Correction  un- 
ausbleiblicher Störungen  arbeiten  müssen.  Wir  wollen  aber 
ermitteln,  was  thatsächlich  geschieht. 

Beim  Beginn  meiner  entwickelungsmechanischen  Studien  habe 
ich  deshalb  die  bezüglichen  Möglichkeiten:  Correlation,  Selbstdifferen- 
zirung  und  Combinationen  beider  erörtert  und  dann  experimentell 
Schritt  für  Schritt  den  Antheil  jedes  beider  Principieu  an  der  wirk- 
lichen Entwickelung  bereits  eine  Strecke  weit  geprüft.  0.  Hertwig 
dagegen  hat  sich  bei  seinem  jüngsten,  ersten  entwickelungsmechanischen 
Versuch  unter  Uebergebung  der  bereits  vorliegenden  That- 
sachen  sogleich  apodictisch  und  ausschliesslich  für  die  absolute 
Correlation  ,,aller"  der  Theile  des  Eies  unter  einander  ausge- 
sprochen. 

Durch  sehr  frühzeitige  Auslösung  der  Postgenerations- 
thätigkeit  nach  dem  experimentellen  Eingriff  wird  die  gesonderte 
Prüfung  der  normalen  s.  typischen  Entwickelung  bei  manchen 
Thieren,  so  bei  Echinodermen  und  Amphioxus,  sehr  erschwert; 
während  Frösche  und  Ctenophoren  den  Verlauf  der  ,, typischen  Ent- 
wickelung" eine  grössere  Strecke  weit  für  sich  zu  verfolgen  gestatten 
und  daher  für  unser  bezügliches  Studium  sich  mehr  eignen  und  zuver- 
lässigere Schlüsse  gestatten  als  erstere  Thiere,  auf  deren  Verhalten 
sich  H.  Driesch  vorwiegend,  genau  genommen  ausschliesslich  stützt^). 


1)  Während  der  Drucklegung  vorstehender  Mittheilung  sind  neue  entwicke- 
lungsmechanische  Studien  H.  Driesch's,  Nr.  VII — X  (in  den  Mittheilungen  aus  der 
zoologischen  Station  zu  Neapel,  Bd.  XI,  Heft  1.  u.  2)  erschienen.  [In  denselben  hat 
der  Autor  einige  seiner  Ansichten  in  etwas  den  meinigen  sich  nähernder  Weise 
modificirt.] 


Literatur.  919 


Literatur. 

1.  Driesch,  Hans,  Zur  Theorie  der  thierischen  Formbildung.  Biol.  Centralbl.  1893, 
S.  296—312. 

2.  Derselbe,  Entwickelungsmechanisclie  Studien  I  und  II.  Zeitsclir.  für  wiss. 
Zoologie  LIII,  1,  1891. 

3.  Selenka,  Emil,  Studien  über  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere.  Heft  II :  Die 
Keimblätter  der  Echinodermen.     Wiesbaden  1883. 

4.  Fiedler,  Karl,  Entwickelungsmechanische  Studien  an  Echinodermeneiern.  In 
der  Festschr.  d.  Univers.  Zürich  für  die  HH.  von  Naegeli  und  von  Kölliker. 
Zürich  1891. 

5.  Barfurth,  Dietrich,  Halbbildung  oder  Ganzbildung  in  halber  Grösse.  Anat.  An- 
zeiger 1893,  Nr.  14. 

6.  Driesch,  H.,  Entwickelungsmechanische  Studien  III — IV.  Zeitschrift  für  wiss. 
Zoologie  LV.  1,  1892. 

7.  Hertwig,  Oscar,  Urmund  und  Spina  bilida.  Arch.  f.  micr.  Anatomie.  Bd.  89,  1892 

8.  Derselbe,  Aeltere  und  neuere  Entwickelungstheorien.  Rede.  Berlin  1892. 


Nr.  29. 

lieber  die  ersten  Theilungen  des  Froseheies  und 
ihre  Beziehungen  zu  der  Organbildung  des  Embryo. 

1893. 

Anatomischer  Anzeiger.  Bd.  VIII.  1893.  Nr.  18. 


Inhalt. 

Seite 

Compression  sich  furchender  Eier: 921 

zwischen  horizontalen  Platten 922 

zwischen  verticalen  Platten 922 

Künstliche  Asyntaxia  medullaris  totalis 922 

Beziehung  zwischen  den  ersten  Furchen  und  der  Medianebene  des  Embryo  923 

Künstliche  Bestimmung  der  Lage  des  Urmundes 925 

Entwickelung  bei  hochgradiger  Deformation  des  gefurchten  Eies    .     .  926 


[605]  Unter  dem  obigen  Titel  hat  O.  Hertwig  jüngst  eine  Mit- 
theilung in  den  Sitzungsberichten  der  König],  preussischen  Academie 
der  Wissenschaften  publicirt,  in  welcher  er  über  bezügliche  Versuche 
berichtet. 

Diese  Versuche  bestehen  in  passiven  Deformationen  des  Eies  durch 
Pressung  zwischen  wagrechten  oder  senkrechten  Platten  oder  durch 
Aspiration  in  Röhren  [s.  oben  S.  302] ;  dabei  wurde  zunächst  auf  die 
Beeinflussung  der  Richtung  der  ersten  Furche  geachtet,  darauf  des  Wei- 
teren der  abnorme  Verlauf  der  Furchung  festgestellt;  und  in  besonderen 
Versuchsreihen   wurde   die   Richtung   der   ersten   Furchung    markirt, 


Entwickelung  gepresster  Eier.  921 

um  nach  dem  Auftreten  der  Medullari'urche  prüfen  zu  können,  ob 
ihre  Richtung  in  der  von  mir  für  normale  Verhältnisse  ermittelten 
(s.  Nr.  16)  festen  Beziehung  zu  der  ersten  Furchungsebene  steht. 

Es  soll  sich  dabei  um  die  wichtige  Frage  handeln,  ob  durch  die 
ersten  Furchungen  bereits  das  speeifisch  beschaffene  Material  für  die 
„typische"  Entwickelung  (s.S.  811  und  915)  der  rechten  und  linken, 
resp.  der  cephalen  und  caudalen  Haupttheile  des  Körpers  fest  ge- 
schieden wird. 

Zu  dieser  vorläufigen  Mittheilung  Hertwig's  möchte  ich  gleichfalls 
einige  Worte  vorläufig  bemerken. 

Zunächst  habe  ich  zu  erwähnen,  dass  ich  ganz  dieselben  Versuche 
ohne  Ausnahme  in  den  Jahren  1885—1887  (s.  S.  445  Anm.)  (neben 
anderen  bereits  [606]  publicirten)  wiederholt  angestellt  habe.  Ich 
habe  ihre  Ergebnisse  bisher  aus  zwei  Gründen  nicht  im  Speciellen 
publicirt:  einmal,  weil  die  Ergebnisse  nichts  enthielten,  was  nicht 
schon  in  den  von  mir  in  den  Jahren  1883  und  1884  angestellten  und 
publicirten  Fundamentalversuchen  (Nr.  16  und  20)  im  Wesen  ent- 
halten gewesen  wäre ;  deshalb  schien  mir  die  Publication  nicht  so 
eilig;  zweitens  hatte  ich  das  gewonnene  Versuchsmaterial  zu  einer 
grösseren  Arbeit  für  eine  eventuell  sich  meldende  jüngere  Kraft 
bestimmt;  es  sollte  unter  Microtomirung  und  Reconstruction  durch 
Plattenmodellirung  Genaueres  über  die  von  mir,  auf  Grund  der  1884 
angestellten  Versuche  bereits  in  Nr.  20  ausgesprochenen  Beziehungen 
(s.  S.  302)  zwischen  der  Gestalt  der  Protoplasmaanhäufung  und  der 
Richtung  der  Kernspindel  ermittelt  werden ;  andererseits  sollten  die 
bei  Deformation  des  gefurchten  Eies  vielleicht  vorkommenden  Aende- 
rungen  der  inneren  Entwickelungsvorgänge  studirt  werden. 

Nachdem  sich  bis  jetzt  niemand  für  die  Bearbeitung  dieses 
Materials  gefunden  hat  (wohl  weil  in  Oesterreich  keine  Doctorarbeiten 
gemacht  w^erden),  und  da  jetzt  die  bezüglichen  Fragen  wieder  beregt 
worden  sind,  werde  ich  die  Ergebnisse  meiner  damaligen  Versuche 
demnächst  so  w^eit  publiciren,  als  sie  durch  äussere  Besichtigung  der 
Objecte  und  die  früher  schon  vorgenommene  Microtomirung  einiger 
Serien  mir  bereits  bekannt  sind.  Ich  glaube  dabei  das  Erscheinen 
von  O.  Hertwig's  definitiver  Abhandlung  nicht  abwarten  zu  müssen, 


922  Nr.  29.    Ueber  die  ersten  Theilungen  des  Froscheies  etc. 


da  mein  Versuchsmaterial  so  reich  ist,  dass  0.  Hertwig  in  dem  einen 
Frühjahre  dieses  Jahres  kaum  etwas  gesehen  haben  dürfte,  was  mir 
im  Laufe  mehrerer  Frühjahre  nicht  vorgekommen  w^äre  (s.  Nr.  31). 

üeber  die  Resultate  0.  Hertwig's  will  ich,  gestützt  auf  die 
meinigen,  jetzt  blos  Weniges  bemerken. 

Bei  Compression  der  Eier  zwischen  zwei  horizontalen  Platten 
kommt  die  dritte,  normaler  Weise  äquatoriale  Furchung  nicht,  wie 
Hertwig  angiebt,  in  Wegfall;  sondern  sie  wird  um  eine  Furchung  ver- 
schoben (vergl.  auch  S.  329) ;  es  findet  (w^ie  ich  früher  schon  berichtet 
habe)  als  dritte  eine  verticale,  annähernd  radiäre  Theilung  statt,  und 
ihr  folgt,  wie  bei  der  gleichfalls  platten  Keimscheibe  meroblastischer 
Eier,  au  den  hier  abgeplatteten  Froscheiern  eine  senkrechte,  aber 
annähernd  tangentiale  s.  circuläre  Theilung,  die  der  sonst 
wagrechten  dritten  Furche  wohl  im  Hauptsächlichen  entsprechen  kann  ^). 

Durch  bis  zur  Entwickelung  der  Medullarwülste  anhaltende 
starke  Pressung  der  Froscheier  zwischen  parallele  verticale  Platten 
gelingt  es,  das  seitliche  Herabwachsen  der  Urmundslippen  ganz  zu 
verhindern;  die  Medullarwülste  formiren  dann  einen  den 
Aequator  [607]  des  Eies  rings  umziehenden  Gürtel 
(künstliche  Asyntaxia  medullaris  totalis)  [s.  S.  89  u.  526]. 

Bezüglich  der  von  mir  für  nicht  deformirte  also  ,,nor- 
male"  Eier  ausgesprochenen  ursächlichen  Beziehungen  zwischen  den 
ersten  Furch ungen  und  der  Medianebene  des  Embryo,  insbesonders 
bezüglich  des  Zusammenfalles  der  ersten  oder  zweiten  (bei  Pressung 

1)  Auf  der  Versammlung  der  Anatom.  Gesellsch.  zu  Strassburg  im  Mai  1894 
machte  ich  in  der  Discussion  zu  einem  bezüglichen  Vortrage  H  Ziegi.er's  folgende 
Mittheilung  (siehe Verband!,  d.  anat.  Gesellsch.  1894,  S.  153):  ,,An  Eiern  vonßombinator 
igneus,  welche  nach  der  Befruchtung  zwischen  wagerechte  Platten  gepresst 
worden  waren,  sah  ich  nach  den  beiden  ersten,  senkrechten,  rechtwinkelig  zu 
einander  stehenden  Furchen  bei  der  dritten  Theilung  statt  der  von  Ziegler  er- 
haltenen Theilung  in  senkrechter  radiärer  Richtung  gleichfalls  senkrechte  Furchen 
auftreten,  welche  aber  die  Peripherie  des  Eies  nicht  erreichten,  sondern  die  beiden 
früheren  Fur.chen  schräg  oder  quer  verbanden  und  daher  bei  ihrer  gleich- 
zeitigen verticalen  Stellung  in  ihrer  Richtung  mehr  der  normalen  dritten,  äqua- 
torialen Furche  der  meroblastischen  Eier  entsprachen.  Diese  Ver- 
schiedenheiten in  den  Befunden  sind  wohl  von  Verschiedenheiten 
in  dem  Grade  der  Pressung  und  in  der  relativen  Menge  des  Bildungs- 
und Nahrungsdotters,  d.  h.  von  der  durch  diese  Componenten  bedingten  „Ge- 
stalt des  Bildungsdotters"   der  betreffenden  Furchungzellen  abhängig^ 


Entwickelung  gepresster  Eier.  923 

zwischen  senkrechten  Platten  der  ersten  oder  dritten)  ^)  Furchungs- 
ebene  mit  der  Medianebene  des  Embryo  hat  0.  Hertwig  aus  den  Ver- 
suchs-Ergebnissen seiner  abnorm  behandelten  Eier  keine  Bestätigung 
meiner  Auffassung  entnehmen  können,  schliesst  aber,  dass  sich  das 
„Fehlen"  dieser  unter  normalen  Verhältnissen  beobachteten  ur- 
sächlichen Beziehung  auch  für  die  normalen  Verhältnisse  er- 
geben habe. 

Dem  entgegen  haben  meine,  denen  Hertwig's  äusserlich 
gleichenden  Versuche  eine  sichere  Bestätigung  meiner 
für  die  ,, normale"  Entwickelung  aufgestellten  Auffass- 
ung auch  für  manche  abnormen  Verhältnisse  ergeben  (s.  auch 
Nr.  31,  S.  266]. 

lieber  die  Ursachen  dieser  Differenz  bin  ich  nicht  im  Zweifel. 
Abgesehen  von  den  Verschiedenheiten,  welche  wie  erwähnt 
durch  die  Ungleichheit  in  der  Stär-ke  der  Pressung  be- 
dingt werden  können,  schliesst  die  bei  diesen  Versuchen  angewendete 
Methode  der  Zwangslage  viele  Fehlerquellen  ein,  welche  man  erst 
nach  vielen,  wohl  kaum  in  einem  einzigen  Frühjahr  zu  erwerbenden  Er- 
fahrungen alle  kennen  und  theilweise  vermeiden,  theilweise  in  ihrer  Wir- 
kungsweise und  Grösse  richtig  beurtheilen  lernt.  Es  giebt  keine  Fehler- 
quelle, welche  zu  veranlassen  vermöchte,  dass  die  Anlage  der  Medullar- 
wülste  parallel  den  zur  Zeit  der  ersten  Furchungen  auf  einen  den  pressen- 
den Glasplatten  angeklebten  Zettel  gemachten  Strichen  erfolge.  Wohl 
aber  wird  jede  Fehlerquelle  Abweichungen  von  dieser  Rich- 


1)  In  den  Fällen  von  so  stai'ker  Pressung  zwischen  senkrechten  Platten, 
dass  die  dritte  Furchung  auch  noch  rechtwinkelig  zu  den  Platten  und  erst  die  vierte 
Furchung  zu  ihnen  parallel  steht,  wo  aber  die  Medianebene  gleichwohl  die  Richtung 
dieser  Platten  hat  oder  ihr  nahe  steht,  können  wir  nicht  mehr  normale,  s. 
typische  Entwickelung  annehmen,  für  welche  meine  Sätze  von  den  „festen" 
Richtungsbeziehungen,  d.  h.  von  dem  „directen"Causalnexus  zwischen 
den  ersten  Furchungen  und  der  Medianebene  des  Embryo  und  von 
der  „  Sebstdiff  erenzir  ung"  der  ersten  Furchungsz  eilen  aufgestellt 
und  erwiesen  worden  sind.  In  diesen  Fällen  müssen,  ebenso  wie  bei  den 
starken  Verlagerungen  der  Furchungszellen  an  Seeigeleiern  durch  Driesch,  wie  ich 
schon  (S.  834)  ausgesprochen  habe  und  des  Weiteren  darthun  werde  (S.  901  u.  Ol'i), 
Mechanismen  in  Thätigkeit  treten,  wie  sie  bei  der  Post-  und  Regeneration  auch  thätig 
sind,  Mechanismen,  welche  das  Wesen  der  von  mir  der  typischen  Entwickelung 
gegenübergestellten  „atypischen"  Entwickelung  ausmachen. 


924  Nr.  29.    lieber  die  ersten  Theilungen  des  Froscheies  etc. 


tungs  -  Coincidenz  hervorbringen;  und  das  Erste,  was  man  bei 
diesen  Versuchen  erhält,  sind  daher  stets  die  [608]  Abweichungen, 
bis  bei  Vervollkommnung  der  Technik  und  der  Beurtheilung  die 
Constanz  allmählich  hervortritt. 

Da  ich  trotz  dieser  ungiyistigen  Umstände  schliesshch  80  Procent 
Uebereinstimmungen  erhalten  habe,  so  ist  an  einer  ,,causalen 
Beziehung"  zwischen  den  Richtungen  der  ersten  Furchungen  und 
der  Medianebene  des  Embryo  auch  unter  diesen  abnormen  Verhält- 
nissen geringer  Pressung  nicht  zu  zweifeln  ^). 

Diese  Versuche  schliessen  sich  also  bestätigend  und  erweiternd 
an  meine  früheren  Versuche  mit  normal  gehaltenen,  sowie  mit  blos 
durch  Trocken  haltung  (wobei,  aber  erst  später,  auch  immer  erhebliche 
Deformationen  stattfinden)  in  Zwangslage  gehaltenen  Eiern  an, 
welche  letzteren  einen  höheren  Procentsatz  von  Uebereinstimmungen 
zwischen  erster  resp.  zweiter  Furchungsebene  und  der  Medianebene 
ergaben,  sowie  an  die  Resultate  der  Eioperationen  an,  wobei  nach 
Zerstörung  einer  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Frosches  die 
andere  Zelle  sich  genau  zu  einem  rechten  oder  linken  halben  Embryo 


[1)  Es  bleiben  also  20  °/o  Abweichungen  unter  diesen  hochgradig  abnormen 
Verhältnissen.  Auf  Seite  330  und  398  habe  ich  schon  bei  einfacher  Zwangslage  von 
12  Abweichungen  berichtet,  und  betont,  dass  festzustellen  ist,  ob  dieselben  that- 
sächliche  Abweichungen  sind  oder  auf  Versuchsfehlerquellen  beruhen. 

Da  nun  jüngst  auch  G.  Born  (üeber  Druckversuche  an  Froscheiern.  Anatom. 
Anz.  Bd.  8,  1893,  S.  610  —  627)  bei  besonders  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit 
solche  Abweichungen  gefunden  hat,  so  scheint  also  bei  hochgradig  abnormen 
Verhältnissen  eine  Abweichung  von  der  Coincidenz  der  Medianebene  des  Embryo 
mit  einer  der  beiden  ersten  Furchen  in  der  That  vorzukommen  (s.  S.  349),  wofür  ich 
schon  S.  896  u.  f.  und  912  eine  Erklärung  gegeben  habe. 

Die  überwiegende  Procentzahl  der  Uebereinstimmung  bekundet  jedoch, 
dass  auch  unter  diesen  Verhältnissen  noch  eine  ,causale  Beziehung" 
besteht;  die  Abweichungen  dagegen  bekunden,  dass  die  Beziehung  nicht  mehr 
so  „fest"  ist,  als  unter  normalen  Verhältnissen  (s.  S.  349). 

Vielleicht  ist  die  Abweichung  der  Medianebene  des  Embryo  von 
einer  der  ersten  Furchungsebenen  bei  Eiern,  welche  während  der 
ersten  Furchungen  gepresst  Avurden,  umso  grösser  und  häufiger, 
je  stärker  diePressung  und  damit  die  Abweichung  von  der  normalen 
Furchung  war  und  je  abnormer  daher  die  Configuration  des  Nahrungs-  und  Bil- 
dungsdotters ist,  welche  ja  nach  meinem  Nachweis  (S.  400  und  409)  die  Lage  der 
Kopf-  und  Schwanzseite  bestimmt  (siehe  auch  Nr.  31,  S.  266).] 


Entwickelung  gepresster  Eier.  925 

entwickelte  (was  neuerdings  von  Barfurth  am  Axolotl  [diese  Zeitschr. 
S.  497]  bestätigt  worden  ist). 

Ich  zweifle  nicht,  dass  O.  Hertwig,  wenn  er,  gleich  mir  die 
bezüglichen  Versuche  drei  Frühjahre  nach  einander  bei  nicht  zu 
starker  Pressung  [und  sorgfcältiger  Beobachtung,  s.  S.  895  Anm.]  wieder- 
holt haben  wird,  auch  zu  denselben  Resultaten  gekommen  sein  wird. 
Das  Gleiche  gilt  übrigens  in  gleicher  Weise  bezüglich  mehrerer  anderer 
von  mir  gemachter  V^ersuche,  insbesondere  von  der  künstlich  localisirten 
Befruchtung,  w^elche  vielleicht  nun  auch  nachgemacht  werden,  nach- 
dem man  angefangen  hat,  sich  mit  diesen  früheren  Versuchen  von 
mir  zu  beschäftigen.  Ich  werde  in  meiner  angekündigten  Abhandlung 
die  Fehlerquellen  der  auf  unser  vorliegendes  Thema  bezüglichen  Ver- 
suche und  die  Art  ihrer  Elimination  oder  Minderung  angeben. 

Schliesslich  bemerkt  Hertwig:  ,,Es  schien  mir  möglich  zu  sein, 
durch  experimentelle  Eingriffe  den  Ort  der  ersten  ürmundsanlage 
beeinflussen  zu  können,  nämlich  dann,  wenn  man  die  comprimirenden 
Glasplatten  schräg  geneigt  aufstellt."  Von  16  Eiern  entstand  dabei 
fünfzehnmal  die  erste Urmuudanlage  an  dem  oberen  Theil  der  schräg- 
stehenden Peripherie  des  Dotterfeldes. 

Diese  Lage  der  ersten  ürmundsanlage  ist  für  normale  Verhält- 
nisse zuerst  von  mir  1883  an  Rana  esculenta  (s.  S.  113,  164  u.  342), 
und  die  Möglichkeit  der  künstlichen  Bestimmung  durch  erzwungene 
schiefe  Eisteilung  darauf  von  Pflüger  im  Jahre  1883^)  entdeckt  und 
sicher  nachgewiesen  und  bereits  1884  von  G.  Born  und  mir  bestätigt  ge- 
funden worden  2)  [und  ich  habe  dasselbe  ohne  Zwangslage  durch  künst- 
lich localisirte  Befruchtung  an  der  der  Befruchtungsseite  des  Eies 
gegenüberliegenden  Seite  hervorgebracht,  s.  S.  357  u.  f.  und  409]. 

Während  der  Entwickelung  dieser  Eier,  welche  vom  Anfang  an 
in  abnormer  Lage  oder  Form  erhalten  worden  sind,  entstehen  sehr 
häufig  [gleich  wie  bei  den  operirten  Eiern  (siehe  Nr.  18)  als  Zeichen 
abnormer  Vorgänge]  abnorme,  aber  blos  locale  Auswüchse,  welche 


1)  Ueber  den  Einfluss  der   Schwerkraft  etc.    IL  Abhandlung  S.  56.    Pflüger's 
Arcb.  Bd.  32. 

2)  Trotz    obenstehender  Berichtigung  schreibt  H.  Driesch  (analyt.  Theorie  der 
Entwickelung,  Leipzig  1894)  neuerdings  diese  Entdeckung  0.  Hertwig  zu. 


926  Nr.  29.   Ueber  die  ersten  Theilungen  des  Froscheies  etc. 


später  wieder  schwinden  [Zeichen  des  stattfindenden  Ausgleichs 
durch  regulatorische  Vorgänge].  Gleichwohl  zeigen  (abgesehen 
von  den,  von  mir  ebenfalls  [609]  verfolgten  Störungen  d  u  r  c h  d  e  n  mit 
diesen  Versuchen  in  höherem  oder  geringerem  Grade  verbundenen  Luft- 
mangel) auch  bei  stärkerer  Abplattung,  Verbiegung  oder  Fal- 
tung der  „Blastula"  und  ,,Gastrula",  sofern  nur  der  allerdings 
häufig  ausbleibende  Urmundschluss  richtig  vor  sich  gegangen  ist,  die 
daraus  hervorgegangenen  Embryonen  selbst  bei  stärkster  Verbie- 
gung derselben  bis  zur  Berührung  von  Kopf  und  Sch^^anz  in  ihren 
Organen  sich  äusserlich  und  innerlich  so  normal  angelegt,  als  ob  die 
Entwickelung  unter  den  normalen  äusseren  Formen  stattgehabt  hätte, 
und  der  Embryo  erst  nach  Anlage  dieser  Organe  nachträg- 
lich allmählich  so  verbogen  worden  wäre.  Daraus  geht  her- 
vor, dass  die  normalen  Entwickelungsvorgänge  nicht  an 
eine  typisch  feste  Lagerung  der  Theile  zu  einander  im 
Raum  gebunden  sind,  sondern  dass  sehr  erhebliche  Abweichungen 
von  der  normalen  räumlichen  Anordnung  der  Theile  zulässig  sind 
[s.  S.  187,  192,  891  und  905]. 

H.  Driesch,  welcher  gleich  0.  Hertwig  ein  Gegner  meiner  Auf- 
fassungen von  den  ersten  Furchungen  des  Eies  als  qualitativen  Schei- 
dungen des  zur  typischen  Entwickelung  der  einzelnen  Körper  viertel 
dienenden  Eimateriales  und  von  der  normalen  Selbstdifferenzirung 
dieser  ersten  Furchungszellen  zu  entsprechenden  Vierteln  des  Embryo 
ist,  hat  gleichfalls  neuerdings  (Biolog.  Centralbl.,  Nr.  9)  Einwendungen 
publicirt.  Dieselben  beruhen  jedoch,  wie  ich  gelegentlich  darthun 
werde,  zum  Theil  auf  thatsächlichen  Irrthümern,  zum  wesenthchsten 
Theile  auf  einer  petitio  principii  (s.  Nr.  28). 


Nr.  30. 


lieber  richtende  und  qualitative  Wechselwirkungen 
zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 


1893. 

Zoologischer  Anzeiger.  1893.  Nr.  432. 


[1]  Da  die  Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern 
neuerdings  mit  Recht  mehr  Beachtung  und  Studium  finden,  so  will 
ich  darauf  hinweisen ,  dass  bereits  früher  einige  solche  Beziehungen 
von  mir  ermittelt  worden  sind,  was  den  neueren  Bearbeitern  dieses 
Themas  entgangen  zu  sein  scheint,  da  sie  blos  einen  untergeordneten 
Theil  meiner  Angaben  berücksichtigen. 

Auf  Grund  im  Frühjahr  1884  angestellter  Versuche  habe  ich  1885 
die  Auffassung  ausgesprochen  (S.  303),  dass  aus  der  ,, Gestalt  der 
Protoplasmaanhäufungen"  bei  den  Ei-  und  Furchungszellen  eine 
bestimmte  richtende  Wirkung  auf  die  Kernspindel  folgt 
und  dass  spec^ell  aus  einer  symmetrischen  Gestalt  unter  Umständen 
zwei  Prädilectionsrichtungen  der  Kerneinstellung  sich  ergeben 
können,  von  welchen  diejenige  bevorzugt  wird,  welche  der  Richtung 
am  nächsten  liegt,  in  welcher  der  Kern  schon  aus  seinen  eigenen 
inneren  Verhältnissen  sich  zu  Theilen  tendirt.  Diese  Richtungen  sind  die 
Richtung  der  Symmetrieebene,  welche  zugleich  die  gros  st  e  Dimen- 
sion besitzt  und  die  auf  ihr  rechtw^nkelis;  stehende  Riclituna:. 
Weiteres  über  diese  Prädilectionsrichtungen  findet  sich  Seite  335—340 


928  Nr.  30.   Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 

und  wird  von  mir  in  Verbindung  mit  neueren  Beobachtungen  ausführ- 
licher besprochen  werden^). 

O.  Hertwig  hat  in  seiner  1884  erschienenen  Arbeit  über  den 
Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theihmg  der  Zellen  wie  danach  in 
seinem  Lehrbuch  der  Entwickelungsgeschichte  blos  eine,  die  meist 
[2]  ausschlaggebende  dieser  Richtungen,  ,,die  Richtung  der  grössten 
Protoplasmamassen",  wie  er  sich  ausdrückt,  berücksichtigt  und  sich 
dabei  blos  auf  die  „normalen"  Vorgänge  der  Furchung,  also  auf 
Vorgänge  gestützt,  aus  welchen  wir  in  Folge  der  unübersehbaren 
Complication  der  bei  ihnen  gleichzeitig  in  typischer  AVeise  thätigen 
Componenten  nie  einen  ,, sicheren"  Schluss  auf  den  spe- 
c  i  e  1 1  e  n  A  n  t  h  e  i  1  einer  einzigen  dieser  Componenten 
ziehen  können,  so  dass  ihnen  gegenüber  meine  experimentell 
begründeten  und  als  solche  beweiskräftigeren  Folgerungen 
wohl  eine  nicht  unwesentliche,  erwähnenswerthe  Vermehrung  unseres 
Wissens  darstellen. 

Gleichzeitig  habe  ich  (S.  327,  340  und  402)  auf  Fälle  von  ge- 
ringer schiefer  Zwangslage  der  Froscheier  aufmerksam  gemacht,  in 
denen  in  Folge  von  Einstellungen  des  Furchungskernes  und  ent- 
sprechender Einstellung  der  ersten  Theilungsebene  des  Eies,  welche 
von  diesen  beiden  Prädilectionsrichtungen  abweichen,  nachträg- 
lich eine  symmetrische  ümordnung  des  ,, Rindenpig- 
ment es"  des  Eies  zu  dieser,  resp.  zu  der  ihr  folgenden, 
rechtwinkelig  dazu  stehenden  Theilungsrichtung  sicht- 
bar wird.  Diese  Thatsache  weist,  meiner  Meinung  nach,  auf  tief- 
greifende ordnende  Beziehungen  zwischen  den  verschie- 
denen Materialien  des  Zellleibes  und  denen  des  Kernes  hin, 
derart,  dass  bei  „gegebener"  Richtung  und  Qualität  der 
Kerntheilung   die   verschiedenen    Materialien   des   Zell- 


1)  Gegenüber  diesem  Einflüsse  der  Gestalt  des  Leibes  der  ^Furchungszellen" 
auf  die  Einstellungsrichtung  des  in  Theilung  begriffenen  Zellkernes,  welche  Gestalt 
normaler  Weise  wesentlich  durch  die  Zahl,  Lage  und  Ausdehnung  der  Berührungs- 
flächen mit  anderen  Zellen  bedingt  ist,  sei  sogleich  mitgetheilt,  dass  nach  dem  Er- 
gebnisse daraufhin  von  mir  angestellter  Experimente  die  „Berührungsfläche" 
zweier  Furchungszellen  als  solche  keinen  „richtenden"  Einfluss  auf 
die  Einstellung  der  Kernspindeln  in  „diesen"  Zellen  ausübt. 


Concurrenzwirkung  zwischen  Dotter  und  Kern.  929 

1  e i b e s  in  dazu  passender  Weise  geordnet  werden,  wäh- 
rend für  gewöhnlich  der  Kern  das  beweglichere,  vom 
Zellleib  richtend  beeinflusste  Gebilde  darstellt  [Weiteres 
siehe  S.  407]  i). 

Diese  Beziehungen  Avurden  weiterhin  dadurch  illustrirt  (S.  337), 
dass  die  Entscheidung  darüber,  ,, welche"  qualitative  Kern- 
th eilung  von  zwei  prädisponirten  Theilungsarten  zuerst  stattfindet, 
von  der  Einstellung  des  Kernes  mit  seiner  immanenten  Theilungs- 
richtung  in  eine  dieser  beiden  Prädilectionsrichtungen  und  von  der 
damit  gegebenen  Einstellung  zu  den  verschiedenen  Protoplasma- 
massen abhängt;  dies  geschieht  im  Speciellen  derart,  dass  das  Kern- 
material für  die  beiden  Antimeren  des  Froschembryo  den 
beiden  symmetrisch  und  qualitativ  gleichen  Protoplasmahälften  des 
Eies  zugetheilt  wird,  wogegen  das  activirte  Kernmaterial  für  die 
Kopfhälfte  des  Embryo  demjenigen  besonderen  Dottermaterial, 
welches  unter  dem  hellen  Halbmond  der  Oberseite  des  Eies  sich 
sammelt,  das  activirte  Kernmaterial  der  Schwanzhälfte  dem 
entgegengesetzten  Theile  des  Eies  zugeführt  wird  (s.  S.  402  u.  408). 

Ausnahmen  von  dieser  Regel  kommen  unter  normalen  Verhält- 
nissen nicht  vor  und  sind  auch  bei  Zwangslage  sehr  selten;  sie 
beweisen  aber  alsdann,  dass  bei  ausgebliebener  Herstellung 
der  Har-  [3]  monie  zwischen  Zellleib  und  Zellkern,  somit  im 
Conflictsfalle  das  gesonderte  Kernmaterial  ausschlag gehender 
für  die  Bestimmung  der  TheiJe  des  Emhryo  im  viergetheilten 
Eie,  für  die  Lage  der  rechten  und  linken,  der  Kopf-  und 
Schwanzseite   des  Embryo   sein   kann,   als   die  Verschieden- 


[1)  Doch  ist  zugleich  zu  berücksichtigen,  dass  diese  Fälle  noch  nicht  genauer 
untersucht  sind  und  dass  wir  daher  nicht  wissen,  ob  die  von  der  Symmetrieebene 
der  Rinden  Substanz  abweichende  erste  Furche  deshalb  abweicht,  Aveil  die  An- 
ordnung der  inneren  Dottersub.stanzen  nicht  derjenigen  der  Rinde  entsprach,  und 
weil  der  Kern  natürlich  der  einstellenden  Wirkung  der  Anordnung  der 
ihn  direct  umgebenden  verschiedenen  Dottersubstanzen  mehr  folgte,, 
als  derjenigen  der  entfernteren  Rindensubstanz;  es  wäre  also  möglich,  dass  die 
nachträgliche  Umordnung  der  Rindensubstanz  nicht  oder  weniger  durch  die  Wirkung 
der  Qualität  und  Richtung  des  Kernes,  als  vielmehr  durch  die  Wirkung  der 
inneren  Dottersubstanzen  auf  die  äusseren  (Rindensubstanzen)  bedingt  war.] 
W.  Roux,  Gesammelte  Abhandinngen.    IL  59 


930  Nr.  30.    Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 


heiten  des  Protoplasmamaterials  des  Eies,  ein  Verhalten, 
welches  zugleich  auf  eine  erhebliche  Unabhängigkeit  der  Kernent- 
wickelung vom  Zellleib  und  auf  eine  starke  Abhängigkeit  der 
Differenzirung  des  Zellleibes  vom  Zellkern  hinweist  (siehe 
aber  auch  S.  929  Anm.). 

Die  vorstehend  den  bezüglichen  experimentellen  Thatsachen 
untergelegte  Bedeutung  beruht  auf  der  von  mir  durch  verschieden- 
artige Versuchsergebnisse  gestützten  und  von  vielen  anderen  Autoren 
mit  Zustimmung  aufgenommeneu  Annahme,  dass  beiden  indirecten 
Kerntheilungen  in  den  Furchungszellen  das  der  ,,nor malen  s.  ty- 
pischen" Entwickelung  (nicht  aber  das  der  Vermehrung  der 
Individuen  und  der  Re-  resp.  Postgeneration)  dienende 
Kernmaterial  entsprechend  den  späteren  verschiedenen  Körper- 
theilen  qualitativ  ungleich  getheilt  wird.  Die  neuerdings  von 
0.  Hertwig  und  H.  Driesch  gegen  diese  Auffassung  ausgesprochenen 
Einwendungen  habe  ich  in  zwei  eingehenden  Abhandlungen  (Nr.  27 
und  28)  unter  gleichzeitiger  Beseitigung  der  scheinbar  vorliegenden 
Schwierigkeiten,  wie  ich  glaube,  genügend  geprüft  und  als  nicht 
zutreffend  dargethan,  so  dass  w^ir  ohne  Gefahr  in  Irrthum  zu  beharren 
oder  in  ihn  zu  gerathen,  auf  der  mit  dieser  Hypothese  betretenen 
Bahn  weiter  schreiten  dürfen  (siehe  Nr.  33). 

Im  Gegensatz  zu  den  innigen  Beziehungen  zwischen  Zell- 
kern und  Zellleib  bei  ,, normalen"  oder  nur  wenig  davon  ab- 
w^eichenden  Verhältnissen  zeigte  sich  in  hochgradig  abnormen 
Verhältnissen  oft  eine  noch  weitere  Unabhängigkeit  der  Ent- 
wickelung des  Zellkernes  vom  Zellleibe,  als  wir  sie  oben  schon 
sich  bekunden  sahen  :  ^) 

Nach  Anstich  einer  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des 
Froscheies  findet  man  häufig  neben  einem  Hemiembryo  in  der 
vacuoHsirten,  also  abnorm  beschaffenen,  operirten  Eihälfte  (siehe 
S.  463  u.  f.),  weit  ab  von  der  entwickelten  Hälfte  in  dem  im  Uebrigen 
kernlosen,  nicht  in  Zellen   zerlegten  Dotter,   einige  Haufen  von  Zell- 


1)  Ueber  eine   gewisse  Unabhängigkeit   der  Richtung   und  Qualität    der   Kern- 
theilung  von  den  Nachbarzellen  siehe  S.  452  und  491. 


Unabhängigkeit  der  Kernentwickelung  von  der  Dotterentwickelung.  931 


kernen,  welche  letzteren  die  Charaktere  der  älteren,  grossen  einfach 
contourirteu ,  ans  feinen  rotlien  Körnchen  gleich-  [4]  massig  dicht 
gebildeten  Morulakerne ,  ja  oft  der  bläschenartigen  Blastula- 
kerne  besitzen. 

Diese  Kerne  glaube  ich  mit  Sicherheit  vom  Furchungskern  der 
operirten  Zelle  ableiten  zu  können,  sofern  beide  Eihälften  durch  eine 
Demarcationslinie  getrennt  sind  oder  sofern,  wie  es  häufig  der  Fall 
ist,  in  der  Nähe  der  entwickelten  Hälfte  keine  Kerne  sich  vorfinden. 
Der  Furchungskern  der  operirten  Ei  hafte  hat  sich  also 
V i e  1  m a  1  g e t h e i  1 1  und  zugleich  qualitativ  weiter  ent- 
wickelt, obgleich  sich  der  Dotter  nicht  mitget heilt  hat. 
Daraus  geht  hervor,  dass  in  einem  Zellleibmaterial,  welches  zur  Zer- 
legung in  Zellen  ungeignet  ist,  welches  ausserdem  zum  Theil  abnorm 
verändert  (vacuohsirt)  ist,  und  gewöhnlich  noch  das  Pigmentmaterial 
(das  normaler  Weise  auf  der  Blastulastufe  schon  fast  verbraucht  ist) 
neben  einem  Hemiembryo  noch  ganz  unvermindert  enthält,  dass  also 
in  einem  Dottermateriale,  welches  sich  wohl  nicht  in  der  normalen 
Weise  entwickelt  hat,  die  Zellkerne  sich  anscheinend  normal,  im 
Maximum  bis  zur  bläschenartigen  Stufe  des  Kernes  der  Blastula  zu 
entwickeln  und  dabei  zu  theilen  vermögen.  Daneben  kommen  aber 
allerdings  (s.  S.  464  u.  f.)  auch  abnorme  Kernveränderungen  oft 
vor;  besonders  häufig  findet  sich  abnorme  Grösse  der  Kerne  der 
Morula-  und  Blastulastufe,  was  also  auf  Ausbleiben  der  Kerntheilung 
nach  genügendem,  ja  nach  abnorm  starkem  Wachsthum  der  differen- 
zirten  Kerne  hindeutet. 

Diese  obere  Grenze  der  EntwickeLungsfähigkeit  des  Kernes  in 
nicht  cellulatipnsfähigem  Zellleibmaterial  weist  andererseits  zugleich 
wieder  auf  eine  Abhängigkeit  der  Entwickelung  des  Zellkernes  von  der 
Beschaffenheit  des  ihn  umgebenden  Zellleibes  hin.  Wir  dürfen  also 
schhessen :  Kerne  der  Furchungszellen  des  Froscheies 
können  sich  [unter  nicht  näher  bekannten  Umständen]  eine 
gewisse  Folge  von  Veränderungen  weit  unabhängig  von 
den  normalen  [?],  ja  von  eventuellen  pathologischen 
Veränderungen  des  Protoplasmas  dieser  Zellen  entwickeln. 

59* 


932  Nr.  30.    Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 

A  n  h  a  n  g. 

Aiitheil  der  Gestalt  und  iimereii  Anordnung  des  Dotters  an  der 
Entstehung:  Yon  Halb-  und  Doppelbildung-en. 

[iiu  diese  Mittheilung  über  differenzirende  Correlationen 
zwischen  Zellleib  und  Zellkern  sei  gleich  eine  specielle  An- 
wendung derselben  angeschlossen,  die  ich  auf  dem  Anatom en- 
congress  zu  Strassburg  1894  machte. 

Herr  0.  Schultze  hatte  mitgetheilt  (Verhandlungen  der  anat. 
Ges.  1894  S.  127—132),  dass  er  durch  Umkehr  von  in  Zwangslage 
erhaltenen  Froscheiern  nach  der  ersten  Furche  Doppelbildungen 
erhalten  hat.     Dazu  bemerkte  ich  (loco  cit.  S.  147 — 149)  Folgendes : 

,,Herr  Schultze  giebt  an,  dass  die  beiden  Medullarwülste  auf 
jeder  Eihalfte  gleichzeitig  entstanden;  demnach  entstehen  nicht  erst 
Hemiembryonen  aus  jeder  Eihalfte  mit  nachfolgender  Postgeneration 
der  fehlenden  Hälfte.  Während  ich  nach  Tödtung  einer  der  beiden 
ersten  Furchungszellen  aus  der  anderen  Zelle  zuerst  einen  typischen 
Hemiembryo  erhielt,  der,  sei  es  mit  oder  ohne  Verwendung  von 
Material  der  anderen  Eihalfte,  die  [148]  fehlende  Embryohälfte  post- 
generirte ,  entsteht  hier  also  sogleich  eine  Ganzbildung ,  ein  Holoplast 
aus  jeder  Eihalfte." 

,,Ich  kann  der  Meinung  0.  Sghultze's,  dass  die  Entstehung 
dieser  Doppelbildungen  auf  einer  Theilung  des  Schwerpunctes  des 
Eies  in  zwei  Theile  beruhe^),  nicht  zustimmen,  sondern  glaube,  den 
Unterschied  unserer  beiderseitigen  Resultate  nach  meinen  früher  ausge- 
sprochenen Auffassungen  (Nr.  28)  in  folgender  Weise  ableiten  zu  können: 

Ich  habe  gezeigt  (Nr.  21),  dass  man  bei  schiefer  Aufsetzung  des 
Froscheies  künstlich  veranlassen  kann,  dass  die  normale  zweite, 
köpf-    und    schwanzwärts    scheidende   Furche    des  Froscheies    zuerst 


3)  Diese  von  ihm  in  Strassburg  geäusserte  Ableitung  hat  0.  Schultze  in  dem 
gedruckten  Bericht  über  seinen  Vortrag  nicht  mehr  vertreten,  und  in  der  ausführ- 
lichen Abhandlung  leitet  er  die  Entstehung  dieser  Doppelbildungen  vielmehr  „von  einem 
gegenseitigen  ünabhängigkeitsverhältniss  oder  von  dem  Fehlen  der  regulirenden 
Wechselbeziehungen  der  Theilproducte"  ab  (siehe  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  I, 
1894.  S.  269—306). 


Halb-  und  Doppelbildungen  bedingt  durch  Anordnung  des  Dotters.       933 

entsteht;  dies  geschieht,  wenn  man  das  Ei  ganz  seitlich  von  der 
Symmetrieebene  der  willkürlich  gegebenen  schiefen  Einstellung  be- 
fruchtet. Der  Furchuugskern  hat  nach  meinen  Versuchen  die  Tendenz, 
sich  in  der  Copulationsrichtung  zu  theilen,  wobei  die  Theilungs- 
producte  und  die  Kernspindel  rechtwinkelig  zu  dieser  Ebene  sich  ein- 
stellen. Vorliegenden  Falles  kommt  dabei  das  eine  Ende  der  Spindel 
gegen  diejenige  Seite  des  Eies,  wo  der  weisse  Pol  höher  steht,  das 
andere  Ende  gegen  die  mehr  schwarze  Seite  des  Eileibes:  und  die 
entsprechenden  Verschiedenheiten  der  Zellleibsubstanzen 
veranlassen  nun,  dass  auch  der  Kern  sich  entsprechend 
„qualitativ  ungleich"  theilt,  dass  er  von  den  prädisponirten 
zwei  ersten  Theilungen  die  normal  als  zweite  auftretende  Theilung 
zuerst  ausführt.  Erfolgt  dagegen  die  Befruchtung  in  der  Symmetrie- 
ebene, so  stellt  sich  die  Kernspindel  rechtwinkelig  zu  dieser  Fläche; 
beide  Enden  sind  dabei  symmetrisch  gleich  beschaffenem  Dotter- 
material zugewendet,  und  der  Kern  theilt  sich  daher  auch  symme- 
trisch gleich.  Die  Anordnung  des  Dottermateriales  übt  also 
unter  Umständen  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Qualität 
der  Kerntheilung  aus." 

,,Bei  0.  Schultze's  Versuchen  der  Umkehr  der  Eier  nach  der 
ersten  Furchung  bildet  sich,  wie  er  mittheilt,  in  der  Furche  zwischen 
beiden  ersten  Furch ungszellen  ein  heller  Ring.  Ich  schliesse  daraus, 
dass  der  durch  die  Umdrehung  nach  oben  gebrachte  helle,  specifisch 
schwerere  Nahrungsdotter  in  jeder  von  beiden  Zellen  absinkt,  zum 
Theil  neben  der  Trennungsebene,  im  Ganzen  aber  wohl  ähnlich,  wie 
es  Born  bei  sogleich  nach  der  Befruchtung,  also  noch  vor  der  ersten 
Theilung  fast  umgekehrt  aufgesetzten  Eiern  beobachtet  hat,  wobei  zur 
Zeit  der  ersten  Furchung  der  B  il  d  u  n  gs  d  o  1 1  e  r  ,  ,o  b  e  n"  angesammelt 
war  in  einer  die  Entwickelung  des  ganzen  Eies  zu  einem 
normal  gestalteten  Embryo  gestattenden  Weise.  Die  Anord- 
nung der  verschiedenen  Dottermassen  war  dabei  also  wohl 
in  der  ,, bestimmenden"  Hauptsache  ähnlich  der  eines  nor- 
malen, ungetheilten  Eies  geworden.  V'ielleicht  ist  dies  auch 
bei  Schultze's  Umkehrung  derEiernach  der  ersten  Theilung  in 
einigenFällen  zufällig  in,,ieder"von  beidenZellen  geschehen. 


934  Nr.  30.   Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 

Alsdann  lagert  also  indem,  in  der  Anordnung  seiner  verschiedenen 
Dottersubstanzen  im  Wesentlichen  einem  ganzen  Ei  entsprechenden 
Leib  jeder  von  beiden  Furchungszellen  von  der  vorausgegangenen 
ersten  Theilung  her  ein  Kern,  der  in  seinem  activirten  Material 
den  Kern  eines  halben  Eies  (für  eine  rechte  oder  linke  Körper- 
hälfte, resp.  für  eine  Kopf-  oder  Schwanzhälfte)  darstellt." 

[149]  ,,Es  ist  also  ein  Widerstreit,  ein  abnormes  Verhalten  zwischen 
Zellleib  und  Zellkern,  eine  Störung  vorhanden;  damit  werden  die 
regulirenden  Fähigkeiten  resp.  das  Regenerations-  s.  Reserve- 
idioplasson  geweckt,  activirt  (s.S.  901  u. f.,  und  Nr.  31,  S.279),  welches 
ja,  wie  wir  wissen,  noch  in  Zellen  späterer  Entwickelungsstadien  des 
Froschembryos  das  Vermögen  zur  Bildung  aller  Theile  des  Ganzen 
enthält.  Dies  Plasson  wird  in  Thätigkeit  versetzt  und  zwar  in  einer 
Weise,  welche  der  einem  ganzen  Ei  der  Hauptsache  nach  ent- 
sprechenden Anordnung  der  Dottersubstanzen  entspricht:  es  entsteht 
ein  Ganzes;  ob  wirklich  sogleich  in  vollkommener  Weise  oder 
doch  erst  allmählich,  ist  wohl  noch  durch  besonders  darauf  gerichtete 
Beobachtungen  festzustellen.  Die  Entwickelung  ist  aber  dabei  keine 
normale  s.  typische,  d.  h.  blos  mit  dem  ,, durch  die  Befruchtung 
activirten  Kernmaterial"  sich  vollziehende,  sondern  eine  atypische, 
unter  ßethätigung  des  Regenerationsplassons  stattfindende." 

,,In  meinen  Anstechungs versuchen  dagegen  ist  die  Sach- 
lage eine  wesentlich  andere.  Das  Ei,  dessen  eine  von  beiden  Fur- 
chungszellen getödtet  worden  ist,  nimmt  seine  normale  Stellung  ein, 
der  Kern  der  lebenden  Hälfte  passt  daher  nach  der  Operation 
wie  vor  derselben  zudem  ihn  umgebenden  Zellleib;  das  heisst 
z.B.,  wenn  eine  wirkliche  erste  Furche  gebildet  worden  war,  der  Kern 
entspricht  in  der  Anordnung  und  Beschaffenheit  seiner  Substanzen  einer 
Symmetriehälfte  und  der  Zellleib  desgleichen  *).  In  der  erhaltenen  Fur- 
chungszelle  ist  also  an  sich  Alles  normal,  und  blos  die  Lebenswirkung 
der  anderen  Eihälfte   fehlt.     Da   sich,  wie   wir   sahen,   jede   Eihälfte 


[1)  Hierbei  sei  noch  auf  meine  frühere  Aeusserung  (S.  451)  des  Inhaltes  verwiesen, 
dass  vielleicht  die  „halbkugel ige  Gestalt  des  D  ottermateriales  einer  der 
beiden  ersten  Blastomeren  die  Ursache  seiner  Entwickelung  zu 
einem  Hemiembryo  sei".] 


Halb-  und  Doppelbildungen  bedingt  durch  Anordnung  des  Dotters.        935 

für  sich  zu  einem  Hemiembryo  entwickeln  kann,  ist  diese  Wirkung 
der  einen  Eihälfte  auf  die  andere  wohl  sehr  gering,  und  ihr  Fehlen 
komrüt,  sofern  das  Material  der  operirten  Hälfte  stark  verändert  ist, 
oft  erst  ziemlich  spät  zur  Geltung.  Ist  dagegen  das  Dottermaterial 
der  operirten  Zelle  noch  lebendig  und  wesentlich  blos  der 
Kern  getödtet,  so  wirkt  es  gleich  auf  den  resp.  die  sich  t  heil  en- 
den Kerne  der  noch  nicht  vollkommen  abgesonderten  unver- 
sehrten Eihälfte  einstellend  und  veranlasst  frühzeitig  Uebertritt 
von  Kernmaterial  in  die  operirte  Eihälfte,  womit  wiederum  die  aty- 
pische Entwickelung  einsetzt." 

,,Ich  bin  also  nicht  genöthigt,  zur  Ableitung  des  neuen,  inter- 
essanten [150]  Ergebnisses  Sghultze's  neue  principielle  Annahmen  zu 
machen,  sondern  komme  mit  den  früher  zur  Ableitung  meiner  eigenen 
Beobachtungen  gemachten  Annahmen  aus;  der  wesentliche  Un- 
terschied in  den  beiderseitigen  Ergebnissen  lässt  sich 
somit  auf  entsprechende  Verschiedenheiten  der  bezüg- 
lichen Versuchsverhältnisse  zurückführen." 

Ich  hatte  in  Strassburg  noch  hinzugefügt  (was  im  Bericht  zu 
erwähnen  von  mir  vergessen  worden  ist),  dass  ich  aus  Sghultze's 
Angabe,  es  entstehe  zwischen  beiden  ersten  Blastomeren  ein  heller 
Streifen,  schliesse,  dass  der  zwischen  beiden  Zellen  sich  in  abnorm 
grosser  Weise  anhäufende  Nahrungsdotter  die  Einwirkung  beider 
Zellen  auf  einander  erschwere,  resp.  verhindere  und  so  die 
selbstständige  Entwickelung  jeder  derselben  begünstige. 
Denn  wenn  auch,  wie  ich  nachgewiesen  habe,  zwischen  den  beiden  ersten 
Blastomeren  differenzirende  Wechselwirkungen  zur  normalen  Entwicke- 
lung jeder  derselben  nicht  nöthig  sind,  so  ist  damit  nicht  gesagt 
oder  erwiese»,  dass  nicht,  wenn  diese  Zellen  dicht  bei  ein- 
ander sind,  sie  sich  beeinflussen  wenigstens  derart,  dass 
jede  nicht  so  leicht  sich  ,, selbstständig"  für  sich  zu 
einem  ,,Ganzen"  entwickelt. 

Nach  dem  Erscheinen  der  ausführlichen  Abhandlung  Sghultze's 
(Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  B.  I,  S.  269 — 306)  habe  ich  noch 
einiges  nachzutragen. 


936  Nr.  30.    Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 

Zunächst  sei  bemerkt,  class  ich  bereits  im  Jahre  1884  (s.  S.  330) 
Froscheier,  welche  dm'ch  ungenügende  Quelking  ihrer  Gallerthülle 
in  Zwangslage  erhalten  waren,  nach  der  ersten  Furche  umge- 
dreht habe,  jedoch  ohne  Doppelbildungen  zu  erhalten;  desgleichen 
habe  ich  dessen  Versuch  nach  0.  Schultze's  Vortrag  vom  8.  —  10. 
Juni  1894  an  45  Eiern  von  Rana  esculenta  wiederholt  und  in  jeder 
neuen  Phase  gezeichnet.  Es  zeigte  sich  an  ihnen  keine  Spur  einer 
Anlage  von  Doppelbildungen  in  irgend  einem  Stadium;  sondern  das 
Ergebniss  war  folgendes: 

Der  dritte  Theil  dieser  Eier  drehte  sich  nach  der  Umkehr  wieder 
mit  dem  dunklen  Pol  nach  oben ,  war  also  nicht  genügend  fixirt ; 
diese  Eier  entwickelten  sich  zumeist  ganz  normal.  Von  den  andern 
furchte  sich  die  Mehrzahl  blos  2 — 5  Mal,  um  dann  abzusterben.  Die 
anderen  Eier  lieferten  T h  e  i  1  b  i  1  d  u  n  gen,  indem  blos  die  eine  der 
beiden  ersten,  oder  drei  oder  blos  eine  der  vier  ersten  Furchungs- 
zellen  sich  weiter  entwickelten.  So  entstanden  Halb-,  Dreiviertel-,  Ein- 
viertel-Morulae,  -Blastulae,  von  denen  mehrere  abstarben;  die  sich  weiter 
entwickelnden  lieferten  Semigastrulae  und  5  producirten  wohlgebildete 
Hemiembryones:  3  laterales  und  2  anteriores.  Das  Ergebniss  ist 
also:  in  vielen  Eiern  starben  beide  ersten,  oder  eine,  2  oder  3  der  vier 
ersten  Furchungszellen  ab,  und  der  überlebende  Theil  entwickelte 
sich  weiter,  wie  bei  Tödtung  der  Blastomeren  durch  Anstich;  aber 
bei  vielen  hörte  diese  Entwickelung  frühzeitig  schon  auf  der  Blastula- 
und  Gastrulastufe  auf;  und  auch  die  Hemiembryonen  starben  bald 
unter  Framboisia  ab  ,  nur  einer  vollzog  Postgeneration. 

Bei  der  Beurtheilung  dieses  Resultates  ist  zu  berücksichtigen,  dass 
ich  am  Ende  der  Laichperiode  experimentirte,  wo  Störungen 
des  normalen  Verlaufs  der  Entwickelung  nicht  mehr  leicht  über- 
wunden werden,  wo  die  Regulationskräfte  geschwächt  sind,  aber  die 
ungestörte  Entwickelung  noch  normal  sich  zu  vollziehen  vermag. 
0.  SciiuLTZE  dagegen  hat  bei  seinen  Versuchen  an  10  bis  50  ^lo 
der  behandelten  Eier  vollkommene  oder  (meist)  unvollkommene, 
zum  Theil  recht  wohl  entwickelte  Doppelbidungen  erhalten.  (Die 
anderen  Eier  gingen  zu  Grunde  oder  bildeten  nicht  weiter  bezeichnete 


I 


Halb-  und  Doppelbildungen  bedingt  durch  Anordnung  des  Dotters.        937 


Abnormitäten  [vielleicht  zum  Theil  auch  Halbbildungen  ?]).  Aus  diesem 
so  auffallend  abweichenden  Resultat  ist  wohl  zu  folgern ,  dass  bei 
seinen  A'^ersuchen  noch  ein  besonderes  Moment  betheiligt  war;  denn 
auch  er  experimentirte  zum  Theil  am  Ende  der  Laichperiode  und 
gerade  zuletzt  erhielt  er  50*^/ü  Doppelbildungen.  Dieses  neue  Mo- 
ment sehe  ich  in  dem  Abweichenden  seiner  Methode.  Schultze 
giebt  an,  dass  er  die  Eier  durch  Pressen  zwischen  wagrechte 
Platten  in  Zwangslage  brachte,  während  ich  sie  nur  durch  unge- 
nügenden Wasserzusatz  in  ihrer  Hülle  fixirte,  wobei  sie  annähernd  ihre 
Kugelgestalt  behalten.  In  dieser  starken  Abplattung  der  Eier 
Schultze's  kann  man  nun  wohl  ein  Moment  sehen,  welches  die  Ent- 
stehung von  Doppelbildungen  bei  C  o  m  b  i  n  a  t  i  o  n  mit  U  m  d  r  e  h  u  n  g 
begünstigte  (obschou  diese  Pressung  allein  keine  Doppel- 
bild u  n  g  e  n  b  e  w  i  r  k  t).  Durch  die  so  bewirkte  Abplattung  wurde  die 
beide  Eihälften  trennende  Schicht  vom  Nahrungsdotter,  (also  von  dem 
weniger  activeu  Theil)  grösser,  die  Selbstständigkeit  beider 
also  vergrössert,  d.  h.  die  eventuellen  vitalen  Wirkungen  beider 
aufeinander  schwächer.  Im  gleichem  Sinne  konnte  die  durch  die  Ab- 
plattung bewirkte  grössere  Entfernung  der  Massenmittelpuncte  beider 
Zellen  wirken.  Beides  war  auch  in  dem  Versuche  Ed.  Wilson's  der 
Fall,  in  welchem  er  Amphioxuseier  auf  dem  Zweizellenstadium  etwas, 
aber  nicht  ganz  aus  einander  zerrte  (s.  Nr.  31,  S.  282,  Anm.)  und  da- 
nach Zwillingsgastrulae  erhielt  (s.  auch  S.  794). 

Schultze  fand  dieser  meiner  Annahme  ganz  ent- 
sprechend sogar,  dass  der  Urmund  statt  nach  „unten", 
gegen  diese  verticale  Dotterplatte  hin  gebildet  wurde; 
dieselbe  verhielt  sich  also,  wie  die  durch  den  Nahrungs- 
dotter gebi<^dete  Unterseite  des  normal  situirten  Eies, 
und  die  „reelle  Eiaxe"  jeder  von  beiden  Eihälften  stand  somit  also 
ganz  oder  annähernd  wagrecht.  Die  beiden  Furchungszellen  ver- 
hielten sich  also  wie  zwei  ganze  Eier,  die  sich  einander  ihre  hellen 
Pole  zuwenden. 

Diese  so  bedingte  „Selbstständigkeit"  der  Blastomeren 
aber  kann   ich  nicht  als   die   alleinige  Ursache   der  Ganzbil- 


938  Nr.  30.    Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern. 

düngen  ansehen;  da  an  meinen  nach  der  ersten  Furche  operhten 
Eiern  die  nicht  getödtete  Eihälfte  gleichfalls  in  diesem  Sinne  „selbst- 
ständig" war,  und  da  dies  noch  mehr  bei  den  isolirten  Blastomeren 
des  Seeigels  (Fiedler  und  Driesgh)  der  Fall  war,  und  gleichwohl 
Halbentwickelung  stattfand.  Zur  Ganzentwickelung  jeder 
Elastomere  gehörte  somit  noch  die  vorstehend  schon  erwähnte 
innere  ümordnung  des  Dottermaterial  es.  Diese  führte, 
nach  den  Resultaten  zu  schliessen,  in  einer  Anzahl  Fälle  zu  der 
wesentlichen,  d.  h.  bestimmenden  Anordnung  der  verschiedenen 
Dottersubstanzen  wie  im  ganzen  Ei,  wenigstens  in  der  Umgebung 
des  Kernes  (s.  S.  929  Anm.),  aber  bei  hier  ganz  oder  annähernd  wagrecht 
liegender  reeller  Eiaxe  (unter  dieser  die  Avirksame  Verbindungslinie 
von  Bildungs-  und  Nahrungsdotter,  nicht  die  mittlere  Verbindungslinie 
der  hellen  und  dunklen  Ei  rinde  verstanden).  In  anderen  Fällen  geschah 
dies  nicht;  und  von  diesen  gingen  viele  Eier  zu  Grunde,  andere  bildeten 
unvollkommene  Doppelbildungen.  Letztere  sind  die  lehr- 
reichsten Producte  von  Sghultze's  Versuch,  denn  sie  weisen 
wohl  darauf  hin,  dass  die  Anordnung  des  D o ttermateriales 
nicht  blos  den  Mechanismus  von  typischen  Gebilden, 
den  Halb-  oder  Ganzbildungen  auslösen  kann,  sondern 
dass  von  ihr  aus  sogar  die  Bildung  in  den  verschiedenen 
Fällen  sehr  verschieden  abgegrenzter  Stäche  des  Körpers 
ausgelöst  resp.  bestimmt  werden  Jcann;  eine  Leistung, 
welche  für  die  iVnhäuger  der  Auffassung  O.  Hertwig's,  dass  alle 
Furch ungszellen  im  Wesen  isotrop  seien,  erheblich  schwerer  zu 
verstehen  ist  als  für  die  Anhänger  meiner  Auffassung,  dass  die  Fur- 
chungszellen  typisch  verschiedenes  Material  enthalten.  Nach  meiner 
Auffassung  wird  durch  diese  abnorme  neue  Anordnung  das  Res  er  ve- 
idioplasson  in  der  Dotteranordnung  entsprechender  Weise 
activirt;  die  Gegner  nehmen  gleichfalls  an,  dass  neues  Kern- 
raaterial  activirt  werde,  nur  ist  es  kein  Reservematerial,  sondern 
ein  Theil  des  allen  Furchungszellen  in  gleicher  Weise  zukommenden 
Gesammtmateriales. 

Vielleicht  auch  ist  das  letztere  Moment  der  Anordnung  der 
Dottersub stanzen  um  den  Kern,   zu    welchem  die  Abplattung 


Halb-  und  Doppelbildungen  bedingt  durch  Anordnung  des  Dotters.       939 

der  Zellen  im  Verein  mit  der  Umdrehung  besondere  Gelegenheit 
giebt,  die  hauptsächlichste  oder  gar  für  sich  allein  ausreichende 
Ursache  der  Entstehung  der  Doppelbildungen;  und  die  Entfer- 
nung der  Massenmittelpuncte  beider  Zellen,  sowie  die  Berührung 
der  beiden  ersten  Blastomeren  blos  mit  Nahrungsdotter  sind  an 
dem  Effect  nicht  betheiligt.  (Weiteres  siehe :  W.  Roux,  Ueber  die  ver- 
schiedene Entwickelung  isolirter  erster  Blastomeren,  Arch.  f.  Entw.- 
Mech.,  Bd.  I,  S.  597  u.  f.). 


Nr.    31. 

Die  Methoden  zur  Hervorbringung'  halber  Froseh- 
embryonen  und  zum  Nachweis  der  Beziehung  der 
ersten  Furehungsebenen  des  Froseheies  zur  Median- 
ebene des  Embryo. 

1894. 

Anatomischer  Anzeiger,  Bd.  IX,  Februar  1894. 


Inh  alt. 

Seite 

1.  Methode  der  Gewinnung  von  Hemierah  ry  on  en  durch  rechtzeitige  A u s- 
lese  aus  den  nach  der  ersten  B^irche  beliebig  angestochenen  Eiern    .  943 

Versuchsfehler  0.  Hertvvig's 948,  964 

la.  Selbstentstehung  von  Heraiembryonen  am  Ende  der  Laichperiode  953 

2.  Methode    zur  Hervorbringung    „bestimmter"  (rechter,    linker    oder 
vorderer)  Hemiembryonen 954 

Priorität  bezüglich  der  Defectversuche  am  Ei 957 

3.  Wirkung  der  Deformation  sich  furchender  Eier  auf  die  Stellung 
der  Medianebene  des  Embryo  zu  den  ersten  Furchen     .....  960 

Pressung  zwischen  senkrechten  Platten 960 

Pressung  zwischen  wagrechten  Platten 962 

Fehlerquellen 962 

„Primäre"  Lagerung  der  Medianebene 962 

In  Glasröhren  aspirirte  Eier 966 

4.  Methode   zur  Ermittelung    der  normalen   Beziehung   zwischen  der 
Richtung  der  ersten  Furche  und  der  Medianebene 967 

Berichtigung  der  Behauptung,  dass  bei  Störungen  die  Entwickelung 

„normal"  verlaufe 971 


Aufbewahrung  der  brünstigen  Thiere.  941 


Soite 
5,  Einfluss  der  , Gestalt"  der  Zelle  auf  die  Theilungsrichtung  .     .     972 

Zusammenfassung: 978 

Normale  s.  typische  Entwickelung 980 

Atypische,  s.  regulatorische  Entwickelung 981 

[Anhang:  Neueste  bezügliche  Literatur] 984 


[248]  In  einer  soeben  erschienenen  ausgedehnten  Abhandlung  über 
den  Werth  der  ersten  Furchungszellen  für  die  Organbildung  des  Embryo 
theilt  O.  Hertwig^)  mit,  dass  es  ihm  nicht  gelungen  ist,  aus  halben 
Frosch  eiern  halbe  Embryonen  hervorgehen  zusehen;  son- 
dern er  fand  stets  ,, ziemlich  normal  beschaffene,  nur  mit 
Defecten  an  untergeordneten  K  ö  r  p  e  r  g  e  g  e  n  d  e  n  ver- 
sehene Embryonen".  Dementsprechend  hat  er  auch  keine 
Postgeneration  einer  fehlenden  Hälfte  beobachten  können  und 
verneint  in  Folge  dessen  das  Vorkommen  von  Hemiembryonen  und 
deren  Postgeneration  mit  Bestimmtheit. 

Sofern  ein  Medullarwulst  und  die  ganze  rechte  oder  linke  Reihe 
der  Urwirbel  ,, untergeordnete  Körpergegenden"  wären,  könnte  man 
0.  Hertwig  zum  Theil  Recht  geben;  doch  entspräche  das  nicht  der 
gewöhnlichen  Auffassung.  Die  Besucher  des  Anatomencongresses  inWien, 
darunter  hervorragende  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Entwickelungs- 
geschichte,  haben  meine  Querschnittspräparate  von  reinen  Hemi- 
embryonen gesehen  (s.  S.  804)  und  sich,  wie  ich,  da  kein  Widerspruch 
erfolgte ,  wohl  vermuthen  darf,  meiner  Darlegung  gemäss  von  dem 
Fehlen  dieser  Organe  und  der  Keimblätter  auf  einer  ganzen  Hälfte 
überzeugt;  mejirere  Herren  haben  mir  nach  Besichtigung  der  Präparate 
ihre  V^erwunderung  über  die  präcise  Halbheit  der  entwickelten  Hälfte 
ausgesprochen;  und  dasselbe  war  nach  der  Demonstration  nicht  micro- 
tomirter  halber  Embryonen  in  der  pathologischen  und  in  der  ver- 
einigten anatomischen  und  zoologischen  Section  der  Naturforscher- 
versammlung zu  Wiesbaden  im  Jahre  1887  geschehen  (s.  S.  428  Anm.). 


1)  Arch.  f.  micr.  Anat.  1894,  Bd.  42,  S.  662-806. 


942      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Inzwischen  hat  auch  D.  Barfurth  beim  Axolotl  aus  einem  halben 
Ei  einen  halben  Embryo  hervorgehen  sehen  ^)^). 

Obgleich  ich  früher  schon  das  Wesentliche  meiner  Versuchs- 
methode in  den  bezüglichen  Arbeiten  kundgegeben  habe  (s.  S.  154, 
429  und  773),  halte  ich  es  [249]  doch,  nach  diesem  vergeblichen  Ver- 
suche Hertwig's,  meine  Versuche  mit  Erfolg  nachzumachen,  zur  Er- 
leichterung der  Nachuntersuchung  durch  andere  Autoren  für  ange- 
messen, diese  Methode  noch  ein  Mal  und  zwar  derart 
detaillirt  zu  publiciren,  dass  der  Nachuntersucher  mit  ziem- 
licher Gewdssheit  auf  Erfolg  rechnen  kann,  auch  wenn  ihm  bisher 
noch  keine  eigene  Erfahrung  auf  diesem  Gebiete  zu  Gebote  steht. 
[Ich  habe  nach  der  Publication  in  Nr.  22  diese  Versuche  oft  wieder- 
holt und  dabei  die  Methode  etwas  verbessert.] 

