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Manne ßiological Lakoralory Library
Woods Hole, Massachusetts
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aESAMMELTE ABHANDLUNGEN
ÜBER
ENTWICKELUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN
VON
WILHELM ROUX,
O. ö. PROFESSOR DER ANATOMIE UND DIRECTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS
Zu HALLE A/S.
Z^WEITER BAND.
0/
ABHANDLUNG XIII-XXXIII,
ÜBER
ENTWICKELUNGSMECHANIK DES EMBRYO.
MIT 7 TAFELN UND 7 TEXTBILDERN.
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1895.
Alle Rechte, auch das der Uebersetzung, einschliesslich vou Einzel-Abhandlungen, vorbehalten.
Druck der Kgl. Univorsitiitsdruckerei von H. Stürtz in Würzburg.
Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
Nr. 13. fl Einleitung" zu den „Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des
Embryo". 1885 1—23
^ 14. Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische
Wissenschaft der Zukunft. Festrede. 1889 24 — 54
, 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik. 1892 .55 — 94
„ 16. Ueber die Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des
Froschembryo. 1883 95—124
„ 17. Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren. Eine hypo-
thetische Erörterung. 1883 125—143
„ 18 — 22, 25 u. 27. „Beiträge zur Entwickelungsmechanik des
Embryo" :
„ 18. Beitrag I: Zur Orientirung über einige Probleme der embryo-
nalen Eutwickeluug. 1885 144 — 255
„ 19. Beitrag II: Ueber die Entwickelung der Froscheier bei Auf-
hebung der richtenden Wirkung der Schwere.
1884 256—276
„ 20. Beitrag III: Ueber die Bestimmung der Hauptrichtungen
des Froschembryo im Ei und über die erste Thei-
lung des Froscheies. 1885 277—343
„ 21. Beitrag IV: Die Bestimmung der Medianebene des Frosch-
embryo durch die Copulationsrichtung des Ei-
kernes und des Spermakernes. 1887 344—418
„ 22. Beitrag V : Ueber die künstliche Hervorbringung „halber"
Embryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten
FurchungszeUen , sowie über die Nachentwickelung
(Postgeneration) der fehlenden Körperhälfte. 1888 419—521
„ 23. Ueber die Lagerung des Materiales des Medullarrohres
im gefurchten Froschei. 1888 522—538
IV Inhalt des zweiten Bandes
Seite
Nr. 24. Ueber die Entwickelung des Extraovates der Froscheier.
1889 539-540
„ 25. Beitrag VI: Ueber die , morphologische Polarisation" von
Eiern und Embryonen durch den electrischen Strom,
sowie :
über die Wirkung des electrischen Stromes auf die
Richtung der ersten Theilung des Eies. 1891 . . 541 — 765
, 26. Ueber das ent wickelungsmechanische Vermögen jeder
der beiden ersten Furchungszellen des Eies. 1892 . . . 766—817
^ 27. Beitrag VII: Ueber Mosaikarbeit und neuere Entwickelungs-
hypothesen. 1893 818-871
^ 28. Ueber die Specification der Furchungszellen und über die
bei der Postgeneration und Regeneration anzunehmenden
Vorgänge. 1898 872—919
„ 29. Ueber die ersten Theilungen des Froscheies und ihre Bezie-
hungen zu der Organbildung des Embryo. 1893 .... 920—926
„ 30. Ueber richtende und qualitative Wechsel Wirkungen zwischen
Zellleib und Zellkern. 1893 927—939
„ 31. DieMethoden zur Hervorbringung halber Froschembryo-
nen und zum Nachweis der Beziehung der ersten Fur-
chungsebenen des Froscheies zur M e d i a n e b e n e des Embryo.
1894 940—986
, 32. Ueber die Selbstordnung der Furchungszellen. 1893 . 987 — 995
„ 33. Nachwort. 1895 996—1024
Zusammenfassung: Regeln und gestaltende AVirkungsw eisen . 1025 — 1033
Autorenregister 1034—1039
Sachregister 1040—1075
Nr. 13.
„Einleitung"
zu den
„Beiträgen zur Entwiekelungsmeehanik des Embryo".
1885.
Zeitschrift für Biologie Bd. XXI. München, Juli 1885.
T 11 h a 1 t.
Seite
Kinematik der Entwickelung 2
Kinetik der Entwickelung 3
Definition der Entwiekelungsmeehanik 4
Definition der Entwickelung 4
Arten der Entwickelung:
a) Epigenesis oder Produktion von Mannigfaltigkeit 5
b) Evolution oder Wahrnehinharwerden von Mannigfaltigkeit .... 5
Anorganisches Vorkommen der Evolution , 6
Anorganisches Vorkommen der Epigenesis 7
c) Metamorphose von Mannigfaltigkeit 8
Combination von Evolution und Epigenesis 9
Organismen ohne Entwickelung 13
Methode der Elntwickelungsmechanik 13
Nächste Aufgabe: Bestimmung des Ortes der Ursachen 14
Selbstdiff er enzirung, Differentiatio sui 15
Abhängige Dif ferenzirung, Differentiatio ex alio 15
Selbstdifferenzirung dos ganzen Eies 17
Wirkung der Schwere, des Lichtes 18
Selbstdifferenzirung und abhängige Differenzirung von Theilen des Eies 19
„Gemischte Differenzirung", Differentiatio mixta 20
"\V. Roux, Gesaminelle Abliandlniigen. II. \
2 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
Dio beschreibende EmbiTologie ist diiroli nnermüdlicheii l*'lciss
lind Scharfsinn vieler Forscher seit dem Ende des vorigen Jahrliunderts
so weit gefördert worden, dass wir fast von jedem Organe der Wirbel-
tliiere und vieler Wirbellosen bis zu einem gewissen Grade der (re-
nauigkeit diejenigen ,,Formen Veränderungen" kennen, unter
denen sich dasselbe successive aus dem befruchteten Ei hervorbildet.
Nachdem somit schon ein annähernder Ueberblick über die
formalen Veränderungen, welche während der Entwicklung vor sich
gehen, gewonnen ist, ist es wohl berechtigt, noch einen Schritt weiter,
nach der Kenntniss der ,, Vorgänge" zu streben, durch welche diese
Formwandlungen hervorgebracht werden.
Dieses weitere Ziel lässt sich in zweifacher Weise auffassen: ein-
mal wiederum formal, sofern bloss die ,, formalen" Vorgänge er-
kannt und beschreibend dargestellt werden sollen. Als das letzte Ziel
dieses Strebens würde die vollkommene Kemitniss des Weges zu be-
zeichnen sein, welchen jedes gesonderte Bahnen einschlagende Theil-
chen des befruchteten Eies bis zu seiner, des Theilchens letzten Ver-
wendung zum Aufbaue des Organismus durchläuft, verbunden mit
der Kenntniss des Weges aller von aussen aufgenommenen und bis
zur Vollendung der Entwicklung des Individuums zum Aufbaue irgend-
wie verwendeter Theile [sowie die Kenntniss der Anordnung aller
dieser Theilchen zu einander in jedem Momente der Entwickelung].
Erst mit der Wiederaus- [412] Scheidung der Theilchen aus dem Orga-
nismus würden wir dieselben vor Erreichung des Oulminationspunktes der
Entwicklung aus unserer Beobachtung entlassen. Dem Anfange derartiger
Betrachtung hätte die Kenntniss der Lagcrungsbeziehung aller Tlieile
des seine Entwicklung beginnenden Eies zu einander vorauszugehen.
Dies wäre die descriptive Definition der vor uns lie-
genden weiteren Aufgabe der Embryologie; kurz gefasst
also: die vollkommene Beschreibung aller, auch der kleinsten
Entwicklungs Vorgänge als Substanzbewegungen der Tlieile des Eies
und der von ihm aufgenonnnenen Tlieile bis zur vollen Entwicklung
des Individuums, gestützt auf die vollkommene Kenntniss der An-
ordnung und äusseren Beschaffenheit jedes kleinsten Theilcliens des
Kinematik und Kinetik der Entwickelung. 3
bofrucliteten Eies: eine „Kinematik der Entwicklung", wenn
wir, wie wohl zu empfehlen ist, uns an Ampere's Eintheilung der
Bewegungslehre anschliessen.
Wenn wir diese Kenntnisse hätten, so würden wir im Stande
sein, die ganze enibrj'onale Entwicklung rein descriptiv darzustellen
und sie somit als eine descriptive Wissenschaft zu behandeln [im
Sinne KiHnniioFF's, welcher die Mechanik als eine beschreibende Wissen-
schaft bezeichnet und behandelt]. Wir werden aber dieses Ziel nicht
nur nie erreichen, sondern auch nicht einmal uns ihm bloss durch
Beobachtung des normalen Geschehens crhebHch viel weiter zu
nähern vermögen, als es bereits geschehen ist. Dies aus dem Grunde,
weil sowohl diejenigen Bew^egungen der Theilchen, welche gruppen-
weise die einzelnen, äusserlich sichtbaren Formwandlungen hervor-
bringen, wie auch die Bewegungen, welche die sogenannten qualita-
tiven Veränderungen hervorbringen, ihrer Hauptsache nach der
directen Beobachtung entzogen sind.
Gleichwohl ist nicht von vornherein zu sagen, dass wir dauernd
auf die Kenntnissnahme von ihnen verzichten müssten, denn es gibt
noch einen andern Weg, sie kennen zu lernen, den des induc-
tiven und deductiven Schliessens auf Grund der Causalität.
Es leuchtet ein, dass die Entwicklungsbewegungen der Theilchen
des seine Entwicklung beginnenden Eies nach dem ersten Momente der
P^ntwicklung. wenn überhaupt, so nur einen kleinsten Zeitraum und eine
minimalste Strecke hindurch selbstständige d. h. rein dem eigenen
Beharrungsvermögen folgende sein werden, dass im nächsten Momente
schon gegenseitige Beeinflussungen stattfinden [4131 müssen, welche
in den dadurch hervorgerufenen Veränderungen eben die Ent-
w i c k 1 u n g darstellen .
Es leuchtet weiterhin ein, dass, wenn wir die gegenseitige
Lagerungsbeziehung aller Theile des Eies im Momente des Entwick-
lungsbeginnes, nebst den Beschleunigungen, die jedem derselben
dabei ertheilt worden sind, und die den Theilchen immanenten Kräfte
selbst kennten, wenn somit alle inneren Ursachen der Entwicklung
eines einzigen Momentes der Entwicklung und Aveiterhin noch alle
von aussen hinzukommenden Componenten während des gan-
1*
4 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
zen Verlaufes der Entwicklung uns bekannt wären , wir daraus die
künftigen Entwicklungsbewegungen aller Theilchen abzuleiten und so
die Lücke der directen Beobachtungen auszufüllen vermöchten. Eine
derartige ursächliche Entwicklungslelire würde den Namen
„Kinetik" der Entwicklung verdienen.
Wir werden keine von beiden so unterschiedenen Wissenschaften
voUendet sehen ; aber wir werden immer beide mit einander zu
pflegen haben, um auf beiden Wegen uns unserem Ziele zu
nähern; der somit nöthigen Vereinigung beider Wissenschaften können
wir den Namen „Eiitwickluiigsiiiechaiiik" des Embryo beilegen.
Es liegt in der Natur der Verhältnisse, dass von den beiden Theilen,
welche dieser Terminus darnach umfasst, die Kinematik, die
bloss descriptive Bewegungslehre, von der Kinetik, der ur-
sächlichen Bewegungslehre [oder der Lehre von den Wirkungen
der Theile auf einander] mehr und mehr in die Rolle einer blossen-
Hilfsvvissensschaft gedrängt werden muss.
Insofern es, abgesehen von der Entwicklung des Eies, der Knospen
etc. noch viele andere Entwicklungsvorgänge gibt und es von Nutzen
sein wird, diese zur Belehrung vergleichsweise mit in Betracht zu ziehen,
so werden wir eine ,,allge meine Entwicklungsmechanik" zu
unterscheiden haben von der speciellen des Embryo, welche den
speci eilen Gegenstand unserer Untersuchungen bilden soll.
Die Eutwicklungsmechanik im allgemeineren Sinne ist, mit
Bevorzugung ihres kinetischen Theiles, als die Wissenschaft von
der Beschaffenheit und den Wirkungen derjenigen Com-
binationen von Energie zu bezeichnen, welche Entwick-
lung hervorbringen.
[414] Unter „Entwicklung'' selber verstehen wir, den Begriff
in seiner gewöhnlichen Bedeutung gefasst, das Entstehen von
wahrnehmbarer Mannigfaltigkeit. In der Wahrnehmbarkeit
der entstehenden Mannigfaltigkeit enthält dieser Begriff ein mensch-
lich subjectives Moment, welches uns bezüglich weiterer Einsicht
nöthigt, ihn selber in zwei verschiedene Theile zu zerlegen: In die
wirkliche Production von M an nigf altigkeit und in die blosse
Neiip Pcfinition der E|Mgeiiosis und Evolution. 5
U 111 1) i 1 (1 u 11 g \'oii 11 i eilt wall rnc li 111 ])a rc r Mu ii iiigl'a 1 1 igkeit
in \v all rii oll iiiliare, sinn eii fällige.
Die so unterschiedenen beiden Arten von Entwicklung stehen
in einem Verhältnisse zu einander, welches an die alten Gegensätze
der Epigenesis und der Evolution erinnert, also an die Alter-
native einer Zeit, in der es die Aufgabe und alleinige Möglichkeit
war. zunächst die geformten Producte der Bildungsvorgänge, die äusser-
lich sichtl)aren Eormwandlungen festzustellen. Bei dieser descriptiven
Untersuchung der formalen Entwicklung trug die Epigenesis, die
successive Bildung neuer Formen den vollkommenen Sieg über die
Evolution, über die blosse Wahrnehmbarwerdung von vornherein vor-
handener Formeneinzelheiten davon.
Bei einem tieferen Eindringen in die Bildungsvorgänge, dessen
die causale Ihitersuchung benöthigt, werden wir indes von neuem
vor diese Alternative gestellt und zugleich veranlasst, sie in einer
tieferen Bedeutung zu erfassen. Wenn hierbei die bisherigen Bezeich-
imngen beibehalten werden sollen, so bedeutet alsdaim .,Epig-«Mjesis'^
nicht bloss die Bildung mannigfacher Formen durch die Kräfte
eines formal einfachen, aber vielleicht in seinem Innern ausser-
ordentlich complicirten Substrates, sondern die Neubildung von
Mannigfaltigkeit im strengsten Sinne, die wirkliche Vermehrung
der bestehenden Verschiedenheiten. ,.Ev(>liitiüii"' dagegen ist hier-
nach das blosse W ah rn eh mb a r w er den pr äexisti ren de r la-
tenter Verschiedenheiten.
Es ist klar, dass nach diesen allgemeineren Definitionen Vor-
gänge, welche der formalen Betrachtung als Epigenesis sich dar-
stellen , in Wirklichkeit vorwiegend oder ausschliesslich Evolutionen
sein können; und wir erkeimen demnach, dass wir bei dem be-
absichtigten tiefern Eindringen in das Ent - [4-15] wick-
lungsgeschehen aufs Neue vor die Frage gestellt wer-
den: Ist die embryonale Entwicklung Epigenesis oder
Evolution [oder Combination beider (siehe Nr. 13, S. 419,
423 u. 428)] 1)?
[1) Dieses wichtige Problem des Antlieils der Evolution und der Epigenesis
an der individuellen Entwicklung wurde später im Sinne der hier gegebenen Defi-
6 Nr. 13. Einleituug zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
Diese beiden Arten der Entwicklung sehen wir in der
anorganischen Natur meist mit einander verbunden vor-
kommen. .Je tiefer wir aber in einen beobachteten Entwickkmgs-
vorgang eindringen, um so mein- erkennen wir in der Regel, dass ein
grosser Th eil dessen, was uns beim ersten Ueberdenken der Be-
obachtung als neugebildete Mannigfaltigkeit erschien, einer
Metamorphose von präexistirenden Verschiedenheiten
seinen Reich thum an sinnenfälliger Mannigfaltigkeit verdankt.
So werden wir zunächst geneigt sein, die Berge und Thäler
unserer Erde rein als im Laufe des Erdgeschehens neu gebildete
Mannigfaltigkeiten aufzufassen; und doch belehrt ein tieferes Nach-
denken, dass in der durch Abkühlung zuerst erstarrten Erdkruste
bei weiterer i\.bkühlung und Verkleinerung des Erdinnern und der
dadurch bedingten Stauung der harten Rinde in sich selbst Sprünge
und Einstülpungen, als die ersten Anlagen von Berg- und Thalbildung,
immer nur an den Stellen jeweilig vorhandenen geringsten Wider-
standes entstehen konnten, ebenso wie in späterer Zeit ceteris paribus
Erosionsthäler an den Stellen geringsten Widerstandes gegen die
lösende und mechanische Kraft des Wassers [ausser an den Stellen
stärkerer Einwirkung solcher Kräfte] sich bilden mussten. Es waren
also als Vorbedingungen so reicher Berg- und Thalbildung schon
zahlreiche Ungleichheiten in der Erdrinde vorhanden, welche ihrer-
seits weiterhin von Ungleichheiten in der Zusammensetzung der Erde
zur Zeit der Erstarrung abhängig waren ; und diese wiederum müssen
von Verschiedenheiten in der Bewegung, Wärme oder Mischung der
Theile schon zu Zeiten herstammen, in denen wdr uns mit Kant und
LArLACE das Weltall noch als ein in Bewegung befindliches Gasgemisch
vorstellen.
nitionen ausführlich theoretisch behandelt von A. Weismann mit dem Ergebpiss der
fast reinen Evolution (s. das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung 1892) und von
0. Hertvvig mit dem Ergcbniss der fast reinen Epigenesis (Aeltcre und neuere Ent-
wicklungstheorien 1892 ; Präformation oder Epigenesis? 1894), während mir ein an-
nähernd gleicher Antheil beider Principien richtiger zu sein schien, trotz der von mir
(Nr. 22) nachgewiesenen Selbstdiffenzirung der vier ersten Furchungszellen ;
neben dem Antheil letzterer wurde von mir stets auch auf den Antheil differen-
zirender Correlationen hingewiesen (s. Nr. 18 S. 477 u. f.). wie entgegen irr-
thümlicher Unterstellungen bemerkt sei (s. Nr. 26 S. 52, Nr. 27, Nr. 28 und :31).J ■
Metamorphose von Mannigfaltigkeit.
l''l)(,'nso w(M"(l(Mi wir iiielit annolmu'ii dürfen, dass die liocli-
gradige Mannigi'altigkeit feiner Rel ief verseli iedenhei ten die
auf der Brueli fläche irgend eines von uns erzeugten scheinbar
homogenen Gebildes, sei es z. B. der gebrochenen Achse einer Locomo-
tive oder eines zersprungenen Fernrohrobjectives sich darbietet, allein
derjenigen Kraft, welche die Zusamraenhangstrennung bewirkt hat,
ihre Entstehung verdankt ; denn diese feinen Verschiedenheiten folgen
nicht den Richtungen stärkster [416] Kraftvertheilung. Die Ab-
weichungen von diesen letzteren finden vielmehr ihre Ursache in Un-
gleichheiten der Spannungen zwischen den einzelnen Theilen, welche
ihrerseits wieder von ursprünglichen Verschiedenheiten des Materiales
oder der Bewegung und Abkühlung seiner Theile herrühren.
Aus dieser Einsicht ist indes nicht zu folgern, dass in letzter
Instanz alle Mannigfaltigkeit, welche wir wahrnehmen, bei genügend
tiefem Eindringen unserer Erkenntniss sich blos als Metamorphose
schon vorhanden gewesener Verschiedenheiten als Evolution erweisen
würde. Im Gegentheil, es gibt Arten der wirklichen Neuer-
zeugung, Epigenesis unzählbarer Verschiedenheiten aus
wenigen einfachen Bedingungen.
Nehmen wir z. B. an, es gäbe ein Stück nach allen Richtungen
hin vollkommen isotroper Substanz, und es wäre möglich gewesen,
eine Billardkugel daraus zu drehen , ohne die elastische Isotropie zu
stören, so würde doch der erste Stoss schon diese (Tleichheit für immer
vernichten, sofern das Material nicht zugleich auch absolut vollkommene
Elasticität besässe. Könnten wir diese Kugel nach dem einen Stosse
in eine Macerationsfiüssigkeit legen, welche alle Theile ungleicher
Dichtigkeit von einander löste ohne den Zusammenhang gleich dichter
Theile zu alteriren , so würde dieselbe in eine unzählbar grosse An-
zahl um den x-Vnstosspunkt geordneter Schalen zerlegt werden und
uns so augenfällig das unermessliche epigenetische Schaffens-
vermögen der Natur demonstriren.
Um letzteres in Wirklichkeit zu thun, Ijrauchen wir nur die
äquipotentialen Linien eines von zwei Punkten aus durch eine ge-
eignete Metallplatte geleiteten elektrischen Stromes sich selber dar-
stellen zu lassen, oder einem Magneten durch Ueber-ihn-Halten einer
•yo.
8 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embr
mit Eisenpfeilspänen bestreuten Glasplatte unter leichter Erschütte-
rung derselben r4elegenheit zu geben, Faradey's magnetische Kraft-
curven zu bilden, oder noch einfacher einen Tropfen farbiger Flüssig-
keit in ein Glas ruhenden Wassers fallen zu lassen ^).
Um weiter in die Probleme der Entwicklung eindringen zu
können, müssen wir weiterhin die Evolution, die Umwandlung
verborgener Mannigfaltigkeit in wahrnehmbare durch Ana'
lyse objectiviren und sie so ihres subjectiven Charakters entkleiden.
[417] In Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit unserer Sinne,
in deren Wahrnehmnngsbereich die Vorgänge fallen sollen, speciell
in Anknüpfung an das Gesichtsorgan, mit welchem wir l:)is jetzt allein
die Entwicklung der uns später beschäftigenden Gebilde zu beobachten
vermögen, kann das Wahr nehm bar wer den beruhen: Erstens
auf einem einfachen Grösserwerden, unter vollkommener Er-
haltung aller Proportionen, also auf gleichmässigem Wachsthum nach
allen Richtungen hin, wie es z. B. bei der Krystallbildung, wohl nie
aber im organischen Geschehen rein vorkommt.
Zweitens kann die nicht wahrnehmbare Mannigfaltigkeit, ohne
Aenderung ihr später wahrgenommenen räumlichen Dimensionen,
in ihrer Natur derart verändert werden, dass sich ihre bisher
unsichtbar ungleichen Theile nunmehr auch gegen das Licht also
gegen die Form von Energie ungleich verhalten, welche die Be-
ziehungen zwischen der Aussenwelt und unserem Auge vermittelt.
Dies kann z. B. bei der unsichtbaren Schrift eines mit gelöstem
Cabaltchlorür geschriebenen Briefes durch Erwärmen desselben ge-
schehen . da dadurch das farblose Hvdrat des Salzes sein Wasser
[') Sind die Bedingungen zur Produktion dieser Mannigfaltigkeit in verschie-
denen Fällen ganz dieselben, also typische, so muss auch die producirte
Mannigfaltigkeit in diesen Fällen die gleiche, also typische, werden,
so wie es bei den Nachkommen eines Elternpaares der Hauptsache nach auch der
Fall ist. Es ist aber infolge des steten Wechsels der äusseren Verhältnisse sehr
schwer, künstlich ganz die gleichen Bedingungen herzustellen. Soweit solche
typische Epigenese bei der individuellen Entwickelung vorkommt, müssen daher ganz
besondere feste und wohl auch noch durch Selbstregulationsmechanismen
soweit als nöthig in ihrer Constanz besonders gesicherte Erzeugungsbedingungen vor-
handen sein; ist dies aber der Fall, dann kann auch unendlich viel typische
Mannigfaltigkeit auf diese Weise hervorgebracht werden, wie ich
entgegen Wkismann vertrete.]
Combinatioii von Evolution und Epigenesis.
verlier! und dabei eine blaue Farbe anninnnt; oder dasselbe findet
statt, wenn der Photograph das nocli unsichtbare T-)ild auf der ex-
ponirten Platte durch Uebergiessen derselben mit gelöstem schwefel-
sauren Eisenoxydul wahrnehmbar macht und so, wie er sagt: ,, ent-
wickelt". Dasselbe geschieht seitens des Mikroskopikers täglich, indem
er optisch von ihrer Umgebung nicht differenzirten Gewebebestand -
theilen nach J. Gehlach's Methode durch 'Einlegen des ganzen Gewebes
in Farbstofflösungen Gelegenheit gibt, ihre eventuellen chemischen
Verschiedenheiten in einer sichtbar werdenden Weise zu bethätigen.
Oder indem wir die unsichtbaren ultrarothen oder ultraviolleten Strahlen
des Spectrums durch die Phosphorescenz des Schwefelcalciums resp.
durch die Fluorescenz des schwefelsauren Chinins in sichtbare Strahlen
verwandeln. Um eines der oben schon erwähnten Beispiele heran-
zuziehen, so wurde der Einblick in die verborgene Mannigfaltigkeit
des Inneren der Locomotivenachse dadurch gewonnen, dass deren
Festigkeit durch äussere Krafteinwirkung über ihre Grösse in An-
spruch genommen wurde, wodurch an den Stellen geringster Festig-
keit eine Continuitätstrennung stattfand, die uns in der Formenmannig-
faltigkeit der [418] Bruchfläche einen Theil der vorhanden gewesenen
Mannigfaltigkeit ungleicher innerer Kraftwirkungen oiäienbarte.
Drittens können diese beiden Arten: das Wahrnehmbarwerden
durch einfache Vergrösserung und dasjenige durch Umänderung der
Natur der Verschiedenheiten, mit einander vereinigt vorkommen.
Dies z. B. wenn die Schwingungen einer Stimmgabel durch Reflexion
eines Flammenbildes unter Benutzung eines rotirenden Spiegels an
der Wand vergrössert sichtbar gemacht werden. Das vergrösserte
Bild der Schwingungen wird dabei zugleicli durch den rotirenden
Spiegel in der Rotationsrichtung auseinandergezogen und so defor-
mirt. Die Deformation kann dabei je nach der Einrichtung des
Apparates unabhängig von der Gesammtvergrösserung des Schwin-
gungsbildes stattfinden, oder beide können untrennbar mit einander
verbunden sein. Letzteres ist vielleicht bei mehreren Evolutions-
vorgängen der embryonalen Entwicklung der Fall, z. B. wenn ein Ge-
misch mit ungleicher Wachsthumsfähigkeit begabter Theile
Gelegenheit erhält, diese Ungleichheit zu bethätigen [wie
10 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
z. B. eine Kngel von Brodteig, dem aber an verscliiedenen Stellen
verschiedene Mengen von Hefe zugesetzt war, wenn sie in die nöthige
Wärme kommt]; hierbei werden die Theiie mit Nothwendigkeit ihre
relative Lagerung zu einander ändern müssen und auch bei ur-
sprünglich einfachster Gestalt des Ganzen eine Mannigfaltigkeit äusserer
Formen produciren [welche um so grösser wird je länger diese Be-
thätigung andauert]. Und es ist weiterhin anzunehmen, dass die im
Wechsel der Bewegung und im Wechsel der Substanz fortwährend
neu erzeugten typischen Anordnungen der Atome und Moleküle der
organisirten Gebilde, welche ich als Metastructuren (siehe Nr. 17
S. 19) bezeichnet habe, auch bloss unter gleichzeitiger Metamorphose
dieser Anordnung ins Grosse sich umzul)ilden oder umgebildet zu
werden vermögen.
Ausser der Metamorphose, welche die Wahrnehmbarwerdung
hervorbringt, verdient noch die Metamorphose schon wahrnehm-
barer Mannigfaltigkeit der Erwähnung. Derartige Verwandlungen
würden nach der oben gegebenen Definition der Entwicklung von
uns nur insoweit zu berücksichtigen sein, als sie zugleich auch mit
Vermehrung der Mannigfaltigkeit verbunden sind. Doch wie schon
hierin der Sprachgebrauch nicht sehr streng geschieden hat, so
werden auch wir Veranlassmig haben, diesen von R. Virchow als
Metaplasie bezeichneten Vorgang soweit er in der embryonalen
[419] Entwicklung vorkommt, mit in den Bereich unserer Untersuch-
ungen zu ziehen.
Ebenso wie die Unterarten der Evolution, die einfache Ver-
grösserung und die Metamorphose, sind auch andererseits die Evo-
lution selber und die Epigenesis oft untrennbar mit ein-
ander verbunden. So auch in den oben angegebenen Beispielen
der Epigenese. Wir werden uns dies an einer eingeworfenen Fenster-
scheibe leicht vorstellen können ; die radiären und die concentrischen
Sprünge stellen in den Linien stärkster Kraftwirkung die neu produ-
cirte Mannigfaltigkeit dar, und die Reliefverschiedenheiten auf den
Sprungflächen selber bekunden uns wiederum die ungleichen inneren
Zustände, welche vorher schon in der Scheibe präexistirten.
Es könnte daher erspriesslich sein, zunächst ganz allgemein
Drei Arten von Entwickelnngsmechanik. 11
drei Arten von Entwieklungsmeclianik ans/Ai])il(leii : die Mechanik
der Neubildnng von Mannit2;raltigkeii, die Mechanik der
Metamorpliose von bloss zu ersclüiessenden Verschiedenheiten in
wahrnehmbare, und die Mechanik der Verknüpfung beider
primären Typen. Wir werden später Gelegenheit nehmen müssen,
uns einen etwas eingehenderen Einblick in diese Gebiete zu ver-
schaffen, als es durch die vorstehende kurze Erörterung geschehen
ist, da sich die Vorgänge, welche unsere Specialaufgabe
bilden, aus dem Zusammenwirken aller drei zusammen-
setzen.
Wenn wir diese Specialaufgabe von vornherein unter den Ge-
sichtspunkt des SpiNozA-KANT'schen Begriffes ,, Mechanismus" gebracht
haben, so geschah diese Praesumption in der Voraussicht, dass bei
dem materiellen Ablaufe der Entwicklungs Vorgänge des Embryo
nichts Metaphysisches in Betracht zu kommen habe, dass diese Vor-
gänge durchaus ein dem Gesetze der Gausalität unterstehendes Ge-
schehen darstellen. Auf solche Voraussicht allein kann sich auch
unser Unterfangen gründen, dieselben erforschen zu wollen. Ich
habe diese Voraussicht nicht einfach aus unserer gegenwärtigen Welt-
auffassung entnounnen , sondern ich habe es mir Jahre der Ueber-
legung kosten lassen, den Möglichkeiten nachzuspüren, wie aus einem
relativ oder scheinbar Einfachen ohne entsprechende gestaltende Ein-
wirkung von aussen ein so complicirtes und typisch geformtes Ge
bilde hervorgehen kann, wie etwa das Hühnchen aus dem [420] Eie.
Diese Mühe war, vom Standpunkte der Wissenschaft aus betrachtet,
überflüssig, da diese Fragen bereits von den Philosophen eingehends
und am vollkommensten wohl von Hermann Lotze ') behandelt worden
waren. Es ist hier ein Gebiet, wo der Naturforscher zunächst beim
Philosophen in die Lehre zu gelien hat, wenn er seine Kraft nicht
an die Erringung von schon Bekanntem verschwenden will; und ich
1) H. LoTZK, Allgemeine Physiologie des körperlichen Lebens 1851, Buch 2,
Cap. III. Ein ausführliches Excerpt findet sich bei A. Raubkr (Formbildung und
Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren 1880 S. 52 — 58), welcher seinen
eigenen, meiner Auflassung nach leider oft verirrten causalen Untersuchungen eine
sorgfältige Zusammenstellung der ersten Keime gleicher Bestrebungen in der älteren
Literatur vorausgeschickt hat, worauf hier verwiesen wird.
12 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmeclianik des Embryo.
kann nicht o-enuo- den Genossen p-leicben Strebens anrathen , die be-
züglichen Schriften eingehends zai studiren. Aber da es uns nicht,
wie dena Philosophen auf diesem Gebiete, bloss um allgemeine Möglich-
keiten, sondern um thatsächliche Wahrheiten zai thun ist, so Averden
wir uns andererseits auch sorgfältig vor der üeberschätzung des
empirischen Werthes dieser philosophischen Betrachtungen zu hüten
und sie bloss als heuristische Principien für unsere mühsamen exacten
Einzelforschungen zu benützen haben. Obgleich ich somit, objectiv
betrachtet, Kraft vergeudet habe, indem ich mir all das, was von
dieser Seite her bereits errungen war, aufs neue selbständig erarbeitete,
so will ich diese Arbeit doch nicht für ganz verloren erachten. Es
war mir einmal eine hohe Genugthuung zu sehen , dass ich oft bis
ins Einzelnste hinein zu ganz denselben Resultaten, ja sogar zur Ver-
wendung derselben Gleichnisse gekommen war als H. Lotze; anderer-
seits aber hoffe ich, dass mein von vornherein auf die empirische
Prüfung der gewonnenen Einsichten gerichtetes Streben mich hat
Wege einschlagen lassen, welche sich für diesen Zweck mehr eignen
als die des Philosophen, welcher die Probleme, vom Standpunkte
unseres Zweckes aus betrachtet, bald zu eng, bald auf lange Zeit
hinaus zu weit gefasst hat. Und ich erkenne einen Nutzen schon
darin, dass, während Lotze bezüglich der speciellen Erkenntniss der
Entwicklungsvorgänge fast ganz resignirt, ich, wenn ich nicht irre,
aus der grossen Anzahl auftauchender Probleme dasjenige einfachste
derselben herausgehoben [421] habe, welches, mit den empirischen
Mitteln unserer Zeit für sich lösbar, mit seiner Lösung zugleich ent-
weder den Zugang zur Lösung vieler weiterer Probleme eröffnet oder
wenigstens dieselben gegen einander abzugrenzen gestattet und so
vielleicht der gesonderten Behandlung zugänglicher macht.
Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, dass trotz des
Lichtes, welches durch die Decendenzlehre auf die jeweiligen ge-
formten Resultate der Entwicklungsvorgänge in jeder Phase der-
selben gefallen ist, diese Vorgänge selber einer speciellen causalen
Untersuchung bedürfen. Niemand wird den Nutzen der eventuellen
Früchte darauf gerichteter Untersuchungen in Zweifel ziehen. Gehen
diese doch darauf aus, uns diejenigen Kräfte und Wirkungsweisen
Oraanisuien ohne Kntwicklune. 13
kennen zu lehren, denen wir die Entstehung und Erhaltung unserer
eigenen Existenz verdanken und mit deren Erkenntniss auch unser
ärztliches Handeln ein in viel höherem Maasse wissenschaftliches und
daher erspriesslicheres werden wird.
Man wird nur bezweifeln können, ob gegenwärtig schon Resul-
tate mit diesen Bemühungen zu erzielen sein werden; jetzt, wo be-
züglich so fundamentaler Fragen, wie der formalen Bildung des
mittleren Keimblattes noch die widerstreitendsten Ansichten vertreten
werden; jetzt schon, da wir nicht nur nicht die Eigenschaften des
Keimplasmas, sondern nicht einmal die wesentlichen Eigenschaften
der organisirten Substanz überliaupt kennen.
Der letztere dieser Einwände wird dadurch vor der Hand beseitigt,
dass es niederste organische Wesen gibt, die keine individuelle
Entwicklung durchmachen, sondern, wenn sie eben durch Th eil-
ung selbständig geworden sind, schon die Grenze ihrer structurellen Aus-
bildung erreicht haben.
Daraus erkennen wir, dass die individuelle ,, Entwicklung"
nicht eine nothwendige Folge der Lebensprocesse an sich
ist, dass sie also etwas zu diesem geheimnissvollen Grund-
stock des Lebens Hinzugekommenes ist, welches daher viel-
leicht auch eine Strecke weit mit Erfolg verfolgt werden kann, ohne
dass zuvor eine tiefere Einsicht in diese Grundlage selber gewonnen
worden ist.
So bleiben uns zunächst die I]igenschaften unbekannt, denen
das Keimplasma seine Entwicklungsfähigkeit verdankt, und die Vor-
gänge der Entwicklung selber. Diese aber, welche der descriptiven
[422] Erforschung des normalen Bildungsgeschehens unzugänglich ge-
blieben sind, sollen es gerade sein, welche durch unsere andersartige
Inangriffnahme allmählich ihr Wesen zu enthüllen gezwungen werden.
Die Methode dieser Forschungen wird nicht eine technisch
bestimmte, einheitliche sein können, wie z. B. die Methode der Färbung
successiver Querschnitte oder der Reinculturen , welche gegenwärtig-
ganze Forschungsgebiete beherrschen ; sondern es werden fast mit
jeder neuen Aufgabe neue Methoden, zumeist experimentellen Charakters
zu erfinden sein. Die einzige universelle Methode unserer
14 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwicklungsmechanik des Embryo.
Forschungen kann, wie ich schon anderwärts ausgeführt habe
[siehe unten Seite 23], nur das causale, also ,, analytische" Denken
abgeben. Dieses aber muss nothwendig einer solchen i^rbeit voraus-
gehen, wenn sie nicht auf Abwege führen und nach der Ausbeutung
eines vielleicht zufällig gemachten Fundes stehen bleiben, sondern
stetig weiter führen soll. Nachdem ich mich dieser analytischen
Arbeit unterzogen habe, liegt eine gewisse Versuchung darin, die
theoretischen Ergebnisse derselben schon jetzt mitzutheilen ; und ich
würde ihr vielleicht nachgeben, wenn ich nicht wüsste, dass der Mehr-
zahl der P^achgenossen weniger an der Erkenntniss selber, als
blos an den mit ihrer Hilfe gewonnenen neuen concreten Kennt-
nissen gelegen ist. Daher werde ich mich begnügen, den
Leser successive, mit den greifbaren Früchten zugleich,
von d en Ergebnissen der Analyse zu unterrichten (s. Nr. 28).
Diese letztere zeigte viele causale Fragen auf, welche der ex-
perimentellen Methode schon jetzt zugänglich sind. Fast alle aber
führten im Weiterverfolgen zu einer und derselben grossen Vorfrage,
zu einer Alternative, von welcher aus die causale Auf-
fassung fast aller Bildungsvorgänge in zwei wesentlich ver-
schiedene Bahnen gelenkt wird. Dies ist die Frage: Ist die Ent-
wicklung des ganzen befruchteten Eies resp. einzelner
Theile desselben „Selbstdiff erenzirung" dieser Gebilde
resp. Theile oder das Product von ,, Wechselwirkungen mit
ihrer Umgebung''? Eventuell, welches ist der Antheil jeder
dieser beiden Differenzirungsarten in jeder Entwick-
lungsphase des ganzen Eies und seiner einzelnen Theile?
[423] In der Beantwortung dieser Frage liegt meiner
Einsicht nach der Schlüssel zur causalen Erkenntniss
der embryonalen Entwicklung.
Diese Fragestellung wird vielleicht zunächst befremden, da es
,,Selbstdif ferenzirung im Sinne der x4,enderung des Be-
wegungszustandes eines einzelnen Körpers ohne äussere
Einwirkung zufolge des Galilei 'sehen Beharrungsgesetzes nicht
geben ka nn.
Selbstdifferenzirung, abhängige Differenzirung. 15
Wir verstehen daher das Wort Selbstdifferenzirung-^) in einem
hesonderen, zweierlei Unterbedeutunoen unrfassenden Sinne. Einmal
bedentet es, dass die damit bezeichnete Veränderung einer Summe
von materiellen Theilen in gegenseitiger Lage, in Bevvegungszustand
oder sonstiger Besehaifenheit entweder rein zufolge der dieser Summe
eigenen Energie, also ohne Aufnahme äusserer Energie vor sich geht,
oder zweitens, im Falle zu der \"eränderung Aufnahme von Energie
nothig ist, dass die aufgenommene Energie nicht die specifische
Natur der mit ihrer Hülfe vorsieh gehenden Veränderung bestimmt.
Somit bedeutet Selbstdifferenzirung eines ,,Systemes"
von Theilen, dass entweder die Veränderung in ihrer
Totalität, oder doch die „specifische Natur" der vor sich
gehenden Veränderung durch die Energien des Systemes
selber bestimmt wird.
Da jede Wirkung vom Einen auf ein Anderes immer eine Wechsel-
wirkung ist, so wollen wir das Gegentheil der Selbstdifferenzirung,
die Differenzirung durch äussere Einwirkung als correlative [oder
abhängige] Differenzirung-) bezeichnen und unter ihr also verstehen
die Veränderung ,, einer der Betrachtung unterworfenen Summe ma-
terieller Theile" durch Aufnahme oder Abgabe von Energie, sofern
die specifische Natur der Veränderung durch diese zuge-
führte oder abgegebene Energie bestimmt wird, einerlei
ob bei der Veränderung die eigene Energie des Systems mitwirkt
oder nicht.
Die aufgestellte Distinction ist, wie man sieht, keine rein dyna-
mische, da sie sich nicht wesentlich auf die Aufnahme oder Abgabe
von Energie gründet, sondern bloss darauf ausgeht, den ,,Sitz" der-
jenigen AI terations Ursachen eines in seiner Veränderung
betrachteten ,,Systems" [424] zu bezeichnen, welche die speci-
fische Natur dieser Veränderung bestimmen [s. Nr. 18 S. 482,
Nr. 27 S. 281. Nr. 28 S. 617].
Diese Einschränkung wnrd sich in den Abhandlungen, w^elche
auf den in obiger Fragestellung bezeichneten nächsten Zweck ge-
[1) Differcntiatio sui, s. Nr. 28 S. 664].
[^) Differentiatio ex alio, .s. Nr. 28 S. 604].
16 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik de.s P^mbryo.
richtet sind, als praktisch nützhch erweisen. Die auf sie gegründeten
Bezeichnungen werden aber auch dann noch brauclibar bleiben, wenn
wir, nach Gewinnung der Hauptübersicht von diesem Standpunkte
aus, die Probleme in ihrer physikalischen Totalität zu erfassen und
die Uebertragungen und Transformationen von Energie bei jedem
einzelnen Entwicklungs vorgange genau festzustellen streben, sofern
ihnen dann nur die nöthigen weiteren Unterscheidungsmerkmale bei-
gefügt werden. Wir werden dann eine vollkommene^) und eine
unvollkommene Selbstdifferenzirung unterscheiden, letztere
wieder in zwei Unterarten getrennt, je nachdem bei der Selbstditferenz
Energie aufgenommen oder abgegeben werden muss; die abhängige
Differenzirung hat als Unterart noch die passive D ifferenzirung
zu erhalten. [Genaueres siehe Nr. 28 S. 665.]
Bezüglich ,, bestimmter Theile" des Eies oder des Embryo können
wir also fragen, ob ihre Entwicklung Selbstdifferenzirung oder ab-
hängige Differenzirung ist.
Statt aber so die Gebiete von vornherein willkürlich räumlich
zu umgrenzen und nach der inneren oder äusseren Lage ihrer
Differenzirungsursachen zu forschen , können wir auch umgekehrt
die Systeme ursächlich abgrenzen, derart, dass jedes System
alle zu einem Dift'erenzirungs v o'^r g a n g e beitragenden Ursachen um-
fasst; darnach fällt die obige Alternative aus und die Aufgabe wird:
die Gewinnung der Topographie der zusammenwirkenden
Differenzirungsursachen für jeden einzelnen Entwick-
lungsvorgang. Aus dem Vergleiche dieser Topographie der
Ursachen mit der Topographie des von ihnen geschaffenen
Diff enzirungsproductes würde dann die obige Alternative von
selber ihre Lösung hnden.
Jeder Forscher, der sich eingehend mit Entwicklungsmechanik
befassen wird, wird linden, dass er bei der causalen Beurtheilung
jedes sichtbaren Entwicklungsgeschehens immer wieder
zunächst auf diese Frage stösst; und keine specieU e Unter-
[') Ganz vollkommene Selbstditferenziruni; eines (jebildes kann es, wie oben
(S. 14) schon erwähnt, nicht geben; denn mindestens muss die Auslösung, der erste
Anstoss, wie z. B. das Anzünden eines complicirten Feuerwerkes, von aussen kommen.]
Selbstdittcroiiziruiii;- des guiizeji Eies. 17
suchiiug, welche wir auf diesem Gebiete vornehmen können, kann
uns wirklichen [-1:25] causalcn Aufschluss geben, wenn sie
nicht wenigstens bis zur Ijösung dieser Frage in Bezug
auf den untersuchten \'organg fortgeführt worden ist.
Wenn aber im Laufe der nächsten Jahre durch Lösung einer grösseren
Anzahl derartiger Einzelfragen der Wirkungsumfang jeder dieser beiden
Principien annähernd festgestellt ist, dann werden wir schon tief ein-
gedrungen sein in den jetzt noch geschlossen vor uns liegenden Com-
plex unbekannter, eng untereinander verketteter Probleme.
Die Frage, ob die Entwicklung des befruchteten E i e s , im Ganzen
betrachtet, Selbstdifferenzirung ist, oder ob zum normalen Ablaufe
der Entwicklung directe differenzirende Einwirkungen von der Aussen-
welt nöthig sind, ist durch den bereits publicirten Beitrag 11 [Nr. 19]
bezüglich der formalen Entwicklung des Froscheies im Sinne der
Selbstdifferenzirung entschieden. Denn es zeigte sich, dass keine
der regelmässig vorhandenen Kraftformen , weder die Schwere , noch
der Erdmagnetismus, noch Licht- und Wärraestrahlen, in constanten
oder vielleicht in bestimmter Weise wechselnden Richtungen für
den normalen Ablauf der Entwicklung noth wendig sind^); Kräfte
aber, welche in beliebig wecliselnden oder vom Zufall ab-
hängigen Richtungen auf ein Gebilde wirken, können nicht
im Stande sein, eine bestimmte ,, typische" Gestaltung an
ihm „hervorzubringen." Ist so erkannt, dass die typische for:
i) Dieses Resultat wurde durch laugsame Umdrehung der Eier in einer
vertiealen Ebene während der ersten Tage der Entwicklung gewonnen. E. Pflüger
hat es in seiner jüngsten Publication (Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 34) für ange-
messen gehalten, diese Widerlegung seiner Auffassung von der noth wendigen ge-
staltenden Wirkung der Schwerkraft für die normale Entwicklung unerwähnt zu lassen
und sich dagegen zur Stütze dieser Auffassung auf A. Rauber zu berufen, welcher
gleichfalls Eier hat rotiren lassen. Räuber hat aber erstens die Eier in einer wag-
rechten Ebene rotiren lassen, so dass die Schwerkraft gar nicht in jedem Momente
in anderer Richtung auf das Ei wirkte; zweitens hat er die Scheibe sich stets so
schnell drehen lassen, dass die Centrifugalkraft auf die Eier einstellend wirkte und
also selbst, wenn er, wie er irrthümlicherweise angibt, die richtende Wirkung der
Schwerkraft auf diese Weise ganz hätte aufheben können, doch eine andere Kraft
constant richtend auf das Ei wirkte. Somit lassen Rauber's Versuche gar keinen
Schluss über die Entwicklung bei Aufhebung jeder richtenden äusseren Einwirkung
zu; während die meinigen direct beweisen, dass bei Aufhebung jeder richtenden
äusseren Einwirkung die Entwicklung normal vor sich gehen kann.
W. RouX; Gesammelte Abhandlungen.il. 2
18 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmeclianik des Embryo.
male [426] Entwicklung des Eies im Ganzen als Selbst-
diff erenzirung zu bezeiclineu ist, .so folgt aber nocli
nicht daraus, dass Licht und AVärme nicht vielleicht als Vor-
bedingungen der Entwicklung überhaupt unerlässlich not big sein
könnten , oder dass nicht die Seh w e r k r a f t einen f o r male n
Einfluss auf die Entwicklung auszuüben vermöchte.
Vielmehr sprechen bekanntlich die Thatsachen dafür, dass die Wärme
diejenige Energie ist, deren Zufuhr den Eiern mancher Thiere wde
den Samen der Pflanzen erst (he Gelegenheit gibt, ihre Innern Un-
gleichheiten in Wachsthum und qualitativer Veränderung zu be-
thätigen, ähnhch wie leise Erschütterungen der mit Feilspänen be-
streuten Glasplatte erst dem darunter gehaltenen Magnete Gelegenheit
verschafften, die Eisentheilchen längs der Kraftlinien zu ordnen. Und
ebenso lassen Froscheier, welche entgegen der umkehrenden Tendenz
der Schwerkraft durch Zwangslage mit dem weissen Pole nach
oben erhalten werden, häufig Missbil düngen hervorgehen.
Die f^rkenntniss , dass die typische formale Entwicklung des
Froscheies im Ganzen als Selbstdifferenzirung aufzufassen ist, gibt
unserer zunächst vorzugsweise auf das Morphologische der Entwick-
lung gerichteten Untersuchung eine sehr angenehme Umgrenzung
dadurch, dass wir die ,, typisch" gestaltenden Kräfte bloss im
b e f r u c h t e t e n E i s e 1 b e r z u s u c h e n h a b e n. [Eine Einschränkung
siehe Nr. 22, S. 114.]
Nach Gewinnung dieser Einsicht ist nun weiterhin die Fi-age
zu behandeln, ob, eventuell wie weit einzelne ,,T heile"
des u n g e f u r c h t e n and gefurchten Eies, der B 1 a s -
tula, Gastrula etc. sich gleichfalls aus sich selber
zu d i f f e r e n z i r e n vermögen, oder ob ihre Entwick-
lung nur unter dif f er enzir enden Correlationen vieler
oder aller Theile vor sich gehen kann. In der Behandlung
dieser Aufgabe werden sich meine nächsten bezüglichen Untersuch-
ungen mit Ansichten und Bestrebungen von Pander ^) , His ^), Köl-
') Chr. H. Pander, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im
Ei. Würzburg 1817 S. 40 und Isis 1818 S. 524.
^) VV. His, Unsere Kör^jerform und das physiologische Problem ihrer Ent-
stehung 1874.
Differenzirungsarten der Eithöile. 19
LiKEPx^), Panim-) u. A. [427J boi;-ogiicii; uud die expe riineniolle
Methode wird Fragen zu einer Entscheidung bringen, welche mit
der descriptiven jNhHliode vergeblich gesucht worden ist.
Der Ausfall der Antwort über unsere Alternative wii'd tui- (Vw
Auffassung mehrerer fundamentaler Fragen von bestiimiicuder Be-
deutung sein.
Es erhellt /Auiächst, dass, wenn viele Theile des P]ies sich rein
aus den eigenen, in ihnen liegenden Kräften differenziren , und auf
diese Weise die spätere grosse Mannigfaltigkeit entsteht, dass alsdann
das Ei schon von vornherein aus vielen verschiedenen Theilen
zusammengesetzt sein muss, dass die Entwicklung also wesent-
lich Metamorphose von Mannigfaltigkeit, Evolution in un-
serem Sinne ist trotz der formalen Epigenesis C. F. Wolff's ;
ferner dass bei der Furchung, welche das Material nicht bloss zer-
kleinert, sondern wesentlich zugleich auch in gewissem Masse fest
localisirt, diese differenten Materialien zugleich in einer der späteren
Entwicklung entsprechenden Weise geordnet werden müssen, was
nur durch bestimmte qualitative Sonderung bei der Zelltheilung
in der nach einem typischen Schema verlaufenden Furchung mög-
lich erscheint. Damit werden die causalen Bedingungen der Ent-
wicklung vorzugsweise in das Moleculargeschehen verlegt und ent-
ziehen sich vorderhand grossentheils unserer w^eiteren Erforschung.
Das ganze gefurchte Ei ist alsdann vielleicht bloss die Summe
dieser selbständigen Theile, und es ündet während der Periode
dieser selbständigen Differenzirung der Theile kein ein-
heitliches Zusammenwirken zu einem Ganzen statt; daher
kann auch das Ganze keinen regulirenden, gestaltendenEin-
fluss auf die Theile ausüben. VV. His' Princip der ,, organbildenden
Keimbezirke" erhält dann neben seiner descriptiven zugleich auch
eine einfache causale Bedeutung und lässt sich in dieser Bedeutung
zurück bis auf das eben befruchtete, zum Tlieil auch noch auf das
1) A. KöLLiKER, Entwicklungsgesctiichte de.s Menschen und der höheren Thiere
1879 2. Aufl. S. 349 u. f.
-) P. L. Panum, Beiträge zur Kenntniss der physiologischen Bedeutung der
angeborenen Missbildungen. Virch. Arch. 1878 Bd. 72.
2*
20 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
unbefruchtete Ei ausdehnen. Die Doppelbildungen müssen zur
Zeit der ersten Furchen schon angelegt werden.
Wenn dagegen die Entwicklung wesentlich durch Wechsel-
wirkung vieler oder aller Theile vor sich geht, so braucht
umgekehrt das befruchtete Ei nur aus wenigen verschiedenen
Th eilen [428] zu bestehen, welche durch wechselndes Zusannnen-
wirken nach und nach grosse Coniplicationen schaffen. Die Entwick-
lung ist dann wesentlich Production von Mannigfaltigkeit,
Epigenesis in unserem Sinne. Es findet ein wechselseitiges Zu-
sammenwirken der Theile zu einem Ganzen statt, wobei ein regu-
lir ender Einfluss von dem Ganzen auf die Theile rück-
wärts ausgeübt werden kann; und uns ist in der Feststellung dieser
Correlationen ein reiches Feld mit den Mitteln der Zeit in angriff-
nehmbarer Forschung gegeben. His' Princip der organljildenden
Keimbezirke hat dagegen dann nur insofern eine causale Bedeutung,
als es die Orte der Resultantenbildung mannigfacher Wechselwirkungen
bezeichnet und es ist von nur untergeordnetem Werthe, diese Orte
schon vor der Zeit des Eintrittes dieser Wirkungen auf das noch in-
differente Keimmaterial des ungetheilten oder unbefruchteten Eies
zurück zu projiciren. Die Doppelbildungen können alsdann viel,
leicht noch zu einer Zeit angelegt werden, in welcher durch Correla-
tion die Differenzirung der Achsenorgane stattfindet.
Desgleichen wird unsere Auffassung von dem speciellen Wesen
der Befruchtung und von der Art der An th eil nähme des
Samens und des Eies an der Bildung des Embryo, sowie
rückwärts folgernd auch die Auffassung des speciellen Mecha-
nismus der Vererbung von dem Ausfall der Antwort auf diese
Frage bestimmt werden; und wir köimen über diese Probleme wohl
überhaupt nur von diesem Punkte aus allmählich eine gewisse
Sicherheit erlangen.
Schliesslich aber können S e 1 b s t d i f f e r e n z i r u n g und a b-
h ängige Differenzirung der Theile und damit Evolution
und Epigenesis sich wie im organischen Geschehen in mannig-
fachem Zusammenwirken combiniren, [eine Art des Ge-
schehens, welclie ich als „gemischte Differeuzirung'S diff erentiatio
Methodik der causalen Morphologie. 21
mixta bezeichnen will. s. Nr. 28 S. 605)] ; und es wird dann unsere
Aufgabe sein, bei der Deutung- unserer Beobachtungen doppelte Vor-
sicht und doppelten Scharfsinn aufzuweisen, um die Antheile jedes
beider Principien richtig von einander zu sondern.
Möge mir in dem Streben nach dieser und weiterer Erkenntniss
ein langes fruchtbringendes Wirken vergönnt sein.
[Dieser Einleitung seien einige in gewisser Hinsicht ergänzende
Worte angeschlossen, die ich einem früheren Referat (Breslauer ärztliche
Zeitschrift, 1883, Nr. 15, Seite 164 u. f.) über das bedeutende Werk
WiLH. Müller's: Die Massenverhältnisse des menschlichen Herzens
(Hamburg 1883) vorausgeschickt habe:
,,Es ist eine gegenwärtig unter den Aerzten verbreitete und nicht
selten geäusserte Auffassung, dass die menschliche Anatomie
eine im Wesentlichen fertige Wissenschaft sei, welche auch
bereits in dem Lehrbuche von Henle ihre codifich^ende Darstellung
gefunden habe. Danach bestehe die Aufgabe des anatomischen Lehrers
zur Zeit und in Zukunft wesentlich bloss noch darin, diesen Codex
sorgfältig zu memoriren und den Zuhörern zu reproduciren ; und mit
dem Aufhören der Erwerbung und Verbreitung eigener wissenschaft-
licher Ansichten komme dem Lehrer der menschlichen Anatomie nur
mehr noch die Rolle eines Schullehrers zu. Weitere wissenschaftliche
Bereicherungen seien ausser auf dem Gebiete der Structur des C^entral-
Nervensystems nur in sehr geringem und vorwiegend von der Yer-
vollkommnung der mikroskopischen Technik abhängigem Maasse mög-
lich, und der Anatom müsste, um überhaupt forschend thätig zu sein,
sich nothwendig den Thieren zuwenden.
Die Vertreter dieser sicher nicht von tiefster Einsicht zeugenden
Auffassung wird es befremden, wenn ich ihnen entgegen die Be-
hauptung ausspreche: Die menschliche Anatomie ist^ gegen-
wärtig gerade so weit gefördert, um ihrem Vertreter zu gestatten,
gestützt auf das vorliegende reiche descriptive Kenntnissmaterial dieser
am besten gekannten Species, von höheren Gesichtspunkten aus die
Untersuchung des Menschen mit Aussicht auf eine reiche
22 Nr. 13. Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
Ernte noch einmal von Grund ans beginnen zu können. Nach
annähernder Erschöpfung der rein descriptiven Methode, ferner des bis-
her nur innerlialb eines beschränkten Aussichtskreises verwertheten phy-
siologischen Gesichtspunktes und nach einem Uel^erblick vom verglei-
chenden Standpunkte aus sind wir wohl genügend mit Vorkenntnissen
ausgerüstet, um mit einiger Aussicht auf Erfolg nach dem alle
anderen überschauenden causalen Gesichtspunkte empor-
zustreben, von welchem aus nicht bloss mannigfache neueThat-
sachen zu erkeimen sein werden, welche von den anderen Gesichts-
punkten aus nicht wahrnehmbar waren, sondern von welchem aus
auch noch ein Einblick in das wirkliche morphogenetische
Geschehen an sich, in das Zusammenwirken der die normalen
Formen gestaltenden Kräfte gewonnen werden kann. Mit solcher
Kenntniss der Gausalzusammenhänge werden wir von der
.,Kenntniss" des Thatsäch liehen zur ,,Erkenntniss" desselben
fortschreiten und dadurch nicht nur unserem Intellecte eine höhere
Befriedigung gewähren und dem Lernenden die Arbeit interessanter
und leichter machen ; sondern der Anatom wird zugleich in den Stand
gesetzt werden, auch der Pathologie manche neue Anregung zu geben
und manchen tieferen Einl)lick in das Wesen der pathologischen
N^orgänee zu o-estatten, welchen" für das ärztliche Handeln und für
den Erfolg desselben bestimmend sein wird.
Schon sind in dem letzten Decennium einige Früchte dieser
neuen Untersuchungs weise zu verzeichnen gewesen. Die Ausübung
dieser causalen Forschung ist keineswegs an eine Vervollkomm-
nung der technischen Methodik gebunden. Im Gegentheil, manche
der älteren Methoden wird dabei wieder zu Ehren kommen, und die
gegenwärtig das allgemeine Interesse beherrschende Farben schale in
Verbindung mit dem Microtom sinken zu Hilfsmitteln neben vielen
anderen herab; sie stehen gleichwerthig neben Pincettc und Scallpell,
neben Scheere und Schraubstock, neben Waage und Maassstab, und
zu diesen werden sich noch Volumenometer und Aräometer, Gonio-
meter und Planimeter, Glühtiegel und Bürette und andere Instrumente
aus den Laboratorien des Physikers und Ghemikers zu gesellen haben.
Die Universal metho de des causalen Anatomen wird ebenso-
Methodik der causalen Morphologie. 23
wenig die Anwendung des Messers wie des Farbstoffes oder des
Miiasses, sondern einzig die (leistesunatomie, das analytisclie,
cansale Denken sein.
Die formbildenden Ursachen des Organismus sind uns zur
Zeit noch grösstentheils unbekannt. Zu den im Principe bereits am läng-
sten bekannten forml)ildenden Ursaclien gehört die Function, die Voll-
ziehung der Function. So alt aber hier die Kenntniss der Thatsache
im Allgemeinen ist, so verhältnissmässig gering ist die Kenntniss der
speciellen Thatsachen und so neu ist die Kenntniss der Art, wie ihre
zweckmässig gestaltenden Wirkungen sich vollziehen. Unsere speciellen
Kenntnisse dieser ,, gestaltenden Wirkung der Function" oder der
functionellen Anpassung strebt die obenstehend mit ihrem Titel
bezeichnete Arbeit zu vermehren; und ich hoffe durch Skizzirung der
reichen Resultate derselben den Leser zu überzeugen, dass in der
That die Anatomie auch unsere ,, Kenntnisse" noch wesentlich be-
reichern kann, selbst schon bei weitergehender resp. causaler An-
wendung des an sich nicht neuen functionellen Gesichtspunktes, und
dass demnach die Anfangs citirte Ansicht von dem Fertigsein der
menschlichen Anatomie nicht die Präsumtion der Richtigkeit er-
heben darf.
Das Thema der vorliegenden Arbeit ist eines der häufigst be-
arbeiteten; und kaum wohl hätte man erwartet, durch eine erneute
Untersuchung viel Neues zu erfahren. Da ausser dem Sujet auch
die technische Methode der Untersuchung nicht von den früher ver-
wandten Älethoden abweicht, so muss die Gewinnung der neuen Resul-
tate von dem, was der Autor von sich aus hinzu thun kann, abhängig
gewesen sein. Dies ist in der That der Fall. Unermüdlicher, jahre-
lang auf dasselbe Thema verwandter Fleiss, kritische Schärfe in der
AVahl und Verwerthung des Materials sowie in der Erörterung der
Ergebnisse, besonders aber eine dem Beginne der Arbeit voraus-
gehende, bis in die letzten bekannten Componenten fort-
gesetzte Analyse sind die Factoren, welchen wir die Bereicherung
unseres Wissens durch die vorliegende Arbeit zu danken haben."]
Nr. 14.
Die Entwieklungsmeehanik der Organismen,
eine anatomisclie Wissenschaft der Zukunft.
Festrede
gehalten in Anwesenheit Seiner Excellenz des Herrn Unterrichtsniiuisters
Dr. Gautsch von Frankenthurn
. zur Feier der Eröffnung
des
neuen k. k. a n;iiom is ch en Institutes zu Innsbruck
am 12. November 1889.
1 nli A 1 t.
Seite
Bisherige Richtungen der Anatomie s. Morpliologic 26
1. beschreibende 26
2. physiologische 26
3. entwickelungsgeschichtliche 26
4. vergleichende 27
Die ursächliche Richtung oder Entwicklungsmochanik der Organismen . . 27
Methoden derselben 29
1. descriptive • ■ 30
2. vergleichende . 30
3. Benutzung der Varietäten 31
4. experimentelle 32
Analytisches Experiment 32
Causale Analyse der Leistungen :
1. der Zellen 33
physikalische Erklärungen 33
Nachahmung der C o p u 1 a t i o n der U e s c h 1 e c h t s k e r n e . 34
2. der höheren Organismen 35
Bisherige Richtungen der Anatomie. 25
Seite
Formale Analyse 37
Ermittelung des Ortes, der Zeit der Ursachen -^^
Ermittelung „beständiger WirkungsAveisen" 39
Ursache der „Einheitlichkeit" des Organismus 40
Morphologische Selhstrogulation: Regeneration, Postgene-
ration 41
Compensatorische Hypertrophie nicht fungirender Orgaue .... 43
Nutzen der Pathologie für die causale Morphologie 44
Nutzen der causalen Morphologie der Organismen 47
z. B. für die Orthopädie 48
für die bisherigen Richtungen der Anatomie 51
Euere Excelleiiz!
Ho chan sehn liehe Fe st Versammlung!
Da mir durch Euere Excellenz der ehrenvolle Auftrag geworden
ist, dieses neue anatomische Institut zu leiten und heute vor einer so
erlesenen Versammlung zu eröffnen, so sei es mir gestattet, dies mit
der Besprechung einer Wissenschaft zu thun, welche neben und mit
dem Unterrichte hi diesem Baue gepflegt werden soll , da ich ent-
schlossen bin, meine schwache Kraft ihrer Förderung zu widmen.
Freilich ist diese Wissenschaft, von der ich sprechen werde, in
keinem Stücke dieserfi in Anlage und Ausführung gleich vollendeten
Baue zu vergleichen ; denn sie ist nicht nur nicht vollendet oder der
Vollendung nahe, sondern es fehlt zu ihr überhaupt noch der Bau-
plan; und was wir von ihr zur Zeit haben, ist nicht viel mehr als
eine Anzahl regellos gelagerter, zum Theil behauener, zum Theil auch
noch unbehauener Steine. Nur wenige der bisherigen Bauarbeiter
haben mehrere Steine zu diesem Baue geliefert, und noch wenigere
sich bemüht, sie in zu einander passender Weise zu ordnen. Aber
der grösste unter uns in Vergangenheit, Gegenwart und weiter Zu-
kunft, Carl Erxst v. Baer, hat ihr bereits das Ziel vorbestimmt, und
dadurch zugleich Directiven über die Fundirung und Anlage des
Baues gegeben.
Sie erkennen daraus, dass es eine Wissenschaft der Zukunft ist,
von der ich zu sprechen beabsichtige; diese Wissenschaft ist die
Entwickluno-smechanik der Oroanismen.
26 Nr. 14. Festrede.
Die Anatomie, als die Lehre von den Gestaltungen der
Organismen, wird gegenwärtig in vier verschiedenen Weisen be-
handelt, die nach und nach aufgetreten sind.
Schon im Alterthum suchte man die Theile, welche den mensch-
lichen, resp. thierischen Organismus zusammensetzen, in ihrer Be-
schaffenheit kennen zu lernen. Solches Streben führte [-t] zur be-
schreibenden Richtung in der Anatomie. Diese Richtung lehrt
uns auf dem Wege einfacher Formbeschreibung die Gestaltverhält-
nisse aller (Organe des Organismus, zeigt uns die Structurverhältnisse
derselben und den Aufbau des ganzen (_)rganismus aus den einzelnen
Organen. Der Umfang des Stoffes dieser Disciplin ist zur Zeit be-
reits ein ausserordentlich grosser, kaum mehr von einem einzigen
Menschen zu bewältigender; trotzdem ist sie selbst noch lange nicht
ihrer Vollendung nahe.
Der Trieb des Menschen, den Zweck, resp. den Nutzen jeder
Naturbildung zu erkennen, führte in seiner Anwendung auf den
Organisnms schon früh zu der Frage nach dem Nutzen jedes
Organes und später des Weiteren nach dem Nutzen jedes Formver-
hältnisses der Organe; und diese letztere Frage in ihrer steten Wieder-
holung und Beantwortung führte zur Ausbildung der sogenannten
physiologischen Richtung der Anatomie. Sie schliesst sich an
die Physiologie, an die Lehre von den Verrichtungen der Organe an;
und sie war es, die zuerst und in hohem Masse das Material der be-
schreibenden Richtung belebte.
Diese beiden ältesten Richtungen der anatomischen Wissenschaft
waren bis in das vorige Jahrhundert die vorzugsweise gepflegten;
und doch blieb auf dieser Stufe der Kenntniss eine B^^age, die früh-
zeitig jedem denkenden Menschen sich darstellt, unbeantwortet: die
Frage nach der Entsteh ungs weise dieses so complicirt und zweck-
mässig gebauten Organismus.
Unser Jahrhundert hat mit grossem Fleisse das früher in dieser
Beziehung Vernaclüässigte nachgeholt , und es ist gegenwärtig für
uns ein hoher intellectueller Genuss, zu selien, wie z. B. ein so
äusserst verwickelt gebautes Gebilde, wie das menschliche Gehirn,
sich nach und nach aus einer oanz einfachen Anlage von zuerst
Bisherige Richtungen der Anatomie. 27
drei, dann fünf unt einander eomninnicirenden Blasen hervorbildet;
und die Schwierigkeit, eine Uebersieht über den sehliessliehen Fornien-
reiehthinn zu gewinnen, ist durch die Kenntniss der Entwicklungs-
geschichte ausserordentlich erleichtert.
Endlieli hat dieses Jahrhundert noch eine Richtung in hohem
Maasse weitergebildet, die vergleichend anatomische, welche die
bezüglichen Bildungen bei den Thieren aufsucht und neuerdings unter
der Annahme einer genetischen Beziehung manches Licht auf die
l'\>rmverhältnisse der höherer Organismen , ganz besonders auf die
bei diesen vorhandenen rudimentären , nicht mehr fungirenden Or-
gane wirft.
Wenn wir uns nun in (Jedanken in eine zukünftige Zeit ver-
setzen, in der diese vier zünftigen Richtungen am Ziele [5] der Voll-
endung angelangt sein werden, also in eine Zeit, in der alle typischen
Theile und Structurverhältnisse des Menschen bis zum kleinsten, mit
(Jen vervollkommnetsten optischen Hilfsmitteln wahrnehmbaren Ge-
bilde und ihre normalen Variationen fehlerlos beschrieben wären, in
der wir z. B. alle typisch gelagerten Ganglienzellen und Nerven-
bahnen des Gehirns und Rückenmarkes genau kennten , in der wir
ferner den speciellen Nutzen jedes dieser zahllosen Formgebilde er-
kannt und auch die Entstehungsweise dieser fast unendlichen Mannig-
faltigkeit von Einzelbildungen erforscht hätten, und in der auch die
vergleichende Methode ihr Material vollkommen erschöpft hat: Würde
sich dann unser Wissenstrieb bezüglich der organischen Formen-
bildungen befriedigt fühlen? Wäre die aus diesen vier Richtungen
gebildete Morphologie der Organismen dann etwas Vollendetes?
Es könnte so scheinen! Und wohl werden viele gegenwärtige
Forscher diese Ansicht vertreten.
Doch ich muss sagen: „Nein." Denn noch fehlt uns ein grosser
Theil, um nicht zu sagen der beste Theil des zur vollen Erkenutniss
nöthigen Wissens, es fehlt die Kemitniss der directen Ursachen
des Entstehens dieser Gebilde.
Das jedem Menschen, wenn auch den Einzelnen in sehr ver-
schiedenem Masse angeborene Causahtätsbedürfniss wird durch die
vergleichende Anatomie nur zum Theil befriedigt.
I
28 Nr. 14. Festrede.
Soweit auch die theoretischen Grundlagen dieser Wissenschaft
richtig sind, so werden wir durch sie besten Falles doch blos er-
fahren, welcher Vorgeschichte das Ei und der Samenkörper ihre
gestaltenden Eigenschaften verdanken; aber diese selbst bleiben uns
in ihrer Beschaffenheit und in ihren Wirkungsweisen vollkommen
unbekannt.
Wir wissen sodann noch nicht, welche Kräfte im befruchteten
Ei vorhanden sind, und in welcher Anordnung sie sich befinden,
dass sie es vermögen, die Entwicklung des Individuums einzuleiten;
wir wissen nicht, welche Kraftcombinationen im weiteren Verlaufe
die Entwicklung bewirken; kurz, wir wissen nicht, warum aus dem
einfach geformten Ei ein hoch complicirter, typisch gebauter Organis-
mus hervorgeht, und warum der auf diese Weise ausgebildete Organis-
mus trotz stetigen Wechsels des Stoffes lange Zeit sich relativ unver-
ändert zu erhalten vermag.
Erst wenn wir auch diese Fragen richtig beantwortet hätten,
wenn wir zu den Thatsachen der vier erstgenannten Richtungen also
noch die Kenntniss hinzugefügt hätten, welchen Kräften und welchen
Wirkungsweisen dieser Kräfte jedes Stadium der Entwicklung des
Individuums und schliesslich jedes einzelne Organ in Gestalt, Structur,
Qualität, Lage und [6] Verbindung seine Entstehung und weiterhin
seine Erhaltung verdankt, dann würden wir am Ziele unserer bezüg-
lichen Erkenntniss sein und sagen können: Die Morphologie in
unserem Sinne ist fertig, die vollkommene Kenntniss und Erkennt-
niss der normalen Formenbildung der Organismen ist erreicht.
Aber Jeder, der die causalen Wissenschaften kennt, weiss, dass
sie nie das Stadium der Vollendung erreichen, da jede neue Kennt-
niss von Ursachen neue Fragen nach den Ursachen dieser Ursachen
gebiert. Und auch wenn wir von den letzten Ursachen ganz absehen,
so ist es doch fraglich, ob wir das von Carl Ernst v. Baer gesteckte
Ziel: „Die bildenden Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen
Kräfte oder Lebensrichtungen des Weltganzen zurückzuführen" ^), je
1) Carl Ernst v. Baer, Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiore. Beobacht-
ung und Reflexion. Theil I, 1828, p. 22.
Metboden der Entwickelungsmechanik. 29
erreichen wei'den, vorausgesetzt, dass die zu Urunde liegende Auf-
fassung überhaupt vollkommen riehtig ist.
Doch nicht der Besitz der vollen Erkenntniss , sondern das
erfolgreiche stetige Streben nach Erkenntniss ist es, was uns Be-
friedigung gewährt.
Diejenige Wissenschaft, welche uns diese ursächliche Er-
kenntniss der organischen Gestaltung mehr und mehr ge-
währen soll, verdient den Namen: Entwicklungsmechanik der
Organismen und nach dem Principe: a potiori fit denominatio, darf
diese Bezeichnung auch auf die Erhaltungsmechanik des bereits
Gebildeten, als auf einen gleichsam statischen Fall der ersteren aus-
gedehnt werden.
Auf welchem Wege aber sollen die Aufgaben dieser Wissen-
schaft gelöst, ja nur mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen
werden? Wissen wir doch, dass jede Entwicklungsstufe des Organis-
mus aus hundert- oder tausendfachen ^'leichzeitigen Wirkungen sich
zusammensetzt, und dass das primäre Geschehen dabei immer ein
moleculares , also ein innerhalb unsichtbar kleiner Theile sich voll-
ziehendes ist; dass die für uns sichtbaren Vorgänge erst aus
zahllosen solchen Einzelvorgängen sich integriren.
Wenn wir die Entstehung eines künstlichen Gebildes, z. B.
eines Gebäudes, beobachten, so schliessen wir aus den beobachteten
Vorgängen sofort auf die Ursachen des Geschehens; wir sehen die
Steine fortgetragen und zurechtgelegt durch die Arbeiter, diese er-
kennen wir als in ihrem Thun geleitet durch die Anordnungen des
Maurermeisters und dieser handelt nach den Befehlen und dem Plane
des Baumeisters.
[7] Aber wie sollen wir im sich entwickelnden Organismus
die ursächlichen Verhältnisse erkennen, wo jeder mikroskopisch
kleine Baustein zugleich Bauarbeiter und innerhalb eines
gewissen Bereiches wahrscheinlich auch Bauleiter ist?
(*) Die Ursachen der organischen Gestaltungen sind uns gegen-
wärtig weit weniger bekannt, als die Ursachen der Bewegung der
*) Die in Parenthese gesetzten Theile wurden wegen Zeitmangels nicht ge-
sprochen.
30 Nr. 14. Festrede.
Himmelskörper der Menschheit vor Newton. Und der zukünftige
Newton der Bewegungen der den Organismus aufbauenden
Theile wird wohl nicht in der glücklichen Lage sein, diese Be-
wegungen blos auf drei Gesetze und zwei Komponenten zurückführen
zu können. Und trotz unserer organischen CJliemie sind wir über die
lebensthätigen Immediatbestandtheile und ihre Eigenschaften nicht
mehr orientirt, als die Alchymisten über die anorganischen Körper
und deren Eigenschaften.
Auf welchem Wege sollen wir nun die Kenntniss der Ursachen
der Entwicklungsvorgänge gewinnen V
Zunächst wurde auch zur Lösung dieser Aufgabe der Weg der
einfachen, aber möglichst genauen Beobachtung des nor-
malen Geschehens eingeschlagen, und mit Hilfe des inductiven
und deductiven Schliessens wurde aus dem Beobachteten mancher
ursächliche Zusammenhang abgeleitet. BALForrt , Eu. v. Beneden,
VON Ebner, Waldeyek, Welsmann, Rauber, KLEiNEXBERr;, Strasser, Al. Götte,
(j. Schwalbe u. A. , vor Allen aber Wilh. His haben sich dieser
Methode mit Erfolg bedient; und letzterem Autor verdanken wir eine
ganze Reihe wichtiger ursächlicher Ableitungen. Doch ist nicht zu
verkennen, dass die Anwendbarkeit dieser Methode für ursächliche
Ableitungen eine sehr beschränkte ist, und dass die auf diese
Weise gewonnenen Schlüsse vielfach nicht die für so fundamen-
tale Fragen wünschenswerthe Sicherheit darbieten. Es gibt in
jedem einzelnen Falle eine ganze Reihe von Möghchkeiten , und oft
keine sicheren Argumente für die Auswahl blos einer einzigen von
diesen; demi das dabei verwendete Argument, dass das Einfachste
auch das Wahrscheinlichste sei, lässt uns hier oft im Stich, schon
deshalb, weil wir die organischen Gestaltungsprincipien vielfach nicht
genügend kennen, um zu verstehen, was für sie das P^infachste sei
(s. Nr. 18, S. 506—515).
[8] Und selbst die Benützung der ,,v ergleichen den" Be-
trachtung von Verschiedenheiten der normalen Entwick-
lung bei einander nahestehenden Thierclassen vermag uns,
meiner Meinung nach, nicht vollkommene Sicherheit über die
Ursachen dieser Verschiedenheiten zu geben, auch Avenn bei ,, Varia-
Analytisches Experiment. 31
tionen" eines Factors ein anderer Factor wiederliolt in derselben Weise
geändert sich zeigt. So schien selbst einer der besten der mit dieser
Methode abgeleiteten Schlüsse noch zweifelhaft, nämlicli die Deutung
Balfoür's^), dass die blos partielle Theilung (Furch ung) der
nahrungsdotterreichen Eier verschiedener Wirbelthiere : der Haifische,
Knochenfische und ^"ögel in der Art durch die grosse Menge des
aufgespeicherten Dotters bedingt sei, dass der Bildungsdotter und
damit die theilenden Kräfte für diese Menge quantitativ zu gering
seien. Denn im normalen gegenwärtigen Geschehen ist Alles durch
Jahrmillionen lange Verbesserung so eingerichtet, dass es vollkommen
dem Bedürfniss genügt ; und wenn ein Bedürfniss zur Durchtheilung
vorhanden gewesen wäre, würden sicher auch die Kräfte dazu nicht
fehlen.
Man könnte umgekehrt die ^''ermuthung hegen, die anfängliche
Furchung blos eines Theiles des Dotters sei direct functionell bedingt,
indem eine weitere Zerlegung zunächst nicht nöthig, vielleicht sogar
störend für den Ablauf der ersten Entwicklungsvorgänge wäre.
Sicherer führt uns schon die ursächliche Deutung des Zusammen-
hanges stets zusammen vorkommender ,, Varietäten" der Ent-
wicklung des Individuums. Wenn z. B., wie bereits in mehreren
Fällen sich gezeigt hat, beim Fehlen des langen Kopfes des Musculus
biceps brachii stets auch der Sulcus intertubercularis, in welchem die
Sehne dieses Kopfes normaler Weise liegt, fehlt, so werden wir mit
Sicherheit auf eine ursächliche Beziehung zwischen beiden Bildungen
schliessen dürfen; und schon unsere heutige geringe entwicklungs-
mechanische Einsieht lässt uns des Weiteren folgern, dass nicht die
Sehne fehlt, weil ihre Verlaufsfurche nicht angelegt ist, sondern dass
der Causalnexus der umgekehrte sein muss.
Durch die Verwerthung solcher Vorkommnisse hat auch die
vorstehend erwähnte Deutung Balb'our's ein höheres Maass von Wahr-
scheinlichkeit gewonnen; indem ich nämlich, allerdings erst in einigen
Fällen, beobachtete, dass beim Froschei, welches normaler Weise
der totalen Furchung unterliegt, im Falle abnorm grosser Einlagerung
1) Francis M. Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Deutsch
von B. Vetter 1880. Bd. I, p. 98 und 104.
32 Nr. 14. Festrede.
von Nahrungs- [9] dotier, an Riesen eiern vom Achtfachen des
normalen Voknnens zunächst l)los theilweise Zerlegmig (partielle
Furchung) eintrat.
Doch der Haupt weg, der uns zu sicherer Erkemitniss der Ur-
sachen führt, ist der des Experimentes, dieses grossen Hilfsmittels
des Menschen, mit dem er die Natur zwingt, auf seine Fragen Ant-
wort zu geben, und dem er die riesenhaften Fortschritte in der Er-
kenntniss der Natur und in der Dienstbarmachung ihrer Kräfte ver-
dankt.
Aber das Experimentiren an sich gibt noch nicht die Gewähr,
dass wir dadurch vorwärts schreiten in der Erkenntniss, ebensowenig
als die zahllosen, Jahrhunderte lang fortgesetzten Experimente der
Alchemisten uns in der Erkenntniss der Natur wesentlich gefördert
haben. Der rasche P'ortschritt der Chemie seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts, ebenso wie schon vorher derjenige der Physik beruhten
auf einer l)esonderen Art des Experimentes, auf dem analytischen
Experimente; und um dieses anstellen zu können, rauss ihm das
analytische Denken vorausgegangen sein.
Bei der somit für die Lösung unserer Aufgabe nöthigen Analyse
werden wir einmal "an die bereits vorliegenden analytischen Ergeb-
nisse der Biologie anknüpfen müssen, vor Allem an die morphologisch -
physiologische Zerlegung der Organismen in Zellen und deren Haupt-
bestandtheile : als Zelheib, Zellkern und eventuell Centrosoma.
Wir wissen jetzt, dass unser individuelles Leben als Ganzes sich,
ähnlich dem Leben eines Staates, zusammengesetzt aus dem Leben
vieler, nach Hensen etwa 30 Billionen ^) einzelner, selbstlebender Lidi-
viduen, der sogenannten Zellen; wobei jedoch im Organismus die Staats-
bürger zumeist nicht das Recht der Freizügigkeit geniessen, sondern
grösstentheils an die Scholle, d. h. zwischen ihre Nachbarschaft ge-
bannt sind.
Indem die causale Forschung an die Leistungen dieser uns zu-
sammensetzenden Elementar Organismen anknüpft, können zwei
verschiedene Wege eingeschlagen werden.
1) Victor Hensen, Die Naturwissenschaft im Universitätsvevbaiirl. Kiel
1887, p. 6.
Nacliahnuing der Copulation der Geschlechtskerne. 33
Einmal köniu'n wir die allgenieiiu'ii gestultcMiden Eigen-
schaften, also Eeistungen der einzelnen Zelle zu erklären, also
auf bereits bekannte Kraftformen und deren Wirkungsweisen zurück-
zuführen suchen. Damit ist bereits begonnen worden; sowohl be-
züglich der Zellen innerhalb höherer, besonders pflanzlicher Organis-
men, wie auch an niederen, blos aus einer einzigen Zelle bestehen-
den Lebewesen.
[lOj Bezüglich der Erklärung gestaltender Vorgänge an nieder-
sten Lebewesen haben wir z. B. den Untersuchungen Berthold's.
Errera's und neuerdings O. Bütschli's sowde des Physikers G. Quincke
wichtige Fortschritte zu verdanken. Letztere zeigten, dass die gewöhn-
lich fih' automatisch gehaltenen Bewegungen einzelner, freilebender
Zellen ausseroj'dentlieh ähnlich sind den Bewegungen, die man an
Flüssigkeitstropfen unter Umständen beobachten kann, wie sie auch
au diesei] Lebewesen wohl als vorhanden annehmbar sind ; und es
gelang ihnen, auf Grund der Experimente eine Theorie für diese Art
der mannigfachen Be^vegungserschcinungen aufzustellen^).
Solche Bestrebungen sind ausserordentlich lehrreich und die st)
gewonnenen Ergebnisse sind unerlässlich nöthige Vorstufen weiterer
Erkenntniss.
Gleichwohl glaube ich aber nicht, dass sie uns bereits so nahe
an die wirklichen Ursachen der bezüglichen organischen ^''or-
gänge herangeführt haben, als mehrfacli angenommen wird.
Die äusserliclie Ue})ereinstimmung zweier Erscheinungen darf
uns noch nicht verführen, auch eine Uebereinstimmung ihrer Ursachen
anzunehmen, besonders nicht auf dem Gebiete des Organischen, wo
die Verhältnisse so complicirte sind, dass wir sie noch nicht annähernd
zu überblicken vermögen. Wie ähnlich, l)is in sehr feine Formen-
verhältnisse hinein sind die Verzweigungen der Blutgefässe mit den
Verästelungen der Bäume ; und doch sind die ersteren , wie ich ge-
zeigt habe (s. Nr, 1 u. 2), durch Anpassung an die Kräfte der in den
Blutgefässen strömenden Flüssigkeit bedingt, während die anderen
auf statischen Grundlagen beruhende Erscheinungen darstellen.
1) G. Quincke, üeber Protoplasmabewegung. „Biologisches Centralbl." . 1888,
S 499—506 und 0. Bütschi,!, Ueber die Structur des Protoplasma's, 1889.
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. ]I. '^
34 Nr. 14. Festrede.
Auch mir ist es schon vor Jahren gehingen, einen räthselhafteu
vitalen Vorgang scheinbar nachzuahmen, wie ich bei dieser Gelegen-
heit mittheilen will.
Es ist räthselhal't, wodurch bei der Befruchtung des Eies die
beiden Träger der Vererbungsstoffe, der sehr kleine Samenkern und
der etwas grössere Eikern sich innerhalb der grossen Dotter-
masse des Eies zusammenfinden; während diese beiden Kerne sich
einander nähern, ist sehr ausgeprägt der männliche, in noch zweifelhafter
Weise der weibliche Kern^) [11] von einem Kranz radiär geordneter
Theilchen umgeben. Wenn man nun experimenti causa auf eine grosse
Schale mit trüber gesättigter wässeriger Carbolsäurelösung zwei Tropfen
gefärbten C'hloroforms fallen lässt, so entwickelt sich um jeden Tropfen
sowohl auf der Oberfläche der Flüssigkeit wie tief in die letztere hinein
eine radiäre Strahlung; und sobald diese beiden Zonen sich be-
rührt haben, bewegen sicli die Tropfen, auch aus einer Entfernung
von mehreren Centimetern , geraden Weges mit stetig zunehmender
Geschwindigkeit gegen einander, um sich mit grosser Gewalt zu ver-
einigen. Der kleinere Tropfen legt dabei den grösseren Weg zurück,
gleich dem kleineren männlichen Kern im Ei. Nimmt man nicht
ganz gesättigte Garbollösung und für den grösseren Tropfen statt
Chloroform Benzol, so entwickelt sich um diesen Tropfen ein schwacher
Strahlenkranz und die Erscheinungen werden damit der geschlecht-
liehen Copulation noch ähnlicher.
Man könnte wohl versucht sein, auf Grund dieser Ueberein-
stimmung der Erscheinungen und des Effectes dieses Ex-
perimentes mit dem Copulationsphänomen der Geschlechts-
kerne zu glauben, das Copulationsproblem der Befruchtung wäre
1) Ich habe einige Male Andeutungen davon im mikrotomirten Froschei, wäh-
rend der männliche Kern .schon auf der zweiten Strecke seines Weges, auf der von
mir sogenannten „Copulationsbahn" begriffen war, wahrgenommen. Da nach dem
mitgetheilten Experiment auch eine nur schwache Existenz dieses Strahlenkranzes
um den weiblichen Kern zu dieser Zeit vielleicht von Wichtigkeit für den Mechanis-
mus der Copulation sein kann, so i.st es wünschenswerth, die Thatsachen an günstigeren
Objekten noch einmal genau darauf zu prüfen, zumal da der Strahlenkranz im Falle
vielmal geringerer Entwicklung als am Spermakern und als vorher bei der Eireifung
auch dem besten Beobachter hätte entgangen sein können. [Die neuere Literatur
dieser Asteren siehe in Ch. S. Minot, Lehrbuch d. Eutwickelungsgesch. d. Menschen.
Deutsch von Kaestner, Leipzig 1894, S. 119.J
Nachahmung der Copnlation der Geschlechtskerne. 35
durch dieses [in seinen Wirkungsweisen scheinbar leicht verstcändUche]
Experiment gleichfalls mechanisch gelöst. Doch bei genauerem Ueber-
legen erkennen wir, dass dieser künstliche Copulationsvorgang nicht nur
mit anderen Stoffen, sondern unter Mithilfe einer Wirkungsweise sich
voHzieht, für welche im Ei keine Gelegenheit gegeben sein kann,
denn er beruht zum Theil auf der Ausbreitung der rasch sich bil-
denden Dämpfe des Chloroforms, resp. Benzols ^).
Man könnte der Ansicht sein, um methodisch vorzugehen, müsste
die Forschung durchaus mit den einfachsten Lebewesen
beginnen: und man dürfte nicht eher in der ursächlichen Erforsch-
ung der höheren Organismen weitergehen, ehe wir nicht im Haupt-
sächlichen die Räthsel der Entstehung, Gestaltung imd Erhaltung der
scheinbar einfachen Gebilde, der einzelnen Zellen, gelöst hätten.
Alsdann wäre diese wichtige und uns so nöthige Erforschung
der Ursachen der Lebensvorgänge auf lange Zeit, vielleicht auf
immer in die Hände der Protistenforscher und der Botaniker p-elest;
und zumal wirMediciner müssten uns begnügen, abwartend zuzusehen.
Dies wäre aber durchaus unangemessen. Im Gegentheil sind
mannigfache ursächliche Verhältnisse des Aufbaues eines
höheren Organismus aus Summen solcher niederster Or-
ganismen viel leichter zu ermitteln, als die LTrsachen der
Grundvorgänge an letzteren.
Die freilebenden niedersten Organismen entbehren ja
1) Wenn man den zweiten Tropfen Chloroform nur über die Oberfläche der
Schale hält, nähert sich ihm der auf letzterer schwimmende Tropfen ad maximuni,
stellt sich also senkrecht unter ihn, sobald die von den Dämpfen des freien Tropfens
auf der Oberfläche der Carbollösuntc gebildete Wirkungssphäre diejenige des schwim-
menden Tropfens berührt hat. Bei öfterer Wiederholung des Versuches mit derselbe)!
Carbolsäurelösung wird der Vorgang allmählich schwächer und hört schliesslich auf:
ein Zeichen, dass dieser Lösung durch die Bildung von ümsetzungsprodukten die
(besonders in alter, gestandener Carbolsäurelösung reichlich vorhandenen) zu obiger
Wirkung nöthigen Stoffe entzogen werden. Ebenso erschöpft sich die Wirk-
samkeit desselben Chloroformtropfens. .Je dünner die Carbolsäurelösung, um so schAvächer
sind die geschilderten Wirkungen, und bei einem gewissen Grad der Verdünnung sind
.sie nicht mehr wahrnehmbar: [alles Beweise, dass diese Wirkung nicht bloss ein physi-
kalisches Oberflächenphänomen ist]. Bringt man den Chloroformtropfen unter die Ober-
fläche, auf den Boden des Gefässes, so bleibt die Wirkung auf die Berührungsfläche
beider Tropfen beschränkt, es findet keine radiäre Strömung in einer grösseren Flüssig-
keitsmasse statt.
3*
36 Nr. 14. Festrede.
der Fähigkeit, zum Aufbaue höherer Orgauismen zusammen-
zuwirken; also ist diese Fähigkeit etwas Besonderes und da-
her auch für sieh Erforschbares. Ausserdem ist in den höheren
Organismen eine weitgehende SpeciaHsirung der Zellen ausgebildet:
vielfach sind Zellengruppen auf Kosten der Vielseitigkeit der einzelnen
Zellindividuen nach je einer Richtung zu besonderen Leistungen
entwickelt. Wir finden daher in den höheren Organismen nach
mancher Richtung hin [z. B. bei den differenzirten und daher
weniger vielseitig leistungsfähigen Geweben oder in Folge der ge-
ringeren Regenerationsfähigkeit] sogar einfachere \^erhältnisse vor
(s. Nr. 26 S. 60).
Die Botaniker haben an ihrem, für diese Forschungen viel zu-
gänglicheren Materiale auch schon an höheren Organismen eine ganze
Reihe von Gestaltungsgesetzen und ursächlichen Beziehungen ermittelt,
und ich brauche nur die Namen Jul. Sachs, Sghwendener, Leitgeb,
Pfeffer, Wiesner, Strassburger, de Vries zu nennen, um den Kun-
digen an die wichtigsten Entdeckungen auf diesem Gebiete zu erinnern.
Wir Mediciner die wir den höchsten Organismus am genauesten
kennen, werden in der Erforschung der Ursachen des Aufbaues
desselben und ähnlich gebauter Organismen aus vielen Zellen
und der Erhaltungsursachen dieses Aufbaues ein Feld
reicher und lohnender Forschung finden; und es wird auch bei
dieser Thätigkeit dem denkenden Beobachter Manches von den wesent-
lichen allgemeinen Eigenschaften der Zellen sich erschliessen, und
wahrscheinlich gerade solches, welches dem Protistenforscher weniger
nahe liegt oder für ihn weniger leicht festzustellen ist.
Die gegenwärtigen Forscher auf diesem Gebiete müssen sich
bescheiden, die Vorarbeiten für die spätere Gewinnung dieser
schwierigsten Erkenntniss zu machen.
Vielleicht ist die von C. E. v. Bär stammende Analyse der
organischen Gestaltungsvorgänge in gestaltliche und qualitative (ge-
webliche) Differenzirung zugleich eine causale.
[13] Sicher aber ist dies nicht der Fall bezüglich der
gegenwärtigen Ableitung der Formenbildungen von Fal-
Formale Analyse. 37
tinigs-, AiiS8tül])iiiigs-, Verschinelziiiigs-, Absclniüi'iings-
vorgängeu u. dgl.; sowic^ mit der Zurückrülirung dieser ^^o^gällge
auf VergTösserung, ^"e^kleilUM•llllg, Umgestaltung, Tlieihuig und Uni-
oi'dnung der Zellen.
Diese Unterscheidungen sind blos gestaltliche ; wir wissen, dass
jeder dieser Vorgänge durch zum Theil verschiedene Ursaclien und
verschiedene derselben durch zum Theil gleiche Ursachen bedingt
sein können.
Eine Analyse der organischen Gestaltungsvorgänge nach den
Ursachen und deren specifischen Combinationen steht noch aus.
Wenn diese auch ein Ziel unseres Strebens sein muss , so wird es
trotzdem vorläufig auch für die Entwicklungsmechaiiik sehr m'itzlich
sein, weiterhin die Entwicklungsvorgänge auf Grund des el^en er-
wähnten formal-analytischen Schemas zu zerlegen, weil bei
diesem Bestreben die formalen Vorgänge des Genaueren erforscht
werden, und weil diese Zerlegung immerhin die Zurückführung einer
^'ielheit auf eine Minderheit darstellt.
Der Zerlegung der Entwicklungsvorgänge in ursächliche Compo-
nenteu werden wir uns nur allmählich nähern können, und zwar durch
Beantwortung einiger Vorfragen, welche meiner Ansicht nach zu-
nächst in Angriff zu nehmen sind , nämlich der Fragen nach der
Zeit der ursäclilichen Bestimmung einer Gestaltung (s. Nr. IH)
und nach dem Ort der Ursachen derselben (s. Nr. 13). Durch die
Beantwortung der ersteren Frage erfahren wir, in welcher Periode
der Entwicklung, durch die der letzteren, an welchem Orte wir die
Ursachen eines Vorganges zu suchen haben.
War es für die Pathologie von Nutzen, dass die Pathologen seit
Morgagni zunächst nach dem Sitze und dann erst nach den Ursaclien
der Krankheit forschten, so haben wir wohl einen gleichen Nutzen
von demselben Gange der Untersuchung auch für die Ermittelung der
normalen Entwicklungsursachen zu gewärtigen. Wir erfahren so z. B.,
ob die Ursachen eines Gestaltungsvorganges in den durch ihn umge-
stalteten Theilen selbst gelegen sind, ob der Vorgang also als ,,Selbst-
differenzirung" zu betrachten ist, oder ob äussere Theile an der
betrachteten Umgestaltung mitwirken. Mit diesen Vorkenntnissen
38 Nr. 14. Festrede.
über die ursächlichen Verhältnisse werden wir auch dem Wesen der
Ursache selbst schon ein wenig näher kommen.
[14] Auf diesem Wege war es mir z. B. möglich, zu ermitteln,
dass die Richtung der Mittelebene des Frosches im Ei schon zwei
Tage vor der ersten, diese Richtung bekundenden Organanlage be-
stimmt ist (s. Nr. 16), dass jedoch im unbefruchteten Ei diese Be-
stimmung noch nicht getroffen ist, sondern dass diese Lage gerade
während der Befruchtung normirt wird (s. Nr. 20). Durch diese Ein-
sicht wurde dann die Vermuthung nahegelegt, dass diese Bestimmung
vielleicht durch die Befruchtung erfolge; und die daraufhin ange-
stellten, lange Zeit erfolglosen Versuche ergaben nach Ermittelung
der geeigneten Methode die Richtigkeit dieser Vermuthung. Zugieicli
zeigte sich, dass wir es vermögen, die Befruchtungsrichtung und
damit auch die Lage des Thieres im Ei beliebig zu bestimmen,
und fernerhin, dass diejenige Seite des Eies, an welcher wir den
Samenkörper eindringen lassen, zur 1 unteren Körperhälfte des
Thieres wird, während aus derjenigen Eihälfte , in welcher zur Zeit
der Befruchtung der weibliche Zeugungstheil, der Eikern liegt, die
Kopf half te des Thieres hervorgeht (s. Nr. 21).
So gelang es auch, durch das Experiment nachzuweisen, dass
das Material zur Bildung des Centralnervensj'stems im mehrfach ge-
theilten Froschei , nicht , wie man bisher annahm , oben auf der ur-
sprünglich schon schwarzen Seite des Eies, sondern seitlich am
Aequator des Eies liegt, und dass es von da zu beiden Seiten her-
unter bewegt wird, um erst unter nachträglicher A'^ereiuigung in der
Mittelebene die scheinbar einheitliche Anlage des Nervensystems
zu bilden (s. Nr. 22 u. 23).
Wenn wir nun auch gegenwärtig zumeist die specifischen
Beschaffenheiten der Ursachen selbst nicht werden ermitteln
können, so werden wir auf Grund unserer Fragestellung durch die
Bekanntschaft mit der Oertlichkeit der Ursachen vielfach gestaltende
Einwärkung-en, zumTheil weit von einander entfernter Theile
erkennen.
Wir werden damit Factoren ermitteln, welche normaler Weise
die gestaltende Thätigkeit der Zellen und Gewebe ,, auslösen"
Analyse in „beständige Wirkungsweisen". 39
oder nach Quantität, Rielitung und (Qualität nlteriron. Und auch so
weit die Veränderungen rein aus in den veränderten Theiien selber
gelegenen Kräften sich vollziehen, also ,,Selbstdifferenzirungen" dar-
stellen, werden wir die auslösenden [15] inneren Momente für jede
weitere Veränderung zu ermitteln uns bestreben müssen.
Wir müssen mit der Zeit auf Grund analytischer Betrachtung
der ermittelten gestaltenden Reactionen und Wechselwirkungen
möglichst allgemein zur Wirkung gelangende, gestaltende Wirkungs-
gesetze (nicht blos Thatsachen- und Formengesetze) ableiten oder, besser
gesagt, die zahlreichen Einzelgestaltungen auf eine mit der
Zeit immer kleinere Minderheit gestaltender ,,constanter
Wirkungsweisen'' zurückführen: eine Aufgabe, welche, so weit es
sich um Zurückführung auf mechanische Massenwirkungen handelt,
bereits von W. His^) mit Erfolg in Angriff genommen worden ist.
Danach wird es des Weiteren versucht werden können, die auf-
gefundenen beständigen gestaltenden Wirkungsweisen des
lebenden Substrates selbst wieder von noch allgemeineren
Wirkungsweisen abzuleiten, und diese selber schliesslich gleich
den mechanischen Massen Wirkungen auf im Bereiche des An-
organischen erkannte Wirkungsarten, resp. auf die ihnen
supponirten Kraftformeu zurückzuführen.
Diese Art des Vorgehens wird uns in der Erkenntniss der Ge-
staltungsvorgänge der höheren Organismen , wie ich glaube , stetig,
wenn auch nur schrittweise, weiter führen.
Bei dieser Tendenz der Zurückführung der hochcomplicirten orga-
nischen Vorgänge auf einfachere Wirkungsweisen dürfen wir aber den
Ueberblick über die specifisch organischen, zur Zeit uner-
klärbar erscheinenden Verhältnisse nicht verlieren. Dies gilt
besonders bezüglich derjenigen Wirkungen, auf denen die Her-
stellung und Erhaltung des ,, Ganzen'' in seinem der Species
entsprechenden Typus beruht. Die Nichtberücksichtigung dieser
Vorgänge würde von vornherein zu einer unvollständigen Vorstellung
vom Wesen des Organischen Veranlassung geben, die auch bei der
1) Wilhelm His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Ent-
stehung. Leipzig 1874.
40 Nr. 14. Festrede.
Auffassung anderer, einfacherer Vorgänge leicht irrthümHche , zu
grob Diechanische Vorstellungen nach sich ziehen könnte.
Es scheint mir, class in Bezug auf diese, die typische Ein-
heit des Ganzen vermittelnden Wirkungen die Lehre von dem
Aufbaue des Organismus aus selbstlebenden Theilen uns zu einer
Unterschätzung derselben geführt hat.
Da die uns zusammensetzenden Zellen Nahrung aufnehmen und
in ihnen gleichende Substanz umwandeln, da sie sich vermehren,
eventuell sich bewegen und mannigfache Stoffe bilden und ausscheiden,
da sie also diese wesentlichen Grundverrichtungen des ganzen In-
dividuums haben, so ist die Auffassung entstanden, dass der ganze
Organismus blos eine Summe dieser relativ selbstständigen Ge-
bilde ist.
[16] Man denkt sich, wenn ich die Anschauungen der Zeit recht
verstehe, die Einheit des ganzen Individuums dadurch herge-
stellt und darauf beruhend, dass die selbstlebenden Theile, die Zellen,
zufolge der typischen Vorgänge der Entwicklung aus dem Ei derart
beschaffen und gelagert sind, dass alle ihrer Natur nach zu einem
selbsterhaltungsfähigen Ganzen zusammenwirken können und müssen,
einfach indem sich in jeder Zelle die in ihr liegenden Kräfte in
qualitativ constanter, nur quantitativ und zeitlich von aussen regu-
lirter Weise bethätigen.
Die Einheit des Ganzen ist nach dieser Auffassung blos eine
typisch functionelle; und die Einheitlichkeit derAction aller Theile
wird wesenthch daduj'ch vermittelt, dass der Gebrauch des Ganzen
einem einzigen Willen unterstellt ist.
Indem dem Acte der Function innerhalb gewisser Breite zugleich
eine gestaltende Einwirkung auf das vollziehende Substrat von
der Art zukommt, dass eine mehrfach ausgeübte Function in Zukunft
leichter und vollkommener vollzogen werden kann, so ist auch die
feinere morphologische Ausbildung des Gesammtorganismus für die
von der centralen Willensinstanz intendirten Vorrichtungen von die-
sem Centrum des Ganzen abhängig gemacht; und ich .selber habe
l'ür diese anscheinend wunderbare Fähigkeit de]- directen „functio-
Erhaltung der „ Einheit" durch regulatorische Vorgänge. 41
Hellen Anpassung" an neue Verrichtungen eine ausreichende,
mechanisch fundirte Erklärung gegeben (s. Nr. 4).
Eine weitere Einheitlichkeit wird nach der bis vor Kurzem
geltenden Auffassung nur noch durch einige, zwar vom Nervensystem
aus, aber ohne Bewusstsein geleitete regulatorische Mechanismen,
z. B. der Athraung, des Herzschlages etc., dargestellt, denen aber
blos ein beschränkter Wirkungskreis zukommt.
Erst in neuerer Zeit ist in der wieder mehr zur Anerkennung
gekommenen und, wie es scheint, auf unzweifelhafte Thatsachen ge-
stützten Lehre von den trophi sehen Nerven ein Factor hervor-
gehoben worden, der auf eine weitere stoffliche Centralisation
hinweist und das ,, gestaltliche" Leben der Theile in grössere
Abhängigkeit von centraler Thätigkeit bringt. Doch wird
dieser Factor blos für die Erhaltung des Gebildeten oder für die
Vollendung der typischen Gestaltung auf dem typischen Wege in
Anspruch genommen; er ist daher, wenn auch im Einzelnen seiner
Wirkung nach vollkommen [17) dunkel, doch im Ganzen, als etwas
von vornherein Normirtes, verständlich. Immerhin wird dadurch die
Autonomie der Zellen des Leibes schon sehr herabgesetzt.
Es gibt mm aber „regulatorische" Thatsachen bei ,, atypi-
schen" Vorgängen, welche bei gehöriger Würdigung auf ein viel
innigeres Zusammenwirken der Theile zum Ganzen und auf
eine grössere x\bhängigkeit der Theile vom Ganzen hindeuten.
Das ist einmal das längst bekannte, aber noch vollkommen un-
verständliche Vermögen der Regeneration, das Vermögen vieler
Thiere, fast jedes beliebige, in Verlust gerathene Stück des Körpers
in seiner früheren Beschaffenheit wieder herzustellen, als zufähig ent-
fernt war und als daher zur Integrität des Ganzen nöthig ist.
Dahin gehört auch die jüngst von mir entdeckte Fähigkeit der
Postgeneration (s. Nr. 22).
Wenn man nämlich ein Froschei gleich nach dem ersten der
Befruchtung folgenden, äusserlich sichtbaren Gestaltungsvorgang, nach
der Theiluug des Eies in zwei gleich grosse Theile an einer dieser
Hälften mit einer heissen Nadel in geeigneter Weise operirt, so bleibt
diese Hälfte unentwickelt, während die andere Hälfte sich zu einem
42 Nr. 14. Festrede.
normal gestalteten halben Embryo , zu einem rechten oder linken
halben Thier, je nach Umständen auch zu einem vorderen halben
Embryo ausbildet.
Das ist gewiss überraschend; wunderbar aber ist es, dass darauf
in einer späteren Zeit die fehlende, nocli gar nicht gebildet gewesene
Hälfte des Thieres von der vorhandenen aus vollkommen nach erzeugt
wird; und dies kann auf ähnliche Weise wie bei der Regeneration
geschehen, indem die den Körper nach der Seite des Defectes be-
grenzenden Zellen sich vermehren und solche Gestaltungen liefern,
dass alles zum typischen Ganzen Fehlende ersetzt wird ; es kann aber
diese Nacherzeugung sogar auch aus einem, in Folge obiger Ope-
ration durcheinander gebrachten und zum Theile veränder-
ten Materiale vor sich gehen und trotzdem die typischen End-
producte herstellen.
Welche Leistung aber wäre es, wenn nach der \^erwüstuug,
nach der gänzlichen Vernichtung aller Culturerzeugnisse eines grossen
Theiles eines Reiches, etwa durch den Feind, die an den verwüsteten
Theil angrenzenden Bewohner und [18] ihre Nachkommen aus eigener
Initiative, ohne Anleitung von der das Ganze vertretenden Central-
verwaltung alles Zerstörte, obgleich sie dasselbe in Folge ihrer Ge-
bundenheit an die Scholle nie gesehen haben , vollkommen in der
früher vorhandenen Weise wieder herstellen wollten^), darunter auch
solches, was functionell gar nicht nöthig ist, wie etwa der bunte
Anstrich mancher Häuser, entsprechend der Wiederherstellung der
früheren typischen Farbenzeichnung der Haut-).
Und auch , wenn Zellen von inneren Theilen des Körpers her-
kommen und sich am Aufbau des Neuen betheiligen, wie sollen sie
über den Aufbau des Fehlenden instruirt sein und wie ihren Auftrag
oder ihre Intention den übrigen selbstthätigen Bausteinen übermitteln?
[1) Der hier gemachte Vergleich ist nicht zutreffend, weil das verwüstete Stück
Land kein typischer Theil eines typischen, stets in gleicherweise hergestellten
Gebildes ist, wie zerstörte Theile von Organismen.]
-) Neuerdings ist von Boulenger (Proceed. of the Zoolog. Soc. of London 1888.
Port. 3. S. 351 — 353) gezeigt worden, dass bei der Regeneration von Eidechsenschwänzen
die Beschuppung des regeneriten Schwanzes häufig von der normalen Form abweicht
und der Beschuppung von Vorfahren entspricht ; was indess nicht weniger räthsel-
haft ist.
Vermittelung der Einheitlichkeit des Organismus. 43
Es gehört zu solclien Leistungen scheinbar nielir als die Tn-
telhgenz des menschhchen „beschränkten Unterthanen Verstandes", und
doch vollziehen die kleinen Zellgebilde diese Leistungen rasch und
sicher (s. Nr. 27 S. 302 und 28 S. 659) i).
Und sogar aus dem Eie in Folge operativen Eingreifens aus-
getretene Eitheiie (Extraovate) vermögen noch an das Normale sich
anschliessende Bildungen hervorzubringen (s. Nr. 24).
Wodurch soll ferner die von Trembley und Nussbaum^) nach-
gewiesene Art der Regeneration des kleinen Wasserpolypen, der Hydra,
vermittelt sein, welche aus jedem durch die ganze Dicke der Leibes-
wandung durchgehenden Theilstück diesei- Wandung, selbst bei
mangelnder Nahrung, also ohne Wachsthum, blos durch Umordnung
und Umdifferenzirung der den vorhandenen Theil zusammensetzenden
Zellen einen kleineren, dem früheren Ganzen entsprechend gestalteten
Polypen herstellt?
Und wie wollen wir uns weiterhin z. B. den an einem nieder-
sten, einzelligen Lebewesen, der Euglypha alveolata von Gruber,
Blochmann und Sc;hewiakoff ^) beobachteten Vorgang der Encystirung,
der Bildung eines zweiten Panzers bei Gefahr der Eintrocknung aus
den Reserveplatten, und nach dem Aufhören dieser Gefahr, die Ver-
wendung dieser [19] selben Platten unter nachträglicher Umordnung
und typischer Zusammenfügung zum Panzer eines Tochterindividuums
aus der Autonomie der Theile erklären?
Ich bin der Meinung, diese Thatsachen*) weisen uns auf eine
[1) Die „Sicherheit" der Vollziehung der Regeneration bezieht sich blos auf
das schliessliche Endresultat und ist blos beim Mangel störender Momente vorhanden ;
andernfalls wird oft nicht ganz Richtiges gebildet; auch wird bei der Regenera-
tion manches Unbrauchbare eliminirt.]
■-) M. NUSSBAUM, lieber die Theilbarkeit der lebendigen Materie. „Arch. f.
mikrosk. Anat.", Bd. XXIX.
3) ScHEWiAKOFF, Ueber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata.
„Morpholog. Jahrb.", 1887, und A. Gruber, Ber. der naturforsch. Gesellsch. zu Freib. i. B.,
Bd. IV, Heft 4.
t) Desgleichen die jüngst von Ribbert und seinen Schülern gemachten Beobach-
tungen, dass auch nach Entfernung noch nicht fungir ender Organe bei Säuge-
thieren, z. B. eines jugendlichen Hoden, Eierstockes, oder mehrerer jugendlicher Milch-
drüsen das andere, resp. die anderen gleichen Organe einer compensatorischen
Vergrösser ung der specifischen Theile unterliegen. Vortrag auf der Naturforscher-
Versammlung zu Heidelberg, 1889.
44 Nr. 14. Festrede.
grössere Einheitliclikeit unter den Tlieilen des Organismus
hin, als wir trotz der Annahme, dass jede bezügliche Zelle noch
einen Theil des „Keimplasma'' enthalte, gegenwärtig zu verstehen
im Stande sind.
Die Entwicklungsmechanik erhält daher in dem Suchen nach
der ursächlichen Vermittlung der' die typische Einheit des
Ganzen trotz mannigfachen Wechsels der Verhältnisse her-
stellenden, erhaltenden und wiederherstellenden Vorgänge
eine weitere, grosse Aufgabe.
Bei der Kürze der mir zugemessenen Zeit muss ich davon ab-
sehen, einen auch nur flüchtigen Ueberblick über das auf dem Wege
des Experimentes in der Entwicklungsmechanik bereits Erreichte zu
geben; und ich will daher nur die Namen einiger Autoren nennen,
welchen wir in erster Linie bezügliche Bereicherungen verdanken:
Ludwig Fick, Panum, Dareste, Pflüger, Barfurth, Th. Boveri, Born,
0. und R. Hertwig, Nussraum, A. Grurer, Chabry, L. Gerlach u. A.
Eines bin ich indess verpflichtet, noch hervorzuheben: nämlich
die überraschende Thatsache, dass wir das Hauptmaterial unserer der-
maligen ursächlichen Erkenntniss der Entwicklungs- und Erhaltungs-
vorgänge des menschlichen, resp. thierischen Organismus Forschern
verdanken, welche ihren Zielen nach diesem Gebiete anscheinend sehr
ferne stehen, nämlich den Klinikern und Pathologen.
Diese Thatsache beruht auf dem Umstände, dass die krankhaften
Veränderungen und die Missl)ildungen uns das Verlialten des Organis-
mus bei Aenderung oder Ausfall eines oder mehrerer Theile vor-
führen, und so zum Theil dasselbe darbieten, was wir bei dem Ex-
perimente künsthch erstreben, um dadurch den Antheil dieses Gebildes
an der Gestaltung des übrigen Organismus zu ermitteln. Dazu kommt,
dass die Pathologen und Kliniker auch selber viele scharfsinnige
Experimente gemacht haben, um die Ursachen mancher Gestaltungs-
vorgänge aufzuklären.
Jedoch ist nicht unerwähnt zu lassen, dass auch schon Anatomen
pathologische Erfahrungen für die Erkenntniss der [20] Ursachen
der normalen Bildungen verwerthet haben, so besonders W. Henke
und H. V. Meyer.
Nutzen der Pathologie für die Entwicklungsmechanik. 45
Die Anwendbarkeit auch der nicht blos auf Ausfallserscheinungen
beruhenden pathologischen Erfahrungen auf die normalen Verhältnisse,
die Zulässigkeit des Rückschlusses von den in pathologischen Ver-
hältnissen beobacliteten Gewebsreactionen auf die normalen Gewebs-
leistungen beruht auf der weiteren Erfahrung, dass die Eigenschaft
der Gewebsreaction so wenig von der Eigenschaft der ver-
anlassenden äusseren Ursache, so sehr dagegen von den
Eigenschaften des reagirenden Substrates abhängt, dass
diese Ursache fast blos als das „auslösende" Moment für das
in Thätigkeittreten des specifischen, an sich sehr stabilen Gewebs-
mechanismus zu betrachten ist. Die progressiven abnormen Leist-
ungen sind meist blos gesteigerte oder anachronistische ßethätigungen
der normalen Eigenschaften [die regressiven Leistungen interessiren
uns hier nicht].
Diese Stabilität der productiven Reactionsweisen der Gewebe
beraubt uns leider der Möglichkeit, aus den Reactiouen auf verschieden-
artige Einwirkungen einen Schluss auf die inneren Eigenschaften des
reagirenden Substrates zu machen, wie wir es wohl vermöchten, wenn
verschiedenartige Einwirkungen wesentlich verschiedenartige Reactio-
uen zur Folge hätten.
Immerhin wird bei der Verwerthung pathologischer Erfahrungen
zu Rückschlüssen auf die normalen Vorgänge mit Vorsicht zu ver-
fahren sein. So dürfen wir z. B. aus dem interessanten Ergebniss
der Untersuchungen Thoma's über die compensatorische Verdickung
der innersten Haut zu weit gewordener Blutgefässe nicht ohne
besondere darauf gerichtete Untersuchungen annehmen, dass auch
die normale, der eigenen Gestalt des Flüssigkeitsstrahles angepasste
Gestaltung der Lichtung der Blutgefässe auf diese Weise hergestellt
werde.
Dagegen konnten wir aus der Beobachtung Julius Wolff's, dass
auch in abnormen Verhältnissen, z. B. bei schief geheilten Knochen-
brüchen, eine dieser neuen Form angepasste, äusserst zweckmässige
Knochenstructur entsteht, sofort schliessen, dass auch die normale
Structur der Knochen durch wesentlich dieselben Mechanismen der
den Knochen zusammensetzenden Gew^ebe hergestellt werden kann.
46 Nr. 14. Festrede.
class diese Structur also nicht nothwendig in ihren zahllosen zweck-
mässigen Einzelbildungen uns vererbt zu werden braucht.
Ebenso gestatten die vielfachen Veränderungen, welche die
Muskeln, Knochen und Bänder nach dem Schwund der Ganglien-
zellen der sogenannten Vorderhörner des Rückenmarkes bei der
spinalen Kinderlähmung erfahren, eine ganze Reihe von Schlüssen
auf gestaltende Einwirkungen, welche [21] auch normaler Weise zur
Ausbildung und ErhaUung nöthig sind; während aus der Thatsache,
dass zwischen öfter bewegten Bruchenden eines Knochens ein Gelenk
sich ausbildet, nicht zu folgern ist, dass auch die normale Gelenk-
bildung auf entsprechende Weise veranlasst wird.
Verdanken wir, wie gesagt, den grössten Theil dessen, was wir
bis jetzt von gestaltenden Causalzusammenhängen im Organismus
sicher wissen, den Pathologen und Klinikern, so könnte man leicht
zu der Annahme verführt werden, diese Forscher seien die berufenen
Pfleger der Entwicklungsmechanik, da ihnen, wie bisher, auch ferner-
hin solche ,, Experimente der Natur" in grosser Anzahl vorkommen
werden, da sie immer neue bezügliche Beobachtungen und Erfah-
rungen machen werden , aus dem Helfen oder Nichthelfen mecha-
nischer Eingriffe immer sicherere Schlüsse auf die Ursachen von
Störungen der normalen Formen gewinnen werden. Gewiss ist daher,
dass von ihnen die Entwicklungsmechanik auch fernerhin neue An-
regung und Bereicherung erfahren wird.
Aber es wäre doch gefehlt, ihnen noch weiterhin die Pflege der
Entwicklungsmechanik vorwiegend zu überlassen.
Bei ihnen steht naturgemäss das pathologische und thera-
peutische Interesse im Vordergrunde; ihr Ziel ist, die krankhaften
Vorgänge vollkommen zu erkennen und ihrer Herr zu werden; und
nicht viel mehr, als diese Interessen es unmittelbar verlangen, können
von ihnen die entwicklungsmechanischen Probleme behandelt werden.
Sie haben nicht die Zeit, jahrelange Untersuchungen über Aufgaben
zu machen, von denen nicht vorauszusagen ist, ob die Resultate auch
für sie verwerthbar sein werden. Und doch müssen solche Unter-
suchungen in grosser Anzahl gemacht werden. Es ist genügend be-
kannt, wie oft schon die Verfolgung von wissenschaftlichen Problemen
Nutzen der Entwicklungsmechanik für die Pathologie und Therapie. 47
bis in die subtilsten, für den ferner Stehenden anscheinend unfrucht-
baren Einzelheiten hinein plötzlich zu einer nicht geahnten Verwend-
barkeit der Ergebnisse geführt hat. Ich erinnere nur an die Unter-
suchungen, die der Erfindung des Telephon, des Phonographen, des
Photophon, der Elektrotherapie vorausgehen mussten. Und wie ist
seinerzeit die Sorgfalt verspottet worden, die Galilei der Erforschung
des Umlaufes der Jupitermonde zu Theil werden liess ; Avelchen Nutzen
aber haben später die von ihm ermittelten Verhältnisse für die Schiff-
fahrt durch die damit gewonnene Gelegenheit zu genauen Ortsbe-
stimmungen gebracht?
[Auch ist nicht zu übersehen, dass der ,, Nutzen" blos eine Seite
der Dinge bezeichnet; und dass nur Derjenige Aussicht hat, das
Wesen einer Sache möglichst voll zu erfassen, der sie um
ihrer selbst willen studirt.]
Die Entwicklungsmechanik rein der Pflege der praktischen
Mediciner und Pathologen zu überlassen, wäre ähnlich, als wenn die
Ausbildung der Mechanik ahein den praktischen Technikern über-
lassen bliebe.
[22] Die Praxis geht der Theorie zwar stets voran; letztere
baut sich zunächst auf den bereits durch die Praxis ermittelten
Thatsachen auf.
Aber wie langsam war in der Periode der reinen Empirie
der Fortschritt der Technik gegenüber den riesenhaften Fort-
schritten der Neuzeit! Welche Tausende von Umwegen wurden vor
Erreichung eines Zieles gemacht! Wie viele auf dem einen Special-
gebiete bereits gewonnenen Erfahrungen mussten Mangels genügend
allgemeiner Behandlung der Probleme auf benachbarten Special-
gebieten auf's Neue von Grund aus mühsam erworben werden!
Gewiss erinnert es den Chirurgen lebhaft an die Geschichte der
orthopädischen Behandlungsweiseu. Wie viele Tausende
von Kindern mit Klumpfuss, mit Gelenkcontracturen etc. mussten
ihre Jugend in Folge der auf falscher Auffassung der Ursachen der
Affection und der Wirkung des Mittels beruhenden nutzlosen Apparate
vertrauern, ehe die zahllosen Misserfolge allmählich zu tieferer Einsicht
und zu angemessener wirkenden Apparaten geführt haben!
48 Nr. 14 Festrede.
Wir müssen sagen : Diese Umwege hätten schon vor Jahrzelniten,
schon seitdem eine richtige Unterscheidung der Gewebe gewonnen
Avar, durch methodisch angestellte, analytische T hier versuche
vermieden werden können. Aber freiUch erst jetzt, durch die aseptische
Wundbehandlungsmethode, sind wir in den Stand gesetzt, der Ortho-
pädie durch exacte experimentelle Erforschung der gestal-
tenden Reactionsweisen der Gewebe und ihrer auslösenden
Ursachen eine analytische, für die Praxis verwerthbare Grundlage
zu geben. Doch diese Aufgabe wird selber nur auf der Basis ent-
wicklungsmechanischer Einsicht zu lösen sein (s. T, S. 148)').
[1) Da der hiei- in Kürze ausgesprochene Gedanke hei den bezüglichen Fach-
leuten: Chirurgen, Orthopäden und Gynäkologen vollkommen unge würdigt
geblieben ist, .so sei seine Bedeutung hier noch an einem Beispiele erläutert.
Die keilförmige Gestalt der Wirbelkörper bei Scoliose wird von
Compression des Knochens an der coucaven, von Aufblähung oder Auseinander-
ziehung des Knochens auf der convexen Seite der Krümmung abgeleitet.
Directe Erniedrigung des Knochens durch so starken Druck, dass er zur Ein-
biegung mit oder ohne Infraction führt, ist Avohl nur ausnahmsweise betheiligt, meist
handelt es sich um ein K 1 einer b leiben, um ein Zurückbleiben der Höhe des
Knochens im Wachsthum an der Seite der Concavität. Es ist aber bis jetzt nicht
nachgewiesen, dass das Wachsthum des Knochens direct durch den, von den ihn
in der Jugend an den Drucktiächen bedeckenden Knorpel (wohl aber von den vom
Perioste) aus übertragenen Druck gehemmt werden kann (,s. Nr. 10 S. 6 und 11),
noch dass Zug direct das K n o c h e n wachsthum (statt des Knorpelwachsthums) an-
regt. Auch scheint mir nicht annehmbar . dass durch passive Biegung der Wirbel-
säule und dadurch bedingte Verdrängung des Knochenmarkes von der Seite der Con-
cavität gegen die Convexität, wie Ntcoi.ArioNi glaubt, ein chronischer verstärkter
Binnendruck durch das verdrängte Mark auf die Spongiosa der convexen Seite aus-
geübt werde (selbst wenn solche passive Verdrängung nachgewiesen würde); dies scheint
deshalb nicht möglich, weil spätestens schon nach wenigen Stunden ein vollkommener
Ausgleich in dem Drucke des ganzen weichen Inhaltes eines Wirbelkörpers
stattfinden muss, ganz abgesehen davon, dass durch Hlutabfluss noch viel früher ein
localer Ueberdruck aufgehoben werden wird.
Es wird nicht genügend berücksichtigt, dass die Wirbelsäule ausser aus Knochen
vor allem primär noch aus Knorpel besteht, wozu noch die Zwischenscheiben, Bänder,
Knochenmark und Gefässe kommen , von denen jedes besondere Reactionsqualitäten
besitzt, die von denen des Knochens wesentlich verschieden, zum Theil ihnen ent-
gegengesetzt sind, und dass aus der Gesammtreaction aller dieser und aus ihrer
gegenseitigen Beeinflussung die Gesammtveränderungen resultiren. Daher ist es zur
Erlangung wissenschaftlichen Verständnisses nöthig, analytisch vorzugehen
und durch besondere Experimente oder geeignete pathologische Beobachtungen die
gestaltenden Reactionen jedes dieser Gewel>e resp. Gebilde auf dauern-
den und auf intermittirenden Druck und Zug für sich zu ermitteln.
Der primäre und, wie mir scheint, durch Druck und Zug passiv bild-
Nutzen der Entwickelungsmechanik füi- die Orthopädie, Gynäkologie etc. 49
Und weiterhin , wenn die Ursachen der Entstehung und Er-
haltung der normalen Eigenschaften und Formen der Organe uns
bekannt wären, welche neue, sicherere Grundlage wäre damit für die
samste Bestuiidth eil der Skelettheile ist der Knorpel. Ein knorpeliges mit
eigener Wachsthumsfähigkeit versehenes Gebilde kann durch abnormen Druck in der
Druckrichtung am Wachsthum gehemmt werden; dabei kann dieser Knorpel, in
möghchster Bethätigung «einer jugendlichen, immanenten Wachsthumsfähigkeit, com-
pensatorisch seitwärts herauswachsen, weiterhin an Stelle des Wegfalles
oder der Verringerung normalen Drucke s oder gar bei V orhand en sein abnormem
Zug zu abnorm starkem Wachsthum veranlasst werden.
Die so vom Knorpel gebildete Form wird dann durch die dem Knorpel wachs-
thum nachfolgende endochondrale substitutionelle Knochenbildung aus Knochen nach-
gebildet (siehe I, Nr. 10, S. 5). In der Jugend ist also in erster Linie der Knorpel
das durch sein immanentes Wachsthumsvermögen und durch seine Reactionen die
Gestalt der Skelettheile bestimmende Material.
Diese Vorgänge an den beiden Geweben können gleichzeitig stattfinden, solange
noch eine wachsthumsfähige wenn auch nur dünne Knorpellamelle den Knochen bedeckt.
So wird bei Entstehung der Scoliose an dem nach der Concavität zu gelegenem
Wirbeltheile das Knorpelwachsthum an den Druckflächen gehemmt, also der Wirbel
niedrig werden, und zugleich der Knorpel compensatorisch seitlich heraus gegen
die Concavität wachsen ; an dem nach der Seite der Convexität zu gelegenen Rand-
theile wird dagegen verstärktes Knorpelwachsthum stattfinden, welches bei gleich-
zeitiger Insufficienz der Function der Zwischenwirbelscheibe als hydraulische Presse
in Folge von Schwund des Nucleus pulposus (s. Nr. 4, S. 29) sich noch weiter gegen die
Mitte hin ausdehnt. Dieser so bedingten Knorpelform folgt die endochondrale Knochen-
bildung fortwährend nach und bildet den gleichgestalteten knöchernen Wirbel. Dabei
wird zugleich in Folge des starken Druckes, der in dem nach der concaven Seite gelegenen
Theile der Wirbel stattfindet, die Spongiosa dickbalkig und dicht, während in dem der
convexen Seite zu gelegenen Theile die Spongiosa in Folge der Entlastung nur weitmaschig
und dünnbalkig wird; und diese Spärlichkeit würde wohl in späteren Stadien noch
grösser sein als sie ist, wenn nicht beim Liegen auch auf dieser Seite Druck stattfände.
Die dichte Spongiosa entsteht also wohl weniger, (oder nicht) durch passive
Zusammendrängung der schon gebildeten Spongiosa als vielmehr durch Activitäts-
hypertrophie ; die Dünnheit auf der entgegengesetzten Seite ist als Inactivitätsaplasie
zu denken, soweit nicht noch ein anderes, unbekanntes Moment betheiligt ist, auf
welches die interessanten Beobachtungen Nicoladoni's an der kindlichen Scoliose
(Denkschr. d. Wiener Ac. d. Wiss 1894) hinzuweisen scheinen.
Diese in erster Linie an angenommene Reactionseigenschaften des Knorpels
anknüpfende Ableitung der keilförmigen Gestalt des scoliotischen Wirbels halte ich
für wahrscheinlicher als die der Practiker; aber natürlich muss auch ihre Richtigkeit
erst durch analytische Experimente geprüft resp. festgestellt werden. Die so experi-
mentell ermittelten Gewebsreactionen können dann für die Ableitung der abnormen
Formen aller aus den gleichen Geweben gebauter Skelettheile wie z. B. der des Beckens,
des Fusses in den speciellen Verhältnissen entsprechender Weise angewendet werden
und werden uns endlich einen Einblick in die wirklichen Vorgänge bei den Defor-
mationen und danach auch in das zur Heilung Nöthige gestatten (s. 1. S. 147 u. f.)].
"W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. Fl. ^
50 Nr. 14. Festrede.
Beurtheilniig ihrer krankhaften Veränderungen gewonnen I Und damit
wäre dann endhch auch der Boden für die seit Langem erstrebte, im
wahren Sinne des Wortes wissenschaftliche, das heisst auf
vollem Verständnisse der Vorgänge beruhende Heilkunde
gewonnen.
Je w^eiter wir nun gegenwärtig von diesem Ziele entfernt sind,
um so dringlicher müssen wir sagen: Es ist an der Zeit, dass die
Entwicklungsmechanik nicht mehr auf die gelegentliche Pflege auf
anderen Gebieten thätiger Forscher angewiesen sei; sie bedarf zur
Lösung ihrer grossen fundamentalen Aufgaben berufsmässiger
Pfleger, und diese werden die Anatomen sowie die entsprechend
thätigen Zoologen sein, als diejenigen, welchen auch bisher schon
die Aufgabe der Erforschung der organischen Gestaltungen oblag.
[23] Wohl wird es der Entwicklungsmechanik von grösstem
Nutzen sein, wenn Männer von der exacten, mathematisch-physikali-
schen Schulung der Physiologen ihr ihre Thätigkeit zuw^enden.
Dies wird jedoch leider voraussichtlich nur vereinzelt geschehen; denn
das Hauptgebiet der physiologischen Forschung stellen die functionellen
Leistungen des bereits Gebildeten dar, wogegen das Interesse für die
Function des Gestaltens, des Bildens zurücksteht.
Doch dem Anatomen, dem ,,Morphologen", wie er sich heut-
zutage so stolz nennt, kommt es zu, nach voller Kenntniss und Er-
kenntniss der organischen Formenbildung zu streben und nicht will-
kürlich den Begriff des löyog auf diesem Gebiete mit der Erörterung
der Beziehungen zwischen individueller und phylogenetischer Ent-
wicklung für erschöpft zu halten.
Der Anatom besitzt in den vier bisherigen Richtungen seiner
Wissenschaft zugleich die hauptsächlichen Vorkenntnisse für die er-
folgreiche Bethätigung des Strebens nach der^fünften Richtung hin;
und wohl nur dem Nebenumstande der von den üntersuchungsweisen
der descriptiven Forschung abweichenden, für die Entwickluugs-
mechanik nothwendigen experimentellen Forschungsmethode und des
Erfordernisses noch mannigfacher, andersartiger Vorkenntnisse ist es
zuzuschreiben, dass diese Disciplin bisher seitens der Anatomen
relativ wenig, fast nur beiläufig gepflegt worden ist. Und sie erscheint
Nutzen der Entwickelungsmechanik für die aiiatoniischen Wissenschaften. 51
selbst manchem ihrer Mitarbeiter noch so neu, cUiss er selbstständig
ohne gebührende Beachtung der Leistungen seiner Vorgänger vor-
gehen und ohne Erwähnung derselben seine Ergebnisse publiciren
zu dürfen glaubt; ein Verhalten, das seltsam absticht gegen die Ge-
wissenhaftigkeit, mit der unsere Zeit z. B. durchweg jeden Urheber
der geringsten technischen Abänderung einer der beschreibenden
Forschung dienenden Untersuchungsmethode citirt.
(Die Entwicklungsmechanik wird den vier bisherigen Richtungen
das, was sie jetzt und in Zukunft von ihnen als Vorbedingung ihrer
eigenen Leistungen empfängt, reichlich vergelten: der beschreiben-
den Richtung, indem sie die Aufmerksamkeit auf bisher übersehene
formale Eigenschaften lenkt, wie es z. B. schon mit der von den
Corrosions-Anatomen übersehenen hydrodynamischen Gestaltung des
Lumens der Blutgefäss Verzweigungen der Fall war (s. Nr. 1 u. 2); der
physiologischen Richtung durch die Ermittelung sowohl des Wirkungs-
umfanges der ,,functionellen Anpassung", wie der ursächlichen Grund-
lage dieses Principes der ,, Selbstgestaltung des Zweckmässigen' \
Auch die Entwicklungsgeschichte wird wesentliche Förder-
ung von der Entwicklungsmechanik zu gewärtigen haben, und zwar
einmal, indem gleichfalls mit der ursächlichen [24] Fragestellung die Be-
obachtung nach manchen Richtungen hin verschärft wird, und anderer-
seits, indem durch die Ermittelung des Wesens der einzelnen Bild-
ungsvorgänge richtigere Werthurtheile gewonnen werden, wo-
nach z. B. Manches, was der rein formalen Betrachtung als
sehr erheblich erscheint, wie etwa, ob die Chorda dorsalis zur Zeit
ihrer Anlage mit dem äusseren, inneren oder mittleren Keimblatt
im Zusammenhange steht, blos als eine geringe, vorliegenden Falles
beim Frosche sogar blos zeitliche Variation ursächlicher Ver-
hältnisse erkannt wird (s. Nr. 22 S. 144).
Und selbst die angewandte vergleichende Anatomie wird
in die Lage kommen, es willkommen zu heissen, wenn ihr in der
phylogenetischen Deutung ontogenetischer Bildungen an manchen
Puncten nicht vollkommen sicheres Fundament urch neue causale
Stützen gefestigt oder durch Uebernahme der Last auf andere Grund-
52 Nr. 14. Festrede.
lagen entlastet wird. Es ist bewunderungswürdig, welch' hohes Maass
von Einsicht selbst- bis in die scheinbar speciellsten Organisations-
verhältnisse uns die vergleichende Anatomie rein auf Grundlage der
einfachen Formvergleichung gewährt hat. Und dass dies möglich
war, ja dass sogar die geformten ,,Endproducte" im Thier-
reiche constanter zu sein scheinen, als die speciellen Arten
ihrer Herstellung, ist für die Entwicklungsmechanik von grosser
Bedeutung (s. Nr. 15 S. 444). Doch haben auch diese Leistungen
der vergleichenden Anatomie ihre Grenzen; und ich erinnere nur an
die Unsicherheit in der Deutung der Variationen der individuellen
Entwicklung, z. B. bezüglich der Hyperdactylie, Oligodact^die, abnorm
gelagerter Muskeln , Nerven . Knochenkerne etc. Diejenigen dieser
Bildungen, welche in älnilicher Weise bei Thieren, besonders bei den
vermutheten Ascendenten. vorkommen, werden von Manchen ohne
Weiteres als Rückschläge gedeutet; von Anderen wird dem zwar
widersprochen. Doch leiden manchmal beide Auffassungen an einer
gewissen Willkür. Vor vielen derartigen Entscheidungen sollte
meiner Meinung nach erst noch die Entwicklungsmechanik
eingehends zu Rathe gezogen werden. Sie hat uns auf Grund
bezüglicher Untersuchungen zu belehren, ob durch eine kleine, sozu-
sagen zufällige Variation gleich ein ganzer Finger mehr entstehen
oder fehlen kann, ob beim Fehlen des fünften Fingers der da,mit
zum Randfinger gewordene vierte Finger zufolge der Entwicklungs-
mechanismeu gleich die Beschaffenheit eines solchen, also des fehlen-
den fünften Fingers erlangt, ähnlich wie bei Graviditas extrauterina
an dazu nicht bestimmter Stelle gleich eine wohlgebaute Placenta
materna und Decidua entsteht; oder ob im Gegentheil derartige Aen-
derungen, [25] nach der Beschaffenheit des normalen Bildungsmecha-
nismus zu urtheilen, so vielseitig und typisch begründet sein müssen,
dass sie voraussichtlich blos entstehen können, wenn schon von den
Vorfahren her das Keimplasma eine besondere Disposition dazu mit-
bringt.
Wenn z. B. die ältere Angabe, dass man künstlich die Bild-
ung einer vermehrten Finger zahl gelegentlich der Regeneration
der abgeschnittenen Hand bei Tritonen veranlassen kann, sich be-
Zukünftige. Stellung der Entwickelungsmechanik. 53
stätigte^), so erhielten wir dadurch einen Hinweis nicht blos auf die
Natur der bezüghchen Entwicklungsmechanismen, sondern auch für
die Deutung der Hyperdactylie, ebenso wie durch die Beobachtung,
dass die Knochen auch in neuen Verhältnissen eine functionelle Ge-
stalt und Structur erlangen, dass die Sehnen in Abhängigkeit von
den Muskeln entstehen, die Deutung mancher Variationen dieser Or-
gane bestimmt wird.
Drei von den bisherigen Richtungen der Anatomie bedienen
sich der beschreibenden Methode; sie werden daher mit der Zeit ihr
Material erschöpfen und ein Stadium der Vollendung erreichen oder
ihm unter asymptotischer Näherung sehr nahe kommen; auch dio
physiologische Richtung kann die gleiche Stufe erlangen.
Nur die ursächliche Richtung kann nie ihr Material erschöpfen,
und nie wird ihr die Vollendung vergönnt sein; aber eben darum
wird sie auch die ewig frische und ewig productive bleiben. Es ist
der normale Gang der Wissenschaften, dass auf die Er-
forschung der „Thatsachen" die Erforschung der ,. Ursachen"
folge. Es wird daher eine Zeit kommen, von der an dieser jetzt
von Vielen gering geachtete, scheinbare Nebentrieb am Baume der
anatomischen Wissenschaften zum Haupttrieb, zur Fortsetzung des
Stammes werden wird. Die Entwicklungsmechanik wird alsdann einen
Stamm darstellen, welcher rasch in die Höhe strebt und gegenwärtig
noch nicht geahnte neue Seitenzweige treibt, deren Blätter die vier
ersten Aeste in ihren Schatten nehmen und Nahrnngsstoff zur Ent-
faltung neuer Knospen für sie bilden werden.)
Wenn das, was wir bis jetzt an causaler Erkenntniss besitzen,
neben den vier anderen Richtungen in den anatomischen Unterricht
aufgenommen wird, und wenn bezüglich dessen, was wir noch nicht
wissen, die causale Fragestellung bei den Schülern im Colleg und be-
sonders auf dem Secirsaale (etwa anlässlich aufgefundener Varietäten)
angeregt wird, und sofern es offenkundig wird, dass auch diese Richt-
ung bereits ihre Anerkennung findet, so werden bald Kräfte, deren
[1) Dies ist D. Barfürth inzwischen in vorzüglicher Weise gelungen. Siehe
Archiv für P^ntwickehuigsmechanik 1894. Bd. 1. Heft 1 ]
54. Nr. 14. Festrede.
Interessen auf die directe ursächliche Forschung gerichtet sind,
in vermehrter Zahl diesem Zweige der Biologie sich widmen.
Es ist mir eine ehrenvolle Pflicht, an dieser Stätte dankend zu
erwähnen, dass hereits Se. Excellenz der königlich preussische Cultus-
minister, Herr v. Go.ssler, dieser Richtung seine Unterstützung hat
angedeihen lassen, indem er mir, einem Autor, der sich ganz zu der-
selben bekannt hat , zur Förderung dieses Strebens ein eigenes In-
stitut schuf.
Indem nun Euere Excellenz mich in einen grösseren Wirk-
ungskreis beriefen und mir dieses grosse Institut übergaben, haben
Hochdieselben dieser jungen, einen neuen Weg der Erkenntniss des
Organischen anbahnenden Wissenschaft somit einen weiteren Impuls
gegeben; und das hochsinnige Vorgehen Euerer Excellenz wird nicht
verfehlen, zur Nachfolge anzuregen und der Entwicklungsmechanik
neue Kräfte zuzuführen.
Ni. 15.
Ziele und Wege der Entwiekelungsmeehanik.
1892.
In Merkel-Bon net's „Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte".
Bd. II. 1892.
Inhalt.
Seite
Bisherige biologische Erklärungsarten 58
Phylogenetische und ontogenetische Entwiekelungsmeehanik 60
Bedeutung der Entwiekelungsmeehanik für die Descendenzlehre : 60
Vererbung erworbener Eigenschaften 61
Assimilation als die Bedingung vererbbarer Variationen . 62
Entwickelung aus inneren und äusseren Ursachen 63
Stetige und sprungweise Entwickelung 63
Freie Variationen der einzelnen Theile 64
Entwickelungsmechanische Zurückweisung einiger Einwendungen gegen
die Descendenzlehre 66
Stellung der derzeitigen vergleichenden Anatomie zur Entwiekelungsmeehanik 69
Weiterer Nutzen der Entwiekelungsmeehanik 72
Specielle Aufgabe der ontogenetischen Entwiekelungsmeehanik 73
Persönliches Keimplasma und unpersönliches Keimplasson 73
Vorent Wickelung: unpersönliche, persönliche und aeeessorische .... 74
Unzulänglichkeit causaler Schlüsse aus Beobachtungen der normalen Ent-
wickelung 75
Wesen des Organischen 76
Morphologische Assimilation: Wesen derselben 78
Arten derselben: 1. präparative Assimilation 79
2. generative Assimilation 79
3. reparative Assimilation 79
56 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Seite
Alloplasie 80
VVachsthum : Arten desselben 77
1. Massenwachsthum 81
2. Bios dimensionales Wachsthum 81
Co m plexe Vo rgänge und conipl exe Componenten 82
Die letzten lebenstb ätigen Best andthe il e der Organismen : .... 83
a) Letzte Elementar orga nism e n : 1. Automerizon 84
2. Idioplasson 85
b) Letzte Elementarorgane: 1. Autokineon 84
2. Isoplasson 84
(xranula Rieh. Altmann's 85
Möglichkeit der ursprünglichen successiven Entstehung des
Lebens 85
Historische Analyse der individuellen Entwickelung 86
Nächste Aufgabe 87
Specielle Methodik der ontogenetischen Entwickelungsmechanik 87
Combination verschiedener Experimente ö9
Beschränkte Anwendbarkeit des Satzes : Gleiche Wirkungen gleiche Ursachen 92
Causale Verwerthung der Merkmale höherer Ordnung 93
Constanz der Form bei Wechsel der Ursachen 93
Directe und indirecte Entwickelung 94
Literaturverzeichniss.
1. Roux, W., Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Einleitung. Zeit-
schrift für Biologie Bd. XXI, N. F. HI, München 1885. •
2. — Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische Wissenschaft
der Zukunft. Festrede. Wien 1890.
3. Dreyer, F., Ziele und Wege pathologischer Forschung, beleuchtet an der Hand
einer Gerüstbildungsmechanik. .Jena 1892.
4. Driesch,H.,Die mathematisch-mechanische Betrachtung morphologischer Probleme
der Biologie. Jena 1891.
5. Roux, W., Ueber die ersten Theilungen des Froscheies und ihre Beziehungen
zu der Organbildung des Embryo. Anat. Anz. 1893, S. 605—609.
6. — Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig 1881.
7. — Beiträge zur Morphologie der functionellen Anpassung. Nr. 1. Archiv f.
Anat. u. Physiol. anatom. Abtheilung. 1883.
8. Eimer, S. H. Th., Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen.
Jena, G. Fischer, 1889.
9. — Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben erworbener Eigenschaften,
nach den Gesetzen organischen Wachsens. 1. Theil. Jena 1888.
10. Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte. 8. Aufl. Berlin 1889.
11. — Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen. 4. AuÜ. 1891.
12. Kölliker, A. v., Morphologie und Entwickelungsgeschichte des Pennatuliden-
stammes nebst aligemeinen Betrachtungen zur Descendenzlehre. Frankfurt 1872.
Literaturverzeichniss. 57
18. Weis mann, A.. Ueber die Vererbung. Ein Vortrag. Jena 1883.
14. — Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
15. Wolff, G., Beiträge zur Kritik der Darwinschen Lehre. Biolog. Centralbl. 1890,
Bd. X, S. 450
16. Roux. W., Beitrag III zur P]ntwickelungsmechanik des Embryo: Ueber die Be-
stimmung der Hauptrichtungen des Froschembryo im Ei und über die erste
Theilung des Froscheies. Breslauer ärztliche Zeitschrift 1885 Nr. 6 u. f.
17. Wiesner, J., Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz.
Wien 1892.
18. Alt mann, R., Die Granulalehre und ihre Kritik. Archiv f. Anat. u. Physiol..
anatom. Abtheil. 1893 S. 55 u. f.
19. Flemming, W., Bericht über „Zelle", in Merkel-Bouuet, Ergebnisse der Anatomie
und Entwickelungsgeschichte 1892 S. 43.
20. Roux.W., Kritik der Granulalehre Rieh Altmann's, Verhandl. der anatom. Gesell-
schaft zu Wien S. 223, 1892, Jena.
21. Rauber, A., Formbildung und Forrastörung in der Entwickelung von Wirbel-
thieren. Leipzig 1880.
22. Roux, W., Ueber die Selbstordnung der Furchungszellen. Drei Mittheilungen.
Bericht des naturw.med. Vereins zu Innsbruck, April 1893.
23. — Beitrag Vll zur Entwickelungsmechanik : Ueber Mosaikarbeit und neuere
Entwickelungshypothesen. Merkel-Bonnet, anatom. Hefte 1893, Februarheft.
24. Bütschli. 0.. Ueber die Bedeutung der Entwickelungsgeschichte für die Stam-
mesgeschichte der Thiere. Jahresber. d. Senkenberg. Ges. zu Frankfurt a. M.
1876 S. 66.
25. Roux.W., Beitrag !V zur Entwickelungsmechanik : Die Bestimmung der Median-
ebene des Froschembryo durch die Copulationsrichtung des Eikernes und des
Spermakernes. Archiv f. raikrosk. Anatom. 1887, Bd. 29.
26. Bertbold, G.. Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886.
27. Errera, L.. Ueber Zellenformen und Seifenblasen. Tagebl. d. 60. Versammlung
der Naturforscher zu Wiesbaden S. 246 — 248.
28. Bütschli, 0., Ueber die Structur des Protoplasma's. Verband!, d. naturhist.
med. Ver. zu Heidelberg, 1889.
29. — Untersuchungen über mikrosk. Schäume und das Protoplasma. Leipzig 1892.
30. Quincke, G., Ueber Protoplasmabewegung und verwandte Erscheinungen. Tagebl.
d. 62. Vers, der Naturforscher zu Heidelberg 1889.
31. Dreyer, F., Die Principien der Gerüstbildung bei Rhizopoden, Spongien und
Echinodermen. Jenaische Zeitschrift f. Naturwiss. XXVI. Bd. N. F. XIX. Bd. 1892.
32. Roux, W.. Ueber die Specification der Furchungszellen und über die bei der
Postgeneration und Regeneration anzunehmenden Vorgänge. Biol. Centralbl. 1893
Nr. 19.
33. — Kritisches Referat über H. Spitzer 's „Beiträge zur Descendenzlehre" in:
Göttinger gelehrt. Anzeiger 1886 Nr. 20 (Bemerkungen über Homologie, die Ur-
sachen des „biogenetischen Grundgesetzes" und die Grundbedingungen der Ver-
erbbarkeit).
34. — Ueber die Lagerung des Materials des Medullarrohres im gefurchten Froschei.
Verhandl. d. anat. Ges. zu Würzburg. Anat. Anz.
58 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Es ist der Wunsch der Redaction, dass künftigen Berichten
über die Ergebnisse der entwicklungsmechanischen Forschungen zu-
nächst eine Einleitung über die Ziele und Wege der Entwicke-
lungsmechanik vorausgehe.
Verfasser hat sich über dieses Thema bereits Mdederholt und
ausführlicher geäussert, als es hier zu thun der Raum gestattet.
Interessenten, welche sich genauer zu informiren wünschen, seien
daher auf diese Publicationen verwiesen (1 und 2), die sich möghchst
eng an das zunächst zu Erstrebende und Erreichbare halten.
Auch sind die bezüglichen Erörte- [417] rungen der jüngsten An-
hänger der Entwicklungsmechanik: H. Driesch (4) und F. Dreyer (3)
dem Leser zu empfehlen.
Das Ziel der Entwicklungsmechanik der Organismen ist eine
bestimmte Art der „Erklärung" der Organismen.
Es gibt in der Biologie verschiedene, theils coordinirte, theils
einander superordinirte Arten der Erklärung der vorhandenen Gebilde.
Die historisch erste Art der Erklärung eines Organismus be-
stand in dem Nachweise der Zweckmässigkeit seiner Einricht-
uno-en für sehie eigene Erhaltung und w^eiterhin des Nutzens für den
Menschen oder andere Lebewesen. Statt der ersteren Zweckmässig-
keit sagen wir objectiver, die Selbstiiützliclikeil, Autophelie (von
avTog und oHfikaia Nutzen) des Organismus: sie ist es, welche die
Dauerfähigkeit der Organismen herstellt, resp. erhöht.
Danach imponirte es dem menschlichen Geiste als Erklärung
eines Organismus, wenn man darlegte, auf welche Weise, d.h. unter
welchen äusseren und inneren Form Wandlungen die Complicirtheit
seines fertigen Zustandes nach und nach aus den einfachen For-
men des befruchteten Eies sich hervorbildete. Es ist die Aufgabe
der beschreibenden Entwicklungsgeschichte, dies für alle
Arten der Lebewesen nachzuweisen. Das Wesen dieser Erklärung
ist die beschreibende Ableitung des formal Complicirten aus dem
formal Einfachen.
Die dritte Art der Erklärung sucht zunächst das Gleiche für
grosse Gruppen, ja, für die Gesammtheit der Lebewesen, zu
Bisherige biologische Erklärungsarten. 59
leisten. Dabei werden die verschiedenen Lebewesen in Reihen stei-
gender ConipUcirtheit und möghchst grosser Aehnlichkeit der benach-
barten Glieder geordnet. Danach wurde diesen Reihen genetische
Bedeutung untergelegt und somit in der Abstammung des Com-
plicirteren von dem Einfacheren den verschiedenen Lebewesen ähn-
liche ursächliche Beziehung zuerkannt, wie sie in den verschiedenen
Entwicklungsstadien eines Lebewesens von selber sich ausspricht.
Es wurde sodann nach den Ursachen dieser steigenden
Complication in der Reihe der Lebewesen mid der dabei statt-
findenden typischen Ausgestaltungen in Klassen, Gattungen, Arten
gesucht. Da von allen Eigenschaften der Organismen die Selbst-
nützlichkeit am meisten in den Vordergrund tritt und, indem sie
die Einrichtung derselben beherrscht, das wesentlichste Merkmal der
Organismen, die ,, Organisation'' darstellt, so wurde bei dem Suchen
nach den Entstehungsursachen der Organismen von den Begründern
der Descendenzlehre mit Recht zunächst vorzugsweise die Frage be-
handelt, wie und wodurch complicirt Nützliches aus Einfacherem ohne
Eingreifen eines zweckthätig schaffenden Wesens, also rein mechanich
entstehen könne. Und Charles Darwin hat in der [418] besseren
Erhaltungsfähigkeit des Nützlicheren im Kampfe ums Dasein ein
Auslese- und Steigerungsprincip nachgewiesen, durch welches aus zu-
fälligen Variationen die für ihre eigene Erhaltung nützlichsten erhalten
bleiben. Bei diesem Nachweise wurde zugleich von vielen Eigen-
schaften der Organismen der bisher nicht erkannte Nutzen aufgedeckt
und wohl in Folge dessen nicht genügend gewürdigt, dass noch
vielerlei Organismen Artcharaktere besitzen, denen ein Nutzen für
das Individuum nicht zuerkannt werden kann.
Die Variationen, aus denen die Auslese züchtet, wurden zu-
nächst einfach als gegeben und als frei um die vorhandene Form
oder Qualität als Mittellage variirend angenommen.
An diese drei Arten von Erklärung der Organismen hat sich
nun eine vierte anzuschliessen ; die Wissenschaft von den wirk-
lichen Bildungsursachen, von den verae causae, den gestaltenden
Kräften und deren Combinationen , denen das Organismenreich im
60 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Ganzen und in jedem Individuum seine Entstehung verdankt: die
Entwicklungsmechanik der Organismen.
Das Ziel dieser Wissenschaft ist die Ermittelung der ganzen
Reihe nächster, naher und entfernter, resp. specieller und allgemeiner
Ursachen jedes organischen Bildungs- und Erhaltungsvorganges, einer-
lei, ob es sich um progressive oder regressive Bildungen oder soge-
nannte blosse Umbildungen handelt. Je nach der Definition von
Ursache oder Kraft erhält die specielle Definition dieses Zieles eine
andere Fassung, womit aber practisch nichts gefördert wird; es sei
daher an dieser Stelle davon abgesehen, solche anderweit (Nr. 13 und
14) bereits angedeuteten Fassungen zu reproduciren^).
Die Entwicklungsmechanik der Organismen zerfällt in eine
ontogenetische und phylogenetische Entwicklungsmechanik.
Beide Theile fügen sich später einer durch sie exacter begründeten
Descendenzlehre als wesentliche Glieder ein.
Zunächst wird der ontogenetische Theil lange Zeit fast aus-
schliesslich zu pflegen sein. Wenn dieser Theil schon sehr weit aus-
gebildet ist, dann wird von ihm aus auch ein Schimmer der Auf-
hellung auf die Ursachen der Phylogenese fallen, und damit dieser
zweite Theil eine, wenn auch wohl immer noch sehr hypothetische
Grundlage gewinnen.
Diese an' sich geringe Hoffnung scheint vielleicht noch ver-
messen. Und doch hoffe ich mit einiger Berechtigung diese Worte
zu sprechen. Denn schon gegenwärtig kann, wie mir scheint,
die entwickelungsmechanische Denkweise aufklärend, min-
destens mildernd in den Widerstreit der verschiedenen
Richtungen der „Descendenzlehre" eingreifen, blos mit dem
Wenigen, was wir bereits erkannt haben; besonders aber durch die
klare [419] V'orstellung dessen, was uns an entwickelungsmechanischen
Kenntnissen fehlt. Es sei dies etwas im Einzelnen dargelegt.
Es sind vier Hauptfragen , über welche die Anhänger der Des-
cendenzlehre uneins sind:
[ij Dieselben finden sich methodisch erörtert in der „Einleitung" des Archiv
für Entwickelungsmechanik, Bd. I, 1894.1
Gegen Vererbung erworbener Eigenschaften. 61
1. Giebt es Vererbung sogenannter „erworbener" Eigen-
schaften, (las heisst: giebt es Uebertragung von Eigenschaften,
welche durch äusserliche Einwirkungen auf den Personaltheil des
Individuums an diesem Theil aufgetreten sind, also nach A. Weismann
somatogener Eigenschaften, auf den in den Personaltheil einge-
schlossenen Germinaltheil? Wenn dies der Fall wäre, so müssten
1. die vom Personaltheil erworbenen Eigenschaften nicht blos auf
das Keimplasma übertragen, sondern 2. zugleich auch aus dem
.entwickelten Zustande zurück in den unentwickelten, dem Keimplasma
adäquaten Zustand verwandelt, also implicirt oder involvirt werden
(s. Roux im Jahresber. v. Hofmann u. Schwalbe 1881 S. 396).
Oder beruhen im Gegentheil nach A. Weismann (13 u. 14) alle
vererbbaren Eigenschaften nur auf blastogenen Veränderungen, also
auf primären Veränderungen des Keimplasson (s. S. 73), welches sich
continuirlich, d. h. ohne an der Differenzirung des Personal theiles im
Geringsten theilzunehmen , von einem Individuum auf das andere
überträgt? Alsdann müssen neue Eigenschaften z. B. an dem Vater
nur früher entwickelt und daher auch früher erkennbar werden als
an dem später zur Entwickelung gelangenden Stücke desselben Keim-
plasma, aus dem der Sohn und die Tochter, welche somit richtiger
als die jüngeren Geschwister (resp. gewöhnlich als Stiefgeschwister)
des Vaters und der Mutter zu bezeichnen sind, hervorgehen.
Diese Alternative sei hier nicht discutirt, sondern blos berührt.
Für denjenigen, der sich die Grösse des Räthsels der angeblichen
Uebertragung von Veränderungen des Personaltheiles auf den Germi-
naltheil vorgestellt hat, ist die von Weismann sorgfältig begründete und
neben ihm auch von Owen , Bütschli (23) , Galton , M. Nussbaüm,
JuL. Sachs u. A. angebahnte Theorie von der Continuität des Keim-
plasma die Erlösung von einem auf unserem Erkenntnissvermögen
lastenden Alp, die Befreiung von zwei der schwierigsten entwickelungs-
mechanischen Problemen von Problemen, welche viel schwerer lösbar
erscheinen als das der Entstehung des Zweckmässigen ohne zweck-
thätiges Wirken. [Es sind die oben angedeuteten Probleme: der
Uebertragung (Translatio) formaler und bestimmt localisirter
Eigenschaften vom Elter auf den in ihm lebenden Keim und der
62 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsinechanik.
gleichzeitig nöthigen Zurück Verwandlung (Implication) aus
dem entwickelten in den unentwickelten Zustand. Letztere müsste
um so nöthiger und grösser sein , je grösser der Antheil der Epi-
genesis (s. S. 6) an der individuellen Entwickelung ist.j
Als nach Erkenntniss strebende Wesen werden wir dringend
wünschen, dass sich dieses Fundament von der Theorie der Continuität
des Keimplasson immer mehr bewahrheiten möge. Nehmen wir im
Interesse der Einfachheit der weiteren , hier blos flüchtigen , nicht
nach Vollständigkeit strebenden bezüglichen Darstellung wegen diese
Ansicht als vollkommen gesichert an.
[420] 2. Die zweite Differenz betrifft die ,,Ent steh ung" vererb-
barer Variationen des Keimplasma. Vererbbar können nach
meiner Auffassung nur solche Variationen des Keimplasson sein,
welche zugleich vollkommen ,, assimilationsfähig'' sind (s.
hierfür und bezüglich des folgenden: Roux in Hermann u. Schwalbe,
Jahresber. d. Anat. u. Physiol. 1887, S 540 u. 528 u. I. Nr. 6 S. 807). Die
strittige Alternative ist nun : Sind vererbbare Variationen des Keimplasma
stets nur durch äussere Einwirkungen auf dasselbe oder ausschliess-
lich resp. gelegentlich ohne solche Einwirkungen, also aus inneren
Ursachen, somit durch Selbstdifferenzirung desselben entstanden?
Wer verfügt zur Zeit über genügende sachliche Gründe, uin
eine dieser beiden Ansichten mit Sicherheit aus seh Hessen zu können?
Niemand !
Warum sollen nicht einmal oder einigemal in frühester, früher
und späterer Zeit des Organismenreiches, wenn einmal assimilations-
fähige Variationen entstehen konnten, auch äussere Einwirkungen
solche Keimplasmavariationen veranlasst haben und warum nicht gar
solche, welche nicht blos eine einmalige Aenderung darstellten,
sondern Variationen, nach denen auf die erste, von aussen veran-
lasste Aenderung zufolge dadurch entstandener innerer Eigenschaften
eine ganze Folge von Aenderungen sich anschloss? Das Keim-
plasson ist ja seinem Wesen nach ,,Selbstdifferenzirungs-
substanz''. Welche uns bekannten Gründe zwingen weiterhin etwa
zu der Annahme, dass diese Selbstdifferenzirung stets eine indivi-
duelle, blos auf ein Individuum (oder bei Doppelbildung auf
Assimilation als die Bedingung der Vererbung. 63
zwei Individuen) hin angelegt sein könne, stets mit P e r s o n a l i s a t i o n
des Keimplasson (s. S. 73) verbunden sein müsse; dass das Keim-
plasson nicht aus gleichfalls in ihm liegenden Kräften sich verändern
könne, ohne sich dabei zugleich zu individualisiren, d. h. ohne dabei
Special theile eines Einzelwesens anzulegen, also ohne dabei seine Eigen-
schaft als Keimplasson einzubüssen?
Bei solchem immanenten mechanischen Veränderungs-
vermögen kann durch nicht ganz gleichzeitiges Auf treten
dieser Selbstveränderung bei den Nachkommen des ersten Trägers
des durch äussere Einwirkung dazu disponirten oder durch Selbst-
differenzirung alterirten Keimplasson eine Veränderung, eine neue
Eigenschaft der Individuen au einzelnen Thieren früher, an anderen
später auftreten und so nach Eimer (8) allmählich sich ausbreiten
und successive ein Artcharakteristicum werden, ohne dass man in
Folge dieser Thatsache genöthigt ist, mit diesem Autor eine Vererb-
ung vom Person altheil erworbener Eigenschaften anzunehmen.
Es ist ferner vorläufig nicht auszuschliessen , dass sogar Keim-
plasson Variationen entstanden, welche aus inneren Ursachen nicht
blos eine einzige, sondern gleichzeitig mehrere nützliche
Variationen hervorbringen konnten ; ja es ist sogar Keimplasson
denkbar, welches zufällig geradezu befähigt war, mehrere dauer-
fähige Variationen nach einander her- [421] vorzubringen, unter
Einwirkung mehr blos auslösender als direct differenzirender äus-
serer Einwirkungen.
Was die Grösse dieser vererbbaren Variationen des Keimplasson
angeht, so liegen keine sicheren sachlichen Gründe dafür vor, dass
stets nur solche Variationen des Keimplasson assimilationsfähig,
also V e r e r b b a r gewesen wären, welche blos kleine Veränderungen
des entwickelten Individuums bedingen , wenn schon diese ver-
muthlich die weitaus häufigeren gewesen sein werden ; immerhin muss
eine sogenannte sprungweise Veränderung der Nachkommen
als möglich bezeichnet werden; und in Verbindung mit sogleich zu
erörternden weiteren Principien kann daraus auch eine sprungweise
Differenzirung des Organismen reich es abgeleitet werden.
Es wären nur wenige im Laufe der Aeonen der organischen Vorzeit
64 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
vorgekommene solche Sprünge nöthig gewesen , um die Entstehung
der Hauptthierstämme erheblich zu erleichtern.
Es ist nicht nachgewiesen worden , dass die Entwickelung
des Organismenreiches eine stetige, und daher nur mit kleinen
Verbesserungen fortschreitende war; vielmehr ist es nicht unmöglich,
dass im Laufe der Aeonen einigemale Variationen von gleichzeitiger,
so mannigfacher Nützlichkeit vorgekonmien sind , dass ihr zufälliges
Auftreten rechnerisch geradezu als ausserordentlich wenig wahr-
scheinlich bezeichnet werden rauss. Ebenso ist es umgekehrt möglich,
ja wahrscheinlich, dass wiederholt vollkommen Dauerfähiges
dadurch aus d e r R e i h e d e r L e b e n d e n e 1 i m i n i r t worden
ist, dass das Keimplasson sich in pejus veränderte [worauf
schon die Geschichte mancher Adels- und Fürstenfamilien hinweist].
Daran schliesst sich die weitere Streitfrage: sind die durch
äussere oder innere Ursachen bedingten \^ a r i a t i o n e n
des Keimplasson der Art ,,frei'\ dass jeder Theil des entwickelten
Jndividuums um seine derzeitige Norm als Mittellage stets nach allen
Seiten hin, also auch nach der Seite des Nützlichen und Schädlichen
gleich leicht variirt ; oder sind zufolge der Erhaltungs- und Varia-
tionsmechanismen des Keimplasson diese Variationen zu verschiedenen
Zeiten zufällig nach irgend ein er Richtung leichter möglich als nach
der anderen? (s. I S. 116.)
Wer vermag darüber etwas Bestimmtes zu sagen? Wenn letzteres
der Fall ist, kann dies gelegentlich zufällig auch nach der Seite der
Nützlichkeit hin geschehen, so dass einige schwierige Stufen, auf denen
viele Organe gleichzeitig in nützlicher W^eise vererbbar variiren
mussten, wie beim Uebergang vom Wasser- zum Land- (Luft-) Leben
überschritten werden konnten. Und es kann Aeonen gedauert haben,
bis zu diesem Schritte sich die günstigen Bedingungen gefunden haben
(s. I S. 124).
Sind ferner die assimilationsfähigen Keimplasmavariationen auch
in der Art „frei", dass j eder kleine Theil des „entwickelten"
Indivi- [422] duums für sich allein vollkommen unab-
hängig von allen anderen entwickelten Tlieilen variiren
kann, oder müssen bei Variationen von Theilen des Keimplasson
Griebt es freie VariiitionV 65
7AÜ'olge correlativerEntwickelungsmechanismen stets Veränderungen
vieler entwickelter Theile gleichzeitig vorkommen? Ersteres
könnte nur dann das alleinige sein, wenn die kleinsten selbständig-
variablen Theilchen des entwickelten Individuum alle auch ganz selbst-
ständig, ganz unabhängig von den anderen, aus besonderen Theilchen
des Eies, also rein durch Selbstdif¥erenzirung sich entwickelten, wie
es Weismann annimmt; resj). es könnte ersteres nur soweit vorkommen,
als dieses letztere der Fall ist. Wir können jedoch von keinem er-
kennbar variirten Körpertheile behaupten , dass er sich vollkommen
selbstständig vom Keimplasma aus verändert habe ; denn die ursäch-
lich damit verknüpften Veränderungen anderer Theile können der
Art sein, dass wir sie nicht erkennen können. Unsere specielle ent-
wickelungsraechanische Einsicht ist zu solchem Urtheil noch viel zu
gering.
Es kann aber andererseits wohl als sicher angenommen werden,
dass die Annahme solcher S e 1 b s t v a r i a t i o n e n einzelner entwickelter
Theile nicht allgemein richtig ist, schon in Rücksicht auf die von
Darwin betonten, von mir erklärten und unter dem Namen der fuuc-
tionel len Anpassung zusammengefassten Thatsachen (s. Nr. 4 u. 7),
welche auf functionell vermittelten gestaltenden Korrelationen beruhen,
um hier von vielen anderen , noch weniger bekannten , aber noth-
wendigerweise z. B. bei der Regeneration anzunehmenden differen-
zirenden Correlationen ganz abzusehen (s. Nr. 28).
Wenn es aber, woran wohl nicht zu zweifeln ist, gestaltende, per
continuitatem et eontiguitatem vermittelte Correlationen
unter grösseren, nebeneinander liegenden und auch unter nicht unmittel-
bar nebeneinander liegenden Theilen des Keimplasma giebt, dann
müssen mit der Variation eines Theiles des entwickelten Individuums
einige oder viele andere Theile desselben zugleich variiren ; es kann also
erstens, wie schon Darwin hervorhebt, eine neue nützliche Eigen-
schaft mit der Bildung anderer nicht nützlicher fest verknüpft
sein. Wenn erstere sich im Kampfe bewährt, so werden die letzteren
unnützen miterhalten werden , sofern sie nicht geradezu so schädlich
sind, dass sie den Nutzen des Ersteren aufwiegen und damit die Er-
haltung des ganzen Veränderungscomplexes aufhel)en. Zweitens können
W. Roux. Gesammelte Abhanrtkinfreii. II. '->
66 Ni'. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
o-eleö'entlich so vielfache nützliehe und unnütze Veränder-
iingen des fertigen Organismus zugleich aufgetreten sein, dass sie
die Grundlage eines neuen Stammes, einer neuen Klasse, Ordnung,
Gattung, Art wurden.
Ueber all diese Eventualitäten haben wir meiner Meinung nach
zur Zeit noch kein bestimmtes Urtheil trotz der mannigfachen bereits
für und [423J wider angeführten Gründe; wir können keine Even-
tualität entschieden zurückweisen und voji keiner behaupten, sie sei
die einzig mögliche.
Es entspricht also die schroffe Betonung der Verschie-
denheiten in den Auffassungen Haegkel's (10 und 11), von
Kölliker's (12), Weismann's (13), Eimer's (8 und 9) u. a. nicht
dem wirklichen Stande unseres Wissens; sondern das Urtheil
über Wahrheit und Irrthum ist bezüglich dieser Fragen auf ausser-
ordentlich lange Zeiten hinaus zu vertagen, nämlich bis die Ent-
wickelungsmechanik soweit ausgebildet ist, dass wir einen
tiefen Einblick nicht blos in die Mechanismen der Bild-
ung der Individuen aus dem Keimplasma, sondern auch
in die Mechanismen der Keimplasma- Variationen gewonnen
haben. Dann erst werden wir auf Grund dieser Kenntnisse oder
Wahrscheinlichkeiten einen freilich immer noch sehr unsicheren,
Rückschluss auf das Geschehen in früheren Aeonen machen können.
Es ist wohl zu vermuthen, dass alle die genannten Modi bei
der Entstehung des Organismenreiches gelegentlich be-
theiligt gewesen sind, jedenfalls schliesst das Vorkommen eines
dieser Geschelmisse das frühere oder spätere Vorkommen des anderen
nicht aus.
Auf unzureichender Einsicht sowohl in die Bedeutung der Ent-
wickelungsmechanik überhaupt, als in den Antheil, welchen ditferen-
zirende Correlationen an der individuellen Entwicklung nehmen,
beruht eine Summe von Einwendungen, die von G. Wolff (14) gegen
die Selectionstheorie erhoben worden sind, mit denen er diese
Theorie definitiv als unrichtig erwiesen zu haben glaubt.
Diese Einwendungen sind anscheinend mit grossem Scharfsinne
aufgespürt, classificirt und begründet, entbehren aber gleichwohl
Einwendungen gegen die Descendenzlehre. 67
meiner Meinung nach durchaus der ihnen zugeschriebenen wider-
legenden Kraft.
G. WoLFF behauptet, alle Gebilde, die an demselben Organismus
zwei- und mehrfach vorhanden und einander gleich sind (z. B.
Augen, sowie Schuppen, Federn symmetrisch gleicher Lagerung etc.),
spotten der Erklärung durch die Selectionstheorie, weil sie immer in
gleicher Weise variirt haben müssen, also keine freien Variationen,
sondern schon ein gesetzmässiges Gebundensein voraussetzen. Wolff
scheint bei diesen Folgerungen nicht bedacht zu haben, dass die pri-
mären Variationen nicht die Augen, Schuppen etc. als solche, son-
dern das Keimplasma betreffen; sollte er dies Moment berücksichtigt
haben, so muss er bei seiner Auffassung als selbstverständlich ange-
nommen haben, dass jedes entwickelte Einzelgebilde schon im Keim-
plasson s e 1 b s t s t ä n d i g vorhanden sei und s e 1 b s t s t ä n d i g v a r i i r e,
was wie oben erwähnt, nicht zutreffend, mindestens nicht bewiesen ist.
Aus den gemeinsamen Variationen mehrerer entwickelter gleicher
Theile können [424] wir blos auf ein enges entwickelungsmechanisches
Verknüpftsein der virtuellen Vorstufen dieser vielleicht überhaupt erst
später gegliederten Bildungen schliessen. Im noch nicht personellen
„Keimpias s o n" ist die Anlage der Theile der Individuen z. B. mit
ihrer späteren Symmetrie irgendwie potentia enthalten ; wir können
aber nicht einmal behaupten, dass die späteren symmetrischen Theile
schon im persönlichen ,, Keimpias m a" als gesonderte Gebilde vor-
handen sind; das Gleiche gilt von den einzelnen Schuppen etc.
Ferner meint G. Wolff: ,,Die Variirung einer Zelle zur Muskel-
zelle konnte nichts nützen, sofern nicht zugleich eine andere Zelle
sich zur Nervenzelle differenzirte ; die Entwickelung des Auges nützte
nichts, wenn nicht mit ihr die Entwickelung eines Sehcentrums Hand
in Hand ginge"; es müsse also auf die Freiheit der Variationen
der einzelnen Theile dabei verzichtet werden. Dies ist richtig; dies
dürfen, ja müssen wir aber auch. Die Freiheit der Variation jedes
einzelnen Theiles ist eine willkürliche, theilweise bereits als unzu-
treffend erkannte entwickelungsmechanische Annahme, die
auf der weiteren, ohne Beweis als sicher angenommenen Annahme
beruht , dass alle Theile des entwickelten Individuums rein durch
68 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsniechanik.
Selbstdiff ereuzirung ans einzelnen Th eilen des Eies hervor-
gingen, dass die individuelle Entwickelung eine Evolution wäre (s. S. 5).
Da die Placenta von Mutter und Kind gemeinsam gebildet wird,
so muss nach Wolff zu einer bestimmten Veränderung des Uterus
immer eine gleichzeitige Veränderung des Eies postulirt werden. In
diesem Falle kennen wir jedoch schon den entwickelungsmechanischen
Zusammenhang, wenn auch nur wenig, so doch genügend, um diesen
Einwand direct zurückweisen zu können ; war sehen, dass eine functio-
nell zureichende Placenta auch entsteht, wenn das Ei nicht im Uterus,
sondern in der Bauchhöhle an irgend einer Stelle sich entwickeU,
und schliessen daraus, dass der mütterliche Antheil an der Placentar-
bildung vom Ei aus veranlasst wird, dass die Placenta materna nicht
durch reine Öelbstdifüerenzirung von Theilen der Mutter entstellt,
sondern dass ihre Bildung als abhängige Differenzirung vom Ei,
von den Chorionzotten aus angeregt wird.
Beziehungen von Theilen eines Organismus zu Theilen eines
andern Organismus, wie die Beziehungen zwischen beiderlei Ge-
schlechtsorganen, z. B. des Penis zur Vagina, bieten gleichfalls keine
unlösbare Schwierigkeit dar , da sie dadurch vermittelt sein können,
dass diese beiderlei Individuen ursprünglich in demselben Keimplasma
gemeinsam potentia enthalten sind.
Welsmann's Ableitung der Rückbildung nicht mehr nöthiger
Organe durch Wegfall der sie brauchbar erhaltenden Naturzüch-
tuug verwirft Wolff auf Grund einer Rechnung, in der er annimmt,
dass von 2n Individuen blos wenige untergehen. Von den oft über
[425J Tausend befruchteten Eiern eines Froschweibchens erreichen
aber im Gegentheile oft kaum drei bis vier die Stufe der Geschlechts-
reife; die Auslese ist also hier eine überaus grosse und kann daher
wohl auch die von WeismaniN angenommene Wirkung haben. Es
raüsste festgestellt werden , ob derartige Rückbildungen blos
bei Arten mit so grosser Naturauslese vorkommen^).
[1) Das heisst mit anderen Worten: Nicht mehr gebrauchte und daher nicht
mehr durch Naturauslese auf ihrer Höhe erhaltene Organe werden bei sehr starkem
Kampfe um's Dasein, bei welchem blos Thätiges bestehen kann, als Theile, welche
Nahrung verbrauchen und den Organismus belasten ohne ihm zu nützen, direct weg-
Vergleichende Anatomie und Entwickelungsmechanik. 69
Auch die anderen jüngsten Opponenten des Darvvinisirnis,
F. DuEYEi! (;■>, S. 76) und 11. Dhiksch (5, S. öT) nrteilen zu leidit über
die Selectionstheorie ab; sie erlieben wieder den alten angeblichen
Einwand, dass die Selection kein activ gestaltendes, sondern blos ein Aus-
leseprincip ist, und unterschätzen daneben die summirenden Wirkungen
dieser Auslese aus Variationen, die durch der Entwickelungsmeclianik
zugehörende, erst durch lange Forschungsarbeit aUmählich erniittelbare
Gestaltungsprincipien hervorgebracht worden sind (s. auch Nr. 33).
Da die vergleichenden Anatomen, mit Ausnahme weniger, die
Entwickelungsmechanik so gering achten, dass sie dieselbe vollkommen
ignoriren, oder wie Häckel direct für überflüssig erklären, so sei, ob-
schon dies bereits aus dem Vorstehenden liervörgeht, noch besonders
darauf hingewiesen, dass die (Ir undann ahmen , von denen die
vergleichend anatomischen Untersuchungen auszugehen
pflegen, in ihrem Wesen auf, ihren Autoren vermuthlich
gezüchtet, denn ceteris paribus werden Thiere, welche diesen nutzlosen Ballast nicht
haben, in diesem Kampfe leichter erhalten bleiben.
(jir. WoLFF bemerkt hierzu (biol. Centralblatt 1894 S. 612): „Was soll man dazu
sagen, wenn W. Roux die WEisiiANN'sche Ableitung der Rückbildungen durch Weg-
fall der Selection mit der Bemerkung vertheidigt, dass , „die Auslese"" (deren Fehlen
ja die betreffende Wirkung hervorbringen soll) hier eine überaus grosse ist und daher
wohl die von Weismann angenommene Wirkung haben kann".
W. erkennt also nicht, dass nicht diejenige Auslese, welche fehlt, sondern eine
ganz andere Auslese nach Wegfall dieser das Züchtende ist
Dies Beispiel bezeichnet in fast typischer Weise die leichte Art, wie ein Theil
der jungen Generation mit den Argumenten für Darwin umgeht, um daraufhin die
Selectionslehre für widerlegt zu bezeichnen. Das ist nicht die Art, auf welche man
der Natur ihre Geheimnisse abgewinnt.
Die oben erwähnte Möglichkeit, dass beide Augen, wenn die Bedingung ihrer
Entstehung im Keimplasma oder gar im Keimplasson noch eine einheitliche ist,
— und da im noch u npersönli eben Keimplasson sogar die späteren zahllosen pcM-
sön liehen Samenkörper oder Eier noch nicht einmal gesondert, sondern blos vir-
tuell vorhanden sein können, ist dies Geringere wohl erst recht annehmbar — dann
auch gemeinsam variiren können, erscheint dem genannten Autor ein „verwerfliches
Versteckspiel ", während er dagegen aus der Thatsache solcher gemein sanier Varia-
tionen ihre „Unerklärbarkeit" durch die Principien der Selectionslehre ableitet.
Derselbe Autor führt als eigene neue Ansicht an, dass die „zweckmässige An-
passung das ist, was den Organismus zum Organismus macht", ein Gedanke, der
soweit er durch Thatsachen gestützt ist, von mir in Nr. 4 behandelt ist, wo die
Selbstregulation (besonders die morphologische, durch die functionelle An-
passung dargestellte Selbstregulation) als eine der das Wesen des Organischen
ausmachenden Eigenschaften dargethan wird is. auch S. 77).].
70 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Uli b ew US s t en , e iit w ick e lu iigs me chani s ch c ii V o rau s s e t z-
ungen beruhen.
Die vergleichende Anatomie nimmt immer zunächst an, dass
die untersuchten Organe oder Organismen phylogenetisch nur unter
allmähliclien formalen Aenderungen, also durch continuirliche,
nicht sprungweise Formwandlung der entwickelten Theile aus
früheren hervorgegangen seien; dies setzt aber voraus, dass die Ent-
wickelungsmechanismen dieser Bildungen und die Variationen dieser
Mechanismen in ganz bestimmter Weise beschränkte sind, sodass ihre
Endpro du et e sich formal immer blos wenig auf einmal ver-
ändern.
Indem dieselbe Annahme für jedes einzelne Organ gemacht wird,
wird weiterhin vorausgesetzt, dass entweder jedes Organ selbstständig
sich entv\dckeln und daher auch selbstständig in der eben erwähnten
Weise variiren könne oder dass kleine Variationen des einen Organ es
auch nur kleine formale Variationen jedes anderen, mit ihm in ge-
staltenden Correlationen stehenden Organes veranlassen.
Als specielle Consequenz der ersten Annahme wird ferner zu-
nächst immer angenommen, dass analoge Theile desselben Indivi-
duums oder analoge Theile der Individuen verschiedener Arten und
Gattungen desselben Thierstammes durch Variationen ursprünglich
homologer Theile entstanden seien, eine Annahme, welche die Ent-
stehung später einander gleicher Gebilde aus ursprünglich ungleichen
Theilen auszuschliessen strebt und somit gleichfalls bereits bestimmte
Beschränkungen der uns noch unbekannten l^ezüglichen Entwickelungs-
mechanismen postulirt.
Es wird lange währen , bis wir die entwickelungsmechanischen
Ursachen dieser vergleichend anatomischen Annahmen aufgefunden
haben werden; immer aber müssen letztere, so weit sie sich bewahr-
heiten, auf solchen Ursachen beruhen. Schon aus diesem Grunde
hat die vergleichende Anatomie Veranlassung, mit der Entwickelungs-
mechanik Fühlung zu nehmen. Die vergleichende Anatomie ist aber
ausserdem bereits an einem Punkte angelangt, an dem sich diese
ihre bisherigen Grundannahmen mehr und mehr als nicht ausreichend
zu erweisen begonnen haben, und von dem an sie zu weiterem Ver-
Vergleichende Anatoniio und Entwickelungsmeclianik. 71
ständniss der Formwandlungoii nun direct cntwicki'lunosnu'clunii^^clicr
Einsieht bedarf (s. S. 51).
Wenn wir dem Gang des Entwickekuigsgescheheiis des ürga-
nismenreiches folgen, wie er sich nach Weismann's oben erwähnter
Theorie darstellt, so handelt es sich primär immer um V^ariationen
des Keimplasma, welche ihrerseits zmneist nur klein sein werden.
Die Entwickelungsmeclianik wird uns nun zu lehren haben, in welchen
speciellen Fällen diese kleinen Aenderungen des Keimplasma auch
nur kleine Aenderungen des aus ihm Entwickelten zur Folge
haben, unter welchen Verhältnissen dagegen sie grosse Veränderungen
des letzteren, wie z. B. plötzliche Vermehrung der Zahl ganzer Organe
oder Organcomplexe veranlassen können.
Andererseits aber wird^clie Entwickelungsmechanik sich kein
Hilfsmittel entgehen lassen dürfen und daher auch aus den bereits
ermittelten Thatsachen der vergleichenden Anatomie , z. B. aus den
wirklich sehr häutig blos allmählichen Form Wandlungen der ent-
wickelten Tlieile während der Phylogenese, sowie aus den That-
sachen des sogenannten biogenetischen Grundgesetzes Rückschlüsse
auf die Natur der Entwickelungsmechanismen zu ziehen sich bestreben
(s. Nr. 6, S. 801—804).
Die ablehnende Haltung der Descendenztheoretiker und verglei-
chenden Anatomen gegen die Entwickelungsmechanik beruht auf der
Annahme, dass das sogenannte biogenetische Grundgesetz
allein schon eine genügende Erklärung der embryonalen
Bildungen darstelle, und dass in Folge dessen jede weitere directe
Ableitung dieser Formen überflüssig sei.
Diese besonders von Haeckel ^) und manchem seiner Schüler ver-
tretene Aufliassung beruht meiner Meinung nach auf einer Verwechse-
lung der Leistungen zweier ganz verschiedener Erklärungsprincipien.
Das biogenetische Grundgesetz ist blos der Ausdruck der Wieder-
holung von typischen Bildungen; es sagt jedoch nichts aus über
die Kräfte, welche diese Wiederholung vollziehen. Ohne
diese [427] Kräfte kann aber überhaupt nichts geschehen. Es ist
1) Anthropogenie, 4. Aufl. l«yi.
72 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
nicht recht vci-stäiidlich, dass es nicht ein erstrebenswerthes Ziel sein
soll, diese Kräfte und ihre speciellen \\'irkirngsweisen zai erforschen.
Dagegen kann es den vergleichenden Anatomen gleich-
gültig sein, ob diese tvpischen Bildungen durch typische Zelltheilungen
und Zellordnungen unter Selbstdif f erenzirung einzelner Zell-
complexe erfolgen oder ob mannigfache ( 'orrelationen, z. B. Massen-
correlationen unter Druck, Zug oder Spannung der Blutsäule etc. bei
ihrer Herstellung betheiligt sind, wenn sie nur sicher hervorge-
bracht werden.
Zu letzterem gehört aber,-;_dass diese^gestaltenden Kräfte selber
typisch normirte sind; incon stauten , mehr zufälligen und daher
variablen Wirkungen kann dagegen bei diesen Gestaltungen nur ein
entsprechend untergeordneter Antheil zukommen : eine Bedingung, die
allerdings in manchen jetzigen entwickelungsmechanischen Ableitungen
nicht genügend berücksichtigt wird.
Wird somit der Entwickelungsmechanik nach längerer Pflege
dereinst eine grosse Bedeutung für die Descendenzlehre zukommen,
so wird ein Aehnliches zweifellos auch für manche Gebiete der Pa-
thologie und Therapie der Fall sein:
Wenn wir die normalen Gestaltungs- und Erhaltungscor-
relationen der Theile des Organismus untereinander kennen,
und ebenso, wenn wir wissen werden, welche Zellcomplexe sich
selbstständig, unabhängig von anderen entwickeln, so wird dies schon
für die Auffassung, eventuell aucli für die Behandlung mancher pa-
thologischer Vorgänge von Bedeutung sein ; noch mehr wird dies der
Fall sein, wenn wir die wirklichen Ursaclien der Gewebsleist-
ungen: des Wachsthums und der qualitativen Differenzirung etc.
kennen; denn damit werden wir aucli der Möghchkeit, diese Vor-
gänge vielleicht zu beeinflussen, erheblich näher gerückt sein , wenn
schon die modernen Thatsachen der Pathologie uns diese Zellvorgäuge
als so sehr in sich fest geschlossen kennen gelehrt liaben, dass sie selbst
bei ])athologischcn' Störungen fast nur quantitativ alterirt werden; aber
eben deshalb werden wir auch nicht lienöthigen, sie zu Heilzwecken
erheblich qualitativ zu beeinflussen.
Keimplassdil und K*Mni|iliisiHii. 73
Die i>Tösste BefriiHliguiio- wird aWcr unser l^j'kcniiinisstriob an
sicli oliiR' Rücksiclil aiil' einen ..Nutzen" nach andcivi- Seite hin durch
(He fortschreitende Einsit'ht in die Trsachen der organischen Rnt-
wickelung gewinnen.
Der phylogenetischen Entwickelungsnjechauik hat. wie
wir oben sahen, eine sehr lange Periode der Pflege der ontogeneti-
sehen K n t \v i c k e lu n g s ni e c h a n i k voraus/Aigehen .
[428] Unser gegenwärtiges Bestreben richtet sich daJier nur ani' die
Ermittelung der Mechanismen der individuellen Entwickelung.
Dabei werden die Keimplasmata , Ei und Spermatosoma mit
allen ihren im Laufe der Phylogenese entstandenen Eigenschaften als
gegeben angenommen. Wenn wir dem (lange des ontogenetischen
Geschehens folgen müssten , so wäre es nächste Aufgabe der Ent-
wickelungsmechanik, die Eigenschaften dieser Keimstoffe vollkommen
zu erforschen und aus ihnen unter Berücksichtigung der hinzukommen-
den äusseren Momente, alle Entwickelungsvorgänge der Ontogenesis
abzuleiten, l^och würden wir auf diesem Wege nicht vorwärts kommen.
Andererseits kann aber noch mehr gefordert werden, wenn wir
die individuelle Entwickelung vollkommen ermitteln wollen; denn
dazu ist es nöthig, dass wir nicht erst mit dem fertig gebildeten Ei
und Samenkörper unsere Eorschung beginnen, sondern auch die Ent-
stehung dieser beiden aus dem noch indiiferenten Keimstoff verfolgen.
Das Keimplasson, welches bei der Entwickelung des Individuums
reservirt wird und welches die Matrix der Oogonien und Spermato-
gonien darstellt, ist vielleicht überhaupt noch nicht auf einzelne Wesen
angelegt und kann daher als „unpersönlicher Keimstoif", als „Keim-
plasson" im eigentlichen oder engeren Sinne (als keim bilden der Stoff'
oderKeimbildungsstoff, von nXdGoov. bildend) bezeichnet werden. Ei und
Samen dagegen sind ihrem Haupttheil nach sicher bereits auf die Bildung
von Einzelwesen angelegte Keime, also gebildete Keime, Keimplas-
mata (von ro nldof.ia^ das Gebildete). Alle die Bildungsstufen, die von
dem hypothetischen Stadium des unpersönlichen Keimplasson zur
Herstellung des persönlichen oder individuellen Keimplasma
zu durchlaufen sind, gehören also mit zur individuellen, aber bei
den geschlechtlich sich vermehrenden Wesen in zwei getrennten
74 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickeluiigsmechanik.
Bahnen verlanfenden, Entwickelung. Solches unpersönUche
Keimplasson kann es jedoch blos geben, wenn die individuelle Ent-
wickelung nur von sehr wenigen Theilen durch Wechselwirkung der-
selben aufeinander ausgeht [also unter Epigenesis in meinem
Sinne (s. S. 5) sich vollzieht]; nicht aber, wenn nach Weisimann
im Keimplasma schon, den einzelnen entwickelten Kürpertheilen
entsprechend viele, besondere Theile vorhanden sind [und die indivi-
duelle Entwickelung daher in Evolution besteht].
Ich habe alle Entwickelungsvorgänge, die von dem Stadium des
ungegliederten Keimplasson bis zur Reife des einzelnen Eies und
Samenkörpers vor sich gehen, unter dem Namen oiitogeiietisclie
Vorentwickeluiig zusammengefasst.
Soweit die hierbei entstandenen Bildungen auf das spätere In-
dividuum unverändert übertragen werden (z. ß. die durch die telo-
lecithale Anordnung der Eisubstanzen gegebene dorsiventrale Richtung
des Froschembryo) oder soweit sie Vorstufen späterer individueller
Bildungen darstellen, sind sie als Bildmigen der individuellen oder
persönlichen V o r e n t w i c k e 1 u n g zu bezeichnen. Ihnen gehen vieh
leicht noch allgemeinere, nicht auf ein einziges Individuum angelegte
Veränderungen des Keimplasson voraus, welche alsdann eine unper-
sönliche Vor entwickelung darstellen. Die individuelle Vorent-
wickelung ist vielfach begleitet von Vorgängen, deren Producte blos
für die vorübergehende Sonderexistenz der Fortpflanzungskörper, so-'
wie eventuell für den Mechanismus der Copulation nöthig sind ; diesen
Theil der Vorentwickelung habe ich als accessorische Vorent-
wickelung bezeichnet (s. Nr. 20, S. 2 und Hermann und Schwalbe,
Jahresbericht der Anat. u. Physiol. 1887, S. 536).
Es ist Aufgabe der ontogenetischen Entwickelungsmechanik, auch
alle diese Vorgänge der individuellen Vorentwickelung zu erforschen ;
ebenso wie es Aufgabe der phylogenetischen Entwickelungsmechanik
wäre, die Vorgänge der phylogenetischen Vorentwickelung,
der Bildung des Keimplasson resp. Keimplasma auf dem Wege der
Entwickelung des ganzen Organisnienreiches vom Anfang des Organi-
schen an bis zur Herstellung des Keimplasson der jetzt lebenden
Organismen zu ermitteln, wenn dies möglich wäre.
Liqjorsönliche und ]HTsiniliili(' Voreiitwickelung. 75
Nach der Anzahl dor heivits über ursächhche Verliältnisse der
individuellen iMitwickclun^ vorliegenden Angaben wäre die Entwicke-
hmgsmechanik eine der am meisten gepflegten Wissenschaften und
selber bereits auf einer hohen Stufe der Entwickelung; denn die For-
scher auf dem Gebiete der beschreibenden Entwickelungsgeschichte
haben über die Entstehung vieler formaler Bildungen schon recht be-
stimmte Urtheile ausgesprochen. Doch diesen Urtheilen fehlt fast
ausnahmslos eine genügende sachliche Begründung; es fehlen die
„Beweise'' für die Richtigkeit gerade dieser speciellen Auffassung;
wie denn mit den descriptiven Forschungsme thoden an
normalen Objecten ,, sichere" Beweise für ursächliche
Zusammenhänge überhaupt „nicht" erbracht werden
k (innen.
Es wird übersehen, dass aus c o n s t a n t e n Beziehungen zwischen
normalen Erscheinungen oder Vorgängen über die vermittelnde
Ursache dieser Constanz deshalb keine sicheren Schlüsse gezogen
w^erden können, weil wir die ( Jomplicirtheit der normalen Wechsel-
wirkungen noch nicht annähernd übersehen können').
Wenn wir zur Zeit unser Augenmerk auf einen constanten Be-
gleiter eines Vorganges richten und in ihm die Ursache des letzteren
erblicken, können wir fast sicher sein, dass ausser ihm noch mehrere
Factoren da sind, die wir nur nicht wahrgenommen haben. Es ver-
rät h w e n i g E i n s i c 1 1 1 i n d i e V o r g ä n g e d er Natu r , den augen-
fälligsten, zuerst bemerkten Begleitungsumstand aucli
für den wesentlichen, ursächlichen zu halten.
[4:30] Die causalen Forscher würden einen Umweg einschlagen
und sich selber ein i\.rmuthszeugniss ausstellen, wenn sie ihr Werk
damit anfangen wollten, diese mannigfachen nicht bewiesenen Aus-
sprüche descriptiver Forscher auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Von
[ 1) Obgleich diese so wichtige, für die Methode der causalen biologischen Forschung
bestimmende Sachlage wiederholt hervorgehoben worden ist (s. Nr. 14, S. 7 und 8,
Nr. 30, S. 2), so scheint sie doch bei manchen descriptiven Forschei-n nur sehr langsam
Verständniss zu finden, denn sie fahren fort, ihre Mos descriptiven Beobachtungen
causal zu verwerthen und die experimentell gewonnenen Ergebnisse unbeachtet zu
lassen, so z. B. 0. Hektwig, Kollmann u. A. Die eingehende Begründung dieser Sach-
lage siehe in: „Einleitung"' zum Arch. für Entwickelungsmechanik Bd. I. 1894, S. 11. J
76 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
diesen ganzen Urtlieilen ist kaum mein' zu verwerthen als die Ein-
sicht , dass ungleiches Wachsthum eine der nächsten Ursaclien der
Gestaltbildung ist; aber schon über den Sitz solchen formbestimmen-
den Wachsthums bei den einzelnen Gestaltungen sind die bisherigen
Angaben vollkommen unzuverlässig; geschweige denn, dass sie über
die Ursachen des Wachsthums selber i\.ufklärung gäben.
Wir haben uns das normale Entwickelungsgeschehen der Orga-
nismen als durch so überaus complicirte, und in Folge dessen
von den anorganischen Vorgängen so abweichende Wirkungen bedingt
vorzustellen, dass wir jetzt, beim Beginne exacter causaler Forschungen,
in keinem Falle sagen können, was für die Natur der einfachere
Weg wäre, da wir die vorhandenen, ursächlichen Momente noch
nicht ahnen, geschweige deim keimen; und doch beruhen die causalen
Ableitungen descriptiver Forscher wesentlich darauf, dass sie glauben,
ihre Ableitung stelle den einfachsten Herstellungsmodus der be-
trachteten Bildung aus der vorhergehenden dar. Schon die That-
sachen, auf denen das sogenannte biogenetische Grundgesetz beruht,
widersprechc^n vielfach direct der Erzeugung der Individuen auf dem
formal einfachsten Wege.
Die einzige sichere causale Forschungsmethode auf
organiscliem Gebiete ist die des Experimentes; und zwar
des analytischen Experimentes. Diese Thatsache ist bisher nicht
genügend gewürdigt worden.
Es scheint angemessen, den weiteren p]rörterungen als Basis eine
Definition des Wesens der Organismen vorauszusenden.
Die Organismen sind Naturkörper, welche durch eine bestimmte
Summe von theils besonderen, theils auch im anorganischen Reiche
vorkommenden Vorgängen, sogenannten Leistungen Charak-
ter i s i r t sind. Diese allgemeinen, wesentlichen Leistungen der Orga-
nismen sind:
1 . Die S e 1 b s t a s s i m i 1 a t i o n ^) incl. Massenwachsthum (s. Nr. 15,
1) Das Wort Assimilation wird ausser in seiner wörtlichen Bedeutung der .'\n-
ähnlichung gewöhnlich auch zur Bezeichnung einer Anähnlichung bis zur vollkom-
menen Gleichheit gebraucht. Ks sei daher zur Unterscheidung letztere Art der
Assimilation als vollkommene Assimilation, erstere als unvollkommene
Wesen des Organischen. 77
8. 434), die Production specifiscli striicturii-ter, den betreffenden
Organismen selber gleichender Substanz,
[431] 2. die (NB. scheinbare) Selbstbewegung im Sinne von
Massenbewegung aus eigener innerer Kraft, auf oder ohne
wahrnehmbare äussere Anregung aber unter Auslösung
des Verbrauches von aufgespeichertem Spannkraftmateriale,
3. die S e 1 b s t a u s s c h e i d u n g des unbraucl ibar G e word enen,
4. die Selbsttheilung, eine bestimmte, feste Coordination
von Selbstbewegungen.
Alle diese Functionen dienen der eigenen Erhaltung dieses
Naturkörpers; seine Erhaltung ist dadurch wesenthch Selbst-
erhaltung und zwar im Ganzen wie im Einzelnen; er be-
sorgt sich soweit als irgend möglich alles zu seiner Erhaltung
Wesentliche selber. Diese Selbsterhaltung wird sehr erheblich
gesteigert durch
Assimilation bezeichnet. Die bei diesen Ausdrücken gemeinte Aehnlichkeit oder
Gleichheit besteht zwischen dem diese Thätigkeit ausübenden Assimilans und seinem
Product, dem Assimilatum.
Diese eigentliche Assimilation kann zur Unterscheidung von einer anderen,
gelegentlichen, wenn auch nicht recht passenden Verwendung des Wortes Assimilation
als Selbstassimilation, Assimilatio sui, bezeichnet werden.
Die Vermehrung einer organischen Substanz kann nun erstens durch die
eigene vermehrende Thätigkeit derselben, also durch vollkommene Selbstassimilation
geschehen und ist dann als actives Wachsthum oder als Selbstwachsthum
derselben zu benennen. Andererseits kann aber eine organische Substanz auch durch
fortgesetzte Bildung und Abscheidung von selten einer anderen, davon verschiedenen,
allein dabei thätigen Substanz (Matrix) hervorgebracht werden, wie z. B. die Epidermis
vom Rete Malpighi oder die Cuticulae.
Es Avird daher stets für uns nöthig sein zu ermitteln, welches von beiden (z. B.
bei dem Wachsthum jeder Art von Zellgranulis) der Fall ist. Die letztere Art der
Vermehrung kann in Bezug auf den dabei thätigen Theil unvollkommene Selbstassi-
milation desselben darstellen; sie kann und wird aber auch häufig, wie z. B. bei der
Bildung von Fett aus Ei weiss, ein Product liefern, das dem thätigen Theil noch un-
ähnlicher ist als das zur Bildung dieses Productes verwendete Material. Da hierbei,
vom Standpunkte des Productes aus betrachtet, Substanz in dem schon vor-
handenen Producte gleiche Substanz durch Thätigkeit einer dritten Substanz ver-
wandelt wird, wie bei der unvollkommenen Assimilation , indem das Assimilans ihm
selber Ungleiches aber einem anderen Fremden Gleiches bildet, so können diese
beiden Arten von bildender und abscheidender Thätigkeit im Gegensatz zur voll-
kommenen Selbstassimilation auch als Fr emd assi m ila tion und solche Art der
Vermehrung einer vorher vorhandenen Substanz als passives AVachsthiim der-
selben bezeichnet werden.
78 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
5. die S e 1 b s t r e g u 1 a t i o n in all diesen Leistungen, [welche in
Folge des Vermögens der gestaltenden f unctionellen
Anpassung (s. Nr. 4) auch bis /au- Ausbildung geeigneter
Gestaltungen, also bis zur Selbstgestaltung des Selbst-
nützlichen geht.
[Diese Selbstregulation betrifft die Gros se und in manchen Fällen
auch ein wenig die Qualität der einzelnen Functionen (s. Nr. 4, Capitel V)
und schliesst an sich nichts Teleologisches ein, obschon letzteres
jüngst behauptet worden ist (s. H. Driesch, Analytische Theorie der
organischen Entwickelung, Leipzig LS94). Soweit die Selbstregulation sich
weiterhin in complicirteren Gestaltung sfunctionen, bei der Re- und
Postgeneration äussert, ist zwar ihre Wirkungsweise zur Zeit noch nicht
im Speciellen vorstellbar; aber gleichwohl ist kein Grund, diese Leist-
ungen im Gegensatz zu dem mechanischen als teleologische zu be-
zeichnen, da ihre Leistungen typisch beschränkte sind, indem
sie bei jedem Organismus blos diesem Organismus entsprechende
typische Producte heferu (s. Nr. 20, S. 302; Nr. 28, S. 658)].
Selbstassimilation, Selbstljewegung , Selbstausscheidung, Selbst-
theilung, Selbstregulation, die vereinigt die Selbsterhaltung Ijewirken,
stellen vereint das Wesen der Organismen dar (s. Nr. 4, Cap. V).
Wenn wir von der untersten Stufe des Lebens absehen, welche
äusserlich gestaltlos erscheint, so haben alle anderen Organismen noch
das Vermögen besonderer, typischer Selbstgestaltungen:
qualitativer und formaler Selbstdifferenzirungen; und weiterhin konnnen
noch mancherlei besondere, gleichfalls der Selbsterhaltung dienende
Leistungen hinzu, darunter auch die seelischen Functionen.
[432] Die Organismen sind in Folge dessen fast vollkommen
in sich selber geschlossene Complexe äusserst vielfacher
innerer Wechselwirkungen, für welche von aussen her nur die
Vorbedingungen geliefert werden müssen; während die besondere
Qualität aller normalen und selbst der pathologischen Wirkungen im
Organismus selber bestimmt wird.
Solche überaus grosse Complication von Wirkungen ist sogar
schon bei dar elementarsten, scheinbar einfachen Leistung der Lebe-
wesen, bei der Selbstassimilatioii anzunehmen und zwar bereits
Arten der Assimilation. 79
in einem Grade, dass wir uns diese Function im l'inzelnen gar nicht vor-
zustellen vermögen. Dabei nehme ich noch, wie es sachlich wahrschein-
lich ist, als erleichternd an, dass es Selbstassimilation im ,, ana-
lytischen" Sinne, also in dem Sinne, dass jeder „einzelne
Theil" eines „kleinsten", vollkommener Selbstassimila-
tion fähigen Stückchens lebender Substanz ihm selber
gleiche Einze Uli eile bilde, nicht giebt, sondern dass jeder
assimilirende Einzeltheil an der Bildung ihm selber nicht
gleichender Substanz betheiligt ist, und dass erst ein ge-
wisser Complex von Einzeltheilen, welche auf diese Weise
neu gebildet worden sind, dem Complexe aller an dieser
Bildung betheiligten Einzeltheile wieder gleicht.
Trotz unseres Mangels an Einsicht in die Vorgänge der Assimi-
lation scheint es nützlich, schon jetzt diese Vorgänge in mehrere
Gruppen' wesentlich verschiedenartiger Leistungen zu sondern.
Als erste Art der Assimilation, als präparative Assimilation
sei erwähnt die Umarbeitung einfacheren Materiales zu complicirterem,
dem lebensthätigen Materiale mehr ähnlichem, aber noch nicht selber
lebensthätigem Materiale: die Vorbereitung niederen Materiales zur
späteren Verwendung bei der Bildung lebensthätiger Elementartheile,
wie auch die Bildung dauernd niederer organischer Substanz , z. B.
nicht selber assimilationsfähiger Intercellularsubstanz, soweit diese auf
progressivem, aufsteigendem Wege (nicht auf regressivem Wege durch
Umwandlung [Dissimilation] höherer lebensfähiger organischer Sub-
stanz) producirt wird.
Die zweite Art oder Stufe der Assimilation , die generative
Assimilation producirt dann aus dem so vorbereiteten Materiale
neue letzte lebensthätige Elementargebilde entsprechend der
weiter unten gegebenen und begründeten Uebersicht über dieselben
(Isoplasson , Autokineon , x4.utomerizon , Idioplasson) ; sie besteht also
in der Bildung neuer elementarer Maschinentheile.
Die dritte Art der Assimilation, die reparative Assimilation,
leistet die Wiederherstellung nicht zu sehr abgenutzter letzter lebens-
thätiger Elementar- [433] gebilde; sie besteht also in der Reparatur
geschädigter elementarer Maschinentheile, sei es durch blosse Zurecht-
Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickeluugsmechanik.
Ordnung verschobener oder durch neue Verbindung getrennter Be-
standtheile derselben, sei es ohne oder mit Verwendung neuen aber
nur niederen, höchstens durch Modus 1 producirten Materiales. Das
Vorkommen solcher Reparatur Avird voraussichtlich ein sehr ausge-
dehntes sein , weil ohne dasselbe alle bei längerer Thätigkeit eines
Organes auch nur wenig abgenutzten morphologischen Bestandtheile
desselben gänzlich eliminirt und durch ganz neue ersetzt werden
müssten, was eine grosse Verschwendung darstellen würde und grosse
Functionsstörungen zur Folge haben müsste.
Wie ähnlich die zweite und dritte Assimilationsweise einander
in ihren Vorgängen und gestaltenden Ursachen sind , und wieviel es
Uebergangsstufen zwischen beiden giebt, ist zur Zeit nicht zu sagen ;
gleichwohl scheint mir die Auseinanderhaltung dieser Gruppe nütz-
lich, weil jede qualitative und damit causale Analyse förder-
lich und nöthig ist (s. auch Nr. 33 Schluss).
Die Wiederherstellung höherer Einheiten von Elementar-
gebilden: der Zellen, ferner der Organe, sowie grösserer, aus
mehreren Organen oder Organstücken zusammengesetzter Theile des
Organismus wird als Regeneration bezeichnet. Wie weit, resp.
wodurch sich diese in ihrem Wesen von der Reparatur der Elementar-
organe unterscheidet, ist natürlich gleichfalls unbekannt.
Zu den echten oder morphologischen Assimilations-
arten, welche der Neubildung und Reparatur specifisch structu-
rirter, also m o r p li o 1 o g i s c h e r Bestandtheile dienen , wäre noch
eine vierte Art hinzuzufügen, wenn man nicht angemessener Weise
vorzieht, ihre ^"orgänge unter einen anderen allgemeinen Namen,
unter die Alloplasie: die normale (resp. pathologische) Bildung von
den lebeusthätigen Theilen und ihren Vorstufen v e r s c h i e d e n e r
Stoffe, zu subsumiren. Dies betrifft hier die Bildung der blos als
Betriebsmaterial dienenden V e r b r a u c h s s t o f f e , die Bildung der
Secrete, des geeigneten Spannkraftmateriales für die rasche Production
kinetischer Energie in Form von Massenbewegung oder Wärme, also
die Bildung von Materialien, die oft den organischen Gebilden nicht
viel ähnhcher oder gar weniger ähnlich sein werden, als das Material,
aus dem sie bereitet werden, und hcA welchen das eventuelle Aehn-
MassenwaLlistluiiii und rein dimensiuiiules Wachsthum. 81
licherwerden mit den lebensthätigen Gebilden gleichsam nur eine un-
wesentliche Eigenschaft ist.
Die wunderbaren Vorgänge der organischen Selbst-Assimilation
sind also als äusserst complicirte vorzustellen; da sie trotzdem so
überaus constante Resultate geben, müssen sie unter Selbstregulation
in festgeschlossenen Molecularverbänden sich vollziehen. Wir müssen
daher mit ihnen meist als einheitlichen Ganzen rechnen und werden
uns vorläufig damit zu begnügen haben, dass wir suchen ,• äussere
Gomponenten zu ermitteln, die die Thä- [434] tigkeit dieser Com-
plexe auslösen und quantitativ, wohl kaum auch qualitativ zu alte-
riren A'ermögen.
Aehnliches gilt für die Vorgänge der Selbstbevvegung, Selbst-
theilung und der anderen, höheren Selbstgestaltungen').
1) Es wird vielleicht auffallen, dass die für die Ausbreitung und dadurch für
die Erhaltung des Organismenreiches so unerlässlich nöthige, sowie bei der Ent-
wickehing der Individuen so wichtige Function des Wach st h ums nicht als eine
wesentliche Grundfunction der Organismen mit aufgeführt worden ist. Dies ist
darin begründet, dass das morphologisch so einheitlich durch ein Grösserwerden
charakterisirte Wachsthum bei der analytischen Untersuchung sich schon jetzt auf
andere Elementarfunctionen zurückführen lässt. Ich zerlege das Wachsthum iu das
Älasseuwachstlium und in das blos dimensionale Wachsthum. Ersteres besteht
in der Verraeh rung der speci fisch structurirten organischen Substanz
und beruht somit auf der Assimilation. Producirt diese mehr als zum Ersatz des Ver-
brauchten nöthig ist, so resultirt Vermehrung der organischen Substanz ; und es ist
zu diesem Ergebniss wohl nur eine besondere , die Assimilation steigernde Ursache
nöthig (und auch diese nur, soweit die Aufspeicherung organischer Substanz bei gleich-
massig fortgesetzter Assimilation nicht einfach auf einer Verminderung des Ver-
brauches beruht). Je nach der vermehrten organischen Substanz sind verschiedene
Unterarten des Massenwachsthums zu unterscheiden, z. ß. das Pi'otoplasma-, Kern-,
Intercellularsubstanzwachsthum etc. neben dem Wachsthum der ganzen Gewebe und
Organe.
Ausser dieser „Vermehrung der organischen Substanz" kommen noch Ver-
grösser u n g e n organischer Gebilde ohne jede Vermehrung der Masse
specifisch organischer Substanz vor; diese Vergrösserungen sind also blos dimensio-
nale, weshalb der Vorgang ihrer Entstehung als rein dimeusionales Wachsthum
bezeichnet werden kann. Es vergrössern sich dabei gewöhnlich eine oder zwei Di-
mensionen auf Kosten der andern, wie es z. B. His für frühe Stadien des Lachskeimes
nachgewiesen hat. Findet andererseits, wie oft bei Pflanzen, für die äussere Messung
eine Vergrösserung aller drei Dimensionen zugleich, ohne jede oder ohne entsprechende
Vermehrung der organischen Substanz statt, dann ist die Vergrösserung einer oder
mehrerer Dimensionen im Innern keine continuir liehe, sondern es Jnlden sich
daselbst Räume, welche nicht von organischer Substanz eingenommen sind.
Das rein dimensionale Wachsthum beruht also nicht auf der Assimilation,
W. Roux, Gesammelte Alihandlungen. IL 6
82 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Wir müssen also sehr oft mit diesen und anderen unübersehbar
compHcirten, aber in sich f e s t ge s eh 1 o s s enen Gruppen von
Vorgängen als Einheiten rechnen; ich will daher diese oft in glei-
cher Weise vorkommenden Gruppen von Vorgängen als com pl exe
Vorgänge resp. complexe Componenteii der organischen Gestaltungs-
vorgänge bezeichnen ^).
[435], Bei den meisten organischen Gestaltungvorgängen wird in
Folge dieser Sachlage eine Analyse bis auf lauter physikalisch-chemische,
also ganz oder relativ einfache Componenten nicht möglich sein.
Aber wohl können bei organischen Vorgängen mit den complexen
Componenten einfache Com]')onenten zu gemeinsamen Wirkungen
sich verbinden.
Da somit eine Analyse der organischen Gestaltungsvorgänge in
einfache physikalisch-chemische Ursachen vorläufig nicht möglich ist,
so sind wir auch nicht in der Lage, die Gestaltungsvorgänge nach
solchen Ursachen einzutheilen.
Wir müssen daher alle solche complexen Componenten und
danach wenigstens zu ermitteln suchen, welche Arten von Wechsel-
wirkungen zwischen ihnen vorkommen, und auf was für allge-
meineren Wirkungsweisen wieder jede dieser M'^irkungsarten be-
ruht. Wir werden aber bei jedem beobachteten Gestaltungsvorgang
stets zu erforschen streben, ob nicht auch eine oder mehrere ein-
fache Componenten dabei betheiligt sind, und werden eventuell
versuchen, die Qualität und Quantität ihrer Wirkung zu er-
mitteln. Auch können Correlationen complexer Componenten durch
sondern blos auf Massenumlagerungen. die ihrerseits von besonderen, zur Zeit un-
beltannten gestaltenden Ursachen abhängen. Beide Arten des Wachsthums
kommen in mannigfacher Art miteinander verknüpft vor; und wir haben alsdann stets
die Ursachen des Massenwachsthums von den Ursachen der Oertlichkeit resp. Rich-
tung der An- und Einlagerungen zu scheiden. Vielleicht aber kann auch gelegentlich
durch die Ursachen der dimensionalen An- oder Einlagerungen zugleich auch die Oert-
lichkeit der verstärkten Assimilation mehr oder weniger bestimmt werden; oder
die auslösenden Ursachen beider Vorgänge können sogar identisch .sein, wie z. B.
wohl bei der durch dehnende Einwirkungen veranlassten Verstärkung des Wachsthums
von Pflanzentheilen in der Dehnungsrichtung, soweit dieses Wachstbum mit Ver-
stärkung des Massenwachsthums verbunden ist.
|i) Eine Anzahl derselben ist aufgeführt in der ,, Einleitung" zu dem Archiv
für Entwickelungsmechanik, Bd. I, 1894, S. 5 u. f.]
Letzte Elementaroigaiiisiiien und Elementarorgane. 83
schon vorhandene oder erst von ihnen producirte einfachere Conipo-
neuten vermittelt werden.
Diese Analysen Avären womöglich solange fortzusetzen, bis wir
endlich auf lauter anorganische Componenten gekommen wären.
Auf die Ermittelung einer oder mehrerer Wirkungsweisen kann
dann die Ermittelung der Wirkungsgrössen folgen; auf die qualitative
Sonderung der Wirkungen die mathematische Behandlung derselben;
nicht umgekehrt, wie einer der jüngeren Autoren, H. Driesch (4), für
richtig zu halten scheint.
Bei diesem Bestreben, die organischen Entwickelungsvorgänge auf
immer einfachere complexe und auf wirklich einfache, physikalisch-
chemische Componenten zurückzuführen, haben wir zunächst an die
vorliegende biologische Analyse der Organismen anzuknüpfen:
an die Zerlegung der complicirten Organismen in Organe, der Organe
in Gewebe, der Gewebe in Zellen und Intercellularsubstanzen , der
Zellen in Zellleib mit Zellkern, Centrosoma, Zellmembran etc.
Dieser Analyse hat die weitere Zerlegung der genannten
Zellbestandtheile in einfachste resp. kleinste lebenstliätige Be-
standtheile zu folgen, soweit Lebensthätigkeit von kleineren
T heilen vorhanden ist.
Wenn w^ir uns auf die obengenannten allgemeinsten Functionen
der Organismen beschränken, so kann es zunächst kleinste Zelltheile
geben, welchen die Fähigkeiten der Selbstassimilation (incl. Massen-
wachsthum), Selbstausscheidung, Selbstbewegung und Selbsttheilung,
also alle elemen [436] tarsten Lebensleistungen zukommen, sodass sie
den Namen letzte Elenientarorganismen verdienen. Solche werden von
Wiesner (17) angenommen, als unsichtbar klein gedacht und als
Piasomen (abgekürzt aus Plasmatosomata) bezeichnet. Weismann nennt
sie Biophoren (13), de Vries Pangene. Da die Chlorophyllkörper
nach dem Urtheile der Pflanzenphysiologen diese drei Eigenschaften
haben, werden sie sichtbare solche Gebilde oder Gruppen unsichtbar
kleiner derselben darstellen.
Ich will zum Z weck einer systematischen E i n t h e i 1 u n g
(Tcbilde mit diesen Eigenschaften nach ihrer höchsten Leistung, doi-
Selbsttheilung (im Gegensatz zur Theilnng durcli äussere Einwirk-
6*
84 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickeliiiigsmechanik.
nng, z. F>. durch Emiilsion8l)ewe,2;uno-en, s. Nr. 20 8. 29) als Automeri-
zoiiteii bezeichnen. Zu ihnen gehören vielleicht auch die Aüerbac:h-
PFrr/NER 'sehen Körner der Chromosomen, ferner die Centrosomen, sowie
die Aleuroplasten, Elaioplasten und eventuelle sonstige Piastiden im
Sinne Wiesnek's, sofern ihre Tlieilung wesentlich aus in ihnen selber
liegenden Kräften erfolgt und soweit erstere niclit eine noch höhere
Stufe darstellen.
Die Automerizonten brauchen aber nicht nothwendig die letzten,
das heisst kleinsten und einfachsten leben sthätigen Theile zu sein;
sondern nach unserer obigen l"^ebersicht über die wesentlichsten
Lebensleistungen kann es noch zwei niedere Arten lebensthätiger
Cebilde geben, denen aber blos der Rang letzter Eleineiitarorgaiie
zukommt, weil sie nicht mehr alle elementarsten Functionen in sich
vereinen :
Neben oder in den Automerizonten können Gebilde vorkommen,
die blos die Fähigkeiten der Selbstbewegung, Selbstassimilation incl.
Massenwachsthum und Selbstausscheidung haben ; diese seien nach der
höchsten Leistung, der Selbstbewegung, als Autokiiieonteu bezeichnet.
Neben oder wiederum in diesen kann es Gebilde geben, die blos
der Selbstassimilation (incl. Massenwachsthum) und Selb.stausscheidung
fähig sind , die als Autoisoplassonten oder kürzer als Isoplassoiiten
bezeichnet werden sollen.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass es letzte Elementargebilde des
Lebens (Isoplasson, Autokineon oder Automerizon) geben sollte, welche
ihrer wesentlichen Beschaffenheit nach nur in der Art (alsdann wohl
nur nach dem Modus 3) zu assimiliren vermöchten, dass sie ihren
Massenbestand nur erhalten aber nicht vermehren könnten. Sollte
es solche organische Elementargebilde geben, so müssten ihnen die
anderen mit der Fähigkeit der Vermehrung ihrer organischen Masse
ausgestatteten als Auxonten besonders gegenüber gestellt werden.
Erstere müssten dann von anderen höheren Bionten auf dem Wege
unvollkommener Assimilation producirt werden, sofern sie in unserem
Organismus als Bestandtheile vorkommen.
[437] lieber den Automerizonten stehen wahrscheinlich noch
Zellbestandtlieile, die ausser den Leistuno-en dieser noch besondere
Möglichkeit der successivcn Entstehung des ersten Lebens. 85
gestalteiule \Mrkuiigeii in .sicli selber und auf die anderen ge-
nannten Bionten auszuüben vermögen ; die Idioplassoiiten '). Ver-
nuithlich konnnt unter anderen noch unbekannten Zelltheilen den
Chromatinkörneben dieser Rang zu.
Die Eigenscbaften des Isoplasson, Autokineon, Autome-
rizon, Idioplasson stellen zugleicb die Reihenfolge dar, in
welcher die organischen Leistungen ursprünglich ent-
standen und aufgespeichert sein können (womit die Möglich-
keit einer ursprünglichen siiccesiveii Entstellung des Lebens aus
den anorganischen Vorgängen angedeutet erscheint, s. Nr. 6,
Cap. V). Isoplasson kommt als Flamme , wie auch mannigfach als
Ijei gewöhnlicher Temperatur verlaufender chemisch - physikalischer
Assimilationsprocess im Anorganischen in einfachster Weise vor.
Der bis torische Clang cier Analyse der Entwickelungs-
vorgänge war zunächst ein anderer; zum Theil weil die Zerlegung
der Organismen in Zellen erst eine spätere Errungenschaft ist.
Es wurden die comphcirten Form Verhältnisse von Umbildungen
der Form der Keimblätter abgeleitet; und die formalen Vorgänge
1) [Obgleich die Existenz besonderer Gebilde, welche blos die Eigenschaften
des- Isoplasson und Autokineon haben, zur Zeit nicht nachgewiesen ist, so scheint
mir doch ihre theoretische Unterscheidung nöthig und nützlich, eben weil es eine
analytische Unterscheidung ist, denn sie schärft unsere Distinctioneu, bewahrt
uns daher vor Einseitigkeiten und deutet ausserdem, wie erwähnt, die Möglichkeit
der successiven Entstehung des Lebens an.] Es steht kein Bedenken ent-
gegen, dass alle diese denkbaren Arten von Zellbestandtheilen in Form von mehr
oder weniger rundlichen , deutlich abgegrenzten Gebilden schon im Leben
oder erst nach dem Tode sich darbieten. Zu ihnen kommen ferner nicht selbst-
thätige Zellbestandtheile, die ditferente Producte der Thätigkeit dieser ele-
mentaren Bionten darstellen und die man als Alloplasten zusammenfassen kann,
z. ß. Fetttröpfchen und die Proteosomen Loew's; auch sie können granulös sein und
sind es, soAveit sie bereits bekannt sind.
Alle diese differenten Gebilde können somit unter den Begriff der Zellgranula
RicH. Altmann's fallen. Es erhellt daraus, dass die „Granula" nicht ohne Weiteres
als „letzte Elementarorganismen" bezeichnet werden dürfen; sondern es wird müh-
samster, ausserordentlich vieljähriger Arbeit bedürfen, um nach und nach einige
Sorten derselben ihrer wahren Natur nach zu erkennen und in obiges Schema einzu-
fügen. Ai.TMA.w hat offenbar die schon bei unserer jetzigen geringen biologischen
Einsicht vorhandene grosse Zahl von „Möglichkeiten" nicht genügend überdacht, da
er sich (18) noch jüngst so bestimmt und einseitig über die Natur seiner „Granula"
geäussert hat, obschon er von Fkkmming (19j und gleichzeitig von mir (20) auf die
Nothwendigkeit genauerer Unterscheidungen hingewiesen worden war.
gf5 Nr. 16. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
der Entstehung dieser Umbildungen wiederum möglichst genau er-
mittelt. Dabei wurden einige allgemeiner vorkommende Formen-
änderungen: Biegung, Faltung, Abschnürung, Vereinigung etc. beob-
achtet und die speciellen Formenbildungen darauf zurückgeführt;
das war indess eine blos formale Analyse. Die weitere Anal3^se
bestand in der Zurückführung dieser Formenänderungen auf Wachs-
thum (Pander, His u. a.), Schwund und Massenumlagerung.
[438] A. Rauber (21, S. 61) wies danach auf die Nothwendigkeit hin,
die Entwickelungsvorgänge auf die Functionen der Zellen zurück-
zuführen und unterschied folgende „Grundfunctionen der ontogene-
tischen Entwickelung" : 1. Zellvermehrung, als numerisches Wachsthum.
2. Zellvergrösserung , allgemeiner: trophische Formveränderung der
Zellen, als trophisches Wachsthum. 3. Zellenwanderung, als fugitives
Wachsthum. 4. Zellendilferenzirung , als düTerentielles Wachsthum.
Räuber legt seiner Analyse also mit Recht die elementaren Zell-
functionen zu Grunde; doch sind die Bezeichnungen dift'erentielles
und fugitives Wachsthum nicht zutreffend; erstere, weil Differen-
z i r u n g kein W a c h s t h u m ist u n d auch nicht n o t h w e n d i g
m i t i h m v e r b u n den sein m u s s ; letztere weil es sich ebenso gut
und im Organismus w^ohl öfter noch um eine active Näherung [s. Nr. ^2]
gegen den Ort des Zieles, als um ein Fliehen vom gegenwärtigen
Ort handeln wird. Ferner ist der Zellvergrösserung noch die Zell-
verkleinerung hinzuzufügen.
Die Zurückführung der sichtbaren Entwickelungsvor-
gänge auf die gestaltenden Leistungen der Zellen ist gewiss
unbedingt nöthig; und ihr hat, wie schon gesagt, die weitere Zu-
rückführung dieser Leistungen auf die Leistungen der ein-
zelnen selbstthätigen Zelltheile: der letzten Elementarorga-
nisnien und der Elementarorgane zu folgen.
Wir werden aber auch daneben nicht zögern dürfen, schon bevor
diese Erkenntniss gewonnen ist, nach den Ursachen dieser Leistungen
der Zellen, resp. ihrer selbstthätigen Bestandtheile zu forschen. Es
wird sich dabei meist zunächst blos um auslösende resp. quanti-
tativ und qualitativ regulirende Ursachen dieser Thätig-
keiten handeln; denn die Ursachen der Qualität dieser Thätigkeiten
Nächste Aufgabe. 87
selber werden meist, nämlich soweit es sicli um <lie ,,complexen Lebens-
vorgänge" handelt, unserer Untersuchnng vorläulig unzugänglich sein.
Da jede typische Aenderung ausser in ihrer Qualität, auch
noch ihrer Zeit, ihrem Ort, ihrer Richtung und Grösse nach be-
stimmt sein muss, so muss auch für jede dieser Bestimmungen
eine Ursache vorhanden sein und von uns aufgesuclit werden.
Ich habe meine Untersuchungen mit dem Aufsuchen zunächst
der Zeit der Bestimmung, dann der (3 ertlich keit der Ursache eines
bestimmten Formverhältnisses begonnen; danach war es möglich, aucli
die nächste Ursache desselben zu ermitteln. Es scheint mir dies
der bei methodischen Forschungen für gewöhnlich einzuschlagende
Weg, der uns stetig weiter zu neuer Erkenntniss führen wird.
Was hätte es genützt, nach dem Orte oder der Ursache der Be-
stimmung der Medianebene des Embryo, welche Ebene erst mit der
Anlage [439] des Urmundes erkennbar wird, zu suchen, bevor die
Zeit dieser Bestimmung ermittelt war. Nachdem jedoch erkannt war,
dass diese Bestimmung nicht erst mit Anlage des Urmundes, sondern
bereits mit der ersten Furchung, ja vor derselben, aber noch nicht
im unbefruchteten Eie bestimmt ist, konnte die normale Ursache dieser
Richtung in der Copulationsrichtung des Ei- und Spermakernes er-
mittelt werden. Danach gelang es dann auch, die nächsten Ursachen
der bei mancherlei abnormen Verhältnissen am E i 1 e i b e (nicht am
Furchungskern selber) vorkommenden Abweichungen von dieser
Richtung zu erkennen [s. Nr. 21].
Um aus den vielen gleichzeitig auftretenden Veränderungen eines
Embryo die wesentlichen ursächlichen Beziehungen eines der Unter-
suchung unterzogenen Bildungsvorganges zu ermitteln, haben Avir ein
nicht unerhebliches, wenn auch nur negatives Hilfsmittel in der ver-
gleichenden Betrachtung der Nebenumstände desselben Bildungs-
vorganges bei verschiedenen Thiergattungen oder -Klassen. Denn
nur die allen Wiederholungen desselben Vorganges g e m e i n s a m e n
Umstände werden wesentliche sein; dabei ist aber nicht zu übersehen,
dass sie darum noch niclit noth wendig auch wesentlich sein müssen.
Immerhin ist der Nutzen solcher vergleichender Beobachtung
zumal jetzt bei den Anfängen causalen Strebens ein sehr erheblicher.
88 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
Unsere Vorstellungen und Vermnthungen Averden durch diese Ver-
gleichung oft von einer falsclien Bahn abgehalten und auf den richtigen
Weg geführt werden.
Der Forscher auf dem Gebiete der Entwickelungsmechanik muss
«ich daher bei seinen aus practischen Gründen oft längere Zeit an ein
einziges Object gebundenen Forschungen stets bestreben, grössere onto-
genetische Entwickelungsreihen zu überblicken ; ja wenn es möglich wäre,
sollte er die ganze beschreibende thierische und pflanzliche Entwicke-
lungsgeschichte kennen und bei seinen Ableitungen berücksichtigen.
Ausser den Veränderungen, die durch das künstliche Experiment
gesetzt werden , kommen als M i s s b i 1 d u n g e n oder als blosse Varia-
tionen oder als Folgen von Erkrankungen nicht selten Verände-
rungen der Organismen vor, die denen des analytischen Experimentes
an ihnen annähernd oder ganz entsprechen, und daher in ähnlicher
Weise wie dieses zu causalen Ableitungen zu verwerthen sind.
Noch weit mehr als bei den stets mit weniger Gomponenten arbei-
tenden Versuchen an anorganischen Objecten ist bei der Anstellung
und besonders bei der Deutung von Experimenten an Organis-
men ein gewisses Maass vorausgreifender eigener Einsicht
unerlässlich nöthig. Wer sich solche nicht angeeignet hat, der wird
vielfach sehr irrthümliche Schlüsse aus seinen Experimenten , oder
aus denen anderer ziehen; dem kann es sogar geschehen, [440] dass
sich ihm die unljekannte ( 'omplicirtheit der organischen A'erhältnisse
in solchem Maasse ausdehnt, dass er aus den Folgen eines Experi-
mentes überhaupt keinen speciellen Schluss zu ziehen sich getraut.
So hat ein Autor gegen ein vom Ref. angestelltes Experiment,
in welchem Froscheier einen Tag länger als normal in ihrer Lage
mit der weissen Seite nach unten erhalten und somit die sonst in
dieser Zeit eintretende Aufwärtsdrehung des Eies verhindert worden
war (wobei sich zeigte, dass die Medullarwülste unter Herabschieben
von Material auf dieser ursprünglich weissen Unterseite des Eies zur
Anlage kommen), den Einwand erhoben , dies Experiment gestatte
keinen Schluss auf die normalen Verhältnisse, da das Ei in abnorme
Bedingungen gebracht worden sei ; unter ganz normalen Bedingungen
würde nach diesem Autor das Medullarrohr auf der Mitte der (von
Nothwendigkeit der Combination vor schied c n o r Experimente. 89
vornherein) schwarzen Oberseite entstanden sein (s. Hermann und
Schwalbe Jahresber. 1881), S. (Ul).
Wenn nun wohl kein mit der Sachlage Vertrauter diesem spe-
ciellen Urtheile zustimmen wird, so müssen wir uns gleichwohl stets
gegenwärtig- halten, dass wir die bei jedem organischen Bildungs-
vorgange betheiligten (Komponenten wahrscheinlich noch nicht an-
nähernd übersehen und daher nicht sicher zu beurtheilen vermögen,
wieviel und welche Componenten wir auch bei einem möglichst ana-
lytischen Experimente alteriren. Wir können daher erst dann sicher
sein, die Ergebnisse eines Experimentes richtig gedeutet zu haben,
wenn die Ergebnisse zweier oder mehrerer verschieden-
artiger Experimente ül)cr denselben Vorgang auf die glei-
chen Zusammenhänge hindeuten.
In dem soeben citirten Falle hatte Ref. deshalb zugleich das Er-
gebniss des angeführten Experimentes durch Versuche mit tief-
greifenden localen Defecten als Marken controlirt; und diese ganz
anderen Versuche hatten zu demselben Schluss über die Anlagestelle
des Medullarrohres geführt [s. Nr. 23].
Durch starke Pressung der Froscheier zwischen parallelen verti-
calen Glasplatten gelang es ihm ferner, das normale seitliche Herab-
wachsen der Urmundshppen ganz zu verhindern; die später gebildeten
Medullarwülste formirten dabei einen den Aequator des Eies rings
umziehenden Gürtel; es zeigte sich also die für diesen Fall voraus-
gesagte Asyntaxia medullaris totalis (Roux) [s. Nr. 29 S. 607J.
Der aus diesen drei verschiedenen Experimenten folgende Schluss,
dass die Gastrulation des Frosches durch bilaterale Epibolie und Con-
crescenz auf der Unterseite des Eies erfolgt, und dass die Aussenseite
der Urmundsränder die Anlagestelle der Medullarwülste ist, ist daher
ein so sicherer, dass er weder durch die an sich erfreuliche nach-
trägliche Zu- [441] Stimmung von Seiten descriptiver Forscher
(v. Davidoff, 0. Hertwig, Keibel u. A.) an Sicherheit etwas gewinnen
konnte, noch durch den AA''iderspruch derselben hätte etwas einbüssen
können; vielmehr müssen derartig ermittelte Thatsachen als die ersten
festen Grundsteine unserer Kenntniss von den Vorgängen der Ent-
wickelung betrachtet werden , derart zugleich , dass alle solche An-
90 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmeclianik.
sichten, welche mit diesen Thatsachen wirkhch unvereinbar sind,
mit Sicherheit als unrichtig bezeichnet werden können.
Die Entwickelungsmechanik muss sich, wie jede neue Richtung
in der Wissenschaft, die ihr gebührende Stellung erst nach und nach
erwei'ben. Aber gleichwohl wird es unsere Nachkommen wohl befrem-
den, dass die jetzt herrschende descriptive Richtung diese sicheren
Angaben der Entwickelungsmechanik so lange ignorirt hat, bis de-
scriptive Forscher zu denselben Ansichten gelangten, und besonders,
dass sie diesen letzteren Angaben mehr Werth beilegt als ersteren.
Dies wird ein bleibendes Zeugniss für das ungenügende Verständniss
der betreffenden Forscher von dem Werthe des Experimentes sein
[s. Nr. 22 S. 21J.
Solche Experimente müssen aber wirklich gemacht sein, und
die Natur muss darauf entsprechend reagirt haben. Es ist eine nicht
zu billigende Auffassung, wenn Rauber (Zoologischer Anzeiger, 1886,
S. 170) nach einem Experiment, welches, wie zu erwarten, sogleich
mit dem Tode der Objecte endete, die Meinung äussert: ,,Es wird
aber für die meisten schon hinreichend sein, auch nur in Gedanken
das genannte Experiment (Vertausehung der Furchungskerne eines
Kröten- und eines Froscheies) auszuführen, um zu der Ueberzeugung (!)
zu gelangen, dass aus jenem Froschei keine vollständige Kröte,
aus dem Kröteiiei kein vollständiger Frosch hervorgegangen sein
Avürde." Dies Gedankenexperiment ist durchaus nicht, wie er meint,
überzeugend dafür, dass auch dem Protoplasma Vererbungstendeuz
innewohnt.
Die Analyse scheint es mit sich zu bringen, dass die entwicke-
lungs-mechanische Forschung bei den einfachsten Lebewesen, den
Protisten, beginnen müsste ; und gewiss können manche wichtigen
Causalverhältnisse an diesen niedersten Lebewesen leichter und sicherer
als an Metazoen, ja zum Theile nur an ersteren ermittelt werden.
Es sei hier nur an die überaus lehrreichen Experimente von M. Nuss-
BAUM, A. Gruber, Bruno Hofer, M. Verworn, E. G. Balbiani über die
besonderen Leistungen des Zellkernes und des Zellleibes erinnert.
Es ist aber darauf hinzuweisen, dass andererseits die höheren
Organismen in manchen Beziehungen günstigere Verhältnisse für die
Ermittelung physikalisch-chemischer Componenten. 91
analytische Forsclimig darbieten; einmal weil bei ihnen durcli die
weitgehende [4J:2] Arbeitstheilung die Fähigkeiten der einzelnen Gewebe
weniger vielseitige sind , und zweitens deshalb , weil das Vermögen
der Regenerationsfähigkeit bei ihnen viel geringer ist als bei den
niederen Organismen und wir daher bei ersteren den Mechanismus
der normalen, directen Entwickelung reiner für sich studh-en
können (s. S. 35).
Mit der Zurückführung organischer Gestaltungen auf anorganische,
physikalische Componenten ist schon ein sehr erfreulicher Anfang ge-
macht von Berthold (26), ErcxEra (27) u. A. in Bezug auf pflanzliche,
seitens Bütschli (28 u. 29), Quincke (30), Dreyer (3 u. 31) u. A. in
Bezug auf thierische Gestaltungen. Die Schlüsse sind jedoch bis jetzt
grösstentheils blos Analogieschlüsse; es haftet ihnen daher noch eine
grosse Unsicherheit an.
Die Urtheile dieser Autoren beruhen darauf, dass an anorgani-
schen Objecten auf experimentellem Wege den organischen ähnliche
resp. gleiche Formbildungen hervorgebracht wurden, woraus auf eine
Gleichheit der Ursachen geschlossen wurde.
Trotz des Nutzens dieser Versuche und der wohl theilweisen
Richtigkeit der aus ihnen gezogenen Schlüsse , scheint es doch , dass
man sich dabei manchmal die organischen Verhältnisse zu einfach
vorstellt. Wir kommen damit leicht in die Gefahr, dass sich auf
morphologischem Gebiete ähnliche Irrthümer wiederholen, wie sie vor
30 — 20 Jahren unter den Physiologen ähnlichen Strebens vorgekom-
men sind. Da waren Ernährung und Secretion blosse Diffusions- und
Filtrationsvorgänge , Wachsthum war blosse Quellung , Bildung einer
Niederschlagsmembran um einen Tropfen war Zellbildung.
Bei den l'ebertragungen der Ursachen anorganischer Gestaltungs-
A'orgänge auf ähnliche organische Gestaltungen wird leicht der Wir-
kungsantheil der experimentell geprüften Componenten an den organi-
schen Gestaltungen überschätzt, indem sie als alleinige oder als die
formbeherrschende aufgefasst wird. Dabei wird dann übersehen, dass
fast jede Componente im Organischen durch andere entgegen wirkende
Kräfte mehr oder weniger, ja derart in ihrem Antheile an der schliess-
lichen Resultante Ijeschränkt werden kann, dass ihr Antheil gar nicht
92 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
mehr erkennbar ist. Im Bereiche anorganischer Blasen z. B. herr-
schen bei äusserer Ruhe die Plateau'schen Gesetze der Blasenspan-
nung; im Bereiche der Organismen kann ihnen durch active Leistungen,
durch S]3annungen und Contractionen also unter Kraftaufwand, voll-
kommen Widerstand geleistet werden; ebenso wie der Dift'usion durch
lebende Wände activ widerstanden werden und Flüssigkeit entgegen den
Gesetzen der Filtration nach der Seite des Ueberdruckes abgeschieden
werden kann. Die Salze des Fischeies unterliegen [443] erst nach dem
Tode desselben der Dift'usion ; und kleine Insecten leben längere Zeit in
einer Luft, in der sie nach ihrem Tode in wenigen Minuten eintrocknen.
Die bei solchen Uebertragungen verwendete L^mkehr des Satzes:
„gleiche Ursachen geben gleiche Wirkungen'^ in: „gleiche Wirkungen
beruhen auf gleichen Ursachen" ist uns menier Meinung nach
auf organischem Gebiete zur Zeit nicht gestattet; ich habe das
früher schon [s. Nr. 13] an manchen Beispielen dargelegt. So z. B.
sind die Aeste der Bäume an ihrem Ursprünge sehr ähnlich kegel-
förmig gestaltet, wie das Lumen der Blutgefässe am Astursprunge;
auch findet beim Ursprünge eines relativ dicken x-^stes am Baume
eine Ablenkung des Stammes nach der anderen Seite statt, wie dies
bei den Blutgefässen auch geschieht; gleichwohl beruhen diese beiderlei
Gestaltungen? auf wesentlich anderen Ursachen.
Der Schluss: ,, gleiche Wirkungen, gleiche Ursachen" ist blos
bei vollkommener Uebereinstimmung dieser Wirkungen gestattet;
er setzt also für uns die vollkommene Kenntniss der Wirkungen
voraus, die wir zur Zeit auf organischem Gebiete in keinem Falle
haben und selbst auf anorganischem Gebiete oft entbehren.
Wir können z. B. an einem in bestimmter Richtung laufenden
Billardballe nicht erkennen, ob ei- diese Bewegung iiiacht, weil er in
dieser Richtung einen centralen Stoss erhalten hat, oder weil gleich-
zeitig oder nacheinander zwei Stösse entsprechend verschiedener Richt-
ungen auf ihn gewirkt haben. W^enn wir aber nicht blos von seiner
Massenbewegung, sondern auch von der bei dem Anstosse stattgefun-
denen Aenderung seiner Molecularverhältnisse vollkommene Kenntniss
hätten, wenn wir also die stattgehabte ,, Wirkung" vollkommen
kennten, würden wir diese Ursachen richtio- erschliessen können. Ist
Causale Verwerthung der Merkmale höherer Ordnung. 93
die Kii.ucl ans weniger elastischer und weicherer Sul)stanz, so werden
die beiden Stösse änsserhch sichtbare Eindrücke hinterlassen, und bei
genauer Berücksichtigung dieser Nebencharaktere werden
die Ursachen des ^''organges richtig zu beurtheileii sein.
Wir müssen uns stets gegenwärtig halten, dass dieselbe Form
auf sehr verschiedene Weise und durch entsprechend ver-
schiedene Ursachen hervorgebracht werden kann. Derselbe
Gegenstand kann bildlich in gleicher Gr()sse mit vollkommen gleichen
Conturen und Schatten durch Holz- und Steinschnitt, durch Stahl-
und Kupferstich, in Photographie und Lichtdruck etc. hergestellt sein;
trotzdem ermöglicht uns die Berücksichtigung der Charaktere
zweiter Ordnung, diese Art seiner Herstellung zu erkennen.
Da wir kaum je vollkommene Kenntniss eines organischen
Bildungsvorganges gewinnen werden, so ist es nöthig, um trotzdem
auf seine [444] Ursachen schliessen zu können, bewusst und sorg-
fältig die Merkmale, gleichsam die Differentiale zweiter, ja
dritter Ordnung aufzusuchen, welche an sich schon, besonders
aber in ihren Variationen oft ziemlich zuverlässige Schlüsse auf
die Ursachen gestatten.
Doch gibt es auch Fälle, in denen selbst die Merkmale zweiter
Ordnung zwischen organischen und anorganischen Gestaltungen über-
einstimmend erscheinen, obwohl die beiderlei Vorgänge nicht auf den-
selben Ursachen beruhen. Das ist z. B. bei der künstlichen Nach-
ahmung der Copulation der Geschlechtskerne durch die Selbst Ver-
einigung zweier Chloroformtropfen, die auf alte, gestandene, wässrige
Carbollösuug gethan worden sind [s. S. 34], der Fall. Hierbei findet
ausser der activen Näherung eine prachtvolle grosse Radiation in der
Flüssigkeit statt ; gleichwohl beruht der Vorgang auf Wirkungsweisen,
die im Ei nicht möglich sind.
Die organische Natur bietet oft gerade das Gegentheil zu dem
Satze: ,, gleiche Wirkungen, gleiche Ursachen" dar. Diese Thatsache
berechtigt zu dem Ausspruche, dass die organischen Formen
vielfach constanter sind, als die Arten ihrer Entstehung
[siehe S. 52], also auch constanter, als ihre unmittelbaren
Bildun gs Ursachen. Die vergleichende Entwickelungsgeschichte
I
94 Nr. 15. Ziele und Wege der Entwickelungsmechanik.
liat dafür bekanntlicli viele Beispiele geliefert. Hier nur eines: Die
Gattung Peneus z. B. durchläuft in ihrer Ontogenese ein Nauplius-
stadium; das Endproduct aber ist eine Garneele; während die übrigen
Garneelen des Naupliusstadiums ganz entbehren.
Der citirte Satz gilt aber nicht blos für Thiere verschiedener
Arten und Gattungen , sondern auch für ein und dasselbe
Individuum. Es sei zunächst an diejenigen Organismen erinnert,
die sich normalerweise sowohl durch die äusserlich nicht dilferenzirten
Eizellen, wie durch Selbsttheilung des entwickelten Individuums
vermehren, ferner gehört hierher die Re- und Postgeneration.
Ein rechter oder ein vorderer halber Froschembryo producirt die
fehlende Hälfte nach, wobei die Entwickelungsvorgänge zum Theil
wesentlich andere sein müssen, als bei der normalen Entwickelung.
Diese Verschiedenheit der Bildungsweisen derselben Endproducte, die
bei manchen Regenerationen sogar unter denselben äusseren Form-
wandlungen verläuft wie die Entwickelung aus dem Ei, gab mir Ver-
anlassung zur Unterscheidung verschiedener Entwickelungsarten :
der directen (bei den höheren Thieren der allein normalen) Ent-
wickelung aus dem ganzen Ei, und der indirecten Entwickelung-
oder derjenigen Entwickelung, welche nach Selbsttheilung oder nach
künstlicher Theilung des entwickelten Individuums, sowie auch bei
tiefgreifenden Störungen der normalen Entwickelung z. B. bei sehr
hochgradigen Deformationen der Eier statt hat [s. Nr. 28 u. 31].
[445] In der d i r e c t e n E n t w i c k e 1 u n g nimmt die Selbstdifferenzir-
ung einzelner Furchungszellen, resp. des Gomplexes ihrer Derivate oder
mancher späterer Zellcomplexe in Folge regelrechter qualitativer Scheid-
ung des dieser Entwickelungsweise dienenden, durch dieBefruchtung acti-
virten idioplastischen Materials einen grösseren Raum ein, als bei der
indirecten Entwickelung, welche mehr durch Correlationen aller
oder vieler Theile charakterisirt ist und deren specifisches gestaltendes
Material nach meiner Auffassung erst durch die besonderen , die in-
directe Entwickelung veranlassenden Momente activirt wird.
Es wird daher eine weitere Aufgabe der Entwickelungsmechanik
sein, die besonderen Vorgänge jeder dieser verschiedenen Entwickelungs-
arten und deren vollziehende oder vermittelnde Ursachen zu ermitteln.
Nr. 16.
Ueber die Zeit der Bestimmung' der Haupt-
riehtungen des Frosehembryo.
1883.
Mit Tafel IV.
Leipzig, Wilhelm Enrelmann. Juni 1883.
Inhalt.
Seite
Problem der Richtungsbestimmung 96
A. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo 97
Frühere Beobachtungen 97
Methode: 1. dauernder Merkmale 98
2. Beziehung auf ein äusseres System von Richtungen 99
Fehlerquellen 100
Fragestellung 102
Versuche an Rana fusca 103
T, „ Rana esculenta 108
Gesetz des Zusammenfallens der ersten Furchungsebene mit
der Medianebene des Embryo 110
B. Zeit der Bestimmung der Qualitäten köpf- und schwänz war ts
bei gegebener Hauptrichtung bei Rana esculenta 112
Furchungsschema 115
Beeinflussung der Stellung der ersten Furchungsebene durch
Quetschung 118
Einstellende Wirkung der Schwerkraft auf das Ei und die ersten
Furchen in Folge angeblichen speci fischen Gewichtes. . 120
Eventuelle Wirkung der Copulationsr ichtun g auf die Richt-
ung der Medianebene 121
Zeit der Bestimmung der Doppelbildungen 122
I
96 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Problem der Richtungsbestimmiing.
Von den wunderbaren Vorgängen der formalen und qualitativen
„Selbstdiffereiiziruiig- des sich entwickelnden Eies", als deren
Kesultat uns der Cyclus embryonaler Formenbildungen entgegentritt,
ist nach der Analyse einer der wichtigsten, wenngleich bis jetzt
wenigst beachteten Vorgänge die ,, Bestimmung der Richtungen
des Geschehens''. Denn fast alle Vorgänge der Entwickelung
können nicht nach allen Richtungen in gleicher Weise erfolgen, sie
müssen vielmehr bestimmten Prädilectionsrichtungen folgen oder übei--
haupt nur in einer ganz bestimmten Richtung sich vollziehen, um
das System bestimmt gerichteter Gestaltungen, welches das fertige
Individuum im Ganzen und in seinen Theilen darstellt, hervorzubringen.
Dies gilt so woh 1 für die q u a n t i t a t i v e n E] 1 e m e n t a r v o r g ä n g e
des Wachsthums und der Theilung der einzelnen Zellen und ganzer
Zellcomplexe, wie für die Vorgänge continuirlich sich ver-
breitender qualitativer Differenz! rungen.
Mag dabei die Richtung der uns bekannten einzelnen foi--
malen und qualitativen Differenzirungsvorgänge e r s t m i t den b e-
t reffenden Vorgängen selber bestimmt werden, oder mag
sie bereits vorher, weit früher schon in anderen Vorgängen
ihre Normirung erhalten, immer wird es für uns von Interesse
sein, zu wissen, wann die Richtungen des einzelnen Geschehens zu-
erst normirt werden , den n d a n n erst w erden w i r a u c h m i t
Aussicht auf Erfolg nach den wahren Ursachen dieser
Normirung forschen können.
Die Vermuthung liegt nahe, dass violleicht das ganze Ent-
wickelungsgeschehen von vorn herein in der Weise normirt sein
muss, dass von vornherein in bestimmter Weise Richtung
auf Richtung sich setzen muss, um das spätere in den Rich-
tungen [4] seiner Formen normirte Individuum hervorzubringen, dass
ein eontinuirliches System auf einander sich setzender Richtungen
zu diesem F^ndziol unerlässlich niithiu- ist fverp-l. Nr. 27 S. oCß u. f.l.
}*r(tl)lein der Richtungslicstitiinuuig im Kiiihryo. 97
Zur Beurtheiluiig dieser letzteren Frage verspricht die Kennt-
iiiss der /.eitlic lien Bestimuiuug der HauptrichtuiigeD des
späteren Individuums uns am meisten Aufschluss /u geben; denn
diese Richtungen werden voraussichtHeh (He am frühesten und tiefsten
angelegten sein; ausserdem sind es auch, als die Hauptrichtungen,
die am leichtesten erkennbaren , und vielleicht wird die Erkenntniss
dieses fundamentalsten Richtungsvorganges uns einen Einblick in die
Richtungsbildung überhaupt thun lassen.
Fast aber scheint es, als hätten wir uns doch in der Wahl
unseres Themas, welches uns zu diesem Zwecke führen soll, vergriffen;
denn ist nicht die Axenhildung des Embryo, die Ausbildung
der definitiven Axenorgane einer der späteren Vorgänge,
welchem das in sich fest geordnete Richtungssystem der Eurchung
vorausgeht, um dann aber zur Bildung der richtungslosen
Blastula zu führen und damit jeden Zusammenhang mit der späteren
bilateralen Symmetrie des Embryo von der Hand zu weisen'? Stellt
sich uns nicht somit die Bildung der Embryonalaxe als ein
ganz neuer Vorgang, als die Einführung einer ganz neuen
Richtung in das vorher in keiner Weise eine bilaterale Symmetrie
erkennen lassende Geschehen dar? Und gewinnt es damit nicht den
Anschein . als ob die spätere Hauptrichtung nicht von vornherein
normirt sei. sondern vielleicht einer zufälligen Ungleichheit der äusseren
Einwirkungen die Entscheidung ihrer Verlaufsrichtung verdanke?
Diese Zweifel und diese Fragen sind es nun . über welche wir
uns in rheser Arbeit Gewissheit verschaffen wollen.
A. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo im Ei.
Blicken wir uns zunächst in dei- Litteratur nach bereits vorhan-
denen Angaben um, so finden wir wenig, welches uns Gewissheit
verschaffen könnte. Am früliesten scheint Köllikeh eine auf unser
Thema bezügliche Beobachtung gemacht zu haben. Er beschreibt^)
eine schon in den frühesten Furchungs- [5] Stadien des Hübnereies
1) A. Köllikeh. Die Entwickeluugsgeschichte des Menschen und der höhereu
Thiere. Zweite Aufla.üe, S. 79. 1879.
W. Rou\. Go<;ammelte AbhandlimsGii. H. '
\
98 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
eonstant sich zeigende Ungleichheit der Grösse der Furchungskugehi
der Art, dass nach entgegengesetzten Seiten der Keinischeibe einer-
seits die orrössten, andererseits die kleinsten Zellen sich finden. Er
knüpft an diese Beobachtung vermuthungsweise die Aensserung, dass
der schneller sich furchende Theil zum späteren hinteren Theile des
Blastoderma sich gestalte, in dem die ersten Spuren des Embryo ent-
stehen. Danach würde schon in einer sehr frühen Zeit eine wenn
auch noch sehr unbestimmte Andeutung des Vorn und Hinten zu
erkennen sein, sofern die Richtigkeit dieser Vermuthung erwiesen wäre.
Viel bestimmter sind die Angaben eines neueren Autors.
J. P. NuEL theilt in seiner Arbeit über die Entwickelung des Petro-
myzon Planeri') parenthetisch mit. dass er schon am unbefruchteten
Eie dieser Thiere eine Verschiedenheit in der Grösse der Dotterkörner
habe wahrnehmen können, welche sich bis zum Auftreten der Rücken-
furchen erhalte, und es sei zu beobachten, dass die Rückenfurche
durch die Mitte des feinkörnigen Abschnittes hindurch gehe. Er
folgert daraus, dass, sofern sich seine Beobachtung bestätige, die
künftige Rückenfurche schon im unbefruchteten Eie bestimmt sei.
Wir erfahren aber nichts von ihm über die Gestalt der feinkörnigen
Masse; wir wissen daher nicht, ob sie länglich oder rund ist, und ob
daher die Mitte derselben eine bestimmte Linie oder blos ein Punct
ist, durch welchen unendlich viele Mittellinien gelegt werden können.
Ausserdem findet sich auch keine .Vngabe über das Verhalten der so
früh schon bezeichneten Richtung zu den Furchungsrichtungen.
Immerhin ist diese Mittheilung: von hohem Interesse ; und es ist blos
eine weitere Bestätigung derselben und eine genauere Detaillirung
derselben abzuwarten, um ihr die eine hohe Bedeutung zuzuerkennen.
Ausserdem deutet sie einen Weg an, auf welchem sicherer Weise
unsere Frage gelöst werden kann, nämlich auf dem Wege des
Suchens nach speciellen, formalen oder qualitativen Charak-
teren des Eies, welche sich durch die erste Periode der Entwicke-
lung hindurch bis zum Auftreten der definitiven [6] bezüg-
lichen Organanlagen erhalten und uns so directe Beziehung des
1) Archive« de Biologie, Bd. U, S. 410. 1881.
Methoden. 99
.späteren Geschelieii.s auf das Ei gestatten. Solelie Charaktere können
Zinn Theil in der äusseren (Testalt des Eies liegen, zum Theil
alnM- müssen sie im Ei liegen; und es werden immer von Xothen
sein eine Linie und zwei bestimmt charakterisirte Puncte, von denen
wenigstens der eine ausserhalb der Linie liegen muss, oder drei Puncte,
welclie nicht in einer geraden Linie liegen und nicht blos durch ihre
Lage charakterisirt sind, oder zwei nicht parallele feste Richtungen.
Es wird nicht leicht sein, die nöthige Anzahl Merkmale von der
erforderlichen Dauer im Wechsel der Entwickelungsvorgänge zu finden,
und es muss noch zweifelhaft erscheinen, ob in der That Nuei. ein
solches Beispiel im Ei des Petromyzon aufgefunden hat.
Es giebt aber noch einen anderen und in dem Erfolge seines
Betretens Aveniger von der (4unst des Zufitlls abhängigen Weg, unseren
Zweck zu erreichen. Wenn nämlich das Ei eine geeignete feste und
dicke Hülle hat, um es auf einer Unterlage fixiren zu können, so
sind wir im Stande, das ganze sichtbare Geschehen während
der Entwickelung auf ein ., äusseres" festes System von Rich-
tungen zu beziehen [s. Nr. 31, S. 270]. Diesen Weg schlug ich
ein; und ich wählte das in dieser Beziehung scheinbar ungemein
günstige Froschei. welches mir von den Versuchen meines Gollegen
BoR\. welcher mit sehr grossen Massen arbeiten rausste. immer in
genügender Anzahl zur Verfügung stand. College Born war so liebens-
würdig, mir immer das für meine Beobachtungen nöthige Material
mit zu befruchten und mir auch ausserdem seine reichen Kenntnisse
und Erfahrungen auf dem betreibenden Gebiete zu Gute kommen zu
lassen.
Das Froschei ist nun aber für unseren Zweck einer vollkommen
unveränderlichen Fixation des Eies gegen ein äusseres System von Rich-
tungen bei genauerer Prüfung nicht so günstig, als es auf den ersten
Gedanken erscheinen mag.
Denn einmal ist das Ei nicht an der dasselbe einschliessenden
Gallerthülle selber befestigt, sondern es schwimmt nur innerhalb der-
selben und zwar in einer mit Flüssigkeit erfüllten Höhle, welche so
eng ist, dass sie das Ei fast berührt und bei Aenderung der Durch-
messer des Eies bald die weitere Umgestaltung des Embryo hemmen
100 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
würde, wenn sie sich nicht [7] zugleich selber vergrösserte. Aber die
Vergrösserung ist so gering, dass eine geringe Dehnung oder Com-
pression der Gallerthülle schon den eingeschlossenen Embryo, sobald
er die Kugelform verlässt, zwmgt, sich mit seiner grössten Dimension
in die eventuell vorhandene grösste Dimension der Höhle der Gallert-
hülle einzustellen, also seine bisherige Stellung zu verändern. Anderer-
seits ist die Gallerthülle im Uterus noch relativ dicht und dünn und
quillt erst im Wasser auf, und zwar setzt sich dieser Process Tage lang
fort^), während die erste Furchung, also der sichtbare Beginn der Ent-
wickelung, bereits 3 bis 4 Stunden nach der Befruchtung seinen An-
fang nimmt.
Diese Verhältnisse bedingen eine Anzahl Fehlerquellen, welche
ich zwar zumeist im Voraus abgeleitet hatte, deren Einfluss aber und
deren Schwierigkeiten der Beseitigung ich bedeutend unterschätzt
hatte. Erst durch eine beträchtliche Anzahl misslungener, das heisst
nicht zu irgend einem bestimmten Resultat führender Versuche, lernte
ich die Grösse dieser Fehler und die Mittel, sie zu bekämpfen, kennen.
Sie im Einzelnen zu schildern, würde den Leser ermüden und mehr
Raum einnehmen , als die Mittheilung der wenigen schliesslich fast
fehlerfreien Versuche. Die letzteren liessen sich leider nicht weiter
vermehren, da inzwischen die diesjährige Laichperiode abgelaufen war;
trotzdem aber ist das Resultat, wie ich glaube, durch die mitgetheilten
Zahlen vollkommen sichergestellt.
Der Umstand, dass das Ei in der Gallerthülle schwimmt, er-
fordert eine vollkommene Ruhigstellung des ganzen Gebildes, weshalb
die Glasschalen mit den Eiern auf den Tisch aufgeklebt und jede
Erschütterung des letzteren sorgfältig vermieden wurde. So musste
das Ei in der Stellung, welche es nach der Ruhigstellung einnahm, zu-
folge des Gesetzes der Trägheit verharren, so lange nicht Aender-
ungen der Massenvertheilung im Eie selber eine Drehung um den
Schwerpunkt nöthig machten. Indess eine absolute Ruhe war nicht
[1) Dio (Juellung der Gallerthülle des Froscheies steht merkwürdiger Weise
in Beziehung zur En twickel ung des von ihr umschlossenen Eies; denn wenn
letzteres sich nicht entwickelt oder auf der Blastula und Gastrulastufe stehen bleibt,
so nimmt auch der Binnenraum der Gallerthülle und die Menge des Fruchtwassers
in ihm nicht mehr oder nur noch sehr wenis zu.l
Fehlerquellen, 101
herzustellen ; und es war überhaupt nur dann ein Resultat zu er-
halten, wenn Aenderungen der Massenvertheilung, welche zu Dreh-
ungen um eine andere, als die für unsere Versuche nöthige feste
Axe, innerhalb unseres Untersuchungszeitraumes nicht vorkamen;
ein Verhältniss, über welches nur durch die [8] Versuche selber Auf-
klärung zu gewinnen war, 'la wir eben die Lage der für uns festen
Axe. das heisst der eephalocandalen Richtung nicht kannten, sondern
sie erst bestimmen \\'ollten. Die Beobachtungen ergaben nun, dass in der
That solche Veränderungen des Eies in der uns interessirenden Periode
nicht vorkommen, sofern dieselbe nur möglichst abgekürzt wird, z. B.
sofern wir den ersten Moment abpassen, in dem das entscheidende
Stadium, die sichtbare Ausbildung der Rückenfurche zu erkennen ist.
Sehr bald danach aber ändern sich, wie aus einer mitgetheilten
Tabelle zu ersehen ist, die Massenverhältnisse derart, dass das Re-
sultat durch eine Beobachtung erst zu dieser späteren Zeit
vollkommen verwischt wird.
Die zweite Schwierigkeit bildete die Fixirung der Gallert-
hülle. Es war hier das Problem zu lösen, wie eine elastische, sich
gleichmässig ausdehnende Kugel derart in einer Flüssigkeit zu fixiren
ist, dass sie beim Ausdehnen nicht gehemmt Avird und andererseits
keine Drehung erfährt. Ich fixirte zunächst die Eier auf dem Wachs,
mit welchem die Glasschalen zu diesem Zwecke ausgegossen waren,
durch feine Insectennadeln , welche durch die periphere Zone der
Gallerthülle senkrecht in den Boden eingestochen wurden. Ich glaubte
dadurch eine zwar mit geringer, aber doch bei mehr als vier, bei
sechs, acht Nadeln allseitig ziemlich gleicher und daher nicht zu
Drehungen Veranlassung gebender Compression verbundene, genügende
Fixation hervorbringen zu können. Indessen das Resultat entsprach
nicht den Erwartungen. Daher wurde weiterhin versucht, durch eine
geringe Dehnung der Gallerthülle beim Aufstecken, die durch die
Quellung entstehende Compression zu bekämpfen , wovon ich mir
einen günstigen Erfolg versprach, da zugleich durch Einlegen in
Eiswasser die Entwicklung der befruchteten Eier verzögert
wurde, so dass die Q,uellung zur Zeit der Fixation vor Eintritt der
Furchung schon weite]- vorgeschritten war. als bei ungehemmter Ent-
102 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Wickelung. Aber .selbst bei Verzögerung des Beginnes der Furchung
und der Fixation auf 10 Stunden wurde das Ziel nicht erreicht. Nach-
dem ich niicli von der absoluten Ilngeeignetheit dieser Methode über-
zeugt hatte, probirte ich zwei neue Arten der Fixation. Erstens die Sus-
pension der Eier an einer durch die Gallerthülle gestossenen. wagrecbt
befestigten Nadel. [9] zweitens die Fixirung durch unter einem Winkel
von 45 Grad zum Boden in den unteren Theil der Gallerthülle ge-
stossene regulär angeordnete Nadeln. Warum die erstere dieser Be
festigungsarten nicht zum Ziele führte, weiss ich nicht; ich vermuthe
nur, dass die stärkeren Schwankungen, welche bei Erschütterungen
durch vorüberfahrende Wagen dabei eintraten , die Ursache davon
waren. Die zweite Methode, welche bei dem Vorhandensein einer
leichten Verschiebbarkeit der Gallerthüllen an den Nadeln theoretisch
ziemlich genügend erscheint, ergab bessere Resultate. Die Schwierig-
keit besteht aber bei ihr darin, die Nadeln vollkommen regulär unter
sich unfl zum Eie zu vertheilen . weshalb die Fixation mit blos zwei
Nadeln sich am meisten bewährte. Es soll unten das Resultat dieser
Methode im Einzelnen mitgetheilt werden.
Da unser Zweck ist. die Zeit dei ersten Bestimnmng der Körper-
axen des Embryo zu ermitteln, und da beim Froschei, wie bei allen
telolecithalen Eiern . also den Eiern mit einseitig angehäuftem Nah-
rui]gsdotter die Rücken- und Bauchseite schon durch dieses
Lageverhältniss bestimmt ist. indem die Seite der Lagerung
des Nahrungsdotters stets zur Bauchseite wird'), so war also blos die
.,eine'' noch fehl en de Rieh tu ngsbestim nj ung der Median-
ebene zu ermitteln. Diese Bestimmimg muss in die Zeit vor dem
sichtbaren Auftreten der Rückenfurche, also in die Zeit der Gastrula.
der Blastula oder der Furchung fallen.
Die Furchung stellt die ersten äusserlichen Entwickelungsvor-
gänge dar. und diese sind zugleich unter sich bestimmt gerichtete;
währenrl die Blastula ausser der dorsoventralen äusserlich keine Rich-
tung weiter unterschieden zeigt. Von der Gastrula ist es bekannt,
dass schon bald nach Beginn ihrer Bildung die Rückenseite des Blasto-
fi) Dies war zur damaligen Zeit die allgemein tür richtig gehaltene Auffassung.
Siehe dagegen Nr. 21 8. 158 und Nr. -JB S. 698.]
Erste Fragestellung. 103
porus an dunklerer Färbung kenntlich ist, womit zugleich der Punct
bezeichnet ist. an dem die Rückenfurchc sich zu entwickeln beginnt.
Ich war aber nicht im Stande, dieses früheste, übrigens auch bezüg-
lich der künftigen Richtung der Rückenfurche noch etwas unbestimmte
Stadium beobachten zu können, da die bezügliche Stelle des Eies stets
unten liegt, während für uns blos die Oberfläche der Beobachtung
zugänglich war. Da die Blastula keine Richtungen erkennen lässt,
so ging ich direct zur Furchung zurück und [10] zwar auf den Aus-
gangsmoment derselben. So stellte ich die Frage:
Besteht zwischen der Richtung der ersten Furchungs-
ebene und der Richtung der Medianebene des späteren Embryo
irgend eine con staute Beziehung oder sind beide vollkommen un-
abhängig von einander?
Tm ersteren Falle musste ein constantes Winkelverhältniss beider
Richtungen sich ergeben, im letzten mussten immer verschiedene
Winkelgrössen sich darstellen.
Die thatsächlichen an Rana fusca angestellten Beobachtungen
ergaben nun zunächst das letztere Verhalten ; es traten wiederholt bei Ver-
suchsreihen von 12 bis 16 Eiern Winkel aus allen Decaden von 0—90*^
hervor; und bei der Constanz dieses Auftretens lag es in der That
sehr nahe , dieses als das richtige Resultat anzusehen und weitere
Versuche zu unterlassen. Trotzdem aber sagte ich mir, dass auch
ein solches Resultat nur nach Beseitigung aller nur denkbaren und
sich zeigenden Fehlerquellen als sicher angenommen werden dürfe,
und d ass also im vorliegenden Falle ein ,, solches'' Resultat
überhaupt nicht ,.f est stellbar" sein könne, da die eine
Fehlerquelle, welche aus der Suspension des Eies in einer Flüssigkeit
auch bei den geringsten Erschütterungen folgt, weder zu beseitigen
noch zu messen ist. Also unsere Untersuchung konnte ein einen
,, sicheren'' Schluss gestattendes Resultat überhaupt nur
dann geben, wenn eine annähernd ,,constante" Beziehung
in verschiedenen Versuchsreihen hervortrat, da bei der In-
constanz der Grösse der Fehlerquellen diese für sich kein constantes
Resultat hervorbringen konnten. Zeigte sich aber dauernd ein incon-
stautes Resultat, so waren wir unfähig, zu entscheiden, ob dies das
104 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
wahre Resultat selber oder blos die Wirkung der Fehlerquellen sei;
und wir gewannen somit überhaupt kein Resultat.
Diese Gründe und dabei die üeberzeugung, dass doch
irgend eine feste Beziehung zwischen den bezüglichen Richtungen
bestehen müsse, dass unmöglich die Continuität der Rich-
tungen des „normalen" ersten embryonalen (xeschehens an
einer Stelle unterbrochen sein könne, und dass eine der
Hauptrichtungen normalerweise nur durch einen Zufall,
das heisst durcli eine nicht normirte äussere Einwirkung
bedingt werde, veranlassten [11] mich unermüdlich die Fehler-
quellen aufzusuchen und zu vermeiden [s. Nr. 27 S. 330].
Das erste etwas ., bessere" Resultat, das heisst. welches schon
eher eine con staute Beziehung zwischen der ersten Furchungsebene
und der späteren Medianebene hervorblicken Hess, ergab die Fixation
des Eies mit zwei unter Winkeln von 45^ gegen den Boden geneigten
Nadeln, nach vorausgegangener 6 stündiger Behandlung mit Eiswasser.
Beim ersten Versuche mit dieser Methode entwickelten sich blos drei
Eier bis zur Anlage der Rückenfurche, und sie zeigten Richtungs-
difl'erenzen beider Ebenen von 2*'. 10*^ und 1¥\ Da beide Ebenen
normaler Weise stets in Richtung der Schwerkraft stehen, so ist
ihr Neigimgswdnkel leicht von oben zu messen.
Nur in seltenen Fällen war die M e d i a n e b e n e gegen die
Horizontale geneigt; in diesen auf eine äussere Hemmung oder
auf eine innere Abnormität deutenden Fällen war fast immer auch
der Winkel beider uns angehen<len Ebenen ein grösserer.
Die zweite Versuchsreihe mit dieser Methode ergab das folgende
Resultat. Da ich bei der vorletzten Versuchsreihe zuerst die Beob-
achtung gemacbt liatte, dass die bereits etwas weiter entwickelten
Rückenfurchen stärker von der in die Wachsplatte eingezeichneten
Richtung der ersten Furchungsebene abwichen, als die eben erst zum
Vorschein kommenden Furchen, so schlos.« ich daraus auf eine Dreh-
ung des Eies nach dem Auftreten dieser Furchen, weshalb ich von
da an mich bemühte . immer bei allen Eiern den ersten sicheren
Moment zu beobachten . wo die Richtung der Rückenfurche in ge-
nügender Weise über den Rand der nach oben gewendeten Fläche
Versuche an Iva na fusca. 105
des Eies zum Vorschein gekommen war, um sicher gemessen werden
7A\ können. Aus diesem Grunde wurde bei den nächsten Serien auch
die Grösse dieses Fehlers durch wiederliolte Messungen bestimmt und
die folgende Tabelle gewährt zugleich den Einblick in dieses Verhältniss.
Betrachten wir zunächst die zuerst beobachteten Resultate, so
betragen die Abweichungen der beiden Ebenen in fünf von den acht
Fällen nur Null bis zehn Grad; und nehmen wir die drei Resultate
des ersten Versuches mit dieser Methode hinzu, so fallen von 11 Eiern
bei sieben derselben die beiden Ebenen [12] fast zusammen, bei
einem weiteren beträgt die Differenz nur 14° und nur bei drei von
elf zeigen sich grössere WinkeldifEerenzen, von 20", 28° und 67°.
4'» früh 5^ 1^ S^ 10»^ 9h abends
1. 9° 20*^ 26° 44° 67° 67°
2. 3° 4° 8° 22° 42^ 42°
3. 4° 4° 4° 28° 58° 58°
4. 0° 0° 0° 14° 63° 153°
5. 10° 14° 20" 20° 33° 33°
6. 20° 24° 42° 50° 80° 80°
7. 28° 28° 37° 45° 35° 50°
8. 67° 71° 75° 81° 54° 59°
Betrachten wir die Querreihen, so sehen wir, dass bei einigen
Eiern schon innerhalb einer Stunde eine Drehung von 10° stattge-
funden hat, dass die Drehung in drei Stunden im Maximum 26° er-
reichte, und dass nach sechs Stunden zumeist ein neues
Stadium des Gleichgewichts eingetreten war. Wären die
Eier erst um 5^ zum ersten Male gemessen worden, so wäre das
Resultat ein weit ungünstigeres gewesen, und um 7 '^ hätten wir schon
ein Ergebniss mit dem früheren Charakter, mit Vertheilung der Winkel
auf alle Decaden erTialten. Bei den beiden ungünstigsten Fällen, mit
Abweichungen der Flächen von 28° und 67° findet sich die Bemer-
kung, dass diese Eier zur ersten Beobachtungszeit früh 4 Uhr schon
am weitesten entwickelt waren, also wohl schon in Folge der Gestalt-
änderung sich gedreht hatten.
Bei der vorhergehenden Versuchsreihe beobachtete icli an einem
106 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Eie einen räthselhaften Vorgang, welcher, da er nicht direct hierher
gehört, in einer Anmerkung besprochen werden soll ').
[13] Die nächste Verbesserung der Fixationsmethode bestand
1) Eines der Eier gelangte nämlich nach der Bildung der Medullarfurche und
dem damit verbundenen Länglichwerden nicht zu einer Euhestellung, sondern es drehte
sich drei Tage lang mit zwischen 2 — 6 iMinuten wechselnder Umdrehungsgeschwindig-
keit rechts herum um die dorsiventrale Axe ; aber einmal war eine Umkehr der Um-
drehungsrichtung Avahrzunehmen. welche ich nur eine halbe Stunde beobachten konnte,
da dann die Beobachtung unterbrochen Averden musste ; und bei Wiederaufnahme der-
selben nach einigen Stunden drehte sich der Embrj-o wieder rechts herum. Erschüt-
terung, Insolation der Morgensonne frei oder durch eine Loupe etwas verstärkt,
Dunkelheit hatten keinen erkennbaren Einfluss auf die Umdrehungsgeschwindigkeit;
dagegen schien Zusatz warmen Wassers dieselbe zu beschleunigen, Zusatz kalten
Wassers sie zu verzögern. Die Kraft, welche die Umdrehung beAvirkte. blieb räthsel-
haft, da die Umdrehungsaxe in der Gallerthülle verschiebbar Avar; bei Schiefstellung
des Glases nämlich kehrte der Embryo in der Gallerthülle zu seiner Avagerechten
Stellung zurück und drehte sich weiter um die senkrechte Axe; damit wurde
es unwahrscheinlich, dass vielleicht eine Art abnormer Weise vorhandener, gewun-
dener Hagelschnur durch Aufdrehen der Windung beim Quellen die Umdrehung be-
wirke. Nur bei sehr starker Neigung wurde die Drehung durch die Wandung der
Höhle gehemmt; man sah, dass der Embryo, wenn sein Kopf oder SchAvanz an einer
bestimmten Stellung ankam, sich nur ganz langsam bewegte, nachdem aber diese
Stelle überwunden Avar, mit grösserer GeschAvindigkeit die übrigen drei Quadranten
durchlief. Bei noch stärkerer Neigung trat vollkommene Hemmung an der betreffen-
den Stelle ein. Die einzige Möglichkeit erschien mir danach die, dass elektrische
Ströme links herum in der Oberfläche des Embryo vom Kopfe über die linke
Seitenfläche caudalwärts und über die rechte Seite zurück zum Kopfe kreisten und
dem Embryo so durch Rückstoss die Umdrebungsbewegung rechts herum er-
theilten. Da ich meine Aufmerksamkeit bei der beschränkten Dauer der Laich-
periode anderen Vorgängen zuwenden musste, unterblieben auf NachAveis dieser hypo-
stasirten Ströme gerichtete Untersuchungen, obgleich mir noch fünf weitere solche
„Wende-Embryonen" von zum Theil noch grösserer, zumeist aber geringerer Um-
drehungsgeschwindigkeit vorkamen. So unterblieb auch der vielleicht ein interessantes
Ergebniss liefernde Versuch, den Embryo electrisch zu tödten und dann das weitere
Verhalten bezüglich der Umdrehung zu beobachten. Bei einem mit dem Brennglas
getödteten Embryo hörte die Bewegung auf, AA-as aber hierbei auch durch Coagulation
der Suspensionsflüssigkeit bedingt sein konnte. Woher kommen aber die electrischeu
Ströme und warum sollen sie bei anderen, ebenfalls normalen Embryonen fehlen?
Oder Avaren sie überall vorhanden und blos die BewegungsAviderstände in der Suspen-
sionsflüssigkeit ungleich? Ganz langsame, stetige Umdrehungen h 20—30 Minuten
scheinen in der That öfter vorzukommen. Die BeAvegungen hören auf, A\'enn der
Embryo so lang ist, dass er trotz der seitlichen Umbiegung des Schwanzes an die
Gallerthülle anstösst.
t [Diese BeAA-egung war schon von Swammerdam gesehen und bereits von Bischoff
mit Recht auf Wimperbewegung zurückgeführt Avorden (siehe W. Preyer, Specielle
Physiologie des Embryo. Leipzig 1885. S. 392). i
\ crsuclio iiii lüiiiii fusra. 107
in der Bet'estiguiiii' durch zwei .suiikrcclil zu eiiumdcr derart durch
die Gallerthülle gestossene Nadehi, dass die beiden Nadehi sich in
der Mitte der innerlialb (ier Gallerthülle gelegenen Stücke berühren.
Diese Nadeln wurden dann auT den Boden des Gei'ässes gelegt und
mit einigen Stiftchen so befestigt, dass sie weder die Gallerthülle
zerren, noch bei Er- [14] schütterungen schlottern konnten. Das Ei
ruht hierbei auf einer sehr breiten Fixationsfläche , und die Gallert-
hülle kann sich fast ungehemmt ausdehnen, ohne dass die geringste
Drehung möglich ist. Die mit dieser Methode gewonnenen Winkel
betrugen 0», 0^, 0°, 1°, 2», 2°, 2«, 5«, 11», 12«, 15», 18», 21«, 27«, 40«;
also von lö Fällen stimmen zehn fast überein . die -weiteren fünf
w^eichen successive weiter ab. aber nur zwei in höherem Maasse.
Gleichzeitig mit dieser Art wairde eine ganz neue, viel einfachere
Methode versucht, w^elche auf einer Beobachtung meines Collegen
Dr. Born beruht. Derselbe theilte mir mit. dass die Eier, welche in
dem Gefäss, in dem sie befruchtet werden, sehr fest am Boden an-
kleben, wenn man sie in demselben belässt, und trotz der hochgradigen
Auflockerung durch die Q.uellung noch nach einigen Tagen festhaften.
Ich bezweifelte zunächst die Verwendbarkeit dieser Art der Fixation
blos an der äussersten Peripherie der Hülle, weil bei der Autlockerung
der Hülle und in Folge der kleineren Befestigungsfläche und der
grösseren Entfernung derselben von dem Mittelpunct des Eies jede
Erschütterung ein viel grösseres Schlottern desselben hervorbringen
musste und hervorbrachte, als bei den früheren Methoden; dann er-
schien es auch zweifelhaft, ob wirklich die Fixation so lange genügend
festhalten würde. Der Versuch ergab indess, dass die Fixation bei
Rana fusca sogar noch einen Tag länger, als nöthig ist, anhält; und
auch andererseits mussteu die Vortheile die Nachtheile überwiegen,
denn ich erhielt mit ihr die c onst ante sten Resultate. Die meisten
Eier, w^elche so sich selber fixirt hatten, und deren erste
Theilungsrichtung in die Wachsplatte eingezeichnet war, waren, wie
leider häutig, schon vor der Anlage der Rückenfurche abgestorben,
so dass blos acht Eier mit folgenden Winkeln übrig bheben: 0«, 0*^,
l", 1°. 30, 5". 20*^, 270. Also von acht Eiern stimmen sechs fast
ab.solut überein; zw^ei wichen ab, von denen aber das mit der grössten
108 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Abweichung am Rande des Gefässes stand und in seiner Ausdehnung
durch die AVandung des Gefässes gehemmt \vorden war. Ich erwartete
nun, dass bei der hier mögUclien, fast allseitig ungehemmten Aus-
dehnung der Gallerthülle auch die nachträgliche Drehung der Eier
nach Bildung der Rückenfurche äusserst gering ausfallen würde; trotz-
dem standen sie [15] andern Tages in Winkeln von 61°, 30°, 31",
84°, 74°, 85°, 88°, 90° zur Richtung der ersten Th eilung.
In diesem Stadium der Untersuchung endigte die Laichperiode
der Rana fusca, und es musste daher die Laichung der Rana
esculenta abgewartet werden. Diese schob sich durch die Kälte im
Mai sehr lange hinaus, um sich in den ersten warmen Tagen am
Ende des Monats um so rascher zu vollziehen und in einer einzigen
Woche ihren Abschluss zu finden. In Folge dieser Verkürzung der
Periode konnten blos drei Versuchsreihen angestellt werden, welche
durch die viel grössere Empfindlichkeit der Eier dieses Thieres ganz
im Allgemeinen wie besonders gegen den schädlichen Einfluss des
Wachses sehr gelichtet wurden. Andererseits machte sich eine be-
sondere Eigenschaft Fehler schaffend beim ersten Versuche geltend,
welchen Fehlern erst nach Erkenntniss der Ursache bei den beiden
anderen Versuchen begegnet werden konnte. Die Eier kleben näm-
lich im Uterus aneinander, und bei dem Versuch, sie in der Sameur
flüssigkeit zu vertheilen, bilden sich feine Fäden, welche sich während
der ganzen Dauer des Versuches erhalten und so die Eier unter-
einander und ausserdem noch mit dem Boden verbinden. Da sie
auf dem Wachsboden nicht gut sichtbar sind, war mir ihr Andauern
entgangen und erst das ungünstige Resultat des Versuches machte
mich auf sie aufmerksam; sie wurden daher in den beiden nächsten
Versuchen sorgsam entfernt ; im letzten Versuch wurde schon ihre Bil-
dung möglichst vermieden, da nach den Erfahrungen des zweiten
Versuches die Entfernung nicht gut vollkommen möglich ist. Bei
den beiden letzten Versuchen wurden ausserdem Glas ge fasse ohne
Wachsbodeu bevorzugt, einerseits wegen der stark giftigen Wir-
kung des letzteren, zweitens weil die Wachstafeln oft feine Poren besassen,
welche die Verschiebung des Befestigungstheiles der Gallerthülle auf
dem Boden einseitig hemmen und so Drehungen veranlassen mussten;
besetz der nornialoii Cninciilonz der hezügliclKMi h'ichtunMcn. 109
drittens weil bei dieser Art der Befestigung die Wtichstafeln über-
haupt überflüssig waren, indem die Notirung der Dichtungen
fast ebenso genau auf einem Blatt Papier, welches seitlich
überstehend aussen auf den Boden der Glasschale auf-
geklebt war, an einer Situationsskizze der Eier iieschehen konnte.
Die Resultate an R a n a e s c u 1 e n t a waren nun folgende : Beim
ersten, noch mit nacJi weisbaren Fehlern behafteten Ver- [16] such:
0°, 0», 1«, 5°, 120, 220, 300^ 420^ (^iqo gjo^ 750 ßeim zweiten Versuch,
mit nachträglicher Entfernung der vorhandenen Verbindungsfäden
zwischen den Eiern: 1«. 2°, 4«, 6", 9», IP, 18". 25", 48o.
Beim dritten Versuch unter Vermeidung der Entstehung solcher
Fäden: O«. 0», 0«, 0«, 1", 3», 4«, 5». 5«, 6«, T». 8°, 10«, 22«, 29°. Von
15 Eiern fielen also bei 13 die Richtungen der ersten
Furchungseben e und der Medianebene des Embryo voll-
kommen oder fast vollkommen zusammen, nur in zwei
Fällen waren erhebliche Abweichungen, von 22^ resp. 29". vorhanden.
So ist es inis also gelungen , nach einem langen Kampfe mit
den Fehlerquellen <lieselben derartig zu unterdrücken, dass von der
anfanglichen vollkommenen Zerstreuung der Winkeldif-
ferenz auf alle Decaden eine fast vollkommene C'oncentration
derselben um die Nulllage sich als constant hergestellt hat.
Die noch verbleibende kleine Abweichung von ö" bis 10" wird
jeder, der einmal derartige Versuche gemacht hat, bei der Kleinheit
der runden schwimmenden Kugeln als so gering beurtheilen, dass er
sich im Gegentheil wundern wird über die Möglichkeit, die Fehler so
weit zu vermeiden. Die Concentration um den Nullpunkt ist eine so
evidente, dass sie wohl Niemand verkennen wird, um so mehr, als
die Abweichungen sieli. wie noch hinzugefügt werden muss, nach
beiden Seiten hin, nach rechts und links, fast gleichmässig vertheilen.
So ist es wohl berechtigt , w^enn ich das hervorspringende Be-
streben, die Richtungen beider Ebenen zusammenfallen
zu lassen, als das Gesetzmässige auffasse und die ge-
fundenen kleineren und grösseren Abweichungen nicht
auf Abweichunoen von dem Gesetz, sondern auf die noch'
110 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo
re stiren den Fehlerquellen des \" ersuch es zurückführe
und so das Gesetz aufstelle:
Mit der Ebene der ersten Furchun^- wird [unter normalen
Verhältnissen] beim Froschei zugleich auch die künftige Median-
ebene des Individuums bestimmt, und zwar fallen beide zusammen ^).
Wenn wir jetzt die Bedeutung dieses Gesetzes im Spe-
ciellen erörtern, so wird nocli deutlicher die Berechtigung, die gefun-
denen Abweichungen auf die Fehlerquellen zurückzuführen, hervortreten.
[17] Die erste F'urchung theilt das Eimaterial in zwei gleiche
Hälften, und nach der Vollendung der Theilung wird normalerweise
nur noch wenig Material bei den folgenden Furchungen über diese
Grenze geschafft. Wenn nun die spätere Medianebene, welche den
Organismus in zwei symmetrische Hälften theilt. eonstant in diese
Gegend der Furchungsebene und nachweisbar oft mit ihr zusammen-
fällt, so geht daraus hervor, dass die erste Furchung in diesen
Fällen die Bedeutung der Zerfällung des Eimaterials in die
den beiden späteren Körperhälften entsprechenden Theile
hat. Darnach aber wird es unwahrscheinlich, dass in anderen Fällen
ein durch die ganze Zelle durchgehendes Stück von 15 oder "20
Winkelgraden von je einer dieser beiden ersten Hälften nachträglich
abgetrennt und zur Bildung der anderen Körperhälfte mit verwandt
werde. [Bezüglich a b normer Verhältnisse siehe No. 31 S. 266 undNo. 33. 1
Nachdem so das Hauptresultat festgestellt und formulirt ist.
muss der Leser noch etwas des Genaueren unterrichtet werden, unter
welchen Umständen es gewonnen ist.
Nach dem Auftreten der ersten Furche wurde die Richtung der
selben sofort in das Wachs oder auf das Papier fixirt. Aber oft
kommt es vor, dass sich ihre Richtung, sei es durch Massenaustausch
der beiden noch unvollkommen getrennten Theile, noch öfter aber
durch Drehung des Eies erhebhch ändert. Dies beides dauert ge-
wöhnlich blos bis nach dem Beginn, resp. bis nach der Vollendung
der zweiten Furchung, nach w'elcher dann ein neuer mit einem Kj'euz
[1) Ueber das Verhalten bei nachträglicher Zerlegung der ersten Fui-chungs-
ebene nach der dritten Furchung durch Verschiebung der vier oberen Zellen um 45**
gegen die vier unteren siehe Nr. 28, S. 667].
Naclitfiiglichc Abiindpruimeii Ul
bezeichneter Strich oomacht wnnle. Diese also oft blos (hirch Dreh-
ung, oft aber auch durch wirklichen Massenaustausch vercänderte resp.
corrigirte Richtung der ersten Furchungsebene ist es, auf
welche unsere fein constantes Verhalten ergebenden! Messungen
sich beziehen.
Auf die eventuell alterirende Wirkung der Bildung einer soge-
nannten Brechungsfurche, welche durch Hächenhafte Berührung
zweier sich normaler Weise blos mit den Kanten gegenüberstehenden
Furchungskugeln der zweiten Theilung entsteht,, und stets die eigent-
lichen Hauptfurchen ablenkt, hatte ich anfangs geachtet; aber zu
dieser Zeit waren die Fehler der Methode noch zu gross, um solche
Feinheiten beurtheilen lassen zu können. Bei der letzten Versuchs-
reihe mit R. fusca und bei R. escul. war diese Furche aber nicht
wieder aufgetreten. [18) Bei den „späteren" Theilungen stellen
sich öfter Zellen wieder in die Medianlinie und vertheilen
ihr Material bei den weiteren Theilungen auf die beiden Ei-
also auch Körperhälften, ohne indessen in Folge ihrer Kleinheit
im Stande zu sein, die Richtung der Medianlinie dadurch zu ändern ').
Mit diesem Resultat ist also die Richtung der Medianebene fest-
gestellt und zwar ist die erste Furchungsebene, wie sie durch die
nächste Furchung corrigirt wird, schon die Medianebene. Damit ist
zugleich auch die dorsi ventrale Richtung genauer bestimmt, als dies
am unbefruchteten Ei durch die Polarität des Keim- und des Nahrungs-
dotter angedeutet ist; denn die erste Furche geht nicht immer durch die
Mitte des Bildungsdotters, wohl aber durch die Mitte des ganzen Eies.
[Diese Abweichungen sind durch etwas zu geringen Wasserzusatz und
dadurch veranlasste Zwangslage des Eies bedingt, s. Nr. 20 S. 43.]
[1) Da diese Vorgänge nicht immer stattfinden, also atypisch sind, so können
diese an einen abnormen Ort gelangten Zellen nicht zufolge ihrer ursprünglichen normal
activirten Qualitäten, also" auch nicht von selber zu den dieser Lagerung entsprechen-
den Theilen des Embryo sich entwickeln; sondern sie müssen von den Zellen des Haupt-
complexes aus zur richtigen, ihrer Lagerung im Ganzen entsprechenden Differenzirung
veranlasst werden. Da aber zugleich auch diese in ihrer normalen Anordnung etwas
gestört, wenn auch weniger alterirt worden sind, so muss dasselbe in entsprechend
minderem Maasse auch an ihnen stattfinden; so dass also nicht mehr normale s. di-
recte, sondern indirecte P]ntwickelung vorliegt, welche unter Activirung von idio-
plastischem Reservematerial in den Zellen und von Regulationsmechanismen statt-
findet (siehe Nr. 28 S. 667 und Nr. 31 S. 279).]
I
112 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
B. Zeit der Bestimmung der Qualitäten Icopf- und schwanz-
wärts bei gegebener Hau|jtrichtung.
Es fehlt nun noch als letzte Bestimmung an den Hauptricht-
ungen die Entscheidung übei' die Qualitäten kopl- und
schwänz wärts; und es ist die Frage: Wird die Entscheidung dar-
über, welches Ende der Medianebene resp. der ersten Furchuugsebene
den Kopf, welches den Öchwanztheil liefern soll , aucli schon in den
Anfangsstadien der Eurchung getroffen; oder ist vielleicht die Be-
stimmung dieser Differenz erst einer späteren Entwickelungsstufe
und vielleicht unter Betljeiligung einer äusseren Einwirkung vorl)e-
halten?
An den Eiern von Eana fusca konnte ich darüber zu keinem
Resultate kommen, da die Furchung hier zu unregelmässig und an-
dererseits zugleich auch wieder zu regelmässig verlief; letzteres, weil
die drei ersten Meridianfurchen alle grösste Kreise waren, welche sich
alle in denselben beiden Puncten schnitten; zu unregelmässig, weil
die weitere Furchuug kein typisches Schema erkennen hess, wozu
wohl die in den meisten Fällen stattgehabte Eisbehandlung beitragen
mochte.
Bei Rana esculenta verlief die F\u*chung fast stets nach beiden
Richtungen hin so günstig, dass ich schon an der ersten Serie Eier
das charakteristische Furchungsschema aufstellen konnte, welches dann
durch die beiden folgenden Serien . von kleinen Abweichungen ab-
gesehen, durchaus bestätigt wurde. Dieses so einheitlich und leicht
erkennbar aufgetretene Furchungsschema ist aber wesenthch ver-
schieden von den neuerdings [19] von Rauber ^) für dieselbe Species
aufgestellten Schemata, welche auch unter sich selber in hohem Maasse
von einander abweichen. Aus diesem letzteren Verhalten lässt sich wohl
ableiten, dass Rauber Eier mit verschiedenartig gestörten F'urchungen
vor sich gehabt hat; nur eines seiner Bilder (Fig. 34) lässt die Züge
des von mir beobachteten Schemas erkennen (s. Nr. 20 S. 40).
1) A. Rauber, Neue Grundlegungen zur Kenntniss der Zelle. Morphologisches
.lahrh. Bd. VIII, Tafel XI. F. 1.
Typische schiefe EinstelUiriii des {'lies von Haiia esculenta. 113
Die erste Furelumgsebene gelil aueli liier durch den Mitt.elj)unet
des Eies und steht senkrecht. Die zweite Furehiing erfolgt wie
gewöhnlich rechtwinkelig zur ersten, liegt aber excentrisch
und schneidet somit nur einen Kugelabschnitt ab. Dadurch ist von
vornherein ein Unterschied zwischen den zwei durch diese Quer-
i'urchung getrennten Theilen des Embryo gemacht; es bleibt blos die
Frage, zu welchem von beiden Körpertheilen der kleinere , res]), der
grössere Abschnitt werden wird, und ob überhaupt eine constante
Beziehung darin besteht.
Zunächst ist die excentrische Lage der zweiten Furchungsebene
constant noch genauer bestimmt. Das Ei dieser Species stellt sich
nämlich, jedenfalls zufolge einer inneren Verschiedenheit
des specifischen Gewichtes des Materials (s. S. 120) immer so
ein, dass die Mitte des braunen Poles nicht rein nach oben,
sondern etwas nach einer Seite gerichtet ist; auf der andern
Seite kommt daher oben etwas von der Randzone des
weissen Poles zum Vorschein. Nach dieser letzteren Seite
hin ist stets die zweite Furche excentrisch gelagert.
Das durch diese Einstellung entstehende Bild der oberen Hälfte
des Eies wird stets durch die erste Furchungsebene annähernd
symmetrisch getheilt; und da die Einstellung schon vor der
zweiten Theilung (ich habe leider nicht beobachtet, ob auch schon
vor der ersten Theilung oder schon vor der Befruchtung)
erfolgt, so ergiebt sich, dass dieser Unterschied der vorderen und
hinteren Körperhälfte schon sehr frühzeitig normirt wird.
Indem diese Excentricität und ihre Lage nach dem weissen
Rande in die Diagramme eingetragen wurden, konnte am Beginn der
Bildung der Rückenfurche beobachtet Averden, welchem [201 Körper-
theil der kleinere Kugelabschnitt entsprach; und so ergab sich aus-
nahmslos, dass es die hintere Körperhälfte ist, da ausnahmslos es
diejenige Seite war, wo die Medullarfalteu allmählich von
unten nach oben zum Vorschein kamen*).
[1) Dass diejenige Seite, „wo die MeduUarfalten allmählich von unten nach oben
zum Vorschein kommen^ die , hintere" s. caudale Seite sei, wurde auf Grund der damals
von Niemand bezweifelten älteren Angabe erschlossen, dass das Medullarrolir auf der
W. Rons, Gesammelte Abhandlungen. II. y
114 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Es ist hierbei zu erwähnen, dass bei unseren Ranae esculentae
die Hückenfurehe mit den Medullarfalten nach dem von den Fischen
lier überkommenen Typus sich anlegen, indem sie vom Gastrulamund
aus empor sich entwickehi. Dasselbe war bei den Kanae fuscae des
C'anton WaUis der Fall, während bei den Ranae fuscae der hiesigen
Gegend zuerst die Anlage der Hirnplatte mit den vorderen Enden
der Medullarfalten erfolgt, wie es auch (). HERT^vI(;^) gesehen hat. Diesei-
Unterschied der Anlage des Centralnervensystems bei Thieren der-
selben Gattung resp. Species wird embryologisch von grossem In-
teresse, sobald man, wie berechtigt erscheint, annimmt, dass nicht
die Processe an sich wesentlich verschieden sind, sondern
dass blos eine ,, chronologische" V^erschiedenheit bezüglich
des Anfangs des Processes besteht. So folgert aus der erwähnten
Verschiedenheit, dass die Medullarfalten sich vom Urmund aus nicht
durch einen Sprossungsvorgang, welcher seinem Wesen nach mit Vor-
wärtsschiebung des Materials verbunden sein müsste, sich entwickeln,
sondern dass der Faltenbildungsprocess blos über das ruhende Material
vom Urmund aus abläuft und dabei die quere Öchlussplatte als eine
stets von neuem Materiale dargestellte Welle nach aufwärts und vorn
sich fortpflanzt. Diesen Vorgang konnte ich an einem etwas ab-
normen Ei direct beobachten. Das Ei hatte in der Mitte des oberen
Poles eine mit fein gewundenen Furchen versehene und dunkler
Oberseite des Eies zur Anlage käme. Da später Pflüger und ich nachwiesen
(s. Nr. 21, S. 158), dass diese Auffassung unrichtig ist. sondern dass die Medullar-
platte auf der Unterseite zur Anlage kommt und erst nachträglich durch Drehung
um eine Avagrechte transversale Axe um etwa 170° nach oben gelangt, sind die in
dieser Abhandlung gegebenen Bezeichnungen von köpf- und schwanzwärts also
gleichfalls unrichtig, und müssen miteinander geradezu vertauscht werden.