Es  empfiehlt  sich,  die  Versuche  gleich  mit  dem  Anfang  der 
Laichperiode  zu  beginnen;  denn  es  ist  gut,  wenn  man  dieselben 
mehrmals  wiederholen  kann,  ßana  fusca  laicht  in  Deutschland  bei 
warmem  Frühjahr  manchmal  schon  Ende  Februar,  gewöhnlich  Mitte 
oder  Ende  März;  Rana  esculenta  4 — -6  Wochen  später;  Bombinator 
igneus  im  Juni  oder  .Juli.  Die  Eier  von  Rana  fusca  reifen  unter  der 
Umarmung  des  Männchens  auch  in  der  Gefangenschaft,  die  von  Rana 
esculenta  dagegen  nicht;  sie  müssen  also  bei  letzterem  Tliiere  schon 
zur  Zeit  der  Gefangennahme  im  Uterus  sein,  wovon  man  sich  beim 
Fange  sogleich  durch  Tödten  und  Aufschneiden  einiger  Weibchen  zu 
überzeugen  hat.  Die  gefangenen  Paare  werden  getrennt,  und  Männ- 
chen und  Weibchen  in  verschiedene  Korbe  mit  feuchtem  ]\Ioos  ver- 
packt, und  an  einem  dunklen  kühlen  Ort  aufbewahrt,  um  die  Laich- 
ung zu  verzögern,  so  dass  man  länger  Versuchsmaterial  hat  (Pflüger, 
Born).  Damit  diese  Männchen  aber  wieder  Samen  bilden,  werden  sie 
am  Tage  vor  ihrer  Verwendung  in  einem  Glase  mit  etwa  2  cm  hohem 


1)  Anat.  Anzeiger  1893,  S.  497,  u.  Merkel  u.  Bonnet,  Anat.  Hefte  IX,  S.  379. 

'-)  Auf  dem  Anatomencongress  zu  ötrassburg  1894  theilte  Herr  Prof.  H.  E.  Ziegler 
mit,  dass  er  nach  den  nachstehend  von  mir  gegebeneu  Vorschriften  Versuche  habe 
anstellen  lassen,  wobei  24  seitliche  und  1  vordere  Halbbildung  erhalten  wurden;  die 
Postgeneration  verlief  gleichfalls,  wie  von  mir  angegeben,  vorzugsweise  in  cephalo- 
caudaler  Richtung.  Siehe  H.  Endres,  Anstichversuche  an  Eiern  von  Rana  fusca. 
Arch.  f.  Entwickelungsmech.  Bd.  II,  1895,  S.  88—51.] 


1.  Methode  des  beliebigen  Anstechens  und  nachfolgender  Auslese.  943 


Wasserstand  zu  Weibchen  gesetzt,  am  besten  3  Männchen  zu  2  Weib- 
chen, um  C'oncurrenz  anzuregen. 

Ich  empfehle,  über  die  Entstehung  halber  Embryonen  zweierlei 
Experimente  zu  machen. 

1.  Gewinnung  von  Halbbildungen  durch  rechtzeitige 

„Auslese"  aus  den  nach  der  ersten  Furche  in  beliebiger 

Weise  angestochenen  Froscheiern. 

Ein  leichteres  Experiment  dient  blos,  um  überhaupt  aus 
halben  P~' r o s c h e i e r n  halbe  Embryonen  zu  ziehen,  ohne 
jede  besondere  Technik  im  Operiren  und  ohne  vorher  zu  bestimmen, 
w^as  für  ein  Hemiembryo  entstehen  wird. 

Der  Versuch  beginnt  am  Morgen ,  da  man  dann  den  Tag  zu 
allerhand  Besorgungen  vor  sich  hat. 

Man  zerschneidet  nach  der  Decapitation  und  Zerstörung  des 
Rückenmarkes  des  brünstigen  Frosches  die  Hoden  desselben  in  einer 
flachen  Schale  mit  Wasser  und  giesst  die  gewonnene  Flüssigkeit  in 
eine  frische  Schale  ab,  um  den  Bodensatz  zu  entfernen;  oder,  w^enn 
die  Samenbläschen  prall  mit  der  trüben,  milchigen  Samenflüssigkeit 
gefüllt  sind,  entleert  man  blos  diese  in  das  Wasser. 

In  drei  flache  Schalen  von  6 — 10  cm  Durchmesser,  etwa  1,5  cm 
Randhöhe  und  ebenem  Boden  wdrd  Wasser  etwa  2  mm  hoch  gethan, 
darauf  etwas  Samenflüssigkeit  zugesetzt  und  umgerührt.  Dem  deca- 
pitirten  Weibchen  werden  die  vorderen  und  seitlichen  Bauchwau- 
dungen  und  der  Darm  ausgeschnitten,  das  Thier  danach  auf  doppel- 
tes Fliesspapier  gelegt  und  der  Uterus  vorsichtig  ohne  Quetschung 
von  Eiern  [250]  mit  der  Scheere  weit  eröffnet.  Mit  einem  trockenen 
Spatel  enthebt  man  ihm  einen  Klumpen  Samen,  bringt  ihn  in  eine 
der  drei  Schalen  unter  mittelraschen  seitlichen  Bewegungen ,  wobei 
durch  die  Oberflächenspannung  der  niedrigen  Flüssigkeitsschicht  die 
Eier  zu  einer  einfachen  Lage  ausgebreitet  werden.  Der  Spatel 
muss  nach  jedem  einzelnen  Gebrauch  an  Fliesspapier  abgestrichen 
und  mit  dem  trockenen  Handtuch  abgewischt  werden.  Nachdem  die 
drei  Schalen  auf  diese  Weise  bestellt  sind,  wird  auf  einer  Etiquette 


944      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

an  jeder  derselben  die  Zeit  der  Befruchtung,  richtiger  der  Besamung 
vermerkt.  Der  Sauberkeit  wegen  und  um  leiclit  auftretender  späterer 
Verschimmekmg  etwas  vorzubeugen,  wird  nach  6 — 10  Minuten  der 
Samen  abgegossen;  darauf  werden  die  Eier  mehrmals  mit  aufgegossenem 
Wasser  abgespült  und  schliesslich  wird  Wasser  bis  doppelt  so  hoch, 
als  die  Eier  zur  Zeit  sind,  darauf  gethan,  mit  welchem  die  Schalen 
stehen  bleiben;  adhärirende  Luft  wird  abgepinselt;  danach  werden 
die  in  Folge  von  Quellung  der  Gallerthüllen  bei  festem  Haften  am 
Boden  des  Gefässes  sich  pressenden  Eier  mit  einem  biegsamen  Micro- 
scopirspatel  vom  Boden  abgelöst,  damit  sie  sich  ausbreiten  können; 
danach  muss  die  Schale  ruhig  stehen,  damit  die  Eier  wieder  am 
Boden  ankleben.  Ich  sehe  danach  an  der  Dicke  der  Gallerthülle, 
wann  es  Zeit  ist,  das  Wasser  wieder  abzugiessen;  da  dies  Verhalten 
mit  Worten  nicht  genügend  zu  schildern  ist,  empfehle  ich,  das 
Wasser  in  der  einen  Schale  20  Minuten,  in  der  anderen  25  Minuten, 
in  der  dritten  30  Minuten  nach  der  Besamung  abzugiessen ,  etwas 
abtropfen  und  darauf  die  Schalen  offen  stehen  zu  lassen,  damit  die 
Gallerthülle  äusserlich  wieder  dichter  wird.  Eine  Schale  bleibt  im 
Zimmer,  eine  kommt  in  das  kühlere  Vorzimmer,  die  dritte  in  einen 
noch  kühleren  Raum;  dies  damit  sie  nicht  alle  gleichzeitig  die  erste 
Eurchung  durchmachen.  Haben  sich  auch  in  der  dritten,  am  läng- 
sten mit  Wasser  versehenen  Schale  eine  Stunde  nach  der  Besamung 
viele  Eier  noch  nicht  mit  dem  weissen  Pol  abwärts  gedreht,  so  waren 
entweder  die  Eier  oder  der  Samen  schlecht,  und  man  thut  gut,  der 
Sicherheit  halber  gleich  auf's  Neue  zu  befruchten ;  doch  furchen  sich 
manchmal  trotzdem  noch  viele  der  Eier  und  sind  für  unseren  Zweck 
verwendbar.  Die  Eier  bleiben  bei  dem  angegebenen  Verfahren  ein 
wenig  in  Zwangslage  (s.  S.  325). 

Nach  2'/2 — 3  Stunden  beginnt  an  der  im  Zimmer  stehenden 
Schale  die  Furchung ;  20  Minuten  danach  kann  man  operiren ;  da 
die  zweite  Furchung  etwa  30  Minuten  nach  der  ersten  beginnt,  hat 
man  10  Minuten  zur  Verfügung.  Jedoch  ist  auch  zu  dieser  Zeit  die 
Trennung  beider  Zellen  noch  so  unvollkommen,  dass  aus  der  nicht 
angestochenen  Zelle  leicht  Substanz  in  die  operirte  Zelle  überfliesst. 
Ich  habe  es  als  gut  [251]  befunden,  nach    dem  Beginn  der  zweiten 


Einfachste  Methode.  945 


Furchiiiig  die  Operation  fortzusetzen  mit  der  Modification,  dass  man 
die  Nadel  in  Richtung  auf  die  beiden  Kerne  der  eben  in  Trennung- 
begriffenen  Zellen  führt,  um  beide  durch  Wärme  zu  zerstören. 

Als  Instrument  dient  eine  etwas  dicke,  microscopische  Präparir- 
nadel,  an  welche  derartig  eine  etwa  7  mm  dicke  Messingkugel  als 
Wärmeträger  gesteckt  ist,  dass  das  Spitzenende  der  Nadel  unterhalb 
der  Kugel  etwa  12  mm  lang  bleibt. 

Die  Operation  geschieht  unter  stehender  Loupe,  so  dass  beide 
Hände  disponibel  bleiben.  Rechts  vom  Loupentisch  steht  eine  mittel- 
grosse Gas-  oder  Spiritusflamme  in  bequemer  Entfernung  für  die 
rechte  Hand;  rechts  daneben  liegt  ein  kleiner,  sauberer,  grobkörniger 
Schleifstein,  ohne  Hinsehen  bequem  mit  der  Nadel  erreichbar. 

Zur  Operation  hält  man  zunächst  behufs  Desinfection  zuerst  ein 
wenig  die  Spitze,  darauf  länger  die  Kugel  der  Anstichnadel  in  die 
Flamme,  fasst  danach  mittels  der  linken  Hand  mit  einer  groben 
anatomischen  Pincette  ein  unter  der  Loupe  eingestelltes  Ei  derb  an 
seiner  Gallerthülle,  um  es  zu  fixiren,  und  sticht  mit  der  Nadel 
parallel  der  ersten  Furche  in  einigem  Abstand  von  dieser  Ebene  in 
eine  der  beiden  Furchungszellen  in  Richtung  auf  den  oberhalb  der 
Mitte  liegenden  Furchungskern  und  verweilt  einige  Secunden  mit  der 
Nadelspitze  im  Ei.  Man  sorge,  die  andere  Zelle  nicht  mit  anzustechen 
und  nicht  anzusengen,  was  O.  Hertwig  gewöhnlich  gethan  zu  haben 
scheint ;  dies  schliesst  zwar  ihre  Entwickelung ,  wenn  der  Kern 
unverletzt  blieb,  nicht  aus ,  macht  jedoch  die  Bildung  eines  normal 
gestalteten  Hemiembryo  unmöglich.  Die  Nadel  wird  langsam,  beim 
Haften  an  der  Hülle  unter  Drehung  um  ihre  Längsaxe ,  zurück- 
gezogen. 

Die  Nadel^  war  so  heiss  gemacht,  dass  beim  Anstechen  des  ersten 
Eies  die  Gallerthülle  einige  Bläschen  bildete.  Nach  dem  Herausziehen 
der  Nadel  aus  dem  ersten  Ei  sticht  man  sogleich,  ohne  auf's  Neue 
zu  erwärmen ,  in  2 — 3  weitere  Eier.  Auf  diese  Weise  werden  ver- 
schiedene Wärmegrade  angewendet,  von  denen  gewöhnlich  einer  zu- 
sammen mit  der  2 — 6"  betragenden  Dauer  des  Verweilens  der  Nadel 
im  Ei  die  richtige  Wirkung  der  Tödtung  blos  einer  der  beiden  Zellen 
hervorbringt.    Nach  jeder  neuen  Erhitzung  der  Nadel  schleift  man  ihre 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  OÜ 


946      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


Spitze  durch  3—4  Striche  unter  Drehung  auf  dem  Stein  fast  ohne  hin- 
zusehen. Klebt  beim  Herausziehen  aus  dem  Ei  Substanz  der  Gallert- 
hülle an  der  Nadelspitze ,  so  hält  man  blos  die  Spitze  in  die  Flamme, 
um  die  Gallertsubstanz  zu  verbrennen ,  und  glättet  danach  wieder  auf 
dem  Stein. 

Unsere  wie  oben  vorbereiteten  Eier  befinden  sich  etwas  in 
Zwangs-  [252]  läge;  man  kann  daher  durch  Fassen  der  Gallert- 
hülle das  ganze  Ei  fixiren,  so  dass  es  sich  nicht  oder  nur  wenig  beim  An- 
stechen dreht. 

Innerhalb  In  Minuten  kann  man  bei  einiger  Uebung  30 — 40  Eier 
operiren,  da  auf  besondere  Sorgfalt  nicht  viel  ankommt,  denn  man 
hat  Material  im  Ueberfluss,  und  was  zu  stark  geschädigt  wird,  geht 
meist  ganz  zu  Grunde,  kann  also  keine  Fehler  machen;  was  zu  wenig 
geschädigt  ist,  so  dass  die  operirte  Hälfte  sich  theilweise  entwickelt, 
wird  später  ausgesondert.  Bios  die  Eier,  bei  denen  die  andere  Zelle 
mit  angesengt  ist,  können  zu  Irrthümern  führen.  Einige  brauchbare, 
blos  halb  sich  entwickelnde  Eier  finden  sich  gewöhnlich,  bei  mir  zuletzt 
bis  20  Procent. 

So  werden  die  drei  Schalen  der  Reihe  nach  operirt.  Eine  davon 
ist  nach  dem  Quellungsgrade  der  Gallerthülle  die  günstigste  für  die 
Fixation  des  Eies  beim  Operiren ,  ohne  zugleich  durch  zu  starke 
Pressung  des  Eies  ein  zu  grosses  Extraovat  zu  veranlassen,  was  leicht 
tödtlich  wird,  da  dabei  auch  aus  der  nicht  operirten  Zelle  Substanz 
nachfliesst. 

Nach  der  Operation  bleiben  die  Schalen  eine  halbe  Stunde 
offen  stehen,  werden  dann  aber  mit  einer  Glasplatte  ganz  zugedeckt, 
um  die  Entwickelung  zu  beschleunigen  und  dem  Staubeinfall  und 
dadurch  bedingter  Verschimmelung  vorzubeugen;  2  Stunden  nach 
der  Operation  kann  Wasser  aufgegossen  werden  bis  zum  Ueber- 
stehen  über  die  Eier,  diese  bleiben  von  nun  an  bedeckt  und  im  war- 
men Zimmer. 

Abends  werden  unter  der  Loupe  diejenigen  Eier  sammt  ihrer 
Gallerthülle  mit  der  Scheere  ausgeschnitten  und  in  eine  besondere 
Schale  mit  über  die  Eier  überstehendem  Wasser  gethan,  an  denen 
sich  bis  jetzt  blos  die  eine  Hälfte  gefurcht  hat. 


Einfachste  Methode.  947 


Am  anderen  Morgen  geschieht  aus  diesen  Eiern  eine  zweite 
gleiche  Auslese.  Die  auch  jetzt  noch  blos  in  einer  Hälfte 
gefurchten  Eier,  Semiblastulae,  werden  in  ihrer  operirten 
Hälfte  weiterhin  gewöhnlich  nur  langsam  reorganisirt.  Sie  allein 
können  das  Material  für  die  Beobachtung  der  Entwicke- 
ln ng  einer  „einzigen  Eihälfte"   zu  Hemiembryonen  abgeben. 

Wenn  man  sicher  gehen  will,  kann  man  am  Abend  des  zweiten 
Tages  nochmals  auslesen;  die  auch  dann  erst  zur  Hälfte  in  Zellen 
zerlegten  Eier,  Semigastrulae,  geben,  bei  genügender  Wärme  im 
Zimmer  während  der  ganzen  Versuchszeit  (22  ^  C),  schon  in  der  folgen- 
den Nacht  typische  Hemiembryonen;  war  das  Zimmer  kühl  gehalten, 
so  kann  es  einen  bis  zwei  Tage  länger  dauern. 

Da  unsere  Eier  anfangs  etwas  in  Zwangslage  sich  befanden,  so 
wird  bei  vielen  zufolge  des  von  mir  dargelegten  Mechanismus  (siehe 
S.  396  u.  f.)  [253]  die  normale  zweite  Furche  zuerst  gebildet;  und  man 
erhält  daher  nach  Zerstörung  einer  der  beiden  ersten  Furchungs- 
zellen  ausser  Hemiembryones  laterales  mit  einem  einzigen 
Medullarwulste  von  normaler  Länge  auch  Hemiembryones  an- 
teriores mit  zwei  im  Bogen  vereinigten  Medullarwülsten  von  blos 
halber  Länge. 

Da  oft  die  Postgeneration  der  halben  Embryonen  sehr  rasch 
verläuft  (s.  S.  486  u.  501)  und  daher  bei  genügender  Wärme  und  bei 
dem  Fehlen  eines  geronnenen  Brockens  am  Kopfende  neben  seitlichen 
Halbembryonen,  oder  in  der  Mitte  der  Dorsalseite  des  Eies  hinter 
vorderen  Halbbildungen,  in  5 — 6  Stunden  die  fehlende  Hälfte 
ganz  na  eher  zeugt  wird,  so  muss  man  natürlich  in  der 
kritischen  Zeit  eigentlich  continuirlich,  aber  wenig- 
stens alle  SJ;unden  einmal  Tag  oder  Nacht  beobachten; 
sonst  ist  zu  gewärtigen,  dass  man  das  Stadium  der  reinen 
Halbbildung  verpasst  (s.  S.  949  Anm.). 

Hat  man  Hemiembryonen  gefunden,  so  zeichnet  man  sie  rasch 
ab,  um  nach  3  und  6  Stunden  eine  weitere  Skizze  von  ihnen  zu  machen 
und  so  den  Verlauf  der  Postgeneration  zu  verfolgen ;  der  zweite  Medul- 
larwulst  eines  Hemiembryo  lateralis  wird  in  cephalocaudaler  Richtung- 
gebildet. 

60* 


948      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Hertwig's  Figuren  7  und  12  auf  Tafel  44  stellen  Embryonen 
mit  schon  weit  fortgeschrittener  Postgeneration  des 
zweiten  Medullarwulstes  dar;  je  nach  der  Temperatur  des  Zimmers 
waren  dieselben  wahrscheinlich  vor  5  —  10  Stunden  reine  Hemiem- 
bryones  laterales,  sofern  sie  nicht  gar  der  demnächst  zu  besprechenden 
anderen  Gruppe,  nämlich  den  von  vorn  herein  aus  mehr  als  einem 
„h alben"  Ei  hervorgegangenen  Embryonen  angehören. 
Doch  war  offenbar  nicht  gut  operirt  und  die  zweite  Zelle  etwas  mit 
angesengt. 

Beim  Embryo  der  Figur  12  ist,  wie  die  dazu  gehörigen  Quer- 
schnittbilder Tafel  43,  Fig.  2,  8  und  9  zeigen,  bereits  ein  sehr 
grosser  Theil  der  zweiten  Eihälfte  mit  zur  Bildung  des 
Embryo  verwendet;  er  ist  somit  kein  aus  blos  einem  halben 
Ei  hervorgangen  es  Gebilde,  keine  Halbeibildung  mehr,  sofern 
er  überhaupt  früher  eine  solche  war.  Taf.  44,  Fig.  4  zeigt  einen 
,,Hemiembryo  anterior",  der  dorsal  erst  wenig,  ventral  schon 
mehr  postgeuerirt  ist ;  bei  Fig.  2  derselben  Tafel  ist  das  Umgekehrte 
der  Fall. 

Das  Durchschnittsbild  eines  noch  ziemlich  reinen  Hemiem- 
bryo  lateralis  zeigt  Tafel  43,  Fig.  1,  aber  ventral  bereits  etwas 
postgeuerirt;  da  keine  Totalansicht  gegeben  ist,  kann  der  Beschauer 
nicht  selber  beurtheilen,  ob  der  Embryo  in  der  ganzen  Länge  so 
beschaffen  oder  etwa  cephal  bereits  zu  zwei  Medullarwülsten  post- 
geuerirt ist;  doch  [254]  sagt  0.  Hertwig  S.  762  über  ihn:  „links 
sehen  wir  eine  halbe  Medullarplatte,  Chorda  und  mittleres  Keimblatt 
entwickelt ;  die  zerstörte  Dottermasse  nimmt  in  grosser  Ausdehnung 
auch  die  Gegend  ein,  in  der  sich  bei  den  anderen  Embryonen  der 
Embryoualwulst  (wohl  Druckfehler  statt Medullarwulst,Rx.)  der  anderen 
Seite  angelegt  hat." 

Demnach  hat  0.  Hertwig  also  einen  richtigen  ,,Hemiembryo  late- 
ralis" mit  blos  dem  linken  Medullarwulst,  blos  linkem  Mittelblatt,  linker 
Darmhöhle  erhalten,  der  nur  erst  ein  wenig  im  ventralen  Bereiche  des 
Ectoblast  postgeuerirt  ist,  und  mit  geringerer  innerer  Cellulation  der 
anderen  Eihälfte.  Es  ist  sehr  zu  bedauern ,  dass  Hertwig  gerade  von 
diesem  einzigen  Embryo,  den  er  noch  im  Stadium  der  fast  reinen  Hemi- 


Versuchsfehler  0.  Hertwig's.  949 

plasia  augetroffen  hat,  keine  FlJiclienabbildung  gegeben  hat;  dieser 
Hernie mbryo  würde  mit  seinem  einen  Medullarwulst  eine  sehr  in 
die  Augen  fallende  Widerlegung  von  HertwuVs  Folgerungen 
abgegeben  haben.  Hertwig  ordnet  ihn  zu  meinen  Asyntaxiae  medulläres ; 
da  aber  erst  sehr  wenig  mehr  als  die  Hälfte  eines  Embryo  und  zwar  blos 
ventral  vorhanden  ist,  aber  gar  nichts  von  einem  zweiten  Medullar- 
wulst sich  vorfindet,  welcher  also  auch  nicht  vom  anderen  „absteht", 
so  ist  dies  sachlich  durch  nichts  gerechtfertigt,  und  also  wohl  blos  ein 
Versuch,  diesen  Hemiembryo  lateralis  ,,als  solchen"  zu  beseitigen^). 

"Was  wird  nun  aus  den  operirten  Eiern ,  die  schon  am  Abend  des 
ersten  oder  am  Morgen  des  zweiten  Tages  in  der  operirten  Hälfte  ganz 
oder  theil weise  n  a  c  h  g  e  f  u  r  c  h  t  s  i  n  d  ? 

Diese  Eier  repräsentiren  natürlich  schon  auf  entsprechend  früherem 
Stadium  Jceine  „Halhhüdungen^^  mehr.  Je  früher  diese  nachträg- 
liche Cellulation  vor  sich  ging,  um  so  weniger  bleibt  auch  die  weitere 
Entwickelung  der  anderen  Eihälfte  hinter  der  normalen  Hälfte  zurück; 
und  es  können  die  beiden  Medullarwülste  solcher  Eier  ganz 
oder  fast  ganz  gleichzeitig  auftreten,  wie  ich  das  in  meiner  Arbeit 
Nr.  22  mitgetheilt  habe.  Vielleicht  hat  O.  Hertwig  solches  Vorkommniss 
beobachtet  und  gründet  darauf  seinen  irrthümlichen  Ausspruch,  dass  es 
keine  Postgeneration  gäbe.  Jedenfalls  hat  er  dabei  wieder  den  Fehler 
gemacht,  dass  er  ein  Gehilde,  tvelches  ans  „mehr^''  als  dem  Halhei 
entstand,  als  eine  „Halheibildung''''  henrtheiUe. 

O.  Hertwig's  irrthümliches  Urtheil  über  die  Entwickelung  der 
„halben  Froscheier"  beruht  somit  auf  zweierlei  Fehlerquellen: 

Erstens  hat  er  nicht  oft  genug  beobachtet  und  daher  das  Stadium 


1)  H.  Driesch  hat  jüngst  (Analyt.  Theorie  der  Entwickelung,  S.  16)  versucht,  die 
Ganzbildung eli  0.  Hertwig's  als  dir e et  entstanden  zu  erklären,  indem  er  ohne 
Beweis  als  sicher  annimmt,  die  Eier  hätten  sich  bald  nach  der  Operation  gedreht, 
dadurch  wäre  eine  neue  Anordnung  des  Dotters  entstanden  wie  bei  einem  ganzen 
Ei  und  deshalb  seien  sogleich  Ganzbildungen  entstanden  ähnlich,  wie  ich  es  (S.  933) 
bezüglich  der  von  0.  Schultze  durch  ümkehrung  der  Eier  erzeugten  Doppelbildungen 
annehme.  Dazu  ist  zu  bemerken,  dass  die  operirten  Eier  sich  erst  nach  beendeter 
Furchung,  während  der  Gastrulation  in  entsprechender  Weise  drehen  (s.  S.  780). 
Daher  sind  auch  die  von  Driesch  aus  seiner  Annahme  gezogenen  Folgerungen  hin- 
fällig. Genaueres  siehe  in  W.  Roux,  üeber  die  verschiedene  Entwickelung  isolirter 
Blastomeren.  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik,  Bd.  I.  S.  597  u.  f. 


950      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

der  reinen  Halbeibildiing ,  des  reinen  Hemiembryo  gänzlich  versäumt. 
Dafür  spricht  ausser  seinen  abge-  [255]  bildeten  Embryonen  und  meinen 
positiven  Befunden,  dass  er  blos  angiebt,  er  habe  operirte  Eier  am 
ersten,  zweiten,  dritten  und  vierten  Tage  aufgehoben ;  hätte  er  Tag  und 
Nacht  beobachtet,  würde  er  diesen  in  unserem  Falle  wichtigsten,  ja  ent- 
scheidenden Umstand  gewiss  mitgetheilt  und  dann  auclr  von  demselben 
Embryo  mehrere  Entwickelungsstadien  abgezeichnet  oder  wenigstens 
mit  Worten  geschildert  haben  ^). 

Zweitens  hatHEiiTwiG,  sofern  er  an  einigen  der  operirten  Eier 
wirklich  das  gleichzeitige  Auftreten  beider  Medullarwülste  (von  Hemi- 
embryones  anteriores,  bei  denen  es  selbstverständlich  ist,  abgesehen), 
beobachtet  hat ,  nicht  beaclitet,  dass  nicht  blos  das  „halbe  Ei" 
an  ihrer  Bildung  betheiligt  war. 

Drittens  ist  meiirfach  an  seinen  Eiern  diejenige  Hälfte,  welche 
unversehrt  bleiben  sollte,  mit  der  heissen  Nadel  beschädigt  w^orden, 
was  Störungen  in  der  regelmässigen  Entwdckelung  dieser  Eihälfte 
bedingt  hat. 

Nur  vom  halben  Ei  des  Frosches  habe  ich  behauptet,  dass 
aus  ihm  nach  Abtödtung  der  anderen  Eihälfie  zunächst  Hemi- 
embryones  hervorgehen,  und  dass  danach  erst  die  fehlende  Hälfte 
des  Embryo  gebildet,  postgenerirt  wird^). 

Von  allen  Embryonen,  die  Hertwig  abgebildet  hat,  ist  keiner 
mehr  auf  dem  Stadium  der    reinen  Haibeibildung  (Embryo  Taf.  43, 


[1)  Da  es  wesentlich  zur  Aufklärung  der  Sachlage  dient  und  da  viele  Autoren 
trotz  der  hier  erfolgten  Darlegung  der  Fehlerquellen  durch  die  bestimmten  Behaup- 
tungen 0.  Hertwig's  sich  haben  irre  führen  lassen,  so  halte  ich  es  im  Interesse  der 
Wissenschaft  zur  Verbreitung  der  Wahrheit  für  das  geringere  Uebel,  die  Indiscretion 
zu  begehen  und  statt  seiner  mitzutheilen ,  dass  0.  Hertwig,  nach  mir  von  com- 
petenter  Seite  gewordener  Information,  gewohnter  Weise,  auch  zur  Zeit  di  eser  Ver- 
suche allein  von  8 — 3  Uhr  täglich  im  Institute  anwesend  war,  dass  seine  täglichen  Be- 
obachtungen also  durch  je  eine  17  Stunden  lange  Pause  unterbrochen  waren  (siehe 
übrigens  auch  S.  964).  Damit  erklärt  sich  denn,  dass  er  blos  in  einem  Falle  zu- 
fällig das  Stadium  der  fast  reinen  seitlichen  Halbbildung  erblickt  hat,  da,  wie  ich 
S.  486  mitgetheilt  hatte,  in  wenigen  Stunden  aus  einem  typischen . Hemiembryo  ein 
ganzer  Embryo  werden  kann.  Bei  bestimmter  Temperatur  und  Befruchtungszeit  kann 
es  vorkommen,  dass  das  Stadium  des  reinen  Hemiembryo  immer  auf  die  Nachtzeit 
fällt;  wie  man  es  bei  einiger  Erfahrung  andererseits  auch  in  der  Hand  hat,  dieses 
Stadium  durch  Regulation  der  Temperatur  auf  die  Zeit  des  Tages  zu  verlegen.] 


Versuchsfehler  0.  Hertwig's.  951 

Fig.  1,  wie  erwähnt,  fast  ausgenommen,  da  dieser  noch  einen  zicmhch 
guten  Hemiembryo  sinister  darstellt);  bei  allen  ist  in  dem  Maasse, 
als  mehr  als  ein  „halber^^  Emhryo  vorhanden  ist,  Material  und 
Raum  der  „ziveiten'"''  Eihälfte  in  Verivendung  gekommen;  dies 
s])richt  sich  auch  darin  aus,  dass  das  Plus  an  Oberflächenepithel  auf 
der  ÜHSseren  Oherfläche  der  zweiten  Eihälfte  sich  findet,  statt 
auf  der  Grenzfläche  zwischen  beiden  ersten  Furchungszellen,  wie  es  bei 
meinen  reinen  Halbei-Ganzbildungen  der  Fall  ist,  die  ich  in  Wien 
demonstrirt  habe  (s.  S.  796  u.  f.)^)^). 


1)  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  weder  0.  Hertwig  noch  seine  Anhänger  (z.  B. 
H.  Driesch)  diesen  direct  augenfälligen  Beweis,  dass  Hertwig's  Ganz- 
embryonen  überhaupt  nicht  einem  ^halben"  Ei  angehören,  selber 
bemerkt  oder  auch  nur  den  vorstehend  gegebenen  Hinweis  darauf  (S.  948 — 950)  in 
seiner  Bedeutung  zu  würdigen  vermocht  haben.  Von  der  etwas  defecten  zweiten 
Hälfte  des  Embryo,  welche,  soweit  sie  überhaupt  vorhanden  ist,  stets  „an 
Stelle  des  Materiales"  der  „zweiten"  Eihälfte  sich  findet,  behaupten 
somit  diese  Autoren,  sie  sei  direct  (nicht  erst  durch  Postgeneration)  entstanden 
und  zwar  aus  dem  Materiale  der  nicht  operirten  Eihälfte.  Das 
entsprechende  Material  der  operirten  Eihälfte  müsste  dann  in  der  entsprechenden 
Menge  ausgetreten  sein,  und  die  unversehrte  Eihälfte  müsste  so  vielMaterial 
neu  aus  Nichts  hervorgebracht  haben  und  zwar  auch  gleich  primär  von 
Anfang  an:  Eine  in  unserem  Zeitalter  etwas  gewagte  Annahme.  Meine  wirklichen 
Halbei-Ganzembryonen  dagegen  (S.  796  u.  f.)  bekunden  nicht  so  wunder- 
bare Eigenschaften;  sondern  sie  liegen  stets  blos  an  Stelle  des  entsprechenden 
halben  Eies  und  sind  daher  von  halber,  nicht  wie  die  Hertwig's  (vergl.  die  Figuren 
der  Tafeln  42  und  43  mit  Figur  6  und  7  auf  Taf.  43)  von  ganzer  Eigrösse;  und 
die  operirte  Eihällte  liegt  daneben. 

[2)  Auf  Seite  796  u.  f.  ist  berichtet,  dass  ich  aus  wirklich  „halben" 
Froscheiern  durch  Postgeneration  „ganze"  Embryonen  gezüchtet  habe; 
hier  wurde  betont,  dass  0.  Hertwig  ganze  Embryonen  wie  früher  ich  (s.  Nr.  22) 
unter  Verwendung  von  Material  der  zweiten  Eihälfte  erhalten  hat. 

M.  Verworn  berichtet  dagegen  hierüber  (Allgemeine  Physiologie,  Jena  1895, 
S.  516,  Capitel  über  Entwickelungsniechanik) :  „Gegenüber  den  Beobachtungen  von  Roux 
stellte  0.  Hertä'ig  fest,  dass  auch  aus  einer  einzigen  Furchungshälfte  der  Eizelle 
noch  ganze  Embryonen  sich  entwickeln". 

Ebenso  gewissenhaft  sind  die  weiteren  Angaben  Verworn's. 

Meine  Abhandlungen  Nr.  27  und  28  einerseits,  Nr.  13  und  18  anderseits  sind 
Verworn  offenbar  unbekannt,  was  ihn  jedoch  nicht  abhält,  über  die  darin  nieder- 
gelegten Auffassungen  zu  berichten  und  z.  B.  zu  sagen:  „Roux's  Theorie  der  Ontogenese 
ist  im  Wesentlichen  nichts  Anderes,  als  die  alte  Präformationslehre  Haller's  in 
modernem  Gewände".  (Vergl.  dazu  die  Stichwörter  Epigenesis  und  Involution  des 
Registers  und  den  dazu  gehörigen  Text.) 

Diesem   Grade  von   Gewissenhaftigkeit   entspricht   weiterhin    auch   der  Werth 


952       Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Ob  an  den  Eiern  dieser  Embryonen  Hertwig's  ursprünglich  die 
ganze  zweite  Eihälfte  zerstört  war  und  erst  später  wieder  mit  in 
Verwendung  gezogen  worden  ist,  oder  ob  schon  frühzeitig  diese  Theile 
der  zweiten  Eihälfte  mit  in  die  Entvvickelung  einbezogen  wurden,  lässt 
sich  bei  dem  Fehlen  jeder  Angabe  über  die  individuelle  Ge- 
schichte dieser  Eier  nachträglich  nicht  mehr  beurtheilen. 

Gleichwohl  resumirt  Hertwig  Seite  791  §  10:  „Bei  vollständiger 
Zerstörung"  von  „einer  der  beiden  ersten  Theilhälften"  des  Eies 
(durch  eine  erwärmte  Nadel  oder  durch  den  gal-  [256]  vanischen 
Strom)  entwickelt  sich  die  überlebende  „Hälfte"  zu  einem  ziemlich 
normal  beschaffenen ,  nur  mit  Defecten  an  untergeordneten  Körper- 
gegenden versehenen  Embryo",  und 

Seite  792  §  14:  „Es  findet  weder  eine  Wiederbelebung^)  der  zer- 
störten Eihälfte  noch  der  von  Roux  beschriebene  Process  der  Post- 
generation statt." 

Ich  habe  auf  dem  Anatomencongress  in  Wien  Querschnitte  von 
Hemiembryones  laterales  unter  dem  Demonstrationsmicroscop  herum- 
gegeben, an  welchen  die  eine  Eihälfte  noch  ganz  unentwickelt  war 
und  die  entwickelte  sich  noch  ganz  eben  gegen  dieselbe  abgrenzte. 
An  einem  Objecte  hatte  sich  der  Complex  der  Dotterzellen  der 
entwickelten  Hälfte  bereits  etwas  gerundet  und  in  die  todte  Hälfte 
vorgewölbt;  dies  wurde  hinterher  von  einem  Collegen  erwähnt. 
Man  ersieht  daraus,  wie  genau  beobachtet  wurde;  und  ich  glaube 
kaum,  dass  Jemand  es  übersehen  haben  würde,  wenn  mehr  als  das 
halbe  Medullarrohr  und  als  eine  Antimere  des  Mittelblattes  vorhanden 
gewiesen  wäre ;  und  ich  selber  würde  das  wohl  auch  kaum  übersehen 
haben.  Und  nur  zu  oft  haben  sich  zu  meinem  Bedauern 
solche  reinen  Hemiembryonen,   indem  ich  sie  möglichst  alt 

der  .sachlichen  Urtheile  und  der  Einsicht  des  Autors  in  die  Natur  der  Probleme  der 
Entwickelungsmechanik. 

So  erfreulich  und  wünschenswerth  es  ist,  dass  Physiologen  anfangen,  in  ihren 
Lehrbüchern  und  sonstigen  allgemeineren  Darstellungen  auch  die  Entwickelungs- 
mechanik zu  berücksichtigen,  so  ist  es  doch  nicht  genügend,  dass  dies,  wie  im  vor- 
liegenden Falle,  wesentlich  durch  Excerpiren  einer  der  flüchtigen,  halb  populären 
Darstellungen  gescliehe,  wie  sie  jetzt  leider  schon  von  einigen  Autoren  verbreitet 
werden.] 

1)  Siehe  Seite  480  Anm. 


Natürliche  Entstehung  von  Hemiembryonen  des  Frosches.  953 

züchten  wollte,  um  zu  sehen,  wie  weit  die  heniiplastische 
Ent Wickelung  gehen  kann,  zu  ganzen  Embryonen  post- 
g  e  n  e  r  i  r  t. 

Es  muss  ferner  als  ein  besonders  günstiger  Umstand  an- 
gesehen werden,  dass  beim  Amphibien-  und  Ctenophoreuei 
die  Postgeneration  so  verzögert  ist,  dass  wir  eine  grosse 
Strecke  weit  erkennen  können,  was  die  „normale  s.  typische" 
Entwickelung  für  sich  leistet;  denn  da  bei  den  meisten 
anderen  Thieren  die  Entwickelungsmechanismen ,  welche 
die  Wie  derber  Stellung  eines  defecten  Ganzen  anbahnen, 
viel  früher,  zum  Theil  schon  fast  sogleich  nach  dem 
Defect  activirt  werden,  w^ürden  wir  ohne  dieses  Verhalten 
der  ersteren  Gruppen  die  besonderen  Leistungen  der  „ty- 
pischen" Entwickelung  gar  nicht  haben  erkennen  können 
(s.  S.  830). 

Mit  den  unzweifelhaften  Hemiembryones  laterales  und  ante- 
riores ist  auch  das  Vorkommen  der  gleichfalls  von  Hertwig 
geleugneten,  ihnen  entsprechenden  echten  Semigastrulae 
wohl  bereits  sehr  wahrscheinlich  gemacht;  doch  habe  ich  auch  davon 
nach  der  Publication  meiner  Abhandlung  von  1888  (Nr.  22)  noch 
mehrere  Objecte  im  richtigen  Stadium  gefasst,  microtomirt  und  zwei 
davon  in  Wien  demonstrirt. 

La)  Natürliche  Entstehung  von  Hemiembryonen. 

[257]  Auch  derjenige,  dem  es  nicht  gelungen  ist,  künstliche  Hemiem- 
bryonen auf  diese  einfache  Weise  zu  erhalten,  braucht  deshalb  noch 
nicht  auf  ihre  Wahrnehmung  zu  verzichten,  denn  es  giebt  ■  auch  eine 
natürliche  Entstehung  von  Hemiembryonen.  Am  Ende  der 
oft  durch  anhaltende  Kälte  im  Frühjahre,  oder  der  künstlich  (durch 
das  oben  erwähnte  getrennte  Aufbewahren  der  weiblichen  und  männ- 
lichen Frösche)  verzögerten  Laichung  stirbt  nämlich  häufig  bei 
der  Entwickelung  eine  der  beiden  ersten  (resp.  eine  oder  zwei  der  vier 
ersten)  Furchungszellen  von  selber  ab;  und  man  braucht  blos  wie 
oben  24—30  Stunden  nach  der  Befruchtung  die  wirklich  blos  halb- 
gefurchten Eier  auszulesen,  um  dann  aus  ihnen  die  schönsten  und 


954      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


ältesten  Hemiembryonen  hervorgehen  zusehen;  letzteres  da  bei 
diesen  Eiern  oft  die  Postgeneration  unter  Verwendung  der  nicht  ent- 
wickelten Eihälfte  in  Folge  Zersetzung  derselben,  erst  später,  ja  viel 
später  ein,  als  bei  den  am  Anfang  der  Laichperiode  operirten  Eiern  eintritt. 
Gegen  Ende  der  Laichperiode  erhält  man  auch  durch 
Operation  viel  leichter  reine  Hemiembryonen.  Dies  weist 
darauf  hin,  dass  entweder  das  Selbstregulationsvermögen,  wel- 
ches die  Bildung  normaler  Producte  trotz  stattgehabter  Störungen 
ermöglicht  (wozu  auch  die  Fähigkeit  der  Postgeneration  gehört)  durch 
die  mit  der  Verzögerung  der  Laichung  eintretende  Schädigung  ,,früher'" 
vermindert  wird,  als  die  Fähigkeit  der  ,, normalen"  Ent- 
wickeln ng  oder  einfacher,  dass  in  Folge  von  Verzögerung  der 
Laichung  der  Zellkern  und  Dotter  leichter  zum  Absterben  resp.  zur 
Zersetzung  neigt,  als  an  noch  jugendfrischen  Eiern,  so  dass  der  Dotter 
auch  der  Reorganisation  resp.  seiner  Wiederverwendung,  sei  es  auch 
blos  als  Nahrungsmittel,  mehr  widersteht. 

IL  Hervorbringung  im  Voraus  ,, bestimmter"  Hemiembryonen. 

Ich  habe  ferner  angegeben,  dass  man  im  Voraus  bestimmen 
kann,  ob  aus  einem  Ei,  dessen  eine  der  beiden  ersten  Furchungszellen 
zerstört  wurde,  ein  rechter  oder  linker  oder  vorderer  halber 
Embryo  hervorgehen  wird. 

Diese  Bestimmung  beruht  auf  der  im  Jahre  1883  für  die  normale 
Entwickelung  von  Rana  esculenta  durch  mich  (s.  S.  925),  im  selben  Jahre 
für  Eier  in  Zwangslage  durch  Pflüger  gemachten  Beobachtung,  dass 
diejenige  Seite  des  Eies,  an  der  der  helle  Pol  weiter  aufwärts 
reicht,  einer  bestimmten  Seite  des  Embryo,  uämhch  der  Anlagestelle 
des  Urmundes  und  damit  der  cephalen  Seite  entspricht.  Die  Ermitte- 
lung dieser  fundamentalen,  von  Born  und  mir  noch  hundertfach 
bestätigten  Thatsache,  an  welche  in  verschiedenen  meiner  Arbeiten 
angeknüpft  wird,  ist  jedoch  O.  Hertwig  ganz  unbekannt  gebheben;  wie 
daraus  hervorgeht,  dass  er  sie  selber  erst  in  diesem  Jahre  neu  entdeckt  zu 
haben  glaubt  (Sitzungsbericht  der  kgl.preuss.Acad.  d.Wiss.,  1893,XXIV). 

[258]  Ich  hal)e  zu  dieser  Vorausbestimmuno-  der  Natur  der  Halb- 


II.  Hervorbriugung  im  Voraus  „besürainter"  Halbbildungen.  955 

bildungen  zwei  Methoden  verwendet,  eine  einfachere  und  eine  um- 
ständHehere;  letztere  hat  aber  den  Vorzug  grösserer  Sicherheit. 

a.  Die  einfachere  Methode  ist  folgende: 

Da  von  den  nach  der  oben  angegebenen  Weise  behandelten 
Eiern  in  Folge  des  frühzeitigen  Abgiessens  des  Wassers  viele  etwas 
in  Zwangslage  geblieben  sind,  so  hat  man  auch,  selbst  wenn  man 
mit  Rana  fusca  arbeitet,  immer  eine  Anzahl  Eier,  an  welchen  der 
weisse  Pol  an  einer  Seite  des  Eies  von  oben  sichtbar  ist,  was  bei 
diesem  Frosch  normal  gewöhnlich  nicht  der  Fall  ist.  Stellt  man  nach 
der  ersten  oder  zweiten  Furchung  diese  die  Kopfhälfte  des  Embryo 
darstellende  Hälfte  des  Eies  bei  Besichtigung  von  oben  distal  von 
sich,  so  entspricht  dann  die  nach  unserer  rechten  Seite  gelegene  Ei- 
hälfte  der  linken  Antimere  des  Embryo;  theilt  die  erste  Furchung 
dies  Oberflächenbild  symmetrisch,  so  kann  man  durch  entsprechende 
Zerstörungen  rechte  oder  linke  halbe  Embryonen  hervorbringen; 
steht  die  erste  Furche  quer,  so  sticht  man  die  oben  dunkle  Eihälfte 
an,  um  aus  der  anderen  Hemiembryones  anteriores  zu  erhalten; 
die  oben  schwarze,  also  caudale  Eihälfte  dagegen  entwickelt  sich 
nach  Zerstörung  der  anderen  Hälfte  nur  sehr  selten  bis  zum  Er- 
kennbarwerden der  Medullarwülste  an  ihr,  also  zu  Andeutungen  von 
Hemiembryones  posteriores  (s.  S.  447). 

Manmuss  also  jetzt  beim  Anstechen  genau  auf  die  vorherige 
Stellung  des  Eies  achten  und  das  Ei  nach  der  Operation  sogleich 
ausschneiden  und  in  die  entsprechende  von  drei  vorher  zurecht 
gestellten  und  auf  rechte,  linke  und  vordere  Haibeibildungen  etiquet- 
tirte  Schale  legen.  Die  übrige  Behandlung  der  Eier  erfolgt  genau, 
wie  oben  angegeben  wurde.  Ist  das  Ei  schon  zweimal  gefurcht,  so 
hat  man  diö'  Wahl,  welches  der  neben  einander  liegenden  Zellpaare 
man  anstechen  will. 

Dabei  kommen  aber  doch  noch  leicht  Irrthümer  vor,  da  der 
Erfolg  der  Operation  nicht  selten  ein  anderer  ist,  als  man  beabsich- 
tigte ;  ein  Mal,  weil  eine  Zelle,  die  getödtet  werden  sollte ,  nicht  oder 
nicht  ganz  abstarb;  oder  indem  eine  Zelle,  die  unversehrt  bleiben 
sollte,  angesengt  oder  durch  Druck  zum  Theil  entleert  wurde  und 
sich  gar  nicht  oder  nur  theilweise  entwickelte.     Diese  Abweichungen 


956      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

können  besonders  bei  Anstich  nach  der  zweiten  Furchung  zu  groben 
Irrthümern  Veranlassung  geben.  Zur  Verhütung  dieser  ist 
es  nöthig,  die  einzelnen  Eier  getrennt  zu  halten  und  das  besondere 
Geschehen  an  jedem  derselben  durch  häufige  Beobachtung  festzustellen. 

Diesem  Zwecke  dient  die  zweite  von  mir  angewandte 
Methode. 

Zu  dieser  sind  nöthig:  runde  Glasscheiben  von  3  cm  Durch- 
messer, von  denen  jede  nahe  der  Mitte  einen  mit  dem  Diamant 
gezogenen  [259]  Pfeil  eingeritzt  enthält ;  ferner  Glasschalen  mit  innen 
und  aussen  ebenem  Boden,  in  welche  diese  Scheiben  mit  der  Pincette 
bequem  hineingelegt  werden  können  und  w a  g r  e  c h  t  aufliegen.  Aussen 
ist  an  jede  dieser  Schalen  auf  dem  Boden,  etwas  seitlich,  ein  oblonger 
Papierstreifen,  etwa  von  halber  Handgrösse,  geklebt,  den  Boden  nur 
zu  einem  Viertel  seiner  Breite  bedeckend. 

Auf  jede  solche  Glasplatte  wird,  bevor  sie  in  die  Schale  gelegt 
wird,  ein  Ei,  das  mit  einer  gut  polirten,  nach  jedem  einzelnen 
Gebrauch  stets  frisch  am  Handtuch  abgewischten  Lancette  vorsichtig 
ohne  jede  Quetschung  dem  Uterus  enthoben  ist,  so  aufgesetzt,  dass 
seine  Eiaxe  annähernd  wagrecht,  mit  dem  hellen  Pol  etwas  abwärts 
geneigt  steht.  Darauf  wird  mit  einem  feinen  Haarpinsel  ein  grosser 
Tropfen  Samen  zugesetzt  und  um  das  Ei  ringsum  am  Boden  vertheilt, 
derart,  dass  das  Ei  hinterher  noch  ein  gut  Theil  Weisses  nach  oben 
wendet.  Nachdem  man  etwa  6  Eier  so  aufgesetzt  hat,  wird  mit  einem 
grossen  Pinsel  allen  der  Reihe  nach  Wasser  in  mehreren  Tropfen 
zugesetzt;  10  Minuten  nach  der  Besamung  wird  in  jede  Schale  Wasser 
so  reichlich  zugegossen,  dass  es  über  dem  Ei  übersteht ;  weiterhin  wird 
das  Ei  in  Bezug  auf  Wasser  und  Bedeckung  etc.  so  behandelt,  wie 
oben  angegeben  wurde.  Eine  Stunde  nach  der  Besamung  wird  jedes 
Ei  zum  ersten  Mal  gezeichnet.  Dazu  wird  die  Glasschale  so  gedreht, 
dass  der  Zettel  nach  unserer  rechten  Hand  liegt ;  die  Glasscheibe  wird 
vor  jeder  Zeichnungsaufnahme  so  gedreht,  dass  der  Pfeil  die  Spitze 
immer  nach  ein  und  derselben  Seite,  z.  B.  distal  von  uns,  wendet 
und  parallel  dem  angeklebten  Rande  des  Papieres  steht.  Die  Zeich- 
nung giebt  die  Ansicht  des  Eies  von  oben,  mit  Wiedergabe  der  Ver- 
theilung  der  scliwarzen  und  weissen  Theile.     Nach  dem  Beginn  der 


Historisches  der  Methode  der  Hervorbringung  von  Ha]b})ildungeii.  957 

ersten  Fiirchung  wird  eine  neue  Zeichnung  aufgenommen  und  die 
Richtung  der  ersten  Furche  genau  in  dieselbe  eingetragen.  Nach  der 
Vollendung  der  Operation  wird  die  jetzige  Einstellung  verglichen  mit 
der  früheren,  bei  eingetretener  Aenderuug  der  Einstellung  ein  neues 
Bild  aufgenommen  und  die  Ein-  und  auch  Ausstichstelle  sowie  etwaige 
durch  ^^erfärbung  kenntliche  Versengungen  und  die  Stellung  des  Extra- 
ovates  in  das  Bild  eingetragen.  Sehr  nützlich  erweist  es  sich,  das  Ei 
auch  von  unten  zu  besichtigen  und  zu  zeichnen;  zu  diesem  Zwecke 
wird  ein  Spiegelglas  untergelegt  und  ein  Tropfen  Wasser  daraufgegeben, 
ehe  die  Schale  darauf  kommt;  in  die  Schale  kommt  gleichfalls  ein 
Tropfen  Wasser. 

Einige  Stunden,  sowie  Abends  und  am  nächsten  Morgen  nach  der 
Operation  werden  neue  Zeichnungen  angefertigt  und  dabei  besonders 
darauf  geachtet,  ob  wirklich  die  Zerstörung  unserer  Absicht  ent- 
sprochen hat;  denn  nur  bei  denjenigen  Eiern,  bei  welchen  dies  der 
[260]  Fall  war,  kann  unsere  Prognose  sich  nach  der  Medullarwulst- 
bildung  bestätigen. 

Zugleich  sei  eine  historische  Bemerkung  über  die  Methode 
der  Zerstörung  von  Furchungszellen  durch  Anstich  gestattet. 
Hertwig  sagt  Seite  739: 

„Chabry  stellte  seine  Experimente  (1887)  am  Ei  von  Ascidien  an, 
indem  er  bestimmte  Furchungszellen  durch  Anstechen  mit  feinsten 
Glasnadeln  vernichtete." 

,,Bald  darauf  hat  Roux  entsprechende  Experimente  am  Froschei 
ausgeführt."  Hertwig  citirt  diese  Methode  danach  unter  dem  Namen 
,,das  CHABRY-Roux'sche  Experiment". 

Dies  Vef  halten  Hertwig 's  deutet  an,  dass  ich  in  diesem  Versuche 
der  Nachfolger  Chabry's  gewesen  wäre.  Ich  habe  jedoch  die  ersten 
Anstichversuche  am  Froschei  im  Jahre  1882  (s.  S.  154)  gemacht  und 
das  Hauptergebniss  derselben,  dass  circumscripte  Defecte  am  Ei  blos 
circumscripte  Störungen,  besonders  circumscripte  Defecte  am  Em- 
bryo zur  Folge  haben,  am  15.  Februar  1884  in  der  schlesischen  Gesell- 
schaft für  vaterländische  Cultur  mitgetheilt.  Diese  und  die  darauf  im 
Frühjahre  1884  gewonnenen  Versuchsergebnisse  wurden  im  Dec.  1884 


958      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

der  Zeitschrift  für  Biologie  übergeben;  Ende  Juni  1885  erhielt  ich  die 
Separatabzüge,  von  denen  einer  Herrn  G.  Pouchet  zugesandt  wurde. 
Herr  Pouchet  dankte  per  Postkarte  für  die  Zusendung  der  „inter- 
essanten Abhandlung".  Chabry,  welcher  bei  Pouchet  arbeitete,  publi- 
cirte  1887  eine  umfängliche  Abhandlung  unter  dem  Titel:  ,,Contribution 
ä  l'embryologie  normale  et  teratologique  des  Ascidies  simples"  ^),  deren 
Untersuchungen  nach  S.  4  in  den  Jahren  1885  und  1886  ausgeführt 
wurden.  Die  Ascidien  laichen  im  April  bis  September.  Im  Jahre 
vorher  hatte  er  schon  (nach  S.  72)  wiederholt  ,, abnorme  Furchungen" 
am  Ascidienei  gesehen. 

Da  der  aus  einer  Titelübersicht  mir  bekannt  gewordene  Titel 
von  Chabry's  Abhandlung  auf  keine  Beziehung  zu  meiner  im  Jahre 
1888  veröffentlichten  zweiten  Abhandlung  über  die  halben  Embryo- 
nen hindeutete,  habe  ich  dieselbe  damals  nicht  eingesehen.  Als  ich 
jedoch  später  aus  einem  Referat  von  dieser  Beziehung  Kenntniss 
erhalten  hatte,  erbat  ich  die  an  einem  für  mich  schwer  zugänglichen 
Ort  abgedruckte  Arbeit  von  ihrem  Autor.  Nach  ihrer  Leetüre  war 
ich  erfreut  über  die  mit  den  meinen  übereinstimmenden  Ergebnisse 
derselben,  andererseits  aber  etwas  erstaunt  darüber,  dass  Chabry  meiner 
[261]  Priorität  nicht  gedenkt  und  angiebt,  mit  diesen  Versuchen  ,,ein 
ganz  neues  Gebiet  eröffnet  zu  haben"  (vergleiche  oben  S.  154), 
obschon  sein  Lehrer  meine  Abhandlung  kurz  nach  dem  Beginne  von 
Chabry's  Untersuchung  erhalten  hatte.  Wenn  Chabry  diese  ausgedehnte 
Arbeit  mit  der  mitgetheilten  Untersuchung  der  normalen  Entwicke- 
lung  begonnen  hat,  dann  liegt  chronologisch  die  Möglichkeit  vor,  dass 
er  überhaupt  erst  durch  meine  Abhandlung  zu  seinen  Anstichversuchen 
angeregt  worden  sei ;  doch  spricht  gegen  diese  Sachlage,  dass  er  meine 
Arbeit  in  seiner  Publication  nicht  erwähnt.  Jedenfalls  aber  ist  meine 
Priorität  in  Bezug  auf  diese  Versuchsweise  ausser  Zweifel. 

Gegenwärtig  bin  ich,  wohl  nicht  mit  Unrecht,  verwundert,  dass 
0.  Hertwig  diesen  ersten  Beitrag  zur  Entwickelungsmechanik  (Nr.  18) 
(vom  Jahre  1 885),  in  welchem  auf  25  Seiten  über  solche  Anstichversuche 


1)  Theses    pr^sentees    h   la    faculte    des   sciences    de   Paris.    Serie  A.   Nr.    90. 
Paris  1887. 


Historisches  der  Methode  der  Hervorbringung  von  Halbbildungen.  959 

am  Ei  in  allen  Stadien  von  der  Befruchtung  V)is  /.um  Embryo  von 
mir  berichtet  wird^),  niclit  kennt,  obgleich  diese  Arbeit  auch  ihm 
zugesandt  wurde  und  in  mehreren  Abhandlungen  von  anderen  Autoren 
und  mir  darauf  Bezug  genommen  worden  ist;  den  Titel  führt  er 
jedoch  in  dem  Litteraturverzeichniss  seiner  jüngsten  Abhandlung  auf. 

Ich  habe  es  O.  Hertwig  schon  ein  Mal  nahe  gelegt  (s.  S.  830), 
meine  Arbeiten  mit  mehr  Sorgfalt  zu  lesen,  soweit  er  auf  demselben 
Gebiete  mit  mir  arbeitet;  damit  er  sowohl  über  das  bereits  Ermittelte 
nnterrichtet  sei,  als  auch,  um  nicht  weiterhin  irrthümliche  Behaup- 
tungen über  meine  Ansichten  zu  verbreiten. 

Seine  jüngste  Arbeit  veranlasst  mich,  diese  Bitte  zu  wiederholen, 
durch  deren  Erfüllung  manche  Differenz  und  nachträgliche  Ausein- 
andersetzung in  Zukunft  vermieden  werden  würde. 

Zunächst  verwahre  ich  mich  gegen  die  bereits  zwei  Mal  zurück- 
gewiesene (s.  Nr.  26  und  27)  irrthümliche  Angabe  Hertwig's,  dass 
ich  reiner  ,,Evolutiouist"  sei.  Ich  habe  es  von  Anfang  meiner 
Untersuchungen  an  als  eine  Aufgabe  derselben  bezeichnet,  den 
Antheil  sowohl  der  ,,correlativen  Dif f erenzirung"  wie 
der  ,,Selbstdifferen  zirung"  an  der  individuellen  Ent- 
wickelung  zu  ermitteln,  und  habe  auch  beiderlei  Vorgänge 
nachgewiesen.  Ich  nehme  daher  eine  Mittelstellung  zwischen 
Weismanx,  dem  reinen  Evolutionisten ,  und  0.  Hertwig,  dem  reinen 
Epigenetiker,  ein.  0.  Hertwig  hat  übrigens  bereits  eine  Schwenkung 
nach  meiner  Seite  hin  gemacht;  allerdings  wieder  ohne  meiner  dabei 
entsprechende  Erwähnung  zu  thun.  Die  jetzt  von  ihm  ausgesprochene 
Ansicht,  dass  eine  epigeuetische  Theorie  sich  mit  einer  [262] 
tieferen  Aiilffassung  der  Evolutionslehre  wohl  vereinbaren 
lässt"  (S.  662),  ist  bereits  in  der  Einleitung  meiner  Beiträge  zur  Ent- 
wickelungsmechanik  im  Jahre  1885  (s.  Nr.  13)  ausführlich  begründet 
worden. 


[1)  Trotz  der  besonderen  Schwierigkeiten,  Avelcbe  gerade  dieses  Material  für 
solche  Versuche  darbietet  (s.  S.  788),  wurde  bereits  in  dieser  ersten  Abhandlung 
auch  schon  über  einige  erhaltene  reine  Halbbildungen:  Semimorulae  und  Hemi- 
embryones  berichtet  (s.  S.  161  u.  174j.] 


960      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


III.    Wirkung   der   „Deformation"   in   der  Furchung  begrif- 
fener Eier  auf  die  Stellung  der  Medianebene   zu  den  ersten 
Furchungsrichtungen. 

[265]  Der  andere  Versuch,  auf  dessen  Ergebniss  O.  Hertwig  seine,  der 
meinen  entgegengesetzte,  Auffassung  einiger  Vorgcänge  der  ersten  Ent- 
wickelung  begründet,  besteht  darin,  dass  er  wie  früher  Pflüger  und  ich 
(s.  S.  838)  Eier  zwischen  wagrechte,  senkrechte  oder  schief- 
stehende Platten  p  r  e  s  s  t  e ,  die  Richtung  der  ersten  Furche  mar- 
kirte  und  später  beobachtete,  dass  die  Richtung  der  Medianebene 
nicht  damit  übereinstimmte;  während  ich  an  „normal"  aufge- 
setzten und  durch  reichlichen  Zusatz  von  Wasser  zw^ anglos  ge- 
haltenen also  nicht  deformirten  Eiern  im  Jahre  1883  eine  Ueber- 
einstimmung  beider  Richtungen  beobachtet  und  publicirt  hatte  (Nr.  16). 
Mein  damaliger  Befund  hat  sich  bei  späteren  mehrfachen  Wieder- 
holungen dieses  Versuches  stets  bestätigt. 

[266]  Schon  auf  die  vorläufige  Mittheilung  O.  Hertwig's  hin 
habe  ich  in  Bd.  VIII,  S.  606  dieser  Zeitschrift  (s.  Nr.  29)  mitgetheilt, 
dass  ich  die  gleichen  Deformations- Versuche  wie  jüngst  Hertwig  bereits 
in  den  .lahren  1885—1887  gemacht  habe,  zuletzt  mit  80  Proc.  Ueber- 
einstimmungen  zwischen  der  Richtung  der  Medianebene  des  Embryo ; 
ich  habe  aber  hinzugefügt,  dass  bei  diesen  Versuchen  mehrere  nicht 
ganz  zu  beseitigende  und  durch  eingehende  Erwägung  und  Abrechnung 
aller  störenden  Componenten  nur  theilweise  zu  reducirende  Fehler- 
quellen vorhanden  sind.  Zu  der  angekündigten  ausführlicheren  Mit- 
theilung über  diese  Versuche  bin  ich  in  Folge  anderweiter  Inanspruch- 
nahme noch  nicht  gekommen.  Dieselbe  erscheint  mir  jetzt  auch  weniger 
dringlich,  weil  inzwischen  G.  Born  (in  derselben  Nummer  dieser  Zeit- 
schrift, in  welcher  meine  kurze  Mittheilung  erschien),  eine  Arbeit  publi- 
cirt hat,  in  der  über  die  gleichen  Versuche  ausführlich  berichtet  wird 
(Ueber  Druckversuche  an  Froscheiern,  anat.  Anz.  1893,  S.  609 — 627). 
Dieser  gewissenhafte  Forscher  fand  bei  Eiern ,  welche  durch 
senkrechte  parallele  Platten  comprimirt  waren,  gleich  mir  eine 
Beziehung  zwischen  der  Lage  der  Medianebene  des  Embryo  und  der 
ersten    Furche,    indem    die    Medianebene    meist    annähernd 


111.  Wirkung  der  Doformation  des  Eies  auf  die  Medianebene.  961 

rechtwinkelig  zur  Ebene  der  ersten  Furche  stand  (s.  S.  924, 
Anm.). 

O.  Hertwig  hat  dasselbe  gefunden ,  unterlässt  es  aber ,  diese 
Uebereinstimmung  mit  meiner  Auffassung  zu  constatiren  und  bei 
seinen  Folgerungen  entsprechend  zu  berücksichtigen ,  in  gleicher 
Weise,  wie  er  dies  mit  dem  einzigen  Hemiembryo,  den  er  nach  An- 
stechen des  Eies  zufällig  zur  richtigen  Zeit  beobachtet  und  so  noch 
als  solchen  w^ahrgenommen  hat,  unterlassen  hat^). 


[1)  In  diesem  Jahre  (1894)  hat  dagegen  G.  Born  (Neue  Compressionsversuche 
an  Froscheiern,  vorläufige  Mittheilung,  Sitzgsber.  d.  Schles.  Ges.  f.  vaterländ.  Cultur, 
10.  Mai  1894)  an  einer  grösseren  Zahl  gleichfalls  wieder  zwischen  senkrecht 
stehenden  Platten  comprimirten  Froscheiern  bei  ganz  besonders  darauf  gerichteter 
Sorgfalt  nicht  mehr  das  im  vorigen  Jahre  gesehene  Verhältniss  wahrnehmen  können; 
sondern  er  fand  jetzt  ebenso  wie  bei  Eiern,  die  zwischen  geneigten  Platten  gepresst 
waren,  „absolut  keine  Beziehung  zwischen  der  Lage  des  Meridianes  des  Urmunds- 
anfanges  rcsp.  der  Meridianebene  und  der  ersten  Furche."  Die  Richtigkeit  dieses 
„absolut  keiner  Beziehung"  könnte  jedoch  nur  durch  Messung  der  Winkel  zwischen 
der  ersten  Furche  und  der  Medianebene  festgestellt  werden  und  wäre  blos  dann 
erwiesen,  wenn  diese  Winkel  sich  auf  alle  Decaden  von  0° — 90°  gleich  vertheilten; 
Born  erwähnt  aber  solcher  Winkelmessungen  nicht.  Es  scheint  mir  daher  doch  noch 
nicht  ganz  erwiesen,  ob  nicht  auch  in  diesen  „abnormen"  Verhältnissen, 
wie  er  und  ich  1884  für  einfache  Zwangslage  ohne  besondere  Deformation  ermittelt 
haben  (s.  S.  328),  bei  dieser  Deformation  noch  ein,  wenn  auch  vielleicht  geringeres  Vor- 
herrschen der  Winkel  um  0°  und  um  90°  vorkommt  (s.  S.  331  Anm.  u.  S.  923);  dafür 
spricht  schon,  dass  er  selber,  ebenso  wie  ich  und  0.  Hertwig  bei  einer  geringeren 
Anzahl  von  Beobachtungen  zunächst  ein  solches  Verhalten  entnommen  hat. 

Ein  solches  Vorherrschen  könnte  aber  theoretisch,  von  sehr  erheblicher 
Bedeutung  werden,  denn  gerade  von  diesen  feinen  Unterschieden  hängt 
jetzt  die  ganze  Deutung  der  ersten  Entwickelungs Vorgänge  ab  (siehe 
S.  903  u.  912). 

Born  sagt  ferner  (S.  2):  „dass  der  Meridian  des  Urmundsanf anges  mit  der 
Medianebene  des  Embryo  zusammenfällt,  kann  als  vollkommen  gesichert  gelten,  da 
er  solches  Zusammenfallen  auch  in  diesen  Deformationsversuchen  beim  Auftreten  der 
Rückenwülste  bestätigt  gefunden  hat.  Dem  entgegen  muss  ich  aufrecht  erhalten, 
dass  ich  wiederholt  bei  Zwangslage,  besonders  bei  Combination  mit  Pressung,  Abwei- 
chungen des  Meridianes  der  „ersten"  ürmundsanlage  von  der  Richtung  der  durch 
die  Medullarfurche  bezeichneten  Medianebene  durch  sehr  häufige,  unbemerkte  Drehungen 
des  Eies  ausschliessende,  Beobachtungen  sicher  constatirt  habe  (s.  S.  267),  und 
dass  die  Richtung  dieser  secundären  Medianebene  in  manchen  Fällen  der 
Richtung  der  ersten  resp.  zweiten  Furche  näher  kam  als  der  erstere  Meridian ;  doch 
viel  häufiger  war  das  umgekehrte  Verhalten,  und  das  Nachtwachen,  um  die  Stelle 
der  Avirklich  ersten  Ürmundsanlage  zu  sehen,  wurde  durch  grosse  Uebereinstimmung 
belohnt.  Ueber  eine  eventuelle  Ursache  abnormer  e  r  s  t  e  r  Urmundsanlagestelle  siehe 
S.  342  Anm.  2 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  ■  Ql 


962      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Von  meinen  Versuchen  mit  Eiern,  welche  zwischen  senkrechte 
Platten  gepresst  worden  waren,  sei  hier  noch  mitgetheilt,  dass  ich 
die  erste  Furche  häufig,  statt  senkrecht,  stark,  bis  25°, 
geneigt  und  die  zweite  Furche  zwar  rechtwinkelig  zu  dieser  Rich- 
tung, aber  stark  schief  zu  den  Glasplatten  fand.  Diese  Ab- 
weichungen von  der  Norm  rühren  wohl  von  stärkerer  Schiefstellung  der 
Eiaxe  beim  Beginne  meiner  Versuche  und  von  stärkerer  Compression 
als  bei  den  Eiern  Born's  her. 

Bei  Compression  der  Eier  zwischen  ,,wagrechte'^ 
Platten  fand  Born  gleich  O.  Hertwig  keine  Beziehung  mehr  zwischen 
der  Richtung  der  ersten  Furche  und  der  Medianebene ;  er  leitet  aber 
daraus  wohlbedachter  Weise,  nicht  wie  Hertwicx,  das  Fehlen  jeder 
solchen  Beziehung  ab,  sondern  führt  dies  Verhalten  unter  Berück- 
sichtigung entsprechender  Fehlerquellen  auf  Dreh  u  n  g  e  n  der  Eier 


Es  scheint  mir  ferner  zweifelhaft,  ob  die  neue  Beobachtung  0.  Schultze's  über 
die  Möglichkeit,  die  primäre  Meridianebene  an  symmetrischer  Ordnung  und 
Grösse  der  Zellen  der  Blastula  zu  erkennen  (s.  S.  965  Anm.),  auch  unter  diesen 
abnormen  Verhältnissen  die  primäre  Medianebene  genau  genug  sich  erweisen 
wird,  da  hiebei  häufig  schon  anfangs  asymmetrische  Furchung  vorkommt.  Doch 
müsste  dann  erst  ermittelt  werden,  wie  sich  diese  primäre  Medianebene  zur  secundären 
verhält,  und  worauf  eventuelle  Abweichungen  beider  von  einander  beruhen,  ehe  so 
weitgehende  Folgerungen,  dass  die  Richtungen  der  ersten  Furchungen  unter 
abnormen  Verhältnissen  gar  keine  Beziehungen  zur  secundären 
Medianebene  hätten,  gezogen  werden  können,  und  dass  dieAnordnung  der 
, verschiedenen"  Dottersubstanzen  „ganz  unumschränkt",  ganz  unbe- 
einüusst  durch  die  Richtungen  der  ersten  Eitheilungen,  die  Richtungen  der 
Medianebene  bestimme,  statt  blos  mit  den  von  mir  auf  Grund  der  damals  von 
mir  gemachten  Beobachtungen  angegebenen  Einschränkungen  (s.  S.  335  u.  f.  und  408). 

Und  selbst  wenn  sich  die  diesjährige  Angabe  G.  Born's  in  den  bezüglichen 
Theilen  vollkommen  bestätigen  sollte,  so  wüssten  wir  darob  noch  nicht,  avo  durch 
diese  unter  abnormen  Verhältnissen  hervorgetretene  Unabhängigkeit  vermittelt  wird, 
ob  auf  normale  Weise,  d.  h.  dadurch,  dass  nach  Driesch  und  0.  Hertwig  überhaupt 
die  ersten  Furchungen  das  durch  die  Befruchtung  activirte  Kernmaterial 
qualitativ  halbiren  oder  dass,  wie  ich  es  aus  mannigfachen  Gründen  (s.  Nr.  27  u.  28) 
für  wahrscheinlich  halten  würde,  in  diesen  so  abnormen  Verhältnissen  alsdann  auch 
sogleich  abnorme  mit  Activirung  von  Regulationsmechanismen  also  von  Reserve- 
idioplassonten  verbundene  Vorgänge  eingeleitet  werden  (s.  S.  911  und  928).  Mir 
scheint  jedoch,  dass  die  Entscheidung  bei  diesen  Versuchen  in  die  Ver- 
suchs-und  Beobachtungsfehler-Breite  fällt,  und  dass  wir  daher  die  definitive 
Entscheidung  über  die  beregte  wichtige  Frage  bei  anderer  Gelegenheit  zu  gewinnen 
suchen  müssen.  (Siehe  Nr.  33  und  W.  Roux,  Ueber  die  verschiedene  Bedeutung 
isolirter  Blastomeren,  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik,  Bd.  I,  S.  597  u.  f.)]. 


III.  Wirkung  der  Deformation  des  Eies  auf  die  Medianebene.  963 

zurück.  Darin  kann  ich  ihm  nur  beistimmen,  denn  es  ist  mir  ge- 
[267j  hingen,  durch  sehr  häufige  Beobachtungen  am  Tage  und  bei 
Nacht  diese  Drehungen  in  der  Periode  der  Urmundbil- 
dung  zu  constatiren.  Ausserdem  wird  auch  die  Richtung;  der 
ersten  Furclie  während  der  zweiten  und  dritten  Thei- 
lung  oft  nocli  erheblich  geändert.  Da  ferner,  wie  icli  sah, 
dabei  die  centralen,  mehr  den  normal  oberen  entsprechenden 
Zellen  sich  gegen  die  peripheren,  mehr  den  normal  unteren 
entsprechenden  Zellen  verschieben,  und  man  diese  Verschie- 
bungen bei  diesen  Versuchen  besonders  gut  sieht,  scheint  diese  Ver- 
suchsanordnuug  sehr  geeignet,  um  zu  ermitteln,  ob  die  unter- 
halb der  ersten  wagrechten  Furche  gelegenen  Zellen 
ausschlaggebender  für  die  Bestimmung  der  Medianebene 
sind  als  die  oberhalb  davon  gelegenen ,  wie  mir  dies  nach  einigen 
früheren  Beobachtungen,  deren  Aufzeichnungen  aber  leider  in  Verlust 
gerathen  sind,  in  der  Erinnerung  haftet  (s.  S.  912). 

Doch  ist  bei  diesen  Versuchen  noch  eine  nicht  vermeidbare 
Fehlerquelle  vorhanden,  die  auch  den  sorgfältigen  Beobachtungen 
Born's  entgangen  zu  sein  scheint. 

Die  Richtung  der  Medianebene  wird  unter  normalen  Ver- 
hältnissen am  frühesten  an  der  Lage  der  ,, ersten"  Urmunds- 
anlage  erkennbar,  indem  die  erst  nach  Ausbildung  der  Medullarwülste 
direct  erkennbare  Lage  der  Meridianebene  dem  durch  diese  Stelle 
gehenden  verticalen  Eimeridiane  entspricht ;  hat  man  den  Moment 
der  ersten  Urmundsanlage  verpasst,  so  darf  man  ohne  wesentlichen 
Fehler  an  so  normal  gehaltenen  Eiern  diesen  Meridian  durch  die  Mitte 
des  Urmunde^  legen. 

Ich  habe  nun  gefunden,  dass  bei  den  Versuchen  mit  Pressung 
der  Eier  zwischen  Platten  die  Stelle  der  „ersten"  Urmunds- 
anlage oft  nicht  der  Median  ebene  entspricht,  ja  Abweich- 
ungen bis  30*^  von  derselben  darbietet,  und  zweitens,  dass  die  Ver- 
grösserung  des  Urmundes  nicht  immer  symmetrisch 
weder   zur  Stelle  der  „ersten"  Urmundsanlage  noch  zur 

Richtu'ng   der   späteren   Medianebene    erfolgt.     Auf   diese 

61* 


96i      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Abnormitäten  habe  ich  früher  schon  kurz  hingewiesen  (s.  S.  398, 
426  Anm.  und  S.  342,  Anm.  2). 

Eine  Ursache  dieses  abnormen  VerhaHens  erbhcke  ich  darin, 
dass,  wie  ieii  nachgewiesen  habe,  die  Gastrulation  des  Froscheies  durch 
bilaterale  Epibohe,  durch  Ueberwachung  der  einen,  liehen  Seite  des 
Eies  von  der  anderen,  pigmentirten  Seite  aus  erfolgt.  Die  Pressung 
der  Eier  kann  nun  leicht  dieses  Herabschieben  von  Material  mecha- 
nisch hindern  (s.  S.  922);  und  da,  w^ie  ich  experimentell  ermittelt 
habe  (Nr.  23),  diese  Epibolie  von  beiden  Seiten  her  gegen  die 
Medianebene  hin  erfolgt,  so  kann  diese  Hinderung  des  Herab  Wachsens 
leicht  in  asymmetrischer  Weise  erfolgen.  Letzteres  zeigt  die  weitere 
Entwickelung,  bei  welcher  uicht  selten  ein  Medullarwulst  weit 
zurückbleibt  und  die  verticale  Meridianebene  nicht  erreicht,  während 
der  andere  durch  compensatorisches  Wachsthum  diese  Ebene  später 
überschreitet.  In  Folge  des  ungleichen  specifischen  Gewichtes  der 
neuge-  [268]  bildeten  Zellen  und  der  Dotterzellen  ist  damit  auch 
zugleich  eine  Ursache  für  die  asymmetrische  Drehung 
der  Eier  gegeben.  0.  Hertwig  hat  selber  Hemmung  bei  der 
Bildung  des  UrmUndes  gepresster  Eier  beobachtet  (S.  704). 

Kurz  vorher  macht  Hertwig  die  für  die  Beurtheilung  seiner 
Versuche  wichtige  Mittheilung  (S.  691),  dass  ihm  ,,die  Müsse  zu  einer 
continuirlichen,  über  einen  längeren  Zeitraum  ausgedehnten  Unter- 
suchung fehlte" ;  ferner  erwähnt  er  S.  692 :  „Als  am  Nachmittage  des 
anderen  Tages  die  Präparate  wieder  durchgemustert  wurden,  hatte 
der  Urmund"  u.  s.  w.  Hertwig  giebt  hier  also  selber  an,  dass 
seine  Beobachtungen  durch  sehr  grosse  Pausen,  sogar 
von  mehr  als  einer  Nacht  unterbrochen  waren.  Es  ist 
daher  natürlich,  dass  er  das,  was  inzwischen  geschehen  war,  nicht 
wahrgenommen  hat. 

Aber  es  ist  wohl  zu  verwundern,  dass  Hertwig  gleichwohl  über 
die  Vorgänge  während  dieser  Zeit,  insbesondere  über  das  Aus- 
bleiben von  Verschiebungen  der  Eier  u.  s.  w.  bestimmt  urtheilt  und 
auf  so  lückenhafte  eigene  Beobachtungen  hin  in  Fällen,  bei  denen  alles 
davon  abhing,  dass  keine  eventuelle  Verschiebung  der  Wahrnehmung 
entging,  Angaben  eines  anderen  Autors  als  unrichtig  bezeichnet. 


III.  Wirkung  der  Deloniiation  tles  Eies  auf  die  Medianebene.  965 

Wenn  Hertwig  öfter  beobachtet  hätte,  würde  er  auch  öfter  die 
Asymmetrien  der  Urmundbildung  bei  diesen  Versuchen  wahrgenommen 
haben ,  die  h  i  n  t  e  r  h  e  r  oft  nicht  mehr  von  aussen  zu  erkennen 
sind.  Asymmetrische  Entwickehmg  hat  er  beim  Microtomiren  von 
Embryonen  dieser  Versuchen  selber  gefunden,  es  aber  unterlassen, 
die  für  die  Deutung  seiner  Versuche  nöthige.  Folgerung  daraus 
zu  ziehen. 

Vielleicht  bestehen  noch  andere  Ursachen  für  das  erwähnte  ab- 
norme Verhalten.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  wir  keinen  Anhalt 
haben,  um  schon  auf  dem  Blastulastadium  das  Material  des 
künftigen  rechten  und  linken  Medullarwulstes  von  aussen  sicher 
unterscheiden  und  daran  die  primäre  Lagerung  der  Median- 
ehene  vor  dem  Eintreten  der  erwähnten,  so  leicht  störbaren  Material- 
umlagerungen und  daher  unabhängig  von  ihnen  erkennen  zu  können  ^). 

Diese  Verschiebungshemmung  habe  ich  in  höchstem  Grade  bei 
der  Pressung  der  Eier  zwischen  verticalen  Platten  in  Gestalt 
vollkommener  Asyutaxia  medullaris  beobachtet,  wobei  die 
Medullarwülste  einen  das  Ei  am  Aequator  rings  umziehenden 
Gürtel  bildeten  (s.  S.  922,  ganz  wie  in  Fig.  4,  S.  524). 

Bezüglich  der  bei  dem  höchsten  Grade  der  Asyntaxia 
[269]  medullaris  vorkommenden  Anentobla  stia  sei  erwähnt, 
dass  0.  Hertwig  diese  letztere  Bezeichnung  von  mir  als  unzutreffend 
commentirt,  weil  stets  die  Dotterzellen,  also  Entoblast  vorhanden  wäre. 
Es  ist  ihm  somit  entgangen,  dass  meine  Bezeichnung  sich  auf  den 
diff  erenzirten  Entoblast  bezieht,  welcher  bei  der  normalen  Gastru- 
lation  entsteht ;  als  solcher  sind  aber  die  Dotterzellen  doch  wohl  nicht 
anzusehen.  Diese  nicht  differenzirten  Dotterzellen  sind  auch  schon 
an  der  Blastula  vorhanden ;  es  ist  aber  nicht  üblich ,  dieselben  bereits 
als  Entoblast  zu  bezeichnen  (siehe  auch  S.  782  Anm.). 


1)  0.  ScHULTZE  hat  hierzu  neuerdings  berichtet  (Arch.  f.  Entwickelungsmech. 
Bd.  I,  S.  293),  dass  es  ihm  gelungen  ist,  durch  genaue  Berücksichtigung  der  Anord- 
nung und  Grösse  der  Zellen  der  Morula  und  Blastula  die  Medianebene  an  diesen 
Stadien  zu  erkennen.  Es  wäre  eine  wesentliche  Hülfe,  wenn  sich  diese  Methode 
genau  und  sicher  genug  für  unsere  Zwecke  auch  unter  solch'  abnormen  Verhältnissen 
erweisen  würde  (s.  S.  962  Anm.). 


966      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


Dieselben  störenden  Ursachen  wie  bei  Pressung  des  Eies  zwischen 
Glasplatten  können  auch  an  den  von  Hertwig  wie  früher  von  mir 
(S.  302)  in  Glasröhren  a  s  p  i  r  i  r  t  e  n ,  und  dadurch  in  abnorme 
Formen  gepressten  Eier  Abnormitäten  und  Drehungen  hervorbringen. 
Es  muss  auch  bei  diesen  Versuchen  zunächst  durch  sehr  häufige 
Beobachtungen  unter  mehrfacher  Abzeichnung  der  Eier  der  Einfluss 
der  Drehung  und  einseitigen  Gastrulationshemmung  für 
jedes  einzelne  Ei  geprüft  und  danach  entsprechend  durch  Interpretation 
eliminirt  werden ,  wie  ich  dies  seiner  Zeit  an  den  zwischen  wagrechte 
Platten  gepressten  Eiern  gethan  habe  mit  dem  Ergebniss ,  dass  als- 
dann statt  blos  50 — 60  Proc.  doch  noch  <S0  Proc.  Uebereinstimmungen 
zwischen  der  Richtung  der  ersten  oder  zweiten  Furche  und  der  Rich- 
tung der  Medianebene  sich  ergaben. 

Ob  die  danach  noch  verbleibenden  20  Proc.  Abweich- 
ungen rein  auf  weiteren  Versuchsfehlern  oder  auf  dem 
von  mir  anderen  Ortes  (S.  896  und  907 — 912)  ausführlich  behandelten 
Moment  der  Umdiff  erenzirung  verlagerter  Nebendiffereren- 
zirungszellen  durch  Dif f erenzirungshauptzellen  beruhen, 
ist  vorläufig  nicht  zu  sagen  (s.  S.  924  Anm.). 

Jedenfalls  aber  wäre  es  ein  directer  Fehler,  wenn 
wir  aus  Versuchen,  welche  mit  solchen,  theils  überhaupt 
nicht  ganz  zu  beseitigenden,  theils  ausserdem  noch,  wie  bei 
0.  Hertwig  auf  ungenügender  Beobachtung  beruhenden  Fehlern 
behaftet  sind,  gleich  diesem  Autor  die  positive  Folge- 
rung ableiten  wollten,  es  habe  sich  das  ,, Fehlen"  jeder 
Beziehung  zwischen  den  ersten  Furchungsebenen  und  der  Median- 
ebene ergeben,  da  bei  dieser  Sachlage  auch  eine  sehr  feste 
Beziehung  zwischen  beiden  aus  der  Beobachtung  nicht 
hervorzutreten  braucht,  ja  wenn  an  mehreren  Eiern  Drehungen 
stattfinden,  überhaupt  nicht  hervortreten  kann  ^).   Ein  solcher  Schluss 


1)  Man  muss  sich  bei  diesen  Beobachtungen  stets  gegenwärtig  halten,  dass 
die  von  uns  aussen  am  Glas  oder  auf  einem  ihm  angeklebten  Papier  gemachte 
Marke  der  Richtung  der  ersten  Furche,  auf  welche  wir  später  die  Richtung  der 
Medianebene  beziehen,  ihrerseits  in  gar  keinen  inneren  Beziehungen  zu  den  Vorgängen 
im  Ei  steht  und  daher,  sofern  sich  das  Ei  in  seiner  Hülle  dreht,  keinen  Werth  mehr 


IV.  Ermittelung  der  Beziehung  zwisclien  erster  Furcliung  und  Medianebene.     967 

ist  um  so  weniger  zu  billigen,  wenn  bereits  andere  Thatsachen  auf 
eine  solche  Beziehung  hinweisen  (siehe  auch  S.  103). 

Es  ist  überhaupt  nicht  rathsam,  auf  einem  noch  fremden  Gebiete 
gleich  mit  den  schwereren,  vielfachen.  Einem  selber  noch  nicht  be-  [270] 
kannten  Fehlerquellen  ausgesetzten  Versuchen  zu  beginnen.  Ich  em- 
pl'ehle  anderen  Nachuntersuchern,  zunächst  meine  leichteren  Versuche 
mit  normal  aufgesetzten  Eiern  zu  wiederholen  und  sich  zunächst  an 
ihnen  ein  eigenes  ürtheil  über  die  von  0.  Hertwig  in  Abrede  gestellten 
Beziehungen  zu  bilden. 

IV.  Meine  Methode  der  Ermittelung  der  Beziehungen 
zwischen  der  Richtung  der  ersten  F  u  r  c  h  u  n  g  s  e  b  e  n  e  und 
der  Medianebene  unter  „normalen"  Verhältnissen  ist 
folgende  (s.  S.  99  u.  f.): 

Zu  ihr  bedarf  es  zweier  Glasschalen  von  8 — 10  cm  Durchmesser, 
1,5  cm  hohem  Rande,  mit  innen  ebenem  und  aussen  glatt  geschliffenem 
Boden  und  auf  letzterem  aufgeklebtem  Zettel.  Ist  der  Boden  nicht 
eben,  so  muss  man  wieder  runde  Glasscheiben  mit  eingeritztem  Pfeile 
verwenden,  wie  oben  (S.  954)  geschildert  worden  ist. 

Die  Eier  werden  mit  der  oben  erwähnten  Lancette  einzeln  dem 
weit  geöffneten  Uterus  ohne  jede  Quetschung  derselben  enthoben  und 
mit  dem  hellen  Pol  nach  unten,  in  Abständen  von  mindestens  1  cm, 
zu  6 — 10  auf  den  Boden  der  Glasschale  resp.  auf  die  Glasplatte  auf- 
gesetzt. Jedem  aufgesetzten  Ei  wird  sogleich  mit  dem  feinen  Haarpinsel 
ein  Tropfen  Samen  auf  derjenigen  Seite  zugesetzt,  auf  welcher  zu- 
fällig der  weisse  Pol  etwas  höher  heraufreicht;  dadurch  senkt  sich  das 
Ei  nach  dieser  Seite  und  erhält  eine  mehr  senkrechte  Stellung  seiner 
Eiaxe.    Sobald  eine  Schale  bestellt  ist,  wird  sehr  vorsichtig  langsam 


zur  Bezeichnung  der  ersteren  Richtung  hat.  Daher  kann  diese  Methode,  wie  ich  schon 
in  meiner  ersten  bezüglichen  Arbeit  (Nr.  16)  hervorhob,  blos  im  Falle  einer  Con- 
stanz  des  Verhaltens  sichere  Schlüsse  gestatten;  während  wir  bei  wechselndem 
Resultat  nicht  wissen,  wie  viel  von  diesem  Wechsel  auf  die  Fehlerquelle  der  Dreh- 
ung zu  verrechnen  ist.  Ebenso  unzulässig  ist  es  aber,  aus  dem  nicht  deut- 
lichen Hervortreten  einer  Beziehung  zwischen  der  Richtung  der  ersten  Furche 
und  der  Medianebene  des  Embryo  in  sehr  „abnormen"  Verh  ältnissen  ein  Fehlen 
dieser  Beziehung  auch  in  „normalen"  Verhältnissen  abzuleiten,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  für  letztere  sowie  für  wenig  abnorme  Verhältnisse  (einfache 
Zwangslage)  diese  Beziehung  unzweifelhaft  nachgewiesen  ist  (s.  Nr.  16  u.  S.  326). 


968      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc 

Wasser  bis  zur  doppelten  Höhe  der  Eier  zugegossen  und  die  an  ihnen 
oben  haftende  Luft  abgepinselt,  so  dass  die  Eier  möglichst  rasch  und 
gleichmässig  quellen.  Verwendet  man  eine  Platte,  so  wird  diese  nach 
der  Besetzung  mit  Eiern  vorsichtig  auf  den  Boden  der  Schale  gelegt 
und  danach  das  Wasser  zugegossen.  Nach  dem  Aufgiessen  des  Wassers 
wird  die  Anordnung  der  Eier  rasch  auf  den  Zettel  gezeichnet,  bei 
Anwendung  der  Glasplatte  nach  Parallelstellung  des  Pfeiles  mit  der 
Kante  des  angeklebten  Zettels,  und  dabei  die  Läge  der  Grenzlinie  der 
hellen  und  dunklen  Hemisphäre  jedes  Eies  eingetragen.  Liegt  diese 
Linie,  wie  bei  Rana  fusca  gewöhnlich,  ganz  auf  der  LTnterseite,  dann 
geschieht  das  Abzeichnen  unter  Benützung  eines  Spiegels,  auf  welchen 
die  Schale  gesetzt  wird.  Das  Abzeichnen  muss  deshalb  schon  so  früh- 
zeitig stattfinden,  weil  immer  einige  Eier  durch  ungleiches  Haften  der 
Gallerthülle  am  Boden  nach  einer  Seite  hin  wieder  schiefgestellt  werden ; 
besonders  ist,  soviel  ich  mich  erinnere,  eine  Neigung  der  Eier  vor- 
handen, wieder  nach  derjenigen  Stelle  des  Gefässbodens  sich  hinzu- 
wenden ,  an  der  sie  zuerst  gehaftet  hatten.  Da  das  Ei  die  ersten 
30 — 45  Minuten  nach  der  Besamung  sich  innerhalb  der  noch  dicht 
[271]  anschliessenden  Hülle  in  Zwangslage  befindet,  so  muss  es 
ebenso  lange  jede  Neigungsänderung  seiner  Hülle  mitmachen ;  und 
ich  habe  gefunden,  dass  diese,  gerade  während  der  eigentlichen 
Befruchtung  vorhandene,  nach  genügender  Quellung  schwindende 
erzwungene  Einstellung  nicht  ohne  Einfluss  auf  die 
Richtung  der  ersten  Furche  ist,  indem  dadurch  schon  hervor- 
gebracht werden  kann,  dass  die  normale  zweite  Furche  als  erste  ent- 
steht, zumal  bei  Rana  esculenta  (s.  S.  396  u.  f.). 

Eine  Stunde  nach  der  Besamung  giesst  man  von  einer  so  ange- 
setzten Schale  das  Wasser  ab  und  deckt  sie  zu;  eine  andere  Schale 
behält  das  Wasser  oder,  vielleicht  besser,  sie  erhält  nach  dem  Abgiessen 
des  Wassers  ^/-iprocentige  Kochsalzlösung  zum  Vergleich  der  Resul- 
tate, wird  aber  gleichfalls  bedeckt;  die  Lösung  muss  in  ihr  so  hoch 
stehen,  dass  während  der  ganzen  Versuchszeit  die  Eier  die  Oberfläche 
derselben  nicht  erreichen.  Das  Zimmer  ist  20—21°  C  warm,  damit 
man  recht  bald  das  Stadium  der  ersten  Anlage  des  Urmundes  und 
weiterhin   der    Ausbildung    der    JNIedullarwülste    gewinnt,    bevor    die 


IV.  Ermittelung  der  Beziehung  zwisclion  erster  Furchung  und  Medianobene.     969 

Gallerthülle  in  der  einen  Schale  zu  sehr  schrumpft  und  in  der  anderen 
zu  sehr  quillt;  2V4  Stunden  nach  der  Besamung  wird  mit  einem 
anderen  Farbstift  der  jetzige  Stand  des  Pigmentrandes  in  die  Eiskizzen 
eingezeichnet.  Darauf  wird  der  erste  Anfang  der  ersten  Furchung 
beobachtet,  der  am  schwarzen  Pol  und  zwar  gewöhnlich  ausgesprochen 
auf  der  der  ßefruchtungsseite  des  Eies  gegenüberliegenden  Eihälfte 
stattfindet.  Nach  dem  Durchschneiden  der  ersten  Furche  durch  die 
obere  Hemisphäre  wird  mit  Bleistift  die  Richtung  derselben  in  die 
Bilder  eingezeichnet  und  mit  I  bezeichnet.  Sobald  die  zweite  Furche 
gebildet  ist,  ist  sowohl  ihre  Richtung,  wie  die  oft  dabei  entstandene 
neue  Richtung  der  ersten  Furche  einzutragen  und  durch  die  Bezeich- 
nungen II  und  la  zu  markiren.  Nach  der  dritten,  wagrechten  Theilung 
verschieben  sich  häufig  die  oberen  Zellen  gegen  die  unteren,  manchmal 
bis  45°  (s.  S.  911);  ich  empfehle  dann,  um  weiter  als  ich  zu  kommen 
und  gleich  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  die  oberen  oder 
unteren  Zellen  für  die  B  e  s  t  i  m  m  u  n  g  der  M  e  d  i  a  n  e  b  e  n  e 
wichtiger  sind,  mit  besonderer  Farbe  genau  die  Richtung  des 
oberen  und  unteren  Stückes  der  ersten  Furchung  zu  markiren. 

Von  dem  Beginne  der  ersten  Furchung  an  muss  continuirlich 
beobachtet  werden  bis  nach  Vollendung  der  vierten  Furchung,  welche 
häufig  auch  noch  wesentliche,  sehr  schwer  an  mehreren  Eiern  gleich- 
zeitig zu  verfolgende  Umordnungen  bringt.  Man  hat  an  zwei  Schalen 
mit  je  10  Eiern  reichlich  zu  thun  und  schon  einige  Uebung  nöthig, 
um  alle  für  unseren  Zweck  wichtigen  Vorgänge  wahrzunehmen.  Die 
Schalen  bleiben  unverrückt  jede  auf  ihrem  Spiegel  stehen  bis  nach 
Schluss  des  [272]  Versuches.  In  der  folgenden  Zeit  ist  wiederholt  zu 
beobachten;  und  Eier,  welche  umgefallen  sind  oder  sich  verschoben 
haben,  sind  sogleich  zu  entfernen. 

Sehr  zu  empfehlen  ist  es,  die  allererste  Anlage  des  Ur- 
mundes  abzupassen  und  nach  ihrer  Lage  die  Richtung  der  Median- 
ebene zu  bestimmen,  da  nach  dieser  Zeit  bis  zum  Auftreten  der 
Medullarwülste,  also  bis  zum  Sichtbarwerden  der  wirklichen  Lage  der 
Medianebene,  wohl  in  Folge  bei  der  Gastrulation  stattfindender  asym- 
metrischer Verschiebungen  des  Dotters,  nicht  selten  etwas  seitliche 
Drehungen  der  Eier  vorkommen.  Unter  den  normalen  Verhältnissen, 


970       Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

in  denen  sich  unsere  Eier  befinden,  entspricht  der  durch  die  Stelle 
der  ersten  Urmundsanlage  gelegte  verticale  Eimeridian  fast  immer 
der  Lage  der  Meridianebene  des  Embryo  am  Ei,  das  heisst  die  Ueber- 
wachsung  der  Unterseite  des  Eies  geschieht  von  beiden  Antimeren 
her  gleich  schnell,  also  symmetrisch  zu  ersterem  Meridian, 
und  daher  erfolgt  auch  die  Anlage  der  Medullarwülste  in  symme- 
trischer Lagerung  zu  ihm.  Eine  kleine  Verzögerung  des  Herabwach- 
sens von  einer  Seite  her  muss  unser  Urtheil  über  die  normale 
Richtung  der  Mediauebene  schon  erheblich  irreführen. 

Eier  vom  Ende  der  Laichperiode,  welche  beim  Herausnehmen 
aus  dem  Uterus  an  einanderkleben,  oder  gar,  wie  bei  Rana  esculenta 
nicht  selten  vorkommt,  Fäden  ziehen,  sind  zu  diesen  Versuchen  un- 
brauchbar; solche  Eier  ändern  mit  der  Quellung  der  Hülle  ihre 
Stellung  durch  Hinneigen  und  Hindrehen  nach  der  früheren  Berüh- 
rungsstelle der  Fäden  mit  dem  Glase  etc.  Jedes  Ei  muss  ferner 
seitlich  vollkommen  frei  auf  dem  Boden  stehen  und  darf 
den  Rand  des  Gefässes  oder  ein  anderes  Ei  nicht  berühren. 

Hertwig  macht  ferner  den  Einwand  gegen  mich,  ich  hätte  die  Ver- 
schiebungen der  Furchungszellen,  insbesondere  die  Verhältnisse 
bei  der  Brechungsfurche  in  meinen  Folgerungen  nicht  berücksichtigt. 
Diese  Verhältnisse  habe  ich  seit  meinen  ersten  Versuchen,  bei 
denen  ich  schon  eine  Verschiebung  der  oberen  4  Zellen  von  20°— 45^ 
gegen  die  unteren  beobachtet  habe,  wohl  erwogen.  Die  Darlegung 
der  Art,  wie  ich  mir  diese  Verhältnisse  vorstelle,  war  aber  nur  in  einer 
grösseren  theoretischen  Erörterung  möglich,  welche  inzwischen  er- 
schienen ist  (s.  S.  907  u.  f.).  Ich  nehme  in  diesen  Fällen,  wie  auch  bei 
gepressten  Eiern  dieselben  Vorgänge  unter  den  Zellen  an,  vne  sie  bei 
der  Regeneration  durch  Um  dif  f  er  enzirung  (s.  S.  836)  von 
Zellen  auch  vorkommen;  und  es  ist  gewiss  ein  Vortheil  meiner 
Erklärung,  dass  ich  für  die  Ausgleichungen  bei  diesen  und  anderen 
[273]  Störungen  keine  besonderen  Vorgänge  anzunehmen  brauche, 
sondern  mit  den  für  die  Regeneration  ohnedies  anzunehmenden  Vor- 
gängen auskomme  und  ausserdem  zugleich  eine  Ursache  für  die 
Züchtung  dieser  Vorgänge  schon  auf  niederer  Thierstufe  selber 
gewonnen  habe  (s.  S.  911). 


Unrichtige  Deutungen  0.  Hertwig's.  971 

Mit  der  Berichtigung  der  unrichtigen  Beobachtungen 
O.  Hertwig's  fallen  auch  seine  darauf  sich  stützenden 
Schlüsse  hin.  Es  ist  daher  nicht  nothig,  sie  noch  im  Ein- 
zelnen zu  widerlegen. 

Bios  eine,  auf  gar  keine  Beobachtung  sich  stützende,  in  apo- 
dictischer  Form  geäusserte  Behauptung  0.  Hertwig's  sei  noch  er- 
örtert : 

Auf  Seite  792  lautet  §  12:  „Die  Entwickelung  der  nicht  ver- 
letzten Eihälfte  (allein  oder  zuzüglich  eines  Bruchstückes 
der  nur  theilweise  zerstörten  anderen  Hälfte)  geschieht 
unter  Ablauf  ,,derselben  Processe",  durch  welche  die  normale 
Ontogenese  der  betreffenden  Thierart  bewirkt  wird."  Und  Seite  793 
findet  sich  §  19b  des  Inhaltes:  „Eine  Durcheinan  der wür feiung 
des  Kernmateriales  durch  Abänderung  des  Furchungsprocesses, 
wodurch  in  den  einzelnen  Fällen  der  Abstammung  nach  gleichwertige 
Kerne  mit  ungleichen  Raumtheilen  des  Eidotters  zu  Zellen  vereinigt 
werden,  hat  auf  den  ,, Verlauf  der  Entwickelung  keinen 
Einf  luss". 

Dass  die  primäre  Entwickelung  einer  von  der  Natur  selber' 
gebildete ten  und  abgegrenzten  Eihälfte  zu  einem  normal  gestalteten 
halben  Embryo  unter  den  normalen  Entwickelungs Vorgängen  erfolge, 
habe  ich  aus  bestimmten,  dargelegten  Gründen  angenommen  (s. 
S.  894  und  Nr.  33).  Für  die  nachträgliche  Weiterbildung  desselben 
und  für  die  Verwendung  des  Materiales  der  operirten  Hälfte  habe 
ich  dagegen  Abweichungen  von  den  normalen  Vorgängen 
direct  nachgewiesen. 

Ich  frage  nun,  woher  hat  dagegen  0.  Hertwig  die  Kenntniss  der 
von  mir  durch  gesperrten  Druck  markirten,  angeblichen  Thatsachen? 

Hertwig  hat  keine  einzige  Beobachtung  mitgetheilt,  die  beweist, 
dass  der  Verlauf  der  Entwi ekel ungs processe  nach  solchen  Stö- 
rungen derselbe  ist,  wie  bei  der  normalen  Entwickelung.  Hertwig 
hat  nur  die  Gestalt  schon  weit  vorgeschrittener  Producte  dieser 
Vorgänge  beobachtet,  und  zwar  hat  er  erst  so  spät  beobachtet,  dass' 
ihm  sogar  die  vorhergegangene  Entstehung  der  Halbbildungen  aus 


972      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


den  halben  Eiern  entgangen  ist.  Woher  hat  er  nun  [274]  seine  Kennt- 
nisse von  den  wirklichen  Processen  geschöpft,  dass  er  eine  solche 
Behauptung  aufstellen  kann? 

Diese  Behauptung  Hertwig's  schliesst  zudem  eine  petitio  prin- 
cipii  ein  und  findet  sich  in  derselben  Weise  schon  bei  Driesch  .vor. 
Ich  habe  deshalb  diesem  letzteren  Autor  gegenüber  bereits  darauf  hin- 
gewiesen (S.  841,  843,  885;  s.  a.  S.  93  u.  f.),  dass  wir  aus  gleicher 
Form  nicht  ohne  Weiteres  auf  gleiche  Bildungsprocesse 
schliessen  dürfen;  denn  z.  B.  die  Regeneration  in  Verlust  ge- 
rathener  Theile  verläuft  oft  unter  den  Formen  der  normalen  Ent- 
wickelung,  obschon  sie  unter  zum  Theil  wesentlich  anderen  Processen, 
nämlich  unter  Umdifferenzirung  schon  weit  diff erenzirter 
Zellen ,  erfolgen  muss ,  da  sie  von  wesentlich  anders  beschaffenem 
(hochdifferenzirtem)  Material  ausgeht  als  die  normale  Bildung  dieser 
Theile. 

V.    Einfluss    der   ,, Gestalt"    der    Furchungszelle    auf    ihre 

Theilungsrichtung. 

Bezüglich  meiner  Priorität  in  Sachen  des  Beweises  der  Wir- 
kung der  „Gestalt"  der  Furchungszelle  auf  die  Theilungs- 
richtung derselben  verweise  ich  auf  meine  Mittheilung  im  Zoolog. 
Anzeiger  vorigen  Jahres  (s.  oben  S.  927),  in  der  ich  schon  meinen  x4utheil 
an  dem  wirklichen  Nachweis  der  Wirkung  der  Gestalt  der 
Furchungszellen  auf  ihre  Theilungsrichtung  in  Erinnerung  gebracht 
habe.  Ich  beabsichtigte  damals,  bald  die  oben  schon  erwähnte  aus- 
führlichere Arbeit  auf  Grund  des  früheren  Materiales  zu  publiciren 
uikI  versparte  auf  diese  Publication  auch  die  Berichtigung  eines 
bezüglichen  Irrthums,  der  bei  Versuchen  vom  Jahre  1884  (s.  S.  302), 
vorgekommen  war. 

Da  ich  jedoch  zur  Zeit  anderweitig  zu  beschäftigt  bin,  sei  wenig- 
stens dieser  Irrthum  hier  gleich  mit  abgethan.  An  der  erwähn- 
ten Stelle  theilte  ich  unter  anderem  die  auffallende  Thatsache  mit, 
dass  bei  Eiern,  welche  in  eine  Glasröhre  aspirirt  worden  waren,  fast 
alle  Theilungen  ganz  oder  annähernd  rechtwinkelig 
zur  Glasröhre  standen,  selbst  bei  solchen  Eiern,  welche  in  Pich- 


V.  Einfluss  der  , Gestalt"  derFurchungszelle  auf  ihre  Thcilungsrichtung.       973 

tung  der  Röhre  abgeplattet  sich  zeigten,  welche  also  dabei  nach 
ihrer  gros  st  en  Dimension  getheilt  wurden.  Dass  diese  letztere 
That Sache  vorkommt,  hat  sich  bei  den  Wiederholungen  des 
Jahres  1885  als  richtig  erwiesen ;  und  ich  besitze  noch  5  solche,  von 
mir  als  linsenförmig  bezeichnete  Eier,  welche  die  erste  Furche  in 
der  grössten  Dimension  gebildet  haben  und  die  stark  abgeplattete 
Gestalt  auch  noch  darbieten,  nachdem  sie  mit  der  Glasröhre  in 
Wasser  von  80°  C  gebracht,  dann  nach  dem  Zerschneiden  der  Röhre 
ausgeschält  und  in  Alcohol  conservirt  worden  waren.  Diese  Thatsache 
ist  aber  lange  nicht  so  häufig,  als  es  mir  [275]  damals  schien; 
denn  als  ich  bei  der  erwähnten  Wiederholung  des  Versuches  die  Eier 
unter  Opferung  der  Glasröhren  durch  Zerschneiden  derselben  aus- 
schälte, zeigten  sich  die  meisten  Eier  trotz  vorausgegangener  Abtödtung 
in  der  Glasröhre  nach  dem  Ausschälen  ein  wenig  länglich,  statt 
wie  innerhalb  der  Röhre  abgeplattet.  Ich  brachte  daher  in  eine  gleiche 
Röhre  ein  in  Gallerthülle  gehülltes  rundes  Schrotkorn  von  Froschei- 
grösse ;  und  dasselbe  zeigte  sich  danach  so  vielmehr  abgeplattet,  als 
ich  erwartet  hatte,  dass  die  in  der  Röhre  nur  wenig  abgeplattet 
erscheinenden  Eier  in  Wahrheit  etwas  verlängert  gewesen  sind,  womit 
die  Querstellung  ihrer  ersten  Furche  auf  eine  häufiger  ausschlag- 
gebende Componente  zurückgeführt  ist.  Wirklich  linsenförmige  ,  auch 
nach  dem  Abtödten  und  Ausschälen  noch  so  gestaltete  Eier  entstehen 
überhaupt  nur  sehr  selten ;  und  es  war  bei  mir  reiner  Zufall,  wenn  sie 
gelangen;  ich  werde  die  wenigen  Eier,  die  ich  von  dieser  Gestalt 
habe  und  welche  zugleich,  statt  wie  häufiger  in  der  kleinsten,  in  der 
grössten  Richtung  getheilt  sind,  wenn  es  noch  möglich  ist,  microtomiren. 

Auch  noch  andere  Beweise  dafür,  dass  die  Richtung 
der  Theilu"tig  nicht  durch  eine  Tendenz  nach  der  Rich- 
tung des  „kleinsten  Theilungswiderstandes"  zu  theilen 
„beherrscht"  w^rd,  habe  ich  [an  den  zwischen  Platten  gepressten 
Eiern  mit  schief  statt  rechtwinkelig  zu  den  Platten  stehender  zweiter 
Furche  (s.  oben  S.  961  und  S.  166)]  beobachtet. 

Auch  habe  ich  wesentlich  denselben  Theilungsmodus,  wie  bei 
den  linsenförmigen  Eiern,  die  Th eilung  bei  Einstellung  der 
Kernspindel  in   die    ,, kürzeste"  Ausdehnung   der  Proto- 


974      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

plasmamasse  unter  ganz  anderen  Umständen,  nämlich  bei  star- 
ker oder  geringer  Zwangslage  des  Froscheies  wahrge- 
nommen ,  indem  dabei  die  erste  Theilung  des  Eies  in  der  Richtung 
der  Symmetrieebene  der  Einstellung  erfolgte  (s.  Nr.  20  und  21). 
Trotz  der  rundlichen  Gestalt  des  Eies  ist  unter  diesen  Umständen 
in  Folge  der  zuerst  von  Born  nachgewiesenen,  auch  von  mir  häufig 
gesehenen,  aufsteigenden  Strömung  des  Protoplasmas  die  Proto- 
plasmamasse in  Richtung  der  Symmetrieebene  länger 
als  quer  dazu.  Diese  Umgestaltung  der  Protoplasmamasse  ist  viel- 
leicht auch  mit  ein  Grund,  dass  selbst  schon  bei  geringen  Zwangs- 
lagen, also  bei  nur  wenig  zwangsweise  schief  gestellter  Eiaxe  die 
,, zweite"  Furche  häufig  zuerst  gebildet  wird,  weil  sich  dabei  die 
K e r n s p i n d e  1  in  die  g r  ö s  s t e  D i m e n s i o  n  der  Protoplasmamasse 
einstellt.  Uebrigens  habe  ich  an  bestimmt  gestalteten,  isolirt  gewesenen 
und  wieder  vereinigten  Furchungszellen  auch  wiederholt  die  Kern- 
spin d  e  1  statt  in  der  durch  den  M  a  s  s  e  n  m  i  1 1  e  1  p  u  n  c  t  gehenden 
grössten  Dimension  des  Protoplasmas  in  einer  ein  wenig ,  aber 
deutlich  davon  abweichenden  Richtung  stehen  sehen  ^) ;  auch  kommt 
es  vor,  dass  die  Mitte  der  Kernspinde'l  nicht  im  Massenmittel- 
puncte  des  protoplasmatischen  Zellleibes  steht.  Diese  Verhältnisse 
sind  indess  subtil  und  können  nur  bei  ausführlicher  Mittheilung  deut- 
lich dargelegt  werden. 

Für  jetzt  aber  sehen  wir  so  viel;  es  kommen  bei  der  Be- 
[276]  Stimmung  der  Zelltheilungsrichtung  auch  schon  an 
den  noch  wenig  differenzirten  „Furchungszellen"  verschie- 
dene Componenten  zur  Geltung,  wie  es  ausser  aus  den  linsen- 
förmigen Eiern  auch  bereits  aus  meinen  kegelförmig  deformirten  Eiern 
(s.  S.  303)  hervorging. 

Es  ist  somit  irrthümlich,  wenn  O.  Hertwig  die  allerdings  augen- 
fälligste Componente,  nämlich  die  Neigung,  die  Kernspindel  in  die 
Richtung  der  grössten  (durch  den  Massenmittelpunct  des  Proto- 
plasmaleibes der  Furchungszelle  gehenden)  Dimension  einzustellen, 


1)  Siehe  W.  Roux,   Der  Cytotropismus   der  Furchungszellen.     Archiv   f.    Ent- 
wickelungsmechanik  Bd.  I.  1894.  S.  57  Anm. 


V.  Eintiuss  der  „Gestalt"  der  Furchungszelle  auf  ihre  Tbeilungsrichtung.       975 

als  die  einzige  Compoiiente  bezeichnet.  Bei  dieser  Fassung  lege  ich 
seiner,  in  allen  Auflagen  seines  Lehrbuches  der  Entwickelungsge- 
schichte  und  in  seinem  jüngsten  Buch  über  die  Zelle  und  die  Gewebe 
in  gleicher  Weise  wiederkehrenden,  nicht  klaren  Fassung,  dass  sich 
die  Kernspindel  ,,in  die  Richtung  der  grössten  Protoplasma- 
masse" einstelle,  noch  die  beste  Deutung  unter. 

Wenn  man  Hertwig's  Ausspruch  wörtlich  nähme,  so  müsste 
man  fragen:  welche  Richtung  ist  gemeint?  da  ja  blos  ,,eine" 
Protoplasmamasse  vorhanden  ist;  oder  falls  Hertwig,  an  telo- 
lecithale  Eier  anknüpfend ,  dabei  eine  Hauptprotoplasmamasse  von 
der  mit  wenig  Protoplasma  durchsetzten  Dotterkörnermasse  sondern 
will,  so  ist  mit  dem  Ausdruck  „Richtung  der  grössten  (seil. 
Haupt-)  Protoplasmamasse"  überhaupt  keine  Richtung  be- 
zeichnet, da  diese  Masse  unendlich  viele  Richtungen  hat. 
Auch  die  beigefügte  Erläuterung  giebt  noch  der  Mehrdeutigkeit  Raum; 
das  ist  freihch  an  sich,  wie  wir  oben  sahen,  in  Folge  des  Vorhanden- 
seins mehrerer  Componenten  der  Sachlage  durchaus  angemessen; 
doch  geht  aus  Hertwig's  Darstellung  hervor,  dass  er  nicht  beabsich- 
tigt hat,  dieses  anzudeuten  [s.  auch  S.  866]^). 


1)  Auf  der  Versammlung  der  Anatom.  Gesellschaft  zu  Strassburg  im  Mai  1894 
machte  ich  zu  diesem  Verhalten  folgende  Mittheilung  (Verhandlungen  der  anatom. 
Gesellsch.  1894,  S.  152): 

Richtiger  ist  es,  zu  sagen:  „Die  Kern  Spindel  der  „Fiu-chungszellcn" 
wird  bei  der  ZelUeibtheilung  in  die,  resp.  in  eine  Richtung  „festesten 
Gleichgewichtes"  der  „tractiven"  Einzelwirkung  en  der  Protoplasma- 
masse eingestellt.  Diese  Richtung  ist  von  der  „Ge  st  alt"  der  Protoplasmamasse 
abhängig  und  entspricht  überwiegend  häufig  annähernd  oder  ganz  der 
grössten"  durch  d  e  n  Mittelpun  et  d  er  Pro  t  oplasm  amasse  gehenden 
Dimension."  ^ie  Theilung  des  Zellleibes  erfolgt  rechtwinkelig  zu  dieser  Richtung 
der  Kernspindel.] 

Diese  Richtung  des  Gleichgewichtes  wird  aber  nicht  vollkommen 
vom  Protoplasma  allein  bestimmt,  sondern  sie  kann,  wie  ich  bereits  1884  und 
1885  auf  Grund  von  Experimenten  erschlossen  habe  (s.  S.  303),  von  der  Lage  der 
immanenten  Tbeilungsrichtung  des  Kernes  zu  den  Hauptrichtungen 
des  Protoplasmakörpers  abhängig  sein;  denn  ich  erhielt  bei  symmetrisch 
gestalteten,  „linsenförmig"  deformirten,  mit  der  grössten  Fläche  senkrecht  stehenden 
Froscheiern  zwei  Prädictionsrichtungen  der  Spindeleinstellung:  die  Richtung  der 
grössten  und  der  kleinsten  durch  den  Massenmittelpunct  gehenden  Dimension,  erstere 
allerdings  wieder  die  überwiegend  häufige.     Immerhin  bekundet  dies  Verhalten,  dass 


976      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Zuletzt  habe  ich  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Zusammen- 
fassung  der  allgemeinen  Ergebnisse,  die  Hertwig  am  Ende  seiner 
Arbeit  giebt,  zu  machen.  In  eine  solche  Zusammenfassung  nimmt 
man  gewöhnlich  nur  das  Neue  der  eigenen  Untersuchung  auf  und 
hat  dann  keine  Veranlassung,  andere  Autoren  darin  zu  citiren.  Legt 
man  aber  die  Ergebnisse  des  ganzen  Gedankenganges  der  Arbeit  in 


das  gewiss  wichtige  Bestreben,  die  beiden  Kerntheilungsproducte 
möglichst  weit  von  einander  zu  entfernen,  nicht  ganz  fest  im  Mecha- 
nismus der  Zellleibtheilung  begründet  ist.  An  isolirt  gewesenen,  danach 
wieder  activ  vereinigten  und  dann  an  einander  abgeplatteten  Furchungszellen  konnte 
ich  beobachten,  dass  die  Kernspindel  sich  häufig  in  eine  etwa  um  *'io 
kleinere  Dimension  als  die  grösste  Dimension  einstellte. 

Im  Frühjahre  1883  habe  ich  die  Idee  geäussert,  dass  bei  den  Eiern  von  Ascaris 
durch  Pressung  zwischen  wagerechte  Platten  senkrechte  Theilung  hervorgerufen 
werden  könne  (s.  S.  118).  Meine  ersten  Expei'imente  über  die  Einstellung  der  Kern- 
spindel resp.  über  die  Theilungsrichtung  künstlich  deformirter  Eier  fallen  jedoch 
gleich  denen  Pflüger's  erst  in  die  Laichperiode  des  Jahres  1884;  ich  habe  mich 
aber,  in  der  Absicht,  meine  Versuche  noch  weiter  zu  modificiren,  nicht  genügend  mit 
der  Publication  beeilt;  so  ist  es  gekommen,  dass  Pflüger  eine  Druckpriorität  von 
einem  Jahre  hat  (s.  ö.  302  und  839).  Pflüger  betrachtet  aber  als  die  Ursache 
der  einstellenden  Wirkung  durch  Druck  deformirter  Pjier  auf  die  Kernspindel  den 
Druck  im  Innern  des  Eies  als  solchen,  ich  dagegen  sprach  aus,  dass  die 
durch  den  Druck  dem  Eie  verliehene  „Gestalt"  es  ist,  was  die  Einstellung  der 
Kernspindel  bedingt,  und  wies  zugleich  auf  die  beiden  Prädilectionsrichtungen  hin,  die 
aus  einer  symmetrischen  Gestalt  sich  ergeben.  0.  Hertwig  hat  meine  Beobachtungen 
bis  zum  vorigen  Jahre,  in  dem  er  endlich  auch  Eier  gepresst  hat,  stets  unerwähnt 
gelassen  und  sie  auch  dann  nur  ganz  ungenügend  berücksichtigt. 

Bei  den  Zellen  „differenzirter  Gewebe"  scheint  die  Einstellung  der  Kern- 
spindel weniger  durch  die  vor  der  Kerntheilung  vorhandene  Gestalt  der  Protoplasma- 
masse bedingt  zu  werden  als  bei  den  Furchungszellen;  denn  wenn  noch  die  über- 
wiegende Neigung  vorhanden  wäre,  die  Spindel  in  die  präexistirende  grösste 
Dimension  der  Zelle  einzustellen,  so  müsste  einschichtiges  Cylinderepithel,  da 
die  Theilung  rechtwinkelig  zur  Zellaxe  erfolgen  würde,  durch  die  Zelltheilung  zunächst 
immer  ausgesprochen  zweischichtig  werden ,  was  nicht  der  Fall  ist;  im  Gegentheil  sieht 
man  an  solchem  Epithel,  dass  die  Kernspindel  statt  rechtwinkelig  annähernd  parallel 
zur  Oberfläche  der  Schicht  orientirt  ist  und  dabei  fast  in  die  vorher  kleinste 
Dimension  der  Zelle,  unter  allmäh  lieh  er  Vergrösserung  derselben, 
sich  einstellt.  Doch  wird  erst  noch  genauer  darauf  zu  achten  sein,  wie  weit  diese 
Zellen  aus  wirklich  contractionsfähigem  Protoplasma  bestehen  und  wie  die  Dimensionen 
dieser  Protoplasmamasse  sich  dabei  verhalten  (s.  S.  866  u.  928). 

"Weiteres  über  diese  Beziehungen  siehe  in  den  neueren  Arbeiten  von  M.  Heiden- 
hain, Cytomechanische  Studien.  Arch.  f.  Entwickelungsmech.  Bd.  I.  S.  473—577  und 
H.  E.  ZiKGLER,  lieber  Furchung  unter  Pressung,  Verband!,  d.  anat.  Ges.  zu  Strass- 
burg,  1894. 


Reclamation.  977 


der  Zusammenfassung  dar  und  nimmt  daher  in  dieselbe  auch  Ergeb- 
nisse auf,  deren  Priorität  einem  selber  nicht  zukommt,  denen  man 
blos  zustimmt  oder  die  man  weiter  gestützt  hat  oder  gestützt  zu  haben, 
glaubt,  so  ist  es  wohl  das  Richtige,  die  Namen  der  Autoren,  denen 
die  Priorität  zukommt,  beizufügen,  da  bei  der  grossen  Fülle  von 
Publicationen  die  Zusammenfassungen  viel  mehr  Leser  finden  als  die 
Arbeit  selber.  Hertwig  ist  dieser  Sitte  nicht  gefolgt.  Daher  erscheint 
der  stets  überwiegenden  Zahl  der  über  die  speciellen  Ver-  [277]  hält- 
nisse  nicht  orientirten  Leser  der  ganze  Inhalt  seiner  Zusammenfassung 
als  sein  Eigenthum. 

Ich  beabsichtige  in  dieser  kurzen  Mittheilung  blos  mein  eigenes 
Recht  in  dieser  Hinsicht  zu  wahren  und  ersuche  daher  die  Leser 
Hertwig's,  mir  die  Priorität  bezüglich  des  theilweisen  Inhaltes  der 
Paragraphen  2,  6,  7,  8a,  c,  zweite  Nr.  8,  12,  13,  19  und  des  ganzen 
Inhaltes  von  8  g,  11,  17  und  20a  zuzuerkennen,  üebrigens  hat  auch 
im  Contexte  Hertwig  bei  ü  e  b  e  r  e  i  n  s  t  i  m  m  u  n  g  seiner  Auffassungen 
mit  den  meinigen  meine  früher  erworbenen  Rechte  nicht  gebührend 
gewahrt. 

0.  Hertwig  fasst  im  letzten  Paragraphen  das  Gesammtergebniss 
seiner  Arbeit  dahin  zusammen :  „An  die  Stelle  der  Mosaiktheorie  von 
Roux  und  der  Keimplasmatheorie  von  Weismann  tritt  die  Theorie 
der  E  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  durch  r  e  g  u  1  i  r  e  n  d  e  W  e  c  h  s  e  1  b  e  z  i  e  - 
hungen  der  Embry onalzeUen  (später  der  Gewebscomplexe 
und  Organe)." 

Diese  Auffassung,  dass  die  Entwickelung  durch  regulirende 
Wechselwirkungen  erfolge,  ist  jedoch  nur  in  der  Ausschliess- 
lichkeit Hertwig  eigen,  in  welcher  sie  hier  ausgesprochen  wird; 
nämlich  indetn  dabei  der  theils  von  mir  entdeckte,  tlieils  aus 
bereits  früher  vorliegenden  Erfahrungen  abgeleitete  Antheil  der 
,,Selbstdifferen*zirung"  verworfen  w^ird. 

In  dieser  Äusschliesslichheit  aber  kann  ich  den  Satz 
als  durchaus  irrthümlich  bezeichnen.  Auf  die  wirklich  vor- 
kommenden Differenzirungen  durch  Wechselwirkungen  ist  lange  vor 
Hertwig  von  mir  hingewiesen  worden  (siehe  Register:  Epigenesis, 
Correlationen). 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.   II.  ^'- 


978       Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

Wenn  erst  mehrere  Collegen  nach  den  von  mir  vorstehend 
mitgetheilten  Methoden  meine  Versuche  nachgemaclit  haben  werden 
und  es  dabei  nicht  an  Sorgfalt  im  öfteren  Beobachten  haben  fehlen 
lassen,  dann  wird  über  diese  Irrthümer  Hertwig's  bald  kein  Zweifel 
mehr  sein. 

Um  zum  Schluss  den  präcisen  Zusammenfassungen  der  Auf- 
fassungen 0.  Hertwig's  in  seiner  Arbeit  eine  Zusammenfassung 
des  Wesentlichsten  meiner  bezüglichen  Auffassungen 
gegenüberzustellen,  so  ziehe  ich,  unter  Uebergehung  aller  Details,  aus 
den  Thatsachen  der  Entstehung  der  Hemiembryonen  und  bezüglicher 
Missbildungen  einerseits,  wie  andererseits  aus  den  Thatsachen  der 
Regeneration,  Postgeneration  und  aus  der  Entstehung  normal  gestalteter 
Embryonen  nach  Alteration  der  Furchung  durch  Deformation  der 
Eier  etc.  folgende  allgemeine,  in  früheren  Publicationen  (Nr.  18,  22, 
27  und  28)  im  Speciellen  dargelegte  Schlüsse.  Denselben  sind  einige 
Definitionen  vorauszuschicken. 

Unter  „Selhstdifferensirung^''  eines  von  der  Natur  oder  in 
Gedanken  von  uns  abgegrenzten  Theiles  verstehe  ich,  dass  die 
Ur-  [278]  Sachen  des  Specifischen  der  Differenzirung  dieses 
Theiles  in  ihm  selber  gelegen  sind  (siehe  S.  15  und  881).  Vorbe- 
dingungen dieser  Veränderungen,  d.  h.  Componenten,  welche 
nicht  das  Specifische:  die  Qualität,  den  Ort,  die  Zeit  und  die  Inten- 
sität der  Veränderung  bestimmen,  wie  z.B.  die  Zufuhr  von  Wärme, 
Sauerstoff  und  sonstiger  Nahrung,  können  dabei  von  aussen  zugeführt 
werden,  ohne  dass  die  Veränderung  dadurch  den  Charakter  der  Selbst- 
differenzirung  in  meinem  Sinne  verliert.  Als  abhängig e  resp.  corre- 
lative  Differenzirung  bezeichne  ich  die  Veränderung  eines  um- 
grenzten Theiles,  sofern,  resp.  soweit  die  das  specifische  Ver- 
halten nach  Qualität,  Ort,  Zeit  und  Grösse  dieser  Veränderung  be- 
stimmenden Ursachen  ausserhalb  dieses  Theiles  gelegen  sind;  in 
demMaasse,  als  daneben  noch  ,, specifische  Differenzirungsursachen"  in 
dem  Theile  selber  sich  finden,  ist  seine  Veränderung  also  soweit  zugleich 
auch  als  Selbstdiffereuzirung  und  zwar  als  unvoUhommene  Seihst- 
differenzirung  charakterisirt.  Diese  Begriffe  beziehen  sich  somit  nur 


^Entwickelungsfunctionen"  und  „Erhaltungsfunctionen^  979 

auf  die  Localisation  der  Differenzirungsursachen  abgegrenzter 
Tlieile  oder  abgegrenzter  ganzer  Gebilde,  z.  B.  des  ganzen  Eies. 

Die  „Veränderung  oder  Bifferenziruny  an  sich'-^  dagegen 
heriiht  stets  auf  WechsehvirJcung  von  Tlieilen,  da  nichts  ganz 
von  selber  sich  verändern  kann.  Diese  die  Entwickelung 
bedingenden  Wechselwirkungen  will  ich  Entwichelnngscorre- 
lationen  oder  differenzirende  Correlationen  nennen  (im  Unter- 
schied zu  den  functionellen  Correlationen,  s.  S.  980);  sie  liefern 
(längere  oder  kürzere  Zeit)  andauernde  neue  Gestaltungen,  soweit 
sie  nicht  selber  blos  Vorstufen  weiterer  Gestaltungen  sind  und  bald 
in  diese  übergeführt  werden  (Genaueres  siehe  S.  906  u.  f.). 

Während  der  Furchung  des  Eies  nun  werden  nach  meiner 
Auffassung  Theile  gebildet  und  durch  die  Furchung  von  einander 
gesondert,  denen  hei  vollkommen  normalem,  von  „jeder^^  Stö- 
rung freiem  Verlauf  der  Entivickelutig  ein  hohes  Maass  von 
,,Selhstd iffe r e n z i r u ng'"   zukommt. 

Diese  Selbstdifferenzirung  ist  bei  den  beiden  ersten  Blasto- 
meren und  bei  der  Gesammtheit  der  Nachkommen  jedes  derselben 
am  srössten,  das  heisst  am  vollkommensten  und  am  weitesten  in  der 
Entwickelung  fortschreitend  derart,  dass  bei  manchen  Thieren,  bei 
denen  durch  den  Defect  nicht  rechtzeitig  Postgenerationsmechanismen 
activirt  werden,  aus  jedem  isolirten  Blastomer  ein  normal  gebildeter 
halber  Embryo  hervorgeht;  diese  Selbstdifferenzirung  einzelner 
Blastomere  nimmt  aber ,  wie  es  scheint ,  mit  der  weiteren  Selbst- 
theilung  des  Eies  ab  (s.  S.  782).  Doch  giebt  es  auch  später  noch 
Zellcomplexe ,  selbst  solche,  die  nicht  die  ganze  Nachkommenschaft 
einer  früheren  Furchungszelle  darstellen,  welche  gleichwohl  in  hohem 
Maasse  der  Selbstdifferenzirung  fähig  sind,  wie  z.  B.  grosse  Abschnitte 
des  Nervenrohres ,  die  primäre  Augenblase ,  grosse  Abschnitte  des 
Darmtractus  (z.  B.  in  Teratomen  und  im  sogenannten  Amorphus)  u.  s.  w. 
[279]  Je  kleiner  solche  nicht  von  der  Natur  selber  abgegliederten 
Theile  eines  Gebildes  sind,  um  so  weniger  weit  scheint  ceteris  paribus 
im  Allgemeinen  ihre  Selbstdifferenzirung  zu  gehen. 

Also  die  ..normalen"-  MiitwlckelaiigsfHnctionen  sind  an- 
fangs au  einzelne,  von  der  Entwickelung   selber   geson- 

62* 


980      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

derte  Theile  gebunden  und  können  sich  in  diesen  Theilen  mehr 
oder  weniger  weit  selbstständig  vollziehen. 

Den  Entwickelungsfunctionen  stelle  ich  die  blossen  „Erlifil- 
tiings/mictionen^^ f  welche  bisher  fast  alleiniger  Forschungsgegen- 
stand der  Physiologen  gewesen  sind,  gegenüber,  ohne  an  dieser  Stelle 
auf  die  damit  ausgesprochene  Hypothese  des  Bestehens  von  den  Ent- 
wickelungsfunctionen gesonderter  erhaltender  Functionen  weiter  einzu- 
gehen. Die  Erhaltungsfunctionen  treten  am  sich  entwickelnden  Organis- 
mus im  Allgemeinen  um  so  später  auf,  je  vollkommener  der  sog.  ,, Em- 
bryonalzustand'' der  ersten  Entwickelung  ist,  d.  h.  je  vollkommener 
der  Abschluss  des  Eies  von  der  Aussenwelt  ist  und  auf  je  längere 
Zeit  das  Ei  mit  Nahrung  versorgt  ist  oder  wird.  Doch  macht  die 
Nothwendigkeit  der  Ve  rth  eilung  der  Nahrung  durch  die  Herz- 
thätigkeit  und  durch  die  Blutgefässe  diesem  Zustande  zuerst  bezüglich 
dieses  Organsystemes  ein  Ende. 

Durch  den  Beginn  der  „Erhaltungsfunctionen"  in  dem  bereits 
Entwickelten  treten  auch  unter  den  selbstständig  gebildeten  Theilen 
immer  innigere  sog.  ,^functioneUe  Wechselwirkungen^''  auf. 
Die  functionellen  Wechselwirkungen  dienen  aber  häufig  nicht  blos  der 
Erhaltung  des  bereits  Gebildeten,  sondern  ihnen  kommen  nebenbei 
auch  dauernd  gestaltende,  also  dif f erenzirende  Wirkungen 
(als  ,,functionelle  Anpassungen")  zu;  sie  sind  also  in  einem  ge- 
wissen Grade  zugleich  auch  ,,differenzirende  Correlationen". 
Im  Vorschreiten  der  individuellen  Entwickelung  nehmen  allmählich 
die  reinen  Entwickelungsfunctionen,  später  auch  die  differenzirenden 
Wirkungen  der  Erhaltungsfunctionen  ab  (s.  S.  348  u.  f.). 

Bisher  haben  wir  blos  die  ,^vollhommen"'  tppische,  nicht 
der  „gering sten"  Störung  unterliegende  Enttvickelung 
charaJcterisirt  (s.  S.  843),  die  von  mir  als  directe  s.  typische 
Entwickelung  bezeichnet  worden  ist,  weil  sie  vom  Ei  auf  directem, 
d.  h.  typischem  Wege  zum  typischen  Endzustand  führt. 

Dieselbe  kommt  aber  ganz  rein  für  sich  wohl  nicht  vor 
(s.  I  S.  224,  II  S.  904  und  911);  denn  schon  die  geringsten 
Ähiveich'ungen ,  wie  z.  B.  die  so  häufigen  Verschiebungen  der 
Für  chungs. Zellen  (s.S.  111  u.  911),  die  als  Folgen  des  mechanischen 


NoÜiwcndigkeit  gestaltender  Selbstrcgulatioiien.  981 

Bestrebens  die  Oberflächenspannung  der  Zellen  zu  vermindern,  statt- 
finden, U' ecken  und  activiren  neue  Mechanismen:  die  Mechanismen 
der  SelhstreguJation^).  Wenn  diese  letzteren  in  Thätigkeit  treten, 
werden  die  ab-  [280]  norm  gelagerten  oder  abnorm  beschaffenen  Theile 
unter  die  regulatorisch  differenzirenden  Wirkungen  ihrer 
Umgebung  gestellt.  Diese  Begnlationsmechanismen  iv  erden 
getveclit  durch  jede  ^fStörung"  des  normalen  Zustandes:  durch 
abnorme  Lagerung,  durch  zeitlich  oder  qualitativ  abnorme  Ver- 
änderung oder  durch  Defect  von  Theilen  (s.  S.  904 — 912).  Wenn 
es  eine  Entwickelung  ohne  jede  Variation,  eine  bis  in  alle 
kleinsten  Vorgänge  hinein  typische  Entwickelung  eines  Eies  gäbe, 
würden  bei  diesem  Ei  die  Selbstregulationsmechanismen 
nach  meiner  Meinung  gar  nicht  in  Thätigkeit  treten  (wohl  aber 
natürlich  die  typischen  differenzirenden  Correlationen). 

Da  jedoch  das  Ei  bei  seiner  Entwickelung  von  äusseren 
Bedingungen  abhängig  ist,  indem  es  theils  Ruhe  (Schutz  vor  mecha- 
nischen Einwirkungen),  theils  umgekehrt  Erschütterung  (manche  Fisch- 
eier) ,  ferner  Zufuhr  von  Wärme ,  Sauerstoff  und  anderer  Nahrung 
braucht,  so  ist  schon  durch  das  ,,Variiren"  dieser  Factoren 
eine  Bethätigung  der  Selbstregulation  auch  bei  der  sogenannten 
normalen  Entwickelung  in  gewissem,  aber  geringem  Grade  nöthig, 
ganz  abgesehen  von  kleinen  Unvollkommenheiten  der  directen  Ent- 
wickelung selber  (s.  I  S.  220). 

Und  eben  desshalb,  iveil  nie  ,, vollkommen'-^  typische  Ent- 
wickelung möglich  ivar,  konnten  zunächst  blos  solche  Lebe- 
wesen entstehen,  weiche  vom  Anfang  ihrer  Entwickelung 
an  dieses  Re^ulationsvermögen  besassen  (s.  S.  911);  bei  den 
meisten  niederen  Thieren  ist  dies  in  dem  Maasse  vorhanden,  dass 
nach  Zerstörung  einer  der  beiden  Furchungszellen  diese  Selbstregula- 
tionsmechanismen sehr  bald  geweckt  werden  und  dadurch  entsprechend 


[1)  Da  auch  der  physiologische  Tod  der  Gewebebestandtheile  wohl  nicht 
typisch,  d.  h.  für  jede  einzelne  Zelle  etc.  zu  von  Anfang  der  Ontogenese  an  nor- 
mirter  Zeit  stattfindet,  so  muss  auch  der  Ersatz  derselben,  die  physiologische  Regene- 
ration atypisch,  also  auf  dem  Wege  der  Selbstregulation  vor  sich  gehen.] 


982      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschenibryonen  etc. 

bald,   bei  einigen  (z.  B.  Amphioxus)  scheinbar  sogleich,  das  „Ganze" 
wieder  hergesteht  wird. 

Je  mehr  aber  bei  den  höheren  Organismen  die  Entwicke- 
ln ngsmechanismen  fester  geworden  sind  und  je  mehr  Selbst- 
schutz vor  Störungen  durch  Mitgabe  von  Nahrungsdotter,  durch  eine 
schützende  Hülle  oder  zuletzt  durch  Einschluss  in  den  Mutterleib  und 
mit  diesem  Sicherung  einer  constanten  Temperatur,  Nahrung  und  Schutz 
vor  äusseren  Einwirkungen  erlangt  worden  ist,  um  so  mehr  tritt 
der  Antheil  der  „Selbstregulation"  auf  den  frühen  Stufen 
der  individuellen  Entwickelung  gegen  die  ,,Selbstdifferen- 
zirung"  einzelner  Theile  zurück^). 

Dies  ist  bei  den  am  meisten  geschützten  Embryonen  der  Säuger 
in  so  hohem  Maasse  der  Fall,  dass  bis  fast  zur  normalen  Geburt 
gereifte  Halbbildungen  (Roux,  Eckhardt  [S.  828])  und  reife  Em- 
bryonen mit  anderen  grossen  Defecten,  der  Acormus  und  der 
Acephalus  entstehen;  ferner  gehören  hierher  der  Amorphus  und 
die  Teratome,  letztere  beiden  wegen  ihrer  oft  normal  gestalteten, 
weit  entwickelten  isolirten  Organe. 

[281]  Alle  diese  thierischen  und  menschlichenDefect-Miss- 
bildungen  der  Mammalia  legen  unzw^eideutiges  Zeugniss 
dafür  ab,  dass  die  Postgeneration  resp.  Regeneration,  also  die 
^.Selbstregulations^  oder  die  ,,regulirenden  Wechselbeziehungen" 
hei  diesen  Lebewesen  nur  in  sehr  unvollkommener  Weise  thätig 
sind,  dass  dagegen  die  „Selhstdifferensirung^''  auf  früher  oder 
erst  auf  späterer  Stufe  isolirter  Theile  (des  Eies  resp.  des  Embryo) 
eine  sehr  grosse  ist. 

Wenn  bei  einem  Säugethier  noch  kein  so  junger  Hemiembryo 
anterior  oder  posterior,  wie  ich  sie  beim  Frosche  hervorgebracht  habe, 
beobachtet  worden  ist,  und  wenn  auch  bei  den  menschlichen  Acormis 
inid  Acephalis  alle  Uebergangsstufen  von  geringen  Defecten  durch 
das  Stadium   der  Halbbildung;   hindurch   bis   zum  Fehlen   von   etwa 


[1}  Obschon  also  nie  ein  Individuum  ganz  allein  durch  die  „directe 
s.  typische  Entwickelung"  entsteht,  so  muss  diese  Art  der  Entwickelung  doch 
möglichst  streng  von  der  indirecten  s.  regulatorischen  Entwickelung 
geschieden  werden,  da  die  Processe  beider  wesentlich  verschieden  sind,  siehe  Nr.  27, 
S.  843  u.  Nr.  33.] 


Vorkommen  der  Selbstdifferenziruns  von  Eitheilen.  983 


Dreiviertel  des  Embryo  und  noch  mehr  vorkommen,  so  ist  doch  kein 
Zweifel,  dass  bei  diesen  Missbildungen  nach  der  Zerstörung  früher  vor- 
handener Theile  die  übrig  gebliebenen  Theile  sich  noch  lange  Zeit  und 
zwar  (von  der  Nachbarschaft  der  Grenzfläche  gegen  den  Defect  abge- 
sehen) oft  in  wesentlich  normaler  Weise  weiter  entwickelt  haben. 

Daraus  erkennen  wir,  dass  die  von  Hertwig  in  Abrede 
gestellte  ,,Selhstdifferen2irung"  von  Theilen  des  gefurchten 
Eies  oder  des  Embryos  in  hohem  Maasse  sogar  „Stüchen^''  des 
Embryo  zukommt,  welche  nicht  früheren  einzelnen  Furch - 
ungs Zellen  (also  nicht  durch  die  normale  Entwickelung  selber  und 
von  vornherein  abgegrenzten  Stücken  des  Eies)  entsprechen. 

Weiteres  hierüber,  insbesondere  auch  über  die  gleiche  Bedeutung 
der  unvollkommenen  Doppelbildungen,  findet  sich  auf  Seite  859  sowie 
Seite  201  u.  f.  mitgetheilt. 