Dies gilt natürlich auch für die Abbildungen der zugehörigen Tafel IV. In der 1884
verfassten Abhandlung Nr. 18 findet sich Seite 444 bereits die durch ünterlegung
eines Spiegels gewonnene genauere Bestimmung, dass normaler Weise bei Rana
esculenta, „der Urmund immer auf derjenigen Seite des Eies entstand, wo der weisse
Pol mit einem Saum an der oberen Fläche des Eies sichtbar wurde". Danach
war nun noch die Lage der Anlage stelle des Urmundes zur Kopf- und Schwanz-
seite des Embryo exakt zu bestimmen, was in Nr. 23 geschehen ist.]
1) 0. Hertwig, Die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere.
Zweiter Theil. 1883.
Furchuiigsschema von l\ana (^sculentii. 115
bruuii gefärbte Stelle, und ieli erwartete mit Spcaniniii«;- (li(^ Bildtiiig-
der Rückenfurche, da diese Marke mir den wirklichen Vorgang der
Ausbreitung der Medullarfalten erkennen lassen musste. Die Medullar-
falten rückten nach ihrem Auftreten immer näher an die unbeweg-
lich liegen bleibende braune Stelle heran und die Schlussplatte der
Falten gelangte so an den vorderen Rand derselben, lief dann in ihr
weiter, so dass sie in der Mitte stand, und schliesslich am Ende an-
gelangt, bheb die Schluss- [21] platte als Gehirnplatte stehen. Der
dunkelbraune Fleck blieb darauf am vorderen Ende des Medullar-
rohres, welches sich vollkommen normal weiter bildete , noch lange
erkennbar. So wurde also direet beobachtet, Avie diese Querfalte ohne
jede V^orwärtsschiebung des Materials nach vorwärts sich fortpflanzte
und dass diese Fortpflanzung unter wellenförmig fortschreitender Er-
hebung und Senkung des in loco verbleibenden Materials geschah.
So können wir auch annehmen, dass bei den Ranae fuscae der
hiesigen Gegend der Process, indem er am anderen Ende anfängt,
blos eine Alteration der Richtung, welche in einer blos zeit-
lichen Alteration des Geschehens ihren Grund haben kann,
erfahren hat; und es erscheint dabei nicht unverständlich, dass nun
die Gehirnwulstbildung sich nicht in umgekehrter Richtung fort-
pflanzt, sondern auf ihren definitiven Ort beschränkt bleibt. Man
wird am Schlüsse ersehen, dass diese iVusführung nicht ohne Be-
ziehung für die Consequenzen unseres Resultates bei der speciellen
Anwendung desselben ist^).
Es sei nun noch das Furchungsschema der Ranae es-
culentae kurz skizzirt, da wir mit Hilfe desselben in die Lage ver-
setzt werden, vorkommende Abweichungen der ersten Furch-
ungen in ihrer Bedeutung zu erkennen. Figur 1 [auf
[1) Diese scheinbar so sichere Beobachtung erwies sich bei späteren Beobach-
tungen als nicht zuverlässig, indem sich zeigte, dass das oberflächliche Pigment
selber gegen die unterliegende Eisubstanz verschoben wird und dass
solche Flecken verschwinden und neue auftreten, welche letzteren man bei nicht conti-
nuirlicher Beobachtung leicht mit den früheren verwechseln kann. Deshalb habe ich
später zwei sicherere Methoden zur ßeurtheilung der erwähnten Verhältnisse der Bildung
der Medullarplatte in Anwendung gebracht (siehe Nr. 21 S. 158 und Nr. 23).J
116 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Tai". TV] stellt die beiden ersten Furchen auf dem l)ereits durch die
erste Aequatorialfurche umgrenzten animalen Pol des Eies dar. Die
punctirton Linien, welche die rechten Winkel des Furchungskreuzes
halbiren, geben die ,, ersten" Andeutungen der dritten
Meridianfurche; aber diese Richtungen ändern sich, noch
ehe die Furchen tief einschneiden, und zwar in derWeise,
dass die Furchen schliesslich wie in Figur 2 verlaufen. In
Figur 1 sind die der ersten Furch ungsebene, also der Medianebene,
anliegenden beiden Furchungskugeln jeder Körperhälfte die hintere
mit a. die vordere, grössere mit b bezeichnet, die von der Mediau-
ebene ausgeschlossenen Zellen mit a' und b'. Figur 2 zeigt
nun, dass die dritten Meridianfurchen von ihrer, dem universellen
Normalschema entsprechenden anfänglichen Anlage abweichen , und
zwar in einer Weise, dass sie sich nicht mehr im Kreuzungspunct
der beiden ersten Furchen schneiden, sondern derart, dass der Durch-
schnittspunct der dritten Furchen der hinteren , kleineren Eihälfte
bei Ausführung der dazu erforderlichen Verlängerung weit hinein in
die vordere Körperhälfte verlegt wird, während [22] der gleiche
Kreuzungspunct der beiden dritten Meridianfurchen des vorderen
Kürperabschnittes entweder stehen bleibt, wie in Figur 3, oder, wie
gewöhnlich, auch weiter in die vordere Körperhälfte hinein verschoben
wird (Fig. 2). Daraus resultirt für die medialen Zellen der hinteren
Körperhälfte, für a, a, eine schmale keilförmige Gestalt und für die
lateralen Zellen a' der vollkommene Ausschluss von der Medianebene.
Für die lateralen Zellen der vorderen Eihälfte dagegen ergiebt sich
aus dem Nachvorwärtsrücken der Durchschnittspuncte der beiden
dritten Meridianfurchen eine quere Lagerung der Zellen zur Median-
ebene und eine ausgiebige Berührungsfläche beider aneinander in
dieser Ebene (Figur 2), sofern nicht, wie nicht selten, die beiden keil-
förmigen Zellen a, a der hinteren Hälfte über das Gebiet der ur-
sprünglichen zweiten Furche sich nach vorn verschieben und so die
Zellen b', b' von einander trennen. Selten kommt eine annähernd sym-
metrische Anordnung auch um die zweite, um die excentrische Meri-
dianfurche vor, wie Fig. 4 andeutet; noch seltener aber, zweimal
von 32 Fällen , beobachtete ich eine mangelnde P^xcentricität der
Entstehung der „zweiten" Fmcho nls erste. 11'
zweiten Furche, womit sie dann wieder dem universellen Schema
entspricht^).
Tn einem für uns besonders interessanten Falle endlich lac; die
„erste'- Furche excentrisch, sie ging also nicht durch den Mittel-
punct des Eies; und ihre Excentricität lag ganz wie bei einer nor-
malen zweiten Furche nach dem von oben sichtbaren Saum des
weissen Poles hin. Sie hatte somit zwei Eigenscliaf ten der
„zweiten" Furche. Die zu weit auftretende Furche dagegen
halbirte das Ei und stand im Uebrigen senkrecht zur ersten und
beide standen, wie normal, senkrecht zur Horizontalebene. Da ich
ein typisches Furchungsschema kennen gelernt hatte, welches für
jede der beiden ersten Furchen noch ein weiteres charakteristisches
Merkmal enthält, so erwartete ich mit Interesse das Auftreten diesei-
weiteren Furchen, und in der That, obgleich die dritten Meridional-
furchen nicht vollkommen dem Schema entsprachen, so schien doch
zu erkennen zu sein, dass die ,, zweite" Furche die Symmetrie-
ebene darstellte. Volle Entscheidung konnte bei der Unregel-
mässigkeit der dritten Längsfurchen in diesem Falle blos die spätere
Medullarfurche liefern. Leider aber starben sämmtliche Eier dieser
Glasschale, wahrscheinlich durch Vergiftung durch das Wachs,
123] vor der Zeit al). Immerhin bleibt das Vorkommniss interessant
genug, um später auf ähnliche Vorkommnisse zu achten, da wir jetzt
in der Lage sind, wenn auch die bisherigen einzigen Charak-
tere, die „chronologischen", verwechselt sein sollten
durch die übrigen Charaktere die Furchen in ihrer wahren Bedeutung
zu recognosciren^).
Als Gesammtresultat hat sieb somit herausgestellt, dass alle
Hauptrichtungen des Embryo schon zur Zeit der Bildung
der zweiten Furche normirt sind; und daraus folgt, dass die
normale embryonale Entwickelung in diesen Beziehungen
von Anfang an ein festes System von Richtungen ist,
[1) Ueber die relativeGros.se der Zellen als nächste Urs a che dieser Lage-
rung der Furchen siehe W. Roux, Arch. für Entwickelungsmechanik Bd. IL 1895]
[^) Weiteres über Anachronismen der Furchung siehe Nr. 18 S. 444.
Nr. 20 S. 43 u. f. u. Nr. 22 S. 22.]
118 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
welches keine Unterbrechung zeigt , und wo einem späteren Zufalle
[in dieser Beziehung] nichts mehr zur Bestinnnung überlassen bleibt.
Sehen wir uns weiterhin nach Bestätigung oder Erweiterung
unseres Resultats auf den Gebieten anderer Thiertypen um, so hegen
manche Beobachtungen vor, welche zu diesem Zwecke sich eignen.
Bezüglich der Bestinnnung der Längsaxe des Thieres schon
mit oder vor der ersten Furchung findet sich bei L. Aueubach^) die
Angabe, dass bei dem länglichen Ei von Ascaris nigrovenosa
aus dem einen spitzeren Pol, welcher im Eileiter uteruswärts liegt,
und welcher vermuthlich zuerst vom Samen getroffen wird, sich der
Kopftheil des Wurmes entwickelt. Da hier die specifische Gestaltung
des Eies wohl durch die Wirkung des Eileiters bedingt ist, die Rich-
tung des Eileiters aber zugleich auch die Stelle des eindringenden
Samens bestimmt, so lässt sich nicht entscheiden, ob die Bestimmung,
dass der spitze Theil das Kopfende liefert, dem Ei schon vor der
Befruchtung inhärirt, oder ob erst durch Vermittelung der stets von
dieser Seite her erfolgenden Befruchtung diese Entscheidung getroffen
wird. Die Längsaxe des Thieres aber ist schon im Ei bestimmt,
der Zweifel bezieht sich blos auf das Vorn und Hinten an derselben.
Der Autor schildert ausführhch die Umdrehung der conjugirten Kerne
um 90 Grad, ferner die weiteren Th eilungen , ohne bei der sonst so
minutiösen Beschreil3ung [24] aller Nebenumstände der Schwierig-
keiten zu erwähnen, die es der Beobachtung hätte machen müssen,
wenn diese ^^orgänge nicht in bestimmter Stellung zur Richtung der
optischen Axe des Mikroskopes sich vollzogen hätten. Es scheint
demnach berechtigt, zu vermuthen, dass letzteres der Fall gewesen
ist, das heisst, dass die Umdrehungsaxe der conjugirten
Kerne Avie die ersten Furchungsebenen annähernd senk-
recht gestanden haben^). Da die Lagerung des Eies im breit-
gedrückten Eileiter eine zufällige und unveränderliche ist, so folgt,
dass das ,,äu s sere" Moment einer geringen ,, Quetschung"
durch das Deckglas schon von Anfang an Veranlassung
i) L. Auerbach, Organologische Studien, 1874 — 1875. S. 195 u. flgde.
[-) Diese damals von mir geäusserte Vermuthung hat jüngst Herr AuERBAnn
mündlich bestätigt (siehe F. Braem im biolog. Gentralbl. 1894 S. 341.1
Bestimmung der ersten Furcluingsrichtungen durch Pressung des Eies. 119
gewesen sei,dass die Umdrehung der conjugirten Korno senk-
recht zur Druckrichtiing vor sieh geht und weiterhin, sei
es damit zugleich oder unabhcängig davon, aucli die senkrechte
Richtung der ersten Furchungsebenen bestimmt werde.
Nachdem aber einmal diese Entscheidungen l)eim An-
lang der Entwickelung getroffen sind, werden sie auch für
den ganzen ferneren Verlauf derselben massgebend bleiben
müssen.
Weiterhin lassen die Abbildungen von Ch. Jui.ix*) über die Ent-
wickelung des Männchen von Rho])alura Giardii sehr deutlich
erkennen, dass auch hier durch die erste Fm*che schon die Richtung
der Längsaxe des Thieres und zugleich die Entscheidung über vorn und
hinten getroffen wird ; nur liegt diese Axe nicht, wie beim Frosch, in
der Riclitung der „ersten" Furchungsebene, sondern steht senkrecht da-
zu; sie liegt also in der Richtung der ersten Kernspindel, gleich wie- bei
Ascaris nigrovenosa. Die erste Tlieilung zerlegt nämlich das Ei von
Rhopalura in eine grössere und eine kleinere Zelle, von denen die
erstere lange Zeit ungetheilt bleibt und dabei von den Nachkommen
der letzteren Zelle nur unvollkommen eingehüllt wird, so dass der
der kleinen Zelle abgewendete Theil der grossen Zelle lange genug
frei bleibt, um mit Hilfe der weiteren Bildungen das Vorn und Hinten
sicher unterscheiden zu können. Die kleinere Zelle liefert hier das Ecto-
derm, die grössere das [25] Entoderm. Die Abbildungen von van Beneden
über die Entwickelung der Conocyema polymorpha ^) deuten auf ganz
das gleiche Verhalten hin.
Dagegen stehen unsere obigen Beobachtungen im Widerspruche
mit der älteren Anga,be van Beneden's^), dass beim Kaninchen die
Segmente der ersten Furchung dem Epi blast und dem Hypoblast
entsprächen. In Anbetracht aber der Schwierigkeit einer derartigen
Feststellung bei der Säugethierentwickelung und des Umstandes, dass
1) Gh. Jülin, Contribution ä l'histoire des Mezoaires. Reeherches sur Torgani-
sation et le developpement embryounaire des Orthonectides. Arcb. de Biologie
T. IIT, 1882.
^) Arch. de Biologie, T. IIl, pl. VIIl.
a) V.\N Beneden, Developpement embryonnaire des Mammiferes. Bull, de
l'Acad. Belgique 1874.
120 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
diese von den Beobachtungen anderer üntersucher abweichende An-
gabe noch keine Bestätigung gefunden hat, können wohl zunächst
erst letztere abgewartet werden, ehe wir uns ein Urtheil darüber
zu bilden versuchen.
Fragen wir zuletzt noch nach den Ursachen, welche die so
früh bestimmten Hauptrichtungen normiren können, so entziehen
sich die Ursachen derjenigen Richtungen, welche schon vor der Be-
fruchtung bestimmt werden, zur Zeit fast gänzlich unserer Beurtheilung.
Es ist aber nicht zu übersehen, dass eine einzige Richtung
ohne den Charakter des Räthselhaf ten entstehen kann, so-
fern zwei verschiedene Substanzen im Eie vorhanden sind,
welche die Neigung haben, sich von einander zu scheiden,
wie dies bei dem Vorhandensein von Nahrungs- und Bildungs-
d Ott er zumeist der Fall ist. Wenn von diesen jeder sich für sich sam-
melt, so entstehen zwei Massen, durch deren Mittelpuncte eine Richtung,
die dorsi ventrale Richtung, bestimmt ist; und wenn dann zugleich der
Bildungsdotter s})ecifisch leichter ist, als der Nahrungs-
dotter, so wird er sich bei schwimmenden Eiern stets nach oben
richten (s. S. 19 u. Nr. 19 S. 5). Ob aber durch dieses Moment
allein schon die senkrechte Stellung der beiden ersten
F u r c h u n g s e b e n e n l:)estimmt wird , oder ob d i e e r s t e F u i- c h u n g s-
ebene allein durch den nach oben verlegten Massen-
niittelpunct der specifisch leichteren Substanz und
durch den Massenmittelpunct des ganzen Eies vollkommen bestimmt
wird und aus diesem Grunde [26] die senkrechte Stellung er-
langt, oder ob hierbei noch andere Momente mitwirken, darüber
müssen wir uns zur Zeit des Urtheils enthalten. Ich will nur noch
darauf hinweisen, dass uns die centrolecithalen Eier der Arthropoden,
bei welchen der Nahrungsdotter in der Mitte des Eies eingeschlossen
ist, und die alecithalen Eier der Säuger, wo die geringe Menge vor-
handener Dotterkörner im ganzen Eie vertheilt ist, darauf aufmerk-
sam macht, dass immerhin die Sonderung des Nahrungs- und
des Bi Iduugsdot ters auf zwei verschiedene Seiten des
Eies schon ein besonderer Vorgang ist, welcher nicht ohne
Weiteres als selbstverständlich anzunehmen ist.
Eventuelle Wirkung der Copulationsrichtuug. 121
Soweit die Richtungen erst nach der Befruchtung entstehen,
kann man daran denken, dass (he ßefrucJitung irgendwie mit
richtungsbestimmend wirke; dass z. ß. der Conjugations-
richtung des weiblichen und männlichen Vorkernes dabei
eine entscheidende Bedeutung zukomme; eine Vermuthung
über deren eventuelle Berechtigung natürlich nur die directe Beobach-
tung an durchsichtigen Eiern Aufschluss zu geben vermag (s. Nr. 20
S. 19 u. Nr. 21). Vor einer Ueberschätzung dieses vermuthlichen
Einflusses des Befruchtungsvorganges auf die Richtungsbe-
stimmung wird uns die Erwägung schützen, dass es Thiere giebt,
wo sowohl befruchtete und unbefruchtete Eier vollkommen entwicke-
lungsfähig sind, und dass selbst Eier der Wirbelthiere ohneBefruclitung
erste Stadien der Entwickelung zu durchlaufen vermögen. Diejenigen
Richtungen, welche unter allen nöthigen Cautelen vorgenommene
Wiederholungen der Beobachtung als an unbefruchteten Wirbel-
thiereiern auftretend nachweisen werden, können dann also sicher
nicht als von der Richtung des eindringenden Samenfadens resp. von
der Copulation srichtung der beiden Vorkerne abhängig
aufgefasst werden.
Schliesslich sei noch die Bedeutung unseres Resultates für ein
pathologisches Vorkommniss, [für die Missbildungen mit Ver-
doppelung der Axenorgane] angedeutet.
Wir haben die Axenbestimmung als einen bereits mit dem
Beginne der Entwickelung, also lange vor der Anlage der besonderen
Axenorgane sich vollziehenden Vorgang kennen gelernt. Dies ent-
spricht der Beziehung, dass die Median ebene nicht blos der
[27] „Ort'' ist, an dem die „Axenorgane" liegen, sondern
dass sie diejenige Fläche ist, zu welcher in den beiden
Körperhälftenjxlles symmetrisch angelegt wird. »
Danüt bleibt meiner Meinung nach wenig Wahrscheinhchkeit
für die Annahme Ahlfeld's ^), dass Druck der Zona pellucida auf das
Bildungsmaterial des Embryo in einem Stadium kurz vor dem Auftreten
der Primitivrinne die Fruchtanlage mit dem Erfolge zu spalten vermöge,
1) Fr. Ahlfeld. Die Missbildungen des Menseben. 1880. S. 10.
122 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptricbtungen des Embryo.
dass danach Doppelbildungen entstehen. Das Gleiche glaube ich be-
züglich der Ansicht L. Geki.ach's ^), dass er durch Beschränkung der
Athmuugsgelegenheit in der Richtung der vorwachsenden Primitiv-
rinne (mittelst Ueberfirnissen der Schale des Hühnereies auf der ent-
sprechenden Stelle) eine Spaltung im Weiters]jrossen der Primitivrinne
und damit in dem ganzen Embryo hervorzubringen vermöge und
vermocht habe. Selbst wenn dieses Axenorgan oder die specielle
Embryonalanlage durch diese Mittel spaltbar wären, so würde trotz-
dem unmöglich eine dem „Gesetz der symmetrischen Aus-
bildung um die eigene Medianebene und dem Gesetz der
symmetrischen Vereinigung beider Individualanlagen"
[W. Roux] folgende Doppelbildung hervorgehen können; sondern
höchstens würde ein aus zwei auseinanderstehenden symmetrischen
Hälften bestehendes Doppelgebilde entstehen, dessen beide Theile
durch nicht zu Grganen geordnete Gewebebildungen in einen durch-
aus nicht den Gesetzen symmetrischer Ausbildung und Vereinigung-
folgenden Zusammenhang gebracht sind (s. Nr. 20 S. 46). Denn wir
haben zur Zeit keine Berechtigung, den Axeiiorganen der-
artige differenzirende Wirkungen auf ihre Umgebung zu-
zuerkennen, dass von ihnen aus die Bildung der ganzen
übrigen Theile der betreffenden Metameren ausgelöst,
oder sonst veranlasst werden könnte. Vielmehr ist in Anbe-
tracht unseres Resultates zu vermutheu, dass beide Processe, Axen-
bildung und die Vertheilung des Materiales für die Organe
in frühester Zeit der Entwickelung stets gemeinsam sich voll-
ziehen, dass sie beide Folgen eines [28] und desselben Vor-
ganges sind; und bezüglich der Entstehung der Doppelbildungen
werden wohl diejenigen der Wahrheit am nächsten kommen, welche
mit B. ScHULTZE die Ursachen und die Entstehungszeit der
Doppelbildungen in die früheste Zeit, also vor, während
oder direct nach der Befruchtung verlegen, sodass von vorn-
lierein eine andere Materialvertheilung um zwei Axen
1) L. Gerlach, Ueber die künstliche Erzeugung von Doppelbildungen beim
Hühnchen. Sitzungsber. d. phys. med. Societät zu Erlangen vom 8. November 1880.
Zeit der Bestimmung der DoppornilduiiRpii. 12?
.'tcattfinden kann'). [Ueber eine neue Möglichkeit erst späterer Eiit-
stehimg von Doppelbildungen siehe Nr. 22 S. 287. j
Breslau, 11. Juni 1883.
[1) Die vorstehende Abhandlung stellt meine erste Untersuchung über die
Probleme der Entwickelungsniechanik des Embryo dar. Ich stellte dieselbe an.
nachdem die vorausgegangene Prüfung der angreifbaren Probleme mir das Problem
der „Bichtungsbestimmung" des gestaltenden Geschehens als eines der
einer exacten Behandlung am meisten zugänglichen hatte erscheinen
lassen, und nachdem das Nachdenken über die Methode der causalen Forschung
mich zu der fruchtbar gewordenen Erkenntniss geführt hatte, dass wir vor der Er-
mittelung der Ursachen des gestaltenden Geschehens erst die Zeit und die Oert-
lichkeit der Ursachen erforschen müssen.
Diese erste Untersuchung hatte insofern ein besonderes Schick-
sal, als kurz nach dem Beginn derselben der bedeutende Physiologe E. PFLikiER
von anderer, engerer Fragestellung ausgehend , Versuche über die Wirkung der
Schwerkraft auf die Theilung der Zellen an der, Ende Mai und Anfang Juni
laichenden Rana esculenta anstellte und dieselbe Beziehung der ersten Furche zur
Medianebene auffand, als ich sie im März desselben Jahres an Rana fusca ermit-
telt hatte. Während ich jedoch vor der Publication des Ergebnisses 6 Wochen
wartete, um dasselbe an Rana esculenta zu prüfen und so zu sichern und ihm all-
gemeinere Bedeutung zu geben, publicirte Pflücer das Ergebniss des ersten, am
6. Juni angestellten Versuches bereits am 10. Juni und gewann so eine üruckpriorität
von 3 Tagen vor mir.
Obgleich Pklüoer die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit meiner Untersuch-
ung ausdrücklich kundgiebt (Abhandig. 11 S. 31 Pflüoer's Arch. Bd. 32. 1883) und
obgleich meine Fragestellung eine andere war, so hat diese Druckpriorität
von 3 Tagen doch für mehrere Autoren genügt, um den Geheimrath
Pflüger für den Eröffner des Gebietes der Entwickelungsniechanik
und den jungen Privatd oc ent en für seinen Nachfolger auf diesem
Gebiete auszugeben, obgleich wir dasselbe gleichzeitig von verschiedenen
Seiten und mit wesentlich verschiedenen Absichten betreten haben : Pflüger mit der
Absicht, ein einziges Agens (in genialer Weise) auf seine gestaltende Wirkung zu
prüfen, ich um lebenslänglich auf ihm zu arbeiten und mit einem, auf Grund voraus-
gegangener Prüfung der vorliegenden Aufgaben, ausgesuchten Problem den Anfang zu
machen.
Der erste Referent über beide Arbeiten, J. W. Sfengei., berichtete (Biolog.
Centralblatt 1883, S. -j'cKj) ausführlich über Pflügers Arbeit, mit einigen Zeilen über
die meine und nahm von meiner Auffassung über die Art der Wir-
kung der Schwerkraft (s. S. 19 und 25) keine Notiz — vielleicht in wohl-
wollender Absicht, da ich die „fundamentale differenzirende Wirkung der Schwer-
kraft", an die damals auf Grund des PrLÜGER'schen Versuches allgemein geglaubt
wurde, nicht erkannt, sondern die Wirkung der Schwerkraft blos als eine die un-
gleich specifisch schweren Eitheile einstellende richtig bezeichnet hatte.]
124 Nr. 16. Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo.
Figureiierkläruiig zu Tafel IV.
Die Figuren stellen die normale Einstellung des befruchteten Eies von Rana
esculenta (s. viridis) von oben gesehen dar, sowie die Stellung der ersten Furchen
zu dieser Einstellung.
Die Zahlen 1 — IV bezeichnen die Reihenfolge des Auftretens der Furchen.
Das Genauere siehe im Texte Seite 19, 20 und 21.
Die Bezeichnungen „Kopftheil" und , Schwänzt heil" sind nach den in
Nr. 20 und 23 mitgetheilten Beobachtungen mit einander zu vertauschen, da
der Embryo erst durch Drehung des Eies um 170" die bezeichnete Stellung erlangt.
Nr 17.
lieber die Bedeutung- der Kerntheilungsfiguren.
Eine hypothetische Erörterung.
1883.
Leipzig, Wilhelm Engklmann. August 1888.
Inhalt.
Seite
Thatsachen der indirecten Kerntheilung 126
Functionelle Bedeutung derselben 129
Beliebige Halbirung der Kernmasse 129
Halbirung der Masse der einzelnen Qualitäten des Kerns: qualita-
tive Halbirung 129
Erfordernisse derselben 129
Zerlegung in viele Stücke 130
Ordnung derselben: 131
Im einfachsten Falle 131
Im complicirten Falle 132
Fadenanordnuug 133
Bestimmte qualitativ ungleiche Theilung 137
Definition des Zweckes der indirecten Kerntheilung 138
Bedeutung der Theilung des Chromatins 139
Bedeutung» der Theilung des Achromatins 140
Drei- und vierfaclie Kerntheilung 140
Hauptacte der indirecten Kerntheilung:
.Moleculare Theilung* 140
,,Massen sonderung" 140
Mannigfaltigkeit der Qualitäten des Kerns 141
^Metastructur" des Kerns und Protoplasmas 143
Bedeutung des Kerns für die Entwickelung und Regeneration . . . 143
126 Nr. 17. üeber die Bedeutung der Kerntheilnngsfiguren.
[3J Die iiidirecte Keriitheilung ist jetzt durch die unermüdlichen
Untersuchungen vieler ausgezeichiieter Forscher als die fast alleinige
Form der Kernvermehrung nachgewiesen; und nur in wenigen ver-
einzelten Fällen haben auch die gegenwärtigen Hilfsmittel das Vor-
kommen einer einfachen, directen Theilung des Zellkernes nicht ver-
neinen können.
Damit ist an die Stelle des so einfachen REMAK'schen Schemas
der directen Sonderung der Kernmasse in zwei Hälften ein sehr
complicirter und in seiner Bedeutung unverständlicher Vorgang als
der fast ausschliessliche getreten. Obwohl über manche Einzelheiten
dieses Vorganges noch Differenzen der Anschauung bestehen , so
treten doch aus den Beobachtungen aller neuereu Forscher gewisse
Hauptzüge des Geschehens übereinstimmend hervor. Es ist daher
wohl nicht mehr verfrüht, nach der Bedeutung dieser gemein-
samen Hauptzüge zu fragen und zu suchen.
Die Frage nach der Bedeutung eines biologischen Vorganges
kann in zweifacher Beziehung gestellt werden. Einmal in Beziehung
auf die Function desselben für das biologische Gebilde, an w^elchem
er vorkommt; zweitens aber kann die causale Bedeutung, können
die Ursachen, denen er seine Entstehung und seinen Fortgang ver-
dankt, Gegenstand unseres Interesses und unserer Forschung sein.
In den folgenden Zeilen wollen wir uns über die erstere Frage
einige Aufklärung zu verschaffen suchen; hoffen aber, in kurzer Zeit
auch über die zweite Beziehung einige Mittheilungeu machen zu
können.
[4] Der Vorgang der indirecten Kerntheilung lässt sich nach den
jüngsten Untersuchungen Flemming's^), Strasburger's^) und PFrrzxER's^),
sowie nach den zusammenfassenden Werken der beiden ersten Autoren*)
in seinen Hauptzügen folgendermassen skizziren.
1) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. XX.
2) 1. c. Bd. XXI.
3) 1. c. Bd. XXII. Heft 4.
i) Ed. Strasburger, Zellbildung und Zelltheilung. III. Aufl. Jena 1880. W.
FlemmixNg, Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung. Leipzig 1882.
I
Tliatsiichcn der indiivctcn Kerntliciliiiiii. 127
Eine Veriiielinnuj; des Cliromatins in dem fciiicii Chromatin-
fadennetz, welches den ruhenden Kern durchzieht, leitet den Theilungs-
vorgang ein; der Nuclens geht in diesem Netze auf: das ganze Chroma-
tin ordnet sich zu einem einzigen unverästelten, relativ dicken Faden,
welcher seinerseits aus einer einzigen Reihe von Chromatin-
kügelchen hergestellt wird und einen lebhaft in seinen einzelnen
Theilen bewegten Knäuel formt. Alsdann Herstellung einiger Ord-
nung in diesem Knäuel, indem der Faden sich mehr an der
Peripherie der Kernhöhle unter Freilassung des Centrums derselben
anlagert und gleichzeitig mehr oder weniger regelmässige, annähernd
radiär gestellte Schlingen bildet: Kranzform des Chromatinfadens.
Tm Centrum Auftreten eines Achromatinkörperchens , von w-elchem
Achromatinfäden radiär gegen die centralerseits gelegenen Umbiegungen
der Schlingen sich erstrecken. Zertheilung des bisher einheitlichen
Chromatinfadens in annähernd gleichlauge Segmente. Diese Seg-
mentation kann angeblich auch schon im Stadium der unregelmässigen
Knäuelform erfolgen, die Segmente haben annähernd die Länge des
Durchmessers der Kernhöhle. Anordnung sämmtlicher Segmente
unter winkeliger Biegung derselben, soweit sie dieselbe nicht schon
haben, mit der Umbiegung der Schlinge gegen das Achromatinkörper-
chen als Centrum und unter radiärer Divergenz der Schenkel: Stern-
form der Chromatinfigur. Dieser Mutt erstem kann räumlich all-
seitig gleich entAvickelt sein oder aber von den beiden Seiten der zu-
künftigen neuen Zellen her abgeplattet sein und so eine Aequa-
torialplatte zwischen denselben herstellen.
[5] In diesem Stadium, angeblich auch schon im Kranzstadium
oder sogar im Knäuelstadium erfolgt eine Längsspaltung der
Fad eu Segmente, welche auf einer Theilung jeder -Chromatinkugel
in zwei Hälften beruht, so dass aus jeder Kugelreihe zwei neben-
einander liegende Reihen, aus jeder Mutter schlinge also zwei
Tochter schlingen hervorgehen.
Ferner Theilung des Achromatin-Körperchens in zwei
Theile, welche rasch sich von einander trennen, bis sie in die schon
länger vorhandenen beiden Radiationscentren des Zellprotoplasma, in
die Ceutren der künftigen neuen Zellen getreten sind. Die Achro-
128 Nr. 17. üeber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
matinfäden. welche von dem Achromatinkürperchen zu den central
gelegenen Schlingenumbiegungen gehen, bilden danach zwei c o n i s c h e
Faden spindein, deren einander der Lage nach entsprechende Fäden
sich ineinander fortsetzen. Längs dieser Fäden gleiten die Chroma-
tinschlingen mit ihrer ümbiegungsstelle voran gegen die beiden neuen
Polcentren hin.
Auf diesem Wege nach den neuen Centren bietet die Gesammt-
heit der Schlingen jeder Tochterzelle, in Folge ihrer Richtung auf
das neue Centrum hin, Aehnlichkeit mit einem Stern dar, besonders
bei Ansicht längs der Theilungsaxe: die Tochtersterne; und in-
dem sich weiterhin die peripheren Enden der Schiingenschenkel unter-
einander verbinden, entsteht jederseits eine Kranzform: die Tochter-
kränze. Während weiterer Annäherung gegen das neue Centrum
hin verdickt sich der Chromatinfaden und biegt sich unregelmässig,
wodui-ch eine Wiederholung der Knäuelform entsteht, welche das
zweite Stadium in der Vorbereitung zur Theilung des Muttersternes
darstellte. Danach bildet sich der neue Kern unter weiterer Ilück-
wärtsmetamorphose zur Ruheform zurück.
In den einfachsten bis jetzt beobachteten Vorkommnissen von
Pflanzen werden die Segmente des Knäuels als Körner beschrieben,
welche eine äquatoriale Platte bilden und sich in Richtung der
Platte halbiren. Jede Hälfte eines Kornes gleitet dann
längs eines Achromatinfadens demjenigen neuen Zellpole zu,
welchem sie von der Theilung her schon zugelegen ist.
Von anderer Seite wird indess bestritten, dass Körner die Aequatorial-
platte bilden, vielmehr sollen es gleichfalls Fadensegmente, nur aber
von sehr grosser Kürze sein, welche ent [6] sprechend kurzschenkelige
Schlingen bilden und sich später der Länge nach theilen, wie oben
geschildert.
Es läuft also bei jeder Kern theilung ein ungemein reiches Formen-
spiel ab, und die Mannigfaltigkeit desselben wird noch durch vor-
kommende Variationen vergrössert. Von letzteren haben wir die
zeitlichen Variationen des Auftretens der Segmentation sowie der
Längstheilung der Chromatinfaden bereits erwähnt ; dazu kommt noch
ungleiche Länge der Segmente und ungleiche Umknickung derselben
Erfordernisse „qualitativer Halbirung". 129
ZU Ungleichschenkeligen Schhngen, vereinzeltes Auftreten von seitlicli
angefügten Körnern an den norinal l^los cinreiliigen Chroniatin-
faden u. a.
Wir wünschen nun zu erfahren, wozu dieses ganze weit-
läufige Formenspiel da ist, welchen Nutzen es für den End-
zweck der Theilung des einfachen Kernes in zwei Hälften
hat. Da hier ein elementarer \''organg vorliegt, welchen fast alle
Zellen bei ihrer Theilung durchmachen, welcher aber Zeit und Kraft
erfordert, so muss er einen sehr evidenten Nutzen haben,
um überhaupt allmählich gezüchtet und erhalten wordi'U
zu sein. Er muss also in viel höherem Maasse den biologischen
Bedürfnissen entsprechen, als der Zeit. Kraft und Structur sparende
^'^organg der directen Halbiruug des Kernes durch Ein- und Ab-
schnürung in der Mitte desselben.
Im Falle der Zweck der Kerntheilung blos eine einfache
Halbirung der ,, Masse" des Kerns und die räumliche Trennung
beider Hälften von einander wäre, so erhellt, dass der Vorgang
der indirecten Kerntheilung einen enormen Umweg für
dieses nahe Ziel darstellte, dass er also durchaus unzweckmässig wäre.
Anders wird das Urtheil, wenn das Ziel der Kerntheilung nicht
blos eine beliebige Halbirung der Kernmasse, sondern
irgend eine ,, bestimmte" Sonderung auch der „Qualitäten"
ist, welche diese Masse zusammensetzen.
Denken wir uns, es sei z. B. ein Gemenge verschiedener
Substanzen derartig zu halbiren, dass in jeder Hälfte auch
die Hälfte von jeder aller vorhandenen Substanzen sich findet
[qualitative Halbirung (s. Nr. 20 S. 27)]. Um diesen Zweck zu
erreichen, werden wir das Substanzgemenge möglichst gut umrühren
resp. schütteln, bis anzunehmen ist, alle Substanzen seien vollkommen
gleich gemischt in der ganzen [7] Masse vertheilt; halbiren wir jetzt
die Masse durch Theilung in der Mitte, so ist der Zweck erreicht.
Diese Methode ist sehr einfach; führt aber leider nicht immer zum
Ziel ; denn sie eignet sich blos dann, wenn unter übrigens günstigen
Umständen von jeder Quahtät so viel Substanz vorhanden ist, dass
sie gleichmässig in der ganzen übrigen Substanz vertheilt werden
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II.
130 Nr. 17. lieber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
kann; und sie wird ausserdem blos in dem Falle ohne Naclitheil
anwendbar sein, w^enn eine solche gleichmässige Vermengung aller
Bestandtheile unter einander nicht durch gegenseitige Beeinflussung
zur Alteration und Decomposition der Qualitäten fülirt.
Ist aber von jeder Substanz nur so wenig vorhanden,
dass sie höchstens selber nur in eine ganz geringe Anzahl gleich-
artiger Theile theilbar ist, oder wird eine beliebige Vermischung der
Qualitäten nicht ohne i\.lteration derselben vertragen, so wird das Pro-
blem der Halbirung der ganzen Masse unter Halbirung der Masse
auch jeder einzelnen Qualität ein schwieriges.
Die Aufgabe ist unter diesen Bedingungen um so leichter
zu lösen, je ,, kleiner" die Masse des ganzen Gebildes und
je geringer die Anzahl der der Menge nach zu halbirenden
Qualitäten ist, weil in beiden Fällen um so leichter eine gleich-
artige Mischung herstellbar ist und weil dabei jede Qualität mit immer
weniger anderen Qualitäten in Berührung kommt.
Beides können wir erreichen, wenn wir die so qualitativ zu
halbirende Masse successive in immer kleinere Stücke zerlegen; dabei
bleibt in jedem Stücke bei einander, was zusammenlag, also zusammen-
passte; und die Zahl der Qualitäten in jedem einzelnen Stückchen
wird mit der Masse des Stückchens zugleich geringer. Wird diese
mechanische Zerlegung so weit fortgesetzt, dass eben so
viel oder noch mehr Theilstücke als Qualitäten in der ganzen
Masse vorhanden sind, und halbiren wir nun genau der
Masse nach jedes Stück und legen die eine Hälfte jedes
Stückes auf die eine, die andere auf die andere Seite, so
wird die Summe aller Stücke der einen Seite .nicht blos an
Masse, sondern auch an qualitativer und procentischer Zu-
sammensetzung der der anderen Seite ziemlich voll-
kommen gleichen. Dieser Zweck wird um so vollkommener er-
reicht werden, je mehr die Zahl der primären Theilstücke
die der Qualitäten [8] übertrifft. M^enn weiterhin bei der mechani-
schen Zerlegung der ganzen Masse die Rücksicht beobachtet worden
ist, dass diejenigen Theile, welche in der ungetheilten Masse neben
einander lagen , auch in den Stücken wieder neben einander zu
Erfordernisse „(lualitativer Ualbirung'. 131
liegen kommen, so werden aueli keine scliädlichoii Wechselwirkungen
der letzteren auf einander eintreten. [Weiteres s. Nr. 20 S. 27 u. f.]
Bei dieser Art der Theilung ist aber mehreres von uns unter
Leitung des sondernden Verstandes mit der Hand vollzogen werden,
was ohne diese nur durch bestimmte mechanische \'orrichtungen er-
reicht Averden kann; dies gilt vornehmlich bei und nach der
Halbirung der primären T heil stücke für die richtige Verth ei-
lung je einer dieser Hälften auf je eine der beiden Ablagerungs-
stätteu.
Der Act der „Zerkleinerung" des Materiales, der „primären Thei-
lung" muss sich ohne äussere Hilfe von selber vollziehen, sei es
durch active Constriction oder durch Dicentration mit vollkommener
Anordnung um die Specialcentra oder auf sonst eine Weise.
Die so gebildeten Stücke aber müssen von vornherein in be-
stimmter Weise gelagert werden, um später nach ihrerHalbirung in jeder
ihrer ,, Hälften" mit Sicherheit an den richtigen Ort dirigirt
werden zu können. Am einfachsten wäre für diesen Zweck die
Anordnung zu einer einschichtigen Platte, welche ihre bei-
den Oberflächen den künftigen Aufnahmeorten der Theil-
producte zuwendet [eine Aequato rialplatte]. Werden dann
alle Körner, w^elche die Platte zusammensetzen, in Richtung der
Platte halbirt, so kann es für die richtige Sonderung der „Hälften"
schon genügen, wenn nur immer die Hälften desselben Kornes die
Fähigkeit haben, sich gegenseitig abzustossen; denn sie werden als-
dann durch diese Abstossung richtig getrennt und tiefer in ihre
künftigen Bezirke hineingetrieben werden. Noch sicherer wird dies
geschehen, wenn sich in jedem dieser Bezirke ein Attractionscentrum
für die Körner vorfindet, welches dieselben activ dem Centrum zuführt.
Sofern aber .diese Theilungsvorgänge nicht in absolut ruhiger
Umgebung stattfinden, wenn vielmehr von aussen her Erschütterungen,
Deformationen einwirken, so wird leicht, trotz dieser beiden
ordnenden und richtig vertheilenden Kräfte, doch noch eine Unord-
nung vorkommen, welche zu Ueberführung [9] zweier Hälften des-
selben Kornes auf dieselbe Seite Veranlassung werden könnte. Dies
würde aber trotz solcher störenden Einwirkungen verhindert werden
9*
132 Nr. 17. Uebet die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
können, wenn Einrielitung getroffen wäre, dass jedes noch unge-
theilte Korn schon an zwei von den beiden künftigen An-
ordnungscentren ausgehende Fäden gelegt ist, so dass auch
nach der Tlieilung sofort jedes Halbirungskorn an einen Faden ge-
legt ist, an welchem es sicher seinem Ziele zugeführt werden kann,
unbeirrt, ob lebhafte Bewegungen in der Umgebung die Theile gegen-
einander verschieben, wenn nur die Leitfäden selber nicht zerrissen
und nicht von ihrem Centrum losgelöst werden.
So kann durch solche dreifache Vorrichtung die Sicherheit
der zweckentsprechenden Führung jedes Halbirungskornes
eine sehr grosse und auch gegen äussere Störungen geschützte werden.
Sie wird noch etwas verstärkt, wenn immer je zwei zusammengehörige
Halbirungskörner auch nach ihrer Trennung von einander noch durch
einen Faden verbunden bleiben, weil dadurch die beiderseitigen Leit-
fadenspindeln zu einem in sich geschlossenen Gebilde vereinigt werden
und so eine grössere Stabilität erhalten, welche äusseren, eventuell
zu Verwirrung und Abreissuug von Fäden führenden Verschiebungen
mehr Widerstand entgegen zu setzen vermag.
Diese Einrichtung wird für einfache Verhältnisse aus-
reichen. So lange nur wenige und relativ grosse Körner die Aequa-
torialplatte bilden, kann man sich denken, dass die Anordnung der
K()rner zu einer allenthalben blos einschichtigen Platte durch Ver-
klebung oder durch Anziehung der Körner untereinander, sofern die-
selben polarisirt sind, genügend sicher erhalten werden kann.
Schwieriger wird dies sein , wenn die Zahl der zu h a 1 b i r e n -
den Mutterkörner eine sehr grosse ist, wenn sie selber aber
sehr klein sind. Noch schwieriger werden aber die Verhältnisse,
wenn die Mutterkörner sich wegen zu grosser Zahl überhaupt nicht
in dem für die Aeciuatorialplatte vorhandenen Raum zu einer ein-
schichtigen Anordnung bringen lassen.
Erörtern wir zunächst den ersteren Fall, in welchem letzteres
zwar noch möglich ist, die grosse Zahl und die geringe Kleinheit der
Mutterkörner aber bestinmite Sicherungseinrichtungen zur Aufrecht-
erhaltung oder Wiederherstellung der [10] Ordnung in der Aequa-
torialplatte, namenthch bei störenden äusseren Einwirkungen nöthig
P)rt'ordernisse ^qualitativer Halbirnnc-. 133
crsclieinen lässt. Die iK'rsU'llun^ und l':rlinltiiii,-i- (k']' cinscliicliti.uvii
platten Anordnung wird erleichtert scheinen, weini es nicht dem Zu-
fall überlassen ist, wie die etwa durch eine vorübergehende Kraftwirk-
nng zu einer Platte angeordneten Körner sich durch gegenseitige An-
ziehung oder durch ^^erklebung in dieser x4.nordnung erhalten, son-
dern wenn fortwährend straff ordnende Kräfte thätig sind. Da zweierlei
Wirkungen hervorzubringen sind, so werden mindestens zwciei'Ici
Kräfte nöthigsein: eine Kraft, welche die Einschiclitigkeit der Körner-
ordnung herstellt und erhält, resp. wieder herstellt, und eine Kraft,
welche die Zusammenfassung zur Platte bewirkt und erhält.
Wir haben uns in dieser Erörterung nicht mit speciellen Ur-
sachen zu befassen, sondern dieselben blos soweit zu erwägen, um
beurtheilen zu können, ob durch dieselben unser Zweck sicher er-
reicht werden kann. Denken wir uns also blos, die Körner seien
durch eine Kraft fest zu einreihigen ,, Fäden" angeordnet;
was übrigens leicht von selber geschieht, sobald die Körner polarisirt
sind und sofern zugleich passive äussere Bewegung nicht fehlt, welch(>
den vereinzelten seitlich sich anfügenden Körnern nachträglicli noch
Gelegenheit giebt, bei einer Lockerung des Zusanniienhangs durch
die Biegung in die Reihe sich einzufügen, was man leicht an schwim-
menden Kugelmagneten — an Korkkugeln, welche entgegengesetzt mit
zwei magnetischen stählernen Heftzwecken besteckt sind — beobachten
kann. Diese einreihige Anordnung ist dann eine sehr feste, denn bei
äusseren Einwirkungen wird sie sich zwar biegen aber hinterher wieder
strecken, da sich die Wirkung der einzelnen Kugelmaguete zu einem
grossen Stabmagnete sumuiirt, welcher nur im gestreckten Zustand sich
im inneren Gleichgewichte befindet. Uebrigens könnte auch diese ur-
sächHche Ableitung hier umgangen werden, wenn wir uns rein an
das Formale halteü-und die fest formirten Fadenreihen als gegeben
betrachten. Fragen wir aber, um uns über die Sicherheit der Ein-
richtung zu vergewissern, nach solchen garantirenden Kräften, so
wird kaum eine bessere Ursache auffindbar sein.
Werden nun diese Fäden tlurch eine starke Centralkraft zu-
sammengefasst, so ist mit tliesen beiderlei Kräften eine sehr [11] feste
Anordnung hergestellt, welcher blos noch eines fehlt, die Anordnung
134 Nr. 17. Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
der Fäden in der Aequatorialebene. Diese kann durch die Art der
centralen Zusammenfassung bedingt sein. Die Fäden selber dürfen
natürlich nicht länger sein, als dem für die Aequatorialplatte vor-
handenen Raum angemessen ist.
Die, eine einfache und leicht in Ordnung zu haltende Gliederung
der Aequatorialplatte bewirkende Aufreihung der Mutterkörner zu
Fäden kann aber noch einen weiteren wesentlichen Nutzen gewähren,
sofern sie nämlich l:)ei der Theilung der Körner sich auf die Tochter- •
körner überträgt, der Art, dass der Mutterfaden sich durch diese
Theilung, unter Erhaltung der Anordnung, der Länge nach in zwei
Tochterfäden spaltet. In diesem Falle bedarf zu dem Hinführen der
Tochtertheile gegen das neue Centrum statt jedes einzelnen Kornes
jetzt blos noch jeder einzelne, aus Hunderten oder Tausenden von
Körnern gebildete Tochterfaden eines „Leitfadens". Die Grösse dieses
Nutzens ist nicht zu unterschätzen. Denn wenn jedes der Tausende
von Körnern eines besonderen Leitfadens bedürfte, so würde, ganz
abgesehen von der Neigung zur Verwirrung so vieler Fäden, die
grosse Zahl derselben gar nicht von derselben Seite her gegen einen
Punkt hin zu convergiren vermögen. Andererseits auch würde es
eine grosse Verschwendung an Leitmaterial darstellen, wenn ein Faden,
der die Festigkeit haben soll , verhältnissmässig kräftigen äusseren
Tractionen zu widerstehen, selber blos einer ganz geringfügigen Last
zur Fixation zu dienen hätte. Diese Vereinfachung kann noch gesteigert
werden, ohne dass ein Nachtheil für die Sicherheit der Sonderung
der Tochterkörncr eintritt, wenn immer zwei benachbarte Mutterfäden am
centralen Ende in einander übergehen und sich so zu einer,, Schleife"
vereinigen. Die Lösung der Tochterfäden von einander und ihre
Ueberführuug zu den neuen Centren wird dadurch niclit wesentlich
erschwert und das Leitfadenmatei'ial noch um die Hälfte vermindert.
Diese Vereinigung von Fäden darf aber l)los an derjenigen Seite sich
hnden, wo später die trennende Kraft angreift ; wäre sie dagegen an der
entgegengesetzten Seite, hier also an der Peripherie, so würden später
bei der Lösung und Entfernung der Tochterfäden durch einen vom
centralen Ende ausgehenden [12] Zug leicht Verschhngungen und
Zerreissungen der Fadenschlingen vorkommen.
Erfordernisse , qualitativer Halbining". 135
So haben wir also die Nothweiidio-keit und den Nutzen einer
Ordnung der Körner in Fäden und in Fadenschlingen
kennen gelernt. Mit dieser zweckmässigen (diederung aber ist nun,
wie sich weiterhin ergiebt, die Nothwcndigkeit der Anordnung des
Materiales zu einer Aequatorialplatte eine weniger zwingende geworden.
denn es erhellt, dass eine Sonderung der centrirten Toehterschleifen, von
denen jede in ihrer Mitte durch einen Faden gezogen wird, in Richtung
des Zuges fast gleichgut möglich sein wird, sei es, dass die Schenkel
der Schlingen alle blos in einer Aequatorialplatte angeordnet sind
oder nach allen Richtungen des Raumes auseinander stehen. Ist also
die Zahl der Fäden eine so grosse, dass sie nicht alle, ohne sich zu
stören, in einer Aequatorialebene Platz haben, so wird ohne grossen
Nachtheil eine Divergenz nach allen Richtungen des Raumes vor
sich gehen können. Indessen ein Vortheil für die Leichtigkeit
der Sonderung der Schlingen nach zwei entgegengesetzten Seiten
wird der äquatorialen Anordnung stets gewahrt bleiben.
Die Bildung der Fäden von der nöthigen Länge eines Doppel-
radins des vorhandenen Raumes kann einzeln vor sich gehen, was
aber eine eigenthümliche Vielgliederigkeit des Geschehens von vorn-
herein voraussetzen würde. Einfacher scheint es, dass zuerst ein
einheitlicher Faden für das Ganze entsteht, welcher nachträg-
lich in Stücke von der gehörigen Länge abgegliedert wird.
Findet die Bildung eines einzigen Fadens statt, so muss dieser,
da er vielmal länger sein soll, als der Durchmesser des vorhandenen
Raumes, sich nothwendig in Windungen legen. Vollkommene Gleich-
artigkeit der Körnchen in der Grösse der Kugelgestalt und einen
gleichartigen Vereinigungsmodus aller Körner vorausgesetzt, giebt es
verschiedene annähernde Gleichgewichtsfiguren, in welche der Faden
in Folge der Raun^ljeschränkung sich legen kann, je nach den bei
der Fadenbildung zufällig mit formbestimmend gewesenen accessori-
schen Momenten. Der Formen vollkommenen inneren Gleichgewichtes
des Fadens würde es nur wenige geben; aber der Widerstand der
Suspensionsflüssigkeit und der Mangel vollkommener [13] äusserer
und innerer Ruhe wird die Entstehung derselben unmöglich machen.
Der Faden wird sich daher zu einem ziemlich un regelmässigen
136 Nr. 17. Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
Knäuel ballen. Beginnt dagegen die später die einzelnen Segmente ord-
nende Centralkraft schon vor dem Eintritt der Segmentirung zu wirken,
und die Centralkraft kann bei der unmagnetischen Natur der organi-
schen Substanz nur eine electrische sein [?], so werden die Windungen
sich mehr oder weniger radiär mit ihren Schenkeln einstellen und so
eine regelmässige Form bilden, welche man anfangs mit einem Kranze,
später mit einem Stern vergleichen kann. Denn allmählich werden
die central gerichteten Umbiegungen in Folge der electrischen An-
ziehung sich immer mehr dem C'entrum nähern, die äusseren Um
biegungen aber, in dem elastischen Bestreben, sich möglichst wenig
zu biegen, den Raum immer mehr ausnutzen , also möglichst an die
Umgrenzung der Kernhülle gelangen. Wenn nun durch eine centri-
fugale oder sonst eine Kraft die periphei'en Schlingen durchgerissen
werden, so ist damit der ganze Fadenstern in zweischenkelige Schleifen
von der nöthigen Länge und mit centraler Umbiegungstelle zerlegt
und damit diese wichtige Form hergestellt. Hörte die centrale Kraft
wieder auf zu wirken, noch ehe jede Schleife an einen vom Centrum
ausgehenden Faden befestigt ist, so würden die Schleifen durch jede
äussere Einwirkung mit Leichtigkeit durcheinander gebracht und be-
liebig verbogen werden können, und es würde dann den Anschein
gewinnen, als ob die Segmentirung in gleich lange Fäden schon im
Stadium der Knäuelbildung durch eine wunderbare, die Länge be-
stimmende innere Eigenschaft stattgefunden hätte.
Unsere bisherige Deduction beabsichtigte, diejenigen Vorgänge
und Vorrichtungen kennen zu lernen, welche zu einer auch
gegen von aussen kommende geringe Störungen „gesicher-
ten" Erreichung unseres Zweckes führen konnten. Unser
Zweck war die Halbirung eines Substanzgemenges nicht blos der
Totalmasse, sondern auch der Masse jeder einzelnen Qualität nach
innerhalb eines abgeschlossenen Raumes und allein durch die
Kräfte des in diesem Räume sich befindenden Materiales.
Wir hal)en dabei eine complicirte Anzahl von A'^orgängen und
Bildungen als unerlässlich nötliig oder als am einfachsten zum
[14] Ziele führend erkannt, welche Zug für Zug übereinstimmen
mit den Vorgängen und Bildungen, die als das Typische der Kern-
Erfordernisse bestimmter qualitativ ^nni:loich(M" Thriinng.
theilung beobachtet und einij;;n\os unserer Erörterung aufgeführt
worden sind.
Wenn der von uns behandelte Zweck zugleich der-
jenige der Kerutheilung wäre, so würden damit alle die
wunderbaren Vorgänge der Kerutheilung als durchaus
zweckmässig erkannt sein. Umgekehrt, ila wir nach un'serer
gegenwärtigen biologischen Auffassung nicht annehmen dürfen, dass ein
so allgemein verbreiteter, so viel Zeit und Kraft kosten-
der und dabei so complicirter und jedenfalls schwierig
zu erwerbender Vorgang nutzlos sein könne, ist eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass unser Zweck auch der
Zweck der Kerntheilung ist.
Dies gilt indess blos, sofern es nicht noch andere Zwecke
giebt, welche ganz derselben ^'orr ichtungen und Vor-
gänge zu ihrer Erreichung bedürfen. Wenn es deren giebt,
so müssen sie jedenfalls dem unsrigen im Wesen verwandt sein ; denn
ein sehr complicirter Mechanismus, welcher in allen Theilen sich voll-
kommen zu einer bestimmten Function passend zeigt, wird nicht
leicht einer ganz heterogenen Function ebenfalls fähig sein.
Es erhellt nun, dass unser Mechanismus ebensowohl
wie zur „Halbiruiig" der Masse jeder einzelnen Qualität
auch zu jeder anderen „bestimmten"' Theihmg- der (Qualitäten die
mechanischen Bedingungen darstellt, sei es, dass z.B. mög-
lichst das Ungleiche der Hauptqualitäteu sich sondern
oder sonst eine mechanische Theilung der Qualitäten nach
einem ,, bestimmten'' Principe durchgeführt werden soll.
Immer muss bei j eder Art „bestimmter" Qualitäteiitheihiiijf
die ganzeMasse vorher in eine von derZahl der Qualitäten
a b h ä n g i g e A 11 z a]^ 1 T h e i 1 e z e ]■ 1 e g t w erden; inid dann müssen die
geeigneten Vorrichtungen getrott'en werden; dass nach der
,,Halbirung" dieser „Muttertheile" jeder der beiden ,,Tocli-
tertheile" auf die richtige Seite, an den rechten Ort gebracht
werde.
Nach welchem Princip dabei die Qualitäten selber
sich sondern, hängt lediglic h von den inneren Vorgängen
138 Nr. 17. Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren.
bei der Halbirung der Mutterkürner ab, welche sich unserer
Kenntnissnahme entziehen. [Weiteres siehe Nr. 20 S. 29; Nr. 21 S. 187;
Nr. 27 S. 323.]
Es ist nicht unwahrscheinhch , dass in der That die Natur
(lieser Soiideruiigeii eine verschiedene sein kann. Ich Iiabe in diesem
Frühjahr durcli eine Reihe von Versuclien an Rana [15] fusca und R.
esculenta nachgewiesen (s. Nr. 16), dass die erste Theilung des befruchteten
Froscheies die Richtung der künftigen Medianebene des Embryo be-
stimmt und das Eimaterial in zwei den beiden symmetrischen Körper-
liälften entsprechende Tlieile sondert, eine Beobachtung, welche ich
sehr bald noch durch einen Versuch Pflücjer's^) bestätigt fand. Da-
nach ist zu vermuthen, dass bei der ,,ersten" Furchuug nicht blos
das Material des Eiprotoplasma , sondern auch des Kernes in
gleiche Qualitäten gethoilt wird. Da ich aber weiterhin fand,
dass die zweite Theilung bereits das Vorn und Hinten bestimmt, und
da die ungleiche Entwickelung des Vorn und Hinten an ungleiches
Material geknüpft vorzustellen ist, so wird es wahrscheinlich, dass
bei der „zweiten" Theilung auch das Kernmaterial qualitativ
ung'leich zerlegt wird ^).
Nach dieser Erörterung können wir den Zweck der Kern-
theilungsfiguren definiren: Die Kerntheilungsfiguren,
die Gestaltungen der indirecten Kerntheilung, sind Mecha-
nismen, welche [wenn sie in Thätigkeit gesetzt werden] es ,,er-
^) Ueber den Einlluss der Schwerkraft auf die Theihmg der Zellen und auf
die Entwickelung des Embryo. Pfiäiger's Arch. Bd. XXXI. 1883.
[-) Es ist also hier, S. 137, sogleich daraufhingewiesen worden, dass meine Er-
klärung der fuuctionellen Bedeutung der indirecten Kerntheilung auch für „quali-
tativ nngleiclie" Theilung gilt. Daher ist es mir ein Räthsel, dass von Anfang
an eine Anzahl Autoren mir die Ansicht unterstellt hat, die indi-
recte Kerntheilung eigne sich blos zur qualitativen „Halbirung".
Obgleich ich dieser Angabe sogleich entgegengetreten bin (s. Nr. 20. S. 26 und f.),
so hat sich dieselbe in Folge des üblichen Abschreibens von Citaten ohne Einsicht
in das Original bis in die neueste Zeit erhalten und findet sich jüngst noch bei
Hansemann (Studien über den Altruismus der Zellen, 1893) gegen mich angewendet;
obgleich der Autor bei Einsichtnahme in meine Schriften gefunden haben würde, dass
er in Bezug auf Kerntheilung durchaus auf meinem Standpunkt steht und meinen
Beobachtungen Beweismaterial für seine Ansichten hätte entnehmen können.]
Möglichkeit allmählicher Züohtiiny der Kerntlieilungsinechanisnien. 139
möglichen", den Kern niclit blos seiner Masse sondt-rn
auch der Masse und Beschaffenheit sei ner einzelnen Quali-
täten nach [„gleich" oder in bestimmter Weise „ungleich")
zu th eilen.
Der wesentliche Kerntheilungsvorgang ist (lie,.ll:ill)i-
rung" der Mutterkörner; alle übrigen Vorgänge haben den Zweck,
von den durch diese Theilung entstandenen Tochterkörnern des-
selben Mutterkornes immer je eines in das t'entrum der einen, das
andere in das Centrum der anderen Tochterzelle sicher überzu-
führen. Gegen Ende dieses letzteren Vorganges treten schon eine
Reihe von Metamorphosen auf, welche die complicirte Theilungs-
struetur wieder zurückbilden, und so den Kern zur Annahme der
Structur des Ruhezustandes vorbereiten.
[16] Solche complicirte zweckmässige Einrichtungen konnten
nicht auf einmal im Organismenreiche auftreten; sondern sie mussten
aus einfachsten Anfängen unter stetig steigender Vollkommenheit
durch Auslese von vorgekommenen immer günstigeren Variationen
innerhalb lauger Zeiträume gezüchtet werden. Daher mussten auch
die niedrigsten Anfänge schon einen Nutzen gewähren; und aus
diesem Grunde ist in obiger Deduction zunächst eine einfachere
Einrichtung geschildert worden, welche für den Fall genügend ist,
dass der Kern blos in wenige Theile zerfällt zu werden braucht.
Nach dem gegenwärtigen Stande der Beobachtungen hat es aber den
Anschein, als wenn so einfache Verhältnisse, wo keine Faden-
anordnung der Mutterkörner nöthig ist, nirgends mehr vor-
kommen. Doch ist wohl erst eine weitere Ausdehnung der Unter-
suchungen abzuwarten, ehe sich ein definitives Urtheil in dieser Be-
ziehung fällen lässt.
Vergleichen ■is'ir unsere Ableitungen specieller mit den Kern-
theilungsvorgängen, so beziehen sie sich vorzugsweise auf die Thei-
lung des Chromatins, und dieses beherrscht in der That
die K erntheil ungs Vorgänge, besonders bei den Thieren. Bei
den Pflanzen aber tritt das Achromatin, welches wir nach unserer
Deduction nur in der Rolle der Leitfäden kennen gelernt haben,
durch grössere Massigkeit hervor.
140 Nr. 17. Uebfir die Bedeutung der Korntheilungsfiguren.
Es ist daher denkbar, dass die „ Achromatienf äden"
nicht blos für diese Function da sind, sondern dass sie
selber wertlivolles K e r n m a t e r i a 1 darstellen, welches
gleichfalls ,, qualitativ getheilt" werden soll. Da sie feine
Fäden bilden, welche nach der Theilung des Mutterpolcentrum in
die beiden Tochterpolcentren sofort doppelseitig sich vorfinden, so ist
es wahrscheinlich, dass eine Längstheilung der Fäden stattgefunden
hat. Und wenn auch die Bildung eines continuirlichen Fadens nicht
ebenso günstig für die Qualitätentheilung ist als eine Aufreihung des-
selben aus getrennten Kugehi, weil Längsverschiebung der Substanz
stattfinden kann , so kann doch dieser Fehler durch die grössere Fein-
heit des Fadens zum Theil ausgeglichen werden. Immerhin stellt
ein dünner Faden eine sehr feine Massenzerkleinerung
dar, welche durch Längstheilung des Fadens schon zu
einer ziemlich vollkommenen ,,Q,ualitätensonderung" ge-
eignet erscheinen m u s s . Vielleicht ist [1 7] dann auch die
Theilung des Polcentrum als eine Theilung in unserem
Sinne, als qualitative Theilung aufzufassen.
Bei gleichzeitiger Drei- oder Viertheilungeines Kernes
kann derselbe Mechanismus sich bethätigen, nur müssen die
Mutterkörner sich gleichzeitig in drei oder vier Tochterkörner zer-
theilen und alle übrigen Einrichtungen gleichzeitig entsprechend ver-
vielfältigt werden.
Der sachkundige Leser wird vielleicht schon länger mir im
Geiste zwei Einwände gemacht haben , welche nicht stillschweigend
übergangen werden dürfen.
Die indirecte Ker ntheilung zerfälltnach der hier entwickel-
ten Auffassung w e s e n 1 1 i c h i n z w e i H a u p t a c t c : in die „iiiolek ulare
Theilung"*, die Theilung der Mutterkörner, welche letzteren erst durch
die Vorbereitungsstufe der ,, Materialzerkleinerung" herzustellen
sind, sofern nicht wie Pfitzner vermuthet, auch im ruhenden Kern
das Material schon in Form kleiner Körnchen vorhanden ist; und
zweitens in die ,, Massentheilung" [besser „Massensoiideruug"],
welche den Zweck hat, von je zwei versch wisterten Toch-
terkörnchen immer je eines auf je eine Seite zu schaffen:
Vorbedingungen unserer Deutung. 141
zugioich dasjenige Moment, welclies haiiptsäclilirli den ranzen sicht-
baren Mechanismns der Kernt! leilungsfiguren nötliig macht.
Wenn diese Bedeutung der Massensonderung richtig ist, dann
muss die Beobachtung erweisen, dass normaler Weise nie dem-
selben Mutterfaden entstammende Tocliterf ädcn au! die-
selbe Seite kommen, sondern dass sie stets aul beide Seiten
vertheilt werden; denn ohne dies würde das, was nach unserer
Meinung der Zweck der ersten, der „Molekulartheilung" ist, wieder
aufgehoben und diese selber demnach überflüssig werden. Stras-
burger hat bereits in den leichter zu übersehenden ^^erhältnissen
einiger Pflanzen entsprechende Beobachtungen gemaclit. und Fi.emmi.nc;
hat ein Gleiches in den complicirten Verhältnissen des allseitigen
Muttersternes der Amphibien vermuthet. So ist wohl Hoffnung, dass
es der darauf gerichteten Aufmerksamkeit gelingen wird, dies als das
allgemeine Verhalten nachzuweisen ^).
Die zweite Hypothese, auf welcher unsere ganze Erklärung be-
ruht und mit welcher sie steht und fällt, ist die ungemeine
Mannigfaltigkeit des Kernes an Qualitäten, welche wohl
bezweifelt werden kann, sofern man blos das Morpholo-[18Jgische ins
Auge fasst und hervorhebt, dass der Kern sich durch unsere gegen-
wärtigen Färbemittel nur in vier verschiedene Substanzen clifferenziren
lässt, während zugleich das Chromatin, welches gerade der Haupt-
gegenstand der feinsten Theilung ist, uns vollkommen homogen er-
scheint. Eine kurze biologische Reflexion über das Wesen des Organi-
schen wird indessen wohl diesen Zweifel beseitigen.
Wer das Leben in seinem Wesen betrachtet, der \\drd nicht
glauben, dass es eine chem ische Definition, eine chemische
Formel für dasselbe geben könne. Es muss sogar zweifelhaft
erscheinen, ob es überhaupt auch nur eine chemische Definition seines
Substrates geben könne, denn es ist nicht erwiesen, dass die wesent-
lichen Vorgänge, deren Gesammtheit wir als Leben
[1) Diese damals bei den geringen thatsächliclien Unterlagen etwas gewagte
Annahme hat sich bald durchaus bestätigt. Da diese Annahme der Kernpuukt meiner
ganzen Auffassung ist, so hat letztere durch diese Bestätigung ein sehr gewichtiges
Zeugniss für ihre Richtigkeit erhalten.]
142 Nr. 17. Ueber die Bedeutune; der Kenitheilun^sfiguren
bezeichnen, nicht vielleicht durch ganz verschiedene Sub-
strate vollzogen werden können, dass nicht z.B. die Rolle des
Kohlenstoffs unter anderen äusseren Umständen durch Silicium ver-
tretbar sei u. dgl. Das Leben ist seinem Wesen nach Process
und kann daher nicht statisch definirt werden; sondern
nur eine processuahsche, also functionelle Definition kann dem
Wesen des Organischen sich nähern. Wer nun zu den anerkannten
minimalen functionellen Vorgängen des Lebens, zu Assimilation,
Dissimilation, Ausscheidung und Reflexbewegung mit mir noch die
Fähigkeit des Selbstregulation in allen Vorgängen [Nr. 4 Capit. V] und
die Fähigkeit der Gestaltung aus chemischen Prozessen [s. I, S. 208 Anm.]
(ohne welche letztere schon die Reflexbewegung und die indirecte Kern-
theilung nicht möglich wären) für unerlässlich zum Wesen gehörig
hält, der wird sich Zellleib und Zellkern als chemisch-physikalische
Einrichtungen, als thätige Fabriken von so hoher Complicirtheit vor-
stellen, dass man sie nicht einfach in der Mitte auseinander schneiden
kann, um zwei solche Fabriken zu erhalten. Sondern zu
letzterem Zwecke muss von jedem gesondert fungirenden
Theile eine Verdoppelung hergestellt werden (vielleicht die
Vermehrung des Chromatins vor der Theilung) und diese identischen
Theile müssen dann nach den neuen Anlageorten [19] translocirt
und entsprechend mit den zugehörigen Theilen vereinigt werden.
Die scheinbare Homogeneltät der ganzen Chromatinmasse, so-
wie des Protoplasma wird denjenigen nicht täuschen, der sich ver-
gegenwärtigt, dass wir das Molekulargeschehen der Zelle nur
wie eine grosse Fabrik aus einem in den höchsten Regio-
nen schwebenden Luftballon betrachten, dass die Durch-
messer der Vorgänge millionenmal kleiner sind als die
Entfernung, aus der wir sie mit dem Mieroscop besich-
tigen, und dass uns daher das Verschiedenste als homogen erscheinen
kann. Scheint doch schon eine lebende Quelle mit ihren reich ge-
gliederten Organsystemen dem naiven Beobachter als eine liomogene
schleimartige Masse; und stehen wdr nicht dem Molekulargeschehen
fast noch mehr als blos naiv gegenüber?
Es muss aus den eomplic irten A^errichtungen des
Metastructuron des Urgaiiischcii. 148
scheinbar homogenen organischen Substrates mit Sicher-
heit eine complicirte Structur gefolgert werden.
Mit der Erkenutniss des nothvvenchgen Vorhandenseins solchci-
nicht sichtbaren und niclit sichtbar zu machenden, blos zu
erschliess enden Structur, welche ich in einer besonderen Ab-
handlung über diesen Gegenstand als „Metastriictur" bezeichnen werde,
(s. I, S. 187), muss unsere Hypothese von der complici rten Zu-
sammensetzung des Chromatins wesentlich an Wahrscheinlich-
keit gewinnen. Und der Umstand, dass für die Kerntheilung so compli-
cirte Einrichtungen zur qualitativen Theilung getroffen sind, welche für
den Zellleib fehlen, lässt dann rückwärts schliesseu, dass der Zell-
leib in viel höherem Maasse durch Wiederholung gleich
beschaffener Theile gebildet wird als der Kern; und daraus
folgt, dass für die Entwickelung des Embryo, sowie vielleicht
auch für das Regenerationsvermögen der niederen Thiere der
Kern wichtiger ist als der Zellleib, eine Folgerung, welche in
vollkommener Uebereinstimmung mit den neueren Ergebnissen über
den Vorgang der Befruchtung steht.
Breslau, den 26. August 1883.
I
Nr. 18.
Beiträge zur Entwiekelung'smeehanik des Embryo.
Nr. P). Zur Orientirung über einige Probleme der
embryonalen Entwickelung.
1885.
Zeitschrift für Biologie Bd. XXI. München. Juli 1885.
Inhal t.
Seite
I. Versuch über den An t heil der Vertheilnng freier Electricität
an der Formbildung des Embryo 147
Reaction der Umgebung einer Wunde des Embryo 149
Zeichen des Absterbens junger Embryonen 150
Framboisia embryonalis finalis minor externa et interna 151
Framboisia embryonalis major 152
II. Versuche über die Wirkung künstlicher Defecte und damit verbun-
dener Störungen der Anordnung derEitheile aufdieEntwicke-
ludgdes Froscheies 153
Unmittelbare Folge des Anstechens: „Extr aovat" 155
Zeichen des Todes des Eies während der ersten Stadien der Furchung 155
Todesursachen nach dem Anstechen 156
Allgemeine Uebersicht der Folgen des Anstech ens während
der Furchung für die weitere Entwickelung 157
Normale Gestaltung 157
Verzögerung der Entwickelung 158
Stillstand der Entwickelung 158
1) Die diesem ersten Beitrage vorausgeschickte , Einleitung" ist am Anfang
dieses Bandes (als Nr. 13) abgedruckt.
Inlialt. 145
Seite
Abnonnitäten der Bildung: ir)9
Asyntaxia medullaris. Hydrops, Lordosis. Scoliosis. Defecte 160
Specielle, localisirte Folgen: 160
1. des Anstechens während der Furcliung 161
Entwickelung des Extraovates 162
2. des Anstechens der Blas tu la 175
Folgerungen daraus: 179
Entbehrlichkeit eines Theiles des Eimateriales .... 179
Störungen der Anordnung des Dotters 180
C Ire um Scripte Defecte 180
3. der Operationen an der Gastrula 186
Griebt es ein „formales" Leben des Embryo'? . . . 187
Bedeutung der Lagerung der Theile 187
Folgen grosser Spaltungen der Gastrula 190
Selbstdifferenzirung grosser Stücke der Gastrula .... 192
Folgen nach Bildung von Zungenlappen 193
Folgen nach Spaltungen der Medianebene 194
4. der Operation nach Anlage der Medullär vvülste . . . 196
5. der Operationen nach Schluss des Medullarrohres . . 199
Folgerungen aus 3. — 5 200
II. lieber den Antheil der Selbstilifferenzirung und differenzireiuler
Correlationen an der individuellen Entwickelang 2U2
A. Selbstdifferenzirung: 202
Vorkommen derselben 202
Definition der , formalen" und der , qualitativen" Selbstdiife-
renzirung 208
B. Differenzirende Correlationen: 211
1. Die functionelle Anpassung 211
Mechanisch vermittelte functionelle Anpassung 214
Trophisch vermittelte functionelle Anpassung 214
2. Züchtende Theilauslese im Organismus bewirkende
Correlationen 216
Ableitung der Möglichkeit des Kampfes der Theile aus dem
Wesen des Organischen 217
Zurückweisung irrthümlicher Behauptungen W. WrNn-r's 217—223
Directer Kampf der Theile im Organismus 218
Indir^cter Kampf der Theile im Organismus 219
Differenzirende Leistungen des Kampfes der Theile in Com-
bination mit der functionellen Anpassung 221
Selbstausmerzung von Theilen des Organismus .... 223
Möglicher Antheil der Theilauslese an der Ent-
wickelung 22y
Antheil der Theilauslese an der Entstehung und Loca-
lisation der verschiedenen Bindesubstanzen . . . 227
W. Roux. Gesammelte Abhandlungen. 11.
I
Ii6 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Seite
an der Localisation der Diaphysen, Epiphysen,
Apophysen 228
3. Mechanische Masse neorrelationen 232
Beurtheilung der Ursachen von Configurationsänderiingen . . . 283
Mögliche Ursachen der Biegungsconfigurationsänderung eines
Stabes 235
Unmöglichkeit, die Ursachen einer Formänderung
aus der blossen Beobachtung zu erschliessen . 239
Nutzen der Beobachtung der gleichzeitigen Structu ränderung 239
Definition der , mechanischen Massencorrelation"
240 und 253
Vorkommen „mechanischer Massencorrelationen" 240
Beurtheilung der Angaben von W. His 241
Versuche über die Wirkung passiver Deformation auf
denEmbryo 244
Inneres Gleichgewicht der Theile 245
Prüfung der Anpassungsfähigkeit an passive Deformation : 245
an Froschembryonen 245
an Froscheiern 246
an Hühnerembryonen: 246
Versuch über den Selbstschluss des Medullar-
rohres 246
Künstliche Erzeugung von „Rautengruben" durch
vitale Anpassung an passive Deformationstendenz 248
Beobachtung des Selbstschlusses des Darmrohres 251
Durch mechanische Massencorrelation , vermit-
telte" , vitale" Umformung 253
4. Andere bekannte dif ferenzirende Correlationen . . 253
[429] Die im Folgenden mitgetheilten Versuche wurden zum Theil
schon vor mehreren Jahren ausgeführt') ehe noch die causale Analyse
der Entwickelungs Vorgänge bis zu dem in der „Einleitung" [siehe
S. 14] angedeuteten Stadium fortgeschritten war. Sie sind daher zum
Theil nicht direct auf jenes Ziel gerichtet, welches ich als das zu-
nächst zu erstrebende bezeichnet habe; und auch die diesem Ziele
zustrebenden sind noch nicht bis zu ihm selber fortgeführt. Diese Ver-
suche sowie diejenigen der nächsten Beiträge und die ihnen einge-
1) Die Hauptthatsachen dieser Untersuchung wurden unter dem Titel „Vorläufige
Mittheilung über causal-ontogenetische Experimente" am 15. Februar 1884 in der
Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur vorgetragen.
Einfluss electrischer Vertheiluni; auf die Ciestaltung. 147
fügten theoretischen Erörterungen sollen vielmehr nur zur ersten
Orientirung sowohl über die Natur der vorliegenden Pro-
bleme wie über die Art und Weise, wie diese der Unter-
suchung zugänglich zu machen sind, dienen. In den späteren
Beiträgen werden dann mit den so gewonnenen neuen Mitteln die
ins Auge gefassten, wohl umgrenzten Probleme der eingehenden
Einzelbearbeitung unterzogen werden.
I. Prüfuiija: des Aiitlieils der Vertheiliing: „freier Eleotricität" au der
Fonnbildini^ des Embryo.
Schon Chr. Pander ^) und H. Lotze^) vermutheten in ungleichem
Wachsthum der verschiedenen Theile der Keimblätter den ursäch-
lichen Vorgang für die Entstehung der Formen des Illmbryo, W. His^)
hat es sich angelegen sein lassen, die thatsächliche Richtigkeit dieser
Vermuthung nachzuweisen, indem er durch genaue Messungen
zahlreiche Ungleichheiten in den Massen- oder Flächenvergrösserungen
verschiedener Theile feststellte und daraus die vorkommenden -Form-
änderungen abzuleiten versuchte.
[430] Den Ursachen dieser ungleichen Locaiisation
des Wachsthums ist man noch nicht nachgegangen. Dem Nach-
denken über dieselben bieten sich viele Denkmöglichkeiten dar, unter
welchen nur auf dem Wege des Versuches die realen Ursachen aus-
gelesen werden können.
Anfänglich schien es mir nicht unmöglich, dass electrische
P]nergie durch ihre Art, sich auf gekrümmten Oberflächen
ungleich zu ver theile n, einen helfenden Antheil an dem ungleichen
Wachsthum der Keimblätter haben könne. Sofern ihr selber nämlich
eine Wachsthum am^egende Wirkung zukommt, konnte auf Grund einer
schon vorhandenen geringen Formenmannigfaltigkeit durch die
1) Dr. Pander, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eie
1817. S. 40.
2) RuD. Herm. Lotze. Allgemeins Physiologie des körperlichen Lehens 1851.
S. 353.
'^) W. His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entsteh-
ung 1874, desgleichen in zahlreichen Specialarbeiten.
10*
148 Nr. 18. Zur Oriendrung über die Probleme etc.
ungleiche Localisation der Electricität und das entsprechend ungleiche
Wachsthum eine immer grössere Mannigfaltigkeit producirt
werden').
Um auf die einfachste Weise einen derartigen Antheil
electrischer Energie an der normalen äusseren Gestaltung
festzustellen, spiesste ich soeben aus der Gallerthülle ausgeschlüpfte
Froschembryonen mit je einer langen Insectennadel , welche durch
Kopf, Hals, Rücken oder den Schwanz gesteckt war, auf den Wachs-
boden des Gefässes fest. Die Einführung eines Leiters von so grosser
Oberfläche musste die vermuthete electrische Vertheilung auf alle
Fälle erheblich stören, selbst wenn die Oberfläche des Embryo schlecht
leitete und die Störung durch fortwährende Neuproduction von Elec-
tricität zum Theil compensirt wurde; und bei der Richtigkeit der
obigen Annahme hätten dann ganz deforme Bildungen die Folge
dieses Eingriffes sein müssen.
Zugleich war beabsichtigt, durch die Zerstörung der Gehirn-
blasen, des Hals- und Lendenmarkes, welche mit der Ein-
führung der Nadeln an diesen Stellen verbunden war, einen eventuellen
Einfluss dieser Tlieile auf die weitere Entwickelung, ins-
besondere auf die noch erübrigende Anlage und Ausbildung der
Extremitäten festzustellen.
Ein Theil der so mit dicken Metallpfählen von ^/s des Rumpf-
durchmessers durchstochenen Froschlarven starb, unter grauer Ver-
färbung und Maceration von der Wunde aus, allmählich ab. Dabei
aber zeigte sich, dass der Schwanz und Rumpf noch reflectorisch er-
regbar blieben, ja manchmal erhöhte Erregbarkeit darboten, und dies
auch, wenn schon der ganze Kopf und ein Theil [431] des Halsmarkes
durch Maceration abgefallen war, indem die noch vorhandenen Theile bei
leichtem Berühren oder Anstechen noch kräftige Biegungen ausführten.
[1) Bei dieser Vermittelung epigenetischer Entwickelung müssten
aber die embryonalen Formen nach jeder Anfangsform typische, von den Gesetzen
der electrischen Vertheilung bestimmte Formen durchlaufen, z. B. der Art, dass
immer an den stark vorgewölbten Stellen das Wachsthum am stärksten stattfände und
jede anfänglich kleine Erhebung zu einem langen Vorsprung sich differenzirte, so dass
der Embryo Stechapfelform erlangte, sofern nicht gleichzeitig noch andere, diesen
Einfluss überbietende Wachsthumsprincipien thätig wären.]
Einfluss electri3oher Vertheilung auf die Gestaltung des Embryo. 149
Andere Embryonen dagegen entwickelten sich normal weiter
in ihren Körpert'ormen; die Kiemen wurden angelegt und
wohl ausgebildet, selbst wenn die Nadel unmittelbar neben der be-
treffenden Stelle sich befand und dorsalwärts die Nachbarschaft
der Kiemenwurzel zerstört hatte, [was auf erhebliche Unabhängig-
keit der Entwickelung der betreffenden Theile von ihrer zerstörten Nach-
barschaft, also auf Selbstdiff erenzirung dieser Theile hinweist].
Schliesslich gelang es gewöhnlich den Embryonen, sich durch
heftige Bewegungen unter Zerreissung der Körpersubstanz auf einer
Seite der Nadel von letzterer zu befreien; wonach dann aber in der
Regel Maceration von der Wunde aus eintrat, welche successive zum
Tode führte. Von den wenigen Ueberlebenden, bei denen die Wunde
theils wohl durch Regeneration, theils unter Vernarbung allmählich
sich schloss, habe ich noch keines bis zur Ausbildung der Extremi-
täten forterhalten, da dazu Monate lange sorgfältige Pflege in einem
entsprechend eingerichteten Aquarium nöthig ist.
Zeigten diese Versuche, dass eine Vertheilung freier Elec-
tricität auf der Oberfläche des Embryo keinen Antheil an
der normalen Gestaltung desselben haben könne, so ist
daraus aber noch nicht zu folgern, dass electrische Wirkungen
überhaupt kein en Antheil an der normalen Entwickelung nähmen,
dass nicht vielleicht von Zelle zu Zelle oder innerhalb der
Zellen solche Wirkungen stattfänden^).
Bei diesen Versuchen wurden noch zwei Nebenbeobachtungen
gemacht, welche durch allgemeineres Vorkommen bei späteren Ver-
suchen eine gewisse practische Bedeutung erhielten.
Reaction der Umgebung einer Wunde des Embryo.
Erstens färbte sich die Umgebung einer Verletzungs-
stelle bei den Embryonen von Rana esculenta gewöhnlich rasch,
[1) H. Strasser nimmt neuerdings eine gestaltende Wirkung der Vertheilung
freier Electricität an der äusseren und inneren Gestaltung des Centralnervensystems
an. Er gedenkt nicht der vorstehenden Versuche, welche zugleich auch gegen eine
derartige Wirkung an inneren Theilen sprechen, da durch dieselben auch die elec-
trische Vertheilung an diesen Theilen total alterirt worden sein müsste. (Siehe
STR.A.PSER in Merkel-Bonnet, Ergebnisse der Anatomie Bd. I, 1891)].
150 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
d. h. in ein bis zwei Stunden dunkelbraun; die Besichtigung mit
dem Microscope liess eine Anhäufung von Pigmentzellen er-
kennen, welche eine dichtgeschlossene mehrfache Phalanx bildeten,
also sich ähnhch gegen die Verletzungsstelle verhielten, wie die weissen
Blutkörperchen zu einem reizenden Körper im Organismus (s. Nr. 18,
S. 473). Wenn die Wunde geheilt war, verschwand gewöhnlich
auch hald wieder dieser Pigmentring ; nur selten blieb er noch einige
Tage bestehen. Diese Erscheinung wurde an den [432] getödteten
und gehärteten Embryonen von Werth, indem sie intra vitam ent-
standene Verletzungen von post mortem an dem spröden Materiale
leicht entstehenden Defecten zu unterscheiden gestattete. Ich habe
von diesem Zeichen einen häufigen Gebrauch gemacht, ohne aber,
von anderen Interessen geleitet, schon den V^organg dieser Pigmen-
tirung selber genauer festzustellen. Ich vermag daher zur Zeit noch
nicht anzugeben, ob die Anhäufung durch Vermehrung der Pigment-
/.ellen in loco, unter Theilung der vorhandenen oder unter Pigment-
bildung in bisher farblosen Epithelien stattfand, oder aber, wie mir am
wahrscheinlichsten schien, durch Wanderung der Pigmentzellen
der Umgebung nach der Verletzungsstelle hin erfolgt. Dem ent-
sprechend würde dann wohl auch das Verschwinden des angehäuften
Pigmentes auf verschiedene Weise sich vollziehen. Wenn wirklich
eine Pigmentzellenwanderung vorliegt, so wird dies für die Auffassung
der Umschliessung der Blastula mit Pigmentzellen vor und
während der Gastrulabildung und für manche andere Vorgänge
von hoher Bedeutung sein können.
Zeichen des Absterbens junger Embryonen.
Bei dem Absterben der Embryonen trat eine besondere Erschei-
nung auf. Bei den Embryonen, welche von einer Wunde aus mace-
rirten, zeigte die Oberflächenschicht in der Umgebung der Wunde
eine grobkörnige Beschaffenheit, welche mit der fortschreitenden Ne-
crose sich als ein schmaler Saum neben der Wunde am Körper ver-
breitete. Die Besichtigung mit dem^Micro-scop liess erkennen, dass
an diesen Stellen die Epithelzellen Kugelgestalt angenommen
Framboisia embryonalis finalis. 151
hatten. Manchmal trat diese Erschoinuno- auch ausserhalb der Vm-
gebuug der Wunde am ganzen Embryo auf.
Bei meinen späteren Versuchen beobachtete ich dieses Verhalten
auch unter anderen Umständen, und zwar schon in früheren Phasen
der Entwicklung, von der (lastrula an. Da sich weiterhin zeigte,
dass ein Embryo, welcher diese Oberflächenboschaffenheit
darbot, sich nicht mehr weiter entwickelte, wenn schon er
bei Schutz vor schädhchen Einrichtungen noch mehrere Tage lang
sich zu erhalten vermochte, so diente mir das Auftreten dieser Er-
scheinung bald als werth volles erstes Zeichen des Aufhören s
der Entwickelungsfähigkeit und des kommenden Todes bei
Embryonen in denjenigen frühen Stadien, in denen die noch
fehlende Reflexerregbarkeit keine directe [433] Prüfung der Lebendig-
keit gestattet.
In Folge des practischen Nutzens dieses ersten Symptomes
kommenden Todes jüngster Embryonen will ich die Erscheinung mit
einem besonderen Namen belegen und sie weiterhin als „Framboisia
embryonalis finalis" mit dem Beinamen minor bezeichnen; letzteres
weil wir noch ein zweites ähnliches Vorkommniss davon zu unter-
scheiden haben werden, welches Anspruch auf das Epitheton ,, major"
hat. Die pathologische Bedeutung dieser Framboisia minor glaube
ich darin sehen zu mässen, dass die Epit hellen ihre speci fische
functionelle Natur, sich unter gegenseitiger Abplattung zu
einer continuirlichen Schicht zusammenzuschliessen, ver-
loren haben, und daher entweder aus einem Reste noch vorhan-
dener Lebenskraft sich activ zu Kugeln zusammenziehen wie vordem
im Stadium der Furchung und Blastula vor Uebernahme ihrer epithe-
lialen Function, oder vielleicht auch nur von ihrer vielleicht elastischen
Zellenmembran zu Gebilden kleinster Oberfläche zusammengepresst
werden.
Die symptomatische Bedeutung dieses Zustandes würde darauf
beruhen, dass stets auch der übrige Organismus seine specifische
Lebensfähigkeit verliert, wenn erst die ihn überkleideuden^) Epithehen
[1) Diese Framboisia minor kommt, auch an den inneren epithelialen
Theilen beim Absterben sehr junger Embryonen vor (Framboisia minor interna,
152 Nr. 18. Zur Orientirune über die Probleme etc.
soweit verändert sind, dass sie ihre Function nicht mehr vollziehen,
oder umgekehrt, dass die Epithelien erst dann ihre specifische Function
verlieren, wenn schon die von ihnen umschlossenen Theile ihre Ent-
wickelungs- und dauernde Selbsterhaltungsfähigkeit eingebüsst haben.
Da die Framboisia minor oft läi^gere Zeit auf einer, auch unverletzten,
Stelle localisirt blieb, ehe sie weiter schritt, so beweist dies, dass
solcher Tod auch längere Zeit „local" bleiben kann. Die
um heilende Verwundungen sich anhäufenden Pigmentzellen bilden
manchmal, wie es scheint, mehrere Lagen Zellen auf einander; die
oberflächlichsten Pigmentzellen nehmen dann gleichfalls Kugelgestalt
an und es entsteht so ein der Framboisia minor ähnliches Aussehen,
welches aber umgekehrt ein Zeichen des Le))ens statt des Todes ist.
Gleichzeitig mit dieser Framboisia minor oder auch schon vor
djem Auftreten derselben ist oft eine noch gröbere Unebenheit der
Oberfläche von Embryonen wahrnehmbar ; es finden sich auf einem
Körpertheile zahlreiche mit blossem Auge sichtbare Excresceuzen,
welche entweder noch mit glatten oder schon kugelig gewordenen
[434] Epithelzellen bedeckt sind und also wohl auf Wuciierungen
einer unter dem Epithel gelegenen Schichte beruhen^). Diese Fram-
boisia embryonalis major würde damit schon mehr der als Framboisia
bekannten Hautkrankheit des Menschen bleichen. Sie kann viele
.s. das Sachregister), sei dieses Absterben durcli innere Zustände bedingt oder erfolge
('S langsam durch äussere Einwirkungen z B. von Glycerin, Borsäure, auf die
Blastula, Gastrula etc. Siehe W. Roux. Verbandl. der anat. Sect der Naturforscher-
versammlung zu Wien 1894.
Nicht selten findet man die Erscheinungen der Framboisia interna auf Abbildungen
seitens descriptiver Forscher dargestellt, wo die betreffenden Formen für
n ormal gehalten Averden. Da die Framboisia minor aber ein Zeichen des langsamen Auf-
hörens der Entwickelung und danach des Lebens ist (s. S. 159), so ist wohl anzunehmen,
dass auch die letzten Eutwickelungsvorgänge schon etwas alterirt waren. Die Deut-
ung solcher Objecte kann daher zu u n r i c h t i g e n Ü r t h e i 1 e n über die normalen
Bildungsvorgänge führen. Siehe übrigens auch S. 173.]
[1) Die microscopische Besichtigung einiger Schnittpräpaiate zeigte blos Ver-
dickung des Epithellagers; und in manchen Fällen beruhte diese Verdickung
offenbar auf Hemmung der normalen Ausbreitung des Epithellagers, so z.B. im
Bereiche des äusseren Keimblattes bei der von mir durch Anwendung von Borsäure
auf die Gastrula hervorgebrachten Zerstörung der Anlage der Medullarplatte. bei der
künstlichen A m y e 1 i a.
Defeclversuche am Froschei. 153
Tage auf einem grossen Tlieile des Embryo bestehen, und denselben
z. B. den Schwanz erheblich deformiren, ehe dei- Tod des Thiores
eintritt.
Ich glaube sie als ein Zeichen davon auffassen zu sollen, dass die
.,Gesammtentwickelung" der betreffenden (leücnd gestört ist
und einzelne Theile derselben nun vor ihrem Absterben noch eine Zeit
lang wucheruugsfäh ig sind und daher atypisch wachsen, wie
die von W. Zahn aus ihrer normalen Umgebung losgelösten und in
erwachsene Thiere implantirten embryonalen Organtheile. Manclnnal,
besonders an dem Epithelsaum des Schwanzes der Froschembryonen,
bilden auch in deutlich erkennbarer Weise blos Epithelzellen
solche grösseren Excrescenzen.
Das wesentlich von der Framboisia minor Unterscheidende ist,
dass bei der Framboisia major immer mehrere Zellen sich zur Bildung
eines Vorsprungs vereinigen, während bei der Framboisia minor nur
die einzelnen Zellen durch ihre eigene Rundung prominiren.
II. Ilefeetversuclie am Froschei.
Durch die erwähnten Versuche wurde ich über die grosse
Widerstandsfähigkeit der Froschembryonen gegen mecha-
nische Eingriffe belehrt und erkannte, dass dieselbe erheblich
grösser ist, als diejenige von Hühnerembryonen, an welchen ich
schon in früherer Zeit als Student experimentirt hatte.
[Ohne noch von den früheren Versuchen Valentin's, Leückaivi's
und Schrohe's Kenntniss zu haben, hatte ich im Jahre 1874 an Hühner-
embryonen zum Theil in ähnlichem Sinne V^ersuche angestellt, aber
genau genommen dabei weiter nichts erkannt, als dass die Entwicke-
lung durch Eröffnu4ig des Eies und Verletzung des Keimes nicht
nothwendig aufgehoben wird, dass hochgradige Ent\^dckelungsstörungen
die Folge sein können, und dass es sehr schwer ist, äussere Schäd-
lichkeiten von einem eröffneten Eie fern zu halten. Im Uebrigen
waren die Resuhate zu inconstant, und ich will blos einen dieser
[435] Versuche mittheilen, welcher nach einer anderen als der er-
warteten Seite hin etwas Interessantes erkennen liess.
154 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Ich verfolgte bei ihm den utopischen Zweck , durch Injection
von Farbstoffen in die Keimhöhle, das untere Keimblatt und damit
auch alle seine Derivate zu kennzeichnen. Der Eingriff wurde mit einer
fein ausgezogenen Glascanüle ausgeführt und war an sich nicht ab-
solut tödtlich. Durch Niederschlag aus sehr verdünnten Carminlösungen
erzeugte feine Carminkörnchen, sowie auch Anilinblau wurden festge-
halten ; der Zweck wurde natürlich niclit erreicht. Von Interesse war
aber das Verhalten des Keimes gegen Kürnchen^von sogen unlös-
lichem Berlin er blau. Dieser Farbstoff war nämlich nach weiterer
Bebrütung des Eies nicht mehr aufzufinden; dagegen zeigte die Um-
gebung der Einstichstelle, welche bei der Injection der erst erwähnten
Farbstoffe immer am intensivsten gefärbt war, sowie einige andere
Stellen des Keimes eine intensiv gelbe Färbung, so dass w^ohl
anzunehmen ist, dass das eisenhaltige Material hier zu einem gelben
Farbstoff umgearbeitet worden ist.]
Die erkannte grössere Widerstandsfähigkeit junger Froschembry-
onen ermuthigte mich, auch an den Eiern dieser Thiere mecha-
nische Eingriffe vorzunehmen.
Zunächst hatte ich die Frage vor Augen, ob das Keimplasma
zur Zeit der ersten Furchungen schon entsprechend den
späteren Einzelbildungen different beschaffen und be-
stimmt localisirt sei. Durch Substanzverluste, welche dem Eie
in diesen Entwickelungsphasen beigebracht wurden , musste , sofern
der Eingriff überhaupt ertragen wurde, eine gewisse Aufklärung über
diesen Punkt zu gewinnen sein.
Daher versenkte ich, zum ersten Male im Frühjahre 1882^), nicht
ohne ein geheimes Bangen, die Spitze der Präparirnadel in das seine
Furchung beginnende Ei und betrat damit einen neuen Weg der
Forschung, welcher uns über manche wichtige Frage Aufklärung ver-
heisst, die auf anderen Wegen vergeblich gesucht worden ist. Ich
war mir der Rohheit dieses Eingriffes in die geheimnissvolle Werk-
stätte aller Kräfte des Lebens wohl bewusst, und verglich ihn selber
mit dem Einwurfe einer Bombe in eine neu gegründete Fabrik, etwa
:i) Siehe Nr. 31, S. 260.]
Defectversuche am Froschei. 155
in eine Kimstspinnerei, welcher in der Absicht vorgenommen sei, um
an der Aenderung der Production und an dem Verlaufe der weiteren
[436] Entwickclung der Fabrik nach der angerichteten Zerstörung
einen Rückschluss auf ihre innere Organisation zu machen. Immer-
hin schien mir diese Methode noch einen Vorzug vor mancher der
bisher geübten Methoden zu besitzen, so vor der Versetzung des
Eies, dieses Analogon seiner wachsenden Fabrik, in höhere oder
geringere Wärme oder in einseitig wirkende Wärmestrahlung
oder in bestimmte- chemische Substanzen. Denn wenn durch diese
Alteration der äusseren Umstände auch eine Alteration in der Aus-
bildung der Fabrik eintrat, so Hess sie doch nur die aller allgemeinsten
Schlüsse zu; während hier durch die Möglichkeit, die directe Zer-
störung bestimmt zu localisiren, unter Umständen etwas spe-
ciellere Aufschlüsse gewonnen werden kö|nnten.
Der Erfolg des ersten Versuches ermuthigte zur Wiederholung;
so wurden weiterhin Eier von Rana fusca und später auch von Rana
esculenta sowohl vor der Furchung wie nach dem Beginne derselben
in allen Phasen bis zur siebenten Theilung angestochen und dabei
an verschiedenen Eiern derselben Phase mit dem Orte der Verletzung
zwischen verschiedenen Stellen der schwarzen und weissen Hemisphäre
und der Uebergangszone beider gewechselt.
Die unmittelbare sichtbare Folge des Anstechens war
beim Herausziehen der Nadel ein Austritt schwarzer oder vermengt
weiss-schwarzer Eisubstanz; und die Menge dieses „Extraovates"- nahm
oft in den nächsten Stunden nach der Verletzung noch erheblich zu.
Das Extraovat bildete, soweit es innerhalb der Gallerthülle gelegen
war, einen Knollen, der sich in vielen Fällen nachträglich an
seiner ganzen Oberfläche schwarz (Rana fusca) resp. braun
(Rana esculenta) färbte, und sich viele Tage lang unverfärbt in der
Nuance der Lebensfarbe erhielt.
In vielen Fällen blieb die Hauptmasse des Extraovates durch
einen Strang mit dem Eie in Verbindung und markirte so noch nach
drei bis vier Tagen am bereits gebildeten Embryo eine Stelle, welche
in einem gewissen Sinne der Anstichstelle des Eies entsprechen musste.
Wenn ein solcher Faden nicht bestand, so war kurze Zeit nach dem
156 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Aufhören des Ausfliessens von Substanz die Anstichstelle nicht mehr
kenntlich, indem die anfängliche leichte Einziehung und Faltung
der dünnen, und, wie sich aus letzterem Verhalten ergiebt, fast starren
Oberflächenschicht, der Ei^ resp. Zellrinde, sich bald ausglich.
[437] Die angestochene Zelle selber vergrösserte sich augen-
scheinlich wieder durch Zufluss aus der Nachbarschaft,
sofern die Operation während der ersten Furchungen geschah, [d. h.,
die durch Abgabe von Inhalt nach aussen stark verkleinerte Zelle,
deren Rinde daher ,,collabirt" war, wurde oft bald unter Ver-
kleinerung ihrer Nachbarn und unter Verschiebung ihrer
Grenzen, also unter Zufluss von Substanz aus den Nach-
barn wieder vergrössert, und so ihre schlaffe Rinde wieder bis zur
Glattheit gefüllt; ein Vorgang, der wohl auf noch unvollkommener
Trennung besonders der zuletzt erst gesonderten Zellen und auf der
elastischen Spannung der Zellrinde beruht (s. Nr.. 22 S. 146)].
Ein Theil der operirten Eier furchte sich nicht oder blos noch
einige Male weiter. Der Tod des Eies markirte sich in diesen
frühesten Phasen der Entwickelung dadurch, dass die
Furchungskugeln ihre eigene Rundung verloren und die
Gesammtheit derselben sich unter fast vollkommenem Verstreichen
der Furchen wieder zu. einer einzigen Kugeloberfläche abplattete; ein
Beweis wohl, das die selbständige Rundung jedes Furchungs-
theiles activ aus eigener Kraft hergestellt und erhalten
wird. Es tritt also während der Furchung, formal betrachtet, gerade
die entgegengesetzte Absterbeerscheinung ein als. später, nachdem
erst die oberflächlichen Furchungskugeln einmal ihre epitheliale Func-
tion zu übernehmen begonnen haben (s. S. 151).
\^on hohem Interesse ist auch das Verhalten, dass vor oder
nach der ersten oder zweiten Furch ung angestochene Eier sich
manchmal blos auf der unversehrten Hälfte weiter furch-
ten, [Semimorula, s. Nr. 22 S. 125], während auf der angestochenen
Seite blos die bereits begonnene oder noch die ihr nächstfolgende
Furchung, und dann zumeist in atypischer Richtung, vor sich ging.
Darin bekundet sich eine sehr wichtige Unabhängigkeit der
Furchungssegmente von einander; während aber andererseits
Defectversuche am Froschei. 167
(las weitere Verhalten, dass der überlebende Thcil nicht mit mc\\v als
vier bis fünf Furchungen den anderen überdauerte, aueh auf eine
gewisse Abhängigkeit der Theile von einander hinzudeuten scheint,
welche freilich ohne w^eitere Prüfung zunächst auch einfach auf einen
schädlichen Einfluss der absterbenden Substanz auf die benachbarte
lebende bezogen werden kann.
Die sich nicht mehr weiter entwickelnden Eier verloren zum
Theil sehr bald ihre schöne schwarz- oder hellbraune Färbung und
wurden grau verfärbt; und das ,, Fruchtwasser", wie wir der
ivürze halber die Flüssigkeit zwischen Gallerthülle und Ei oder Em-
bryo nennen wollen, trübte sich. Dieses Verhalten glaube ich als
Zersetzung durch Infection auffassen zu sollen, da ein anderer Theil
der seinen Tod bekundenden Eier noch Tage lang seine Lebens- [438]
färbe behielt und sie erst nach dem Auslösen aus der Gallerthülle
verlor. Blieb also nach dem Eintritt des oben angegebenen Zeichens
des Todes die Verfärbung aus, so glaubte ich den Tod selber als
eine directe Folge des Eingriffs auffassen zu müssen ; während andern-
falls, wenn kurze Zeit nach dem Eingriffe schon Verfärbung sich
zeigte, der Tod die Folge der Infection sein konnte, und daher keinen
Schluss auf die Gefährlichkeit der vorgenommenen Verletzung an
sich zuliess.
Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprach auch, dass sehr
häufig der Tod mit Verfärbung bei der geringsten Verletzung, welche
einen nur minimalen Substanzaustritt zur Folge hatte, oder in einer
ganzen Schale operirter Eier eintrat; während vielmal grössere Sub-
stanzverluste in einer anderen Glasschale ausnahmslos vertragen
wurden.
Nach dieser Auffassung stellt sich die Infection als die
hauptsächlichste Todesursache der operirteu Eier dar; und
als ich gelernt hatte, diese zu bekämpfen, sank die Sterblichkeit* in
manchen Serien auf etwa 20^/0. Leider aber machten sich bei den
diesjährigen Versuchen (1884) in Folge der Ungunst äusserer Ver-
hältnisse [arbeiten in einem feuchten, etwas schimmeligen Raum], neue
Infectionsquellen geltend, welche mir auch die sorgfältigst
angelegten Versuchsreihen durchaus zerstörten, so dass
158 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
ich die Fortset/Aing dieser Art Versuche schon auf spätere Jahre,
bis 7Aim Eintritt besserer äusserer VerhäUnisse, verschieben wollte,
als zuletzt noch einige Serien sich gut entwickelten, welche aber in
Bezug auf die spätere Verwerthung ihrer eventuellen Resultate weniger
sorgfältig vorbereitet waren.
Die grössten Substanz Verluste, welche nach einseitigem
Anstechen ertragen wurden, ohne die Entwickelungsfähigkeit voll-
kommen aufzuheben, erreichten etwa ein Fünftel bis ein Viertel
der gesammten Eisubstanz. Dagegen furchten sich durch und
durch gestochene Eier nur in seltenen Fällen noch mehrere Male weiter,
auch wenn der nachfolgende Substanzaustritt ein nur geringer war.
Die Erscheinungen der weiteren Entwickelung der
operirten Eier zunächst im Allgemeinen angebend, so sind
diese sowohl der Uebersicht halber, wie wohl auch ihren Ursachen
nach, in drei verschiedene Gruppen zu sondern.
[439] Ein grosser Theil der die Operation überlebenden Eier
entwickelte sich, der äusseren Form und dem späteren munter
beweglichen Verhalten der Embryonen nach zu urtheilen, voll-
kommen normal^). Eine höhere Sterblichkeit schien ihnen
aber doch eigen zu sein, indem sie häufig von kleinen, bei den zum
Zwecke der Besichtigung nothigen Umwendungen erhaltenen Ver-
letzungen aus abstarben. Viele Embryonen waren auffallend klein;
und es schien diese Kleinheit nicht blos von der Menge des stattge-
[1) Das heisst, die operirten Eier entwickeln sich zu normal ge stalteten Ge-
bilden. Dass die einzelnenEntwickelungsvorgänge selber ganz die normalen gewesen
waren, ist daraus nicht zu folgern; sondern im Gegentheil, da das Ei abnorm beein-
flusst war und die Störung ausgeglichen wurde, so mussten Regulationsmecbanis-
men in Thätigkeit getreten sein (s. Nr. 27, S. 301, Nr. 28, S. 619, Nr. 31, S. 274).
Darauf weist auch die meist beobachtete Verzögerung der Entwickelung hin. Da
jedoch die Furchung nicht wesentlich verzögert war, so bekundet sich wohl, dass die
Störungen grossen Theils erst nach der Furchung ausgeglichen
wurden.
Zu solchen Vergleichungen des zeitlichen Ablaufes der Entwicke-
lung ist aber nöthig, dass die Vergleichsobjecte neben einander, in gleich grossen
Schalen mit gleich hohem Rande und gleich viel Wasser sich befinden und besonders
auch in der Bedeckung der Schalen vollkommen gleich gehalten werden; denn schon
geringe ungleiche Wasserverdunstuug genügt, um durch ungleichen Wärmeverlust
die Geschwindigkeit der Entwickelung erheblich zu beeinflussen].
Allgemeine Folgen der Openvtionou während der Furchung. 159
habten Verlustes an Keimniaterial abliäiioig- zu sein , denn sie war
auch bei in dieser Hinsicht ganz unerheblichen Extraovaten deutlich
ausgesprochen. Ich glaube sie daher noch mit einer anderen Er-
scheinung in Verbindung setzen zu müssen, mit einer häutig sehr
ausgesprochenen Verzögerung der formalen Entwickelung,
welche ihrerseits in einem gewissen Gegensatze zu dem zeitlich nor-
malen, nicht wesentlich vorzögerten Ablaufe der Furchung
zu stehen schien oder richtiger vielleicht gerade davon abhängig war.
Während dieser längeren Dauer wurde vielleicht ein grösserer Theil
des Dottermaterials im Stoffwechsel verbraucht. ^Vus dem gleichen
Grunde vielleicht geschah es, dass viele äusserlich wohlgebildete und auf
Reize gut reagirende Larven um die Zeit der Kiemenbildung, augen-
scheinlich durch zu frühes Zuendegehen des Nahrungsdotters, starben,
indem dieser bereits aufgezehrt war, ehederSchwanz sein Selbst -
erhaltungsvermögen verloren hatte und als weiteres Nah-
ruugsmaterial verwendet werden konnte.
Weiterhin aber ist zu erwähnen, dass manche der äusserlich
normal geformten Embryonen aufeinerniederenEntwickelungs-
stufe stehen blieben und Framboisia minor oder auch major
ausbildeten, ohne dass eine neu hinzugekommene Schädlichkeit als
Ursache dieses plötzlichen Stillstandes hätte nachgewiesen werden
können. Solcher Stillstand fand nach der Bildung der Medullarwülste,
oder nach Schluss des Medullarrohres, oder zur Zeit der Anlage der
Kiemen statt, um das Stehenbleiben auf der Gastrulastufe, Avelches
auch sonst häufig vorkommt, nicht zu erwähnen.
[Diese beiden Abnormitäten: die Verzögerung und der Still-
stand der Entwickelung bekunden also, dass die Störungen in diesen
Fällen doch nicht ganz ausgeglichen worden waren.]
Die zweite Gruppe von Folgeerscheinungen des Anstechens
wird durch Abnormitäten gebildet, welche auch an „nicht'^
operirten Eiern nicht selten zu beobachten sind. Zunächst sind
zu erwähnen die zahlreichen Deformitäten bei [440] der Bildung
und bei dem verzögerten oder ausbleibenden Schlüsse des Urmundes
mit Divergenz und Verbiegung der Medullarwülste, ja mit
Spaltung [des Bodens] der Medullarfurche von hinten nach
160 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
vorn [.isyntaxia modullaris, s. S. 166 Anm.]. Ferncrdie hvclropischen
Aufblähungen: zunächst der Hydrops dauernder Gastrulae
(welcher namenÜich bei Entwickelung der Eier in Zwangslage
äusserst häufig, nach blossem Anstechen der Eier aber selten ist).
Dann später der Hydrops der Halsgegend, seltener der mitt-
leren oder hinteren Bauchgegend, oder des ganzen Leibes.
Ausserdem resultirten häufig Verbiegungen des Embryo,
von denen Lordosen bis zu einem rechten Winkel zwischen Hais-
und Schwanztheil, oder Scoliosen bis fast zur Berührung von Kopf
und Schwanz während eigentlichen embryonalen Lebens, d. h. inner-
halb der Gallerthülle, zur Norm gehören. Diese Bildungsalterationen
gleichen sich nach der Befreiung von der Gallerthülle rasch aus ; aber
blos sofern diese Entledigung von der Hülle, wie unter normalen Ver
hältnissen stets der Fall ist, zu einer Zeit geschieht, wo der Embryo
schon active Locomotionsbewegungen ausführt. Embryonen , welche
ich schon vor dieser Zeit aus der Gallerthülle herausgenommen hatte,
behielten ihre Krümmungen manchmal noch längere Zeit, bis zum
Eintritt der Bewegungen. Der spätere rasche Ausgleich nach
dem Beginne der Bewegungen stellt ein schönes Beispiel
„functioneller Orthopädie" (Roux) dar/').
Die dritte Gruppe den Operationen folgender Erscheinungen
besteht in localisirten Abnormitäten, welche an nicht operirten
Eiern nicht oder nur äusserst selten, an den operirten aber relativ
häufig vorkamen.
Um die Ent\dckeluug der operirten Eier mit dem normalen
Entwickelungsverlauf vergleichen zu können, wurden von jeder Ver-
suchsreihe unversehrte Eier derselben Versuchsthiere erhalten und
gepflegt. So konnte auch die relative Häufigkeit von Missbildungen
und die Natur derselben bei operirten und nicht operirten verglichen
und dadurch sicher festgestellt werden, dass die zu erwähnenden
[1) D. B.\RFURTH beobachtete, dass nach schiefem Abschneiden des Schwanzes
von Amphibienlarven die Regeneration zunächst rechtwinkelig zur Wunde, also schief
zur Längsrichtung des Thieres erfolgt, und fand dann, dass die nachfolgende Streckung
durch die Schwimmfunction sehr beschleunigt wird. (Versuche zur functionellen An-
passung. Arch. f. micr. Anat. 1891. Bd. 37. S. 392-405). Siehe auch -Tulius Woi.kf
in Nr. 10.1
Üperatioiien während der Furchuiig. 161
Missl)il(l uno-on dor opoi'irton F.ioi- o-rüsste n t h ci I s als Kolocii
der stattgeliabten Eingriffe anzusehen sind.
Um dem Leser selber ein Urtheil über die bisherigen Ergeb-
nisse sich bilden 7ai lassen, will ich hier einen etwas ausführlielu'n
Bericht über (he augestellten Versuche geben, weleheni daini die
Zusammenfassung der Ergebnisse und die daraus abzuleitenden [441]
Schlüsse folgen werden. Es wird jedoch überall hervortreten, dass
bis jetzt, zufolge der diesjährigen ungünstigen Verhältnisse, blos
erst noch erste Orientirungs versuch e vorliegen, und dass
die Lückenhaftigkeit der Versuchsreihen nur sehr allgemeine Folger-
ungen zu ziehen gestattet.
1. Operationen am Ei vor und während der Furcliunj^^.
Unmittelbar vor der Befruchtung- angestochene Eier haben
sich nur äusserst selten und dann nur einige Mal und zwar atypisch
gefurcht.
Von den Eiern von Rana fusca, welche etwa eine Stunde vor
dem präsumptiven Eintritt der ersten Furchung angestochen waren,
entwickelte sich der grösste Theil. Eine Anzahl von diesen vollzog
unter normalen äusseren Formen den Schluss des Medullarrohres
und wurde in diesem Stadium aufbewahrt. Einem Embryo wurde die
Gelegenheit zur weiteren Entwickelung gelassen , soweit bis er, noch
normal gebildet, aus der Gallerthülle ausgeschlüpft war. Die
Entwickelung, besonders der Schluss des Urmundes und der
Rückenfurche, waren erheblich verzögert, obgleich oder gerade, weil
in der Furchung keine wesentliche Verlangsamung eingetreten war.
Ausserdem waren verschiedene Abnormitäten zu beobachten.
Zunächst nach dem Anstechen am ,,schwarz en" Pol. Einige Eier
blieben im Stadium der Gastrulabildung stehen; und eine solche
Gastrula hat dieBirnform, welche erst mit der Ausbildung
der Medullarwülste zu entstehen pflegt, angenommen , ohne
selber Medullarwülste gebildet zu haben. Bei zwei gleich-
falls bereits birnförmigen Embryonen war nur die vordere Hälfte
der Medullarwülste angelegt [Hemiembryo anterior s. Nr. 221;
W. Rous, Gesammelte Abhandluniren. II. -i ^
162 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
einer brachte das Mednllarrohr nur vorn zum A^erschluss, während
hinten die M ediillarwülst e getrennt blieben [Asyntaxia
mediillaris.] Zwei Embryonen zeigten Abnormitäten am Kopfe:
bei dem einen ist die rechte Kopfhälfte in frontaler Richtmig zu
schmal und auch sonst etwas deform und entbehrt des Haft-
na pf es, Avel eher sonst sogar beim Fehlen der Geh irnb lasen
sich auszubilden pflegt und in diesem Falle an der anderen Hälfte
deutlich ausgeprägt ist. Bei dem anderen Embryo ist der ganze Kopf-
theil zu klein und verbildet.
Zwei der hierher gehörigen Eier waren auf der Blastulastufe
stehen geblieben. Das Extraovat, welches wolil wenigstens '/i5 der
ganzen Eisubstanz betragen mochte, war durch einen dünnen Strang
mit dem Ei in Verbindung geblieben und zeigte ein wichtiges
Ver- [442] halten, das ich weiterhin an fast allen aufbe-
wahrten Extraovaten feststellen konnte'). Der Eiaustritt ist
an seiner Oberfläche schwarz und lässt daselbst eine gleichmässige
Körnelung von derselben Korngrösse als die der P]isubstanz selber, er-
kennen; die Oberfläche des Austrittes besteht also aus Furchungs-
kugeln. Die Frage, ob diese blos als Epithelien vom Ei herüberge-
wachsen sind und so das Extraovat überzogen haben, oder ob die
ausgetretene Substanz sich selber gefurcht hat, entscheidet sich auf dem
Durchschnitt durch Ei, P]xtraovat und ihren Verbindungsstrang dahin,
dass die ausgetretene Eimasse selber und zwar oft in toto seg-
mentirt ist. Der Durchschnitt zeigt zugleich, dass der Austritt in
diesem Falle vorzugsweise aus schwarzer Substanz besteht, welche
einige concen tri sehe Schichten bildet. Dies letztere Verhalten
deutet wohl auf mehrmalige Wiederholungen des Austretens der
Substanz hin. Die Färbung mit saurem Carmin und die Zerlegung
in microscopische Schnitte liess dann weiterhin die Existenz von
Zellkernen in den Furchungskugeln d es Extraovates nach-
weisen.
Da die Extraovate, wie gleich allgemeiner gesagt sein soll, häufig
[1) Es wurden aber blos solche Extraovate aufbewahrt, welche die Lebens-
farbe behalten hatten. Die Mehrzahl der Extraovate verfärbten sich, starben also
ab, und zerfielen beim Herausnehmen: sie waren nicht celhilirt.j
Operationen während iler Fiucliung. 163
eine eigenthüniliclie Gestalt zeigton, welche nicht ohne besondere
Feststellungen allein auf die Wiederholungen der Substanzaustritte
und auf die Widerstände der Gallerthülle zurückgeführt werden darf,
so könnte man vielleicht nach Erkenntniss der Segment ii'ung auch
eine active Gestaltbildung und eine entsprechende Structurbildung
als mitbetheihgt vermuthen. Erstere hätte nur durch genaue Ver-
folgung der eventuellen nachträglichen Formwandlungen des Extra-
ovates nachgewiesen werden können, was leider bis jetzt nicht ge-
schehen ist, da die Segmentirung erst an den conservirten Präparaten,
nach Befreiung von der GalUu-thülle, wahrgenonnnen wurde. Eine be-
sondere auf Selbstgestalt ung hindeutende Structur konnte ich an
den Schnitten der Extraovate nur insoweit nachweisen, als eine ge-
schlossene Epithelschicht an der Oberfläche derselben
sich herstellte. CTeber die wichtige Frage von der Abstannnung
dieses Kernmateriales werden erneute Versuche unter besonderer Be-
rücksichtigung des Verhaltens derjenigen Extraovate, welche von
vorn herein nicht durch einen Strang mit dem Ei in Verbindung
geblieben sind, im nächsten Frühjahr Aufschluss geben [s. Nr. 24].
[443] Die am ,, weissen" Pole angestochenen Eier sind
zumeist trüb geworden und nur wenige haben sich zwei Tage lang
entwickelt; zwei davon unter Bildung eigenthümlicher, das Ei parallel
oder in leichter Convergenz umziehender Furchen, je zwei an einer
Gastrula (vielleicht blos post mortem entstandene Falten).
Beim Anstechen naeli der ersten Furehung beobachtete ich
zunächst, dass manchmal die zweite Furche auf der angestochenen
Seite durch die Anstichstelle hindurch sich bildete, auch
wenn die Furche selber dadurch ,, schräg" zur ersten
Furche und zur anderen Hälfte der zweiten Furche, im Bereiche
der anderen Zelle, zu stehen kam [s. S. 165 Anm.].
Von vier verletzten Eiern eines Versuches an Rana fusca ent-
wickelten sich zwei, von denen eines eine nicht voll k ommen g e-
schlossene Gastrula mit Anlage asymmetrischer Medullar-
wülste [Asyntaxia] bildete; der Tod erfolgte unter Trübung, also wohl
durch Infection. Das andere Ei schloss den Urmund und zum Theil das
Medullarrohr und bildete eine normale Schwanzanlage; vor der
letzteren aber ist das Medullarrohr offen geblieben, und der
11*
16i Nr. 18. Zur Orientirnng über die Probleme etc.
Embryo zeigt fin seiner ventralen Wandung einen circumscripten
Defeet der schwarzen Schicht, durch welchen die weisse darunter
liegende Schicht sichtbar wird. Er stirbt am vierten Tage allmählich
von einer Verletzung am Kopfe aus, aber indem die Wundstelle grau
macerirt erscheint und der Epithelsaum in der Umgebung in den
Zustand der Framboisia minor übergeht, welche sich mit dem Weiter-
schreiten <ler Maceration zugleich weiter verbreitet .
Ueber die Folgen der Verletzung- nach der zweiten Furchung-
steht mir ein reicheres Material mit besserer Localisation zur Ver-
fügung, da eine der diesjährigen Serien (von 1884) hierher fällt.
Nachdem ich im vorigen Jahre gefunden hatte, dass die erste Furche
unter normalen Verhältnissen schon die Richtung der künftigen
Medianebene bestimmt (s. Nr. 16) und, abgesehen von kleinen Cor-
rectionen während der nächsten Furchungen, das Material
des Eies dem entsprechend theilt, erhielt eine genaue Notirung der
Anstichstelle einen höheren Werth.
Zugleich hatte ich gefunden, dass bei Rana esculenta schon zur
Zeit der ersten Furche über das Vorn und Hinten [Cephal und Caudal]
entschieden ist, da die Eiaxe sich schräg einstellt und [444] der Ur-
mund immer zuerst auf derjenigen Seite entstand, wo
der weisse Pol mit einem Saum an der oberen Fläche
des Eies sichtbar w u r d e , und dass die zweite Furche dieser Un-
gleichheit der durch sie geschiedenen Theile dadurch Ausdruck giebt,
dass sie mehr nach diesem weisse n Theile hin gelagert ist.
Zugleich aber hatte ich nach einer einzigen gemachten Beobach-
tung die Vermuthung ausgesprochen, dass unter noch unbekannten
Umständen die so durch ihre Stellung zur Eiaxe und zum künf-
tigen Embryo physiologisch bestimmte normal ,, zweite"
Furche zeitlich auch als ,, erste" auftreten könnte. Diese
Vermuthung bestätigte sich in diesem Jahre unerwünscht häuf ig
und zwar unter Umständen, welche zugleich eine Localisirung zu er-
schweren geeignet war. Doch glaube ich die Ursache dieses Vor-
kommnisses aufgefunden zu haben und diese Fehlerquelle daher bei
den nächsten Versuchen vermeiden zu können. Damit erklärt und
erledigt sich auch R.aubei'.'s irrthümliche Einwendung, dass nor-
Operationen während der Furchung. in5
inalerweise die erste Fiurhe (|iier zur künitigeu Mcdiaiiebeiie stehe,
denn er hat seiner Angabe nach unter Umständen untersucht, welche
ich als die Ursache dieses ,,A nachronisnius der i'^urcheu'"
erkannt habe^).
Zunächst will ich einige beim Ansteclien in diesem Stadium
beobaclitete Einzelheiten erwähnen, ohne damit aher andeuten zu
wollen, dass sie gerade diesem Stadium eigenthümlich wärfii. hi
mehreren Fällen wurde eine feine Nähnadel durch das viertheilige
Ei hindurch und in den Wachsboden des Gefässes gesteckt und stocken
gelassen. Die im einen Falle unversehrt gebliebenen drei Zellen
theilten sich danach noch einmal, bildeten die Aequatoriall'urche und
platteten sich darauf zur gemeinsamen Kugelform des Eies ab (s. S. löd);
die durchstochene Zelle theilte sich dagegen nicht weiter. Im Wesent
liehen derselbe Erfolg trat ein, wenn zwei neben einander gelegene
Zellen gleichzeitig durchspiesst waren. Man kann fragen, welche
Correlation der Zellen unter einander durch die Verletzung
der „einen'' Zelle gestört wurde, oder welche deletäre Wirkung
von der verletzten auf die unverletzte Zelle ausging, um den 'fod
aller [4-45] hervorzubringen. AVenn alle vier Zellen in gleicher Weise
dadurch verletzt wurden, dass die Nadel längs der Furchungsaxe
eingestochen war, theilten sich alle blos noch einmal. Die Näh-
nadeln selber, welche einen Tag in dem Ei verweilt hatten, zeigten
g a n z b e s t i m m t e A r r o s i o n s f i g u r e n , welche nach der Herausnahm e
und nach dem Abwischen noch deuthch die intraovale Strecke und
die äussere und innere Grenze der in der Gallerthülle befindlich ge-
weseneu Strecke erkennen Hessen und auf sehr kräftige oxydirende
Wirkungen aher dieser Theile hindeuteten. An ehier zur Durch
1) Vgl. meine Erwiderung auf Raubf.k's Vortrag im Tageblatt der .57. Vor-
sanimlung der Naturforscher und Aerzte zu Magdeburg 1884 S. 330. [Es ist der
Unistandr dass den Eiern nach der Befruchtung wenig Wasser zugesetzt wurde und
sie sich daher in ihrer Hülle nicht rechtzeitig mit dem weissen Pol nach unten drehen
konnten (siehe ferner S. 176). Durch diese Zwangslage entstanden innere
Störungen, von denen ich das Auftreten der Querfurche als erste ableitete. Der
Mechanismus dieses Verhaltens wurde erst später von mir ermittelt (s. Nr. 20, S. 52
und Nr. 21. S. 201). Räuber hatte, wie er mittheilte, gleichfalls den Eiern wenig
Wasser zugesetzt: seine Eier befanden sich also auch zumeist in Zwangslage (s. Nr.
20, S. 43). J
166 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
stechung verwendeten Stecknadel war ein brauner Fleck, wohl
von Schwefelkupfer herrührend, zu bemerken.
Einige Male beobachtete ich, dass nach dem blossen Anstechen
einer der vier Zellen die der Anstichstelle nächste Furche
sich nachträglich verschob, bis sie durch die Anstich-
stelle hindurchgingt), wobei dann auch die anderen Furchen in
ihrer Richtung etwas mitalterirt wurden, und einmal eine vorher
nicht vorhandene sog. ,, Brechungsfurche" entstand. Im
Beitrag III [Nr. 20, S. 22] wird über weitere Alterationsversuche der
Furchen berichtet.
Einer meiner ersten Anstechversuche an Froscheiern bestand
darin, dass eine der vier Zellen des zweimal gefurchten Eies von
Rana fusca oben grob aufgeschlitzt wurde, blos um zu sehen, wie
viel eventuell vertragen werde. Es trat sehr viel Eiinhalt aus. Gleich-
wohl entwickelte sich das Ei weiter und liess einen deuthchen Ace-
phalus hervorgehen. Vor den Kiemenhöckern des in seiner Ent-
wickelung stark verzögerten Embryos befand sich nur eine unregel-
mässig geformte, aber allenthalben schwarz überzogene Masse von
kaum einem Viertel der Masse eines normalen Kopfes, während
der übrige Theil des Embryo vollkommen normal gestaltet
war^), aber auf Berühren und Anstechen nicht recht reagirte. Am
sechsten Tage macerirte das Thier vom vorderen Ende aus und es
trat Framboisia minor am Rumpfe ein.
|i) Dies und das ähnliche, auf Seite 163 mitgetheilte Vorkoninmiss konnte man
so deuten, dass auch das Moment des geringsten Tb eil ungswi der stan de s
bei der Bestimmung der Richtung der Zelltheilung manchmal in gewissem Grade
mit zur Geltung kommt, da hier unter Abweichung von der Norm diejenige Stelle
aufgesucht wurde, an welcher die ziemlich starre (aber elastische) Eirinde bereits durch-
brochen war.
Doch war in den letzterwähnten Fällen die neue Furche mit der sie aus-
gleitenden neuen Rinde schon tief in das Ei hinein bereits gelüldet; und diese
Furche verschob sich nur. Da sich auch sonst ergeben hat, dass das Moment ge-
ringsten Zelltheilungswiderstandes kein herrschendes ist, indem manchmal sogar
in den Richtungen grössten Theilungswidcrstandes getheilt wird (s. Nr. 31, S. 275),
so ist es wohl wahrscheinlicher, dass die alterireude Einwirkung des Fremd-
körpers im Zellleib den hereits eingeleiteten Sonderungsvorgang
aus seiner Richtung alt- und auf diese Stelle hinlenken kann.]
[2) Dies weist auf Sei bstdiff er en z i rung dieses übrigen Theiles hin.]
Operationen während der Furchunp;. Ifi?
Bei der diesjährigen W-r sucli s rcilic (1SS4) (an Rana escu-
lenta) wurden die Anstielistellen in kleine Situationsskizzen der oberen
Hemisphäre nebst der Lage der beiden ersten Furclicn und der Stell-
ung des weissen Saumes eingetragen. Bei einer Anzahl der Eier aber
stand die Eiaxe fast senkrecht oder bei anderen fand'en Pig-
mentnmlage- [446] rungen in der Kirinde statt (s. Nr. 20
S. 52), so dass zur Zeit der Operation vorn und hinten am Eie oft
uicht sicher zu bestimmen war. Von 28 ojjerirten Eiern dieser Serie
entwickelten sich 11 anscheinend normaL 13 bildeten Abnormitäten
und 4 starben vor der Gastrulabildung ab.
1. (Nr. 113.) xVnstich rechts hinten an der Clrenze des Weissen
und Braunen, also in der Gegend der präsumptiven Anlage des Ur-
munds. Effect: Am Rande des Urmundes hängt noch das Extraoval
und ist so fein gefurcht als das Material der Gastrula selber. Der
Urmund ist noch weit offen, aber seine Ab gr e n zu ngs furche
von braunen, kugelig gerundeten, also Framboisia minor dar-
stellenden Zellen ausgefüllt; und letztere haben sich auch noch
auf den angrenzenden Theil des weissen Dotters ausgebreitet.
Dieser interessante abnorme Vorgang wurde wiederholt an Eiern be-
obachtet, welche mehrere Tage lang auf der Gastrulastuf e
stehen blieben, ohne im Stande zu sein, sie zu überschreiten.
2. (Nr. 1 14.) Die gleiche Operation mit dem gleichen Effect.
3. (Nr. 116.) Verletzung wiederum a n der Stelle der j) r ä -
sumptiven Urmundsanlage etwas rechts neben der ersten Furche.
Die Medullär Wülste werden gut ausgebildet, aber die Rückenfurche
schliesst sich niclit; ihre ventrale Vereinigung zeigt hinter der
Mitte der Länge der Medullarf urche einen quergestellten
Defect in der braunen Schicht, innerhalb dessen weisse Substanz
sichtbar ist (s. S. 160)^). Ueber diese Stelle ist der ganze Embryo
lordo tisch rückwärts gekrümmt, so dass der hinterste Theil und
der Nackentheil sich fast berühren, wobei sich neben dem Defect
die Medullarwülste stark seitwärts ausbiegen. Kopftheil
von vorn her abgeplattet, aber trotz mangelnden Schlusses des Medul-
I 1) Auch diese Missbildung wurde später von mir nach der Erkenntniss ihrer
Bedeutung alsAsyntaxia meduUaris bezeichnet (s. Nr. 22, S. 133, Nr. 23, S. 700).J
168 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
larrohres schon etwas specifisch geformt; Haftnapfpigmeiit schon beider-
seits gut ausgebildet und scharf abgegrenzt.
4. (Nr. 140.) Anstich an derselben Stelle, aber mehr rechts von
der ersten Theilungsebene. Defect wie vorher (Asyntaxia), Em-
bryo aber weiter entwickelt; Schwanz ausgebildet, gleichfalls lordotisch
rückwärts gebogen, berührt den schon etwas mehr dilferenzirten Kopf-
theil, in dessen vorderstem Bereiche die Medullarwülste sich berühren.
Die seitliche Ausbiegung der Medullarwülste an der Defect-
und Biegungsstelle ist asymmetrisch, mehr nach links [447] ent-
wickelt. Haftnapf anläge beiderseits vorhanden. [Eine andere Skizze
trägt leider gleichfalls die Nr. 140 und ist bei ihr die Anstichstelle
links, aber als auf der Unterfläche des Eies gemacht, notirt; der
zweite unter Nr. 140 aufbewahrte Embryo ist weiter entwickelt, aus-
geschlüpft und anscheinend normal.]
5. (Nr. 117.) Neben der ersten Theilungsebene am Rande der
oberen Hälfte des Eies (rechts hinten oder links vorn) angestochen.
Embryo stark deform, schwer zu deuten. Medullarrohr anscheinend
geschlossen. Links vorn^) am Rumpfe und seitlich an der Halsgegend
hängt noch die ausgetretene braune Substanz heraus; Embryo nach
dieser Stelle hin stark concav gebogen. Scheitelpigment verstärkt;
Haftnapfpigment und Haftnäpfe nicht angelegt, Schwanzanlage
unterscheidbar.
6. (Nr. 118.) Anstich am Rande der unteren Hälfte des Eies,
entweder rechts hinten oder links vorn. Embryo der Hauptsache
nach normal gestaltet mit deutlicher Kopfmodellirung and Schwanz-
anlage, nach der linken Seite concav gebogen; nur rechts am Halse
ein kleiner streifenförmiger Defect der braunen Schicht, durcli wclclien
weisse Substanz hervortritt.
7. (Nr. 119.) Anstich rechts neben der ersten Furchungsebene
etwas nach vorn von der Mitte des Eies, also an der rechten vorderen
(grossen) Zelle. Die Symmetrieebene der Pigmentvertheilung auf der
1) In Bezug auf das Ei bedeutet [noch in dieser Schrift] hinten stets die
Seite, wo die erste Anlage des ürmunds erwartet M'urde, vorn die entgegenge-
setzte Gegend (s. S. 164 und S. 113 Anm.). Am Embryo bedeuten hinten und
vorn schwänz- und scheitelwärts. Oral wird blos am Rumpfe verwendet, da e.s
an Hals und Kopf logischerweise die verschiedensten Richtungen bezeichnen würde.
Operationen während der Furchung;. IfiO
oberen Hemisphäre und die erste Furche fallen nicht zusainnion,
sondern bilden einen Winkel von 45". Embryo nach links zusammen-
gebogen bis zur Berührung von Kopf und Schwanz. Körperform im
Ganzen wohlgebildet mit Kiemenansätzen und Haftnäpfen, nur der
Scheitel des Kopfes klein, faltig, wie von mehreren Seiten zu-
sammengedrückt. Beim Conserviren des Embryo am ITmltcn Tage
hing das Extraovat nach einer Notiz im Journal noch (hu'ch einen
dünnen Strang ,,obeu" (soll wohl heissen am [4:-l:8] Scheitel) mit dem
Kopfe zusammen; doch ist die Ansatzstelle dieses Stranges nicht
mehr mit Sicherheit aufzufinden. Die linke Seite des Embryo durch
Durchschneiden des Embryo sichtbar gemacht , ist blass und etwas
platt, zeigt aber nirgends einen Defect. Häutig ist die Seite, nach
welcher das Embryo gebogen ist, blass, pigmentarm. Die Biegung
selber aber ist auffallend häufig nach links erfolgt.
8. (Nr. 115.) Anstich dicht links neben der ersten Furchungs-
ebene an der hinteren Ecke der vorderen Zelle. Embryo ent-
sprechend der Entwickelungsstufe von vier Tagen im Ganzen wolil
ausgebildet, Medullarrohr geschlossen ; Kopf und Schwanz wohl model-
lirt und nach links gebogen ; Rest des Urmundes unter dem Schwanz
etwas nach rechts verlagert. Rechts am Halse ein brauner Höcker.
Links ist neben dem Medullarrohr auf der Grenze des Hals-
und Rumpftheiles ein circumscripter braun umgebener kleiner
Defect!
9. (Nr. 120.) Anstich dicht neben der ersten Furchungsebene,
entweder etwas links vor oder rechts hinter dem oberen Eipole. Em-
hijo im Ganzen wolilgegliedert und geformt, Rumpf und Schwanz
bis zur Berührung nach links gebogen; Gehirntheil des Kopfes
zu klein, besonders links braun pigmentirt und faltig verkrüppelt.
Das Extraovat, vielleicht ^'is des Eies betragend, war noch vor dem
Conserviren durch einen Strang mit dem Kopfe verbunden, ist seg-
mentirt in derselben Feinheit wie die Masse eines Durchschnittes aus
dem Rumpfe des Embryo. Das Extraovat ist viel grösser als der
Verkleinerung des Kopfes entspricht.
10. (Nr. 141.) Anstich in der Mitte der oberen Fläche der linken
vorderen Zelle. Embryo wie der vorhergehende entwickelt und nach links
170 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
zusammengebogen. Kopf gleichfalls etwas faltig deformirt, besonders
links im Gehirntheil, daselbst findet sich eine schmale, schräg ver-
laufende promiuirende Leiste, welche nach dem Vergleich mit anderen
Embryonen, wo eine solche Leiste noch stellenweise gespalten war
und das Weisse hindurchsehen oder gar hervortreten liess, als die
Narbe eines eben geschlossenen Defectes der oberflächlichen
Schichte aufgefasst werden kann.
[449] 11. (Nr. 142.) Die hintere rechte Zelle vorn oben rechts
angestochen. Embryo durch Krümmung blos im Halstheile bis zur Be-
rührung von Koj)f und Schwanz nach rechts zusammengebogen, sonst
wohlgeformt, bis auf einen links vorn am Kopfe sich findenden De-
fect der braunen Oljerflächenschicht, welcher die Gegend des fehlen-
den linken Haftnapfes einnimmt. Das Pigment ist aber um diesen
Defect nicht zu einem geschlossenen Abgrenzungssaum verdichtet ;
auch hat das Epithel der Umgebung nicht angefangen, sich mit einem
abgerundeten Saum auf den Defect auszubreiten; derselbe begrenzt
sich im Gegentheil scharfrandig mit vielen feinen Zacken und ist so-
mit als postmortal beigebracht zu betrachten, da jede Reaction des
lebenden Organismus fehlt. Dagegen" zeigt sich nach der Zerschnei-
dung des Embryo an der Umbiegungsstclle seitlich an der rechten
Kopfhälfte ein länglicher, von lebendiger Reaction der Umgebung
zeugender Defect in der Oberflächenschicht.
Die andern missbildeten Embryonen sind, durch Abfall der
Etiquetten oder durch Zerstörung in Verlust gerathen. Desgleichen
zwei schon nach 30 Stunden zur Untersuchung der Verletzungsstelle
im Blastulastadium aufgehobene Eier.
Von weiteren, anscheinend normalen, l)ereits ausgeschlüpften Em-
bryonen sind sechs nach Verletzung der oljeren, drei nach V^erletzung
der unteren Hemisphäre entstanden. Sie bekamen schliesslich zumeist
Hydrops der Halsgegend unter starker seitlicher Verwölb-
ung der Kopfnieren. An einem der Embryonen ist eine circum-
scripte hydropische Stelle auch noch mitten in der Bauchgegend.
Ein zehnter Embryo zeigte dagegen allmählich eine runzelige Defor-
mation des Schwanzes mit abnorm starker Pigmentirung und Frani-
boisia major et minor.
Operationen wfthrond der Furchung. 171
Beim Anstechen nach der dritten Furche, also nach der
ersten Aeqiiatorialfurche , erhielt ich neben anscheinend normalen
Quappen und nicht weiter sich entwickelnden Eiern folgende Defor-
mitäten resp. Defectbildungen. Bei Verletzung an der oberen Hemi-
sphäre von Rana fusca: Ein Embryo zeigt die Medullarwül.sU'
ventral nicht durch schwarze Substanz verbunden, sondern in ganzer
Länge durch die zu Tage tretende weisse Substanz von ein-
ander geschieden und nach hinten dive rgirend'). Medullar-
furche dabei natürhch [450] offen; gleichwohl traten an dem nicht
abgegliederten Kopftheil die Haftnäpfe auf. Links am Halse ist eine
circumscripte stark prominirende Geschwulst. Ein anderer Em-
bryo, 5 Tage alt, ist wohlgebildet in Kopf, Rumpf und Schwanz,
aber mit einem schrägen, schmalen, in der Vernarbung begriffenen
Defect der schwarzen Schicht auf der rechten Seite des Leibes und
Halses. Zwei der normalen Embryonen wurden nach dem Aus-
schlüpfen noch bis zur quer verbreiterten Quappenform forterhalten
und schienen auch da noch vollkommen normal und ernährten sich gut.
Für die Anstechung in späteren Stadien derEurchuug
ist zu bemerken , dass eine genaue Notirung der Anstichstellen , ob
vorn, hinten, rechts oder links dadurch fast werthlos wird, dass die
erste Furche nicht mehr kenntlich ist und bei unseren Anstech-
V ersuchen leicht Drehungen des Eies eintreten können. Letztere
werden voraussichthch auch die Veranlassung gewesen sein, dass
in einigen Fällen von Anstechversuchen nach der zweiten Furche
die Seite des notirten Anstichs nicht der Seite des Defectes
am Embryo entsprochen hat; denn wenn unversehens [beim
Fassen des Eies mit der Pincette und beim Einstechen der Nadel]
eine Drehung von 45 "^ stattgefunden hat, so war eine sichere Be-
ziehung der Furcijen nicht mehr möglich-).
[') Also Asyntaxia medullaris tutali>. welche nach der später ge-
wonnenen Einsicht in diesem Falle dadurch bedingt ist, dass die ventralen Theile
in ihrer Entwickelung gestört werden, weshalb auch das seitliche Herabwachsen, die
bilaterale Epibolie eine unvollkommene blieb (s. Nr. 23).]
[■^) Dieser Fehler, welcher den Werth der hier vorliegenden Versuche für die
L 0 c a 1 i s a t i o n d e r G e g e n d e n d e s E m b r y o a u f d a s E i sehr herabsetzt, wurde
in späteren Jahren durch ge ringe ren Wasserzusatz zu den Eiern, in Folge dessen sich
172 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Von Verletznilgen nach der vierten Furche habe ich folgende
Präparate von Rana fusca aufgehoben: drei Embryonen, deren Eier
an der Grenze der weissen und schwarzen Hemisphäre,
also vielleicht in der Gegend der Anlage des künftigen Urmundes
angestochen und nach vier Tagen aufgehoben wurden. Einer ist
normal gestaltet; der andere in den Hauptformen desgleichen, zeigt
aber in der Mitte d er Länge des sonst überall geschlossenen
Nervenrohres ein kleines rundes Loch, zu welchem ein weisser
Pfropf heraussieht, ein Zeichen, dass auch ventral das Medullarrohr
an der Stelle durchbrochen sein wird [Asyntaxia meduUaris].
Lordose nicht stärker als auch sonst in diesem Stadium. Der dritte
Embryo ist gleichfalls im Allgemeinen normal gegliedert, zeigt aber
in derselben Gegend des Rückens und weiter nach hinten ein
weites seitliches Auseinanderweichen der Medullar-
wülste [Asyntaxia], verbunden mit starker Lordose des
Embryo. Das Medullarrohr ist oral davon geschlossen, aboral
sind die beiden Schwanz- [451] anlagen vereinigt aber
stark in die Breite gebildet. Von der starken Rückwärtsbie-
guiig geht jederseits eine Falte schräg ventral und vorwärts über
den Leib. Wir haben also zweimal eine Verbildung resp. Defect des
Medullarrohres hinter der Mitte desselben , wie beim Anstechen des
Eies an gleicher Stelle nach der zweiten Furche. Der eine dieser
beiden Fälle zeigt bereits ein kräftiges erfolgreiches Regenera-
t i o 11 s b e s t r e b e n , und wir wissen nicht , ob der ersterwähnte sich
präsentirende Embryo überhaupt keine Störung in seiner Entwickc-
lung erlitten hatte, oder ob sie bereits Avieder ausgeglichen
ist. Wenn eine Störung vorhanden war, so muss sie indess sehr ge-
ring gewesen sein, so dass sie bei der Besichtigung des Eies iiiner-
die Gallerthülle stark auf das Ei presst, besonders aber durch frühzeitige Controlle des
unmittelbaren Erfolges der Operation vermindert. Ausserdem war bei diesen ersten
Versuchen nicht bei Nacht beobachtet worden, weshalb die primären Entwickel-
ungsstörungen unbemerkt geblieben und blos die secundären nach der damals noch
nicht bekannten Postgeneration noch vorhandenen oder durch noch unvoll-
kommene Postgeneratiou bedingten Alterationen wahrgenommen worden waren. Die
daraus sich ergebende Inconstanz der Resultate war die Veranlassung, dass hier
auch nur sehr wenige, auf die Localisation bezügliche J' o 1 gerungen
abgeleitet wurden.]
Operntionon wiilirond dor Kiiroliuns;. 173
halb (lor CJallertliülle übersolien wortlon konnte; denn icli luihc moisl
die Regel befolgt, sobald wahrgenommene Entwickelungsstcirungen ans-
gegliehen zu werden begannen, die Embryonen /u eonserviren , da
es mir vorerst nieht nm das Studium der Regeneration, sondern der
Entwickelungsalterationen /u thun war.
Vom Ansteclien an der scliwarzen Hemisphäre nach
dem Auftreten der vierten Furche besitze ich acht Embryonen, gleich-
falls im /Vlter von vier Tagen. Die Zahl der in jener Serie operirten
Eier ist nicht notirt, aber es ist anzunehmen, dass alle i^ier, welche
sich überhaupt nach dem Eingritfe nocli über die Blastida hinaus
entwickelt haben, aufgehoben worden sind. Drei Embryonen zeigen
bei normaler Anlage der einzelnen äusseren Theile eine Auftreibung
der Kopf- und Halsgegend, welche im Spiritus zu einer starken
Schrumpfung mit vielfachen Verbiegungen führte, so dass wohl ein
hydropischer Zustand eines Hohlraumes vorhanden gewesen ist.
An einem dieser Embryonen ist durch Verletzung nach dem Härten
der Medullarkanal im Hals- und hinteren Kopftheil geöffnet; er zeigt
sich erweitert und stellenweise prominiren die Epithelien
halbkugelfürmig gegen das Lumen, ein Zeichen, dass die Fram-
boisia minor, welche an der äusseren Oberfläche dieses Embryo vor-
handen ist, auch an der inneren Oberfläche [also Framhoisia
interna] möglich ist. Der Embryo war also schon vor dem Conserviren
von selber abgestorben, ohne dass ausser der früheren Operation eine
Schädlichkeit eingewirkt hatte. Ein anderer Embryo ist normal ge-
staltet, [452] hat aber eine grosse Narbe auf der rechten Seite
von Rumpf und Hals; ein zweiter desgleichen. Ein Embryo
hat den Kopf mit den Haftnäpfen, sowie Kiemenanlagen gebildet;
aber alles ist faltig verschrumpft an Kopf und Rumpf, und in der
Mitte des Rückens fehlt die^^rechte Hälfte des Medullar-
rohres nebst den"^ angrenzenden Seitentheilen des Rumpfes
und durch den Defect tritt ein grosses viereckiges Stück weisser Masse
zu Tage.';- Ein anderer Embryo zeigt die Medullarwülste blos
vorn und hinten vereinigt^), sonst aber in ihrerganzen Ausdehnung
ein grosses, mit wei.«ser Masse angefülltes Loch umgrenzend.
[1) Also Asyntaxia medullaris totalis.]
174 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Dem noch übrigen Embryo felilt die ganze rechte Hälfte des
Rumpfes und Halses einschliesslich des rechten Medullar-
wulstes; und an deren Stelle tritt wiederum eine weisse Masse aus
der schwarzen Umrandung heraus. Gleichwohl zeigt die linke Kopf-
seite eine Haftnapf anläge und Scheitelpigment. So viel ich weiss,
ist eine derartige Missbildung mit Entwickelung blos einer Antimere,
die ich als Hemicormus lateralis bezeichnen wilP), noch bei
keinem Wesen beobachtet worden.
Nach dem Anstechen der weissen Hemisphäre sind
sechs Embryonen aufbewahrt, gleichfalls vier Tage alt, davon drei
anscheinend normal sind. Einem sonst normal beschaffenen fehlt die
linke Schwanzanlage und der angrenzende Theil der Rumpf-
wandung [Dreiviertel-Embryo]; einem anderen fehlt die rechte
Schwanz an läge und an der rechten Seite des Rumpfes ist noch
ein schmaler Defect in der Oberflächeinschicht. Das letzte Ei ist auf
dem Stadium der Gastrulabil düng stehen geblieben; es schien eine regu-
läre Rückenfurche angelegt zu haben [?]; dieselbe ist aber durch Ver-
Schrumpfung und Framboisia nachträglich wieder undeutlicher geworden.
Nach dem Anstechen an der unteren Seite des Eies ist also
entweder keine Verbildung oder ein dorsal oder ventral an dem
hintersten Theile des Embryo gelegener Defect entstanden.
Nach dem Anstechen an der hinteren Grenze des Weissen und
Schwarzen waren die Störungen in der Mitte des Medullarrohres, und
bei Verletzung innerhalb des schwarzen Theiles der oberen
Hemisphären zeigten sich Störungen oder [4-53] Defecte ven-
tral oder dorsal an der Kopfhäl-fte des Embryo.
Beim An.stechen nach der fünften Segmentirung erhielt ich
wieder einmal ein P'ehlen fast der ganzen rechten Seite von
Kopf, Hals und Rumpf [Hemiemhryo dexter], bei undeuthcher
Abgliederung dieser Theile linkerseits. Ein anderer Embryo hat sich
viel weiter entwickelt, ist ausgeschlüpft und hat Kiemen; auf der
rechten Seite des Rumpfes aber fehlt die Hälfte der schwarzen
Bedeckungsschicht: gleichwohl ist die zu Tage tretende weisse
[i) Diese Art von Missbildimg wurde später als Hemiemhry o latcr alis,
spociell sinisler von mir bezeichnet (s. Nr. 22, S. 129).J
Operationen während der Furchuug. 175
Masse nicht al)n()rni aus doiii Defectc lu'rniisge\V()ll)t, ein
Beweis, dass das oberflächliche Stratum nielit diese dar-
unter liegenden Thoile zurückzuhalten und in ihrer Form
zu bestimmen l)raucht [also ein Beweis der Selbsterhaltung
der Gestalt des Dotters] i). Hinten am Rumpfe ist jederseits
ein kleiner brauner Stummel, Tumoi- herausgewachsen, auf der
einen Seite aber etwas weiter vorn als auf der anderen.
Nach der sechsten Theilung entstanden bei Anstechung am
schwarzen Pol folgende Defecte. So bei einem Embryo ein Defect
rechts neben dem nur vorn und hintcni geschlossenen Medullar-
rohr; zugleich fehlt der mittlere Theil des rechten Medullar-
wulstes selber; die hnke Seite des Kopfes zeigt fast normale Form
der einzelnen Theile, während rechts nur der Haftnapf unterscheidbar
ist. Bei dem anderen Embryo fehlt das hintere Drittel des
rechten Medullarwu Istes und die angrenzende seitliche
R u m p f w a n d u n g ; ein Strang des Extraovates tritt mit der durch
den Defect zu Tage tretenden weissen Masse in ^''erbindung ; das
MeduUarrohr ist in der vorderen Hälfte geschlossen. Der Kopf nor-
mal gestaltet, mit Kiemenansätzen und Haftnäpfen.
Von sieben am weissen Pol angestochenen Eiern haben drei
Embr3'onen Defecte am Hinterleib und in der Schwanzanlage;
ein Embryo hat einen gespaltenen Schwanz, welcher in viel-
fach geknickte sonderbare Formen ausgewachsen ist, aber
metamere Gliederung nur in seinem dicksten Haupttheil erkennen lässt.
Zwei Embryonen sind normal. Diese und derjenige mit dem abnormen
Schwanz werden einige Wochen erhalten und ernähren sich gut, bis
sie wegen Aufblähung am Halse getödtet und conservirt werden.
[454] 2. Blastiila, 19 Stunden nach der Befruchtung- angestochen.
1. (Nr. 133.) Auf der Mitte des oberen Poles dicht neben der
Medianebene angestochen. Etwa '/i5 der Eisuljstanz betragendes
[1) Das nicht gerade seltene Hervordringen von Dotter aus dem Urmund vor
dem Schluss des letzteren deutet demnach wohl darauf hin, dass diese Dotterzellen-
masse passiv durch di e Um sohl iessu ngsschi ch t hervorgedrängt wird, ob-
schon im Innern noch Höhlungen vorhanden sind]
176 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
gefurchtes und mit einem Netz von Pigmentzellen überzogenes Extra-
ovat. Embryo 5 Tage alt, stark nach links gebogen, sonst an-
scheinend normal bis auf einen kleinen Tumor am Schwänze in
der Nähe der Schwanzspitze. Kein äusserer Defect.
2. (Nr. 137.) Anstich oben hinten an der Grenze des Braunen
in der ersten Furch ungsebene. Embryo 5 Tage alt,' ausgeschlüpft,
gut entwickelt.
3. (Nr. 135.) Embryo normal geformt, hat aber eine grosse
bi'aune Narbe am Hhiterleib.
4. (Nr. 134.) Hinten an der Grenze des Braunen in der Gegend
der ersten Furchungsebene angestochen. Embryo ausgeschlüpft, nor-
mal gegliedert, aber bis zur Verklebung von Kopf und Schwanz nach
links coucav gebogen; hatte nach dem Journal früher einen kleinen
Defect rechts am Halse. Doch führt hierüber die Beobachtung des
Embryo innerhalb der Gallerthülle leicht zu Täuschungen, wenn der
im Fruchtwasser verbliebene Theil des Extraovates nachträglich mit
einer Stelle des Embryo verklebt! Jetzt ist blos der Kopf etwas
verschrumpft.
5. (Nr. 125.) Anstich am Rande in der Gegend der ersten
Furchungsebene. Embryo gut entwickelt in Kopf, Rumpf und
Schwanz; hnks neben dem Schwänze ist das grosse, etwa V^ be-
tragende Extraovat noch in Verbindung mit dem Hinterleibe
und verdrängt die Schwanzspitze nach rechts. Austritt braun mit
gefurchtem Materiale überzogen. Der Schwanz selber hat links nahe
seiner Spitze eine circumscript hervortretende Geschwulst.
Vier Embryonen sind anscheinend ganz normal , zwei davon
l)is zur Berührung von Kopf und Schwanz nach links gebogen.
In einer andern ({lasschale wurden 26 Eier gleichfalls nach
19 Stunden angestochen , welche aber behufs anderer Beobachtungen die
ersten drei Tage in Zwangslage fixirt waren; sie waren indess
derart aufgesetzt, dass die Eiaxe ziemlicli in normalem Grade ge-
neigt stand; fraglich musste blos bleiben, ob die Neigung
auch [455] nach der richtigen, der inneren Anordnung der
specifisch ungleich schweren Eitheile entsprechenden
Seite erfolgt war.
Operationen an der Bkstula. 177
1. (Nr. 106.) Erste Furche stand (juer auv S y in nie trie-
ebene der Einstellung des Pigmentes. Anstich in der Mitte
des oberen Poles. Embryo ohne sichtbaren Defect, dorsale Theile an
Kopf, Rumpf und Schwanz gut angelegt, aber ventral eine grosse
Aufblähung, welche den ganzen Embryo deformirt und rückwärts
concav biegt.
2. (Nr. 107.) Erste Furche steht wiederum quer, An-
stich von oben in der Mitte des seh warz-weissen Saumes,
also an der Stelle der ersten Anlage des Urmundes. Em-
bryo: Kopfanlage sehr undeutlich gegliedert, Lordosc bis zur Berühi"-
ung von Kopf- und Schwanzanlage, Medullär röhr in der Mitte
mit einem grossen Defect [Asyntaxia]. Extraovat gross, viel-
leicht ^h des ganzen Eies betragend, gefurcht, unregelmässig mit
braunem intercellularem Pigment bedeckt.
3. (Nr. 108.) Anstich in der Nähe des Randes der oberen
Hemisphäre; Extraovat so gross wie in Nr. 107 und ebenso beschaffen.
Embryo etwas weiter entwickelt als Nr. 107, aber mit ebenso ge-
legenem Defect [Asyntaxia] und gleicher Lordose.
4. (Nr. 109.) Anstich neben der Mitte des oberen Poles. Genauere
Angabe über die Lage der Anstichstelle ist in dieser Serie manchmal
nicht möglich, da bei Zwangslage die Pigment verth eilung oft
eine zu unregelmässige wird und auch die zweite Furche oft
zuerst auftritt. MeduUarrohr geschlossen, Kopf gut modelhrt, Embryo
nach rechts gebogen ; neben der kleinen Schwanzanlage ist rechts ein
kleiner Defect der Oberflächenschicht; Rumpf im Verhältniss
zum Kopf auffallend zu kurz. Extraovat etwa Vg des Eies
betragend, gefurcht, pigmentirt.
5. (Nr. 110.) Extraovat sehr gross, fast V^ des Eies be-
tragend, gefurcht. Embryo: Kopf gut angelegt, ebenso Schwanzan-
lage vorhanden, LVdose bis zur Berührung beider; Rumpf dorsal
so verkürzt, dass sich zwischen Kopf- und Schwanzanlage
nur ein sehr kleines Stück MeduUarrohr findet. Dieses
ist in der Mitte seitlich verbreitert aber fast geschlossen
und bietet nur rechts noch eine kleine weisse Stelle dar.
[Defect und bereits fast geschlossene A s y n t a x i a medullaris.]
12
W. Roux, Gesammelte Al.liHDJlungen. II.
178 Nr. 18. Zur Orientiruns über die Probleme etc.
f). (Nr. 111.) Blastula am Rande angestochen. Embryo:
Medullarrohr in ganzer Ausdehnung offen gebheben ; gleichwolil [456]
Kopftheil durch weitere Ghederung vorn und an den Seiten kennt-
hch^ Leib nach rechts verl)Ogen und wie narbig eingezogen.
7. (Nr. 112.) Neben der Mitte des oberen Poles angestochen.
Austritt etwa '/^ c^^^ Eies betragend, gefurcht. Embryo: lordotisch
gekrümrat, Medullarrohr ganz offen, mit Verbreiterung an der Stelle
der Concavität und daselbst ein Defect [Asyntaxia], durch welchen
die weisse Substanz noch sichtbar ist; Kopf vorn und an den Seiten
schon etwas mehr gegliedert als in Nr. 111.
8. (Nr. 121.) Anstich ganz am Rande. Elxtraovat etwa ^ji
der Masse des Embryo erreichend, haftet noch mit ziemlich
breitem kurzem Verbindungsstrang rechts neben und unter dem
Schwänze und besteht offenbar vorwiegend aus Dottermaterial, etwas
über die Hälfte desselben darstellend. Embryo sonst normal ent-
wickelt, weiter als alle vorhergehenden dieser Serie, nur der Schwanz
durch das Extraovat nach links abgeknickt.
9. (Nr. 122.) Anstich an der Stelle der späteren Anlage des Ur-
mundes(?); Extraovat sehr gering, dunkelbraun, gefurcht. Embryo
anscheinend vollkommen normal im Stadium des Ausschlüpfens.
10. (Nr. 123.) Desgleichen in Anstich und Effect.
11. (Nr. 124.) Erste Furche steht quer. Ansticli rechts neben
der zweiten (physiologisch aber ersten, d. h. die Medianebene be-
stimmenden) Furche, fast in der Mitte der oberen Hemisphäre. Em-
bryo im Ganzen normal, aber mit assymmetiischer Entvvickelung des
Kopfes.
12. (Nr. 138.) Erste Furche quer. Anstich dicht hinter derselben
etwas links von der präsumptiven Median ebene. Embryo wohlge-
gliedert im dorsalen Theil, mit langem Schwanz. Gesichtstheil des
Kopfes fehlt fast ganz und zeigt zahlreiche weisse kleine Aus-
wüchse. Hinterer Theil des Rumpfes ohne Dotter; letzterer liängt
als runder Klumpen ventral an der Halsgegend.
Ausserdem finden sich noch acht Embryonen von im Allge-
meinen normaler Bildung entsprechend einer Entwickelung von sechs
Tagen vor; davon hat einer einen verschrumpften Kopf, drei
Folgerungen aus den AnsticIivcrsnciKMi nm Ki. 179
liaben Hydrops der v(MilralcMi Ilalsgegend. Das lOxtraovat war bei
einigen dunkelbraun, bei anderen liell.
[457] Aus den Versucben dieser Serie ergiebt sicli also, dass
aueb beim Ansteeben des Eies in einem sebr späten Furobungs-
stadiuni, auf der l^lastulastufe, nocb circumscripte l)efeot(>
um P^mbryo die Folge von Substanzaustritten sein krauien;
aber sie Avaren auffallenderweise relativ seltener als bei den
gleichen Eingriffen in früberen Stadien, wäbrend man docb
eber erwarten sollte, dass sie bei späteren Operationen immer sicherer
eintreten würden. Es lassen sieb indess aucb dafür schon verschie-
dene Gründe denken; vielleicht ist das Material des Ectoblast schon
zäher, fester unter sich vereinigt, und blos das Döttermaterial
ist noch locker genug, um in reichlicherer Menge durch
den Stichkanal auszutreten; eine Auffassung, welche durch die
Versuche an den späteren Stadien eine grössere Wahrscheinlichkeit erhält.
Die Ergebnisse dieser vorstehend mitgetheilten A n s t e c b -
versuche am Froschei vor und während der Furchung
lassen trotz der Unvollständigkeit der Versuche doch schon einige
Folg-eniiigen ableiten, welche uns bedeutsame Fingerzeige über die
Beschaffenheit des Eies und die Art der ersten Entwickelungsvorgänge
desselben geben.
Wir erhielten als Allgemeinstes das Resultat, dass nicht alles
Keimmaterial unerlässlich nöthig für die Entwickelung ist;
eine Folgerung, welche indess auch schon aus einem fast als normal
zu bezeichnenden Vorkommniss sich ergiebt. Beim Verschlusse des
ürmundes wird nämlich sehr häufig ein kleiner, manclunal auch ein
recht ansehnlicher Theil des weissen gefurchten Keimmaterials, der
Dotterpfropf, abgeschnürt und so von der Betheiligung an der Bildung
des Embryo ausgeschlossen, ohne dass diese selber dadurch erkenn-
bar alterirt würde. In diesem letzteren Falle werden aber bestimmt
gelagerte, weisse und wohl nur alsNabrungsdotter zu verwendende^)
Theile entfernt; während in unseren Versuchen aus verschiedenen
[1) Diese Annahme scheint nicht ganz richtig, denn wenigstens die oberfläch-
lich gelegenen Zellen dieses Pfropfes würden Avohl zu bestimmten Theilen des
Kntoderm geworden sein, wenn sie nicht abgestossen worden wären.]
12*
180 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
(legenden des Eies fein- und grobkörniges, schwarzes und weisses
Material oft ohne erkennbaren Nachtheil dem Entwiekehmgsprocess
entzogen wurde.
Weiterhin haben, wir gesehen, dass das befruchtete Ei durch
unsere mechanischen, die grosse Massenanordnung [NB. vor-
zugsweise des Dotters, weniger des Kernmaterials] störenden Ein-
griffe nicht zu einer ganz abnormen Thätigkeit veranlasst
worden ist [s. Nr. 22 S. 2.%]. Vor Beginn der Versuche hatte ich
daran gedacht, dass durcli dieselben vielleicht einige U n o r d n u n g
unter den Organen entstehen [458] könne, oder dass sogar
ganz heterogene wunderbare, nicht auf einfache Weise von den
Störungen ableitbare Formbildungen die Folge der Eingriffe sein
würden. Dass nichts Derartiges geschehen ist, ist hochbedeutsam;
doch sind die Versuche noch zu unvollständig, um diese Bedeutung
mit Bestimmtheit formuliren zu lassen.
Statt so allgemeiner Wirkung der Störung ergab sich vielmehr,
dass die ,,circumscripten Defecte" der Eisubstanz häufig
,,circumscripte Defecte" oder ,,circumscripte Verbildungen"
an dem im Uebrigen wohlgestalteten Embr^^o zur Folge
hatten; zweitens zeigte sich, dass wesentlich derselbe Effect ent-
stand, einerlei in welchem Stadium derFu]*chung die Ver-
letzung vo rgenomm en war, dass also die Eingriffe in den früheren
Perioden derEntwickelungnicht allgemeinere, auffallend grössere Bezirke
des Embryo afficirende und in stärkerem Maasse von der normalen Bild-
ung abweichende Folgen hervorbrachten, als die gleichen Eingriffe in
späteren Stadien der Furch ung; wiederum zwei für die Auffassung
der Entwickelungs Vorgänge hochbedeutsame Thatsachen.
Die bisherigen Resultate der Anstechung vor der Furchung
und nach dem Beginne derselben weichen insofern von einander
ab, als im ersteren Falle keine Defecte in der schwarzen
Oberflächen sc hiebt, sondern blos das Ausbleiben der Bildung-
einzelner Theile aus derselben bei ununterbrochener Continuität des
äusseren Ectodermstratums zu l^eobachten war; einige Male wurde
dasselbe auch im zweiten Falle beobachtet. Grössere Versuchsreihen
an vor der Theilune; verletzten Eiern müssen erst feststelhm. ob dies
Folgerungen ans den Ansticlivorsucli(»n am Ei. 181
ein dieser Periode constaiit zukoiiuiu'iuk's Merkmal ist. oder ob iiiclil
auch circumscripte Defecte in der Contiiuiität des Ectoderm vorkoiniiien
können.
Man ^vird vielleicht geneigt sein , aus den V'ersuehsergebuissen
auch schon speciellere Schlüsse, besonders über die eventuelle Ver-
schiedenheit und über die Localisation des Keimmateriales
[für die Theile des Embryo] im Eie, sowie über ISelbstdiff erenzi-
rung der Eitheile zu ziehen; doch würden diese Folgerungen
zur Zeit verfrüht sein und müssten gewärtigen, durch die weiteren
\''ersuche mderlegt zu werden. Ich behalte mir daher die Entschei-
dung nach diesen Richtungen hin vor, bis ich einerseits die Ur-
sache des häufigen Ausbleibens jedes [459] Defectes am Em-
bryo sicher ermittelt habe [s. »S. 186 den Hinweis auf die ausgetretene
Kernsubstanz, ferner Nr. 22 S. 285 und Nr. 24 8. 2], und bis anderer-
seits die Methode der Localisation so verbessert ist, dass
die Resultate der Wiederholung desselben Eingritt'es constant
geworden sind, und es sich danach verlohnt, die künstlichen Miss-
bildungen genau microscopisch zu untersuchen und so alle Alterationen
der Entwickelung nicht blos die äusserlich sichtbaren festzustellen [s.
Nr. 22 S. 287].
Die so gewonnene Möglichkeit, eine bestimmte »Stelle
am Eie auf eine circumscripte Stelle am Embryo zu be-
ziehen, verspricht, uns manche genauere Auskunft über
die Bildungs Vorgänge selber gewinnen zu lassen.
Gegenwärtig sei blos auf die Bedeutung der Erscheinung hin-
gewiesen, dass nach dem Anstechen des Eies in der ersten Furchungs-
ebene am oberen schwarz-weissen Saum, bei Rana esculenta, also an
der Stelle der Anlage des künftigen Urmundes, der Defect am Em-
bryo immer dicht hinter der Mitte des primitiven Medullarrohres sich
fand; während der aboral davon liegende Abschnitt des Rohres, ebenso
wie der orale Theil normal waren. [Siehe die folgende Ableitung
berichtigend S. 185 Anm.] Dies weist wohl darauf hin, dass der
hintere Theil des Medullarrohres auf der weissen Hemisphäre ge-
bildet wird, und dass dies durch Vorwachsen der dorsalen Urmunds-
182 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
lippe gegen die ventrale hin geschieht , wie dies schon Pflüger ^) zu-
folge seiner Beobachtung der Wanderung des Urmundes angenommen
hat. Denn wenn man annehmen wollte, dass nur die äussere und
die dorsale Umgebung des Urmundes wüchse und dadurch allein
der dorsale ßand des Urmundes passiv nach hinten also ventral ver-
schoben würde, so würde auch die Defectstelle mitverschoben werden.
Eine solche Verschiebung findet nach 0. Hertwiü's Angaben über
die Verdünnung des Ectoblast in gewissem Grade statt; darüber
geben meine bisherigen Versuche keine Auskunft, da keine Vor-
kehrungen getroffen wurden, um dies festzustellen. Jedenfalls aber
ist hinter der Anstichstelle in der Gegend der ersten Anlage des Ur-
mundes viel Ectoblast neu entstanden, und ich will dasselbe ent-
sprechend seiner besonderen genetisclien Bedeutung mit einem be-
sonderen Namen belegen und als hinteres Medullarfeld bezeichnen.
Da mit [460] der Anlage des Urmundes hier eine Furche entsteht,
welche selber nach hinten rückt, so muss das hinter der Anstichstelle
neu gebildete Gewebe aus Material gebildet werden , welches vorher
die Wandung dieser Furche dargestellt hat. Die Furche ist die Oeff-
nung der Urdarmhöhle und ihre Wandung besteht aus einem dem
Saum derselben nächsten Theile, dem Entoblast, und dem dem Saum
abgewendeten Theile, dem Dotterlager.
(D a s D 0 1 1 e r 1 a g e r dem Entoblast sei b o r z u z u r e c h n e n ,
weil es mit ihm continuirlich zusannnenhängt, wie O. Hertwk; thut-),
scheint mir functionell betrachtet, nicht ohne Weiteres
zulässig. Sofern bei Substanzverlusten blos der Oberflächen-
schicht des weissen Poles constant sich Defecte in der Wandung
der Urdarmhöhle ergeben sollten, so würde zu folgern sein, dass das
an der unteren Eioberfläche gelegene Material das Entoblast liefert;
gleichwohl würde ich das nach innen davon gelegene Dottermaterial
nur dann zum Entoblast rechnen, wenn auch iiach Austritt dieses
1) E. Pflüger, Ueber den Einfluss der .Schwerkraft auf die Theilung der Zellen
und auf die Entwickelung des Embryo. Zweite Abhandlung. PFi.tJGER's Archiv
Bd. 32 S. 39.
2) 0. HERTWTf;, die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere.
1881. S. 26.
Folgerungen aus den Anstichvcrsnchen am Ei. 183
Materials solche Defeete entstünden. [Weiteres sielie im Register unlei-:
Dotterzellen.] Ich erwähne dies hier nur, um anzudeuten , wie meine
Methode uns vielleicht zu weiteren, üher die Leistungsfähigkeit der de-
scriptiven Methode hinausführendenUnterscheidungen zu führen vermaü'
Es entsteht nun die Frage, woher das Material für den hinteren
Theil des Medullarrohres, für das hintere Medullarfeld, stammt, oh
von der weissen Oherflächenschicht, also von dem Entoblast, oder von
dem ihm anliegenden Dottermaterial. Nach dem gegenwärtigen Stand-
punkte der Forschung wird man natürhch das Letztere anzunelnnen
geneigt sein, und man wird vermuthen, dass die von O. Hehtwk;
aufgezeigte Vegetationszone am imieren Saum des Urmundes das
Dottermaterial verarbeitet und nach aussen neues Ectoblast, iiacli
innen neues Entoblast hefert, welche beiden dann gemeinsam den
Dotterpfropf in dorsiventraler Richtung und zugleich von den Seiten
her convergirend allmählich überdecken und so den Urmund ver-
kleinern. Zugleich wird es fraglicli, wie weit neigen diesem Modus
der Gastrulabildung durch Ueberwucherung der unteren
Fläche der Blastula [Epibolia] von dem dorsalen Seitenrande des
Eies her noch eine active Einstülpung des Entoblast statthndet; nach
[461] den Abbildungen 0. Hertwig's (1. cit. Taf. II Fig. 1-5) zu
urtheilen, brauchte sie nur minimal zu sein. Eine ,, Einstülpung"
des ,, Ectoblast" zur ,, Bildung" der Urdarmhöhle dagegen
kann durch die von mir beobachtete Tluitsache wohl als
widerlegt betrachtet werden.
Bezüglich der Entstehung des hinteren Medullarfeldes
ist ausser der Bildung von der Vegetationszone am Rande der dorsalen
und lateralen Urmundslippe aus, auch noch die Zusammen Schieb-
ung des Ectoblast von den beiden Seiten her (s. Nr. 23 S. 701)
als eine Möglichkeit zu erwähnen; doch würde dann wohl die dorsale
Lippe einen weniger reinen Bogen darstellen, sondern am Rande einen
medianen Einschnitt und im \"erlaufe eine Raphe zeigen. [Eine
solche ist in seltenen Fällen besonders gegen Ende der Laichperiode
der Frösche manchmal zu sehen und bei Tritonen von Ch. vax Bambeke
beschrieben worden.]
Ueber die Bedeutung der Thatsache, dass nach dem Anstechen
184 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
am weissen Pole des Eies Defecte in dem Ectoderm des Hinterleibes
entstanden sind, hoffe ich gleichfalls nach Verbesserung der Methode
in Bezug auf genaue Localisation des Extraovates Aufklärung ge-
winnen zu können, desgleichen über die Quellen des Materiales des
mittleren Keimblattes.
Der Befund, dass die dorsale Stelle des schwarz-weissen Saumes
am Eie fast der Mitte des Medullarrohres des Embryo entspricht,
giebt mir ausserdem Veranlassung, meine früher ausgesprochene
Ansicht über die Bedeutung der zweiten Furche (s. Nr. 16) genauer
zu präcisiren und damit zugleich quantitativ zu modificiren. Nach
dem Nachweise, dass die erste Furche die künftige Medianebene des
Embryo bestimmt, beobachtete ich weiterhin bei Rana esculenta, dass
die zweite Furche derart excentrisch sich bildet, dass sie dem oben
an einer Seite der braunen oberen Hemisphäre sichtbar werdenden
weissen Saum genähert ist. An dieser bei Rana esculenta somit
doppelt bestimmten Seite entstand stets der Urmund; von da aus
entwickelte sich nach aufwärts der Kopftheil, so dass also zur Zeit
der zweiten Furche schon über die Richtung kopf-schwanzwärts ent-
schieden ist. Da wir nun aber gesehen haben, dass die Anlagestelle
des Urmundes an der Seite des Eies fast der Mitte des primitiven
Medullarrohres entspricht, während letzteres sich auf der weissen
Hemisphäre noch weiter nach abwärts entwickelt, so erhellt, dass
[462] es richtiger ist, zu sagen : mit der zweiten Furche ist schon
über die Lage der ,,dorsi-ventralen Richtung" am Froscheie erkenn-
l)ar entschieden; während die Richtung ,, kopf-schwanzwärts" schon
am unbefruchteten Froscheie durch die Richtung von oben nach
unten annähernd gegeben ist. Als ich im vorigen Jahre diese Ver-
liältnisse untersuchte, galt die Eiaxe als die dorsiventrale Axe
des Embryo; und da sich auch später der Embr3^o, wenn er nicht
in Zwangslage erhalten wird, dementsprechend situirt zeigt, so war
zunächst keine Veranlassung, an der Richti'gkeit dieser überkommenen
Auffassung zu zweifeln. Demnach fehlte nach der Bestimmung der
Medianebene durch die erste Theilung blos noch die Entscheidung
über kopf-scluvanzwärts innerhalb dieser Ebene. Nachdem wir nun
aber gesehen haben , dass die Eiaxe mehr der Längsaxe des
Folgerungen aus don Anstich versuchon am Ki. iRö
Embryo entspricht, muss luinniehr der Embryo im N^erhältiiiss zum
Eie gegen die frühere Auffassung um einen rechten Winkel gedreht
werden; und die noch nicht bestimmte Richtung wird so die dorsiventralc.
Ob die Bestimmung dieser Haupt richtung wirkhch erst mit
der zweiten Furche geschieht, ob sie sogar gerade durch die zweite
Theilung geschieht und unabändei-Hcl] durch (heselbe lixirt ist,
oder ob pa t hologisclie Eingriffe noch naeliträglich eine
Aenderung ihrer Lage im Verhältniss zum ganzen Eie
hervorzubringen vermögen, wird in dem dritten Beitrage erörteit
[s. Nr. 20, 31 u. 33]. Ich will nicht unterlassen, besonders hervorzuheben,
dass mit dieser gegenwärtigen Bestimnumg der annähernd senkrechten
►Stellung der Längsaxe des Embryo im Eie nicht ausgedrückt ist, dass
die zweite Furche etwa der mittleren Frontalebene des späteren Embryo
entspräche und dementsprechend das Keimmaterial derart sondere,
daös die beiden dorsalen Zellen wirklich allein das Material für das
ganze Medullarrohr liefern. Besondere Untersuchungen haben darüber
erst zu entscheiden und festzustellen, ob nicht der vorderste Theil
des Medullarrohres noch im Bereich der oberen, der hinterste Theil
desselben noch im Bereich der unteren Kuppe der beiden ventralen
Zellen entsteht. Die dritte Furche des Froscheies scheidet denmach
das Material für den kopfwärts gelegenen Theil von dem für den
hinteren Theil des Embryo. ^)
[1) Diese Abweichung in der Stellung des Embryo zum Ei blos um 90" von
der überlieferten Annahme hat sich bei meinen späteren Untersuchungen (Nr. 23) noch
als zu gering erwiesen ; es wurde nöthig , noch lun weitere 80— 90" von der früheren
Auffassung abzuweichen, wodurch der Embryo wieder wagrecht im Eie zu liegen
kommt, aber mit der Medullarfläche nach unten gewendet ist (s. Nr. 16, S. 20). Die
Lage des Defectes in der Mitte des Medullarrohres bei Anstich in der (legend der
Urmundanlage erwies sich später (Nr. 22) blos als letztes Postgenerations-
stadium nach vorher vorhandener, fast vollkommener Asyntaxic der Medullarwülste
(Nr. 23, S. 701).] ^
Und auch durch Anstich fa.st an jeder anderen Stelle der Morula
und ßlastula kann, wie ich später beobachtet habe, bei ausgedehnter Verwundung,
resp. durch zu starken Druck auf das Ei und entsprechend grosses Extraovat die
Gastrulation gestört, die rechtzeitige Ueberwachsung der weissen Unterseite des
Eies gehemmt werden. Indem gleichwohl nach vollkommen aseptischer Operation
die Differenzirung fortschreitet und die Medullarwülste gebildet werden (soweit ihr
Anlagematerial nicht direct zerstört ist), resultirt in allen diesen scheinbar so ver-
schiedenen Fällen dieselbe Missbildung der mehr oder weniger grossen Asy n-
186 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
[■463] Für die Function der ersten Furche, das Material
der beiden A n t i m e r e n z u scheiden, glaube ich in dem erwähnten
Hemicormus [Hemiembryo] lateralis, welcher beim Anstechen
nach der vierten Furche entstand, einen schönen Beweis zu finden ; da
der vorhandene Defect genau der Grenze der ausgebildeten Antimere
folgte. Die Erklärung ergiebt sich daraus, dass zur Zeit der vierten
Furche die zuerst entstandene Furche jedenfalls am vollkommensten
ausgebildet ist, so dass nach dem Anstechen der einen Eihälfte beim
Austreten von Eisubstanz keine schon dilferenzirte Bildungssubstanz
aus der anderen Hälfte mehr nachfiiessen konnte, während aus der
verletzten Zelle fast das ganze der Furche benachbarte Material austrat.
Ich werde es mir angelegen sein lassen, den Antheil aus-
getretener ,,Ivernsubstanz" an der Entstehung der Defecte
festz ust eilen. ^)
Um gleich einen U eberblick über die ungefähren Folgen
der Verletzung des Eies auch in späteren Phasen der
Entwickelung zu gewinnen, habe ich noch einige ähnliche Versuche
an iüteren Embryonen gemacht.
ll. Operationen au der (iuistrula.
Fünf Gastrulae von Raiia fusca mit noch offenem Urmund
\vurden a n d e m sc h w a r z e n T li e i 1 o a n g e s t o c h e n : Zwei Eier,
bei denen nur sehr wenig schwarz und weiss gefärbte Masse ausge-
treten war, bilden die Rückenwülste; das eine normal, das andere
aber mit einem circ um Scripten Defect in der schwarzen Schicht
des Kopftheiles; beide aberstellten danach die Entwickelung ein.
Die drei anderen Eier hatten viel weisse Masse, bestehend aus Zellen,
wohl vorwiegend des Dotterlagers, austreten lassen und entwickelten
sich nicht weiter. Dasselbe war bei den am Dottertheil selber an-
gestochenen Eiern der Fall.
taxia medullaris. Nachträglich wird diese Störiiug ausgeglichen; und da diese
verspätete Näherung und Verschmelzung von der cephalen und oft auch von der
caudalen Seite her rascher erfolgt als in der Mitte, so findet man kurz vor ihrer
Beendigung oft ein Loch annähernd in der „Mitte" der Medulla.
[1) Dies war das wesentlichste Moment: dasselbe konnte aber beim Froschei
wegen der Undurchsichtigkeit desselben nicht durch directe Beobachtung, sondern
blos durch complicirte Schlüsse beurtheilt werden (s. Nr. 24).]
Operationen an der (uTstrnla. 187
Da ohne Wn-lctzung des Dotterlagers beim Anstcclien der Gastriila
der Substanzaustritt sehr gering und die bisher gemachte Wunde stets
sehr klein war , so wurden nun g r ö s s e r e S c h n i 1 1 w u n d e n mit
einer Lanzette gemacht, zuerst blos um die Widerstandsfähig-
keit zu prüfen ; dann, als sich dieselbe genügend gross erwiesen hatte,
um die Wirkung der C ontinui tätstre nn ung, sowie der bei
der Operation oft e.ntstehenden groben passiven Deformation
auf die weitere Entwickelung kennen zu lernen.
[4:6J:] Fünf Gastrulae von Rana fusca, von welchen jede au einer
anderen Stelle in geringer Ausdehnung gespalten worden war,
haben alle die Rückenfurche gebildet; zwei davon haben sich nor-
mal weiter entwickelt und sind erst nach Anlage der Kiemenhöcker
aufgehoben worden. Die drei anderen gingen ohne weitere Entwicke-
lung zu Grunde. Von einigen in der Entwickelung schon vor dem
Eingriff um einen Tag zurückgebliebenen Gastrulae, welche in gleicher
Weise operirt waren, hat nur eine die Rückenfurche angelegt, ist
aber danach gleich den anderen abgestorben.
Von den passiven Deformationen, glaubte ich früher viel-
leicht einen besonderen Einfluss zu gewärtigen zu haben. Denn ich
hatte mir vorgestellt, dass das Ei, da es eine bestimmte Form her-
vorbringt, auch umgekehrt vielleicht dieser bestimmten Form für
seine blosse Erhaltung wie für seine Wciterentwickelung benöthige; ich
dachte, dass der Embryo vielleicht in den frühesten Phasen
ein aus der Lagerung aller Theile zu einander resultiren-
des, auf geheimnissvolle Weise vermitteltes, „formales Ge-
b-ammtlehen'' führe, dessen Alteration an einer Stelle, wenn nicht
gleich das Leben ganz aufhebe, so doch gleich die Bildung an allen oder
fast allen Stellen, nicht blos innerhalb der unmittelbaren Nachbarschaft,
in ganz abweichende Bahnen zu lenken vermöge. Es war also die Vor-
stehung, dass die embryonale Form der frühesten Stadien nicht
blos eine gewordene sei, nicht blos eine Summe, ein geformtes
Nebeneinandei von im Wesentlichen selbstständigen, d. li. selbsterhal-
tungs- und selbstdifferenzirungsfähigen Theilen darstelle, welche Summe
zufolge der den Theilen innewohnenden Eigenschaften und zufolge der
auf dem früheren Stadium erlangten Form einfach mechanisch sich
188 N)-. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
weiter forme ; son dem, dass die Lebensfähigkeit d e s E m b r y o aus
der Gesammtanordnung aller Theile resultire, und dass daher
der Form an sich eine wesentliche functionelle Bedeutung
auch für die blos momentane Erhaltung des von dem späteren Leben
wesenthch verschiedenen Embryonallebens zukomme; und dass dies
bereits in einer Periode der Fall sei, wo die Theile noch nicht zu ein-
zelnen Organen, welche bestimmte, den späteren Functionen vergleich-
bare Leistungen für das Ganze zu vollziehen haben, differenzirt sind
[siehe S. 192 u. Nr. 22 S. 132, Nr. 28 S. 663 u. Nr. 29 S. 609].
Ich bin überzeugt, dass manchem meiner Leser diese Vorstel-
lung [465] ebenso mystisch wie von vornherein unwahrscheinlich er-
scheinen wird. Indess, wenn man vor einem geschlossenen Gomplex
unbekannter Probleme steht, ist es schwer zu sagen, was wahrschein-
lich, was unwahrscheinlich ist. Es ist nicht ohne Prüfung von
vornherein zurückzuweisen, dass in der (Jomplication der Ver-
hältnisse während der embryonalen Entwickelung, wo wir Leistungen
vor sich gehen sehen, die sonst in ähnlicher Weise in der Natur nicht
vorkommen und von uns leider auch nicht künstlich nachgemacht
werden können, dass da auch besondere Arten von Energien
entstehen, für welche ausserhalb dieser Processe und auch selbst
in dem späteren ,,f unctionellen Leben" des Individuums, ausser
Ijei der Regeneration, keine Gelegenheit mehr gegeben ist; Energien,
welche ebenso sehr in ihren Wirkungen von den uns zur Zeit be-
kannten Arten der Energie verschieden sind, wie es die Electricität
von den übrigen Energien ist; und die Electricität ist lange genug
unbekannt geblieben, obgleich ihre Erzeugungsbedingungen relativ
einfache sind.
Wer nicht blind das, was als höchstes Resultat unserer Unter-
suchungen erst gewonnen werden muss, in Form der allerdhigs sehr
gebräuchlichen petitio principii als selbstverständlich und
keines Beweises bedürftig von vornherein annimmt, der wird sich beiden
causalen Untersuchungen der embryonalen E n t w i c k e 1 u n g immer
unsere ^Eventualität vor Augen zu halten und sich zu fragen haben,
ob die von ihm beobachteten Vorgänge sich unter die Leist-
ungen bekannter Kraftformen subsummiren lassen, oder
Operationen an der Uastnila. 189
ob sie zur Annnlinio besonderer .. ]Vi r /.a ih/s /re ise)r\ wie
differenzireiidor Fernwirkungen u. dero-l., uiul dniiiit /,iir
Annahme besonderer Eneri^ien nOthioen.
Da es uns überhaupt nicht um Wahrseheinhchkeit, sondrni um
dereinstige Gewissheit zu thun ist, ist es gut, das (Je biet der
Möglichkeiten möglichst in Gedanken zu c rsch ()p fen ,
um so die Augen i'ür alle eventuellen Vorkommnisse zu
öffnen. Denn bekanntlich ist es mit dem Sehen wie mit dem Hören:
Es nimmt auch mit den Augen jeder blos das wahr, was er versteht
und wie er es versteht.
Wir werden aber erkennen, dass wir weder auf Grund der Lehre
von den Missbildungen , noch auf Grund der von uns angestellten
Experimente obige Vorstellung schon jetzt als durchaus irrthümlich
zurückweisen können; wenngleich ich hoffe, dass [466] es durch die
weiteren Untersuchungen mehr und mehr geschehen wird. In der
„Einschränkung" dieser Möglichkeit [des Bestehens eines
,, formalen" Lebens des Embryo und des Antheiles entsprechender,
besonderer, im anorganischen Geschehen nicht vorkommender Ener-
gien an der individuellen Entwickelung] liegt für mich der eigent-
liche Werth der in diesem Beitrage bisher mitgetheilten
und noch mitzutheilenden Versuche. Denn damit wird unserer
Erforschung des Lebens ein immer weiteres Feld eröffnet; und blos
aus diesem Grunde schienen sie mir schon jetzt der Veröffentlichung
werth, obgleich sie an sicheren speci eilen Ergebnissen, welchen sich
wohl vorzugsweise das Interesse der Mehrzahl der gegenwärtigen Leser
zuwenden wird, nur erst wenig bieten.
Schon bei den blosen Anstechversuchen während der Furchung
war die Prüfung dieser Eventualität mit ins Auge gefasst; denn das
Eindringen mit der Nadel und der Austritt von Substanz musste die
Anordnung der zurückbleibenden Theile erheblich stören.
Nachdem durch diese Versuche erkannt war, dass in dem Stadium
der „Furchung" eine solche Störung der Ordnung keine Al-
teration der allgemeinen Entwickelung hervorzubringen
vermag [besser gefasst: dass die hervorgebrachten Störungen der
Anordnung- der Theile des Eies die Entwickelung desselben nicht uoth-
190 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc
wendig auflioben und auch nicht in ganz neue Bahnen zu lenken ver-
mochten], sollte dasselbe nun auch geprüft werden, nachdem zum
ersten Male eine specifischeMacrostructur ausgebildet war und
damit die besonderen gestaltenden Kräfte des Eies ihre formen-
schaffende Thätigkeit in erkennbarer Weise begonnen hatten.
Da Versuche mit l)losser Dpformafion des noch innerhalb der
Gallerthülle befindlichen Embryo nicht recht gelangen, so musste die
Deformation durch ausgedehnte Spaltung hervorgebracht
werden, wobei aber die Wirkung der Trennung und der mit ihr
eventuell verbundenen Entspannung die Deutung der Resultate er-
schweren konnten (siehe auch S. 204).
Ich brachte daher 17 Gastrulae (Nr. 160) von Rana osculenta
je einen grossen, mehr als einen halben Eiumfang betragen-
den Schnitt bei, wobei passive Deformationen entstanden, die in
vielen Fällen nicht sogleich durch die Elasticität der übrig bleiben-
den Substanzbrücke wieder ausgeglichen wurden. In drei Fällen wurde
die Gegend der künftigen Rückenfurclie quer durchschnitten,
einmal mehr oral, dann in der Mitte, beim letzten mehr aboral; alle
drei Eier bildeten die Medullarfurche und die dieselbe begrenzen-
den Rückenwülste mit fast vollkommen normaler Gestalt; und
die Rückenwülste waren bis dicht an die Wundrändor her-
an entwickelt. Sogar das beim [467] letzten Eie fast ganz abge-
trennt gewesene niedrige Stück des hintersten Körperendes hat
seine Rückenwülste gebildet und dieselben schon bis ziu' Be-
rührung genähert; es ist durch eine dicke Lage weisser Zellen mit
dem vorderen Stücke vereinigt resp. noch von ihm getrennt, während
bei den beiden anderen Embryonen die Coaptation eine noch voll-
kommenere ist. Dreimal stand der Schnitt schräg zur Medullar-
furche; gleichwohl sind wiederum die Rücke nwülste bis zur
Wunde ausgebildet, aber die Medullarfurche etwas verzogen, bei
einem Embryo durch radiäre strahlige Narbencontraction in höherem
Maasse.
Ein Embryo hat eine normale Medullarfurche gebildet, ob-
gleich ihm von hinten her in frontaler Richtung der halbe Leib
durchspalten ist; sogar schon die Haftnapfanlage ist vorn
Operationen aii der Gastrula. 191
erkennbar. Ein anderer Embryo Imt l)los den linken l{ücken-
wulst und vorn und binten einen sebr kleinen Tbeil des recbten;
die Gegend des übrigen Tbeiles rechterseits ist durcli einen grossen,
weit klaffenden scb ragen Spalt eingenommen, welcber aucb nocli ein
wenig in die mediale Seite des linken Rückenwnlstes sieb fortsetzt,
der trotzdem aber an der betreffenden Stelle sieb aussen mit fast
normaler Eorm vom Leib(^ abbebt.
Ein anderer Embryo mit vollkommener llückenfurcbc ist quer
am ganzen Leib gespalten l)is beiderseits zu den wolilgebildeten
Rückenwülsten; die Wunde ist auf der einen Seite des Leibes nocb
offen; auf der andern Seite ist das Pigment dicbt auf einer ver-
scbrumpften Stelle um die fast gescblossene Wunde angesammelt ;
der ganze Embryo ist kugelig statt länglich.
Fünf Gastrulae haben sich um die grosse nocb weit geöffnete
und durch weisse Zellen ausgefüllte Wunde zusammen gewölbt, ohne
Anlage von Medullär furchen erkennen zu lassen; einmal unter
strahliger Narbenbildung. Ein Ei bat etwas wie eine verzerrte Me-
dullarfurche gebildet, ein anderes war zweimal quer zur künftigen
Rückenfurche fast rings herum durchschnitten und lässt gleichwohl
einen schwachen aber nicht recht gelungenen Versuch zur Bildung
von Rückenwülsten erkennen.
Diese Eier zeigten am Tage nach der Operation in der Um-
gebung der Wunde bereits Anfänge von Framboisia minor, wes-
halb sie alle [468] conservirt wurden ; erst nach Entfernung der Gallert-
hülle wurde erkannt, dass zwei der ersterwähnten Embryonen mit
normaler Rückenfurche, noch vollkommen glatte Oberfläche besassen.
Aber warum waren die anderen abgestorben, da doch eine Infection
nicht erfolgt war?
Das letzte Ei endlich zeigt allein eine Bildung, welche vielleicht auf
Lenkung fast der Gesammtheit der bildenden Kräfte in andere Bahnen
gedeutet werden könnte. Der Urmund ist noch weit offen und nor-
mal gerundet; aber der übrige Theil der Gastrula zeigt eine reiche
Anzahl verschieden gerichteter und durch tiefe Einziehungen ge-
schiedener Wulstbildungen, von denen mehrere paarweise einander
parallel sind, sodass sich nicht ein Paar bestimmt als Rückenwülste
192 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
erkennen lässt. Die Verwundungsstelle ist nicht mit Sicherheit auf-
findbar; das Ei ist im Ganzen klein und es liegt die Vermuthung
nahe, dass sehr viel Dottermaterial ausgetreten ist und in Folge dieser
Verkleinerung des Inhaltes die Oberfläche sich gefaltet hat. Doch
ist das ganze Gebilde zugleich so in der Riclitung vom Urmund aus
verlängert und gebogen, und die Wülste sind so flick und prominent,
dass ich sie nach dem, was ich sonst an zugleich mit grossen Ver-
letzungen von Gastrulae entstehenden passiven Faltenbildungen ge-
sehen habe, nicht rein als solche aufzufassen wage. Ich glaube
vielmehr, dass dieser mechanischen Tendenz zur Wulstbil-
dung noch durch vitale Vorgänge Vorschub geleistet worden
ist. Nachstehend (Nr. 18, S. 521) werden Beobachtungen mitgetheilt
werden, welche die Art dieser Unterstützung mechanischer Bildungs-
tendenzen genauer charakterisiren. Nicht aber glaube ich, dass
dieses eine, allen anderen isolirt gegenüberstehende Vorkommniss uns
zwingt, dasselbe im Sinne der oben ausgesprochenen Eventualität
aufzufassen und anzunehmen, dass durch die locale Störung der Gastrula
ein formales Gesammtleb'en derselben in neue, aber in sich selbst-
ständige, nicht von blos mechanischen Umformungstendenzen ab-
gängige Bahnen gelenkt worden sei.
Vielmehr glaube ich, dass das Verhalten der 16 anderen Em-
bryonen , insbesondere der ersten 8 Embryonen , eher für eine ent-
gegengesetzte Auffassung [für S o 1 b s t d i f f e r e n z i r u n g d e r M e d u 1-
larwülste und von Stücken derselben aus den entsprechen-
den Thei'len der Gastrula] spricht und sich damit an die Folger-
ungen anschliesst, welche man aus einigen bekannten Missbildungen zu
[•469] ziehen sich geneigt fühlt, besonders aus dem Schistosoma re-
flexum, in welchem trotz der Umstülpung der ganzen Leibeswandungen
nach hinten, alle Theile angelegt sind und in ihrer Formabweich-
ung sich einfach aus der, selber auf eine einheitliche Ur-
sache zurückführbaren, Gesammtdef orm ation ableiten
lassen [s. Nr. 29 S. 609, Nr. 28 S. 663]. Danach würde die normale
Entwickelung der Gastrula weniger an ein System be-
stimmter Richtungen in der Lagerung ,, entfernter" Theile
zu einander, sondern an die Continuität und Lagerung;
J
Operationen an der Gastrulti. Id-l
nächst „benachbarter'' Theile gebunden sein. Die weiteren
Versuche werden sogar darauf hindeuten, dass auch nach Aufhebung
dieser letzteren Bedingungen noch eine gewisse Weiterentwickelung
möglich ist. dass also ein gewisses „Selbstdifferenzirungsver-
mögen" der Theile der Gastrula eine Strecke weit besteht. Aber
wir werden auch noch manchem Embryo begegnen, dessen abnorme
Gestalt gegenwärtig nicht mit Sicherheit blos auf die mechanisch
vermittelten Folgen der Verletzung zurückführbar ist.
Bei mehreren Gastrulae von Rana fusca wurde neben dem noch
offenen Urmund, concentrisch mit demselben die Gegend der
künftigen Medullarwülste quer durchschnitten, um die eventuelle
Alteration in der Bildung dieser und in der Ausbildung der Chorda
und des mittleren Keimblattes zu studiren. Aber die Entwicklung
wurde an den wenigen bis jetzt in dieser Weise o})erirten Eiern zu
früh gehemmt, um nach diesen Richtungen hin Beobachtungen zu
gestatten. Eine Gastrula aber scheint den Urmund noch etwas ver-
engt zu haben; die andere bildete einen schneppen förmigen
Ansatz als Anlage der Medullarwülste. ^ Tags darauf [470!
befanden sich alle Eier im Zustande der Framboisia minor; und
der Urmund war durch Anfüllung seiner Grenzfurche mit schwarzen
Zellen ausgeglichen.
Um zu erkennen, ob fast ganz von ihrer normalen Umgebung
losgelöste Theile sich noch weiter differenziren können, wurden
an sieben (^astrulae mit geschlossenem Urmund grosse Zungen-
lappen von etwa einem Drittel einer halben Eioberfläche ausge-
schnitten. Vier der Eier entwickelten sich weiter, und bildeten
die Rückenwülste. Ein Embryo zeigte anderen Tages nur noch
in der Mitte der Medullarfurche ein tiefes, in seinem Grunde durch
') Es waren Ranae. fuscae aus Königsberg, welche ich der Liebenswürdigkeit
des Herrn Prof. LaxVGEndop.ff verdanke. Diese begannen alle die Anlage des Medullar-
rohres gleich denen des Ganton Wallis (s. Nr. 16, S. 20 und Nr. 22. S. 128) nach dem
von den Fischen her überkommenen phylogenetisch älteren Typus am Urmund selber ;
während die Ranae luscae der hiesigen Gegend [Breslau], wie nach 0. Hertwig auch
die der Umgebung von Jena, zuerst den queren Gehirnwulst mit den vorderen Enden
der Medullarwülste an ungefähr der bleibenden Stelle desselben bilden.
W. Roux, Gesammelte Abhandlunijen, II. 18
194 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
weisse Substanz verschlossenes Loch, welches enger wurde, während
sich der vordere Theil des MeduUarrohres schloss. Ein anderer Em-
bryo zeigte anderen Tages nur noch einen schmalen noch klaffenden
Spalt in der M e d u 1 1 a r f u r c h e , un d das Medul larrohr schloss
sich weiterhin vollkommen und nichts Abnormes war bemerkbar.
Von einem dritten Embryo ist nur notirt, dass er ein Anhängsel
im Gesichtsth eil gehabt hat. Die Bildung der Rücken-
furche war also über Nacht auch im Bereiche der Zungen-
lappen vor sich gegangen; aber die zu rasche Wiedervereinigung
mit der Nachbarschaft lässt bezüglich der Selbstdifferenzirung noch
keinen sicheren Schluss zu.
Ausserdem wurde an drei (jastrulae von Rana esculenta noch
die nach meiner Regel über die Bedeutung der ersten Furche im
Voraus bestimmte Stelle der künftigen Medullarfurche der
Länge nach gespalten, um den Effect dieses Eingriffes kennen
zu lernen , insbesondere um die Behauptungen Ahlfeld's und
L. Gerlagh's zu prüfen, dass die Doppelbildungen erst zur Zeit der
Anlage der Rückenfurche durch eine die w-eitere Bildung trennend©
Ursache entstehen könnten.
Die erste so behandelte Gastrula (Nr. 127), an welcher blos der
mittlere Theil der Länge der künftigen Medullarfurche aufgeschlitzt
war, wurde schon 12 Stunden nach der Operation aus der Gallert-
hülle genommen, weil sie hinter den anderen zurückgeblieben zu
sein schien. Sie zeigte sich gleichwohl bei der unverhüllten Ansicht
erheblich weiter -entwickelt. Der vordere Theil des linken Medullar-
wulstes und der quere Gehirnwulst sind angelegt aber etwas deform ;
[471] weiter aboral findet sich statt der Medullarfurche ein dunkel-
brauner Ring um eine helle Stelle, innerhalb deren ein schmaler
Schlitz in der hellbraunen Oberflächenschicht sichtbar ist. Der Em-
bryo ist ventral stark aufgebläht, der Urmund geschlossen.
(Nr. 126.) Die gleiche Operation. Embryo andern Tages etwas
weiter entwickelt, deformirt, schwer zu deuten. Ein grosser
rhombischer Schlitz, durch welchen weisse Masse zu Tage tritt,
nimmt fast die halbe Oberfläche ein; neben ihm auf einer Seite ein
Operationen an der Gastrula. 195
(iunkelbraiincr Willst. Das Pigment ist .dout 1 ich i ii t r ucol 1 u 1 a r,
nicht intercellular gelagert. An dei- anderen Seite des Kmbryo ein
grosser brauner Fleck im Zustande der Framboisia minor.
(Nr. 182.) Die Gegend der künftigen Rückoniurche längs
aufgeschlitzt. Der Embryo ist andern Tages noch aufgeplatzt,
aber weiter entwickelt mit jMedullarwülsten und Jlaftnäpfen; die Plirn-
wülste sind jedoch noch nicht vollkonnnen zum Abschluss vereinigt;
6 Tage alt aufgehoben. Kopf normal entwickelt. Dorsal lindet sich
in der aboralen Hälfte eine Spaltung des Thieres, und jede Hälfte
besitzt gegen den Spalt hin einen dicken braunen Wulst
anscheinend von der Gestalt eines geschlossenen Medullar-
rohres, von welchem aus dann noch eine neu gebildete braune
Schicht sich etwas über den Spalt weg gegen die andere Seite hin
erstreckt, ohne dass jedoch in der Mitte des Spaltes diese beiderseitigen
Massen sich erreichen. Jede Hälfte hat ausserdem einen beson-
deren, geknickten und mit einem Ephitelsaum versehenen
Schwanz; so dass sich der ganze Embryo anscheinend in der Form
einer Duplicitas posterior darstellt. Die Querschnitte zeigen aber, dass
die Längswülste nicht durch je ein geschlossenes Medullarrohr
gebildet werden, sondern dass der linke aus Urwirbelmassen, der
rechte aus indifferentem Gewebe besteht. Links ist ausserdem
die Chorda unter der Mitte der Urwirbelmasse gelagert; und letz-
tere erscheint annähernd symmetrisch gegen die Chorda grup-
pirt. Medial von der Chorda liegt die nicht geschlossene linke Hälfte
des Medullarrolire.s, während die rechte Hälfte in gleicher Beschaffen-
heit rechts in der Tiefe neben der rechten Urwirbelmasse sich findet.
Es war also nicht zu erkennen, ob etwa jede von ihrem Gegenpart
getrennte Antimere sich durch Regeneration eine neue Antimere zu
schaffen im Begriffe'* war; nur die symmetrische Umgruppirung der
linken [472] Urwirbelmasse um die in toto links befindliche Chorda
konnte Derartiges andeuten. Embryonen, welche länger am Leben
geblieben sind und bei denen auch die Chorda halbirt ist, werden
über diese Eventualität Auskunft geben.
13*
196 Nr. 18. Zur Orientiruna; über (He Probleme etc.
4. Operationen an Embryonen nach Ausbildung der Medullarwülste.
(Nr. 156.) Die Rückenfurche liegt auf der Unterseite, da sie
sich in Zwangslage entwickeln musste und daher sich nicht durch
Drehung des Eies nach oben wenden konnte. Durch Andrängen mit
stumpfer Gewalt ist die ventrale Vereinigung der Medullarwülste
in der oralen Hälfte der Länge nach aufgesprengt worden. Embryo
weiter entwickelt. Resultat: Schwanz einfach, normal; Lordose im
Bereich des Rumpfes. Kopf im Bereiche des Gehirn theiles
deutlich g e t h e i 1 1 , Gesicht einfach mit zwei normalen Haf tnäpfeu .
Hydrops der vorderen Halsgegend.
(Nr. 176.) Median ebene längs der Rückenfurche von
hinten her gespalten. Embryo von 6 Tagen, vollkommen
normal mit langem ungetheiltem Schwanz.
(Nr. 171.) Rücken Wülste durch stumpfe Gewalt quer ge-
spalten. Embryo von 6 Tagen im Ganzen normal, nur eine
Knickung des allenthalben geschlossenen Medullarrohres hinter dem
Halstheil, und eine circumscripte stark prominirende Geschwulst
Hnks und dorsal an der Knickungsstelle. Ist es Geschwulstbildung
aus abgesprengten Theilen des Medullarrohres?
(Nr. 0). Rücken Wülste sofort nach dem Auftreten derselben
quer durchschnitten. Embryo von 5 Tagen, vollkommen normal
entwickelt; Kopf wohlgegliedert mit Haftnäpfen und Kiemenansätzen,
Schwanz normal; nur aboral vom Halsmark links eine quere Narbe
am geschlossenen Medullarrohr erkennbar.
Operationen auf der ventralen Seite des Embryo
nach Anlage der Rücken wülste:
(Nr. 177.) Auf der Mitte des Bauches einen Längsschlitz ge-
macht. Embryo schon andern Tages vollkommen normal, keine
Wunde und Narbe sichtbar, Heilung also per primam inten-
tionem diesmal wohl im wahren Sinne durch unmittelbare Ver-
klebung oder Ausfüllung der dabei gebliebenen minimalen Spalten
[473j durch Wa|nderung und Theilung der Nachbarzellen.
Embryo 6 Tage alt. ebenfalls noch normal weiter entwickelt, aufgehoben.
Operationen am Embryo. 197
(Nr. 179.) Mitten auf der ventralen Seite ein Loeli u'eniaclit.
Embryo von (3 Tagen, vollkommen normal.
(Nr. 181.) Links hinten ventral ein Loch gemacht. Kmbrv(^
(3 Tage alt, normal.
(Nr. 178.) Mitten auf der Bauchseite (oberen »Seite des Eies in
Zwangslage) ein grosses mehrfach geschlitztes Loch gemacht. Anderen
Tages ist das Loch braun umgeben, wie sich auch sonst oft um
eine Verletzungsstelle in noch späteren Stadien innerhalb kurzer Zeit,
in einer halben Stunde schon (s. oben S. 150) das Pigment anhäuft.
Der 6 Tage alte Embryo ist vollkommen normal und lässt keine be-
sondere Pigmentirung oder Narbe am Bauche mehr erkennen.
(Nr. 170.) Vor dem Gehirn wulst angestochen. Embryo von
6 Tagen, Kopf normal . Hinterleib und Schwanz verschrumpft in
Framboisia major, also im Absterben.
Also nach Operationen am Bauche sind zunächst keine formalen
Störungen der weiteren Entwickelung bemerkbar geworden.
(Nr. 159.) Neun Embryonen von Rana esculenta mit eben auf-
getretener Medullarfurche fast total quer durchschnitten, so
dass bei den meisten nur noch eine ganz schmale Brücke
die vordere und hintere Körperhälfte zusammenhält. An-
deren Tages alle conservirt. Ein Embryo mit noch etwas breiterer
ventral gelegener Brücke hat sich normal weiter entwickelt; das Medul-
larrohr ist vorn und hinten geschlossen und der Kopf
normal ausgestaltet, obgleich die Mitte des Rückenmarkes
durch eine grosse mit weisser Masse erfüllte quere Wunde gespalten
ist. Bei den anderen Embryonen ist die äussere Leibeswandung fast
ringsherum gespalten, die Vereinigung nur durch weisses Material
hergestellt; gleichwohl aber zeigt sich lebendige Reaction durch Bil-
dung eines Epitßelsaumes an den Wundrändern; ein solcher
Saum findet sich sogar an zwei Embryonen mit vollständig
g e t r e n n t e n K ö r p e r h ä 1 f t e n. Aber keiner dieser sieben Embryonen
hat sich weiter entwickelt; warum? Bei einigen ist in der Umgebung
der Wunde anderen Tages leichte Framboisia minor waln-nehmbar.
[474] Weiterhin wurden Verletzungen in der Gegend des
Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
künftigen Gesichtes, ventral von dem queren Geliirn-
wulste vorgenommen:
(Nr. 157.) Längs der Mittellinie die ventrale Seite bis zum
Gehirnwulst aufgeschlitzt. Embryo von 5 Tagen, dorsal normal, da-
gegen Gesichtstheil verkümmert. Hals und vordere Rumpf -
gegend aufgebläht, in der Mittellinie offen und ein dunkelbrauner
Körper hängt aus der (ursprünghch hy dropischen?) Höhlung heraus.
(Nr. 155.) Ventral in der Medianebene gegen den Gehirnwulst
hin gespalten. Embryo von 5 Tagen, an Schwanz und Rumpf zu
klein, in der Mitte durch eine tiefe braune Furche geschieden in
zwei Theile, von denen jeder einen Haftnapf trägt. Rechts am Halse
eine grosse braune Geschwulst.
(Nr. 158.) In der gleichen Art operirt mit ähnlichem nach-
folgendem Effect; nur fehlt die Spalte in dem viel zu kleinen Ge-
sichtstheil, und vorn am Brusttheil befindet sich ein grosser dunkel-
brauner erhabener Narbenstreifen. Hinterleib und Schwanz mit vielen
kleinen Excrescenzen : Framboisia major.
(Nr. 150.) Den Gehirnwulst selber gespalten. Embryo
von 6 Tagen, entwickelt. Vor d er hirn blasen getheilt, durch
eine Furche geschieden und zu klein, Gesichtstheil scheitelwärts
von den Haftnäpfen nicht vorhanden. Hydrops der Hals-
gegend. Entwicklung von Rumpf und Schwanz normal.
(Nr. 180.) Angeblich gleichfalls den Gehirnwulst gespalten.
Embryo von 6 Tagen, mit normal gestaltetem Kopfe, nur rechts
zwischen dem Haftnapfe und den Kiemen ein runder weisser Defect.
(Nr. 128.) Den Gehirnwulst gespalten. Anderen Tages schon das
Medullarrohr geschlossen und Kopf normal, blos vorn etwas niedrig.
(Nr. 175.) Die linke Ecke des queren Gehirn wulstes zer-
quetscht. Anderen Tages schon von normalem Aussehen und weiter
entwickelt. Embryo von 6 Tagen vollkommen normal.
(Nr. 129.) Linke Ecke des Gehirnwulstes zerschlitzt. Embryo
von 5 Tagen, entwickelt, Kopf im Einzelnen normal gestaltet, aber
asvmmetrisch , so dass der linke Haftnapf vielmehr scheitelwärts steht.
Operationen am Embryo. 199
5. Operationen an Frosclienibryoncu nach Scliluss des Medullarrolires
und nach Anlage des Schwanzes und der Hal'tnäpfe.
[475] (Nr. 152.) Kopf von vorn her durch die Haftnäpfe hindurch
gegen den Nacken hin durch stumpfen Druck aufgeplatzt. Bei der
Besichtigung nach drei Stunden schon ein brauner Hof um die
Wunde wahrnehmbar, deren Oeft'nung sich bereits durch Näherung
der Wundränder erhebhch verkleinert hat. Anderen Tages blos noch
eine feine Furche beiderseits am Kopfe sichtbar, aber der Kopf er-
heblich zu klein; Schwanz im Zustande der Fromboisia major.
(Nr. 154.) Kopf von vorn schräg gegen den Nacken hin ge-
spalten. Anderen Tages der Gesichtstheil klaffend gespalten, aber
die Wundränder schon braun überhäutet und nur in der Tiefe noch
einen weissen aber dunkelbraun umgebenen Fleck zeigend.
(Nr. 172.) Die gleiche Operation mit gleichem Effect. Nach zwei
Tagen Embryo an Rumpf und Schwanz schön weiter entwickelt.
Kof wunde auch in ihrem Grunde überhäutet, aber noch weit klaffend.
Kiemenanlagen indess nicht wahrnehmbar.
(Nr. 163.) Den Nacken des Embryo gespalten. Nach zwei
Tagen nichts Abnormes am Kopfe wahrnehmbar, aber an Rumpf und
Schwanz Andeutungen von Framboisia.
(Nr. 174.) Die vorderste Kuppe des Kopfes quer zur Längs-
axe des Thieres abgeschnitten. Nach zwei Tagen die Quer-
schnittfläche des Medullarrohres durch eine dunkelbraune Lage quer
verschlossen, desgleichen der Querschnitt des Gesichtstheiles, und
beide durch eine frontale Furche von einander getrennt. Das ganz
abgeschnittene Stück im Zustande der Framboisia major et
minor; die Schnittfläche nicht überhäutet, die Zellen derselben gleich-
falls kugelrund.
(Nr. 149 ) Das Hintertheil des Embryo gequetscht bis zum Rest
des Urmundes. Nach drei Stunden ist ein brauner Hof um die
Wunde sichtbar. Anderen Tages Schwanzanlage ungetheilt vor-
handen, rechts hinten am Rumpfe eine grosse klaffende Wunde mit
zerfetzten Rändern, kein Heilungsbestreben erkennbar; Hinter-
leib im Zustand geringer Framboisia major et minor.
200 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Folgerungen aus den Reactionen der operirten Gastrulae
und Embryonen.
Wenn wir die bei den Operationen an der Gastrula und
an näclistfolgenden Phasen der Entwicklung erhaltenen Re-
sultate im Allgemeinen zusammenfassen, so ergiebt sich, dass die
Sub- [476] Stanzaustritte sehr gering waren . sofern nicht direct das
Dotterzellenlager verletzt worden war. Dem entsprechend entstanden
auch keine Bildungsdefecte mehr im Ectoderm, sondern die
scheinbaren Defecte sind als die klaffenden Wunden selber aufzufassen.
Fand gute Coaptation der Wundränder statt, so heilte die Ver-
letz u n g p e r p ri m a m i n t e n t i o n e m ; fehlte die Coaptation, so wurde
die Wunde allmählich von der Oberflächenschicht überwuchert und
eine Narbe kennzeichnete noch längere Zeit die Verletzungsstelle.
In keinem Falle war bemerkbar, dass die blossliegende
weisse Schicht von sich aus ein neues Ectoderm gebildet
hätte, wie dies auch selbst bei den Bildungsdefecten der während
der Furch ung angestochenen Eier nicht der Fall war; ein interessanter
Hinweis auf Waldeyer's Annahme, dass schon mit der Bildung der
Keimblätter die Materialien functionell geschieden sind^).
Die Folgen für die weitere Entwickelung des Embryo
waren verschiedene: ein Theil der Embr3'0nen starb bald nach der
Verletzung, auch wenn anscheinend keine Infectiou eingetreten war, ab.
Es war nicht zu entscheiden, ob der Tod die Folge der Zusammenhangs-
trennung der Theile an sich oder vielleicht durch den Mangel epi-
thelialen Schutzes, unter Eindringen von Fruchtwasser in den Embryo
bedingt war. Sofern aber der Ein))ryo durch weitergehenrle Reaction
an der Wundstelle ein längeres Ueberleben bekundete, blieb auch
die weitere Entwickelung nicht aus. Diese weitere Entwicke-
[I) Diese Frage wurde später von D. Barkuhth eingehend, mit der ihm eigenen
Sorgfalt und Gründlichkeit behandelt (Experimentelle Untersuchung über die Regene-
ration der Keimblätter bei den Amphibien (Meiikel-Bonnet's anatom. Hefte 1893.
S. 311—354), mit dem Ergebniss, dass sich bei der Regeneration keines der Keim-
blätter in ein anderes umwandelt. „Die Keimblätter sind in Bezug auf Regeneration
und Postgeneration specificirt; dasselbe gilt von grösseren isolirton Komplexen des
Ectoderms und Entoderms, resp. des Dotterlagers.''
Folgerungen aus den Reactionen der Gastrnlae und Embryonen. 201
lung fand selbst bei sehr uusgedelinten S j);il t viiigen der (las t-
rula oder des Embryo statt, und bildete entweder normale
Formen selbst bis dicht an die Wundränder aus, oder es
entstanden Formenalterationen, welche aber meist nicht mehr von
der Norm abwichen, als unmittelbar aus der mit der Verletzung ver-
bundenen passiven Deformation sich ableiten hess. Nur in wenigen
Fällen entstanden allgemeinere Verbildungen, welche man vielleicht
auf eine Störung allgemeinerer Bildungscorrelationen beziehen könnte
(s. S. 187 und 192).
Einige Male traten in unmittelbarer Umgebung oder auch ent-
fernter von derselben grössere, wohlumgrenzte Geschwulstbild -
ungen auf. Ob sie durch passiv beim Eingriffe disloci rtes Material
bedingt waren, wird vielleicht die mikroskopische Untersuchung der-
jenigen Fälle ergeben, wo sie neben dem Medullarrohr ge- [4:77] legen
sind, und die Operation die Anlagestelle dieses Organes getroffen hatte.
Specielle Schlüsse über unsere fundamentale Alternative:
S e 1 b s t d i f f e r e n z i r ung vieler einzelner Theile des Eies und des
Embryo, oder durch dif f erenzirende Correlation naher und
entfernter Theile unter einander sind auch nach diesen Versuchen
nur in sehr eingeschränktem Maasse möglich, da unsere Versuche
noch zu unvollständig sind und die Frage nach dem Antheil
der Regeneration noch nicht gelöst ist. Indess bekundet
das Verhalten, [dass die Störungen, welche in einigen
Fällen durch die Operationen in der Entwickelung entstan-
den waren, auf die Operationsstelle beschränkt sich zeigten,
bei normaler Entwickelung des übrigen Körpers, und] dass
in vielen Fällen die Differenzirung der von einander ge-
trennten Theile der Medullarwülste bis dicht an die Wund-
stelle heran stattfand, immerhin eine erhebliche Unab-
hängigkeit der Entwickelung der bezüglichen Theile von
dem Zusammenhang mit ihrer Nachbarschaf t.
[Zugleich ergab sich, dass Störungen der ventralen Theile
derGastrula und des Embryo die Entwickelung der dor-
salen Hälfte, insbesondere des Medullarrohres, nicht noth-
wendig beeinträchtigen (s. auch S. 185 Anm.)j.
202 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Es wird nöthig sein, zunäclist möglichst vielseitige Erfahrungen
an diesem unserem besonders günstigen Versuchsobject , an dem
Froschei , zu sammeln , um eine vollkommene Uebersicht über seine
Leistungsfähigkeit zu gewinnen und danach Schlüsse ziehen zu
können, welche zunächst zwar nur für dieses Ei, aber für
dieses auch unzweifelhaft Geltung haben. Der Vergleich mit dem
Verhalten anderer Eier, z. B. von Thieren, welche eine höhere
Regenerationsfähigkeit besitzen, wie z. B. des Triton oder der
Kröte [oder niederer Thiere : Seeigel, Medusen etc.], wird uns dann zu
richtigen Verallgemeinerungen dieser zunächst blos an einer Species
gemachten Beobachtungen führen.
III. Aiitheil der „Selbstdiit'erenziruiijj:" und „differeiizirender Correla-
tioiien" an der eml[)ryonalei> Entwickelung-.
Für beide Glieder unserer xVlternative , für ,,Selbstdifferen-
zirung'' und für ,,differenzirende Wechselwirkungen'' von
Theilen des Eies liegt bereits ein werthvolles anderweites Beob-
achtungsmaterial nebst einigen theoretischen Vorarbeiten vor. Wir
wollen auf Grund dieser beiderlei Vorarbeiten zunächst einen vor-
läufigen Ueberblick über den Antheil beider Principien zu
gewinnen suchen und werden dabei noch einige neue Beobachtungen
hinzufügen.
A. Selbstdiiferenzirung- von Theilen des Eies.
Zunächst sind für die „Selbstdifferenzirungsfähigkeit von
Theilen" des Eies und Embryos eine Anzahl Beobachtungen mit-
zutheilen, welche damit zugleich auch für den Mangel einer die
normale Gestaltung ,, beherrschenden" und „alle" Störungen
ausgleichenden [478] ,, Selbstregulation" sprechen und er-
kennenlassen, dass nicht jede frühere Entwickelungsphase „in
ihrer Gesammtheit" die nothwendige Vorbedingung des Ein-
trittes „einzelner Theile" der folgenden Phase ist. Letzteres
stellt eine für die Auffassung der Entwickelung nicht unwesenthche
Beschränkung der bedeutungsvollen Erkenntniss von Bergmann und
^(t^-H^f
Selbstdifferenzirting von Theilon des Eios. 203
Leuckaht^) und von His-)dai', dass jeder oinzt^lnc l'jilwickclungsinomenl
die nothwendige Folge des vorausgehenden und die Bedingung des
folgenden ist.
In diesem Sinne sind einmal die zahlreichen ,,Anaehronis- /
men'' vom ersten Beginne der Entwickelung an und während
des ganzen Verlaufes der Kntwiekelung hindurch zu vei'werthen.
Der Anfang beginnt häufig schon so heterochron, wie ich im ' ^x*^;*^ „
vorigen Jahre angedeutet und in diesem Jahre vielfach bestätigt g'^-il^^'^'"'*'^
funden habe, dass die durch ihre Beziehungen zu dem weiteren Ver-
lauf der Entwickelung wohl charakterisirte, normale erste Furche
erst als zweite auftritt, ohne dass dadurch die Entwickelung
selber gestört wird . Weiterhin sind während der g a n z e n F u r c h u n g
zeitliche Verwechselungen ausserordentlich häufig; sie
bedingen vorzugsweise die grossen UnregelmässigkeitendesFurch-
ungsbildes, welche von anderer Seite für ,, besondere Furch- .
ungstypen" gehalten worden sind^). Sehr häufig ist ferner, wie
erwähnt, das Nichtgeschlossensein des Urmundes zur Zeit des
Auftretens der Rückenwülste (s.S. 160 u. 166, Anm.) und das theil-
weise Andauern dieses Zustandes noch bis zur Zeit des Schlusses desMe-
dullarrohres und der Anlage der Kiemenhöcker und der Haftnäpfe.
Diese letzteren Bildungen können an der vorderen Körperhälfte an-
scheinend vollkommen normal vor sich gehen, obgleich die hintere
Körperhälfte durch das weite Offenstehen des Urmundes eine ganz
abnorme Gestalt besitzt. Ferner wurden an einer misslungenen
Kopfanlage ohne Gehirnblasen die Haftnäpfe angelegt. Noch
auffallender ist, dass, wie ich einige Male sah (vgl. S. 161), auch beim
gänzlichen Ausbleiben der Medullarwülste, doch allmählich die
Gastrula ihre runde GestaU zu jener Birnform umänderte, welche
1) Bergmann uud Leuckert, Vergleichende Anatomie und Physiologie des Thier-
reiches 1851.
2) W. His, Unsere Körperform. 1874.
|a) Daneben ist die Mannigfaltigkeit der Furcbungsbilder besonders durch
Variationen in der relativen Grösse der Furchungszellen bedingt. Die ungleiche
Grösse der Zellen veranlasst auch die Verschiedenheiten der normalen Furchungs-
typen. z. B. die von Rana fusca und escnlenta. Siehe W. Ruux in Arch. für Ent-
wickelungsmechanik. Bd. 11.
204 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
sonst erst mit der Anlage und Ausbildung des Medullarrohres zu ent-
[4:79] stehen pflegt. Ferner gehört hierher der gleichfalls bereits er-
wähnte Acephalus nach dem Anstechen des in der dritten Furclmng
begriffenen Eies, da der übrige Körper normal gestaltet war, die
Hemiembryones laterales dexterund sinister (S. 174) und anterior
(Ö. 161), sowie überhaupt die vorstehend mitgetheilte Thatsache, dass auf
circumscripte Defecte am sich furcbeuden Eie nur circumscripte
Defecte am Embryo zu folgen brauchen, bei normaler Gestaltung
der nicht von dem Defecte betroffenen Gegenden des Embryo.
[Diese Arten des Verhaltens bekunden, dass die normal weiter
entwickelten Theile nicht der f e h 1 e n d e n Theile und n i c h t d e r n o r-
malen entsprechenden En twickelungsstuf e der zurückge-
bliebenen Theile zu ihrer Entwickelung bedürfen, also in
entsprechendem Maasse sei bs t st ä nd ig. unabhängig von diesen
sich zu entwickeln vermögen.]
Diese Beweise ,, unvollkommener Selbstregulation und Re-
generation" des Froschembryo und zugleich ,, selbstständiger Dif-
ferenzirung einzelner Theile" desselben werden in ihrer Bedeu-
tung verstärkt durch eine grosse Zahl von Missbildungen, welche
an höheren, zum Theil auch an gleichstehenden und niederen Wirbel-
thieren beobachtet worden sind. So finden sich bei den gröbsten
Deformationen, z. B. beim Aufgeplatzt- oder Offengebliebensein
des Medullarrohres, ebenso des Leibes mit ümkehrung von Brust,
Bauch und Becken nach rückwärts (Schistosoma reflexum),
ferner bei hochgradigen Ansammlungen von Flüssigkeit in
den Körper- oder Orgauhöhlungen: die nicht direct von der Ur-
sache zerstörten Organanlagen wohl differenzirt und nicht
mehr in ihrer Ausbildung gehemmt und nicht mehr defor-
mirt, als sich von der ,, mechanischen" Gesammtdeformation
der ganzen Gegend ableiten lässt; so dass also die embryo-
nalen Organe in ihnen angezwungenen Formen sich ,, ent-
wickeln" können, wenn sie nur Raum und Nahrung und Schutz
vor äusseren Schädlichkeiten haben (s. S. 1(S7).
Ferner können bei Erfüllung dieser letzteren drei Bedingungen
viele später unentbehrliche Theile des Embryo fehlen, ohne
Selbstdifferenzinnie; von Tlioileii des Eies. 205
dass dadiircli dio WeiteTcntwickoluno- dos ül)ri,ü:oii Theiles
aufgehoben oder auch nur in hohem Maasse altorirt wird.
Es kann das Gehirn oder der ganze Kopf fehlen bei übrigens ziem-
lich normalem Rumpf (Acephalus). der Rumpf fehlt bei entsprechen-
der Bildung des Kopfes (Acormus), ebenso die Augen (Anophthal-
mie) bei Vorhandensein ihrer äusseren Schutzapparate, es fehlt die
ganze äussere Leibesghederung (Amorphus) bei blosser Existenz
einzelner innerer Organe, oder auch diese sind blos stückweise vor-
handen, schliessHch fehlt jede Sonderung einzelner Organe bei blosser
Ausbildung der Gewebe. Panum^) hat in Bezug auf diesen Gesichts-
[480] punct eüi reiches Material gesammelt und daraus den Sehluss
abgeleitet, dass ,.die in Rede stehenden Gebilde dem Be-
griffe eines Organismus nicht entsprechen"; da ihre Theile
nicht den Zwecken des Ganzen dienen und das Ganze keinen Selbst-
zweck hat; dieselben sind nach ihm vielmehr als geschwulstartige
Conglomerate verschiedener von einander unabhängiger Gewebe und
Gebilde anzusehen, welche wie selbstständige Gewächse oder Pflanzen
sich, kraft ihres eigenen Lebens, unter gemeinschafthchen Lebens-
bedingungen entwickelt haben. F. Makchand-) hat auf Grund obiger
Thatsachen diese Auffassung verallgemeinert, indem er sagt, dass
auch schon der normale Embryo in seinen früheren Stadien
dem Begriffe eines Organismus nicht entspricht.
Die Ursachen dieser hochgradigen Defect- und auch zum Theil
der grossen Deformationsmissbildungen wirken, so viel wir jetzt sehen,
schon zu Zeiten, ehe die einzelnen Organe und Gewebe vollkommen
angelegt oder ausgebildet sind; darausfolgt, dass die betreffenden
Theile des Embryo „nach" so hochgradigen Störungen
ihrer selbst oder ihrer Nachbarschaft nicht blos noch am
Leben zu bleiben, sondern sogar in einer oft noch an das Nor-
male erinnernden Weise sich formal und geweblich zu
d i f f e r e n z i r e n vermögen. Dasselbe wird vielleicht noch genauer
1) P. L. Panum, Beitiäge zur Kenntniss der physiologischen Bedeutung der an-
geborenen Missbildungen. Virchow's Archiv 1878 Bd. 72, S. 85.
■••) F. Makchand. Realencyklopädie der gesaramten Heilkunde von Eulonburg
1881, Artikel: Missbildungen S. 7.
206 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
festzustellen sein durch die von W. Zahn ^) eingeführte, weiterhin von
G. Leopold'^) und E. Fischer^) fortgesetzte Transplantation embryo-
naler Theile in Ernährung und Schutz gewährende Organe erwachsener
Thiere; wobei sich schon jetzt gezeigt hat, dass manche isolirte
embryonale Theile nicht blos zu wachsen, sondern sich
in annähernd normaler Weise ge weblich weiter zu dif-
ferenziren vermögen. Desgleichen lassen die Keime der Der-
moidkystome ausser Haut, Haaren und Drüsen, auch wohlgebildete
Zähne mit Kiefertheilen ausser Zusammenhang mit [481] den nor-
malen Nachbartheilen des Organismus hervorgehen. Wohl auch ent-
halten verschleppte Geschwulst keime, welche sich zu meta-
statischen Geschwülsten entwickeln, zur Zeit ihrer Verschleppung noch
nicht immer schon die differenzirten Gewebe , die wir nach ihrem
Wachsthum in ihnen finden. Dann würde auch hier selbstständige
gewebliche Differenzirung vorliegen; wobei aber von den Blutgefässen
abzusehen ist, da diese entweder von der Nachbarschaft direct hinein-
wachsen oder doch von ihr aus unter der Wirkung functione 11 er
Reize in den Tumor hinein wachsen und danach sich differen-
ziren, somit der ,,functionellen Anpassung" zugehören.
Schliesslich sind auch hier die abgeschnürten sog. Neben-
organe zu verwerthen; vor allem diejenigen, welclie eine spe-
cifische, dem Gebilde ,,im Ganzen" angepasste Structur
haben, die die gröbere Structur des ,, norm alen " Organes
wiederholt ; dies kommt freilich nur bei sehr wenigen Organen
vor; vielleicht bei den accessorischen Nebennieren, wo
die hierbei allein vorhandene Rindensubstanz die normale regel-
mässige Anordnung der Zellstränge zeigt*). Zweitens können aber
auch die abgeschnürten Theile von Organen, welche keine solche
1) F. WiLH. Zahn, Sur le sort des tissus implaute.s dans l'orgamsme. Genevo
1878 und Virchow's Archiv 1884 Bd. 95 S. 369-387.
2) G. Leopold, Experimentelle Untersuchungen über die Antiologie der Ge-
schwülste Virchow's Archiv 1881 Bd. 85.
3) E. Fischer, Ueber Transplantationen von organ. Material. Deutsche Zeitschr.
f. Chirurgie 1882 Bd. 17 S. 61 und S. 362.
4) Vgl. F. Marchand, Ueber accessorische Nebennieren im Ligamentum latum.
Virchow's .Archiv 1883 Bd. 92.
Selbstdifferenziriiug Von Tlieilen des Eies. 207
specifiscbo, besondere Costa Ituiigskräfte des (Jaiizcn voraussetzende
Striictiir haben, von entsprechender Bedeutung sein; so die Neben-
milzen und Nebenlebern, deren gröbere Structur, wie ich
zeigen werde, vorwiegend in das Gebiet der functionellen Anpassung
fällt. Diese Organe sind für uns von Bedeutung, sofern ihre
Isolirung von der normalen Umgebung schon „vor" der Voll-
endung ihrer specifisehen Ge web ebilduug erfolgt war
und sofern diese specifische (Jlewebebildung nicht auch blos eine
Folge der functionellen Anpassung ist').
Wir ersehen ans den angeführten Beispielen, dass viele ,,Theile"
des Embryo unter günstigen Ernährungsumständen
sich unabhängig von ihrer näheren oder ferneren Um-
gebung geweblich und formal zu differenziren vermögen,
und dass dies sogar in annähernd normaler Weise sre-
schehen kann. Daraus geht hervor, dass die Differenzirung
dieser Theile an sich nicht eine Function der Wechsel-
wirkung zwischen ihnen und den andern Theilen ist. [482]
Also eine gewisse gewebliche und formale Selbstdiffe- /
renzirung vieler Theile des sich entwickelnden Eies ist
bereits erwiesen. Ich werde durch besondere Specialunter-
suchungen im Einzelnen festzustellen suchen, welche kleinsten
Theile sie betrifft, in Avelcher Periode der Entwickeluno-
sie anfängt, wie weit sie geht, und ob Gomplexe dieser
kleinsten Theile sich wiederum weiter zu differenziren
vermögen als die einzelnen Theile für sich (s. Nr. 22, S. 140).
Man kann geneigt sein, auch aus den bereits bekannten Ver-
hältnissen der normalen Entwickelung Schlüsse auf Selbst-
differenzirung von Theilen zu ziehen und vielleicht anzunehmen,
dass z. B. diejenigen Organe, welche frühzeitig von ihrer
Umgebung gesondert werden, wie das Gehörorgan, die
Augenblase [die Niere, Leber etc.], die Extremitätenknospe
sich in sich selber differenziren. Da aber die Isolirung dieser Theile
[1) Bezüglich der Entstehung der Structur der Leber vergleiche W. Roux,
Einleitung zum Archiv für Entwickelungsmechanik. Bd. I, S. 7.
208 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
durch eine abgrenzende und abgesehen von grobmechauischen Wir-
kungen wohl die Ueb ertragung differenzir ender Einwir-
kungen hemmende Bindege webskapsel] nirgends eine voll-
kommene ist [indem ausser den ernährenden Gefässen auch noch
Nerven diese Kapsel durchsetzen], und wir zunächst noch auf gänzlich
unbekannte Möglichkeiten Rücksicht zu nehmen haben, so können
diese Folgerungen vorläufig nicht über den Werth von Vermuth-
ungen hinaus gelangen.
Die Selbstdifferenzirung räumlich begrenzter Theile.
für deren Betheiligung an der Entwickelung wir hier einige Beweise
aufgeführt haben, kann, wie schon angedeutet, von zweierlei Art
sein: rein formaler oder cjualitativer Art. Die ,,fonnale'-' Selhst-
differenzirung ist die leichter verständliche und kann z. B-
auf ungleichem Wachsthum der Theile beruhen; denn
wenn, wie schon (S. 9) erwähnt worden, ein ganz einfach geformtes
Gemenge zu verschiedenem Wachsthum der Theile befähigter Sub-
stanzen in die Lage versetzt wird, diese latenten Ungleichheiten zu
bethätigen, so müssen nothwendig entsprechend viele verschiedene
Formen die Folge diese]- vielfachen ungleichen Vergrösserungen der
Theile sein. Obgleich nun die Gelegenheit zu diesem Wachsthum,
die Nahrungszufuhr vielleicht von aussen kommt, und der Vorgang
alsdann in seiner Totalität erfasst, nicht als Selbstdifferenzirung be-
zeichnet werden kann, so kann doch das Formale, was dabei ent-
steht in seiner Form rein von den Lagerungsverhältnissen der mit
ungleicher Waehsthumskraft begal;)ten Theile abhängig sein; und die
Formenbildung als [4-83] solche muss dann als formale Selbstdiffe-
renzirung bezeichnet werden, trotz der stattfindenden Aufnahme von
Energie. Wenn dagegen das ungleiche Wachsthum blos von un-
gleicher, durch äussere Kräfte bestimmter Vertheilung der Nahrung
abhinge, und somit diese äusseren Kräfte die zu bildende Form
direct bestimmten, dann wäre natürlich die Formenbildung nicht
mehr als formale Selbstdifferenzirung, sondern als iinvolll-ommen
passive Differenzirnny zu betrachten.
Bei dem ungleichen Wachsthum aus eigenen Kräften müssen
aber auch mechanische Wechselwirkungen zwischen den
Öelbstdiffereuziruug von TlieiliMi des Eies. 209
Theileii entstehen und passive G esta 1 1 im.o-,> n (hulurch Iktvoi--
gebracht werden, worühor hinten (S. 232) ausführlicli gehandelt
werden wird.
Natürhch können formale Selbstdifferenzirungen auch
durch ungleiche Verkleinerung von Theilen, sowie durch
blosse Umformung oder [Jmordnung der Theilo ohne
Aenderung ihrer iMusse oder durch Clombination aller dieser
Arten von Forniwandlungen entstehen.
Die ..qitaiitative" Selhstdifferenzirnny räumlich ab-
gegrenzter Bezirke des Eies oder Embryos angehend, so
hat ausser bei vollkommener Selbstständigkeit der Differenzirungs-
vorgänge in dem betrachteten Bezirk ohne jede Zufuhr oder Abgabe
von Energie [also bei reiner Umwandlung von im Differenzirungsbezirk
schon vorhandener potentieller Energie in kinetische Energie], unsere
Bezeichnung auch hier wieder, wie bei der formalen Selbstdifferenzirung,
noch in dem anderen Falle Berechtigung, dass eine Zufuhr oder Ab-
gabe von Energie für den Differenzirungsvorgang unerlässlich nötliig
ist, sofern nur auch hier die specifische Natur der Veränderung
vorwiegend durch die Kräfte der Materie des bezüghchen Bezirkes
bestimmt ist; wir werden dann den Vorgang als „unvoUliommene
Selhstdifferenziriing''^ bezeichnen. Wird z. B. ein Gemenge verschie-
dener, trockener, chemischer Substanzen in ozonhaltige Luft gebracht,
so werden viele derselben sich verändern, jede Substanz an allen
Orten, wo Theile von ihr vorhanden sind und jede in anderer Weise.
Die qualitative Natur jeder dieser Veränderungen ist natürlich mit
durch die besondere Eigenschaft des Sauerstoffs, mit jedem dieser
FCörper eine Verbindung von ganz bestimmten Eigenschaften einzu-
gehen, bedingt. Aber der Grund des uns hier vorzugsweise interes-
sirenden specifi sehen Verhaltens unserer Substanzmenge, eine
bestimmte Anzahl neuer, typischer Verbindungen hervor-
gehen zu lassen, liegt in der schon vor- [484] her vorhandenen Zu-
sammensetzung ; und der Ausbreitungsbezirk jeder dieser neugebildeten
Substanzen ist gleichfalls durch die Natur unserer Substanz bedingt.
AVir werden daher die Sauerstoffzufuhr nur als die unerlässlich
W. Koux, Gesammelle AbiianJluiigen. II. •'*
210 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
nöthige „Vorbedingung" zu der neuen Differenzirung des
ganzen Substanzgemenges betrachten^).
Findet umgekehrt innerhalb einer gleichartigen Substanz an
einer oder mehreren Stellen derselben eine Veränderung durch Ozon,
welches von aussen her blos diesen Stellen zugeführt wird, statt, so
ist letzteres natürlich als die ,, Ursache" der qualitativen Dif-
ferenzirung ,, dieser Stellen", das heisst des ,, Formalen", der
Localisation dieser Veränderung zu bezeichnen, da ihm jetzt das Speci-
fische der vor sich gehenden Veränderung, die Species loci, zukommt.
Ist dagegen die Oertlichkeit beiden Theilen von vorn-
herein in gleicher Weise eigen, so kann bei der Bildung-
binärer Verbindungen natürlich nur von gleichwerthigen Com-
ponenten die Rede sein. Bei der Bildung ternärer und höherer
Verbindungen wird es sich unter diesem Verhältniss vielleicht
empfehlen, die einfachere Componente als die Bedingung
von der c o m p 1 i c i r t e r e n als der Ursache der specifischen
Natur der Veränderung beider zu unterscheiden, weil anzunehmen
sein wird, dass die specifische Natur der neuen Verbindung in
höherem Maasse von der zusammengesetzteren Componente be-
stimmt wird.
Findet zwischen zwei Nachbarn des obigen Substanzgemenges
chemische Wirkung statt, so wird dies blos innerhalb des beiden
Theilen gemeinsamen Berührungsbezirkes möglich sein, und wir können
nach der eben gegebenen Distinction die beiden Componenten benennen.
Die Veränderung der zusammengesetzteren Componente wird als un-
vollkommene Selbstdifferenzirung, die der einfacheren Componente
als abhängige Differenzirung zu bezeichnen sein; die Veränderung
des von beiden Substanzen gebildeten Systemes dagegen als vollkom-
mene Selbstdifferenzirung dieses Systemes. Ist aber zum Vorgang
dieser Veränderung vielleicht noch Zufuhr von Energie, z. B. von
|i) Soweit die sogenannten „qualitativen" (z. B. geweblichen) Differen-
zirungen der Organismen in der Produlttion specifisch organischer, sei es sicht-
barer oder unsichtbarer Structuren bestehen oder mit solcher Bildung verbunden
sind, sind sie zu den formalen üifferenzirungen zu rechnen. Unsere Distinction
bezieht sich l)los auf die während der Ontogenese stattfindenden chemischen Ver-
änderungen.
Arten „differenziromler Wecliselwiikiingeu" im Organismus. :ill
Wärme oder Licht, n()thig, so liegt uiivoIlkoiiuiK'nc SelbstditTereii/ji'u lin-
des Systemes vor.
Nach diesen Principien werden in den speciellen Beiträgen die
Unterscheidungen gemacht werden.
B. Arten „(liffereiizireiuler Wechsehvirkiiiif>eii" der Tlieile dos
()r;2:aiiisnius.
[485] Nachdem so ein erster Ueberbhck über das Wesen und
eventuelle Vorkommen der Selbstditt'erenzirung von Theilen des Em-
l)rvo gewonnen ist, wollen wir nun auch über die eventuellen difterenzi-
renden Correlationen uns einen solchen zu verschaffen suchen.
Wir kennen l)ereit8 drei Arten differenzirender Correlationen
s. abhängiger Differenzirung etwas genauer, das heisst weniger
ungenau als andere gegenwärtig blos unbestimmt zu vermuthende Arten.
1. Die functionelle Anpassung.
Um, in der Entwickelung des Individuums rückwärts schreitend,
mit dem besser Bekannten anzufangen, ist zunächst die functionelle
Anpassung zu erwähnen. Mit dieser Bezeichnung habe ich (Nr. 4 u. 7)
alle progressiven und regressiven Anpassungsvorgänge der Organe zu-
sammengef asst , welche durch die eigene Functionsvollziehung oder
Unterlassung vermittelt, werden; und desgleichen soll dieselbe Be-
zeichnung auch für das Product jedes solchen Vorganges verwendet
werden.
Die so bezeichneten Wechselwirkungen zwischen Function und
dem dieselbe vollziehenden Substrate sind schon seit Lamarck Gegen-
stand besonderer Aufmerksamkeit der Naturforscher gewesen, und zahl-
reiche Forscher haben sich über die Art der Vermittelung und über
die Ursachen dersell^en im Allgemeinen oder in Bezug auf einzelne Organe
oder Gewebe geäussert; so: Joh. Müller'), Ca\.statt^), Herm. Meyer ^),
i) Joh. Müller, Handbuch der Physiologie 1837.
2) Canstatt, Wagner's Handwörterbuch der Physiologie 1842 Bd. 1. Artikel:
Atrophie.
3) Herm. Meyer, Untersuchungen über die Physiologie der Nervenfaser. Tübingen
1843, und Arch. f. Anat. u. Physiologie 1867. Die Statik und Mechanik des menscli-
lichen Knochengerüstes 1873.
14*
212 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
•J. Hekle'), Ludw. FiGK-. R. ViRCHOW^). A. FicK*), C. Ludwig 5)^
W. Henke«), H. Spencer ^j, [486] W.His»), Oh. Darwin"), E. HaegkelI»),
J. Ranke 1^). L. Hermann^-), J. Wolff^^), Steudener ^*), J. Cohnheim^^) H.
kStrasser^^), C. Bardeleben 1'), H. Nasse^^j, F. Busch i^), M. Ka.ssowitz-"),
DU Bois-Reymond^^), Ed. Rindfleisch-'^), W. Freyer ^^), S. Stricker^*).
Diese Aeusserungeii sind zumeist blos gelegentliche ; und keiner
dieser Autoren hat eine Theorie ausgearbeitet, welche dem gegenwärtigen
1) J. Henle, Handbuch der ratiouellen Pathologie 1846 Bd. I.
-) LuDW. FiCK, Ueber die Ursachen der Knochenformen 1857. Ueber die Ue-
.staltung der Gelenkflächen. Arch. f. Anat. i\. Physiol. 1859.
•^) R. ViRCHOW, Die Zellularpathologie 1858.
1) A. FicK, Moleschott's Untersuchungen 1860 Bd. III.
3) C. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie 1861.
tj) W, He.nke, Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke 1863.
■<) H. Spencer, Principien der Biologie 1864 Bd. 1.
^) W. His, Ueber die Häute und Höhlen des Körpers. Academ. Programm,
Basel 1865. Unsere Körperform 1874 S. 128.
'•') Ch. Darwin, Das Variiren der Pflanzen und Thiere im Zustande der Dome-
stikation.
10) E. Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen 1866, und: Natürliche
Schöpfungsgeschichte.
n) J. Ranke, Die Blutvertheilung und der Thätigkeitswechsel der Organe 1871.
1-) L. Hermann, Grundriss der Physiologie des Menschen 1872.
13) J. WoLFF, Ueber die innere Architektur der Knochen. Virchow's Arch.
1870 Bd. 50. Beiträge zur Lehre von der Heilung der Fracturen, v. Langenbeck's
Arch. f. Chirurgie Bd. 14. 1872 Das Gesetz der Transformation der inneren Architektur
der Knochen bei pathologischen Veränderungen der äusseren Knochenform. Sitzungs-
ber. d. Akad. d. Wiss. zu Berlin, phys.-math. Gl. vom 24. April 1884. — Koester,
Verhandl. d. phys.-med. Ges. zu Würzburg, Juni 1872.
14) Steudener, Abhandl. d. naturf. Gesellsch. in Halle 1875. Bd. 13. Heft 3.
lii) J. Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie. 1877. Bd. 1.
16) H. Strasser, Zur Entwickelung der Extremitätenknorpel bei Salamandern
und Tritonen. Morpholog. Jahrb. 1877, Bd. 3, und: Zur Kenntniss der functionellen
Anpassung der quergestreiften Muskeln. 1883.
17) C. Bardeleben, Ueber den Bau der Arterienwand. Sitzungsber. d. Jenaischen
Ges. f. Med. u. Nat. 10. Mai 1878. S. 16.
18) H. Nasse, Pflüger's Archiv Bd. 23, S. 361 f.
19) F. Busch, Regeneration und entzündliche Gewebebildung. Samml. klin. Vor-
träge von Volkmann. 1880. Nr. 178.
-0) M. Kassowitz, Die normale Ossification. Wien, medicin. Jahrb. von Stricker,
1880.
-1) Du Bois-Reymond, Ueber die Uebung. Festrede 1881.
--) Ed. Rindfleisch. Die Elemente der Pathologie 1883.
-3) W. Preyer, Elemente der allgemeinen Physiologie 1883.
-1) S. Stricker, Vorlesungen über allgemeine u. experimentelle Pathologie 1883.
DiflPerenzirende Correlationcn der Theile: 1. Fnnctionellp AnpasRiinfj. 218
Staiidpunkto unserer Kenntnisse der Tliatsaclicn (ienü^e zu leisten vei--
mag. Ich habe micli l)estTeht, dieses Ziel zu erreichen (s. Nr. 4) und
angefangen, in einer besoncleren Serie [487| von ,, Heiträgen zur Mor-
phologie der functionellen Anpassung" (s. Nr. 7—11) unsere Kenntniss
der bezüglichen Vorgänge zu vervollstäudigen; daselbst werden auch
die Leistungen der genanntem Autoren eingehend gewürdigt werden.
Ich verweise daher bezüglich des Genaueren auf diese Darstellungen
und werde hier das Principielle nur so weit erörtern, als es für unseren
speciellen Zweck dadurch nöthig gemacht wird, dass die Wirkung
dieses Principes vielfach tief in das embryonale Leben
eingreift.
Die functionelle xVnpassung kann ihre Wirkung in einem
Organe natürlich erst beginnen, wenn dasselbe nach seiner An-
lage zum ersten Male ausser seiner Selbsterhaltungs- undEnt-'
wickelungsf unctionen seine specifische, demGanzen dienende
Function ausübt, also erst, nachdem es selber schon bis zu der
hierfür nöthigen Vollkommenheit durch andere Gestaltungsprincipien
ausgebildet worden ist. Dieser Moment tritt aber bei einigen Or-
ganen, z. B. beim Ectoblast, beim Entoblast, bei dem Herzen und
bei den Blutgefässen sehr frühzeitig ein ; und schon E. v. Baer ')
ist ,,fest überzeugt, dass erst durch die Bewegung des Blutes die Ge-
fässwand in dem Gefässhof sich bildet-); H. Virchow"^), J. Jaxo.sik"*)
und J. KoLLMAN.N^) haben jüngst die verdauende Thätigkeit der eben
erst gebildeten Entoblastzellen des Dotterwalles erkannt; und ich habe
oben darauf hingewiesen, dass beim Absterben der Gastrula und älterer
Embryonen, die Zellen des Ectoblast ihre polyedvische „functioncU.e
Gestalt^' verHeren und sie mit der Kugelgestalt vertauschen; erstere
ein Zeichen, dass sie schon als Epithelzellen fungirt haben.
Mit der öftei^en Functionirung erlangt die Function unter Vermit-
i) K.E. V. Baer, lieber die Entwickelungsgeschichte der Thiere. 1828. Hd. 1, S. 15.
[2) Siehe dagegen I, S. 83 Anm.]
'') H. ViRCHow, Ueber das Epithel im Dottersack, Diss. Berlin 1875.
4) J. Janoj'IK, Beitrag zur Kenntniss des Keimwulstes bei A^ögeln. Wiener
Sitzungsber. 1881. Bd. 84. Abth. 3.
■i) J. Kollmann, Der Randwulst und der Ursprung der IStützsubstanz. Arcli. f.
Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1884.
214 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
telung der functionellen Anpassung mehr und [488] mehr die Herr-
schaft über das fungü'ende Substrat, so dass die anderen bildenden
Kräfte in der Erlialtung und weiteren Ausbildung des Organes mehr
und mehr zurücktreten. Die allgemeine Möglichkeit dieser in ihren
Leistungen immer das den gegebenen Verhältnissen Entsprechende
schaffenden Rückwirkungen der Function auf das sie vollziehende
Substrat beruht im Allgemeinen darauf, dass jede Function ein Ge-
schehen ist und als solches die Fähigkeit hat, auf andere in seinem
Wirkungsbereiche befindhche. ihm nicht conforme Zustände oder Vor-
gänge, modificirend, eventuell conformirend einzuwirken.
1. Diese modificirende Wirkung kann eine rein mecha-
nische sein und so lange dauern, bis das fungirende Substrat in
eine gewisse mechanische Uebereinstimmung mit dem functionellen
Vorgang gebracht ist, bis z. B. die Sehnenfasern in der Rich-
tung des Muskelzuges gelegen sind (W. His), oder bis zwei zu-
sammengehörige Gelenkflächen sich zu einer gewissen, der Führung
entsprechenden Uebereinstimmung abgeschliffen haben (Luuw. Fick).
Der Wirkungsumfang dieser ,, mechanisch vermittelten func-
tionellen Anpassung", oder kürzer dieser ,, mechanischen func-
lionellen Anpassung" ist noch nicht recht festgestellt, gleichwohl
aber, wie es scheint, erheblich überschätzt worden.
2. Die Hauptvvirkungen der functionellen Anpassung müssen com-
])licirter vermittelt sein und beruhen nacli meiner Auffassung (s. Nr. 4) auf
einer ganz besonderen (Qualität des fungirenden Substrates, vermittelst
deren in einem von der Häufigkeit der Wiederholung der Function
abhängigen Maass. die den functionellen Verhältnissen entsprechendste
Grösse, Gestalt und Structur jedes Organes des Individuums durch
die Function selber sich herstellen muss. Da so die Configuration
der Organe durch die von aussen her zugeführte, die Function ver-
anlassende und bestimmende Energie bedingt ist, muss die Gonügu-
rationsbildung selber als eine correlative Bildung bezeichnet werden.
Doch ist zu erwähnen, dass zu dem angegebenen vollkommenen Effecte
höchster Zweckmässigkeit noch ein anderes, nachstehend (S. 216) er-
örtertes Princip der ( 'orrelation , welches von den früheren Autoren
übersehen worden ist, helfend eingreifen muss. Das Wesen der einen
Differenzirende Correlationen der Theile: 1. Functionelle Anpassung. 215
solchen Effect ermöglichenden Gewebsqualität ist d.'irin l)estehend zu
denken, dass mittelbar oder unmittelbar die specifische [489]
Function eine „trophische", die Assimilation anregende»
Wirkung für jedes einzelne kleinste fungirende Theilchen
besitzt, resp., wenn letzteres nicht selber assirailirt, dessen Matri x zur
Bildung neuer fungirender Theilchen anzuregen vermag, während
umgekehrt ohne Function die Selbsterhaltungsiähigkeit der Theile
sich vermindert, resp. kein Ersatz der geschwundenen Theile stattfindet.
Diese Art der Anpassung wollen wir daher als die atrophisch
vermittelte f unctionelle Anpassung^' der mechanisch ver-
mittelten gegenüberstellen. Die scheinbar teleologische Wirk-
ung dieser Substanzqualität auf die Gestalt und Structur der Organe
beruht theils darauf, dass diese Qualität ein Princip „mechani-
scher^' der geleisteten Arbeitsgrosse jedes kleinsten Theil-
chens entsprechender ,,SeIbstI öhmmg'' darsteWt. Es ist evident,
dass, wenn ein solches mechanisches Princip sich auch auf die ganzen
Individuen übertragen liesse, in den socialenEin rieh tun gen dieser
eine gleiche Vollkommenheit sich ausbilden könnte resp. müsste^).
Anderen Theiles aber ist die Ursache der scheinbar teleologischen
Wirkung dieser Gewebsqualität darin zu erkennen, dass letztere zu-
gleich eine Art von Wechselwirkung unter den fungirenden Theilen
ermöglicht, welche auf dem Wege der Auslese unter den Theilen zur
stetigen Vervollkommnung führen muss, wie in dem nächsten Ab-
schnitt dargethan werden wird. Als Hilfsprincip für die Massenver-
sorgung grösserer Theile mit Nahrung kommt noch hinzu, dass von
den Orten des Substanzverbrauches aus im Bedarfsfalle besondere
Mechanismen für verstärkte Nahrungszufuhr ausgelöst werden können.
Diese gröberen Mechanismen verdanken aber gleichfalls nur der func-
tionellen Anpassung der betheiligten Gefässe und Nerven ihre ent-
[1) Die Ansicht der neuesten Volksbeglücker, dass es „ungerecht" sei, jeden
nach seinen „Leistungen" zu lohnen, sondern dass jeder Mensch gleich viel zugetheilt
erhalten müsse, war damals noch nicht entdeckt. Es ist aber auch kaum annehm-
bar, dass Organismen sehr leistungsfähig werden würden, in denen jeder von den Zellen
aller Gewebe stets gleich viel Nahrung zugetheilt würde. Das Maximum au Leist-
ungsfähigkeit eines Ganzen kann blos erreicht werden, wenn jeder Theil desselben
nach dem Maasse der Nothwendigkeit und Grösse seiner Leistung für das Ganze
gelohnt wird.]
216 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
sprechende Ausbildung; gleichwohl wurden sie früher als die primären
und alleinigen Vermittler der functionellen Anpassung der Organe
aufgefasst. Ich habe nachgewiesen, dass diese Auffassung irrthümlich
sein muss, besonders deshalb, weil die functionellen Structuren viel
feiner sind als die Capillarbezirke und weil die functionelle Anpassung
dimensional beschränkte Hypertrophien und Atrophien , /.. B. blos
der Dicke oder blos der Länge der [490] Muskeln hervorzubringen
vermag, was beides nicht durch die Art der Blutvertheilung bewirkt
werden kann.
Zu weit verbreiteten ,,diff erenzirenden" Correlationen
der Theile des Organismus führt dieses Princip dadurch, dass die Organe
in vielfachen , ,f u n c t i o n e 1 1 e n C o r r e 1 a t i o n e n' ' unter einander stehen,
indem die Function eines Organes die vieler anderen veranlasst.
Die Ganglienzelle setzt den Nerven , dieser den Muskel , dieser die
Fascien, Sehnen, Knochen und Gelenke in Thätigkeit; und in allen
oder den meisten dieser Theile finden zugleich Aenderungen der
Circulation statt, welche die Gefässe und schliesslich das Herz in
ihrer Thätigkeit, wiederum unter Vermittelung von Nervenbahnen
imd Nervencentren alteriren. Durch diese functionellen Correlationen
kann schon während der Heranbildung vieler Organe im
Embryo vom ersten Beginne besonderer, nicht blos auf
die eigene Selbsternährung der Organe gerichteter Func-
tionen an, unter Vermittelung der functionellen Anpassung, das
feinere functionelle Zusammenpassen, die functionelle Har-
monie aller Theile zu einander entstehen. So kann auch bei
primärer Aenderung eines einzigen Organes im Embryo eventuell die
ganze übrige Organisation eine derartige Abweiclumg von der normalen
Ausbildung erfahren, dass das Individuum doch selbstständig lebens-
fähig ist und bald nach dem Beginne der betreffenden Functionen iji
allen seinen Theilen als harmonisch gebildet sich darstellt [s. Nr. 4].
2. Der zur „Theilauslese"' führende ,, züchten de Kampf dei-
Theile" im Organismus.
Fin zweites Princij) möglicher difterenzirender Correlationen ist die
züchtende Theilauslese im (h-js;:aiiisunis [s. Nr. 4 u. 5].
Directcr Kampf der Theilo. 217
nieThcilaiislcsc im ( )rij,;misiiuis kann das Piodud zweier wcscnt-
licli verschiedener Vorgänge sein. Einmal ist eine directe oder indirecto
Wech sei Wirkung zwisclien selbsterhaltungst'äliigen lehensthätigen
Theilen des Organismus möglicli [die durcli Züchtung einiger und
Vernichtung anderer Qualitäten oder durch Veranlassung localer
Ausbildung oder localen Schwundes zur 1) i \ i er e n / i )• u n g l'iihrt] und
die man ihrem Wesen nach mit einigem Rechte als Kam])t' bezeichnen
kann. Ausserdem aber können auch lebensthätige Theile, welclie be-
stimmte, unter den vorhandenen Verhältnissen nicht mehr selbster-
haltungsfähige Qualitäten besitzen, einfach schwinden und so aus dem
Organismus eliminivt werden, wodurch die Qualitäten des Organisnnis,
resp. des betreifenden Organes eine entsprechende Aenderung erfahren.
[Diese Selbstausmerzung von Theilen kann nur soweit zu den Cor-
relationen der Theile gerechnet werden, als die sie schädigende
Aenderung der äusseren Verhältnisse dieser Theile im Laufe der
Ontogenese durch Theile des Organismus selber i)roducirt wird, also
nicht durch ausserhalb des Organismus liegeiKle Verhältnisse be-
dingt ist. Genaueres als hier blos der Uebersicht über die Correla-
tionen wegen reproducirt ist, siehe in der ausführlichen Darlegung Nr. 4.
[4:91] 1. Betrachten wir zunächst die durch Kampf ver-
mittelte Auslese. Um das Wesen dieser Art Vorgänge uns klar
zu machen, müssen wir uns etwas weiter umsehen.
Da die Zellen assimiliren und sich so einen wesentlichen Theil
ihrer in der Aussenwelt nicht unmittelbar vorhandenen Existenzbe-
dingungen selber produciren, so stellen sie, wie die ganzen Individuen
.,Selbsterhältungsprocesse" dar; und sie sind dies vielleicht gleich
den Individuen in einem Jioch höheren Sinne dadurch, dass ihnen
innerhalb gewisser Grenzen noch die Fähigkeit der „Selbstregulation'-
zukommt, in der ic^h die wesentlichste allgemeine Eigenschaft
des Organischen erbhcken zu müssen glaube^). Diese besteht darin,
dass beim Fehlen eines Erhaltungsbedürfnisses z. B. der Nahrung, die
Fähigkeit sich dieselbe zu verscliaffen, sie aus der nächsten Umgebung
anzuziehen und aufzunehmen, eine gewisse Strecke weit mit der Grösse
des Bedürfnisses steigt; während bei überschüssig vorhandener Nahrung
1) S. Bd. l Nr. 4, l\apitel V: Ueber das Wesen des Organischen u. Bd. II S. 78.
218 Nr. 18. Zur Orientirun-? über die Probleme etc.
die Aufnahme sich bald verringert; oder z. B., dass bei einem Druck
durch die Nachbarschait auch (Ue Druck Widerstandsfähigkeit der Zellen
sich ein wenig steigert.
Solche durch Selbsterzeugung eines Theiles ihrer Existenz-
bedingungen und durch Selbstregulation von den anorganischen
physikalisch -chemischen Processen unterschiedene und so durch ein
Fürsich sein, durch eigenes Selbst ausgezeichnete Vorgänge (s. I,
S. 241 Anm.) können in Folge dessen auch in andere Arten
von Wechselwirkungen untereinander treten als die „an-
organischen" Processe. Bei den Wechselwirkungen dieser letzteren
werden stets alle Componenten verändert und zu einer „Resultante"
vereinigt. Von miseren „Selbsterhaltungsprocessen" dagegen
kann der eine den anderen durch seine Anwesenheit total
in seiner „Sonderexistenz" vernichten, während ersterer
selber unverändert den anderen überdauert.
Da hier somit das Resultat der Wechselwirkung beider
dasselbe ist, wie bei einem bewussten Kampfe zweier Indi-
viduen, so habe ich es für berechtigt gehalten, auch denselben
Namen dafür zu verwenden, zumal da für diese erst neu beachtete
Art der AVechselwirkung ohne Bewusstsein, kein besonderer Name exi-
stirt, und der ganze Vorgang sich auf die angedeutete [■1-92] Weise
principiell von den anorganischen Wechselwirkungen unterscheidet.
Da die Flammen durch ihre Assimilation und eine gewisse
vSelbstregulation Selbsterhaltungsprocesse darstellen, so kann
man sie zur Demonstration derartiger Kampfesweisen be-
nutzen. Es lässt sich zeigen, wie eineWachsflamme mit einer Gas-
flamme zugleich unter einen umgekehrt aufgehängten Glastrichter ge-
bracht, von letzterer vernichtet wird und zwar an einer Stelle, wo
sie vorher ganz gut sich weiter zu erhalten vermochte. Die Wachs-
flamme kann ihrerseits wieder eine Stearinflamme ver-
nichten. Ebenso kann man die Wachsthumshemmung einer
schwächeren Flamme durch eine stärkere deutlich vorführen,
wenn man zwei Papier streifen, von denen aber der eine mit Oel ge-
tränkt ist, gleichzeitig anzündet und unter den Glastrichter bringt.
Nachdem die Terpentinölflamme schnell gross aufgewachsen ist und
Indiroctor Kampf dor Tlioilc 219
ihr Material aufgezehrt hat, langt die his (hihiii klein gebliebene
Papierflamme erst an, sich weiter zu vergrössern.
Es giebt in der Pathologie zahlreiche Vorkommnisse, welche
auf einen Kampf unter den Zellen hinweisen, so das Eindringen von
einer Zelle in eine andere unter entsprechender Usur der Substanz
der letzteren, z. B. bei der Aufzehrung der durch ITnterbrechung der
Blutcirculation geschwächten Muskelfasern durch einwandernde weisse
Blutzellen (s. I, S. 258). Der Kampf unter den selbsterhaltungsfähigen
Theilen einer Zelle dagegen wird sieli schwerer durch directe Beob-
achtung nachweisen lassen.
Diese Wechselwirkung von Zellen oder sonstigen selbsterhal-
tungsfähigen Theilen des Organismus, welche mit Verkleinerung oder
gänzlicher Vernichtung des Einen durch das sich vergrössernde oder
allein überlebende Andere verbunden ist, kann auf sehr verschiedene
Weise vor sich gehen.
Erstens kann dieser Kampf ein ,,directer" sein, indem die
eine Zelle durch ihr Wachsthum die andere Zelle beim Mangel des
Raumes direct am weiteren W a c h s t h u m li e m m t , oder s i e
direct erdrückt, derart, dass letztere immer kleiner wird und
schliesslich schwindet. Bei Raummangel werden also ceteris paribus
die druckfesteren Zellen allein übrig bleiben und allein sich weiter ver-
[493] mehren. Ferner kann eventuell die eine Zelle die andere
direct aufzehren, wie es wohl in dem erwähnten pathologischen
Beispiele und normalerweise im Embryo mit den Dotterzellen seitens
der Zellen des Keimes geschieht [oder wie es mit dem Schwanz der
Anurenlarven stattfindet].
Oder zweitens der Kampf ist ein in direct geführter, in-
dem die eine Zelle der anderen nur die Nahrung vorweg nimmt,
sofern letztere nur spärlich vorhanden ist und eine der Zellen stärkere
chemische Affinitäten besitzt. Solche Wechselwirkung kann auch
zwischen nicht benachbarten Zellen, ja zwischen ganz entfernten
Organen stattfinden, indem die stärkst assimihrenden Zellen am rasche-
sten dem spärlichen Blute so viel Nahrung entziehen, dass der Ge-
halt desselben an den betreffenden Stoffen bald so gering wird, dass
die schwächeren Organe nur wenig oder bald nichts mehr ihm zu
220 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
entnehmen vermögen. Dieses Verhältniss erklärt wohl zum Tlieil
die ungleiche Gewichtsabnahme der Organe bei der Inanition,
zumal da hierbei die thätigsten , also am meisten verbrauchenden
Organe, wie Herz und Gehirn, am wenigsten schwinden. In dieser
Wechselwirkung werden also ceteris paribus nur die kräftigst assimi-
lirenden Zellen übrig bleiben. Es leuchtet ein , dass , wenn diese
kräftigeren Gebilde nicht im (Organismus vorhanden gewesen wären,
die schwächeren noch hätten weiter leben können, und dass umge-
kehrt in dem Maasse, als die schwächeren Tlieile noch Nahrung auf-
nehmen, diese den stärkeren entzogen wird. Und es ergiebt sich, dass,
wenn die schwächeren Tlieile einmal auf die geschilderte Weise durch
die Existenz der stärkeren etwas benachtheiligt worden sind, ein Cir-
c u 1 u s der S e 1 b s t s t e i g e r u n g d e r \^ e r s c h i e d e n h e i t eingeleitet
ist, welcher erstere Theile beim Andauern der äusseren ungünstigen
^^erhältnisse allmählich zum Tode, also zurP]limination des Schwächeren
führen muss.
Sind noch andere Mittel zum Leben nöthig, so können natür-
lich die Theile auch noch diese Erfordernisse einander wegnehmen,
z. ß. den functionellen Reiz. Wenn z. B. in den Muskelfasern Theile
sind, welche den functionellen Reiz ceteris paribus leichter aufnehmen
als die anderen, so werden, nach der zur Erklärung der functionellen
Anpassung gemachten Annahme, bei einer für die Erhaltung der
ganzen Faser ungenügenden Reizzufuhr die leichter erregbaren Theile
die weniger leicht erregbaren durch A^orwegnahme einer Lebensbe-
dingung der Vernichtung überliefern.
[494] In diesen beiden Arten directen und indirecten Kampfes
führt die Auslese zu einer Züchtung besonderer Qualitäten im Orga-
nismus; und die allein zur Erhaltung ausgelesenen Theile werden
durch das ungleiche Verhalten der Theile des Organismus gegen eine
äussere Ursache (Raum- oder Nahrungsmaugel) bestimmt, welclie an sich
alle in die Wechselwirkung "eintretenden Theile in gleicherweise betrifft.
Zweitens kann umgekehrt auch bei gleicher Qualität der
Theile eine Auslese durch locale Begünstigung von Theilen
zu Stande kommen, welche in der Art ihres Zustandekommens noch
den Namen eines indirecten Kampfes verdient und wiederum zu
Auslose (Imvli localt- Hegünstisuni;. 221
einer totalen A^eniiclitunu' der Ivxistcii/, di's cinni diii'cli ilie l^xistcii/
des anderen füln-t. Diese Art der Wechselwirknng beruht auf <ler
Tendenz zu bestimmter Locali.sation der Function in manchen Organen
mid auf der trophischen Wirkung der Function selber, welche wir
als die Grundlage der functionellen Anpassung bezeichnet haben.
Diese trophisch vermittehe functionelle Anpassung wüi-de für sich
allein wesentlich blos die leistungsfähige Gr()sse der Organe auszu-
bilden vermögen; in N'erbindung mit der jetzt zu erwähnenden Art
der Auslese wird sie zu einem Princip erhoben, welches die Organe
bis zur vollkommensten Anpassung an die Function in
., Gestalt und Strnctur" auszubilden vermag (s. Nr. 4.
Kapitel IV).
Stellen wir uns diese directe Anpassung der Structur an
die Function z. B. beim Knochen vor. Ein zwischen zwei wag-
rechten Knochenplättchen befestigtes, mit ihnen an seinen Enden ver-
schmolzenes Knochenbälkchen stehe statt in der Richtung des senkrech teii
Druckes schräg zu derselben ; alsdann wird dasselbe durch den Druck
mehr oder weniger gegen die Plättchen geneigt werden . A n d e n b e i d e n
c o n c a V e n W i n k e 1 n ist alsdann, wie in einem späteren Beitrage zur
Morphologie der functionellen Anpassung dargethan werden wird, die
Beanspruchung eine stärkere, als auf der entgegenge-
setzten convexen Seite; nach obiger Annahme der trophischen
Wirkung der Function wird daher Knochen concaverseits angelagert
werden. [Dies wird sich so lange fortsetzen, als die Ungleichheit be-
steht, also als diese Seiten noch concav sind.] Durch den neugebildeten,
mehr in der ursprünglichen Druckrichtung liegenden Knochen hin-
durch pflanzt sich nun ein grösserer Theil des Druckes fort, wodurch
der Knocheu an der Gonvexität gleichzeitig entsprechend entlastet
wird; es findet also daselbst Functionsentziehung und daher
[495] allmählich Inactivitätsschwund statt, möge dieser nun direct
vor sich gehen oder durch ein Sinken der Widerstandsfähigkeit des
entlasteten Knochens gegen die Osteoclasten bedingt sein. In dem
Maasse als convexerseits Knochen schwandet, wird dadurch die con-
cave Seite noch stärker beansprucht als vorher, hypertrophirt also
noch mehr und entlastet wiederum auf der anderen Seite; [und Gleich-
222 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
gewicht ist erst hergestellt, wenn beide Seiten gleich sind, wenn das
Bälkchen ganz in Richtung des Druckes steht].
In gleicher Weise wird in allen Organen mit ,,localisirter
Functionsgelegenheit" bei constanter Functionsweise durch Hyper-
trophie an den Stellen stärkerer Function den Stellen schwächerer Func-
tion mehr und mehr der functionelle Reiz, die Gelegenheit zur Func-
tion entzogen; und die so gelegenen Theile werden entweder direct
rückgebildet oder nacli ihrem jjhysiologischen Schwund nicht wieder
ersetzt. Ein ,, Gleichgewicht zwischen Function und Substrat''
ist erst hergestellt, wenn allenthalben die fungirende Substanz in
den Richtungen, resp. an den Orten stärkster Function
gelegen ist. Findet umgekehrt irgendwo an einer fungirenden Stelle
primär Schwund aus irgend einer Ursache statt, so erhalten dadurch
nun andere Stellen Gelegenheit zur Function und werden dadurch zu
weiterer Ausbildung befähigt. So entsteht durch diese indirecte
„Concurrenz um die Function'^ mit Hilfe der ,,trophisch vermit-
telten fuuctionellen Anpassung" eine so feine, der Function auf das
Vollkommenste angeschmiegte „functionelle Structur", wie sie
aus den kleinsten von der Function direct trophisch beeinflussten
Formelementen zusammengesetzt werden kann. Was nun für die
Structur, also für die Theile der Organe gilt, gilt natürlich auch für
die Integration der Theile zum ganzen Organe. Die Organe werden
daher, sofern nicht äussere Hindernisse einwirken, auf dieselbe Weise
in ihrer Gestalt der Function angepasst werden, bis sie blos noch den
Ausdruck der Gestalt der Function darstellen, somit eine ,, functio-
nelle Gestalt" besitzen. (Diese Auseinandersetzung ist viel zu kurz,
um einwandfrei zu sein; für das Genauere verweise ich auf meine
bezüghchen bereits publicirten (Nr. 4, 5, 7— 11) und noch bevorstehen-
den Specialarbeiten).
Bei dieser ersten, als ,,Kampf" bezeichneten Wechseh\drkung
von Theilen fand eine directe oder indirecte B e nacht h ei ligung in
der Selbsterhaltung des einen Theiles durch die Existenz und
Weiterentwickelung des anderen statt; und die Folge war erstens bei
.,diffuser" Vertheilung der Lebensbedingungen das Ueberleben
der [4961 am kräftigsten sie ausnutzenden Qualitäten unter Vernich-
Ausnierzuiii^ oder yelbsteliininatioii. 223
tung der weniger kräftigen, also aiielu'ineN'cnniiiilcrung der urspriinglicli
vorhandenen Qualitäten ; zweitens bei 1 o c a 1 i s i r t e r Lebensbedingung
war die Folge eine vollkommene Ausgestaltung der Form
stärkster Localisation dieser Bedingung, also eine formale Ditteren-
zirung. In beiden Fällen würde der eine Theil nicht zu Grund ge-
gangen sein, wenn nicht der andere vorhanden gewesen oder gebildet
worden wäre und ihn durch seine Existenz geschädigt hätte; in glei-
cher Weise wie unter den Individuen eine gute Stelle, wenn nicht
ein tüchtigerer Bewerber vorhanden gewesen wäre, dem wenigei-
tüchtigen zu seinem und seiner Nachkommen Nutzen zugefallen wäre ;
oder in Bezug auf die localisirte Begünstigung, wie die zufällig im
einer Eisenbahn gelegenen Städte sich entwickeln, während die früher
blühenden, aber blos an einer Chaussee gelegenen Städte in der Con-
currenz um den Erwerb mit diesen durch ihre Lage begünstigteren
Concurrenten allmählich zurückgehen müssen und zugleich in dem
Maasse, als sie abnehmen, dadurch wieder zur weiteren Entwickelung
ihrer Concurrenten beitragen, in dem Maasse aber, als sie noch ferner-
hin, mit oder ohne Aufwand grösserer Anstrengung sich erhalten, die
Entwickelung dieser hindern.
Man kann, da die Bezeichnung ,,Kampf" vielfach Anstoss erregt
hat, für derartige Wechselwirkung nach Preyer auch (he Bezeichnung
Concurreuz oder das gegenwärtig so beliebte Wort Wettbewerb
gebrauchen; die Bezeichnung ist ja Nebensache; die Hauptsache ist,
dass'wir erkannt haben, dass derartige zur Theil auslese führende
und damit das sog. Zweckmässige, das heisst: das,, Dauer-
fähige" schaffende Correlationen innerhalb des Indivi-
duum vorkommen.
W. WuNDT dagegen sagt^), dass ich mit meinen darauf bezüg-
lichen Erörterungen „solche Leben serscheinungen, die man sonst ge-
wohnt war, in ihren causalen Beziehungen aufzufassen", blos „in
teleologische Formen umgedeutet" hätte. Der Autor giebt vielleicht
kund^), wer die vorstehend erörterten Lebenserscheinungen vor mir
„in ihren causalen Beziehungen zu erfassen gewohnt war", und worin
1) W. WüNDT, Logik Bd. 2, S. 437.
[■^) Dies hat jedoch W. Wundt bis jetzt unterlassen.]
224 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
in meinen Anslnhi-nno-en die ,,teleolo,oisclie rnideutung" besteht (s. ],
S. 145).
[4:97] 3. Aussei- dieser Auslese als Folge des Kampfes oder der
Concurrenz, also einer unmittelbaren oder mittelbaren Wechselwirkung
der Theile untereinander, kann nun noch eine Auslese durch
d i ]• e c t e A u s m e r z u n g oder 8 e 1 b s t e 1 i m i n a t i o n o h n e eine
Wechsel wirk u ng der Th eile, unter denen ausgelesen wird,
stattfinden, in gleicher Weise, wie aus einem GTemische von Eisen-,
Messing, und und Kupferspähnen mit dem Magnete alle eisernen
Theile, oder durch Erhitzen aus einer Mischung von Substanzen alle
liüchtigen Bestandtheile ausgesondert werden können. Solche Aus-
merzung kann innerhalb des Organismus bei jeder Aenderung der
Lebensmittel und äusseren Lebensumstände eintreten. So werden bei
chronischem Nahrungsmangel ceteris paribus diejenigen Zellen,
welche zu ihrer Erhaltung mehr Nahrung nöthig haben als die
anderen, zunächst durch Verhungern eliminirt werden; und durch
das alleinige Uebrigbleiben der mit weniger Nahrung erhaltungsfähigen
Theile wird der Organismus zu einer Sp arm aschine umgezüchtet
werden. Oder bei chronischer Einwirkung von Giften (Blei,
Arsenik) werden alle nicht widerstandsfähigen Theile ausgemerzt
und die widerstehenden nebst ihren Nachkommen fernerhin allein
den Oro-anismus zusammensetzen, wie dies alles von mir schon
mehrfach auseinandergesetzt worden ist. Immer muss bei solchen
Aenderungen der Lebensumstände eine Aussonderung des dabei nicht
Dauerfähigen, nicht weiter Selbsterhaltungsfähigen stattfinden; die
dauerfähigen Theile dagegen bleiben allein übrig, werden zur ferneren
Erhaltung „ausgelesen". Also die Qualitäten des Organismus, resp.
des von der Alteration der Umstände allein betroffenen Organes.
werden vermindert und so gieichmässiger, somit zugleich different
von dem früheren Zustande des Organismus.
Alle diese erörterten Arten der Auslese können und werden
häufig gleichzeitig stattfinden, auch bei Aenderung blos einer Lebens-
bedingung. Wir hatten bei unserer gesonderten Betrachtung der
möglichen Auslesearten stets die übrigen Verhältnisse als gleichbe-
schaffen vorausgesetzt , was in Wirklichkeit nicht der Fall zu sein
Tli»>ilauslese im Orgauismus. 225
braiiclit. Alsdann ist es denkbar, dass z. IV diircli doii ruiictioncllcn
Reiz Theile so gestärkt worden, dass sie sieli vcjrnichren und dabei
ibre Naebbarn direct erdrücken oder als Nabrung verwenden, sie ani'-
zebren (directer Kampf); andere Tbeile werden [498] vielleicbt blos
so weit gekräftigt, dass sie bei der blossen Erbaltung ibres Volumens
den anderen die niebt für alle ausreicbende Nabruno- vorwesnehmen
(indirecter Kampf); oder aber manebe Tbeile werden zufolge ibrer
eigenen Natur durcb den functionellen Reiz in ibrer Selbsterbaltungs-
fäbigkeit geschädigt und daber direct ausgemerzt.
Diese Auslese des allein unter den gegebenen Verhältnissen
Selbsterbaltungsfäbigen und der Ersatz des nicht Dauerfähigen durcb
die Nachkommen des ersteren erhöbt natürlich die Dauerfälligkeit
des ganzen Individuum in den neu eingetretenen Verhältnissen;
die Folge ist also eine Anpassung an diese Verhältnisse; und
da dabei das Individuum als Ganzes erhalten bleibt, so erscheint uns
diese Anpassung als eine directe, was sie auch in Bezug auf das Indi-
viduum ist. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass diese directe
und daher anscheinend teleologisch vermittelte Anpassung doch nur
durch Auslese entstanden ist: wie nach Ch. Darwin die Anpas-
sung der Art auf Kosten der Individuen, so entsteht die
Anpassung des Individuum an seine Specialbedingungen
auf Kosten seiner Tbeile (s. Nr. 7).
Ich habe diese von mir schon mehrfach behandelten Arten
von Correlationen hier aufs neue ausführlich dargelegt, weil, wie ich
ersehen habe, das Verständniss dieser Vorgänge auf grosse Schwierig-
keiten gestossen ist; und weil ein klarer Einblick in die ver-
schiedenen Möglichkeiten für die Verwendung des Principes
der Theilauslese im Organismus auch bei der Deutung
der individuellen Entwickelungsvorgänge unerlässlich
nöthig erscbein^
Der wirkliche Antbeil der Theilauslese an den Ent-
wickelungsvorgängen kann natürlich nur durcb specielle
Untersuchungen und zumeist unter Anwendung besonderer erst
noch zu erfindender Metboden festgestellt werden. Hier, bei der ersten
]^Tp|^p^pj^^^ ^^l^gp f\\^ y^^^Y Zeit als mögheb in Betracht zu ziehenden
W. U(iux, üesammelte Abhandlungen. II. '^
226 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
(lift'eroiizirenden Correlationen kann l)los oui solche D eiik möglich -
keiten hingewiesen werden.
[Erörtern wir nun noch kurz beispielweise den eventuell mög-
lichen Antheil, den die Theilauslese an der normalen
Ontogenese nehmen kann oder richtiger im Laufe der
Phylogenese (s. S. 232) gehabt haben kann.]
Während der Entwickelung ändern viele Theile ihre Beschaffen-
heit, indem sie 7ai den specifischen Geweben sich differenziren. Da-
bei kommt es vielleicht vor, dass Theile desselben [499] Ge-
webes in irgend einer für die Selbsterhaltung wichtigen
Eigenschaft ungleich werden, so dass z.B. stärker wachsende,
druckfestere Zellen andere in diesen Beziehungen schwächere direct
hemmen oder ganz vernichten können; woraus dann eine voll-
kommenere Gleichartigkeit und höhere Selbsterhaltungsfähigkeit des
ganzen Gewebes resultirt.
Ferner wechseln mit der weiteren Entwickelung die
nachbarlichen Lebensumstände vieler Organe oder
Organ theile und es werden diejenigen Bionten, welche in dieser
Veränderung der Umgebung etwa nicht dauerfähig sind, direct ab-
sterben oder soweit geschwächt werden, dass sie von den stärkeren
Theilen als Nahrung verwendet werden. Soweit solches unter den
Zellen vorkommt, wird es sich mikroskopisch feststellen lassen und
man kann, wie J. Kollmanx^) mit Recht erwähnt, schon die Auf-
zehrung der Dotterzellen durch die Zellen des Keimes in diesem
Sinne auffassen; soweit es aber blos lebensthätige Zell theile be-
trifft, wird es schwer nachweisbar sein.
Wir wissen noch nicht, wie sich die ,,Selbstdiff e-
renzirung" der Theile und die ,,correlative Differenzirung"
der Theile gegen einander abgrenzen; aber soweit diffe-
renzirende Wirkungen von einzelnen Theilen auf ihre Um-
gebung ausgehen, können auch unter dieser alterirenden Wirkung
nichtblos latente Unterschiede dieser Theile in wahrnehmbare
') J. Kollmann, Der Randwulst und der Ursprung der Stützsabstanz. Arcli.
f. Anat. u. Entwick. von His u. Braune. 1884 S 382.
Entstehungsursachen der verschiotlenon Bindesubstanzea. 227
verwandelt werden, wie l)ei der Sichtbarmaclnni^ des plioto-
graphischen Bildes durch Uebergiessen der Platte mit schwefelsaurem
Eisenoxydul, sondern es kann vielleicht mancher Theil unter
dieser umändernden Einwirkung seine Selbsterhaltungsfähigkeit
einbüssen, und so einfach ausgemerzt werden unter üebrigbleiben
der allein differenzirbaren und somit für die weitere Entwickelung
brauchbaren Substanzen .
Zum Beispiel könnten an Stellen, wo öfters Zug einwirkt (s. I,
S. 96), von verschiedenen, daselbst befindlichen Zellen vielleicht blos solche
sich zu erhalten vermögen, welche sich durch Bildung zugfester Substanz,
also faserigen Bindegeivehes, gegen diese Einwirkung zu schützen
vermögen; während da, wo neben Druck und Zug auch starke
Verschiebung der Substanzschichten gegen einander (Ab-
scheerung, s. Nr. 9, S. 131) [500] stattfindet, blos Zellen übrigbleiben,
welche durch Bildung von Knorpelcj rund Substanz, als des ge-
eignetsten Mittels, sich dagegen genügend zu schützen im Stande sind.
Noch empfindlichere Zellen können sich durch Bildung starrer Inter-
cellularsubstanz von Knochengritnäsuhstanz Ruhe verschaffen,
aber nur an Stellen, wo sich bereits die für die Bildung dieser
Substanz nöthigen Vorbedingungen : ein gewisser Schutz vor
Abscheerung bei Wirkung reinen Druckes oder des Wechsels von
reinem Druck und Zug vorfinden. [Zu diesem Schutz vor Ab-
scheerung ist ziemliche Ruhigstellung der Gegend d. h. Schutz
vor gröberen Deformationen nöthig, wie er in der Umgebung ver-
kalkten Knorpels oder an der Oberfläche der knorpeligen Diapln'sen
sich findet; auch die Bildung faserigen Bindegewebes, welche ein
Vorläufer des geflechtartigen Knochengewebes ist, dient in dieser
Weise.]
So könnte an Stellen vermischten Muttergewebes doch ein
durchaus [?] gleichartig dif ferenzirtes Gewebe entstehen; und
dasselbe würde sich nach der Theorie von der functionellen An-
passung zugleich zu der zweckmässigsten, das heisst der LocaUsation
dieser Beanspruchung vollkommen entsprechenden Gestalt formen;
denn die Entstehungsbedingung des Gewebes würde die
15*
228 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
specifische Einwirkung sein, welcher Widerstand zu leisten zu-
gleich die specifische Function dieser Gewebe ist^).
Die Ossificationsweise der knorpelig präformirten See-
le tth eile scheint manchen Fingerzeig nach dieser Richtung hin zu
geben : einmal dadurch , dass die K n o c h e n b i 1 d u n g am M i 1 1 e 1 s t ü c k
der länglichen Scelettheile und zAvar als ein pheripherer
Mantel, somit an der Stelle geringster Abscheerung bei
Biegung des Scelettheiles, beginnt (Diaphyse), und zweitens, dass an
den Gelenkenden die Ossification mitten im Innern des Knorpel-
stückes, also wiederum an der Stelle geringster Abscheerung vor
sich geht (Epiphyse).
Ferner scheint auch die , , G r ö s s e der E p i p h y s e n " in
einem bestimmten Verhältniss zur Wirkungssphäre der
an den Gelenken bei der Bewegung entstehenden Ab-
scheerung zu stehen. Da je nach der Excursionsgrösse des Ge-
lenkes, nach der Form und Dicke des Scelettheiles und nach der
mittleren Grösse der Druckbelastung bei der Bewegung des Gelenkes
ein mehr oder w^eniger grosses Stück des Knochenendes
von den Abs c heerungskräften erfasst und gegen das in eine
Knochenschale gehüllte ,, Mittelstück", die Diaphyse, verschoben wird, so
erklärt sich, dass z. B. am Kniegelenk dicke, am Ellenbogengelenk
dünne Epiphysen sich finden, und dass die Epiphysen der Pfannen
niedriger sind als die der Gelenkküpfe. Ebenso würde es
verständhch sein, dass mit dem Wachsthum des Epiphysen-
kernes die ,, Gegenabs cheerung " gegen die Diaphyse
hin sieh immer mehr auf eine dünne Schicht coii-
centrirt; [501] und dass natürlich auch von beiden Abscheerungsflächen
jeder Epiphyse das stärkste Wachsthum an derjenigen von ihnen
stattfindet, welche von z w ei Seiten her Nahrung bezieht, also an dem
intermediären Epiphysenknorpel, nicht am Gelenk-Knorpel.
Ebenso las st sich die „Gestalt und Localisation'' der
meisten „Apophysen" (so z. B. am Becken, am Schulterblatt, an
[1) Zur Entstehung von typischen Gestaltungen sind aber, was nicht zu
übersehen ist, schon bestimmte typische, wenn auch nur einfachere (Gestaltungen
als Vorbedingungen nöthig.]
Entstohungsursachen der Diaphysen nnr] Epiphysen. 229
(Ion Wirbeln) diosoin für die lOpiphyscn ei'örterteii ( Jesiclilsi.imcte
unterordnen; die intermediären Kpi))!) ysen - und iVpophysen-
linicn würden die Localisiitionsstellen der stärksten Ab-
scheerung, also diejenigen Stellen bezeichnen, wo in Folge der Be-
festigung der Muskeln und ihrer Wirkung an dem Seelettheil die
stärksten Verschiebungen paralleler Substanzsehiehten gegen einander
stattfinden. Da Abseheerung der si)eei t'i sehe Thätigkeits-
reiz der Chon drob lasten sehi würde, so verstünde es sich von
sell)er, dass an diesen Stellen das stärkste Knorpelwaclisthum statt-
fände. Ferner erklärt sich bei unserer Annahme der Umstand, dass
auch die kurzen Knorpel, sowie die Entdiondrome und die FjC-
ehondrosen von innen aus verkalken und ossificiren.
Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass diese Ableitung der Bildung
der Seelettheile ebenso zulässig ist, wenn die specifischen Bindesub-
stanzen nicht durch Auslese aus verschiedenen vermengten Blastemen
entstanden, sondern wenn dieselben aus einem gemeinsamen Ur-
blastem hervorgegangen sind, welches schon durchweg die Eigenschaft
mitbrachte, auf die geschilderten specifischen Einwirkungen hin diese
specifischen Gewebe hervorgehen zu lassen; und dass es dafür auch
unwesentlich ist, ob die specifische Intercellularsubstanz von den
Zellen aus gebildet wird oder direct in der Intercellularsubstanz des
ürblastemes ^) in Folge des Reizes sich bildet. Auch die noth- [502]
1) Für Abhängigkeit der Bildung des Bindegewebes und des Knorpels
von äusseren Einwirkungen auf das Urblastem (den parablastischen Gewebekeim)
hat sich schon His (Die Häute und Höhlen des Körpers 1865 S. 27, und Körperform
1874 S. 128) und zwar sehr apodiktisch ausgesprochen; dabei sind aber die specifi-
schen functionellen Reize dieser Gewebe, welche er doch verniuthlich gleich wie ich
als die Bildungsursachen hat supponiren wollen, nicht ganz zutreffend bezeichnet.
So lässt er Bindegewebe ausser durch Zug auch noch durch Druck entstehen, ob-
gleich es sich im normalen Individuum blos da findet, wo entweder
reiner Zug stattfindet, oder wo die Verhältnisse derartig sind, dass ein-
wirkender Druck sich in Zug umsetzen muss: Knorpel entsteht nach ihm
da, wo gleichmässiger Druck oder Zug seitens der Nachbartheile auf die parablasti-
schen Massen wirkt, nach H. Strasser (Entwickelung der Extremitätenknorpel 1879,
S. 18) durch Druck und Zug, während M. Kassowitz (Die normale Ossification 1879.
S. 206) schon Druck mit Reibung und Verschiebung als den specifischen Lebensreiz
des Knorpels erkannt und sorgfältig begründet hat. Dagegen giebt letzterer Autor
bezüglich der Ursachen der Knorpelverkalkung und jeder Art von Knochenbilduiii;
diesen Gesichtspunkt vollkommen auf und behauptet (a. a. 0. S. 348), dass in letzter
230 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
wendige Reihenfolge des „Auftretens der Biudesubstanzen''
bleibt dabei dieselbe.
Ein noch halb flüssiges Gewebe kann weder rein auf
Zug noch rein auf Druck in Anspruch genommen werden;
denn die weiche Substanz wird bei den Einwirkungen nachgeben, und
es wird starke Verschiebung benachbarter Substanzschichten gegen
einander, Abscheerung, eintreten. Jede Einwirkung wird sich
dabei in unendlich viele Beanspruchungsiichtungen zerlegen. Es muss
daher bei Zugeinwirkung zunächst ehi faseriges Gewebe mit ver-
wirrten Fasern in dem weichen Grundgewebe entstehen; und nur
bei von Anfang an immer derselben Zugrichtung und schon geeig-
neterer Beschaffenheit des Urblastemes zur faserigen Bindegewebsbil-
dung konnte relativ früh ein rein in der directen Zugrichtung als der
Kichtung stärkster Beanspruchung gelegenes specitisches Gewebe
sich bilden.
Ebenso entsteht bei Druck auf ein weiches Gewebe zugleich
starke Abscheerung, also ist die Bedingung für Knorpel gegeben
Erst nach des Knorpels genügender Ausbildung kann,
in Folge der ungleichen Localisation der Abscheerung, an den S. 228
charakterisirten Stellen der Verringerung der Abscheerung,
zunächst die ,, Knorpelverkalkung", dann die ,, geflechtartige
Knochenbildung" und nach dadurch hergestellter noch
grösserer Ruhe und dadurch bedingter Reinheit der Zug-
und D ru c k b ean s pru c h ung die Bildung ,,lamellösen
Knochens" einsetzen und letztere dann successive weiter schreiten,
indem durch die vorhandene Knochenlage immer eine
Instanz doch immer das iieriostale nnd endostale Gefässsystem allein die äussere
Form und die innere Architektur der Knochen bestimmten; und Murisikr (Arch. f.
Kxj^erim. Pathologie Bd. o) lässt Knochen durch Z u g an dem Periost gebildet werden.
Die allgemeinen Gesichtspunkte dieser Auffassung habe ich bereits, ehe ich die An-
sichten dieser Autoren kannte, ausführlicher entwickelt (Kampf der Theile 1881 S. 176),
mich daselbst aber noch der oben (S. 227) gegebenen Definition der specifischen
Functionen der einzelnen Bindesubstanzen enthalten. Die ersten Keime derartiger
Ableitung der ßindesubstanzbildung finde ich bei Ludwig Fick (Ursachen der Knochen-
formen 1857), welcher auch schon (S. 9) „äusserste Ruhe und Abwesenheit aller Be-
wegung" (richtiger: „Verschiebung") als Vorbedingung der Knochenbildung für nothig
erachtet.
Verschiedene Ursachen embryonaler und phyldgcnrti.sclier (iesfalfuiii;cn. 231
nächste Niielibarsc-lik'lit ,,ruliio; gostelK'- wird; und dies so
lange, bis endlich die Stellen stärkster Abscheemng neben den inter-
mediären Epiphysenschichten erreicht werden nnd damit die Möglich-
keit der Funetionsberaubmig des Knorpels durch den Knochen vor-
läufig [bis dieser Knorpel von selber alterschwafh wird] ihr l'jide crrciclil.
[503] Trotz der Uebereinstimmung der so abgc Ici tc t t'u
Prädilectionsstellen mit den wirklichen Anfangsstellen
der Knochenbildung und trotz des Umstandes, dass die Binde-
substanzenbildung im Embryo den von uns als nothwendig vorge-
zeichneten Weg in der That einhält, sprechen doch sehr gewichtige
Thatsachen gegen die Gültigkeit unserer Ableitung für
die ,,cmbryonale" Ent Wickelung. So einmal das Vorkommen
ziemlich wohlgebildeter Phalangen in solchen sechsten Fingern, welche
blos durch Haut, Nerven und Gefässe mit der Hand verbunden sind
(und ich möchte nicht wagen, ohne besondere Untersuchungen an-
zunehmen, dass an diesen Stellen von den Muskeln kommende Sehnen
erst nachträglich geschwunden seien); ferner das Vorkommen von
ziemlich wohlgeformten Knorpeln, Knochen und Sehnen in muskel-
losen Extremitäten (Allessaxdrini, E. H. Weber), sowie in Epignathis,
in Sacralteratomen, in Amorphis, die Bildung der Reit- und Exercir-
knochen, sowie die Myositis interstitialis ossiticans progressiva und be-
sonders die Ossification der Vogelsehnen. Eigens darauf gerichtete
Untersuchungen werden erst die Entscheidung über den wahren Werth
dieser Einwendungen zu bringen haben ; dabei wird sich auch zeigen,
ob in diesen „selbstständig" entstehenden Scelettheilen die
Gewebe vollkommen normal gesondert sind, oder ob sich vielleiclit
atypische Gewebsvermischungen in ihnen besonders häufig vorfinden.