Die  Entiüi cJcel Hug  durch  Vermittelung  der  Selhst- 
regulation  ist  nicht  mehr  „directe''''  s.  typische,  sondern 
„indirecte'''-  Entivichelnng  (s.  S.  843).  In  letzterer  ist  die  Selbst- 
differenzirung  von  Theilen  um  so  mehr  beschränkt,  je  mehr  regulirt 
wird ;  an  ihre  Stelle  tritt  also  in  entsprechendem  Maasse  die  abhängige 
DiJfferenzirung  dieser  Theile. 

Innsbruck,  im  Januar  1894. 


Anmerkung:  Nach  Abschluss  der  Correctur  erhalte  ich  die  aus- 
führliche Abhandlung  Edm.  B.  Wilson's  :  „Amphioxus  and  the  Mosaic 
Theor}^  of  Development"  (Journ.  of  Morph.  VIII  1894),  in  welcher 
er  mittheilt,  jiass  er  doch  noch  aus  isolirten  Furchungszellen  der  Eier 
dieses  Thieres  (Vs  Eizellen)  ,,Theil-Blastulae"  in  meinem  Sinne  (offene 
Stücke  von  Blastulae)  erhalten  hat.  Zugleich  entnehme  ich  seinen 
Abbildungen,  dass  sich  bei  dieser  ,,Theilfurchung"  die  „Selbstordnung 
der  [282]  Furchungszellen"  betheiligte,  welche  von  mir  im  vorigen 
Frühjahr  beobachtet  und  publicirt  worden  ist  (s.  Nr.  32). 


984:      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 


Literaturverzeichniss. 

1.  Hertwig,  0.,  lieber  den  Werth  der  ersten  Furchungszellen  für  die  Organbildung 
des  Embryo.     Arch.  f.  micr.  Anat.  Bd.  42,  1893,  S.  662—806. 

2.  Barfurth,  D.,  Halbbildung  oder  Ganzbildung  von  halber  Grösse.  Anat.  Anzeiger, 
Jahrg.  8,  1893,  S.  497. 

3.  Derselbe,    Die    organbildenden  Keimbezirke  und   künstliche  Missbildungen  des 
Amphibieneies.     Merkel-Bonnet,  Anat.  Hefte,  1893,  S.  379. 

4.  Born,  Gust.,    Ueber  Druckversuche   an  Froscheiern.     Anat.  Anz.  1893,   Jahrg.  8, 
1893,  S.  609—627. 


Anhang. 


[Es  sei  gestattet ,  noch  etwas  eingehender  über  die  zuletzt  er- 
wähnte bedeutende  Abhandlung  Ed.  Wilson's  sowie  über  einige  weitere 
neue  bezügliche  Arbeiten  kurz  zu  berichten. 

Wilson  fand,  dass  bei  Amphioxus  isolirte  Blastomeren  des  zwei- 
getheilten  Eies  sich  gewöhnlich  wie  ein  ganzes  Ei  furchen;  bei  den 
Viererzellen  sind  Abweichungen  davon  schon  häufig,  sie  furchen  sich, 
ähnlich  wie  dieselbe  Zelle  im  ganzen  Ei.  Zellen  des  Achtzellenstadiums 
furchen  sich  abnorm.  Isolirte  Zellen  des  Zweizellenstadiums  bilden 
normal  gestaltete  Larven,  die  des  Vierzellenstadiums  gewöhulich  blos 
normale  Gastrulae ;  einzelne  Zellen  des  Achtzellenstadiums  bilden  ent- 
weder noch  ganze  Blastulae  oder  getrennte  Stücke  von  solchen. 

An  auf  dem  Zweizellen  Stadium  etwas  auseinander 
g  e  z  e  r  r  t  e  n  Eiern  furchen  sich  die  sich  noch  berührenden  Blasto- 
meren theils  wie  ein  ganzes,  theils  wie  ein  halbes  Ei  und  liefern 
Zwillingsgastrulae,  deren  Axen  beliebig  zu  einander  stehen 
können. 

Bezüglich  des  Theoretischen  ist  Wilson  (The  Mosaic  Theory  of 
Development,  Biol.  lect.  of  the  marine  biol.  Lab. ,  Wood's  Holl,  1894) 
gleich  mir  der  Meinung,  dass  meine  und  Weismann's  Annahme  einer 
typischen  qualitativ  ungleichen  Sonderuug  des  (NB.  activen)  Keru- 
materiales    nicht    direct    beweisbar    ist.     (Dasselbe    gilt    natürlich    in 


Neueste  Literatur.  985 


derselben  Weise  für  die  von  Wilson  acceptirte  Auffassung,  dass  in  jedem 
Zellkern  gleiche  Qualitäten  enthalten  seien).  Weiterhin  meint  Wilson, 
dass  meine  Erklärung  der  Ganzbildungen  einzelner  Furchungszellen, 
sowie  meine  Ableitung  normal  gestalteter  Embryonen  aus  während 
der  Furchung  gepressten  Eiern  zu  viel  besondere  Hülf sannahmen 
nöthig  hat  (siehe  dagegen  Nr.  33).  Wilson  lässt  das  Idioplasma  in 
allen  Furchungszellen  gleich  sein,  aber  sobald  mehr  als  eine  Zelle 
vorhanden  ist,  mrken  sie  auf  einander  modificirend  ein  und  das  Ganze 
controHrt  die  Theile  (wie  nach  Whitman);  nur  ein  Theil  des  Idio- 
plasmas  jeder  Zelle  ist  activirt  (s.  oben  S.  830  u.  f.)  Bei  Isolirung 
von  Furchungszellen  wird  das  Ganze  ein  anderes  und  daher  auch 
die  weiteren  Vorgänge,  aber  nur  wenn  die  Specification  unter  Ein- 
fluss  des  früheren  Ganzen  nocht  nicht  zu  weit  gegangen  war,  wie 
dies  bei  den  Achterfurchungszellen  bereits  der  Fall  ist,  da  diese  Theil- 
stücke  einer  Blastula  lieferten. 

AVährend  der  Furchung  finden  differenzirende. Wirkungen  zwischen 
den  Zellen  statt,  die  die  Zellen  verschieden  machen.  Auch  kommen 
bei  manchen  Eiern  Verschiedenheiten  im  Dotter  vor,  welche  die  Fur- 
chungszellen von  Anfang  an  typisch  verschieden  sein  lassen  (s.  oben 
S.  408). 

Jaques  Loeb  (On  some  facts  and  principles  of  physiological 
Morphology,  Biol.  lect.  at  the  mar.  Biol.  Lab.  of  Wood's  Hall.  1894) 
brachte  in  den  ersten  Furchungstadien  befindliche  Seeigeleier  von 
Arbacia  in  mit  destiliirtem  Wasser  verdünntes  Seewasser;  die  Eier 
platzten  und  es  traten  Stücke  derselben  aus.  Diese  Extraovate  sowohl 
wie  die  zurückgebliebenen  Theile  entwickelten  sich  jedes  zu  einem 
vollständigen  Pluteus,  sodass  3  oder  4  Ganzbildungen  aus  einem 
auch  schon  in*  16 — 64  Zellen  zerlegten  Ei  entstanden. 

Er  folgert  aus  seinen  Beobachtungen  eine  Widerlegung  des 
Principes  der  vorgebildeten  Keim  oder  Kernbezirke. 

F.  H.  Morgan  (Experimental  Studies  an  Teleost  Eggs.  Anat. 
Anz.  VIII)  fand,  dass  bei  Serranus  und  Ctenolabrus  die  Medianebene 
des  Embryo  nicht  mit  der  ersten  oder  zweiten  Furche  zusammenzu- 
fallen braucht,  sondern  beliebig  zu  ihr  stehen  kann.  (Sollten  die  Ei- 
hülle,  auf  welcher  die  Carminmarke  angebracht  war,  und  ihr  Inhalt  sich 


986      Nr.  31.  Die  Methoden  zur  Hervorbringung  halber  Froschembryonen  etc. 

nicht  gegeneinander  verschoben  haben?).  Ferner  entfernte  er  am  zweige- 
theilten  Ei  von  Fundulus  eine  der  beiden  Blastomeren  und  sah  danach, 
dass  die  andere  sich  rundete,  wie  das  ganze  Ei  furchte  und  einen  ganzen 
Embryo  producirte.  Auch  presste  er  Eier  während  der  Furchung 
und  erhielt  normale  Embryonen.  Einschnürung  des  zweigetheilten 
Eies  zwischen  beiden  Blastomeren  verhinderte  nicht  die  Bildung 
eines  Embryo;  ebenso  Umrühren  des  Plasmas  mit  einer  Nadel 
zwischen  beiden  Blastomeren.  Weiters  erhielt  M.  Bunting  (Journ.  of 
Morph.  IX,  S.  223)  aus  isolirten  Blastomeren  des  Zweizellenstadiums 
von  Hydractinia  eine  ganze  Planula.  (Weiteres  siehe  in  dem  Referat 
von  Driesch,  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  I,  Heft  3.)  Ueber  meine 
Auffassung  aller   dieser  Befunde  vergleiche  Nr.  33,  das  „Nachwort".] 


Nr.  32. 

Ueber  die  Selbstordnung  der  Furehungszellen. 

1893. 

a)   Vorläufige  MitUieilung  I. 

Separatabdruck   aus   den  Berichten   des   naturwissenschaftlich -medicinischen  Vereins 
zu  Innsbruck  Bd.  XXI.    S.  133—135. 

Eingegangen  am  27.,  gesondert  ausgegeben  am  28.  März  1893. 


Am  26.  und  27.  März  1893  beobachtete  ich  an  ganz  oder 
fast  ganz  von  einander  isolirten  Zellen  der  lebenden  Blastula 
und  Gastrula,  zum  Theil  auch  der  Morula  des  braunen  Frosches 
Folgendes : 

Die  isolirten  Zellen  runden  sich  rasch  zur  Kugelgestalt.  Zwei 
Zellen ,  die  sich  berühren ,  vergrössern  die  zuerst  blos  punctuelle 
Berührungsfläche  im  Laufe  einer  Viertel-  bis  ganzen  Stunde  soweit, 
dass  am  Rande  der  Berührungsstelle  oft  keine  Einbiegung 
mehr  vorlTanden  ist.  Von  mehreren,  durch  punctuelle  Berührung 
zu  einer  einfachen  Zellreihe  verbundenen  Zellen  werden  die  beiden 
Endzellen  halbgerundet,  die  mittleren  scheibenförmig  oder  keilförmig 
plattgedrückt.  EinHaufen  runder  Zellen  wird  zu  einem  annähernd 
kugeligen  Gebilde,  an  welchem  schliesslich  die  einzel- 
nen Zellen  gar  nicht  mehr  gesondert  über  das  Niveau  der 
Gesammtfläche  vorspringen.  Dies  gilt  für  \'4  [134]  bis  Vsprocen- 
tige  Kochsalzlösung  als  Medium;  in  filtrirtem  Hühnererweiss 


Nr.  32.  lieber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen. 


geht  die  Vereinigung  langsamer  und  weniger  weit  vor  sich.  Die  bei 
diesen  Vereinigungen  gebildeten  Formen  der  Zellen  entsprechen 
grossentheils  den  Gesetzen  der  Blasenspannung;  doch  kommen 
auch  unzweifelhafte  Abweichungen  davon  vor. 

Nach  kurz  dauernder  electri scher  Reizung  ziehen  sich  die 
so  vereinigten  Zellen  langsam  zur  Kugelgestalt  zusammen  und 
lösen  dadurch  den  innigen  Verband  wieder  bis  zur  blos  punctuellen 
Berührung,  um  sich  später  auf's  Neue  innig  zu  vereinigen.  Man 
kann  diese  Vorgänge  mehrmals  an  demselben  Object  sich  wiederholen 
lassen.  Beim  Absterben  der  Zellen  wird  gleichfalls  zumeist 
der  i  n  n  i  g  e  V  e  r  b  a  n  d  der  Zellen  unter  Rundung  derselben 
wieder  gelöst  [Framboisia  minor  s.  S.  151]. 

Zwei  in  filtrirtem  Hühnereiweiss  befindliche  isolirte  Zellen, 
welche  bis  zu  einem  Drittel-  ja  halben  Zelldurchmesser 
(bis  50  Micromillimeter)  von  einander  entfernt  sind, 
nähern  sich  oft  geraden  Weges  einander,  nicht  selten  anschei- 
nend ohne  dabei  ihre  Gestalt  zu  ändern,  um  nach  5  Minuten  bis  einer 
halben  Stunde  sich  zu  berühren  ^)  und  dann  weiterhin  sich,  wie  erwähnt, 
noch  inniger  zu  vereinigen.  Je  geringer  der  Abstand,  um  so  rascher 
ist  oft  die  Näheruugsbewegung ;  das  Genauere  dieser  Beschleunigung 
ist  erst  noch  zu  ermitteln;  doch  zeigt  sie  auch  manchmal  Unter- 
brechungen, welche  wohl  durch  äussere  Momente  bedingt  sind. 
Ist  die  eine  Zelle  am  Boden  befestigt,  so  kommt  manchmal  die 
andere  freiere  Zelle,  auch  wenn  sie  mehrmals  grösser  ist,  und  ebenso 
ein  freier  Complex  von  einigen  Zellen,  ihr  entgegen.  Das  Ver- 
mögen von  einander  entfernter  Zellen,  sich  zu  nähern  geht  in  dem 
fremden  Medium  oft  eher  verloren  als  das  Vermögen  der  Zellen,  sich 
nach  der  Berührung  noch  inniger  zu  vereinigen.  Auch  in  ^4  bis 
Vs  pro  centiger  Kochsalzlösung  ist  das  Streben  zur  Näherung 
weniger  weit  entfernter  Zellen  erkennbar,  wenn  es  [135]  auch  durch 
das  stärkere  Haften  der  Zellen  auf  der  Unterlage  in  seiner  Bethätigung 
sehr  gehemmt  zu  sein  scheint. 


1)  Diese  Näherung  habe  ich  in  der  ausführlichen  Abhandlung  als:  Cyto- 
tropismus  der  Furchungszellen  bezeichnet  (s.  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik 
1894,  Bd.  I). 


Selbstordnungen  der  Furchixngszellen.  989 

Befinden  sieh  drei  Zellen  von  cimmder  in  ,, Nähern ngs ab- 
stand", so  schlagen  sie  manchmal  Bahnen  ein,  welche  aus  den 
verschiedenen  Wirkungsrichtnngen  resultiren. 

Auch  Drehungen  der  Zellen  kommen  bei  diesen  Näherungen 
vor ;  doch  ist  erst  festzustellen,  ob  sie  nicht  blos  durch  äussere  Wider- 
stände gegen  die  rein  cell nlipe teile  Beiveijung  bedingt  sind. 

DieTheilung  dieser  kleinen  isolirten  Furchungszellen  erfolgte, 
ähnlich  wie  bei  den  ersten  Theilungen  des  Froscheies ,  vorwiegend 
durch  Einschnürung  blos  von  ,, einer"  Seite  her,  bei  ganz 
fehlendem  oder  nur  geringem  Entgegenkommen  einer  Einschnürung 
von  der  anderen  Seite. 

Auch  zwischen  isolirten  Zellen  der  Erwachsenen  scheint  eine 
entsprechende  Annäherung  vorzukommen,  ist  aber  viel  schwieriger 
zu  beobachten;  Genaueres  wird  mitgetheilt  werden  [siehe  die  S.  988 
Anm.  bereits  citirte  ausführliche  Abhandlung]. 


b)    Zweite  Mittheilung. 

Loco  cit.  S.  135—137. 

Gesondert  ausgegeben  am  1.  April  1893. 


Das  Vermögen  der  S  e  1  b  s  t  o  r  d  n  u  n  g  aus  dem  Eiverband 
gelöster  Furchungszellen  bethiitigt  sich  ausser  durch  die  früher 
erörterte  acüve  Näherung  weiterhin  durch  active  Loslösung 
und  geringe  Entfernung  der  Zellen  von  einander,  sowie  durch 
Verschiebung  punctuell  oder  flächenhaft  sich  berührender  Zellen 
gegeneinander,  wobei  auch  Drehungen  vorkommen. 

Die  abgeplattete  Gestalt,  welche  eine  Zelle  durch  ausge- 
dehnte Berührung  mit  einer  anderen  erhalten  hat,  kann  auch  nach 
der  Selbstlösung  dieser  Verbindung  [136]  durch  Rundung  der 
einen  Zelle  an  der  anderen  Zelle  fortbestehen. 


990  Nr.  32.    lieber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen. 

Zellen  mit  einseitiger  Anordnung  des  Pigmentes  ordnen  sich 
oder  ihr  Pigment  manchmal  derart,  dass  die  Pigmentseiten  der 
Zellen  einander  nahe  sind  (s.  S.  992).  Liegen  solche  Zellen 
in  einer  einfachen  Zellreihe,  so  ordnen  die  von  zwei  gegenüber- 
liegenden Seiten  her  gepressten  Zellen  ihr  Rindenpigment  zu 
einem  Aequatorring. 

An  isolirten  Furchungszellen  kommen  Z  e  1 1 1  h  e  i  1  u  n  g  e  n 
auch  unter  gleichzeitiger  und  gleich  massiger  Einschnürung 
von  „allen"  Seiten  vor,  wie  bei  der  ersten  äquatorialen 
Furchung  des  Eies;  solche  Theilung  scheidet,  wie  letztere  äquatoriale 
Theilung,  einen  pigmentreichen  Zelltheil  von  einem  pig- 
mentarmen. 

Nach  der  Theilung  durch  einseitige  Einschnürung  sah  ich 
eine  Formenwandlung,  die  dazu  führte,  dass  ein  Theil  des  umgeben- 
den Mediums  zwischen  beide  Zellen  aufgenommen  und  vorübergehend 
nach  aussen  abgeschlossen  (elementare  Furchungshöhle  ?),  bald  darauf 
aber  wieder  eliminirt  wurde.  [Es  blieb  aber  bei  wiederholter  Beobach- 
tung zweifelhaft,  ob  die  Einbuchtung  beider  Zellen  an  den  einander 
zugewendeten  Seiten  nicht  doch  nur  vor  der  Vollendung  der  Durch- 
theilung  vorhanden  war.] 

Eine  grössere  Anzahl  von  isolirten  Furchungszellen, 
welche  in  ,, Näherungsabstand"  sich  befanden,  bildeten  oft  ein 
einheitliches  System  von  Annäherungswirkungen,  dessen 
Einzelresultanten  sich  fortwährend  durch  stattfindende  Annäherung 
seiner  Theile  änderten.  Dieser  zur  punctuellen  Berührung  führenden 
Annäherung  aller  bei  diesen  Umlagerungen  in  Näherungsabstand  ver- 
bliebenen Zellen  folgt  dann  gewöhnlich  die  früher  mitgetheilte,  weitere 
Vereinigung  durch  ausgedehnte  flächenhafte  Berührung  der 
Zellen.  Diese  letztere  Vereinigung  bewirkt  eine  Gestalt  und  in- 
nere Anordnung  des  ganzen  Zelleucomplexes,  welche  mit 
der  Zeit  immer  weniger  von  der  ursprünglichen  Anordnung 
der  isolirten  Zellen,  immer  mehr  von  der  eigenen  Be- 
schaffenheit der  Zellen  und  den  daraus  sich  ergebenden  [137]  Wir- 
kungen abhängig  wird;   dabei  sind  auch  die  Concentration   des 


Selbstordnungen  der  Furchungszellen.  991 

umsreb enden  Mediums  und  die  Wärme  von  erheblichem 
Einf  luss. 

Flächenhafte  Vereinigungen  der  vorher  isolirten  Zellen  ebenso 
wie  Gleitbewegungen  derselben  an  einander  werden  manchmal 
sogleich  wieder  rückgängig  gemacht.  Eine  zwischen  anderen  Zellen 
gelagerte  Zelle  nähert  sich  manchmal  erst  der  einen,  sei  es  etwas 
näheren  oder  entfernteren  Zelle,  um  darauf  geraden  Weges  gegen 
eine  andere  hin  sich  zu  bewegen;  ein  Verhalten,  das  gleichfalls 
auf  einen  Wechsel  und  auf  eine  Ungleichheit  der  die  Annähe- 
rung bewirkenden  Kräfte  der  Zellen  schliessen  lässt. 

In  Näherungsabstand  befindliche  Zellen,  welche  durch  flächen- 
hafte Vereinigung  mit  anderen  an  der  freien  Wanderung  gegenein- 
ander verhindert  sind,  strecken  manchmal  Fortsätze  gegen 
einander  aus  und  bewirken  dadurch  ihre  Vereinigung. 

Die  die  Annäherung  bewirkenden  Kräfte  nehmen  nach  der 
Isolirung  der  Zellen  also  nach  der  Versetzung  derselben  in  ein  fremdes 
Medium  rasch  ab. 

Die  Mittheilung  über  feinere  Vorgänge  bei  diesen  Gescheh- 
nissen wird  in  der  ausführlichen  Abhandlung  erfolgen. 


c)    Dritte    ]\I  i  1 1  h  e  i  1  u  n  g. 

Logo  cit.  S.  137—142. 

Eingegangen  am  10.,  gesondert  ausgegeben  am  12.  April  1893. 


Unter  günstigen  äusseren  Umständen  findet  die  active  directe 
Annäherung  zweier  rundlicher  Furchungszellen  auch  schon  bei  einem 
Abstand  von  der  Grösse  des  ganzen  Durchmessers  der  grösseren 
Zelle  statt. 

Die  Näherungskräfte  sind,  auch  abgesehen  von  schwä- 
chenden oder  fördernden  äusseren  Einwirkungen,  in  ihrer  Intensität 


992  Nr.  32.  Ueber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen. 

zeitlich  sehr  wechsehid,  und  ferner  unter  Zellen  [138]  gleicher 
Grösse  manchmal  so  verschieden,  dass  von  drei  Zellen  die 
beiden  entfernteren  sich  zuerst  einander  nähern  und 
dass  erst  nach  der  Vereinigung  dieser  eine  Näherung 
gegen   die  dritte  stattfindet. 

Die  Selbstvereinigung  zweier  sich  berührender  Zellen  kann 
soweit  sich  fortsetzen,  dass  das  Zell  paar  die  Gestalt  zweier 
mit  breiten  Basen  sich  berührender  Kegel  annimmt. 

In  Ergänzung  zu  dem  früher  beobachteten  und  (S.  990)  mitge- 
theilten  Verhalten  ist  zu  erwähnen,  dass  öfter  noch  an  den  isolirten 
Zellen  von  Gastrulae  die  dem  normalen  Verhalten  entsprechende 
Anordnung  des  Pigmentes  vorkommt,  indem  das  Pigment  der 
Zellen  eines  dicht  geschlossenen  Zelle ncomplexes  sich 
an  der  ,, freien"  Oberfläche  der  Zellen  oder  seitlich  in  der 
Nähe  dieser  Fläche  ansammelt,  oft  unter  einer  bestimmten  [schwach 
konischen]  Formbildung  der  Zelle. 

In  Näherungsabstand  befindliche,  aber  auf  dem  Boden  fixirte 
Zellen  nähern  sich  zunächst  durch  amöboide  Gestalt- 
änderung „direct",  d.  h.  in  Richtung  ihrer  mittleren  Verbindungs- 
linie; wenn  diese  Streckung  und  die  mit  ihr  verbundene  geringe 
Verschiebung  der  Massenmittelpuncte  nicht  zur  Vereinigung  der 
Zellen  ausreichen,  so  sinken  die  Zellen  gegen  ihren  Fixationspunct 
zurück,  um  nach  ungleichen  Zeiten,  manchmal  auch  wieder  beide 
zugleich  dieselbe  Bewegung  aufs  Neue  und  manchmal  noch  ener- 
gischer auszuführen.  Bleibt  der  Erfolg  dauernd  aus,  so  werden  manche 
Zellen  sehr  unruhig,  bewegen  sich  nach  allen  Seiten  vom  Fixations- 
punct, gelegentlich  unter  stossartig  raschem  Ausstrecken  grosser 
„paraplasmatischer  Pseudopodien";  dabei  findet  manch- 
mal die  Lostrennung  einer  oder  beider  Zellen  statt,  worauf  dann  eine 
sehr  eilige  Vereinigung  auf  directem  Wege  folgt.  Bei  der  Näherung 
ganz  freier  Zellen  können  die  Zellen,  selbst  bei  Messung  mit  starker 
Vergrösserung,  ganz  oder  fast  ganz  rund  sich  zeigen,  so  dass  es  noch 
zweifelhaft  scheinen  kann,  ob  [139]  auch  diese  Näherung  wesentlich 
durch  amöboide  Bewegung  vermittelt  wird,  zumal  da,  notabene  von  oben, 


Selbstordnungen  der  Furchungszellen.  993 


in  den  Zellen  selber  dabei  keinerlei  Bewegung  der  Körnchen,  also 
keine  Strömung  zu  sehen  ist. 

Bei  den  amöboiden  Bewegungen  ändert  sich  die  Anordnung  der 
allein  von  aussen  deutlich  sichtbaren,  die  Zellrinde  bildenden  Körn- 
chen nicht  mehr,  ja  oft  weniger,  als  durch  die  äussere  Gestaltände- 
rung der  Zelle  passiv  bedingt  erscheint;  letzteres  M^enn  in  den  ,, proto- 
plasmatischen" Pseudopodien  die  Dotterkörnchen  sehr  spär- 
lich sind;  während  in  den  wohl  nur  von  einer  ausserordentlich  dünnen 
Protoplasmaschicht  umschlossenen  pa  r  aj)  lasmatis  chen  Pseu- 
dopodien die  Körnchen  oft  ganz  fehlen,  bis  auf  einmal  das  die 
eigentliche  Zellrinde  bildende  Gefüge  der  gelben  Körnchen  an  einer 
Stelle  bricht  und  ein  Strom  von  Körnchen  sich  in  den  Fortsatz  er- 
giesst ;  der  Fortsatz  kann  dann  nach  mannigfachen  Ortsveränderungen 
an  einer  beliebigen  Stelle  der  Zellperipherie  wieder  eingezogen  werden. 

Selbst  grosse,  aus  vollkommen  oder  theilweise  isolirt  gewesenen, 
blos  schwarzen  oder  schwarzen  und  farblosen  Zellen  gebildete,  voll- 
kommengeschlossene, runde  Complexe  gastrulirten  nicht,  obgleich 
sie  drei  Tage  am  Leben  blieben. 

Complexe  von  vier  und  mehr  Zellen  Dicke  (letztere 
gemessen  in  der  Verbindungsrichtung  beider  Complexe)  näherten  sich 
einander  als  Ganze  nicht,  selbst  nicht  bei  einem  Abstand  blos  von 
Näherungsdistance  ihrer  einzelnen  Zellen.  Bios  einige  der  in  An- 
näherungsabstand befindlichen  Zellen  zweier  solcher 
Complexe  näherten  sich  manchmal  einander,  sei  es  durch 
stärkere  Vor  Wölbung  oder  durch  mehr  oder  weniger  ausgedehnte 
Verschiebung.  Die  zwischen  grösseren  Zellcomplexen  stattfindende 
Näherung  ist  also  keineswegs  proportional  den  Massen  derselben  und 
somit  wohl  selber  auch  keine  Masse  n  Wirkung  der  Complexe 
[140]  auf  einander,  sondern  sie  erscheint  blos  von  Zellen  der 
einander  zugewendeten  Oberflächen  der  Complexe  her- 
vorgebracht. 

Dagegen  können  Complexe  von  blos  zwei  oder  drei 
flächenhaft  vereinigten  Zellen  noch  einer  Gesammt- 
näherung  gegen  einander  oder  gegen  eine  fixirte  ein- 
zelne Zelle  unterliegen ;   bei  länglicher  Gestalt  dieser  (Komplexe 

W.  Koux,  Gesammelte  Abhaadluiigen.    11.  "'^ 


994  Nr.  32.    Ueber  die  Selbstordnung  der  Furchungszellen. 


findet  meist  schon  am  Beginne  der  Annäherung  eine  derartige  Dreh- 
ung desselben  statt,  dass  die  Zelle  eines  der  beiden  Enden  vorausgeht. 

Mit .  dem  jetzt  nahenden  Aufhören  der  Entwickelungsfähigkeit 
der  Eier  des  braunen  Frosches  sinkt  wie  im  Allgemeinen  die  Wider- 
standsfähigkeit, so  auch  diejenige  gegen  die  abnormen  Einwirkungen, 
welche  mit  unseren  dermaligen  Versuchen  verbunden  sind. 

Zu  Anfang  der  Laichperiode  fand  man  10  Minuten  nach  der 
Zerreissung  der  Blastula  oder  Gastrula  unter  den  Hunderten  von 
isolirten  Zellen  fast  keine  Zelle  mehr,  die  blos  um  ^/s  Zellradius  und 
darunter  von  anderen  entfernt  war,  und  nach  einer  Stunde  keine 
Zellen,  die  sich  blos  punctuell  berührten.  Jetzt  ist  beides  nach 
längerer  Zeit  sehr  häufig  und  ändert  sich  dann  ohne  äusseres  Zuthun 
überhaupt  nicht  mehr.  Auch  beobachte  ich  jetzt,  dass  ein  Theil  der  nur 
eine  Stunde  isolirt  gebliebenen  grossen  Dotterzellen  in  dieser  Zeit  schon 
zur  selbstständigen  Amöbe  geworden  ist;  diese  Zellen  ändern 
nicht  blos  in  jeder  Minute  in  der  überraschendsten 
Weise  ihre  Gestalt,  sondern  manche  von  ihnen  haben  in  der 
kurzen  Frist  vollkommen  die  Fähigkeit,  resp.  das  Bestreben, 
verloren,  sich  mit  anderen  Furchungszellen  zu  vereinigen; 
sie  bewegen  sich  dichtest  an  einander  vorbei  und  trennen  sich  sogleich 
wieder,  wenn  sie  sich  zufällig  berührt  haben. 

Unter  bestimmten  Bedingungen  erhielt  ich  Zell  an  Ordnungen 
und -Gestaltungen,  welche  der  ganzen  betreffenden  [141]  Dotter- 
zellengruppe täuschend  das  äussere  Ansehen  eines  verzweigten 
Fadenpilzes  mit  etwas  spindelig  verdickten  Zellen  und  endständigen 
kleinen  Sporangien  gaben. 

Die  Selbstannäherungsfähigkeit  der  Furchungszellen  gegen  ein- 
ander sinkt  jetzt  ausserordentlich  rasch  nach  der  Isolirung  resp,  nach 
der  üebertragung  in  das  fremde  Medium,  aber  bei  den  einzelnen  Zellen 
sehr  verschieden  schnell.  Dieser  Umstand  macht  vorläufig  weitere  quan- 
titative Bestimmungen  unmöglich  und  verhindert  insbesondere  die  für  die 
Beurtheilung  der  Näherungsvorgänge  wichtigen  Feststellungen:  1.  ob 
es  wirklich  durch  die  Verbindung  der  Zellen  bedingt  ist,  dass  wieder- 
holt die  oberflächlichen  Zellen  grosser,  aus  bereits  in  ausgedehnter 
flächenbafter    Berührung   befindhchen    Zellen    gebildeter,    also   „ge- 


Selbstordnungen  der  Furchungszellen.  995 


s  c  h  1  o  s  s  e  n  e  r  "  ( '  o  ni  p  1  e  x  e  weniger  aiü"  in  der  Nähe  liegende  Zeilen 
annähernd  wirkten,  als  noch  „offene",  ferner  als  kleine  Complexe 
von  2  bis  3  Zellen,  ja  als  einzelne  Zellen;  2.  ob  zwei  einfache  Zell- 
reihen von  je  3  oder  4  Zellen  sich  ceteris  paribus  von  einer 
grösseren  Distanz  aus  nähern ,  wenn  sie  einander  ihre  Langseiten 
parallel  zuwenden,  als  wenn  sie  mit  Endzellen  einander  am  näch- 
sten sind. 

Blast ulae,  welche  mit  ihrer  Gallerthülle  in  Wasser  von  52" C. 
gethan  worden  waren  und  darin  unter  Abkühlung  des  Wassers 
auf  48°  C.  6  Minuten  verweilt  hatten,  zerfielen  beim  Zerreissen  leicht 
in  einen  Staub  von  lauter  eckigen  Zellen,  an  welchen,  trotz  der  im 
Uebrigen  der  früheren  g  1  e  i  c  h  e  n  V"  e r  s  u  c  h  s  a  n  o  r  d  n  u  n  g ,  keine  der  mit- 
getheilten  Erscheinungen  zu  beobachten  war;  denn  nichts  regte  sich, 
Kirchhofsruhe  herrschte  unter  den  das  Gesichtsfeld  dicht 
bedeckenden  Zellenleichen. 

Denken  wir  uns,  wie  es  bei  unseren  derzeitigen  allgemeinen 
Kenntnissen  am  nächsten  liegt  und  mit  den  bis  jetzt  ermittelten 
speciellen  Thatsachen  trotz  nicht  zu  verkennender  Schwierigkeiten  viel- 
leicht erträglich  erscheint,  die  geschilderte  Annäherung  als  chemotropi- 
scher  Natur,  so  können  wir  [142]  kurz  sagen:  die  Furchungszellen 
verhalten  sich  zumeist  in  hohem  iVIaasse  positiv  chemo- 
tropisch  zu  einander,  pigmenthaltige  und  pigmentlose 
Zellen  ohne  Unterschied.  Einige  Male  wurden  auch  Erschei- 
nungenbeobachtet, welche  vielleicht  auf  negativem  Chemotropis- 
mus  beruhen.  Der  Grad  des  Chemotropismus  zeigte  sich  an 
denselben  Zellen  wechselnd  und  scheint  sehr  von  eigenen 
Zuständen  der  Zellen  abhängig  zu  sein.  Mit  der  Richtigkeit 
dieser  Deutung  der  beobachteten  Näherungserscheinungen  wird  der 
sogenannte  Chemotropismus  als  ein  wichtiges  gestaltendes 
Princip  der  Ontogenese  aufzufassen  sein. 

[Genaueres  siehe  in  den  ausführlicheren  Abhandlungen :  „Lieber 
den  Cytotropismus  der  P'urchungszellen"  und  „Ueber  die  Selbstord- 
nung sich  berührender  Furchungszellen",  Archiv  für  Entwickelungs- 
mechanik  Bd.  I  und  IL] 


63=* 


Nr.  33. 

Nachwort 
zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 


Inhalt. 

Seite 
Zusammenfassende  Erörterung  über  die  zur  Zeit  umstrittenen  theoretischen 

Ableitungen  aus  den  thatsächlichen  Ergebnissen     .........  997 

Selbstdifferenzirung  der  ersten  Blastomeren .  998 

Die  idioplastische  Bedeutung  des  Zellkernes  und  seine  Specifi- 

cation  bei  der  Furchung 999 

Gestaltung  auslösende,  Wirkung  der  „Anordnung"'  der  ver- 
schiedenen Dottersubstanzen 999 

Normal  activirtes  Idioplasson  und  Reserveidiop lassen     .  1000 

Die  Umdif  ferenzir  ung  von  Zellen  bei  der  Post-  und  Regeneration  .  1000 

Differenzirende  Correlationen 1001 

Bedeutung  derLage  der  Zellen  bei  abhängiger  Differenzirung  der- 
selben      1002 

Gestaltliches  Leben  der  Zellen  ausser  dem  function  eilen  Leben  1002 
Umdifferenzirung  der  Zellen  nach  Störung  der  normalen  Anordnung 

derselben 1003 

Bedeutung  der  Entstehung  von  Halbbildungen   aus  halben  Eiern  1003 

Neuere  Thatsachen  und  ihre  Deutung 1004 

Angebliche  Gleichheit  der  Furchungszellen 1005 

Unrichtiger  Schluss  von  gleicher  Fähigkeit  der  Zellen  zurRe-  und 
Postgeneration  auf  gleiche  normaleEntwickelungspotenzen 

derselben 1006,  1011 

Gestaltungsmechanismen    auslösende  Wirkungen   der  Anordnung 

des  Dotters 1008 

der  Halbeigestalt  isolirter  Blastomeren 1009 


Erörterung  umstrittener  Fragen.  997 


Seite 

bei  Rundung  isolirter  Blastomeren 1009 

bei  Deformation  des  Eies  während  der  Furchung      .     .     .  1014 

Abweichung  der  Richtung  der  Medianebene  von  der  Richtung 

der  ersten  oder  zweiten  Furche 1014 

Beweise  gegen   eine   die  Gestaltung  beherrschende  Wirkung   der 

Dottersubstanzen    . 1015 

Nicht   teleologische  Analyse  der   organischen  Gestaltung  1018 

Die  morphologische  Assimilation 1020 

Morphologische  Selbstregulation  bei  Störung  der  typischen 

Entwickelung 1022 

Successive  Züchtung  gestaltender  Eigenschaften 1022 

Phylogenese  und  Ontogenese 1023 

Angebliche  Vererbung  erworbener  Eigenschaften 1023 

Implication  und  Translation 1023 

Epigenesis  und  Evolution 1028 


Zum  Abschlüsse  der  vorstehenden  Sammhmg  ist  es  wohl  zweck- 
mässig, wemi  der  leichteren  Uebersichtlichkeit  halber  diejenigen  Auf- 
fassungen kurz  im  Zusammenhange  dargestellt  werden,  welche 
sich  auf  zur  Zeit  umstrittene  Fragen  beziehen;  theils  weil  diese 
Auffassungen  in  den  Abhandlungen  sich  nur  zerstreut  vorfinden, 
theils  auch,  weil  in  letzter  Zeit  mannigfaches  neues  Beobachtungs- 
material dem  früheren  hinzugefügt  worden  ist,  dessen  Bedeutung  zu 
ermitteln  ist,  theils  auch  weil  Autoren  über  meine  Auffassungen  in 
nicht  entsprechender  Weise  berichtet  haben,  indem  sie  wesentliche 
Züge  ausgelassen,  den  Wirkungsumfang  anderer  Momente  zu  weit 
ausgedehnt  haben  u.  dgl.  ^). 

Bei  der  relativen  Kürze  der  folgenden  Ausführungen  wird  es 
aber  für  Autoren,  welche  nicht  schon  durch  die  Leetüre  der  Spezial- 
Abhandlungen orientirt  sind,  sofern  sie  selber  zu  urtheilen  wünschen, 
nicht  zu  umgehen  sein,  wenigstens  die  hier  angezogenen  Stellen  nach- 
zulesen. 


1)  Dies  gilt  besonders  von  den  Darstellungen  0.  Hertwig's  und  H.  Driesch's, 
ausweichen  der  Leser  kein  richtiges  Bild  meiner  Auffassungen  zu  gewinnen  vermag; 
und  dasselbe  bezieht  sich  auf  eine  Darstellung  von  M.  Verworn,  welcher  bei  der  Ab- 
fassung eines  mit  der  Ueberschrift  „Entwickelungsmechanik"  versehenen  Kapitels 
(seines  Buches  über  allgemeine  Physiologie  1894)  seine  Kenntnisse  wesentlich  einem 
dieser  Autoren  entnommen  zu  haben  scheint  (s.  S.  951  Anm.  2). 


998  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  H  der  gesammelten  Abhandlungen. 

Bei  ganz  normalen  Verhältnissen  der  Entwickelung  des  Frosch- 
eies hatte  sich  ein  Zusammenfallen  der  ersten  Furchungsebene  mit  der 
Medianebene  des  Embryo  ergeben  (Nr.  16),  wonach  das  Material  jeder 
der  beiden  ersten  Furchungszellen  in  seiner  Lage  dem  Material  einer 
Antimere  des  Embryo  entspricht  und  diese  aus  sich  hervorgehen  lassen 
kann.  Zugleich  wurde  festgestellt,  dass  normaler  Weise  die  erste 
Furchungsebene  und  die  Medianebene  des  Embryo  in  die  verticale 
Symmetrieebene  der  normalen  Eieinstelluug ,  das  heisst  in  die 
verticale  Symmetrieebene  der  Anordnung  der  hellen  und  dunklen  Ei- 
rindensubstanzen  fallen.  Weiterhin  wurde  beobachtet,  dass  nach 
Aufhebung  der  Entwickelungsfähigkeit  einer  der  beiden  ersten  Fur- 
chungszellen des  Froscheies,  die  andere  Zelle  sich  zu  einem  rechten 
oder  linken  halben  Froschembryo  entwickelte  (Nr.  22). 

Die  normale  zweite  Furche  des  Froscheies  scheidet,  wie  ich  fand, 
das  Material  der  Kopf-  und  Schwanzhälfte  des  Froschembryo ;  diese 
Bestimmung  wird  normalerweise  zur  Zeit  der  Befruchtung  (Nr.  20) 
und  wie  danach  ermittelt  wurde,  durch  dieselben  getroffen  (Nr.  21); 
letzteres  wird  dadurch  erkennbar,  dass  auf  der  von  mir  beliebig  gewählten 
,, Befruchtungsseite"  des  Eies  der  schwarze  Pol  sich  etwas  senkte  und 
diese  Seite  zur  caudalen  Seite  des  Embryo  wurde  (s.  S.  408). 

Nach  Zerstörung  der  der  letzteren  Hälfte  des  Eies  entsprechen- 
den beiden  der  vier  ersten  Furchungszellen  entstand  ein  typischer 
vorderer  halber  Embryo.  Bei  einigen  -  anderen  Thierstämmen 
(Ctenophoren,  Echinodermen :  Echinus  microtuberculatus)  wurde  gleich- 
falls die  Entstehung  von  Halbbildungen  aus  einer  isolirten  der 
beiden  ersten  Furchungszellen  beobachtet. 

Auf  diese  Thatsachen  begründete  ich  einige  theoretische  Auf- 
fassungen. Icli  schloss,  dass  unter  normalen  Verhältnissen  das 
Material  der  zwei  ersten  Furchungszellen  dem  Materiale  der  genannten 
Hälften  des  Embryo  entspricht,  und  dass  in  jeder  dieser  Zellen  das 
Material  derart  beschaffen,  also  auch  zugleich  von  dem  der  anderen 
Zelle  derart  verschieden  ist,  dass  jede  dieser  Zellen  sich  selbstständig, 
also  durch  „Selbstdif f erenzirung",  zu  der  betreffenden  Hälfte 
des  Embryo  entwickeln  kann  und  auch  normalerweise  sich  selbst- 
ständig entwickelt. 


Idioplastische  Bedeutung  des  Zellkernes.  999 


Pathologische  Vorkommnisse  wie  AcephaHa,  Hemitheria,  Dormoid- 
cystome,  metastatische  Tumoren  und  besonders  die  unvollkonnnenen 
doppeltsymmetrischen  Doppelbildungen  (S.  859)  sprechen  gleichfalls 
dafür,  dass  einzelnen  Zellen  oder  abgegrenzten  Zellcomplexen  das 
Vermögen  zukommt,  mehr  oder  weniger  weit  sich  selbstständig  zu 
entwckeln  (Nr.  28  u.  31). 

Da  für  die  Scheidung  des  Zellkern materiales  besondere, 
feine  Vorrichtungen  getroffen  sind,  welche  nach  dem  von  mir  er- 
brachten Nachweise  (S.  137  u.  308)  geeignet  sind,  das  Kernmaterial 
sowohl  qualitativ  zu  halbiren,  wie  beim  Vorhandensein  be- 
stimmt sondernder  Kräfte  in  den  Chromosomen,  in  diesen  Kräften 
aussprechender  Weise  qualitativ  ungleich  zu  theilen,  so  nahm 
ich  an,  dass  die  diese  besonderen  gestaltlichen  Leistungen  der  Zellen 
bewirkenden  gestaltenden  Substanzen  vorzugsweise  im  Kern 
enthalten  seien.  In  gleichem  Sinne  spricht,  wie  E.  Haeckel, 
v.  KöLLiKER,  C.  Hasse,  O.  und  R.  Hertwig,  Born,  ich  u.  A.  vertreten, 
der  Umstand,  dass  der  Samenkörper  w^eit  überwiegend  aus  Kern- 
material besteht,  sowäe  dass  kernlose  Stücke  von  Protisten  nicht 
regenerationsfähig  sind.  Auch  scheint  mir  der  Kern  zur  Lagerungs- 
stätte typisch  gestaltender  Potenzen  deshalb  besonders  geeignet 
zu  sein,  weil  er  nicht  so  unmittelbar  und  intensiv  an  den  der  fort- 
währenden Erhaltung  des  Individuums  dienenden,  function eilen 
Leistungen  der  Zelle  betheiligt  erscheint  als  der  Zellleib. 

Da  aber  auch  bei  künstlich  localisirter  Befruchtung  des  Froscli- 
eies  die  erste  Furche  und  die  Medianebene  durch  den  Meridian  der 
beliebig  gewählten  Befruchtungsstelle  gehen  (Nr.  21),  und  da  ich  entgegen 
Pflüger  zeigt^  (S.  328),  dass  auch  noch  bei  wenig  schiefer  Zwangs- 
lage des  Eies  ausser  der  Medianebene  auch  die  erste  (oder  zweite) 
Furche  überwiegend  häufig  wiederum  durch  die  mit  der  Zwangslage 
zugleich  künstlich  bestimmte  Symmetrieebene  der  Einstellung  der 
Dottersubstanzen  des  Eies  ging,  so  folgte,  dass  der  so  hervorgebrachten 
Anordnung  des  braunen  und  weissen  Dotters  ein  Einfluss 
bei  der  Bestimmung  der  Richtung  der  Medianebene  und 
der  Furchungsebenen  zukommt  (S.  408).  Ich  nahm  an,  dass 
die  Anordnung  dieses  Materiales   die   Kernspindel   richtend  beein- 


1000  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

flusst  (S.  336)  und  zugleich  auslösend  darüber  entscheidet,  welche 
von  den  zwei  ersten  (durch  die  mit  der  Befruchtung  eingeleitete 
t^^pische  Entwickelung  prädisponirten)  typischen,  die  weitere  Gestal- 
tung bestimmenden  qualitativen  Kern th eilungen  zuerst  entstehe, 
mit  dem  Erfolg,  dass  bestimmt  beschaffenem  Dottermaterial  der  ent- 
sprechende Theil  des  durch  die  Befruchtung  activirten,  also  bei 
der  normalen  Entwickelung  thätigen  Kernmaterials  zugewendet 
und  zugeführt  werde;  während  gleichzeitig  für  die  Re-  und  Post- 
generation bestimmtes,  durch  die  Befruchtung  „nicht  activirtes"  Kern- 
material, „Reserveidioplasson",  qualitativ  halbirt  werde  und  daher 
in  jeder  der  ersten  Blastomeren  in  gleicher  Weise  und  zwar  totipo- 
tent  vorhanden  sei. 

Die  Unterscheidung  des  durch  die  Befruchtung  activirten,  die 
normale  s.  typische  Entwickelung  bestimmenden  und  vollziehenden 
Idioplasson  von  einem  bei  dieser  Entwickelung  un thätigen  Reserve- 
idioplasson zur  regenerativen  s.  regulatorischen  Entwickelung  scheint 
deshalb  nöthig,  weil  ,,ganz"  dasselbe  thätige  Idioplasson  nicht  wohl 
verschiedene  Leistungen  veranlassen  und  vollziehen  kann;  wenn 
schon  die  Hauptmenge  des  verwendeten  Materiales  in  beiden  Fällen 
dieselbe  sein  kann,  so  muss  doch  das  die  Verschiedenheit  der  Ver- 
wendung bedingende  Material  entsprechend  anders  beschaffen  sein. 

Aus  den  Hemiembryonen  oder  aus  früheren  Stufen  der  Halb- 
bildungen bildeten  sich  weiterhin,  je  nach  zufälligen  Umständen  mit 
(Nr.  22)  oder  ohne  (8.  796)  Verwendung  von  Material  der  zweiten, 
operirten  Eihälfte,  nachträglich  ganze  Embryonen.  Diese  Leistung 
wurde  von  einer  durch  den  Defect  bewirkten  Activirung  des  ange- 
nommenen „Reserveidioplasson"  abgeleitet. 

Bei  der  Re-  und  Postgeneration  unterschied  ich  zunächst 
auf  Grund  der  vorliegenden  Thatsachen  zwei  Arten  von  Ergänzungs- 
vorgängen, nämlich  ausser  der  Regeneration  unter  der  bekannten 
Neubildung  von  Zellen  oder  Proliferation  noch  die  Regeneration 
durch  Umdif  f  eren  zirung  und  Umordnung  schon  vorhandener 
Zellen  (S.  836  u.  f.  u.  8.  896).  Die  letztere  Art  von  Vorgängen  über- 
wiegt bei  der  Regeneration  niederer  Thiere  und  auf  niederen  Ent- 
wickelungsstufen  höherer  Thiere;  bei  ihr  werden  nicht  blos  die  Zellen, 


Differencirende  Conelationcn.  1001 


welche  den  Defectrand  begrenzen,  sondern  alliii;ililich  fortschreitend 
auch  weit  davon  entfernte  Zellen  zur  Bildung  neuer  Theile  verwendet, 
also  entsprechend  u m  d  i  f  f  e  r  e n  z i r  t  und  u  m  g e  o  r  d  n  e  t.  Dieser  Vor- 
gang muss  irgendwie  ausgelöst,  und  geleitet  ^werden,  obgleich  diese 
Zellen  ganz  oder  grösstentlieils  ihre  frühere  Nachbarschaft  behalten 
haben.  Ich  nehme  an,  dass  diese  Nachbarschaft,  von  der  Störung  am 
Defectrande  ausgehend  qualitativ  verändert  wird,  und  dass  diese 
Aenderung  das  Auslösungsmoment  der  Activirung  des  Reserveidio- 
plasson  in  den  Zellen  oder  mit  anderen  Worten,  das  Auslösungs- 
moment der  ,, gestaltlichen  Regulationsmechanismen"  darstellt. 

Dadurch  mrd  die  etwa  normaler  Weise  mehr  oder  weniger 
vorhandene  Selbstständigkeit  mancher  einzelner  Zellen  und  Zellen- 
gruppen unter  Wirkung  des  durch  die  Summe  aller  Zellen  gebildeten 
Ganzen  oder  eines  Theiles  desselben  sehr  beschränkt  (S.  980).  Dies 
gilt  allgemein  für  die  ,, atypische",  durch  Störungen  des  normalen 
Verlaufes  (in  Folge  von  Defect,  Pressung  während  der  Furchung  etc.) 
ausgelöste  Entwickeiung.  Bei  der  normalen  Eutwickelung  ist  die  gestal- 
tende und  differenzirende  Selbstständigkeit  der  einzelnen  Zellen  —  von 
der  nachgewiesenen  und  etwa  sonst  noch  bestehenden  ,,Selbstdifl:e- 
renzirung"  einzelner  Zellen  oder  Zellcomplexe  abgesehen  — ■  wahr- 
scheinlich gleichfalls  durch  vielfache  entsprechende,  gestaltende  und 
qualitativ  differenzirende  Correlationen  unter  ihnen  (s.  S.  316,  455) 
beschränkt,  ganz  abgesehen  davon,  dass  die  Entwickeiung  als  ,, Aende- 
rung" ihrem  allgemeinsten  Wesen  nach,  überhaupt  auf  ,, Wechselwir- 
kungen", also  differenzirenden  Correlationen  beruht  (S.  14,  828,  883); 
so  dass  blos  die  Frage  bleibt,  innerhalb  welcher  Bezirke  (Zellen, 
Zellcomplexe  ej^c.)  diese  Wechselwirkungen  stattfinden.  Ueber  diese 
Bezirke  und  über  die  in  ihnen  stattfindenden  differenzirenden  Wirkungen 
der  normalen  Entwickeiung  können  wir  aber  zur  Zeit  nur  überaus 
unbestimmte  Vermuthungen  hegen,  so  dass  es  unangemessen  ist,  be- 
stimmte Aeusserungen  darüber  zu  machen  (die  späteren,  durch  die 
Ausübung  der  Function  vermittelten  gestaltenden  und  anderen  bereits 
bekannten  trophischen  Correlationen  [s.  Nr.  4]  ausgenommen). 

Im  Sinne  derjenigen  Autoren,  welche  auffallender  Weise  glauben, 
dass  die  Gestaltungsvorgänge  bei  den  genannten  Störungen  gleich- 


1002  Nr.  33.    Nachwort  zu  Band  11  der  gesammelten  Abhandlungen. 

wohl  die  ii  o  r  m  a  1  e  n  seien ,  nehme  ich  somit  überaus  weitgehende 
und  bereits  bestimmt  formulirte  (Nr.  28)  Beschränkungen  der  Selbst- 
ständigkeit der  gestaltenden  Thätigkeit  der  einzelnen  Zellen  auch  für 
die  (nach  ihrer  Meinung)  normale  Entwickelung  an;  (gerade  von 
diesen  Autoren  ist  aber  die  Behauptung  ausgegangen ,  ich  stellte 
differenzirende  Correlationen  in  Abrede). 

Bei  der  normalen  oder  anormalen  „abhängigen  Di  ff  er  en- 
zirung"  von  Zellen  ist  es  selbstverständlich  durch  die  Lage  der  Zellen 
zu  den  differenzirend  auf  sie  wirkenden  anderen  Zellen  bedingt,  was  aus 
der  einzelnen  Zelle  wird.  In  diesem  Sinne  ist  das  „Schicksal" 
der  Zelle  eine  Function  ihrer  Lage  (S.  913).  Indem  das  Ganze 
aus  lauter  Nachbarzellen  sich  zusammensetzt,  kann  auch  die  Lage 
der  Zellen  zum  Ganzen  und  somit  in  gewissem Maasse  die  Gestalt 
des  Ganzen  von  Einfluss  auf  das  Geschehen  an  den  einzelnen  Zellen 
bei  abhängiger  Differenzirung  derselben  sein,  wie  dies  l}ei  der  hoch- 
gradigen Regeneration  niederer  Thiere  sich  zu  bekunden  scheint. 

Daraus  folgt,  dass  es  ausser  den  der  jeweiligen  Erhaltung 
des  Individuums  in  seinem  Zustande  dienenden  ,,f  unctionellen" 
Beziehungen  der  Theile  des  Organismus  und  deren  gestaltenden 
Wirkungen  (der  ,, morphologischen"  functionellen  Anpassung, 
s.  Bd.  I)  noch  davon  ganz  oder  in  hohem  Maasse  unabhängige  ge- 
staltliche Beziehungen,  somit  ein  gestaltliches  Lehen  der 
Theile  des  Individuums,  also  auch  des  Individuums  selber  giebt  (S.  187, 
891,905).  Dafür  sprechen  auch  schon  die  überwiegend  in  gestalt- 
lichen Leistungen  sich  vollziehenden  frühen  Stadien  der  embryo- 
nalen Entwickelung  und  insbesondere  noch  die  aus  functionell 
gleichen  Theilen  sich  aufbauende,  gleichwohl  typische  Structur 
vieler  Organe  z.  B.  der  Leber,  Hoden,  Milz  etc.  und  die  Regeneration 
dieser  Organe^). 

1)  Weiterhin  kann  noch  experimentell  geprüft  werden,  ob  auch  die  Gestalt 
des  Ganzen  oder  der  Theile  desselben  als  solche,  d.  h.  unabhängig  von  der  Aende- 
rung  der  Nachbarschaft  der  verschiedenen  Zellen  zu  einander  auf  die  sie 
zusammensetzenden  Zellen  dififerenzirend  wirkt,  ob  also  z.  B.  ohne  Defect  und  Zu- 
sammenhangstrennung und  mechanische  Störungen  bei  passiver  Deformation  aus 
functionell  einander  gleichen  Zellen  gebildeter  Organe  (Verdauungsdrüsen,  Hoden, 
Milz)  Reparation  ausgelöst  werden  kann,  und  ob  andererseits  nach  Defect  blos  in  Folge 
passiver  Wiederherstellung   der   Hauptform    oder  durch  Vernähen   der  Wundflächen 


Umdifferenzirung  bei  dem  Ausgleich  von  Störungen.  1003 

Die  Annahme  des  Stattfindens  umdifferenzircnder  Wirknngen 
der  benachbarten  Zellen  aui"  einander  dehnte  ieli  auch  auf  den  Aus- 
gleich der  Störungen  bei  dem  häutigen  aber  gleichwold  nicht  als 
normal  zu  bezeichnenden  Vorkommniss  der  nachträglichen  mecha- 
nischen Umordnung  der  FurchungszeUen  aus  (S.  911).  Hierbei 
können  z.  B.  die  oberen  vier  Zellen  sich  um  20 — 45*^  gegen  die  vier 
unteren  verschieben;  in  Folge  dessen  können  dann,  da  die  normaler 
Weise  die  Medianebene  begrenzenden  Theile  sehr  erheblich  gegen  ein- 
ander verschoben  sind,  die  Zellen  nicht  mehr  auf  dieselbe  Weise,  wie  es 
normal  geschieht,  sich  entwickeln.  Da  solche  Verschiebungen  der  ersten 
FurchungszeUen  auch  in  der  freien  Natur  häufig  vorkommen,  so 
nahm  ich  an,  dass  in  Folge  dessen  schon  in  frühester  Zeit  der 
Phylogenese  regulatorische  Mechanismen  gezüchtet  wurden,  die 
diese  Fehler  auszugleichen  vermögen;  das  seien  eben  die  Mecha- 
nismen der  Auslösung  des  Reserveidioplasson  bei  Störungen  der 
normalen  Anordnung,  welche  ja  gleich  einem  Defect  zur  Bil- 
dung „abnormer  Nachbarschaft"  führt. 

Da  bei  Entstehung  der  erwähnten  H  a  1  b  b  i  1  d  u  n  g  e  n  die  isolirte 
Blastomere  dasselbe  producirt,  wie  es  unter  den  normalen  Ver- 
hältnissen geschieht ;  und  da  dabei  zugleich  aufjedem  einzelnen 
durchlaufenen  Ent wickeln ngsstadium  die  normalen  typischen 
äusseren  und  inneren  Formen  gebildet  werden,  so  habe  ich  ange- 
nommen, dass  auch  die  Bildungs weisen  bei  der  Production  dieser 
selbstständigen  Halbgebilde  dieselben  seien,  wie  bei  der  Production 
der  gleichen  Bildungen  im  ganzen  Ei,  also  wie  bei  der  normalen 
Entwickelung  beider  noch  in  Berührung  befindlicher  Hälften  des 
Eies  resp.  des  Embryos '). 


eine  sonst  bei  demselben  Thiere  stattündende  echte  Regeneration  (nicht  blos  Narben- 
bildung wie  bei  uns)  verhindert  werden  kann. 

Meine  Beobachtung,  dass  dauernd  während  der  Entwickelung  gepresste  Eier 
sich  der  Hauptsache  nach  innerlich  und  äusscrlich  in  solcher  Weise  zu  Embryonen 
entwickeln,  als  ob  erst  die  schon  entwickelten  normal  gebildeten  Embryonen  passiv 
deformirt  worden  wären  (S.  926),  spricht  aber  nicht  für  einen  solchen  jetzt  von  einigen 
Autoren  vertretenen  Einfluss  der  Gestalt  als  solcher  ohne  Vermittelung  der 
von  mir  herangezogenen  Nachbarschaftswirkungen  (S.  890). 

1)  Von  anderer  Seite  wird  dagegen  angenommen,  die  Production  dieser  Halb- 
gebilde beruhe  auf  einer  Störung  der  normalen  Entwickelung. 


1004  Nr.  33.    Nachwort  zu  Band  11  der  gesammelten  Abhandlungen. 

Diese  Art  der  also  durch  selbst  ständige  Entwickelung  jeder 
von  beiden  (resp.  vier)  ersten  Furchungszellen  charakterisirten  Ent- 
wickelung habe  ich  als  directe,  normale  s.  typische  bezeichnet,  weil  sie 
auf  typischem  Wege,  das  heisst,  soweit  man  es  verfolgen  kann, 
unter  Verwendung  jeder  Furchungszelle  zu  dem  auch  nor- 
maler Weise  aus  ihr  hervorgehenden  Theile  des  Embryo 
und  unter  dem  normalen  Eormencyclus  das  Typische  producirt, 
im  Gegensatze  zur  atypischen  s.  regulatorischen  Entwickelung, 
welche  bei  ,,  Störung"  der  Entwickelung  (durch  Defect,  Defor- 
mation etc.)  also  bei  atypischen  Verhältnissen  stattfindet  und 
daher  noth wendig  auch  auf  mehr  oder  weniger  atypischem  Wege, 
deutlich  erkennbar  u  n  t  e  r  a  n  d  e  r  e  r  als  d  e  r  n  o  r m  a  1  e  n  Ve  r  w  e  n  düng 
der  Zellen  das  (übrigens  oft  blos  annähernd)  Typische  herstellt. 

Den  auf  diese  Weise  gedeuteten  Thatsachen  wurden  nun  in  den 
letzten  Jahren  wichtige  neue  Thatsachen  hinzugefügt.  Erstens 
fanden  mehrere  Autoren  H.  Drie.suh,  Wilson,  J.  Loeb,  Morgan,  M.  Bijnting 
(s.  S.  984  u.  f.),  dass  bei  verschiedenen  niederen  Thieren  eine 
isolirte  der  beiden  oder  der  vier  ersten  Furchungszellen  sich  wie  das 
ganze  Ei  furchte  und  sogleich  eine  ganze  Morula,  Blastula  etc. 
lieferte,  also  nicht  zuerst  ein  Halbgebilde  producirte,  das  erst  nach- 
träglich durch  Postgeneration  sich  zu  einer  (lanzbildung  ergänzte. 

Als  Pflügek  und  ich  früher  Froscheier  deformirt  hatten  (Nr.  29) 
zeigten  sich  Aenderungen  der  Furchung,  welche  indess  blos  derart 
waren,  dass  ich  sie  als  zeitliche  Verwechslung  der  drei  ersten  Fur- 
chungen deuten  konnte,  indem  dabei  noch  die  übrigen  normalen  Bezieh- 
ungen der  ersten  Furchen  zur  Medianebene  des  Embryo  erkennbar 
blieben.  Neuerdings  nun  wurden  widerstandsfähigere  Eier  (vom  Seeigel) 
viel  stärker  gepresst,  so  stark,  dass  statt  einer  zweischichtigen  blos  eine 
einschichtige  achtzellige  Platte  bei  der  Furchung  entstand  (H.  Driesgh);- 
trotz  dieser  hochgradigen  Störung  während  der  Furchung  wurde 
später,  nach  dem  Aufhören  der  Deformation  eine  normal  gestaltete 
Pluteusform  gebildet. 

Diese  beiderlei  neuen  Thatsachen  lassen  sich,  für  sich  allein 
genommen,  am  einfachsten  so  ableiten,  dass  die  ersten  Furchungen 
normaler  Weise    im   Wesentlichen    gleichbeschaffene,    toti})otente 


Angebliche  Gleichheit  der  Furchungszellen.  1005 


Zellen  liefern,  also  selber  blos  Z erkleine rnng  des  Eimateriales  dar- 
stellen. 

Dann  können  ohne  jede  weitere  für  diese  Fälle  geraaehte  An- 
nahme, diese  Resultate  aus  dem  angenommenen  normalen  Geschehen 
abgeleitet  werden ;  und  die  bezüglichen  Autoren  Driesch  und  0.  Hertwig 
haben  weiterhin  sogleich  behauptet,  dass  auch  die  Entwickelungs- 
weise  in  den  genannten  abnormen  Fällen  die  normale  sei,  ohne 
jedoch  einen  Beweis  hierfür  zu  erbringen. 

Diese  Einfachheit  der  Ableitung  der  neuen  Thatsaclien  ist 
wohl  der  Grund,  dass  diese  Auffassung,  wie  es  scheint,  einige  Ver- 
breitung gewonnen  hat;  was  aber  an  sich  nichts  für  die  Richtigkeit 
derselben  beweist. 

Den  Kernpunct  dieser  Annahme,  dass  das  ganze  Kernmaterial 
bei  jeder  Furchung  qualitativ  halbirt  werde,  hat  natürlich  Niemand 
direct  zu  erweisen  vermocht,  ebenso  wenig  wie  ich  dies  bezüglich 
meiner  Annahme,  dass  blos  das  Reserveidioplasson  (eine  Strecke 
weit)  qualitativ  gleich  getheilt  werde,  während  das  durch  die  Befruch- 
tung activirte,  bei  der  normalen  Entwickelung  thätige  Kern- 
material in  typischer  Weise  qualitativ  ungleich  getheilt  werde, 
thun  konnte.  Es  ist  daher  nicht  begründet,  es  als  einen  besonderen 
Mangel  meiner  Auffassung  zu  bezeichnen  (Wilson,  Driesch),  dass  ihr 
Kernpunct  nicht  direct  beweisbar  sei.  Beide  Auffassungen  müssen 
damit  rechnen,  dass  unter  dem  Microscop  gleich  aussehende  Theil- 
chen  in  ihren  lebensthätigen  Eigenschaften,  also  auch  in  ihrer  Struc- 
tur  ausserordentlich  verschieden  sein  können  (s.  S.  142).  Vielleicht 
ebenso  wenig  wie  die  verschiedenen  Eigenschaften  des  Vaters  im 
Samenkörner,  werden  wir  die  vielen  verschiedenen  Qualitäten  resp. 
Structuren  des  idioplastischen  Kernmateriales  sichtbar  machen  können; 
und  ungleiche  Vertheilung  der  Chromosomen  auf  beide  Kerne  nach 
BovERi  beweist  blos  bei  ihrem  Vorkommen  ungleiche  Theilung,  ohne 
bei  ihrem  Fehlen  ungleiche  qualitative  Theilung  auszuschliessen. 

D  i  e  s  e'  e  r  w  ä  h  n  t  e  neuere  A  b  1  e  i  t  u  n  g  s  w  e  i  s  e  ist  jedoch 
nur  dann  „einfach",  wenn  sie  blos  für  die  beiden  neuen 
Thatsachen  angewendet  wird,  für  die  sie  gemacht  worden 
ist;    sie    verliert  diese   Eigenschaft  sofort,    wenn  man   die   anderen 


1006  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

vorliegenden  Thatsachen,  statt  sie  zu  übergehen,  gleichfalls  mit  diesen 
Annahmen  zu  erklären  versucht. 

Zunächst  bedingt  sie  eine  besonders  schwierige,  um  nicht  zu 
sagen  unverständliche  Annahme  für  den  ersten  Theil  der  indivi- 
duellen Entwickelung.  Denn  wenn  nach  0.  Hertwig  alle  Furchungs- 
zellen  einander  ,,ganz"  oder  nach  Driesch  „wesentlich"  gleich 
sind,  so  entsteht  die  Frage,  wodurch  dann  aus  der  Gesammtheit 
dieser  vielen  Zellen,  von  denen  jede  einzelne  dem  ganzen  Eie 
gleicht,  also  auf  ein  Ganzes  eingestellt  ist,  ein  einziges  typisches 
Ganze  werde. 

Woher  kommt  auf  ein  Mal  die  dazu  nöthige  typische  Un- 
gleichheit? 

Zudem  habe  ich  beim  Frosche  direct  eine  typische,  normaler 
Weise  durch  die  Befruchtung  veranlasste,  also  gleich  beim  Beginne 
der  individuellen  Entwickelung  producirte  Verschiedenheit  in  der 
Anordnung  der  verschiedenen  Dottermaterialien,  wie  bereits  erwähnt, 
direct  nachgewiesen,  (Nr.  21,  Nr.  30),  was  den  bezüglichen  Autoren 
nicht  bekannt  zu  sein  scheint. 

Vielleicht  in  Folge  der  genannten  Schwierigkeit  haben  jüngst 
Driesch  und  zum  Theil  auch  Wilson  angenommen,  dass  die  ersten 
Furchungszellen  nicht  ganz  oder  w^esentlich  gleich,  sondern  schon 
wesentlich  typisch  ungleich  sind,  womit  das  Princip  der  Gleichheit 
der  Furchungszellen  von  ihnen  durchbrochen  und  nur  noch  von  O. 
Hertwig  vertreten  ist.  Danach  besteht  in  dieser  Hinsicht  zwischen 
den  ersteren  Autoren  und  mir  blos  noch  über  die  Beschaffenheit 
der  normalerweise  activen  Theile  des  Kernes  eine  principielle 
Verschiedenheit  der  Auffassung^). 


1)  Doch  spricht  sich  Driesch  in  letzter  Zeit  wieder  für  die  „prospective  Gleich- 
heit" der  Furchungszellen  und  der  Zellen  der  ßlastula  und  Gastrula  aus.  S.  Arch. 
f.  Entw.  Bd.  IL  Heft  2. 

DRiESf:n  und  0.  Hertwig  begehen  fortgesetzt  in  der  Deutung  der  Befunde 
den  wesentlichen  Irrthum,  dass  sie  die  normale  s.  typische  Entwickelung  und 
die  atypische  s.  regulatorische  Entwickelung,  letzterer  gar  nicht,  ersterer 
nicht  genügend  trennen  und  daher  normale  und  abnorme  Verhältnisse 
als  gleichwerthig,  ja  als  identisch  behandeln,  indem  sie  das  Verhalten  der 
Zellen  nach  Defecten  oder  Störungen  der  Anordnung  etc.  auf  das  Verhalten  der 


Angebliche  Gleichheit  der  Furchungszellen.  1007 

Weiterhin  vermag  die  Annahme  vollkommen  gleiche  r  erster 
Furchungszellen  auch  die  Entstehung  der  typischen  H  a  1  h  h  i  kl  u  n  g  e  n 
aus  allein  sich  entwickelnden  ersten  Furchungszellen  nicht  zu  erklären^). 
Für  diese  experimentell  erzeugten,  in  der  freien  Natur  nur  selten  vorkom- 
menden Gebilde  müsste  ein  ganz  neuer,  besonderer  Mechanismus, 
der  bei  keinem  anderen  Falle  Verwendung  finden  könnte, 
angenommen  werden,  obschon  er  in  der  freien  Natur  nur  selten  Ge- 
legenheit zur  Verwendung  fände  und  daher  keinen  ^^orzug  gewährte, 
also  nicht  züchtbar  gewesen  wäre.  H.  Driesgh  leitet  die  von  Fiedler 
und  ihm  erhaltenen  Halbbildungen  von  Echinus  davon  ab,  dass  die 
aus  einer  der  beiden  ersten  Blastomeren  hervorgegangenen  Furchungs- 
zellen zufällig  nicht  zu  einer  ganzen  Kugel  zusammen  geglitten  seien; 
dabei  ist  aber  versäumt  anzugeben,  durch  welche  nothwendiger  Weise 
wohl  geordnete,  typische  ,, Zufälligkeit"  vorher  aus  einer  der  beiden 
ersten  Blastomeren  die  die  typische  Halbbildung  darstellende,  halb- 
kugelschalenförmige  Semimorula  und  Semiblastula  nach   seiner  Mei- 


Zellen  bei  der  normalen  Entwickelung  übertragen.  Obgleich  auch  Driesch berichtet, 
dass  nach  den  Defecten  viele  Zellen  „andere  Verwendung  finden  als  normal", 
bezieht  er  die  bei  dieser  „abnormen"  Verwendung  betliätigten  Po- 
tenzen doch  auch  auf  die  „normale"  Entwickelung;  ebenso  wird  aus 
„gleichem"  Vermögen  von  Zellen  zur  „Regeneration"  und  „Postgene- 
ration" ohne  Weiteres  auf  „gleiche  prospective  Bedeutung  dieser 
Zellen",  auf  gleiche  Potenzen  zur  „normalen"  Entwickelung  ge- 
schlossen. 

So  lange  dieser  wesentliche  Irrthum  bei  der  Deutung  der  Befunde  gemacht 
wird,  ist  eine  richtige  theoretische  Verwerthung  der  an  sich  sehr  werthvollen  that- 
sächlichen  Ergebnisse  Driesch's  von  seiner  Seite  nicht  zu  erwarten. 

Dazu  kommt,  dass  beide  Autoren  zu  grossen  Respect  vor  ihren  Theorien  haben ; 
denn  sie  sind  jederzeit  bereit,  jede  Thatsache,  die  nicht  zu  diesen  Theorien  passt, 
ohne  Weiteres,  d.  h.  ohne  jede  thatsächliche  Unterlage  als  unrichtig  oder  mindestens 
als  zweifelhaft  und  als  daher  nicht  berücksichtigenswerth  zu  bezeichnen;  ihre  nach- 
träglich gemachten  Versuche,  solche  Zweifel  mit  Thatsachen  zu  belegen,  haben 
sich  aber  nicht  als  glücklich  erwiesen. 

1)  In  seiner  neuesten  Publication:  „Die  Tragweite  der  Zellen theorie"  (Aula, 
Wochenschrift,  Heft  1,  1895)  verschweigt  0.  Hertwig  im  Interesse  der  Einheit  seiner 
Lehre  die  dieser  Lehre  direct  widersprechenden  Halbbildungen:  Hemiembryonen 
des  Frosches,  der  Ctenophoren,  die  Semimorula  und  Semiblastula  von  Echinus  etc. 
den  zumeist  nicht  selber  orientirten  Lesern  dieses  Blattes  ganz  und  erwähnt  die 
erst  secundär,  durch  Postgeneration  aus  diesen  Halbbildungen  hervor- 
gehenden Ganzbildungen  im  Sinne  von  primären  (!)  Bildungen. 


1008  Nr.  33.    Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 


nung  gebildet  wurde,  obgleich  zuerst  deren  Entstehung  zu  er- 
klären wäre. 

Haben  wir  aber  irgend  eine  typische,  sei  es  auch  nur  proto- 
plasmatische, die  individuelle  Entwickelung  von  der  ersten  Ei- 
theilung  an  bestimmende  Verschiedenheit  der  Furch ungszellen,  so  ist 
damit  sofort  die  Möglichkeit  zur  Ableitung  der  Halbbildungen 
gegeben.  Die  specielle  Art  dieser  möglichen  Ableitung  ist  natürlich 
sowohl  von  der  Art  der  erwiesenen  resp.  angenommenen  specifischen 
Verschiedenheiten  wie  von  den  bei  der  Entwickelung  vorkommenden 
Wechselwirkungen  von  Theilen  abhängig;  sie  kann  also  zunächst  in 
sehr  verschiedener  Weise  gedacht  werden. 

Bei  Annahme  vollkommen  gleicher  Kerne  muss  eine  Ver- 
schiedenheit im  Zellleib  als  das  Bestimmende  aut'gefasst  werden. 

Es  erscheint  mir  aber  zweifellos,  dass  für  die  Entstehung  der 
halben  Froschembryonen  eine  grosse  Folge  auf  Halbbildungen 
eingestellter,  besonderer  gestaltender  Mechanismen  thätig 
sein  muss,  dass  es  mit  einigen  groben  physikalischen  Geschehnissen 
allein  (Driesch)  nicht  gethan  ist ;  und  ich  kenne  zur  Zeit  keine  Gründe, 
die  dafür  sprechen,  dass  diese  gestaltenden,  die  Ausführung  des 
Detail  der  Halbbildungen  bewirkenden  Kräfte  ganz  oder  wesentlich 
im  Zellleib  liegen. 

Eine  andere  Frage  aber  ist  es,  ob  nicht  solche  complicirten 
Mechanismen,  welche  die  halben  Embryonen  mit  allen  ihren 
Specialbildungen  oder  anders  abgegrenzte  Hälften  unvoll- 
kommener Doppelbildungen  (s.  S.  938)  herstellen,  auf  eine  ein- 
fache Weise  ,,ausgelöst"  (S.  45)  werden  können,  und  ob  zu 
dieser  Auslösung  nicht  schon  Eigenschaften  des  Zellleibes  genügen. 
Diese  Vorstellung  war  schon  durch  meine  oben  erwähnten  Ableitungen 
des  Ausgleiches  von  Störungen,  insbesondere  durch  die  Regeneration 
auf  dem  Wege  der  Umdifferenzirung  und  durch  den  Ausgleich  bei 
nicht  künstlich  hervorgebrachter  Störung  in  der  Lagerung  der 
Furchungszellen  (Nr.  28)  bei  mir  angebahnt  und  ist  dann  durch 
die  neueren  Beobachtungen  von  sofortiger  Ganzfurchung  und  Ganz- 
entwickelung isolirter  Blastomeren  niederer  Thiere  verstäi'kt  worden. 
Als  im   vorigen   Jahre   auf   dem  Anatomencongress  zu  Strassburg 


Gestaltbüduiig  , auslösende"  Wirkung  der  Anordnung  des  Dotters.  1009 


TTcrr  ().  Sghultze  licrichtctc,  dass  er  durch  Unikelir  von  Froscbeieru 
nach  der  ersten  Furche  Doppelbildungen  erzeugt  habe,  sprach  ich 
daher  in  der  Discussion  sofort  diese  Annahme  aus  (S.  1)83). 

Danach  ist  bei  den  bezüglichen  Thieren,  Rana,  Bolina,  etc.  die 
Erhaltung  derHalbeigestalt  jeder  der  beiden  ersten  isolirten Blasto- 
meren, vorzugsweise  aber  wohl  die  Erhaltung  der  Haibeianordnung 
der  verschiedenen  Dottersubstanzen  besonders  in  der  Umgebung 
des  Kernes  die  Vorbedingung,  dass  sich  der  Kern  entsprechend 
seiner  normalen  immanenten  Tendenz,  so  wie  es  einem  halben  Ei 
zukommt,  nicht  blos  theilt,  sondern  auch  weiter  gestaltend  bethätigt. 
Haben  die  verschiedenen  Dottersubstanzen  in  der  Umgebung  des 
Kernes  aber  abnormer  Weise,  sei  es  blos  durch  Rundung  der  Zelle 
nach  der  Isolirung  bei  Amphioxus,  Sphärechinus  oder  durch  Pressung 
und  Umkehr  beim  Froschei  (s.  S.  937)  das  Wesentliche  der  Dotter- 
an Ordnung  eines  ganzen  Eies  angenommen,  dann  wird  nach  meiner 
Auffassung  durch  den  gegenseitigen  Widerstreit  abnormer  AVirkungen 
zwischen  Zellleib  und  dem  auf  Halbbildung  eingestellten  Zellkern  die 
weitere  normale  qualitative  Kerntheilung  gestört,  das  Reserveidio- 
plasson  des  Kernes  activirt,  und  es  findet  Ganzentwickelung 
entsprechend  der  Anordnung  des  Dotters  durch  auslösende  Wir- 
kung desselben  auf  den  Kern  statt. 

Da  mehrere  Autoren  auch  bei  ein  und  demselben  Objecte, 
Echinus  Driesch,  Amphioxus  Wilson  abwechselnd  verschiedene  Resultate, 
bald  Ganz-  bald  Halbfurchung  aus  isolirten  Blastomeren  erhielten, 
so  sei  darauf  hingewiesen,  dass  ich  beim  Frosche  schon  seit  vielen 
Jahren  beobachtet  habe,  dass  die  Schädigung  der  Eier  durcli  ver- 
zögerte Laichung  weniger  die  Fähigkeit  zur  normalen  typischen 
Entwickeluug  beeinträchtigt  als  die  Fähigkeit  der  atypischen  s.  regu- 
latorischen Entwickelung,  die  Fähigkeit  zur  Postgeneration  und  zu  son- 
stigem Ausgleich  von  Störungen;  sodass  man  am  Ende  der 
Laichperiode  nach  Operation  sehr  leicht  Halbbildungen 
(s.S. 953)  und  Missbildungen  erhält,  während  am  Anfange  einer 
nicht  verzögerten  Laichperiode  trotz  tiefgreifender  künst- 
licher Störungen  selbst  Entwickelung  der  „operirten"  Ei- 
hälfte  stattfindet,  indem  die  letztere  sehr  rasch  nachcellulirt  und 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlungen.    II.  64 


1010  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 


dann  entwickelt  wird.  Es  scheint  somit,  dass  die  Mechanismen  der 
„morphologischen  Selbstregulation"  leichter  geschädigt 
werden,  als  die  festeren,  typischen  Mechanismen  der 
„normalen"  Entwickelung.  Dies  könnte  ein  Grmid  für  die 
Ungleichheit  der  Resultate  bei  demselben  Objecte  sein. 

Von  noch  weit  grösserer  Bedeutung  kann  aber  ein  anderes 
Moment  sein. 

Soweit  jede  der  zwei  resp.  vier  ersten  Furchungszellen  des 
Ampbioxus  und  Fundulus  bei  Isolirung,  auch  ohne  Schütteln,  blos 
durch  die  Nadel  und  ohne  gleichzeitige  passive  Deformation  ihre 
normale  abgeplattete  Gestalt  nach  vollkommener  Isolirung 
nicht  genügend  behält,  soweit  muss,  da  diese  Gestalt  also  dann 
durch  die  Zusammenlagerung  der  Zellen  nicht  allein  hervorgerufen, 
sondern  auch  erhalten  wurde,  in  Folge  der  erwähnten  auslösenden 
Wirkung  dieser  Gestalt  der  von  mir  für  das  Froschei  aufgestellte  Satz 
der  „selbstständigen  Entwickelung  jeder  der  vier  ersten  Furchungs- 
zellen", der  Satz  der  „Mosaikarbeit"  für  diese  und  alle  in  gleicher 
Weise  sich  verhaltenden  Thiere  eine  entsprechende  Einschränkung 
erfahren;  doch  ist  das  eventuelle  bezügliche  Verhalten  erst  durch 
unter  den  genannten  Cautelen  angestellte  Anstich-  resp.  Isolationsver- 
suche für  jede  Thierart  besonders  festzustellen. 

Für  das  Froschei  dagegen,  für  welches  der  Satz  aufge- 
stellt wurde,  ist  Entsprechendes  nicht  zu  vermuthen;  und  es 
spricht  direct  gegen  ein  solches  Verhalten,  dass  ich  sogar  bei  Um- 
kehrung der  Eier  nach  der  ersten  Furchung  (S.  936)  keine  Doppel- 
bildungen, sondern  noch  Halbbildungen  erhielt,  obschon  dadurch  hoch- 
gradige Umordnung  der  Dottersubstanzen  auch  in  der  sich  entwickeln- 
den Eihälfte  bewirkt  wurde.  Dass  dagegen  O.  Schultze  Doppelbil- 
dungen erhielt,  beruht  jedenfalls  darauf,  dass  er  die  Umkehr  der  Eier 
nach  der  ersten  Furchung  noch  mit  starker  Compression  zwischen 
wagrechten  Platten  combinirt  hatte  (S.  937).  Danach  ist  wohl  als  sicher 
anzunehmen,  dass  die  nach  Entfernung  der  anderen  Blastomeren  ein- 
tretende, blos  unvollkommene  Abrundung  einer  isolirten  der  zwei 
oder  vier  ersten  Blastomeren  des  Frosch  ei  es  erst  recht  nicht 
genügen  würde,  um  Ganzfurchung  und  Ganzbildung  jeder  derselben 


Gestaltbildung  , auslösende"  Wirkung  der  Anordnung  des  Dotters.  1011 


7A\  veranlassen,  wie  dies  auch  bei  manchen  Seeigeln  nicht  der  I'all 
ist.  Da  diese  nnvollkomniene  Ahrnndung  durch  die  rasche  mole- 
culare,  während  und  nach  der  Tlieilung  erfolgende  Anpassung  der  neu- 
gebildeten Grenzschichten  der  Zellen  an  die  entstandene  Form 
bedingt  ist,  so  gewinnt  also  dieses  an  sich  so  geringfügige  zeitliche 
Moment  bei  den  bezüglichen  Thieren :  Fröschen,  Seeigeln  etc.  eine  für 
die  Selbstdifferenzirung  der  Furchungszellen  wesentliche  Bedeutung  ^). 

Wenn  somit  auch  durch  eine  entsprechende  Umordnung  der 
Dottersubstanzen  aus  demselben  Objecte  statt  eines  halben  Embryo 
die  Bildung  eines  ganzen  Embryo  (oder  vielleicht  sogar  noch  statt 
eines  ganzen  die  Bildung  eines  halben  (?)  Embryo)  mit  allen  seinen 
specifischen  Gestaltungen  veranlasst  werden  kann,  so  vermag  ich 
doch  in  dieser  Umordnung  nicht  die  „speciellen  gestaltenden 
Ursachen"  für  alle  die  vielen  typischen  Ein^elgestaltung en 
der  betreffenden  Gebilde,  sondern  blos  das  „auslösende  Moment" 
von  Mechanismen  zu  sehen,  die  an  sich  zur  Bildung  dieser 
Gestaltungen  befähigt  sind,  mindestens  in  ähnlicher  Weise,  wie 
Jemand,  der  einen  bestimmten  Hausbau  veranlasst,  darum  ihn  nicht 
selber  ausführt,  sondern  nur  auf  solche  Leistung  eingestellte  Kräfte 
in  Thätigkeit  setzt;  sofern  in  unserem  Falle  diese  Kräfte  (des  Kerns) 
nicht  überhaupt  nur  auf  eine  bestimmte  Bauart,  die  der  Species, 
emgestellt  sind  und  diese  somit  allein  bestimmen. 

Da  normalerweise  aus  jeder  der  beiden  ersten  Blastomeren 
ein  halber  Embryo  wird,  so  ist  es  nicht  die  nächstliegende 
Annahme,  dass  die  Production  dieses  halben  Embryo  nach  der  I so- 
ll rung  dieser  beiden  Zellen  auf  einem  abnormen  Vorgang  beruhe 
und  dass  normal  eigentlich  ein  ganzer  Embryo  daraus  entstehen 
müsste  (Driesch,  Heiitwig).  Und  wenn  andererseits,  nach  diesen  Autoren, 
im  ganzen  Eie  die  Bildung  der  Embryo  half  ten  aus  jeder  der  beiden 
ersten  Furchungszellen  auf  normal  stattfindenden  differenzirenden 
Wechselwirkungen  dieser  und  aller  späteren  Zellen  des  Eies  beruhte, 
so   wäre   die  Production   der  Halbbildung  mit  allen  ihren   Einzel- 


1)  Weiteres  hierüber  siebe  W.  Roux,  Ueber  die  verschiedene  Entwickelung 
isolirter  erster  Blastomeren.  Arcb.  für  Kntwickelungsmechanik  Bd.  f.  S.  r)96  u.  f. 
Siehe  auch  Nr.  31,  S.  241  Anm. 

64* 


1012  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  11  der  gesammelten  Abhandlungen. 

heiteii  nach  der  Isoliriing  der  beiden  ersten  Zellen  jedenfalls  ein 
ganz  besonderer  neuer  Modus,  zu  dem  es  nicht  blos  einer  ein- 
fachen Auslösung,  sondern  noch  ganz  besonderer,  neuer,  detaillirt 
gestaltender  Kräfte  bedürfte. 

Als  Allgemeinstes  hat  sich  ergeben,  dass  künstliche  mechanische 
Sonderung  der  beiden  resp.  der  vier  oder  acht  ersten  Furchungs- 
zellen,  ja  nach  Loeb  auch  des  kernhaltigen  Dottermateriales  der  noch 
ungetheilten  Eizelle  ,,  selbstständige"  Entwickelung  des  Ab- 
gesonderten und  zwar  zu  Theilbildung  oder  Ganzbildung  ver- 
anlassen kann,  letztere  aus  ähnlicher  Ursache,  wie  Zerschneidung 
einer  Hydra  in  kleine  Stücke  die  Ganzbildung  in  ihnen  auslöst.  Die 
sondernden  Ursachen  können  sehr  verschiedene  sein:  voll- 
kommene räumliche  Trennung,  unvollkommene  Abschnürung,  Um- 
kehrung unter  Abplattung  der  Zellen,  Tödtung  der  einen  Zelle,  ohne 
dass  dies  an  sich  für  die  Folge  von  Bedeutung  wäre. 

Da,  wie  oben  (S.  1010)  erwähnt  wurde,  beim  Frosch  die  Post- 
generation auch  schon  sogleich  nach  dem  Anfang  der  Ent- 
wickelung etwas  schwerer  auslösbar  ist  als  bei  manchen 
anderen  Thieren  (Amphioxus,  Arbacia)  gleichen  Stadiums,  so  er- 
halten wir  bei  ihm  (wie  auch  bei  Säugern :  Hemitherium  anterius  etc.) 
Gelegenheit,  die  Leistungen  der  typischen  Entwickelung  von 
„einzelnen"  Furchungszellen  zu  beobachten. 

Die  gegnerische  Auffassung  muss  dagegen  für  die  Ausbildung  des 
Details  der  Halbbildungen  annehmen,  dass  bei  höheren  Thieren: 
Frosch,  Säuger  plötzlich  eine  ganz  neue,  besondere,  höchst  compli- 
cirte  Mechanismen  einschliessende  Fähigkeit  vorhanden  sei,  für 
welche  weder  in  anderen  abnormen  Fällen  noch  normaler 
Weise  eine  Verwendung  bestünde. 

Aus  dem  Resultat,  dass  mit  der  Ausdehnung  der  Untersuchung  auf 
immer  mehr  niedere  Thiere  der  Ausgleich  von  während  der  ersten 
Furchungen  bewirkten  Störungen  sich  immer  ausgedehnter  als  ein 
sehr  schneller  und  vollkommener  erweist,  und  ein  Vermögen  der 
isolirten  Furchungszellen  zur  SelbstdifEerenzirung  zu  Th eilen  des 
entwickelten  Thieres  bei  diesen  Thieren  nicht  erkennbar  ist,  darf 
man  —  auch  sofern  sich  diese  an   „geschüttelten",  also   wohl   in  der 


, Auslösung"  und  „Ausführung"  von  Gestaltung.  1013 


Anordiuing  ihres  Dotters  alterirteii  Eiern  crhaltoiien  IJcruiide  hei  vor- 
sichtig ohne  Deformation  und  Er-scliiittcrung  der  Eier  hewirkter  Iso- 
liruiig  bestätigen  —  ohne  besonderen  Nachweis  doch  nicJit  folgern, 
dass  bei  diesen  Thieren  unter  normalen  ^^n-hältnissen  (von  dem  oben 
erwähnten  „Auslösungsmomente"  abgesehen)  die  „Ausführ- 
ung" der  Gestaltung  der  Körperhälften  nicht  Selbstdifferenzir- 
ung  der  entsprechenden  Furchungszellen  sein  könne.  Noch  weniger 
freilich  darf  aus  solchem  Verhalten  mancher  Thiere  geschlossen  werden, 
dass  bei  anderen  Thieren  die  thatsächlich  nachgewiesene  Selbst- 
^  differenzirung  von  Theilen  des  Eies  nicht  bestünde,  zu  welchem  Schlüsse 
nach  0.  Hertwig's  Vorgang  auch  manche  andere  Autoren  geneigt  zu 
sein  scheinen.  Nach  der  Aeusserung  solcher  Argumentation  ist  es 
wohl  in  der  That  nicht  überflüssig,  noch  besonders  zu  erwähnen,  dass 
das  häufige  Vorkommen  eines  Vorganges  bei  den  einen  Objecten 
nicht  das  festgestellte  Vorkommen  anderer  Vorgänge  bei  anderen 
Objecten  zu  negiren  vermag. 

Die  gegnerische  Auffassung  hat  noch  die  Regeneration  und 
Postgeneration  zu  erklären  und  muss  dazu  ebenso  wie  die 
meine,  differenzirende ,  irgendwie  durch  die  Störung  ausgelöste ,  in 
ihrer  Natur  und  Vermittelung  zur  Zeit  nicht  bekannte  Wechselwir- 
kungen der  Theile  annehmen ;  nur  werden  bei  ersterer  Auffassung  in 
Folge  der  Annahme  vollkommen  gleicher  Kerne  in  allen  Zellen 
die  bestimmenden  Momente  in  die  Zellleiber  zu  verlegen  sein. 

Da  die  Gegner  aber  für  diese  Fälle  gleich  mir  eine  unbe- 
kannte Art  von  AVechselwirkungen  der  Theile  annehmen  müssen, 
so  sehe  ich  keinen  Vorzug  ihrer  Auffassung  darin,  dass  sie  von  diesen 
für  die  Regeneration  unbedingt  nothwendigen  Wirkungsweisen  nicht 
auch  bei  der  Umordnung  oder  Zerstörung  der  ersten  Furch ungs- 
kugeln  Gebrauch  machen,  sondern  hierfür  eine  besondere  neue,  zudem 
noch  allerhand  neue,  vorstehend  erwähnte  Schwierigkeiten  mit  sich 
bringende  Annahme  gemacht  haben. 

Uebrigens  nehmen  auch  schon  einige  dieser  Autoren  an,  dass 
die  Zellkerne  nach  dem  Ablauf  der  Furchung  oder  auch  schon  nach 
den  ersten  Furchungen  specifisch  verschieden  sind,  (z.  ß.  H.  Driesch 
und   anscheinend   auch  Wilson),   so   dass  ihre  Differenz   von  meinen 


1014  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

Auffassungen  sich  dann  in  dieser  Hinsicht  blos  noch  um  die  ersten 
Furchungszellen  dreht,  für  welche  sie  vollkommene  Kerngleichheit 
annehmen  (siehe  S.  880  u.  f.). 

Nachdem  ich  meine  Auffassung  über  die  sofortige  Entstehung 
von  Ganzbildung  aus  halben  Eiern  durch  Activirung  des  Reserve- 
idioplasson  etc.  ausgesprochen  habe,  liegt  mir  noch  ob,  meine  Auffassung 
bezüglich  der  Entstehung  normal  gestalteter  Gebilde  aus 
während  der  Furchung  ,, hochgradig"  gepressten  Eiern  an- 
zugeben. Derselbe  allgemeine  Mechanismus  der  Ausgleichung  morpho- 
logischer Störungen,  welchen  ich  für  die  ,, Regeneration  durch  Um- ^ 
differenzirung"  (S.  841)  angenommen  habe,  reicht  auch  für  diese  Eier 
aus,  in  gleicher  Weise  wie  für  den  Ausgleich  bei  den  erwähnten,  von 
selber  vorkommenden  abnormen  Um  Ordnungen  der  Furch- 
ungszellen (S  901).  (Indem  H.  Driesch  die  besonders  bei  niederen 
Thieren  vorkommende  Regen  erat ion  durch  Umordnung  und 
Umdiff erenzirung  von  Zellen  und  die  von  mir  für  diese  be- 
kannte Thatsache  gemachten  Annahmen  übergeht,  kommt  er  zu  der 
unzutreffenden  Darstellung,  dass  ich  für  die  Pressungs-Versuche  an 
Eiern  besondere  neue  Annahmen  zu  machen  gehabt  hätte.  Driesch 
lässt  seinerseits  die  Regulation  in  diesen  Versuchen  wesentlich  durch 
Umordnungen  der  Zellen  geschehen,  während  ich  glaube,  ausser 
diesen  auch  der  Um  differenzirung  einen  wesentlichen  Antheil 
zuerkennen  zu  sollen.) 

Mit  ganz  denselben  Annahmen  lassen  sich  auch  die  jüngst  mehr 
betonten  Abweichungen  der  Richtung  der  ersten  (resp. 
zweiten)  Furche  des  Eies  von  der  Richtung  der  Median- 
ebene (S.  923,  960)  in  ,, abnormen"  Verhältnissen,  nämlich  bei 
stark  schiefer  Zwangslage  und  bei  starker  Pressung  der  Eier  zwischen 
Platten  ableiten.  Ich  hatte  schon  in  meiner  ersten  bezüglichen  Ab- 
handlung über  solche  Abweichungen  berichtet;  die  schwierige 
Sachlage  aber  nicht  so  eingehend  geprüft,  um  entscheiden  zu  können, 
ob  dieselben  thatsächliche  Abweichungen  darstellen  oder 
blos  auf  Fehlerquellen  beruhen  (S.  924  Anm.). 

Die  Richtung  der  Median  ebene  des  Embryo  wird  bei  hoch- 
gradiger Pressung   der  Eier  nach   neueren  Versuchen  (S.  961)  an- 


Gegen  die  Gestaltung  bestimmende  Wirkung  des  Dotters.  1015 

geblich  ganz  (liurli  die  hierbei  künstlich  gegebene  Symmetrieebene 
der  Eieinstellinig,  das  heisst  durch  die  verticale  Symmetrieebene  der 
Anordnung  des  Dotters,  bestimmt,  während  die  Richtungen  der  ersten 
Furchungsebenen durch  die  von  der  Kugelform  abweichende  ,, Gestalt" 
der  Eier  bestimmt  werden  (S.  303) ;  beiderlei  Richtungen  können  daher 
stark  auseinander  fallen.  Gleichwohl  gehen  manchmal  normal  gestaltete 
Producte  daraus  hervor;  also  muss  die  Abnormität  überwunden  werden. 
Die  Fehlerquellen  dieser  Versuche  sind  aber,  wie  ich  gezeigt  habe 
(S.  923  u.  962),  so  grosse,  dass  vielleicht  eine  sichere  Feststellung 
des  Thatsächlichen  mit  ihnen  allein  überhaupt  nicht  möglich  ist^). 

Die  Ableitung  dieses  Resultates  ist  ausserdem  vorläufig  mit  jeder 
der  vorstehend  dargelegten  beiden  theoretischen  Ansichten  möglich;  also 
kann  diese  Thatsache  an  sich,  d.  h.  ohne  weiteren  Einblick  in  das 
dabei  stattfindende  Geschehen,  zunächst  für  keine  von  beiden  Auf- 
fassungen als  bevorzugend  verwerthet  werden^)  (S.  901). 

Wir  können  leider  ■  wieder  nicht  sehen,  ob  die  dabei  statt- 
findenden Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zellkern  im  AVesen 
noch  die  der  „normalen"  Entwickelung  zugehörigen  oder  andere,  der 
atypischen  s.  regulatorischen  Entwickelung  entsprechende  sind,  ferner 
ob  der  Kern  sich  qualitativ  wie  bei  ersterer  oder  wie  bei  letzterer 
Entwickelung  theilt. 

Aber  es  spricht  ausser  dem  auf  Seite  999  Erwähnten  noch 
Manches  gegen  eine  ausschliesslich  oder  auch  nur  über- 
wiegend die  Gestaltung  beherrschende  Wirkung  der 
Dotter  Substanzen.  Zunächst  die  Thatsache,  dass  man  den 
schwarzen    und    weissen   Dotter    bei    stark    schiefer   Zwangslage 


1)  Durch  ,Combination  verschiedenartiger  experimenteller  Ein- 
griffe" kann  man  auch  diese  und  andere  Schwierigkeiten  überwinden.  Zu  dem  hier 
vorliegenden  Zwecke  sind  Froscheier,  welche  von  der  Befruchtung  an  zwischen  verti- 
calen,  horizontalen  oder  schiefstehenden  Platten  gepresst  waren,  nach  Vollendung  der 
ersten  Furchung  zu  befreien  und  eine  der  beiden  ersten  Furchungszellen  derselben 
ist  zu  tödten,  wonach  man  erkennen  wird,  worauf  sie  für  sich  allein  durch  die  unter 
abnormen  Verhältnissen  erfolgte  Furchung  eingestellt  worden  war. 

2)  Dasselbe  gilt  auch  bezüglich  der  neuesten  interessanten  Ergebnisse  der 
Untersuchungen  von  Driesch  und  Morgan  an  vor  und  nach  der  ersten  Theilung  zer- 
schnittenen Eiern  von  Ctenophoren  (Berae  ovata).  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik 
Bd.  II.  Heft  2).     Siehe  hierzu  meine  darüber  loc.  cit.  Heft  3  gemachten  Bemerkungen. 


1016  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

von  Froscheiern  nach  Born's  directer  Beobachtung  auf  die  acht 
ersten  Furchungszellen  in  hochgradig  abnormer  Weise  ver- 
theilt  findet,  eine  Abnormität,  welche  in  Folge  der  Trennung  der 
Zellen  später  wohl  kaum  wieder  rückgängig  gemacht  werden  kann; 
es  müsste  denn  braune  Substanz  aus  Zellen  entfernt  und  dafür  weisse 
aus  anderen  aufgenommen  werden.  Und  wenn  in  diesen  Fällen  die 
sichtbar  verschiedenen  Dottersubstanzen  so  stark  durch  einander 
gekommen  sind,  ist  dasselbe  wohl  auch  als  von  den  eventuellen  anderen, 
unsichtbar  verschiedenen  Dottersubstauzen  anzunehmen.  Gleichwohl 
aber  können  dabei  normal  gestaltete  Embryonen  producirt  werden. 
Die  Wirkung  dieser  hochgradigen  Abnormität  in  der  Vertheilung  der 
verschiedenen  Dottersub stanzen  auf  die  Furchungszellen  kann 
also  überwunden  werden ;  durch  wen  ?  Doch  wohl  nicht  durch  die  ab- 
norm gelagerten  Theile  selber,  sondern  durch  normal  gelagerte  Theile, 
also  durch  die  Zellkerne  und  eventuell  durch  das  ihnen  zunächst  an- 
gelagerte Dottermaterial. 

Ausserdem  habe  ich  bei  Zwangslage  mit  geringer  Schiefstellung 
der  Eier  direct  beobachtet,  dass  die  Lage  der  verticalen  Symmetrieebene 
der  sogenannten  ,, Einstellung  des  Eies",  das  heisst  des  hellen  und 
dunklen  Rindendotters  durch  Umlagerung  dieses  Rindendotters 
nachträglich  der  von  ihr  abweichenden  ersten  (oder  zweiten)  Furche 
symmetrisch  entsprechend  umgearbeitet  wurde,  dass  also  das  Rinden- 
pigment symmetrisch  zu  einer  dieser  ersten  Furchungsebenen  umge- 
ordnet wurde,  sodass  verschiedene  Theile  des  Zellleibes  zu  der 
durch  die  Kerntheilung  gegebenen  oder  fixirten  Richtung  passend 
geordnet  wurden  (s.  S.  327).  Dieses  kann  auf  einen  vom  Kern  aus- 
gehenden erheblichen  ordnenden  Einfluss  bezogen  werden,  oder  aber 
auf  die  Wirkung  der  den  Kern  zunächst  umgebenden  und  vielleicht 
seine  Einstellung  früher  veranlassenden  Dotter  Substanzen,  also 
auf  Selbstordnung  der  verschiedenen  Dottersubstanzen  auf  einander 
beruhen ;  welches  von  beiden  bestimmend  ist,  wissen  wir  noch  nicht. 

Besonders  wichtig  ist  aber,  dass  ich  sogar  einige  Male  bei  Zwangs- 
lage Abweichungen  von  der  Regel  beobachtet  habe,  dass  die  Kopf- 
seite des  Embryo  aus  derjenigen  Seite  des  Froscheies  hervorgeht,  wo 
die  helle  Dottermasse  am  weitesten  heraufreicht  (s.  S.  929). 


Idioplastische  Bedeutung  des  Zellkerns.  1017 


Ferner  spricht  erheblich  gegen  eine  allein  A  n  s  s  c  h  1  a  g 
gebende,  also  herrschende  Wirkung  der  Anordnung  der  ver- 
schiedenen Dottersubstanzen,  dass  es  bei  der  Entwickelung 
isolirter  Furchungszellen  der  Seeigel  nach  Driescii  für  das  Resultat 
ohne  Bedeutung  ist,  ob  Micro  nie  ren  bei  der  Furchung  gebildet 
waren  oder  nicht. 

Alle  diese  Vorkommnisse  deuten  mehr  oder  weniger  bestimmt  darauf 
hin,  dass  es  neben  den  Wirkungen  der  Anordnung  der  Hauptmasse  der 
verschiedenen  Dottersubstanzen  noch  ein  anderes,  manch- 
mal stärker  die  Entwickelung  bestimmendes  Moment  giebt,  welches 
daher  wohl  nicht  im  Zellleib  liegt,  und  welches  bei  manchen 
Störungen  der  Anordnung  der  Dottersubstanz  bestimmend  in 
Activität  tritt.  Dieses  Moment  vermuthe  ich  auf  Grund  der  oben 
(S.  999)  erwähnten  Thatsachen  in  dem  nach  meiner  Annahme  die  Aus- 
führung der  Gestaltungen  vorzugsweise  besorgenden  und  die  specielle 
„Art"  der  Gestaltung  bestimmenden  Idioplasson  des  Kerns. 
Natürlich  ist  auch  das  wieder  nicht  direct  zu  sehen;  und  die  Gegner 
werden  daher  vielleicht,  ihrer  Art  zu  argumentiren  gemäss,  mit  Be- 
stimmtheit behaupten,  diese  bestimmende  Substanz  sei  der  den  Kern 
zunächst  umgebende  Theil  des  Dotters. 

Die  in  den  letzten  Jahren  entdeckten  neuen  Thatsachen  haben 
uns  also  darauf  hingewiesen,  dass  dem  Dotter  der  ersten  Fur- 
chungszellen ein  wesentlich  grösserer  Antheil  an  der 
Bestimmung  mancher  wichtiger  Gestaltverhältnisse  der 
Ontogenese  zukommt,  als  wir  früher  anzunehmen  Ver- 
anlassung hatten.  Daraus  darf  aber  nicht  gefolgert  werden,  dass 
der  Dotter-das  allein  die  Entwickelung  Bestimmende  und  zwar 
nicht  blos  das  „Auslösende",  sondern  auch  das  die  „Detailaus- 
führung Bewirkende"  sei.  Wir  müssen  mit  unseren  Schlüssen 
den  Thatsachen  folgen,  nicht  aber  dürfen  wir  gleich  über  sie  hinaus 
springen  und  in  ein  Extrem  verfallen.  Noch  weniger  aber  können 
wir,  wie  dargelegt,  aus  diesen  neuen  Thatsachen  etwas  Sicheres  über 
die  angebliche  Nichtspecification  der  bei  der  „normalen" 
Entwickelung  activen  Kern  Substanzen  erschliessen. 

Jede   der    beiden    einander    gegenüberstehenden  Ansichten  hat 


1018  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  11  der  gesammelten  Abhandlungen. 

manche  anscheinend  guten  Gründe  für  sich;  und  wir  sind  bei 
nicht  voreihger  Beurtheihmg  nicht  befähigt,  eine  derselben  als  die 
einzig  mögliche  oder  wie  es  die  genannten  Autoren  thmi,  ihre 
Auffassung  als  die  einzig  richtige  zu  bezeichnen.  Wenn  diese 
Autoren  die  Gesammtheit  der  genannten  Thatsachen  nach  ihrer 
speciellen  Vorstellungsweise  sorgfältig,  d.  h.  ohne  Auslassungen 
und  Sprünge  abzuleiten  versuchen  würden,  so  würden  sie  zu  dem 
Ergebiiiss  gelangen,  dass  sie  noch  mehr  Annahmen  machen  müssen 
als  ich,  da  ich  mit  den  Annahmen  zur  Regeneration  auch 
die  vorkommenden  Ausgleichungen  aller  andern  mor- 
phologischen Störungen  ableiten  kann,  während  sie  für  die 
wirkliche  Bildung  (nicht  blos  „Auslösung")  der  Halbbildungen  bis- 
her überhaupt  keine  annähernd  plausible  Erklärung  gegeben  haben; 
und  nur  wer  ein  zweckthätiges  Princip  „direct"  gestaltend  ver- 
wendet, kann  schliesslich  sagen,  dass  er  alle  verbleibenden  Schwierig- 
keiten auf  ein  einziges  Princip  zurückgeführt  habe,  ein  Verfahren, 
bei  welchem  aber  die  Wissenschaft  nichts  an  Erkenntniss  gewinnt. 

Wichtiger  als  die  jetzt  mehrfach  betonte  Verminderung  der 
Zahl  der  Annahmen,  also  der  Zahl  der  organischen  Gestaltungs- 
weisen, ist,  bei  unserer  Analyse  die  möglichste  Vereinfachung 
der  Gestaltungsweisen;  vor  allem  aber  müssen  wir  nach  gleich- 
förmigen s.  homogenen  Gestaltungs weisen  suchen,  d.  h.  nach  ge- 
staltenden Wirkungsweisen,  von  denen  jede  immer  ,,in  gleicher 
Weise"  wirkt. 

Das  wesentliche  positive  Ergebniss  der  hier  erörterten  Unter- 
suchungen und  des  Streites  der  Meinungen  ist  nach  meiner  Auf- 
fassung das,  dass  wir  einer  fundamentalen  Art  von  gestal- 
tenden Wechselwirkungen  zwischen  Zellleib  und  Zell- 
kern, speciell  zwischen  der  ,, Gestalt"  des  Zellleibes  und 
der  ,,  An  Ordnung"  seiner  verschiedenen  Bestan  dt  heile 
einerseits  und  den  idioplastischen  Leistungen  des  Zell- 
kernes andererseits  auf  der  Spur  sind.  Mir  scheint  dieselbe 
zur  Zeit  mehr  eine  Auslösung  von  gestaltenden  Kernfuuctionen 
durch  gestaltliche  Verhältnisse  der  Theile  des  Zellleibes ;  den  Gegnern 
ist  es  mehr  eine  gestaltende  Leistung  des  Zellleibes  unter  Benutzung 


Nicht  teleologische  Analyse  der  organischen  Gestaltbildung.  1019 


von  Materialien  aus  dem   nacli   ilii-er  Annahme   in   allen  Furchungs- 
zellen  gleichen  Depot  von  Kermnaterialicn. 

Gewissenhafte  Weiterarbeit  auf  den  eingeschlagenen  experimentellen 
Bahnen  wird  uns  hoffentlich  Aufklärung  ü])er  diese  fundamentale  Frage 


bringen. 


Als  die  Scylla  und  die  Charybdis,  die  den  Forsclier  auf  dem 
Gebiete  der  Eutwickelungsmechanik  auf  Abwege  zu  führen  drohen, 
habe  ich  die  zu  einfach  physikalisch-chemische  Auf- 
fassung der  Lebens  Vorgänge  und  die  Teleologie  bezeichnet^). 

Bei  der  Unübersehbarkeit  der  organischen  Vorgänge  einerseits 
und  den  wunderbar  zweckmässigen  Leistungen  derselben  andererseits 
ist  die  Verführung  zu  diesen  Auffassungen  nicht  gering;  und  es 
scheint,  dass  einige  tüchtige  jüngere  Forscher  auf  unserem  Gebiete 
gleich  zum  Beginne  ihrer  Arbeit  diesen  Gefahren  zu  verfallen  im  Begriff 
sind.  Dies  gilt  zumal  von  H.  Driesgh,  der  in  einer  jüngst  erschienenen 
Schrift^)  sogar  in  beide  zugleich  verfallen  ist.  Es  zeigt  sich  daran, 
dass  beide  sich  keineswegs  ausschliessen,  sondern  dass  die  erstere 
Gefahr  zugleich  die  letztere  herbeiführen  kann. 

Ich  will  wenigstens  gegen  die  teleologische  Auffassung 
hier  noch  etwas  weiter  Stellung  nehmen,  als  es  schon  in  früheren 
Schriften  (Nr.  3  und  4)  geschehen  ist. 

Driesch  denkt  sich  die  Lebensvorgänge  und  den  typischen  Eibau 
,,sehr  einfach",  grob  physikalisch-chemisch;  er  leugnet  ferner 
eine  specifische  Structur  des  Zellkernes,  indem  er  ihn  blos  als  ein  Ge- 
misch cheroischer  Substanzen  (lococit.  S.92)  auffasst;  die  Phylogenese 
erscheint  ihm  zweifelhaft.  Danach  reichen  seine  Grundannahmen 
nach  meiner  Auffassung  allerdings  zur  Ableitung  der  typisch  reprodu- 
cirten  feinen  Gestaltungen  der  Organismen  nicht  aus ;  und  Driesch  scheint 
daher  genötliigt,  um  die  ihm  fehlenden,  (nach  unserer  Auffassung  im 
Laufe  von  Aeonen  erworbenen,  aus  zufälligen  Variationen  ausgelesenen 
und  durch  die  Continuität  des  Keimplasson  übertragenen),  typischen  ge- 


1)  Siehe  „Einleitung"  zum  Arch.  f.  Entwickelungsmechanik  Bd.  I.  1894. 

2)  Analytische  Theorie  der  Entwickelung.    Leipzig  1894. 


1020  Nr.  33.   Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

staltenden  Potenzen  zu  ersetzen,  neben  dem  causalen  Princip  noch 
eine  zweckthätige,  gestaltende  Lebenskraft  wieder  einzuführen. 

Dem  entspricht  dann  weiterhin  seine  Auffassung  von  der  Ent- 
wickelung,  von  der  er  sagt:  „Wir  betonen,  dass  der  Begriff  der 
„Entwickelung"  mit  Recht  nur  auf  die  allmähliche  Entstehung 
eines  vorgesehenen  Zieles  anwendbar  ist"  (1.  c.  S.  132,  vgl.  dagegen 
oben  S.  4  u.  f.).  ,,Die  Natur  will  die  Realisation  ihrer  Ideen  sichern; 
die  einzelnen  Individuen  sind  ihr  gleichgiltig"  (1.  c.  S.  146). 

Die  quantitative  Insufficienz  seiner  eigenen  causalen  Ab- 
leitungen bezeichnet  Driesch  jedoch  nicht  als  die  Ursache  seiner  teleo- 
logischen Auffassung;  sondern  letztere  wird  von  ihm  viel  allgemeiner, 
principiellbegründet,  indem  er  die  Form  überhaupt  für  nur  teleo- 
logisch ableitbar  erkLärt:  „Wenn  auch  nur  zwei  diflerente  Stoffe,  zu 
einfachster,  aber  typischer  Formeinheit  verbunden,  in  der  Natur  gegeben 
sein  würden  und  stets  einen  bestimmten  Folgeeffect  erzielten,  müssten 
wir  den  teleologischen  Gesichtspunct  heranziehen,  denn  schon  das 
allerein fachste  Geordnete  und  in  diesem  Sinne  Formale  ist 
causaler  Erkenntniss  nicht  zugänglich.  Ganz  allgemein  ge- 
sprochen, sind  also  „Kräfte"  und  ,, Stoffe"  das  Areal  der  causalen, 
,, Formen"  dagegen  dasjenige  der  ,, teleologischen  Betrachtung" 
(1.  c.  S.  167).  Nur  durch  die  teleologische  Auffassung  lässt  sich  nach 
dieser  Meinung  das  Organische  verstehen.  „Wir  wollen  zur  leichteren 
Durchführung  dieser  Betrachtung  eine  Hülfsvorstellung  einführen: 
wir  wollen  uns  jene  Intelligenz,  welche  die  organischen  Bildungen  zu 
fertigen  scheint,  als  thätiges  Subject  denken  und  Bildungstrieb 
nennen." 

Es  ist  nach  diesen  Aeusserungen  nicht  klar,  wie  weit  Driesch 
das  gedachte  zweckthätige  Prinzip  sich  direct  gestaltend  wirksam 
denkt;  doch  hat  dies  für  uns  auch  keine  Bedeutung. 

Bewiesen  dagegen  ist  nur  die  ,,indirect"  gestaltende 
Wirkung  zweckthätiger  seelischer  Leistungen  durch  Ver- 
mittelung  der  speciellen  Organfunctionen,  welche  Wirkung  als 
functionelle  Anpassung  im  ersten  Band  ausführlich  erörtert  und 
zugleich  erklärt  worden  ist.  ,, Direct"  „gestaltende"  Wirkungen 
eines  zweckthätigen  Agens  in  den  Organismen  dagegen  sind  niclit  nur 


Die  morphologische  Assimilation  als  Wesen  des  Organischen.  1021 


niclit  bewiesen;  sondern  sie  wären  bei  dem  gcrin_ü;en  Stande  unserer 
eben  erst  beginnenden  nrsäclilichen  Erkenntniss  der  organischen  Ge- 
staltungen überhaupt  nicht  sicher  zu  beurtheilen.  Sie  gleichwohl  schon 
jetzt  statuiren  heisst  der  Erkenntnissarbeit  künftiger  Jahrhunderte 
oder  Jahrtausende  beschränkend  vorgreifen. 

Mich  hat  die  Analyse  der  organischen  Gestaltungs- 
vorgänge zu  einem  mehr  Erkenntiss  verheissenden  Resultate  geführt: 

Die  Entstehung  typischer  formaler  Folgen  aus  typisch 
geeordnten  Combinationen  von  Ursachen  hat  für  mich  nichts  principiell 
Räthselvolles  oder  gar  Teleologisches.  Ich  erblicke  das  höchste 
Räthsel  der  organischen  Gestaltung  indem  zwar  überaus  schwierigen 
aber  doch  nur  speciellen  Probleme  Aer  morphologischen  Assimi' 
lation,  in  dem  bisher  von  Niemandem  in  seiner  hohen  Bedeutung 
erkannten  Problem,  wie  Gestaltetes  sich  im  Stoffwechsel  durch 
Assimilation  erhalten,  d.  h.  sich  in  gleicherweise  selbst  produciren 
kann. 

Diese  ,,morph  ologische  Assimilation"  ist  vorläufig  das 
letzte  Glied  meiner  Analyse  der  organischen  Gestaltung  (S.  79).  Sie 
stellt  die  allgemeinste,  wesentlichste  und  eigenartigste 
gestaltliche  Leistung  des  Lebens  dar,  wie  ich  entgegen  E.  du 
Bois-Reymond  betone,  welcher  glaubt^)  das  Anorganische  und  Organische 
auf  die  beste  Weise  zu  charakterisiren ,  indem  er  sagt:  in  den  an- 
organischen Körpern  ist  die  Materie  in  statischem,  in 
den  Lebewesen  in  dynamischem  Gleichgewichte.  In  dieser 
Definition  fehlt  jedoch  diese  wesentlichste  Leistung  des  Organischen. 
(Genaueres  siehe  S.  76  und  I,  Nr.  4,  Cap.  V.) 

Um  hi«r  nur  das  Hauptsächlichste  zu  skizziren,  so  müssen  wir 
sagen,  die  Organismen  haben  eine  specifische  Structur,  welche  sie 
durch  eigene  Thätigkeit  dieser  Structur  aus  anders  gruppirten, 
elementar  aber  gleichen  Massentheilen  wieder  neu  hervorbringen, 
und  zwar  aus  einem  Materiale,  welchem  für  sich  allein  die  Fähigkeit 
solcher  Gestaltung  nicht  zukommt  Die  Anorgane  bekunden  bei  dem 
Wachsthum  der  Gry  stalle  eine    ähnliche  Fähigkeit,   aber  nur   in 


1)  Ueber  Neovitalismus.     Rede  1894. 


1022  •  Nr.  33.    Nachwort  zu  Band  II  der  gesammelten  Abhandlungen. 

all  er  ein  fach  st  er  und  daher  kaum  zu  Vergleichen  verwendbarer 
Weise.  Die  den  Organismen  zukommende  morphologische  Assimilation 
kann  trotz  der  unendlichen  Verschiedenheiten  ihrer  Einzelleistungen 
gleich  der  functionellen  Anpassung  (s.  Nr.  4)  als  eine  gleichartige 
s.  homogene  Wirkungsweise  aufgefasst  werden,  denn  sie  producirt 
in  jedem  Einzelfalle  das  dem  thätigen  Gebilde,  dem  Assimilans  im 
Ganzen  Gleichende  (S.  79)  und  wir  dürfen  daher  annehmen,  dass 
die  Verschiedenheit  ihrer  Producte  nur  von  der  Verschiedenheit  des 
Producens  abhängt,  dass  aber  das  abstracte  Wesen  des  Vorganges  in 
allen  Fällen  das  gleiche  ist. 

Neben  dieser  die  organischen  Maschinentheile  prodiicirenden 
morphologischen  Assimilation  (im  Unterschied  von  der  blos 
,,function eilen",  das  geeignete  Betriebsmaterial  producirenden 
Assimilation,  welche  bisher  von  den  Forschern  fast  allein  zu 
analysiren  versucht  worden  ist),  sehe  ich  in  den  weiteren  organischen 
Gestaltungen,  welche  durch  die  Entwickelung  hervorgebracht  werden 
nur  noch  speciellere  Probleme  (s.  Nr.  15,  20,  27,  28). 

Das  nächstgrösste  Räthsel  der  organischen  Gestal- 
tung ist  die  Bildung  ,,  typisch"  gestalteter  Producte  bei 
„atypischem"  Ausgangsstück,  also  die  regenerative  s.  regulato- 
rische Entwickelung,  die  nach  meiner  Meinung  auf  causal  ver- 
mittelten „morphologischen  Selbstregulationen"  von  typisch 
beschränkter  Leistungsfähigkeit  beruht  und  bei  der  Re-  und  Post- 
generation und  beim  Ausgleich  von  anderen  morphologischen  Stö- 
rungen z.  B.  bei  Störung  der  Anordnung  der  Theile  in  Thätigkeit 
tritt.  Das  Gleichartige  des  Wirkens  in  den  verschiedensten  Special- 
fällen derselben  denke  ich  mir  dabei  darin,  dass  zum  Ersatz  resp.  zur 
Umänderung  dem  typischen  (mehr  oder  weniger)  entwickelten 
Ganzen  fehlender  resp.  veränderter  Theile  Activirung  entsprechender 
Theile  des  das  Ganze  potentiell  repräsentirenden  Reservedioplasson 
stattfindet;  wobei  aber  nicht  eindirect  zweckthätiges  gestaltendes  Agens, 
sondern  die  stofflichen,  (in  wenn  auch  selbst  erst  wenig  entwickeltem 
doch  schon  individuellem,  d.  h.  Stücke  eines  Individuums 
repräsentirendem  Zustande  vorhandenen)  Theile  das  Bestimmende  und 
Gestaltende   sind    (S.  81)9).     Es   ist   also   dabei    besonders   zu   berück- 


Erste  Entstehung  des  Lebens  durch  Züchtung  der  Grundfunctionen.        1023 


sichtigen,  dass  dieses  atypische  Aiisgangsstück  blos  seiner 
Grösse  und  Begrenzung  nach  „atypisch"  ist,  nicht  aber 
seiner  Qualität  nach;  denn  es  stellt  immer  einen  typisch  beschaffenen 
entwickelten  Theil  eines  „typischen  Ganzen"  dar  (s.  S.  42  u.  842).  Dies 
lässt  es  aber  möglich  erscheinen,  dass  von  ihm  aus  dieses  typische 
Ganze  unter  Verwendung  des  dieses  typische  Ganze  in  noch  ,,unent- 
wickelten!"  Zustande,  p  o  t  e  n  t  i  a  repräsentirenden  Reser veidioplasson 
reproducirt  wird. 

Wenn  das  Vermögen  der  gestaltlichen  Assimilation  in 
allereinfachstem  Grade  als  zuerst  zufällig  entstanden  angenommen 
wird,  so  ist  die  weitere  Ausbildung  dieser  Leistung  durch  successive 
steigernde  Züchtung  dieser  Grundf unction  aus  entstandenen 
Variationen  (s.  I,  S.  410  u.  f.)  bis  zu  der  für  die  anderen  primitivsten 
organischen  Leistungen  als  gleichzeitiger  neuer  Nebenleistungen :  bis  zur 
Selbstbewegung,  Selbsttlieilung  und  bis  zur  Selbstregulation  in  all  diesen 
Leistungen  möglich  (S.  76).  Dieses  „dauerfähige"  Gebilde  konnte  durch 
weitere  Züchtung  zufällig  aufgetretener  assimilationsfähiger  Varia- 
tionen (I  S.  452)  die  Fähigkeit  der  „Selbstentwickelung"  in  den  verschie- 
densten Graden  erwerben,  indem  die  zufällig  in  den  äusseren  Verhält- 
nissen dauerfähigen  resp.  dauerfähige  reu  dieser  Eigenschaften 
andauerten,  also  sich  erhielten.  Damit  ist  Phylogenese  und  ty- 
pische Ontogenese  auf  Grund  der  Continuität  des  Keim- 
plasson  „möglich".  Für  die  ReaHsirung  dieser  Möghchkeit  ohne 
zweckthätigen  Nisus  formativus  spricht  bei  einiger  Bekannt- 
schaft mit  den  Thatsachen  der  vergleichenden  Anatomie  und  Embryo- 
logie doch  noch  manches  Bessere  als,  wie  Driesch  (loco  cit.  S.  164) 
meint,  die  Degeneration  des  Gehirns  der  Darwinisten. 

Ein  weiteres,  ganz  selbstständiges,  eigenartiges  allgemeines  Problem 
wäre  die  Vererbung  ,,vom  Individuum  erworbener  Eigen- 
schaften": Dieses  Problem  wäre  bei  meiner  epigenetisch-evolutio- 
nistischen  Auffassung  zu  zerlegen  in  die  Implication,  in  die  Zurück- 
verwandlung des  Explicirten,  Complicirten  in  einfachere  Compo- 
nenten  und  in  die  Translation,  in  die  Uebertragung  dieser 
implicirten  Eigenschaften  vom  Individuum  auf  den  Keimstoff  (s.  S.  61). 
Die  Realität  dieses  Problems   ist  jedoch   nicht  erwiesen,  sondern  hat 


1024  Nr.  33.    Nachwort  zu  Band  11  der  gesammelten  Abhandlungen. 

sich  im  Gegentbeil  mit   der  Zunalmie  unserer  Kenntnisse   als  immer 
unwahrscheinlicher  gezeigt  (s.  S.  450,  140,  201,  207). 

Schliesslich  noch  mich  über  den  speciellen  Antheil  der 
Epigenese  und  der  Evolution  an  der  Ontogenese  im  Sinne 
der  neuen,  von  mir  gegebenen  und  jetzt  allgemein  gebrauchten  Defi- 
nitionen (S.  5)  auf's  Neue  zu  äussern  und  zwar  gleich  meinen  Gegnern 
Genaueres  darüber  zu  sagen,  als  es  dem  Stande  unserer  derzeitigen 
sachlichen  Kenntnisse  entspricht,  sehe  ich  mich  trotz  ihres  Beispieles 
nicht  veranlasst.  Ich  betone  nur,  dass  ich  von  Anfang  an  den  Antheil 
beider  gestaltender  Principien  an  der  Entwickelung  zu  erforschen  für 
nöthig  erklärt,  die  Wirkungsweise  beider  charakterisirt  und  Beispiele  für 
den  Antheil  jedes  derselben  (siehe  Correlationen  und  Selbstdift'erenzirung) 
beigebracht  habe  (S.  202 — 255).  Der  Umstand,  dass  ich  in  den  Kern  ver- 
schiedene Qualitäten  verlege,  schliesst  nicht  ein,  dass  die  Entwickelung 
nach  meiner  Auffassung  vorherrschend  Evolution  sei.  Vielmehr  kann 
in  dem  mit  typischer  Metastructur  versehenen  Ei  und  Samen- 
kürper  die  Zahl  der  chemischen  und  structurellen  Qualitäten  relativ 
gering  sein,  z.  B.  blos  Hunderter  oder  Tausender  betragen,  wohl  aber 
während  der  Entwickelung  in  Folge  dieser  typischen  Structur  bei 
der  ßethätigung  der  si%  bildenden  Theile  in  typischer  Weise 
auf  das  ausserordentlich  Vielfache  vermehrt  werden,  ein  Geschehen 
welches  typische  Epigenesis  darstellt  (s.  S.  8  Anra). 


Zusammenfassung. 


Uebersicht 

der 

hauptsächlichsten  im  vorliegenden  Bande  ermittelten  „gestal- 
tenden Wirkungsweisen"  (Naturgesetze)  und  Regeln^). 

A.   Gestaltende  Wirkungsweisen. 

§  1.  a)  Die  Copulation  des  Eikernes  uud  des  Spermakernes  im 
Froschei  bestimmt  normaler  Weise  (auch  noch  in  ab- 
normen Verhältnissen?)  mit  ihrer  Richtung  zugleich 
die  Richtung  der  ersten  Th eilung  des  Fur- 
ch ungskernes  „innerhalb  seines  Materiales"  und  damit 
die  Richtung  der  primären  und  secundären  Median- 
ebene  (961  A.)  zu  diesem  Kernniateriale  und  seinen 
Derivaten  und  zwar  dies  derart,  dass  diese  Ebenen 
„in"   die  Copulationsrichtung  fallen.     (S.  384,  414.) 

Oder  umgekehrt    vom  Standpunkte  des  Resul- 
tates aus  gefasst^): 


1)  Die  Definition  der  ,, gestaltenden  Wirkungsweisen"  und  der  „Regeln"  siehe 
Bd.  r  S.  803.  üeber  die  den  nachstehenden  Formulirungen  beizulegende  Bedeutung 
vergleiche  Bd.  I,  Einleitung  Ö.  XIII. 

2)  Man  kann  die  ursachlichen  Ableitungen  in  zwei  Weisen  fassen:  erstens,  in- 
dem man  für  ein  bekanntes  Geschehen  die  Ursachen  angiebt,  oder  indem  man 
die  fneuermittelten)  Componenten  und  dann  ihre  Wirkung  nennt. 

Erstere  Art  ist  wohl  die  den  descriptiv  denkenden  Autoren  genehmere  Fas- 
sung,   weil  sie  von  dem  bereits  Bekannten  zum  Neuen  fortschreitet.     Sie   folgt  aber 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlangen.  11.  65 


1026  Gestaltende  Wirkungsweisen  (Naturgesetze). 

b)  Die  Richtung  der  ersten  Theilung  des  Furchungskernes 
und  damit  die  Richtung  der  Median  ebene  im  Fur- 
chungskern  des  Froscheies  werden  normaler  Weise 
durch  die  Copulationsrichtung  des  Ei-  und  Sperma- 
Kernes  bestimmt  und  fallen  in  die  Copulations- 
richtung. 

§  2.  a)  Die  durch  die  Befruchtung  entstehende  Anordnung  der 
verschiedenen  Dotter  Substanzen  des  Frosch  eies  be- 
wirkt resp.  bestimmt  normaler  Weise  die  Richtung  der 
ersten  Dottertheilung  und  damit  die  Lage  der  primären 
und  secundären  Medianebene  im  Eileib  (Dotter) 
und  zwar  derart,  dass  letztere  Richtungen  in  die  ver- 
ticale  Symmetrieebene  der  Dotteranordnung  fallen.  (S. 
355,  409,  414,  416.) 
b)  Die  Richtung  der  ersten  Eileibtheilung  und  damit  zu- 
gleich die  Lage  der  primären  und  secundären  Median- 
ebene im  Eileib  des  Froscheies  werden  normaler  Weise 
durch  die  Befruchtung  bestimmt  und  zwar  derart,  dass 
diese  Theilungsebene  und  die  Medianebene  in  die  verti- 
cale  Symmetrieebene  der  durch  die  Befruchtung  be- 
stimmten Anordnung  des  Dotters  zu  liegen  kommen. 

§  3.  Die  Befruchtung  wirkt  unter  ganz  normalen  Verhältnissen 
derart,  dass  die  nach  §  1  und  2  durch  sie  bestimmten  Richtungen  iden- 
tisch sind  (sodass  also  keine  nachträgliche  Drehung  des  Furchungs- 
kernes im  Zellleib  stattfindet). 

§  4.  a)  Die  durch  die  Befruchtung  entstehende  Anordnung  der 
verschiedenen  Dottersubstanzen  des  Froscheies  bewirkt 
normaler  Weise  auch  die  Lage  der  Schwanzseite 
und  der  Kopfseite  des  Embryo  im  Eileib   und  zwar 

nicht  dem  Gange  des  Naturgeschehens,  sondern  schreitet  rückwärts  vom  Product 
zu  seinen  Componenten.  Wir  bevorzugen  daher  die  naturgemässere  Darstellung,  da 
es,  entsprechend  Kirchhoffs  Definition  der  Mechanik,  unsere  Aufgabe  ist,  das  Natur- 
geschehen  auf  die  einfachste  und  richtigste  Weise  zu  beschreiben. 

Anfänglich  wurden  hier,  blos  des  Vergleiches  wegen,  einige  Male  beide  Formu- 
lirungen gegeben. 


Gestaltende  Wirkungsweisen  (Naturgesetze).  1027 

bei  Rana  esculenta  derart,  dass  diejenige  Seite  zur 
Scliwanzseite  wird,  an  welcher  der  schwarze  Rinden- 
dotter am  weitesten  abwärts  reicht;  das  ist  diejenige 
Seite  des  Eileibes,  welche  vom  Samenkörper  durch- 
wandert wurde.  Die  Kopfseite  liegt  auf  der  entgegen- 
gesetzten Seite  des  Eies.     (S.  409,  414,  41(3.) 

b)  Die  Lage  der  Schwanzseite  und  der  Kopfseite  des  Embryo 
im  Ei  leib  des  Froscheies  wird  normaler  Weise  gleich- 
falls durch  die  Befruchtung  bewirkt,  indem  diejenige 
Seite  des  Eileibes  (bei  Rana  esculanta)  zur  Schwanz- 
seite wird,  auf  welcher  in  Folge  der  Wirkung  des  ein- 
gedrungenen Samenkörpers  der  pigmentirte  Rindendotter 
am  weitesten  abwärts  reicht. 

§  5.  Die  Bestimmungen  2  und  4  können  auch  durch  ent- 
sprechende künstliche  veranlasste  Anordnung  der  Dottersubstanzen 
(durch  schiefe  Zwangslage)  bewirkt  werden  (wobei  dann  wohl  der 
Furchungskern  mit  seiner  durch  1  bestimmten  Theilungsrichtung  sich 
im  Dotter  entsprechend  §  3  drehen  muss). 

§  6.  Dotter  und  Kern  der  Furchungszellen  des  Froscheies 
können  bei  der  Theilung  dieser  Zellen  richtende  und  qualitative 
Wirkungen  aufeinander  ausüben.     (S.  305,  327,  339.) 

§  7.  Die  Berührungsstelle  von  Furchungszellen  des  Froscheies 
übt  als  solche  (das  heisst,  abgesehen  von  der  bei  grösserer  Be- 
rührungsfläche bedingten  Aenderuug  der  Gestalt  der  Zellen  und 
deren  Wirkung  [s.  303])  keinen  richtenden  Einfluss  auf  die  Einstellung 
der  Kernspindeln  dieser  Zellen  aus.     (S.  928.) 

§  8.  Die  nach  §  2  und  4  hervorgebrachten  Anordnungen  des 
Dotters  wirken  wahrscheinlich  dadurch  das  Detail  der  typischen 
Gestaltung  des  Embryo  in  seiner  Richtung  bestimmend,  dass  sie 
auf  die  Anordnung  des  durch  die  Befruchtung  activirten  und  bei 
der  Furchung  unter  normalen  Verhältnissen  in  typischer  Weise 
qualitativ  gleich  resp.  ungleich  getheilten  idioplastischen  Kernmate- 
riales  wirken  (siehe  „Kern"  im  Register). 

65* 


1028  Gestaltende  Wirkungsweisen  (Naturgesetze). 


§  9.  Das  idioplastische  Kernraaterial  bestimmt  wahr- 
scheinlich vorzugsweise  die  typischen  (d.  h.  der  Art,  Unterart  etc.) 
entsprechende  Charaktere  der  GestaUungen;  während  dem  Dotter- 
resp.  ZeUleibmateriale  auf  dem  Wege  der  Auslösung  der  Kern- 
thätigkeit,  also  der  Activirung  von  Kernmaterial,  mehr  eine  Bestim- 
mung darüber  zukommt,  welche  diese  typischen  Charaktere  tragenden 
Theile  vom  Kern  aus   hergestellt   werden   (siehe  Dotter  im  Register). 

§  10.  Die  personelle  Entwickelung  vollzieht  sich  (wie  jede  Aende- 
rung  eines  Seins  oder  Geschehens)  durch  „Wechselwirkung  von  Theilen" 
(siehe  Entwickelung,  Wechselwirkung). 

§  11.  Die  ,, typischen"  Gestaltungsvorgänge  im  befruchteten  Ei 
der  nicht  am  Boden  fixirt  lebenden  Thiere  finden  durch  im  Ei  selber 
liegende  gestaltende  Kräfte  statt,  d.  h.  die  die  typische  Gestaltung 
bestimmenden  Componenten  liegen  im  Ei;  es  ist  also  äusseren  Ein- 
wirkungen, z.  B.  der  Schwerkraft  nichts  Wesentliches  zu  bestimmen 
überlassen.  (NB.  Die  Erziehung  ist  nicht  „typische"  sondern  speciell 
„individuelle",  d.  h.  besondere  persönliche  Entwickelung.)  (Siehe  Seite 
273,  276,  322,  422.) 

§  12.  Diejenige  Anordnung  der  ungleich  specifisch  schweren 
Dottersubstanzen  des  Eies  von  Rana  fusca,  welche  normaler  Weise 
die  senkrechte  Einstellung  der  Axe  des  noch  nicht  befruchteten 
Eies  veranlasst,  wird  erst  durch  die  Vor  Wirkung  der  Befruch- 
tung genau  hergestellt  oder  wieder  hergestellt.     (S.  291.) 

§  13.  Die  typischen  Gestaltungsvorgänge  an  dem  Materiale 
jeder  der  beiden  ersten  Furchungszellen  finden  bei  manchen  Thieren 
ganz,  bei  anderen  Thieren  weitaus  überwiegend  durch  die  in  jeder 
dieser  Zellen  selber  liegenden,  gestaltenden  Kräfte  statt.  Doch  kann 
der  Einwirkung  der  Nachbarzelle  dabei  ein  wesentlicher  ,, auslösender" 
Antheil  zukommen  (s.  §  14). 

§  14.  Die  Entwickelung  einer  isolirten  Elastomere  zu  dem 
auch  im  ganzen  Eiverbande  aus  ihr  hervorgehenden  Stück  des 
Embryo  ist  durch  die  Gestalt  und  Anordnung  der  Dottersubstanz 
bedingt. 

§  15.  Ist  die  Zellrinde  der  isolirten  Blastomere  schon  derart  an 
die    innerhalb    des    ganzen    Eiverbandes    entstandene    Gestalt    der 


Gestaltende  Wirkungsweisen  (Naturgesetze).  1029 


Elastomere  angepasst,  dass  auch  nach  der  Isolirung  noch  diese  Ge- 
stalt und  damit  die  entsprechende  Anordnung  der  inneren  Dotter- 
substanzen erhalten  bleibt,  so  entwickelt  sich  auch  die  isolirte  Zelle 
(mehr  oder  weniger  weit)  zu  dem  normaler  Weise  entsprechenden 
Stück  des  jungen  Embrj^o  (siehe  S.  1008,  ferner  Halbbildungen, 
Furchungszellen). 

§  16.  Ist  die  Zellrinde  an  diese  Gestalt  noch  nicht  fest  ange- 
passt, sondern  rundet  sich  die  Elastomere  nach  der  Isolation  stark 
und  wird  dadurch  das  Wesentliche  der  Dotteranordnung  eines  ganzen 
Eies  hervorgebracht,  so  werden  die  speciellen  Gestaltungsmechanismen 
zu  einem  ganzen  Embryo  ausgelöst  (s.  S.  1008). 

§  17.  Eine  andere  differenzirende  Wirkung  der  beiden  ersten 
Furchungszellen  resp.  des  Complexes  ihrer  Derivate  auf  einander 
als  die  Erhaltung  der  Haibeianordnung  der  ersten  Elastomere  ist 
zur  typischen  Entwickelung  der  ersten  Embryostadien  nicht  nöthig. 
(Siehe  S.  1008  ff.) 

§  18.  Die  Entwickelung  des  befruchteten  E i e s  vollzieht  sich 
in  zwei  wesentlich  verschiedenen  Arten  des  Geschehens: 

a)  erstens  durch  typische,  fest  normirte  Vorgänge,  welche 
zum  Theil  dadurch  charakterisirt  sind,  dass  sie  eine  Strecke 
weit  unabhängig  von  dem  Geschehen  in  den  anderen 
Theilen,  also  selbstständig  in  natürlich  abgegrenzten  Be- 
zirken des  gefurchten  Eies  oder  auch  noch  des  Embryo 
verlaufen  (Selbstdifferenzirung  dieser  Bezirke) :  typische 
sive  normale  (directe)  Entwickelung. 

b]  zweitens  in  atypischen  Vorgängen,  welche  Störungen  des 
normalen  Verlaufes  durch  morphologische  Selbstregula- 
tionsmechanismen unter  weiter  als  normal  ausgedehnten 
Wechselwirkungen  ausgleichen:  atypische  s.  regula- 
torische (indirecte)  Entwickelung. 

§  19.  Die  typische  Entwickelung  wird  durch  das  bei  und  infolge 
der  Befruchtung  activirte,  daher  „typische"  Idioplasson  vollzogen;  die 
atypische  sive  regulatorische  Entwickelung  geschieht  unter  und  nach 


1030  Gestaltende  Wirkungsweisen  (Naturgesetze). 


Activirung    von    durch    die  Befruchtung    nicht    activirtem  „Reserve- 
dioplasson." 

§  20.  a)  Störungen  der  Qualität  oder  der  Anordnung  von 
Theilen  oder  D  e  f  e  c  t  von  Th eilen  des  mehr  oder  weniger 
weit  entwickelten  Ganzen,  also  abnorme  Nachbar- 
schaft veranlasst  in  den  normal  gebliebenen  Theilen, 
welche  noch  zu  höherer  Leistung  als  zur  Bildung  der 
eigenen  Zellqualität  geeignetes  Reserveidioplasson  ent- 
halten, die  Activirung  des  letzteren. 