Es scheint, was Gegenbaur^) bezüglich der Entstehung der Ge-
lenke bemerkt, allgemeinere Geltung zu haben; nämlich dass
in der „embryonalen" Entwickelung Theile selbstständig
angelegt und bis zu einem f unctionsfähigen Grade ausge-
bildet werden, welche phylogenetisch durch functionelle
Anpassung (sowie Kampf der Theile oder andere Ursachen) ausge-
bildet worden sind.
1) C. Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen lö8o S. 113.
232 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Es scheinen die f unctionellen Reize blos noch für
den Rest der Entwickelung, der in das eigentliche
functionelle Leben selber fällt, nothwendig zu sein, wie ich
das schon bei früherer Gelegenheit ausführlicher erörtert habe^).
Unsere Ableitung über die Entstehung der verschie-
denen Bindesubstanzen und die Gestaltung aus ihnen kann
danach nur mehr eine „phyloyenetiscJte'-' Bedentnng bean-
spruchen [504] und weiterhin vielleicht für das eigentliche „func-
tionelle Leben" des Individuums, sowie für die Heilung
der Knochenbrüche den Zusammenhang der EntAvicke-
lungsvorgänge bezeichnen; während dagegen die Periode
der „ersten Anlage" und der ihr folgenden weiteren Aus-
bildung der Organe von ,, selbstständigen", d. h. den sich
differenzirenden Theilen selber innewohnenden Bildungs-
energien beherrscht ist, die aber wohl nur in den allge-
meinen Zügen die von uns charakterisirten Bildungen
nachahmen, und in den Feinheiten: in den Richtungen der
Bälkchen der ^^Wachstliumsarchitehtnr'\ in der Gestalt der
Epiphysenlinien etc. mannigfache Abweichungen erkennen
lassen. Für diese Periode hat vielleicht die Auffassung Kassowitz'
von der Bestimmung der Gestalt und Structur der Knochen durch
das Gefässsystem (S. 229 Anm.) eine gewisse Gültigkeit.
3. Mechanische Massencorrelationen.
Eine dritte seit längerer Zeit als mitbetheiligt bei der embryo-
nalen Entwickelung erkannte, aber gleichfalls in ihrem Wirkungs-
umfang noch nicht annähernd bestimmte Art differenzirender Corre-
lationen ist die „mechanische Massencorrelation"^). Dieselbe er-
giebt sich als nothwendige Folge theils des continuir liehen
Zusammenhangs, theils des räumlichen Zusammenge-
drängtseins ungleich sich vergr össernder, verkleinernder
oder sich umordnender Tlieile. Um dieses Princip richtig zu
1) Nr. 4, S. 52, S. 180 u. S. 201, Nr. 8, S. 5 u. 50.
[2) Mehrere Autoren citiren diese von mir eingeführte Bezeichnung zu kurz
blos als : Massencorrelation. Die Definition siehe S. 240.1
Differenzirende Correlationen : 3. Mechanische Massencorrelationon 23.-
verstehcn und seine Wirkungen von denen der von uns sog. for-
malen Selbstdifferenzirung sondern zu können, nuiss etwas weiter
ausgeholt und eine theoretisehe h^kizze der Formenbildung voraus-
geschickt werden, welche aber unserem gegenwärtigen ))eschränktcn,
blos auf die T o p o g r a p h i e der Ursachen gerichteten Zwecke an-
gepasst sein soll.
Eine der Betrachtung unterworfene Summe materieller Tlicilchen
heisst ein „materielles System". Die Gesammtheit aller gegen-
seitigen Lagerungsbeziehungen dieser Theilchen heisst die „Con-
ti guration" des Systemes. Unter der „Form" des Systemes
dagegen ist die gegenseitige Lagerung aller die ()l)er fläche des
Systemes bildenden Theile zu verstehen.
Sofern es uns blos um die Kenntniss der jeweiligen Lagerung
der die Oberfläche bildenden Theile des S3^stemes zu thun ist, kann
die Form desselben für sich betrachtet werden; wenn wir aber auch
nach der genauen Kenntniss der eventuellen Form Wandlungen
[505] streben, zugleich aber keine Garantie gegeben ist, dass immer
dieselben Theile die Oberfläche bilden, sondern wenn es möglich ist,
dass bei den Wandlungen auch innere Theile an die Oberfläche ge-
langen oder oberflächliche Theile in die Tiefe treten, so wird es für
das Verständniss auch der blossen Formwandlungen nötliig sein, immer
zugleich auch die Anordnung der inneren Theile, also im Gegensatz
zur Form die „Structur" des Systemes mit in den Bereich der
Betrachtung zu ziehen. Dies wird um so unerlässhcher, wenn zu-
gleich auch die Erforschung der Ursachen der Formwandlungen das
Ziel der Untersuchung sein soll. Es kann vorkommen, dass die Ur-
sachen der Formänderung bald mehr in den oberflächlichen oder
mehr in den inneren Theilen liegen. Wir werden uns daher zu be-
streben haben, die Configuration aller Theile des Systemes in jeder
Phase der Wandlung zu kennen und die Bahnen aller Theile zu
verfolgen (s. S. 2).
Jede Formbildung ist blos eine Aenderung der früheren .An-
ordnung der die neue Oberfläche des Systemes bildenden Theile;
und ebenso ist jede neue Configuration blos als die Aenderung
einer früheren Lagerungsbeziehung der Theile des ganzen materiellen
234 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Systemes zu betrachten und ab/Aileitcn. Die Lageänclerung von
Theilen zu einander vollzieht sieh durch Bewegung eines oder mehrerer
oder aller Theile.
Jede Aenderung des Bewegungszustandes eines T heil es kann
nur unter IVIitwdrkung einer von aussen auf den Tb eil wirkenden
Kraft hervorgebracht werden und nin- unter einer der ihm ertheilten
Beschleunigung gleich grossen und entgegen gerichteten Reaction.
Wirkung und Gegenwirkung bilden zusammen ein „dynami-
sches Sj^stem".
Zwei Theile können entweder in der Richtung ihrer Verbin-
dungslinie eine Aenderung ihrer gegenseitigen Lage erfahren , oder
zugleich resp. ausschliesslich rechtwinkelig zu dieser Linie gegen
einander verschoben werden (s. Nr. 9, S. 131). Die Aenderung in
der Richtung der Verbindungslinie, Näherung oder Entfernung,
kann entweder durch die den Theilen selbst innewohnenden Kräfte
bedingt sein, und ist dann als xoWkommcue S el h s f d i ff er en^i r nn<j
des materiellen Systemes zu bezeichnen ; beide Theile bilden dann
für sich zugleich ein dynamisches System, Oder [506] von aussen
einwirkende Kräfte bringen diese Veränderung allein oder zum Theil
hervor, wobei eine der Grösse des überwundenen Deformationswider-
standes entsprechende Vermehrung der Energie des durch die beiden
Theile gebildeten Systemes stattfindet; und die Aenderung selber ist
als correlative, s. ahhüngige Differensirunij zu bezeichnen. Das
dynamische System dieser Veränderung umfasst ausser den
beiden Theilchen noch die Theilchen, welche die Träger der zur
Wirkung gelangten Aus senk raft gewesen sind.
Die gegenseitige Lageänderung der Theile in jeder zu ihrer Ver-
1 )indungslinie rechtwinkelige n Richtung (Verschiebung oder „Ab-
scheerung" der Theile) kann natürlich nur durch äussere Kräfte
hervorgebracht werden.
Aeussere Kräfte können je nach ihrer Wirkung auf die beiden
Theile sowohl ausserhalb wie auch innerhalb der ^'erbindungslinie
der Theilchen gelegen sein.
Damit haben wir die Grundvorgänge für unsere zunächst blos
topographisch causale Betrachtung genügend unterschieden
Verschiedene Ursachen von Configiirationsänricriinp;cn. 235
und zugleich die spätere Beziehung auf die bei den Acnderuugen zu
überwindenden Widerstände gegen Zug, Druck und iVbschee-
rung (s. Nr. 9, S. 131) angebahnt.
Also nur Näherung und Entfernung der Thcilc kann so-
wohl durch Selbstdifferenzirung wie durch abhängige Dif-
ferenzirung in unserem Sinne entstehen; Abscheerung der
Theile gegen einander, gleich wie Drehungen und Verschiebungen
des ganzen Systemes können nur als ..passive Differeii-
ziriingen" der Theile resp. des Systemes erzeugt werden. Doch
können diese passiven Veränderungen zum Theil sofort als Selbst-
differenzirungen erscheinen, sofern wir den Umfang des betrachteten
Systemes so erweitern , dass die vorher ä u s s e r e n Kräfte jetzt mit
zum System gehören.
Untersuchen wir nun mit Rücksicht auf unseren speciellen Zweck,
1. durch welche Configurationsänderungen anscheinend
dieselbe complicirte Formänderung hervorgebracht wer-
den kann, und 2. durch welche verschiedenen Anord-
nungen der Kräfte diese Configurationsänderungen be-
dingt sein können.
Nehmen wir als Beispiel eine comphcirte Formänderung der-
jenigen Art, wie sie in der embryonalen Entwickelung häufig vor-
kommt, eine Faltung. Es wird genügen, die Biegung eines
schmalen, [507] parallel contourirten Stabes aus elastischer
Substanz zu untersuchen.
Dieser Stab kann erstens rein passiv durch äussere Kräfte ge-
bogen werden, indem wir denselben am einen Ende in einen Schraub-
stock spannen und am anderen Ende rechtwinkelig zur Oberfläche
eine Kraft wirken lassen, oder auch, indem einfach beide Enden des
Stabes gegeneinander gedrängt werden. Die Formänderung wird
bei genügender Elasticität des Stabes in beiden Fällen für die flüch-
tige Betrachtung die gleiche sein; und die Configurationsänderung
ist der Hauptsache nach gemeinsam dadurch charakterisirt, dass auf
der convexen Seite die Theile in der Biegungsrichtung von einander
entfernt werden und zwar mit von aussen nach innen abnehmender
Intensität, während auf der concaven Seite die Theile mit nach aussen
236 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
zunehmender Intensität einander genähert werden. Die Aussenkräfte
vermehren die Energie des Stabes und bilden mit den Widerständen
der Tnnenkräfte ein dynamisches System.
Genauer untersucht wird aber sowohl die äussere Gestalt wie die
innere Structur des gebogenen Stabes in beiden Fällen in charakteristi-
scher, auf die ungleichen Entstehungsursachen der Biegung hindeuten-
der Weise verschieden sein; sowohl an den Angriffsstellen der Kräfte
wie auch im übrigen Verlaufe des ejastischen Stabes. Die Ungleich-
heiten an den Angriffsstellen kann man mit Hilfe der von mir
angegebenen Methode der mechanischen Selbsterzeugung der Trajec-
torien (siehe Nr. 9, S. 127) deutlich sichtbar machen. Die Verschie-
denheiten in dem Verbindungsstücke zwischen den Augriffs-
stellen treten mit dieser Methode wohl auch , aber weniger deutlich
hervor; sie lassen sich indess leicht berechnen und bestehen im
Wesentlichen darin, dass die neutrale Zone, in der Dehnung und Com-
pression sich gegen einander abgrenzen, im letzteren Falle mehr gegen
die convexe Seite hin verschoben ist, weil die Compression die Deh-
nung überwiegt. Wenn am einen Ende des Stabes die Aussenkräfte
wegfallen, nimmt derselbe wieder seine gestreckte Gestalt an.
Es giebt [508] ausser den erwähnten beiden Arten der Ver-
theilung der äusseren Kräfte noch unendlich viele Combina-
tioncn von Aussenkräf ten, welche im (Troben dieselbe Bie-
gung hervorbringen können. So z. B. können die Kräfte auf
den beiden Längsseiten des Stabes in verschiedenster Weise vertheilt
sein; und es würde kaum im Bereiche der Möglichkeit hegen, selbst
durcli die genaueste Betrachtung blos der äusseren Form diese An-
ordnung genau zu bestimmen; während die Kenntniss der ganzen
Configuration dies mit grösserer Sicherheit gestatten würde ; sofern be-
kannt wäre, dass die Aenderung überhaupt blos die Wirkung äusserer
Kräfte ist.
Eben d i e s e 1 1) e Formänderung k a n n a b e r a u c h a u s
der Wirkung von Kräften, welche denTlieilen des Stabes
innewohnen, entstehen. Wemi z. B. auf der einen Längsseite
alle Theile sich stärker anziehen und daher activ einander nähern,
auf der anderen Seite aber einander abstossen und sich von einander
Verschiedene Ui'sachen von Coniisuiatiünsänderungen. 237
entfernen, so wird (K'i'Stal) sicli nach crstt'rci" Seite hin coiu-nv l>i('i;vn.
Bei geeigneter \'ertheilung- dieser anziehenden nnd abstossenden Kräl'te
könnten sogar anch an denjenigen Stellen, welche die AngritTsstellen
bei der passiven Deformation bildeten, ganz dieselben C'onügurationen
der Theile entstellen wie bei der passiven Deformation ; nur müsslen
dann vorliegenden Falles die nnendlieh zahlreichen \'erschiedeii-
heiten in der Kraftvertheilung alle einzeln dnrch entsprechend
zahlreiche besondere Ivraftgrossen derTheilchen verursacht
sein, während sie passiven Falles alle mit einem Male von blos
zwei Ursachen aus erzeugt werden. Würden wir eine derartige
Uebereinstimmung in der Configuration vieler Tli eilchen gefunden
haben, dass sie alle von blos zwei Ursachen ableitbar wären, so würden
wir wohl eine gewisse Neigung hegen, die zwei entsprechenden Kräfte
auch als die Ursache derselben anzunehmen. Die gegenwärtige Er-
örterung weist uns aber darauf hin, dass mit dieser Annahme die
Entstehungsmöglichkeiten noch nicht erschöpft sind.
Je nach der Anordnung und Natur der den Stab biegenden
inneren Kräfte könnte die Vertheilung von Wirkung und Gegenwir-
kung derartig sein, dass z. B. bei der geringsten Verletzung
des aus eigenen Kräften gebogenen Gebildes dasselbe
in seinem ganzen Verlaufe sich wieder ein wenig oder
mehr oder ganz streckt, ähnhch wie eine [509] Bologneser
Glasthräne beim Abbrechen ihrer Spitze ihre ganze Gestalt total
verliert (wobei sie sich in zahllose Stückchen zersplittert). Solches
Verhalten würde ein Zeichen sein, dass der ganze gebogene Stab ein
einziges dynamisches System bildet. Andererseits könnte vielleicht
z. B. blos ein Drittel des Stabes nach Verletzung sich strecken, und
das Gleiche bei weiterer Verletzung des noch gebogenen Theiles ein-
treten. Diese durch eine Verletzung entspannten Systeme könnten
sich allemal nach beiden Seiten von der Verletzungsstelle gleich weit
verbreiten ; oder aber sie könnten eine feste Lagerung am Stabe haben,
derart, dass bei Verletzung irgend einer Stelle, z. B. des mittleren oder
eines äusseren Drittels, immer dieses ganze Drittel sich streckt, wonach
dann der ganze Stab als aus drei geschlossenen, für sich bestehenden
und blos aneinander gereihten Systemen gebildet, aufzufassen wäre.
238 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
Oder umgekehrt, der gebogene Stab lässt sich in beliebig
kleine Stückchen zerlegen, ohne dass eines derselben seine
der Biegung des Ganzen entsprechende Gestalt ändert, ein
Beweis, dass in jedem kleinsten Stückchen die Krcäfte sich im Gleich-
gewichte befinden, dass die Bezirke von Wirkung und Gegen-
wirkung unendlich klein sind.
Ferner könnte dieselbe Form des Stabes durch Thätigkeit
innerer Kräfte blos auf ,, einer" Längsseite stattfinden.
Indem z. B. auf einer Seite alle Theile sich gegenseitig mit der
nöthigen Kraft anziehen, werden sie unter passiver Dehnung der
anderen Seite das Gebilde gleichfalls krümmen. Der Stab zerfällt
dann in einen Bezirk der Selbstdiff erenzirung , welcher zufolge
seines Zusammenhanges mit einem anderen Bezirke diesen passiv
deformirt; die Aenderung des ganzen Stabes ist gleichwohl aber
als Selb.stdifferenzirung desselben zu bezeichnen. Für die äussere
Betrachtung ^\^rd es nicht möglich sein, den Sitz der activen
Deformation zu ermitteln; wohl aber mit Hülfe des Experimentes:
schneiden wir den Stab auf der concaven Seite an , so wird
er sich an dieser Stelle strecken; wird er auf der convexen
Seite angeschnitten, so wird er sich an der Verletzungsstelle noch
stärker krümmen und uns so einen Schluss auf die Vertheilung
der deformirenden Kräfte gestatten. Ist aber das Material nicht ge-
nügend elastisch, so wird sich die passiv deformirte Zone an die De-
formation innerlich anpassen, und der Effect beim Anschneiden
bleibt aus. In [510] gleicher Weise kann der Stab durch
active Ausdehnung einer Seite gebogen werden, wobei
natürlich die Sehne des gebildeten Bogens eine etwas grössere sein
wird als im umgekehrten Falle. Auch bei dieser correlativen inneren
Differenzirung können geschlossene dynamische Systeme gebildet
werden, je nach Anordnung der activen Kräfte ; so dass die Biegung
gleichsam so erfolgt, als hätten sich in einer in gerader Linie an-
einander gefügten Reihe von Bausteinen alle Steine nach derselben Seite
hin keilförmig zugeschärft; dies z. B. Avenn ein Theil der Massen-
theilchen einer Längsseite gegen die andere hin translocirt worden ist.
Dieselbe Bieiruncr des Stabes kann natürlich auch durch
Verschiedene ürsaclieu von Configiiiiitionsiimlcruiisjc'n. 239
C(>iiil)in;ition iiussorcM' und innci'er Ki'iiftc lici'voruchi'iU'li t
werden. Strebt /.. 15. der Stab sich der Lauge nach auszudehnen
und wird daran (hn-ch seithche Widerlager gehemmt, so entsteht ein
Bogen, an dessen Bildung beide Ursachen gleichen Anthcil haben,
so dass die Unterscheidung von Vorbedingung und si)eciHsclier Ur-
sache nicht zu niaclu'u ist. Hat aber der Stab eine dünne Stelle,
welche sich daher am stärksten biegt, so ist für diese Ungleichheit
der Biegung die spccifische ,,Ursaclie" also innerhalb des mat(M-iellcn
Systenies gelegen, und die Aussenkräfte waren blos die ,,\\^rbe-
dingung" dieser specifischen Biegung. Auch in diesem Falle wird
beim Wegfall der Aussenkräfte der elastiche Stab sich wieder strecken.
Es erhellt aus dieser kurzen Uebersicht, dass es ausserordentlich
schwer sein wird, aus der blossen Beobachtung einer Form-
änderung auf die ^^ e r t h e i 1 u n g der Ursachen derselben
zu schliessen, und dass eine positive Gewissheit durch diese
im wahren Sinne des Wortes ,, oberflächliche" Methode überhaupt
nicht zu gewinnen ist. Eine etwas grössere Wahrschein-
lichkeit richtiger Beurtb eilung wird durch die Hin zu-
nähme der Betrachtung der ,, inneren Um Ordnungen"
angebahnt.
Die organischen Gebilde, deren Formwandlungen wir zu unter-
suchen haben, besitzen durch ihre Zusammensetzung aus lauter
einzelnen Bausteinen, den Zellen, in der Gestalt und Anordnung
dieser Elemente eine Structur, deren Veränderungen bei gehöriger \^or-
sicht manche Schlüsse auf die Ursachen stattfindender Deformationen
der aus ihnen zusammengesetzten Gebilde gestatten. Je [511] nach
der Richtung und Vertheilung der umgestaltenden Kräfte, nach dem
Lageverhältniss der activen und passiven Theile zu einander, wird diese
Structur durch verschiedene Umgestaltung und Umordnung der Ele-
mente eine verschiedene Aenderung erfahren können. In der genauen
Verfolgung dieser structurellen Aenderungen ist somit
ein Mittel gegeben, einen we iteren Einblick in den eigent-
lichen „Vorgang" der Formbilduug zu erlangen und gewisse
Schlüsse auf die Localisation und Richtung der die
Bildung bewirkenden Kräfte zuziehen. Es war daher ein
240 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
grosser Fortschritt unserer Keniitniss und Erkenntniss dadurch an-
gebahnt worden, dass His ^), welcher zuerst die mechanische Corre-
lation als ein wichtiges fornibildendes Princip der individuellen Ent-
wiekelung in ausgedehntem Maasse zur Erklärung verwandt hat,
auch zuerst die Beschaffenheit der Structur in solchem Sinne beob-
achtete und verwerthete, worin ihm dann H. Strasser-) u. A. nach-
gefolgt sind. Bis jetzt hat sich indess diese Verwerthung blos auf
die einfachsten, ohne eine besondere Theorie verständlichen Bildungen
beschränkt. Bei der in den Organismen vorhandenen, durch Wachs-
t h u m , V e r m e h r u n g , W a n d e r u n g, passive und vielleicht
auch noch active Gestaltung der Zellen gegebenen grossen
Zahl von Möglichkeiten, wird die weitere Ausnutzung dieses Principes
mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein und nicht ohne ein-
gehende analytische Untersuchung möglich sein.
Wir sahen, dass durch Ausdehnung oder Zusammenziehung von
circumscripten Theilen einer grösseren Masse, diese letztere auf
grössere Strecken hin oder in ihrer Totalität deformirt werden kann.
Die passive Umformung von Theilen, durch sich ändernde
Nachbartheile, sowie auch die passive Formung activ sich ändernder
Theile durch äussere, der intendirten Aenderung Widerstand leistende
Theile wollen wir als ,,inechaiiisclie Masseiicorrelatioii" bezeichnen
siehe auch S. 253).
Vorkommen mechanischer Massencorrelation im Embryo.
Es ist nun die Frage, ob, und eventuell, wie weit solche Corre-
lationen bei der embryonalen Entwickelung vorkommen und form-
[512] bildend betheihgt sind.
Ungleiche Vergrösserung zusammenhängender, rings umschlossener
Theile ist von His vielfach nachgewiesen; also müssen Falten-
bildungen u. dergl. gleichfalls stattfinden. Daraus folgt nun aber
noch niclit, das die Falten passiv unter Vermittlung durch einen
1) W. His, Unsere Körperform 1874.
2) H. Strasser, Zur Entwickelung der Extremitätenkuorpel bei Salamandern und
Tritonen. Morphol. Jahrbuch 1879 Bd. 5.
Vorkommen mechanischer Masseiicorn'liitidnen. 241
äusseren Ausdolm ungs widerstand orzeui;t worden seien; soiidci'n
es kann mit der Vergrösserung zAigieicb aus eigenen inneren
Kräften das Material sich so umordnen, dass es sicli von selber
biegt, wie vorstehend austuhrhcli erörtert worden ist; dabei wird
dann der Widerstand der Seitentheile gar nicht für die Deformation
in Anspruch genommen, sondern, was wolil davon zu trc^nnen ist,
nur für die Rückwirkung der eventuell dabei stattiindendeii \'er-
schiebung des l^assenmittelpunctes des sich umformenden Theiles.
Sofern aber die Ausbiegung nur durch den seitlichen
Dehnungswiderstand bedingt ist, so muss die Biegung
eine ganz bestimmte, von der E 1 a s t i c i t ä t s g r ö s s e des
M a t e r i a 1 e s an jeder Stelle, ferner von der Dicke dieser
Stellen u. s. w. abhängige werden. Sofern eine üeber-
einstimmung der Biegungsform mit diesen Factoren nicht
vorhanden ist, ist dies ein Beweis, dass wenigstens noch
andere Kräfte als der äussere seitliche Widerstand die Form-
bildung beeinflusst haben müssen.
Die Versuche, welche ich bisher zur Entscheidung dieser Fragen
gemacht habe, sind noch sehr wenig zahlreiche und hatten zumeist
blos den Zweck, die thatsächliche liichtigkeit einigei- bezüglicher An-
gaben von W. His zu prüfen.
His leitet seine bezüglichen ürtheile nur aus descriptiven Be-
obachtungen der Vorgänge und aus einem directen Experimente am
Keime ab, durch welches er feststellte, dass die Keimblätter über-
haupt elastisch sind. Er besthnmt die formalen Vorgänge möglichst
o-enau durch Zeichnung und Messung und sucht dann nach der ein-
fachsten Ursache, durch welche die Formwandlungen hervorge-
bracht werden kann. Die einfachste Ursache einer Biegung bilden,
wie wir o-esehen haben, äussere biegende Kräfte und nächstdem die
Ausdehnungshemmung durch äussere Widerstände. So kommt His
dahin, die meisten Formen von derartigen, grösstentheils ausserhalb
der geformten Tlieile gelegenen Ursachen abzuleiten (Körper-
form, Brief 4 — 6).
[513] So empfehlenswerth es im Allgemeinen ist, nach den ein-
fachsten Ursachen einer Erscheinung zu suchen, so ist es in
W. Roux, Gesammelte AWiaiidlungoii. JI. 16
242 Nr. 18. Zur Orientirang über die Probleme etc.
ganz neuen Verhältnissen, wie bei den in ihrem Wesen noch
unbekannten embryonalen \^orgängen, doch sehr gewagt, die ,, ein-
fachsten" Ursachen ohne Weiteres auch für die ,, wirk-
lichen" Ursachen anzusehen.
Ausserdem aber gilt der Satz von der einfacheren Er-
zeugung von Biegungsforraen durch ,, äussere" Kräfte nur
für die ,,regelmässigsten" Formen und auch da nur sehr be-
dingt. Sobald es sich aber um die Herstellung ganz be-
stimmter complicirter Formen handelt, werden die Be-
dingungen für die ,, äusseren" Kräfte und für die Beschaffen-
heit des umzuformenden Materiales ebenso complicirte oder leicht
noch compli cirtere, als für die Gestaltung durch den zu
formenden Theilen selber innewohnende Kräfte. Um inner-
halb einer Platte eine ganz bestimmt geformte Ausbiegung durch ausser-
halb der Biegungsstelle aber noch in der Platte selber gelegene Kräfte
hervorzubringen, wäre neben einer sehr bestimmten und entsprechend
mannigfachen Vertheilung dieser Aussenkräfte eine ebenso bestimmte
und mannigfache Beschaffenheit des zu formenden Plattentheiles in
seiner Dicke und Elasticität nothw^endig; und bei der geringsten
Aenderung dieser Eigenschaften des zu biegenden Theiles würde der-
selbe eine andere, atypische Form erlangen. Dieses Princip der
Gestaltung ist somit ein sehr unsicheres und wird in der
Technik deshalb für sich allein nicht verwandt. Dasselbe gilt aber aucli
für die Biegung sich ausdehnender Theile blos durch Stauung gegen
äussere Widerstände.
Die Dicke und Elasticität der Theile werden zwar von His bei der
allgemeinen Erörterung der Formbildung als wichtige Componenten
aufgeführt, aber bei der speciellen Ableitung der einzelnen Formen
wird die erstere nicht genügend, die letztere gar nicht speciell berück-
sichtigt. So wird nicht gewürdigt, dass bei den wichtigsten Biegungen,
denen zur Bildung der Medullarfaltcn zum Schluss des Medullarrohres,
ferner bei der Bildung der Kopfanlage die Biegung an dickeren, oder
gerade an den dicksten Stellen der Platte stattfindet; während doch,
bei passiver Erzeugung der Biegung durch Ausdehnungswiderstand,
die Biegung ceteris paribus an den dünnsten Stellen erfolgt. So spricht
Vorkoiiinien mechanischer MassencoiTehitioncii. 24'>
IJis noch in seiner jüng'sten bezüglichen [514-| AhhaiKhung') von
einer ,, mechanischen Verdünnnno'^ der ventralen Wandung des Me-
duUarrohres bei der Erhebung der Seitentheile des letzteren zum
Schlüsse des Rohres. Danach müsste die Erhebung der Öeitcntlieile
passiv erfolgen, was im vorderen Theile des Medullarrohres nur durch
einen Druck von Seiten des daselbst fünfmal dünneren Hornblattes
möglich wäre. Die Substanz des Hornblattes müsste deshalb eine 2r)iiinl
grössere Elasticität besitzen als die der ventralen Wandung des Medul-
larrohres, eine Voraussetzung, welche jedenfalls besonders zu beweisen
wäre. Desgleichen ist kein Versuch gemacht, die bei solchen passiven
Formungen entstehenden, weit ausgebreiteten Spannungen innerhalb
der Platte, deren His zwar gedenkt, wirklich nachzuweisen.
Hat His mit Recht aus seinen genauen Messungen über das
ungleiche Wachsthum der Theile auf die Nothwendigkeit eintreten-
der Biegungen geschlossen, so konnte er natürlich nicht so-
weit gelangen, nachzuweisen, dass gerade im Einzelnen
diejenigen Formen entstehen mussten, welche dem be-
treffenden Embryo eigen sind; indem aber die Schlüsse bis auf
diese speciellen Formen ausgedehnt werden, kommt in die Conclusio
eine Bestimmung, die in der Prämisse nicht enthalten war.
His übergeht ferner, dass der Causalnexus der von ihm er-
mittelten Masse num läge rungen, wie aus unserer obigen allge-
meinen Darlegung hervorgeht, auch gerade der ,, umgekehrte" des
von ihm angenommenen sein kann; indem nämlich dieTendenz
zur Biegungsformation einer Stelle gerade das Primäre
sein und in ihrer Bethätigung vielleicht sogar passiv durch Deh-
nung das nöthige Wachsthum der Umgebung veranlassen
kann; und dass zwischen diesen beiden extremen Fällen
eine unendliche ^i,eihe von Möglichkeiten liegt, über deren
wirklichen Antheil an der Entwickelung nur das Experiment, nie
aber die Messung der stattfindenden Massenumlagerungen ent-
scheiden kann; denn diese selben Massenumlagerungen
1) W. His, Ueber das Auftroten der weissen Substanz und der Wurzelfasern
am Rückenmark menschlicher Embryonen. Arch. f. Anat. und Entwickelungsgesch.
1883 S. 1G5.
16*
244 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
können, wie wir gesehen haben, in Bezug anf das Umgelagerte ebenso-
w o li 1 a c t i V e w i e p a s s i v e s e i n . Eine derartige Auffassung ist schon
in der Ausführung Paxder's ') enthalten, welcher sagt, dass [515] seine
Leser sich ,,wo von den Faltungen der Keimhäute die Rede ist, niclit
leblose Membranen vorstellen sollen, deren mechanisch gebildete
Falten nothwendig sich über die ganze Fläche verbreiten , ohne sich
auf einen bestimmten Raum beschränken zu lassen; denn dieses
müsste unvermeidlich zu irrigen Ansichten führen. Die die Meta-
morphose der Häute bedingenden Falten sind vielmehr selbst orga-
nischen Ursprungs und bilden sich an xiem gehörigen Orte,
sei es nun durch Vergrösserung der dort schon vorhandenen oder
durch ein Hinzutreten neuer Kügelchen, ohne dass dadurch der übrige
Theil der Keirahäute verändert würde".
Wenn ich hier im Elinzelnen den Ausführungen Hi.s' mehrfach
entgegengetreten bin, so will ich nicht unterlassen zugleich auszu-
sprechen, dass ich trotzdem das grosse Verdienst zu würdigen w^eiss,
welches His sich durch sein energisches Bestreben und die fleissige
Arbeit für die Begründung einer causalen Auffassung und Erkennt-
niss der individuellen Entwickelungsvorgänge erworben liat.
Versuche über die Wirkung passiver Deformationen auf den
Embryo und über den ,,Selbstschluss " des Darm- undMedul-
larrohres.
Um den Embryo directauf die eventuellen, bei passiver
Biegung entstehenden, über grosse Flächen verbreiteten
Spannungen zu prüfen, zerschnitt ich lebende Froschembryonen
im Stadium der Medullarfurche quer und der Länge nach in viele
Stücke; an keinem Stücke al)er war eine Formänderung
wahr nehm bar. Dasselbe war, wie vorn erwähnt, bei den grossen Ent-
spannungssclmitten und bei der Bildung von Zungenlappen an noch
weiter lebenden Froschembryonen der Fall, soweit nicht zugleich pas-
sive Deformationen künstlich hervorgebracht worden waren; auch hier
fand keine Ausgleichung der Medullarfalten statt. Dies beweist,
') Pander, Beiträge zur Entwickelun^'SgescIiiclite des Hühnchens. 1817 S. 40.
Vitale Anpassungsfähigkeit an passive Deformationen. 245
thiss jedes der so liergestellteii Stiiclcc dieser Forinvii in,
„innerem GJeiclKjewichte'' sich befand.
Daraus folgt aber noch nicht, dass sie nicht durch passive Umform-
ung entstanden seien. Denn sofern eine sehr vollkommene
Anpassungsfähigkeit desMateriales an solche passive Um-
formung vorha ndon ist, so braucht in jedem Momente nur
ein minimaler Ueherschnss von Z/van;/ vorbanden zu sein.
Zur Prüf u n g a u f d e r a r t i g e, h o c h g r a d i g e A n p a s s u n g s-
fähigkeit des Embryo wurden die Embryonen innerhalb ihivr
Gallerthülle durch Einklemmen zwischen Nadeln verbogen.
AVenn die Nadeln nach der Deformation sofort wieder entfernt wurden,
so nahm der Embryo sogleich wieder seine frühere Gestalt an; blieben
sie da- [516] gegen nur einige Stunden stecken, so war die De-
formation schon eine zunächst bleibende geworden und
wurde erst im Laufe me.hr er er Stunden wieder rück-
gängig gemacht; ein Beweis , dass bereits innere A n p a s s u n g
an die neue Form eingetreten war, welche aber im Laufe der weiteren
Entwickelung, vielleicht durch die bei der Deformation gehemmten,
die normale Gestalt intendirenden ^) Wachsthumskräfte wieder ausge-
glichen wurde.
Die so erwiesene rasche vitale Anpassungsfähigkeit
[1) Da His an dieser Fassung", da.ss die durch äussere Einwirkung hervor-
gebrachte und erst im Laufe mehrerer Stunden nach dem Aufhören der Einwir-
kung allmählich wieder rückgängig gemachte Deformation durch die „die normale
Gestalt intendirenden Wachsthumskräfte" wieder ausgeglichen werde, An-
stoss genommen hat, (Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1894, S. 52), so sei statt
der „intendirenden" Wachsthumskräfte: auf die Herstellung der normalen
Form „eingestellten" Wachsthumskräfte gesagt. Wir sehen häufig, dass
ein durch Nahrungsmangel im Diekenwachsthum zurückgebliebenes Kind, oder ein
durch mechanische Einwirkung am normalen Wachsthum gehemmter Theil eines jugend-
lichen Organismus nach dem Wegfall dieser Ursache rasch das Versäumte nachholt;
woraus zu schliessen ist, dass die durch den Keim ül)ertragenen immanenten
Wachsthumsgr össen durch eine zeitliche Hemmung ihrer Bethätigung nicht
vernichtet werden. Der von His herausgezogenen „elastischen Nachwirkung"
kann bei dieser Langsamkeit der Rückbildung des Groben unserer Deformation nur
ein ganz untergeordneter Antheil zukommen, da, soweit Elasticität betheiligt ist,
das Grobe der Deformation rasch nach dem Aufhören der deformirenden Kraft
wieder rückgängig gemacht wird.]
246 Nr. 18. Zur Orientlrung über die Probleme etc.
der Embryonen an erzwungene D e f o r m a t i o n e n in der
Periode der raschesten Differenzirung hat mich nicht gewundert.
Aber es überraschte mich weiterhin zu sehen, dass auch be-
fruchtete ungefurchte sowie in der ersten Furchung be-
griffene Frosch eier, welche doch aus fast Hüssigem Materiale
bestehen, durch obige Methode zu einer den Zwang über-
dauernden Aenderung ihrer Gestalt veranlasst, z.B. drei- oder
viereckig gemacht werden konnten^). Dabei zeigte sich aber,
dass die Eier unter der Wirkung dieses Zwanges leicht abstarben.
Diese Versuche, nebst einem gleichfalls an Froschembryonen
vorgenommenen Versuche über die Entstehung der Rautengrube
wurden bereits vor zwei Jahren (1882) angestellt, und die Absicht,
weitere Versuche an Hühner embryonen vorzunehmen, war in
Vergessenheit gerathen. Erst jetzt im Oktober bei der Ausarbeitung
dieser Schrift wurde ich wieder daran erinnert, und versuchte das
Versäumte nachzuholen ; aber von allen in dieser späten Zeit nocli
bebrüteten Eiern entwickelten sich blos einige \venige , an welchen
ich die folgenden Beobachtungen machte.
Ein Hühnerembryo von 40 Brütstunden mit am Kopf- und Halstheil
geschlossenem Medullarrohr wurden durch seitliche, der Medianlinie
parallele Schnitte aus der Umgebung ausgelöst und herausgenommen.
Obgleich auf der einen Seite nur noch ein Stück Seitentheil von der
l)reite des Medullarrohres neben diesem letzteren, auf der anderen
Seite aber fast nichts vom Seitentheil des Embryo mein- vorhanden
war, breiteten sich die noch unvereinigten Theile der Me-
li ullarwülste doch nicht seitlich aus; auch nicht, nachdem die
hintere Hälfte des Embryo mit dem noch offenen Medullarrohr von
der vorderen geschlossenen Hälfte getrennt Avorden war. Vorgenommene
momentane Verbiegungen des Embryo glichen sich immer sofort
wieder vollkommen aus.
[517] Bei einem anderen Embryo mit noch breiterem Anliang der
Urwirbel und Seiten platten , sowie bei einem in toto herausgenom-
[1) Dies deutet Avohl auf eine grosse murphologische Anpassungs-
fähigkeit der Ei- resp. Furchungszelle, speciell derEirinde hin, die sich ja auch
in der raschen Neubildung der letzteren bei den P'urchungen selber bekundet.]
»Selbstschluss-' des Modullarrohres. 247
meiien Embryo wurdon von den beiden Seiten bei- die .Scitcntbeile
gegen das noch offene Mediülarrohr hingedrängt, um es entsprechend
His' Annahme dadurch zu verengen, resj). zmn Sclduss /u bringen.
Aber es bogen sicii nur die Scitentheile in sich oluie Effect
für das Medul larrohr; und erst als die Ealten dieser Theile direct
an die Urwirbel und (hese dadurch an (he Mcthilhirwülste angepresst
wurden, wurden auch diese letzteren einander genähert. Also ein
Beweis, dass die Seitentheile viel biegsamer sind als das
Medullarrohr und daher letzteres nicht passiv verengen
können.
Diese Embryonen wurden zuletzt in viele Stücke zerschnitten,
doch änderte keines derselben erkennbar seine Gestall. Bei einem
weiteren Embryo aber rollte sich der rechte Seitentheil des Horn-
blattes längs des noch offenen hinteren Theiles des Medullarrohres
dorsal medianwärts ein und bedeckte so die Medullarfurche.
Alle folgenden Embryonen wurden aus dem Eic sofort in er-
wärmte physiologische Kochsalzlösung übertragen, während die bisbcr
erwähnten nur in Brunnenwasser von Zimmertemperatur gethan wor-
den waren.
Ein Embryo von 35 Brütestunden, mit noch ganz offenem
Medullarrohr, zeigt blos vorn in einer kleinen Strecke die Medullar-
wülste schon bis zur Berührung genähert. Die deutliche Erhebung
der Wülste erstreckt sich blos bis zum ersten Urwirbel nach hinten.
Die Seitentheile sind jederseits nur in einer Ausdehnung von der
Breite der Medullarfurche mit herausgenommen. Trotzdem wird
keine seitliche Verbreiterung der Medullarfurche durch
den Wegfall des von Hi^ vermutheten seitlichen Druckes
bemerkbar. Eine Viertelstunde nach der ersten Beobachtung er-
streckt sich die Erhebung des Medullarwulstes bis zum vierten Ur-
wirbel, und im Bereiche des vorderen Theiles des Medullarrohres
haben sich die Ränder desselben erheblich genähert, an einer ge-
messenen Stelle von 0,23 mm auf 0,05 mm. So wurde also eine
weitere Erhebung und Näherung-der M e d u 1 1 ar w ü Iste
direct beobachtet, nachdem die Seitentheile des Embryo
abgeschnitten worden waren; ein Beweis, dass diese Vorgänge
248 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
unabhängig von diesen Seitentheileu [518] vor sich gehen können, also
wohl „Selbstdiffereuzirung" der sich umformenden Theile
des Medallarroh res darstellen, da die Urwirbel im vorderen Theile
des Embryo gleichfalls nicht die nöthigen Bedingungen für geeignete
Beeinflussung des Medullarrohres darbieten^).
Die Entstehung der R a u t e n g r u b e leitet Hi.-^ von der
Brückenkrümmung, von der dorsalwärts concaven Biegung des primären
Hinterhirnes ab, auf Grund der ähnlichen Form, welche ein der Länge
nach etwas aufgeschlitzter Gummischlauch zeigt, wenn er gegen den
Schlitz hin concav gebogen wird.
Um die Richtigkeit dieser Auffassung zu prüfen, hatte ich zu-
nächst Frosch embryonen verwendet, obgleich diese normal eine
JDesonders kleine Brückenkrümmung und schmale Rautengrube haben.
Ich bog lebende Embryonen mit noch offener Medullarfurche dorsal-
wärts um bis zum rechten Winkel; aber es entstand nur eine sehr
geringe Abflaehung und seitliche Verbreiterung der Medullarvvülste.
Ein Embryo, welcher über Nacht in einer Lordose von 00" erhalten
worden war , hatte am andern Morgen diese Gestalt bleibend ange-
nommen; das Medullarrohr war noch offen, zeigte aber keine Rauten-
grube. Ich weiss nicht, ob er nicht vielleicht sehr bald abgestorben
war. Es ist zu bemerken , dass bei Froschembryonen sehr häufig-
erhebliche Lordosen durch Raumbeengung innerhalb der Gallert-
hülle sich ausbilden, ohne dass eine Bildungsab weichung des
Medullarrohres, etwa Wiederaufplatzen desselben mit nachträg-
licher Bildung einer Rautengrube im Lendentheil entstünde.
Die Experimente an den wenigen Hühner embryonen dieses
Herbstes ergaben folgende Resultate.
Der obige erste Embryo mit noch im Ganzen offenem, vorn
aber schon im Schlüsse begrift'enen Medullarrohre wurde, in Wasser
von Zimmertemperatur befindlich, in seinem Halstheil um etwa 90°
rückwärts gebogen, ohne dass jedoch eine wesentliche
Verbreiterung der Medullarfurche an der Stelle entstand.
Nach dem Aufhören der biegenden Einwirkung schnellte er wieder
[1) Weiteres ßeweismaterial für den „Selbstschluss" des Medullarrohres bietet
die Gestalt der Semiinedulla dorsalis lateralis dar, s. Nr. 22, S. 144.]
Künstliche Rautengrube des Medullanohros. 249
in seine frühere Form /uriiek. Dasselbe Resnltat ergal) der obige
iMnbrvo mit schon in (U'r vorderen Hälfte geschlossenem Medulkir-
rohr. Erst nach niehrinals wiederholter Rückwärtsbiegnng um viel
über 90° platzte unterhalb der Ectoderm das Medullarrohr auf.
[519] Der letzte obige Embryo wurde, nachdem er unter meinen
Augen das Medullarrohr weiter ausgebildet hatte, im hinteren
Kopftheil 90" rückwärts gebogen, ohne dass die Medul-
lär wülste seitlich auseinander wichen, wie es an einem
aufgespaltenen ({ummirohr bei gleicher Biegung ge-
schieht.
Aus diesen Versuchen ergiebt sich also übereinstinnnend, dass die
Mass enanor dnun ge n bei diesen Hühner- und Froscli-
embryonen nicht derartig waren, dass sich nach His' Ver-
muthuug durch solche Rückwärtsbiegung rein „passiv"
eine Rauteugrube erzeugen Hesse.
Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass in ehier solchen Biegung
eine mechanische Tendenz zu einem Auseinanderweichen der
seitlichen Wülste vorhanden ist, welcher aber durch den Widerstand
der äusseren Nachbarschaft mehr oder weniger das Gleichgewicht ge-
halten werden kann. Nachdem aber die forterhaltene Biegung
15 Minuten ohne deformirenden Erfolg geblieben war, be-
merkte ich, dass sich auf einmal das Medullarrohr an der Bieg-
uno-sstelle seitlieh verbreiterte, und dass eine ähnliche Ver-
breiter ung auch mitten im Kopftheil, welcher nach rückwärts con-
vex gebogen war, stattfand; innerhalb weiterer 4 Minuten wurde
dann bereits das Maximum der Erweiterung erreicht und eine vor-
her gemessene Stelle hatte sich dabei von 0,03 mm auf 0,13 mm ver-
breitert.
Ein anderer Hühnerembryo mit einem am Kopftheil bereits ge -
schlössen eu, in der hinteren Hälfte im Schlüsse begriffenen Me-
dullarrohr wurde in der gleichen Weise im Kopftheil convex, im
hinteren Halstheil aber erheblich über einen rechten Winkel, etwa
150^ concav rückwärts gebogen, beides gleichfallsohnemomen-
tanen erweiternden Effect auf das Medullarrohr. Nach
einiger Zeit jedoch öffnete sich der mittlere Kopftheil des Rohres
250 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
unterhalb des Ectodenn und die Augenblasen erlangten ganz abnorme
Gestalt; weiter caudal, etwa in der dorsal vom aboralen Herz-
rand gelegenen Gegend des Medullarrobres hildete sich
eine ivohlije formte, durch scharf ahgeJcnickte Seilivärtshieg-
nug der Medullarwülste ausgezeichnete .^Banfengruhe^'- aus.
Kopf wärts davon waren die Medullarwülste n och ein z w e i t e s M a 1
seitlich aus gebogen, aber an nicht vollkommen symmetrisch ge-
legeneu Stellen, so dass diese zweite Oettinung des Medullarrobres eine
mehr schlanke, rhomboide Form darbot (siehe S. 252).
An diesen Fall schliesst sich wohl das oben erwähnte Vorkomm-
niss von seitlicher Ausbiegung der Medullarwülste in der [520] mitt-
leren Rumpfgegend bei stark lordotischen Froschembryonen an, deren
Eier während der Furch ung angestochen waren (S. 167, Nr. 116;
S. 178, Nr. 112 und S. 172, dritter Embryo); auch in diesen Fällen
war typische Rautengrubenform vorhanden ^).
Das letzte entwickelte Ei war unzweifelhaft schon von der Henne
bebrütet; denn es ))ot nach 36 stündiger künstlicher Bebrütung einen
Embryo von etwa 6 0 Brütstunden dar; dieser \yurde daher
blos zu Verbiegungsversuchen verwandt. Der Embryo bekundete wie
alle früheren Embryonen eine sehr vollkommene Elasticität
und kehrte nach jeder momentanen Deformation rasch zu seiner nor-
malen Gestalt zurück.
Jede Verbieguug jedoch, welche 5 Minuten lang
(NB. im warmen Wasser ) passiv erhalten worden war,
zeigte sich als bereits durch innere xVnpassung für
einige Zeit fixirt. Der Embryo, an welchem die Öeitentheile
ziemlich breit, etwa in doppelter Medullarrohrbreite jederseits erhalten
waren, überlebte die Herausnahme aus dem Eie um zwei Stunden.
Der hinterste Theil des Embryo war bei einer ungeschickten Mani-
pulation hall) abgequetscht worden und wurde deshalb ganz abgetrennt.
[1) Dieselbe konnte aber hier umgekehrt auf Hemmung des nachträglichen
Schlusses der Asyntaxia beruhen; ganz abgesehen davon, dass an dieser Stelle
stets der nachträgliche Schluss am spätesten erfolgt (s. S. 185, Anm.), also blos die
besondere seitliche Verbreiterung auf Hemmung durch die Lord ose gedeutet
werden kann.l
„Selbstschluss'' des Darmrohrcp. 251
Einige Zeit naeli der irercUisnahme liel mir auf, das« .sich an
einer Stelle die Seitentheile von beiden Seiten her ventral bis last
znr Berührung genähert hatten. Ich vermuthete 7Ainächst, dass es eine
bleibend gewordene unbeabsichtigt vorgenommene passive Aenderung
sei. Es wurde nun jede weitere Beeinflussung vermieden , und es
zeigte sich, dass sich die seitlichen Wandungen einander immer mehr
näherten, sich fest zusammenschlössen bis zur Berührung, dann noch
weiterhin zur Vereinigung des so gebildeten P^nddarmes und zwar
derart, dass die Ränder der Seitentheile sich wieder nach aussen
wölbten, während mehr medullarwärts gelegene Stellen zur Berührung
mit einander gelangten. Dieser somit direct beobachtete „Selhst-
schJnss des Darw rohyes'' betraf nur das hintere Drittel des Embryo,
Hess also die Gegend hinter dem Herzen offen. Dagegen war der
Schluss auch an dem abgetrennten hintersten Stücke des Embryo
aber in etwas geringerem Maasse zu beobachten. Die Stelle stärkster
Krümmung [521] lag hier aber jederseits näher der Mediane))ene ;
die mehr lateralen Tlieile wurden blos passiv mitgenommen, ohne
sich zu biegen.
Wir haben also zu dem oben beobachteten Selbstschluss des
Medullarohres in diesem Selbstschluss des Darmrohres
noch ein zweites Beispiel, nicht durch Stauung gegen äussere Theile,
sondern activ an dem Umformungsherd selber erzeugter
Biegung kennen gelernt').
Nach welcher von den oben erörterten Möglichkeiten aber diese
Biegung durch Selbstdif f erenzirung vor sich geht, ob unter
keilförmiger Selbstumgestaltung der Zellen, oder unter Zellwachsthum
oder Zellansammlung auf der convexen Seite oder durch Zellschwund
oder -Auswanderung an der concaven Seite etc., das ist natürlich
[1) Diesen Versuchen kann noch der Einwand entgegengehalten werden, dass
vielleicht die Kochsalzlösung nicht ganz die entsprechende Concentration gehabt hätte
und dasb daher der Selbstschluss durch eine schrumpfende Wirkung des fremden
Mediums bedingt gewesen sei. Um dem zu begegnen, habe ich jüngst die Operation
im Ei selber vornehmen und das Ei danach noch einige Stunden der Brutwärme aus-
setzen lassen, worüber im Arch. f. Entwickelungsmechanik berichtet werden wird.
His gedenkt in seiner S. 245 Anm. genannten Arbeit der vorstehend mitge-
theilten Versuche überhaupt nicht.
252 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
nur durch besondere, diesem Zwecke angepasste Untersucbungsweisen
zu ermitteln.
Der Umstand, dass der Selbstscliluss beider Rohre nach der
Abtrennung von der seitUchen Umgebung so rasch erfolgte,
deutet vielleicht darauf hin, dass diese Umgebung, im
Gegensatze zu der Vorstellung von His, als Hinderniss für
den Schluss aufzufassen ist ; sofern man nicht annehmen will,
dass durch die abnormen Bedingungen besondere den Schluss be-
wirkende Kräfte ausgelöst worden wären, oder dass auch innerhalb
des Eies der Verschluss sich zu derselben Zeit und mit derselben
Geschwindigkeit vollzogen haben würde; w^as wenigstens für das
Darmrobr vielleicht ein wenig zu früh gewesen wäre. Aber aller-
dings entsteht um diese Zeit am Entoblast eine ähnliche Biegung,
welche indess unter normalen V-'erhältnissen nicht zum Verschlusse
führt, vielleicht, weil die Seitentheile durch den Dotter noch zu sehr
auseinander gehalten werden.
Bezüglich der Rautengrube dagegen erhielten wir das Resultat,
dass es möglich ist, durch Rückwärtsbiegung desMedullar-
rohres eine entsprechend gestaltete Grube sogar an nicht
dafür bestimmter Stelle zu erzeugen. Zugleich aber erkannten
wir, dass die Umformung dabei nicht einfach mechanisch und
rein passiv vor sich geht, wie bei der Biegung eines aufge-
schlitzten Gummischlauches [denn dann hätte sie wie beim Gummi-
schlauch zugleich mit der ursächlichen Deformation entstehen müssen],
sondern dass die Entstehung der Rautengrube erst durch die
sehr rasche anpassende Lebensthätigkeit der Gewebe [wohl
Wachsthum an den Stellen und in Richtung des Zuges, Verminderung
an den Stellen verstärkten Druckes] ermöglicht wird. Aus diesem
Befunde lässt sich aber noch nicht sicher folgern, dass die
„normale" Rautengrube wirklich auf diese Art entstehe;
[522] sondern es wird diese Eventualität dadurch blos in den Bereich
der empirischen Möglichkeiten gerückt.
Die so von mir künstlich hergestellte Rautengrube gehört der
Art ihrer Entstehung nach genau genommen nicht mehr in die Gruppe
mechanischer Massencorrelationen. Doch empfiehlt es sich wohl,
Andere differenzirende Correlationeu. 253
diese Art ..(hncli »icr/i (( tnsrhc M et ssen cor ycl a ii on rer-
mittcUer vitaler Uniforunn/;/'' mit als Untcnibtlicilniio- in
diesen Absclmitt aufzunehmen, Aveil sie verm u tlil i cli die häu-
figere ist gegenüber der „rein mechcui isclicn jlfafifie)/-
correlation" , der rein passiven Umformung lebenden Materiales.
Denn es wird liei mechanischen Massencorre lation en
im Organismus meist wohl zunächst nur eine selir ge-
ringe passive Umgestaltung stattfinden; und erst in
dem Maasse, als an diese Um^estal tung durch vitale
Vorgänge successive innere Anpassung stattgefunden
hat, wird allmählich die Umgestaltung weiter vor-
schreiten.
Ich beabsichtige, alle bis jetzt bekannten Beispiele von gestaltenden
Massencorrelationen zu sammeln, um in späteren Beiträgen eine voll-
kommene Uebersicht über dieselben zu geben. Vielleicht unterstützen
mich die betreffenden Autoren freundlicher Weise durch gefällige
Uebersendung von Separatabzügen oder von Litteraturnachweisen in
der Ausführung dieser mühevollen Arbeit. ')
4. Andere diff erenzirende Correlationen.
Es ist keine Veranlassung anzunehmen, dass mit den erörterten
drei Arten von Wechselwirkungen : der fun ctionellen AnjDassung,
der zur Theilauslese führenden Correlation und der
m e c h a n i s c h e n j\I a s s e n c 0 r r e 1 a t i o n die Möglichkeiten , ,differen-
zirender" Correlationen für den normalen ^^erlauf der Entwickelung
erschöpft seien. Da wir den Antheil der Selbstdifferenzirung an der
Entwickelung noch nicht kennen, sind wir schon aus diesem Grunde
nicht im Stande, das Gebiet der correlativen Differenzirung zu um-
grenzen und daraufliin zu bestimmen, wie weit die diesem Principe
zugehörigen Wirkungen sich auf die erörterten drei Arten zurück-
führen lassen. Dem gegenüber müssen wir, um nichts zu über-
sehen, uns vorläufig vorstellen, dass vielleicht sehr viele elementaren,
bereits bekannten und noch unbekannten, qualitativen und quantita-
1) Diese Bitte liat sicli gäiizlieii erfolglos erwiesen.]
254 Nr. 18. Zur Orientirung über die Probleme etc.
tiven \^eränderungen selbstständig, das lieisst ohne äussere Einwirkung
auf den Diffe- [523] renzirungsbezirk sich vollziehen. Andererseits
aber ist auch stets daran zu denken, dass vielleicht viele
dieser Vorgänge von näheren oder e n tf eruteren Theilen
d 6 s O r g an i s m u s ausgelöst oder in einer d i f f e r e n z i r e n d e n
Weise beeinflusst werden können.
Es ist wohl nicht nöthig, noclniials liervorzuheben, dass jede
Differenzirung, an sich betrachtet, das Product von Wechseh
Wirkung ist; und dass es uns bei der Unterscheidung von selbst-
ständiger und abhängiger Differenzirung immer nur darauf
ankommt, zu ermitteln, ob die specifische Ursache einer Ver-
änderung in dem Bezirke der wahrnehmbaren Veränderung selber
oder ausserhalb desselben gelegen ist (s. S. 208). Wir wollen allmählich
die einzelnen Differenzirungsvorgänge sowie für jeden der-
selben die Ausdehnung und Lage seines Ursachenbezirkes
sowie die Zeit dieser Verursachung kennen lernen, weil wir auf (Irund
dieser Kenntniss dann weiterhin Schlüsse über die Natur der Ursachen
ableiten und so Handhaben für die Erforschung ihrer selbst gewinnen
können (s. S. 16).
Es fehlt nicht an Erscheinungen, welche auf ihrem Wesen nach
nicht näher bekannte Correlationen hinweisen; z. B. die Aus-
bildung der secundären Geschlechts Charaktere, welche in so
entschiedener Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Geschlechts-
drüsen, ja angeblich sogar von der Geschlechtsdrüse der entsprechen-
den Körperhälfte stehen; ferner die secundären Veränderungen
bei der Schwangerschaft, soweit sie nicht der ^unctionellen An-
passung zugehören. Desgleichen die Erscheinung der vorzeitigen
Reife des ganzen Körpers (A. Kussmaul i). Ferner vielleicht zum
Theil die Ursachen des verschiedenen Habitus des ganzen
Körpers oder der Gesichtsbildung, z. B. die neuerdings von
Kollmann''') nachgewiesenen Correlationen der Ge sieht sbildung.
Im dritten Beitraoe wird auf eine andere neue Correlation gefahndet
1) A. Kussmaul, Würzburger med. Zeitschr. Bd. 3 S. 321—360.
••i) J. KoLF.MANN, Correspondenzblatt der deutschen antlirop. (lesellsch. 1888.
Nr. 11.
Andere difloreiizirontle Corrolationen. 255
werden (s. Nr. 20, S. 50 iiml Nr. oO). Man wird tcriici' daran deid<en
müssen, dass nianclu^ Beispiele der von Cn. Darwin unter dem Namen
„correlative Variabilität" /Aisammengerassten [524] Erselieinnn,ü;eii
von gemeinsam auftretenden Abänderungen der Individuen, z. B. der
Art, dass Pferde mit einem weissen Stern auf der Stirn gewöhnlich weisse
Füsse haben, vielleielit einer fridi zeitigen Correlation von Theilen im
Eie ihre Entstehung verdanken kiUmen.
Dagegen ist das von Goethe und Geoffroy St.-Hilaire aufgestellte
Gesetz der Compensation des Wachsthums, wie ich darge-
than habe (s. Nr. 4), auf die Wirkung der function eilen An-
passungin X'erbindung mit dem Kamjife der Theile zu-
rück zuf üb ren\).
Breslau, December 1884.
[1) lieber weitere dif feren zirende Cor rel ati onen siehe Nr. 22. S. 279,
Nr. 28. Nr. 30 und 33.
Nr. 19.
Beiträge zur Entwiekelungsmeehanik des Embryo.
Nr. II. Ueber die Entwickelung der Froscheier bei Auf-
hebung der richtenden Wirkung der Schwere.
1884.
Breslauer ärztliche Zeitschrift vom 22. März 1884.
Inhalt.
Seite
1. Normaler Weise von der Schwerkraft beeinflusste (iestaltungen des
Froscheies 257
Nachweis der Ungleicheit des specifischen (lowichtes des Nahrungs-
und Bildungsdotters 260
Pkll'ger's Auffassung 262
11. Nachweis des Nichtnöthigseins gestaltender Einwirkung der
Schwerkraft zur normalen Entwickelung des Eies 264
Rotationsapparat 265
Rasche Umdrehung 266
Langsame Umdrehung 267
Ergebnisse 268
Ueberschlagseier 272
Wirkung der Viscosität der Eier 273
III. Unnöthigkeit gestaltender Einwirkungen des Lichtes, der Wärme
und des Erdmagnetismus zur normalen Entwickelung des Eies . . 274
Wirkung der Sch\verkraft. 257
I. Normaler Weise von der Schwerkral't beeiiiflusste Gestaltuugeii des
sich eutwickelndeii Frosclieies.
[1] Das Ei des braunen Frosches (Ran a fiisca), welches den im
Folgenden zu berichtenden Versuchen unterzogen wurde, ist normal
kugelrund und Lässt an seiner Oberfläche einen weissen kleineren
runden Abschnitt und einen die übrige Oberfläche einnehmenden
schwarzen Theil unterscheiden. Die Linie, welche die Mitten dieser
beiden Theile der Oberfläche verbindet, hcisst die i^^iaxe und geht
zufolge der erwähnten runden Abgrenzung beider Abschnitte gegen
einander zugleich durch den Mitte Ipunct des Eies. Wenn dagegen
wie nicht selten, der weisse Theil von der runden Gestalt abweicht,
so wird die Lage der Eiaxe etwas zweifelhaft.
Nachdem die Befruchtung des Eies stattgefunden hat, übt nach
alter Erfahrung die Schwere eine richtende Wirkung auf das Ei und
einen Theil der in ihm sich abspielenden Vorgänge aus.
Das Ei dreht sich zunächst, sobald die Gallerthülle genügend ge-
quollen ist, innerhalb derselben mit dem schwarzen [2] Theile nach
oben, wodurch der weisse Abschnitt dem Auge entzogen und die Ei-
axe zugleich senkrecht gestellt wird^). Zufolge dieser typi-
[1) Diese senkrechte Einstellung der Eiaxe ist für Rana fusca die Regel. Doch
haben Borx und ich gleichzeitig auch Abweichungen davon beobachtet. Ich habe
dieselben etwas verfolgt und darüber gelegentlich einer Discussion (s. Breslauer ärzt-
liche Zeitschrift, April 1884, Nr. 8) folgende Angabe gemacht. Es fanden sich geringe
Abweichungen von der senkrechten Einstellung „sehr häufig." „Bei einem braunen Frosch
stellten sich sogar alle, das will sagen die beobachteten etwa 120 Eier, so hochgradig,
zwischen 20 und 30 Grad, schief mit den Eiaxen ein, dass sie der Schiefstellung der
Eier von Rana esculeuta gleichkamen. Dabei boten interessanter Weise auch
viele dieser Eier zugleich das von mir beschriebene Furchungs-
schema der „Rana esculenta" dar" (s. S. 115).
„Da die Schiefstellung der Eiaxe so variabel in ihrem Vorkommen ist, so
werden wir ihr keine hohe Bedeutung für den Mechanismus der Ent-
wickelung zuerkennen dürfen. Aber als Hülfsmittel der Forschung ist
sie von grosser Bedeutung. Denn wir erhalten durch diese Schiefstellung
ausser einer festen Linie noch einen Punct im Eie, den höchsten Punct
des weissen Poles, so dass genügend Anhaltepuncte zur Orientirung
über manche Vorgänge in und auf dem Eie dadurch gegeben sind. Ich verwende
gegenwärtig diese Schiefstellung der Eiaxe zu Versuchen darüber, ob das Oral
und das Aboral des künftigen Fmbryo schon im unbefruchteten
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 17
258 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
sehen Einstellung aller entwickelungsfähigen Eier führt der schwarze
Tlieil aucli den Namen oberer Pol oder obere Hemisphäre.
Die Ebenen der beiden ersten Theilungen, welclie danach statt-
finden, stehen gleichfalls senkrecht und schneiden sich daher auch in
einer senkrechten Linie der Furch ungsaxe, welche mit der Eiaxe
/zusammenfällt. Die nächste Theilung findet in wagrechter Richtung statt
und die beiden gleichzeitig auftretenden nächsten Furchen stehen gleich-
falls wieder senkrecht ; so dass also die Schwere die Richtung der ersten
äusserlich sichtbaren Vorgänge vollkommen zu beherrschen scheint.
Zu diesen seit lange bekannten Thatsachen wurden im vorigen
Jahre mehrere newe hinzugefügt. Zunächst stellte ich fest, dass die
Medianebene des künftigen Embryo normaler Weise mit der ersten
Furchungsebene zusammenfällt (Nr. 16), wonach die Schwere also
auch noch die spätere Organisation zu beeinflussen schien, ein Ver-
halten, welches noch fast gleichzeitig mit mir auch von E. Pflüger
aufgefunden wurde ^) (s. S. 123, Anm.).
Eine weitere hierher gehörige Beobachtung machte ich an
den Eiern vom Wasserfrosch (Rana esculenta s. viridis) (S. 113).
Bei dieser Species stellt sich die Eiaxe nicht senkrecht, son-
dern derart schief ein, dass bei der Ansicht von oben neben
dem hier braunen oberen Pol an einer Seite noch ein mondsichel-
förmiger Saum des hier gelbweissen unteren Poles zum Vorschein
Frosch ei fest gegeben ist, oder ob diese Richtungen erst nach der Befruchtung
des Eies bestimmt werden."
Auch Max Schiltze hat als das Gewöhnliche angegeben, dass bei Rana fusca
die Eiaxe sich senkrecht einstellt. Sein Sohn 0. Schui.tzk hat dagegen behauptet,
dass die Eiaxe dieser Species sich normaler Weise 45" schief einstelle. Bei Prüfung
an den Eiern der Frösche seines Aufenthaltsortes (Würzburg) fand ich jedoch gleich-
falls fast durchweg die senki-echte Einstellung, woneben wieder Abweichungen von
5 — 10° vorkommen (Biolog. Centralbl. 1888, Nr. 8, S. 404). Es zeigte sich, dass
der Autor die Eier erst kurz vor der Furchung beobachtet hatte, zu einer Zeit, in
der bereits eine typische einseitige Aufhellung eines halbmondförmigen Theiles der
oberen Hemisphäre stattgefunden hatte und dass er diese Zone mit als zur weissen
Hemisphäre gehörig aufgefasst hatte, (lieber diese Aufhellung s. Nr. 21, S. 163).
Ebenso erwies sich die weitere Angabe des letztgenannten Autors nicht zu-
treffend, dass auch die unbefruchteten Eier die Schiefstellung von 45" darböten
(siehe auch S. 260 u. Nr. 20, S. 11).]
1) E. Pflüger, Ueber den Eintiuss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen.
Pflüger's Arch. 1883. Bd. XXXI.
i
Wirkung der Schwerkraft. 259
konnnt. Die erste Furchuno-sebene steht bei bei K. l'iisca senkreelit,
ist aber so orientirt, dass sie dieses Bild S3^mmetris('li tlieilt, was blos
inöglich ist, wenn sie zugleich durch den höchsten Punct der gelben
Randsichel und durch die schiel" stehende Eiaxe hindurch geht. Durch
die schiefe Einstellung der Eiaxe zur Richtung der Schwerkral't wird
hier also auch schon die Richtung der ersten Furchungsebenc' und
[3] mit ihr die Richtung der künftigen Medianebone des Embryo noch
vor der Theilung bestimmt.
An diesjährigen Eier Stocks eiern von Rana esculenta sah ich
trotzder noch mangelndenEntwickelungsfähigkeit schon schief eEinstel-
lung beim Schwimmen im Wasserglas eintreten. S o f e r n die gl e ic h e Ein-
stellung reifer Eier im Wasser sich nach der Befruchtung nicht ändert,
würde hier also schon im unbefruchteten Eie die Lage der Median-
ebene und das Oral und Aboral neben dem Dorsal und Ventral be-
stimmt sein, womit alle Hauptrichtungen des Embr^^o be-
reits vor der Befruchtung gegeben wären (s. Nr. 20, S. 16).
Einige weitere bezügliche Thatsachen lernten wir durch E. Pflüger
kennen ^), welcher gefunden hatte, dass man die Eiaxe auch künstlich
in schiefer Stellung erhalten kann, sofern man die Gallertliülle des
Eies nur so wenig quellen lässt, dass zwar die Entwickelung vor
sich geht, das Ei aber sich nicht in seiner Hülle drehen kann. Unter
Anwendung dieser Methode beobachtete er, dass auch bei beliebiger
künstlicher Schiefstellung der Eiaxe die Furclmngsaxe senkrecht
steht, dass aber die erste Furchungsebene in jedem beliebigen Winkel
zu der Eiaxe stehen könne; während die Medianebene des Embryo
wie bei der physiologischen Schiefstellung der Eiaxe stets eine senk-
rechte Ebene durch diese Axe darstellt^). [4] Weiterhin fand Pflügeh,
1) loco cit. und: Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der
Zellen und auf die Eni^wickelung des Embryo. Zweite Abhandlung. Pfi.Cuer's Arch.
1883. Bd. XXXII.
2) Pflüger hat die physiologische Schiefstellung der Eiaxe bei Rana
esculenta und damit zugleich übersehen, dass die wichtige Bestimmung, die er für
die künstliche Schieferhaltung derselben auffand, bereits von mir für die normale
Schiefstellung der Eiaxe bei Rana esculenta beobachtet und beschrieben worden war.
Desgleichen erwähnt er nicht, dass ich auch schon bei Rana escul. (S. 113
u. 164) gefunden hatte, dass von dem mittelsten zugleich höchsten Puncte des von
ölten her am Eie sichtbaren weissen Saumes aus gegen die Mitte der schwarzen
17*
260 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
dass diejenigen Tlieile des Eies, welche bei Zwangslage nach oben zu
liegen kommen, sich rascher furchen, als die nach unten gelegenen,
selbst wenn es weisse Theile sind, welche sich doch bei ihrer normal
nach abwärts gekehrten Lage langsamer als die normaloberen schwarzen
Theile zu furchen pflegen. Schliesslich noch beobachtete er, dass der
Urmund an wechselnder Stelle des weissen Poles entstehen kann, je
nach der Neigung, die man der Eiaxe künstlich verliehen hat.
Es liegen somit eine ganze Anzahl von Erscheinungen vor, welche
auf eine richtende Wirkung der Schwerkraft auf das be-
fruchtete Ei und auf das Entwickelungsgeschehen des-
selben hinweisen. Es fragt sich nun, wie^man sich diese Wirkung
der Schwere vorzustehen hat. Die älteren Autoren dachten bezüglich
der wenigen ihnen bekannten Verhältnisse an ungleiches specifi-
sches Gewicht der weissen und der schwarzen Eimasse; und auch
ich habe nach meinen Befunden mich nicht veranlasst gesehen, etwas
anderes als Ursache zu vermuthen (s. S. 113 u. 120) und will hier einige
Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme hinzufügen.
Ungleichheiten des specifi sehen Gewichtes der Ei-
theile sind mit Sicherheit schon vor der Befruchtung vorhanden.
Es wird zwar behauptet^), ,,dass die unbefruchteten Eier, in Wasser
geworfen, auf immer die Lage behalten, welche sie einmal angewiesen
erhielten". Dies ist aber, wie ich durch mehrfache Versuche festge-
stellt habe , nicht richtig ; sondern die u n b e f r u c h t e t e n E i e r d r e h e n
sich blos langsamer, erst im Laufe einer oder mehrerer
Stunden, [nachdem sie in Wasser geworfen worden sind, inner-
halb der, auf den Boden festklebenden, Gallerthülle; während be-
fruchtete Eier unter gleichen Verhältnissen dazu eine halbe Stunde
brauchen.] Nachdem die befruchteten Eier erst in ihrer Hülle
durch Quellung derselben beweglich geworden sind , benöthigen sie
nach passiver Umdrehung blos noch einer oder weniger Minuten
Hemisphäre hin sich die Rückenfurche entwickelt, womit die Richtung des Hinten
und Vorn [Kopfwärts und Seh wanz w ärt s] des künftigen Embryo schon in
frühester Zeit bestimmt erkannt werden kann, ein Verhalten, dessen Feststellung einen
Haupttheil meiner Arbeit ausmacht.
1) E, Pflüclr, loc. cit., erste Abhandlung, S. 311.
Wirkung der Schwerkraft. 2G1
zur Rückkehr in die senkrechte SteHung der Eiaxe mit dem weissen
Pol nach unten.
Sogar Eier, welche noch nicht in den Uterus übergetreten waren
und noch der Gallerthülle entbehrten, ja selbst noch ganz unfertige
Eier des Eierstocks von erst der halben Grösse der Norm zeigten
dieselbe Drehung und Einstellung, sobald sie in eine Flüssigkeit
von geeignet hohem specifi sehen Gewichte, um darin schwim-
men zu können, gethan wurden. Dieses Vermögen hört zwar bei
unbefruchteten Eiern drei bis vier Tage nach der Herausnahme aus
dem Mutterleibe auf, ist aber gleichwohl nicht an [5] die Lebens-
fähigkeit und an die Lebenseigenschaften des Eies direct gebunden.
Dies ergiebt sich daraus, dass alle normal gestalteten unbefruchte-
ten Eier sich ebenso rasch drehten, wenn sie durch Kochen
getödtet, und aus der Gallerthülle, sofern solche schon vorhanden,
ausgelöst, in eine als Vehiculum verwendete Mischung von Wasser-
glas und Wasser gebracht wurden. Nach jeder künstlichen Um-
wendung kehrten sie rasch in ihre alte Lage mit aufwärts gerichtetem
schwarzem Pole zurück^). Da sie beim Kochen gewöhnlich ihre runde
Gestalt verlieren, könnte man dies vielleicht zum Theil auf die un-
regelmässige Gestalt zurückführen wollen, eine Auffassung, gegen
welche aber die weitere Beobachtung sprach, dass alle diese selben
Eier, ohne ihre Gestalt erkennbar verändert zu haben, nach einigen
Stunden des Schwimmens im Wasserglase nunmehr ihre weissen Pole
aufwärts wendeten und nach künstlicher Abänderung dieser Stellung
ebenso rasch zu dieser neuen Stellung zurückkehrten. Unter der Ein-
wirkung des Wasserglases ist also allmählich die ursprünglich spe-
cifisch leichtere schwarze Hemisphäre die specifisch schwerere
geworden; ein Verhalten, welches mit verschiedenen Reagentien
[1) Bezüglich der Frage, ob die befruchteten und unbefruchteten, in toto
schwimmenden Eier sich in dieser Hinsicht verschieden verhalten, habe ich kurze Zeit da-
rauf (Breslauer ärztliche Zeitschrift, April 1884, Nr. 8) gelegentlich die etwas genauere
Angabe gemacht, „dass befruchtete und unbefruchtete Eier sich beide innerhalb weniger
Secunden drehten und fest einstellten. Es schien, dass die befruchteten Eier da-
bei nochein wenig rascher, im Mittel etwa in sechs, die unbefruchteten im Mittel
in zehn Secunden ihre Einstellung nach grösster Entfernung von der Gleichge-
wichtslage erreichen." (Weiteres s. Nr. 20, S. 12).]
2G2 Nr. 19. Entwickelung der Frosclieier bei Aufhebung der richtenden
geprüft, vielleicht zu weiteren Aufschlüssen über die Natur der ungleich
specifisch schweren Eisubstanzen führen wird. Ungleichheit des
specifischen Gewichtes zeigten nicht blos^^die ganzen Eier, son-
dern auch Stücke, welche parallel der Eiaxe aus dem Ei
herausgeschnitten waren [indem sie schwimmend sich in gleicher
Weise einstellten wie die ganzen Eier].
Pflüger sieht bei seiner ausführlichen Deutung der bekannten
und der von ihm gefundenen bezüglichen Thatsachen von einer
sorgfältigen Erwägung der mit der ,, Ungleichheit des spe-
cifischen Gewichtes" und der ,, halbflüssigen Beschaffenheit"
des Eiinhaltes gegebenen Möglichkeiten ab^) und führt von
vornherein ein mit dem Reize des Geheimnissvollen der Wirkungs-
weise umgebenes, nach seiner Meinung alle Zelltheilungen überhaupt
beeinflussendes Princip der Wirkung der Schwerkraft ein.
Er sagt^): ,,Die verticale Lage der ersten beiden Furchungs-
ebenen, sowie die horizontale der Dritten und der Ort in dem Ei,
wo diese Theilungsebenen liegen, ist also nur ein specieller [6] Fall
eines allgemeineren noch unbekannten G e s et ze s, wonach
die Schwerkraft die Organisation beherrscht." Ferner S. 63:
,,Die Schwere allein l)estimmt vermöge der Richtung der Eiaxe,
welche dieser (seil, in den Richtungen der Meridiane um die Eiaxe
gelegenen) Molecülreihcn die herrschende wird. Es ist diejenige
Reihe, welcher allein im Ei die ausgezeichnete Eigenschaft zukommt,
in einem verticalen primären (d. h. durch die Eiaxe gehenden)
[1) Da ich früher schon die von der Schwerkraft abhängigen Gestaltungen am
Froschci auf das ungleiche specifische Gewicht der Eitheile zurückgeführt hatte
(s. S. 113 u. 120), so glaubte ich, hier mit der neuerlichen bezüglichen Anführung des un-
gleichen specifischen GeAvichtes und der halbflüssigen Beschatfenheit der Eimassen es
genügend angedeutet zu haben, dass die Wirkung der Schwere auch bei der sogenannten
„Zwangslage der Eier" darin bestehe, dass die specifisch schwereren Theile sich
senken, die specifisch leichteren Theile aufsteigen, sodass im Groben wieder die normale
Anordnung hergestellt werde, während überhaupt nur die P]irindc fixirt worden
war. 0. Hertwig hat sich ein halbes Jahr danach in gleichem Sinne ausgesprochen
(Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen, 1884). G. Born
dagegen hat gleichzeitig mit den hier mitgetheilten Versuchen die entsprechenden
Umordnungen dir e et nachgewiesen (Breslauer ärztl. Zeitschr. v. 26. April 1884
und Arch. f. micr. Anat. 1885, Bd. 24, S. 475). Siehe auch Nr. 20, S. 50 u. 54.]
'^) loc. cit. zAveite Abhandlung S. 24.
Wirkung der Schwerkraft. 263
Meridian zn liegen." ,, Welche von den Molecülreihen des durch die
Schwerkraft ansgewidilten Meridianes die bevorzugten sind, entscheidet
abermals die Schwerkraft, denn die höher') gelegene jNIeridianhälfte
enthält die Bildungsstätte des Nervens^^stems". Ferner stellt er sich
vor, ,,dass zu der Zeit, wo alle meridial (= nieridional) gerichteten
Molecülreihen noch gleich werthig sind, die Schwerkraft eine Mol e-
cülreihe von vielleicht ganz geringer Ausdehnung bevorzugt, so-
dass nur diese organisirend wirkt und allmählich alles Nähr-
material für ihre Wachsthumstendenz verbraucht, während alle übrigen
zurückgedrängten meridial polarisirten Molecülreihen eine andere, später
zu besprechende Bestimmung finden" (indem sie nämlich zum Auf-
baue der Geschlechtsorgane vorbraucht werden, S. 67).
Er geht nun weiter in seinen Folgerungen und sagt noch S. 64 :
,,lch würde mir also vorstellen, dass das befruchtete Ei gar keine
wesentliche Bezieliung zu der späteren Organisation des
Thieres besitzt, so wenig als die Schneeflocke in einer
wesentlichen Beziehung zu der Grösse und Gestalt der Lawine
steht, die unter Umständen aus ihr sich entwickelt. Dass aus dem
Keime immer dasselbe entsteht, kommt daher, dass er immer
unter dieselben äusseren Bedingungen gebracht ist."
Die besonders prägnanten Stellen sind von mir durch gesperrten
Druck hervorgehoben. Nach der letzten Ausführung hätten wir also
anzunehmen, dass aus dem Ei des Hechtes, des Grasfrosches, des
Hühnchens, welche frisch befruchtet nach Pflüger gar keine wesent-
liche Beziehung zu der späteren Organisation des Thieres haben, nur
deshalb ein Hecht, ein Grasfrosch oder ein Hühnchen wird, weil
jedes dieser Eier [7] immer unter bestimmte äussere Bedingungen
kommt, welche aus dem einen Eie einen Hecht, aus dem anderen
einen Frosch, aus dem dritten ein Hühnchen gestalten; und wenn
man die Hechteier'* unter die Schwer- oder sonstigen äusseren Beding-
ungen des Froscheies brächte, dann würden demgemäss nicht Hechte,
sondern Frösche (aber wohl mit den chemischen Qualitäten der Hechte)
daraus werden? Und was entsteht, wenn Hühner-, Tauben- und Sper-
lingseier gleichzeitig in denselben Brütofen gelegt werden?
[1) Vergleiche dagegen Nr. 21, S. 158.]
264 Nr. 19. Entvvickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
Sehen wir hiervon ab , so geht aus Pflüger's Ausführung her-
vor, dass ohne die Wirkung der Schwerkraft keine embryo-
nale E n t w i c k e 1 u n g möglich sei, weil mit ihr ein h auptsächlich stes
gestaltendes und differenzirendes Moment fehle. Dem befruchteten
Eie fehlen nach Pflüger die zur Entwickelung nothwendigen gestalten-
den Kräfte, und sie müssen erst von aussen her hinzugebracht werden.
Ich dagegen halte, und befinde mich dabei wohl im Einverständniss
mit der Mehrzahl meiner Leser, die Auffassung für wahrscheinHcher,
dass die formale und vielleicht auch die qualitative Ent-
wickelung des befruchteten Eies ein Process vollkommener
„SelbstdiffereiiziruHg-" ist, für dessen normalen Ablauf nur Schutz
vor äusseren Störungen und Zufuhr von Nahrung, Spannkraft oder
lebendiger Kraft nöthig ist, ohne dass diesen Agentien indess eine
directe differenzirende [d. h. die Art der Gestaltung bestimmende]
Wirkung zukomme.
Ob dies für die qualitative, chemische Entwickelung rich-
tig ist, muss vor der Hand dahingestellt bleiben (siehe S. 200).
Dass aber die ,, formale" Differenzirung in dem befruchteten
Eie unabhängig von äusseren „gestaltenden" Einwirkungen
ablaufen „kann", soll, wenigstens für das Ei der Rana fusca,
im Folgenden dargethan werden.
II. Nachweis des Niehtnöthig'seius gestaltender Eiiiwirkun^^ der
Schwerkraft zur normalen Entwickelung des Eies.
Wenn nach Pflügeh die Schwere allein denjenigen Meridian um
die Eiaxe bestimmt, in welchem die Entwickelung beginnt und die
Embryonalanlage stattfindet, dann müsste bei Aufhebung der richten-
den Wirkung der Schwere keine oder keine annähernd zu einem nor-
malen Resultate führende Entwickelung eintreten. Denn wenn die
Entwickelung nur in dem obersten Meridian erfolgen kann ; wo soll
sie statt- [8] finden, wenn es keinen solchen giebt, wenn in
jedem folgenden Momente ein anderer Meridian der oberste ist, wenn
das Gebilde also fortwährend gedreht wird. Wenn ferner die Schwer-
kraft nicht blos eine das ungleich specifisch schwere Material ord-
Wirkung der Schwerkraft. 265
nende Wirkung hat, sondern eine die Entwickelung veran-
lassende, differenzirende Wirkung ausübt, was soll geschehen,
sofern die Schwerkraft durch eine andere Kraft mehr oder minder
aufgehoben oder gar übercompensirt wird?
Aus diesen Fragen ergeben sich zwei Versuche: erstens lang-
same fortwährende Umdrehung des Eies zur fortwährenden Aende-
rung des obersten Meridians und eine rasche Umdrehung zur Auf-
hebung der Schw^erkraft durch die Centrifugalkraft.
Zur Ausführung entlieh ich von den Herren Professor Ferd. Cohn
und Privatdocent Dr. Frank Schwab/ allliicr die von ihnen zu botani-
schen Versuchen verwendeten Apparate, welche mir mit liebenswürdig-
ster Bereitwilhgkeit zur Verfügung gestellt wurden. Ein kleines, um
eine „wagerechte" Axe sich drehendes Wasserrad, welches,
ohne zu stark zu spritzen, bis 84 Umdrehungen in der Minute aus-
führen konnte und in einem Blechkasten gelagert war, der einen
maximalen Radius von 22 cm gestattete.
Die Beschleunigung v durch die Centrifugalkraft beträgt:
4 TT- r
n' = 9,869.
Da nun für unseren Apparat die maximale Umdrehungs-
geschwindigkeit pro Secunde
t = 7,7 = 0,71 Secunde,
84
ferner r = 0,22 m,
so ist nach obiger Formel die erreichbare maximale Centrifugal-
beschleunigung
4 . 9,869 . 0,22 8,684
V ^=
17,2 m pro Secunde.
(0,71)2 0504
Die Beschleunigung durch die Schwere pro Secunde beträgt
^ g = 9,81 m.
Demnach verhält sich v : g = 17,2 : 9,81
V = 1,83 g.
[9] Mit dem gegebenen Apparate konnte also eine Centrifugalkraft
von fast der doppelten Grösse der Schwerkraft hervorgebracht werden.
Wenn die Eier mit der angegebenen Geschwindigkeit an dem Radius
266 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
von 0,22 rotirten, so mnsste, da die hier berechnete Grösse der Centri-
fugalkraft radiär nach aussen wirkt und bei der Drehung in
einer „senkrechten" Ebene fortwährend ihre Stellung zur
Richtung der Schwerkraft ändert, die Resultante beider Kräfte in
jeder Phase der Umdrehung eine andere sein. Bei tiefster Stellung
mussten beide Kräfte sich summiren, also
V = g + V = 2,83 g
sein, während sie sich beim Durchgang dui-ch den höchsten Punct
subtrahirten und
V = g - V = - 0,83 g
übrig blieb, so dass also hier die Schwerkraft vollkommen aufge-
hoben und noch um 0,83 ihrer Grösse durch die Centifugalkraft über-
compensirt Avurde.
In den Zwischenphasen der Bewegung wirkte die Schwere nach
unten hin ablenkend auf die radiär gerichtete Beschleunigung der
Centrifugalkraft in l^eim Absteigen immer stärker, beim Aufsteigen
immer schwächer werdendem Maasse. Die Eier, welche an diesem
Radius befestigt waren, stellten sich dementsprechend durcli
Drehung innerhalb der äusserlich fixirten Gallerthülle
nicht mehr mit dem weissen Pole nach unten, sondern mit dem
weissen Pole centrifugal, also radiär nach aussen ein. Das
Gleiche war nocli der Fall bei einem Radius von 11 cm, l)ei welchem
in oberster Stellung die Scliwerkraft gerade fast vollkommen auf-
gehoben Av^ar.
Für die langsamste Umdrehung, wo die Centrifugalkraft
nicht mehr in bemerkbarer Weise wirken, sondern blos fortwährend den
obersten Meridian wechseln sollte, wurden die Eier zunächst an einem
Radius von 2,5 cm, was einer Centrifugalkraft von 0,24 g entspricht,
befestigt, so dass also selbst in der obersten Stellung die Schwere
noch um das Dreifache über die Centrifugalkraft überwiegt. Zu
meiner Ueberraschung aber stellten sich auch hier noch die Eier
mit dem weissen Pol allmählich centrifugal ein; ein Beweis, dass
selbst diese blos ein Viertel der Schwerkraft betragende
Centrifugalkraft eine stärkere „richtende" Wirkung auf
das Ei aus-[10]übte, als die Schwerkraft. Der Grund war leicht
Wirkung der Schwerkraft. 267
einzusehen. Da die Eier mit dem Rade oedreht wurden, bcliit'lten
sie immer dieselbe Dichtung zu der radiär nach aussen wirkenden
Centrifugalkraft und diese erhielt daher, indem sie immer
in „derselben" Richtung aui" die Eier wirkte, i'in Ueber-
gewieht über die, wenn auch stärkere, so dorli lortwälirend
in „anderer" Richtung an dem gedrehten Ei angreifende
Schwerkraft.
Deshalb wurde noch ein Rad an die Welle angesetzt, welches
die Umdrehungsgeschwindigkeit, um das Sechsfache herabgesetzt,
auf eine Neben welle übertrug'). Die an dieser Welle in
Radien von 1 — 8 Centimeter befestigten Eier behielten
während der Umdrehung die beliebig durcheinander
gerichteten Anfangsstellungen ihrer Eiaxen bei; ein
Beweis, dass die Centrifugalkraft keine erkennbare ,, ein-
stellende Wirkung" mehr ausübte.
Da der Apparat sehr primitiv war und daher theils an sicli
schon, noch mehr aber, wenn der Schwerpunct durch ungleiche Var-
theilung der Eiermassen nicht in der Umdrehungsaxe der Welle lag,
ungieichmässig ging, so war zu befürchten, dass vielleicht schon
durch die Stösse und Erschütterungen die Entwickelung gestört resp.
verhindert werden würde. Um diesen eventuellen Einfluss für sich
kennen u]id abschätzen zu lernen , wurde auf der Hau[)twelle an
einem Radius von 10,5 Centimetern ein an einer immer wagerecht
bleibenden Axe leicht drehbarer Wagen angehängt, wie an der
russischen Schaukel oder dem amerikanischen CJaroussel;
die Eier, welche in diesen Wagen eingelegt wurden, hatten somit
alle Erschütterungen durch den ungleichmässigen Gang auszuhalten,
blieben a])er dabei der Schwerkraft, al)gesehen von den Schwankungen
[1) 0. SciRLTZE liat (Verhaiull. il. aiiat. (ies., Mai 1894, S. 130 imd 150) ange-
nommen, das Rad hätte hei diesem Versuche ',« der ohen bemerkten maximalen
möglichen 84 Umdrehungen, also 14 Umdrehungen in der Minute gemacht und die
Centrifugalkraft habe daher auch hier noch einstellend gewirkt. Diese Annahme ist
nicht zutreffend ; denn als es darauf ankam, die Umdrehungsgeschwindigkeit zu ver-
ringern, wurde natürlich auch die Triebkraft durch Zudrehen des Hahnes der Wasser-
leitung soweit herabgesetzt, dass eben noch Umdrehung erfolgte, sodass die Zeit einer
Umdrehung etwa 1—2 Minuten betrug.]
268 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufliebung der richtenden
des Wagens in der Nähe des oberen Durchganges, m constant der-
selben Richtung zu ihren Eiaxen ausgesetzt.
Nachdem jede der geschilderten Abtheilungen des Apparates,
die schnell, die langsam sich drehenden, sowie die nicht sich drehende
l)los schwebende, mit je 10—18 frischbefruchteten Eiern befrachtet^)
und der Apparat selber mit der angegebenen Geschwindigkeit in
Thätigkeit gesetzt war, erwartete ich mit grossem Interesse die Zeit
der ersten Furchung.
Es zeigte sich, dass die erste Furche in allen Gefässen
zur richtigen Zeit auftrat, dass weiterhin fast die ganze
Furchuug normal verlief, dass ein normaler Urmund ge-
bildet wurde und dass die Bildung der [11] Rückenfurche, der
Gehirnwülste, der Verschluss des Nervenrohres, später die
Ausbildung der Haftnäpfe, der Kiemenansätze und des Schwanzan-
satzes vollkommen normal sich vollzogen. Nicht einmal eine
Verzögerung in der Entwickelung der bewegten Eier gegen-
über den zugleich befruchteten und in Ruhe neben dem Apparat
stehenden Probeeiern war wahrnehmbar. Es blieben auch nicht mehr
bewegte Eier unentwickelt, als dem gleichen Verhalten bei den Probe-
eiern entsprach. Auf dem zuletzt angegebenen Entwickelungstadium,
nach 4 Tagen, wurden die Embryonen von dem Apparat herunter-
o-enommen und zum Vergleich mit den nicht bewegten Probethieren
weiterhin erhalten. Gegenwärtig sind die Versuchsembryonen munter
bewegliche Kaulquappen mit langen Kiemenfäden und langen
Schwänzen und besser entwickelt als die Probethiere, da diese in
grösserer Zahl in einem Gefässe gleicher Grösse sich befinden. Im
günstigsten Falle erhielt ich von 11 eingelegten Eiern 10 muntere
Quappen. Das gleiche Resultat wurde bei der Wiederholung des
[*) Die Eier wurden zwischen nasse Watte gelegt; darauf wurden die am Rade
fest angebrachten, viereckigen, aus Draht geflochtenen Körbchen mit ihnen voll gefüllt
(s. S. 269), sodass weder die Watte gegen die Körbchen, noch die Gallerthülle der Eier
gegen die Watte sich verschieben konnte, in Folge dessen die Gallerthüllen alle Drehungen
des Körbchen mit machen mussten. Die Eier selber konnten sich danach nur noch
innerhalb dieser Hüllen drehen, was nur langsam geschieht und bei rascher Drehung
des Rades allmählich zur Einsteilung des weissen, specifisch schwereren Poles radiär
nach aussen führte, bei der langsamen Umdrehung aber ausblieb.]
Wirkung (Um- Schwerkraft. 269
VersiU'lis in allon soiiu'ii 'riioiliMi erlangt. Dabo! wui'dcn /uoicicli
einige Pflügep, "sehe T r o c k e n c i e r mit u n g e n ü g e n d ge-
quollener Gallertliülle eingesetzt, sowohl auf die Haupt- wie
auf die langsam rotirende Nebenwelle. Auch sie furchten sich nor-
mal, starben aber dann zumeist unter Eintrocknung ah. Nur in
Einem Behälter, in welchen von dem spritzenden Wasserrad etwas
Flüssigkeit durch eine Spalte des Gefässes hineingelangt Avar, ent-
wickelten sie sich weiter; sie wurden aber nach dem zweiten Tage all-
mählich so feucht, dass die Gallerthülle noch quoll und noch nach-
träglich eine centrifugale Einstellung der weissen Pole des Eies er-
folgte; während sie bisher in ihren zufällig beim Einladen erhaltenen
Stellungen der Eiaxen trotz der Uebercompensation der Wirkung
der Schwerkraft durch die der Centrifugalkraft verblieben waren.
Es war nun von hohem Interesse festzustellen, wie sich bei
dieser Aufhebung der Wirkung der Schwere die Furchungsebenen,
die 'Furch ungsaxe, der Urmund und die Rückenfurche einstellten.
Es zeigte sich, dass die Furchungsaxe immer, auch bei den nach
Pflüger innerhalb der Gallerthülle fixirten Eiern mit der Eiaxe
zusammenfielen, dass die erste Horizontalfurche mit wenigen
Ausnahmen wie normal näher dem [12] schwarzen Pole lag,
dass die schwarzen, jetzt weder oberen noch unteren Zellen
sich rascher theilten, als die weissen, und dass der Urmund
normaler Weise am Rande der weissen und schwarzen Hemi-
sphäre sich befand. Die Rückenfurche erstreckte sich von ihm aus
in demselben Meridian der Eiaxe über die schwarze Hemisphäre hin.
Um diese Thatsachen zu ermitteln, wurden zu geeigneter Zeit
Eier succesive aus den einzelnen Behältern des Apparates herausge-
nommen, der Apparat aber sofort wieder in Bewegung gesetzt und
nach einigen Minuten die Eier wieder eingelegt; eventuell wurden
auch einige der Eier zu genauerer Besichtigung ganz herausge-
nommen, ohne wieder eingelegt zu werden. Ob wie normal die erste
Furchungsebene auch zugleich die Richtung der künftigen Median-
ebene bestimmte, war bei meiner Versuchsanordnung, wo die
Eier in nasse Watte verpackt, in kleine Drahtkörbchen
gestopft waren, nicht feststellbar. Es ist aber vielleicht zu ver-
270 Nr, 19. Entwickelung der Frosch eier bei Aufhebung der richtenden
muthen, da alle übrigen Vorgänge sich wie unter normalen Verhält-
nissen vollzogen hatten.
Nur bezüglich der Furchung ist eine interessante Abweichung
aufgefallen. Bei einigen der undrehbar in der Gallerthülle fixirten
Eiern , welche in zu dieser Beobachtung geeigneter Weise an der
Wandung des Glasgefässes angeheftet waren , beobachtete ich , dass
der mittlere Theil des weissen Poles sehr lange ungefurcht blieb, und
dass sich an Einer Seite der so entstandenen unpaaren grossen weissen
Polzelle das Pigment in einigen symmetrisch gestalteten und ange-
ordneten kleinen Zellen besonders reichlich fand. Dadurch entstand
eine hyperbel-ähnliche Abgrenzungslinie gegen die hier besonders
rein weisse Polzelle, welche in ihrer Gestalt und in dem grellen Con-
trast dunkelster Pigmentirung neben dem hellsten Weiss der erst
einen Tag später auftretenden Anlage des Urmundes glich. Sofern,
wie wahrscheinlich, ['?] diese Stelle selber der des Urmundes entspricht,
so hätten wir hier bei Aufhebung der Schwere ein Verhalten, welches
schon nach der fünften Theilung des Eies die Anlage des Urmundes
und damit der Medianebene und des Rückenmarkes erkennen liess,
und auf einen die normale Entwickelung hemmend alterirenden Ein-
liuss der Schwere hinweisen würde, sofern nicht auch schon bei
Wir- [13] kung der Schwere diese Bildung gelegentlich vorkommt
und nur liisher übersehen worden ist. Weitere Beobachtungen werden
über diese Frage Entscheidung bringen und vielleicht noch weitere
feinere Abweichungen von dem Furchungsschema des der Schwere
unterworfenen Eies erkennen lassen, welche uns dazu führen, den
Idealtypus eines Furchungsschemas des nicht von äusse-
ren gestaltenden Kräften alterirten, sondern rein aus
den eigenen inneren Kräften gestaltenden Eies kennen zu
lernen. Darauf scheint schon hinzudeuten, dass die sogenannten
Horizontalfurchen, statt in Kreislinien, in Zickzack-
linien gebrochen das Ei umzogen^) (s. Nr. 28, S. G67).
[ij Die hier an gedrehten Eiern beobachteten Erscheinungen wurden später
auch bei nicht gedrehten Eiern wahrgenommen. Es ist daher anzunehmen, dass die
Schwerkraft unter normalen Verhältnissen, d. h. sofern die Eier sich in ihren Hüllen
normaler Weise drehen können, das reine S elb stdiff er enzirungs-Furchun gs-
Wirkung der Schwerkraft. 271
Es sei schlic\sslich nocli erwähnt, dass an einigen der langsam
gedrehten Eier die beiden ersten Fnrchen in ihrer Tiefe weiss waren,
dass vom weissen Pole aus die weisse Substanz in die Furchen fast
bis zur Mitte des schwarzen Poles eingedrungen war, während nor-
maler Weise die schwarze Substanz längs der Furchen
melir oder weniger auf die weisse Hemisphäre übergreift;
ein Phänomen, was also auf abnorme Wan-derung der weissen
Substanz zwischen die schwarze hinein hindeutet.
Was dürfen wir nun aus diesen Versuchsergebnissen schliessen?
Zunächst wohl, dass Pflüger's Auffassung von der Wirkung der Schwer-
kraft auf die embryonale Entwickelung nicht richtig ist, dass im Gegen-
theil die Schwerkraft ,, nicht unerlässlich nöthig" für die
Entwickelung ist, dass ihr keine ,,notliwendige" richtende
und die Differenzirung veranlassende Wirkung zukommt^).
Denn wir haben sowohl die lokalisirte Wirkung der Schwere durch
die langsame Umdrehung der Eier ,,aufgehoben", als auch die
Schwerkraft selber zum Theil aufgehoben und durch die Cen-
trifugalkraf t „ersetzt", ohne dass der Verlauf der Entwickelung
aufgehoben, gestört oder auch nur verzögert worden wäre.
Danach können alle die im Vorstehenden aufge-
führten Wirkungen der Schwere nur als „accessorische"
Eingriffe betrachtet werden, an welche die Entwickelung des
befruchteten Eies mit ihrer qualitativen und formalen Differenzirung
nicht gebunden ist. Eine eingehende Erklärung dieser Einwirkungen
der Schwere wird meinerseits erst nach dem Abschluss weiterer be-
reits angefangener Untersuchungen versucht werden.
Schema des „Eies" nicht alterirend beeinflusst. Bei Zwangslage dagegen bewirkt
die Schwerkraft innere Uraordnungen der ungleich specifisch schweren Eisubstanzen ;
und wenn diese bis zu^ Beginne der Furchung sich nicht vollkommen vollzogen
haben, treten störende Abweichungen vom normalen Furchungstypus auf (s. Nr. 20
und 31).]
[1) Da somit die Schwerkraft nicht nöthig für die Entwickelung ist, so ist
aus dem Versuche mit den rasch gedrehten und centrifugal sich einstellenden
gleichfalls normal entwickelten Eiern auch nicht zu folgern, „dass die gestaltende
Wirkung der SchAverkraft durch die Centrifugalkraft ersetzt werden könne", wie es
Rauber aus einem im gleichen Frühjahr angestellten Versuche mit Drehung von Fisch-
eiern aber in einer wag rechten Ebene abgeleitet hat (s. S. 17, Anm).J
272 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
[14] Gegen die Suffieienz meiner Versuche für die dar-
aus gezogene Folgerung könnten zwei Einwände erhoben werden.
Einmal könnte man sagen, die Rotation um eine eonstante Axe sei
eine so gleichmässige Bewegung, dass sie auch bei sehr langsamer
Umdrehungsgeschwindigkeit schon eine gewisse Ordnung unter den
Theilen von ungleichem specifischem Gewichte hervorzubringen ver-
möge; zumal in senkrecht zur Rotationsebene stehenden Linien. So-
mit könne sie vielleicht doch in etwas die richtende Wirkung der
Schwerkraft ersetzen; und die Eier würden sich bei Aufhebung dieser
ordnenden Wirkung nicht mehr entwickelt haben.
Um diesen Einwand zu entkräften, brachte icli bei der zweiten
und dritten Wiederholung des ganzen Versuches an der langsam sich
drehenden Neben welle noch ein 6 cm langes Reagenzglas an, in welchem
von einander isolirte Eier in einer das Glas blos zur Hälfte erfüllenden
Flüssigkeit lagen. In diesem Glase fielen bei jeder Umdrehung zwei-
mal die Eier unter verschiedentlicher Ueberstürzung von dem einen
Ende des Glases nach dem anderen; was bei einem Theile derselben
immer zugleich mit seitlichen Drehungen verbunden war, so dass die
Richtung der Eier zur Rotationsebene wenigstens bei jeder Umdreh-
ung einmal geändert wurde. Auch diese ,,Ueberschlagseier"
entwickelten sich normal und die Furchungsaxe der-
selben fiel mit der Eiaxe zusammen. Die Embryonen
waren von normaler Gestalt, aber klein und schwächlich.
Als zweiter Einwand könnte geltend gemacht werden, dass die
Umdrehungsgeschwindigkeiten nicht genügend abgestuft gewesen
wären, um mit Sicherheit den ganz en_^Eiinh alt der richtenden
Wirkung der Schwere entziehen zu können. Man könnte sagen, dass
zwar das Verhalten der Oberfläch en schiebt des Eies con-
trollirt worden und dabei festgestellt worden sei, dass sie bei den
Eiern auf der Hauptwelle centrifugal mit dem weissen Pole einge-
stellt war, w^ährend sie den Eiern an der Nebenwelle beliebig mit
ihren beiden Theilen durcheinander stand, und somit hier in der
That nicht durch eine äussere Kraft gerichtet wurde. Dies gelte in-
dess aber nur für die Oberfiächenschicht selber und erkläre sich da-
durch, dass diese durch die Viscosität der [15j umgebenden Flüssig-
Wirkung der Schwerkraft. 273
kcit iinierhalb der Eimembraii an rasclioii DiThun^cn und daniit an
der EinstellunLi; nach der Schwere verhindert gewesen sei. Im Innern
des Eies hingegen sei vielleicht der flüssige Inhalt mit seinem
ungleichen specifischen Gewichte durch die Trägheit und
durch die Schwere fixirt worden; er sei der Unulrelnnig der Ober-
flächenschicht nicht gefolgt, und die Seh wer e habe somit in meinen
langsamen Umdrehungsversuchen doch den wesentlichsten Theil
des Eies, den Kern und seine Umgebung, fixirt. Dies würde
an sich nur für die Stadien vor und während der ersten Theilungen
von Bedeutung sein; wird aber dadurch gauz unmöglich gemacht,
dass der Ei-Inhalt so dickflüssig ist, dass von einer so
raschen Verschiebung seiner Theile bei der Kleinheit des
Eies keine Rede sein kann; und dies gilt in nocli erhöh terem
Maasse für den Inhalt des microscopisch kleinen Furchungskernes,
selbst wenn dessen Inhalt dünntlüssig wie Aether wäre. Geeignete
Versuche mit dem Ei-Inhalt [vieler ausgepresster] noch der Gallert-
hülle entbehrender Eier erwiesen die Richtigkeit dieser Ableitung.
Somit können wir mit Sicherheit annehmen, dass meine Ver-
suche sufficient waren, nicht blos die Oberflächenschicht,
sondern das ganze Ei in seinem gesammten Inhalt der
richtenden Wirkung der Schwere zu entziehen, und dass
daher auch unser Scliluss berechtigt ist, dass eine solche Wirkung für
die Ent^nckelung der Froscheier nicht nöthig ist^). Weiteres s. S. 298.
[1) Im Jahre 1894 hat 0. Schultze Rotationsversuche an Froscheiern angestellt,
und hielt dabei die Eier in Zwangslage, wie auch ich in einem Versuche (s. S. 269); er
sor'^te aber durch Einfügung der Eier in eine geschlossene Glasröhre dafür, dass die
Eier trocken blieben, sodass jedes Ei ganz unbeweglich gegen seine, aussen am Glas
iixirte Gallerthülle war; zugleich Hess er noch vielmal langsamer als ich rotiren
(in 1 bis 2 Stunden eine Umdrehung), und sah, dass dabei die Eier abstarben.
Der Autor folgert aus^diesem Ergebniss, dass die Schwerkraft doch zur Ent-
wickeluug unerlässlich nöthig wäre.
Auf die bezügliche Mittheilung auf der Anatomenversammlung zu Strassburg
erwiderte ich Folgendes (Verhandl. d. anat. Ges. 1894, S. 146 u. f.):
„Zu dem Vortrage des Herrn 0. Schultze „über die unbedingte Abhängig-
keit n'ormaler organischer Gestaltung von der Wirkung der Schwer-
kraft" habe ich zunächst zu bemerken, dass ich nirgends behauptet habe, die
Schwerkraft oder andere äussere Einwirkungen vermöchten nicht unter Umständen
störend oder alterirend auf die Entwickelung zu wirken; sondern mein Aus-
AV. Eoux, Gesammelte Alshandlungen. II. 18
274 Nr. 19. Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden
III. Mclitiiöthi^sein gestaltender Einwirkung des Lichtes, der Wärme
und des Erdmagnetismus zur normalen Entwickelung des Froscheies.
Prüfen wir noch kurz andere äussere Kräfte, welche auf
das Ei einwirken und daher vielleicht einen richtenden Einfluss auf
die Entwickelungs -Vorgänge ausüben könnten, so lässt sich weder
Spruch, dass die Entwickelung des befruchteten Eies „ S elbstdif ferenz ir ung"
ist, bedeutet, dass zur normalen Entwickelung äussere gestaltende Einwirkungen
nicht nöthig sind" [s. oben S. 271].
„Aus Pflüger's Versuch mit dem Ergebniss, dass sogleich nach der Besamung
schief oder fast umgekehrt aufgesetzte und in Zwangslage erhaltene Eier sich gleich
normalen Eiern zuerst senkrecht und wagerecht furchen und an der oberen, obschon
letzt weissen Seite zuerst und kleiner sich theilen als auf der schwarzen Unter-
seite, habe ich nie eine besondere organisirende, „meridional polari-
sirende" Wirkung der Schwerkraft ersehen können; sondern da ich das von
früheren Autoren blos vermuthete ungleiche specifische Gewicht
der verschiedenen Dottersubstanzen experimentell nachgewiesen
hatte und die halbflüssige Beschaffenheit derselben von den ersten Anstichversuchen
(1882) her kannte, habe ich mit Bezugnahme auf meine frühere Aeusserung (von 1883,
i. Nr. 16, S. 25) über die einstellende AVirkung der Schwerkraft auf die Theiie des
Froscheies abgeleitet, dass der Schwerkraft bei diesen Versuchen blos
seine „einstellende" Wirkung auf die „ungleich schweren" inneren
Theiie »ukommt, und dass bei solcher Zwangslage am noch nicht in mehrere
Zellen zerlegten Ei nur die Eirinde fixirt wird (s. 1884, Nr. 19, S. 4 u. 5 und
Nr. 20. S. 54). Born hat in demselben Frühjahr (1834) diese inneren Umordnungen
an microtomirten Eiern direct nachgewiesen und gezeigt, dass der Kern nebst dem
ihn umgebenden protoplasmatischen Dotter aufsteigt; und daraus hat er mit Recht
die erwähnten Erscheinungen abgeleitet.
Dass die Schwerkraft zur Entwickelung des Froscheies nicht nöthig
ist, bewies ich durch langsame, etwa 1—2 Minuten dauernde Umdrehungen der
in nasse Watte verpackten Froscheier um eine wagerechte Axe bei einem Radius
von 1—8 cm. Im Moment des Anhaltens des Rades standen die hellen Pole der in
stark gequollener Gallerthülle befindlichen, also innerhalb der Gallerthülle drehbaren
Eier jedes Kästchens nach den verschiedensten Seiten ; dies bekundete, dass bei
dieser Umdrehungsgeschwindigkeit weder die Schwerkraft, noch die Centrifugalkraft
auf die Eier einstellend wirkte; denn wenn die Schwerkraft noch einstellend auf
die Eier gewirkt hätte, so würden die weissen Pole nach abwärts gerichtet gewesen
sein; wenn dagegen die Centrifugalkraft einstellend Avirkt, wie es bei grösserer Um-
drehungsgeschwindigkeit oder bei mehrmals grösserem Radius der P' all ist,
so stellen sich die Eier alle mit ihrem weissen, aus specifisch schwererer Substanz
gebildeten Pole radiär nach aussen ein.
Da in unserem Versuche also die Schwerkraft auf die Einstellung der Eier
nicht richtend zu wirken vermochte, die EntAvickelung gleichAvohl aber in allen Stadien
normal verlief, so ist zu folgern, dass zur normalen Entwickelung die bei ruhig
stehenden Eiern stets vorhandene einstellende Wirkung der Schwerkraft auf die
Wirkung der Schwerkraft. 275
dem Liclite, noch der Wärme, nocli dem Erdmagnetismus
eine solche die Richtung der besprochenen Gestaltungen
beeinflussende Wirkung zuerkennen. Dies geht aus fol
gender Beobachtung hervor.
Wenn man mehrere Hundert Eier hi demselben Glase stehen
hat, auf welche jedes dieser Agentien in gleicher Richtung wirkt, [das
Licht vom Fenster aus, die Wärme vom nahen Ofen aus (denn es wurde
an Eiern aus dem Süden bezogener Frösche bereits von Ende Februar
an experimentirt, während in Breslau noch Frost stattfand)], so sieht
man sowohl die ersten Furchen wie später die Rückenfurchen
derselben auch bei direct benachbarten Eiern beliebig durchein-
ander stehen. Wenn einmal mehrere Furchen parallel gerichtet
sind und z. B. nach dem Fenster hin orientirt zu sein scheinen, so
Eier nicht nöthig ist. Ich habe ausserdem Versuche gemacht, aus denen hervor-
geht, dass die inneren ordnenden Kräfte im Ei der Wirkung der Schwer-
kraft sogar in geringem Maasse direct entgegenzuwirken vermögen
(s. Nr. 20, S. 19).
Pflüger hat ferner beobachtet, dass bei vollkommen senkrechter Umkehr
des eben befruchteten, also noch ungefurchten Froscheies und bei Erhaltung in dieser
Zwangslage die Entwickeln ng ausbleibt; Born hat gezeigt, in Avelcher Weise
dabei die ungleich specifisch schwei-en Eisubstanzen durcheinander kommen. Aus
diesem Versuche folgt, dass in dieser erzwungenen Stellung die Schwerkraft durch
Veranlassung allzu stai-ker Umordnung der verschiedenen Dottermassen störend auf
die Entwickelung des Eies wirkt. 0. Schultze's Versuch mit überaus lang-
samer, je 2 — 4 Stunden dauernder, fortgesetzter Umdrehung der fixirten Eier stellt
nach meiner Meimmg einfach eine Verstärkung der schädigenden Wirkung
der Schwerkraft von diesem Versuche Pflüger's dar; wie Hr. Schultze denn
auch mittheilte, dass die Eier dabei in toto grau wurden; ein Beweis, dass die ver-
schiedenen Eisubstanzen sehr stark durcheinander gemischt worden waren.
Daraus aber, dass die Schwerkraft unter Umständen störend auf die Ent-
wickelung wirken kann, ist nicht zu folgern, dass sie zur normalen Entwickelung
nöthig sei. Es wäre ein falsches Princip, dass dasjenige, was die Ent-
wickelung „störend" beeinflussen kann, darum auch zur , normalen"
Entwickelung „nöthig" wäre; es kann mich z.B. jemand todtstechen, woraus
jedoch nicht zu folgern ist, dass das Stechen zu meiner Entwickelung nöthig wäre.
Die hier von 0. Schultze gezogene Folgerung ist umso weniger zulässig, als durch
den erwähnten Rotationsversuch von mir direct dargethan worden ist, dass die Ent-
wickelung auch ohne die richtende Einwirkung der Schwerkraft normal zu verlaufen
vermag". [Diese Darlegung hat jedoch keine überzeugende Wirkung auf meinen
Gegner ausgeübt, wie aus seiner ausführlichen Abhandlung hervorgeht (s. 0. Schultze,
Ueber die Bedeutung der Schwerkraft für die organische Gestaltung. Verh. d. phys.-
med. Ges. zu Würzburg 1894. Bd. 28, Nr. 2).]
18*
276 Nr. 19. Entwickelung d. Froscheier bei Aufhebung d. richtenden Wirkung etc.
belehrt die Betrachtung der übrigen Eier, dass hier blos eine zufällige
Uebereinstimmung vorliegt.
[16] So dürfen wir also unsern Schluss verallgemeinern und
sagen: Die „formale" Entwickelung des Froscheies „be-
darf" keiner richtenden und gestaltenden Einwirkung
von aussen; das befruchtete Ei trägt und producirt alle
zur normalen Entwickelung nöthigen „gestaltenden"
Kräfte in sich selber: die „formale" Entwickelung des
befruchteten Eies ist ein Process vollkommener Selbst-
diff erenzirung (s. Nr. 22, S. 2).
Mit dieser Einsicht ist das Problem der formalen Entwickelung
des befruchteten Eies etwas schärfer in seinem Wesen erkannt und
bestimmter abgegrenzt worden; es wird daher vielleicht möglich sein,
dasselbe nun auch mit mehr Aussicht auf Erfolg für sich in Angriff
zu nehmen.
Vorstehende Untersuchung wurde vom 1. bis 15. März d. J. im
hiesigen anatomischen Institut ausgeführt mit einem Versuchsmaterial,
welches mir vom Collegen Bobn von seinen Versuchen freundlichst
überlassen wurde.-
Breslau, den 17. März 1884.
Nr. 20.
Beiträge zur Entwiekelung-smeehanik des Embryo.
Nr. III. lieber die Bestimmung der Hauptrichtungen des
Froschembryo im Ei und über die erste Theilung des
Froscheies.
1885.
ßreslauer ärztliche Zeitschrift 1885, Nr. 6—9, vom 28. März an.
Separat-Abdruck, ausgegeben am 21. April 1885,
Inhalt.
Seite
Begriflf der „Vorentwickelung" 280
Individuelle Entwickelung -/.iz e^o^/jv 281
Periode der organbildenden Entwickelung 281
Periode der functionellen Entwickelung 281
Von den Geschlechtszellen übertragene Gestaltungen (Evolution) . . . 283
Richtungsbestimm ungimEi 284
I. Früheste Zeit der Bestimmung der Richtung der Medianebene . . 286
Methode 289
Ergebnisse 290
Einsteilung schwimmender unbefruchteter Eier .... 290
Einstellung schwimmender befruchteter Eier 291
Verstärkung der Ungleichheit des spec. Gewichtes
durch die Befruchtung 291
Verhalten sich furchender Eier 291
Verhalten sich nicht furchender Eier 292
Eventuelle Fernwirkung zwischen Samen und Ei .... 293
Definition ^befruchtenderWirkung" 294
278 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Seite
Die entscheidende Einstelhmg erfolgt erst während der Befruchtung 295
Ordnung des Eimaterials entgegen der Schwerkraft 297
IL Bestimmung der Richtung der Me dianebene durch den
beliebig gewählten Befruchtungsmeridian 298
III. Aeussere Beeinflussuug der Richtung der ersten Furche .... 301
a) Wirkung der Schwere bei Zwangslage 301
b) Wirkung künstlicher „Gestalt" der Eier auf die Thei-
lungsrichtung 302
IV. Erfordernisse der Entwickelung der ^mehrzelligen" Or-
ganismen 306
A. Richtige qualitative Material Scheidung 308
Bedeutung des Mechanismus der ^indir ecten" Theilung 308
Mechanismus der „qualitativen Hai birung^ 308
Viele Qualitäten in jeder Microsomenscheibe ...... 309
Mechanisches Princip der qualitativen Halbirung . . . 310
Princip der mechanischen Halbirung durch Emulsion . 311
Qualitativ „ungleiche" Theilung 311
Bedeutung der Achromatintheilung 312
Widerlegung einer Auffassung Strasbürger's . 312
Widerlegung der Deutung Rabl"s 313
Abnorme indirecte Kerntheilungen 314
B. Herstellung der typischen Anordnung der Theile 316
Selbstregulationsmechanismen 316
Annahme richtender Wirkung zwischen Zellleib und
Zellkern und zwischen benachbarten Zellen . . . 317
Wirkt der electrische Strom richtend auf die Zelltheilung? . . 319
Strahlungen und Windungen im befruchteten Ei 321
(Abhängigkeit der Entwickelung von der Luft) 322
(Unabhängigkeit der Organanlage von der Lager-
ung derLuftqu eile) 322
V. Bedeutung der ersten Furchungen 324
Verhalten in Zwangslage 325
a) Beziehungen zwischen „erzwungener" Stellung der Eiaxe
und der Richtung der ersten Furcha 325
b) Beziehung zwischen der Richtung der ersten Furche und
der Richtung der Medianebene bei Zwangslage .... 328
Wesender„normalen"Furchung 331
Entstehungsmöglichkeit der Doppelbildungen 332
VI. „Causale Bedeutung" einiger Beziehungen der ersten Entwickel-
ungsvorgänge zu einander 335
1. Ursache der ersten Theilung des Eies von Rana esculenta in
Richtung der Symmetrieebene seiner Einstellung 335
• »Vorentwickelung. 279
Seite
Qualitative ti ii li r i c ii t ende W e (,• li s c 1 w i r k u ii i; e n
zwischen Zell leib und Zellkern BoT
2. Ursache der ersten Thoilung des Froscheies (iuer zur ^<\ iniiiotrie-
ebene der erzwungenen Einstellung desselben 338
3. Ableitung der normalen ontogenetischen Gestaltung . . . 341
Nächste Ursache der Gastrulation 342
4. Ursache der Entwickelung der Eier bei schiefer Zwangslage 343
[1] Bei dem Versuche einer vorläufigen causalen Analyse,
der bereits bekannten Entwickelungsvorgänge, mit welchem
ich meine Bestrebungen zur causalen Begründung der Entwickelungs-
geschichte begann , zeigte sich sehr bald , dass wir von den eigent-
lichen ,,Vorgängeu" der individuellen Entwickehnig nur sehr wenig
wissen, da es fast immer nur die Producte dieser Vorgänge sind,
welche wahrgenommen und in ihren formalen Resultaten beschrieben
worden sind. Um so weniger ist es bis jetzt möglich gewesen, bereits
einen das Wesen erhellenden Einblick in die causalen Zusammen-
hänge dieser geheimniss vollen Vorgänge zu gewinnen.
Einen der Gründe dieser Unkenntniss glaube ich darin hnden zu
müssen, dass es durchaus unbekannt ist, von welcher Basis aus
dieEntwickelung des Individuums anhebt; so dass wir nicht zu
beurtheilen vermögen, was der von uns beobachtete Theil derEntwicke-
lung seinem AVesen nach darzustellen hat, ob er blos eine Metamor-
phose von unendlich vielen, bereits in Ei und Samen vorhandenen
Verschiedenheiten oder eine wirkliche Neuerzeugung einer unzählbaren
Mannigfaltigkeit von einer nur wenig complicirten Anfangsstufe aus
ist, wenn schon bezüglich der .sichtbaren, formalen Bildungen nach
C. Fr. Wolff's fundamentalem Nachweise an letzterem nicht mehr
gezweifelt werden konnte.
Zufole-e dieser Einsicht hielt ich es für angemessen, ausser in
dem in Beitrag 1 ^) betretenen Wege der directen Inangriffnahme mehr
1) Nr. 18. Derselbe wurde vor dem Beginne der Ausarbeitung der hier
folgenden Abhandlung verfasst, erschien aber in Folge des langen Latenzstadiums
bei der betreffenden Zeitschrift erst nach dieser Abhandlung, was scheinbare Ana-
chronismen in der Ordnung der Arbeiten und in der Darstellung veranlasst.
280 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
oder weniger vorgeschrittener Eiitwickelungsvorgänge den vorliegen-
den grossen Problemencomplex auch von der Seite seines
„Anfanges" [2]^) her in Angriff zu nehmen, und so zugleich die
eigentlich vorliegende Aufgabe besser in ihrem Wesen zu bestimmen und
die Reihe der Auffassungsmöglichkeiten zu beschränken. Es muss dabei
ermittelt werden , i n w e 1 c h e m V e r h ä 1 1 n i s s Ei u n d S a m e n k ö r p e r
ihrer Beschaffenheit nach zu der complicirten Beschaffen-
heit des aus ihne]i hervorgehenden Individuums stehen.
Im Falle das Keimmaterial dieser Generatoren von jenem Zu-
stande desselben an gerechnet, in welchem noch keine Sonderung
in ,,einzelne'' Eier oder Spermato zoen, oder besser von jenem
Zustande au, in welchem auch noch keine Sonderung in weib-
liches oder männliches Material stattgefunden hat (sofern es
überhaupt einen solchen Zustand giebt), bis zu dem Zustande, in wel-
chem beide Theile fähig sind , sich zur Entwickelung eines Indivi-
duums zu vereinigen, Veränderungen erfährt, welche sich
ihrerseits, unverändert oder verändert, auf das ,, Indivi-
duum" übertragen, so wird alsdann in der individuellen Ent-
wickelung eine Periode zu unterscheiden sein, welche in zwei
getrennten Bahnen sich vollzieht und von uns als „Yorentwickeluiig"
bezeichnet werden soll. In dieser Vorentwickelung werden alle
eventuellen Veränderungen zu verzeichnen sein, welche nicht
für die vorübergehende Sonderexistenz von Ei und Spermatozoon und
nicht für den Mechanismus der Copulation beider benöthigt sind,
sondern welche von der ursprünglichen, noch nicht auf ein
einziges Individuum angelegten Beschaffenheit des elter-
lichen Keimplasmas überführen zu Zuständen, welche nach
der Befruchtung erhalten bleiben oder Aveiter fortgebildet
werden (s. S. 74).
Dieser doppelläufigen „individuellen" Vorentwickelung steht
gegenüber die „phylogenetische" Vorentwickelung, die Bildung
des Keimplasmas auf dem AVege der Entwickelung des
[1) Die Paginirung im Text ist diejenige des Separatabdruckes aus der Bres-
lauer ärztlichen Zeitschrift.]
Perioden der Ontogenesis. 281
gcinzen Organismenreiches vomAnfang des Organischen an l)is zur
Herstellung des beiderseitigen Keimplasmas des (zu dieser Zeit selbst
noch embryonalen) Elternpaares des uns interessirenden, werdenden Indi-
viduums. Diese letztere Periode umfasst somit alle durch Vererbung
übertragbaren Erlebnisse sämmtlicher directen \"orfahren unseres In-
dividuums. Die Untersuchung dieser Vorgänge und ihrer Oausal-
zusammenhänge bildet ein Forschungsgebiet für sich [das der phylo-
genetischen Entwickelungsmechanik s. S. 60].
[3] Wir werden uns hier nur mit der directen Entwicke-
lung des Individuums beschäftigen.
Es würde schwerlich der Lösung unserer Aufgabe förderlich sein,
wenn wir, der Entwickelung selber folgend, mit der eingehenden Unter-
suchung der eventuellen Vorentwickelung beginnen und erst nach
Lösung dieses Problemes zur eigentlichen individuellen Ent-
wickelung, welche mit dem Acte der Befruchtung beginnt,
weiter schreiten wollten. Es verspricht mehr Erfolg, mit dieser letz-
teren Periode anzufangen, deren Vorgänge sich leichter beobachten
oder erschliessen lassen, da sie mehr direct wahrnehmbare Producte
bilden, als die individuelle Vorentwickelung.
Diese individuelle Entwickelung xax' e^(r/tjv wollen wir für
unsere causalen Zwecke wiederum in zwei Abtheilungen theilen: in
eine erste Periode, in welcher die einzelnen Organe angelegt und
bis zur Befähigung zum Beginne einer specifischen Func-
tionsw^eise ausgebildet werden, und in eine zweite Periode, inner-
halb welcher diese Organe specifische Functionen ausüben,
und, wie sich bereits mehrfach gezeigt hat, durch diese Func-
tionsvollziehung zugleich in ihrer weiteren Ausbildung
gefördert werden. Die erstere Periode will ich a potiori die
Periode der orgaiibildendeii EntAvickelung nennen, und die zweite
soll als die PeriodS der funetioiielleii Entwickelung bezeichnet wer-
den. Man könnte den ersteren Abschnitt auch als Periode der selbst-
ständigen Entwickelung (s. Nr. 4, S. 180 und Nr. 28, S. 666)
dem letzteren Abschnitte, dessen Leistungen mit der Zeit immer mehr
von der Function abhängig werden, gegenüberstellen, — sofern die
Function als ein der eigentlichen Entwickelung fremdes Moment
282 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
betrachtet wird, welches blos secundär einen Antheil an der Ausbildung
der bereits functionsfähigen Organe erlangt liat. Lieber die sachliche
Berechtigung dieser iiuffassung kann erst entschieden w^erden, wenn
wir die Wirkungsprincipien der jetzt als „selbstständig" bezeichneten
Entwdckelung annähernd kennen. Gegenwärtig mache ich diese
Distinction vorwiegend aus practischen Gründen, um von dem grossen
Complex zumeist noch ganz unbekannter und daher nicht von
einander zu sondernder Wirkungsweisen der ersteren Periode
in der zweiten Periode einen beträchtlichen Theil zu gesonderter
Untersuchung abzutrennen, welchem, wie es scheint, ein von den
anderen ver- [4] schiedenes Princip zu Grunde liegt, dessen Wesen
wir bereits näher getreten sind (s. Nr. 4, 7, 8 und 9).
Beide Perioden begrenzen sich gegen einander fast für jedes
Organ des Körpers zu einer anderen Zeit (s. Nr. 4), da die verschiedenen
Organe in sehr verschiedenen Phasen der individuellen Entwickelung
ihre specifischen Functionen beginnen ; so beginnen z. ß. die das Blut
bildenden und vertheilenden Organe schon bald nach dem Anfange
der individuellen Entwickelung, die Augen oder die Grosshirnriude
erst in einem relativ späten Stadium der Entwickelung zu fungiren.
Nach Aufstellung dieser Unterscheidung wird daher von jedem ein-
zelnen Organ höherer oder niederer Ordnung festzustellen sein, welchen
gestaltenden Antheil an der Herstellung seiner Beschaffenheit im erwach-
senen Individuum die function eilen Energien gehabt haben
und welches nach Abzug dessen der übrig bleibende Antheil der un-
bekannten, im obigen Sinne ,, selbstständigen" Entwickelungsvorgänge,
als das Product der specifischen Entwickelungsenergien, ist.
Die Leistungen der ,,functionellen Entwickelung" und ihre Causal-
zusammenhänge werden von mir in einer besonderen Serie von Unter-
suchungen unter dem Titel „Beiträge zur Morphologie der functionellen
Anpassung" behandelt, weshalb an dieser Stelle von ihnen abgesehen
wird. Wir wenden daher unsere Aufmerksamkeit hier n u r d e n
Vorgängen der „organbildendeu Periode" der individuellen
Entwickelung nebst denen der individuellen Vorentwickelung zu. Von
diesen beiden wird wiederum auf längere Zeit hinaus vorzugsweise
die erstere uns beschäftigen.
Antheil der Evolution. 283
Begiunoii wir mit der Untersuch mio- dieser Periode der selbst-
ständigen oder organbild enden Entwie kel ung, so fehlt es
uns, wie erwähnt, schon an der Kenntniss dessen, womit sie selber
einsetzt, von welcher Basis aus sie anhebt. Wenn wir /Aniächst das
Morphologische bevorzugen, so fragt es sich daher, wie viel, resp.
welche Formenverhältnisse des Embryo bereits in Ei oder
Samen gesondert vorgebildc^t sind, um sich verändert oder
unverändert auf den Embryo zu übertragen.
Obgleich nach C. Fr. Wolff die formale Entwickelung unter
successiver Bildung neuer Formen vor sich geht, also ,,formale" Epi-
gone sis ist, so [5] hat gleichwohl die weitere Forschung bereits darge-
than, dass doch einige wesentliche Formverhältnisse direct von
Ei und Samen auf den Embryo übergehen, also der Evolution
zugehören.
Da nämlich Ei und Samen in ihren wesentlichsten Theilen den Bau
einer Zelle besitzen, indem sie aus Zellleib und Zellkern bestehen,
während weiterhin bei der Befruchtung nach W. Flemming, Str.\sburger,
Hensen u. A. blos die einander entsprechenden Theile dieser Zellen mit-
einander verschmelzen, so stellt das aus ihnen hervorgehende Gebilde
gleichfalls eine Zelle dar. Indem nun dieser Zustand bei der Entwicke-
lung einfach erhalten bleibt oder, bei den höheren Organismen, unter
einer Vermehrung dieser Zelle sich dadurch complicirt, dass diese
Zelle durch vorzugsweise gemeinsame Theilung von Zellkern und
Zellleib nach den Gesetzen: omnis cellula e cellula (Virchow) und
omnis nucleus e nucleo (Flemming) immer neue Zellen liefert, so be-
steht auch das voll entwickelte Individuum wesentlich ent-
weder blos aus einer Zelle oder aus einer Summe vieler Zellen, welche
ilire allgemeine Zellstructur durch directe Uebertragung
von Ei- und Samenzelle her überkommen haben, nebst den
secundär von diesen Elementarorganen gelieferten Bildungen. ,
Ausser dieser groben Zellstructur besitzen jedenfalls Ei und
Samenkörper noch specifische chemische Structuren und dy-
namische Me tastructuren als Grundlage einerseits der all-
gemeinen Zellfunctionen, andererseits der specifische n Ent-
wickelungseuergien (soweit letztere ,, Energien der
284 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Lage" sind), welche sich gleichfalls verändert oder unverändert
übertragen. In diese nicht sichtbar zu machenden Verhältnisse werden
wir aber nur sehr langsam und nur auf dem leicht zu Irrthümern führenden
Wege grösserer Schlussketten einen Einblick gewinnen können. In
Beitrag 1 (Nr. 18) habe ich Thatsachen mitgetheilt, welche in dieser
Weise verwendbar sind, und es wird mein Bestreben sein, Weiteres
nach dieser Richtung hin zu ermitteln.
Neben diesen feinsten Gestaltungen kann es aber trotz der
formalen Epigenese Wolff's noch gröbere Gestaltungsverhältnisse,
ja ,,Ge staltung eu allg em einsten Charakters" geben, welche
unverändert auf den Embryo übergehen. Dies sind die
Richtungs Verhältnisse, die Rieh- [6] tungen von Materialordnungen,
Materialbewegung [oder qualitativen Materialveränderungen], die Bil-
dungsrichtungen, welche die Hauptrichtungen des embryonalen Leibes
schon von vornherein fest bestimmen können, wenn sie auch erst
relativ spät, erst mit der Anlage specieller Organe für uns direct
wahrnehm bar werd en .
Die vorstehenden Erwägungen haben mich seiner Zeit veran-
lasst, an diesem Puncte mit den empirischen Untersuchungen zu be-
ginnen. (Nr. 16.)
Bekannt war nach dieser Seite hin bereits, dass au Eiern mit
einseitig angeordnetem Nahrungsdotter schon eine Richtung des
Embryo durch die Lagerungsbeziehung des Nahrungsdotters zum
Bilduugsdotter gegeben ist, welche beim Huhn der dorsiventralen
Richtung, beim Frosch dagegen mehr der Richtung kopfschwanz-
wärts') entspricht. Bei vielen anderen Eiern ist eine Richtung des
Embryo durch das Vorhandensein einer Längsaxe des Eies gegeben.
Meine LTntersuchungen lehrten nun (Nr. 16), dass bei Rana esculenta
schon zur Zeit der Bildung der ersten Furche am Ei durch die
schiefe Einstellung der Eiaxe, welche einen Theil des weissen Poles
als halbmondförmigen Saum an die obere Hemisphäre bringt, auch
schon über dorsal und ventral des künftigen Embryo entschieden
ist, indem die dorsale Seite des Embryo stets an der durch diesen
hellen Saum bezeichneten Seite des Eies angelegt wurde. Weiterhin
[1) Genaueres s. Nr. 23, S. 701].
Ursachen der Richtung kopfschwanzwärts. 285
/.eigte sich, dass die erste Furcliungsebene bereits die Medianebene
des künftigen Embryo darstellt, so dass also die Hauptrichtuugen
des Embryo schon am Anfange der eigentlichen individuellen Ent-
wickelung fest normirt sind. Aehnliche Verhältnisse haben die Unter-
suchungen von Ch. Julin, van Beneden über einige Wirbellose er-
geben; und J. P. NuEL hat bezügliche Angaben über das Ei von
Petromyzon Planeri gemacht.
Diese Kenntnisse sind indess noch nicht genügend für die Er-
ledigung unserer Frage nach den von Ei und Samen auf den
Embryo sich übertragenden Richtungen; und noch weniger
sind sie es ftir das eigentliche Ziel unseres Strebens, für den
Einblick in die „Ursachen" dieser Bestimmungen.
[7] Fragen wir zunächst nach den Ursachen der bereits be-
kannten That Sachen, so ist es am leichtesten, eine solche für die
schon am unbefruchteten Froscheie gegebene Richtung kopfschwanz-
wärts aufzufinden, da sie offenbar in der bipolar enAnordnungdes
Keimplasmas und des Nahrungsdotters beruht, also in dem
Vorhandensein zweier differenter, von einander gesonderter Massen, deren
Massenmittelpuncte natürlich eine Richtung fest normiren. Doch
wissen wir noch nicht, o b d i e R i c h t u n g s b e s t i m m u n g für den Em-
bryo gerade durch die Massenmittelpuncte selber oder
durch eine andere, vielleicht zugleich von der ,,Form" der Massen
abhängige Beziehung u r s ä c h 1 i c h v e r m i 1 1 e 1 1 wird, und ob
überhaupt die Lagerungsbeziehung dieser Theile von vornherein
schon eine feste ist [s. S. 120].
Zunächst können wir dabei blos fragen, waru m i m mer das Kopf-
wärts resp. Dorsal auf Seiten des ,,Keim2)Iasmas'' [besser des BMungs-
dotters], dasSchwanzwärts resp. Ventral nach dem Nahrungsdotter
hin gerichtet ist. Eine functionelle Veranlassung dafür ergiebt
sich aus der Bestimmung des Nahrungsdotters, von bestimmten Zellen,
welche als Verdauungsorgaue fungiren, aufgezehrt zu werden, so dass also
diese dem Entoblast entsprechenden Zellen in nachbar-
schaftlichen Beziehungen zum Nahrungsdotter liegen, und
am einfachsten also auch schon entstehen müssen, wenn nicht
überhaupt die Ausübung dieser Function schon eine noth-
286 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
wendige Vorbedingung oder gar Ursache der Anlage und
Ausbildung der Zellen des Verdauungstractus dieser Thiere
ist. Es erhellt, dass dieses letztere Causalverhältniss nur für diejenige
Stelle des Entoblast, welche am frühesten, welche vielleicht vom Mo-
mente ihrer Anlage an fungirt, unerlässlich zu sein brauchte, um damit
auch den Anlageort des ganzen mit ihr zusammenhängenden, in
anderer Weise und erst viel später fungirenden A'erdauungsstratums
zu bestimmen. Die ^''erschiedenheiten der genaueren Lagerung beim
Vogel- und Froschei erscheinen daneben von untergeordneter Be-
deutung ; denn es ist für diesen Hauptzweck unwesentlich, ob der
Nahrungsdotter mehr an einer Seite oder mehr gleichmässig auf resp.
unter dem Entoblast liegt; dies steht offenbar auch mit den un-
gleichen Mengen von Nahruugsdotter bei diesen verschiedenen Eiern
in Zusammenhang, da diese Ungleichheiten nach Balfour und
Haeckel auch schon den [8] Mechanismus der Furchung und damit
die ganzen ersten Anlagen alteriren.
Schwieriger ist es, über die eventuellen Ursachen, welche
die beiden a n d e r e n R i c h t u n g e n b e s t i m m e n , eine ^Vorstellung
zu gewinnen; und bei solchem Bestreben tritt uns entgegen, dass
Avir die ,,Zeit" dieser Bestimmung noch nicht genau genug
kennen; denn weim sie gleichfalls schon vor der Befruchtung nor-
mirt wären, so würden dadurch die ,, ursächlichen" Möglich-
keiten andere sein, als wenn diese Normirung erst während oder
nach der Befruchtung geschieht.
I. Früheste Zeit der Bestimmung der Richtung: der Medianeheue ^).
Für die daher zunächst nothwendige genaue Untersuchung
des zeitlichen Verhaltens dieser Richtungsbestimmung ist es
nöthig, uns klar zu machen, was zum Zwecke dieser beiden letzten
Richtungsbestimmungen noch erforderlich ist, nachdem schon eine
Bildungaxe und die Entscheidung über die Qualität ihrer beiden
Enden als köpf- und schwänz theilig gegeben sind. Durch diese eine
[1) Die Abschnittübersehriften in dieser Abhandlung sind sämmtlich erst dem
Wiederabdruck eingefügt worden.]
I. Früheste Zeit der Bestimmung der Richtung der Medianebene. 287
Axe können iincntllirli viele Ebenen als künftige Medianebenen
des Embryo gelegt werden; weini von diesen eine als solche l)e-
stimmt worden ist, so tragt es sich noch, an welchen von beiden
Theilen derselben das Ventral resp. Dorsal entstehen soll. Es sind
also, analytisch betrachtet, noch zwei Entscheidungen
zn treffen, welclie daher auch zeitlich und ursächlich
von einander getrennt sein k (> n n e n . in letzterem Falle
würde die Medianebene blos das Material der beiden Antimeren
scheiden, dieses Material jederseits aber' in sicli noch so gleichartig
beschaffen oder gemengt sein, dass das Dorsal oder Ventral an sich
erst noch durch eine besondere Ursache different gemacht werden
müsste. Andererseits aber können beide Bestimmungen auch ur-
sächlich und zeitlich zusammenfallen, sofern der Bildungsvorgang
der Art ist, dass auf irgend einer nicht in der bereits gegebenen Axe
gelegenen Stelle des Eies Material entsteht oder sich ansammelt,
welches seiner Natur nach nur einen dorsalen oder ventralen Theil
bilden kann. Dann ist durch die Lage dieses einzigen besonders
qualificirten Punctes mit dem Dorsiventral zugleich auch die
Lage der Medianebene normirt.
Dies sind indess nur die M i n i m a 1 b e d i n g u n g e n, welche noch
für die vollkommene Axenbestimmung des Embryo zu erfüllen sind. Es
ist selbstverständlich, dass in Wirklichkeit [9] die Verhältnisse viel com-
plicirter sein können, indem z. B. statt eines einzigen diffe-
renten Theiles, von welchem aus dann alle übrigen
Th(?ile geordnet und bestimmt werden müssten [Epigenesis],
tausend verschiedene Theile zugleich eine bestimmte Lagerung oder Ver-
änderung erfahren können, welche über Dorsiventral entscheidet, ob-
gleich, wie dargethan, schon jeder einzelne zu dieser Bestimmung
genügt haben würde. Es wird eine spätere Aufgabe sein, die spe-
cielle Natur dieser Verhältnisse zu vermitteln; zunächst soll unser
Bemühen nur das Zeithche dieser Bestimmung festzustellen suchen.
Da unter normalen Verhältnissen bei der schiefen Einstellung
der Eiaxe von Rana esculenta das Dorsal durch den hellen Saum
der von oben sichtbaren Eihälfte gegeben ist, und da weiterhin dieser
Saum durch die erste, Avie erwähnt, die Medianebene des Embryo dar-
288 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
stellende Furche stets symmetrisch getheilt, also halbirt wn*d, so
scheint hier der Fall vorzuliegen, dass eine qualitative Verschieden-
heit mit dem Dorsal zugleich die Medianebene bestimmt.
Es fragt sich nun, wann diese Verschiedenheit, welche
die Richtung der Medianebene desEmbrj'o im Ei bedingt,
selber normirt wird.
Auch das unbefruchtete Ei der R. escul. stellt sich
mit seiner Axe schief ein; und sofern diese Einstellung-
identisch ist mit derjenigen zur Zeit der ersten Furchung,
so würde also in der That schon am unbefruchteten Eie die Lagerung
des künftigen Embryo in allen Hauptrichtungen vollkommen gegeben
sein; wonach der ,,formalen Evolution" also ein sehr erheblicher
Antheil an der Entwickelung zukäme; und der Samenkörper
würde nur in verhältnissmässig ,, untergeordneter" mehr auf
das Einzelne beschränkter oder gar blos anregender Weise sich
an der Entwickelung des Individuums betheiligen.
Dagegen könnte der A n t h e i 1 d e s 8 p e r m a t o z o o n an d e r 0 n-
togenese ein noch fast dem Ei ,,gleichwerthiger" sein,
wenn z. B. durch die Richtung seiner Copulation mit dem
Ei kern die noch fehlende eine Richtung zur Fixirung der Median-
ebene und vielleicht sogar die Entscheidung über die Lagerung des
Dorsal und Ventral bestimmt würde.
Je nach der Entscheidung dieser Frage müsste sich auch unsere
Auffassung über die erste Zeit und die Ursache der Entstehung
der Doppelbildungen mit vollkommener und unvollkommener
Verdoppelung der Axenorgane richten. Schon jetzt spricht aber gegen
eine Bestimmung aller Axen des [10] Embryo vor der Befruchtung
die wichtige Beobachtung H. Fül's^), dass er beim Eindringen von
mehreren Spermatozoen in das Ei eine mehrfache Urmundbildung
entstehen sah.
Zu dem Versuche, diese fundamentale Frage am Frosch-
ei zu entscheiden, waren besondere Vorrichtungen nöthig. Denn
einmal bietet das Froschei keine geeigneten Differenzirungen dar,
1) H. FciL, Recherclies sur la fecondation et le commencemeiit de Tlienogenie
chez divers animaux. 1879.
I. Früheste Zeit der Bestimmung der Richtung der Medianebene. 289
welche zu eoiitrolliren gestatten, ob genau dieselbe Einstellung vor
und nach der Befruchtung vorhanden ist; denn unter derselben Ein-
stellung ist nicht blos die Neigung der Eiaxe, welche direct be-
obachtet werden kann, zu verstehen, sondern auch die Erhaltung
immer desselben „obersten" Meridianes. Um die Einstellung
dieses Meridianes controlliren zu können, klebte ich an die Gallert-
hülle des Eies ein Stückchen Haar. Damit nun aber das Ei sich
nicht innerhalb dieser Hülle drehen könne, musste die Quellung der-
selben in Schranken gehalten werden. Das Ei war daher in eine
Flüssigkeit zu bringen, Avelche neben geeignet hohem specifischem
Gewichte, um das Ei schwimmend zu erhalten, eine zu starke Quellung
der Gallerthülle nicht gestattete und zugleich die Spermatozoen nicht
schädigte.
Nach mehreren Versuchen erwies sich folgende Methode als
die brauchbarste. Das Ei wurde nur wenige Minuten in die Samen-
flüssigkeit gethan und darin zugleich mit dem Haar armirt. Danach
wdrd es unter sorgfältigster Vermeidung der Entstehung von Luft-
bläschen am Ei in ein kleines Glas übertragen, welches am Grunde
Quecksilber zum Zwecke der Spiegelung der Unterfläehe des Eies und
darüber eine dicke Lösung von reinstem Gummi arabicum als Men-
struum enthält. Leider wirkte die zum Schwimmen der Eier geeignete
(nimmilösung direct wasserentziehend auf die Gallerthülle, so dass
sich das Ei in Folge des gestiegenen specifischen Gewichtes zu Boden
senkte, sofern nicht rechtzeitig noch dickere Lösung zugesetzt wurde;
womit aber natürhch ein Circulus vitiosus eingeleitet war, w^elcher es
ausserordentlich schwer machte, das Ei bis zum Eintritt der Furchung
schwimmend zu erhalten, zumal die Gummilösung wohl auch auf
[11] den Samen, selbst wenn er schon in die Gallerthülle eingedrungen
war noch nachtheilig einwirkte, da sich die grosse JNIehrzahl der Eier
nicht furchte.
Nach der Uebertragung in das Menstruam nahm das schwimmende
FA rasch eine bestimmte Stellung ein, zu welcher es auch, nach mehr-
fachem Anstossen von verschiedenen Seiten her, immer wieder zurück-
kehrte. Nach solcher Prüfung wurde sofort die Stellung durch Abbildung
der oberen oder unteren Hemisphäre nebst Angabe der Dicke der Gallert-
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. ]I.
290 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
hülle und der Stellung des Haares abgezeichnet und weiterhin alle fünf
bis zehn Minuten controllirt, um alle eventuellen Stellungsveränderungen
rechtzeitig zu bemerken und gleichfalls zu fixiren. Anfänglich wurden
die Eier nur zwei Minuten im Samen gelassen und dann sogleich in
das Menstruum übertragen. Da sie sich aber nicht furchten, und da
zugleich in den ersten zehn Minuten keine Aenderung bemerkt wairde,
so Hess ich die späteren Eier vier Minuten im Samen, um die Samen-
körper recht tief in die Gallerthülle eindringen zu lassen, ehe die
schädliche Wirkung der Gummilösung begann, wurden die Eier noch
zuvor vier bis sechs Minuten an der Luft gehalten, weil sie, zum
Zw^ecke der Verhütung zu starker Quellung, nicht so lange im Samen
verbleiben durften.
Bei jedem Versuche wurden zum Vergleich ,,unbef ruchtete"
Eier in der gleichen Weise behandelt und in ihrem Verhalten be-
obachtet; nur dass sie statt in Samen in filtrirtes (Jderwasser gelegt
wurden. Ausser den Eiern von Rana esculenta stellten
auch die schwimmenden unbefruchteten Eier von „Rana
fusca" sich mit ihren Eiaxen meist stark geneigt ein.
Von 14 Eiern, deren erste Einstellung vier bis zwölf Minuten nach
dem Momente der Einlegung in Wasser aufgezeichnet wurde, haben
elf Stück in den ersten drei Stunden ihre Einstellung nicht geändert;
bei den meisten fand sogar erst nach fünf, bei einigen erst nach
zwanzig Stunden eine solche Aenderung statt. Zwei Eier dagegen
haben sich fortwährend langsam gedreht; eines desgleichen, aber erst
nach ein und einhalb Stunden. Die Aenderuugen betrafen sowohl
die Neigungen der Eiaxe wie den obersten Meridian. In zwei Fällen
änderte sich auch die Stellung der Eiaxe zum Haar, ein Zeichen,
dass das Ei sich innerhalb der Gallerthülle drehen konnte.
[12] Das Resultat ist also, dass bei ,, unbefruchteten"
Eiern während der ersten Stunden nach dem Einlegen
in Wasser zumeist keine innere Umordnung des ungleich
specifisch schwereren Materiales stattfindet, w^elche zu
einer Verlagerung des Schwerpunctes führt. In selteneren
Fällen war dagegen eine stetige Umordnung wahrnehmbar.
I. Früheste Zeit der Bestimmun.n- der Hirlitiuig der Mcfliancbene. 291
\\iii 47 Eiern, welelu' in Samen eino-elesit waren, bildeten
blos acht die erste Furche, keines theilte sich weiter; ein Zeichen der
starken Schädigung, welche durch die Gummilösung hervorgebracht
wurde. Es wird von Interesse sein zu ermitteln, ob dies durch
Schädigung des Samens in der Art bedingt ist, dass er blos noch den
ersten primärsten Entwickelungsvorgang hervorzubringen vermag, so
dass also gleichsam seine feineren Eigenschaften alterirt wurden und
er daher blos eine „Partialhefrtichtung^' zu vollziehen im Stande
war, oder ob eine dauernde Schädigung des Eies durch die Gummi-
lösung stattfindet ; eine Frage, welche vielleicht durch baldiges Ueber-
tragen des Eies aus der Gummilösung in Wasser zu erledigen sein wird.
Es war deutlich bemerkbar, dass die Eier nach der Be-
fruchtung viel rascher in ihre Einstellung zurückkehrten,
wenn sie aus derselben entfernt worden waren, als vor der Be-
fruchtung, wodurch meine erste bezügliche Mittheilung vervoll-
ständigt wird [s. S. 261]. Der weisse Pol wurde nach der Befruch-
tung meist sogar so rasch wieder nach unten gewendet, dass es
schwer war, ihn überhaupt durch l)losses Umstossen des Eies sicht-
bar zu machen. Also hatte sich der Unterschied im specifi-
schen Gewichte der schwarzen und weissen Hemisphäre
durch die Befruchtung ausserordentlich vergrössert^). Da-
gegen kam es bei manchen ,, unbefruchteten" Eiern vor, dass
sie überhaupt in jeder ihnen gegebenen Stellung sich schwim-
mend erhielten; [ihr Schwerpunct lag also im Centrum des Eies].
Die später gefurchten Eier gehörten sämmtlich derRana ,,f usca"
an und hatten anfangs eine Neigung ihrer Eiaxen von ca. 90°, 60°,
50*^, 50«, 30^ 20°, 20°, 20°; sie veränderten ihre Neigung schon
13 bis 30 Minuten nach der Besamung, einmal erst nach 90 Minuten,
und zwar um zur ,,senkrech'ten" Einstellung der Eiaxe über-
[13] zugehen, welche meist in Zeit von ein bis zwei Stunden,
also noch vor der Copulation der beiden Pronuclei erreicht
[1) Ueber das Principielle solcher Aenderungen siehe M. Verworx, die Fähig-
keit der Zelle, activ ihr specifisches Gewicht zu verändern. Arch. f. d. ges. Physiol.
Bd. 53. 1892. S. 141. Hier dagegen beruht die Aenderung wohl wesentlich auf verstärkter
Ansammlung des Bildungsdotters an einer (vorher bestimmten?) Stelle, s. S. 295].
19*
292 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
war. Diese Einstellung erfährt dann, wie nach den Beobach-
tungen an in Wasser befindlichen Eiern zu schliessen ist, auch
während der Furchung keine Aenderung mehr.
Ich hatte bei der Verwendung der Ranae fuscae gehofft, dass
sich unter den vielen Eiern auch einige mit dauernder Schiefstellung
der Eiaxe finden würden, da ich solches Verhalten im vorigen Jahre
einige Male beobachtet hatte [s. S. 257]. Diese würden dann statt
der Eier von Rana esculenta, von denen wegen ihrer grossen Em-
pfindlichkeit gegen Schädlichkeiten sich leider keines gefurcht hat,
haben erkeimen lassen, ob die schiefe Einstellung nach der ersten
Furche mit derjenigen vor derselben identisch ist.
Das Genauere der stattgefundenen Eibewegungen ist nicht leicht
aus den Diagrammen der einzelnen Einstellungen zu entnehmen. Ich
bediente mich zu diesem Zwecke einer zur Hälfte geschwärzten AVachs-
kugel, an welche für jedes einzelne Ei ein Holzstäbchen, entsprechend
der Stellung des Haares am Ei, angedrückt wurde, so dass durch
Nachahmung der aufgezeichneten Einstellungen blosse Drehungen des
Eies durch äussere Kräfte, Verschiebungen desselben innerhalb der
Gallerthülle, und Drehungen des Eies durch Verlagerung des Schwer-
punctes auseinandergehalten werden konnten. Die letzteren zerlegte
ich der Uebersicht wegen in Stellungsänderungen eines charak-
terisirten Eidurchmessers, der Eiaxe, und in Umdrehungen um
diesen Durchmesser. Es zeigte sich, dass mit dem üeb er-
gang der anfangs schrägen Eiaxe zur senkrechten Ein-
stellung bei Rana fusca zugleich mehr oder weniger grosse
Umdrehungen, im Maximum von 100°, um die Eiaxe ver-
bunden waren, einBeweis, dass nicht eine einfache Senkung
des unteren Endes der Eiaxe auf dem nächsten Wege stattfand.
Die in Samenflüssigkeit befeuchteten Eier, welche sich
nicht furchten, l)oten ehi sehr verschiedenes Verhalten dar, welches
indess wohl mit Recht auf die beiden bisher kennen gelernten Fälle
zurückgeführt werden muss. 18 von 39 Eiern [14] änderten nämlich
ihre Einstellung mehrere Stunden lang gar nicht, verhielten sich so-
mit ganz wie unbefruchtete Eier. Da wir nun in der Gummilösung
eine Schädlichkeit kennen gelernt haben, und da die bezüglichen Eier
I. Früheste Zeit der Bestiniiiumg dn- U'iclitiui;; der Modiiuiobcne. 293
immer die letzten jeder \Vr8Uchsserie bildeten, wo dei' iSamen schon
gelitten hatte, so ist die Annahme wohl znlässii>-, dass diese VAev
überhaupt nicht befruchtet worden waren.
Die übrigen Eier änderten ihre Einstellung, doch zumeist erst
nach ein bis zwei Stunden, nur eines schon nach 32 Minuten. Die
Neigung der Eiaxe wurde zumeist vermindert, bei R. t'usca manch-
mal bis zur senkrechten Einstellung, bei R. esculenta dagegen weniger;
zugleich fanden häufig 60—80" betragende Umdrehungen um die
Axe statt, so dass sich ein anderer Meridian nach oben einstellte als
anfangs. Das Verhalten war also wesentlich wie bei den sich furchen-
den Eiern. Nur eine unvollkommene Wirkung der Befruch-
tung machte sich dadurch bemerkbar, dass sich die Eiaxe n der
Ranae fuscae meist nicht bis zur senkrechten Einstellung
drehten; und ausserdem fällt die Verzögerung in dem Beginne
der inneren Umordnungen auf. Letztere ist indess vielleicht
einfach aus der Schwächung der Samenkörper und dem dadurch ver-
zögerten Eintritt des Samenkörpers in das Ei erklärbar, oder w^enn
die darauf gerichtete weitere Untersuchung dies nicht bestätigen sollte,
auf eine schwächere Wirkung und langsameres \'^ordringen des Samen-
körpers innerhalb des Eies zurückzuführen.
Umgekehrt ist bei den sich furchenden Eiern der baldige Ein-
tritt der Stellungsänderung schon 15 Minuten nach dem Einlegen in
Samen auffällig, da O. Hertwig ^) die Samenthierchen erst eine Stunde
nach dem Einlegen in den Samen durch die dicke Gallerthülle hin-
durch und oben in das Ei eingedrungen vorgefunden hat^). Man
könnte danach mit Kupffer und Benegke ^) annehmen, dass schon par
distance eine alterirende Wirkung zwischen Spermato-
zoon und Ei stattfinde, oder aber dass je nach Umständen, viel-
leicht bei [15] etwas höherer Temperatur (?), die Samenkörner rascher
1) 0. Hertwig, Beitr. zur Kenntn. d. Bildung, Befruchtung und Theilung des
thierischen Eies. Theil II. Morph. Jahrb. III, S. 46, 1877.
[2) Newport (Philos. Transact. Roy. Soc. Bd. 144, S. 229, 1854) gieht an, dass
erst 30 Minuten nach der Befruchtung der Samen die Gallerthülle des Froscheies durch-
setzt habe.]
iä) Kupffer, C. und B. Beneckk, der Vorgang der Befruchtung am Ei der Neun-
augen. Königsberg 1878.
294 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
die Hülle durchdringen, oder dass das Durchdringen der Eirinde
selber vom Momente der Berührung des Eies an längere Zeit in An-
spruch nimmt. So lange erneute Versuche die letzteren Eventuali-
täten nicht direct widerliegen, wird man ihnen wohl den Vorzug zu
geben haben. Von hohem Interesse bleibt jedenfalls, dass wenn
nicht schon früher so bereits von der ersten Berührung
zwischen Samenkörper und Ei an solche Substanzumord-
nungen vor sich gehen; und somit schon eine erhebliche ge-
staltende Wirkung des Samenkörpers auf das Ei statt-
findet, ehe noch die Copulation der Kerne sich vollzogen
hat, welche nach 0. Hertwig') erst eine bis ein und eine halbe Stunde
später vor sich geht.
Ob man diese Gestaltung bereits als eine „befnieliteiide"
Wirkung- bezeichnen will, wird davon abhängen, was man eigent-
lich unter Befruchtung zu verstehen hat, wovon wir leider, abgesehen
von den sichtbaren morphologischen Vorgängen der Copulation, nocii
keine specielle, irgendwie durch Gründe vor anderen Möglichkeiten
bevorzugte Vorstellung haben. Ich bin aber dafür, dass jede ge-
staltende Wirkung, wie überhaupt jede Wirkung des Samen-
körpers auf dasEi, als eine „befruchtende" zu bezeichnen
ist, welche eine normale Bildung des Embryo oder die
nothwendige Vorstufe einer solchen darstellt.
Die Art der Entstehung dieser Wirkung angehend, so kann,
nach der Lage der Pigmentstrasse des Samenkörpers im Eie (van
Bambeke, G. Born) zu schliessen, da derselbe zwar an verschiedenen
Stellen des schwarzen Poles eindringt, aber sich dann nach der Eiaxe
hin bewegt, diese Umordnung der Eisubstanzen vielleicht mit dem
Samenkörper setber, etwa mit einer Gruppirung des specifisch
leichteren Bildungsdotters um den Samenkörper in Zusammen-
hang gebracht werden; eine Auffassung, welche jüngst von O. Hertwig
(loco cit.) auf Grund von vorliegenden Beobachtungen an Fischeiern
und an den Eiern Wirbelloser näher begründet worden ist.
I
1) 0. Hertwig. Welchen Einfiuss übt die Schwerkraft auf die Theilung der
Zellen? .Jena 1884, S. 16.
I. Früheste Zeit der Bestimmung der Kichtung der Medianebene. 295
Bezüglich der momentanen Conla et wirkling zwischen
Ei und Samen ist ein Analogen aus dem ßereicho chemischer [16]
Veränderungen zu erwähnen, darin bestehend, dass nach van Beneden ^)
das Spermatozoon der Ascaris megalocephala in dem Momente der
Berührung mit dem Ei schon sich derart chemisch verändert, dass
es mit Carmin färbbar wird.
Wenn nun auch gerade die Eier von Rana esculenta, die wegen
der schiefen Stellung der Eiaxe für uns besonderes Interesse besitzen,
sich nicht gefurcht haben, so dürfen wir doch wohl annehmen, dass
sie sich im Falle der Furchung nicht in der Weise anders verhalten
haben würden, dass sie sich etwa gleich den unbefruchteten Eiern
gar nicht gedreht hätten, da doch immer die ersten befruchteten, wenn
auch nicht gefurchten Eier jeder Serie sich gedreht haben. So-
mit können wir also auch für Rana esculenta das an den Eiern der
Rana fusca vollständig beobachtete Resultat aussprechen, dass die
vor der Befruchtung bestehende Neigung der Eiaxe und
Einstellung des obersten Meridianes in der Regel nach
der Befruchtung nicht erhalten bleibt. Es stellt also diejenige
physiologische schiefe Einstellung des Eies von Rana esculenta, welche
für die Lage der ersten Furche und damit der Medianebene des Emhryo
am Eie bestimmend wird, sich erst während der Befruchtung her 2).
(Weiteres s. Nr. 21, S. 63.)
ii Ed. van Beneden. Recherches sur la maturation de l'oeuf et la Fecondation
Arcli. de Biologie 1883, T. IV. Auch separat erschienen. Leipzig 1883.
[-) Zu dieser Verlegung des Schwerpunctes genügt schon das Vermögen,
den Bildungsdotter unter den schwarzen Theil der Eirinde zu sammeln.
Wenn dies auf allen Seiten gl eich massig geschieht, so muss der Schwerpunct
in die „ Eiaxe " fallen, da diese ja blos die mittlere Verbindungslinie der schwarzen
und weissen Eirinde darstellt. Ist diese Ordnung nicht auf allen Seiten gleich-
massig, so resultirt eine entsprechende seitliche Verlagerung des Schwerpunctes
von der Eiaxe und damit eine entsprechende Schiefstellung der letzteren. Diese
Verhältnisse lassen sich also sehr leicht ableiten. Doch scheint bei der Rana escu-
lenta sich auf der einen Seite eine besonders beschaffene Substanz zu sammeln
rs. Nr. 21. S. 163 Anm. und 198).
Bei Rana fnsca können wir also sagen: Die typische, um die Eiaxe
nach allen Richtungen dem specifischen Gewichte nach gleiche An-
ordnung der Dottersubstanzen des unbefruchteten Eies wird erst
durch die „ V orwi rkung " der Besamung her- resp. wieder hergestellt.
An Teleo stier eiern sehen wir die Keim Scheibe erst längere Zeit nach
296 Nr. 20. Bestimmung der Hauptriclitungen des Embryo etc.
Die Stellungsänderungen sowohl der Eiaxe wie des obersten
Meridianes waren bald gross, bald gering und standen beide in keiner
Constanten Beziehung ihrer Grösse zu einander; es steht daher auch
der Annahme nichts im Wege, dass eimnal blos eine Neigungsände-
rung der Eiaxe oder auch diese nicht eintritt, trotz stattgehabter Be-
fruchtung.
Was dürfen wir aus diesem Ergebniss bezüglich unserer Frage
nach der Zeit der Bestimmung der Richtungen schliessen? Hätte
sich gezeigt, dass die Eieinstellung vor und nach der Befruchtung
ganz dieselbe bleibt, so konnte positiv abgeleitet werden, dass das
Dorsal und \^entral des künftigen Embryo schon am unbefruchteten
Eie fest bestimmt sind. Bei dem negativen Ergebniss hin-
gegen ist in dieser Hinsicht kein sicherer Schluss zuziehen.
Denn wenn wir auch gesehen [17] haben, dass das leichteste resp.
schwerste Material des Eies sich während der Befruchtung an einer
anderen Stelle sammelt als vor derselben, so wissen wir doch
nicht, ob nicht diese Stelle schon vorher bestimmt war. Letz-
teres ist bezüglich der Anordnung des Materials zur Eiaxe bei li.
fusca sogar evident der Fall, da sich hier der Schwerpunct in die Ei-
axe einstellte oder doch mit wenigen Ausnahmen ihr entschieden zu-
strebte. Man kann daher mit gutem Grunde die Vermuthung äussern,
dass diese Umordnung vielleicht blos die Wiederherstellung
der eigentlichen natürlichen Anordnung der Eisubstanzen
sei; denn eine Ursache, welche vor der Befruchtung das Material
aus seiner natürlichen Ordnung zu bringen strebt, ist fast bei allen
Eiern vorhanden, da die Eier im Eierstock und Uterus sich in
Zwangslage befinden, dabei aber mit ihren Eiaxen fast beliebig.
der Befruchtung sichtbar werden; indem sich das vorher vertheilte Proto-
plasma gegen eine Stelle der Peripherie zusammenzieht. Dasselbe geschieht, wie ich
fand, auch erheblich eher nach der Befruchtung als normal (auch ohne
Befruchtung?), in Folge von electrischer Reizung des Eies (s. Nr. 25,
S. 105) ; es besteht somit auch hier eine Prädisposition zur Ansammlung des Bil-
dungsdotters an einer Stelle; doch wissen Avir nicht, ob hier diese Stelle etwa erst
durch die Befruchtung bestimmt wird. Beim Frosch dagegen ist diese Stelle schon
vorher durch die braune Rinde der Hauptsache nach gegeben; doch kommt daneben
auch der Befruchtung noch ein ordnender EinHuss zu (s. Nr. 21, S. 204)].
1. Früheste Zeit der Bestinuming der liicbtuug der Mediauobene. 297
nur mit einem kaum sicher feststellbaren Ueberwiegcn der Abwärts-
wendung der weissen Pole durcheinander gerichtet sind und bereits
aus ungleich schwerem Material zusammengesetzt werden. Ich habe
in Beitrag 2 (s. S. 260) mitgetheilt, dass selbst um-oife Eier von
erst der halben natürhchen Grösse sich beim Schwimmen in Wasser-
glas mit dem weissen Pole nach unten einstellen, und dass dasselbe
auch mit jedem behebigen Stückchen des Eies, welches schwarze und
weisse Substanz enthält, der Fall ist. Diese ungleich schweren
JMaterialien müssen daher bei Zwangslage der Eier in schräger Stel-
lung der Axe eine Neigung haben, sicli nach der Schwere zu ordnen ;
dieses könnte um so vollkommeuer vor sich gehen, als das Weibchen
vor der Befruchtung Tage lang ruhig sitzt.
Es müssen somit im Eie Kräfte wirksam sein, welche
schon zur Zeit der typischen Ordnung der ungleich schweren
Substanzen ,,der Schwere entgegen" diese Ordnung herstellen
und danach sie erhalten. Diese Kräfte wirken voraussichtlich auch
während der Lagerung der Eier im Uterus noch ; sie sind aber vielleicht
gegenüber der stetig in derselben Richtung umordnenden Tendenz
der Schwere nicht ganz zureichend. Dieselben erfahren wohl, nach
den mitgetheilten Versuchen zu schliessen, während der Befruchtung
eine Steigerung^); [18] diese Steigerung ist indess ihrerseits wieder,
wie wdr aus Born's Beobachtungen über die inneren Strömungen bei
Zwangslage-) ersehen, keineswegs ausreichend, um das Material bei
jeder Stellung der Eiaxe in normaler Anordnung zu erhalten. Die
active Ordnung des Materiales während der Befruchtung,
welche zugleich mit Erhöhung der Ungleichheiten des specifischen
Gewichtes verbunden ist , 1j r a u c h t e i m M i n i m um b 1 o s in
einer Sammlung der gleichartigen Substanzen zu bestehen
und so, vielleicht entsprechend dem Verhalten bei Pana esculenta,
[1) Andererseits ist auch vielleicht das protoplasmatische Gerüst des unbe-
fruchteten Eies noch etwas weniger weichtiüssig, als nach seiner Anregung zur
Thätigkeit im befruchteten Eie, sodass aus diesem Grunde trotz der tage- ja wochen-
langen Zwangslage nicht annähernd so hochgradige Störungen im Innern entstehen,
wie sie im befruchteten Eie bei gleicher Lage innerhalb weniger Stunden stattfinden
(s. Nr. 21, S. 179).]
ä) G. BoRX. üeber den Einfluss der Schwere auf das Froschei. Breslaucr
ärztl. Zeitschr. Nr. 8. 1884.
298 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
keine besonders hervortretende Tendenz lial)eii, den Schwerpnnct
gerade in die Eiaxe zu verlegen. Da letzteres aber bei Rana
fusca ausgesprochen der Fall ist, muss hier eine besondere Prädis-
position dazu vorhanden sein, welche entweder schon als solche im
unbefruchteten Eie angelegt sein muss, oder vielleicht zunächst mit
der Neigung des in grösserer oder geringerer Entfernung vom oberen
Pole eindringenden Samenkörperchens, gegen die Eiaxe vorzudringen,
in -Zusammenhang steht; wobei aber wieder die Ursache des letzteren
Verhaltens eine frühere selbstständige, oder erst durch die Normirung
der Stellung des weibhchen Pronucleus gegebene sein muss.
Es ist wohl überflüssig, besonders zu erwähnen, dass die Lage-
ander u n g d e s S c h w e r p u n c t e s, Avelche zu den beobachteten Stellungs-
änderungen des Eies Veranlassung gegeben haben, nicht durch die
,, Schwerkraft", sondern „entgegen" derselben stattgefunden
haben. Die Kraft, mit welcher sie vor sich gehen, lässt sich leicht für
jedes Ei aus dem Moment des Auftriebes einer nn das Ei angehängten,
geeignet grossen Luftblase berechnen, welche so situirt ist, dass sie
das Ei zu seiner Ausgangsstellung zurückführt. Diese Grösse ist nach
einigen im vorigen Jahre angestellten, allerdings noch sehr ungenauen
Versuchen, ziemhch erhebhch, wenn schon sie, wie erwähnt, nicht
ausreichend ist, um bei schräger Zwangslage der Eiaxe die innere
Ordnung aufrecht zu erhalten.
Durch diesen Befund wird das Resultat des Beitrages 2 (s. S. 271), dass
die Entwickelung ohne die Schwerkraft stattfinden [19] kann, dahin
erweitert, dass die ersten Entwickelungs Vorgänge die ord-
nende Wirkung der Schwerkraft innerhalb gewisser
Grenzen dir e et zu überwinden und in einer der Wirkung
dieser Kraft entgegengesetzten Weise vor sich zu gehen
vermöQ'en.
II. Uel)er die „Ursache" der Bestimmung- der Riclitung- der
^[ediaiiebeiie.
Da die vorstehend mitgetheilten Versuche die Frage , von wel-
cher wir ausgingen, nicht zu entscheiden vermocht hatten, versuchte
II. Ueber die „Ursache" der ßesthnmung der Richtung der Medianebenc. 299
ich es, direct zu ermitteln, ob, entsprechend einer schon in meiner
ersten bezüglichen Arbeit (s. S. 121) geäusserten Vermuthung, der
Samenkörper zugleich mit der Copulationsrichtung die
Richtung der ersten Theilung zu bestimmen vermöge.
Man könnte geneigt sein, in diesem Sinne bereits eine sehr sorg-
fältige Beobachtung L. Auerbach's') zu verwerthen. Dieser Forsclier
hat festgestellt, dass bei Ascaris nigrovenosa das Samenkörperchen
immer an dem dem Uterus zugewendeten Pole des ovalen Eies ein-
dringt, dass die Copulation beider Pronuclei in der Längsaxe des Eies
erfolgt, worauf eine Drehung des Conjugationskernes um 90° statt-
findet, nach welcher dann Kern und Zellleib sich rechtwinkelig zur
Längsaxe theilen. Die Theilung des conjugirten Kernes erfolgt somit
stets rechtwinkelig zur Copulationsrichtung der beiden Pronuclei. Aber
beide Acte sind hier in ihrer Richtung schon am unbefruchteten Ei
durch die Längsaxe des Eies fest bestimmt, so dass wir nicht wissen
können, ob nicht dies erstere Verhältniss blos als in Abhängigkeit
von Wirkungen des länglich gestalteten Zellleibes stehend
aufzufassen und damit bereits vor der Befruchtung normirt ist. Durch
solchen Einfluss des Dotters müssen wohl auch die conju-
girten Kerne während ihrer Conjugation die Drehung um
90° erfahren.
Die Entscheidung unseres Problems k a n n n u r a n
einem Eie gewonnen werden, bei welchem die Copulations-
richtung frei vom Experimentator bestimmt werden kann, und wo die
Furchungskern- und erste Dottertheilung in constanter
Beziehung zu dieser ,, willkürlich gewählten" Copu-
lationsrichtung erfolgt; oder wo [20] dies wenigstens bezüg-
lich der Theilung des Furchungskernes der Fall ist, wenn
auch vielleicht schon bald nach dem erkennbaren Bestimmtsein der
letzteren die ganze Kernspindel durch den Dotter soweit gedreht wird,
dass die Kerntheilungsebene mit der schon prädestinirten Dotter-
theilungs ebene zusammenfällt. In diesem letzteren Falle würde dann
blos die Richtung der Kerntheilung von der Conj ugations-
1) L. Auerbach. Organologische Studien, 1874, Abschnitt 111, S. 212.
300 Nr. 20. Bestimmung der Haiiptrichtungen des Embryo etc.
rieh tu 11g abhängig sein, was aber immerhin von grosser Bedeutung
wäre, da wir in dem Kerne die Hauptqualitäten der Entwicke-
lungsf ähigkeit zu vermuthen haben. Letzteres ist der Grund,
warum wir der Feststehung der Bestimmungsursachen dieser Richtung
besondere Aufmerksamkeit widmen, obgleich es denkbar ist, dass sie
als die erste Richtung, nach welcher die späteren gerichteten Vor-
gänge sich in gesetzmässiger Weise zu orientiren haben, vielleicht ge-
rade, gleich der Wahl eines Coordinatensystemes, in ihrer eigenen
Bestimmung am meisten variabel, von zufälligen Neben-
umständen abhängig sein kann. Dies würde dann bedeuten,
dass von diesem ersten gerichteten Geschehen aus die
späteren Vorgänge erst bestimmt werden. Umgekehrt aber
könnten auch Massenanordnungen, welche die Richtungen der Dotter-
theilungen bestimmen, schon mehr oder weniger im unbefruchteten
Eie präexistiren und daher auch die erste Theilungsrichtung schon
ziemlich genau im Voraus bestimmen.
Um den eventuellen ImhAuss des Samenkörpers auf die Be-
stimmung der uns noch fehlenden Richtungen des Embryo direct zu
prüfen, machte ich Versuche mit künstlicher ^) ,,localisirter Be-
fruchtung" am Froschei, indem ich mit einer feinst ausge-
zogenen Glascanüle Samen in die Gallerthülle nahe dem
Aequator injicirte. Dies geschah in der Absicht, den Sperma-
tozoen an der betreffenden Stelle einen ^^orsprullg zu verschaffen,
so dass die Befruchtung des Eies von diesem bekannten Meridiane
aus erfolgen musste. Damit sich der Samen innerhalb der Hülle
nicht auf dem Ei ausbreiten könne, wurden die Eier sehr trocken
gehalten. Der Versuch war nur bei R. fusca mit Aussicht auf
Erfolg ausf ülir])ar, da wir nur hier durch senkrechte Aufstellung
des Eies die natürliche Lage, welcher das Innere zustrebt, künstlich
herstellen können; während l)ei Eiern mit normaler Weise schiefer
[1) Da beim Froschei die Befruchtung normaler Weise blos durch ein einziges
Spermatozoon bewirkt wird, so ist seine normale Befruchtung also überhaupt eine
Jocalisirte". Das Wesen der künstlichen localisirten Befruchtung besteht danach
darin, dass wir nach unserem Belieben den Meridian bestimmen, von dem aus die
Befruchtung stattfindet.]
Wirkung der Scliwerkratt auf die Eiiistolhnij? der KcnispiiuleJ. 301
Einstellung der Eiaxe uns die speeielle nalürliclie JMnstelluno- unbe-
[21] kannt ist, und daher jede von _uns gegebene Lage meist eine
Zwangslage sein wird. Dabei gerätli das Samenthierchen hcäufig in die
unter solchen Umstcänden entstehende, von Bohn nachgewiesene innere
Strömung und erfährt so eine uns nicht bekannte Richtungsänderung.
Ich erwartete nun, dass vielleicht die erste Furche immer in
dei-selben Weise zu diesem Befruchtungsmeridiane, entweder recht-
winkelig zu ihm oder in ihm selber liegen werde, und dass letzteren
Falles immer dieselbe Seite des Embryo an der Eintrittsseite des
Samens in das Ei, die dorsale oder ventrale Seite sich entwickeln
werde, woraus dann ein bestimmter Schluss hätte gezogen werden
können. Es furchten sich aber von sehr vielen so behandelten Eiern
nur vereinzelte und bei diesen war bis jetzt keine Beziehung der
ersten Furche zu dem vermuthlichen Befruchtungsmeridian zu er-
kennen. Erneute, analytische Versuche mit microscopischer Prüfung
der Sicherheit der Methode in Bezug auf den Ort der Befruchtung
und auf die Bahn der Spermatozoen im Eie werden vielleicht soviel
Aufschhiss ergeben, um nach positiver oder negativer Seite hin einen
sicheren Schluss zu gestatten. Wenn indess mit dieser Methode kein
sicherer Auf schluss zu gewinnen ist, so werde ich mich bestreben,
die Entscheidung an durchsichtigen runden Eiern ohne ]\Iicrophyle
zu gewinnen^)
III. Sonstige Momeute, welche die Iliclituiig- der ersten Fiirehc und
damit die Richtung- der Medianebene des Embryo beeinflussen können.
a) Bezüglich der Wirkung der S c h w e r e gilt als Regel, dass
die erste Furche sowohl bei physiologischer Einstellung wie bei
1) Die diesjährigen (1885) Versuche an Rana fusca scheinen bereits die obige
Vermuthung zu bestätigen. Die erste Furche und mit ihr die 3Iedianebene des
Embryo ging bei senlirecht stellender Eiaxe in öO von 60 Fällen durch die von
mir gewählte Eintrittsstelle des Samens in das Ei, und die Seite dieser Ein-
trittsstelle Avurde in 10 von 11 Fällen zur ventralen [richtiger caudaleu] Seite des
Embryo. Genaueres über diese fundamentale Beziehung wird in einem Nachtrage
mitgetheilt werden (s. Nr. 21).
[Die vorliegende Abhandkmg war auf Grund der Versuche des Jahres 1884 ver-
fasst worden (s. S. 304) und nur einige Ergebnisse der Laichperiode des Jahres 1885
konnten während des Druckes noch aufgenommen werden.]
302 Nv. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Zwangslage senkrecht steht. Doch ist es werthvoll für manche
Schlüsse, zu beachten, dass, wie ich sah, dies bei Zwangslage
nicht ausnahmslos richtig ist, indem unter diesen Umständen die erste
Furche nicht selten stark [22] geneigt, ja sogar manch-
mal wagerecht orientirt ist; zugleich schneidet sie dabei
häufig nur ein kleines Stück des Eies ab, statt dasselbe zu halbiren.
Solches Vorkomraniss zeigte sich besonders bei Rana esculenta gegen
Ende der Laichperiode und alsdann manchmal an fast allen Eiern
eines Weibchens und auch bei nur sehr geringem Zwange, sodass
normale Furchungen nur vereinzelt vorkamen. Die meisten dieser
sich so abnorm verhaltenden Eier bildeten blos diese erste Furche
oder höchstens noch unregelmässige Bruchstücke der zweiten Furchung.
Es wird von hohem Interesse sein, solche Eier genauer zu unter-
suchen und zu ermitteln, warum die erste Furche sich nicht senk-
recht stellte. Ich hoffe, an solchen Eiern die Entscheidung gewinnen
zu können, ob die Kernspindeln für sich einem richtenden
Einfluss der Schwere unterliegen ; wenn schon dies nur
ein accessorisches Moment sein könnte, da, wie ich gezeigt
habe, die Entwickelung auch olme jede richtende Wirkung dei- Schwere
normal verläuft.
b) Wirkung der Deformation der Eier auf die Theilungs-
richtung.
Weiter unten mitzutheilende electrische Versuche veranlassten
mich, Eier in möglichst enge Glasröhren zu aspiriren. Bei
dieser Gelegenheit beobachtete ich ein höchst auffallendes Verhalten
schon in dem nicht electrisirten Theile der Röhren. Zunächst die
Gestaltverhältnisse der so behandelten Eier angehend , so blieb ein
grosser Theil der Eier kugelig, ein anderer Theil wurde in Richtung der
Röhre verlängert, manchmal bis über das Doppelte des Querdurch-
messers; andere Eier waren in Richtung der Röhre linsenförmig ab-
geplattet, wieder andere hatten Kegelgestalt erhalten. Trotz dieser
verschiedenen Gestalt theilteu sich fast alle Eier zuerst
quer zur Röhre, so dass die verlängerten Eier ihrer klein-
Wiikuni;- der Deformation der Kier ;iuf die 'riioilungsrichtuiiu;. 303
sten und oiii Tlieil der liiiscii U')rn\ i-;-oii Kicr ihrer ,,grüssteii"
Durchschnittst' lache nach hal hirt wurden. ') Ikn nur wenigen
Eiern stand die erste Furche in Längsrichtung der Röhre,
desgleiclien war sie nur selten schräg gestellt; letzteres vorzugs-
weise bei kegei- und keilförmiger Deformation des Eies. Die
Längsrichtung der Furche fand sich am häufigsten bei den [stets quer
zur Röhre stehenden] linsenförmigen Eiern, so dass also auch liier, wie
bei den stark in Richtung der Röhre verlängerten Eiern, das Ei längs
der ,, kleinsten" Dimensionen getheilt wurde. Da mit [23] den
derartigen Deformationen gleichzeitig mehrere Umstände,
welche vielleicht die Zelltheilungsrichtung beeinflussen,
alterirt werden, so können wir die Ursache dieser Prädilections-
richtungen uns zur Zeit noch sehr verschieden vorstellen. Es könnte
der „kleinste Theilungs wider stand" eine Prädisposition abgeben,
wogegen aber spricht, dass bei der zweiten Theilung der zuerst quer ge-
theilten hnsenförmigen Eier die Theilungsebene der grössten Fläche
folgte; dieser Einwand würde sich in gleicher Weise gegen die An-
nahme richten, dass den Kernen Gelegenheit gegeben werde,
sich möglichst weit von einander zu entfernen.
A m w a h r s c h e i n 1 i c h s t e n erscheint m i r vor der Hand, dass
die speciüsclie „Gestalt" der Protoijlasmaaiiliäufuiigen bei diesen
differenten Eigestalten eine bestimmt richtende Eiinvirkuiig- auf
die Kenispiiidel ausübt, und dass aus dieser fiestalt Prädilectious-
richtung-eii folgten, unter welchen diejenige bevorzugt wird, welche
der Richtung- am nächsten liegt, in welcher der Kern schon aus
seinen eig-enen inneren Kräften sieh zu theilen tendirt [also welche
der immanenten Theilungsrichtung des Kernes am nächsten liegt] (s.
Nr. 20, S. 52 und Nr. 21, S. 203.)
Besonderes Interesse boten die kegelförmigen Eier dar.
Diese standen mit der Kegelaxe annähernd in der Längsrichtung der
Röhre, theilen sich zumeist quer, also annähernd parallel zur Basalfläche ;
und die erste Furche war immer der Basalfläche viel näher
als der Spitze, so dass sich die Abstände etwa wie 1:2 oder 1:3
[1) Genaueres siehe Nr. 31, S. 274.]
304 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtuagen des Embryo etc.
verhielten. Dies zeigt wiederum, dass nicht ein Bestreben der
Kerne, in möglichst grosse Entfernung von der Theilungs-
ebene zu gehingen, oder eine Tendenz, die kleinsten Flächen
zu theilen, die Theilungsrichtung [allein] bestimmt.
Die microscopischen Untersuchungen und Messungen werden
bei den diesjährigen Wiederholungen dieser vorjährigen Versuche
genaueren Aufschluss über die inneren Vorgänge bei diesen eigen-
thümlichen Vorkommnissen geben, besonders bezüglich der Ver-
theilung der beiden Dottermassen und der Stellung der
Kernspindel zu denselben. Desgleichen wird es von Interesse
sein, die eventuellen Alterationen des Furchungsschemas bei
diesen D e f o r m a t i o n e n kennen zu lernen und ihre Ursachen auf-
zusuchen.
Das allgemeine Vorherrschen der Querstellung der ersten Thei-
lung zur Glasröhre angehend, so kann der deformirende [24] ,,Druck
an sich" nicht als directe Ursache in Anspruch genommen werden,
da er bei den länglichen und linsenförmigen Eiern in verschiedenen,
rechtwinkelig zu einander stehenden Richtungen wirken muss, während
die Theilung beider oft parallel erfolgte. AVir stehen hierbei somit
vor einem Käthsel, dessen Lösung ich indess glaube bereits auf der
Spur zu sein. Auch ist es mir im vorigen Jahre bereits gelungen,
das auffällige Ueberwiegen der Querstellung zu vermindern.
Aus der letzten Publication E. Pflüger's^) ist zu ersehen, dass
er gleichfalls im Frühjahre 1884 Eier künstlicli deformirt und den
Einfluss dieser Alteration auf die Theilungsrichtungen beobachtet hat.
Er presste die Eier zwischen verticale Glasscheiben und sah, dass
dabei die erste Furche vorwiegend das plattgedrückte Ei rechtwinkelig
zu den Glasplatten theilte und senkrecht stand.
Pflügek nimmt an, dass die Streckung der Kernspindel in der
Richtung erfolgt, welche ihr den kleinsten Streckungs widerstand
bietet; der kleinste Streckungswiderstand liegt nach ihm in dem dünn-
flüssigeren Eiinhalte und zwar in der grössten Dimension des-
1) E. Pfiä'ger. Ueber die Einwirkung der Schwerlvraft und anderer Beding-
ungen auf die Richtung der Zelltheilung. Dritte Abhandlung. Pflüger's Arch. Bd.
XXXIV, 4884.
Wirkung der ^(i estalt' der Blastoinereii auf ihre Theilungsrichtung. 305
selben. Aus meinen obigen Mittheilungen geht hervor, dass PFLÜiiEi?
blos eine der verschiedenen, wie es scheint entgegengesetzten Mög-
hclikeiten beobachtet hat, wonach der Werth seiner blos dieser einen
Thatsache angepassten „Theorie" sich von selbst ergiebt') (siehe Nr. 29,
S. cm, Nr. 30 u. 31, 8. 274).
[1) Im Frühjahr 1883 (s. S. 118) hatte ich die Vermuthung ausgesprochen, dass
an Eiern von Ascaris geringe Pressung der Eier zwischen wagrechte
Platten bedingen könne, dass die ersten Theilungsebenen recht-
winkelig zu den Platten stehen.
Im nächsten Frühjahr 1884 haben dann Pflüger und ich bezügliche Versuche
angestellt; und 0. Hertwig hat im selben Jahre auf Grund vergleichender Betrachtung
der normalen Furchung (s. unten S. 39) die Ansicht ausgesprochen, dass die Kernaxe
bei der Theilung sich „in die Richtung der grössten Protoplasmaansammlungen der
Zelle" stellt, und er erblickt den Nutzen oder Grund dieser Einstellung bei länglichen
Eiern darin, dass dabei die Durchfurchung mit der geringsten Arbeit
verbunden ist.
Ich habe meine hier mitgetheilten Versuche, wie man sieht, erst nach diesen
Autoren publicirt; glaube jedoch, dass meine Selbstständ igkeit genügend daraus
hervorgeht, dass ich eine bezügliche Idee ein Jahr vor ihnen ausge-
sprochen habe. Beide Autoren citiren auch im Jahre 1883 resp. 1884 diese Ab-
handlung, Nr. 16, von mir. Weiteres siehe Nr. 30 und Nr. 31, S. 274 u. f.
Die späteren Autoren, H. Driesch, G. Born, T. H. Morgan und H. E. Ziegler
haben sich der Auffassung der Wirkung der „Gestalt" , der „grössten Dimension"
angeschlossen; sie Hessen jedoch die zweite zugleich von mir hervorgehobene Com-
ponente, welche allerdings die schwächere, seltener ausschlaggebende, gleichwohl aber
doch zu berücksichtigen ist, unbeachtet.
Das Princip der Theilung nach der „kleinsten F lache" wird von Berthold
(in seinen ausgezeichneten Studien über Protoplasmamechanik, 1886, S. 219) vertreten.
Eine eigene Auffassung äussert F. Braem (Ueber den Einfiuss des Druckes auf
die Theilung der Zellen etc.. Biolog. Centralbl. 1894, Nr. 10), indem er dem Druck
als solchem, nicht blos der durch ihn hervorgerufenen Gestalt der Zelle einen
bestimmenden Einfluss auf die Theilungsrichtung zuerkennt und in diesem Sinne
Pfi.üger's Princip des kleinsten Widerstandes verwendet.
Man sieht, die Auffassungen und die Versuchsergebnisse sind noch sehr ver-
schieden; und es sind noch weitere Deutungen möglich (s. Nr. 20, S. 52). Es em-
pfiehlt sich also nicht, alles auf die „Richtung der grössten Proto-
pl asmaraasse " zu schematisiren und das Abweichende todt zu
schweigen; sondern jede neue, abweichende Thatsache ist zu beachten. Es ist
dringend nöthig, dass die gepressten Eier im Nahrungs- und Bildungsdotter verschieden
gefärbt, microtomirt und nach Born 's Plattenmodellir-Methode reconstruirt werden, um
weiteren Aufschluss zu gewinnen. Die Erkenntniss dieser Nothwendigkeit (s. S. 39)
und andererseits die Unmöglichkeit, diese überaus zeitraubende Arbeit neben meinen
dienstlichen Obliegenheiten zu bewältigen, hat mich abgehalten, meine weiteren Pres-
sungsversuche in entsprechender Weise zu veröffentlichen (s. Nr. 29, S. 605 und Nr. 31,
S. 274 und 276 Anm.).]
W. Roux. Gesammelte Äbliandluti'^'cn. If. 20
306 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungeu des Embryo etc.
IV. Erfordernisse der Entwickeluii^ der „mehrzelligen" Organismen.
Den weiteren Versuchen über die erste Farcliung lag eine andere
Idee zu Grunde. Die analytische Betrachtung der Entwickelungs-
probleme hatte mich zu der Möglichkeit geführt, dass die normale
Ontogenese der „mehrzelligen" Individuen in ihren specifi-
schen Unterschieden von der Ontogenese der „einzelligen"
Wesen 1. auf einer VervoJll-onnnnung der „qtt al itativen''
Leistungen der indirecten h'ernthe il /in g beruhen könne
in V-^erbindung 2. mit der neu hinzugekommenen Fähig-
keit, dass die in Theilung begriffenen Bestandtheile der
Zelle [25] sowohl sich gegeneinander bestimmt ordnen,
wue auch iwn den bereits vorhandenen Nachhar seilen in
ihrer Lager ung zu diesen heeinfl usst werden (s. unten S. 45).
Diese , ,o r d n e n d e n' ' W i r k u n g e n könnten schon v o r, w ä li r e n d o d e r
auch zum Theil erst nach der Theilung stattfinden und
dürften zumeist wohl nicht blos einfach mechanisch durch den
Massendruck der Theile vermittelt werden.
In den Kern verlege ich die wesentlichsten (Qualitäten
zur Individuenbildung, da für dessen Theilung besondere Vor-
richtungen getroffen sind ; weiter unten ist ausserdem auf die Gründe
verwiesen, welche bereits vor mir von anderen Autoren für dieselbe
Auffassung geltend gemacht worden sind.
Die indirecte Kern theil ung Ix'traclite ich [s. Nr. 17] als
einen Mechanismus, welcher geeignet ist, die Theilung des Kernes
nicht blos seiner Gesannntmasse , sondern auch der Masse seiner
einzelnen Substanzen nach zu ermöglichen. Die einfachste Leistung
dieses Mechanismus ist die „Halbirung" der Masse jedes dieser
den Kern zusammensetzenden Bestandtheile; und diese
Leistung wird für alle einzelligen Organismen, Protisten
die einzig nöthige sein.
Sofern nun bei den Metazoen der Vorgang der indirecten
Kern theilung in der Weise vervollkommnet wurde, dass bei der
Theilung jedes Mutterkornes in die beiden Tochterkörner nicht
IV. Erfordernisse der Entwickelung „mehrzelliger" Organismen. 307
blos eine mecluiiiische Halbirimg, sondern eine „bestimmte qiuili-
tative Sonderung" sieh vollziehen konnte, so war in Verbindung
mit dem obigen Principe der Ordnung der Theilungsproducte
ein Mechanismus geschaffen, welcher aus einem Stoff gern enge
oder aus einer complicirten chemischen Resultante durch Zerlegung
und bestimmte Anordnung der Theile ein Gebilde herstellen kann,
dessen verschiedene Qualitäten, sobald sie in die Lage kommen, ihre
Ungleichheit in der Wechselwirkung untereinander und mit anderen
Agentien, z. B. Wärme, Sauerstoff oder anderen Nahrungsmitteln, zu be-
thätigen, die mannigfachsten Qualitäten und Formen des
Ganzen u n d d e r T h e i 1 e hervorbringen können. Diese Mannig-
faltigkeit wird sich immer mehr compliciren, je öfter sich die Thätig-
keit beider Principien wiederholt [Epigenesis].
Die so entstehenden complicirten Gebilde werden in Ge-
stalt und Beschaffenheit in strengster Abhängigkeit von den ursprüng-
lichen Qualitäten des Ausgangsgebildes [und deren Anordnung] stehen ;
und gleiche A usgangsbildungen müssen gleiche Folgebild-
uugen liefern (s. S. 8).
[26] Wird ferner, wie innerhalb gewisser Grenzen aus den
Untersuchungen und Ausführungen von Megznikow ^), Ncssbaum ^),
Balbiam ^) und Weismanx *) zu folgern ist, von der ersten Theilung des Eies
an bei jeder Theilung oder blos bei einer bestimmten Folge von
Theilungen immer ein alle Qualitäten enthaltender Theil
des Kernes „qualitativ halbirt" [das Material für die Rege-
neration und sonstige ,,indirecte" Entwickelung nach Störungen der
normalen Entwickelung s. Nr. 30 S. 3], während die übrige Substanz
bald qualitativ ungleich oder gleich sich theilt, so enthält später jede
dieser Zellen noch Material, welches unter geeigneten äusseren Be-
dingungen wieder ein ganzes neues I n d i vi d u u m 1 i e f e r n k a n n ;
wobei dann gleichfalls wieder eine Reservation von Material
für künftige neue Individuen stattfinden wird. Beschränkt sich nach
der ersten Theilung diese nebenherlaufende qualitative
1) Mecznikow. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XVI, 1866, S. 491.
2) NUSSBAUM. Arch. f. micr. Anat. Bd. XVJII, 1880.
3) Balbiani. Compt. rend. 1882, S. 927.
^j A. Weismann. Ueber die Vererbung. Ein Vortrag, Jena 1883, S. 6.
20*
308 Nr. 2Ö. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Halbirung auf einige Zellen und ihre Abkömmlinge, so werden
blos diese die Fähigkeit der Bildung neuer Individuen besitzen. Oder
diese Reservirung von Material kann bei den übrigen Zellen in quali-
tativ unvollkommener Weise vor sich gegangen sein, derart, dass
jeder Zellart blos ein regeneratives Erzeugungsvermögen be-
stimmter Gewebe oder Gewebegruppen mit beschränkter Gestal-
tungsfähigkeit zukommt, welches unter geeigneten Umständen sich
zu bethätigen vermag.
Wir sehen, dass mit Hülfe unserer beiden Principien sich die
allgemeinen Erscheiiningen der individuellen Entwickelung aus einem
bestimmt qualificirten Keimmaterial ableiten lassen. Es wird nun
meine Aufgabe sein, zu versuchen, ob sich die thatsächliche Wirk-
samkeit des hierbei aufgestellten Princips der ,, richtenden" Wirk-
ung des Zellleibes und der Nachbarzellen auf die Thei-
lungsrichtung sich vermehrender Kerne resp. Zellen nach-
weisen lässt.
A. Richtige qualitative Materialscheidung.
Ehe wir hier zu diesem Zwecke den ersten Schritt thun, will
ich noch das andere, bereits früher von mir aufgestellte Princip
der „qualitativen Kerntheilung" [s. Nr. 17] verth eidigen, da das-
selbe von anderen Autoren [27] theils missverstanden, theils in seiner
Zulässigkeit angezweifelt worden ist.
Meine Deutung der Figuren [besser Gestaltungen] der indirecten
Kerntheilung besagt, wie erwähnt, dass dieselben Mechanismen sind,
welche [wenn sie in Thätigkeit gesetzt werden,] es ermöglichen,
den Kern nicht blos seiner Masse, sondern auch der Masse und Be-
schaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach in bestimmten
Weisen zu theilen, s. S. 137.
Der sichtbare Mechanismus der indirecten Kerntheilung, so wie wir
ihn kennen, d. h. die Zerlegung eines Substanzgemenges in viele einzelne
Theile [Mutterkörner], oder das Ausziehen desselben in einen sehr feinen
also relativ langen Faden mit nachträglicher mechanischer
,, Halbirung" der Masse jedes Kornes oder der Dicke des Fadens
in seiner ganzen Länge, und die nachfolgende ^^ertheilung der beiden
A. Richtige qualitative Materialscheidung. 309
Prodiicte jeder Halbiruiig auf zwei verschiedene Seiten, ist ein
Mechanismus, welcher für sich allein [d. h. beim Fehlen be-
sonderer sondernder Kräfte in den Mutterkörnern während deren
Th eilung] stets bewirken muss, dass auf beiden Seiten nicht blos
gleiche Gesammtmengen, sondern auch [fast] gleiche Mengen der
einzelnen Substanzen sich finden; eine Wirkung, welche ich als
„qualitative Halbirung-" bezeichnet habe. Dies folgt aus der Noth-
wendigkeit des Fehlerausgleiches bei öfterer Wiederholung einer Opera-
tion, welche mit nach allen Richtungen hin gleich wahrscheinlichen
Fehlern verbunden ist; [denn, wenn dabei auch an jedem Korn oder an
jeder einzelnen Stelle eines langen Fadens bei genauer Halbirung der
Masse die daselbst befindlichen verschiedenen Qualitäten ungleich ge-
theilt worden sind, so werden sich doch diese Ungleichheiten bei
hundertfacher oder tausendfacher Wiederholung dieser Fehler gegen-
seitig ausgleichen , so dass die gewonnenen beiden Gesammtmassen
gleiche procentische Zusammensetzung haben]. Je zahlreicher bei
gleicher beabsichtigter Genauigkeit der qualitativen Halbirung eines
Substanzgemenges die verschiedenen Stofie desselben sind, um so
grösser muss nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Zahl der
Theile sein, in welche dasselbe zu zerlegen ist. Die Zahl der Theile
muss danach unter Umständen grösser sein als die Zahl der ver-
schiedenen Substanzen.
Die andeutungsweise Berücksichtigung dieser Noth wendigkeit
kann allein in meiner Schrift Strasburger ^) und C. Rabl^) zu der
irrthümlichen Annahme veranlasst haben, ich wollte in jede
Microsomenscheibe nur eine einzige Qualität verlegen.
Es leuchtet aber ein, dass auch bei Zerlegung des Substanzgemenges
in \delmal mehr Theile, als es Stoffe enthält, doch jeder Theil seiner-
seits noch von vielen oder sogar [28] von allen Stoffen enthalten kann,
sofern nur von jedem Stoffe die nöthige Anzahl Molekel in dem Ge-
menge vorhanden ist. Mit dieser Berichtigung wird Strasburger 's
bezüglicher Einwendung der Boden entzogen; dieselbe würde aber
1) Ed. Straseurger. Die Controversen der indiiecton Kerntheilung. Bonn
1884, S. 53.
2) Carl Rabl. üeber Zelltheilung. Morphol. Jahrbuch. Bd. X. S. 327.
310 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
auch an sich nicht beweiskräftig sein; denn wenn Strasburcer inter-
essanter Weise auch aus einer versprengten Microsomensclieibe ein
normal gestaltetes Pollenkorn sich hat entwickeln sehen, so lässt sich
aus der beobachteten Fähigkeit der Scheibe, sich zu einem normal-
gestalteten Pollenkorn zu gestalten, noch nicht folgern, dass
letzteres auch das Vermögen besessen habe, ein Ei zur Bildung eines
normalen Pfianzenindividuums zu befähigen. Es ist sehr häufig, dass be-
fruchtete Froscheier sich furchen und eine normal aussehende Gastrula
anlegen, aber nicht im Stande sind, sich weiter zu entwickeln
trotz, so viel wir sehen, ganz derselben äusseren Bedingungen, in denen
ihre Nachbarn die normale Entwickelung ungehemmt durchlaufen ; ein
Zeichen, dass nicht die äusseren Verhältnisse, sondern der Mangel
der geeigneten Qualitäten zum Durchlaufen der höheren Entwickelungs-
stufen die Ursache des Entwickelungs-Stillstandes jener Eier war.
Und es ist zur Unannehmlichkeit des Experimentators leider nicht
selten, dass normal gestaltete Spermatozoen nicht befruchtungs-
fähig sind.
Es ist weiterhin wohl ohne weitere Auseinandersetzung verständ-
lich, dass die der Länge nach erfolgende Halbirung eines im
Verhältniss zu seiner Dicke sehr langen Fadens annähernd
die gleiche Wirkung haben muss, als wenn der Faden erst noch der
Quere nach in Stücke zerlegt und dann erst jedes Stück halbirt wird.
Ja, man könnte ohne grossen Nachtheil sogar die ganze Masse blos
zu einer dünnen Scheibe ausbreiten und diese letztere der Fläche
nach ,, allenthalben" in ihrer Dicke „halbiren." Denn das
wesentliche Princip dieser Methode ist, dass je grösser bei
gleicher Masse eines Gemenges die ,,Halbirungs fläche"
ist, um so genauer, ceteris paribus , m i t d e r H a 1 b i r u n g d e r
Gesa m m t m a s s e a u c h die Massen der einzelnen Best a n d -
theile ,, halbirt" werden. Diese auf einer einfachen Folgerung
der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhenden Theilungsmechanismen
stellen also ein mechanisches Princip der „qualitativen"
H a 1 b i r u n g V o n S u b s t a n z g e m e n g e n dar, welches, so viel ich von
Technologen erfahren habe, [29] noch nicht technisch verwandt worden,
also vielleicht auch überhaupt noch nicht bekannt gewesen ist.
A. Richtige qualitativo Mateiialschcidunij;. 311
Sollen aber die (Qualitäten schliesslieli nielit aiil' beiden Seiten
einander gleielien, sondern in iro-cnd einer t^-aiiz bestimmten
Weise „ungleielie" sein, so schafft gleichwohl dieser selbe grobe
Mechanismus hierfih' wenigstens sehr günstige Vorbedingungen,
weil er das Material in viele, also entsprechend kleinere Theile
zerlegt, welche von den dazu nöthigen inneren sondernden Kräften
vollkommener beherrscht werden können als grössere Stücke, und weil
er jedes von beiden Sonderungsproducten sicher der l)ei der Sonderung
bestimmten Seite zuzuführen vermag.
Bei der qualitativen „Halbirung" waren für die Theilung
der Mutterkörner nur mechanisch theilende Kräfte nöthig, die
höchst einfacher Natur sein können. Wenn z. B. in einer vollkommen
homogenen Emulsion, [z. B. von ()el in dünner Lösung von kohlen-
saurem KaH], in welcher die emulgirenden Kräfte allenthalben gleich
stark waren und daher alle letzten Emulsionskörner fast vollkommen
gleich gross sind (was mir allerdings künstlich nur selten annähernd
herzustellen gelungen ist und auch nur mit den stärksten, mir nicht
zu Gebote stehenden Objecten genau controUirt werden kann^), so
wird eine nur eben zu weiterer Tlieilung ausreichende , durch eine
Alteration des Emulgens oder Emulgenduni bedingte Erhöhung
des Emulgirungscoefficienten jedes Korn in nur zwei
und natürlich vollkommen gleich grosse Tochterkörner
zerspalten.
Bei der ,,ungleichon'' qualitativen Theilung der Mutter-
körner sind dagegen besondere, sowohl die specifische Sonderung
bewirkende wie die beiden Theilungsproducte richtig nach den beiden
neuen Centren hinwendende Kräfte nöthig, von denen wir uns
zur Zeit keine specielle Vorstellung machen können; die aber jeden-
[ij Diese Methode scheint überhaupt schwer brauchbar, da ungleiche mecha-
nische Bewegung die Theilungsgrösse beeinflussen wird und solche Ungleichheit
immer bei der Emulgirung entsteht; sodass erst besondere Vorrichtungen für die
Bildung gleich grosser Tropfen getrotfen werden müssten. Sind aber lauter, der
Emulsionsfähigkeit der Lösung etc. entsprechende kleinste, also einander gleich
grosse Tropfen vorhanden, dann werden sie natürlich bei genügender Erhöhung des
Emulgirungscoefficienten alle h albirt werden und danach also wieder gleich gross sein.]
312 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
falls um SO exacter werden wirken können, je kleiner die auf einmal
zu sondernde Masse ist.
Dies sind die Ausführungen meiner Arbeit; und wenn dabei der
Mechanismus der Chromatin -Theilung in den Vordergrund der Er-
örterung gestellt worden ist, so wurde doch nicht unterlassen (S. 140),
zugleich den Mechanismus der Achromatintheilung in der hier
reproducirten Weise zu berücksichtigen und die Möglichkeit einer
bleichen Deutuno- desselljcn zu erwähnen , soweit thatsächlich eine
Längs-Spaltung dieser Fäden stattfindet.
So lange dieser Mechanismus als der der indirecten [30] Kern-
theilung anerkannt ist, kann Niemand behaupten, dass der
Kerntheilungsmechanismus diese beiden Arten von Wir-
kungen nicht ,, ermögliche". Mag uns die weitere Forschung in
der erfreulichsten Weise mit Aufklärungen über die Functionen und
Veränderungen des Zellkernes im Ganzen, sowie des Chromatin oder
Achromatin im Besonderen überraschen, an dieser Auffassung des
Mechanismus kann dadurch nichts geändert werden. (Weiteres s.
Nr. 21, S. 187 und Nr. 27, S. 323).
Ein Anderes ist es bezüglich der Frage, ob diese Bedeutung
des Kerntheilungsmechanismus seine einzige, wesentlichste ist.
So lange Niemand einen anderen Zweck nachweist, für welchen eben-
falls alle Phasen dieses Mechanismus unerlässlich nöthig sind, ist sie
jedenfalls die einzige, welche wir kennen, und ausserdem zugleich
die erste, welche diese bisher so unverständlichen Vorgänge
unter den Gesich tsp unc t eines wesentlichen Nutzens ge-
bracht hat.
Ed. Strasburger's Auffassung (loco cit. S, 58), dass die Kern-
theilungsfiguren blos dazu da seien, die genaue Halbirung der Ge-
sammt- Masse zu bewerkstelligen, würde l)los den einfachsten Special-
fall des von mir angegebenen Zweckes darstellen; da derjenige
Mechanismus, welcher die einzelnen Stoffe durch Fehlerausgleich mög-
lichst genau halbiren muss, dies damit natürlich auch für dic^ Summe
dieser Stoffe thut, was icli nicht besonders zu erwähnen für nöthig
gehalten habe. Diese Auffassung Strasburger's scheint mir aber
schon an sich unhaltbar. Denn was soll es bedeuten, dass genau
A. Richtige qualitative Material Scheidung. 313
die Masse lialbirt werden soll, wenn es unwesentlich wäre, aus
welchen Qualitäten sie bestünde? Dies könnte blos von Bedeutung
sein, wenn eben auch blos die Masse als solche (vielleicht als Ballast?),
nicht aber in ihren Qualitäten /Air Wirkung gelangte. Dann müsste
man erwarten, dass die so sorgsam in ihrer Gesamrat-Masse bestimmte
Substanz nun wenigstens auch constant dieselbe Menge behielte, nicht
aber des Wachsthums fähig sei und ihr Volumen vielfach veränderte.
Wohl aber kann es wichtig sein, dass von allen oder vielen
Substanzciualitäten des Mutterkernes eine gewisse, vielleicht
minimale Menge in jedem Tochterkerne sich finde, wenn
schon einige oder viele der vorhandenen Substanzen des
Kernes später [31] zeitweilig eine Vermehrung erfahren
und eine besondere Function für den ZeJUeib vollziehen.
Jüngst ist nun von C. Rabl (loco cit.) eine neue Hypothese über
die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren aufgestellt worden. Rabl
macht am Schlüsse des ersten Theiles seiner Untersuchung über die
Zelltheilung die Annahme, dass in dem ruhenden Kern ein Rest der
Kernfäden erhalten bleibe mit wesentlich derselben ^-'erl aufs weise wie
in dem Knäuel (S. 323). Von diesen typisch um zwei Pole geordneten
,, primären Kernfäden" gehen nach einer zweiten Annahme Rabl's
seitliche Fäden als seitliche Fortsätze aus und von diesen vielleicht
noch tertiäre etc. Die einzelnen Fäden kchinen untereinander in Ver-
bindung treten, und in den Knotenpuncten des dadurch entstandenen
Netzes können sich gröbere Chromatinmassen zu nucleolenartigen Ge-
bilden oder zu wirklichen Nucleolen sammeln. Beim Beginne der
Theilung strömt nun nacli Rabl's weiterer Annahme die Ohromatin-
substanz auf den so vorgebildeten Bahnen in die primären Kernfäden,
wodurch in der einfachsten Weise wieder der Mutterknäuel aufgebaut
werde. Die Theilung der chromatischen Substanz des Kernes sei in
letzter Instanz auf eine Längsspaltung der somit stets vorhandenen
Knäuelfäden zurückzuführen. Rabl bezeichnet danach diesen Modus
der Kerntheilung als den denkbar einfachsten und sieht hierin
den genügenden Grund, warum sich derselbe verwendet findet.
Dem gegenüber frage ich, ist es wirklich einfacher, ehien
bipolar centrirten Gomplex vieler Fadenschlingen in jedem seiner
314 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Fäden der Länge nach zu halbiren und dafür zu sorgen, dass von
jeder Mutterschlinge immer die eine TochterschHnge auf die eine, die
andere auf die andere bestimmte Seite gebracht werde, olme dass bei
diesem sehr wenig einfaclien Acte Verwirrung der Schhngen, welche
den ganzen Mechanismus stört, oder auch nur ein Irrthum in der
Vertheilung auf beide Seiten stattfindet. Wie viel wohlgeordnete,
sehr exact zu einander passende Einzelhandlungen sind dazu nöthig 1
Es wird schwer werden, nachzuweisen, dass dieser complicirte, so
leicht Störungen unterliegende Mechanismus den ursprünglich in dem
Zellkern der zuerst sich in dieser Weise theilenden Zellen gelegenen
[32] Kräften ,, leichter fallen" musste, als die Einschmelzung auch noch
der primären Kernfäden und die einfache Halbirung der ganzen Masse
nach Remak mit nachträglicher Neuerzeugung der, soviel thatsächlich
bekannt ist, von der polaren Centrirung abgesehen, sehr atypischen Con-
fisuration des ruhenden Kernes. Und sollen auch in den leichter zu
übersehenden ^''erhältnissen derjenigen Protisten, welche sich gleichfalls
indirect theilen, z. B. bei Actinosphaerium Eichhornii, entgegen den
klaren Angaben R. Hertwig's, im ruhenden Kerne schon solche Sub-
stanzanordnungen vorhanden sein, wie sie bei der Theilung entstehen?
So interessant dieser Erklärungsversuch wegen der Verwendung
des Principes der Einfachheit ist, so scheint er mir doch durchaus
aussichtslos. Jedenfalls aber bedürfen die ad hoc gemachten An-
nahmen der Existenz der polar geordneten Fadenschlingen mit ihren
secundären und tertiären Fäden im ruhenden Kerne, und zumal die
grössere Einfachheit, also die grössere Leichtigkeit der Erzeugung
dieses Theilungsmodus für die ursprünglich in dem Kerne thätigen
Kräfte gegenüber der REMAK'schen Theilung des besonderen Nachweises.
Als ich meine Auffassung zuerst aussprach, musste ich gleich-
falls zwei Hypothesen zu Grunde legen, von denen aber nur die eine
ad hoc gemacht war. Diese bestand darin, dass die beiden Theilungs-
producte jedes Mutterkornes normaler Weise immerauf die beiden
neuen Centren vertheilt würden ^), wofür damals nur wenige Beob-
I'
i) Dies schliesst nicht aus, dass nicht pathologischer Weise Abweich-
ungen von diesem, wie oben erwähnt, sehr conipHcirten Vertheilungsmodus zur
Beobachtung kommen können, welclie dann als Störungen des Mechanismus aufzu-
A. Richtige qualitative Materialscheidung. 315
achtungen FLEMMiNti's vorlagx'ii. Diese sind abei- clvirch die Beobacli-
tungeu von Rabl, Heu.-^er, STRASBiiKiEu und FLEMMiN(i inzwischen er-
heblich vermehrt worden. Dieselbe Annahme liegt ausserdem aber
auch der i\.uffassung Rabl's zu Grunde.
Die zweite, somit einzige meiner Ansicht eigene Hypothese, be-
steht darin, dass [33] der Kern viele verschiedene Qualitäten
enthalte, deren bestimmte Vertheilung auf die Tochter-
zellen von Wichtigkeit sei. Diese Annahme findet ausser
in dem oben von mir angegebenen Grunde ihre Stütze in der be-
reits vor Decennien von Leudkart, später von Hi.s betonten Noth-
wendigkeit, dass die Typus-, Gattungs- und Artcharaktere nebst den
erbliehen Individualcharakteren der Eltern irgendwie stofflich im Eie
enthalten sein müssen, in Combination ferner mit Beale's und Hasse's^)
Auffassung von der Bedeutung des Kernes und mit der von O. Bütschli,
(). Hertwig, W. Flemmixg u. A. begründeten neuen Lehre von der Be-
fruchtung. Ich habe ausserdem in Beitrag 1 [s. S. 179] neue Thatsachen
mitgetheilt, welche gleichfalls dafür sprechen, dass die specifischen
Qualitäten mehr in dem Kerne als in dem Dotter des Eies liegen^').
fassen sind; dieselben können, wenn sie innerhalb eines schon differenzirten Gewebes
vorkommen, vielleicht ohne jeden Nachtheil für das Individuum wie für das functionelle
Leben der betreffenden Zelle ertragen werden; ingleichem, wie auch aus directen
Theilungen innerhalb dieser Sphäre wohl kein Nachtheil für das Zellleben resultiren
würde, während, wenn sie bei den Furchungen des Eies vorkämen, dadurch
vielleicht zu Missbildungen oder zu gänzlicher Störung der Entwickel-
ung Veranlassung gegeben würde.
[Unregelmässige Vertheilung von Chromosomen wurde später
nachgewiesen von Th. Boveri Ijei der Bildung von Richtungskörpern (Befruchtung
der Eier von Ascaris megalocephala, Sitzgsber. d. Ges. f. Morph., München 1887,
S. 77); von E. Klebs, und besonders von D. Hansemann (Die Speciticität, der
Altruismus und die Anaplasie der Zellen, 1893, S. 88), welcher die Art der Kern-
theilung für die Lehre von den Geschwülsten verwerthete (siehe auch Boveri in Nr. 27,
S. 294); ferner von Val. Haeckeb, (Ueber generative und embryonale Mitosen, sowie
über pathologische Ke^ntheilungsbilder. Arch. f. microsc. Anat. Bd. 43, 1894, S. 759
bis 787).]
1) C. Hasse. Morphologie und Heilkunde. Zweite Auflage, 1880, S. 12.
[2) Diese sind: Die Beobachtungen, dass oft nach sehr grossen Dotter-
substanzaustritten aus operirten Eiern kein Defect am Embryo entstand,
während ceteris paribus nach sehr kleinem Substanzverlust (Kern) sehr
grosse Defect e auftraten; und ferner, dass trotz der grossen Störung der nor-
malen Anordnung der verschiedenen Dottersubstanzen, die durch die Operation
am Ei und deren Folgen hervorgerufen wurde, gleichwohl dieEntwickelung möglich war.]
316 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Aus diesen Gründen glaube ich, dass meine Auffassung der
Leistungen der indirecten Iverntheilung , da sie den durch sie zu er-
klärenden Thatsachen vollkommen entspricht und keine besonderen
Hilfsannahmen mehr nüthig hat, auch dem wahren Wesen der in-
directen Kerntheilung näher .steht, als die Auffassung Rabl's, welche
zur Zeit jeder sie speciell stützenden thatsächlichen Unterlage entbehrt.
Daher w^erde ich meine vorläufigen Ansichten über die Möglich-
keiten der Entwickelungsvorgänge so lange auf dieser Grundlage
aufbauen, als die Consec|uenzen dieser Auffassung nicht mit den neu
entdeckten Thatsachen in unlösbaren Widerspruch treten, resp. so
lange nicht von mir oder anderen eine Hypothese gefunden ist, welche
den Thatsachen auf eine noch einfachere Weise gerecht wird.
B. Herstellung der ,, richtigen Anordnung^' der qualitativ
bestimmten Theile.
Wenn also die Iverntheilung die Qualitäten richtig von ein-
ander zu sondern vermag, so ist für die oben angedeutete Entwickelungs-
möglichkeit noch erforderlich, dass diese Sonderungsproducte
in die richtige Lagerung zu den verschiedenen Theilen
des Zellleibes und zu den bereits vorhandenen Nachbar-
zellen gebracht werden.
Man könnte anzunehmen geneigt sein, dass diese Lagerung
schon mit der chronologischen Theil u ngsordn ung in der
Weise [34] fest verbunden wäre, dass aus inneren Gründen jede
folgende Th eilung eine bestimmte Stellung zur Richtung der vorher-
gehenden Theilung einnähuie, wofür das typische Furchungsschema
der Thiereier und die Theilungsordnung an dem Vegetationskegel
der Pflanzen zu sprechen scheinen.
Solche starre Ordnung schlösse indessen jede „Selbst-
regulation" aus; und durch einen einzigen Fehler würde die ganze
folgende Reihe von Th eilungen in eine falsche Bahn gelenkt. Die
Tliatsaclien beweisen indess, dass Furchungsanachronismen
ohne Na cht heil ertragen werden. Und es ist, so viel ich weiss,
noch keinem Forscher aufgefallen, dass bei grösseren Thieren der-
selben Species die Zellen entsprechend grösser seien als bei Indivi-
B. UerstoUung der , richtigen Auoixliiung" der qualitativ bestiimutcn Thcile. 317
duen, welche in Folge Nahrungsmangels kleiner geblieben shid; dem-
nach würde die ungleiche Grösse der Individuen wohl mit
einer ungleichen Zahl von Zelltheil ungen in Verbindung
zu bringen sein, welche bei dem obigen Modus zu einer sehr
wesentlichen Störung führen müsste^).
Es sind nun im Speciellen verschiedene Selbstregulations-
mechanismen denkbar. Von diesen werden, meiner Ansicht nach,
diejenigen am meisten Wahrscheinlichkeit für sich haben, welche
dem vorhandenen Bedürfniss nach Selbstregulation am vollkommensten
genügen. Ich vermuthe also sowohl einen qualitativen und
zugleich richtenden Causa Inexus zwischen der qualita-
tiven Natur der Kern- und der Protoplasmatheilung einer-
seits, wie auch dieser beiden mit der Beschaffenheit und
Lagerung der Nachbarzellen. Letzterer Causalnexus hätte zu
bewirken, dass bei einem lieber wiegen eines bestimmt ,,qualifi-
cirten Sonderungsbestrebens" in einer Zelle von den Nach-
barzellen aus bestimmt werde, welche ,, Richtung" die Kern-
spindel bei dieser Sonderung einzunehmen haben; während vielleicht
auch umgekehrt bei einer durch die Lage der Nachbarzellen
mechanisch gegebenen Zwangslage für die Kernspindel
(s. S. 303) mit der so von der Nachbarschaft bestimmten
Theilungsrichtung auch zugleich ein gewisser, wenn auch vielleicht
blos innerhalb prädisponirter Alternativen auswählender Einfluss
auf die Qualität der sich vollziehenden Sonderung ausgeübt
werden könne.
Bei Zelltheilungen innerhalb gleichartiger Umgebung,
also innerhalb eines geschlossenen Gewebe Stratums, würden sich
[1) Daraus folgt also, dass die qualitative Differenzirung nicht „fest"
an die „Zahl" der Zelltheilungen, also aucli nicht fest an die Zelltheilung selber
gebunden sein kann^dass nicht mit „jeder" Zelltheilung an sich eine be-
stimmte qualitative Veränderung verbunden sein kann in der Art, dass
einer somatischen Zelle der 10., IL, 12., 20. und 50. Generation von der Eizelle her
schon in Folge dieser Generationszahl eine bestimmte Qualität zukommt. Für die Ge-
schlechtszellen ist dies vielleicht zum Theil anders; doch werden wohl auch da die im
40. Lebensjahr producirten Samenzellen höhere Generationen darstellen, als die im
30. Jahre producirten, ohne dass eine typische qualitative Verschiedenheit in ihren
Leistungen sich bekundete.!
318 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
die Be- [35] Ziehungen erheblich vereinfachen und mechanische Mo-
mente einen erhebhcheren Einfluss gewinnen können.
Obgleich ich nicht angeben kann, wie durch die bekannten
Formen von Energie diese Wirkungen vermittelt werden sollten, so
würde ich es docli als eine durchaus unwissenschaftliche Concession
an die Selbstgenügsamkeit unserer Zeit ansehen, wenn ich annehmen
wollte, dass nichts geschehen könne, als was wir aus den zur Zeit
bekannten Kraftformen abzuleiten vermögen. Bietet uns doch das
organische Geschehen fast in jeder seiner Leistungen solche That-
sachen dar. Icli habe daher schon im ersten Beitrag darauf hinge-
wiesen, dass hier, im Organischen, durch millionenfache Aus-
lese und Häufung von zufällig entstandenen Processen
Com]»licationen geschaffen sind, die wir voraussichtlich zum
grossen Theile nie künstlich nachahmen können; und in welchen
daher auch V\^i r k u n g s w e i s e n vorkommen können, die von
allem von uns künstlich Herstellbaren so verschieden sind,
dass zu vielen nie eine das Specielle erklärende Brücke wird ge-
schlagen werden können, ausser der durch das allgemeine Gesetz von
der Erhaltung der Energie bereits gewonnenen. Gleichwohl dürfen
wir nicht mit dem Streben nachlassen, stetig den Complex
des U n b e k a n n t e n zu a' e r k 1 e i n e r n.
Aus diesen Hypothesen erwächst uns zunächst die Aufgabe,
thatsächlich festzu.stellen, ob solche richtende Wirkungen zwischen
Zellkern und Zellleib, sowie von Zelle auf Zelle vorkommen,
und weiterhin, ob in der That die formalen Leistungen der indivi-
duellen Entwickelung, soweit sie in der Anordnung der Zellen be-
ruhen, auf diese Weise vermittelt werden.
Bezüglich der richtenden Wirkung von Zelle auf Zelle
haben sich meine V^ersuche ausser den vorstehend (S. 302 u. f.) und
den in Beitrag 1 (s. S. 1(33, 106 und 250) mitgetheilten mechanischen
Beeinflussungen der Zellgestalt, welche bei dieser Frage mit
von Bedeutung sein können, bis jetzt darauf beschränkt, zu i)ro-
biren, ob die Zelltheilungsrichtung von aussen her durch
derartige „fernwirkende" Kräfte beeinflusst werden kann.
Wirkung dor Klootricität ;iuf die Kichtung der Zelltlieilung. 319
wie sie vielleicht als in den Zollen vorhanden vennuthet werden
könnten.
AVirknng der Electricität anf die Kichluno- der
Zelltheilung.
[36] Je grösser die Zelle ist, um so eher schien eine Beeinflussung
durch unsere gröberen Mittel möglich; deshalb erschien mir das
Froschei, als eine sehr grosse Zelle, auch für diesen Versuch sein-
geeignet.
Zunächst wollte ich den eventuellen Einfluss eines galva-
nisch en Stromes auf die Richtung der ersten Ei-Theilung
prüfen. Die Mittel dazu verdanke ich der Güte des Herrn Professor
O. E. Meyer, welcher mir die ihm zur Verfügung stehenden Apparate
mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit lieh. Ich aspirirte soeben be-
fruchtete Frosch- und Kröteneier in möglichst enge Glasröhren und
umwickelte jede der Röhren auf der Hälfte ihrer Länge in einer ge-
schlossenen Lage mit einem dicken, übersponnenen Kupferdraht,
durch welchen dann ein Strom von zwei grossen BuNSEN'schen Ele-
menten bis zum Eintritt der ersten Theilung geleitet wurde. Das
Verhältniss des Durchmessers des Stromkreises zur Länge der Kern-
spindel, welche ich mir als den wohl am leichtesten von der ganzen
Zelle beeinflussbaren Theil vorstellte, war danach etwa dasselbe, wie
bei einer Tangentenbussole, sodass eine Wirkung des starken Stromes
wohl hätte eintreten können, Avenn die umströmten Gebilde über-
liaupt in einer richtenden Weise beeinflussbar waren.
Solches schien nun auch gleich bei dem ersten Blick auf die
sich furchenden Eier evident sich zu bekunden, denn fast alle
Furchen standen quer zu der wagrecht liegenden Glas-
röhre. Dasselbe zeigte sich aber auch, wie oben schon mitgetheilt,
in dem nicht umströmten Theil der Röhre. Ich lernte nun zwar
bald dieses letztere zu vermeiden, damit aber fand auch die gleich-
artige Einstellung innerhalb des umströmten Theiles der Röhre ihr
definitives Ende. Somit war keine Wirkung unseres Stromes vor-
handen, welclie die innere Tendenz der Eier, die erste Furche in
320 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
einer an jedem Ei für sieh bestimmten Riehtmig zu bilden, vollkommen
zu überzwingen und die Theilungen alle in annähernd die gleiche Rich-
tmig zur Richtung des Stromkreises zu stellen vermocht hätte.
Trotzdem aber konnte der Strom eine erhebliche richtende
Wirkung ausgeübt haben, welche aber nicht wahrnehmbar wurde,
da uns die eigenthche Ausgangsstellung unl)ekannt war. Um diese
letztere zu kennen, stellte ich die Röhren bei einem weiteren Ver-
suche senkrecht. Aber [37] es war gleichwohl keine Ablenkung
der ersten Furche aus ihrer verticalen Richtuno: be-
m e r k b a r.
Dieses Resultat lässt indess immer noch keine sichere neg-ative
Deutung, an welcher uns fast ebenso viel wie an einer positiven
liegen muss, zu ; denn es konnte seinen Grund darin haben, dass die
einstellende Wirkung der Schwere zufolge des, wie wir gesehen haben,
bei befruchteten Eiern erheblich grösseren, ungleichen, specifischen
Gewichtes der oberen und unteren Hemisphäre zu gross war, gegen-
über der alterirenden Wirkung des Stromes, oder dass der Strom
gerade tendirte, die Kernspindel in die Stromebene zu stellen,
Avobei die erste Furche noch in ihrer verticalen Richtung bestärkt
werden musste.
Der darauf hin angestellte nächste Versuch mit schräger Stellung
der Röhren ergab leider, wie schon viele ^^ersuche in früheren Jahren,
kein Resultat, da die Eier sich nicht mehr furchten. Die Laichperiode
des Jahres 1884 war zu Ende; und es blieb für dieses Jahr 1885 die Wieder-
holung dieses letzten Versuches nebst dem weiteren Versuche der Um-
strömung der Eier bei gleichzeitiger Aufhebung der richten-
den Wirkung der Schwere durch langsame Rotation der um-
strömten Eier in einer Verticalebene zu erledigen übrig, um zu
einem bestimmten Schlüsse, sei es im positiven oder negativen Sinne,
zu gelangen. Eine neue Versuchsmöglichkeit wird ferner gewonnen
sein, wenn es mir gehngen sollte, durch „künstliche localisirte Befruch-
tung'' die natürliche Theilungsrichtung sicher im Voraus zu bestimmen.
Einige Male hatte ich auch ein Ei zwischen die Pole eines
grossen Electromagueten an einem Coconfaden aufgehängt, um zu
sehen , ob sich die erste Furche in bestimmter Richtung zu ihnen
Strahlungen und Windungen im bol'iuchteten Ei. 321
einstelle; doch fehlte es an einer geeigneten Glashülle für den Apparat,
so dass die Luftbewegung nicht einmal sieher zu beurtheilen gestattete,
ob, wie zu erwarten ist, die Eier selber diaraagnetisch sind. Eier,
welche sofort nach der Befruchtung in eine relativ weite
Glasröhre aspirirt und zwischen die Pole d es Electromag-
neten gelegt worden waren, Hessen gleich den von demselben Strom
direct umströmten Eiern keine bestimmte Einstellung ihrer ersten
Furche erkennen. [Weiteres siehe Nr. 25, S. 11, 26 u. 37.]
Strahlungen und Windungen im befruchteten Ei.
Bei den Umströmungsversuchen kamen noch einige Besonder-
heiten zur Beobachtung. Bei einigen Eiern war die erste und zweite
Furche abnorm gestaltet. Bei anderen , sich [38] nicht furchenden
Eiern traten in der Umgebung der Eiaxe gleichzeitig mehrere
weisse Flecken oben in dem schwarzen Felde auf, und diese
weissen Theile entfernten sich alsdann radiär von ein-
ander, so dass man den Eindruck erhielt, ein aufsteigender weisser
Körper sei dicht unter der Oberfläche in Stücke zersprengt worden;
und diese Theile entfernten sich auch noch weiter von einander,
nachdem sie schon die Oberfläche erreicht hatten. Einige Male lagen
in jedem der auf diese Art entstehenden sechs Strahlen mehrere
weisse Puncte, und die Strahlen selber Avaren alle gleichmäs-
sig um etwa 90° spiralig nach rechts gewunden. Durch diese
gleichmässige Windung aller Strahlen um die vertical stehende Eiaxe
unterscheiden sich dieselben evident von gelegentlich an b e f r u ch t eten
Eiern in Zwangslage in den seitlichen Theilen der Oberfl.äche vor-
kommenden hellen Spiralen, welche symmetrisch zur Sym-
metrieben e der Pigment irung verlaufen und in ihrem Anf angs-
theile der Richtung des aufsteigenden Stromes folgten, dann
aber convolute^nartig sich abwärts einrollen.
Einmal entstand bei zu starker Erwärmung der Spirale an
einem absterbenden Ei auf der Mitte des braunen Poles ein weisser
Fleck, welcher bald sechs Strahlen aussandte, von denen
zwei in der Richtung des Stromes standen, während die
vier anderen rechtwinkelig zu dieser Rieh tung orientirt
W. Rous, Gesammelte Abhandlungen. II. 21
322 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embrj-o etc. _
waren. Man könnte danach zu vermuthen geneigt sein, dass ein
ausgeprägter, irgendwie bestimmt charakterisirter electrotonischer Zu-
stand im Sinne Faraday's in den umströmten Froscheiern entstehe.
Dem entgegen muss ich aber zunächst erwähnen, dass ähnhche schein-
bare Zerspaltung eines aufgestiegenen Stückes weisser Substanz auch
einige Male an nicht electrisch beeinflussten Eiern, welche
sich gleichfalls trotz der Befruchtung nicht furchten, wahrgenommen
wurden. Unbefruchtete Eier dagegen liessen bei tagelangem
Stehenbleiben allmählich ganz unregelmässig vertheilte Flecken ent-
stehen. Danach haben wir also in den erwähnten Zeichnungen
,,be fruchtet er", aber nicht sich furchender Eier immerhin eine
Thätigkeit besonderer, in gewisser Hinsicht typischer Weise
gestaltender Kräfte zu erbhcken. Ich habe diese Eier auf-
gehoben; und gedenke nach weiterer Aufspeicherung solchen Mate-
riales, dasselbe im Zusammenhange zu bearbeiten.
Abhängigkeit der Entwickelung von der Luft, Unabhängig-
keit der Organanlage von der Lagerung der Luftquelle.
Einige der Glasröhren mit befruchteten Eiern liess ich [39] zu
weiterer Beobachtung liegen. Es ergab sich nach einigen Tagen, dass sich
an jedem Ende der Röhre nur das nächste Ei ungehemmt weiter ent-
wickelt hatte und zur Zeit der Beobachtung eine normale, eben im Schluss
begriffene Rückenfurche darbot; während das zweitnächste Ei blos
die Gastrula gebildet hatte und das dritte auf der Stufe der ganz
oder fast vollendeten Blastula stehen geblieben war, gleich den übrigen
zwischen beiden Enden gelegenen Eiern. War dagegen eine grosse Luft-
l)lase zwischen den Eiern in der Röhre vorhanden, so entwickelten sich
die ihr anhegenden Eier gleichfalls weiter; und zwar bildete sich der
Urmund in keiner constanten Lage zur Berührungsstolle
der Luftblase m i t der Blastula! Dieser interessante Befund
ist wohl ein Zeichen, dass die ,, Furchung" noch bei sehr ge-
ringer Gelegenheit zum Gasaustausch vor sich gehen
kann, während zurBildung neuer Gestaltung durch, ,Wachs-
thum" ein höheres Maass von Luftaufnahme nöthio- ist.
Abhängigkeit der Entwickelung von der Luft etc. 323
Weiterhill ergicbt sich, dass dio „Lage" der Luftquelle
zur Blastula keinen differenzirendn Einfluss von der Art
ausübt, dass etwa immer dieselben Organe des Emi3ryo
sich an der der Luft zugewendeten Seite entwickelten^).
Bezüglich der gegenseitigen richtenden Wirkung
zwichen dem sich theilenden Zellkerne und den Theilen
des ihn umgebenden Zellleibes hoffe ich [entsprechend meiner
bereits im Jahre 1883 (s. S. 118) geäusserten Vermuthung und den
oben S. 303—305 mitgetheilten Versuchen (siehe Nr. 30)], an den künst-
lich deformirten Eiern durch genaue Prüfung der Stellung der Kern-
spiudel zu den von einander nnterscheidbaren Dottermassen die nöthige
Aufklärung gewinnen zu können. Jüngst hat sich 0. Hertwig-) gleich-
falls für eine solche richtende Wechselwirkung und zwar auf Grund
vergleichend anatomischer und physiologischer Tliat-
sachen ausgesprochen. Er sagt: „Der Furchungskern, von welchem
auf das Protoplasma Kraftwirkungen ausgehen, wie die strahlen-
förmige Anordnung der Plasmatheilchen um ihn lehrt, sucht stets
die Mitte seiner Wirkungssphäre einzunehmen." S. 19. „x4.n dem
Furchungskern bilden sich die zwei vor jeder Theilung auftretenden
Kraftcentren in der Richtung grösster [40] Protoplasma-Ansammlung
der Zellen." S. 20. Und ferner: „Dem Protoplasma und Kern, indem
sie wechselseitig auf einander einwirken, kommt die Fähigkeit zu,
ihr Lageverhältuiss zu reguliren." S. 21 [siehe hierzu Nr. 31, S. 276].
Diese Aussprüche erfolgen auf Grund der ihnen entsprechenden Kern-
einstellung bei normalen, verschieden geformten Eiern. Die dadurch
schon gewonnene „Wahrscheinlichkeit" kann aber zu einer
,,Gewissheit" erst erhoben werden, wenn es uns gelingt,
dasselbe Verhalten in verschiedenartigen, von uns künst-
lich erzeugten Bedingungen zu beobachten. Auf solches
Verhalten weisen bereits ein weiter unten (S. 336) mitgetheiltes Vor-
[') Esist vielmehr zu folgern, dass jede Seite der Blastula und Gastrula
die Athmungsfunction übernehmen kann und dass von jeder Seite
aus die Luft im ganzen Gebilde vertheilt werden kann.]
2) 0. Hertwig. Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Theilung der
Zellen? Jena 1884.
21*
324 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
kommniss an in Zwangslage befindlichen Eiern sowie die vorn S. 303
mitgetheilten Deformationsversuche hin.
y. Bedeutung: der ersten Furchungeii.
Weitere Beobachtungen sollten mich über die Bedeutung
der ersten F u r c h e noch sicherer unterrichten, als es bereits durch
meine erste Untersuchung (Nr. 16) geschehen war. Als normales
Verhalten hatte sich, wie schon erwähnt, ergeben, dass diese senk-
recht sich einstellende Furche bei Rana esculenta das Bild der
oberen Eihälfte, welches auf einer Seite durch einen hellen, sichel-
förmigen Saum ausgezeichnet ist, symmetrisch theilt (s. Taf. IV),
dass sie also in die Sjanmetrieebene der Pigmentirung bei der vor-
handenen schiefen Einstellung des Eies fällt; ferner dass die Furchen der
vierten Furchung normaler Weise gleichfalls dazu symmetrisch orientirt
sind, und dass in gleicher Weise bei Rana esculenta wie fusca die
Medianebene des späteren Embryo in die erste Furchungsebene fällt ^).
1) Diesem Zusammenhang liegt ein Furchungschema zu Grunde, welches in
jenen wesentlichen Eigenschaften, die uns die Möglichkeit gewähren, die Hauptricht-
ungen des Embryo am Eie schon nach der ersten Furche zu erkennen, zuerst von
mir aufgestellt und als N ormalf urchungsscb ema der Rana esculenta bezeichnet
worden ist (s. S. 113 u. f.). Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich, dass dasselbe
total verschieden ist von dem kurz zuvor seitens A. Raiber's für diese Species auf-
gestellten Normal-Furchungsschema. Gegen diese Angabe erhebt dieser Autor Ein-
spruch (Zoolog. Anz. 1883, S. 461 und Zoolog. Jahresber. 1883, Abth. IV, .S. 129),
indem er behauptet, dass unser beider Schemata vollkommen übereinstimmten, und
beschwert sich zugleich, dass ich seine Vorarbeit nicht anerkannt hätte. Nun aber
gründet sich Raubkr's Normalschema auf die Anwesenheit einer Brechungs-
furche (vergl. Morph. Jahrb. VIII, S. 262 u. 274), während das meine auf dem
Fehlen einer solchen beruht, wodurch erstdie Beziehung zur künftigen Medianebene
erkennbar wurde. Zweitens giebt R. bezüglich derjenigen Beziehungen meines Schemas,
welche bereits von früheren Autoren, zuletzt von Rauber beschrieben worden sind,
und für welche ich auf Rauber's Abbildung verwiesen habe, extra eine
Vorschrift, wie dieselben aus der „Normalstellung" der Furchen seines Schemas ab-
zuleiten seien (S. 275). Damit ist wohl der Einspruch R.'s genügend charakterisirt.
Aber selbst, wenn R. diese vor ihm bereits bekannten Züge als die normalen hin-
gestellt hätte, so würde dieses Schema damit für unseren Zweck noch gar nicht
brauchbar gewesen sein, denn es fehlten noch alle dafür nöthigen
Hauptmomente: erstens, dass bei diesem' Schema di e E iaxe schräg steht, wo-
durch allein Vorn und Hinten so früh erkennbar werden; zweitens, dass die erste Furche
durch die Sy m m etrieeb ene dieser Schiefstellung geht; drittens, dass die zweite
V. Bedeutung der ersten Furchungen. 325
a) Beziehung zwischen „erzwungener" Stellung der Eiaxe
und der Richtung der ersten, rcsp. zweiton Furche^).
[4:1] Von allen den vorstehend genannten normalen
Lage-Beziehungen der ersten Furchungen zu einander
sowie zur Eiaxe und zur Medianebene sind mir im Jahre 1884
zahlreiche Abweichungen vorgekommen; die Beziehung zur Sym-
metrieebene der Pigmentirung war sogar in der grossen Mehrzahl
der Fälle verändert. Da es mir nicht wahrscheinlich schien, dass so
fundamentale Verhältnisse ohne besondere Ursache in ihrem Wesen
variiren, suchte ich nach einer solchen Ursache, und glaube sie
darin erblicken zu dürfen, dass in diesem Jahre alle meine
Eier behufs Verwendung der Mehrzahl derselben zu anderen Ver-
suchen^) sich wenigstens einige Stunden lang, von der Be-
fruchtung angefangen, in ,, Zwangslage" befanden (s. Nr. 22,
S. 117 und Nr. 31, S. 250 und 251).
Furche excentrisch und zwar normaler Weise immer derselben, dem
Hinten entsprechenden Seite genähert ist. und viertens, dass auch die
Furchen der vierten Theilung normaler Weise zur ersten Furchungsebene sym-
metrisch orientirt sind. Bei Rauber's und seiner Vorgänger Beobachtungen dagegen
fehlt jede Beziehung der Furchungsaxe zur Eiaxe, desgleichen die Be-
ziehung der vierten Theilung auf die erste, da sie schon in diesem Stadium
die erste und zweite Furche nicht mehr von einander unterschieden haben, und die
Beziehung der Medianebene des Embryo auf die ersten Furchungsebenen (s. Nr. 21,
S. 160).
[1) Die hier verwendete, von Pflüger eingeführte Zwangslage durch un-
genügende Quellung der Gallerthülle ist mit nur geringer Deformation
der Eier verbunden, weshalb man sie als ,, einfache Zwangslage" bezeichnen kann.
Gleichwohl weisen Vorkommnisse (die Abweichungen der ersten oder zweiten Furch-
ungsebene aus der Symmetrieebene des Rindenpigmentes) darauf hin, dass die Rich-
tung der ersten Furche dabei manchmal durch geringe Gestaltäude-
rung beeinflusst ist. Stärker ist dies bei Eiern der Fall, welche durch starke
Deformation (Aspiration in Glasröhren oder Pressung zwischen Platten bei geringer
aber doch stärkerer Quellung der Gallerthülle) in erzwungener Lage erhalten werden;
diese übrigens nicht so feste Zwangslage kann als Deformationszwangslage be-
zeichnet werden. Die Zwangslage unterscheide ich weiterhin in .schiefe oder gerade,
je nachdem die Eiaxe in abnormer oder normaler Richtung fi.xirt wird (s. Nr. 21,
S. 195 Anm.).i
[') Zu den in Nr. 18 mitgetheilten Anstechversuchen. Diese machen nöthig,
dass das Ei beim Fassen seiner Hülle mit der Pincette und beim Anstechen sich in
dieser Gallerthülle nicht drehen könne, damit man auch wirklich die beabsichtigte
Stelle verletze.]
326 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Diese Abweichung bekundete sich einmal, Avie schon oben erwähnt,
darin, <lass bei vielen Eiern die erste Furche nicht vollkommen
senkrecht, ja sogar einige Male fast wagrecht stand; doch ent-
wickelten sich alle diese Eier nicht weiter.
Für Eier in Zwangslage stellte Pflüger ^) den Satz auf, dass ein
und dasselbe Ei bei der ersten Entwickelung sich in sehr verschie-
dene Richtungen theilen kann, „je nachdem man willkürlich den
Winkel wählt", den die Eiaxe mit der Richtung der Schwer-
kraft macht. Ordnet man aber die Zahlen seiner eigenen Tabelle
nach den Neigungen der [42] Eiaxe, so steht z. B. bei 90°, also
bei immer derselben willkürlich gewählten Neigung die erste
Furchungsebene in Winkeln von 0«, 0°, O«, 22°, 33", 40°, 50«, 60", 1>0«
zur Eiaxe; in gleicher Weise verhalten sich seine übrigen Zahlen.
[Statt einer Abhängigkeit des Winkels der ersten Theilungsebene
von dem willkürlich gewählten Neigungswinkel der Eiaxe wäre also rich-
tiger eine vollkommene Unabhängigkeit beider von einander
aus den Messungen Pflüger 's abzuleiten] ; und Pflüger spricht solches,
ohne den vorstehenden Satz zu widerrufen, implicite selber aus, indem
er in seiner dritten Abhandlung, S. 1, angiebt: ,,dass die Schwerkraft
die Richtungen der Zelltheilungen in dem sich entwickelnden Ba-
trachiereie beherrscht, so dass ,, keine" wesentliche Beziehung
zwischen Lage der Eiaxe und der Richtung der Furchungen
existirt." [Doch entspricht auch diese Angabe nicht meinen Erfah-
rungen, wie jetzt dargethan werden soll.]
Von 493 von mir im Jahre 1884 beobachteten, in Zwangslage
[mit meist nur geringer erzwaingener Schiefstellung der Eiaxe] be-
findlichen Eiern von Rana esculenta stand bei 106 Stück (21,5°/o) die
erste Furche in Richtung der durch die Eiaxe gehenden verticalen
Symmetrieebene, bei 56 (ll°/o) innerhalb 20° nahe dieser Richtung.
Dagegen stand bei 173, also 35°/o der Eier, die erste Furche recht-
winkelig zur Symmetrieebene, und bei weiteren 90 Stück (18 °/o) inner-
halb 20° dieser Richtung genähert ; während in den noch verbleiben-
den Raum von 50° zwischen diesen Extremen nur der Rest von
1) Pflüger's Arch. Bd. XXXII, S. 15.
V. Bedeutung der ersten Furchungen. 327
68 Eiern (14 *\'o) fällt. Es zeigt sich also, wie aueli gleichzeitig
College Born beobachtet liat, bei Zwangslage der Eier ein anf-
fallend liäufiges reclitwinkelig Stehen der ersten Fnrche
znr verticalen Symnietrieebene, welche ihrerseits durch die
Eiaxe bestimmt ist. Ausserdem finde ich eine sehr ausge-
sprochene Gruppirnng der Abweichungen, sowohl um diese
Richtung, wie um die Symmetrieebene selber, so dass zusammen 8(5 "^/o
der ersten Furchungsebenen diesen beiden Richtungen zu-
gehören, während blos 14°/o in den ÖO*' umf assendenZwischen-
raum zwischen diesen beiden Hauptgruppen fallen (s. S. 335 u. f.)
Ich habe zugleich beobachtet, dass bei diesen letzteren von vor-
stehender Regel abweichenden Eiern grösstentheils schon nach der
zweiten Furche die Pi g mentvertheilung in der Eirindc der-
artig umgearheilet ivar, dass nachträglich die J^ehereinstim-
mnng mit einer der beiden Hanptrichtungoi [das heisst mit der
Richtung der ersten oder zweiten Furche] sich hergestellt fand
(s. S. 521).
Damit ist ein für die Auffassung des Mechanismus der ersten
Entwickelungsvorgänge höchst bedeutsamer Irrthum Pflüger's beseitigt,
indem an die Stelle des „Fehlens" jeder [43] wesentlichen
Beziehung der ersten Furche zur Eiaxe der,, Wechsel zwischen
einer ganz bestimmten Alternative" tritt-), welchen wir, wie
[1) Diese fundamentale, durch zahlreiche Wiederholungen sicher gestellte
Beobachtung, welche auf sehr actuelle Beziehungen zwischen der
pigmentirtenSubstanz der Ei rinde einerseits und der Anordnung des
unter ihr liegenden Bildungsdotters und den Qualitäten des Zell-
kernes andererseits, also zwischen der sogenannten primären Eiaxe und dem
Eiinhalt hinweist, ist bis jetzt von keinem nachfolgenden Beobachter beachtet
worden (s. Nr. 30).
[^) Entsprechend der Ausführung auf Seite 109 wurden auch hier die Ab-
weichungen als'^um Theil auf Versuchs- und Beobachtungsfehlern be-
ruhend aufgefasst. Spätere Beobachtungen mit gleichem Resultat machen es
wahrscheinlich, dass diese Abweichungen zu einem erheblichen Theil wirklich im Ver-
alten der inneren Theile des Eies selber begründet sind und nicht blos auf nach-
träglichen Drehungen des Eies beruhen (s. Nr. 20, S. 51).
Alsdann hat an die Stelle des von Pflüger behaupteten Fehlens jeder
Beziehung zwischen der Eiaxe und den beiden ersten Furchen, besser gesagt,
zwischen dem „pigmentirten Rindentheil" und den durch die beiden
ersten Furchungen gesonderten „inneren" Dottermassen bei schiefer
328 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
wir sehen werden, schon jetzt in seinen Ursaclien annähernd zu ver-
stehen im Stande sind.
b) Beziehung zwischen der Richtung der ersten Furche
und der Richtung d er Medianebene bei „einfacher Zwangs-
lage" (s. S. 325) der Eier.
Die Feststellung der Bedeutung der ersten Furche für den
späteren Embryo angehend, so wurde bei 75 von den erwähnten, in
Zwangslage erhaltenen Eiern ausser der Stellung dieser Furche
zur Symmetrieeljene der oberen Ansicht noch die Stellung der Rücken-
furche resp. der Ort der ersten Urmundsanlage bestimmt. Davon fielen
bei blos 15 Eiern, also 20 "/o, die erste Furche und die Medianebene des
Embryo mit der Symmetrieebene der Pigmentirung zusammen, während
bei weiteren 11, also 14°/o, dasselbe annähernd, mit Abweichungen inner-
halb 20°, der Fall war. Diese 34*^/0 der Eier zeigten somit in der
Zwangslage wesentlich dasselbe Verhalten als Eier, welche ihre
physiologische Schiefstellung der Eiaxe durch Eigendrelmngen
eingenommen haben.
Bei 24 der Eier, bei welchen die erste Furche rein quer, bei
13, wo sie annähernd quer zur S^anmetrieebene stand, fiel gleich-
wohl die Median ebene vollkommen resp. annähernd mit der
Richtung der Symmetrieebene zusammen^). Diese Eier, zu-
Zwangslage eine Beziehung zu treten, Avelche nicht so fest ist, wie oben ge-
folgert wurde, sondern um zwei Prädi le cti on sr ic htungen variirt.
Mit anderen Worten heisst dies : Bei Zwangslage, also bei dadurch veranlasster
Störung der normalen Lage der pigmentirten Rindensubstanz zu
den inneren Dotter Substanzen kommt „während" der beiden eisten
Furchungen oft der normale Einfluss der p igm enti rten Rindensub-
stanz auf die Bestimmung d e r „ R i c h t u n g " der ersten E i t h e i 1 u n g e n
nicht voll zur (leltung, sondern der Einfluss der ,. inneren" Dotter-
substanz e n auf die T h e i 1 u n g s r i c h t u n g überwiegt.
Unsere zweite Beobachtung zeigt, dass alsdann, während und nach der zweiten
Furchung. das R in d en pi gm e n t nachträglich zu einer der beiden ersten
Theiluugen, also zu der durch die ersten Theilungen bewirkten Sonde-
rung der inneren Dottersubstanzen „sj-m metrisch 'geordnet wird:
und zwar geschieht dies, wie später mitgetheilt wird, fast ausnahmslos um diejenige
der beiden ersten Furchen, mit welcher später die Median ebene des Embryo zu-
sammenfällt.
[') üeber das Verhalten bei Pressung der Eier zwischen wagrechte und senk-
rechte Platten siehe Nr. 29, S. 607.1
V. Bedeutung der ersten Furchungen. 329
sammen 49''/o der beobachteten, stellen das W'i-halten dar, wek-lie von
Räuber^) als das ausschliessliche Vorkommen unter normalen
Verhältnissen hingestellt worden ist. Da aber Haihkü, nach seiner
mündlichen Angabe, mit w e n i g a n gefeuchtet e n Eiern experimen-
tirte, so war jedenfalls bei seinen Versuchen zumeist Zwangslage wie
bei den meinigen vorhanden; und es ist blos zu verwundern, dass
Rauber diese Einstellung als die ,, ausschliessliche" aufführt.
Ich fasse dieses Vorkommniss als einen Anachroiiisinus der
Furclumg-, als eine bei Zwangslage sehr häufig eintretende
zeitliche Verwechselung der beiden ersten Furchen (siehe
S. 117) auf-), wobei also die eigentlich zweite, normalerweise quer
zur Symmetrieebene stehende Furche zuerst entstanden ist,
■wobei gleichwohl aber die Medianebene des Embryo in der Richtung
der hier erst als zweite entstandenen, aber durch ihre Stellung in der
Symmetrieebene und eben durch ihre genannte Beziehung zur Median-
ebene Avohl charakterisirten, nor- [-1:4] maier Weise ersten Furche
liegt. Dieser Möglichkeit war bereits in meiner ersten Arbeit auf
Grund einer damals einzigen bezüglichen Beobachtung gedacht und
ich habe auf der Naturforscherversammlung in ^Magdeburg Herrn Rauber
diese Deutung entgegengestellt. (Sitzungsber. der Vers, der Naturf.
1884 S. 330.) Da aber Herr Rauber in seinem kurzen dem Drucke
übergebenen Referat den bezüglichen Theil seines Vortrages ausge-
lassen hat, so muss meine Er^^'iderung an jener Stelle wie aus der
Luft gegriffen erscheinen.
Die von mir gemachte Annahme wird durch zahlreiche beobachtete
sonstige Anachronismen der typischen Furchungsordnung
bei Zwangslage gestützt. In einer Glasschale mit 20 Eiern trat sogar
bei 4 Eiern die dritte verticale Furche vor der ersten Aequa-
torial furche au.^, wobei also sogar eine zeitliche Verwechselung
einer wagrechten Furche mit einer senkrechten Furche stattfand.
[Weiteres s. Nr. 22, S. 22.] Wenn somit die Reihenfolge der quali-
ij Zool. Anz. 1883, S. 462. und Vortrag auf der Vers. d. Naturf. zu Magde-
burg 1884.
[-) üeber den Mechanismus dieses Anachronismus siehe Nr. 20, S. 52 und
Nr. 21. S. 201.]
330 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
tativ verschiedenen Eitheilungen bei derselben Species so leicht alterir-
bar ist, so wird es verständlicher, dass auch bei nahe verwandten
Species darin Verschiedenheiten bestehen, wie A. Goette')
es bezüglich der Würmer angiebt, wo die erste Furche bald die
Medianebene darstellt, bald Vorn und Hinten scheidet.
Dieser Autor erwähnt zugleich auch schon das Vorkommen von Fur-
chungsauachronismen innerhalb derselben Species bei den Würmern.
In diesem Wechsel ist aber nach meinen Erfahrungen bezüg-
lich des Frosches das Wesentliche, Bleibende, dass die ersten
drei Theilungen des Eies normalerweise in einer ,, festen Be-
ziehung zu den Hauptaxen des Embryo" stehen, dass näm-
lich eine dieser Furchen die Medianebene darstellt, eine
Dorsal und Ventral, eine andere Kopf- und Schwanz wärts
scheidet, und dass mit diesen Axenbestimmungeu auch schon
die angehörigen ,, Qualitäten" , das Dorsal und Ventral, das
Oral und Aboral von einander differenzirt und in ihrer
Lage an jeder von beiden Hälften der betreffenden Axe
normirt sind.
Beiden übrigen 12 Eiern, also bei 16*^/0, wurde ein scheinbar
abweichendes Verhalten beobachtet, dessenThatsächlichkeit
indess erst [45] durch weitere Versuche geprüft werden muss,
ehe zu einer Erklärung seiner eventuellen Bedeutung ge-
schritten werden kann (s. Nr. 21, S. 196; Nr. 29, S. 608 u. Nr. 30,
S. 4).
Aehnliche Abweichungen kamen häufiger bei Eiern
in Ztvangslage, iveJche nach der ersten bis vierten Furche
umgedreht und in dieser Lage bis zum Auftreten der
Rückenfurche erhalten worden waren, zur Beobachtung; doch
sind hier auch die fehlererzeugenden Kräfte noch grössere.
Da Pflüuer die in Zwangslage noch waltende Gesetz-
mässigkeit der Lage der ersten resp. zweiten Furche zur
Ei axe übersehen hat, er aber gleichwohl die Medianebene des
Embryo durch die verticale Symmetrieebene der Eieinstellung bestimmt
1) A. GoKTfK. Abhandlungen zur Entwickelungsgeschichte der Thiere. Heft I,
S. 7, Heft II, S. 56.
EJntstehungsmöglichkeit der Doppelbildungen. 331
fand, wie ich es vorher schon l'ür (Ue normale ScliieistcHnng der Ei-
axe mitgetheilt hatte, so konnnt er zu der Auffassung' (Abhandhnig TI,
S. 31), dass bei Zwangslage die Ebene der ersten l*\irchung mit
der Medianebene die verschiedensten Winkel mache, womit also
jede Beziehung der ersten Furche zur Medianebene auf-
gehört haben würde. Damit wäre auch das von mir und danach
von Pflüger gefundene Gesetz, dass die erste (resp. nach vorstehen-
der Erörterung gelegentlich zweite) Furche die Medianebene des Frosch-
embryo darstellt, blos der Ausdruck eines zufälligen, leicht trenn-
baren Zusammenfallens gewesen, und hätte demnach auch nur ge-
ringe ontogenetische Bedeutung gehabt. Indem ich durch die vor-
stehend mitgetheilten Beobachtungen und Ausführungen diese Auf-
fassung als irrthümlich nachgewiesen habe, mache ich mir dies Ge-
setz in seiner fundamentalen Bedeutung, dass die erste (resp. zweite)
Furche bereits das Material der beiden Antimeren des künftigen Em-
bryo scheidet, auf's Neue zu eigen').
Das Wesen der [normalen] Furchung besteht demnach, wie ich
schon in meinen Arbeiten über die Bestimmung der Hauptrichtungen
und über die Bedeutung der indirecten Kerntheilung angenommen habe,
[abgesehen von der Zerlegung des Eies in kleinere Zellen] darin,
dass sie das [durch die Befruchtung „activirte"] ^) Keimmaterial
„qualitativ" scheidet und es zugleich in einer Weise zu
einander „ordnet", welche die Lage der späteren diffe-
renzirten Organe des Embryo im Voraus bestimmt. Diese
qualitative Scheidung und bestimmte Lagerung betrifft
„vorzugsweise" das „Kernmaterial" [46] und wird durch
[1) Da indess die erzwungene Schiefstellung der Eiaxe in diesen Versuchen
eine nur wenig von derVerticalen abweichende war, und sie gleichwohl so erhebliche
Abweichungen von der Norm hervorbrachte, so ist vielleicht nicht mit Unrecht zu
vermuthen, dass bei erzwungener stärkerer Schiefstell ungdie Procent-
zahlen der Abweichungen noch grössere werden, und noch mehr
wird dies wohl gesteigert werden können, wenn die Zwangslage, wie bei
Pressung der Eier zwischen Platten oder bei Aspiration in enge Röhren noch mit
starker „Deformation'- der Eier verbunden ist. (Nr. 29. S. 607 und Nr. 31,
S. 265 u. f.)]
[•-') Ueber die gemachte Einschaltung siehe Nr. 22, S. 138, sowie Nr. 27 u. 28.]
332 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
die ,,in(iirecte" Kerntheilung vermittelt [s. S. 306 u. Nr. 22,
S. 138] 1).
O. Hert\aig hat sich im iVnschluss an die von mir ausgesprochene
Auifassmig der Bedeutung der indirecten Kerntheihmg jüngst in ähn-
hcher Weise über die Bedeutung der Furchung geäussert und dabei
zuerst und mit Recht auf die Wichtigkeit der gleichzeitig stattfinden-
den Vermehrung des Kernmaterials hingewiesen. Er sagt-): „Als
das Wesentlichste und Wichtigste der ersten Entwickelungs Vorgänge
betrachte ich die Vermehrung, Individualisirung und gesetzmässige
^'ertheiluno• der Kernsubstanz".
En tste hu ngsm ü glich keit der Doppelbildungen.
Diese Bedeutung der Furchung beschränkt meiner Meinung nach,
wie ich nicht unterlassen will bei dieser Gelegenheit nochmals her-
vorzuheben (s. S. 122), die Möglichkeit der Anlage von
„Doppelbildungen mit Verdoppelung von Axenorganen"
auf die Zeit vor und bis zur Vollendung der ersten Furchung, wofür
sich früher schon B. Schultze^),' Fol*) und F. Marchand ^) ausgesprochen
haben. Letzterer sagt schon : ,,wir müssen annehmen, dass den beiden
Embryonalanlagen auch zwei Furchungscentren entsprechen".
f 1) Es war hier wie früher (s. S. 327 Anm.) angenommen, dass die beobachteten
kleinen Abweichungen von den beiden Hauptrichtungen auf Versuchs- oder Beobach-
tungsfehlern beruhen und dass also, von dem typischen Anachronismus abgesehen,
das Entwickelungsgeschehen auch bei Zwangslage der Eier normal verliefe. Dasselbe
wurde für die 16°,'o gröberer Abweichungen vermuthet.
Daher bezog sich die hier gegebene Definition der Bedeutung
der Furchung trotz der gleichzeitigen Berücksichtigung der Zwangslage doch nur
auf normales Geschehen.
Bei wirklichen Abweichungen des Geschehens wird in Folge frühzeitiger
Activirung von Reserveidioplasson der Furchung andere Bedeutung zu-
kommen (s. Nr. 28).]
a) 0. HERTWKi, das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies, eine
Theorie der Vererbung. Jena 1884, S. 36.
'■>) Bernh. ScHui/rzE, Ueber anomale Duplicität der Axenorgane. Virch. Arch.,
Bd. 7. 1854 und Sur les Monstres doubles. Compt. rend. 1856, I, Nr. 23.
4) loco cit.
y) F. Marchand, Artikel: Missbildungen in Eulenburg's Realencyclopädie der
Heilkunde, 1881, S. 16.
Entstehungsmöglichkeit der Doppelbildungen. - 333
Die Doppelbil du HOCH mit Verdoppehniü; von Axen-
organeii unterliegen in ilirer ,, Anlage" einem unnz be-
sonderen Gesetze [s. S. 122J. Dies Gesetz, welches icli kurz
das „Gesetz der doppelten Symmetrie der Orgajiaiilas:eii" nennen will,
bestimmt, dass jede dieser Doppelbildungen in allen ihren Theilen
symmetrisch zu einer Ebene, zur Hauptsymmetrieebene, angelegt
ist, und dass ein Gleiches wiederum bei jeder der so gebildeten bei-
den Antimeren der Fall ist, so weit in ihr Verdoppelung sich findet.
Durch dieses Gesetz wird die Reihe der Möglichkeiten um ein mehr-
fach Unendliches auf die in ihrer Gesammtheit aber immer noch un-
endlich grosse [47] Mannigfaltigkeit von Bildungen in einer Weise
beschränkt, welche wir uns am leichtesten dadurch vorstellen können,
dass wir zwei gleich entwickelte Embryonen symmetrisch nebenein-
ander legen und von den beiden einander zugewendeten Antimeren
jeder derselben durch je einen ebenen Schnitt symmetrische Stücke
abschneiden und die Schnittflächen beider Embryonen vereinigen;
dabei ist es zugleich gestattet, die Embryonen vor dem Durchschneiden
symmetrisch zu verbiegen, so dass der Schnitt eine Strecke weit der
Medianebene jedes Embryo folgen und sie dann verlassen kann. Die
Schnittebene kann hierbei natürlich an unendlich vielen Stellen und
in unendlich vielen verschiedenen Richtungen geführt werden, und
es scheint, dass keine der so umgrenzten Möglichkeiten von der Natur
verschmäht werde ^). Dieses wunderbare Gesetz ist, wie ich
mich an dem reichen, die seltensten Fälle enthaltenden Material der
hiesigen Sammlung überzeugt habe, in der ,, An läge" der Organe
ausserordentlich fein durchgeführt, wenn auch nachträglich
durch ungleiches Wachsthum oder ungleiche äussere Begünstigung-
erhebliche Asymmetrien entstehen. Dadurch, dass die Doppel-
bildungen mit Verdoppelung von Axenorganen diesem Gesetze unter-
liegen, bekundet siSi, dass dieselben causal und daher auch systema-
tisch getrennt werden müssen, von allen anderen Doppelbildungen
sowohl von den \"erdoppelungen einzelner nicht axialer Organe (der
1) Vergl. P. L. Panum, Beiträge zur Kenntniss der physiologischen Bedeutung
der angeborenen Missbildungen. Virchow's Arch. 1878, Bd. 72.
334: Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
I
Extremitäten etc.), wie aucli von den wenigen Missbildungen 'mit
Verdoppelung der Axenorgane, welche diesem Gesetze nicht unter-
liegen (Inclusionen) , was schon von B. Schultze (loc. cit.) mit Recht
hervorgehoben, aber von späteren Autoren nicht genügend gewürdigt
worden ist.
Unserer Auffassung der Furchung nach würde also die Haupt -
symmetrieebene der Doppelbildung einer normalen
ersten Furche entsprechen, da sie das Keimmaterial quali-
tativ halbirt; und es wird dadurch erklärhch, dass alles, was an-
gelegt wird, symmetrisch zu dieser Ebene ist. Nun müsste aber für
die Medianebene jeder dieser Antimeren noch einmal eine der ersten
vergleichbare Furche entstehen, welche [48] wiederum das Material quali-
tativ halbirt, aber nur so weit es halbirbar, also doppelt vorhanden
ist^). Unerklärbar und tief bedeutsam ist es, dass das Material gerade
so weit doppelt vorhanden sein müsste, um in der weiteren Ent-
wickelung einen für sich vollkommen normal angelegten Theil einer
Antimere bis an eine in jedem Falle andere, ebene Abgrenzungs-
fläche auszubilden, wobei eine grosse Anzahl von Organen bis an
diese Begrenzungsfläche normal angelegt werden, obgleich ihr übriges
Stück von vornherein fehlt. Letzteres scheint auf eine sehr
vollkommene ,,Selb stdif f erenzirung" der auch nur ein-
zelnen Organtheilen entsprechenden Keimtheile hin-
zuweisen; und diese Keimtheile müssten dann wohl von Anfang an
schon entsprechend verschieden sein. Dagegen spricht nun aber die
andere Thatsache, dass alle Theile der unvollkommenen Antimere
bis zu ein und derselben Abgrenzungsebene vorhanden
[1) Diese zweite F\irclie würde wohl bei einem normalen Ei rechtwinkelig
zur ersten stehen, da auch hier die beiden Furchungszellen wie normal halbkugelig
sind und daher die Gestalt des Bildungsdotters, Avelche ja die Richtung der Kern-
spindel bedingt, auch die normale ist. Soweit eine besondere Vertheilung der
Dottersubstanzen nöthig ist, müsste sie secundär um die Richtung der Kernspindel
erfolgen, wie (s. S. 327 und S. 337) bei Zwangslage beobachtet Avorden ist. So würde
sich erklären, dass G. Born (Ueber die Furchung des Eies bei Doppelbildungen,
Breslauer ärztliche Zeitschr. 1887, Nr. lö) keine bestimmte äussere Abnormität im
Verlaufe der Furchung an Eiern, welche Doppelbildungen lieferten , wahrnehmen
konnte, wie ich bereits im Referate dieser Arbeit bemerkt habe (s. Hkrmann-Schwalbe's
Jahresbericht der Anatomie und Physiologie, anat. Abthlg. 1887, S. 590).]
VI. ,Causale Bedeutung" einiger Beziehungen etc. 335
sind, was seinerseits am einfacbsten von einer von der Me-
dianebene ausgelienden Dif f erenzirnn g ableitbar zu sein
scheint, wobei die ursprünglicheKeimsub stanz noch relativ
einfache Beschaffenheit besitzen könnte und erst im
Laufe der Entwickelung selber ihre grosse Mannigfaltig-
keit erlangen würde').
Wir stehen bei diesen Doppelbildungen vor einem der grössten
und interessantesten Räthsel, welchem wir auch unter Zuhülfenahme
der Entstehung der partiellen Antimeren durch Regeneration
von den nach Ansicht einiger Autoren durch eine äussere Einwirkung
von einander getrennten vollkommenen Antimeren aus, nicht wesentlich
näher treten würden, zumal da ein Ersatz der zur „Einheit"
des Individuum fehlenden Theile ein für jetzt ebenso
unlösbares Problem einschliesst.
yi. „Causale Bedeutung'^ eiiiig'er Beziehungen der ersten Ent-
Avickelungsvorgänge zu einander.
1. Ursache der ersten Theilung des Eies von ,,Rana escu-
lenta" in Richtung der Symmetrieebene seiner Einstellung.
Suchen wir nun zum Schlüsse uns eine vorläufige Auffassung
der causalen Bedeutung einiger der bis Jetzt sicher gestellten Bezieh-
ungen der ersten Entwickelungsvorgänge zu einander zu bilden, so
ist zunächst zu erörtern, warum die erste Furche bei der physiolo-
gischen Schiefstellung der Eiaxe von Rana esculenta in
Richtung der Symmetrieebene dieser Einstellung steht.
Diese Schiefstellung der Eiaxe ist der Ausdruck der Ansamm-
lung der Hauptmasse der specifisch leichteren Substanz an einer Stelle
ausserhalb der Eiax^, also ausserhalb der Verbindungslinie der Mitten
der [49] braunen und weissen Eirinde. Demnach zieht sich die speci-
fisch leichtere Masse, der Bildungsdotter, von der Oberfläche aus
im Inneren nach derjenigen weissen Seite des Eies hin, welche sich in
[1) Diese Eventualität wurde durch die späteren Versuche gestützt (s. Nr. 22,
S. 287).]
336 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
Folge dessen etwas nach oben dreht. Der Bildungsdotter ist also etwas
in die Länge gezogen und die senkrechte, dieser Längsrichtung paral-
lele Mittelebene stellt sich als die Symmetrieebene dieser
Massenanordnung dar. Die Richtung der ersten Furche, also der
,,Theilungsebene" des Zellleibes, welche in diese Symmetrieebene
fällt, ist nach den bisherigen Erfahrungen über Zelltheilung als in
fester Beziehung stehend zur , , T h e i 1 u n g s e b e n e " des Kernes
aufzufassen, da beide Ebenen immer als z u s a in m e n f a 1 1 e n d
beobachtet w o r d e n s i n d. (0 b d i e s e B e z i e h u n g eine cl u r c h -
aus constante ist, werden uns, wie ich hoffe, die Untersuchungen
von den oben erwähnten linsen-, kegel- und keilförmig deformirten
Eiern lehren.) Der Kern selber bildet bei seiner Theilung eine
längliche Figur, deren Axe rechtwinkelig zu seiner Theilungsebene
orientirt ist. Wenn nun, wie oben angenommen worden ist, dieses
Gebilde mit den Substanzen des Zellleibes in einer richten-
den Wechselwirkung steht, so wird bei einer ursprünglichen Ab-
weichung beider von ihrer Gleichgewichtslage zu einander das weniger
massige und daher leichter bewegliche Gebilde von beiden, der Kern,
natürlich die stärkere Ablenkung aus seiner Richtung erfahren, während
der Zellleib, den vorliegenden Grössenverhältnissen beider entsprechend,
kaum merkbar alterirt werden wird.
Für die Einstellung der Kernspindel ergeben sich aus
der länglichen symmetrischen Anordnung der verschiedeneu
Dottermassen somit zwei Prädilectionsrichtungen, in welchen
allein Gleichheit der Wirkungen von beiden Antimeren
des Zellleibcs her auf die Kernspindel stattfindet, also eine
gewisse Stabilität vorhanden ist. Eimnal die rechtwinkelige
Einstellung der Kernspindel zur Symmetrieebene; in
dieser- Stellung kommen beide Enden der Kernspindel unter beider-
seits ganz gleiche Zehleibsubstanzen, weshalb sie für diejenige Thei-
lung, welche das Material für die beiden Antimeren scheidet, die
naturgemässe ist, da dabei auch der Kern seine Substanzen meiner
Annahme nach qualitativ halbirt.
Ist, wie aus der normalen Furchung zu schliessen, beim Froschei
nach der Befruchtung zunächst eine Tendenz zu solcher qualita-
Causale JJedeutung einiger Beziehungen etc. 337
[50] tiven Ilalbiruiio- im Korn und vielleicht auch im Dotter vorhanden,
so wird sich diese Einstellung herstellen, sofern nach unserer An-
nahme die ,,qualitative Natur der Theilung" des einen dieser
Zelltheile einen ,, richtend en" Einfluss auf die Stellung zu
dem anderen Zelltheile ausübt.
Die zweite stabile Stellung der Kernspindel ist na-
türlich ihre Lage in der Symmetrieebene. Hierbei werden
aber die Enden der Kernspindel unter zwar für jedes einzelne Ende
von den beiden Antimeren des Zellleibes her gleiche, aber für beide
Enden verschiedene Einwirkung gelangen; und bei einer qualitativen
Wechselwirkung zwischen Zellleib und sich tb eilendem Kern ist es
naturgemäss, dass in dieser Stellung der Kern sich qualitativ
ungleich theilt.
Dass bei diesen beiden ersten Theilungen die Theilungs ebenen
senkrecht, die Kernspindeln also wagrecht stehen, muss
seinen Grund in der ,, Anordnung der Massen des Zell-
leibes" durch die Schwere haben, da diese ja selber in der dem
Eie durch die Schwerkraft gegebenen Einstellung im stabilen Gleich-
gewicht sich finden.
Wenig wahrscheinlich ist es dagegen, dass die Schwere
„direct" die wagrechte Einstellung der beiden ersten Kern-
spindeln als wesentliches Moment hervorbringt, da sich b e i R a n a
fusca diese Kernspindeln auch bei langsamer Rotation
der Eier in einer Verticalebene (Nr. 19) in gleicher Weise
zur Eiaxe einstellen. Aus dem gleichen Grunde nehme ich auch
für die Richtung der, bei Ruhestellung des Eies senkrecht stehen-
den Kernspindel der dritten Theilung, wie für die Richtungen
der Kernspindeln bei allen weiteren Theilungen an, dass
sie durch die „Anordnung der Massen des Zellleibes" [resp.
durch deren ,, Gestalt" s. S. 303], bestimmt werden.
Die typische Stellung der Kernspindeln zur Richtung
der Schwere hat ihren Grund demnach wesentlich darin,
dass die Schwere bei Ruhelage des Eies entweder das ganze
Ei oder, bei Befestigung der ,,Eirinde" durch sogenannte
Zwangslage, die Hauptmasse des Eiinhaltes nach dem
99
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II, ^^
338 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
specifisclieii Gewicht der Dottersubstaiizen einstellt und
diese Massen ihrerseits die Stellung der Kernspindeln be-
stimmen.
2. Ursache der ersten Theilnng des Froscheies „quer" zur
Symnietrieebene der erzwungenen Einstellung desselben.
Die Einstellung schon der ersten Kernspindel in die Symmetrie-
ebene erfolgt, wie wir gesehen haben, nur bei Eiern, welche sich in
Zwangslage befinden. Hier sind aber wesentlich dieselben Ver-
hältnisse wie bei den Eiern der Rana esculenta; nur ist [51] die läng-
liche Gestaltung des Bildungsdotters wohl eine noch erheblichere; und
an die Stelle der ,,äusserlich sichtbaren" Symmetrieebene
tritt eine von der inneren Strömung abhängige und vielleicht
manchmal etwas gekrümmte Fläche, welche wohl nicht immer
ziemlich genau mit e r s t e r e r [also mit der senkrechten Symmetrie-
ebene der Anordnung der pigmentirten und der hellen Rindensub-
stanzen] zusammenfällt und dadurch die oben (S. 327) er-
wähn ten,, Varia tio neu der ersten Furche um die Symmetrie-
ebene" resp. um die verticale, rechtwinkelig zu dieser stehende Ebene
bedingt.
Es bedarf also nur einer besonderen Erörterung darüber, warum
bei schiefer Zwangslage so häuf ig die Kernspindel sich in
d i e S y m m e t r i e e b e n e stellt, während sie bei R. escul. ohne Zwangs-
lage immer quer steht. Dies wird mit der in beiden Fällen ver-
schiedenen Ursache der Schiefeinstellung zusammenhängen.
Bei R. escul. bildet sich die schiefe Einstellung nach Seite 295
mit dem Eindringen des Samenkörpers aus ; und es liegt nahe, darin
auch die Ursache zu erblicken; dies ist vorstellbar, indem wir einmal
mit O. Hertwic, annehmen, dass das Protoplasma, der leichtere Theil,
sich um diesen Körper sammelt, da es eine Strahlung um ihn bildet und
zweitens, dass die Symmetrieebene der Einstellung normalerweise zu-
gleich die Copulationsebene beider Pronuclei wird (eine ^^ermuthung
[s. S. 121] welche ich in diesem Jahre auf ihre thatsächhche Richtig-
keit prüfen werde [s. Nr. 21]. Wenn nun die erste Kern theil ungs-
ebene stets in der Copula tionsrichtung gelegen w^äre.
Ursache des Entstehens der , zweiten" Furche als erste. 339
was den möglichst einlticheu Fall der qualitativen Hal-
birung vorstellen würde, so würde sich die erste Kernspindel quer
zur Symmetrieebene und die erste Furche in die Symmetrieebene
stellen.
In Zwangslage dagegen findet gerade während des Ein-
dringens des Samenkörpers eine durch die Schwerkraft erzwungene
Strömung statt, welche diesen Körper erfasst und meiner Vorstellung
nach je nach der Eintrittsstelle in diese Strömung verschieden umrichten
wird. Hierbei müssen wieder zwei Prädilectionsrichtungen der
Endeinstellung vorhanden sein; einmal in Richtung der aufsteigen-
den Strömung, wenn der Samenkörper in der Nähe dieser Axe in
das Ei eingedrungen war. Wenn der Samenkörper nahe einer dieser
Stellen eindrang, so wird er durch die Strömung der Mitte dieser
noch mehr genähert werden und so entsteht für die Copulation, und
unter obiger Annahme daher auch für die erste Theilung eine Prädi-
lection entweder in Richtung [52] der Sj^mmetrieebene oder quer zu
derselben. Die relative Grösse dieser beiden Bezirke bedingt alsdann,
welche erste Theilungsrichtung prävalirt. Eine ungefähre Anschau-
ung von diesen Strömungen und von der Erfassung des Samen-
körpers durch die aufsteigende Strömung habe ich durch einige Prä-
parate gewonnen, welche College Born mir freundlicher Weise demon-
strirte. Wenn ich die Selbstständigkeit der hier gemachten Ausfüh-
rungen nachträglich aufgeben wollte, so würde ich jedenfalls durch
die Einsicht in die soeben erschienene ausführliche Abhandlung Born's^)
schon jetzt zu etwas bestimmteren Urtheilen gelangen können.
Wir dürfen aber nicht übersehen, dass auch schon die bei schiefer
Zwangslage vorhandene, starke, bilateral symmetrische An-
ordnung des Dottermaterials schon für sich allein die
Ebene der äqualen und inäqualen Theilung dieses Mate-
rial es bestimmen kann, und dass der Kern durch diese so be-
stimmt gegebene Tendenz in seiner Stellung zum Dottermateriale
derartig beeinflusst werden kann, dass er derjenigen der oben
erörterten P rä di 1 e et ion sein Stellungen ,, ganz" zuge-
1) G. Born. Biologische Untersuchungen. I. Ueber den Einfluss der Schwere
auf das Froschei. Arch. f. micr. Anat. Bd. 24, 1885.
22*
340 Nr. 20. Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo etc.
wendet wird, deren Richtung er am nächsten steht, und dass
dadurch dann auch die Natur der nächsten Kerutlieilung in
Bezug auf äquale und inäquale Sonderung bestimmt
werden kann [s. Nr. 21, S. 198 u. 204j.
Das bei geringer schiefer Zwangslage des Eies manchmal seltene,
manchmal (am Ende der Laichperiode?) häufigere Vorkommen einer
in Mittelstellung zur Symmetrieebene der Eirinde und zur dazu
rechtwinkeligen Richtung stehenden ersten Furche würde dann den
Fall darstellen, wo von keiner Seite her ein solches Uebergewicht
stark genug ist. Auffallend ist nur, dass in diesen Fällen gewöhnlich
nachträglich so starke Umarbeitungen der A n o r d n u n g des
braunen Rindenmateriales zu beobachten waren [s. S. 327],
dass nach Vollendung der zweiten Furche schon eine der beiden Prädi-
lectionsrichtungen nachträglich hergestellt war, [das heisst, dass die
neue Anordnung des Rindenpigmentes symmetrisch zu einer der
beiden ersten Furchen orientirt war. Nicht selten wurde diese ümord-
nung auch schon v o r dem Beginn der zweiten Furchung vollkommen
hergestellt] ^). Es machte so den Eindruck, als ob die Kerntheilungs-
richtung fester eingestellt sei, als d a s Dottermaterial,
so dass letzteres sich mehr der ersteren anpasste.
In welcher Art die angenommene richtende Wechsel-
wirkung zwischen Kern und Zellleib vorzustellen sei, ist zur
Zeit nicht zu sagen, ob als d e r m a g n e t i s c h e n ^) vergleichbare
[1) Da hier die erste Furche schief zur Symmetrieebene der oberflächlichen
Pigmentanordnuug stand, so galt dasselbe natürlich auch für die Kernsiiindel dieser
ersten Theilung und letztere war daher also nicht symmetrisch oder rechtwinkelig
zu ersterer eingestellt. Ueber die Ursache dieses Verhaltens können wir vielleicht
durch Microtomirung solcher Eier einigen Aufschluss gewinnen, indem wir die An-
ordnung der „inneren" Do tter Substanzen studiren, und sehen, ob zu dieser
Anordnung die erste Furche symmetrisch oder rechtwinkelig steht.]
[^) Dieser Vergleich mit magnetischer Wirkung wurde später von
0. Hertwig aufgenommen und verwendet (s. Die Zelle und die Gewebe, 1892, S. 175),
ohne dass jedoch von ihm versucht wurde, die Richtigkeit zu beweisen, was aller-
dings auch überaus schwierig wäre und den Besitz genauester, eigens dafür gemachter
Apparate voraussetzt, da die Fehlerquellen sehr grosse sind.
Genauer äusserte sich jüngst H. E. Ziegler (Ueber Furchuug unter Pressung,
Verhandl. d. anat. Ges. z. Strassburg, 1894, S. 140 Anm.) indem er sagt: Bei der
Zelltheilung stellt sich die Kernspindel so, dass die von dem Protoplasma auf den
Ableitung der normalen ontoa;enctischen Gestaltungen. 341
Fermvii'kung, ob vermittelt durch Diü'usionsströnuingeii etc. ;
[53] nur secundäre oder untergeordnete Bedeutung aber möchte ich
dabei in normalen Verhältnissen grob mechanischen Wirkungen zu-
erkennen, (s. Nr. 31, S. 276 Anm.) Ausserdem braucht die Wirkung
vom Zellleib auf die Kernspindel keine directe zu sein; sondern es
könnten sich vielleicht unter Umständen zuerst im Zellleib
Sonderungseentren bilden, zwischen welche sich dann
erst secundär durch Beeinflussung die K e r n s p i n d e 1 einstellt.
Nach der ersten Theiluug ist die ,,indiff er ente Kugelgestalt"
für die weiterhin sich theiienden Zellen verloren und die ,,differente
Zellgestalt" kann nun, indem sie mit bestimmter Anordnung der
differenten Materialien des Zellleibes verbunden ist, als wesentlicher
Factor die Zelltheilungsrichtung beeinflussen. In welcher
Weise dies sich geltend macht, hoffe ich an den oben erwähnten
kegel-, linsen- und pyramidenförmig deformirten Eiern ermitteln zu
können.
3. Ableitung der „normalen" ontogenetischen
Gestaltungen.
Indem schon bei der zweiten Theilung bestimmt cjualificirtes
Kernmaterial sich mehr dem weissen Pole, das andere mehr
dem schwarzen Pole zuwendet, sofern durch schiefe Einstellung
des Eies zu einer solchen \^erschiedenheit Gelegenheit gegeben ist,
ist es verständlich, dass bei dieser schiefen Einstellung immer die-
selbe (dorsale [richtiger cephale]) Seite des Embryo sich dem
höher stehenden weissen Theile des Eies zugew^endet zeigt.
Indem nun weiterhin nach unseren Principien qualitativ ungleiche Kern-
und Zelltheilungen vor sich gehen und sich, ihren Qualitäten ent-
sprechend, gegen einander richten, muss allmählich ein aus typisch
geordneten Quantitäten bestehendes Gebilde hervorgehen, welches
seine einfache Form verliert, sobald diese ungleichen Theile
beginnen, formal: wachsend, schwindend oder blos sich umformend
Pol der Spindel ausgeübte Anziehungskraft jederseits gleich ist. Doch bleibt hier
zweifelhaft, was für Anziehungskraft der Autor meint (s. o. S. 305 Anm.). Vielleicht
meint Z. gleich mir (Nr. 31, S. 276 Anm.) statt „Anziehung" blos „Ziehung" der
Protoplasmafäden
342 Nr. 20. Bestimmung der HaiTptrichtungen des Embryo etc.
oder umlagernd, ihre Ungleichheit zu bethätigen. Dieses
Princip der „Gestaltung" aus „uugleiehen Qualitäten" durcli „Betliätiia:-
ung" der Unglelehlieiten ist in der Einleitung zur Entwickelungs-
niechanik ausführlicher erörtert worden (s. S. 9).
Nächste Ursache der Gastrulation.
Die erste evidente Wachsthumsthätigkeit ist die Bildung der
dorsalen Urmundslippe. Der beimFrosche normalerweise als
zweite stattfindenden T h e i 1 u n g wird es vorzugsweise zu verdanken
sein, dass diese Lippe und damit auch das Medullarrohr sich bei
schiefer Stellung der Eiaxe stets „auf Seite des höchsten
Saumes des Weissen" anlegt (s. Nr. 29, S. 608). Mit dieser Auf-
fassung von der Ursache der Gastrulation trete ich [54] in einen
gewissen Gegensatz zu der Auffassung meines Collegen Born, da derselbe
annimmt^), dass die Einstülpung an der höchsten Stelle deshalb beginne,
weil hier die sich ausbreitende obere Kugelschale zuerst einen Ausbrei-
tungswiderstand an der träger sich theilenden dickeren unteren Hälfte
finde^). Während ich der Ansicht bin, dass hierher besonders quali-
ficirtes Material durch die zweite und spätere Theilungen gebracht
worden ist, welches zufolge dieser Qualitäten sowohl am frühesten zu
W'achsen, wie auch das Medullarrohr mit seinen specifischen, histolo-
gischen und chemischen Qualitäten zu bilden vermag^). [Bezüglich
abnormer Verhältnisse siehe Nr. 28 S. 657 u. 661].
1) G. Born, über den Einfluss der Schwere auf das Froschei. Breslauer ärztl.
Zeitschr. 1884, Separatabdruck S. 11.
'') Born's Auffassung könnte aber von Bedeutung werden in den von mir bei
Zwangslage und bei Pressung der Eier zwischen Platten wiederholt beobachteten
Fällen, wo die erste Anlagestelle des Urmundes nicht der Medianebene entspricht
(s. Nr. 31, S. 266. Anm.), indem hier vielleicht die Anlage an der von Born be-
zeichneten Stelle beginn t.
[i) Es giebt Autoren, welche glauben, die In vaginationsgastrula ent-
stünde durch den Luftdruck, indem die Oberflächenschicht mehr wachse als
dem Inhalt entspricht. Wenn dies geschähe, müsste die Einstülpung an der dünnsten,
am wenigsten festen Stelle erfolgen; dies wäre beim Froschei am Dach der Blas-
tula. Solches habe ich einige Mal gesehen; es fehlte die Blastulahöhle als
solche und ihr Inhalt ganz; das Dach lag dicht auf dem platten Boden der daher
blos durch einen capillaren Spaltraum dargestellten Höhle, und nur ringsum am Rande
war der dickere Grundtheil des Daches aufrecht stehen geblieben. Diese Missbildung
ist aber nicht der Gastrulation vergleichbar. Eine auf diese Weise bedingte mecha-
Ursache der Entwickelung der Eier bei schiefer Zwangslage. 343
4. Ursache der Entwickelung der Eier bei schiefer
Zwangslage.
Pflüger's Befund, dass er durch beliebig gegebene Zwangslage
des Eies das Medullarrohr vermittelst der Schwere an jeder beliebigen
Stelle des Eies, richtiger der „Oberfläche" desselben hervorbringen
konnte, bedeutet bei der fast flüssigen Beschaffenheit und dem von
mir nachgewiesenen ungleichen specifischen Gewichte der Theile des
Eiinhaltes, welche in Folge dessen eben durch die Schwere umge-
ordnet werden , nur, dass die Bildung des Medullarrohres
von der Beschaffenheit der oberflächlich sichtbaren,
durch den äusseren Zwang in ihrer Lage erhaltenen ,,,Ei rinde" un-
abhängig verlaufen kann; nicht aber darf man schliessen, dass die
Schwere direct differenzirende, ,,meridionalpolarisirende" Wirkungen,
wie PflijGer annimmt, ausübe; sondern man darf ihr blos eine ,, ein-
stellende Wirkung" auf die ungleich schweren Theile zu-
erkennen, wie dies bereits in meiner ersten Arbeit 1883 (s. S. 113, 120
und weiterhin S. 262) geschehen ist. In Beitrag 1 zur Entwickelungs-
mechanik habe ich Defect- Versuche mitgetheilt, s. S. 180, welche auf
andere Weise zu noch viel weiter gehenden Folgerungen über eine
gewisse Unabhängigkeit der Entwickelung von der Lage
der Dottertheile Veranlassung geben, und welche bereits ein Jahr,
bevor Pflüger in dieser Richtung zu experimentiren anfing, angestellt
worden sind.
Breslau, Mitte März 1885.
nische Einstülpung Avürde aber auch nicht unterhalb des Aequators entstehen
können, da hier die Wandung noch viel dicker ist, als am Dachgrunde.
Die normale erste Anlage des Urmundes erfolgt unter Production
ganz besonderer localer Structur, nämlich unter Bildung von einigen in der
Oberfläche liegende^, die erste Anlage der dorsalen Urmundslippe darstellenden
parallelen Cylinderzellen und unter radiärer Umgestaltung resp. Umordnung der nach
abwärts davon gelegenen Dotterzellen zur Begrenzung eines kleinen wagrechten Spaltes.
Daraus, dass ich die sogenannte Invaginationsgastrula von typisch localisirtem
ungleichen Wachsthum der Wandungstheile der ßlastula ableite, folgt jedoch nicht,
dass nicht durch physikalische Momente, wie stärkere oder schwächere Concentration
des umgebenden Mediums die Bildung derselben wesentlich alterirt werden kann,
wie dies Curt Herbst und Jabques Loeb gelungen ist.]
Nr. 21.
Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
Nr. IV. Die Bestimmung der Medianebene des Froschembrvo
durch die Copulationsrichtung des Eikernes und des
Spermakernes ^).
1887.
Mit Tafel V.
Archiv für microscop. Anatomie. Bd. 29. Februar 1887.
Inhalt.
Seite
Einleitung 345
Mögliche Fehler der früheren Versuche 358
I. Neue Versuche mit künstlicher localisirter Befruchtung bei nor-
maler Einstellung der Eier . 354
Ihre Ergebnisse : Coincidenz des ersten Furchungsmeridianes
und des Ein tr ittsmeri dian e s des Samenkörper s am Ei . 356
Nachweis desselben Gesetzes an nicht künstlich localisirten be-
fruchteten Eiern 358
Methoden der „künstlichen" localisirten Befruchtung 350
IL Bedeutung der Coinc idenz des ersten Furchun gsnieridianes und
des E intrittsmeridianes des Samenkörpei-s 363
1) Der Inhalt der die normalen Verhältnisse betreffenden Theile, Capitel I
und II, wurde in der anatomischen Section der Naturforscherversammlung zu Berlin,
am 23. Sept. 1886 vorgetragen.
Einleituiia;. 345
Spito
A. Nächste Ursachen der Coincidenz 364
a) Wirkung der D u r chbr ecli ungss te 1 1 e der Eirinde . . . 364
b) Wirkung der intra ovalen Bahn des Samenkürpers . . . 36r>
c) W i r k u n g d e r C o p u 1 a t i o n s r i c h t u n g d e i- CJ e s c h 1 e c h i s •
kerne 365
Mechanismus der Copulation 367
1. Penetrationsbahn 371
Kern schiebt des Eies 373
2. Copulationsbahn 376
Nächste Ursache der normalen Coincidenz des Sameneintritts-
nieridians mit dem Verlaufs- und Copulationsmeridian . . . 381
Bestimmung der ersten T heilungsebene des Eies durch die
Copulationslinie der Yorkerne 383
a) Erste Theilung des Furchungskernes 384
Kerntheilungsmechanismus: 384
„Sonderungsrichtung" und Theilungsrichtung 385
b) Erste Theilung des Dotters 388
c) Ursache der Coincidenz der K e r n - und derDotter theilungs-
flächen 389
ß. Functionelle Bedeutung der Coincidenz 390
a) für die Theilung des Furchungskernes 390
b) für die Theilung des Dotters 394
III. Beziehungen zwischen der C opul ation srichtung und der Richtung
der ersten Furche, sowie der Median ebene des Embryo bei
„Zwangslage" 396
Ergebnisse localisirter Befruchtung bei Zwangslage 399
Alterationen des Copulationsmechanismus bei Zwangslage 404
IV. Concurrenz der Wirkung der Befruchtungsseite und der künstlichen
Senkung des braunen Dotters auf die Bestimmung der caudalen Seite
des Embryo . 407
Ursache der Bestimmung der caudalen Seite des Embryo im Ei . . 409
Ergebnisse 412
[157] Aus früher dargelegten Gründen habe ich die speciellen ent-
wickehuigs-mechanischeu Untersuchungen des Embryo mit der Er-
mittelung der Ursa'chen der allgemeinsten Gestaltungen des Wirbel-
thierkörpers begonnen, indem ich die Richtungsursachen der Haupt-
dimensionen desselben zu erforschen mich bestrebte [s. S. 96].
Da die Entwickelung des Wirbelthieres aus dem Ei eine Folge
von Vorgängen darstellt, in welchen erst relativ spät die Richtungen
des Embryo durch die Anlage der speciellen Organe erkennbar wer-
346 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
I
den, so mnsste, nm mit Aussicht auf Erfolg nach den Ursachen
suchen zai können, zunächst diejenige Phase der Eutwickelung er-
mittelt werden, in der die wirkliche Bestimmung dieser Richtungen
sich vollzieht. Meine Untersuchungen beziehen sich zunächst blos
auf die Eutwickelung des Froschembryo.
Schon von Baer war festgestellt worden, dass in der Zu- [138]
sammensetzung des unbefruchteten Froscheies aus einem pigmentirten,
unter natürlichen Befruchtungsverhältnissen des Eies nach oben sich
einstellenden Pole (s. Hemisphäre) und einem weissen, nach unten
gewendeten Pole eine Richtung des künftigen Embryo normirt ist,
und zwar angeblich derart, dass die Verbindungslinie der Mittel-
puncte dieser beiden Pole, die sogenannte ,,Eiaxe", in ihrer Richtung
vom dunklen zum hellen Theile die dorsiventrale Richtung des Em-
bryo kennzeichnet.
Diese letztere Angabe ist indessen nicht richtig, sondern die
Eiaxe entspricht in der Richtung vom schwarzen zum weissen Pole
entweder einer cephalocaudalen, oder, umgekehrt als Baer annahm,
einer ventridorsalen Richtung des Embryo. Ersteres, sofern
man berücksichtigt, dass die Lage des ,, sichtbaren" Embryo unter
partiellen aber grossen, während der Gastrulation vor sich gehenden,
Materialumlagerungen ^) hervorgebracht wird, und wenn man dabei
die ursprünglichen Materiallagerungen als Norm für die Bezeichnung
der Lagerungsbezeichnung des künftigen Embryo auf das unbefruchtete
Ei annimmt, was entwickelungsmechanisch natürlich das einzige
Richtige ist.
Vernachlässigt man dagegen diese Materialverschiebungen, so
wird man aus der Thatsache, dass bei der „natürlichen" Einstel-
lung des Eies mit dem weissen Pole nach unten, aber
bei Fixation, welche jede spätere Umdrehung des Eies in toto
[1) Diese Materialumlagerungen sind aber in der hier vorliegenden Abhand-
lung auf Grund der Angaben 0. Hertwig's, als in cephalocaudaler Richtung
erfolgend, angenommen worden. Da sich diese Angaben bei meinen weiteren, in
Nr. 23 mitgetheilten Versuchen nicht als richtig erwiesen, so ist die hier gegebene Be-
zeichnung der Lage des virtuellen Embryo auch entsprechend unrichtig. Die von mir
auf eigene Beobachtungen gegründete Bezeichnung der Lage des reellen Embryo ist
dagegen richtig, weshalb ich sie jetzt im Druck besonders hervorgehoben habe.]
Einleitung. 347
verhindert^) das Medullarrohr in ganzer Länge auf der
ursprünglich weissen Unterseite des Eies gebildet
[') Ich hatte angenommen, Pflüokr habe schon diesen einfachsten, das Ei
am wenigsten in abnormale Verhältnisse bringenden Versuch gemacht
und hatte ihn daher nicht weiter geschildert. Pfi.ikjer hat jedoch, wie ich später fand,
blos au von Anfang an in abnorme Stellung gebrachten und durch Zwangslage
darin erhaltenen Eiern beobachtet, dass das Rückenmark auf der Unterseite des Eies
liegt (Abhandlung 11, S. 60) und daraus (NB. unzutreffend) geschlossen, dass es aus
der Substanz der weissen Hemisphäre entstehe (Abh. U, S. 47).
Da Pflüger's Eier also vom Beginne der Entwickelung an in sehr abnormen
Verhältnissen sich befanden, so ist der von Schultze erhobene Einwand (s. Nr. 23,
S. 701 Anm.), dass diese abnormen Verhältnisse auch abnorme Entwickelungsweise,
abnorme Lage des reellen Embryo zum Eie hervorgebracht hätten, nicht ohne Weitei-es
als unberechtigt zu bezeichnen.
Dieser Einwand trifft aber nicht zubeidem hiervon mir erwähnten
Versuche, bei welchem die Eiaxe von Anfang an in normaler Stellung sich be-
fand und erst die beim Beginne der Gastrulation eintretende Drehung des Eies ver-
hindert wurde, da hier der Zwang erst zu wirken anfing, nachdem das Ei
klein gefurcht, also unter normalen Verhältnissen in sehr viele Zellen zerlegt
worden war.
Dieser Versuch wird am einfachsten so angestellt, dass man einen Haufen Eier
wie gewöhnlich in reichliche Samenflüssigkeit wirft und erst nach mehreren, 3 bis
6 Stunden, also lauge nachdem die Eier sich selber normal eingestellt haben, die
Flüssigkeit abgiesst (damit die Hüllen für unseren weiteren Zweck nicht zu sehr
quellen). Darauf lässt man die Schalen so lange (mehrere Stunden) offen stehen, bis
die Hüllen genügend eingetrocknet sind, um die späteren Drehungen der Eier zu ver-
hindern. Den nöthigen Grad dieses Eintrocknens kann man nur durch eigene Erfahrung
an Eiern in Probeschalen ermitteln, die man umdreht und sieht, ob die stets mit ihren
Hüllen am Boden fest angesaugten Eier sich noch innerhalb dieser Hüllen drehen.
Zuerst wandte ich eine umständlichere und schon von Anfang an leicht mit
etwas (wenn auch für das Resultat de facto unerheblichem) Zwang verbundene, ge-
legentlich eines kritischen Referates (biolog. Centralbl. 1888. S. 408j mitgetheilte
Methode an, die ich nebst der Schilderung des Verlaufes des Versuches hier gleich-
falls folgen lassen will: „Ich setzte die einzelnen Froscheier (von Bana fiisca und
-ß. esculenta) mit der Lanzette in normaler Weise, d. h. mit der Mitte der weissen
Hemisphäre gegen den ebenen Boden der Glasschale auf, befruchtete sie mit so wenig
Samenflüssigkeit, dass die Eier durch ungenügende Quelluug ihrer Gallerthülle der
Möglichkeit beraubt waren, sich innerhalb dieser Hülle zudrehen. Wahrschein-
lich nimmt die Gallerthülle bei dem Mangel äusserer Flüssigkeit
'das während de» Befruchtung vom Ei ausgeschiedene Perivitellin
auf und presst daher, wie im unbefruchteten Zustande, die Oberfläche des Eies, so
dass es sich nicht in derselben drehen kann. Die Gallerthülle ist ihrerseits bei diesem
Versuche fest mit dem Boden der Glasschale verklebt ; und man kann sich nach
Ablauf der ersten 5 Furchungen, ohne den Versuch zu stören, durch Umdrehen oder
sonstige Stellungsänderung der Schale jederzeit überzeugen, dass das Ei auch im
Laufe von einigen Stunden seine Stellung zu dem Boden des Gefässes nicht zu ver-
ändern vermag, dass es also an jeder Drehung innerhalb der Hülle verhindert ist."
„An diesen Eiern kann man dann, je nach der Temperatur des Raumes, nach
348 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrlchtung.
wird, folgern, dass die Axe des Frosclieies in der Richtung; von
oben nacli unten der ventridorsalen Richtung: des Embryo entspricht.
ein bis zwei Tagen, beobachten, dass der Urmund, wie auch sonst, dicht unterhalb des
Eiäquators angelegt wird, indem ein zuerst ganz schmaler, dann breiterer, hyper-
bolisch gestalteter uud weiterhin hufeisenförmiger, schwarzer Saum entsteht;
ferner, dass dieser schwarze Saum mehr und mehr nach unten auf die weisse Hemisphäre
übergreift, dann durch Vereinigung der seitlichen Enden seiner Schenkel zu einem
Anfangs weiten schwarzen Ringe sich zusammenschliesst, welcher mehr auf der der
Anlagestelle des ürmundes entgegengesetzten Hälfte der Unterseite des Eies sich
befindet und innerhalb dessen der noch nicht „bedeckte" Rest der weissen Hemi-
sphäre (der Dotterpfropf) sichtbar ist. Dieser Ring verengt sich mehr und mehr von
der Seite der ersten Urmundsanlage her, so dass schliesslich blos ein kleines Loch
übrig bleibt, welches der Stelle der ersten Urmundsanlage fast entgegengesetzt situirt
ist. Das von Pflüger gebrauchte und von anderen Autoren citirte Bild, dass der
Urmund durch die weisse Unterseite des Eies „wie ein Schiff durch
das Wasser" geht, ist daher kein glückliches und hat wohl mit Veranlass-
ung zu einer missverständlichen Auffassung gegeben."
,,In dieser so gebildeten, an ihrer Aussenfläche schwarzen „Dorsalplatte".
welche gegen den Boden des Gefässes gewendet ist und auf dem Durchschnitt sich
zunächst nur als aus einer äussern und einer Innern Schicht gebildet erweist, ent-
stehen dann die beiden MeduUarwülste in ihrer ganzen Länge und sind stets so
orientirt, dass der quere Gehirnwulst etwa der Stelle der „ersten" Anlage
des Urmundsaumes entspricht, während das hintere Ende der MeduUarwülste
neben der Stelle des letzten Restes des Ürmundes gelegen ist."
„Ich schloss aus diesem Befund, dass das Material des MeduUarrohres, sowie
überhaupt der dorsalen Hälfte des Embryo über die weisse Unterseite des Eies von
üben herabgeschoben wird und dass dabei der Urmund in cephalocaudaler Richtung
verlagert und von den beiden Seiten her verengt wird."
„Bei dieser Versuchsanordnung, verbunden mit sorgfältiger, oft wiederholter,
auch nächtlicher Beobachtung ist eine Täuschung nicht möglich; und durch zu starke
Quellung der Gallerthülle bedingte Drehungen des ganzen Eies können dem aufmerk-
samen und mit dem Cyklus der Erscheinungen schon vertrauten Beobachter nicht
entgehen."
„Vielleicht aber kann es der üeberlegimg bedürfen, zu verstehen, warum das
Ei in seiner Hülle nicht „drehbar" ist, gleichwohl aber die geschilderten Material-
uralagerungen an seiner Oberüäche vollziehen kann. Die Erklärung ist indess nicht
schwer. Bei einer Drehung des Eies müssen alle Puncto der Oberfläche des Eies,
mit Ausnahme der beiden Axenpuncte der Drehung, sich zugleich und in der
gleichen Richtung gegen die anliegende Innenfläche der Gallerthülle verschieben ;
und dazu sind eben, wie die Probe zeigt, bei genügender Verhinderung der Quellung
die Widerstände zu gross. Bei dem Herabwachsen des Materials der Dorsalplatte
dagegen findet immer blos an einem Theil der Oberfläche Materialverschiebuug
statt, indem zugleich die im Wege liegenden Dotterzellen (activ oder passiv?) den
Platz räumen, um nach oben zu treten und die Furchungshöhle entsprechend zu
verengen."
„Hat man aber ein wenig zu viel Wasser zugesetzt, so sieht man während der
zweiten Hälfte der Gastrulation das Ei sich mit dem Urmund nach der Seite der
I
Einleitung. 349
Erstere Bezeichnung drückt also die Lagerung des „virtuellen",
letztere Bezeichnung die Lage des „reellen" P^mbryo zur Axe
des „unbefruchteten" Eies aus. Obgleich nun die erstere Be-
zeichnungsweise, entwickelungs-mechanisch gesprochen, die richtigere
wäre und ich dieselbe aus diesem Grunde bereits eingeführt habe
(Nr. 18 und 20), so sehe ich mich doch in Folge der zur Zeit noch
herrschenden, an die äusseren Formen anknüpfenden Vorstellungs-
weise veranlasst, in Zukunft, wenn nicht [159J ausdrücklich anders
bemerkt ist, wenigstens eine „Mittelbezeichnung" zu gebrauchen,
wonach die Axe des unbefruchteten Froscheies in ihrer
Richtung vom ,, schwarzen zum weissen Pol" einer Rich-
tung des Embryo vom ,,ventricephalen zum dorsicaudalen"
Theile entspricht^).
Aus den früher von mir beobachteten und mitgetheilten Varia-
tionen (s. S. 257) in der Einstellung der Axe des ,, befruchteten"
Eies geht bei der stets senkrechten Stellung der Furchun'gsaxe hervor,
dass die Stellung des Embryo zur Axe des ,, unbefruchteten"
Eies überhaupt eine etwas variable ist. Eine festere, wenn
auch vielleicht durch Erhaltung des Eies „in künstlicher
Schiefstellung noch ein ivenig zu variirenäe^' Besiehung
besteht ztvischen der Lage des Emhryo und der „Furchungs-
axe^^ des Eies, welche letztere, wie ich gezeigt habe, bei Rana es-
culenta erst während der Befruchtung in ihrer Lage zur Eiaxe
kenntlich wird.
,,Eine" Richtung des Embrvo ist also schon annähernd
ersten Urmund sanlage drehen und so den bereits gebildeten Theil der Dor-
salplatte des Embryo successive nach oben bringen. Es ist also im Eie eine
Tendenz zu einer Drehung vorhanden, aber nicht derart, dass es sich mit der Ober-
seite nach u,nten dreht, wie 0. Schültze zur Entwerthung meines Versuches an-
nimmt, sondern im G^egentheil zu einer Drehung, welche die unten angelegten Theile
nach oben wendet und so die umgekehrte Täuschung hervorbringt: diejenige Täusch-
ung, auf der die Angaben sämmtlicher früheren Autoren beruhen. Diese Drehung
hat schon Pflüger bei Bomhinatur igneus beobachtet; doch scheint sie nach seinen
Angaben hier erst nach dem Ende der Gastrulation vor sich zu gehen."]
[1) Diese .,C ompromissbezeichnung " wäre besser unterblieben,
da sie die bereits bezüglich des ^.reellen" Embiyo von mir gewonnene richtige Vorstel-
lung nur erschwert. Sie wurde daher später auch wieder ausser Gebrauch gelassen.
Ich glaubte aber, sie beim Wiederabdruck dieser Abhandlung nicht entfernen zu dürfen.]
350 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
durch die Gestaltung des unbefruchteten Eies gegeben, und zu-
gleich ist auch schon über die Qualität der beiden Seiten dieser
Richtung entschieden.
Danach fehlt zur vollkommenen Bestimmung der Lage des
Embryo im Ei blos noch eine weitere Richtungsbestimmung und die
Entscheidung über die Qualität zweier Puncte dieser Richtung. Durch
die Ei- resp. Furclmngsaxe lassen sich in unendlich vielen Richtungen
Meridianebenen legen.
Es war nun die Frage, in welche dieser unendlich vielen
Richtungen die Medianebene des Embryo zu liegen kommt,
und welche von beiden Hälften dieser Medianebene zur
ventricaudalen, resp. dorsicephalen Seite des Embryo
wird; ferner wann und wodurch diese Bestimmungen ge-
troffen werden^).
[Wie früher (S. 300) bemerkt, könnte gerade diese erste Rich-
tung als die Anfangsrichtung in ihrer eigenen Bestimmung
am meisten variabel und von zufälligen Nebenumständen ab-
hängig sein.] Daselbst habe ich Versuche mitgetheilt, aus welchen
bezüglich des Zeitlichen dieser Bestimmungen hervorgeht, dass
gleichfalls erst während der Befruchtung das Ei der Rana esculenta
diejenige Schiefstellung der Eiaxe annimmt, d. h. diejenige innere
Anordnung der ungleich schweren Eitheile ausbildet, mit welcher
über die künftige Richtung der Medianebene des Embryo und über
die Qualität ihrer Theile die Entscheidung getroffen ist, indem stets
diejenige Seite des Eies, wo die weisse Hemisphäre am höchsten
heraufreicht und gewöhnlich schon von oben sichtbar ist, zur dorsi-
cephalen, die entgegengesetzte zur ventricaudalen Seite des Embrj^o
wird. Die erste Furchungsebene theilt diese obere Ansicht des Eies
von [160] Rana esculenta symmetrisch und stellt zugleich 'die Median-
ebene des Embrvo selber dar 2)^). Das Letztere gilt in gleicherweise
[1) Versuche über die Wirkung des electrischen Stromes auf die Richtung der
ersten Furcbung, sowie auf die Besamungs- und Copulationsrichtung siehe Nr. 25.
S. 37, 52 und 63.]
2) Dem erneuten Widerspruche Rauber's (Zool. Anzeiger 1886. S. 158) gegen
diese von mir und gleich darauf von Pflüger festgestellte Thatsache kommt eine
sachliche Bedeutung nicht zu. Ich habe die Fehlerquellen der Versuche dieses Autors
Einleitung. 351
auch für Rana fusca, wo iiidess die Eiaxe sich gewühiihcli senkrecht
einstellt und daher nicht durch eine Hoherstellung der weissen Hemi-
sphäre auf einer Seite verräth, ob zur Zeit der ersten Furche bereits
die Entscheidung über die dorsicephale und ventricaudale Seite ge-
troffen ist. Gleichwohl glaubte ich, die Erfahrung an Rana esculenta
auch auf diese Species übertragen zu dürfen, da ich wenigstens fest-
steilen konnte, dass auch die Eier der Rana fusca ihre definitive Ein-
stellung erst während der Befruchtung gewinnen. Die weiteren Aus-
führungen werden zeigen, dass diese Annahme berechtigt war.
Damit war die Zeit dieser zweiten Bestimmung der Median-
ebene auf die Befruchtungsperiode oder auf das unbefruchtete Ei be-
schränkt. Nunmehr erschien es möghch, die Entscheidung über diese
Alternative zugleich mit der Ermittelung der speciellen Ursache zu
gewinnen. Wenn die Bestimmung erst während der Befruchtung
getroffen wird, so lag die V^ermuthung nahe, dass die Bestimmung
auch an den Vorgang der Befruchtung selber geknüpft sei. Da die
Copulation der beiden Kerne der wesentlichste bis jetzt erkannte
morphologische Vorgang der Befruchtung ist und sich schliesslich
wenigstens in einer bestimmten Richtung vollziehen muss; und da
ferner die erste Theilung mit der Theilung des durch diese Copulation
entstandenen Furchungskernes beginnt, so schien mir die Vermuthung
bereits früher genügend angegeben (S. 329), und aus den weiteren Ausführungen
dieser Abhandlung ist zu ersehen, dass ich im Stande bin, seine Resultate nach
Belieben zu erzeugen. Räuber hat entweder die Technik, p]ier ganz zwang-
los aufzusetzen, noch nicht ei-lernt, oder, trotz meiner Warnung, pathologische Eier
vom Ende der Laichperiode zur beabsichtigten Feststellung des normalen Verhaltens
verwendet.
[3) Da beim Vorhandensein einer sogenannten Brechungsfurche (s. Nr. 28,
S. 667), welche stets erst bei der Bildung der zweiten Furche aus der ersten
Furche hervorgeht, der mittlere Theil derselben am weitesten von der ursprüng-
lichen Richtung der ^rsten Furche abweicht, so ist es nach der Krkenntniss der
wichtigen Bedeutung dieser ersten Furche ein directer Fehler, wenn die gegen-
wärtigen Autoren, noch dem Beispiel Coste's folgend, in ihren Abbildungen die
Eier so situiren, dass das Mittelstück der Brechungsfurche mit der
alleinigen ersten Furche einer anderen Abbildung die gleiche Richtung
erhält (so z. B. in 0. Hertwig's Lehrb. d. Entwickelungsgesch. 4. Aufl. 1893.
S. 65). Der geringste Fehler wird gemacht, wenn man die gebrochene erste Furche
mit der geraden Verbindungslinie ihrer beiden Enden zu der noch allein vorhandenen
ersten Furche parallel stellt.]
352 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
der Prüfung werth , dass die Copulationsrichtung selber das Moment
für die Bestimmung der ersten Theilungsrichtung und damit der
Richtung der Medianebene des Embryo sei [s. S. 121]. In diesem
Falle erschien es auch möglich , dass diese wichtige Bestimmung bei
allen durch Befruchtung erzeugten, bilateral-symmetrischen Wesen
[161] durch dieselbe Ursache getroffen werde. Die Entscheidung
über die also motivirte Frage suchte ich durch künstliche locali-
sirte Befruchtung der Froscheier, d. h. durch Befruchtung jedes
Eies von einem beliebig von mir gewählten Meridian aus zu
gewinnen ') und Seite 301 habe ich bereits das erste vorläufige Er-
gebniss in einer Anmerkung mitgetheilt: „Die erste Furche und
mit ihr die Medianebene des Embryo ging bei senkrecht stehender
Eiaxe (von Rana fusca) in 50 von 66 Fällen durch die von mir ge-
wählte Eintrittsstelle des Samens in das Ei, und die Seite dieser Ein-
trittsstelle wurde in 10 von 11 Fällen zu immer derselben, nämlich
ventralen [richtiger caudalen (s. S. 346 Anm.)] Seite des Embryo".
Die genauere Bedeutung dieses Ergebnisses ist folgende. Der
Raum, den ich bei dem immerhin groben Vorgange der localisirten
Befruchtung des Eies als Eintrittsstelle des Samens ansehen musste,
umfasste etwa 20 — 30*^ der Eiperipherie; und in diesem kleinen, von
mir frei gewählten Bezirk lag also bei 75°/o der Eier die eine Seite der
ersten Furche, während diese Furche nur bei 25 ^/o der Eier in die
Strecke der übrigen 150 '^ der halben Peripherie zu liegen kam. Dieses
günstige Verhäitniss wird noch dadurch gesteigert, dass in 10 von
11 Fällen, also in 90*^/o, diese Stehe zugleich eine bestimmte Qualität
in Bezug auf den künftigen Embryo besass, so dass, wenn man dies
Verhalten auf die ganzen 66 Eier ausdehnt, die 75°/o Treffer auf
die 30*^ der Befruchtungsstelle gegenüber zu stellen sind den
25°/o Abweichungen auf die übrigen 330° der ganzen Ei-
peripherie.
Trotz dieser günstigen Zahlen glaubte ich doch das Resultat
I
[1) Da das Froschei normaler Weise blos von einem einzigen Samenthier be-
fruchtet wird, seist seine normale Befruchtung immer eine localisirte, das heisst
auf eine einzige Stelle des betreffenden Eies beschränkte. Bei der künstlichen
localisirten Befruchtung aber wird diese Stelle von uns bestimmt.]
Einleitung. 353
ntx-b nicht als vullkonimen gesichert anselien zu dürfen, und zwar
aul" Grund eines Einwandes, den ich mir zu niachrn iüv nöthig hielt.
Die üGEier, welche sich entwickelten, repräsentirten
nämlich blos etwa den sechsten Theil aller derjenigen
Eier, welche ich locahsirt zu befruchten versucht hatte. Fünf Sechstel
der Eier hatten sich nicht entwickelt. Es Avar daher die Annahme
nicht von der Hand zu weisen, dass nur diejenigen Eier sich
entwickelt hätten, in denen ich bei der localisirten Be-
fruchtung zufällig in die Gegend der eventuellen prä-
formirten Sameneintrittsstelle gekommen war; und dies
war um so eher möglich, als ich bei diesen Versuchen mich stets
zugleich bestrebt hatte, eventuell an andere Stellen gekommenen
Samen durch Berührung mit einer geeigneten Flüssigkeit seiner Be-
fruchtungsfähigkeit zu berauben. Denn wenn [162] auch am Froschei
keine besonders gestaltete Microphyle wahrnehmbar ist, und wenn
auch VAN Bambeke und Borx den Samenkorper bei verschiedenen
Eiern in sehr verschiedener Höhe zwischen der Mitte der schwarzen
Hemisphäre und dem äquatorialen Rande derselben eingedrungen
fanden, so folgt daraus doch noch nicht, dass nicht für jedes Ei eine
besondere Eintrittsstelle vorgebildet sei. Da diese Autoren nicht an-
zugeben in der Lage waren, aus welchem. Grunde der Samenkörper
in verschiedener Höhe eingedrungen war, so könnte man diese That-
Sache gerade in dem Sinne des Bestehens einer bestimmten Eintritts-
stelle verwerthen. Ist aber jedes Ei mit einer bestimmten Eintritts-
stelle versehen und geht die erste Furche stets durch diese Stelle,
so vermögen wir nicht zu beurtheilen, ob dieses letztere Verhältniss
durch die Copulationsrichtung oder nicht durch eine unsichtbare An-
ordnung verschieden beschaffener aber gleich aussehender Eitheile
schon vor der Befruchtung bedingt ist.
Auch die oben (S. 295) angeführte Beobachtung, dass beiRanaescu-
lenta erst während der Befruchtung die bleibende und für die Lage
der Furchungsaxe sowie des Embryo zur Eiaxe bestimmende ,, Ein-
stellung" des Eies hergestellt wird, giebt noch keine Sicher-
heit dafür, dass auch die „Bestimmung" derselben erst
während der Befruchtung und durch dieselbe getroffen
W. Roux, Gesammelte Abhandlungeju. II. "^ö
354 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
wird; denn diese Einstellung könnte schon am unbefruchteten
Ei ,, virtuell" normirt sein und durch den Befruchtungsvorgang
nur erst reell geworden sein; eine Art des Verhaltens, für welche
die gleichfalls schon erwähnte Thatsache angeführt werden kann, dass
schwimmende unbefruchtete Eier der Rana fusca sich alle in sehr
verschiedener Weise schief einstellen, während der Befruchtung aber
die senkrechte Einstellung annehmen, das heisst ihre ungleich schweren
Dottertheile derart umordnen, dass der Schwerpunct unter die INIitte
der schwarzen Hemisphäre verlegt wird, also eine typische Bezieh-
ung zu einer schon am unl^efruchteten Ei gegebenen Gestaltung ge-
winnt (s. S. 296).
Um also jeden Einwand gegen eine latente bilaterale
Construction des Froscheies zu beseitigen, mussten so
günstige Versuchsresultate mit der localisirten Befruchtung ge-
wonnen werden, dass von einer stattgehabten ,, Auslese"
keine Rede mehr sein kann.
I. Neue Versuche mit küustlicli localisirter Befruclitung bei „uor-
maler" Stelhiug der Eier.
In diesem Frühjahr (1886) ist es mir nun gelungen, die Me-
thode der localisirten Befruchtung in dem Maasse zu vervollkommnen,
dass sich von je 12 Eiern einer Versuchsreihe mindestens 9,
[163] manchmal 10 oder 11 entwickelten, so dass also die
Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Treffens der even-
tuellen präformirten Eintrittsstelle nicht mehr existirt.
Dabei war die Zahl der Treffer unter diesen sich entwickelnden Eiern
zum Theil dieselbe, zum Theil eine noch höhere, als im vorigen
Jahre, indem einige Male von 11 Eiern bei 10 die erste
Furche durch die frei von mir gewählte Sameneintritts-
stelle hindurchging.
Zugleich gelang es mir in diesem Jahr auch zum ersten Mal, die
künstliche localisirte Befruchtung bei ,,Rana esculenta" mit Erfolg
auszuführen und dabei zu beobachten, dass die dieser Species eigene
typische Schiefstellung der Eiaxe , d. h. die 20 — 30" be-
tragende Senkung der schwarzen Hemisphäre stets nach
I. Neue Versuche mit künstlich localisirter Befruchtung etc. 355
der Seite der Samencint rit tsstel 1 c hin erfolgte'). Da die
Seite dieser Senkung stets zur vent ricaudal en [richtiger
[1) Weiterhin fand ich (Biolog. Centralblatt 1888, Bd. VIII, S. 405), „dass bei
Kana fusca kurze Zeit vor der Furchung auf der der „ Befruchtungsseite"
gegenüberliegenden Seite der schwarzen Hemisphäre eine Pigment-
wanderung vor sich geht, welche daselbst eine Aufhellung in Form
eines halbmondförmigen hellgrauen Saumes hervor bringt. Da dieser
helle Saum unmittelbar an die senkrecht nach unten gerichtete, weisse Hemisphäre
anstösst, so wird jemand, der die Eier vorher nicht gesehen hat, ihn leicht mit zu
dieser rechnen und annehmen, das Ei habe sich entsprechend gedreht, während
jedoch die Eiaxe dabei senkrecht stehen geblieben ist, Avie man bei genauem Zusehen
leicht daran erkennen kann, dass eben die wirklich weisse Hemisphäre noch rein
nach unten gewendet ist. Wer die Eier vorher gesehen hat, dem wird es auch nicht
entgehen können, dass die weisse Hemisphäre, wenn man diesen veränderten Theil
der schwarzen mit dazu rechnen wollte, oft auf das Doppelte und darüber hinaus
vergrössert worden wäre."
„Bei den an Pigment ärmern Eiern von Eana esculenta sind diese Verhältnisse
viel schwerer, sogar sehr schwer zu beurtheilen; doch ist es mir in diesem Jahre,
gegen das Ende der Laichperiode, zu welcher Zeit das Pigment viel
beweglicher wird, indem die Samenflecke sehr gross und deutlich
werden und sogar typische concentrische Liniensysteme nicht selten
auftreten, gelungen, an mehreren Eiern von Rana esculenta auch die erwähnten
der Eana fusca entsprechenden Pigmentwanderungen sicher zu beobachten. Ich ver-
mag danach jedoch nicht zu sagen, ob die bei letzterer Species typische hochgradige
Schiefstellung der Hemisphären, welche sich, wie ich gezeigt habe, nach der
Befruchtung ausbildet und die braune Hemisphäre stets nach der Befruch-
tungsseite senkt, blos eine scheinbare ist und durch solche Pigmentwanderung,
nicht aber durch Drehung und Schiefstellung der Eiaxe bedingt ist,"
Ein Autor, 0, Schultze, hatte (Biolog, Centralbl 1888, Bd. VII, Nr. 19) die
Angabe gemacht, die erste Furche und dementsprechend die Medianebene des Embryo
liefe in den meisten Fällen durch die Stelle, an welcher das Keimbläschen verschwunden
ist, und hatte behauptet, „derjenige Punct des Pigmentrandes sive Aequators, welcher
dem verschwindenden Keimbläschen am nächsten liegt, bezeichnete die Stelle der An-
lage des Urmundes". Alle Richtungen des Embryo wären daher schon am
unbefruchteten Eie bestimmt. 0. Hertwig rechnet (Einfluss der Schwerkraft,
1884, S. 22) schon vor Schultze mit der Möglichkeit, „dass die Austrittsstelle der
Richtungskörper die Bildung der ersten Theilungsebene des Eies beeinflusst. "
Darauf habe ich unter Hinweis auf die vorstehend und in Nr. 20 mitgetheilten
Versuche noch Folg^pdes erwähnt (Biolog. Centralbl. 1888 Bd. VIII, S. 401):
„Ich habe schon vor fünf Jahren dieses Lageverhältniss der ersten Furche
zur „Fovea germinativa" beachtet und mich dabei bald überzeugt, dass eine ur-
sächliche Beziehung, welche den Meridian der Furchungsebene bestimmt, darinnen
nicht besteht. Diese Fovea germinativa stellt bei Rana esculenta einen hellen
runden Fleck von ziemlich beträchtlicher Grösse, nämlich von ein Fünftel bis
ein Drittel der Grösse des Radius des ganzen Eies dar, und ist meist derart ge-
lagert, dass sie mit einem Puncte ihrer Fläche am obern „Pole" d. h. in der Mitte
der braunen Hemisphäre, also am obern Ende der „Eiaxe" gelagert ist. Da die erste
23*
356 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
caudalenj Seite des Emb ry o wird, so ist damit zugleich die ent-
sprechende vorjährige Beobachtung an Rana fusca nun auch für Rana
esculenta gewonnen worden. An Rana fusca konnte ich sie in diesem
Jahre nicht des Weiteren feststellen, da ich genöthigt worden bin, meine
Versuche in hygienisch so ungünstigen Räumen der Ana-
tomie anzustellen, dass fast alle Eier schon nach zwei
Tagen durch Verschimmelung abstarben^).
Auf Grund der mitgetheilten Versuche können jetzt mit Sicher-
heit die folgenden Thesen aufgestellt werden :
1. Das Ei der Rana fusca und esculenta, ,,kann" -)
von jedem beliebigen Meridian aus befruchtet werden.
Furche durch die Eiaxe geht, wird sie alsdann natürlich hei jeder Stellung in einem
der unendlich vielen, durch diese Linie legbaren Meridiane immer diesen Fleck
schneiden ; die Lage dieses letzteren ist also nicht im Stande, einen Meridian zu be-
stimmen. Dies wäre blos möglich, wenn die erste Furche durch die Mitte dieses
grossen Fleckes ginge; man sieht aber ohne Mühe, dass dies nicht der Fall ist,
sondern dass die erste Furche diesen Fleck an beliebigen Stellen, selten in der Mitte,
durchschneidet.
Wenn der Fleck stärker excentrisch gelagert ist, dann wäre noch bessere
Gelegenheit gegeben, durch ihn den ersten Furchungsmeridian zu bestimmen.
Jedoch nur relativ selten durchschneidet dann die erste Furche diesen Fleck und geht
nur selten einmal durch die Mitte desselben ; und wenn nach Bildung der zweiten Furche
(wie es bei Rana esculenta gewöhnlich der Fall ist) der Fleck noch sichtbar ist, so kann
man von der Kreuzungsstelle beider Furchen aus leicht den Winkel bestimmen, den der
erste Furchungsmeridian mit einem eventuellen Furchungsmeridum, der durch die
Mitte der Fovea germinativa ginge, machen würde; derselbe beträgt häufig über 45'^
und selbst 80—90° ist nicht selten. Es ist also klar, dass der Meridian der
Furchungsebene „nicht" durch die Lage der Fovea germinativa be-
stimmt wird."]
1 ) Dies ist auch zugleich der Grund, warum ich meine Versuche über die E n t-
wickelung angestochener Eier und über die besondere Entwickelung der
dabei entstehenden Extraovate vorläufig nicht mit Erfolg habe fortsetzen
können.
[-) Daraus folgt noch nicht, dass von allen Meridianen die Befruchtung gleich
leicht möglich ist; „denn es ist ja möglich, dass jedes Ei vielleicht eine Stelle hat,
wo die Eirinde etwas weniger fest und so etwas leichter durchdringlich für den
Samenkörper ist, so dass bei gewöhnlicher allseitiger Besamung von etwaigen gleich-
zeitig an der Eioberfläche angekommenen Samenkörpern der an dieser Stelle befind-
liche zuerst eindringt und die Befruchtung bewirkt. Dass hierin aber ein typisches
Verhalten nicht vorliegt, bekundet sich wohl darin, dass auch bei Eiern, welche
mit viel Samenflüssigkeit umgeben sind, auf den Schnitten die Sanienkörper in sehr
verschiedener Höhe, in sehr verschiedenem Abstände vom Eiäquator eingedrungen
sich zeigen. Danach hat schon das Vorhanden.sein „einer für normale Verhältnisse
I. Neue Versuche mit künstlich localisirter Befruchtung etc. 357
2. Bei Eiern von Rana i'usea und esenlenta, welche
keinem äusseren Zwang unterworfen sind, wird die Rich-
tung der ersten Furche und der Medianebene des Embryo
durch die beliebig gewählte Lage der Sameneintritts-
stelle bestimmt; [beide Ebenen liegen in der durch die Ein-
trittsstelle des befruchtenden Samenkörpers bezeichneten verticalen
Meridianebene des Eies, in dem ,, Befruchtungsmeridian".]
3. Die vSeite der Eintrittsstelle des Samenkörpers
in das Ei, die „Befruchtungsseite" des Eies^), wird (bei
normaler Stellung der Eiaxe) zur ventricaudalen^) Seite des
Embryo, (lieber die Ursache dieses Verhaltens, sowie über das
Verhalten bei Zwangslage, siehe Nr. 21, Seite 205).
Um die Ursache der auch bei den diesjährigen Versuchen
noch vorgekommenen, wenn auch spärlichen, blos 10 — Ib^l^ be-
tragenden Abweichungen zu ermitteln , habe ich alle diese Eier
sofort nach dem Auftreten der ersten Furche durch Erhitzen auf
80*^ C. getödtet und theils frisch mit dem Gefriermicrotom, theils [164]
erst später nach der Härtung in Alkohol parallel der Furchungsebene
geschnitten. Die Aussicht, auf diese Weise noch etwas über die
präformirten Sameneintrittsstelle, die in freier Natur stets gewählt werden würde ",
wenig Wahrscheinlichkeit für sich : denn dann Avürde sie wohl eine typische Lagerung
haben und auch durch eine typische Gestaltung dieser Stelle wie bei andern Eiern
ausgezeichnet sein, wovon indess gleichfalls am Froschei nichts auffindbar ist. Wenn
aber auch eine Prädilectionsstelle der Befruchtung vorhanden wäre, so würde das
nach meinem Befunde, dass das Ei von jedem Meridian aus zu normaler Entwicke-
lung befruchtet werden „kann", nur von ganz untergeordneter Bedeutung
sein. Und das Grleiche gilt natürlich von der Bestimmung der Medianebene des
Embryo durch die Copulationsrichtung. Da die Medianebene des Embryo selbst bei
von uns frei gewähltem Befruchtungsmeridian durch diesen bestimmt wird, so
wird dies um so wahrscheinlicher für die normalen Verhältnisse."
„Zudem habe ich letztere Thatsache auch als für die normalen Verhält-
nisse gilt ig bewiesen (S. 358), indem ich mit viel Samenflüssigkeit befruchtete
und mit überschüssigem Wasser versetzte Eier nach dem Auftreten der ersten Furche
tödtete und parallel derselben schnitt; wonach sich die Sameneintrittsstelle wie der
Samenschweif in der Furchungsebene gelegen fand." (Biolog. Centralblatt, 1888,
Bd. VIII, S. 406.)
[1) Im Original findet sich der Ausdruck „Befruchtungsseite" zuerst auf
Seite 204 und 208 dieser Abhandlung; es erschien mir aber zweckmässiger, ihn gleich
hier in Verwendung zu ziehen.]
[2) Richtiger , caudalen " Seite, s. S. 348, 349 Anm., Nr. 22, S. 5 u. Nr. 23, S. 701.1
358 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtuug.
Befruchtungsrichtung ermittehi zu können, gründet sich auf die Beob-
achtung Born's^), dass die zuerst von Bambeke beschriebene und in
ihrer Bedeutung erkannte Pigmentstrasse, welche der Samenkörper
im Froscheie hinter sich herzieht, oft noch zur Zeit der ersten Furche
sichtbar ist. Die Schnitte zeigen deuthch, dass die erste Furchungs-
ebene sowohl durch die Anfangsstelle der Pigmentstrasse an der Rinde,
wie auch durch den weiteren Verlauf derselben, also durch die Bahn
des Samenkörpers hindurchging, wie dies Fig. 1 auf Tafel V sche-
matisch darstellt.
Somit bildeten diese Eier keine Ausnahme von obiger Kegel 2,
sondern es ist anzunehmen, dass nur die Localisation der Befruchtung
auf die von mir vorher l)ezeichnete Stelle nicht gelungen war.
Zugleich erhalten wir mit dieser Wahrnehmung eine leicht zu hand-
habende Methode zur wenigstens partiellen Prüfung der Regel 2. Es
muss auch bei dem nicht kün.stlich localisirt, sondern in ge-
wöhnlicher Weise befruchteten (aber nicht in Zwangs-
lage gehaltenen !) Eie in dem längs der ersten Furchungs-
ebene geführten Schnitte die ,, Pigm ent Strasse" ange-
troffen werden. Da durch Regel 1 definitiv festgestellt ist, dass
der Samenkörper an jedem beliebigen Meridian eindringen kann,
so kann ein solcher Befund an nicht localisirt befruchteten Eiern
nun auch nicht gut mehr auf das Eindringen des Samens an einer
präformirten Eintrittsstelle und auf eine präformirte Coincidenz der
Lage derselben mit der Lage der ersten Theilungsebeue bezogen
werden. College Born war so liebenswürdig, 25 Eier verschiedener
Anurenspecies in der bezeichneten Richtung zu schneiden und mir
zur Benutzung zu übergeben. Ich habe dann nach seiner Methode
noch selber über 80 Eier, theils parallel der ersten Furche, theils
rechtwinkelig zu ihr geschnitten und die gehegten E r w a r t u n g e n
fanden sich in erfreulichster Weise bestätigt, soweit die
Pigmentstrasse überhaupt noch zu sehen war; letzteres ist allerdings
1) G. Born, Biologische Untersuchungen. II. Weitere Beiträge zur Bastardir-
ung zwischen den einheimischen Anuren. Archiv f. microsc. Anatomie. Bd. 27,
S. 224.
Methode der küustlicli localisirten Befruchtung der Frosclieier. 'ü59
bei (Itui wenig pigmentirten Eiern, besonders von Rana csenleiita, oft
niclit mein' der Fall.
Methode der künstlieli loealisirten Berrnclitung der
Froscheier.
[165] Znr \'ollziehung der loealisirten Befruchtung der
Froscheier verwandte ich zwei verscliiedene Methoden, deren
beider Voraussetzung die Annahme 0. Hertwicvs^) ist, dass unmittel-
bar nach dem Eindringen des ersten Samenkörpers in die Eirinde
normaler Weise Schutzmechanismen ausgelöst werden, welche das
Eindringen weiterer Samenkörper verhindern. [Da sich diese Metho-
den als geeignet erwiesen , so folgt aus diesem Ergebniss eine sichere
Bestätigung der Annahme Hertwig's.]
Bei der von mir zuerst und am meisten angewendeten Methode,
welche sich jedoch nur für Rana fusca eignete (s. S. 300), gab ich
den Samenkörpern an der beabsichtigten Befruchtungsstelle dadurch
einen Vorsprung, dass ich entweder ein wenig Samen mit einer fein aus-
gezogenen und leicht in die ( lallerthülle eingedrückten Glascanüle in die
Substanz dieser Hülle injicirte, oder besser mit einer Scheere einen
Schnitt längs eines senkrechten Meridianes in die Gallert-
hülle machte und dann der Stelle ein wenig Samen mit dem Pinsel
zusetzte. Da somit die Samenkörper an diesen Stellen einen kleineren
Weg bis zur Eioberfläche zurückzulegen hatten, mussten sie hier auch
zuerst ankommen, und das Ei also von dieser Stelle aus befruchtet
werden. Letzteres war aber blos dann zu erwarten, wenn der Samen
sich nicht in dem bei der Quellung der Hülle entstehenden Raum
zwischen der Eioberfläche und der sogenannten Dotterhaut seitlich
ausbreiten konnte. Um diese Ausbreitung zu verhindern , wurde in
den ersten 30 Minuten nach der vorgenommenen Befruchtung nur
wenig Wasser zugegeben; erst nach Ablauf dieser Zeit wurde reich-
lich Wasser zugesetzt, um die Eier aus der Zwangslage zu befreien.
Es erhellt, dass die Fehlerquellen dieser Methode derart sind,
dass sie nur A b w e i c h u n g e n von dem erwarteten Resultat
1) Morpholog. Jahrbuch. Bd. III. 1877. S. 76.
360 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtunj
bewirken, nicht aber fälschlicher A\'eise die Entstehung desselben
begünstigen können.
Die unbefruchteten Eier der Rana esculenta erwiesen sich
jedoch als so empfindlich gegen die geringsten mechanischen Ein-
wirkungen ^), dass die Befruchtung mit diesem Verfahren in keinem
[166] Falle gelaug. Daher verwandte ich für die P^ier dieser Species
eine andere Methode, Avelche zunächst auf der Ano-abe O. Hertwig's
(loco cit.) und Born's^) beruht, dass die Samenkörper immer durch
die schwarze Eiriude eindringen.
Da der üebergang von der braunen zur weissen Beschaffenheit
der Rinde ein allmählicher ist, so vermuthete ich, dass auch der Ein-
dringungswiderstand mit der Nähe der weissen Hemisphäre nur all-
mählich zunehme. Ausserdem hegte ich die Vorstellung, dass viel-
leicht in Folge der Anhäufung der feineren Dottersubstanzen unter
der Mitte der schwarzen Hemisphäre eventuelle, das Eindringen be-
günstigende Kräfte derselben um so stärker auf den Samenkörper
wirken würden , je näher letzterer der Umgebung der Mitte der
schwarzen Hemisphäre sicli befinde. Daraus ergab sich die C'onse-
quenz, dass die Leichtigkeit des Eindringens des Samenkörpers in
das Ei von der Umgebung der Mitte der schwarzen Hemisphäre gegen
den äcpiatorialen Rand derselben stetig abnehme, sodass ceteris
paribus die Befruchtung von demjenigen Meridian aus er-
folgen müsste, in welchem der Samen am nächsten der ,, Um-
gebung" der Mitte des schwarzen Poles an die Eirinde [also
am weitesten nach oben] gelangte. [Die ,, Mitte" selber dagegen
scheint sich wieder weniger zur Befruchtung zu eignen, da man auch
bei Zwangslage, wo dieselbe nicht oben steht, an ilir nur sehr selten
den Samenkörper eingedrungen findet, s. S. 370.] Ich setzte daher
1) Es illustrirt sehr die Sicherheit und S el bst regula ti o u im Ab-
laufe der Entwickelun gsme ch anism en, dass die „befruchteten" Eier
grobe Deformationen, Erschütterungen und grosse Substanzverhiste erfahren können,
ohne dass dadurch ihre Entwickelungsfähigkeit aufgehoben oder in falsche Bahnen
gelenkt wird, während bei den unbefruchteten, unthätigen Eiern der genannten
Species schon sehr geringe mechanische Einwirkungen die Entwickelungsfähigkeit
vernichten.
'-) Archiv f. microsc. Anatomie. Bd. 24. S. 522.
Methode der künstlich localisirten Befruchtung der Froscheier. 361
die Eier der Raua escnlenta senkrecht auf und legte an jedes
derselben ein Stückchen feinen Seidenfadens längs eines senk-
rechten Meridianes derart an, dass das obere Ende des Fadens noch
ein wenig von dem INIittclpmicte der schwarzen Hemisphäre entfernt
blieb und gab dann von unten her etwas Samen zu [s. auch S. 174].
"Wie aus den schon oben niitgetheilten Resultaten hervorgeht,
liat der Erfolg der Erwartung durchaus entsprochen. Der Faden muss
aber rechtzeitig, spätestens 20 Minuten nach der Befruchtung, wieder
entfernt werden, damit er nicht, bei der Abnahme der äusseren Samen-
flüssigkeit durch die Quellung der Gallerthülle, das Ei presst und so
zugleich die obere Hemisphäre etwas nach seiner Seite senkt, denn
eine solche geringe Zwangslage vermag nach meinen frühe-
ren Beobachtungen schon für sich allein die Richtung des
Embryo [und die Lage der caudalen Seite desselben gegen den
Faden hin] zu bestimmen. Um diese gefährliche Fehlerquelle ganz
zu vermeiden, setzte ich das Ei ein wenig nach einer anderen Seite
geneigt auf (s. Nr. 21 S. 204) und gab alle 5 Minuten ein wenig
Wasser zu. Nach 30 Minuten wurde dann, wie bei Rana fusca, soviel
Wasser zugesetzt, dass [167] das Ei sich bald innerhalb der Gallei't-
hülle drehen konnte und damit jedem Zwange enthoben war.
Die Einzelheiten der Ausführung und die A n o r d n u n g de r
Versuche waren folgende. Aus dem eröffneten Uterus wurde das
Ei mit einer kleinen gut polirten Präparirlancette , welche durch Ab-
schleifen ihrer scharfen Kanten und ihrer Spitze beraubt war, heraus-
gehoben und mit dem weissen Pol auf eine runde Glasplatte von
3,2 cm Durchmesser gesetzt, auf welcher ein Durchmesser durch einen
eingeritzten Pfeil markirt war. Wenn das Ei bei Rana fusca nicht
vollkommen senkrecht stand, oder wenn die Eiaxe bei Rana esculenta
zu stark geneigt war, wurde die Glasplatte derart schief gehalten,
dass die Schwerkraft das nur erst leicht adhärirende Ei durch eine
geringe Rollung in die gewünschte Lage brachte. Dann wurde bei
der ersten Methode das Ei der Rana fusca in dem parallel zum
Pfeile gerichteten Meridian von der Fahnenseite des Pfeiles her in
der ansres-ebenen Weise mit der Samencanüle oder der Scheere
362 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
behandelt, und letzteren Falles der klaffende Meridianschnitt ein wenig
mit einem in Samen ^) getauchten Pinsel berührt, wonach dann
mit dem Pinsel an den Fusspunct des Eies etwas Wasser zugesetzt
wurde. Die das Ei tragende Platte wurde darauf in ein rundes
flaches Glas mit 1,5 cm hohem Rande gelegt, an dessen Unterfläche
ein rechteckig geschnittenes Papier angeklebt war. Nachdem der
Pfeil der Objectplatte dem am Glase haftenden Rande des Papieres
parallel gerichtet und derart gestellt worden war, dass die Pfeilspitze
mir abgewendet und zugleich das Papier nach rechts vom Glase vor
mir lag, wurde zunächst die Zeit der Befruchtung auf den Zettel
notirt und die Objectplatte ringsum mit einem nassen Pinsel Ijefeuchtet,
ohne dem Ei selber dadurch Wasser zuzuführen. Die Glasschale wurde
mit einer an der Unterseite gleichfalls befeuchteten Glasscheibe be-
deckt. Darauf wurde das nächste Ei in der gleichen Weise behandelt;
und danach (etwa nach 2 Minuten) Avurde die Objectplatte des vorher
befruchteten Eies aus der Schale genonnnen, von rechts nach links
einen Moment umgedreht und die durch ungleiche Adhäsion bei der
Befeuchtung gewöhnlich entstandene geringe Schiefstellung rasch
durch einen kleinen, radiär zum Ei gestellten und mit der Spitze die
Richtung des höchsten Standes des Weissen markirenden Pfeil mit einem
sogenannten Porzellanschreibstift auf der Glasplatte markirt. Danach
wurde das Ei [168] wieder zurück in die Schale gelegt und in der
angegebenen Weise zum Papierrand orientirt, um nach dem soeben
gemachten Pfeil die Richtung der Ablenkung aufzuzeichnen, und die
Zeit dazu notirt. Diese Controlle wurde alle 5 Minuten wiederholt,
notirt und jede ev. Stellungsänderung durch ein neues Bild fixirt.
«
[1) Es hat sieh bei der künstlich localisirten Befruchtung als sehr nützlich
erwiesen, den Samen nicht mit reinem Wasser, sondern mit ^/s — \4pr0centiger Koch-
salzlösung anzusetzen, da beim Ansetzen mit reinem Wasser nur wenige der besamten
Eier sich entwickeln. Es scheint, dass die Spermatosomen, welche ja in halbprocentiger
Kochsalzlösung zu leben gewohnt sind, durch reines Wasser etwas geschwächt werden.
Bei Anwendung von stärkerem Kochsalzgehalt von 1 — 2°,o entstand künstliche
Polyspermie (wie sie am Ende der Laichperiode nicht selten von selber
vorkommt) offenbar durch Verlangsamung oder Abschwächung der Thätigkeit der
Schutzmechanismen gegen das Eindringen weiterer Samenkörper nach dem Anlangen
des ersten.
II. Bedeutung dei gefundenen Coincidenz des ersten Furchungsmeridianes etc. 363
Wenn die Gallerthülle Flüssigkeit angezogen bat, ist das J^]i unverrückbar
an der Glasplatte festgesaugt; und die nacb den ersten 5 Minuten später,
gewöhnlich erst viel später noch eintretenden Stellungsänderungen sind
daher auf Drehungen des Eies innerhalb seiner Hülle zu beziehen.
Da der Wasserzusatz auch nach den ersten 30 Minuten immer noch
ein etwas spärlicher war, so konnten solche Drehungen auch nach
dieser Zeit nur langsam im Laufe von Minuten sich vollziehen; und
die kurzen, nur etwa 5 bis 10 tSeeunden dauernden Umdrehungen
zur Besichtigung der Unterseite hatten keinen Einfiuss auf die Stel-
lung. Zur Vermeidung dieser Umdrehungen hatte ich im vorigen
Jahre die Unterseite durch Spiegelung aufgenommen; diese Methode
erwies sich jedoch als viel ungenauer, weil durch das unerlässliche
seitliche Vorbeisehen an dem Eie stets schiefe Projectionen entstehen,
aus welchen es, auch unter möglichst gieichmässigem Umkreisen des
Eies mit dem Auge bei geringer Schiefstellung der Eiaxe, sehr schwer ist,
die Richtung und den Grad dieser Schiefstellung genau zu ermitteln.
Es gehört schon einige Uebung und strenges Einhalten einer
bestimmten Ordnung in allen Manipulationen dazu, um 12 Eier in
dieser Weise nach einander aufzusetzen und alle rechtzeitig auf ihre
Einstellung und den Wassergehalt zu prüfen und keine Verwechse-
luug vorkommen zu lassen.
Im Ueberschuss zugesetztes Wasser wurde mit einer gebogenen
und zugespitzten Glasröhre weggesaugt.
II. Bedeutung- der gefundenen Coincidenz des ersten Furchungs-
meridianes und des „Eintrittsnieridianes" des Samenkörpers.
A. Nächste Ursachen der Coincidenz.
Nachdem wir^die Thatsachen und die Art, wie sie gewonnen
worden sind, kennen gelernt haben, liegt es uns ob, die specielle Ijc-
deutung derselben zu ermitteln.
Obgleich die Entwickelungsmechanik selber erst in den ersten
Furchungen sich befindet, so ist es doch schon möglich, die Ent-
stehung dieser Coincidenz in mehrere ursächlich verschiedene Vor-
364 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
[169] gäuge zu zerlegen und den causalen Werth jedes einzelnen der-
selben für das gemeinsame Resultat zu prüfen.
Analysiren wir den Vorgang der Befruchtung des Eies
in unserem Bedürfniss entsprechender Weise, so können wir
zunächst folgende Einzelvorgänge unterscheiden. Erstens die Durch-
brechung der harten Eirinde durch den Samenkörper;
zweitens den Verlauf desselben, resp. des aus ihm entstehenden
Spermakernes d u r c h d e n Dotter; drittens die C' o p u 1 a t io n beider
Vor kerne. Jeder dieser Vorgänge könnte vielleicht für sich allein
das die Richtung der ersten Furche bestimmende Moment enthalten.
a) Für die Wirkung der Durchbrechungsstelle der Ei-
rinde durch den Samenkörper auf die Lage der ersten
Furche kann man zwei in Beitrag 1 zur Entwickelungsmechanik
s. S. 163 u. 166 mitgetheilte Beobachtungen anführen. Bei Frosch-
eiern , welche schon die erste Furche gebildet hatten , sah ich nach
dem Anstechen derselben mit einer feinen Präparirnadel die zweite
Furche mehrmals durch die Anstichstelle hindurchgehen,
auch wenn dadurch diese Furche schief, statt wie normal rechtwinke-
lig, zur ersten zu stehen kam. Beim Anstechen nach Bildung der
zweiten Furche kam es vor, dass die der Anstichstelle nächstgelegene
Furche sich nachträglich soweit verschob, bis sie durch
die Anstichstelle selber hindurchging. Man kann geneigt
sein, diese Beobachtungen so zu deuten, dass die Theilung leichter
an derjenigen Stelle des Zellleibes entsteht, wo der Sonde-
rungswiderstand am geringsten ist oder ein Reiz das
Protoplasma getroffen hat [s. dagegen S. 166 Anm.]. Dass die
Eirinde durch ihre Härte der Theilung besonderen Wider-
stand darbietet, sehen wir an den vielen feinen Falten, welche
sich bei den ersten Furchungen an der Theilungsstelle bilden. Die
Eirinde ist also fest und elastisch. Eine flüssige oder
auch nur weiche und geschmeidige Substanz würde diese Erschei-
nung nicht darbieten können. Gegen die Anwendung dieser Er-
fahrung auf unseren Fall kann aber geltend gemacht werden, dass
das Loch, welches der Samenkörper, trotz seiner anziehenden Wir-
kung • auf die braune Dottersubstanz , in dieser harten Eirinde her-
n. Bedeutung der gefundenen Coincidenz des ersten Furchungsmeridianes etc. 365
vorbringt, an Dnrchmesser miiulcstens lOnial, an Fläclic mindestens
lOOmal kleiner ist, als die grobe mit einer 0,1 mm dieken Nadel
eingestochene Oeffnung; nnd dass daher die Verminderung des Sonde-
rungswiderstandes an der Eintrittsstelle des Samenkörpers zu gering
sei, um entgegen eventuellen Tendenzen zur Sonderung an einem
anderen Orte in Betracht zu kommen. Allerdings kann fl70] für
die leiclitere Theilung an der Durchtrittsstelle des Samenkörpers noch
die weitere Beobachtung angeführt werden, dass die Bildung der
ersten Furche nicht blos in dem Durch trittsmeridian, sondern häufig
auch auf derselben Seite der schwarzen Hemisphäre anhebt, auf wel-
cher der Samenkörper eingedrungen war. Doch habe ich auch Aus-
nahmen gesehen, in denen die erste Furchung auf der entgegen-
gesetzten Hälfte des Eintrittsm eridianes begann. Und
andererseits sieht man aufschnitten, welche eine halbe oder viertel
Stunde vor dem Beginne der äusserlich sichtbaren Thei-
lung quer zur präsumptiven Furchungsebene durch das Ei gelegt
worden sind, dass bereits eine deutliche innere pigmentirte
Sonderungsebene des Dotters ausgebildet ist.
b) Für die Bestimmung der ersten Furche durch die
,, intraovale Verlaufsbahn'' des Samenkörpers resp. Samen-
kernes kann geltend gemacht werden, dass dabei durch die An-
ziehung des pigmentirten feinkörnigen Dotters, welcher
als Pigmentstrasse dem Samenkern folgt, eine bilaterale
Symmetrie in der Anordnung der Dottersubstanz hervor-
gebracht wird, die zugleich bestimmend wirke für die Lage der
Medianebene des bilateral-symmetrischen Embryo. Daran ist umso-
mehr zudenken, als bei der durch zwangsweise Schiefstellung des
Eies entstehenden künstlichen bilateralen Symmetrie der inneren Anord-
nung der Dottersub^tanzen wohl die Medianebene des Embryo, aber
nicht die erste Furche, fast immer in die Richtung der Symmetrie-
ebene zu hegen kommt [s. S. 328 n. f.]. Auch haben wir oben
(S. 358) gesehen, dass unter normalen Verhältnissen die erste Furch-
ungsebene die Pigmentstrasse der Länge nach theilt.
c) Für die bestimmende Wirkung des dritten unterschie-
denen Vorganges, der Copulation der beiden Vor kerne, in
366 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
ihrer Richtung auf die Richtung der ersten Theilung des
Eiesist bis jetzt blos anzuführen, dass die erste Furchungsebene
auch das centrale Ende der Pigmentstrasse der Länge
nach theilt, und dass dessen Verlaufsrichtung, wie ich mich
mehrfach an vor der Furchung geschnittenen Eiern überzeugen konnte,
auch die Richtung der Copulation beider Vorkerne an-
deutet.
Bei normaler Einstellung des Eies vollziehen sich,
wie die Schnittbilder zeigen, alle diese drei Vorgänge inner-
halb derselben, zugleich durch die Eiaxe gehenden senk-
rechten Meridianebene, und diese wird, wie wir sahen, zur
ersten Furchungsebene. Daher ist eine Unterscheidung der Wir-
kungsweise jedes einzelnen dieser eventuellen Factoren in diesen
Fällen nicht möglich.
[171] Mein Bestreben war daher darauf gerichtet, diese
Coincidenz gestört aufzufinden: und es gelang mir inderThat,
an einigen Eiern festzustellen, dass die erste Furche nicht durch die
Eintrittsstelle des Samenkörpers selber, sondern mehr oder weniger
dicht an derselben vorbei ging. Hierbei waren zugleich zwei ver-
schiedene Fälle zu unterscheiden : Die Furchungsebene verlief parallel
neben der Pigmentstrasse und letztere führt dann in die Nähe von
einem der beiden Furchungskerne ; die Copulation hatte also an diesem
stark exaxial gelegenen Orte stattgefunden, aber die Theilung war
wie gewöhnlich durch die Eiaxe, jedoch der Copulations-
richtung parallel, erfolgt (Taf. V, ¥ig. 2). Im zweiten Falle
stand die Pigmentstrasse mit ihrem Anfangstheil schief
zur Furchungsebene, lief aber mit ihrem centralen Ende
ihr parallel aus (Fig. 3).
Die Begrenzung der ersten Furche stellt auf den parallel zu ihr
durch sie geführten Schnitten eine schräge, durch gleichmässige,
dichte Pigmentirung ausgezeichnete und durch zwei scharfe, einfach
gebogene Contouren begrenzte Fläche an der schwarzen Randseite
des Schnittes dar; die Stelle der Furche ist also an den Schnitten
noch vollkommen deutlich zu erkennen. (N. B. Dies ist aber blos dann
der Fall, wenn das Ei bei dem zum Zwecke der Abtödtung und der
Mechanismus der Copulation. 367
Icicliteren Entfernung;- der ( iallortliiille nütliigen Erhit/,en niclit ülxn-
80° C. erwärmt worden ist; andernfalls schrumpft und faltet sieh die
Eioberfläche, und die Furehe ist selbst für die Loupenbetrachtung
kaum mehr sichtbar. Auch darf man, um diese schräge Fläche noch
deutlich an den Schnitten sehen zu können, vor dem Einbetten zur
Markirung nicht zu viel Farbe in die Furche geben, weil diese wegen
ihrer Opacität sonst dieses wichtige Merkmal unsichtbar macht.)
Da am Ende der Laichperiode vielfach Abnormitäten
auftreten, so schnitt ich auch in dieser Zeit befruchtete Eier parallel
der ersten Furche und war so glücklich, mehrere Eier zu finden, bei
denen diese Furche weder durch die Eintrittsstelle des Samenkörpers,
noch durch die sich anschliessende Strecke der Pigmentstrasse hin-
durchging. Die Pigmentstrasse verliess in diesen Fällen die Meridian-
ebene der Eintrittsstelle sogleich und vollzog allmählich eine seitliche
Abweichung von 40 — 50°, um dann erst der Eiaxe zuzustreben; und
nur diese Endstrecke des Verlaufes des Samenkörpers fiel
in die Eichtung der ersten Furchungsebene (Fig. 4) [s. S. 203] ^).
Mechanismus der Copulation.
[172] Um die Bedeutung dieser Abweichungen im Ver-
laufe des Samenkörpers von der Regel zu erkennen, ist es zu-
nächst nöthig zu wissen, warum normaler Weise die unterschiedenen
drei Vorsänge innerhalb derselben Meridianebene sich vollziehen.
Diese Coincidenz ist, wie ich fand, eine Folge des eigenthüm-
lichen Mechanismus der Copulation; und wir müssen daher
diesen zunächst etwas genauer kennen lernen.
[1) Gelegentlich eines Referates im biologischen Centralblatt (1888, Bd. VII J,
S. 403) machte ich über solche Abweichungen die weitere Mittheilung: „Wenn näm-
lich, wie es im Anfang des Versuches, ehe das Ei festgeklebt ist, sehr leicht geschehen
kann, bei irgend einer Manipulation das Ei erheblich schief gestellt worden
ist und nun 30 Minuten in dieser Lage bleibt, um erst danach aus ihr be-
freit zu werden, so geht die erste Furche nicht durch den Befruchtungs-
meridian. Diese Fälle bilden, wie ich mich bald überzeugt, da ich die Eier oft
von unten besichtigte und ihre jeweilige Stellung abzeichnete, eben die Ausnahmen.
An ihnen machte ich aber eine andere wichtige Entdeckung, näm-
lich, dass bei diesen Eiern nicht, wie es „normal" der Fall ist, die
Stelle der „ersten" ürmundsanlage in der Medianebene gelegen ist,
worüber ich anderwärts ausführlicher berichten werde."]
368 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Die Angaben über die speciellen Vorgänge der Copulation der
Vorkerne im Froschei seitens der frülieren Beobachter sind nur mehr
gelegentliehe, da es sich bei den Untersuchungen dieser Autoren zu-
nächst darum handelte, überhaupt die Thatsache dieser Copulation
festzustellen. Ch. van Bambeke, der Entdecker dev Thatsache, dass
bei den Amphibien der Weg des Samenkörpers im Ei sich durch eine
nachgezogene Pigments trasse markirt, sagt in seiner ersten dies-
bezüglichen Arbeit^) von der Pigmentstrasse des Samenkörpers von
Triton und Axolotl : ,,La longueur de celui-ci, y compris son renfle-
ment terminal, sa direction varient. Cette derniere est generalement
rectiligne, quand le conduit est court, mais celui-ci se prolonge-t-il
davantage, sa direction est celle d'une iigne courbee ou d'ane ligne
brisee; d'autrcs fois on observe une disposition en spirale ou ondulee
liraitee ä une ])artie du conduit ou se montrant sur tout son trajet;
ce dernier etat etait surtout evident sur un oeuf de Triton helveticus
(fig. 11). Nous avons trouve comme plus grande longueur des con-
duits, en mesurant une ligne menee de la base ä l'origine de la di-
latation nucleaire, 264 //, soit ä peu pres le quart du diametre de
l'fp.uf. Toute fois, par suite de la courbure des conduits, leur extre-
mite interne est plus rapprochee de la peripherie que du centre du
globe vitellin. Leur largeur, generalement plus considerable ä la base
(16 /<), dimhiue apres un trajet plus ou moins long, pour conserver
alors le menie diametre (en moyenne 8 /n) juscj[u'ä la dilatation
terminale."
In einer späteren Arbeit^) giebt van Bambeke an: ,,Le trajet de
la trainee pigmentaire des Urodeles est generalement [173] represente
par une ligne brisee"; und fügt bezüglich der Kröte hinzu: ,,Ün y
remarque en efEet une ligne ä trajet egalement brise, plus foncee que
la masse triangulaire qu'elle traverse".
Wir finden in diesen Angaben die wesentlichen Bestandtheile
1) Ch. van Bambeke. Sur les trous vitellins que presentent les oeufs fecondes
des Amphibiens, Bull, de l'Acad. roy. de Belgique, 2'ne serie. T. XXX 1870, S. 65.
-) Derselbe, Recherches sur l'embryologie des Batraciens. Bull, de l'Acad.
roy. de Belgique. 2'"e serie. T. LXI. 1876. S. 27.
Mechanismus der Copulation. 369
des Verlaufes schon mit enthalten; aber einmal fehlt die ursächliche
Beziehung der beobachteten Verschiedenheit auf die Lage der Ein-
trittsstelle des Sameukörpers , andererseits sind einige seiner Beob-
achtungen offenbar an abnormen Eiern gemacht. Er fand wiederholt
mehrere solcher Pigmentstrassen im Ei, während ich in
etwa 100 geschnittenen Eiern dies blos einmal beobachtete
und dies Ei stammte vom Ende der Laichperiode, zu welcher Zeit
Abnormitäten sehr häufig sind^). Zu diesen gehört auch, wenigstens
meinen Erfahrungen am Froschei nach, der spiralig gewundene
Verlauf der Pigmentstrasse. Ebenso deutet sein Befund eines
zweiten, wurstförmig gebogenen Pigmentzuges im Ei der Kröte (Cra-
paud commun) auf Befruchtung unter schiefer Zwangslage des
Eies hin, Avas um so leichter der Fall gewesen sein konnte, als die
Distinction der Zwangslage von der freien Einstellung erst sieben Jahre
später, durch Pflüger, gemacht worden ist.
Bezüglich der Eintrittsstelle des Samenkörpers in das Ei
macht 0. Hertwig^) folgende Angabe: ,,Bei Rana temporaria erfolgt
der Eintritt des befruchtenden Spermatozoon in den Dotter stets am
schwarzen Pol zur Seite des schleierförmig ausgebreiteten Excret-
körpers auf der vom Eikern abgewandten Eihälfte." Soweit durch
diese letztere Angabe die Befruchtungsrichtung als schon vor der Be-
fruchtung selber normirt anzusehen w^äre, ist sie bereits durch meine
vorstehend mitgetheilten Versuche widerlegt. Ich kann [174] noch
hinzufügen, dass ich au geschnittenen Eiern, selbst bei ungewöhnlich
grossem Abstand des Eikernes von der Eiaxe, den Samenkörper
manchmal auf derselben Eihälfte, in welcher der Eikern
lagerte, von noch weit über den Eikern hinaus seitlich gelagerten
1) Meine Untersuchungen bestätigen also die Angaben von 0. Hertwig und
Born, dass normaler Weise blos ein Samenkörper in das Froschei eindringt. Treten aber
mehrere Samenkörper ^in, so zeigt entweder blos der erste oder gar keiner den unten
zu schildernden typischen intraovalen Verlauf. Es ist von hohem Interesse wohl
auch für die Pathologie der menschlichen Entwickelung und besonders für die
Beurtheilung der Ursachen der „Sterilität", dass so leicht qualitative
Veränderungen des Eies entstehen, welche die Entwickeluugsfähigkeit
desselben aufheben oder in abnorme Bahnen lenken.
-) 0. Hertwig, Beiträge zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung
des thierischen Eies. Zweiter Theil. Morphol. Jahrb. Bd. III. 1877. S. 82.
W. Koux, Gesammelte Abhandlungen. H. •^^
370 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Puncten eingedrungen gefunden habe. Daraus und aus Beob-
achtungen an vielen anderen normal befruchteten und gestellten Eiern
geht zugleich hervor, dass der Samenkörper mit seinem Eintritt
nicht an die „nächste" Umgebung des am oberen Ende der
Eiaxe gelagerten Excretkörpers gebunden ist.
Wohl aber spricht sich sehr deutlich eine Prädisposition für
den Eintritt des Samenkörpers ,,in der Nähe" des oberen
Endes der Eiaxe aus. Diese Prädisposition muss um so stärker
sein, als bei der an diesen Eiern vorgenommenen Einzelbefruchtung
für jedes derselben der Same nur spärlich, kaum bis zur Benetzung
der unteren zwei Dritttheile des Eies zugegeben wurde, sodass die
gegen die Mitte des schwarzen Poles hinstrebenden Samenkörper die
Gallerthülle in schiefer Richtung durchsetzen, also einen weiteren Weg
zurücklegen mussten, als die den unteren Theilen zustrebenden. Da
bei stark schief aufgesetzten Eiern dieses Verzögerungsmoment weg-
fiel, so wunderte ich mich nicht, bei ihnen in noch evidenterer Weise
diese Prädilection ausgesprochen zu finden; wenn schon die genaue
Beurtheilung der Eintrittsstelle in Folge der Zusammenstauung der
braunen Rinde nach aufwärts an Eiern in schiefer Zwangslage oft
erschwert, manchmal unmöglich gemacht ist.
Andererseits habe ich nur selten g e s e h e n (s. Fig. 7, Taf . V),
dass die Pigmentstrasse den ,, oberen" weissen Dotter
durchsetzte; somit scheint der Eintritt in der Mitte des schwarzen
Poles durch die Darunterlagerung dieses weissen Dotters erschwert
zu werden.
Diese Beobachtungen an nicht localisirt besamten Eiern bestätigen
also die oben von mir geäusserte Vermuthung, auf welche ich meine
zweite Methode der künstlichen locahsirten Befruchtung gründete; und
es müsste Verwunderung erregen, dass es mir bei der ersten Methode
gelungen ist, auf andere Weise eine Prädilection zu schatfen, wenn
nicht bei senkrechter Einstellung diese erste Methode zugleich immer
auch mit der Benutzung dieser Art Prädilection verknüpft gewesen
wäre, indem an der Einschnitt- oder Einstichstelle der Samen zugleich
auch am weitesten in die Höhe und so der Mitte der schwarzen Hemi-
1. ^Penetrationsbahu" des Samenkörpers im Ei. 371
Sphäre am nächsten kam, und wenn ich niclit bei der locahsirten
Befruchtung schief gestellter Eier stets besonders tief, bis etwa /.ur
Mitte der Dicke der Gallert- [175] hülle, eingeschnitten hätte.
lieber den Verlauf des Samenkörpers im Ei macht
0. Hertwic. keine besondere Mittheilung. Bobn's bezügliche Angaben
beziehen sich auf Eier in künstlicher Schief läge und auf Bastard-
befruclitung, sind daher für unseren Zweck der Feststellung der wesent-
lichen Vorgänge des normalen Copulationsmechanismus gleichfalls
nicht zu verwerthen.
Die genauere Beobachtung des Verlaufes der Pig-
mentstrasse des Samenkörpers bei verschiedenen Lagen
der Eintrittsstelle desselben am Ei liess einen aus zwei typisch
verschiedenen Vorgängen sich zusammensetzenden
Mechanismus der Zusammenführung der beiden Vor-
kerne erkennen.
1. ,, Penetrationsbahn" des Samenkörpers im Ei.
Sehen wir von der extraovalen Bahn des Samenkörpers
durch die Gallerthülle zum Ei ab, so ist als erster besonderer, wohl
durch besondere Kräfte bedingter mechanischer Act der Befruchtung
des Froscheies die Durchbrechung der starren Eirinde
durch den Samenkörper und der sich anschliessende
,, erste intraovale Verlauf" zu unterscheiden. Letzterer führt
den Samenkörper tief in das Ei hinein, in einer meist graden Rich-
tung, welche annähernd rechtwinkelig zur Tangente der
Eintrittsstelle der Peripherie steht, jedoch mit einigen
typischen Variationen (vergl. Fig. 6 — 11). Genauer könnte man näm-
lich sagen: der erste intraovale Verlauf des Samenkörpers strebt
„geraden Weges^" der Eiaxe zu, da che Bahn fast mit wenigen
Ausnahmen in der durch die Eintrittsstelle und durch die Eiaxe
gegebenen Meridianebene gelegen ist. Aber der Zielpunct der Bahn
ist sehr verschieden gelegen. Beim Eindringen in der Nähe der
Mitte des schwarzen Poles liegt er manchmal am unteren Ende der
Eiaxe (oder gar ausserhalb des Eies, also in der Verlängerung der
24*
372 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die CopulationsricMung.
Axe); während er bei seitlicher, dem Aequator genäherten Eintritts-
stelle dem Eicentrum näher liegt ^).
Charakteristisch ist es für diese Verl aufs strecke, dass die
Richtung derselben noch keine directe Beziehung zum Eikern
erkennen lässt, sodass der erste Verlauf des Samenkörpers
als „reine Penetrationsbewegung" in den ,, Zellleib" des
Eies, in den Dotter sich charakterisirt.
[176] Manchmal stellt der Anfangstheil der Pigmentstrasse einen
breiten Pigmentkegel dar, in welchem es schwer ist, die eigentliche Bahn
des Samenkörpers zu erkennen. Ich nahm alsdann für letztere die
Linie dichtester Pigmen tauhäuf ung , welche auch gewöhnlich der
Kegelaxe nahe lag. Diese grosse Pigmen tan häuf ung um den
Anfangstheil der Bahn des S a m e n k ö r p e r s findet sich be-
sonders gegen Ende der Laichperiode der Species; und sie
geht da manchmal so weit, dass die Continuität der braunen
Rinde zerrissen wird und ,,Extraovate" entstehen, sodass
also zum Theil dieselben Vorgänge auftreten, wie sie Born bei Ba-
stardirungen häufig angetroffen hat. Gegen das Ende der Laich-
periode muss entweder die Pigmentsubstanz des Eies sehr
beweglich werden, oder die dieselbe bewegenden Kräfte
müssen sich erheblich verstärken.
In anderen Fällen ist die Pigmentstrasse schon von Anfang an
dünn; manchmal auch beginnt sie schief zur Oberfläche und erlangt
erst im weiteren Verlauf die geschilderte annähe r n d r a d i ä r e
Richtung; es wird dann zweifelhaft, ob hier noch das primäre
Verhalten vorliegt oder ob nachträgliche Verschiebungen stattge-
funden haben.
Die Länge dieser ,,Peiietratioiisl}alm" des Samenkörpers variirt
unter normalen Verhältnissen relativ wenig ; und da uns die Berück-
sichtigung dieser Länge dem wahrscheinlichen, actuellen Ziel der
[1) Dieses Verhalten wird besser durch folgende Fassung bezeichnet: Ent-
sprechend dem rechtwinkelig zur Eirinde erfolgenden Eintritt des Samenkörpers
und dem geraden Verlauf desselben im ersten Theil seiner Bahn ist der scheinbare
Zielpunct dieser Bahn in Folge der Abweichung des Eies von der Kugel-
gestalt, besonders aber in Folge der oben entstehenden Abplattung (s. S. 377
Anm.), ein mit der Lage der Eintrittsstelle am Eie wechselnder.
1. , Penetrationsbahn " des Saraenkörpers im Ei.
373
Bewegung näher führt, so seien hiei- einige an Eiern von Rana fusca
angestellte Messungen derselben mitgetheilt.
—
■ -
—
Mittlerer Abstand
Zeit
Lauge der
Querdurchmesser
Länge der Pene-
der Copulations-Bahn
nach der
Eiaxe
des Eies
trations-Bahn
von der Oberfläche
BefruchtuDg
des Eies
mm
mm
mm
mm
1 h. 40 Min.
1,55
1,52
0,292
0,390
^
1,53
1,66
0,275
0,357
1,56
1,53
0,325
0,390
2 h. 40 Min.
1,46
1,56
0,290
0,390
1,13
1,49
0,260
0,340
1,36
1,49
0,292
0,390
71
1,20
1,46
0,260
0,325
n
1,30
1,36
0,292
0,325
1,20
1,59
0,260
0,325
1,49
1,65
0,357
0,390
[177] ;
1,56
1,56
0,357
0,390
1,36
1,40
0,325
0,390
j»
1,43
1,-56
0,455
0,420
1,43
1,49
0,260
0,420
1,36
1,43
0,260
0,450
V
1,49
1.56
0,390
0,487
Die Variationen in der Länge der Penetrationsbahn
des Samenkörpers bewegen sich also (bei der um V* wechselnden
Eigrösse) zwischen 260 und 390 /^ nur einmal Averden 455 ^i er-
reicht. Dieser Fall, wie die ihm benachbarten der letzten sechs Eier
der Tabelle betrifft stark dem Aequator genäherten Eintritt des
Samenkörpers.
Dieser erste Verlauf führt den Samenkörper immer
annähernd derselben Schicht des feinkörnigen Dotters zu.
Bei Rana fusca ist diese Schicht deutlich braun gefärbt und
stellt die obere Schicht des centralen braunen Dotters dar (s. Taf. V,
K. Seh., Kernschicht, Fig. 5). Da dieser „centrale braune Dotter" oben
mit dem „braunen Seitendotter" (br. S. Fig. 5) ringsum zusammen-
hängt, so kann man diese Schicht auch als Verbindungsschicht des
braunen Seitendotters ansehen. Sie liegt zugleich unterhalb des oberen
374 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
weissen Dotters imd kann bei mächtiger Entwickelung desselben direct
an diesen angrenzen.
In den Erläuterungen der sclieraatischen Figur 5, der Abbildung
einer durch die Eiaxe gelegten Meridianebene des Eies von Rana
fusca war ich genöthigt zum Zwecke genauerer Bezeichnung einige
neue Termini einzuführen. An die Stelle des von Borx als „heiler
Innentleck" bezeichneten Theiles, welcher unter der Mitte der braunen,
daselbst verdünnten festen Eirinde liegt, führe ich den mehr die
Substanz und ihre Lage bezeichnenden Namen „oberer weisser
Dotter'' ein und habe ihn oben bereits entsprechend verwendet;
dieser Dotter ist feinkörnig, halbflüssig und, wie sich ausser durch
seine Lage im senkrecht eingestellten Eie auch noch durch seine
Umlagerungen bei schiefer Zwangslage ergiebt, von geringerem
specifischen Gewicht, als die übrigen Dottersubstanzen.
Die anderen in [178] der Figurenerklärung gebrauchten Termini
„brauner Seitendotter", ,, centraler brauner Dotter" sind
ohne weiteres aus der Abbildung verständlich ^).
Da, wie wir sehen werden, die zweite Strecke des intraovalen
Verlaufes des Samenkörpers innerhalb der unter dem oberen weissen
Dotter befindlichen Schicht, bis zu Avelcher der Samenkörper in den
Dotter eindringt, gelegen ist; da ferner, sei es vor oder erst während
der Befruchtung, der Eikern in dieselbe aufsteigt und auch der durch
die Copulation gebildete Furchungskern in ihr gelagert ist und inner-
halb ihrer sich theilt, so halte ich es für zweckmässig, dieser wi en-
tigen Schicht einen besonderen Namen, den Namen „Kern-
[1) Ein neuerer Autor, 0. Schultze, hatte bezüglich der Grösse der Dotter-
körner die Angabe gemacht: „Je mehr wir nach dem höchsten Puncte des Eies gehen,
um so mehr nimmt die Grösse der Uotterelemente ab und zwar so, dass bei nor-
maler Einstellung in jeder Horizontalebene die Dotterkörner gleich gross
sind." Dazu habe ich folgende Berichtigung gegeben (Biolog. Centralbl. 1888. Bd. 8.
S. 406): „Es ist bekannt, dass im Allgemeinen die Grösse der Dotterkörner von
unten nach oben abnimmt; aber es liegen Körner verschiedener Grösse nebeneinander
und grössere über kleinern; ganz abgesehen von dem centralen braunen Dotter,
der zwar oft fast nicht pigmentirt, immer aber ziemlich feinkörnig ist, während
wagrecht neben ihm ringsum grosse Dotterkörner gelagert sind."
„Ferner ist es nicht thatsächlich gestützt, wie der Autor vertritt, dass „„der
höchste Punct des Pigmentrandes einer grösseren Protoplasmamenge entspricht, als die
in der Horizontalebene gegenüberliegende Stelle des Eies"". (Weiteres s. S. 198 Anm.).]
1. ^Penetrationsbalui" des Sameiikörpers im Ei. 375
tichicJif" (h's Eies beizulegen. Icli tliue dies, obgleich ich /ur Zeit
nicht anzugeben vermag, ob sie, abgesehen vom s])ecitischen Ge-
wicht, aus besonders qualii'icirter Substanz besteht, oder
ob die Localisation der genannten Gebilde und Vorgänge auf sie
blos dadurch bedingt ist , dass sie den Ort der r e s u 1 1 i r e n d e n
Wirkungen aller auf die Kerne wirkenden Dottertheile darstellt,
oder ob der Samenkörper normaler Weise deshalb nur Vs
des Dotterdurchmessers durchläuft, weil seine eventuellen
Penetrationskräfte durch die inzwischen erfolgte Umwandlung
zum Spermakern (van Bambeke, O. Hertwig) aufgehört haben.
Da bei schiefer Zwangslage des Eies alle die unterschiedenen
Eisubstanzen nicht durch ordnende Kräfte in ihrer relativen Lage er-
halten werden, sondern sich unter dem Einfluss der Schwere, der
Wirkung dieser entsprechend, verschieben, so kann man geneigt sein,
solche ordnenden Kräfte überhaupt nicht als wesentlich bei der Er-
haltung der normalen Anordnung des Eies nach der fertigen Bil-
dung desselben betheiligt anzusehen, und anzunehmen, dass ,, wäh-
rend der Bildung" die Anordnung derart getroffen wor-
den sei, dass die Schwere bei normaler Stellung des Eies
diese Anordnung allein erhalte. Dem entsprechend sei dann
anzunehmen, dass die Lage der Kern schiebt des Eies blos
durch das specifische Gewicht derselben bedingt sei, und
dass auch nur aus einer Uebereinstimmung der specifischen Gewichte
die Kerngebilde ihren Platz in ihr nehmen.
Gegen eine solche einfache Art der Erhaltung der
inneren Anordnung lassen sich aber schon gegenwärtig einige
Gründe anführen, so z. B. der Umstand, dass die unbefruchteten
Eier trotz der meist im Ovarium und im Uterus vorhandenen, Wochen,
ja Monate lang dauernden Zwangslage in schiefer Stellung nur sehr
geringe Umordnungen durch die Schwer- [179] kraft erleiden^) und
[1) Um dieser Monate lang anhaltenden Wirkung der Schwerkraft activ zu
widerstehen, müssten die ordnenden Kräfte im unbefruchteten Ei vielraal grösser
sein, als im befruchteten Ei, da sie in ihm keine zwei Stunden zn widerstehen ver-
mögen. P]s scheint daher annehmbarer, dass im unbefruchteten Ei das Protoplasma
fester, rigider sei, trotz gleichen oder grösseren Gebaltes des Eies an Paraplasma
wie nach der Befruchtung (s. S. 297 Anm.).]
376 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
dass, wie ich S. 298 gezeigt liabe, Avälireiid der Befrachtung Umord-
nungen vor sich gehen, welche der Wirkung der Schwere entgegen-
gesetzt sind.
Wir müssen also wohl im unbei'ruchteten wie auch noch
mehr im befruchteten Eie Ordnung erhaltende, resp. neu
ordnende Kräfte als wirksam, annehmen, welche aber unter
Umständen sich schwächer erweisen, als die Wirkung der Schwere
auf die Eitheile von ungleichem specifischen Gewichte.
Ueber die eigenthümliche dynamische Bedeutung der unter-
schiedenen Kerns chic ht des Dotters ist daraus noch kein be-
stimmtes Urtheil zu entnehmen, als dass sie nicht blos durch das
specifische GcAvicht ihrer Bestaudtheile ihre Lagerung
erhält und zum Aufenthaltsort der Kerngebilde wird.
2. „Copulationsbahn" des Samenkörpers im Ei.
Wenn die erste Strecke vom Samenkörper durchlaufen ist, so
wird, meist unter ziemlich schroffer Umbiegung, eine zweite
Verlaufsrichtung eingeschlagen, welche den Samenkörper, oder
richtiger den inzwischen aus ihm gebildeten Samenkern, grade n
Weses dem Eikern nähert, und zwar meist ihm direet zuführt,
daher sie „nucleopetale Verlaufsrichtung" und ihre Bahn die
,,Copulationsbahn" heissen soll^).
In einigen Fällen jedoch war der Samen kern durch seine gerade
fortgesetzte zweite Verlaufsrichtung ziemlich dicht, seithch, ober- oder
unterhalb an dem Eikern vorbeigeführt worden, und bei einigen
[1) RuD. FicK macht in .seiner sorgfältigen Untersuchung über die Reifung und
Befruchtung des Axolotleies (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1893. Bd. 56, S. 576) die Mit-
theilung, dass die „Copulationsbahn" beim Axolotlei häufig nicht gleich von Anfang
an gegen den Eikern hin, sondern sogar von ihm weggewendet ist. Andeutungen
davon habe ich auch beim Froschei einige Male beobachtet und zwar bei Zwangslage.
Ehe man annehmen kann, dass hier eine, besondere Bedeutung beanspruchende
normale Erscheinung vorliegt, ist es also nöthig, die Axolotleier nach der Besam-
ung recht rasch in die Möglichkeit zu versetzen, sich senkrecht einzustellen, oder
besser, sie gleich von vornherein senkrecht aufzusetzen und viel Samenflü.ssigkeit
zuzusetzen, um zu sehen, ob dann diese Erscheinung auch noch vorkommt. Dass
eine innere Strömung im Ei den Samenkörper leicht passiv mitnehmen kann, ist
verständlich; und zwar kann dies um so leichter geschehen, je geringer die Copu-
lationskräfte sind (s. S. 181).]
2. „Copulationsbabn" des Samenküipers im Ei. 377
anderen hätte dasselbe geschehen müssen, wenn das Ei nicht /u i'iüli
getödtet und die weitere Bahn in der bisherigen Richtung fortgesetzt
worden wäre. Letzteren Fahes war der Samenkern dem Eikern schon
bis fast an das Loth vom Eikern auf die zweite Verlaufsrichtung ge-
nähert, ohne dass die Bahn eine Ablenkung nach dem Eikern zu
darbot. Ich vermuthe, dass in diesen relativ seltenen Fällen Störungen
des normalen Copulationsmechanismus vorlagen.
Die zweite Verlaufsstrecke liegt annähernd parallel dem mitt-
leren Tlieile der schwarzen Eirinde^); daher war es möglich, ihren
Abstand von derselben anzugeben , wie es in der Tabelle auf S. 372
bereits geschehen ist. Man sieht, dass die Schwankungen dieses Ab-
standes nur zwischen 0,32 und 0,48 mm, resp. zwischen 27 und 32°/o
der Eiaxe sich bewegen und die Figuren (> bis 11 geben eine gute
Anschauung davon.
Wenn wir die verschiedenen zweiten Bahnen der Samenkörper
aller geschnittenen Eier von Rana fusca zusammennehmen und [180]
uns dabei vergegenwärtigen, dass der Eintrittsmeridian beliebig ge-
wählt werden kann, so können wir alle diese Bahnen zu einer run-
den Scheibe intregiren, innerhalb deren bei jedem Eie normaler Weise
dieser zweite Verlauf sich vollzieht, und diese fällt dann mit dem zu-
sammen, was oben als „Kernschicht" des Dotters bezeichnet
wurde. Da diese Schicht also nicht bis zum Rande des Eies
sich erstreckt, so würde sich der Name ,, Kernplatte" oder ,, Kern-
scheibe" mehr für sie geeignet haben, wenn diese Bezeichnungen
nicht zu sehr die Vorstellung erweckten, dass das betreffende Gebilde
selbst aus Kernsubstanz bestehe, während die Bezeichnung Kernschicht
schon eher andeutet, dass es sich blos um den Aufenthaltsort der
Kerne handelt.
Der Winkel, den die erste und zweite Verlauf sricli-
tung miteinander machen, ist ein wesentlich verschiedener je
[1) Das Ei ist in den Stadien der E'iguren 6 — 9 oben stark eben und fasl wagrecht
abgeplattet; diese Abplattung entsteht jedoch, nach der blossen Erinnerung zu urtheilen,
frühestens, etwa eine Stunde vor dem Beginne der Furchung, also zwei Stunden nach
der Besamung, somit etwa erst zur Zeit oder kurz nach der Copulation der Geschlechts-
kerne. Es giebt also frühere Stadien (Fig. 10 und 11), in denen die Abplattung noch
nicht voi'handen, aber die Copulationsbahn schon weit ausgebildet ist.]
378 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
nach der Lage der Sameneintrittsstelle. Ist der Samenkörper in der
Nähe der Mitte des oberen Poles eingedrmigen , so beträgt er einen
rechten; je näher aber die Sameneintrittsstelle dem Aequator gelegen
ist, nm so mehr nähert er sich einem gestreckten Winkel, wie gleich-
falls die Figuren (3 — -11 zeigen. Dieses so deutlich ausgesprochene
Verhalten war eben die Veranlassung, die Bahn des Samenkörpers
in der angeführten Weise in zwei typisch verschiedene Bahnstrecken
zu zerlegen.
Die Länge der zweiten Verlaufsstrecke muss nach dem von
der ersten ^Nlitgetheilten gleichfalls von der Lage der Eintrittsstelle
abhängig sein und mit deren Entfernung von der Mitte des schwarzen
Poles Avachsen.
Die Umknickungsstelle der Bahn in Fig. 11 bei seitlicher Ein-
trittsstelle des Samenkörpers bezeichnet meiner Auffassung nach den
äussersten Rand der ,, Kernschicht" '). Die Pigmentstrasse erstreckt
sich an der Umknickungsstelle vom ersten zum zweiten Verlauf manch-
mal auch etwas nach der der zweiten Verlaufsrichtung
entgegengesetzten Seite, und andererseits eilt sie dem Samen-
körper manchmal etwas voraus. Letzteres sah ich indess blos
in einigen wenigen Fällen, in denen die beiden Vorkerne einander schon
sehr nahe waren, so dass man an eine gleichsam anziehende Wirkung
des Eikernes auf die Pigmentsubstanz denken kann. Dies scheint um so
mehr berechtigt, als sich in manchen Eiern eine zweite, aber
nur kurze Pigmentstrasse findet, welche von der ,, Mitte"
des schwarzen Poles, also von der Ausstossungsstelle der
Pol- [181] körper aus radiär in den weissen oberen Dotter
sich erstreckt und daher vielleicht als ,, Pigmentstrasse des
rück kehr enden Eikernes" aufzufassen ist.
Die Lagerung des Eikernes angehend, so fand ich im
unbefrucliteten Ei ihn gewöhnlich etwas oberhalb des Cent rums
des Eies, im Mittel ^/ä des Eiradius nach oben vom Centrum gerückt,
sodass er also noch ^/s Radius von der Mitte des schwarzen Poles
[1) Nacli der ausgezogenen Gestalt des , oberen" weissen Dotters zu urtheilen,
befand sich das Ei dieser Figur etwas in Zwangslage, und in ganz geringem
Maasse war dies auch bei dem Ei der Figur 10 der Fall.]
2. ^Copulationsbahn" des Samenkörpers im Ei. 379
entfernt blieb. Seine „Exaxialität" betrug gewöhnlicli nur 'ho bis
V20 des Querdurchmessers des FAes, einmal aber l'and ich sie aul' V^
vergrössert.
Zur Zeit der Copulation dagegen beiludet sich der Eikern
stets in der V-^ ^^^'^ V^ Eiradius höher gelegenen ,, Kernschicht", zu
welcher er also während der Befruchtung wieder aufgestiegen sein
muss. Die Kernschicht muss man sich, nach den vorkommen-
den Variationen in der Lage der beiden Kerne während der nucleo-
petalen Bewegung des Samenkernes, als etwa ^/s Eiradius dick vor-
stellen; und es wird in dieser Schicht der Eikern bald ober-
halb bald unterhall) des Spermakernes gelagert gefunden.
Unentschieden muss es zunächst bleiben , ob nicht doch nor-
maler Weise noch eine dritte normale Verlaufsstrecke des
Samenkörpers resp. Samenkernes zu unterscheiden ist, oder ob die
wenigen Fälle, in denen die zweite Strecke an dem Eikern vorbei-
führte, als pathologische, sei es durch abnorme Widerstände
oder Strömnngen der Dottersubstanz bedingte, aufzufassen sind. Bei
schiefer Zwangslage des Eies d. h. bei Fixation derselben in ab-
normer Stellung, sieht man sehr häufig die Pigmentstrasse eine dritte,
rückläufige Strecke darbieten; und wenn auch diese zweite Bie-
gung der Pigmentstrasse zum Theil erst nachträglich durch die Strö-
mung hervorgerufen sein kann, so kann diese Erklärung bei genauer
Beurtheilung der speciellen Strömungsverhältnisse doch oft nur für
einen Theil derselben in Anspruch genommen werden; während es
unzweifelhaft ist, dass der Samenkörper häufig durch die Strömung
erfasst und von ihr zunächst am Eikern vorbeigeführt wird, so dass
dann erst eine rückläufige Bewegung zur Copulation führt.
Ausserdem aber spricht in hohem Maasse für die directe nucleo-
petale Tendenz der zweiten Strecke die Beobachtung, dass in
den allerdings nur seltenen Fällen von schiefer Zwangslage, wo der
Samenkern auch am Ende seiner zweiten Bahn nur innerhalb einer
schwachen Strömung zu verlaufen hat, diese zweite Strecke deutlich
eine rein nucleopetale, manchmal der Strömung [182] direct
entgegenlaufende Richtung darbietet, trotz der stattgehabten
starken Umordnung der verschiedenen Dottersubstanzen, insbesondere
380 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
auch der Kernschicht ; ein V^erhalten, welches deuthcli erkennen lässt,
dass der Spermakern nicht etwa der Spitze des ,, weissen
oberen Dotters" oder der ihr benachbarten Substanz der
Kernschicht folgt, welche letztere ja normaler Weise der Sitz des
Eikernes und damit auch der Ort ist, gegen welchen die zweite Strecke
des Samenkörpers gerichtet ist. Und da bei normaler Stellung des
Eies das Vorbeigehen des Sperraakernes am Eikern doch nur selten
ist, so ist es wohl richtiger, dieses Vorkommniss auch unter diesen
Verhältnissen als durch abnormale Umstände bedingt aufzufassen und
keine dritte Verlaufsbahn des Samenkörpers, resp. seines
Derivates des Samen kern es, als normalen Bestandtheil des Copu-
lationsmechanismus anzunehmen.
Es scheint, dass die nucleopetalen Kräfte der Vorkerne in ver-
schiedenen Eiern sehr verschieden sind, sowohl an Intensität und Aus-
dehnung wie auch in der Zeit, in der sie wachgerufen werden. Viel-
leicht auch kommt den nach Hert^vig im Dotter vertheilten Theilen
des Keimbläschens in manchen Fällen eine anziehende Wirkung auf
den zum Spermakern modificirten Kopf des Samenkörpers zu.
In einigen Fällen war aus der Richtung der Längsaxe des Ei-
kernes und aus der Anordnung der umgebenden Dottertheile zu er-
schliessen, dass auch der Eikern eine, wenn auch nur kleine,
das Doppelte seiner Länge betragende [gegen den anderen Ge-
schlechtskern gerichtete] Bewegung vollzogen hatte.
Ueber die vollziehenden Ursachen dieser beiden typischen
Verlaufsrichtungen des Samenkörpers im Ei kann ich zur Zeit keine
Angaben machen. Doch hoffe ich durch die Untersuchung künst-
lich deformirter Eier und unter Berücksichtigung der Eventualität,
dass derBeginn d er nucleopetalen Verlauf srichtung viel-
leicht mit der Vollendung der Umwandlung des Kopfes
des Samenkörpers zum Spermakern zusammenfällt, einige
Aufschlüsse gewinnen zu können.
Es sei noch erwähnt, dass auch von der typischen Richtung
der Penetrationsbalin Abweichungen, zumal kleine, nicht selten
vorkommen. Dieselben variiren bei verschiedenen Eiern um die typische
radiäre Richtung als Mittellage nach beiden Seiten, treten aber, wie
Ursache der Coincidenz des Sameueintrittsmeridians etc. 381
es scheint, nur selten aus der Meridianelx'nu der Sameneintrittsstelle
seitlich heraus.
Als ein dritter besonderer xVct wird vielleicht die Copu-
lation [183] im engeren Sinne, die Vereinigung der bereits bis zur Be-
rührung genäherten Kerne zu einem einzigen Kerne, sofern solche Ver-
einigung, entgegen den Beobachtungen van Beneüen\s an Ascaris mega-
locephala, beim Frosch vorkommt, einschliesslich der speciell für diese
Vereinigung, oder richtiger für die nächste Theilung, nöthigen vor-
bereitenden Umänderung in der Structur und Beschaffenheit der noch
isolirten Kerne, zu unterscheiden sein, üeber die hierher gehörigen
Vorgänge habe ich am Froschei keine sichere Kunde gewinnen können.
Ich kann blos angeben, dass ich in einigen Fällen in dem Spermakern,
als er dem Eikern schon sehr nahe war, Gebilde wie die Chromatin-
schleifen einer zerstörten Kerntheilungsfigur sah. Da die Präparate nicht
für den Zweck derartiger Beobachtungen vorbereitet waren, so konnte
ich keine Gewissheit darüber erlangen, ob hier analoge Vorgänge bei
der Copulation sich in den Kernen abspielen, wie sie bei Ascaris megalo-
cephala vorkommen, deren Kenntniss wir van Beneden verdanken.
Ursache der Coincidenz des Sameneintrittsmeridians mit
dem Verlaufs- und dem Copulationsmeridian.
Wenn nun auch unsere Kenntniss der einzelnen Gopulations-
vorgänge und ihrer Ursachen noch sehr gering ist, so genügt doch
die gewonnene Kenntniss der typischen Natur dieser Vorgänge
wenigstens für unseren nächsten Zweck, für die Erklärung der in
der Regel stattfindenden Coincidenz des S a m e n e i n t r i 1 1 s m e r i -
dians mit dem Verlaufs- und dem Copulationsmeridian
und ebensowohl auch für die Erklärung der gelegentlichen Störung
dieser Coincidenz.
Da der Sani^nkörper zunächst radiär eindringt, so hat er die
Richtung gegen die E i a x e hin, er bewegt sich also innerhalb der
durch die Eintrittsstelle und die Axe gegebenen „Meridianebene" des
Eies ^). Wenn er nun umbiegt, um direct dem Eikern zuzustreben.
[1) Dieser Meridian könnte aber „schief" stehen und damit von dem der
stets senkrecht stehenden ersten Furche abweichen müssen, sofern die Eiaxe
382 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtun^
SO wird er diese Ebene nicht zu verlassen brauchen, sofern der Eikern
selber innerhalb dieser Axe gelegen ist.
Dies ist nun nach meinen Messungen allerdings gewöhnlich nicht
genau der Fall; aber ich fand die Abweichungen meist so gering,
blos ^/i5— ^/so des Eidurchmessers betragend, dass die dadurch ent-
stehende Abweichung aus der Eintrittsmeridianebene in die Fehler-
breite unserer Beobachtungen fällt und daher nicht bemerkbar wird
Wir haben es ja beim Froschei mit einem blos 1,5 mm grossen,
nur annähernd runden und auch im Innern nur annähernd
mit Rotationsstruktur versehenen Gebilde zuthun, dessen Eiaxe
also [184] gar nicht genau bestimmt werden kann. Die Pigment-
strasse des Samenkernes ist auch manchmal sehr dick und in ihrer
braunen Substanz ungleich dicht, und stellen weise wie in Diffusion
gegen den Nachbardotter begriffen, so dass ihre Mittellinie un-
deutlich wird. Dazu kommen noch die unvermeidlichen Fehler bei
der beabsichtigten derartigen Einstellung des Eies auf dem Microtom,
dass die Schnittebene parallel der ersten Furchungsebcne liege. Ueb-
rigens ist auch bei normaler Einstellung die Furchungsebene
häufig gar nicht genau eine Meridianebene. Es kommen also
eine grosse Zahl kleiner Abweichungen vor, die erst später, bei
beabsichtigten Annäherungen zweiten Grades eingehende Berück-
sichtigung finden können.
Ist jedoch die seitliclie Abweichung des Eikernes aus der Eiaxe
eine grössere, wie es bei längerer Retention der Eier im Uterus in
Folge verspäteter Brunst vorzukommen scheint und leicht erklärlich
ist, so wird die seitliche Abweichung der zweiten Strecke aus der Meri-
dianebene der Eintrittsstelle auch entsprechend grösser. Die Winkel-
grösse dieser Ablenkung ist natürlich zugleich von der Entfernung
I
schief steht, wie es bei Rana esculenta der Fall ist, und sofern zugleich die „Ein-
trittsstelle" des Samenkörpers seitlich von der durch die schiefe Eiaxe gehenden
senkrechten Meridianebene gelegen wäre. Letzteres ist aber, wie wir sahen
(s. S. 163), nicht der Fall, sondern die Eiaxe neigt sich mit ihrem oberen Ende
gegen die Eintrittsstelle des Samenkörpers hin. Deshalb steht die durch die
Eintrittsstelle des Samenkörpers und durch die schiefstehende Eiaxe gehende Meridian-
ebene gleichwohl senkrecht und kann deshalb auch mit der senkrechten ersten
Furche zusammenfallen, da sie in ihrer sonstigen Richtung übereinstimmen.]
Ursache der Coincidenz des Saiiieneintrittsineridians etc. 383
abhängig, in welcher schon die rein nucleopetale Bewegung beginnt.
Je grösser diese Entfernung, um so kleiner ist ceteris paribus dieser
Winkel, wie die Figuren 12 und 13, Tat". A"^ zeigen.
Ausnahmen von der Coincidenz können natürlich auch
entstehen, wenn eine andere Abweichung von dem normalen Verlaufe
der Copulation vorkommt, wenn, wie z. B. in dem ersten von mir
beobachteten Falle, der Samenkörper nicht radiär, sondern stark seit-
lich aus der Eintrittsmeridianebene abgelenkt seine erste Bahn zu-
rücklegt; ferner wenn die zweite Strecke aus unbekannter Ursache
den Spermakern zunächst seitlich an dem Eikern vorbeigeführt hat;
oder wenn besondere Kräfte die Kerne während der letzten Copu-
lationsphase oder den durch sie gebildeten Furchungskern nachträg-
lich herumdrehen, wofür wir weiterhin Beispiele kennen lernen werden.
Für die bisher erwähnten, bei normaler Stellung der Eiaxe
vorgekommenen Ausnahmen war es also nicht nöthig an Ur-
sachen der letzteren Art zu appelliren; sondern wir sahen im Gegen-
theil die erste Furchungsebene mit der Endstrecke der Verlaufsrich-
tung des Spermakernes gegen den Eikern zusammenfallen.
Da aber die Coincidenz der Furchungsebene mit den oben er-
wähnten Momenten sich in den Fällen stärkerer Abweichungen auf
den letzten Theil der Bahn des Samenkörpers beschränkt zeigt
(s. auch Nr. 27, S. 203), so sind wir berechtigt, die ersteren Tlieile, [185]
wenn sie überhaupt einen bezüglichen Einfluss ausüben, so doch als
minderwerthig gegenüber dem letzteren Momente aufzufassen und
zu sagen:
Unter normalen Verhältnissen wird die ,,specielle Rich-
tung" der ersten, stets senkrecht stehenden und durch den Mittel-
punct des Eies gehenden „Theilungs ebene" des Froscheies durch
die Richtung di^r „Copulationslinie" der beiden Vorkerne
bestimmt und steht derselben parallel oder geht durch diese
Linie selber hindurch.
Zerlegen wir dies Ergebniss behufs Erörterung seiner speciellen
Bedeutung, so sind zunächst zwei Componenten zu unterscheiden:
Die Theilung des Furchungskernes und die Dottertheilung.
384 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
a) Richtung der ersten Tlieilung des Furcliungskernes.
Für den Kern lautet der Satz:
Die Richtung der normalen ersten Tlieilung des „Fur-
chungskernes" wird durch die Copulationsrichtung der Vor-
kerne bestimmt; die Theilung erfolgt in der durch die
Copulationslinie gehenden ,,verticalen" Ebene.
Zerlegen wir zunächst diesen Befund des Weiteren.
Die Copulationsrichtung ist reell durch diejenige Linie
gegeben, innerhalb deren sich die Massenmittelpuncte beider Vorkerne
während der Copulation gegeneinander hinbewegen; dieselbe ist vor-
stehend als „Copulationslinie" bezeichnet worden. Da die ,,Thei-
lungsstelle" eines körperlichen Gebildes nicht blos eine Linie, sondern
eine Fläche darstellt, so fehlen bei gegebener Copulationslinie, in deren
Richtung die Theilung erfolgen soll, für die Theilung noch zwei be-
stimmende Momente: die ,, Gestalt der Theilungsfläche", die ge-
nauere Richtung dieser Fläche. Die Gestalt der Theilungsfläche
ist unter normalen Verhältnissen die der Ebene; der Nützlichkeits-
grund dieser Gestalt wird weiter unten im Zusammenhang mit anderen
Erscheinungen, so weit es angeht, erörtert werden.
Da durch eine gerade Linie unendlich viele verschieden gerichtete
Ebenen gelegt werden können, so muss noch ein besonderes Moment
die fehlende zweite Richtung bestimmen. Die Entscheidung über
diese specielle Richtung ist derart getroffen, dass die ,,Kernthei-
lungsebene" vertical steht. Es wird zu untersuchen sein, ob die
bestimmende Ursache dieser Richtung im Kern selber liegt oder von der
Lage der Dottertheile in irgend einer Weise abhängig ist. Es wäre denk-
bar, dass bei der ersten (und zweiten) Theilung innerhalb des Kernes der-
artig ungleich schwere Theile sich befänden, dass durch [186] die
Wirkung der Schwere auf dieselben die Theilungsrichtung die senk-
rechte Richtung erlangte. Andererseits könnte z. B. auch eine be-
sondere Tendenz der Kernspindel, sich in den längsten durch
den Kern gehenden Durchmesser des Protoplasmas, des Bil-
dungsdotters einzustellen, in Anspruch genommen werden, da zu
dieser Zeit der wagrecht durch den Furchunoskern gelegte Durchmesser
4
Richtung der ersten Theilung des Furchungskernes. 385
des Bilduiigsdotters in der Tliat der grüsste ist. Nur spricJii gegen
die Verwendung dieses Principes, dass ich an linsenförmig defor-
mirten Eiern die erste Furche durch den Linsenäquator gehen sah
(S. 303), so dass die Kernspindel sich also gerade nach der
kleinsten Dimension des Bildungsdotters eingestellt hatte.
Die „Lagerung" der Kerntheilungs ebene ,,im liaume"
ist nicht immer durch die primäre Lage der Copulationslinie der
Vorkerne gegeben, sondern diese Ebene fällt normalerweise in eine
durch die ,,Eiaxe" gelegte verticale Ebene, also in eine verti-
cale ,, Meridianebene" des Dotters. Die räumliche Lagerung der
Theilungsebene des Kernes wird somit vom Dotter bestimmt.
Da die Theilungsebene des Kernes bei Halbirung der Masse desselben
stets in der Mitte der Kernsubstanz gelegen ist, so ist also anzunehmen,
dass der Kern mit seiner immanenten Copulationslinie dieser parallel,
sei es vor oder erst während der Theilung, entsprechend im
Dotter verschoben wird, wenn die Copulationslinie nicht die
Richtung auf den verticalen Eidurchmesser hatte.
Für das weitere Verständniss ist es nöthig , uns über die Be-
deutung einiger Verhältnisse des Kerntheilungsmechanis-
mus klar zu werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen, ist es zunächst erforderlich,
sich den Unterschied in der Bedeutung der Bezeichnungen „Theiluiig^s-
richtuiig" und „Soiuleruiigsrichtung" des Kernes klar gegenwärtig zu
halten.
Da die ,,Theilungsfiäche" einer Masse den ,,Ort" aller bei der
Theilung stattgefundenen einzelnen Zusammenhangstren-
nuugen bezeichnet, so ist die ,,Theilungsrichtung" durch die
Richtung (genauer durch die Richtungen) dieser Fläche gegeben. Die
„Souderungsrichtung", reell vertreten durch die Axe der
Kernspindel, giebt dagegen die Richtungen an, in fl87] welcher
die beiden Theilstücke von einander ,,entfernt" werden; was
normaler Weise rechtwinkelig zur Theilungsfläche geschieht.
Da die Kerntheilung nicht nach dem REMAK'schen Schema der
einfachen Durchtheilung einer einheitlichen Masse erfolgt, sondern
"W. Roux, Gesammelte Abhandlungen, 11. 25
386 Nr. 21. Bestimmung der Mediauebene durch die Copulationsrichtuiig.
einen complicirten , mit Spaltung vieler einzelner fadenartiger Ge-
bilde verbundenen Mechanismus darstellt, so kann von einer „einheit-
lichen" Theilungsfläche im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein,
sondern nur soweit, als das in mehrere Stücke zerlegte Kern-
material vor der eigentlichen Theilung derart geordnet und die Thei-
lung jedes Stückes derart vollzogen wird, dass in der That alle
diese Theilungen dann in ein und dieselbe Ebene fallen. Es wird
aber keine wesentliche Störung hervorrufen, wenn hiervon Abweich-
ungen vorkommen.
Erscheint schon dadurch die Richtung der Theilungsebene
als nicht das Wesentlichste für die Richtung der Kernthei-
lung, so spricht sich dies noch mehr dadurch aus, dass der Thei-
lungs Vorgang auch nicht mit der Anordnung der zu theilenden Sub-
stanz in dieser Ebene beginnt, sondern mit der ^"erlängerung des
Kernes in der Sonderungsrichtung anhebt.
Die„Sonderungsrichtung"ist also die primäre, wichtigere
von beiden Richtungen. Indem bei der Vorbereitung zu diesem
Sonderungsvorgang das Material symmetrisch zu einer rechtwinkelig
zu dieser Richtung stehenden Ebene gruppirt Avird , erhalten wir als
wesentliches Gebilde die „Symmetrieebene der Sonderungs-
mechanismen". Die ,, Theilungsebene" fällt nun, sofern über-
haupt alle Längsspaltungen der Schleifen in derselben Ebene erfolgen,
die Schleifen also nicht verdreht oder verschoben sind, mit dieser
Symmetrieebene der Sonderung zusammen.
Dies muss als sehr zweckmässig erscheinen, sofern man die
Bedeutung der Kerntheilung nicht blos in einer einfachen mecha-
nischen Zerlegung des Kernmaterials in zwei Stücke, sondern ent-
sprechend der von mir aufgestellten Hypothese (S. 138 und 311) in
einer qualitativen Sonde rung desselben erblickt. Die specielle
Art, wie die vielen verschiedenen Substanzen des Kernes qualitativ
von einander gesondert werden sollen, kann je nach dem speciellen
Falle eine sehr verschiedene sein, immer aber muss dafür gesorgt
sein, dass das geschiedene, qualitativ l3estimmte Material jeder Schleife
der- [188] jenigen Sonderungsseite zugeführt wird, der es zugehört;
und dies wird am sichersten geschelion können, wenn es schon vor
Richtung der ersten Theilung des Furchungskernes. 387
(1er Tlieiluni;- dieser Seite voUkoninion zugeweiulet ist; ist dies aber
der Fall, dann wird die Theilungsebene mit der Symmetrieebene der
Sondermig identisch sein. Obgleich somit diese „Sj^mmetrieebene
der Sonderling" von den beiden, in Qualität und Ursachen ver-
schiedene Vorgänge bezeichnenden aber normaler Weise zusam-
menfallenden Ebenen die primäre und wichtigere ist, so wollen
wir doch den bisher gebrauchten und allgemein angenommenen Aus-
druck der ,,Theilungsel)ene" fernerhin für beide Vorgänge
im Gebrauche bevorzugen, sofern es sich in der Erörterung nicht
um den Sonderungs Vorgang an sich handelt.
Der Nutzen des Umstandes, dass die Sonderungsmechanismen
von einer Ebene aus nach entgegengesetzten Seiten hin wirken,
leuchtet unmittelbar ein; denn es ist selbstverständlich, dass die son-
dernden Kräfte leichter zu einer „Ebene" bestimmt orien-
tirt werden können, als zu einer gebogenen Fläche. Gegen
diese Ebene nun könnten die sondernden Kräfte in verschiedener Weise
wirken, z. B. derart schief, dass die Sonderung jederseits schief zu
dieser Ebene vor sich geht. Dann müssten die Kräfte für die Ueber-
führung jeder einzelnen Chromatinschleife nach Grösse und Richtung
besondere sein, und für jeden anderen solchen Sonderungswinkel
müssten alle Kräfte neu normirt werden.
Bei ,, rechtwinkeliger" Stellung der Sonderungsrich-
tung zur Symmetrieeben e der Sonderung dagegen können
die Kräfte alle die gleichen und ihre Anordnung bei
allen Kerntheilungen dieselbe sein; dieser gewöhnliche
Mechanismus der Kerntheilung ist also der regelmässigste
und darum der einfachste, leichteste und sicherste. Und es
können bei Constanz dieses Richtungsverhältnisses alle Kernthei-
lungen mit eir\em und demselben „groben" Mechanismus
vollzogen werden; natürlich abgesehen von den feineren intra-
molecularen Sonderungsvorgängen, welche je nach der Natur
der qualitiven Materialscheidung die Qualitäten der Mutterkörner und
Chromosomen in verschiedener Weise von einander sondern. Die für
jeden solchen Individualfall nöthigen speciellen Sonderungseinrich-
tungen sind dann aber auf das Minimum, eben blos auf das In-
25*
388 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durcli die Copulationsrichtung.
di vi du eile des Falles beschränkt; und die „grobe Sonderung"
die Ueberführung der einzelnen Theilungsproducte nach den neueren
Centren geschieht mit Hülfe des obigen „universellen Ueher-
fn h r u n g s m ecJta n i s m u 6'. "
b) Erste Theilung des Dotters.
[189] Für die Theilung des Zellleibes sagt unser Gesetz:
Die erste Theilung des Dotters erfolgt bei zwanglos
gehaltenen Eiern gleichfalls in der, , Richtung" derCopulation
der Vorkerne. Hierbei treffen wir wieder auf denselben noch vor-
handenen Mangel an Bestimmung. Es fehlt noch eine Bestimmung
der Richtung, ferner die Bestimmung der Gestalt der Theilungsfläche
und der räumlichen Lagerung derselben.
Die ,, Gestalt" der Theilungsfläche des Dotters ist (nor-
maler Weise) gleichfalls die ebene; ob aus denselben Nützlichkeits-
gründen wie beim Kern, ist nicht zu sagen; doch ist zugleich daran
zu denken, dass hier eine einheitliche zusammenhängende Masse
zu theilen ist, und dass die Ebene ceteris paribus die kleinste
Trennungsfläche darstellt. Die reellen Theilungs Ursachen sind
uns ebenso unbekannt wie bei der Kerntheilung. Die noch fehlende
eine Bestimmung für die Richtung der ersten Dottertheilung ist
wieder die verticale, aber nicht analog Pflügek's Auffassung in Folge
einer geheimnissvollen ,,di£ferenzirenden" AA'irkung der Schwere, son-
dern blos in Folge der Einstellung der, wie ich direct nachgewiesen
habe, ungleicli specifisch schweren Dottertheile (s. S. 260). Dies
ergiebt sich auch daraus, dass bei Zwangslage in abnormer Stel-
lung des Eies die erste Theilungsfläche des Dotters, entgegen
Pflüger's Angabe, häutig nicht ganz senkrecht, ja manchmal stark
geneigt steht, und auch nicht ganz eben, sondern geknickt,
gebogen oder windschief verdreht ist, weil die ümordnung der
ungleich specifisch schweren Dottersubstanzen zur Zeit des Auftretens
der ersten Furche oft noch nicht beendet ist. Die Lage der so in
ihrer Richtung bestimmten ersten Dottertheilungsebene ist normaler
Weise durcli den Mittelpunct des Eies gegeben. Bei Zwangslage
Richtung der ersten Theilung des Dotters. 3S9
kommen auch liiervon häiiHg Abweichungen vor, /Aunnl weini <h'e
zweite Furche zuorst entsteht. Die Ursache dieser Lage muss
natürlich im Dotter selber liegen, um so mehr, als diese Ebene
nicht durch die Kerntheilungsebene schon gegeben ist, sondern als
im Gegentheil der Kern mit seiner immanenten Theilungs-
ebene derart verschoben wird, dass diese seine Theilungsebene
in den ihr parallelen Meridian des Dotters gelangt, welcher Meridian
eben 7Air Theilungsebene des Dotters wird.
3. Ursachen der Coincidenz der Richtung und der Lage
der , ,Kernth ei lungsf lache" und der , ,D o tt er th eil ungs fläche".
[190] Da ,,bei normaler Stellung" des Eies die beliebig von mir be-
wirkte C'opulationsrichtung mit der ,.Kerntheilungsrichtung" zugleich
die Richtung des verticalen Theilungsmeridianes des Dotters bestimmt,
so ist letzterer also somit von ersterer abhängig^). Ob die ,,verticale"
Richtung der ersten ,, Kerntheilungsebene" abhängig von
der Einstellung der „Dottermassen" ist, war zur Zeit nicht
sicher zu sagen; [es ist aber wahrscheinlich, da die durch die
Kernspindel bezeichnete ,, Sonderungsrichtung" von der ,, Gestalt"
des Protoplasmas abhängt (s. S. 302 und 336)]. Dagegen konnte eine
Abhängigkeit des Kerns von den Dottermassen sicherer bezüg-
lich der Lage der Kerntheilungsebene zum Dotter angenommen
werden; dies ist auch in seiner Nothwendigkeit unmittelbar ver-
ständlich. Für sich muss sich zwar der Kern innerhalb seiner
eigenen Substanz theilen; und, so viel wir wissen, geschieht dies
stets unter Halbirung, also in der Mitte derselben. Wenn aber
ausserdem eine Theilung des Zellleibes vor sich gehen soll, so ist die
Theilungsfläche des Dotters, als des grösseren, äusseren, aber
gleichfalls sich ganz durchscheidenden Theiles natürlich in gewissem
Sinne das Bestimmende; sonst müsste durch die Fortsetzung der
Dottertheilungsfläche in anderer Lage zum Kern dieser eventuell noch-
mals mitgetheilt werden ^).
[1) Für abnorme Verhältnisse bei Zwangslage siehe S. 338 u. 404 u. f.]
[2) Diese Ableitung der Abhängigkeit der Lage der Kei-ntheilungsfläche von
der Lage der Dottertheilungsfläche ist „nicht zwingend", obschon beide Flächen,
damit der erwähnte üebelstand vei'mieden werde, auch örtlich zusammenfallen
390 Nr. 21. Besiimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
B. Function eile Bedeutung der Bestimmung der ersten Ei-
theilung durch die Copulationsrichtung der Vorkerne.
Nach dieser Zerlegung des gewonnenen Gesetzes in seine ein-
zelnen Bestandtheile und der Erörterung über die Bedeutung einzelner
Mechanismen der Kerntheilung können wir nun zur Erörterung der
wahrscheinlichen functionellen Bedeutung des Gesetzes, dass
die Theilungsebenen des Kernes und Dotters in der Copu-
lationsrichtung gelegen sind, übergehen.
a) Nutzen für die Theilung des Furchungskernes.
Man kann über die specielle Bedeutung der Copulation des Sper-
makernes und des Eikernes sehr verschieden denken; jedenfalls wird
man annehmen, dass sie in irgend einer Weise wesenthch verschie-
dene Materialien zusammenbringt, bestehe auch die Verschiedenheit
blos darin, dass im einen Kern die individuellen Eigenschaften des
Vaters, im anderen die der Mutter potentia mit enthalten sind. Ferner
ist unzweifelhaft, dass vor der Verschmelzung diese beiden Massen
dicht aneinander gelagert sind.
Es könnte nun weiterhin eine „vollkommene" V ermi s c h u ng
der specifischen Substanzen des Eikernes und des Samen-
kernes stattfinden, sodass in der Anordnung der verschiedenen Kern-
theile jede Beziehung zu der Richtung der Zusammenführung voll-
kommen aufgehoben würde. Dann würde weder ein mechani-
scher, noch ein Nützlichkeits-Grund vorhanden sein, zu-
folge dessen bei der danach eintretenden Sonderung eine
bestimmte Beziehung zu der somit ganz ver-[191] wischten
Zusammenführungsrichtung beider Kerne sich herstellen
müssen, sofern beide Theilungen zeitlich zusammenfallen. Es wäre wohl
denkbar, dass das vielmal kleinere Kerngebilde gleichwohl, wie normaler "Weise die
Richtung, mit seiner Lage auch die Lage der Dottertheilungsfläche bestimmte
(s. S. 411). Sofern aber, wie es meist der Fall ist, die Kerntheilung sich vor der
Zellleibtheilung vollzieht, können die gebildeten Tochtersterne an beliebige Stellen
des Zellleibes gebracht werden, ohne dass dadurch die Kerntheilung als solche alterirt
wird; Kern- und Dottertheilungsfläche brauchen dann also nicht mehr zusammen-
zufallen; was aber nicht hindert, dass letzteres doch meist der Fall ist.]
a) Nutzen der Coincidcnz für die Theilunir des Furchuncskernos. 391
sollte. Wenn trotzAlem eine solche Beziehung- sich ausspräche, so würden
wir annehmen müssen, dass der Grund ein ausserhalb des Kernes,
ein im Zellleib gelegener sei. Da wir aber einen solchen Grund nicht
kennen, sondern im Gegentheil festgestellt haben (S. 366), dass die
Theilungsebene in keinen constanten Riehtungsbeziehungen zu den
durch den Samenkörper hervorgerufenen Umordnungen des Dotters
zu stehen braucht, so glaube ich diese Möglichkeit abweisen zu müssen.
Auf Grund derThatsache aber, dass eine solche con-
stante Beziehung zwischen der C'opulationsrichtung und
Kernt heilungsrichtung vorhanden ist, erhebt sich die
Wahrscheinlichkeit, dass d i e G o p u 1 a t i o n z u k e i n e r v o 1 1-
kommenen Vermischung geführt hat, sondern dass die Go-
pulationsrichtung auch während der beginnenden Kerntheilung in der
Anordnung der Substanzen nach der Art ausgesprochen ist, dass da-
durch die Theilungsrichtung beeinflusst wird.
Das am Froschei festgestellte Gesetz führt also zunächst zu einer
ähnlichen Vorstellung von den inneren Vorgängen der Gopulation,
wie sie van Benedex ^) an Ascaris megalocephala gewonnen hat. Dieser
ausgezeichnete Beobachter stellte fest, dass bei iVscaris megalocephala
während der Gopulation der, vier Ghromatinschleifen enthaltenden
Vorkerne sich je zwei Schleifen des Spermakernes und je zwei Schleifen
des Eikernes zusammenordnen und sich, mit ihnen blos äusserlich
vereint, dem Gentrum der zugleich gebildeten Furchungskugel zu be-
wegen; und er nimmt an, dass auch vor oder bei allen späteren Thei-
lungen keine Verschmelzung der beiderlei männlichen und weiblichen
Materialien stattfinde.
Aber nicht blos aus dem negativen Grunde, dass l)ei voll-
kommener Vermischung der Kernsubstanzen eine feste Beziehung der
Theilungsrichtuuo- auf die ganz verwischte Gopulationsrichtuug wider-
sinnig wäre, können wir eine „unvollkommene" Vermischung
der beiden Kern Substanzen erschhessen ; sondern mit dieser
letzteren Annahme wird auch zugleich klar, warum die
') Ed. vak Benedex, Recherches sur la maturation de Toeuf et la Fecondation.
Arch. de Biologie. T. IV. 1883. (Auch separat erschienen. Leijizig 1883.)
392 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
erste The iluiig gerade ,,in" der Copuhitionsrichtung, nicht
aber rechtwinkelig, oder in constanter Wei.se schief zu
letzterer erfolgt, das soll heissen, welcher Nutzen dieser Ein-
richtung zukommt.
Wenn z.B. bei der C'opulation gar keine Vermischung
der beiden einander zugeführten Theile stattfindet, sondern jeder Theil
sich für sich halbirt, und die eine Hälfte desselben mit [192] einer
Hälfte der anderen Substanz auf dieselbe Seite geschafft werden soll,
so ist es das Einfachste, dass die Theilung l^cider gleich
in der Conjugationsrichtung erfolge; und zwar aus dem Grunde,
weil dann keine nachträgliche Umordnung der Substanzen
n öthig ist, denn die Theilstücke liegen dann gleich von vornherein dem
neuen Ziele zugewendet, wie Fig. 14 auf Tafel V zeigt. (Darin, sowie
in den folgenden fünf Figuren, bezeichnen die mit Feder-Fahnen ver-
sehenen Pfeile die Copulationsrichtung, a b die Theilungsebene der
beiden bis zu halbkugeliger Abplattung einander genäherten Kerne,
die Pfeilspitzen dagegen die ,, Sonderungsrichtung" (s. S. 385) ; in
allen Figuren sind in den beiden Kernen dieselben Arten von Kern-
substanzen angenommen, wie sie in Fig. 14 dargestellt sind, d. h. im
einen Kern dunkelbraun und weiss, im anderen Kern weiss, sowie
grob und feinkörnig bezeichnete Substanz.)
Dies gilt in gleicher Weise, wenn bei der Copulation eine Ver-
mischung der l)eiden Kernsubstanzen vor sich geht, sofern diese
nur so unvollkommen ist, dass noch eine ungleiche (Iruppirung der
verschiedenen Kernsubstanzen längs der Copulationsrichtung bestehen
bleibt (wie Fig. 15 zeigt).
Würde in diesen beiden Fällen die Theilung rechtwinkelig
zur Copulationsrichtung erfolgen, also die ,, Sonderung" in der Copu-
ationsrichtung sich vollziehen (Fig. 1(5), so würde natürlich so-
weit die Vermischung unvollkommen war, die Wirkung
der Copulation wieder aufgelioben. Stünde die Theilungs-
richtung schief zur Copulationsrichtung, so würde der Effect sich
aus den beiden erörterten Componcnten zusammensetzen, und also
eine Iheilweise Wiederaufhebung der vorher erst liervorgebrachten
Vermischung sich als die Folge ergeben.
a) Nutzen der Coincidenz für die Theiliing des Fiucliungskernes. 393
Soll, wie es ncn-nial «;eselieheii miiss, bei der ersten Tlieiliing des
Furclmngskernes das Material beider Vorkerne qualitativ halbirt
werden, so kann dies durch jede Ebene, welche durch die Copu-
lationslinie" gelegt ist, geschehen, sofern das Material um diese Linie
nach allen Richtungen hin gleich beschaffen ist. Ist letzteres nicht
der Fall . dann muss es sich derart ordnen , dass es durch irgend
eine dieser Ebenen so geschieden werden kann. Diese Ordnung muss
beim Ausbleiben jeder Vermischung sich natürlich in jedem Kerne
für sich vollziehen ; bei stattfindender Mischung aber kann sie während
der Vermischung vor sich gehen.
Soll das Material des durch die Copulation gebildeten
Furehungsker nes ,, qualitativ ungleich" getheilt werden,
wie es z. B. bei schiefer Zwangslage des Froscheies geschieht, wo die
zweite, die ventricaudale und die dorsicephale Seite des Embryo
scheidende Furche häufig zuerst entsteht, oder wie es z. ß. auch
bei Ascaris [193] normaler Weise vorkommt, dann erweist sich wieder-
um unser Theilungsmodus als der beste, d. h. der einfachste. Hier-
bei soll nach beiden Seiten verschiedenes Material kommen. Als-
dann sind wieder zwei principiell verschiedene Fälle zu unterscheiden,
je nachdem bei der Copulation Vermischung der Materialien der
Vorkerne erfolgt oder nicht.
1 . Tritt g a r k eine V e r m i s c h u n g e i n , so muss sich in jede m
einzelnen Kerne das Material der richtigen Seite des Dotters zu-
wenden; so in Fig. 17, Taf. ^" von dem hellen Kern z. B. das grobkörnige
und im dunklen Kern das braun pigmentirte Material nach derselben
Sonderungsseite. Geschieht dabei die Sonderung rechtwinkelig zur
Copulationsrichtung, wie in Fig. 17, erfolgt also die „Theilung" selber
in der Copulationsrichtung, so vollzieht sich, wie üian sieht, der Act
wieder möglichst einfach, da die beiden Kernmaterialien alsdann
ihrem Ziele schon zugewendet liegen. Sollte aber die „Theilung"
rechtwinkelig zur Copulation slinie , die Sonderung also in dieser
Linie erfolgen, so würde, wie Fig. 18 zeigt, der Effect der Copula-
tion einfach wieder aufgehoben, auch wenn jedes der verschiedenen
Materialien jedes Kernes sich der richtigen Seite zugewendet hätte.
LTni diesen Effect zu vermeiden, müssten die beiden an einander
394 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
liegenden Schichten des brauneu und des feinkörnigen Materiales erst
ihren Platz total vertauschen, also die beiderlei Kernsubstanzen sich
doch und zwar in bestimmter Weise vermischen, um zu der nothigen
Anordnung der Fig. 19 zu gelangen; und dies würde nicht ohne Zeit
und Kraft kostende Umstände zu erreichen sein.
2. Wäre vorher eine unvollkommene Vermischung in der
Copulationsrichtung vor sich gegangen, so würde sie bei dieser letzteren
Theilungsrichtung wiederum soweit aufgehoben, als sie noch unvoll-
kommen war, und nur bei der dazu rechtwinkeligen, ersteren Theilungs-
weise würde sie erhalten bleiben. Die Theilung in schräger Richtung
zur Copulationsrichtung würde als eine entsprechende Combiuation der
zweckmässigen und der unzweckmässigen Einrichtung aufzufassen sein.
So können wir also die f u n c t i o n e 1 1 e Bedeutung des
Gesetzes, dass die erste Theilung des Furchungskernes
normalerweise in der Copulationsrichtung der Vor-
kerne erfolgt, dahin definiren, dass diese Art der Theilung
bei einer anzunehmenden ,,fehl enden" oder ,, unvoll-
kommenen Vermischung" der Substanzen der Vorkerne allein
diejenige ist, welche keine in der Copulationsrichtung vorsieh
gegangene An ein anderlagerung od er Vermischung der beiden
Kernmaterialien wieder aufhebt. Sie stellt somit den besten
und, wie wir gleichfalls sahen, auch noch in anderer Hinsicht den ein-
fachsten, öconomischsten Mechanismus der Theilung durch
Copulation verbundener, aber nicht oder nur unvoll-
kommen vermischter Materialien dar.
b) Nutzen für die Theilung des Dotters.
Nachdem wir so den Nutzen unseres Gesetzes für die Kern-
[194] theilung soweit, als zur Zeit möglich, erörtert haben, fragen wir
nun nach der Be deutung des die Dottertheilung angehenden Theiles des
Gesetzes; also was es bedeutet, dass ,, normaler" Weise der Dotter
des Froscheies sich in derjenigen verticalen Meridianebene
theilt, welche parallel der Copulationsrichtung ist.
Wenn der den Kern umschliessende Dotter derart gleich-
artig beschaffen und angeordnet ist, das er, wie es vielleicht beim
b) Nutzen der Coincidenz für die Theilung des Dotters, 395
Ei des Seeigels der Fall ist, in jeder iiiehtung durch eine Meridian-
ebene nicht blos quantitativ, sondern auch (jualitativ halbirl wird, so
ist kein innerer (Jrund vorhanden, dass diese Theilungsebene des
Kernes nicht auch zur Theilungsebene des Zellleibes werde, sofern
die Theilungsebene des Kernes überhaupt in einer Meridianebene des
Dotters liegt. Wenn dies nicht der Fall ist, so kann der Kern ent-
weder auf dem nächsten Wege dieser Richtung zugedreht werden,
wobei also auch seine Theilungsrichtung im Räume gedreht wird;
oder der Kern wird parallel seiner Theilungsebene seitlich verschoben,
bis diese in die Richtung eines Radius gelangt ist. Welches von
beiden weniger Kraft erfordert, lässt sich allgemein nicht angeben;
denn dies wird voraussichtlich von dem Verhältniss der Winkelgrösse
der nöthigen Drehung zur Grösse der nöthigen seitlichen Verschie-
bung, also zur Grösse des exaxialen Abstandes des Kernes von der
seiner Copulationslinie parallelen Mericlianebene abhängen.
Ist dagegen, wie beim Frosch ei, die Anordnung der ver-
schiedenen Dottermassen zu einander derart ungleich, dass sie
eine Rotationsstructur um blos eine Axe darstellt, dann wird bei
der quantitativen und qualitativen Halbirung der ganzen Masse die
Theilungsebene durch diese Axe gehen müssen. Sofern dabei die
Copulationsrichtung die Axe schneidet, so ist es das Einfachste,
dass die Theilungsebene des Dotters zugleich durch die Copulations-
richtung geht; dabei muss der Kern soweit um die Copulations-
richtung gedreht werden, bis seine ,, immanente Thei-
lungsebene", sofern er schon eine solche hat, ganz in die Rich-
tung dieser durch die Copulationslinie bestimmten Meridian-
ebene des Dotters fällt.
Steht der Kern excentrisch, und schneidet zugleich die Copu-
lationsrichtung nicht die Axe, so werden die Verhältnisse complicii'ter,
und wir vermögen nicht anzugeben, welcher Weg w^ohl mit dem
geringsten Kraftaufwande zum Ziele führen würde.
[195] Ist die Rotationsstructur, wie es beim Ei der Rana fusca
der Fall ist, derart aus ungleich specifisch schweren Theilen gebildet,
dass die Schwerkraft die Axe vertical einstellt, dann ist bei Er-
füllung unserer erwähnten Minimalbedingung der Drehung des
396 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Copulatioiiskernes um die Copulationslinie bis zum Zusammenf alleu seiner
imanenten ,,Theilungsebene" mit der gleichfalls durch die Copulations-
richtung gegebenen meridioualen, verticalen Theilungsebene des
Dotters zugleich die erste ,, Sonderungsrichtung" des Kernes wa ge-
recht gestellt.
Wir erkennen also auch in dem Verhalten der Dotter-
theilungsrichtung zur Kerntheilungsrichtung eine „ein-
fachste" Einrichtung, welche sich den gegebenen Verhält-
nissen der Dotterstructur anpasst und die Theilung mit
dem M i n i m u m von rieht e,n d e n u n d o r d n ende n Kräfte n
vollzieht.
III. Beziehungen zwischen der Copulationsrichtung und der Richtung
der ersten Furche, sowie der Medianebene des Emhryo hei
„Zwangslage".
Scheidet, wie es in Zwangslage^) häufig geschieht, die erste
Furche nicht das Material für die beiden Antimeren des Embryo,
sondern ungleiches Material, indem die physiologisch zAveite Furche
[') Unter „schiefer Zwangslage" oder einfach blos unter „Zwangs-
lage" ist verstanden, dass das Ei in einer Stellung fest gehalten wird, entweder die es von
selber nicht eingenommen hätte, oder die es zur betreffenden Zeit ohne diesen äusseren
Zwang nicht mehr behalten würde. Die erstere Zwangslage wird dadurch herge-
stellt, dass das unbefruchtete Ei mit seiner Eiaxe schief oder wagrecht oder mit dem
schwarzen Pol ganz nach unten, auf die Unterlage aufgelegt wird, und dass danach
durch entsprechend geringen Zusatz von Samen resp. Wasser, die Quellung der
am Boden sich festsaugenden Galierthülle so beschränkt wird, dass sich die letztere
noch dauernd fort auf das Ei presst, in Folge dessen dasselbe sich nach Pflüoer
nicht drehen und sich also nicht entsprechend der Anordnung seiner ungleich speci-
fisch schweren Eisubstanzen einstellen kann. (Am noch nicht oder erst wenig gefurchten
Ei finden darnach aber durch die Schwerewirkung innere Umordnungen der
ungleich specifisch schweren Substanzen in jeder Zelle statt (s. S. 262 u. 343) die
natürlich um so unerheblicher für das ganze Ei sind, in je mehr Zellen dasselbe be-
reits zerlegt ist. Ob auch Verschiebungen der Zellen selber aus solchem
Grunde entstehen, ist nicht bekannt, jedenfalls aber schwieriger.)
Wenn man den Zwang erst, nachdem die Eier sich gedreht haben, herstellt
(s. S. 347 Anm.), kann man die Eier in ihrer anfänglichen natürlichen Ein-
stellung fixiren, was ich als „gerade Zwangslage" bezeichnen will. Damit
wird die normale spätere, bei der Gastrulation und bei der Bildung des
Medullarrohres eintretende Drehung des Eies verhindert, und man erfährt so,
wie der Urmund und das Rückenmark zur ursprünglichen normalen Stellung der Eiaxe
orientirt sind (s. S. 325 Anm.).]
Wirkung der Copulationsrichtung bei Zwangslage. 397
zuerst auftritt, so gclit iuu-h die 'riu'ilungscboiie des Dotters häußg
nicht durch die Mitte des Eies und steht noch niclit vollkommen senk-
recht. Da die Beziehungen, die in <hesen abnormen Verhältnissen
noch zwischen der Copulationsrichtung und der ersten Theilungsrich-
tung des Kernes und des Dotters bestehen, uns einen weiteren
Einblick in die Bedeutung und den Wirkungs umfang
unseres Gesetzes thun zu lassen versprechen und zugleich eine
gewisse Controlle der Richtigkeit der bisherigen Ausführungen ermög-
lichen , so schliesse ich gleich die Schilderung der bezüglichen Ver-
hältnisse der Froscheier in Zwangslage mit ,, geneigter" Eiaxe an.
Bezüglich der Beziehung zwischen der ersten Furchungsebene
und der Medianebene des Embryo bei schiefer Zwangslage des Eies
macht Pflüger ^) die Angabe, dass keine Beziehung zwischen erster
Furche und der Medianebene des Embryo mehr bestehe, indem die
Medianebene stets durch die einzige senkrechte Ebene, welche durch
die schief stehende Eiaxe gelegt werden kann, hindurchgehe, während
die erste Furche in jedem beliebigen Winkel zu [196] dieser verti-
calen „Sy mm etrie ebene der Einstellung", wie ich sie genannt
habe, stehen könne. Born^) und ich (S. 328) haben dagegen
gleichzeitig gezeigt, dass diese Angabc nicht zutreffend ist, indem
sich deutlich ausspricht, dass die erste Furche vorzugsweise um die
Symmetrieebene oder um die dazu rechtwinkelig stehende Vertical-
ebene variirt; und ich habe dargethan, dass letzteren Falles die ihrer
Bedeutung nach der normalen zweiten Furche entsprechende Furche
zuerst gebildet worden ist, wie das auch sonst gelegentlich'^), häufiger
am Ende der Laichperiode, vorkommt.
Weiterhin beobachtete ich an in schiefer Zwangslage erhaltenen
1) Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen
und auf die Entwickeluug des Embryo. Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. XXXIl, 1883.
-) G. Born, BiT^logische Untersuchungen. I. Ueber den Einfluss der Schwere
auf das Froscliei. Archiv f. microsc. Anatomie, 1885, Bd. 24, S. 335.
[?• ) Wenn man einen Klumpen Eier in die Samenflüssigkeit legt, ohne ihn sogleich
auszubreiten, wenn in Folge dessen mehrere Lagen Eier übereinander auf dem
Boden des Gefässes liegen, befinden sich auch bei reichlichem Zusatz von Wasser
die Eier der unteren Lagen lange Zeit in Zwangslage und verhalten sich daher —
soweit nicht zufällig einige derselben mit ihrer Eiaxe die richtige Einstellung
beim Auffallen erlangt hatten — wie absichtlich in Zwangslage gebrachte und er-
haltene Eier. I
398 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsriclitung.
Eiern, dass bei einer Mittelstellung der ersten Furche
zwischen diesen beiden P r ä d i 1 e c t i o n s r i c h t u n g e n die
Median ebene des Embryo deutlich nachweisbar nicht in der
Richtung der ,, ursprünglichen" Symmetrieebene der Ein-
stellung gelegen ist, sondern gleichfalls wieder entweder mit der
Richtung der ersten Furche zusammenfällt oder rechtwinkelig zu ihr
orientirt ist, also mit der zweiten Furche zusammenfällt. Bei diesem
Schief stand der ersten Furche zur ursprünglichen Symmetrie-
ebene der Einstellung des Eies sah ich dann nach Bildung
der ersten und zweiten Furche eine ,, Umarbeitung der ober-
flächlichen Pigmentanordnung" vor sich gehen (S. 327), welche
das Pigment entweder um die erste Furche oder um die
rechtwinkelig zu ihr stehende Verticalebene symmetrisch
gruppirte. Ersteren Falles lag dann die Medianebene wiederum in
Richtung der ersten Furche , letzteren Falles dagegen rechtwinkelig
zu derselben.
Nur in blos IG^'m betragenden Fällen (s. S. 330) wich
trotz scheinbar guter Erhaltung der Zwangslage die Medi-
anebene von diesem Schema ab und fiel in keine der
beiden ersten Furche n. Da aber die durch die Schwerkraft
bedingte mechanische Tendenz zu Abweichungen durch Drehung der
Gastrula bei Zwangslage eine sehr grosse ist, und wir die Sufficienz
des Zwanges nicht genau zu beurtheilen vermögen, so sind diese Ab-
weichungen, trotz aller von mir aufgewendeten Sorgfalt zur Vermeidung
dieses Fehlers, doch vielleicht auf diese Fehlercj[uelle zurück-
zuführen. Aber wenn dies auch nicht der Fall wäre, so können wir
bei unseren gegen- [197] wärtigen, auf Annäherungen ersten
Grades gerichteten Bestrebungen diese selteneren Vorkomm-
nisse einstweilen bei Seite lassen (s. Nr. 29, S. 608).
Es sei an dieser Stelle gleich noch erwähnt, dass die scheinbaren
Ausnahmen auch darauf beruhen können, dass ich gleich wie Pflüger
und Born die Lage der Medianebene des Embryo bei Zwangslage
nach der Stelle der „ersten" Anlage des Urmundes beurtheilt
habe; dies geschali einmal auf Grund der Beobachtung, dass diese
Stelle normaler Weise mit der Rückenfurche in denselben verticalen
Localisirte Befruchtung an in schiefer Zwanffslase befindlichen Eiern. 399
Meridian, fällt und dass auch ))ei vielen controllirten Fällen von Zwangs-
lage dasselbe der Fall war. Durch die Benutzung dieser ersten er-
kennbaren Organanlage wurde die Beobachtungsdauer um einen Tag
abgekürzt und zwar um einen Tag, an dem die Tendenz zu nach-
träglicher Drehung des Eies an der Gallerthülle besonders gross wird.
Es erscheint mir nun aber fraglich und besonderer Untersuchung
bedürftig, ob in ,, allen" Fällen von ,, Zwangslage", besonders
auch bei „schräger" Befruchtung (siehe S. 402), die Stelle
der .,ersten" Urmunds anläge mit dem Meridian der
Rückenfurche und damit mit der Medianebene des Em-
bryo zusammenfällt (s. Nr. 31, S. 267).
Bei starker „erzwungener" Neigung der Eiaxe wird stets diejenige
Seite des Eies, nach welcher der schwarze, vorzugsweise den fein-
körnigen Bildungsdotter enthaltende Pol geneigt ist, zur ventricaudalen
Seite des Embryo.
Wir haben also zu fragen: Ist auch in diesen durch schiefe
Zwangslage des Eies gegebenen und scheinbar sehr mannig-
faltigen Verhältnissen die Copulationsrichtung des männ-
lichen und weiblichen Kernes noch das Bestimmende für
die Richtung der ersten Eitheilung und der Medianebene
des künftigen Embryo? Oder spricht sich wenigstens deutlich
eine Tendenz zu derartiger Wirkung aus, wenn auch vielleicht
alterirende Momente gleichzeitig mit zur Geltung kommen?
Ich habe micli bereits S. 338 in letzterem Sinne vermuthungsweise
ausgesprochen.
Localisirte Befruchtung an in schiefer Zwangslage befind-
lichen Eiern.
Um Gewissheit zu erhalten, machte ich zunächst Experimente
mit localisirter Befruchtung an künstlich in Schiefstellung erhaltenen
Eiern.
1. Zuerst befruchtete ich Eier von Rana fusca mit annähernd
wagerecht gestellter Eiaxe derart von der Seite, dass der Samen-
körper ungefähr rechtwinkelig zur Symmetrieebene der Ein-
400 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Stellung eindringen musste. Mehrere in gleicher AVeise loeahsirt
befruchtete [198] und geeignet geschnittene Eier hessen erkennen,
dass thatsächlich in diesem Falle der Samenkörper quer verlaufen
und die Copulation in querer Richtung erfolgt war. Dasselbe er-
gab sich an einigen nicht localisirt befruchteten aber in schief er Zwangs-
lage erhaltenen, microtomirten Eiern, in welchen zufällig der Samen-
körper seitlich von der Symmetrieebene der Einstellung eingedrungen
war. All die zehn in dieser Weise localisirt befruchteten Eier bildeten
die erste Furche in der Befruchtungsrichtung; die erste Furche
stand also quer zur Symmetrieebene der Einstellung, und er-
Avies sich auch durch die weitere Entwickelung , bei der die Median-
ebene des Embryo mit der Symmetrieebene zusammenfiel, als eine
echte, physiologisch bezeichnet, zweite Furche. Das Resultat war also
ganz so, wie ich es S. 338 vorausgesagt hatte.
Die Tendenz zur ,,Tlieilung des Furchungskernes in der
Copulationsrichtung'' ist somit so stark, dass es unter diesen
Umständen leichter fällt, die ihrer ,, Qualität" nach ,, zweite"
Furche ..zuerst" zu bilden, als von dieser Tendenz zur Thei-
lung in der Copulationsrichtung abzuweichen.
Während bei der normalen ersten Furche das Material für die
beiden Antimeren des Körpers geschieden wird , das Kernmaterial
also in jedem einzelnen seiner qualitativ verschiedenen Bestandtheile
halbirt werden muss, so wairde in unseren Fällen davon abgewichen,
und das Iv e r n m a t e r i a 1 , zuerst ungleich, in d i e M a s s e f ü r d i e
ventricaudale und dorsicephale Seite des Embryo getheilt.
Ich hege die Vorstellung, diese Alteration der qualita-
tiven Natur der Kerntheilung sei bedingt worden durch
denEinfluss der auf beiden Seiten von der präsumptiven
T h e i 1 u n g s r i c h t u n g liegenden ungleichen Dotter-
materialien, von denen nach den im Beginne dieses Ab.schnittes
mitgetheilten Beobachtungen die braunen Massen mehr der ventri-
caudalen, die weissen mehr der dorsicephalen Seite des Embryo in ihrer
Lage entsprechen') Diese Lagerungsbeziehung des Embryos zu den
1) In einem kritischen Referat (Biolog. Centralblatt, 1887, Bd. 7, S. 423) sage
ich weiterhin liierüher: .Die directe Beobachtung ergiebt, dass die grössere Anhäu-
Localisirte Befruchtung an in schiefer Zwangslage befindlichen Kiern. 401
Eimaterialien ist jedenfalls nicht derart aufzufassen, als wenn nur die
Zellen der ventrieaudalen Seite des Embryo in ihrem Zellleil) aus Bil-
dungsdotter, diejenigen der dorsicephalen Seite dagegen aus Nah-
rungsdotter bestünden. Sondern die Beziehung ist wohl darin be-
gründet, dass das Ei „e.xpli cite" schon einer ,,Blastula" ent-
spricht, d. h. die Materialien zu derselben bereits vorräthig und
entsprechend geordnet enthält, während das Material zur Weiter-
1 ) i 1 d u n g derselben z u r Cl a s t r u 1 a , also zur Ausbildung der dor-
salen Hälfte des Embryo nur erst [199] potentia nur „implicitc"
vorhanden ist und erst durch Wachsthum und Differenzi-
rung ,,explicite" hergestellt werden muss (s. Nr. 23, S. 704).
Deshalb sind vielleicht die Entwickelungsmechanismen derart einge-
richtet, dass das Kernmaterial für die dorsicephale Körperhälfte bei
den ersten Kerntheilungen gleich mehr der Seite des Nahrungsdotters
zugeordnet wird.
Ich denke mir, der Einfluss dieser verschiedenen Dottermassen des
ungetheilten Eies habe bei der nach unserem Gesetze bestehenden Prädis-
position, das Kernmaterial vorliegenden Falles nach den beiden un-
gleichen Seiten hin zu sondern, bewdrkt, dass die qualitative Natur dieser
Kerntheilung derart wurde, dass jeder Dotter seite des Eies das
ihr normal zukommende Kernmaterial zugeführt wurde,
dass also die eigentlich als zweite zu vollziehende Sonderungsweise
hier zuerst ausgelöst wurde: Ein sehr interessantes Beispiel directer
Anpassung, resp. ,,prästabilirter Selbstregulation'' und zu-
gleich ein Zeichen der Ueberlegenheit der mechanischen Ten-
denz zur ,, Sonderung" nach der ,,r echtwinkelig'' zur Copu-
lation gelegenen Richtung über die gleichzeitig vorhandene Ten-
denz, das Kernmaterial zuerst qualitativ zu ,,halbiren".
Es ist nun weiterhin aber mcht wohl anzunehmen, dass das bei
Zwangslage so häufige Zuerst-Auftreten der zweiten Furche immer
fang der protoplasmatischen dotterkörnerfreien Substanz, fast entsprechend dem
Grade der Schiefeinstellung des Eies, auf der Betruchtnngsseite des Eies sich findet.
Wodurch trotzdem die Senkung dieser letzteren Seite bedingt ist, muss erst noch
ermittelt werden. Bis jetzt kann Ref. blos mittheilen, dass er manchmal auf der
Befruchtungsseite vorwiegend grosse, auf der anderen Seite oben vorwiegend kleinere
Dotterköruer neben der protoplasmatischen Schicht fand (s. S. 374 Anm.).
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 26
402 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
durch das Eindringen des Samenkörpers an dem seitlichen Bezirlc be-
dingt sein solhe; denn dieser Bezirk mag blos jederseits etwa ein Fünftel
der zugehörigen Hälfte der schwarzen Hemisphäre betragen ; während
ich bei relativ geringer erzwungener Schiefstellung des Eies (s.
S. 326) schon in 35 ''/o der Fälle reine Querstellung, in weiteren IS'^/o
diu erste Furche innerhall) 20° dieser Stellung genähert fand. Nach
BoRx's Beobachtungen (1. c.) ist das Verhältniss bei starker Neigung
der Eiaxe ein noch grösseres.
Es müssen also noch andere in diesem Sinne wirkende Ur-
sachen vorhanden sein. Dem entsprechend habe ich auch bei anderen
Experimenten Querstelluug der ersten Furche erhalten; sogar bei Be-
fruchtung des Eies von der Symmetrieebene aus 4 mal von 11 Fällen,
während in den anderen 7 Fällen die erste Furche in die S3anmetrie-
ebene fiel.
2. Bei ,, schräger" Befruchtung von einem etwa 45" seit-
lich von der Symmetrieebene gelegenen Meridian aus entstand
einige j\Iale (4 mal von 15 Eiern) die erste Furche in dieser schiefen
Richtung; alsdann wurde aber während dieser und der nächsten
Furcliung die o b e r f 1 ä c h 1 i c h e P i g m e n t o rd n u n g u m g e a r b e i t e t,
entweder symmetrisch zur ersten oder zur rechtwinkelig dazu stehen-
den [200] zweiten Furche (s. S. 327).
Wir können uns auf Grund der vorstehend mitgetheilten That-
sachen diese Erscheinung so erklären, dass die Copulation in diesen
Fällen trotz der inneren Strömungen durch die Zwangslage in Rich-
tung des Eintrittsmeridians erfolgt war und dass die mechanische
Tendenz zurTheilung in der Copulations-Richtung so stark
war, dass durch die Wechselwirkung zwischen den Dottersub-
stanzen und den Kerntheilungsproducten die Dottersub-
stanzen entsprechend der qualitativen Natur der Kernproducte umge-
ordnet und um dieselbe gruppirt wurden. Hierbei wurde aber wieder-
um von den verschiedenen Dottersubstanzeu durch ihre Lage zu der im-
manenten Sonderungsrichtung des Kernes darüber entschieden, ob diese
erste Kerntheilung eine qualitative Halbirung oder die qualitativ un-
gleiche Theilung für ventral und dorsal wurde. Eine qualitative
Halbirung, also die Bildung einer physiologisch ersten Theilung wird
Localisirte Befruchtung an in schiefer Zwangslage befiadlichen Eiern. 403
Wühl entstehen, wenn die durch die Copulationsrichtung gegebene
immanente Theihnigsrichtung des Keriies der Symmetrieebene der Ein-
stellung und damit der Dotterströmung näher stand, als der recht-
winkelig zu dieser Ebene stehenden Richtung. Letzteren Falles da-
gegen wird die Kernspindel mit ihren Enden wohl den ungleichen
Dottersubstanzen zugewendet; und dies ist dann die Veranlassung,
dass sich auch das Kernmaterial ungleich theilt und die physiologische
zweite Furche, welche das ventricaudale Material vom dorsicephalen
scheidet, zuerst entsteht.
Nach meinen Beobachtungen scheint blos die Wahl zwischen
der physiologisch ersten Theilungsart und der ihr phy-
siologischer Weise nächstfolgenden zu sein. Verwechse-
lungen solchen Grades kommen ja auch bei späteren Furchungen, wie
ich gezeigt habe, noch häutig vor. Dagegen scheint es nicht möghch zu
sein, dass die vierte Furche, welche in dem vorstehenden Falle in Rich-
tung und Qualität vollkommen der immanenten Theilungstendenz in der
Copulationsrichtung und wohl annähernd auch der Anordnung des
Dottermaterials entsprochen haben würde, zuerst hätte gebildet werden
können. Ob vielleicht die obigen 16"/o Ausnahmen (S. 398), in
denen die Medianebene des Embryo in keine der beiden ersten
Furchungsebenen fiel, ausnahmsweise auf einem solchen grösseren
Anachronismus beruhen, ist zur Zeit nicht zu sagen, (s. Nr. 29, S.
607 Anm.). In den früher mitgetheilten Fällen, in welchen die wage-
rechte, normalerweise dritte Furche zuerst gebildet wurde,
fand keine weitere Ent\viekelung statt.
[201] In der Mehrzahl der Fälle von schräg zur Symmetrieebene
vorgenommener Befruchtung entstand aber die erste Furche nicht in
der Richtung des verticalen Eintrittsmeridianes, sondern in der Sym-
metrieebene oder wiederum annähernd rechtwinkelig zu ihr.
Es ist nun zu ermitteln, was diese Abweichungen von der
Norm, ingleichen wie auch die oben erwähnte Querstellung. der
ersten Furche bei Befruchtung innerhalb der Symmetrie-
ebene bedeuten.
26*
404 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtuiig.
Alterationen des Copnlationsmechanismus bei schiefer
Zwangslage der Eier.
Um die letzteren Thatsachen zu verstehen, müssen wir uns eine
Vorstellung von den durch künstliche Schiefstellung der Eier hervorge-
rufenen Alterationen des Copulationsmechanismus machen.
Diese sind zum Theil unmittelbar durch die Schiefstellung des Eies
selber bedingt.
1. Behandeln wir zunächst die Folgen, die aus d e r S t e 1 1 u n g
des ,, E i k e r n s " bei Zwangslage sich ergeben.
Da der ,, Ei kern" zwar in der Eiaxe oder dicht neben ihr
sich befindet, aber dem oberen Ende derselben stark genähert ist, so
ergiebt sich aus der abnorm schiefen Stellung der Eiaxe schon eine Ab-
weichung der ersten Furche aus dem ,, senkrechten" Eintritts-
meridian, weil der Samenkörpef, wenn er seine erste, annähernd
radiäre Bahn zurückgelegt hat, und nun unter Umbiegung dem ,,Ei-
kern" zustrebt, den senkrecht durch die Eintrittsstelle gelegten
Meridian verlassen und somit eine Richtung seitlich von ihm ein-
schlagen muss; wenn schon, wie früher gezeigt, diese beiden Bahnen
sich noch in demselben, durch die Eiaxe gelegten Meridian voll-
ziehen. Dieser letztere, jetzt schief stehende Meridian ist aber nicht
mehr von Bedeutung, da die erste Furche nicht ihm folgt, sondern
auch bei Zwangslage (wenigstens annähernd) senkrecht steht.
Dieses Senkrechtstehen der ersten (und zweiten) Furche auch
bei Zwangslage ist nun aber nicht als etwas für sich a priori (Je-
gebenes, sondern als durch die Umordnungen der ungleich schweren
Substanzen, welche durch die Schwere hervorgebracht werden. Be-
dingtes aufzufassen. Dies ist auch daran zu erkennen, dass die erste
Theilungsf lache, wenn sie quer zur Symmetrieebene gerichtet ist,
anfangs gewöhnlich noch stark schief steht, ja oft auch nicht
einmal eben, sondern geknickt und windschief verdreht ist.
Wenn also die senkrechte Stellung der ersten Furche bei
schiefer Zwangslage durch die inneren Substanzumordnungen bedingt
ist, so kann man zu vermuthen geneigt sein, dass auch der Kern
in gleicher Weise daran theilnehme, dass er daher ebenfalls mit
Alterationen des Copulationsmechanismus bei Zwangslage der Eier. 405
nach oben trete, sodass bei dem nucleopetalen Verlauf doch keine
seitliche Abweichung des Samenkörpers eintrete.
Dies Verhalten prüfte ich an Eiern, welche 1 ^J2 bis P/4 [202]
Stunden nach der Befruchtung-, also um die Zeit der Copulation der
Kerne getödtet waren; sie rührten grösstentheils von «den Versuchen
des Collegen G. Born über die Wirkung der Schwere her und waren
mir von demselben mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit zur Durchsicht
überlassen worden. Es zeigte sich, dass der Eikern in der That
zur Zeit der Copulation sich manchmal schon in der neuen,
senkrechten Eiaxe befand, während er aber in der Mehr-
zahl der Fälle noch erheblich zurückgeblieben war; so dass
also durch diese exaxia,le Stellung des Eikern es in der
der That ein weiterer Theil der bei schiefer Zwangslage des Eies
auftretenden Qu er Stellungen der ersten Furche seine Er-
klärung findet.
2. Ausser der Beeinflussung der Stellung des ,,Eikernes" bei
künstlicher Schiefstellung des Eies ist nun aber auch die Beein-
flussung der Bahn des ,,Sameukörpers'' durch die inneren
Strömungen von Bedeutung. Diese inneren Umordnungen bestehen,
wie Born (loc. cit.) gezeigt hat, in einer aufsteigenden Strömung
des schwarzen Dotters und des von mir so genannten ,, oberen weissen
Dotters" (des „hellen Innenfleckes" Born's) und in absteigender
Bewegung des bei normaler Stellung ,, unteren" weissen Dotters, vor-
zugsweise auf der dem Aufsteigen entgegengesetzten Seite des
Eies. Dazu kommt noch eine secundäre Bewegung, ein Wiederab-
sinken eines Theiles des aufgestiegenen braunen Dotters nach den
Seiten und in der Richtung des absinkenden weissen Dotters, wohl
bedingt durch das Nachdrängen erst später oben anlangender brauner
Dottermassen. Für unseren gegenwärtigen Zweck kommt blos die
ersterwähnte, aufsteigende Strömung des braunen und des oberen
weissen Dotters in Betracht, und zwar nur in der Ausdehnung und
Intensität, die sie bis zur Copulation der beiden ^''orkerne, also bis
1^/2 oder 1^/4 Stunden nach der Befruchtung bei Zimmertemperatur
erlangt hat.
406 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Der Samenkörper dringt auch hier /Aniächst radiär ein; sobald
er al)er in den Bereich dieser aufsteigenden Strömung kommt, wird
er in der Richtung derselben abgelenkt und schlägt dann die Rich-
tung der Resultirenden beider Bewegungstendenzen ein.
Liegt die Eintrittsstelle des Samenkörpers ganz ,, seitlich"
von der Symmetrieebene und nahe dem Aecjuator, wie in
den oben zuerst mitgetheilten Versuchen, so kommt er nur am Ende
seiner zw^eiten, nucleopetalen Bahn in die Strönnmg, welche zugleich
an dieser dem Centrum des Eies nahen Stelle nur schwach ist. Er
[203] wird daher nicht wesentlich in seiner Richtung alterirt, sofern der
Eikern noch nicht erheblich aufgestiegen ist.
Je näher aber die Eintrittsstelle des Samenkörpers der Symmetrie-
ebene und der Mitte des schwarzen Poles liegt, um so früher und
kräftiger wird er von der zu dieser Ebene parallel aufsteigenden Strö-
mung erfasst und in ihr fortgeführt, so dass er an Stelle der nuclei-
petalen Richtung eine an dem Eikern vorbeiführende Richtung erhält.
Erst, wenn der Spermakern dem Eikern schon sehr nahe ist und damit
zugleich in die dem Centrum des Eies nähere, weniger stark strömende
Schicht gelangt ist, tritt dann eine rein nucleopetale Bewegung
ein, die meist cjuer oder schräg zur Strömungsrichtung
und zur Symmetrieebene orientirtist und häutig zugleich
rückläufigen Charakter hat.
So bietet also die Führung des Samenkörpers durch die Strö-
mung ein zweites Moment der Abweichung der ersten Furche aus
dem verticalen Eintrittsmeridian des Samenkörpers und zugleich der
Schiefstellung der ersten Furche zur Symmetrieebene dar. Und
man kann darin eine neue Bestätigung der oben (S. 383) dargelegten
Ansicht erblicken, dass weder die Lage der Eintrittsstelle,
noch die Substanzen der Pigment Strasse des Samen-
körpers das Bestimmende für die ,, Richtung" der ersten
Theilung des Dotters sind, sondern dass dies Moment in
der ,,Richtung der Copulation" der Kerne zu suchen ist.
Indess bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass letzteres Moment i]i
den hier vorliegenden Verhältnissen doch nicht die einzige bestim-
mende Componente sein kann; denn die erste Furche steht bei schiefer
Concurrenz tlor Wirkung der Bofnichtuns.ssoito und der Z\v;ini;'slage. 407
Z\vaiiu'<l;iuo ZU liäuÜL:,- fast rein (|iicr; wäliivnd wir für die Mclir/ahl dov
Fälle zufolge dieses Moments nur eine Prädisposition zu schiefer Stell-
ung der Gopulationsrichtung iiufgefunden haben. Esmuss also noch ein
die Schiefstellung zur reinen Querstellung umbildender
Ein flu SS von irgend einer Seite ausgeübt werden. Die einfachste und
nach den früheren l>eobaehtungen und Ausführungen naheliegendste
Erklärung erscheint mir die, dass die durch die Strömung deut.
lieh ,, bilateral-symmetrisch" geordneten Dottermassen der-
art „drehend" auf den in seiner, blos annähernd querstehen-
den Copulationsrichtung sich zu theilen tendirenden oder
beginnenden Furchungskern wirken, dass diese Richtung voll-
kommen quer steht, wonach die Theilungsproducte innerhalb der Sym-
metrieebene der schwarzen und weissen Dotterhälfte zugeführt werden.
[20-I-I Dass bei solchem annähernden Querstand der Theilungs-
richtung die eigentlich zweite, das Material für ventricaudal und dorsi-
cephal sondernde Furche in Folge der Beeinflussung der Theilungs-
qualität des Kernes durch die ümordnung der umgebenden verschie-
denen Dottermassen entsteht , haben wir oben scJion in einfacheren
Fällen constatirt. Das Neue ist hier nur, dass diese Dottermassen
zugleich ,, drehend" auf die Theilungsspindel oder auf den
Furchungskern wirken; während umgekehrt die Richtung
dieser Spindel auch umordnend auf die Dottermassen wirken
kann. Warum bald dies, bald jenes eintritt, ist nicht sicher
zu sao-en; aber es ist klar, dass wenn eine von beiden Richtungs-
tendenzen stärker oder fester ist als die andere, sie die
schwächere veranlassen wird, sich mehr nach ihr umzurichten. Wahr-
scheinlich finden bei solcher Wechselwirkung stets beiderseitige
Ablenkungen statt, von denen sich aber die geringeren unserer
Wahrnehmung entziehen (s. S. 303, 327, 339).
^
IV. „Concurrenz" der Wirkung^ der „Befruchtiuigsseite" und der
künstlichen Senkung- des braunen Dotters auf die Bestimniung- der
„ventricaudalen" Seite des Embryo.
Ich habe nun nocli einige weitere Experimente gemacht, um die
Concurrenz der Wirkung der Befruchtungsseite und der durch die
408 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
Zwangslage hervorgebrachten t3^pischen Anordnung der Dotterniassen
anf die Bestimmung der ventricaudalen Seite des Em)3ryo, sowie auf
die Theilungsrichtung des Dotters zu ermittehi.
Zunächst befruchtete ich Eier, welche in noch nicht ganz wage-
rechter Stellung der Eiaxe fixirt waren, deren schwarzes Ende der
Eiaxe also etwas nach aufwärts gewendet war; die localisirtc Be-
fruchtung geschah in der Symmetrieebene, und zwar von oben her,
in der Nähe des Aequators, also auf der Seite des höher stehenden
Weissen. Da nach meinen früheren Experimenten die ,,Befruch-
tungsseite" zur ventricaudalen Seite des Embryo wird
(S. 355), Avährend die Seite des höher stehenden Weissen bei Rana escu-
lenta n o r m a 1 e r Weise und im Falle schiefer Zwangslage bei allen
f"'röschen stets der dorsicephalen Seite des Embryo entspricht, so
musste hierbei ein ^^^iderstreit einander entgegensetzter Bildungsten
denzen eintreten, der deuthch die Ueberlegenheit eines der beiden
Momente bei dieser Eilage erkennen liess. Die Entscheidung
fiel geo-en das Ueberwiegen der Wirkung des Samen kör-
pers aus; die höchste Stelle des Weissen wurde stets zur dorsice-
phalen Seite des Embryo. Es ist indess nach meinen Erfahrungen
an Rana esculenta, wo unter normalen Verhältnissen der braune
Dotter auf der ,, Befruchtungsseite" stets sich senkte, auch wenn
er ursprünglich auf dieser Seite ein wenig erhoben war, ersichtlich,
dass der Sieg einer der beiden Tendenzen von dem Grade der Nei-
gung der Eiaxe abhängt. [Bei schiefer Zwangslage entsteht die ven-
tricaudale Seite des Embryo gleichfalls stets auf der Seite des tiefer
stehenden braunen Dotters, und das Wesen des jetzigen Versuches
bestand also darin, dass zuerst durch Zwangslage der braune Dotter
nach der einen Seite gesenkt war und dass versucht wurde durch
Befruchtung auf der entgegengesetzten Seite die Bildung der ventri-
caudalen Seite des Embryo dahin zu lenken.]
Das gemeinsame Resultat beider Versuche der localisirten
Befruchtung und der Zwangslage ist also dasjenige, dass stets die-
jenige Seite des Eies, wo mehr ,, brauner" Dotter ist, zur
ventricaudalen Seite des Embryo [205] wird. Dies geschieht
nach Obigem deshalb, weil diese Masse bewirkt, dass bei der
i
Concurrenz der Wirkung der Befruchtungsseite und der Zwangslage. 409
Kei'iitlieiliing sich ihr das dieser KOrperhälfte entsprechen de
Kernmaterial zuwendet, mag die hetreffende Theihnig nun als
erste oder zweite vor sich gehen.
Wenn aber die Einstellung des Eies derart ist, dass die Eiaxe
ganz oder annähernd senkrecht steht, so ist die Ansamm-
lung des feinkörnigen Dotters um den Saraenkürper gross
genug, um stets diese Seite zur ventricaudalen zu machen.
[Wir können also sagen : D i e B e f r u c h t u n g b e s t i m m t u n t e r
ganz normalen Verhältnissen dadurch die ,, Richtung" der
ersten F u r c h u n g s e b e n e und der M e d i a n e b e n e des Em-
bryo „im Eileib", dass sie eine Abweichung der um die
Eiaxe nach allen Richtungen gleichen Anordnung des
Dottermateriales des unbefruchteten Eies bewirkt. Diese
Anordnung des Dotters bewirkt, dass die erste Furche
und die Medianebene des Embryo in die Symmetrieebene
dieser Anordnung gebracht werden.
Die so hervorgebrachte Anordnung des Dotters be-
stimmt auch die caudale und cephale Seite des Embryo,
indem die Seite des höherstehenden hellen Poles zur
cephalen, die des tieferstehenden dunklen Poles zur
caudalen Seite des Embryo wird.
Da diese Anordnung des Dotters leicht künstlich, durch schiefe
Zwangslage, geändert werden kann (s. S. 382), so ist der Einfluss
der Befruchtungszelle auf die genannten Richtungen leicht zu ver-
wischen und durch den der schiefen Zwangslage zu ersetzen.]
[Das wesentliche Ergebniss also ist, dass das activirte unbe-
fruchtete Ei einen um die Eiaxe nach allen Richtungen
wesentlich gleichen Bau hatM und dass erst die durch
[1) Dieser Bau des inactiven unbefruchteten Eies wird in Folge der Zwangs-
lage der Eier im Mutterleibe, wie wir Seite 290 u. f. sahen, abgeändert, so dass
es oft vor der Befruchtung nicht vorhanden ist. Wir ersahen aber an den
schwimmenden Eiern von Rana fusca, dass nach der Besamung schon zur Zeit der
ersten Berührung des Eies durch den Samenkörper diese typische Indifferenz wieder
hergestellt wird, da jetzt die vorher schiefstehende Eiaxe sich senkrecht einstellte; so
entsteht das typische activirte unbefruchtete Ei, mit dem wir in obigen Sätzen
410 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
die Befruchtung oder durch andere Momente hervorge-
brachte Differenzierung in der Anordnung der Dottersub-
stanzen die Lage der Medianel)ene des Embryo ,,im Ei-
leibe" bestimmt wird.
Der Umstand, dass bei Abweichungen der intraovalen Bahn des
Samenkörpers aus der verticalen Meridian ebene der Samen-
eintrittsstelle die erste Theilung statt durch diese Ebene durch
die davon abweichende verticale, der Copulationsrichtung fol-
gende Ebene geht, könnte so gedeutet werden, dass die immanente
Theilungsrichtung des Furchungskernes im Conflictsfalle ein stärker
die Richtung der ersten Theilung des Dotters bestimmendes Mo-
ment ist als die nicht sehr grosse Differenzirung in der Anordnung
des Dotters, welche durch den intraovalen Verlauf des Samenkörpers
bedingt ist. Ob die Lage der Median ebene ,, innerhalb" des Ei-
kernesnach der Copulation, also ,, innerhalb des Furchungskernes",
auch so leicht durch äussere Einwirkung verändert werden kann, wie
diejenige innerhalb des Ei leib es, ist zur Zeit ebensowenig be-
kannt, wie es unbekannt ist, ob die ursprüngliche Lage-
rung des Materiales des Spermakernes nach der Seite des
Sameneintrittes hin mit an der Bestimmung der Lage-
rung der Schwanzhälfte des Embryo nach dieser Seite hin
betheiligt ist. Wir wissen beim Frosch überhaupt nichts von der
Art der Vertheilung des Materiales des männlichen und weiblichen
Kernes auf die Furchungszellen.]
Im nächsten Versuche wurde die künstliche Schiefstellung
der localisirt befruchteten Eier blos D/2 Stunden, also nur bis
zur Copulation erhalten; dann wurden die Eier mit der Eiaxe
senkrecht gestellt. Dabei ergaben sich jedoch dieselben Resultate in
Bezug auf die Riclitung der ersten Furche, wie bei forterhaltener
Zwangslage, jedenfalls, weil die vor sich gegangenen Umordnungen
nicht so rasch wieder vollkommen rückgängig gemacJit wurden; ganz
rechnen. Nach ihm erst, mit dem Eindringen des Samenkörpers in den Dotter, bildete
sich die definitive Schiefstellung der Eiaxe bei Rana esculenta. und noch
später hei Rana fusca die typische Aufhellung" der Eirinde an der der Be-
fruchtungsseite gegenüberliegenden Seite aus, welche die Lage der künftigen Median-
ebene erkennen lassen.]
Concurrenz dei' Wirkung der Befruclitungsseite und der Zwangslage. 411
abgesehen von der \\'irknng der in der oben geschilderten Weise in
eine Prädilectionsbahn gelenkten Copulationsrichtung.
Lehrreicher ist der letzte Versuch, in welchem die Eier an-
fangs zwar senkrecht standen, aber nach der Copulation
stark schief, bis fast zn wagerechter Stellung der Eiaxe, aufgestellt
wurden. Hier ergab sich das interessante Resultat, dass die erste
Furche stets durch die Symmetrieebene hindurchging,
mochte auch der Samenkörper in dazu rechtwinkeliger Rich-
tung eingedrungen sein und die Copulation sich in dieser Rich-
tung vollzogen haben ; und dass auch hierbei wiederum die Seite des
höher stehenden AVeissen zur dorsicephalen wurde, mochte auch die
localisirte Befruchtung auf dieser selben Seite vorgenommen worden sein.
Wir ersehen also, dass eine starke, fast 90 '^ erreichende Nei-
gung des Eies, resp. die dadurch bewirkte bilateral-symmetrische
Anordnung der Dottermassen eine ausschlaggebende Wir-
kung auf die Theilungsrichtung des Dotters hat. Man könnte
vermuthen, dass sich diese Wirkung auch auf die Theilungsrichtung
des Furch ungskernes erstrecke, derart, dass die Coincidenz der Co-
pulationsrichtung und der Theilungsrichtung desselben aufgehoben sei.
Dagegen spricht nun die von mir in mehr als 60 Fällen con
statirte weitere Thatsache, dass bei ,, geringen" erzwungenen
Schiefstellungen der Eiaxe bis im Maximum zu etwa 20'^ die
Dottermassen entsprechend der durch die ,, Copulations-
richtung" gegebenenTheilungsrichtung umgeordnet wurden;
und dass eher die zweite Furche zuerst gebildet, als dass von dieser
Beziehung [206] abgewichen wurde (s. auch S. 361).
Eine neue Annahme ist aber überhaupt gar nicht nothwendig,
da beide Beziehungen sich durch die oben S. 407 schon gemachte
und begründete Annahme vereinen lassen, dass die durch die
Zwangslage bilateral-symmetrisch geordneten Dottermassen
einen ,, drehenden", bestimmt ,, einstellenden" Einfluss auf
den Furchungskern, sei es schon während seiner Bildung oder
nach derselben, ausüben; und dass dann der so eingestellte Kern,
indem er sich in ,, seiner Copulationsrichtung" theilt, bewirkt,
dass auch der Dotter sich in dieser Richtung theilt. Weniger möchte
412 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
ich folgern, dass etwa der bilateralsymmetrisch geordnete Dotter an
sich eine Tendenz zur „Theihnig" in der Symmetrieebene oder recht-
winkehg zu ihr habe .und deshalb, als der grössere , den anderen um-
schliessenden Theil des Eies bewirke, dass auch dieser, der Kern, in der
Theilungsebene des Dotters sich theilen müsse. Für meine Annahme
spricht auch noch eine zuerst von Auerbach ^) an x'^-scaris nigrovenosa
gemachte Beobachtung. Bei diesem Thier dringt der Samenkörper
stets von einem spitzen Pol in das ovale Ei ein ; und während der
Conjugation drehen sich die beiden aneinander gepressten Kerne um
00°, bis ihre mittlere Verbindungslinie quer zur Längsaxe des Eies
steht. Der Furchungskern theilt sich dann in dieser durch Drehung
nachträglich quer gestellten Copulationsrichtung, entspricht also zu-
gleich meinem Gesetz. Da hier aber ein t y p i s c h e s Verhalten vor-
liegt, so konnte man aus demselben nichts über die specielle Ursache
der Richtung dieser Kerntheilung folgern. Nachdem es mir beim
Froschei gelungen ist, das Ei, also auch den Dotter, in jeder von mir
beliebten verticalen Richtung zur ersten Theilung zu veranlassen und
als das bestimmende Moment eine directe ursächliche Bezieh-
ung zwischen der Copulationsrichtung und der Theilungs-
richtung des Furchungskernes festzustellen, so kann man nun
wohl diese Deutung auch auf den Fall von Ascaris übertragen. Durch
die Ausdehnung auf ein wirbelloses Thier erhält dann das Gesetz
einen gewissen Anschein allgemeiner Geltung, deren wirklicher Um-
fang indess nur durch bezügliche Untersuchungen an allen Thier-
klassen ermittelt werden kann.
Erg-ebiiisse.
A. Unter normalen Verliältnissen, d. h. bei ,, zwangloser" Auf-
setzung des normalen, nicht durch zu lange Verzögerung der
Laie h u n g veränderten F r o s c h e i e s :
[207] 1. Das unbefruchtete Froschei enthält nur eine Haupt-
richtung der künftigen Medianebene des Embryo schon bestimmt;
diese ist durch die bipolare Anordnung des Dottermaterials gegeben
I
M Organologische Studien 1873.
Ergebnisse. 413
und hezeiebnet in der Iviclitnng der „Eiuxe" vom schwarzen zum
weissen Pol die v e n t r i d o r s a l e Ivichtung des Embryo.
2. \\^n den unendlich vielen, verschieden gericliteten Meridian-
ebenen, welche durch diese Eiaxe gelegt werden köimen, wird die-
jenige zur Mediauebene des Embryo, in deren Richtung
die Copulation der beiden Vorkerne erfolgt.
3. Die Copulationsrichtung ist keine feste, gegebene, sondern
kann durch ,, künstliche localisirte Befruchtung" in jeden be-
liebigen verticalen Meridian verlegt werden.
4. Die so beliebig gewählte ,,Befruclitungsseite" des Eies
wird zur ventricaudalen Seite des Embryo, die entgegengesetzte
zur dorsicephalen ^) Seite.
Das Einzelne angehend ergab sich:
5. Die erste Theilung des durch die Copulation des Sperma-
kernes und des Eikernes gebildeten Furchungskernes erfolgt in
der Copulationsrichtung; die „Sonderung" der beiden Theilungs-
producte von einander geschieht rechtwinkelig zur Theilungs-
richtung.
6. Die functionelle Bedeutung des Zusammenfallens der
Copulationsrichtung und der Theilungsrichtung des Furchungskernes
besteht darin, dass nur in diesem Falle der Effect der Copu-
lation bei der Theilung in keinem x\nthcile wieder rück-
o-äno-io- o-emacht wird, sei dieser Effect nun blos eine bestimmte
Aneinanderlagerung, oder eine wirkliche (aber unvollkommene)
Vermischung der beiden Kernsubstanzen in der Copulationsrichtung.
Ausserdem gewährt diese Theilungsrichtung die Möglichkeit einer
,,bestimmten" Sonderung der copulirten Massen mit
einem iSliniraum von richtenden Kräften.
Das Zusami^enfallen der Theilungsrichtung mit der Copulations-
richtung stellt somit den „einfachsten Mechanismus" der Thei-
lung durch Copulation verbundener, aber nicht vollkommen ver-
mischter Massen dar.
7. Die erste Dotter theilung erfolgt in der der Copulations-
richtung parallelen, durch die Eiaxe gehenden Meridianebene.
[1) Richtiger blos: „caudalen" und „cephalen" Seite (s. S. 348, 425 u. Nr. 23).]
?
414 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
8. Da die Copulationsriclitung beliebig gewählt werden kann,
so darf aus den ermittelten eonstanten Beziehungen derselben zur
[208] Tlieilungsrichtung ein directer Schluss auf die Urs ach e dieser
letzteren Richtung gezogen werden, was an Eiern, wo die Samenein-
trittsstelle eine vorher gegebene, also typische ist, oder wo die Tliei-
lungsrichtung schon durch die Gestaltung des Eies vorher vollkommen
bestimmt ist, nicht statthaft ist.
Wir dürfen schliessen :
a) Die erste Tlieilungsrichtung des Furchungskernes
wird ,, durch" die Copulationsrichtung der Vorkerne,
und zwar in der Weise bestimmt, dass sie mit ihr zu-
s a m m e n f ä 1 1 1.
b) Damit wird auch die erste Theilungsrichtung des Dotters
durch die C-opulationsrichtung, und zwar in der Weise bestimmt,
dass sie ihr parallel steht oder eventuell mit ihr zusammenfällt.
c) Die specielle Lage des Embryo im Eie wird durch die Be-
fruchtungsrichtung des Eies bestimmt, und zwar wird diejenige Seite
des Eies, durch welche der Samenkörper eingedrungen ist (die Be-
fruchtungsseite), zur ventricaudalen [caudalen] Seite des
]'] m b r 3^ o.
9. Der Copulationsvorgang der Kerne vollzieht sich in zwei
typischen, verschiedenen intraovalen Verlauf s rieh tuiigen
resp. -Bahnen des Samenkörpers: erstens in einer an die Durch-
brechungsstelle der schwarzen Eirinde sich anschliessenden, annähernd
radiären Richtung, welche den Samenkörper tief in das Ei, bis zur
, Kern Schicht" des Dotters führt (die „Penetrationsbahn"),
zweitens in einer iiucleopetalen Richtung, welche beide Kerne ein-
ander, vorzugsweise aber den Samenkern dem Eikern, innerhalb der
,, Kernschicht" des Dotters zuführt (die „Copulationsbahn").
B. Bei Zwaiig-slago der Eier mit schiefer Einstellung der Eiaxe
ergaben sich folgende Beziehungen :
10. Ist die erzwungene Neigung der Eiaxe gering, blos
bis 20^* betragend, sind oft noch die Regeln Ausschlag gebend, welche
bei normaler Stelluno- bestimmend wirken.
Ergebnisse. 415
11. Das Dottermatei'ial wird letzteren Pralles derart umgeordnet,
dass es symmetrisch zur ersten durch die Copulationsi'iehtung nor-
mirten 'Pheilungsriehtimg steht.
12. Die bei starker, 20 — 30" übersteigender Neigung der
Eiaxe, durch die Wirkung der »Schwere auf die speeihsch ungleich
schweren Dottersubstanzen erzeugte symmetrische Anordnung der ver-
schiedenen Dottermaterialien wirkt derart auf die erste Theilung
des Eies, dass die Ebene dieser Theilung meist [also nicht immer]
zu der Symmetrie- [209] ebene in bestimmter Weise orientirt ist, indem
sie entweder in dieser Symmetrieebene selber liegt oder
rechtwinkelig zu ihr steht.
13. Auch in diesen Phallen erfolgt, soweit es nachweisbar
ist, die erste Kerntheilung in der Copulationsrichtung der
Vor kerne.
14. Die Stellung des Eikernes wird durch die Schiefstellung der
Eiaxe, die Bahn des Saraenkörpers wird durch die Strömung des
Dotters derart beeinflus.st, dass die Copulation häufig in annähernd
quer gestellter Richtung zur Symmetrieebene der Schiefstellung des
Dotters erfolgen muss. Daraus ergiebt sich schon eine entsprechend
häutige ,, annähernde" Querstellung der ersten Furche.
15. Da aber die erste Furche Ijei Zwangslage überwiegend häufig
entweder „rein'' quer zur Symmetrieebene oder rein in
Richtung derselben orientirt ist, so muss noch eine ,, drehende
Wirkung" des symmetrisch angeordneten Dotters auf den
F u r c h u n g s k e r n , während oder nach der Copulation, angenommen
werden.
Diese Drehung ist als derart erfolgend zu denken, dass der
Furchungskern mit seiner immanenten Copulationsrichtung entweder
der Symmetrieebene parallel oder rechtwinkelig zu ihr gestellt wird,
und zwar je nachdem die Copulationsrichtung einer dieser beiden
Richtungen näher steht.
16. Findet die Drehung des Furchungskernes mit seiner Copu-
lationsrichtung in die Richtung der Symmetrieebene des
Dotters statt, so scheidet die erste Kerntheilung das Material der bei-
416 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durch die Copulationsrichtung.
den Antimereii des Embryo; die erste Theilmigsebeiie der Dotters
wird damit 7Air Medianebeiie des Embryo.
17. Geschieht die Drehung des Furchungskernes derart, dass
er mit seiner Copulationsrichtung rechtwinkelig zur Symmetrie-
ebene des Dotters steht, so wird bei der ersten Kerntheilung das
Kernmaterial, wie bei einer normalen zweiten Furchung, in solches
für die caudale und cephale Seite des Embryo geschieden.
18. Bei starker zwangsweiser Schiefstellung der Eiaxe wird
stets die Seite des gesenkten schwarze n Poles zur caudalen
Seite des Embryo. Bei nur geringer Neigung der Eiaxe jedoch
vermag auch im Widerstreit dieser Tendenz mit derjenigen der
Befruchtungsrichtung (Regel 4 und 8 c) die Befruchtungsseite des
Eies zur caudalen Seite des Embryo zu werden; dies aber nud dann,
wenn die ,,Umordnung" des Dotters derart gelingt, dass zur Zeit
[210] der zweiten Furche die Eiaxe mit ihrem schwarzen Polenach
der Seite des Samenkörpers geneigt ist.
10. Das erste ursächliche Moment für die Anlage der
caudalen Seite des Embryo auf der Seite der Neigung des
oberen Endes der Eiaxe ist [sei es bei Zwangslage oder bei nor-
maler Stellung des Eies] in der Anhäuf ung bestimmten Dotters
auf dieser Seite zu vermuthen, und dadurch vermittelt vorzustellen,
dass dieser Anhäufung sich die der caudalen Seite des Embryo zu-
gehörigen Substanzen des Furchungskernes bei dessen Theilung zu-
wenden.
Nach der Vollendung des Satzes vorstehender Abhandlung ge-
lano;te Herr Collea-e G. Born durch die Gunst des Zufalles in den Be-
sitz der embryologischen Arbeiten G. Newport's, welche in den Philos.
Transactions der Jahre 1850 — 54 vertheilt sind und eine Fundgrube
bisher nicht bekannt gewordener ausgezeichneter Untersuchungen und
wichtiger Ergebnisse darstellen. Ich nehme Gelegenheit, aus den-
selben sofort diejenigen Ergebnisse, welche auf meine früheren Ar-
beiten und auf die vorliegende Abhandlung Bezug haben, kurz nach-
zutragen. Sie finden sich in den nachgelassenen, von G. V. Ellis im
Ergebnisse. 417
Jahre 1854 lieraiiSi<;cü;eboneu Papieren Nfavpokt's: Kesearches oii tlie
Impregnation of tlie Amphibia ; and on the Early Stages ol" Develop-
ment of the Embryo. (Third Series.) By thc late GEOR(iF: Neavport,
F. R. S., F. L. S. Selected and arranged from the Authors M. S. 8.,
GEORtiE ViNER Ellis, Prof. of Anatomy in University College, London.
Connnnnicated by Sir John Forbes, M. D., F. R. S. Philos. Trans-
act. 1854.
G. Newport hat sehon gefunden, dass die erste Furchungsebene
der Medianebene des Froschembryo entspricht, wie Pfliiger und ich
entgegen Rauber neuerdings festgestellt haben. Nf.wport führte auch
bereits an einigen Eiern localisirte Befruchtung aus, indem er die
Eier mit einem in Samenflüssigkeit getauchten Stecknadelkopf be-
rührte. Er beobachtete dabei, dass die erste Furche der Befruchtungs-
stelle sehr nahe lag, und dass der Befruchtungsseite des Eies die
,, Kopfseite" des Embryo entsprach. Wenn nun auch diese letztere An-
gabe nach meinen obigen Mittheilungen nicht zutreffend ist, so schliesst
[211] sie doch bereits das richtige Ergebniss ein, dass der Embryo
zur Befruchtungsseite eine ,, bestimmte" Lagerung hat. Newport hat
also in Bezug auf diese wichtigen Experimente (he Priorität '), wenn
schon seine Versuche noch nicht genügend zahlreich und nicht ge-
nügend variirt waren, um die Ergebnisse vollkommen sicher zu stellen.
Diese wie auch manche anderen wichtigen Beobachtungen Neavport's
scheinen bei seinen Zeitgenossen kein Verständniss gefunden zu haben
') Da bei blossem Betupfen mit Samen stets Zwangslage des Eies ent-
steht und da diese Lage, wie Pflüoer, Born und ich gezeigt haben, allein schon zur
Bestimmung der Richtung der ersten Theilung und der Schwanz- resp. Kopfseite des
P^mbryo genügt, so musste geprüft werden, ob Newport schon dies Moment gekannt
hat. Denn wenn ihm dasselbe nicht bekannt war und er also nicht gleich mir be-
sonders Sorgfalt darauf verwendete, das Entstehen und die Wirkung der Zwangslage
direct zu vermeiden, so liegt es nahe, dass er beim Betupfen die noch nicht an der
Unterlage haftenden Eier in eben derselben Ebene in der er befruchten wollte, etwas
neigte, und danach ebensowohl wie durch localisirte Befruchtung durch Zwangslage
zu demselben Resultat gekommen sein kann.
Herr College Born hatte die Güte, von diesem Gesichtspuncte aus die bezüg-
lichen Schriften Neuports durchzusehen; und es ergab sich, dass Newport die
Zwangslage und ihre Bedeutung für die Bestimmung der Hauptrichtungen des Embryo
nicht gekannt hat. Es muss daher zweifelhaft bleiben, ob Newport
wirklich durch localisirte Befruchtung oder durch Zwangslage die
Richtungen des Embryo bestimmt hat.
W. Koiix, Gesanunelle Abhan(llnii<'eii. IJ. ^'
418 Nr. 21. Bestimmung der Medianebene durcli die Copulationsrichtung.
und daher ganz der Vergessenheit anheim gefallen zu sein; denn sie
finden sich in keinem der bekannteren embryologischen Werke er-
wähnt. So ist es wohl gekommen, dass sie unfruchtbar für die Wissen-
schaft geblieben sind und erst wieder aufgefunden wurden, nachdem
die ihnen entsprechende Forschungsweise methodisch in Angriff ge-
nommen und die Thatsachen selber aufs Neue ermittelt worden waren:
Leider das gewöhnliche Schicksal vereinzelter, über den Vorstellungs-
kreis der Zeitgenossen hinausgehender Leistungen.
Breslau, Februar 1887.
Erklärung der Figfiiren auf Tafel Y.
Pig. 1 — 4. Schematische Darstellung der Lage der ersten Furche des Froscheies zur
Pigmentstrasse des Samenk.'irpers.
Pig. = Pigmentstrasse des .Samenkörpers.
F. = erste Furche.
Fig. 5. Meridianschnitt längs der Axe eines Eies von Rana fusca.
ob. w. = oberer weisser Dotter (feinkörnig).
br. S. = brauner Seiteudotter.
c. br. — centraler brauner Dotter.
u. w. = unterer weisser Dotter (grobkörnig).
E. K. = P]ikern.
K. Seh. = Kernschicht des Dotters.
m. br. R. = mittlere, s. obere braune Rinde (dünn).
s. br. R. = seitliehe, s. untere braune Rinde.
w. R. = weisse Rinde.
Fig. (5 — 11. Schnitte durch Eier von Rana fusca parallel der ersten Furchungsebene.
Fig. 6 u. 7 bei fast mittlerer,
Fig. 8 bei halb seitlicher,
Fig. 9—11 bei dem Aequator nächster Lage der Eintrittsstelle des Sanien-
körpers.
Fig. 10 bei geringer, Fig. 11 bei stärkerer ursprünglicher Schiefstellung
(Zwangslage) des Eies.
Pen. 4" Cop. = Pigmentstrasse des Samenkörpers.
Pen. = Penetrationsbahn i , „ i
^, /^ 1 ,• , , > des Samenkorpers.
Oop. = Copuiationsbahn )
Fig. 12 und 13. Schematische Darstellung der Winkelgrössc der Ablenkung der
ersten Furche von dem Eintrittsmeridian des Samenkörpers bei gleicher
exaxialer Stellung des Eikenies aber ungleicher Länge der Copulationsbahn
des Samenkörpers.
Fig. 14-19, siehe Text S. 892-94.
Nr. 22.
Beiträge zur Entwiekelungsmeehanik des Embryo.
Nr. V. Ueber die künstliche Hervorbringung „halber" Em-
bryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungs-
zellen, sowie überdieNachentwickelung(Postgen erati on)
der fehlenden Körperhälfte.
1888.
Mit Tafel VI und VII.
ViRCHOw's Archiv Bd. 114. Oktober 1888.
Inhal t.
Seite
Einleitung: Ueber die Selbstdifferenzirung des Eies 421
Von der Lage der , Befruchtungsseite " am Eie abhängige Gestaltungen des
Embryo ■ 425
Versuche über die Wirkung der Zerstörung einer Eihälfte auf die
Entwickelung des Eies 428
Versuchsmethode 428
Conservirungsmethode 430
Ergebnisse der Versuche 432
I. Vorgänge an der „nicht'' operirteii Eiliälfte 433
A. Entstehung „seitlicher " Halbbildungen, Hemipoeesis late-
ralis 433
1. Semimorula verticalis 434
2. Semiblastula verticalis 435
3. Semigastrula lateralis 435
4. Heniiembryo lateralis 437
Anachronismen der Entwickelung 438
27*
420 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Seite
Seminiedulla lateralis 439
Semichorda dorsalis lateralis 441
Anentoblastia, Anenteria 442
Asyntaxia medullaris s. Diastasis medullaris .... 443
B. Entstehung „vorderer" Halbbildungen, Hemipoeesis an-
terior 444
Seraigastrula anterior 445
Heniiembryo anterior 445
Hemitherium anterins 446
C. Ein vi ertel- un d Dreivi ert ei bildungen 446
D. „Obere" Theilbildungen . .' 448
Seniiblastulae superiores 448
Folgerungen: 448
a) Selbstdifferenziriing der Furchungszellen 448
b) Bedeutung der normalen Furchung 450
c) Ursache der bilateralen Symmetrie 451
d) Unabhängigkeit der Zelltheilung von den Nachbarzellen . . . 452
e) Active Umordnung und Gestaltung der Zellen 453
f) Bedeutung der Abweichungen der Halbbildungen von der Norm 453
g) Mechanismus der Gastrulation 454
Satz der „Mosaikarbeit" 455
h) Anlagestelle der Chorda, des MeduUarwulstes und des Mesoblast 456
i) Selbstloslüsung der Chorda. Medulla, des Ento- und Ectoblast
von einander 457
k) Selbstgestaltung des ^ledullarrohres 458
H. Vorgänge in der ..operirten" Eihiilfte 459
A. Zersetzungs- und andere abnorme Vorgänge 461
1. Zersetzung des Dotters 461
Vacuolisation 462
2. Abnorme Veränderung der Kerne 462
Normale Beschaffenheit der Kerne 462
Abnorme Kerngebilde 464
3. Demarcation und Verbindung beider Eihälften 467
B. Reorganisation der operirten Eihälfte 468
1. Erste Art der Reorganisation 469
a) Nucleisation der operirten Eihälfte 469
1. durch Kernbildung in loco 470
2. durch Nucleitransmigration 471
Pigmentanordnung bei der Kerntheilung 478
b) Nachträgliche Cellulation der operirten Eihälfte .... 475
Sonnenbildung 475
multiple simultane Cellulation 475
2. Zweite Art der Reorganisation 479
3. Dritte Art der Reorganisation 481
Ueber dio tSelbsttliffcreiiziruiig des Eies. 421
Seite
C. Postgeiieiation der „nicht gebildet gewesenen" Tlieiie des Knibryo 484
a) des Ectoblast • 485
1. der seitlichen Halbbildungen 485
Bedeutung der Thatsachen 492
Wachsthum des postgenerirten Ectoblast durch Unidiffe-
renzirung der Dotterzellen 495
G esc li wulstkeime? 495
Störung der Richtung der Postgencration 495 — 500
Postgeueration von der Medullarplatte aus 499
„Unterbrechungsfläche" 498
2. Postgeneration des Ectoblast der vorderen Halbbildungen 500
bj des Mesoblast 501
Störung seiner Dift'orenziruiigsrichtung 503
c) des Entoblast 504
d) Folgerungen aus den Thatsachen 507
Entwickelung durch abhängige Differenzirung .... 508
Unterschied der Vorgänge der Postgeneration und der normalen
s. directen Entwickelung 510
Unterschied von den Vorgängen der Regeneration . . . . 511
Theoretische Erwägungen 513
Neue Möglichkeit der Entstehung von Doppelbil-
dungen 516
Zusammenfassung der Hauptergebnisse 518
Einleitung.
Ueber die Selbstdiffereiiziruiig des Eies,
[113] Die nachstehend mitzutheilenden Untersuchungen schKessen
sich innig an vier meiner ))isherigen entwickehmgsmechanischen Ar-
l3eiten an und setzen datier zum vollen Verständniss die Kenntniss
wenigstens der Resultate dieser voraus. Da ich imn die Erfahrung ge.
macht habe, dass^ meine bisherigen Arbeiten schon vielen speciellen
Fachgenossen so gut wie unbekannt geblieben sind, so erscheint es an-
gemessen, dieser, zum Theil für einen weiteren Leserkreis bestimmten
Abhandlung, die bezüglichen Resultate kurz vorauszuschicken.
Die folgende Untersuchung stellt einen Beitrag zur Lös-
ung der Frage der ,,Selbstdiff erenzirung" dar [s. S. 15], d. h.
zur Ermittelung darüber, ob, eventuell wie weit das befruchtete Ei,
422 Nr. 22. Die Heivorbiingung halber Embryonen.
im Ganzen und in einzelnen Tlieilen desselben , sich für sich selbst-
ständig zu entwickeln vermöge; oder ob im Gegentheil die normale
Entwickelung nur unter „gestaltenden" Einwirkungen der
Aussenwelt auf das befruchtete Ei, bezw. unter „diff erenziren-
den AVechsel Wirkungen" der auf dem Wege der Zelltheilung (Fur-
chung) von einander geschiedenen Eitheile auf einander sich zu voll-
ziehen „vermag."
[IIJ:] Für das Ei im Ganzen löste ich die Frage, indem ich
Eier so langsam in einer senkrechten Ebene rotiren liess, dass
die Centrifugalkraft nicht einstellend auf sie wirkte, und die Eier
nur fortwährend ihre Richtung zur Schwerkraft, zum magnetischen
Meridian, sowie zur Licht- und Wärmecj[uclle änderten; es ergab sich,
dass dadurch die normale Entwickelung weder aufgehoben, noch
alterirt, oder auch nur verzögert wurde. Wir schliessen daraus, dass
die ,, typischen" Formenbildungen des sich entwickelnden Eies
und Embryos zu ihrer Entstehung entsprechend gestaltender Ein-
wirkung dieser äusseren Ageutien nicht „bedürfen," dass also die
„formale" Entwickelung des befruchteten Eies in diesem Sinne
als „Selbstdifferenzirung" betrachtet werden darf (s. S. 276).
Indess bleiben doch noch einige Möglichkeiten von ,,äusse-
ren" gestaltenden Einwirkungen, wenn auch nur sehr all-
gemeinen Charakters, die durch diesen Versuch nicht ge-
prüft sind; zum Beispiel die von His') gemachte Hypothese, dass
manche Zellen eine Neigung haben, gegen diejenige Richtung hin-
zuwandern, von welcher her der Sauerstoff eindringt, so
dass sie deshalb die Oberfläche des Keimes vergrössern. Ebenso
ist es denkbar, dass die oberflächhch liegenden Furchungskugeln
der Blastula und Gastrula nur deshalb allmählich an ihrer nach
aussen gewendeten Fläche sich mehr und mehr abplatten, weil von
aussen her Ein w i r k u n g e n erfolgen, die ihre Um ä n d e r u n g z u
f ungirenden Epithelien veranlassen und damit ein mechanisches
Bestreben zu möglichst d i c h t e m Z u s a m m e n s c h 1 i e s s e n unter einander
und zu möglichster Verkleinerung der nach aussen hingewendeten Fläche
1) W. His, Untersuchungen über die Bildung des Knochenfischembryo (Salmen),
Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1878. S. 220.
lieber die Selbstdifferenziruiu; des Eies. 423
licrvorrulVn, im (Gegensatz zu iliiH'iii Irülici-cii IJcstroben
niüglichster Iviindiing jeder einzelnen Zelle. Diese J)enk-
Mogliclikeiten werden noeh auf ihre Realität zu prüfen sein. Und
ebenso ist nicht zu übersehen , dass die Einwirkung äusserer Agen-
tien die unerlässliche „Vorbedingung" der Entwiekelung sein
kann, wenn schon ihnen keine direct „gestaltende" Wirkung zu-
kommt. 80 geht z. B. ohne eine gewisse Zufuhr von Wärme und
später auch von Sauerstoff eine Entwiekelung überhau[)t nicht vor
sich. Aber daraus darf nicht gefolgert werden, dass diese Agentien
etwa bestimmten, welcher Theil des Eies [115J die Urmunds-
anlage [s. S. 322J, oder die Medullarspalte , die Augen hervor-
bringe, oder dass sie die Ursache für die speci fische Gestaltung
der Theile seien, wenn schon bei abnormer Vergrösserung der Wärme-
zufuhr nach Panum, Dareste und L. Gerlach abnorme Bildungen re-
sultiren.
80 ist also die ,, formale" Entwiekelung des befruchteten
Eies, von einigen ,, allgemeineren Gestaltungen" abgesehen,
als ohne äussere „gestaltende" Kräfte sich vollziehend er-
kannt, und wir haben daher die typisch gestaltenden Kräfte
in dem Ei selber zu suchen; was der weiteren Untersuchung eine
sehr angenehme Abgrenzung giebt.
Nach (heser Einsicht schien es mir nüthig, zunächst zu ermit-
teln, ob zur Bildung der normalen Gestaltungen in dem Ei
alle oder viele Theile desselben zusammenwirken „müssen";
oder ob im (5}egentheil die durch die Furchung von einander
gesonderten Theile des Eies unabhängig von einander
sich zu entwickeln ,, vermögen"; eventuell welchen Antheil jedes
dieser beiden Principien, das der dif f erenzirenden Wechsel -
wirkune; der Theile auf einander und das der Selbstdifferen-
zirung der Theile, an der normalen Entwiekelung nimmt.
Im Sinne einer gewissen Selbstständigkeit der Entwiekelung der
einzelnen Furchungskugeln konnte schon, wenn auch nicht mit Sicher-
heit, die Thatsache verwendet werden, dass, wie von mir (Xr. IG)
mid kurz darauf von Pflüger für das Froschei gefunden worden war,
die erste Theilungsebene des Eies bereits die Medianebene des künf-
424 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
tigcii Embryo darstellt, so dass sie das Material der rechten und
linken Körperliälfte scheidet; eine Thatsache, die unabhängig davon
von VAN Beneden und Julin^) für die Ascidien festgestellt wurde; und
danach machte M. v. Kowalewski -) Beobachtungen, welche auf ein
gleiches Verhalten bei einem Knochenfisclie (Carassius auratus) hin-
deuten. Zugleich fand ich, was weiter unten zu verwerthen sein ^\ird,
dass die zur Medianel)ene des künftigen Thieres rechtwinkelig stehende,
[116] normaler Weise erst als zweite auftretende Furche leicht schon
als erste gebildet werden kann; und später gelang es mii-, diesen
Anachronismus künstlich hervorzurufen (s. S. 329 u. 400).
Ferner war bereits den älteren Autoren bekannt, dass die obere,
schwarze ,, Hemisphäre" des Froscheies stets einer bestimmten Seite
des Embryo entspricht, nach Angabe der Autoren der dorsalen Seite ;
nach Pflüger's und meinen Untersuchungen konnte jedoch diese Auf-
fassung nicht mehr für richtig gelten ; und neuerdings hal^e ich durch
bestimmt localisirte Defecte am gefurchten Ei erwiesen , dass der
mittlere Theil der schwarzen Hemisphäre des Froscheies,
im Gegensätze zu der früheren Auffassung, das Material für die
Oberfläche des Bauches des Embryo liefert [s. unten und
Nr. 23 und Nr. 2(3, S. 32].
Ausserdem fand ich, dass auf dem Stadium der ersten Theilung
des Froscheies auch schon die Kopf- und Schwanzseite des Embryo
bestimmt und bei Rana esculenta, dem grünen oder Wasserfrosch,
an einer Schiefstellung der Eiaxe auch bereits erkennbar sind; ein
Verhalten, welches für die Ascidien wiederum selbstständig von van Be-
neden und JuLiN und später von M. v. Ko^vALEwsKI (a. a. O.) für Ca-
rassius festgestellt wurde (ohne dass jedoch letzterer Autor Veranlassung
genommen hätte, seine Vorgänger in der Ermittelung dieses funda-
mentalen Verhaltens an relativ nahestehenden Thierklassen zu nennen).
Es ist zu erwähnen, dass bezügliche Beobachtungen sich bereits in
dem 1854 veröffentlicliten Nachlass von G. Newport verzeichnet finden,
1) El». VAN Beneden et Cn. Julin, La segmentation chez les Ascidiens et ses
rapports avec l'organisation de la larve. Arcli. de Biologie. T. V. 1884.
-) Mtei:z. V. KowALEWsKi, üeber die ersten Entwickeliingsprocesse der Knochen-
fische, Zeitschr. für wissensch. Zool, 1886. Bd, 43, S. 434,
Ueber die Solbsklifferenziruiis des Eies. 425
wok'lie iiulc'ss keine Beaclitung gefunden liatten und erst naeliträglicli
wieder aufgefunden worden sind (s. S. 417). Weiterhin zeigte ich
(Nr. 21), dass normaler Weise die Entscheidung üher die Richtung
der Medianebene und über die Lage der Kopf- und Schwanzseite des
Embr3'o im Ei durch die C'o[)ulation des iSamenkernes und des Eikernes
getroffen wird, indem die Medianebene in der Copulationsrichtung
verläuft und indem diejenige Hälfte des Eies, welche der
„männliche" Kern bei der Copulation durchläuft, zur
,,caudalen" Hälfte des Embryo wird, während aus der ent-
gegengesetzten Eihälfte die cephale Hälfte des Embryo hervorgeht. Der
directe Causalnexns war da- [117] durch zu erkennen möglich, dass
es mir gelang, jedes Ei von einem beliebig gewählten Meridian aus
zu befruchten; während bei anderen Thieren, wo zwar auch die Befruch-
tungsseite des Eies mit einer bestimmten Seite des Embryo zusammen-
fällt, wo aber das Samenthier an einer typischen Stelle in das Ei ein-
dringt, ein solcher Schluss nicht mit Sicherheit gezogen, sondern
höchstens in Form einer Vermuthung geäussert werden kann ^). So auch
1) Nach meinen bisherigen Untersuchungen sind beim Froschci „normaler"
Weise folgende Gestaltungen in ihrer „Lage" durch die beliebig wähl-
bare „Lage" der Befrnchtungsstelle bedingt:
1. Der Sanienkörper nimmt eine typische geknickte Bahn innerhalb der durch
die Sameneintrittsstelle hindurchgehenden verticalen Meridianebene: innerhalb der
„Befruchtungsebene".
2. Die Copulation der beiden geschlechtlichen Kerne erfolgt innerhalb der Be-
fruchtungsebene.
3. Auf derjenigen Seite des Eies, welche der „Befruchtungsseite" gegen-
überliegt, hellt sich bei Raua fusca die dunkle Hemisphäre in Form eines, der weissen
Hemisphäre anliegenden halbmondförmigen grauen Saumes auf. Dieser Saum ist
symmetrisch zu dem „Befruchtungsmeridian" orientirt. Beim grünen Frosch ver-
schiebt sich gleichfalls, wenn vielleicht auch auf etwas andere Weise [durch innere
Dotterumlagerung, welche eine Drehung des Eies bewirkt"?], das Pigment derart, dass
auf der gleichen Seite die helle Eirinde weiter heraufreicht.
4. Die erste Surchung erfolgt in der Ebene des Befruchtungsmeridianes.
[4a. Die erste Furchung beginnt oben am Ei und zwar zumeist deutlich an
der der Befruchtungsseite gegenüberliegenden Seite des Eies, um von da oben gegen
die Befruchtungsseite fortzuschreiten.]
5. Die erste Anlage des Urmundes erfolgt im Befruchtungsmeridian, und zwar
6. auf der der Befruchtungsseite gegenüberliegenden Hälfte des
Eies, also auf derjenigen Seite (siehe 3), wo die helle resp. aufgehellte Eirinde höher
heraufreicht und zwar bei Rana fusca, ungefähr an der Grenze des nachträglich
aufgehellten Saunies,
426 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
I
l)eini Hühnerei, wo ein solches Be- [118] stinnntsein der Lage des Embryo
zu den Axen des ganzen Eies schon lange bekannt war, wenn aiicli
die sichere Beziehung der Medianebene zur ersten Furche und die
genauere Beziehung dieser zur Copulationsrichtung noch fehlt. A. von
KöLLiKER hatte schon vermuthet^), dass der schneller sich furchende
Theil der Keimscheibe des Hühnereies zum späteren hinteren Theil
des Blastoderma sich gestaltet, in welchem die ersten Spuren des
Embryo entstehen; und His^) hat des Weiteren gezeigt, dass in der
Keim Scheibe des gelegten Hühnereies jeder Bezirk des äusseren
Keimblattes einem bestimmten Theile des künftigen Thieres entspricht.
Für die Hervorbildung dieser Theile aber nimmt His, im Gegensatz
zur eventuellen ,,Selbstdifferenzirung der einzelnen Bezirke" mecha-
nisch e W e c h s e 1 w i r k u n g e n des Entstehungsbezirkes mit der näheren
oder ferneren Nachbarschaft derselben an. Für zwei dieser Gebilde,
für das Medullarrohr [s. Nr. 22, S. 144] und das Darmrohr konnte
ich indess, durch Abtrennung ihrer Anlagen von deren seithcher Um-
gebung, nachweisen (s. S. 244 u. f.), dass solche Wechselwirkungen mit
der Nachbarschaft n i c h t nöthig sind ; denn der Schluss derselben voll-
zog sich trotz Isolirung ihrer Anlagen und zwar sogar abnorm rasch.
Danach haben wir die gestaltenden Ursachen für die Bildung
dieser Rohre in den das Rohr zusammensetzenden Theilen zu
suchen; und die Nachbarschaft setzt der Bildung derselben eher einen,
erst allmählich zu überwindenden Widerstand entgegen. Aus diesen Er-
gebnissen ist natürlich nicht zu folgern, dass alle Organe ihre Form
7. Die seitlichen ürmundslippen entwickeln sich symmetrisch zum Befruch-
tungsmeridian.
8. Die beiden Medullarwülste und der ganze spätere Embryo werden .sym-
nietri.sch zum „ Befruchtungsmeridian " angelegt, also die Ebene des Befruchtungs-
meridianes wird zur „ Medianebene " des Thieres.
9. Die „ Befruchtungsseite " des Eies wird zur caudalen Seite des Thieres.
Um Einblick in die dieser vielfachen Coincidenz su Grunde liegenden Causal-
zusammenhänge zu gewinnen, habe ich mich, und zwar mehrfach mit Erfolg, bemüht,
durch abnorme Bedingungen künstliche Trennungen dieser Coincidenzen
hervorzubringen (s. 8. 325, 408) und ich werde nicht unterlassen, anderweit darüber
zu berichten (s. Nr. 32. S. 267).
1) A. KöLLiKER, Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere.
Leipzig 1879.
'') His, Unsere ivörperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung. 1874.
üeber die Solbstdifforenzirung des Eies. 427
durch ,«Selbst(lifferenziniii,u- des C'omploxes der sie zusuiuinen-
setzeiiden Tlieile" erlangen; vielmehr ist solches erst von Fall zu
Fall zu ermitteln, und für viele Formen, z. B. für die der Gestalt der
Leber, Lungen (His, Braune), Knochen (A. Fick), für die Bahnen mancher
Gefässe (G. Schwalbe) u, a. ist es ausser allem Zweifel, dass sie durch
meclianisehe Wechsehvirkungen mit Nachbartheilen hervorgebracht
werden; wie ich denn auch durch Erzeugung einer künstlichen,
[119] die dcformirende Einwirkung überdauernden Rautengrube
am Medullarrohr gezeigt habe (s. S. 249), dass der Embryo eine sehr
hochgradige ,, vitale" Anpassungsfähigkeit an passive
Deformationen besitzt, so dass auch für die normale Rauten-
grube entsprechend der Annahme von His die principielle Möglich-
keit solcher Entstehung erwiesen ist.
xA.usser diesen Thatsachen sprechen auch zahlreiche lliatsachen
der Pathologie : Dermoidcystome etc., die ich loco ultimo cit. zusammen-
gestellt habe (s. S. 203), für die ,,Selbstdiff erenzirung von Ei-
theilen".
Doch nur das directe Experiment am Ei kann uns über
den wirklichen Antheil der Selb stdiff erenzirung der Theile
des Eies an der normalen Eutwickelung eine vollkommen sichere
Aufklärung verschaffen ; und ich habe schon vor Jahren ^) mich in
diesem Sinne bemüht und im Allgemeinen dargethan, dass Operationen
am sich furchenden und gefurchten P^i, welche einen Substanzaustritt
setzen, nicht Aufhebung der Entwickelung oder allgemeine Ver-
bildungen des Embryo bewirken, sondern dass normal gestaltete
Embryonen mit nur einem cir cumscripten Defect oder
einer circumscripten Verbildung die Folge davon sind.
Um speciellere Kenntniss zu gewinnen, benutzte ich im Früh-
jahr 1887 den •siach xlbschluss zeitraubenderer Versuche (s. Nr. 23)
1) „Vorläufige Mittheilung über causal-oiitogenetische Experimente", Vortrag
gehalten am 15. Febr. 1884 in der Schlesisehen Gesellschaft für vaterländische Cultur.
Durch Versäumniss der Einsendung eines Referates meinerseits ist es bedingt gewesen,
dass in dem betreffenden Jahresbericht der Schles. Ges. etc. überhaupt ein Vermerk
über jenen Vortrag sich nicht vorfindet. Derselbe ist erst in Beitrag 1 z.ur Ent-
wjckelungsmechanik, Zeitschr, für Biol. 1885, veröffentlicht worden (s. S, 153—186),
428 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
verbliebenen Rest der Laiehperiode zu geeigneten Experimenten, über
welche ich im Folgenden l:)erichten will ^).
Wenn nun auch, wie sich zeigen wird, das Ergebniss derselben
ein reiches war, musste doch manche wichtige Frage, welche bei einer
weiteren Fortsetzung und nur geringen Abänderungen der ^^ersuche
leicht mit liätte entschieden werden können, vorerst noch unerledigt
bleiben, so dass auch die vorliegende Abhandlung wieder nur
eine ,, Abschlagszahlung" an das behandelte Thema der
, S el b s td i f f e n z i r u ng " darstellt.
Versuche über die AVirkuiig der Zerstörung einer Eihälfte auf die
Eutwiekelung des Eies.
\^ e r s u c h s m e t h o d e.
[120] Die A n o r d n u n g d er \^ e r s u c h e war folgende :
Bei den ersten Versuchen wurden die Eier vom grünen Frosch,
[1) Die Hauptergebnisse derselben wurden zuerst in der Section für pathologische
Anatomie der Naturforscberversammlung zu Wiesbaden am 22. Sept. 1887 unter
Demonstration noch nicht microtomirter Hemiembryonen vorgetragen;
in Folge Aufforderung Avurde der Vortrag mit der Demonstration in der vereinigten
Section für Anatomie und Zoologie wiederholt. Die Präparate wurden nebst den
Loupen herum gegeben und von den zahlreichen Anwesenden besichtigt (s. Tagblatt
der Naturforschervers. S. 77, 78, 254, 272). Vergleiche Nr. 31, S. 248 und 260.] Der
anatomische Anzeiger 1887, Nr. 25, brachte über diesen Vortrag folgenden Bericht:
1 . „Herr W. Roux ( Breslau ) spricht über S e 1 b s t d i f f e r e n z i r u u g der
Furchungskugeln. Er verfolgte nach der Zerstörung einer der ersten beiden
Furchungskugeln des Froscheies das Schicksal der überlebenden anderen Zelle. Dieselbe
furchte sich, bildete eine Semimorula, dann eine Semiblastula, eine Semi-
gastrula lateralis und schliesslich einen Hemiembryo lateralis. Im Aveiteren
Verlaute der Entwickelung trat häufig Regeneration der ganzen bisher
fehlenden Körperhälfte ein, so dass schliesslich ein normaler Embryo hervor-
ging. Diese Regeneration vollzieht sich meist imter Auswanderung von Kernen
aus der lebenden in die nicht entwickelte Hälfte und unter dadurch ver-
mittelter secundärer Organisation dieser letzteren. In einigen Fällen blieb die
Regeneration aus. Der Autor legte eine Anzahl entsprechender Präparate vor und
fügte noch einige blos aus einer vorderen Hälfte bestehende Embryonen
hinzu, die er durch Anstechen der ZAvei hinteren Furchungskugeln nach der zAveiten
Furchung hervorgebracht hatte. Auch ZAvei „Hemiembryones posteriores" |s. dagegen
S. 447] waren nach entsprechend variirter Operation entstanden. Die aus der operirten Zelle
ausgetretene Eisubstanz, das Extraovat, macht gleichfalls einige Stufen von
Entwickelung durch (wie der Autor schon früher, Zeitschr. f. Biologie 1885, mit-
getheilt hat). Eine ausführliche Publication Avird nach Beendigung der microscopischen
Untersuchung erfolgen.''
Versuclismethode. 429
Rana esculenta, in (ihisschalon einzeln aufgesetzt, dann während
der Bildung der ersten Furche in Bezug- auf die Schiefstellung der
Sehwarzen Hemisphäre und auf die Richtung der Furche abgezeichnet
und danach eine der beiden ersten Furchungskugeln mit einer feinen
Nadel ein- oder mehrmals angestochen. Darauf wurde die jetzige
Stellung des Eies mit -der Zeichnung verglichen, bei Abweichung eine
neue entworfen, und es wurden die Orte der Anstichstellen, sowie die
Lage der durch dieselben ausgetretenen Eisubstanzen (Extraovate)
[s. S. 155 und 1(32] in die Zeichnung eingetragen.
Leider entwickelten sich die meisten Eier in diesen ersten
Versuchen entweder gar nicht oder normal, trotzdem die an-
gestochene Eizelle sich oft stark entleerte und durch Nachfluss von
der Nachbarzelle wieder angefüllt wurde, so dass also jedenfalls
ausser dem Substanzverlust noch eine sehr starke Um-
ordnung der Eisubstanzen vorhanden sein musste. Ich
konnte daher nur an wenigen Eiern die äusserlich sichtbaren A'' or-
gäuge nach der Zerstörung blos einer Furchungskugel beobachten.
Da an manchen der Eier, wie auch an den zu jedem Versuche
angesetzten nicht operirten Probeeiern bereits vereinzelt Missbil-
dungen auftraten, wie sie gegen Ende der Laichperiode sich
einzustellen pflegen und von mir bereits früher kurz beschrieben wor-
den sind [s. S. 159] ; da also mit jedem Tag die normale Ent-
wickelungsfähigkeit der Eier ganz aufhören konnte, so operirte ich
jetzt grosse Massen nicht isolirter, sondern in der Schale beisammen
liegender Eier nacli Bildung der ersten Furche, um dann nach einigen
Stunden oder am anderen Tage diejenigen auszulesen und ge_
sondert aufzustellen, bei welchen sich die operirte Furchungskugel
nicht gefurcht hatte. Manchmal trat auch während der Operation
der ersten Eier s^chon die zweite Furche auf, und ich stach dann
zwei der neben einander liegenden, oder blos eine der vier
Furchungskugeln an.
Da selbst bei mehrfachem Anstechen einei* Zelle mit der einfachen
feinen Nadel trotz grosser Extraovate sich die Zelle oft noch normal
entwickelte, so machte ich vom dritten Tage ab die Nadel heiss,
indem ich eine Messingkugel als Wärmeträger an ihr anbringen liess
I
430 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
und diese Kugel entsprechend erhitzte. [121] Dabei wurde blos
,,ein" Einstich gemacht, aber die Nadel gewöhnlich so lange im
Ei gelassen, bis eine deutliche hellbraune ^^erfärbung der Eisubstanz
in ihrem Umkreise entstand. Diese Substanz haftete dann beim
Herausziehen der Nadel etwas an derselben und bildete auch hinterher
noch einen breiten, schwach vorspringenden Kegel ; ein Zeichen, dass
sie fester geworden, also wohl halb geronnen war. In Folge dessen
traten nun auch aus der Anstichstelle keine E x t r o v a t e mehr aus.
Jetzt erhielt ich ein besseres Resultat; und zwar derart, dass bei
etwa 20 "/o der operirten Eier blos die unversehrte Zelle den Ein-
griff überlebte, während die Mehrzahl ganz zu Grunde ging und
einige wenige, bei denen wohl die Nadel schon zu kalt gewesen war,
sich normal entwickelten. Ich habe so im Ganzen über 100 Eier mit
getödteter einer Hälfte zur Entwickelung gebracht und aufbewahrt;
und davon wurden 80 ganz microtomirt. V^on den für letzteren Zweck
ausersehenen Eiern wurden von Zeit zu Zeit mehrere herausgenommen
und getödtet, von den früheren Stadien : der Morula und Blastula
mehr als von den späteren, schon mit speciellen Organanlagen
versehenen^).
An den nicht operirten Probeeiern jedes Versuches wurde
neben anderen Missbildungen gleichfalls, aber seltener, das Aus-
bleiben der Entwickelung einer der beiden oder einer der
vier ersten Furchungskugeln beobachtet. Diese Eier wurden
zum Vergleiche mit den operirten gleichfalls ausgelesen und auf ver-
schiedenen Stadien conservirt und microtomirt. Dasselbe geschah
auch mit Eiern, w^elche sich trotz der Besamung, d. h. trotz des Ein-
legens in die Samenflüssigkeit, nicht entwickelt hatten.
Da die Behandlung der Eier behufs der Conservirung und
Färbung für die Befunde an den Kernen von Bedeutung ist und auch
an sich manche Schwierigkeiten darbietet, so will ich aucli darüber,
soweit als für ersteren Zweck nöthig ist, und als ich in letzterer Hin-
sicht von den früheren Autoren etwas abweichende Erfahrung ge-
wonnen habe, kurz berichten. Die Abtödtung geschali^ in kleiner
[1) (Jenaueres über die.sc MeÜiotlcn siehe Nr. 81.]
Versuclismethode. 431
Abweichung von O. Hkutwk; nacli Wowx durch Emlcgen der Eier in
Wasser statt von 100 ))los von 80'- (". während nur einiger Minuten,
welche genügen, um nicht blos das Ei zu tödten und durch Clerin-
nung ziemlich widerstandsfähig, [122] sondern auch um die Gallert-
hülle leicht abschneidbar zu machen. Die Härtung und Aufbe-
wahrung geschah nach Born in 70- bis 80 ^/oigem Alcohol, die Färbung au
den ganzen Eiern nach 0. Schultze in Boraxcarmin mit Ausziehen in
schwach salzsaurem Alcohol. Dann fand zum Zweck der Einbettung
Uebertragung auf eine Nacht in Alcohol absol., einige Minuten in Toluol,
mehrere Stunden oder nach Belieben auch Tage lang in altes ver-
harztes dickes Terpentinöl statt. Aus letzterem auf Fliesspapier ge-
bracht und durch Betupfen mit in Toluol getränktem Pinsel von dem
oberflächlichen Terpentin befreit^ wurden die Eier, welche dann voll-
kommen zum Zeichnen geeignet sind, trocken aufbewahrt. Aber man
muss sich hüten , beim Abspülen zuviel Toluol zu verwenden , da
sonst nicht genug Terpentinharz im Object bleibt, um dasselbe ge-
schmeidig zu erhalten ; nach der Verflüchtigung des Toluols werden
die Eier sonst steinhart und sind dann entsprechend spröde beim
Schneiden. Ist dies doch geschehen, wie es mir leider mit der Mehr-
zahl der in Wiesbaden auf der Naturforscherversammlung demon-
strirten Präparate, in dem Bestreben, die Oberfläche recht vollkommen
vom Terpentin zu reinigen, passirt war, so sind sie indess doch noch
nicht ganz verloren. Sondern ich erweichte dieselben durch 2 — Stägiges
Einlegen in eine 30°/oige Lösung von kohlensaurem Kali, worauf
sie auf's Neue entwässert und mit Terpentin getränkt wurden. Ein
Theil derselben blieb unversehrt und erwies sich nach dem Schneiden
bei der microscopischen Besichtigung auch innerlich ziemlich wohl
conservirt; aber mehrere waren aussen bereits so stark erweicht, ehe
auch das Innerei genügend weich geworden war, dass sie bei den
folgenden Manipulationen sich äusserlich abnutzten und ich blos noch
Reste zum Schneiden zu verwenden hatte, welche indess glücklicher-
weise gerade noch die wichtigsten Stellen darboten.
Das Einschmelzen geschah in gesottenem Paraffin nach Spee,
welches bei 50° flüssig wurde; ich habe das Einschmelzen über Nacht
gegenüber kürzer dauerndem, blos lialbstündigem Einschmelzen für
432 Nr. 22, Die Hervorbringung halber Embryonen.
besser befunden und auch von einer Steigerung der Temperatur auf
60° C. keinen Schaden gesehen. Die Gefahr des Hartwerdens der
Eier finde ich nur im Tokiol, welches sicli total verflüchtigt, wonach
dann, wie erwähnt, wenn nicht zugleich [1231 eine andere Flüssig-
keit oder weiche Substanz, wie das Terpentinharz oder Paraffin, ein-
dringt, die Eier steinhart werden.
Die Erhaltung und Färbung der Kerne war in vielen der Prä-
parate recht gut, und die mitotischen (iebilde daher gut zu sehen;
in anderen scheinbar gleich behandelten, aber beim Tödten vielleicht
doch zu sehr erwärmten Objecten war das feinere Ötructurdetail der
Kerne nicht mehr recht erkennbar.
Die unten gemachten Mittheiluugen über abnorme Kernformen
sind schon ihrer Natur nach nicht auf etwaige Veränderungen durch
die Behandlung der Eier zurückzuführen; und ausserdem fanden sie
sich auch in solchen Präparaten, welche anderen Ortes recht gut con-
servirte normale Kerne zeigten. In manchen Embryonen waren trotz
o-uter Conserviruug; der Structur der ruhenden Kerne so ausserordent-
lieh wenig Kerntheilungsfiguren wahrneliml)ar, dass ich mit Flemminc;
annehmen muss, die Melu'zahl der bei der stetig fortschreitenden Ent-
wickelung jedenfalls zahlreich stattfindenden Kerntheilungen wurde
während des Abtödtens der Eier durch Erwärmen entweder zur Kuhc-
form zurückgebildet oder rasch vollendet.
Ergebnisse der Versuche.
Die Versuche selber bestanden, wie angegeben, darin, dass nach
dem Auftreten der ersten Furche am befruchteten Ei ') die (124] eine
1) Von J. Dewitz ist jüngst (Biolog. Centralblatt. 1887. S. 93) mitgetlieilt
worden, dass unbefruchtete Fr osch eier zur „ F ii rch ung " angeregt werden
könnten und zwar durch Einlegung in S ubl im at 1 ös ung. Die angekündigte
ausführliche Mittheilung steht noch aus; gleichwohl ist diese Angabe schon unbe-
anstandet in verschiedenen Zeitschriften referirt worden. Ich versuchte dieselbe zu
prüfen, indem ich unbefruchtete Froscheier in eine Reihe von 24 Schalen mit ver-
schieden starken Sublimatlösungen (von 0,001— 1,4 "^o) legte. In den schwächsten
Lösungen entstand, soweit überhaupt, erst nach stundenlangem Liegen eine Trübung
der Gallerthlille und des Eiwassers. Etwas stärkere Lösungen bewirkten in kürzerer
Zeit grössere Trübungen der Gallerthülle und tlockige Gerinnung des Eiwassers.
Dagegen bemerkte ich bei O.ö^'üiger Lösung, dass die Eier vielfach längs
halber oder fast ganzer Meridiane aufplatzten, wobei entweder die Hrucli-
A. Entstehung „seitlicher" Halbbildungen. 433
der gebildeten beiden Zellen durch eine Operation geschädigt und so
ihrer Entwickelungsfähigkeit beraubt wurde. Indem wir jetzt zur
Mittheilung der Ergebnisse der Versuche übergehen, seien zunächst
die Vorgänge, welche sich nach diesem groben Eingriff an der nicht
operirten Eihälfte abspielten, dargestellt.
I. Vorgäiig-e an der „nicht" operirten Eihälfte.
A. Entstehung ,, seitlicher" Halbbildungen, Hemipoeesis
lateralis.
In vielen Fällen war an der nicht operirten Zelle keine Ent-
wickelungserscheinung wahrnehmbar; vielmehr traten die früher
von mir geschilderten Absterbeerscheinungen (s. S. 157), graue Ver-
färbung und Fleckenbildung, auf. In anderen Fällen machte diese
Furchungskugel einige weitere Furchungen durch , um dann , wie
gleichfalls a. a. O. geschildert, unter maximaler, bis zum Schwund
der äusseren Furchen führender Abplattung der Zellen an ein-
ander, wiederum abzusterben. Auf Grund der sogleich zu schildern-
den dritten Art des Verhaltens sind wir berechtigt anzunehmen, dass
in diesen ersteren beiden Fällen die äusserlich anscheinend unver-
sehrt erhaltene Zelle doch mit von dem operativen Eingriff direct
betroffen worden war und deshalb starb, nicht aber in Folge des
Fehlens der Mitwirkung der anderen Zelle ihre Entwickelung einge-
stellt hatte.
Im dritten, bei den letzten Versuchen etwa 20°/o der ope-
rirten Eier erreichenden Falle lebte die nicht operirte Zelle weiter.
ränder scharf, leicht gezackt und körnig in Folge starker Gerinnung des Dotters
waren; oder, wenn die Gerinnung zur Zeit des Aufplatzens der zuerst geronnenen
und dabei geschrunr«)ften Oberflächenschicht noch nicht' tief genug eingedrungen
war, so drang flüssiger Dotter in feinen Linien aus dem Spalt, um dann gleich-
falls zu gerinnen. Gelegentlich standen solche Spalten auch annähernd recht-
winkelig zu einander und boten so bei flüchtiger Betrachtung ein den ersten Furch-
ungen ähnliches Bild dar. In anderen Fällen erfolgte das Aufplatzen des P]ies nicht
in grössten Kreisen desselben oder überhaupt nicht in Kreislinien, sondern in unregel-
mässig schief zu einander stehenden Linien. Solche Gerinnungserscheinungen
darf man jedoch nicht als „ Furchungen " und damit als vitale Vorgänge von ganz
bestimmter entwickelungsmechanischer Dignität bezeichnen.
AV. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 28
434: Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Man konnte dabei verschiedenerlei Folgen erwarten, z. B. dass abnorme
Vorgänge sich abspielen würden, welche zu absonderlichen Formen-
bildungen führten; oder dass diese ,,eine" Eihälfte, da sie doch eine
ganze Zelle mit einem nach manchen Autoren (welche, entgegen meiner
wiederholt und deutlichst ausgesprochenen Meinung (s. S. 311), in dem
Mechanismus der indirecten Kerntheilung gleichwohl angeblich ,,me-
auctore" eine ,,nur" zur qualitativen Halbirung geeignete Einrichtung
sehen) dem ersten Furchungskern in seiner [125] Qualität , , vollkom-
men^'gleichen Kerne sich zu einem ganzen, nur entsprechend
kleineren Individuum entwickeln werde. Statt derartiger Ueber-
raschungen geschah indess das Allerüberraschende: Die „eine" Zelle
entwickelte sich in vielen Fällen der Hauptsache nach zu
einem normal gebauten ,, halben Embryo", derart, dass blos
im Bereiche der unmittelbaren Nachbarschaft der ope-
rirten Eihälfte kleine Abweichungen entstanden, welche
in dem Abschnitte über das Verhalten dieser letzteren Hälfte mit zu
erwähnen sein werden.
1. Semimorula verticalis. Durch fortgesetzte Theilungen der
unversehrten Eihälfte wurde zunächst ein Gebilde hergestellt, welches
den Namen einer Semimorula verticalis verdient, da es im Wesent-
lichen wie die verticale Hälfte einer Morula gebaut war. Diese Be-
zeichnung will besagen : es entstand ein halbkugeliges Gebilde, welches
oben aus dichtgedrängten pigmentirten kleineren, unten aus nicht
pigmentirten grösseren Zellen besteht [s. S. 156]. Indess, ein ße-
standtheil der normalen Morula war bei den geschnittenen 11 Semi-
morulae verticales nicht ordentlich ausgebildet: nämlich die Fur-
chung sh oh le. Dieselbe hätte einen an der unentwickelten Hälfte an-
liegenden, annähernd halbkugeligen, von dicht aneinander geschlossenen
Zellen begrenzten Hohlraum darstellen müssen. Statt dessen aber
sind die Zellen hmen blos locker gelagert und lassen mannigfache
Zwischenräume zwischen sich; oder es ist ein grösserer, aber auch
nicht scharf umgrenzter Hohlraum vorhanden, welcher durch eine
Zellenlage auch von der unentwickelten Hälfte getrennt ist. Manch-
mal fehlt jede Andeutung von Hohlraumbildung, also selbst die lockere
Lagerung der Zellen.
Ä. Entstellung „seitlicher" Halbbildungen. 436
2. Semiblastula verticalis. Das zunäclist folgende Stadium der
Keimblase, der Blastula, ist formal durch keine scharfe Grenze von
der Morula getrennt, da die Gestalt der Blastula aus der der Morula
wesentlich durch weitere Zerkleinerung der Zellen und Vergrösserung
der umschlossenen Höhlung hervorgeht unter allmählicher, aber bei
den einzelnen Individuen ausserordentlich verschiedener Verdünnung
des Daches der Höhle.
Diesem Stadium entsprechend habe ich mehrere Semiblastulae
verticales vorgefunden und microtomirt. Von Interesse ist dabei,
dass auf dieser Stufe der Binnenhohlraum sich bei der Mehr-
zahl durch dichtgelagerte Zellen wohl abgegrenzt [126]
erweist, so dass im Vergleiche mit dem Verhalten der Semimorulae
also eine nachträgliche Ordnung und dichte Zusamme|n-
schliessung der Zellen stattgefunden haben muss. Die so ge-
bildete Blastulahöhle liegt einige Male ganz in der entwickelten
Hälfte eingeschlossen, d. h. sie ist von der nicht entwickelten durch
eine ein- oder mehrfache Zelllage getrennt (Taf. VI Fig. 1); einige
Male grenzte sie direct an die annähernd ebene Abgrenzungsfläche
der unentwickelten Hälfte; ein Mal aber setzt sie sich auf diese
Hälfte fort (Fig. 2) und hat somit annähernd die Form einer voll-
kommenen Blastulahölile erlangt, was aber wohl nur durch abnorm
grosse Ausscheidung von Flüssigkeit seitens der sich entwickelnden
Hälfte bedingt war. In einem Falle fehlt jede Andeutung einer Hohl-
raumbildung, indem die Zellen aller Orten dicht zusammengeschlossen
liegen und so auch direct an die nicht entwickelte Hälfte grenzen.
3. Semig-astruiae verticales. Von der nächst höheren Entwicke-
lungsstufe, von der Gastrulation, hatte ich, wie ich glaubte, eine
sehr grosse Anzahl von Halbbildungen conservirt. Nach dem Micro-
tomiren zeigte sich aber leider, dass die Mehrzahl noch auf der Blas-
tulastufe sich befand, und dass eine beginnende Gastrulation nur durch
eine leichte Einschlagung des freien Randes der Semiblas-
tula gegen die operirte Eihälfte hin bei der äusseren Besich-
tigung vorgetäuscht worden war. Ein anderer Tlieil dagegen bot in
dem freien Randwulste bereits einer höheren Stufe zukommende Bil-
28*
436 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
düngen dar, so dass ich unter den microtomirten Eiern nur über drei
wirklich der Gastrulastufe entsprechende Halbbildungen verfüge.
Die normale Gastrula lässt bereits deutlich die Medianebene
erkennen als diejenige durch den Mittelpunct des ganzen kugeligen
Gebildes gelegte Ebene, welche zugleich den hufeisenförmigen Urmund
und im Innern die sich an ihn anschliessende Urdarmhöhle sym-
metrisch theilt. Die Urdarmhöhle ist nach aussen bedeckt von einer
dünnen zweischichtigen äusserlich dunkel gefärbten Platte, deren huf-
eisenförmiger Saum mit der anliegenden weissen Eimasse eben den
Urmund formirt. Diese Platte lässt die dorsale Hälfte des Embryo
hervorgehen, weshalb ich sie als ,, Dorsalplatte" bezeichnet habe.
Die Mitte des hufeisenförmigen Saumes entspricht in ihrer Richtung
der Kopfseite, die offene [127] Stelle des Bogens der Schwanzseite
des Embryo. Später legen sich die beiden Hälften des huf-
eisenförmigen Saums der Dorsalplatte, in cephalocauda-
1er Richtung fortschreitend, aneinander, um mit einan-
der zu verschmelzen. Die Medianebene des Embryo theilt den
hufeisenförmigen Saum normaler Weise symmetrisch.
An den Halbbildungen dieses Stadiums ist es indess, vn.e erwähnt,
wegen der Einschlagung des freien Randes der Hälfte ausserordentlich
schwer, die bezüglichen Gestaltverhältnisse bei der äusseren Betrach-
tung genau genug wieder zu erkennen, um beurtheilen zu können, ob
man eine seitliche, vordere oder hintere Semigastrula vor sich hat.
Fig. 3 auf Tafel VI stellt ein ziemlich altes Stadium dar, dessen
Durchschnitt man geneigt sein könnte, auf einen Medianschnitt durch
eine Semigastrula anterior zu beziehen. Da indess die Schnittrich-
tung nicht rechtwinkelig zur Abgrenzungsebene der entwickelten und
der unentwickelten Hälfte, sondern ihr fast parallel geführt war, und
da die Dorsalplatte fast in ganzer Läno-e vorhanden ist, so erweist
sich das Bild doch als Durchschnitt durch eine Semigastrula lateralis i);
[1) Da Gastrula (von /; -//■".-.i^'j der Bauch), Blastula (von ö [i/.a^ro? der Keim),
Morula (von -& ^cpov die Maulbeere, Brombeere) Wörter griechischer Abstammung
sind, so wäre es trotz der ihnen von Haeckel angefügten lateinischen Endung
doch vielleicht angemessener gewesen, auch die Namen dieser Halbbildungen gleich
denen der Embryonen griechisch zu bilden und zu sagen Hemigastrul u, Hemi-
blastula und Hemimorula.l
A. Entstehung „seitlicher" Halbbildungen. 437
eine Diagnose, die in der geistigen Integration aller Durclischnitts-
bilder ihre leichte und sichere Bestätigung findet. Das Urdarmlumen
ist trotz seiner grossen Länge noch durchaus blos spaltförmig; das
äussere Keimblatt, der Ectoblast, ist wohl abgesetzt gegen das innere
Keimblatt, den Entoblast; die Blastulatiüssigkeit und damit die
Blastulahöhle F ist noch erhalten, was normalerweise um diese
Zeit nicht mehr der Fall ist. Ihre an den mehr seitlichen Schnitten
erkennbare Lagerung auf der der Dorsalplatte entgegen-
gesetzten, also ventralen Seite des Eies (sowohl in der ent-
wickelten wie unentwickelten Hälfte) bekundet deutlich die Unrich-
tigkeit der Auffassung der bisherigen Autoren, nach welcher die Seite
der Blastulahöhle des Eies zur dorsalen Seite des Embryo werden soll.
4. Hemiembryoiies laterales. Die nächste Entwickelungsstufe
bietet normaler Weise äusserlich die erste specielle Organanlage dar,
die Anlage des Centrainer vensystems in Gestalt der Medullarplatte
mit ihren zu den Medullarwülsten erhobenen beiden seitlichen
Rändern. Die Medullarwülste stehen im Bereiche des Kopftheiles
anfangs in grossem Abstand einander gegenüber und nähern sich
dann allmählich bis fast zur Berührung (Taf. VII. Fig. 1 u. 2). In
diesem [128] Stadium führt der Keim bereits den Namen Embryo.
Wir haben nun zu fragen, was die nicht operirten Eihälften diesem
Stadium Entsprechendes gebildet haben.
Die Figuren 3 — 5 auf Tafel VII stellen drei der am normalsten
ausgefallenen Bildungen von verschiedenen Graden der Ausbildung
dar. Diese sowie Jioch vier andere entsprechende Gebilde, welche
ich besitze, zeigen als Gemeinsames das Vorhandensein blos
„eines" Medullarwulstes, der aber in ganzer Länge gebildet
und von nebensächlichen Abweichungen abgesehen nor-
mal gestaltet ist (s. S. 174).
Dabei muss ich erwähnen, dass schon normaler Weise die For-
men des Medullarwulstes auch auf den verschiedenen Alters-
stufen keineswegs ganz stereotyp sich in der Weise wiederholen, wie sie
von EcKER-ZiEGLER SO schöu modcllirt und von späteren Autoren mehr-
fach abgebildet worden sind. Sondern es kommen hiervon ziem-
438 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
lieh hochgradige, zum Theil bereits von O. Hertwig^) und mir
beschriebene [s. S. 193] Variationen vor, von denen manche Rück-
schläge auf Vorgänge darzustellen scheinen, wie sie von Fischen
her bekannt sind und welche wohl hauptsächlich nur auf Anachro-
nismen in der Differenzirung und dem Wachstimm der verschiedenen
Theile beruhen.
Solche Anachronismen zeigen sich auch in der relativen
Verzögerung oder Beschleunigung der Entwickelung der
einzelnen Keimblätter gegeneinander, so dass z. B. bei noch
ziemlich indifferenten Medullarwülsten manche sonst normalen Em-
bryonen im Mittelblatt, im Entoblast und in Chorda dorsalis schon
Formenbildungen aufweisen, wie sie normal erst gegen den Schluss
des Medullarrohrs vorkommen. Es ist in diesen Fällen also eine
deutliche Verzögerung der Entwickelung im Bereiche des
Ectoblast im Verhältniss zur Entwickelung der beiden an-
dern Keimblätter vorhanden. Solche Variationen können leicht
zu Streitigkeiten unter den Beobachtern Veranlassung geben, sofern
einer derselben aus einem zu geringen Materiale allgemeinere Folge-
rungen ableitet. Auch in der Geschwindigkeit der Entwickelung
der beiden „seitlichen" Körperhälften kommen Ungleich-
[129] heiten geringeren Grades vor und bieten dann den Vor-
theil dar, dass man zweierlei Entwickelungsstufen an demselben
Object zu beobachten Gelegenheit hat.
Gegen Ende der Laichperiode, sowie bei ungenügendem
Luftzutritt, treten solche auf Hemmungen bezw. Verzögerungen
mancher Vorgänge beruhenden formalen Abweichungen häufig auf,
werden aber oft im weiteren Verlaufe der Entwickelung wieder
ausgeglichen.
Von den in Folge der obigen Operation erhaltenen Hernie m-
bryones laterales, welche natürlich leicht als linke und rechte zu
unterscheiden sind, habe ich sechs microtomirt. Die Besichtigung
der Querschnitte erweist die Medullarplatte als blos halb vorhanden,
was auf den älteren Stadien, wo schon der Medullarwulst gebildet ist
1) 0. Hertwig, Die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere.
Jena 1883. Taf. V. Fig. 5.
A. Entstehung „seitlicher" Halbbildungen. 439
und inne typische Structur besitzt, besonders deutlicli zu erkennen ist
(Taf. VI, Fig. 4). Die typisclie Anordnung der Zellen des schon älteren
Medullarrohres ist an manchen Präparaten schön ausgebildet, an
anderen Stellen aber weniger ausgesprochen. Die älteren Embryonen
zeigen im Kopftheil die Medullarsubstanz entsprechend verdickt und
ausgestaltet. Der ursprünglich seitliche Theil des Ectoblast
(das Hornblatt), welcher früher mit dem Seitenrande der Medullar-
platte verbunden gewesen ist und bei der Bildung des Medullarwulstes
mit ihm erhoben und der Medianlinie genähert worden ist, hat sich
bei dem ältesten Embryo bereits von dem Medullartheil ge-
sondert, obgleich hier keine Gelegenheit zur Verschmel-
zung mit einer gleichen Lage der anderen Hälfte gegeben
ist, und ragt zunächst frei gegen diese andere unentwickelte Hälfte.
Dieser freie Rand wie auch der dorsale Rand der Seinimedulla late-
ralis sind ventral eingebogen, was auch an normalen Embryonen
vorkommt.
Die Ur darmhöhle findet sich blos auf der entwickelten Hälfte
ausgebildet und erstreckt sich gleichfalls nur bis zur Chorda. In
ihrem Lumen ist sie öfter zu eng, noch spaltförmig; anderenfalls ist
sie zwar etwas ausgeweitet, aber im Bereiche des Kopftheiles noch
durch zu grosse Anhäufung von Dotter verengt. Der Entoblast
zeigt sich normal beschaffen.
Als neu kommt dieser Phase normaler Weise die Ausbildung
des Mesoblast und der Chorda dorsalis zu. Auch unsere ,, halben" Em-
bryonen haben diese Theile gebildet. Vom Meso- [130] blast habe
ich kein Object der sehr kurzen Phase, in welcher über die Abkunft
dieses Blattes Klarheit gewonnen werden kann. Es ist auf allen Prä-
paraten schon vollkommen gesondert und zeigt in einigen Fällen ganz
die normalen Querschnittformen und normale Anordnung der Zellen.
An den älteren Embryonen ist die Scheidung in Seitenplatten und
Ursegmentplatten im Gange oder schon vollzogen ; am ältesten Em-
bryo sind die letzteren bereits in die ürsegmente zerlegt. Es ist also
die eine seitliche Hälfte des Mesoblast normal entwickelt
worden (vgl. Taf. VI, Fig. 4, Ms).
440 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Die Chorda dorsalis ist als medianes Organ von beson-
derem Interesse in Rücksicht darauf, ob aucli sie blos halb oder etwa
ganz gebildet worden ist.
Um dies zu beurtheilen, ist eine genauere Besprechung des nor-
malen Verhaltens nüthig. Ihre vollkommene Absonderung von
den drei anderen Blättern erfolgt in dem mehr caudal gelegenen Theile
später als mehr ee})hal und zwar zuerst vom Ectoblast, dann vom
Mesoblast, zuletzt vom Entoblast ^). Gelegentlich ist in der Mitte noch eine
Strecke der Chorda nicht ganz vom Entoblast gesondert, während sie
weiter hinten schon vollkommen isolirt ist, um noch weiter hinten wieder
ein jüngeres Stadium der Bildung darzubieten^). Sie ist an den Stellen
ihrer vollkommenen Sonderung von rundem, oder ovalem, oder ob-
longem Querschnitt und zeigt au verschiedenen Stellen ihrer Länge
sehr verschiedene Dicke, letztere im Allgemeinen von hinten nach
vorn ab- [131] nehmend; ein Verhalten, von dem aber aucli wieder
evidente Ausnahmen vorkommen: Manchmal bemerkt man sclion
eine regelmässig wiederkehrende An- und Abschwellung. Ausserdem
ist diese D i c k e a u c h b e i v e r s c h i e d e n e n I n d i v i d u e n g 1 e i c h e r
E n t wi c k e 1 u n g s s t u f e sehr verschieden, fast um das Doppelte
in der Zahl der Zellen an annähernd entsprechenden Stellen schwankend.
Unsere Halbbildungen nun zeigten an einigen Stellen die Chorda-
zellenschicht noch mit dem Darmentoblast in Zusammenhang, und
1) Ich sah beim Frosch deutlich eine Metamerie bei der Abgliederung
der Chorda dorsalis vom Mit telbl att ausgesprochen, indem auf jedem 3. oder
4. Schnitt die Scheidung noch kaum erkennbar ist, während an den zwischenliegenden
Schnitten die Sonderung durch die Umordnung der Zellen sich bereits als eine voll-
kommene zeigt; dies ist der Fall zur Zeit, wo die Chorda noch mit dem Entoblast
in Zusammenhang steht, aber doch schon als ein erhobener Strang zwischen den
beiderseitigen Mittelblatthälften gelegen ist, der nur an ganz wenigen Stellen auch
noch mit dem Ectoblast in Verbindung steht, d. h. noch nicht durch Umord-
nung seiner Zellen von ihm gesondert ist.
-') Zugleich sieht man in diesem Bereiche der eben erst vollendeten Absonde-
rung vom Entoblast, wie letzteres den so entstandenen Defect seiner Conti-
nuität wieder schliesst. Dies geschieht nämlich zunächst genau so wie beim
Beginn der Wundheilung durch Abplattung der Epithelzellen des
Randes und so ve rmittelte Herüber schieb ung über den Defect. Erst
nachträglich findet dann Vermehrung und Erhöhung der Epithelzellen
statt.
A. Entstehung „seitlicher" Halbbildungen. 441
dorsal abgebogen, wie bei der normalen Bildung, aber in der Aus-
dehnung blos entsprechend einer seitlichen Hälfte der Anlage. Zu-
meist aber ist die Chorda bereits ganz gesondert midist von rundem
oder schwach ovalem Querschnitt. Es ist also nicht blos ein
„Halboval" gebildet worden. Die Durchmesser erschienen mir nach
Grösse und Zahl der Zellen etwas kleiner als bei den vollkommenen
Embryoneu; doch war in Folge der erwähnten Ungleichheiten der
normalen Dicke eine Sicherheit nicht zu gewinnen. Ich will daher
blos erwähnen, dass die Peripherie ihres Querschnittes an den dünnsten
Stellen aus fünf Zellen gebildet wurde , während in scheinbar ent-
sprechenden Stadien und Stellen normaler Embryonen die volle Chorda
gewöhnlich acht bis zehn, einige Male aber auch nur sechs Zellen zählte.
Es sei aber an dieser Stelle gleich eingeschaltet, dass ich doch
mehrere sicher erkennbare halbe Chordae, Semichordae dorsales laterales,
an sogleich zu schildernden Präparaten vorgefunden habe (s. S. 443
und 447): Danach muss der gegenwärtige Befund fast vollkommener
Chordae wohl nicht auf primäre totale Bildung, sondern elier
auf sehr frühzeitige „Nachbildung" der fehlenden Seiten-
hälfte bezogen werden^).
Die Medianebene des Hemiembryo, welche bei unseren Halb-
bildungen blos durch die Abgrenzungsflächen der entwickel-
ten und der unentwickelten Hälfte des Eies gegeben ist^),
stellte in manchen Fällen auf dem Querschnitt eine gerade Linie dar;
das heisst die dorsale und ventrale Kante der Semimedulla, der Mittel-
punct der Chorda, der dorsale und ventrale Rand des Ectoblast lagen
annähernd in einer geraden Linie ; in cephalocaudaler Richtung aber
war, wie schon gesagt, die Semimedulla lateralis nach d.er
fehlenden Hälfte hin concav gebogen. [Also ist die normale
gerade Haltung des Medullarwulstes keine vollkommene Selbstge-
[1) Da dies auch der Fall war, wenn die operirte Eihälfte gar nicht in Zellen
zerlegt war (s. unten), so liegt in dieser Ergänzung der Semichorda lateralis die erste
Beobachtung von Postgeneration ohne Verwendung des Materiales der
anderen Eihälfte vor.]
[-) Dies Verhalten liefert einen neuen Beweis für die Richtigkeit der in Nr. 16
mitgetheilten Beobachtung, dass die erste Furchungsebene zugleich der Medianebene
des Embryo entspricht.]
442 Nr. 22. Die Hervorbringuug halber Embryonen.
staltung desselben, sondern wird unter der Gegenwirkung der anderen
Seite hervorgebracht oder erhalten.]
[132] Wohl gleichfalls in das Gebiet der durch das Fehlen
einer Hälfte gestörten mechanischen Massencorrelationen
gehörig ist eine einige Male beobachtete seitliche Verlagerung
der Chorda dorsal is und ein entsprechendes Zurückbleiben des
dorsalen Theiles des Entoblast gegen die durch die Semimedulla und
die ventralen Theile bezeichnete Medianlinie. Es ist immerhin inter-
essant, dass die axialen Theile in so erheblicher Verschie-
bung gegen einander angelegt und ausgebildet werden
können. [Denn es bekundet wieder (s. S. 187), dass die Entwicke-
lung mancher Theile sogar der Haupttheile nicht an die richtige gegen-
seitige Lagerungsbeziehung derselben gebunden ist, dass also die Ent-
wickelung nicht an die „Form" als solche gebunden ist,
dass der Embryo kein formelles Leben führt [s. Nr. 28, S. 663].
Asyntaxia medullaris und Anentoblastia.
Anders begründet erscheint ein gleichfalls wiederholt beobachtetes
Fehlen des Entoblast und der Urdarm höhle bei gleichzei-
tigem Vorhandensein sowohl eines annähernd wohlgebildeten Medullar-
wulstes, wie der Chorda und des halben Mittelblattes. Da ich diese
Missbildung, die ich xViientoMastia nennen will, und aus der auf
älterer Stufe wohl Aneiiteria hervorgehen wird, nicht blos an lateralen
Hemiembryonen sondern auch an bilateral entwickelten, operirten
und nicht operirten Embryonen mehrfach beobachtet habe, so ist die-
selbe also nicht in so directe Beziehung zu unseren gegenwärtigen
Experimenten zu setzen [s. Nr. 26, S. 34Anm.]. Ich werde sie daher
anderwärts ausführlicher beschreiben und will hier nur noch einige,
weiter unten zu verwerthende, Mittheilungen beifügen. Zunächst ist zu
erwähnen, dass in den bilateralen Fällen diebeiden Medullarwülste
weit auseinander gelegen sind^), indem sie die Seitenränder
des eine längliche, fast ebene Platte darstellenden Embryo
[1) Mehrere durch Operationen am Ei hervorgebrachte Fälle dieser Missbildung
wurden bereits S. 167 — 177 erwähnt.]
Asyntaxia medullaris und Anentoblastia. 443
einnehmen, und dass unter jedem Medullarwulst eine schöne, aber
gleichfalls runde, durch die Zusammensetzung aus blos 3 bis 4
Zellen auf dem Querschnitt wohl charakterisirte ,,Semichorda dor-
salis'' lateralis vorhanden ist[s. S. 447]. Aehnliches, aber geringeres
Auseinanderstehen der Medullarwülste fand sich auch mehrfach blos
partiell, besonders im Bereiche der hinteren Hälfte des Rückenmarkes.
Hierbei war auf Schnitten das Vorhandensein vom Entoblast
nachweisbar; andererseits aber war mit Leichtigkeit durch wieder-
holte Beobachtung am lebenden Ei festzustellen, dass der grosse
Spalt zwischen beiden Medullarwülsten den Urmund bezw.
den Rest desselben darstellt. Da nun auch nach anderen Be-
obachtungen von mir die jederseitige halbe Medullarplatte
in der ,, seitlichen" Lippe des Urmundes angelegt, und die
normale einheitliche Form durch Näherung und Verschmelzung dieser
Lippen [133J hergestellt wird, so kann, wenn man genau sein will,
das hier constatirte Ausbleiben dieser Vereinigung nicht gut mit dem
für das bereits wiederholt an höheren Thieren beobachtete Resultat
üblichen Ausdruck Rhachischisis hezeichnet werden, sondern wir
müssen dafür Asyntaxia medullaris (von dovvra^ia, NichtVereinigung)
gebrauchen oder rein das Resultat bezeichnend Diastasis medul-
laris anwenden. Ich gebe ersterer Bezeichnung den Vorzug, da sie
das Wesen andeutet. [Weiteres siehe S. 447 und Nr. 23, S. 700.] ')
InFällen der Asyntaxia medullaris blos im mittleren und cau-
dalen Theile des Embryo sah ich dann mit der Zeit öfter nachträglich
eine weitere Näherung der Medullarwülste und zwar mehr auf der cau-
dalen Seite stattfinden, so dass schliesslich nur noch ein Loch in der
Mitte der Länge des Medullarrohres blieb, welches aber
weiterhin auch noch geschlossen wurde. Es lag also hier nur eine
Verzögerung des Herab Wachsens der jederseitigen halben Dor-
salplatte vom Aequator des Eies her vor, während die qualitative
[1) 0. Hertwig hat danach unter dem Titel „Urmund und Spina bifida" (Arch.
f, micr. Anat. 1892. Bd. 39, S. 353—503) eine ausgedehnte Abhandlung über diese
Missbildung verfasst, welche aber dem hier und in Nr. 23, S. 700 in wenigen Worten
geschilderten Thatbe.stand kaum etwas Neues hinzufügt [s. Nr. 31, S. 269]: zugleich
wird darin meine Ableitung der Gastrulation des Froscheies acceptirt und in einigen
schematischen Figuren dargestellt (s. Nr. 23, S. 701 Anm.).]
444 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Differeiizirung, dadurch nicht gehemmt, die Medulhirwülste
vor der Verschmelzung der Dorsalplattenhälften herstellte. Durch
diese Form der Diastasis medullaris und die Ableitung des Spalt-
raumes vom Urmund wird auf's Deuthchste eine Analogie der
Bildung der Embryonalanlage bei Amphibien mit der-
jenigen der Fische illustrirt und damit auch die Asyntaxia
medullaris an die von Räuber') für die Knochenfische beschriebene
„Verzögerung des Anschlusses der Keimringhalften zur Bildung der
mittleren und hinteren Embryonalanlage" angeschlossen. Rauber ver-
wendet dabei den Namen „Dehiscenz" der Embryonalanlage, der mir
aus dem angeführten Grunde weniger gut erscheint, als die von mir
gebrauchten Ausdrücke. Desgleichen halte ich auch den von ihm
für das Resultat dieser Verzögerung gewählten Ausdruck „Hemidi-
dymus" blos so lange für geeignet, als noch die frühere Zusammen-
werfung dieser Bildungen mit wirklichen Doppelbildungen zu be-
kämpfen war; was indess gegenwärtig nach von v. Regklixghausen's^)
gründhcher Erörterung der Frage wohl nicht mehr nöthig ist. Zu-
gleich gewinnt mit [IS-l] unserer Deutung der an Fröschen beob-
achteten Diastasis medullaris die von v. Recklinchausen ausgesprochene
Auffassung der Rückenmarkspaltbildungen eine weitere Stütze.
B. Entstehung „vorderer" Halbbildungen, Hemipoeesis
anterior.
Ausser den ,, lateralen" Halbbildungen habe ich nun noch einige
andere unvollkommene Bildungen [also Theilbil düngen] zu scliildern,
welche zum Theil gleichfalls bei Operation nach der ersten Furche er-
halten worden sind und sich dann an eine nicht seltene Variation in der
Zeitfolge der, wie wir sahen, eine bestimmte Dignität für den künftigen
Embryo habenden ersten Furchungen anschliessen. Manchmal entsteht,
wie ich früher entgegen Rauber und Pflüger dargethan habe, die
') Rauber, A., Formbilduug und Formstörung in der Entwickelung von Wirbel-
thieren. Leipzig 1880. S. 35 und 123.
2) V. Recklinghausen, Untersuchungen über die Spina bifida. Berlin 1886 u.
ViRCHOw's Archiv Bd. 105.
B. Entstehung , vorderer* Halbirungen. 445
eigentlich zweite, köpf- und scliwanzwärts scheidende, Furche als erste ^) ;
und von solchen Eiern war zu hoffen, dass durch das Operiren nach
dieser ersten Furchung, wenn die nicht operirte Zelle der Entwicke-
lung fähig war, anders situirte Halbbildungen hervorgehen würden.
Das Gleiche suchte ich nach der zweiten Furchung durch
Anstechen der beiden cephalen vorderen oder hinteren (caudalen)
Zellen zu erreichen.
Es ist mir nun in der That gelungen, auf diese Weise vordere
und hintere Halbbildungen hervorzubringen. So habe ich eines Tages
eine erhebliche Anzahl von Seinigastrulac anteriores hervorgebracht
und sie zur weiteren Entwickelung stehen lassen. Es entwickelten
sich daraus schöne vordere halbe Embryonen, Heiniembryoiies an-
teriores, von denen mir indess bei der weiteren Entwickelung die
grosse Mehrzahl durch ein im zweiten Theil zu schilderndes Vorkomm-
niss [Postgeneration s. Nr. 22, S. 261] als Halbgebilde in Verlust ge-
rieth, so dass ich gegenwärtig [135] blos über vier conservirte vordere
halbe Embryonen verfüge.
Die Figuren 6 un d 7 Taf . VH stellen zwei dieser Hemiembryones
anteriores äusserlich dar; und man sieht, dass Fig. 6 blos die
vordere Hälfte der beiden Medullarwäilste besitzt. Zum Vergleiche
können die zwei in Fig. 1 und 2 dargestellten normalen Embryonen
dienen, wenn sie auch etwas andere Entwickelungsstufen darstellen.
Die beim Embryo von Fig. 6 in frontaler, bei dem von Fig. 7 in nicht
ganz quergestellter Richtung geführten Durchschnitte bekunden den
1) Meine Auffassung dieses Vorkommnisses der abweichenden Stellung der
Medianebene des Embryo von der Ebene der ersten Furchung als blos eines Ana-
chronismus wird durch weitere Beobachtungen von Anachronismen gestützt. So
habe ich sogar statt der ersten „ wagerechten" Furchung, welche als
dritte Furchung aufzutreten pflegt, noch eine „dritte senkrechte"
Furchung am ganzen Ei oder blos in einer Hälfte desselben beobachtet
und danach normale Embryonen hervorgehen sehen (s. S. 324 Anm.). Die dritte
und vierte „senkrechte" Furchung sind, wie sich bei Rana esculenta nach dem
von mir angegebenen Furchungsschema leicht feststellen lässt, sehr häufig ver-
tauscht; und dies geschieht auch wieder oft blos an „Theilen" eines Eies.
In diesem Jahre (1887) habe ich auch durch künstliche Deformation
des Eies und ohne Nachtheil für die Entwickelung bewirkt, dass die die
Medianebene darstellende Furche erst als dritte und zwar nach der
Horizontalfurchung gebildet wurde (s, Nr. 29, S. 605, Nr. 31, S. 266).
446 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
normalen inneren Bau der Medullarplatte mit ihren Medullarwülsten,
sowie der Chorda, des Mittelblattes und des Entoblast, welcher letztere
aber eine nur spaltförmige, also für den Kopftheil dieser Entwicke-
lungsstufe zu enge, Urdarmhöhle umschliesst; dies ist jedenfalls da-
durch bedingt, dass die normaler Weise in caudiventraler Richtung
erfolgende Verschiebung des Dotters hier durch den Widerstand der
unentwickelten hinteren Eihälfte unmöglich gemacht war. Die hintere
Körperhälfte fehlt wie abgeschnitten; bei Fig. 11 b ist schon ein Theil
,, nachgebildet" (siehe unten).
Ich will noch erwähnen, dass die hiesige (Breslauer) anatomische
Anstalt jüngst einen weit entwickelten, schon dem Ausgetragensein
nahen Kalbsfötus erhielt, der in seinen äusserlich sichtbaren Theilen
ein typisches „Heiiiitheriiiin anterius" darstellt; indem die ganze hintere
Rumpfhälfte wie quer abgeschnitten fehlt. Die Eingeweide sind zur
Zeit noch durch eine durchscheinende, vom Defectrande entspringende
Haut bedeckt und gestatten daher keine genauere Beurtheilung ; doch
wird diese hochinteressante, sich so augenfällig an meine vorstehend
mitgetheilten Experimente anschliessende Missbildung seitens eines
Doctoranden einer genaueren Beschreibung unterzogen werden [siehe
Nr. 27, S. 288] 1).
Von den entsprechenden hinteren Halbbildungen habe ich
keine sicheren Exemplare. Eine der vier aufgehobenen Semi-
gastrulae ist vielleicht wegen der Dicke und Kürze der Urmundslippe
als eine Posterior anzusprechen.
C. Ein viertel- und Dreiviertelbildungen.
Bei einigen Eiern, welche ich nach der zweiten Furchung anstach,
suchte ich theils blos eine der vier vorhandenen Furchungskugeln zu
tödten, theils blos eine nicht zu tödten. Von letzteren Experimenten
rühren einige v e r t i c a 1 e \M e r t e 1 m o r u 1 a e und Viertelblastulae
her; von ersteren einige Drei viertelblastulae und zwei Dr el-
vi er telembry onen. Letztere besitzen [136] die hintere Körper-
hälfte und eine Seitenhälfte der vorderen Hälfte. Diese Embrvonen
[1) P. EcKARDT, Ueber Hemitheria anterior. Diss. inaug. Breslau 1889.]
C. Einviertel- und Dreiviertelbildungen. 447
hatte ich vor der Naturforscherversammhmg in Wiesbaden nur noch
mit Terpentin benetzt gesehen und dabei über die zum ersten Male
erbhckte hintere Halbbildung die beim einen zudem nur wenig er-
hobene Fortsetzung des einen Medullarwulstes nach vorn übersehen,
welche sich hinterher nach dem vollkommenen Abtrocknen und des
Weiteren auf den Durchschnitten als eine ächte vordere Hälfte eines
Medullarwulstes erwies. Deshalb wurde dieser beiden Embryonen
auf jener Versammlung einfach als „hinterer Halbbildungen" Erwäh-
nung gethan [s. S. 428 Anm.].
Der eine dieser Dreiviertelembryonen (Fig. 12) ist gut
entwickelt, und ebenso lehrreich für uns, als es ein reiner Hemiembryo
posterior sein würde. Denn, nachdem wir gesehen haben, dass die
rechte und linke Körperhälfte sich jede für sich entwickeln
,,kann", so ist [vielleicht] anzunehmen, dass das auf der einen Seite
allein vorhandene linke hintere V^iertel sich gleichfalls für
sich aus der betreffenden Furchungszelle des Vierzellen-
stadiums entwickelt habe. Die Figur lässt deutlich die Medullar-
wülste erkennen, die vordere Hälfte des rechten ist äusserlich etwas
abnorm gestaltet und weiterhin zeigt sich eine ausgesprochene Asyn-
taxia medullaris (s. S. 442).
Die Asyntaxia medullaris erklärt sich hier wohl einfach
aus dem Fehlen einer ,, vorderen" Seitenhälfte. Da die Seiten-
lippen des Urmundes sich normaler Weise zuerst vorn vereinigen,
und die Vereinigung successive in der Richtung von vorn nach hinten,
d. h. in cephalocaudaler Richtung, fortschreitet, so ist es leicht er-
klärlich, dass beim Fehlen einer vorderen Seitenhälfte eine Asyntaxia
medullaris statt hat. Die Querschnitte durch diesen Embryo zeigen
die Medullarwülste im Innern wohl gebaut; ferner findet sich unter
dem rechten Medi^Jlarwulst eine unzweifelhafte ,,Semichorda dor-
salis lateralis." Die Diagnose ist hier dadurch unzweifelhaft, dass
das Gebilde eine grosse Strecke weit blos von drei, manchmal
vier, Zellen auf dem Querschnitt zusammengesetzt ist. Die
Semichorda ist aber gleich den obigen, nicht ganz sicheren Semichordae,
von ,, rundem" Querschnitt; [sie hat also keine „Halbgestal-
tuug", sondern] die halbe Zahl der Zellen hat sich vollkommen
448 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
zusammengeschlossen und damit gegen die von einem anderen Keim-
blatt gebildete Umgebung epithelartig abgeschlossen. Links ist die
Chorda nicht deutlich erkennbar. In der hinteren Hälfte [137] ist
die Urdarmhöhle vorhanden und wohlgestaltet. Vorn ist nur rechter-
seits eine halbe Urdarmhöhle als schmaler Spaltraum angelegt.
Von besonderem Interesse ist bei diesem Embryo die Per-
sistenz der Blastulahöhle unter dem normalen Dach derselben.
Die Blastulahöhle liegt in der Mitte der Länge des Embryo ; und man
sieht daher deutlich, dass die Medullarwülste auf der dem Dach
der Blastulahöhle „entgegengesetzten" Seite des Eies sich
befinden, dass also das Dach der Blastulahöhle, welches der
ursprünglich allein schwarzen, oberen Llälfte des Eies entspricht,
entgegen den Angaben der älteren Autoren, zur ,, ventralen" Seite
des Embryo wird. Es liegt wohl nahe, zwischen der Asyntaxia der
Medullarwülste und der ausgebliebenen Obliteration der Blastulahöhle
einen Causalnexus anzunehmen.
D. „Obere" Theilbildungen.
In meinem letzten Experiment versuchte ich bei einigen Eiern
blos die oberhalb bezw. unterhalb der ,, ersten wagerechten"
Furche gelegenen Zellen zu zerstören. Daher rühren einige
deutliche Semiblastulae superiores, welche blos das Dach der Furchungs-
höhle aus Zellen gebildet darbieten, während der Boden der wohlge-
stalteten Blastulahöhle aus nicht cellulirter Substanz besteht.
Die Fortsetzung dieser Versuche wird uns hoffentlich Genaueres
über die weitere Entwickelung dieser letzteren Bildungen und damit
über den genaueren Antheil der oberhalb und unterhalb der ersten,
wagerechten Furche gelegenen Furchungskugeln an der Bildung des
Embryo lehren.
Folg-erung'en aus diesen Befunden.
a) S e 1 b s t d i f f e r e n z i r u n g.
Bezüglich des Allgemeinen ersehen wir aus diesen Befunden,
dass jede der beiden ersten Furchungskugeln sich unab-
hängig von der anderen zu entwickeln ,, vermag" und daher
Selbstdifferenzirung. 449
^vohl auch unter normalen Verhältnissen sich unabhängig
entwickelt [s. Nr. 26, S. 28], und zwar geschieht diese selbst-
ständige Entwiekelung in einer Weise, welche nur in über-
raschend wenigen, grob mechanisch erklärbaren, Verhält-
nissen von den normalen Bildungen abweicht.
Diese Art der Entwiekelung wurde aufwärts verfolgt bis zur
Ausbildung der Medullarwülste, zur Anlage der Gehirnblasen,
zur Anlage der Chorda dorsalis und zur Bildung des Mesoblast sowie
zur Abgliederung desselben in Ursegm entplatten und Seiten-
platten, und zur Zer- [138] legung der Ursegmentplatten in die Ur-
segmente.
Ob mit diesem Grade der Entwiekelung die obere Grenze der
selbstständigen Entwickelungsfähigkeit erreicht ist, vermag ich zur Zeit
nicht zu sagen; es liegt aber auch zur Zeit nichts vor, was zu einer
solchen Annahme nöthigt, so lange die Ernährung noch ohne Blut
vor sich geht ; denn der bei seiner künstlichen Abtödtung am weitesten
entw^ickelte Hemiembryo der Fig. 5 zeigte keinerlei Absterbeerschei-
nungen, weder die von mir als Zeichen des beginnenden Absterbens
beschriebene Framboisia embryonalis minor noch die major. Ueber
das Verhalten nach der Bildung der Blutgefässe und des
Herzens kann nur die directe Beobachtung entscheiden.
Eine Selbstständigkeit der Entwiekelung kommt auch
den beiden vorderen und den beiden hinteren Furchungskugeln
[letzteren aber, wie es scheint, nur in geringerem Grade], „in der
Gesammtheit ihrer Derivate" zu.
Damit haben wir also eine neue Bestätigung unserer bereits
früher gewonnenen Einsicht erhalten, dass die [normalen] Ent-
wickelungsvorgänge nicht als ein eFolge der Zusammen-
wirkung ,,aller^' Theile oder auch nur ,, aller'' Kerntheile
des Eies betrachtet werden dürfen; sondern an die Stelle
,, solcher" [d. h. zwischen „allen" Theilen stattfindenden] diffe-
renzirenden Wechselwirkungen aufeinander tritt die
Selbstdifferenzirung der ersten Furchungsz eilen und
des Complexes der Derivate jeder derselben zu einem be-
stimmten Stück des Embryo.
oq
\V. Koux, Gesammelte Abhandlungen. II. ^^
450 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Dies gilt sowohl, wenn die zuerst auftretende Furche,
wie normal, die rechte und linke, als auch wenn sie ana-
chronistisch die cephale und cauclale Hälfte von ein-
ander scheidet.
Jede d i e s e r F u r c h u n g s k u g e 1 n enthält a 1 s o n i c h t n u r
das ,,BildungsmateriaF' zu dem entsprechenden Stück
des Embryo, sondern auch die ,,differenzir enden und ge-
staltenden Kräfte".
b) B e d e u t u n g d er F u r c h u n g.
Damit wird meine früher bezüglich der Bedeutung der normalen
Furchung gemachte Annahme (s. S. 138 und 331) für die ersten
Furchungon zur Gewissheit erhoben; wir können sagen:
Die F u r c h u n g scheide t den die „directe ^) Eiitwickehing-"
d e s I n d i V i d u u m s V o 1 1 z i e h e n d e n T h e i 1 des K e i m m a t e r i a 1 e s
insbesondere des Kernmateriales ,, qualitativ" und be-
stimmt mit der dabei stattfindenden ,, Anordnung" dieser
verschiedenen gesonderten INI a t e r i a 1 i e n d a h er z u g 1 e i c h
[139] die ., Lage" der späteren differenzirten Organe des Em-
bryo (einschhesslich nachträglicher ,, typischer" Materialumlagerungen).
Ueber die V^ertheilung desjenigen Idioplasmas da-
gegen, welches erst bei der ,, Regeneration" und der weiter
unten kennen zu lernenden ,, Postgeneration" in Thätig-
keit tritt und vielleicht in jeder Zelle, bezw. in jedem Kern, sich
mehr oder weniger vollkommen vorfindet, ist damit, wie ich aus-
drücklich bemerke, nichts präj udicirt^).
[1) Die „directe" Entwickelung, die hier zum ersten Mal bestimmt unter-
schieden wird, ist zunächst die „normale" Entwickelung; doch kommen viele Vorgänge
derselben auch noch unter manchen abnormen Verhältnissen vor. Beide Bezeichnungen
sind aber nicht synonym, als welche sie manche Autoren seitdem gebrauchen; sondern
die „directe" Entwickelung ist der weitere Begriff (s. Nr. 26, S. 58,
Nr. 27, S. 303, Nr. 31, S. 279.]
■-) Wenn somit die ersten beiden Furchungskugeln das Material für die rechte
und linke Körperhälfte enthalten, so ist es einleuchtend, dass bei der geringsten Un-
vollkommenheit der „qualitativen Halbirung " die eine Körperhälfte früher oder
später entsprechend anders werden muss [soweit nicht Correction durch Selbstregulation
Ursache der bilateralen Symmetrie. 451
Und ebenso wenig soll »mit dieser Angabe der durch unsere
Experimente bereits sicher erkannten Bedeutung der ersten Furch-
ungen gesagt sein, dass im Für chungsstadium nicht noch
andere Vorgänge wie z. B. etwa die Ausbildung vieler ver-
schiedenen Qualitäten im Keimmaterial, die Vermehrung
des specifisch diiTerenzirten Keimmateriales stattfänden^).
I c) Ursache der bilateralen Symmetrie.
Wenn danach die erste Furchung das Material der rechten
und linken Körperhälfte von einander sondert, also das Keimmaterial
„qualitativ halbirt", um mich dieses von mir eingeführten Aus-
druckes zu bedienen, so ist dabei doch nicht ausser Acht zu lassen,
dass dieses qualitativ, d. h. seiner chemischen und procen-
ti sehen Zusammensetzung nach beiderseits gleiche Material
nicht auch ,, morphologisch" gleich ist; denn seine Anordnung
ist auf der einen Seite derart, dass eine rechte, auf der andern
Seite derart, dass eine linke Körperhälfte daraus hervorgeht. In
welchem Anordnungsverhältniss diese fundamentale Ungleich-
heit, die die Grundlage der bilateralen Symmetrie dar-
stellt, zur Zeit der ersten Furche begründet ist, ob etwa blos in
der halbkugeligen „Gestalt" des Dottermateriales [s. Nr. 30, S. 149]
und in deren ,, einstellender Wirkung" auf die eventuell
verschiedenen Kernbestandtheile oder in der „selbstständigen"-
Anordnung der Kernbestandtheile sind Fragen, [HO] welche für
sich zu beantworten sein werden, und welche ich hier blos er-
wähne, um zu verhindern, dass man mir wieder, in Folge zu
eintritt] ixnd dass die Aenderung, wenn sie mediale Theile betraf, bis an die Median-
ebene des Individuums sich erstrecken muss. So erklärt sich vielleicht die sogenannte
Halbseitig keit mancher Bildungs- und Erhaltungsabweichungen bis zu dieser
Ebene, z. B frühzeitiges Ergrauen der Haare einer Seite (bei sonst noimalem Ver-
halten der Theile, in.sbesondere der Nerven) der Hemiatrophia facialis, Riesen-
wuchs einer Kopfhälfte u. s. w.
1) Die Vermehrung der Qualitäten kann natürlich nur durch Wechsel-
wirkung der vorher vorhandenen Qualitäten stattfinden. Die oben gemachte An-
nahme schliesst also ditferenzirende Correlationen der Theile, Epigenesis ein.
29*
452 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
grosser Kürze meiner Ausführung, durchaus fremde An-
sichten (s. S. 138) unterstellt^).
Es liegt nahe, den obigen Schluss bezüglich der ,, qualitativen
Materialscheidung auch auf die folgenden Furchungen" aus-
zudehnen. Wie weit eine solche Ausdehnung berechtigt ist, hoffe ich
durch weitere Versuche darthun zu können^); in Gleichem, wie auch
zu entscheiden, ob bezw. wie weit die Nachkommen der ,, späterer
Furchungskugeln" für sich selbst dif f erenzirungsfähig
sind; oder ob die zur Bildung des„Embryo" fortschreitende
Differenzirung doch an die Coexistenz einer grösseren
Gruppe, etwa aller Nachkommen einer der „vier" ersten
Furchungskugeln, gebunden ist, der so dass wir in jeder ,,vier"
ersten Furchungszellen bereits die „kleinsten" selbstdifferen-
zirungsfähigen Eit heile erreicht hätten, was ich indess trotz
des scheinbar dafür sprechenden, sogleich zu erörternden Mechanis-
mus der Gastrulation nicht vermuthe.
Gehen wir nun zu den specielleren entwickelungsme-
c hanischen Folgerungen aus den mitgetheilten Thatsachen über.
d) Unabhängigkeit der Zelltheilung von den Nachbar-
organen.
Zunächst ist aus dem normalen Verlaufe der Entwickelung der
unversehrten Furchungszelle [beim Fehlen der normalen Nachbar-
zellen im Bereiche der nicht entwickelten Antimere] zu folgern, dass
die soeben erörterte qualitative Scheidung des Zellleib- und
des Kernmateriales, welche bei der Furchung stattfinden muss,
ohne die Einwirkung der Nachbarzellen richtig vor sich
gehen ,,kann, also wohl auch ,, normaler Weise" ohne diese
vor sich geht; zweitens dass der Kern seine für die richtige
[1) Diese Vorsicht hat indessen nicht den gewünschten Erfolg gehabt; sondern
einige Autoren haben mir gleichwohl bestimmte einseitige Ansichten unterstellt, die
sie dann zu widerlegen suchten.]
[^) Dieser Ausspruch bekundet wohl, dass der Satz über die Bedeutung der
Furchung als qualitativer Materialscheidung auf Seite 450 blos für die zwei ersten
Furchungen als erwiesen angenonimen worden war; wenn schon es danach sehr
nahe liegt, dasselbe Geschehen auch auf die weiteren Furchungen auszudehnen.]
Active Umordnung und Gestaltung der Zellen. 458
Anordnung der geschiedenen Materialien wichtige , richtige Stellung
in der Furchungszelle ohne eine an die Lebensthätigkeit
der Nachbar Zellen geknüpfte Einwirkung derselben erlangt;
und dass das Gleiche auch bei den späteren Theilungen innerhalb
des Nachbarbezirkes der operirten Zelle der Fall ist; weshalb sich
diese Unabhängigkeit vielleicht auch ohne einen Irrthum verallge-
meinern lassen wird.
e) Active Umordnung und Gestaltung der Zellen.
Weiterhin folgere ich aus diesem Nichtnöthigsein der einen
verticalen Eihälfte für die Entwickelung der anderen, dass die ßla-
stulagestaltung ohne weitgehende Spannungen im Materials,
also auch ohne weitaus sich erstreckende mechanische
Wechselwirkungen der Theile vor sich geht; so dass ich dem-
nach geneigt bin, die typische Blastulagestaltung auf ,,active
Umordnung der Zellen" zurückzuführen; wobei [141] viel-
leicht nach His eine Neigung mancher Zellen, der Oberfläche als der
Zufuhrstelle des Sauerstoffs näher zu kommen, betheiligt ist. Ferner
bekundet die schöne prismatische Gestalt der Epit hellen im
Dache der Semiblastulahöhle bis nahe an den in manchen Fällen
freistehenden, abgerundeten Rand derselben, die schon bei der dritten
ja sogar zweiten Zelle, vom freien Rande aus gerechnet, sich vor-
findet, dass auch diese Gestaltung n i c h t p a s s i v durch Zusammen-
drängung vieler Zellen in einer geschlossenen Fläche, sondern
durch ein „Bestreben der benachbarten Zellen, sich dicht
zusammenzuschliessen"und vielleicht noch, sich zugleich
rechtwinkelig zur Oberfläche zu verlängern, bedingt sein
muss; sofern die Streckung nicht auch nur eine Folge der hohen In-
tensität des ersteren> Bestrebens ist.
f) Bedeutung der Abweichungen der Halbbildungen von
der Norm.
Die oben beschriebenen „Abweichungen" mehrerer Semi-
blastulae von dem normalen Bau bewiesen, ebenso wie auch die
45i Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Abweichungen auf den anderen höheren Entwickelungsstufeu ,,neben"
den unter den gleichen Bedingungen beobachteten „nor-
mal" gestalteten Halbbildungen weiter nichts, als dass
Abnormitäten bei den Halbbildungen leichter vorkommen
können als unter normalen Verhältnissen; die speciellen Ur-
sachen dieser Abweichungen und der durch die Unvoll ständig-
keit des Keimes gegebenen Prädisposition dazu zu ermitteln, wird eine
spätere, vielleicht sehr lehrreiche Aufgabe sein. [s. Nr. 27,
S. 295 u. Nr. 28, S. 616].
g) Mechanismus der Gastrul ation.
Die nächsten Bildungsvorgänge bewirken die G a s t r u 1 a t i o n. Mein e
früheren (S. 342, 348 Anm.), sowie die vorstehend (S. 436) gemachten und
die weiter unten noch folgenden (S. 457, Anm. 2 u. 460 Anm.) Angaben
enthalten über diesen Vorgang für den aufmerksamen Leser schon ge-
nügendes Material, um die bisherige, jüngst auf's Neue von 0. Schultze
allerdings ohne Angabe eines sachlichen Grundes vertretene Auf-
fassung, dass die Urdarmhöhle durch „Einstülpung" nach „oben"
entstünde, und dass daher die ursprünglich schon schwarze obere
Seite des Eies der Dorsalseite des Embryo entspreche, als irrig zu
erkennen. Ich werde indess diesem Vorgang der Gastrulation, wel-
cher sich mehr des Interesses der Fachgenossen erfreut, als meine
entwickelungsmechanischen Bestrebungen, eine besondere Darstellung
meiner Auffassung und der Widerlegung der gegnerischen Auffas-
sung widmen, um die Fachgenossen nicht zu nöthigen, für die Be-
friedigung ihrer Wissbegier in dieser einen Frage wider [1-1:2] Willen
meine ganzen entwickelungsmechanischen Arbeiten lesen zu müssen
[s. Nr. 23]. Wir ziehen hier daher nur folgende Schlüsse: Die Gastru-
lation vollzieht sich in jeder Antimere selbstständig, und
das Gleiche ist auch in der caudalen und cephalen Hälfte
der Fall. Demnach gilt es auch für die betreffenden Viertel,
und wir können mit Berücksichtigung der beobachteten Weiterent-
wickelung dieser Viertel schliessen:
Die Entwickelung der „Froschgastrula" und des zu-
nächst" daraus hervorgehenden Embryo ist von der zwei-
Satz der .Mosaikaibeit". 455
ten Furchung an eine Mosaikarbeit und zwar aus mindestens
„vier" verticalen, sich selbst ständig entwickelnden Stücken
[s. Nr. 27, S. 281]^).
Wie weit nun diese Mosaikbildung aus mindestens
,,vier" Stücken bei der weiteren Entwickelung durch ein-
seitig gerichtete Materialumlagerungen und durch ,,differenzirende
Correlationen'' umgearbeitet und in der Selbstständigkeit
ihrerTheile „beschränkt" wird, ist erst noch zu ermitteln ^). [Weiteres
siehe Nr. 26, S. 34, s. auch S. 317.] Die bekannten Verlagerungen
[1) Ueber die Beschränkung in der Ausdehnbarkeit dieses Satzes, welche viel-
leicht durch die bei Amphioxus, Fundulus etc. nicht in genügendem Maasse von
selber sich erhaltende „Gestalt" jeder der vier ersten Furchungszellen und deren aus-
lösende Wirkung (s. S. 451) bedingt ist, siehe das „Nachwort" und Nr. 30, S. 148.]
[-) Trotz dieser unmittelbar meinem Ausspruche über „die Mosaikarbeit der
„Froschgastrula" und des nächsten Embryostadiums aus mindestens vier
Stücken" angeschlossenen Beschränkung bezüglich der weiteren Entwickelung und
trotz des Hinweises auf eventuelle „ differ enzirende Wechselwirkungen"
ist mir unterstellt worden, ich hätte das Princip der Mosaikarbeit als „allgemeines
Princip der Entwickelung" aufgestellt und den Antheil differen-
zir ender Correlationen an der Ontogenese verleugnet; wonach dann zur
Widerlegung dieser „Irrthümer" eine ganze Litteratur entstanden ist.
Richtig ist, dass ich für den Anfang der Ontogenese die von mir nachge-
wiesene Selbstdifferenzirung der ersten Furchungskugeln betont, auf die eventuelle
Möglichkeit weiterer Ausdehnung dieses Principes auf kleinere Stücke hingewiesen,
ausserdem aber erwähnt habe, dass vielleicht sogar diese Selbstdifferenzirung aus
vier Stücken im Laufe der nächsten weiteren Entwickelung schon beschränkt wird
und, dass innerhalb solcher, der Selbstdifferenzirung fähigen Stücke differ en-
zirende Correlationen anzunehmen sind. Da über die Art dieser letzteren Corre-
lationen zur Zeit nichts Sicheres bekannt war und nocli ist, habe ich mich nicht ein-
gehender über sie geäussert, sondern mich begnügt, auf ihre Nothwendigkeit hinzu-
weisen.
Eine solche Beurtheilung entspricht aber, wie es scheint, nicht den Vorstell-
ungen mancher Autoren; sondern sie nehmen als selbstverständlich an, dass ein Autor,
der ein Wirkensprincip ermittelt hat, dasselbe statt als eine Componente als die
einzige Componente hinstelle; und wenn letzteres nicht geschehen ist, so wird doch
von ihnen die gemachte, aber nicht bei jeder einzelnen Gelegenheit wiederholte Ein-
schränkung nicht gewürdigt , sondern eine einseitige Auffassung wird unterstellt und
danach bekämpft.
Da ich der qualitativen Kerntheilung den Hauptantheil an der typischen
ontogenetischen Gestaltung zuerkenne, wird nach demselben Verfahren der von mir
erbrachte Nachweis (Nr. 20, 21 u. 30) unbeachtet gelassen, dass unter normalen Ver-
hältnissen die Befruchtung durch Hervorbringung einer gewissen Anordnung der
verschiedenen Dotterbestandtheile darüber entscheidet, was köpf- und
schwanzwärts am Froschei wird, indem die.se Anordnung ihrerseits bestimmt, welche
Kerntheile ihr zugeführt werden. Damit ist ein Princip der Wirkung der Zell-
456 Nr. 22. Die Hervoibringung halber Embryonen.
der Dotterzellen wäbrend der Gastrulatioii sind, sofern letztere nur
Reservematerial darstellten, hierbei nur von untergeordneter Bedeu-
tung.
h) Anlagestelle der Chorda, des Medullarwulstes und des
Me so blast.
Die Hemiembryones laterales, sowie dieAsyntaxia me-
dullär is belehren uns des Weiteren, dass in dem medialen Saum
des U r m u n d e s der Semigastrula lateralis sich auch die seit-
liche Hälfte der ,, Chorda dorsalis" anlegt, während an der
angrenzenden Aussenfläche desselben die Medullarplatte
mit dem Medullär wul ste gebildet wird. Ausserdem geht auch
die Anlage des Mesoblast in der ,, Dorsalplatte" vor sich.
Von Interesse ist, dass die Chorda und der Mesoblast [ob-
schon sie normaler Weise vom Entoblast abstammen sollen und ob-
schon dies für die Chorda auch bei unseren Halbbildungen zu be-
obachten war] auch gebildet werden in den Fällen, wo der
Därmen tob last fehlt, und sogar wenn der Darmentoblast ganz fehlt,
wie die in einigen Fällen von Asyntaxia medullaris vorhandene A n -
en toblas tie zeigt. Ferner ist es lehrreich, dass sich der seitliche
Theil des Ectoblast und die Medullarplatte an dem Umschlagsrande
auch bei unseren Halbbildungen von einander trennen, obgleich hier
keiner dieser beiden Theile des ursprünglichen Ectoblast dann Ge-
legenheit hat, sich mit seines Gleichen zu vereinigen, sondern zu-
nächst mit einem freien Rande gegen die operirte Hälfte anstösst.
i) Selbstloslösung der Chorda, Medulla, des Entoblast
und Mesoblast von einander. ,, Selbstordnung" der
Chordazellen.
Die abweichende Gestalt der Semichorda von einer [143] „late-
leibtheile auf den Zellkern für die Ontogenese ausgesprochen und
für einen wichtigen Fall nachgewiesen, welches jetzt von anderer Seite
als neu aufgestellt wird.
Während ich weiterhin schon lange die Ontogenese als eine Comb i-
nation von Evolution und Epigenesis (siehe diese) bezeichnet habe, hat ein
Autor (H. Driesch, Analytische Theorie der organischen Entwickelung, 1894) jüngst
bemerkt, dass diese Ansicht von ihm herrührt, weil er sich in bestimmterer (nach
meiner Auffassung in vorläufig weit zu bestimmter) Weise über den Antheil differen-
zirender Correlationen in den frühesten Stadien geäussert hat.l
Selbstloslösung der Chorda, Medulla, des Entoblast etc. 457
ralen Halbbildung", die sich darin äussert, dass die Semichorda
statt eines halbkreisförmigen einen runden Querschnitt zeigt, erklärt
sich leicht bei Berücksichtigung der wirklichen Bildungsvorgänge. Die
Bildung der Chorda des Froschembryo erfolgt nicht, wie ge-
wöhnlich gesagt wird, durch „Abschnürung" der betreffenden
Zellengruppe vom Entoblast, da gar keine äusseren Theile an der
betreffenden Stelle sich finden, welche eine Abschnürung hervor-
bringen könnten; sondern wir müssen- bei dem Fehlen jeder Vor-
richtung zu einer solchen passiven Umformung schliessen, dass die
Absonderung der Chordazellen von ihrer Nachbarschaft
durch eine „active Umordnung und Umgestaltung" dieser
Zellen sich vollzieht. Diese Nachbarschaft ist bei den late-
ralen Halbbildungen nach aussen der Ectoblast, speciell dieMedul-
larplatte, nach innen der Entoblast, denn das Chordaepithel
stellt hier die Uebergangsstelle zwischen diesen beiden
Schichten dar^) und lateral der Mesoblast. Nach der ,,ac-
tiven Selbstloslösung" dieser Nachbartheile von ein-
ander ordnen sich die freien Randzellen des Chordatheiles von
beiden Seiten her zusammen, dass sie sich mit ihren Seitenflächen be-
rühren und so einen in sich geschlossenen Strang formiren. Die so
bekundete Tendenz der Chordazellen zu möglichst inniger
Aneinanderlagerung derselben und somit zu vollkommenem
epithelialem Abschluss gegen die Umgebung ist nun, nach
unserem Befunde zu schliessen, nicht derart vertheilt, dass die Zellen
jeder Hälfte sich für sich zu einem Halbrund ordnen, sondern dass
sich die vorhandenen Zellen gleicher Art möglichst eng
vereinigen und so nach aussen möglichst sich abschliessen. Da-
nach scheint sehr rasch die oben beschriebene Verdickung der Semi-
chorda^) vor sich zu gehen.
[1) Dies ist auch der Grund, dass nicht selten Zellen der Chorda dorsalis
gleich den Zellen des Ectoblast Pigment enthalten, wie ich gelegentlich mit-
getheilt habe (Biolog. Centralbl. 1888, S. 412).]
2) Zugleich wirft diese Bildung der Semichorda auch ein Licht auf die grossen
Verschiedenheiten der sogenannten „Abstammung" der Chordazellen
vom Ecto-, Euto- oder Mesoblast, bei nahe stehenden Klassen, ja sogar Ord-
nungen und Familien, wie sie wohl aus der Verschiedenheit der Angaben zahlreicher
458 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
k) Selbstgestaltung des Medullarrohres.
[l-t-l] Beim Medullarrohr dagegen haben wir in vollkommenerer
Weise die Zellen jeder Hälfte in den Hauptsachen annähernd die
typische Form des halben Querschnittes herstehen sehen, wo-
raus zu folgern ist, dass diesen Zellen eine besondere gestaltende,
im Einzelnen ordnende Potenz eigen ist; dieselbe ist indess
doch nicht ganz sufficient zur Herstellung der normalen Querschnitt-
form, da wir die Semimedulla stark in dorsiventraler Richtung zu-
sammengesunken fanden, wohl wegen des Fehlens der zugleich als
Stütze dienenden anderen Hälfte. Eine neue Bestätigung finden wir da-
mit für meine schon in der Einleitung [s.S. 426 u. 247] dargelegte Ansicht,
dass die Erhebung des Medullarwulstes an dem Material der Medul-
gewissenhafter Forscher als thatsächlich bestehend gefolgert werden niuss. Da die
Chorda dorsalis aus dem Epithel des seitlichen freien Randes der seitlichen Urmunds-
lippen gebildet wird, und sich diese Lippen normaler Weise schon während der Gastru-
lation mit einander vereinigen derart, dass gewöhnlich zuerst das Ectoblast mit
dem Ectoblast der anderen Hälfte verschmilzt und sich dabei meist zugleich voll-
kommen von dem CLordaepithel sondert, so erscheint dann die Chorda mit dem Ento-
blast in Zusammenhang und formirt eine Rinne, welche sich in die Urdarmhöhle
öffnet. Da das Mittelblatt in dieser selben Uebergangsgegend der Blätter angelegt
wird, so steht es anfangs mit dem Chordaepithel in Zusammenhang, welcher sich
alsdann, wie ich oben mitteilte, in metamerer Weise löst. Erst wenn dies geschehen
ist, sondert sich das Chordaepithel vom Entoblast durch Umordnung seiner Zellen und
letzteres vereinigt sich von beiden Seiten her in der oben beschriebenen Weise.
Nun kommen aber „kleine Anachronismen" in diesen dreierlei
Trennungen beim Frosche vor, und dann „stammf*, nach der Auffassung der blos
beschreibenden Embryologie, welche das Wesen der Vorgänge unberücksichtigt
lässt, die Chorda bald vom Entoblast, bald vom Ectoblast, bald vom
Mesoblast ab.
Und auch bei Thierklassen, wo der Mechanismus der Gastrulation nicht mehr
ein derartiger ist, sondern wo, wie ich gesagt habe [Nr. 23, S. 703], schon während der
„Furchung" ein Theil der Arbeit der „Gastrulation" in der Material-
lagerung geleistet wird, werden in Folge dieser urspünglich so geringen Unter-
schiede auch schon relativ geringe, später typisch gewordene Variationen in der
„Sonderung" genügen, um das Material der Chorda ganz oder theils zum Ecto-,
Ento- oder Mesoblast zu schlagen.
Ich bin mir wohl bewusst, mit diesen entwickelungsmechanischen Gedanken
in hohem Maasse von der Auffassung der beschreibenden Entwickelungsgeschichte,
insbesondere von dem in ihr herrschenden Dogma der vollkommenen ent-
wickelungsgeschichtlichen Homologie der Keimblätter der Wirbel-
thiere abzuweichen. Ich denke jedoch, dass meine Auffassung allmählich Anklang
finden wird.
Vorgänge in der ^operirten" Eihälfte. 459
larplatte nicht passiv durch lateral andrängende Seitentheile erfolgt;
da bei einem solchen Vorgang zugleich die hier vorhandene eine seit-
liche Hälfte der Medullarplatte nach der nicht entwickelten Seite hätte
herübergeschoben werden müssen, wovon [145] nichts wahrnehmbar
war. Die oben erwähnte Verlagerung der medianen Theile war wenig-
stens nicht derart, dass sie auf diese Ursache zurückführbar wäre.
II. Vorgänge in der „operirten" Eihälfte.
Nachdem wir somit das Verhalten der unversehrten Furchungs-
kugel kennen gelernt und in seiner entwickelungsmechanischen Be-
deutung erörtert haben , wenden wir uns nunmehr zur anderen Ei-
hälfte, zu dem Verhalten der operirten Zelle.
Das Verhalten dieser Eihälfte zeigte grosse Mannigfaltigkeit
schon für die äussere Betrachtung und noch mehr beim Studium des
Innern an successiven Durchschnitten. Die dabei wahrgenommene
Mannigfaltigkeit von Bildungen lässt auf eine ganze Reihe von Vor-
gängen schliessen, welche ich in drei Gruppen scheiden will.
Erstens Vorgänge in der Substanz der operirten Eihälfte, welche
diese Substanz mehr oder weniger unbrauchbar machen und welche
daher als ,,Z er Setzungsvorgänge" bezeichnet werden können,
wenn man sich nicht daran stösst, dass darunter auch progres-
sive Vorgänge, nämlich Kernvermehrungen mit einbegriffen
werden, deren Producte aber ihrem weiteren Verhalten nach gleichfalls
als abnorm aufgefasst werden müssen.