Unter  Wirkung  des  normal  verbliebenen  Theiles  des 
entwickelten  typischen  Ganzen  und  des  durch  das 
Reserveidioplasson  dargestellten  potentiellen  typi- 
schen Ganzen  (resp.  Theiles  desselben)  findet  eine  diesem 
Typus  entsprechende,  mehr  oder  weniger  vollkommene 
Wiederherstellung  des  entwickelten  Ganzen  unter 
Umdifferenzirung  resp.  Neubildung  statt:  morphologi- 
sche Selbstregulation  (siehe  diese  sowie  Regenera- 
tion, Postgeneration), 
b)  Dabei  findet  eine  Concurrenz  umdifferenzirender 
Wirkungen  unter  den  Zellen  statt,  in  welcher  die  Wir- 
kungen der  dem  normal  verbliebenen  Theile  des  Indi- 
viduums näherhegenden  Zellen  über  die  von  den  abnor- 
men Zellen  ausgehenden  Wirkungen  siegen  (siehe  S.  897 
u.  f.  und  Reserveidioplasson , Regeneration,  Postgeneration). 
Auch  innerhalb  der  einzelnen  Zellen  kann  Abnormität 
der  Anordnung  und  Qualität  der  Theile  Veranlassung 
zur  Activirung  des  Reserveidioplasson  werden  (siehe 
Dotter,  Halbbildungen). 

§  21.  Die  Befruchtung  bewirkt  sogleich  individuelle  sive  per- 
onelle  Differenzirung,  d.  h.  Bildungen,  welche  auf  ein  einziges 
ndividuum,  auf  eine  Person  angelegt  sind ;  die  ersten  Furchungszellen 

werden  dementsprechend   actuell  ungleich  gebildet;  potentiell  d.   h. 

in    ihrem   Reserveidioplasson    aber   sind    die   ersten   Furchungszellen 

einander  gleich  und  zwar  totipotent. 


Gestaltungsregeln.  1031 


§  22.  Die  differenzirenden  Wirkungen  der  Epithelien  gehen  am 
meisten  von  den  „Seitenflächen",  weniger  von  den  „polaren"  Flächen 
derselben  aus  (S.  785). 

§  23.  Viele  in  geringem  Abstände  von  einander  befindliche 
Furchungszellen  üben  eine  directe  Näherung  veranlassende  Wir- 
kung auf  einander  aus  (S.  988  u.  f.). 

§  24.  Künstlich  oder  zufällig  zusammengeordnete,  sich  be- 
rührende Furchungszellen  wirken  umordnend  auf  einander 
(S.  990  u.  f.). 

B.  Gestaltungs-Regeln. 

§  1.  Beim  Froschei  fällt  unter  normalen  Verhältnissen  die  Median- 
ebene des  Embryo  mit  der  ersten  Furchungsebene  zusammen. 

§  2.  Bei  den  meisten  bilateral-symmetrischen  Thieren  entspricht 
unter  normalen  Verhältnissen  eine  der  beiden  ersten  Furchuugsebenen 
des  Eies  der  Medianebene  des  Embryo  (S.  768). 

§  3.  Bei  den  Metazoen  stehen  unter  normalen  Verhältnissen  die 
drei  ersten  Furchen  des  Eies  in  typischen  Richtungsbeziehungeu  zu 
den  drei  Hauptrichtungen  des  Embryo  (S.  768). 

§  4.  Die  Kopfseite  des  Froschembryo  entspricht  der  Seite  des 
höherstehenden  hellen  Eipoles,  die  Schwanzseite  der  entgegengesetzten 
Seite  (siehe:  caudal). 

§  5.  Bei  schiefer  Zwangslage  des  Froscheies  ohne  besondere  De- 
formation desselben  steht  die  erste  Furche  annähernd  entweder  in 
Richtung  oder  rechtwinkehg  zur  Richtung  der  Symmetrieebene  der 
Einstellung  des  Pigmentes  der  Eioberfläche  (S.  325  u.  f.). 

§  6.  Steht  die  erste  Furche  ausnahmsweise  schief  zu  der  durch 
einfache  schiefe  Zwangslage  bestimmten  Symmetrieebene  des  Rinden- 
pigmentes, so  wird  letztere  nachträglich  symmetrisch  zur  ersten 
oder  zweiten  Furche  umgearbeitet  (S.  327,  340). 

§  7.  Bei  einfacher  schiefer  Zwangslage  des  Froscheies  entsteht 
häufig  die  ihrer  Bedeutung  nach  der  normalen  zweiten  Furche  ent- 
sprechende Furche  als  erste  (S.  329). 


1032  Gestaltungsregeln. 


§  8.  Der  intraovale  Verlauf  des  Samenkörpers  vollzieht  sich 
beim  Froschei  in  zwei  typisch  verschiedenen  Bahnen:  der  Penetrations- 
bahn und  der  Copulationsbahn  (S.  371  u.  f.). 

§  9.  Die  erste  Theilungsebene  des  Furchungskernes  geht  nor- 
maler Weise  durch  die  Copulationsrichtung  dieses  Kernes  (S.  384). 

§  10.  Die  erste  Theilungsebene  des  Dotters  geht  normaler  Weise 
durch  den  senkrechten  Meridian  der  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers 
in  das  Ei  (S.  388). 

§  11.  Umschriebene  Defecte  an  dem  mehr  oder  weniger  gefurchten 
Froschei  können  „umschriebene"  Defecte  am  Embryo  zur  Folge  haben 
(S.  180). 

§  12.  Eine  der  beiden  ersten  Furchungszellen  des  Froscheies 
kann  sich  nach  Tödtung  der  anderen  Zelle  zu  einem  (rechten,  linken 
oder  vorderen)  halben  Embryo  entwickeln  (siehe  Halbbildungen). 

§  13.  Die  erste  Entwickelung  des  Froscheies  und  -Embryo  ist 
eine  Mosaikarbeit  aus  mindestens  vier  den  ersten  Furchungszellen 
entsprechenden,  eine  Strecke  weit  sich  selbstständig  entwickelnden 
Stücken  (S.  455). 

§  14.  Die  Hemiembryonen  des  Froscheies  können  früher  oder  später 
die  fehlenden  Körperliälften  postgeneriren ,  sowohl  mit  Verwendung 
von  Material  der  operirten  Eihälfte  (S.  484)  wie  ohne  dieselbe  (S.  796). 

§  15.  Die  Postgeneration  der  Hemiembryonen  geschieht  bei 
Verwendung  von  Material  der  anderen  Eihälfte  unter  abhängiger 
Differenzirung  dieses  Materials,  welche  von  der  primär  entwickelten 
Hälfte  aus  bewirkt  wird  (S.  508). 

§  16.  Die  bei  normaler  Einstellung  obere  Seite  des  Froscheies, 
der  Morula,  Blastula  entspricht  in  ihren  Producten  der  ventralen  Seite 
des  Embryo  (s.  S.  527). 

§  17.  Die  Gastrulation  des  Frosches  vollzieht  sich  unter  bilateraler 
Epibolie  und  Concrescenz  (S.  529). 

§  18.  Das  explicite  Material  des  künftigen  Medullarrohres  liegt 
am  gefurchten  Froschei  (an  der  Morula  und  Bastula)  in  Form  eines 
Ringes  etwas  oberhalb  des  Ei-Aequators  (S.  529). 


I 


Gestaltungsregeln.  1033 


§  19.  Die  „Furchung"  der  höheren  Vertebraten  leistet  zum  Theil 
bereits  Arbeit,  welche  bei  den  niederen  Vertebraten  erst  durcli  die 
„Gastrulatiou"  besorgt  wird  (S.  535). 

§  20.  Weder  der  Wecliselstrom  noch  der  galvanische  Strom 
vermögen  als  solche  die  Richtung  der  ersten  Theilung  des  Froscheies 
zu  beeinflussen.  Das  Gleiche  gilt  für  die  Besamungs-  und  Copula- 
tionsrichtung  (S.  556,  571,  583). 

§  21.  Die  lebende  Zellleibsubstanz  der  früheren  Entwickelungs- 
stadien  der  Wirbel thiere  besitzt  eine  starke  Reactionsfähigkeit  auf 
electrische  Einwirkungen  (auf  Gleichstrom,  Wechselstrom  und  die 
Schläge  der  Leydener  Flasche),  welche  den  Zellen  des  älteren  Thieres 
nicht  mehr  zukommt,  welche  aber  bei  Protisten  und  Cölenteraten 
(Hydra)  während  des  ganzen  Lebens  sich  findet  (S.  745). 

§  22.  Bei  intraelectrolytärer  electrischer  Durchströmung  bildet 
an  der  lebenskräftigen  Morula,  Blastula  und  Gastrula  jede  Zelle 
ein  resp.  zwei  Specialpol f eider ,  während  die  gleichen  Objekte, 
wenn  sie  in  ihrer  Vitalität  geschwächt  sind,  blos  zwei  Generalpol- 
felder bilden  und  sich  damit  wie  das  noch  ungetheilte  Ei  verhalten 
(S.  752). 


Autoren-Register 

zu  Band  I  und  IT. 


AWfeld,  Fr.  II  121,  194,  518. 

Alessandrini  I  204. 

Altmann  II  85. 

Ampere  II  3. 

Argyll,  Duc  of  I  142. 

Aristoteles  I  388. 

Auerbach,  L.  I  242;  II  118,  299. 

V.  Baer,  C.  II  25,  30,  36,  213. 

Balbiani,  E.  G.  11  90,  307. 

Balfour  II  30,  31,  286. 

van  Bambeke,  Ch.  358,  368,  510. 

Bardeleben,  K.  I  80,  179,  180;  11  212. 

Barfurth,  D.  I  146,  163,  243,  754;  II  160, 

200,  490,  528,  540,   811,  837,  880,  942. 
Beale  II  315. 
Beard  I  244 
Beclard  1  242. 
Beethoven  I  412. 
Benecke,  B.  II  293. 
V.  Beneden,  Ed.  II  30,  111,  285,  295,  381, 

391,  769,  853. 
Beneke,  Rud.  I  315;  II  293. 
Bergh,  S.  II  768. 
Bergmann  II  203. 
Bernard,  Cl.  I  309. 
Berthold,  G.  I  412;  II  33,  91,  305. 
V.  Bezold  II  577. 
Bidder  I  286,  295,  310. 
Billroth  I  304. 
Blochmann  11  43. 
Boesle  I  734. 


du  Bois-Reymond,  E.  I  146,  644,  733; 
II  212,  730,  751. 

BoU  I  263,  315. 

Borelli  I  497. 

Born,  G.  1  139 ;  II  44,  107,  257,  293,  297, 
305,  334  A.,  358,  360,  368,  397,  405.  416, 
514,  787,  848,  849,  852,  853,  924.  925, 
942,  954,  960  u.  f.,  999,  1015. 

Bornet  I  791. 

Boulenger  II  42. 

Boveri,  Th.  II  44,  315,  833,  1005. 

Braem,  F.  II  118,  305,  839. 

Braune,  W.  I  268,  598;  II  427. 

Brown,  A.  E.  I  191. 

Brown-Sequard  I  295,  296. 

Brücke,  E.  I  71. 

Büchner,  L.   I  191. 

Bunting,  M.  II  985. 

Busch,  F.  II  212. 

Bütschli,  0.  I  208,  412,  445;  II  33,  61, 
91,  315. 

Cailletet  I  257. 

Calberla  II  510. 

Canstatt  I  324,  544;  II  211. 

Carriere,  J.  I  205,  344;  II  837. 

Cartesius  I  67. 

Chabry,  L.  II  44,  788,  880,  958. 

Charcot  I  296. 

Chun,  C.  II  808,  856,  886. 

Clapp,  Com.  II  853. 

Claus,  C.  I  144. 

Cohen,  E.  I  788. 


Autoren-Register  zu  Band  I  und  TT. 


1035 


Colin,  Ferd.  I  802. 

Colmheim,  J.  I  255,  262,  285,  301,  309,  633; 

TT  212,  495.  751. 
Colasanti  T  177,  287. 
Coste  IT  351. 
Coulomb  I  58. 
CruveiTlner  I  268. 
Culraan  I  735. 
Cyon  I  165. 
Dahl,  Friedr.  T  410. 
Darcy  I  48,  57. 

Dareste,  Cam.  I  83,  243 ;  IT  44,  423,  517. 
Darwin,  Gh..  I  141,    154,   157   u.   f.,  191, 

270.  280,  443 ;  TT  212. 
V.  Davidoff,   M.  IT  89,  858. 
Dewitz,  J.  TT  432. 
Ditscheiner  TT  669. 
Drasch,  0.  I  258. 
Dreyer,  Friedr.  TI  58,  69,  91,  914. 
Driesch,  Hans  I  208;  TI  58,   69,   78,  305, 

456,   467,    790,    793   u.  f.,   835    u.    f., 

863,    874   u.   f.,    881,   905  A.,  949  A., 

951  u.  f.,  1004  u.  f. 
Duchenne  I  244. 
Duncan,  M.  I  796. 

V.  Ebner,  Vict.  I  717;  TT  30,  708,  911. 
Ebstein  I  296. 
Eckardt,  C.  Th.  T  323,  384. 
Ecker  TT  437. 
Eckhart,  P.  TT  827. 
Edinger,  Ludw.  T  240,  250. 
Ehlers  I  789. 
Eichbaum,  F.  1  720. 
Eichhorst  I  291. 
Eidam  I  802. 
Eimer  T  116;  IT  66. 
Eisberg  I  231. 
Empedocles  F153. 
Endres,  H.  II  518,  942  A. 
Engelmann,  Th.  I   259,288,    628;  TT  577. 
Erbkam,  R.  I  258. 
Errera,  Leo  II  33,  91. 
Exner,  Sigm.  T  164,  177,  191. 
Feuer  I  292. 

Fick,  A.  I.  578,  633;  TI  427. 
Fick,  Eug.  I  834. 

Fick,  Ludw.  I  264;  IT  44,  212,  230. 
Fick,  Rud.  T  354;  II  376. 
Fiedler,  Carl  TI  790,  880,  1007. 


Fischer,  H.  T  190,  313. 

Fischer,  E.  IT  206,  829. 

Flahault  I  791. 

Flemming,  W.   I   255,    393;    TI    85,    126, 

283,  315. 
FTourens  T  740. 
Flügel,  A.  T  598. 
Foerster,  Aug.  I  205. 
Fol,  H.  II  288. 
Fraenkel,  E.  I  213. 

Fraisse,  P.  I  146,  844,  754;  IT   512,   837. 
Friedländer,  C.  I  169,  262. 
Friedreich  I  251. 
Fries,  J.  Fr.  I  449. 
Froriep,  Roh.  I  244,  650. 
Gad,  J.  I  650. 
Galton  TI  61. 
Gaule,  -J.  I  293. 
Gegenbaur,  C.  T  189;  IT  231. 
Gensch  II  477. 
Geoffroy,  St.  Hilaire  I  270. 
Gerlach,  Leo  IT  44,  122,  194,  423,  517. 
Goethe  T  270. 
Goette,  AI.  TT  30,  380,  581,  768,  801,  837, 

853,  855. 
Graham  I  91. 
Grapow  I  181. 
Grashof  I  58. 

Grawitz,  P.  T  147,  235,  657. 
Grobben,  C.  T  212. 
Grossmann  I  857. 
Gruber,  A.  TI  48,  44,  90. 
Grützner,  P.  I  847. 
Gubler  T  578. 
Gudden  T  164. 
Guebhard,  Adrien  TT  668. 
Guerin,  J.  T.  881,  580. 
GuTdberg.  G.  T  144. 
Gurlt  I  749. 
Haeckel,  E.  I  139,  142  u.  f.,  210,  227,  281, 

388,  391,   406,   410   A.;  11  66,  69,  212, 

286,  999. 
Haecker,  Val.  IT  315. 
Haensell  I  549. 
Hagen  I  48,  57. 
Hagenbach  I  48. 
du  Hamel  I  742. 
Hanau,  Arth.  TI  496. 
Hansemann,  D.  IT  188,  815,  830. 


1036 


Autoren-Register  zu  Band  I  und  II. 


llartmann,  Ed.  von  I  143. 

Harvey  I  393. 

Hasse,  C.  1  79,  265,  334  A  ,  336  A.,  442, 

466,  770,  776,  802;  II  315,  999. 
Hatschek  I  394  A. 
Hauerwaas  I  266. 
Hauptmann,  Carl  I  388. 
Heiberg  I   204. 
Heidenhain,  Mart.  II  976  A. 
Heidenhain,  Rud.  I  165,  286,  297. 
Helmholtz,  H.  I  324. 
Henke,  Wilh.  I  173,  202,  579 ;  II  44,  212. 
Henle  I  368,  633,  702;  II  212. 
Hensen,  V.  I  191,  II  32. 
Heraklit  I  216. 
Herbst,  C.  II  835. 

Hering.  E    I  191,   208,   243,   371;  II  577. 
Hermann,    L.    I    284,    290,    305;    II    671, 

730,  748,  751. 
Hertel  I  1. 

Hertwig,  0.  II  6,  75,   89,    182,  262,   305, 
323,  332,  346,  351,  355,  443,  486,  525, 
526,  776,  782,  793,  802   u.  f.  826,   847 
u.  f.,  863,  874  u.  f.,  881   A.,   905.   928, 
941  u.  f ,  950,  954,  1007  A. 
Hertwig,  Rieh.  II  44,  314,  841,  999. 
Heuser  II  315. 
Hirschberg  I  293. 

His,  W.  I  210,  264,  268;  II  30,  39,  147, 
203,  212,  214,  229,  240  u.  f.,  245,  251, 
315,  426,  427,  527,  530,  534,   768,  801. 

Hofer,  Bruno  II  90. 

Hoffmann,  C.  K.  I  177. 

Hueter,  C.  I  579. 

Hutchinson  I  213. 

HyrtI  I  3,  45  71,  599,  702. 

Jacobson  1  48,  91. 

Janosik,  J.  II  213. 

Joessel,  G.  I  204. 

Joseph  I  293. 

Julin,  Charles  II  119,  285,  424,  769,  853. 

Kapp  I  755. 

Kassowitz,  M.  I  293,  717;  II  212,  229. 

Katzenstein  1  239. 

Kayserling,  A.,  Graf  I  379. 

Keibel,  F.  II  89,  530,  795,  811. 

Keuchel  I  307. 

Kiprijanoff  I  797. 


Kirchhoff  II  3. 

Klaussner,  F.  II  518. 

Klebs,  E.  II  315. 

Klein,  E.  I  379. 

Klemensiewicz  I  258. 

Knop,  W.  I  379. 

Knorz  I  173. 

V.  Koch,  Gust.  I  443  A,  779. 

V.  Koelliker,  A.  I  266,  351,  371,  379,  790, 

796,  797;  II  66,  97,  426,  999. 
Koester  I  665,  716. 
Kollmann,  J.  1  549;  II  75,  213,  226,  254, 

530. 
V.  Kowalewski,  M.  II  424. 
Krause,  W.  I  12,  287. 
Kühne,  Wilh.  I  341 ;  II  576,  583,  620. 
Kükenthal,  Willy  I  466,  478,  555,  567. 
V.  Kupffer,  C.  II  293,  477,  801. 
Kussmaul  II  254. 
Küster  I  179. 
Küstner,  0.  I  380. 

Lamarck  I  156,  227,  280,  768;  II  211. 
Langendorff  II  193. 
Langerhans,  P.  I  179. 
Laulanie  I  549. 
Legros  I  295. 
Lehmann  I  802. 
Leopold,  S.  II  206,  829. 
Leuckart  II  153,  203,  815. 
Leuwenhoek  I  708. 
Leyden  I  291. 
Lichtheim  I  251. 
Loeb,  Jacques  I  84,    285,    II  985,    1004, 

1012. 
Lott,  G.  I  258. 
Lotze,  H.  II  11,  147. 
Luchsinger  I  176,   183,  286. 
Lücke  I  301,  380. 
Ludwig,  Carl  I  48,  305;  II  212. 
Lwoff,  Bas.  II  533. 
Mach,  E.  II  669,  708. 
Magendie,  I  507. 
Marchand,  F.  II  205,  829. 
Marey,  E.  J.  I  580,  626,  629. 
Marie,  P.  I  250. 
Mariotte  I  210. 
Marling  I  179. 
Marshall,  W.  143,  179. 
Mai-tin,  1  380. 


Autoren-Resister  zu  Band  I  uml  II. 


1037 


Martiny  I  179. 

Mayer,  Sigm.  I   292,   295,  298  u.  f.,  310. 

Mcckel  II  518. 

Meissner  I  287. 

Merkel,  Friedr.  I  144.  179. 

Messerer  I  280. 

V.    Metschnikoff,    El.     I    144,     147,    235; 

II  307. 
Meyer,  Herrn.  I  181,  703;    II  44,  211. 
Miller  I  791. 

Minot,  Ch.  Sedgw.  II  34,  529. 
Mitchell  I  296. 
Moleschott  1  242 

Morgan,  T.  H.  II  305,  530,  985, 1004,  1015. 
Moseley,  H.  N.  I  797. 
Müller,  Fritz  I  210,  243,  443. 
Müller,  Joh.  I  544,  633;  11211. 
Müller,  Wilh.  I  163. 
Murisier  II  230. 
Naegeli  I  141;  II  864. 
Nasse,  H.  I  293;  II  212. 
Newport,  G.  11  416,  424. 
Newton  1  210;  II  30,  293. 
V.  Nordenskjöld,  E.  l  442,  770,  780. 
Nothnagel,  H.   I  97,    144,  163,   319,   322, 

384,  768. 
Nuel,  J.  P.  II  98,  285. 
Nussbaum,  M.  I  208,  212;  11  43,  44,   61, 

90,  307,  813,  854,  861,  895. 
Obolensky  I  286. 
Ollier  I  309. 
Orth,  J.  I  384. 
Osborn,  H.  F.  I  768;  II  510. 
Owen  II  61. 
Paget  I  310. 

Pander,  Chr.  II  147,  244. 
Panum  II  44,  205,  423,  829. 
Partsch,  C.  I  J.69. 
Pascheies  II  708. 
Pasqualini  II  669. 
Peltier  11  751. 
Pettenkofer  1  242. 
Pfaff  I  257. 
Pfeifer,  Georg  I  146. 
Pfeifer,  W.  I  259. 
Pfitzner,  W.  I  386  A;  II   126. 
Pflüger,  E.  I  166,   24.i,   408,  410;    II  44, 

114,   123,  304,  326,  523,  577,  769,  848, 

881,  925,  942,  1004. 


Philipeaux  I  165. 

Platner,  G.  II  514. 

Platte,  W.  II  912. 

Poiseuille  I  48,  57. 

Popoff,  Dem.  1  19,  84. 

Pouchet  II  958. 

Preyer,   Wilh.  I   139,  193,  201,  228,  392, 

410;  II  106,  212. 
Quincke,  G.  II  33,  91. 
Rabe,  L.  I  179. 
Rabl,  C.  II  309,  313,  315. 
Raehlniann  I  193. 
Ranke,  J.  II  212. 
Ranvier  I  258. 
Rauber,  Antinous  1280,  719,  729;  II  11, 

30,  86,  90,  112,  165,  271,  324,  350,  444. 

534,  801. 
Ravogli  I  549. 

V.  Recklinghausen  I  721,  765;  II  444. 
Reichel  I  708. 
V.  Reichenau  I  144. 
Reichert  I  733. 
Reid  I  244. 

Remak  I  315;  II  126,  314. 
Retterer  I  386  A. 
Reuleaux  I  1. 

Ribbert  I  163,  322,  384;  II  43  A. 
Riehl,  A.  I  144. 
Rindfleisch,  E.  II  212. 
Rockwell  I  244. 
Roemer  I  802. 
Rohde,  Friedr.  I  384,  452. 
Roiti  II  669. 

Rollett,  A.  I  188,  292;  II  657. 
Romanes,  G.  J.  I   141,    142,   226,   305  A 
V.  Rosen  I  213. 
Rott,  Th.  I  268. 
Rückert,  J.  II  478. 
V.  Sachs,  Jul.  II  61. 
Samuel,  S.  I  221,  262. 
Schafter,  J.  I  791  A.,  8U1  A. 
Schanz,  Fr.  I  327. 
Schenk,  S.  I  242. 
Schewiakoff  II  43. 
Schiett'erdecker  I  296. 
Schilf  I  165,  177,  285,  288,  293,  295,  296, 

309,  310. 
Schiller,  Fr.  I  331. 


1038 


Autoren-Register  zu  Band  I  und  II. 


Schmidt,  0.  I  161. 

Schreiber  I  197. 

Schrohe  II  153. 

Schuchardt,  Carl  I  163;  II  496. 

Schultze,  Bernh.  II  122. 

Schultze,  Max  II  258. 

Schultze,    Oscar  II    258,    267,    273,    529, 

531,  932  u.  f.,  949,  965,  1010. 
Schulz,  L.  H.  I  294. 
Schulze,  Frz.  Eilh.  I  790. 
Schwalbe,  G.  I  86,  169,    366;  II  30,  427. 
Schwarz,  Frank  I  802. 
Scott,  II  510. 
Sczelkow  I  305. 
V.  Seeland  I  236. 
Seeliger  II  853. 
Seidlitz,  G.  I  161. 
Selenka,  II  769,  875. 
Semon,  R.  II  530. 
Senftleben  I  292. 

Solger,  B.  I  386  A.,  717,  718  u.  f.,  797. 
Spallanzani  II  889. 
Speck  I  242. 
Spencer,  Herb.  1 141,  142,  226,  231,  305  A., 

387,  391;  II  212. 
Spengel,  J.  W.  II  123. 
Spitta,  Herrn.  I  145. 
Spitzer,  Hugo  I  144,  438  u.  f. 
Spring,  W.  I  257. 
Stahel,  Hans  I  43,    68. 
Steudener  II  212. 
Stirling  I  310. 

Strasburger,  E.  II  126,  309,  312,  315. 
Strasser,  H.  I  146,  163,  179,  356  A.,  384, 

496,  580,  768;  II  30,  149,  212,  229. 
Stricker,  S.  I  549;  II  212,  532,  801. 
Strümpell,  A.  I  250,  265. 
Swammerdam  II  106. 
Tait,  P.  G.  I  682. 
Taschenberg,   0.  I  409. 
Tliiersch  I  262. 
Thoma,  R.  I  19,  68,  83,  97,  98,  319,  384; 

II  45. 
Thomson,  W.  I  682. 
Thürler,  L.  I  181. 
Tiegel,  I  174. 
Tizzoni  I  258. 
Toldt,  C.  I  2,  74,  268,  371. 


Tornier,  G.  I  141,  768. 

Traube  I  285. 

Trembley  II  43,  813. 

Tribe.  A.  II  669. 

Tyndall  I  410. 

ühthoff  I  287  A. 

Valentin  II  153. 

Verworn,  M.  I  412;  H  90,  291,  577,  951  A. 

997. 
Vesal  1  268. 
Virchow,  H.  11  213. 
Virchow,  R.   I   167,   219,   251,   257,   301, 

309,  314,  328,   334,  393,  544,  616,  633; 

II  212,  283,  495,  517,  751. 
Vogel,  J.  I  242,  305. 
Vogt,  C.  II  801. 
Voit  I  242,  309. 
Volkmann,  A.  W.    I    48,    163,    258,    280, 

380. 
Volterra  II  669. 
de  Vries,  H.  I  231;  11  83,  864. 
Vulpian  I  165,  288,  293,  295. 
V.  Wagner  F.  II  841. 
Wagner,  Moritz  I  216. 
Waldeyer  II  30,  200. 
Wallace  I  142,  154. 
Waller  I  288. 
Weber,  Ed.  Fr.  I  577,  623. 
Weber,  E.  H.  I  204. 
Wedl  I  795,  797. 
Wegner,  G.  I  266,  351. 
Weigert,  Carl  I  221,  240,  262,  264,    291; 

II  514.  515. 
Weisbach  I  48,  57. 
Weismann,   Aug.  1    144,    190,    208,    231, 

384,  449  u.  f.;  II  6,  8,  30,  61,   66,   68, 

71,  83,  307,  846,  870,  875,  977. 
Welcker,  H.  I  375,  605. 
Whitman,  C.  0.  II  806,  985. 
Wiener,  Max  I  326. 
Wiesner,  J.  II  83. 
Willkomm,  M.  I  410. 
Wilson,  Edm.  B.   II  819,   831,    834,  875, 
877,  880,  989  u.    f.,   1004,    1005,   1006, 
1009. 
Winkler,  E.  I  675,  683. 
Witkowsky  I  193. 
Wolfermann  I  179. 
Wolff,  C.  Fr.  II  283. 


Autoieii-Rosister  zu  Baud  1  und  II. 


1039 


WolflF,  G.  I  147,  148,  235,  407  A.;  II   66. 
Wolff,  Jul.  I  144,    166,  179,  356  A.,  357, 

384,  662,  701,  716,  721,  723  u.  f.,  766, 

768;  II  45,   160,  212. 
Wundt,  W.  I  145,  218,  448;    II  223. 
Würtb,  E.  I  410. 
V.  Wyss  I  262. 


Young  I  242. 

Zahn,  Wilh.  II  206,  829. 

Ziegler,  E.  I  384,  549. 

Ziegler,  H.  E.  II  305,  922,  942  A. 

Zielonko  I  167. 

Zscbokke  I  681,  719,  729,  761. 

Zuckerkand]  1  2,  74,  268,  371. 


976  A. 


Saeh-Register 

zu  Band  I  und  II. 


A  nach  einer  Seitenzahl  =  Anmerkung. 


Abhängige    Differenziruug ')   I   205 

u.  f.;  Definit.  II  14  u.  f.;  Vorkommen 
1 205,  II 20, 31, 98  u.  f.,  II 72, 234, 287, 427, 
820;  zur  Einheit  des  Ganzen  I  39,  Nr.  27, 
Nr.   28;    vom   functionellen   Reiz  a.  D. 

I  346;  a.  D.  des  Eies  von  aussen  II  422; 
a.  D.  im  Kern  II  45  Anm.;  zwischen 
Zellleib  und  Kern  II  303,  306,  317,  837, 
927-937;  zwischen  Zellen  II  306,  317; 
der  Bindesubstanzen  I  333  u.  f.;  wan- 
dernder Zellen  II  801.  Siehe  auch:  Dif- 
ferenzirung ;  Correlationen ;  Wirkungen ; 
Entwickelung,  atypische;  Epigenesis; 
Umdifferenzirung;  gestaltende  functio- 
nelle  Anpassung;  Massencorrelation; 
Kampf  der  Theile;  Regeneration;  Post- 
generation; Selbstregulation  (morpho- 
logische). 

Abhängige  Diflerenziriingsgebilde 

II  908;   temporäre,  permanente  II  908. 
Abiogenesis,  durch  Züchtung  der  Grund- 

functionen  des  Lebens  I  409—416. 
Ablenkung  des  Arterienstammes  bei 

der  Astabgabe:   Thatsachen  I  11  u.  f.; 

Ursachen  I  80  u.  f. ;  des  Venenstammes 

bei  der  Vereinigung  etc.  I  11  u.  f. 
Abplattung  der  Organe  aneinander  1  268. 
Abschcerimg,    Scheerung    oder    Schub. 

Defin.  I  505,  679;  A.  ist  abhängige  Dif- 


ferenzirung  II  234;  A.  als  functioneller 
und  zugleich  Entstehungs-  und  Erhal- 
tungsreiz des  Knorpels  II  227;  ihre 
Bedeutung  für  die  Localisation  der  Epi- 
und  Apophysen  II  229;  ihrVorkommen 
II  230;  horizontale,  verticale  A.  I  511, 
516;  A.-sfasern  I  483;  A.-sfaser- 
paare:  im  Perimysium  inteinum  1  182, 
in  der  Flosse  des  Delphin  1  516,  558. 

Abschnüriingen  II  37. 

Absterben  des  jungen  Embryo,  Zeichen 
desselben  II  150;  während  der  Fur- 
chung II  156. 

Abstraction,  Wesen  und  Entstehung  der- 
selben I  414. 

Accessorisclie  Organe,  als  Beweis  von 
Selbstdifferenzirung  II  206. 

Acepbaliis,  künstlich  hervorgebrachter  II 
166;  als  Beweis  von  Selbstdifferenzi- 
rung II  205. 

Achromatintbeilung,  ev.  Bedeutung  11 
139,  312. 

Acormus  als  Beweis  von  Selbstdifferenzi- 
rung II  205. 

Activität  (1er  Ernährung  I  308,  311,  312. 

Activitätsbypertrophie  od.  functionelle 
Hypertrophie  I  166  u.  f.;  Gesetz  der 
dimensionalen  Hypertrophie  I  166;  sie 
ist  nicht  bedingt  durch  die  functionelle 


1)  Die  in  den  Abhandlungen  neu  eingeführten  oder  in  neuem,  bestimmt  definir- 
tem  Sinne  gebrauchten  Termini  sind  fett  gedruckt. 


I 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1041 


Hyperämie  I  315—325;  ihr  Antheil  an 
der  fuuctionellen  Structur  I  356-360, 
K  205;  A.  der  Muskeln  I  285,  631;  Ur- 
sache I  637;  A.  der  „langen  Knochen" 
I  758;  A.  der  Lymphdrüsen,  Milz  und 
Niere:  Auslösung  derselben  durch  ver- 
mehrte Blutzufuhr  I  311. 

Aehnlichkeitswacb  Silin  111  I  128 
(172),  202. 

Aehnlichkeit  zwischen  Eltern  und  Kin- 
dern I  832  A;  Ursache,  siehe  Keim- 
plasson,  Vererbung. 

Aequator,  electrisch  er,  II  579. 

Aequatorisation,    electrische    II  703. 

Aeqiüpotentiale  Flächen,  ihre  Darstel- 
lung an  Froscheiern  II  550  u.  f. 

Aequivalente  zwischen  Reizgrösse  und 
geweblicher  Reactionsgrösse  I  347,  553, 
559  u.  f  ;  a)  der  Bildung  I  555 ;  b)  der 
Erhaltung  I  555;  des  Bindegewebes  I 
559;  siehe  auch  Gleichgewicht,  Coeffi- 
cienten  der  Gewebebildung. 

Aethalium  septicum,  seine  electrische 
Polarisation  II  582. 

AIjü:eii,  im  Knochen  lebende  I  769 — 802, 
speciell  791. 

Allantois,  electrische  Polarisation  der- 
selben n  636. 

Allobiosis    atrophischer  Theile    I   648. 

Alloplasia  II  80. 

Alloplasten  II  85. 

Allotrophie  der  Muskeln  I  622,  648. 

Altersstöi'iingen,  Ursache  in  mangeln- 
der Züchtung  I  653. 

Amnionkreislauf,  Richtungsverhältnisse 
seiner  Blutgefässverzweigungen  I  16,  19. 

Ami)hioxu8,  £ntwickelung  einer  der  bei- 
den ersten  Biastomeren  II  831,  877, 
879;  einer  der  8  ersten  Blastomeren  II 
832. 

Amorphus  als  Beweis  von  Selbstdifferen- 
zirung  II  205. 

Amyelia,  künstliche  durch  Borsäure  II 
152  Anm.,  887  Anm. 

Anachronismen    der   Entwickelung    als 

Beweis  von  Selbstdifferenzirung  II  203; 

ihre   formalen   Folgen    IE    114;    A.    der 

Furchung    11    117,    164.   176,  329,   445, 

W.  Roux,  Ge.sammelte  Abhandlungen.  II. 


855,  Ursache  II  338,  bei  Zwangs- 
lage II  400,  bei  Deformation  (Pressung) 
II  445,  838;  A.  in  der  Sonderung  der 
Keimblätter  und  ihre  descriptive  Be- 
deutung II  438,  440,  458;  A.  der  Me- 
dullarrohrbildung  II  438,  440. 

Analyse  der  organischen  Gestaltungen 
II  86,  1020. 

Anatomie  II  21;  bisherige  Richtung  der- 
selben II  26;  vergleichende  A.  II  51, 
ihr  Nutzen  für  die  Entwickelungsmecha- 
nik  I  343,  363. 

Anderdiffereuziruiigsgebilde  II 910. 

Auenteria  II  442;  s.  auch  Anentoblastia. 

Aneutoblastia  II  442,  782,  965 ;  s.  auch 
Asyntaxia  medullaris. 

Anophthalmie  als  Beweis  von  Selbst- 
differenzirung 11  205. 

AnordnungsstiJrungen ,  Entwickelung 
dabei  II  896  u.  f.;  s.  auch  Selbstregu- 
lation; Entwickelung,  atypische. 

Anpassung,  Definition  I  157  A.;  A.  In- 
directe :  durch  Auslese  unter  den  Indi- 
viduenI157;  B.  Directe:  1.  auf  nicht- 
function  eilen  Correlationenberuhende 
1 130—132, 2.  auf  fuuctionellen  Corre- 
lationen  und  deren  gestaltenden  Wir- 
kungen beruhende:  Fnnctiouelle An- 
passung siehe  diese;  F.  A.  der  Blut- 
gefäss wandungl  66  u.  f.,  82,,  95  u.  f.; 
der  Knochengestalt,  Wanderung  der 
Kanten  I  606;  der  Knochenstructur, 
siehe  Knochen ;  der  M  u  s  k  e  1 1  ä  n  g  e :  an 
die  Bewegungsgrösse  der  ßefestigungs- 
punkte  I  583—623;  an  die  mittlere 
Grösse  des  Impulses  I  588;  durch 
Schrumpfung  I  600,  608,  615;  A.  des 
Embryo  an  passive  Deformation  II 245, 
252;  des  Eies  II  246;  qualitative  A. 
an  Reize  I  283;  vollkommene  I  347;  sin- 
kende I  348;  an  die  Reizfrequenz  und 
-Intensität  I  283,  -345,  siehe  Theilaus- 
lese,  Gewöhnung. 

Anpassungsfähigkeit:  Abnahme  der 
qualitativen  A.  mit  dem  Alter  I  373; 
phylogenetischer  Verlust  derselben,  be- 
dingt durch  Selbstregulation  I  224,  337. 

Anstichversuche  an  Eiern:    Methode  II 

66 


1042 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


940  u.  f.;  Priorität  II  957;  Ergebnisse 
II  153-200,  432—458. 

Antidarwinisten  II  67. 

Aorta,  Verästelungsregeln  I  24. 

Apoiieurosis  palmaris  und  plantaris, 
Function   als  Ligg.    cutanea  etc.   I  180. 

Apophysen,  Ursache  ihrer  Entstehung 
und  Localisation  II  228,  I  811. 

Arbeitsorgaiie,  ihr  von  der  Hyperämie 
unabhängiges  Wachsthuni    I  311,   327. 

Arcliitecturumvvälzung  der  Knochen, 
ihre  Vermittelung  I  357. 

Area  vasculosa,  Regel  ihrer  Gefässver- 
ästelung  I  19,  31. 

Art,  Bedingung  ihrer  höchsten  Vervoll- 
kommnung durch  functionelle  Anpassung 
I  382;  Perioden  und  Ursachen  ihrer 
Variabilität  und  annähernden  Constanz 
I  117,  224,  337  u.  f.,  455. 

Arteriae :  pulmonales  foetales,  ihre  grosse 
Weite,  326  A.;  meningeae  mediae,  Ver- 
ästelung I  25,  87 ;  coronariae  cordis : 
Ursprungswinkel  und  seine  Bedeutung 
I  34,  71 ;  recurrentes,  Abgangsregel  I 
35,  siehe  auch  Blutgefässe. 

Arzneimittel,  gestaltende  Wirkung  auf 
den  Embryo  II  887. 

Ascidieii-Halbbildung  aus  einer  der  beiden 
ersten  Blastomeren  II  788. 

Assimilation  I  208,  II  76  u.  f.,  als  Prob- 
lemen Anm. ,1179;  morphologische 
A.  1  223,  II 80, 1020;  functionelle  A.  II 
1022;  öelbstregulation  der  A.  I  224;  voll- 
kommene, unvollkommene  II  76;  Fremd- 
assimilation II  77  ;  präparatif  e, 
generative,  reparative  A.  II  79; 
Selbstassimalation  II  76—79;  Ab- 
hängigkeit der  A.  vom  Umsatz  I  401; 
ZüchtendeWirkungder  A.I  222,  231  u. f.; 
Nutzen  der  A.I  394;  A.  als  Grundbedin- 
gung der  Vererbbarkeit  I  395, 451,  II  62 ; 
Bedeutung  der  A.  für  dieUebertragung  des 
Gesetzes  der  Trägheit  auf  die  mit  Stoff- 
wechsel  verbundenen  Vorgänge  I   332. 

Ast,  der  Arterien,  Definition  I  11. 

Astkeil  der  Gefässe  I  81. 

Astverlaufswinkel  I  15 

Astwiukel  =  Astursprungswinkel  der  Ar- 


terien, Definition  I  15;  ihn  bestimmende 
Regeln  I  15  u.  f. 
Asyntaxia  medullaris   II  443,   447 

524  Fig.  4,  526,  528;   künstliche  totale 

(durch  Pressung)  II  89,  922,  965  ;  durch 

Anstich  II  160,  162,  163,  167,  168,  =171, 

172,  173,  177,  178,  185  Anm. ;  als  An- 

lass  zu  Doppelbildungen  II  517  u.  f. 
Athnuingsfunetion  der  Theile  der  Blas- 

tula  und  Gastrula  II  323. 
Atrophie :  der  Organe  und  Nerven  nach 

Nervendurchschneidung  I  284  u.  f.;  des 

Bindegewebes  durch  üeberdehnungl  554. 
Atrophische  Organe,   ihr  Stoffwechsel 

I  285;    ihre  Erhaltung   bei   mangelnder 

Concurrenz  um  den  Raum  I  269. 
Attractive    und   tractive   Wirkungen 

zwischen  Kern  und  Zellleil)  11  474,  siehe 

auch  .ZelUeib". 
Aufhellung  der  Eirinde,   typische  nach 

der  Befruchtung  s.  II  355,  410. 
Aufzehrung   von   Zellen    durch    andere, 

Zeichen  dafür  II  494;  siehe  auch  Kampf. 
Äugenblase,  primäre  und  secundäre,  ihre 

electrische  Polarisation  II  637. 
Ausbildung,  feinere,  von  Organen  I  363. 
Ausführungsgefülile,controlirende,  beim 

Lernen  I  565  u.  f. 
Auslese:  1.  im  Organismus  1218,  durch 

den   Stoffwechsel   bedingte   I   231  u.  f. 

Partial-  oder  Theilauslese  I  541; 

2.  Personal-  oder  Individualauslese 

I  247,  538-541. 

Auslosung  I  240  Anm.,  II  38,  45,  63,  81, 
82,  86,  87,  siehe  auch  Activirung.  Ihre 
Unabhängigkeit  von  Wirkungungsäqui- 
valenten I  553.     A.  von  Differenzirung 

II  409,  509;  der  Regeneration  und  Post- 
generation II 800,  810,  897;  derPartheno- 
genesis  II  823. 

Ausmerzung  I  541,  siehe  Auslese. 

Ausstülpungen  II  37. 

Antobiosis   atrophischer  Theile   I  648. 

Autogonie  des  ersten  Lebens  durch  Züch- 
tung  der  Grundfunctionen  r  409— 416. 

Antokineon  I  231  A.,  II  84. 

Automatie,  geringer  Nutzen  derselben 
I  398. 


Sach-Register  zu  Band  1  und  II. 


1043 


Automerizon  I  231  A  ,  II  84. 

Autwpliolie,  siehe  Selbstnützlichkoit. 
Aiixoii  II  84. 

Axe,  neutrale  iin  Knochen  bei  Biegungs- 

beanspruchuug  I  683. 
Axolotl-Ei,  Befruchtung,  Copulationsbahn 

II  376. 

Bänder,  functionelle  Anpassung  I  168; 
Ursache  ihrer  Gestalt  I  355,  360,  361; 
ihrer  Structur  I  359,  363;  Erhaltung 
zufällig  entstandener  B.  1 361 A. ;  Wande- 
rung I  606. 
Beanspruchung  der  Widerstandsfähig- 
keit der  Gebilde,  die  fünf  Arten  der- 
selben I  505,  678;  a)  constante  B.,  Ein- 
fluss  auf  die  Structur  I  547,  706;  b)  in- 
constante  B.,  Eiufluss  auf  die  Structur 
I  553,  705;  B.  der  Knochen  I  120,  681 
Anm.,  720,  761. 
„Befruchlende"  Wirkung  dos  Sa- 
mens, Definition  II  294. 

Befruchtung,  Leistung  II  833 ;  Bestim- 
mung der  caudalen  Seite  des  Embryo 
durch  die  B.  II  409;  Verzögerte  B. : 
Geschwulstkeime  II  496  Anm.;  Ab- 
normität der  B.  II  367;  Künstlich 
localisirte  B.  II  300,  352  u.  f.; 
Methode  II  359;  ihre  Wirkung  auf  die 
Aiiordnun  des  Dotters  II  355,  401  Anm. 

Befruchtungsseite  des  Eies  II  355,  357, 
534;  durch  die  Lage  derselben  bestimmte 
Gestaltungen  II  425  ;  Abweichungen  da- 
von II  426 ;  Anhäufung  von  Protoplasma 
daselbst  II  401  Anm. 

Begattungsorgane,  Entstehung  ihrer 
Gestalt  I  378. 

Besamungsi*ichtung,  Wirkung  des  elec- 
trischen  Stromes  auf  dieselbe  II  583. 

Beständigkeit  der  Gewebsleistungen  II 
72,  s.  auch  Auslösungen ;  B.  organischer 
Producte  bei  Wechsel  ihrer  Herstellung, 
siehe  Constanz. 

Bestimmung,  mehrfache,  derselben  or- 
ganischen Gestaltung  I  507 ;  Beispiel 
I  530  u.  f. 

Bewähren,  Sich-,  der  Organismen  I  424, 
427. 

Beweis,  Unsicherheit  der  auf  Grund  nor- 


maler Vorgänge  erschlossenen  ursäch- 
lichen Beziehungen  II  30,  75,  928. 
Bewusstsein,  mögliche  lllntstehung  des- 
selben I  414. 
Biegung,  I  683;  mögliche  Ursachen  der- 
selben 235,  242 ;  Ermittelung  dieser  Ur- 
sachen II  239. 
Biegiiugsebeiie,  Definition  I  511. 
Biegungsfestigkcits-Constructiou  aus 
Bindegewebe     I     510     u.     f.;     aus 
Knochen    I    683,   689,   727;    Seiten- 
flächen  I  511;  Oberfläche  I  511. 
Biegnngslinie,   Definition  I  511;    ihre 

Ermittelung  I  526. 
Bildungen ,    direct  vererbte    und  secun- 

däre  I  201  u.  f. 
Bildnugsäqiiivalent zwischen  Substrat 

und  Reizgrösse  I  554. 
Bildungscoefficieiilen:    a)   des  Kno- 
chengewebes I  345  Anm.;  b)  des  Binde- 
gewebes  I  554,  559;    Localisation   der- 
selben I  554,  559  u.  f. 
Bildungsdotter,   Zeit    seiner   typischen, 
die  Richtung   der  Medianebene  bestim- 
I       menden  Anordnung  II  295,    siehe  auch 
Dotter. 
BindegeAvebe,  functionelle  Anpassung  I 
168, 170 ;  Entstehung  functioneller  Struc- 
tur aus  demselben  I  282,  385,  547—553, 
808;    Entstehung    desselben   unter  Ein- 
wirkung von  Zug  I  550 ,  und  des  Druckes 
I  550;  Schrumpfung  durch  Entspannung 
I  555;  Atrophie  durch  Ueberdehnung  I 
554;    Bildungscoefficient  I  555;  Erhal- 
tungscoefficient  1  555 — 561 ;  Schrumpf- 
ungscoefficient  I  555,  559;   functionelle 
Metastructur   I    187;    phylogenet.    Ent- 
stehungsbedingung   II   227;   ontogenet. 
Selbstdifferenzirung  II  239. 
Bindegewebsfaser ,     ihre    functionellen 
Eigenschaften    I    486',    508;    Bildungs- 
coefficient I  559;    Erhaltungscoefficient 
I  559 ;  Koppelung  der  Fasern  I  484. 
Bindesubstanzen ,     Diff'erenzirungsursa- 
chen  derselben  I  334,  343,  205 ;  Zücht- 
ung der  B.  II  227  ;  Identität  ihrer  func- 
tionellen und  Wachsthurns-Reize  II  229; 
Wachsthum  schon  in  Folge  von  Hyper- 
ämie I  295,   310,  311. 

66* 


1044 


Sacli-Register  zu  Band  I  und  II. 


Biogenetisches  Grundgesetz  I  209  bis 
212,  II  71 ;  entwickelungsmechanische 
Begründung  I  443—447. 

Biophoren  I  231  A,  II  83. 

Blasenspannungsgesetze ,  Abweichun- 
gen davon  bei  Furchungszellen  II  988. 

Blastonieren,  siehe  Furchungszellen. 

Blastula,  Defin.  II  875;  Defectversuche 
an  ihr  II  175  u.  f.;  localisirte  Anstich- 
versuche II  527—529;  ihr  „explicites" 
Material  ist  typisch  verschieden  bei  den 
verschiedenen  Vertebratenabtheilungen 
II  538. 

Blutgefässe,  Verästelungsgesetze  der  Ar- 
terien I  Nr.  1  und  2;  Vereinigungsge- 
setze der  Venen  I  Nr.  1;  hämodynami- 
sche  Gestaltung  ihres  Lumens  durch 
Anpassung  der  Intinia  II  45;  Entstehung 
dieser  Gestaltung  I  365;  dimensionale 
functionelle  Hypertrophie  I  168;  Regu- 
lation der  Weite  I  316—326,  205;  selbst- 
ständige Anlage  und  Wachsthura  I  88, 
168,  205,  316,  326,  327  A.,  385,  815; 
correlative  Entwickelung  mit  dem  Pa- 
renchym  I  83,  815;  directe  Ausbildung 
bei  Anlage  eines  neuen  Organes  I  564; 
functionelle  Transplantation  der  B.  I 
404  A. 

Blutgefässwandung,  Nachgiebigkeit  der- 
selben gegen  kleine  Flüssigkeitsstösse 
bei  Widerstandsfähigkeit  gegen  grosse 
Spannungen  I  66  u.  f. 

Blutgef ässweite ,  morphologische, 
ihre  Regulation  I  316  A.  u.  f.,  321; 
functionelle  I  316  A.,  321. 

Borsäure  bewirkt  Framboisia  embryo- 
nalis  II  152;  bewirkt  Amyelia  und  Te- 
lescopnase  II  152  A.,  887  A. 

Brechungsfurche  II  111,  351;  Entste- 
hung durch  Verkleinerung  einer  Zelle 
11  166;  ihre  richtige  Stellung  zur  nor- 
malen Furche  II  351 ;  Entwickelung  bei 
B.  II  911. 

Brüste,  Selbstbefestigung  derselben  durch 
functionelle  Anpassung  362  A ;  Ursache 
der  Hängebrüste  I  362  A. 

Calcaneus,  seine  Structur  1  720;  spongiosa 
tubulosa  I  708. 


Callus,  provisorische  Verwendung  des- 
selben zur  statischen  Structur  I  753. 

Canalis  nutritius,  Lage  im  Knochen  1 
728. 

Capillaren,  Anpassung  derselben  an  ihre 
in  den  verschiedenen  Organen  qualita- 
tiv verschiedene  Function  1  314;  ihr 
Verschluss  durch  von  ihr  ernährte  Theile 

I  303. 

Caudal,  Zeit  und  Ursache  seiner  Bestim- 
mung am  Eie  11  113,  326,  341,  349, 
357,  408,  425,  534,  1026;  Variabilität 
der  Bestimmung  II  350,  929,  1016,  siehe 
auch  cephal. 

Causalität  siehe  Ursachen. 

Causa  summandi  I  538. 

Celiulation  operirter  Blastomeren  II  475, 
515;  sehr  frühzeitige  11  476;  sogleich 
in  kleine  Zellen  H  783. 

Centrosomen,  in  reorganisirtem  Dotter? 
480  Anm.;  Ueberwanderung  11  783; 
idioplastische  Bedeutung  790. 

Centruni  tendineum  des  Krokodil,  durch 
die  Leber  gebildet  I  73. 

Cephal,  Bestimmung  desselben  am  Ei  II 
113,  326,  349,  408,  1026;  durch  die  Seite 
des    höher    stehenden    weissen  Dotters 

II  113,  341,  534;  Variabilität  desselben 
n  350,  929,  1016. 

Charactere  zweiter  Ordnung,  ihr  Werth 
für  die  causale  Forschung  II  94. 

Chemotropismus,  seine  Züchtung  I  259 ; 
Vorkommen  im  Embryo  II  422;  an  den 
Furchungszellen  (Cytotropismus)  II  995. 

Chondroblasten,  ihr  Thätigkeitsreiz  II 
227,  229. 

Chorda  dorsalis  des  Frosches,  Anlage- 
stelle 11  456;  Selbstloslüsung,  Selbst- 
ordnung ihrer  Zellen  H  440,  457;  Ur- 
sache der  wechselnden  sogen.  Abstam- 
mung II  457;  ihre  Dicke  beim  Frosch- 
embryo II  440. 

Chromatintheiluug,  Bedeutung  II  139, 
310  u.  f 

Coefflcienten  der  Gewebebildung  1  555; 
der  Gewebe-Erhaltung  I  555,  806;  der 
Schrumpfung  des  Bindegewebes  I  555; 
ihre  Züchtung    I  559;    der  Knochenbil- 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1045 


düng  1 281  Anm. ;  des  Muskelwachsthums 

I  627;  C.  der  Muskelverkürzung  I  577, 
637.  Siehe  auch:  Aequivalente,  Gleich- 
gewicht. 

Coincidcnz  des  Befruch  tun  gsmer  i- 
dianes  und  des  ersten  Furchungs- 
meridianes,   ihre  Ursachen  II  363,  381. 

Collaterale  Hyperämie,  geringe  gestal- 
tende Bedeutung  I  320,  322. 

Combination  verschiedenerExperi- 
mente,  hohe  Leistungsfähigkeit  der- 
selben II  89,  1015. 

Compeiisation    des  Wachsthnms    I  270. 

Compensatorisehe  Hypertrophie  nicht- 
thätiger  Organe  II  43. 

Complexe  von  isolirt  ge  wesenenFurchungs- 
zellen,     ihr     cytotropisches     Verhalten 

II  988,  993;  sie  gastruliren  nicht  II  993. 

Complexe  Componenten  II  82. 

Componeiiten ,  einfache  II  82,  91,  com- 
plexe, II  82. 

Corapression  des  Eies,  siehe  Deformation. 

Concrescenztheorie  der  Gastrulation 
resp.  des  Embryo  II  529  u.  f.,  siehe 
Gastrulation. 

Coneurrenz  der  Theile  im  Organis- 
mus I  217  u.  f.;  siehe  auch  Kampf  der 
Theile  u.Theilauslese;  C.  in  der  Differen- 
zirung  II  910;  C.  der  Wirkung  der  Be- 
fruchtung und  der  Zwangslage  II  407. 

Conflguration  eines  Systems  II  233 ;  Ur- 
sachen seiner  Aenderung  II  235—239; 
Ermittelung  dieser  Ursachen  II  239. 

Congruenz  der  Muskelursprungs- 
und  Ausatz  flächen  I  584. 

Consistenz,ihre  functionelle  Veränderung 
in  der  Sch-aanzflosse  des  Delphin  I  504. 

Constanz:  der  Art,  sie  beruht  auf  Selbst- 
regulation I  224,  337  u.  f.,  455:  Kampf 
der  Theile  während  dieser  Periode  der 
C.  I  653;  C.  der  organischen  Producte 
bei  Variation  ihrer  Herstellung  II  52,  93, 
841 ;  siehe  auch  Entwickelung,  typische 
und  atypische;  C.  der  functionellen 
Beanspruchung,  ihre  structurelle  Bedeu- 
tung 1552,  bei  den  Knochen  I  706,  719. 

Continiiität:  des  Keimplasson  II  61;  C. 
der  typischen  Structur  unter  verwandten 


Lebewesen  I  208,  214  A.,  241  A.,  392, 
422  A.,  II  228  A.,  913;  0.  typischer 
Differenzirung  in  der  individuellen  Ent- 
wickelung bereits  von  der  Befruchtung 
des  Eies  an  II  864 — 869;  C.  typischer 
Richtungsfolge  des  normalen  ontogene- 
tischen  Geschehens  von  der  Befruch- 
tung an  II  104,  117. 

Coordlnationeii,  Ausbildung  zweckmässi- 
ger I  367,  567. 

Copulation  der  Geschlechtskerne,  ihr 
Mechanismus  II  367 ,  bei  Zwangslage 
II  404,  künstliche  Nachahmung  der  C. 
II  34 ;  die  C.  ist  unvollkommene  Ver- 
mischung II  391  u.  f. 

Copnlationsbahn  des  Samonkörpers 
II  376. 

Copulationslinie  II  384. 

Copiilationsi'ichtung  der  Geschlechts- 
kerne: Wirkung  auf  die  Richtung  der 
Medianebene  des  Embryo  II  121  299, 
301,  344-418,  speciell  355—358,  390, 
394,  1025;  Einfluss  auf  die  erste  Thei- 
lungsrichtung  II  338,  367 ;  Wirkung  des 
electrischen  Stromes  auf  die  C.  584. 

Coi'onarai'terien  des  Herzens :  Bedeutung 
der  Gestalt  ihres  Ursprungskegels  I  71. 

Correlationen :  1.  functionelle  I.  109,  115, 
153,  187,  216,  350—380,  ihre  „gestal- 
tenden" Wirkungen  siehe  Functionelle 
Anpassung,  morphologische;  2.  direct 
,, gestaltende",  formal  und  geweblich 
differenzirende  G  I  108,  132,  381,  543,  II 
15,  20,  29,  38,  65,  72,  82,  187  u.  f., 
214,  254,  316  u.  f.,  455,  468,  476,  904, 
911,  980,  1001,  siehe  auch:  Massen- 
correlation;  nach  Störungen  regula- 
torisch gestaltende  C.  II  44,  896  und  f., 
904  und  f.,  911,  915,  siehe  auch:  ab- 
hängige Differenzirung,  Epigenesis,  An- 
passung, functionelle  Anpassung,  Ent- 
wickelung (atypische),  Kampf  der 
Theile,  Selbstregulation,  Umdifferen- 
zirung,  Postgeneration,  Regeneration; 
specielle,  differenzirende  C.,  unter  Zellen 
II  317,  491,  495,  502,  506,  507; 
zwischen  Zellleib  (Dotter)  und  Zellkern 
II  317,  327,   336,  400  u.  f.,   407,   916, 


1046 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


927—939,  1009  u.  f.,  1018;  von  den  „Sei- 
tenflächen" der  Epithelien  ausgehende  II 
785;  zwischen  Parenchym  und  Blutge- 
fässen 1 83 ;  bei  derGesichtshildung  II 254, 
secundäre  Geschlechtscharactere  II  254; 
unrichtig  angenommene  Correlationen 
II  803-806. 

Corroslon :  Technik  I  2—7 ;  des  Nerven- 
systems I  3. 

Cutis,  Entstehung  ihrer  Grösse  I  555,  567 ; 
C.  des  Delphin,  hohe  Papillen  I  490, 
528;  typische  Anordnung  I  491,  528. 

Cytotropisuins  der  Furchungszellen 
II  988  u.  f.,  993. 

Darmrolir ,  Selbstschluss  desselben  im 
Embryo  II  251. 

Daiiei'fahjgkoit  des  Organismus  statt 
Zweckmässigkeit  I  145,  154,  392,  449, 
II  223;  Entstehung  derselben  I  103, 
541,  II  223;  Bedingungen  I  393;  Steige- 
rung I  157,  247,  274. 

Dauerprocesse  I  395  u.  f. 

Decubitus,  acuter,  Ursache  1  296. 

Defecte  am  Embryo  als  Beweise  der  Selbst- 
differenzirung  des  Uebrigen  II  204 ;  Ent- 
stehung localer  D.  am  Embryo  nach 
localem  D.  am  Ei  II  153,  161  u.  f.,  179 
u.  f. ;  180,  516,  525,  528,  D.  wirkt  fast 
v/ie  Befruchtung  II  842,  800,  siehe  auch 
Regeneration,  Postgeneration. 

Defonuation,  passive  des  Eies:  Ent- 
wickelung  dabei  II  189,  204,  246,  442, 
445  A.,  527  A.,  661,  838,  885—887,  891, 
901,926,  1014;  Localisationsursache  der 
ersten  Einstülpung  dabei  II  342  A.,  Rich- 
tung der  Medianebene  zur  ersten  Furche 
dabei  II  921  u.  f.,  960  —  967;  D.  der 
Furchungszellen,  ihre  Wirkung  auf  die 
Theilungsrichtung  II  118,  302,  973,  984; 
D.  des  Embryo  II  245  u.  f.,  926. 

Deformität  des  Knochens,  Definition  Jul. 
Wolffs  I  731. 

Degeneration  nach  Nervendurchschnei- 
dung 1  286;  an  Muskeln  I  284;  an  Drüsen 
I  2SG;  des  Rückenmarkes  I  288. 
Delphin,  Schwanzflosse:  ihre  Stuctur  I 
466-491;  deren  Bedeutung  1493—536; 
deren    Entstehung    537—568;    Rücken- 


flosse I  562;  subcutaner  Fettkörper  I 
563;  Knochen:  Biegungsconstruction 
der  Vorderarmknochen  I  727  ;  Spongiosa 
der  Knochen :  Maschenweite  derselben 
I  708,  709,  728. 

Demarcation  operirter  und  nicht  operirter 
erster  Blastomeren  des  Froscheies  II 467. 

Dermoidcystome,  als  Beweis  von  Selbst- 
differenzirung  II  206.  427. 

Dexterität,  Unabhängigkeit  von  der  Lage 
und  Weite  der  Blutgefässe  I  320. 

Diaphyse,    Entstehungsursache    II   228, 

I  810  u.  f. 

DifTerentiatio  sui  perfecta  et  imper- 
fecta II  15,  907;  ex  alio  II  907 ;  mixta 

II  20. 

Differenzirung.  Definition  II  906 ;  D.  be- 
ruht auf  Wechselwirkung  II  14,  883, 
979;  specifische  Natur  der  D.  nach 
Qualität,  Ort,  Zeit  und  Grösse  der  Ver- 
änderung II  907;  qualitative  D.  durch 
Theilauslese  I  246,  253,  275 ;  durch  An- 
passung an  Reize  I  283;  formale  D. 
zum  Theil  bedingt  durch  active  Nah- 
rungswahl I  315;  Unabhängigkeit  der 
D.  von  der  Zahl  der  Zelltheilungen  II 317 ; 
D.  „begrenzter"  Gebilde  oder  Theile: 
a)  Selbstdifferenzirung,  siehe  diese  und 
Evolution;  b)  abhängige  D.  II  111  A., 
205  u.  f.  511,  907;  bei  der  Postgenera- 
tion 11491—510;  passive  D.  II 16,  208, 
235;  c)  gemischte  D.  II  20,  908,  siehe 
auch:  abhängige  Ditferenzirung  und  Epi- 
genesis;  D.  des  Embryo  I  332,  Ursachen 
derselben  I  333;   D.   des  Erwachsenen 

I  333;  Ursachen  I  333;  siehe  auch  Cor- 
relation ,  Umdiflferenzirung,  Entwicke- 
lung. 

Diflerenzirungsflächeii  der  Epithelien 

II  800;  Differenzirungsfolge  bei  der 
Postgeneration  11490—495;  Ablenkung 
der  Differenzirungsrichtung  durch  Hin- 
dernisse II  495—499. 

DiffereuziriingshauptgebiI<leII910. 
DifrereiizirHngsnebeMgebildeII910. 
Differeiizirnugsnrzellen  II  515. 
Diniensionalc  ActiTÜätstaypcrtro- 
phie  I  128,  166,  627—639. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1047 


Diuiousioiinlo  Striietiir  dor  Binde- 
gewebsfaser I  187. 

DissiniiLatioii  I  208. 

Doppclhilduuii-en ,  Entstchungsmüglich- 
keiten  II  20;  Anlagezeit  II  20,  121; 
Gesetz  der  doppelten  Symmetrie  ihrer 
Anlage  II  122,  333;  unvollkommene  D., 
als  Beweis  von  Selbstdifferenzirung  II 
860,  892,  334;  Entstehungsweise  der  D. 
II  332;  Entstehung  durch  Postgeuera- 
tion  nach  Asyntaxia  medullaris  II  516 ; 
D.  durch  die  Anordnung  des  Dotters 
II  932  u.  f. ;  hervorgebracht  durch  Um- 
kehrung der  Eier  II  932  u.  f.;  unvoll- 
kommene D.  II  938;  durch  unvollkom- 
mene abnorme  Entfernung  der  Elasto- 
meren von  einander  II  794 — 795. 

Dorsal  des  Embryo  am  Ei  II  534,  siehe 
auch  ventral;  Bestimmung  desselben  am 
Ei  II  112  u.  f.,  347,  349,  408;  durch 
die  Seite  des  höher  stehenden  weissen 
Dotters  II  113,  341. 

Dorsalplatte  II  348. 

Dotter  des  Frosclieies,  Arten  desselben 
II  374;  Nachweis  des  ungleichen  spec. 
Gewichtes  von  Nahrungs-  und  Bildungs- 
dotter II  113,  120,260—262:  Aenderung 
durch  die  Befruchtung  II  291 ;  Anord- 
nung des  D.  durch  die  Befruchtung  II 
355,  365 ;  unvollkommene  Rotationsan- 
ordnung beim  Froschei  II  382;  Entste- 
hungszeit der  Anordnung  desselben, 
welche  die  ^Richtung"  der  Medianebene 
bestimmt  11295,  852;  die  , Anordnung" 
bestimmt  die  „Lage"  von  cephal  und 
caudal  II  409,  416;  sonstige  Wirkung 
II  827, -^36,  890  A.;  Erhaltung  seiner 
Anordnung  vor  der  Befruchtung  ent- 
gegen der  Schwerkraft  II  297 ,  375 ; 
Selbsterhaltung  seiner  Gestalt  II  175, 
passivesVordrängenu.AbschnürenII175; 
nachträgliche  Umordnung  symmetrisch 
zur  ersten  Theilungsrichtung  II 327,  340, 
402,  928;  Theilung  des  D.'s  II  388; 
Bedeutung  der  „Gestalt"  des  D.'s  für 
die  Furchung  II  302  u.  f.,  922  A.,  924  A.; 
Folgen  der  Störung  der  Anordnung  des 
D.'s  II  180;  Wirkung  der  halbkugeligen 


Gestalt  derselben  für  die  Bildung  der 
seitlichen  Körperhälften  II  451 ;  Einfluss 
der  Dotteranordnung  auf  die  Entste- 
hung von  Halb-  und  Doppelbildungen  1 1 
932  u.  f.,  1009-1011,  1017;  seine  idio- 
plastische  Bedeutung  II  315,  513  u.  f., 
999;  ihre  Beschränkung  II  1015  u.  f.; 
gestaltende  Wechselwirkung  zwischen 
Dotter  und  Kern  II  317,  327  u.  f.,  336 
u.  f.,  340,  400  u.  f.,  407,  916,  927—989, 
1009  u.  f.,  1018. 

Dotterkreislaiif ,  Richtungsverhältnisse 
seiner  Blutgefässverzweigungen  I  19, 
68 ;  selbstständige  Anlage  desselben  I  83. 
Dotterkörner,  ihre  Grösse  und  Ordnung 
im  Froschei  II  374. 

Dotterreichthum  als  Ursache  der  Hem- 
mung der  Postgeneration  II 798,  809, 810. 

Dottertlieilungsfläche  388 ;  Ursache 
ihres  Zusammenfallens  mit  der  Kern- 
theilungsfläche  II  389. 

Dotterzellen,  ihre  functionelle  Bedeutung 
II  181  u.  f.;  sie  sind  noch  keine  Ento- 
blastzellen  II  782  A.,  965. 

Dreiviertelgebilde  II  174,  446. 

Druck,  Definit.  I  678;  Druckfestigkeits- 
Construction  I  679 ;  Umsetzung  des  D. 
in  Zug  I  550,  180;  Beanspruchung  der 
Druckaufnahmestelle  I  685 ;  D.  von 
Knorpel  auf  Knochen  I  708,  735,  762; 
vom  Periost  aus  I  735,  762;  D.  sowie 
Wechsel  von  D.  und  Zug  (ohne  Ab- 
scheerung)  als  functioneller  und  zugleich 
als  Entstehungsreiz  des  Knochengewebes 
II  227;  D.  der  Zellen  auf  einander, 
Zeichen  desselben  II  494;  D.  der  Or- 
gane aufeinander,  Gestaltung  I  268; 
chemisch  hemmende  Wirkung  des  D. 
I  257. 

Driickfascrn  des  Bindegewebes  I  513. 

Druckfestigkeit  der  Zellen,  ihre  Bedeu- 
tung im  Kampfe  der  Zellen  I  257—258, 
432. 

Drüsen,  functionelle  Anpassung  I  169, 
176,  814;  Ursache  ihrer  Gestalt  I  355, 
365,  814;  Atrophie  nach  Nervendurch- 
schneidung 1  286 ;  functionelle  Rei- 
zung   durch   Bestandtheile    des   Blutes 


1048 


Sach-Reffister  zu  Band  I  und  IL 


I  298,  321  u.  f.,  342;  functionelle  Rei- 
zung durch  Nerven  I  286. 

Ductus :  Arantii,  Ursache  des  Verschlusses 
I  327  A.;  Botalli,  Ursache  des  Ver- 
schlusses I  327  A. 

Dynamische  Structur  I  736,  siehe 
auch  Structur. 

Echiuodei'men ,  Entwickelung  isolirter 
Blastomeren  II  790,  878. 

Ectoblast  des  Froschembryo,  normaler 
Bau  II 488;  Postgeneration  II  485;  Unab- 
hängigkeit vom  Mesoblast  II  504;  vom 
Entoblast  II  505. 

Ei,  unbefruchtetes,  Erhaltung  seiner 
inneren  Anordnung  II  297,  376;  Ein- 
stellung II  259,  261 ;  befruchtetes  Ei, 
seine  Selbstdifferenzirung  I  333  A.,  siehe 
diese ;  spiralige  Strömungen  in  ihm  II 
321 ;  actuelIesEiI1832 ;  morphologische 
electrische  Polarisation  des  Eies  II  545 
u.  f.;  Ei,  def ormirtes:  Entwickelung 
des  während  der  Furchung  defor- 
mirten  II  661,  885—887,  901 ;  Entwicke- 
lung des  nach  der  Furchung  defor- 
mirten  II  891 ;  siehe  auch  Deformation. 