Zweitens Vorgänge, welche verändertes Material der operirten
Eihälfte wieder brauchbar machen und zugleich für eine nachträgliche
Entwickelung des Weiteren vorbereiten. Diese sollen als ,, Reorgani-
sationsvorgänge" zusammengefasst werden.
Ihnen folgen dann drittens Vorgänge, welche durch nachträgliche
Entwickelung die von vornherein fehlenden Körpertheile in ganz oder
fast normaler Vollkommenheit herstellen. Diese Vorgänge werde ich
aus weiter unten zu erörternden Gründen als Vorgänge ,, der Postgene-
ration" bezeichnen und so von vornherein von der Regeneration
entwickelt gewesener, aber in Verlust gerathener Körpertheile
zu scheiden.
460 Nr. 22. Die Hervorbringuug halber Embryonen.
Zu dem Speciellen übergehend, so ist zunächst vorauszuscliicken,
dass viele der mit nicht erliitzter Nadel angestochenen Eizellen,
trotz dieses groben Eingriffes und trotz grosser Extraovate, sich nor-
mal entwickelten^); während in anderen [146] Fällen mit nur sehr
geringem Substanzaustritt gleichwohl die Entwickelung ausblieb. Dies
führt zu der Annahme, dass Substanzen sehr verschiedener
entwickelungsmechanischer Dignität in der Furchungs-
zelle enthalten sind; und zwar einmal Substanzen, welche
für die Entwickelung nicht unerlässlich nöthig sind, und
zweitens Substanzen, deren Austritt in sehr geringer
Menge aus der Furchungszelle oder deren Störung der Anord-
nung die Entwickelungsfähigkeit der letzteren aufhebt. Bei
dem gegenwärtigen Standpuncte unserer Kenntnisse werden wir die
letzteren Substanzen',, vorzugsweise" als Kernbestandtheile
betrachten.
Ich bemühte mich deshalb bei der Operation mit der kalten
Nadel, den Kern durch mannigfache intraovale Bewegungen in der
Anordnung seiner Theile zu stören, was mir aber, wie oben schon
erwähnt, nur so selten gelang, dass ich es vorzog, fernerhin die
Wärme noch als zerstörendes Agens zu Hülfe zu nehmen;
wonach dann auch die gewünschte Wirkung eintrat.
Die operirte und durch das Extraovat zum Theil entleerte
Zelle füllte sich oft rasch wieder theilweise von der un-
versehrten Nachbarzelle aus, was besonders deutlich bei An-
stich blos einer der vier ersten Zellen nach der ^Weiten Furchung
zu erkennen war [s. S. 156]. Die operirte Zelle erschien gewöhn-
lich bald weisslich oder wenigstens, statt an der Oberfläche gleich-
massig braun zu sein, blos noch dunkel gesprenkelt; und wir werden
als Erklärung dieser Erscheinung das Pigment im Inneren um be-
sondere Gebilde angehäuft finden.
1) Hinsichtlich der topographischen Beziehungen der Theile des Eies zu denen
des Embryo ist es von Interesse, dass, wenn der Stiel des Extraovates mit
dem Ei bezw. Embryo in Verbindung blieb und der Anstich an der schwarzen,
, oberen" Hemisphäre erfolgt war, dann dieser Stiel später auf der „ventralen"
Seite des Embryo sass [s. Nr. 23, S. 700, wo nicht das zweigetheilte Ei, sondern
die Blastula mit dem gleichen Erfolg ,oben" angeschoben worden ist].
Zersetzungs- und andere abnorme Vorgänge. 461
A. Zersetzungs- und andere abnorme Vorgänge.
Auch bei Anwendung der „heissen" Nadel verhielten sich
die operirten Zellen noch sehr verschieden; und wir wollen zunächst
diejenigen Fälle schildern, in denen die operirte Furchungs-
kugel auch späterhin gar keine Entwickelungserschei-
nungen darbot, weil in diesen Fällen die oben erwähnte erste Gruppe
von Vorgängen, die Zersetzungsvorgänge am reinsten zur An-
sicht gelangen. Es ist dabei nicht zu übersehen, dass ich, wie mit-
getheilt, am Ende der Laichperiode also zu einer Zeit arbeitete,
in der die Entwickelung schon an sich leicht in abnormer Weise vor
sich geht und störende Einwirkungen weniger leicht ertragen
werden [also die Selbstregulationsmechanismen sehr geschwächt sind].
Die Substanz der Furchuugskugel blieb auch in diesen extremen
Fällen keineswegs unverändert, sondern sowohl der Zell- [147] leib
wie der Kern gingen Veränderungen ein, welche um so weiter aus-
gebreitet sich zeigten, je später ich das Ei nach der Operation auf-
gehoben hatte, also zugleich auch, je weiter die nicht operirte Hälfte
bereits entwickelt war; ohne dass ich indess mit dieser letzteren An-
gabe einen Causalnexus zwischen dem Fortschritten der beiderseitigen
Veränderungen andeuten möchte.
1. Zersetzung des Dotters.
In dem Zellleib, also dem Dotter der operirten Zelle, finden
sich rundliche oder ovale, von einem einfachen aber scharfen Contour
umgrenzte Hohlräume in der Grösse von 10 — IbOj-i und in der Zahl
von wenigen bis zu Hunderten schwankend. Der Inhalt dieser ,,Va-
cuolen" ist i^j Boraxcarmin nicht gefärbt und überhaupt nicht wahr-
nehmbar, wobei jedoch zu erwähnen ist, dass die Schnitte auf einem
feingranulirten Eiweissunterguss liegen, so dass ähnliche Beschaffen-
heit des ungefärbten Vacuoleninhalts an dünnen Schnitten oft nicht
unterscheidbar sein würde; doch habe ich auch an dicken, blos in
Canadabalsam liegenden Schnitten den Inhalt nicht wahrnehmen
können. Da diese Gebilde dem Begriff der Vacuolen entsprechen, so will
462 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
ich den Vorgang ihrer Bildung als „Vacuolisation" des Dotters
bezeichnen. Diese Vacuolisation findet sich sowohl im Bereich des
mehr protoplasmatischen Bildungsdotters, wie in dem an Dotter-
körnern reichen Nahrungsdotter, welche beide noch weniger scharf
geschieden sind als gewöhnlich. Die ^^acuolisation ist oft so dicht,
dass die einzelnen Vacuolen auf dem Querschnittsbilde stellenweise
nur durch einen feinen protoplasmatischen Faden von einander ge-
trennt sind; und manchmal sind von diesen Gebilden, die körper-
lich betrachtet Trennungshäute darstellen, nur noch Reste vorhanden,
so dass eine Communication oder Verschmelzung der Vacuolen sicht-
bar sich ausspricht. Sind nur wenige ^^acuolen vorhanden, so liegen
sie entweder zerstreut oder in Gruppen beisammen; und letzteren
Falles sieht dann der übrige Dotter auf grosse Strecken hin nor-
mal aus.
Ausser dieser Vacuolisation finden sich im Dotter Stellen , wo
das Protoplasma ein grob-, vorzugsweise aber ,,feinmaschiges Netz-
werk" bildet, welches der Dotterkörner entbehrt und zuweilen durch
Einlagerung zahlreicher braunschwarzer oder im durchfallenden Licht
leicht in's Grünliche spielender Körnchen ausgezeichnet ist.
2. Abnorme Veränderung der Kerne.
[148] In dem Zellleib der operirten Zelle finden sich nun des
Weiteren Gebilde eingelagert, welche ich als Kerngebilde auffasse.
a) Um diese Behauptung zu begründen, muss ich zunächst die
Beschaffenheit der „normalen" Kerne des Froschkeimes
schildern, wie sie sich nach der oben mitgetheilten Behandlung: Er-
wärmung auf 80" C, Alcohol, Boraxcarmin etc., darstellt. Die
Kerne bieten auch hier in den verschiedenen Entwickelungsstufen
des Keimes, sowie in den verschiedenen hochgradig differenzirten
Zellen derselben Stufe sehr verschiedene BeschalTenheit dar (ent-
sprechend GoETTE, Ch. van Bambeke u. A.)
In den Furchungskugeln der noch jungen Morulaform des
Keimes zeigen sich die Kerne als gleichmässig feinkörnige, röthliche
rundliche oder ovale, von einem einfachen Contour begrenzte Masse
Abnorme Veränderung der Kerne. 463
von 10 — oO /< Durchmesser, welche in selir feinkörniges, zum Tlieil farb-
loses, zuniTheil schwurz pio-mentirtes Protoplasma eingelagert ist. Ueber-
wiegend häufig jedoch ist der Kern geschrumpft und es ist zwischen
ihm und dem Protoplasma ein grosser leerer Hof; manchmal ist so-
gar der Kern herausgefallen , sodass man blos den grossen durch
mehrere Schnitte hindurcligehenden, aber durch die geschilderte proto-
plasmatische Umgebung als Keruhöhle charakterisirten Hohlraum sieht.
Gelegenthch fand ich auch eine in der regelmässigen Anord-
nung ihrer gefärbten Theile wohl erhaltene, aber nur aus wenigen,
kurzen, deutlich gekörnten Fädchen bestehende Aequatorialplatte. Die
Figuren der anderen Kerntheilungsstadien scheinen, wie oben er-
wähnt, während der Erwärmung gewöhnlich entweder rückgebildet
oder rasch der Endstufe zugeführt zu werden, da sie nur sehr selten
zur Beobachtung kommen. (Es ist zu erwähnen, dass den Chromatin-
körnchen des Kerns gleichgefärbte Körnchen sich nicht selten zwi-
schen je zwei Furchungskugeln in grösserer oder geringerer Anzahl
angehäuft vorfinden); [die benachbarten Furchungsz eilen be-
grenzen nämlich oft in der Mitte ihrer Berührungs-
flächen eine mit Flüssigkeit erfüllte Höhle. Der Inhalt der
Blastulahöhle ist oft in gleicher Weise gefärbt und körnchenhaltig als
der dieser Höhle]. Ist die Umgebung des scharf abgegrenzten, rötli-
lichen Kerngebildes stark mit braunen Körnchen durchsetzt, so hat
der Kern ringsherum einen dunklen, bei der Besichtigung stark auf-
fallenden Hof. Ist der Kern in Theilung begriffen, so findet sich
die braune Körnchenmasse gegen das Ende der Theilung hin
manchmal blos an den beiden Polen, also auf den distalen
Seiten im Protoplasma angehäuft (s. weiter Seite 473).
[149] In dem Blastulastadium zeigen sich die Kerne deut-
lich durch eine^rothe, doppelt contourirte Wandung umgrenzt und
stellen runde oder ovale Bläschen von 10 — 20 (.i dar, in deren Innern
rothe Körnchen zerstreut oder zu einem weitmaschigen Faden-
netz aufgereiht liegen; während der übrige Inhalt fast farblos und
äusserst fein granulirt ist, so dass das ganze Gebilde nur blass rosa
aussieht.
Auf der Ga st rula stufe finden sich in den Dotterzellen
464: Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
noch wesentlich dieselben Kernbil düngen wie in der Blastula, auch
noch ebenso blass, aber schon etwas kleiner, nur 8 — 12 /< im Durch-
messer haltend. In den epithelialen Zellen der Keimblätter da-
gegen fallen die hier noch kleineren Kerne von blos 6 — 8 i-i Durch-
messer durch intensivere Rothfärbung, also durch Chromatin-
reichthum auf; sie sind so dicht aus rothen Körnchen zusammenge-
setzt, dass ein Kernnetz nicht zu erkennen ist und dass auch der
doppelte Grenzcontour schwer zu sehen ist').
Nach der Bildung der Medullarwülste, also im ,,Embryo", fin-
den wdr die Kerne von der Beschaffenheit derjenigen der
Epithelien der Gastrulastufe. Die Kerne der Dotterzellen
sind aber immer noch blasser und grösser als die der Epithel-
zellen.
b) In der operirten ,, nicht" entwickelten Furchungs-
kugel finden sich nun folgende Gebilde, die ich als Kerngebilde
ansprechen möchte:
Erstens rundliche oder ovale Gebilde von 20 — 30 /<, manchmal bis
60 |f< Durchmesser, aus gleich massig, nur blass oder auch inten-
siver roth gefärbter, äusserst feinkörniger Substanz, welche sich
durch einen einfachen aber scharfen Co ntour von der Umgebung
absetzt; sie entsprechen also, abgesehen von abnormer Grösse, in ihrer
Beschaffenheit den Kernen der Morulastufe. Manchmal sind diese
Gebilde, wohl wieder infolge von Schrumpfung, durch einen farblosen,
halbmond- oder ringförmigen scharf umgrenzten Hof von der proto-
plasmatischen Umgebung geschieden; und andererseits bilden in
letzterer angehäufte, braunschwarze Körnchen nicht selten einen Pig-
menthof um den Kern. [150] Diese Kerngebilde liegen meist soli-
tär und schliessen sich ihrer Beschaff enlreit nach an die oben als
sehr selten in einer Semimorula beobachteten, aus gleichmässig blass-
roth gefärbter, einfach contourirter Substanz gebildeten Kerne an.
Zweitens finden sich in diesem nicht in Zellen zerlegten Dotter
Gebilde, welche an die bläschenförmigen Kerne der nächst
älteren Entwickelungsstufe , der Blastula, sich anreihen und blos
[1) Die Schilderung dieser normalen Kerne der Morula und Gastrula ist ge-
legentlich des Wiederabdruckes etwas verbessert M'orden.]
Abnorme Veränderung der Kerne. 465
durch ihre meist, aber nicht immer vorhandene ungewöhnliche
Grösse von 40 — 60(^1 sich von ihnen unterscheiden. Sie be-
sitzen eine doppelt contourirte Wandung aus gefärbter Substanz und
zeigen im Inneren ein grobmaschiges, aus aneinander gereihten rotheu
Körnchen gebildetes Fadengerüst; während die Hauptmasse des In-
haltes wiederum äusserst feinkörnig und nur sehr blass roth oder
ungefärbt ist. Neben diesen grossen Gebilden finden sich häufig eben
solche von mittlerer Grösse (16 — 30 /ii) und sogar solche , welche mit
blos 8 /< Durchmesser bis zur Grösse der Gastrula- und der
Embryokerne herabgehen, und nur durch ihre Chromatin-
armuthund durch dichte, haufenweise Zusammenlagerung
sich von den kleinen normalen Kernen dieser Stadien unterscheiden.
Solche ,,Kernnester" vereinigen oft Kerne der verschiedensten Grösse
und können aus 6 — 30 Kernen bestehen. Einige dieser Kerngebilde
haben auch wieder einen braunschwarzen Pigmenthof, welcher oft
auch das ganze Kernnest umgiebt.
Diese beiden Formen schliessen sich also an normale Kernfor-
men an, und sind blos durch ungewöhnliche Grösse, und die erstere
Form noch durch tiefere Färbung von auch im normalen Keime vor-
kommenden Formen unterschieden.
Eine dritte Gruppe dagegen umfasst vom Normalen in
höherem M a a s s e a b w e i c h e n d e B i 1 d u n g e n ; nämlich rundliche
oder ovale Gebilde von 8 — 30 // aus tief dunkelroth gefärbter, nur
äusserst schwach gekörnter, fast homogen erscheinender Substanz,
welche mehr oder weniger zahlreiche, anscheinend leere, vacuolen-
artig abgerundete Hohlräume einschliesst. Sie sind von einem ein-
fachen, aber scharfen Contour umgrenzt. Diese scharfe, gerundete
Umgrenzung und das grosse Vermögen Farbstoff aufzunehmen sind
in diesem Falle die alleinigen Charaktere, welche mich veranlassen,
diese Gebilde nicht dem Zellleib, sondern den Kerngebilden zuzu-
zählen. Ist die Körnelung der rotheu [151] Substanz deutlicher und
die Vacuohsirung derselben so hochgradig, dass die rothe Substanz
im Inneren nur noch dünne Septa darstellt, so erhalten diese Ge-
bilde (Taf. VI Fig. 2 K') ein der soeben beschriebenen zweiten Form
etwas ähnliches Aussehen. Auch die dieser dritten Gruppe zuge-
W. Roux, Gesammelte Abhandinngen. II. 30
466 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
hörigen Bildungen liegen oft zu mehreren, 3—6 und mehr, dicht bei
einander, und bilden so gleich der vorigen Nester, welche gelegent-
lich von mehr oder weniger reich angesammeltem, braunpigmentirtem
oder unpigmentirtem Protoplasma umgeben sind (Fig. 2KN). Auch
kommen in manchen Nestern die Gebilde beider Gruppen ver-
mengt vor.
Einige Male fand ich grosse Kerne von 30 — 40 f^i mit doppelt
contourirter, rother Wandung, welcher letzteren im Inneren zunächst
einzelne rothe Körnchen anlagen; während weiter einwärts zahl-
reiche, verwirrt liegende, durch einfach aufgereihte Körnchen gebildete
Stäbchen eine zweite Schicht bildeten, die nach innen noch einen
grösseren farblosen Raum freiliess.
Diese soeben geschilderten Kerngebilde der operirten
Zelle finden sich in dem Dotter, ohne eine Prädilectionsstelle er-
kennen zu lassen. Insbesondere finden sie sich nicht in grösserer
Anzahl in der Nähe der entwickelten Hälfte des Keimes
und sind dieser Hälfte auch nirgend derart genähert, dass anzu-
nehmen wäre, sie seien aus derselben herübergetreten ^).
Demnach verbleibt nur die Möglichkeit, sie von dem „Fur-
chungskern" der ,, operirten" Furchungszelle herzuleiten.
Für diese Annahme spricht auch, [dass dieselben Gebilde sich einige
Male auch in Extraovat vorfanden (s. S. 468) und] dass dieser Kern
ja bekanntlich eine grosse Neigung zur Vermehrung zeigt. Ueber
die Ursache der Besonderheiten der in unseren Fällen gebildeten
Kerne vermag ich nichts auszusagen.
Dagegen ist es von hohem Interesse und zeugt gleichfalls für
die Richtigkeit unserer Auffassung über die Abstammung dieser ab-
normen Kerne, dass sich ganz dieselben drei Arten von Kern-
gebilden (wie auch die oben beschriebene Vacuolisation
des Dotters) bald nach der Befruchtung voii Eiern finden,
welche, ohne operirt zu sein, blos in Folge lange Zeit verhaltener
Laichung nach der Befruchtung sich nicht entwickelten.
[1) Bezüglich der Behauptung eines Autors, es liege Polyspermie vor, siehe
die frühere Angabe S. 470 Anm. und Nr. 31.]
Demarcation und Verbindung beider Eihälften. 467
Wenn man sie hier von dem Eikern oder Spermakern ableiten wollte,
von denen eine Tendenz zur Vermehrung bis jetzt nicht bekannt
[152] ist, so würde man damit für dieselbe Bildung eine andere Ab-
stammung annehmen müssen als in den normal getheilt gewesenen
operirten Eiern, wo kein Ei- und Spermakern mehr vorhanden war.
Und da in den im Ganzen entwickelten Eiern keine Gelegenheit zum
Uebertritt aus einer entwickelten Hälfte gegeben ist, so ist das Ge-
meinsame beider Fälle, welches als die gleiche Quelle der gleichen
Bildungen angesehen werden kann, nur der Furchungskern.
3. Demarcation und Verbindung beider Eihälften.
Yon Interesse und Wichtigkeit ist ferner das Verhalten beider
Eihälften gegen einander.
Häufig bildet sich eine schon äusserlich sichtbare Abgrenzung
dadurch aus, dass die entwickelte Hälfte etwas grösser wird als die
operirte und ihren Rand gegen die letztere etwas einzieht^), so dass
auf dem Blastulastadium eine dem Urmundsaume ähnliche Furche
entsteht.
Auf dem Durchschnitte sieht man schon in frühen Stadien
häufig eine deutliche Demarcationslinie als den Ausdruck einer be-
sonderen ,,Demarcationsschicht^'. Diese stellt eine 4 — S /ii dicke
Lage feinkörniger, also von Dotter körnern freier, theils farb-
loser, theils schwach roth gefärbter und in der Nähe des oberen
Randes zumTheil schwarzbraun pigmentirter Substanz dar, welche
man für Protoplasma halten kann, das von einer der beiden Fur-
chungskugeln abgeschieden worden ist. Ich vermuthe, dass sie von
der operirten Zelle herstammt, da sie mit ihr in Continuität steht,
und die Zellen der lebenden Hälfte sich an manchen Stellen durch
eckigen Spaltraum gegen sie absetzen. Diese Demarcationsschicht
geht gewöhnlich von der freien Oberfläche des Eies aus und dringt
ungleich tief, manchmal bis zu einem Drittel des Eidurchmessers ein.
[1) Dies bekundet also schon eine gewisse Tendenz, die Wunde zu schliessen,
welche später H. Driesch an Seeigel-Halbbildungen und ich an älteren Halbbildungen
des Frosches in höherem Maasse beobachtet haben (s. Nr. 26, S. 45)].
30*
468 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
An den Stellen, wo diese Deniarcationsschicht fehlt,
kommt es vor, sofern nicht die Zellen der entwickelten Hälfte sich
in einem Spalt von der operirten absetzen, dass beide Eihälften
unmittelbar sich berühren, und eine scharfe Grenze an
diesen Stellen nicht erkennbar ist, weil die Zellen dieser
Stelle der lebenden Hälfte auf der Seite nach der operir-
ten Hälfte hin selber keine scharfe Umgrenzung darbieten,
während dies an dem anderen Theil ihrer Peripherie doch ausge-
sprochen der Fall ist.
[153] Dies führt uns zu einem anderen Verhalten der operirten
Zelle. Nur etwa bei einem Dritttheil aller microtomirten Halbbil-
dungen sind die oben beschriebenen Veränderungen des Dotters und
die abnormen oder wenigstens abnorm zusammengelagerten Vermeh-
rungsproducte des Furchungskernes vorhanden (abgesehen davon,
dass in manchen Fällen diese abnormen Derivate des Fur-
chungskernes fehlten, sich aber im Extraovat vorfanden).
B. Reorganisation der operirten Eihälfte.
[246]. Schon bei vielen Eiern, welche die beschriebenen Ab-
normitäten darbieten, finden sich in der operirten Hälfte zugleich
Anzeichen von Vorgängen, welche auf eine nachträgliche Organisa-
tion der operirten Eihälfte hindeuten und dannt die nachträgliche
Bildung der fehlenden Körperhälfte [unter Verwendung des
Materiales der operirten Eihälfte] anbahnen^); das Gleiche ist
noch in höherem Maasse und schon in früherer Zeit der Fall
bei Eiern, welche in der operirten Hälfte die beschriebenen Abnormi-
täten vermissen lassen.
Diese Reorganisationserscheiuungen in der operirten
Zelle sind formal in dreierlei Weise aufgetreten. Es wird sich aber
zeigen, dass zwei davon in ihrem Wesen nicht sehr von einander
unterschieden sind; und wir werden aucli in der Lage sein, wenn
[1) Ueber die Nachbildung der fehlenden Körperhälfte ohne Verwendung des
Materials der operirten Eihälfte siehe Nr. 26 S. 45].
Erste Art der Reorganisation der oporirten Eihälfte. 469
auch nicht die Ursachen der ^^org•ä^g•e selber, so doch die Ursachen
ihrer Verschiedenheiten anzusehen.
1. Erste Art der Reorganisation,
a) Nucleisation.
Neben allen oben beschriebenen Stufen von Halbbildungen aus
der entwickelten einen Furchungskugel, von der Semimorula bis zum
Hemiembryo finden sich nämlich in der operirten Zelle Zellkerne
von normaler, den oben (S. 462) miterschiedenen Altersstufen ent-
sprechender Beschaffenheit vor. Diese verschiedenen Altersstufen
sind in der operirten Zelle derart vertreten, dass neben einer Semimo-
rula nur die entsprechend jungen, nicht scharf contourirten , wenig
Uhromatin enthaltenden normalen Formen vorkommen. Zugleich
sind diese jungen Kerne der operirten Zelle häufig von einem relativ
grossen Hof feinkörnigen Dotters umgeben, in welchem dicht um den
Kern meist reichlich braune Pigmentkörnchen gelagert sind. Be-
merkenswerth ist dabei, dass diese Kerne meist kleiner als die in
der entwickelten Hälfte sind.
[247] Bei älteren Keimen, neben Halbbildungen der Blastula-
und Gastrulastufe findet man gleichfalls oft diese jugendlichen Kern-
formen neben schon kleineren, schärfer contourirten und deutlich ge-
färbten, also älteren Formen vor.
Diese normal Iteschaffenen Kerne sind in dem Dotter der ope-
rirten Zelle vertheilt und der Dotter selbst zeigt in vielen Fällen auch
bei genauester Besiclitigung keine Scheidung in einzelne Zellen;
während auf der entAnckelten Seite die einzelnen Zellen scharf ge-
schieden sind.
Von besonderer AA-'ichtigkeit ist nun die Frage nach der Her-
kunft dieser Kerne. Dieselbe lässt sich durch die genaue Be-
achtung ihrer Lagerung und die ^-^erwerthung einiger anderer Erschei-
nungen mit ziemlicher Bestimmtheit lösen und auf zwei Quellen
zurückführen.
470 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
1 . N u c 1 e i s a t i o in 1 o c o.
Erstens sprechen Tliatsachen dafür, dass diese Kerne von de m
Furchungskern der operirten Zelle a))stammen können.
Es wurde oben schon erwähnt, dass gegen Ende der Laichperiode
partielle Entwickelung des Eies auch ohne Operation
vorkommt. In mehreren solcher Eier waren sogar blos drei oder vier
Zellen von der Beschaffenheit der Zellen im Stadium des üeberganges
von der Morula- zur Blastulastufe vorhanden; während die ganze übrige
Eimasse nicht in Zellen gegliedert war, aber an manchen Stellen mit
den oben l)eschriebenen Formen abnormer Kerne, wie auch auf grosse
Strecken, hin mit „jugendlichen", normal aussehenden Kernen in
grosser Anzahl durchsetzt war. Manchmal war gerade in der Um-
gebung der wenigen normalen Zellen die Eisubstanz so stark vacuo-
lisirt, dass an einen Uebertritt von Kernen aus diesen nicht gedacht
werden kann. Wir werden also anzunehmen haben, dass der Fur-
chungskern theils abnorme, theils anscheinend normale Derivate ge-
bildet habe, was ja in diesen Fällen mit Sicherheit schon daraus her-
vorgeht, dass überhaupt alle Kerne von dem einen durch die Ver-
einigung des Samen- und des Eikernes gebildeten ersten Furchungs-
kern abstammen ^).
[248] In den Fällen, in welchen ich diese im ungegliederten,
das heisst nicht in Zellen zerlegten Dotter befindlichen, normal aus-
sehenden Kerne von dem der betreffenden Eihälfte zugehörigen Fur-
chungskern ableiten zu müssen glaube, sind die Kerne selber im
Dotter unregelmässigvert heilt, manchmal liegen mehrere Kerne
in einer Reihe und bilden mit ihren nach beiden Seiten lang ausge-
zogenen Pigmenthöfen deutliche Bogen linien. Eine Beziehung zur
Abgrenzungsebene gegen die entwickelte Eihälfte ist nicht wahr-
nehmbar.
1) An Vielkernigkeit durch Polyspermie ist in den hier geschilderten Fällen,
obgleich sie gelegentlich gegen Ende der Laichperiode am Froschei
vorkommt, nicht zu denken; die Erscheinungen bei der Polyspermie sind trotz
mancher Aehnlichkeit doch wesentlich andere.
Erste Art der Reorganisation der operirten Eihälfte. 471
2. Nucleisatioii der operirten Eihälfte durch Niiclei-
transmigration.
Andererseits aber kommt es auch vor, dass die noch in geringer
Anzahl vorhandenen, normal gestalteten, jugendlichen Kerne
der operirten Eihälfte nahe an der entwickelten Hälfte liegen
und in deren Nähe dichter gestellt sind, während sie in der
distalen Seite noch fehlen. Gelegentlich findet man auch einen Kern
gerade in oder unmittelbar neben einer, aber alsdann stets nur
ganz dünnen ,,Demarcationslinie". Hinter einer dicken De-
marcatiouslinie, oder an Stellen, wo die Zellen der entwickelten Seite
durch einen Spalt von der operirten geschieden sind, desgleichen
hinter der durch die heisse Nadel hervorgebrachten dicken Scholle
von geronnenem Dotter, fehlen die normalen Kerne bei manchen
Eiern auf dem Stadium der Morula und Blastula entweder ganz, oder
es sind blos wenige Kerne in grossen Abständen vorhanden.
Dies alles deutet schon auf einen U ebertritt von Kernen aus
der entwickelten Hälfte hin, welcher an den Stellen erfolgte, wo
keine hindernde Scheidung beider Eihälften stattgefunden hat.
Ich habe nun noch zweierlei Beobachtungen gemacht, welche
diese Vermuthung für manche dieser Kerne zur Gewissheit steigern.
In der Gegenhälfte einer Semiblastula fand ich die wenigen vor-
handenen Kerne in zwei lange Bogenlinien geordnet, welche
letztere von dem Dache der Semiblastula ausgingen und durch
die in der Richtung der Bogen zu langen Schweifen ausgezogenen
schwarzen Höfe der Kerne noch deutlich die Bahnen der von der
entwickelten Hälfte entfernteren Kerne erkennen liessen.
In diesem Präparate ist von den Grenzzellen des Daches der
Semiblastula gerade keine im Momente der Theilung fixirt, so dass
der unmittelbare Kernübertritt nicht gesehen werden kann. Dies
letztere ist mir nun aber an einigen anderen Präparaten aufzufinden
gelungen. Auf der Morula- und jungen [249] Blastulastufe findet
man, wie S. 468 erwähnt, manchmal Grenz z eilen der entwickelten
Hälfte nur nach dieser letzteren Seite hin wohl abgegrenzt, während
nach der operirten Hälfte hin die Grenze fehlt, so dass diese Zellen
li
472 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
contiiiuirlich in die Substanz der unentwickelten Hälfte
übergehen; ein Verhalten, wie es bekanntlich auch normal nach der
ersten wagrechten Furche des Froscheies und noch weit länger bei
den meroblastischen Eiern am Keimrande sich vorfindet. Enthalten
diese Zellen in unserem Falle einen ruhenden Kern, so liegt der-
selbe gegen die, durch eine benachbarte Spalte oder Demarcationslinie
leicht zu ziehende, Grenzlinie beider Hälften hin, also nach der un-
entwickelten Hälfte hin, verschoben: dies manchmal derart, dass der
Kern auf diese Linie selber zu liegen kommt. In zwei Fällen waren
aber solche Kerne gerade in Theilung; und man sah so die
eine Kernhälfte 20—40 f.i weit in die unentwickelte Eihälfte
hineinragen. Zugleich sah ich einmal, wie die dieser Kernhälfte
zugehörige Hälfte des Pigmenthofes dem Kern selbst weit (20 ii) vor-
ausgeeilt Avar; während an der anderen, in der Zelle verbleibenden
Hälfte der halbe Pigmenthof, entsprechend der früher gemachten An-
gabe, gleichfalls auf der distalen Seite des Kernes, aber letzterem
näher gelegen war.
Diese Erscheinungen des Uebertrittes von Kernsub-
stanz aus der entwickelten in die operirte Hälfte habe ich
sowohl auf der Blastula- wie auf der Gastrulastufe der ersteren Hälfte
beobachtet.
Somit ist erwiesen, dass eine Versorgung der operirten Eihälfte mit
neuen Kernen von der entwickelten Hälfte aus, also eine „Nucleitrans-
migration" vorkommt; und die obigen Mittheilungen machen es wahr-
scheinlich, dass dieser Vorgang manchmal in ausgedehn-
ter Weise stattfindet. Doch lässt sich natürlich später nichtnach-
weisen, wie viele der anscheinend normal beschaffenen Kerne der
operirten Hälfte diese Abkunft haben, wie viele dagegen von dem
ursprünglichen Furchungskerne abstammen. Wahrscheinlich ist es
dagegen, dass- die Transmigration der Kerne nur im An-
s c h 1 u s s a n d i e K e r n t h e i 1 u n g innerhalb einer an die unentwickelte
Hälfte austossenden Zelle vor sich geht, w^eil ohnedies die Zelle selbst
ganz kernlos werden würde.
Es ist vielleicht von Bedeutung, dass die normal beschaffenen,
[250] als übergetreten aufgefassten Kerne mit einem feinkörnigen
Erste Art der Reorganisation der operirten Eihälfte. 473
Protoplasmiihol' umgeben sind, von dem, nach dem direct beob-
achteten Kernübertritt zu urtheilen, vielleiclit ein Theil aus der
entwickelten Hälfte [nebst Centrosomen? s. Nr. 26, S. 34] mit
übergetreten ist.
Häutig beobachtete ich au den normal aussehenden Kernen der
unentwickelten Eihälfte schöne K erntheilungsfiguren. An jugend-
lichen, noch mit einem Pigmenthof umgebenen Kernen war dabei
ein eigenthümliches Verhalten der Pigmentsubstanz wahrzunehmen.
Zur Zeit der Aequatorialplatte ist das Pigment manchmal blos an
den Seiten des Kernes, also neben der Aequatorialplatte als
gerader Streif oder als Pigmentanhäufung vertreten, während die Um-
gebung der Pole der Kernspindel vollkommen pigment-
frei ist. Auf späteren Stadien der Theilung dagegen ist manch-
mal das Pigment nur an den beiden „distalen" Seiten der
Umgebung der Kernpole angehäuft. Zwischen diesen Extre-
menkommen alle Uebergangsformen vor. Einmal sah ich auch
einen blassen, in Theilung begriffenen und von Pigment umgebenen
Kern sehr lang ausgezogen und zugleich in Form einer Halb-
kreislinie gebogen.
Auf späteren Stadien der Blastula oder Gastrula findet man die
übergetretenen Kerne manchmal schon ziemlich gleichmässig in der
operirten Eihälfte vertheilt, so dass anzunehmen ist, dass die über-
getretenen Kerne allmählich tiefer in die noch nicht mit Kernen ver-
sorgte Dottermasse eindringen, bis eine manchmal annähernd gleich-
massige Vertheilung hergestellt ist. Und bei dieser Ve r theil ung
der Kerne in einer nicht cellulirten Masse ist natürlich der
oben (S. 472) für die Transmigration geltend gemachte Grund hin-
fällig, zufolge dessen die Kernwanderung nur im Anschluss an eine
Kerntheilung vor^sich gehen konnte. Vielmehr lassen die Beispiele
der Wanderung des Keimbläschens vor der Bildung des ersten
Richtungskörperchens, später die Rückwanderung, ferner die Wan-
derung des Samenkernes im Ei, besonders während seiner blossen
Penetrationsbahn, auf welcher er, wie ich gezeigt habe, noch nicht
dem Eikern entgegengeht, sondern einfach in die Eimasse eindringt,
daran denken, dass auch hier vielleicht eine von der Kerntheilung
474 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
unabhängige Ortsveränderung der Kerne stattfinden kann. [Es
müssen also auch ohne gleichzeitige Kerntheilung energische attrac-
tive und tractive Wechselwirkungen zwischen Zellkern
und Protoplasma vor sich gehen.] Jedoch setzen die vacuoli-
sirten Theile des Dotters und noch mehr die durch die heisse Nadel
geronnene, [251] schwach gelblich schimmernde Dotter-
scholle, sowie die unmittelbare Umgebung der Kernnester, dieser
Wanderung der normal gestalteten Kerne einen besonderen Widerstand
entgegen.
In anderen Fällen sind auch neben einer ,,Semigastrula" in der
operirten Eihälfte nur ,,wenige" und zugleich noch ,, neben" der
entwickelten Hälfte gelegene, normale Kerne walirnehmbar ;
so dass also zu vermuthen ist, dass der U ebertritt in diesen Fällen
erst in späterer Zeit erfolgt oder nur sehr langsam vor sich gehen
konnte. Desgleichen scheint auch die Vertheilung der bereits über-
getretenen Kerne in dem Dotter der operirten Zelle manchmal langsam
vor sich zu gehen.
Wir werden im Weiteren sehen, dass die als normal beschaffen
bezeichneten Kerne weitere Stufen der Entwickelung durch-
machen, während die abnorm beschaffenen oder nur abnorm zu
Nestern zusammengelagerten Kerngebilde dieser Entwickelung so
lange Widerstand entgegensetzen, bis sie von weiter entwickelten
Zellen eingeschlossen und allmählich verzehrt worden sind.
Von Interesse ist auch, dass die abnorm gestalteten, sowie die
annähernd normal gestalteten, aber zu Nestern zusammenliegenden
also gleichfalls ein abnormes Verhalten darbietenden Kerne schon die
rothe bläschenförmige Beschaffenheit darbieten, während die anderen,
von mir für normal gehaltenen, im Dotter verth eilten Kerne noch
die fast farblose Jugendform mit Pigmenthof zeigen ; und ferner, dass
manche dicht neben einer Semigastrula gelegenen Kerne gleichfalls
diese Jugendform darbieten und mit einem grossen Pigmenthof um-
geben sind, während in der Gastrula selber solche Kerne nicht mehr
sich vorfinden; so dass es scheint, als habe die übergetretene Kern-
hälfte sich in dem Dotter der unentwickelten Hälfte zu einem früheren
Stadium verjüngt [?]. Weiteres siehe Nr. 30, S. 3.
Erste Art der Reorganisation der operirten Eihälfte. 475
b) Nachträgliche Cellulation der operirten Eihälfte.
Erörtern wir nun das Verhalten des Dotters zu den in
in ihm vertheilten, scheinbar normal beschaffenen Kernen.
Während in der entwickelten Hälfte zur Zeit der Morula
und Blastula die Gliederung in Zellen meist sehr leicht sichtbar
ist, indem auf den Durchschnitten deutliche Linien feinkörniger,
an Dotterkörnern freier Substanz an den Berührungsflächen
der Zellen die Zellgrenzen markiren, und während an vielen
anderen Stellen durch einen feinkörnigen Saum sich abgrenzende,
stark gerundete, also in beginnender Framboisia minor be-
griffene [252] Zellen Lücken zwischen sich lassen, so erscheint
auch nach der Vertheilung normal beschaffener Kerne im ganzen
Dotter der operirten Hälfte derselbe oft noch als eine einzige
zusammenhängende und nirgends durch die beschriebenen Linien in
Zellterritorien gesonderte Masse.
Doch ist in manchen Präparaten, wohl als Vorläufer einer
solchen Sonderung in Zellen, eine Zunahme der Menge des fein-
körnigen Bildungsdotters um die Kerne wahrnehmbar ; und ausserdem
treten Radiationsfiguren, sogenannte Sonnen, um die Kerne
auf (s. Tafel VI Fig. 1). Diese Radiationen bestehen darin, dass auf
dem Durchschnittsbilde radiäre Züge von feinkörnigem Dotter
die Masse der groben Körner des Nahrungsdotters in radiär
geordnete keilförmige Segmente zerlegen, und dass an den-
jenigen Stellen, wo diese Dotterstrahlen sehr dünn sind, die meist
ovalen Dotterkörner mit ihrer Längsaxe in Richtung des
Radius gestellt sind. [Centrosomen waren bei der angegebenen
Vorbehandlung der Objecte nicht wahrnehmbar.] Zwischen benach-
barten Sonnen ist fast immer ein Streifen nicht radiirter Substanz
wahrnehmbar.
Diesem Stadium der Bekernung oder Nucleisation des Dotters
folgt dann die wirkliche Zerlegung der Dottermasse in den
einzelnen Kernen zugehörige Zellleiber, die Cellulation.
Diese Sonderung bekundet sich durch die Ausbildung der feinkörnigen,
an Dotterkörnern freien Trennungslinien und stellenweise auch durch
476 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
das Vorhandensein von Lücken zwischen den abgerundeten Seiten
benachbarter Zellen.
Diese Cellulation des Dotters geht ebenso wie die Nucleisation
desselben zu sehr verschiedenen Zeiten vor sich. Sie kann
neben einer Semigastrula noch fehlen und neben einer
jungen Semimorula oder Semiblastula schon in demMaasse
vorhanden sein, dass die Zellen nur wenig grösser sind als
in der normalen Hälfte [s. Nr. 26, S. 45].
Die Ausbreitung dieser Cellulisation im Räume zeigt ein typi-
sches Verhalten, welches von besonderer Wichtigkeit ist: Die nach-
trägliche Cellulation der operirten Eihälfte beginnt stets
unmittelbar neben der entwickelten Hälfte und schreitet
von da aus continuirlicli fort^), [kann aber um mehrere Kerne
gleichzeitig stattfinden. Siehe auch Nr. 26, S. 35.]
[253] Einige Male habe ich eine isohrte Zelle in ringsum noch nicht
cellulirter Substanz aber in der Nähe der entwickelten Hälfte liegend
gesehen.
Die Zellen, in welche die operirte Furchungskugel auf diese
Weise nachträglich zerlegt wird, sind von sehr verschiedener Grösse
innerhalb desselben Präparates: meist etwas, manchmal aber auch
mehreremale grösser als die Dotterzellen der entwickelten Hälfte; ver-
einzelt kleiner; grosse und kleine Zellen liegen unmittelbar neben
einander. Gelegentlich sah icli Theilungserscheinungen an den grösse-
ren Zellen, so dass also die durch secuudäre Zerlegung des
bekernten Dotters gebildeten Zellen auch der weitereu
Zerlegung durch Theilung fähig sind, gleich den Furchungs-
1) Solclie Eier bieten alsdann ein ähnliches Verhältniss dar. wie erst am Ende
der Laichperiode befruchtete nicht operirte Froscheier. Die Durchfurchung bleibt
nämlich gegen Ende der Laichperiode auf der unteren, weissen Hälfte
manchmal lange aus; und noch ausgesprochener ist dies auch schon zur normalen
Zeit an „Riesen eiern" vom 2 — 2'/2fachen des normalen Durchmessers. Daselbst ist
die mittlere Hälfte der Unterseite des Eies oft noch ganz ungefurcht, während die
obere, schwarze Seite schon in ganz feine Theile zerlegt ist. Diese Rieseneier „be-
weisen" also direct die HAECKEL-BAi.FouR'sche Hypothese, dass die partielle Furch-
ung durch die Anhäufung grösserer Mengen von Dotter im Ei bedingt
sei; während dei'selbe Effect an Eiern von normaler Grösse gegen Ende der Laich-
periode wohl auf eine Abnahme der sondernden Kräfte zurückzuführen ist.
Erste Art dor Reorganisation der operirten Kiliälfte. 477
kugeln. Zu derselben Annahme gelangen wir (Ivu'cli die Beobach-
timg, dass auf dem Stadium des Hemiembryo der einen Hälfte die
andere, operirte Hälfte, wenn oder -so weit sie überhaupt cellulirt ist,
meist aus kleinen Zellen gebildet sich zeigt.
Worin eigentlich die Reorganisation innerhalb der anscheinend
mit Abkömmlingen des der operirten Eihälfte zugehörigen Furchungs-
kernes versorgten Dotterpartien besteht und an welchem von beiden
Theilen sie sich vollzieht, wissen wir nicht. Wir sahen blos, dass
die mit der Kerntheilung normaler Weise verbundene
Dottertheilung in Zellen ausgeblieben war, vermögen aber
nicht zu beurtheilen, ob dies durch Veränderung des Dotters oder
der Kerne oder beider bedingt war. Und deshalb entzieht es sich
uns zugleich, durch w^elches Theiles Reorganisation nun
die nachträgliche Radiation und Cellulation des Dotters
ermögHclit wurde, und auf welchen Wirkungen und Ursachen sie
beruht. In denjenigen Theilen, welche mit transmigrirten Kernen
versehen worden sind, könnte man vermuthen, dass der Einfluss
dieser normalen Kerne eine Reorganisation des Dotters
bewirkt habe. Und da die Cellulation stets nur in Berüh-
rung mit [254] schon cellulirtem Material vor sich ging,
so liegt es nahe, in dieser Berührung einen zu höherer
vitaler Gestaltung anregenden Einfluss anzunehmen.
Die soeben geschilderte Art der nachträglichen Cellulation
des Dotters erstreckt sich, in Gleichem wie oben von der Nuclei-
sation desselben berichtet wurde, nur auf die nicht sichtbar ver-
änderten, nicht vacuolisirten und nicht mit abnormen
Kernen versehenen Theile; w^ährend die in dieser Weise abnor-
men Partien durch einen weiterhin zu schildernden, abweichenden
Modus und zwa;; erst später wieder verwendbar gemacht werden.
Die in dem Dotter der unentwickelten noch nicht cellulirten Ei-
hälfte zerstreuten Kerne erinnern auf dem Stadium grösserer Proto-
plasmaansammlung um sie mit ihren radiärsn Protoplasmaausläufern
etwas an die plasmodienartigen Zellen, welche Kupffer und Gensgh')
in dem Dotter der Knochenfische beobachtet haben , und des-
1) H. Gensch, Die Blutbildung auf dem Dottersack bei Knochenfischen. Arch.
f. micr. Anat. 1881. Bd. 19. S. 146.
4:78 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
gleichen an die ähnlichen Bildungen, die Rückert^) bei Sela-
chiern neben dem Rande der Keimscheibe gefunden undMerocyten
genannt hat. Die Merocyten Rügkert's sind durch ungewöhnliche
Grösse oder durch grössere Zahl der Kerne ausgezeichnet^), während
hier bei uns die übergCAvanderten Kerne die normale Grösse haben.
Gemeinsam aber ist den von diesen Autoren beschriebenen Bil-
(^lungen und den unseren, dass sie sich für die Verwendung der Dotter-
masse zum Aufbau des Organismus nützHch erweisen, wie wir bezüglich
der unseren aus der weiter unten zu schildernden Postgeneration ersehen
werden. Dagegen bekunden die von mir beobachteten abnorm be-
schaffenen, durch ihre Grösse jedoch den grossen Kerngebil-
den dieser Autoren entsprechenden Kerne in Bezug auf Nützlich-
keit, so viel ich bis jetzt sehe, zunächst das entgegengesetzte Ver-
halten, indem gerade an denjenigen Stellen, wo sie lagern, die
Cellulation ausbleibt; [255] ja manchmal werden sie ganz an
den Rand gedrängt, durch geordneten Zusammenschluss
der unterliegenden Zellen abgesondert und so eliminirt,
also ganz von der Verwendung zum Aufbau des Organismus ausge-
schlossen.
Die erste Art der Reorganisation der operirten Eihälfte bestand
in der Versorgung derselben mit einer ,, grösseren Anzahl" von
Kernen, und in der ,, nachträglichen" Abgliederung von
Zellterritorien um jeden dieser vielen Kerne. Auf diese Weise
werden aber, wie erwähnt, nur die nicht sicbtbarlich veränderten
Partien des Dotters reorganisirt , und auch diese nicht immer, denn
mehrere Male sah die nicht entwickelte Gegenhälfte einer Semiblastula
auf den optischen Durchschnittsbildern norinal aus und war auch
nicht allenthalben durch eine Demarcationslinie von ersterer geschieden,
und gleichwohl waren keine Kerne in ihr auffindbar.
1) F. RüCKERT, Zur Keimblattbildung bei Selachiern. München 1885.
2) Dies legt den Gedanken nahe, dass vielleicht manche meiner „Kernnester "
mehr den Merocyten Rückert's entsprächen, und dass deshalb die Kernnester so lange
persistiren , nämlich bis alle hochgradig veränderte Dottersubstanz wieder assimilirt
wäre. Doch scheint mir dies in Folge des oben angeführten Verhaltens weniger zu-
treffend.
Zweite Art der Reorganisation der operirten Eihälfte. 479
2. Zweite Art der Reorganisation der operirten Eihälfte.
Die vacuolisirten Partien des Dotters und die Bezirke mit den
abnormen Kernen bleiben l)ei dieser ersten Art der Wiederver-
wendung stets un betheiligt. Wo diese Substanzen unmittel-
bar neben der lebenden Hälfte liegen, ist der Uebertritt
von Kernen lange Zeit ganz gehemmt; und frühestens am
Ende der Blastulastufe fand ich Bilder, welche auf eine zweite Art
der Reorganisation hindeuten, und zwar auf eine Reorganisation,
die sich vorzugsweise auf diese hochgradig abnormen Sub-
stanzen erstreckt.
Neben einer solchen Semiblastula sieht man eine oder wenige
vollkommen abgegrenzte, rundliche Zellen jenseits der Median-
ebene in die noch an Dotterkörnern reichere Partie zwischen den
Vacuolen eingelagert und halb oder fast ganz von dieser Substanz
umschlossen. Diese Zellen weichen durch ihre rundliche Gestalt,
wie auch durch verschiedene bald etwas erheblichere, bald geringere
Grösse und durch grösseren Gehalt an Dotterkörnern von den polyedri-
schen Zellen der normalen Nachbarschaft in der entwickelten Hälfte
ab; aber sie führen immerKerne vonderselben Beschaffen-
heit als diese normalen Zellen. Nur äusserst selten habe ich
noch jenseits dieser rundlichen, im Verhältniss zu den durch Modus I
gebildeten Zellen kleinen Zellen noch einen freien Kern in der
Dottersubstanz gesehen.
Derselbe Modus ist auch neben Semigastrula und Hemi-
embryones zu beobachten, und geht auch von den Dotter-
zellen [256] dieser Gebilde aus und kann sich tiefer in die un-
entwickelte Hälfte hineinerstrecken.
Ich glaube ^iese Erscheiimng so auffassen zu müssen, dass die
schon weiter entwickelten, kleineren Zellen oder ihre
Kerne fähig sind, auch in höhergradig veränderten Dotter einzu-
dringen und ihn ,, wieder zu beleben"; bestehe diese Wieder-
belebung nun darin, dass die Zelle an der Grenze den an-
liegenden Dotter ,,als Nahrung aufnehme" und bei der
Theilung dieser Zellen dann die eine der Tochterzellen in dem ur-
480 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
sprünglich fremden Gebiete liegt; oder dass bei einer Theilung, wie
beim ersten Modus, der Kern mit sehr wenig Protoplasma
übertritt, mit dem Unterschied jedoch, dass er dann aber nicht
weiter wandert und sich nicht eher theilt, als bis die
Umgebung durch seinen Einfluss wieder so weit belebt
ist, dass er sie um sich zu einer abgeschlossenen Zelle gruppirt.
Welches von beiden das Richtige ist, ob Verdauung und neue
Assimilation auch dos Bildungsdotters, oder directe Wieder-
belebung [des Nichtlebenden aber noch Lebensfähigen], ist vor-
läufig nicht zu sagen ^).
Diese zweite Art des Reorganisation ist vielleicht ähnlich
der von Rügkert bei Selachiern beschriebenen normalen Verwendungs-
weise von Kernen zum Aufbaue des Embryo, indem daselbst die
[1) Diese Stelle ist sehr missdeutet worden, besonders von 0. Hertwig (Ueber
den Wertli der Furchungszellen für die Organbildung des Embryo. Arch. f. micr.
Anat. Bd. 42. 1893/94).
Meine Auffassung beruht auf der von W. Preyer betonten und von mir, wie ich
sehe, mit Unrecht als allgemein bekannt vorausgesetzten Unterscheidung von
„Nicht mehr Lebendem, aber noch Lebensfähigem" und wirklich
„Todtem". nichtwiederzußelebendem. Welcher Grad von Veränderungen
die Grenze zwischen beiden darstellt und ob resp. woran dieses Grenzstadium
microscopisch zu erkennen ist, ist unbekannt; daher wäre es müssig, hier bei dieser
Gelegenheit bestimmte Unterscheidungen machen zu wollen. Jedenfalls lag es mir
fern, wirkHch Todtes im Sinne Preyer's direct (nicht durch Verdauung und neue
Assimilation) wiederbelebt werden zu lassen (Weiteres siehe S. 79 „reparative Assi-
milation").
Von „todter" Substanz spreche ich hier, das heisst in diesem Abschnitt, wo
es genauer darauf ankommt, blos beim dritten Modus der Reorganisation, welcher bei
sichtbar veränderter Substanz stattfindet und erwähne dabei zugleich (S. 484), dass
diese Reorganisation „zweifellos auf dem Wege der Verdauung und Assimilation" durch
die Zellen vor sich gehe. In den früheren Abschnitten dagegen habe ich allerdings
oft statt von der „ihrer eigenen Entwickelungsfähigkeit beraubten Eihälfte" kurz von
der „operirten" oder der „getödteteu" Eihälfte gesprochen.
Es kann aber überhaupt als zweifelhaft aufgefasst werden, ob das Ausbleiben
der Cellulation des mit Kernen versehenen Dotters wirklich auf „Nichtleben" des
Dotters beruht und vielleicht sogar auch, ob es bei dem Voi'handensein sichtbarer
Veränderungen des Dotters durch diese bedingt ist, oder ob nicht etwa der Mangel
anCentrosomen oder dieSch wache derselben die Ursache ist ; in diesem Falle
wäre dann nicht eine „Wiederbelebung" des „nichllebenden" Protoplasmas nöthig, sondern
eine Vermehrung und Vertheilung resp. Activirung von Centrosomen. Diese Auf-
fassung ist aber wieder davon abhängig, ob Kernvermehrung ohne Centrosomen mög
lieh ist. Wir kommen also bei jeder Deutung auf Unbekanntes.]
Dritte Art der Reorganisation des Materiales der operirten Kihälftc 481
kleinen, neben der Keimscheibe sich findenden Kerne mit ihrem kleinen
Protoplasmamantel sich vom Dotter alhnähiich ablösen und neue
Zellen bilden. In beiden Fällen findet Abgliederung des Ma-
teriales gleich in ,, kleine Zellen, allmähliches Vorrücken"
dieses Prozesses im nicht ganz belebten Materiale und
Verwendung für den Organismus statt.
Auf diese Weise sah ich grössere Strecken der ope-
rirten Hälfte wieder belebt; neben einer Semiblastula fand sich
bereits die ganze zweite Hälfte des Daches durch solche, noch un-
regelmässig gestaltete, meist rundliche Zellen gebildet, während der
übrige Theil der operirten Purchungskugel noch nicht cellulirt war.
Zwischen den neuen wohlabgegrenzten Zellen waren auch Reste noch
nicht verwendeten Dotters vorhanden.
Diese Art der Reorganisation vervollkommet viel-
fach das Werk, welches die zuerst geschilderte Art nicht
zu vollenden vermochte.
Es ist ferner daran zu denken, dass in späterer Zeit, wenn die
auf erstere Art gebildeten Zellen schon durch Theilung [257] kleiner
geworden sind, derselbe Process, statt von den Zellen der
„entwickelten" Hälfte, auch von ihnen ausgehen und die in
ihrem Bereiche liegenden abnormen Massen , besonders die Kern-
nester, „aufzehren" kann. Darauf deuten Stellen hin, wo einzelne
nicht grosse Zellen in eine Gruppe von den oben geschilderten ab-
normen grossen, rothen Kernen eingedrungen sind. An manchen
Stellen der wiederbelebten Hälfte findet man auch viele dunkelrothe
Schollen die Intercellularräume ausgussartig erfüllen. Man könnte
dieselben wohl für die Reste abnormer Kerne ansehen mögen ; gleich
aussehende Bildungen finden sich indess auch gelegentlich in der
normal entwickelten Hälfte auf mehreren Schnitten an den einander
entsprechenden Stellen.
3. Dritte Art der Reorganisation des Materiales der ope-
rirten Eihälfte.
Diesen beiden Arten der Ausdehnung der Wirkungssphäre der
Zellen der entwickelten Hälfte auf die operirte und zugleich der
W. Ronx, Gesammelte Abhandlungen. II. "-^
452 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Wiederbelebung und Verwendung ihres Materiales für den künftigen
Organismus reiht sieh noch eine dritte Art der Reorganisation
an, welche unter „Umwachsung" der „todten" Hälfte von
der äusseren Schicht der entwickelten Half te aus sich voll-
zieht.
Dieser Modus findet sich in Präparaten, wo der Dotter der
operirten Eihälfte in deren Innerem, insbesondere an der Abgrenzungs-
fläche gegen die entwickelte Hälfte hin, ganz vacuolisirt oder mit
vielen abnormen Kernen durchsetzt ist. Ob diese Zersetzung
und die abnorme Kernbildung allein durch die Operation hervorge-
rufen ist, oder ob sie durch die abnorme Retention der Eier im Uterus
(da ich ja am Ende der Laiehperiode operirte) bedingt ist, ist für
unseren gegenwärtigen Zweck ohne Bedeutung. In anderen Fällen
weniger ausgedehnter und vielleicht auch qualitativ geringerer
Zersetzung findet sich der dritte Modus neben dem zweiten zu-
gleich vor. Die Erscheinungen dabei sind folgende.
Von allen oder manchen Th eilen der Peripherie der ent-
wickelten Hälfte ausgehend erstreckt sich eine pigmen-
tirte Zelll age auf die unentwickelte Hälfte mehr oder weniger
weit fort; diese Lage ist an ihren der entwickelten Hälfte näheren
Partien in ihrer Dicke aus zw^ei oder drei annähernd denen der Nach-
barschaft der entwickelten Hälfte gleichenden Zellen gebildet, während
sie gegen den freien, die Grenze des bereits Ueberzogenen darstellen-
den Saum einige oder mehrere Zellen w^eit [258] manchmal blos aus
einer Zelle in der Dicke dargestellt wird. Und während erstere
Zellen mehr rundlich oder cubisch sind, zeigen sich letztere platt
und sind zum Theil gegen den freien Saum noch zugeschärft,
verhalten sich also wie auch sonst Epithelien, wie selbst hohe
Cylinderepithelien bei der Ueberhäutung eines Defectes.
(gelegentlich sind jedoch auch einige der Randzellen dick und springen
erheblich über den noch nicht umwachsenen Nachbartheil vor. An man-
chen Stellen sind die untersten Zellen dieser Umschliessungsschicht oder
auch die einschichtig gelagerten Randzellen gegen die umschlos-
sene Masse convex gestaltet und ruhen dann in entsprechenden
Grübchen der nicht cellulirten Dottersubstanz. In Verbindung mit
Dritte Art der Reorganisation des Materialos der operirteu Eihälfte. 483
der Tliatsache, dass die Aiissenfläche der übcrhäuteten Partien nicht
nur nicht der Dicke des mehrscliichtigen Theilos der Umwachsungs-
schicht entsprechend, sondern überhaupt fast gar nicht über den
regelmässig gekrümraten Bogencontour der unentwickelten Hälfte sich
erhebt, ist mit Sicherheit zu folgern, dass die hier gelagerten
Um Schliessungszellen den Raum früherer Dotter Substanz
einnehmen und es liegt daher nahe, anzunehmen, dass sie sich
auch auf Kosten der von ihnen umschlossenen Substanz
„ernähren", vergrössern und vermehren. Die Abstammung
dieser U m s c h 1 i e s s u n g s z e 1 1 e n aus der entwickelten Ei-
hälfte kann nicht zM'eifelhaft sein, da in manchen Fällen sonst
nirgends Zellen oder normale Kerne in der operirten Hälfte sich finden.
Wir haben also drei Modi kennen gelernt, auf welche von der
entwickelten Hälfte aus die operirte wieder belebt und damit, wie wir
sehen werden, zugleich zu ihrer Verwendung zur Entwickelung vor-
bereitet wird. Der erst er e Modus fand offenbar blos bei geringer
Veränderung des Material es der operirten Hälfte statt und be-
wirkte wohl eine „directe Wiederbelebung" des [„nichtleben-
den" aber] nur wenig veränderten Dotters, welcher dann eine
Abgliederung in gesonderte Zellterritorien nachfolgte ; die Wiederbeleb-
ung geht dabei zwar auch successiv, aber doch sehr rasch vor sich
und es sind oft schon im ganzen Bezirk Kerne vertheilt,
ehe die Cellulation um die der entwickelten Hälfte unmittelbar
benachbarten Kerne beginnt und von da aus dann rasch auf die
übrigen Theile sich fortsetzt.
Die beiden anderen Modi dagegen sind fähig, auch in höhe-
[259] rem Maasse veränderte Substanz wieder zum Aufbau brauchbar
zu machen. S^e sind mit früherer Cellulation verbunden, schreiten
aber nur langsaiu im Räume fort. Der eine davon vollzog sich im
Inneren der operirten Zelle; und es war un gewiss, ob er die ver-
änderte Substanz direct wieder belebt oder erst auf dem Wege der
Aufnahme als Nahrung und der Assimilation in lebende Substanz
überführt. Der letztere Modus dagegen ging von der Oberflächen-
schicht der entwickelten Hälfte aus, umschloss die veränderte Masse
31*
484: Nr. 22. Die Hervorbiingung halber Embryonen.
von aussen und führte sie wohl zweifellos auf dem Wege der
„V e r d au u n g" u n d A s s i m i 1 a t i o n meder in lebende Substanz über.
Alle drei ]\Iodi der Reorganisation kommen häufig neben ' ein-
ander vor; der zweite steht dem dritten offenbar sehr nahe und stellt
vielleicht zugleich eine Zwischenform zwischen dem ersten und dritten
dar, sofern bei dem zweiten Modus der U ebertritt einzelner
Kerne wirklich zum Wesen desselben gehört; andererseits
Avürde er mit dem dritten Modus in seinem Wesen identisch sein
und blos eine durch die räumlichen Verhältnisse bedingte kleine
Modification desselben darstellen.
C. „Postgenenition" der „nicht gebildet gewesenen" Theile des
Embryo.
An den wiederbelebten Massen der operirten Furchungskugel
vollziehen sich weiterhin Vorgänge, welche ich den blossen Reorgani-
sationsvorgängen als Vorgänge der „Nacherzeugung" der „nicht ge-
bildeten' ' Theile des Organismus, als „P o s t g e n e r a t i o n s v o r g ä n g e"
gegenüberstellen möchte, da die Verhältnisse auf einen diese Schei-
dung begründenden principiellen Unterschied zwischen ihnen hindeuten.
Die Postgenerationsvorgänge stellen, wie wir sogleich sehen
werden, die fehlende Körperhälfte her. Da diese Hälfte aber über-
haupt noch nicht gebildet war, so kann für diese ihre nachträgliche
Bildung der Name ,, Regeneration" schon aus diesem Grunde keine
Verwendung finden. Und da eine derartige h o c h g r a d i g e R e g e-
neration, welche eine ganze halbe Körperhälfte wieder
ersetzt, für Wirbelthiere überhaupt nicht bekannt ist,
so muss es zweifelhaft bleiben, ob die Vorgänge einer solchen Rege-
neration mit den jetzt zu schildernden der Postgeneration identisch
sein würden (s. S. 511). Von vorn herein kann eher ein gewisser
Unterschied erwartet werden, weil bei der [hier zu schildernden]
Postgeneration ein T h e i 1 d e s u r s p r ü n g 1 i c h e n , der fehlende n
Körperhälfte zugehörigen Bildungsmateriales, der Bil-
dungs- und Nahrungs [260] dotter und ein Theil des Kernmateriales
bei Modus I wieder belebt und direct verwendet wird. (Eine
andere Art s. Nr. 26, S. 45.)
Postgeneratiou des Ectoblast 485
\'^on dem dritten Reorganisationsmodus, wie er für sich am
ganz zersetzten Dotter vorkommt, liabe ich zur Zeit nicht genügend
vorgeschrittene Übjecte, um zu wissen, ob das durch ihn wiederbe-
lebte Material auch zur Postgeneration verwendet werden kann; von
dem zweiten Modus kann ich das auch nur vermuthen, so dass also
die im Folgenden zu schildernden Postgenerationser-
scheinungen zunächst nur als auf die ,,erste" Reorgani-
sationsweise folgend aufzufassen sind.
a) Postgeiieration des Ectoblast.
1. Der ,,seitlichen" Halbbildungen.
Die Postgeneration beginnt ausser lieh mit einem Vorgang,
welcher dem des dritten Reorganisationsmodus ähnlich erscheint,
nämlich mit der rmschliessung der operirten Hälfte durch
eine besondere, pigmentirte, mit dem Ectoblast der ent-
wickelten Hälfte in Continuität stehende Zellschicht.
Der Unterschied zwischen beiden zeigt sich aber auf den Durch-
schnitten und besteht einmal darin, dass im letzteren Falle die wei-
teren, zur Bildung eines typischen Ectoblast führenden
Dif f erenzirungen sogleich einsetzen, während ich ersteren
Falles Derartiges, wie erwähnt, trotz grosser Ausdehnung der Um-
schliessungsscliicht noch nicht beobachten konnte.
Die Um Schliessung der nachträglich cellulirten Eihälfte durch
eine schwarze Ectoblastschicht geht hauptsächlich in cephalo-
caudaler und ventridorsaler Richtung vor sich, so dass
bald nur noch ein weisses Loch am caudalen Theil des Em-
bryo neben dem vorhandenen einen Medullarwulst in dem schwarzen
oder braunen Ueberzuge sich findet (Taf. VH Fig. 4 u. 3). Dieses ge-
rundete Loch sieht ähnlich aus wie die Hälfte eines noch weiten Ur-
mundes oder Urafters. An der Bildung desselben ist auch eine
Umschliessung in caudicephaler Richtung betheiligt, welche
indess nur bis zur Stelle des normalen Urafters sich erstreckt. Diese
ganze Umschliessung verläuft also für die äussere Betrachtung ähn-
lich wie die normale Gastrulation.
486 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Ausserdem ündet sich manchmal längs neben dem Medullar-
wulst und mit der Meduharplatte in Kontinuität ein schmaler
schwarzer Saum, welcher der Umschhessung in cephalocaudaler
Richtung vorausgeeilt ist und auf ein directes Fortschreiten
der Ectoblastbildung von der Medullarplatte der ent-
wickelten Hälfte aus zu [261] beziehen ist.
Oft schon nach erst halber Umschhessung der nachcelluhrten
Eihälfte, manchmal erst später nach ganzer Umschhessung, folgt
dann die Ausbildung des zweiten fehlenden Medullar-
wulstes nach und geht, soviel ich bis jetzt gesehen habe, bei den
,, seitlichen" Halbbildungen stets in cephalocaudaler
Richtung vor sich. Dieser letztere Vorgang vollzieht sich
innerhalb weniger Stunden und ein halber Tag oder eine Nacht
genügt oft vollkommen, um einen Hemiembryo lateralis in einen
ganzen Embryo mit zwei schönen Medullarwülsten zu verwandeln
[s. Nr. 31, S. 253] 1).
Das Entsprechende geschieht bei den Hemiembryones „ante-
riores"; und eben durch diese rasche Postgeneration der hinteren
Körperhälfte sind mir die meisten meiner vorderen halben Embryonen
in dem Bestreben möglichst alte Exemplare zu gewinnen, als solche
in Verlust gerathen. Die Postgeneration der fehlenden hinteren
Körperhälfte geht, wie ich beobachtete, gleichfalls von der entwickelten
Eihälfte aus und schreitet stetig nach hinten fort, und zwar ge-
wöhnlich an der ganzen Abgrenzungslinie des Defectes nicht ganz
gleichmässig, sondern auf der dorsalen Seite rascher.
Fig. 7 b zeigt einen Fall, wo die Postgeneration blos von den
Medullarwülsten und deren Nachbarschaft ausgegangen und schon
ziemlich weit fortgeschritten ist. Einer Verwechselung mit einem
etwaigen blossen Anachronismus der Entwickelung der vor-
[1) 0. Hertwiü, welcher diese Angabe nicht beachtet hat, hat Hemiembryonen
nicht sehen können und verneint daher ihr „Vorkommen" (s. Nr. 31). Er hat erst
die schon fast vollkommen ergänzten Embryonen mit blos einem Defect am hinteren
Ende gesehen ; dieses Stadium ist viel dauerhafter, weil bei der vorzugsweise in cephalo-
caudaler Richtung fortschreitenden Postgeneration das durch die heisse Nadel geronnene
Dottermaterial an diese letzte Steile verschoben wird und nun der Aveitereu Ditferen-
zirung einen lange dauernden, wohl erst durch YerniitteluDg des langsamen Modus 3
der Reorganisation allmählich zu überwindenden Widerstand entgegensetzt fs. S. 499)].
Postgeneration des Ectoblast. 487 ,
(leren und hinteren Hälfte, also mit einer blos verspäteten, aber sonst
normal sich vollziehenden Bildung der hinteren Hälfte wird, abge-
sehen von den inneren Vorgängen, schon durch dieses „successive"
Fortschreiten ihrer Bildung von dem bereits Entwickelten
aus vorgebeugt.
Findet diese Postgeneration bei Hemiembryones ,, laterales"
statt, so holt sie in der Bildung des zweiten Medullär wulstes die
andere Hälfte ein^) und die Entwickelung schreitet dann in beiden
Antimeren weiter, das Medullarrohr wird geschlossen, der Kopf
und Schwanz und die Ursegmente des Rumpfes werden beiderseits zu
normaler Gestalt ausgebildet. Zum Theil entstehen dabei muntere,
zum Theil aber auch bei äusserlich normaler Gestaltung matte,
schwächliche, leicht absterbende Kaulquappen.
Manchmal auch ist die Postgeneration unvollkommen
oder [262] sie bleibt ganz aus, wie in Fig. 4 und 5, während
sich die entwickelte Hälfte weiter differenzirt. In diesen ältesten
meiner Fälle ist die Cellulation der operirten Hälfte im Inneren noch
unvollendet; neben dem Medullarrohr liegt ein grosser Block fein-
körniger, schwach gelblicher, wahrscheinlich geronnener Substanz,
der der Zerlegung Widerstand geleistet und wohl auch die äussere
Umwachsung gehemmt hat.
Die Besichtigung von Durchschnitten durch solche in Post-
generation begriffene Hemiembryonen lässt nun weiteren Einblick in
die Vorgänge der Postgeneration gewinnen.
Zunächst ist zu erwähnen, dass bei der Postgeneration der
einen Körperhälfte eine Furchungshöhle und dem entsprechend
auch später eine Blastulahöhle nicht gebildet wird. [Hierbei
ist natürlich anzusehen von dem oben mitgetheilten nicht seltenen
Fall, wo die Furchungshöhle der Semiblastula wohl durch zu grosse
Flüssigkeitsausscheidung in die noch gar nicht cellulirte operirte
Hälfte sich hineingebildet hatte. Und desgleichen entsteht manchmal
[1) Geht die Postgeneratioii dabei rascher vor sich als die normale Entwickelung,
oder wird die Entwickelung der normalen Hälfte in Folge des Fehlens einer gleich
entwickelten anderen Hälfte verzögert?]
488 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
eine grosse Höhle von etwa 300 (.i Durchmesser an anderer Stelle *),
welche leicht eine Furchungshöhle vortäuschen kann, sofern sie nahe
der Oberfläche liegt und, wie es vorkommt, diese oberflächliche Grenz-
schicht bereits nach dem zweiten Modus cellulirt worden ist. Die
genauere Betrachtung ergiebt dann durch die feineren Unterschiede
die richtige Deutung.]
Die Durchschnitte zeigen an den Stellen der Um Schliessung der
operirten Eihälfte mit einer besonderen braunen Zellschicht auf den
ersten Blick wiederum ähnliche Bilder, wie bei der Umwachsung der
durchaus zersetzten, nicht cellulirten Eihälfte ; und ich muss es, wie
oben gesagt, in Zweifel lassen, ob letzterer Vorgang nicht eine Vor-
stufe der Postgeneration sein kann. Die zu schildernden ^'^orgänge
dieser letzteren habe ich indess bis jetzt blos an Eiern beobachtet,
wo schon der grösste Theil des Inneren der operirten Furchungskugel
cellulirt war und nur [263] noch wenige abnorm beschaffene, nicht
cellulirte Stellen vorhanden waren ; während ich die Reorganisation
durch Umwachsung nur an fast durchaus abnorm gewordenen Ei-
hälften vorgefunden habe.
Bald aber stellen sich charakteristische Unterschiede in der Um-
schliessung durch Postgeneration von derjenigen durch Reorganisation
nach dem dritten Modus ein. Falls keine störenden veränderten
Massen im Wege liegen, sind zunächst die Umschhessungszellen regel-
mässiger gestaltet und formiren eine in ihrem Bau dem normalen
Ectoblast der primär entwickelten Hälfte entsprechende Schicht.
Diese steht ., stets" mit letzterem in continuirlichem Zu-
sammenhang.
Der Ectoblast der normal entwickelten Eihälfte wird
an den seitlichen und ventralen Theilen des Embryo auf der Stufe
der noch nicht vereinigten Medullär wülste durch zwei einander be-
rührende Zeflschichten dargestellt, von denen die äussere aus einer
einfachen Reihe etwas platter, nur an manchen Stellen schon
1) Eine Neigung zur Flüssigkeitsabscheidung nach innen scheint übei-
haupt vorhanden zu sein, denn die beschriebene Vacuolisation ist wohl auch da-
rauf zurückzuführen ; und selbst unbefruchtete Eier bilden am Ende der Laichperiode
in einigen Tagen während des Imwasserliegens diese Veränderung aus.
i'ostgeueration des Ectoblast. 489
fast cubischer Zellen gebildet wird. Dieselben bestehen aus fein-
körniger, aussen braun pigmentirter Zellleibsubstanz und aus grossen,
tief rotli gefärbten Kernen. Diese Zellen formiren in ihrer Gesammt-
heit mit ihrer schwach convexen Aussenfläche einen der Oberfläche
des ganzen Eies entsprechend gebogenen einfachen Contour, während
sie nach innen zu in Folge ihrer ungleichen Höhe mehrfache unregel-
mässige Zacken bilden. Die innere Schicht des Ectoblast ist
gleichfalls aus einer in den seitlichen und ventralen Partien des Em-
bryo einfachen Lage aber sehr platter Zellen dargestellt, welche
gleichfalls noch aus feinkörniger Substanz, aber doch von etwas
gröberem Korn, gebildet sind und etwas kleinere, gleichfalls tief roth
gefärbte Kerne einschliessen, Die.se Zellen schliessen sich nach innen
zu zur Bildung eines glatten, nur der Biegung der ganzen Schicht
entsprechend gebogenen Contours zusammen; mit ihrer unregel-
mäsigeu Aussenfläche dagegen schmiegen sie sich in die Unregel-
mässigkeiten der Jnnenflächeder äusseren Schicht ein. Durch diesen
glatten Contour scheiden sich also die Zellen des Ecto-
blast vollkommen scharf von den unter ihnen liegenden,
von ihnen bedeckten Th eilen.
Die Umschliessungsschicht der operirten Eihälfte ist
nun [264] nach der Seite der entwickelten Hälfte hin in gleicher
Weise gebildet, so dass ich nicht anstehe, diese Schicht hier gleich-
falls als Ectoblast aufzufassen; zumal da sie auch in der weiteren
Entwickelung sich als solches bewährt.
Doch sind in je grösserem Abstände von der normalen Hälfte
und um so näher dem freien Rande dieses neugebildeten Ectoblastes
die Zellen desselben noch um so unregelmässiger gestaltet und
um so weniger geordnet. Zum Theil auch sind diese Zellen
grösser, und besonders die der inneren Schicht sind durch Reich-
thum an grossen Dotterkörnern ausgezeichnet. Stellenweise
fehlt auch die vollkommene Zusammenschliessung derselben zu einem
glatten Ab grenzungs contour gegen die von ihnen umschlossene
Masse.
Letztere besteht aus den secundär gebildeten grossen Zellen,
die ich als „Dotterzellen" bezeichnen will, weil sie durch ihre
4.90 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Grösse, sowie durch ihre Anfüniiiig mit grossen Dotterkörnern und
ihren grossen bläschenartigen, schwach rothgefärbten Kern den nor-
malen Dotterzellen gleichen.
Obgleich die Kerne der tiefen Lage des neuen E ctoblast
schon kleiner und dunkelroth gefärbt und die Zellen selber schon
deutlich langgestreckt sind, so stellen diese Zellen durch ihre be-
deutendere Grösse und noch unregelmässige polyedrische ({estalt und
ihre unvollkommene Ordnung Uebergänge zu den noch grösseren,
an Dotterkörnern reicheren , und noch weniger typisch geordneten
„Dotterzellen" dar, deren Kerne in den neben dem Ectoblast
gelegenen Zellen nicht selten gleichfalls kleiner und tiefroth sich
zeigen.
Gegen den freien Haum des neuen Ectoblast hört dann
an manchen Präparaten jede Abgrenzungsmöglichkeit des
Ectoblast gegen die Dotterzellen auf. Die Zellen bieten blos
noch nach aussen hin einen einfachen glatten Abgrenzungscontour
dar, was indess bei den oberflächlichen Dotterzellen auch der Fall
ist; und dieser erstere äussere Contour läuft meist ohne jede
Knickung in den von den Dotterzellen gebildeten über, so dass
also die Ectoblastzellen nicht als eine nachträgliche Auf-
lagerung auf die Unterlage sich darstellen, wie es theilweise
l)ei der „Umwachsung" der todten Eihälfte dar Fall war, sondern dass
sie durchaus das unterliegende Dotterzellmaterial substituiren.
Das Pigment ist in den äusseren Zellen des Ectoblastrandes
blos noch in der aus s ersten dünnen Rinde der Zellen gelagert,
gleich wie [265] aucli in den sich anreihenden noch ganz grossen,
aber mit schon stärker gefärbten Kernen versehenen Dotterzellen.
Weiter hinaus vom Umschliessungsrande folgen dann nichtpigmen-
tirte Dotterzellen mit den blassen Kernen^).
Die am Umschliessungsrande gelegenen Ectoblastzellen sind
zugleich auch grösser als die anderen und haben keine typische
Gestalt, zum Theil sind sie sogar rund und liegen locker, Lücken
[< ) Dieser ganzen Schilderung entsprechende Befunde erhielt D. Barfurth bei
seiner sorgfältigen Untersuchung über die ,.Regeneration der Keimblätter." Siehe
Anat. Hefte 1893, S. 311-354.]
Postgeneration des Ectoblast. 491
zwischen einander lassend wie Dotterzellen der Blastula und haben
grosse rothe Kerne.
Führen wir uns diese Avichtigen Befunde noch einmal zu-
sammenfassend und in ihrer Reihenfolge von den indifferen-
ten Dotterzellen zu dem vollkommen formirten Ectoblast
vor, so finden wir zunächst am weitesten die Veränderung
der Kerne v o r g e s c h r i 1 1 e n , indem in sonst vollkommen unver-
ändert aussehenden Dotterzellen schon tief rothe Kerne sich finden.
An der Oberfläche ist damit zugleich verbunden die Pigmentbil-
dung; diese erstreckt sich noch auf grosse, in ihrer Gestalt ganz
unveränderte Dotterzellen, so weit sie schon einen tiefroth gefärbten
Kern haben. Dann folgt die Zerkleinerung der grossen
Zellen durch Theilung bei noch vollkommen unregelmässiger An-
ordnung und Gestalt derselben. In der nächsten Zone findet Zu-
sammenschliessung und Formung der Zellen zu einer auch
gegen die Unterlage hin schon etwas abgeschlossenen Schicht
statt; und danach erst formiren beim weiteren Zusammen-
schluss die Zellen die beiden typisch gestalteten, oben geschilder-
ten Schichten.
Während so z. B. in der Mitte der Uebergangsschicht die
Zellen zwar klein geworden sind und rothe Kerne haben, aber noch
nicht die richtige Gestalt und Anordnung besitzen, also noch nicht
vollkommene Ectoblastzellen sind, vermögen sie doch schon den
Reiz zu der ihnen gleichen Bildung weiter zu geben, und
sie selber werden erst dann, wenn schon mehr geordnete
und typischer gestaltete Zellen neben ihnen liegen, auch ver-
anlasst, diese specielleren Veränderungen vorzunehmen.
Also die vollkommene Einordnung in den Schichten-
verband und danach die typische Gestaltung sind die erst
zuletzt eintretenden Vorgänge. Die Einordnung ist aber das
Frühere vor der typischen Gestaltung, denn ich finde die tiefe Lage
des Ectoblast an manchen Stellen schon für sich formirt, aber noch
aus abnorm grossen und dicken Zellen gebildet. Da diese Vorgänge,
[266] Kernumwandlung, Pigmentbildung, Zelltheilung,
Zellordnung, Zellgestaltung hier bei der Postgeneration
492 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
o-esondert vorkommen, so sind sie als in gewissem Maasse
voneinanderunabliängige, besondere Vorgänge' zu betrachten,
von denen jeder demnach auch seine besondere Ursache haben muss.
Wie weit diese Unabhängigkeit geht, insbesondere, ob die
früher angeführten Stufen stets die Vorbedingung der
nächstgenannten sind, vermag ich vorläufig nicht 7Ai sagen
(s. S. 509).
Morphologische Bedeutung dieser postgenerativen Ver-
grösserung des Ectoblast.
Fragen wir nimmchr sogleich nach der morphologischen Be-
deutung dieser Befunde, d. h. suchen Avir aus ihnen den „Vorgang"
dieser postgenerativen Ausbildung des Ectoblastes nicht
nach seinen Kräften seil. Ursachen, sondern als gest alt lieh und
qualitativ veränderndes Geschehen abzuleiten.
Zunächst könnte man denken, die Ausbreitung des Ectoblast auf
der operirten Seite geschehe durch Flächenwachsthum des Ectoblast
auf der normalen Hälfte und durch der Vergrösserung entsprechen-
des Her über schieben nach der operirten Eihälfte. Da wir aber
den Ectoblast ganz den Raum der Dotterzellen substituiren sahen, so
müssten hierbei grosse Verschiebungen der letzteren vor sich gehen,
die, wenn sie rein passiv erfolgten, mit hochgradigen Stauungen und
entsprechenden Umformungen der Dotterzellen verbunden sein müssten.
Dass bei ,,passiven" Verschiebungen von Zellen letztere
in ihrer Gestalt entsprechend der mechanischen Defor-
mationstendenz verändert werden können, davon habe ich
mich in einigen Fällen direct-. überzeugen können. Einmal sah ich
die Zellen einer noch einschichtigen regenerirten Ectoblastlage neben
einer sehr grossen, der Oberfläche genäherten Vacuole zu beiden
Seiten derselben genau so gestaltet, wie es geschehen raüsste, wenn
eine einfache Lage von cubischen weichen Gebilden durch eine an-
drängende Blase auseinander gedrängt würde; das heisst, die Zellen
waren in Richtung des Druckes abgeplattet, in dazu rechtwinkliger
Richtung verbreitert; und da bei einer sich ausdehnenden Blase diese
Richtung die radiäre ist, so war diese ^'eränderung entsprechend
Morphologische Bedeutung dieser Postgeneratiori des Ectoblast etc J:98
verschieden gerichtet: in der Mitte der Berührungsfläche war eine
Zelle einfach platt, an den beiden Seiten dagegen waren die Zellen
entsprechend schief verlagert und deformirt, derart, dass die so ge-
bildeten, der Kugel angeschmiegten Zellen der [267] beiden Seiten
mit ihren gepressten Enden entsprechend divergirten. In einem an-
deren Falle fanden sich in der Gegenhälfte einer Semiblastiila die
schwarzen oberen Zellen am Aequator neben einem daselbst liegenden
Klumpen veränderter, gelblicher, wahrscheinlich geronnener Substanz
so abweichend gestaltet, wie auch weiche Gebilde von der Gestalt der
daneben liegenden normalen Zellen hätten werden müssen, wenn sie
gegen einen nicht nachgebenden Klumpen gepresst worden wären.
Obgleich nun in unserem Fall trotz der Substitution des Raumes
der Dotterzellen durch Ectoblastzellen keine solchen Deformationen
vorhanden sind, so wollen wir doch daraus noch kein Argument gegen
die Verdrängung der Dotterzellen durch die Ectoblastzellen entnehmen.
Denn da bei der normalen Gastrulation durch den vorwachsen-
den Saum des ürmundes gleichfalls eine solche räumliche
Substitution vorkommt, ohne dass in der Mehrzahl der Fälle
zugleich eine solche passive Deformation der ausweichenden grossen
Dotterzellen erkennbar ist, so könnte die hierfür zu machende An-
nahme, dass die Zellen schon bei dem leichtesten stetigen ein-
seitigenDruck zu einer Art ,,activer" Umor dnung, activer
Räumung des Feldes veranlasst werden könnten, auch hier
in Anspruch genommen werden. Und wenn wir einmal solches Ver-
mögen annehmen, dann kann auch das in unserem Falle vorhandene
Fehlen einer Höhle (der Furchungshöhle), in welche die ver-
drängten Zellen wie bei der Gastrulation ausweichen könnten, nicht
als absolutes Hinderniss aufgefasst werden. Es müsste die Um-
lagerung dann^nur eine viel allgemeinere werden.
Sicherer aber spricht gegen die Umschliessung der
operirten Eihälfte durch „Herüberschieben" des Ecto-
blastes von der entwickelten aus das Fehlen einer scharfen
Grenze des Ectoblast an seinem freien Rande gegen die Dotter-
zellen.
Dagegen zeugen die gerade an dieser Stelle sich findenden
494 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Uebergangs zeilformen zum mindesten ohne Weiteres für eine
A^ergrösserung des Ectoblast von seinem freien Rande aus. Dieses
Kandwachsthum des Ectoblast könnte aber an sich auf sehr
verschiedene Weise vor sich gehen. Einmal durch Vermehrung der
schon vollkommen difTerenzirten Ectoblastzellen unter Aufzehrung der
daselbst liegenden Dotterzellen. Doch fand ich an dieser Stelle nicht
die Bilder, die man sonst bei der Aufzehrung [268] von grösseren
Zellen durch kleinere, z. B. bei der Aufzehrung von quergestreiften
Muskelfasern durch weisse Blutzellen nach Aufhebung derBlutcirculation,
hndet; nämlich dass die auf zehrende Zelle in die aufgezehrte
mit einem ,,convexen" Rande mehr oder weniger tief eindringt.
Im Gegentheil grenzen sich hier die Zellen gewöhnlich ziem-
lich „eben" gegeneinander ab; was ich für ein wichtiges Zeichen
dafür halte, dass jede derselben gegen den „Druck" des Naehbargebildes
gleich hräftig ihre Gestalt zu ivahren vermag.
Hier und da sieht es manchmal aus, als dränge eine Ectoblast-
zelle mit ihrer Spitze zwischen die vor ihr liegenden Dotterzellen ein,
aber wenn auf diese Weise die Vergrösserung erfolgte, dann brauchte
nicht eine vollkommene Reihe von üebergangsformen zwischen
Dotter und Ectoblastzellen vorhanden zu sein, sondern eine typische
Art von Vordringungszellen am freien Rande des neuen Ectoblast
Avürde genügen.
Eine weitere Möglichkeit wäre die, dass zwar die Hauptmasse der
Ectoblastzellen, die Zellleiber, nicht wandern, dass aber die fortschreitende
Differenzirung durch Kernwanderung, durch Uebertritt von soeben durch
Kerntheilung gebildeten Kernen, mit oder ohne einen kleinen Proto-
plasmahof [incl. Centrosoma] aus den Ectoblastzellen in die Dotter-
zellen vermittelt werde. Wenn ich nun weiter unten auch Dotter-
zelleu, welche gerade im Differenzirungssaum gelegen sind und zwei
verschiedene Kerne enthalten, als in dieser Zone vorkommend zu be-
schreiben haben werde, so werden wir doch auch zugleich erkennen,
dass der zweite kleinere Kern hier sicher als ein Abkömmling des
daneben liegenden grösseren Kernes der Dotterzelle, nicht aber als ein
von aussen eingewandertes Gebilde zu betrachten ist. Dagegen habe
ich imr ein Mal einen Kern scheinbar auf der Grenze zweier Zellen
Morphologische Bedeutung dieser Postgeneration des Ectoblast etc. 495
liegen sehen, aber häufig constaüren können, dass an der Grenze
der Differenzirungszone grosse Dotterzellen blos einen,
aber schon ,,tiofrothen," oder auch erst nur ein wenig tiefer rothen
Kern enthielten, als die entfernteren Dotterzellen, denen sie sonst
glichen, so dass also auch Uebergangsstufen zwischen den
Kernen sich finden.
Weisen wir somit diese Möglichkeiten zurück, so spricht da-
gegen das \^orhandensein der allmählichen, in typischer
Reihen- [269] folge mit dem grösseren Abstände von dem
bereits vollkommen differenzirten Ectoblast auf einander
folgenden Uebergangsformen von den typisch gestalteten und
geordneten Ectoblastzellen zu den typischen Dotterzellen direct
dafür, dass die Vergrösseruug des Ectoblast an seinem freien Rande
auf der operirten Eihälfte durch ,, Umwandlung" der Dotterzellen in
Ectoblastzellen sich vollzieht. Ich schliesse also: Der Ectoblast
wächst auf der „nachcellulirten" und sich ,, nachentwickeln-
den" Hälfte des Eies durch Fortschreiten der Differen-
zirung im ,,ruh enden" Dotterzellen-Materiale und zwar
unter direct er, mit Theilung verbundener ,,Um Wandlung"
der Dotterzellen in Ectoblastzellen.
Die hier gezogenen Folgerungen werden nun in einigen Puncten
bestätigt und erweitert durch Beobachtungen, die ich bei Gelegen-
heit von Störungen des normalen Verlaufes dieser Post-
generation des Ectoblastes machen konnte.
Manchmal befinden sich nämlich auf der reorganisirten Seite
unter den Dotterzellen mit den grossen blassrothen bläschenför-
migen Kernen noch grössere Zellen mit den oben beschriebenen
jugendlicheren farblosen, noch von einem Pigmenthof umgebenen
Kernen, wie sie n«r der Morula und jungen Blastula normaler Weise zu-
kommen (Tal VI, Fig. 4 J). Diese Zellen bleiben dann undifferen-
zirt^) und setzen der fortschreitenden Dif ferenzirung ein
5) Diese in Schichten höher entwickelter Zellen vereinzelt sich findenden,
weniger differenzirten Zellen (siehe Taf. VI, Fig. 4, J.) erinnern an das Bild, was
ich mir nach Virchow"s und Cohxheim"s Hypothese von den ,,Gesch\vulstkeimeii"
gemacht habe. Damit soll natürlich nicht angedeutet sein , dass Körpertheile , in
4.96 Nr. 22. Die Heivorbringung halbei- Embryonen.
Hemm- [270] niss derart entgegen, dass die weitere Bildung
von kleineren Zellen mit tiefrotlien Kernen entweder in zwei
Lagen gespalten an ihnen vorbeigeht; oder, wenn eine solche Zelle
selber am äusseren Rande des Eies liegt, die Ectoblastbildung
von der Oberfläche etwas in die Tiefe abgelenkt wird. Auch
hierbei sind wieder alle die geschilderten Uebergangsformen
von den fertigen, typisch geordneten und gestalteten Ectoblastzellen
bis zu den unveränderten Dotterzellen wahrnehmbar, und zwar auf
Bahnen, welche keineswegs von vornherein zur Ectoblastbildung be-
stimmt gewesen sein können. Dagegen fehlt es aucli hier wieder
welchen Geschwülste entstehen, deshalb als postgenerirte aufzufassen seien; obgleich
Ausbleiben der primären Entwickelung einiger Furchungskugeln und Postgeneration
der fehlenden Theile vielleicht bei Säugern ebensowohl spontan, d. h. ohne
Operation, nur in Folge verspäteter Befruchtung des reifen Eies u. s. w.
vorkommt, wie bei Fröschen. [Aber die Postgeneration ist bei den Säugern viel
geringer (s. Nr. 27, S. 289)J. Der Anblick solcher in der DifFerenzirung hinter ihrer
Umgebung zurückgebliebener Zellen regte in mir den Vorsatz an, meine gegenwärtigen
und alle zukünftigen Schnittserien von Embryonen auf solche eventuellen Geschwulst-
keime durchzusehen und für ältere Stadien nach Färbungsmethoden zur Differenzirung
derselben zu suchen. Wenn alle anderen Autoren, welche gleichfalls über derartiges
Material verfügen, dasselbe thun wollten — und diese Anmerkung soll eine Anregung
dazu geben — so würden wir wohl in absehbarer Zeit wissen, ob solche „Keime"
bei so vielen Individuen und im einzelnen Individuum in so grosser Anzahl sich vor-
finden, dass wir alle oder einen erheblichen Antheil der nach acuter oder chro-
nischer Reizung an der Reizstelle auftretenden „Geschwülste" auf die
„zufällige" Anwesenheit solcher Keime zurückzuführen vermögen
(NB. sofern sie sich „dauernd"' erhalten). In einem sonst normalen Frosch-
embryo mit bereits geschlossenem MeduUarrohre habe ich acht solcher nicht differen-
zirter Zellen von Mer Beschaftenheit der Zellen des Morulastadiums, d. h. grosse,
meist runde Zellen mit nicht färbbarem , aber von schwarzem Pigment umgebenen
Kerne, in alle drei Keimblätter zerstreut, aufgefunden.
[Da diese Notiz bei den Pathologen, ausgenommen von A. HA^'A^• und C.
ScHuoHARDT, ganz unbeachtet geblieben war, habe ich entsprechende Präparate auf
der Naturforscherversammlung zu Wien 1894 in der pathologischen Section demon-
strirt und allgemeines Interesse dafür gefunden.
Ich zeigte solche Furchungszellen auch in älteren sonst normalen Embryonen.
Besonders häufig sind sie nach verzögerter Laichung, so dass die Möglichkeit
der gleichen Entstehungsursache in Folge verspäteter Befruchtung des reifen Eies
im Uterus beim Menschen nicht ohne Weiteres abzuweisen ist. Ob diese Zellen aber
später die embryonale Fähigkeit weiterer Dilferenzirung sowie längere Zeit dauernder
Vermehrung und entsprechenden Wachsthums noch bethätigen können und also unter
geeigneten Umständen sich als wirkliche „Geschwulstkeime" verhalten, ist ihnen
natürlich nicht anzusehen. Ueber das electrische Verhalten siehe Nr. 25, S. 218.
(Siehe auch Bd. I, S. 300 u. f.)].
Morphologische Bedeutung dieser Postgeneration des Ectoblast. 497
vollkommen an Stauungserscheinungen und an Erscheinungen des
Aufgefressenwerdens der Dotterzellen. Die kleinen, weder schon
typisch gestalteten noch geordneten Zellen sc hl i essen sich schon
frühzeitig gegen die Unterlage, also annähernd recht-
winkelig zurRichtung der f ortschreitendenDifferenzirung,
zu einer ,, glatt contourirten" Schicht zusammen und son-
dern sich damit bereits von der Unterlage ab, zu einer Zeit,
wo im Innern des Stratums selber noch keine typische Ordnung und
Gestaltung der Zellen sich findet.
Dieselbe Störung des regelmässigen Fortschreitens
der Ectoblastbildung kann durch das Vorhandensein der oben
beschriebenen, aus abnormen Kernen und der sie umgebenden fein-
körnigen Substanz gebildeten Massen bedingt werden, welche schon
der Cellulation widerstanden haben. In einigen solchen Fällen sah
ich die Ectoblastzellen in der Tiefe gegen diese nach aussen
davon gelegenen Massen zu einem glatten Ab grenz ungs conto ur
zusammen geordnet, so dass diese fremd gewordene Substanz durch
den epithelialen Zusammenschluss der Zellen direct ausgeschlossen
worden war.
Manchmal sieht man auch die Ectoblastbildung durch eine noch
grosse, an sich normal aussehende [271] Dotterzelle mit dem schon
schwach rothen Kerne gestört, d. h. etwas nach der Tiefe abgelenkt;
es muss also diese Zelle trotz ihrer scheinbar normalen Beschaffen-
heit zur Differenzirung ungeeignet gewesen sein und dadurch die
fortschreitende Differenzirung abgelenkt haben. Hinter ihr kehrt
dann aber die Ectoblastbildung sofort wieder zur Oberfläche zurück,
und nur die Verdickung des Ectoblast an dieser Stelle nach der Tiefe
zu bekundet uns die Ablenkung der Differenzirungsrichtung.
Bei einem vier ersteren Fälle von Störung des Fortschreitens
der Ectoblastbildung in der normalen Richtung durch einige jung ge-
bliebene Zellen mit farblosen Kernen beobachtete ich zugleich in dem
äusseren Nebengebiete neben der etwas in die Tiefe abgelenkten
P^ctoblastbildung innerhalb mehrerer Dotterzellen ausser dem
grossen, blassrothen, bläschenartigen Kern noch einen
kleineren von etwa V4 — '/^ des Durchmessers des ersteren.
W. Roux, Gesammelte Abhandlunijeii. II. B2
498 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Dieser zweite Kern war tiefer rotli gefärbt, während der grössere etwas
blasser aussah, als jene in den Nachbarzellen mit blos einem Kern. Der
zweite Kern lag dicht am grösseren und war einmal an seiner freien
Seite von einer radiären Anordnung der Dotterkörner umgeben. Einige
Male sah ich ihn noch nicht vollkommen von dem grossen
Kern gesondert, so dass er wie eine Abschnürung desselben er-
schien, gegen welche sich die noch im grossen Kern vorhandenen
wenigen Chromatinfäden radiär ordneten, während die Hauptmasse
des Chromatins in den zweiten Kern übergetreten war. Was
diese eigenthümlichen Bildungen bedeuten, vermag ich zunächst nicht
zu sagen; ich lioiTe, im nächsten Frühjahr (1888), wenn ich die Conser-
virung nicht mehr wie bisher blos dem Zwecke der Gewinnung einer
ersten Uebersicht über die gröberen formalen Vorgänge nach der Ope-
ration am Ei anpasse, sondern bei der Conservirung mehr Rücksicht
auf die Erhaltung der Kerne nehme, darüber, wie über manche
andere in dieser ersten Abschlagszahlung an das grosse Thema nur
flüchtig berührte Frage, Aufschluss zu gewinnen.
Die vorstehende Schilderung bezog sich nur auf die Bildung
neuen Ectoblastes von der „ventralen" Seite der primär
entwickelten Hälfte aus; und von dieser Seite aus wird, wie er-
wähnt, der grösste Theil des Ectoblastes geliefert [abgesehen von dem
erwähnten Wachsthum des am cephalen Theil neugebildeten Ecto-
blasts in cephalocaudaler Richtung].
Von der ,, dorsalen" Seite des Embryo her, also von der
Medullarplatte aus, findet dagegen eine Umschliessung zunächst
blos im Be- [272] reiche desjenigen Theiles derselben statt, an dem
bereits Ecto- und Entoblast sich geschieden haben, und
die Keimblätter also mit einem ,, freien seitlichen Rande"
endigen, wie an einem künstlichen Defect, was an der ventralen
Seite von vornherein der Fall ist.
Da hier ein allgemeineres Verhalten vorliegt, so will ich für
den „freien seitlichen Rand" der Schicht einen besonderen Namen
einführen und ihn als „Uiiterbrecliuiigsfläclie", das heisst als Fläche,
welche die Fortsetzung der Schicht unterbricht, bezeichnen
[s. S. 507 und Nr. 26, S. 37 und Nr. 27, S. 294].
Morphologische Bedeutung dieser Postgeneration des Ectoblast. 499
Diese Sonderling- vollzieht sich auf der Dorsalseite des Hemi-
embryo zuerst am Kopftheil und schreitet dann in cephalocaudaler
Richtung fort. Ausserdem aber findet sich diese Bedingung öfter
auch ganz hinten am Embrj^o erfüllt, sofern daselbst eine Ento-
blastbildung an der Innenseite des Medullarwulstes noch nicht vor
sicli gegangen ist und also die Urdarmhöhlenanlage noch fehlt. Auch
hier erstreckt sich in Folge dessen die Ectoblastbilduug herüber auf
die andere Eihälfte.
Bei denjenigen Halbbildungen, welche bereits einen wohlent-
wickelten ganzen Medullarwulst haben, ohne dass auf der anderen
Seite wenigstens eine Anlage seines Pendant erkennbar ist, wo also
die Reorganisation und damit auch die Postgeneration derart gehemmt
worden ist, dass „ältere" wirkliche Halbbildungen sich vor-
finden, da liegen als Ursache dieser Hemmung neben dem ent-
wickelten Medullarwulst auf der operirten Eihälfte eine oder mehrere
Schollen von noch nicht oder noch nicht vollkommen cellulirtem,
schwach gelblich schimmerndem Dotter, welche wahrscheinlich das
durch die heisse Nadel direct zur Gerinnung gebrachte Dottermaterial
darstellen. Für diese letztere Auffassung spricht auch, dass um den
Stiel des Extraovates, also um die Anstichstelle, häufig ein
Hof ungefurchter ähnlich beschaffener Substanz übrig-
bleibt.
An Objecten, wo kein solches Hemmniss sich findet, oder wo
dasselbe doch so schwach war, dass es schon früher, vermuthlich
auf die zweite oder dritte Reorganisationsweise überwunden wurde,
konnte ich die Resultate der von der „Medullarplatte" aus
fortschreitenden Postgeneration verfolgen. Diese Lamelle
erstreckt sich manchmal etwas verjüngt auf die operirte Eihälfte herüber
und ist daselbs? aus mehrschichtigem Cylinderepithel gebildet; weiter
lateral ist die Formation keine [273] geschlossene mehr, und wir finden
alle die oben beschriebenen Uebergangsstufen zu den Dotterzellen.
Bedeckt ist diese Schicht nach aussen von einer einzelligen Lage
braun pigmentirter cubischer Zellen, die als Fortsetzung des Ectoderm
sich darstellt und an ihrem freien Seitenrande in ganz platte Zellen
übergeht.
32*
500 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
An einigen Stellen, wo wieder, wie schon an der ventralen Seite
beobachtet (S. 495), durch eingelagerte junge Dotterzellen mit farblosen
Kernen die fortschreitende Differenzirung nur an einer
kleinen Localität gehemmt wurde, finden sich, an die halbe Medullar-
platte sich anschliessend, einige entsprechend hohe, pigmentirte Cylin-
derzellen auf der operirten Hälfte bis zu dem Hinderniss; über
dieses hinaus sind dann wieder blos einige zunächst kleine, dann
grössere Dotterzellen mit schon tief rothen Kernen vorhanden. Auch
in einigen noch ganz grossen Dotterzellen der anschliessenden Ge-
gend mit grossen Kernen ist die mit Carmin färbbare Substanz
stark vermehrt, so dass diese Vermehrung der chromatischen
Substanz somit als der erste Vorgang der beginnenden
neuen Differenzirung der Dotterzellen aufzufassen ist.
Auch durch eventuell vorhandene Lücken zwischen
der veränderten, noch n ic h t cell ulirtenSubstanz dringt
dann die Differenzirung mit Vermehrung der chroma-
tischen Kernsubstanz und Zerlegung der grossen Dotter-
zellen vor und bildet wiederum eine von der Oberfläche ausge-
schlossene Fortsetzung der Ectoblastanlage. Manchmal scheinen hier-
bei solche junge Ectoblastzellen isolirt zu liegen, aber auf dem
nächsten Schnitte findet man dann die Continuität mit der Schicht
hergestellt. Es ist interessant zu sehen, wie grosse Strecken weit oft
die blosse Bildung kleiner Zellen mit tiefrothen Kernen und noch
weiter die Chromatinvermehrung der Kerne in den grossen Dotter-
zellen der eigentlichen Ectoblastbildung, die in der Herstellung einer
zusammengeschlossenen Schicht geordneter Zellen besteht, vorausgeht.
2. Postgeneration des E ctoblast der „vorderen"
Halbbildungen.
Bezüglich der Postgeneration der hinteren Körperhälfte von der
vorderen aus kann ich zu dem auf Seite 486 Mitgetheilten nach den
Befunden an nur zwei in Sagittalschnitte zerlegten Embryonen blos hin-
zufügen, dass der noch nicht weiter differenzirte, also der seitliche
TheildesEctoblast sich in der gleichen Weise weiter bildet
wie bei der Postgeneration der lateralen Körperhälf te.
Postgeneration des Ectoblast der „vorderen" Halbbildungen. 501
Dagegen geht die Post gen eration der hinteren Hälfte
der M edullarplatte, welche, [274] wie wir oben sahen, so ausser-
ordentlich rasch erfolgt (Taf. VII, Fig. 7 b), nicht durch Umwandlung in
der Fortschreitungsrichtung gelegener Dotterzellen vor sich. Der Ecto-
und Entoblast gehen am hinteren Rande der Medullarplatte conti-
nuirlich in einander über; es stossen daher in diesem Bereiche die
Keimblätter nicht mit einer Unterbrechungsfläche au die Dotterzellen,
und die geschlossenen Schichten sind stets durch einen Spalt von
der Dottermasse der hinteren Hälfte geschieden. Da trotzdem Post-
generation stattfindet, so müssen d i e b e t r e f f e n d e n Z e 1 1 e n a 1 s o
in der Schicht selber producirt werden, und das dazu
nöthige Material also von den Seiten her genommen
werden. Diese Postgeneration vollzieht sich also in einer der
Regeneration entsprechenden Weise, wovon unten des
Weiteren gehandelt werden wird.
b) Postgeneration des Mesoblast.
Unter dem Ectoblast findet sich vielfach schon eine weitere,
besonders differenzirte Schicht, welche stets mit dem Mesoblast
der normalen Hälfte im Zusammenhang steht und den gleichen
Namen verdient.
Der normale Mesoblast besteht im ventralen und lateralen
Theil des Mittelstückes des Embryo, auf dem Stadium des nahen oder
eben vollendeten Schlusses des Medullarrohres, abgesehen von aller-
dings nicht seltenen Variationen, wie der Ectoblast gleichfalls aus
zwei einzelligen Lagen, w^elche aber an manchen Stellen nicht scharf
geschieden, son(^ern durch Ineinandergreifen der Zellen zu einer ein-
zigen Schicht vereinigt erscheinen. Nach aussen und innen aber
bietet der Mesoblast glatte Abgrenzungscontouren dar. Die Zellen
sind erheblich grösser, dicker und an Dotterkörnern reicher als die
des Ectoblast und führen kein Pigment ; sie besitzen aber gleichfalls
tief roth gefärbte, also chromatinreiche Kerne. Die innere Schicht
des Mesoblast besteht vorwiegend aus abgeplatteten Zellen.
502 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Diese Mesoblastschicht setzt sich nun von manchen Hemiem-
bryones laterales auf die operirte und nachträglich cellulirte Eihälfte
fort. Ihre Zellen sind dabei nach aussen hin meist schon zu einem
glatten Abgrenzungscontour zusammengeschlossen, sofern daselbst
bereits Ectoblast gebildet ist; wenn jedoch die Bildung dieses letzteren,
durch Widerstand leistendes Material verzögert, noch nicht so weit
vorgedrungen ist, finde ich den Mesoblast nach aussen noch nicht
scharf abgegrenzt. Desgleichen ist nach [275] innen zu vielfach
keine scharfe Grenze vorhanden, indem Zellen des Mesoblast noch
mit ihren Ecken mehr oder weniger tief zwischen anliegende Dotter-
zellen eingreifen und umgekehrt. Nicht selten auch besitzt eine solche
anliegende Dotterzelle einen eben solchen, intensiv rothen, kleineu
Kern als die Mesoblastzelle ; und manche dieser innen anliegenden
Dotterzellen sind gleichfalls klein. Diese Uebergangaformen und
die unvollkommene Abgrenzung der Schichten nach innen
vermehren resp. verstärken sich gegen den freien Rand des Mesoblast
hin und finden sich auch an ihm selber. Je näher diesem Rande,
um so weniger sind die Zellen des neuen Mesoblast zu zwei getrennten
Lagen gesondert, sondern die äusseren und inneren Zellen greifen
tief zwischen einander ein, oder es liegen gar noch dritte Zellen
zwischen ihnen.
Die Vorsprünge der Zellen des neugebildeten Mesoblast nach
iimen bekunden uns wieder, dass die Ausbreitung desselben nicht
durch Wachsthum an Stellen, welche vom freien Rande ent-
fernt liegen und unter Vorschieben des distal davon befind-
lichen Theiles vor sich gehen kann, sondern dass das Wachsthum
der Schicht am freien Ende selber stattfinden muss.
Erscheinungen von Massenverschiebungen, von Aufzehren der Dotter-
zellen durch die specifischen Zellen, oder von Kernübertritt aus letz-
teren in die Dotterzellen sind gleichfalls nicht wahrnehmbar ; so dass
wir also auf Grund der beschriebenen Uebergangsformen, wie beim
Ectoblast, annehmen müssen: die Bildung und das Wachsthum
des Mesohlast auf der operirten und reorganisirten Ei-
hälfte erfolgt durch „Fortschreiten der Differenzirung^^
im „ruhenden" Dotter seil enmateriale und zwar unter
Postgeneration des Mesoblast. 503
directer, mit Theilniig verbunclener Um Wandlung der
d u r c li n a c h t r ä g 1 i c h e C c 1 1 11 1 a t i o n g e b i 1 d e t G n D o tt e r z e 1 ] e n.
Diese Umwandlung vollzieht sich auch liier wiederum
wie beim E c t o b 1 a s t b 1 o s da, wo die D o 1 1 e r z e 1 1 e n von
schon weiter als sie selber dif f erenzirten Mesoblast-
zellen berührt werden.
Obgleich aber diese Berührung auch mit den nach innen zu
gelegenen Zellen erfolgt, so schreitet die Mesoblastbildung doch
nur in Richtung der Fläche fort. Manchmal aber sieht man,
dass nach innen vom Mesoblast eine Dotterzelle in Kern und Grösse
die Beschaffenheit einer Mesoblastzelle erlangt hat, gleichwohl aber
vom Mesoblast ausgeschlossen ist. Wenn also beim Vorschreiten der
Differen- [276] zirung mehr als zwei Zellen (quer zur Fläche gezählt)
in Grösse und Kern die Beschaffenheit von Mesoblastzellen erlangt
haben, so werden doch blos die beiden ,, äusseren" dem Meso-
blast verbau de eingefügt, die inneren dagegen bleiben ausge-
schlossen (s. Taf. VI Fig. 4). Dies gilt indess blos für die ventrale
und laterale Gegend. Ist dagegen die Regeneration schon bis zu den
mehr dorsal gelegenen Theilen vorgeschritten, so wird wunderbarer
Weise entsprechend der grösseren Dicke des Mesoblast an dieser Ge-
gend in der normalen Hälfte auch hier eine dickere, aus mehr als
zwei Zellen gebildete Mesoblastschicht hergestellt.
Es müssen also noch die besondere Gestaltung bestim-
mende Kräfte am rechten Orte vorhanden sein oder zur
Wirkung gelangen, um die dieser Gegend des künftigen Embryo
zugehörige specifische Formation herzustellen: Kräfte und Vorgänge,
für welche uns jede Ahnung eines Verständnisses fehlt.
Die pos^generative Mesoblastbildung geht auch in d o r s i -
ventraler Richtung vor sich, und zwar unter wesentlich denselben
Erscheinungen, wie sie soeben geschildert worden sind, nur in ent-
sprechend dickerer Lage. Sie findet aber wiederum blos von
solchen Stellen aus statt, wo Ecto- und Entoblast schon
von einander getrennt sind und daher die Chorda unmittelbar
neben der operirten Hälfte liegt.
504 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Auch bei der Mesoblastpostgeneratioii ist zu bemerken, class
jüngere Dotterzellen mit noch nicht färbljaren Kernen, sowie
auch Reste von noch nicht cellulirter Substanz, die Differen-
zirung hemmen und so die Mesoblastbildung an ihnen vorbei
in die Tiefe ablenken oder die Bildung in zwei Schichten trennen ;
aber nach der Umgehung eines solchen Hindernisses schlägt die
weitere Differenzirung bald wieder die richtige Bahn ein : wiederum
ein in seinem Wesen durchaus räthselhafter \^organg.
Da die Mesoblastbildung bald hinter der Ectoblastbilduug
zurückgeblieben, bald ihr vorausgeeilt angetroffen wird, je nach den
zufälligen Hindernissen durch im Wege liegende nicht differenzirungs-
fähige Zellen, welche die eine oder andere Schicht zu überwinden
bezw. zu umgeben hat, so ergiebt sich, dass beide Differenzi-
r u n g e n u n a b h ä n g i g von e i n a n d e r v o r sich g e h e n k ö n n e n.
Die „Uebergangs Zellen" von den typischen Mesoblast-
Zellen zu d e n D o 1 1 e r z e 1 1 e n haben d a s s e 1 b e A u s s e h e n wie
die „Uebergangszelleu" [277] zwischen den Ectoblast-
Zellen und D o 1 1 e r z e 1 1 e n ; man kann daher, Avenn keines von
beiden dem anderen vorausgeeilt ist, nur durch ^^erfolgen des An-
schlusses der Reihe der Uebergangszelleu an eines dieser Keimblätter
erkennen, welchem derselben sie zugehören, da ja, wie wir sahen,
auch Ectoblastzellen in die Tiefe eindringen können.
c) Postgeiieratiou des Eiitoblast.
Wir kommen nun zur Postgeneration des Entoblast in der
operirten Eihälfte und zur Bildung der von demselben umschlossenen
U rd arm höhle.
Da die äussere Umwachsung der operirten Hälfte mit Ectoblast
der Hauptsache nach in den Richtungen der normalen Umschliessung
der weissen Unterseite des Eies, also wie bei der Gastrulation, erfolgte,
so lag es nahe, zu vermuthen, dass dieser Vorgang der Postgeneration
eine Wiederholung der normalen Gastrulation darstelle; dass also bei
der Umschhessung der operirten Eihälfte mit Ectoblast an der Innen-
seite desselben zugleich eine innere Epithellage, der Entoblast, ge-
bildet, und damit zugleich aucli ein Spalt zwischen dem Entoblast
Postgeneration . des Entoblast. 505
niid der von ilini bedeckten Eiobcrflüche als Anlage der Urdarmhöhle
hergestellt werde.
Die Besichtigung der Schnitte zeigte nun aber gerade das Ge-
gentheil. Es wurde bei der Umschliessung der operirten Ei-
hälfte mit Ectoblast kein Entoblast gebildet; sondern der
Ectoblast blieb, wie wir schon gesehen haben, unmittelbar dem unter-
liegenden Dotter angeschmiegt, so weit nicht zugleich der Mesoblast
gebildet wurde. Die fehlende Hälfte des Entoblast und die
von ihm umschlossene Urdarmhöhle werden vielmehr nur
von dem schon gebildeten Entoblast des Hemiembryo aus
postgenerirt.
Als Vorläufer dieser Postgeneration macht sich seitens
der Dotterzelien der operirten Eihälfte eine radiäre Anordnung
der Dotter Zellen um die mediale dorsicephale Ecke der Urdarmhöhle
der entwickelten Hälfte bemerkbar. Diese Anordnung ist zugleich
mit entsprechend keilförmiger Gestaltung der Dotterzellen verbunden
und durchsetzt manchmal die ganze Dottermasse der operirten Ei-
hälfte, soweit diese noch nicht in die beiden äusseren Blätter diffe-
renzirt ist.
Darauf zeigt sich als nächstes Stadium eine Fortsetzung der
Urdarmhöhle von der dorsicephalen Ecke aus in Form einer [278]
queren Spalte in die andere Hälfte hinein. Dies bekundet
sich dadurch, dass jetzt die Zellen zu beiden Seiten dieses
Spaltes dicht zur Bildung eines glatten Abgrenzungscon-
tours zusammengeschlossen sind, wobei die der Medianebene
nächsten Zellen auch schon rechtwinkelig zu diesem Contour sich aus-
dehnen, während die mehr seitlichen noch zum Theil die schiefe, radiäre
Anordnung erkennen lassen. Um die seitliche Ecke dieses Spaltes
sind dann di^ übrigen Zellen radiär geordnet, wie dies ja
auch während der ersten Bildung der normalen Urdarmhöhle am
Fundus derselben der Fall ist.
Es geht also eine eigenthümliche ordnende und ge-
staltende Wirhung von der Urdarmliölile oder deren Wan-
dung aus. Die Zellen, welche den Spalt begrenzen, sind sehr hoch
und dick, und diejenigen Zellen, welche die dorsale Wandung der
506 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Urdarnihöhle bilden, haben auch, wie auf der normalen Hälfte, tief-
rothe Kerne, während in der ventralen Wandung die Kerne in beiden
Hälften blass sind.
Die Entobl astzellen der postgenerirten Seite grenzen sich
wie die der norroalen Seite, mit annähernd ,,geraden" Flächen
gegen einander ab, so dass also wiederum nichts von einem Auf-
gefressenwerden durch diejenigen der normalen Hälfte wahrnehmbar
ist. Da auch wieder die Erscheinungen von Massenverschiebungen
und Stauungen fehlen, so schliesse ich, dass die vorher schon am
Ort befindlichen Zellen sich umgeordnet und umgeformt
haben; und da diese Differenzirung auch hier wieder nur in Con-
tinuität mit dem Entoblast der anderen Hälfte vor sich geht, so nehme
ich wiederum an, dass der Diff er enziru ngreiz von den be-
reits diff erenzirten Zellen ausgeht und in dem ruhenden
Dotterzellenmaterial sich ausbreitet und die Differenzi-
rung desselben veranlasst.
Diese Postgener'ation des Entoblast geht ferner, ent-
sprechend dem Verhalten der anderen Keimblätter, blos von dem
T heile des Entoblast aus, der schon vom Ectoblast getrennt ist,
der also mit einem freien Rande, mit einer ,, Unterbre-
chungsfläche", wie bei einem Substanzverlust, endet und mit
diesem an das Material der operirten Hälfte anstösst.
Ausserdem vermisse ich die Postgeneration des Entoblast noch an
mehreren jüngeren Präparaten, wo diese Trennung bereits vollzogen
ist, die Medullarrohranlage im Kopftheil aber noch wenig specifische
[279] Differenzirung aufweist. Erst an älteren Objecten, bei welchen
diese Differenzirung schon sehr ausgesprochen ist, finden sich auch
Erscheinungen der Postgeneration des Entoblast; dieselbe setzt
also erst ziemlich spät ein. Allmählich wird dann die auf die
geschilderte Weise angelegte spaltenförmige Urdarmhöhle vergrössert
und ausgeweitet.
Aus den auf diese Weise postgenerirten Keimblättern formen
sich dann im weiteren Verlaufe, wie oben erwähnt, normale Or-
gane; den Modus dieser weiteren Nachentwickelung habe ich indess
noch nicht des Genaueren verfolgt.
Folgerungen aus den vorstehenden Thatsachen der Postgeneration. 507
(1) Folgerungen aus den vorstehenden Thatsachen der Postgeneration.
Fassen wir das Ergebniss unserer Schlüsse über die Vor-
gänge der postgenerativen Bildung der Keimblätter zu-
sammen, so konnten wir folgende Arten des Geschehens als für alle
drei Keimblätter gültig feststellen ').
Erstens: die Postgeneration der Keimblätter der Halb-
bildungen geht immer von den schon differenzirten Keim-
blättern der normal entwickelten Eihälfte aus; sie greift erst dann
auf die nachträglich cellulirte Dottermasse über, wenn,
resp. wo ein solches Keimblatt mit einer „Unterhrecliungs-
fläclie" [also mit den ,, Seitenflächen" seiner Zellen (s. Nr. 26,
S. 37)] an diese Masse grenzt. Die an diesen Stellen begonnene
Bildung setzt sich stets „continuirlich" in der Dottermasse
der unentwickelten Eihälfte fort. Gegen den freien Rand
der fortschreitenden Keimblattdifferenzirung finden sich stets all-
mähliche ,,Uebergangsstufen" zwischen den indifferenten
Dotterzellen und den Zellen des bereits vollkommen dif-
ferenzirten Keimblattes. Unter Zurückweisung anderer Möglich-
keiten kommen wir daher zu dem Schlüsse, dass sich diese fort-
schreitende Differenzirung in dem schon vorher am Orte
befindlichen und während der Differenzirung daselbst ver-
bleibenden Materiale, also im „ruhenden" Dotterzellenmate-
riale durch directe Umbildung der Dotterzellen (bei dem
Ecto- und Mesoblast zugleich unter Theilung derselben) vollzieht.
Bezüglich der Oertlichkeit der Ursachen dieser Vor-
gänge lassen sich nun weiterhin einige Schlüsse ableiten:
Da das auf die erwähnte Weise nachträglich zu Keimblättern
differenzirte Dotterzellenmaterial in seinem den ,,Leib" der
Zellen bildenden Material durch die Operation vielfach in Un-
[280] Ordnung gebracht worden war, und da auch das Kern-
1) Das in einem Puncte abweichende Verhalten bei der Postgeneration
der hinteren Hälfte des Medullarrolires der vorderen Halberabryonen wird im
Zusammenhang mit der Regeneration seine Erörterung finden (s. S. .512).
508 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
material der aus ihm nachträglich gebildeten Zellen nicht durch
eine „typische" Vertheilung seinen Platz erhalten hatte,
sondern von dem Furchungskern theils der operirten, theils der
nicht operirten Eihälfte abstammend zufälligen Momenten seine
Lagerung verdankt, so konnte die für die ,, normale" Ent-
wickelung denkbare Annahme, dass an ,, typischen" Orten
immer ,, typisches", zu ganz bestimmter selbstständiger
Entwickelung befähigtes Material gelagert sei, und dass
deshalb eine ordentliche Keimblattbildung vor sich gegangen sei,
in diesem Falle nicht zulässig erscheinen.
Sondern wir müssen schliessen, dass die Ursache für diese
..typische'"'' Weiterhildmig der Keimhlätter der primär ent-
ivichelten Hälfte innerhalb der operirten Eihälfte auf Kräften
heruht, ivelche von den KeimhJättern der ersteren Hälfte
ausgehen.
Es kann auch Jemand behaupten, dass trotz dieser Um Ord-
nung das Material der operirten Hälfte sich ,, selbstständig" zu
normalen Bildungen entwickelt habe, und dass gleichsam blos zu-
fälhg diese Entwickelung immer in Berührung mit dem bereits Ent-
wickelten sich vollziehe und blos zufällig von da aus stets continuir-
lich sich ausbreite. Hierbei müsste es aber von vornherein in jeder
Zelle liegen, dass sie ein klein wenig später ihre Umwandlung voll-
ziehe, als die in der Diiferenzirungsrichtung hinter ihr und etwas
früher als die in dieser Richtung vor ihr gelegene Zelle. Es wäre
zu verwundern, wenn ohne einen die räumliche Continuität der
Differenzirung sichernden Causalnexus nicht Anachronismen (wie ich
sie doch sonst häufig bei der Entwickelung beobachtet habe) und
daraus resultirende Störungen der Continuität vorkommen sollten.
Deshalb und Aveil es in unserem Falle von „abnormen" Bil-
dungen durchaus wunderbar wäre, woher die prästabilirte
Harmonie der Differenzirungsfolge kommen sollte, glaube ich
hier, wo immer die Continuität im Fortschreiten, selbst bei im Wege
liegenden Störungen gewahrt war, einen directen Causalnexus
annehmen zu müssen.
Folgerungen aus den vorstehenden Thatsachen der Postgeneration. 509
Welcher Art dieser Cansalnexus aber im Speciellen ist, vermag
ich natürlich nicht zu sagen. Ich habe die Möglichkeit zurückgewiesen,
dass in unserem Falle das differenzirte Material selber durch
Wachsthum und Vermehrung der differenzirten Zellen, sei es auch
blos am freien Rande, fortschreite, oder in anderen [281] Worten
dass die Vergrösserung des dii^erenzirten Gebildes durch Assimilation
in die Zellen aufgenommener Nahrung vor sich geht. Sondern ich
nehme dagegen an, dass die fortschreitende JDifferenzirung
bei unserer Postgeneration durch directe assimilirende
und äifferensirende WirJcung differensirter Zellen auf
andere ihnen unmittelhar henachharte, iveniger differen-
zirte Zellen sich im Räume ausbreitet.
Bei diesem letzteren Vorgang sind aber sehr verschiedene Grade
der Einwirkung möglich. Es kann z. B. von den differenzirten
Zellen eine die Differenzirung blos ,, auslösende" Wirkung
ausgehen, während nach diesem Anstoss die ganze Reihe der
nöthigen Veränderungen sich von selber vollzieht ; oder es kann um-
gekehrt „jede" dieser einzelnen Veränderungen von der diffe-
renzirten Zelle nicht blos „veranlasst," sondern auch durch-
aus „bewirkt" werden; und zwischen diesen Extremen sind zahl-
lose Zwischenstufen denkbar. In Folge der ,, atypischen An-
ordnung des hier in „typischer" Weise differenzirten Mate-
ria les bin ich aber geneigt, die Einwirkung der differenzirten Zelle
auf die nicht differenzirten nicht als eine blos auslösende oder
blos anregende zu denken.
Da wir ferner festgestellt haben, dass die fünf von mir unter-
schiedenen Veränderungen der Dotterzellen bei der Bil-
dung des Eciioblast an ihnen: Chromatinvermehrung in den
Kernen, Pigmentbildung, Zelltheilung , Zellorduung und Zellgestal-
tung von der Stelle der vollkommenen Differenzirung aus verschie-
den weit sich fortpflanzen, so ist also zu schliessen, dass für
jeden dieser Vorgänge eine besondere differenzirende
Einwirkung stattfinden muss, und dass diese verschiedenen
Einwirkungen, abgesehen von der Einhaltung der angegebenen
510 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Reihenfolge, unabhängig von einander vor sich gehen und
sich selber ungleich weit fortpflanzen können (s. S. 491).
Dieser im Wesentlichen ,,assimilirenden" Wirkung der
di fferenzirten Zellen auf andere Zellen bei der postgenerativen
Ausbreitung der Keimblätter müssen natürlich bei der weiteren
Postgeneration, bei der Bildung der einzelnen typischen Organe
aus diesen Blättern in anderem Sinne ,,differenzirende" Wir-
kungen folgen; denn es ist wohl ebenfalls nicht annehmbar, dass
die verschieden gelagerten Zellen des postgenerirten Keimblattes da-
mit schon die Fähigkeit zu ,, typisch" verschiedener „selbstständiger"
Entwickelung erlangt haben sollten, eine Eventualität, welche, wie
ich hoffe, der directen experimentellen Prüfung zugänglich sein wird.
Freilich schliessen [282] auch diese weiterhin anzunehmenden difie-
renzirenden, an jedem Orte eine typische Bildung hervorbringenden
Einwirkungen für uns zur Zeit unlösbare Probleme ein.
Unterschied der Vorgänge der Postgeneration und der nor-
malen s. directen Entwickelung.
Es war nun wichtig, durch Vergleichung mit den normalen
Vorgängen der Keimblattbildung festzustellen, ob die Vorgänge
der postgeuerativen Bildung derselben ganz neue Arten der
Bildung darstellen, oder ob nicht vielmehr in ihnen blos
eine kleine Variation oder gar blos eine Heterotopie und
Heterochronie von Arten von Vorgängen, welche auch bei
der normalen Bildung sich vollziehen, vorliegt. Bei der Aus-
führung eines solchen Vergleiches hemmt uns aber die Unsicherheit
unserer Kenntnisse über die normalen Vorgänge. Ich will daher
die eingehende Discussion dieser Frage auf eine spätere Abhandlung
verschieben, in welcher ich Erfahrungen und Schlüsse über die wirk-
lichen Vorgänge, nicht blos über den formalen Schein der Bildung
der Keimblätter mittheilen werde.
Gegenwärtig sei blos erwähnt, dass meine derzeitigen Beobach-
tungen mich auf die Seite derjenigen Autoren, z. B. Scott, Osborn,
Bambeke, Calberla u. A. verweisen, welche die Ausbreitung der
Unterschied derVora;änge der Postscneration u. dci normalen Entwickelung. 511
ein Mal angelegten Keimblätter nicht blos durch Nachkom-
men der Zellen dieser ersten Anlage, sondern auch unter
Aufnahme und Differenzirung neuer, anliegender Zellen vor
sich geht; so dass also darin eine Uebereinstimmung mit der
Ausbreitung des postgenerirten Keimblattes sich bekundet
[s. Nr. 26, S. 49].
Ein evidenter Unterschied spricht sich jedoch in der „An-
lage" der primären und der postgeneriten Keimblätter
darin aus, dass die Ursachen für die Anlage der ersteren in der
sich entwickelnden verticalen Eihälfte, bezw. wie wir sahen, so-
gar blos in dem verticalen Eiviertel, in dem sie angelegt werden,
selber sich befinden, während wir bezüglich der postgenerativen
Keimblätter anläge schhessen mussten , dass sie blos in Ab-
hängigkeit von den Keimblättern der primär entwickel-
ten Hälfte vor sich geht. Aus diesem ersten Unterschied war
ein zweiter abzuleiten, derjenige, dass Ecto- und Entoblast nicht
wie bei der Gastrulation beide im Zusammenhang ange-
legt und vergrössert wurden, sondern dass jedes dieser Blät-
ter ohne jede Verbindung und Beziehung zu dem anderen
gebildet wurde.
Unterschied der Vorgänge der Postgeneration und der Re-
generation.
Vergleichen wir nun die Vorgänge der Postgeueration noch
nicht gebildeter Theile mit denen der Regeneration gebildeter,
[283] aber in ^'erlust gerathener Körpertheile , so tritt uns wieder
unsere Unkenntniss zum Theil hemmend entgegen; denn Regeneration
der eigentlichen ,, Keimblätter", das heisst Regeneration an so jungen Em-
bryonen, weicht^ noch aus den eigentlichen, nicht bereits weiter differen-
zirten Keimblättern gebildet sind, ist mir nicht bekannt (s. S. 490 Anm.).
Indess lassen sich vielleicht die an älteren Individuen gewonnenen
Ergebnisse in einer Hinsicht auf so. jugendliche Stadien übertragen
und so mit der beschriebenen Postgeneration der Keimblätter ver-
gleichen. Nämlich die allgemein festgestellte Thatsache, dass ver-
letzte Gewebe sich nur aus den Nachkommen ihrer eige-
512 Nr. 22. Die Hervorbriiigung halber Embi-yonen.
nen Elemente regeneriren'). Sofern dann dies auch für früh-
zeitige embryonale Regeneration gilt, so ist dadurch ein funda-
mentaler Unterschied von der hier von uns beobachteten
Art der Postgeneration ausgesprochen, bei welcher ja, wie
wir gesehen haben, das Zellmaterial „nicht" von den Elementen
des sich postgenerirenden Blattes abstammt, sondern zum
Theil durch das sehr durcheinander gekommene Kern- und Dotter-
material der operirten Eiliälf te, zum Theil durch nur an z u f ä 1 1 i g e n
Stellen übergetretenes und dann vertheiltes Kernmaterial der primär
entwickelten Hälfte gebildet wird^).
Eine wichtige Uebereinstimmung zwischen Postgeneration
und Regeneration spricht sich jedoch darin aus, dass beide nur
von den schon präexistirenden Gewebsschichten und nur
nach Plerstellung von Unterbrechungsf lachen (s. o. S. 498)
vor sich gehen. (NB. Das Bindegewebe — blos das lockere? —
macht davon eine Ausnahme, seiner Function als Gewebe zur Ver-
bindung der Theile und damit zugleich als Lückenbüsser entspre-
chend, indem es schon wuchert, wenn nur seine normale seitliche Ab-
grenzungsfläche der Abgrenzung durch eine anliegende Schicht anderen
Gewebes beraubt wird. Ob aber auch, wenn es dabei zugleich voll-
kommen vor fremden Einwirkungen geschützt wäre?)
Wir dürfen aber nicht versäumen, daran zu erinnern, dass
bei der Postgeneration der hinteren Hälfte des Embryo von der
vorderen aus im Bereiche des medullären Abschnittes der Dorsal-
platte die Vorgänge anders, anscheinend gerade umgekehrt [284] als
bei der sonstigen Postgeneration verlaufen, indem hier Ecto- und
Entoblast im Zusammenhang bleiben, also keine „freien"
Seitenräder vorhanden sind (s. Nr. 28, S. 657 u. 661), weshalb
auch die Differenzirung nicht auf das anliegende Dottermaterial über-
greift, sondern die Aufnahme oder Bildung neuer Zellen von anderer
Seite her vor sich gehen muss (s. S. 501).
1) Vergl. P. Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den
Wirbelthieren, besonders Amphibien und Reptilien. Berlin 1881. S. 153.
fä) Vergleiche dazu die mir später gelungene Heranziehung ganzer Frosch-
embryonen blos aus je einem halben Ei ohne Verwendung der operirten Eihälfte
Nr. 26, S. 45.1
Theoretische Erwägungen. 513
Icli bin überzeugt, dass die soeben erwähnten Verschiedenheiten
dev Postgeneration von der Regeneration und beider von der nor-
malen Ent Wickelung nicht in dem Sinne aufzufassen sind, dass
bei der Post- und Regeneration wesentlich „neue" bei,
der normalen Entwickelung nicht vorkommende specielle
Bildungsvorgänge stattfinden. Denn ich halte es für durch-
aus unwahrscheinKch , dass es bei demselben Individuum zwei
oder drei in dem Wesen ihres Mechanismus verschiedene
Arten der Erzeugung derselben Körpertheile gebe; sondern
man wird vermuthen, dass die Nachbildung und die Wiederbildung
in der Art ihrer Grund Vorgänge blos unter minimalen, durch den
Charakter des Ersatzes fehlender Theile von der Abgrenzungsfläche
des Defectes aus bedingten, Abweichungen von der normalen Ent-
wickelung sich vollziehen, während im Uebrigen die Grundvorgänge
dieselben seien. Ja es könnte sehr lehrreich sein, umgekehrt aus der
Thatsache der Regeneration, Postgeneration in Verbindung mit diesem
vermutheten Principe ihrer Vollziehung durch dieselben Grundvor-
gänge wie die der normalen Ontogenese, abzuleiten, w^elche Arten
von Grundvorgängen allein diese dreierlei Bildungsarten zu liefern
vermöchten [Etwas einschränkend siehe S. 520 und Nr. 2ß, S. 49,
Nr. 27, S. 303, Nr. 31, S. 279 u. f.].
Theoretische Erwägungen.
Es regt sich nun weiterhin die Frage, woher das Material,
in welchem sich die Postgeneration vollzieht, dieFähigkeit zu
dieser, wenn auch nur abhängigen Differenzirung hat.
Man kann zunächst daran denken, dass in dem Dottermaterial der
operirten Eihälfte, w^elches ja bei den nachentwickelten Gebilden nach
der Nucleisation wieder belebt, cellulirt und zum Aufbau verwendet
worden ist, die Ursache der specifischen, wenn auch nur abhängigen
Differenzirungsfähigkeit zu typischen Gebilden gelegen sei. So kämen
wir zu der allgemeinen Frage, ob die Ursache der Entwickelung
mehr im Zellleib oder im Zellkern zu suchen sei. Ich will indess
nicht auf diese Frage im Allgemeinen eingehen, da das Für und
[285] Wider in letzter Zeit zur Genüge behandelt worden ist, zuletzt
W. Roux, Gesammelte Abhaadlungen. U. "J"
514 Nr. 22. Die Hervorbringuns halber Embryonen.
zusammenlassend von C. Weigert^) in dem Sinne der Majorität der
Autoren, dass die idioplastischen Functionen an den Kern geknüpft
sind, und jüngst von G. Platner^) mit der Auffassung, dass dem
Protoplasma der hervorragendste Antheil an der Gestaltbildung bei der
Entwickelung zukommt, während dieser Autor sich ,,die Rolle des
Kernes nur den Diensten analog denkt, welche dem Chemiker die
Hitze leistet". Ich will blos sogleich erwähnen, dass letzterer Autor
Born und mir die Ansicht, dass der Kern allein die Differenzirung
bewirke, mit Unrecht als ein von uns ,,als selbstverständlich voraus-
gesetztes Axiom" zuschreibt. Eine solche Auffassung hat keiner von
uns irgend wo ausgesprochen.
Neben den von Fol, Strasburger, van Beneden, Nussbaum,
Gruber u. A. gelieferten Thatsachen habe ich auch meinen eigenen
Versuchen ein Argument für die im Verhältniss zum Zell-
kern untergeordnete idioplastische Bedeutung des Proto-
plasmas entnommen; nämlich die Thatsache, dass trotz mehr-
fachen U m r ü h r e n s des Inhaltes einer der beiden ersten
Furchungs kugeln mit einer eingestochenen Nadel, sowie trotz
grosser, bis ein Fünftel des Eiinhaltes betragender, Extra-
ovate und trotz der bei diesem Austritt nothwendig entstehenden
Umordnung der verschiedenen Dottersub.stanzen vielfach normal
gestaltete Embryonen gebildet wurden [s. S. 179]. Dies
scheint mir die grössere gestaltende Bedeutung des Kernes
[und eventuell mit ihm eng verbundener Theile des Zell-
leibes (Centr(^somen)] für die Entwickelung zu beweisen [siehe
Nr. 24, S. 2]. Das Gleiche folgert Born mit Recht aus seinen Ver-
suchen über die Einwirkung der Schwere auf die Froscheier ^), indem
er zeigte, dass bei der Zwangslage der Eier hochgradige innere Um-
ordnungen des Dottermateriales entstehen, ohne dass dadurch die
Entwickelung in abnorme Bahnen gelenkt wird ; und ich möchte von
diesem allgemeinen Befunde noch besonders hervorheben, dass nach
1) C. Weigert, Neuere Vererbungstheorien. Schmidt's Jahrbücher Bd. 115.
S. 89 u. f.
2) G. Platxer. Korn und Protoplasma. Habilitationsschrift. Breslau 1887.
3) G. Born, Ueber den Einfiuss der Schwere auf das Froschei. Archiv f. micr
Anat. Bd. 24. S. 533.
Theoretische Erwägungen. 515
Born's deutlicher Abbildung diese ubuoniie AiioiMluuiig der ver-
schiedenen Dottersubstiinzen noch nach der dritten [286] Fur-
chung sehr augenfällig vorhanden ist, so dass also den acht
Furch ungskuge In eine dem normalen Verhalten nicht ent-
sprechende Mischung der verschiedenen Dottersubstanzen
zugekommen ist und dass diese Abnormität nunmehr wohl
auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Gegen das Bedingtsein der postgenerativen Gestaltungsfähigkeit
der Masse der operirten Eihälfte durch die specifischen Qualitäten
des mitverwendeten Dottermateriales der operirten Eihälfte scheint
mir direct zu sprechen, dass dieses Dottermaterial vielfach so hoch-
gradig verändert war, dass schon die ganze Masse mit zahlreichen,
zwanzig und mehr. Kernen durchsetzt war, ohne dass um einen ein-
zigen derselben eine Abgliederung des Zellleibes erfolgt war ^), während
in anderen Fällen schon um den dritten und vierten Kern eine solche
Abgliederung und zwar einer dann entsprechend grösseren Masse
stattgefunden hatte; und ich habe entsprechende Unterschiede der
nachträglichen Cellulation auch von aussen an Halbbildungen beob-
achtet, welche später durch Postgeneration sich vollkommen ergänzten.
Danach hätten wir also die Ursache der Fähigkeit des
Materiales der operirten Eihälfte zur Nachentwickelung
vorzugsweise in dem ,, Kernmaterial" derselben zu suchen,
soweit sie nicht, wie dargethan, als abhängige Differenzirung
von den differenzirenden Qualitäten der Theile der primär und selbst-
ständig entwickelten Eihälfte zu betrachten ist. Wie viel idioplastische
Fähigkeiten der abhängige Theil bei dieser letzteren Art der Gestal-
tung mitzubringen hat, ist nicht zu sagen; das wesentliche zur Zeit
Erkennbare war nur, dass die operirte Eihälfte trotz des Ueber-
trittes von Kernen aus der normal sich entwickelnden Hälfte
nicht selbstständig entwickelungsfähig ist, also kein Voll-
idiopla sm a [Weigert] oder keine Biff er ensirung snr z eilen enthält.
Und andererseits ist es von hoher Bedeutung, dass die unver-
sehrte Eihälfte, während sie selber noch in rascher typi-
scher Differenzirungsfolge begriffen ist, Zellkern- und viel-
[1) Siehe S. 480 Anm.l.
33*
516 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
leicht auch Zellleibmaterial abgeben kann, ohne dass dadurch
in dem Gange ihrer Entwickelung eine erkennbare Störung eintritt.
Diese Abgabe von Kernmaterial ist indess kein besonderer Vorgang,
denn er findet am Rande der Keimscheibe der mesoblastischen Eier
normaler Weise statt; und auf ihn glaube ich oft auch die Fur-
chung der gestielten Extraovate zurückführen zu müssen.
[287] Nach den mitgetheilten Beobachtungen über die successive
Nachbildung der durch die Operation am Ei schon in ihrem Anlage-
material zerstörten bezw. alterirten Theile des Embryo können wir
nun auch die Bedeutung meiner in einer früheren Arbeit [S. 180]
gemachten Angabe, dass nach diesen Operationen im Ganzen normal
gestaltete Embryonen mit nur einem circumscripten Defecte
oder einer circumscripten Verbildung resultiren, bezüglich der
Bedeutung eines Theiles der als Verbildungen bezeichneten Vorkomm-
nisse etwas genauer präcisiren. Zum Theil waren in jenen Fällen
wirkliche schrumpfungsartige Verbildungen der Oberfläche im betref-
fenden Bezirk vorhanden, deren Verständniss mir noch fehlt. Zum
Theil aber, und dies bezieht sich besonders auf Kopf- und Rücken-
theile schon weit differenzirter Embryonen, waren es Bildungen, welche
früheren Stadien der normalen Entwickelung immerliin ähnlich waren,
und aus welchen allmählich auch normale, denen der anderen Kör-
perhälfte gleichende Bildungen hervorgingen ; so dass also diese Art
der damals gesehenen ,, Verbildungen" wohl als Formen der ,,nach-
träglichen Bildung", der Postgeneration aufzufassen sind.
Neue Möglichkeit der Entstehung von symmetrischen
D o p p e 1 b i 1 d u n g e n.
Mit der im Vorstehenden festgestellten, noch vor wenigen Jahren
von mir selber für unmöglich gehaltenen [s. S. 122] Thatsache, dass
von der, auf dem Wege der Selbstdifferenzirung, primär gebildeten
seitlichen Hälfte des Embryo aus die fehlende Hälfte durch ab-
hängige Differenzirung aus einem nicht selbstdifferenzirungsfähigen
Eimateriale nachgebildet werden kann, haben wir vielleicht eine
neue Möglichkeit erworben, die Entstehung von Doppel-
Neue Möglichkeit der Kntstehung von symmetrischen Doppelbildungen. 517
bilduiigeii abzuleiten'). Hierbei ist wichtig, dass [288j die nach-
trägliche Bildung von den freien, der eigentlichen Medianebene
entsprechenden seitlichen Rändern der Keimblätter ausgeht, und dass
die Postgeneration successive und so weit fortschreitet, als zur a))-
hängigen Dit^erenzirung fähiges Material vorhanden ist.
Die Möglichkeit solcher Entstehung von Doppelbildungen ist
zugleich geknüpft an die Präexistenz einer anderen Missbildung,
nämlich an die unvollkommene oder ganz ausgebliebene Vereinigung
der beiden Medullarwülste, also an die oben kurz erwähnte Asjai-
taxia medullaris totalis bezw. partialis. Hierbei endigen das
Hornblatt, die Semimedulla, die Semichorda und unterhalb der Chorda das
]\Iittelblatt frei. Sofern nun, im Bereiche des weiten Auseinanderstehens
der Entoblast noch eine Zeit lang fehlt und die genannten Organe sich
nicht zu sehr einrollen, so stossen diese Halborgane direct ^n Dotter-
zellen, in welchen dann nach obiger Erfahrung die abhängige Diffe-
renzirung vor sich gehen könnte. Jede Antimere würde in dem Dotter
unter Umwandlung desselben, räumlich successive fortschreitend so
weit ein Stück der anderen Hälfte postgeneriren, bis beide Bildungen
in der Medianebene des ganzen Eies zusammenstossen. In dieser
Berührungsebene müssen dann die nachträglich gebildeten Stücke von
seithchen Körperhälfteu mit einander entsprechenden Th eilen
zusammentreffen, sofern die Bildung von beiden Seiten her annähernd
gleichmässig erfolgt. V\'iv erhielten dann also auf eine secundäre
1) Dagegen kann ich Leo Gerlach's Angabe, dass er durch IJeberfirnissen der
HühuereierDoppelbildungen hervorgebracht habe, noch jetzt und so lange nicht
zustimmen, als er, wie bis jetzt, im Ganzen blos zwei unzweifelhafte Doppelbildungen
(auf 60 in dieser Weise beeinflusste Eier) erhalten hat. Das kann sehr Avohl Zufall
sein. Ich habe als Student unter 200 bebrüteten Eiern drei ausgesprochene Duplici-
tates anteriores erhalten, während doch die Mittelzahl von Dareste aus 10 000 Eiern
nur eine Doppelbildung auf 250 Eier ergiebt, also 4 mal kleiner ist. Wenn Gterlagh
bei weiterer, aber leider seit 6 Jahren unterlassener Fortsetzung seiner Versuche
mindestens 30 Doppelbildungen (auf etwa 500, von verschiedenen Höfen stammende
Eier) erhalten haben wird, dann werde ich an einen causalen Zusammenhang des
Resultates mit seiner Versuchsweise glauben; eher aber halte ich die Annahme einer
causalen Beziehung zwischen beiden nicht für zulässig.
[Der Autor hat danach selber (mündlich) zugegeben, dass sein Schluss unzu-
treffend war; womit nun wohl diese selbst von R. Virchow (sein Arch. Bd, 103, S. 33)
als erwiesen angesehene Angabe definitiv eliminirt ist.]
518 Nr. 22. Die Hervorbringung halber Embryonen.
Weise unvollkommene Doppelbildmigen, welche dem in der Sache
schon von Megkel deutlich beschriebenen, von mir benannten Gesetz
der „doppelten Symmetrie der Organanlagen" entsprechen.
Namentlich würde auf diese Weise die noch nicht während ihrer Ent-
stehung beobachtete Duplicitas dorsalis hervorgehen können, und
zwar häufiger die Duplicitas dorsicaudalis, seltener dorsi-
cephalica^). Bei einem Erfolge würde dann auch die Prüfung der
AHLFELD'schen Hypo- [289] these der Erzeugung solcher Doppelbil-
dungen durch Spaltung des Embryo längs der Medullarfurche wieder
aufzunehmen sein.
Ergebnisse.
Nach Zerstörung einer der beiden ersten Furchungszellen,, vermag' '
die andere Furchungszelle sich auf dem normalen Wege zu einem im
WesentUchen normalen halben Embryo zu entwickeln. Auf diese
Weise erhielten wir Hemiembryones laterales und anteriores
nebst den entsprechenden Vorstufen der Semimorula, Semiblästula und
Semigastrula. Auch wurden Dreiviertel-Embryonen mit Fehlen
einer seitlichen Kopfhälfte durch Anstechen des Eies nach der zweiten
Furchung gewonnen. Es konnte daher der Satz aufgestellt werden: Die
Entwickelung der Gastrula und des zunächst daraus hervorgehenden
Embryo ist von der Viertheilung des Eies an eine Mosaik arbeit aus
mindestens vier verticalen, im Wesentlichen selbstständig sich ent-
wickelnden Stücken (S. 454).
Ferner sahen wir an der Missbildungsform der Anentoblastia,
dass das äussere und das mittlere Keimblatt auch beim
Fehleu des Darmentoblast ihre specifischen Einzelbil-
dungen zu diff erenziren vermögen, und zwar auch dann, wenn
die Form des ganzen Embryo in Folge obigen Fehlens eine abnorme
wird. Desgleichen wird hierbei jederseits die Semichorda dorsalis
lateralis gebildet (S. 442).
[1) Die hier ausgesprochene neue Möglichkeit der l^ntstehung von Doppel-
bildungen wurde von F. Klaussner (Mebrfachbildungen bei Wirbelthieren , eine tera-
tologische Studie, München 1890) in ausgedehnter Weise verwerthet und von H. Endres
(Anstichversuche an Froscheiern, Jahresber. d. Schles. Ges. f. vaterl. Cultur, Sitzg.
V. 15. Nov. 1894 u. Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. II 1895) experimentell
als richtig erwiesen.]
Ergebnisse. 519
Die durch die Operation ihrer Entwickelungsfähigkeit beraubte
Furchungszelle kann aUmähhch wiederbelebt werden (S. 480).
Diese Reorganisation erfolgt zum Theil unter Uebertritt einer
grösseren Anzahl von Zellkernen (nebst Protoplasma?) aus der normal
entwickelten Eihälfte, unter Vertheilung der eingewanderten Kerne in
der ganzen Dottermasse, soweit diese nicht schon durch Abkömmlinge
des ihr zukommenden Furchungskernes mit Kernen versehen ist, so-
wie unter nachträglicher Vermehrung dieser beiden Arten von Kernen.
Dieser Bekernung oder Nucleisation der operirten Furchungskugel
folgt später eine Cellulation nach, indem um jeden Kern eine
Zellenabgliederung des Dotters vor sich geht. Hochgradig veränderte
Theile widerstehen dieser Art der Wiederbelebung, werden jedoch in
späterer Zeit auf etwas modificirte Weise gleichfalls wieder verwend-
bar gemacht (S. 468—484).
Der Reorganisation der operirten Eihälfte schliesst sich eine
[290] nachträghche Entwickelung, eine „Postgeneration" derselben
an, welche zu einer vollkommenen Ergänzung der fehlenden Seiten-
hälfte oder hinteren Hälfte des Embryo führen kann (S. 484 — 513).
Diese Postgeneration erfolgt nicht auf dieselbe Weise wie die
normale Entwickelung der primär gebildeten Hälfte; sie ist daher
nicht blos als verspätete, aber normaler Weise sich vollziehende Ent-
wickelung anzusehen (S. 510). Dies spricht sich darin aus, dass die
Postgeneration der Keimblätter in der nachgebildeten Hälfte nicht
wie bei der primären Entwickelung durch selbstständige erste
Anlage der Keimblätter vor sich geht, sondern dass die Postgeneration
nur von den bereits in der entwickelten Hälfte gebildeten Keimblättern
aus stattfindet. Dies geschieht jedoch nur von solchen Stellen aus,
wo die Keimblätter der primär entwickelten Hälfte des Embryo schon
derart von einander geschieden sind, dass jedes Keimblatt mit
einem freien Seitenrande, mit einer,,Unterbrechungsf lache", wie
bei einem künsthchen Defect, an die nichtentwickelte Eihälfte an-
stösst (s. S. 498). In Folge dieser Bedingung findet bei der Er-
gänzung der lateralen Halbbildungen keine eigentliche
Gastrulation statt (s. S. 511).
520 Nr. 22. Die Hervorbi'ingung lialber Embryonen.
Die postgenerative Bildung der Keimblätter geht in
dem durch die nachträgliche Cellulation gebildeten Zellmateriale vor
sich, indem der Process der Diff erenzirung in dem „ruhen-
den" Zellmateriale fortschreitet. Die zur Bildung eines Keim-
blattes nöthigen verschiedenartigen Differenzirungen pflanzen sich
hierbei mit ungleicher Geschwindigkeit in dem noch indifferenten
Zellmateriale fort (S. 507—510).
Da die verschiedenen Dottermaterialien und die Zellkerne der
operirten Eihälfte keine typische Lagerung haben, sondern in ihrer
Lagerung durch zufällige Momente bestimmt werden, so konnte nicht an-
genommen werden, dass die typische Ausbreitung und die typischen
Resultate der Postgeneration durch eine typische Ordnung bestimmt
qualificirter , der „Selbstdiff erenzirung" fähiger Substanzen bedingt
sind. Wir glauben daher schliessen zu müssen, dass bestimmte
diff erenzir ende Einwirkungen von dem bereits differen-
zirten Materiale auf das ihm anliegende noch indifferen-
tere Zellmaterial ausgehen (S. 507).
Während durch unsere Befunde die ,, primäre" s. ^^directe^'
Entivichelung (s. S. 450) der ersten Furchungszellen als „Selbst-
diff erenzirung" [291] derselben, bezw. des Complexes ihrer Nach-
kommen sich erwiesen hat, sind die reorganisirten Eitheile
nur einer ,, abhängigen Diff erenzirung" durch Einwirkung
schon differenzirter Theile fähig (S. 508).
An einer neuen Form von Missl)ildungen , der ,,Asyntaxia
medullaris", dem Ausbleiben der normalen Verschmelzung der
beiden seitUchen Hälften der Medullarrohranlagen, welche gewöhnlieh
mit entsprechendem Mangel des Darmblattes (Anentoblastia) ver-
bunden ist, konnte weiterhin eine selbstständige Entwickelungsfähigkeit
des äusseren und mittleren Keimblattes beim Fehlen des inneren
Keimblattes constatirt werden.
Breslau, Januar 1888.
Erklärung der Abbildungen. 521
Erklärung' der Abbilduiijj^eii.
Tafel VI und VII.
Sämmtliche Figuren stellen Froscliembryonen (von Rana fusca und escu-
lenta) dar.
F Furcliungsliöhle. Ec Ectoblast (äusseres Keimblatt). En Entoblast (inneres
Keimblatt). Ms Mesoblast (mittleres Keimblatt). Ch Chorda dorsalis. Md Medullar-
wulst. U Urdarmhöhle, in Fig. 8 Taf. VII Urmund. D Dotterzellen. V Vacuolen.
Tafel VI.
Fig. 1. Semiblastula verticalis, senkrechter Meridianschnitt. Die Zellen schema-
tisirt gezeichnet, a Eine blos nach der entwickelten Seite des Eies hin ab-
gegrenzte Zelle.
Fig. 2. Semiblastula verticalis, Schnitt desgl. Ausdehnung der Furchungshöhle
in die unentwickelte Hälfte des Eies. KN Kernnest. K' Sehr grosser Kern
mit Netzstructur.
Fig. 3. Semigastrula lateralis, schräger Längsschnitt.
Fig. 4. Hemiembryo sinister, Querschnitt. S — S Die Medianebene. Die rechte
Hälfte des Eies ist bereits vollkommen nachcellulirt; die Postgeneration der
Keimblätter hat begonnen. Chorda dorsalis bereits zur normalen Grösse des
Querschnittes nachentwickelt. J Zwei jugendlich gebliebene Dotterzellen
(Furchungszellen).
Tafel VII.
Fig. 1. Rückenfläche eines normalen Froschembryo mit noch auseinander stehenden
Medullarwülsten.
Fig. 2. Desgl. mit schon vereinigten Medullarwülsten.
Fig. 3. Hemiembryo dexter, mit schon fast vollendeter Postgeneration des äus-
seren Keimblattes.
Fig. 4. Desgl., älter, aber mit geringerer Postgeneration.
Fig. 5. Hemiembryo sinister, noch älter, fast ohne Postgeneration.
Fig. 6. Hemiembryo anterior, bereits in Postgeneration begriffen.
Fig. 7. Hemiembryo anterior, älter, a Ventrale Seite, h Haftnapf, b Dorsale
Seite. Die Postgeneration der MeduUarwülste schon Aveit fortgeschritten.
Fig. 8. Dreiviertel Embryo mit Asyntaxia medullaris (Roux). Die linke
Kopfhälfte ist nicht entwickelt, der Ectoblast jedoch im Bereiche derselben
bereits postgenerirt. U Offen gebliebener Theil des Urmundes.
Nr. 23.
Ueber die Lagerung* des Materiales des Medullar-
rohres im gefurchten Frosehei'^.
1888.
Bericlit der anatomischen Gesellschaft über die Versammlung zu Würzburg im Mai 1888,
anatom. Anzeiger, Bd. 3, Nr. 23.
Mit 4 Textfiauren.
Inhalt.
Seite
Lage des Embryo im Ei 528
Gastrulation :
Wanderung des Urmundes 525
Asyntaxia medullaris 526
Ei-gebnisse des Anstichs der normal situirten Blastula 527
Verschiedenheit der Gastrulation bei den Wirbelthierclassen 584
Verschiedenheit der Materialsonderung während der Furch ung
bei den Wirbelthierclassen 585
Die Pnrchung der höheren Vertebraten leistet Arbeit
der Gastrulation bei den niederen Classen 536
Verschiedenheit der Massen des „entwickelten" und „unentwickelten"
Materiales der Blastula der Wirbelthierclassen 537
1) Diese Abhandlung hat in der Publication die Priorität vor der ihr voran-
gesetzten Nr. 22 ; doch sind beide gemeinsam auf Grund von Experimenten des Früh-
jahres 1887 entstanden. Dies ist auch die Veranlassung, dass in der vorgesetzten
Abhandlung schon dieselben Erfahrungen über Gastrulation und Asyntaxia medullaris
verwerthet werden.
Lagerung des Materiales des MeduUarrohres. 523
[697J Meine Herren ! Ich möchte kurz über einige Versuche berich-
ten, die ich anstellte, um einen Einblick in dieMassen Verschiebungen
zu gewinnen, welche bei der Gastrulation des Froscheies vor
sich gehen, und um so einen Aufschluss darüber zu erhalten,
welchen „Gegenden" der ,, Morula" resp. „Blastula" das Ma-
terial des MeduUarrohres entstammt.
Der mit Hülfe der PFLücER'schen Zwangslage von mir ange-
stellte Versuch (s. S. 347) an Froscheiern, welche in ,, normaler"
Weise mit ihrer schwarzen Hemisphäre nach oben, also mit der
weissen Hemisphäre nach unten auf eine Glasschale aufgesetzt und
durch ungenügende Quellung der Gallerthülle verhindert worden
waren, die sonst während der Gastrulation stattfindende Drehung
innerhalb ihrer Gallerthülle auszuführen, hatte in Uebereinstimmung
mit einem anders gewonnenen Schlüsse Pflüger's ergeben, dass die
Medullarwülste normaler Weise nicht, wie bisher angenommen worden
Avar (s. S. 524 Fig. 2), auf der oberen, schon von vornherein schwarzen
Hälfte des Eies zur Anlage kommen, sondern dass, entsprechend
Fig. 3, die^ Medullarw^ülste in ,, ganzer" Länge ,,auf" der
,, unteren", ursprünglich weissen, erst während der Gastrulation
schwarz gewordenen Eihälfte gebildet werden. Die Prüfung,
ob diese Methode wirklich jede Drehung des ganzen Eies verhindert,
ist jederzeit während des Versuches durch Umkehr oder Schiefstellung
der Glasschale, an deren Boden das Ei mit seiner Hülle festhaftet,
leicht anzustellen; und es kann daher ein Zweifel an der Sicherheit
der Methode im einzelnen Falle nicht bestehen; wenn dagegen in
einem Falle, durch zu starke Quellung der Gallerthülle, das Ei noch
drehbar geblieben ist, dann dreht sich die Gastrula schon vor der
Bildung der Medullarwülste derart, dass die Medullarwülste nach ihrer
Anlage entweder nicht oder nur noch mit ihrem hinteren Ende auf
der nach u n t e n gewendeten Seite des Eies sichtljar sind.
Es war nun die Frage, von woher dieses Material der auf der
Unterseite des Eies angelegten ,,Medullarp]atte" der Gastrula
524
Nr. 23. lieber die Lagerung des Materiales des MeduUarrohres etc.
[6981
FiiT. 1.
Fi£i-. 2.
02.
Fii?. 3.
F i g u r e n e r k 1 ä r u 11 g :
Schemata der Lage des ür-
niimdes und der Medullarwülste
des Frosches zur ursprünglich
oberen schwarzen Hemisphäre
des Eies, ü' Stelle der ersten
Anlage des Urmuudes. U- Stelle
des letzten Restes des Urmundes.
G querer Gehirnwulst, resp. Stelle
der Anlage desselben.
Fig. 1. Blastula im Beginne
der Gastrulation.
Fig. 2. A eitere Auffassung
von der Lage der Medullar-
wülste.
Fig. 3. Wirkliche Lage der
Medullarwülste.
Fig. 4. Lage des rechten Me-
dullarwulstesbei Asyntaxia me-
dullaris totalis (Roux) (die bei
dieser Missbildung vorhandene
Abplattung des Keimes als aus-
geblieben gedacht).
Fig. 4.
Asyntaxia medullaris. 525
[699] stamme'), l^ie ausführliche Schilderung, welche Üscah Hkhtwk;
iu seiner Arbeit über die Entwickeluno- des mittleren Keimblattes der
Wirbelthiere, 1881, S. 10, bezüglich der bei der Gastrulation des Tri-
toneies von oben her gegen den Urmund hin stattfindenden
Materialverschiebung macht, schien vollkommen für die Erklärung
der neuen Beobachtung auszureichen, sofern man imr nicht, gleich
Hertwig, das Material sich am Urmundrande nach innen umschlagen,
sondern an der Aussenfiäche weiter über die Unterseite sich fortschieben
liess. Damit würde zugleich auch die über die ganze Unterseite
hin erfolgende, Fig. I von U' bis U^ verlaufende, etwa 170° be-
tragende Verschiebung des Urmundes ihre Erklärung finden.
Weiterhin schien damit zu stimmen, dass ich beim Anstechen
des Aequators der Morula an der Stelle der künftigen ersten Urmunds-
anlage wiederholt einen circumscripten Defect in der Mitte des Me-
dullarrohres erhielt. Ich hatte also Veranlassung, anzunehmen, das
Material des künftigen Embryo sei in der Morula und Blastula derart
vertheilt, dass das Material der Kopf half te des Embryo der oberen
Eihälfte entspreche, dass also der virtuelle Embryo gleichsam senk-
recht, mit dem Kopfende oben, in der Blastula stehe. Auf diese [
Weise glaubte ich zugleich eine Erklärung gefunden zu haben, w^elche l
von der bisherigen Auffassung, dass das ganze Material der Rücken-
hälfte ursprünglich oben sei, möglichst wenig, blos um die Hälfte,
abwich (s. S. 185).
Die Versuche des nächsten Jahres aber belehrten mich schon,
dass der circumscripte Defect in der Mitte des Medullarrohres kein
,,primäres" Bildungsphänomen ist, sondern dass er nur das
vorletzte Phänomen eines Reparationsvorganges darstellt, dessen
entwickelungsmechanische Erklärung ich unten (Seite 528) ange-
deutet habe.
Zugleich aber beobachtete ich, ohne dass ein Eingriff am Ei
stattgefunden hatte, mehrfach eine typische Form von Missbil-
dung, welche einen weiteren Aufschluss gewährte. Ich fand nämlich
im Ganzen 10 Embryonen, bei welchen der Urmund sich nicht
[1) Pflüger hatte geschlossen, dass das Material des Medullarrohres
aus der Substanz der weissen Hemisphäre stamme (s. seine Abh. II, S. 47).]
526 Nr. 23. Ueber die Lagerung des Materiales des Medullarrohres etc.
verengte, sondern die ganze weisse Unterseite des Eies noch sehen
liess, während schon die Differenzirung der schwarzen Seite so weit
vorgeschritten war, dass am Aequator des Eies neben dieser
weissen Masse jederseits ein wohlausgebildeter Medullär wulst
sich fand, der nur vorn und hinten mit dem der anderen Seite in
Verbindung stand (Fig. IV). Die durchaus schwarze Oberseite
liess dabei nach innen von den den Seitenrand bildenden Medullar-
[700] Wülsten die wohlgebildeten Urwirbelsegmente und die Haftnäpfe
erkennen. Die Querschnitte durch diese Missbildung zeigen unter
jedem der beiden Medullarwülste eine durch die halbe Anzahl der
sie zusammensetzenden Zellen charakterisirte Semichorda dorsalis und
lassen zugleich erkennen, dass der En toblast fehlt. Diese Miss-
bildung deutete ich so, dass in Folge des Fehlens des Entoblast das
normale Herabwachsen der beiden seitlichen Hälften der Medullar-
platte von dem Aequatorrand der Blastula her, und damit auch
die Vereinigung dieser beiden Hälften in der Medianlinie auf der
Unterseite ausgeblieben ist. Deshallj nannte ich diese Missbildung
Asyiitaxia medullaris (s. 8. 443) von dowraHa, NichtVereinigung)')
resp. AiientoTblastia (Darmblattlosigkeit) (s. S. 442 u. Nr. 31, S. 269).
Ich habe dieselbe in meiner Arbeit über die künstlich erzeugten halben
Embryonen (s. S. 442 u. 447) bereits kurz beschrieben. Die Richtig-
1) 0. Hertwjg hat sich in der Deutung dieser Missbildung ganz an meine
Auffassung, dass hier ein „Ausbleiben" der normalen Vereinigung der beiden
seitlichen Medullaranlagen vorliegt, angeschlossen.
Gleichwohl bestrebt er sich, einen anderen Namen statt des obigen, das
Wesen bezeichnenden dafür einzuführen, indem er in seinen Abhandlungen den
älteren Namen „Spina bifida" darauf anwendet.
Das mit letzterem Ausdrucke von Alters her Benannte ist aber in ver-
schiedene Missbildungen als: Rachischisis, Myelocele, Meningocele etc. zerlegt
worden (s. v. Recklingh.\usen, Untersuchungen über Spina bifida, Berlin 1886, 170 S.
2 Taf.), von denen keine unserem Befunde des Ausbleibens der ventralen Ver-
einigung der Medullaranlagen entspricht.
Da die Asyntaxia medullaris bereits vor der Anlage der Wirbelsäule, der
Columna spinalis, entsteht, wäre etwas richtiger als Spina bifida die Bezeichnung
Medulla bifida; doch liegt, wie wir sahen, auch keine Spaltung vor, sodass auch
das Beiwort bifida unzutreffend ist. Aus diesen P]rwägungen habe ich den neuen
bezeichnenden Namen Asyntaxia medullaris gebildet und glaube daher, dass er
sich trotz der nicht mitgetheilten (wie es scheint auch nicht rein sachlichen) Gegen-
gründe des genannten Autors einbürgern Avird.
Lagerung des Materiales des Medullarrohres. 527
keit obiger Deutung wurde nun durch die diesjährigen Versuche, in
welchen ich unter anderem aucli diese Missbildung „künstlich"
erzeugte, bestätigt ^).
In diesem Jahre verletzte ich die Morula und Blastula,
nach gegen früher verbesserter Methode, zunächst in der Mitte
der oberen Hälfte, also am schwarzen Pole des Eies, Nach der
bisherigen Annahme der Autoren, dass das Rückenmark auf der
oberen Hälfte des Eies angelegt werde, musste der eventuelle Defect,
resp. die Narbe, alsdann in der Mitte der Länge des Medullarrohres
sich linden, siehe Fig. 2. Es zeigte sich aber, wie ich nach dem
Mitgetheilten nun schon mit Sicherheit erwartete, dass der Defect
oder die Narbe ausnahmslos auf der Bauchseite, und zwar speciell
blos auf dem Bauche des Embryo sich vorfand. Daraus geht also
mit Sicherheit hervor, dass die mittleren Furchungskugeln
der „schwazen oberen" Hemisphäre, also des sogenannten an i-
malen Poles, der Morula und Blastula die ,, Bauchgegend" des
Embryo aus sich hervorgehen lassen [s. S. 460 Anm. und Nr. 20,
S. 32].
Weiterhin zerstörte ich die erste Anlage der ürmunds-
lippe (Fig. 1 U^). Nach der älteren Auffassung hätte dann der
Defect am hinteren Körperende sich finden müssen; es fand sich
aber ein Bildungsdefect im queren Gehirnwulst, entsprechend Fig. 3 G.
Es entspricht also die erste mediane Anlage der Urmunds-
lippe dem queren Gehirnw^ulst des Embryo^),
Verletzte ich die Blastula oder die schon beginnende Gastrula
[1) Diese Erzeugung geschah einmal durch Anstich, wie auf S. 701 und früher
S. 162, 167 u. f. mitgetheilt ist, weiterhin aher auch durch Pressung der Eier
vom Beginn der Entwickelung an bis zur Bildung der Medullarwülste zwischen senk-
rechten Platten, wobei eine Form entsteht, die ganz der Textfigur Nr. 4 (S. 524)
entspricht (siehe ^r. 29 S. 607).
Dieser letztere Versuch beweist direct die Richtigkeit meiner Auffassung,
dass das Material des späteren Medullarrohres an der Blastula ringförmig das Ei
und zwar annähernd in der Aequatorgegend umgiebt; durch die starke Pressung
wird das Herabwachsen verhindert.]
[2) Da kleine Brennmarken rasch ahgestossen oder resorbirt werden, müssen
die Marken, welche bis nach Bildung der Medullarwülste bleiben sollen, etwas tief
und gross sein. Meine Versuche sind daher, wie ich schon gelegentlich eines Vor-
trages von W. His auf der Naturforscherversammlung zu Nürnberg (1893) mittheilte,
528 Nr. 23. lieber die Lagerung des Materiales des MeduUarrohres etc.
seitlicli am Aequator, so zeigte sich später ein Dei'ect annähernd
in der Mitte eines Medullarwulstes^).
Verletzte ich das Ei bei beginnender Gastrulation an der
der Urmundsanlage gegenüberhegenden Stehe des Aequators, Fig. 1 U ^,
[701] so Avar ein Defect am caudalen Körperende die Folge, ent-
sprechend Fig. 3 U^, während er nach der älteren Auffassung,
siehe Fig. 2, hätte am Kopfende sich finden müssen.
Fand die Verletzung unten in der Mitte des weissen Poles
statt, so war später äusserlich kein Defect w^ahrnehmbar. War die
Verletzung mehr excentrisch auf der Unterfläche, so war mehr oder
weniger ausgedehnte Asyntaxia medullaris die Folge; deren in
vielen Fällen erfolgende nachträgliche Heilung öfter derart vor
sich ging, dass die beiden Medullarwülste sich vorn und hinten ein-
ander näherten und mit einander verschmolzen, so dass vor der voll-
kommenen Vereinigung nur noch ein Loch in der ,, Mitte" des
MeduUarrohres vorhanden war. Dieselbe Bildung entsteht öfters
auch, wenn man unmittelbar neben der ersten Urmundsanlage die
weisse Hemisphäre in der Medianlinie (Fig. 1 unterhalb U^) ange-
stochen hat; und so erklärt sich meine eingangs (S. 525) mitgetheilte
frühere bezügliche Beobachtung nacli dem Anstechen der Morula an
der entsprechenden Stelle.
[Es ist ein gelegentlich beim Frosch vorkommender kleiner
Anachronismus, dass die bilaterale Epibolie nicht, wie in der Norm
rein in cephalocaudaler Richtung fortschreitet, sondern dass am cau-
dalen Ende bereits Vereinigung der beiden seitlichen Theile statt-
findet, wenn die Vereinigung von der cephalen Seite erst bis zur
Mitte gelangt ist, alsdann sieht man bei genauer Verfolgung, dass der
nicht so fein, dass ich auf Grund des hier berichteten Befundes der Angabe dieses
Forschers entgegentreten könnte, dass der quere Gehirnwulst nicht in der ersten
Anlage der dorsalen Urmundslippe, sondern unmittelbar vor derselben liege und
seinerseits selber nicht durch Concrescenz entstehe. Eben deshalb habe ich meine
verschiedenen Marken um 90'^ auseinandergelegt, da es sich, wie die ganze Arbeit zeigt,
in ihr nicht um ein feines Detail, sondern entsprechend dem seinerzeitigen Nicht-
wissen um die Hauptlagerungsverhältnisse handelte.]
[1) Dieselben Ergebnisse erhielt neuerdings am Ei von Siredon pisciformis
D. Barfurth (Ueber die organbildenden Keimbezirke und künstlichen Missbildungeu
des Amphibieneies. Mkrkel-Bonnet's anat. Hefte 1893, S. 35.5—389).]
(iastriilation des Froscheies durch bilaterale Epibolie. 529
Blastoporus gegen Schliiss desselben iiiclit hinten,
sondern nahe der Mitte des Medulhirrohres liegt; Viel-
leicht kommen solche zeitHch geringen, aber in ihren descriptiven
Folgen sehr bedeutend seheinende Abweichungen bei anderen Thieren
häufiger vor, und es beruhen darauf manche bezüglichen Differenzen
der Autoren. (Vergl. S. 457 Anm. 2.) Nach Asyntaxia medullaris kommt,
wie erwähnt, diese Art der Verschliessung oder Verengerung des Blasto-
porus häufiger vor.]
Durch diese Versuche ist wohl ausser Zweifel gestellt, dass die
ältere Auffassung, welche noch jüngst von 0. Sghultze') sehr ent-
schieden vertreten worden ist, nicht richtig ist.
Wir haben uns vielmehr vorzustellen, dass das Material zur
späteren Bildung der Medullarplatte jederseits durch seitliches
Herab wachsen vom Aequatorr ande aus auf die Unterseite des
Eies geschoben wird, und dass diese von beiden Seiten her einander
entgegen wachsenden Platten unten in der Medianebene miteinander
verschmelzen. Diese Verschmelzung findet successive und zwar
in cephalocaudaler Richtung statt. Auf diese Weise erklärt sich
zugleich die in der gleichen Richtung erfolgende Wanderung des
ürmundes um etwa 170*^ über die Unterfläche des Eies (Fig. 1 von
U^ nach U"). Die Gastrulation des Froscheies vollzieht sich also
wesentlich durch Ueberwachsung der weissen, unteren Hälfte des
Eies von den beiden Seitenhälften des Aequators aus, also durch
„bilaterale Epibolie" [s. S. 454 u. 183). Eine Einstülpung kommt
dabei ])los insoweit vor, als das Nahrungsdottermaterial der unteren
Hälfte zugleich nach oben gegen das Dach der Furchungshöhle hin-
wandert oder verdrängt wird bis zur vollkommenen Berührung des
Daches, also bis zum Schwunde der Furchungshöhle^)^).
1) 0. ScHü^TZE, Zur ersten Entwickelung des braunen Erdfrosclies; in der
Gratulationsschrift für A. von Kölliker, Leipzig 18S7 und Biologisches Centralblatt
1S87 Bd. 7, Nr. 19.
['■i) Diese Auffassung von der Gastrulation und Concrescenz der Amphibien hat
vielfache Zustimmung gefunden.
In dem Umstände, dass 0. Hertwig sie später (NB. unter Berufung auf vor-
stehende Untersuchung) in populärer Weise dargestellt und illustrirt hat, haben einige
andere descriptive Autoren Veranlassung gefunden, diese Auffassung ihm zuzu-
schreiben, so z. ß. Charles Sedgwick Minot (Lehrb. d. Entwickelungsgesch. d. Menschen
W. Eoux, Gesammelte Abhandlungen. 11. 34
530 Nr. 23. üeber die Lagerung des Materiales des Medullarrohres etc.
Gut gefärbte Schnitte durcli eine beginnende Gastrula zeigten
mir dementsprechend auch die Mitosen in der Aequatorgegend,
1894 S. 168) und J. Kollmank (Spina bifida und der Canalis neurentericus, Verhandl.
d. auat. Ges. 1893).
Ich habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass die Ergebnisse experi-
menteller Arbeiten von descriptiven Anatomen erst beachtet worden sind , nach-
dem und nur soweit als ein anderer descriptiver Forscher sie verwerthet hat; ein
Zeichen davon, wie wenig die betreffenden Autoren über den Werth des Experimentes
unterrichtet sind (s. S. 89). Auf dieser Verkennung beruht es weiterhin, dass sie
Abhandlungen, die unter dem Namen Entwickelungsmechanik erscheinen, nicht für
lesenswerth halten.
W. His, der schon seit lange die bezügliche Concrescenz für die Fische auf-
gestellt und vertreten hatte, hat sich gleichfalls meiner Auffassung von der Concres-
cenz bei den Amphibien angeschlossen (s. Arch. f. Auat. u. Physiol., 1894, S. 326).
RicH. Semon theilt mit (Die äussere Entwickelung des Ceratodus Forsten, Abdr.
aus Semon, zool. Forschungsreisen in Australien etc. Jena. 1893, S. 83), dass seine
Beobachtungen an Ceratodus für die Richtigkeit der Gastrulation durch „bilaterale
Epibolie" sprechen.
Th. Morgan berichtet, nachdem er früher abweichende Resultate erhalten hatte,
neuerdings (The Formation of the Embryo of the Frog, anat. Anz. 1894. Bd. IX,
S. 697 — 705), dass er die hier von mir geschilderten Versuche mit wesentlich demselben
Ergebniss nachgemacht hat.
F. Keibel dehnt die auf die bilaterale Epibolie sich stützende „Concrescenz-
theorie" auch auf einen Säuger aus (Studien zur Entwickelungsgeschichte des
Schweines, in G. Schwalbe's Morphol, Arb. Bd. III. 1893, S. 117).]
Doch fehlt es auch nicht an Gegnern (siehe Anm. 3).
[3) Diese Auffassung von dem geringen Antheil einer , Einstülpung"
an der Gastrulation findet sich bereits vor dieser Abhandlung in einem kritischen
Referat von mir vertreten (s. biolog. Centralblatt 1887, Bd. VII, S. 425).
üebrigens ist noch beizufügen, dass vielleicht der allererste, durch Um-
ordnung und Umgestaltung von Zellen sich vollziehende Anfang
derUrmundbildung (s. S. 342, Anm. 3) auch eine „Einstülpung" darstellt; doch
müsste um dies festzustellen , uachgev/iesen werden , dass bei dieser Umordnung
oberflächlich am Ei gelagerte Zellen in die Tiefe gelangen, was schwer zu er-
mitteln sein wird.
In einem im gleichen Jahre (1888) erschienenen Referate sage ich weiterhin
über den Vorgang der hier oben kurz geschilderten Gastrulation durch bilaterale
Epibolie folgendes (biolog. Centralbl. Bd. 8, S. 410):
„Die oben (S. 346) geschilderte Thatsache, dass der Urmund von seiner
Anlagestelle aus über die ganze Unterseite des Eies wandert und die dabei statt-
findenden Formänderungen desselben sind nach dem Resultate der Anstechver-
suche so aufzufassen, dass nach der ersten Anlage des Urmundes die beiden Seiten-
schenkel seines Saumes von den Seiten her, zunächst neben der Anlagestelle bis zur
Berührung und sofortigen Verschmelzung einander entgegen wachsen; und es ist zu
schliessen, dass dies auch weiterhin in cephalocaudaler Richtung vor sich geht,
abgesehen von einer späteren selbststäudigen, aber nicht sehr ausgedehnten Ver-
schmelzung beider Seitenlippen am „hintern" Ende".
Gastrulation des Froscheies durch liihiterale Epibolie. 531
also der Götte'scIioh Randzono, am häufigsten, immer 2 — 3 in jedem
Schnitt; während auf der scliwarzen Hemisphäre blos auf jede 8. bis
0. ScHULTZE vertritt dagegen eine andere Auffassung, die nebst meiner Ent-
gegnung hier Platz finden möge (loco cit. S. 411 u. f.):
SoHiLTZE handelt nur von z\y anglos aufgestellten Eiern und sagt: „„Die von
dem dunklen Eiabschnitt ausgehende, in allen Meridianen nach unten erfolgende Zell-
verschiebung findet etwas unterhalb der zur Zeit der Entstehung des Urmundes höchst
gelegenen Stelle der hellen Hemisphäre, d. i. dicht unter dem Aequator zuerst
Widerstand (Born), weshalb sich hier die Wachsthumsrichtung in eine anfangs radiär
nach innen gerichtete umändert. Von diesem Augenblicke an werden an der dorsalen
Innenfläche oberhalb des Urmundes die Dotterzellen nach aufwärts verschoben , und
wird hierdurch naturgemäss der Schwerpunct des Eies nach dem spätem Rücken hin
verlagert. Da das Ei in den Hüllen beweglich ist, muss sich demgemäss der Urmund
senken, und beginnt nun das Ei seine erste Rotation um eine Horizontalaxe, welche
senkrecht auf der Medianebene steht. Diese dauert entsprechend der nach aufwärts
gerichteten, zunehmenden Verschiebung der Dotterzellen fort, bis dieselben in dem
höchsten Punct der Eikugel angelangt sind. Nunmehr tritt zugleich mit der Er-
weiterung des Urdarms ein Abwärtssinken der Dotterzellen, die mittlerweile in der
Gegend des spätem Kopfes angelangt sind, au der dem Urmund gegenüberliegenden
Innenfläche ein ; und die natürliche Folge dieser stets symmetrisch zur Medianebene
erfolgenden Zellverschiebung ist, dass das Ei nunmehr in demselben Bogen, in welchem
es vorher unter Senkung des Ürmunds rotirte, um eine gleiche Horizontalaxe in
rückläufiger Drehung unter dem Einfluss der Schwere sich bewegt.""
Dazu bemerkte ich :
„Bei diesem Nachweis bleibt nach meiner Meinung noch Folgendes zu fragen:
Woher weiss der Autor, dass die Zellen an der Stelle der ersten Urmundsanlage einen
derartigen AViderstaud finden (denn Born hat diese Ansicht blos als Vermuthung ge-
äussert und einen Beweis nicht erbracht), dass zufolge dessen sich hier die Wachs-
thumsrichtung in eine nach innen gerichtete umändert? [s. S. 342 Anm.2]. Meint er, dass
dieses Wachsthum nach innen keine Widerstände zu überwinden habe? Woher weiss
er, dass der Urmund blos deshalb sich senkt, weil die Dotterzellen nach oben treten
und dass diese Senkung durch eine Drehung des Eies bedingt ist? Woher weiss S.,
dass nicht entsprechend meiner Annahme der Vorgang eher der umgekehrte
ist, dass im Gegentheil eine mechanische Tendenz zur „Aufwärts-
drehung" auf diese Seite vorhanden ist, weil die protoplasmatischen, also
specifisch leichteren Zellen zuerst auf dieser Seite (am ruhend ge-
dachten Ei) „herabwachsen" (statt durch Drehung des ganzen Eies nach unten
zu kommen), dass aber dieser Drehungstendenz durch die eine Strecke weit in die
Höhe Avandernden,! specifisch schwereren Dotterzellen anfangs mehr oder weniger voll-
kommen das Gleichgewicht gehalten wird? Woher weiss S., dass die spätere
direct nachgCAviesene, seiner angeblich vorausgegangenen, aber nicht thatsächlich
festgestellten, entgegengesetzt gerichtete Drehung durch ein Herabsinken dieser
vordem Dotterzellen, und nicht, wie nach Pflüger's und meinen Thatsachen zu
schliessen ist, durch (active oder passive?) Aufwärts - Verlagerung der hintern
grössern Dotterzellmasse bei der Ausweitung der Urdarmhöhle bedingt ist? Woher
weiss S. ferner dasjenige, was die Grundlage seiner Anschauung bildet, dass der
untere Saum des Urmundes immer dieselbe Lage zur Hauptmasse des Eies einnimmt,
34*
582 Nr. 23. Ueber die Lagerung des Materiales des Mediillarrohres etc.
11. Zelle eine Kerntheilungsfigiir kam und in der unteren weissen
Hälfte noch nicht in jedem Schnitte eine einzige auffindbar war (vergl.
Anmerkung ^) auf S. 533).
und dass niclit im Gegentheil, wie Pflüger angenommen hat und ich oben darge-
than habe, der Urnnind sich stetig gegen die Hauptmasse des Eies verschiebt?
Alle diese Alternativen hätte S. durch beweisende Beobachtungen oder durch
zwingende Schlüsse aus solchen in seinem Sinn zur Entscheidung bringen
müssen. Dies ist aber in keinem Falle versucht worden."
„S. hätte meiner Meinung nach die drei Beobachtungen: dass beim zwanglos
aufgesetzten Froschei der Urmund sich zunächst um 80" senkt, dann um 90° sich
in rückläufiger Bewegung wieder hebt, und dass beim Beginne der Gastrulation eine
relativ kleine Gruppe von Dotterzellen auf der Seite der Urmundsanlage sich über
das Niveau des Bodens der Furchungshöhle erhebt (Stricker), voranstellen und
danach unbefangen prüfen müssen, zu welcher Auffassung sie zwingen: dabei würde
es ihm wohl nicht haben entgehen können, dass seine Deutung nicht die einzig
mögliche ist, sondern dass die soeben von mir kurz angedeutete, meist entgegen-
gesetzte Auffassung ebenfalls möglich ist. Letztere hat aber den Vorzug, dass sie
alle Thatsachen, auch die von Pflüger und mir angegebenen erklärt, während die
seinige diese Thatsachen negiert."
S. hat sich durch diese Einwendungen nicht beeinflussen lassen, sondern hat in
einer weiteren Abhandlung („Ueber die Entwickelung der Medullarplatte des Frosch-
eies". Zeitsehr. f. wiss. Zool. 1882, Bd. 47) seine frühere Auffassung aufs Neue ver-
treten; wogegen ich (im Jahresber. von Hofmann-Schwalbe, anat. Abth. 1889, S. 610)
folgende weiteren Einwendungen gemacht habe: „Dem gegenüber, dass S. die von
mir constatirte Verschiebung des Urmundes des Froscheies gegen die weisse Hemi-
sphäre des Eies (um etwa 170") als ganz irrthümlich bezeichnet, ist daran zu
erinnern, dass S. selber bereits eine Verschiebung von 105° beobachtet hat. Dazu
kommt noch bei der Streckung der ersten Anlage der Medullarwülste, welche
S. dabei nicht berücksichtigt hat, eine Verschiebung des Urmundes von etwa 25"
nach hinten, wonach dann die Angabe S.'s blos noch 40" von meinen ab-
weichen. Auch für diese geringe Differenz findet sich in meinen Arbeiten bereits die
Erklärung."
„S. beobachtete ferner ein Feststehen oder nur geringes Verschieben des
Urmundes gegen kleine a b n o r m e Prominenzen der schwarzen Hemisphäre des Eies
und schliesst daraus, dass der Urmund gegen die „Hauptmasse des Eies" feststeht,
obschon er dies nur gegen die oherßächlichste Ze Hinge dieses sich stark verändern-
den Eitheiles wahrgenommen hat; während ich mit dickeren, durch mehrere Zelllagen
hindurchgehenden, also wohl relativ festeren Marken arbeitete. Uebrigens lassen
sich auch viele Beobachtungen S.'s mit den meinen in Einklang bringen, wider-
sprechen ihnen also nicht."
„Ausserdem glaubt S. die Resultate von meinen Versuchen, in denen ich die
Eier einen Tag länger, als es von selber geschieht, in ihrer anfänglichen senk-
rechten Einstellung erhalten hatte (S. 347) als pathologisch ganz für
die Beurtheilung des normalen Geschehens verwerfen zu müssen,
obgleich dabei die Entwickelung ohne Verzögerung unter vollkommen den normalen
Formenbildungen und unter Entstehung normaler Embryonen blos mit anderer Lage
zur Erdaxe sich vollzog. S. ist daher genöthigt anzunehmen, ein so geringer, auf
Gastrulation des Froscheies durch bilaterale Epibolie. 533
[702j Diese Auffassung der Gastrulation des Frosche ies stellt
keineswegs isolirt da, sondern es liegen im Gegentlieil Beobachtungen
die ganze EioberHäche gleichmässig vertheilter, auf das schon klein gefurchte Ei
Avirkender Zwang veranlasse, dass das MeduUarrobr, statt wie nach S., normaler
Weise auf der oberen, nun pathologischer Weise auf der unteren Hemisphäre
des Eies angelegt werde. Da ich ferner nach Anstich der Mitte der oberen Hälfte
der Blastula den dadurch hervorgebrachten kleinen und scharf umgrenzten Defect
auf dem Bauche des Embryo fand, so müsste durch diesen localen Eingriff wieder-
um die Medullarrohrbildung von ihrer angeblich normalen Stelle nach der entgegen-
gesetzten Seite des Eies vertrieben worden seien. Mit gleichem Rechte oder besser
Unrechte wäre anzunehmen, dass S/s Eier Abnormitäten darstellten, welche keinen
Rückachluss auf das Normale gestatteten; denn sie zeigten anormale Bildungen gerade
im Ectoblast, um den es sich handelt, und mehrere Eier entwickelten sich nicht
weiter. Schliesslich ist von Bedeutung, dass die von S. verwendete Methode der
Verwerthung zufälliger Pigmeotanhäufungen an der Oberfläche von mir selber her-
rührt und mir dasselbe Ergebniss lieferte (s. S. 114), wie ihm; dass aber später
von mir, nachdem ich die Fehlerquellen der Methode [das Verschwinden solcher
Flecke und die gleichzeitige Bildung neuer Flecke, sowie die Pigment Wande-
rung auf dem Ei] erkannt hatte, das mit ihr gewonnene Resultat als unrichtig
verworfen wurde."
Jüngst hat B.asilius Lwoff (Die Bildung der primären Keimblätter und die
Entstehung der Chorda und des Mesorderms bei den Wirbelthieren. Moskau 1894.)
über die Gastrulation der Amphibien gehandelt und gegen die von mir ermittelten
Thatsachen weitläufig polemisirt. J]s ist ihm jedoch unbekannt, dass ich die
Wanderung der dorsalen Urmundslippe nicht erdeutet, sondern beobachtet habe, dass
ich bei zwischen senkrechten Platten gepressten Eiern vollkommene Asyntaxia
raedullaris erhielt (s Nr. 29, S. 607), dass die von ihm auf Seite 525 vermisste Auf-
klärung sich auf Seite 528 findet, dass meine Marken durch mehrere Zelllagen tief-
dringend waren, dass bei beginnender Gastrulation an den Seiten noch die Lage-
rungsverhältnisse der Blastula vorhanden sind, dass ich das Material des Medullar-
rohres nicht blos in die jeweiligen Urm und slippen verlege, mit der Verschmelzung
der Urmundslippen nicht die (NB. dorsale) Verschmelzung der M e d u 1 1 a r w ü 1 s t e
geschehen lasse (über welche Verschmelzung er mir eine nicht von mir geäusserte An-
sicht unterstellt), dass nur bei heilender Asyntaxia medullaris die Schliessung
des Blastoporus mit der (NB. ventralen) Vereinigung der Medullarwülste zusammenfällt.
Zu seiner Aufklärung sei noch bemerkt, was allerdings aus meinen früheren Mit-
theilungen schon hervorgeht, dass ich schliesse, dass der quere Gehirnwulst zum Theil
aus demjenigen Material der Blastula oder beginnenden Gastrula entsteht, in
welchem diejenige Marke gemacht war, welche sich später in diesem Wulst
liegend zeigt, und dass manches dieser Materialien festliegt, z. B. des queren Ge-
hirnwulst oder des oberen Pol, während die seitlich am Aequator angebrachten
Marken und ihre Umgebung sich verschieben. Die „Verbesserung" meiner Methode
gegen die in Nr. 18 berichteten ersten Orientirungsversuche an der Blastula und
Gastrula bestand in besserer Erhaltung der Eier in Zwangslage während der Operation
(nach S. 347 Anm.), in genauerer Ausführung der Operation und in baldiger und
wiederholter Controlle des unmittelbaren Effectes derselben (s. S. 171 Anm. u. Nr. 31).]
1) Aus diesen Beobachtungen ergiebt sich also, wie schön S. 348 angegeben.
531 Nr. 23. Ueber die Lagerung des Materiales des Medullarrohres etc.
vor, welche auf ein gleiches Geschehen bei der Gastrulation
von Fischen hindeuten. So hat z. B. His schon im Jahre 1874 in
seiner Schrift „Ueber unsere Körperform" und weiterhin 1876 auf
Grund seiner Beobachtungen am Salmenkeim folgende Schluss-
folgerung über die Anlage des Rumpfes ausgesprochen: ,,Die Masse,
aus welcher die Rumpfanlage hervorgeht, ist im Randwulst der
Keimscheibe aufgespeichert; und sie gelangt dadurch an ihren Ort,
dass je weilen die dem hinteren Ende des bereits abgegliederten
Embryo zunächst liegenden Strecken an diesen sich heranschieben
und ihn nach rückwärts verlängern. Ist der Dotter bis auf einen
kleinen Rest umwachsen, so ist vom Randwulste nur noch ein kleiner
das hintere Körperende bildender Ring übrig, dessen Hälften schliess-
lich gleichfalls sich verbinden."
Diese Angabe über die Bildung eines Knochenfischembryo
steht, wie man sieht, durchaus in Uebereinstimmung mit den Folge-
rungen, die aus meinen Versuchen am Frosch ei sich ergeben haben.
Und desgleichen hat auch Rauber im Jahre 1880 eine von ihm, aller-
dings wenig gut, als „Dehiscenz" der Embryonalanlage bezeich-
nete Missbilduug von Fischembryonen beschrieben, welche einem un-
vollkommenen Grade meiper ,,Asyntaxia medullaris" zu entsprechen
scheint.
Wir können daher den Satz aufstellen: Die schwarze, am Ei-
äquator angelegte Urmundslippe des Froscheies entspricht dem
Randwulste der Knochenfische. Das Material für die Me-
dass die Eiaxe des befruchteten Eies bei , normaler Einstellung des Eies in ihrer
Richtung vom schwarzen zum weissen Pol der ventridorsaleu Richtung des
„reellen" sichtbaren Embryo entspricht. Danach entspricht weiterhin die „Be-
fruchtungsseite" des Eies (s. S. 355) der caudalen, die gegenüberliegende
Seite des Eies (des „höherstehenden Weissen") der cephalen Seite des „reellen"
Embryo. Der , virtuelle" Embryo dagegen ist als aus zwei, mit ihrer „Dorsalseite"
um 180" von einander getrennten und damit den Aequator der Blastula einnehmenden,
jbauchwärts" aber vereinigten und „oben" am Ei gelegenen Hälften gebildet vorzu-
stellen (s.Fig. 4, S. 524); die Lage seiner caudalen und cephalen Seite dagegen entspricht
wesentlich der Lage derselben Seite des reellen Embryo, da das Herabwachsen
über die untere Eihälfte nicht, wie ich früher nach 0. Hertwig annahm, wesent-
lich in cephalocaudaler Richtung, sondern wesentlich von beiden lateralen
Seiten her erfolgt.
Leistung von Arbeit der Gastrulation durch die Furchung. 535
(liillarplatte des Froscheies liegt „in", und wohl noch auf-
wärts „neben" dem „ganzen", das Ei „rings" umziehenden
Umschlagsrande des Epiblast in den Hypoblast.
Die Abweichung bei den Elasmobranchiern lässt sich von
diesem Verhalten ableiten, wenn man sich vorstellt, dass das Plus
an Nahrungsdotter dieser Eier in der Mitte des caudalen Theiles
des Ringes der Randzone angehäuft worden sei, dass damit der Ring
des Bild ungsmateriales hinten in der Mitte gesprengt und das Bil-
dungsmaterial jederseits längs der Randzone nach der Kopfhälfte hin
verschoben worden sei.
Das Verhalten der Amnioten ergiebt sich durch eine Steigerung
wesentlich derselben Verhältnisse bis zur fast vollkoinmenen Zu-
sammenlagerung des rechten und linken Schenkels dieses Bildungs-
materials zur Berührung beider Theile in der künftigen Medianebene.
Für die placentalen Säuger ist blos die Besonderheit an-
[703] zunehmen, dass diese Anordnung, nachdem sie einmal von
den Reptilien erworben und dann auf die niederen Säuger überge-
gangen war, geblieben ist, obgleich die ursprüngliche Ver-
anlassung, die grosse Anhäufung von Nahrungsdotter
wieder geschwunden war.
Diese Vorstellungen sind jedoch blos anschauliche Hülfs-
vorstellungen und sollen und können durchaus nicht den ,, phylo-
genetischen Entwickelungsmechanismus" bezeichnen, wel-
cher noth wendigerweise ein ganz anderer gewesen sein muss. Be-
zügHch desselben ist vielmehr zu denken, dass die grosse An-
häufung von Nahrungsdotter andere ontogenetische Me-
chanismen nötig machte, welche an die Stelle der unmöglich
gewordenen Herüberschiebuug der beiden lateralen Hälften der Me-
dullarplatte über die grosse Nahrungsdottermasse, bis zur gegenseitigen
Berührung der Hälften, eine andere Ordnung des Bildungs-
dotters, sowie des K e r n m a t e r i a 1 s , während der F u r-
chune: setzten. Diese Mechanismen können wir uns nach Darwin
als durch lang fortgesetzte Selbstauslese von kleinen zufällig in
dieser Richtung liegenden Abweichungen der Bildungsmechanismen
536 Nr. 23. Ueber die Lagerung des Materiales des MeduUarrohres etc.
gezüchtet denken, und zwar natürlich als zweimal, fürElasmo-
branchier und Reptilien gesondert, erworben.
Das Wesentliche dieser neuen Mechanismen besteht darin,
dass sie das Keimmaterial ,, schon während der Furchung"
derart ordnen, dass z. B. bei den ,,Amnioten" das Material
der beiden Antimeren der Medullarplatte schon von vorn-
herein unmittelbar nebeneinander gelagert wird und nicht
erst durch die Gastrulation zusammengeführt zu werden braucht.
Wir sehen also, dass das, was bei den Fischen (mit Aus-
nahme der Elasmobranchier) und wohl auch beim Am[)hioxus, sowie
bei den Amphibien in Bezug aui die Material läge rung die
,, Gastrulation" zugleich mit der Bildung der Keimblätter leistet, bei
den anderen Vertebraten grossentheils schon während der Furchung
hergestellt wird, womit ein Theil der Function der Gastrulation über-
flüssig geworden ist und die Gastrulation selber nunmehr entsprechende
Vereinfachung erfahren konnte.
[Kurz gefasst können wir sagen:
Die „Fnrchnng" der liöheren Vertehraten leistet in Be-
zug cotf die Materiallagernng bereits Arbeit, ivelche hei
den niederen Vertebraten erst diirch die „GastrtfJation" ge-
leistet tvird.J
Da ferner nach der hochgrachgen \''erminderung des Nahrungs-
dotters bei den Ptaeen taten dieser Bildungsmodus natürhch erst
recht ausreichte, so war keine Veranlassung, ja keine Mög-
lichkeit vorhanden, nachträglich durch Auslese einen
anderen, etwa wieder dem früheren gleichen, Mechanis-
mus zu züchten; im Gegentheil trurden noeli einige weitere
Vereinfachungen der Gastrulation möglich.
Noch wichtiger als die ,, formalen" Verschiedenheiten der
Furchung: als äquale und inäquale, totale und j^artielle Furchung,
sind somit für die typisch verschiedene Anordnung des
Keim- [704] materiales in Bezug auf die spätere Organi-
sation bei den verschiedenen Wirbelthierclassen resp. Ordnungen die
q u a 1 i t a t i v e n Vei'schiedenheiten der M a t e r i a 1 s c h e i d u n g , w e 1 c h e
Verschiedene Bedeutung des Eimateriales bei den Wirbelthierclassen. 537
bei jeder einzelnen Furcliung vor sich geht. Nur bei der
„normalen" ersten Theilung findet vielleicht bei allen Klassen die-
selbe Materialscheidung, nämlich die qualitativ gleiche Theilung, die
Scheidung des Materiales der beiden Antimeren, statt.
Bei dem Ueberblick über die Materiallagerung im Klastulu-
Stadium der Wirbelthiere springt zugleich ein anderes Verhalten in
die Auge] 1, nämlich der bei den ,, niederen" Klassen relativ grosse,
ja bedeutend überwiegende Antheil, den das Material der
künftigen „Bauchwandung" des Embryo im Verhältniss
zu dem Bildungsmateriale des ganzen übrigen Körpers
ausmacht; während dieser Antheil des „Bauclimateriales"
hei den „höher en'-'- Wirhelclassen auf dem der Blastula ent-
sprechenden Enttvickelnngsstaditim ein immer geringerer ivird
unter gleichseitiger Zunahme des Materiales für die „dorsale
Hälfte'''' des Embryo.
Dies Verhalten ist meiner Meinung nach so zu verstehen, dass
bei den niederen, der Gastraea näher stehenden Klassen das Ma-
terial der Bauchwandung" auf der Blastulastufe schon viel
,, weiter entw^ickelt" ist als das Material der medullären
Hälfte des Embryo, welches vielmehr nur erst als unentwickeltes
Material in der Uebergangszone des Epiblast in den Entoblast auf-
gespeichert ist.
So stellt die Froschblastula in ihrem überwiegenden Antheile
bereits ziemlich weit entwickeltes Material des Ecto- und Ento-
blast der Bauchw^andung des Embryo dar; während später aus
dem kleineren, in und neben dem Ring der Randzone gelegenen
Materiale, wenn auch unter Aufzehrung des dem Entoblast einge-
lagerten Dotters, der ganze übrige Embryo hervorgeht. Auch bei
den Elasmobranchiern liefert der überwiegende Antheil der Keim-
scheibe blos Material der Bauchwandung.
Bei den „iVmnioten" findet jedoch nur ein, je höher um so
kleinerer, „Randtheil" der Keimscheibe zur Bauchwan-
dung, und zwar ausnahmslos zum vorderen, kopfwärts gewende-
ten Theile der Bauchwandung V e r w e n d u n g. Also b e i d e n h ö h e r e n
538 Nr. 23. Ueber die Lagerung des Materiales des Medullarrohres etc.
Klassen ist auf der „Blastulastufe" das Material der Bauch-
wandung mehr erst ^^implicite'"'- d. h. noch weniger ent-
wickeltvorhanden, während das „dorsale" Material schon
mehr „explicite" (s. S. 401) sich vorfindet, als bei den
niederen Klassen.
Diese Unterscheidung von mehr und weniger entwickeltem Ma-
teriale der verschiedenen Theile des Eies einer und derselben Ent-
wickelungsstufe , also früherer und späterer Entwickelung der Theile
erweist sich bei gebührender Würdigung auch bei der Beurth eilung
manches anderen auffallenden quantitativen Verhaltens, z. B. der
relativen Grösse der Primitivrinne, als nützlich.
Nr. 24.
Ueber die Entwiekelung des Extraovates der
Froseheier.
1889.
Jahres-Bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur.
Wanderversammhme zu Kattowitz am 29. und 30. Juni 1889.
[1] Sticht man eiiiFroschei, welches sich bereits ge-
furcht und bis zur Blast u last ufe entwickelt hat, mit einer
behufs Desinfection unmittelbar vorher erhitzten Nadel an, so tritt
eine mehr oder weniger grosse Anzahl von Zellen aus dem Ei aus,
sammelt sich in der Gallerthülle zu einem Körper von pilzförmiger
Gestalt an und lebt noch eine Zeit laug weiter. Interessant ist, dass
die ausgetretene Eisubstanz, das Extraovat, nicht gleichmässig
aus Zellen besteht, sondern dass es gewöhnlich eine mehr oder weniger
dicke Rinde von blos aus Dotter gebildeter Substanz besitzt. Der
braune Farbstoff ist im Extraovat unregelmässig vertheilt.
Einige Tage nach der Operation findet man das Extraovat oft
noch in seiner ursprünglichen Farbe erhalten, also nicht verfärbt,
sondern wohl noch lebend. Auf dem Durchschnitt trifft man noch
die anfängliche Unordnung in der Lagerung der verschiedenen Be-
standtheile: de^ gefärbten und ungefärbten Dotters, sowie der Zell-
kerne. Zellgrenzen sind meist nicht wahrnehmbar. Die Zellkerne
dagegen sind kleiner und enthalten mehr Chromatin, d. h. sie färben
sich intensiver als die Kerne der Blastula zur Zeit der Operation.
Es hat also eine Vermehrung und qualitative Weiterent-
wickelung derZellkerne,,aber keine Ordnung derselben
und des Dotters um dieselben stattgefunden.
54:0 Nr. 24. lieber die Entwickelung des Extraovates der Froscheier.
Operirt man dagegen das Froschei kurze Zeit nach der
Befruchtung: nach der Bildung der ersten Furche, so ent-
wickelt sich das Extraovat meist nicht ; und das Gleiche gilt oft auch
für die angestochene Eihälfte. Ein Zellkern ist in diesen Fällen im
Extraovat nicht nachweisbar. In wenigen Fällen findet jedoch eine
Entwickelung statt. Das Extraovat wird in anfangs wenige Zellen
mit deutlichen Grenzen zerlegt. Das vorher unregelmässig ver-
theilte Pigment ist jetzt in der Peripherie der Zellen, besonders
an der freien Seite der oberflächlich gelegenen Zellen ange-
ordnet. Danach finden weitere Zelltheilungen statt. Das höchst
entwickelte Extraovat bietet sogar eine Entwickelungsstufe dar, die
der [2] G a s t r u 1 a in den wesentlichsten Puncten entspricht. Es sind
zwei deutlich durch einen glatten, continuirlich über viele Zellen
weglaufenden Contour geschiedene Schichten gebildet, von denen die
äussere, dem Ectoblast entsprechende, oberflächlich aus einer ein-
fachen Lage stark pigmentirter Plattenepithelien besteht, unter welcher
unregelmässig gestaltete, aber dicht zusammen gedrängte kleinere
Zellen in ein- bis dreifacher Zahl sich finden und mit ihrer innersten
Lage den erwähnten glatten Abgrenzungscontour bilden. An der
einen Seite zieht sich der glatte äussere Oberflächencontour im Bogen
in die das Innere bildende Zellenmasse hinein; und der so gebildete,
der Anlage der Urdarmhöhle entsprechende Spaltraum ist von
grösseren dotterreicheren Zellen begrenzt. An einer Stelle zeigen
sogar an diesem Uebergangsrande des äusseren in das innere Blatt
die Zellen des Ectoblast eine Anordnung, welche deutlich an die Ver-
hältnisse bei der Bildung der Medullär a n 1 a g e der H e m i e m b r y o n e s
laterales erinnert [Genaueres siehe S. 798].
Es zeigt sich also, dass Extraovate, in welche nur ein einziger
Kern, und zwar die Hälfte oder ein Viertel des Furchungs-
kernes übergetreten ist, in hohem Maasse und in einer an
normale Bildung erinnernden Weise e n t w i c k e 1 u n g s-
fähig sind^).
[i) Weiteres über die Entwickelung des Extraovates siehe in der schönen
Arbeit D. Barfurth's: Experimentelle Untersuchung über die Regeneration der Keim-
blätter bei den Amphibien. Merkel-Bonnet's anatom. Hefte 1893. Heft 9. S. 311—354.]
Nr. 25.
Beiträge zur Entwiekelungsmeehanik des Embryo.
Nr. VI. Ueber die „morphologische Polarisation" von Eiern
und Embryonen durch den electrischen Strom
sowie
Ueber die Wirkung des electrischen Stromes auf die Richtung
der ersten Theilung des Eies^).
1891.
Aus dem k. k. anatomisclien Institute zu Innsbruck.
Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathem.-naturw.
Classe; Bd. CI. Abth. III.
Vorgelegt in der Sitzung vom 17. Dezember 1891.
Mit Tafel VIU— X.
Inhalt.
A. Morphologisch polarisirende Wirkung des electrischen Stromes auf
„lebende" Objecte.
I. Abschnitt. Seito
1. Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Eier von Rana fusca: . 545
auf ein parallel contourirtes Band von Laich 546
auf eine runde Scheibe von Laich .549
bei wechselnder Durchströmungsriclitung 551
auf schwimmende Eier 552
auf unbefruchtete Eier 552
auf mecha^iisch insultirte Eier 552
auf getheilte Eier : Morula, Blastula und Gastrula 552
[-) Unter „morphologischer Polarisation " sind im Folgenden die von mir
beobachteten polar localisirten, sichtbaren, bleibenden eigenartigen Ver-
änderungen lebender Objecte (aus dem Stamm der Wirbelthiere) bei intraelectro-
lytärer electrischer Durchströmung verstanden (s. S. 545 Anm. 1).
Der erstere Theil des Haupttitels hätte daher auch umgekehrt lauten können :
Ueber polar localisirte, eigenartige, bleibende sichtbare Reactionen von
Eiern und Embryonen auf den electrischen Strom bei intraelectrolytärer Durchströmung.]
542 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Seite
2. Polarisirende Wirkung eines „Gleichstromes" auf Froscheier . . . 554
3. WirTct der „Wechselstrom" auf die Richtung der ersten Ei-
theihing ? 556
beim Durchströmen 556, beim Umströmen 557
II. Abschnitt.
1. Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Eier von
Eana fusca:
auf Eierstockseier 558
auf trocken gehaltene Eier 558, auf in Salzlösung gelegene Eier . . 559
bei wechselnder Durchströmungsrichtung 560
Wirkung sehr schwachen Stromes 560, verschiedener Stromdauer . . 561
Grösse der Polfeder 561
Verhalten deformirter Eier 562
Veränderungen der Eier nach der Durchströmung 562
Dauer der Polarisationsfähigkeit 562
Aufhebung derselben durch Erwärmung 563
Wirkung auf „Embryonen" von Rana fusca 563
Einfluss der Differenz des Leitungsvermögens von Ei und Electrolyt 567
2. Weitere polarisirende Wirkung des Gleichstromes:
auf Froscheier und Embryonen 569
3. Wirkt der „Gleichstrom" auf die Richtung der ersten Ei-
theilungf . 571
4. Polarisirende Wirkung des AVechselstromes auf Organe des erwach-
senen Frosches 572
auf die Gallenblase 572
auf das Froschherz 574
auf andere Organe 575
III. Abschnitt: Weitere polarisirende Wirkungen auf lebende Objecte.
Einleitung : . . 576
Erläuterung von Termin i s technicis 579
Wirkung des Wechselstromes auf:
Aethalium septicum 582
Hydra fusca 583
Wirkung auf Rana esculenta:
1. Wirkt der „Wechselstrom" auf die Besamungsrichtung? . . 583
auf die Copulaiionsrichtung? 584
2. Polarisirende Wirkung sehr schwachen Stromes auf das Ei ... . 585
3. Polarisirende Wirkung auf Eierstockseier 586, auf reife Eier .... 586
auf deformirte Eier 588, auf Extraovate, . . , . . . . 589
auf einander sehr nahe Eier 590
4. Polarisirende Wirkung auf in Zellen getheilte Eier 591
a) Specialpolarisation 591
b) Generalpolarisation 595
5. Polarisirende Wirkung auf Embryonen 597
Inhalt. 543
Seite
6. Einfluss der Wärme auf die Polarisationsfälligkeit 600
Einfluss der Carbolsäure auf die Reactionsfähigkeit ungetlieilter Eier 601
7. Prüfung des Leitungsvermögens der Eier 601
8. Polarisation bei Ablenkung der Stromfäden 602
Wirkung auf von Metall umschlossene Eier 602
Wirkung auf von Dielectricis umschlossene Eier 603
Wirkung des Gleichstromes auf Rana esculenta: 603
auf die Eier 604
auf das Herz und die CTalleublase 606
Wirkung des AVechselstromes auf Triton alpestris:
auf ungetheilte Eier 608
auf in Zellen getheilte Eier 611
a) Specialpolarisation 611
b) Generalpolarisation 612
Art des Vorganges der Polarisation 613
Variationen der Polarisation 614
Wirkung auf Extra ovate 619
auf isolirte Zellen 620
auf innere Theile der Gastrula 623
Wirkung des AVecliselstromes auf Telestes Agassizii:
auf die Eier, Morulae vind Embryonen 625
auf Herz imd Gallenblase ■ 682
Wirkung des Wechselstromes auf Lacerta agilis:
auf die Eier 683
auf die Gallenblasse 634
auf die Embryonen 634
Wirkung des AVechselstromes auf Gallus domesticiis 686
Wirkung des galvanischen Stromes auf Hühnerembryonen .... 642
Wirkung des AVechselstromes auf Sängethiere:
auf Eier und Embryonen 646
auf die Gallenblasen 647
Vorkommen des Stromschatten 650
Durch den AVechselstrom „nicht" morphologisch polarisirbare
Organe 653
[Nachtrag: Morphologisch polarisirende Wirkung der Schläge der Ley dener
Flasche auf Eier und Embyonen] 656
I
B. Polare Localisation der Wirkung des electrischen Stromes an
„nicht lebenden" Intraelectrolyten.
IV. Abschnitt.
1. Wirkung des Gleichstromes auf Gallerte 659
2. Wirkung auf Quecksilber 660
3. Wirkung des Wechselstromes auf „feste" metallische Intraelectrolyten
Definition des Intraelectrolyten 668
544 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Seite
Wirkung auf kugelige Gebilde 674
Verhalten einander sehr naher Kugeln 676
auf platte Gebilde 679
Verhalten des rechten Winkels 680
der Kupferscheibe 684
auf Draht 686
auf einen Kugelschalenabschnitt 689
auf unvollkommene Intraelectrolyten 689
Wirkung des Gleichstromes auf feste metallische Intraelectro-
lyten 692
Wirkung auf metallische Intraelectrolyten von der Gestalt der unter-
suchtenorg an ischen Gebilde 701
Wirkung bei besser als der Intraelectrolyt leitenden Medien: 703
scheinbare „Aeqiiatorisation" 703
Methode, jedes beliebig e Gebilde seiner Gestalt und seinem
Lei tvng SV ermö'g en entsprechend reactionsfähig auf den
electrischen Strom zu machen 703
Bedingungen der „Polarisation" 705
Methode der der directen Ermittelung des Verlaufes der Strom-
fäden gegen e inen Intraelectrolyten 707
Verlauf gegen metallische Intraelectrolyten :
im Wechselstrome 708
im Gleichstrome 710
gegen organische Intraelectrolyten 712
Abnahme der intraelectrolytären Wirkung des galvanischen Stromes mit
der Zunahme des Abstandes von den Electroden trotz gleich bleiben-
den Querschnittes der Strombahn 714
C. Erklärungsversuche und Zusammenfassung.
1. Ursache der polaren Localisation der Veränderungen 727
2. Ursache der scharfen Begrenzung der Aequators 731
3. Ursachen der speciellen Gestaltungen der Polfeder: 733
a) Stromschatten 733
b) Bestimmung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder . . . 737
c) Unterschiede der Localisation der Polfeder bei metallischen und
bei lebenden Intraelectrolyten 740
4. ZtLsamme'nstellung der specif ischen R eactionsweiscn der
lebenden embryonalen Objecte auf den electrischen Strom 741
5. Bedingungen der beschriebenen polaren Reactionen der lebenden Objecte 747
Verhalten der lebenden Objecte bei nicht intraelectr oly tärer
Durchströmung 748
6. Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des getheilten Eies. . 752
7. Ursachen der Generalpolarisation des in Zellen getheilten Eies . 759
Figurenerklärung 763
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier. 545
A. Morphologische polarisirendeWirkung des electrischen
Stromes auf „lebende" Objecte als Intraelectrolyten ^).
I. Abschnitt^).
1. Polarisirende Wirkung des „Wechselstromes" auf Frosclieier.
[27] Vom 5. bis 9. April d. J. (1891) machte ich Versuche an Eiern
des bramien Grasfroscbes (Rana fusca) mit dem Wechselstrom, der
zur electrischen Beleuchtung des k. k. anatomischen Institutes zu
Innsbruck dient. Der verwendete transformirte Strom hat eine Span-
nung von 100 Volt, die in einigen Versuchen mit wesentlich dem
gleichen Erfolg, durch Umschaltung am Transformator, auf 50 Volt
herabgesetzt war. Darauf wurden auch Versuche mit einem Gleich-
strom von 43 Volt angestellt. Der Zweck der Versuche war: fest-
zustellen, ob der electrische Strom die Richtung der ersten
Theilung des Eies zu beeinflussen vermag.
[28] Die Beantwortung dieser Frage schien mir von Bedeutung,
da wir mit ihrer Entscheidung im positiven oder negativen Sinne
eine Andeutung darüber erhielten, ob bei den morphologischen
Vorgängen der indirecten, mitotischen Kerntheilung elec-
trische Wirkungsweisen einen wesentlichen Antheil haben
oder nicht. Denn es ist klar, dass diese typischen Gestaltungen
durch den electrischen Strom alterirt werden müssen, sofern sie selber
durch electrische Kraftwirkungeu vermittelt werden.
Ein sicheres negatives Ergebniss musste diese Eventualität als
unzutreffend erweisen^), ein positives zu weiteren Untersuchungen
[1) Als „Intraelectroly t'' bezeichne ich einen bei seiner electrischen Durch-
strömung rings ton einem Electrolyten umschlossenen, also die Electroden nicht
berührenden Körper (s. Nr. 25, S. 145).]
■'J) Ein Bericht über die in Abschnitt I mitgetheilten Beobachtungen wurde am
11. April, über die des Abschnittes II am 7. Mai 1891 der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften zu Wien verschlossen eingereicht und durch ßeschluss vom 16. April
resp. 14. Mai gütigst in Depot genommen.
[•^) Obgleich, wie wir sehen werden, selbst die Anwendung m aximaler, eben
noch vom Zellleib ertragener Ströme ein negatives Ergebniss lieferte, so ist gleich-
wohl die aufgeworfene Frage, ob bei der indirecten Kerntheilung electrische Wirkungen
AV. Rous, Gesammelte Abhandlungen. II. gg
546 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
darüber auffordern, ob die beobachtete Wirkung des electrischen
Stromes eine directe Wirkung auf die mitotischen Theiluugsvorgänge
ist oder durch Einwirkung auf den Zellleib vermittelt wird, beides
gleich wichtige Eventualitäten.
Aus diesen Gründen hatte ich schon im Jahre 1885 (s. S. 319),
die gleiche Frage geprüft, aber ein negatives Ergebniss erhalten.
Doch musste der mir damals zur Verfügung stehende Strom, ein
Gleichstrom von drei BuNSEN'schen Elementen, viel zu schwach er-
scheinen, um eine sichere negative Folgerung zu gestatten. Zur Ab-
leitung eines solchen Schlusses mussten Ströme von einer Stärke an-
gewendet worden sein, die der deletär wirkenden Stromstärke benach-
bart war. Da zu vermuthen war, dass der Strom meiner jetzigen
Anstalt die genügende Stärke haben werde, und da zudem bei den
früheren Versuchen die in eine Glasröhre aspirirten Froscheier nur
von einer aussen umgewundenen Spirale aus umströmt, nicht aber
die Eier selber durchströmt worden waren, so nahm ich diese Ver-
suche wieder auf und begann zunächst mit der noch nicht verwen-
deten Methode der directen Durchströmung.
Sogleich bei dem ersten, an einem Sonntag Nachmittag (den
5. April) behufs Orientirung ül^er die etwa nöthige Versuchsanordnung
angestellten Versuche trat ein evidentes Resultat der Einwirkung des
Wechselstromes hervor.
[29] An einem 2 cm breiten und 4 cm langen, der Länge nach
durchströmten, wagrecht orientirten Bande von Froschlaich aus
vor zwei Stunden befruchteten Eiern bemerkte ich bei einer, nach zehn
Minuten vorgenommenen Besichtigung schon an jedem Eie eine
senkrecht stehende, das Ei halbirende Furche, welche
betheiligt sind, damit noch nicht als sicher im negativen Sinne entschieden
zu betrachten; denn es könnten innerhalb des Kerns local so hohe Spannungen pro-
ducirt werden, dass sie durch den schwachen Wechsel- und galvanischen Strom,
welcher bereits zerstörend auf die Eintrittsstelle am Zellleib wirkt, nicht wesentlich,
d. h. die formalen Vorgänge sichtbar ändernd, beeiuflusst würden. Selbst die An-
wendung der hochgespannten Electricität der Leydener Flasche würde bei negativer
Wirkung keine Entscheidung bringen, da sie bei ihrer höheren Spannung auch eine
entsprechend stärkere Tendenz hat, die Oberfläche der Leiter einzunehmen, wes-
halb es uns nicht gelingt, sie in erheblicher Spannung in den Zellkern hineinzuleiten.]
Polarisirendo Wirkuni;- des Wechselstromes auf Froscheier. 547
an allen Eiern rechtwinkelig zur Stromriclitung orien-
tirt war. Ich glaubte natürlich, die fragliche richtende Wirkung
des Stromes auf die Eithciluug gefunden 7A\ haben; nur wunderte
mich, dass die erste Furche eine ganze halbe Stunde eher, als ich
nach der Zimmertemperatur erwartet hatte, aufgetreten war. Als ich
diese Furche jedoch mit der Loupe besichtigte, fiel mir sogleich auf,
dass sie ein wenig weiter war, als normale Theilungsfurchen des
Froscheies zu sein pflegen, und dass sie sich nach der Tiefe zu nicht
verengte, nicht sich zu einem engen Spalt verjüngte.
Dies Hess erkennen, dass hier eine ganz andere Erscheinung vor-
lag; und die nächsten sogleich vorgenommenen, etwas variirten Ver-
suche bestätigten diesen Schluss.
Die neue Erscheinung erregte durch ihre typischen Gestaltungen
mein Interesse derart, dass ich ihr eine Zeitlang ausschliesslich nach-
ging. Diese Sachlage ist der Grund, dass in den folgenden Mit-
theilungen zwei in ihrem Wesen verschiedene, aber theil-
weise in der nöthigen Versuchsanordnung und dem Versuchsmateriale
übereinstimmende Themata zugleich behandelt werden, und dass
ich überhaupt eine Gruppe von Erscheinungen bearbeitet habe, die,
wie sich bald herausstellte, mehr in das Gebiet der jetzigen Physio-
logie, als in das der Entwickelungsmechanik gehört.
Die nächsten Versuche ergaben im Wesentlichen nachstehende
Resultate.
Beim Durchströmen eines geraden Bandes Froschlaich von 5
bis 9 cm Länge, 2 bis 2,5 cm Breite und einer einzigen Eilage Höhe,
in Richtung der Länge des Bandes, von 1,7 cm breiten Platinelec-
troden aus, entstand an jedem der vor ein bis drei Stunden be-
fruchteten Eier innerhalb 15 bis 30 Secunden eine deutliche Schei-
dung der annähernd kugeligen Oberfläche in drei Felder, welche
durch zwei einander parallele kreisförmige [30] Grenzlinien gesondert
sind, nämlich in zwei einander gegenüber liegende, den Electroden
zugewendete „Polfelder" mit veränderter Oberfläche und ein zwischen
ihnen gelegenes ,, äquatoriales Gürtelfeld" ohne solche Verän-
derung. Diese Scheidung der Oberfläche erfolgt gewöhnlich zunächst
durch Aufhellung im Bereiche des Polfeldes unter anfänglichem Ent-
35*
548 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
stehen einer netzartigen oder punctirten helleren Zeichnung; manch-
mal treten auch schon, ehe eine Verfärbung der Oberfläche erkennbar
ist, auf der unteren, hellgrauen, oft fast weissen Hemisphäre des Eies die
beiden Parallelkreise als schwärzliche Linien auf und be-
wirken so die erste sichtbare Scheidung in die drei Abschnitte. Bei
weiterer Einwirkung des Stromes vertieft sich nach ein bis zwei Minuten
die Stelle dieser beiden Parallelkreise zu je einer deutlichen, oben tieferen
Ringfurche, und in derselben treten oben weisse Flecken, durch Aus-
tritt von Eisubstanz bedingt, auf. Längs der Mitte des Aequator-
g ü r t e 1 s entsteht unter vollkommener A u f h e 1 1 u n g s e i n e r R ä n d e r auf
der helleren Unterseite des Eies nicht selten eine schwärzliche Linie
mit oder ohne scharfe seitliche Grenzen, also eine Pigmentanhäufung.
An der schwarzen, oberen Hemisphäre des Eies sieht man, wenn die
Polfelder sich nicht genügend aufhellen, nur die beiden Ringfurchen.
Während somit im Einzelnen das Bild der Veränderungen, und
zwar je nach der Dauer und Stärke des wirkenden Stromes und wohl
auch nach der Beschaffenheit der Eier selber, ein etwas verschiedenes
st, so ist das Wesentliche der Erscheinungen vollkommen constant,
nämlich die Theilung der Eioberfläche in zwei den Electroden zuge-
wendete sichtbar veränderte Polfelder und einen sie trennenden,
nicht veränderten, oder nur schwach in anderer Weise
veränderten Aequatorgürtel; und zwar sind diese drei Felder
bei der erwähnten Anordnung des Versuches durch zwei fast oder
ganz parallele, continuirlich (ungezackt) verlaufende, rechtwinkelig zur
Stromrichtung orientirte Ringlinieii gegen einander abgegrenzt.
Der Abstand dieser beiden Grenzlinien von einander ist an
Eiern, welche in der Nähe der Electroden stehen, am geringsten und
nimmt gegen die Mitte des Stromfeldes allmälich zu. Ist der Strom
durch Einschaltung grosser Widerstände geschwächt, so vergrössert
sich der Abstand ; arbeitete ich, wie gerade beim [31] ersten Versuche,
ohne solche Widerstände, so treten die sich erhebenden Ränder der
beiden Polfelder oben einander so nahe, dass der von ihnen begrenzte,
tiefer liegende Aequatorgürtel blos als der schmale Grund einer ein-
zigen Furche erscheint.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier. 549
Ueber die Stellung der beiden Grenzlinien 7A\ einander und
zur Richtung der Stromlinien erfuhr ich Weiteres durch eine Aende-
rung der Versuchs-Anordnung, indem statt der Verwendung eines
parallel contourirten Bandes von Froschlaich, die ganze „runde"
Schale gleichmässig mit einer einzigen Lage von Frosch-
eiern ausgefüllt und dies Material von zwei, einander ent-
gegengesetzten Stellen des Randes der Schale aus und
unter Benutzung schmälerer Electroden d u r c h s t r ö m t w u r d e. Die
Gesammtheit der beiden Linien von allen Eiern markirt
alsdann typische Curven, die leichter zu erkennen sind, wenn
man die Schale nach Beendigung des Versuches umdreht und die
hellen unteren Hemisphären betrachtet, als bei Besichtigung der
schwarzen Furchen auf der schwarzen oberen Eihälfte. Da die Frosch-
eier durch ihre dicken Gallerthüllen von einander geschieden sind
und nicht in den Curven entsprechenden Reihen liegen, so bilden die
beiden Grenzlinien aller der etwa 200 Eier einer Schale keine conti-
nuirlich gezeichneten Curven; sondern man muss sich die Curven
aus den vielen nebeneinanderliegenden Bruchstücken selber integriren,
was aber bei Benutzung einer schwachen Loupe nicht schwerfällt.
Das Bild, welches man so gewinnt, ist folgendes: Die Curven be-
ginnen, entsprechend dem zuerst mitgeth eilten Versuche, alle recht-
winkelig zu der mittleren geraden Verbindungslinie
der Electroden und wenden sich dann, die ,, nächste" Elec-
trode im Bogen umziehend, unter allmählicher Vergrösse-
rung ihres Ab stand es gegen den Rand der Schale, um daselbst
in rechtem Winkel zur Umrandung zu enden. Die Krüm-
mung der Curven ist daher unmittelbar neben den Electroden am
stärksten und nimmt bis zu der in gerader Richtung verlaufenden
mittelsten Linie allmähch ab. Beide Grenzlinien der drei Felder
jedes Eies entsprechen dieser Schilderung; es sind also beide blos
gegen die nächste Electrode concav; nur an den in der recht-
winkelig zur Stromrichtung orientirten Mittellinie der Schale liegen-
den Eiern ist jede von beiden Grenzlinien gegen eine andere Elec-
trode concav. [32] Auch stehen nur an den durch diese Mittellinie
halbirten Eiern und an den in der geraden Verbindungslinie der
550 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Electroden sich befindenden Eiern die Grenzlinien symmetrisch zu
einem Eimeridian, wenngleich dies der flüchtigen Betrachtung an
vielen Stellen so scheinen mag. Bei genauer Betrachtung der für diese
Unterscheidung charakteristischen Stellen an vollkommen normalen
Eiern kann kein Zweifel bestehen, dass die Richtung dieser Linien
ihrem Wesen nach nicht zu einer im Ei selber gelegenen Linie
typisch bestimmt ist, sondern dass die Bestimmung von aussen her,
in je nach der zufälligen Lage der Eier zu den Electroden und zur
Gesammtform des electrischen Eeldes verschiedener Weise getroffen
wird. Desgleichen hängt auch der Abstand dieser Grenzlinien wesent-
Hch von den genannten äusseren Umständen ab (mit der Einschrän-
kung, dass bei grösseren Eiern sie vielleicht ceteris paribus weiter
von einander entfernt sind, worüber ich in Ermangelung von Riesen-
eiern noch keine Beobachtungen machen konnte).
Ich halte die durch diese Grenzlinien markirten Flächen für
Potentialniveauflächen, also für äquipotentiale Flächen des
ganzen electrischen Feldes.
In der Ueberzeugung, dass meine Vorstellung von der Gestalt
der äquipotentialen Flächen die zutreffende ist, will ich die erwähnten
Grenzlinien des durchströmten Froscheies weiterhin als „Niveauringe"
bezeichnen; doch will ich die Möglichkeit nicht als ausgeschlossen
hinstellen, dass die Physiker bei genauerem Vergleiche kleine typi-
sche Abweichungen obiger Niveauringe von den von ihnen berech-
neten Niveaulinien ermitteln werden; Abweichungen, die aber dann
wohl nur durch secundäre Momente bedingt sind und den Haupt-
charakter unserer Niveauringe als äquipotentialer Linien nicht alteriren
werden.
An manchen Eiern, an denen die Polfelder sehr grobkörnig
wurden, war die Grenze letzterer auch nicht continuirlich gerichtet,
sondern gezackt, und die Gesammtkrümmung der Grenzlinien ent-
sprach dann auch nicht vollkommen dem Durchschnitt von Niveau-
flächen des electrischen Feldes durch die Eioberflächen. Diese im
Anfange der Versuche an den [33] frischen Eiern nicht vorgekommenen
Fälle halte ich indess für abnorm, für bedingt durch die künstliche
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier. 551
Verzögerung der Laichuiig, wobei auch schon am normalen Furchung s-
schema viele Abweichungen vorkommen.
Noch charakteristischer als bei der letzterwähnten Versuchsan-
ordnung, noch evidenter nur äquipotentialen Flächen entsprechend,
werden die durch die Niveauringe gebildeten Curven, wenn man die
Electroden nicht an den Rand, sondern entfernt vom Rande
der runden Schale und auf die Fläche der Froschlaichlage
aufsetzt. An den Eiern, welche alsdann von oben aus durchströmt
werden, liegen die beiden Niveauringe fast wag recht, während
sie an den wagrecht durchströmten entfernteren Eiern senkrecht stehen.
Es ist vollkommen deutlich, dass die durch die beiden Niveau-
ringe markirten Flächen rechtwinkelig zu den Stromlinien
stehen. (Vergl. Fig. 2, Taf. X nebst der Figurenerklärung.)
An den bei dieser letzteren Anordnung seitlich im Stromfeld
befindlichen Eiern entstehen im Bereiche des, bei ihnen brei-
teren Aequatorgürtels häufig nachträglich, im Laufe von Stunden
oder Tagen vielfache Zersetzungen, grössere weisse und schwarze
Flecken, sowie auch intensiv sch'Warze Puncte von zum Theil regel-
mässiger, sternförmiger Anordnung, während im Bereiche der Pol-
felder nach der Durchströmung keine nachträglichen Veränderungen
zu erkennen sind.
Wenn man Eier, die schon längere Zeit durchströmt worden
sind, nachträglich in anderer Richtung, z. B. rechtwinkelig zur früheren
Richtung durchströmt, so findet keine neue, dieser Stromrichtung ent-
sprechende Ringbildung, überhaupt keine äusserlich erkennbare Aende-
rung des zuerst erzeugten Bildes statt (s. Nr. 25, S. 41).
Wird dagegen die wagrecht stehende Schale mit den Eiern
während der Durchströmung continuirlich gegen die am Rand ein-
tauchenden feststehenden Electroden gedreht, so entsteht statt
der beidenPolf eider ein ,,Polgürter' und statt des Aequator-
gürtels ein oberes und ein unteres rundes Feld. Werden
die Eier während der Durchströmung auch noch aus der wagrechten
Ebene gebracht, z. B. in einer hohen mit Wasser gefüllten Schale
zwischen den Electroden nach allen Richtungen in ihrer Lage ver-
552 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
ändert, so tritt keine Sonderung in abgegrenzte Felder
mehr auf.
[34] Schwimmen die Eier in einer FKissigkeit von geeignet
hohem specifischen Gewicht (Wasserglas oder Lösung von Gummi
arabicum), so behalten dieselben während der Durchströmung ihre
vorher eingenommene zufällige Anordnung bei und drehen sich auch
nicht um eine Axe ; desgleichen tritt auch nach der Bildung der Pol-
felder während der weiteren Durchströmung sowie nach dem Auf-
hören derselben eine Aenderung der Anordnung ohne äusseres Zu-
thun nicht ein. Werden die mit Polfeldern versehenen schwim-
menden Eier gegeneinander verschoben, oder um ihre verticaleu
Axen verdreht, so behalten sie die ihnen gegebene Anord-
nung bei, selbst wenn auf's Neue ein Strom durch die Schale ge-
leitet wird.
Unbefruchtete aber reife, der Gebärmutter entnommene, in
Wasser gequollene Eier reagiren in ähnlicher Weise auf den
Wechselstrom. Auch hier entstehen zwei Niveauriuge an jedem Ei;
die Polfelder werden hell und netzförmig gezeichnet. Doch sind in
der Beschaffenheit der Oberfläche kleine Unterschiede vorhanden und
die Reaction geht viel langsamer vor sich.
An mechanisch, durch Drücken mit den Fingern oder durch
Pressen zwischen Glasplatten insultirten und de formirten Eiern
entstehen zum Theil keine, zum Theil mit ihren Niveauringen von
dem gewohnten Anblick abweichende Stellungen einnehmende
Polfelder. Von besonderem Interesse ist bei diesem Verfahren das
Verhalten der entstandenen Dotterhernien, der Extraovate.
Der Reife nahe, aber noch unreife Eier aus der Bauchhöhle
und vom Eierstock standen mir noch nicht zur Verfügung. Kleine
unreife Eierstockeier für das nächste Jahr zeigten keine Reaction
auf den Wechselstrom, auch wenn sie schon eine schwarze und weisse
• Hemisphäre ausgebildet hatten (s. Nr. 25, S. 39).
Geschieht die Durchströmung nach der Anlage oder Vollendung
der ersten Furche, also während der ersten Theilung des Eies, so
findet gleichwohl die Scheidung in die beiden Polfelder und den
Aequatorgürtel statt. Doch ist das Bild nur dann dem früheren, am
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier. 553
noch uDgetheilten Eie gewonnenen, wesentlich gleich, wenn die erste
Furche zufällig ganz oder annähernd rechtwinkelig oder ganz parallel
zu den Nivauflächen steht. Weicht die erste Furche dagegen etwa
10—45" von der Richtung der gedachten Niveauflächen des ganzen
Eies ab, dann erfährt [35] der jeder von beiden Zellen zukommende
Antheil am Aequatorgürtel eine deutliche Verwerfung gegen das
Aequatorstück der anderen Zelle; auch sind die der Thei-
lungsfurche des Eies anliegenden Theile des Aequators
stark von der Richtung der Niveaulinien des homogen ge-
dachten electrischen Feldes abgelenkt; s. Taf. VIII, Fig. 7 u. Nr. 25, S.69.
Nach der Entstehung der zweiten Furche wird das Bild
dieser Verwerfungen oft noch etwas complicirter ; doch ist auch hier
die Bildung zw^eier Polfelder am Eie und einer Aequatorialzone voll-
kommen deutlich.
War das Ei zur Zeit der Durchströmung schon in mehr Zellen
zerlegt, also im Morula Stadium befindlich, so entstand wieder ein
continuirlicher, durch zwei Niveauringe begrenzter Aequatorialgürtel ;
aber ausserdem traten, diesem letzteren ziemlich parallel, auf den
Polfeldern jederseits 2—3 helle Ringe auf, die anscheinend
durch Austritt von Dottersubstauz aus den den Niveauflächen an-
nähernd parallelen normalen Furchen (Zellgrenzen) entstehen, aber
zum Theil wohl auch durch weisse Verfärbung der Oberfläche (im
Bereiche der unteren Hemisphäre des Eies) bedingt sind, worüber
erst die microscopische Untersuchung genaueren Aufschluss geben
kann. Die in noch kleinere Zellen zerlegte Blastula liess ausser den
beiden Niveauringen noch mehr solcher secundärer Parallel-
kreise hervorgehen, deren Zahl wiederum der Zahl der
vorhandenen Zellreihen entsprach (s. Nr. 25, S. 69 u. f.).
Im Stadium der Gastrula traten kaum noch äusserlich sicht-
bare polare Veränderungen auf.
Alle durch den Strom in der geschilderten Weise alterirten Eier
entwickelten sich nicht weiter; auch drehten sich dieselben nach Auf-
wärtswenduug des Bodens der Schale, an welchem die Eihüllen an-
haften, selbst im Verlauf von 24 Stunden nicht wieder mit der hellen
Seite nach unten, wie dies befruchtete Eier in wenigen Minuten,
554 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
unbefruchtetein 2 — 3 Stunden thun. Das Ausbleiben letzterer Erschei-
nung beruht jedoch nicht auf Vermengung der Eisubstanzen ungleichen
specifischen Gewichtes (des Nahrungs- und des Bildungsdotters), son-
dern nur auf Befestigung des Eies gegen die Gallerthülle; denn mit
dieser Hülle herausgenommene Eier nahmen, wenn man sie in Wasser-
glas schwimmen liess, rasch die normale Stellung mit dem hellen
Theile nach unten wieder ein.
[36] Am Dotter eines gelegten Hühnereies, sowde an den Eier-
stockseiern zweier Tauben konnte ich, nach Anwendung des mir zur
Verfügung stehenden Stromes bei äusserer Besichtigung keine denen
der Froscheier entsprechenden Veränderungen wahrnehmen.
2. Polarisireiide AVirkung des „(xleichstromes*« auf Froscheier.
Die Kunstmühlenbesitzer Herren Gebrüder Rauch in Mühlau
gestatteten mir am 8. April freundlichst die Benutzung des mit der
kleineren ihrer Dynamomaschinen unter einer Tourenzahl von 1200
per Minute erzeugten Gleichstromes von 43 Volt Spannung; ich
verwendete von demselben nur eine schwache Stromschleife. Um
möglichst verschiedene Stromdichten zugleich zu prüfen, setzte ich
die Electroden einander nahe im ßinnenraume des runden Strom-
feldes auf.
Bei diesem Strom zeigte sich eine Verschiedenheit der von beiden
Electroden ausgehenden Wirkungen zunächst schon an der Gallert-
hülle. Während beim Wechselstrom die Gallerthülle un-
verändertblieb, entstand hier um die durch stärkere Gasent Wicke-
lung ausgezeichnete, also negative Electrode zunächst eine Auf-
hellung der Gallerthüllen, der später beim Kochen eine opak-
weis se Trübung folgte; in der Umgebung der Anode dagegen
entstand ein bläulich hyaliner Schimmer in der ihr zugewende-
ten Substanz der Gallerthüllen, der sich nach dem Kochen noch erhielt.
An reifen u n h efr u chteten Eiern entwickelte sich in weiter,
die quere Mittellinie des electrischen Feldes überschreitender Um-
gebung der positiven Electrode an den Eiern blos ein grosses
grau verfärbtes, des Anode zugewendetes und demnach der Kürze
Polarisirende Wirkung des Gleichstromes auf Froscheier. 555
halber als auodisclies oder positives zu bezeichnendes Pol fei d
mit einer deutlichen Niveauringfurche als Grenze. An den
weiter gegen die negative Electrode hin gelegenen Eiern trat danach
eine kathodenwärts liegende Niveauringlinie hinzu als
einzige Marke der Scheidung auf dieser Seite des Eies ; und b 1 o s die
der Kathode nächsten zwei Reihen Eier hatten ein verfärbtes,
aber grosses kathodisch gelegenes Polfeld unter Fehlen
eines anodischen. Die seitlich im Stromfeld liegenden Eier
boten vielfach zwei schwach verfärbte Polfelder und zwischen
ihnen einen unverfärbten Aequatorgürtel dar ; aber an manchen Eiern
fand sich nur anodenwärts ein verfärbtes Polfeld, kathodenwärts da-
gegen wieder blos eine Niveauringlinie. Die Richtungen und [37]
Krümmungen der Niveauringe entsprachen wieder durchaus der ihnen
gegebenen Bezeichnung.
An befruchteten, zwischen den Electroden gelegenen Eiern
zeigten sich nach kurz dauernder Durchströmung zwei Niveauringe
von deutlicher Schärfe; das anodische Polfeld war gross und nur
wenig verfärbt; das kathodische zeigte sich an manchen Eiern etwas
verfärbt, an anderen gleich dem Aequatorgürtel unverf ärbt, und war i n
derStromrichtung verlängert und in verticaleLängsfalten ge-
bogen. Im seitlichen Theile des Stromgebietes war im Bereiche des
Aequatorgürtels der Eier nach einigen Stunden vielfache Zersetzung, wie
oben beim Wechselstrom beschrieben, wahrnehmbar. Weit seitlich und
nach hinten von den Electroden waren die Eier unverändert und
theilten sich später normal. Am Uebergang zwischen beiden letzt-
genannten Abschnitten fanden sich Eier mit zwei sehr kleinen
verfärbten Polfeldern; an diesen Eiern bildete sich später
im breiten Aequatorgürtel die typische erste Furche und
stand auffallend häufig in Richtung der mittleren Ver-
hindungslinie heider Pole.
Es ergab sich also ein deutliches Ueberwiegen der Wirkung
dieses Gleichstromes auf der anodischen Seite der Eier, im
Uebrigen aber doch eine doppelseitige, wenn auch schwächere Wir-
kung als beim Wechselstrom. Bei dem Versuch an unbefruchteten
Eiern zeigte sich deutlich eine Abnahme der anodischen und katho-
556 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
dischen Wirkung mit dem Abstände der Eier von der gleichnamigen
Electrode.
3. Wirkt der „AVechselstrom" auf die Riclituiig- der ersten Theiluiig-
des Frosclieies?
Von Bedeutung war mir die Wahrnehmung, dass bei dieser
hohen Spannung von 43 Volt die seitlich gelegenen Eier schon keine
Polfelder mehr bildeten, dass ich also schon an der unteren Grenze
dieser Wirksamkeit angelangt war. Ich suchte daher, unter Einschal-
tung eines grossen Widerstandes, auch mit dem höher gespannten
Strom meiner Anstalt diese Grenze und versuchte, die Eier mit
dem stärksten, nicht mehr deletär wirkenden Strom zu be-
einflussen. Dadurch wurde möglich, endgiltig zu prüfen, oh der
Wechselstrom eine Wirl'ung auf die Bichfung der ersten
Theilnng des Eies ausüht, welche, wie ich (Nr. 16) und bald
[38] darauf Pflüger^) festgestellt haben, die Medianebene des Frosch-
embryo darstellt, so dass sie also das Eimaterial qualitativ und quan-
titativ halbiren muss und daher meiner Meinung nach eher auf den
Wechselstrom reagiren könnte, als auf den Gleichstrom, der sich mehr
für die zweite, nach meinen Beobachtungen köpf- und schwanzwärts son-
dernde Theilung zu qualificiren scheint. Damit war ich zum Ausgangs-
problem der vorstehend mitgetheilten Versuche zurückgelangt. Dahin
fülirte auch die der vorigen Seite erwähnte Beobachtung, dass an Eiern
mit zwei sehr kleinen Polfeldern die erste Furche auffallend
häufig in der mittleren Verbindungslinie beider Polfelder
lag. Durch Aspiration von Eiern in enge Glasröhren (wodurch die
Eier verlängert werden) und darauf folgende Durchströmung längs
der Röhre hätte sich sogleich entscheiden lassen, ob diese Richtung
der Furche als besondere Wirkung des Stromes oder blos der Ver-
kleinerung des Eies in eben dieser Richtung durch Wegfall der
an den Polen befindlichen, veränderten Substanz bedingt sei; denn
Pflüger und ich haben experimentell nachgewiesen, dass die ersten
1) E. PflL'ger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen.
Pkllger's Arch. f. Physiologie 1883. Bd. XXXI.
Wirkt der Wechselstrom auf die Richtung der ersten Theilung etc. 557
Tlieilungeu des Froscheies gewöhnlich in den kleinsten Richtungen
des Zellleibes erfolgen (s. S. 303).
Da jedoch schon bei den Versuchen des 8. April an den Probe-
eiern Zeichen von der entwickelungsstörenden Wirkung der künstlich
verzögerten Laichung aufgetreten waren, sah ich mich veranlasst, eine
dieser beiden Fragen zu bevorzugen, um wenigstens noch eine Frage
erledigen zu können, und wählte die erstere, principiell wichtigere.
Ich schwächte den Wechselstrom von über 20 Ampere Stärke
und 100 Volt Spannung in Ermanglung eines Rheostaten durch den
Widerstand einer halbprocentigen Kochsalzlösung in einem Glasrohre
von 81 cm Länge und 7 mm Durchmesser so stark ab, dass nach
Aufsetzung der Electroden nahe der Mitte der 7—9 cm im Durch-
messer haltenden Schalen nur die den Electroden nächsten Eier Pol-
felder bildeten. Mit diesem Wechselstrom wurden nun Eier in ver-
schiedenen Phasen, nämlich während der Copulation der beiden
Geschlechtskerne, während der Existenz des Furchungskernes
und während der [39] Theilung des letzteren durchströmt.
Als die erste Furche aufgetreten war, zeigte sich, das die
Richtungen dieser Furchen an den etwa 200 — 250 Eiern einer
Schale keine Beziehung zu den Niveauflächen oder Kraftlinien
erkennen Hessen. Zu einem vollen Resultat fehlt jedoch noch die
Prüfung an einem maximalen ertragenen Gleichstrom (s. Nr. 25, S. 52).
Schliesslich wiederholte ich auch den schon vor sechs Jahren
mit einem schwachen Gleichstrom erfolglos angestellten Versuch der
Um Strömung der Eier jetzt mit dem Wechselstrom. Es wurden
frisch befruchtete Eier in eben noch so weite Glasröhren aspirirt,
dass sie keine Pressung in denselben erlitten, und darauf bei wag-
rechter Lage der Röhre mit dem zur Vermeidung zu hoher Erwär-
mung durch eine eingeschaltete Schale von schwacher Kochsalzlösung
genügend abgeschwächten Wechselstrom stundenlang in dicht, aber
blos in einer Lage um die Röhre gewundenen Spiraltouren um-
strömt. Jedoch auch bei dieser Versuchsanordnung war
keine richtende Wirkung des Stromes auf die erste
Theilung des Eies, also keine Wirkung einer dynami-
schen Induction zu erkennen; die erste Furche der verschie-
558 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
denen Eier stand weder durchweg quer zum Solenoid oder längs des-
selben oder wagrecht, sondern, wie sonst bei zwangloser Aufsetzung
der Eier, allenthalben senkrecht, aber in den verschiedensten Rich-
tungen. [Der Wechselstrom vermag somit als solcher,
weder bei Durch Strömung noch bei Umströmung der
Eier eine richtende Wirkung auf die Eitheilung aus-
zuüben.] (Weiteres siehe Seite 63).
IL Abschnitt^).
1. Weitere polarisirende Wirkung- des „Wechselstromes" auf
Froscheier und -Embryonen.
Zunächst habe ich zu erwähnen, dass es mir durch eine zur
Verstärkung der Stromwirkung führende Aenderung der Versuchs-
anordnung gelungen ist, auch an noch im Eierstock befind-
lichen Froscheiern Veränderungen hervorzurufen, die den
an unbefruchteten Uteruseiern mit dem Wechselstrom gewonnenen
zum Theil entsprechen.
An dotterkörnerhaltigen Eierstockseiern, welche mehrere
Stunden in Wasser gelegen hatten, entstanden unter nur sehr geringer
Verfärbung der Polfelder zwei deutliche Niveauringfurchen,
welche wie mit einer Nadel eingeritzt erschienen. Bei den Eiern von
erst der halben Grösse reifer Eier, war der von diesen Niveaufur-
ch e n begrenzte A e q u a t o r g ü r t e 1 nicht nur [40] relativ, sondern
auch absolut breiter, als bei den daneben befindlichen fast reifen,
grösseren Eiern.
Danach gelang es mir auch an frischen Eierstöcken, welche nicht
in Wasser gelegen hatten, aber in Wasser durchströmt wurden, feine
Niveaufurchen nach der Durchströmung an den Eiern wahrzunehmen ;
doch sind sie in Folge des Mangels jeder Verfärbung schwer zu sehen.
Die Substanz ausgewachsener, in V2 "^/o Kochsalzlösung zer-
quetschter und zerschnittener Eierstockseier liess andern so ge-
wonnenen Saft weder bei Verwendung des schwachen, noch des starken
1) Vergl. die Anmerkung 2 am Beginne des ersten Theiles.
Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier. 559
Wechselstromes eine besondere Wirkung des Stromes oder eine be-
sondere Reaction der Substanz erkennen.
AVenn der geschlossene Uterus mit seinen eingeschlossenen
Eiern direet durchströmt worden war, konnte ich keine Bildung
von Polfeldern wahrnehmen, auch nicht, wenn die Eier nach der
Durchströmung in Wasser gelegt worden waren. Bei Lagerung von
Eiballen zwischen zwei Stücke gequollenen Laiches wurden dagegen
durch Punctirung auf der hellen Hälfte des Eies zwei Polfelder markirt,
die einen mit helleren Rändern versehenen Aequatorgürtel begrenzten.
Wurden die trockenen Uteruseier jedoch einzeln zwischen die ge-
quollene, aber durch Fliesspapier abgetrocknete Gallerthülle anderer
Eier gelegt, so zeigten sich beim Durchströmen schon nach vier Mi-
nuten deutliche Niveauringe. Während dieser Zeit aber waren die
Gallerthüllen der trockenen Eier schon deutlich erkennbar gequollen.
Also ein gewisses Minimum von Wasser ist für die beschrie-
bene Reaction nöthig.
Unbefruchte Eier, welche aus dem Uterus in vier- und mehr-
procentige Kochsalzlösung gelegt worden w^aren, und eine Stunde
darin verweilt hatten, gaben selbst bei sieben Minuten dauernder
Durchströmung nicht die specifische Reaction; gleiche Eier in
2°/o Lösung Hessen erst spät zwei den Niveauringen entsprechende
Reihen von Puncten wahrnehmen; auch sogleich in l^jo Kochsalzlö-
sung übertragene Eier reagirten noch trag. Eier, w^elche 1 V* Stunde
in 4*^/0 Kochsalzlösung verweilt hatten, darauf in Wasser übertragen
worden waren und nach 1 — 15 Stunden fünf Minuten lang durch-
strömt wurden, zeigten keine Reaction.
[41] Dagegen bildeten Eier mit in Wasser gequollenen
Gallerthüllen, wenn sie in gesättigte Kochsalzlösung oder
dergleichen Borsäure-, Boraxlösung versetzt und sogleich darin durch-
strömt wurden, schön die Polfelder und Niveauringe.
Im Anfang durchströmte ich die Eier viel länger als mierläss-
lich nöthig war, um die Polfelder- und Niveaulinienbildung hervor-
zurufen, weil die Reaction auf der schwarzen, oberen Eihälfte bei
Rana fusca viel später sichtbar wird, als auf der hellen Unterseite
des Eies. Aus dieser Zeit stammt auch der im ersten Abschnitt mit-
560 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
getheilte Versuch (s. S. 551), in welchem die zweite, in anderer Rich-
tung als die erste bewirkte Durchströmung ohne sichtbaren Erfolg
blieb, weil die Reactionsfähigkeit der Eier schon erschöpft war. Wenn
man dagegen die erste Durchströmung nur während des Minimums
der zur Bildung der Niveaulinien aj.if der Unterseite nöthigen Zeit
oder Weniges darüber durchströmt und darauf die Stromrichtung
ändert, entstehen zu den schon vorhandenen, neue dieser Rich-
tung entsprechende Niveaulinien und Polfelder. Durch-
strömt man zuerst mit schwachem Strom bis zur Bildung der Niveau-
linien, darauf mit starkem Strom in der gleichen Richtung wie früher,
so wird der vorher breite Aequator verschmälert, indem
zugleich zwei weisse Bänder auf Kosten des früheren Aequators ent-
stehen. Verwendet man zuerst den starken und danach den schwachen
Strom in zur früheren gekreuzter Richtung, so kann man bei geeignetem
Verhältniss in der Zeitdauer beider Wirkungen noch einen zweiten
Effect hervorbringen.
Bei sehr geschwächtem Strom (durch Einschalten einer
Wassersäule von 129 cm Länge und 7 mm Durchmesser) ist nach
5 Minuten noch keine Wirkung an den befruchteten Eiern erkennbar;
selbst bei Ersetzung des Wassers durch V4°/o Kochsalzlösung war
nach 11 Minuten unten blos ein leicht gedunkelter Aequatorgürtel
mit helleren Rändern, oben keine Aenderung zu sehen. Nach Ver-
kürzung dieser Röhre auf 81 cm dagegen entstanden minimale,
bei Rana fusca nur aus einem oder wenigen Flecken, bei Rana es-
culenta deutlich aus kleinen Extr ao v at e n^) (s. S. 155) be-
stehende Pol f eider und zwar nur [42] an den in der Nähe der
Electroden befindlichen Eiern ; manchmal fand sich nach der näheren
Electrode zu ein etwas grösseres, nach der entfernteren Elec-
trode ein kleineres Polfeld oder auf letzterer Seite gar keines.
Bei der gewöhnlich verwendeten, reichlich starken Anordnung
dagegen bieten sich beide Polfelder jedes Eies beim Wechselstrom
für die einfache Besichtigung gleich gross dar. Nicht selten jedoch
glaubt man an einem Eie, bei Besichtigung der noch in ihrer Hülle
und in der Glasschale befindlichen Eier mit der Loupe, deutlich eine
grosse Differenz der Polfelder wahrzunehmen; nach der Ausschälung
Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier etc. 561
jedoch ist meist kein oder nur ein geringer Grössenunterscliied vor-
handen, der auf Ungleichmässigkeit in der Suhstanz der Hälften des
betreffenden Eies beruhen muss, wenn, wie gewöhnhch bei gleich-
massiger Anordnung der Eier, die Eier der Umgebung solche Unter-
schiede nicht darbieten.
Bei nicht gleichmässiger Vertheilung der Eier in der
Schale, beim Vorhandensein von Lücken oder Brücken im Eistratum
wird die Breite der Aequatorgürtel neben einander liegender Eier
manchmal erheblich verschieden, und die oft stark divergir enden
Richtungen der beiden den Aequator begrenzenden Niveau ringe
entsprechen natürlich nicht mehr den Richtungen der Niveaulinien
eines homogenen d. h. gleichleitenden, die ganze Glasschale
einnehmenden electrischen Feldes.
Kurzdauernde Einwirkung des Stromes auf befruchtete
Eier bildet blos die Polfelder ohne Niveauringe aus. Selbst bei
wenig längerer Durchströmung kommt es vor, dass erst nach der
Unterbrechung des Stromes die besondere Färbung und manch-
mal doppelte Contourirung der Niveauringe entsteht.
Bei längerer Dauer der Einwirkung eines starken Stromes
dagegen steigern sich die Veränderungen eine Zeit lang; es treten
grössere Flecken auf, und selbst auf der oberen schwarzen Hemisphäre
entstehen grosse, weisse Flecken (Extraovate) , die von den Niveau-
linien sich auf das Gebiet des Aequatorgürtels überlagern können.
Die Grösse der Polfelder hängt auch an reifen, befruchte-
ten und unbefruchteten Eiern ceteris paribus von der Qualität
der Eisubstanz ab; dies macht sich am Ende der [43] Laichperiode,
wo die Eier schon etwas gelitten haben, besonders bemerkbar ; indem
in denselben Niveauflächen neben einander liegende Eier gleicher
Grösse erhebliche, unregelmässige Ungleichheiten in der Breite des
Aequatorgürtels darbieten. Diese Verschiedenheiten sind jetzt am
Ende der Laichperiode von Rana fusca so gross, dass sie den Ver-
such, die Wirkung der Grösse der Eier auf die Grösse der Polfelder
festzustellen, erfolglos machten, indem an durch einander gesäten
Eiern verschiedener (aber blos zwischen 1,8 bis 2,5 mm wechselnder)
Grösse keine constante Verschiedenheit sich feststellen liess.
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. , 36
562 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
An zwischen Glasplatten zusammengepressten, unbe-
fruchteten Eiern entstehen auch bei erheblicher Deformation noch
die Polfelder; aber ihre Ränder bieten, wie im ersten Theil bereits
erwähnt, von den normalen Niveaucurven eines homogenen
Feldes mannigfach ab weichende Richtungen dar. Bei dem
Pressen platzt das Ei oft auf ; an den so entstandenen, in der Gallert-
hülle eingesclilossenen, mit dem Eie noch zusammenhängenden Ex.
traovaten konnte ich jedoch keine sichere Polarisation wahrnehmen,
weder eine selbstständige, vom Eie unabhängige, noch eine mit ihm
in Verbindung stehende, wie sie zu erwarten wäre, wenn die Niveau-
linien des Eies gerade die Richtung auf das Extraovat hin hatten
(s. S. 589).
Die früher mitgetheilten, beim Durchströmen während der ersten
oder zweiten Furchung entstehenden Verwerfungen der Theile
des Aequatorgürtels gegen einander werden um so geringer, je
stärker der Strom ist.
Auch längere Zeit nach der Durchströmuug der Eier
finden noch mannigfache Veränderungen in den Eiern statt, die als
Folgen der Durchströmung aufzufassen sind. So zersetzte sich
zumBeispiel die Substanz der Aequatorscheiben unter Vacuoli-
sirung und Fleckenbildung in einer Weise, wie sie auch sonst, aber
nur an älteren Eiern vorkommt ; bei noch jungen Eiern fand sie sich
blos an den mit Polfeldern versehenen Eiern, während andere Eier
derselben Schale, die am Rande der Schale standen und keine Pol-
felder gebildet hatten, drei Tage lang ihr normales Aussehen behielten.
Die Polfelder selber dagegen erscheinen weniger veränderlich; im
Bereiche der geraden Stromlinie sind sie nach der Behandlung der
Eier mit starkem [44] Strome ganz unveränderlich, also wohl todt;
während, wie früher mitgetheilt, an d e n b r e i t e n A e q u a t o r g ü r t e 1 n
in derselben Schale seitlich stehender Eier sogar noch die erste
Furchung stattfand. Die Aequatorscheiben stellen also
die am wenigsten veränderte Substanz dar.
Die Fähigkeit der Eier in der beschriebenen Weise auf den
Strom zu reagiren, erhält sich an den aus dem Körper ent-
nommenen Eiern ziemlich lange. So boten in Wasser versetzte,
Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier etc. 5ß3
unbefruchtete Eier sie noch nach l'/a Tagen dar. Und Eier von vor
drei bis vier Tagen getödteten und mit eröffnetem Leibe gelegenen
Weibchen, deren Eier zum Theil an die Uteruswandung angetrocknet
waren, bildeten noch die Niveauringe, obgleich die zur Probe besamten
aber nicht durchströmten Eier sich nicht furchten, also nicht mehr
entwickelungsfähig waren.
Dagegen verlieren die Eier durch vier Minuten langes
Einlegen in Wasser von 45—4(3° dies Vermögen auf den
Strom zu reagiren; wohl ein Zeichen, dass gleichwohl diese Reaction
an Lebenseigenschaften dieser Eier gebunden ist.
Die während der vorstehend mitgetheilten Versuche entwickelten
Embryonen gaben Gelegenheit, auch an weiteren Entwickelungsstufen
die Wirkung des ^\^echselstromes zu studiren. Es zeigte sich, dass
an noch in ihrer Gallerthülle befindlichen Froscliemhryonen, sei es
mit noch oifenem oder mit schon geschlossenem Medullarrohr , ja
auch sogar an schon seit seinigen Tagen ausgeschlüpften freien Em-
bryonen der Wechselstrom scharf abgegrenzte veränderte Pol-
felder hervorbringt, die durch einen anscheinend unveränderten
Aequatorgürtel getrennt sind. Doch bleibt bei schon ausgeschlüpften
Embryonen manchmal die scharfe Begrenzung der Polfelder gegen
das Aequatorfeld aus. Im Bereiche der Polfelder tritt leichte graue
Verfärbung auf, die anscheinend auf Rundung der Epithelzellen, be-
sonders der farblosen, und auf allmählichem Abfall derselben beruht:
eine dem Tode des Embryo vorausgehende Veränderung, die ich als
Framboisia embryonalis finalis minor bezeichnet habe (s.S. 151).
Diese Veränderung setzt sich auch nach dem Auf- [45]
hören der Durchströmung noch fort unter Verschärfung der
Abgrenzungslinien der Polfelder gegen den unveränderten Aequator-
gürtel. Hat man bei starker Anordnung zu lange durchströmt, so
greift die Framboisia minor, wie sonst beim Absterben, rasch auf den
ganzen Embryo über, und man übersieht alsdann leicht die zuerst
vorhanden gewesene polare Localisation der Veränderung.
Werden jüngst ausgeschlüpfte oder durch Scheerenschnitt etwas
vor der Zeit zur Welt gebrachte Embryonen in dicke Lösung von
Gummi arabicum gethan und durchströmt, so sieht man an den
36*
56i Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
den Electroden nächsten Stellen die Zellen sich runden, aber nur
wenige abfallen; eine deutliche Grenze der veränderten Theile gegen
ein unverändertes mittleres Feld ist jedoch nicht wahrnehmbar, ob-
gleich gieichalterige Embryonen derselben Abkunft, zur Probe in
Wasser durchströmt, ein scharf begrenztes Aequatorfeld darbieten.
In Wasserglas gelegte Embryonen bilden auch ohne Durchströ-
mung sofort starke universelle Framboisie. Ist das Wasserglas
aber beim Einlegen des Embryo schon durchströmt, so ist die alsdann
auch in längerer Zeit eintretende Epithelablösung nur gering, so dass
zu schliessen ist, die Epithelzellen werden jetzt meist sofort getödtet,
ehe sie noch Zeit hatten, sich in sich selber zusammenzuziehen. Die
bei der Framboisia minor von den Embryonen abgefallenen Epi-
thelzellen werden gewöhnlich durch typische Strömungen an zwei
Stelleu der Umgebung des Embryo angehäuft, nämlich in der
Umgebung der Schwanzspitze und in der Umgebung der beiden,
dicht bei einander befindlichen Haftnäpfe.
Die Breite des Aequatorgürtels der Embryonen wächst
ceteris paribus mit der in Richtung des Stromes gemessenen Länge
des Embryo, (also mit 1. cos. a, wenn a den Winkel zwischen
Stromrichtung und Embryo bezeichnet); dieses Wachsthum ist aber
keineswegs proportional dieser Länge; das geht auch schon daraus
hervor, dass der Aequator meist parallel contourirt ist, obgleich die
Embryonen an beiden Seiten convex sind. Die Breite des Aequa-
torgürtels steht also nicht etwa in einem bestimmten Ver-
hältniss zu der von jedem Stromfaden durchsetzten intra-
embryonalen Länge, sondern mehr zu Verhältnissen der
äusseren Configuration.
[46] Die Breite des Aequatorgürtels der Embryonen nimmt ferner
mit Abnahme der Stromstärke zu. Bei schwächerem Strom werden
also ceteris paribus die Polfelder kleiner, während der Aequatorgürtel
entsprechend an Breite gewinnt, so dass schliesslich blos noch die
beiden äussersten, den Electroden zugewandten Enden die Framboisie
darbieten. Bei weiterer Stromschwächung ist dann keine
„morphologische" Wirkung, also keine gestaltliche Ver-
änderung mehr wahrnehmbar, sondern es finden an schon
Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier etc. 565
genügend weit entwickelten Embryonen b 1 o s Z u c k u n gen statt. Dieses
dem früher über die Eier Mitgetheilten entsprechende Verhalten der
Embryonen bekundet also wiederum, dass nur Ströme von gewisser
Stärke die geschilderte morphologische Polarisation der bezüglichen
durchströmten organischen Körper hervorbringen, während schwächere
Ströme ohne eine solche deletäre Polarisation zu bewirken diese
Körper durchfliessen. Die Breite des Aequatorgürtels ist aber ausser-
dem auch erheblich von der Gestalt des Embryo abhängig.
Für die Lage des Aecjuatorbandes am Embryo zeigt sich
unter Anderem von Bedeutung, dass das mit einer Spitze gegen
die nächste Electrode gerichtete, caudale Polfeld in Richtung
des Stromes länger ist, als das eine stumpfere Form der
Electrode zuwendende andere, cephale Polfeld. Die Wirkung
dieser Componente ist sehr bedeutend.
Die Intensität der im Bereiche der Polfelder stattfindenden
Veränderungen ist ausser durch die Intensität des Stromes und die
Dauer seiner Einwirkung wesentlich wiederum durch die Gestalt,
sowie durch die Richtung der Flächen zu den Stromfäden bestimmt.
Gegen die Electrode gewendete Spitzen werden eher und stärker ver-
ändert als stumpfere Flächen.
Wenn man sich die Richtung der Stromfäden von einer Elec-
trode aus vorstellt, so sieht man, dass die dieser Electrode zugewen-
deten Flächen des nach ihr hin gelegenen Stückes des Embryo, welche
also direct von den aus der Flüssigkeit in den Embryo
„eintretenden" Stromfäden getroffen werden, eine stärkere
Veränderung erfahren, als die hinter Vors prün gen des
Embryo gelegenen, demselben Polfeld zugehörigen Oberflächen.
Dieser Stromsc haften beweist zugleich, dass die im Bereiche der
Polfelder beobachteten Veränderungen durch den Ein- resp.
Austritt [47] der Stromfäden veranlasst werden. Der Strom-
schatten ist sehr ausgesprochen ; aber die räumliche Ausdehnung seines
Gebietes entspricht nicht dem Schatten, den die zuerst von den Strom-
fäden des Electrolyten getroffenen Flächen in Richtung dieser Fäden
werfen würden ; sondern das der geringeren Veränderung nach als im
Stromschatten befindlich zu erkennende Gebiet ist kleiner, was auf den
566 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Eintritt seitlicher Stromfäden, also auf Ablenkung derselben
von ihrer eigentlichen Richtung liinweist.
Auch mehrere bis zur Berührung zusammengedrängte und quer
oder schräg zur Richtung der Berührungsflächen durchströmte Em-
bryonen werfen auf einander einen Stromschatten.
Die Richtung des Aequatorgürtels, respective seiner
beiden Grenzlinien weicht bei den complicirter gestalteten
Embryonen sehr erheblich von den Niveaulinien des umge-
benden homogenen electrischen Feldes ab; diese Abweichungen sind
bei jungen, noch schwanzlosen aber cephal und caudal verdickten,
sowie an schon mit dem Schwanzstummel versehenen, aber in Folge
Raummangels in der Gallerthülle seitwärts gebogenen Embryonen
erheblicher als bei etwas älteren, freien, schon gestreckten und ausser
den Kiemen keine grösseren Verwölbungen besitzenden Embryonen.
Letztere lassen bei Stellung in Richtung der Stromlinien oder der
Niveauflächen wieder deutlich die Annäherung der Aequatorränder
an die bei ,, kugeligen" Gebilden (Eiern, Morulae und Blas-
tulae) gewonnenen Potentialniveaucurven erkennen; bei diesen
Stellungen gewinnt man auch an den complicirter gestalteten jüngeren
Embryonen noch bezüglich gerichtete Aequatorgürtel ; aber die Ab-
weichungen sind doch schon erheblicher.
Bei schiefer Lage der Embryonen zu den Stromlinien erhält
das Aequatorband mannigfach gebogenen Verlauf. Es können ferner
an einem in der Mitte eingeschnürten Embryo zw^ei wohl
contourirte nicht sichtbar veränderte Aequatorbänder auf-
treten. Auch Stücke von lebend zerschnittenen Embryonen
zeigen eine den mitgetheilten Regeln annähernd entsprechende Polari-
sirung und in den Polfeldern die Framboisia minor; aber wenn die
Schnittfläche der Electrode zugewendet ist, wird von der Seitenfläche
fast blos der anstossende Epithelrand verändert.
Desgleichen bieten unvollkommen zertheilte Embryonen
ausserordent- [48] lieh mannigfach gestaltete Polfelder dar.
Das Genauere dieser Verhältnisse kann nur an der Hand von Ab-
bildungen mitgetheilt werden und verdient vorher noch weitere Be-
obachtung. Wesentlich ist noch, dass an Embryonen mit umgebogenem
Weitere polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froscheier etc. 567
Schwänze, die Umbiegungsstelle in ihrem, auf den mittleren Strom-
faden bezogen, lateralen Theil kein Aequatoralband enthält, was
wiederum wohl durch seitlich eindringende Stromfäden bedingt ist.
Da bei der polarisirenden Wirkung des Stromes voraussichtlich
auch die Differenz des Leitungsvermögens der organischen
Körper und des Menstruums von Bedeutung ist, so variirte ich letz-
teres, indem ich es mehr der Leitungsfähigkeit der Eier zu nähern
suchte. Ich verwandte zunächst, wie schon oben mitgetheilt, gesättigte
Lösungen von Kochsalz, von Borsäure und von Borax ; in all diesen
Lösungen ging an vorher in Wasser gelegenen, noch in ihrer
Gallerthülle befindlichen Froscheiern die Bildung der Pol-
felder vor sich. Da aus ihrer Gallerthülle ausgeschlüpfte Embryonen
beim Einlegen in Wasserglas oder in auch nur ö^'/oige Kochsalz-
lösung auch ohne Durchströmung sofort universelle Fram-
boisia minor ausbilden, so sind sie zur Prüfung der Wirkung des
Stromes bei diesem Menstruum nicht zu gebrauchen.
Die gesättigte Kochsalzlösung hat von den angewandten Lö-
sungen das beste Leitungs vermögen. Aber es ist wohl daran zu
denken, dass die an verschiedenen Salzen so reichen Eier vielleicht
noch besser leiten ; daher versuchte ich 30 °/oige Schwefelsäure,
die ein drei Mal besseres Leitungsvermögen als gesättigte Kochsalz-
lösung und überhaupt das beste Leitungs vermögen von allen wässe-
rigen Flüssigkeiten hat. Wenn die Schwefelsäure erheblich besser
leitet als die Eier, dann durfte meiner Meinung nach keine Polari-
sation an ihnen entstehen. Beim Versuch ergab sich zunächst, dass
die Schwefelsäure, ein starkes Gift für das Ei, schon nach 30 Secunden
die 2 — 3 mm dicke gequollene Gallerthülle durchsetzt. Daher ver-
stärkte ich die Versuchsanordnung ad maximum, so dass an Eiern,
welche in Wasser durchströmt wurden, schon nach 5 Secunden die
Polfelder zu sehen waren. Danach Hessen befruchtete Eier von Rana
fusca, 20 Secunden lang in 30 vol. procentiger Schwefelsäure
durchströmt, keine sicher feststellbare Polarisation er-
kennen, obschon [49] sie bei gleich darauf vorgenommener Durch-
strömung in Wasser innerhalb kürzerer Zeit schön ausgeprägte Pol-
felder, aber nur von einer für diese starke Anordnung auffallenden
568 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Kleinheit entwickelten. Wenn ein in 30 vol. procentiger Schwefel
säure schwimmendes Ei mit seiner Gallerthülle direct die Electrode
berührt, so scheint eine Spur der Polfelderbildung an ihm statt-
zufinden.
Auch bei eine Minute dauernder Durchströmung in 30, ebenso
wie noch in 5 vol. procentiger Schwefelsäurelösung entsteht keine
deutlich sichtbare Polarisation. In 4 vol. procentiger Schwefelsäure
scheint schon eine schwache Polfelderbildung aufzutreten.
In 2 vol. procentiger Schwefelsäurelösung werden dagegen nach
längerer Durchströmung deutliche, grobgefleckte, aber für die ange-
wandte Stromstärke nur sehr kleine Polfelder gebildet.
Es war nicht zu beurtheilen, ob die Polfelder so klein sind, weil
nur so wenig Stromfäden aus dem Menstruum in das Ei treten, oder
weil die Eier durch die Schwefelsäure gelitten haben.
In blos 1 vol. procentiger Lösung entstehen die Polfelder noch
langsam ; die wieder grobe, weisse F 1 e c k u n g breitet sich sehr
allmählich von den den Electroden zugewendetsten Theilen der Eier
aus, und die am Rande des Polfeldes befindlichen Flecke verlängern
sich in zum Pole radiärer Richtung und bilden so einen typi-
schen Kranz. A m A e c[ u a t o r zieht s i c h w i e d e r d a s P i g m e n t
von den Rändern gegen die Mitte zurück. Die Polfelder ent-
wickeln sich aber seitlich am Eie meist nicht mehr bis zu der den
Niveaulinien entsprechenden Ausdehnung und stellen somit zwei um
die Pole selber centrirte Kappen des Eies dar, ein Verhalten, welches
ich wieder, wie schon früher an durch verzögerte Laichung geschä-
digten Eiern, für eine abnorme Reactionshemmung halte. In ^/2
vol. procentiger Schwefelsäure zeigt sich wesentlich das gleiche Verhalten.
— Messungen des Leitungsvermögens der Eier im Vergleich mit dem
Leitungsvermögen der 5 vol. procentigen Schwefelsäure können er-
kennen lassen, bei wie viel grösserem Leitungsvermögen des Men-
struums als dem der Eier die Polarisation derselben in Folge Durch-
strömung mit einem Strome von an sich geeigneter Stärke eben noch
entsteht (s. S. GOl).
Weitere polarisirende Wirkung des galvan. Stromes auf Froscbeier etc. 569
2. Weitere polarisirende Wirkung- des „jj^alvanischen" Stromes
auf Froscheier und -Embryonen.
[50] Herr College Wassmuth, der interimistische Leiter des k. k.
physikalischen Institutes, war so freundlich, mir 15 Bunsen'sche Ele-
mente von 20 cm Höhe zu leihen. Der mit diesen Elementen erzeugte
Strom wurde auf die jetzt allein vorhandenen, im Allgemeinen viel
empfindlicheren Eier des grünen Wasserfrosches, Rana esculenta, an-
gewandt und liess bei Nebeneinanderschaltung, wie erwartet, auch bei
starker ^^ersuchsanordnung (kleine Schale, Abstand der Electroden
von blos 1,6 cm) innerhalb drei Minuten keine Wirkung, weder auf
die Eier noch auf die Gallerthüllen derselben erkennen. Daher wurde
weiterhin nur noch mit hintereinandergeschalteten Elementen
experimentirt unter Gewinnung folgender Ergebnisse:
Die Wirkung dieses Stromes auf die Gallerthüllen und auf die
befruchteten Eier entspricht wesentlich der früher mitgetheilten
Wirkung des mit der Gleichstrom-Dynamomaschine erzeugten Stromes.
Zuerst entstehen wieder die gegen die positive Electrode (Anode)
hin gewendeten anodischen oder positiven Polfelder. Von oben ge-
sehen, wird der Bereich dieses Feldes am noch ungetheilten Eie auf
einmal leicht graulich, trüb, darauf sogleich hellbraun, und grenzt
sich oben durch eine deutliche Furche ab; darauf steigt ein, gewöhn-
lich zungenförmiger Strom der hellbraunen Substanz auf und breitet
sich oben bohnenförmig aus, verschwindet aber einige Zeit nach der
Stromunterbrechuug oder beim sofortigen, behufs Fixation vorgenom-
menen Kochen in den meisten Fällen, wohl durch Vertheilen der aus-
getretenen Substanz im Eiwasser, wieder. Die Besichtigung der aus
der Hülle ausgeschälten Eier zeigt das positive Polfeld unten mit hellen
Flecken bedecl^t, die durch ein eckig-maschiges Netz schwarzbrauner
Linien getrennt sind. Dieses anodische Polfeld stellt in seiner Gestalt
einen Kugelal)schnitt dar und setzt sich durch seinen oberen, vor-
springenden Rand von dem übrigen, oft in Richtung des Stromes
d e u 1 1 i c h V e r 1 ä n g e r t e n , mit einigen leichten L ä n g s f u r c h e n und ent-
sprechenden Wülsten versehenen Theil des Eies ab. Au letzterem Theil
570 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
findet sich, dem positiven entgegengesetzt, das oft kleinere, der negativen
Electrode zugewendete ,, negative" oder ,, kathodische" Polfeld.
Dasselbe entsteht später als das positive und ist durch noch rund-
liche helle Fleckchen, die kleiner sind als [51] die zuletzt eckigen
Flecken des anodischen Feldes, charakterisirt ; es hat meist keine deut-
liche Grenze; selten ist unten am Eie als Grenze eine dunkle Linie
oder eine Reihe von Flecken vorhanden. Die Veränderungen sind
viel geringer als am positiven Felde. Zwischen beiden Polfeldern liegt
der in seiner Farbe meist unveränderte Aequatorgürtel. Das Ei ist
oben manchmal abgeplattet.
An unbefruchteten Eiern ist die AVirkung des Gleichstroms
wesentlich die gleiche; doch ist die ,, positive" Niveaulinie ge-
wöhnlich weiss und der austossende Aequatorrand um so dunkler;
manchmal ist jedoch auch eine schwarze anodische Niveaufurche
vorhanden. Das anodische Polfeld kann rosettenartig ausge-
bogen sein. Das kathodische Polfeld ist mit weissen runden
Flecken versehen und kann einer scharfen Grenze entbehren.
Nach der Ausschälung und Härtung sah ich am Aequator und katho-
dischen Theile des Eies von dem einen auf den andern Theil über-
tretend, durch seichte Furchen getrennte Längswülste, von denen
die beiden obersten in Richtung des Stromes, die mehr seitlichen aber
etwas nach der Seite concav verliefen, beiderseits aber symmetrisch zu
einander geordnet waren. Manchmal hat das kathodische Polfeld eine
deutliche Grenze und ist auch eine besondere negative Niveaulinie
vorhanden. Die Summe der Niveaulinien bildet bei gleichmässiger
Zusammenlagerung der Eier in der Schale wiederum deutliche Potential-
niveaufiächen.
Setzte ich die Electroden zuerst im ßinnenraume der Schale auf
und sodann am Rande derselben, wobei die neu zwischen die Elec-
troden gelangten Stellen in zur früheren fast umgekehrten
Richtung d u r c h s t r ö m t wurden, so zeigten die Eier dieser Stellen
dann jederseits ein Polfeld vom Charakter des anodischen
Polfeldes, sodass sich also die beim Wechsel ström beobachteten
Veränderungen leicht aus den alternirend in entgegengesetzten
Richtungen erfolgenden Wirkungen des Gleichstroms ableiten lassen.
Wirkt der ^Gleichstrom" auf die Richtung der ersten Eitheilung? 571
Die ursprünglich zwischen den Electroden gelegenen Eier dagegen
Hessen durch den zweiten, geschwächten Strom keine diesem Strom
entsprechende iVnsbildnng von neuen Niveauringen nach aussen von
den früheren erkennen.
Auch an Eiern, welche in der ersten und zweiten Theilung
begriffen waren, traten wesentlich dieselben Veränderungen [52] durch
den Gleichstrom auf; doch folgte der aufsteigende Substanzstrom den
zufällig der positiven Electrode zugewendeten Furchen, und zwar zu-
nächst getheilt als zwei Ströme, an jeder Wandungsfläche der Furche
einen; später aber vereinigen sich die neben einander aufgestiegenen
hellbraunen Massen.
An Gastrulae bewirkte der Gleichstrom nur geringe Verände-
rung: man sah ein leicht grau verfärbtes, aber grosses, kathodi-
sches, ein anscheinend kleineres anodisches Polfeld, welche
beide einen seine schwarze Farbe behaltenden, wenig scharf begrenzten
Aequatorgürtel zwischen sich fassten. An den Polfeldern selbst entstand
blos Rauhigkeit mit einigem Epithelabfall combinirt. Wenn bereits
die Medullär platte an der Gastrula vorhanden ist, so durchsetzt
der Aequatorgürtel mit seinen, Niveauringe darstellenden Grenzen
diese Anlage des Centralnervensystemes ohne jede Unterbrechung
oder Richtungsänderung. Durch besondere Veränderungen ausge-
zeichnete Niveauriuge oder gar Niveaufurchen entstehen gleichfalls
nicht im Bereiche der Anlage des Centralnervensystemes.
Noch in der Gallerthülle befindliche Embryonen mit soeben ge-
schlossenem Med u Harro hr zeigten dieselben Veränderungen,
aber intensiver, mit stärkerem Epithelabfall. Das positive Polfeld
wurde zuerst weisslich, das negative schien wieder grösser. Schon
ausgeschlüpfte, sogar mit Kiemenfäden versehene Embryonen bekamen
unter Wirkung des Gleichstromes die beim Wechselstrom ausführlich
nach Ausdehnung, Lage und Richtung erörterten Erscheinungen der
Framboisia minor im Bereiche der Polfelder.
3. Wirkt der „Gleichstrom" auf die Richtung der ersten Eitheilung?
Zur Vervollständigung des früher (S. 556) über die Wirkung
des Stromes auf die Richtung der normalen ersten Thei-
572 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
lungsebene des Eies mitgetheilteii , blos mit dem Wechselstrome
angestellten Versuches, wiederholte ich jetzt dasselbe Experiment mit
dem maximalen ertragenen Gleichstrom. Die Dm'chströmung
begann zwei Stmiden nach der Befruchtung und dauerte VU Stunden
bis zum Auftreten der ersten Furche. Der Strom war gerade so
stark, dass die der Electrode nächsten Eier noch kleine Polfelder
bildeten. Die ersten Furchen waren jedoch wieder wie beim
Wechselstrom vollkommen atypisch gerichtet, und liessen
somit trotz 1^4 stündiger Wirkungsdauer [53] in ihrer Richtung
keine Beziehung zu den Kraftlinien des Stromfeldes er-
kennen. Damit ist dargethan, dass auch der Gleichstrom als
solcher^) auf die Richtung der ersten Theilung des Fur-
ch ungskern es und des Eileibes eine bestimmende Wirkung
nicht auszuüben vermag (s. S. 584).
4. Polarisireiide Wirkung- des Wechselstromes auf Org-ane des
„erwachsenen" Frosches.
Bei Ausdehnung der Versuche mit dem Wechselstrom auf
andere organische Objecto ergab sich zunächst ein positives Resultat
an der noch lebenden Gallenhl ase des Frosches. Dieses an-
nähernd kugelig gestaltete, 5 — 7 mm grosse Gebilde lieferte nach
Unterbindung des Ausführuugsganges, bei praller Füllung Polfelder,
deren Grenzen typische Niveauflächen des umgebenden Electrolyten
darstellen. Je nach der Dicke der Wandung kann man nach 1 bis
4 Minuten die den beiden Polen nächsten Theile durch grüne Farbe
von dem blaugrauen Mittelstück sich abhelfen sehen ; bei fortgesetzter
Durchströmung breitet sich die diesen Farbenwechsel bedingende
Exosmose der Galle weiter aus; die grünen Polfelder werden
allmählich grösser, um dann, bei nicht zu starkem Strome
auf gewisser Grösse stehen zu bleiben, so dass das zwischen
ihnen gelegene unveränderte Aequatorband eine constante Breite
[1) Bei so starker Anwendung, dass etwas grössere Polfelder entstehen, ist es
aber möglich, dass die dadurch veränderte Gestalt des übrigen, noch lebenden
Theiles des Zellleibes die Theilungsrichtung beeinflusst (s. S. 555, 556, sowie 803).]
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf „erwachsene" Organe etc. 573
erhält, welche in einem umgekehrten Verhältniss zur Stromstärke steht.
Ist die Anordnung sehr stark, so verschmelzen beide Polfelder zuletzt
in der Mitte mit einander. Ist umgekehrt der Strom sehr schwach,
so bleiben die Polfelder sehr klein, um bei gewisser Schwäche des
Stromes überhaupt nicht zu entstehen. Ein so schwacher Strom
durchfliesst dann also wieder den Gegenstand, ohne ihn
in der beschriebenen sichtbaren Art zu polarisiren. Ist
das Wasser ein wenig mit Schwefelsäure, wenn auch nur sehr schwach
eingesäuert, so vollzieht sich die ganze Veränderung in wenigen
Secunden und die Polfelder werden statt dunkel-, hellgrün.
Durchströmt man eine in Wasser durchströmte, bereits
polarisirte Gallenblase zum zweiten Male rechtwinkelig zur frühe-
ren Richtung, so bildet sich, aber erst nach längerer Durchströmung
als vorher, auf den jetzt polaren Seiten des Aequatorgürtels ein grünes
Feld, jedoch blos in der Mitte des Aequatorbandes aus; die seit-
lichen Eänder, also die den Polfeldern der ersten Durch-
strömung anliegende Zone des Aequators, bleibt blaugrau,
sie wird also nicht mehr diifusibel durch den Strom. Während Er-
wärmen einer lebenden Gallenblase auf [54] 52° C, wohl durch Tödtung
des Epithels, bewirkt, dass schon nach 4 Minuten die ganze Gallen-
blase grün ist, waren auch dadurch die letzterwähnten, bei der zw^eiten
Durchströmung unveränderlich gebliebenen Niveauringe
nicht mehr für die Galle diffusibel zu machen (s. Taf. VIII,
Fig. 12).
Die gleiche Eeaction giebt die prallgefüllte, unterbundene Gallen-
blase ganz junger Kaninchen^ Avenn man sie quer oder schräg
zum Strom stellt. Diese Gallenblasen sind länglich (9 — 11 mm
lang, 2 — 3 mm dick). Bei Längseintheilung derselben im Strome
konnte ich mit meinem Wechselstrom keinen scharf abgegrenzten
Aequator mehr hervorbringen, wohl aber in den anderen genannten
Einstellungen.
Bei schriiger Einstellung entsteht das Polfeld jederseits
zuerst an der der Electrode nächsten Stelle des gewölbten Endes der
Blase und breitet sich von da aus längs der Seitenkanten sowie nach
oben und unten aus, ohne aber das andere Ende der Blase zu
574 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
erreichen. Daraus ergiebt sich, class an jedem seitHchen Ende blos
ein Polfeld vorhanden ist, und dass der Aequator daselbst eine
Stelle einnimmt, welche fast direct gegen eine Electrode
gewendet ist. Die einander parallelen Grenzen der Polfelder ent-
sprechen dabei nicht mehr, wie an der runden Gallenblase und an
den runden Eiern des Frosches, den Niveaulinien des umgebenden
electrischen Feldes, sondern sie entsprechen dem oben für die läng-
lichen, aber sonst einfach gestalteten Embrj'onen Mitgetheilten.
Die Gallenblasen von Hühnern und Tauben sind sehr
dickwandig; darauf beruht es vielleicht, dass ich auch nach Ver-
kleinerung der Blase durch Abschnüren von Theilen derselben, keine
deutlich abgegrenzten Polfelder erhielt, selbst nicht, nachdem ich ihre
Wandung durch Einlegen in warmes Wasser geschwächt hatte.
Auch das Frosch herz lässt bei derselben Versuchsanordnung
eine polar localisirte Reaction erkennen. Die Polabschnitte werden
tonisch contrahirt und sind daher blass, die nicht contrahirte
rot he Aequator Scheibe lässt annähernd die Richtung von Niveau-
flächen hervortreten, besonders deutlich, wenn man drei Herzen zu-
gleich in concavem Bogen um eine Electrode gruppirt. Das Herz
mag seine Spitze, Basis oder eine Seitenfläche der Electrode zuwenden,
die drei Aequatorscheiben , von denen jede durch die ganze Herz-
substanz durchgeht, bilden zusammen [55] ziemlich gut die Krüm-
mung der Potentialniveauflächen dieser Stelle des electrischen Feldes.
Doch liegt hier keine morphologische, dauernde, sondern nur
eine functionelle polar localisirte Veränderung vor, beruhend auf der
polaren Muskelerregung im Sinne von Hering, Biedermann u. A. Immer-
hin ist für uns die übereinstimmende Localisation von Interesse,
wenngleich diese Localisation zum Theil anders bedingt sich zeigt,
indem sie auch auf die Schattenseiten übergreift. (Ueber die
Methode dieses Versuches siehe S. 606.)
Nach diesen Befunden lag natürlich die Vermuthung nahe, dass
vielleicht auch in anderen organischen, lebenden oder todten Gebilden,
wenn nicht auch in anorganischen Körpern der electrische Strom bei
geeigneter Spannung und Stärke für die Qualität und Grösse des
durchströmten Objectes und für die Grösse der Differenz des Leitungs-
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf „erwachsene" Organe etc. 575
verinögeiis zwischen Menstriumi und Object eine der beschriebenen
entsprechende sichtbare Polarisation unter Zerlegung des Objectes
in zwei Polabschnitte intensiverer Wirkung und einen zwischen ihnen
gelegenen Abschnitt geringster Wirkung, eventuell noch unter beson-
derer Aeusserung an den oberflächlichen Grenzlinien der drei Ab-
schnitte hervorbringt. Es ist aber nicht zu erwarten, d a s s alle
lebenden O b j e c t e vermögen, so sichtbar darauf zu r e a-
giren, wie die Froscheier es durch Bildung veränderter Polfelder und
Bildung besonders gefärbter Niveaugrenzlinien, resp. wirklicher Furchen
thun, wie es ferner die jungen Froschembryonen durch das Verhalten
der Epithelzellen, sich in sich zu contrahiren und daher den epithelialen
Verband zu lösen bekunden, wie sie die Wandung der Gallenblase
durch ihre Eigenschaft im Bereiche der Polfelder sehr diffu-
sibel, im Bereiche der Niveaulinien aber impermeabel
zu werden erkennen lässt, und wie es das Froschherz durch Con-
traction im ganzen Bereiche der Polabschnitte thut.
Obschon zu vermuthen ist, dass alle Organe des erwachsenen
Frosches und anderer erwachsener Wirbelthiere von den Physiologen
dem electrischen Strom unterworfen worden sind, ohne dass jedoch
ein hieher gehöriges Resultat mir bekannt wäre, so veranlasste mich
doch der neue Befund an der Gallenblase, diese Prüfung mit meinem
Strom und meiner Versuchsanordnung nochmals vorzunehmen. Ich
durchströmte daher mit dem Wechselstrom die Milz, Stücke der
Leber, der [56] Haut, der Nerven und das Auge, ohne dass
eine ,, sichtbare" polare Veränderung auftrat.
Um eventuell entstandene unsichtbare Verschiedenheiten nach-
träglich sichtbar zu machen, legte ich die Organe in die zur Färbung
der Gewebe üblichen Farbstoff lösungen, indess ohne Erfolg. Auch
wenn die Organe schon während der Durchströmung in
der Farbstofflösung lagen, war keine polare Färbungs-
differenz bei der blossen Loupenbesichtigung wahrzunehmen. Die
microscopische Untersuchung der Objecte steht noch aus.
Desgleichen liessen mit Farbstofflösung prall gefüllte
abgeschnürte T h e i 1 e der Harnblase und der Lunge des
576 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Frosches nach der Durchströmung keine pohir localisirten Ver-
ändern n g e n erkennen.
III. Abschnitt.
Weitere polarisireiide Wirkungen auf leibende Objecte.
Einleitung.
Nachdem in den vorstehenden beiden Mittheilungen einige neue
Erscheinungen in der Reihenfolge ihrer Ermittelung vorgeführt worden
sind, ist es unsere Aufgabe, ihnen ihren Platz unter den Gruppen
bereits bekannter Erscheinungen anzuweisen. Da kann wohl kein
Zweifel sein, dass wir es in diesen typisch gestalteten Reactionen der
Froscheier und -Embryonen auf den electrischen Strom mit Verände-
rungen zu thun haben, die sich trotz mannigfacher neuer, fremder
Züge auf's Engste an die Entdeckung W. Kühne's ^) anschliessen, dass
die Protisten durch den electrischen Strom polar erregt und even-
tuell auf der Polseite zerstört werden.
Reizte Kühne eine Amöbe mit dem Gleichstrom, so wurde der
der Anode zugewendete Theil der Amöbe trüb und verwandelte sich
in eine wie körniger Sago aussehende Substanz. Der der Kathode
zugewendete Theil dagegen zeigte in seinem Innern und an seiner Ober-
fläche vielfache Blasenbildung. Auch die von Kühne beobachtete,
nicht deutlich polare Reaction der Amöbe auf den Inductions ström
ist für uns von Bedeutung. Wurde eine Amöbe wiederholt mit nicht
zu starken Inductionsströmen gereizt, so contrahirte sie sich zu einer
bewegungslosen Kugel, welche undurchsichtig und trüb wurde und
endlich einen kugelig geronnenen Klumpen darstellte. Bei Reizung
mit einem [57] starken Strom platzte dasThier und entleerte
seinen Inhalt zum grossen Theil.
Noch bedeutsamer sind für uns die Beobachtungen W. Kühne's an
Actinosphaerium Eichhornii (loco cit. S. 56 u. f.). Auf Einwirkung
1) W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma und die Contractilität.
Leipzig 1864.
Weitere polarisirende Wirkungen auf lebende Objecte. 577
eines sclnvacheii Inductionsstromes werden bei diesem Protist blos die
gegen die Electroden gewendeten Fortsätze eingezogen, während die
seitlich am Thier entspringenden, rechtwinkehg zum Strom orientirten
Fortsätze unverändert bleiben. Auch zerplatzen nur auf den Pol-
seiten des Thieres die Blasen der Rindensubstanz desselben. Wo
der Strom eintritt, ist selbst bei minimaler Reizung die Erscheinung
ebenso wie da, wo er austritt; und nur diejenigen Randtheile, deren
Strahlen rechtwinkelig zur Stromrichtung stehen, bedürfen mächtigerer
Reizungen, um in Bewegung zu gerathen (S. 59). Im Gleichstrom
wird der der Anode zugewendete Theil des Organismus eingeschmolzen,
zerfällt zu einem Brei, während der kathodische Theil (beim Ein-
schleichen in den Strom) unverändert bleibt. Beim raschen Strom-
schluss sowie beim Unterbrechen des Stromes fand an diesem Theile
Einziehung der Pseudopodien und Platzen einiger Blasen statt. Die
zum Strome rechtwinkehg stehenden Strahlen bleiben jedoch auf dem
wohlerhaltenen seitlichen Rande des Protist stehen, sofern nicht be-
sonders starke Ströme verwendet werden. Ausser der Einziehung
der Pseudopodien, dem Zerplatzen der Blasen führt Kühne auch den
Zerfall auf der Anodenseite des Thieres auf Contraction des Proto-
plasmas zurück.
Auch für Nerven und Muskeln ist die polare Localisation der elec-
trischen Erregung dargethan. Pflüger, v. Bezold, Engelmann, Hering,
Biedermann u. A. haben das Gesetz erwiesen, dass die Erregung bei
der Schliessung des galvanischen Stromes von der Kathode , bei
Oeffnung von der Anode ausgeht.
Der in diesen Angaben sich aussprechende Gegensatz zwischen
der specifischen Localisation der Schliessungs- und Oeffnungserregung
an den Polen bei dem erwähnten Protist gegenüber dem Verhalten
der Nerven und Muskeln wurde bestätigt durch eine jüngste Arbeit
Max Verworn's^), welcher [58] Autor an einer ganzen Reihe von
Protisten die Angabe Kühne's bestätigte. Doch fand er auch einige
Flagellaten und Ciliaten, welche nebst den Bacterien auf der Kathoden-
i) M. Verworn, Die polare Erregung der Protisten durch den galvanischen
Strom. Pflüger's Archiv für Physiologie Bd. 45 u. 46.
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. IL 37
578 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Seite die Schliessungserregung darbieten. Bei Anwendung des In-
ductionsstromes beobachtete Verworn gleich Kühne auf beiden Pol-
seiten einen körnigen Zerfall, während der mittlere Theil des ein-
zelligen Organismus zunächst unverändert blieb.
Meine mitgetheilten Versuche mit dem Gleichstrom zeigten,
dass die F r o s c h e i e r ä h n 1 i c h A c t i n o s p h ä r i u m bei geschlossenem
Strome zuerst und am stärksten auf der Anodenseite al-
terirt werden, und dass erst erheblich später eine weniger starke
und oft weniger scharf begrenzte ^'^eränderung auf der Kathodenseite
stattfindet.
Ueber die besondere Wirkung des Stromschlusses, respective
der Stromunterbrechung habe ich keine Versuche gemacht, was bei
der von mir beobachteten Reactionsweise wohl auch schwerer möglich
gewesen wäre, immerhin aber durch Ein- und Ausschleichen hätte
geschehen können.
Meine V e r s u c h e sollen nicht die Beispiele über die specielle
LocaHsation der Schliessungs- oder Oeffnungsveränderung auf die
Kathoden- oder Anodenseite vermehren ; sondern d er Sc h av e r p u n c t
derselben liegt in d e r n e u e n A r t d e r R e a c t i o n e i n e s a u c h
noch nicht als reactionsf ähig bekannt gewesenen leben-
den Materiales, besonders aber in der scharf umgrenzten,
typisch gestalteten Localisation dieser Reaction, w^elche
letztere bei unserem Material so scharf umschrieben, so bestimmt ge-
staltet auftritt, dass sie unwillkürlich zur eingehenderen Betrachtung
und zur Frage nach ihren Ursachen auffordert und vielleicht auch
den Physiologen Gelegenheit geben wird, den Ursachen der po-
laren Natur der electrischen Erregung etwas näher zu treten.
Es wird zunächst unsere Aufgabe sein, die Ausdehnung des
Vorkommens bezüglicher Veränderungen des Weiteren
zu ermitteln und zugleich festzustellen, ob etwa noch Varia-
tionen der Art und Localisation auftreten, welche uns einen
weiteren Blick in das Wesen der Vorgänge zu thun gestatten.
Da jedoch die besprochenen Reactionen embryonaler Protoplasten
auf den electrischen Strom mit denjenigen "\^orgängen, auf welchen
die mich speciell angehenden, normalen Gestal- [59] tungen der Orga-
Erläuterung einiger Termini technici. 579
nisiiicn beruhen, nur in geringer Beziehung zu stehen scheinen,
so beabsichtige ich nicht, die neuen Erscheiniingen bis in's Letzt-
möffhche zu verfolgen.
'ö'
Erläuterung einiger T e r m i n i technici.
Ehe \Yir weiterschreiten, seien einige Termini erläutert, deren (ge-
brauch die Darstellung in diesem grösseren Abschnitte verkürzen wird.
Unter den Polen eines durchströmten Gebildes wird jederseits
die der Electrode dieser Seite nächste, also gegen die Electrode vor-
springende Stelle verstanden. Die Polseiten sind die gegen die
Electroden gewendeten Seiten eines Gebildes. Als Polmeridiane
werden die über die Oberfläche des betreffenden Gebildes von Pol zu
Pol gezogenen Linien minimaler Krümmung benannt. Das Polfeld
bezeichnet den Pol und dessen Umgebung, wenn, respective sow^eit
die Theile durch den Strom polar verändert worden sind. Pol an-
schnitt sei der Abschnitt des durchströmten Objectes, der etwa durch
eine Fläche minimaler Krümmung abgetrennt wird, welche durch die
Grenzlinie oder, \venn sie vorhanden ist, durch die Grenzfurche des
Polfeldes hindurch gelegt werden kann. Die beiden Flächen fassen
zwischen sich die Äeqnatorscheihe. Wenn vom Äequator gesprochen
wird, so ist immer der von den Polfeldern flankirte mittlere Theil der
Oberfläche des durchströmten Gebildes, also genauer der electri sehe
Äequator gemeint; und unter der Breite des Aeqüators verstehen
wir seine Ausdehnung in Richtung des Stromes. Da letzterer bei
unserer wagrechten Anordnung der Electroden zu einander, und
bei der wagrechten Stellung unserer Schalen immer in wagrechter
Richtung verläuft, so ist der Äequator, soweit er Niveauflächenrichtung
des ganzen Feldes hat, immer senkrecht orientirt.
Bei Anwendung des Gleichstroms wird das der Anode zuge-
wendete Polfeld als positives oder anodisches, das der Kathode
zugewendete als negatives oder kathodisches Polfeld der Kürze
halber bezeichnet, ohne dass damit irgend etwas über die anodische
oder kathodische Natur dieser Polfelder angedeutet sein soll. Das-
selbe gilt von der Bezeichnung der beiden Polseiten eines Gebildes.
37*
580 Ni\ 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Von dem „electrischen Aequator" ist zu nnterscheiden der Ei-
äquator, worunter man am Frosch- und Tritonei die, bei [60] ge-
wöhnlicher Einstelhing des Eies wagrechte Grenzzone des oberen, pig-
raentirten: braunen oder schwarzen, mehr protoplasmatischen und
daher specifisch leichteren Eiabschnittes gegen den unteren, hellen,
mehr aus den specifisch schwereren Dotterkörnern gebildeten, bald
grösseren, bald kleineren Eiabschnitt versteht. Diese beiden, gewöhn-
lich ungleich grossen Eiabschnitte werden als obere, braune oder
dunkle, und untere oder helle Hemisphäre bezeichnet. Unter Eiaxe
versteht man die gerade Verbindungslinie der Mittelpuncte der Ober-
flächen beider Hemisphären.
Ferner seien noch einige Termini der ersten Entwickelungsstufen
kurz erläutert. Das in eine grössere Zahl von abgerundeten und ent-
sprechend nach aussen sich vorwölbenden Zellen zertheilte Ei führt
wegen seiner Aehnlichkeit mit einer Maulbeere den Namen Morula.
Es hat in seinem Innern eine kleine Höhle. Ist diese Höhle gross
geworden, so heisst das Ei Keimblase s. Blastula; dabei sind zu-
gleich die Zellen mehr aneinander und nach aussen abgeplattet und
so klein, dass man sie mit unbewaffnetem Auge nicht mehr
gut erkennt. Das nächste, gleichfalls noch kugelig gestaltete
Stadium heisst Bauchlarve s. Gastrula und entsteht unter Bildung
einer neuen, mit der Aussenwelt communicirenden Höhle im Innern;
die Mündung dieser Höhle heisst derUrmund. Danach wird aussen
eine lange Furche am Ei gebildet, die M e d u 1 1 a r f u r c h e , deren beide
tländer sich einander nähern, schliesslich vereinigen. Das so aus der
inneren Wandung der Furche hervorgegangene Rohr ist das Med ul-
larrohr, die Anlage des Centralnervensystems. Diese Entwickelungs-
stufc führt bereits den Namen Embryo. Derselbe ist nicht mehr
kugelig, sondern länglich und an den Seiten abgeplattet; er besteht
schon aus drei Keimblättern, dem äusseren oder E c t o b 1 a s t , dessen
das Medullarrohr bildender Tlieil als Med ullarplatte bezeichnet
wird, zweitens dem inneren oder En toblast, welches die Aus-
kleidung des Darmcanals und seiner Derivate bildet; und zwischen
diesen beiden Blättern findet sich das mittlere Keimblatt oder das
Mesoderm. Die weiterhin mitgetheilten Versuche an Froscheiern er-
Methode zur Gewinnung von Gleichstrom aus Wechselstrom. 581
strecken sich allein auf den grünen Wasseri'roscli (Rana escu-
lenta), der aus dem Etschthal bezogen war, da die zu den Versuchen
der früheren Mittheilungen fast ausschliesslich [ftl] verwendeten Eier
des brauneu Grasf rösches (Rana fusca) nicht mehr brauchbar waren.
Für gewöhnlich wurde mit dem Wechselstrom gearbeitet;
daher ist immer da, wo einfach von Strom die Rede ist, der Wechsel-
strom gemeint. Da die Herrichtung der BuNSEN'schen Batterie natür-
lich besondere Umstände und Kosten verursachte, so wurden mit
diesem Gleichstrom nur wenige Versuche gemacht.
Erst später gelang es mir, eine Einrichtung zu treffen, mn
aus dem mir zur steten Verfügung stehenden Wechselstrom einen
Gleichstrom zu gewinnen; was eine grosse Bequemlichkeit darstellt.
Indess besitzt der Apparat noch Mängel, deren Beseitigung zunächst
anzustreben ist ').
Die Durcliströmung fand, wenn nicht anders vermerkt, in
runden Glasschalen und in Wasserleitungswasser statt. Das In-
strumentarium bestand in Platinelectroden, einem Stromschalter,
einem etwas trag reagirenden Federbart-Galvanoscop, welches
nur grobe Schätzungen der Stromstärke von ^/lo Ampere uud darüber
gestattete, so dass es bei den grossen Widerständen meiner Objecto
[ij Die Entdeckung dieser Methode der Gewinnung eines Gleich-
stromes aus einem Wechselstrom knüpft an eine zufällige Beobachtung an.
Ich hatte in den starken Wechselstrom meines Institutes zur Abschwächung eine
Schale mit schwacher Kochsalzlösung eingeschaltet und bemerkte in der Beobachtungs-
schale auf einmal, dass der metallische Intraelectrolyt blos auf einer Seite ein dunkles
Polfeld bildete, während gleichzeitig von den Electroden der ersteren Schale in Folge
von Erhitzung ein Ton ausging.
Ich leitete daher zur Verbesserung der Anordnung den Wechselstrom durch
einen WAGNER'schen Hammer und fand bald mit der Schraube eine Einstellung des-
selben, bei welcher die Umgebung des einen von beiden in Phenolphthalleinlösung
getauchten Electroden sich röthete. Der so gewonnene Gleichstrom ändert aber
leicht seine Ricjitung, zumal bei plötzlicher Aenderung des Leitungswiderstandes.
Dieser Fehler wird gemildert, wenn man den Wechselstrom durch z wei WAGNER'sche
Hämmer laufen lässt.
Die Messung mit Amperemeter und Voltameter ergaben, dass der Wechselstrom
beim Passiren des Hammers um 32°'o geschwächt wurde und dass von dem übrigen
Strom 57 °o Gleichstrom aber 43 "/o noch Wechselstrom waren.
Man gewinnt also mit dieser Methode keinen reinen Gleichstrom, auch ist er
intermittirend ; aber vielleicht hat er physiologisch interessante Wir-
kungen?]
582 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
meist Dicht reagirte, und einem Amperemeter mit Theilmig von
1 — 12 Amperes. Die Verwendmig letzterer beiden Instrumente, sowie der
BuNSEN'schen Elemente verdanke ich der Güte des Herrn Collegen Wass-
MUTH, des interimistischen Vorstandes des k. k. physicalischen Institutes
der Universität. Leider erst gegen den Schluss der Untersuchungen Hess
ich mich herbei, ein Horizontalgalvanometer von Reiniger, Gebbert
und Schall in Erlangen, welches von Vio— 5 Milliampere getheilt ist,
sowie oblonge Glas schalen anzuschaffen, womit dann manche,
neuen Aufschluss gewährende Versuche ermöglicht wurden.
Wirkung des Wechselstromes auf Aethalium septicum.
An Protisten begonnene Versuche gab ich sofort als unnöthig
auf, nachdem ich die oben citirteu ausgedehnten Untersuchungen
Veravorn's kennen gelernt hatte. Ich theile daher nur einige Versuche
an dem gleichfalls von Verworn geprüften Aethalium septicum mit,
obschon ich von diesem Materiale noch nicht das geeignete Ent-
wickelungsstadium angetroffen hatte , und daher nur einige , zum
Theile eigentlich nicht hieher gehörige Beobachtungen an ihm ge-
macht habe.
Ich fand, dass die aus der Lohe nach dem Regen entnommenen
Theile der Lohblüthe sich sehr verschieden gegen den (62] Wechsel-
strom verhalten. An Stückchen mit amöboiden Fortsätzen w^urde
manchmal beim Stromschluss die Rinde jedes freien Fortsatzes ge-
sprengt, und während der Dauer des Stromes fand ein Ausströmen
von Inhalt statt, welches mit der Stromunterbrechung cessirte, mit
dem neuen Schlüsse wieder einsetzte. Bei anderen, anscheinend
gleichen Fortsätzen blieb jedoch diese Re actio n aus.
Bios einmal trotz vieler Versuche beobachtete ich an zwei solchen
Fortsätzen auf der, einer Electrode zugewendeten Seite unmittelbar
nach dem Stromschlusse eine Bildung von Kerben und danach
von glänzenden Körnern von S,ö fi Grösse an dieser Stelle
der 35 — 70 /^i messenden Fortsätze eines Klumpens von 0,4 mm
Durchmesser. Später trat blasige Entartung dieser Fort-
sätze ein. Die Protoplasmakörnchen mancher Fortsätze Averden
Wirkt der Wechselstrom auf die ßefruchtungsrichtung? 583
während des Durchströmens stärker sichtbar, unscheineiid durch Aui"-
liören eines nach der Durchströmung vorhandenen minimalen Zitterns
der Substanz. AehnUcli giebt W. Kühne (1. c. p. 31) an, dass bei
der Durchströmung der Amöben mit dem Inductionsstrome die
Körnchenbewegung in denselben aufhört.
Nicht selten findet man durch dunkle Körner schwach bräunlich
gefärbte Protoplasmakugeln von 84—100 f.i , die sich während der
Durchströmung durch zwei parallele Furchen einschnüren, sodass ein
der unten mitgetheilten Anfangsreaction der Fischeier sehr ähnliches
Bild entsteht; jedoch kommen bei Aethalium diese Bildungen auch
ohne Durchströmung häufig vor.
Wirkung des Wechselstromes auf Hydra fusca.
Von wirbellosen Metazoen prüfte ich nur das Verhalten der Hydra
fusca an einigen Exemplaren, Avelche ich der Güte des Herrn Collegen
VON Lendenfeld verdanke. Sie reagirten gleichfalls deutlich polar.
An den direct bestrahlten Pol selten fand Contraction der
Zellen unter Entleerung ihres Inhaltes statt; ein Vor-
gang, dessen allmähliches, von beiden Polen ausgehendes räumliches
Weit er seh reiten am Thiere bei wiederholten momentanen Strom-
schh essungen deutlich verfolgt werden konnte. Die Zellen der
Aequatorgegend blieben längere Zeit unversehrt. In den Polfeldern
fand zuerst eine Schichtensonderung statt, welche genauere Unter-
suchung verdient.
Wirkung des „Wechselstromes" auf Raua esculeiita.
1. Wirkt der „Wechsels trom" auf die Besamungsrichtung
#und auf die Copulationsrichtung?
[63] Zu den Amphibien zurückkehrend, sei zunächst als Fort-
setzung der Ausgangsbestrebungen der vorliegenden Untersuchung
über einige Versuche zur Ermittelung eventueller Einwirkung des
Wechselstromes auf die Besamungsrichtung des Eies, sowie auf die
Copulationsrichtung des Eikernes und Samenkernes berichtet, wobei
584 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
zugleich auch eine für unsere zweite Aufgabe wichtige Beobaclitung
gemacht wurde.
Um nicht etwa einen Einfluss des Wechselstromes blos auf die
Bewegung der Samenkörper innerhalb der Gallerthülle der Froscheier
festzustellen, da das „zuerst" an der schwarzen Eirinde ankommende
Samenthierchen das Froschei befruchtet, sondern um den Einfluss
d e s S t r o m e s auf d i e B e s a m u n g d e s E i e s zu ermitteln, wurden
Eier des grünen Frosches erst zehn Minuten nach der Begiessuug
mit Samen (also zu einer Zeit, da die Samenkörper die Gallerthülle
schon bald durchdrungen haben und an das Ei selber gelangen) mit
dem, durch Einschaltung der 81 cm langen, mit V<t procentiger Koch-
salzlösung gefüllten Röhre geschwächten Strom in constanter Rich-
tung durchströmt. Es konnte sich dabei herausstellen, dass etwa die
Samenkörper leichter an den Polen oder an dem electrischen Aequator
eintreten, was daran zu erkennen gewesen sein würde, dass die später
auftretende erste Theilungsebene des Eies durch diese Stelle hindurch
ginge; denn ich habe früher experimentell nachgewiesen (Nr. 21),
dass bei zwanglos gehaltenen Froscheiern die erste Theilungsebene
(welche zugleich das Ei halbirt und senkrecht steht) durch die Ein-
trittsstelle des Samenkörpers in das Ei hindurch geht. Die Durch-
strömung wurde fortgesetzt, bis die Eier sich nach 32 Minuten mit
den hellgelben Hemisphären nach unten gedreht hatten, also bis zum
ersten äusseren Zeichen der erfolgten Befruchtung. Als nach 2^/4
Stunden die erste Theilung eintrat , standen jedoch die T h e i -
lungsebenen der Eier ohne jede constante Richtung zu
den Stromlinien.
[64] Unmittelbar nach der Strom Unterbrechung in dieser Schale
wurde mit demselben Strom eine andere Schale durchströmt, deren Eier
sich soeben gedreht hatten. Es geschah, um zu prüfen, ob die Strom-
richtung auf die Richtung der nun folgenden Vereini-
gung des Samenkernes und des Eikernes wirke, welche
Vereinigungsrichtung, wie ich loco cit. gezeigt habe, gleichfalls die
Richtung der ersten Furche zu beeinflussen vermag. Nach 2^4 Stunden
lang fortgesetzter Durchströmung trat die erste Theilung ein; aber
die Richtungen dieser Theilungen Hessen wieder keine Beziehungen
Wirkt der Wechselstrom auf die Befruchtungsrichtung? 585
zu deu Stromriclitungüii erkennen. Da ich in Abschnitt I, (s. S. 556)
dargethan habe, dass der Wechselstrom als solcher nach statt-
gehabter Copulation dieser Kerne nicht richtend auf die „erste
Theilung" des Furchungskernes, sowie auf die des Zellleibes
der Eier zu wirken vermag, so hätte eine jetzt hervorgetretene
Constanz in der Stellung dieser ersten Theilungsrichtung zur Strom-
richtung eine Einwirkung des Stromes auf die Copulationsrichtung
erschliessen lassen.
Während dieser lang dauernden Durchströmung hatten blos
die den Electroden nächsten Eier Polfelder, und zwar blos von sehr
geringem Umfange gebildet. Es erhellt also, dass die anderen, ferner
stehenden Eier mit der stärksten noch ertragenen Strom-
dichte behandelt worden waren. Da damit aber keine richtende
Wirkung auf die Besamungsrichtung und auf die Copulationsrichtung
erzielt worden ist, so geht hervor, dass der Wechselstrom eine
r i c h t e n d e W i r k u n g auf d i e V o r g ä n g e der Besamung des
Eies und der Copulation der V o r k e r n e überhaupt nicht
auszuüben vermag; und da die Durchströmung auf die Periode
der Theilung des durch die Copulation gebildeten Furchungskernes
und des Zellleibes ausgedehnt worden war, so ist zugleich auch die
Unwirksamkeit des Wechselstromes auf die Richtung der Theilungs-
vorgänge des Furchungskernes und des Dotters auf's Neue bestätigt
worden (s. S. 572).
2. Pol arisir ende Wirkung sehr schwachen Stromes
auf das Ei.
Die mit den kleinen Polfeldern versehenen Eier zeigten zugleich
ein interessantes Verhalten ihres Aequators. Dieser fast die ganze
Eioberfläche eiftnehmende Aequator war hell geworden und in der
Richtung von Polmeridianen braun gestreift, siehe Taf. VIII
Fig. 4. Die so veränderten Eier hatten die erste Furche nicht gebildet.
[65] Die daran sich anreihenden Eier in der Mitte des Strom-
feldes hatten blos punctförmige Polfelder gebildet und be-
sassen im Aequator die erste Furche, welclie wieder, wie schon
586 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
im ersten Abschnitte ein Mal beobachtet und mitgetheilt ist (s. S. 556), in
der Mehrzahl der Fälle (an 20 von 30 Eiern) die Polfelder direet
verband. Bei den übrigen Eiern aber, welche keine äussere Verände-
rung durch den Strom erkennen liessen, standen die ersten Furchen
in beliebigen Richtungen durcheinander.
3. Weitere polarisirende Wirkungen auf ,,ungetlieilte" Eier
von Rana esculenta.
Die früheren Mittheilungen üljer Froscheier bezogen sich fast
ausschliesshch auf den braunen Gras fro seh, die nachfolgenden
dagegen ausschliesslich auf den grünen Wasserfrosch, Rana esculenta.
Diese Froscheier sind mir von früher her als die weit empfindlicheren
bekannt; und dementsprechend traten auch unter den vorliegenden
Verhältnissen einige Reactionen stärker auf. x4.usserdem gestattet die
hellbraune Färbung eine genauere Beobachtung der Veränderungen
der oberen Hemisphäre, als sie bei den schwarzen Eiern der anderen
Species möglich war. Drittens wurde jetzt, nachdem in den früheren
Beiträgen die Hauptzüge des Bildes der Veränderungen festgestellt
waren, die Aufmerksamkeit mehr den Einzelheiten zuge-
wendet und dadurch eine principiell wichtige Erweiterung
unserer Kenntniss der bezüglichen Reactionen gewonnen.
Auch für die Eierstockseier von Rana esculenta bestätigte
sich , was ich früher von denen der Rana f usca angegeben habe ;
nämlich, dass der Aequator um so grösser ist, je kleiner
die Eier sind. Während z. B. ein Ei von 1,7 mm Durchmesser
bei 10 Minuten langer Durchströmung einen Aequator von blos
0,16 mm, also von O'^/o hat, ist ceteribus paribus der Aequator eines
Eies von 0,37 mm, 0,24 mm, also 64 o/o breit. Dies verschiedene Ver-
halten rein proto])lasmatischer und andererseits dotterkörnerhaltiger
Eier entspricht der an reifen Eiern gemachten Beobachtung, dass der
Aecjuator im Bereiche der oberen braunen Hemisphäre
deutlich breiter ist, also im unteren, vorzugsweise aus Nahrungs-
dotter bestehenden Theile, sowie dass bei abnormer Stellung des
Eies mit der braunen Hemisphäre statt nach oben, seitlich gegen
eine Electrode hin, das braune Polfeld viel kleiner wird als
Weitere polarisirende Wirkungen auf ungetheilte Eier von Rana esculenta. 587
das helle. Anden noch durchscheinenden, also noch nicht nahrungs-
dotterhaltigen [66] Eiern bis herab zu einem Durchmesser von z. B.
0,29 mm sind die, letzteren Falles blos 0,04 mm breiten, Polfelder
durch Trübung des Protoplasmas und scharfe, ebene,
parallele Abgrenzung der Trübung gegen den 0,21 mm
breiten Aequator vollkommen deutlich. An noch kleineren Eiern
(die kleinsten messen 0,12 mm) konnte ich auch mit Zeiss' Objectiv
A keine Polarisation erkennen. Jedoch auch grössere Eier, welche
so trocken lagen, dass sie nicht von ein Wenig Gewebesaft um-
geben waren, liessen gleichfalls keine Reaction erkennen.
Veränderungen der ungetheilten reif en Eier von R. esculenta:
Nur bei kurzdauernder Durchströmung ist im Bereiche der
braunen Hemisphäre der Aequator breiter und nimmt bis zum
Beginne der unteren hellgelben Hemisphäre stetig an Breite ab, um auf
dieser letzteren dann gleich schmal zu bleiben, s. Taf. VIII Fig. 1. Bei
längerem Durchströmen dagegen wird der Aequator oben schmäler,
oft so schmal, dass blos eine Furche übrig bleibt. Diese nachträg-
liche Veränderung ist bei Rana esculenta durch die Ue her Wöl-
bung der Polabschnitte über den Aequator und durch das
Aufsteigen aus ihnen ausgetretener Substanz bedingt. Auf der unteren
Hemisphäre sind oft ganz deutliche weisse Niveaulinien oder
schon Niveaufurchen vorhanden, ehe die Polfelder selber merk-
lich weisser geworden sind; die „Niveaulinien^^ sind also Stellen
erster stärkster Veränderung. Der Aequator ist auf der
unteren Hemisphäre oft weisser als die schwach gelblich gebhe-
benen Polfelder. Auch oben wird der Aequator oft heller durch
Wegwanderung des braunen Pigmentes von den Rändern,
so dass es wieder blos in der Mitte des Aequators noch als ein brauner
Streif vorhanden ist, während unten der anfangs noch in der Mitte
des Aequators verbliebene gelbliche Streifen bald unter zunehmender
Verschmälerung verschwindet.
Bei sehr schwachem Strom dagegen bilden die ungetheilten
Eier nur ein oder mehrere Extraovattröpfchen an den beiden Polen
des Eies. Sind mehrere Extraovate entstanden, so liegen sie manch-
mal in einer wagrechten Linie, nahe am Eiäquator, manchmal aucli
588 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
in einer senkrechten Linie, manchmal in nnregehnässiger Anordnung
um den Pol; ein Verhalten, welches also auf verschiedene örtliche
Disposition [67] der Eier zur Bildung der Extraovate, resp. zur Durch-
brechung der Eirinde hinweist.
Ueber die Dauer dieser Reactionsf ähig keit wurden noch
einige Beobachtungen gemacht.
Vier Tage lang in Wasser gestandene, unbefruchtete, schon
hochgradig zersetzte vacuolisirte Eier, bei welchen schon Oel
sich ausgeschieden und oben angesammelt hatte, bildeten noch
schöne Niveauringe, innerhalb deren die Eirinde auch aufplatzte
und Eiinhalt austreten liess. Diese noch reagirenden Eier hatten
aber noch den schwach gelblichen und schwach durchscheinenden
Ton der Eirinde. Dagegen reagirten blos drei Tage alte, auf Eis
gestandene gleichfalls unbefruchtete Eier, die ihren gelblichen
transparentenTon verloren hatten und daher oben opakbraun
oder grauweiss, unten opakweisslich waren, nicht mehr; dasselbe
war der Fall bei vollkommen un verfärbten, aber durch Car-
boldämpfe vergifteten Eiern.
An oben zersetzten und daselbst nicht mehr deutlich reagi-
renden Eiern kommt es vor, dass sich auf der unteren Hemisphäre
noch deutliche Niveaufurchen bilden; die Reaction ist also
ein localer, nicht ein vom ganzen Ei vermittelter Vorgang.
Die Polfeldergrenzen verlieren ihre den Niveauflächen des um-
gebenden homogenen electrischen Feldes entsprechende Richtung,
wenn die runde Gestalt der Eier erheblich alterirt wird. Sind
z. B. die Eier während der Durchströmung zwischen parallele ebene
Glasplatten gepresst und dadurch abgeplattet, so ist der Aequator
zwar an den Rändern noch parallel contourirt, an den abgeplatteten
Flächen dagegen stark, fast zu einer runden Scheibe verbreitert, und
die Polfelder sind demnach etwa viertelmondförmig (s. Taf. IX Fig. 14).
AVerden die Eier in enge Glasröhren aspirirt und dadurch mannig-
fach deformirt, so erhalten keilförmig gestaltete, etwas schief zur
Röhre stehende Eier beim Durchströmen einen k e i 1 f ö r m ig e n Ae qu at o r ;
ovale schief stehende Eier bilden einen stark schief zur Hauptrichtung
des Stromes stehenden, aber noch parallel contourirten Aequator.
Weitere polarisirende Wirkung auf ungetheilte Eier von Rana esculenta. 589
Bei der Beurtheilung dieses neuen Verhaltens ist jedoch daran
zu denken, dass zwei Componenten zugleich geändert wor-
den sind, ausser der Gestalt des Eies auch die Gestalt [68] des
sie umgebenden electri sehen Feldes. Wir werden später die
l)esonderen Wirkungen jeder dieser beiden Componenten getrennt zu
beurtheilen Gelegenheit nehmen.
Zwischen parallele ebene Glasplatten gepresste Gastrulae
können, trotz gleich grosser Abplattung als an den eben erwähnten
Eiern, gleichwohl noch einen parallel, geradlinig contourirten Aequator
bilden ; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass die Gastrulae
gewöhnlich eine dicker gequollene Gallerthülle besitzen als die noch
ungetheilten Eier. Doch kommt an solchen Gastrulae auch die er-
wähnte centrale Verbreiterung des Aequators vor, stark
ausgesprochen, jedoch blos, wenn die Gastrula beim Pressen aufge-
platzt ist und danach ihre beiden durch Pressung entstandenen
Flächen eingesunken, also concav sind, wie die Seiten eines rothen
Blutkörperchens.
Die Extraovate ungetheilter oder einige Mal getheilter, an-
gestochener oder gepresster Eier sind immer nackt, das heisst
nicht mit der typischen elastischen Eirinde überzogen.
Trotz aller Sorgfalt in der Beobachtung ist es mir nicht gelungen,
eine Bildung von Polfeldern an dieser frisch ausgetretenen Ei-
substanz wahrzunehmen.
An Extraovaten gepresster Gastrulae dagegen konnte ich
wiederholt sehen, dass sie in ein Polfeld oder bei geeigneter Lage
zwei durch einen unveränderten Aequator getrennte, gleich denen
der Gastrula selber grau verfärbte Polfelder bildeten. Das Extra-
ovat steht in diesen Fällen mit der Gastrula noch im Zusammenhang
und bildet nur dann zwei Polfelder und einen eigenen Aequator,
welcher stets mit dem der Gastrula zusammenhängt, wenn das Extra-
ovat seitlich vom Stammtheil, also in denselben Niveauflächen
mit ihm gelegen ist. Ist dagegen das Extraovat, vom Stammtheil
aus gerechnet, schief zur Stromrichtung gelegen oder gar einer Elec-
trode zugewendet, so bildet es blos ein einziges, dem des Stamm -
theiles zugehöriges Polfeld.
590 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Das Gemeinsame aller, sichtbare Polfelder bilden-
den Extraovate aber ist, dass sie noch einen Epithel-
überzug von der Gastrula besitzen; und nur soweit dieser
vorhanden ist, findet erkennbare Reaction statt. Dies scheint anzu-
deuten, dass nackte Extraovate deshalb nicht reagiren,
weil ihnen ein reactionsf ähiger Ueberzug fehlt. Indess
habe ich an Eiern, welche in enge Glasröhren aspirirt und dabei auf-
geplatzt waren unter Ent- [69] leerung des grössten Theiles ihres In-
haltes, trotz des Vorhandenseins der längsgef alteten E i r i n d e am
mittleren Theile, welche jede Veränderung gut hätte wahrnehmen
lassen, beim Durchströmen keine polaren Veränderungen be-
obachten können.
Einmal hatte ich ein seltenes, theoretisch besonders wichtiges
Verhalten zu beobachten Gelegenheit. Unter den Eiern eines Weib-
chens fanden sich z av e i Eier, welche durch eine gemeinsame
äussere Gallerthülle mit einander vereinigt waren, derart,
dass sie gegen einander abgeplattet und nur durch eine Gallertlage
von ein Drittel des Eidurchmessers von einander getrennt waren.
Siehe Taf. VIII, Fig 5. Ich durchströmte dieselben, um das Specifische
dieses Falles möglichst zu verwerthen, in Richtung ihrer Verbindungs-
linie und erhielt an jedem Ei ein grosses, je die halbe Eioberfiäche
einnehmendes, äusseres und ein kleineres, dem des anderen Eies
zugewendetes, inneres Polfeld; letztere beiden nahmen ausser der
Abplattungsfläche nur noch einen schmalen Saum der angrenzenden,
gewölbten Fläche ein. Beide Polfelder jedes Eies waren durch einen
parallel contourirten Aequator von einander getrennt. Derselbe Frosch
bot noch zwei mit einander, aber weniger nahe, durch ihre Gallert-
hüllen vereinigte Eier dar, so dass dieselben sich nicht an einander ab-
platteten. Siehe Taf. VIII, Fig. 6. Beim Durchströmen auch dieser Eier
in der Verbindungsrichtung entstanden wieder zwei äussere grössere,
und zwei gegen einander gewendete, kleinere Polfelder; doch waren
hier, bei grösserem Abstände der beiden Eier, die Breitenunterschiede
der inneren und äusseren Polfelder nicht so erheblich als bei den
erste ren einander näheren Eiern.
Specialpolarisation der Zellen des getheilten Eies. 591
4. Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf
,,getheille" Eier von Rana esculenta.
Gehen wir nun zu dem eigenthümhchen Verhalten der ein-
oder mehrfach getlieilten Eier über.
Bei genauerer Betrachtung und Erwägung der in der ersten
]\Iittheilung schon kurz erwähnten Reactionen in mehrere Zellen ge-
heilter Eier (S. 553), erkannte ich, dass darin eine Specialpolarisation
der einseinen Zellen sich ausspricht. (Siehe Taf. VIII, Fig. 7 — 11.)
Ich nahm daher Gelegenheit, dieses fundamentale ^''erllalten des
Weiteren kennen zu lernen.
An dem in zwei und mehr Zellen getheilten Ei, ebenso wie an
der Morula und noch an der schon in kleine Zellen zerlegten [70] Blas-
tula beobachtete ich, dass jede Zelle der Eioberfläche für sich
polarisirt wird; dies derart, dass die blos an den Polseiten des
Eies liegenden Zellen je ,,ein" von aussen sichtbares Polfeld
erhalten, welches dem electrischen Pole dieser Seite des Eies zu-
gewendet ist, während der Aequator den distal vom Pol gelegenen Theil
der freien Oberfläche der Zelle einnimmt. Die Polfelder neben
einander liegender Zellen formiren die erwähnten concentrischen Ringe
um den Pol, welche Ringe aber durch die unregelmässige Lagerung
der Zellen sich aus lauter Bruchstücken zusammensetzen. Die im
Polmittelpunct gelegene Zelle, hat ihr Polfeld in der Mitte
der Zelle, ihren Aequator ringsum und unterscheidet sich da-
mit von den anderen Zellen.
Die Zellen, welche in der Mitte zwischen beiden Polen, also
am electrischen Aequator des Eies liegen oder den Aequator
von aussen her noch erreichen (siehe Taf. VIII Fig. 9 u. 10) und zugleich,
wie es nach den ersten Theilungen und noch bei der Morula der Fall
ist, so stark sicÄ verwölben, dass sie von beiden Electroden aus, durch
direct aus dem Electrolyten stammende Stromfäden, unter keiner oder
nur geringer Ablenkung derselben von ihrer Bahn im Electrolyten
getroffen werden können, bilden bei genügend starkem Strom gegen
jede Electrode hin ein Polfeld aus, zwischen welchen beiden der
Zelläquator gelegen ist. Dies geht so weit, dass auch neben der aqua-
592 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
torialen Mittelebene, z. B. auf der linken Hälfte des Eies, also
gegen die linke Electrode liegende Zellen, wenn die rechts neben ihnen
liegenden Zellen gerade eine Lücke lassen, durch welche von der
rechten Electrode her Stronifäden aus den Electrolyten in die erstere
Zelle eintreten können, diese Zelle dann ausser ihrem grossen hnken,
noch ein deutliches, wenn auch entsprechend kleineres, rechtes Pol-
feld ausbildet. Aber auch anders gelagerte, zweite, kleine Zellpolfelder,
welche offenbar eine etwas andere genetische Bedeutung haben, kommen
vor (siehe Taf. VIII Fig. 8 und 10):
An erst in zwei (Fig. 8), vier oder acht Zellen getheilten Eiern sieht
man bei so kräftiger äusserer Rundung dieser Zellen, dass zwischen ihnen
gut geöffnete Furchen entstehen, an der Begrenzung der annähernd
oder ganz quer zum Strom orientirten Furchen der Aequatorgegend,
sowohl in der Tiefe derselben wie auch gegen ihre Oeffnung hin auf-
steigend, die typische Polfeldveränderung an den die Furche begren-
zenden Zellwänden. Manchmal schien [71] die Veränderung blos an
den mehr oberflächlichen Theilen der Furchenwandung vorhanden zu
sein und in der Tiefe zu fehlen ; was indess sehr schwer zu sehen ist.
Im Gegensatz zu dieser Polfeldbildung in der Tiefe von quer
zum Strom orientirten Furchen steht ein gleichfalls bei Durch-
strömung in Wasser beobachtetes Ausbleiben der Veränderung
an ganz gleich gerichteten, aber mehr auf der Polseite des
Eies gelegenen Furchen. Es war deuthch zu erkennen, dass das
Polfeld sich blos auf den direct von den Electroden aus bestrahlten
Theil der Zelloberfläche ausdehnte und nicht auf die Wandungen der
hinter dieser Zelle liegenden Furche übergriff. Um dieses auffällige
Verhalten zu verstehen, werden noch weitere Beobachtungen über die
speciellen Bedingungen seines Vorkommens zu machen sein.
Nach anderer Richtung in einem Gegensatz zu der in der Aus-
bildung von Polfeldern sich bekundenden Wirkung der directen Be-
strahlung der Zelloberfläche steht die Thatsache, dass an dem schon
jn kleine Zellen zerlegten Ei nicht die ganze, den Stromfäden ent-
gegenstehende Fläche der Zelle, sondern immer blos der pol war ts
gelegene Theil dieser Fläche verändert wird, während der
distal davon liegende Theil, der immer noch unter einem mehr dem
Specialpolarisation und Generalpolarisation getheilter Froscheier. 593
rechten sich nähernden Winkel gegen die Stromfäden des umgebenden
Feldes gerichtet ist als ein Theil des Polfeldes der nächst distalen
Zellen, unverändert bleibt und so den Zelläquator darstellt.
Die Niveaulinien der einzelnen Zellen platzen bei weiter
fortgesetzter Durchströmung rasch auf und stellen so die weissen Linien
dar, die ich in der ersten Mittheilung noch auf aufgeplatzte Furchen
zwischen den Zellen bezog. Diese Täuschung ward dadurch her-
vorgerufen, dass sich die ZellpoJf eider wie die Polfelder des ganzen,
ungetheilten Eies gegen ihren Aequator etwas erheben und so durch
eine Furche abgrenzen. Dabei ändert sich auch etwas die Gestalt der
Zellen und Polfelder durch Abplattung der Zellen und durch Schluss
der Furchen zwischen letzteren, so dass man in diesem Stadium sehr
leicht die Polfelder zur polwärts, statt zur distal vom Eipol gelegenen
Zelle rechnet; diese Täuschung ist oft eine so vollkommene, dass nur
die genaue Verfolgung des ganzen Processes von seinem Beginn an
vor derselben bewahren kann.
[72] Die Zellpolfelder werden im Bereiche der oberen, braunen
Hemisphäre des Eies von Rana esculenta graubraun, im Bereiche der
gelblichen, unteren Hemisphäre weis sl ich. Die Grösse dieser Polfelder
nahm vom Eipol gegen den electrischeu Aequator des ganzen Eies
ab. Die Polfeldbildung beginnt bei mittelstarkem Strom am electri-
scheu Pol des Eies und breitet sich von da aus ausserordentlich rasch
auf die distal gelegenen Zellen und weiterhin langsamer auf jeder
einzelnen Zelle in distaler Richtung aus.
Ist das Ei noch nicht feingetheilt, so bekommt, wie erwähnt,
jede Zelle des ganzen Gebildes ihr Polfeld und ihren Aequator.
Ein eigentlicher electrischer Gesammtäquator des Eies
besteht dabei also nicht, er umfasst blos die von beiden Pol-
seiten gegen einander stehenden Zelläquatoren der Zellen dieser Gegend ;
dem entsprechend ist er auch nicht durch eine fortlaufende Linie
jederseits contourirt, sondern je nach der Lage der ihn bildenden
Zellenäquatoren bald etwas breiter, bald etwas schmaler.
Bei der weiter fortgeschrittenen Zertheilung in die kleineren
und weniger vorspringenden Zellen der älteren Blast ula und der
Gastrula dagegen bleibt ein Gürtel, von den Polen am
W. Ronx, Gesammelte AbliandluDgen. If. 38
594 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
weitesten abgelegener Zellen deutlich unpolarisirt; und
wir erhalten damit einen Gesammtäquator, der aber bei genauem
Zusehen wieder ungleich breit ist, da er durch Specialpolfelder der
austossenden Zellen begrenzt wird; je kleiner diese Zellen smd, um
so weniger treten natürlich diese Ungleichheiten hervor. An älteren
Gastrulae bleibt auch bei stärkster Anordnung meines Stromes immer
ein Aequator von wenigstens Vn Eidurchmesser oder 3 — 4 Zellen
Breite zunächst ohne äusserlich sichtbare Polfelder der Zellen. Zu-
gleich waren an alten Gastrulae die Zellen der Polseiten anscheinend
auf ihrer ganzen freien Oberfläche hellgrau verändert.
Die durch den Strom ausgelösten Veränderungen des Eies
setzen sich noch eine Zeit lang nach der Einwirkung des
Stromes fort. Wenn man nach blos 2 — 3 Secunden dauernder Ein-
wirkung eines Stromes von geeigneter Stärke auf ein noch ungetheiltes
oder schon mehrfach getheiltes Ei unterbrochen hat, kommt es sogar
vor, dass zur Zeit der Stromunterbrechung noch keine
Veränderung amEi zu sehen ist, sondern dass die Verände-
rung erst danach beginnt. Wurde unterbrochen, als schon die
Pol- [73] feldbildung einsetzte, so kann man beobachten, dass erst
nach der Stromunterbrechung die Veränderung, etwas pol-
wärts vom Rande des Gesammtpolfeldes , so heftig wird, dass
daselbst an der oberen Eihälfte unter starkem Aufplatzen und
entsprechender Entleerung der Zellen dieser Zone eine durch-
gehende Niveaufurche entsteht. Wurde dagegen längere Zeit,
20" — 40'' durchströmt, so entsteht diese Niveaufurche in grösserem
Abstände vom Pol. Bei Unterbrechung des Stromes localisirt sie sich
an ihrem jeweiligen Ort. Bei erneuter Durchströmung kann sie nach
der dadurch bedingten Ausbreitung der Polfeldbildung gegen den
Aequator gleichfalls avanciren; oder es entsteht ohne Verschwinden
der ersten durch Stromunterbrechung localisirten Niveaufurche, bei
erneutem Durchströmen äquatorwärts jederseits eine neue, alsdann
weniger tiefe Furche, oder blos ein pigmentirter Ring (N. B. nur
im Bereiche der oberen, braunen Hemisphäre wird die Veränderung
so intensiv; es entsteht also jederseits blos ein Halbring.)
Wartet man einige Minuten nach einer kurzen, 10"— 20" dau-
Specialpolarisation und Generalpolarisation getheilter Froscheier. 595
ernden kräftigen Durchströmuno; einer Morula oder Jungen Blastula,
so sieht man die Zellen sicli meist stark abplatten und die
früher offenen Furchen zwischen ihnen sieh entsprechend schliessen.
Durchströmt man dieses so zur Kugel abgeplattete Gebilde nochmals, so
entstehen jetzt unter polarer Veränderung der bisherigen Zell-
äquatoren auf den beiden Polseiten des Eies, wie an einem ungetheilten
Ei zwei grosse einheitliche (reneraJ-PoIfelder; und zwischen ihnen
bleibt ein einheitlicher, durch durchgehende, parallele, ungebrochene
Contouren begrenzter schmaler Aequator, dessen Ränder einander
näher liegen, als die erwähnten früheren, durch starkes Aufplatzen
entstandenen beiden Furchen. Bei der Morula liegt natürlich im
Bereich dieses Gener aläquators ein Theil der oben erwähnten
kleinen Zellpolfelder; diese aber werden jetzt undeutlich oder von
den Zellen abgestossen. Manchmal ist der so nachträglich ent-
standene Generaläquator in seinen Grenzlinien doch nicht ganz un-
gebrochen und nicht ganz parallel contourirt, und bei einem erst in
4 Zellen getheilten Ei ist er schmäler als der frühere Specialäquator
einer einzigen Zelle, siehe Taf. \^IIIFig. 11 nebst der Figurenerklärung.
[74] Natürlich entsteht auch bei ununterbrochen fortge-
setzter Durchströmung mit der Zeit dasselbe Bild; auch hierbei
platten sich die Zellen allmählich ab, und die Specialpolfelder der ein-
zelnen Zellen werden allmählich grösser bis zum Verschwinden des
Zelläquators an den im Bereiche der Generalpolfelder ge-
legenen Zellen.
Wenn auch die Rundung der Furchungszellen für die Bildung
der kleinen zweiten Polfelder von Bedeutung erscheint, indem dadurch
Gelegenheit zur Bestrahlung von der zweiten Seite her gegeben wird,
so kann die Rundung doch nicht als die Ursache der Spe-
cialpolarisation der einzelnen, die Morula und Blastula zu-
sammensetzenden Zellen angesehen werden; denn dieselbe
Einzelpolarisation findet auch an der hellen, unteren Hemisphäre statt,
wo die Zellen nur durch minimale Furchen geschieden sind, und mit
ihrer freien Oberfläche im Niveau der Gesammtkrümmung des Eies
liegen. Auch tritt im Bereich der oberen Hemisphäre die Special-
polarisation der Zellen auf, wenn man durch Abkühlung im Eis-
38*
596 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
schrank die Lebensenergie der Zellen vorübergehend derart herab
gedrückt hat, dass sich die oberen Zellen gleichfalls abge-
plattet haben.
Von Eiern ferner , welche , ohne auf Eis gestanden zu haben,
also aus innerer Ursache die durch die dritte, vierte oder fünfte Thei-
lung gebildeten Furchungszellen von selber wieder abgeplattet
haben, bildete ein Theil beim Durchströmen rasch zwei allgemeine
Polfelder und zwei durchgehende Niveaulinien für das ganze Ei,
indem die im ersten Momente entstandenen kleinen Special-
polfelder der einzelnen Zellen sich sofort über die ganze Aussen-
fläche der betreffenden Zellen ausdehnten; dies Verhalten ist wohl
zugleich ein Beweis, dass nicht die, die Zellen im Innern des
Eies treünenden Zellmembranen oder die Kittsubstanz
zwischen ihnen die Ursache der electrischen Sonderung
der Specialpolarisation der Zellen sind. Da zudem einige
dieser abgeplatteten Eier ihre Zellpolfelder behielten, so folgt daraus
wiederum, dass einerseits nicht die Abplattung an sich bei den
andern Eiern die Ursache der totalen Veränderung der Zellen,
der Generalpolarisation durch den Strom war, ebenso wie auch,
dass die vorspringende Wölbung der normalen Zellen nicht die Ur-
sache der Specialpolfelderbildung ist.
[75] Um die Richtigkeit dieser letzteren Anschauung des Weiteren
darzuthun, suchte ich das Ei schwach zu vergiften, und so in
seiner Lebensenergie zu schwächen, womöglich ohne die Gestalt der Zellen
zu verändern: Wenn man Eier mit wohlgerundeten Zellen
durch kurz dauerndes Einlegen in ^/ao gesättigte wässerige Carbolsäure-
lösung schwach vergiftet, so behalten sie ihre runde Zellgestalt, gleich-
wohl aber dehnen sich bei der Durchströmung die im
ersten Momente entstandenen Specialpolfelder sofort
weiter über die ganze direct bestrahlte Zelloberfläche
aus, und es entsteht so ganz rasch jederseits ein einheitliches,
aber im Bereiche der oberen Hemisphäre aus gerundet vorspringenden
Zellen bestehendes Polfeld; und zwischen beiden liegt der von
zwei durchgehenden, parallelen Grenzlinien begrenzte General-
Polarisirende Wirkung dos Wechselstromes auf Froschembryonen. 597
Aeqiiator. Die Polfelder greifen sogar etwas über die Zellkanten
gegen die Furchen bin über. Weiteres siebe Seite GOO.
Diese Beobachtungen beweisen wohl, dass die Sx)eciaJ Pola-
risation der einzelnen, die Morula undBlastula zusammen-
setzenden Furchuugszellen an eine mit der Vitalität
derselben schwindende Eigenschaft geknüpft ist.
Ueber die Natur dieser Eigenschaft werden wir unten etwas Weiteres
erfahren.
Ein wenig längere Zeit mit der Carbollösung behandelte Eier
reagiren nicht mehr auf den Strom, entwickeln sich aber auch
nicht weiter und erhalten sich viele Tage lang unverändert ; während
lebende, aber sich nicht weiter entwickelnde Eier sich in wenigen
Tagen zersetzen.
Auch abnormer Weise schon vor der Zeit der ersten Ei-
theilung (vielleicht durch das Eindringen mehrerer Samenthierchen)
an ihrer oberen Hälfte in viele Stücke zerschnürte Eier bildeten
beim Durchströmen Specialpolfelder an den einzelnen, durch Furchen
von der Umgebung abgesonderten Stücken des Zellleibes. Einige
Eier aber entwickelten trotz dieser kugeligen Gliederung wieder sofort
die allgemeinen Polfelder.
5. Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf
Froschembryonen.
Gastrulae und junge Embryonen von R. esculenta ergeben
bei genügend starkem Strom grau verfärbte Polfelder mit scharfem,
deutlichen Grenzcontour , der einen sc h malen un verfärbte nAequa-
tor einschliesst. Auch dem Ausschlüpfen nahe, sowie erst vor
Kurzem ausgeschlüpfte Embryonen, welche beide schon [76] ein ge-
schlossenes Medullarrohr haben, bilden scharf gegen den unveränderten
Aequator begrenzte Polfelder ; nur muss man , um sie deutlich zu
sehen, nach 3 — 4 Minuten dauernder Durchströmung noch eine halbe
bis eine Stunde warten. Die Polfelder sind je nach der complicirteu
oder einfacheren Gestalt der Embryonen und nach der Stellung der-
selben zur Stromrichtung sehr verschieden gestaltet ; und der Aequator
ist im ersten Falle nicht selten zickzackartig gebrochen und zeigt
598 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
dabei in manchen Stellungen zur Stromrichtung wieder , wie bei R.
f usca, eine Neigung zu Parallelismus seiner Contouren , obgleich bei
anderen Stellungen starke Abweichungen davon vorkommen. Auch
treten stellenweise oder ringsum wieder (vergl. S. 566) zwei Aequator-
bänder auf, welche durch ein drittes, an die schmalen centralen
Polfelder des zwei- bis vierfach getheilten Eies (Taf. VIII Fig. 8 und 9)
erinnerndes Polfeld von einander getrennt sind. Die Richtung des
Aequators entspricht gleichfalls wieder nicht mehr der Fortsetzung
der Niveauflächendes umgebenden homogenen Mediums, vergl.S.566;
doch ist wohl selbstverständlich, dass die Ränder des Aequators
äquipotentiale Linien ,,des Embryo" darstellen.
Wir wissen noch nicht, ob, respective wie weit diesen äusseren
Veränderungen der Embryonen innere entsprechen, wenn schon au
durchscheinenden Gebilden, wie den kleinen Eierstockseiern des
Frosches, sowie an dem Froschherzen und anderen später zu er-
wähnenden Organen die inneren Theile des Polabschnittes, bei Be-
sichtigung auch ohne vorausgegangene Microtomirung verändert zu
sein scheinen. Aus dem Verhalten der Embryonen geht aber deut-
lich hervor, dass sich die Gesammtreaction eines Embryo
nicht aus der Veränderung der in Richtung der Stromfäden des
homogen gedachten electrischen Feldes liegenden, einzelnen, etwa
für sich selbst veränderten Substanzfäden integrirt, sondern dass
jeder einzelne Embryo, wie auch nach den Beobachtungen an
Rana fusca jedes abgeschnittene, für sich im Electrolyten
liegende, lebende Stück eines solchen, ,,als Ganzes" beein--
flusst wird. Denn die Reaction erfolgt in einer Weise, dass die in
den Richtungen der Stromlinien des homogenen Mediums ge-
legenen Substanzfäden des Embryo sehr verschieden, z. B. an beiden
Enden oder blos an einem Ende oder gar nicht verändert [77]
werden würden. Schon deshalb ist nicht anzunehmen, dass die
juxta- und intraembryonalen Stromfadenstücke in ihren Richtungen
denen eines homogenen Feldes derselben Stelle entsprechen, worüber
unten Weiteres ermittelt werden wird.
Selbst über vier Wochen alte Kaulquappen von
Rana fusca Hessen noch Spuren von unserer Polari-
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Froschembryonen. 599
sation erkennen. Wenn man eine solche Quappe von 10 mm
Rumpf- und 18 mm Sehwanzlänge der Länge nach, eine andere da-
gegen in Querrichtung etwa 16 Minuten durchströmt hat, so löst sich
nach 1 bis 2 Stunden an ersterer das Epithel am Kopf und Schwanz,
an letzterer an rechter und linker Seite beim Bepinseln ab, während
es im Bereiche der Mittelstücke, also des Aequators noch fest haftet.
Um die feineren Vorgänge der Polfeldbildung an
Embryonen zu studiren, wurden Froschlarvenschwänze in
dorsiventraler Richtung unter gleichzeitiger microscopischer Beob-
achtung mit Zeiss' Objectiv C und D 15 Minuten lang durchströmt.
Doch waren die Larven leider schon erheblich älter, als diejenigen,
welche noch scharf umgrenzte Polfelder ergaben.
Die vielfach verästelten Pigmentz eilen zogen sich auf
ihre Hauptbalken zusammen; viele pheripheren Aeste
wurden dabei isolirt und contrahirten sich zur Kugel.
Während in den Epithelzellen des nicht durchströmten Probe-
embryo der Kern kaum zu sehen war, h eh amen während und
nach der Durchströmung die Kerne der Oberflächenepi-
thelien je eine dicke glänzende Memhran, und im Innern
entstanden viele glänzende Fäden. Dann verloren die Kerne
ihre Grenzen und an Stelle der glänzenden Fäden entstanden
grössere und kleinere glänzende Körner ; die grösseren Körner
verschwanden darauf, die kleineren Körner vertheilten sich in der
Kernhöhle. Die Zellen fielen vom Schwänze ab, behielten
dabei aber ihre eckige Gestalt; dieser Zellabfall fand etwa ^U
Stunden nach dem Beginn der Durchströmung an der Stelle stärkster
Stromwirkuug statt. Framboisia minor, d. h. Rundung der einzelnen
Epithelzellen unter Lösung des Verbandes mit den Nachbarepithelien
trat in diesem vorgeschrittenen Stadium der Entwickelung nur an
einzelnen Stellen schwächerer Stromwirkung und erst nach 1 — P/*
Stunden auf. Um diese Zeit ist in vielen Epithelzellen der Kern
ganz geschwunden.
Zu bemerken ist, dass auch an einem zum Vergleiche abge-
schnittenen, nicht durchströmten [78] Schwänze einer gleich-
alterigen Quappe die Kerne gleichfalls aber erst später dicke Mem-
600 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
branen gebildet hatten, dass an manchen Stellen zwischen den
Zellen über Nacht viel Intercellularsubstanz abgeschieden
wurde, und dass auch an diesen Zellen die Kerne nicht mehr erkenn-
bar waren. Diese nicht polaren structurellen Reactionen embryonaler
Zellen auf den electrischen Strom und ohne solchen, blos nach der Abtren-
nung vom Körper werden von mir an geeigneteren Objecten genauer eji'-
mitteltund danach einer eingehenderen Mittheilung vmterzogen werden^).
6. Einfluss der Wärme und der Vergiftung auf die Polari-
sation sfähigkeit des Froscheies.
Der Einfluss der Wärme auf die Polarisationsfähigkeit der Eier
von Rana esculenta entspricht wesentlich dem bereits vom braunen
Frosch Mitgetheilten.
Noch u n g e f u r c h t e Eier reagiren nach kurz dauerndem Ein-
legen in Wasser von 39*^,40*^ — 45"C. noch stärker und rascher als
nicht erwärmte; Abkühlung durch Eis verzögert und schwächt
dieReaction auf den Strom. Durch 3 Minuten langes Erwärmen
der noch uugefurchten Eier in Wasser von 47 — 48*^ C. wird die Reaction
träge, die Polfelder werden nur wenig verfärbt und etwas kleiner als
sonst, der Aequator wird also entsprechend breiter, vmd die Niveau-
furchen sind blos wie leicht eingeritzt. Nach ebenso langer Erwärm-
ung in AVasser von 48—49" bleibt die Reaction auf den Strom
aus. Dasselbe geschieht auch schon nach 5 Mmuten langem Ein-
legen der Eier in Wasser von 46" C.
Morulae, welche durch 2 Minuten langes Einlegen in Wasser von
40, 46 oder sogar 48" C. erwärmt worden sind, reagiren sehr rasch,
bilden sofort die Special polfei der (s. S. 593), und an der Grenze der-
selben treten an den oberen Zellen kleine Tropfen Dotters durch die
Eirinde. Nach 2V4 Minuten langem Liegen in Wasser von 49° C.
wachsen beim Durchströmen die Specialpolfelder sofort über die ganze
Aussenfläche der Zelle aus, und es entstehen die beiden General-
polfelder mit den beiden durchgehenden Niveaulinien als Grenzen.
[1) Ueberhaupt sind in vielen Epitlielstraten , besonders des Entoderm, die
Zellgrenzen während des Lebens nicht sichtbar, sondern treten erst
beim Absterben der Zellen unter Abscheidung von Intercellularsubstanz liervor.J
Electrisches Leitungsvermögen des Froscheies. 601
Etwas pohvärts von diesen Linien war die Veränderung, die
Verfärbung am stärksten, nahm dann polwärts etwas ab, um am
Pole selber wieder stärker zu sein. 2^2 Miiniten in Wasser von 49° C.
verbliebene Eier behalten normale Gestalt und Farbe, reagiren also
nicht mehr.
Befruchtete, mehrere Tage alte Eier, welche durch Carbolsäure-
dämpf e schwach vergiftet worden waren (s. S. 596), und [79] sich
deshalb nicht entwickelt hatten, zeigten nach der Behandlung mit
einem starken Strom einen ebenso schmalen Aequator, als normale
Eier; aber die Polfelder waren nur wenig verfärbt, hatten keine Extra-
ovate gebildet, und an Stelle der Niveaufurchen w^aren blos pigmen-
tirte Niveaulinien entstanden. Dieselbe Abschwächung der Reaction
bei normaler Ausdehnung derselben findet auch an frisch mit Carbol-
säure vergifteten, noch ungefurchten Eiern statt; und an beiden Arten
von Eiern vollzog sich nach der Durchströmung allmählich eine
erhebliche Verbreitung und Aufhellung des Aec|uators. Nach-
dem solche Eier 12 Tage gestanden hatten, war der Aequator
stark gewölbt und die Rinde des Aequators besser erhalten als die
Rinde im Bereiche der Polfelder, welche o))en zersetzt und macerirt war.
7. Electrisches Leitungsvermögen des Froscheies.
Mit Hülfe des oben erwähnten Federbart-Galvanoscopes prüfte
ich die im Abschnitt 11 ausgesprochene Vermuthung (s. S. 567), dass
die beobachtete Polarisation unter Freibleiben eines Aequators viel-
leicht zum Theil auf einem besseren Leitungs vermögen des salz-
reichen Eies als das des Electrolyten, innerhalb dessen die Polarisation
gelang, beruhe. Obgleich mit diesem trägen und nicht mit einer
Scala ausgestatteten Instrument nur grobe Schätzungen möglich waren,
und ich keine unpolarisirbaren Electroden zugerüstet, sondern nur die
Platinelectroden angewandt hatte, schien doch als sicher sich zu er-
geben, dass frisch bereitetes Ragout fin von zur Ablösung reifen Eier-
stockseiern, sowie von jungen Embryonen noch nicht ein-
mal so gut leitet, als halbprocentige Kochsalzlösung.
Da wir nun in fünfprocentiger und in concentrirter Kochsalzlösung,
sowie in zweiprocentiger Schwefelsäure die Polfeldbildung haben vor
602 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
sich gehen sehen, so hat sich obige Vermuthung anscheinend nicht
bestätigt. Doch ist daran zai denken, dass nicht d i e E i e r selber
in diesen Lösungen lagen, sondern b 1 o s ihre Gallert-
hüllen, und dass innerhalb der 1 — 1,5 mm dicken, mit Wasser ge-
tränkten, und daher wohl schlechter als das Ei leitenden Hülle die
Stromfäden noch eine erhebliche Umordnung erfahren konnten; und
dass vor der Durchströmung nicht in Wasser, sondern blos in ein-
procentiger Kochsalzlösung gelegene Eier nur schwach reagirten, wo-
bei aber zugleich die Möglichkeit einer schädigenden Neben- [80] Wirkung
vorliegt, weil in vierprocentiger Salzlösung gelegene Eier auch nach
dem längeren Liegen in Wasser nicht mehr reagirten. Neue Versuche
müssen also mit halbprocentiger Kochsalzlösung durchgeführt werden.
Leider lässt sich, was im einen Frühjahr versäumt ist, bei diesen, an
die Laichperiode gebundenen Versuchen erst im nächsten Frühjahre
nachholen, welches ich aber anderen Versuchen zu widmen gedenke.
8. Wirkung bei Ablenkung der Stromfäden.
Werden Eier i n e i n e n R i n g v o n 2,0 mm dickem B 1 e i d r a h t
oder in eine aus solchem Bleidraht gebildete und rechtwinkelig
zum Strom gestellte Gabel gelegt, so bilden sie beim Durchströmen
nur kleine, blos schwach höckerige, wenig scharf begrenzte Pol-
f eider, wenn das Wasser den Draht überschwemmt; steht das Wasser
nicht so hoch, so bilden die Eier keine Polfelder. Wird dagegen an
der Gabel das Verbindungsstück durchschnitten, so bilden die zwischen
den Drähten liegenden Eier bei transversaler Stellung der Drähte
natürlich fast ebenso grosse und durch Niveaufurchen begrenzte Pol-
felder, als frei im Electrolyten liegende Eier. In einer längs des
Stromes liegenden, nicht überschwemmten, engen Metallgabel bil-
deten blos die beiden ersten der Oeffnung der Gabel folgenden Eier
Polfelder.
Diese Ergebnisse sind unmittelbar als durch Ableitung der
Stromfäden bedingt verständlich, ebenso wie die folgenden mit Ein-
legung von nicht überschwemmten Glasbälkchen in das
electroly tische P^eld: Von Eiern, welche zwischen zwei einander
nahen, rechtwinkelig zum Strom orientirten Glasbälkchen liegen,
Wirkung der Ablenkung der Strom fäden. 603
bilden blos die den Enden der Glasbälkchen nüchstliegenden die Pol-
felder, und zwar kleinere, weniger veränderte als die freien Eier. An
den Eiern in der Mitte dagegen entstehen keine Polfelder. Bildet
man aus den Glasbälkchen einen spitzen Winkel, so kann man gleich-
falls nach der Grösse der Polfelder an den eingelagerten Eiern die
Abschwächung des Stromes an den betretfenden Stellen, sowie aus
der Richtung der Aequatorränder die abgelenkte Richtung der Strom-
fäden erkennen. Wird blos eine Glasleiste rechtwinkelig zu den
Kraftlinien in das Stromfeld gelegt, so bilden wiederum die ihr an-
liegenden Eier zwei Polfelder; aber diejenigen an der Mitte der Leiste
entwickeln solche nur von geringerer Ausdehnung und geringerem
Grade der Veränderung, als die an den Enden gelegenen.
[81] Bringt man zwischen die Eier Quecksilberkü gelchen,
so nähern sich die Kügelchen, wie auch sonst beim Durchströmen
einander, verschmelzen, und die der so entstandenen Quecksilber-
masse zufällig anliegenden Eier bilden unregelmässige, die
nicht vom Quecksilber berührten aber nur kleine Polfelder.
In Dielectricis, wie geschmolzene Carbolsäure, Olivenöl ein-
gebettete Froscheier reagirten nicht, auch bei grösster Nähe der
Electroden, so dass also eine Wirkung statischer Induction
nicht erkennbar war; ebenso wie auch, nach dem in Abschnitt I
]Mitgetheilten , an den im Solenoid liegenden Eiern keine
Wirkung einer dynamischen Induction zu bemerken war.
Wurden dieselben Eier unmittelbar darauf in Wasser durchströmt,
so reagirten sie.
Zerreibt man fast zur Ablösung reife Eierstockseier
in halbprocentiger Kochsalzlösung, und durchströmt von der Masse
einzelne Tropf en im Wasser, so ist keine Veränderung, also auch
keine Polarisation erkennbar. Dasselbe ist der Fall, wenn
man die Masse, um sie zu formen, mit eingedickter Lösung von
Gummi arabicum versetzt hat.
Polarisirende Wirkung d e s Gleiehstromes auf Rana esculenta.
Auch auf die Eier von Rana esculenta wandte ich den Gleich-
strom an und erhielt ausser der Bestätigung der am braunen Frosch
604 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
gewonnenen Befunde noch einige neue Resultate durch Ausdehnung der
Versuche auf andere Entwickehmgsstufen.
Noch durchscheinende Eierstockseier bilden ein weiss-
lich trübes, anodisches und ein helles, wässerig durchscheinendes
kathodisches Polfeld; letzteres wird allmählich etwas länglich und
kann schliesslich aufplatzen, so dass sich der Eiinhalt in die
umgebende Flüssigkeit entleert. Oft sieht man durch das trübe
anodische Polfeld das grosse, klar gebliebene Keimbläs-
chen schon bei Loupenbetrachtung durchscheinen.
An gleichen Eiern, welche aber nicht von etwas Wasser oder
Gewebesaft umspült waren, konnte ich (NB. bei Auf Setzung der Electro-
den auf ein Stück des Eierstockes , und bei Anwendung von blos
8 Bunsen) gleich wie beim AVechselstrom keine deutliche Veränderung
wahrnehmen. Ebenso bilden dotterkörnerhaltige, grössere Eierstocks-
eier bei Anwesenheit von Flüssigkeit deutliche Polfelder, zuerst ein
scharf begrenztes [82] rauh werdendes, anodisches, darauf ein w-eniger
deutliches, aber an den der Kathode nahen Eiern aufplatzendes kathodi-
sches Polfeld. Die bekannte katophorische Wirkung des Gleich-
stromes auf der Kathodenseite ist also hier eine sehr starke.
Unbefruchtete, reife Eier von Rana esculenta bilden gleich-
falls zunächst ein grosses, leicht graubraun verfärbtes positives, darauf
ein kleineres, aber in der Nähe der Kathode an Grösse zunehmendes
negatives Polfeld.
Befruchtete Eier zeigten wesentlich dasselbe Verhalten; an
ihnen beobachtete ich im Bereiche der Polfelder an der oberen
Hemisphäre einen Durchtritt feinen, weissen Dotters durch
die ganze Fläche der betreffenden Eirinde nach aussen, wo-
durch also die graue Verfärbung des Polfeldes zum Theil bedingt
ist. An durch Eis gekühlten Eiern entstand erst zwei Minuten nach
dem Auftreten des anodischen Feldes auf der kathodischen Eihälfte
eine braun pigmentirte Niveaulinie, oder bei anderen Eiern ein
anfangs kleines, dann fast zur Grösse des positiven anwachsendes
wenig verfärbtes Polfeld. Die positive Eihälfte behält ihre Wölbung,
die negative wird wieder in Richtung des Stromes etwas
verlängert und gefaltet.
Polarisirende Wirkung des Gleichstromes auf Rana esculenta. 605
Bei geringem Electrodenabstand, also bei starker Anordnung,
breitet sicli die anodische Polfeldbildung nicht erkennbar successive
vom electrischen Pol des Eies aus, sondern tritt anscheinend gleich-
zeitig in einem grossen Polfelde auf; und die Veränderung ist
sogleich in der Nähe der Niveaulinie am stärksten, so dass
z. B. an der Morula in der Nähe der Niveaulinie die Zellen ganz
weiss oder ganz aufgerissen sind, während am Pole ihre braune
Farbe nur schwach grau verfärbt ist.
Bei schwachem Strom entsteht auf der negativen Seite des
Eies überhaupt kein Polfeld. Bei starker Anordnung nimmt die
Grösse der Polfelder deutlich in der Nähe der Electroden trotz gleichen
Querschnittes der Strombahn zu, und die unmittelbar neben der
Kathode stehenden Eier werden in ihrer dieser Electrode
zugewendeten Hälfte geradezu zerrissen; während die neben
der Anode befindlichen Eier stark veränderte Polfelder von der typi-
schen Form des positiven Polfeldes bekommen.
Wird blos kurze Zeit (30 Secunden) durchströmt und darauf die
Stromrichtung umgekehrt, so erhält man beider- [83] seits Ver-
änderungen von der Beschaffenheit eines positiven Pol-
feldes, und das Ei bietet das Aussehen eines mit dem Wechsel-
strom behandelten Eies dar. Wird erst später die Stromrich-
tung gewechselt, wenn schon die negative Niveaulinie vorhanden war,
so kann man bei geeigneter Dauer der zweiten umgekehrten Durch-
strömung Eier mit jederseits zwei Niveaulinien erhalten, von
denen die beiden vom Aequator entfernteren den Kathoden entsprechen;
ein Bild, welches ich auch einige Male bei besonderer Anordnung unter
Anwendung des Wechselstromes erhalten habe.
In der ersten oder zweiten Furchung begriffene, ebenso
wie schon bis zur Morulastufe weiter getheilte Eier von Rana
esculenta bil(^eten innerhalb 20 — 30 Secunden vom positiven Pole des
Eies aus sich ausbreitende Specialpolfelder an den einzelnen
Zellen, aber blos an den Zellen der Anodenseite des Eies.
Das Zellpolfeld liegt wieder polwärts, der Zelläquator distal davon.
Springt von der kathodischen Eihälfte eine (also dem Aequator nahe)
Zelle so stark vor, dass sie noch von der Anode aus durch die Flüssig-
606 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
keit hindurch direct beströmt werden kann, dann bildet diese Zelle
gleichfalls ein entsprechendes, kleines, positives Polfeld.
Auch Gastrulae mit halboffenem Urmund wurden durchströmt;
sie bildeten zunächst ein leicht grau verfärbtes positives, dann ein
ebenso beschaffenes negatives Generalpolfeld.
Herzen von Rana esculenta, welchen wie früher bei Anwen-
dung des Wechselstromes (s. S. 574), um das Blut in der Herzwan-
dung zu stauen und so den Aequator durch Dehnung sichtbar zu
machen, mit einem durch den Sinus transversus pericardii ohne jede
Verletzung der Vorhofsganglien hindurchgeführten Faden distal vom
Ursprung des Bulbus arteriosus die beiden Arterien unterbunden
waren, und welche danach so rasch in Zusammenhang mit den Vor-
höfen herausgeschnitten worden waren, dass der Ventrikel wohl
bluthaltig, aber nicht prall gefüllt war, bildeten bei der Durchströ-
mung mit dem Gleichstrom nach einer oder einigen Contractionen
zunächst ein von dem anodischen Pol des Herzens ausgehendes, stetig
wachsendes, bis über die Hälfte des Herzens einnehmendes blasses
Feld tonischer Contraction ; darauf entstand auf die [84] gleiche Weise
auch auf Seite der Kathode ein kleinerer Abschnitt tonischer Con-
traction ; und schliesslich war zwischen den blassen Feldern blos noch
eine rothe bluthaltige Scheibe, welche entsprechend weiter gegen die
Kathode zu gelagert war und die Hauptrichtung einer Niveaufläche
hatte. Sind die Vorhöfe gegen die Anode gewendet, so beginnt der
Tonus an ihnen und den Arterien, und die Aequatorscheibe steht
schliesslich etwa in der Mitte des Gesammtherzens, also nahe der
Basis des Ventrikels, wobei w^ohl die Begünstigung des kathodischen
Feldes durch die Herzspitze von Bedeutung ist, ebenso wie bei
Wendung der Herzspitze gegen die Anode die rothe Aequatorscheibe
ganz an die Basis, an die Grenze des ^^entrikels verlegt wird. Der
Versuch gelingt auch, zumal mit dem Wechselstrom gut, ohne künst-
liche Blutstauung durch Unterbindung, besonders in starker Koch-
salzlösung; selbst in fünf- oder zehnprocentiger Kochsalzlösung wur-
den noch contrahirte Polfelder gebildet, statt eines contrahirten Aequa-
tors, den man nach dem besseren Leitungsvermögen dieser Electro-
lyten vielleicht erwartet hätte.
Polarisirende Wirkung des Gleichstromes auf Rana esculenta. 607
Schwerer als beim Wechselstrom gelingt es mit dem Gleich-
strom, dieselbe Reactioii ein zweites Mal in anderer oder in derselben
Richtung als beim ersten Male hervorzubringen. Immerhin ist nicht
zu zweifeln, dass in beiden Fällen beim Herzen keine in ihrer
Natur der der Eier und Embryonen vergleichbare, morpho-
logische Reaction, sondern blos eine polar localisirte Con-
traction, also eine functionelle Reaction, vorliegt. Mit dem Wechsel-
strom kann man dreimal polare Contraction an demselben Herzen
veranlassen, ohne dass eine sichtbare bleibende Veränderung eintritt,
während letzteres bei den Eiern und Embryonen und bei der
Gallenblase schon bei der ersten Reaction der Fall ist; bei diesen
schwindet keine einmal sichtbar gewordene Veränderung
wieder. An dem Herzschlauch junger Embryonen werden wir auch
noch bleibende, morphologische Polarisation, aber vielleicht nicht
unbedingt deletärer Natur kennen lernen.
Werden Gallenblasen des AVasserf rösches mit sehr schwachem
Wechselstrom durchströmt, so behalten die grünen Polfelder ihre
geringe Grösse bald constant (13 Minuten [85] lang geprüft); darauf
rechtwinkelig durchströmt, bekommt der vorherige Aec|uator eben so
grosse Polfelder, die constant bleiben; aber nach Verstärkung der
Anordnung wachsen sie und können den Aequator ganz zum Ver-
schwinden bringen. Am Polfeld sind beim schwachen Strom zu unter-
scheiden ein dem Pol sich anschliessender Theil mit grünlich gelbem,
körnigem opaken Beschlag, und distal daran grenzend eine blos blau
durchscheinend gewordene Zone neben dem trüb graublau gebliebenen
Aequator. Mit obigem Gleichstrom behandelt, bilden mitten zwischen
den Electroden liegende Gallenblasen sehr rasch gegen die positive Elec-
trode ein grosses, fast die halbe Blase einnehmendes, gegen die negative
Electrode nur ein ganz kleines grünes Polfeld. Die seitlich im runden
Stromfeld stehenden Blasen zeigten nur das positive Polfeld. Bei darauf in
umgekehrter Richtung erfolgender, 6 Minuten langer Durchströmung
bildeten dieselben Blasen auf der früher negativen, jetzt posi-
tiven Seite gleichwohl kein Polfeld; auch war danach durch er-
neute Durchströmung in der ersten Richtung keine weitere Vergrösse-
rung der bei der ersten Durchströmung erhaltenen Polfelder zu erzielen.
608 Nr. 25. Morphologisch electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
In fimf- oder zehnprocentiger, ja in concentrirter Koch-
salzlösung durchströmte Gallenblasen bildeten grüne Pol fei der
statt eines etwa erwarteten grünen Aequators. Selbst in
so gut leitender Flüssigkeit wie verdünnte Schwefelsäure wurden zu-
erst die Polabschnitte verfärbt^).
Polarisirende Wirkung des „Wechselstromes" auf „Triton
alpestris."
Ein zu unseren Versuchen sehr geeignetes Material stellen ferner
die Eier, Morulae und Embryonen des Triton alpestris dar. Die an
den beiden Froschspecies gemachten Beobachtungen
wurden daran in allen wesentlichen Puncten bestätigt.
Zugleich bot dieses Material Gelegenheit, unsere Kenntnisse zu er-
weitern, da die Eihüllen hier leicht zu entfernen sind und das nackte
Ei während der Durchströmung microscopisch (mit ZEiss-Objectiv A
bis C) beobachtet werden kann; ferner auch, weil die Empfindlichkeit
des Materiales eine sehr grosse ist. Ich theile auch die kleinen be-
sonderen, zum Theil sehr wechselnden Züge mit ; denn wann schliess-
lich aus den beobachteten [86] Erscheinungen die wirklichen Vor-
gänge der Reaction und deren ursächliche Vermittel ung abgeleitet
werden sollen, womit aber erst nach der Microtomirung und der ihr
folgenden inneren Besichtigung der Objecto begonnen werden kann,
so sind uns die feinen Züge unerlässlich nötliig, ja viel wichtiger als
das stets vieldeutige, constantere Geschehen erster Ordnung; denn
die Vorgänge zweiter Ordnung und die unter ihnen vor-
kommenden Variationen sind es, die uns das Wesen
eines Geschehens verrathen.
Die Tritoneier stellen sich, wie die des Frosches, mit der pig-
mentirten hellbraunen Hemisphäre nach oben, mit der hellgelben
Hemisphäre nach unten ein; sie sind manchmal in der wagrechten
Richtung etwas länglich gestaltet.
Werden ungefurchie Tritoneier mit sehr geschwächtem
Strom blos eine Secunde durchströmt, so bekommen sie erst hinterher
ein Polfeld, welches aber nur sehr klein ist; bei zwei Secunden langer
1) Ueber die Reactionen der Organe des , erw achsenen" Frosches auf den
galvanischen Strom siehe Nr. 25 S. 131 Anm.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 609
Durchströmung kiiim das danach entstehende Polfeld schon 90"
emnehmen, ist aber blos schwach grau verfärbt und durch
eine seichte Niveaufurche umgrenzt; während nach fünf
Secunden langer Durchströmung das Polfeld fast nicht grösser, aber
viel intensiver verändert ist. Doch sah ich auch bei ganz derselben
Anordnung nach blos eine Secunde dauernder Durchströmung am
Pole einige kleine, punctförmige Extraovate entstehen, und
nach einer Durchströmung von blos einer halben Stunde eine sehr
schwache Verfärbung in einer Ausdehnung von fast 90° auftreten.
Die Reactionen gleich alter Eier bei ganz gleichen äusseren Beding-
ungen sind also sehr verschieden.
Tage lang auf Eis gestandene, noch kalte ungefurchte Eier
reagiren auch bei relativ langdauernder Durchströmung wieder sehr
schwach , bilden braune Niveaulinien, wenig verfärbte Polfelder ;
nach 2V4 Minuten langer Durchströmung ist jedoch der Aequator
blos noch etwa Ve Eidurchmesser breit, um schliesslich nach acht
Minuten langer Stromdauer bei einer Breite von ^/lo Durch-
messer stehen zu bleiben und etwas zu verblassen. Auf eine
rechtwinkelig zur ersten folgende zweite Durchströmung reagirte als-
dann der Aequator nicht mehr. Ein ähnliches Erlöschen der
Reactionsfähigkeit sah ich nach sehr [87] langer Durchströmung auch
an schon getheilten Eiern, z. B. an den in der zweiten Furchung be-
griffenen Eiern, darin sich aussprechen, dass der nach Zerstö-
rung der Specialäquatoren der Zellen entstandene Ge-
neraläquator nicht continuirlich gerichtet, sondern oben
bajonettförmig geknickt war und es auch bei fortgesetzter Durch-
strömung blieb.
Bei geringer Verstärkung der Anordnung vergrössern und ver-
mehren sich die Extraovate; auch treten an zahlreichen Stellen
der Eirinde kleine Tröpfchen des Eiinh altes wie durch
Poren aus und confluiren nach und nach zu einer einheitlichen
Masse, zu einer Polkappe, die entsprechend der Farbe der Extra-
ovate anfangs oben braun , unten w^eiss ist. Allmählich steigen die
weisseren Massen von unten auf und vermengen sich oben mit der
braunen Masse.
AV. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II.
39
610 Nr. 25. Morphologische electriscbe Polarisation embryonaler Gebilde etc.
In der Nähe der Electroden stehende ungetheilte Eier bilden
manchmal im Bereich der hellbraunen, oberen Eihälfte am Aequa-
tor Pigmentstreifen, welche annähernd die Richtung von
Polmeridianen haben.
Vor dem Beginn der Niveaufurchenbildung entstehen an
ungefurchten Eiern manchmal in der elastischen Eirinde im Bereich
des Aequators dicht gestellte, einander parallele, quer zur künf-
tigen Furche orientirte feine Falten, ähnlich den Falten,
wie sie sonst bei Entstehung der ersten Theilungsfurche in
der Rinde, aber in etwas anderen Richtungen, auftreten.
Diese Falten machen hier wie dort den Eindruck von Dehnungs-
falten. Die Bildung der Niveaufurchen beginnt mit einer
Einschnürung an der Niveaulinie, und darauf erhebt sich oben
am Ei der anliegende Rand der Polfelder. Vielleicht ist der Beginn
dieser beiden Vorgänge als die Ursache der Fältelung der Eirinde
an diesen Stellen aufzufassen. Die Ueberwölbung des Polfeldes
über den entsprechend einsinkenden Aequator ist beim unge-
furchten Tritonei noch stärker als bei Rana esculenta und kann bei
starkem Strom ^je Eidurchmesser erreichen (siehe Taf. VIII Fig. 13).
Bei dreimaliger kurzdauernder Durchströmung derselben Eier
sah ich jedesmal die Bildung einer Niveaufurche, welche letztere
während der nächsten Durchströmung sich mehr oder weniger ab-
glich und durch zungenförmige , in ihrer Farbe ver- [88] änderte
Sprossen des wachsenden Polfeldes überschritten wurde. Die so all-
mählich auf Ve Eidurchmesser verringerte Breite des Aequators wurde
dann während fünf Minuten anhaltender weiterer Durchströmung
beibehalten, wonach sich der Aequator wieder im Ganzen etwas grau
verfärbte, und darauf bei erneuter Durchströmung in zur ersten recht-
winkeliger Richtung keine Polfelder mehr bildete, sondern blos noch
etwas grauer wurde.
An einem befruchteten, noch ungetheilten Ei verfolgte ich
genauer die am Aequator vor sich gehenden Pigmentwan-
derungen, siehe Taf. VIII Fig 3. Von der Niveaulinie aus bildeten sich
im braunen Aequator der oberen Hemisphäre weisse, regelmässig
neben einander liegende pigmentlose Felder, die sich äquator-
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 611
wärts abrnndcten und von einander durch stehengebliebene braune,
in dem Pigment des Aequators auslaufende Streifen getrennt waren,
so dass die braune Aequatorrinde also gegen das Polfeld hin Arcaden
bildete; diejenigen Arcaden, welche, am wagrechten Eiäquator lagen,
waren etwas aufwärts gerichtet, während die oberen annähernd Pol-
meridianrichtung hatten. Mit der Zeit wurden die Arcaden höher,
danach schwanden die trennenden braunen Säulen, und da-
mit war am braunen Aequator die helle seitliche Grenzlinie
entstanden (s. F*ig. 13), neben welcher nach aussen die oft dunkel-
braun ])igmentirte Niveaulinie als Vorläufer der Niveaufurchen-
bildung gelegen ist.
An unbefruchteten Eiern, welche schon so alt waren, dass sie
gelitten hatten, blieben die Durchtritte von Eiinhalt durch die Eirinde
aus; die Polfelder überwölbten auch nicht den Aequator, welcher
oben im Bereiche der braunen Hemisphäre weiss wurde und sogar
bei 10 — 20 Minuten lang dauerndem Durchströmen seine in der ersten
Minute gewonnene Grösse behielt.
Einige ungefurchte Eier waren derart zersetzt, dass oben
statt der Eirinde ein runde Hohlräume einschliesseudes
Netzwerk von Balken sich fand. Gleichwohl bildeten diese
Eier Polfelder, Niveaufurchen, einen convexen Aequator, alles
dies, obgleich oben, also an der Stelle der intensivsten Veränderungen
die zusammenhängende typische Eirinde fehlte.
Die yetlieiJten Eier angehend, so bildeten diese die Special-
polfelder der einzelnen Zellen nach den für das [89] Froschei an-
gegebenen Regeln (s. S. 591) und behielten damit auch an vielen Zellen
den, unter einem scheinbar sehr wirksamen Winkel zu den Stromfäden
stehenden Zelläquator. An Eiern, welche erst in vier oder acht Zellen
zerlegt sind, reicht jede Zelle noch bis zur Eimitte ; da nun die Spe-
cialäquatoren der Zellen alle distal vom Pol, also gegen die recht-
winkehg zur Stromrichtung stehende Mittelebene des Eies gerichtet
sind, so formiren alle Specialäquatoren der Zellen wieder den
zusammenhängenden, scheinbar einheitlichen Aequator,
der aber durch die gebrochene, nicht in continuirlich gleicher Rich-
tung durchgehende Begrenzung bekundet, dass er nicht ein wirk-
39*
612 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
lieber Generaläquator ist. Diese Auffassung bestätigt sich
auf's Neue nacb weiterer Tbeilung des Eies, wo dann Zellen vor-
banden sind, die durch andere von der Mitte getrennt sind, indem jede
dieser Zellen ihren eigenen, von dem der mittleren Zellen durch die
Polfelder dieser getrennten Aequator erhält. Dieses Verhalten bleibt
bei lebensfrischen Morulae, jaBlastulae mit gerundeten Zellen
auch noch auf einer Stufe der Zellzerkleinerung von dem Maasse
bestehen, dass drei oder vier Zellen die Breite des eben erw^ähnten
Gesammtäquators jüngerer, erst in vier oder acht Zellen zerlegter
Eier einnehmen, wobei gleichwohl aber jede einzelne dieser kleinen
Zellen für sich polarisirt ist ; nur die der mittelsten Niveaufläche des
Eies anliegenden Zellen berühren noch mit ihren Aequatoren ein-
ander und formiren so wiederum ein scheinbar einheitliches, aber
jetzt nur sehr schmales Aequatorband. Diese Einheitlichkeit ist jedoch
erst bei schon fein getheilten Blastulae wirklich vorhanden; denn
wenn die Tbeilung noch nicht so weit vorgeschritten ist, erhält, wie
beim Eroschei, ein Theil der diesen Aequator bildenden Zellen jeder-
seits ein Polfeld, nämlich diejenigen Zellen, welche durch ihr Vor-
springen und zufolge der Gunst der Nachbarschaft von beiden Seiten
her durch direct aus dem Electrolyten kommende Stromfäden getroffen
werden können.
Bei sehr schwachem Strome sah ich nach längerer Durch-
strömung an Blastulae, dass die beiden mittelsten Zell-
reihen, die oben den scheinbar einheitlichen Aequator darstellten,
jede ihr Rindenpigment fast ganz ifi dem iwltvärts ge-
legenen Ende der Zelle anhäuften, und dass die Zellen
selber fast [90] zum doppelten ihrer vorherigen Grösse
in der Stromrichtung verläng er t wurden.
Werden Tritoneier nach der vierten und fünften Tbeilung mit V20
gesättigterCarbolsäurelösung vergiftet und danach durchströmt,
so bilden sie, wie die entsprechend behandelten Froscheier, bei voll-
kommener Erhaltung der Zellrundung, zunächst die Specialpolfelder
der Zellen ; diese Einzelfelder vergrössern sich aber sofort auf den
Polseiten des Eies über die ganze Aussenfläche der Zelle zur Bildung
der beiden G e n e r a 1 p o 1 f e 1 d e r des Eies ; während gleiche , nicht
Polarisireiule Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 613
vergiftete Eier ihre 7Aierst gebildeten Specialpolfelder mehrere Minuten
laug iu coustanter Grosse behalten, sie aber in verstärktem Maasse
verändern und Zellniveaufurchen entstehen lassen, um erst später
auf einmal zur Bildung der Generalpolfelder überzugehen.
Mit Zeiss' Objectiv A konnte ich an einer in kleine Zellen ge-
theilten Blastula Folgendes beim Durchströmen erkennen. Zuerst
entstellt an den seitlichen braunen Zellen im Bereiche des Zellpol-
feldes eine ganz feine weisse Granuli rung, wie durch Dotter-
substauz, die durch die Rinde getreten ist; jede Zelle bildet ihre
braune Niveaulinie; danach erfolgt Aufplatzen der Zell-
rinde längs der Niveaulinie [offenbar in Folge von Con-
traction des Protoplasma an der Grenze des Veränderten
und Unveränderten] und massiger Austritt von Zellinhalt,
in welchem man oft eine helle, wohl dem Kern entsprechende
Stelle sieht. Es erfolgt also hier dasselbe im Kleinen, was ich an
den ersten Furchungskugeln und am ganzen ungetheilten Frosch-
und Tritonei gesehen hatte. Die Specialpolfelder der Zellen waren
im vorliegenden Falle am Pole am grössten und nahmen gegen den
electrischen Aequator des Eies allmählich an Grösse ab. Die Zelle
in der Mitte des Polfeldes hatte statt einer Anhäufung des Pigmentes
in einer Niveaulinie einen grossen, braunen, runden Fleck in
der Mitte der Aussenfläche der Zelle, der zugleich das Polfeld dar-
stellte und von einem helleren Saume, dem Zelläquator, rings um-
geben war.
Die Verfärbung der Polfelder ist also deutlich mit
dem Durchtritte von weissem Zellinhalt durch die Zell-
rinde verbunden; zugleich findet eine Pigmentanhäufung an der
Niveaulinie statt; darauf erfolgt Gontraction, Aufplatzen der Zellen und
Entleerung von^viel Zellinhalt als Extracellulat.
[91] Auch an einer noch älteren Entwickelungsstufe, an einer dem
Schlüsse nahen Gastrula, welche umgekehrt, d. h. mit dem Ur-
munde nach oben gewendet lag, konnte ich deutlich sehen, dass noch
jede einzelne Zelle ein Polfeld bildete, welches gegen den Pol
gewendet war.
Im feineren Verhalten schon vielfach gefheilter Eier
614 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
bieten sich jedoch wieder, wie beim ungetheilten Ei, nach Stromstärke,
Stromdauer mid offenbar auch in hohem Maasse nach der Indi-
vidualität der Eier mannigfache t heilweise entgegen-
gesetzte ,, Variationen" dar, die jetzt dargestellt werden sollen.
Die Versuche sind jedoch noch nicht zahlreich genug, um uns zu
gestatten, diese Verschiedenheiten vollkommen nach den drei genannten
Momenten zu sondern.
An der grob und fein getheilten Morula, sowie auch an der
Blast ula sah ich wiederholt deutlich, dass in einem bestimmten
Stadium der Durchströmung die Zellpolfelder in einem gewissen
grösseren Abstände vom Pole und in einem kleineren von der Niveau-
linie am grössten sind, und dass das der Bildung der Specialpolfelder
(selbst nach sofortiger Unterbrechung des Stromes) nachfolgende Auf-
platzen der Zellen längs der Niveaulinien am stärksten erfolgt in einer
Zone des Eies etwa um V-i — V^ Polfeldradius weit polwärts vom
Aequatorrande : das Aufplatzen ist an dieser Stelle so stark, dass die
daselbst befindlichen Zellen ganz verschwinden und die jederseits an-
grenzende Zellreihe auch noch sehr stark verändert wird. Die pol-
wärts, sowie die gegen den Aequatorrand hin von dieser Zone des
Auf platzens gelegenen Zellen sind dann weniger intensiv verändert,
und zwar die ersteren mit gegen den Pol stetig abnehmender Inten-
sität. Während also die erste Wirkung vom Pole sich ausgebreitet
hat, wird dieser fernerhin doch am wenigsten vom ganzen Polfeld
verändert. Durchströmt man dann das Ei nochmals in gleicher Rich-
tung, so schreitet, wie beim ungetheilten Ei, die Veränderung gleich
auf Kosten des Aequators weiter, und es bildet sich bald eine nun-
mehr jederseits sogleich continuirlich gerichtete durchgehende Niveau-
linie aus, die stets äquatorwärts von der früheren Stelle stärkster Ver-
änderung gelegen ist.
[92] Wenn man dagegen continuirlich durchströmt, so bildet sich
nicht an der erst erwähnten Zone eine so starke Veränderung aus,
sondern die Veränderung schreitet noch eine Zeit lang, wenn auch
mit rasch abnehmender Geschwindigkeit, äquatorwärts fort, und erst
später entsteht eine vom Pole entfernter gelegene Zone stärkster Ver-
änderung, also des Aufplatzens.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 615
Nach sehr kurz daueruder Durcliströmmig war die LocaH-
sation der intensivsten Veränderung eine andere. Bei blos drei Secun-
den hinger Durchströmung hörten die Veränderungen erst einige Zeit
nach der Unterbrechung auf, waren aber deutHch am Pole selber am
intensivsten; die Zellen daselbst waren in toto weiss geworden, während
die entfernten oberen Zellen entsprechend der Breite ihrer Polfelder
blos zu ein halb bis ein Drittel weiss waren.
Bei längerer Durchströmuug dagegen sah ich im Gegensatze
zur obigen Mittheilung einige Male, dass die Polfeldbildung nicht am
Pole, sondern an einer etwas davon entfernten Zone begann und sich
von da polwärts und äquatorwärts ausbreitete.
Bei sehr schwachem Strome entstanden an einem erst in
der dritten Furchung begriffenen Ei nach 30 Secunden langer Durch-
strömung Polfelder mit braunen Niveaulinien als Grenzen, und äquator-
wärts unmittelbar daneben brach die Eirinde; es bildete sich jedoch
auch bei zehn Miniiten langer weiterer Durchströmung kein allge-
meiner Aequator, und die Polfelder vergrösserten sich nicht; während
zum Beispiele bei einer Gastrula mit dem gleichen Strome eine Zeit-
lang eine stetige Vergrösserung stattfand.
Viele, behufs Verzögerung der Entwickelung in dem Eis-
schranke aufbewahrte Eier blieben auf der Gastrula-
stufe stehen und verfärbten sich allmählich grau. Beim Durch-
strömen entleerten manche dieser grauen Gastrulae ihre oberflächlich
liegenden Zellen in sehr starkem Maasse, so dass fast das ganze Proto-
plasma nebst dem Zellkern ausgestossen wurde; und zwar geschah
dies bei genügend starkem Strome an der ganzen Oberfläche der
Gastrula. Andere solche Gastrulae bildeten nur geringe Extracellu-
late, welche auf den Polseiten am stärksten waren. Wieder andere
bildeten blos e^ne graue Verfärbung der Polseiten.
[93] Eine eventuelle Verschiedenheit in der Breite des Ge-
sammtäquators an lebenskräftigen und an geschwächten
Eiern schien mir von Bedeutung für die Theorie der beobachteten
Erscheinungen ; daher habe ich mich bemüht , an den noch vorhan-
denen letzterwähnten Gastrulae Sicheres darüber zu ermitteln, ohne
iudess ein klares Resultat gewinnen zu können. An einigen Gastrulae
616 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
trat auch bei einem schwachen Strome an den Polseiten so viel Extra-
cellulat aus, dass es sich von der Eioberfläche ganz loslöste, con-
fluirte und aufsteigend den in Folge der Schwäche des Stromes breiten
Aequator bedeckte und ihn so rasch der Beobachtung entzog ; während
doch längere Zeit durchströmt werden muss, um einen definitiven,
von der Strömungsdauer und Reactionsgeschwindigkeit unabhängigen
Aequator zu erhalten.
Der Vergleich nun solcher schon verfärbter, alter Gastrulae mit
noch braunen in Bezug auf die Breite des Aequators hat kein sicheres
Resultat ergeben; denn erstens waren die initialen Polfelder unter
gleichen äusseren Umständen nur wenig und in nicht constanter
Weise verschieden, zweitens reagirten beim Wachsthum der Polfelder
beide Sorten von Gastrulae nicht prompt, so dass der electrische
Aequator des Eies nicht seine typische, oben in der Mitte breiteste,
von da gegen den Eiäquator etwas abnehmende, dann auf der unteren
Hemisphäre constante Breite hatte; ferner, weil, wie erwähnt, die
Extracellulate oft aufstiegen und die Grenze verdeckten. Und wenn
aucli zu erkennen war, dass die Grössenunterschiede nur gering sind,
so wissen wir nicht, ob die älteren Gastrulae ihren Aequator deshalb
nicht unter ^/lo Eidurchmesser verkleinerten, weil sie noch wider-
standsfähiger waren, oder Aveil sie schon fast getödtet, also nicht
mehr reactionsfähig waren.
Zur Entscheidung dieser Alternative vorgenommene secundäre
Durchströmungen in rechtwinkelig zur ersteren stehender Richtung
ergaben nur noch so unbestimmte Reactionen , dass man eher zur
letzteren Annahme geneigt sein konnte. Erkennbar war, dass der
Aequator nach längerem Durchströmen von etwa fünf Minuten eine
feste, aber oft unregelmässig gestaltete Grenze gewann, dass dann der
so begrenzte Aequator lange Zeit bei fortgesetztem Durchströmen
sich unverändert erhielt, um dann [94] bei den noch braun ge-
wesenen Gastrulae mit einem Male sich in toto zu ver-
färben. An den schon vor der Durchströmung grau gewordenen
Gastrulae, an denen die Polfelder eben nur durch Bildung deutlicher
Extracellulate kenntlich sind, ist natürlich eine solche plötzliche Ver-
färbung des Aequators nicht feststellbar.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 617
An einigen wenig reagirenclen Gastrulae trat so wenig Dotter
aus den Zellen aus, dass man ausser dem Aequator auch das Polfeld
noch genauer sehen konnte ; da erkannte ich, dass am Pole und dessen
nächster Umgebung die Zellen noch braun waren, während der Aequa-
tor schon auf ^/s Eidurchmesser verkleinert war, und die Zellpolfelder
neben ihm stark grau verfärbt sich darboten.
Der Pol war also auch hier wieder die Stelle o-erina'e-
rer Reaction. Man könnte denken, dies rühre davon her, dass
die Pole bei der gewöhnlichen Einstellung der Eier immer an dem
Eiäquator liegen, vf elcher weniger empfindlich sei, so dass also die
geringere Veränderung auf schwächerer Reactionsfähigkeit beruhe.
Diese Auffassung wird jedoch dadurch widerlegt, dass an der Stelle,
wo die Niveaulinien den Eiäquator schneiden, eine intensive Verände-
rung sich findet.
Es muss zunächst dahin gestellt bleiben, ob diese schwächere
Affection des Poles auf einem an dieser Stelle geringeren Einfall
von Stromfäden, was nicht wahrscheinlich ist, oder auf geringerer
Brechung der eintretenden Stromfäden, oder auf eineiu
besonderen Verhalten des Eies als Ganzen , zufolge dessen es
mehr an der Grenze des electrischen Aequators und des Polfeldes reagire,
beruht. Letzteres würde erklärlich machen, dass bei schwächeren
Strömen die allein vorhandene, aber starke Verfärbung am Pole sich
findet, weil dabei das Polfeld eben blos auf den Pol sich beschränkt;
aber es wäre nicht zu verstehen, wie die in einzelne, für sich reagi-
rende Zellen getheilte Morula und Blastula ebenfalls so als Ganzes
reagiren sollte.
Manchmal platzt an der oberen Hälfte der Blastula
längs der Niveaufurche die ganze Zellenlage, welche den
grossen innerey Hohlraum von oben bedeckt, in grosser Ausdehnung
auf, und es entleert sich aus dem Spalte eine so reichliche Menge
Inhalt, als erfolgte eine Contraction des ganzen Gebildes. [95] Das
Maximum der späteren Veränderungen der Blastula ist jedoch deut-
lich an den Niveaulinien localisirt. Liegt die Blastula mit dem
braunen Pol nicht wie gewöhnlich nach oben, sondern nach der Seite
einer Electrode hin, so kann man sehen, dass wieder, wie am
618 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
ungetheilten Ei bei gleicher Lage, das braune Polfeld kleiner
-wird als das gelbe.
Bezüglich des Einflusses der GesiaU des Gebildes auf
die Gestalt und Lage der Polfelder wurden noch einige wichtige
Beobachtungen gemacht. An einer durch Alter etwas geschrumpften,
nach einer Seite zugespitzten und in dieser Richtung mit einer tiefen
Längsfurche versehenen Gastrula, die in Längsrichtung durchströmt
wurde, entstand auf der spitzen Seite ein viel grösseres Pol-
feld als auf der stumpfen und in der Tief e der schmalen Furche,
obwohl sie im Bereiche des Polfeldes lag, blieb die Ver-
änderung aus. Letzteres Verhalten wurde an mehreren anderen,
mit tiefen Gruben versehenen Gastrulae bestätigt, selbst wenn die
Oeffnung der Grube gegen die Electrode hin gewendet worden war.
Auch eine Semiblastula, an welcher also blos die eine Hälfte
der beiden durch die erste Eitheilung gebildeten Zellen sich ent-
wickelt hatte, wurde durchströmt, und zwar in Richtung der Vereinig-
ung beider Hälften. Die ungetheilte Eihälfte reagirte nicht,
während ander entwickelten Hälfte alle Zellen ihren Inhalt aus-
stiessen, sodass also kein Gesammtäquator stehen blieb.
Ein Triton- Enihri/o mit eben erst geschlossener Medullar-
furche entwickelte Polfelder wie ein entsprechender Froschembryo
und liess erkennen, dass im Bereiche des Polfeldes jede Ober-
flächenzelle einen weissen Vorsprung (Extracellulat?)
bildete, wodurch die graue Färbung der Polfelder bedingt war.
Nach dieser Schilderung der äusseren Erscheinungen der Polari-
sation der Tritoneier seien noch einige Experimente mitgetheilt, welche
angestellt wurden, um den diesen Erscheinungen zu Grunde
liegenden Vorgängen ein wenig näher zu treten.
[96] Man könnte denken, die Bildung der Niveaufurchen und
ihr Aufplatzen wären Vorgänge, die an das Vorhandensein der ganzen
Eirinde gebunden wären, indem der Zug nach innen nur dann
zum Platzen der Eirinde führen könnte, wenn diese am Nachrutschen
von der Seite her durch ihr Geschlossensein und che Anfüllung mit In-
halt gehindert wäre. Dies zu prüfen, brachte ich nackte, ungetheilte
Eier vor der Durchströmung zum Platzen. Beim Durchströmen
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 619
jedoch bildeten sich im Bereiche der Niveauhnicn erst kleine, runde
Extraovate, darauf platzte die Eirinde im ganzen oberen Bereiche
der Niveaulinie wie gewöhnlich, der Rand des Polfeldes sank alsdann
rasch seitlich abwärts, wie nach unten gedrängt, so dass ein breiter
Spalt entstand. Die Durchbrechung der Eirinde ander Niveau-
linie ist also ein Vorgang, dessen Ursachen an der Stelle
der sichtbaren Veränderung oder in unmittelbarer Um-
gebung derselben sich befinden. In dem durch den Spalt
sichtbar gewordenen, halbflüssigen Eiinhalte waren lebhafte nach ver-
schiedenen divergirenden Richtungen gehende Strömungen erkennbar,
die aber alle nach aussen führten. Während der Dauer der
Durchströmung vergrösserte sich das durch den Spalt ent-
leerte Extraovat; wieder eine Erscheinung, welche auf Contraction
hinweist.
An einem Ei, welches nach dem Zerdrücken zum grössten
Theile, etwa '/s ausgeflossen war, und daher noch aus der lang
gedehnten, längs gefalteten Eirinde mit wenig Inhalt bestand, zogen
sich die Niveaulinien tief ein, wie an einem normalen unge-
theilten Ei, und die Polfelder wölbten sich danach stark über;
allmählich aber verbreiterte sich der Aequator und erhielt wieder
Streifen in polmeridional er Richtung.
Nachte, d. h. nicht mit Eirinde überkleidete Extraovate lassen
auch beim Tritonei k e i n e polare Veränderung erkennen; sie ver-
ändern sich aber an ihrer Oberfläche in einer besonderen Weise,
welche jedoch auch ohne Durchströmung vorkommt und wohl nur
durch die Berührung mit dem Wasser bedingt ist.
Polare Veränderungen, Niveaufurchenbildung und dadurch
bewirkte Abgrenzung einer unveränderten Aequatorzone finden blos
an den mit Eirinde bedeckten Theilen statt. Ein solchesEx-
traovat kann zwei verfärbte Polfelder bilden. Liegt daneben ein nacktes,
noch mit ersterem in Zusammenhang stehendes Extraovat, welches
[97] aber, wie oft, durch eine tiefe Furche vom anderen abgesetzt
ist, so ist ein Einfluss des nackten Extraovates auf die Lage der Pol-
felder au dem mit Rinde versehenen Extraovat nicht wahrnehmbar.
Fehlt dagegen eine solche trennende Furche und liegt das nackte
G20 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Extraovat gegen eine Electrode hin, so bekommt auf dieser Seite der mit
Rinde versehene Theil des Extraovates kein oder ein entsprecliend
schmaleres Polfeld, und der Aequator wird so breit, als gehöre er dem
ganzen Gebilde an. Ist auf der anderen Seite noch ein nacktes, nicht
durch eine Einschnürung abgesondertes Extraovat, so kann auch auf
dieser Seite das Polfeld ganz fehlen, und der Aequator wird somit noch
breiter. Stehen die nackten Extraovate im Stromfelde seitlich vom
rindenbedeckten Stammtheile des Eies, so sieht man, dass die beiden
tiefen Niveaufurchen des letzteren sich nicht auf den anliegenden,
unbedeckten Theil fortsetzen. Also zur Bildung der Niveau fur-
chen ist wie zur Polfeldveränderung die Rinde und viel-
leicht noch das ihr unmittelbar anliegende Protoplasma
n ö t h i g.
Auch ein losgelöstes Stückchen eines schon in dritter Furchung
begriffenen Eies, welches in seiner Grösse einer Furchungszelle ent-
sprach und rings mit Eirinde bekleidet war, reagirte wie ein ganzes
Ei mit zwei Polfeldern und aufgeplatzten Niveaulinien.
An weiter in Zellen zerlegten Eiern bekommt man natürlich
keine mit Rinde bedeckten eigentlichen Extraovate mehr. Dagegen
erhält man nun leichter isoJirte ganze Zellen, deren Verhalten
gleichfalls von Interesse ist.
Vollkommen isolirte, also einzeln freiliegende, braune oder
weisse Blastulazellen bilden gewöhnlich keine Polfelder
beim Durchströmen, sondern platzen an beiden Polen auf und
entleeren fast vollkommen ihren Zellinhalt, und zwar, sofern kein
äusseres Hinderniss vorhanden ist, in Richtung des Stromes (siehe
Taf. IX, Fig. 17), ein Beweis der allseitig symmetrischen Rindencon-
traction um den mittleren Stromfaden; der mittlere, die Zellrinde
vorstellende Theil mit etwas Inhalt, bildet oft blos einen Punct von
niclit Vioo der ganzen Zellmasse. W. Kühne, sowie M. Verworn^)
haben in ähnlicher Weise [98] Protisten bei der Durchströmung
aufplatzen sehen. Dies Verhalten erinnert auch an dasjenige der
ganzen ungetheilten Eier, welche, allerdings nur bei sehr schwachem
Strom, blos an den Polen Extraovate und sonst kein Polfeld bilden.
1) W. Kühne, M. Verworn, siehe S. 576 und 577.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier. 621
Hier an den freien Zellen erfolgt aber das Aufplatzen momentan
beim Stromschlusse und mit so grosser OefEuung jederseits, dass bei
der augenscheinlichen Contraction der Rinden schichten die
Entleerung des Eiinhaltes so rasch sich vollzieht, dass weder Zeit
noch Gelegenheit zu einem Durchtritte durch die Fläche der Zellrinde
gegeben ist.
Berühren sich „zwei" in Stromrichtung zusammen-
liegende Zellen so wenig, dass sie sich nur wenig, aber doch deutlich
an einander abplatten, so entsteht das Extracellulat zuerst nur
an den freien Polpuncten, danach aber auch an dem Berühr-
ungspuncte, obgleich an dieser Stelle keine Stromfäden vomElec-
trolyten aus eindringen können.
Viele der isolirten Zellen reagiren nicht. Zerfällt eine Blas-
tula beim Zerreissen gleich von selber in viele einzelne Zellen^ war also
der Zellverband schon gelockert, indem sich die Zellen schon vorher
gerundet hatten, d. h. befinden sie sich in dem Zustande, den ich
als Framboisia embryonalis finalis interna benannt habe
(s. S. 151, Anm. 1), der ein Zeichen des Absterbens ist, so kommt es
vor, dass keine dieser Zellen mehr auf den Strom reagirt.
Da indess ebenso alte und gleich aussehende, ein wenig abge-
blasste Blastulae und Gastrulae im Ganzen durchströmt oft noch deut-
liche Polfelder unter Austritt von weissen Kugeln aus den Zellen,
also unter Aufplatzen der Zellen bilden, so lässt sich schliessen, dass
durch die vollkommene Isoliruug und das Liegen in Wasser oder
halbprocentiger Kochsalzlösung die Zellen derart geschädigt werden,
dass sie den Rest ihrer noch vorhanden gewesenen Reactionsfähig-
keit einbüssen.
An einigen freiliegenden Zellen einer zerrissenen Gastrula,
welche nicht wie viele andere beim Durchtrennen an beiden Polen
aufgeplatzt wd!ren, sah ich nach Auftropfen warmer Chromsäure und
nachträglichem Auswaschen, zwei hellere proto- [99] plasmatische
Polabschnitte und zwischen ihnen einen ein Drittel des Zelldurch-
messers breiten, nicht scharf abgegrenzten Aequator, in dem die
Dotterkörner angesammelt waren (siehe Taf. VIII Fig. 16).
Die isolirten älteren Zellen von etwa 35 — 110 [.i können also,
622 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
wenn sie überhaupt auf den Strom reagiren, dies auf zweierlei Weise
thun : entweder platzen sie an den Polen auf, oder, viel seltener, bilden
sie bei doppelseitiger Bestrahlung zwei durch Ansammlung des Proto-
plasmas gebildete Polabschnitte; und in dem Protoplasma findet
letzteren Falles manchmal eine sehr starke Ausscheidung von
grossen Tropfen statt. Man darf mit dem zuletzt beschriebenen
ßeactionsbilde nicht verwechseln das nicht seltene ^'^orkommen von
auch im nicht durchströmte n Ei sich findenden Zellen, deren
Dotter erst an zwei Seiten halbmondförmig angehäuft ist,
wodurch der mittlere protoplasmatische Theil dann einen hellen,
zwischen zwei Polfeldern liegenden Aequator vortäuschen kann.
Ein einziges Mal beobachtete ich an einer durch Zerreissung
einer Blastula isolirten Zelle, welche dabei aufgeplatzt war, und etwa
ein Viertel ihres Inhaltes in einer Richtung entleert hatte, die recht-
winkelig zu der späteren Durchströmung stand, dass der ausgetre-
tene Zellinhalt beim Durchströmen sofort wieder eingezogen
wurde; ein Aufplatzen an den Polen fand danach aber nicht statt.
Es scheint also, dass die durch den Strom veranlasste Contraction
sich unter veränderten Umständen in sehr verschiedener Weise be-
thätigen kann. Gleichfalls nur einmal sah ich an zwei sich berühren-
den runden Zellen einer zerrissenen Gastrula beim Durch-
strömen eine circuläre Strömung in denselben. Die eine Zelle
bildete dabei einen Fortsatz in Richtung des Stromes und sie ver-
schob sich etwas gegen die andere Zelle, während jedoch die Ver-
klebungsstelle beider Zellen ihren Ort nicht änderte.
Wurde eine bereits durchströmte Gastrula zerrissen und die
isolirten Dotterzellen nochmals durchströmt, so platzten mehrere von
ihnen nun sogleich auf; dass Gleiche thaten auch die oberflächlichen
Zellen ganzer Dotterklumpen ; doch war nicht bekannt, ob die bei der
zweiten Durchströmung noch in dieser Weise reagirende Substanz
nicht etwa aus der Aequatorscheibe stammte.
[100] Ein anderes Mal beobachtete ich ein noch zusammen-
hängendes Stück einer Blastula, von welcher vollkommen isolirte
Zellen beim Durchströmen an beiden Polen aufplatzten ; gleichwohl
sah ich an den das Stück bildenden Zellen dasselbe Verhalten wie
Polarisiiende Wirkung des Wechselstromes auf Tritoneier, 623
au einer ganzen Blastula, indem jede gegen eine Electrode gewendete
Zelle zuerst ein dieser zugewendetes Polfeld bildete und danach an
der Niveaulinie aufplatzte. An einem platten Stückchen von einer
braunen, frischen Gastrula platzten blos die Zellen an den polar-
wärts gelegenen Rändern des Stückes auf, die Zellen auf den Flächen
dagegen reagirten nicht ; es zeigte sich, dass sie im Stromschatten
lagen. Es war also dasselbe Verhalten, wie es die plattgepresste
Froschgastrula bei der parallel zu den Seitenflächen erfolgenden
Durchströmung darbot; hier reagirten auch blos die Zellen des be-
strahlten Randes.
Schliesslich wurden schon ohne Microtomirung einige Beobach-
tungen über das innere Verhalten der durchströmten GastrnJae
des Triton gemacht.
Auch an Gastrulae entsteht manchmal durch Aufplatzen im
Bereiche der Niveaufurche oben ein grosser offener Spalt, ein
Loch; aus diesem sah ich einmal viele kugelige Zellen, jede mit
zwei trüben, polar gegenüber stehenden Abschnitten, heraus-
strömen. Ein anderes Mal beobachtete ich an einer noch deutlich
braunen Gastrula, dass die Dotterzellen aussen weiss, trüb wurden,
ihre gelbliche Farbe also aussen verloren. Als danach eine Spaltung
an einer der Niveaufurchen entstand, tödtete ich sofort das Ei in er-
wärmter Chromsäure; darauf sah man an der Bruchstelle, dass die
Zellen aussen w^eiss-trüb, innen gegen die Höhlung der
Gastrula hin noch gelblich und durchscheinend waren.
Isolirte dieser Zellen im auffallenden Lichte bei Zeiss' Objectiv
A. u. C. betrachtet, zeigten das äussere, trübe Polfeld in einigem Ab-
stände vom Pole mit einem Ringe blasenartiger grosser Er-
hebungen besetzt, siehe Taf. VIIIFig. 15 ; optisch gleich sich verhaltende
kleinere Tropfen waren im Polabschnitt selber enthalten und nahmen
an Grösse sowcflil gegen den Pol wie gegen den beide Polfelder trennen-
den Aequator ab. Dieser letztere war parallel contourirt, breit und
erschien leicht braun, homogen und schwach durchscheinend. Der
scharf gegen ihn abgegrenzte [101] innere Polabschnitt w^ar mit
Dotterkörnern erfüllt und trüber als der Aequator, gleichwohl aber
viel durchscheinender als der äussere Polabschnitt.
624 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Diese Erscheinungen fanden sich zumeist an den Dotterzellen,
doch auch an manchen braunen Zellen der oberen Hemisphäre. Beim
Erschüttern des Microscopes wendeten sich die in halbprocentiger
Kochsalzlösung befindlichen Zellen mit den weissen Polen nach
oben, wohl ein Zeichen, dass dieser Abschnitt specifisch leichter
war. Eine der Zellen wurde gemessen; sie war 97 f.i gross, der
Aequator 10 //, also Vio Durchmesser breit, während das ganze Ei
einen Aequator von Vs Durchmesser hatte.
Bei durchfallendem Lichte war ein abgegrenzter Aequator
an diesen polarisirten Zellen nicht mehr zu sehen; sondern die
ihn bildende äusserst feinkörnige (wohl protoplasmatische) Substanz
ging continuirlich in die Substanz des weissen äusseren Polfeldes über,
die oben mit den 0,9 — 0,5 f-i grossen Tropfen durchsetzt war, während
die den Kranz bildenden freien, blasigen Erhebungen bis 21 i-i Durch-
messer erlangten. Der innere Polabschnitt war gleichmässig und dicht
mit den 2,1 — 3,5 f.i grossen Dotterkörnern erfüllt. Bei manchen dieser
Zellen war das weisse Polfeld etwas zugespitzt, das gelbe, innere
war immer halbkugelig. Dieses Gestaltverhältniss konnte auch
einen Antheil an der Aufwärtswendung der weissen Pole bei Er-
schütterung haben. Andere, vielleicht nicht von der Oberfläche stam-
mende Zellen zeigten auch im auffallenden Lichte blos ein weisses
Feld ohne blasige Erhebungen und ein gelbes Feld, ohne einen Aequator
zwischen sich zu fassen. Wie weit so veränderte Zellen sich ins
Innere des Eies erstrecken, wird später nach Microtomirung der auf-
gehobenen Objecte vielleicht erkennbar sein.
Ob das gelbe Feld als Polfeld oder blos einfach als der nach
der Sonderung des Protoplasmas vom Dotter und nach dem
Uebertritt der Hauptmasse des Protoplasmas in das vom
Strom bestrahlte Zell stück verbliebene Zellrest aufzufassen ist,
sei für jetzt dahin gestellt. Verworn sah ') an Amoeba limax, verru-
cosa und diffluens, welche aber nicht mit dem Wechselstrom, sondern
[102] mit dem galvanischen Strom behandelt waren, das hyaline
Protoplasma sich auf der Kathodenseite sammeln, während das körnige
1) M. Verworn, Pflüger's Arch. Bd. 48, Taf. 3.
Polarisireiide Wirkung des Wechselstromes auf Fischeier. 625
die iVuodeiiseite eiuiiahni; und au Pelomyxa palustris wurden Reste
des hyalinen Protoplasmas an der Katliodenseite als hyaline blasen-
förmige Erhebungen hervorgepresst,
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Fiscli-
eier (von Telestes Agassizii).
Ehe wir aufwärts zu den an Reptilien gemachten Beobachtungen
übergehen, sei über bezügliche Erscheinungen an Fischen berichtet.
Aus der Classe der Fische verwandte ich Eier und Organe von
5 Stück des kleinen Knochenfisches Telestes Agassizii (H e c k e 1) , des
Laugen.
Es traten hier im Wesentlichen die vom Frosche be-
kannten Erscheinungen wieder auf, doch fügte sich auch
wieder mancher neue Zug in das Bild ein; und manche Erscheinungen
traten verstärkt hervor, andere zeigten sich abgeschwächt.
Die Eier dieses Fisches bestehen, im Groben betrachtet, aus einer
grossen, gelblich durchscheinenden kugeligen Dottermasse, welche von
einer dünnen Protoplasmaschicht überzogen ist, die sich auch vielfach
in's Innere fortsetzt.
Nach der Befruchtung des Eies scheidet sich die Hauptmasse
des inneren Protoplasmas als Bildungsdotter an einer Stelle aus
und bildet hier einen Hügel, ähnlich wie die Hornhaut am Augapfel.
Die übrige Hauptmasse stellt den Nahrungsdotter dar. Der ent-
standene Hügel heisst die Keim Scheibe, und diese allein wird bei
der Furchung in Zellen zerlegt. Die Verbindungslinie der Mitte der
Keimscheibe und der Mitte des Nahrungsdotters heisst die Eiaxe.
Beim Durchströmen solcher befruchteter, noch ungetheil ter Eier
mit dem mir zur Verfügung stehenden Wechselstrom bildete
jedes Ei rasch eine tiefe Furche, welche das Ei fast ganz
durchtheilte und annähernd halbirte. Die Furchen standen a n -
scheinend regellos im Strom feld durcheinander. Bei denken-
der Betrachtung aber fiel auf, dass keine einzige Furche ganz oder
auch nur annähernd in Richtung der Stromfäden des electrolytischen
Feldes stand, sondern dass eine annähernd rechtwinkelige Stel-
lung zu dieser Richtung, aber mit häufigen [103] Abweichungen von
"W. Iloux, Gesammelte Abhandlungen. II. 40
626 Nr. 2ö. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
20 — 30° sich in dieser Mannigfaltigkeit ausspricht. Betrachtete man
Eier, deren Furche in einer Niveaufläche des electrisclien Feldes
stand, so waren es solche, deren Eiaxe entweder senkrecht oder, wenn
schief resp. wagrecht, aber gleichwohl auch in einer Niveaufläche,
oder gerade in einer Stromlinie stand.
Sorgt man dafür, dass alle Eier senkrecht stehen, so stellt
die Summe dieser Furchen wieder ebenso schön wie beim Froschei
die Niveauflächen dar. Der Grund der Furche entspricht
dem Aequator, die beiden Seitenmassen den Polfeldern resp.
Polabschnitten, welche im Bereiche der Keimscheibe trüb werden
und etwas feine, schwer sichtbare Substanz austreten lassen,
während das Protoplasma des Aequators vollkommen klar
bleibt, siehe Taf. IX Fig. 18. Im Bereiche des Dotters ist manchmal,
aber nicht immer eine Trübung an der Oberfläche der durch die
Niveaufurchen markirten Polfelder deutlich.
Der Vorgang dieser Reaction bei einem mit der Eiaxe
senkrecht stehenden Ei ist folgender. Es entstehen nach wenigen
Secunden der Durchströmung im Bereiche der Keimscheibe die beiden
trüben Polfelder, darauf unter ^>rlängerung des Eies in der Strom-
richtung zwei seichte Furchen im Abstand von etwa Vs Eidurchmesser,
rechtwinkelig zur Stromrichtung ; diese Furchen vertiefen sich und nähern
sich etwas einander und ihre sich erhebenden Seitentheile knicken sich
fast rechtwinkelig gegen den electrisclien Aequator des Eies ab. Die durch
die Furchen abgegrenzten Polabschnitte vergrössern sich und überhöhen
somit ringsum den allmählich schmaler und auch im Ringdurchmesser
kleiner werdenden Aequator, so dass schliesslich der Aequator in
der Tiefe zwischen den beiden einander genäherten Polfeldern fast
verschwindet und das Ei anscheinend durch eine einzige tiefe Furche
getheilt ist. Der Profilcontour des Aequators ist nach aussen convex
oder auch gerade und wird seitlich durch die rechtwinkelig zu ihm
sich erhebende Innenfläche der Polabschnitte begrenzt. Die Keim-
scheibe dehnt sich dabei mit ihren mittleren Theilen allmählich, am
meisten jederseits längs des electrisclien Aequators und der Niveau-
kanten gegen den Dotter nach abwärts aus.
Um den Vorgang auf das beim Froschei beobachtete Geschehen
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Fischeier. 627
zu beziehen, so entstehen Niveaufurchen, welche viel [104] tiefer
einschneiden als beim Froschei, und die Polabschnitte ver-
grössern sich dabei entsprechend mehr auf Kosten der Sub-
stanz der Aequatorscheibe. Im Bereiche der Keimscheibe kommt
noch eine ausgesprochene Trübung des Protoplasmas des Polab-
schnittes hinzu. Aus dem Polfeld wird auch hier etwas Substanz
ausgeschieden, aber nur als ein zarter Schleier, also nicht an-
nähernd so viel, als beim Frosch- und Tritonei durch die Rinde der Pol-
felder hindurchtritt. Der Abstand der Polabschnitte ist, gleich wie
beim Froschei, im Bereiche des Bildungsdotters (seil, der Keim-
scheibe) wieder etwas grösser als im Bereiche des Nahrungs-
dotters. Auch hier überdauert der Ablauf der Veränderungen, be-
sonders die Abschnüruug der Polabschnitte von der Aequatorscheibe,
die Durchströmung, wenn diese von nur kurzer Dauer war.
Steht die Axe des Eies annähernd in Richtung der Strom-
linien seines Ortes im electrischen Felde, so schnürt sich die
Keimscheibe etwas vom Dotter ab und wird für sich in zwei
trübe Polabschnitte und einen zwischen ihnen liegenden,
hell bleibenden Aequator von Niveauflächenrichtung zer-
legt; aber diese drei Theile scheiden sich nicht durch Furchen von
einander, siehe Taf. IX Fig. 19.
Die beobachteten Abw^eichungen in den Richtungen der Grenz-
furchen der Polabschnitte von den Richtungen der Niveauflächen des
electrischen Feldes lassen sich vielleicht auf die unverkennbare mecha-
nische Tendenz des Eies, die Furchen annähernd durch die
Mitte sowohl der Keimscheibe wie des Dotters hindurch zu
bilden, zurückführen, obgleich geringe Abweichungen nicht selten
sind. Verläuft der durch die Mitte der Keimscheibe gehende Aequator
im Dotter stark excentrisch, so findet bald eine Abknickung der
Aequator schreibe und ihrer Grenzfurchen statt. Ueberhaupt folgt
der Aequator der Keimscheibe strenger der Richtung der Niveauflächen,
als der Aequator des Dotters, der auch bei geeigneter Stellung der
Eiaxe oft etwas schief zur bezüglichen Niveaufläche des Mediums
verläuft. Bei schief mit der Keimscheibe gegen eine Electrode stehen-
den Eiern kommt es auch vor, dass die Niveauringfurchen zu-
40*
628 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
uäclist rein auf dem Dotter entstehen und dann sich seitHch
gegen die Keimscheibe verschieben. Hier hat sich also wohl das
Rinden-[105]protoplasma des Dotters im Bereiche des Niveau-
ringes zuerst contrahirt, und dann erst hat sich die Contraction
auf die Keimscheibe fortgesetzt.
Die trüb gewordenen Polabschnitte der Keimscheibe
sind (in Folge einer Contraction ?) e r h e b 1 i c h fester a 1 s i h r e U m-
gebung, wie man beim Zerreissen wahrnimmt.
Hat sich der zur Keimscheibe gehörige Bildungsdotter vor
der Durchströmung noch nicht vom Nahrungsdotter abgesondert, so
geschieht diese Sonderung rasch beim Durchströmen
und erinnert so an die Bildung eines protoplasmatischen und eines
die Dotterkörner enthaltenden Polabschnittes an den Zellen der durch-
strömten Gastrula des Triton.
Auch an blos amöboiden Fortsätzen der Keimscheihe,
wie sie nach der Auslösung des lebenden ungetheilten Eies aus seiner
Hülle entstehen, ebenso wie an durch S cheerenschnitt isolirten
Stückchen selbst blos von Vs der ungefurchten Keimscheihe bilden
sich die trüben Polfelder und zwischen ihnen bleibt ein heller,
parallel contourirter, scharf begrenzter Aequator . An grösseren, von beiden
Seiten bestrahlten Stücken erfolgt auch noch Abschnürung der Pol-
abschnitte.
An ganz nackten Eiern sieht man, dass auch am Dotter im
Bereiche der Niveaufurche die oberflächliche Protoplasma-
rinde trüb wird, gleich dem Protoplasma in den Polabschnitten
der Keimscheihe.
Bei eventueller Quercontraction zur Eiaxe bleiben die in und
neben der Eiaxe verlaufenden parallelen Säulen von Dotter-
körnchen, die durch Protoplasma von einander getrennt sind, er-
halten, werden aber gedehnt.
Bei geringer Erwärmung der Fi seh ei er erfolgt ebenfalls wie
beim Frosch die Re actio n auf den Strom rascher. Nach fünf Mi-
nuten langer Erwärmung der Eier auf 40 " C. jedoch bleibt bereits das
sonst rasch vorübergehende Stadium der starken Ueberhöhung des
Aequators mit noch weit offener Aequatorfurche lange Zeit bestehen.
Polarisirende Wirkuns des Wechselstromos auf Fischeier. 629
Nach vier Minuten langer Erwärmung aui' 4G ° C. ist die Kcimsclieibo
schon trüb und reagirt gewöhnhch nicht mehr ; im Bereiche des Dotters
jedocli fand bei einigen Eiern noch eine geringe Einschnürung statt.
An schon ein- oder mehrfach getheilten Fischeiern entstehen
trübe Special polfelder, welche meist den für die [106] Frosch-
eier gegebenen, durch die Bestrahlung bedingten Regeln entsprechen.
Ist jedoch die Keimscheibe im Morulastadium gegen die
Electrode gewendet, so schnürt sie sich zuerst wie am
noch ungetheilten Ei durch eine tiefe, in Niveauflächenrichtuug
stehende Furche vom Dotter ab, wird dadurch selber etwas ab-
geplattet kugelig und zeigt später zwei durch einen unveränderten
Aequator getrennte, aus theilweise polarisirten Zellen gebildete Pol-
seiten, aber keine Niveaufurchen.
Da bei diesen Eiern die Zerlegung in Zellen nur einen kleinen
Abschnitt der Eikugel ergreift, so ist Gelegenheit zu einigen weiteren,
über die am in toto zerlegten Frosch- und Tritonei hinausgehenden
Beobachtungen gegeben. Leider hinderte Mangel an Material, diese
Möglichkeit genügend auszunutzen. Zwei Mal sah ich, dass die schief
zu den Electroden stehende , getheilte Keim Scheibe auf der
einen Seite im Profilcontour drei mit je einem Polfeld versehene
Zellen enthielt; darauf folgte eine einzige, trotz ihrer auf eine r
Seite der Electrode direct zugewendeten Fläche unver-
änderte, also den Aequator repräsentirende Zelle, wäh-
rend die allein noch übrige anstossende Zelle der anderen Seite, welche
nur von der anderen Electrode bestrahlt wurde, mit ihrem einen
Polfeld zugleich die ganze zweite Polseite der Profilansicht der Keim-
scheibe repräsentirte. Dies Verhalten lässt sich kaum noch auf die
vom Frosch und Triton bekannten Verhältnisse beziehen; und ich
habe auch Vertheilungen der Polfelder gesehen, die dies noch weniger
als möglich erscheinen lassen, also eine eigene Deutung erfordern
werden. So beobachtete ich z. B. eine Morula mit schief zu den
Niveauflächen stehendem, also anscheinend von einer Seite her be-
strahltem Aequator, der von zwei einander gleich grossen, aber
anscheinend auch von einer und derselben Electrode bestrahlten, aus
gesondert polarisirten Zellen bestehenden Polfeldern flankirt wurde.
630 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Grössere und kleinere Stücke der Morulakeimscheibe
bilden gleichfalls zwei Polfelder, ohne sich jedoch dabei sichtbar zu
contrahiren. Bei Besichtigung mit Zeiss' Objectiv E sieht man, dass
viele der 29 — 35 /< grossen Zellen durch reichlichen Gehalt an kleinen
und grossen Körnchen ganz trüb sind.
[107] Vier Tage alte, durchscheinende Emhryonen dieser Fisch-
art, welche das Rückenmark geschlossen und den kugeligen Dotter
schon zu */ö umwachsen hatten, bildeten auch noch Polfelder und
einen scharf begrenzten annähernd parallel contourirten Aequator.
Zuerst wurde die epitheliale Bedeckung des Dotters, dann das
äussere Epithel des Embryo trüb im Bereiche der Polfelder.
Bei Durchströmung in sagittaler Richtung, also parallel zur Median-
ebene des Embryo verschmälerte sich das Rückenmark in trans-
versaler Richtung und erhöhte sich dem entsprechend erheblich
in dorsi-ventraler Richtung, und im Bereiche der Polfelder wurde eine
geringe Menge fast flüssiger klarer Substanz von ihm ausgeschieden.
Die Rückenmarkssubstanz selbst blieb durchscheinend, schien also
nicht polarisirbar zu sein; doch wurden wegen der geringen Zahl
der Embryonen die Versuche nicht genügend variirt, um dies als
sicher auffassen zu dürfen.
Vorspringende bestrahlte reagirende Theile werfen wieder
einen Schatten auf die in der Stromrichtung hinter ihnen hegenden
Theile desselben Polabschnittes, so dass diese Theile erst später
trüb werden.
Auch S tu che von Embryonen reagiren polar; an ihnen zieht
sich während der Reaction zugleich die den Dotter umschhessende
Schicht derart zusammen, dass der Dotter aus der Schnittstelle zum
Theil ausgepresst wird. Die Schnittfläche des Dotters selber erlangt,
so weit sie bestrahlt ist, nur geringe, punctirte oder fadenförmige
Trübung, wohl entsprechend der geringen Protoplasmavertheilung
im Dotter.
Die durchscheinende Beschaffenheit des Fischeies hätte Gelegen-
heit geboten, uns über eventuelle, beim Durchströmen im Bereiche
des Aequators vor sich gehende moleculare Veränderungen durch die
Beobachtung eines hindurchgesandten polarisirten Lichtstrahles zu
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Fischembryonen. 631
nnteiTiebtcii ; doch Avar icli zu dieser Zeit noch zu sehr mit der Ueber-
sicht über die Hauptformen der vorkommenden gröberen Verände-
rungen beschäftigt, um schon an die Ermittehmg der feineren Ver-
häknisse zu gehen ; imd später konnte ich kein weiteres Fischmaterial
erhalten.
An noch durchscheinenden Eierstochseiern bis aufwärts zu
einer Grösse von etwa 0,5 mm bringt der Wechselstrom mannig- [108]
fache, aber nicht polar localisirte Veränderungen hervor, die
jedoch selbst bei neben einander liegenden Eiern des Eierstockes oft
verschieden sind. Fast ausnahmslos indess entsteht in dem mit einer
klaren Flüssigkeit erfüllten, grossen, von einer Membran umschlossenen
.,Keimljl üschen", an dessen Innenwand eine Anzahl glänzender
Körnchen (Nucleolen) liegen, rasch eine starJce Vermehrung dieser
Körnchen; danach entsteht weiterherin eine protoplasmaähnliche,
dichte, feinliörnige, gelhlichbrännliche, trnhe Masse, in der
die glänzenden grösseren Körner liegen, die sich dann allmählich re-
trahirt, manchmal zu einer Scheibe mit vielen zackigen, kantigen
Ausläufern. Den Zwischenraum zwischen der Kernmembran und
dieser compacten Kernmasse füllt klare Flüssigkeit aus. In wenigen
Zellen ver dicht sich rasch die Kernmemhr ctn um das Drei-
bis Sechsfache. Im „Zelileib" scheiden sich der Eimembran an-
liegende, nicht glänzende (paraplasmatische) grosse halbkugelige
Tropfen von etwa 34 in aus, die selten sich zu runden Tropfen ab-
lösen und dann die äusserliche Zellschicht vacuolisirt erscheinen lassen.
Das vorher helle Protoplasma sondert sich bei etwa ein Zehntel
der Eier in eine äussere, gelbliche homogene und eine innere
feinkörnige Schicht, die beide zusammenhängen.
Bei Eiern, welche schon einige Dotterkörner enthalten, werden
dieselben zwischen diesen beiden Schichten angehäuft. Diese
Veränderung Erfolgt in 10 — 15 Minuten; während nichtdurchströmte
Eier, 24 Stunden nach dem Tode desselben Fisches der Bauchhöhle
entnommen, noch normales Aussehen darbieten. In Wasser liegende,
nicht durchströmte unreife Eier behalten lange ihr wässeriges
Keimbläschen, scheiden aber bald Flüssigkeits tropfen gegen
die Eihaut hin aus, und zwar in grösserer Zahl als die durch-
632 Nr. 25. Morphologisclie electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
strömten Eier dies thun. Ist diese Ausscheidung bei durchströmten
Eiern zAifällig an zwei gegenüberhegenden Stellen localisirt, so kann
es den Anschein einer Polarisation erwecken; doch berichtigt die va-
riable Richtung dieser Pole zur Stromrichtung sofort diese Auffassung.
Auch die erwähnte Sonderung des homogenen Protoplasmas kann
sich in dieser Weise anscheinend polar localisiren. lieber diese
besondere Structuren producirenden, also „morphologisch"
wichtigen Veränderungen durch den electrischen Strom,
gedenke ich genauere Untersuchungen anzustellen.
[109] Das Herz des erwachsenen Telestes bildet im Wechselstrom
zwei blasse, tonisch contrahirte Polabschnitte und eine rothe Aequator-
scheibe, letztere annähernd in Richtung der Niveaufläche des Ortes.
Der Tonus der Polabschnitte überdauerte die Durchströmung. Auch
die Vorhöfe betheiligten sich an dieser Reaction; und man^kann bei
Aenderung der Stromrichtung das zuerst erhaltene Reactionsbild um-
arbeiten lassen.
Die G all enhl äsen dieses Fisches sind dünnwandig und re-
agiren daher sehr schnell: schon nach 30 Secunden sind die Rol-
fe Id er sichtbar. Zuerst entstehen auf dem dunkelgrünen Grund an
dem Pole rundliche, dann eckig werdende und mit einander zu-
sammenfliessende hellgelbe Flecken, die annähernd gerundete
Maschen einschliessen. Dieser Vorgang breitete sich von den Polen
aus und führte bei der von mir gewöhnlich angewandten Stromstärke
schliesslich unter steter Verschmälerung zum Verschwinden des
Aequators. Bei Durchströmung der Blase in Längsrichtung geht
die Vergrösserung der Polfelder manchmal unter Vor aussen düng
gelber Zacken gegen den Aequator vor sich. Bei äusserst ge-
schwächtem Strom blieben die Polfelder auch während 25 Minuten
langer Durchströmung nur kleine Käppchen.
Anhängende Lebersubstanz beeinflusst in keiner er-
kennbaren Weise den Verlauf der sichtbaren Niveaulinien an
der Gallenblase; dagegen wirft das angewachsene Fett als sehr
schlechter Leiter natürlich einen kräftigen Schatten und alterirt
so die Gestalt der Polfelder, indem an der Stelle 'dieses Schattens
die Veränderung ausbleibt.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Eidechseneier. 633
Polarisircndc Wirkung des Wechselstromes auf
Lacerta agilis.
Von Reptilien untersuchte ich nur Eidechsen (Lacerta
agilis).
Die von einem dicht anliegenden Follikelepithel umschlossenen
jungen Eierstockseier, also die Eierstochsfollikel ergaben bei Be-
handlung mit dem Wechselstrom folgende Resultate:
Durchscheinende Eierstocksfollikel von 0^5 bis 1,5 mm Grösse,
deren Eier erst sehr wenige Dotterkörner enthalten, bilden deutlich trübe
Polfelder; diese beginnen als isolirte trübe [110] Puncte am Pole,
dann confluiren die Puncte, während am Rande neue solche Puncte
auftreten, sich weiter ausbreiten und eckig-maschige Netze bilden
von 21 — 30 i-i Maschenweite. Mit Zeiss' Objectiv C sieht man an
Eiern von 0,9—1,0 mm Grösse, dass die trüben Puncte und Netze
aus feinkörnigem Protoplasma mit eingeschlossenem Kern bestehen,
also getrübte Follikelepithelzellen sind.
Diese Polfelder wachsen noch erheblich nach dem Aufhören
des Stromes; ja bei kurz dauernder Durchströmung treten sie über-
haupt erst mehrere Minuten danach auf; durch Einlegen in Chrom-
säure werden sie deutlicher und scharf begrenzt. Nicht isolirte
Eierstocksfollikel bilden blos je ein Polfeld, nämlich blos
auf der ganz freien, vom Wasser umgebenen Seite, nicht auf
der anderen zum Theil durch benachbarte Follikel bedeckten Seite,
obgleich die benachbarten Follikel durch eine tiefe , mit dem Men-
struum erfüllte Furche getrennt sind. Beim Durchströmen eines
solchen umgestülpten Eierstockes tritt demnach die beschattende
Wirkung des reactionsfähigen Substrates in ähnlich ausge-
sprochener Weise hervor, wie sie oben für querstehende Furchen
am Pole der Morula des Wasserfrosches und des Triton beschrieben
worden ist. An blos mit einem Polfeld versehenen Eierstocksfollikeln
breitete sich nach dem Durchströmen beim Liegen in Wasser die
Trübung vom Polfelde allmählich während einer halben
Stunde über das ganze Ei aus, aber mit vom Pole aus abnehmender
Intensität. An grossen, dotterkörnerhaltigen Eiern von 7 mm Durch-
634 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
messer vermochte ich nach der Durchströmung keine Polarisation zu
sehen oder durch Chromsäure sichtbar zu machen.
Die GallenhJase der Eidechse verhält sich im Wesentlichen
wie die der übrigen untersuchten Thiere. Die Polfelder werden
grün, in verdünnter Schwefelsäure rasch opak gelb; obschon die
ausfliessende Galle selber nicht opak gelb wird.
Auch an den Emhryonen der Eidechse wurden einige bezüg-
liche Beobachtungen gemacht. Es standen blos von drei schwangeren
Eidechsen Embryonen zur Verfügung, welche in den beobachteten
Stadien noch durchscheinend waren und daher gestatteten , das Ver-
halten einiger inneren Organe kennen zu lernen.
[111] An diesen Eidechsen-Embryonen mit schon stark vor- l
springendem Mittelhirn (und mit Extremitätenstummeln) reagirte I
vorzüglich das Gehirn auf den Strom. Durchströmt man mit \
starkem Strom in cephalocaudaler Richtung, so bildet die
vorspringende Blase des Mittelhirns zuerst ein kleines trübes
Polfeld an dem der Electrode nächsten Theil, welches in 3 Minuten
schon fast die halbe Kugel einnimmt; danach entsteht auch an der
gleichfalls direct bestrahlten dorsalen Wandung des Hinter-
hirns, Z w i s c h e n h i r n s und V o r d e r h i r n s eine Trübung. Gleich-
zeitig wird die ausgedehnte, entgegengesetze basale Seite des
ganzen Gehirnes trübe; und zwischen diesen beiden Polfelderu
l)leibt ein grosser, annähernd parallel contourirter Streifen des Gehirns
vollkommen durchscheinend : nur im Bereich der ventralen Wandung
der Mittelhirnblase, welche in Folge der kugeligen Gestalt der Blase
noch besonders bestrahlt wird, entsteht dem grossen dorsalen Polfelde
gegenüber ein besonders abgegrenztes kleineres, etwas weniger trübes
aber vollkommen deutliches Polfeld. Die scharf begrenzten polaren
Trübungen der Gehirnwandung werden auch nach der Unterbrechung
der Durchströmung des Embryo noch eine Zeit lang intensiver;
Avährend der schmale Aequator selbst nach längerer Durchströmung
noch durchscheinend bleibt. Der gleichfalls unter günstigem
Winkel bestrahlte Anf angstheil des Rückenmarkes bekommt nur
e i n e s c h w a c h e T r ü b u n g. Ferner wird der schlingenf örmige Herz-
schlauch an den Polseiten trüb. Das Gleiche gilt von den Pol-
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Eidechsenembryonen. 635
Seiten der Kiemenbogcii und der Exti emitätenstummel;
sie werden ebenfalls oberflächlich trüb; doch konnte ich an ihnen
» keinen deutlichen Aequator wahrnehmen.
Durchströmt man einen Eidechsen-Embryo des gleichen Stadiums
in der Richtung vom Stirnhirn zum Nachhirn, so sind die
trüben Polfelder in der Hirnwandung entsprechend anders vertheilt,
aber ebenfalls scharf begrenzt; am Stirn-, Zwischen- und Mittelhirn
ist je ein vorderes Polfeld ; am Mittelhirn, durch hellen Aequator ge-
trennt, ein hinteres Polfeld, und daran schliesst sich die trübe Hinter-
hirndachplatte; letzterer ventral gegenüber liegt der stark trübe,
dicke ventrale Theil des Nachhirns. Am Rückenmark sind die Ver-
änderungen wieder ]112] weniger deutlich; dagegen sind sie wieder
vollkommen ausgesprochen an den derzeitigen Pol selten des Herz-
schlauches. Auch die G e h ö r b 1 ä s c h e n bilden polare, aber unscharf
begrenzte Trübungen. Auf einem etwas jüngeren Stadium
reagirte das noch sehr dünne Dach des Zwischenhirns und
vierten Hirnbläschens nicht erkennbar, so dass bei geeig-
neter Stromrichtung den betreffenden Abschnitten das zweite Polfeld
fehlte, wie es übrigens im Bereiche des Nachhirns vorher schon der
Fall war.
Die Hirnwandung der Emhryonen verdicht sich im Be-
reiche der Polfelder schon während des Durchströmens und
noch nach demselben innerhalb einer Viertelstunde sehr stark,
stellenweise auf das Vier- bis Sechsfache unter Bildung von
gleichfalls trüben, soliden Höckern und Wülsten, die zum
Theil regelmässig angeordnet sind, und in den Binnenraum der Hirn-
blase vorspringen; manchmal ist ihre Bildung schon in einer halben
Stunde so stark, dass sie sich von den beiden Polfeldern aus in der
Mitte berühren und so den durchscheinenden Aequator unterlagern.
Anfangs solide Wülste können später zu Falten der Hirnw^andung
Averden, indem sich der äussere Theil der Wandung mit einstülpt.
Die Falten sind in Richtung des Stromes gelegen.
Zum Theil ähnliche, aber natürlich nicht polar localisirte Ver-
änderungen der Hirnwandung erhält man ohne Durchströmung, je-
doch viel langsamer, wenn man die Hirnblase aufschneidet und die
G36 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
verwendete wässerige, mit wenig Va^/oiger Kochsalzlösung versetzte
Menstruumflüssigkeit eindringen lässt. Hierdurch wird die Hirnwan-
dung unter Quellung von innen aus trüb.
Das Herz der Embryonen reagirt langsamer als das Gehirn
und schlägt gewöhnlich noch, wenn schon am Hirn die Polfelder ent-
wickelt sind.
Auch die ÄU anfois liess deutlich polare weissliche Trü-
bung erkennen, besonders ausgesprochen auf der Höhe der nach
aussen vorspringenden direct bestrahlten Falten, in den Furchen
nicht deutlich. Ist die Allantois prall gefüllt, so sind die Polfelder
etwas deutlicher umgrenzt, und daher auch ein parallel contourirter
Aequator eher zu erkennen; aber nie [113] ist der Uebergang vom
trüben Polfeld zum durchscheinenden Aec^uator ein so plötzlicher wie
am Gehirn desselben Embryos.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Em-
bryonen des Huhn (Gallus domesticus).
Ferner reagiren sehr gut Hiilin er e mhry onen von 2V2 bis
7 Brüttagen auf den Wechselstrom, während die schon früher geprüfte
ebene Keimscheibe keine Polfelder hatte erkennen lassen.
Da dieses Material gut durchscheinend ist und fast zu jeder Zeit be-
schafft werden kann, so wurden an ihm die Beobachtungen etwas
weiter ausgedehnt, als dies an den Embryonen der drei Eidechsen
möglich war. Die Embryonen wurden in ^s^^/oiger Kochsalzlösung
von 35°— 39° C. durchströmt. Schon nach 3 bis 5 Minuten tritt an
jeder Polseite der Hirnhlasen eine scharf umgrenzte Trübung
der Wandung, ein deutliches Polfeld auf, welches wieder je nach
der Lage des Embryo zu dem Electroden verschieden situirt ist, wie
dies bereits von den Eidechsen-Embryonen geschildert worden ist.
Die durchscheinende Beschaffenheit gestattet, mit schwachen
Objectiven, Zeiss A und C, zu beobachten, und lässt erkennen, dass
es die innere Schicht der HirnhJnsenunindung ist, welche
trnh wird. Bald entstehen im Bereiche der Polfelder, besonders
am Mittelhirn, ausgesprochene, wieder in Strom rieht im;/ ge-
Jeyene Wülste nnd Falten der Wandung, siehe Taf. IX, Fig.20,
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Hühnerembryonen. 637
und zwar vorzugsweise nach innen gegen den Binucnraum zu; während
der scharf begrenzte Aequator jeder Hirnblase klar durchscheinend
und ungefaltet bleibt, und zwar klarer durchscheinend als der bezüg-
liche Theil des bei jedem Versuchsbeginne zum Vergleiche in 37 bis
39° C. warme gleiche Kochsalzlösung eingelegten gleichalterigen Probe-
Embryos. Letztere werden allmählich etwas trüb, während die durch-
strömten Embryonen zunächst durchscheinender werden,
als sie waren, so weit sich nicht Polfelder an ihnen bilden.
Erst nach einer Viertel- bis halben Stunde breiten sich die Trübungen
der durchströmten Embryonen auch über die Aequatortheile aus und
werden etwas hyalin; damit wird der durchströmte Embryo nicht
durchströmten, in nicht mit Salz versetztem Brunnenwasser liegenden
Embryonen ähnlich, welche allgemein trüb, etwas hyalin schimmernd
werden, aber ihre ungefalteten Hirn- [114] Wandungen behalten. Die
Hirnwulstungen oder Faltungen der durchströmten Embryonen bilden
dann einen leicht sichtbaren Unterschied. An in V2°/oiger Kochsalz-
lösung ohne Durchströmung liegenden Embryonen dagegen w^erden
viele verschiedene Schichten trüb, andere bleiben Tage lang durch-
scheinend, so dass die Differenzirung viel mehr sichtbar wird, als im
Leben und als an electrischen Embryonen.
Die polaren Trübungen linden sich wieder auch an der basalen
Seite des Gehirns in entsprechender Weise, obgleich hier die
Hirn Wandung nicht so frei liegt wie dorsalerseits, sondern vom
Kieferbogen, vom Mittelblattgewebe und vom Kopfdarai bedeckt ist.
An dem dünnen Dach des vierten Ventrikels ist die Trübung nur an
den Rändern ganz deutlich.
Die primäre Augenhlase reagirt wie das Gehirn. Die
sec'undäre, schwarz pigmentirte Augenhlase reagirt sehr trag
mit Faltungen und Abschnürungen, besonders an den Polen,
und mit Verfärbung und Hellwerden, gleichfalls besonders an
den Polseiten, siehe Taf. IX, Fig. 20. Doch entstehen keine scharf
abgegrenzten Polfelder und dem entsprechend auch kein solcher
Aequator. Die Linse zeigt auch Veränderungen. Die Wandung der
Gehörhläschen wird gleichfalls trüb, event. gefaltet, aber wieder
nur mit undeutlicher polarer Begrenzung der Veränderung.
638 Nr- 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Auch das RücJxenmarl' liess in seinem cephalen Theil polare
Trübung, aber wenig deutlich erkennen.
Manchmal glaubte ich auch polare Trübung im freien Theil
des äusseren Keimblattes, im äusseren Ueberzug des Körpers
zu erkennen; doch war die Abgrenzung keine scharfe, und ist bei
der Zartheit dieser Epithelschicht das Urtheil unsicher. Nur ist eine
starke, jedoch wie bei den Eidechsen-Embryonen, nicht deutlich polar
begrenzte Trüb ung des Epithels der Extremitätenstummel,
sowie der sehr direct von Stromfäden getroffenen Ob erfläch en-
theile der Schhcndhögen zu erwähnen.
An jungen Embryonen von 2—2^2 Tagen, an denen mit dem
Microscop ohne vorherige Microtomirung der Kopfdarm sichtbar ist,
sah ich eine starke, in manchen Fällen deutlich polar localis irte
Trübung seines Epithels, also des Entohlast. Das Epithel der
Rachenmembran und der inneren Seiten der [115] Schlundbögen ist auch
ohne Durchströmung schon trüb; diese Trübungen aber werden er-
heblich verstärkt bei geeigneter Lage der Electroden. Auch andere
stark durchstrahlte Theile des Entoblast, besonders der vorspringende
Umschlagsrand der vorderen Darmwand zum Dottersack, werden bei
Durchströmung in geeigneter Richtung auf den Polseiten deutlich trüb.
An dem noch S-förmigen Herzen wird gleichfalls auf den Pol-
seiten eine Trübung durch den Wechselstrom hervorgebracht.
Weiterhin entstehen an den Seitenplatten des mittleren Keimblattes,
sowie an den Ursegmenlen des Kopfes, Halses und vorderen Rumpfes
polare Trübungen. Manchmal bekommt jedes Ursegment je
eine, bei Längsdurchströmung proximale und distale, weisslich
trübe Grenzscheibe, bei Querdurchströmung ein mediales und ein
laterales weisses Feld ; andere Male ist die polare Localisation der Trüb-
ungen undeutlich.
Ein Mal sah ich nach einer nicht bis zur Polfeldbildung an den
Ursegmenten fortgesetzten Durchströmung innerhalb einer Stunde an
der ganzen lateralen Seite jedes Rumpf Segmentes ein schmales
Stück sich abschnüren und einige davon sogleich mit dem davor
und dahinter liegenden Stück zu einem einheitlichen Strang
sich verbinden. Erwähnenswerth ist, dass vor der Abschnürung
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Hühnerembryonen. 639
jeder laterale Rand des Ur Segmentes sich Avie durch transver-
sale Einschnitte, welche aber wohl durch Umordnung der Epithcl-
zellen bedingt waren, in 4 oder 5 Sprossen sonderte, dass
diese sich vom Urscgment absclmürten und dann zu dem Längsstrang
sich vereinigten. Es ist die Bildung des Urnierenganges, die
ich da direct von der Dorsalseite des Embryo aus beobachtet habe;
ob dieselbe durch die electrische Behandlung beschleunigt war, oder
ob sie für gewöhnlich so rasch verlauft, müssen erst weitere Beob-
achtungen darthun.
Im Bereiche der polaren Trübungen der Ursegmente
scheint der Zellverband gelöst, denn man sieht mit Zeiss C nur noch
viele Zellkerne von 7 i-i Grösse; also hat wohl Framboisia interna
stattgefunden wie beim äusseren Epithel der Frosch-Embryonen.
Aehnliches sieht man auch an den Polfeldern von Stücken
des Rückenmarkes und Gehirnes, sowie an der Chorda
dorsalis; doch ist Genaueres erst nach der Microtomirung der Ob-
jecte festzustellen. Dies gilt auch [116] allgemein für die zwischen
den epithelialen Gebilden gelegene Bindesubstanz, an welcher ich
in frischem Zustande keine Veränderung wahrnehmen konnte.
In getrübten Stellen des Entoblast sieht man schon mit Zeiss C viele
glänzende Kügelchen von 1,4 — 3,5 {.i Grösse. Diese sind es wohl,
welche die Trübung bedingen.
Am Mittelhirnbläschen entsteht auch manchmal eine be-
sondere Niveaulinie, welche dunkler ist als der benachbarte
Theil des Polfeldes, dessen Grenze sie darstellt.
Der Aequator beträgt bei der angewandten Stromstärke an der
Mittelhirnblase etwa ^/s der Ausdehnung des Gebildes in Richtung
des Stromes; bei den beiden Grosshirnbläschen ist er breiter. Die
Aequatoren der Mittelhirn blase, der Zwischenhirnblase und der Gross-
hirnbläschen sind nicht einander parallel, sondern es ist, wie bei den
schief zur Stromrichtung stehenden Gallenblasen der Kaninchen, eine
Ablenkung des Aequators von der Niveauflächenrichtung des Men-
struums nach der grössten Ausdehnung der bezüglichen Blase wahr-
nehmbar; dies gilt daher besonders für die Grosshirnbläschen und
für das Zwischenhirn, siehe Taf. IX Fig. 20. Es gelten hier über-
640 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler (lehilde etc.
haupt die früher von der Localisation der Polfelder an
Froscheiern und -Embryonen und an Gallenblasen aufge-
stellten Regeln von der directen Bestrahlung und vom Strom-
schatten.
Das das Hirn umgebende, selber nicht erkennbar re-
agirende Mittelblatt-Getvele beeinflusst nicht die Anordnung
der Polfelder an den von ihm eingehüllten Organen; die Hirn-
blasen verhalten sich, als ob ihre bestrahlten Formen unverhüllt da
lägen. So Hess auch die Einhüllung in das Amnion keine die Locali-
sation alterirende Wirkung erkennen, von einer geringen Verzögerung
der Polfeldbildung abgesehen, welche ich zu bemerken glaubte.
Am Hers schlauch des Hühnerembryo bilden die beim Durch-
strömen sich trübenden Theile den äussersten Theil der Wan-
dung und stellen, bei Zeiss C gesehen, eine gelbliche, dichte, die
einzelnen Zellen nicht mehr recht erkennen lassende Schicht
von zum Beispiel 21 /n dar; während man an den nicht polarisirten
Stellen der Rinde die einzelnen 7 — 14 /^i grossen Zellen deutlich unter-
scheiden kann. Die polarisirten trüben [117] Stellen scheinen
aus dicht gedrängten Zellkernen von 7 f.i Grösse zu bestehen.
An einem blos durch Liegen in warmer, ^/4"/oiger Kochsalzlösung
getrübten Herzschlauch war diese Schicht nicht auffindbar.
Alle bisher durchströmten Gebilde, mit Ausnahme der Stücke
von Froschembryonen, waren durch gerundete oder auf andere Weise
nach aussen vorspringende Flächen begrenzt. Es ist daher die Ver-
muthung zu prüfen, ob diese Gemeinsamkeit der Formen nicht viel-
leicht Veranlassung zu der gefundenen Gemeinsamkeit in der Loca-
lisation der Veränderungen aus zwei durch einen unveränderten Aequa-
tor getrennte Polfelder ist. Da in den Hirnblasen Hohlgebilde mit
nicht collabirender Wandung vorhanden sind, war Gelegenheit gegeben,
diese Vermuthung zu prüfen.
Ich zerschnitt daher den Kopf von Hühnerembryonen
und Hess in die offene Höhlung des Stückes vom Vorder-
und Mittelhirn den Strom direct eintreten. Es zeigte sich, dass
jetzt nicht etwa ein trüber Polriug am offenen Rande, eine Polkappe
am blinden Ende und zwischen beiden ein unveränderter Aequator,
Polarisireiide Wirkung des Wechselstromes auf Hiilmt'reier. 041
an dem eine halbe Kugelsehale darstellenden Gebilde entstanden,
sondern das ganze bestrahlte Gebilde wurde trüb. Zugleich
sah mau jetzt sehr deutlich, dass nur die innere Schicht der
Hirn Wandung sich trübt und zunächst allein die wieder in
Richtung des Stromes gelegenen Wülste bildet. Ist da-
gegen das direct in seine Höhlung bestrahlte Hohlgebilde relativ
lang, sackartig, dann sieht man, dass die Umgebung des Ein-
ganges und der Fundus viel trüber werden, als der zwischen
ihnen gelegene mittlere Theil. Wird aber ein so gestaltetes Hohl-
gebilde parallel der Schnittfläche durchströmt, so reagirt
es, als wenn es noch geschlossen wäre, also wie irüher
beschrieben.
Ein zwei Tage bebrütet es Hühner ei wurde ,,/<ner-
öffnet'' in der Längsrichtung des Embryo durchströmt
und danach der, abgesehen vom Gehirntheil, noch flach ausgebreitete
Embryo herausgenommen. Er hatte trübe Polfelder an der be-
strahlten Seite des vorderen Endes des Gehirnes, dann einen quer-
gestellten trüben Streif im Bereiche des Rückenmarkes hinter dem
Nachhirn, entsprechend einer zufällig daselbst vorhandenen Biegung,
deren Oberfläche von Stromfäden getroffen werden konnte, [118]
ferner Trübung des Entoblast an der Umschlagsstelle desselben vom
hinteren Ende des Vorderdarmes zum Dottersack. Besonders an den
trüben Stellen zeigten auffallend viele Zellen bei hoher Einstellung
des Systems Zeiss' Immers. II zwei matte, annähernd den Electroden
zugewendete Felder, die durch einen hellen , homogen erscheinenden
Aequator getrennt waren; jedoch habe ich in keinem anderen Falle,
selbst nicht nach (3 Stunden langer Durchströmung ganzer Hühner-
eier solche polaren (?) Trübungen am Embryo und solche scheinbar
polarisirten Zellen wieder aufgefunden.
Nach Zerreissung des Embryo wurden alle Zellen der Riss-
fläche, sowohl der Ghorda wie des Rückenmarkes, kugelig.
An den trüben Stellen fanden sich zahlreiche Körnchen zwischen den
Zellen und bildeten wohl die Ursache der Trübung. Auch die noch
innerhalb der Chordascheide befindlichen Zellen der Chorda
dorsalis dieses Embryos zeigten sich nach dem Durchströmen gerundet,
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 41
642 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
hatten also Framboisia interna gebildet; zum Theil hatten sie unter
Aufnahme von Flüssigkeit zugleich ein bis etwa zum Neunfachen
des Normalen gesteigertes Volumen angenommen.
Weitere Aufklärung über die Gestaltungs Ursache des Pol-
feldes gewährten die noch ganz oder fast ganz platten, jüngeren
Hü h n e rem hryon en.
An Stücken von einem blos 40 Stunden lang bebrüteten Em-
bryo wurde deutlich, dass die polaren Trübungen an den gegen
die Electroden gewendeten Flächen oder Kanten
beginnen, und auch an den direct bestrahlten T heilen
von K r ü m m u n g e n des Medullarrohres , sowie des Ectoblast,
auftreten.
Nur 20 Stunden, ja erst wenige Stunden bebrütete Keimscheiben,
welche früher bei plattem auf dem Boden liegen nicht reagirten,
bildeten nach dem Zusammenfalten an dem gegen die Electrode ge-
wendeten Umbiegungsrande schwache, nach dem Wiederausbreiten
noch sichtbare Trübungen, besonders aber vorspringende Buckeln des
Ectoblast, ähnlich den am Gehirn der älteren Embryonen beobachteten
Wülsten, aber kleiner; und zwar entwickelte von zwei parallel neben
einander liegenden Falten jede einzelne zwei durch einen
besonderen Aecjuator getrennte Polfelder entsprechend ihren
den Electroden zugewendeten beiden Seiten. Auch in der Area
opaca trübte sich [119] der Ectoblast etwas, wenn auch nicht
so deutlich als auf der Zona pellucida und dem Embryo.
Wirkung des ,, galvanischen" Stromes auf Hühnerembryonen.
Auf den galvanischen Strom von 12 BuN.SEN'sclien Elementen
reagirten die Hühnerembryonen zum Theil noch stärker, als auf den,
gewöhnlich verwendeten, Wechselstrom.
An Hühnerembryonen von 5 — 7 Brüttagen entsteht z u erst
wieder, wie beim Froschei, das anodische Polfeld, welches schon nach
einer Minute am Mittelhirn stark ausgeprägt, nach vier Minuten
schon „gefaltet" ist (s. S. 636). Drei Minuten nach dem Beginne
der Durchströmung trat das kathodische Polfeld auf, aber zuerst nur
Polarisirende Wirkung des galvunischen Stromes auf Hühnerembryonen. 643
an den in der Nähe der Katliodo liegenden Embryonen. Aelinliches
zeigte sich auch an den anodenwärts liegenden Embryonen be/Äiglich
des positiven Polfeldes, jedoch in minderem Maasse. (NB. Die P]m-
bryonen lagen in runder Schale.)
Für die Lage der Polfelder gilt das für den Wechselstrom Mit-
getheilte. Schon nach fünf Minuten war die Wirkung im anodischen
Polfeld so stark, dass einige der Falten der Hirnwandung, welche
auch hier wieder in Richtung des Stromes lagen, aufplatzten.
Auch die secundären Au gen blasen reagiren wieder stark;
die hell gewordenen Polfelder sind hier zum Theil besser vom
schwarz gebliebenen Aequator abgegrenzt als beim Wechsel-
strom, und zeigen zum Theil auch Faltung in Richtung des Stromes.
Ganz evident ist beim Gleichstrom die Wirkung auf den äusseren
Körperüberzug; der Ectoblast wird geradezu weiss, wo er direct
bestrahlt wird. Besonders stark ist diese Veränderung wieder an den
Extremitäten, deren Polfelder zwar auch hier nicht deutlich abge-
grenzt waren, aber doch einen Aequator von geringerer \^eränderung
zwischen sich zu haben schienen. Auch das bestrahlte Epithel
der Kiemenbogen wird besonders stark weiss, und die Allantois
ist deutlich polarisirt. Die den Boden des Gefässes be-
rührenden, oder ihm sehr nahen Seiten der Embryonen
bleiben durchscheinend; blos die aufwärts gebogenen, gegen die
Electroden gewendeten Ränder an den Unterseiten bieten noch die
Veränderung dar, so dass zum Beispiel ein am Boden liegendes Auge
entsprechend [120] der zugewendeten Electrode nur ein anodisches,
kein kathodisches Polfeld hat.
Bei diesen Versuchen ttel wieder, siehe S. 605, auf, dass die Wir-
kung mit dem Abstand von der Electrode stark abnahm,
indem das anodische Polfeld an den von der Anode entfernteren
Embryonen später auftrat und schwächer verändert, respective kleiner
war, als an den der Anode näheren Embryonen ; dasselbe galt in
noch stärkerem Maasse für das kathodische Polfeld.
Dieses Verhalten erinnert an eine Beobachtung von Verworx
an einem langen, in Stromrichtung liegenden, mit vielfachen knolligen
Verdickungen, versehenen Faden der Lohblüthe, der gleichfalls mit
41*
644 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
dem Gleichstrom behandelt worden war. Seine Figur 7 auf Tafel IV
zeigt, dass an diesem Faden die anodische Veränderung auf den
Anodenseiten aller Knollen nicht blos bis zur Mitte des Fadens, son-
dern fast in ganzer Länge auf ^/lo desselben vorhanden war, dass
aber diese Veränderung an Intensität, sowie an Ausdehnung an den
einzelnen Knollen von dem Anodenende des Fadens stetig abnahm,
und dass an den der Anode nächsten Knollen die anodische Ver-
änderung auch auf der der Anode abgewendeten Seite, an den ent-
fernteren Knollen blos auf der direct der Anode zugewendeten Seite
sich findet. Verworn^) sagt darüber; S. 276: ,, Diese Intensitätsab-
nahme der Verfärbung von dem positiven Pol aus nach dem nega-
tiven liinüber scheint darauf hinzuweisen, dass die Wirkung des
Stromes an den anodischen Stellen um so schwächer ist, je weiter
diese von der positiven Electrode entfernt liegen, so dass es also an
entfernteren Stellen einer längeren Stromdauer bedarf, bis der körnige
Zerfall einen macrosco})iscli bemerkbaren Umfang angenommen hat.''
Die mögliche Ursache dieses Verhaltens angehend, so liegt in
der langen continuirlichen Ausdehnung in Stromrichtung
seitens eines wohl besser als das umgebende Menstruum
leitenden Gebildes ein Moment, welches diese Erscheinung der
Aljuahme der Wirkung mit dem Abstand von der bezüglichen Elec-
trode durch A s [) i r a t i o n und V o r w e g n a h m e d e i' S t r o m f ä d e n
durch die [121] der Electrode näheren Stellen des Gebil-
des auf eine sehr einfache Weise erklären lässt. Versuche über
die wahre Bedeutung dieses Vorkommnisses, die gezeigt haben wür-
den, was es für ein Bewandtniss mit ihm hat, sind von Vehworn,
dessen Untersuchung einen anderen Zweck verfolgte, nicht angestellt
worden.
Da man Hühnerembryonen fast das ganze Jahr haben kann,
verschob ich weitere Versuche über dieses X^erhalten und nahm sie
erst wieder auf, als leider am hiesigen Orte die befruchteten Eier
schon zu Ende gingen.
Es waren bisher run de Glasschalen verwendet worden, sodass
1) M. Vkrworn, Pklüger's Arch., Bd. 46, 1889.
Polarisirende Wirkung des galvanischen Stromes auf Hühnerembryonen. 645
das Strombett sich gegen die Mitte stark verbreiterte, also die Stroin-
diclitigkeit abiiahui. Dies zu eliminiren, nahm ich bei Wiederauf-
nahme der \'ersuche eine oblonge Schale in (lebrauch, welche nur
wenig breiter war als die Platinelectroden. In dieser Schale
wurden zwei Hühnerembryonen von acht Tagen Brütedauer durch-
strömt* von denen jedoch der eine Embryo nicht grösser und weiter
entwickelt war, als ein normaler Embryo von fünf Tagen, obwohl er
noch lebte, wie das schlagende Herz bekundete. Der grössere
dieser Embryonen lag nahe der Anode, an die Seitenwand
des Glases gelehnt, mit dem Hinterende gegen die Anode gewendet;
und dicht neben seinem Kopf wurde der kleine Embryo gegen die-
selbe Glaswand gelehnt, auch mit dem Steiss gegen die Anode ge-
richtet. Bei der Durchströmung wurden zunächst die in der Nähe
der Anode liegenden Theile des grossen Embryo trüb, weiss, und
zwar die linke Hiiiter- und Vorderextremität in toto auf beiden Seiten
ohne Aequator; auch sah man eine Zeit lang die trüb gewordenen
Knorpelstr alilen der Zehen und die trüb gewordene Knorpel-
substanz des Tarsus durchscheinen; ferner wurde der Steiss in
toto trüb; vom Rumpf blos die Anodenseite, desgleichen vom Kopf.
Die Kathoden Seite des Kopfes und Rumpfes, und der in
Richtung des Stromes liegende Hals blieben durchscheinend.
Der kleine Embryo blieb im Ganzen hell und erhielt blos
am Dach des Mittelhirns, welches der Kathode am nächsten stand,
in Richtung des Stromes verlaufende Wülste, wobei dieser Theil nur
wenig trüb wurde und sich dadurch augenfällig von den weissen
oder weisslichen Polfeldern des anderen Embryo unterschied. Der
[122] kleine Embryo selbst aber bekam keine deutlichen
anodischen Polfelder. Die gegen die Boden- und Seitenfläche ge-
lehnten und die angrenzenden Theile beider Embryonen blieben gleich-
falls hell.
Wir haben also in der Nähe der Anode an den Extremitäten
anodische Polfelder von starker Intensität der Veränderung,
welche letztere sogar beide Seiten erfasste und keinen
Aequator erkennen liess; mit der Entfernung von der Electrode
nahm die Wirkung rasch alj und beschränkte sich blos auf die der
646 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Electrode zugewendeten Flächen. Ein kathodiscbes Polfeld war nur an
dem der Kathode nahen kleinen Embryo und blos am nächsten Theiie
sichtbar; allerdings ist zu berücksichtigen, dass die kathodische Ver-
änderung überhaupt weniger sichtbar ist. Zugleich war noch die
Wirkung des Schattens hier sehr deutlich, indem gegen die Glaswand
(T-ewendete Flächen der Embryonen unverändert geblieben waren.
Da die beiden Embryonen und ihre Theiie in Stromrichtung hinter-
einander lagen, konnte man denken, die Abnahme der Wirkung mit
dem Abstände von den Electroden beruhe auf Beschattung der distalen
Theiie. Um diese Vermuthung zu prüfen, respective zu beseitigen,
wollte ich drei kleine Embryonen derart seitlich gegeneinander ver-
schoben in die Strombahn zwischen die Electroden vertheilen, dass
sie sich nicht beschatten konnten. Die noch bebrüteten Eier waren
jedoch nicht befruchtet, und waren zur Zeit (im November) befruchtete
Eier hierorts auch nicht mehr zu erlangen, so dass' damit diese Ver-
suche ein Ende nehmen mussten.
Zum Schlüsse prüfte ich daher noch den kleinen Embryo,
der bei seiner Lage in Richtung des positiven Stromes hinter dem
grossen Embryo trotz so langer, fast eine halbe Stunde
dauernder D u r c h s t r ö m u n g kein a n o d i s c h e s P o 1 f e 1 d ge-
bildet hatte, indem ich ihn in der früheren Richtung neben die
Anode legte ; alsbald wurde er ganz w e i s s a u f d e r A n o d e n-
seite, und an der Gehirnbasis entstanden wieder die typischen
parallelen Wülste in Richtung des Stromes. Dasselbe mit
dem ganz gleich behandelten Kopf des grossen Embryo gethan, er-
gab jetzt ein ganz anderes Resultat; obgleich er, neben der Anode
liegend, in derselben Richtung wie früher durchströmt wurde, verlor
er seine anodischen Trübungen, statt sie zu verstärken.
[123] Das interessante Verhalten der anscheinend ringsum in
gleicher Weise anodisch veränderten Extremitäten konnte nun gleich-
falls nicht weiter untersucht werden.
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Säugethiere.
An Säuget liieren wurden bis jetzt nur wenige Versuche ge-
macht. Ich verfolgte blos den Zweck zu controlliren, ob die bei
Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf Säugethierembryonen. 647
iilU'ii anderen WirbeUhierclassen heobachtete Reactions-
fähiiikeit der „embryonalen" Organe bier aneli vorbanden
sei. Nur an den Gallenblasen wurden wegen ibrer besonderen for-
malen Qualitication einige neue Experimente angestellt.
Was die Eivr angeht, so verwendete icb zunächst die Eier der
weissen 3Iaus. Diese Eier bieten oft schon ohne Durchströmung ein
polarisirtes Aussehen dar, ähnlich demjenigen einiger Zellen der Triton-
ga.sti'ula (s. 8. 622), indem Dotterkörner an zwei einander gegenülK'r
stehenden Seiten gelagert sich finden und ein helles, bei zufällio;
})assender Richtung desselben leicht für den electrischen Aequator
aufzufassendes Mittelfeld frei lassen. Es ist mir jedoch mit dem
Wechselstrom weder an den isolirteii ,, unreif en Eiern" noch
an den ganzen Eierstocksfollikeln der Maus gelungen, Rol-
feldbildung zu veranlassen; und das Gleiche gilt von den
Eiern des Kaninchens und des Schweines, obgleich die Eier
der beiden ersteren unmittelbar nach der Tödtung dem Thiere ent-
nommen wurden.
Dagegen bildeten ,,Emhryonen'' der weissen Maus von
einem Stadium der ausgeprägten Nackenkrünnnung und Andeutung
der Zehenstrahlen in den Extremitätenstummeln wieder, ebenso wie
die Hühnchen- und Eidechsenembryonen annähernd gleicher Ent-
wickelungsstufe, im Wechselstrom die Polfelder an den Hirn-
blasen und am Rückenmark. Auch wird die Oberfläche
der Extremitäten wieder besonders weisslich trüb. So-
mit ist wenigstens auch an Embryonen von Säugethieren diese Reac-
tionsfähigkeit nachgewiesen.
Die Gall enJjlasen neugeborener oder wenige Tage
alter Kaninchen verhalten sich im Wesentlichen gleich
denen des Frosches; sie sind aber nicht, gleich diesen, rund,
sondern länglich, zwei- bis dreimal so lang als breit. Bei schwachem
Strom sieht man deutlich , dass die Polfeldbildung in Form [124]
grüner Flecken an den Polen beginnt, sich von da allmählich aus-
breitet, während die erstgebildeten Flecken grösser werden und con-
fluiren. Nach zum Beispiel 5 Minuten langer Durchströmung hatte
der Aecjuator blos noch eine Ausdehnung von einem Drittel der
648 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
durchströmten Längsrichtung, und nach weiteren (S Minuten war
diese Grösse nur auf ein Viertel der Länge verkleinert.
^^^ird eine Gallenblase der Länge nach in so wenig Wasser
durchströmt, dass die obere Fläche nicht vom Wasser bedeckt
ist, so entstehen die Polfelder blos an dem im Wasser liegenden
Theil und sind derart gestaltet, dass der Aequator nicht parallel
wie bei vollkommener Umschliessung der Blase, contourirt ist, sondern
sich von unten her allmählich zu der unveränderten, nicht ein-
tauchenden, blos benetzten oberen Fläche der Blase verbreitert.
Dieses Verhalten beweist erstens wiederum, dass nur im Bereich
des Ein- und Austrittes von Stromfäden die Veränderung
vor sich geht und zugleich, dass bei vollkommener Eintauchung
auch von einem höheren Niveau aus Stromfäden gegen die Seiten-
wand der Gallenblasen convergiren und eintreten.
Um zu prüfen, ob die beobachtete Erhöhung der Diosmose im
Bereich der Polfelder auch für andere Flüssigkeiten als Galle
zur Wirkung gelange, wurden die Gallenblasen von zwei fast
erwachsenen Kaninchen durch Unterbindung in je zwei Ab-
schnitte zerlegt und dem einen Theil zu seiner Galle noch wässerige
neutrale Carminlösung eingespritzt. Nach fünf Minuten dauernder
Durchströmung bekam dieser Abschnitt rot he Flecken im Be-
reiche seiner Polseiten, obgleich die Blasen wandung sehr sehnig
war. Die grünen Flecke der anderen Abtheilung ergänzten sich
nach Einlegen in leicht mit Schwefelsäure angesäuertes Wasser sofort
zu continuirlichen, scharf gegen den Aec[uator abgesetzten Polfeldern,
während an dem Carmin haltigen , sehnigeren Abschnitte die rothe
Fleckung nur wenig deutlicher ward , aber nicht zu continuirlichen
Polfeldern confluirte.
Um zu studiren, wie sich ceteris paribus die Breite des
Aequators bei ungleicher absoluter Grösse der durch-
strömten Gebilde verhält, unterband ich wieder G all enhl äsen
[125] vier Wochen und darüber alter Ä'fUiiwcÄe« im Verlaufe
ihrer Länge. Zugleich beabsichtigte ich, die Wirkung des Schattens,
den diese nahen Abschnitte vielleicht auf einander werfen , kennen
zu lernen,
Polarisiieiide Wirkiiiii? des Wechselstromes auf (iallenblasen. 649
Bei Läiigsdiircliströmung einer solchen, au ihrem stuiij])i'en Ende
zur Kugel abgeschnürten Gallenblase mit schwachem Strom entstand
zuerst am freien, spitzen Ende der Blase, dann am freien Theile der
Kugel je ein Polfeld, nicht al)er an den neben der Einschnürung
liegenden gewölbten, einander zugewendeten Flächen; selbst bei 13 Mi-
nuten währender Durchströmung nicht. Erst nach Ansäuerung des
Wassers mit Schwefelsäure und erneuter Durchströmung entstanden
an diesen Flächen auch Polfelder. Der längere, D nun lange, zugleich
dünnere, also wohl auch dünnwandigere Abschnitt hatte in dieser
langen Zeit einen Aequator von 7 mm, die Kugel mit 5 mm Durcli-
messer einen Aequator von 1,5 mm Durchmesser behalten; woraus
deutlich hervortritt, dass das in Richtung des Stromes grössere
Gebilde })rocentisch erheblich kleinere Polfelder gebildet
hatte als das kleinere. Dieser Versuch wäre sehr beweisend, weil
das längere Stück zugleich dünner und dünnwandiger war, also dem-
nach eher einen procentisch kleineren Aequator hätte erhalten sollen,
wenn es nicht zugleich mehr c y 1 i n d r i s c h , das andere dagegen
kugelförmig gewesen wäre, so dass also die cetera paria in Bezug auf
die Gestalt nicht vorhanden waren.
An einer Gallenblase mit dickem Fundus und erheblich dünnerem
Ausführungstheil wurde letzterer Theil abgeschnürt und die Gallen-
blase quer zum Strom gestellt, so dass jetzt beide Abschnitte ihre
Rotationsflächen den Stromfäden darboten; da war zu sehen, dass an
dem dünneren Abschnitt d i e P o 1 f e 1 d e r schon entwickelt
waren, als an dem Pol des dickeren erst die ersten Flecken
auftraten. Nach 10 Minuten war der Aequator des 2,7 mm dicken
Theils blos 1,4 mm breit, während er am 4,5 mm dicken Abschnitt
noch 3,2 mm maass. Dieses Verhalten würde also den an ungleich
grossen, unreifen Froscheiern gemachten Beobachtungen vollkommen
widersprechen, wenn nicht anzunehmen wäre, dass der dickere Ab-
schnitt der Gallenblase eine seinem grösseren Umfange entsprechende,
grössere [126] Wandungsdicke hätte. Die cetera paria sind leider
nicht vollkommen herzustellen.
Nach der anderen Seite aber haben wir in diesen und mehreren
entsprechenden Versuchen ein vollkommenes Resultat in einer viel
650 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
wichtigeren Frage erhalten: an all den in Unterabth eilungen
geschnürten Gallenblasen bildet jede U n t e r a b t h e i 1 u n g
bei genügend starkem Strom ihre eigenen Polfelder und ihren
eigenen Aequator, und zwar dies nicht blos, wenn die Gebilde im
Strom neben einander liegen, wobei es selbstverständlich ist, sondern
auch, wenn sie in Richtung des Stromes hintereinander sich
befinden; nur treten die beiden einander zugewendeten Polfelder erst
später auf. Obgleich jede so behandelte Gallenblase ein aus einheit-
licher Substanz bestehendes Continuum darstellt, bildet sie also doch
vier Polfelder mit zwei Aequatoren; jedenfalls weil sie eine tiefe
Ringfurche hat, in welche der Electrolyt eingreift und von
Stromfäden durchsetzt wird. Bei sehr lang dauernder Durch-
strömung gehen die beiden mittleren Polfelder am Grunde der Furche
in einander über. Dann gleicht also die Reaction wesentlich der von
Froschembryonen mit einer Einschniü-ung in der Mitte des Leibes,
welche bei Durchströmung auch zwei Aequatoren und ein drittes, sie
trennendes Polfeld entwickelten.
S t r 0 m s c h a 1 1 e D .
In der Tiefe der Furchen zwischen diesen Abschnitten entsteht
aber die Verfärbung erst spät, auch an den nicht vom Faden be-
deckten Theileu. Diese Stellen befinden sich also in einem Strom -
schatten. An Gallenblasen, welche in keilförmige Abschnitte ge-
schnürt waren, erhielt auch der Aequator des keilförmigen Abschnittes
bei Querdurchströmung keilförmige Gestalt.
Da ich über den Stromschatten etwas mehr zu erfahren
wünschte, machte ich einige bezügliche Experimente.
Um zu sehen, ob auch an Stellen, wo der Strom nicht vom Elec-
trolyten aus in den ,,Intraelectrolyten" eintritt, sondern beim blossen
Durchtritt durch den letzteren eine genügend starke Wirkung ent-
steht, wurden zwei Kaninchengallenblasen durch zwei Liga-
turen mit ihren Langseiten fest gegen einander gepresst und
quer durchströmt. Nach acht Minuten langer Durchströmung
war in einem Falle an den sich berührenden Endabschnitten die
Berührungsstelle weniger gelblich als die [127] freie Um-
Stromschatten. 651
gebving, welche ein deutliches Polfeld gebildet hatte. An dem
am innigsten zusammengepressten mittleren Abschnitte waren die
ausgedehnten Berührungsflächen noch weniger gefärlU und
oben von einem nur sehr schmalen freien Polfeld saumartig begrenzt.
Die Schattenwirkung war also deutlich. Es war jedoch kein absoluter
Schatten, und bei längerer Durchströmung wurden diese Berührungs-
flächen vollkommen polfarben.
Au Gallenblasen, welche noch mit der Leber verwachsen
waren, entstanden Polfclder auch an dieser Verwachsungs-
stelle.
Wurde dagegen, um eine nur geringe Schattenwirkung erkennen
zu können, die Gallenblase einer Eidechse, in ihrer Leber liegend
blos 45 Secunden durchströmt, so bot sie an dem freien Theil
Polfelder dar, die einen parallel contourirteu Aequator einschlössen,
während im Bereiche der mit der Leber verwachsenen Ober-
fläche die Blasenwandung noch die frühere blaue Oberfläche
gleich dem Aequator besass. Eine beschattende Wirkung der Leber
war also vollkommen deutlich. Trotz dieser quantitativen Wirkung
vermag jedoch die Leber die Lage des Aequators an der
Blase nicht wesentlich zu alteriren. Wenn man nämlich die
Leber blos auf einer Seite der Blase wegnimmt und die andere an-
gewachsene Hälfte der Leber gegen eine Electrode wendet, so liegt
nach genügender Durchströmung der Aequator der Gallenblase gleich-
wohl in der Mitte derselben wie bei einer freiliegenden Gallenblase.
Die vorliegende Lebersubstanz wirkt also nicht als Pol-
feld wie die Vorhöfe des Fisch- und Froschherzens bei glei-
cher Lage, indem sie den Aequator auf dem Ventrikelabschnitt gegen
sich hin zu verschieben vermochten. Daraus könnte man vielleicht
ableiten wollen, dass die Leber durch den Strom wirklich nicht polari-
sirt werde, und dass nicht etwa ihr polares Verhalten blos nicht sicht-
bar sei ; dies wäre aber eine nicht zulässige Schlussfolgerung.
Bei den vorstehenden Versuchen über den Stromschatten lagen
die Gebilde, die sich beschatten sollten, immer blos neben einander.
Wurden weiterhin, behufs vollkommener Umschliessung, Triton-
eier auf den lebenden Leberlappen eines Kaninchens gelegt, und mit
652 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
einem andern grossen Leberla})pen gut zugedeckt und 15 Secunden
mit schwachem Strom [128] behandelt, so bildeten sie nur ganz
schwache Polfelder, etwa wie an den freien Probeeiern nach blos zwei
Secunden langer Durcliströmung.
Wurden unbefruchtete Froscheier in die lebende Harnblase des
Frosches getlian, also von einer nicht reagirenden Haut vollkommen
umschlossen, so bildeten sie bei 0 Minuten langem Durchströmen die
Polfelder wie ein freies Ei; wohl weil die Durcliströmung für die
emphndlichen Froscheier trotz des äusseren Hindernisses viel zu lange
gedauert hatte. Dagegen entstanden an der ( rallenblase eines jungen
Kaninchens, welche in ein Stück Harnblase desselben Thieres, eng
umschlossen, eingebunden war, bei 7 Minuten dauerndem Durch-
strömen nur sehr kleine Polfelder derart, dass der Aequator 3,5 mm
Breite von 5 mm (Jrganlänge in Stromrichtung besass, während an
einer anscheinend gleichen, freiliegenden, ebenso lange durchströmten
Gallenblase diese Breite blos 40 "/o der Länge betrug. Die leidende
Harnblase schwächte also die Stromwirkung erheblich.
Schliesslich wurden reactions fähige Gebilde in ein anderes,
gleichfalls reagirendes Substrat vollkommen eingeschlossen,
indem Tritoneier in die schon ziemlich dickwandige Gallenblase eines
vierwöchentlichen Kaninchens derart gethan wurden, dass sie eng von
ihr umschlossen waren. Nach nur 5 Secunden dauernder Durch-
strömung mit geschwächtem Strom hatten sie gleichwohl schon in
gewohnter Weise reagirt. Die Stromfäden vermögen also auch nach
dem Durchgang durch ein auf sie specifisch reagirendes Substrat so-
gleich ein weiteres reagirendes Substrat zu alteriren; also wo die
Stromfäden auf ein reagiren des Substrat unter geeigneten
Nebenumständen treffen, da wird es alterirt, auch wenn
dieselben Stromfäden vorher schon gleiche Arbeit geleistet haben.
Dieses Verhalten des Wechselstromes ist jedem Physiker selbst-
verständlich, und ein besonderer Nachweis erscheint daher überflüssig.
Mich veranlasste nidess zu dieser Prüfung das beim Gleichstrom
beobachtete scheinbar abweichende Verhalten, indem ein der Elec-
trode näherer grosser Hühnerembryo fast vol Ikommen
die Veränderung des in Stromrichtung hinter ihm liegen-
fl
Nicht minpluilot?isch polarisirbare Organe. 653
den kleineren verliinder te, ja indem trutz gleich- [129J bleibenden
Querschnittes der eleetrolytisehen Bahn die polarisirende Wirkung mit
dem Abstand von der l)ezügliclien Electrode abnahm (S. (540). J)a wir
gesehen haben, dass solche Wirkungsweise dem Wechselstrom nicht
zukommt, werden wir daraul' hingewiesen, dass sie kein allgemeines
sondern nur ein mit der specifischen Wirkungsart des
Gleichstromes in Zusammenhang stehendes Verhalten ist.
Nicht inorpholo^iscli polarisirbare Organe.
W^enn man an so vielen lebenden Objecten, wie vorstehend be-
richtet, Monate lang, täglich mit immer wesentlich demselben Erfolg
polarer Trübungen oder gröberer, polar localisirter formaler Verände-
rungen experimentirt , so bildet sich unwillkürlich die Vorstellung,
diese Reactionsfähigkeit sei eine allgemeine Eigenschaft der lebenden
Organe. Um so mehr fällt es daher auf, wenn plötzlich bei einem
Objecte keine Reaction eintritt; und man ist zunächst versucht, dies
auf eine ungenügende Versuchsanordnung zurückzuführen. Diese
Vermuthung hat sich auch für manche Fälle als zutreffend erwiesen,
indem sich bei entsprechender Aenderung der Anordnung schliess-
lich noch die Reaction zeigte. So ist es mir schwer geworden,
den noch platten Embryo und die secundäre Augenblase
des Hühnchens zum Reagiren zu bringen.
Nicht gelungen ist es mir jedoch, mit dem Wechselstrom
polare morphologische Veränderungen von keimplasmahaltigen Ge-
bilden hervorzubringen an den Hodencanülchen, an deren isolirten
Epithelien und ebenso nicht an diQW S per matozoen ^qq erwachsenen
Kaninchens, des Täuberichsund Frosches; nicht an Eierstockseiern
einer erwachsenen Henne, weder an Eiern von 7 mm bis herab
zu 0,3—0,2 mm Durchmesser, desgleichen nicht an Eierstockseiern
von 0,2—0,3 mm Durchmesser einer Taube, sowie an Eierstocks-
eiern der weissen Maus, des erwachsenen Kaninchens , des-
gleichen an Eierstockseiern erst einige Wochen alter Kaninchen und
an Eierstockseiern des Fisches Tel estes Agassizii. Von allen
diesen Objecten wurden isolirte und noch im Eierstock befindliche
Eier durchströmt.
i
654 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gehilde etc.
Es wurde in diesen Fällen auch die stärkst mögliche Anord-
nung: Vv'Voige Kochsalzlösung als Electrolyt, nahe [130] Electroden,
steter Wechsel der Flüssigkeit, sobald sie 40 ° C. warm geworden war,
angewendet; auch stundenlang fortgesetzte Durchströmung in schwäche-
rer, bei grösserem Electrodenabstand sich nicht über 40*^ C. erwär-
mender Lösung wurde in Anwendung gebracht.
Von anderen Thierclassen reagirten nicht mit sichtbaren polar
localisirten Veränderungen eine Daphne und ihre durch Druck aus
ihr befreiten Embryonen, ebenso eine Clepsine, Paramaecien, Ascaris
nigrovenosa ; doch wurde hier die Versuchsanordnung nicht genügend
varnrt. |
Von ericachimnen oder noch jungen WirheJtltivreti prüfte ?
ich nach dem allgemeinen Erfolg mit den Gallenblasen aller
Wirbelthierclassen zunächst andere blasen förmige, eine dif- ^
fusionsfähige Flüssigkeit einschliessende Organe in abgebundenen
Stücken von nicht über 9 mm Durchmesser besitzender Grösse: so
die Harnhlasen, Schallblasen und Lungen des Frosches, die
innere Schicht der Sehtvimmblase des Telestes, die Harnblase
des Kaninchens. Die Tunica muscularis (resp. hbrosa der Schwimm-
blase) wurde abpräparirt und die Blase mit Harn, Wasser, gefärbtem
Wasser oder Galle gefüllt, alles jedoch ohne. Er folg. Auch nach- J
trägliches Einlegen in stark verdünnte Chrom sä urelösung, ^
welche die Polfelder an wenig reagirenden Embryonen
manchmal erst deutlich sichtbar gemacht hatte, sowie in
verdünnte Schwefelsäure, die sich bei Gallenblasen so bewährt hatte,
blieb ohne Erfolg; es waren an diesen neuen Objecten keine, durch
eine Besonderheit gekennzeichneten Polfelder sichtbar zu machen.
Gleich negative Erfolge ergab dieAnwendung des Wechsel-
stromes bei allen anderen Organen halb oder ganz ertvachse-
ner Wirbelthiere, als: Leber, Milz, Lungen, Flimmerschleimhaut
der Mundhöhle, Schleimhaut der Trachea, hyalinem Knorpel, Gehirn
und Rückenmark des Frosches; desgleichen an Leber, Milz, Gehirn,
Rückenmark, Flimmerschleimhaut der Trachea des Kaninchens. Das
Vas deferens und Stücke der Adductoren des Oberschenkels dieser
Thiere contrahirten sich bei Längs- und Querdurchströmung sogleich
Nicht morphologisch polarisirbare Organe. , 655
in toto, jedenfalls weil der Strom zu stark war, da ja Engelmann und
BiEDERiMANN hier mit schwachen Strömen die polare Erreguno; nach-
gewiesen haben. Ich verwandte absichtlich den starken Sti'oiu, da
es nicht meine Absicht war, hier polar [131] localisirte
functionelle Leistungen, sondern morphologische Ver-
änderungen, etwa Trübung hervorzurufen.
Dasselbe Ergebniss zeigte sich an den Organen der Taube ; nur
bildeten Theile des Dr üsenmagens nach der Durchströmung
mehr Secret an den gegen die Electroden gewendeten
Kanten und Ecken als im Bereich der Fläche des der Länee
nach durchströmten platten Stückes. (Weiteres siehe Nr. 25, S. 216.)
Aus diesen Versuchen ergiebt sich, dass an den Organen der
genannten ganz oder Ji aller wachsenen Thiere die ^,emhryo-
nale^' Fähigkeit zu den beschriebenen polaren ^^morphologi-
schen^'' Beactionen auf den „Wechselstrom^^ , tvenn sie über-
hanpt noch vorhanden ist, jedenfalls sehr viel geringer ist
als in früher embryonaler Periode; es wäre daher für die ver-
schiedenen Wirbelthierclassen diejenige Entwickelungsperiode festzu-
stellen, in welcher dieses Vermögen zuerst sich stark vermindert oder
aufhört zu existiren. Beim Frosch war schon an vier Wochen alten Kaul-
quappen kaum noch ein deutlich polar begrenzter Abfall des Epithels,
und zwar nur in zusammenhängenden Fetzen statt wie früher in
einzelnen Zellen im Bereiche der Polseiten wahrzunehmen, ein sicherer
Beweis der verminderten Reactionsfähigkeit der betreffenden Zellen^).
Ich erkenne wohl, dass die obenstellend mitgetheilten Ergeb-
nisse noch viele Lücken darbieten, und dass daher auch nach der
Microtomirung der aufgehobenen polarisirten Objecte unsere Kennt-
1) Bei Anwendung des kräftigen „Gleichstromes" von 20 BuNSEN-Elementen
lassen auch Organe des „erwachsenen" Frosches, wie Leber und Niere,
sichtbare polare Veränderungen: Trübung auf der anodischen, anfäng-
liche Trübung, dann Aufhellung und Quellung auf der kathodischen Seite
erkennen. An der Leber sind beide Polabschnitte eine Zeit lang durch einen deutlich
begrenzten, nicht sichtbar veränderten Aequatorabschnitt von einander getrennt. Die
Milz und Stücke der Haut zeigen wenigstens deutlich die bekannte aufhellende
kataphorische Wirkung auf der kathodischen Seite.
Goß Nr. •25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
nisse nicht ausreichen werden, alle beobachteten Erscheinungen
unter sich und mit bekannten allgemeinen Principien in Zusammen-
hang zu bringen.
Die erwähnten , durch den electrischen Strom veranlassten,
polar localisirten sichtbaren sive morphologischen Ver-
änderungen sind iedoch grösstentheils deletärer Natur und
stehen daher den normalen [132] gestaltenden Vorgängen, deren Er-
mittelung mein Ziel ist , in ihrem Wesen so fern , dass ich nicht be-
absichtige, die bezüglichen Versuche fortzusetzen; sondern icli werde
eher den im Laufe der Versuche erhaltenen Fingerzeigen, dass
der electrische Strom auch die normal en „Gestaltinni sv or g äny e!''-
.zu heeinf lassen vermag, folgen. Bis jetzt haben wir unter den polaren
Veränderungen in dieser Richtung z. B. Wanderung des Rinden-
pigments, die Abschnürung des Protoplasmas durch Furchen-
bildung, structurelle Veränderungen des Kernes (8. 631) beobachtet
(weiteres s. Nr. Üö, S. 211); und es müssten sich erst bei der Micro-
tomirung Hinweise ergeben, dass diese Furchenbildung in ihrem Vor-
gange Aehnlichkeiten mit derjenigen bei der normalen Eitheilung
besässe (s. S. 610), um mich zu veranlassen, ihr ein erneutes Studium
und neue Versuche zu widmen.
Wir haben gesehen, dass „Eiern" und den epithelialen Theilen
junger ,, Embryonen" der„Wirbelthiere" eine Reactionsfähig-
keit auf den Wechselstrom eigen ist, welche an den Geweben
des ,, erwachsenen" Thieres nicht mehr sich vorfindet (von
der Gallenblase abgesehen, welche zwar stark, aber vielleicht in qualitativ
etwas anderer Weise reagirt). Zum Theil dieselbe resp. ähnliche Re-
actions weise auf den electrischen Strom bieten jedoch die
„Protisten" und „Coelenteraten" während des ganzen Lebens
dar; eine phylogenetisch gewiss interessante Thatsache.
Nachtrag: Morphologische polarisirende Wirkung der
Schläge der Le3'dener Flasche auf Embryonen.
[Aus einem Autoreferat in den Berichten des naturwissen-
schaftiich-medicinischen Vereins zu Innsbruck, Bd. XX., 1892 Sep.-
Morpholog. polarisirende Wirkung der Schläge der Leydener Flasche etc. 657
Abdr. S. 56 sei noch eine dort niitgetheilte weitere Beobachtung
hier angefügt:
, , Weitere Versuche an J F ü 1 1 n e r e m b r y o n e n und Frosch-
eiern haben ergeben, dass auch die durch Einschaltung zweier grosser
Leydener Flaschen verstärkten Schläge der mit einer Gläser'schen
Influenzmaschine erzeugten hochgespannten Electricität bei geeigneter
^^ersuchsanordnung entsprechende Wirkungen an der Eintrittsstelle
hervorzubringen vermögen, wie sie oben von dem copialen, aber
niedrig gespannten galvanischen Strom mitgetheilt worden sind."
Die Anordnung war aber dabei keine „intraelectrolytäre", da
dieser hochgespannte Strom zu sehr an den Oberflächen der
Leiter seinen Verlauf nimmt; sondern die Embryonen wurden frei
auf eine Glasplatte aufgesetzt und die Drahtenden fest an die Em-
bryonen gehalten. Die polare Locahsation des A]igriffes war damit
schon ganz gegeben. Wir können also dem Versuch blos entnehmen,
dass die lebende embryonale Substanz auch auf diese Form
der Electricität mit Trübungen resp. Verfärbungen an der
Eintrittsstelle reagirt.
Zugleich ist noch an die Versuche A. Rollett's über die Wir-
kung der Schläge der Leydener Flasche auf das Blut zu erinnern.
RoLLETT hat gefunden (Sitzungsber. d. kaiserl. Acad. zu Wien
1863 Bd. 47 und 1864 Bd. 50, Abthg. II), dass detibrinirtes Blut
durch Entladungsschläge einer Leydener Flasche (aber nicht durch
den galvanischen Strom) aufgehellt wird, und dass bei erst theil weiser
Aufhellung die jeweilige Grenzfläche des Aufgehellten gegen den
noch nicht veränderten Theil die Stromvertheilung in der Flüssigkeit
anzeigt. Beim Blute des Frosches erfahren zugleich die einzelnen
Blutkörperchen gestaltliche Veränderungen, welche in manchen
Fällen blos partielle sind und an den beiden spitzen Enden
der elliptischen Gebilde beginnen.
Obschon Verf. nicht angiebt, dass diese Veränderungen gegen
die Electroden gewendet, also polar localisirt gewesen seien , so ist
gleichwohl an die Möglichkeit zu denken, dass den unseren in der
Localisation entsprechende Erscheinungen vorliegen , da wir gesehen
haben, dass bei länglichen Gebilden (Gallenblasen) die Veränderung
W. Rous, Gesammelte Abhandlungen. II. 4^
658 Nr. 25. Morphologische electristhe Polarisation embryonaler Gebilde etc.
an den spitzen Enden beginnt, selbst wenn die Längsrichtung er-
heblich von der Stromrichtung abweicht. Sofern die Substanz des
Froschblutkörperchens, da sie nach Rollett gleichfalls auf den Strom
reagirt, nicht am stumpfen und am spitzen Theile desselben geradezu
ein von dem des andern Theiles verschiedenes Verhalten gegen die
electrische Einwirkung besitzt, was aber nicht wahrscheinlich ist, so
ist die Anwendung unserer Deutung der Localisation dieser Ver-
änderungen auf die Blutkörperchen wohl berechtigt.
B. Polare Localisation der Wirkung des electrischen
Stromes an „nicht" lebenden „Intraelectrolyten" ^).
IV. Abschnitt.
Die im Vorstehenden mitgetheilten Thatsachen schliessen manche
speciellen und allgemeineren Probleme ein.
Da ich jedoch kein Physiolog bin, so muss ich mich darauf
beschränken, blos für das Specifische der Beobachtungen, für die
speciellen ,, Gestaltungen" der wahrgenommenen polaren
Veränderungen die Erklärung, also die ursächliche Ab-
leitung zu versuchen. Es bleibt den Fachmännern vorbehalten,
die allgemeineren Probleme, wie das der primären Ursachen der
besonderen Wirkung des electrischen Stromes an den
Ein- und Austrittsstellen organischer Körper, der elec-
trischen Leitung flüssiger Körper, des Wesens der Electrolyse etc.,
weiter zu führen und insbesondere zu beurtheilen, wie weit etwa die
neuen Thatsachen hiezu eine Handhabe bieten.
[133] Aus dem gleichen Grunde werde ich mich im Folgenden auch
blos solcher Ausdrücke und Vorstellungen bedienen , welche der
älteren, sinnlich leichter vorstellbaren Auffassung der Electricität ent-
sprungen sind, wenn schon an der baldigen Alleinherrschaft der
FARADAY-MAXwELL'schen Auffassungen kaum mehr zu zweifeln ist.
Ich bin ferner überzeugt, dass ich auf dem mir fremden Gebiete
1) Definition siehe S. 545 Anm. und 672.
Wirkung dos galvan. Stromes auf Stücke von (ielatiue. 659
manchen Umweg gemacht habe , und ersuche daher den Fachmann
um Nachsicht.
Zunächst wollte ich ermittehi, ob in der beobacliteten,
„scharf begrenzten", polaren Localisation der durch
den Strom veranlassten Veränderungen ein b 1 o s
„lebenden" Objecten zukommendes Verhalten sich
ausspräche.
1. Wirkung des galvanischen Stromes auf Gelatine.
Ueber das negative Ergebnis s an dicken Tropfen von
trübem Gummi arabicum, von Eiweiss und von zerstossenen
reifen Eierstockseiern des Frosches bei Behandlung derselben mit
dem Wechselstrom ist oben schon berichtet. Dasselbe hat mich nicht
gewundert.
Dagegen hatte ich erwartet, dass Stückchen von Gelatine,
welche mit Phenolphthalleinlösung und ausserdem bei einigen
Versuchen mit Glaubersalzlösung getränkt waren und in
einer Lösung von Glaubersalz liegend vom ,, Gleichstrom" durch-
strömt wurden , auf der der Anode zugewendeten Seite sich , wenn
auch nur wenig, roth färben würden. Aber selbst wenn die Anord-
nung möglichst verstärkt wurde, indem zwei parallele, mit den Rändern
einer kleinen Glasschale verschmolzene, aus dieser Gallerte gebildete
Septa in die Strombahn durch den aus Glaubersalzlösung gebildeten,
den oberen Rand der Septa nicht erreichenden Electrolyten einge-
schaltet waren, fand auch bei langer Durchströmung keine Spur von
Röthung, also keine Abscheidung von Natron an den betreffenden
Seiten statt. Die Jonen erhielten also keine Veranlassung, sielt auf
ihrer Wanderung an diesem „geformten'^ Gebilde in bemerkbar
werdendem Maasse zu stauen. Auch bei umgekehrter Anordnung,
wenn die Phenolphthalleinlösung in den genannten Electrolyten gethan
war, fand an den nicht damit getränkten, reinen oder mit Glauber-
salzlösung imprägnirten Gelatinesepten keine Röthung statt, so stark
auch an der Kathode die Röthung auftrat.
Derselbe negative Erfolg zeigte sich, wenn eine lebende
Froschleher in einer mit Phenolphthallein versetzten Glauber-
■ 42*
660 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Salzlösung [134] zerschnitten worden war, und die Streifen quer in
die Strombahn gelegt wurden. Diese Versuchsergebnisse
sprechen gegen die Abscheidung von freiem Natron,
sei es an der Aus- oder an der Eintrittsstelle des
Stromes, oder an den Durchtrittstellen sowohl der Gallerte
wie auch t h i e r i s c h e r 0 r g a n e. Die von den Physiologen an und
in den Organen nachgewiesene äussere und innere Polarisation
wird also wohl auf eine andere Art vermittelt sein.
2. Polarisirende Wirkung auf Quecksilbertropfen.
Nach diesen vergeblichen Versuchen griff ich zum Queck-
silber, um einerseits noch den bildsamen flüssigen Aggregatzustand
dem Strome darzubieten und andererseits die Localisation der
Jonen auf der Oberfläche des Tropfens beobachten zu
können.
An diesem Material machte ich eine Reihe von Beobachtungen,
che den Physikern, wenn nicht alle, so doch zum Theil bekannt sein
werden; da sie aber für die Deutung unserer biologischen Beobach-
tungen verwerthbar sind, so sollen sie hier mitgetheilt werden.
Das zunächst verwendete Quecksilber hatte schon oft zum
Amalgamiren des Zinkes der Batterie gedient, war also stark mit
Zink und vielleicht noch in anderer Weise verunreinigt. Als ich
später durch die Güte des Herrn Collegen Sennhofer in Besitz von
chemisch reinem, frisch aus Zinnober destillirtem Quecksilber ge-
kommen war, zeigte dieses in manchen für uns interssanten Einzel-
heiten ein anderes Verhalten; weshalb die Versuche mit beiden ge-
sondert dargestellt werden sollen.
Wird ein Tropfen des in der angegebenen Weise verun-
reinigten Quecksilbers von etwa 4 mm Durchmesser in
Wasser mit dem „Wechselstrom" durchströmt, so verlängert
er sich in Richtung des Stromes und bildet bei geeigneter
Anordnung vier rechtwinkelig zum Strom orientirte Quer-
ivülste, deren Oberfläche fortdauernd oxcilhrt. Bei etwas anderer
Anordnung der Electroden zum Quecksilbertropfen nimmt letzterer
Stern form an und kann leicht zum Rotiren nach links oder
I
Polarisirende Wirkung auf Quecksilbertropfen. 661
rechts herum ucbracht werden; ganz interessante electro-dyna-
niische Wirkungen, die uns aber nicht weiter angehen.
In 15 — 20 vol. procentiger Schwefelsäure dagegen tritt keine
G e s t a 1 1 ä n d e r u n g des Tropfens mehr ein , sond ern es [135 1
bedeckt sich das Quecksilber bei momentanem Stromschluss an
beiden Polseiten mit Gasbläschen, mid zwischen diesen beiden
Polen bleil)t ein blanker Aequator.
Dieses Bild, welches polarisirten Froscheiern ähnlich sieht, ver-
schwindet rasch, lässt sich aber eine Minute lang fixiren, wenn man
der verdünnten Schwefelsäure eine dicke Lösung von Gummi arabicum
zusetzt. Durchströmt man länger, so vermehren sich die Gasbläschen
rasch derart, dass sie successive die ganze obere Fläche einnehmen
und den anfänglicli vorhandenen, von Bläschen freien
Aequator zum Verschwinden bringen. An dem auf dem Glase
aufliegenden , abgeplatteten unteren Theile des Tropfens kann man
durch Spiegelung wahrnehmen, dass auf den Polseiten mehr Bläschen
entstehen als nach dem Aequator zu. Die unten entstandenen Bläs-
chen strömen gegen den nächsten Pol zu und dabei bewegen sich
die vom Aequator herkommenden fast wagrecht; auf der oberen Hälfte
sieht man deuthch, dass die Bläschen in Richtung von Pol-
meridianen des Quecksilbertropfens oscilliren, unabhängig
von der Richtung ihrer gleichzeitigen Locomotion am Tropfen. Mit
der Stärke des Wechselstromes und mit der Verdünnung der Schwefel-
säure bis etwa auf ein halbes Procent nimmt die Amplitude dieser
Oscillationen zu, mit der Grösse der leicht sich vereinenden Bläs-
chen ab.
Bei Anwendung eines stark geschwächten Stromes und sehr ver-
dünnter Schwefelsäure entsteht eine regelmässige Circulation
der Bläschen innerhalb jedes Quadranten der Oberfläche
des Tropfens. Bei schwächstem Strom und schwächster Schwefel-
säure entstehen nur wenige Blasen, die um die Mittellinie des
Aequators rechtwinkelig zu demselben oscilliren und bei
Wanderung der Electroden dem neuen Aequator entsprechend mit-
wandern.
Setzt man dem Wasser, in welchem der Quecksilbertropfen
662 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
stehende Schwingungen bildet, oder bei etwas anderer Anordnung
sternförmige Gestalt annimmt und sich dreht, so viel Tropfen
Schwefelsäure zu, dass Gasblasen am Tropfen entstehen, so hören
mit der Zunahme der Blasenbildung diese Schwingungen
zugleich auf, was wohl darin begründet ist, dass jetzt die Ober-
tiäche des Quecksilbers direct in anderer Weise beeinflusst wird. Die
Schwingungen des Quecksilbertropfens [136] hören aber
auch auf, wenn am Tropfen und seiner Umgebung sich scheinbar
nichts geändert hat, sofern nur eine der beiden, weit vom Tropfen
^""^rnten Electroden mit Quecksilber überzogen ist, wobei
dann an dieser Electrode ein weisses Pulver gebildet wird. Die Erschei-
nungen sind so wechselvoll, dass man ohne besondere darauf gerichtete
Untersuchmigen nicht behaupten kaim, dass sie blos auf Aenderungen
der manche ähnliche Wirkungen hervorbringenden Capillarität be-
ruhen.
Im ,, galvanischen Strom" von zwölf BuNSEN'schen Elementen
verhielt sich das mit Zink verunreinigte Quecksilber folgendermaassen.
In schwacher Kochsalzlösung läuft ein Quecksilbert ropfen
gegen die Anode, um sich mit ihr zu vereinigen, sogar unter Ueber-
win düng einer nicht geringen Steigung ; wird diese Vereinigung durch
stärkere Schiefstellung verhindert, so erkennt man deutlich, dass der
Tropfen sich gegen die Kathode znsx)itzt und sich durch eine
geringe Verjüngung gegen den gerundeten anodischen Theil
ahsetzt: wohl eine Aeusserung derselben Wirkungsweise, auf der das
Capillarelectrometer beruht. Circulirt die Anode, so folgt der anodische
Theil im Kreise ihr nach, während der kathodische Theil natürlich
seinen Ort nicht verlässt, aber seine Richtung entsprechend den
Richtungen der Stromfäden ändert. Die kathodische Spitze des Tropfens
zeigte bei diesen Aenderungen unregelmässige Ecken, die ich auf
Verunreinigung ihres Quecksilbers beziehe; während der anodische
Theil immer gerundete Formen darbot und auch flüssiger zu sein
scheint. Die eingesch n ü rte Stelle h a t Ni v e a ufl ä che n r i c h tu ng.
Bei längerer Durchströmung wurde der anfangs grössere, anodische
Theil des Tropfens kleiner unter entsprechende]' \^ergrösserung des
eckigen, kathodischen Theiles.
Polarisirende Wirkung auf Quecksilbertropfen. 663
In einer Lösung von doppeltkohlensaurem Natron zeigt
sich wesentlich dasselbe Verhalten ; nur ist der Zug /Air Anode noch
stärker, so dass er noch höhere Steigung des Gefässbodens überwindet
und leicht den Tropfen zerreisst; nach dem ersten Abreissen eines
anodischen Stückes habe ich dasselbe blos noch ein zweites Mal be-
obachtet; das kathodische Stück wird an der Oberfläche trüb.
In Brunnenwasser spitzt sich die kathodische Hälfte
des Quecksilbertropf ens nicht zu, sondern [137] behält ihre
Lagerung und Gestalt, während die anodisch o Hälfte sich etwas
gegen die Anode hin bewegt, also entsprechend spitzer wird; diese
Gestaltung ändert sich sofort entsprechend dem oben Gesagten, wenn
man Lösung von doppeltkohlensaurem Natron derart zusetzt, dass
sie zwischen beiden Electroden ausgebreitet ist. Alsdann wird sogleich
die Kathodenseite des Tropfens spitz. Sobald ein Tropfen Queck-
silber an die Platinkathode gekommen war, und diese sich
damit überzogen hatte, fand beim Stromschluss keine Steigung
des freien Quecksilbertropfens gegen die Anode mehr
statt (s. S. 662).
Ein Tropfen des ,, chemisch reinen" Quecksilbers wurde zu-
nächst mit dem Strom von zwölf Bunsen' sehen Elementen in einer
Lösung von doppeltkohlensaurem Natron durchströmt. Dabei
wandert der ganze Tropfen wieder gegen die Anode hin. Der Tropfen
wird oval und zwar jetzt mit dem spitzeren TheiJ gegen die Anode zu
(s. S. 662). Auf der Kathodenseite entstehtein Beschlag des Tropfens,
der o;egen die Anodenseite sich hinzieht. Beim Unter-
brechen wandert der Gxydbeleg gegen die Anodenseite,
um unter ihr zu verschwinden. Beim Schluss tritt der Beschlag von
der Spitze des Tropfens gegen die Kathodenseite, so dass die zuge-
spitzte Anodenseite blank ist und durch einen grauen, parallel be-
grenzten Oxydring von dem stumpfen Kathodentheil geschieden
ist. Je näher die Electroden einander und damit dem Tropfen sind,
um so mehr verschiebt sich dieser Gürtel gegen die Kathode, um
so mehr spitzt sich die blanke Anodenseite des Tropfens zu; bleibt
aber immer noch anodenwärts orientirt, bis bei geeigneter Nähe eine
halsartige Einschnürung des Tropfens anodenwärts vom
!
664 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Oxydring stattfindet und weiterhin ein Abreissen eines Stückes
unter Hinführung desselben gegen die Anode erfolgt.
Sobald der abgerissene Tropfen die Anode berührt, bekommt
er eine gelbe Ueberzugsschicht; bei erneutem Stromschluss gleitet
er langsam gegen die Kathode und rennt nach Berührung
derselben manchmal wie angezogen und abgestossen zwischen bei-
den Electroden hin und her.
Bei Durchströmen chemisch reinen Quecksilbers in Wasser-
leitungswasser entsteht wesentlich dasselbe. In sehr ver-
dünn t e r S e h w e f e 1 s ä u r e findet auch dieselbe [138] Gestaltänderung
des Tropfens statt; das zugespitzte Ende ist gegen die Anode ge-
wendet; der Tropfen wandert aber gegen die Kathode (statt
wie bisher gegen die Anode). Der Oxvdring nimmt die be-
schriebene Stellung ein, und bei Wanderung mit einer Electrode
um den Tropfen herum folgt der dem wandernden Pole zugewendete
Theil des Tropfens der Electrode, und es wird deutlich, dass der
Oxydring im Ganzen immer Niveauflächenrichtung an-
nimmt, wenn schon das Aequatorband bei einigen Anordnungen
sich zwar parallel, aber wellig contourirt zeigt. Bei Zusatz von m e h r
Schwefelsäure entsteht an der Stelle des Oxydbandes ein Kranz
von Gasblasen, innerhalb dessen die einzelnen Blasen in Spiraltouren
laufen.
Behandelt man den in Lösung von kohlensaurem Natron
liegenden, noch von der Behandlung mit dem Gleichstrom her zum
Theil mit Oxyd bedeckten, vorher chemisch reinen Quecksilbertropfen
in dieser Lösung mit dem ,,Wechselstrom", so erhält man je nach
der Stromstärke verschiedene Bilder, welche alle für uns von Bedeu-
tung sind.
Bei sehr schwachem Strom und bei blosser Berührung der
Flüssigkeit mit der einen Electrode entstehen auf der Oberfläche
des Tropfens mit dem Stromschluss aus den Ox^^dbröckeln Reihen
in Richtung der von den Electroden ausgehenden Stromfäden,
derart, dass die Oberfläche des Tropfens in zwei polare
Hälften getheilt ist, von denen jede mit, den genannten Rich-
tungen entsprechenden Reihen von braunen, schwingenden (?) Flecken
Polarisivende Wirkung auf Quecksilbertropfen. 065
bedeckt ist, die sich fortwälirend seitlich verschieben und am seit-
lichen Rande des Tropfens auf die Unterfläche absinken, um dann
an der Polseite wieder aufzusteigen. Der sehr schwache Strom
bewegt also die auf der Oberfläche des Quecksilbers liegenden Theile
noch in Richtung der Stromfäden des ganzen electrischen
Feldes. Je nach der Stromdichte bleibt ein blanker Aequator-
gürtel frei -oder nicht.
Bei geringerer V e r s t ä r k u n g d e s Stromes durch ein Minimum
tieferes Eintauchen der Electroden oder bei stattgehabter Erwärmung
des Menstruum tritt schon eine geringe Convergenz der Bröckel-
reihen gegen die Polseite des Tropfens ein. Bei tiefem Ein-
tauchen der Drahtelectrode bedecken sich die [139] beiden Pol-
seiten mit einer geschlossenen Schicht von Oxydmasse,
und die so entstandenen ,, Polfelder" sind durch „Niveau-
linien" des ganzen Stromfeldes, nicht durch Linien begrenzt,
welche um die Pole des Tropfens centrirt sind. Sie schliessen einen
blanken Aequator ein. In diesen Polkappen geht Bewegung vor
sich; die seithchen Partien sinken wieder ab; und wenn nicht
gleich Ersatz vorhanden ist, gewinnt es den Anschein, als wäre das
Polfeld um den Pol des Tropfens centrirt. Beobachtet man das Ab-
sinken, so sieht man die absinkenden Theile aber längs der Niveau-
linie über den seitlichen Tropfenrand gleiten und so die normale
Grenze der defect gewordenen Polkappe noch markiren. Je kleiner
der Quecksilbertropfen im Verhältniss zur Grösse und zum Abstände
der Electroden ist, um so deuthcher tritt natürlich der Unterschied
zwischen Niveaulinien des ganzen Feldes und um die Tropfenpole
centrirten Linien hervor.
Wird die Stromdichte für den Tropfen durch Näherung der
Electroden verstärkt, so verschiebt sich jederseits die Oxyd-
schicht äquatorwärts, so dass die Pole blank werden; die
Oxydbrocken oscilliren jetzt in Bichtungeu von Folmeri-
dianen des Tropfens und begrenzen sich polwärts mit einer um
den Tropfenpol centrirten Linie, gegen den noch blanken schmalen
Aequator mit einer annähernd einer Niveaulinie des ganzen Feldes
entsprechenden Linie. Je näher die Electroden einander gebracht
666 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
werden, um so grösser werden die blanken Polfelder, um so mehr
rücken die beiden braunen Bänder gegen einander, schliesslich bis
zur Berührung in der Mitte und formiren so deutlich ein dichtes
braunes Aequatorband. Dabei sind dann die Ränder dieses Bandes
nicht mehr polwärts centrirt, sondern entsprechen Niveaulinien; der
braune Aequator ist also jetzt ein durch Niveaulinien
begrenztes, gleich breites Band, dessen Theile nicht mehr
oscilliren. Bei weiterer Näherung der Electroden gegen den Tropfen
wird dieser Aequator schmäler, bei Entfernung wieder breiter.
Manchmal sieht man beim Stromschluss die beiden, aus fibriren-
den Bröckeln bestehenden braunen Niveaulinien sofort in gewissem
Abstände von ihren Polen entstehen, darauf in kurzer Zeit einander
sich nähern, um dann in constantem, der [140] Stromdichte entspre-
chendem Abstände stehen zu bleiben ; es entstehen also beim Strom-
schluss sogleich Polfelder von gewisser Grösse, die bei weiterer Durch-
strömung allmählich eine Vergrösserung erfahren, also ganz wie es
von den Eiern des Frosches und Triton beschrieben worden ist.
"Wird ein in starker Schwefelsäure mit dem Gleichstrom
behandelter Tropfen reinen Quecksilbers, welcher in Folge dessen
noch an seiner ganzen Oberfläche mit einer trüben Staubschicht be-
deckt ist, in derselben Flüssigkeit mit dem Wechselstrom behandelt,
so zieht sich die bedeckende Schicht auf die beiden Polfelder zurück
und lässt einen Aequator blank hervortreten. Bald jedoch wird der
graue Staub vom Tropfen fortgeführt. Nach dem Zusetzen von Wasser
wird beim Durchströmen die ganze Oberfläche des Tropfens trüb be-
deckt, und erst bei der Stromunterbrechung sammelt sich der Ueber-
zug wieder auf die Polfelder und lässt einen Aequator frei.
Es hat sich also bei der electrischen Behandlung von Quech-
8 il her tropfen in verschiedenen Electrolyten in Bezug auf die LocaJi-
sation der durch den electrischen Strom hervorgerufenen Verände-
rungen an der Oherfläche eine ivesentliche Uehereinsiimmung
der Ersclieinungen mit den an Eiern hei gleicher äusserer Ein-
wirliung gemacJiten Beohachtungen ergeben: Eine Zerlegung der
Oberfläche in drei verschiedene Abschnitte, in zwei gegen die Elec-
troden gewendete Pol fei der, welche sich anders verhalten als der
Polarisirende Wirkung auf Quecksilbertropfen. 667
von ihnen begrenzte Aequator. Letzterer bat wieder, von vorban-
denen kleinen Abweichungen abgesehen, im Ganzen die Richtung
der Niveaufläclien der betreffenden Stelle des electri-
schen Feldes. Im Gleichstrom nahm der unreine Queck-
silber tropfen sogar eine Form an, welche der unter der gleichen
Einwirkung entstandenen G e s t al t an d er un g des Frosch eies
etwas entspricht , indem auch bei ihm während der Durchströmung
in Kochsalzlösung der der Anode zugewendete T h e i 1 gerundet
und dicker wurde als der übrige The il, welcher sich, wie
beim Froschei gegen die negative Electrode verlängerte;
die Grenze beider Abschnitte hat bei beiden Objecten die Richtung
der bezüglichen Niveaufläche. Besondere Linien am Aeqiiator,
welche in ihrer liichtung von Polmeridianen den Richtungen
der einige Male beobachteten Pigmentstreifen am elec-
trischen Aequator der Eier entsprechen, sowie ein besonderes
Verhalten der beiden Grenzen [141] des Aequator s, der
..Niveaulinien''', bei einem Versuche am Quecksilbertropf en vergrössern
die U e b e r e i n s t i m m u n g.
Schliesslich wurde bei einer Versuchsanordnung auch ein Wachs-
tliiim der beim Stromschluss sogleich aufgetretenen Pol fei der
während der Dauer der Durchströmung am Quecksilbertropfen, ent-
sprechend dem Verhalten d e r P o 1 f e 1 d e r der t h i e r i s c h e n
Eier beobachtet.
Diese mehrfache U e b e r e i n s t i m m u n g in den wesent-
lichsten Merkmalen der Localisation der durch den elec-
trischen Strom an lebenden Objecten und am Quecksilber her-
vorgerufenen Veränderungen scheint auf eine Uebereinstimmung
auch der Ursaclien dieser Localisation in beiden .Fällen hinzu-
weisen, wenn schon der Versuch mit der in Phenolphthallein ge-
tränkten Gallerte (s. S. 659) n i c h t fü r einen An th eil de r Jonen bei
de)- Polarisation der organischen Gebilde zu sprechen vermag.
Wir haben also ermittelt, dass die in Richtung von Niveau-
flächen scharf umgrenzte Localisation derReaction auf den
Strom keine specifische Leistung der vitalen Substanzen ist.
Und mit der Feststellung dieser principiellen Uebereinstimmung des
668 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Verhaltens bei organischen und einem anorganisclien Objecte hätte
ich als Nicht-Physiker und Nicht-Physiologe mich vielleicht begnügen
können.
3. Polarisirende Wirkung des Wechselstromes auf festemetal-
1 i s c h e 1 n t r a e 1 e c t r o 1 y t e n von verschiedener Gestalt.
Doch das Quecksilber ist blos in rundlicher Gestalt 7ai ver-
wenden; es blieb daher die Frage, ob auch bei den complicirter
gestalteten anorganischen und organischen Gebilden eine Ueberein-
stimmung auftritt. Deshalb beschloss ich, noch mit festen Metallen,
welche sich in jede Gestalt bringen lassen, einige Versuche anzustellen.
Und weiterhin verlangte es mich, auch der Ursache der scharf
begrenzten polaren Localisation selber näher zu treten.
Dieser letztere Zweck, sowie der Umstand, dass sich bei den festen
Metallen einige Verschiedenheiten in der Localisation der
Polfelder gegenüber der der lebenden reactionsfähigen Ge-
bilde ergaben, nöthigten zu einer weiteren Ausdehnung der Ver-
suche an diesen Metallen, insbesondere aber zu einem analytischen
Vorgehen, so dass an ihnen Experimente mit Formen angestellt
werden mussten, denen ich im Gebiete des Organischen zum Tlieile
keine -wesentlich gleichen gegenüberzustellen habe, welche somit leicht
als nicht hieher gehörig beurtheilt werden könnten.
[142] Die festen Metalle erwiesen sich als sehr geeignet; und
die nach den ersten brauchbaren Resultaten vorgenommene Durch-
sicht der Literatur zeigte, dass bezügliche Erscheinungen schon im
Jahre 1880 von A. Guebhard^) beschriel^en worden sind. Er durch-
strömte mit dem galvanischen Strom blanke Metallplatten in
Lösungen von Metallsalzen, ohne die Electro.den in Berührung mit
der Platte zu bringen und beobachtete die an beiden Polseiten der
Platte entstehenden Niederschläge, insbesondere den der Anode zuge-
wendeten Metallniederschlag. Sein Interesse wandte sich den bei
1) GuEBHARD, Adrien-, Conipt. rend. Bd. 90, S. 984 und 1124. 1880, Bd. 93, f
ö. 403, 582 und 792, 1881, Bd. 94, S. 437 und 581. 1882, L'Electrien, Bd. 2, S. 59-67, •
273-283, 429—439. 1881-1882. Journal de Physique, (2) Bd. 1, S. 205-222. 1882. f
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische Intraelectrolyten etc. 669
dümiem Niederschlag entstellenden farbigen Linien zu, und er zeigte,
dass bei gewisser Anordnung des Versuchs diese Linien äquipotentiale
Curven darstellen.
An seine Publication schlössen sieh sofort zahlreiche theoretische
Erörterungen und Versuche anderer Autoren mit dem galvanischen
Strom an, so von E. Mach, L. Dit.scheinei'., A. Tribe, Rorn, Volterra
und Pasqualini, von denen uns jedoch blos die Mittheilungen der letzt-
genannten Autoren näher angehen.
RoiTi^) fand, dass auf der Kupferplatte der Metallniederschlag
auf der Eintrittseite des Stromes ausgebreiteter stattfindet als der
Oxydniederschlag auf der Austrittseite. Den zwischen beiden Nieder-
schlägen unbedeckt bleibenden Raum leitet er von einem Polarisations-
strom ab, welcher sich vom primären Strom subtrahirt.
A. Tribe ^) dagegen beobachtete an hohlen, in axialer oder äqua-
torialer Lage zwischen Electroden in Kupfervitriollösung durchströmten
silbernen Röhren, dass der Kupferniederschlag auf der Eintrittsseite
des Stromes weniger ausgebreitet ist als der Oxydniederschlag auf der
anderen Seite.
[143] ViTo Volterra^) berechnet, dass die Linien gleicher Fär-
bung mit den Linien gleichen Potentiales identisch sind für eine
Kugel von Blech, sowie unter Umständen für den Abschnitt einer
Kuge loberfläche .
Pasqualini*) hat die Abhängigkeit der Ausdehnung des vom
Niederschlag frei bleibenden Raumes von der Stromintensität, von der
Natur des Metalles und des Electrolyten, sowie von der Concentration
des letzteren untersucht.
Statt der Metallplatte wurde ein verticaler, in 100 gleiche Grade
im Kreise herum getheiiter Messing-, resj^ective Kupfercylinder von
1) RoiTi, N. Cim. Bei. X, S. 97, 1881.
2) A. Tribe, Ueber die Vertheilung der p]Iectricität auf hohlen Conductoren in
Electrolyten. Phil. Mag. Bd. 16, S. 384—386, 1883.
3) ViTO Volterra, SuUe ligure elettrochimiche di A. Guebhard. Atti della R.
Acc. delle Sc. di Torino, Bd. 18. Febr. 1883 und Ueber die electrochemischen Bilder
auf der Oberfläche eines Cylinders. N. Cim. Bd. 13, S. 119—139, 1883.
4) PAriQUALiM, L., Ueber die electrochemischen Bilder auf der Oberfläche eines
Cylinders. N. Cim. Bd. 14, S. 26-38, 1883.
670 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
28,5 mm Durchmesser in möglichst neutraler Zinklösung verwendet.
Die Ausdehnung des auf diesen Cylinder niedergeschlagenen Zinkes
ist bei gleicher Stromintensität constant und kann etwa 90° erreichen;
grösser wird sie kaum auch bei grosser Vermehrung der Intensität;
die Ausdehnung des braunen Niederschlages auf der anderen Seite
wird fast eben so gross.
Der Winkel a von der Aequatorialebene bis zu den Nieder-
schlägen steht bei constanter Concentration mit der Stromesdichtigkeit
in der Relation
D a sin a = N
wobei N eine Constante ist.
Bei verschiedenen Concentrationen der Zinkvitriollösung von
der Leistungsfähigkeit {.i ist N/jt< constant. Nach Volterra ist unter
der Annahme, dass die entblösste Stelle von einem Polarisationsstrom
herrührt, wenn R der Radius des Cylinders, «j -j- gg := e die electro-
motorischen Kräfte dieses Stromes an den Niederschlägen sind:
11441 wo
und
K
4 DR ,„ T- o \
li, — k cos-a ,
^ d(f
1/ 1 — F sin^ (p
E =
V 1 — k-^iw^ cpdcp
und k = sin cc ist.
Auch diese Formel wurde von Pasqualini bestätigt. (Re-
ferirt nach Beiblätter zu den Annalen der Physik und C-hemie,
Bd. 8, 1884.)
Durch die vorliegenden Arbeiten ist das Gebiet noch nicht er-
schöpfend bearbeitet.
Es fehlen noch alle Versuche über das Verhalten beim
„Wechselstrom"; und auch bei Verwendung des Gleichstromes
bieten Variationen der Versuchsbedingungen manche auffällige Er-
scheinung dar, von denen es zweifelhaft erscheinen muss, ob sie durch
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische Intraolectiolyten etc. G71
den von Rom und N'olteuua angenonnnenen Polarisationsstroni er-
klärbar sind.
x4.1s Nielit-Pliysiker werde ich mich theoretischer Erörterungen
enthalten und mich aul" die Wiedergabe meiner Versuchsergebnisse
beschränken, soweit sie zum Verständniss der an lebenden Objecten
beobachteten Erscheinungen beitragen. Bei diesen Versuchen wurde
manche Vermuthuhg experimentell geprüft, welche von einem Phy-
siker von vorn herein ausgeschlossen worden wäre.
Wer jedoch auf biologischem Gebiete arbeitet, wird bald
daran gewöhnt, die Richtigkeit jedes scheinbar zwingenden
positiven oder negativen Deductionsschlusses vor seiner Ver-
wendung immer erst noch auf ihre empirische Bestätigung
zu prüfen, da unsere biologischen Grundsätze zumeist blos Annälie-
rungen an die Wahrheit sind. Auf einem mir fremden Gebiete war
diese Vorsicht noch mehr geboten ; und ich denke, es wird aus dem-
selben Grund vielleicht auch manchem meiner biologischen Leser die
Darstellung dieser primitiven Ableitungen willkommen sein.
Es ist ferner zu erwähnen, dass Mateucci einen Draht in einer
feuchten Hülle unter Verbindung der Electroden eines galvanischen
Stromes mit dieser Hülle durchströmt und gefunden hat, dass dann
auf Polarisation beruhende Ströme auftreten, welche den electromoto-
rischen im Nerven gleichen; und L. Hermann hat einen in verdünnter
Schwefelsäure liegenden Platindraht als [145] „Kernleiter" verwandt.
Doch hatten diese Versuche nicht die Ermittelung der specifischen
Localisation der Polarisation zum Ziel.
Es entstehen nach obigen Citaten an dem in einen Electro-
lyten eingelegten, die Electroden nicht berührenden Metallstück beim
Durchströmen mit dem galvanischen Strom zwei den Electroden zu-
gewendete Felder oberflächhcher Veränderung des Metalles und
zwischen beiden bleibt ein oberflächhch nicht verändertes Gebiet;
auf erstere will ich gleich den für die an lebenden Objecten beob-
achteten polaren Veränderungen eingeführten Namen Polfelder,
auf letzteres den Namen Aequator ausdehnen.
Der im Electrolyten liegende, die Electroden nirgends berührende
672 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Körper werde kurz, wenn auch nicht ganz correct, als „lutraelectrolyt"
hezeichnet.
Gehen wir nun zu den Ergebnissen der eigenen, vorwiegend
und, wo nicht besonders anders bemerkt, stets mit dem Wechsel-
strom angestellten Versuche über.
Zunächst seien die für Wechselstrom und galvanischen
Strom gemeinsamen Wirkungsweisen mitgetheilt.
Die Polfeldveränderung beginnt immer an den den Elec-
troden nächsten Theilen des Metallstückes, den Polen, und
breitet sich von da anfangs rasch, allmählich langsamer aus, um schliess-
lich stabil zu bleiben. Die Intensität der Veränderung ist hier ah-
weichend von den Eiern stets an den „Folen'^ (s S. 579) des Intra-
electrolyten am grössten und nimmt von da continuirlich ab; bei lange
dauernder Durchströmung nimmt sie derartig stetig zu, dass dann auch
die Greuzschichte des Polfeldes gegen den blanken Aequator stark ver-
ändert ist, so dass also ein greller Contrast, kein allmählicher Ueber-
gang zwischen beiden Theilen besteht. Dies gilt natürlich nur, wenn
der Electrolyt nicht schon ohne Strom das eingelegte Metall verändert.
Nach Stronnmterbrechung geht bei neuem Schluss die weitere
Polfeldbildung nicht wieder erst von den Polen des Stückes aus;
sondern sofort mit dem Schluss schreitet auch die Grenze des Pol-
felds fort. Daher breitet sich auch durch rasch intermittirende
Ströme das Polfeld aus ; während, wenn jede neue Polfeldbildung an
den Polen beginnen und von da sich ausbreiten müsste, es eine Unter-
brechungsgeschwindigkeit geben müsste, bei welcher das Polfeld nicht
wachsen könnte. Dasselbe [146] erfahren wir, wenn man nach jeder
kurzen Durchströmung das gebildete Polfeld mit Ausnahme seiner
Aequatorgrenze mit Putzpulver wegputzt. Bei erneuter Durchströmung
sieht man dann das Polfeld sogleich auf Kosten des Aequators sich
ausdehnen, obgleich an dem blank geputzten Pol selber die Verände-
rung von Neuem an den Polen beginnt und den von früher her er-
haltenen Rest des Polfeldes noch nicht erreicht hat.
Daraus dürfen wir schliessen, dass die später erfolgende Bildung
des distalen Theiles der Polfelder wohl nur dadurch bedingt ist,
dass an diesen Stellen die Zahl der eintretenden Strom-
Wirkling dos Wechselstromes auf feste motallisclie Intraelectrolyten. 673
fäden bei kürzerer Dauer der Durcliströraung zu gering
ist, um schon eine siclitbare Veränderung hervorzubringen.
Diese Auffassung wird bestätigt dadurch, dass bei Anwendung des
G 1 ei c li s t r o ni es auf Kupfer in Kupfervitriol schon nach einer äusserst
kvu'zen Durchströmung, welche blos ein ganz kleines sichtbar mit
Metall beschlagenes Eintrittspolfeld hervorgebracht hat, beim Heraus-
heben gleichwohl schon die ganze Grösse des erst nach viel
längerem Durchströmen sichtbar werdenden Polfeldes benetzbar
geworden ist, während der Aequator noch, wde vorher die ganze
Münze, unbenetzbar ist. Beim Austrittspolfeld dagegen ist die Be-
netzungsfläche nicht grösser als die jeweilig sichtbare mit Oxyd be-
deckte Ausdehnung desselben.
Mit der Zunahme der Stromdichte nimmt auch die relative
Grösse der Polfelder zu, also die Breite des Aequators ab, wie cües
schon die obengenannten Autoren festgestellt haben. Besonders
abhängig ist die ,, sichtbare" Grösse der Polfelder von der
specifischen Beschaffenheit der Oberfläche. So bilden z. B.
von Schrotkörnern, Rehposten u. dgl., welche in Kochsalzlösung
durchströmt werden, einige derselben ganz schwach veränderte, kleine
Polfelder, während an daneben liegenden, gleiches Aussehen dar-
bietenden Exemplaren gleicher Grösse grosse , stark veränderte Pol-
felder entstehen ; diese Verschiedenheit beruht hier wohl nur auf zu
geringer Veränderlichkeit der Oberflächenschichte und auf dadurch
bedingtem Unsichtbarbleiben der dem Aequator benachbarten Theile
des Polfeldes, selbst bei längerer Durchströmung. Dagegen ist voll-
kommen deutlich, dass an ihres Ueberzuges beraubten, also blanken
Rehposten etc. der Aequator viel kleiner wird, als ceteris
paribus an noch mit ihrer harten [147] Oxydkruste versehenen,
deren Polfelder ajich nach sehr langem Durchströmen mit stark ver-
änderten Rändern einen breiteren Aequator begrenzen.
Wirkung des Wechselstromes.
Wenden wir uns zu den speciellen Ergebnissen der mit dem
Wechselstrom angestellten Versuche, so sei zunächst der Einfluss
W. ßoux, Gesammelte Abhandlungen. II. 4ö
674 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
der Gestalt und Grösse des Intraelectrolyten auf die Gestalt
und Lage der Polfelder, resp. des Aequators dargestellt und mit der
Kugelgestalt begonnen.
1, Werden Bleikugeln oder Messingkugeln in einem grossen
electrolytischen Felde vertheilt und durchströmt, so bilden die
Grenzlinien der Pol fehler deutlich die äq^uipotentialen
Curven eines homogenen electrischen Feldes, gleich den
Froscheiern.
Beide P o 1 f e 1 d e r freistehender Kugeln werden im Wechsel-
strom gleich gross ; nur in unmittelbarer Nähe einer
Electrode tritt ein, wohl von der divergirenden Richtung der Strom-
fäden abhängiges deutliches K 1 e i n e r s e i n des dieser Electrode
zugewendeten Polfeldes unverkennbar hervor. Der hier deut-
liche Unterschied ist aber immerhin so gering, dass es nicht zu ver-
wundern ist, dass ein entsprechendes Verhalten an den von einer
dicken, die Beobachtung durch Lichtbrechung erschwerenden Gallert-
hülle umgebenen und l)los 2,5 mm grossen Froscheiern nicht sicher
festgestellt werden konnte.
Die relative Grösse der Polfelder steht bei den Metallkugeln
der von mir geprüften Dimensionen, ähnlich wie bei den Froscheiern,
ceteris paribus / n ei n e m u m gekehrten Ve r h ä Itniss z u r Grösse
des Kugeldurchmessers, was aus folgender Tabelle hervorgeht.
Die kugeligen Gebilde derselben wurden alle zwei und eine halbe
Minute lang in einhalbprocentiger Kochsalzlösung in einer Schale von
63 mm Durchmesser, bei 56 mm Electrodenabstand , bei Mittelstellung
zwischen beiden Electroden und constanter Flüssigkeitshöhe unmittel-
bar nach einander durchströmt. Da die Versuche unmittelbar nach
einander vorgenommen wurden, ist wohl auch die Stromstärke als
wesentlich die gleiche anzunehmen.
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische Intraelectrolyten. 675
[1481
Bleikugel mit Oxydüber-
zus
Durchmesser
der Kugel
Durchmesser des
Aequators
Breite des
Aequators in
Procenten des
Durchmessers
der Kugel
6,8 mm
1,3-
-1,5
mm
20^/0
5,7
1.7-
-2,5
30
2,8
1,1
40
2,0
1,0
50
1,2
0,8
66
Blanke Bleikugel
I 6,8 mm
' 2,6
I l!5
0,3 — 0,6 mm
0,6—0,7
0,5
70/0
24
33
Wachskugel mit sogenami-| .^
tem Silberblatt überzogen /
mm 1,5 mm
9°/o
2,8—3,8 mm
180/0
1,5—2,0
240/0
1,4—1,5
290/0
Wachskugel mit Apotheker- J '
Goldblatt überzoR-en ] '
4,9
Wenn auch diese Messungen an sich sehr ungenau sind,
so zeigen sie in B'olge der starken Variationen der Durchmesser doch
die Hauptsache deutlich; und es ergiebt sich zugleich, da.ss Kug ein
von hleinerem Durchmesser ceteris parihus sogar hei dem-
selben Stoff einen absolut grösseren Äequator bekommen können
als grössere, wie wir das an den ungleich grossen, unreifen Frosch-
eiern noch stärker ausgesprochen fanden.
Durch lange fortgesetztes Durchströmen wird
dieser Unterschied geringer, wie folgende Tabelle , gleich-
falls für halbprocentige Kochsalzlösung, aber bei schwächerem
Strome zeigt:
Durch- Breite des Aequators
messer m
/
Millimeter
nach 1 Min.
Durch-
strömung
Bleikugel . . .
. 6,8
3,0 mm
Messingkugel
. 7,0
2,0
»
. 2,65
1,35
»
. 1,3
0,85
»
. 1,3
0,9
dieselbe in
°/o des
Durch-
messers
44
28
51
65
69
nach4Min.
Durch-
strömung
2,2 mm
1,85
1,2
0,75
0,75
dieselbe
in "/o des
Durch-
messers
33
26
46
57
57
43*
676 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
[149] Ausserdem geht aus beiden Tabellen hervor, dass ver-
schiedene Metalle ceteris paribus verschieden grosse Pol-
felder bilden, wofür wir ein entsprechendes Verhalten an jedem
einzelnen Froschei hatten, indem immer im Bereich des unteren,
nahrungsdotterreichen, hellen Abschnittes der Aequator allenthalben
gleich schmal war und sich im Bereiche des oberen, mehr protoplas-
matischen Bildungsdottertheiles stetig nach oben verbreiterte.
Die Tabellen zeigen für halbprocentige Kochsalzlösung
als Electrolyten folgende Reihenfolge der abnehmenden Grösse
der Polfelder an Kugeln von 6,8 — 7 mm Durchmesser: blankes
Blei, Messing, Bleischrot mit Rinde, Apothekergoldblatt. Ge-
legentlichwurden an metallenen Gebilden einige Beobachtungen gemacht,
welche daraufhindeuten, dass sichfür andere Electrolyten, z.B. für schwefel-
saures Natron, Salzsäure diese Reihenfolge vielleicht ändern würde.
Dem Polfelde anhaftende Luftbläschen werfen als schlechte Leiter
natürlich einen starken Schatten, so dass an ihrer Haftstelle und deren
nächster Umgebung die Metalloberfläche unverändert bleibt, und in
der darauffolgenden Zone das Polfeld geschwächt ist.
Eine zweite an Bleikugeln, in anderer Richtung als die
erste, vorgenommene Durchströmung bewirkt Entstehung neuer
entsprechend gelagerter Polfelder, die natürlich im Bereich des früheren
Aequators am deutlichsten sind. An Messingkugeln sieht man
nach nur kurzer zweiter Durchströmung, dass im Bereiche der
neuen Polfelder die beiden Seitentheile des früheren
Aequators als scharf heg renkte blanke Niveaulinien von
der Veränderung frei gehliehen sind, tvie es entsprechend
an der Gallenblase des Frosches, hier selbst nach langdauernder
zweiter Durchströmung, noch der Fall war.
Sind sivei Kugeln in Richtung der Str omfäden unter
Vs ihres Durchmessers einander genähert , so iverden die ein-
ander zugetvendeten Polfelder derselben deutlich kleiner,
und zwar um so kleiner (also ähnlich, wie wir es an der zu zwei
Kugeln eingeschnürten Gallenblase sahen) , aber zugleich stärker ver-
ändert, je näher die Kugeln einander stehen; die einander abge-
wendet c n P 0 1 f e 1 d e r d e r M e t a 1 1 k u g e 1 n werden um so
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische Intraelectrolyten. 677
grösser, derart, dass sie /AÜetzt mehr als die Hälfte der Kugel-
oberfläche einnehmen. Berühren sich beide Kugeln mit blanken
Stellen, sind sie also leitend verbunden, [150] dann entstehen blos
noch die einander abgewendeten weit über die Hälfte der Kugelober-
fläche einnehmenden Polfelder; beide Kugeln also reagiren wie ein
einziges Stück.
Auch nebeneinander, also in äquatorialer Richtung benach-
bart liegende Kugeln beeinflussen einander aber erst bei grösserer
Nähe, indem der Aequator beider sich gegen die Stelle
g r ö s s t e r Nähe hin plötzlich stark verbreitert, wohl weil
die Stromfäden sich hier auf zwei Gebilde vertheilen. Ist die Ver-
bindungslinie einander sehr naher Kugeln schief zur Stromrich-
tung gestellt, so wird der Aequator gegen diese Stelle hin all-
mählich breiter, und die beiden Polfelder jeder Kugel werden wieder
ungleich gross. Gegen die Berührungsfläche beider Kugeln am Boden
erfolgt gleichfalls eine Verbreiterung des Aequators; während beim
Froschei, welches durch die Gallerthülle an dieser Berührung ge-
hindert wird, eine solche Verbreiterung fehlte, aber an aus der Hülle
befreiten Embryonen deutlich ausgesprochen war.
An den beiden inneren, kleineren Polfeldern einander sehr
naher, in Richtung des Stromes h i n t e r e i n a n d e r liegender
Messingkugeln bei Durchströmung mit dem Wechselstrom
in ^/sprocentigerKochsalszlösung sah ich eigenthümliche Erscheinungen,
siehe Taf. IX, Fig21. An den beiden einander nächsten Stehen ist
ein dunkelgrüner, gleichmässig rundlicher Fleck (1), der
mit scharfer Grenze abschliesst ; darauf folgt nach aussen ein m e-
t allisch gebli ebener Ring (2), auf diesen eine braune Zone ,
welche, nach innen scharf begrenzt, mit starker Veränderung anhebt,
nach aussen dber allmählich schwächer wird und so in einen (4)
wieder metallischen blanken Hof übergeht. Dieser wird
aussen begrenzt durch eine (5) blau grüne, viel breitere Zone,
welche nach innen mit starker Veränderung beginnt und nach aussen
allmählich an Intensität der Veränderung abnimmt und ihrer Farbe
nach dem äusseren Polfeld entspricht. Das dunkle Centrum (Nr. 1)
kann auch fehlen, dann wird das Centrum entsprechend Nr. 2 durch
678 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
eine helle metallische Scheibe gebildet. Auch an Bleikugeln entstehen
entsprechende Zonen bei gleicher Versuchsordnung.
Da hier zwei blanke metallische Ringe zwischen den veränderten
Zonen liegen, kann also die zonale Färbung nicht blos auf optische
Interferenz zurückgefühi-t werden; und da ich mir [151] derartiges
zonales Verhalten auch nicht aus dem sinusoidalen Verlauf der
Phasen meines Wechselstromes ableiten konnte, so prüfte ich noch
das Verhalten so naher hinter einander liegender
Messingkugeln im ,, Gleichstrom", wieder in Vzprocentiger Koch-
salzlösung.
Es zeigte sich, dass jetzt die beiden inneren Pol fei der nicht
wie beim AVechselstrom kleiner wurden, sondern eben so gross, eher
sogar ein wenig grösser schienen als die äusseren. An
den einander nächsten Stellen beider Kugeln entstanden wieder wie
beim Wechselstrom Ri n g z o n e n. Am k a t h o d i s c h e n , rothbraunen,
inneren Pol fei d ist in der Mitte eine noch fast blanke, also nur
wenig veränderte Scheibe ohne scharfe Ränder, oder das Centrum ist
schwärzlich; darauf folgt die stärker veränderte, breite rostbraune
Zone, die peripher einen schmalen schwarzgrünen Saum geringer Ver-
änderung zeigt. Das äussere kathodische Polfeld kann auch im Cen-
trum neben seiner rostbraunen Hauptfarbe noch einen deutlichen
schwarzen Schimmer haben undzwarin grosser Ausdehnung. Das innere
Anoden-Po Ifeld ist in der Mitte ganz blank; dann kommt ein grün-
schwarz gefärbter Ring, der stark verändert anhebt, aber nach aussen
allmählich ausläuft; daran schliesst sich die breite Zone des nach dem
Aufhören der Bläs'chenbildung blanken Bläs'chenfeldes, neben dessen
peripherem Rand nach aussen manchmal eine deutliche, verschieden
breite Trübung sich findet, besonders oben und seitlich an der Kugel.
Das äussere anodische Bläs'chenfcld zeigt gleichfalls manchmal diese
unregelmässig gestaltete Randtrübung, ist aber sonst durchwegs blank,
nachdem die Bläs'chen entfernt worden sind. Die Randtrübung ist
offenbar ohne Bedeutung; sie rührt wohl von freien Jonen her, welche
von den Electroden oder vom kathodischen Polfeld aus sich ausge-
breitet haben.
Wirkung des Wechselstroinos auf feste metallische Intraelectrolyten. 679
Wenn nun auch gewiss der zwischen den beiden einander nahen
Polfeldern entstehende Polarisationsstrom an diesen Erscheinungen
einen Antheil hat, so bedarf doch die Ursache dieser zonal
s c h a r f b e g r e n z t e n ^^ e r ä n d c r u n g e n V e r s c h i e d e n s t e r In te n -
sität noch der Aufklärung.
Selbst unvollkommen vom Electrolyten bedeckte Kugeln
bilden, soweit sie in der Flüssigkeit liegen, Polfelder mit äquipoten-
tialen Curven ihrer Aequatorränder, im Unterschied zu dem Ver-
halten der unvollkommen bedeckten Gallenblasen, bei welchen
[152] die Polfeldgrenzen unter diesem Verhältnisse stark von den
Niveaulinien der Stelle des electrolytischen Feldes abwichen.
2. Gehen wir zum Verhalten j)/«if^ er GehUäe über, so tritt
bei ihnen, im Gegensatz zu den Kugeln, bezüglich der Grösse und
Gestaltung der Polfelder deutlich der Einfluss der Höhe der über,
respective der Breite der seitlich vom Intraelectrolyten stehenden leiten-
den Flüssigkeit hervor, so auch bei runden Scheiben.
Die Erzeugung eines geradlinig parallel c o n t o u r i r t e n
A e q u a t o r s auf der Fläche von r u n d e n Scheibe n in runden
Schalen bei Mittelstellung des Gebildes zwischen den Electroden ist
ausser von d e r H ö h e der Flüssigkeit noch von mehreren anderen
Umständen abhängig. Bei geringem Abstände der platten Electroden
in enger Schale genügt gewöhnlich eine Höhe der überstehenden
Flüssigkeit von etwas über dem Radius des Gebildes. Ist bei gleichem
Electrodenabstand die Schale grösser, so ist eine grössere Höhe nöthig,
welche bei grösserem Electrodenabstand noch erheblich vermehrt
werden muss. Dabei ist aber am seitlichenRande der runden Scheibe
der Aequator immer noch schmaler als der Aequator auf der Fläche.
In dem Maasse als die überstehende Flüssigkeitsschichte niedriger
ist (bei gleicly bleibender seitlicher Ausdehnung der Flüssigkeit), ent-
steht in der Mitte des platten Gebildes eine zunehmende Verbreiterung
des Aequators, bis bei unbedeckter oder nur eben benetzter oberer
Fläche diese keine Polfelder mehr bildet.
Dies Verhalten entsjjrichf der centralen Verbreiterung
des Äeqnators an den zwischen Glasplatten flach gepressten
Froscheiern ^ auf deren platte Flächen Stromfäden nur von der Höhe
680 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
der geringen Dicke der gepressten Gallerthülle aus eintreten konnten.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Unterfläche platter Gebilde ; wes-
halb diese bei ebenem Boden des Gefässes unverändert bleibt, selbst
bei dünnster Substanzlage, wie sie feinste Goldblättchen darbieten:
alles Beweise, dass nur der Eintritt des Stromes aus dem Electro-
lyten in das Metall und der Austritt in den Electrolyten, nicht aber
die Durch Strömung der Oberfläche des vom ElectroMen umgebenen
Metalles die Veränderung des letzteren hervorruft; dass also die an
der Ein- und Austrittsstelle entstehenden Jonen eine wesentliche Ur-
sache dieser Veränderungen sind, was allerdings für Metalle keines
Beweises mehr bedurfte. (Siehe bezüglich organischer Gebilde dagegen
Seite (360.)
[153] Mit diesen Verhältnissen im Zusammenhang steht auch
der Befund, dass an den Seitenflächen platter Gebilde der Aequator
bei oben überstehender Flüssigkeitsschicht oben schmaler ist und
gegen den Boden hin sich continuirlich, wenn auch nicht viel, ver-
breitert. Daraus ergiebt sich, dass nicht blos im gleichen Niveau mit
dem Objecte, sondern auch aus höheren Schichten seitliche
Stromfäden in die Seitenfläche des Gebildes eindringen.
Da die Eier und jungen Embryonen alle gerundete Gebilde
sind, und ihr electrischer Aequator der Mitte nahe liegt, also diejenige
Stelle einnimmt, an welcher die Stromfäden eines homogenen Feldes
fast tangential zur Oberfläche des Gebildes verlaufen würden, hatte
ich daran gedacht, dass dieser ungünstige Einfallswinkel vielleicht
an der Entstehung des Aequators einen wesentlichen Antheil habe.
Die Beobachtungen an platten Metallstücken, deren ganze obere Fläche,
bei geeigneter Lage der Electroden, parallel zu den Stromfäden eines
homogenen Feldes steht, gleichwohl aber grosse Polfelder bildete,
zeigten, dass diese Ansicht für Metalle nicht zutrifft; was aber noch
keinen Schluss auf die, Millionen mal schlechter und wenn überhaupt
so nur wenig besser als der Electrolyt leitenden organischen Kör-
per gestattet.
Versuche mit einem gebogenen Stanniolstreifen dagegen
ergaben, dass in der Mitte eines der Länge nach, siehe z. B. Taf. X
Fig. 24, durchströmten Metallstreifens ein rechtwinkeliger metal-
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische lutraelectrolyten. 681
lisch er Vorspruiig von der Höhe der hall)en, in Richtung
des Stromes gemessenen Breite des Aequators aa vorhanden sein kann,
ohne dass dieser Vorsprung verändert w i r d ; daraus scheint
zu folgern, dass ihn keine Stromtaden treffen, obgleich die Strom-
fäden eines homogenen Feldes rechtwdnkelig auf ihn einfallen würden.
Da sich an dieser rechtwinkelig zur Stromrichtung stehenden Metall-
platte auch bei längerer Durchströmung keine Jonen abscheiden, wie
es sonst an einer in gleicher Weise, aber frei stehenden Platte ge-
schieht, ist es ein Beweis, dass die Jonen nicht allenthalben
in der interpolaren Strecke, sond ern nur längs der Strom-
fäden wandern. Ist die am Aequator vorspringende Platte höher
als hier, so bekommt sie jederseits ein eigenes Polfeld, aber nur in der
Mitte ihrer beiden Flächen; die Seitentheile und Ränder bleiben als
Aequator frei. Stanniol wurde immer in Glaubersalzlösung
durchströmt.
[154] Eine ähnliche Reaction tritt auf, wenn ein rechtwinkelig
gebogener Blechstreifen mit dem einen Schenkel rechtwinkelig zur
Gesammt-Stromrichtung, mit dem andern also längs derselben orientirtist
(s. Taf. X Fig. 25). Alsdann werden je nach der relativen, aber auch
von der Stromdichte abhängigen Länge beider Schenkel verschiedene
Befunde erhalten. Der freie Endtheil des Längsschenkels wird wie ge-
wöhnlich verändert. Ist der querstehende Schenkel etwa ein Drittel
so lang als der andere, so erhält diejenige Fläche des queren Schenkels,
welche gegen den in Richtung des Stromes stehenden Schenkel hin
gewendet ist, kein Polfeld, die andere quergerichtete Fläche dagegen
entwickelt, als einer Electrode nächst liegende Fläche ein kräftiges,
ihre ganze Ausdehnung einnehmendes und auch noch auf die Aussen-
fläche des Längsschenkels eine Strecke weit sich fortsetzendes Polfeld.
Wird det Querschenkel niedriger, so greift sein Polfeld allmählich
über die Ränder auf die Gegenseite über, aber mit nur schwacher
\^eränderung, und schliesslich entsteht auch auf der an letztere an-
schliessenden Fläche des Längsschenkels ein zugehöriges Polfeld,
welches aber immer noch durch eine blanke Stelle an der hohlen
Biegungsseite von dem Umgreifungsfelde getrennt ist. Wird der Quer-
schenkel höher, so erhält er (siehe Fig. 25) auf der vorher freige-
682 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
bliebenen Seite ein centrales, die Ränder der Fläche frei lassendes
Polfeld; bei weiterer relativer Znnahmc des Qnersclienkels werden
unter Wachsthum des centralen Polfeldes auch die Ränder der Fläche
mit verändert; der Aequator bleiljt aber immer auf dem längs des
Stromes gestellten Schenkel, auch wenn dieser blos einen kleinen
Bruchtheil der seitHchen Ausdehnung des Querschenkels bildet; nur
setzt sich der Aequator bei sehr kleinem Längsschenkel auf den Seiten-
rand des queren Schenkels fort.
Bei einem geraden, in Stromrichtungund, wie in allen unseren
Versuchen, wenn nicht anders erwähnt, mitten zwischen den
Electroden liegenden, Stab findet sich beim Wechselstrom der
Aequator in der Mitte der Länge des Stabes. Dies ändert sich, wenn ein^
Theil des Stabes rechtwinkelig abgeknickt wird ; der neue Aequator liegt
dann nahe der Mitte des jetzt noch in Richtung des Stromes gestellten
Schenkels aber etwas, und zwar [1551 auf der Aussenseite weniger
als auf der Lmenseite des Winkels, gegen den Querschenkel hin ver-
schoben ; siehe Fig. 25. Der Querschenkel, dessen Theile ja alle in
fast denselben Niveauflächen liegen, hat also einen viel geringeren Einfluss
auf die Lagerung des Aequators als der viele Niveauflächen durchsetzende
Längsschenkel, obwohl ersterer von viel mehr Stromfäden getroffen wird.
Ein Uebergreifen des einer Electrode zugehörigen Pol-
feldes auf eine dieser Electrod e abgewendete Fläche
findet bei metallenen Intraelectrolyten auch schon unter einfacheren
Verhältnissen statt, z. B. an einem Ring; da sieht man deutlich, dass
die Polfelder anfangs blos auf den gegen die Electroden gewendeten
Aussenflächen entstehen, dann allmählich um die Ränder des Ringes
herum etwas auf die Innenseite übergreifen , und zwar natürlich
in der Nähe der Aequatorgegend am geringsten, in der Nähe der
Pole am weitesten. Es gehören also hier, in Folge ihrer Ijagerung
in der Nähe z. ß. der rechten Electrode, zum rechten Polfeld Flächen-
theile, welche ihrer Richtung nach am directesten von der linken
Electrode aus bestrahlt werden könnten.
Dies Uebergreifen eines Polfeldes auf eine Gegenseite der Haupt-
fiäche, welches wir in geringerem Maasse schon an zwei leitend ver-
bundenen Kugeln gesehen haben , lässt erkennen , dass bei den
AVirkung des Wechselstromes auf feste metalliscbe Intraelectrolyten. G83
Metallgebilden an dem für die Stromfelder eines homogenen Feldes
im Schatten liegenden Theile der Oberfläche ein wirklicher Strom-
schatten, wie wir ihn an grobgcfnrchten Eiern nnd Embryonen kennen
gelernt haben , nur rasch vorübergehend vorkommen kann. Wenn
man z.B. einen platten Stern aus Metall durchströmt, so bekommt
er nur zwei Polfelder; und die Polfeldbildung beginnt zwar auf den
gegen die Electroden gewendeten Flächen der Zacken, so dass anfangs
ein Schatten auf den den Polen zum Theil näheren, aber abgewendeten
Seitenflächen der Strahlen liegt ; während von den Polen entferntere,
aber den Electroden zugew^endete Flächen schon verändert sind. Die
Veränderung greift aber rasch auch auf die im Bereiche der beiden
Gesammtpolfelder des Gebildes liegenden, von der nächsten Electrode
abgewendeten Flächen über; und zwar wird dies wieder rascher an
den den Polen näheren als an den dem Aequator benachbarten Stellen
sichtbar, an welchen wohl die Stromfäden relativ spärlicher sind. Die
in der Tiefe sivi scheti den Zacken [156] gelegen en Stellen
dagegen bleiben, ivie in der Tiefe der Furchen an Em-
bryonen, lange Zeit unverändert^ jedenfalls in Folge des vorher
schon erfolgenden Uebertrittes der Stromfäden in die seitlichen Wan-
dungen der Furche. Dies ist somit ein Schatten durch Wegleitung der
Stromfäden von anderen Tlieilen des Intraelectrolj^tcn ; aber die Weg-
leitung geschieht letzteren Falles bereits im Electrolyten.
Wird ein eben und blank geschliffener Kupferkreuzer in
^/5 — i/io gesättigter Glaubersalzlösung mit dem Wechselstrom durch-
strömt, so entsteht manchmal mit den benetzbar werdenden, gelben
oder grünen Polfeldern zugleich eine orangenfarben e Trü-
bung zwischen beiden, also im Bereiche des breiten Aequators,
welche nicht benetzbar ist und jederseits durch eine gleichfalls
nicht benetzbare, blau Je gebt i ebene Niveanl inie vom Pol-
feld getrennt ist. Mit dem W a c h s t h u m d e r P o 1 f e 1 d e r w erden
diese blanken Niveaulinien einander genähert, auf
Kosten des mittleren, vorher trüben xVequatorf eldes.
Die Bildung unveränderter Niveaulinien ist also ein
besonderer, sogar schon bestehende Veränderungen auf-
hebender Process.
684 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Der Aeqiiator einer 18,3 mm grossen Kupferscheibe war in der
Mitte breiter als am Rande, obgleich die Flüssigkeit über der Münze
20 mm hoch stand, was zAir Bildung paralleler Contouren in anderen
Verhältnissen übergenug gewesen wäre. Dies hängt wohl mit dem guten
Leitungsvermögen des Kupfers zusammen, zufolge dessen wohl auch
der Aequator schon an sich sehr breit blieb. Die Polfelder hatten eine
besonders [fefärhte, aussen schwarze, innen orangefarbene Grenzlinie
(jeyen den Aequator. Das Anlaufen des mittleren Theiles des
Aequators, so wesentlich es für die Bekundung besonders sich ver-
haltender Niveaulinien ist, hängt nur von Nebenumständen ab;
denn es bleibt manchmal bei scheinbar ganz derselben Versuchsan-
ordnung aus. Ich erhielt es liäufiger, wenn die Münze nicht eben
erst frisch geputzt, sondern vor dem Durchströmen schon ein wenig
angelaufen war.
Ebenso treten Verschiedenheiten hervor bei einer zweiten,
rechtwinkelig zur ersten stattfindenden Durchströmung der
runden Kupferplatte. Dabei erhält man z. B. zwei weitere grüne,
an die vorherigen sich anschliessende Polfelder; und von den vier Ecken
des übrigbleibenden cpiadratischen [157] Aequators gehen vier
hellere Linien in diagonaler Richtung ab. Nach dem Ab-
wischen zeigt sich an diesen Linien das Metall noch fast blank, was
sich aus einem unten mitgetheilten Befunde bei rechtwinkelig zu ein-
ander erfolgenden Durchströmungen mit dem Gleichstrom erklärt, wo
jedoch blos eine solche schiefe Niveaulinie gebildet wurde. Dass
hier vier solche Linien entstellen, ergiebt sich dann wohl aus den
vierfachen Stromrichtungen des gekreuzt angewandten Wechselstromes.
Nach weniger lang dauernder primärer Durchströmung als im
eben erwähnten Falle wird bei der secundären, rechtwinkeligen Durch-
strömung der neue Aequator viel dunkler, orange; die nenen Niveafi-
linien sind einander parallel und werden seihst im Be-
reiche des primären, orangefarbenen Ae qnators hl a nie,
kupferfarbig unter Rückbildung des Orange; im Bereiche
der gelben, primären Polfelder dagegen sind sie schwärzlich; und
allmählich wird der äussere Rand hell, der innere schwarz, als tvenn
die schtvarse Snhstanz gegen den Aequator zu verschoben
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallische lutraelectrolyten. 685
wäre, ähnlich also, ivie es oft an dem Pifjment in der Rinde
des Froscheies der Fall war. Nach dem Abwischen sind auch
diese Theile der Niveauhnien wieder heller als die Umgebung, ja last
blank; also hat auch hier eine Rückbildung der primären Verände-
rung, welche das Metall trüb machte, stattgefunden.
An den Niveaulinien findet also .ziceifellos eine beson-
dere FinwirJcitng statt.
Die primären Polfelder sind auch im Bereiche des von den
Niveauhnien umgrenzten secundären Aequators stark verändert
worden, so dass dieser also gleichfalls wieder nicht als indiffe-
rente Zone aufzufassen ist.
Bei längerem Durchströmen von kupfernen Gebilden mit dem
Wechselstrom in durch den Strom siedender P/o Kochsalzlösung
W'ird die Grenzlinie des Polfeldes immer schärfer und dunkler; der
Aequator bekommt einen schwärzlichen Hauch bis auf jeder-
seits eine, seinen Rand bildende, allenthalben gleich breite helle
Niveaulinie.
Wurde Kupferdraht in warmer verdünnter Schwefelsäure liegen
gelassen , so dass das Kupfer schwarz anlief , so wairden beim Durch-
strömen die Polfelder zunächst heller, die dunkle [158] Färbung
verstärkte sich am Aequator, danach wurden die Polfelder
auch dunkel und waren durch eine helle Niveaulinie vom
dunklen Aequator getrennt. Auch an Bleischeiben kann man
bei gekreuzter Durchströmung Andeutungen von solchen Niveau-
linien hervorbringen.
Sind zwei Metallplatten rechtwinkelig zur Strom-
richtung aufgestellt und durch eine wenn auch nur minimale Schicht
des Electrolyten getrennt, so bekommt jede Platte auf jeder ihrer
beiden Flächeif je ein Polfeld, welches je nach der Dicke der Platten
auch auf die Seitenränder derselben übergreift und daselbst mit dem
andern den Aequator begrenzt. Berühren sich jedoch die Platten
leitend oder werden sie sonst leitend verbunden, so bekommen die
einander zugewendeten Flächen, wie bei den sich berührenden Kugeln,
kein Polfeld mehr; erst bei einem Abstand von mehr als der Breite
der leitend verbundenen Platten entstehen auch an den einander
686 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
zugewendeten Flächen Polfelder, welche aber nur schmal und an den
Rändern gelegen sind und wieder nur durch ein Uebergreifen der
äusseren Polfelder um die Ränder herum nach innen zu bedingt sind.
Wird eine dreieckige Platte mit der Spitze gegen eine Elec-
trode gewendet, so wird natürlich das spitze Polfeld länger als
das stumpfe; aber der Unterschied ist nicht so gross als zwischen
dem Schwanz- und Kopfpolfeld von Froschembryonen, welche der
Länffe nach durchströmt wurden.
Dass für die Ausdehnung der Polfelder und damit für
Lagerung des Aequators ceteris paribus wesentlich die Grösse
der Oberflächen, nicht die Grösse der von ihnen um-
grenzten Massen in Betracht kommt, ist schon aus früher
Mitgetheiltem ersichtlich. Um es noch besonders darzuthun, löthete
ich an einen, 1,5 mm dicken Bleistreifen quer einen ebenso breiten,
aber viermal so langen Stanniolstreifen von Vi 2 mm Dicke, dessen freies
Ende ich in einer der Dicke des Bleies entsprechenden Höhe um-
bog, um eventuelle Spitzenwirkungen zu beseitigen. Obgleich nun
die Masse der einen Seite an 20 Mal grösser war als die der anderen,
lag der Aequator in Folge der beiderseits fast gleichen Gestaltung
der Oberfläche fast in der Mitte des der Länge nach durchströmten
Gebildes.
[159] An langen Stücken Metalldrahtes, also an Gebilden von
sehr ungleichen Dimensionen, traten einige Verhältnisse besonders deut-
lich hervor. Der Aequator in Richtung des Stromes stehender Drähte
erweist sich ceteris paribus an längeren Gebilden zwar grösser,
aber verhältnissmässig viel kleiner als an kürzeren. So er-
gaben sich z. B. bei einem Electrodenabstand von 114 mm an einem
Bleidraht von 1,8 mm Dicke bei gleich dauernder Durchströmung
in demselben Gefässe für den Aequator folgende Maasse:
Breite des Aequators
Länse des
^ , in Procenten der
Drahtes absolut t •• j n uj.
Lange des Drahtes
35,0 mm 3,6 mm 10 '^lo
8,0 „ 3,0 „ 370/0
1,8 „ 1,7 „ 940/0
Wirkung des Wechselstromes auf feste metallisclie Intraelectrolyten. 687
All diesem Ergebniss ist das Vcrliältniss der Breite des Gebildes
zur durchflossenen Länge desselben nicht erheblich betheiligt; denn
eine quer zur Fläche durchströmte runde Scheibe von 8,5 mm Radius,
1,8 mm Dicke (respective durchMosseuer Länge) ergab einen Aequator
von gleicher Breite als der letzt erwähnte Draht von blos 0,9 mm
Radius und 1,8 mm durchflossener Länge.
Nimmt die durchflossene Länge noch weiter ab, so dehnt sich
der Aequator von den Seitenkanten nocli auf die querstehenden
Hauptflächen des Intraelectrolyten aus ; es bekommt z. B. ein Stanniol-
blättchen von V12 mm Dicke, welches quer zur Fläche durch-
strömt wird, bei geeigneter Stromdichte auf jeder Fläche ein grosses,
centrales Polfeld, welches von einem schmalen Aequator von
etwa 0,1—0,2 mm umsäumt ist. Dieser Aequatorsaum ist bei
gleicher Stromdichte an einer quadratischen Platte von 25 mm Kanten-
länge nur wenig breiter als bei einem Quadrate von 0,6 mm Kanten-
läiige. Ist dagegen die Strom dichte sehr gering, so ent-
steht kein Aequator mehr am Rande der beiden Flächen.
Der Aequator wird also hier bei geringerer Stromdichte (aber längerer
Durchströmung) kleiner als bei grösserer Stromdichte und kürzerer
Durchströmun gsd auer .
[160] Von gleich langen, aber ungleich dicken, quer abge-
schnittenen Drahtstücken, welche in axialer Richtung durchströmt
werden, erhält ceteris paribus das dickere Stück, wie immer in
Richtung des Stromes gemessen, einen breiteren Aequator;
während bei Querdurchströmung, gleich wie an den Kugeln, die
dickeren Stücke in gleichen Zeiten einen relativ, oft sogar absolut
kleineren Aequator erhalten.
Liegt der axial durchströmte Draht in der Mitte zwischen beiden
Electroden, scf sind ceteris paribus beide Polfelder gleich gross. Ist
der Draht dagegen einer Electrode näher, so wird das Polfeld dieser
Seite kleiner; doch treten die Unterschiede ähnlich wie bei Kugeln
erst bei grosser Nähe des einen Endes gegen die Electrode, also erst
bei grosser LTngleichheit des beiderseitigen Abstandes von den Elec-
troden hervor, was sich wohl leicht aus der divergirenden Richtung der
Stromfäden in der Nähe der kleinen Electrode bei rundem Felde ableitet.
688 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
An den länglichen Gallenblasen der Kaninchen haben
wir im Gegensatz zu den runden Gallenblasen des Frosches bei Durch-
strömung ersterer i n schiefer Richtung gesehen, dassder Aequator
schief zu den Niveauflächen des umgebenden homogenen electrischen
Feldes orientirt war. Um dies Verhalten auch am Metall zu prüfen,
wurde ein blanker cylinderischer Kupferdraht von 31 mm Länge
und 1,5 mm Dicke in einer runden Glasschale von 46 mm Durch-
messer in Wasserleitungswasser durchströmt. Er lag 2 mm hoch vom
Boden des Gefässes auf zwei lockeren Fliesspapierröllchen und war
in einer Höhe von 6 — 7 mm vom Wasser überdeckt. Der Mittelpunct
seiner Länge kam bei den verschiedenen Durchströmungen immer in den
Mittelpunct der mittleren geraden Verbindungslinie beider, einen Ab-
stand von 40 mm besitzenden Electroden zu liegen, und nur der Winkel
des Drahtes mit dieser Mittellinie, damit aber auch der Abstand der Draht-
enden von den Electroden, wurden verändert; derDraht wurde nach jedem
Versuche blank geputzt. Die Durchströmungszeit betrug je 15 Minuten.
[1611
I.
II. ' III.
IV.
V.
Winkel des
Drahtes mit der
mittleren Verbin-
dungslinie der
Electroden
Winkel des
Aequators init
der Längsrich-
tung des Drahtes
Winkel des
Aequatorsmitder
mittleren Niveau-
linie des elec-
trischen Feldes
Breite des Aequa-
tors. in Richtung
des Drahtes ge-
messen
Breite des Aequa-
tors, rechtwin-
kelig zu seinen
Grenzlinien ge-
messen
0«
4,5
9
18
36
54
72
81
90
90 0
38
26
19
12
5
2
1
0
0«
47
55
58
42
31
16
8
0
2.0 mm
2,0
3,0—3,5
3,3—4,0
3,5-5,0
4,5—8,0
23
30
31
2,0 mm
2,0?
2,0?
1,1
0,8
0,8
0,7
0,7
0,7
Die Messungen leiden wegen unscharfer Grenzen der Polfelder
und nicht vollkommen runder Gestalt des Kupferdrahtes an Unge-
nauigkeiten; ausserdem ist der Aequator bei den mittleren Schief-
stellungen etwas gebogen, so dass er in der Mitte einen grösseren,
Wirkung des Wechselstromes auf toste metallische Intraclectrolyten. 689
in Columne II aDgegebeiien, Winkel mit der Längsrichtung des Drahtes
bildet, als an den Enden; auch ist der Aequator an den Enden, in
Richtung des Drahtes gemessen, breiter als in der Mitte, was in
Columne 1\ zum Ausdruck kommt. Die Columne III zeigt daher
blos annähernd die Ahweichunyen des Aeqnutors von den
Niveaucurven eines fjiomog enen" Feldes an; aber es fällt aui",
dass diese Abweichungen schon bei 9—18° Schiefstellung
des Drahtes ihr Maximum erreichen, was bei den im Ver-
hältniss zu ihrer Dicke weniger langen und am verschlossenen Ende
verdickten Gallenblasen der Kaninchen nicht hervortrat.
Ein Kugel schalenabschnitt ans StannioJhJech lüdet
bei axialer Durch Strömung auf der convexen Seite ein centrales^
grosses und ein schmales marginales Polfeld, iv eiche beide den
Aequator zwischen sich fassen. Ist der Abschnitt klein, also flach,
so ist die concave Fläche von einem in der Mitte schwächeren Polfeld
eingenommen; ist er tief, so beschränkt sich wieder wie [162] bei
tiefen Furchen das Polfeld auf den Randtheil. Also die metallene
Kugelschale verhält sich im Principiellen ebenso, wie wir es an
dem abgeschnittenen Vorderhirn des Hühnerembryo sahen.
Wesentlich dasselbe gilt natürlich auch für entsprechende Abschnitte
anderer Rotationskörper-Schalen, deren Erzeugungslinie gegen die
Axe coucav ist.
Steht ein Ende oder beide Enden eines Drahtes oder Bandes
aus dem Electrolyten heraus, so erfolgt die Reaction des intra-
electrolytären Theiles so, als wenn die äusseren Theile nicht vor-
handen wären, wie wir ein Gleiches auch schon an der nicht voll-
kommen eingetauchten Kugel gesehen haben.
Anders ist dagegen das Verhalten, wenn die Enden des Me-
tallstückes innofrlialb der Electrolyten stehen, die leitende Ver-
bindung derselben aber zum Th eil ausserhalb des Electrolyten
si('h befindet. Unter diesen Umständen hängt die Abweichung der
Reaction von derjenigen eines vollkommen eingetauchten Gebildes
gleicher Gestalt wesentlich von der Stellung des Intraclectrolyten zu
den Stromfäden, resp. Niveauflächen ab.
Steht der ganze intraelectrolybare Theil des Gebildes in Rich-
W. Roux, Gesammelte Abhandiunsen. II. 44
690 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
tiing einer Niveaufläche, ist es z. B. ein in einer Ebene ge-
bogener Draht, welcher mit seinen eingetauchten Endtheilen mitten
zwischen beiden Electroden rechtwinkelig zur Verbindungslinie orientirt
ist, so findet eine principielle Abweichung von dem Verhalten bei
entsprechender vollkommener Eintauchung nicht statt. Die R e a c t i o n
erfolgt, als wenn lauter einzelne neben einander liegende
Stücke vorhanden wären, da innerhalb einer Niveaufläche keine
Wirkung vor sich geht; und es ist daher vollkommen nebensächlich, ob
alle oder nicht alle Theile eines Drahtes eingetaucht sind, nur dass sich
selbstverständlich die Wirkung auf die eingetauchten Theile beschränkt.
Von den anderen Stellungen sei blos die einfachste in ihrem
Verhalten geschildert. Steht das Gebilde mit seinem intra-
electroly tären Theil in Richtung des Stromes und hat z. B.
zwei gleich lange in gleichem Abstände gegen die Electroden gerichtete
wagrechte eingetauchte Schenkel, während das verbindende Mittelstück
so gebogen ist, dass es aus dem Electrolyten heraus ragt, so sind
die Polfelder der Schenkel gleich gross; der Ort des Aequators
hängt dabei von [163] der Stromdichte ab. Ist die Stromdichte
eine grosse, so werden die ganzen intraelectrolytären Theile polari-
sirt, und der x^equator ist dann wohl als extraelectrolytär liegend
zu denken. Ist die Stromdichte gering, so reichen die Polfelder nicht
so weit; und es ist auf jeder Hälfte noch ein gegen den extraelectro-
ly tären Theil zu gelegener Aequator vorhanden. Ist kein Aequator
innerhalb der Flüssigkeit vorhanden , so kann man schon ein erheb-
liches Stück, z. B. ^/s der Länge des einen wagrechten Schenkels und
darüber abschneiden, ehe bei denselben übrigen Versuchsanordnungen
der Aequator auf der anderen Seite aus dem extraelectrolytären Theil
des Drahtes in die Flüssigkeit herabrückt. Schneidet man noch mehr
auf der frülieren Seite ab, so entsteht zwischen dem Aequator
und dem extraelectrolytären Theil noch ein Polfeld,
welches dann also zu dem Polfeld des verkürzten Schen-
kels jenseits der electroly tären Verbindung gehört.
Taucht der verkürzte Schenkel nur noch mit der Spitze in die
Flüssigkeit, und steht diese Spitze in derselben Niveaufläche als das Aus-
trjttseude des anderen Schenkels, so bewirkt das Eintauchen natürlich
Wirkung dos Weohsolstroiiies auf feste metallisclie Intraeleetrolyten. 691
keine Veräiidenuig der Lage des Aequators am wagrechten Schenkel;
steht jedoch die Spitze der anderen Electrode näher, so findet eine
Verschiebung des Aequators nach dieser Seite hin statt. Sind die
senkrecht verlaufenden eingetauchten Theile des Drahtes von erheb-
licher Länge im Verhältniss zum wagrechten Schenkel, so kommen
die oben für rechtwinkelige Intraeleetrolyten angegebenen Regeln mit
zur Geltung. Doch sind die Schatten Wirkungen selbst bei grosser
Nähe der Enden breiter Metallstreifen alsdann viel geringer als bei
intraelectrolytärer Verbindung, und die Intensität der Veränderungen
weist manche Abweichung auf, besonders wenn beide Enden, von
ihrem Verbindungstheil aus gerechnet, nach derselben Seite, also
gegen ein und dieselbe Electrode gewendet sind.
Stehen beide ungleich langen Enden nur senkrecht in der Flüssig-
keit, aber in Riclitung des Stromes hintereinander, so bekommt das
kurze Ende ringsum ein kräftiges Polfeld, das lange ein kräftiges
auf der Seite der nächsten Electrode und ein schwaches, nach oben
allmählich abnehmendes auf der Gegenseite, doch reicht letzteres nur
bis zur Höhe des anderen Drahtendes, sofern dieses in nicht zu
grosser Entfernung sich findet.
[164] Werden die beiden Enden des Drahtes in getrennte
Schalen getaucht, in welcher jeder eine Electrode sich findet, so
werden die Drahtenden natürlich in ihrer ganzen intraelectrolytären
Ausdehnung verändert; ein Aequator entsteht an keinem derselben,
auch wenn das eine Ende sehr lang in Richtung des Stromes ver-
läuft, während das andere Ende nur eben eintaucht. Taucht da-
gegen ein breites Metallband, z. B. von Stanniol, in die beiden mit
Glaubersalzlösung gefüllten Schalen, und sind die wagrechten, gegen
die Electroden gewendeten Enden rechtwinkelig abgeknickt gegen
den aufsteigenden Verbindungstheil, so entsteht in der Winkelöflinung
an der Knickungslinie und deren wagrechter und senkrechter Um-
gebung ein grosses frei bleibendes, von veränderten Flächen um-
grenztes Feld, welches leicht für einen Aequator gehalten werden
kann. Dass diese Auffassung nicht richtig ist, zeigt eine Verschmä-
lerung des Streifens, wobei sich das Feld von den Rändern her ver-
kleinert und schliesslich verschwindet ; es ist also blos durch Vorweg-
44*
692 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
nähme der Stromfäden durch die Ränder des freien Feldes und deren
Umgebung bedingt gewesen, wie bei einer Furche; während ein
Aequator durch eine in Richtung der Niveaufiäche erfolgte Verschmä-
leruug bei derselben Anordnung in Richtung des Stromes nie ver-
schwindet; wie wir ja auch beim rechtwinkeligen Intraelectrolyten
die frei bleibende Seite der Transversalplatte wohl nicht zum Aequator
rechnen durften.
Wenn man einen über halb so breiten als weiten Ring aus
Stanniol mit einer Seitenkante auf den Boden des Glases legt und
in ihn hinein ein nicht über ^/s der Breite des Ringes hohes Stanniol-
bänkchen setzt, so bleibt letzteres beim Durchströmen des Electrolyten
unverändert. Es ist also durch den äusseren Ring vollkommen be-
schattet. Der Ring erhält in dem aus einer Lösung von schwefel-
saurem Natron bestehenden Electrolyten jederseits aussen ein stark
verändertes Polfeld, welches, wie früher mitgetheilt, über die obere,
von Flüssigkeit etwas überragte Kante des Ringes ein wenig auf die
Innenseite übergreift. Dieselben Polfelder entstehen, wenn der Ring
an irgend einer Stelle aufgeschnitten ist, aber noch 360° umschhesst.
Wird der Ring nochmals durchschnitten und damit die metalhsche
[165] Leitungseinheit zerstört, so bildet natürlich jedes Stück seine
besonderen Polfelder und seinen eigenen Aequator.
Wirkung des Gleichstromes auf feste metallische
Intraelectrolyten.
Da wir auch Versuche mit dem Gleichstrom an anorganischen
Gebilden mitgetheilt haben, und da es zum Verständniss der im
Wechselstrom beobachteten Erscheinungen nöthig ist, seien noch einige
Versuche mit dem galvanischen Strom an metallischen
festen Intraelectrolyten mitgetheilt.
Zur Uebereinstimmung mit den früher bei den organischen Ge-
bilden angewandten Bezeichnungen soll auch hier als positives
oder anodisches Polfeld wieder rein ,,topographisch" das
gegen die positive E 1 e c t r o d e (Anode) gewendete P o 1 f e 1 d
bezeichnet werden, obgleich es kathodischer Natur ist,
Wirkung des „Gleichstromes" auf feste metallische Intraelectrolyten. 693
da liiiT der sog'enanuto })Ositive Stroiii aus dem Electrolytcn austritt
uud sicli an ilun daher die (Aitionen abscheiden.
Es interessireu uns hier weniger die qualitativen Eigenschaften
der ^'^eränderungen des Intraelectrolyten, welche natürlich dieselben
sind als die an Electroden aus der gleichen Substanz in den gleichen
Flüssigkeiten vor sich gehenden Veränderungen, deren Farbe auch
mit der Dauer und Dichte des Stromes häufig wechseln; sondern wir
beschäftigen uns wesentlich nur mit der Localisation dieser Ver-
änderungen, und zwar blos an ehifacher gestalteten Gebilden, nach-
dem wir mit dem Wechselstrom bereits den Eiufluss der Gestalt in
einer für unsere Zwecke genügenden Weise ermittelt haben. Diese
Localisation ist, wie schon von Rom und von Tribe angegeben und
oben rnitgetheilt worden ist, für verschiedene Metalle und Electrolyten
zum Theil verschieden, so dass diese immer mit namhaft gemacht
werden ixiüssen.
Eine runde B 1 e i s c h e i b e , in 10— 20 procentiger Salzsäure
durchströmt, bildet beim Durchströmen zunächst ein auf drei Viertel
des Durchmessers der Scheibe und darüber sich ausdehnendes, gerad-
linig, scharf begrenztes, schwarzes negatives und ein erst
später auftretendes, mit Bläschen besetztes positives Polfeld, mit
dessen Auftreten und Wach sthum das n e g a t i v e Feld d u r c h A u f h e 1 -
lung vom Aequator aus unter Verschiebung des letzteren ver-
kleinert wird. Dieses positive Polfeld Avird erst allmählich
schwarz und ist, wie auch in Kochsalzlösung, nicht scharf gegen
den relativ breiten Aequator begrenzt, sondern [166] läuft mit
abnehmender Intensität seiner Veränderungen gegen ihn aus.
Bei seitlicher Verschiebung der A n o d e verschiebt sich ent-
sprechend das positive Polfeld und der Aequator wieder unter me-
tallischer Aufhellung des früheren negativen Polfeldes
im Bereiche des neuen Aequators, ein Beiveis, dass der
Aequator keine sivegs eine neutrale Zone darstellt. Die
durch längeren (Gebrauch zu diesen Versuchen entstehende Verun-
reinigung der Säure wirkt alterirend auf die Polfeldbildung ein. Zu-
letzt veranlasst solche Säure selbst am frisch polirten Blei schon für
sich momentan ein Schwarzwerden. Bei der Durchströmung wird
694 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
diese Schwärzung auf der positiven Seite und im Bereiche des
Aequators, vom positiven Pol ausgehend, sogleich zurückgetrieben,
so dass die Fläche blos noch mattgrau ist; dasselbe entsteht auch
an jeder Stelle, über welche man die positive Electrode hält.
Eine Bleischeibe bekommt, in h a 1 b p r o c e n t i g e r Koch-
salzlösung durchströmt, zuerst ein schwarzes negatives Pol-
feld, welches allmählich vom Pole sich ausbreitet. Aber ihm vor-
aus läuft bei diesem Fortschreiten, dem Grenzcontour des schwarzen
Polfeldes parallel, eine braune gegen den Aequator scharf,
gegen den hellen schmalen Zwischenraum zwischen ihr
und dem schwarzen Theil des Polfeldes unscharf be-
grenzte Linie. Der Abstand des Aequatorrandes dieser Linie vom
negativen Polfeld bleibt anscheinend constant, während die braune
Veränderung selbst sich allmählich rückwärts gegen das schwarze
Polfeld ausdehnt. Dies negative Polfeld kann die Mitte der Scheibe
überschreiten.
Erst eine erhebliche Zeit nach dem Auftreten des negativen
PoKeldes beginnt die Sichtbarwerdung des viel kleineren, weniger
trüben, nicht scharf gegen den Aequator begrenzten, son-
dern allmähHch gegen ihn auslaufenden positiven Polfeldes.
In vierprocentiger Kochsalzlösung wird das negative Polfeld
viel grösser. Bei seitlicher Verschiebung der Anode erhält das negative
Polfeld einen S-förmigen Grenzcontour gegen den Aequator.
Noch mit ihrer Oxydrinde versehene Bleikugeln, in
Kochsalzlösung durchströmt, verhalten sich, wie beim Wechsel-
[167] Strom, wieder unter sich sehr verschieden; während die eine
ein grosses, nur mit Bläschen bedecktes negatives und ein kleines,
mit grösseren Bläschen versehenes positives Polfeld bildet, entsteht
an einer anderen ein gelbes kleines negatives und ein grosses posi-
tives mit Bläschen bedecktes Polfeld.
Blanke Schrotkugeln bilden rasch ein grosses gelbes nega-
tives Polfeld und ein positives Bläschenfeld.
Stanniol, in Kochsalzlösung durchströmt, wird wenig ver-
ändert; dagegen entsteht in Salzsäure ein mehr als die Hälfte
einnehmendes, geradlinig scharf begrenztes negatives, ein viel
Wirkung des , Gleichstromes" auf feste metallische Intraelectrolyten. 695
kleineres, wieder iilhnählicli gegen den Aequator auslaufendes, posi-
tives Polfeld.
Eine mit Apotheker- Goldblatt überzogene Wachskugel
bildet in löprocentiger Salzsäure , wie in halbproeentiger Kochsalz-
lösung nur ein ganz kleines schwärzliches negatives Polfeld ohne
scharfe Grenze und ein entsprechendes positives Bläschenfeld.
Kupfer eignet sich durch schärfere, ja grelle Begrenzung
des Polfeldes gegen den Aequator und grössere Mannigfaltigkeit
des Verhaltens besser für unsere Zwecke als Blei, welches in manchen
Flüssigkeiten nur allmählich gegen den Aequator auslaufende Polfeld-
veränderungen bildete. Daher Avurden mit dem Kupfer mehr Ver-
suche angestellt.
Ein abgeschliffener Kupferkreuzer in Gl auber Salzlösung
durchströmt, bekommt blos ein negatives, minimales, gerade begrenztes,
grünlich-gelbes Polfeld , trotz grösster Näherung der Electroden bei
vier BuNSEN'schen Elementen ; ein Zeichen für den grossen Einfluss
der Natur des Electrolyten auf die Grösse des Polfeldes.
In Kochsalzlösung wird gleichfalls nur ein kleines negatives Pol-
feld gebildet, welches aber immerhin grösser ist, als in der Glauber-
salzlösung.
In Salzsäure entsteht an der Ku])f er münze wieder ein
sichtbares, positives Polfeld, welches erheblich kleiner ist als das bis
fast zur Mitte oder noch darüber hinaus sich ausdehnende graubraune
negative; dies positive Polfeld besteht aus zwei ganz ver-
schiedenen Th eilen: einem polar gelegenen, gerade abgegrenzten
schwarzblauen und darauf aus einem eventuell ebenso breiten, blos
durch einen andersfarbigen Metallschimmer [168] ausgezeichneten,
ä q ua t o r w ä'r t s durch eine orange - kupferige Linie be-
grenzten Theil. Auch im negativen Polfeld kommen wieder
mehrere geradlinig begrenzte, grell gegen einander abstechende,
in sich selber aber fast gleichartige Zonen von Veränderungen
vor, so dass nicht wohl eine nur allmähliche Abnahme der In-
tensität . der Veränderung vom Pole gegen den Aequator angenommen
werden kann.
696 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Wenn die Kupfermünze nicht, wie gewöhn! icli, in der
Mitte zwischen beiden Electroden, sondern näher der Kathode
sich befindet, so wird in Salzsäure das sogenannte positive Polfeld mit
seinen beiden Abschnitten grösser; bei Näherung gegen die positive
Electrode wird das negative Polfeld grösser als bei Mittelstellung. Ver-
unreinigung der Salzsäure mit Kupfervitriol alterirt sofort die relative
Grösse beider Polfelder zu einander.
Wenn eine Kupfermünze in Kupfervitriol durchströmt und da-
nach mit Putzpulver wieder blank geputzt worden ist, so wird bei
Durchströmung in Salzsäure dies frühere, durch den metallischen
Kupferniederschlag gebildete Polfeld wieder sichtbar und die Grenz-
linie des früheren Aequators kann im Bereiche des neuen positiven
Polfeldes unverändert bleiben.
Wird ein glatt geschliffener Kupferkreuzer , mitten zwischen
beiden Electroden liegend , in K u p f e r v i t r i o 1 1 ö s u n g durch-
strömt, so entsteht ein schwarzes, anfangs halbmondförmiges nega-
tives Polfeld, welches schmaler ist als das stets durch eine gerade
Linie begrenzte , mit metallischem Kupfer beschlagene positive Pol-
feld. Bei sehr langer Durchströmmig aber (z. B. 10 Minuten) wird
das negative Polfeld allmählich grösser , sogar etwas grösser als das
positive.
Auf dem positiven Polfeld der glatt und eben abgeschlif-
fenen Kupfermünzen schlägt sich das Kupfer zuerst an den
Randstellen der früher erhabenen Theile der weggeschliffenen Prägung
nieder; auf dem negativen Polfeld haftet nach dem Wegwischen
des Oxydes letzteres fester an den früher erhaben gebliebenen (also
weniger dichten) Stellen, so dass auf beiden Pol fehlem die
vollkommen . ahgescliliffene Schrift und sonst i (je fr Uli er
vorhanden geicesene Frügnng wieder sichtbar wird^).
Liegt die Kupfermünze neben der negativen Electrode, so
wird der Aequator gegen sie hin concav, bei genügend langem [169]
Durchströmen zugleich parallel contourirt, und beide Polfelder sind
[1) Sollte dieses so entdeckte, interessante Verhalten nicht technische oder
gelegentlich gerichtliche Verwendung finden können?
Wirkung des ^Gleichstromes" auf feste metallische Intraelectrolyten.
69:
zuletzt in der jNIitte gleich breit; neben der positiven Electrode wird
der Aequator gegen diese concav; beides auch (N.B. in den zn allen
Versuchen verwendeten, runden Glasschalen), wenn die Electroden
eben und breiter sind als die Kupfermünze.
Bei fortgesetztem Durchströmen läuft manchmal der Aequator
im (ianzen trüb an, ohne sich vorher noch verschmälert zu haben,
oder bekommt grosse unregelmässige Flecken, was beides wohl nur
durch Ausbreitung der auf dem sogenannten kathodischen Polfeld
des metallischen Intraelectrolyten gebildeten Anionen bedingt ist.
Ueber den zeitlichen Gang der Verschmälerung des Aequa-
tor s giebt folgende Tabelle Auskunft. Sie wurde durch Versuche an
einem auf einer Fläche ebengeschliffenem Kupferkrenzer von 19 mm
Durchmesser, bei mittlerer Stellung zwischen den platten Electroden
von 32 mm Abstand, in einer runden Schale von 40 mm Durchmesser
bei einer Stromstärke von anfangs etwa 0,3 Amperes und einer Höhe
der Flüssigkeit von 14 mm gewonnen.
Dauer der
Breite des
Durchströmung
Aequators
30"
2,0 mm
r
1,7
2'
1,3
3'
1,0
4'
0,8
6'
0,3
8'
0,2
10'
0,15
12'
0,13
Die letzten Messungen sind bei den natürlich nicht ganz scharfen
Grenzlinien blos Schätzungen; und die Erw^ärmung der Flüssigkeit
hatte die anfängliche Stromstärke erheblich erhöht. Der Aequator
ist noch zuletzt vollkommen blank; die Polfelder dagegen sind un-
mittelbar neben ihm gleich intensiv ver- [170] ändert. Das positive
Polfeld war schliesslich in der Mitte 8,8 mm, das negative 10 mm
breit. Während zuerst das positive Polfeld rascher wuchs, änderte
698 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
sich das V^erhältniss /Ailetzt in umgekehrtem Sinne. Uebrigens ist
auch die Beschaffenheit der Metall oherfJ äche von erheh-
Jicheni Einflüsse auf die absolute und relative Grösse
beider Polfelder, ivie auch Froscheier vom selben Frosch
e n tsprechend verschieden reagirte n. Im Bereiche des negativen
Polfeldes löst sich die in der Umgebung des Poles gebildete Masse in
zusammenhängenden l^reiten Stücken ab, und beim Abspülen sieht
man, dass der bezügliche Bezirk sich mit einer geraden Linie begrenzt.
Auch sonst treten beim Abspülen oder Abwischen wieder, durch gerade
oder gebogene Linien scharf begrenzte Zonen verschiedenen Verhaltens
im negativen Polfeld auf, wie auch schon vorher solche sichtbar sind.
Im Bereiche des positiven, metalhschen Polfeldes ist dies gleichfalls,
aller in ixiinderem Maasse der Fall.
Wurde auf eine Kupfermünze mit Siccativ ein Netzwerk ge-
zeichnet, so reagirte beim Durchströmen in Kupfervitriollösung natür-
lich nicht jedes begrenzte und vom andern oberflächlich isolirte Feld
für sieh ; sondern, da sie unter diesem Netz homogen verbunden sind,
so reagirt das Ganze wie gewöhnlich, nur fehlt an den mit Harz be-
deckten Stellen die Veränderung ; nach dem Reinigen springen daher
auf der negativen Seite die Netzlinien, auf der positiven die um-
schlossenen Felder vor ; im Bereiche des Aequators ist von der früheren
Netzzeichnung nichts mehr zu sehen.
Durchströmt man die bereits ein Mal in Kupfervitriol-
lösung durchströmte Kupfermünze nochmals, aber
rechtwinkelig zur früheren Richtung, siehe Taf. IX, Fig. 22b,
so bleibt die dem früheren positiven Polfeld anliegende
Zone a des primären Aequators auf der Seite, wo sie durch die
Drehung hi den Bereich des neuen negativen Feldes gelangt ist,
unverändert, wird nicht schwarz; doch dehnte sie sich bei meinen
Versuchen vom neuen Aequator nur ein Stück aus, ohne den Rand
der Münze zu erreichen. Dies Verhalten erinnert wieder an die nn-
ver änderten Niveaulinien der 3IessingJru gel n und der
Froschgallenblase bei der zweiten, in anderer Richtung erfolgenden
Durchströmung mit dem Wechselstrom. Bei länger fortgesetzter
Durch ström ung ändert jedoch die [171] blanke Linie hier
Wirkung des , Gleich ström es" auf feste metallische Tntraelectrolyten. 699
ihre Riclitnng (s. Fig. 22c), von derselben Ecke des Aeqiiators aus-
gehend, lenkt sie siel 1 allmählich gegen 45*^ ab und bildet die Grenze
zweier verschiedener Theile des secundären negativen Polfeldes, nämlich
eines grossen Abschnittes, bestehend aus den im Bereiche des secun-
dären negativen Polfeldes gelegenen Antheilen des primären negativen
Polfeldes, ferner des primären Aequators, sowie des an letzteren Theil
anstossenden Stückes des primären positiven Polfeldes, innerhalb
welches Theiles die frühere Veränderung vom primären Aequator
aus, eben unter Verschiebung der sichtbar gewordenen Niveauhnie a,
vollkommen rückgängig gemacht worden ist und die gewöhnliche
Oxydbildung stattgefunden hat.