Eiaxe,  ihre  senkrechte  Einstellung  bei 
Rana  fusca  II  257  u.  f.,  291  u.  f.;  ihre 
Schiefstellung  bei  Rana  esculenta  II  113, 
258,335:  Geschwindigkeit  der  Einstel- 
lung vor  und  nach  der  Befruchtung  II 
261,  291 ;  Mechanismus  der  Einstellung 
II  295  u.  f;  actuelle  E:iaxe  II  849; 
ihre  Lage  bei  Entstehung  von  Doppel- 
bildungen II  937. 

Eihälfte,  ihre  isolirte  Entwickelung  II 
428  u.  {. 

Eikern,  seine  Lage  im  Froschei  II  378; 

Exaxialität,   Excentricität  desselben  II 

379;  seine  Bewegung  bei  der  Copulation 

II  380. 

Einiatei'ial,  Entbehrlichkeit  eines  Theiles 

II  179. 
Einfachheit,    grössere,    locale,    bei    den 
höheren  Organismen  II  815;  E.  von  Er- 
klärungen ist  kein  Beweis  von  Richtiij- 
keit  II  30. 
Einheitlichkeit  der  Theile  des  Organis- 


mus, Vermittelung  derselben  II  39  u.  f., 
806,  816. 

Einseitiglveit,  ihre  Züchtung  durch  Theil- 
auslese  I  245. 

Einstellung  der  Eiaxe,  siehe  letztere. 

Einstüli>ung  bei  der  Gastrulation  des 
Frosches  II  525,  530. 

Eiuriertelbildungen  II  446. 

Einwirkungen,  äussere,  differenzirende 
Wirkungen  derselben  auf  das  Ei  II  422 ; 
störende  Wirkungen  II  423. 

„Einziger  Fall",  Bedeutung  eines  solchen 
für  die  „Möglichkeit",  z.  B.  bei  Halb- 
bildungen II  856. 

Eirinde  des  Froscheies,  Beschaffenheit  II 
156,  364;  rasche  Anpassungsfähigkeit 
an  neue  passive  Formen  II  246;  Unab- 
hängigkeit der  Entwickelung  von  ihrem 
Dotter  II  848. 

Kitheil-Bildungen  II  793. 

Elasticität  der  Gastrulaschiehten  II  190. 

Electricität,  Einfluss  auf  dieZelltheilungs- 
richtung  II  319 ;  ihre  Nichtbetheiligung 
an  der  embryonalen  Formbildung  II  149; 
trophische  Wirkung  derselben  I  244. 

Elementarorgane,  letzte  11  84;  Anto- 
kineonten   II   84;    Isoplassonten 

'     II  84. 

Elementarorganismen,  letzte  II  83;  s. 
Antonierizonten  II  84;  Idioplas- 
sonten  II  85. 

Elimination  abnormer  Zellkerne  etc. 
durch  epithelialen  Zusammenschluss  der 
Umgebung  mit  glattem  Abgrenzungs- 
contour  II  478,  497;  E.  lebenden 
Materiales  bei  der  Regeneration  II  845 
u.  f. ;  E.  von  Dotter  der  operirten  Ei- 
hälfte II  783;  siehe  auch  Ausmerzung, 
Theilauslese,  Kampf  der  Theile. 
Ellipsoidgelenlv,  Ursache  1  376. 
Embryo,  inneres  Gleichgewicht  seiner 
Theile  II  245;  Anpassung  an  defor- 
mirende  Einwirkungen  II  245  u.  f. ; 
Elasticität  II  245—250;  Operationen  am 
£.  II  196;  reeller  und  virtueller  Em- 
bryo 11  349;  Lage  zum  Ei  II  349; 
variable  Lage  zur  Furchungsaxe  bei 
Zwangslage    II    349;    siehe  letztere 


Sach-Recister  zu  Band  I  und  II. 


1049 


Lage  zur  Axo  des  imbefruchteten  Eies 
II  349;  siehe  auch  Medianebene,  caudal, 
cephal;  morpliologische  electrische  Po- 
larisation der  Embryonen  II  563,  597, 
634,  642,  646. 

Embryonal,  Definition  I  203,  207. 

Embryonale  Gebilde,  ihre  morphologische 
Polarisirbarkeit  741,  752,  655. 

Embryonales  Lieben,  Periode  des- 
selben jeden  Organes,  siehe  Lebens- 
perioden. 

Energien  der  normalen  s.  typischen 
Entwickelung ;  ihre  Activirung  H  830; 
der  atypischen  s.  regulatorischen  Ent- 
wickelung; Activirung  derselben  durch 
eine  „Störung"  II  830;  functionelle 
11  282. 

En  face  Minimum  der  Gefässe  I  37  u.  f. 

Entoblast,  seine  feste  Lage  zum  Nah- 
rungsdotter II  851,  285;  Postgeneration 
11  504;  Unabhängigkeit  vom  Ectoblast 
II  505;  Dotterzellen  sind  noch  keine 
Entoblastzellen  II  782  A.,  965. 

Entstehung,  succesive,  des  ersten 
Lebens  I  409—416,  II  85. 

Entwickelung,  organische,  ihr  Wesen 
II  4,  I  224,  332 ;  sie  beruht  auf  Wechsel- 
wirkung (Correlation)  II  14,  822; 
a) in  dividu eile  Arten  derselben  ;a)Epi- 
genesis  11  5  (siehe  diese  und  Selbst- 
differenzirung) ;  b)  Evolution  II  5  (siehe 
diese  und  abhängige  Differenzirung, 
Correlationen);  c)  Combination  beider 
II  20,  202—253,  I  331-382;  d)  Meta- 
morphose von  Mannigfaltigkeit  II  8; 
Zeit  des  Beginnes  der  individuellen  E. 
II  863,  869  ;-Periode  der  selbstständigen 
oder  organbildenden  E.  II  281,  909, 
I  348;   der  functionellen  E.  II  281,  909, 

I  348;  structurelle  E.  1  214  A. ; 
chemische  E.  I  214  A. ;  E.  durch  Be- 
thätigung  ungleicher  Qualitäten  II  341, 
306.  Sie  ist  im  Hauptsächlichen  Selbst- 
differenzirung  ,des  Eies"  I  422,  II  276 
(siehe  Selbstdifferenzirung) ;  typische, 
(s.  normale,  directe)  und  atypische 
s.  regnlatorische  s.  regenerative  E. 

II  94,   450,  520,   811   u.   f.,   843,   981; 


Gemeinsames  beider  II  915;  Unterschied 
beiderll  840;  Verwechslung  beider  11 885, 
971,  1007,  1011,  1029;  typische  E. 
kommt  nicht  ganz  rein  vor  II  981 ; 
festere  Mechanisirung  derselben  II  815; 
Verzögerung  der  E.  nach  Operationen 
am  Ei  II  159;  vorzeitiger  Stillstand  II 
159;  Vorzug  der  Frösche  zum  Studium 
der  typischen  E.  II  918;  Fehlen  der  E. 
bei  niederen  Organismen  II  13,  35; 
2.  phyle tische  E.  siehe  Stammes- 
geschichte. 

Entwickelnngsenergien ,  besondere 
II  188,  282. 

Entwickelnngsfunctionen  I  409  A.; 
II  979. 

Entwickelungsmechanik ,  Definition 
II  4,  27—29;  Aufgaben  II  14,  28,  74, 
86;  Nutzen  II  47  u.  f.,  52,  60  u.  f.,  69, 

I  441,  443;  Methode  I  213,  II  13, 
22,  30,  35—37;  Ermittelung  einfacher 
und  complexer  Componenten  1182;  Un- 
sicherheit causaler  Folgerungen  aus  Be- 
obachtungen des  „normalen"  Geschehens 

II  .30,  75;  ontogenetische  und  phylo- 
genetische E.  II  60,  73;   vergleichende 

I  441 ;  Erklärung  des  „biogenetischen" 
Grundgesetzes  I  443-447. 

Epibolia   bilateralis    der    Gastrulation 

II  529  u.  f.,  183. 

Epidermis,  functionelle  Anpassung  I  169. 

Epigenesis  II  5,  9,  20,  74,  148,  186, 
287,  451  A.,  959,  1023,  I  101,  201  u.  f., 
207,  214  A.,  224,  332,  385,  422  A.; 
unrichtige  E.  II  858,  864-868;  Com- 
bination mit  Evolution  II  20,  456  A., 
202—257;  1  331—382;  siehe  auch  ab- 
hängige Difterenzirung,  Correlationen; 
Einschränkung  der  E.  durch  die  indirecte 
Kerntheilung  II  863 ;  E.  bei  der  Fur- 
chung II  451  Anm.;  specieller  Antheil 
der  E.  an  der  Bildung  der  Delphin- 
schwanzflosse I  567. 

Epiphysen,  Entstehungsursache  II  228; 
I  811;  Ursache  der  Grösse  und  Locali- 
sation  II  228,  18;  der  Gestalt  I  720  A. ; 
Ursache  ihrer  anderen  Structur  als  der 
Diaphyse  I  719. 


1050 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


Epithelialgewebe,  ihre  ontogenetisehen 
Entstehungsursachen  I  333  u.  f. ;  Ent- 
stehung durch  äussere  Ein  Wirkung  II 422; 
durch  Selbstdiiferenzirung,  siehe  diese; 
differenzirendü  Wirkung  blos  der  „Sei- 
tenflächen", nicht  der  Oberfläche  und 
der  basalen  Fläche  11  785,  800;  Ab- 
scheidung von  Kittsubstanz  erst  beim 
Absterben  II  600. 

Epitlielzellen,  Bestreben  sich  dicht  zu- 
sammenzuschliessen  II  453;  bei  em- 
bryonalem Defect  II  440;  am  freien 
Rande  des  Stratum  II  482. 

Erblichkeit  functioneller  Anpassungen? 

I  189  u.  f.,  199  Anm.;    207,   214  Anm. 
Erdmagnetismus,    Nichtnöthigsein    des- 
selben zur  Entwickelung  des  Eies  II  274. 

Ererbt,  Definition  I  203,  207. 

Erhaltung  unthätiger  Theile  I  346,  348, 
721  A. 

Erhaltungsäquivalout  zwischen  Sub- 
stratmenge  und  Reizgrösse  I  554. 

Erhaltiingseoef'ficient  des  Bindege- 
webes I  559,  806. 

Erhaltungscorrelationen  II  72. 

Erhaltungsfunotionen  I  409  A. ,  II  980. 

Erhalliingsmecliauik  der  Organismen 

II  29. 

Erklärung,  mechanische,  der  functionellen 

Anpassung  I  377,  Anm. 
Erklärungsarten  der  Organismen  II  58. 
Erlernung  von  Bewegungen:  Wichtigkeit 

„controllirender  Ausführungsgefühle"  I 

565. 
Ernährung  ist  activ,  nicht  passiv  I  307 

u.  f.,  311,  805. 
Erregung  I  391 ;   siehe  auch  Auslösung. 
Erschütterung,  Entwickelung  fördernde 

Wirkung  derselben  I  243. 
Erworbene  BiUlungcn  I  200;  siehe  auch 

Vererbung. 
Evolution,  II  5,  9,  20,    I  201  u.  f.,    207, 

332,  582;  II  283  u.   f.   288,   959,  1023; 

siehe  auch    Selbstdift'erenzirung ;    Com- 

bination  mit  Epigenesis  II  20,   456  A.; 

302—253;  I  331-382. 
Excretion,  ihre  Züchtung  I  259. 
Exostosen,  ihre  Erhaltungsursachen  346, 

760;  functionelle  Structur  I  762. 


Experiment,  analytisches,  Bedeutung 

für  die  Entwickelungsmechanik    II  32; 

combinirte  Experimente  II  89,  1015. 
Explieite  vorhandene  Theile  im  Froschei 

II  401. 
E.vplicites  Material  auf  der  Blastula- 

stufe  bei  höheren  und   niederen  Verte- 

braten  typisch  verschieden  II  538. 
Extracellulate ,    electrische ,    an     der 

Gastrula  II  615. 
Extraovat,   Entwickelung  desselben  II 

155,  162,  5.39  u.  540;  Furchung  11  516; 

electrische  Polarisation  II  619. 

Fadenpilz  ähnliche  Gestaltungen  aus 
Furchungszellen  II  994;  F.  in  Knochen 
I  792. 

Faltungen  sind  keine  „einfachen"  Vor- 
gänge II  37. 

Fascien,  functionelle  Structur  I  180; 
Entstehung  derselben  I  282,  359;  F. 
palmaris  und  plantaris;  siehe  Aponeu- 
rosis. 

Femur,  individuelle  Verschiedenheit  seiner 
Structur  je  nach  dem  Gebrauch  I  677 ; 
Ausbildung  zweckmässiger  Structur  in 
neuen  Verhältnissen  I  662 — 713;  func- 
tionelle   Vielseitigkeit    seiner    Structur 

I  727—729. 

Fernwirkung    zwischen    Samen   und  Ei 

II  293 ;    zwischen    Kern    und    Dotter? 
II  341 ;  differenzirende  F.  ?  II  187,  189. 

Festigkeitsconstructionen,  allgemeine 
Gesetze  derselben  I  509;  Arten  der- 
selben I  678  u.  f. 

Fettaufspeicherung  nach  Inanition,  be- 
dingt durch  innere  Umzüchtung  des 
Organismus  zur  Sparmaschine  I  236  A. 

Fettkörper,  subcutaner,  des  Delphin, 
Structur  I  563. 

Fibroblasten,  reactive  gestaltliche  Leis- 
tungen I  550. 

Fibula,  functionelle  Structur  und  Gestalt 
in  neuen  Verhältnissen  1  165. 

Fieber,  chronisches,  innere  Umzüchtung 
des  Organismus  dabei  I  236  A. 

Fiederung  der  Muskeln ;  Entstehung 
durch  Selb-stregulation  I  269,  174;  596, 
621,  813;  Anordnung  der  Sehnen  1586. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1051 


Fläche,  neutrale,  d.  Biegungsconstniction 

I  512. 
Flamme,  Vergleich  mit  den  Organismen 

I  896;  Kampf  derselben  II  218. 
Flossenflü^yel  des  Delphin  I  467.  470. 
Flüsslgkeitsstoss,  Autheil  desselben  an 

der  Gestaltung   der   Gefässe    I  80  u.  f. 

Flüssigkeitsstrahl ,  Gestalt  des  frei 
ausspringenden  I  48. 

Form  eines  Systems  II  238;  Bedeutung 
der  F.  für  das  Leben  des  Embryo  11  187 
u.  f. 

Formales  Lieben,  s. Leben,  gestaltliches. 

Formcharactere ,  zweiter,  dritter  Ord- 
nung   II    88;   ihre    causale    Bedeutung 

II  93;  grössere  Constanz  derselben    als 
der  Art  ihrer  Herstellung  II  93. 

Fortsetzung  des  Stammes,  der  Arterien 

I  11;  Richtung  I  11  u.  f.;    Ursachen  I 
80—98  u.  f. 

Frainboisia  eMibr.youalis  finalis, 
minor  II  151,  198;  major  11  152, 
198;  nach  Operationen  II  475;  electrische 
Erzeugung  II  564,  567  (vergl.  599); 
Reaction  auf  den  electrischen  Strom  bei 
Fr.  minor  II  621;    F.    minor  interna 

II  151,  172  u.  f.,  887;  major    II   152, 
198  u.  f. 

Froschei,  Abplattung  nach  der  Befruch- 
tung II  377;  schwere  Auslösung  der 
Ganzbildung  aus  Eiteilen  II  1010,  1012 ; 
electrisches  Leitungsvermögen  II    601. 

Function  der  Organe.  1.  Erhaltungs- 
functionen:  a)  Selbsterhaltungsfunc- 
tion  des  Organes  II  213,  979  u.  f.; 
b)  „specifische  Function"  (zur  Erhaltung 
des  Ganzenf  II  213,  216,  I  397  u.  f.; 
automatische  und  reflectorische  I  398. 
2.  Entwickelungsfunctionen  I  409 
A.,  II  213,  979  u.  f.;  Verschiedenheit  der 
F.  in  den  verschiedenen  Dimensionen 
der  Organe  1  171 ;  trophische  Wirkung 
der  „Erhaltungsfunctionen"  I  437,  760; 
gestaltende  Wirkungen  s.  functionelle 
Anpassung. 

Fnnctionelle  Anpassung,  Definition 
1157  A..  462,  II  115,  149;  Allgemeines 
I  546  u.  f ,  757-768,  804,  II  211-216; 


ilirc  Leistungen   I  122  u.  f.,    164-187; 

a)  rein  fiinetionolle  oder  vorüber- 
gehende (siehe  Selbstregulation,  functio- 
nelle) I  321,  316  Anm.,  377  Anm.,  406; 

b)  morphologische  I  321,  316  Anm. 
877  Anm.,  40(5;  quantitative  I  173, 
757;  qualitative  I  166,  758;  mecha- 
nisch vermittelte  II  214;  trophisch 
vermittelte  I  278—382,  11  215  (siehe 
auch  Wirkungsweisen ,  gestaltende) ; 
Princip  der  Selbstlöhnung  II215;  Kinwen- 
dungenI386,  719Anm.;  morphologisches 
Gesetz  der  F.A.  1 166  und  173;  physiolo- 
gisches Gesetz  derselben  I  175  u.  f. ;  un- 
erlässliche  Vorbedingung  ibrer  umge- 
staltenden Wirkung  I  703;  Wirkung 
auf  die  Structur  der  Organe  I  178; 
Besonderes  ihrer  Leistungen  gegenüber 
der  Zuchtwahl  I  198;  Beginn  ihrer  Wir- 
kung im  Embryo  1201 ;  Wirkung  auf  die 
höchste  Ausbildung  des  Zweckmässigen 
I  382;  empirischer  Wirkungsumfang  I 
384  u.  f. ,  an  der  typischen  Ontogenese 
I  385;  Ausbildung  ihrer  phylogenet. 
Producte  durch  „Selbstdifferenzirung"  in 
der  Ontogenese  II  231;  nachtheilige 
Wirkung  der  F.  A.  I  352;  F.  A.  der 
Knochen  I  606,  644—718,  739,  741,  753, 
811  (siehe  auch  Knochen,  functionelle 
Structur) ;  bindegewebiger  Organe  I  385, 
464,  537—568,  808 ;  der  Muskeln  I  576 
bis  658,  813,  siehe  auch  Drüsen,  Niere, 
Netzhaut ,  Nerven  etc. ,  siehe  auch 
Anpassung,  Correlationen. 

Functionelle  Correlationen  s.  functio- 
nelle Anpassung,  Correlationen. 

Functionelle  Gestalt  I  690,  700  u.  f., 
736  u.  f.,  763,  361,  436,  II  213,  221, 
siehe  auch  I  83,  100,  353,  361,  435,  561 ; 
F.G.  der  Zellen  der  Gastrula  11 218.  a)  sta- 
tische F.G.  I  736  A.,  b)  dynamische  I  786, 
761,766;  der  Knochen  1863,  690,  436, 
701,  716,  721  A.,  753,  761  u.  f.;  Abwei- 
chung von  ihr  II  737  ;  der  Bänder  I  361 ; 
der  Delphinflosse,  Entstehung  I  560  u.  f. ; 

Functionelle  Hypertrophie  s.  Activi- 
täts-Hypertrophie  I  172. 

Functionelle  Linien  I  463. 


1052 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


Fuiictioiielle  Orthopädie  II  160, 
I  766. 

Eunctionelle  Reize,  trophische  Wirkung 
derselben  I  278—330;  gestaltende  Wir- 
kung I  281  u.  f. 

Fuuctioiiolle  Selbsfgestaltnng   des 

sogen.  Zweckmässigen,  Princip  I  363; 
nötbige  Zeit  I  371,  s.  auch  Gestaltung. 
Fiinctioiielle  Strtictur,  Definition  I 
462,  357  ;  a)  s  t  a  t  i  s  c  li  e  der  Knochen  ei  c. 
I  357,  878,  436,  462,  678,  682,  690,  701, 
716,  721  Anni.,  736,  753,  761—764; 
ihre  Entstehung  in  neuen  Verhältnissen 
I  547,  662-713,  716;  Ursache  ihrer 
Entstehung  im  Knochen  I  356  u.  f.,  281, 
434,  753,  II 221,  806  u.  f. ;  im  Bindegewebe 
I  349,  546—552,  siebe  auch  ZerfäUung ; 
Beschränkung  der  F.  S.  I  716  u.  f., 
721  Anm.,  765;  b)  dy  namisch  e  I  168, 
368,  736,  807;  ihre  Abhängigkeit  von 
der  „Gestalt"  des  Ganzen  I  378;  ihre 
Rückwirkung  auf  die  Gestalt  I  561, 
573;  sie  ist  feiner  als  die  Capillar- 
maschen  I  312,  327.  II  216;  Vorkommen 
im  Sirenenknochen  I  738;  in  bindege- 
webigen Organen  bei  wechselnder  Zug- 
richtung I  360. 

FiiuftionolIeTrauspInntation  1 404. 

Fnncti<»uining  der  Organe,  ihr  Beginn 
im  Embryo  II  213. 

Furclmiig  des  Eies,  ihre  functionelle  Be- 
deutung II  331,  450  u.  f.;  innere  Son- 
derung vor  der  äusseren  II  365 ;  die  F. 
der  höheren  Vertebraten  leistet  Arbeit 
der  Gastrulation  der  niederen  Verte- 
braten II  536;  normale  F.  ist  Selbst- 
difFerenzirung  des  Eies  II  881  u.  f.,  892; 
erste  F.,  Beziehung  zwischen  ihrerRich- 
tung  und  der  Anordnung  des  Dotters 
n  327;  Beziehimg  ihrer  Richtung  zu 
den  Hauptrichtungen  des  Embryo  II 
110,  163,  186,  siehe  Medianebene  und 
Hauptrichtungen;    Ursache    der    mero- 

:  blastischen  F.  II  31,  32,  476;  Anachro- 
nismen der  F.[n  117  u.  f.,  164,  329;  F. 
bei  Deformation  des  Eies  II  302-305, 
921,  siehe  auch  Deformation;  Bestim- 
mung   der  Medianebene    dabei  II  382, 


923;  Fehlerquellen  923  u.  f.;  Pressung 
bewirkt  keine  Doppelbildung  II  937; 
F.  bei  Doppelbildung  II  334;  abnorme 
F. ,  Auslösung  des  Reserveidioplasson 
durch  dieselbe  II  896;  Entwickelung 
dabei  II  911  u.  f.;  angebliche  F.  unbe- 
fruchteter Eier  durch  Einlegung  in 
Sublimat  II  432. 

Furchiiiigsaxe,  variable  Lage  zum  Em- 
bryo II  349. 

Fiirchniigskerii ,  Bestimmung  seiner 
ersten  Theilungsrichtung  II  384. 

Fui't'luingsschema  für  Rana  esculenta 
II  112,  324;  Abweichungen  davon  II 
325,  siehe  auch  Zwangslage. 

Fui'clmngszelleii,  ihr  Rundungsbestreben 
11  156,  423;  isolirte  F.,  ihre  Ent- 
wickelung II  428  u.  f.,  876—893,  1008, 
1028;  entwickelungsmechanisches  Ver- 
mögen II  766 — 814,  siehe  auch  Selbst- 
differenzirung,  Halbbildungen,  Theilbil- 
dungen.  Unvollkommene  Sonderung  der 
F.  im  Froschei  II  156,  460;  actiielle 
Ungleichheit  u. potentielle  Gleich- 
heit II  831;  Totipotenz  11839;  angeb- 
liche „actuelle"  Gleicbheit  11835, 865  u.  f., 
1005.  LTrsache  ihrer  Umwandlung  zu 
Epithelien  11422;  Pseudopodien  II  992 
u.  f.;  Amoeboidwerden  11994;  Selbst- 
ordnung der  F.  11  987-995;  Näherung 
gegen  einander,  C'.ytotropismns  II 
988-993;  Chemotropismus  II 995 ;  faden- 
pilzähnliche  Anordnung  II  994;  nachträg- 
liche Verschiebung  II  111,  769,  911; ihre 
Entwickelung  danach  11911;  Abhängig- 
keit ihrer  Theilungsrichtung  von  der  „Ge- 
stalt" der  Zelle  11303;  Verhalten  der  F. 
sogleich  nach  dem  Anstechen  II  156, 
158  u.  f.;  Zersetzungsvorgänge  II  461; 
Vacuolisation  II  462;  Kernvermehrung 
11464;  Reorganisation,  Modus  I:  II  468  ; 
IVncIeisation  II  469,  480;  nachträg- 
liche Cellulation  II  475;  Reorganisation, 
Modus  H:  II  479;  Modus  HI:  II  481.  F. 
als  Gesch  wulstkeim el  302,  II 495,  s. 
Geschwulstkeime.  Die  „Berührungs- 
fläche" der  F.  als  solche  hat  keinen 
Einfluss    auf   die   Theilungsrichtung 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1053 


II   928;     differenzirende    Beeinflussung 
sieb   berührender  F.  II   935. 
Für-Sidi-Sein  der  Lebewesen  1389,11218. 

Gallenblase,  ihre  morphologische  elec- 
trische  Polarisation  II  572,  606,  632, 
634,  647. 

Gallei'thiille  des  Froscheies,  ihre  Quel- 
lung II  100;  ihre  chemischen  Wirkungen 
II  165;  theilweiser  Parallelismus  ihrer 
Ausweitung  mit  der  Entwickelung  des 
Embryo  II  100  A. 

Galliis  (lomesticus,  electrische  Polaj-isa- 
tion  der  Embryonen  11  636. 

Ganglienzellen,    Ursache  ihrer   Gestalt 

I  365  u.  f. 
Gauzbildnngen,     Definition     II    884; 

G.  aus  halben  Eiern,  secundäre  II  796. 
primäre  siehe  Furchungszellen,  isolirte; 
angebliche  0.  Hertwig's  II  949  u.  f.; 
G.  infolge  runden  Dotters  11  1002,  1009. 

Ganzes,  actuelles  II  831;  poteu- 
tielles  II  831. 

Gastrula,  Operationen  II  186;  Elastici- 
tät  II  190;  morphologische  electrische 
Polarisation  II  623. 

Gastnilation  des  Froscheies  II  88  u.  f. ; 
nächste  Ursache  II  342;  Ort  des  Be- 
ginnes II  342 ;  Gestaltung  beim  Beginn 
derselben  II  343  A. ;  angebliche  Wir- 
kung des  Luftdruckes  II  342 ;  Vorgang 

II  182-185,  493;  G.  ist  Mosaikarbeit  II 
455;  durch  bilaterale  Epibolia  II  183, 
436,  629  u.  f. ;  der  Elasmobranchier  II 
535;  der  Amnioten  II  535;  der  Säuger 
II  535 ;  ihr  theilweiser  Ersatz  durch  die 
Furchung  bei  den  höheren  Vertebraten 
II  536  ;  unvöflkommene  G.  der  Achtelei- 
Blastomeren  II  782;  Asymmetrische  G. 
II  964 ;  abnorme  Schlussstelle  II  529  ; 
Fehlen  der  G.  bei  der  Postgeneration 
der  seitlichen  Hemiembryonen  II  519; 
siehe  auch  Urmund. 

Gebärmutter,  Ursache  ihrer  complicirten 
Faserung  beim  Menschen  I  369. 

Gebrauch  und  Nichtgebrauch,  Wirkung 
desselben  s.  Anpassung  functionelle. 

Gedächtniss,  mechanisches  I  389. 

Gefässe.  functionelle  Structur  I  183;  di- 


recte  .Anpassung  ihrer  functionell  ge- 
stalteten Lichtung  I  186;  siehe  auch 
Blutgefässe. 

Gefässverlaufswinkel  I  94. 

GegenabKcheeriiii«;  an  den  Epiphysen 
II  228. 

Gehirn,  Ursache  seiner  Gestalt  I  355; 
electrische  Polarisation  II  634,  636  u. 
f.;  innere  Anpassung  I  367. 

Gekrösarterieu  I  25,  87. 

Gelenke,  Entstehung  durch  Selbstdiffe- 
renzirung  I  885 ;  Ursachen  I  734  Anm., 
812,  II  231;  ihre  Anpassung  an  die 
Variation  der  Muskeln  I  353,  376  ;  Ge- 
lenkpfanne, Ort  ihrer  Entstehung  I  354. 
Ursache  der  Gelenkformationen  I  354, 
II  231. 

Gelenkvariation,  Wirkung  auf  die  Mus- 
keln I  354,  376. 

Gemischte  DifTerenzirung,  siehe  Dif- 
ferenzirung. 

Generalpolarisatiou,  morphologisch- 
electrische,getheilterEierII595,612,759. 

Generatio  si)ontanea  durch  „successive" 
Züchtung  I  409-416. 

Gepresste  Eier,  siehe  Deformation. 

Gesclilechtsbestimmung-  durch  äussere 
Einwirkung  I  454. 

Gesclileclitsorg-ane,  zweierlei  Bildungs- 
ursachen I  378. 

Geschlechtszellen,  Theilung  ihres  Idio- 
plasson  II  861. 

Geschwülste,  künstliche  Production  II 
196,  201 ;  Ursache  des  seltenen  Vor- 
kommens an  Nerven  und  Muskeln,  des 
häufigen  Vorkommens  bei  Bindesub- 
stanzen I  206,  Entstehung  nach  Opera- 
tionen am  Ei  II  171,  176,  453  u.  f., 
472,  474,  476;  Ursache  des  häufigen 
Vorkommens  im  Alter  I  653. 

Geschwnlstkeime,  Furchungszellen  in 
dififerenzirten  Organen  I  302 ,  II  495 ; 
Erhaltungsfähigkeit  I  374;  Verhalten 
gegen  den  electrischen  Strom  II  751. 

Gesetze ,  specielle ,  organischer  Gestal- 
tungen I  802-816,  II  1025—1031. 

Gestalt,  fuuctionelle,  statische, 
dynamische:  siehe  functionelle 
Gestalt. 


1054 


Sach-Register  zu  Band  I  und  11. 


Gestalt  der  Individuen,  ihre  angebliche 
Bedeutung  für  die  Diflferenzirung  II  890, 
893;  G.  des  Organes:  bedingt  durch 
die  Nachbarn  I  378;  ihre  Rückwirkung 
auf  die  Structur  I  573;  G.  der  Zelle, 
ihr  Einfluss  auf  die  Theilungsrichtung 
II  302,  973,  siehe  Deformation  des  Eies. 

Gestaltende  Kräfte  II  503,  siehe  auch 
Ursachen;  Sitz  derselben  II  772,  776; 
Selbstdifferenzirung. 

Gestaltende  AVirkungen  qualitativer 
Aenderungen  I  379. 

Gestaltende  Wirkungsweisen  1802  bis 
816,  II  1025—1031 ;  der  Gewebe  I  96 
u.  f.;  beständige  sive  homogene  II  82, 
187,  1018;  gestaltliche  W.  904  A.;  siehe 
auch  Wirkungen. 

Gestaltliclies  L.eben  der  Theile  II  44 
187,  192,  905,  926,  1002;  siehe  auch 
Leben. 

Gestaltung",  organische,  direct  aus  chemi- 
schen Processen  I  208  A.,  214  A.;  aus 
dem  Stoffwechsel  unterliegenden  Pro- 
cessen I  412 ;  aus  Reactions-Qualitäten 
I  261;  durch  Druck  der  Organe  I  220, 
268;  Bestimmung  der  specitischen  Ge- 
staltung durch  die  specifisch  fungiren- 
den  Theile  I  83;  functionelle  Selbst- 
gestaltung des  Zweckmässigen  I  178, 
350 — 382;  mehrfache  Bestimmung  der- 
selben Gestaltung  I  507,  530. 

Gestaltungscorrelationen  siehe  Corre- 
lationen. 

Gestaltungsfunctionen  I  409  A.,  siehe 
Function. 

Gestaltungsgesetze,  nöthige  Unbe- 
stimmtheit derselben  I  225. 

Gestaltungsprincipien  siehe  Gestaltung. 

Gestaltungsreize  siehe  Reize. 

Gewebe ,  ontogenetische  Entstehungs- 
ursachen I  332,  phylogenetische  Ent- 
stehung I  332  u.  f.;  Stabilität  ihrer 
Reactionen  II  45;  epitheliale  G. ,  Selbst- 
differenzirung derselben  I  333;  Binde- 
substanzen, zum  Theil  abhängige  Diffe- 
renzirung  derselben  I  333,  334,  siehe 
abhängige  Differenzirung,  Correlationen, 


Selbstdifferenzirung;  Kampf  der  G.  I 
261—266. 

Gewöhnung  an  Schädlichkeiten,  Gifte 
etc.,  durch  innere  Umzüchtung  I  235, 
539,  656,  659,  II  223. 

Gifte,  Gewöhnung  an  sie  durch  Theilaus- 
lese,  siehe  Gewöhnung. 

Gleichgewicht,  vitales,  zwischen  den 
Geweben,  Züchtung  desselben  I  261; 
Störung  desselben  I  262 ;  labiles  G.  im 
Organischen  I  336;  inneres  G.  der  Theile 
des  Embryo  II  245  und  246;  G.  zwischen 
benachbarten  Zellen,  Zeichen  desselben  II 
494 ;  G.  zwischen  Function  und  sie  voll- 
ziehendem Substrat  nach  Grösse  und 
StructurI  252,  266,  269,  113,  553,  562, 
630,  II  222,  siehe  Aequivalente. 

Gleichheit  organischer  Producte  bei 
Wechsel  ihrer  Herstellung;  Constanz 
des  Aussehens  bei  verschiedener  unsicht- 
barer Structur  II  1005 ;  s.  Metastructur. 

Gleichstrom,  polarisirende  Wirkung  auf 
embryonale  Objecto  II  542  u.  f. ;  Wir- 
kung auf  die  Richtung  der  Befruchtung 
und  ersten  Eitheilung  II  571. 

Gleitbewegung  der  Furchungszellen 
II  991. 

Glycerin  bewirkt  Framboisia  embryonaiis 
II  152. 

Granula  der  Zellen,  ihre  Bedeutung  II  85. 

Granulationsgeschwülste ,  trophische 
Reiz  Wirkung  als  Ursache  I  303. 

Grösse  der  Organe,  Selbstgestaltung  der 
fnnctiouellen  G.  I  252,  266,  269,  280, 
553,   636;    der  Knochen,    ihre  Ursache 

I  680  A. ;  der  Zellen,  bedingt  durch  den 
Kampf  der  Theile  um  den  Raum  I  234; 
um  die  Nahrung  1235;  durch  die  raschere 
Assimilation  I  232. 

Grundgesetz ,  biogenetisches ,   entwicke- 

lungsmechauischeBegründung  1443—447. 
Gymnastik    siehe   Uebung,    functionelle 

Anpassung;  G.  des  weiblichen  Becken- 

bodeus  I  362  A. 
Gynäkologie,    Wichtigkeit   der  functio- 

nellen  Anpassung  für  dieselbe  I  362  A. 

Halbbilcluiigen  II 792, 810 ;  bei  Fröschen 

II  428—458;  bei  Ascidien  II 788;  Echino- 


Sach-Register  zu  Band  T  und  11. 


1055 


dermen  II 790 ;  Ctenophoren  II 808 ;  Unter- 
schiede von  einander  II  795;  Methode 
der  Hervorbriuguug  beim  Frosch  II  429. 
941—959;  ihre  Bildung  434;  Zurück- 
weisung von  Einwendungen  gegen  sie 
II 803—805,  856, 948  -  951, 964 ;  typische 
Umordnung  des  Einiateriales  bei  der  Bil- 
dung II  876;  H.  ist  durch  die  Anordnung 
dos  Dotters  bedingt  II  932—939,  1009; 
Erklärung  der  H.  II  1007 ;  Ursache  der 
Auslösung  im  Dotter  II  1008;  Ursache 
der  Bildung  im  Kern  II  1008,  1029; 
H.  aus  „halben"  Eiern  ist  das  „Normale" 
II  894,  1007,  1011;  Bedeutung  ihrer  Ab- 
normitäten II  454,  siehe  auch  Hemi- 
embryonen,  Semigastrula,  Semiblastula, 
Semimorula. 

Halboi-Bildmigeu  II  792. 

Halbei  •  Ganzbildniigen ,  Definition 
II  884,  793;  des  Frosches  II  796;  der 
Echinodermenll  794 ;  angebliche  O.Hkrt- 
wig's  II  949  u.  f.,  895  A. 

Halbgebilde  II  792,  siehe  Halbbil- 
dungen. 

Halbiruug,  qualitative  II  129  u.  f., 
308  u.  f. ,  862 ;  mechanische ,  durch 
Emulgirung  II  311 ;  Folgen  der  Störung 
der  qualitativen  H.  II  450;  Nothwendig- 
keit  sondernder  Kräfte  in  den  Chromo- 
somen II  862. 

Halbseitige  Abnormitäten  als  Folge 
gestörter  qualitativer  Halbirung  bei 
der  ersten  Eitheilung  II  451. 

Halitherinm,  functionelle  Knochenstruc- 
tur  I  738;  zu  geringe  Inactivitätsatrophie 
I  738. 

Harmonie  der  Theile,  functionelle,  bei 
Variationen  einiger  Theile,  ihre  Ursache 
I  123,  377,  561,  II  216. 

Hani)tbahnen  der  Blutgefässe,  Definition 

I  19 ;  Bedeutung  ihrer  Entstehung  I  67  ; 
Ursache  ihrer  Lage  I  68. 

Hauptbewegung     der     Schwanzflosse 

des  Delphin  I  502. 
Hanptrichtiingen    des    Embryo    vom 

Frosch :   Zeit  ihrer  Bestimmung   im  Ei 

II  97—124,    184,    286—295,   534;    ihre 
Beziehung    zu    den    ersten    Furchungs- 


richtungen  beim  Frosch  II  330 ;  bei  ver- 
schiedenen Thierstämmon  II  768,  853 
u.  f.;  Abweichungen  11  330;  Bestimm- 
mung  geschieht  durch  die  Anordnung 
des  Dotters  II  413—415,  852;  nach- 
trägliche Aenderungen  II  185,  398,  923 
u.  f. ;  siehe  auch  Medianebene,  caudal, 
dorsal,  Copulationsrichtung. 

Haut,  abhängiges  Wachsthum  I  567. 

Heilung  der  Knochenbrüche  I  357,  732, 
749—753;  Ursache  der  Gewebsdifferen- 
zirung  dabei  II 227-232,  808  u.  f. ;  H.  der 
Wunden  am  Embryo :  per  primam  in- 
tentionem  II  196,  200,  440  A. 

Hemiatropliia   facialis,   Ursache  II  451. 

Hemicormns  s.  Hemiembryo. 

Hemiembryo  lateralis  ranae  II  174. 
186,  437;  Störungen  daran  II  441;  H. 
anterior  II  161,  444;  H.  posterior?  II 
446,  447 ;  Methoden  ihrer  Erzeugung 
II  429,  941—959;  Selbstentstehung  II 
953;  H.  lat.  aus  einem  Extraovat  II 
540,  798;  siebe  auch  Halbbildungen, 
Postgeneration. 

Heniiooliolopl asten,  Definition  II 884 ; 

s.  Halbei-Ganzbildung. 

Hemiooplasten  II  792,  796,  siehe 
Haibeigebilde. 

Hemiplasten  II  810,  s.  Halbgebilde. 

Hemipoesis  lateralis,  Production  der- 
selben II  433. 

Hemitheria,  II  828. 

Hemitherinni   anterius  II  446,  828. 

Herz,  dynamische  Gestalt  und  Structur 
I  184,  766;  Ursache  derselben  I  369; 
functionelle  Anpassung  1 168 ;  electrische 
Polarisation  bei  intraelectrolytärer 
Durchströmung  II  574,  606,  632. 

Herzarterien,  Verästelung  I  25,  87. 

Heterogenesis  durch  „successive"  Züch- 
tung I  409—416. 

Hoden.  Atrophie,  nach  Nervendurch- 
schneidung I  286;  compensatorische 
Hypertrophie  I  321 ;  chemischer  Thätig- 
keitsreiz  I  342. 
Hohlmnskeln,  ihre  functionelle  Anpas- 
sung I  168,  368. 


1056 


Sach-ßegister  zu  Band  I  und  II. 


Homogenität,  ihre  Züchtung  durch  Theil- 
auslese  1249,  275;  scheinbare  H.  organi- 
scher Gebilde  II  142,  1005. 

Homologie,  Definition  und  Wesen  I  440; 
Nutzen  der  vergleichenden  Entwicke- 
lungsmechanik  für  die  Ermittelung  der 
Homologien  I  441,  443. 

Höi'substaiizen,  ihre  Züclitung  I  336  bis 
341. 

Humerus,  Torsionsstructur  I  762,  765; 
Ursache  des  Sulcus  intertubercularis 
II  31. 

Hunger  als  mechanisches  Princip  der 
Selbstregulation  der  Ernährung  I  400; 
seine  den  Organismus  zur  „Spar- 
ma  seh  ine"  umzüchtende  Wirkung  I 
236,  658,  II  224. 

Hydra  fusca,  electrische  Polarisation, 
II  583;  Regeneration  II  841. 

Hydrops  der  Gastrula  II  160;  der  Hals-, 
der    Bauchgegend    des   Embryo  II  160. 

Hyiierämie,  functionelle,  I  141;  ge- 
staltende Wirkung  I  151,  160,  304  bis 
329;  Unmöglichkeit,  die  functionelle  An- 
passung durch  sie  zu  erklären  I  305  u.  f., 
548. 

Hypertrophie,  compensatorische  1 322  u.  f. 

Hyperthrophie,  functionelle  I  128. 

Identität  der  Bildungen  selbstständiger 
Wachsthumsgesetze  mit  den  functio- 
nellen  Linien  oder  der  Wachsthums- 
trajectorien  mit  den  Spannungstrajec- 
torien  I  553,  568;  I.  von  functionellem 
und    Entstehungsreiz    mancher  Gewebe 

I  343,  II  229. 

Idioplasson  II  85,  1231  A.;  verschiedene 
Beschaffenheit  bei   gleichem    Aussehen 

II  1005;  Hauptdepot  im  Kern  II  315, 
862;  actives  und  inactives  II  831,  868; 
durch  die  Befruchtung  activirtes  II  874; 
richtige  Activirung  II  865,  869  ;  I.  der 
directen,  der  indirecten  Entwickelung 
II  915,  307;  Activirung  jedes  derselben 
II  916;  I.  in  den  Blastomeren  II  460; 
richtige  qualitative  Sonderung  des  I. 
II  867. 

Iliocostalis,  Selbstregulation  der  Mus- 
kel- und  Sehnenlänge  I  620. 


Immunität,  Entstehung  durch  innere  Um- 

züchtung  I  147,  235,  II  223. 
Implantation,    „functionelle"   und 

ihre  Theorie  I  404. 

Imi>lantirte  Gebilde,  Nervenversorgung 
derselben  I  565. 

Iniplicatio ,  Zurückverwandlung 
somatogener  Eigenschaften  aus  dem 
entwickelten  in  den  unentwickelten 
Zustand  I  214   Anm.,   II  61,   62,    1023. 

Implicite  vorhandene Theile  imFroschei 
II  401 ;  implicites  Material  der  Blas- 
tula  ist  typisch  verschieden  bei  ver- 
schiedenen Wirbelthier-Abtheilungen  II 
538. 

Impulse,  irradiirte,  trophische  Wirkung 
derselben  I  647,  648. 

Inactivitätsatrophie ,  diniensionale 
I  173;  I.  der  Muskeln  I  631;  Ursachen 
I  639;  I.  nach  Durchschneidungen  I  295; 
I.  ist  nicht  durch  Blutmangel  bedingt 
I  325—328 ;  I.  der  Knochen ,  Folgen 
ihrer  Langsamkeit  I  721  A.;  Fälle  des 
Ausbleibens  der  I.  I  362  A. 

luanition,  Urazüchtung  des  Oi-ganismus 
zur  Sparmaschine  dadurch  I  236  A. 

Indirecte  s.  atypische  Entwicke- 
lang II  111,  983;  Charakterisirung  II 
844  u.  f.,  siehe  auch  Entwickelung; 
Idioplasson  derselben  II  307 :  ihre  Acti- 
virung durch  Defect,  „Störung"  der  An- 
ordnung etc.  II  833;  siehe  auch  Corre- 
lationen,  abhängige  Differenzirung. 

Individxialauslese,  siehe  Personalauslese. 

Individuen  giebt  es  nicht  I  404  A. 

Infection  der  Eier  II  157. 

Infectionsgeschwülste,  trophische  Reiz- 
wirkung als  Ursache  I  303. 

Injection  von  Farbstoffen  in  das  Ei  II 
158. 

Injectionsmassen  zur  Corrosion  I  2. 

Innervation ,  morphologische ,  durch 
Selbstversorgung  I  565. 

Insertionsstellen  der  Muskeln,  Züchtung 
günstiger  etc.  I  353,  654. 

Intima  der  Gefässe,  gestaltende  Reac- 
tionen  derselben  I  98. 

Intraelectrolyt,  Definition  II  672,  545 ; 
Reaction  II  541-759;    lebender  II  545 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1057 


bis  656,  727—759;  nicht  lebender  II 
659—726. 

Isoplasson  II  ö4,  I  231  A.,  389. 

Isotropie  des  Dotters,  meridionale  des 
Froscheies  II  358,  848  u.  f.;  Beschrän- 
kung derselben  II  850  u.  f. 

Kami)f  derTheile  im  Organismus,  1.  als 

zerstörendes  Princip  I  428;  2.  als 
einfach  mechanisch  gestaltendes  Princip 
1429;    3.    als    züchtendes  Princip 

I  99  u.  100,    216—266,   429,   651-656, 

II  218  u.  219;  Zeitliches  desselben  I 
225;  allgemeine  Begründung  I  216 — 225, 
II  218;  directer  K.  I  250^,  II  219;  in- 
directer  II  219;  Kampf  unter  Flammen 
II  218;  Arten  und  Leistungen  1 230—277, 
spec.  248,  272  u.  f.,  803;  a)  K.  unter  den 
lebensthätigenZe  11  th eilen  I  231—250, 
803;  um  den  Raum  I  217,  234,  100,  432; 
um  die  Nahrung  I  236,  430;  b)  unter 
den  Zellen  I  251—260,  99;  c)  unter 
den  Geweben  1261 — 266;  d)  unter  den 
Organen  I  267  — 271.  Wirkung  zur 
höchsten  Ausbildung  des  Zweckmäs- 
sigen (Dauerfähigen)  I  382;  direct  ge- 
staltende Wirkung  I  260;  Bedeutung 
für  die  Physiologie  I  146,  für  die  Pa- 
thologie I  147,  für  die  Orthopädie  I 
148;  Fehlen  des  Kampfes  um  den  Raum  : 
Erhaltung  inactiver  Theile  I  645,  759, 
siehe  auch  Theilauslese,  abhängige  Dif- 
ferenzirung. 

Karyoiiinese,  siehe  Kerntheilung. 
Kegelförmig  deformirte  Eier  II  302,  siehe 

Deformation. 
Keimbläsclien,  sein  angeblicher  Einfluss 

auf  die  RicStung  der  ersten  Eitheilung 

II  355. 
Keimblätter,   Anachronismen  ihrer  Son-    \ 

derung  II  458. 
Keimplasma  II  73;  Beruhen  seiner  Con- 

tinuität   auf  reiner  Assimilation  I  451; 

Selbstdifferenzirung    desselben    I    453; 

Personaltheil  desselben  I  453  ;  genereller 

Theil  desselben  I  454. 
Heimplasüioii,    Definition   II  73 ;    Con- 

iinuität  II  61,  I  451 ;  Persoualisatioii 

desselben  II  62  u.  f. 
AV.  Eoux,  Gesamnielto  Abhaudlangen.    II. 


Kern,  Mannigfaltigkeit  seiner  Qualitäten 
II  141,  309;  seine  idioplastische  Bedeu- 
tung I  254,  II  143,  300,  306,  315,  514 
u.  f.,  874,  890  A.,  999,  1015;  seine  ev. 
Function  für  den  Zellleib  II  313  ;  Selbst- 
regulation seiner  Functionen  I  255; 
züchtende  Theilauslese  in  ihm  I  251, 
254;  normale  Beschaffenheit  der  Kerne 
bei  der  ersten  Entwickelung  des  Frosch- 
eies II  462;  unabhängige  Entwickelung 
vom  Zellleib  II  930  u.  f.;  Wechsel- 
wirkung zwischen  Kern  und  Dotter  II 
317,  327  u.  f.,  336  u.  f.,  340  u.  f.,  400 
u.  f.,  407,  916,  927-939,  1009  u.  f.,  1018. 
Kernbestandtlieile,  Bedeutung  ihrer  An- 
ordnung für  die  Bildung  der  Körper- 
hälften II  451. 
Kernmaterial,  eine  richtige  Vertheilung 
bei  der  normalen  Ontogenese  II  306, 
316;  Selbstregulation  dabei  II  316. 
Keruuester,    in   operirten  Blastomeren 

II  465,  478. 
Kernschicht  des  Eies  II  374,  377. 
Kernspindel,  Einstellung  derselben  durch 
die  Gestalt  des  Zellleibes  II  118,  299, 
303  u.  f.,  336  u.  f.,  340,  866,  927,  972 
bis  975:  Einstellung  durch  die  Schwer- 
kraft? II  302,  337;  Einstellung  in  die 
kürzeste  Richtung  des  Protoplasma  II 
973 ;  rechtwinkelig  zur  Copulationsrich- 
tung  II  383-388;  Vergleich  der  Ein- 
stellungswirkung mit  magnetischer  Wir- 
kung II  340. 
Kerntheilung,  indirecte,  ihre  functio- 
nelle  Bedeutung  II  125—143.  spec.  138 
308—316,  337,860,862;  K.  ist  angebliche 
qualitative  Halbirung  in  den  Furchungs- 
zellen  II 1005;  Mechanismus,  electrische 
Vermittelung?II545  u.f.;  „Molekulare 
Theilung"  und^Massenson derung" 
II  140;  Theiluugsrichtung  II  385 
u.  f. ;  S  0  n  d  e  r  u  n  g  s  r  i  qh  t  u  n  g  ,  Defin. 
und  ihre  Bedeutung  II  385  u.  f. ;  Ueber- 
führungsmechanismus  II  388;  Nothwen- 
digkeit  sondernder  Kräfte  in  den  Chromo- 
somen II 862.  Abnormitäten  der  K.II  314 ; 
Bedeutung  für  die  Ontogenese  der 
Metazoen  II  306;  Ursache  ihrer  „Rich- 
tung"   und  Qualität   II  927—933,   975; 

67 


1058 


Sach  Register  zu  Band  I  und  II. 


Beziehung  zwischen  Richtung  und  Quali- 
tät der  Theilung  II  317,  827,  336  u.  f., 
840,  400  u.  f.,  siehe  auch  Zelltheilungs- 
richtung;  Pigmentanordnung  hei  der  K. 
II  473. 

Kerntheiliiiigsfläehe  II  385;  Ursache 
ihres  Zusammenfallens  mit  der  Dotter- 
theilungsfläche  II  389. 

Kernübei'wandeniug  I  472—474. 

Kind,    ist    das    Geschwister    der    Eltern 

I  456;  Ursache  der  Aehnlichkeit  mit 
den  Eltern  II  332  A.,  siehe  Vererbung. 

Kinderlähmun«?,  spinale  I  290. 
Kiueniatik  der  Entwickelung  II  2. 
Kiuetik  der  P^ntwickelung  II  3. 
Kleinste  Fläche,  als  Zelltheilungsfläche 

II  303. 

Kniescheibe,  Function  I  700. 

Knochen,  Substantia  spongiosa,  statische 
Elemente  und  Formationen  derselben 
nebst  ihrer  functionellen  Bedeutung 
I  703  u.  f.,  719  A.,  729  A.;  Entstehung 
entsprechend  neuen  statischen  Verhält- 
nissen I  712;  Substantia  compacta,  ihre 
statischen  Elementartheile  1711;  Func- 
tion der  Knochen  1 120, 195, 294, 720, 736, 
759 — 763;  relative  Beanspruchung 
1 680 ;  mögliche  Arten  der  Beanspruchung 
1678-682;  Druckknochen  I  760;  Zug- 
knochen I  760 ;  Festigkeit  gegen  Druck- 
spannung I  280;  gegen  lebendige  Kraft 
I  281  A. ;  drei  Knochenbildungscoeffi- 
cienten  des  Körpers  I  281  A. ,  357; 
grosseWiderstandsfähigkeitgegenDruck 
von  den  „ü  berknorpelten'  Flächen  aus 

I  761 ;  deren  gestaltliche  Bedeutung  I 
762 ;  geringe  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Druck  auf  das  Periost  I  761,  763; 
f  unctiouelle  »«.statische  Structur 
und  deren  Entstehung  I  100,  165,  172, 
176.  179,  281,  356  u.  f.,  434—436,  682, 
690,  700,  7k2,  731,  753,  761  u.  f.,   812, 

II  221;  siehe  auch  Trajectorien ;  Ab- 
neigungen davon  I  721  A.,  737,  765, 
II  232;  UnZweckmässigkeit  in  der  Ver- 
wendung der  statischen  Elementartheile 
I  716 — 718;  siehe  auch  Substantia  spon- 
giosa und  compacta;  rnnctiouelle 
Gestalt    II    690,    701,    715,    721    A.; 


Röhrenknochen  l  363,  435,  690,  728, 
758  u.  f ;  functionelle  Anpassung  s. 
functionelle  Stuctur  und  Gestalt.  Grösse 
der  Knochen  I  680;  Länge  I  758,  749; 
siehe  auch  Markhöhle.  Activitätshyper- 
trophie,  Ort  derselben  I  758  u.  f.;  In- 
activitätsatrophie  1  351,  732,  758  u.  f.; 
interstitieller  Schwund  ?  1 749 ;  trophisehe 
Wirkung  der  Function  I  731;  Erhaltung 
durch  Muskelwirkung  I  294;  Ursachen 
der  embryonalen  und  jugendlichen  Form 
I  734,  II  48,  spätere  Form  I  731,  205; 
Ort  der  stärksten  Aenderung  der  Struc- 
tur  bei  Aenderungen  der  Beanspruchung 

I  736;  Regeneration  und  Heilung  I  732, 
749 — 758  ;  angebliches  Streben  zur  Her- 
steilung der  Function  I  732;  Trans- 
plantation I  404  A.;  verschiedene  Be- 
anspruchung d.  K.  beim  Wasser-  und 
Landleben  I  120;  Zerstörung  d,  K.  durch 
Algen  und  Pilze  I  769-802. 

Knochenbrnch,  Heilung  und  Ausbildung 
neuer  statischer  Structur  I  357,  732 
749-753,  II  227-232. 

Knochendicke,  von  der  Function  unab- 
hängige I  386  A. 

Knoclienform,  Ursachen  I  434 — 436,  753, 

II  48;  Knochenlänge  I  758,  749;  siehe 
auch  Knochen. 

Knochengewebe,  abhängige  Entstehung 

I  334,  343;  phylogenet.  Entstehungs- 
bedingung II  228,  230,  810;  ontogenet. 
Selbstditferenzirung  desselben  II 231 ;  un- 
zweckmässige Verwendung  des  lamel- 
lösen  K.  I  716,  718. 

Knochenwachsthum :  appositioneJles  I 
357,  758  u.  f. ;  gegen  expansives  K.  I  741 
bis  749:  Wachsthum  infolge  von  Hy- 
perämie I  295:  siehe  a.  Knochen. 

Knoi'pelgewebe ,  phylogenet.  Entste- 
hungsbedingung 11  228  810;  ontogenet. 
Selbstditferenzirung  II  231,  810;  Ge- 
staltung aus  ihm  II  48;  Bedeutung  für 
die  Beanspruchungsrichtungen  des  unter- 
liegenden Knochens  I  685  A.,  708. 

Knospnng,  Art  der  Entwickelung  dabei 

II  841.  847. 

Kochsalzlösung-,  das  Gleiten  der  Zellen 
befördernd  II  899. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1059 


Komplexe  Honipoiienteii.  II  82. 
Kopfwärts,  siehe  cephal. 
Korrelation,  korrelative  Differenzierung: 

siehe  Correlation. 
Kräfte,    gestaltende:    Sitz    derselben    in 

jeder   Furchimgszelle  II  503,  772,  776. 
Kraftmaschine,  zugleich  Arbeitsmaschine 

(Herz)  I  370  A. 
Krahnenconstrnction,  I  727. 
Kugelgelenk,  Ursache  I  876. 
Kyphosis,   Regulation   der  Muskellänge 

dabei;  sehnige  Metamorphose  der  Enden 

der  Muskelfasern   I  605,  613,  616  u.  f. 

Lacerta  agilis,  electrische  Polarisation 
der  Eier  und  Embryonen  11  633. 

Lähmungen,  periphere,  trophiscbe  Stö- 
rungen dabei  I  296. 

Länge,  specifische  der  Muskeln  I  284  A. ; 
der  Knochen,  siehe  diese;  nachträgliches 
Kleinerwerden  I  749. 

Lage  der  Zellen,  Einfluss  auf  die  folgende 
Differenzirung  II  891,  897,  913,  s.  a. 
abhängige  Differenzirung;  Lage  des 
Embryo  zum  Ei:  siehe  Hauptrichtungen, 
Medianebene,  cephal,  caudel,  ventral, 
dorsal;  Variation  derselben  bei  Zwangs- 
lage, siehe  diese;  Beziehung  zwischen 
Lage  und  Function  der  Theile  des  Or- 
ganismus II  187. 

,,Lageeigenscliaften*'  der  Zellen  II 1905. 

Laichung,  Folgen  ihrer  Verzögerung 
II  355,  367,  461,  936;  Polyspermie  II 
362,  470;  Missbildungen  II  159,  429, 
438;  Halbbildungen  II  953;  meroplas- 
tische  urchung  II  476;  Geschwulst- 
keime? I  302,  II  496  A.;  mindert  den 
Cytotropismus  II  994. 

Laniellae  staticae  I  704;  ihre  func- 
tionelle  Bedeutung  I  704. 

Latenz:  Stadium  der  latenten  Reizung 
bei  Activirung  der  Regeneration  und 
Postgeneration  II  830;  ihre  Bedeutung 
für  die  Erkennung  der  Specification  der 
Zellen  II  831. 

Leben,  Wesen  I  405  u.  f.,  415,  420,  152, 
II  69  A.,  76  u.  f.,  141,  217;  Besonder- 
heit des  L.  II  318;  seine  Grundfunctionen 
I  406    A.,    11  76   u.  f.;    Dauerfähigkeit 


I  392  u.  f. ;  Möglichkeit  der  ersten  Ent- 
stehung durch  successive  Züchtung 
der  Grundfunctionen  1409—416,  II  85  ; 
functionelles  und  solbstständiges  L.  der 
Theile  I  348,  II  281,  905,  909,  siehe 
auch  Perioden;  goxtaltliche!«  Li.  II 
44,  187  u.  f.,  192,  905,  926,  1002;  Wir- 
kung der  Deformation  auf  letzteres  II 190, 
siehe  auch  Deformation ;  primäres  und 
secundäres  Geschehen    im   Organischen 

I  83,  214,  506,  561.  II  29. 
Lebensi)erio(len  von  Theilen:  des  selbst- 
ständigen Lebens  I   348,    804,    II   281, 
909 ;  abhängigen,  speciell  functionellen 
Lebens  I  345,    804;  II  281,  909. 

Lebensstructur,  unsichtbare  und  sicht- 
bare I  406  A.,   II  1005;  Metastructur 

II  143,  283,  1005,  1024,  I  187,  406  A.; 
siehe  Continuität. 

Leber,  Selbstdifferenzirung  ihrer  Structur 
II  207,  909;  abhängige  Differenzirung 
ihrer  Gestalt  I  134,  268,  11  909;  Ur- 
sache ihrer  acinösen  Gliederung  I  134; 
reactive  Production  ihrer  specifischen 
Structur  I  220 ;  Ursache  ihres  Fach- 
werktypus I  370,  813;  chemischer  Thä- 
tigkeitsreiz  I  342. 

Leberzelle,  Ursache  ihrer  Structur  1134, 
219,  813. 

Leistung,  Definition,   Nutzen  I  397  u.  f. 

Lernen  ist  functionelle  Auffassung  I  767, 
175,  165 ;  siehe  letztere. 

Licht,  gestaltende  Wirkung  I  242,  II  18; 
Nichtnöthigsein  zur  Hervorbringung  des 
Typischen  der  Gestaltungen  aus  dem 
Ei  II  274. 

Ligamenta,  siehe  Bänder;  L.  cutanea 
1  181 ;  siehe  Aponeurosis  palmaris  und 
plantaris. 

liinien,  fanctionelle,  I  463. 

Linsenförmig  deformirte  Eier;  ihre 
Theilungsrichtung  II  302,  972. 

Localisation  der  Entwickelungsursachen 
im  Ei  II  772 ;  siehe  Selbstdifferenzirung. 

L.ocalisirte  Befruchtung,  künstliche, 
Methode  II  300,  359—363;  ihre  Wir- 
kung siehe  Copulationsrichtung. 

Locomotionsarten  der  Fische  und  Del- 
phine I  493. 

67* 


1060 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


Longissimus  dorsi ,  Selbstregulalion 
seiner  Länge  I  619. 

Lordosis  embryonalis  ranae  II  160,  168, 
177;  Heilung  durch  functionelle 
Orthopädie  II  160. 

Luft,  Nothwendigkeit  zur  Entwickelung 
II  322;  nicht  local  differenzirende  Wir- 
kung II  328. 

Liiftmangel,  Entwickelungsstörungen  II 
438. 

Lutein,  Bildung  im  Embryo  aus  Berliner- 
blau II  154. 

Lymphdrüse ,  functionelle  Anpassung 
1  170 ;  compensatorische  Hypertrophie 
I  323. 

Magnetische  Wirkung  zwischen  Kern 
und  Dotter?  II  340. 

Mais,  Aenderung  des  Blüthenstandes  bei 
Aenderung  der  Nahrung  I   379. 

Marken,  natürliche  am  Ei,  Verschiebung 
derselben  II  99,  115. 

Markhöhle  der  Knochen ,  Abweichungen 
von  der  functionellen  Gestalt  1  737. 

Maschenweite  der  Spongiosa  ossea ,  Ur- 
sache I  710  A.,  764. 

Massencorrelation,  mechanische  II 
214,  232-252;  Definition  II  240  u.  253; 
Vorkommen  im  Embryo  II  240;  experi- 
menteller Nachweis  II  245 ;  gestörte  bei 
Hemiembryonen  II  442;  siehe  auch  Cor- 
relation,  abhängige  Differenzirung. 

„Ulassensonderuug'^bei  der  indirecten 
Kerntheiking  II  140. 

Materielles  System,  Definition  II  233. 

Maus,  electrische  Polarisation  der  Em- 
bryonen II  646. 

Maximum  -  Minimum  -  Priucip  der 
Construction  l  509 ;  ihre  allgemeinen 
Gesetze  I  509. 

Mechanik,  teleologische,   von  Pflüger, 

I  408,  148  A.;  1019  u.  f. 
Mechanisirung,  feste,  der  Entwickelung 

der  höheren  Organismen  II  815. 
Medianebene  des  Embryo,  Bestimmung 
ihrer  Richtung    II  102,    110,    164,    185, 
286—295,  441  A.,  768;    Abweichungen 

II  325  u.    f. ;   340;    Bestimmung    durch 
das  obere  oder  untere  Stück  der  ersten 


Furchungsebene  II  912,  969;  Bestim- 
mung durch  die  Copulationsrichtung  bei 
künstlich  localisirter  Befruchtung  II 
301,  355—358;  bei  nicht  künstlich 
localisirter  Befruchtung II  357  Anm.  358, 
Abweichungen  davon  357;  Bestimmung 
der  Richtung  bei  Zwangslage  der  Eier 
II  328,  398  (Abweichungen  398);  bei 
Pressung  der  Eier  II  912,  923,  960—967 
(Abweichungen  II  1014);  primäre  M.  II 
962,  965;  secundäre  M. 11961  A.;  Me- 
thode zur  Ermittelung  ihrer  Beziehung 
zu  den  ersten  Furchen  II  99  u.  f.;  967. 

Medullarrohr,  Selbstschluss  II  247,458; 
relative  Biegsamkeit  II  243. 

Medullarwülste,  Lage  zur  EiaxelI347; 
Bestimmung  dieser  Lage  II  347 ;  An- 
lagestelle am  Froschei  II  456,  529,  534, 
1033;  Variationen  der  Anlage  II  193; 
Selbstdifferenzirung  II  192  u.  f. ;  Post- 
generation eines  Medullarwulstes  bei 
seitlichen  Halbbildungen  II  486;  Ge- 
schwindigkeit II 486;  die  M.  bei  vorderen 
Halbbildungen  siehe  Hemieembryo. 

Mehrfachbestimmung,  causale,desselben 
Structurverhältnisses  I  507. 

Merkmale  zweiter  und  dritter  Ordnung, 
ihre  causale  Bedeutung  II  93. 

Meroplast,  Definition  II  792,  884. 

Mesenchymzellen ,  abhängige  Differen- 
zirung II  914. 

Mesoblast  des  Froschembryo,  normaler 
Bau  II  501;  Postgeneration  II  502; 
Unabhängigkeit   vom  Ectoblast  II  504. 

Messungsmethode  der  Blutgefässver- 
zweigungen  I  26,  46. 

Metaplasie  11  10. 

Metastructur  organischer  Gebilde  II 
143,  283,  1005,  1024,  1  187,  406  A. 

Metazoen ,  hypothetische  Erfordernisse 
ihrer  Ontogenese  II  306  ;  ihrer  beiden 
Entwickelungsarten :  directe  und  in- 
directe  II  843;  Eutstehungsweise  aus 
den  Protisten  II  916. 

Methoden: 

1.  Zur  Ermittelung  der  Avahren  Gestalt 
und  Winkel  des  Lumens  der  Ge- 
fäss Verzweigungen  I  2  —  7. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1061 


Methoden: 

2.  Zur  Ermittelung  der  modelliren- 
den  Wirkung  des  in  verzweigten 
Röhren  fliessenden   Stromes  I  61 

A.,  55. 

3.  Zur  Ermittelung  der  Zunahme 
des  R  e  i  b  u  n  g  s  w  i  d  e  r  s  t  a  n  d  e  s  in 
Röhren  bewegter  Flüssigkeiten  bei 
Zunahme  der  Stromgeschwindigkeit 
I  61. 

4.  Zur  mechanischen  Selbstdar  Stel- 
lung der  Druck-,  Zug-  und  Ab- 
scheerungstrajectorien  1673. 

5.  Zur  Prüfung,  ob  die  Schwerkraft 
für  die  Entwickelung  des  Eies  n  ö  t  h  i  g 
ist  II  265,  272. 

6.  Zur  Bestimmung  der  normalen  Be- 
ziehung der  ersten  Furchung s- 
ebene  zur  Medianebene  des 
Embryo  11  98—101,  106,  107. 

7.  Zur  Ermittelung  der  Zeit  der  Be- 
stimmung der  Richtung  derMe- 
diauebene  sowie  der  Caudal-  resp. 
Cephalseite  des  Embryo  im  Ei  II 
289,  290,  292. 

8.  Zur  willkürlich  localisirten  Be- 
fruchtung des  Froscheies  II  300, 
359—363. 

9.  Zur  Selbstcopulation  schwim- 
mender Tropfen  II  34. 

10.  Zur  Prüfung  der  Wirkung  des  elec- 
trischen  Stromes  auf  dieBefruchtungs- 
richtung  und  Theilung  des  Eies  II 
319,  556,  571,  583. 

11.  Zur  Ermittelung  der  Gestaltungs- 
fähigkeit von  Theilen  des  Eies  II 
148,  resp.  zur  Production  halber 
Embryonen  aus  halben  Frosch- 
eiern II 154,  429-431,  773,  942-947, 
953,  954-958. 

12.  Zur  Hervorbringung  eines  ganzen 
Froschembryo  aus  einem  halben 
Ei  II  797. 

13.  Zur  Ermittelung  eines  eventuellen 
Antheils  der  Vertheilung  freier 
Electricität  an  der  Gestal- 
tung des  P]mbryo  II  147. 

14.  Zur  Prüfung,  ob  die  Anlagestelle 
mancher    Organe    des    Embryo 


von  der  Stelle    des  Luftzutritts 
abhängig  ist  U  322. 

15.  Zur  Bestimmung  der  Lagerung 
des  Mate riales  des  Medullar- 
r  0  h  r  e  s  am  gefurchten  Ei  TI  347  A., 
527. 

16.  Zur  Ermittelung  des  Ortes  der  beim 
Schluss  des  Medullarrohres  und  des 
Darmrohres  thätigten  Kräfte  II 
244,  247,  251. 

17.  Zur  künstlichen  Hervorbringung  von 
Rautengruben  amMedullarrohr  II 248. 

18.  Zur  Ermittelung  der  Wirkung  der 
Gestalt  des  Zellleibes  des  Eies 
auf  die  Theilungsrichtung  des- 
selben II  302. 

19.  Zur  qualitativen  Halbirung 
eines  Stoffgemenges  ohne  vorausge- 
gangene Analyse   desselben   11  310. 

20.  Zur  Ermittelung  des  Cytotropis- 
mus  derFurchungszellen  It 
987  u.  f. 

21.  Zur  Ermittelung  des  Selb  st  Ord- 
nungsvermögens sich  berühren- 
der Furchungszellen  II  987  u.  f. 

22.  Zur  Demonstration  des  unbewussten 
Kampfes  von  Selbste  r  ha  I- 
tungsprocessen  II  217. 

23.  Zur  Ermittelung  des  Verlaufsder 
electrischen  Stromfäden  im 
Electrolyten  II  707. 

24.  Methode, jedesbeliebigeGebilde seiner 
Gestalt  und  seinemLeitungsver- 
mögen  entsprechend  reactions- 
fähig  auf  den  electrischen  Strom 
zu  machen  II  703. 

25.  Methode,  vollkommen  abgeschlif- 
fenePrägung  metallischer  Gebilde 
wieder  sichtbar  zu  machen 
II  696. 

26.  Methode,  aus  einem  Wechselstrom 
einen  Gleichstrom  zu  gewin- 
nen II  581. 

JVIicrohoIoplasten  II  792. 