Beim Abwischen verliert dies aus drei ursprünglich verschiedenen
Theilen gebildete Stück des secundären negativen Polfeldes seine
schwarze Bedeckung. Das übrige Stück des secundären negativen Pol-
feldes, der Zwickel, dagegen ist nicht schwarz, sondern blos braunroth
geworden ; an ihm findet sich das Oxyd an früherem Kupferniederschlag.
Es finden noch manche andere Besonderheiten bei in verschiedenen Rich-
tungen aufeinanderfolgenden Durchströmungen statt, welche Zeichen
erst allmählicher Umarbeitungen aus den früheren Pol-
feldern in die der neuen Richtung entsprechenden sind; doch
würde ihre Mittheilung über unser jetziges Ziel hinausgehen. Die-
selben sind ausgeprägter, wenn die primäre Durchströmung längere
Zeit gedauert, also kräftigere Veränderungen hervorgebracht hat.
Die blank bleibende Linie a entsteht dadurch, dass der zwischen
dem primären positiven Polfeld und dem neuen, auf dem primären
Aequator sich anlegenden negativen Polfeld liegende Theil weniger
verändert wird als der übrige Theil des Aequators; aber wir sind
nicht in der Lage zu unterscheiden, ob dieser Theil in Folge dieser
einem Aec|uator entsprechenden Lagerung sich so verhält, oder ob
er schon von der ersten Durchströmung her an sich weniger ver-
änderlich ist, denn auch für letztes haben wir in unseren Experimenten
Analogien gefunden. Da d i e s e b 1 a n k e S t e 1 1 e ab e r w a n d e r t, und zwar
auf das früher positive Polfeld hin, also unter Rückbildung des positiven
Niederschlages , so bezeichnet es , dass vom primären Aequator aus
unter Einwirkung des sogenannten Strom austrittes eine solche Rück-
700 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler ©ebilde etc.
bildnng sich [172] ausbreitet, der dann die typische Oxydbilduug
nachfolgt und dass zwischen beiden Gebieten eine gewisse Strecke
frei bleibt, an welcher also die Bedingungen zur Oxydation fehlen
wie bei einem Aequator, und wohl auch aus demselben Grunde, da
hier wieder positives und negatives Polfeld einander gegenüberstehen,
so dass also die erstere obenerwähnte Möglichkeit hier wegfällt, während
zugleich im ganzen jetzt negativ gelagerten Theil des ursprünglich
positiven Polfeldes auch schon Veränderungen vom Charakter eines
negativen Polfeldes vor sich gehen.
Wenn Kupferdraht in l^/niger Kochsalzlösung mit einem inter-
mittirenden Gleichstrom so lange durchströmt wird, dass die Flüssig-
keit siedet, läuft, entsprechend dem schon für den Wechselstrom mit-
getheilten Verhalten, der Aequator trüb an, mit Ausnahme
seiner beiden Randlinien, welche also wieder besonders be-
schaffene, weniyer veränderlicher Niveaulinien darstellen.
Aehnliches geschieht auch ohne Sieden, und zwar viel deutlicher,
wenn der Salzlösung eine Spur Salzsäure zugesetzt war. Dann erhält
man mitten im Aequator zwei (Ivnl'le Linien, die durch eine
hellere getrennt sind.
Für die Ableitung der im Wechselstrom beobachteten
Erscheinungen aus denen des Gleichtroms sind zunächst
zwei Fälle zu unterscheiden: Erstens die Fälle, in denen beim Gleich-
strom, in Folge der specifischen Natur oder in Folge geringer Strom-
stärke, kein Polfeld die Mitte überschreitet; dann können
sich die Wirkungen beider entgegengesetzt gerichteten Ströme innerhalb
des gemeinsamen Feldes jeder Seite aufeinandersetzen. Da schon beim
Gleichstrom die Polfelder verschiedene Zonen liatten, so werden diese
Verhältnisse ziemlich complicirt sein, und wir sehen davon ab, sie
im Einzelnen zu verfolgen, zumal da an unseren lebenden Objecten
keine entsprechenden zonalen Erscheinungen aufgetreten sind. Uns
interessirt daher allein noch die Localisation des Aequators und die
Erscheinungen an den Niveaulinien. Da beide Polfelder im Gleich-
strom gewöhnlich ungleich gross sind, der Aequator also nicht in der
Mitte liegt, so giebt es bei entsprechendem Wechselstrom einen mittleren
Aequatorabschnitt, der für beide Stromrichtungen reiner A equator
Wirkung des electrischen Stromes auf metallischo lutraelectrolyten etc. 701
ist, also aueli im Wechselstrom unverändert bleiben wird, und du-
neben einen Saum, der je nach der Strom r ich tung bald
Aequator, bald Rand des grösseren Polfeldes ist. hi
diesem Bereiche ist natürlich eine andere Wirkung zu erwarten.
[173] Ueberschreitet zweitens ein Polfeld im Gleich-
strom die Mittellinie, so müsste bei entsprechendem Wechselstrom
eine mittlere Zone entstehen, in der bei jeder von beiden Stromrich-
tungen dies Polfeld vorhanden ist, wo die Veränderungen sich also
steigern, so dass in der Mitte somit kein Aequator wäre. Daneben
käme dann wieder jederseits eine Zone, wo abwechselnd der Aequator
und das grössere Polfeld sich linden, so dass hier eine Stelle geringerer
Veränderungen vorhanden wäre. Darauf folgt nach aussen ein dritter
Abschnitt von der Grösse des kleineren Polfeldes im Gleichstrom, wo
immer Polfeldveränderung stattfindet, abwechselnd positive oder nega-
tive; dass sich diese aufeinandergesetzten positiven und negativen
Veränderungen nicht aufheben, haben wir gesehen, da wir kräftige,
mit der Durchströmungsdauer sich steigernde Veränderungen an dieser
Stelle erhalten haben. Es muss fraglich erscheinen und bleiben, ob
auf diese Weise diejenigen Fälle zu erklären sind, in denen wir einen
veränderten Aequator von zwei Zonen geringerer Veränderung ein-
gefasst erhielten, da ich keine Versuche gemacht habe, um die Rich-
tigkeit dieser Ableitungen zu prüfen.
Wirkung des electrischen Stromes auf metallische
lutraelectrolyten von der Gestalt der untersuchten
organi sehen Körper.
Weiterhin prüfte ich noch an Metallmodellen direct das Ver-
halten der Formen einiger früher durchström ter, complicirter
gestalteter organischer Gebilde.
Bezüglich der Morula wurde eine aus einer Birn geschnittene
oder aus Wachs gebildete und mit 10 halbkreisförmig vor-
springenden, einander fast berührenden Vorwölbungen ver-
sehene Scheibe mit sogenanntem Silberblatt überzogen
und durchströmt; diese reagirte, wie schon aus dem früher Mit-
getheilten sich ergiebt, als Ganzes mit Bildung zweier Pol-
702 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
f cid er und eines Aequators, nicht aber jeder Buckel für sich. Nur
wurden wieder wie bei dem Stern aus Blei zuerst die direct be-
strahlten, später erst die der nächstgelegenen Electrode
abgewendeten, Theile der Buckel verändert; und erst bei
längerer Durchströmung findet auch eine Veränderung
in der Tiefe der Furchen [174] zwischen den im Bereiche der
Polfelder gelagerten Buckeln statt, zuletzt an den mehr seitlich dem
Aequator nahen, also schwächer bestrahlten und zugleich mehr in
Schattenrichtung liegenden Furchen.
Diese Reaction als Ganzes entspricht also der lieaction
der durch Carholsäure geschwächten Morula.
Beklebt man blos die gewölbte Seite jedes Buckels mit
einem besonderen Stückchen Silberblatt, welches das der
Nachbarschaft nicht berührt, so erhält natürlich beim Durchströmen
jede Vor Wölbung auf dieser Aussenf lache zwei durch
einen Aequator getrennte Polfelder. Dies entspricht nicht dem
Verhalten der lebenskräftigen Morula, deren Zellen, von denen der
Aequatorgegend des Eies abgesehen, aussen blos ein einziges Pol-
feld zeigten.
Wird jedoch ausser der freien convexen Fläche der
Vor Wölbung auch noch ein jeder Vor Wölbung zugehöriges
Stück der grossen Seitenfläche der Scheibe mit Stanniol
beklebt, so entsteht ein Pol aris ati onshild , ivelches an den con-
vexen Flächen dem der leben sliräfti gen Morula fast vollständig
gleicht. Jeder Abschnitt hat wieder zwei Polfelder, von denen aber
an den dem Polbezirk zugehörigen Theilen das eine auf die grosse
Seitenfläche (also in's Innere der Morula) fällt und daher an der
Morula von aussen nicht sichtbar sein würde, so dass man von aussen
blos ein einziges Polfeld und den Aequator wahrnimmt. Aber an
den mehr lateralen Abschnitten kommen wieder zwei Polfelder aussen
zum Vorschein, was bei der Morula blos an den direct am electrischen
Aequator des Ganzen gelegenen Zellen der Fall war. Es fehlt hier
aber auch der Schatten durch die bei der kugeligen Morula vorhan-
denen Nachbarzellen.
Electrische „Aequatori s ation ". 703
Um die Wirkung der Gestalt der iioeli complicirter ge-
formten Embryonen direct zu prüfen, schnitt ich das Nachbild
eines schon mit Kiemenhöckern versehenen Embryo aus einem
Stückchen Blei. Nach kurz dauernder Durchströmung desselben in
verschiedenen Richtungen zeigten sich die früher an den Frosch-
enihrijonen heohachteten Gestalten des Äequators. Bei etwas
länger dauernden Durchströmungen entstanden dagegen durch das
Schwinden des Schattens bedingte Abweichungen.
Wirkung des Stromes bei viel besser als der In tra-
de et rolyt leitendem Medium.
Bisher wurden Metalle in Flüssigkeiten, also vielmal besser als
der Electrolyt leitende Substanzen durchströmt und die Locali-
[175] sation der Polfelder, also des Stromfädeneintrittes
und -Austrittes studirt.
Die von uns untersuchten organischen Körper dagegen leiten
millionen Mal schlechter als Metalle; nach meinen rohen, mit Hülfe
des wenig empfindlichen Galvanoscopes und blos mit polarisirbaren
Electroden angestellten Versuchen schätzte ich das Leitungsver-
mögen de)' Froscheier ettva gleich dem der ^hprocentigen Koch-
salzJösung. Da wir Eier und Embryonen auch in besser als sie
selber leitenden Flüssigkeiten, in stärkerer Kochsalzlösung und
und in Schwefelsäurelösung untersucht haben, so wollte ich auch das
A'^erhalten von anorganischen Körpern in besser als sie leitenden
Electrolyten direct prüfen.
Zu diesem Zwecke machte ich Kugeln aus mit Wasser zu-
bereitetem Mehlteig, wälzte sie, um sie reactionsf ähig zu
machen, in Messingfeiisp ahnen ^) und durchströmte in 4''/o Koch-
[1) Das Wesen dieser sehr einfachen Methode, jedes beliebige Gebilde
seiner Gestalt und seinem eigenen Leitungsvermögen entsprechend
„reactionsfähig" auf den electrischen Strom zu machen, besteht darin, dass
man seine Oberfläche mit vielen, von einander „getrennten" Theilchen einer
auf den Strom reagirenden Substanz überzieht. Dann kommt die Gestalt und das
Leitungsvermögen des Gebildes in der Lage, Grösse und Veränderungsintensität der
Polfelder voll zur Geltung.
üeberzieht man dagegen , wie es von uns zu anderem Zwecke geschehen ist,
704 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Salzlösung. Bei Anwendung des Wechselstroms erhielt eine Kugel
von 19 mm Durchmesser, wie erwartet, Andeutungen eines schwärz-
lichen Äequators, und zw^ar von 11 mm Breite, in V2 °/o Koch-
salzlösung von blos 6 mm Breite; jedoch war die Schwärzung blos
oben und unten, als an den durch die nahen Abgrenzungen des
Feldes besonders begüngstigten Stellen, gut ausgeprägt und scharf
contourirt. Die Pole dagegen hlieben unverändert.
Eine ' vollkommene Aequatorisatioii, d. h. einen ausgebildeten
schw^arzen Aequator erhält man, wenn man eine mit Messing-
spähnen betupfte Wachskugel mit dem Wechselstrom zu durch-
strömen versucht; solche Kugel wird richtig äcjuatorisirt statt
polarisirt. Dieser Aequator bestand aus 6—8 parallelen ring-
förmigen, aber nicht continuirlich ringsherum gehenden schwarzen
Streifen von verschiedener Breite, die durch gelb gebliebene,
breitere oder schmälere Ringstreifen getrennt sind. Erstere
bestehen meist aus Gruppen von Messingspähnen, von welchen jeder
zwei schwarze Polfelder und einen gelben Aequator hat. Manchmal
findet man auch Spähne ganz schwarz gefärbt; diese standen wohl
mit anderen in leitender Berührung, so dass nicht jeder für sich Pol-
felder und Aequator bilden konnte.
Eine mit einem Goldblättchen überzogene Wachskugel
bildet dagegen natürlich wieder veränderte Polfelder bei unver-
ändertem Aequator.
Wird die mit Messingspähnen bestreute Wachskugel mit
dem Gleichstrom behandelt, so entstehen am Aequator un- [176]
mittelbar nebeneinander zwei verschiedene Zonen, gegen die Anode
liin eine schwärzliclie , gegen die Kathode hin eine gelblichgrüne, so
dass also der beim Wechselstrom gleichartige Aequator jetzt, ent-
sprechend der Verschiedenheit der Anode und Kathode, durch zwei
veränderte Aequatoren vertreten wird.
Um auch Körper, welche nur wenig besser leiten als die
Flüssigkeit, zu prüfen, wurde Mehl mit löprocentiger, noch mit
den Körper mit Stanniol bl att, dann gelangt blos die Gestalt des Körpers, aber
nicht sein Leitungs vermögen, sondern wesentlich das des Ueberzugs bei der Locali-
sation der polaren Veränderungen zvxr Wirkung.
Bedingungen der „Polarisation". 705
Koohsalz lind Glaubersalz versetzter »Schwefelsäure angerührt und
die daraus gebildete, mit Messingspähnen bestreute Kugel bis
zum Sieden in Wasser durchströmt, welchem ein wenig halbprocentiger
Kochsalzlösung zugesetzt war, weil sonst der Strom zu schwach war,
um eine deutlich begrenzte Reaction zu veranlassen; es entstanden,
wie zu erwarten , nur kleine seh w ä r z 1 i c h e P o 1 f e 1 d e r.
Bedingungen der ,, Polarisation".
Wenn Körper von verschiedenem Leitungs vermögen
sich berührend umschli essen, so muss je nach der positiven
oder negativen Differenz des Leitungsvermögens des inneren Körpers
gegen den äusseren und dieses gegen den Electrolyten an der Grenz-
schicht derselben eine verschieden gelagerte Reaction erfolgen.
Dieses darzustellen, machte ich eine oberflächlich mit Messing-
spänen versehene Wurst aus mit Wasser angerührtem Mehlteig, und
umgab sie mit einer Schicht von mit Schwefelsäure angesäuertem
Teig, der aussen gleichfalls mit Messingspänen bestreut ward. Bei
querem Durchströmen in Wasser mit wenig Kochsalz entstanden
aussen am gesäuerten Teig schivarse Pol fehler , innen an
dem wässerigen Teig ein schwarzer Aeqtiator, und die in
ihrer Lage den äusseren Polfeldern entsprechenden Polseiten blieben
unverändert.
Wurde umgekehrt eine Messingkugel (von 2,5 mm) mit wässerigem
Teig umgeben bis zur Grösse einer Kugel von 12 mm, diese mit
Messingspänen bestreut und in 2 o/o Kochsalzlösung durchströmt, so
entstand aussen natürlich wieder ein sclitvarz geringelter
Aequator bei unveränderten Polseiten, während die um-
schlossene Messingkugel grüne Polfelder und einen unver-
änderten Ae'quator darbot, welch letzterer in seiner Lage natür-
lich dem äusseren schwarzen Aequator entsprach.
Die Ursache der so specifisch localisirten Veränderungen am
metallischen Intraelectrolyten wird zweifellos wesentlich in [177] dem ent-
sprechend localisirten Ein- und Austritt von Stromfäden bestehen.
Ausserdem aber haben wir mehrfach Verhältnisse kennen gelernt,
welche nicht von dieser Annahme sich ableiten lassen.
W. Eoux, Gesammelte Abhandlungen. II. 45
706 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler (iebilde etc.
Es ist klar, dass gegen die Polenden eines Intraelectrolyten,
welcher besser leitet als der Electrolyt, die Stromfäden wie
aspirirt convergiren müssen, um so mehr, je grösser diese
Leitungsdifferenz ist, und zwar gegen die der betreffenden Electrode
nächsten Theile in stärkerem Maasse, als gegen die von der Electrode
entfernteren Theile des Intraelectrolyten, und dass daher in der Mitte
der, in mittlerer Stromrichtung gemessenen, Länge des Gebildes eine
Stelle geringsten Strom einf alles vorhanden ist. Trotzdem müssen
jedoch auch in der Mitte Stromfäden einfallen, respective
austreten, und diese Stelle müsste daher bei längerer Durch-
strömung verändert werden, da, entgegen Faraday's früheren An-
gaben, festgestellt worden ist, dass auch der schwächste gal-
vanische Strom Electrolyse hervorbringt, sofern keine electro-
motorische Eigenkraft wirksam ist. Die Polfelder müssten ferner
gegen diese Stelle hin stetig an Intensität der Veränderung ab-
nehmen, so dass eine schroffe Grenze des Polfeldes nicht
existirte. Statt dessen haben wir, zum Beispiel beim Kupfer einen
blank bleibenden Aequator erhalten, der ohne Uebergang durch
eine stark veränderte Schicht begrenzt ward.
Dies würde sich bei Anwendung des ,, Gleichstrom es" ohne
weiteres durch den von Rom und Volterra angenommenen nega-
tiven Pol arisations ström erklären, welcher durch die Flüssigkeit
über den Aequator weg circulirt, und diejenigen Stromtheile , die
nicht stärker sind als er selber, vernichtet.
Auch bei Anwendung des ,, Wechselstromes" lässt sich
dieselbe Erklärung anwenden; denn während jeder Phase ist er
ein Gleichstrom, der durch die bewirkten beiderseitigen polaren Ver-
änderungen einen negativen Polarisationsstrom hervorruft, der nur
eben mit dem primären Strom seine Richtung wechselt, aber sich
immer von ihm subtrahirt.
Wir haben aber auch Erscheimingen kennen gelernt, welche
auf diese Weise nicht sn erldären sind, zum Beispiel die beim
Durchströmen von Blei in halbprocentiger Kochsalzlösung beobachtete
Thatsache, dass das negative Polfeld nicht conti- [178] nuir-
Neue Methode zur diiecten Eimitteluua; des Verlaufes der Stromfäden etc. 707
lieh ist, sondern dass ihm eine Linie besonderer Verände-
rnng vorausgeht, welche vom Hauptpolfeld längere Zeit
durch eine unveränderte Zone getrennt ist, so dass zwei
blanke Stellen (zwei Aequatoren?) vorhanden sind; ferner dass ge-
wöhnlich nur das kathodische Polfeld eine schroffe Grenze
hat, während das anodische Polfeld allmählich gegen den Aequator
ausläuft. Desgleichen die Beobachtung, dass an sehr dünnen quer-
durchströmten Metallplatten der Aequator bei schwachem Strom
schmaler wird als bei starkem Strom, während sich an in
der Stromrichtung ausgedehnteren Metallkörpern dieses Verhältniss
umkehrt.
Diese Verhalten weisen darauf hin, dass noch andere Momente,
darunter auch formale Verhältnisse, eine erhebliche Rolle mit
spielen, dass also die Sachlage eine erheblich complicirtere ist.
Hierauf deuten auch die bei einer zweiten, in anderer Richtung er-
folgenden Durchströmung, selbst bei Anwendung des Wechselstromes
unverändert bleibenden Niveaulinien der ersten Durch-
strömung hin. Andererseits kann im Sinne des Polarisationsstromes
das Zurückweichen des zuerst entstandenen grossen negativen Pol-
feldes beim Auftreten des positiven Polfeldes gedeutet werden. Als
Nichtfachmann. und um mich nicht zu sehr in ein mir ferner stehendes
Thema zu vertiefen, nahm ich Abstand davon, die Aufklärung dieser
Verhältnisse zu versuchen.
Neue Methode zur d i r e c t e n Ermittelung des Verlaufes
der Stromfäden im Elec trolyten.
Ich wünschte aber wenigstens ein eigenes Urtheil über den
Verlauf der Stromfäden zu gewinnen, besonders deshalb, weil
wir vielfac4i dieselben Localisationen der polaren Ver-
änderungen wie an Metallen, auch an organischen Ge-
bilden beobachtet haben, obschon letztere kaum oder nicht
besser leiten als der Electrolyt. In Ermangelung eines geeigneten
Galvanometers konnte ich die Niveauflächen nicht durch Einsetzen
der Drahtenden aufsuchen, was auch bei unseren Verhältnissen
äusserst mühsam gewesen wäre.
45*
708 Nr. 25. Morpliologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Ich verwandte daher die oben mitgetheilte Beobachtung, dass
der Aeqiiator von intraelectrolytär durchströmten „Kugeln"
die Richtung der Niveauflächen der betreffenden Stelle des
die Kugel umgebenden Feldes annimmt, in Folge dessen er also
eine directe Ableitung der Richtung des ,, rechtwinkelig"
zu ihm erfolgenden Verlaufes des mittleren Stromfadens,
auch für den Fall der Abwesenheit dieser Kugeln gestattet.
Die Methode ist nun einfach die, dass man den Intraelec-
trolyten z. B. einen geraden, in der Verbindungsrichtung der Elec-
trode liegenden Bleistab (s. Taf . X Fig. 23) mit mehreren Reihen
von [179] 2,5 mm grossen Messingkugeln umstellt, die innerste
Reihe im Abstand etwa eines Radius von ihm. Beim Durchströmen in
einem die Reactionskugeln durch seine Jonen angreifenden
Intraelectrolyten z. B. in halbprocentiger Kochsalzlösung mit dem
Wechselstrom erhält man dann durch die Curven, w^ eiche die Niveau-
Hnien der Polfelder bilden, rasch ein klares Bild über den Gang
der Stromfäden, gegen den Intraelectrolyten, indem man
allenthalben dazu rechtwinkelige Linien zieht ^), wie es zum Beispiel
in Fig. 23, Taf. X dargestellt ist.
Man ersieht, dass gegen die beiden Polenden und die anliegen-
den Theile Stromfäden weit von der Seite her convergiren, so dass
sie an den Enden sehr dicht stehen müssen und an den Seiten fast
senkrecht zur Oberfläche des Intraelectrolyten eintreten. Gegen die
Mitte des Stabes zu nimmt die Dichtigkeit der Stromfäden und ihr
Einfallswinkel ab ; und neben der Mitte selber zeigt die daselbst be-
findliche Kugel nach lange fortgesetzter Durchströmung an, dass die
spärlichen Stromfäden hier der Oberfläche parallel verlaufen; aber
die Contouren der Polfelder bekunden, dass diese Stromfäden von
aussen her gekommene, gegen den Intraelectrolyten eingebogene,
aber ihn nicht erreichende sind, und auch gleich wieder sich nach
[1) Herr Hofrath V. von Ebner überreichte in der Sitzung vom 17. Dec. 1891
die vorstehende Abhandlung der kaiserl. Acad. d. Wiss. zu Wien zum Druck.
In derselben Sitzung wurde laut Sitzungsbericht 1891, Nr. 27, S. 255 durch
Herrn Prof. E. Mach eine Abhandlung von W. Paschei.es vorgelegt, in welcher die-
selbe neue Met h ode zur Ermittelung des Verlaufes der Stromlinien
angewandt wird].
Neue Methode zur directen EriiJittelung des Verlaufes der Stromfäden etc. 709
aussen abbiegen. Beim Blei ist der Aequator sehr klein; und man
kann daher hier am geraden Stabe nicht erkennen, ob auf ihn selber
Stromfäden einfallen.
Um dies beurtheilen zu können, eignet sich besser ein Kupfer-
draht, der in dem gleichen Electrolyten durchströmt wird. Man
sieht daselbst an den Kugeln, welche neben dem breiten Aequator
stehen, der sich in der Mitte verdunkelt und an den beiden Seiten
zu frischer Kupferfarbe aufhellt, dass Stromfäden auch in den
breiten hellen T h e i 1 einfallen müssen. Da bei diesem Metall
die Polfelder unmittelbar neben dem Aequator sogleich stark ver-
ändert sind, deutet dies schon an, dass hier ein kräftigerer Polari-
sationsstrom zwischen den Polfeldern bestehen muss,
als bei den ganz allmählich gegen den Aequator schwächer werden-
den , und mit kaum deutlich wahrnehmbarer Grenze endenden Pol-
feldern des in Kochsalzlösung durchströmten Bleies.
Darauf durchströmte ich unter gleichen Umständen einen
Stanniolstreifen von 33 mm Länge (siehe Taf. X, Fig. 24) in
Glaubersalzlösung, welcher Streifen aber in der Mitte derart gebogen war,
dass er einen rechtwinkelig zu ihm stehenden Vorsprung von 2,5 mm
hatte. Die Kugeln zu beiden Seiten [180] des letzteren bekamen
erst nach sehr langem Durchströmen Polfelder, und zwar jede deren
drei, ein äusseres, schräges zuführendes, ein kleines gegen den näch-
sten Theil des Balkens, und ein drittes, gegen den Vorsprung ge-
wendetes, so dass diesem letzteren, sowie dem anstossenden, zwischen
aa sich erstreckenden Aequator sicher Stromfäden zugeführt werden.
Sie werden aber entweder zu schwach sein, um sichtbare Wirkung
hervorzubringen, oder sie werden ganz durch den Polarisationsstrom
in ihrer Wirkung annullirt; da der durch Biegung des Stanniolstreifens
gebildete Vorsprung doppelte Wandung besitzt, zwischen welcher in
der Mitte der Electrolyt eingedrungen ist, muss der Polarisationsstrom
auch den ganzen Vorsprung durchsetzen.
Schliesslich prüfte ich noch einen rechten Winkel aus Blei,
dessen einer Schenkel in Niveauflächenrichtung steht, um
zu sehen , wie sich die Stromfäden zu derjenigen Fläche desselben
verhalten, welche gegen den längs des Stromes gestellten Schenkel
710 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
gewendet ist, und welche, wie oben mitgetheilt, bei der Durchströmnng
unverändert bleiben kann, sofern der Querschenkel nicht zu hoch im
Verhältniss zu dem anderen Schenkel und den sonstigen Verhältnissen
ist. Hier, in Tai. X, Fig. 25, entstand, aber erst nach langem Durch-
strömen, ein ganz schwaches centrales Polfeld.
Die Figur zeigt durch die schmalen schwachen Polfelder der
Kugel, dass gegen diese Fläche hin einige wenige Stromfäden diver-
girend ausstrahlen; ferner ist aus den grossen dunklen Polfeldern
der oberen Kugeln zu erkennen, dass ein dichter Zug von Stromfäden
an der freien Kante des Querschenkels vorbei nach aussen abbiegt.
Es ist interessant, aus welcher Ursache dies geschieht. Die recht-
winkelig anstossende schmale Seitenfläche ist stark verändert von der
jenseitigen (linken) Electrode aus; und wir haben früher gesehen,
dass diese Veränderung sogar noch über die Seitenkante weg ein
wenig auf die rechte Hauptfläche übergreifen kann. Warum aber
bleibt diese grosse Fläche im Uebrigen fast frei, unter Abbiegung
eines von der anderen Electrode her auf sie gerichteten dichten
Stromes? Es scheint mir deshalb, weil die links eintretenden Fäden
nach dem Ohm 'sehen Gesetz grösstentheils durch den metallischen
[181] Längsschenkel fortgeleitet werden, so dass nur ein kleiner Theil
den Weg durch die Flüssigkeit nimmt; und der Polarisationsstrom,
der über die Oeffnung des Winkels zwischen beiden Polfeldern ver-
läuft, vernichtet sie wohl grösstentheils. Man könnte nun fragen:
Warum dringen aber nicht die von der rechten Electrode ausgehen-
den dichten , gegen diese Fläche gerichteten Stromfäden in sie ein,
sondern biegen plötzlich seitwärts ab? Wenn sie einen anderen Weg,
als die von der anderen Electrode ausgehenden Stromfäden nehmen
könnten , würden sie dies wohl thun ; da es nicht geschieht , scheint
sich hier die Nothwendigkeit der Identität der Wege beider electrischer
Ströme auszusprechen, sofern die dualistische Electricitätstheorie die
richtigeist; für die unitarische Theorie besteht diese Eventualität erst
gar nicht.
Nach diesen Beobachtungen des Verlaufes der Stromfäden
im Wechselstrom konnte es überflüssig scheinen, denselben Ver-
such noch mit dem ^^Gleichstrom"- zu wiederholen, denn es war
Neue Methode zur directen Ermittelung des Verlaufes der Stromfäden etc. 711
vorauszusehen, dass der Verlauf derselben ganz der gleiche sei. In-
dess gewohnt, auch scheinbar selbstverständhchen Ableitungen nicht
eher zu trauen, als bis sie sich bewahrheitet haben, stellte ich einen
Probeversuch an, und erhielt ein überraschend abweichendes
Resultat, welches in Taf. X, Fig. 26 dargestellt ist.
Yon fünf, neben der in der Verbindungsrichtung der Electrode
stehenden Längskanten der Bleiplatte in annähernd gleichen Ab-
ständen aufgestellten Messingkugeln bildete beim Durchströmen in
8 ''/oiger, mit etwas verdünnter Schwefelsäure versetzter Kochsalzlösung
die links an der Ecke des negativen Poles aufgestellte Kugel ein
negatives, braunes Polfeld von einer Richtung seiner Grenze, welche
bekundet, dass die Stromfäden gegen die Bleiplatte nur sehr wenig
convergiren; das Polfeld der zweiten Kugel stand auch, aber noch
weniger in dieser Weise, schief ; die dritte entwickelte ein kathodisches
Polfeld von geringer Grösse mit rechtwinkelig zur Kante der Blei-
platte stehendem Grenzcontour ; so dass also die Stromfäden hier
parallel der Seitenkante der Bleiplatte verlaufen. Die vierte Kugel,
welche schon neben dem positiven Polfelde liegt, hat nicht deutlich
reagirt; die fünfte, neben dem Anfang des positiven Polfeldes liegende^
[182] hat ein deutliches negatives Polfeld, welches andeutet, dass die
Stromfäden hier stark von dei- Seite her gegen den Stab convergiren.
Die seitlich befindliche, zweite parallele Reihe von Kugeln, zeigt an,
dass der Strom durch alle Kugeln unabgelenkt in der Verbindungs-
richtung der Electroden verläuft.
Das Resultat ist also ein wesentlich anderes als das
mit dem Wechselstrom gewonnene. Die Stromfäden des Gleich-
stromes convergiren nur äusserst wenig gegen den kathodischen Theil
des Bleistückes, obgleich das negative Polfeld weit über die Hälfte der
ganzen Platte einnimmt und früher entsteht, als das kleine positive
Polfeld. Das Fehlen der Veränderung an den Kugeln neben dem
Aequator und in der Nahe desselben kann auf den durch die Flüssigkeit
geschlossenen Gegenstrom zurückgeführt werden.
Den abweichenden Verlauf der Stromfäden von denjenigen beim
Wechselstrom vermuthete ich dadurch bedingt, dass das kathodische
Polfeld sehr schlecht leitet, was sich um so mehr geltend machen
712 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
musste, als die Messingkugeln im Gleiclistrom nur schwach reagirten.
Dadurch wurde lange fortgesetztes Durchströmen nöthig, um deutlich
abgegrenzte Polfelder hervorzubringen, während dessen auch der Pol-
feldbelag des Bleistückes ein ziemlich dicker wurde. Unsere jetzige
Beobachtung stellt also nicht den Verlauf der Stromfäden gegen das
Metall an sich, sondern zugleich das Verhalten gegen die stark ver-
änderten Polfelder fest.
Um die Wirkung der kathodischen \^eränderungen auf den
Stromeintritt vielleicht abschwächend zu variiren, bog ich aus einem
Platin blech ein Kästchen zusammen, und legte es statt der Blei-
platte in den Strom. Jetzt zeigten che Messingkugeln, welche neben
die, wieder in Richtung der Verbindungslinie der Electroden gelegene,
Seitenkante aufgesetzt worden waren, durch die Richtung ihres katho-
dischen Polfeldes einen etwas stärkeren S t r o m f ä d e n e i n t r i 1 1
von der Seite her an, aber nur nahe an den Polkanten und immer
noch mit viel g e r i n g e r e r C o n v e r g e n z von d e n S e i t e n her
gegen das Metall als bei dem zum Vergleiche hinterher vorgenom-
menen Durchleiten des (allerdings mindestens dreimal stärkeren)
Wechselstromes. Zwischen den längs der Mitte aufgestellten
Kugeln läuft [183] der Gleichstrom wieder parallel der Seitenkante
des Intraelectrolyten und erfährt selbst neben dem Aequator des Platins
keine so erhebliche Abschwächung wie beim Blei im Gleichstrom.
Dagegen boten beim Durchströmen eines Messing balkens in
Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom die längs der Kante aufge-
stellten jNIessingkugeln eine Neigung ihrer Aequatoren gegen den
Balken dar, welche auf einen ebenso ausgedehnten „seitlichen"
Eintritt von Stromfäden hinweist, wie wir ihn gegen einen
Kupferdraht im Wechselstrom gesehen haben.
Da die Leitungsdifferenz zwischen Electrolj^t und Intraelectrolyt
auf den Verlauf der Stromfäden im ersteren von grossem Ein-
fluss ist, und da die organischen Kör}) er millionenmal schlechter
leiten als Metalle, so wollte ich den Verlauf der Stromfäden in der
Nähe letzterer direct feststellen. In Ermangelung embryonalen Ma-
teriales von geeigneter Grösse konnte ich zur Zeit nur Organe des
Erwachsenen verwenden.
Neue Methode zur directen Ermittelung des Verlaufes der Stromfäden etc. 713
Ich umstellte daher ein in Wasserleitungswasser liegendes
Frosch herz seitlich zur Stromrichtung mit kleinen Messingkugeln,
Taf. X Fig. 27, und durchströmte mit dem Wechselstrom. Die zwischen
den entstehenden Polfeklern jeder Kugel verbleibenden Aequatoren
boten einige Besonderheiten dar, aber im Ganzen neigten sie sich
gegen das Herz hin; ein Beweis, dass von der ,, Seite" her Strom-
fäden in das Herz eindringen.
Wurde der Versuch dagegen in halbprocentiger Koch-
salzlösung angestellt, so divergirten die Aequatorränder gegen
das Herz hin, was bekundet, dass die Stromfäden dem
Herzen ausweichen, dass also das Menstruum besser leitet als das
Herz; und an den neben einem Herzen, welches in fünf- oder zehn-
procentiger Kochsalzlösung durchströmt wurde, liegenden
Messiugkugeln bog sich der Aequator (Taf. X Fig. 28) in einer Weise
ab, welche noch viel stärker zeigt, wie die Stromfäden dem
Herzen ausweichen.
Die neben einer Gallenblase des Frosches in den gleichen
Medien liegenden Messingkugeln zeigten dasselbe Verhalten als beim
Herzen (siehe Fig. 29 und 30).
Da beide Gehilde, Herz- und GaUenhIase , nuch in dem
viel hesser leitenden Medium^ wie wir oben erfahren [184] haben,
beim Durchströmen polarisirt, statt äqnatorisirt wurden, so he-
iveist dies ivohl, dass die „(jestaltliche" Disposition ein erheb-
lich schlechteres Leitnngsvermögen bei diesem Vorgang zn
über compensiren vermag; demnach ist es auch nichts Besonderes
mehr, dass die Froscheier selbst in verdünnter Schwefelsäure
veränderte „Polfelder" statt eines veränderten Aequators
gebildet haben, wie wir ihn indess an der mit Messingspänen be-
streuten nichtleitenden Wachskugel sehr ausgeprägt und an der Mehl-
teigkugel, bei welcher also wohl die Leitungsdifferenz auch noch
grösser war, angedeutet erhalten haben.
Als dann die Herbstfrösche ihre Eier für das nächste Frühjahr
gebildet hatten, prüfte ich das Lei tungs vermögen der unreifen Eier
auf die gleiche Weise, indem unmittelbar neben ein längliches Stückchen
Eierstock die Messingkugeln aufgestellt wurden. Bestand das
714 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Menstrumn in Wasserleitungswasser, so war eine deutliche
Convergenz seitlicher Stromfäden gegen den Intraelectrolyten
aus der schiefen Stellung der Kugeläquatoren zu erschliessen ; diente
dagegen 0,2procentige Kochsalzlösung als Electrolyt, so gingen
die seitlichen Stromfcäden parallel unabgelenkt am Eierstock
vorbei. Dies ist von Bedeutung, da wir in diesem Menstruum
die starke Schattenwirkung der Eierstockgruppen auf ein-
ander bei Anwendung des Gleichstromes erhalten hatten.
Damit fällt die Möglichheit hin, dass diese Schattenwirliung
auf Aspiration und Vorwegnahme der Stromfäden durch die
den Electroden näheren Eier bedingt geivesen sei, worüber so-
gleich des Weiteren erörtert Averdcn soll.
lieber die Abnahme der intraelectrolytären Wirkung des
,, galvanischen" Stromes mit der Zunahme des Abstandes von
den Electroden trotz gleich bleibendem Querschnitt der
Strombahn.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes wollte ich noch die bei Hühner-
embryonen und Froscheiern im Gleichstrom beobachtete, höchst
auffällige Abnahme der Wirkung im electrischen Felde mit dem Ab-
stände von den Electroden bei gleich bleibendem Querschnitt der
Strombahn auch am Metall prüfen.
Ich legte daher in eine oblonge, der Länge nach zu durch-
strömende Schale in Stromrichtung sechs Messingkugeln von 7 mm
Durchmesser im Abstände von 0,6—0,8 mm von einander. Beim
Durchströmen ergab sich ein dem der Hühnerembryonen zum Theil
entsprechendes Resultat. Sowohl die anodischen als die kathodischen
Wirkungen nahmen ab. [185] Von der Anode ausgerechnet geschah dies
von der ersten bis vierten oder fünften Kugel, um an der letzten Kugel
also neben der Kathode eine plötzliche Verstärkung zu erfahren. Die
Flächenausdehnung der kathodischen, oxydirten Polfelder entsprach
diesem Verhalten nicht ganz, denn die mittleren, weniger veränderten,
allerdings auch weniger deutlich begrenzten Polfelder schienen eher
Abnahme der intraeletrolytären Wirkung bei gleichem Querschnitt etc. 715
etwas ausgedehnter als das erste ; dagegen war das Polfeld der letzten
Kugel trotz seiner intensiven Veränderung sehr klein. Bei den ano-
dischen, Bläs'chen bildenden Polfeldern nahm, entsprechend der Inten-
sität, also der in der Zeiteinheit von ihm aufsteigenden, Bläschen auch
die Ausdehnung des ganzen Feldes von der ersten bis vierten oder
fünften Kugel ab; die letzte, der Kathode nächste Kugel dagegen
hatte wieder ein Bläschenfeld von fast der Grösse des ersten, welches
aber deutlich weniger Bläschen aufsteigen Hess als jenes.
Bei der Beurtheilung; dieses Versuches sind verschiedene Mo-
mente zu berücksichtigen. Die Kugeln standen in Stromrichtung
hintereinander, so dass sie sich beschatten konnten ; ferner waren sie
derart einander genähert, dass die Verbindungslinie der Kugeln erheb-
lich besser leiten musste, als die rein durch den Electrolyten gehen-
den Bahnen neben ihnen. Ausserdem waren die beiden Endkugeln
der langen Reihe blos noch um Kugelbreite von den Electroden ent-
fernt und konnten daher von den daselbst abgeschiedenen Jonen
direct chemisch oder durch den zwischen der Electrode und dem zuge-
wendeten Polfeld der nächsten Kugel entstehenden Polarisationsstrom
erheblich beeinfiusst werden. Schliesslich war auch die blos 25 mm
breite Strombahn im Verhältniss zu der 60 mm langen Kugelreihe
sehr klein. Daher ordnete ich den Versuch einfacher an, unter Ver-
wendung von blos drei Kugeln.
Wurden die drei Kugeln in der Mittellinie derselben Glasschale
im Abstand von über zwei Kugeldurchmessern aufgestellt, so trat aus
zahlreichen Versuchen hervor, dass das anodische, mit Bläschen
bedeckte Polfeld der Kugeln von der Anode aus etwas an
Grösse abnimmt, besonders aber, dass die Zahl der auf-
steigenden Bläschen in dieser Richtung abnimmt, so dass
an einer Abnahme der Stromwirkung mit dem Abstände
von der [186] Anode trotz des allenthalben gleich grossen
Querschnittes der Strombahn bei dieser Versuchsanordnung
und Dauer nicht zu zweifeln ist, wenn auch der Unterschied bei
weitem nicht so stark hervortritt, als er bei den Hülmerembryonen und
Froscheiern sich zeigte.
716 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Glebilde etc.
Die Stromstärke musste bei dieser Anordnung, um die Zalil der
aufsteigenden Bläschen gut vergleichen zu können, so gering genommen
werden, dass das kathodische Polfeld nur aus einem schwachen, noch
wenig scharf begrenzten Beschlag bestand, weshalb die Grössen des-
selben an den drei Kugeln nicht genau bestimmt werden konnten,
um einen sicheren Vergleich zu gestatten.
Ueberhaupt sind die einzelnen, sich oft widersprechenden Er-
gebnisse dieser scheinbar einfachen Versuche in Folge des ungleichen
specifischen Verhaltens auch der in gleicher Weise frisch geputzten
Messingkugeln nicht ohne besondere Vorsichtsmaassregeln zu deuten.
Ich habe daher obiges Resultat erst als gesichert betrachtet, nachdem
ich jede der drei Kugeln nach einander an alle drei Plätze situirt
und ihr Verhalten untereinander, wie mit dem Verhalten der anderen
Kugeln am selben Orte verglichen und diese Versuchsweise an zwei
Mal drei weiteren Kugeln mit anscheinend demselben Erfolg wieder-
holt hatte.
dm die Wirkung der an den Electroden abgeschiedenen Jonen
möglichst abzuschwächen, wurde zu jedem Versuche frische Lösung
genommen; und um ihre Ausbreitung durch Massenbewegung zu
vermindern, wurde jede Electrode mit einer dreifachen Hülle von
Filtrirpapier umgeben. Nützlich ist es, der Lösung einige Tropfen
Schwefelsäure zuzusetzen (wonach die Flüssigkeit klar bleibt), und
während des V^ersuches abwechselnd die Flüssigkeit in der Nähe der
einen Electrode aufzusaugen und neben der anderen Electrode wieder
zuzusetzen.
Drei Bleikugeln schienen bei gleicher Anordnung, aber weniger
deutlich, dasselbe Resultat zu ergeben.
Stehen die drei Messingkugeln in der Stromrichtung einander
auf 0,6 mm genähert, so bildete die der Anode nächste Kugel mehr
Blasen als die der Kathode nähere ; am wenigsten, respective gar
keine jedoch die mittlere Kugel.
[187] Von besonderer Wichtigkeit war es nun, zu erfahren, ob
auch bei derartig schräger Anordnung der drei in grossem Abstände
hintereinander liegenden Kugeln, dass sie sich möglichst wenig be-
schatten können, diese bei reiner Hintereinanderlagerung beobachtete
Abnahme der intraelectrolytären AVirkung bei gleichem Querschnitt etc. 717
Abnahme der anodischen PoHeldbilduiig- mit der Entfernung von der
Anode noch bestehen bleibt oder aufhört.
Zu diesem Zwecke wurde die eine der drei Kugchi in die Mitte
der oblongen Strombahn, eine andere nahe der Anode und der einen
seithchen Glaswand, die dritte nalie der Kathode und der anderen
seitlichen AVand aufgesetzt. Nach mehrfachen anfangs gleichfalls sich
Avidersj^rechenden A^ersuchen bin ich durch die Umstellungsmethode
zu dem Resultate gekommen, dass auch hierbei die Abnahme der
anodischen Wirkung mit zunehmender Entfernung von der Anode
stattfindet, so dass also eine Schattenwirkung nicht wesentlich be-
tlieiligt ist.
Diese Abnahme der anodischen polarisirenden Wirkung-
des continuirlich fliessenden „Gleichstromes" in einem electro-
lytischen Feld von allenthalben [fast] gleichem Querschnitt auf mehrere
Intraelectrolyten mit dem Abstände derselben von der Anode
muss demnach ihre Ursache in einer durch den Gleichstrom bewirkten
ungleichen Beschaffenheit in der Dichte und Zusammen-
setzung der electrolytischen Strombahn selber haben.
Dieses eigenthümliche Verhalten, sowie der beobachtete, von
dem des Wechselstromes abweichende Verlauf der Stromlinien des
Gleichstromes gegen manche Intraelectrolyten veranlassten mich, zu
prüfen, ob nicht vielleicht die Stromlinien im homogenen electri-
schen Felde beim Gleichstrom sich ceteris paribus anders vertheilen,
als beim Wechselstrom. Es wurden daher in eine runde Schale,
ringsum nahe dem Rande sowie inmitten, kleine Messingkugeln ver-
theilt und von zwei entgegengesetzten Puncten des Randes aus die
stark mit Schwefelsäure versetzte Glaubersalzlösung mit Hülfe von
Nadelelectroden durchströmt. Es zeigte sich aber kein deutlicher
Unterschied iii den durch die Aequatorränder der Kugeln mar-
kirten Curven von denen beim Wechselstrom.
Diese Abnahme der Stromwirkung innerhalb der Strombahn
Ijei gleichbleibendem Querschnitt derselben widerspricht anscheinend
dem FECHNER'schen Gesetz, dass in allen Querschnitten einer Strom-
bahn die Stromstärke gleich gross ist.
[1881 Um der Ursache dieses Verhaltens näher zu konnnen.
718 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
wollte ich mich zunächst durch Messung von dem Verlauf des Poten-
tialgefälles in der ganzen electrolj^tischen Bahn unterrichten.
Zu diesem Zwecke wurden an das erwähnte Horizontal-Galvanometer
zwei Electroden von Platindraht angeschlossen. Die Enden dieser
wurden in gleicher Länge rechtwinkelig abgeknickt und im Abstand
von 10 mm durch eine Korkplatte gesteckt; um den Parallelismus
und damit den bei allen Messungen constanten Abstand dieser Enden
möglichst zu sichern, wurde ausserdem noch zwischen die Handhaben
beider Electroden eine Korkplatte von geeigneter Dicke gelegt und die
Electroden durch Zusammenbinden nochmals gegen einander befestigt.
Diese beiden Enden des Nebenkreises wurden stets in Richtung der
mittleren ^''erbindungslinien der Electroden des Hauptstromes eingesetzt
und zwar der Gleichmässigkeit wegen bis auf den Boden der oblongen
Glasschale, bei geringem, blos 2 mm hohem Flüssigkeitsstande.
Bei Anwendung der breiten, platten Platinelectroden für den
Hauptstrom, welche auch bei den Versuchen an Embryonen gedient
hatten, sowie der Platinnadelelectroden für den Messkreis, ergaben
sich nun folgende Verhältnisse, welche constant hervortraten, sofern
die V^orsicht angewendet wurde, die Messelectroden nach jeder An-
wendung in einer Schale mit '/^"/oiger Kochsalzlösung durch Ein-
tauchen abzuspülen. Halbprocentige Kochsalzlösung bildete auch den
Electrolyten.
Mit dem schwachen Gleichstrom von 6 Bunsen (mit schon
gebrauchter Säure) zeigte sich bei momentaner, blos so lang dauernder
Durchströmung, bis die Magnetnadel das Maximum ihrer ersten
Schwingung erreicht hatte, der Ausschlag an allen Stellen des Electro-
lyten (von den Orten der unmittelbaren Nähe der Electroden abge-
sehen) fast ganz gleich gross, entsprechend dem anfänglichen Ver-
halten unter gleichen Umständen durch strömter, empfindlicher Frosch-
eier; jedenfalls waren die Differenzen so gering, dass ihre eventuelle
Gesetzmässigkeit nicht festgestellt werden konnte. Nach auch nur
wenige, etwa 10 Secunden dauernder, continuirlicher Durchströmung
dagegen stieg der Ausschlag beim Einsetzen neben der Anode erlieb-
hch höher und fiel von da allmählich gegen die [189] Kathode ab,
neben welcher annähernd der ursprüngliche Werth bestehen bheb.
Abnahme der intraelectrolytären Wirkung bei gleichem Querschnitt etc. 719
Bei "\"er\vendm]g von 10 Bunsen-Elementen fand diese Steigerung
so rasch statt, dass eine ursprüngliche Gleichheit im ganzen Electro-
lyten nicht mehr feststellbar war; die Wirkung war schon bei der
ersten Durchströmung während der Bildung des ersten Nadelaus-
schlages nach der Anode vier Mal so gross als neben der Kathode
und fiel von der Anode stetig ab. Ein Umrühren des Electro-
lyten nach jeder Messung hatte bei diesem starken Strom keinen
sicher erkennbaren ausgleichenden Effect. Eine Zeit lang stieg
diese Erhöhung der Wirkung. Später aber trat allmählich
neben der Anode ein deutlicher Abfall ein, und es entstand eine starke
Steigerung der Wirkung zwischen der Anode und derMitte des
Gefässes, welche weiterhin bis fast an die Mitte f ortschritt und die drei-
fache Höhe des Ausschlages neben der Anode erreichte. Von diesem Gipfel
fand nach beiden Seiten hin zunächst ein rascher, weiterhin ein allmäh-
licher Abfall statt. Bei langfortgesetzter continuirlicher Durchströmung
konnte der Abfall an der Anode bis unter den, von vorn herein fast
stabilen Werth neben der Kathode sinken und die erwähnte Erhöhung in
der ]\Iitte sich vergrössern, so dass sie das Achtfache des Werthes an der
Anode erreichte. Durch Umrühren des Electrolyten wurde diese ganze
Steigerung, sowie der Abfall an der Anode zürn Verschwinden gebracht.
Zusatz von neutraler Lacmustinctur nebst einigen Tropfen Phe-
nolphthallein liess erkennen, dass die zuerst entstehende Steigerung
in keiner Beziehung zu den freien an den Electroden ausgeschiedenen
Jonen stand ; dass aber die secundäre Steigerung in der Nähe der Mitte
dadurch bedingt war. Diese Steigerung tritt auf, wenn in grösserer
Umgebung der Anode die Lacmustinctur entfärbt war; sie erreichte
ihr ]Maximum, sobald diese Schicht der Anionen sich mit der
rothen Schicht der Cationen berührte. Nach der Unterbrechung
des primären Stromes zeigte das Galvanometer bei Messung an der
Stelle des vorherigen Maximums einen nicht unerheblichen Ausschlag
in der Richtung des primären Stromes von 1 Milliampere (gegen
60,0 Milliampere vorher beim Durchströmen) ; an den Electroden da-
gegen entstand ein entgegengesetzt gerichteter Aus- [190] schlag,
und zwar an der Anode von — 0,3 , vor der Kathode von — 0,5
Milliampere.
720 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
War die Anode nicht von Platin, sondern von Kupfer, so blieb
mit der Entfärbung der Lacmustinctur auch diese secundäre Steige-
rung aus. War die Platinkathode erheblich schmaler als die Platin-
anode , so trat von vornherein , auch bei blos momentaner Durch-
strömung, zwischen Anode und der Mitte des Feldes eine stärkere
Erhöhung der Wirkung ein, als an der Anode selber; diese auffällige
Erhöhung kann gleichfalls nicht durch die freien .Jonen bedingt sein.
Die Werthe ferner, die man, sei es bei^ kurzer oder nach langer
Durchströmung, erhält, wenn man eine der Messelectroden in mög-
lichst grosse Nähe einer Electrode des primären Stromes, jedoch ohne
sie zu berühren, setzt, sind vielmal grösser als die im Binnenraum
des freien Feldes erhaltenen Werthe und fallen bei geringerer Ver-
grösserung des Abstandes rasch ab. Sie sind ausserdem natürlich
auch noch von der Gestalt, respective Grösse dieser Electroden ab-
hängig ; so neben einer dünnen Nadelelectrode mehrmals grösser als
neben einer breiten Blattelectrode. In obigen Angaben bedeutet ,, neben"
der Anode oder Kathode daher stets einen solchen Abstand der nahen
Messelectrode von mindestens 2 mm.
Die Messungen wurden bisher unter Verwendung von Platin-
electroden, also von polarisirbarem Material, angestellt, und dabei
ein der Wirkung des continuirliehen Gleichstromes auf die gleich-
falls polarisirbaren Eier und Embryonen entsprechendes Verhalten
wahrgenommen.
Für die Beurtheilung der Bedeutung der auffälligen Erscheinung
war es nöthig, zu wissen, ob sich diese Ungleichheiten der Wirkung
auch an unpolari sirbaren Electroden bemerkbar machen
würden. Da jedoch in Innsbruck kein Zinkdraht zu erhalten war,
musste ich Streifen Zinkblechs vom Klempner verwenden , die nicht
aus reinem Zink bestanden und daher wohl auch noch etwas
polarisirt wurden. Auch mag die Anfertigung der Electroden meiner-
seits selber mangelhaft gewesen sein.
Bei Anwendung dieser Electroden als Electroden des Messkreises
blieb die im ersten Stadium beobachtete typische Uu-
[191] gleichheit der AVirkung, der Abfall von der Anode,
aus; diejenige des zweiten Stadiums, also die Erhöhung an der Be-
Abnahme der intraelectrolytären Wirkung bei gleichem Querschnitt etc. 721
rührungstcllc der Aiiioiien luid Cationen, war auf ein A'^iertel ihrer
vorherigen Grösse reducirt. Es ist also vielleicht 7A\ vermuthen, dass
sie ganz verschwunden sein wiu-de, wenn die Electroden vollkommen
unpolarisirbar gewesen wären.
Die Versuche wurden durch den etwas gewölbten Boden
und die ungleiche Breite der Lichtung aller meiner ob-
longen G 1 a s s c h a 1 e n , sowie durch den trotz obiger Cautelen nicht
vollkommen unveränderlichen Abstand der Messelec-
t roden erschwert; doch suchte ich, durch Variationen über die da-
durch bedingten Fehler wegzukommen.
Bei den Froscheiern, welche nur relativ kurze Zeit durchströmt
worden waren, war diese erste typische Art der polarisirenden Wir-
kung, insbesondere die starke Erhöhung in unmittelbarer Nähe der
Electroden, also auch an der Kathode, sehr ausgesprochen zur
Geltung gekommen; desgleichen auch bei den Hühnerembryonen.
An den letzten Hühnerembryonen, welche über eine Viertel-
stunde lang durchströmt worden waren , konnte danach ausserdem
noch die zweite Wirkungsweise erheblich mit zur Geltung gekommen
sein, und darauf ist vielleicht das mitgetheilte , dem früheren wider-
sprechende Resultat am Schlüsse des letzten Versuches, Seite 646,
zurückzuführen. Jedenfalls werden weitere Versuche nöthig sein, um
die Sachlage aufzuklären.
Ich Avollte ferner das Verhalten der Strombahn auch während
der Ausbildung dieser ungleichen Veränderungen an den ver- [192]
schieden gelagerten Gebilden aus specifisch reagirendem Materiale
messend prüfen. Da jedoch befruchtete Hühnereier zur Zeit (im No-
vember) hier nicht mehr zu erhalten waren, musste ich mich auf das
Ovarium des Frosches beschränken. Ein Stück solchen Organes
wurde mitten fn die durch einhalbprocentige Kochsalzlösung gebildete
Strombahn gelegt und die Messelectroden an folgenden Stellen auf-
gesetzt: 1. neben der Anode, 2. mitten auf den Intraelectrolyten,
3. neben der Kathode; ferner an 2 a, wobei die eine Nadel in dem
der Anode zugewendeten Organrande steckte und die andere der
Anode näher in der Flüssigkeit sich befand; 2ß dieselbe Stellung
nach der Seite der Kathode. Stellung 1 a und 3 a bedeuten , dass
W. Roux, Gesammelte Abhandluni; en. II. 4D
722 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
die eine Messelectrode der der Ziffer entsprechenden Electrode des
primären Stromes möglichst, jedoch, ohne sie zu berühren, genähert
war. Die ersten Versuche wurden schon vorgenommen, ehe ich un-
polarisirbare Mess-Electroden angefertigt hatte ; sie sind daher nur mit
Platinelectroden angestellt.
In der ersten Ver.suchsreihe wurde continuirlich durchströmt,
das Mess-Electrodenpaar rasch eingetaucht und so lange eingetaucht er-
halten, bis die Magnetnadel nicht mehr oscillirte. Das Galvanometer
zeigte in Stellung la einen relativ starken Strom (z.B. 0,25 Milliampere),
bei 1 wieder einen viel schwächeren Strom (z. B. 0,04 Milliampere), bei
2a stets eine erhebliche Zunahme (z. B. 0,08 Milliampere), bei 2 eine
weitere Zunahme (z. B. 0,18 Milliampere), bei 2ß einen steten starken Ab-
fall bis unter die Grösse von der Stellung 2 a, bei 3 einen w^eiteren Ab-
fall bis ein wenig unter den Werth der entsprechenden Stellung 1, bei
3 a fast denselben Werth als bei 1 a. Bei derartiger Querlagerung
des Intraelectrolyten , dass er die ganze Breite der Strombahn ein-
nahm , war die Steigerung bei 2 a und besonders bei 2 mehrmals
grösser, der Abfall bei 2 ß dann aber vielmals stärker als bei Längs-
stellung, wobei die Strombahn in halber Breite frei blieb.
Bei Läugsstellung des Intraelectrolyten ist die Zunahme auch
in der freien Strombahn neben dem Intraelectrolyten deutlich aus-
gesprochen. Bei Anwendung stärkerer, z. B. zweiprocentiger Koch-
salzlösung wurde die Steigerung der Stromstärke bei 2 a und 2 im
Intraelectrolyten nochmals um das Mehrfache vergrössert.
[193] Es ergab sich also eine starke Steigerung des Strom-
gefälles innerhalb und in der Umgebung des Intraelec-
trolyten, am stärksten inmitten desselben, weniger stark
am Anodenrande, noch weniger am Kathodenrande desselben. Diese
Steigerung betrug das Sechs- bis Zwölffache der Stärke des
primären Stromes an den Stellen vor und hinter dem Intra-
electrolyten. Nach der Unterbrechung des primären Stromes war
dagegen an keiner Stelle mehr ein Strom mit meinem Instrumente
nachweisbar; eine eventuelle wirkliche äussere oder innere Polari-
sation des Eierstockes konnte demnach bei der Empfindlichkeit des
Instrumentes nur unter 0,01 Milliampere betragen.
Abnahme der iiitraelectrolytären Wirkung bei gleichem Querschnitt etc. 723
Dieses Verhalten des Tnti-aelectrolyten wicli also bedeutend von
dem vorher hlos am Electi'olyten, gleichfalls bei continnirlicher Dnrch-
strömnng beobachteten \'"erhalten ab.
Obgleich dieses Verhalten blos einen Abweg, der uns von unserer
Aufgabe wegführt, darstellt, wie ich nach weiteren Versuchen einsah.
Sollen doch die zur Aufklärung vorgenommenen Experimente in ihren
Ergebnissen mitgetheilt werden, um einen, vielleicht gleich mir uner-
fahrenen Leser vor einer falschen Deutung zu bewahren.
Um zunächst die Wirkung der continuirlichen Durchströmung
zu eliminiren, prüfte ich das Verhalten bei blos momentanem
Stromschluss; hier konnte natürlich nicht die Ruhestellung der
Magnetnadel abgewartet werden, sondern das Maximum des ersten
Ausschlages musste notirt werden.
• Die Methode des Eintauchens der Electroden mit der Hand ist
aber bei diesem Modus natürlich mit einem Fehler verbunden, in-
dem l^ei raschem Eintauchen die erste Schwingung der Nadel nicht
unerheblich grösser ausfällt, als bei langsamem Eintauchen. Da jedoch
mein Stromschlüssel so primitiv war, dass beim Schluss und Oeffnen
durch ihn der Tisch erschüttert und daher die Magnetnadel abgelenkt
wurde, musste ich die Methode beibehalten und durch möglichste
Gleichmässigkeit den so bedingten Fehler zu verringern suchen ; doch
ist es klar, dass in Folge dessen geringe Verschiedenheiten der Strom-
stärke, wie sie zwischen Ort 1 und 3 auch bei blos momentanem
Stromschluss zu bestehen scheinen, im Einzelnen nicht deutlich be-
urtheilt werden konnten, so dass blos die Summe aller in Folgendem
[194:] zu besprechenden Beobachtungen hierin einen Schluss gestattet.
Die Methode der momentanen Durchströmung auf den Eier-
stock des Frosclies als Intraelectrolyten angewandt, ergab nun z. B.
folgende, theils bei Querlage desselben im obigen Sinne, theils bei
Längslage gewonnene Werthe in Milliamperes :
46*
724 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Bei Querlage
Bei Längslage
6ß
B
m
In halb-
procentiger
Kochsalz-
lösung
In zwei-
procentiger
Kochsalz-
lösung
In
Wasser-
leitungs-
wasser
In halbprocentiger Koch-
salzlösung
0)
%
s
o
o S
's .s
f "^
^ Ol
—1 TS
ö 'S
.2 S
rS O
ö 'S
1
2a
2
23
2
0,015
0,09
0,60
0,03
0,02
0,02
0,08
0,62
0,05
0,01
0.015
0,10
1,50
0,06
0,01
0,02
0,04
0,085
0,03
0,02
0,02
0,03
0,10
0,02
0,02
0,02
0,05
0,07
0,025
0,03
0,03
0,07
0,12
0,03
0,02
0,03
0,05
0,09
0,03
0,03
Es ergab sich also bei momentaner Durchströmung wesenthch
dasselbe Verhalten, wie es nach continuirlicher Durchströmung be-
obachtet worden war; nur war die Wirkung auf den Intraelectrolyten
und in der Nähe desselben, nach der Amplitude der ersten Schwingung
zu urtheilen, noch mehrmals grösser als in der Flüssigkeit, indem
die Strom Wirkung im Intraelectrolyten das Vierzig- bis
Hundertfache der Wirkung im Electrolyten erreichte.
Wenn auch von dieser Wirkung ein Theil nur scheinbar, nur auf
die Trägheit der Magnetnadel zurückzuführen ist , so l)leibt doch
immer noch ein ungeheuerer Erfolg übrig.
Am Schlüsse jeder, mit demselben Object angestellten Versuchs-
reihe wurden die Nadeln an den fünf Orten in gleicher Weise auf-
gesetzt ohne gleichzeitige Durchströmung ; und es ergab sich nirgends
mehr ein Ausschlag der Magnetnadel, trotz der inzwischen an dem
Ovarium aufgetretenen starken morphologischen Polarisation. Dieses
eigenthümliche Verhalten musste nun auf seine Ursache zurück-
geführt werden.
[195] Da ich im ersten Momente über seine Bedeutung nicht
klar war, prüfte ich sogleich die weichen Organe des Mutterfrosches,
dem das Ovariuui cntnommeu war; und alle zeigten wesentlich das-
selbe Verhalten, nur war die Steigerung bei verschiedenen Organen
quantitativ verschieden und stand anscheinend in Abhängigkeit von
Abnahme der iiitracloctrolytären Wirkung bei gleichem Querschnitt etc.
der Dicke des mit der Nadel diirchstoclieneii Organes. Um zu sehen,
ob andere organische Bildungen ähnlich sich verhielten, wurde Weizen-
mehl mit Vä^/oiger Kochsalzlösung angerührt, und der so gebildete
Teig in die Strombahu gelegt. Es trat wieder die gleiche Erscheinung
auf. Da ich anderen Tages die annähernd unpolarisir baren
Electroden gemacht hatte, verwendete ich auch diese, und da zeigte
sich, dass jetzt die Verstärkung der Stromwirkung auf der Leber und
auf dem Teige zwar noch evident vorhanden war, aber blos das Drei-
bis Vierfache der Wirkung im Electrolyten erreichte.
Um jede Berührung des Organes oder des Teiges zu vermeiden,
machte ich in dieselben entsprechend situirte, mit Flüssigkeit aus der
Umgebung angefüllte Löcher und hielt in diese die Messelectroden ;
es ergab sich jedoch wieder das frühere Resultat.
Nachdem somit festgestellt worden war, dass hier nicht, wie bei
den Versuchen ohne Intraelectrolyten , blos eine Ungleichheit der
Polarisation bei gleicher Stromstärke, sondern eine wirkliche Ungleich-
heit der Stromstärke vorlag, kam ich der Ursache näher; was aller-
dings bei jedem anderen Untersucher, der nicht, wie ich, so gut als
zum ersten Male mit Electricität experimentirte , wohl früher der Fall
gewesen wäre.
Da auszuschliessen war, dass hier eine wirkHche Production von
electrischer Energie ausgelöst durch den primären Strom, vorliege, weil
die Physiologen diese Fähigkeit der Organe längst wahrgenommen
haben würden; so blieb nur die Möglichkeit, dass die geprüften Körper
so viel schlechter als das verwendete Menstruum leiten, dass sie ein
starkes Ausweichen des Stromes in die den Intraelectrolyten umgebende
Flüssigkeit veranlassen.
Die beobachtete Erscheinung beruhte dann nicht auf einer Ver-
mehrung der {Stromstärke in den ganzen bezüglichen Stromquer-
schnitten, sondern blos auf einer localen Vergrösserung der
Stromdichte an einzelnen Stellen der Querschnitte.
[196J Gegen diese Annahme schien jedoch zu sprechen die in
der Tabelle auf Seite 165 mitgetheilte Beobachtung, dass auch bei
Verwendung von Wasserleitungswasser als Electrolyten, welches doch
voraussichtlich schlechter als das Ovarium leiten wird, an diesem eine
726 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Steigerung der StromwirkuDg, wenn auch nur um das Vierfache,
wahrgenommen worden war.
Dass aber das letztangenommene Moment stark genug in diesem
Sinne zu wirken vermag, zeigte sich, nachdem ich drei Glasbälkchen
über einander quer mitten in die Strom bahn bei sonst der früheren
gleichen Versuchsanordnung gelegt hatte. Es ergaben sich an den
früheren entsprechenden Oertlichkeiten folgende Resultate:
Ort der
Messung
Unpolarisirba
re Electroden
Platinelectroden
Flüssigkeit, um-
gerührt
la
0,36 M. A.
0,24
1
0,32 M. A.
0,33
0,09
0,11
2
0,60
0,69
0,94
1,40
3
0,22
0,30
0,015
0,025
3a
—
0,22
0,09?
—
Es zeigte sich also eine ähnliche \^erstärkung der Wirkung in
der Umgebung der Glasbälkchen wie bei den Organen und dem
Mehlteig.
Damit ist aber zugleich ein neues Käthsel erstanden. Ich habe
nämlich nicht beobachtet, dass der auf Seite 645 erwälmte, in der Lücke
zwischen der Wand und dem grossen Hühnerembryo in Stromrichtung
hinter diesem liegende kleine Embryo besonders stark verändert worden
wäre. Im Gegentheil, er blieb fast unverändert, obgleich der Strom
in verstärktem Maasse durch diese Strasse hätte gehen und auf ihn
treffen müssen; auch blieb die diesem Strom anliegende Fläche des
grossen Embryo fast unverändert.
Da das Versuchsmaterial jetzt nicht melir zu haben ist, muss
ich auf die jetzige Weiterführung der Untersuchung ver- [197] ziehten;
und aus dem oben erwähnten Grunde gedenke ich auch nicht, sie
später wieder aufzunehmen.
Ursache der polaren Localisatiou der Veränderungen. 727
C. Erklärungsversuche und Zusammenfassung.
1. Ursache der polaren Localisatiou der Veräuderungen.
Fragen wir zunächst nach den Ursachen der allgemeinsten Ver-
hidtnisse der in den vorstehenden Abschnitten geschilderten Erschei-
nungen , also nach den Ursachen der Scheidung der Oberfläche der
intraelectrolytär durchströmten Gebilde in zwei veränderte Pol felder
und einen zwischen ihnen gelegenen gürtelförmigen Aequator.
Wir sahen, dass blos an denjenigen Stellen der Oberfläche der
morphologisch polarisirbaren Gebilde, seien es lebende Organismen
oder Metalle oder sonstige, von uns reactionsfähig gemachte Gebilde
(s. S. 703), die polaren Veränderungen stattfanden, an welchen zu er-
schliessen, ja durch Versuche direct nachzuweisen war (s. S. 708 u. f.), dass
daselbst Stromfäden ein- oder austraten, w'ährend an anderen,
zwar kräftig durchströmten und mit dem Electrolyten benetzten
Stellen, an welchen aber Stromfäden-Ein- und Austritt nicht, resp. nur
in minimalem Maasse möglich war, unverändert blieben.
Daraus war zu erschliessen, dass die beobachteten polaren Ver-
änderungen an den Ein- und Austritt von Stromfäden gebunden sind.
Ferner fanden diese Reactionen nur an benetzten Stellen
statt; an trocken durchströmten Froscheiern blieben die bezüglichen
Veränderungen auch an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes
aus; so dass also die Anwesenheit einer geeigneten Flüssig-
keit, eines Electrolyten als weitere Bedingung anzusehen ist.
Neben den äusseren oberflächlichen Veränderungen
fehlte es auch nicht ganz an inneren Veränderungen. Selbst
an Metallen sind solche wahrnehmbar. Wenn auch ein früher durch-
strömtesBleist(ick abgeschabt und blank polirt worden war, so wurden
manchmal, auch nach Monaten, beim Einlegen desselben in Salzsäure
von geeigneter Concentration die früheren Polabschnitte wieder erkenn-
bar, indem sie rascher verändert w^urden als der frühere Aequator.
Diese inneren Veränderungen durch den Strom sind [198] von den
Accumulatoren her bekannt; die hier beobachtete Localisatiou der-
selben aber verdient vielleicht eingehendere Untersuchung. Auch
728 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
treten unter Umständen nach dem Durchströmen Erscheinungen von
Passivität des Bleies am Aequator auf.
Die lebenden Gebilde haben wir bis jetzt zumeist nur von
aussen betrachtet, und wissen daher noch nicht, wie weit sich Ver-
änderungen, die denen der Oberfläche ähnlich sind oder mutatis
mutandis ihnen entsprechen, in's Innere erstrecken, so dass wir unser
Urtheil vorläufig beschränken müssen. Nur an den durchscheinenden
Eierstockseiern des Frosches und den Fischeiern, sowie an den Hühner-,
Eidechsen- und Mausembryonen glaubten wir schliessen zu dürfen,
dass die wahrgenommenen intensiven Trübungen der Pol-
f e 1 d e r sich allmählich i n"s I n n e r e f o r t s e t z e n und schliess-
lich die ganzen ,, Polabschnitte" betreffen.
Es ist also zunächst zu fragen: Warum wird nicht die
ganze (Jberfläche der lebenden Gebilde, soweit sie dem
Ein- und Austritt von Stromfäden dienen könnte, also so-
weit sie nicht der Glaswandung unmittelbar anliegt oder aus dem
Electrolyten frei heraussteht, sondern von durchströmten Electrolyten
in genügender Dicke der Schicht umgeben ist, verändert?
Eine spätere Frage wird es sein , warum nicht auch die
blos „durchflossenen" Theile der benetzten ,, Oberflächen",
siehe S. 648, sowie das ,, durchströmte Innere" der bezüglichen
Organismen, insbesondere die Substanz der Aequatorscheiben ent-
sprechende ^^ e r ä n d e r u n g e n erfahren.
Da wir die Stellen der polaren Veränderungen an jedem Gebilde
durch die ihm gegebene Lagerung zu den Electroden beliebig be-
stimmen konnten, so muss die Oberfläche jedes dieser Gebilde
also an allen Stellen r e a c t i o n s f ä h i g auf den electrischen
Strom sein. Daher müssen den anderen, vom Electrolyten umgebenen
aber unverändert bleibenden Theilen der Oberfläche eines Intraelectro-
lyten entweder zu wenig Stromfäden „z ugeführt" werden,
als dass dieselben durcli ihren Ein- und Austritt eine sichtbare Wir-
kung hervorbringen könnten, oder die an sich in genügender Zahl hin-
geführten Stromfäden müssen am Eintritt ,, verhindert" worden
sein, was bei der Gleichheit der ganzen Oberfläche nur durch ein
besonderes Agens geschehen kann.
Ursache der polaren Localisation der Veränderungen. 729
[199] Als solches Moment wurde im vorigen Abschnitt ein
zwischen den beiden Polfeldern circulirender, dem primären Strom
entgegengesetzter, also negativer Polarisationsstrom angenommen. Mit
dem zuletzt beschafften Cialvanometer habe ich diesen Strom an einem
m e t a 1 1 i s c h e n Intraelectrolyten unmittelbar nach der Unterbrechung
des galvanischen Hauptstromes direct nachgewiesen, indem icl i
einen intraelectrolytär durchströmten Kupferdraht, um die polarisirende
Wirkung der durchströmten Flüssigkeit auf die Messelectroden aus-
zuschalten, rasch aus der halbprocentigen Kochsalzlösung, in der er
durchströmt worden war, in frische solche Lösung übertrug und die
blanken Kupferdrahtenden des Galvanometerkreises auf die Polfelder
oder neben dieselben aufsetzte. Der Strom war dem primären Gleich-
strom entgegengesetzt gerichtet und betrug im Maximum bei meiner
Anordnung sofort nach der Unterbrechung des primären Stromes
1,5 ^I. Amp. , fiel aber rasch ab. Der metallische Intraelectrolyt ver-
hält sich natürlich wie ein Accumulator.
Auf die gleiche Weise gelang der Nachweis des Polari-
sationsstromes auch an dem mit dem ,, Wech selstrom"
behandelten metallischen Intraelectrolyten nach der
Unterbrechung des primären Stromes, nur war natürlich die Richtung
zum letzten primären Strom nicht zu beurtheilen. Der Polarisations-
strom zeigte sich ein wenig stärker als der nach dem Gleich-
strom beobachtete; freilich war auch der primäre Strom erhe)3-
lich, mindestens dreimal stärker, als der verwendete Gleichstrom.
Die specielle Ursache dieses letzteren Polarisationsstroraes, sowie über-
haupt die qualitative Beschaffenheit des vom Wechselstrom erzeugten
Polfeldes bedürfen wohl der Untersuchung. Wenn auch Drechsel
schon die Thatsache der Polarisation der Electroden im Wechselstrom
nachgewiesen Ifat, so ist doch die Alkaliabscheidung an der Kathode
und an der kathodisch beschaffenen Seite eines metallischen Intra-
electrolyten, also am sogenannten ,, anodischen" Polfeld, nur eine sehr
geringe, wie ich oft beobachtet habe, nachdem dem Electrolyten
Phenolphthallein zugesetzt war. Daher kann immerhin die relative
Stärke des nach der Durchströmung nachweisbaren Polarisationsstroms
Befremden erregen (siehe auch S. 700).
730 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Für das Verhalten der 31 e t all e , d e r e n Ae q n utor w i r z ii-
Dächst besprechen wollen, ist von Bedeutung, dass beim Fehlen
einer [200] electromotorischen Gegenkraft auch durch den schwächsten
electrischen Strom schon Electrolyse veranlasst wird, und dass somit die
an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes an der Oberfläche des
Metalles abgeschiedenen Jonen eine Wirkung hervorbringen müssen.
Bei den Metallen summiren sich die Reactionen also einfach
mit der Stromdauer; und wenn, von der in der Mitte liegenden
Indiff erenzlinie abgesehen, allenthalben Stromfäden eintreten,
kann schliesslich ausser dieser, nur ein Minimum breiten Linie b 1 o s
dasjenige Stück blank bleiben, welches durch den nega-
tiven Po larisations ström genügend geschützt ist. Vorher
aber besteht bei schwachem Strom längere Zeit für die Besichtigung
ein grösserer Aequator, dessen Grösse durch ungenügende locale
Stromdichte bedingt ist.
Bei unseren leh enden Ohjecten ist wohl zu vermuthen, dass
mit der sichtbaren ,,morp hologisch en" Polarisation eine
electrische Polarisation im Sinne der Physiologen ver-
bunden ist, ganz abgesehen von der sogenannten ,,inneren
Polarisation feuchter Leiter" nach du Bois-Reymoxd; verhält
sich doch bei den Muskeln und Nerven nach L. Hermann jeder ab-
sterbende Querschnitt negativ gegen den lebenden; und unsere Pol-
feld er sind, wie wir an den Frosch eiern sahen, eine Sub-
stanz, welche an den Theilungsvor gangen der Zelle nicht
mehr th eilnimmt, sondern unter Umständen von den Zellen
direct abgestossen, eliminirt wird, und welche auch nicht
mehr jener Veränderungen (Vacuohsation etc.) fähig ist, wie sie sonst
beim allmählichen Absterben der Eier beobachtet werden.
Wesentlich um diesen Polarisationsstrom nachzuweisen, hatte ich am
Schlüsse meiner Untersuchungen das erwähnte Horizontalgalvanometer
beschafft, dessen Theilung Zehntel Milliamjiere noch gross anzeigt,
und welches auf Hundertel M. A. noch reagiren soll. Aber weder
beim Aufsetzen auf die mit dem Gleichstrom von acht Bunsen durch
directes Anlegen der Electroden stark weisslich polarisirten Hühner-
embryonen noch auf den polarisirten Eierstock des Frosches gelang
Ursache der scharfen Begrenzung des Aequators an lebenden Objecten. 731
es mir, an diesem Instrument einen Ausschlag hervorzubringen ; auch
nicht wenn die Messelectroden zur Verringerung des Widerstandes sehr
nahe neben einander und wenn sie direct an die Stellen der Electroden
des primären Stromes [201] aufgesetzt worden waren. Um eine Neben-
schliessung zu verhindern, waren die Embryonen nach dem Durchströmen
dem Electrolyten entnommen und auf trockenes Fliesspapier gelegt
Avorden. Dasselbe negative Resultat ergab sich nach Behandlung dieser
Objecte mit dem Wechselstrom beim Aufsetzen einer Electrode an der
Stelle einer früheren Electrode und der anderen auf den Aequator. Doch
zeigte dieses Galvanometer auch den Muskelstrom des Froschmuskels
selbst bei wirksamster Anordnung nicht an. Den Physiologen dagegen
wird es ein Leichtes sein, mit dem du Bois-REYMONo'schen Multiplicator
die Entscheidung über den hypothetischen Strom zu geben.
2. Ursache der scharfen Begrenzung des Aec[uators
an lebenden Objecten.
Ist der Polarisationsstrom von genügender Stärke, so kann er,
Avie bei den metallischen Intraelectrolyten zur Ableitung einer scharfen,
der allmählichen Abgieichung entbehrenden Grenze der Polfelder
gegen den Aequator verwendet werden. Aber auch ohne diesen
Strom muss sich bei den lebenden Wesen eine scharfe Grenze
ergeben, da nur durch Ströme, welche die Reizschwelle über-
schreiten, die polare Reaction ausgelöst werden kann, während
benachbarte Stellen nur wenig geringerer Einwirkung unverändert
bleiben werden.
Unter Berücksichtigung der Reiz.schwelle wird es verständlich,
dass bei stark geschwächtem Strom selbst nach stundenlanger
Durchströmung die Froscheier nur in sehr geringer Ausdehnung
polare Veränd'erungen darboten, und dass weiter seitlich im run-
den Stromfelde, also in noch geringerer Stromdichte stehende Eier
gar keine Reaction mehr erkennen Hessen. Diese beiden Verhaltungs-
weisen würden bei der Zurückführung des Aequators blos auf einen
Polarisationsstrom natürlich nicht zu erklären sein.
Wie sich die Breite des durch dieses IVIoment bedingten Aequa-
tors zu der durch den hypothetischen Polarisationsstrom bedingten
732 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
verhalte, wird erst nach der Nachweisiuig der Stärke dieses letzteren
erörtert werden können.
• Alle Stellen, an welchen die für die Auslösung der polaren
\^eränderungen bestehende Reizschwelle nicht überschritten wird,
werden sich solange nicht verändern, bis schliesshch von den Pol-
t'eldern aus das einheitliche lebende Gebilde durch die Veränderung
zu vieler oder zu lebenswichtiger Theile, oder [202] durch eventuelle
innere Wirkung der Durch Strömung (durch innere Polarisation) als
Ganzes getödtet worden ist und daraus resultirende anderweite,
auch auf den Aequator sich erstreckende Alterationen vor sich gehen ;
wie wir denn an Blastulae und Gastrulae nach lauger Durch-
strömung den ganzen Aec^uator sich plötzlich in toto grau
verfärben sahen.
Die Reaction nachUeberschreitung der Reizschwelle im Bereiche
der Polfelder war bei demselben Objecte, dem Froschei oder dem
Tritonenei je nach der Stärke und Dauer der Gesammteinwirkung
eine örtlich, graduell und vielleicht auch cjualitativ verschiedene.
Während mit den schwächsten Strömen behandelte Frosch- und
Tritoneneier ihre kleinen Polfelder unter minimalem Durchtritt von
Eiinhalt durch die Eirinde nur verfärbten, entstand bei starkem Strom
an der Grenze des Polfeldes ausser grossen Austritten von Ei-
inhalt eine starke, wohl durch Contraction des Rindenproto-
plasma eingeleitete Furche; bei geeigneter Stromstärke und
Dauer blieben die electrischen „Pole" des Eies fast unver-
ändert und die starke Veränderung der Eirinde localisirte
s i (t h in der Nähe der Niveaulinien. Dies alles sind Erschei-
nungen , die ihrer Natur nach an die s p e c i f i s c h vitalen Eigen-
schaften der Objecte anknüpfen.
Weniger grell gegen den Aequator abstechend war
die Polfeldgrenze an den Gehirnblasen der Hühner-, Ei-
dechsen- und Mausembryonen; bei diesen Gebilden sowie bei
Gallenblasen konnte ausserdem der Aequator durch lange fortgesetzte
Durchströmung unter successiver Verkleinerung zum Verschwinden
gebracht werden.
Ursachen der speciellen Gestaltungen der Polfelder. 733
Au den p]x tremi täten der Ilülmer-, Eideehseii- und
Mausern brvonen, sowie an der Allantois der beiden ersteren
war überhaupt keine scharfe Grenze zwischen Polfeld und
Aequator vorhanden, ein Verhalten, welches besonderer Aufklärung
bedarf.
3. Ursachen der speciellen Gestaltungen der Polfclder.
Gehen wir nun zur Ursache der speciellen Gestaltver-
hältnisse der Polfelder und damit auch des zwischen ihnen ge-
legenen Aequators über, so ist zuerst ein Moment im Zusammenhange
zu besprechen, dem wir sowohl an organischen wie an anorganischen
Gebilden wiederholt begegnet sind, und welches als Strom schatten
bezeichnet worden ist.
a) Stromschatten.
Wir sahen, dass manche Flächen des Intraelectrolyten die Ver-
änderungen nicht in derjenigen Intensität darboten, [203] wie sie
nach der Dichtigkeit der Stromfäden im homogene n electrischen
Felde an der betreffenden Stelle und nach der Richtung der betreffen-
den Fläche zu den Stromfäden zu erwarten gewesen wären. Auf solche
Flächen bezog sich der Ausdruck, dass sie sich im Stromschatten
befänden. Unter im ,, Stromschatten" befindlichen Flächen
eines Intraelectrolyten verstehen wir demnach diejenigen
Theile seiner Oberfläche, auf welche bei seiner Durch-
strömung weniger Stromfäden treffen, als nach der Lage der
Fläche zu den Stromfäden des homogen gedachten electrischen
Feldes ihr zukommen würden.
Nach dieser willkürlichen, jedoch für uns zweckmässigen Defi-
nition ist d ^r Stromschatten also durch Ablenkung der
Stromfäden aus ihrer Richtung im homogenen Felde bedingt,
und zwar entweder in Folge von Anziehung oder Abstossung
derselben durch den Intraelectrolyten.
Der Schatten durch Anziehung von Stromfäden besteht in
der Vorwegnahme von Stromfäden durch den Electroden näher be-
findliche Theile eines besser als der Electrolyt leitenden Intraelectro-
734 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
lyteii, also unter Benachtheiligung der darauf folgenden Theile, so
z. B. durch die Ränder und angrenzenden Seitenflächen von Furchen,
welche gegen die Electrode gewendet sind, welche also in Richtung
des Stromes stehen ; wie wir solchen Schatten an derartig orientirten
Furchen von Froschembryonen , an der gefalteten älteren Gastrula
des Triton und an genügend tief gewölbten Stücken der Vorderhini-
blasen des Hühnerembryo gesehen haben. Ferner bekundeten wesent-
lich denselben Vorgang Froscheier, welche in einer längs des Stromes
gerichteten Drahtgabel lagen, sowie das beim Durchströmen des Feldes
unverändert gebliebene Stanniolbänkchen innerhalb des Stanniolringes.
Ferner zeigt sich dasselbe an den schief zur Stromrichtung liegen-
den länglichen Gebilden, wie den Gallenblasen der Kaninchen, an
den Eiern von Tritonen und Fröschen, welche in eine Glasröhre
aspirirt, dadurch stark länglich geworden und durch seitlich daneben
liegende Eier schief zur Röhre gestellt waren, ebenso wie an dem
schief liegenden Metalldraht. Alle diese behielten beim Durchströmen
einen nicht rein seitlich, sondern schief gegen die Electroden gewende-
ten, wie wir sagten, anscheinend ,, beströmten" Aecjuator, [204] der
also bei gewöhnhchem Verlauf der Stromfäden, wie er im homogenen
Felde stattfindet, von ebenso vielen Stromfäden getroffen worden wäre,
als die angrenzenden, noch den gleichen Winkel mit der geraden
Verbindungslinie beider Electroden bildenden Theile der Polfelder.
Trotz dieses gleichen Winkels ist der eine Theil unverändert, weil
ilmi durch die der Electrode nähere Nachbarschaft die Stromfäden
grösstentheils vorher weggesaugt worden sind. Auch die mit dem
Abstände von der Anode abnehmende anodische Veränderung der
Knollen des Fadens von Aethalium septicum nach der Abbildung
^■ERW0RN^s könnte neben dem auf Seite 721 erörterten Moment auf
^^orwegnahme von Stromfäden durch die der Anode näheren Theile
beruhen, da die Durchströmung doch wohl in gewöhnlichem Wasser
stattfand und das Protist also besser leitete als der Electrolyt. Im
Wesentlichen gleichfalls derselbe Vorgang, wenn auch ein wenig
modificirt, trat an einer quergestellten Drahtgabel ein; ebenso natür-
lich auch, als zwei rechtwinkelig zum Strome orientirte, einander
nahe, leitend verbundene Platten durchströmt wurden; dabei bekam
Ursachen der spociellen Ciestaltungen der Polfelder. 735
keine von beiden an der Innenfläche ein PollVld, wie es sofort ge-
schieht, wenn die leitende Verbindung unterbrochen wird. Dem
ersteren dieser beiden Fälle Aehnliches beobachteten wir im Bereiche des
Organischen an den inWasser durchströmten, geschwächten Morulae
des Frosches und Triton, welche zwei Generalpolfelder bilde-
ten. Diese Polfelder nahmen die ganze gegen die Electrode gewendete
Seite der Zellen ein und griffen wohl auch ein wenig über die Ränder
herum nach der Gegenseite; aber die beiden Begrenzungsflächen der
vorhandenen kleinen, seitlich gerichteten Furchen blieben einige
Zeit lang unverändert, gleich wie in Richtung des Stromes stehende
Furchen, aber unter etwas anderer Vermittelung. Während l)ei letzterer
Stellung in die Tiefe der Furchen keine Stromfäden gelangen, weil
die in die Oel^inung der Furche eingetretenen Stromfäden vorher in
die beiden Seitenwände übertreten ; werden die auf die beiden Aussen-
flächen der quer stehen den Furche resp. Gabel fallenden Strom-
fäden durch die leitende Verbindung derselben in einander überge-
leitet und so die weniger gut leitende Flüssigkeit des Binnenraumes
umgangen, resp. die auf der einen Seite [205] eingetretenen Strom-
fäden gehen durch den besser leitenden Vei'bindungstheil , um erst
auf der anderen Seitenfläche wieder auszutreten.
Der Stromschatten durch Abstossung von Stromfäden
findet statt, wenn der Intraelectroly t schlechter leitet als
der Electrolyt, da der nicht sehr hoch gespannte electrische Strom
entsprechend dem OnM'schen Gesetz, in der dem relativen Lei-
tungsvermögen entsprechenden Stärke mehr durch den besser
leitenden Theil geht. Es blieben daher z. B. an den aus mit Wasser
angerührtem Mehlteig gebildeten Kugeln die Polseiten unverändert,
und nur am Aequator der Kugel wurden die an der ganzen Oberfläche
befindlichen Me^singspäne polarisirt. Dasselbe war natürlich der Fall,
wenn ein schlechter leitender Körper in Richtung des Stromes
vordem Int raelectrolyten lag, wie Fett vor der Gallenblase, Luft-
blasen auf der Metallkugel oder Glasbalken vor den Froscheiern. Doch
haben die den Electroden näheren, also gegen sie vorspringen-
den Theile immer noch eine Begünstigung für den Stromfädeneintritt
vor den seitlichen Theilen voraus, welche Begünstigung ein ge-
736 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
wisses Maass von geringerem Leitungsvermögen zu ül)ercompensiren
vermag. Dies spracli sich darin aus, dass in ö^'/oiger Kochsalz-
lösung die nach unserer Beobachtung schlechter leitende,
runde Gallenblase noch grüne „Polfelder" statt eines
grünen ,,Aequators" bildete.
Eine etwas schwieriger zu verstehende Art anscheinender Ab-
stossung von Stromfäden haben wir an dem metallischen rechten
Winkel gesehen, dessen einer Schenkel normal zum Strome des homo-
genen Feldes stand und auf der Seite, welche dem in Richtung des
Stromes stehenden Schenkel zugewandt war, blank blieb, obgleich
die Fläche direct der anderen Electrode zugewendet war. Das Nöthige
über diesen Fall ist im vorigen Abschnitte schon gesagt, s. S. 681 u. f.
Nach dem Vorstehenden kann noch hinzugefügt werden, dass sich
das ganze Verhalten auf den Fall einer Metallgabel reducirt, deren
einer Schenkel cjuer, deren anderer Schenkel in Längsrichtung zum
Strome orientirt ist; die das freie Ende "des Querschenkels umgehen-
den, scheinbar abgestossenen Stromfäden sind im Gegentheil von ihrer
im homogenen Felde seitlichen Bahn wie durch Anziehung abge-
lenkte Stromfäden. Hiebei [206] braucht das Wort „Anziehung"
nicht im wörtlichen Sinne gedacht zu werden, sondern als abgekürzter
Ausdruck dafür, dass durch das Convergiren der benachbarten Strom -
fäden gegen das Metall die Bahn im Electrolyten zum Theil frei
wurde, und daher seithche Stromfäden in diesen Theil einbogen.
Wir haben noch Thatsachen kennen gelernt, welche auf eine-
weitere Art des Stromschattens im Sinne unserer Definition hinzu-
weisen scheinen, auf einen Stromscbatten in Folge localen Verbrauches
oder localer Abschwächung von Stromfäden durch eine Arbeitsleistung;
so z. B. die geringe Veränderung von Eierstockeiern, welche durch
benachbarte, der Electrode näher stehende, aber entsprechend vor-
springende Eier von der directen Bestrahlung durch diese Electrode
ausgeschlossen sind und anscheinend nur die Stromfäden erhalten,
welche schon das davor gelegene Ei passirt liaben ; ferner die Beob-
achtung, dass zwei zusammengebundene und quer zur Berührungs-
fläche durchströmte Gallenblasen an diesen Flächen erst
erheblich später sich verändern, als an den direct bestrahl-
BestimiHung der Richtung der (Trenzlinieu der Polfelder. 737
teil Aus seil! lach eil, eine entsprechende Beobachtung auch an
zusammengedrängten Froschembryonen. Emc solche Erklä-
rung dieser Thatsachen würde jedoch dem Gesetze, dass jode locale
^tromschwäohung alle Querschnitte der ganzen Strombahn in gleicher
AVeise afficirt, widersprechen; es wird daher eine andere Erklärung
der bezüglichen Erscheinungen zu suchen sein.
Wohl nicht durch Stromschatten bedingt war das Ausbleiben
der V'^eränderung an der Fläche der ,, platt" ausgebreiteten
Keimscheibe des Hühnchens. Diese Fläche lief einfach parallel
den Stromfäden des homogenen Feldes, und in Folge der nur geringen
Leitungsdifferenz convergirten seitlich von ihr verlaufende Stromfäden
nicht in genügender Anzahl gegen sie, um die Reizschwelle zu
überschreiten.
b) Bestimmung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder.
Nach diesen Erörterungen können wir zu einer kurzen Be-
sprechung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder zu
d e n N i V e a u f 1 ä c h e n d e s „umgebenden", homogenen, d. h. in
sich allenthalben gleich leitenden electrolytischen Feldes
übergehen.
An unserem ersten üntersuehungsobjecte, den Froscheiern, hatte
sich gezeigt, dass die Grenzlinien der Polfelder gegen den [207] Aequator
den Richtungen der Niveauflächen des umgebenden electro-
lytischen Feldes entsprechen; und diese Ueberein Stimmung hätte
leicht zu einer falschen Verallgemeinerung verführen können. Doch
die an länglichen, schief zu den Stromlinien stehenden Gebilden, wie
Gallenblasen und Embryonen, beobachteten Abweichungen der Pol-
feldergreuzen von diesen Niveauflächen wiesen auf den wahren ursäch-
lichen Zusammenhang hin ; zumal da bei der Stellung dieser Gebilde
mit der Längsaxe in Richtung der Stromlinien oder rechtwinkelig
dazu die Polfeldränder wieder annähernd die Niveauflächenrichtung
erlangten. Dadurch wurde klar, dass die Lage und Richtung
des Aequators sowohl von der ,, Gestalt" des Intraelectrolyten
wie von der „Lage" desselben zur Richtung der Stromfädeii
abhängig ist.
NV. Roux, Gesammelte Abhandluagen. II. "*'
738 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Dass jede Wirkung an einem in sich homogenen Intra-
electrolyten, welche sich auf ihm begrenzt, mit einer „äqui-
potentialen Grenze" des ,,Intraelectrolyten" abschliessen
muss, ist selbstverständlich. Es bleibt also blos übrig, uns auf
elementarste Weise eine Vorstellung darüber zu bilden, warum diese
äcjuipotentialen Linien des Intraelectrolyten bei ,, Kugel-
gestalt" desselben sowie bei einigen anderen Formen zugleich die
Richtung der äquipotentialen Flächen der betreffenden
Stelle des „umgebenden" homogenen Electrolyten besitzen,
und warum dies bei den abweichenden Gestaltungen nicht der Fall ist.
Wir nehmen an, der in einem runden homogenen electrolytischen
Felde, dessen schmale ElectrodenamRande einander gegenüberstehen,
liegende Intraelectrolyt sei so klein, dass die Stromdichte in seinem Be-
reiche allenthalben wesentlich die gleiche sei; und ferner, zunächst
wenigstens, dass der Intraelectrolyt das gleiche Leitungsver-
mögen besitze als der Electrolyt. Alsdann werden die Stromfäd'en
durch, ersteren nicht abgelenkt. Die einen kugeligen Intraelectrolyten
tangir enden Stromfäden bilden mit ihren Berührungspuncten dann
nicht blos für den Intraelectrolyten eine äquipotentiale Linie, weil
sie die Linie allenthalben gleich minimaler, nämlich keiner Wirkung
darstellen ; sondern, da aus geometrischen G r ü n d e n diese
Tangentenlinie eine rechtwinkelig zu den betreffenden Strom-
fäden stehende Linie ist, ist sie zugleich auch eine [208] äqui-
potentiale Linie für das homogene electrolytische Feld. Die letztere
Annahme trifft zwar genau blos für ein aus parallelen Strahlen
gebildetes sowie für ein concentrisches Strahlenbündel zu, dessen
Symmetrie- Axe durch den Mittelpunct der Kugel geht, also eigentlich
blos für Kugeln, die in der mittleren, geraden Verbindungslinie der
Electroden gelegen sind; jedoch werden auch an den seitlich im
Stromfelde stehenden Kugeln die Abweichungen so gering sein, dass
sie an den uns angehenden Objecten, den Froscheiern, nicht wahr-
nehmbar sind. Auch die durch den Umstand, dass die Froscheier
nicht genau kugelig sind, bedingten Abweichungen werden kaum fest-
zustellen sein. Da der Aequator die Zone geringster Veränderung,
die Taugirungslinie aber die Linie ohne Einwirkung ist, so wird bei
Bestimmung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder. 739
symmetrischer Lage der Kugel zu beiden Electroden die Tangirungs-
linie die Mittellinie des Aequators darstellen. Die durch andere
Stellung der Eier bedingten i\bweichungen werden immer nur sehr
klein sein. Dagegen waren die durch die mangelnde Homo-
geneität der Eier hervorgebrachten Abweichungen so erheb-
lich, dass wir sie mit Leichtigkeit wahrnehmen konnten. Da diese
sich jedoch auf die obere Hemisphäre beschränkten, so erhielten
wir bei der Betrachtung der Schalen mit Eiern von unten das Bild
anscheinend vollkommen äquipotentialer Curven.
Dieselbe Ableitung gilt natürlich auch für die Tangentenlinie
eines länglichen oder platten Rotationskörpers, dessen Axe in Rich-
tung eines Stromfadens steht, und ferner wie für die Tangen-
tenlinie annähernd auch für die übrigen Linien gleichen Potentials.
Verlaufen die Stromfäden der Stelle des Feldes nicht gerade, so
bedingt dies natürlich wiederum kleine Abweichungen. Leitet der
Intraelectrolyt besser als derElectrolyt, so zieht der so orientirte
Rotationskörper die Stromfäden an, aber allerseits in fast gleicher
Weise; die Tangirungslinie bleibt somit dieselbe, ebenso die Richtung
der äquipotentialen Linien des Rotationskörpers.
An länglichen, aber schief zu den Stromlinien stehenden
Rotationskörpern und an unregelmässig gestalteten Gebilden dagegen
zeigten sich augenfällige Abweichungen zwischen den äquipotentialen
Linien des Litraelectrolyten und denen des Electrolyten, welche nicht
blos durch Abweichungen der [209] Tangirungslinie bedingt waren,
sondern durch die ungleiche Stromdichte an den verschiedenen
Stellen des Feldes; diese AbAveichungen wurden noch durch die
Spitzenwirkung in dem Maasse verstärkt, dass z. B. an langen schief
im Stromfeld stehenden Gallenblasen oder Embryonen jedes Polfeld
weit über das der Electrode zugewendete Ende der Blase, also auch
über die Tangi-rungslinie herübergreift und der an diese Stelle
angrenzende Theil des Aequators der entgegengesetzten Electrode zu-
gewendet, also scheinbar von ihr aus stark bestrahlt ist.
Wir haben alle die an den organischen Gebilden beobachteten
Verschiedenheiten in der Localisation des Aequators an metallenen
Intraelectrolyten in genügendem Maasse nachgemacht, um zu sehen,
47*
740 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
dass iu den Itichtnngs Verhältnissen des Aequators nichts
den 1 ehenden Körpern als solchen Eig enthümliches vorliegt.
e) Ursachen der Unterschiede in der L o c a I i s a t i o n der
Polfelder hei Metallen und den lehenden Körpern.
Besprechen wir nun die Ursachen der Hauptunterschied e
zwischen dem Verhalten d e r M e t a 1 1 e und der 1 e b e n d e n Körp er
in der Localisation der Polfelder, so sind sie auf folgende
Momente zurückzuführen :
Erstens auf das vielmal bessere Lei tungs vermögen der
Metalle als das der organischen Körper. Dies bedingt, dass bei
den Metallen die Stromfäden sowohl ausserhalb des Intraelectrolyten
wie auch eventuell innerhalb desselben andere Bahnen einschlagen.
Von viel grösserer Entfernung her convergiren die Stromfäden gegen
den metallischen Intraelectrolyten, werden also in viel höherem Maasse
von ihrer Richtung abgelenkt. So wurden bei den Metallen auch
die in der Richtung von nicht abgelenkten Stromfäden stehenden
Seitenflächen bis auf einen schmalen Aequator verändert, während
bei der platten Keimscheibe des Hühnchens nur die polwärts ge-
wendeten Ränder eine Trübung zeigten, die Seitenflächen aber unver-
ändert blieben. Und bei gerundeten organischen Gebilden treten sowenig
Stromfäden an den seitlichsten Theilen ein, dass die grosseBreite
des daselbst befindlichen unveränderten Aecjuators schon
wesentlich darauf, in Verbindung mit dem Moment der
Reizschwelle, z u r ü c k f ü h r b a r erscheint.
Die Verschiedenheit der Bahnen innerhalb des Intraelectrolyten
ist manchmal von noch grösserer Bedeutung. Berührten sich zwei
in Richtung des Stromes hinter- [210] einander liegende Metallkugeln
leitend, so bekam jede blos ein gegen die Electrode gewendetes, über
die Hälfte der Kugel einnehmendes Polfeld, und die gegen einander
gewendeten Flächen steflten den Aequator dar. War dagegen eine
Gallenblase durch Unterbindung in zwei, den Kugeln ähnlich
gestaltete, substanziell aber continuirlich verbundene Abschnitte zer-
legt, so bekam gleichwohl jeder Abschnitt zwei Polfelder und seinen
eigenen Aequator.
Zusammenstellung der beobachteten specifischen Reactionsweisen etc. 741
Dieser scheinbar i'midamentale Unterschied beruht jedenfalls
darauf, dass bei den Metallkugeln alle aussen auffallenden Stromfäden
möglichst weit durch die metallene Verbindung als den
leichteren Weg gehen, auch wenn sie noch so dünn ist ; während
bei den Gallenblasen, da deren Substanz nicht viel besser leitet
als der Electrolyt, dies nur die der Verbindung beider
kugeligen Theile nächsten Stromfäden thun, die entfernter
davon befindlichen aber an der anderen Seite der Kugel wieder aus-
und in den, beide Kugeln trennenden Electrolyten ein- und aus
diesem in die andere Kugel übertreten, so dass an beiden einander
zugewendeten Flächen auf's Neue die specifische Wirkung stattfindet.
Auf dieselbe Weise erklären sich auch die an Emhrijonen,
welche in der Mitte eingeschnürt sind, beobachteten zivei
ÄpquatoreUf die durch ein drittes ringförmiges Polfeld von
einander gesondert sind, diQ^^&iahQn dlQ Specialpolarisation der
gesondert vorspringenden GehirnhJasen.
Die weiteren Unterschiede der Localisation der Verände-
rungen knüpfen vermuthlich an s p e c i f i s c h v i t a 1 e Eigenschaften
der Organismen an; so vielleicht die stärkere Affection des
Frosch- und Tritoneies in der „Umgebung" des Poles als
an diesem selber, sofern hierbei nicht die stärkere „Brechung"
der Stromfäden an den seitlichen Theilen wesentlich mit
betheiligt ist; ferner der Ueb ergang der Specialpolarisation
zur Generalpolarisation der Morulae, in Gleichem wie die specifi-
sche Natur der Reactionsweise selber. Die vitalen Eigen-
schaften kamen auch einige Mal schon bei der abnormen Abgren-
zung der Polfelder in Betracht, siehe S. 550 und 568.
4. Zusammenstellung der beobachteten specifischen Reac-
tionsweisen der lebenden ,, embryonalen" Obj ecte auf den
electrischen Strom.
Wenn wir nun zur Besprechung der specifischen Reactions-
weisen der lebenden ,, embryonalen" Substrate übergehen,
so fehlt uns für deren Beurtheilung, noch mehr als [211] für die
LocaHsation der Veränderungen, die Kenntniss des inneren Verhaltens
74:2 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
der Gebilde, weshalb wir uns jetzt nur /Aisammenfassende Vorstellungen,
aber keine Erklärung der Vorgänge bilden können.
Bei den noch ungetheilten befruchteten Frosch- und
Tritoneiern war ausser der grauen Verfärbung der Rinde der
Polfelder und der Anhäufung von Pigment an den Niveau-
linien ein die erstere Verfärbung wesentlich mitbedingender Durch-
tritt von Zell in halt durch die Rinde in diffuser Weise oder, wie
an den Niveaulinien, respective bei sehr schwachem Strom auch an den
auf die Pole beschränkten kleinen Polfeldern, in Form grösserer oder
kleinerer Tropfen wahrnehmbar. Ausserdem fand eine irreparabele
Contraction des Protoplasmas in den Niveaufurchen unter
geringer Näherung derselben gegen einander mit gleichzeitiger Erniedri-
gung des Aequators und Erhöhung der oberen Ränder der Polabschnitte
statt. An unreifen Eiern dieser Thiere entstand auf dem hellen
Nahrungsdottertheil keine Verfärbung der Polfelder, son-
dern blos eine weisse, wie eingeritzte Niveaulinie. An den
Frosch- und Tritoneiern gingen auch im Bereiche des Aecjuators
Veränderungen, besonders der Pigmentvertheilung vor
sich, theils indem das Pigment sich in Richtung von Polmeri-
dianen des Eies oder meist zu einer dunklen mittleren Gürtellinie
des Aequators ordnete.
Bei den noch ungetheilten b e f r u c li t e t e n F i s c h e i e r n erfolgte
zunächst eine vielleicht auf Contraction des Protoplasmas beruhende
Ansammlung des Haupttheiles des Protoplasmas an einer
nicht durch den Strom bestimmten Seite des Nahrungsdotters; die
auch bei diesen Eiern entstehenden beiden Einschnürungen an
den Grenzen der Polfelder folgten blos dann den Niveaufiächen
des umgebenden Mediums, wenn die Eiaxe zufällig selber in einer
solchen Fläche oder rechtwinkelig zu ihr lag. Anderenf^ls zeigte sich
eine Tendenz dazu, dass die von der Keimscheibe ausgehenden beiden
Einschnürungen sich möglichst parallel der Eiaxe auch
auf den Nahrungsdotter fortsetzen; derart jedoch, dass bei
Schiefstellung der Eiaxe gegen die Stromrichtung die Einschnürungen
sowohl von der Richtung der Niveauflächen wie von der parallelen
Richtung zur Eiaxe abweichen. Es ist also vollkommen deutlich.
. Zusamiueustellung der beobachteten specifischen. Reactionsweisen etc. 743
(lass das F i s c li e i n i c h t .<;• 1 e i c h d e in F r o s ch e i fast ,, li o m o g e n "
gegen den Strom sieh verhält, sondern dass ein fester Mecha-
nismus vorhegt, der die [212] Richtung der durch den Strom ver-
anhissten Contractionen beeinflusst. Die durch die Schnürfurchen
abgegrenzten ,,Polabsc]initte'' werden trüjj. Bei Stellung der Eiaxe
in Richtung des Stromes waren diese Trübungen wieder in Richtung
der Niveauflächen begrenzt und lagen manchmal beide in dem kleinen
Bereiche des Bildungsdotters. Auch bei den Fischeiern wurde Sub-
stanz, jedoch nur sehr wenig, im Bereiche der Polfelder
und blos in feinster Vertheilung aus der Oberfläche hervor getrieben.
An den noch durchscheinenden E i e r s t o c k s e i e r n d e s F r o s c h e s
wurden, wie bei den Eiern des Fisches, wie es schien, nicht blos
die ,, Polfelder", also die oberflächlichen Theile, sondern allmäh-
lich die ganzen „Polabschnitte" trüb.
An den in Zellen getheilten P^iern fand sich wesentlich
dieselbe Art der Veränderung; nur sprach sich dabei ein Gegensatz
zwischen dem Verhalten isolirter Zellen und noch im Verband
der Morula oder Blastula befindlicher Zellen aus. Erstere platzten
an den beiden Polen auf, also ähnlich den lange Zeit mit sehr
schwachem Strom durchströmten ungetheilten Eiern. Die nicht isolirten,
noch im Morula-Gastrul averbande befindlichen Zellen da-
gegen bildeten Polfei der, die mit ihren Niveaulinien der äusseren
Ansicht nach weniger um den eigenen Zellpol, als vielmehr um den
nächsten electrischen Pol des ganzen Eies centrirt waren und dann
längs der Niveaulinien aufplatzten.
Man kann sich zur Erklärung vorstellen, dass die isolirten
Zellen zu einer Polfeldbildung keine Gelegenheit erhalten, weil sie
sogleich an den Polen, als an den stärkst afficirten Stellen aufplatzen,
wonach bei ^er Contraction des Rindenprotoplasmas der
Inhalt aus diesen beiden Oeffnungen sich entleeren musste, so dass
er nicht mehr diffus durch die Zellrinde gej^resst werden konnte und
diese selber auch nicht mehr an einer Niveaulinie aufzuplatzen in der
Lage war ; letzteres zugleich noch deshalb , weil durch die beiden
ausgetretenen Protoplasmamassen die Stromfädenvertheilung alterirt
und die Gegend der sonstigen Niveaufurchen auf diese verlegt wurde.
744 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Wir haben an Extraovaten der Frosch- und Tritoneier,
sowie an mit dem Messer hergesteUten Theilen des Dotters des Fisch-
eies gesehen, dass die der Rinde beraubten Eitheile keine
Polfelder und auch keine Niveauring-Gontraction bilden.
Die natürliche Rindenschicht dagegen ist sehr corltractil;
denn die Umschlies- [213] sungsschicht der isolirten Blastulazellen
des Tritons konnte sich bei der Entleerung ihres Inhaltes fast um -'^/loo,
ohne Falten zu bilden, zur Umschliessung des geringen Inhalts-
restes verkleinern.
An durchströmten Gastrulae des Triton wurde schon ohne
Microtomirung, durch Zerzupfen erkannt, dass Zellen derart polarisirt
waren, dass sie einen gegen die Eioberfläche gewendeten hyalin-proto-
plasmatischen und einen inneren dotterkörnerreichen Polabschnitt
besassen.
An jungen Froschembryonen wurde im Bereiche der Pol-
felder Abfall des Epithels in einzelnen, gerundeten Zellen
an älteren Embryonen in zusammenhängenden Fetzen beobachtet.
An den durchscheinenden Embryonen des Fisches, der Eidechse,
des Huhns und der Maus war auch bipolare Trübung an inneren
Organen, besonders am Gehirn, aber auch am Entoblast, an den
Ur wirbeln und am Herz von aussen wahrnehmbar. Die nach-
folgende microscopische Untersuchung muss erst das Genauere über
diese Veränderungen ergeben.
An dünnwandigen Gallenblasen aller Wirbelthierklassen
wurde, wie durch den Gleichstrom so auch durch den Wechselstrom
im Bereiche des Polfeldes sofort eine starke Diosmose hervorge-
rufen, welche vielleicht durch eine Tödtung oder Schwächung
der die Blase auskleidenden Epithelien eingeleitet wird.
An den angrenzenden Rändern des Aequators der Gallen-
blasen dagegen wurde die Diffusibilität bei geeigneter Stromdichte
derart herabgesetzt oder aufgehoben, dass diese Linien bei einer zweiten,
sie direct bestrahlenden Durchströmung gleichwohl in ihrer Farbe
unverändert blieben, was an ein gleiches Verhalten derselben
Linien bei Messingkugeln und Kupferplatten erinnerte.
Es liegt nahe, dies Verhalten auf einen zwischen dem primären und
Zusammenstelluna; der beobachteten specifischen Reactionsweisen etc. 745
seciindären Polfekl sich bildenden Polarisationsstroni zurückzuführen;
derselbe müsste allerdings sehr stark sein, um selbst an der 8 teile
stärkster Bestrahlung die Veränderung verhindern zu können;
doch deutet die Rückgängigmachung schon vorhandener Verände-
rungen bei der auf der Kupferplatte beobachteten Wanderung dieser
Linie, auf einen complicirteren Zusammenhang hin ; und dafür spricht
auch die an den Gallenblasen gemachte Beobachtung, dass diese
Linien selbst durch Erwärmen der Gallenblase auf 50° C.
nicht mehr diffusibel zu machen sind.
[214] Ehe wir zu dem letzten, schwierigsten Abschnitte der uns
obliegenden Erörterung übergehen, wollen wir einen Ueberblick
über das Allgemeine der bisherigen Ergebnisse werfen.
Wir haben gefunden, dass lebendes ,, embryonales" Material
von Wirbelthieren in deutlich sichtbarer Weise mit structurellen
und gröberen formalen Veränderungen auf den electrischen
Strom reagirt.
[Wir können sagen :
Die lebende Zellleibsubstanz der frühen Ent-
wickeluugsstadien der Wirbelthiere besitzt eine starke,
zum Theil eigenartige, Reactionsfähigkeit auf elec-
trische Einwirkungen, auf Gleichstrom, Wechselstrom
und auf die Schläge der Leydener Flasche (s. S. 657),
welche den Zellen des älteren Thieres nicht mehr
zukommt, welche aber bei den Protisten und bei
Coelenteraten (Hydra) während des ganzen Lebens
sich findet.]
Die specifische Natur dieser Veränderungen bedarf noch viel-
facher Aufklärufig.
[Der allgemeinste Charakter des beobachteten V^erhaltens
bestehtin sehr geringer Widerstandsfähigkeit dieses embryonalen
Materiales gegen den electrischen Strom (Wechsel- und Gleichstrom)
an den Ein- und Austrittsstellen desselben bei wässeriger
Umgebung. Bei trockner Durchströmung war die Reaction gering
oder blieb ganz aus. Die allgemeinste Reaction bestand in deletärer
746 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Veränderung, an den durchscheinenden (3bjecten in Trüb- und
Hartwerden des Zellleibes auf den Polseiten der Gebilde.
Aehnliche deletäre Wirkung des electrischen Stromes wie hier
au den Eiern und Embryonen von Wirbelthieren wurde von Ki:HXE
und später von Verworn an den Protisten beobachtet und findet sich
bei diesen Organismen während des ganzen Lebens; bei den Wirbel-
thieren dagegen war solches Verhalten im Erwachsenen von dem
Epithel der Gallenblase abgesehen nicht mehr nachweisbar.
An unserem Eimateriale zeigten sich aber noch allerhand
Besonderheiten, welche von besonderen Eigenschaften des Sub-
strates abhängen müssen: Durchtritt von Ei Inhalt durch die
Ei rinde an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes, typisch
localisirte Pigment Wanderungen (Anhäufung des Pigmentes
an der Grenzlinie der Polfelder, ferner in der Mitte des electrischen
Eiäquators und bei sehr schwachem Strom die Bildung von Pig-
mentstreifen an dem alsdann breiten Aequator in Richtung
von Polmeridianen des Eies), und localisirte Contraction
an der Grenze des Polfeldes gegen den Aequator; diese
Veränderungen fanden nur an mit Eirinde bedeckten Stellen statt,
waren aber nicht an Vorhandensein des ganzen Eies gebunden,
sondern entstanden auch an Stücken desselben, waren also ganz
locale Vorgänge. Diese Gruppe von Veränderungen bildete die
Veranlassung für die Einführung der besonderen Bezeichnung der
^^morphologischen Polarisation'-', welche dann aber auch auf
die später gefundenen, anderen polar localisirten, bleibenden, dele-
tären Veränderungen mit angewandt wurde.
An Embryonen kommen dazu die Quellungen der Gehirnblasen-
wandung im Wechselstrom und Gleichstrom, welche zur Bildung von
in Richtung des Stromes gelegenen Wülsten führte und
ähnliche A^eränderungen an der secundären Augenblase.
Von (janz hesonderer i)hysiologischer Bignität scheinen
weiterhin die That Sachen der „Speci alpol arisation" der
Zellen lebenskräftiger getheilter Eier und der „General-
polarisatton" geschwächter getheilter Eier zu sein; sie sind
wohl des eingehendsten Studiums der Physiologen iverth.
Bedingungen der beoLachteten polaren Reactionen der lebenden Objecte. 747
Ausserdem wurden auch besondere Beeinflussungen phy-
siologischer Gestalt ungs Vorgänge wahrgenommen, so in den
Kernen (s. S. 598 und 631), im Zellleib (s. S. 621, 631)].
Die Veränderungen boten alle polare Localisation dar, d. h.
sie waren auf die Polseiten der Gebilde beschränkt. Zu der ihrer
Qualität nach schon dauernden, „morphologischen Natur
der Veränderung" kam also noch eine typische Localisation dieser
A^eränderungen.]
5. Bedingungen der beobachteten polaren Reactionen
der lebenden Objecte.
Diese Localisation war theils abhängig von der Gestalt der
untersuchten Gebilde, in erster Linie aber von der Versuchs-
anordnung, nämlich von der ,,intraelectrolytären" Durch-
strömungsweise; denn diese allein machte es möglich, dass die
Gestalt der Körper so zur Geltung kommen konnte, dass geradezu
eine von der Gestalt und Leitungsfähigkeit der Gebilde ab-
hängige „SelhstgestaJtung der Ein- und Austrittstellen"
des Stromes stattfand.
Dieselbe Anordnung war auch l>ei den Versuchen Kühne's und
Verwokn's an Protisten angewendet worden, worauf die Ueberein-
stimmung in der Localisation der von ihnen beobachteten Wir-
kungen mit den obigen beruht^).
Fand dagegen keine vollkommene Eintauchung statt, wie wir
das bei einer Gallenblase gesehen haben, oder war der Eintritt von
Stromfäden aus dem Electrolyten gehindert, wie an den Berührungs-
stelleu der Intraelectrolyten mit dem Boden oder der Seitenwand des
Glasgefässes, so blieben auch die betreffenden Stellen unverändert,
obgleich sie selbstverständlich vom Strome durchflössen wurden.
Bei den gewöhnlichen physiologischen Versuchen mit Auflegen des
Objectes auf die Bäuschchen oder mit Aufsetzen der uupola- [215] risir-
baren Electroden auf das Object wird die Ein- und Austrittstelle des
[1) Es kann vielleicht als zweifelhaft erscheinen, ob es den genannten Autoren
schon ganz bewusst war, dass das Besondere der auch von ihnen beobachteten
polaren Localisation der Reaction der Protisten durch die hier angegebenen Compo-
nenten bedingt ist.]
748 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Stromes vom Experimentator bestimmt ; und nur von diesen Puncten
uus kann sich der Strom noch innerhalb des Objectes in bestimmter
Weise vertheilen, aber immerhin noch zum Theil ähnhch wie in der
Wasserschale.
L. Hermann hat hervorgehoben, dass Muskeln und Nerven aus
Fäden, umgeben von indifferenten Leitern, bestehen, und hat daraus
die von ihm zur Erklärung der Wirkung des electrischen Stromes
herangezogene innere Polarisation abgeleitet. Da auch das Proto-
plasi"!;ia wässerige Flüssigkeit, das Paraplasma, zwischen seinen Fäden,
Häutchen oder Körnchen enthält, so sind also alle auf den electri-
schen Strom reagirenden lebenden Substrate in gewissem
Maasse selber als ,,Intraelectrolyten" zu betrachten.
Die Selbstbestimmung der Eintrittsstellen der Stromfäden durcli
die Objecte ist, wie oben dargethan wurde, um so grösser, je grösser die
Leitungsdifferenz von Electrolyt und Litraelectrol^'t ist, und dabei bis
zu einem gewissen Grade auch, je grösser die vom Eleetrolyten einge-
nommenen Zwischenräume zwischen benachbarten reagirenden Intra-
electrolyten sind.
Verhalten der lebenden Objecte bei ,, nicht intraelec tro-
1 y t ä r e r' ' I) u r c h s t r ö m u n g.
Um zum Ueberfluss das Verhalten embryonalen Materiales bei
nicht intraelectrolytärer Durchströmung direct zu beob-
achten, setzte ich an frei, ohne Flüssigkeit in einer Glasschale liegende
junge Hühnerembryoneu die Nadelelectroden direct auf;
es entstand, wie zu erwarten, blos an der Berührungsstelle
der Anode und danach in der Umgebung derselben weisse Trü-
bung, die sich allmählich weiter ausbreitete, und, wie der
nachher gemachte Durchschnitt zeigte, auch in's Innere einge-
drungen war und alle anwesenden Organe, aber die verschiedenen
Organe in nicht ganz gleicher Stärke und nicht ganz gleicher Aus-
dehnung von der Electrode aus, weisslich getrübt hatte.
Da wir bisher gesehen haben, dass diese Wirkung nur an der
Berührungsstelle der reagirendenSubstanz mit einemElectro-
lyten stattfindet, so istaus diesem Eindringen in'sinnere zuschliessen.
Verhalten d. lebenden Objecto bei „nicht intraelectrolytärer" Durchströmung. 749
(lass die in unserem Sinne pohirisirte ( getödtet e) orgu-
nisclie Substanz sich gegen noch unpolarisirte lebende
wie ein Electrolj't verhält; und andererseits, dass die noch
unveränderte, lebende Suhstanz keinen Electrolyten in dem,
Sinne, dass er zur Veranlassung unserer morphol ogi-
[216] sehen Reactioncn ausreichte, darstellt oder auch nur
einen solchen enthält, trotz des Faraplasmas, welches allent-
halben sich findet und leicht dafür zu halten wäre. An der Kathode
fand so starke Gasentwickelung statt, dass man erst nach dem Aufhören
der Durchströmung und Wegspülung der Blasen das Feld besichtigen
konnte; es war heller, durchscheinender und weicher geworden und
dehnte sich gleichfalls in's Innere des Embryo aus; an den Geliirn-
blasen aber wurden die innersten Theile der Wandung etwas trüb.
Danach wollte ich prüfen, ob vielleicht dieses Verhalten der
Hühnerembryonen keine vital vermittelte Reaction, sondern auf Seite
der Kathode blos kataphorische Wirkung und auf Seite der Anode
Gerinnung sei, ob sie also Veränderungen darstellen, wie sie auch
an todten organischen Substanzen vorkommen, zumal da das anodische
Aveisse Feld durch Aufsetzen der Kathode wieder hell durchscheinend
wurde. Um zu ermitteln, ob die beobachtete Reaction an das Leben
der Gewebe gebunden sei, legte ich ein Stück des vorigen Embryo drei
Minuten lang in ^'3 ''/o ige Kochsalzlösung von 50 °C. um es zu tödten, und
durchströmte es dann in derselben Richtung als früher; er wurde an
der Anode noch weiss, aber reagirte viel träger. Daher verstärkte ich
die Wirkung der Wärme durch drei Minuten langes Erwärmen eines
anderen frischen Embryo auf 60° C. , wodurch derselbe schon ein
wenig trüb wurde; beim Durchströmen trübte sich sodann auf den
Anodenseiten, aber nur sehr langsam, das Innere der Embryo; während
eine Oberfläche^schicht von etwa 0,7 mm Dicke nicht mehr trüber,
sondern im Gegentheile hell durchscheinend wurde. Dies deute ich
so, dass die zunächst erwärmte oberflächliche Schicht voll-
kommen getödtet worden war und daher ihre Reactions-
fähigkeit verloren hatte, während die tieferen Theile nur noch
schwach reagirten. Zu weiteren Versuchen waren wegen der Jahres-
zeit keine Embryonen mehr zu erlangen.
750 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Um dies an Embryonen bei directer Aufsetzung der Electroden
beobachtete Verhalten mit dem Verhalten ern-achsener Organe
zu vergleichen, wurden die Electroden desselben, nicht starken gal-
vanischen Stromes auf die Muskeln, den Darm, die Leber des erwach-
senen Frosches aufgesetzt; es entstand jedoch keine, mit der an den
Embryonen [217] beobachteten, vergleichbare Trübung; und des-
gleichen iDheb eine entsprechende Reaetion aus bei gleicher Anwen-
dung des mindestens dreimal stärkeren Wechselstromes, welcher
bei geringem Electrodenabstand nur durch starke Erwärmung allmäh-
lich eine Trübung, Gerinnung hervorbrachte.
Beim Durchströmen der ( 1 a 1 1 e n b 1 a s e n des erwachsenen Frosches
jedoch entstand bei directem Aufsetzen der Drahtelect roden
an der Anode ein allmählich auch auf deren Umgebung sich aus-
dehnender hellgrüner Fleck, aber blos, wenn wässerige Flüssig-
keit, so auch schwache Kochsalzlösung, an der Berührungsstelle sich
vorfand; wenn dies nicht der Fall war, so bildete sich blos
ein trockener, dunkler Fleck.
Diese Versuche haben also die Annahme, dass die in den
Abschnitten I— IV mitgetheilten Localisationen der electrischen Wir-
kung durch die intraelectrolytäre \^ersuchsanordnung bedingt sind,
auf's Neue bestätigt.
Wenn wir diese und die früheren Beobachtungen zusammen-
nehmen, so kann wohl kein Zweifel bestehen, dass den genannten
Eiern, Embryonen und den Gallenblasen eine besonders
leicht eintretende, zum Theil eigenartige Reactionsfähigkeit
auf den electrischen Strom zukommt, sowie dass der Ort und die
Gestalt dieser durch den Strom veranlassten polaren Veränderungen von
derEintrittsstelle resp. (Austrittsstelle) der Stromfäden in das noch
lebende Substrat abhängig ist, und dass die Wirkung sfähigke it
an die Berührung mit einem Electrolyten gebunden ist.
Es ist ferner zu vermuthen, dass die bezüglichen Verän-
derungen nur an der ,, Oberfläche" der ,, lebenden" Substanz
vor sich gehen und erst nach dem Absterben der Oberflächen-
schicht sich bei einigen Gebilden auch auf die nächst tiefer liegende
Schicht und so fort in die Tiefe ausdehnen können.
Verhalten d. lebonclen Objecte bei ,.nicht intraelectrolytärer" Durchströmung. 751
Wenn sich somit ero-chcn hat, dass diese so auf fähig gestaltete
Localisation der beobachteten Veränderungen nichts den betreffen-
den Objecten Specifisehes, sondern eine Folge der Versuchsanordnung
und der (lestalt der \^ersuchsobjecte war, so treten diese doch
int mev polar JocaJi sirten Veränderungen^ sowolil durch ihre
ttiorpli oloiiischen Ch(traktere, als: Fi gmenfn-anderung, Extra-
ovate, grobe Trähiingen und durch ihre Beschränkung auf
eine „Oherflächenschiclit" oder tvenigstens durch [218] * Ar
Ausgehen von derselben unter Freilassen mindestens einer
Aequatorscheibe in einen Gegensatz zu der von Peltier 1834
entdeckten und von du Bois-Reymond und L. Hermann u. A. weiterhin
untersuchten inneren Polarisation thierischer Gebilde^ welche
nicht sichtbar ist und sich auf die inneren Oberflächen der
lebenden Theile, angeblich im ganzen Bereiche der durch-
flossenen Strecke ausdehnt.
Um sie von letzterer Polarisation zu unterscheiden, habe ich
die Entstehung dieser neuen polaren Veränderungen nach dem einen
ihrer unterscheidenden Hauptcliaraktere als ,,m o rp holo g i seh e" Fo 1 a r i-
sation bezeichnet.
Es muss den Physiologen überlassen bleiben, die Ursache nach-
zuweisen , warum die beschriebenen V e r ä n d o r u n g e n n u r
von der ,, Über fläch e " ausgehen, obgleich im Inneren der
lebenden Gebilde ebenfalls Gelegenheit sowohl zur Abscheidung
von Jonen, welche nach Bernstein als das die Veränderungen ver-
mittelnde Agens anzusehen sind, wie zur Brechung von Strom-
fäden gegeben ist; so dass in Folge dessen die Zelle trotz solcher
inneren Structur nur von „aussen'' her und somit als ,, ein-
heitliches Ganzes'' entsprechend ihrer äusseren Gestalt
polarisirt tv^rd. Es ist ferner zu erforschen, worin die specielle
Natur der Veränderungen und der Mechanismus derselben besteht.-
So weit es richtig ist , dass beim e 1 e c t r i s c h e n Durch-
strömen carcinomatöser Körpertheile gerade die Car-
cinomz eilen alterirt werden und absterben, kann man auf Grund
der vorstehenden Versuchsergebnisse darin eine Bestätigung ihrer
von ViRCHOw und Cühnheim vermutheten embryonalen Natur
752 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Grebilde etc.
erblicken; eine Annahme, welcher ich eine weitere Unterlage gegeben
habe, indem ich mehrfach in Embryonen Zellen, welche abnormer
Weise auf viel niederer Stufe der Differenzirung als die der Um-
gebung stehen geblieben und nicht an das umgebende Gewebe mor-
phologisch angeschlossen waren, an den verschiedensten Stellen auf-
gefunden habe (s. S. 496 Anm. u. I, S. 302).
6. Ursache n d e r Specialpolarisatioii der Zellen des Eies.
Es erübrigt zum Schlüsse, uns eine Meinung über das zwei-
fache Verhalten des schon in mehrere Zellen getheilten
[219] Frosch- und Tritoneies, über die an diesen Gebilden
beobachteten beiden verschiedenen Localisationen der polaren Reac-
tionen auf den electrischen Strom zu bilden.
An der lehenskräftigen Morula, Blastula und jüngeren
Gastrula bildete ^ er? e einzelne Zelle ein besonderes „Spe-
ciidpolfeld'", respective deren sivei, und einen eigenen „Special-
äqf(((tor'' (s. S. 591 und 611).
An der yeschiv ächten Morula oder Blastula dagegen ent-
standen zwei giOQ&Q „Generalpolfelder'' am ganzen Ei, die einen
über die Aequatorgegend des ganzen Eies weggehenden ,, Gener al -
äquator" begrenzten. (Ueber ein etwaiges bezügliches, zweifaches
Verhalten auch der älteren Gastrula und der Embryonen liegen
genügende Beobachtungen zur Zeit nicht vor; doch schien es, dass
bei letzteren die oberflächlichen Zellen durch Contraction gerundet
and ausserdem zur Abscheidung von Flüssigkeit (Schleim ?) angeregt
wurden ; bei älteren Gastrulae wurde sowohl Zellcontraction , siehe
S. 615, sowie auch Zell-Polfeldbildung gleich wie an der jüngeren Ga-
strula beobachtet, siehe S. 614.)
Es ist die Frage, was jede der beiden obigen, an denselben
Objecten vorkommenden verschiedenen Reactionsweisen bedeutet,
und worin die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit derselben ihren
Grund hat.
Bei derGeneralpolarisation verhält sich das in vieleZellen
zerlegte Ei wie das ungetheilte Ei; bei der Specialpolari-
sation der einzelnen Zellen dagegen reagirt jede Zelle des Eies
Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des Eies. 753
für sich. Fragen wir zunäclist, worauf das letztere Verhalten be-
ruhen kann.
Die Zellen der Morula und Blastula sind normaler Weise jede
für sich nach aussen convex gewölbt. Es w^ar daher mein erster
Gedanke, dass dieses Moment vielleicht wesentlich zu dem Effecte
beitrage; und da bei Schwächung des Eies durch längere Durch-
strömung die Zellen sich abplatten, bevor dann die Generalpolarisatiou
des Eies eintritt, schien diese Annahme sich zu bestätigen; diese
wTchselndeu Gestaltverhältnisse schienen also eine ausreichende Er-
klärung für den Wechsel der Reaction zu geben.
Um diese Auffassung zu prüfen, wurden mehrere Experimente
gemacht.
Ich fand zwei unget heilte Eier, welche abnormer Weise eine
grosse Furche gebildet hatten, die einen gewölbten, zungen- [220]
förmigen Theil des Zellleibes unvollkommen abson-
derte. Diese Eier wurden sogleich in einer Richtung durchströmt,
welche den Zungenlappen gegen eine Electrode wendete. Obgleich
nun dieser Lappen durch eine Furche abgeschnürt und durch in sie
eingedrungene Flüssigkeit vom Haupttheil des Eies zum Theil gesondert
und für sich gewölbt war, bildete er sogleich ein die ganze bestrahlte
Fläche einnehmendes Polfeld als Theil des Generalpolf eldes
dieser Seite, aber kein zweites Polfeld und keinen eigenen Aequa-
tor. Es trat also trotz vollkommen geeigneter Form keine Special-
polarisation ein.
Weiterhin hatte ich beobachtet, dass durch Carbolsäuredämpfe
getödtete Morulae ihre nach aussen gewölbten Zellformen behielten,
also nicht wie sonst die Eier vor dem Absterben ihre Oberflächen-
zellen abj)latteten. Daher vergiftete ich Morulae in geringerem
Maasse mit Carbolsäure, so dass sie noch reactionsfähig blieben;
beim Durchströmen zeigte sich dann, dass sie trotz Erhaltung
ihrer Zellrundung rasch die beiden Generalpolfelder
bildeten.
Ein weiteres Argument boten schon die normalen Morulae dar.
Die helle Unterseite des getheilten Frosch- und Tritoneies hat immer
zur Kugel fläche des Gesammteies abgeplattete, ober-
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 48
754: Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
flächlich nur durch feine seichte Furchen von einander getrennte
Zellen; gleichwohl reagirten auch diese Zellen jede für
sich. Das Gleiche war einige Male bei durch Eis geschwächten Eiern
auch an den dadurch abgeplatteten Zellen der schwarzen oberen
Hemisphäre der Fall.
Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, dass die Glie-
derung der äusseren Oberfläche in viele gerundete Wo 1 -
bungen nicht, wie es bei den Gehirn blasen und eingeschnürten
Gallenblasen der Fall war, die Ursache der Special Polari-
sation der die Morula zusammensetzenden Zellen ist.
Ein entsprecliendes Verhalten zeigte auch die am Rande mit halb-
runden Vervvölbuugen versehene Metallplatte beim Durchströmen.
Dem wirklichen Grunde werden wir zugleich mit der Unter-
suchung der Ursachen des speci eilen Verhaltens der Zell-
polarisation näher treten.
Dies Verhalten bot folgende Hauptzüge dar : die Polarisation der
einzelnen Zellen dehnte sich auf alle Zellen der Morula und Blastula,
auch auf die in der Gegend des sonstigen electrischen [221] Eiäqua-
tors gelegenen, also von aussen am wenigsten bestrahlten Zellen aus.
In gewissem Gegensatz dazu bildeten die näher dem Pole
gelegenen, mit ihrer Aussenfläche fast rechtwinkelig gegen die
Stromfäden gewendeten, also anscheinend dicht bestrahlten Zellen
nur relativ kleine, oft kaum die Hälfte dieser äusseren Fläche
einnehmende Polfelder aus, während der andere, polifugal gelegene
Theil als Aequator der Zelle unverändert blieb. Es ist daher die
Reaction der schwach bestrahlten äquatorialen Zellen lebenskräftiger
Eier nicht einfach auf eine Herabsetzung der Reizschwelle gegenüber
den mit diesen Zellen nicht reagirenden, der Generalpolarisation
unterliegenden, geschwächten Eiern zu beziehen. Nur die in der
Gegend der Mittellinie des electrischen Eiäquators liegenden Zellen
bildeten zwei äusserhch sichtbare Polfelder, alle anderen Zellen Hessen
an ihrer Oberfläche blos ein einziges Polfeld erkennen.
Die Deutung dieser Erscheinungen ergiebt sich aus den oben
mitgetheilten analytischen Experimenten an Metallen und Gallenblasen.
Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des Eies, 755
Wir haben au ck'ii im Electrolyten vertlieilten lUei- und Messing-
kugeln gesehen, dass von allen durch den Electrolyten von einander
getrennten metallischen Gebilden jedes für sich je zwei Polfelder und
einen Aequator bildete. Dabei sind zwei sondernde Momente zugleich
vorhanden: die Einschaltung eines schlechteren Leiters zwischen
bessere und die Benetzung der Überfläche des Metalls mit dem Elec-
trolyten. Wir müssen daher den eventuellen Antheil jedes dieser
Momente an der selbstständigen Polarisation uns klar machen.
Die Leitungsdilförenz des Electrolyten und der Intraelectrolyten
kann nur den Ort des Ein- und Austrittes der Strorafäden beein-
flussen ; aber dieser Ein- oder Austritt hat nur dann eine polarisirende
Wirkung, wenn er aus dem , respective in den Electrolyten erfolgt.
Wenn zwei Kugeln sich metallisch leitend berühren, geht der Strom
an der Berührungsstelle aus einer Kugel in die andere, ohne dass
Polfelder daselbst entstehen. Also die doppelte Polfeldbildung
beruht beim Metall sicher auf der vollkommenen Um-
schliessung mit dem Elec trolj^ten.
Aber die Ausdehnung der einander zugewendeten Polfelder
sehr naher Intraelectrolyten ist im hohen Maasse von [222] der
Leitungsdifferenz zwischen ihm und dem Electrolyten abhängig. Au
den einander nahen Metallkugeln wurden die einander zugewendeten
Polfelder im Wechselstrom mit dem Maasse der Näherung immer
kleiner. Wenn jedoch der Electrolyt fast ebenso gut leiten würde
als das Metall, so würden die Stromfäden im Innern der Kugel nur
schwach gegen den der anderen Kugel nächsten Punct convergiren;
sie würden in höherem Maasse durch die seitlichen Theile der ein-
ander zugewendeten Flächen beider Kugeln gehen; die bezüglichen
Polfelder würden also sogar trotz einer continuirlichen Verbindung
der Kugeln fast ebenso gross werden als die äusseren, wie dies aus
dem gleichen Grunde bei den eingeschnürten Gallenblasen der
Fall war.
Alis der gesonderten Folarisation, aus der „SpeciaJ-
X)olarisation'^ der einzelnen Zellen der gansen Morula und
Blastula ist also zu schliessen, dass jede Zelle, ivenn nicht
48*
756 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
aUentlialhen so doch grösstentheils, durch electrolytische Suh-
stans in unserem Sinne von den Nachharz eilen gesondert ist.
„Electrolytische Substanz" in unserem Sinne ist ein
Electrolyt, der zur Vermittelung der an den Zellen wahrgenommenen
morphologischen Polarisation der von ihm berührten, in dieser
Weise reactionsf ähigen lebenden Substanz geeignet ist ; unsere electro-
lytische Substanz ist also eine andere Substanz als diejenige, welche
zu der „inneren Polarisation" der Physiologen ausreicht, da unser
Electrolyt primär blos an der Oberfläche der Zellen, letztere aber
im ganzen Inneren der Bionten vorhanden ist.
Polari sirbare Oberfläche einer Zelle ist demnach in unseren
Versuchen die Berührungsfläche der lebenden Substanz der Zelle mit
einem solchen Electrolyten ; mag sie nun an der äusseren Fläche der
Morula oder i n der Morula zwischen den Zellen oder gar in der Zelle
selber liegen, welch' letzteres aber in unserem Falle primär nicht der
Fall war, sondern bei einigen Objecten erst von der Oberfläche aus
durch Absterben im Polabschnitt allmählich sich ausbildete.
Der gleiche Grund tvie für diese Specialpolarisation der
Zellen gilt natürlich auch hesüglich der gesonderten Polari-
sation der Unvirdel, des Darmrohres und der hasalen Theile
des Gehirnes, von denen ja trotz ihrer Umschliessung und Ver-
einigung durch ein anderes Gewebe jedes seine besonderen Polfelder
bildete; die unmittelbare Umgebung dieser Theile verhielt
sich also zu ihnen wie ein Electrolyt. Das ist bei den epitheli-
alen Organen nicht zu verwundern, da sie alle zu dieser Zeit durch
Lymph- [223] spalten von den Theilen des umgebenden inter-
stitiellen Gewebes getrennt sind oder, wie das Gehirn, im Binnen-
raum mit Flüssigkeit erfüllt sind.
Für diese Auffassung spricht auch das Verhalten der reifen
und unreifen Froscheier, welche bei vollkommener Trocken-
haltung nicht erkennbar reagirten.
Beim Herzen reagirten die Vorhöfe und die beiden
Arterien, auch wenn sie gegen die Electroden zu gelegen
waren, mit dem Ventrikel gemeinsam als eine Einheit,
obgleich sie doch durch faseriges Bindegew^ebe von ihm geschieden
Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des Eies. 757
sind, von welchem man wohl verniuthen könnte, tlass es als Electrolyt
fungiren würde; dieses Verhalten des Herzens bedarf daher
heson de rer Un tersu c h n u g.
Es bleibt ferner zunächst unbekannt, worin hei der Morula
der intercelhflare Electrolyt hesteht, ob in der Kittsubstanz,
der Zellrinde oder einer nach innen von ihr gelegenen Schichte.
Nach der bisher gewonnenen Einsicht sind die Erscheinungen
der Specialpolarisation der Zellen der Morula und Blas-
tula, soweit sie die Breite und Lage der Polfelder resp. des Aequa-
tors angehen, analytisch auf folgende Momente zurückzuführen.
Erstens auf die Aenderung, welche die Breite des Aequators
einer Kugel erfährt, wenn sie durch eine rechtwinkelig zum Strome
stehende electrolytische ebene Halbirungsfläche zerlegt wird. Sind
dann die durch die entstehenden beiden inneren Polfelder bedingten
zwei Aequatoren zusammen breiter als der frühere einfache Aequator?
Da unsere entsprechend zerlegten Eier immer neben der Theilungs-
fläche abgerundete Kanten hatten, waren wir nicht in der Lage,
Beobachtungen über diesen Fall anzustellen. Wir sahen vielmehr
im Grunde der ersten Furche an beiden Theilstücken einen veränderten
Saum, der die Grösse und Lage des Aequators beeinflussen musste.
Zweitens: Wird, wenn die Scheidungsflächen nicht eben sondern
gegen jede der Hälften concav sind, der Aequator durch die Aus-
dehnung der mittleren Polfelder nach aussen hin, also auf Kosten der
äusseren Polfelder verschoben? Diese Frage ist an den eingeschnürten
Gallenblasen in zustimmendem Sinne beantwortet worden.
Drittens: Treten die Wirkungen 1 und 2 auch bei unvollkom-
mener Scheidung und zwar in mit der Zunahme der Scheidung stärkerem
Maasse auf? Bei Metallen war solches [224] nicht bemerkbar, weil
die geringste ifietallisch leitende Verbindung der Gebilde zur Fort-
führung aller Stromfäden verwendet wurde in Folge des millionenmal
besseren Leitungsvermögens der Metalle als der Flüssigkeiten. Bei
den eingeschnürten Gallenblasen dagegen konnten wir diese
Frage bejahen, denn wir sahen, dass der Strom theils durch den
zunächst nicht polarisirten Verbindungsstrang, theils durch
den Electrolyten unter Polarisationswirkung an der Aus-
758 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
und Eintrittsstelle ging, beide Wege unmittelbar neben einander
ohne eine trennende Zone nehmend. Also können auch die Zellen
der Morula theils durch Electrolyten getrennt, theils,
dazwischen verstreut, durch leitende Nicht-Electrolyten,
wie etwa protoplasmatische Intercellularbrücken verbunden
und so die anzunehmenden inneren Polfelder durch viele nicht ver-
änderte Stellen unterbrochen sein.
Viertens ist von Bedeutung die oben für lebendes und metal-
lisches Material festgestellte Thatsache, dass kleine Kugeln-relativ
kleinere Polfelder, also einen relativ grösseren Aequator
bilden als grössere Kugeln. Dazu käme noch ein weiterer Factor,
den wir aber weder bei den ungleich grossen Eiern noch bei den
frischen und bei den geschwächten Morulis ermitteln konnten, näm-
lich die eventuelle Ungleichheit der Reactionssch welle der Zellen.
Wenn wir auch nicht sicher wissen, wodurch bei den Eiern
der Aequator bedingt war, ob allein durch zu geringen Stromfäden-
einfall für die Höhe der Reizschwelle oder durch einen Polarisations-
strom, so haben wir doch die feststehende Thatsache gefunden, dass
immer zwischen der Ein- und Austrittsstelle des Stromes eine freie
Zone bleibt, welche der Bedingung 4 entspricht. Dagegen zeigt ein
Versuch mit einer Gruppe dicht zusammenstehender, sich aber nicht
berührender Metallkugeln, dass eine Kugel, welche blos ein
einziges Eintrittsfeld hat, mehrere von einander voll-
kommen getrennte Austrittsfelder und umgekehrt haben
kann, und dass die gleichartigen dieser Felder bei entsprechender
äusserer Veranlassung continuirlich i n e i n a n d e r ü b e r g e h e n k ö n n e n .
In demMaasse, als zwischen den Zellleibern Electro-
lyten vorhanden sind, werden daselbst „fwwere" d. h. an der
inneren „Oberfläche" der Zellen befindliche Polfelder auftreten;
und sobald diese gross genug sind, werden [225] sie nach Moment 2
den mit ihnen zugleich entstehenden Zelläquator auf die Aussen-
fläche treiben.
Da die Zellen mit ihren Nachbarflächen sich an einander abplatten,
so stossen sie mit einander parallelen Flächen zusammen. Dies ist
ein weiteres, die Grösse der inneren Polfelder und damit die Lage
{
Ursachen der Generalpolarisation des in Zellen getheilten Eies. 759
des Aeqiiators beeinflussendes Moment. Entsprechend geschnittene
und ohne, dass sie sich berühren, zusammengelegte Blei-
kugeln zeigen beim Durchströmen ausser dem äusseren kleineren
Polfeld, dass die inneren Polfelder die ganzen einander
gleich nahen Flächen einnehmen, mögen dieselben quer oder
schief zum Strom stehen. Dasselbe wird auch bei nicht metallischen
Gebilden der Fall sein. Da diese inneren Oberflächen der Zellen bei
mehrfach getheiltem Ei mit steigender Theilungszahl einen immer
grösseren Theil der ganzen Zelloberfläche, sehr bald aber schon
über die Hälfte einnehmen, so werden also die ,,inn er en Pol f eider"
den grössten Theil jeder Zelloberfläche einnehmen, damit
den Aequator auf die äussere Oberfläche treiben und
zugleich die Grösse des äusseren Polfeldes beschränken.
Ferner könnte die "Wirkung einer Aspiration der Stromfäden
durch die Zellen auf die Grösse des Zelläquators hier sehr erheblich
sein, da die Zellen unmittelbar neben einander liegen und die kleinen
Polfelder also einander sehr nahe sind, so dass die Stromfäden des
Electrolyten sich vollkommen auf letztere vertheilen könnten, sofern
nur irgend eine erhebliche Leitungsdifferenz zwischen den Zellen und
dem Electrolyten besteht.
Der Umstand endlich, dass die in der Gegend des electri-
schen Aequators des ganzen Eies liegenden Zellen „zwei"
äussere Polfelder darbieten, erklärt sich einfach daraus, dass
sie allein, als seitlich vorspringend, von beiden Eectroden aus durch
den äusseren Electrolyten hindurch direct von Stromfäden getroffen
werden, während alle anderen Zellen die Stromfäden der einen Elec-
trode nur erst nach dem Durchgehen derselben durch die Morula
erhalten und daher durch deren Eintritt innere, von aussen nicht
sichtbare Pollelder bilden werden.
7. Ursachen der Generalpolarisation des in Zellen
getheilten Eies.
Nachdem im Vorstehenden neben den Ursachen der speciellen
Localisation zugleich dargelegt worden ist, auf was für einem Ver-
hältniss meiner Meinung nach die Special- [226] polarisation
760 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
der Zellen der Morula beruhen muss, ist zu erörtern, wodurch es
bedmgt ist, dass au denselben Gebilden unter Umständen, sei es
nach vorausgegangener Specialpolarisation oder sogleich beim Durch-
strömen eine G e n e r a 1 p o 1 a r i s a t i o n auftreten kann , wobei uns
freilich die noch mangelnde Einsicht in das Innere des Eies wieder
fühlbar werden wird.
An denjenigen frischen Morulae, welche nach anfänglicher Zell-
polarisation in Folge längere Zeit fortgesetzter Durchströmung zur
Generalpolarisation übergehen, scheint dieser Wechsel leicht ver-
ständlich. Denn da bei der Zellpolarisation Zellinhalt nach aussen
durch die Zellrinde hindurchtritt, kann man denken, derselbe Vorgang
finde auch im Innern statt ; die Zellrinde, respective die mini-
male Kittsubstanz wären die Electrolyten gewesen, und
sie würden durch den hindurchtreteuden Zellinhalt ihrer Eigenschaft,
als Electrolyten zu wirken, mehr und mehr enthoben, da die sich
Id e r ü h r e n d e n Zellen jetzt durch Z e 1 1 i n h a 1 1 in d i r e c t e ,
nicht „morphologisch" polarisirbare Verbindung gelangen und
daher fast wie ein Ganzes reagiren ; ähnlich wie zwei Metallkugeln,
die sich leitend berühren , nur dass bei den organischen Gebilden
die Verbindungsbrücken in dem Maasse ausgedehnter sein müssen,
als ihre Substanz nicht erheblich besser leitet als der sie noch theil-
weise trennende Electrolyt. Im Falle das geschwächte Protoplasma
vielmal besser leitete als die nicht protoplasmatischen Trennungstheile
der Zellen, könnten diese fast vollkommen umgangen werden.
Indess sind diese hypothetischen inneren Substanzdurchtritte
noch nicht gesehen worden; ausserdem wäre auch die auf sie sich
gründende Erklärung nicht auf diejenige Generalpolarisation
anwendbar, welche nach der Erwärmung der Morula auf
40° C. und nach der Vergiftung mit Gar hol säure sogleich
beim Durchströmen eintritt. Je stärker die Erwärmung oder Ver-
giftung war, um so rascher ging die beim Beginne der Durchströmung
auftretende Zellpolarisation unter Wachsthum der Polfelder und Xer-
schwinden der Zelläquatoren im Bereiche der Polseiten des Eies in
die Generalpolarisation über; bei den höchsten Graden derartiger
Beeinflussung geschah dieser Uebergang sogar so schnell, dass man
Ursachen der Geiieralpolarisation des in Zellen gelheilten Eies. 761
kaum die initiale Zellpolarisation walirnehnien konnte.
Dabei stand die Intensität der sichtbaren Veränderungen in umge- [227]
kehrtem Verhältniss zur Geschwindigkeit ihres Auftretens und zu
ihrer Ausbreitung; zuletzt trat blos noch eine schwache Verfärbung
auf, kein erkennbarer Durchtritt von Substanz durch die Rinde.
Und diese grössere Geschwindigkeit der Ausbildung
der Generalpolarisation bei minimaler Intensität der
V e r ä n d e r u n g steht wieder in einem Gegensatz zu dem h o c h -
gradigen Substanzdurchtritt bei Durchströmung lebens-
kräftiger Eier, an welchen trotz dieser diffusen Extracellulate
erst nach mehreren Minuten und erst, nachdem die Niveau-
linien der äusseren Theile aufgeplatzt waren und nachdem dies
schon einige Zeit bestanden hatte, der Uebergang zur General-
polarisation stattfand.
Daraus ergiebt sich schon, dass die, erstere Annahme zur Erklärung
der vorliegenden Erscheinungen nicht zutreffend ist.
Man kann nun an andere Momente denken: z. B. an eine Ab-
nahme der Widerstandsfähigkeit der Zellen durch die schädigende
Wirkung der Vergiftung, der Erwärmung oder der länger dauernden
Durchströmung, und zwar in Anknüpfung an die vorher relativ kleineu
Polfelder der Zellen und an den grossen, fast die Hälfte der freien
Oberfläche vieler Zellen einnehmenden Aequator. Besonders weist
auf einen initialen Widerstand der lebenskräftigen Morula hin, dass
der Aequator vieler Zellen hier fast rechtwinkelig gegen
die Stromfädeu gerichtet ist, also dicht von ihnen getroffen
werden muss, sofern nicht die lebenskräftigen Zellen vielmal besser
leiten als die geschwächten und daher die Stromfäden vollkommen
mit den der Electrode nächsten Stellen aufnehmen.
Wenn dief Aenderung des Verhaltens der Morulazellen nach
Erwärmung oder Vergiftung aber auf einer Schwächung ihres Wider-
standes gegen den Strom beruhte, dann müsste die Veränderung auch
an den im Bereiche des Generaläquators liegenden Zellen weiter
schreiten. Da an diesen Aequatorzellen die Veränderung jedoch
nicht weiter schritt, ist diese Annahme also gleichfalls unzutreffend.
Dasselbe gilt auch für eine eventuelle Schwächung der Widerstands-
762 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
fäbigkeit durch fortgesetzte Durchströmung. Hierdurch würden zwar
die Aequatorzellen weniger alterirt werden, da sie viel weniger dicht
von äusseren Stromfäden getroffen werden. Diese durch die Dichtig-
keit der äusseren [228] Bestrahkmg bedingte Schwächung müsste
aber von der Aequatorregion gegen die Pole hin nur ganz allmählich
zunehmen; demnach müsste auch die Erscheinung der Vergrösserung
der Polfelder vom Aequator her continuirlich zunehmen. Statt dessen
entsteht jederseits am Ei ein einheitliches, durch eine braune Niveau-
linie vollkommen scharf begrenztes Polfeld und ein einheitlicher all-
gemeiner Aequator, innerhalb dessen die früher vorhandenen kleinen
Polfelder nicht nur nicht wachsen, sondern rückgebildet, eliminirt
werden. Die Morula reagirt jetzt ganz wie ein ungetheiltes
Ei, also wie ein einheitliches Gebilde.
Da unsere Erörterung über die möglichen speciellen Ursachen
des Ueberganges der Specialpolarisation der einzelnen
Zellen des get heilten Eies zur Generalpolarisation des
ganzen Eies in Folge der uns noch mangelnden Einsicht in die
inneren Vorgänge zur Zeit nicht weiter geführt werden kann, müssen wir
bei der experimentell abgeleiteten Folgerung stehen bleiben und sagen :
Die am normal beschaffenen, in Zellen getheilteti Ei als
vorhanden erschlossene, vollkommene oder unvollkommene Treww«<?^^
der Zellen von einander durch eine wie ein Electrolyt
wirkende Siihstanz ist durch die g enannten, die Vitalität
schädigenden Mittel ganz oder th eil iv eise au f gehohen
ivorden; und dies ist der Grund, dass der ganze Complex von
Zellen nunmehr wie ein einheitliches Gebilde entsprechend seiner
äusseren Gestalt auf den electrisclien Strom reagirt ^).
[i) Es kann verwundern, dass kein physiologischer Bericht oder sonst
eine bezügliche physiologische Arbeit bis jetzt von dem Inhalte dieser Abhandlung
Notiz genommen hat, denn dieselbe enthält manches, was in dieser Richtung von
Interesse zu sein scheint:
Ein Mal die beson de renReactionsweisen der „embryonalen" lebenden
Substanz der Wirbelthiere auf den electrischen Strom, s. S. 741, welche den Er-
wachsenen fehlen; ferner die zum Tlieil von dem Verhalten anorganischer Körper
abweichende Localisation der stärksten Veränderung.
Besonders aber scheint mir von fundamentaler Bedeutung für die
Fisureneikläruns. 763
Figureiierkläruiig zu Tafel VIII — X.
Allgeraeines. Alle Figuren sind scliematisirt, die der lebenden Objecte sind
nach Momentscizzen gezeichnet.
Die durch den electrischen Strom veränderten , polaren" Abschnitte sind in
den Figuren 1 und 3 — 20 blau gefärbt. In Wirklichkeit sind die hier blau markirten
, Polfelder'' bei den Frosch- und Tritoneiern der Fig. 1 — 14 heller als der von ihnen
begrenzte, mit Ausnahme von dessen oft aufgehellten Rändern fast unveränderte
electrische Aequator.
Wo nicht anders erwähnt, sind die abgebildeten Objecte mit dem Wechsel-
strom durchströmt worden.
Die mittlere Stromrichtung, die gerade Verbindungsrichtung der Elec-
troden ist auf den Tafeln immer wagrecht, also in Richtung der
Zeilen verlaufend angenommen.
Fig. 1. Kurze Zeit mit nicht starkem Wechselstrom durchströmtes Froschei von der
Seite gesehen. Siehe Seite 547 u. f., 559.
Fig. 2. (Taf. X). Einfache Lage Froscheier in einer mit Wasserleitungswasser ge-
füllten Glasschale, von den beiden geraden, die senkrecht eingBsetzten Elec-
troden markirenden Strichen aus durchströmt. Die Schale danach umge-
dreht, und die Eier von unten vergrössert abgezeichnet; die „Polfelder"
dunkel markirt. Siehe S. 551.
Fig. 3. Kurze Zeit durchströmtes Ei des Triton. Die Ränder des electrischen Aequa-
tors sind in der Entfärbung begriffen. Siehe S. 610.
Fig. 4. Froschei, stimdenlang mit äusserst schwachem Strom durchströmt; von oben
gezeichnet. Polare Extraovate. Das Ei ist nicht schattirt, um die im Be-
reiche des sehr breiten electrischen „Aequators" entstandenen Streifen besser
sichtbar zu machen. Siehe S. 585.
Fig. 5. Zwei in derselben Gallerthülle eingeschlossene Froscheier, in Richtung ihres
geringsten Abstandes durchströmt; von oben gesehen. Siehe S. 590.
Beurtheilung der Lebensvorgänge, zumal wohl für die Erkenntniss der Be-
deutung des Aufbaues des höheren Organismus aus Zellen die That-
sache, dass in der „lebenskräftigen" Morula und Blastnla ,,jede einzelne
Zelle für sich" mit zwei durch einen Aequator getrennten veränderten Pol-
feldern auf den electrischen Strom reagirt (Speciali)olarisation) , während
nach hochgradiger Schwächung dieses Organismus derselbe nur wie ein
noch nicht in Zellen zerlegtes Ei „als Ganzes" mit zwei Generalpolfeldern
und einem Aequator reagirt (Generalpolarisation) (s. S. 591, 611, 752).
Auch gewäjart die electrische Durchströmung einer mit Froschlaich erfüllten
runden Glasschale einen schönen Vorlesungsver stich, um die . electrischen
Niveauflächen zu demonstriren (S. 5bl); und die S. 707 angegebene einfache
Methode der Ermittelung des Verl auf es der Stromfäden gegen einen
Intraelectrolyten könnte der Physiologie bei manchem Versuche gute Dienste
erweisen.
LTm die Abhandlung in dieser Hinsicht nicht ganz umkommen zu lassen, habe
ich daher jüngst selber ein Referat über sie verfasst (Biolog. Centralblatt Bd. XV
1895), in welchem zugleich auch auf die electro therapeutisch c Bedeutung
dieser Thatsachen hingewiesen wird.
764 Nr. 25. Morphologische electrische Polarisation embryonaler Gebilde etc.
Fig. 6. Zwei mit ihren Gallerthüllen vereinigte Froscheier, wie in Fig. 5 durchströmt
und abgebildet. Siehe S. 590.
Fig. 7. Froschei schief zur ersten Furche durchströmt; von oben gesehen. Siehe
S. 553, 562 und 591.
Fig. 8. und 9. Froscheier rechtwinkelig zur ersten Furche durchströmt; von der Seite
gesehen. Siehe S. 591 und 592.
Fig. 10. Frosch- sowie Tritonei nach der zweiten Furchung durchströmt; von oben
gesehen. Siehe S. 591, 592. 611.
Fig. 11. Schief stehendes Froschei nach der zweiten Theilung so lange durchsti'ömt,
bis die anfängliche Sp e cialpolari satiou der vier Zellen (Special-
polfelder blau) unter Wachsthum der Polfelder (roth) in die General-
polarisation übergegangen war; von oben aus gesehen. Siehe S. 595.
Fig. 12. Gallenblase des Frosches von oben gesehen, erst in Richtung der Höhe des
Blattes, darauf in Richtung der Zeilen durchströmt. Die beiden „Niveaulinien"
der ersten Durchströmung sind bei der zweiten Durchströmung unverändert
geblieben. Siehe S. 573.
Fig. 13. Ei des Triton alpestris durchströmt; von der Seite gesehen. Siehe S. 610, 611.
Fig. 14. (Tafel IX). Ungetheiltes Triton- soAvie Froschei in seiner Hülle zwischen ebenen
Glasplatten platt gedrückt und durchströmt; von oben gesehen. Siehe
S. 562, 588.
Fig. 15. Oberflächliche Zelle des Polfeldes einer alten Tritongastrula; Betrachtung
bei auflallendem Licht; äusserer Polfeldabschnitt blau, innerer roth gezeichnet.
Siehe S. 623.
Fig. 16. Zelle einer alten Tritongastrula, isolirt und dann durchströmt. Die beiden
protoplasmatischen Polabschnitte blau, die dotterkörnerhaltige Aequatorscheibe
roth gezeichnet. Siehe S. 621.
Fig. 17. Eine wie die vorige behandelte Zelle, welche aber beim Durchströmen an
den beiden Polen aufgeplatzt ist und ihren Inhalt nach beiden Seiten in
Richtung des Stromes entleert hat. Siehe S. 620.
Fig. 18. Ei von Telestes Agassizii; rechtwinkelig zur Eiaxe durchströmt; von der
Seite gesehen. Siehe S. 626.
Fig. 19. Gleiches Fischei; die Keimscheibe war etwas abgebogen, wurde in Richtung
ihrer Axe durchströmt. Siehe S. 627.
Fig. 20. Scizze des Kopfes eines Hühnerembryo von fünf Brüttagen. Die Polfelder
am Mittel-, Zwischen- und Vorderhirn sind blau markirt ; die Veränderungen
am Hinterhirn und an der Hirnbasis waren nicht gezeichnet worden. Am
Mittelhirn sind die in Richtung des Wechselstromes stehen-
den Einfaltungen der Wandung sichtbar. Die an der secundären
Augenblase gezeichneten polaren Faltungen und Abschnürungen sind
erst nach viel länger fortgesetzter Durchströmung aufgetreten, durch welche
die Hirnblasen bereits viel weiter verändert Avorden waren, als hier gezeichnet
ist. Siehe S. 636.
Fig. 21. Die eine von zwei einander dicht benachbarten, in Richtung ihres geringsten
Abstandes in einhalbprocentiger Kochsalzlösung mit dem Wechselstrom durch-
strömten Messingkugeln von 7 mm Durchmesser; die der anderen Kugel
zugewendete Fläche dargestellt. Siehe S. 677.
Fig. 22. Eine Kupferscheibe in Kupfervitriol mit dem Gleichstrom durchströmt;
a) Einmalige Durchströmung in Richtung der Zeilen der Tafel. Das der
Figureneiklärung. 765
Anode zugewendete Polfeld senkrecbt, das der Kathode ziigeAvendete Pol-
feld schräg schraffirt. Siehe S. 696.
b) Dieselbe Scheibe um 90" gedreht und auf's Neue in Richtung der Zeilen
durchströmt. Schraffirung wie bei a. Siehe S. 698.
c) Dasselbe nach länger fortgesetzter Durchströmung. Siehe S. 699.
a Bezeichnet in Fig. b) u. c) die an der Grenze des primären positiven Pol-
feldes und des primären Aequators bei der zweiten Durchströmung blank
bleibende Stelle und ihre nachträgliche Wanderung. Siehe S. 698
und 699.
Fig. 23 — 30. Anwendung der neuen Methode zur Ermittelung des Ver-
laufes der Stromfäden gegen Intraelectrolyten.
Fig. 23. Parallelepipedischer Bleistab in einhalbprocentiger Kochsalzlösung der Länge
nach mit dem Wechselstrom durchströmt nach Nebenstellung von 10
Messingkugeln, um den Verlauf der Stromfäden gegen ihn zu er.
kennen. Die Polfelder des Stabes schraffirt, die der Kugeln schwarz ge-
zeichnet. Siehe S. 708.
Fig. 24. Ein in der Mitte ausgebogener Stanniolstreifen, der Länge nach in Glauber-
salzlösung mit dem Wechselstrom durchströmt. Die Strecke zwischen aa stellt
den unveränderten electrischen Aequator dar. Siehe S. 680 und 709.
Fig. 25. Rechtwinkelig gebogener Balken von Blei , in Richtung des wagrechten
Schenkels mit dem Wechselstrom durchströmt. Siehe S. 681 und 710.
Fig. 26, Parallelepipedischer Bleibalken, in achtprocentiger, mit etwas Schwefelsäure
versetzter Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom seiner Länge nach durch-
strömt. Siehe S. 711.
Fig. 27. Froschherz mit Messingkugeln umstellt und in Wasserleitungswasser der
Länge nach mit dem Wechselstrom durchströmt; die Polfelder der Kugeln
lassen die Convergenz der Stromfäden (aber etwas zu stark gezeichnet)
erkennen. Siehe S. 713; auch 574 und 606.
Fig. 28. Ein gleiches Herz in fünfprocentiger Kochsalzlösung durchströmt; lässt die
Divergenz der Stromfäden sehen. Siehe S. 713; auch 574 und 606.
Fig. 29. Gallenblase des Frosches in Wasserleitungswasser durchströmt. Siehe S. 573
und 713.
Fig. 30. Eine gleiche Gallenblase in fünfprocentiger Kochsalzlösung durchströmt.
Siehe S. 713.
Nr. 26.
Uetaer das entwiekelung'smeehanische Vermögen
jeder der beiden ersten Furehungszellen des Eies.
1892.
Referat, erstattet auf der Versammlung der anatomischen Gesellschaft, zu Wien
im Juni 1892.
Verhandlungen der anat. Ges. S. 22—60.
Inhalt.
Seite
Beziehung der Medianebene des Embryo zu den ersten Furchen des Eies . 768
Beziehung der drei Hauptrichtungen des Embryo zu den drei ersten
Furchen 768
Beziehung des Materials der ersten Fui'chungsz eilen zum Material der
Antimeren des Embryo 769
Enthält jede der beiden ersten Furchungszellen ausser dem Materiale seiner
Körperhälfte des Embryo auch noch die zur Entwickelung der-
selben nöthigen gestaltenden Kräfte? 770
Nichtnöthigsein äusserer Einwirkungen 770
Gestaltende Leistung einer der beiden ersten Furchungszellen des
Froscheies 773
Selbstdifferenzirung jeder der ersten Furchungszellen .... 775
Ein Beweis für die Anlage der ventralen Seite des Embryo an
der schwarzen, oberen Seite des Froscheies 780
Ausbreitung dijferenzir ender Wirkung b l o s von den
„Seitenflächen" der Epithelien 785
Experimente Chäbry's an Ascidien 788
Experimente C. Fiedler's und H. Driesch's an Seeigeln . . . 790
Eitheil-G ehilde s. Ei theilbil düngen : z.B. Halbeibild-
ungen:
a) T hei Ige bilde s. Theilbildungen, Meroplasten:
z. B. Halbgebilde, Viertel- und Dreiviertelgebilde . . . 792
b) G an zbild^ingen-.Hal'bei-Granzhil dun gen, Viertelei-
Ganzbildungen 793
Nr. 26. Entwickelungsmechanischeä Vermögen etc. 767
Seite
Activinuiü; von Reserve-Idioplasson 794
Auslösung der Postgeneration durch falsche Lage der
Thoile zu einander 795
Bildung eines „glänzen'' Fi'oschembryo nuf: einem ,, halben" Ei . 796
Uemiembryo lateralis aus einem Exlraovat 797
Ursache der früheren Postgeneration der Seeigel- als der Frosch-
embryonen 798
Uebergänge zwischen der Postgeneration mit und ohneVer-
wendung von Material der operirten Eihälfte . . . 800
Auslösende Momente der Postgeneration und Regeneration . . . 800
Umdifterenzirung bei der Post- und Regeneration 800
Umdif f erenzirung bei der normalen Entwickelung . . 801
Abhängige Differenzirung wandernder Zellen 801
Widerlegung von Einwendungen 802
Beobachtungen Chun's über Halbbildungen bei Ctenophoren . . . 808
„Directe" sive typische Entwickelung 811
Indirecte s. atypische s. regulatorische Entwickelung . . . 811
Meine Herren!
[22] Ich möchte Ihnen über unsere derzeitige Kenntniss vom ent-
wickekingsmechanischen Vermögen jeder der beiden ersten Furchuugs-
zellen des Eies berichten. Die bezüglichen bis jetzt vorhegenden
experimentellen Arbeiten rühren her von Chabry (1) ^), Driesch (2),
Fiedler (3) und mir (Nr. 18 u. 22); dazu kommen noch jüngst ver-
öffentlichte theoretische Erörterungen O. Hertwig's (4) in seiner Arbeit:
Urmund und Spina bifida, eine briefliche Mittheilung von Prof. Chun
und einige neuere Beobachtungen von mir.
[23] Nach der Arbeit Driesch's und besonders nach den Dar-
stellungen 0. Hertwig's hat es den Anschein, als wenn in den Ergeb-
nissen der verschiedenen Untersucher principielle Gegensätze hervor-
getreten wäreö. Ich will gleich erwähnen, dass ich diese Auffassung
nicht theile und diese scheinbaren Gegensätze nur auf unvollkommene
Information der beiden Autoren zurückführe. Dieser Umstand lässt
im gedruckten Bericht eine ausgedehnte Verwendung wörtlicher Citate
angezeigt erscheinen.
[1) Die einfachen Ziffern (1) (12) beziehen sich auf das Literaturverzeichniss
des Referates.!
768 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Als Vorläufer dieser Versuche sind zu betrachten: die
Feststellung der Beziehungen der ersten Theilungsebenen des Eies zu
den Hauptrichtungen des Embryo, welche eine weitere Zurückver-
folgung von His' (5) „Princip der organbildenden Keimbezirke" von
der Keimscheibe bis auf die ersten Furch ungszellen darstellt, sowie
meine Ermittelungen über die künstliche Bestimmung der Richtung
der ersten Furche beim Froschei durch den beliebig gewählten Befruch-
tungsmeridian (Nr. 21).
Die ersten Furchungen des Eies setzen sich bei allen Thier-
classen normaler Weise in einer typischen Folge von Richtungen
aufeinander, gewöhnlich in recht\^dnkeligen Richtungen; und [soweit bis
j etzt bekannt] entspricht bei d e n b i 1 a t e r a 1 - s y m m e t r i s c h e n T h i e r e n
unter ,, normalen" Verhältnissen eine der beiden ersten
Theilungsebenen der Medianebene des Embryo resp. des
erwachsenen Thieres^).
Darin, ob die erste oder die zweite Theilungsebene die Median-
ebene darstellt, kommen häufig nach Goette (9) selbst bei nahe ver-
wandten Gattungen Verschiedenheiten vor; auch lassen sich nach
meiner Erfahrung (Nr. 20) in dieser Folge bei Froscheiern Anachro-
nismen leicht künstlich hervorrufen; es entsteht dann die normaler
Weise zweite, köpf- und schwanzwärts scheidende Furche als erste, und
die normale erste , der Medianebene entsprechende Theilungsebene
als zweite.
Immer aber stehen unter ,, normalen" Verhältnissen
die drei ersten Furchen des Eies in „festen" typischen
Richtungsbeziehungen zu den drei Hauptrichtungen
des künftigen Embryo.
Bei den Fröschen und Ascidien, mit denen wir uns im Folgenden
zunächst zu beschäftigen haben werden, ist es normalerweise die erste
[1) Aufgefundene Abweichungen sind jüngst in der sehr empfehlenswerthen
Schrift von S. Bergh, Vorlesungen über allgemeine Embryologie (^1895, S. 209) zu-
sammengestellt worden. Dieser Autor ist jedoch im Irrthum, wenn er glaubt, ich
hätte mit der hier gegebenen kurzen und nicht weiter begründeten Zusammenfas-
sung eventuell abweichenden Thatsachen beschränkend vorgreifen wollen; vor
solcher Annahme hätte ihn wohl der Charakter meiner Originalarbeiten abhalten
können.
der beiden ersten Furchungszellen. 769
Theiliingsebene des Eies, welche die Medianebene darstellt. Das ist
für -die ersteren Thiere durch Newport (16), sowie unabhängig von
einander durch Pflüger (6) und mich (Nr. 16), für die Ascidien durch
E. VAN Bexeden und Charles Julin (7) dargethan worden. Für einige
Echinodermen sprach Selenka (8) eine bezügliche Vermuthung aus.
Bei Frosch- und Ascidieneiern kann man nach den gleichen
Untersuchern auf diesem Theilungsstadium an secundären Merkmalen
[24] der Elastomere auch schon das spätere Dorsal und Ventral,
sowie die cephale und caudale Seite unterscheiden, so dass also
unsere Hauptrichtungen des Embryo am zweigetheilten Eie, beim
Froscheie auch schon vor der ersten Theilung, bereits eine halbe
Stunde nach der Befruchtung (Nr. 21), erkennbar bestimmt sind, und
man daher auch angeben kann, welche von beiden Zellen der rechten,
welche der linken Körperhälfte des Embryo in ihrer Lage entspricht.
Wenn die Abgrenzungsfiäche der beiden ersten Blastomere schon
die Medianebene darstellt , so folgt aus dem S3^mmetrischen Verlaufe
der Entwickelung zu dieser Ebene, dass jede der durch sie getrennten
beiden Furchungskugeln „im Wesentlichen" das Bildimgsmaterial
für die fixen Organe der entsprechenden rechten oder linken Körper-
hälfte enthält, abgesehen also von den atypische Bahnen einschlagen-
den Wanderzellen. Denn da die Anlage der Organe bilateral-sym-
metrisch, also auf jeder Seite für sich erfolgt , so können höchstens
in der unmittelbaren Nähe der Trennungsebene auf kleinen Irregu-
laritäten beruhende, geringe, nebensächliche Verschiebungen des im
epithelialen Verbände fixirten Materiales über die Medianebene hinaus
stattfinden. Auf solche eventuellen, atypischen Verschiebungen kommt
es uns hier nicht an. Es kann also das Gesetz aufgestellt werden:
Jede der beiden ersten, in ihrer Lage der rechten und
linken Körperhälfte des Embryo entsprechenden Furch-
ungszellen enthält zugleich auch das „Anlagematerial"
der bezüglichen rechten oder linken Körperhälfte^).
Bei denjenigen Eiern, wo die Medianebene erst durch die zweite
[1) lieber das Verhalten bei der nicht seltenen nachträglichen Verschiebung
von Furchungszellen über die Ebene der ersten Furche siehe Nr. 28, S. 667; dabei
findet dann regulatorische, s. atypische Entwickelung statt, während wir
hier von der ganz normalen s. typischen Entwickelung handeln (s. S. 777).]
W. Eoux, Gesammelte Abhandlungen. II. 49
770 Nr. 26^, Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Theilungsebeue dargestellt wird, gilt das Gleiche für jedes der durch
diese Ebene getrennten beiden Paare von Furchungszellen.
Danach liegt nun die Frage nahe:
Enthält jede dieser beiden Zellen (resp. jedes dieser
beiden Zellpaare) ausser dem Materiale auch noch die
für die Entwickelung desselben nöthigen gestalten-
den „Kräfte" oder nicht?
Das bedeutet in den Extremen gefasst:
„Kann" jede der beiden ersten Furchungszellen sich ganz
für sich selbst zu der entsprechenden halben Körperhälfte
entwickeln: oder können entgegengesetzten Falles beide Blastomeren
nur g e m e i n s a m , und n u r p a r i p a s s u sich zu den ent-
sprechenden Körperhälften entwickeln', so dass keines ohne das
andere sich entsprechend zu differenziren vermag und keines
dem andern etwas in der Entwickelung vorauseilen oder hinter
dem anderen zurückbleiben kann?
Wenn eine dieser Zellen der anderen auch nur ein Weniges
vorauseilen kann, so bedeutet dies schon eine entsprechende Unab-
hängigkeit von dem Zustand ,,resp. von den Vorgängen
in der anderen Hälfte, also ein gewisses Maass von „Selbst-
differen zirungsf ähigkeit" der ersteren Zelle.
[25] Zwischen den genannten Extremen sind natürlich auch U e b e r-
gänge denkbar, derart, dass blos manche Vorgänge gemein-
sam, andere aber selbstständig stattfinden konnten.
Zunächst war darüber zu entscheiden, ob nicht äusserenEin-
wirkungen auf das Ei ein erheblicher, gestaltender Einfluss auf
die Entwickelung desselben zukomme. In dieser Hinsicht glaubt
Pflüger (6): ,,die Schwere bestimmt, welche meridionale Molekül-
reihe die herrschende wird. Es ist diejenige, welcher allein im Eie
die ausgezeichnete Eigenschaft zukommt, in einem verticalen pri-
mären Meridian zu liegen". „Welche von den Molekülreihen des
durch die Schwerkraft ausgewählten Meridian es die bevorzugten sind,
entscheidet abermals die Schwerkraft, denn die höher gelegene Meridian-
hälfte enthält die Bildungsstätte des Nervensystems". Pflüger nimmt
der beiden ersten Furchungszellen. 771
ferner an, dass „die Schwerkraft eine Molekülreihe von
vielleicht ganz geringer Ausdehnung bevorzugt, so dass
nur diese organisirend wirkt und allmählich alles Nährmaterial
für ihre Wachsthumstendenz verbraucht". ,,Ich würde mir also denken,
dass das befruchtete Ei gar keine wesentliche Beziehung zu
der späteren Organisation des Thieres l^esitzt, so wenig als
die Schneeflocke in einer wesentlichen Beziehung zu der Grösse und
Gestalt der Lawine steht, die unter Umständen aus ihr sich ent-
wickelt. Dass aus dem Iveime immer dasselbe entsteht,
kommt daher, dass er immer unter dieselben äusseren
Bedingungen gebracht i s t". Pflüger glaubt so gezeigt zu haben,
dass die Schwerkraft einen zur Entwickelung des Eies noth wendigen
polarisirenden Einfluss ausübe, und dass sie auf diese Weise diejenigen
Theile des Eies bestimmen müsse, welche später zur Anlage des
Centralnervensy stemes werden .
Diese Auffassung habe ich (s. Nr. 19) widerlegt, indem ich Frosch-
eier auf einem sehr langsam rotirenden, senkrecht stehenden
JRade befestigte und mit ihm bewegt werden Hess, wobei die Schwer-
kraft in jeder Secunde in anderer Richtung auf die Eier wirkte und
die Centrifugalkraft zu schwach war, um statt ihrer richtend, ein-
stellend auf das Ei wirken zu können. Es zeigte sich, dass gleich-
wohl die Entwickelung in normaler Weise vor sich ging. Daraus
geht hervor, dass ein richtender Einfluss der Schwerkraft auf das Ei
zu seiner Entwickelung nicht nöthig ist. Eine gleiche Unabhängig-
keit der Entwickelung von äusserer Einwirkung ergab sich an in
enge Glasröhren aspirirten Eiern (s. S. 322) in Bezug auf den Ort der
Anlage der ersten Organe, z. B. des Urmundes und des Rückenmarkes,
der Chorda dorsalis von der Stelle des Sauerstoffzutrittes sowie
von der Richtung des Lichtzutrittes (s. S. 274).
[26] Danach bleiben statt der speciellen Gestaltungs anlagen
der Keimblätter und der Organe blos noch als möglicher Weise
von aussen bedingt einige allgemeinste Gestaltungen (s. S. 422),
wie die Umbildung der rundlichen, oberflächlichen Morulazellen zu
oberflächhch abgeplatteten, sich dicht zusammenschliessenden Zellen,
oder wie die von His (13) zur Erklärung einiger Umgestaltungen des
49*
772 Nr. 26. Entwickelungsmechanisclies Vermögen jeder
Keimes angenommene Wanderung vieler Zellen des Samenkeimes
gegen die Luftquelle hin.
Für die Anlage und Ausbildung der speciellen Organe, auch
der Keimblätter aber können wir das Gesetz aufstellen:
Zu der Hervorbringung der typischen Formenbil-
dungen aus dem befruchteten thierischen Ei „bedarf" es
keiner gestaltenden äusseren Einwirkung auf das Ei, sondern
die formale Entwickelung des befruchteten Eies geschieht
zufolge der in dem Ei enthaltenen gest altenden Kräfte; sie
ist ,,Selbstdifferenzirung des Eies".
Dies ist der Fall, obschon zur Entwickelung die Einwirkung
äusserer Agentien , wie Wärme und Sauerstoff , nöthig ist , welche
Agentien aber nicht den Ort und die Gestalt der Bildungen bestimmen ;
sondern die Zufuhr dieser Kräfte ist blos als allgemeine Vorbe-
dingung der Entwickelungsvorgänge anzusehen, ebenso wie die Auf-
speicherung von Nahrungsdotter im Ei oder die Zufuhr flüssiger
Nahrung von aussen.
Nachdem wir gesehen haben, dass die Entwickelung des
Eies wesentlich durch die in ihm selber liegenden gestalten-
den Kräfte vor sich geht, können wir nun zu der Ermittelung
der „Localisation der Entwickelungsursaclien innerhalb des Eies"
übergehen.
In dieser Hinsicht legte ich mir (s. S. 153) zunächst die allgemeine
Frage vor, ob alle Eitheile zu der normalen Entwickelung
des Eies unbedingt nöthig seien, ob daher beim Fehlen eines
Theiles des Eies, oder auch nur nach dem Hervorbringen von Unord-
nung in der Eisubstanz durch äussere Eingriffe die Entwickelungs-
fähigkeit gleich ganz aufgehoben wird, oder ob etwa bei der statt-
habenden Entwickelung ganz seltsame fremde, den normalen nicht
mehr entsprechende Bildungen aus diesen Störungen resultiren, so
dass also nach einer auch nur kleinen Störung der typi-
schen Verhältnisse des Eies gleich ganz fremdartige Pro-
ducte aus dem Ei hervorgehen würden.
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Eier nach der ersten
oder zweiten oder einer späteren Furchung angestochen, und das
der beiden ersten Furcüungszellen. 773
Resiilttit [27] des Eingriffes bis zur Zeit der ersten Differenzirung
des Gehirns und Rückenmarkes, der Haftnäpfe und der Urwirbel
abgewartet.
Es zeigte sich, dass erstens trotz Entleerung bis etwa \'o der
Menge des Eiinhaltes ein normaler Embryo entstehen kann; und
andererseits boten viele aus anderen, in scheinbar gleicher Weise
operirten Eiern hervorgegangene Embryonen bei sonst normaler
Beschaffenheit blos circumscripte locale Defecte oder sonstige
locale Störungen dar. Diese localeii Defecte erwiesen sich bei
genauerer Untersuchung auf sehr verschiedene Weise bedingt. Immer-
hin war aus diesen Experimenten zu folgern, dass nicht alle Eisub-
stanz zur Entwickelung unbedingt nöthig ist, und dass auf
locale Störungen am Ei local beschrcänkte Störungen am
Embryo folgen können; woraus des Weiteren hervorgeht, dass
sich die nicht in ihrer Entwickelung gestörten Theile in
entsprechendem Maasse ,, unabhängig" von den fehlenden
oder abnorm gebildeten Theilen zu entwickeln ,, vermögen".
Nach diesen Ergebnissen bestrebte ich mich, eine der beiden
ersten Furchungszellen ganz von der Entwickelung aus-
zuschliessen (s. Nr. 22).
Die Methode ist einfach. Man giesst das Wasser von den
Froscheiern ^U Stunden nach der Befruchtung ab und lässt die Eier
darauf offen stehen, so dass ihre Hülle bis zum Eintritt der ersten
Furchung durch Verdampfung wieder etwas Wasser verliert. Dadurch
legt sich die Gallerthülle dem Ei wieder an, und dasselbe kann si(;h
somit nicht mehr so leicht in derselben verschieben; was für eine
sichere Operation nöthig ist. Ist die erste Theilung äusserlich voll-
endet, so wartet man noch einige Minuten und sticht dann mit einer
heissen Nadel Hie Zelle an. Um die Nadel heiss zu erhalten, muss
an ihr eine Metallkugel als Wärmeträger angebracht sein. Das Wesent-
lichste des ganzen Versuches ist, den richtigen Wärmegrad auszu-
probiren. Früher gelang es mir nur bei 20 von lüO operirten Eiern
gerade blos die eine Zelle zu tödten, in diesem Frühjahr aber bei
80 von 100; während von den nicht operirten Probeeiern keines
Abnormitäten bildete. Man sticht von oben oder von der Seite her,
774 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
parallel der Furchungsebene in geeigneter Richtung in das Ei, um in
die Gegend des Kernes zu gelangen und ihn bei einem geringen
Verweilen mit der Nadel von etwa 5 — 10 Secunden im Ei zu tödten.
Hat man das Wasser von den Eiern zu früh abgegossen, schon ehe
sie sich in der Gallerthülle mit den hellen Polen nach unten einge-
stellt hatten, ist ihnen also eine künstliche Stellung aufgezwungen
worden, so bildet sich, wie oben schon angedeutet wurde, die normaler
Weise als zweite auftretende Furchung, welche köpf- und schwanz-
wärts scheidet, häufig zuerst, und [28] man zerstört dann mit der
Nadel anderswerthige Zellen als normaler Weise, mit entsprechend
anderem Resultat. Den Mechanismus dieses Anachronismus habe
ich des Genaueren dargelegt (s. Nr. 21).
Das Resultat der Versuche, in denen es gelang, eine der
beiden normalen ersten Furchungszellen ganz von der Entwickelung
auszuschliessen, war nun folgendes: Es entstand aus der unversehrten
Eihälfte zunächst eine typische senkrechte Semimorula mit einer
halben Furchungshöhle, darauf eine Semiblastula, eine rechte
oder linke S e m i g a s t r u 1 a ; und nach der Anlage des Medullar-
wulstes war ein rechter oder linker Hemiembryo vorhanden.
Letztere Stufe ist deutlich als Halbbildung schon äusserlich kenntlich
durch ihren einen Medullarwulst, der weiterhin die halben Hirnblasen
bildet, durch den einen Haftnapf, durch die eine Reihe der Urwirbel
auf dem Querschnitt, ferner durch das halbe Lumen des Urdarmes
und in seltenen Fällen auch durch eine viel dünnere Chorda dorsalis
als bei einem ganzen Embryo. Immer aber zeigte die vollkommen
abgegliederte Chorda statt eines halbrunden einen gerundeten Quer-
schnitt, und meist war die Chorda an diesen Hemiembryones
later a 1 es fast oder ganz so dick als an einem ganzen Embryo (s. Nr. 22).
Nicht selten bieten diese Halbbildungen geringe
Abweichungen von der normalen Gestaltung dar; es kommen
Semiblastulae mit Zellen in der Blastulahöhle , etwas umgeformte
Semigastrulae, Hemiembryones laterales mit zu kleinem, ja mit fast
oder ganz fehlendem Urdarm mit Verlagerung der Chorda weit seit-
lich von der Semimedulla vor.
der beiden ersten Furchunsszellen. 775
Es bedarf aber keiner besonderen Hervorhebung, dass auch
schon ein ,, einziger" Fall der Bildung eines reinen
wohlgestalteten seitlichen Hemieembryo aus einem
halben Ei die „Möglichkeit" dieser Bildung „beweist"; ich
habe jedoch eine ganze Anzahl derselben erhalten und micro-
tomirt.
Die auftretenden formalen Störungen bekunden
neben dieser Möglichkeit nur, dass beim Vorhandensein
des ,, ganzen" Eies die Entwickelung doch noch „sicherer"
vor sich geht, obschon auch eine Eihälfte sich für sich allein nor
mal zu entwickeln „vermag" (s. S. 453). Und dieser Umstand lässt
uns einige Schlüsse auf die Mechanismen der bezüglichen, im ganzen
Ei sicherer sich vollziehenden Gestaltungen ziehen.
Wir dürfen also das weitere Gesetz aufstellen: Je „eine"
der beiden ersten Furchungszellen des Froscheies
resp. die Gesammtheit ihrer Nachkommen vermag sich
nach Vernichtung der Entwickelungsf ähigkeit der
anderen Zelle als Halbbildung bis zu einem „seit-
lichen" halben Embryo mit „e'inem" Haftnapf, ,, einem"
Medullarwulst, halben Gehirnblasen, „einem" Gehör-
bläschen, ,, einer" Ch orda [29] dorsalis von halber Dicke,
einem halben Urdarm, zur Bildung eines seitlich
halben Mesoblast und zur Abgliederung desselben in
Urwirbelplatten und Seitenplatten, sowie zur Zer-
legung der Urwirbelplatten in die typischen Urwirbel
zu entwickeln.
,,0b mit diesem Grade der Entwickelung die obere Grenze
der selbstsländigen Entwickelungsfähigkeit erreicht ist,
vermag ich zur Zeit nicht zu sagen; es liegt aber auch zur Zeit
nichts vor, was zu einer solchen Annahme nöthigt, solange die Ernäh-
rung noch ohne Blut vor sich geht; denn der bei seiner künstlichen
Abtödtuug am weitesten entwickelte Hemiembryo sinister der Fig. 5,
Taf. Vn zeigte keinerlei Absterbeerscheinungen, weder die von mir
als Zeichen des beginnenden Absterbens beschriebene Framboisia
776 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
embryonalis minor, noch die major. Ueber das Verhalten nach der
Bildung der Blutgefässe und des Herzens kann nur die directe Beob-
achtung entscheiden" (s. S. 449.).
Entsprechende Anstecliversuclie nach der Bildung der zweiten
Furche oder nach der Bildung der eigentlich zweiten Furche als erste
Hessen erkennen, dass eine gleiche Selbstständigkeit der Ent-
wickeln n g auch d e r V o r cl e r e n und eine fast gleiche auch
der hinteren, resp. den beiden vorderen und den beiden
hinteren Furchungskugeln und der Gesammtheit ihrer Deri-
vate zukommt. (Genaueres siehe S. 446.)
Ich gebe hier eine microtomirte 8emimorula, eine Semiblastula,
eine Semigastrula und zwei Hemiembryones laterales, letztere in Quer-
schnitten, herum, und bitte Sie, auch die nicht entwickelte Hälfte
zu beachten, um zu constatiren, dass selbst neben den Hemiembryonen
in der anderen Hälfte weder Organe noch Keimblätter regulär
oder irregulär angelegt sind , noch diese Hälfte in Zellen zer-
legt, noch mit normalen Kernen versehen ist, so dass also
kein Zweifel vorliegt, dass die operirte Eihälfte von der nicht
operirten Hä If te um die ganze Differenz an Gestaltungen
überholt ist, die zwischen den genannten Organanlagen
und einer nicht cellulirten, zum Theil blasig zersetzten
Dottermasse besteht, wobei letztere noch mit weit über eine Zelle
grossen, abnormen, in unregelmässigen Gruppen zusammenliegenden
roth imbibirten Massen, eventuellen abnormen Kernmassen, durch-
setzt ist. Ich bitte Sie, auf diese Entwickelungsdifferenz beider Hälften
zu achten, weil von O. Hertwig (4) die Ansicht ausgesprochen worden
ist, ich hätte gar keine wahren Halbbildungen, sondern Ganzbil-
dungen hervorgebracht, die aber in Folge der ihnen zugefügten
Schädigung aus einem normal und einem anormal entwickelten
Theile bestünden.
[30] Aus der Thatsache der Entstehung dieser Halbbildungen
ist bezüglich des Sitzes der gestaltenden Kräfte das Gesetz
abzuleiten :
Jede der beiden ersten Furchungszellen des Frosch-
eies enthält alle wesentlichen gestaltenden und diffe-
der beiden ersten Furchungszellen. 777
renzir enden Kräfte für die Anlage der halben Ge-
hirnblasen, der Gehörbläschen nnd der dieser Ent-
wickelungsstufe entsprechenden anderen Organe des
Embr^'O in sich.
Ferner :
Da jede der beiden ersten Furchnngszellen sich
nuabhängig von der anderen zu einer normalen seit-
lichen Körperhälft e zu entwickeln vermag, so ist anzu-
pelimen, dass auch bei der normalen Entwickelung
beider Körperhälften jede der beiden ersten Blasto-
meren, d.h. der ,, ganze Complex ihrer Nachkommen"
sich unabhängig von dem Complexe der Nachkommen
der anderen Elastomere entwickelt i).
,, Damit haben wir also erkannt, dass diese Vorgänge der Ent-
wickelung nicht als eine Folge der Zusammen wirkung aller Theile
oder auch nur aller Kerntheile des Eies betrachtet werden dürfen;
sondern an die Stelle solcher differenzirenden Wechselwirkungen
aufeinander tritt die Selbstdif f er enzirun g jeder der ersten
Furchungszellen und des Complexes ihrer Derivate zu
einem bestimmten Stücke des Embryo; das gilt sowohl, wenn
die zuerst auftretende Furche, wie normal, die rechte und linke, als
auch, wenn sie anachronistisch die cephale und caudale Hälfte von-
einander scheidet. Jede dieser Furchungskugeln enthält also nicht
nur das Bildungsmaterial zu dem entsprechenden Stücke des
Embryo, sondern auch die differenzirenden und gestaltenden Kräfte".
[S. 449.]
Ich leitete aus diesem Verhalten die weitere Folgerung ab: Die
Furchuno- scheidet den die „directe [s. typische] Entwickehing-"
des Individuums vollziehenden Theil des Zellleib- und
besonders des Kernmateriales nach Qualität und Quan-
tität in typischer Weise und bestimmt mit der dabei
stattfindenden Anordnung dieser verschiedenen,
1 ) Genaueres siehe Nr. 33 nnd W. Roux, Ueber die verschiedene Entwickeluns
isolirter Blastomeren. Arch. f. Entwickelunasmechanik Bd. 1. S. 608.
778 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
gesonderten Materialien zugleich die Lage der späteren
differenzirteu Organe des Embryo (einschliesslich nach-
träglicher typischer Materialumlagerungen).
,,Ueber die Vertheilung desjenigen Idiopl asm as dagegen,
welches erst bei der Rej^eneratioii und der weiter unten kennen zu
lernenden Postgeiieratioii in Thätigkeit tritt und vielleicht in
jeder Zelle, bezw. in jedem Kern sich mehr oder weniger vollkommen
vorfindet, ist damit, wie ich ausdrücklich bemerke, nichts präjudicirt.
Und ebensowenig soll mit dieser [31] Angabe der durch unsere
Experimente bereits sicher erkannten Bedeutung der ersten Furchungen
gesagt sein, dass im Furchungsstadium nicht noch andere
Vorgänge, wie z. B. etwa die Ausbildung vieler verschie-
dener Qualitäten im Keimmaterial, die Vermehrung des
specifischen differenzirteu Keimmateriales etc. stattfinden". [S. 450.]
„Wenn danach die erste Furehung das IVhiterial der rechten und
linken Körperhälfte von einander sondert, also das Keimmaterial ,, qua-
litativ halbirt", um mich dieses von mir eingeführten Ausdruckes
zu bedienen, so ist dabei doch nicht ausser Acht zu lassen, dass
dieses qualitativ, d. h. seiner chemischen und procentischen Zu-
sammensetzung nach beiderseits gleiche Material nicht auch
,, morphologisch" gleich ist, denn seine Anordnung ist auf der
einen Seite derart , dass eine rechte, auf der andern Seite derart,
dass eine linke Körperhälfte daraus hervorgeht. In welchem An-
ordnungsverhältniss diese fundamentale Ungleichheit, die die Grund-
lage der bilateralen Symmetrie darstellt , zur Zeit der ersten Furche
bedingt ist, ob etwa blos in der halbkugeligen Gestalt des Dotter-
materiales und in deren entsprechend einstellender Wirkung auf
die verschiedenen Bestandtheile des Kernes, oder in der selbst-
ständigen Anordnung dieser letzteren, sind Fragen, welche für sich
zu beantworten sein werden und welche ich hier blos erwähne, um
zu verhindern, dass man mir wieder, wie bezügHch der Bedeutung
der indirecten Kerntheilung in Folge zu grosser Kürze, mir durchaus
fremde Ansichten unterstellt" (S. 451). Dass die indirecte Kerntheilung
derartige qualitative Materialscheidungen ermöglicht, glaube ich
der beiden ersten Furchungszellen. 779
(Nr. 17 und besonders Nr. 20, S. 25 — 33) zur Genüge dargethan
zu haben.
Ich hoffe durch weitere Versuche ermittehi zu können, ,,ob,
bezw. wie weit die Gesammtheit der Nachkommen auch
späterer Furchungskugeln für sich selbstdifferenzirungs-
fähig ist, oder ob die zur erkennbaren ersten Anlage der genannten
Organe des Embryo fortschreitende Differenzirung doch an die Coexistenz
einer ganzen grösseren Gruppe , etwa aller Nachkommen einer der
vier ersten Furchungskugeln gebunden ist, so dass wir in jeder der
vier ersten Furchungszellen bereits die kleinsten, so hoch-
gradig selbstdifferenzirungsfähigen Eitheile erreicht hätten;
was ich indess trotz des scheinbar dafür sprechenden Mechanismus
der Gastrulation nicht vermuthe." [S. 452.]
Ich hatte schon früher [S. 207] auf die Nothwendigkeit hinge-
wiesen, die kleinsten selbstdifferenzirungsfähigen Eitheile
(der iMorula, Blastula, Gastrula) sowie Embryotheile zu ermitteln;
und besonders ist festzustellen, ob grössere Zellgruppen in höherem
Maasse selbstdifferen- [32] zirungsfähig sind als kleinere, und ob dies
insbesondere von dem Complex aller Nachkommen einer und der-
selben Furchungszelle, vielleicht der Morula oder Blastula, gleichfalls
in höherem Maasse gilt, als von nebeneinanderliegenden, ebenso
grossen Zellgruppen, welche aberblos Theile der Nachkonmienschaft
zweier oder mehrerer Furchungszellen darstellen und also nicht die
Gesammtheit der Nachkommen einer früheren Furchungszelle
repräsentiren (s. Nr. 27, S. 288, Anm.).
Gehen wir nun zu den speciellen entwickelungsmecha-
ni sehen Folgerungen aus dem Vorkommen der Halbbildungen über:
Zunächst sei erwähnt, dass man an den nur in einer seitlichen
Hälfte entwick^ten pigmentreichen Eiern von Rana fusca oft zugleich
einen weiteren Beweis für meine, durch mehrere andere Argumente
experimentell begründete Ansicht (s. Nr. 23) erhält, dass das Medullar-
rohrmaterial nicht oben an der Medianlinie auf der schwarzen Hemi-
sphäre der Morula, sondern neben dem Aequatorrande dieser Hemi-
sphäre liege und von da beiderseits nach abwärts geschoben werde
bis zur Verschmelzung in der Medianlinie. Man sieht nämlich, dass
780 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
der reichliche schwarze, i'einkörnige Bildungsdotter, welcher
specifisch leichter ist als die Körner des Nahrungsdotters und daher
die Oberseite des Eies bildet, unmittelbar neben der „ventralen"
Seite des Hemiembryo, also entgegengesetzt vom MeduUar-
wulst liegt. Manchmal aber kommt jedoch auch das Umgekehrte
vor. Dies erklärt sich wohl dadurch, dass in diesen Fällen der Inhalt
der operirten Furchungszelle noch nicht geronnen, sondern noch halb-
flüssig war zu der Zeit , als die Bildung des Medullär wulstes in
der anderen Eihälfte stattfand. Zu dieser Zeit dreht sich das Ei
mit seiner ursprünglichen Unterseite in dem Maasse nach oben, als
die aus vorwiegend protoplasmatischen, also specifisch leichten Zellen
gebildete Medullarplatte in cephalocaudaler Richtung über die ur-
sprüngliche Unterseite des Eies sich erstreckt; durch diese Drehung
wird natürlich die anhaftende andere . Eihälfte mit ihrer schwarzen
Oberseite in entgegengesetzter Richtung nach abwärts bewegt. Wenn
diese nicht in Zellen zerlegte Masse nun noch halbflüssig ist, so
steigt, wie es Born (11) für die Zwangslage befruchteter, ungetheilter
Eier nachgewiesen hat, der Bildungsdotter und der zugehörige Pig-
mentdotter im Innern wieder auf und gelangt daher im vorliegenden
Falle nachträglich neben den einen INIeduilarwulst zu liegen. Trotz
dieser scheinbaren Ausnahmen ist der zuerst angeführte Fall voll-
kommen beweisend für die ausgesprochene Auffassung, weil es keine
Fehlerquelle giebt, welche den specifisch leichteren Bil-
dungsdotter „nachträglich" auf die dem Medullarwulst ent-
gegengesetzte Seite [33] des Eies zu bringen vermöchte,
wenn letzterer sich oben neben diesem Dotter angelegt
hätte; denn es fiele die Ursache für die nachträgliche Umdrehung
des Eies fort, da alsdann die specifisch leichtesten Theile von vorn-
herein oben angelegt würden (s. Nr. 31, S, 254 Anm.)
Ferner ist aus dem normalen Verlaufe der Entwickelung der
unversehrten Furchungszelle zu folgern, dass die soeben erörterte
qualitative Scheidung des Zellleib-, besonders aber des
Kernmaterial es, welche bei der Furchung unserer Meinung nach
stattfinden muss , ohne die Einwirkung der Nachbarz eilen
richtig vor sich gehen kann, also wohl auch normaler Weise
der beiden ersten Furchungszellen. 781
ohne diese vor sieh gelit; zweitens, dass der Kern seine l'ür die
richtige Anordnung der geschiedenen Materiahen wichtige, richtige
Stelle und Richtung in der Furchungszelle ohne eine an die
Lebensthätigkeit der Nachbarzellen geknüpfte Einwirkung
derselben erlangt, und dass das Gleiche bei den späteren Theilungen
innerhalb des Nachbarbezirkes dei- operirten Zelle der Fall ist ; wes-
halb sich diese Unabhängigkeit vielleicht auch ohne einen Irrthum
verallgemeinern lassen wird. Weiterhin folgere ich aus diesem Nicht-
nöthigsein der einen verticalen Eihälfte, dass die Blastula- und
fxastrulagestaltung ohne weitgehende, besonders ohne seit-
liche Spannungen im Materiale, also auch ohne weitaus sich
erstreckende mechanische Wechselwirkungen der Theile vor sich
gehen kann, so dass ich demnach geneigt bin, diese typischen
Gestaltungen grösstentheils auf active Umordnungen der Zellen zurück-
zuführen" (S. 452).
Wir ziehen hier daher nur folgende Schlüsse: Die Gastru-
lation vollzieht sich in jeder Antimere selbstständig; und
da ich auch vordere und hintere Halbembryonen, also auch ent-
sprechende Gastrulae, sowie nach Zerstörung von drei der vier ersten
Furchungszellen V i e r t e 1 g a s t r u 1 a e erhalten habe , so ist das
Gleiche auch in der c e p h a 1 e n und c a u d a 1 e n Hälfte der
Fall. Demnach gilt es auch für die betreffenden Viertel; und wir
können mit Berücksichtigung der auch an diesen letzteren beobachteten,
wenn auch geringeren, Weiterentwickelung schliessen:
,,Die [seil, directe s. typische] Entwickelung der Frosch-
Gastrula und des zunächst daraus hervorgehenden Embryo
ist von der zweiten Furchung an eine Mosaikarbeit und
zwar aus mindestens vier verticalen, sich selbstständig ent-
wickelnden stücken." [S. 455.]
„Wie weit nun diese Mosaikbildung aus mindestens vier
Stücken bei der weiteren Entwickelung durch einseitig ge-
[34] richtete Materialumlagerungen und durch differenzirende
Correlationen umgearbeitet und in der Selbstständigkeit
ihrer Theile beschränkt wird, ist erst noch zu ermitteln. Die
bekannten Verlagerungen der Dotterzehen während der Gastrulation
782 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
sind, sofern letztere nur Reservematerial darstellen, hierbei nur von
untergeordneter Bedeutung." [S. 445.]
Diesen C-itaten aus meiner früheren Arbeit fügeich jetzt noch hinzu,
dass schon nach der Zerlegung des Froscheies in acht
Zellen, durch die wagerechte, dritte Furchung die einzelnen
Blastomeren die epibolische Gastrulation nicht mehr
in den groben F o r m v e r h ä 1 1 n i s s e n richtig zu ^- o 1 1 z i e h e n
vermöge n.
,,Die Hemiembryones laterales (sowie auch die Asyntaxia medul-
laris) belehren uns des Weiteren, dass in dem medialen Saum
des Urmundes der Semigastrula „lateralis" sich die ,, seit-
liche" Hälfte der Chorda dorsalis anlegt, während an der
angrenzenden Aussenfiäche desselben die Medullarplatte mit dem
Medullarwulste gebildet wird. Ausserdem geht auch die Anlage des
Mesoblast in der ,, Dorsalplatte" vor sich, ^"on Interesse ist, dass die
Chorda und der Mesoblast auch gebildet werden an den Stellen, wo
der Darmentoblast fehlt, und sogar wenn der Darmentoblast ganz
fehlt, wie die in einigen Fällen von Asj^ntaxia medullaris vor-
handene Anentoblastia zeigte [S. 442] ^). Ferner ist es lehrreich,
dass sich der seitliche Theil des Ectoblast und die Medullarplatte
an dem Umschlagsrande auch bei unseren Halbbildungen von-
einander trennen, obgleich keiner dieser beiden Theile des ursprüng-
lichen Ectoblast dann Gelegenheit hat, sich mit seinesgleichen zu ver-
einigen, sondern zunächst mit einem freien Rande gegen die operirte
Hälfte anstösst."
Mit der Bildung eines linken oder rechten halben Embryo war
aber die Leistungsfähigkeit der unversehrten Eihälfte nicht
erschöpft. Sondern es war aus den specielleu Befunden zu schliessen,
dass von ihr aus, an den in ihrer Lage vom Zufall abhängigen
1) 0. Hertwig (4) giebt S. 428 an, dass selbst in den böclisten Graden von
Asyntaxia medullaris noch eine Kopfdarmhöhle, also ein entsprechender Theil des
Entoblast vorhanden und somit der von mir für die extremen Fälle gegebene Name
Anentoblastia nicht zutreffend sei. Auf Seite 368 berichtet jedoch Hertwig selber
von einem bezüglichen Embryo, bei dem jede Einstülpung fehlt, welche die erste An-
lage einer Kopfdarmhöhle darstellen würde.
der beiden ersten Furchungszellen. 783
innigsten Berührungsstellen mit der operirten Eilüili'te in vielen Fällen
eine U ebcr Wanderung von Kernen und vielleicht auch
von anliegenden Protoplasmath eilen (incl. Centrosomen?)
in die anstossende, ihrer eigenen Entwickelungsfähigkeit beraubte [35]
Eihälfte stattfand [S. 473] ; diese Kerne vertheilten sich in der grossen
Dottermasse; und darauf folgte später eine Zerlegung der operirten
Hälfte in Zellen, und zwar nicht wie bei der normalen Thei-
lung eine Zerlegung der ganzen Massen zunächst in zwei an-
nähernd gleiche, also grosse Zellen und danach dieser wiede-
rum in je zwei entsprechend kleinere etc., sondern die
Abgliederung erfogte sogleich in kleinere Zellen wie
bei der „N a c h f u r c h u n g" Waldeyer's und der normalen ,, Dotter-
furchung" H. VmcHOw's (14).
Diese Abgliederung ging stets von der entwickelten Eihälfte aus
und schritt von da aus successive in der grossen Dottermasse
fort. Ich habe aber auch Fälle beobachtet und beschrieben, in denen
man dem nicht vollkommen getödteten ursprünglichen Kern der
operirten Eihälfte einen wesentlichen' Antheil an der nachträglichen
Bekernung der operirten Eihälfte und daher auch an der späteren
Zerlegung in Zellen zuerkennen musste [S. 475].
Häufig entwickelte sich die nachträglich bekernte und cellulirte
zweite Eihälfte ganz oder zum grössten Theile , oder auch nur zum
kleineren Theile unter Abstossung eines entsprechenden
unbrauchbaren zersetzten Restes, weiter; und die nach-
trägliche Ergänzung der ursprünglichen seitlichen Halbbildung zu
einem vollkommenen Individuum war das Endresultat; ein Vorgang,
den ich als Postgeneration bezeichnet habe, theils in logischem
Gegensatze zur Hegeneration , theils auch, weil die Identität beider
Vorgänge nicht nachgewiesen ist, sondern weil bei der von mir
zuerst beobachteten Postgenerationsweise ein w^esentlicher Unterschied
sogleich constatirt wurde: die Verwendung der Dottermasse der
operirten Zelle, die Vertheilung von Kernen in derselben von einer
oder mehreren zufällig gelagerten Berührungsstellen aus mit nach-
träglicher Cellulation dieser Masse [Weiteres siehe Seite 796].
784 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Entsprechendes geschah bei den Hemiembry ones ante-
riores. Die P 0 s t g e n e r a t i o n der hier fehlenden liinteren Körper-
liälfte ging von der entwickelten Hälfte ans und schritt stetig nach
hinten fort. Einer Verwechselung mit einem etwaigen blossen Ana-
chronismus der Entwickelung der vorderen und hinteren Hälfte, also
mit einer blos verspäteten, aber sonst normal sich vollziehenden
Bildung der hinteren Hälfte wird, abgesehen von den inneren Vor-
gängen, schon durch dieses successive Fortschreiten in der nach-
träglichen Bildung des fehlenden Stückes von dem bereits hochent-
wickelten Theile aus vorgebeugt; die Postgeneration der seithchen
Körperhälfte geht gleichfalls vorwiegend in cephalocaudaler Rich-
tung vor sich.
Ueber die Vorgänge der postgenerativen Bildung der
Keimblätter in dem nachträglich bekernten und cellulirten Dotter-
[36] material liessen sich folgende Arten des Geschehens als für alle
drei Keimblätter giltig aufstellen:
„Die Postgeneration der Keimblätter in der operirten Ei-
hälfte geht aus von den schon differenzirten Keimblättern der nor-
mal entwickelten Eihäll'te, und zwar erst, wenn ein solches Keimblatt
mit einer „Unt erbrech ungsf lach e" an die nachträglich cellu-
lirte Dottermasse stösst (S. 498). Die an diesen Stellen begonnene
Bildung setzt sich continuirlich in die Dottermasse fort. Gegen den
freien Rand der fortschreitenden Keimblattdifferenzirung finden sich
stets allmähliche Uebergangsstufen zwischen den indifferenten Dotter-
zellen und den Zellen des bereits vollkommen differenzirten Keim-
blattes. Unter Zurückweisung anderer Möglichkeiten kamen wir daher
zu dem Schlüsse, dass sich diese Differenzirung in dem schon vorher
am Orte befindlichen und während der Differenzirung daselbst ver-
bleibenden Materiale, also im ruhenden Dottermateriale durch directe
Umbildung der Dotterzellen (bei dem Ecto- und Mesoblast unter gleich-
zeitiger Theilung derselben) vollzieht."
Bezüglich der Oertlichkeiten der Ursachen dieser Vorgänge liessen
sich weiterhin einige Schlüsse ableiten:
,,Da das auf die erwähnte Weise nachträglich zu Keimblättern
differenzirte Dottermaterial in seinem , den Leib der Zelle bildenden
der beiden eisten Furchungszellen. 785
jNIateriale clurcli die Operation vielfach in Unordnung gebracht worden
war, und da auch das Kernmaterial der aus ihm nachträgUch gebildeten
Zellen nicht durch eine typische Vertheilung seinen Platz erhalten
hatte, sondern, von dem Furchungskern theils der operirten , theils
der nicht operirten Eihälfte abstammend , zufälligen Momenten seine
Lagerung verdankte, so konnte die für die normale Entwickelung
denkbare Annahme, dass an t3'pischen Orten immer typisches, zu
ganz bestimmter, selbstständiger Entwickelung befähigtes Material
gelagert sei, und dass deshalb eine ordentliche Keimblattbildung
vor sich gegangen sei, in diesem Falle nicht zulässig erscheinen.
Sondern wir müssen schliessen, dass die Ursache für diese typische
Weiterbildung der Keimblätter der entwickelten Hälfte
innerhalb der noch unentwickelten Eihälfte auf Kräften
beruht, welche von den Blättern der entwickelten Hälfte
ausgehen." (S. 508.)
An den Stellen, wo zufällig der Ectoblast mit seiner Ober-
fläche an die Dottermasse stösst, findet dagegen keine Differen-
zirung in derselben statt; ebenso setzte sich die Differenzirung von
Ecto- und Mesoblast nur in Richtung der Ausdehnung der Schicht in
die indifferente Dottermasse fort. Es scheint daher die Thatsache
vorzu- [37] liegen, dass
blos von den ,,Seiteiilläclieii" der Epithelien eine diffe-
renzirende Wirkung auf anliegende indifferente Zellen
ausgeht, jedenfalls ,, nicht" von ihrer ,,Oberf lache "
und vielleicht auch, nicht oder nur in geringerem
Maasse von ihrer ,, Bas alf lache" also nicht von den „po-
laren" Flächen.
Wenn dabei auch von etwas schief stehenden Seitenflächen
differenzirende-JVirkung rechtwinkelig zu ihr ausgeht, so kann trotz
dieser Beschränkung der Differenzirungsrichtung die postgenerirte
Schicht bald dicker, bald dünner werden und typische Biegungen
erfahren, wäe es der Natur entspricht. Dieses anscheinend fundamentale
Verhalten bedarf natürlich vielfacher weiterer Beobachtung.
Diese abhängige Differenzirung hielt ich nicht für einen
ganz neuen, der normalen Entwickelung fremden, etwa blos der Post-
\V. Rons, Gesammelte Abhandlungen. II. 50
786 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
generation und der Regeneration eigenen Modus ; sondern ich sprach
in meiner Arbeit schon die Vermutliung aus (s. S. 510 und 513),
dass hier vielleicht blos eine Heteropie von Vorgängen vor-
liegt, welche auch bei der normalen Entwickelung sich
vollziehen.
,,Es ist ferner von hoher Bedeutung, dass die unverselirte
Eihälfte, während sie selber noch in rascher tj^pischer
Differenzirungsfolge begriffen ist, Zellkern- und vielleicht
auch Zellleibmaterial abgeben kann, ohne dass dadurch
im Gange ihrer Entwickelung eine erkennbare Störung ein-
tritt" (S. 517).
Zum Schlüsse der Arbeit machte ich noch eine Anwendung der
neuen Ergebnisse auf die Möglichkeit der iVbleitung von Doppel-
bildungen, indem ich sagte:
„Mit der im Vorstehenden festgestellten, noch vor wenigen
Jahren von mir selber für unmöglich gehaltenen Thatsache, dass von
der, auf dem Wege der Selbstditferenzirung, primär gebildeten seit-
lichen Hälfte des Embryo aus die fehlende Hälfte durch abhängige
Differenzirung aus einem nicht selbst differenzirungsfähigen Ei-
material nachgebildet werden kann, haben wir vielleicht eine neue
Möglichkeit erworben, die Entstehung von Doppelbildungen
abzuleiten. Hierbei ist wichtig, dass die nachträgliche Bildung von
den freien, der eigenthchen Medianebene entsprechenden Rändern der
Keimblätter ausgeht, und dass sie successive und so weit fortschreitet,
als zur abhängigen Differenzirung fähiges Material vorhanden ist."
„Die Möglichkeit solcher Entstehung von Doppelbildungen ist
zugleich geknüpft an die Präexistenz einer anderen Missbildung, näm-
lich an die unvollkommene oder ganz ausgebliebene Vereinigung der
beiden Medullär wülste, also an die von mir kurz geschilderte Asyn-
[38] taxia medullaris totalis bezw. partialis. Hierbei endigen das
Hornblatt, die Semimedulla, die Semichorda und unterhalb der Chorda
das Mittelblatt frei. Sofern nun im Bereiche des weiten Auseinander-
stehens der Entoblast noch eine Zeit lang fehlt und die genannten
Organe sich nicht zu sehr einrollen, so stossen diese Halborgane
direct an Dotterzellen, in welchen dann nach obiger Erfahruno- die
der beiden ersten Furcliunjiszellen. 787
abhängige Differenzirung vor sich gehen könnte. Jede Antimere
würde in dem Dotter unter Umwiindhing desselben, räuniHch successive
lortsch reitend , so weit ein Stück der anderen Hälfte postgeneriren,
bis beide Bildungen in der Medianebene des ganzen Eies zusammen-
stosscn. In dieser Berührungsebene müssen dann die nachträglich
gebildeten Stücke von seitlichen 'Körperhälften mit einander ent-
sprechenden Theilen zusammentreffen, sofern die Bildung von beiden
Seiten her annähernd gieichmässig erfolgt. Wir erhielten dann also
auf eine secundäre Weise unvollkommene Doppelbildungen, welche
dem in der Sache schon von Meckel deutlich beschriebenen, von mir
benannten Gesetz der doppelten Symmetrie der Organ-
anlagen entsprechen. Namentlich würde auf diese Weise die
Duplicitas dorsalis hervorgehen können, und zwar häufiger die Dup-
licitas dorsicaudalis, seltener dorsicephalica". (S. 517.)
Diese neuere Möglichkeit der Entstehung von Doppel-
bildungen, welche dem Ge.setz der doppelten Symmetrie entsprechen,
beschränkt damit zugleich die früher von mir in Uebereinstimmung
mit Bernhard Schliltze, Hermann Fol und F. Marchand (s. S. 332) ausge-
sprochene Ansicht, dass diese Doppelbildungen schon vor der Vol-
lendung der ersten Furchung angelegt werden ,,müssten", und
zwar deshalb, w^eil für diese doppeltsymmetrischen Doppelbildungen
das Eimaterial, welches ihnen die Entstehung giebt, um die Haupt-
symmetrieebene symmetrisch gelagert und beiderseits gleich beschaffen
sein muss. Da somit diese Ebene vollkommen sich verhält wie die
normale erste Furchungsebene , welche gleichfalls alles Eimaterial
qualitativ halbirt, schien es nöthig, dass diese Doppelbildungen
schon zur Zeit der ersten Furchung angelegt sein müssen, und dass
ihre Entwickelung mit einer äusserlich normalen ,, ein-
fachen" ersten Furchung beginnen muss; eine Auffassung,
welche im Jahre darauf durch die sorgfältigen experimentellen Unter-
suchungen von Born (12), wider seine eigene Erwartung, bestätigt wurde.
Zu diesem M o d u s hätten wir nun vielleicht einen neuen, zu
demselben Endergebniss führenden kennen gelernt (s. S. 518 Anm.).
[39] Eine weitere Arbeit über unser Thema rührt von einem
50*
788 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Schüler Pouchet's, L. Chabry(I) her. Er experiiiientirte an Ascidien-
eiern (Ascidia aspersa) ').
Chabry bringt das Ascidienei in eine Röhre von gleichem Dnrch-
messer als das Ei und sticht mit einem Glasfaden unter gleichzeitiger
Beobachtung mit dem Microscop eine einzige Zelle an. Diese Zelle
stirbt sogleich ab, indem sie körnig wird. Der Tod der Zelle durch
blosses Anstechen ist nach Chabry den Ascidien allein eigen, er hat
ilni nirgend anderswo gefunden^).
Durch Zerstörung einer Zelle nach der ersten Furchung dieses
Eies rundet sich die überlebende Zelle fast zur Kugel; sie
tlieilt sieh, und auf dem Stadium der Viertheilung dieser Zelle ver-
schieben sich die vier Furchungszellen gegeneinander, bis das Ganze
die Form einer Kugel bildet. Nach der weiteren Theilung bildete sich
gleichwohl daraus eine typische halbe Morula, eine halbe
Gastrula, schliesslich eine rechte oder linke Halblarve, also ein
halbes Individuum. Nach Zerstörung der beiden vorderen Zellen des
viergetheilten Eies entsteht ein hinteres Halbindividuum; also die
potentiell in den beiden hinteren Zellen enthaltenen Organe entwickeln
sich allein. Ebenso kann man bei Ascidien auch Viertel- und Drei-
viertelindividuen erhalten.
Alle diese Halbbildungen sind nach Chabry definitive; und
die angestochene Zelle ist auch definitiv todt. Sie unterliegt also
nicht, wie es beim Froschei häufig war, einer Wiederbelebung und
nachträglichen Verwendung zur Ergänzung der Halbbildung.
Chabry konnte die Anstichmethode des Weiteren verwenden,
um die Anfangszellen jedes Organes aufzufinden , was durch die
directe Beobachtung der normalen Entwickelungsstadien nicht mög-
lich war. Er hat so die Furchungszellen aufweisen können , welche
dem Auge, dem Otholithen, der Chorda dorsahs , dem Atrium und
den Haftpapillen den Ursprung geben. Er resumirt sich dahin: Jede
[1) Ueber das zeitliche Verbalten von Chabry's Versuchen zu den von mir
angestellten siebe Nr. 31, S. 260.]
[^) Dies Object bat also den grossen Vortbeil vor dem Froschei voraus, dass
jede angestochene Zelle rasch und in toto abstirbt, während wir beim Froschei die
grösste Mühe hatten, eine ganze Zelle zu tödten, ohne so gewaltsam vorzugeben,
dass nicht gleich das ganze Ei mitgetödtet wurde.]
der beiden ersten Furchuiigszellen. 789
Fui'chiingszelle liat, wenigstens bis 7Aim Seclizehnzellenstadiuni eine
bestimmte Potenz, sie entspricht einem bestimmten Tlieile des Thieres ;
wenn man eine dieser Zellen zerstört, erhält man eine Defectbildung.
Ein Mal sah (S. 135) er, dass ein linkes halbes Individuum
einen Augenfleck bildete, wie er normal nur auf der rechten Seite
vorkommt. Ghabry deutet diese Erscheinung dahin, dass beim Fehlen
der rechten Hälfte ein in der linken Furchungskugel des zweiten
Stadiums vorhandenes Rudiment zur Entwickelung komme. Gegen
Regenerationsthätigkcit spreche, dass blos dieser eine Theil der rechten
Körperhälfte gebildet werde. Zum Schlüsse seiner Arbeit jedoch
spricht er sich in Bezug auf dieses Factum etwas weitergehend folgen-
dermaassen aus:
[40] „Es scheint mir, dass durch den Tod einer Zelle das Ver-
mögen der überlebenden Zellen verändert wird; dass sie alsdann
Theile hervorgehen lassen, welche sie ohne diesen Umstand nicht
hervorgebracht haben würden".
Betrachten wir die von Chabry abgebildeten Halblarven, sowohl
die von selber entstandenen der Figuren 110 und 111, sowie die
durch Anstich erzeugten 132 und 133, so fällt auf, dass sie ringsum
durch Ectoblast bekleidet sind, dass sie keine offene ünterbrechungs-
fläche mehr darbieten, sondern dass die Defectstelle vollkommen vom
Ectoblast verschlossen ist. Ebenso scheinen mir auch schon die
abgebildeten Semigastrulae (Fig. 108 u. 129) nicht mehr diesen Namen
zu verdienen, sondern schon completirt zu sein. Chabry will jedoch
darin keine Re- oder Postgeneration sehen, wie er noch jüngst brief-
lich gegen mich aussprach, da die Vereinigung sich auf die Keim-
blätter beschränkt und keine Postgeneration der fehlenden Organe
bei Ascidien stattlinde.
Immerhin "beweisen seine Abbildungen meiner Meinung nach,
dass von der entwickelten einen der beiden ersten Blastomeren aus
mehr gebildet werden kann, als einer reinen Halbbildung zukommt,
so dass principiell ein, wenn auch nur geringer, Grad von postgenera-
tivem Vermögen sich bekundet, welches schon auf der Gastrulastufe
zu wirken beginnt.
Da bei den Ascidien die operirte Zelle stets dauernd unbrauch-
790 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
bar ist, findet diese, wenn auch nur geringe, Postgeneration hier also
allein auf Kosten des entwickelten Elastomers statt, nicht unter Ver-
wendung des Dotters der anderen Hälfte, Avie ich es bisher vom Frosch
beschrieben habe. Dieser Unterschied ist allerdings kein erheblicher,
da die idioplastischen Fähigkeiten ja nicht wesentlich in
der grossen Dottermasse, sondern im Kernmateriale und
vielleicht noch in den dem Kern eng angeschlossenen und bei
der Transmigration der Kerne wohl mit übertretenden Centro
somen liegen.
Wir sehen also, dass die Resultate der Versuche Ciiabry's in
den wesentlichen Puncten mit den meinigen übereinstimmen; durch
dieselben wurde das von einem Wirbelthiere geschilderte Verhalten
auch für niederste Chordonier als giltig erkannt.
Eine weitere wesentliche Bereicherung erfuhren unsere bezüg-
lichen Kenntnisse durch die Züricher Zoologen H. Driesch und Carl
Fiedler, welche beide gleichzeitig und unabhängig von einander den
Entschluss gefasst hatten, meine Versuche an Echinodermen nachzu-
machen, um an diesem in mancher Beziehung günstigeren Material
vielleicht manches Neue zu ermitteln.
[4tl] Dereine dieser Autoren experimentirte in Neapel, während der
andere in Triest dasselbe Thema bearbeitete.
Fiedler (3) operirte insofern mit weniger Glück, als es ihm nicht
gelang, seine operirten Eier über das Gastrulastadium hinaus zu er-
halten. Er stach die Eier, besonders von Echinus microtuberculatus,
nach der ersten Eitheiluno; an und verwände schliesslich ausserdem
noch die von den Gebrüdern Hertwig für die Absonderung von Theilen
des unbefruchteten Eies angegebene Methode des Schütteins der Eier
seinerseits zur Trennung der beiden ersten Furchungskugeln von ein-
ander. Fiedler fand Folgendes :
Trat nach dem Anstich an einem der beiden Blastomeren eine
erhebliche Protoplasmamenge aus, so rundete sich das Blastomer und
theilte sich weiter wie die andere unversehrte Zelle; nur waren ihre
Nachkommen längere Zeit an ihrer Kleinheit kenntlich; die Blastula
war entsprechend asymmetrisch gestaltet, aber schliesslich ging ein
normaler Embryo hervor.
der beiden ersten Furchuugszellen. 791
Wurde jedoch nach dem Anstich der Kern der Zelle ent-
leert, was bei diesem Material leicht zu sehen ist, so entwickelte
sich diese Zelle nie weiter. Die unversehrte Zelle entwickelte sich
danach zu einer typischen Semimorula verticalis, von der Ge-
stalt einer halben Kugelschale, indem sie aus zwei kleinen Zellen des
ersten , vier des zweiten und vier des dritten , die normale Morula
bildenden Zellkreises bestand und dieselbe Anordnung dieser Zellen
zu einander wie in einer entsprechenden Hälfte einer ganzen Morula
besass. Auch auf der Halbbildung des achtundzwanzigzelligen Stadiums
zeigte sich dasselbe. Weiterhin zog Fiedler einige Semiblastulae
und vielleicht noch Semigastrulae heran. Als danach Absterben ein-
trat, näherten sich auf der Blastulastufe bereits die Ränder der halben
Kugelschale einander.
Bei Anstich zweier Zellen nach der zweiten Furchung
entstand immer dieselbe Art der Halbbildung , einerlei , ob die Zer-
störung beide Abkömmlinge der Zelle, oder je einen Abkömmling
beider Zellen betraf. „Die vier ersten Blastomeren sind somit noch
untereinander gleichwertig, sowohl in äusserer Gestalt wie inhaltlich,
d. h. ihrem entwickelungsgeschichtlichen Werthe nach." Die acht
ersten Blastomeren sind dagegen blos äusserlich gleich , denn durch
Schütteln isolirte Vierzellen-Gruppen, welche äusserlich nicht zu unter-
scheiden waren, lieferten bei der nächsten Theilung ganz verschiedene
Achtergruppen von Blastomeren und zwar acht gleich grosse
Zellen, oder sechs grössere und zwei kleinere, oder vier grössere und
vier kleinere Zellen. Daraus schhesst Fiedler zugleich mit Recht [42]
auf die entsprechende Selbstdifferenzirung der Blastomeren, da gleich
gestaltete und in gleichen äusseren Bedingungen befindliche Zellgruppen
so verschiedene Producte lieferten.
Während* Fiedler seine Halbbildungen nur bis zur Blastulastufe
lebend erhalten hat, gelang es H. Driesch, seine Gebilde weiter bis
zur ausgebildeten Pluteuslarve zu züchten.
Seine Ergebnisse stellen einen weiteren grossen Fortschritt unserer
Erkenntniss dar.
Driesch (2) arbeitete von vornherein ausschliesslich mit der
Schüttelmethode. Indem er dieselbe auf Eier anwandte, welche durch
792 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
die erste Furche getheilt waren, gelang es ihm häufig, beide Eihälften
von einander zu trennen ; wonach allerdings die eine Hälfte gewöhn-
lich abstarb.
Die überlebende Zelle furchte sich und bildete zunächst, ent-
sprechend dem Befunde Fiedler's, eine typische Semimorula in
Gestalt einer hohlen Halbkugel. Im weiteren Verlauf der Ent-
wickelung aber krümmten sich die diese Oeffnung umgrenzenden Rand-
theile gegeneinander und schlössen sich schliesslich zusammen ; damit
war aus der früheren Semimorula eine vollkommene Blastula,
aber von entsprechend geringerer Grösse als aus einem ganzen Ei,
hervorgegangen. Daraus entstand eine kleine Gastrula und eine typisch
gestaltete und im Innern normal gebaute ganze kleine Larve des
Pluteusstadiums.
Driesch hat also dargethan , dass eine , und daher auch wohl
unter Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen der genannten
Seeigel eine normal gebildete, der Form nach ganze Larve aus sich
hervorgehen lassen ,,kann".
Driesch will für diese kleinen, aus einem halben Ei hervorge-
gangenen, ihrer Organisation nach aber ein ganzes Individuum dar-
stellenden, also in sich vollkommenen Gebilde den Namen „Theil-
bildungen" einführen, um sie von meinen „Halbbildungen" zu
unterscheiden. Diese Namengebung halte ich indess nicht für ganz
zweckmässig. Denn da ich und Chabry ausser den Halbembryonen
aucli Dreiviertel- und Viertelembryonen resp. Gastrulae hervorgebracht
haben, so ist Theilbildinig- oder Theilgelbilde s. Meroplast [von to
fisQog, der Theil und Tr?MGTüv gebildet, nicht zu verwechseln mit
6 ßlaoTÖg der Keim] der angemessene zusammenfassende Name für
alle diese unvollkommenen Gebilde. Ich möchte daher vorschlagen,
die Gebilde Driesch's kleine Ganzbildungen, s. Microholoplasten [von
l^tiy.QÖg klein , oXog ganz] oder besser Ha Ihei- Ga n zhil d n n g en, z. B.
Halhei-Gan.semhryo zu nennen.
Nach ihrer Abkunft von einem halben Ei haben wir nach den
vorstehend mitgetheilten Thatsachen also zwei verschiedene Ha J h-
eihildungen (s. Hemiooplasten [von rij.iL =^ halb und to v)Öv das Ei]
specieW HaJhci- Enihrj/onen) kennen gelernt: erstens HaJhgchiJde,
der beiden ersten Furchungszellen. 793
Hemip las teil, z. B. halbe Embiyonen oder halbe Gastrulae, und
Halhei-GanzJiil duucicn^ Hemioo-Holoplasten. Sollte es ge-
lingen, auch [4:3] ans einem Viertelei eine Gan/Anldung zu ziehen, so
'müsste diese als Viertelei-Ganzbildung unterschieden werden.
[Der allgemeine Name ist Eithcil- GetiUle z. B. Eitheil -Em-
bryonen: Halbei-Embryoneu, Yiertelei-Embryoiieii ; und diese können
also Ganzbildungen, z. B. Ganzembryonen (s. S. 796) oder Theilbil-
dungen z. B. Halbembryonen, Viertelembryonen sein. Statt Driesch's
Anwendung des Wortes ,,Theilbildung" wäre also vollständiger und
dabei bezeichnender zu sagen: Eitheil-Bildung:, z. B. Eitheil-Embryo,
speciell: halber oder ganzer Halbei-Embryo s. Nr. 28, S. 619.]
Driesch erwähnt am Eingang seiner Schrift, dass von meiner
Arbeit über die halben Embryonen blos der erste Theil (über die
Entwickelung der unversehrten Eihälfte) auf seine Mittheilung bezüg-
liches Interesse habe. Dieser Irrthum hat ihn übersehen lassen, dass
im zweiten Theil meiner Arbeit im Wesentlichen das-
selbe geschildert wird wie in der seinen: die Entstehung
einer Ganzbildung aus einer Halbbildung unter Verwendung von Kern-
resp. sonstigem Zelhnaterial der entwickelten Hälfte. Der Unterschied
besteht blos darin, dass beim Froschei das Dottermaterial der operirten
Hälfte ganz oder zum Theile mitverwendet wurde, und dass es Fälle
giebt, in denen auch Material von dem Kern der operirten Hälfte,
wenn dieser nicht genügend zerstört war, wieder mit in Verwendung
kam. Doch hat das Ergebniss Driesch 's eine grosse Präcision vor dem
meinigen voraus.
Das erwähnte Uebersehen lässt Driesch einen principiellen Gegen-
satz zwischen seinen Ergebnissen und den meinen finden ; und der-
selbe Irrthum kehrt dann bei O. Hertwig wieder.
>
Ferner stellt Driesch sein Resultat in einen fundamentalen Gegen-
satz zu His' Princip der organbildenden Keimbezirke; und er
glaubt, die Unrichtigkeit dieses Principes wenigstens für die Echino-
dermen folgern zu müssen, da z. B. das Randmaterial einer linken
Semimorula normaler Weise Substanz der Mediangegend liefern würde,
während es nach dem Zusammenschluss des Randes zur Bildung einer
794 Nr. 26. Entwickelungsmeclianisches Vermögen jeder
kleinen ganzen Blastula (Microholoblastula) auf die reclite Flanke
des späteren Pluteus kommt.
Im Anschluss daran betont Driesch : „Man kommt über die ganz
fundamentale Verschiedenheit der Rolle, welche dasselbe Keim-
material, je nachdem eine Ganz- oder zwei „Theilbildungen" aus
dem Ei entstehen — und eben dies kann man künstlich bewirken —
zu spielen berufen ist, nicht heraus." Dieser Auffassung möchte ich
unter diesen Umständen zunächst die Frage entgegenstellen, ob
wirklich ganz dasselbe Keimmaterial hierbei thätig ist, ob
nicht vielmehr Idioplasma in Thätigkeit tritt, welches
an der normalen Entwickelung sich nicht betheiligt
[s. S. 450].
Eine weitere Folgerung des Versuches von Driesch ist, dass, weipi
beide ersten Furchungszellen durch das Schütteln getrennt werden,
ohne dass eine davon verletzt wird, jede derselben sich zu einer Ganz-
bildung entwickeln wird , dass also d u r c h die Trennung Zwil-
lingsbildung aus einem Ei veranlasst werden kann, was
[44] ihm auch auszuführen gelungen ist. Wenn dasselbe geschehe,
auch bei nicht vollkommener Trennung der beiden Eihälften, dann
könnten auf diese Weise auch Doppelbildungen entstehen ; und
das scheint Driesch wenigstens in einem Falle erreicht zu haben.
Bei diesen Versuchen kam zugleich ein ganz besonderes Verhalten
zur Beobachtung.
Von vielen nach der ersten Theilung geschüttelten Eiern wurden
in manchen Fällen die beiden Hälften nicht völlig getrennt, sondern
unter starker Dehnung der Eihaut der sonst im Zweizellenstadium
ziemlich enge Contact der Furchungszellen nur gelockert. Von diesen
Eiern bildeten sechs je eine eingeschnürte Morula, welche sich zu ein-
geschnürten Blastulae weiterhin entwickelten. An denBlastulaeerst
bildeten sich die Einschnürungen weiter aus bis zum
Zerfall in zwei gleiche Microh oloblastulae. Auch Theilung
einer Blastula in eine Dreiviertel- und eine Einviertelblastula wairde
beobachtet. Driesch spricht sich über dieses auffällige Verhalten nicht
weiter aus.
Ich deute dasselbe in folgender Weise: Die einge-
I
i
der beiden ersten Furchungszellen. 795
sclinürte Morula bestund aus zwei Halbbildungen oder
sonstigen zwei Theilbildungen eines Ganzen. Da beide Theile zu
weit von einander entfernt waren und sich nicht in der
normalen Weise und Ausdehnung berührten, erwachte
in jedem Theil das Postgenerationsvermögen; jeder Theil
änderte sich innerlich zu einer Ganzbildung, zu einem
^licroholoplasten um, und auf der Vollendung dieser Stufe lösten sich
beide von einander [s. Nr. 27, S. 204 und Nr. 28, S. 657; Nr. 30
S. 150, Anm.].
In einem Falle jedoch theilte sich eine zuerst nicht eingeschnürte
Blastula nicht ganz durch ; und indem jeder von beiden verbundenen
Theilen sich weiter entwickelte, entstand eine Doppelgastrula, eine
doppelte Prismengastrula, darauf schliesslich ein doppelter PI uteus:
also eine echte Doppelbildung mit bleibender Verbindung
beider Individuen.
Vergleichen wir die Ergebnisse an Echinodermen
mit den am Frosche und an A sei dien gewonnenen, so stimmen
sie im Principiellen mit ihnen überein. Aus jeder der
beiden Blastomeren entsteht wieder zunächst eine typische
Halbbildung, eine wohlgestaltete halbkugelige hohle S e m i -
morula. Bei den Echinodermen aber tritt auf dieser frühen Stufe
schon Zusammenschluss zu einem Ganzen auf, und darauf erfolgt
Weiterbildung als Ganzes zu einer typischen kleinen Ganzlarve.
Die Unterschiede der Ergebnisse an Fröschen, Ascidien
und Seeigeln sind also blos zeitliche und quantitative,
a b e r k e i n e p r i n ci p i e 1 1 e n. Die P o st g e n e r a t i o n findet bei Echino-
dermen sehr frühzeitig statt (auch beim Frosch kann sie, jedoch
nur bei Verwendung des Dotters der [45] operirten Seite
[sofern derselbe nur wenig verändert worden ist und daher die Wieder-
belebung sehr rasch erfolgt (s. S. 790 und 476)] schon auf der
Morulastufe beginnen und wird eine vollkommene, wie gleich-
falls beim Frosche M.
[1) Auch F. Keibel (Studien zur Entwickelungsgeschichte des Schweines, in
Schwalbe's morph. Arh. III, 1893, S. 120) spricht sich dafür aus, dass bei der Er-
gänzung der Halbbildungen der Seeigel Re- resp. Postgeneration vorliege.]
796 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Ich habe niln meiner früheren Arbeit nachzutragen, dass es
mir gehmgen ist, auch beim Frosch aus einem halhen Ei ohne
Betheilignng der anderen, operirten Fvrclinngsze'lh' einen
ganzen Embryo, also einen richtigen Hemiooholoplasten,
H all) e i-G an z emh r y 0 , heranzuziehen.
Noch in dem für mich gegründeten en twickelungs mechani-
sch en Institut der Universität zu Breslau versuchte ich, die eine
der beiden ersten Furchungszehen des Froscheies ganz zu entleeren,
indem ich mit einer feinst ausgezogenen Glascanüle eine Furchungs-
kugel und die Gallerte durch und durch stach, darauf die Spitze der
Canüle bis in die Zelle zurückzog und den Zelhnhalt mit halbprocentiger
Kochsalzlösung ausspülte. Es zeigte sich jedoch, dass, wie ich schon
aus den früheren Anstechversuchen erschlossen hatte, beiniFroschei
die beiden ersten Furchungszellen nicht genügend vonein-
ander gesondert sind, um ,,eine" allein entleeren zu können.
Meine Hoffnung nach vollkommener Entleerung der einen Zelle die
andere sich runden zu sehen, wurde zwar zunächst [zum Theil] erfüllt,
doch füllte sich bald die anhängende Rinde der anderen Zelle zum
Theil und keines der so operirten Eier entwickelte sich. So musste ich
es aufgeben, die früher geäusserte Vermuthung [s. S. 451] zu
prüfen, ob aus dem einen der beiden Blastomeren, sofern es
sich zur Kugel runden könne, sogleich eine Ganzbildung
hervorgehe; was nach dem Ergebnisse Chabry's am Ascidienei,
dass die eine der beiden Zellen sich fast zur Kugel rundete, aber
gleichwohl eine Semimorula bildete, auch nicht mehr wahrschein-
Hch war. [Genaueres siehe im Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. I,
S. 597 u. f.]
Dagegen hatte ich schon zur Zeit meiner ersten Arbeit einige
Male Andeutungen erhalten, dass zu späterer Zeit, von der weit
entwickelten „Halbbildung" aus, frühestens von der Semigastrula
Schritte eingeleitet wurden, welche bei weiterer Fortsetzung zu einer
Tjniivandhing der Halhhildting in eine GanzhiJdnng ohne
Betheilignng der operirten Eihälfte führen konnten. Es ent-
stand nämlich einige Male eine vom Ectoblast ausgehende Ueber-
häutung der Unterbrechungsfläche der Halbbildung. Ich habe diese
ilcr 1)oi(leii ersten Furchuiigszelloii. 797
Beobachtung damals niclit iiiitgetheilt, weil ich diese Arbeit überhaui)t
nur als eine „Abschlagszahlung" an das behandelte Thema aui'fasste
und bezeichnete und daher beabsichtigte, l)ald eine ergänzende Abhand-
lung ihr folgen zu lassen, ein Vorsatz, welcher aber durch meine
Uebersiedelung in den Hintergrund gedrängt wurde. Jedoch habe
ich noch in Breslau melir er e H alhei-G anz emhry onen gezogen und
das Experiment in diesem Frühjahr mit Erfolg wiederholt.
[•46] Seltener schon an Semigastrulae, häufiger erst an Hemi-
embryones laterales, welche mehrfach mit der Pincette etwas
gedrückt worden waren, um die Berührung der Halbbil-
dung mit der todten Eihälfte zu lösen, wölbten sich später die
Randtheile der Halbbildung gegen einander unter „Wachsthum" des
äusseren, später auch des mittleren Keimblattes. Im Fort-
schreiten dieses Vorganges wurde schliesslich derDefect, zuletzt gewöhn-
lich etwas caudal von der urprünglichen Mitte desselben, geschlossen.
Schon ehe dies geschehen war, ging von dem Kopftheil
der Semimedulla eine Postgeneration der fehlenden Gegen-
hälfte unter Bildung einer zunächst dünneu Abschlussplatte
vorsieh, welche sich dann in cephalo-caudaler Richtung aus-
dehnte, während gleichzeitig die früher postgenerirten Tlieile
sich verdickten und die Beschaffenheit der an d eren Hälfte
annahmen; auch die Gehörblase der postgenerirten Seite ist an
meinem ältesten Embryo schon in normaler Grösse ausgebildet, des-
gleichen der postgenerirte Haftnapf, wie Sie an der hier gegebenen
Abbildung und an dem herumgereichten Quersclmittspräparate sehen
werden. Ich habe in Breslau vier und in diesem Frühjahre bei einem
einzigen Versuche acht solche Halbei-Ganzbildungen erhalten
und auf verschiedenen Stufen der Entwickelung getödtet ^). Genaueres
werde ich in^iner besonderen Publication nach weiterer Vermehrung
des Materiales mittheilen (s. Nr. 31, S. 255 Anm.)
Einen entsprechenden Befund, Hernie mbryo lateralis mit
Postgeneration habe ich (S. 540) auch an dem Extraovat
1) Zwei solcher Halbeiganzbildungen des Frosches wurden unter dem
Demonstrationsmicroscop herumgegeben; die eine war noch in Contact mit der nicht
entwickelten Eihälfte.
Nr. 26. Entvvickeluiig.sniechanisches Verniögeii jeder
eines nach der ersten Furchung mit der kalten Nadel ange-
stochenen Froscheies gemacht: Die angestochene Zelle selber hatte
sich nicht entwickelt; dagegen hatte das Extraovat, in welches
jedenfalls der Zellkern übergetreten war, einen bei der Conservirung
bereits in Postgeneration befindlichen Hemieembryo late-
ralis gebildet, denn es war die der Medianebene entsprechende
Seite des Hemiembryo schon grösstentheils durch die Ecto- und Meso-
blastschicht bedeckt.
Von Interesse wäre es nun, die Ursache zu ermitteln, warum
die rein hemiooplastische Postgeneration beim Frosch so
viel spcäter als bei den Echinodermen einsetzt. Dies kann
ein Mal bedingt sein durch das Anhaften der operirten Eihälfte
an der zur Halbbildung entwickelten anderen ; unter diesen Umständen
hat auch Chabry ältere unzweifelhafte Halbbildungen gewonnen, so
die in Fig. 75 und 76 abgebildete rechte Halbbildung mit bereits
entwickelter Chorda dorsalis. Zweitens liegt es nahe, an die wesent-
liche V^erschiedenheit beider Eier im Dotterreichthum anzuknüpfen;
die Echinodermen- und die Ascidieneier unterliegen bei ihrem geringen
Dottergehalt der totalen, fast gieichmässigen Furchung; die Zellen
sind alle [47] mehr gleich gross, also wohl auch annähernd gleich
mobil und können sich somit leichter gegeneinander wölben, als bei
dem zwar auch total aber stark inäqual gefurchten nahruugsdotter-
reichen Froschei, in welchem eine grosse träge Masse von, meiner
Meinung nach noch indifferenten Dotterzellen, grösseren vitalen,
zumal atypischen Umgestaltungen einen erheblichen Widerstand ent-
gegensetzt.
Man könnte denken, wenn auch auf früher Stufe der Entwicke-
lung schon die Folgen des Defectes „zuerst'^ in den an der
„Unterbrechungsfläche" selber gelegenen Zellen alteri-
rend eintreten, und die schlummernden Postgenerations-
fähigkeiten der bezüglichen Kernbestandtheile (oder auch
des Centrosomay) zur Thätigkeit erwecken, so sind doch
die von dem trägen Dotterzellmateriale gesetzten Widerstände für die
erfolgreiche Bethätigung dieser Mechanismen noch zu gross; schon
deshalb, weil für die erfolgreiche hemiooplastische Postgenera-
der beiden ersten FurcliiuiKSzellen. 799
tionstliätigkeit eine Einbiegung der Defectränder gegeneinander
hin nütliig 7A1 sein scheint. So lange diese nicht stattgefunden hat,
Avurde an den Hemiembryonen des Frosches kein Plus von Organ-
anlagen gebildet. Man könnte annehmen, es hätte doch die Bildung-
fehlender Theile auch frei nach aussen durch Sprossung erfolgen können.
Dass aber andererseits Verschluss der Unterbrechungsfläche nicht
nöthig ist, bevor weitere Organanlagen erfolgen, zeigen die Fälle mit
starker Ergänzung der Medullarplatte bei noch nicht ganz geschlosse-
nem Defect. Die Gegeneinanderkrümmung der Unterbrechungsränder
beweist, dass die Theile sich nicht mehr wie bisher auseinanderzu-
halten vermögen, sondern dass sie zusammenstreben. Dies zeigt
besonders deutlich die halbkugelschalenförmige Semimorula der
Seeigel, an welcher plötzlich die Selbsterhaltungsfähig-
keit dieser Form aufhört und eine neue Gestaltung beginnt, die
rasch zum Abschluss gelangt.
Dass früh schon das Fehlen dej normalen Nachbar-
schaft in den zunächst betheiligten Zellen sich bemerkbar
macht, ersehen wir aus der Postgeneration unter Verwendung des
Dottermateriales der operirtenEihälfte: Es kann schon zur Zeit der
jüngsten Semimorula Kernmaterial in die operirte Hälfte übertreten
und dieselbe in grosse Stücke zerlegen, sofern die operirte Hälfte nicht
erheblich verändert ist (s. S. 795). Je stärker dieses Dottermaterial
verändert war, um so später erst fand Kernübertritt statt,
und um so kleiner waren die danach immer zuerst neben der
entwickelten Hälfte abgegliedertenZ eilen. Es ist also zweifellos, dass
die älteren Kerne und Zellen in höherem Maasse die
Fähigkeit haben, differentes Material und Widerstände
zu überwinden.
Die Postgeneration unter Verwendung des Dottermateriales ist
[48] offenbar ein viel leichterer Vorgang; da er auf den frühesten
Stufen einsetzen kann, vielleicht deshalb, weil er in der Dotterfurchung
ein physiologisches Vorbild hat.
Die Postgeneration der Halbbildungen unter Verwen-
dung von Material der operirten Eihälfte ist aber, wie ich
schon gesagt habe, nicht principiell von der rein hemioopla-
gOO i^r. 26. Entwickelungsmeclianisches Vennögeii jeder
s tisch eil Postgeiieration verschieden. Dies geht auch daraus
hervor, dass vollkommene Postgeneration unter blos theil-
weiser Verwendung von Dotter der anderen Hälfte vor-
kommt. Ich besitze alle U eh er (j an gs stufen von der Postgene-
ration unter „voll k ommener'^ Verivendung des Dotters der
anderen Hälfte, durch die Stufe „h.alher'-'- Verivendung des-
selben his zu keiner Verivendung dieses Materiales. Die
auf diese verschiedenen Weisen gebildeten Embryonen unterscheiden
sich wesenthch nur der Grösse nach ; abgesehen von einer Abplattung
nach der Seite der operirten Eizelle, welche Abplattung um so
stärker ist, je mehr Dotter nicht verwendet ist, da beide
Theile gemeinsam in dem durch die Gallertliülle begrenzten runden
Raum eingeschlossen sind.
Das Bemerkbarwerden des D e f e c t z u s t an d e s innerhalb des Hemi-
embryos denke ich mir weniger bedingt durch das Fehlen des Gegen-
druckes au der Unterbrechungsfiäche , denn dieser ist ja bei dicht
anhegender todter Eihälfte wie auch bei der Regeneration verlorener
Theile nach der Ueberhäutung des Defectes wieder vorhanden ; sondern
es fehlt entweder den Zellen eine auf die Dauer für die Stabilität
der Verhältnisse nöthige normale qualitative Wechselwir-
kung auf einer Seite bei offenem Defect noch ganz oder, nach Ab-
schluss des Defectes aber bei noch nicht vollkommen normaler
Nachbarschaft, theilweise; oder wenn derartige Wechselwirkungen
zur normalen Erhaltung nicht nöthig sein sollten, so finden viel-
leicht von der abnormen Nachbarschaft aus abnorme Einwirkungen
statt, welche die post- resp. regenerativen Vorgänge in den
normalen Zellen auslösen und so lange unterhalten, bis jede
Zelle wieder vollkommen die normale Nachbarschaft hat.
Die Bethätigung der auf solche Weise „ausgelösten" Postgene-
rationsthätigkeit kann mechanisch durch eine den „Differenzirungs-
f lachen", also den „Seitenflächen" der Epithelien anhegende
jNIasse gehemmt werden. Ist die anliegende Masse geeignet zum
Kernübertritt bei der Theilung der Zehen, so erfolgt der Uebertritt,
auch weim die Masse niclit (oder noch niclit) zur Cellulation sich
eignet.
der beiden ersten Furcliungszellen. 801
Bei der ^^hemioopl astischen Postg euer af ton" werden
ebenso wie bei der „Regeneration" in erheblicher Aus-
dehnung vom Defectrand ausgehend, bisher am Aufbau bestimmter
Organe oder Keimblatttheile betheihgte Zellen eine andere Ver-
wendung erhalten; und die so in ihrem Zellbestand geschmälerten
Gebilde werden durch Aufnahme distal vomDefect liegender
Zellen wenigstens [49] theil weise sich wieder completiren u. s. w.
Dieselben Zellen dienen also hei der Postgeneration
und nicht durch Sprossung bewirkten Regeneration nacheinander-
zum Aufhau verschiedener Organe oder Or gantheile.
Es ist die Frage, ob das principiell neue, der normalen Ent-
wickelung fremde Vorgänge sind. Es scheint zur Zeit nicht unbedingt
nöthig, dies anzunehmen. Schon von C. Vogt, C. Kupffer, Stricker,
His, GoETTE, Räuber u. a. sind Formenänderungen des Keimes auf active
Zellumlagerungen zurückgeführt worden; und es liegt nahe, zu ver-
muthen und verdient eingehende Prüfung, ob nicht bei dem normalen
Massenwachsthum centraler Tlieile des Embryos, beson-
ders meroblastischer und inäqual sich theilender holo-
blas tischer Eier (vor dem Beginn der Blutcirculation) ursprüng-
lich periphere Zellen des Keimes nacheinander zum Auf-
bau immer mehr centraler Theile verwendet werden,
wobei dieselben Zellen nacheinander zum Aufbau verschiedener Theile
dienen, gleichwie bei der Post- und Regeneration [s. S. 511].
Daraus würde sich zugleich ergeben, dass formal oder qualitativ
specifisch differenzirte Theile sich nicht hlos durch directe
Nachkommen dieser differenzirten Zellen zu vergrössern
brauchen, sondern dass dies auch unter Aufnahme von mehr
oder weniger differenzirten Zellen anderer Abkunft
geschehen kann. Bezüglich der Differenzirung des „ivan-
dernden" [besonders aber des in nicht vorher g^nau nor-
mirter Weise wandernden] Materielles der normalen Ent-
wickeln ng wird es dann wenig wahrscheinlich, dass die-
selbe ,,Selbstdiff erenzirung" sei; sondern man wird eher
annehmen, dass, wie es für die Post- und Regenerationsvorgänge
W. Roux, Gesammelte Abhandinngen. IL 51
802 Nr. 26. Entwickelungsmeclianisches Vermögen jeder
wegen ihrer zeitlichen und örtlichen Atypie nöthig ist, hier abhängige
Bifferenzirung vorliege.
Wenn sich solche Vorgänge bei der normalen Entwickelung
bestätigen, würden die Vorgänge der Post- und Regeneration wenig-
stens nach dieser Seite hin, nicht principiell von den normalen
Bildungsvorgängen abweichen ^).
Es soll übrigens nicht behauptet werden, dass die Post-
generationsvorgänge vollkommen ebenso exacte Resultate
lieferten als die normale Entwickelung, dass postgenerirte
Froschembryonen ganz ebenso lebensfähig wären als vollkommen
durch directe Entwickelung hervorgebrachte Individuen. Die vor-
stehenden Mittheilungeu über die Postgeneration beziehen sich blos
auf die grobe Formung der Organe. Bezüglich des Feineren habe
ich schon auf kleine Störungen, auf das häufig von mir beob-
achtete Vorhommen in der Differenzirnng surüchge'bJie'bener
Zellen, welche vielleicht später unter geeigneten Umständen [50] zu
GeschwulstJceimen werden können, hingewiesen (S. 495.)
Wir kommen nun zu den Mittheilungen 0. Hertwig's (4).
Dieser Autor erörtert in seiner vor einem Monat erschienenen Arbeit
über„Urmund und Spina bifida" (s. oben S. 526 Anm.) zunächst, im An-
schlussan eine Beschreibung der zuerst von mir charakterisirten, und als
Asyntaxia medullaris bezeichneten Froschmissbildung, die Gastru-
lation der Amphibien in einem, meinen bezüglichen Mittheilungen sich
anschliessenden Sinne und knüpft daran interessante Verallgemeine-
rungen.
In einem späteren Abschnitt behandelt er theoretisirend aus-
führlich die Entstehung der Doppelbildungen.
Während es mir sehr erfreulich ist, bezüglich der ersten Frage
mich mit 0. Hertwig in Uebereinstimmung zu sehen, muss ich in
Bezug auf dieses letztere Thema grossentheils abweichende Anschau-
ungen vertreten und bin zugleich genöthigt, mehrfach mir irrthümlicher-
weise unterstellte Ansichten zurückzuweisen. Ich gehe hier nur soweit
') Vergl. auch D. Barfurth's interessante Abhandlung ,Zur Reorganisation
der Ge\vebe^ Arch. f. microsc. Anat. Bd. 37, S. 406—491, 1891.
der beiden erfeten Furchungszellen. 803
auf die Besprechung dieser Erörterungen Hep.twig's ein, als sie in
den engeren Kreis unseres Themas gehören.
0. Hertwict sieht in dem Ergebnisse Driesch's, dass aus einem
halben Seeigelei stets schliesslich ein ganzer Pluteus hervorging, eine
Bestätigung seiner „Vererbungstheorie", nach welcher „jedes T heil-
stück der Eizelle durch den Kerntheilungsprocess nach
Quantität und Qualität gleichviel Erbmasse in ihrem Kern
erhält" (loc. cit. S. 476). Er verallgemeinert sogleich das Ergebniss
Driesch's vom Echinodermenei bis zum Froschei und meint: ,,wenn
es möglich wäre, bei einem in zwei Halbkugeln getheilten Froschei
die eine derselben ohne jede Beschädigung der anderen vollständig
zu entfernen, so müsste sich aus der Theilhälfte eine vollständige
normale, nur etwas kleinere Froschlarve züchten lassen. Die Theil-
hälfte würde sich, nachdem sie sich weiter gefurcht hätte, zu einer
normalen Keimblase, einer normalen Gastrula etc., „in der-
selben Weise" wie das ganze Ei umbilden und Avürde nur an
Grösse reduzirt sein".
In diesem Satze drückt wohl das Wort ,, müsste" ein zu grosses
Vertrauen in die derzeitige Sicherheit bezüglicher Ableitungen aus.
Das Specielle angehend, so haben wir (S. 796) gesehen, dass die Bil-
dung eines ganzen Embryos aus einem halben Froschei nicht ,,in der-
selben Weise" vor sich ging, wie bei der Bildung aus einem ganzen
Ei; denn es wurde keine normale Blastula und Gastrula, sondern
eine Semiblastula und Semigastrula und ein Hemiembryo gebildet. [51]
Hertwig's Annahme trifft auch nicht einmal für das Echinidenei zu,
da auch bei diesem zunächst eine typische Halbbildung, eine Semi-
morula entstand.
0. Hertwig fährt fort: „Wenn es ferner möglich wäre, zwischen
die beiden Furchungszellen eines Froscheies in ihrer Berührungs-
ebene einen Isolator dazwischen zu schieben, der jede Beziehung
zwischen ihnen aufhebt, so müsste sich aus jeder Hälfte einzig und
allein in Folge ihrer Isolirung ein ganzer normaler Embryo bilden.
Aus dem Ei würden Zwillinge hervorgehen".
Auch diesem Satze vermögen wir aus den gleichen Gründon
nicht einfach zuzustimmen; denn zunächst entstünden unter diesen
51*
801 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Umständen, wie wir aus unseren Befunden wohl ableiten dürfen,
zwei Hemiembryonen ; und wenn die Ränder der Keimblätter an
dieser Isolirungsplatte hafteten, dann würde, so viel wir bis jetzt
sehen, eine Postgeneration dieser Hälften 7A1 Ganzbildungen viel-
leicht gar nicht eintreten.
Da O. Hert\vig über die von mir beschriebene Postgeueration
nach Uebertritt von Kernen aus der unversehrten Eihälfte nicht infor-
mirt ist, glaubt er, den angeblichen Gegensatz zwischen meinen Ergeb-
nissen einerseits und denen Driesch's und seiner Auffassung anderer-
seits beseitigen zu müssen und greift zu einem zwar einfachen, aber
doch nicht ganz gewaltlosen Mittel.
Zunächst übergeht er die Thatsache mit Stillschweigen, dass
Driesch (und auch Fiedler) aus dem halben Echinidenei zunächst eine
typische Halbbildung, eine Semimorula resp. auch Semiblastula erhalten
haben. Ich glaube nicht, dass diese Halbbildungen etwa nichts zu
bedeuten haben; denn es deutet doch auf ganz typische Zeilord-
nungsmechanismen hin, wenn aus einer Zelle, die halbkugelig
ist, ja sogar durch Abrundung auf der Seite der fehlenden Gegenzelle
sich der Form einer ganzen Kugel nähert, unter vielfacher Theilung
dieser Zelle nicht ein Zellhaufen von der Gestalt der frühe-
ren einzigen Zelle, sondern eine hohle halbe Kugelschale
gebildet wird, welche nach Fiedler aus den typischen Zellhalb-
kreisen mit typisch verschieden grossen Zellen bestellt. Beiden Thieren,
w^o die Semimorula sich zu einer Semigastrula und einem Hemiembryo
entwickelte, bekundete sich dann auch das typisch verschiedene
entwickelungsmechanisch e Vermögen der verschiedenen
Stellen dieser Halbbildung (s. Nr. 28, S. 616).
Bezüglich meiner Halbbildungen aber nimmt Hertwig, wie schon
oben erwähnt, an, ich hätte „gar keine Halbblastula, Halb-
gastrula oder einen Halbembryo erhalten, sondern eine ganze
Blastula, eine ganze Gastrula, einen ganzen Embryo, die allerdings
[52] in Folge der ihnen zugefügten Schädigung aus einem normal
und einem anormal entwickelten Theile bestanden".
Sie, meine Herren , haben sich an den demonstrirten Objecten,
wie ich glaube überzeugt, dass die operirte Hälfte nicht anormal
der beiden ersten Furchungszelleu. 805
entwickelt ist, dass sie keine durcheinander gekommenen oder miss-
geformten Organanlagen, auch keine, sei es auch ungeordneten Keim-
blätteranlagen enthält, dass sie überhaupt nicht in Zellen zer-
legt, ja nicht einmal mit normalen Kernen versehen ist, dass sie
also einfach unentwickelt, ja vielfach blasig zersetzt ist.
Hertwig sieht nach seiner Auffassung ,, durch meine Anstech-
versuche nur das eine bewiesen, dass bei einem ungestörten Verlauf
der Entwickelung das Zellmaterial der einen Körperseite hauptsäch-
lich von einer der beiden ersten Furchungszelleu abstammt", eine
Thatsache, die wir oben schon in präciserer Weise daraus abgeleitet
haben, dass normaler Weise die Trennungsebene der beiden ersten
Furchungszelleu zur Medianebene des Embrj^o wird, und dass die An-
lage der Organe sj^mmetrisch zu derselben erfolgt. Des Weiteren findet
Hertwig „durch die Roux'schen Versuche nicht den Cardinalpunct be-
wiesen, dass sich aus der hnken B'urchungszelle nichts anderes als
die linke Körperhälfte unter allen Umständen entwickeln müsse,
weil sie nur für diese die diiferenzirenden und gestaltenden Kräfte
enthielte", eine Auffassung, die von mir auch nicht geäussert worden
ist [siehe im Gegentheil S. 450, 508 u. 796].
„Nach Roux würden, wenn wir uns die beiden ersten Furchungs-
zelleu des Froscheies in der Theilungsebene durch einen Isolator
getrennt denken, aus der linken und rechten Furchungszelle, da jede
nur die differenzirenden und gestaltenden Kräfte für die linke und
rechte Körperhäifte des Embryo enthält und diff erenzirende
Wechselwirkungen überhaupt in Abrede gestellt werden,
zuerst eine linke und rechte Blastulahälfte, Gastrulahälfte und schliess-
lich zw^ei vollständige Körperhälften entstehen".
In diesem letzten Citat sind die von mir durch gesperrten Druck
der Wörter hervorgehobenen Gedanken irrthümlich mir unter-
geschoben. Insbesondere bin ich verwundert zu lesen, dass von mir
„diff erenzirende Wechselwirkungen überhaupt in Abrede gestellt wer-
den", nachdem ich eine Schrift über diff erenzirende Wechselwirkungen
im Organismus (s. Bd. I Nr. 4) und mehrere Abhandlungen über func-
tionelle Anpassungen (Nr. 7—9), die ja auf differenzirenden Correlationen
beruhen, verfasst habe, nachdem ich fernerhin in meinem ersten Beitrag
806 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
zur Entwickelungsmeclianik (s. Nr. 1<S) die zur Zeit bekannten differen-
zirenden Correlationen auf's Neue zusammengestellt und in meiner Ar-
beit über die halben Embryonen (Nr. 22), wie oben citirt, wiederholt auf
solche Wirkungen hingewiesen, z. B. S. 508 — 510, und unter Anderem
gesagt [53] habe(S. 455): ,,Wie weit nun diese Mosaikbildung (der Ga-
strula) aus mindestens vier Stücken bei der weiteren Entwickelung durch
einseitig gerichtete Materialumlagerungen und durch differenzirende
Correlationen umgearbeitet und in der Selbstständigkeit ihrer Theile
beschränkt wird, ist erst noch zu ermitteln" (s. auch S. 317).
Des Weiteren habe ich die Aufmerksamkeit „auf die specifisch
organischen, zur Zeit unerklärbar erscheinenden Verhältnisse" gelenkt.
Dies gilt besonders ,,bezü glich derjenigen Wirkungen, auf
denen die Herstellung und Erhaltung des „Ganzen", in
seinem der Species entsprechenden Tj^^us beruht. Die
Nichtberücksichtigung dieser Vorgänge würde von vornherein zu einer
unvollständigen Vorstellung vom Wesen des Organischen Veranlassung
geben, die auch bei der Auffassung anderer, einfacherer Vorgänge
leicht irrthümliche, zu grob mechanische Vorstellungen nach sich
ziehen könnte. Es scheint mir, dass in Bezug auf diese die typi-
sche Einheit des Ganzen vermittelnden Wirkungen die
Lehre vom Aufbaue des Organismus aus selbstlebenden Theilen uns
zu einer Unterschätzung derselben geführt hat" etc. [Nr. 14, S. 39—41] ^).
Hertwig citirt darauf einige meiner Thesen, um ihnen Anti-
thesen entgegenzustellen.
Dem Satze: ,,Die Entwickelung der Froschgastruia und des
zunächst daraus hervorgehenden Embryos ist von der zweiten
Furchung an eine Mosaikarbeit und zwar aus mindestens vier ver-
ticalen, sich selbstständig entwickelnden Stücken," stellt er die all-
gemeine Antithese entgegen: ,,die Entwickelung des „Organismus"
[1) Genaueres siehe Nr. 28, wo die bei Defect und anderen Störungen ein-
tretenden, die Einheit des Ganzen herstellenden Correlationen aus-
führlicher erörtert sind und Nr. ;33.
Siehe auch den interessanten Vortrag von C. 0. Whitmax (The Inadequancy
of the Cell-Theory of development. Journ. of Morph. 1894, VIII), welcher eine noch
weitergehende Gemeinsamkeit unter den Zellen auch unter normalen Verhältnissen
vertritt.]
der beiden ersten Fnrchungszellen. 807
ist keine Mosaikarbeit", obgleich sich meine These im Anschhisse an
die zur Zeit vorhegenden Thatsachen blos auf die Bildung der ,,Gast-
rula" aus vier selbstständig gastrulirenden Stücken und die nächste
Weiterbildung dieser Stücke bezieht (siehe auch S. 782).
Ferner opponirt H. gegen die folgenden meiner Sätze : „Die
normalen Entwickelungsvorgänge sind nicht als eine Folge der Zu-
sammenwirkung aller Theile oder auch nur aller Kerntheile des
Eies zu betrachten, sondern an die Stelle solcher differenzirenden
Wechselwirkungen aufeinander tritt die Selbstdifferenzirung der
ersten Furchungszellen und des Komplexes ihrer Derivate zu
einem bestimmten Stück des Embryo. Jede der beiden ersten Fur-
chungskugeln enthält also nicht nur das Bildungsmaterial zu dem
entsprechenden Stück des Embryo, sondern auch die differen-
zirenden und gestaltenden Kräfte." ,,Die Furchung scheidet den
die directe [s. typische] Eiitwickelung des [ndividiuums vollziehenden
Theil des Keimmateriales, insbesondere des Kernmateriales cjualitativ
und bestimmt mit der dabei stattfindenden Anordnung dieser [54] ver-
schiedenen gesonderten Materialien zugleich die Lage der späteren
differenzirten Organe des Embryo."
Diesen Sätzen stellt Hertwig die Antithese entgegen: ,,die
Theile des Organismus entwickeln sich in Beziehung zu
einander oder die Entwickelung eines Theiles ist abhängig
von der Entwickelung des Ganzen" (S. 480). Wir haben bereits
gesehen und werden unten des Weiteren sehen, dass^ soweit diese
angeblich gegen mich gerichtete Antithese Richtiges enthält,
die betreffenden Gedanken von mir schon wiederholt aus-
gesprochen worden sind (z. B. in Nr. 14).
Hertwig äussert sich weiterhin S. 481 :
„Nach meiner Auffassung enthält daher jede der beiden ersten
Furchungszellen nicht nur die differenzirenden und gestaltenden
Kräfte für eine Körperhälfte, sondern für den ganzen Organismus,
und nur dadurch entwickelt sich normalerweise die
linke F u r c h u n g s z e 1 le zur linken K ö r p e r h ä 1 f t e , d a s s
sie zu einer rechten F u r c h u n g s z e 1 1 e in Beziehung ge-
setzt ist."
808 Nr, 26. Entwickelungsmechaniscbes Vermögen jeder
Der durch gesperrten Druck markirten Hälfte dieses Satzes
werden wir nach den oben mitgetheilten gegentheiligen Beob-
achtungen gleichfalls nicht zustimmen können.
Schliesslich führt 0. Hertwig S. 465 in apodictischer Form neben
einem thatsächlichen Grund zwei nicht bewiesene Vermuthunffen
gegen die von mir ausgesprochene, eventuelle neue „Möglichkeit" der
Entstehung doppeltsymmetrischer Doppelbildungen aus Embryonen mit
As_yntaxia medullaris durch Vermittelung der Postgeneration an. Ich
nehme nicht Veranlassung, diese Aussprüche hier zu behandeln, son-
dern halte es für erspriesshcher , die Entscheidung den Ergebnissen
der bezüglichen Versuche zu überlassen (s. S. 518 Anm.).
Unsere Thatsachenkenntniss erhält schliesslich noch eine wesent-
liche Erweiterung durch die bisher mitgetheilten entsprechenden
Befunde bei einem weiteren Thierstamm, nämhch bei Cölente raten,
speciell bei Ctenophoren.
Herr Prof. Chun in Breslau schrieb mir am 23. vorigen Monats,
anlässlich des Urtheils 0. Hertwig's über meine Halbbildungen, dass
er mit den meinigen übereinstimmende Beobachtungen schon vor
vielen Jahren an Ctenophoren gemacht habe, die er mir zugleich
mittheilt und zu eventueller Veröffentlichung freundlichst zur Ver-
fügung stellt.
Chun hat danach schon im Sommer 1877 versucht (und es in
seiner Fauna und Flora des Golfes von Neapel I, S. 102 angedeutet),
durch Schütteln der zweigetheilten Eier die beiden ersten
Furchungszellen zu isohren und ihr Schicksal zu verfolgen; er ist
aber durch andere [55] Arl)eiteu abgehalten worden, diese Beobach-
tungen zu publiciren, was hiermit geschieht. Er schreibt:
,, Trennt man durch Schütteln zweigetheilter Eier den lockeren
Verband der Furchungszellen, so erhält man constant Halblarven,
welche nur 4 Rippen , 4 Meridionalgefässe und nur einen Fang-
faden aufweisen. Ich habe mehrmals innerhalb der Eihülle zwei
Halblarven beobachtet, die, falls man die Eier in reichlichem und
gut durchlüfteten! Wasser züchtet, auch ausschlüpfen." „Bei der
Durchmusterung des reichen Larvenmateriales, welches ich 1886 von
einer gelappten Ctenophorc — BoHna — züchtete, fiel es mir auf,
der beiden ersten Fiircliungszellen. 809
dass nach stürmischen Tagen eine unverhältnissmässig grosse Zahl
von beträchtlich herangewachsenen Halblarven auftrat. Da durch
Wellenschlag leicht das herbeigeführt wird, was man durch Schütteln
erzielt, nämlich Trennung der locker zusammenhängenden ersten
Furchungszellen, so darf ich wohl vermuthen, dass die frei gefischten
Halblarven auf die angedeutete Weise entstehen. \''on Interesse war es
mir, dass solche Halblarven ebenso wie die unversehrten
Larven g esc hlechts reif wurden und Eier ablegten. Nach
Rückbildung der Geschlechtsproducte schicken die Halblarven sich
zur Metamorphose an; und nun erfolgt ein Vorgang, von dem
ich zu meiner besonderen Genugthuung ersehe, dass Sie ihn bei
Halblarven der Amphibien beobachteten . Die fehlende Hälfte
wird postgenerirt. Von den in der Halblarve angelegten Gefässen
aus knospen zunächst ganz klein, dann sich verlängernd die fehlenden
Gefässe der postgenerirten Hälfte; über ihnen erscheinen, wiederum
zunächst ganz minimal, die fehlenden 4 Rippen und zwischen ihnen
der fehlende zweite Fangfaden. Ich besitze alle Stadien dieser Post-
generation bis zu jungen gelappten Ctenophoren, bei denen der
Grössenunterschied der postgenerirten Hälfte ausgeglichen ist."
Weiterhin äussert sich Chun bezüglich des von Driesch beolj-
achteten abweichenden Verhaltens der Echinodermeneier : ,,Es darf
zunächst nicht übersehen werden, dass Experimente an Echinodermen-
und Ascidieneiern schon deshalb eigenartig ausfallen müssen, weil
es sich um dotterarme, äqual sich furchende Eier handelt, während
die Eier der Amphibien eine inäc^uale Furchung aufweisen. Ich sehe
überhaupt in diesen Vorgängen keinen principiellen Unterschied, wie
ihn Hertwiü (der die Thatsache der Postgeneration gar nicht kennt)
statuirt. Thatsächlich klüften sich die getrennten Furchungszellen
der Echinoderm^n anfänglich derart, als ob sie einen Halbembryo
zu bilden hätten, — nur erfolgt die Postgeneration viel frühzeitiger,
da ein Grössenunterschied der ersten Furchungszellen kaum [56]
merklich hervortritt, während bei Amphibien und Ctenophoren offenbar
die grossen, dotterreichen Entodermzellen der frühen Abrundung zu einer
Gastrula einen Widerstand entgegensetzen. Ob diese Erklärung zu-
trifft, bleibt dahingestellt und müssen weitere Experimente entscheiden."
810 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Wir habeu also auch hier wiederum aus dem halben Ei un-
zweifelhafte Exemplare von Halbbildungen erhalten und mit ihnen
eine weitere Widerlegung der Ansicht 0. Hertwig's, dass sich nur
dadurch normaler Weise die linke Furchungszelle zur linken Körper-
hälfte entwickele, dass sie zu einer rechten Furchungszelle in Beziehung-
gesetzt sei.
Da ferner auch bei den dotterreichen, inäqual sich furchenden
Ctenophoreneiern die rein hemiooplastische Postgeneration gleich wie
bei dem dotterreichen Amphibienei viel später einsetzt als bei den
dotterarmen, fast äqual sich furchenden Echinodermen- und Ascidien-
eiern, so erhält die oben von mir und soeben von Chun ausgesprochene
Ansicht, dass dieser Dotterreichthum vielleicht die Ursache der ver-
späteten erfolgreichen Postgeneratiousbestrebungen ist, nunmehr eine
erhebliche Wahrscheinlichkeit ^).
Als Gesammtergebniss des vorstehenden Berichtes haben wir
somit die Thatsache gewonnen, dass bei drei verschiedenen
Thierstämmen bei Chordoniern, Echinodermen und Cölen-
teraten aus einer der beiden ersten Furchungszellen, wenn
sie von der anderen getrennt ist oder wenn letztere ge-
tödtet worden ist, zunächst eine ,, typische Halbbildung", ein
,,Heiiiiplast-' hervorgeht, und dass danach erst, bei den
nähr ungsdotter armen Eiern (Echinus, Ascidia) auf früherer,
bei den nähr ungsdotter reichen Eiern (Rana, Ctenophoren) auf
späterer Stufe eine ,, Postgeneration" der fehlenden Körper-
[1) Nach S. 795 und der Nr. 30, S. 148 und im , Nachwort" gegebenen Ableitung
ist die hier ausgesprochene Auffassung dahin zu präcisiren, dass der Dotterreichthum
erst nach mehreren Furchungen ein wirkliches „Hinderniss" für die Postgeneration
abgiebt und zwar wohl mehr ein Hinderniss für die erfolgreiche Bethätigung
(durch die Trägheit und schwere Bewegung der Dotterzellen), als für die Auslös-
ung der Postgeneration. Dass bei den dotterreichen, oder ausserdem allgemein bei
den den höheren Thieren zugehörigen Eiern die Auslösung der Postgeneration
schon am Anfang der Entwickelung schwerer sei, als bei den anderen Eiern, muss
nach S. 795 und der citirten Beobachtung 0. Schui.tze's (Nr. 30, S. 148) als zweifel-
haft erscheinen; jedenfalls ist sie danach für unsere bezüglichen Ableitungen nicht
erheblich erschwert und sie scheint wesentlich von der Leichtigkeit der Umordnung
der Dotter Substanzen des zweigetheilten Eies abzuhängen, die aber ihrerseits,
wenigstens bei Umkehrung der Eier, durch die ungleiche Schwere der Dottersubstanzen
geradezu erleichtert wird.j
der beiden eisten Furchungszelleu. 811
hälfte von der bisherigen Halbbildung ausgeht und zur
Herstellung einer „Halbei-Ganzbildung", eines „Hemioo-
holoplasteu" führt.
An Stelle der angeblichen Widersprüche in den Ergebnissen der
verschiedenen Experimentatoren ist also eine principielle Ueber-
einstimmung in den Befunden aller Untersucher getreten ^).
Aber dafür haben wir nun einen Widerspruch in den
Thatsachen eines jeden einzelnen dieser Experimentatoren
erhalten: erst die Hervorbringung von typischen Halbbil-
dungen, darauf Eintritt einer Postgeneration, die schliess-
lich zu kleinen Ganzbildungen führt. Erst Selbstdifferen-
zirung des aus einer oder jeder von beiden ersten [57] Furchungs-
zellen hervorgegangenen Complexes von Zellen zu einer Halb-
bildung; darauf plötzlich, oft erst nach weit fortgeschrittener Halb-
bildungsentwickelung, die Bethätigung .eines Vermögens dieser selben
Zellen, das Ganze herzustellen.
Der Gegensatz dieser beiderlei Thatsachen ist kein neuer; es
ist der alte Gegensatz zwischen der no'rmalen, directen [oder typischen]
Ent Wickelung, wie ich sie früher S. 450 u. 520 bezeichnet habe, und
der indirecten [atypischen] Entwickelung: der Regeneration (sei es
nach natürlichem Defect in Folge der Vermehrung durch Theilung oder
Knospung oder nach künstlichem Defect) resp. der Postgeneration.
Das Frosch- und das Ctenophorenei geben uns Gelegen-
heit, die Leistungsfähigkeit der ,, typischen" Entwickelung
eine grosse Strecke weit für sich zu verfolgen und zu
erkennen, in wie hohem Maasse auf natürliche Weise abgegrenzte
Eitheile sich selbstständig, unabhängig von anderen Eitheilen zu ent-
wickeln ,, vermögen". Und das Verhalten dieser Eier deutete zugleich
auf zwei Momdite hin, welche die weitere Dauer dieser selbstständigen
[1) Für die hier und in meinen früheren Schriften vertretene Auffassung von
der Mosaikarbeit ist besonders D. Barfurth in seinen geistvollen kritischen Referaten
über Regeneration in den „Ergebnissen der Anatomie und Entwickelungsgeschichte"
1891 — 1893 eingetreten. Siehe auch F. Keibel, Studien zur Entwickelungsgeschichte
des Schweines. Schwalbe's morph. Arb. Bd. III, 1893, S. 120.
Ueber neuere Befunde und deren Bedeutung s. Roux im Arch. f. Entwicke-
lungsmechanik I, S. 596--617.i
812 Nr. 26. Entwickelungsmeclianisches Vermögen jeder
Eiitwickelmig der Theile begünstigen, indem sie, wie wir annahmen,
die Betliätigung des Vermögens zur atypischen Entwicke-
ln ng hemmten. Beim Frosch konnte so durch das Anhaften
der todten, zersetzten Eihälfte die Postgenerationsfähigkeit der
anderen Hälfte noch weit über die Zeit hinaus, auf w^elcher sonst die
reine Halbei-Postgeneration (S. 796) beginnt, verhindert und damit die
hemiplastische Entwickelung verlängert werden.
Bei den Echinodermen dagegen trat die Postgeneration schon
so früh, schon auf der Blastulastufe ein, dass die hemiplastische Ent-
wickelung zwar nicht von den Experimentatoren, von Driesch und
Fiedler, aber von einem Theoretiker, O. Hertwic, übersehen worden
ist und daher letzteren Autor zu einer irrthümlichen Auffassung von
den Vorgängen veranlasste, indem er die Leistungen der Post-
generation für Leistungen der typischen Entwickelung
nahm.
Die Postyeneration konnte heim Frosch noch frülier
beginnen aJ s hei den Echinodermen, sofern ihr eine Er-
leichterung gewährt wurde, nämlich die Gelegenheit zum
Uebertritt von Zellkernen aus der direct entwickelten Hälfte in organi-
sationsfähigen Dotter. Wenn dasselbe auch ohne dies Moment geschehen
wäre, so wäre es beimFroschei gar nicht möglich gewesen,
die verschiedenen Leistungen beider Entwickelungsweisen , also
auch nicht diese selber auseinanderzuhalten.
Ich habe früher schon (S. 41—44) auf die Gegensätzlich-
keit dieser beiden Entwickelungsarten hingewiesen, und
die anscheinend wunderbare Natur [58] der Re- und Postgeneration,
wie schon viele frühere Autoren bezüglich der Regeneration, erörtert.
Die ,, typische Ent Wickelung" des Individuums aus dem Ei
findet, abgesehen von dem Dotter, statt aus dem für die typische
Entwickelung bestimmten Kernmateriale, indem: „die Furchung den
die typische Entwickelung des Individuums vollziehenden Theil des
Keimmateriales , insbesondere des Kernmateriales qualitativ scheidet
und mit der dabei stattfindenden Anordnung dieser verschiedenen
gesonderten Materialien daher zugleich die Lage der späteren diffe-
renzirten Organe des Embryo (einschliesslich nachträglicher typi-
der beiden ersten Furchungszellen. 813
seil er Materialumlagerungen) bestimmt" (S. 450). Für sie gilt
His' Princip der organbildenden Keimbezirke, für sie wurde nach-
gewiesen, dass die Gastrulation eine Mosaik arbeit aus vier verti-
calen Stücken ist. Für sie habe ich gezeigt, dass sie Selbst-
diff erenzirung des ganzen, von einer der ersten Furchungskugeln
abstammenden ,, Z e II c o m p 1 e x e s " (nicht aber dieser einzelnen Zellen)
ist; es wurde aber zugleich auch auf eventuelle „typische cor re-
lative Diff erenzirungen" innerhalb jedes dieser Com-
plexe hingewiesen (s. S. 455 u. Nr. 27, S. 303).
Bezüglich der ,, atypischen Entwickelung" der E,e- und
Postgeneration fügte ich unmittelbar nach dem letzten Citat über die
Materialscheidung bei der Furchung bei: „Ueber die Vertheilung des-
jenigen Idioplasmas dagegen, welches erst bei Regeneration
und der Postgeneration inThätigkeit tritt und vielleicht in
jeder Zelle bezw. in jedem Kern sich mehr oder weniger vollkommen
vorfindet, ist damit, wie ich ausdrücklich bemerke, nichts präjudizirt".
Ist die „typische Entwickelung", wie wir annehmen, Bildung
von typisch Geordnetem aus typisch Geordnetem unter vollkommen
typischem Verlaufe und zwar Entwickeluug eines typischen formal
Complizirtem aus einem typischen formal Einfacheren, so ist sie also
etwas in ihrem Principe durchaus Verständliches, sofern
wirklich der Verlauf in allen seinen Theilen, nicht blos in den
Hauptzügen typisch bestimmt sich vollzieht und sofern die
eventuellen ,, atypischen" Einzelvorgänge doch durch
,, typische" Regulationsmechanismen vermittelt werden.
Dagegen stellen die Post- und Regeneration Entwickelungs-
modi dar, welchen bei dem gegenwärtigen Stande unserer Erkenntniss,
richtiger unserer ünkenntniss, etwas Metaphysisches anhaftet
(s. S. 42, Nr. 27 S. 302, Nr. 28 S. 659). Die Umordnung der Zellen
bei der Postgeneration der Semimorula des Echinideneis , des
Hemiembryos der Frösche und der Ctenophoren sind im Wesen
gleich , ja eher noch weniger räthselhafte Vorgänge wie die Um-
ordnung der Zellen eines aus der ganzen Dicke der Leibeswandung
gebildeten [59] beliebig ausgeschnittenen Stückes der Hydra nach
Trembley und Nussbaum zu einem neuen kleinen Polypen. Bei
814 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
diesem Polypen ordnen sich die Zellen eines atypisch grossen und
daher atypisch begrenzten Stückes eines Organismus zu dem
typischen ganzen Organismus, sei es ausschliesslich durch Umordnung
der Zellen des Stückes, sei es unter gleichzeitiger Vermehrung dieser
Zellen. Bei unseren Halbbildungen geschieht dasselbe aber von einem
in gewissem Sinne typischen, nämlich aus einer der beiden ersten
Furchungskugeln abstammenden Theile des Ganzen aus. Immer aber
geschieht es unter anderer als der normalen, typischen Verwendung
vieler Zellen, also unter Aufbau neuer Theile aus bisher anders
verwendeten Bausteinen, in denen dabei jedoch wohl
andere idiopJastische Bestandfheil e in Thätigheit treten.
Und es ist zur Zeit fast gleich räthselhaft, ob diese in neuer
Weise verwendeten alten Bausteine diesen Aufbau aus eigener Initiative
vollziehen, indem jeder Baustein zugleich auch innerhalb gewisser
Sphäre Bauleiter im Sinne des Ganzen ist, oder ob eine solche Leitung
nur von denjenigen Steinen ausginge, w^elche etwa noch in ihrer
früheren Stellung und Function verbleiben.
Die ,, typische Entwückelung" ist demnach Bildung
von Geordnetem aus einem in sich Geordneten aber aty-
pisch Begrenzten, und zwar Bildung eines typischen Ganzen aus
einem atypisch begrenzten (also auch atypisch gelegenen) Theile
eines solchen, und zw^ar sowohl aus dem Theile eines bereits
an der Endstufe formaler Complication angekommenen oder eines
erst auf dem Wege dazu begriffenen Gebildes. Aus der
atypischen Begrenzung des sich zum t3^pischen Ganzen umbildenden
Theiles folgt, dass diese Umbildung sich im Speciellen auf einem
jedem Einzelfalle angepassten Wege vollziehen muss. Diese
Anpassung ist es, die, sofern sie eine directe ist, den Anschein
des Wunderbaren, Methaphysischen hat (s. Nr. 27, S. 304).
„Diese regulatorischen Thatsachen hei atypischen Vor-
gängen weisen bei gehöriger Würdigung auf ein inniges Zusammen-
wirken der Theile zum Ganzen und auf eine grosse Abhängigkeit
der Theile vom Ganzen hin" (S. 41), trotz der ausgedehnten
Selbstdifferenzirung bei der directen Entwickelung.
Das vorliegende Problem wird dadurch seltsam beleuchtet, dass
der beiden ersten Furchungszellen. 815
diese wunderbare Leistung nicht die letzte, höcliste Blütlie des
organischen Gestaltungsvermögens darstellt, sondern dass
umgekehrt dieses Vermögen auf niederer Stufe in viel höherem
Grade vorhanden ist als bei den höheren Organismen, wie
sie auch bei höherem Alter des ein- [60] zelnen Individuums abnimmt,
so dass im Gegentheil in diesen Perioden das Leben sich immer
fester typisch-mechanisch gestaltet.
DieEntiüichelnng der höheren Organismen ist also mit einer
bestimmteren 3Iechanisirung der Vorgänge, mit einer Eineng-
ung des Lebens in typischere Bahnen verhunden.
Zwar bethätigt sich auch in uns noch fortwährend fast
an allen Stellen das Vermögen der Regeneration unter Aus-
merzung des schadhaft Gewordenen und unter seiner Ersetzung durch
Neues. Aber wie beschränkt zeigt sich dies Vermögen nach grösseren
Defecten! Wie ist die Regeneration der Nerven, Knochen, Muskeln,
der Haut an eng bestimmte Mechanismen gebunden ! AVie unvoll-
kommen regenerirt sich hier schon das einzelne Organ; und in wie
viel beschränkterem Maasse werden erst grössere, aus mehreren Or-
ganen zusammengesetzte Stücke nacherzeugt!
Aber eben die Beschränkung der Leistungsfähigkeit dieses
anscheinend wunderbaren Vermögens auf bestimmte Mechanismen
und auf einen bestimmten unvollkommenen Grad der Leistung bei
den höheren Organismen weist darauf hin, dass hier doch
nichts Metaphysisches vorliegt.
Und eben diese Beschränkung und Zerlegung der bezüglichen
Vorgänge bei den höchsten Organismen zeigt uns wieder, wie auch
andere Thatsachen, dass wir hei den höchsten Organismen in
mancher Hinsicht leichter zu übersehende, weil mehr analysirte,
am einzelnen f)rte einfachere Verhältnisse vorfinden, als bei den
niederen Organismen, wo noch alle Functionen in einem Elemente
beisammen sind, zeigt uns, dass wir menschlichen Anatomen also
auch vom Standpuncte der „analytischen" Forschung aus
berechtigt sind, das Studium mit dem Menschen und den
Säugethieren anzufangen, freilich unter steter Berücksichtigung der
Ergebnisse auf allen übrigen Gebieten biologischer Forschung (s. S. 36).
816 Nr. 26. Entwickelungsmechanisches Vermögen jeder
Haben wir die Ansicht gewonnen, ,,dass uns die Thatsachen
der Regeneration und Postgeneration auf eine grössere Einheit-
lichkeit unter den Theilen des Organismus hinweisen, als
wir trotz der Annahme, dass jede bezügliche Zelle noch einen Theil
des ,, Keimplasmas" enthalte, gegenwärtig zu verstehen im Stande
sind", so erhält die Entwickelungsmechanik neben ihrer Aufgabe, die
Ursaclien der Vorgänge der directen Entwickelung zu erforschen, in
dem Suchen nach der ursächlichen V e r m i 1 1 e 1 u n g der
die typische Einheit des Ganzen auch in mannigfachen
neuen Verhältnissen herstellenden , erhaltenden und wieder-
herstellenden Post- und Regenerationsvorgänge eine weitere grosse
Aufgabe.
[61] Literaturverzeichniss.
1. L. Chabry, Contribution ä I'embryologie normale et pathologique des ascidiens
simples. Paris 1887.
2. Hans Driesch, Entwickelungsmeclianische Studien. I. DerWerth der beiden ersten
Furcliungszellen in der Echinodermentwickelung. Experimentelle Erzeugung von
Theil- und Doppelbildungen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 53, 1891, S. 160—184.
1 Tafel.
8. Carl Fiedler, Entwickelungsmeclianische Studien an Echiuodermeneiern. In der
Festschrift d. Univ. Zürich f. Hn. v. Naegeli und Hn. v. Koellikfr. Zürich 1891.
4. Oscar Hertwig, Urmiind und Spina bifida. Eine vergleichend morphologische,
teratologische Studie an missgebildeten Froscheiern. Arch. f. microsc. Anat.,
Bd. 89, 1892.
5. Wilhelm His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Ent-
stehung. Leipzig 1874.
6. E. Pfllüger, Ueber den Einlluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und
auf die Entwickelung des Embryo. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 82, 1888.
7. Eduard van Beneden et Charles Julin, La segmentatiou chez les Ascidiens dans
ses rapports avec l'organisation de la larve. Bull, de l'Acad. roy. de Belgique,
T. VII, Serie 3, Nr. 5, 1884.
8. Emil Selenka, Studien über die Entwickelungsgeschichte der Thiere. 11. Heft:
Die Keimblätter der Echinodermen. Wiesbaden 1888.
9. Alexander Goette, Abhandlungen zur Entwickelungsgeschichte der Thiere. IT. Heft.
Untersuchimgen zur Entwickelungsgeschichte der Würmer. Vergleichender
Theil. 1884.
10. Eduard van Beneden, Recherches sur la maturation de I'oeuf et la fecondation.
Arch. de biolog.. T. IV, 1884. (Auch separat erschienen, Leipzig, Engelmann.)
der beiden ersten Furchungszellen. 817
11. Gustav Born, Biologische Untersuchungen. I. Ueber den Einfluss der Schwere auf
das Froschei. Arch. f. micr. Anat. Bd. 24, 1885.
12. Derselbe, Ueber die Furchung des Eies bei Doppelbildungen. Breslauer ärztl.
Zeitschr. 1887, Nr. 15.
13. WiLH. His, Untersuchungen über die Bildung des Knochenöschembryo (Salmen).
Arch. f. Anat. u. Entwgesch. II, 1878.
14. Hans Virchow, Das Dotterorgan der Wirbelthiere. I. Theil. Zeitschr. f. wiss.
Zoolog. Bd. LIII, Supplem.
15. WiLH. Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. Biolog.
Centralbl. Bd. VIK, S. 399—413, 1888. Siehe auch Hermann & Schwalbe, Jahres-
ber. d. Anat. u. Physiol., anatom. Abth. 1889, S. 610 u. 611.
16. George Nevvport, Researches on tbe Impregnation of the Amphibia, and on the
Early Stages of Development of the Embryo. Philos. Transact. 1854.
"W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. IL 52
Nr. 27.
Beiträge zur Entwiekelungsmechanik des Embryo.
VII. Ueber Mosaikarbeit und neuere Entwickelungs-
hypothesen.
1893.
Anatomische Hefte. Herausgegeben von Fr. Merkel und R. Boxxet. Februarheft 1893.
Aus dem k. k. anatomischen Institut zu Innsbruck.
Inhalt.
Seite
DifFerenzirende Correlationen 820
Mosaikarbeit, Definition 821
Definition der Selbstdifferenzirung 821
Selbstdifferenzirung der ersten Furchungszellen 826
Hemitheria anterior Roix 828
Mangel an Postgeneration bei Säugern 829
Leistung der durch die Befruchtung activirten Energien . . 830
Activirung des Post- und Regener ationsmateriales . . 833
Post- und Regeneration durch Umordnung und Umdifferen-
zirung 836
Regeneration durch Proliferation 837
Mechanische Formulirung des Re- und Postgenerationsproblems 842
Char akterisirung der „directen" s. . ty i>ischen und atypischen
s. reg enerativen Entwickelung:
Stellung der Knospung 843
Beurtheilung der Auffassungen 0. Hertwig's über Mosaikarbeit und Core-
relationen ' 847
Isotropie des Eies , 848
DifFerenzirende Correlationen. 819
Seile
„Ac tu eile Eiaxe" 849
Wahre Bedeutung des „Principes der organbildenden Keim-
bezirke 850
UnvoUkommenheitderlsotropiedesEies 851
Beziehungen zwischen den ersten Furchungen und den Hauptrichtungen
des Embryo 852
Anachronismen der ersten Furchungen 855
Halbbildungen 856
Beweise gegen die Entwickelung des Organismus durch die Wechsel-
wirkung „aller" Theile des Ganzen untereinander 856
Beweise der Selbstdiffere nzirung: Doppelbildungen 859
Nothwendigkeit , sondernder " Kräfte bei der M icr o somen-
theilung 862
Einschränkung der Epigenesis durch iudirecte Kerntheilung 863
Einsteilende Wirkung der Gestalt der Zelle auf die Kernspindel . . . 866
Richtige qualitative Sonderung des Idioplasson 867
Nothwendigkeit der Annahme activen und inactiven Idioplassons 868
Herstellung der ,C ont in ui tat typischer Ungleichheiten":
actueller: durch die Entwickelung 869
inactiver: durch das Keimplasson 869
[279] Bevor noch das von mir auf der Anatomenversammlung zu
Wien erstattete Referat ,,über das entwickelungsmechanische Vermögen
jeder der beiden ersten Furchungszellen des Eies" im Druck vorlag,
sind bereits mehrere weitere bezügliche Publicationen erschienen :
ein erfreuliches Zeugniss von dem wachsenden Interesse an dem
Gegenstand.