Microsonien  enthalten  verschiedene  Qua- 
litäten 11  309. 

Milchdrüse,  chemischer  functionellerReiz 
I  342. 


1062 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


Milz,  functionelle  Anpassung  I  170,  che- 
mischer functioneller  Reiz  I  342. 
Missbildungen,    Folgerung  von    Selbst- 
differenzirung  aus  ihnen  II  204,    siehe 
auch  Doppelbildungen ;  ihre  Entstehung: 
siehe  Laichung  verzögerte,  Luftmangel. 
Mitose,  functionelle  Bedeutung  derselben 
II  125—143,  862,  speciell  des  „Fadens" 
II  133,    310;    siehe  auch  Kerntheilung. 
Nothwendigkeit  sondernder  Kräfte  in  den 
Chromosomen  II  862;  ungleiche  M.  bei 
Activirung  des   Reserveidioplasson  ?  II 
833. 
..Moleculare  Theilung"   bei   der   in- 

directen  Kerntheilung  II  140. 
Molekel,  lebensthätige  I  231;  züchtender 
Kampf  derselben   unter  einander  I  231 
bis  251. 
Morphologie  der  Organismen,  Definition 

II  27. 
Morula,    Defectversuche    an  ihr  II  172; 
morphologische  electrische  Polarisation 
derselben  II  552,  591. 
Iflosaikarbeit.  in  der  embryonalen  Ent- 
wickelung  II  455,  821,  1010;    Correla- 
tionen  dabei  II  445 ;  siehe  auch  Selbst- 
differenzirung. 
Müiidungskegel  der  Venen  I  45. 
Muskeln,  quergestreifte,  functionelle 
Anpassung  I  167,  173,  367,  376;  .Ver- 
werfungen"   der    Faserbündel     I     582, 
„Verlaiifsliiiie"     I     584;     Selbst- 
regulation der  „relativen  liänge" 
I  576—658;    Gesetze    derselben  I  588; 
Selbstregulation  a)  durch  Zurückbleiben 
im  Wachsthum  I  603 ;    durch   Schrum- 
pfung I  605,  615;  durch  sehnige  Meta- 
morphose  der  Enden  I  605,   613  u.  f.; 
Anpassung  an  die  Excursionsgrösse  der 
Befestigungspuncte  I  583—623,  813;  an 
die    mittlere  Grösse    der   Impulse    (un- 
gleiche    relative    Länge)     I    284,     589 
A. ;    Anpassung   an   langdauernde  Con- 
tractionen    I    638;    morphologische 
91uskellänge  I  623;  Selbstregulation 
der  Dicke  I  631;  Art  der  trophischen 
Wirkung    der   Function    I    635;    Bil- 
«luugsgleichgewicht  I  636;  Erhal- 
tiiiig!«glciehgewicht  I  636;    Ausbil- 


dung der  dimensionalen  Activitätshyper- 
trophie  I  285,  637;  der  Inactivitäts- 
atrophie  I  639;  Züchtung  günstiger 
Richtung  I  353;  günstiger  Insertionen 
I  353,  654;  Ursache  zweckmässiger 
Lagerung  I  566 ;  Erhaltung  vom  Nerven- 
system aus  I  284,  auch  schon  in  der 
Jugend  I  291;  Atrophie  nach  Nerven- 
durchschneidung 1  284;  qualitative  An- 
passung durch  Theilauslese  I  655,  344  bis 
348  ;  Ursache  der  Variation  I  204 
u.  f.;  Anpassung  an  die  Variation  der 
Gelenke  I  353 ;  erhaltende  Wirkung  der 
M.  auf  die  Knochen  I  293;  glatte 
Muskeln,  Entstehung  ihrer  functionellen 
Anordnung  im  Darm  I  368. 

Muskelarterien,  Verästelungsgesetze  I 
11,  14. 

Muskelfasern,  siehe  Muskeln ;  functionelle 
od.  dimensionale  Metastructur  I  188. 

Muskellänge,  ihre  Selbstregulation  etc. 
siehe  Muskeln. 

Muskelnerveneintritt ,  ursächliche  Ab- 
leitung der  Regel  Schwalbe's  I  366. 

Muskelschrumpfung  I  600,  608,  613, 
615  u.  f. 

Muskelvariationen  I  582;  topische  I 
582;  functionelle  I  587  u.  f.;  Gesetze 
der  letzteren  I  588;  Wirkung  auf  das 
Gelenk  I  376. 

Musculus  i)almaris  brevis,  seine  Func- 
tion I  348;  M.  iliocostalis,  longissimus 
bei  Kyphosis,  siehe  diese;  M.  quadri- 
ceps  femoris  bewirkt  Zug  entspannung 
der  Knochen  I  700. 

Mycelites  ossifragus,  im  Knochen 
lebender  Pilz  769-802. 

Nachahmung,  unbewusste,beim  Schreiben 

I  215;  künstliche  N.  vitaler  Gestal- 
tungen und  Vorgänge  II  33,  91;  der 
Copulation  der  Geschlechtskerne  II  34. 

BJachbarschartswirkiingen,  differen- 
zirende,  ihr  Antheil  an  der  Ontogenese 

II  891,  906  ;  Folgen  ihrer  Störung  II  834. 
Nachbarzellen,      differenzirende      Wir- 
kungen auf  einander  II  306 — 308. 

Nacbfurchung  der  operirten  Eihälfte  II 
475,  783. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1063 


Nachweis  der  züchtenden  Tlieilauslese 
I  277. 

Nälieruu$;.sabstaii<I  von  Furchungs- 
zellen  11  989. 

Nahrung,  umzüchtende  Wirkung  der- 
selben auf  die  Theile  des  Organismus 
1  235. 

Nahrungsdottei",  Einfluss  auf  die  Fur- 
chung II  31. 

Nahrungsmangel,  Anjiassung  an  ihn, 
siehe  Hunger,  Sparmascliine. 

Nahrungswahl,  qualitative  und  quanti- 
tative der  Zellen  I  812;  Verscliniähung 
vermehrter  Nahrungsaufnahme  der 
Zellen  I  309. 

Narbe  an  operirten  Embryonen  II  197, 
201. 

Naturgesetze ,  siehe  Wirkungsweisen, 
Gesetze. 

Nebencharaktere,  grosse,  Bedeutung  der- 
selben für  ursächliche  Ableitungen  II  93. 

Nebenkern  II  497. 

Nebenorgane  als  Beweis  von  Selbst- 
differenzirung  II  206. 

Nei'ven,  Folgen  der  Durchschneidung 
I  286;  ihre  Ernährung  I  288;  Entste- 
hung sensibler  N.  in  einem  neuen  Organ 
I  565;  in  transplantirten  Theilen  I  565. 

Nerveneintritt  in  den  Muskel,  ursäch- 
liche Ableitung  der  Regel  Schwalbe's 
I  366. 

Nervenfasern,  functionelle  Anpassung 
I  168;  Ursache  ihrer  Gestalt  I  365. 

Netzhaut,  functionelle  Anpassung  I  170; 
Atrophie  bei  Lichtmangel  1  287 ;  Ursache 
ihrer  complicirten  Differenzirung  I  283, 
341. 

Neutrale  Schicht  in  der  Biegungscon- 
struction,  ihre  Structur  I  729,  512. 

Niere,  compensatorische  Hypertrophie, 
Ursache  I  321 ;  chemischer  functioneller 
Reiz  I  342.  Functionelle  Transplan- 
tation der  N.  1  404  A. 

Nierenarterien,  Yerästelungsgesetze  1 18. 

Nisus  formativus  II  1019,  1023. 

Niveauflächen,  electrische,  Methode,  sie 
sichtbar  zu  machen  11  550  u.  f.;  Niveau- 


fliU'lioii    der   Riogiiiig  I   511;    ihre 
Ermittelung  bei  Biegung  1  522. 
^'iicloisatiou   operirter  Blastomeren  II 

469,  471,  480. 

NncleitrauNinigratioii  in  operirte 
Blastomeren  II  471,  480. 

Nucleus  ijiilposus  der  Zwischenwirbel- 
scheiben, wichtige  Function  als  Theil 
einer  hydraulichen  Presse  I  182, 
H  49  A. 

Oeconoraie  des  Wachsthums  I  270;  0. 
im  Organismus,  Ursache  1  402. 

Ohrmuskeln  des  Menschen,  Grund  ihrer 
Erhaltung  I  348. 

Oligodactylie ,  directe  Anpassung  dabei 
II  52. 

Ontogenesis,  siehe  Entwickelung,  indi- 
viduelle. 

Ontogenetische  AViederholung  früherer 
functioneller  Anpassung  I  581. 

Ordnung  des  Kernmateriales  bei  der 
Ontogenese  II  306,  316 ;  Selbstregulation 
dabei  11 316;  0.  der  Furchungszellen,  siehe 
letztere. 

Organe,  Grösse  derselben,  siehe  Grösse; 
Kampf  derselben  I  267 ;  um  die  Nah- 
rung I  270 ;  functionelle,  statische  und 
dynamische  Structur,  siehe  Structur. 

„Organisation"  der  Muskeln  1  591. 

Organisches  siehe  Leben;  primäres  und 
secundäres  Geschehen  im  Organischen 
I  83,  214,  506,  561,  II  29;  siehe  auch 
Leben. 

Organismen,  gegenwärtige,  als  Restbe- 
standtheile  des  bezüglichen  Erdge- 
schehens I  398 ;  besondere  Eignung  der 
höheren  0.  zur  causalen  Forschung  II  90. 

Ort  der  Ursachen  II  15,  37,  87. 

Orthopädie,  wissenschaftliche.  Grundlage 
und  Methode  derselben  1  148,  II  47  u.  f. 

I  S.  Vlll  Anm. ;  runctionelle  Ortlio- 
pä<iie  1  731,  766,  11  160,  909. 

Ossification  der  knorpelig  präformirten 
Scelettheile,  phylogenetische  Ursachen 
der  Diaphysen-    und   Epiphysenbildung 

II  227 — 230;  ontogenetische  Ursachen 
II  231 ;  endochondrale  0.,  ihr  Einfluss  auf 
die  .Gestalt"  der  Knochen  1  758,  II  49 


1064 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


\ 


Palniaris  brevis,  musculus, seine  Function 

I  348. 

Pansene  I  231  A,  II  83. 

Papillen  der  Cutis  des  Delphin  I  490, 
528;  ihre  Anordnung  I  491,  528. 

Partialauslese  im  Organismus,  siehe 
Theilauslese. 

Partialbefruchtiing  durch  geschädigten 
Samen  II  291. 

Partialprocesse,      selbsterhaltungs- 
fähige,  des  normalen  Lebens  I  647. 

Passive  Diflerenziriing  II  235. 

Patella,  ihre  Function  I  700. 

Pathologie,  Bedeutung  f.  d.  Entwicke- 
lungsmechanik  I  44. 

Pathologisches:  sichtbare  Geschwulst- 
keime? II  495  siehe  diese. 

Penetrationsbahii    des  Samenkörpers 

II  371. 

Perimysiiiin,   Ausbildung  durch  Uebung 

I  364;  P.  internum,  Zusammensetzung 
aus  Abscheernngsfaserpaaren ; 
wichtige  Function  desselben  I  182. 

Perioden  der  Variabilität  und  Constanz 
der  Arten  I  117,  224,  337  u.  f.,  455; 
der  Entwickelung  der  Person:  a)  der 
organbildenden  oder  selbstständigen  Ent- 
wickelung resp.  des  „embryonalen  Le- 
bens" der  Individuen,  Defin.  I  848,  311, 

II  281;  Geschehen  II  283,  909;  b)  der 
functionellen  Entwickelung  resp.  des 
Reizlebens,  Defin.  I  348,  311,  II  281, 
909. 

Personalauslese  oder  Individualauslese 
I  247,  538—541,  542,  545  u.  f. 

Persoiialisatiou  desKeimplasson  II  63. 

Personen,  statt  Individuen  I  404  A. 

Phylogenesis,  siehe  Stammesgeschichte. 

Physikalische  Componenten  des  Or- 
ganischen II  34.  83,  91,  93;  Einschrän- 
kung ihrer  erkennbaren  Wirkung  II  92. 

Pigment  im  postgenerirten  Ectoblast  II 
490;  in  der  Chorda  dorsalis  II  457,  458. 

Pigmentflecke  am  P^i,  ihr  Wandern  und 
Verschwinden  II  533. 115;  Nichtverwend- 
barkeit  als  Marken  II  115,  siehe  auch 
Samenfleck. 

Pigmentortlnung ,  typische  nach  der 
Befruchtung  von   Rana  fusca    II    355; 


atypische  II  355;  P.  in  der  Eirinde  II 
167 ;  symmetrische  zur  ersten  Theilung 
II  340;  an  Wunden  des  Embryo  II  150, 
197,  199,473,475;  im  Extraovat  II  540; 
an  isolirt  gewesenen  und  wieder  vereinig- 
ten Furchungszellen  II  900,  992. 

Pigmentstrasse  des  Samenkörpers  im 
Ei  II  293;  ihre  Bedeutung  II  358,  365. 

Pila  ossea,  knöcherne  Kugelschale  als 
Elementartheil  I  704,  709. 

Pilze,  im  Knochen  lebende  I  769—802, 
speciell  792. 

Placenta  materna,  Ursache  II  68,  ex- 
trauterina  11  68. 

Piasomen  H  83,  I  231  A. 

Plasson-Moleciile  I  231  A. 

Plastidule  1  231  A. 

Pleuroperitonealhölile  I  364. 

Polarisatiou,  morphologische,  em- 
bryonaler Gebilde  durch  den  electrischen 
Strom  II  541—765;  der  Morula  und 
Blastula:  Generalpolarisation II  591,759, 
Specialpolarisation  der  Zellen  II  591, 
752;    nichtpolarisirbare  Organe  II  653. 

Polarisirende  Wirkung  des  functionellen 
Reizes  auf  die  Fleischprismen  I  367. 

Polfeld,  electrisches,  II  579,  siehe  Pola- 
risation, morphologische. 

Polmeridiane,  electrische  II  579. 

Polseiten,  electrische  II  579. 

Polydactylie  II  52. 

Polysi^ermie,  künstliche  II  362;  durch 
verzögerte  Laichung  II  362,  470,  466  A. 

Postgeneration  II  484—511,  41,  185 
Anm.,  1013;  unter  Verwendung  von 
Material  der  operirtenEihälfte  II  484; 
Unterschied  von  Regeneration  II  484, 
511:  1.  des  Ectoblast  von  der  ven- 
tralen Seite  II  485,  Geschwindigkeit  der 
Medullarwulstbildung  II  486,  Ausbleiben 
derselben  II  487, 499,  Unterschied  von  der 
normalen  Entwickelung  II  486,  487;  P. 
von  der  dorsalen  Seite  her  II 499;  2.  des 
Mesoblast  II  501;  3.  des  Entoblast 
II  504.  Allgemeines:  sie  ist  abhängige 
Differenzirung  11  508;  Unterschied  von 
der  normalen  EntAvickelung  II  511,  784; 
Unterschied  von  der  Regeneration  II  511. 
B.  ohne  directe   oder   ohne   jede  Ver- 


Sacb-Register  zu  Band  I  und  II. 


1065 


Wendung  von  Material  der  operirten  Ei- 
hälfte  II  441  (P^rgänzung  der  Semichorda 
lateralis).  II 796, 798, 801 ;  Activirung  der- 
selben II  798;  principiolle  Uebereinstim- 
nuing  von  A  und  B  11  799;  Uebergangs- 
stufen  beider  11  800.  P.  a)  durch  Um  Ord- 
nung und  Umdifferenzirung  von 
Zellen  II  801,  888,  899,  b)  durch  Pro- 
liferation  II  888;  auslösendes  Moment 
II  896  u.  f. ;  Geschwindigkeit  derselben 
II  947;  Verschiedenheiten:  bei  Fröschen 
II  Nr.  22,  früher  Beginn  II  795,  799,  812 ; 
später  Beginn  798,  809 ;  bei  Ascidien 
II  789;  bei  Echinodermen  II  795;  bei 
Gtenophoren  II  808;  UnvoUkommenheit 
II  802;  Auslösungsgeschwindigkeit  II 
810  Anm.;  Mangel  derselben  bei  Säugern 
II  829.  Siehe  auch:  Abhängige  Differen- 
zirung,  Entwickelung  (atypische).  Selbst- 
regulation (morphologische). 

Pressung    der  Eier,    siehe   Deformation. 

Priiicipien  der  Gestaltung,  siehe  Gestal- 
tung ;  P.  der  organbildenden  Keimbe- 
zirke, seine  wahre  Bedeutung  II  813, 
847—852. 

Processus  trochlearis,tunctionelIe  Struc- 
tur  1  762  u.  f. 

Producte,g  I  e  i  c  h  e,  nach  verschiedener 
Entwickelungsweise  II  885,  902,  siehe 
Constanz. 

Profilniinimum    der  Gefässe   I   40  u.   f. 

Pi'Oiiator  quadratus,  Bau  I  598;  Regu- 
lation seiner  Länge  I  599 — 616;  Func- 
tion I  599. 

Protoplasma,  seine  geringere  idioplasti- 
sche  Bedeutung  als  des  Kerns  II  315, 
513  u.  f.,  1015  u.  f. ;  siehe  Dotter  u.  Kern. 

Protozoen,  typische  und  atypische  Ent- 
wickelung II  845  ;  Mangel  an  Entwicke- 
lung II  13,  35;  Vielseitigkeit  ihrer  Zel- 
len I  245. 

Pseudarthrose  I  812. 

Pseudopodien,  paraplasmatische  der  Fur- 
chungszellen  II  992. 

Quadx'iceps  femoris  bewirkt  Zugentspan- 
nung der  Knochen  I  700. 

Qualitäten  des  Lebens,  erste  Entstehung 
derselben  I  412,  siehe  Leben. 


Qualitative    Anpassung    durch    Theil- 

auslese  I  230-254,  655. 
Qualitative  31atcrialschcidung   in  der 

Zelle,    unabhängige   von   Nachbarzellen 
II    452;    im  Kern,    siehe  Kcrntheilung. 

Radioulnargelenk,  Constanten  desselben 

I  605. 

Rana,  electrische  Polarisation  der  Eier 
und  Embryonen  II  583  ;  fusca,  senkrechte 
Stellung  der  Eiaxe  II  257  ;  siehe  Eiaxe. 

Rautengrube  des  Medullarrohres,  Künst- 
liche Erzeugung  II  248  u.  f. 

Reactionen  des  Organismus  1 240  A. ;  Ge- 
staltende R.  der  Gewebe  I  96 — 101, 
240  A. ,  261,  319,  427  ;  Stabilität  der- 
selben II  45. 

Reactions  weisen ,  morph  elegische, 
der  embryonalen  Objecto  auf  den  electri- 
schen  Strom  II  741—752. 

Reflectorische  Leistungen,  als  Selbst- 
regulation I  399. 

Reflexbewegung  I  391. 

Regeln,  specielle,  organischer  Gestal- 
tungen I  803-816,  II  1031  —  1033. 

Regeneration.  Grundlage  derselben  1206; 
Bedingtsein  der  R.  durch  Reste  embryo- 
naler Substanz  in  den  Zellen  I  344 ; 
Allgemeines  II  42,  43,  78,  80,  200; 
Regenerationsidioplasson  II  307  ;  seine 
Theilung  bei  der  Furchung  II  450 ; 
siehe  auch  Reserveidioplasson;  Auslö- 
sungsursache der  R.  II  800,  896  u. 
f.,    I    636;    UnvoUkommenheit    der    R. 

II  802;  R.  a)  durcli  Uniordiiiing 
und  Uniilifferenzirung  von  Zellen 
II  836  u.  f.;  841,  801,  899;  b)  durch 
Sprossung  und  Dif ferenzirung  II 
836  u.  f.;  Correlationen  der  R.  II  839; 
R.  findet  auch  in  der  Entfernung 
vom  Defectrand  statt  II  901 ;  Mecha- 
nische Formulirung  des  Regenerations- 
problemes  II  842,  1013;  Abweichung 
der  R.  von  der  normalen  Entwickelung 
II  840 ;  Unterschied  von  der  Postgene- 
ration II  511  u.  f.;  durch  Uebercom- 
pensation  schädliche  R.  I  264;  R.  der 
Protozoen  II  834:  der  Hydra  II  836; 
der  Knochen  I  732,  754;  siehe  auch 
Postgeneration ;  Entwickelung,atypische. 


1066 


Sacli-Register  zu  Band  1  und  IL 


Re^enerationsmaterial  II  450;  siehe 
Reserveidioplasson. 

Regenerationsvermögen, seineAbnahme 
mit  dem  Alter  I  373. 

„Regulation"  des  Muskels  I  591. 

Regulationsmechanismen  II  111  Anm., 
158  Anm.;  siehe  Selbstregulation;  Ent- 
wickelung,   atypische. 

Regulatorische  Functionen,  gestaltende 
II  41  u.  f.;  R.  Entwickelung;  siehe  diese. 

Reiz,  Definition  I  240  ;  züchtende  Wir- 
kung desselben  I  240  u.  f.;  Züchtung 
seiner  trophischen  Wirkung  I  241 ; 
functioneller  R.  der  verschiedenen 
Gewebe  I  280;  II  227;  chemischer  der 
Leber,  Nieren  etc.  I  298,  342:  seine 
Identität  mit  dem  Entstehungsreiz  bei 
den  Stützsubstanzen  I  343,  II  227; 
trophische  Wirkung  des  f.  R.  I  151 ; 
300 ;  angeblich  verjüngende  Wirkung 
I  301;  qualitativ  differenzirende  Wir- 
kungen I  331—350;  gestaltende  Wir- 
kungen I  151,  350—386;  Anpassung  der 
Gewebe  an  die  mittlere  Frequenz  und 
Intensität  der  Reize  1  345  u.  f. ;  Be- 
ziehung zwischen Reizgrösse  und  Organ- 
grösse I  252,  266,  269,  275,  553,  636; 
vollkommene  Anpassung  an  den  Reiz 
I  347 ;  siehe  auch  Gleichgewicht,  vitales; 
gest altende  Reize:  Production  der- 
selben im  Embryo  I  380 ;  Schutz  des 
Organismus  vor  fremden  Reizen  I  380. 

Reizbarkeit  I  391. 

Reizcentralisation  I  381. 

Reizentziehung,  Folgen  derselben  I  284. 

Reizinteusitäten ,  Anpassung  an  die- 
selben I  283. 

Reizleben,  Periode  desselben  jedes  Or- 
ganes  I  348;  Beginn  I  349;  372  u.  f., 
s.  a.  Lebensperioden,  Perioden. 

Reizsubstanzeu,  lebende,  ihr  Nutzen  1 
401  u.  f. 

Reizung,  ihre  angeblich  schädigende  Wir- 
kung I  291  A. 
Reorganisation     operirter     Furchungs- 
zellen  des  Frosches  II  469;  Nucleisation 
469;  Nucleitransmigratio  471 ;  nachträg- 

.    liehe  Cellulation  475. 


Reserveidioplasson,  od.  Regulations- 
und Regenerationsplasson  I  344,  II  877 ; 
Gleichheit  desselben  in  den  Furchungs- 
zellen    II    832;    Ungleichheit    II    833; 
Activirung  II  800,  897 ;  bei  Amphioxus 
II 831,  833 ;  seine  Bethätigung  bei  Eitheil- 
Ganzbildungen  II  794,  795,  798,  814. 
Restbestandtbeile    des    lebenden     Erd- 
geschehens I  398. 
Rhytina,  Structur  der  Rippe  I  442,  738; 
ungenügende  Inactivitätsatrophie  1443; 
pflanzliche    Canäle   im   Knochen   I  769 
bis  802. 
Richtung  der    ersten    Eitheilung,    siehe 
Theilungsrichtung;   der   Copulation  der 
beiden  Geschlechtskerne  ,  ihre  Wirkung 
auf  die  Bestimmung  der   Medianebene : 
siehe  Copulationsrichtung. 
Riclitungsbestimmung  des  Embryo  im 
Ei     II    96,     120,     185;    der     Median- 
ebene II  109;  Methode  II  98,  110,  164, 
185,  289,  295;    Ursachen    der    Bestim- 
mung 11  285;  siehe  auch  Medianebene. 
Hauptrichtungen,  cephal,  dorsal. 
Riclitungskörper,  sein  angeblicher  Ein- 
fluss  auf  die   Richtung    der    ersten  Ei- 
theilung II  355. 
Riechsubstanzen,   ihre  Züchtung  I  336 

bis  341. 
Rieseneier  des  Frosches,   partielle  Fur- 
chung dei-selben  II  476. 
Riesenwuchs ,   Unabhängigkeit  von  der 
Weite    der    Blutgefässe    I    314;    halb- 
seitiger R.,  Ursache  II  451. 
Röhrenknochen,  Ursache  der  Röhrenge- 
stalt I  363,  690,  728. 
Rotation,  künstliche,  der  Froscheier,  um 
eine  wagrechte  Axe,  Entwickelung  da- 
bei II  256-276. 
Rotatiousapparat    zum    Nachweis    des 
Nichtnöthigseins    der    Schwerkraft    zur 
Entwickelung  des  Eies  II  265  u.  f. 
Rückbildung  überflüssiger  Organe  II  68. 
Rückenflosse  des  Delphin,  ihre  Structur 
I    562;     Bedeutung    derselben    für    die 
Theorie    der    functionellen    Anpassung 
I  563. 
Rüclvenfurche,  künstliche  Spaltung  der- 
selben II  194. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1067 


Rückstoss,   seine   gestaltende   Wirkung 

in  den  Gefässen  I  87  u.  f. 
RuderbewegUHiü:  des  Delphin  I  499. 

Samcnfleok,  (Pigmentanbäulung   an   der 

Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  in  das 

Amphibienei)  11  355  A. 
Samenkörper,  intraovaler  Verlauf  II  365, 

370;     Peiiotratioiisbahu      II     371; 

Co|>ulatiou<«baliu  II  376. 
Säuifethiere,    hohe  Selbstdifferenzirung, 

geringe  Postgeneration  II  982;  schwere 

Auslösung    der    Ganzbildung    aus    Ei- 

theilen  II  1010,  1012. 
Säule,  hohle ,  ihre  statische  Begründung 

I  690. 
Scelettlieile,   Ursache   ihrer  Variationen 

I  204  u.  f.,  siehe  Knochen,  Knorpel. 
Schädliche    Substanzen,     umzüchtend 

anpassende  Wirkung  derselben  "Auf  die 
Theile  des  Organismus  I  235,  539. 

Schädliche  Wirkung,  eventuelle,  der 
functionellen  Anpassung  I  352. 

Scheerung,  Scheerfestigkeit  I  505,  678. 

Schlagbewegung  des  Delphin  I  495. 

Sclileimbeutel,  Ursache  I  364. 

Schraubengeleuk,  Ursache  I  376,  354, 
734;  siehe  Gelenkform. 

Schrumpfungscoefficieuten  des  Binde- 
gewebes I  555. 

Schub,  s.  Scheerung. 

Schwanzflosse  des  Delphin  I  Nr.  7,  siehe 
Delphin. 

Schwanzwärts,  Bestimmung  desselben, 
siehe  caudal. 

Schwerkraft,  richtende  Wirkung  auf  das 
Ei  11^  257—260,  274;  Nichtnöthigsein 
derselben  zur  Hervorbringung  des  Ty- 
pischen der  Gestaltungen  aus  dem  Ei 
H  264  u.  f.,  271,  17  u.  f.;  Wirkung  der- 
selben bei   der  Entwickelung   des  Eies 

II  113,  120;  umordnende  Wirkung  auf 
den  Dotter  II  404;  Umordnung  des 
Dotters  entgegen  der  Schwere  im  Ei 
11297,298;  Ursache  ihrer  einstellenden 
Wirkung  auf  die  Zelltheilung  II  337. 

Scplrosis,  ihr  Bildungsvorgang  II  48; 
siehe  auch  Zwischenwirbelscheibe  I  182. 


Sehnen,  Ausbildung  ihrer  Structur  I  358, 
360;  functionelleMetastructur  I  187; 
functionelleAnpassung  1168, 174;  Selbst- 
regulation ihrer  Länge  bei  der  Regu- 
lation der  Muskellänge  I  596,  614,  610, 
durch  Wachsthum  I  622;  durch  „seh- 
nige Metamorphose  der  Muskelfasei- 
enden"  I  616  u.  f.,  durch  Schrumpfung 
I  629,  555;  ihre  Lage  813. 

Sehnenknochen  der  Vögel  I  760  A. 

Sehncuröhreu  im  Schwänze  des  Del- 
phin 1  489. 

Sehnenscheiden,  Ursache  I  364. 

Sehnenschrumpfung  bei  Muskelatrophie 
I  629,  555,  807. 

Sehnerv,    Folgen    der    Durchschneidimg 

•    I  290. 

Sehnige  Metamori^liose  der  Muskel- 
faserenden zur  Regulation  der  Muskel- 
länge I  605,  613,  616,  621. 

Sehsubstanzen,  ihre  Züchtung  I  336,  341. 

,, Seitenfläche"  d«r  Epithelien,  ihre  dif- 
ferenzierende Wirkung  II  785. 

Selbst,  eigenes,  der  Organismen,  Wesen 
desselben  II  218,  siehe  a.  Selbstnütz- 
lichkeit. 

Selbstassimilatiou  II  76.  78,  79. 

Selbstausmerzung  von  Theilen  im  Or- 
ganismus I  218,  224;  im  Stoffwechsel 
I  232  u.  f. 

Selbstbewegung  II  77. 

Selbstbewusstsein,  Entstehung  desselben 

I  414. 
Selbsttliffereiiziruug  I  422,  II  15,  96. 

201,  234,  881 ;  Mängel  der  S.  I  582 ; 
formale  S.  II  208;  qualitative  S.  II  209 
u.  f.;  unvollkommene  11  209;  S.  bei 
mechanischen  Störungen  der  Form  II 
204;  ontogenetische  S.  von  in  der  Phy- 
logenese durch  functionelle  Anpassung 
entstandenen  Bildungen  II  231 ;  S.  von 
Gestaltungen,  welche  durch  functionelle 
Anpassung  entstehen  könnten  I  385; 
S.  siehe  auch  Mosaikarbeit;  S.  des 
Keimplasson   I   453;    des   ganzen   Eies 

II  96,  264,  276,  I  333  A.,  II  423,  772; 
des  Extraovates  II  102;  von  Theilen 
des  Eies  II  202-211,  S.  des  Gastrula 
II  190;  S.  des   Medullarrohres   II  192; 


1068 


Sach-Reerister  zu  Band  I  und  II. 


201,  247;  des  Darmrolires  11  251;  anderer 
Theile  des  Embryo  11  149,  166,  426; 
S.  epithelialer  Gewebe  I  333;  S.  der 
Furcbungszellen  II  156,  448,  770  u.  f.; 
verschieden  abgegrenzter  Stücke  des 
Eies  II  983;  hohe  S.  bei  Säugern  II  982  ; 
S.  bei  normaler  Entwickelung  II  979; 
Zusammenstellung  von  Thatsachen  der 
S.  II  826—830. 

Selbstclifferenzirungsgebilde  II 907 : 
a)  temporäre,  b)  permanente  II  909 ; 
kleinste  II  452,  779. 

Selbstelimination,  siehe  Theilauslese. 

Selbsterhaltung  1  405  u.  f.,  II  77,  siehe 
auch  Selbstnützlichkeit;  Selbsterhal- 
tungseigenschaften, allgemeine  I  254, 
ihre  Züchtung  I  247,  260;  Selbster- 
haltungsfähigkeit der  Orgaue,  ihr  Ver- 
lust I  346,  372. 

Selbsterhaltungsprocesse ,  das  Wesen 
des  Organischen  darstellend  II  217  u.  f.; 
Kampf  derselben  untereinander  1 218  u.  f. 

Selbstgestaltiing  des  zur  Erhaltung 
Nöthigen,  als  Wesen  des  Organischen 
1405u.  f.,  1178;  functioneUe  S.  des 
Selbstnützlichen  (sog.  Zweckmässigen) 
I  178,  278—330,  350—382,  spec.  357 
u.  f.,  560 ;  die  Assimilation  als  erste  S. 
I  395,  II  1023;  S.  hydrodynamisch  ge- 
stalteter Blutgefässe  I  65  u.  f.,  75, 
97;  S.  der  Zellen  II  453,  457. 

Selbstlöhnung  im  Organismus,  der  dem 
Ganzen  geleisteten  Arbeitsgrösse  ent- 
sprechende II  215. 

Selbstloslösung,  active,  der  Chorda, 
MeduUa,  des  Entoblast  und  des  Meso- 
blast  von  einander  II  456;  von  Fur- 
cbungszellen II  989. 

Selbstnützlichkeit  sive  Antophe- 
lia,  als  allgemeine  Eigenschaft  des 
Organischen  1  393—415;  statt  Zweck- 
mässigkeit n  58  u.  f .,  78,  siehe  auch  Selbst- 
regulation. 

Selbstordnung  der  Eisubstanzen  ent- 
gegen der  Schwerkraft  11  297;  des 
Rindendotters  bei  Zwangslage  II  327 ; 
S.  der  Zellen  II  435,  453,  457,  493;  s.  a. 
Zcllordnung  der  Furcbungszellen  11  987 
bis  995. 


Selbstregulation  als  eine  wesentliche 
Eigenschaft  des  Organischen  I  400,  405 
bis  411,  II  69  A.,  78,  217,  981  u.  f.; 
Beschränkung  derselben  II  202;  S.  zur 
Erhaltung  labilen  Gleichgewichts  I  336; 
S.  der  Assimilation  1  222,  224;  S.  als 
Ursache  der  Stabilität  der  Art  I  224, 
336,  337,  455;  quantitative  S.  I  130  u.  f., 
350;  functioneUe  S.  (der  Erhal- 
tungsfunctionen)  1  321,  316  A.,  381,  400 
bis  409 ;  morphologische  Selbst- 
regnlatioii(derGestaltungsfunctionen) 

I  321,  316  A.,  409  A.,  II  1022;  am  An- 
fange   der    individuellen   Entwickelung 

II  360  A.,  401;  ihre  Schwächung  am 
Ende  der  Laichperiode  II  461,  1010;  S. 
im  Stoffwechsel,  ihre  Züchtung  durch 
Theilauslese  I  237 ;  normale  S.  im  Em- 
bryo I  220.  224;  S.  nach  Anachronis- 
men II  445  A.;  prästabilirte  S.  bei  den 
ersten  Eitheilungen  II  401 ;  während 
der  Furchung  II  316;  bei  der  Verthei- 
lung  und  Ordnung  der  Kernbestandtheile 
in  der  Ontogenese  II  316;  morphologische 
nach  Umordnung  der  Furcbungszellen 
II  911  ;  Züchtungsursache  dieser  Art 
II  912,  918;  Reflexthätigkeit  ist  S.  I. 
399;  S.  der  Muskellänge  1  576-658, 
speciell  I  583—623,  Nothwendigkeit 
derselben  I  582;  S.  der  Sehnenlänge 
I  596,  621;  der  Gestalt  der  Muskeln 
(durch  Fiederung)  1  596;  S.  derWeite 
der  Blutgefässe  I  316;  nervöse  Regu- 
lation I  319;  morphologische  Regulation 
1  316,  318;  allgemeine  gestaltende 
Reactionsfähigkeit  der  Blutgefässe  I  319, 
siehe  auch  Entwickelung,  atypische. 

Selbstschluss  des  MeduUarrohres  II  247; 
des  Darmrohres  II  251. 

Selbstschutz  des  Embryo  II  982. 

Selbstständigkeit  der  Theile  des  Orga- 
nismus in  ihrer  Erhaltung,  Variation  etc. 
1  219  u.  f. 

Selbststeuerung   im   Organismus  I  409. 

Selbstvariation  11  62. 

Selbstwachsthum  II  77;  siehe  auch 
Wachsthum. 

Selection  siehe  Züchtung. 

Seleetionstheorie,  Einwendungen  gegen 


Sach-Resister  zu  Band  I  und  II. 


1069 


sie  II  66;  Wegzüchtung  nicht  ge- 
brauchter Theile  II  68;  ihre  jüngsten 
(leüner  II  68. 

Jsioiiiiblastiila  Ranae  II  43.j;  siiperior 
II  448;  von  Echinodermen  II  791 ;  siehe 
auch  Halbbildungen;  electrische  Polari- 
sation II  618. 

Souiivliorda   «lorsnlis    lateralis    II 

441.  443,  447,  526,  s.  Halbbildungen. 
SeiuigaMlriila     Ranae     II     435,     953; 

anterior   II   445;    der  Ascidien    II  788; 
s.  Halbbildungen. 
Semiliinai'klappen,  functionelle  Structur 

I  182. 

Sciuiiuodulla  lateralis  II  439. 
Seiniuioriila  II  434,    156;    Charaktere 

II  877,  879;  Zellordnung  II  804;  Bil- 
dung durch  Umordnung  des  Eimateriales 
II  857,  876,  888;  nach  Rundung  der 
isolirten  Blastomere  II  857,  835;  S.  der 
Ascidien  II  788 ;  von  Echinodermen 
II  791. 

Seiuispinalis,  nmsciilus,  Selbstregulation 

der    Muskel-   und   Sehnenlänge    I    619. 
SensibiHtät  I  391 ;   implantirter  Gebilde 

I  565. 
Sesambeine,  functionelle  Structur  1387  A., 

762. 
Sieg  des  „stärker  fungirenden"  I  100. 
Sinnesorgane,  zweierleiBildungsursachen 

I  378 ;  Antheil  der  Züchtung  I  339 ;  der 

functionellen  Anpassui.i-  I  170,   175. 
Sinnessnbstanzen,  ihre  Züchtung  I  336, 

341 ;   ihr   Fehlen   für    manche    Formen 

von  Energie  I  839. 
Sinus  Valsalvae,  Ursache  derselben  I  68. 
Sirenen,    functionelle  Knochenstructur  I 

442,  J38;  geringe  Inactivitätsatrophie 
I  443,  738. 

Sunderangsrichtung    bei    der    Kern- 

theilung  II  385  u.  f. 
SiJannung,  nutritive,   ihre  Bedeutung 

im  Kampfe  der  Zellen  I  257. 
Spannnngstrajectorien  I  546;  Fall  der 

Identität    mit    den    Wachsthumstrajec- 

torien  I  553,  568. 
Sparniaschine,  innere  Umzüchtung  des 

Organismus  dazu   durch   Bunger  I  236, 

658,  II  224. 


Specialpularisation,  morphologische, 
electrische,  der  Morula  und  Blastula 
II  591,  611,  752. 

Specification  der  Furchungszellen  II  830 
832,  835,  884—893 ;  siehe  a.  Furchungs- 
zellen; S.  der  Keimblätter  II  200. 

Speciflsches  Gewicht,  ungleiches  der 
Dottersubtanzen  II  113,  120,  260  bis 
262;  Wirkung  desselben  auf  die  Ent- 
wickelung  II  260;  Aenderung  durch  die 
Befruchtung  II  291. 

Spermatozoon,  Antheil  an  der  Richtungs- 
bestimmung des  Embryo  im  Ei,  siehe 
Copulationsrichtung,  Hauptrichtungen. 

Sphaerechinus ,  Entwickelung  isolirter 
Blastomeren  II  878  u.  f. 

Spina  bifida  II  526;  siehe  Asyntaxia 
medullaris. 

Spiralgelenk,  Ursache  I  376,  354,  734. 

Spongiosa  der  Knochen,  Ursache  ihrer 
Maschenweite  I  710  A.,  764;  Formen  der 
S.  I  704—711;  S.  globata.  Vorkommen 
und  Bedeutung  I  685  A.,  706,  709  u.  f., 
729;  rectangulata  I  706;  tubnlosa  I 
705,  Vorkommen  1708;  Maschenweite  I 
710;  siehe  auch  Knochen,  functionelle 
Structur;  statische  Elementartheile  I 
703  -  704. 

Sprossung  der  Nerven  in  neue  Organe 
I  565. 

Stabilität  der  Organismen,  Ursache  I 
224,  336,  337,  455. 

Stanimaxen- Radialebene  der  Ge- 
fässe  I  9. 

„Staninicouiplex"  von  Zellen  bei  der 
Re-  u.  Postgeneration  II  898. 

Stammesgeschichte,  II  61-69,  231,  440 
u.  f. ,  1023 ;  s.  biogenetisches  Grundge- 
setz, Homologien;  Zerstörung  ihrer 
knöchernen  Urkunden  I  801. 

Staniinverlaufswinkel  der  Gefässe 
I  15. 

Stauiinwinkel  der  Gefässe  =  Stammur- 
sprungswinkel I  15. 

Stehen:  Wirkung  auf  die  Knochenstruc- 
tur I  719  A.;  St.  auf  einem  Bein,  Bean- 
spruchung des  Schenkelhalses  dabei  I 
682  A. 

Sterilität,  eine  Ursache  II  369. 


1070 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


Stillstand  der  Entwickeliing  nach 
Operation  während  der  Furchung  II 
159. 

Störung,  mechanische  Natur  ihres  Aus- 
gleiches im  Organismus  II  1022;  St.  der 
Entwickelung,  Verlauf  der  weitereu  Ent- 
wickelung  II  971;  St.  der  Anordnung 
oder  Qualität:  Auslösung  des  Reserve- 
idioplasson  durch  dieselbe  II  887,  896 
bis  903;  an  den  Halbbildungen,  ihre  all- 
gemeine Bedeutung  II  775. 

Stoffwechsel  seine  Bedeutung  für  die 
innere  Züchtung  I  222,  231—238,  251; 
St.  atrophischer  Organe  I  285. 

Stossbewegiiiig  des  Delphin  I  493. 

Stoss  des  Blutes,  seine  gestaltende  Wir- 
kung I  97. 

Streckung,  nachträgliche  der  Medullar- 
wülste  II  532. 

Stromfäden,  electrische,  Methode  zur 
directen  Ermittelung  ihres  Verlaufs  II 
25,  152. 

Stromschatten,  electrischer  II  565,  650. 

Structiir,  statische,  dynamische, 
siehe  runctiouelle  Structur. 

Stützorgane,  ihre  von  der  Anordnung 
der  Capillaren  unabhängige  Structur  I 
312,    327;    siehe    functionelle  Structur. 

Stützsubstanzen :  vererbte  und  abhängige 
Bildung  derselben  I  205 ;  siehe  auch 
Bindesubstanzen,  Knochen.  Knorpel. 

Subcutanes  Bindegewebe ,  Züchtung 
desselben  I  555. 

Subduralraum,  Ursache  I  364. 

Substantia  conipacta  ossea,  ihre  stati- 
schen Elementartheile  I  711,  siehe  auch 
Knochen,  S.  spongiosa,  siehe  Spongiosa. 

Symmetrie,  bilaterale,  ihre  Ursache 
II  451. 

„Symmetrieebene  der  Sonderung"  II 386. 
Sympathicus  -  üurchschneidung ,     ihre 

Folgen  I  295,  309. 
System  materieller  Theile  II  233;  seine 

Configuration  II  233 ;  seine  Form  II  233, 

seine  Structur  11  233. 

Teleologie  1  145,  148  Anm.,  153  u.  f., 
408,    11    78,    842,    1018;     teleologisch 


gestaltende  Wirkungen  der  functionellen 
Anpassung  I  381. 

Telestes  Agassizii,  electrische  Polari- 
sation der  Eier  II  625. 

Telescopform  der  Nase,  künstliche,  durch 
Borsäure  II  887  A. 

Theilanslese  oder  Partialanslesc 
im  Organismus,  züchtende  I  217  u.  f., 
222,  235,  542,  546  u.  f.,  651—656,  804, 
II 216  u.  f. ;  nicht  züchtende  T.  I  222,  235, 
II  220;  höchste  Ausbildung  des  Zweck- 
mäs,sigen  durch  T.  I  382;  siehe  auch 
Kampf  der  Theile. 

Theilbildiiug  oder  Theilgebilde, 
Definition  II  792,  884,  1012;  ihre  Ur- 
sachen II  1009—1013;  siehe  auch  Semi- 
morula ,  Semigastrula ,  Hemiembryo, 
Halbbildungen. 

Theilungsfliiche,   Definition  II  384  u.  f. 

Theiluugsricbtung,  Definition  II 385 u.  f. ; 
T.  der  Zelle,  Wirkung  der  Gestalt 
auf  die  Theilungsrichtung  II  299,  337, 
973,  975 ;  erste  Theilungsrichtung  des 
Eies:  sie  ist  die  variabelste  II  300; 
ihre  normale  Ursache,  siehe  Copulations- 
richtung,  Hauptrichtungen ,  Median- 
ebene; Wirkung  einer  Anstichstelle  des 
Eies  auf  die  T.  II  364;  Wirkung  ge- 
ringsten Widerstandes  II  305,  364,  973; 
Wirkung  des  electrischen  Stromes  auf 
dieselbe  II  556,  571,   583. 

Theiluugswiderstand  der  Zelle,  gering- 
steril  166  ;  bestmimt  nicht  die  Theilungs- 
richtung II  973. 

Thiere,  höhere  und  niedere ,  ihre  ver- 
schiedene Leistungsfähigkeit  I  403. 

Tibia,  Bedeutung  ihrer  Gestalt  I  737  ; 
neue  functionelle  Structur  in  neuen  Ver- 
hältnissen I  662 — 713. 

Topographie  der  organ.  Gestaltungs- 
ursachen, Aufgabe,  sie  zu  ermitteln 
II  16,  37,  87,  233,  254,  siehe  auch 
Selbstdifferenzirung  und  abhängige  Dif- 
ferenzirung,  Correlationen. 

Torsion  I  683;  Torsionsconstruction  I 
683. 

Torsionsstructur  des  Humerus  I  762  A., 
765. 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


1071 


Totipotcnz  der  Furchungszellen,  poten- 
tielle II  831,  839. 

Trabeoulac  osseae  I  704;  ihre  functio- 
nelle  Bedeutung  I  704. 

Tractiis  ossei  I  707. 

Trajeotorien,  Bedeutung  I  678  u.  f.; 
Ableitung  derselben  für  Druck  I  678; 
für  Zug  1682;  Torsion  I  683;  Biegung! 
683  u.  f.;  Methoden  der  mechanischen 
Selbstdarstelluug  der  Trajeotorien  I  673; 
T.  der  Spannung  und  des  Wachsthums 
I  546;  Fall  der  Identität  beider  I  553, 
568. 

Transformatioiisgesetz  Jul.  Wolff's, 
bezeichnet  functionelle  Anpassungen  I 
725. 

Trauslatio  elterlicher  Eigenschaften  auf 
das  Keimplasson  II  61,  1023;  siehe 
Vererbung. 

Transplantation,  „functionelle"  und 
ihre  Theorie  I  404. 

Ti'ansi)lantationsfähigkeit,  Bedeutung 
für  den  Kampf  der  Theile  I  219. 

Transversale  Stellung  der  Delphin- 
Schwanzflosse,   ihre  Bedeutung   I  498. 

Trennungskeil  der  Blutgefässverzwei- 
gungen  I  85. 

Triton  alpestris ,  electrische  Polarisa- 
tion der  Eier  II  608. 

Trommelfell,  functionelle  StructurI  182; 
Ursache  I  359. 

Trophische  Nerven  I  292—299;  ihre  an- 
geblichen Functionen  I  292;  ihr  Unver- 
mögen functionelle  Structur  auszubilden 

I  568. 

Tropliische  Wirkung  der  functio- 
uellen  Reize  I  100,  151,  240  u.  f., 
278-330.  544-552,  806;  gestaltende 
\Yirkung  der  Function  I  548. 

Tubuli"ossei  I  703;  ihre  functionelle 
Bedeutung  I  703. 

Tumoren,  siehe  Geschwülste. 

Typische  Gestaltungskräfte,  ihre  Noth- 
wendigkeit  II  28  Anm.,  72. 

Tyi)isehe  oder  direete  Entwickelung, 
personelle :  Herstellung  der  richtigen  An- 
ordnung   des   verschiedenen   Materiales 

II  316;    Selbstregulation   dabei  II  316; 
Charakterisirung  II  844  u.  f.;  nicht  voll- 


kommen reines  Vorkommen  II  847,  siehe 
auch  atypische  Entwickelung. 
Typisch  reproducirte  Gestaltung, 
Verständlichkeit  derselben  bei  Ent- 
stehung auf  typischem  Wege  II  40; 
Bedingungen  II  8  A.,  228  A.,  868,  913, 
siehe  Entwickelung  ;  bei  atypischem  Aus- 
gang II  41  ;  bei  atypischem  Wege  II  52. 

Uebercompensation  des  Verbrauches 
I  396;  ü.  im  Ersätze  I  396;  ihre  Züch- 
tung durch  Theilauslese  I  237 ;  U.  in 
der  Activitätshypertrophie  I  280;  der 
Blutgefässe  I  280;  des  Knochen  I 
280. 

Ueberdelinung  des  Bindegewebes  hat 
Atrophie  zur  Folge  I  554. 

Üebergang  vom  Wasser  zum  Luft-  resp. 
Landleben  I  119.  II  64. 

,,Uebertragung"  vom  Elter  erworbener 
Eigenschaften  auf  denlveim,  s.Translatio. 

Ueberwindung  mechanischer  Componen- 
ten  durch  vitale  II  91. 

Hebung  I  461,  766.  Ist  nicht  bedingt 
durch  Hyperämie  I  324;  embryonale  ü. 

I  555 ;  motorische  U.  im  Centralnerven- 
system  I  122,  174;  U.  der  Muskeln  I 
353,  364,  367. 

Umarbeitung  des  Pigmente^  der  Ei- 
rinde,  symmetrisch  zur  ersten  oder 
zweiten  Furche  II  328. 

Umbildungen  durch  geänderten  Gebrauch, 
Beschränkung  derselben  I  374,  durch 
embryonale  Variation  I  375;  vitale  U. 
durch    mechanische    Massencorrelation 

II  253. 

UnKliftereuzirung  von  Zellen,  nach 
Störung  II  896,  899,  bei  Re-  und  Post- 
generation n  801,  896,  899;  Verlauf 
derselben  II  899;  von  Dotterzellen  durch 
differenzirte  Zellen  II  495;  siehe  auch: 
abhängige  Dififerenzirung,  Correlationen. 

Umformung,  siehe  Umbildung. 

Umkelirnng  in  Zwangslage  gehaltener 
Eier  II  330;  Entstehung  von  Doppel- 
bildungen danach  II  932  u.  f.,  936. 

Umordnung  von  Zellen  II  491,  497,  505 
u.  f.  Anregung  dazu  II  493;  von  Fur- 
chungszellen II  857. 


1072 


Sach-Register  zu  Band  I  und  II. 


Umstände  äussere,  direct  das  Zweck- 
mässige schaffende  Wirkung   derselben 

I  130. 

Umwachsung  der  todten  Eihälfte  II  482. 

Ungleichheit,  atypische,  der  Theile 
des  Organismus  I  222,  225 ;  Bedeutung 
derselben  für  den  züchtenden  Kampf 
der  Theile  I  222,  225. 

Unterbrechuugsfläche  einer  Zell- 
schicht: Bedeutung  für  die  Postgene- 
ration II  498,  506,  507,  für  die  Re- 
generation II  512,  897  u.  f. 

Unzulässigkeit  causaler  Ableitungen  aus 
den  Beobachtungen  des  typischen 
organischen  Geschehens  II  75  u.  f., 
239. 

Urdarmhöhle,  von  ihr  ausgehende  ord- 
nende Wirkung  auf  die  Zellen  II  505. 

Urmiind  des  Froscheies  II 164;  Ort  seiner 
ersten  Anlage  II  398;  nächste  Ursache 

II  342;  die  erste  Anlagestelle  fällt 
nicht  immer  in  die  Medianebene  des 
Embryo  II  399,  867  A.,  961  A.,  963; 
künstliche  Bestimmung  seiner  Lage  II 
925;  Wanderung  des  U.  II  347  u.  f., 
525 ;  abnorme  Schlussstelle  II  529. 

Ursachen  der  sichtbaren  organischen  Ge- 
staltungen, Ermittelbarkeit  derselben  I 
406  A.;  primäre  ü.  der  Gestaltung  I  543; 
Causae  summandi  I  538;  U.  der  Zeit,  des 
Ortes,  der  Richtung,  Grösse  und  Quali- 
tät des  organischen  Geschehens  II  87, 
87,96;  verschiedene  Ursachen  mit 
gleichen  Wirkungen  II  92,  siehe  auch 
„Constanz"  der  Producte;  die  einfach- 
sten Ursachen  nicht  immer  im  Organi- 
schen die  wahrscheinlichsten  II  242; 
Ursache  und  Folge  im  Organischen  I  88 ; 
Trennung  der  specifischen  Ursache  von 
der  Vorbedingung  I  306,  325;  Ursachen 
der  speciellen  Entwickelung,  ihre  Locali- 
sation  im  Ei  II  772,  siehe  auch  Knochen 
u.  a.  Organe. 

Urspruii(;!«kogel  der  Blutgefässe:  des 
Astes  I  36,  43;  der  „Fortsetzung  des 
Stammes"  I  45;  Selbstgestaltung  des- 
selben aus  dem  Wandungsmateriale  I 
55;  Variationen  desselben  II  71. 

Urzeugung      durch    „successive"    Züch- 


tung    der     Gr  undfunctionen     des 
Lebens  I  409-416. 
Uterus ,     Ursache     seiner     complicirten 
Structur  beim  Menschen  I  369. 

Vacuolisation   des  Dotters  II  462,  488. 
Variabilität,  der  Theile  des  Organismus 

I  222,  225;  Bedeutung  derselben  für 
den  züchtenden  Kampf  der  Theile  I  222, 
225 ;  V.  infolge  unvollkommener  Selbst- 
regulation I  455;  V.  durch  Einwirkung 
der  äusseren  Lebensbedingungen  I  105; 
Bedingtheit  der  Variabilität  I  116;  Corre- 
lative  V.  I  108,  131  ,  II  255;  ihre  Ur- 
sache I  372 ;  V.  des  Keimplasma  I  455, 

II  62—67, 

Variationen  oder  Varietäten,  ihre  Ur- 
sachen I  217  A. ;  zeitliche  V.  als  Ursache 
morphologischer  Varietäten  II  114  u. 
f. ;  ihre  Bedeutung  für  die  descriptive 
Entvvickelungsgeschichte  II  51;  V.  des 
Keimplasma:  Entstehung  aus  inneren 
oder  äusseren  Ursachen  II  62.  Succes- 
sive  Variation  II  63;  sprungweise  V. 
II  63;  Freiheit  des  V.  II  64,  67,  I  116; 
Unfreiheit  I  204,  II  67 ;  Beziehung  zwi- 
schen den  V.  des  Keimplasson  und  den 
V.  der  entwickelten  Theile  II  65;  Selbst- 
variation der  Theile  II  65;  gleiche  V. 
mehrerer  Theile  II  67 ;  gleichzeitige 
nützliche  V.  verschiedener  Theile  II  64; 
Leistung  embryonaler  Variationen  1 368, 
375;  V.  machen  abhängige  Ditferenzi- 
rung  nöthig  II  918  ;  machen  morphologi- 
sche Selbstregulation  nöthig  II  913,  981 ; 
Werth  der  V.  für  die  causale  Forschung 
II  31,  93 ;  V.  der  M  u  s  k  e  1  n  I  582—591 
topische  I  582;  functionelle  I  587 
Regulation  der  Länge  dabei  I  591 — 620 
der  Scelettheile  I  204  u.  f. 

Vasa  vasornni,   ihre   unzureichende  Be- 
deutung für  die  Gestaltung  I  313. 

Vasomotorische   Störungen,    ihre    tro- 
phischen  Folgen  I  295. 

Vater  ist  der  Bruder  seiner  Kinder  I  456. 

Vena  i)ortae,  Verzweigungsregeln  I  10, 
17,  22,  81,  73. 

Venen,  Entstehung  an  Stellen  geringsten 
Druckes    I   184,    564;    Gestalts  verhält- 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


1073 


nisse  des  Lumens  au  den  Vereinigungs- 
stellen s.  I  Nr.  1  und  2. 

Ventral  des  P^nibryo,  seine  Bestimmung 
am  Ei  II  347,  349,  408,  424,  437,  448, 
460  A.,  527,  534.  780. 

Veränderung,  specifische  Natur  der- 
selben: Qualität,  Ort,  Zeit,  Grösse  IT 
907,  s.  Differenzirung. 

Verästelnngswinkel  der  Arterien, 
Definition  I  15;  bestimmende  Regeln  1 
15  u.  f. 

Verbrauch,  züchtende  Wirkung  desselben 
I  233,  399. 

Yereinignngsebene  der  Venen,  Defi- 
nition und  bestimmende  Regeln  I  13. 

Vererbt  Definition  I  200—203,  207. 

Vererbting:  angebliche,  vom  Individuum 
erworbener  Eigenschaften  I  140,  383, 
444,  II  61,  1023;  Bedingung  der  Ver- 
erbung I  451  u.  f.,  II  62;  Vererbungs- 
theorie, angebliche  II  860;  siehe  auch 
Keimplasson ;  vererbte  Selbstditferen- 
zirungs-Charaktere,  geringe  nöthige  Zahl 
derselben  I  201,  567. 

Vergiftung,  chronische,  umzüchtende 
Wirkung  derselben  auf  die  Theile  des 
Organismus  I  235,  658. 

Vergleichende  Anatomie  II  70. 

Verlanfslinie   der  Muskelfasern  I  584. 

Verlanfswinkel  der  Gefässe  I  15,  35, 
94;  ihre  Bedeutung  für  Ermittelung  der 
Wachsthumsgesetze  I  94. 

Verschiedenheit  gleich  aussehender 
Theile  II  1005. 

Verschmähung  vermehrter  Nahrungsauf- 
nahme durch  die  Zellen  I  309. 

Vertheilnng,  electrische,  Fehlen  auf 
dem  Embryo  II  149. 

Verwer&mgen  der  Muskelfasern,  Be- 
deutung für  die  Selbstregulation  der 
Muskellänge  I  582  u    f. 

Verzögerte  Laichung,  ihre  Folgen, 
siehe  Laichung;  Schwächung  der  Selbst- 
regulation II  1009. 

Verzögerung  der  persönlichen  Entwicke- 
lung  durch  Abkühlung  11  101;  nach 
Operation  des  Eies  II  159. 

Verzweigungen    der    Blutgefässe    1 

W.  Roux,  Gesammelte  Abhandlunfjen.    II. 


Nr.  1    und   2;    Richtungsverhältnisse    1 
9u.  L  ;  Gestaltungsverhältnisse  I  36  u.  f. 

Verzwoigiingsebcne  der  Gefässe   1  9. 

..Verzwoigungsstelle"  der  Arterien, 
Definition  1  12. 

Viertelei-Gebilde  II  793. 

Viertelmornlae  und  Blastulae  11  446. 

Vorbedingungen  der  Diff'erenzirung  H 
210;  ihre  Unterscheidung  von  der  spec. 
Ursache  I  306,  325  Nr.  13,  27,  28. 

Vorentwickelnng  1  409  A.,  453,  II  74; 
Definition  II  280;  ontogenetische,  per- 
sönliche, unpersönliche,  accessorische 
II  280;  phylogenetische  II  74,  280. 
Vorkerne,  Wirkung  ihrer  Copulations- 
richtung  auf  die  Medianebene  II  366. 

Waalthiere ,  eigenthümliche  substantia 
spongiosa  ossea  I  708. 

Wachsthum,  Züchtung  desselben  durch 
Theilauslese  1  237  ;  züchtende  Wirkung 
desselben  im  Organismus  I  222 ,  232 ; 
Nutzen  desselben  I  396;  Arten  des  W. : 
actives  I  391,  II  77,  passives  II  77; 
Massenwaclisthnm  II  81 ;  blosdi- 
nieusionales  W.  II  81 ;  embryonales 
selbstständiges  I  207  A. ,  311 ;  W.  beruht 
auf  qualitativer  u.quantitativerNahrungs- 
wahl  der  Theile  I  314;  W.  infolge  von 
Hyperämie  1  295,  310 ;  W.  des  Embryo 
unabhängig  von  electrischer  Vertheilung 
II  147;  W.  der  Arbeitsorgane  I  311; 
der  Stützsubstanzen  und  Deckepithelien 
I  311;  des  Knochens:  Deutung  des 
Ringversuches  I  742;  des  Markirver- 
suches  I  746;  W.  von  Organen  durch 
Aufnahme  und  Um  differenzirung  frem- 
der Zellen  II  801. 

Wachsthiimsarchitectur  11  232;  siehe 
auch  Wachsthumstrajectorien. 

Wachsthumskräfte,  auf  die  Herstellung 
der  normalen  Formen  eingestellte  II 
245 ;  Wirkung  zeitlicher  Hemmung  der- 
selben II  245. 

Wachsthumsperioden:  l.des  selbststäu- 
digen  Wachsthums  der  Theile  1  311; 
Wirkung  der  Hyperämie  dabei  I  311; 
2.  des  functionellen  Wachsthums  1  311; 
siehe  auch  Perioden. 


1074 


Sach-Register  zu  Band  I  und  IL 


AVaclistlnimstrajectorien    I    546;    Fall 
der  Identität  mit  den  Spannungstrajec- 
torien  I  553,  568. 
Wärme,  trophisclie  Wirkung  derselben  I 

242,  II  18. 
Wänne.strahlniig    Nichtnöthigsein    der- 
selben   zur    Hervorbringung    des  Typi- 
schen   der  Gestaltungen     aus    dem   Ei 
II  274. 
Wanderung  der  Bänder  bei  örtl.  Aen- 
derung  der  functionellen  Verhältnisse  I 
606 :  der  Z  ä  h  n  e  im  Knochen  I  268,  747. 
AVaiulerzellen,  abhängige  Differenzirung 

II  801,  914. 
AVechsel  der  Beanspriicluingsrichtung, 
Einfluss  auf  die  Knochenstructur  I  706, 
719. 
Wechselstrom,    Wirkung  auf   die  Rich- 
tung der  Eitheilung  II  556 ;  auf  die  Be- 
samungsrichtuug    und    Copulationsrich- 
tung  II  583  ;  polarisirende  Wirkung  auf 
embryonale  Objecte  II  542  u.  f. 
AVechselwirkung  ist  der  Grundvorgang 
der  Entwickelung  II  14,  822  ;  siehe  auch 
Correlationen,  abhängige  Differenzirung. 
Wellenbewegung    der  Delphin   I  496. 
Wesen  des  Organischen  I  152,  387  bis 
416,  11  69  A.,  76,  141,  217;  siehe  auch 
Leben. 
Wettbewerb  II  223. 
Widerstandsfähigkeit  lebender  Körper, 
ihre  iSteigerung    durch  Theilauslese  bei 
schlechten  Existenzbedingungen  I  237  ; 
mechanische  W.:  Arten  derselben  I  505, 
(>78;  der  Knochen:  gegen  Druck  von 
überknorpelten     Flächen     aus     I    735; 
gegen  Druck  vom  Periost  aus  I  735. 
Widerstandsznnahme  in  Röhren  beweg- 
ter Flüssigkeit  bei  Zunahme  der  Strom- 
geschwindigkeit,   neue   Methode    ihrer 
Ermittelung  I  61. 
Wiederbelebung  II  477,  480;  siehe  Re- 
organisation. 
Windungen  im   befruchteten  Ei  II  321. 
W^irkungsäquivalent :  siehe  Aequivalent, 

Gleichgewicht. 
Wirkungen,  gestaltende  im  Organischen 
II   904  A.;    unvollkommene    Kenntniss 


derselben  II  93;  daraus  folgende  Ein- 
schränkung der  Anwendbarkeit  des 
Satzes:  gleiche  Wirkungen  haben  gleiche 
Ursachen  II  92;  gestaltende  W.  per 
continuitatem  et  contiguitatem,  differen- 
zirende  II  891. 

AVirkungsweisen,  gestaltende  bestän- 
dige n  82,  187,  1018,  I  804-816,  II 
1025 — 1031 ;  besondere  im  Organischen 
II  189,   318;    statt  Naturgesetze  II  39. 

AVundernetze ,  Entstehung  durch  ver- 
erbte Gefässweite  I  326  A. 

AA^mdheilung  im  Embryo:  II  196,  200, 
440  A.;  siehe  Heilung. 

AA'undpigmentirung  am  Embryo  II  150, 
195,  197. 

AVundreaction  junger  Froschembryonen 
n  149,  196. 

Zähne,  seitliches  Wandern  derselben 
I  268,  747. 

Zeit  der  Bestimmung  der  embryonalen 
Gestaltungen  II  95  u.  f.,  II  286;  der 
Hauptrichtungen  II  95—124,  II  286  u.  f.; 
Z.  der  Gestaltungsursachen    II  37,    87. 

Zelläquator,  electrischer  II  593. 

Zelle,  Selbstständigkeit  II  40,  Beschrän- 
kung der  Selbstständigkeit  II  41,  806; 
Kampf  resp.  züchtende  Auslese  unter 
ihnen  I  251—260,  II  494.  Richtende 
Wirkung  auf  Nachbarzellen  II  318;  Um- 
differenzirende  AVirkung  aufeinander 
bei  der  Postgeneration  II  491,  495,  502, 
506,  507,  509,  510,  Reihenfolge  der 
Vorgänge  dabei  II  491,  500,  Ablenkung 
der  Differenzirungsrichtung  496  u.  f., 
500,   504. 

Zellgestalt,  ihr  Einfluss  auf  dieTheilungs- 
richtung;  siehe  Zelltheilungsrichtung. 

Zellgranula  II  85. 

Zellkern,  siehe  Kern. 

Zellleib,  seine  Function  1254 ;  siehe  Dotter ; 
gestaltende  Wirkung  II 890  A.,  932—939, 
1009  u.  f.;  gestaltende  Correlationen 
mit  dem  Kern  II  927—939,  474;  siehe 
auch  Kern;  züchtende  Theilauslese  in 
ihm  I  231-250. 


Sach-Register  zu  Band  1  und  II. 


1075 


Zollordnnn;?,  active  II  453,  457,  804, 
987 — 995:  siehe  auch  Zellwandeiung, 
Cytotropisnitis,   Clieniotropismus. 

Zellpollelder,  electrische  II  593. 

Zelltlioiluiiii".  selbstständige  qualitative 
Materialschcidung  II  452;  richtige  An- 
ordnung, selbstständige  II  453;  nicht 
notlnvendig  di  f  ferenz  irende  Wir- 
kung derselben  II  317  A.;  Verschiebung 
der  Theilungsstolle  in  die  Anstichstelle 
II  166;  Beginn  an  der  Anstichstelle 
II  163. 

Zelltheiliingsriclitung ,  Abhängigkeit 
von  der  „Gestalt"  der  Furchungszelle 
II  118,  303  u.  f.,  336,  339  u.  f.,  407, 
866,  890,  927  u.  f.,  972  u.  f.;  Unab- 
hängigkeit von  der  Gestalt  II  866;  bei 
Zwangslage  II  302,  336;  Einfluss  der 
Electricität  II  319,  556,  571 ;  siehe  auch 
Kerntheilungsrichtung. 

Zellwaiidemngen  beim  Wach  sthum  der 
Keimblätter  II  801;  bei  der  Re-  und 
Postgeneration  II  801;  siehe  auch  Zell- 
ordnung. 

Zei'fällung  verschieden  gerichteter  Wir- 
kung auf  rechtwinkelige,  stärkste  Com- 
ponenten  in  der  Structur  der  Organe 
I  180,  181  Anm.  2,  183,  359,  368,  510 
u.  f.,  679  u.  f.;  siehe  auch  functionelle 
Structur. 

Züchtung,  unter  den  Personen  I  116, 
155,  s.  a.  Peraonalauslese ;  unter  den 
„Theilen-  des  Organismus,  durch  den 
Stoifwechsel  1232;  Bedingungen  1276; 
Wirkungsgrösse  I  382 ;  siehe  auch 
„Kampf  der  Theile"  und  „Theilauslese", 
Kern,  Zellleib;  Wegzüchtung  nichtge- 
brauchter Theile  II  68;  successive  Z. 
der  Grundfunctionen  des  ersten  Lebens 
I  409,  II  1022. 

Ziichtungslehre,  ihre  Mängel  I  425  II  66, 
ihre  jüngsten  Gegner  II  68. 


Zuchtwahl,     Leistungsgrösse    derselben 

I  116,  123,  159,  Beschränkung  I  184; 
Mangel  ihrer  Wirkung  auf  das  Greisen- 
alter I  653. 

Zug  I  678,  als  functioneller  Reiz  und 
als   Ent.stehungsreiz    des  Bindegewebes 

II  227;  Zug  findet  im  Knochen  statt 
I  681. 

Zugconstruction  I  682. 

Zugfasern  des  Bindegewebes  I  513. 

Zugknochen  I  760  A. ;  reiner,  fehlt  den 
Säugern  I  745. 

„Zurückverwandlung"  aus  dem  ent- 
wickelten in  den  unentwickelten  Zustand 

I  214  A.,  II  61,  62,  1023. 

Zwang  bei    der   organischen   Gestaltung 

II  245. 

Zwangslage  des  Froscheies :  einfache 
II  325;  schiefe  II  325,  396;  gerade  II  325, 
396;  Methode  II  347,  396  u.  f.;  ihre 
Wirkung  II  165,  177,  343,  auf  die  Co- 
pulationsrichtung  II  367,  399,  404,  auf 
die  Theiluugsrichtung  II  325  u.  f.,  339, 
399,  406.  Erste  Furche  nicht  senkrecht 
II  326;  Wirkung  auf  die  Richtung  der 
Medianebene  II  403,  siehe  Medianebene ; 
Bedeutung  von  Pflügers  Versuch  II  262, 
343,  848;  Z.  der  Froscheier  im  Mutter- 
leib II  290,  409. 

Zweck,  wirkt  nur  indirect,  durch  func- 
tionelle Anpassung  „gestaltend"  im  Oi'- 
ganismus  II  1020. 

Zweckmässigkeit  der  organischen  Ge- 
staltungen, siehe  D auerf ähi gk eit, 
Selbstnützlichkeit;  feine  innere 
Z.  der  Organismen  I  137,  155;  ihre 
Entstehung  s.  Selbstgestaltung,  functio- 
nelle Anpassung. 

Zwischeuwirbelscheiben,  Function  als 
hydraulische  Presse  und  Bedeutung 
ihrer  Structur  I  182. 


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Vorlacj  V.  Wilh.  Kiuipliiiann  in  I.olpy.uf 


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