Es sind experimentelle Untersuchungen von H. Driesch (1) und
Edmund B. Wilson (2) sowie zwei theoretische Abhandlungen 0. Hertwig's
(3 und 4).
Aus diesen Publicationen geht hervor, dass eine Auffassung an
Boden gewinnt, der ich nicht zustimmen kann.
Ich nehme daher Veranlassung, diese neuereu Arbeiten nach-
stehend zu besprechen, um die ihnen meiner Meinung nach zukommende
Bedeutung darzulegen.
Zugleich möchte ich einige Puncte meiner früheren bezüglichen
Erörterungen, die irrthümlich interpretirt worden sind, ausführlicher
darstellen und die neuerdings von einem der genannten Autoren
52*
820 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypotliesen.
gemachte Unterstellung, dass von mir ein Antheil gestaltender
Wechselwirkungen an der Ontogenese in Abrede gestellt
worden sei, ergänzend noch weiterhin widerlegen, als es schon in
dem erwähnten Referate gegen die gleiche Unterstellung O. Hertwig's
geschehen ist.
Zu letzterem Zwecke citire ich zunächst die Thesen meiner
Habilitation als Privatdocent ; dieselben lauteten:
[280] 1. „Die Leber hat und braucht keine selbstständige
äussere Gestalt."
2. ,,Die acinöse Gliederung der Leber ist in ihrer
Anordnung und Gestaltung durch die Blutgefässe
bedingt."
3. Die Leber der Säugethiere durchläuft in ihrer embryonalen
Entwickelung ein Stadium, in welchem sie in allen wesentlichen
(gestaltlichen) Eigenschaften der des Ammocötes gleicht.
4. Die Venen verlaufen im Allgemeinen an den Stellen
geringsten Druckes.
5. Die Gestalt und Richtung des Lumens der Blutgefässe an
den Verästelungsstellen wird durch die Wirkung der hämo-
dynamischen Kräfte bestimmt.
Von diesen fünf Thesen haben also vier „gestaltende Wirkungen
von Theilen des Organismus auf einander" zum Gegenstand.
Meine Antrittsvorlesung handelte:
, ,Ueber die gestaltenden C o r r e 1 a t i o n e n im thierisehen
Organismus."
Der Inhalt derselben wurde grösstentheils in das 4. Capitel meiner
Schrift: ,,Der Kampf der Theile im Organismus" aufgenommen, welche
die gestaltenden und ciualitativ differenzirenden Correlationen aus-
führlicher erörtert.
Auch in der Einleitung zu meinen Beiträgen zur Entwickelungs-
mechanik (Nr. 18) habe ich die gestaltenden Correlationen nochmals
kurz behandelt und im ersten Beitrag (s. S. 211 — 255) eine annähernde
Uebersicht der zur Zeit bekannten Correlationen gegeben. Ausser-
Differeuzirende Correlationen. 821
dem habe ieli mehrere Specialmitersuchiingen über solche pubHcirt
(Nr. 7 — 9, siehe auch Nr. 20 und 21, sowie das Sachregister).
Meine biologischen Untersuchungen gingen also von gestaltenden
Correlationen , welche die Theile des Organismus auf einander aus-
üben, aus; und ich habe keine Veranlassung gehabt, die in diesen
Schriften vertretenen Auffassungen zu verwerfen.
[281] Diese früheren Untersuchungen und Erörterungen be-
handeln nur spätere Stadien der individuellen Entwickelung.
Eine andere Reihe von Untersuchungen, welche sich auf frühere,
ja auf die frühesten Vorgänge der individuellen Entwickelung beziehen,
liess Wirkungen eines entgegengesetzten Entwickelungsprincipes, das
ich als das der ,,Selbstdifferenziruug" bezeichnete, in den Vorder-
grund treten.
Unter ,,SeIhstd ifferenzirnng^^ in der Entwickelung eines
,, Organismus" resp. eines ,,Theiles" desselben verstehe ich, dass eine
Veränderung oder eine ganze Folge von Veränderungen dieses Or-
ganismus, resp. dieses Theiles desselben, sich durch gestaltende
oder qualitativ differenzirende Energien vollzieht, welche in
dem „veränderten Ganzen", resp. in dem „veränderten
Theile" selber gelegen sind.
Entsteht ein Ganzes aus mehreren oder vielen sich selbst-
ständig differenzir enden T heilen, so wird es, ähnlich einer
Mosaik, aus einzelnen für sich gebildeten Theilen zu-
sammengesetzt; diese Art der Bildung habe ich als „Mosail-
arheit" bezeichnet.
Die Selbstdifferenzirung steht also der ahhängigen oder
correlativen JDifferensirung gegenüber; letztere findet statt,
wenn, resp. soweit bei der Gestaltung oder qualitativen Veränderung
eines Gebildes^ also eines umgrenzten Theiles oder Ganzen, ausser-
halb desselben gelegene differenzirende Ursachen mitwirken.
Die Unterscheidung dieser beiden Entwickelungsweisen gründet
sich somit allein auf den Sitz der differenzir enden, im Spe-
ciellen also der die specifische Natur sowie die Oertlichkeit und Zeit
der Gestaltungen oder qualitativen Veränderungen bestimmenden
Ursachen, nicht aber auf den Sitz der Quelle der blos als Vor-
822 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
bedingiing zu diesen Veränderungen etwa nöthigen Spannkräfte
oder lebendigen Kraft [s. S. 14 und 208]. Dieser bleibt hierbei ab-
sichtlicli ausser Betracht, um die Behandlung der Probleme zu er-
leichtern und die Bezeichnungen zu vereinfachen; auch ist es für
das Wesen der Entwickelungsvorgänge , dessen Ermittelung unsere
Hauptaufgabe ist, von untergeordneterer Bedeutung, ob die [282] zu
den specifischen Veränderungen zwar nöthigen aber nicht die spe-
cifische Natur und auch nicht Ort und Zeit der Ent-
W' icke lungs Vorgänge bestimmenden Kräfte in dem ver-
änderten Theile selber, z. B. als Nahrungsdotter aufgespeichert sind
oder, wie gewöhnlich der Sauerstoff, das Licht und die Wärme, von
aussen her zugeführt w'erden ; wohl aber kann auf einem weiteren
Stadium unserer Kenntnisse die stete Berücksichtigung dieses Momentes
von grosser, insbesondere auch von practischer Bedeutung werden.
Um Irrthümern vorzubeugen ist stets gegenwärtig zu halten,
dass es Selbstdif f ereji zirung im „analytischen" Sinne,
also in Bezug auf das „Geschehen" selber, auf die Ver-
änderung blos des gerade veränderten Theiles nicht
giebt und nicht geben kann, da entsprechend dem Beharrungs-
gesetz nichts von selber seinen Zustand zu verändern vermag [siehe
S. 14].
Die E n t w i c k e 1 u n g besteht also ihrem Wesen nach
in Wechselwirkungen, in gegenseitigen Beeinflussungen,
was ich in der Einleitung zu meinen Beiträgen zur Entwickelungs-
mechanik zu erwähnen nicht unterlassen habe.
Nur indem auf das Eine ein Anderes einwirkt, kann eine Ver-
änderung an diesem hervorgebracht werden. Betrachten wir das
Andere für sich, so ist die Veränderung desselben abhängige Diffe-
renzirung; betrachten wir beide Theile als ein System, so ist diese
Veränderung Selbstdifferenzirung ,, dieses Systemes", wobei von der
vorausgegangenen, vielleicht äusseren Ursache abgesehen wird, welche
den zweiten Theil plötzlich in die Lage brachte, auf den ersten wirken
zu können.
Die Verwendung dieser Bezeichnungen hat also im rein dyna-
mischen Sinne nur sehr untergeordneten Werth, denn sie bezeichnet
Selbstdiffereiizirung von Eitheilen. 823
im Grimde blos willkürliche Arten unserer Betrachtung und beruht
zudem auf der ausschliesslichen Berücksichtigung [283] der gestaltenden
oder qualitativ differenzirenden Ursachen; aber gleichwohl hat es
Wertli für unsere Erkenntniss zu ermitteln, ob, resp. wie weit ein
bestimmt ,, abgegrenztes" Gebilde z. B. ein Organ, ein Keim-
blatt, ein ganzer Organcomplex seine Gestalt resp. Beschaffenheit in
ihm selber liegenden oder äusseren „gestaltenden" Ursachen
verdankt.
Das reife Ei ist ein Mechanismus, der blos einer einmaligen
äusseren Einwirkung (der Befruchtung) bedarf, um dann, wie
ich gezeigt habe (Nr. 19), aus in ihm selber hegenden Gestaltungs-
ursachen eine grosse Anzahl von typischen Veränderungen
in typischer Reihenfolge sich abspielen zu lassen, so dass
die nach dieser Einwirkung vor sich gehenden Veränderungen in
ihrer Gesammtheit als Selbstdifferenzirungen ,,des Eies^' be-
zeichnet werden können. Durch was für ein Moment bei der Partheno-
genese die Entwickelung veranlasst wird, wissen wir nicht ; wir dürfen
uns diese Ursachen aber äusserst einfach, vielleicht als blosse ,,Aus-
lösung" vorstellen, ähnlich der Anzündung eines lang dau-
ernden Wechsel vollen Feuer^verkes, ohne deshalb die specielle
Einrichtung des Eies mit derjenigen eines Feuerwerkes in Parallele
stellen zu wollen.
Obgleich also die Selbstdifferenzirung kein actives, son-
dern blos ein topographisches Princip ist, wird uns der Nach-
weis seines speciellcn Antheiles an der normalen Ontogenese gleich-
wohl ein nicht zu unterschätzendes Maass von erster Einsicht in die
Entwickelungsvorgänge gewähren; und ausserdem wird uns dasselbe
als Hilfsprincip für die erste entwickelungsmechanische Forschung
äusserst dienlich sein. Ich habe daher nicht ohne besonderen Grund
es allgemein als die erste Aufgabe entwickelungsmechanischer For-
schungen bezeichnet (Nr. 13), zunächst stets den Antheil jedes der
beiden genannten, im erörterten Sinne einander entgegengesetzten
Principien an der formalen oder qualitativen Veränderung jedes der
entwickelungsmechanischen Untersuchung unterworfenen Gebildes
oder Theiles festzustellen. [284] Darin sehe ich den Weg, der uns
824 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
eine erhebliche Strecke weit stetig und direct unserem Ziele zu-
führt. Und die nachstehend zu erörternden Differenzen der Auf-
fassungen beziehen sich wesentlich auf diese Frage.
„Der Ausfall der Antwort über unsere Alternative (seil. Selbst-
differenzirung oder abhängige Differenzirung) wird für die Auf-
fassung mehrerer fundamentaler Fragen von bestimmender Be-
deutung sein :
„Es erhellt zunächst, dass wenn viele „Theile" des Eies sich
rein aus den eigenen, in ihnen selber liegenden gestaltenden Kräften
differenziren, und auf diese Weise die spätere grosse Mannigfaltigkeit
entsteht, dass alsdann das Ei schon von vornherein aus entsprechend
vielen verschiedenen Theilen zusammengesetzt sein muss, dass die
Entwickelung also wesentlich Metamorphose von Mannigfaltigkeit,
Evolution in imserem Sinne ist, trotz der formalen Epigenesis
C. F. Wolff's; ferner dass bei der Furchung, welche das Material
nicht blos zerkleinert, sondern wesentlich zugleich auch in gewissem
Maasse fest localisirt, diese differenten Materialien zugleich in einer
der späteren Entwickelung entsprechenden Weise geordnet werden
müssen, was nm* durch bestimmte qualitative Sonderung bei der Zell-
theilung in der nach einem typischen Schema verlaufenden Fur-
chung möglich erscheint. Damit werden die causalen Bedingungen
der Entwickelung vorzugsweise in das Moleculargeschehen verlegt
und entziehen sich vorderhand grossentheils unserer weiteren Er-
forschung. Das ganze gefurchte Ei ist alsdann vielleicht blos die
Summe dieser selbstständigen Theile, und es findet während der
Periode dieser selbstständigen Differenzirung der Theile kein einheitliches
Zusammenwirken zu einem Ganzen statt; daher kann dann auch das
Ganze normaler Weise keinen regulirenden, gestaltenden Einfiuss auf
die Theile ausüben. W. His' Frincip der „organbildenden Keim-
bezirke" erhält dann neben seiner descriptiven zugleich auch eine
einfache causale Bedeutung und lässt sich [285] in dieser Bedeutung
zurück bis auf das eben befruchtete, vielleicht zum Theil auch
noch auf das unbefruchtete Ei ausdehnen. Die Doppelbildungen
müssen zur Zeit der ersten Furchungen schon angelegt werden."
Antheil der Selbstdift'erenzirung und abhängigen Differenzirung. 825
,,Wenii dagegen die Entvvickelung wesentlich durch Wechsel-
wirkungaller oder vieler T heile vor sich geht, so braucht umgekehrt
das befruchtete Ei nur aus wenigen verschiedenen Theilen zu bestehen,
welche durch wechselndes Zusammenwirken nach und nach grosse
Complicationen schaffen. Die Entwickelung ist dann wesentlich Pro-
duction von Mannigfaltigkeit, Epigenesis in unserem Sinne. Es findet
ein wechselseitiges Zusammenwirken der Theile zu einem Ganzen statt,
wobei ein reguHrender Einfluss von dem Ganzen auf die Theile rück-
wärts ausgeübt werden kann; und uns ist in der Feststellung dieser
Correlationen ein reiches Feld mit den Mitteln der Zeit in ansrilf-
nehmbarer Forschung gegeben. His' Princip der organbildenden Keim-
bezirke hat dagegen dann nur insofern eine causale Bedeutung, als es
die Orte der Res ultantenbil düng mannigfacher AVechselwirkungen
bezeichnet ; und es ist von nur untergeordnetem W e r t h e ,
diese Orte schon vor der Zeit des Eintrittes dieser Wirkungen auf
das noch indifferente Keimmaterial des ungetheilten
oder unbefruchteten Eies zu projiciren. Die Doppelbil-
dungen können alsdann vielleicht noch zu einer Zeit angelegt werden,
in welcher durch Correlation die Differenzirung der Axenorgane
stattfindet."
,, Desgleichen wird unsere Auffassung von dem speciellen
Wesen der Befruchtung und von der Art der Antheilnahme
des Samens und des Eies an der Bildung des Embryo, sowie rück-
wärts folgernd auch die Auffassung des speciellen Mechanismus
der Vererbung von dem Ausfall der Antwort auf diese Frage
bestimmt werden ; und wir können über diese Probleme wohl über-
haupt nur von diesem Puncte aus allmählich eine gewisse Sicherheit
erlangen."
[286] „Schliesslich aber können Selbstdif f erenzirung und
abhängige Differenzirung der Theile und damit Evo-
lution und Epigenesis sich, wie im anorganischen Geschehen,
in mannigfachem Zusammenwirken combiniren; und es
wird dann unsere Aufgabe sein, bei der Deutung unserer Beob-
achtungen doppelte Vorsicht und doppelten Scharfsinn aufzuwenden,
826 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
um die Antheile jedes beider Principien richtig von einander zu
sondern."
In diesen der Einleitung zu meinen Beiträgen zur Entwicke-
lungsmechanik entnommenen AV^orten [s. S. 19 und 20] habe ich mich
wohl nicht vorzugsweise oder gar ausschliesslich für die Selbstdifferen-
zirung ausgesprochen, insbesondere nicht für das Vorhandensein vieler
Qualitäten im Dotter des unbefruchteten Eies. Sondern es erhellt,
dass von mir von vornherein die verschiedenen Möglichkeiten
gleich massig in Erwägung gezogen worden sind; ein
Verhalten, von dem ich in den Arbeiten 0. Hertwig's keine sicheren
Anzeichen finde. Erst auf Grund der besonderen Erwägung bereits
bekannter und der eigenen Ermittelung neuer Thatsachen habe ich
mich danach über den wirklichen Antheil der Selbstdifferenzirung
geäussert und mich dabei den vorliegenden Thatsachen augeschmiegt und
nahe liegende aber vorzeitige Verallgemeinerungen unterlassen, da es mir
darum zu tliun ist, dass zunächst ein möglichst solides Fundament für
das einstige Gebäude der Entwickelungsmechanik gelegt werde.
Von den in dem erwähnten Wiener Referat (Nr. 26) ausführlich
erörterten Thatsachen, welche für Selbstdifferenzirung sprechen, seien
hier blos die w^esentlichsten kurz mitgetheilt.
Nach Defecten am gefurchten Ei erhielt ich circumscripte
Defecte am Embryo (Nr. 18). Nach Tödtung einer der beiden ersten
Furchungskugeln (Nr. 22) entwickelte sich die überlebende andere
Furchungskugel zu einem halben linken oder rechten Embryo mit
blos einem Medullarwulst, einem Ohrbläschen etc.; die operirte
Eihälfte kann dabei unverändert bleiben oder sich zer- [287] setzen;
entsprechende microscopische Präparate wurden dem Auatomen-Congress
demonstrirt. Manchmal schon auf der Semigastrulastufe, gewöhnlich
erst auf der Hemiembryostufe begann eine „Postgeneration" d. h. eine
nachträgliche Bildung der noch nicht gebildet gewesenen fehlenden
Hälfte des Embryo ohne Benutzung des Materiales der getödteten
Eihälfte (s. S. 796 u. 800). Findet Benutzung des Materiales der ge-
tödteten Eihälfte statt, so beginnt die Postgeneration oft viel früher.
Ich hatte ferner beobachtet, dass die vier ersten Furchungs-
zellen des Froscheies sich jede für sich zu einer Viertelgastrula, und
I
HalbbildungoTi. 827
je zwei dieser vier Zellen sich noch weiter '/a\ einem rechten oder
linken, vorderen oder hinteren halben Embryo zu entwickeln ver-
mögen. Dies Ergebniss habe ich in die Worte gefasst: „Die Ent-
wickelung der Froschgastrula und des zunächst daraus her-
vorgehenden Embryo ist von der zweiten Furchung an eine
Mosaikarbeit, und zwar aus mindestens vier verticalen, sich
selbstständig entwickelnden Stücken".
Für die Zellen des Achtzellenstadiums habe ich angegeben (S. 782),
dass sie die Gastrulation nicht mehr in den groben Formverhältnissen
richtig zu vollziehen vermögen.
Chabry (5) machte entsprechende Befunde an Ascidieneiern;
doch fand die hier stets ohne Benutzung der operirten Eihälfte ver-
laufende und nur- unvollkommene Postgeneration früher als beim
Frosche statt.
C. Fiedler (6) sah aus einer der beiden ersten Furchungskugehi
des Seeigeleies eine Semimorula und die Semiblastula in Form einer
halben hohlen Kugelschale hervorgehen. H. Driesch (7) fand am
gleichen Material dasselbe: sah dann aber weiterhin, dass die Semi-
morula oder Semiblastula ihren Defectrand zusammenschloss und
einen ganzen, normal gestalteten, aber entsprechend kleineren Fluteus
bildete.
Chux (s. S. 808) sah aus halben Ctenophoren-Eiern je eine halbe
[288] Larve hervorgehen, welche erst nach der Geschlechtsreife
die fehlende Hälfte postgenerirte.
Alle Experimentatoren haben also aus dem halben Ei zuerst
eine typische Halbbildung erhalten; und beim Froschei liess sich
von vornherein bestimmen, ob eine rechte oder linke Embryohälfte
entstehen werde. Eine Verschiedenheit bekundete sich nur darin,
dass bei Fröscheti und Cölenteraten erst auf einer späteren Stufe als
bei Ascidien und Echinodermen die Postgeneration begann. Die
Ursache dieses Unterschiedes erbhcken Chun und ich in dem grösse-
ren Dotterreichthum der ersteren Eier als der letzteren (s. S. 810 Anm.)
Es ist ferner an die von P. Egkhart (21) beschriebene Kalbs-
missbildung eines Hemitherium anterius zu erinnern, welche äusser-
lich genau die vordere, wie mit dem Messer abgeschnittene Hälfte
g28 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
eines fast ausgetragenen Kalbes darstellte, während das Amnion an
dem äusseren Defectrand entsprang und der Darmtractus wenig mehr
als die Hälfte darbot. Diese seltene Form von Missbildung, die
Hemitheria anterior^) bekundet, dass, obwohl die der hinteren Kör-
perhälfte entsprechenden ersten Furchungszellen zu Grunde gegangen
sind^), die vorderenFurchungszellenvon untergeordneten Störungen
abgesehen, sich normal entwickeln können, ohne dass eine
ero-änzende Postgeneration einzutreten braucht oder eingetreten
wäre; und der vorliegende [289] Fall zeigt, dass diese Theilentwickelung
auch bei einem Säugethier und zwar sogar fast bis zur Geburtsreife
des Embryo möghch ist und dass, offenbar erst in viel späterer Zeit,
als bei den Froschembryonen die vollkommene Postgeneration ein-
setzt, hier eine unvollkommene Postgeneration eines Stückes des Darm-
rohres stattgehabt hat. Es gehören vielleicht auch einige Formen
4es Acardius, welche gleichfalls hochentwickelte Theilbil-
dungen von Säugethieren und Menschen darstellen, hierher; so der
typische Acephalus dipus und manche Acormi, wie sie vielfach
beschrieben worden sind. "Wenn bei so abgegrenzten Defecten wie
diesen letzteren auch die Zurückprojicirung auf das gefurchte Ei
schwieriger ist, besonders auch, weil offenbar erheblicher nachträg-
licher Schwund von gebildet gewesenen Theilen stattgefunden hat,
und die Entstehungsursache als später wirkend anzunehmen ist, so
1) Diesen Namen hatte ich der von mir aufbewahrten Missbildung auf der
Etiquette beigelegt (s. S. 446), um diesen hohen Grad der Fortentwickelung einer
Halbbildung als solcher zu unterscheiden von den von mir künstlich hervorgebrachten
Hemiembryonen des Frosches, welche immer schon auf früher Entwickelungsstiife
durch Postgeneration als Halbbildungen zu existiren aufhörten. Der an sich be-
zeichnende Ausdruck hat jedoch den Nachtheil, dass er bei der Aussprache nicht
von den Hemiterien, halb Missgebildeten Js. Geoffroy-Saint-Hilaire's zu unter-
scheiden ist; doch glaubte ich, dass dies bei der vollkommen verschiedenen Bedeutung
beider Ausdrücke nicht zu Missverständnissen Anlass geben werde. Herr Eckhart hat
dann bei seiner Beschreibung den Namen von der Etiquette her ohne Kenntniss des
Autors und seiner Gründe in Verwendung gezogen.
['-) Ueber die Ursache des Zugrundegehens der hinteren Furchungszellen wissen
wir natürlich nichts und ebensowenig, ob die primäre Ursache gleich den ganzen
hinteren Theil betraf, oder ob nach directer Zerstörung blos eines Theiles der hinteren
Furchungszellen der andere Theil derselben secundär zu Grunde ging, weil etwa
blos die „Gesammtheit" der Derivate einer der vier ersten Furchungszellen so
hochgradiger Selbstdifferenzirung fähig ist (s. S. 452 und 779).j
Mangel an Postgeneration bei Säugethierembryonen. 829
beweisen sie doch gleichfalls eine hohe Selbstclifferenzirungs-
fähigkeit von embryonalen T heilen und zugleich wieder den
relativen Mangel an Postgenerationsfähiffkeit der Säuger in
diesen speciellen Fällen und damit die ^^beschränkte ge-
staltende Potenz'' der erhaltenen Furchungszellen und deren
Nachkommen, entgegen den Auffassungen Driesch's und 0.
Hertwig's. Ich habe früher bereits (S. 205) auf eine bezügliche Aeusse-
rung Panum's, dass die in Rede stehenden Missbildungen ,,dem
Begriffe eines Organismus nicht entsprechen" und auf die Verallge-
meinerung F. Marchanü's (20), dass schon der normale Embryo in
seinen früheren Stadien dem Begriffe eines Organismus nicht ent-
spricht, hingewiesen. Ferner wurde zugleich die bezügliche Bedeutung
der von W. Zahn entdeckten, von S. Leopold und E. Fischer weiterhin
verfolgten selbstständigen Weiterentwickelung transplan-
tirter embryonaler Organe, sowie der Nebenmilzen und Neben-
lebern und der Geschwülste, insbesondere der zahntragenden Dermoid-
cystome erörtert und bereits folgender Schluss abgeleitet:
,,Wir ersehen aus den angeführten Beispielen, dass viele
,,T heile" des Embryo unter günstigen Ern ährungsum-
ständen sich unabhängig von ihrer näheren oder
ferneren Umgebung ge weblich und formal zu differen-
ziren vermögen, und dass dies [290] zum Theil sogar in an-
nähernd normaler Weise geschehen kann. Daraus geht hervor, dass
die Differenzirung dieser Theile an sich nicht eine Function der
Wechselwirkung zwischen ihnen und den anderen Theilen ist. Also
eine gewisse gewebliche und formale Selbst differen-
zirung vieler ,, Theile" des sich entwickelten Eies ist sicher
vorhanden. Ich werde durch besondere Specialuntersuchungen
im Einzelnen festzustellen suchen, welche kleinsten Theile sie
betrifft, in welcher Periode der Entwickelung sie anfängt, wie weit
sie geht, und ob Complexe dieser kleinsten Theile sich wiederum
weiter zu differenziren vermögen als die einzelnen Theile für sich."
Darauf habe ich die formale Selbstdifferenzirung und die qua-
litative Selbdifferenzirung des Weiteren erörtert. Ich sehe jedoch von
weiteren Selbstcitaten ab , denn es ist schhesslich einfacher und auf
830 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
die Dauer doch nicht ganz zu umgehen, dass die Herren, welche
über die von mir behandelten Probleme sich äussern und zu meinen
Auffassungen Stellung nehmen wollen , zum Aeussersten greifen und
meine bezüglichen Arbeiten derart lesen müssen, dass sie von ihrem
Inhalte Kenntniss haben.
In der Entwickelung eines halben Embryo aus dem halben Ei
bekundet sich , dass in diesem halben Ei nicht b 1 o s das
Material, sondern auch die d i f f e r e n z i r e n d e n gestalten-
den Kräfte zur Bildung der betreffenden Körperhälfte
enthalten sind; dass die Entwickelung derselben also von der
anderen Eihälfte unabhäugig, also Selbstdifferenzirung ist.
Weiterhin bekundet sich:
dass hei diesen Eiern die ,, durch die HefrucJituuff
activh'ten Enerfßien"' jeder der ersten beiden Fur-
chungskugeln und ihrer Derivate IjIos auf die Bil-
dung eines „halhen'-'' Individutims eingestellt sind;
dass dagegen die ..Energien sur Postgeneration'' des
Fehlenden zwar ..potentiell"' vorhanden und durch die
Befruchtung in die Möglichleit gebracht sind, zur
Thätigkeit veranlasst werden zu können, [291] dass
aber zu dieser Activirung derselben erst noch ein besonderes
Moment, eine Störung, nöthig ist; und dass der Auslösung
oder der ersten erkennbaren Bethätigung dieser letzteren Energien
ein bei verschieden beschaffenen Eiern verschieden lang dauerndes
Stadium der latenten Reizung resp. der latenten
Thätigkeit vorausgeht.
Diesem Stadium haben wir es zu verdanken, dass wir über-
haupt zweierlei Entwickelungsarten, eine normale, directe
[s. typische], und eine indirecte, regenerative [atypische, s. regula-
['jAIle Pathologen werden bei ihren täglichen Erfahrungen an den
Tumoren (besonders den Dermoidcystomen) und den Doppelbildungen für dieSpeci-
ficität der Zellen eintreten. Dasselbe that jüngst ausführlich D. Hansemakn (Die
Specificität, der Altruismus und die Anaplasie der Zellen, 1893), ohne sich jedoch
seiner Uebereinstimnuing mit den hier vertretenen Auffassungen voll bewusst zu
werden (vgl. S. 138 Anm. 2).]
Actuelles und potentielles , Ganzes". 831
torische] zu unterscheiden vermögen (s. S. 811 — 814). Erstere vollzieht
sich eine Strecke weit unter Selbstdifferenzirung der ersten Furcli-
ungszellen und des Complexes der Derivate jeder derselben; letztere
setzt tiefgehende Correlationen dadurch voraus, dass gerade die zu einem
typischen, aber zur Zeit nicht bestehenden, mehr oder weniger
w^eit entwickelten Ganzen fehlenden Theile nachgebildet werden.
Würde die Postgeneration sofort nach der Isolirung
einer der zwei oder vier ersten Furchungsz eilen ein-
setzen, und somit das Ei auf dieser niedersten Entwicke-
lungsstufe schon aus dem Stadium des hios ,,potentiellen
Ganzen" zum ..actneUen Ganzen'''' erhöhen ivorden sein, so
hätten wir das „Selbstdiff erenzirung svermögen jeder
dieser Zellen" zu einem entsprechenden Stück des Em-
bryo gar nicht zu erkennen vermocht, sondern wir würden
geschlossen haben, dass die vier ersten FurchungszeJlen
„actuell" {statt hlos „potentiell'''' einander gleich seien.
In diese Lage wären wir gekommen , wenn die neuen Ver-
suche von Edmund Wilson (2) an Amphioxus die ersten in dieser
Sache gewesen wären ; und wir hätten darin verweilen müssen,
bis bei einer Thierclasse das oben erwähnte Verhalten beobachtet
worden wäre.
Wilson sah nach Isolirung einer der beiden oder einer der vier
ersten Furchungszellen des Amphioxuseies diese Zelle sich t heilen
wie eine ganze Eizelle und direct eine voll- [292] kommene,
aber entsprechend kleinere Gastrula bilden. Hier ist also das ,,Latenz-
stadium" bis zur erkennbaren Activirung der zur Ergänzung dienenden
Kräfte so kurzdauernd, dass wir nicht zweierlei Entwickelungsmodi unter-
scheiden können; auch kann die Postgeneratiou hier anscheinend
sehr einfach vor sich gehen. Wenn die Activirung der potentiellen
Energien zur Herstellung einer Ganzbildung hier wirklich sogleich
nach dem ersten äusserlich sichtbaren Schritt der normalen Ent-
wickehmg, nach der ersten Furchung stattfindet, wäre es gewiss das
Einfachste, dass aus dem ,,inactiven" Idioplasson [s. Reserve-
idioplasson] sogleich die der fehlenden ,,actuellen"
Körperhälfte entsprechenden „potentiellen" Idioplasson-
«32 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
tbeile „kinetisirt" und so das ^^actuelle Ei'' completirt
würde ').
Bezüglich einer Furchiingszelle des Achtzellenstadiums
beobachtete Wilson am Amphioxusei, wie ich am Froschei (S. 782),
dass sie unfähig ist, eine Gastrula zu erzeugen; also ist ihr Postgene-
rationsvermögen ein unvollkommenes und die ^^potentielle Toti-
potens" der Zellen des Vierzellenstadiums hier anscheinend
schon zu Ende.
In der Bethätigung ihres „Vermögens zur typischen s.
directen Enttvichelung'''' eriveist sich jede der ersten Furchungs-
sellen des Frosches, der Ascidie, des Seeigels und der Ctenophoren von
der andern s pect fisch verschieden', denn jede liefert für sich ein be-
sonderes Stück der Blastula resp. der Gastrula und des zunächst aus
ihr hervorgehenden Embryo ; in der Bethätigung Wives ,, Vermögens
zur Postgeneration" d. h. zur atypischen s. regulatorischen Ent-
wickelung, dagegen zeigen sich die vier ersten Furchungs-
zellen gleich vermögend und zwar „totipotent".
Soweit diese beiderlei besonderen „Leistungen" an be-
sonderes ,, Material" gebunden sind, werden wir, (worauf ich
schon in meiner ersten bezüglichen Arbeit hingewiesen habe, s. S. 450)
also annehmen müssen, dass dasjenige ,, Material" (Idioplasson) der
Furchungszellen, welches die typische Entwickelung desselben
veranlasst resp. bestimmt, in den verschiedenen Zellen speci-
fisch verschieden ist; während dasjenige Material, durch
dessen Thätig- [293] keit die Postgeneratioii verursacht wird,
das Reserveidioplasson in den vier ersten Furchungszellen
gleich vermögend und zwar „totipotent" ist. Als das [Haupt-]
Depot des Idioplasson sehen wir den Kern an, von welchem aus aber
dasselbe vielleicht nach Bedarf in den Zellleib übertritt. Das durch
die Befruchtung activirte Idioplasson der ,, typischen" Ent-
wickelung wird also durch die Furchung „qualitativ un-
gleich'-\ das nicht activirte Reserveidioplasson der Post- und
Regeneration zunächst ,,qualitativ gleich'' getheilt.
1) Genaueres siehe in: Roüx, lieber die verschiedene Entwickelung isolirter
erster Blastomeren, Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. I, S. 596-618.
I
Activirung der Energien zur atypischen s. regulatorischen ?]ntwickelung. 833
Ob wirklich mit dem Achtzellenstadium diese letztere Gleichheit
zu Ende ist, bedarf wohl noch der weiteren Untersuchung, um eine
Hemmung der Entwickelung dieser Zellen durch Schädigung mit
Sicherheit ausschliessen zu können. Es läge nahe, zu vermuthen,
dass diese ,, Ungleichheit" in der Scheidung des Post- und
Regenerationsmateriales, also des Reserveidioplasson erst mit
der Scheidung des Materiales der ,, Keimblätter" von ein-
ander einträte, und dass dann noch eine Zeitlang „innerhalb
jedes Blattes" dieses Idioplasson wieder ,, qualitativ gleich"
getheilt würde, so dass durch die Zusammenwirkung beliebiger,
iD3 Embryo oder voll entwickeltem Thiere (z. B. Hydra) neben einander
liegender Stücke der beiden primären oder auch der drei resp. vier
Blätter noch das Ganze regenerirt w^erden könnte. Die Möglichkeit
solchen Zusammenwirkens von Zellen mehrerer Keimblätter würde
auf bestimmte Arten der Entwickelungsmechanismen hinweisen.
Durch die Befruchtung werden also nach meiner Auf-
fassung zunächst ,, kinetische" Energien der ,,directen
s. typischen" Entwickelung producirt oder ausgelöst.
Durch ,,i)e/ec2!" oder vielleicht auch durch ,,Älteration der
Anordnung'' der Theile wird, früher oder später, Activirung der
nach der Befruchtung zunächst blos potentiellen Energien zur
regenerativen s. atypischen Entwickelung veranlasst; letzteres
geschieht auch noch nach dem sogenannten Abschlüsse der Entwicke-
lung beim Erwachsenen; aber bei den höheren Thieren alsdann nur
in sehr geringem Grade. Es würde als ein Beweis der Richtigkeit
meiner Auffassung ge- [29-1:] deutet werden können, wenn man an
den von einander getrennten Blastomeren des durchscheinen-
den zweigetheilten Amphioxuseies nach der Trennung sehen könnte,
dass ein Theil^des Kernes bei der nächsten Mitose unbe-
theiligt bliebe^), also wohl derjenige, der das Material zur typischen
Entwickelung der erhaltenen Körperhälfte darstellt, während blos das
[1) Einen Anfang zur Beobachtung solcher Ungleichheit der Kerntheilung stellt
bereits die fundamentale Beobachtung Th. Boveri's von ungleichem Verhalten des
Chromatins bei der Bildung von Geschlechtszellen imd von somatischen Zellen dar
(Entstehung des Gegensatzes zwischen somatischen und Geschlechtszellen. Sitzgsber.
d. Ges. f. Morph., München, Bd. VIII, 1892).!
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. öo
834 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
Reserveidioplassoii sich theilte; und wenn dann bei der weiteren
nächsten Theikmg der so gebildete, anfänglicli chromatinarme Kern
ebenso viel und ebenso grosse und dicke Schleifen bildete als der der
anderen Zelle. Doch das ist blos eine dem gegenwärtigen Stande
unserer Auffassung angepasste Vorstellungsweise.
Das die Regeneration auslösende Moment braucht
nicht blos wirkhcher ,.Befect" zu sein; sondern in ähnhcher Weise
kann anscheinend auch eine ^.Störung der normalen Anord-
nnng'' der Zellen wirken (s. Nr. 28, S. 657); wobei man allerdings
annehmen kann, dass dadurch viele Zellen „ihrer normalen
Naclihar Schaft heranht'- werden, so dass also von mir so genannte
,,Unterhrechungsflächen^^ (s, S. 498 und 784) vorhanden sind,
,, selbst wenn schon andere Zellen den Platz der ver-
drängten vollkommen eingenommen haben" und in Folge
dessen keine ,,S palten" mehr bestehen.
Aber selbst ein noch viel geringerer Grad von Störung
der Anordnung, bei welchem keine Zelle mit ihrer normalen
Nachbarschaft fremden Zellen in Berührung zu kommen braucht,
kann schon Re- resp. Postgeneration auslösen. Das geht,
wie mir scheint, aus Versuchen Driesch's und Wilson's hervor, in
denen aus Seeigel- und Amphioxuseiern , welche Avähreud der
ersten Furchung geschüttelt und daljei statt zertheilt, blos recht
winkelig zur normalen Theilungsebene stark ge dehnt wo r den
waren, Doppelindividuen entstanden (s. S. 794 u. 800). Eine
ähnliche Bedeutung haben wohl auch die Beobachtungen Trembley's und
Nussbaum's (14), dass umgestülpte Hydren, welche auf einer durchge-
steckten Borste fixirt waren, gewöhnlich zweiköpfige Hydren lieferten.
Von der Regeneration mancher Protozoen, z. B. Stentor, [295]
Stylonichia, Vorticellinen und Metazoen (Naideen), welche schon vor
der Selbsttheilung dieser Thiere stattfindet, muss es zunächst zweifel-
haft sein, wie weit sie etwa durch eine eventuelle geringe Streckung
und Einschnürung also doch durch Alteration der Lage der Theile
ausgelöst wird, oder wie weit hier noch besondere, die vorzeitige
Regeneration auslösende Momente vorhanden sind.
Gehen wir nun zu der Besprechung der neueren Publication
Aetivirung der Energien zur atypischen s. regulatorisclien Entwickelung. 835
H. Driesch's (1) ül)er. Dieser Autor vernaclilüssigt neuerdings naeli
dem Vorgänge 0. Hertwig's (9) die von Fiedler (6) und von ilnn
selber (7) festgestellte Thatsache, dass oft aus dem halben Seeigelei
zunächst eine deutliche halbe Morula und halbe Blastula in Form
einer „halben Hohlkugel" entsteht. Er folgert, ohne noch von
Wilson's Ergebnissen Kenntniss zu haben, bereits aus der darauf-
folgenden Bildung eines normal gebauten ganzen Pluteus, den omni-
potenten Charakter der Furchungsz eilen" und stellt die Sätze
auf: ,,dass die Furchung ein gleichartiges indifferentes
Material liefert, von dem jedes Element, wenn isolirt, den ganzen
Organismus liefern kann". ,,Ein völlig unbekanntes Correlations-
priucip beherrscht die Formbilduug" ^).
Melleicht hat ihn zu dieser Vernachlässigung der Semimorula
die gleichfalls am Seeigelei von ihm, wie früher von mir am Froschei
beobachtete Thatsache veranlasst, dass nicht selten statt der
,, hohlen" Halbkugel ein ,, solider", beim Seeigel rundlicher
Zellhaufen gebildet wird. Diesem soliden rundlichen Zellhaufen
können wir aber nicht ansehen, ol) er der Ausdruck davon ist, dass
die kinetische Energie in diesen Fällen von der Isolirung der Fur-
chungszellen an auf die Bildung eines Ganzen eingestellt war, oder
ob seine Entstehung nicht blos auf Störung der auf die Production
einer hohlen Halbkugel, einer richtigen Semimorula gerichteten Kräfte
jjeruht. Selbst wenn erstere Annahme richtig wäre, was ich aljei
bezweifle, so würde in Folge des neben diesen Fällen sicher
constatirten Entstehens von [296] wirklichen „Halbbil-
dungen" aus einem ,, halben Ei" (s. Nr. 28, S. 616) blos geschlossen
werden dürfen , dass die bereits für verschiedene Thierclassen fest
gestellten Ungleichheiten in der Geschwindigkeit der Aus-
lösung und Bethätigung der Postgenerationsmechanismen
auch schon bei ein und derselben Art vorkommen kömien (s. S. 81],
u. Nr. 33).
Driesch legt bei seinen Folgerungen Ijesonderen Werth darauf,
dass das vorhandene ISIaterial, welches während der Furchung eine
[1) Im Sinne von Driesch hat sich Aveiterhin geäussert C. Herbst, Zeitschr. f.
wiss. Zool. Bd. 55, S. 462.]
53*
836 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Eutwickelungshypothesen.
offene hohle Halbkugel ist, sich einfach durch Zusammenlegung
seiner Ränder zu einer ganzen Blastula schliesst, ohne dass das
fehlende Furchungsmaterial etwa durch Zellenknospung ergänzt
wird. Er folgert: „Von Regeneration ist keine Rede."
Diese Folgerung halte ich nicht für richtig.
Trembley giebt an, dass die Ränder der beiden Theile einer der
Länge nach halbirten Hydra binnen einer Stunde verwachsen.
Nüssbaum (10) nimmt an, dass dabei die Zellen amöboid werden, mit
ihren Leibern zunächst zusammenfliessen , um sich später wieder in
normale Zellterritorien zu gliedern. Au viel kleineren Stücken sah
NUSSBAUM, dass jedes zunächst, wie bei der embryonalen Entwickelung
der Polypen, eine geschlossene Blase bildete, an der je nach
der Grösse verschieden schnell die Tentakel und der Fuss sich neu
bildeten.
Da diese Thiere während der Regeneration keine Nahrung
aufnehmen, muss also all dieses durch „Umordnung" der vor-
handenen Zellen, mit oder ohne Verkleinerung derselben durch
Theilung vor sich gehen ; und dabei muss eine entsprechende „ U m -
diff er enzirung" schon differenzirter Zellen stattfinden^).
Der Vorgang dieser Regeneration von Stücken der erwachsenen
Hydra ist also sehr ähnlich dem der Postgeneration einer Semiblastula
des Echinodermen.
Es giebt also eine Regener afion durch ausschliessliche
oder überwiegende ,,Um o r dnun g"" und „ Umdifferoi-
zirung'-'' von Zellen^ ohne oder mit nur geringer [297]
,. Proliferation" bei der Regeneration.
Bei den e r w" a c h s e n e n höheren T h i e r e n ü 1) e r w i e g t
umgekehrt die Proliferation bei der Regeneration.
[') Bei dieser Thatsaclie der Regeneration eines kleinen Stückes der erwachsenen
Hydra ohne Nahrungsaufnalnne zu einer entsprechend kleinen aber ganzen Hydra
scheint es mir nicht angänglich, „den Begriff der Regeneration auf „„reine Spros-
sungsvorgänge"" zu bescLränken" (s. Driesch im Arch. f. Entw.-Mech. I. S. 400);
sondern die hier eingeführte Unterscheidung einer Regeneration durch Umordnung
und Unidifterenzirung der Zellen ist unerlässlich nöthig; auch kommt Gleiches bei
der Postgeueration vor (s. S. 498, 508, 785).]
Regeneration durch Unidifleroiizirung von Zellen. 837
Aber Cmordnuiig und Umdif f erenzirung von Zellen
findet bei jeder Regeneration, aucli der höheren Wirbeltliiere,
statt. Die Unterschiede dieser beiden von mir unterschiedenen
, , R e g e n e r a t i o n s a r t e n " sind also wesentlich q u a n t i t a t i v e .
(s. S. 511 und 801.)
Dass bei jeder Regeneration Umänderung der Anordnung und
von der früheren verschiedene \^erwendung von Zellen stattfindet,
ist leicht zu erschliessen, bestünde sie auch blos in der nicht normalen
Proliferation: diese letztere Beschränkung ist aber nicht einmal zu-
treffend. Denn wenn es Regeneration ohne andere Verwendung
bereits differenzirter Zellen gäbe, so müsste in diesen Fällen die
Regeneration ausschliesslich von undifferenzirten Zellen des Indi-
viduums besorgt werden, also ähnlich, wie man es früher als durch
die weissen Blutzellen geschehend annahm, was von P. Fraisse (11),
GöTTE, Carriere, D. Barfurth (12) u. A. als irrthümlich erwiesen ist.
Wir müssten somit in den Geweben allenthalben besondere für die
Regeneration aufgesparte, bisher gar nicht verwendete und nicht
dilferenzirte Zellen haben, was gleichfalls nicht zutrifft.
Nach den vorliegenden Thatsachen und unter ^^erwendung
meiner Beobachtungen über die Postgeneration der Semigastrulae
und Hemiembryonen des Frosches dürfen wir ferner schliessen, dass
bei den „höheren Thieren" während des früheren Emhryo-
naUehens die Post- resp. wohl auch die Regeneration mehr
durch Umordnnng und Umdifferenzirimg von Zellen, im
erwachsenen Zustande dagegen mehr durch Neubildung von
Zellen sich vollzieht^).
Aber selbst bei der Regeneration der ältesten Individuen findet,
wie die Beobaditung der Wundheilung zeigt, zunächst Umordnung
mehrerer, an die Untersuchungsfläche angrenzender respect. ihr be-
nachbarter Zellreihen statt. Die Embryonen der höheren Thiere
[1) Dieser Unterscheidung einer Regeneration durch Umordnung und Umdifferen-
zirung einerseits und durch Proliferation andererseits hat sich auf Grund eigener
Beobachtungen D. Barfurth angeschlossen (Ueber organbildende Keimbezirke und
künstliche Missbildungen des Amphibieneies. Anatom. Hefte 1893, S. 375).] (Weiteres
siehe Nr. 28, S. 621 u. 657).
838 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
[298] bieten also wieder vorübergehend ein Verhalten dar, wie es bei den
niederen Thieren das bleibende ist. Ich erinnere dabei an das von
mir entdeckte entsprechende Verhalten von Wirbelthier-
embryonen gegen den electrischen Strom, welches in früher
Zeit dem Verhalten der Protisten entspricht (s. S. 745).
Driesch stützt sich bei seiner Folgerung der Gleichwerthigkeit
und Indifferenz der Furchungszellen weiterhin auf Beobachtungen
an durch Druck hochgradig abgeplatteten Eiern, welche auf dem acht-
zelligen Stadium statt aus zwei Zelllagen zu je vier Zellen blos aus
einer einzigen Zelllage zu acht Zellen bestand. Er nimmt an, wenn
in den verschiedenen Furchungszellen verschiedenes idioplastisches
Material enthalten sei, so müsse dies dabei in abnorme Lagerung zu
einander gebracht worden sein. Da gleichwohl normale Embryonen
gebildet werden, sei die Gleichheit und Omnipotenz evident.
Ich habe schon vor Jahren Froscheier vor und
während der Furchung [in verschiedenen Richtungen] platt ge-
drückt und dabei statt der zweiten senkrechten, normalerweise recht-
w^inkelig zur ersten stehenden Furche eine zweite, der ersten parallele
Furche, ferner statt der ersten wagrechten Furchung, welche als dritte
Furchung aufzutreten pflegt, noch eine dritte senkrechte, der normalen
vierten entsprechende Furchung erhalten und danach normale Em-
bryonen entstehen sehen (s. S. 445 Anm. und Nr. 29, S. G05). Bei mir
war jedoch die aehtzellige Platte aus zwei vierzelHgen Lagen ge-
bildet, da die dritte senkrechte Furchung nicht, wie die beiden ersten,
rechtwinkelig zu den pressenden Glasplatten, sondern annähernd parallel
zu ihnen gestellt war. Somit ist in Driesch's Fall in der That eine
wesentlich höhere Abweichung von der Norm vorhanden gewiesen.
Aber ich meine, es müsste die weitere Entwickelung dieser
Eier erst auf's Genaueste verfolgt und mit der normalen Entwicke-
lung vergHchen werden, und es müssten wohl auch sonst noch weitere
allgemeinere entwickeluugsmechanische Erfahrungen gewonnen werden,
ehe eine specielle Deutung dieses Versuches möglich sein
wird, ehe [299] man insbesondere behaupten kann, dass er weder
auf Anachronismus , also auf leichten Varietäten der normalen
Entwickelung, noch auf Vorgängen der vorstehend charakteri-
Totipotenz der ersten Furehungszellen. 839
sirteii Arten der regulatorischen Entwickelnng beruhe,
sondern dass hier noch die ,,typische" Entwickelung vorHege^).
[Nicht eine ,,Omnipotenz" (Driescih) wohl aber] die „Totipotenz"
der ersten Furehungszellen ist von mir vertreten worden,
aber nicht ihre ,,Gleicliheit". Die Zellen im Ganzen sind un-
gleich, denn jede bildet für sich ein anderes Stück des Embryo; un-
gleich sind ihre die normale s. typische Entwickelung bestimmen-
den Theile; gleich und toti potent ist blos das ausserdem in
ihnen vorhandene Reserveidioplasson.
Die Einsicht, dass bei der Re- und Postgeneration völlig
unbekannte Correlationen vorkommen müssen, ist nicht neu.
Wir werden erst ermitteln müssen und auch können, ob diese
bei der Re- und Postgeneration stattfindenden Corre-
lationen blos anfangs oder während der ganzen Dauer der Regene-
ration stattfinden; ferner ob, eventuell bei welchen Thieren, sie vom
ganzen defecten Gebilde oder blos von Theilen desselben,
etwa den die Unterbrechungsfläche bildenden Zellen, [letztere im weiteren
Sinne s. S. 834J, oder von Ganglien etc. ausgehen, ehe wir beurtheilen
können, ob O. Hertavig's weiter unten eingehender zu besprechender
Ausspruch, dass alle einzelnen Theile des Organismus sich stets
in Beziehung zu einander entwickeln, dass die Entwickelung
eines Theiles stets abhängig von der Entwickelung des
G a n z e n i s t (3), auch nur für die Post- und Regeneration Richtiges enthält.
Dagegen spricht aber schon jetzt in gewissem, einschränkendem
Sinne die Thatsache, dass die Regeneration bei Tritonen nach
Spallaxzani (21) auch stattfindet, wenn alle vier Extremitäten zugleich
abgeschnitten worden sind; woraus zu folgern ist, dass zur Bildung
neuer Ex trejaii täten der einen Antimere die Anwesenheit der
anderen Extremitäten wenigstens , , n i c h t n ö t h i g " ist, dass
also von ihnen zu dieser Bildung keine gestaltenden Corre-
lationen auszugehen „brauchen".
Es ist schon mehrfach die 0. Hertwig's Auffassung ent- [300]
[1) In ähnlichem Sinne äusserte sich gleichzeitig F. Braem (Das Princip der
organbildenden Keimbezirke und die entwickelungsmechanischen Studien von H.
Drie-ch, biolog. Centralblatt, März 1893, S. 146-151).]
840 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
gegengesetzte Ansicht ausgesprochen worden, dass das Begreuzungs-
material jedes Durchschnittes, an dem Regeneration eines
Thieres erfolgt, selber die gestaltenden Ursachen enthalte,
um die pheripher von ihm gelegenen Theile zu reprocluciren. Wenn
wir diese Auffassung ent wickelungsmechanisch formuliren wollten,
müssten wdr sagen, dass jede Zelle noch von demselben Material
enthielte , welches sie befähigte , ihre normalen Nachkommen und
deren Anordnung bei der Ontogenese zu produciren, und dass zufolge
dessen jede einen Defect begrenzende Zelle auf's Neue zur Wieder-
holung ihrer früheren normalen Leistung befähigt sei, und dass sich
auf diese Weise die Regeneration vollziehe. Bei unvollkommener
Entfernung der Nachkommen einer Zellgruppe, also bei blossen um-
schriebenen Substanzverlusten müsste dann entweder eine zweite
Bildung des im entvvickelungsmechanischen Sinne peripheren, d. h.
descendirenden Theiles, also eine Doppelbildung stattfinden, oder die
noch vorhandenen Theile müssten die Fähigkeit haben , die weitere
Production neuer Theile zu verhindern ; was in dem gedachten Falle
vielleicht einfach mechanisch durch räumhche Behemmung sich voll-
ziehen könnte.
Sehen wir davon ab, dass diese Hypothese eine Entwickelung
durch fast vollkommene Selbstdifferenzirung voraussetzt, welche nicht
erwiesen ist, so spricht gegen die Richtigkeit dieser Auf-
fassung erstens, dass bei circumscripten Defecten der Extremitäten,
bei Wunden mit grossem Substanz verlust der Ersatz deutlich erkenn-
bar nicht überwiegend in centrifugaler Richtung vor sich
geht, wie es sonst wohl zu erwarten sein müsste, sondern, bei ge-
nügender Ernährungsgelegenheit von der Peripherie her, in gleichem
Maasse auch von ihr aus stattfindet. Bios bei den Cerebrospinal-
nerven ist die Regeneration centrifugal gerichtet; ein Verhalten,
welches wohl mit Recht von dem Einfluss der central gelagerten,
den Nervenfasern zugehörigen Ganglienzellen abgeleitet wird.
Ferner widerspricht der Wiederholung der embryonalen Zell-
folge bei der Regeneration auch dei' Vorgang der Regeneration [301]
abgeschnittener Extremitäten, da die Ueberhäutung der Wunde durch
Epithelien und deren Nachkommen geschieht, welche am Embryo
Totipoteiiz der ersten Furchungszellen. 841
diese Zellen nicht geliefert haben; denn das Ectoderm des Embryo
ist von Anfang an allenthalben continuirlieh angelegt und wird an
den Stellen des vorsprossenden Extremitätenstunnnols nicht erst durch
Ueberwanderung und Verniehrnng von Randzellen dieser Stelle nach-
träglich producirt. Entsprechendes gilt für den Mesodermantheil der
Extremitäten. Es liegen vielmehr bei der Regeneration wieder Fälle
vor, in denen, wie ich mich anderwärts ausgedrückt habe (S. 52 und
93), die geformten P r o d u c t e c o n s t a n t e r sind als die speciellen
Arten ihrer Herstellung^).
Drittens vollzieht sich, wie wir gesehen haben, die Regeneration
überhaupt nicht blos durch Bildung neuer Zellen, sondern auch
durch Umordnung und andere Verwendung, also Umdifferen-
zirung (s. Nr. 28, S. 657) bereits differenzirter Zellen; diese Art
der Regeneration nun kann von denselben Zellen in ver-
schiedenen, sogar in entgegengesetzten Richtungen aus-
gehen. Halbiren wir z. B. eine Hydra durch einen Querschnitt, so
bildet der orale Querschnitt den aboralen Körpertheil, der aborale den
oralen Theil. Schneiden wir bei einem anderen Individuum einige Zellen-
breiten mehr oral durch, so l)ilden die jetzt am aboral gelegenen
Querschnitt befindlichen Zellen den oralen Theil des Thieres, obgleich
sie im vorigen Experiment den aljoralen Theil durch Umgruppirung
dargestellt haben.
Wenn, wie Avir bei Amphioxus sahen, schon eine einzige, und
nur bis auf die erste Stufe entwickelte Zelle das ganze fehlende Stück
ersetzt, oder wenn im ISIinimum drei Zellen aus den drei Leibes-
schichten der entwickelten Hydra dadurch, dass andere Theile des
entwickelten Individuums fehlen, zur Entwickelung eines ganzen In-
dividuums angeregt werden, so wirken also „Theile" eines mehr
oder weniger, immer aber bereits etwas ,, entwickelten" Indi-
1) E. Hertwig und jüngst F. von Wagner (Einige Bemerkungen über das Yer-
hältniss von Ontogenie und Regeneration. Biolog. Centralbl. 1893, Bd. 13, S. 287—296)
haben auf die Verschiedenheit in der Betheiligung der Keimblätter an der normalen
Ontogenese und an der Regeneration resp. Knospung bei Wirbellosen hingewiesen,
also sogar auf viel gröbere Unterschiede zwischen beiden Bildungsarten, als sie hier
vertreten worden sind; gleichwohl aber entstanden auch in diesen Fällen dieselben
typischen Producte wie bei der geschlechtlichen Vermehrung.
842 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
vidiuims auf das in ihnen selber enthaltene Reserve-
Idio- [302] plasson fast wie eine Befruclitnng auf das Ei.
Nur wird blos das dem Ganzen der jeweiligen Entwickelungs-
stufe Fehlende gebildet. Diese Wirkungen können meiner Meinung
nach nicht blos durch den Wegfall des Seit endrucke s nach Weigert
„ausgelöst" sein. Es müsste vielmehr das in einem mehr oder weniger
entwickelten Zustande vorhandene Stück die Bildung des zu dem,
zur Zeit nicht vorhandenen, entwickelten Ganzen Fehlenden veranlassen.
Diese Fassung hat indess ein m e t a p h y s i s c h e s G e p r ä g e. [Denn
wie soll das Vorhandene die Bildung eines anders Beschaffenen
Fehlenden veranlassen ; oder wie soll etwa gar das Fehlende , also
dasjenige, was nicht da ist, seine eigene Bildung in einem Anderen
veranlassen? Man könnte ferner sagen: Wie soll ein Ganzes ent-
stehen, welches blos ideell vorhanden ist? Diese Annahme wäre
aber nicht richtig, denn das Ganze ist in dem defecten Individuum wohl
r e e 1 1 V o r h a n d e n , aber in unentwickelte m Zustande, im Reserve-
idioplasson der Zellen; defect ist blos das „entwickelte" Ganze.]
Wir vermeiden den metaphysischen Schein und ge-
winnen eine mehr mechanische Auffassung, wenn wir an-
nehmen, es werde (vielleicht durch das Fehlen normaler qualitativer
AVirkungen von der Seite des Defectes her) in den die Unterbrechungs-
fläche bildenden oder ihr benachbarten Zellen oder Zellschichten die
volle Thätigkeit des in diesen Zellen enthaltenen, zur Veranlassung
der Bildung eines ganzen Individuums der Species befähigten Reserve-
Idioplasson ausgelöst; aber das entwickelt, also schon differenzirt
Vorhandene hemme durch seine Anwesenheit und Wirkung die Bil-
dung der ihm entsprechenden Theile ; oder es würden in dem zur
Bildung eines ganzen Individuums oder eines bestimm-
ten Stückes befähigten Reserveidioplasson überhaupt
blos diejenigen Theile zur Thätigkeit angeregt, welche
noch nicht in entwickeltem Zustande sich vorfinden (s. S, 78
und Nr. 28, S. 658 u. f.).
Bei dieser mechanischen Fassung des Problems müssen wir
aber neben ausgedehnter Selbstdifferenziruug vieler Theile Corre-
lationen supponiren , die uns zur Zeit ihrer speciellen Natur nach
Charaktere der directen s. typischen Entwickehing. 843
vollkommen unbekannt sind ; doch solche Annahme konnten wir
nach obiger Darlegung auch bei der metaphysischen Fassmig nicht
vermeiden. Ueber diese Correlationen habe ich mich schon in dem
citirten Referat (s. S. 814) andeutungsweise ausgesprochen; da es sich
jedoch zur Zeit blos um allgemeinste, vielleicht von der Wahrheit
sehr weit entfernte Ver- [303J muthungen handeln kann, halte ich
es nicht für angezeigt, dieselben hier zu wiederholen (s. Nr. 28).
Welcher Art nun die Correlationen bei der regenerativen
s. regulatorischen Entwickelung auch sein mögen, so sind wir
doch nicht berechtigt, dieselben ohne weiteres auch der nor-
malen s. typischen Entwickelung zuzuschreiben, wie es
seitens H. Driesch's und 0. Hertwig's geschieht, indem sie die nach
Defecten am Ei auftretenden V^orgänge nicht von den Vorgängen der
typischen Entwickelung sondern. Diese Identification ist nach der
bei der typischen Entwickelung constatirten Selbstdifferen-
zirung der ersten Furchungskugeln unzulässig, obschon die
Regeneration der Hauptsache nach unter denselben „Formen"
sich vollzieht, wie sie bei der normalen Entwickelung vorkommen,
und obschon gewiss auch mancherlei Bildungsvorgänge beiden Ent-
wickelungsarten gemeinsam sein wTrden, trotz der bei der Regene-
ration nöthigen Correlationen.
Diese beiden Entwickelungsarten knüpfen an die beiden
Hauptarten der Vermehrung der Individuen an: die regene-
rative s. regulatorische Entwickelung schliesst sich an die Ver-
mehrung durch ,,Theilung" des „entwickelten" Individuums
unter Regeneration jedes Theilstückeszu einem Ganzen an; die directe
s. typische Entwickelung dagegen schliesst an die Vermehrung durch
Theilung einfacher, d. h. äusserlich nicht oder wenig differenzirter
Zellen, der ,, Fortpflanzungszellen" der Metazoen, der ,, ruhenden
Zelle" der Protozoen an.
Zusammenfassend ist daher zu sagen: Die directe s.
typische Entwiclcelung des Metazoen- Individuums gellt aus von
einer einfach erscheinenden ganzen Zelle von typischer Abkunft, der
Eizelle. Der Beginn dieser Entwickelung setzt meist mit einer Befruch-
tung ein. In ihrem Verlaufe ist sie formal charakterisirt durch die
844 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
typische Ganzfurehung, die Bildung einer ganzen Morula, Blastula, Gas-
trula und durch die sonstigen bekannten, für jeden Thierstamm resp. jede
Species typischen äusseren und inneren Formenwandlungen. Ent-
wickelungsmechanisch ist sie bis jetzt charakterisirt in den ersten Stadien
[(beim Frosch) durch die Bestimmung der ersten Theilungsebene durch
die Befruchtungsebene, durch die Anlage der Schwanzseite des Embryo
auf der Befruchtungsseite des Eies, durch die Lage der Medianebene
in der ersten Furchungsebene etc. s, S. 425 Anm.] ferner [304] durch
die erwähnte Selbstdif f erenzirung der ersten Furchungszehen
zu bezüglichen Theilstücken der Morula, Gastrula und des Embryo,
in etwas späteren Stadien gleichfalls durch einige wenige von mir
nachgewiesene Selbstdifferenzirungen (Selbstschluss des Medullär- und
des Darmrohres) , (s. S. 246) ferner durch einige aus den Missbildungen
erschlossene Selbstdifferenzirungen (s. S. 203, 828), sowie durch
mehrere bereits ermittelte Arten von Correlationen (s. S. 211 u. 253).
Ihr Wesen ist bezeichnet vornehmlich durch stets denselben
typischen Ausgang von einer [ihrer Herkunft und Beschaffenheit
nach typischen], äusserlich ,,undifferenzirten" ganzen Zelle
und (von geringen Variationen und ihnen entsprechenden
directen Anpassungen, Selbstregulationen hier abgesehen,
s. Nr. 28, S. 667 und Nr. 31, S. 279) durch in allen Fällen denselben
typischen Verlauf. Eben in Folge dieses immer gleichen Anfanges
konnte der Verlauf dieser Entwickelung etwas Typischeres, mecha-
nisch Festeres, in bestimmte Bahnen Eingeengtes, wie es in
der Selbstdif f erenzirung grösserer oder kleinerer Theile sich
ausspricht, und so für die Production grösserer Complication
Ausreichenderes und wohl auch Kürzeres erlangen, als es die
zweite Entwickelungsart darbietet.
Die (itypische üixq post- oder regenerative s. i^'g'KJatorisclie
l^ntwicJieh(ng dagegen kann von einem atypisch grossen ,, Stücke"
eines mehr oder weniger „entwickelten", differenzirten Orga-
nismus ausgehen, wobei die Differenzirung bereits ihr höchstes Stadium
erreicht haben oder, wie bei der Postgeneration eines zweigeth eilten
Eies, eben erst begonnen haben kann (s. auch S. 834). Ihr Mechanis-
mus muss in jedem Specialfalle je nach der mehr oder weniger differen-
!
Charactere d. atypischen, s. regulatorischen, s. regenerativen Entwickelung. 845
zirten Ausgangsbeschaffenheit sowie nach der verschiedenen relativen
Grösse und Lage des fehlenden Theiles [oder nach der Ausdehnung
ev. Art der sonst stattgehabten „Störung"' (ö. 834)] ein äusserhch
und mehr noch innerlich verschiedener sein. Die regulatorische
Entwickelung hat also atypische Ausgänge, von denen aus sie
aber gleichwohl zu typischem^) Ende führt. In Folge dieser ver-
schiedenen Ausgänge kann trotz des typischen Endproductes der Ver-
lauf kein ganz typischer sein; sondern in jedem besonderen Falle
müssen seiner Besonderheit angepasste [305] Kegu-
lationsmechanismen sich bethätigen (s. Nr. 31, S. 281). Diese
Anpassung kann nach meiner Vorstellung nur durch, zur Zeit noch
unbekannte, Correlationen vermittelt w^erden, sei es nun, dass die-
selben ausschliesslich oder vorwiegend beim Beginne der Re- und Post-
generarion, bei der ersten Activirung von Idioplassonten oder auch
noch in späteren Phasen der Bildung sich bethätigen.
Da die entsprechenden beiden Vermehrungsarten nicht blos bei den
Metazoen, sondern auch bei den Protozoen vorkommen, so ist das
Gleiche wohl auch bezüglich der Entwickelungsarten dieser letzteren der
Fall. Die typische Entwickelung, welche nach der Theilung der vor-
her vereinfachten, sogenannten ruhenden Zelle einsetzt, geht dann
aus von den durch diese Theilung gebildeten einfach erscheinenden
Sporen, Schwärmsprössliugen oder sonstigen Theilsprösslingen der Spo-
rozoen, Radiolarien, Flagellaten und holotrichen Ciliaten. Die rege-
nerative Entwickelung geht aus von der, neben der vorigen vor-
kommenden (Flagellaten, Ciliaten) oder besonderen Abtheilungen (Rhi-
zopoden, Heliozoen) fast allein dienenden Vermehrungsweise der Selbst-
theilung des differenzirten hidividuums. Hierbei ist gewöhnlich
der Anfang ei» typischer, wie auch bei der Selbsttheilung der Meta-
zoen, indem die Theilung eine Halbirung darstellt oder eine typische
Ungleichheit setzt, und bei mancher Ordnung stets in Quer- bei
anderer in Längsrichtung erfolgt. Aber das Experiment an den bezüg-
lichen Meta- und Protozoen ergiebt bekanntlich, dass auch nach jeder
[i) Es ist aber wichtig, dass dieses typische Ende oft doch nicht ganz
erreicht wird, sondern dass Fehler, Störungen vorkommen, und dass lebendes
Material dabei eliminirt wird, auf welch ' letzteres Geschehen besonders
M. NUSSBAUM aufmerksam gemacht hat.l
846 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
beliebigen andereD, bei den Protozoen den Zellleib und Zellkern
gemeinsam treffenden Tlieilung vollkommene Regeneration beider Stücke
stattfindet ; so dass der typische Aiisgangspunct bei der Selbsttlieilung
l)los ein Specialfall aus der unendlichen Reihe der Möglichkeiten ist ^).
Die der Theilung des differenzirten Individuuius folgende
regenerative Entwickelung knüpft somit an das Lebende in seinem
fertigen Znstande an und könnte insofern primärer scheinen, als die
typische Entwickelung, welcher wenigstens bei [306] Protisten erst die
Rückbildung des differenzirten Individuums zu einem äusserlich ein-
facheren Zustande vorausgeht. Bei den Metazoen haben wir aber nach
Weismaxx u. A. das Fortplianzungsmaterial nicht mehr als von den
differenzirten somatischen Zellen produzirtes Material, sondern als
in seinen wesentlichen Theilen von vornherein vom befruchteten Eie
reservirtes, auf dem Wege vollkommener Assimilation (s. Bd. I,
S. 452) gebildetes und vermehrtes, undifferenzirt gebliebenes
Material zu betrachten. Des Weiteren ist die ,,t3q3isclie" Entwickelung
als Fortbildung von einem stets typischen Anfangsganzen auf typischem
Wege zu einem typischen Endganzen für uns leichter verständlich und
erscheint uns daher auch selber leichter zu sein.
Da wir Menschen zu den höheren Organismen gehören,
bei welchen die ,, typische" Entwickelung die ,, normale", die
regulatorische s. „regenerative" und postgenerative aber die ,, ab-
norme" ist, und da die letztere nach den bekannten Erfahrungen über
unsere Regeneration und nach den Befunden an der hochentwickelten
Halbbildung des Kalbes (Hemitherium anterius, Roux) und denAcephalis
und Acormis des Menschen, selbst wenn sie schon während der ersten
Furchungen einsetzt, nur in sehr beschränktem Maasse Ersatz zu
liefern vermag, so gewinnt die weitere Verfolgung der Unter-
scheidung der beiden Entwickelungsarten des Individuums
ein mehr actuelles Interesse; [ganz abgesehen davon, dass die
') Aber auch für die Protisten ist erst nocb ^^■ie für die Metazoen zu ermitteln,
ob nicht durch, sei es grössere oder nur geringe, Abstossungen von Material nach
künstlichen Defecten doch ein irgendwie typisch begrenztes Stück ge-
schaffen wird, von dem aus dann die Regeneration vor sich geht, obschon
andererseits bei der Regeneration der Extremitäten der Amphibien eine solche Ab-
stossung jedenfalls nur sehr gering sein könnte.
His' Princip der organbildenden Keimbezirke. 847
causale Forschung an sieh uns nüthigt, möglichst zu analy-
siren, und auch, wenn beiden Entwickelungsarten \''ieles gemein-
sam ist, doch dieses Gemeinsame elienso wie das Unterscheidende
genau zu ermitteln und selbst, wenn die typische Ent Wickelung
in Folge der nie ganz ausbleibenden Störungen nie ganz
rein für sich vorkommt, doch ihr Wesen und ihre Ursachen
festzustellen (s. Nr. 31, S. 279)].
Welcher von beiden ,, extremen" Entwickelungsarten nun die
bei der Vermehr tou/ durcli Knospirng vorkommende Entwicke-
lung am nächsten steht, ist wohl allgemein nicht zu sagen, da die
Arten der Knosp ung selber erhebliche Verschiedenheiten darbieten.
Soweit die Knospe in ihrer anfänglichen Differenzirung eine niederere
Entwickelungsstufe einnimmt, als das Mutterthier, muss sie sich ent-
wickeln; soweit sie schon entwickelt ist und bei der Ablösung noch
einen ,,Defect" des Entwickelten besitzt, muss sie sich postgeneriren.
Nach dieser Erörterung der neuen Thatsachen und nach der
Begründung meiner Auffassung von ihrer Bedeutung wollen wir zur
Beurtheilung derjenigen theoretischen Ausführ- [307] ungen
0. Hertwig's übergehen, welche sich gleichfalls um die Alternative:
differenzirende AVechselwirkung oder Mosaikarbeit von
Th eilen des Eies oder Embryos bei der Ontogenese drehen.
Hertwig verwirft in seinem Vortrage über ,, ältere und neuere
Entwickelungstheorien" nach dem Uebergang zu den neueren An-
sichten zunächst His' Princip der organbildenden Keimbezirke.
His (22) führt die Gestaltungen der Ontogenese auf ungleiches Wachs-
tlium zurück iind nimmt an, ,,dass die Keimscheibe des Hühnchens
die Anlagen der Organe in flacher Ausbreitung vorgebildet enthält"
und dass innerhalb eines jeden dieser Bezirke den Theilen eine
Wachs thums er regung innewohnt, die sie bei ihrer Ablösung vom
Gesammtkeime als Mitgift mit sich nehmen. Und er fügt hinzu: ,,Wenn
wir consequent sein wollen, haben wir diese Bestimmung (seil, des
Ortes der Organanlagen) auch auf das eben befruchtete und selbst
auf das unbefruchtete Ei auszudehnen".
848 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
Gegen dies Princip der organbildenden Keimbezirke führt
O. Hertwig die von Pflüger (23) so genannte „Isotropie des Eies",
das soll heissen, die gieichwerthige Beschaffenheit der ,, Dotter -
theile" des Eies an, welche in gewissem Grade aus Pflüger 's,
Born's und meinen Versuchen zu folgern ist.
0. Hertwig hält sich jedoch rein au Pflüger und stellt daher
den beweisenden Sachverhalt nicht richtig dar. Pflüger setzte Frosch-
eier vor der Befruchtung, entgegen der normalen Eieinstellung, mit
dem weissen Pol nach oben auf und Hess durch beschränkten Wasser-
zusatz die Gallerthülle nur so wenig Cjuellen, dass sich die (am Glas
angeklebte, also aussen fixirte) Gallerthülle dauernd fest auf die Ei-
oberfläche presste und ' so eine Drehung verhinderte ; gleichwohl
erhielten oft nach der Befruchtung die beiden ersten Furchungen die
normale senkrechte, die dritte die normale wagrechte Richtung, und
das Medullarrohr wurde in derselben Stellung zur Schwerkraft wie
unter normalen Verhältnissen, hier aber auf der der normalen An-
lagestelle am Ei entgegengesetzten, statt auf der weissen auf der
schwarzen [308] Seite des Eies gebildet; und Pflüger folgert daraus,
ausser der Isotropie des Dotters , dass nicht die Lage des schwarzen
und weissen Dotters, sondern die Schwerkraft die Lage des Medullar-
rohres bestimme, indem diese Kraft eine „meridional polarisirende
Wirkung" auf die obersten Dottertheile ausübe.
Nachdem ich die Arbeit Pflüger's gelesen hatte, habe ich so-
gleich ausgesprochen und es später an geeigneter Stelle drucken lassen
(s. S. 262 u. 343), dass Pflüger bei diesem Versuche nicht das Ei,
das heisst den Ei in halt, sondern blos die „Ei rinde"
fixirt habe, und dass der halbflüssige Eiinhalt sich umgeordnet
habe, indem der, wie ich experimentell festgestellt hatte, specifisch
schwerere Nahrungsdotter (S. 261) sich senkte, der leichtere Bildungs-
dotter aufstieg.
Es war also aus dem Versuche Pflüger's zunächst blos
zu folgern, „dass die Anlage der Organe unabhängig von
der weissen oder schwarzen Eirinde ist" [oder sein kann.]
Born (16) hat unabhängig von mir diese Umlagerungen durch
(Urecte Beobachtung an microtomirten Eiern nachgewiesen und
Unvollkommene Isotropie des Dotters. 849
gezeigt, dass auch der Zellkern mit dem ihn umgebenden Bildungs-
dotter aufsteigt. Die beiden Hauptmassen des Dotters und des Kerns
nehmen also wieder die normale Anordnung ein, bevor die Furchung
beginnt. Statt der „Eiaxe" der Autoren, der bedeutungslosen
Verbindungslinie der Mittelpuncte der schwarzen und weissen Ei-
rinde, hat somit die aetuelle Eiaxe nach meiner Definition , die Ver-
bindungslinie des Massenmittelpunctes des Nahrungs-
und des B i 1 d u n g s d 0 1 1 e r s , wieder fast ganz die normale
Stellung erlangt.
Pflüger's Schlussfolgerung war also nicht berechtigt. GleichAvohl
war sie bezüglich der Isotropie nicht ganz unrichtig ; denn Born zeigte,
dass, wenn auch die Hauptmassen wieder die normale Lagerung an-
nehmen und die Einstellung der Kernspindel bestimmen , doch im
Einzelnen noch mannigfache abnorme Vermengungen von [309]
schwarzem und von grob- und feinkörnigem farblosem Dotter zur Zeit
der dritten Furchung bestehen, so dass also viele spätere Furchungs-
zellen eine abnormale Mischung dieser drei Dottersubstanzen enthalten,
während gleichwohl die Entwickelung normale Eudproducte liefert.
In gleicher Weise war ein gewisses Maass von Isotropie des
Dotters aus Versuchen von mir (Xr. 18) zu ersehliessen, in denen
ich das befruchtete Ei vor und nach der ersten Furchung mit der
kalten Nadel ausstach , wobei ein grosser Theil des Eiinhaltes , bis
etwa \/5 desselben ausfloss und gleichwohl sehr oft (jedenfalls , wenn
der Kern unverletzt blieb), normale Entwickelung folgte. Hier hatte
also erstens ein grosser Defect verschiedener Dottersubstanzen statt-
gefunden, und zweitens mussten die zurückgebliebenen Theile abnorm
gemischt sein; gleichwohl war keine Alteration der Entwickelung als
Folge dieser Aeoiderungen zu erkennen.
Daraus folgt mit Sicherheit, dass beim Froschei die Theile
des Dotters bestimmten Organen des Embryo nicht der
Art entsprechen, dass mit dem Verlust dieser Dotter-
theile auch bestimmte spätere Organe fehlen, und dass
mit der abnormen Anordnung derselben auch spätere
Organe entsprechend abnorm gelagert würden.
Ein gewisses hohes Maass von Isotropie des E i -
W. Roux. Gesammelte Abhandlungen. II. ' 54
850 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungsliypotliesen.
dotters ist also erwiesen und damit die Zurüclvverf olgung
des Principes der organbildenden Keimbezirke auf das
,,ung etil eilte" Ei in dem Sinne, dass jeder Theil des Dotters be-
stimmte Wachsthumsgrösse besitze und einem bestimmten
Organ entspreche, als nicht zutreffend erkannt. (Umgerecht
zu urtheilen, müssen wir uns aber erinnern, dass His den bezüglichen
Ausspruch bereits im Jahre 1874 gethan hat, also zu einer Zeit, wo
die fundamentalen Untersuchungen, die uns von der überwiegenden
gestaltenden Bedeutung des Kernes über die des Protoplasmas belehrt
haben, noch nicht vorlagen.)
Immerhin aber wäre es möglich, bei der normalen Ent-
wickelung, die ein typisch festgeordnetes System von Vor- [310]
gangen darstellt, die einzelnen Organe auf bestimmte Dottertheile des
noch ungetheilten , aber schon befruchteten Eies (s. Nr. 21) zu
projiciren; es liätte aber, wie ich früher (S. 20) dargethan habe, das
Ergebniss dieser grossen j\Iühe keinen besonderen Werth.
Aber für das geth eilte Ei, für die Keimscheibe resp. für die
Morula und Blastula hätte diese Projicirung einen grösseren Werth,
selbst in dem Falle, dass die den einzelnen Organen entsprechenden
Bezirke nicht auch die wesentlichen besonderen Kräfte zu ihrer Diffe-
renzirung enthalten; es wäre damit, wenn auch keinem causalen, so
doch einem topographischen Interesse gedient. Wir haben aber
gesehen , dass das durch die Furchung geschiedene Material jeder der
ersten und daher wohl auch noch, wenn auch vielleicht in beschränkterem
Maasse, späterer Furchungszellen selbstdifferenzirungsfähig ist; sodass
also durch dies Princip nicht blos feste, d.h. bei der normalen Ent-
wickelung unveränderliche t o p o g r a p h i s c h e B e z i e h u n g e n , son-
dern auch directe causale Beziehungen bezeichnet werden.
Das Princip der organbildenden Keimbezirke be-
ginnt somit erst mit der Furchung eine „feste" Bedeu-
tung zu erhalten; dieselbe ist nicht blos eine topogra-
phische, sondern auch eine causale; und sie wird mit dem
Fortschreiten der Furchung eine immer speciellere, denn mit der
Furchung werden verschieden werthige, der „typischen" Ent-
Bestimmende Wirkungen der Anordnung der Dottersubstanzen. 851
Wickelung dienende Idioplassouten mehr und mehr von einander
geschieden und in typischer Anordnung localisirt.
0. Hertwig jedoch folgert allgemein die Unrichtigkeit
des Principes der organbildenden Keimbezirke, auch
für das get heilte Ei.
Die Isotropie des Dotters ist aber trotz der Ergebnisse
obiger Experimente keine vollkommene. Ein Mal ist von einigen
Autoren angegeben worden, dass sie in noch unbefruchteten Eiern be-
stimmter Thiere gefärbte Körner gesehen haben, die später eine typische
Lagerung in dem Embryo erhielten (s. S. 98), indem sie immer in
demselben Organ, der Leber oder [311] dem Auge sich wiederfanden.
Daraus ist aber noch nicht zu folgern, dass diese Theile den Ort der
Anlage oder gar die Anlage des betreffenden Organes bestimmen;
sondern es kann auch blos sein, dass sie bei normalem Ablaufe der
Entwickelung stets dahin geführt werden. Ein Anderes wäre es,
wenn bei Störung der normalen Anordnung des Dotters des unge-
furchten Eies dann auch das bezügliche Organ eine entsprechend
anormale Lagerung erhielte. Doch das müsste erst bewiesen werden,
ehe wir damit zu rechnen haben.
Weiterhin aber steht bei den telolecithalen Froscheiern
das Lageverhältniss des Nahrungs- und Bildungsdotters
mit der Lage der Hauptrichtungen des Embryo im Eie in
einem „festen causalen" Zusammenhang.
Erstens kommt allgemein bei den telolecithalen Eiern der
Nahrungsdotter stets dem Entoblast anzuliegen, sodass mit
der Lagerung dieses Dotters eine Richtung vom Ento- zum Ecto-
blast, beim Frosch die dorsi ventrale Richtung des Embryo schon
am unbefruchteten Ei bestimmt ist (s. Nr. 23). Zweitens halje ich für
Rana esculenta (s. Nr. 16) festgestellt erstens, dass das Ei nach der Befruch-
tung sich derart schief einstellt, dass auf einer Seite die weisse Hemi-
sphäre etwas höher steht, ferner, dass die Medianebene des Embryo
diese Ungleichheit der Einstellung symmetrisch theilt, sodass also
die Richtung der Medianebene mit dieser Dottereinstellnng schon
bestimmt wird; und schliesslich, dass die Seite der höher stehenden
weissen Hemisphäre stets zur cephalenSeitedes Embryo wird, womit nor-
54*
852 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
maier Weise alle HauptrichtungeD des Embryo im Ei fest bestimmt sind.
Pflüger hat darauf entsprechendes für Zwangslage beobachtet, woraus
unter Berücksichtigung der Untersuchung Born's zu schliessen ist,
dass das geringe Maass von nicht durch die innere Umordnung
ausgeglichener Dotteranordnung diese Entscheidung über
köpf- und schwanzwärts bedingen kann; während normaler
Weise diese Einstellung und Bestimmung des Kopf-
schwanzw^ärts durch die Befruchtung bedingt wurd, in-
[312] dem, wie ich zeigte (Nr. 21), auch bei beliebig localisirter Befruch-
tung die schwarze Hemisphäre sich auf der Eintrittsseite des Samen-
körpers senkt, und an der gegenüber liegenden Seite die weisse Hemi-
sphäre weiter nach oben sich ausdehnt.
Ich habe dann dargethan (S. 327, 335, 404 u. f.), dass bei Zwangslage
die Anordnung des Nahrungs- und Bildungsdotters die Einstellung der
ersten Kern-Theiluugsspindel des Furchungskernes beeinflusst, und habe
auf Grund des weiteren Verhaltens erschlossen, dass damit zugleich auch
auf die Qualität der ersten Kerntheilung eine Einwirkung stattfindet
derart, dass bei Einstellung dieser Kernspindel in der Symmetrieebene
der Dottermasse die ihrer Qualität nach normalerweise als zweite auf-
tretende Furchung unter diesen Umständen als erste stattfindet.
Wenn also das Dottermaterial auch nicht derart verschieden ist,
dass es den einzelnen Organen des Embryo entspricht, so: vermag
(Joch bei den telolecithalen Froscheiern eine passiv liervor-
(jehraclite Anordnung der heiderlei Dottermassen, des Bil-
dungs- und des Nahrungsdotters, alle „Hanptrichtungen des
Embryo" im Ei zu hestimmen.
Nach der Verwerfung von His' Princip der organbildenden Keim-
bezirke wendet sich Hehtwig zur Besprechung meiner Versuche.
Er bezweifelt unter Nennung blos meines Namens als Autoren
zunächst die Angabe, dass ursächliclie Beziehungen zwischen
den drei ersten Theilungsebenen des Eies und den Haupt-
richtungen resp. den einzelnen Körperregionen des ent-
wickelten Organismus bestehen, dass die erste Theilungsebene
bei manchen Thieren die Medianebene darstellt (Nr. 16), und dass dies
bei anderen durch die zweite Furchungsebene (Nr. 20 und 21) geschieht.
Zeit der ßestimimnig der Hauptriclitungeu des Embryo. 853
BezÄigliche Thatsaclien sind nicht allein von mir, sondern noch von
vielen anderen Autoren festgestellt. So haben ausser [313] mir selbst-
ständig Newport sowie Pflüger für den Frosch^) erwiesen, dass die erste
Furche normalerweise schon die Medianebene des Embryo darstellt;
ebenso konnten Seeligeu sowie van Beneden und Julin bestimmen, dass
auch bei Ascidien die erste Furche der Medianebene des Embryo ent-
spricht, und dass die dritte Furche das Ecto- und Entodermmaterial von
einander scheidet; welch' letzteres von M. v. Davidoff für das von ihm
untersuchte Object, Distaplia, bestätigt wird. Für die Achordaten liegt
gleichfalls eine grosse Anzahl entsprechender Beobachtungen vor (17),
welche die festen Beziehungen zwischen den Hauptrichtungen des Em-
bryo und den ersten Furchungsebenen darthun :
Bei den Cölente raten stellt die Durchschnittslinie der beiden
ersten Furchungsebenen des Eies zugleich die Hauptaxe des Thieres,
die Verbindungslinie des oralen und aboralen Poles dar; und die dritte,
dazu rechtwinkelig stehende Furche scheidet Ectodermmaterial von
Entodermmaterial. Bei den Ctenophoren entsprechen ausserdem die
beiden ersten Furchungsebenen den beiden gekreuzten Symmetrie-
ebenen des Embr^^o.
Bei den Polycladen entstehen durch die beiden ersten Furchen
zwei kleine, dem aboralen und zwei grosse, dem oralen Pole entsprechende
Zellen; und von den beiden letzteren entspricht die grössere dem
Hinterende, die kleinere dem Vorderende des Thieres. Bei den Ortho-
ne ctiden und Dicyemiden ist gleichfalls vorn und hinten gleich
anfangs zu unterscheiden.
Bei den Nematoden scheidet die erste Furche den Ectoderm-
theil des Eies vom Meso- und Entodermtheil; und bei Rhabditis [314]
nigrovenosa isrnach Götte zu dieser Zeit auch schon die ventrale und
dorsale Seite sowie das Vorder- und Hinterende des Embryo charakterisirt.
1) Das abweicliende Resultat von Frl. Cornelia Clapp an Eiern von Batrachus
Tau, in welchem von 33 Fällen die erste Furche nur drei Mal mit der Medianehene
zusammenfiel, hat schon Born (in Ergehnisse der Anatomie und Entwickelungsge-
schichte von Merkel u. Bonnet, I. Bd., S. 602) auf die bei dem Versuche an diesen
Eiern vorhandenen Fehlerquellen zurückgeführt; und es bedarf nur geringer Versuchs-
fehler, um beim Frochei fast ebenso unrichtige Zahlen zu erhalten (siehe auch Nr. 31,
S. 269 Anm.).
854 Nr. 27. ^Vlosaikarbeit und neuere Entwickelungsliypothesen.
Bei den Rotatorien sind nach der zweiten Furchung schon
alle drei Richtungen des Embryo als bestimmt erkennbar; und die
grösste der vier Zellen liefert das Ento- und Mesoderm.
Bei den Polychäten liefern die nach der dritten Furchung
vorhandenen oberen , kleineren Zellen das Ectoderm , die unteren,
grösseren das Entoderm. Bei den Oligochäten sind nach der dritten
Furchung schon alle Hauptrichtungen des Embryo kenntlich. Die Eier
der Hirudineen haben eine Axe mit kenntlichem animalen Pol, und
schon nach der ersten Furchung sind alle Hauptrichtungen normirt.
Bei Bai an US (Crustaceen) entsteht an dem länglichen Ei zuerst
eine Furche , welche eine vordere , protoplasmatische , den Ectoblast
liefernde Zelle, von der hinteren, Dotterkürner haltigen, dem Entoblast
entsprechenden Zelle scheidet. Bei Cirrhipeden (Policipes) entspricht
nach NussBAüM das Kopfende des Nauplius dem stumpfen Eipole, das
Schwanzende dem spitzen oder Befruchtungspole.
(Das Insectenei dagegen lässt schon vor der Befruchtung an
seiner Gestalt drei Hauptrichtungen erkennen, welche der dorsalen und
ventralen Seite sowie dem Kopfende und Hinterende und den lateralen
Seiten entsprechen ; so dass alle Hauptebenen des Embryo schon vor
der Befruchtung bestimmt sind) [siehe aber S. 118, 299 und 414, 8].
Ich glaube , das angeführte Material dürfte genügen , um un-
zweifelhaft darzuthun, dass trotz der Zweifel 0. Hertwig's solche feste
Beziehungen zwischen den Hauptrichtungen des Embryo und den
ersten Furchungsebenen des Eies und damit auch zwischen entspre-
chenden Abschnitten des Embryo und den Furchungszellen bestehen;
ebenso wie bei manchen Eiern solche festen Beziehungen schon
zwischen besonders charakterisirten Richtungen des unbefruchteten
Eies und den Hauptrichtungen [315] des Embryo vorhanden sind.
Es ist selbstverständlich, dass diese ,, festen" Bezieh-
ungen nicht zufällige, sondern causale sind. Durch die oben-
stehend mitgetheilten Experimente mit localis irter Befruchtung,
Zwangslage und Zerstörung erster Furchungszellen sind
diese ursächlichen Beziehungen als ganz directe dar-
gethan.
Hertwig bezweifelt weiterhin die von mir erwiesene und auch
Anachronismen der Furchung. 855
aus den Versuchen Rauber's ab/Aileitonde Thatsache, dass beim Frosche
häufig eme zeitliche Verwechselung der beiden ersten Furchen
vorkommt, ^h\n kann nämlich, wie ich gezeigt habe (Nr. 20 u. 21),
experimentell hervorrufen, dass die als erste auftretende Furche quer
zu derjenigen Ebene steht, welche die aus schwarzer und einem Saum
weisser Hemisphäre zusammengesetzte obere Ansicht des Eies sym-
metrisch theilt, und dass sie dabei ko]3f- und schwanzwärts des Em-
bryo von einander scheidet: beides die Merkmale der normalen
zweiten Furchung. Die darauf folgende Furchung steht dann in
Richtung der genannten Symmetrieebene und stellt die Medianebene
des Embryo dar: beides die Charaktere der normalen ersten Fur-
chung des Froscheies; so dass wohl hier an einen Irrthum nicht zu
denken ist. Götte (18) hat ferner beobachtet, dass von nahe ver-
wandten Gattungen der Würmer die erste Furche bei den einen die
Medianebene darstellt, bei andern aber rechtwinkelig zur Medianebene
steht, also der zweiten Furche ersterer Thiere entspricht.
Gegen den unzweifelhaft von mir festgestellten Anachronis-
mus der beiden ersten Furchen beim Froschei wendet sich Hertwig
wieder nicht mit Thatsachen, sondern mit einer Frage:
,, Sollte die Natur, wo es sich um fundamentale Geschehnisse
handelt, sich solche Anachronismen erlauben^)? Oder [316] haben wir
nicht in diesen Anachronismen einen Beweis für die Unhaltbarkeit
des v^on Roux aufgestellten Gesetzes zu erblicken? Lehren sie uns
nicht vielmehr, dass zwischen den ersten Furch ungsz eilen und
den späteren Körperabschnitten des Embryo die ursäch-
lichen Beziehungen eben nicht bestehen, die von Roux ange-
nommen und als ,, Sonderungen des Bildungsmateriales mit den difi'e-
renzirenden uijd gestaltenden Kräften'' bezeichnet werden?"
Darauf äussert Hert^vig auf's Neue Zweifel bezüglich der von
mir aus einem halben Froschei nach Abtödtung der zweiten Furchungs-
1) Bei diesen Anschauungen 0. Hertwig's ist es wohl nicht überflüssig, daran
zu erinnern, dass bei dem fundamentalen Geschehniss der Furchung noch grössere
Variationen als ein blosser Anachronismus zweier Furchungen vorkommen; so finden
sich bei verschiedenen Species der Gattung Gammarus verschiedene Furchungs-
typen, und bei den Cladoceren Aveisen sogar das Sommer- und das Wintere! des-
selben Thieres verschiedene Furchungstypen auf.
856 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypotliesen.
zelle erhaltenen Halbbildungen. In seiner Arbeit: „Ui'mund und Spina
bifida" hatte er die Annahme gemacht, ich hätte gar keine Halbl;>il-
duusen sondern Ganzbildungen mit einer normal und einer anormal
entwickelten Hälfte hervorgebracht. Diesen Einwand habe ich dadurch
widerlegt , dass ich auf dem Anatomen-Congress zu Wien im Micro-
scop eingestellte Querschnitte bezüglicher Objecte während meines
^"ortrages circuliren liess, an welclien zu ersehen war, dass die zweite
Hälfte unentwickelt , ja bei manchen Objecten blasig zersetzt war.
Vermuthlich in Folge des Berichtes von Theilnehmern am Congresse
macht Hertwig jetzt einen anderen Einwand. Er führt nämlich die
Verschiedenheit meiner und Driesch's Resultate jetzt auf den Umstand
zurück, dass in meinen Versuchen die die Operation überlebende
Hälfte nicht wirklich isolirt war. ,,Denn neben ihr ist in der Eihülle,
die durch das Anstechen mit heisser Nadel geschädigte Eihälfte zurück
geblieben, eine Dottermasse, welche sich weiter verändert mit der ge-
sunden Zel-lenhälfte in Berührung Ijleibt und zur Ursache wird, dass
diese sich in mehr oder weniger monströser Weise fortentwickelt/'
Dem muss ich entgegenhalten, dass die unversehrte Hälfte sich
oft zu einem so normalen halben Embryo entwickelt hat, dass von
monströser Entwickelung keine Rede sein kann. Und selbst, Avenn
solche normale Entwickelung auch nur in einem einzigen Fall
vorgekommen wäre , so würde dieser Fall a 1 1 e i n schon die
,, Möglichkeit" [317] der Selbstentwickelung der einen
Furchungskugel zu einem halben Embryo dargethan haben.
Wie stellt es Hertwig sich aber vor, dass eine ihrer Entwickelungs-
fähigkeit gänzlich beraubte unentwickelte, oft blasig zersetzte Eihälfte
die andere befähigen soll, sich zu einem halben Embryo, ja sei es
auch nur zu einer etwas missgebildeten Embryohälfte zu entwickeln?
In den Versuchen Chun's (8) aber waren beide Eihälfteu von einander
getrennt und lieferten gleichwohl sogar geschlechtsreife Halbbil-
dungen. Hertwig fragt dagegen: ,,Was müssten es für wunderbare
Processe sein, wenn sich eine wirkliclie hallje Blastula, eine wirkliche
halbe Gastrula und eine wirkliche Halblarve bilden sollte?"
Zunächst scheint berücksichtigungswerth, dass diese Halb-
bildungen sich wirklich gebildet haben. Und „wunderbar" er-
I
Umordnung der Furchungszellen. 857
■scheint mir das niclit; selbst nicht, wenn, wie es beim Seeigelei und
den Ascidien in der That der Fall war, nach Entfernung der getödteten
Eihälfte die andere Furchungszelle sich fast zur Kugel abrundete;
denn das geschah bei diesen Thieren zu einer Zeit, in der die Post-
generatiousmechanismen noch nicht in Thcätigkeit versetzt waren, so
lange also die Mechanismen der typischen Entwickelung allein arbeiteten.
Da konnte sich nach meiner Auffassung dies Geschehen fast ganz wie
normal vollziehen. Beim Seeigel sind die zwei ersten (NB. soliden,
nicht ausgehöhlten) Furchungskugeln schon normaler Weise stark ab-
gerundet und jede bildet gleichwohl unter ,,Um Ordnung''- des
Materiales der Furchungszellen eine halbe Morula, in Form
einer halben HohlkugeP) (s. Nr. 28, S. 614). Hat sich nun eine
isolirte erste Furchungszelle ganz gerundet, so sind entweder diese
Ordnungsmechanismen ein wenig mehr thätig, oder wenn sie es nicht
sind, so erhalten wir eine Semimorula, welche ein klein wenig von
der normalen [318] halbenHohlkugelform abweicht; eine Differenz, die
so gering sein wird , dass wir sie bei der Weichheit des Materiales
kaum sicher feststellen könnten.
Nachdem Hertwig so diese von mir und anderen ermittelten,
zu seiner Theorie nicht passenden sicheren Thatsachen auf dialectische
Weise beseitigt zu haben glaubt, spricht er sich ganz im Sinne der
oben mitgetheilten und widerlegten Auffassung Driesch's von der
Gleichheit der Furchungszellen aus.
Schliesslich hat Hertwig auch selber ein Experiment, am Tritonei,
gemacht und gefunden : ,,man ,, könnte" aus demselben höchstens
schliessen : Bei den Tritoneiern wird durch die erste Theilungsebene das
Bildungsmaterial für die Kopf- und für die hintere Rumpf hälfte gesondert.
Bei Tritonen und Fröschen würden sich danach aus den beiden ersten
Furchungskugeln ganz verschiedene Körpergegenden entwickeln, bei
den Tritonen die vordere und die hintere, bei den Fröschen die linke
und rechte."
Dieser scheinbar tiefgreifende Unterschied verliert sich sofort,
wenn wir den Zustand beider Eier nach der zweiten Furchung betrachten;
1) Dieser fast allgemeine Vorgang der Selbstumordnuug der Furchungszellen
findet bei Turbellarien (Polycladen und Tricladeu) in besonders hohem Grade statt.
<258 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
dann hat jedes dieser Eier vier Zellen, welche in gleicher Weise den vier
Vierteln des Embryo entsprechen.
Der gänzliche Wegfall dieses angeblichen Gegensatzes beruht ein-
fach darauf, dass ein solcher Gegensatz gar nicht besteht; sondern dass
blos eine zeitliche Vertauschung der beiden ersten Furchungen vor-
liegt. Hertwig's einzige bezügliche Beobachtung fügt sich somit
vollkommen in die von mir ausgesprochene Auffassung.
Hertwig fährt jedoch fort: ,,Ein derartiges Endergebniss, meiine
Herren, ist wohl ein deutlicher Beweis, dass wir auch in dieser neueren
Phase der Präformationstheorie auf einen Abweg gerathen sind."
Im Anschluss an die letzte Besprechung meiner Arbeiten folgt
dann das Endurtheil:
[319] ,,Der Fehler, in welchen schon so viele Forscher bei ihren
Speculationen über das Wesen der Entwickelung verfallen sind, besteht
darin, dass sie Merkmale des ausgebildeten Organismus auf die unge-
theilte Eizelle einfach zurück zu projiciren suchen und so die Dotter-
kugel mit einem System kleinster Theilchen bevölkern, die gröberen
Theilen des Organismus qualitativ und auch in räumlicher Anordnung
entsprechen sollen."
Dass diese x4.eusserung auf mich Bezug haben soll, hat für mich
und wohl auch für jeden , der meine Arbeiten kennt , etwas Ueber-
raschendes.
O. Hertwig fährt fort:
,.Bei diesem Verfahren wird übersehen, dass das Ei ein Or-
ganismus ist, der sich durch Theilung in zahlreiche, ihm gleich-
artige Organismen „vermehrt", und dass erst durch die "Weelisel-
Avirkungeii „aller" dieser zahlreichen Eleineiitarorganismeii auf jeder
Stufe der Entwickelung sich der Gesammtorganismus allmählich
fortsei n-eitend gestaltet. Die Entwickelung eines Geschöpfes ist daher
nimmermehr eine Mosaikarbeit; vielmehr entwickeln sich „alle" ein-
zelnen Theile „stets" in Beziehung zu einander oder die Ent-
wickelung eines Theiles ist stets abhängig von der Entwickelung des
Ganzen." (Die gesperrt und fett gesetzten Wörter sind von mir her-
vorgehoben).
Nach dieser Aeusserung 0. Hertwig 's wäre also die Frage, die
Falsche Epigenesis. 859
ich vor sieben Jahren als Alternative mit im Speciellen unendlich
vielen UebergangsmögHchkeiten formnlirt habe (S. 20), und zu
deren Lösung ich die Arbeit mindestens von Decennien für nüthig
hielt, bereits definitiv entschieden und zwar im extremen Sinne der
universellen Weclisel Wirkung: ,,dass alle einzelnen Theile des
Organismus sich stets in Beziehung zu einander entwickeln, oder dass
die Entwickelung eines Theiles stets abhängig von der Entwicke-
lung des Ganzen ist."
Ergänzend äussert er sich in ,,Urmund und Spina bifida !" :
.,Nur dadurch entwickelt sich normalerweise die
[3201 linke F u r c h u n g s z e 1 1 e zur linken K ö r p e r h ä 1 f t e ,
dass sie zu einer rechten F u r c h u n g s z e 1 1 e in Beziehung
gesetzt ist."
Wie sich diese Auffassungen 0. Hertwig's mit der Thatsache
der von mir beobachteten xinachronismen in der Entwickelung
der Keimblätter, oder gar mit dem Fehlen des unteren Blattes
(Anentoblastia) bei wesentlich normaler Anlage der Theile der
beiden anderen Blätter (S. 442) und mit der Bildung der halben
Embryonen vertragen, kann wohl dem eigenen Urtheil der Leser
überlassen bleiben. [Auch der flüchtigste Leser wird erkennen, dass
diese Thatsacheu mit Hertwig's Auffassung unvereinbar
s i n d ; denn wenn so grosse Theile in der Entwickelung zurück
bleiben oder gar fehlen können, ohne dass die anderen Theile dadurch
in ihrer Entwickelung gestört werden, so folgt mit Sicherheit, dass
die Entwickelung dieser letzteren nicht an die Wechselwirkung
mit den fehlenden Theilen gebunden ist, dass sie also nicht durch
die Wechselwirkung aller Theile des Ganzen sich vollzieht.]
Ferner spricht direct gegen den Vollzug der indivi-
duellen Entwickelung durch allgemeines Avechselseitiges
gestaltendes Zusammenwirken ,, aller" Theile zum Gan-
zen die weitere Thatsache, das bei der Hauptclasse der Doppel-
bildungen, also bei denjenigen Doppelbildungen, welche dem von
mir formulirten Gesetz der ,, doppelten Symmetrie der Organanlagen"
{S. 333) entsprechen, dass bei diesen das jedem von beiden In-
dividuen in symmetrisch gleicher Weise fehlende Stück
860 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
wirklich jedes „beliebige'', „eben" abgegrenzte Stück
sein kann; und dass bei ihnen fast alle Organe bis zu der
Vereinigungsebene in „normaler Gestaltung" vorhanden
sind, so, als wenn erst von entwickelten geburtsreifen Zwillingen
nachträglich in ebener Trennuugsfläche symmetrische Stücke ab-
geschnitten, und die Kinder mit den Schnittflächen zusammengefügt
worden wären. Diese normale Gestaltung defecter Organe bis zu
einer beliebigen Abgrenzungsebene, z. B. die einer 8 ähnliche Doppel-
Cornea oder Doppel-Linse des dritten gemeinsamen Auges, spricht
ebenso sehr für das \^ e r m ö g e n von S e 1 b s t d i f f e r e n z i r u n g
sogar von ,,Theilen" dieser Organe, wie die gleichzeitige
Ent Wickelung von zwei so ausgedehnt vereinigten Ge-
Id i 1 d e n zu K ö r ]) e r n , von denen jeder in sich s e 1 1d e r c e n -
trirt ist, das ,, Fehlen" des Thätigseins allgemeiner, sie
zu einem ,, Ganzen" zusammenfassender Wechselwir-
kungen d i r e c t bekundet.
Die Grundlage dieser ganzen Ansichten Hertwig's bildet seine
von ihm so genannte „Vererbungstheorie" (Nr. 9, S. 476), nach welcher
„jedes [321] ,,Theil stück" der Eizelle durch den Kern-
th eilungsprozess nach Quantität und Qualität ,, gleich
viel" Erbmasse in ihrem (soll heissen: seinem) Kern enthält."
Das ßeweismaterial für diese gieichwerthige Vertheilung der Erb-
masse auf alle Zellen des Organismus findet sich in seinem jüngst
erschieneneu Buche „Die Zelle und die Gewebe", Seite 277 zusammen-
gestellt und besteht in Folgendem : erstens darin, dass jeder Organis-
mus zahlreiche Ei- und Samenzellen hervorbringt; zweitens, dass bei
vielen Pflanzen und ebenso auch bei vielen niederen Thieren fast
jeder kleinste Zellcomplex des Körpers im Stande ist, das Ganze aus
sich zu reproduciren. Bezüglich des Unvermögens der höheren Thiere,
sich so vollkommen zu regeneriren, sagt er im Anschluss an Jon.
Müller „deswegen ist man aber nicht zu der Folgerung gezwungen,
dass die Zellen der höheren und niederen Organismen insoferne ver-
schieden wären, als die letzteren alle Eigenschaften derart im latenten
Zustand, also die Gesammtheit der Erbmasse, die ersteren dagegen
nur noch Theile von ihr enthielten. Denn ebenso nahe liegt der
Specification der Kernsubstanz bei der typischen Entwickelung. 861
Schluss, dass bei den höheren Thicreii das Unvermögen der meisten
Zehen , latente Eigenschaften zu entfahen , an den äusseren Beding-
ungen Hegt, z. B. an der zu grossen Differenzirung des Zehkörpers,
in welche die Erbmasse eingeschlossen ist und an anderen derartigen
Verhältnissen."
Dagegen ist zunächst zu erwähnen, dass auch bei den niederen
Thieren, z. B. bei Hydra nicht „fast jeder kleinste Zellencomplex"
des Körpers im Staude ist, das Ganze aus sich zu reproduciren ;
sondern dass dazu nach Nussbaum alle drei Zellschichten, also die
Derivate beider Keimblätter nöthig sind ; dass dagegen grössere Zellen-
complexe blos der äusseren oder inneren Schicht dies Vermögen nicht
besitzen. Doch das ist ein für das gegenwärtig behandelte Problem
unwesentlicher Punct.
Das Wesentliche liegt darin, dass 0. Hertwig folgert, weil in
den Geschlechtszellen vollkommenes Material zur Ver- [322] meh-
rung der Individuen und in allen oder vielen somatischen Zellen voll-
kommenes Material zur Regeneration sich finde, sei überhaupt in
allen .somatischen Zellen vollkommen das gleiche Idioplasson, so
dass auch die normale typische Entwickelung des Individuums
aus dem Ei von diesem in allen Zellen gleichen Kern-
mate riale abgeleitet werden müsste. Sachliche Gründe für
diesen Schluss werden wieder nicht beigebracht. Ich halte denselben
weder logisch noch sachlich für berechtigt.
Ich halte vielmehr dafür, dass die oben erörterten Thatsachen
der Halbbildungen etc. uns zu der Annahme nöthigen, dass durch
die Befruchtung Idioplasson activirt wird, M^elches bei den Furch-
ungen qualitativ ,,ungleich" sich theilt; das ist das Material,
welches die typische Entwickelung des Individuums bedingt;
wäln*end gleichzeitig bei den ersten, eventuell auch bei späteren Ei-
theilungen Vollkesimplasson cj[ualitativ halbirt wird, welches der
eventuellen Post- und Regeneration dient.
Das Idioplasson zur Bildung der männlichen resp.
weiblichen Geschlechtszellen dagegen wird, so weit es nicht
der ,, Entwickelung" dieser Zellen als solcher, das heisst ihres
männlichen oder weiblichen Charakters, sondern der späteren Ent-
862 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
Wickelung des Denen Individuums dient, von kleinsten Varia-
tionen abgesehen, meiner Meinung nach vom befruchteten Ei an bis
zur Bildung der Richtungskörperchen immer qualitativ halbirt.
Als das ,, Hauptdepot" dieser beiderlei idioplastischen Materiahen
(s. S. 874), in welchem aber auch „gearbeitet" wird, betrachte ich
den Zellkern; und das idioplastische Material desselben vermuthe
ich vorzugsweise in der bei der mitotischen Theilung der Längs-
spaltung und danach der Vertheilung auf die beiden neuen Centra
unterliegenden Substanz.
Der Mechanismus der indirecten s. mitotischen Kerntheilung
vermag nun sowohl der von mir so genannten qualitativen Hal-
birung, d. h. der Halbirung der Masse jeder einzelnen Qualität,
wie auch jeder in bestimmter Weise cj^ualitativ un- [323] gleichen
Theilung (s. S. 138 und S. 311) zu dienen; und ich habe daselbst auch
schon umgekehrt dargethan, dass jede dieser beiclgn Theilungs-
weisen des Mechanismus der indirecten Theilung bedarf.
Wenn 0. Hertwig annimmt, dass alle Kerntheilungen nach
meiner Terminologie ,,c[ualitative Halbirungen" seien, so stützt sich
diese Annahme nicht darauf , dass die indirecte Theilung nur diese
zu leisten vermöchte. Der Unterschied beider Theilungen liegt blos
in der Verschiedenheit der vor und während der Längs Spal-
tung der Kernfäden wirkenden, sondernden Kräfte.
Solche besonderen sondernden Kräfte sind sowohl
bei der qualitativen Halbierung wie bei der qualitativ un-
gleichen Theilung der Kernsubstanz, also in beiden Fällen
nöthig. Ich habe zwar dargethan, dass bei genügend grosser Auf-
reihung der Kernsubstanz in viele lange Fäden und Halbirung
dieser Fäden an jedem ideellen Querschnitt derselben, eine geringe
Anzahl von Qualitäten, welche in vielfacher Wiederholung in
den Fäden vorgekommen, rein durch die Wahrscheinlichkeit des Fehler-
ausgieiches an so vielen Halbirungs stellen beim Fehlen beson-
derer sondernder Kräfte auch in der Masse jeder einzelnen Qualität
halbirt werden muss. Gleichwohl halte ich doch unter Berücksichti-
gung der geringen Anzahl von Fäden vieler Eizellen im
Verhältniss zu den selbst bei sehr epigenetischer Ent-
Einschränkung der Epigenesis durch die indirecte Kernth eilung.
Avickelung, (d. li. wenn man die Eutwiekeliing des Individuums
vorzugsweise als wirkliche Production von Mannigfaltigkeit durch
AVechselwirkung einer geringen Zahl verschiedener Theile auf ein-
ander auffasst) zur Uebertragung der elterlichen Eigenschaften noch
nothigen Anzahl verschiedener Qualitäten dafür, dass auch
schon für eine „qualitative Halbirung" dieses Materiales
entsprechende „sondernde" Kräfte thätig sein müssen.
Dies auch deshalb, weil es bei genauer Erwägung wenig wahrschein-
lich ist, dass in den zu spaltenden Kernfäden des Eies jede Qualität
so vielfach enthalten sei, um durch mechanischen Fehlerausgleich hal-
birt werden zu können.
Ein fernerhin bei der Erwägung des Antheiles der verschiedenen
[32J-] Entwickelungsmöglichkeiten zu l:)erücksichtigender Umstand ist
das a 1 1 g e m e i n e A" o r k o m m e n der indirekten Kerntheilung an den
Stellen, wo es sich um Vermehrung vonZellen handelt, die
sich noch in besonderer Weise ,,idiop lastisch " be thätig en sollen.
Diese Thatsache schränkt, wie mir scheint, die mög-
lichen Arten ,, gestaltender Wechselwirkungen innerhalb
der Zelle" und vielleicht auch der Zellen unter einander [also
die epigenetische Entwickelung s. S. 5] nicht unerheblich
ein. Denn zur typischen Entwickelung durch gestaltende Wechsel-
wirkungen von nur wenigen verschiedenen Theilen auf einander,
müssen die jeweilig gestaltend thätigen Theile ein typisches festes
System von Richtungen bilden, und dies muss vom Beginne der typi-
schen individuellen Gestaltung an der Fall sein ^). Bei jeder indirecten
Kerntheilung erhält jedoch das Idioplasson eine neue, von seinem
Ruhestadium -wesentlich verschiedene Anordnung; gestaltende "W'ir-
kungen, die .si^h auf die frühere Anordnung gründeten, müssen daher
durch die neue Anordnung gestört resp. unterbrochen werden. Es
[1) Nach meiner Auffassung beginnt die ,,individuelle'' Gestaltung
s. Entwickelung, abgesehen von der individuellen Vorentwickelung (s. S. 280
u. 74), mit oder sofort nach der Befruchtung und wird äusserlich sichtbar mit der
ersten Furchung, resp. schon vorher z. B. mit der typischen schiefen Einstellung des
Froscheies, mit der Sonderung des Bildungsdotters vom Nahrungsdotter beim Fischei.
Nach Driesch und 0. Hertwig beginnt die individuelle Entwickelung
erst auf dem Stadium der Morula oder B 1 a s t u 1 a.]
864 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
müsste, so weit die bezüglichen gestaltenden Wirkungen von der A n-
Ordnung des Ruhestadiums abhängig sind, nach jeder Theilung wieder
wesentlich die gleiche Anordnung oder zur Weiterbildung eine
typisch von der früheren Anordnung abweichende Anordnung-
hergestellt werden; und EntsiDrechendes müsste mit der Anordnung der
Substanztheilchen in den Kernfäden bei der Theilung geschehen, so-
weit während der Theilung typisch gestaltende Wechselwirkungen statt-
finden. Daher scheint mir der hohe Wechsel in der ,, Anord-
nung" des Idioplasson daraufhinzuweisen, dass die g estalte n-
Wechselwirkungeu nicht sehr von der gröberen, sicht-
baren Anordnung des im Kern enthaltenen Idioplasson
abhängig sind; dadurch wird ihr wahrscheinlicher Wirkungsumfang
erheblich eingeengt und zugleich angedeutet, dass ihre Wirkungen
melir innerhalb kleinster Theile des Idioplasson sich voll-
ziehen; wodurch Avir weiterhin zur Annahme einer grösseren
Anzahl verschiedener kleiner Theile, also zur Vergrösserung
des Antheiles der Evolution an der individuellen Entwickeluug ge-
führt werden.
O. Hertwig lässt, wie wir vernahmen, das idioplas tische [325]
Kernmaterial aller Theilstücke des Eies, also aller Zellen des In-
dividuums vollkommen gleichartig sein; und aus einem Com-
pl exe solcher gl eich beschaff euer Zellen müssen dann nach
ihm, von einem nicht näher bezeichneten Momente an, durch
„Wechselwirkungen" alle die ,, typischen" Differenzie-
rungen, welcher jeder Classe, Gattung und Art zukommen, in
Gleichem wie der übertragene Theil der den Eltern eigenthümlichen
individuellen Eigenschaften entstehen.
Im Anschluss an Nägeli, de Vries u. A. nimmt Hertavig an,
„dass im Allgemeinen jede Zelle eines Organismus den ganzen
Anlagecomplex von der Eizelle empfängt und ihre besondere Natur
nur dadurch bestimmt wird , dass je nach den Bedingungen aus
dem Anlagekomplex einzelne Anlagen oder Idioblasten in
Wirksamkeit treten, während die anderen latent bleiben".
In welcher Weise aber können einzelne Idioblasten activ werden,
und so die Natur einer Zelle bestimmen? In Bezuo- darauf giebt
Unzulänglichkeit der „Entwickelungstheorie" 0. Hertwig's. 865
0. Hertwig der Hypothese \x>n de Vries vor der von Nägeli den
Vorzug. Jener nimmt eine Beeinflussung des Zellcharakters auf ma-
teriellem "Wege an. de Vuies denkt sich, dass in der Anlagesubstanz,
während die meisten Pangene (sive Idioblasten 0. Hertwig) inactiv
bleiben, einige in Wirksamkeit treten, wachsen und sich vermehren.
Dabei wandert ein Theil von ihnen aus dem Kern in das Protoplasma
aus, um hier ihr Wachsthum und ihre Vermehrung in einer der
Function entsprechenden Weise fortzusetzen. Das Verlassen des Kerns
kann aber stets nur derart geschehen, dass alle Arten von Idioblasten
vertreten bleiben.
Nehmen wir an , diese Art der Bildung wäre an sich richtig,
so genügt es für die Entwickelung eines typischen, den Eltern ent-
sprechenden Organismus jedoch nicht, das ,, einige" oder „ein Theil"
von Idioblasten auswandern; sondern es ist nöthig, dass [326]
immer am rechten Ort zu rechter Zeit die rechten Idio-
blasten activirt werden.
Wie und wodurch soll dies nun an einem Haufen
oder einer Schichte vollkommen aus „gleichem" Material
bestehender Zellen bewirkt werden? Denn nicht blos die
Zellkerne sind nach Hertwig einander gleich, sondern auch die Zell-
leiber sind von vornherein einander wesentlich gleich, da ja nach ihm
das Dottermaterial vollkommen isotrop ist. Eine entsprechende typi-
sche Ungleichheit der Gestalt der Zellen von Anfang an, von wel-
cher wohl typische grössere Gestaltungen sich ableiten Hessen, nimmt
er auch nicht an ; allerdings sind auch die Ungleichheiten der Gestalt
der Zellen der Blastula oder der Keimscheibe so gering, dass nur
wenige tj^pische Gestaltungen davon ableitbar wären. Und auch gegen
die typische Ausbildung dieser Ungleichheit der Zellgestalt würde sich
bei den Grundannahmen der qualitativen Gleichheit des Idioplasson
aller Zellen und der ursprünglichen Gleichheit der isotropen Zellleiber,
ebenso wie gegen die typische Activirung von Idioblasten die Frage
richten: woher und wodurch?
Wodurch kommt das System an ,, typischer" Gestal-
tung in die ganze, nach 0. Hertwig vollkommen „gleich-
artige" Zellenmasse?
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. et
366 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere EntwickelungshYpothesen.
Die Zell- und Kerntheilung sind, wie ich dargethan habe, an
sich dazu geeignete Vorgänge; sie können als bestimmt gerich-
tete mid qualitativ sondernde Vorgänge ,, typische" Ver-
schiedenheiten und „typische" Ordnung produciren und so
nach und nach ein äusserst complicirtes System typisch geordneter
verschiedener Theile schaffen; und das wesentliche Urgeschehen künf-
tiger typischer Gestaltung vollzieht sich dabei im Kerumateriale [s.
S. 306, 311 u. 451].
Hertwig traut der Kern- und Zelltheilung in Bezug auf Richtung
vielleicht deshalb nicht viel zu, weil er für die Furchung die Regel
aufgestellt hat (19), dass ,,die beiden Pole des sich theilenden Kernes
sich in der Richtung der grössten Protoplasmamassen einstellen",
Avodurch allerdings die mit diesem Principe zu [327] producirende
Mannigfaltigkeit in ein sehr enges Schema gepresst und daher be-
schränkt wäre.
Diese von Hertwig nicht exact bewiesene und nicht in ihrem
Geltungsbereich festgestellte, sondern wohl blos aus den bekannten
Gestalten der durch die ersten Furchungen gebildeten Zellen abge-
leitete Regel ist indess nach meiner Auffassung auch nur für die
ersten, wenig differenzirtenZellen „annähernd" bezeichnend;
nach den ersten Theilungen treten andere richtungsbe-
stimmende Momente auf und kommen mit zur Geltung; und
später kann man an entwickeltem, hochzelligem , einschichtigem
Cylmderepithel oft sehen, dass die Kern Spindel nicht in Längs-
richtung der Zelle sondern der Querstellung genähert sich
einstellt, obgleich zu dieser Möglichkeit der Raum von vorn herein
fehlt und erst unter Verdrängung von Nachbarzellen besonders ge-
schaffen werden muss, und trotzdem oft noch erheblich kleiner bleibt
als der Raum in der Längsrichtung der Zelle [s. Nr. 31, S. 276].
Es ist also in der Wirklichkeit reichliche Gelegenheit zu den
mannigfachsten Anordnungen der bei der Kerntheilung geschiedenen
Idioplassonten gegeben.
Da von den von Anfang der Entwickelung an nach Hertwig
einander vollkommen gleichen Kernen tj^pische, ungleiche,
„gestaltende" Wirkungen zur Bildung des Individuums nicht aus-
Unzulänglichkeit der „Entwickclungstheorie" 0. Hertwig's. 867
gehen können, so widerspricht Hertwig somit seiner eigenen
,, Vererbungstheorie", nach welcher alle gestaltenden Eigenschaften
durch das Kernmaterial übertragen werden.
Das Gleiche wäre der Fall, wenn Hertwig sich entschlösse, ent-
gegen seiner Isotropie des Dotters anzunehmen, dass die Zellen von
vornherein typiscJi ungleiche Zellleiber hätten und dass dadurch die
typische Verschiedenheit bei der Gleichheit aller Zellkerne bewirkt
würde; denn dann würden die primären idioplastischen Eigenschaften,
entgegen seiner Vererbungstheorie, statt im Kern im Zellleib liegen.
Nach seinen Prämissen muss O. Hertwig die Ursachen der
typischen Gestaltungen nach aussen von den Zellkernen
und [328] den Zellleibern, also ganz nach aussen vom Ei
legen. Ich habe aber (Nr. 19) durch langsame, in einer verticalen
Ebene erfolgende Rotation von Eiern nachgewiesen , dass äussere
gestaltende Einwirkungen zur Entwickelung des befruchteten
Eies nicht nöthig sind; auch würden diese nicht die den
Eltern entsprechenden Gestaltungen bewirken können.
Weiterhin kann Hertwig sich nicht denken, dass ,,bei
der indirecten Kerntheilung" die richtige qualitative
Sonderuug des Materiales sich vollzöge. Kann er es sich
deutlicher vorstellen, dass sie bei der Einwanderung des richtigen
Kernmateriales in den Zellleib vor sich geht? Oder ist dabei keine
besthnmte typische qualitative Materialscheidung nöthig? Wie diese
nach seiner und meiner Annahme nöthige qualitative Materialscheidung
im Speciellen vor sich geht, wissen wir beide nicht.
Nach meiner Annahme aber geht diese typische Sonde-
rung gerade in derjenigen Phase vor sich, in der die
gestaltende K-ernsubstanz in typische Gebilde von kleinem
Dickendurchmesser zerlegt und aufgereiht ist, welche dünnen
Gebilde leichter von sondernden Kräften in ganzer Aus-
dehnung beherrscht werden können als grössere Massen. Das
ist die Grundlage der von mir angenommenen und von vielen anderen
Autoren gebilligten Bedeutung der indirecten Kerntheilung.
Entschliesst sich O. Hertwig, um den Haupttheil seiner „Ver-
erbungstheorie" aufrecht zu erhalten, zu derx4.nnahme, dass die typischen
55*
868 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
V'erschiedenheiten in der Auswanderung von Idioblasten in letzter
Instanz doch von besonderen Beschaffenheiten der Zellkerne der
verschiedenen Zellen abhängen, so muss er seiner Behauptung der
vollkommenen Gleichheit aller Zellkerne widersprechen ; bleibt er bei
der Gleichheit aller Zellkerne, muss er das Wesentlichste seiner Ver-
erbungstheorie, die Uebertragung der Gestaltung durch das Kern-
material fallen lassen.
Das ganze Dilemma löst sich, sobald Hertwig mit mir
von Anfang der individuellen Entwickelung an ,,actives"
und „in- [329] actives" Idioplasson unterscheidet und ersteres,
welches der directen s. typischen Entwickelung des Soma dient, von
Anfang an in typischer Weise ungleich, letzteres aber eine Reihe
von Zelltheilungen hindurch gleich getheilt werden lässt. Ueber die
spätere Gleichheit oder Ungleichheit der Theilung des Regene-
rations- s. Reserveidioplassons mit Hertwig gegenwärtig schon
etwas Bestimmtes zu sagen, halte ich für verfrüht.
Das Ergebniss unserer Kritik der „Entwickelungstheorie"
O. Hertwig's ist, class in derselben nur für die Keimzellen
und für [das allgemeine Vermögen zur Post- und Regene-
ration, nicht für die speciellen gestaltenden Vorgänge der
Post- und Regeneration und der directen oder normalen
Entwickelung der Individuen gesorgt ist.
Aber doch ist die Existenz typisch gebauter und, von kleinen
Abweichungen abgesehen, durch Fortpflanzung in dieser „typi-
schen" Weise ,, wiedererzeugter" Individuen so sicher gestellt,
dass sie wohl von Niemanden, sell)st nicht von einem Autor, mit dessen
,, Theorie" sie sich nicht vereinbaren lässt, in Abrede gestellt werden
kann.
Wir müssen daher bei unseren Entwickelungstheorien auch
für die sichere Uebertragung entsprechender typischer Ge-
staltungsweisen sorgen. Denn genau genommen sind doch von
allem Lebenden die Individuen die Hauptsache; ohne diese hat
weder das Keim-, noch das Regeneration splasson einen Wert.
Nur weil und soweit die Zellen von der Eizelle ver-
schieden geworden sind, stellen sie Theile eines ohne Her-
Nothwendigkeit der Continuität typischer Gestaltungen. 869
vorbringung eines Det'ectes niclit t heilbaren (lanzen, also eines
„Individuum" dar; und wohl nur dadurch können sie nach Ver-
lusten in der obenstehend erörterten Weise veranlassen, dass die
diesem, zur Zeit nicht mehr „actuell" vorhandenen Ganzen
fehlenden Theile wieder aus dem Reserveidioplasson ge-
bildet werden.
Da ich in den ersten Furchungszellen und 'später in vielen Zellen
gleiches Post- und Regenerationsplasson annehme, obgleich die
Leistungen desselben je nach der Lage und Grösse des Defectes sehr
ungleich sind, so kann man mir einwenden, [330] dass ich selber
gleich Hertwig eine Activirung von „verschiedenen" Idio-
plassontheilen aus ,,gleichem" Grundidi oplasson voraus-
setze. Ich halte auch keineswegs die Activirung von ruhenden
K er nbestandt heilen bei der normalen Entwickelung für
unmöglich oder überflüssig ; sondern meine Differenz mit Hertwig be-
zieht sich darauf, dass diese ungleichen Activirungen, soweit es
sich um typische Vorgänge der normalen Entwickelung handelt, auf
mit dem „Anfang" der individuellen Entwickelung begin-
nenden ,,typi sehen" Ungleichheiten des activen Theiles
der Kerne und daraus resultirenden typischen Ungleichheiten ihrer
Wirkungen beruht.
Indem ihrerseits diese mit dem Beginne der i n d i v i d u e 1-
len Entwickelung anhebenden ,,actuellen" Ungleichheiten
auf „inactiven" Ungleichheiten in dem, resp. den Fortpflan-
zungskörpern beruhen, stellt die ,, Continuität des Keim-
plasson" auch die Continuität der typischen Ungleich-
heiten der Individuen her.
Bei der Post- und Regeneration wird die Verschiedenheit der
Auslösung in der (S. 842) erörterten Weise von den typisch ver-
schiedenen Zellen des sich post- oder regenerirenden , in mehr oder
weniger entwickeltem, d. h. differenzirtem Zustande befindlichen
Stückes des Individuums bewirkt.
Es ist also in jedem Falle ein ,, typisch Ungleiches"
vorhanden, w^elches daher auch aus „gleichem" Bildungs-
materiale typisch Ungleiches activiren kann.
870 Nr. 27. Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen.
Ich kDÜpfe somit bei allem individnellen Geschehen au die actuellen
Ungleichheiten an, deren Production mit den ersten ontogenetischen
Entwickelungsvorgängen beginnt und während der ganzen Entwicke-
luug fortgesetzt wird. So bleibt die „Continuität typischer Un-
gleichheit" des activen Kernmateriales vom „Beginne der
individuellen Entwickelung" des befruchteten oder parthe-
nogenetisch sich entwickelnden Eies an bei allen späteren Vor-
gängen, auch bei der Regeneration erhalten und wirksam (s. S. 104).
Nach Hertwig dagegen ist eine solche Continuität typischer
Ungleichheiten nicht vorhanden; sondern erst später soll aus vielen
vollkommen unter [331] sich gleichen Theileu durch nicht
typisch vermittelte, unbekannte Ursache plötzlich typisch
Ungleiches entstehen.
Möge es mir gelungen sein, im Vorstehenden die behandelten
schwierigen Probleme sachlich und klar genug darzustellen, um den
aufmerksamen Leser zu einem richtigen Urtheil über den gegen-
wärtigen Stand derselben zu befähigen.
Innsbruck, im Dezember 1892^).
1) Beim Abschluss vorstehender Abhandlung erhielt ich das neue grosse Werk
Weismann's : „Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung". Die ausgebaute Theorie
dieses hervorragenden Forschers kann nicht in wenigen Worten besprochen werden.
Die bisher nur flüchtige Durchsicht des inhaltreichen, geistvollen Buches zeigt mir,
dass unsere beiderseitigen Anschauungen in Bezug auf mehrere grundlegenden Ver-
hältnisse übereinstimmen. In manchen Puncten zieht Weismann behufs der Aufstel-
lung seiner Theorie weitere Consequenzen aus den vorliegenden Tbatsachen, als ich
es in obenstehender Erörterung, die nur den Zweck hat, die Bedeutung unserer
gegenwärtigen Kenntnisse über die behandelnden Probleme klarzu-
stellen und dadurch eine Grundlage für weitere Experimente zu gewinnen, für
angezeigt gefunden habe. Da ich gleich Weismann die wesentlichen Ansichten ein-
gehend begründet habe, so ist auch ohne besondere Darlegung der Leser der beiden
Publicationen in den Stand gesetzt, die abweichenden Auffassungen (z. B. bezüglich
des Mechanismus der Regeneration s. S. 840) gegeneinander abzuwägen.
Literaturverzeichniss. 871
Literat urverzeichniss.
1. H. Driesch, Entwickelungsmechanisches. Anatom. Anzeiger 1892, Nr. 18.
"2. El'M. B. Wilson, On Multiple and Partial development in Amphioxus. Anatom.
Anzeiger 1892, Nr. 23.
3. 0. Hertwig, Aeltere und neuere Entwickelungs-Theorien. Rede, Berlin 1892.
4. Derselbe, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Anatomie und
Physiologie, 9. Capitel. Jena 1892.
5. L. Chabry, Contribution ä l'embryologie normale et pathologique des ascidies
simples. Paris 1887.
6. C. Fiedler, Entwickelungsmechanische Studien an Echinodermeneiern. In der Fest-
sclirift der Univers. Zürich f. Hrn. v. Nägeli u. Hrn. v. Kölliker, 1891.
7. H. Driesch, Entwickelungsmechanische Studien I. Der Werth der beiden ersten
Furchungszellen in der Echinodermenentwickelung. Experimentelle Erzeugung von
Theil- und Doppelbildungen. Zeitschrift f. wissensch. Zool. Bd. 53, 1891.
8. Chun, briefliche Mittheilung, publicirt in meinen ges. Abhandl. Nr. 26, S. 54.
[Siehe auch die inzwischen erschienene Originahnittheilung :
C. Chun, Die Dissogonie, Eine neue Form der geschlechtlichen Zeugung.
Kap. 7: Zur Entwickelungsmechanik der Ctenophoren. Festschrift f. Rud.
Leuckart. Leipzig 1892.]
9. 0. Hertwig, Urmund und Spina bifida. Arch. f. microsc. Anat. Bd. 39, 1892.
10. M. NUSSBAUM, Ueber die Theilbarkeit der lebendigen Materie. H. Mittheilung, Bei-
träge zur Naturgeschichte des Genus Hydra. Arch. f. micr. Anat. Bd. 29, 1887.
11. P. Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbelthieren,
besonders Amphibien und Reptilien. Berlin 1885.
12. D. Barfurth, Zur Regeneration der Gewebe. Arch. f. micr. Anat. Bd. 37. 1891.
13. P. Eckardt, Ueber Hemitheria anterior. Diss. inaug. Breslau 1889.
14. W. His, Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung.
Leipzig 1875.
15. E. Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und
auf die Entwickelung des Eies. Arch. f. d. ges. Physiologie 1883, Bd. 32.
16. G. Born, Biologische Untersuchungen I: Ueber den Einfluss der Schwere auf das
Froschei. Arch. f. microsc. Anat. Bd. 24, 1885.
17. E. KoRSfiHELT u. K. Heider, Lehrbuch der vergleich. Entwickelungsgeschichte der
wirbellosen Thiere. 2 Theile. Jena 1890—1893.
18. Alex. Götte, Abhandlungen zur Entwickelungsgeschichte d. Thiere. II. Heft, 1884.
19. 0. Hertwig, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte, I. Aufl., S. 39.
20. F. Marchand, fiealencyclopädie der gesammten Heilkunde von Eulenburg 1881.
Artikel Missbildungen.
21. Spallanzani, Prodrome di un opera da imprimersi sopra le riproduzioni animali.
Modena 1768.
Nr. 28.
üeber die Speeifieation der Furehungszellen
und über die
bei der Postgeneration und Reg'eneration
anzunehmenden Vorgänge.
1893.
.Biologisches Centralblatt\ Bd. XIII. Nr. 19—22, ausgegeben am 15. September 1893.
Mit 3 Textfieuren.
Inhalt.
Seite
I. Ueber die Speeifieation der Furchungszellen 873
Typische Ordnung des Eimateriales bei der Bildung der Semimurala 876
Definition der „Selbstdiff erenzirung' 881
Die normale Furchung ist Selbstdifferenzirung des Eies 882
.Theilbildungen", Definition 884
Hervorbringuug gleicher Producta durch verschiedene Bildungs-
reisen . . ' 885
Entwickelung während der ersten Furchungen hochgradig
deformirter Eier 885
Vorgänge bei der Ergänzung der Halbbildungen 888
Entwickelung erst nach der Furchung deformirter Eier . . . . . 891
Differenzirung durch Nachbar schafti^wirkung en 891
Tl. Ueber die bei der Re- und Postgeneration nach Defecten und nach
sonstigen Störungen anzunehmenden regulatorischen Mechanismen und
diflferenzirenden Wechselwirkungen 894
Bei Störungen der Anordnung und bei Deformation 896 u. 901
Specification der Furchuiigszellen. 873
Seite
Auslösungsmonieute der Regeneration 897
Analyse der Correlationen der Re- und Postgeneration ..... 904
Functionelle Correlationen 904
Gestaltliche Correlationen 904
Lageeigenschaften 905
DifFerenzirung, Definition derselben 906
Differentiatio sui, SelbstdifFerenzirung 907
Differentiatio ex alio, abhängige Differenzirung 907
Passive Diiferenzirung 908
Vollkommene, unvollkommene]
Permanente, temporäre / ^^l^«*' ^"^^^ abhängige Differenzirung 908
Anderdifferenzirungsgcbilde 910
Alleindi/ferenz irnngsgebilde 910
Differenzirungs-Hawptgehilde 910
Differenzirungs-Nebengebilde 910
Concurrenz diff er en zir ender Wirkungen 910
Variationen als Ursache der Züchtung „regulirender "
d iffenzirender Correlationen (der indirecten Entwickelung) 911
BedeiUung der „Lage" der Zellen 913
Bedingungen der Wiederholung typischer Gestaltungen .... 913
Abhängige Differenzirung der Mesenchymzellen 914
Directe s. typische Entwickelung 915
Indirecte s. atypische Entioi ckelnng 915
Ueber die Entstehungsweise der Metazoen aus den Protisten . . . 916
I. UeTber die Specification der Furcliung^szelleii.
[612] Es wird jetzt von zwei Autoren der Versuch gemacht , eine
Reihe von Thatsachen, die ich experimentell ermittelt habe, in wesent-
lich anderer Weise zu deuten , als es von mir geschehen ist. Ich habe
aus den bezüglichen Thatsachen gefolgert, dass die .,norniale" in-
dividueUe E^ttvickeJ iing „von Anfang an'''' ein System be-
stimmt gerichteter Vorgänge ist, welches in ..festen"" Bezieh-
ungen zu den Hauptrichtungen des sp eiteren Embryo steht,
derart , dass jede der ersten vier Furchungszellen nicht blos einem
bestimmten Viertel des Embryo räumlich entspricht, sondern auch
für sich im Stande ist, dieses Viertel hervorzubilden. Letzteres schloss
ich daraus, dass ich aus halben resp. Viertel- und Dreivierteleiern halbe
resp. Viertel- und Dreiviertel-Embryonen erhielt. Diese Art der Bil-
374: Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
duDg des Embryo aus einzelnen selbstständig sich entwickelnden
Stücken habe ich als Mosaiharheit bezeichnet').
Jede dieser ersten Furchungszellen erhält daher nach meiner
Meinung einen dieser besonderen Leistung entsprechenden Theil
desjenigen läiopJasson , tvelches durch die Befruchtung
„activirt^' tvorden ist. Dieses Material ist nach meiner Auf-
fassung vorsugsiveise im Zellkern enthalten und wird, soweit
letzteres der Fall ist, durch die „indirecte" Kerntheilung
in entsprechender Weise qualitatir ungleich getheilt.
Die beiden Annahmen dieses letzteren Satzes sind
jedoch nicht unerlässlich nothwendige Glieder meiner
in ihren „wesentlichen" Theilen „experimentell" erwiese-
nen Auf fassung; [das heisst, ich halte nur den direct experimentell
begründeten Theil meiner theoretischen Auffassungen für sicher, den
nicht in gleicher Weise fundirten Theil für hypothetisch, also für
variabel].
[613] Gegen diese Deutung von mir und danach noch von
anderen Autoren ermittelter bezüglicher Thatsachen hat H. Driesch
auf Grund seiner Deutung der an sich sehr werthvollen Ergebnisse
von ihm an Echinodermeneiern angestellter Versuche und 0. Hertwig^)
ohne eigene thatsächliche Unterlagen auf Grund früherer Speculationen
und in Anlehnung an Driesch's Einwendungen erhoben; wobei jedoch
beide Autoren genöthigt waren und auch nicht Anstand genommen
haben, die vorliegenden Thatsachen theilweise zu vergewaltigen.
Die darauf bezüglichen Verhältnisse sind bereits von mir aus-
führlich dargelegt worden (Nr. 27); und die neuen seitdem er-
mittelten Thatsachen passen durchaus zu der von mir
vertretenen Auffassung, so dass keine Veranlassung
vorliegt, dieselbe abzuändern.
Es ist nicht möglich, die vielen Thatsachen und iln-e Deutung
1) Dies ist eine kurze Zusammenfassung. Die den Thatsachen genauer ange-
passte, mit allerhand Einschränkungen versehene genauere Fassung ist in der Original-
abhandlung nachzusehen (s. S. 446—448, 455 u. f.).
-) Jüngst hat 0. Hertwig versucht, seinen Widerspruch nachträglich durch
thatsächliches Beweismaterial zu stützen (Sitzungsber. der k. preuss. Acad. derWiss.
zu Berlin, Mai 1893); hierüber s. Nr. 29.
J
Specification der Furchungszellen. 875
in der Kürze, die diese Zeitschrift vorschreibt, nochmals zu schildern
und kritisch zu erörtern.
Aus dem gleichen Grunde halte ich es auch nicht für der Sache
dienlich, dass Driesgh jüngst eine vorläufige Mittheilung über seine
derzeitige Auffassung (Nr. 9 dieser Zeitschrift) publicirt hat, in welcher
er ebenso willkürlich wie mit deu Thatsachen auch mit den Gegen-
gründeu verfährt, noch dazu ohne dieselben mitzutheilen, so dass der
Leser auf Driesch's ürtheil angewiesen bleibt.
Dies veranlasst mich zu einer Entgegnung. Bei der hier nöthigen
Kürze kann es jedoch nicht der Zweck der folgenden Zeilen sein,
den Leser, über den ganzen Stand der Streitfragen zu orientiren;
sondern ich beabsichtige blos einige Puncte dieser Aeusserungen Driesch's
richtig zu stellen und ein Argument von mir etwas weiter auszuführen,
als es bisher geschehen war.
Da die Discussion aber fundamentale Fragen der Entwickelungs-
mechanik der Organismen betrifft, so darf auch eine so eng beschränkte
Behandlung des Themas Interesse beanspruchen; Und gerade durch
den Widerspruch und das dadurch veranlasste Ziehen weiterer
Consecjuenzen wird das Wesen der vorliegenden Probleme be-
leuchtet und dem allgemeinen Verständnisse näher gebracht.
Zunächst sind einige angebliche Berichtigungen Driesch's zu
berichtigen.
Driesch stellt gegen Weismann, Wilson und mich in Abrede, dass er
aus einem halben Echinodermenei eine halbe ,,Blastula'' erhalten habe.
Die genannten Autoren haben dies wohl gleich mir den hier (s. S. 878)
reproducirten Figuren 5 und 6 seiner Arbeit (s. 2) ^) entnommen,
indem sie dabei das Wort ,,Blastula", übereinstimmend mit Selenka's
[614] Anwendung desselben auf Echinodermen (s. 3, Taf. VIII,
Fig. 60 nebst Erklärung), in der allgemeinen Bedeutung als ,, Keim-
blase", d. h. als rundliches Gebilde mit relativ grosser Höhle und
entsprechend dünner Wandung gebrauchten, wie es auch bei Ver-
gieichung zwischen verschiedenen Thierclassen allein verwendbar ist.
Ein Stadium, welches der viel späteren, von Driesch unter Abweichung
1) Die Verweisungen durch eine Zahl aber ohne vorgesetztes Nr. beziehen sich
auf das dieser Abhandlung am Schlüsse angefügte Literaturverzeichniss.
g76 Nr. 28. lieber die Specification der Furchungszellen etc.
von Selexka ausschliesslich als „Blastula" bezeichneten Bildung ent-
spricht, giebt es z. B. bei Amphibien nicht, so dass diese nach Driesch
gar kein Blastulastadium hätten.
Die Bezeichnung ,, typische Morula" will Disiesch jetzt ebenfalls
willkürlich auf „das letzte der Blastulabildung (letztere in seiner eben
erörterten Auffassung genommen) vorhergehende Furchungsstadium"
beschränken; ein Vorgehen, welches wieder zu „Miss Verständnissen"
und ,, Berichtigungen" Veranlassung geben kann, da dadurch diejenige
Bildung, welche von den genannten Autoren und mir als Blastula be-
zeichnet wurden ist, nach Driesgh noch nicht einmal eine Morula wäre.
Weiterhin findet Driesch es unzutreffend, dass ich bei der Bil-
dung der normalen und der halben Morula von ,, Umord-
nung" des Eimateriales [also für die ganze Morula von Umord-
nung des Materiales des ganzen noch ungetheilten Eies, für die halbe
Morula des Materiales einer der beiden ersten Blastomeren] spreche
(s. S. 804 u. S. 857); er sagt: „Was soll die Semimorula mit Umlagerung
zu thun haben, wo sie doch gerade die 1^'olge des Liegen bleib ens
der Zellen am Orte ihrer Entstehung ist".
Ich ersuche daher den Leser, die linke Hälfte der hier (S. 878)
reproducirten Fig. G Driesch's mit der rechten Hälfte, welch' letztere
die nicht weiter getheilte, nur vielleicht beim Absterben ein wenig
mehr gerundete andere Zelle des Zweizellenstadiums darstellt, zu ver-
gleichen. Mir scheint, es muss bei der Umbildung der früheren linken
fast ebenso gestalteten Zelle zu der dargestellten entwickelten Form der
linken Eihälfte mit der Furchung zugleich eine sehr erhebliche und
zwar in ihrem Endresultat ,, typische" Materialumlagerung vor
sich gehen, da die einfache Zelle solid und nicht entsprechend der
entwickelten Form ausgehöhlt ist. Von einem Entstehen der Semi-
blastula durch Liegenbleiben des ,, Materiales der entsprechenden
Zelle des Zweizellenstadiums", um welches es sich hier handelt, kann also
wohl nicht die Rede sein. Ob diese typische Materialumlagerung blos
während der einzelnen Zelltheilungen oder noch unter nachträg-
lichen typischen Verschiebungen der bereits vollkommen ge-
sonderten Zellen stattfindet, ist hier ohne Bedeutung.
In dieser „typischen" Materialumlagerung zu einer höh-
Gegen die Gleichheit der Furchungszellen. 877
len Halbkugel bekundet sich nach meiner Meinung siclier das
Vermögen dieser einen Zelle eine wahre Halbbildung zu pro-
duciren.
"Wenn nach Driesch und Hertwk; jede der beiden ersten
Furchungszellen beide einander ,, vollkommen" gleich
sind, und es unter normalen Verhältnissen allein durch die Wech-
selwirkung dieser beiden Zellen aufeinander bedingt ist,
dass jede der Zellen blos eine halbe Morula hervorbringt, so müsste
nach Tödtung oder nach Entfernung der einen von beiden Zellen, die
andere sich sogleich zu einer ganzen Hohlkugel [615] entwickeln,
wie es nach Wilson beim Amphioxns im gleichen Falle gescliieht (ohne
dass jedoch aus letzterem Verhalten sicher zu folgern wäre, dass beim
Amphioxus diese Zellen schon unter ,, normalen" Verhältnissen voll-
kommen einander gleich wären; sondern dieses Verhalten kann auf
frühzeitigerem Inthätigkeittreten von nicht durch die
„Befruchtung", sondern erst durch den „Defect" acti-
virtem Idioplasson, also des Reserveidioplasson, oder
auch blos auf abnormer Verschiebung der Zellen beruhen ; s. u. S. 879
(und S. 832).
Aus Driesch's angeblicher Berichtigung gewinnt der Leser weiter-
hin den Eindruck, dass die für die Deutung der ersten Entwickelungs-
vorgänge so wichtige Angabe, beim Seeigel entstehe aus dem halben
Ei eine echte Semimorula von der Form einer ,,hohlen" Halbkugel,
eine ihm von mir gemachte falsche Unterstellung sei ; denn die Nicht-
hohlheit der Semimorula resp. Semiblastula ist die Grundlage seiner
ganzen bezüghchen Erörterungen, ohne welche dieselben keinen Sinn
haben; auch sagt er jetzt S. 304 direct: „Die Semimorula ist also
ein als Form-in toto gar nicht gekennzeichnetes Gebilde".
Um dem Leser die Möglichkeit zu einem eigenen Urtheile zu
gewähren, habe ich Driesch's bezügliche Figuren 5 und 6 hier repro-
■duciren lassen und zwar nach den aus seiner Tafel ausgeschnittenen,
dem Manuscripte beigefügten Originahen.
Ein Blick auf diese Figuren wird über die Berechtigung des Begin-
nens Driesch's belehren. Zudem hat Driesch früher (2, S. 167) gesagt:
• ,,Die Furchung isolirter Furchungszellen des 2-Z eilen-
878
Nr. 28. Ueber die Specification der Furchimgszellen etc.
Stadiums von Echinus microtuherculatus ist also eine Halbbil-
d ung , wie sie von Roux für operirte Froscheier beschrieben
■worden ist." Es war aber der Kernpunct meiner Beobachtungen,
dass die [616] Semimorula des Frosches hohl war. Und vorher findet
sich bei Driesch die Stelle, ,,5^/2 Stunden nach der Befruchtung beginnt
das eigentliche Interesse des Versuches; indem nämlich im Sinne ab-
soluter Selb stdiff er enzir ung die letzterwähnte Theilung eine
typische Hälfte des S echzehnzellenstadiums, wie es oben
Fis. 1.
Fis. 5.
Fig. 6.
Nach Driesch reproducirt.
(Fig. 1) dargestellt ist, in Erscheinung treten lässt". Diese Figur Driesgh's
ist hier unter gleicher Nummer reproducirt und stellt die junge Morula
mit grosser Furchungshöhle dar; also ist wohl zu vermutheu, dass die
„typische Hälfte" davon auch hohl gewesen sei. Dbiesch sagt ferner:
„der Halbkeim bot das Bild einer vielzelligen offenen Halbkugel dar,
wenn auch die Mündung etwas verengt erschien". In seiner letzten
Publication dagegen sagt er (1, S. 303); „Fig. 2 zeigt Bilder der Halb-
furchung eines EcJiimts-Eies^ bei welcher von einer Semimorula,.
d. h. einer Halbkugel gar keine Rede sein kann, und bei
Sphaerechinus ist das immer s o" ^).
1) Ueber die Bedeutung dieses verschiedenen Verhaltens siehe meinen Aufsatz :
Ueber die verschiedene Entwickelung isolirter erster Blastomeren. Arch. für Ent-
wickelungsmechanik 1895, Bd. I, S. 596 u. f.
Bedeutung der Semimorula. 879
Wenn Driesch diese iraliercn, thatsächlichen Angaben desavou-
iren will und nach so deutlichen Aussprüchen und Abbildungen die
Semimorula der Echinodermen als ,,ein als Form in toto gar
nicht gekennzeichnetes Gebilde" bezeichnet, so weiss ich nicht,
welche seiner anderen thatsächlichen Angaben wir als so sicher an-
sehen dürfen, dass er sie nicht^ auch widerruft').
Und ich habe schon (S. 454 und 835) betont, dass das Vor-
kommen solider, rundlicher Semimorulae ,, neben dem
Vorkommen hohler halbkugelförmiger" für unsere Frage
ohne Bedeutung ist; da die letstereBildung die tijpische, be-
sondere gestaltende Kräfte hekundend e Form darstellt, statt
welcher durch geringe Störungen der Thätigkeit dieser Kräfte,
wie sie bei Halbbildungen leicht vorkommen können, die nichts
besonderes repräsentirende, e r s t e r e , solide runde Form hervor-
gehen kann. Wenn bei Amphioxus und Spaerechinus die ersten
Furchungszellen etwas weniger fest aneinander haften als bei anderen
Eiern, können geringe Erschütterungen stets die Bildung einer Semi-
morula verhindern, auch wenn die Tendenz zu letzterer vorhanden ist.
Für Driesch dagegen ist jetzt (2, S. 304) „die Halbkugel [das
heisst die hohle halbkugelige Semimorula] ein in g e w^ i s s e m Sinne
zufälliges Resultat", das dadurch entsteht, dass die Zellen der
betreffenden Eier ,, weniger stark an einander gleiten" als in den an-
deren Fällen , so dass sie an dem Orte liegen bleiben , w^o sie ent-
standen sind.
Es würde richtiger gewesen sein zu sagen: die annähernd
kugelige solide Semimorula ist ein in gewissem Sinne zu-
fälliges Resultat, welches dadurch entsteht, dass die Zellen durch
abnormes A neinander gleiten von dem Orte hinweg gekommen
sind, an den sie durch die, eine typische Halbbildung producirenden
Kräfte hhigelagert worden wären. Um sich von der Nothwendig-
k ei t besonderer, gestaltener resp. ordnen der Kräfte bei der
1) Driesch theilt neuerdings mit (Analytische Theorie der Entwickelung, 1894),
dass er nicht diese Thatsachen in Abrede stellen, sondern ihnen blos eine andere
Deutung als früher beilegen Avollte.
880 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Production einer „hohlen" Halbkugel aus emer soliden,
sich wiederliolt theilenden abgerundeten Halbkugel (wie Fig. 6 linke
Hälfte) zu überzeugen, empfehle ich Driesch, aus Thon diese Vor-
gänge nachzumodelliren und zu [617] versuchen, zu welchem Resultat
er allein mit dem Mechanismus [atypisch gerichteter] Halbirung und
Abrundung der Stücke gelangt^).
Aber wenn auch Driesch das wesentlichste Characteristicum der
Semimorula resp- Semiblastula , die halbe Kugelschalenform jetzt in
Abrede stellt, so bleibt doch noch die gleichzeitige und vollkommen
selbständige, ebenfalls auf Echinodermen (Echinus microtuberculatus)
bezügliche Beobachtung von K. Fiedler (4), welcher aus einer der beiden
ersten Furchungszellen, noch dazu nach vollkommener Entfer-
nung der and eren Zelle, in zwei Fällen je eine ,, halbe Blastula"
gewonnen hat, von der er sagt: ,,die überlebende der beiden ersten
ßlastomeren lieferte eine aus zahlreichen kleinen Zellen bestehende
,, hohle Halbkugel". Die anfangs weite ,,Oeffuung" verengte
sich nach einigen Stunden zusehends, worauf leider Absterben eintrat"^).
Die Umdeutung, welche Driesch zu Gunsten seiner Auffassung
mit den Ergebnissen L Chabry's an Ascidien vorgenommen hat, ist
bereits von D. Bärfurth als unzutreffend (5) dargelegt worden.
Ebenso rasch fertig wie hier mit Thatsachen ist Driesch auch auf
theoretischem Gebiete, welches wir jetzt betreten. Die Argumen-
tationen des Gegners bezeichnet er einfach als unzutreffend und er-
setzt ■ den Mangel an Beweisen dafür sowohl wie für seine eigene
Auffassung durch apodictisch geformte Aeusserungen. Er engagirt
1) Genaueres siehe in der auf S. 878 Anni. citirten Abhandlung.
2)Neuerdings(s.S.879Anm.,S. 17— 19) führt D. die Thatsache,dass aus einzelnen
der beiden ersten Blastomeren des Seeigels resp. aus Achterzellen des Amphioxus
(Wilson) Theilbildungen, halbe resp. Achter-Klastulae hervorgehen, auf „Störung"
der normalen Entwickeluug dieser Zellen zurück. Dagegen Avird die Ganzfurchung
und Ganz-Entwickelung von Eitheilen als das Normale bezeichnet; während
die Bildung desjenigen, was im normalen ganzen Ei, also unter wirklich normalen
Verhältnissen aus diesen Eitheilen hervorgeht, sofern diese Bildung in den isolirten
Eitheilen stattfindet, als Folge von Störung, von Hindernissen aufgefasst wird.
Damit ist dann der wirkliche Thatbestand umgekehrt.
Selbstdifferenzirung. 881
sich überhaupt noch viel zu sehr für Unbekanntes durch bestimmte
Aussprüche über dasselbe ^).
^^on zahlreichen, auf zu flüchtiger Redaction beruhenden Unzu-
treffendheiten im Ausdruck, welche Driesch's Publicationen , besonders
für einen Gegner seiner Auffassungen trotz nicht zu condensirter
Darstellung und übersichtlicher Anordnung des Stoffes, schwerver-
ständlich machen und viel guten Willen sowie reichliche Zuthat eigenen
Salzes seitens des gewissenhaften Lesers erfordern, um nicht zahlreiche
Widersprüche in ihnen zu finden, sowie von nebensächlichen unrich-
tigen Reproductionen meiner Auffassungen sehe ich ab und begnüge
mich, die Puncte zu erörtern, denen ein allgemeineres Interesse zu-
kommt.
Aus den Beobachtungen von Pflüger, mir und Driesch, dass
durch Druck auf das sich theilende Ei und aus Driesch's eigener
Wahrnehmung, dass auch durch Einwirkung abnormer Wärme auf
das Ei die Furchung in abnorme Bahnen gelenkt werden kann, folgert
Driesch (Nr. 2, S. 55) jetzt, im Gegensatz zu seiner früheren Meinung, dass
„die normale Furchung keine Selbstdifferenzirung(R,oux) ist".
Dies Urtheil beruht auf ungenügender Kenntniss der von mir
gegebenen Definition des Begriffes der „Selbstdifferenzirung".
Da ich wiederholt bemerkt habe, dass die richtige Anwendung dieses,
i) Diese Einwendungen gelten auch noch für die neueren Schriften dieses be-
gabten und eifrigen jungen Forschers. Quellen fortgesetzter Missverständnisse scheinen
bei seinen Abhandlungen und bei ihm selber einerseits aus seiner trotz schroffer Form
nicht selten unbestimmten mehrdeutigen Diction und andererseits daraus zu fliessen,
dass er noch zu sehr von seinen eigenen Gedanken in Anspruch genommen ist, um
fremde Gedanken leicht aufnehmen und im fremden Sinne beurtheilen zu können, und
dass ihm schon kleine Unterschiede von seinen Auffassungen so erheblich erscheinen,
dass er darüber das Uebereinstimmende nicht bemerkt. Bezüglich einiger Einzelheiten
siehe I, S. 377, 11,^. 455 Anm. 2; einige wesentliche Diflferenzpuncte sind in Nr. 33
näher behandelt.
Gegenüber der auffallenden, auch von 0. Hertwig reproducirten Angabe, dass
ich für die normale Entwickelung keine „differenzir enden Correlationen"
der Theile annähme, sei auf die im Sachregister vermerkten Stellen verwiesen, iu
denen über dieselben verhandelt wird und wo sogar von regulatorischen ge-
staltenden Correlationen für die noch als normal bezeichnete Entwickelung (s. Nr. 31
S. 279) Gebrauch gemacht Avird. Zudem trennen diese Autoren typische und
atypische Entwickelung nicht oder nicht genügend und müssten daher im Gegen-
theil noch die von mir für die atypische Entwickelung angenommenen differenzirenden
und regulatorischen Correlationen mit heranziehen.
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 56
882 Nr. 28. lieber die Specification der Furchungszellen etc.
für unsere causaleu Forschungen nothwendigen Begriffes einige Schwie-
rigkeiten in sich birgt, so will ich ihn hier nochmals erläutern.
Das Wort Selbstdiifereiiziruiig und sein Gegentheil die abhängige
Differenzirung beziehen sich auf den Sitz der Veränderungssursachen
[618] eines räumlich oder blos in Gedanken abgegrenzten, sich
verändernden Gebildes. Liegen die Ursachen dieser Veränderungen in
dem so abgegrenzten Gebilde selber, so bezeichne ich die Veränderung
als Selbstdiff erenziruug ,, dieses Gebildes", und zwar dies
auch dann, wenn zu dieser Veränderung die Zufuhr von Energie, sei
es in Form von Wärme, Sauerstoff, flüssiger oder fester Nahrung etc.,
von aussen her nöthig ist, sofern nur durch diese Zufuhr nicht die
Art und Oertlichkeit der Gestaltung bestimmt wird (s. S. 821).
Der Ausdruck SeJhstdifferensirung soll sich hlos auf
die ^,speci fischen''' Ursachen der Veränderung , auf die
Ursachen der Art und Oertlichkeit ev. auch der Zeit und
Intensität der Veränderung eines Gebildes beziehen (s. S. 908).
Werden diese Eigenschaften der Veränderung nicht durch diese
Zufuhr von aussen bestimmt, so stellt diese Zufuhr blos eine, vielleicht
unerlässliche, Vorbedingung der Veränderung, aber nicht die spe-
cifische Ursache derselben dar; diese Zufuhr kann alsdann auch
schon lange vorher stattgefunden haben, ohne dass die Verände-
rung stattfindet.
Ich habe nun früher gezeigt, dass die aus typisch gestaltenden
und qualitativ sondernden Vorgängen sich zusammensetzende normale
Furchung beim Frosch eie auch dann normal verläuft, wenn das Ei
auf einer senkrecht stehenden, langsam rotirenden Scheibe fixirt ist,
so dass also Schwerkraft, Erdmagnetismus, Licht- und Wärmestrahlen
in stetig wechselnder Richtung auf das Ei wirken, also keine typisch
gestaltenden Wirkungen an ihm hervorbringen können. Es sind
somit zum normalen Verlaufe der Furchung keine gestaltenden
äusseren Einwirkungen nöthig; die n o r m a 1 e F u r c h u n g d e s E i e s
ist daher als Selbstdiff erenzirung zu bezeichnen, ob-
gleich z. B. ein gewisses Maass von Wärmezufuhr unerlässliche Vor-
bedingung ist.
Der normale Ablauf der Furchung ist ferner abhängig
Selbstdifferenzirung. 883
von der normalen Gestalt des Eies (s. S. 303); da das Ei
diese früher erlangte Gestalt aber gleichfalls ohne äussere gestalt-
tende Einwirkungen einhält, sind solche wiederum zur normalen
Furchung nicht nöthig; die normale Furchung ist also Selbst-
differenzirung des Eies.
Daraus aber, dass Druck und höhere Wärme den gestalt-
lichen und damit vielleicht auch qualitativen Verlauf der Furchung
zu ändern vermögen, kann nicht geschlossen werden,
dass die specifischen Ursachen der ,, normalen", gestalt-
lichen und qualitativ sondernden Vorgänge der Furch ung
„nicht" im Eie selbst gelegen seien. Driesch's Widerspruch
ist somit hinfällig.
Wenn man von Seih stdifferenzirung spricht, muss
man immer das Ganze oder den TJieil nennen, auf w eichen
sich die Aeiisserung bezieht. Man kann nicht sagen: ,,die Ent-
wickelung ist Selbstdifferenzirung", denn diese Aeusserung bezieht
sich nicht auf ein abgegrenztes Gebilde oder Stück, sondern
auf die Vorgänge der Entwickelung; jede Ent wickeln ng ist Ver-
ändern n g ; und jede Veränderung beruht auf Wechsel-
wirkung, da nichts seinen Zustand von selbst ändern kann (s. S. 14
und 822).
Es ist daher auch nicht richtig ausgedrückt, wennDRiEscH, angeblich
um mir zu opponiren, (Nr. 1, S. 303) sagt: „die directe (seil, nor-
male) ,, Entwickelung" ist keine Selbstdifferenzirung sondern correlative
Differenzirung" ; [619] er hätte sagen müssen: die directe Entwickelung
(NB. des Eies) ist keine Selbstdifferenzirung der einzelnen Blasto-
meren; oder wenn seine Opposition eine allgemeine sein soll, hätte
sie lauten müssen: bei der directen Entwickelung des Eies kommt
keine Selbstdifferenzirung einzelner Zellen oder Zellcomplexe vor.
Das würde dann im Sinne von 0. Hertwig heissen: Die directe Ent-
wickelung des Eies findet nur unter Wechselwirkungen aller Zellen
desselben unter einander statt.
Es ist ferner nicht zweckmässig und muss zu Missverständnissen
führen, dass Driesgh fortfährt, entgegen dem Sprachgebrauche die aus
einem halben Ei hervorgegangenen ,,ganzen" Embryonen als Theil-
56*
884 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
bildungen zu bezeichnen, zumal nachdem ich dem Sprachgebrauche
entsprechend als „Theilbildungen" (Meroplasten) halbe, Viertel-
und Dreiviertelembryonen bezeichnet habe (S. 792).
Man nennt nicht ein „ganzes fertiges" Haus, das
aber blos aus der Hälfte des ursprünglich dazu be-
stimmten Materiales erbaut ist, ein Theilge bilde, ein
Th eil ha US. Die von mir eingeführten Bezeichnungen Halbei-Ganz-
bildungen (Hemioohololasten) , Dreiviertelei-Ganzbildungen sind voll-
kommen bezeichnend und schliessen daher jedes Missverständniss
aus. Ich werde daher bei ihrer Verwendung verbleiben und glaube,
dass die Verwirrungen, die durch Driesch's Bezeichnungsweise ent-
stehen, ihm zur Last fallen.
[Als allgemeinen Namen für die aus „ T h e i 1 e n" eines Eies
entstehenden Gebilde empfehle ich die Bezeichnung Eitheil-Gebilde,
z. B. Eitheil-Gastrulae, Ei theil- Embryonen.
Diese können sein (s. S. 792):
a) Theilgebilde , Meroplasten: z. B. Halbbildungen, Viertel-
bildungen, Dreiviertelbildungen, und zwar Halbgastrulae, Halb-
embryonen etc.,
b) G a n z b i 1 d u n g e n : z. B. Halbei-Ganzbildungen , Viertelei-
Ganzbildung. Diese Ganzbildungen können nachträglich aus
Halbbildungen durch Postgeneration hervorgehen, oder viel-
leicht auch bei einigen Thieren sogleich primär entstehen
(siehe hierüber Roux Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. I,
S. 597 u. f.)l.
Die hauptsächlichste theoretische Differenz zwischen Driesch
sowie 0. Hertwig einerseits und mir andererseits besteht darin, dass
erstere Autoren behaupten, die ersten (8 resp. 16 oder 32)
Furchungszellen seien in ihrem Wesentlichen vollkommen
gleichwerthig, nur in Unwesentlichem von einander ein wenig
verschieden; jede gliche also wesentlich noch der ganzen Eizelle.
Driesch folgert dies daraus, dass aus jeder einzelnen der 2 resp. 4 ersten
Furchungszellen in Folge Tödtung oder Entfernung der anderen
Bildung gleicher Producte durch verschiedene Vorgänge. 885
Blastomereu (aber, wie wir sahen, meist erst nach vorgängiger Pro-
ductiou einer deuthehen Halbbildung) gleichwohl ein ganzes Indi-
viduum entsteht; besonders aber leitet er dasselbe aus seinen jüngsten
Versuchen ab, in welchen durch Pressen von Echinodermen-
eiern während der ersten Furchungen die Furchungskugeln ,
wie er angiebt, so abnorm gelagert waren, dass unter vielen Ver-
suchen jede Zelle neben jeder anderen zu liegen kam [?] , mit dem Er-
folg , dass gleichwohl daraus eine normal gestaltete Pluteuslarve
entstand.
Driesch nimmt auf Grund dieses normal gestalteten ,,Pro-
ductes" ohne jeden Beweis als selbstverständlich an, dass auch die
„Bildungsweise" desselben die normale sei, dass also die
uns unbekannten inneren Vorgänge bei dieser Entwickelung mit den
Vorgängen bei der normalen Entwickelung im Wesen identisch seien.
Er thut dies, obgleich es genügend bekannt ist, dass gleichgestaltete
Producte auf verschiedenen Wegen hervorgebracht wer-
den können, dass z. B. bei der Regeneration nach Selbsttheilung
er- [620] wachsener Thiere oder nach künstlichem Defect derselben,
von bereits Dif f erenzirtem aus die fehlenden Tlieile wieder und
daher nothwendiger Weise unter wesentlich anderen Vorgängen
producirt werden, als bei der Entwickelung aus dem nicht differen-
zirten Ei (s. S. 52 und 93) ; eine Thatsache, die mich zur Unterschei-
dung zweier Entwickelungsarten (S, 812 u. 843) veranlasst hat:
der directen s. typischen, bei den höheren Organismen allein die
normale Art darstellenden Entwickelung aus dem nicht erheblich
sichtbar differenzirten Ei, und der indirecten s. atypischen
s. regulatorischen Entwickelung oder der Entwickelung fehlen-
der Theile eines* Organismus von l^ereits „entwickelten" T h e i 1 e n
desselben aus.
Wenn Driesch den Nachweis erbracht hätte, dass die Vorgänge
dieser Gestaltungen wirklich die normalen seien (was aber nicht ohne
die Ermittelung dieser Vorgänge möglich gewesen wäre), so wäre sein
und 0. Hertwig's Schluss, dass die ersten 8 — 32 Furch ungsz eilen
nicht specifisch differenzirt, sondern gleichwerthig seien,
vielleicht als zutreffend zu bezeichnen.
Nr. '28. üeber die Specification der Furchungszellen etc.
Dann bliebe aber absolut unverständlich, dass ich schon
vor der ersten Furchung am normal gehaltenen Froschei alle Haupt-
richtungen des Embryo sicher vorausbestimmen konnte, und dass bei
Operationen am zweigetheilten Froschei nach Zerstörung der von mir
als rechte oder linke, bei Anachronismen als cephale oder caudale
Furchungszelle erkannten Zelle stets, wie vorausgesagt, ein linker
resp. rechter, c au dal er resp. cephaler halber Embryo
entstand. Dass ich dies mit Sicherheit voraussagen
konnte, beweist, von allen anderen Argumenten abgesehen, ab-
solut sicher, dass diese Bestimmungen bereits getroffen
waren, dass also schon die beiden ersten Theilzellen
des Eies nicht mehr ,,gleichwerthig" w^aren.
Es ist selten, dass die Beweiskraft so unwiderleglicher Argu-
mente nicht erkannt wird.
Warum entstand ferner nicht ein einziges Mal ein schief zu
den Hauptrichtungen abgegrenzter halber Embryo? Ja, was müsste
überhaupt aus einer typischen halben, hohlen Semimorula, die sich
nicht schliesst, entstehen, wenn alle Zellen derselben gleich-
wie r t h i g sind ?
Sehen wir für jetzt davon ab, dass es noch ganz unbekannt
ist, welche wahre Bedeutung die unter „starken" Deforma-
tionen des Eies gebildeten Furchungszellen in ihrem ,,acti-
virten" Idioplasson zu dem activirten Idioplasson (s. S. 830) der
normalen Furchungszellen der Stadien mit gleicher Zellen-
zahl haben, — für etwas geringere Deformationen habe ich
nachgewiesen (Nr. 20 u. 29 und S. 838), dass eine der drei ersten
Furchen noch der Medianebene entspricht — so wäre es die
Hauptaufgabe Driesch's zur Stütze seiner Auffassung gewesen zu be-
weisen , oder zum Mindesten auf Grund von Thatsachen wahrscheinlich
zumachen, dass die Entwickelungs Vorgänge die normalen seien;
ohne dieses stehen alle seine, in apodictischer Form geäusserten
Folgerungen vollkommen in der Luft; sie beruhen auf einer petitio
principii.
[621] Driesch begnügt sich jedoch damit, für die von mir und
Chun aus halben Frosch- und Ctenophoren - Eiern erhaltenen halben
I
ActiviruDg der regulatorischen Entwickelung. 887
Embryonen eine Ableitung /ai versuchen, die, wie früher gezeigt wurde,
an sich schon hinfälhg ist und selbst, wenn sie für diese Thiere zu-
treffend wäre, auf mein Hemitherium anterius des Kalbes
(s. S. 827) und auf die Halbbildungen von Echinus und von Ascidien
(C'habry) nicht anwendbar wäre. Der Versuch , die Echinodermen-
Halbbildungen auf die oben dargelegte Weise zu beseitigen, ist ebenso
missglückt wie derjenige, die Halbbildungen der Ascidien auf dem
Wege der Umdeutung zu eliminiren ^).
Ich vertrete dagegen die Ansicht (S. 830 u. f.), dass bei ah-
normen Verhältnissen halber oder stark gepresster, wie
durch manche chemische Mittel, z. B. Borsäure^), Strychnin
(Roux) geschädigter Eier früher oder später „ahnorme Bildungs-
vorgänge stattfinden'-'', Gestaltungs Vorgänge, die nicht durch die
„Befruchtung" als solche veranlasst sind, sondern welche
mehr oder weniger mit Vorgängen übereinstimmen, die bei
der Re- und Postgeneration vorkommen und durch den De-
fect resp. durch die „Störung^' der normalen „Änordmtng''' aus-
gelöst werden, Vorgänge, bei denen somit idioplastisches Ma-
terial activirt wird und in herrschende Thätigheit tritt, das
[1) Desgleichen kommt, Avie ich Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. I, S. 598
u. f. dargethan habe, den Versuchen Driesch's (Arch. f. Entwickelungsmech. Bd. I,
S. 398) an Ascidien eine solche vermeintliche, die Angaben Chabry's widerlegende
Bedeutung nicht zu.]
[2) Im Jahre 1889 prüfte ich Arzneimittel am Embryo, besonders die sogenannten
Plastica, um ein das Wachsthum anregendes Mittel zu finden und dies zur Erzeugung
von Missbildungen und zum Studium der dabei gestörten gestaltenden Correlationen
anzuwenden.
Darüber ist bis jetzt blos eine mit Demonstration von microscopischen Präpa-
raten verbundene Mittheilung auf der Naturforscherversammlung zu Wien publicirt
worden, dei-en kurzer (unvollständiger) Bericht lautet (Verh. d. Ges. deutsch. Naturf.
und Aerzte 1893,''Theil 2, Bd. II, S. 364):
,An der Gastrula bewirkt die Borsäure Rundung der Zellen der „Medullar-
platte" (Framboisia minor, Roux) mit nachfolgendem Abfall des Epithels derselben.
Doch gelang es nicht, Embryonen ohne Centralnervensystem zu erzeugen, da Regene-
ration eintrat. Nach Schluss des Medullarrohres angewendet, bewirkte die Borsäure-
(resp. Borax-)lösung Wachsthum des Riechepithels, statt nach innen, nach
aussen, so dass die Geruchsorgane an derStirne teleoscopisch vorspringen.
Ausserdem schädigt sie die Bildung des Blutes und der Kopfsomiten und stört be-
sonders die Zellkerne".
Die ausführliche Publication wird im Archiv f. Entwickelungsmechanik erfolgen.]
888 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
hei der normalen Enttvichelung nur in minimaler, reguli-
render Weise tliätig ist (s. S. 663, 667, 669, Nr. 31, S. 279).
Wir haben ersteren Falles typisch ausgebildete, unzweifelhafte
Halbbildungen, die auf einem, bei den einen Thieren früheren,
bei den anderen späteren Stadium auf ein Mal beginnen, sich
zu einem Ganzen zu completiren: ob das zunächst blos
durch nachträgliche ZJmlagerung und entsprechend nöthige
Umdifferensirung oder auch sogleich mitunter Proli-
feration Yon Zellen geschieht, macht keinen wesentlichen
Unterschied; diese Umlagerungen und Umdiff erenzirungen
müssen stets zusammen vorkommen und sind das Wesentlichste
des Geschehens, ja bei der Regeneration der Hydra und der Post-
generation des Seeigels das ganz oder fast ganz Ausschliessliche; die
gleichzeitige Vermehrung von Zellen, die Proliferation, kann daher
nur als ein dabei qualitativ nicht wesentlicher Nebenvorgang betrachtet
werden (s. S. 836 u. f.).
Driesch, der, wie sich inzwischen gezeigt hat, ebenfalls die Ent-
stehung von Ganzbildungen aus Furchungsbruchtheilen unter die
Gesichtspuncte der ümlagerung und Proliferation gebracht hat, ver-
steht jedoch darunter erheblich Anderes als ich, so dass unsere Diffe-
renz nicht, wie er meint, blos eine scheinbareist. Driesch erklärt
nämlich diese beiden Vorgänge als principiell verschieden und nimmt
an, die Ganzbildung, aus Furchungsbruchtheilen durch Ümlage-
rung käme blos bei den einen (Echinodermen, Ascidien, Amphi-
oxus), die Postgeneration durch Prolife ration bei den anderen
Thieren (Frosch, Ctenophoren) vor; und die Ergänzung durch
Ümlagerung rechnet er, wie sich aus seinen weiteren Folge-
rungen ergiebt, willkürlich zur normalen s. typischen Ent-
wickeln ng.
[622] Der Gegensatz zwischen den beiderseitigen Ansichten
wird noch dadurch illustrirt, dass Driesch auch beim Amphioxus die
Halbei Ganzbildung durch ümlagerung entstehen lässt, obgleich
er Wilson's Angabe annimmt, dass bei Amphioxus aus dem halben
Ei gar nicht zuerst eine Halbbildung intendirt werde, sondern von
der ersten Theilung der Halbeizelle an die Zellordnung einer ganzen
Activirung der regulatorischen Entwickelung.
Morula vorhanden sei, so dass eine nachträgliehe Umordnung der ge-
bildeten Zellen gar nicht nöthig wäre. Dasselbe Geschehen wie bei
Amphioxus nimmt Driesch, da er jetzt die Halbbildung, die ächte
Semimorula der Echinodermen verleugnet, auch für diese an. Wir
beide verwenden also dieselben Bezeichnungen in wesentlich verschie-
dener Weise.
Driesgh's ,, Umordnung" dieser Furchungszellen ist ein ,,melir
zufälliger Act", ein ,, stärkeres Gleiten der Zellen an
einander", wodurch ein rundlicher Zellhaufen entsteht und wodurch
allein nach Driesch's Auffassung schon die Bedingung zu einer Ganz-
bildung gegeben ist.
Nach meiner Auffassung handelt es sich dagegen bei
dem Schluss der Semimorula oder Semiblastula ebenso wie des Hemi-
embryo um ein in Thätigkeittreten ganz neuer, durch die
Wirkung des Defectes activirter Gestaltungsmechanis-
men, oder mit anderen Worten um Thätigwerden des Post- und
Regenerationsplasson s. Reserveidioplasson ; und es müssen dabei mit
der Umordnung der Zellen entsprechende innere, eventuell auch
äussere Umdif f erenzirungen der bisher activen Theile stattfinden.
Das Wesentliche der Verschiedenheiten der beider-
seitigen Auffassungen wird besonders deutlich, w^enn wir die
Consequenzen derselben ziehen:
Nach Driesch müsste aus der hohlen Semimorula des Frosches,
wenn wir ihren Defectrand durch Zusammenlegen auch nur passiv
geschlossen und auf diese Weise eine in Driesch's Sinne ganze
Morula aus der halben gemacht hätten, diese letztere sich in Folge
der jetzigen Lage der Zellen zu einander ohne Weiteres zu einer
ganzen Gastrula und einem ganzen Embryo entwickeln.
Nach meiner Meinung dagegen würde daraus ein halber Em-
bryo mit zusammengelegtem Defectrande entstehen, sofern nicht
inzwischen die Postgenerationsmechanismen thätig geworden sind.
Schliesst dagegen eine typische hohle Semimorula oder Semi-
blastula auf ein Mal ihren Defectrand von selber, so ist das nach
ineiner Meinung schon der Ausdruck der geweckten Postgenerations-
thätigkeit.
890 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Wäre aber der scheinbare Selbstsehluss nach Driesch blos durch
ein zufäUiges capillares Zusammengleiten der Zellen (das viel-
leicht durch zeitweiliges Einbringen in ein geeignetes Mittel
wie 1 proc. Kochsalzlösung auch künstlich veranlasst werden
kann), bedingt, so entstünde, wenn nicht die Postgenerationsmecha-
nismen geweckt werden , nach meiner Meinung ebenfalls nur ein
[in seiner Bildung etwas gestörter] Hemiembryo mit zusammengelegtem
Defectrand, nicht ein ganzer Embryo.
Driesch lässt unter den nach seiner Auffassung nicht specificirten,
einander vollkommen gleichwerthigen ersten 8—16 oder 32
Furchungszellen durch Entstehung etwas stärker gespannter Zellen
oder einer sonstigen physikalischen Ungleichheit eine Differenz
eintreten und [623] damit erst Richtung in das bisher richtungslose
Geschehen kommen; und von dieser nach seiner eigenen jNIeinung
,, unwesentlichen" protoplasmatischen ^) Veränderung geht nun das
ganze gerichtete Geschehen der Bildung des Embrj^o aus, indem es
dabei vollkommen von der Lage aller Zellen zu diesen zuerst diffe-
renzirten Zellen abhängt, was aus jeder wird. Driesch bezieht sich
dabei auf rechtwinkelige also feste Coordinaten, so dass geradezu die
räumliche Lage der Zellen zu einander als solche und damit die
,, Gestalt des ganzen Zellcomplexes'', die Gesammtconfigu-
ration des Gebildes von wesentlichster Bedeutung für die
Gestaltungs- und Differenzirungsvorgänge desselben wäre.
1) Da man jetzt anfängt, ein Mal wieder die gestaltlichen Leistungen des
Zellleibes bei der Entwickelung im Gegensatz zu denen des Kernes hervorzuheben,
ja bereits zu überschätzen, so sei an die von mir ermittelten Thatsachen erinnert
(s. Nr. 20 und 21), welche darauf hinweisen, dass die Hauptriclitungen des
Embryo bei Zwangslage zum Theil durch die Gestalt sowie durch die An-
ordnung der verschiedenen Arten des Protoplasma s bedingt sind,
indem dasselbe nicht blos einstellend auf die Kernspindel wirkt, sondern,
entsprechend der Längs- oder Querslellung der Spindel zur Symmetrierichtung des
Protoplasmas, die qualitative Natur der ersten Kerntheilungen be-
stimmt und so bewirkt, dass zum richtigen Protoplasma der Kopfseite auch das
richtige Idioplasson des Kernes kommt. Zugleich aber erwiesen seltene Ausnahmen,
dass dem Kernmaterial bei diesen Wechselwirkungen doch die grössere dif-
Jerenzirende Bedeutung zukommen muss, da einige Mal die Kopfseite des
Embryo nicht der normaler Weise entsprechenden Protoplasma-
anhäufung zugewendet war, sondern 90° seitlich dazu oder noch seltener ge-
radezu entgegengesetzt stand. Weiteres siehe Nr. 30.
A
Wirkung der Deformation bereits vielfach getheilter Eier. 891
Demnach könnten annähernd richtige Differenzirungen
nur bei normaler äusserer Gestalt eines Gebildes vor sich
gehen; und Driesch scheint zu glauben, mit dieser Betonung der
eventuellen differenzirenden Bedeutung der Lage von Zellen zu
anderen Zellen ein -wesentlich neues Gestaltungsprinci}) aufgestellt zu
haben. Ich glaube jedoch, so weit dasselbe Richtiges enthält, ist es
bereits von jedem vertreten worden, der einmal ernstlich über die
Regeneration nachgedacht hat. Driesch kündigt eine ausführliche
Abhandlung über seine bezüglichen Vorstellungen an. Ich sehe daher
von einer Kritik seiner bisher vorliegenden kurzen Aeusserungen ab
und werde nur Veranlassung nehmen, weiter unten meine ):)ezüglichen,
auf die Thatsachen der Post- und Regeneration sich stützenden Auf-
fassungen etwas ausführlicher darzulegen, als es bereits andeutungs-
weise (S. 484 u. f.) in meiner Schilderung der Postgeneration der
fehlenden Froschhälfte unter Verwendung des Materiales der getödteten
Eihälfte geschehen ist. Zunächst seien einige Thatsachen in Erinne-
rung gebracht resp. neu mitgetheilt.
Ich habe schon im ersten Beitrag zur Entwickelungsmechanik
(S. 187 u. 192) darauf hingewiesen und es danach weiterhin verfolgt
(s. Nr. 29, S. 609), dass „nach'' der Furchung deformirte Eier
trotz entsprechend abnormer Gestaltung des [624] Ganzen, von einigen
localen, mechanisch erklärbaren Störungen abgesehen, einen inner-
lich so wohl gebildeten Embryo liefern^ als iväre der Embryo
erst „nach" seiner EntivicTielung allmählich jpassiv zu seiner
jetzigen äusseren Gestalt deformirt ivorden. Ich werde die
bezüglichen Versuche ausführlicher darstellen. Aus ihnen geht her-
vor, da.ss eine derartige differenzirende Wirkung der räumlichen
Lage der Zellen, wie sie Driesch anzunehmen scheint, nicht besteht,
sondern dass die richtigen Differenzirungen wesentlich von Wir-
kungen per continuitatem et contiguitatem, also von „Nachhar-
srhafts Wirkungen"' ah hängen.
Gegen erstere Auffassung von derWirkung der Gesammt-
gestalt vielzelliger Gebilde auf die Differenzirung derselben
spricht auch, wie ich schon (S. 859) erwähnt habe, die grosse
Gruppe derjenigen Doppelbildungen, welche dem von mir
892 Nr. 28. lieber die Specification der Furchungszellen etc.
formulirten Gesetze der doppelten Symmetrie der Orgaii-
anlagen folgen, indem hier in jedem der beiden mit einander ver-
schmolzenen Individualgebilde alle Organe bis zur Vereinigungs ebene
so normal gestaltet sind, wie an einem normalen Individuum, welchem
erst nachträglich die fehlenden Theile abgeschnitten wurden ; ein
Verhalten, in welchem [von den Wirkungen der functionellen An-
passung natürlich abgesehen] keine Wechselwirkung der entfernten
Theile beider so ausgedehnt mit einander vereinigter unvollkommener
Individualanlagen zu einem Ganzen erkennbar ist, sondern nach
welchem vielmehr jedes unvollkommene Individuum sich
im Wesentlichen für sich entwickelt zu haben scheint.
Ehe ich zur Darlegung meiner eigenen Argumentation in Sachen
der behandelten Hauptfrage übergehe, sei noch ein unrichtiger Schluss
Driesch's zurückgewiesen.
Driesch schliesst folgendermassen (Nr. 2, S. 301):
,,Der Satz Roux', dass die directe normale Entwickelung in
den ersten Stadien durch S e 1 b s t d i f f e r e n z i r u n g der ersten
Für chungsz eilen charakterisirt ist, ist widerlegt durch die Ver-
lagerung der Furchungszellen mit nachfolgender normaler Ent-
wickelung". (Driesch musste richtiger sagen: mit nachfolgender Lie-
ferung späterer normal gestalteter Producte.)
Da Driesch jedoch jetzt selber die sichere Thatsache der Ent-
stehung halber Frosch- und C* t e n o p h o r e n - E m b r y o n e n aus
halben Eiern nicht mehr bestreitet und er auch nicht mit Pflüger
annimmt, dass diese Gestaltung der Embryonen durch von aussen
einwirkende Kräfte erfolge , so muss er auch zugeben , dass die
gestaltenden Kräfte zur Bildung des halben Embryo in dem halben
Ei vorhanden sein müssen ; also muss auch nach Driesch's Auffassung
die Entwickelung dieser isolirten halben Eier ,,Selbst-
diff erenzirung" derselben sein. Driesch's Widerspruch gegen
meine Auffassung schliesst also einen logischen Widerspruch ein.
Auf Grund dieses irrthümlichen Schlusses folgert Driesch nun
weiter: ,,Ist aber die directe Entwickelung in ihrem Beginne keine
Selbstdifferenzirung sondern correlative Differenzirung (zu ergänzen ist :
der ersten Furchungs- [625] zellen, s. o. S. 883), dann fällt auch jeder (!)
Mängel der Auffassungen 0. Hertwic's und H. Driesch's. 893
Unterschied zwischen ihr und der Totogeneration beim Seeigel, Ani-
phioxus, Ascidie und Siphonophore weg". Diese Totogeneration lässt
Driesch durch die oben erwähnte mehr „zufällige" Umlagerung
der einander angeblich gleichwerthigen Furchungszellen zu einem
rundlichem Zellhaufen mit nachfolgenden differenzircnden Wechsel-
wirkungen entstehen.
Selbst w^enn die directe Entwickelung wirklich keine Selbst-
differenzirung der ersten Furchungszellen wäre, woraus folgert Driesch,
dass dann auch jeder Unterschied zwischen ihr und der von ihm
angenommenen Art der Totogeneration wegfällt?
Driesch müsste, nach Eliminirung des oben nachgewiesenen
logischen Widerspruches , von seinem Standpuncte aus sagen : blos
isolirte erste Furchungszellen entwickeln sich durch Selbstdifferen-
zirung, die sich berührenden aber nicht ; sondern bei diesen geschieht
die Entwdckelung blos durch gestaltende Wechselwirkungen aller
Zellen unter einander. Dabei müsste er also für die Ent-
wickelung der „isolirten" Blastomeren zu Körperstücken
einen ganz neuen, von der normalen Entwickelung durchaus
abweichenden Modus annehmen^); und dazu käme als dritter
besonderer Modus derjenige der nachträglichen Postgeneration
dieser Stücke des Frosch- und Ctenophorenembryo zu ganzen Em-
bryonen. Driesch's Auffassung erweist sich also, in ihre Conse-
cpenzen verfolgt, auch nicht als eine Vereinfachung.
Den Modus der Entwickelung einzelner Blastomeren zu Körper-
stücken denkt sich Driesch allerdings überaus einfach. Er sagt
(Nr. 1, S. 306): „Bei Frosch und Ctenophore ist die Blastula eine
Halbkugel, die eine Ordinate ist ein Durchmesser, die
andere ist d^r auf ihr senkrechte Radius: daher bildet sich
hier ein Halbembryo, denn in der anderen Hälfte des Ordi-
natenfeldes liegt gar kein Material, auf das dieses bestim-
mend w^irken könne". Gewiss eine sehr einfache Art des Ent-
[1) Dies ist ein Argument, auf welches ich besonderen Werth lege, da ich es
nicht für Avahrscheinlich halte, dass dieser neue Bildungsmodus ein so einfacher
sein könne, wie ihn Driesch sich vorstellt, wenn auch die Auslösung desselben
auf einfachen Verhältnissen beruhen kann (siehe Nr. 33, das „Nachwort").]
894 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Stehens eines halben Organismus, welche aber wohl auf einer entweder
zu einfachen oder zu früh resignirenden Auffassung von der Ent-
wickelung beruht.
II. üeber die bei der Re- uud Postgeiieration nach Defecten und nach
„sonstigen Störungen" anzunelimeuden regulatorischen Mechanismen
und dilferenzirenden AVechselwirkungen.
[656] Es sei nun meine Argumentation dem Leser zur Beur-
theilung dargelegt; ich werde mich dabei nur über die bei der Re-
und Postgeueration im Allgemeinen anzunehmenden Mechanismen
etwas ausführlicher verbreiten.
In früheren und späteren meiner Arbeiten habe ich wiederholt
die Probleme der Re- und Postgeneration berührt und mich in kurzen
Bemerkungen über die dabei nöthigen Vorgänge ausgesprochen
(s. S. 484 u. f.). Da ich jedoch nicht gerne mehr Hypothesen
ausspreche, als für den gerade vorliegenden Zweck un-
bedingt nöthig ist, so habe ich es bisher unterlassen,
meine bezüglichen hypothetischen Auffassungen ausführ-
licher darzustellen.
Jetzt dagegen ist es durch den Widerspruch O. Hertwig's und
H. Driesch's gegen die Deutung meiner Versuchsergebnisse nöthig
geworden, die Verschiedenheit der beiderseitigen Meinungen bis in
ziemlich ferne Consequenzen hinein zu verfolgen, und dabei besonders
auch die Mechanismen der Regeneration zu berücksichtigen.
Ich argumentire: da sich bei Fröschen, Ctenophoren, Ascidien
und einem Seeigel die isollrten ersten Furchungszellen zu
einzelnen Stücken des Emhryo entivicheln Itöiinen^ so ist
zu vermiithen, dass sie dies auch unter normalen Verhält-
nissen, d. h. tvenn alle Furchungszellen in nornialet' Weise
heisammen sind, thun'^).
[1) Dass die Entwickelung der isolirten Halbei-Blastomeren zu Halbembryonen
unter den normalen Vorgängen sich vollzieht, dafür spricht, dass dabei aus jeder
weiteren Theilzelle dieser Elastomere dasselbe Stück des Embryo hervor-
geht, welches bei der normalen Entwickelung des ganzen Eies aus dieser gleichen
Zelle gebildet wird.l
Activirung der regulatorischen Entwickelung. 895
Dass bei den einen dieser Tliiere früher, bei den anderen erst
später die Ergänzung der Theilbildung beginnt, beruht auf früherer
resp. späterer, durch den Defect bedingter erfolgreicher Activirung
der Postgenerationsmechanismen. Die Thatsache der von mir
beschriebenen Postgeneration steht über jedem Zweifel^).
Es scheint mir nach den obigen Darlegungen passender, dass
wir aucli die Ergänzung der typischen Halbbildungen der Ecliino-
dermen und Ascidien nicht nach Driesch blos auf zufälliges stärkeres
Aneinandergleiten von Zellen, sondern auf Postgeneration , als Aus-
druck der Thätigkeit auf die nachträgliche Herstellung des Ganzen
gerichtete Mechanismen, zurückführen, [657] obschon die Ergänzung
hier bereits auf der Blastulastufe stattfindet und mit dem Schluss
der Defectränder beginnt. Für diese Annahme spricht besonders,
dass dieselbe Art der Ergänzung, welche mit dem Schluss der
Defectränder unter Bildung einer Blase beginnt, nach Nussbaum
auch bei der Regeneration zerschnittener erwachsener Hydrae
stattfindet^).
Dass Driesgh neuerdings (nach privater Mittheilung) auch aus
den acht unteren und aus den acht oberen Zellen des 16zelligen
Echinodermen-Keimes eine ganze Gastrula erhielt, beweist weder für
noch gegen die Specificität des entwickelten Theiles dieser Zellen
etwas; sondern es bekundet nur, dass diese Zellen noch Voll-Post-
generationsplasson enthalten.
Ich habe nun weiterhin fi-üher (S. 834 und 795) bereits die
1) Der Umstand, dass 0. Hertwig die Postgeneration der Froschembryonen
ebenso wie die vorher vorhandenen Halbbildungen nicht hat sehen können (s. Nr. 31),
beruht nur darauf, dass er letztere verpasst hat oder richtiger, dass er nicht darauf
gepasst hat, indem seine täglichen Beobachtungen, wie ich erfahre, durch je eine 17
Stunden lange Pause unterbrochen waren (s. Nr. 31, ö. 255 Anm.). Und obschon seine
Abbildungen unmittelbar zeigen, dass die von ihm erhaltenen, fast ganzen Embryonen
nicht einem halben Ei, sondern fast dem ganzen Ei entsprechen, worauf so-
gleich von mir darauf hingewiesen wurde (s. Nr. 31, S. 255), haben doch viele Autoren
sich durch seine bezüglichen, unzutreffenden Angaben irrleiten lassen.
[2) Eein zufälliges, also atypisches Gleiten der Zellen der halben hohlen
Semiblastula würde wohl auch nicht einfach zum Schlüsse des Randes der Oeffnung
unter Erhaltung der Hohlheit führen, sondern viele Zellen würden dabei in das Innere
gelangen, und mannigfache Unregelmässigkeiten in der Dicke der Wandung würden
entstehen.]
896 Nr. 28. lieber die Specification der Furchungszellen etc.
Vermuthimg ausgesprochen, ohne ihr die Begründung beizufügen,
dass ivesentlich dieselben Mechanismen wie hei der
He- und Postgeneration ancli oline einen „Defecf"^ in
Thätigkeit treten, wenn, sei es durch verzögerte Laichung, also
durch innere Ursachen oder bei hochgradiger künstiicher Deformation
der sich furchenden Eier, die Furchung hochgradig abnorm ver-
laufen ist, derart, dass nicht zusammen passendes Kernmate-
rial, eventuell auch Zellleibmaterial in benachbarten Zellen
neben einander sich findet, somit gleich oder ähnlich, als
wenn die richtig gebildeten (differenzirten) und gelagerten
Zellen nachträglich durcheinander gebracht, also in ihrer
,,An Ordnung" gestört worden wären.
Versuchen wir zur Begründung dieser Annahme jetzt uns vorzu-
stellen, was für Correlationen bei der Re- und Postgeneration
im Allgemeinen stattfinden müssen, und welches wohl das „aus-
lösende Moment" dieser Vorgänge sein kann.
Bei der von mir beobachteten Postgeneration z. B. des Rücken-
markes eines Hemiembryo anterior zu dem eines ganzen Em-
bryo (s. S. 500) müssen die am Defectrande und noch in einigem
Abstand von demselben gelegenen Zellen Leistungen übernehmen,
die sie unter normalen Verhältnissen nicht vollbracht haben würden ;
denn sie produciren eine hintere Körperhälfte. Dabei müssen nicht
blos,, Umlagerungen^\ sondern auch „Umdifferenzirungen''''
schon differenzirter Zellen stattfinden, wie bei der von mir
neben der Regeneration durch „Proliferation'''' unterschie-
denen Regeneration durch „Umdifferenzirung" (S. 836).
Bei der Postgeneration einer fehlenden seitlichen z. B. linken
Körperhälfte von einer rechten aus ohne Verwendung des Materiales
der operirten Eihälfte (s. S. 796) hat principiell Aehnliches wieder
in anderer Weise zu geschehen. Schneiden wir ferner zwei Hydrae,
die eine etwas oberhalb der Mitte, die andere etwas unterhalb
der Mitte quer durch, so schliesst zunächst jedes der vier Stücke
den Wundrand durch Zusammenlegen desselben und regenerirt
sich dann in einem Tage ohne Nahrungsaufnahme zu einer voll-
kommenen, aber dem Materialverlust entsprechend kleineren
Auslüsungsursache der Regeneration. 897
Hydra. An den beiden grösseren Stücken wird ])ei diesen Experi-
menten die der ursprüngliehen Mitte des Tliieres entsprechende Zone
in dem einen Falle den fehlenden Kopftheil im anderen den Fusstheil
durch Umlagerung und UmdilTerenzirung produciren.
[658] Es hängt also von der Lage des Defectes zum
Ganzen resp. von der Lage der Zellen zum Defect ab,
was aus den an der Re- und Postgeneration b etil eiligten
Zellen hervorgeht.
Wodurch wird nun die Re- und Postge neration ,. aus-
gelöst"?
Eine besonders aus Pathologen gebildete Gruppe von Autoren
erblickt in dem durch den Defect hervorgebrachten Wegfall des
Seitendruckes an der „Unterbrechungsfläche" (s. S. 498) das
ursächliche Moment der Regeneration (s. S. 834). Bei der Hydra
aber ist nach Schluss der Wundränder ebenso wie bei dem bereits
ül)erhäuteten Stumpf einer abgeschnittenen Extremität des Triton
oder überhaupt gewöhnlich nach der Ueberhäutung eines Wund-
defectes der Seitendruck wieder hergestellt und gleichwohl
finden danach die specifischen Vorgänge der Regeneration : die Um-
differenzirung und Umordnung der bisher andersartig verwendeten
und beschaffenen Zellen zu den fehlenden Organen, ohne oder mit
gleichzeitiger Proliferation des Weiteren statt.
Der Wegfall des Seitendruckes könnte also blos für die erste
Auslösung herangezogen werden, während für die Auslösung und
Direction der folgenden Vorgänge ein anderes Moment in Anspruch
o-enommen werden muss. Es ist wohl natürlicher, dieses zweite Mo-
ment, sofern es von Anfang an wirksam sein kann, auch für die
erste Auslösung- schon in Anspruch zu nehmen.
Es scheint mir auch ohne diese tha.tsächliche Widerlegung schon
an sich wahrscheinlicher, dass die ^.Auslösung"' der Regenerations-
und Pos tg euer ationsme chani sm 671, resp. die Activirung des
Reser veidioplasson nicht durch solch ein qualitativ un-
wesentliches Moment, wie den blossen Wegfall des Seiten-
druckes an der Unterbrechungsfläche, sondern durch das Wesent-
lichste des Vorganges, durch den Wegfall der specinsch differenzirten
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 57
898 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Zellen, und somit d n r c h d a s Fe h l e n n o r m a 1er spec ifi s c h e r
JSfachhar schaff S'wirkttn g en oder mindestens durch Eimvir-
Icung ahnormer Reize in Folge der neuen Nachbarschaft
bedingt ist.
Die Vermindennig des Seitendruckes, also das Vorhandensein
des zum Ersatz des Fehlenden nöthigen Raumes ist dabei nur in
dem Falle als eine nnerlässliche Vorbedingung, aber nicht als Ur-
sache der Regeneration anzusehen, wo, wie bei den bereits voll ent-
wickelten Individuen der höheren Organismen, wie bei uns, die
Regeneration viel weniger unter Umdii'f erenzirung der bereits
vorhandenen differenzirten Zellen des regenerirenden Gebildes als
vorzugsweise unter Bildung neuer, besonderen Raum einnehmender
Zellen, also unter Proliferation vor sich geht (s. S. 836). In diesen
Fällen kann durch Wegnahme des durch den Defect gesetzten
Raumes, z. B. durch Vernähung einer am Rumpfe gelegenen Defect-
wunde der Ersatz des fehlenden Stückes fast ganz gehindert werden.
Doch ist bei diesen Organismen die Regeneration überhaupt
quantitativ und besonders qualitativ gering, soweit sie nicht ein-
fach in Activitätshypertrophie besteht.
[659] Nach dieser meiner Annahme findet in Folge des Fehlens
der normalen Nachbarschaft oder in Folge der abnormen
äusseren Einwirkungen zuerst am Defectrand , also an den die
Unterbrechungsfläche begrenzenden Zellen eine Veränderung
statt, die zuerst eine Weckung der Regenerationsmechanismeu in
ihnen veranlasst, der dann Umdifferenzirung und Umordnung dieser
Zellen folgt.
Sobald und in dem Maasse als eine Zellreihe verändert ist,
tvirTit nun sie seih er aus den gleichen Gründen, als es vorher
geschah, ivie eine ..Unterbrechung sfläche^' alterirend auf
die bisher noch normale, vom Defectrand abgewendete nächste
Reihe von Zellen; und solche Veränderungen schreiten
dann stetig vom Defectrande aus fort.
Die Summe der zu einer Zeit noch nicht veränderten Zellen
stellt den Stammcomplex von normal verbliebenen Zellen
des Individuums dar. Dieser wird also eine Zeit lang stetis vom
Auslösung und Direction der Regeneration. 899
Defectrande aus durch Umdifferenzirung verkleinert, bis in grösserer
Entfernung vom Defectrande die Veränderung der Nachbarschaft so
gering ist, dass sie nicht mehr auslosend wirkt. Bei relativ sehr
grossen Defecten dagegen z. B. bei der Regeneration blos eines kleinen
Stückchens der Hydra zu einem ganzen Thier kann der Stamm-
complex zeitweilig vielleicht fast ganz (oder ganz?) schwin-
den, so dass vielleicht blos noch eine einzige Zelle dem Zustande
des ursprünglichen entwickelten Individuums entspricht und die
ihr entsprechende Nachbarschaft besitzt (s. S. 911).
Neben dem Ersatz des Fehlenden findet also bei der Post- und
Hegeneration durcli hlosse ^.Umdifferenzirung"' eine sehr
ausgedehnte Umbildung des Organismus statt. Dies ist
ein Nachtheil der Methode, der um so bedeutender werden
muss, je diff erenzirter der Organismus ist. Damit steht
es vielleicht im Zusammenhang, dass die höher dif f erenzirten
Organismen Rege nerations weisen erworben haben,
welche mit sehr starker ,, Proliferation" bei entsprechend
eingeschränkter Umdifferenzirung einhergehen, Mechanismen, die sich
aber bei den höheren Organismen auch erst bethätigen, nachdem das
Individuum diese entsprechend höhere Stufe seiner Eutwickelung er-
reicht hat.
Zur Umgehung metaphysischer Vorstellungen habe ich ange-
nommen (S. 842), dass bei der Regeneration in dem Regenerations-
plasson, welches nach einem stattgehabten Defect allein noch
das ganze Individuum, aber nur potentia repräsentirt , in Folge
von Einwirkung des noch entwickelt und unverändert vorhandenen
Theiles blos diejenigen Regenerationsmechanismen in Thätigkeit treten,
welche das nfcht mehr im entwickelten resp. unveränderten Zu-
stande Vorhandene herzustellen vermögen. Ich muss daher an-
nehmen, dass diese Regenerationsthätigkeit von dem im normalen
resp. normaleren Zustande Vorhandenen aus bestimmt und fort-
während geleitet wird, wobei neben ,, seit lieh en " Wirkungen
die ,,cen trif ugale" Wirkungs-Richtung überwiegen wird,
sofern man den vom Defectrand entferntesten Punct des Individuums
als Centrum bezeichnet. Die genauere Bestimmung dessen,
57*
900 Nr. 28. Ueber die Specification der Furcliuugszellen etc.
[660] was zu „geschehen" hat, findet also vorwiegend in
umgekehrter Richtung statt als die Ausbreitung der ersten
,, Anregung" zur Re- oder Postgeneration.
Ist die Fähigkeit zur Auslösung und Bethätigung von Regene-
ration nicht an alle Zellen gleich vertheilt, sondern giebt es besondere
Zellen, welchen allein oder vorzugsweise die Auslösung und Leitung
der Regenerationsmechanismen zukommt, wie z. B. vielleicht dem
Schlundganglion der Schnecke bei der Regeneration des abgeschnittenen
Kopfes, so liegen die Verhältnisse complicirter; doch eignet es sich
nicht, dieselben bei unserer Unkenntniss des Thatsächlichen hier des
Weiteren zu erörtern.
Verbleiben wir daher bei dem zuerst besprochenen, wohl wesent-
lich auf die Postgeneration unserer Halbbildungen passenden Fall,
dass alle Zellen derselben Leibesschicht annähernd gleich
stark zur Auslösung und Bethätigung der Regeneration
befähigt sind, und dass die Regeneration überwiegend durch
Umdifferenzirung erfolgt; dabei wird die verschiedene Art dieser
Bethätigung im Einzelfalle blos von der speciellen Lage des Defectes
und damit von der Lage der Zellen zu dem neuzubildenden Stück
abhängen. Wir haben uns dann Folgendes vorzustellen:
Jede distal vom jeweiligen Stammcomplex gelegene
Zelle wird von der proximal gelegenen, sei es direct oder
indirect, diff erenzirend beeinflusst, unterliegt also der ab-
hängigen D i f f e r e n z i r u n g ; ^v ä h r e n d sie selbst zugleich
auf die mehr distal gelegene Zelle diff erenzirend wirkt.
Ein Gleiches wird in geringerem Grade auch zugleich in seit-
licher oder gar auch in umgekehrter Richtung stattfinden.
In jedem folgenden Momente der Umdifferenzirung müssen diese
Nachbarschaftsdifferenzen sich ändern, anfangs sich ver-
grössern, später kleiner werden, um schliesslich zu schwinden.
Dabei müssen die gröberen, formalen und daher sichtbaren
Regenerationsveränderungen sich „successive" vom Defect-
rand ausbreiten, wie es den Thatsachen entspricht.
Die für unsere jetzige Hauptfrage wichtigste Thatsache ist bei
den ganzen Vorgängen die, dass regenerative Mechanismen nicht
I
Ausgleich anderer „Störungen" durch die Kegenerationsmechamsmen. 901
blos an den Defectrand begrenzenden Zellen, sondern auch, je nach
der relativen Grösse des Dei'ectes und in umgekehrtem Verliältniss
zur Betheiligung von Proliferation an der Regeneration resp. Post-
generation in mehr oder weniger grosser J^ntfernnng von dem
Defectrande und damit zum TheiJe auch in Zellen ausgelöst
werden, ivelche ihre bisherige Nachharschaft fast ganz oder
ganz behalten haben; nur ist diese Nachbarschaf t als quali-
tativ geändert anzusehen.
Nur durch diese abnorme Qualität der Nachbarschaft ist es als
vermittelt vorstellbar, dass (bei den niederen Thieren oder bei nie-
deren ontogenetischeu Entwickelungsstufen höherer Thiere) so lange
Regenerationsthätigkeit ausgelöst und dirigirt wird, bis
wiederu m j ede Zelle normale Nachbarschaft hat. [661] Die
specielle Art und Wirkungsweise dieser regenerativen Vorgänge liegt
zur Zeit weit ausserhalb des Vorstellbaren.
Auf tvesentlich die gleiche Weise wie diese unter Umord-
nung und ümdifferenzirung von Zellen stattfindende Regeneration
kann nun meiner Ansicht nach auch ohne das Vorhandensein
eines „JD efectes'-', bei den Eiern, ivelche in Folge von „Pres-
su7ig'^ sich hochgradig abnorm gefurcht Jiaben, die Bildung
eines normal gestalteten Embryo vermittelt iverden.
Bei diesen abnorm gefurchten Eiern liegt, wenn auch nur erst
wenig differenzirtes, so doch in Folge der abnormen Furchung wohl
nicht ganz zusammenpassendes Material neben einander;
dann ist hier eine principiell ähnliche Sachlage vorhanden , wie bei
der Regeneration in einiger Entfernung vom Defectrande. Es ist also
anzunehmen, dass daher auch die gleichen Mechanismen, und zwar
bei dem gleicl*en Material und nicht zu grossen Abweichungen gleich-
falls bis zur Erreichung desselben Endproductes , d. h. eines normal
gestalteten Embryo , thätig werden , resp. thätig bleiben. An den
äusseren Formen der Gebilde kann man dies leider nicht erkennen;
aber bekanntlich verläuft auch die Regeneration oft unter
den äusseren Formen der normalen s. typischen Entwicke-
lung, selbst bei der Entwickelung aus dem Stücke eines bereits hoch
differenzirten Organismus unter Verwendung dieses ,,differenzirten"
902 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Materiales, obgleich die inneren Vorgänge dabei noth wendig in
mancher Beziehung wesentlich andere sein müssen, als bei
der normalen Entwickelung aus dem nichtdif ferenzirten Ei oder
seinen, typische normale Vorstufen des zu Bildenden darstellenden
Furchungszellen.
Da wir oben erfahren haben, dass thatsächhch bereits jede der
beiden ersten Furchungszellen der Frösche, einer Ctenophore, Ascidie
und eines Echinodermen erkennbar von der anderen verschiedene
Gestaltungsfähigkeit hat, indem sie einen bestimmten, rechten oder
linken halben Embryo bildet, und. da beim Frosch bereits ebensolche
Gründe für die gleiche Annahme bezügliche der darauf gebildeten vier
Zellen vorliegen, so müssen wir auch bei der Verlagerung dieser Fur-
chungszellen gegen einander in der eben dargelegten Weise damit rechnen.
Bei Driesch's und O. Hertwig's Annahme von der vollkommenen
Gleichheit dieser ersten Furchungszellen müssen übrigens die nor-
malen Entwickelungsvorgänge noch verschiedener von denen der
Regeneration sein, obgleich sich beide unter denselben äusseren
Formen vollziehen; Driesch's Schluss ,,von gleichen Producten
auf gleiche Bildungsweisen" muss somit direct als unzu-
treffend bezeichnet werden; womit seine ganze weitere Schluss-
reihe ihre angebliche sichere Basis und damit ihre eigene Sicherheit
verliert (s. S. 893).
Da wir somit mit denselben Mechanismen, welche wir
für die Re- und Postgeneratiou anzunehmen triftigen
Grund hatten auch die Entwickelung bei den gleichsam ver-
lagerten oder nicht normal specificirten Furchungszellen „stark"
(s. Nr. 29, S. 707) gepresster Eier ableiten können, also ohne
eine besondere Annahme für diesen Fall zu machen, so scheint mir
diese Ableitung [662] derjenigen Driesch's, welche ganz besondere
Annahmen machen muss und sogar das fundamentale P r i n c i p
,,der Continuität der Gestaltungen von Anfang der Ent-
wickelung an" (s. S. 913 und S. 869) durchbricht, vorzuziehen,
ganz abgesehen davon, dass Driesch's und 0. Hert-\vig's Auf-
fassung mit unumstösslichen Thatsachen in directem
Widerspruche steht. Meine Auffassung dagegen steht mit allen
Ausgleich aller Arten von Störungen durch Regenerationsmechanismen. 903
bezüglichen bekannten Thatsaclien im Einklang, ohne es nöthig zu
haben, ihnen irgend Gewalt anzutlmn.
Wer sich über die Sachlage genauer zu inforniiren wünsclit, den
ersuche ich, die in manchem Punctc ausführlichere Abhandlung
Nr. 27 einzusehen.
Es erhellt, dass die dargelegte Auslösungs- und Be-
thätigungs weise der Be- und Postgenerationsniechanismen
derart ist, dass diese Mechanismen überhaupt durch .Jede''
iiichi unter der Beizschivelle liegende ,, Störung'' der Anord-
nung und Beschaffenheit von Zellen in Thätigheit gesetzt
werden müssen, einerlei durch welche innere oder mechanische,
chemische, thermische, electrische äussere Ursache diese Störung
selber hervorgebracht worden ist. [Doch sind natürlich die repara-
torischen Leistungen von der bei verschiedenen Lebewesen und
ihren Organen und Geweben sehr verschiedenen Leistungsg rosse
dieser Mechanismen abhängig.]
Immerhin verkenne ich nicht und habe ich nicht verschwiegen,
dass auch das Besondere meiner Auffassung noch viele Probleme
einschliesst ; und ich erkenne an, dass der Widerspruch bei der Be-
handlung so fundamentaler und schwieriger Fragen an sich nützlich
ist. Er vermindert aber seinen Nutzen und sein Verdienst, wenn er
sich in apodictischen Aeusserungen und in Vergewalti-
gung der Thatsaclien ergeht, statt alle Argumente, auch die der
eigenen Auffassung widersprechenden, eingehends zu prüfen und
gegen einander sorgfältig und möglichst objectiv abzuwägen. Ich
hoffe, die Zukunft wird befinden, dass meinem eigenen Streben nach
dieser letzteren Richtung hin der Erfolg nicht versagt war.
Da^sich die Entwickelungsmechanik wohl fernerhin mehr und
eingehender als bisher mit den wichtigen und schwierigen Problemen
der Regeneration resp. Postgeneration zu befassen haben
wird, so scheint es zeitgemäss, dass wir versuchen, uns die bezüg-
lichen Vorgänge noch ein wenig genauer vorzustellen und die zu
904 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Grunde liegenden Correlationen mehr sn analysiren ; zumal
da auch unter „normalen'-^ Verhältnissen gleiche oder ähn-
liche Wi r /.' u n g sie eise n [wenn auch in beschränkterer Localisation]
vorhommen iverden, [ganz abgesehen von den Verhältnissen bei
den häufigen kleinen, noch als normal aufgefassten Variationen
oder k 1 e i n e n Störungen der Entwickelung , welche die Selbstregu-
lationen auslösen (s. S. 911 und Nr. 31. S. 279)]. Ausserdem ist die
genauere Erörterung nöthig, um die Aufstellung neuer Alternativen
anzubahnen, über welche auf experimentellem Wege eine Entschei-
dung gewonnen werden kann.
Wir haben nach dem vorstehend Dargelegten bei allen regene-
rationsfähigeu Organismen, soweit als die erörterten Eegenerations-
wechseUüirkungen der Theile gehen, neben den functionellen
Wechselbeziehungen der Theile noch gestaltliche Wechselwir-
kungen der Theile untereinander als möglich anzunehmen. Während
des Ablaufes der normalen Entwickelung kommen dazu noch die
normalen ge- [663] staltenden Wechselwirkungen. Wie weit
beide letzteren Wirkungsarten identisch, und worin sie von einander
unterschieden sind, ist vorläufig nicht zu sagen. Aber beim Anfange
der vollkommen normalen Entwickelung aus dem Ei nehmen
die den regenerativen Wechselwirkungen entsprechenden Wirkungs-
weisen, wie es scheint, keinen so grossen gestaltenden Antheil,
wenigstens nicht an dem Aufbaue des Organismus aus den
einzelnen ,, Vierteln", da jede der vier ersten Zellen sich eine
Strecke weit zu einem besonderen Viertel des Embryo selbstständig
entwickeln kann (siehe S. 454).
Da aber, wenn ein Stück des, wenn auch nur erst sehr wenig-
weit entwickelten aber immerhin bereits entsprechend differen-
zirten Ganzen fehlt, rascher oder langsamer die Mechanismen zur
Ergänzung des defecten Entwickelten in Thätigkeit treten, so müssen
troig dieser selhstständigenJEnttvickelungsfähigJceit der Viertel
doch „gestaltliche^) Wirkungen''' zivischen diesen Theilen mög-
lich sein.
[') r^estaltliche" Wirkungen brauchen uocb nicht , gestaltend" zu sein;
sondern die Bezeichnung gcstaltliche Wirkungen soll hier nur eine Beziehung aus-
i
, Gestaltliches Leben" der Theile. 905
Von derartigen Wirkungen wissen wir aber nicht, wie
weit sie im Allgemeinen schon unter .^normalen'"' Verhält-
nissen stattfinden, oder ob sie überhaupt erst bei ,, Stö-
rungen" : Defecten, Verlagerungen etc. actuell werden.
Ausserdem müssen ebenso räthselhafte Besiehung en
ziüischen den „entwickelten Zellen"' und dem von ihnen einge-
schlossenen Regenerationsplasson s. Reserveidioplasson
möglich sein; diese werden vielleicht auch erst durch die Störung,
durch die Veränderung, die das Fehlen eines Theiles, resp. die
Anwesenheit abnormer Nachbarschaft setzt, geweckt.
Da die typisclie Structur und Gestalt der Organe sich
aus sehr vielen einander functionell gleichen Zellen zu-
sammensetzt, so liann das Q.ngQdiQMieiQ ,,gestaltliche Lehen"''
nicht tvesentlich an die heim „fuiictionellen Lehen'' thätigen
Qualitäten den entwickelten Zellen geknüpft sein; sondern es
müssen in functionell gleichenZellen nochVerschiedenheiten
vorhanden sein, welche in gewisser Weise und innerhalb ge-
wisser Grenzen der Lage der Zellen unter den Nachbarn und
dieser im ganzen Organ und eventuell des Organes im Organismus
entsprechen.
Diese ,^Lageeigenschaften'' entsprechen nun aber, wie ich
oben (S. 891) für den auf früher Entwickelungsstufe sehr regenerations-
fähigen Froschembryo dargethan habe, nicht einer einzigen ,, festen"
räumlichen Lage jedes Theiles zu den anderen; sondern
nicht unmittelbar benachbarte Zellen können, wie zu
folgern war, ohne die wesentlichen Differenzirungsen erkennbar zu
stören, sehr gegeneinander verschoben sein und ein sehr von
der normalen G^talt abweichendes, aber dieser Abweichung proportional
im Innern normal ausgestaltetes Gebilde aus sich produciren. Dabei
werden die Zellen selbst auch entsprechend deformirt sein, be-
halten aber, und das ist wohl das Bedingende, jede ihre nor-
drücken, welche eventuell gestaltend thätig werden kann; wie z. B. bei ganz
normalen Verhältnissen manche Nachbarzellen, von blosser Druckwirkung abgesehen,
sich vielleicht nicht gestaltend beeinflussen, aber doch in Wechselwirkungen stehen,
durch deren Wegfall die Regeneration, also gestaltende Thätigkeit ausgelöst wird.]
906 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchimgszellen etc.
male nächste berührende ,, Nachbarsch aft", resp. auch
ihre normale „Continuität" mit entfernteren Theilen.
Ans der bezüglichen Thatsache eben erschlossen wir, dass die
o-estaltlichen Beziehungen der Theile des Embryo nicht
[664] wesentlich räumliche, an feste gegenseitige Lage in den
drei Dimensionen des Raumes gebundene (s. S. 187, 204 u. 442), sondern
wesentlich per contiguitatem et continuitatem vermittelte,
von mir so genannte Nachbarschaftswirkungen sind, zu
welchem auch eventuelle cli emotac tische (Nr. 32), electrische
u.a. anscheinende Fern Wirkungen gehören.
Wenn dagegen diese Nachbarschaftsbeziehungen gestört würden,
dann würde auch die normale Gestaltungsthätigkeit selber gestört und
dies erkennbar werden, soweit die Störungen nicht durch die Regene-
rationsmechanismen sogleich ausgeglichen werden.
Ich verkenne nicht, dass die oben S. 891 berichtete, der äusseren
Deformation des Embryo ,, entsprechende", Umgestaltung
innerer Theile, welche sich nach dieser Auffassung einfach mecha-
nisch aus der passiven ,,räumlichen" Verlagerung bei Erhaltung
der normalen Contiguität und Continuität der Zellen und aus
den Druckwirkungen der wachsenden Theile auf einander ergiebt, auch
unter Verwendung eines ,, mystischen" Principes räumlicher Lage-
wirkungen aus den Aenderungen der Gesammtconfiguration abge-
leitet werden kann ; nur scheint es mir nicht augebracht, dies bei dem
Vorhandensein der anderen Möglichkeit anzunehmen.
Wir wollen nun noch die verschiedenen gestaltenden Be-
ziehungen unter den thätigen Theilen des Organismus etwas
genauer präcisiren und behufs späterer Verwendung mit besonderen
Bezeichnungen belegen.
Unter ^.Differenzirung'''' verstehen wir dabei blos „mor-
phologische Veränderung en^\ also formale, structurelle sowie
sogenannte qualitative [wie die chemischen Differenzen der Gewebe,
die ja im Wesen auch structurelle sind], immer aber mehr oder
weniger lange Zeit „bleibende" (resp. bei fortschreitender Differen-
zirung eine Vorstufe anderer bleibender Aenderungen darstellende)
Definition der Selbstdifferenzirungsgebilde. 907
VeränderiiDgen , im Gegensatz zu den blos ,.fnnctionellen", einer
kurz vorübergehenden Leistung dienenden und danach sogleich wieder
rückgebildeten Veränderungen (s. I, S. 321 u. 316 Anm). Da jedoch
die rein functionellen Veränderungen bei längerer Dauer oder öfterer
Wiederholung z. B. in Form der Activitätshypertrophie und der qua-
litativen functionellen Anpassung auch zu bleibenden, also morpho-
logischen Veränderungen (somit zu Differenzirung) führen (s. Nr. 4
und 7), so fallen soweit auch an sich rein functionelle Corre-
lationen in den Bereich unserer causalmorphologischen s.
entwickelungsmechanischen Forschung.
Es sind zunächst die oben (S. 882) erörterten Unterscheidungen
der Vorgänge der Selhstclifferenzirung, differentiatio sui, und
der abhängigen Differenzirung , differentiatio ex alio, auf die
dabei thätigen Theile zu übertragen (s. S. 16).
Als Selhstd iffe r e n zirung sg ehilde (Organe, Zellen oder
active Zelltheile (letztere s. S. 83) resp. active Zellderivate) sind zu
bezeichnen Gebilde, welche, resp. soweit sie aus in ihnen selber
liegenden Ursachen sich verändern. Dabei ist abgesehen von nöthigen
äusseren Einwirkungen, welche blos als Vorbedingungen aufzu-
fassen sind, wie Zufuhr von Nahrung, Sauerstoff und Wärme; dies
gilt also nur [665] sofern resp. soweit diese äusseren Einwir-
kungen nicht das specifische Verhalten: die Qualität, den Ort,
die Zeit und Grösse der Veränderung bestimmen ; die Zeit bestimmen
sie nicht, wenn die bezügliche Veränderung nicht früher als normal
stattfindet, obschon diese Vorbedingungen bereits früher erfüllt sind;
den Ort nicht, wenn sie ausgedehnter verbreitet sind als die bezüg-
liche Aenderufig; die Intensität nicht, wenn trotz Schwankungen
dieser äusseren Bedingungen die Grösse der Veränderungen nicht
geändert wird; die Qualität nicht, wenn es sich um gestaltende
Aenderungen handelt und bei sogen, qualitativen Aenderungen, wenn
die Vorbedingungen nicht stoffliche, sondern blos thermische, mecha-
nische etc. sind. Dagegen wird natürlich der Sauerstoff oder anderes'
Material, welches mit organischen Theilen in chemische Verbindung
tritt, die Qualität dieser Verbindung mitbestimmen , wenn oft auch
908 Nr. 28. Ueber die Specification der Furcliungszellen etc.
nur zu einem verhältnissmässig kleineren T heile, als es bei an-
organischen Verbindungen geschieht.
Als abhängige Bifferenzirungsgeljilde sind Gebilde so lange
resp. soweit zu bezeichnen, als ihre Veränderung ganz oder zu einem
wesentlichen Theile, d. h. nach Art, Zeit, Ort oder Intensität der
Veränderung, von ausserhalb des Gebildes bestimmt wird.
Sind Art, Ort, Zeit und Grösse der Veränderung eines Gebildes
alle von aussen her bestimmt, ist also die Differenzirung desselben
ähnlich wie die aus einem Marmorblock gemeisselte Gestalt voll-
k 0 m m e n von den äusseren Einwirkungen abhängig, so kann dieser
höchste Grad abhängiger Veränderung wohl qXq passive Differen-
zirung und das Gebilde qIq passives Differenzirungsgehilde
bezeichnet werden.
Da Art, Ort, Zeit und Intensität einer Veränderung
jedes durch eine andere Ursache bedingt sein und jede
derselben entweder in dem betreffenden Gebilde selber liegen oder
ihm von aussen zugeführt werden kann, so kann auch eine und
dieselbe Veränderung in Bezug auf eine oder einige dieser
Eigenschaften eine Selb st differenzirung und in Bezug auf
andere zugleich eine abhängige Differenzirung des ver-
änderten Gebildes sein, so dass wir vollliommene und un-
voUhommene Selhstdifferenzirung^ differentiatio siii perfecta
et imperfecta zu unterscheiden haben ^). Durch diese vielen Möglich-
keiten wird unsere Aufgabe der vollständigen Erforschung aller Ursachen
jeder morphologischen Veränderung überaus schwierig und complicirt.
Ferner kommt es vor, dass „dasselbe Gebilde" sich nach ein-
ander bald mehr oder ganz durch Selbstdifferenzirung, bald mehr durch
[1) Eine Veränderung eines Gebildes, welche nach der einen oder einigen
dieser vier Eigenschaften jeder Veränderung, z. B. nach ihrer Art, ihrem Ort von
innen, nach anderer Eigenschaft z. B. nach Zeit oder Intensität von aussen
bestimmt wird, kann als „gemischte Differenzirung", Differentiatio raixta,
von der „unvollkommenen Selbstdifferenzirung" unterschieden werden,
welche letztere alsdann nur noch den Antheil innerer und äusserer Componenten bei
der Veränderung blos nach einer und derselben dieser vier Eigenschaften jeder
Veränderungen bezeichnen würde. Doch ist diese Distinction wohl zu fein, um auf
allgemeine Verbreitung Aussicht zu haben, und vielleicht auch nicht unerlässlich
nöthig.l
Ditfereiiziruiigs-Definitioncn. 909
abhängige Differenzirung verändert; und dies nicht blos bei verschiedenen
Veränderungen, sondern auch bei späteren, aber unter anderen Ver-
hältnissen sich vollziehenden Wiederholungen scheinbar derselben
Veränderung. Dasselbe Gebilde kann also bald Selbstdiffe-
renzirungs-, bald abhängiges Differenzirungs-Gebilde, bald
beides zugleich sein.
[666] So kann für die meisten Organe, z. B. Knochen, Muskeln,
Drüsen eine erste Periode der Anlage und des ,,selbst-
s tändigen" Wachsens und Erhaltens von einer späteren
Periode des ,,f u n c t i o n e 1 1 e n L e b e n s" unterscheiden, in welcher
letzteren weiteres Wachsthum und dauernde Selbsterhaltung nur
unter dem Einfluss der Ausübung der Function stattfinden: eine
practisch z. B. besonders orthopädisch überaus wichtige aber gewöhn-
lich nicht berücksichtigte Verschiedenheit (s. I, S. 348 und II, S. 281).
Ferner ist oft die Gestaltung eines Organ es theils von
innen theils von aussen her bedingt.
So ist z. B. die Entwickelung der specifischen Structur der
Leber wohl als Selbstdifferenzirung der Leber aufzufassen,
die Leber also nach dieser Richtung hin ein Selbstdifferenzirungs-
Gebilde ; während ihre gleichzeitig ausgebildete äussere Gestalt
bei gegebener Masse des Organes blos einen Abguss des Raumes
zwischen den Nachbarorganen, also eine passive Differenzirung
darstellt. Aehnliches gilt z. B. für Lungen und Nieren, weniger für
Gehirn und Muskeln und zum Theil auch noch für die Knochen
(s. I, S 734).
Im Gegensatz zu den in der Selbstständigkeit ihrer Differen-
zirung wechselnden Gebilden, den tempoi' ären Selhstdifferen-
zirungsgehilfden und den tempor är ahhäng igen Differen-
zirnng s g ehilden kann es nun Gebilde, z. B. Zellen oder Zelltheile,
geben, welche stets der Selbstdifferenzirung unterliegen. Diese seien
als pe r m anente Selhstd iff e r en 2 ir un g s g eh i I d e , ihr Gegentheil
3i\s permanent abhängige Bifferenzirungsgehilde bezeichnet.
Von Wichtigkeit ist ferner noch neben der Bezeichnung des ab-
hängig differenzirten Gebildes die Bezeichnung des diese Thätigkeit
ausübenden, resp. veranlassenden Gebildes.
910 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Gebilde, welche auf andere differenzirend wirken, will ich
Anderdifferenzirnngsge'bilde (z. B. Anderdifferenzirungszellen)
nennen.
Die differenzirende Wirkung kann von einer gleichzeitigen oder
eben vorausgegangenen, selbstständigen oder unselbstständigen Aende-
rung des differenzirend wirkenden Gebildes abhängen. Es ist aber
auch denkbar, dass Gebilde auf andere differenzirend wirken, ohne
sich selber dabei morphologisch zu verändern oder unmittelbar
vorher verändert zu haben; solche Gebilde würden bei ihren gestalten-
den Einwirkungen blos aufgespeicherte Energie verbrauchen, ohne ihre
eigene Structur dabei zu ändern.
Selbstdifferenzirungsgebilde, welche, resp. so lange sie nicht auf
andere diÖerenzirend wirken, seien als Alleinselbstdifferenzirungsgebilde
oder kürzer als AUeindifferenzirungsgehilde^) (z. B. Allein-
differenzirung SS eilen) bezeichnet.
Es wird ferner nöthig werden, den relativen Grad differen-
zirender Wirkungen verschiedener Gebilde (z. B. von Zellen oder Zell-
.theilen), welche Theile eines und desselben organischen Gebildes sind,
zu unterscheiden.
[667] Die stärker differenzirend wirkenden Gebilde seien als
Differenzirungs-Hauptgebilde (z. B. Differensiriings-Haupt-
z eilen), die schwächeren als Differenzirungs- Nebengebilde
(z. B. Bifferensirungs-Nehensellen) bezeichnet.
Da z. B. nach Entfernung des Zellkerns der Zellleib der Pro-
tisten nicht regenerationsfähig ist, so weist dies darauf hin, dass dem
Kern der Rang eines Differenzirungs-Hauptgebildes gegen-
über dem Zellleib zukommt.
Schon bei der Beurtheilung der normalen Bildungsvorgänge
wird es wichtig sein, die verschiedene Grösse des Wirkungsfeldes-
und der Wirkungsintensität der Diff erenzirungs-Haupt-
zellen und der Differenzirungs-Nebenzellen zu kennen.
Besonders wichtig wird aber diese Distiuction unter abnormen
Verhältnissen; denn dann wird oft eine directe Concurrenz
1) Dies sind wenig schone Bezeiclmungen , für welche ich gern in Vorschlag
gebrachte bessere acceptiren würde.
Regulatorische Dirt'erenzirungen bei der typischen Entwickeking. 911
zwischen den verschiedenen Anderdifferenzirungszellen vor-
kommen, in welcher gewöhnUcli die Differenzirnngslianptzellen über
Diäerenziruugsnebenzellen, unter abhängiger Umdifferenzirung letzterer
siegen werden. Doch ist es denkbar, dass auch ein Complex von
Differenzirungsnebenzellen über eine oder einige, in seinen Wirkungs-
bereich gerathene Differenzirungshauptzellen siegt und sie der eigenen
differenzirenden Einwirkung unterwirft.
Sok'herlei Vorgänge müssen , wie wir oben (S. 898) sahen , in
ausgedehntem Maasse bei der Re- und Postgeneration ange-
nommen werden (s. auch S. 500 u. f.). Die dem Stammcomplex
der zerschnittenen Hydra näher liegenden Zellen werden bei der
wirklichen Regenerationsthätigkeit im Allgemeinen sich als Differen-
zirungshauptzellen zu den distalen Nachbarn verhalten; diese somit
als Differenzirungsnebenzellen zu betrachtenden Gebilde werden aber
gleichzeitig auf die weiter distalen , dem Defect näheren Zellen , als
Differenzirungshauptzellen wirken ; während vorher bei der Auslösung
der Regeneration der Prozess der Umänderung die umgekehrte Rich-
tung einschlagen musste.
Solche WirJcnngen müssen meiner Meinung nach auch
schon innerhalh der Breite der ,, normalen^' Entiüichelung in
Folge der häufigen „Variationen" nöthig sein; dies hann der
Grund der phylogenetischen Züchtung dieser regulirenden
differenzirenden WechseUvirlcungen geivesen sein (s. auch Nr. 31,
S. 279). So habe ich schon vor Jahren beobachtet, dass nicht selten
nach der dritten, wagrechten s. äquatoriellen Furchung des Froscheies
die vier kleineren oberen Furchungszellen sich gegen die
vier unteren grösseren um 20 — 45^ verschieben, wodurch das
obere Stück det" ersten Furchungsebene, welche die Mediauebene des
Embryo darstellt, entsprechend gegen das grössere untere Stück ver-
dreht wird. [Zu diesen Störungen gehört schon die Bildung der
Brechungsfurehe bei der zweiten Furchung (s. S. 351 Anm.) und
die schon auf Seite 111 erwähnten nachträglichen Verlagerungen
kleinerer Furchungszellen, ferner die Drei- statt Zweitheilung des
Eies, wobei nach Born auch normale Embryonen entstehen^).]
[') Jüngst hat V. von Ebner (Die äussere Furchung des Tritoneies und ihre Be-
912 Nr. 28. Ueber die Specification der Fiirclningszellen etc.
Es schien mir aus den vor Jahren, etwa 1886, angestellten Be-
obachtungen hervorzugehen, dass bei diesen Verschiebungen der
vier oberen P^urchungszellen (s. S. 270) gegen die vier unteren
(1 i e M e d i a n e b e n e des s p ä t e r e ii Embryo der R i c h t u n g des
,, unteren" Stückes der Furchungsebene folgte, wonach die
unteren vier Zellen die Differenzirungshauptzellen bei dieser Bestim-
[668] mung, die oberen dagegen nur Differenzirungsnebenzellen dar-
stellen würden [s. Nr. 31, S. 267].
Wird, wie bei sehr starker Pressung der Eier während ihrer
Furchung wohl anzunehmen ist, die Abnormität in der Lagerung oder
Beschaffenheit der Furchungszellen sehr stark, so können wir nicht
olme darauf gerichtete genaue Beobachtungen beurtheilen, welche
Gruppe von Zellen die weitere Entwickelung überwiegend bestimmen
wird; es ist aber nicht zu verwundern, wenn dabei die Median-
ebene nicht mehr mit einer der drei ersten Furchungs-
ebenen zusammenfällt (s. S. 923 Anm. u. Nr. 31, S. 269).
Aehnliches kann mutatis mutandis bei den durch abnorme
Wärme veranlassten Abnormitäten der Furchung (s. Nr. 6,
S. 12) der Fall sein. Auch hier entzieht sich jedoch das Wesentliche
des einzelnen Falles vorläufig unserer Beurtheilung, so dass zur Zeit
dieses ßeobachtuno-smaterial weder zur Stütze für noch
Ziehung zu den Hauptrichtungen des Embryo, in der Festschrift für A. Rollett 1893)
Beobachtungen über starke, schon normaler Weise vorkommende Verschie-
bungen der Furchungszellen an Tritoneiern gemacht, wobei gleichfalls die
Ebene der ersten resp. zweiten Furchung , die Medianebene überschritten wurde.
Dieses häufige Vorkommniss kann aber, wie hier oben angedeutet, die Ur-
sache der phylogenetischen Züchtung von Regulationsmechanismen
gewesen sein, welche diese Störungen, sei es durch Umdifferenzirung oder zum
Theil auch vielleicht durch nachträgliche ümordnung, wieder ausgleichen. Im
letzteren Sinne spricht sich auch v. Ebner unter Berufung auf meine Beobachtungen
in Nr. 32 aus. Die normalen Störungen selber sind, wie ich zeigen werde, zum Theil
mechanisch bedingt, (lieber die Bedeutung der Variationen der relativen Grösse
der Furchungszellen für den formalen Charakter des Furchungsschema, siehe Archiv
für Entwickolungsmechanik, Bd. II).
W. Patten (Artificial Modification of the Segmentation and Blastoderm of
Limulus Polypheraus. Zool. Anz. 1894, S. 72 u. f.) fand sogar, dass die Eier von
Limulus in der freien Natur, wo sie hin- und hergedreht werden, sich an der ganzen
Oberfläche furchen, während sie in einer Glasschale, wo sie am Boden ankleben,
sich nur auf der oberen Seite furchen.]
Nothwendigkeit der Continuität , typischer" Gestaltungen. 913
gegen eine der beiden einander entgegenstehenden Auf-
fassungen verwendet werden kann.
Infolge dieser Correl ationen ist es natürlich vielfach
von der „Lage'''' der Zellen su anderen Zellen abhängig^ ivas
aus ihnen wird.
Wenn abhängige DifSerenzirungszellen neben andere Anderdiffe-
renzirungszellen zu hegen kommen, als es normal geschieht, so wird
etwas Anderes aus ihnen als bei der normalen Nachbarschaft^),
Sofern ein Complex zusammenpassender Differenzirungs-
nebenzellen unter Umständen stärker differenzirend wirken kann, als
eine geringere Anzahl oder einzelne Diff erenzirungshauptzellen , so
kann bei Verlagerung letzterer neben oder unter erstere Zellen diese
Lageänderung zur Folge haben, dass selbst aus Differenzirungs-
hauptzellen etwas Anderes hervorgeht als unter normalen
Verhältnissen aus ihnen entstanden wäre.
Neben diesen vielfachen differenzirenden Wechselwirkungen dürfen
wir aber nicht ausser Acht lassen, dass complicirte ,, typische" Ge-
staltungen der Organismen nur von „typischen" Gestaltungen
aus reproducirt werden können. Die typische Wieder-
holung organischer Gestaltungen setzt [von einfachen, auch im
Anorganischen in gleicher AVeise und aus gleichen Ursachen vor-
kommenden Gestaltungen abgesehen] eine ununterhrochene Con-
tinuität typischer Gestaltungen voraus.
Zum Wesen einer typischen Gestaltung eines Organis-
mus gehört typische Beschaffenheit, typischer Ort und typische rela-
tive Zeit der betreffenden Gestaltung. Solche Gestaltung kann daher
blos entweder aus „lauter" typisch beschaffenem und gelager-
tem Materiale^ oder zweitens, bei Verwendung atypisch be-
schaffenen oder gelagerten Materiales, unter dem bestimmen-
den gestaltenden Einfluss von TjqDischem auf dieses aty-
pische Material hervorgebracht werden.
[1) Oder mit anderen Worten: das Schicksal nicht ganz selbstdifferen-
zirungsfähiger, sondern irgendwie der abhängigen Differenzirung unterliegender
Zellen ist eine „Function der Lage" dieser Zellen zib anderen, auf sie
diiferenzirend wirkenden Zellen.]
W. Eoux, Gesammelte Abhandlungen. II. 58
914 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Zum Beispiel kann aus Mesenchymzeilen, welche
atypische Bahnen gewandelt sind, typische Gestaltung
nur unter dem gestaltenden Einfluss typisch gelagerter
Zellen (der epithelialen Keimblätter oder des Mesenchyms) ent-
stehen. Oder wenn Friedr. Dreyer die Gestaltung des Radiolarien-
gerüstes als durch die Kräfte der Blasenspannungen, also wesentlich
einfach physicahsch bedingt auffasst, so müssen doch, soweit als diese
Gestaltung in specieller [669] Beschaffenheit und Lage bei den Nach-
kommen in der gleichen Weise wiederholt wird, die diese
typische Wiederholung bestimmenden Momente vererbte
sein, [womit wiederum das wesenthch Bestimmende im Organismus
selber hegt und der anorganischen Componente nur ein relativ unter-
geordneter Antheil zukommt].
Ueberblicken wir schliesslich die vorstehend behandelte Haupt-
frage, so könnte es scheinen, der Kampf der Meinungen fände in letzter
Instanz darüber statt, ob es wesentlich blos eine einzige Art der Eut-
wickelung der Individuen giebt, aus welcher dann alle vorliegenden
Thatsachen abgeleitet werden können, oder ob zwei wesentlich ver-
schiedene Arten der individuellen Entwickelung vorkommen. Von der
Vermehrung durch Knosp ung etc. haben wir in unserer Erörterung
abgesehen (s. S. 843).
Es hat sich aber gezeigt, dass 0. Hertwig und H. Driesgh „drei"
wesentlich verschiedene Entwickelungsarten für dieselbe
Species annehmen {s. S. 893) und zugleich mehrere Thatsachen
verleugnen müssen, insbesondere die, dass man beim Frosch unter
normalen Verhältnissen ausnahmslos bereits vor der ersten
Furch ung die drei Hauptrichtungen des Embryo bestimmen kann,
sowie dass man sicher vorhersagen kann, ob eine der beiden ersten
Furchungszellen nach Zerstörung der anderen Zelle einen rechten oder
hnken, vorderen oder hinteren halben Embryo liefern wird. Diese
Auffassung kann demnach nicht richtig sein.
Die verschiedenen, nicht von einer einzigen Bildungsweise ab-
leitbaren Thatsachen haben mich dagegen veranlasst, zwei ent-
Typische und atypische Entwickelung. 915
sprechend verschiedene Bildungsmodi aufzustellen (s. S. 811
und 843):
Erstens einen Bildungsmodus für die normale Entwickelung, den
ich als Modus der directen s. typischen Enttvichelung bezeichnete,
weil er typisch verläuft; derselbe ist, von speciellen Einzelheiten abge-
sehen, besonders durch hochgradige Selbstdifferenzirung einiger oder
vieler „Theile" des gefurchten Eies, resp. Theile des Embryo charak-
terisirt und stellt von Anfang an ein typisches System bestimmt
gerichteter differenzirender Vorgänge dar, welches in festen Beziehungen
zu den Hauptrichtungen des späteren Embryo steht.
Zweitens den Modus der indirecten s. atypische s. regu-
latorische Entwich elung, welcher bei unserer früheren Kenntniss
blos für die Re- und Postgeneration anzunehmen war, dem
sich aber, wie oben dargelegt, auch die Entwickelung bei hoch-
gradig abnormer Furchung nach sehr starker Pressung der
Echinodermen- und Froscheier und bei sonstigen Störungen ein-
fügt. Diese atypische Entwickelung ist im Gegensatz zu ersterer
charakterisirt durch entsprechend atypischen aber von einem
stets vorhandenen, wenn auch nur kleinen, „typischen"
Theile aus geleiteten Verlauf und wird vermittelt durch hoch-
gradige regulirende gestaltende Correlationen der Theile unter
einander.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass beiden Entwickeln ngs-
arten mannigfache Arten von Correlationen gemeinsam
sind; im Gegentheil die normale s. typische Entwickelung bedarf
hei den häufig vorkommenden kleinen Abweichungen sogar
der „regulirenden'^ Gorrelationen; so kommen auch bei beiden
Entivickelungß arten Umdifferenzirungen von bereits Diffe-
renzirtem vor.
[670] Soweit es angemessen ist, für verschiedene Ur-
sachen auch verschiedenes Material, also für verschiedene
Energie auch verschiedenen Stoff als Sitz resp. Quelle derselben an-
zunehmen, nehme ich zweierlei Hauptbildungsstoffe an;
das Idioplasson der typischenEntiv ickelung ^ welches gewöhnlich
durch die Befruchtung, bei Parthenogenesis durch ein anderes,
58*
I
916 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
unbekanntes Moment, activirt wird; und das Idioplasson der aty-
pischen Entwiclielting [s. Beserveiäioplasson) welches bei der
typischen Entwickelung zeitweise, besonders am Beginn der individuellen
Entwickelung, qualitativ halbirt, später bei manchen Thieren zeit-
und theilweise qualitativ ungleich getheilt wird, und welches erst
durch einen Defect an dem bereits mehr oder weniger ent-
wickelten Ganzen oder durch Störung der Anordnung oder
Qualität der entwickelten Theile activirt wird.
Normalerweise herrscht das Idioplasson der typischen'EiB.i^Ack.Q-
luug über die nicht selbst differenzirungsfähigen Theile des Eies. Ist
das Reserveidioplasson activirt, so vermag es als temporäres Diffe-
renzirungshauptplasson die Herrschaft über bereits Diffe-
renzirtes zu übernehmen und Umdifferenzirung desselben
zu veranlassen^).
Wir wollen versuchen, noch einen etwas weiteren Einblick in
das Wesen der beiderseitigen Auffassungen zu gewinnen, indem wir
die zu Grunde liegenden Verschiedenheiten vom Ontogenetischen in's
Phylogenetische zurück verfolgen und sie auf die Entstehung der
Metazoen aus den Protisten anwenden.
Die Protisten sind gleich der befruchteten Eizelle der Haupt-
sache nach vollkommen selbstdifferenzirungsfähig, denn in demselben
Tümpel, also unter wesentlich denselben äusseren Bedingungen, ent-
wickeln sich die verschiedensten Protistenformen neben einander, jede in
ihrer typischen Weise. Auch Protisten sind einer directen s. typischen
Entwickelung, ausgehend von einer bestimmten Art der Selbsttheilung
des encystirten, vereinfachten Individuums fähig; daneben kommt
allgemein die Regeneration des entwickelten Individuums, sei
es nach typischer Selbsttheilung desselben oder nach zufälligem Defect
[1) Von beiden Idioplassonarten vermuthe ich, dass, so lange sie
ruhen, also soweit sie nicht activirt sind, sie vorzugsweise im Zellkern
angehäuft sind und dass, soweit letzteres der Fall ist, ihre richtige Vertheilung
bei der Zelltheilung durch die indirecte Kerntheilung bewirkt wird.]
Ableitung der Metazoen aus den Protisten. 917
vor. Die Verschiedenheiten zwischen beiden Entwickeknigsarten mögen
dabei quantitativ viel geringer sein als bei den Metazoen; qualitativ
aber besteht wieder der Gegensatz zwischen tj^pischer Entwickelung
des typisch DifFereuzirten aus einem Einfacheren einerseits und
Ergänzung eines in bestimmter Weise Dii^erenzirten aber atypisch
Defecten von dem bereits differenzirten Zustande aus. Wir haben
also auch in diesen Fällen schon die oben (S. 916) unterschiedenen
zwei Arten von Idioplasson anzunehmen.
Ein vielzelliges Wesen, ein Metazoon, konnte aus diesen
einzelligen selbstdifferenzirungsfähigen Protisten entstehen, indem die
Nachkommen einer Zelle zusammenblieben und sich dabei, w^ohl zu-
nächst an den Berührungsflächen, nicht mehr so voll aus differenzirten,
wie es beim einzelnen Freileben jeder Zelle geschah. Also durch das
Zusammenbleiben wurde veranlasst, dass sich jede der gleich werthigen
Zellen nicht mehr zu einem ,, Ganzen" entwickelte. Vielleicht war
eine ähnliche Vorstellung die erste Veranlassung zu der Ansicht
O. Hert-wig's.
[671] Für die hochentwd ekelten Metazoen indess, für welche
O. Hertwig (s. 7 u. 8) diese Entwickelungsart behauptet: für Am-
phibien und Echinodermeu wie auch für Ctenophoren, Ascidien und
Amphioxus ist die Sachlage meiner Meinung nach eine wesentlich
andere.
Wir dürfen nicht annehmen, dass alle die Eigenschaften
dieser hochentwickelten Thiere blos durch ,, Hemmung"
der Ausbildung von Eigenschaften der Protisten, also
durch Rückbildung entstanden sind; das würde zu der Auf-
fassung führen, dass wir blos degenerirte Protisten seien. Im Gegen-
theile, diese Entwickelung geschah, wenn auch auf Kosten der Viel-
seitigkeit der einzelnen Zellen jedenfalls durch Erwerbung vieler
neuer Eigenschaften: der specifischen Gewebsqualitäten
und neuer typischer Gestaltungen durch den Aufbau aus
vielen Zellen.
Wir stehen somit nun auf's Neue vor der Frage, auf was für
allgemeinen Entwickelungsmechanismen die der Ausbildung dieser
918 Nr. 28. Ueber die Specification der Furchungszellen etc.
Qualitäten und Gestaltungen zu Grunde liegenden Mechanismen beruhen.
Denkbar sind sehr verschiedene Weisen, wenn auch ihre Zweck-
mässigkeit sehr ungleich ist; und alle werden mit „Selbstregu-
lation" innerhalb gewisser Breite behufs Correction un-
ausbleiblicher Störungen arbeiten müssen. Wir wollen aber
ermitteln, was thatsächlich geschieht.
Beim Beginn meiner entwickelungsmechanischen Studien habe
ich deshalb die bezüglichen Möglichkeiten: Correlation, Selbstdifferen-
zirung und Combinationen beider erörtert und dann experimentell
Schritt für Schritt den Antheil jedes beider Principieu an der wirk-
lichen Entwickelung bereits eine Strecke weit geprüft. 0. Hertwig
dagegen hat sich bei seinem jüngsten, ersten entwickelungsmechanischen
Versuch unter Uebergebung der bereits vorliegenden That-
sachen sogleich apodictisch und ausschliesslich für die absolute
Correlation ,,aller" der Theile des Eies unter einander ausge-
sprochen.
Durch sehr frühzeitige Auslösung der Postgenerations-
thätigkeit nach dem experimentellen Eingriff wird die gesonderte
Prüfung der normalen s. typischen Entwickelung bei manchen
Thieren, so bei Echinodermen und Amphioxus, sehr erschwert;
während Frösche und Ctenophoren den Verlauf der ,, typischen Ent-
wickelung" eine grössere Strecke weit für sich zu verfolgen gestatten
und daher für unser bezügliches Studium sich mehr eignen und zuver-
lässigere Schlüsse gestatten als erstere Thiere, auf deren Verhalten
sich H. Driesch vorwiegend, genau genommen ausschliesslich stützt^).
1) Während der Drucklegung vorstehender Mittheilung sind neue entwicke-
lungsmechanische Studien H. Driesch's, Nr. VII — X (in den Mittheilungen aus der
zoologischen Station zu Neapel, Bd. XI, Heft 1. u. 2) erschienen. [In denselben hat
der Autor einige seiner Ansichten in etwas den meinigen sich nähernder Weise
modificirt.]
Literatur. 919
Literatur.
1. Driesch, Hans, Zur Theorie der thierischen Formbildung. Biol. Centralbl. 1893,
S. 296—312.
2. Derselbe, Entwickelungsmechanisclie Studien I und II. Zeitsclir. für wiss.
Zoologie LIII, 1, 1891.
3. Selenka, Emil, Studien über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Heft II : Die
Keimblätter der Echinodermen. Wiesbaden 1883.
4. Fiedler, Karl, Entwickelungsmechanische Studien an Echinodermeneiern. In
der Festschr. d. Univers. Zürich für die HH. von Naegeli und von Kölliker.
Zürich 1891.
5. Barfurth, Dietrich, Halbbildung oder Ganzbildung in halber Grösse. Anat. An-
zeiger 1893, Nr. 14.
6. Driesch, H., Entwickelungsmechanische Studien III — IV. Zeitschrift für wiss.
Zoologie LV. 1, 1892.
7. Hertwig, Oscar, Urmund und Spina bilida. Arch. f. micr. Anatomie. Bd. 89, 1892
8. Derselbe, Aeltere und neuere Entwickelungstheorien. Rede. Berlin 1892.
Nr. 29.
lieber die ersten Theilungen des Froseheies und
ihre Beziehungen zu der Organbildung des Embryo.
1893.
Anatomischer Anzeiger. Bd. VIII. 1893. Nr. 18.
Inhalt.
Seite
Compression sich furchender Eier: 921
zwischen horizontalen Platten 922
zwischen verticalen Platten 922
Künstliche Asyntaxia medullaris totalis 922
Beziehung zwischen den ersten Furchen und der Medianebene des Embryo 923
Künstliche Bestimmung der Lage des Urmundes 925
Entwickelung bei hochgradiger Deformation des gefurchten Eies . . 926
[605] Unter dem obigen Titel hat O. Hertwig jüngst eine Mit-
theilung in den Sitzungsberichten der König], preussischen Academie
der Wissenschaften publicirt, in welcher er über bezügliche Versuche
berichtet.
Diese Versuche bestehen in passiven Deformationen des Eies durch
Pressung zwischen wagrechten oder senkrechten Platten oder durch
Aspiration in Röhren [s. oben S. 302] ; dabei wurde zunächst auf die
Beeinflussung der Richtung der ersten Furche geachtet, darauf des Wei-
teren der abnorme Verlauf der Furchung festgestellt; und in besonderen
Versuchsreihen wurde die Richtung der ersten Furchung markirt,
Entwickelung gepresster Eier. 921
um nach dem Auftreten der Medullari'urche prüfen zu können, ob
ihre Richtung in der von mir für normale Verhältnisse ermittelten
(s. Nr. 16) festen Beziehung zu der ersten Furchungsebene steht.
Es soll sich dabei um die wichtige Frage handeln, ob durch die
ersten Furchungen bereits das speeifisch beschaffene Material für die
„typische" Entwickelung (s.S. 811 und 915) der rechten und linken,
resp. der cephalen und caudalen Haupttheile des Körpers fest ge-
schieden wird.
Zu dieser vorläufigen Mittheilung Hertwig's möchte ich gleichfalls
einige Worte vorläufig bemerken.
Zunächst habe ich zu erwähnen, dass ich ganz dieselben Versuche
ohne Ausnahme in den Jahren 1885—1887 (s. S. 445 Anm.) (neben
anderen bereits [606] publicirten) wiederholt angestellt habe. Ich
habe ihre Ergebnisse bisher aus zwei Gründen nicht im Speciellen
publicirt: einmal, weil die Ergebnisse nichts enthielten, was nicht
schon in den von mir in den Jahren 1883 und 1884 angestellten und
publicirten Fundamentalversuchen (Nr. 16 und 20) im Wesen ent-
halten gewesen wäre ; deshalb schien mir die Publication nicht so
eilig; zweitens hatte ich das gewonnene Versuchsmaterial zu einer
grösseren Arbeit für eine eventuell sich meldende jüngere Kraft
bestimmt; es sollte unter Microtomirung und Reconstruction durch
Plattenmodellirung Genaueres über die von mir, auf Grund der 1884
angestellten Versuche bereits in Nr. 20 ausgesprochenen Beziehungen
(s. S. 302) zwischen der Gestalt der Protoplasmaanhäufung und der
Richtung der Kernspindel ermittelt werden ; andererseits sollten die
bei Deformation des gefurchten Eies vielleicht vorkommenden Aende-
rungen der inneren Entwickelungsvorgänge studirt werden.
Nachdem sich bis jetzt niemand für die Bearbeitung dieses
Materials gefunden hat (wohl weil in Oesterreich keine Doctorarbeiten
gemacht w^erden), und da jetzt die bezüglichen Fragen wieder beregt
worden sind, werde ich die Ergebnisse meiner damaligen Versuche
demnächst so w^eit publiciren, als sie durch äussere Besichtigung der
Objecte und die früher schon vorgenommene Microtomirung einiger
Serien mir bereits bekannt sind. Ich glaube dabei das Erscheinen
von O. Hertwig's definitiver Abhandlung nicht abwarten zu müssen,
922 Nr. 29. Ueber die ersten Theilungen des Froscheies etc.
da mein Versuchsmaterial so reich ist, dass 0. Hertwig in dem einen
Frühjahre dieses Jahres kaum etwas gesehen haben dürfte, was mir
im Laufe mehrerer Frühjahre nicht vorgekommen w^äre (s. Nr. 31).
üeber die Resultate 0. Hertwig's will ich, gestützt auf die
meinigen, jetzt blos Weniges bemerken.
Bei Compression der Eier zwischen zwei horizontalen Platten
kommt die dritte, normaler Weise äquatoriale Furchung nicht, wie
Hertwig angiebt, in Wegfall; sondern sie wird um eine Furchung ver-
schoben (vergl. auch S. 329) ; es findet (w^ie ich früher schon berichtet
habe) als dritte eine verticale, annähernd radiäre Theilung statt, und
ihr folgt, wie bei der gleichfalls platten Keimscheibe meroblastischer
Eier, au den hier abgeplatteten Froscheiern eine senkrechte, aber
annähernd tangentiale s. circuläre Theilung, die der sonst
wagrechten dritten Furche wohl im Hauptsächlichen entsprechen kann ^).
Durch bis zur Entwickelung der Medullarwülste anhaltende
starke Pressung der Froscheier zwischen parallele verticale Platten
gelingt es, das seitliche Herabwachsen der Urmundslippen ganz zu
verhindern; die Medullarwülste formiren dann einen den
Aequator [607] des Eies rings umziehenden Gürtel
(künstliche Asyntaxia medullaris totalis) [s. S. 89 u. 526].
Bezüglich der von mir für nicht deformirte also ,,nor-
male" Eier ausgesprochenen ursächlichen Beziehungen zwischen den
ersten Furch ungen und der Medianebene des Embryo, insbesonders
bezüglich des Zusammenfalles der ersten oder zweiten (bei Pressung
1) Auf der Versammlung der Anatom. Gesellsch. zu Strassburg im Mai 1894
machte ich in der Discussion zu einem bezüglichen Vortrage H Ziegi.er's folgende
Mittheilung (siehe Verband!, d. anat. Gesellsch. 1894, S. 153): ,,An Eiern vonßombinator
igneus, welche nach der Befruchtung zwischen wagerechte Platten gepresst
worden waren, sah ich nach den beiden ersten, senkrechten, rechtwinkelig zu
einander stehenden Furchen bei der dritten Theilung statt der von Ziegler er-
haltenen Theilung in senkrechter radiärer Richtung gleichfalls senkrechte Furchen
auftreten, welche aber die Peripherie des Eies nicht erreichten, sondern die beiden
früheren Fur.chen schräg oder quer verbanden und daher bei ihrer gleich-
zeitigen verticalen Stellung in ihrer Richtung mehr der normalen dritten, äqua-
torialen Furche der meroblastischen Eier entsprachen. Diese Ver-
schiedenheiten in den Befunden sind wohl von Verschiedenheiten
in dem Grade der Pressung und in der relativen Menge des Bildungs-
und Nahrungsdotters, d. h. von der durch diese Componenten bedingten „Ge-
stalt des Bildungsdotters" der betreffenden Furchungzellen abhängig^
Entwickelung gepresster Eier. 923
zwischen senkrechten Platten der ersten oder dritten) ^) Furchungs-
ebene mit der Medianebene des Embryo hat 0. Hertwig aus den Ver-
suchs-Ergebnissen seiner abnorm behandelten Eier keine Bestätigung
meiner Auffassung entnehmen können, schliesst aber, dass sich das
„Fehlen" dieser unter normalen Verhältnissen beobachteten ur-
sächlichen Beziehung auch für die normalen Verhältnisse er-
geben habe.
Dem entgegen haben meine, denen Hertwig's äusserlich
gleichenden Versuche eine sichere Bestätigung meiner
für die ,, normale" Entwickelung aufgestellten Auffass-
ung auch für manche abnormen Verhältnisse ergeben (s. auch
Nr. 31, S. 266].
lieber die Ursachen dieser Differenz bin ich nicht im Zweifel.
Abgesehen von den Verschiedenheiten, welche wie erwähnt
durch die Ungleichheit in der Stär-ke der Pressung be-
dingt werden können, schliesst die bei diesen Versuchen angewendete
Methode der Zwangslage viele Fehlerquellen ein, welche man erst
nach vielen, wohl kaum in einem einzigen Frühjahr zu erwerbenden Er-
fahrungen alle kennen und theilweise vermeiden, theilweise in ihrer Wir-
kungsweise und Grösse richtig beurtheilen lernt. Es giebt keine Fehler-
quelle, welche zu veranlassen vermöchte, dass die Anlage der Medullar-
wülste parallel den zur Zeit der ersten Furchungen auf einen den pressen-
den Glasplatten angeklebten Zettel gemachten Strichen erfolge. Wohl
aber wird jede Fehlerquelle Abweichungen von dieser Rich-
1) In den Fällen von so stai'ker Pressung zwischen senkrechten Platten,
dass die dritte Furchung auch noch rechtwinkelig zu den Platten und erst die vierte
Furchung zu ihnen parallel steht, wo aber die Medianebene gleichwohl die Richtung
dieser Platten hat oder ihr nahe steht, können wir nicht mehr normale, s.
typische Entwickelung annehmen, für welche meine Sätze von den „festen"
Richtungsbeziehungen, d. h. von dem „directen"Causalnexus zwischen
den ersten Furchungen und der Medianebene des Embryo und von
der „ Sebstdiff erenzir ung" der ersten Furchungsz eilen aufgestellt
und erwiesen worden sind. In diesen Fällen müssen, ebenso wie bei den
starken Verlagerungen der Furchungszellen an Seeigeleiern durch Driesch, wie ich
schon (S. 834) ausgesprochen habe und des Weiteren darthun werde (S. 901 u. Ol'i),
Mechanismen in Thätigkeit treten, wie sie bei der Post- und Regeneration auch thätig
sind, Mechanismen, welche das Wesen der von mir der typischen Entwickelung
gegenübergestellten „atypischen" Entwickelung ausmachen.
924 Nr. 29. lieber die ersten Theilungen des Froscheies etc.
tungs - Coincidenz hervorbringen; und das Erste, was man bei
diesen Versuchen erhält, sind daher stets die [608] Abweichungen,
bis bei Vervollkommnung der Technik und der Beurtheilung die
Constanz allmählich hervortritt.
Da ich trotz dieser ungiyistigen Umstände schliesshch 80 Procent
Uebereinstimmungen erhalten habe, so ist an einer ,,causalen
Beziehung" zwischen den Richtungen der ersten Furchungen und
der Medianebene des Embryo auch unter diesen abnormen Verhält-
nissen geringer Pressung nicht zu zweifeln ^).
Diese Versuche schliessen sich also bestätigend und erweiternd
an meine früheren Versuche mit normal gehaltenen, sowie mit blos
durch Trocken haltung (wobei, aber erst später, auch immer erhebliche
Deformationen stattfinden) in Zwangslage gehaltenen Eiern an,
welche letzteren einen höheren Procentsatz von Uebereinstimmungen
zwischen erster resp. zweiter Furchungsebene und der Medianebene
ergaben, sowie an die Resultate der Eioperationen an, wobei nach
Zerstörung einer der beiden ersten Furchungszellen des Frosches die
andere Zelle sich genau zu einem rechten oder linken halben Embryo
[1) Es bleiben also 20 °/o Abweichungen unter diesen hochgradig abnormen
Verhältnissen. Auf Seite 330 und 398 habe ich schon bei einfacher Zwangslage von
12 Abweichungen berichtet, und betont, dass festzustellen ist, ob dieselben that-
sächliche Abweichungen sind oder auf Versuchsfehlerquellen beruhen.
Da nun jüngst auch G. Born (üeber Druckversuche an Froscheiern. Anatom.
Anz. Bd. 8, 1893, S. 610 — 627) bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit
solche Abweichungen gefunden hat, so scheint also bei hochgradig abnormen
Verhältnissen eine Abweichung von der Coincidenz der Medianebene des Embryo
mit einer der beiden ersten Furchen in der That vorzukommen (s. S. 349), wofür ich
schon S. 896 u. f. und 912 eine Erklärung gegeben habe.
Die überwiegende Procentzahl der Uebereinstimmung bekundet jedoch,
dass auch unter diesen Verhältnissen noch eine ,causale Beziehung"
besteht; die Abweichungen dagegen bekunden, dass die Beziehung nicht mehr
so „fest" ist, als unter normalen Verhältnissen (s. S. 349).
Vielleicht ist die Abweichung der Medianebene des Embryo von
einer der ersten Furchungsebenen bei Eiern, welche während der
ersten Furchungen gepresst Avurden, umso grösser und häufiger,
je stärker diePressung und damit die Abweichung von der normalen
Furchung war und je abnormer daher die Configuration des Nahrungs- und Bil-
dungsdotters ist, welche ja nach meinem Nachweis (S. 400 und 409) die Lage der
Kopf- und Schwanzseite bestimmt (siehe auch Nr. 31, S. 266).]
Entwickelung gepresster Eier. 925
entwickelte (was neuerdings von Barfurth am Axolotl [diese Zeitschr.
S. 497] bestätigt worden ist).
Ich zweifle nicht, dass O. Hertwig, wenn er, gleich mir die
bezüglichen Versuche drei Frühjahre nach einander bei nicht zu
starker Pressung [und sorgfcältiger Beobachtung, s. S. 895 Anm.] wieder-
holt haben wird, auch zu denselben Resultaten gekommen sein wird.
Das Gleiche gilt übrigens in gleicher Weise bezüglich mehrerer anderer
von mir gemachter V^ersuche, insbesondere von der künstlich localisirten
Befruchtung, w^elche vielleicht nun auch nachgemacht werden, nach-
dem man angefangen hat, sich mit diesen früheren Versuchen von
mir zu beschäftigen. Ich werde in meiner angekündigten Abhandlung
die Fehlerquellen der auf unser vorliegendes Thema bezüglichen Ver-
suche und die Art ihrer Elimination oder Minderung angeben.
Schliesslich bemerkt Hertwig: ,,Es schien mir möglich zu sein,
durch experimentelle Eingriffe den Ort der ersten ürmundsanlage
beeinflussen zu können, nämlich dann, wenn man die comprimirenden
Glasplatten schräg geneigt aufstellt." Von 16 Eiern entstand dabei
fünfzehnmal die erste Urmuudanlage an dem oberen Theil der schräg-
stehenden Peripherie des Dotterfeldes.
Diese Lage der ersten ürmundsanlage ist für normale Verhält-
nisse zuerst von mir 1883 an Rana esculenta (s. S. 113, 164 u. 342),
und die Möglichkeit der künstlichen Bestimmung durch erzwungene
schiefe Eisteilung darauf von Pflüger im Jahre 1883^) entdeckt und
sicher nachgewiesen und bereits 1884 von G. Born und mir bestätigt ge-
funden worden 2) [und ich habe dasselbe ohne Zwangslage durch künst-
lich localisirte Befruchtung an der der Befruchtungsseite des Eies
gegenüberliegenden Seite hervorgebracht, s. S. 357 u. f. und 409].
Während der Entwickelung dieser Eier, welche vom Anfang an
in abnormer Lage oder Form erhalten worden sind, entstehen sehr
häufig [gleich wie bei den operirten Eiern (siehe Nr. 18) als Zeichen
abnormer Vorgänge] abnorme, aber blos locale Auswüchse, welche
1) Ueber den Einfluss der Schwerkraft etc. IL Abhandlung S. 56. Pflüger's
Arcb. Bd. 32.
2) Trotz obenstehender Berichtigung schreibt H. Driesch (analyt. Theorie der
Entwickelung, Leipzig 1894) neuerdings diese Entdeckung 0. Hertwig zu.
926 Nr. 29. Ueber die ersten Theilungen des Froscheies etc.
später wieder schwinden [Zeichen des stattfindenden Ausgleichs
durch regulatorische Vorgänge]. Gleichwohl zeigen (abgesehen
von den, von mir ebenfalls [609] verfolgten Störungen d u r c h d e n mit
diesen Versuchen in höherem oder geringerem Grade verbundenen Luft-
mangel) auch bei stärkerer Abplattung, Verbiegung oder Fal-
tung der „Blastula" und ,,Gastrula", sofern nur der allerdings
häufig ausbleibende Urmundschluss richtig vor sich gegangen ist, die
daraus hervorgegangenen Embryonen selbst bei stärkster Verbie-
gung derselben bis zur Berührung von Kopf und Sch^^anz in ihren
Organen sich äusserlich und innerlich so normal angelegt, als ob die
Entwickelung unter den normalen äusseren Formen stattgehabt hätte,
und der Embryo erst nach Anlage dieser Organe nachträg-
lich allmählich so verbogen worden wäre. Daraus geht her-
vor, dass die normalen Entwickelungsvorgänge nicht an
eine typisch feste Lagerung der Theile zu einander im
Raum gebunden sind, sondern dass sehr erhebliche Abweichungen
von der normalen räumlichen Anordnung der Theile zulässig sind
[s. S. 187, 192, 891 und 905].
H. Driesch, welcher gleich 0. Hertwig ein Gegner meiner Auf-
fassungen von den ersten Furchungen des Eies als qualitativen Schei-
dungen des zur typischen Entwickelung der einzelnen Körper viertel
dienenden Eimateriales und von der normalen Selbstdifferenzirung
dieser ersten Furchungszellen zu entsprechenden Vierteln des Embryo
ist, hat gleichfalls neuerdings (Biolog. Centralbl., Nr. 9) Einwendungen
publicirt. Dieselben beruhen jedoch, wie ich gelegentlich darthun
werde, zum Theil auf thatsächlichen Irrthümern, zum wesenthchsten
Theile auf einer petitio principii (s. Nr. 28).
Nr. 30.
lieber richtende und qualitative Wechselwirkungen
zwischen Zellleib und Zellkern.
1893.
Zoologischer Anzeiger. 1893. Nr. 432.
[1] Da die Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern
neuerdings mit Recht mehr Beachtung und Studium finden, so will
ich darauf hinweisen , dass bereits früher einige solche Beziehungen
von mir ermittelt worden sind, was den neueren Bearbeitern dieses
Themas entgangen zu sein scheint, da sie blos einen untergeordneten
Theil meiner Angaben berücksichtigen.
Auf Grund im Frühjahr 1884 angestellter Versuche habe ich 1885
die Auffassung ausgesprochen (S. 303), dass aus der ,, Gestalt der
Protoplasmaanhäufungen" bei den Ei- und Furchungszellen eine
bestimmte richtende Wirkung auf die Kernspindel folgt
und dass spec^ell aus einer symmetrischen Gestalt unter Umständen
zwei Prädilectionsrichtungen der Kerneinstellung sich ergeben
können, von welchen diejenige bevorzugt wird, welche der Richtung
am nächsten liegt, in welcher der Kern schon aus seinen eigenen
inneren Verhältnissen sich zu Theilen tendirt. Diese Richtungen sind die
Richtung der Symmetrieebene, welche zugleich die gros st e Dimen-
sion besitzt und die auf ihr rechtw^nkelis; stehende Riclituna:.
Weiteres über diese Prädilectionsrichtungen findet sich Seite 335—340
928 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
und wird von mir in Verbindung mit neueren Beobachtungen ausführ-
licher besprochen werden^).
O. Hertwig hat in seiner 1884 erschienenen Arbeit über den
Einfluss der Schwerkraft auf die Theihmg der Zellen wie danach in
seinem Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte blos eine, die meist
[2] ausschlaggebende dieser Richtungen, ,,die Richtung der grössten
Protoplasmamassen", wie er sich ausdrückt, berücksichtigt und sich
dabei blos auf die „normalen" Vorgänge der Furchung, also auf
Vorgänge gestützt, aus welchen wir in Folge der unübersehbaren
Complication der bei ihnen gleichzeitig in typischer AVeise thätigen
Componenten nie einen ,, sicheren" Schluss auf den spe-
c i e 1 1 e n A n t h e i 1 einer einzigen dieser Componenten
ziehen können, so dass ihnen gegenüber meine experimentell
begründeten und als solche beweiskräftigeren Folgerungen
wohl eine nicht unwesentliche, erwähnenswerthe Vermehrung unseres
Wissens darstellen.
Gleichzeitig habe ich (S. 327, 340 und 402) auf Fälle von ge-
ringer schiefer Zwangslage der Froscheier aufmerksam gemacht, in
denen in Folge von Einstellungen des Furchungskernes und ent-
sprechender Einstellung der ersten Theilungsebene des Eies, welche
von diesen beiden Prädilectionsrichtungen abweichen, nachträg-
lich eine symmetrische ümordnung des ,, Rindenpig-
ment es" des Eies zu dieser, resp. zu der ihr folgenden,
rechtwinkelig dazu stehenden Theilungsrichtung sicht-
bar wird. Diese Thatsache weist, meiner Meinung nach, auf tief-
greifende ordnende Beziehungen zwischen den verschie-
denen Materialien des Zellleibes und denen des Kernes hin,
derart, dass bei „gegebener" Richtung und Qualität der
Kerntheilung die verschiedenen Materialien des Zell-
1) Gegenüber diesem Einflüsse der Gestalt des Leibes der ^Furchungszellen"
auf die Einstellungsrichtung des in Theilung begriffenen Zellkernes, welche Gestalt
normaler Weise wesentlich durch die Zahl, Lage und Ausdehnung der Berührungs-
flächen mit anderen Zellen bedingt ist, sei sogleich mitgetheilt, dass nach dem Er-
gebnisse daraufhin von mir angestellter Experimente die „Berührungsfläche"
zweier Furchungszellen als solche keinen „richtenden" Einfluss auf
die Einstellung der Kernspindeln in „diesen" Zellen ausübt.
Concurrenzwirkung zwischen Dotter und Kern. 929
1 e i b e s in dazu passender Weise geordnet werden, wäh-
rend für gewöhnlich der Kern das beweglichere, vom
Zellleib richtend beeinflusste Gebilde darstellt [Weiteres
siehe S. 407] i).
Diese Beziehungen Avurden weiterhin dadurch illustrirt (S. 337),
dass die Entscheidung darüber, ,, welche" qualitative Kern-
th eilung von zwei prädisponirten Theilungsarten zuerst stattfindet,
von der Einstellung des Kernes mit seiner immanenten Theilungs-
richtung in eine dieser beiden Prädilectionsrichtungen und von der
damit gegebenen Einstellung zu den verschiedenen Protoplasma-
massen abhängt; dies geschieht im Speciellen derart, dass das Kern-
material für die beiden Antimeren des Froschembryo den
beiden symmetrisch und qualitativ gleichen Protoplasmahälften des
Eies zugetheilt wird, wogegen das activirte Kernmaterial für die
Kopfhälfte des Embryo demjenigen besonderen Dottermaterial,
welches unter dem hellen Halbmond der Oberseite des Eies sich
sammelt, das activirte Kernmaterial der Schwanzhälfte dem
entgegengesetzten Theile des Eies zugeführt wird (s. S. 402 u. 408).
Ausnahmen von dieser Regel kommen unter normalen Verhält-
nissen nicht vor und sind auch bei Zwangslage sehr selten; sie
beweisen aber alsdann, dass bei ausgebliebener Herstellung
der Har- [3] monie zwischen Zellleib und Zellkern, somit im
Conflictsfalle das gesonderte Kernmaterial ausschlag gehender
für die Bestimmung der TheiJe des Emhryo im viergetheilten
Eie, für die Lage der rechten und linken, der Kopf- und
Schwanzseite des Embryo sein kann, als die Verschieden-
[1) Doch ist zugleich zu berücksichtigen, dass diese Fälle noch nicht genauer
untersucht sind und dass wir daher nicht wissen, ob die von der Symmetrieebene
der Rinden Substanz abweichende erste Furche deshalb abweicht, Aveil die An-
ordnung der inneren Dottersub.stanzen nicht derjenigen der Rinde entsprach, und
weil der Kern natürlich der einstellenden Wirkung der Anordnung der
ihn direct umgebenden verschiedenen Dottersubstanzen mehr folgte,,
als derjenigen der entfernteren Rindensubstanz; es wäre also möglich, dass die
nachträgliche Umordnung der Rindensubstanz nicht oder weniger durch die Wirkung
der Qualität und Richtung des Kernes, als vielmehr durch die Wirkung der
inneren Dottersubstanzen auf die äusseren (Rindensubstanzen) bedingt war.]
W. Roux, Gesammelte Abhandinngen. IL 59
930 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
heiten des Protoplasmamaterials des Eies, ein Verhalten,
welches zugleich auf eine erhebliche Unabhängigkeit der Kernent-
wickelung vom Zellleib und auf eine starke Abhängigkeit der
Differenzirung des Zellleibes vom Zellkern hinweist (siehe
aber auch S. 929 Anm.).
Die vorstehend den bezüglichen experimentellen Thatsachen
untergelegte Bedeutung beruht auf der von mir durch verschieden-
artige Versuchsergebnisse gestützten und von vielen anderen Autoren
mit Zustimmung aufgenommeneu Annahme, dass beiden indirecten
Kerntheilungen in den Furchungszellen das der ,,nor malen s. ty-
pischen" Entwickelung (nicht aber das der Vermehrung der
Individuen und der Re- resp. Postgeneration) dienende
Kernmaterial entsprechend den späteren verschiedenen Körper-
theilen qualitativ ungleich getheilt wird. Die neuerdings von
0. Hertwig und H. Driesch gegen diese Auffassung ausgesprochenen
Einwendungen habe ich in zwei eingehenden Abhandlungen (Nr. 27
und 28) unter gleichzeitiger Beseitigung der scheinbar vorliegenden
Schwierigkeiten, wie ich glaube, genügend geprüft und als nicht
zutreffend dargethan, so dass w^ir ohne Gefahr in Irrthum zu beharren
oder in ihn zu gerathen, auf der mit dieser Hypothese betretenen
Bahn weiter schreiten dürfen (siehe Nr. 33).
Im Gegensatz zu den innigen Beziehungen zwischen Zell-
kern und Zellleib bei ,, normalen" oder nur wenig davon ab-
w^eichenden Verhältnissen zeigte sich in hochgradig abnormen
Verhältnissen oft eine noch weitere Unabhängigkeit der Ent-
wickelung des Zellkernes vom Zellleibe, als wir sie oben schon
sich bekunden sahen : ^)
Nach Anstich einer der beiden ersten Furchungszellen des
Froscheies findet man häufig neben einem Hemiembryo in der
vacuoHsirten, also abnorm beschaffenen, operirten Eihälfte (siehe
S. 463 u. f.), weit ab von der entwickelten Hälfte in dem im Uebrigen
kernlosen, nicht in Zellen zerlegten Dotter, einige Haufen von Zell-
1) Ueber eine gewisse Unabhängigkeit der Richtung und Qualität der Kern-
theilung von den Nachbarzellen siehe S. 452 und 491.
Unabhängigkeit der Kernentwickelung von der Dotterentwickelung. 931
kernen, welche letzteren die Charaktere der älteren, grossen einfach
contourirteu , ans feinen rotlien Körnchen gleich- [4] massig dicht
gebildeten Morulakerne , ja oft der bläschenartigen Blastula-
kerne besitzen.
Diese Kerne glaube ich mit Sicherheit vom Furchungskern der
operirten Zelle ableiten zu können, sofern beide Eihälften durch eine
Demarcationslinie getrennt sind oder sofern, wie es häufig der Fall
ist, in der Nähe der entwickelten Hälfte keine Kerne sich vorfinden.
Der Furchungskern der operirten Ei hafte hat sich also
V i e 1 m a 1 g e t h e i 1 1 und zugleich qualitativ weiter ent-
wickelt, obgleich sich der Dotter nicht mitget heilt hat.
Daraus geht hervor, dass in einem Zellleibmaterial, welches zur Zer-
legung in Zellen ungeignet ist, welches ausserdem zum Theil abnorm
verändert (vacuohsirt) ist, und gewöhnlich noch das Pigmentmaterial
(das normaler Weise auf der Blastulastufe schon fast verbraucht ist)
neben einem Hemiembryo noch ganz unvermindert enthält, dass also
in einem Dottermateriale, welches sich wohl nicht in der normalen
Weise entwickelt hat, die Zellkerne sich anscheinend normal, im
Maximum bis zur bläschenartigen Stufe des Kernes der Blastula zu
entwickeln und dabei zu theilen vermögen. Daneben kommen aber
allerdings (s. S. 464 u. f.) auch abnorme Kernveränderungen oft
vor; besonders häufig findet sich abnorme Grösse der Kerne der
Morula- und Blastulastufe, was also auf Ausbleiben der Kerntheilung
nach genügendem, ja nach abnorm starkem Wachsthum der differen-
zirten Kerne hindeutet.
Diese obere Grenze der EntwickeLungsfähigkeit des Kernes in
nicht cellulatipnsfähigem Zellleibmaterial weist andererseits zugleich
wieder auf eine Abhängigkeit der Entwickelung des Zellkernes von der
Beschaffenheit des ihn umgebenden Zellleibes hin. Wir dürfen also
schhessen : Kerne der Furchungszellen des Froscheies
können sich [unter nicht näher bekannten Umständen] eine
gewisse Folge von Veränderungen weit unabhängig von
den normalen [?], ja von eventuellen pathologischen
Veränderungen des Protoplasmas dieser Zellen entwickeln.
59*
932 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
A n h a n g.
Aiitheil der Gestalt und iimereii Anordnung des Dotters an der
Entstehung: Yon Halb- und Doppelbildung-en.
[iiu diese Mittheilung über differenzirende Correlationen
zwischen Zellleib und Zellkern sei gleich eine specielle An-
wendung derselben angeschlossen, die ich auf dem Anatom en-
congress zu Strassburg 1894 machte.
Herr 0. Schultze hatte mitgetheilt (Verhandlungen der anat.
Ges. 1894 S. 127—132), dass er durch Umkehr von in Zwangslage
erhaltenen Froscheiern nach der ersten Furche Doppelbildungen
erhalten hat. Dazu bemerkte ich (loco cit. S. 147 — 149) Folgendes :
,,Herr Schultze giebt an, dass die beiden Medullarwülste auf
jeder Eihalfte gleichzeitig entstanden; demnach entstehen nicht erst
Hemiembryonen aus jeder Eihalfte mit nachfolgender Postgeneration
der fehlenden Hälfte. Während ich nach Tödtung einer der beiden
ersten Furchungszellen aus der anderen Zelle zuerst einen typischen
Hemiembryo erhielt, der, sei es mit oder ohne Verwendung von
Material der anderen Eihalfte, die [148] fehlende Embryohälfte post-
generirte , entsteht hier also sogleich eine Ganzbildung , ein Holoplast
aus jeder Eihalfte."
,,Ich kann der Meinung 0. Sghultze's, dass die Entstehung
dieser Doppelbildungen auf einer Theilung des Schwerpunctes des
Eies in zwei Theile beruhe^), nicht zustimmen, sondern glaube, den
Unterschied unserer beiderseitigen Resultate nach meinen früher ausge-
sprochenen Auffassungen (Nr. 28) in folgender Weise ableiten zu können:
Ich habe gezeigt (Nr. 21), dass man bei schiefer Aufsetzung des
Froscheies künstlich veranlassen kann, dass die normale zweite,
köpf- und schwanzwärts scheidende Furche des Froscheies zuerst
3) Diese von ihm in Strassburg geäusserte Ableitung hat 0. Schultze in dem
gedruckten Bericht über seinen Vortrag nicht mehr vertreten, und in der ausführ-
lichen Abhandlung leitet er die Entstehung dieser Doppelbildungen vielmehr „von einem
gegenseitigen ünabhängigkeitsverhältniss oder von dem Fehlen der regulirenden
Wechselbeziehungen der Theilproducte" ab (siehe Arch. f. Entwickelungsmechanik I,
1894. S. 269—306).
Halb- und Doppelbildungen bedingt durch Anordnung des Dotters. 933
entsteht; dies geschieht, wenn man das Ei ganz seitlich von der
Symmetrieebene der willkürlich gegebenen schiefen Einstellung be-
fruchtet. Der Furchuugskern hat nach meinen Versuchen die Tendenz,
sich in der Copulationsrichtung zu theilen, wobei die Theilungs-
producte und die Kernspindel rechtwinkelig zu dieser Ebene sich ein-
stellen. Vorliegenden Falles kommt dabei das eine Ende der Spindel
gegen diejenige Seite des Eies, wo der weisse Pol höher steht, das
andere Ende gegen die mehr schwarze Seite des Eileibes: und die
entsprechenden Verschiedenheiten der Zellleibsubstanzen
veranlassen nun, dass auch der Kern sich entsprechend
„qualitativ ungleich" theilt, dass er von den prädisponirten
zwei ersten Theilungen die normal als zweite auftretende Theilung
zuerst ausführt. Erfolgt dagegen die Befruchtung in der Symmetrie-
ebene, so stellt sich die Kernspindel rechtwinkelig zu dieser Fläche;
beide Enden sind dabei symmetrisch gleich beschaffenem Dotter-
material zugewendet, und der Kern theilt sich daher auch symme-
trisch gleich. Die Anordnung des Dottermateriales übt also
unter Umständen einen grossen Einfluss auf die Qualität
der Kerntheilung aus."
,,Bei 0. Schultze's Versuchen der Umkehr der Eier nach der
ersten Furchung bildet sich, wie er mittheilt, in der Furche zwischen
beiden ersten Furch ungszellen ein heller Ring. Ich schliesse daraus,
dass der durch die Umdrehung nach oben gebrachte helle, specifisch
schwerere Nahrungsdotter in jeder von beiden Zellen absinkt, zum
Theil neben der Trennungsebene, im Ganzen aber wohl ähnlich, wie
es Born bei sogleich nach der Befruchtung, also noch vor der ersten
Theilung fast umgekehrt aufgesetzten Eiern beobachtet hat, wobei zur
Zeit der ersten Furchung der B il d u n gs d o 1 1 e r , ,o b e n" angesammelt
war in einer die Entwickelung des ganzen Eies zu einem
normal gestalteten Embryo gestattenden Weise. Die Anord-
nung der verschiedenen Dottermassen war dabei also wohl
in der ,, bestimmenden" Hauptsache ähnlich der eines nor-
malen, ungetheilten Eies geworden. V'ielleicht ist dies auch
bei Schultze's Umkehrung derEiernach der ersten Theilung in
einigenFällen zufällig in,,ieder"von beidenZellen geschehen.
934 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
Alsdann lagert also indem, in der Anordnung seiner verschiedenen
Dottersubstanzen im Wesentlichen einem ganzen Ei entsprechenden
Leib jeder von beiden Furchungszellen von der vorausgegangenen
ersten Theilung her ein Kern, der in seinem activirten Material
den Kern eines halben Eies (für eine rechte oder linke Körper-
hälfte, resp. für eine Kopf- oder Schwanzhälfte) darstellt."
[149] ,,Es ist also ein Widerstreit, ein abnormes Verhalten zwischen
Zellleib und Zellkern, eine Störung vorhanden; damit werden die
regulirenden Fähigkeiten resp. das Regenerations- s. Reserve-
idioplasson geweckt, activirt (s.S. 901 u. f., und Nr. 31, S.279), welches
ja, wie wir wissen, noch in Zellen späterer Entwickelungsstadien des
Froschembryos das Vermögen zur Bildung aller Theile des Ganzen
enthält. Dies Plasson wird in Thätigkeit versetzt und zwar in einer
Weise, welche der einem ganzen Ei der Hauptsache nach ent-
sprechenden Anordnung der Dottersubstanzen entspricht: es entsteht
ein Ganzes; ob wirklich sogleich in vollkommener Weise oder
doch erst allmählich, ist wohl noch durch besonders darauf gerichtete
Beobachtungen festzustellen. Die Entwickelung ist aber dabei keine
normale s. typische, d. h. blos mit dem ,, durch die Befruchtung
activirten Kernmaterial" sich vollziehende, sondern eine atypische,
unter ßethätigung des Regenerationsplassons stattfindende."
,,In meinen Anstechungs versuchen dagegen ist die Sach-
lage eine wesentlich andere. Das Ei, dessen eine von beiden Fur-
chungszellen getödtet worden ist, nimmt seine normale Stellung ein,
der Kern der lebenden Hälfte passt daher nach der Operation
wie vor derselben zudem ihn umgebenden Zellleib; das heisst
z.B., wenn eine wirkliche erste Furche gebildet worden war, der Kern
entspricht in der Anordnung und Beschaffenheit seiner Substanzen einer
Symmetriehälfte und der Zellleib desgleichen *). In der erhaltenen Fur-
chungszelle ist also an sich Alles normal, und blos die Lebenswirkung
der anderen Eihälfte fehlt. Da sich, wie wir sahen, jede Eihälfte
[1) Hierbei sei noch auf meine frühere Aeusserung (S. 451) des Inhaltes verwiesen,
dass vielleicht die „halbkugel ige Gestalt des D ottermateriales einer der
beiden ersten Blastomeren die Ursache seiner Entwickelung zu
einem Hemiembryo sei".]
Halb- und Doppelbildungen bedingt durch Anordnung des Dotters. 935
für sich zu einem Hemiembryo entwickeln kann, ist diese Wirkung
der einen Eihälfte auf die andere wohl sehr gering, und ihr Fehlen
komrüt, sofern das Material der operirten Hälfte stark verändert ist,
oft erst ziemlich spät zur Geltung. Ist dagegen das Dottermaterial
der operirten Zelle noch lebendig und wesentlich blos der
Kern getödtet, so wirkt es gleich auf den resp. die sich t heil en-
den Kerne der noch nicht vollkommen abgesonderten unver-
sehrten Eihälfte einstellend und veranlasst frühzeitig Uebertritt
von Kernmaterial in die operirte Eihälfte, womit wiederum die aty-
pische Entwickelung einsetzt."
,,Ich bin also nicht genöthigt, zur Ableitung des neuen, inter-
essanten [150] Ergebnisses Sghultze's neue principielle Annahmen zu
machen, sondern komme mit den früher zur Ableitung meiner eigenen
Beobachtungen gemachten Annahmen aus; der wesentliche Un-
terschied in den beiderseitigen Ergebnissen lässt sich
somit auf entsprechende Verschiedenheiten der bezüg-
lichen Versuchsverhältnisse zurückführen."
Ich hatte in Strassburg noch hinzugefügt (was im Bericht zu
erwähnen von mir vergessen worden ist), dass ich aus Sghultze's
Angabe, es entstehe zwischen beiden ersten Blastomeren ein heller
Streifen, schliesse, dass der zwischen beiden Zellen sich in abnorm
grosser Weise anhäufende Nahrungsdotter die Einwirkung beider
Zellen auf einander erschwere, resp. verhindere und so die
selbstständige Entwickelung jeder derselben begünstige.
Denn wenn auch, wie ich nachgewiesen habe, zwischen den beiden ersten
Blastomeren differenzirende Wechselwirkungen zur normalen Entwicke-
lung jeder derselben nicht nöthig sind, so ist damit nicht gesagt
oder erwiese», dass nicht, wenn diese Zellen dicht bei ein-
ander sind, sie sich beeinflussen wenigstens derart, dass
jede nicht so leicht sich ,, selbstständig" für sich zu
einem ,,Ganzen" entwickelt.
Nach dem Erscheinen der ausführlichen Abhandlung Sghultze's
(Arch. f. Entwickelungsmechanik B. I, S. 269 — 306) habe ich noch
einiges nachzutragen.
936 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
Zunächst sei bemerkt, class ich bereits im Jahre 1884 (s. S. 330)
Froscheier, welche dm'ch ungenügende Quelking ihrer Gallerthülle
in Zwangslage erhalten waren, nach der ersten Furche umge-
dreht habe, jedoch ohne Doppelbildungen zu erhalten; desgleichen
habe ich dessen Versuch nach 0. Schultze's Vortrag vom 8. — 10.
Juni 1894 an 45 Eiern von Rana esculenta wiederholt und in jeder
neuen Phase gezeichnet. Es zeigte sich an ihnen keine Spur einer
Anlage von Doppelbildungen in irgend einem Stadium; sondern das
Ergebniss war folgendes:
Der dritte Theil dieser Eier drehte sich nach der Umkehr wieder
mit dem dunklen Pol nach oben , war also nicht genügend fixirt ;
diese Eier entwickelten sich zumeist ganz normal. Von den andern
furchte sich die Mehrzahl blos 2 — 5 Mal, um dann abzusterben. Die
anderen Eier lieferten T h e i 1 b i 1 d u n gen, indem blos die eine der
beiden ersten, oder drei oder blos eine der vier ersten Furchungs-
zellen sich weiter entwickelten. So entstanden Halb-, Dreiviertel-, Ein-
viertel-Morulae, -Blastulae, von denen mehrere abstarben; die sich weiter
entwickelnden lieferten Semigastrulae und 5 producirten wohlgebildete
Hemiembryones: 3 laterales und 2 anteriores. Das Ergebniss ist
also: in vielen Eiern starben beide ersten, oder eine, 2 oder 3 der vier
ersten Furchungszellen ab, und der überlebende Theil entwickelte
sich weiter, wie bei Tödtung der Blastomeren durch Anstich; aber
bei vielen hörte diese Entwickelung frühzeitig schon auf der Blastula-
und Gastrulastufe auf; und auch die Hemiembryonen starben bald
unter Framboisia ab , nur einer vollzog Postgeneration.
Bei der Beurtheilung dieses Resultates ist zu berücksichtigen, dass
ich am Ende der Laichperiode experimentirte, wo Störungen
des normalen Verlaufs der Entwickelung nicht mehr leicht über-
wunden werden, wo die Regulationskräfte geschwächt sind, aber die
ungestörte Entwickelung noch normal sich zu vollziehen vermag.
0. SciiuLTZE dagegen hat bei seinen Versuchen an 10 bis 50 ^lo
der behandelten Eier vollkommene oder (meist) unvollkommene,
zum Theil recht wohl entwickelte Doppelbidungen erhalten. (Die
anderen Eier gingen zu Grunde oder bildeten nicht weiter bezeichnete
I
Halb- und Doppelbildungen bedingt durch Anordnung des Dotters. 937
Abnormitäten [vielleicht zum Theil auch Halbbildungen ?]). Aus diesem
so auffallend abweichenden Resultat ist wohl zu folgern , dass bei
seinen A'^ersuchen noch ein besonderes Moment betheiligt war; denn
auch er experimentirte zum Theil am Ende der Laichperiode und
gerade zuletzt erhielt er 50*^/ü Doppelbildungen. Dieses neue Mo-
ment sehe ich in dem Abweichenden seiner Methode. Schultze
giebt an, dass er die Eier durch Pressen zwischen wagrechte
Platten in Zwangslage brachte, während ich sie nur durch unge-
nügenden Wasserzusatz in ihrer Hülle fixirte, wobei sie annähernd ihre
Kugelgestalt behalten. In dieser starken Abplattung der Eier
Schultze's kann man nun wohl ein Moment sehen, welches die Ent-
stehung von Doppelbildungen bei C o m b i n a t i o n mit U m d r e h u n g
begünstigte (obschou diese Pressung allein keine Doppel-
bild u n g e n b e w i r k t). Durch die so bewirkte Abplattung wurde die
beide Eihälften trennende Schicht vom Nahrungsdotter, (also von dem
weniger activeu Theil) grösser, die Selbstständigkeit beider
also vergrössert, d. h. die eventuellen vitalen Wirkungen beider
aufeinander schwächer. Im gleichem Sinne konnte die durch die Ab-
plattung bewirkte grössere Entfernung der Massenmittelpuncte beider
Zellen wirken. Beides war auch in dem Versuche Ed. Wilson's der
Fall, in welchem er Amphioxuseier auf dem Zweizellenstadium etwas,
aber nicht ganz aus einander zerrte (s. Nr. 31, S. 282, Anm.) und da-
nach Zwillingsgastrulae erhielt (s. auch S. 794).
Schultze fand dieser meiner Annahme ganz ent-
sprechend sogar, dass der Urmund statt nach „unten",
gegen diese verticale Dotterplatte hin gebildet wurde;
dieselbe verhielt sich also, wie die durch den Nahrungs-
dotter gebi<^dete Unterseite des normal situirten Eies,
und die „reelle Eiaxe" jeder von beiden Eihälften stand somit also
ganz oder annähernd wagrecht. Die beiden Furchungszellen ver-
hielten sich also wie zwei ganze Eier, die sich einander ihre hellen
Pole zuwenden.
Diese so bedingte „Selbstständigkeit" der Blastomeren
aber kann ich nicht als die alleinige Ursache der Ganzbil-
938 Nr. 30. Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern.
düngen ansehen; da an meinen nach der ersten Furche operhten
Eiern die nicht getödtete Eihälfte gleichfalls in diesem Sinne „selbst-
ständig" war, und da dies noch mehr bei den isolirten Blastomeren
des Seeigels (Fiedler und Driesgh) der Fall war, und gleichwohl
Halbentwickelung stattfand. Zur Ganzentwickelung jeder
Elastomere gehörte somit noch die vorstehend schon erwähnte
innere ümordnung des Dottermaterial es. Diese führte,
nach den Resultaten zu schliessen, in einer Anzahl Fälle zu der
wesentlichen, d. h. bestimmenden Anordnung der verschiedenen
Dottersubstanzen wie im ganzen Ei, wenigstens in der Umgebung
des Kernes (s. S. 929 Anm.), aber bei hier ganz oder annähernd wagrecht
liegender reeller Eiaxe (unter dieser die Avirksame Verbindungslinie
von Bildungs- und Nahrungsdotter, nicht die mittlere Verbindungslinie
der hellen und dunklen Ei rinde verstanden). In anderen Fällen geschah
dies nicht; und von diesen gingen viele Eier zu Grunde, andere bildeten
unvollkommene Doppelbildungen. Letztere sind die lehr-
reichsten Producte von Sghultze's Versuch, denn sie weisen
wohl darauf hin, dass die Anordnung des D o ttermateriales
nicht blos den Mechanismus von typischen Gebilden,
den Halb- oder Ganzbildungen auslösen kann, sondern
dass von ihr aus sogar die Bildung in den verschiedenen
Fällen sehr verschieden abgegrenzter Stäche des Körpers
ausgelöst resp. bestimmt werden Jcann; eine Leistung,
welche für die iVnhäuger der Auffassung O. Hertwig's, dass alle
Furch ungszellen im Wesen isotrop seien, erheblich schwerer zu
verstehen ist als für die Anhänger meiner Auffassung, dass die Fur-
chungszellen typisch verschiedenes Material enthalten. Nach meiner
Auffassung wird durch diese abnorme neue Anordnung das Res er ve-
idioplasson in der Dotteranordnung entsprechender Weise
activirt; die Gegner nehmen gleichfalls an, dass neues Kern-
raaterial activirt werde, nur ist es kein Reservematerial, sondern
ein Theil des allen Furchungszellen in gleicher Weise zukommenden
Gesammtmateriales.
Vielleicht auch ist das letztere Moment der Anordnung der
Dottersub stanzen um den Kern, zu welchem die Abplattung
Halb- und Doppelbildungen bedingt durch Anordnung des Dotters. 939
der Zellen im Verein mit der Umdrehung besondere Gelegenheit
giebt, die hauptsächlichste oder gar für sich allein ausreichende
Ursache der Entstehung der Doppelbildungen; und die Entfer-
nung der Massenmittelpuncte beider Zellen, sowie die Berührung
der beiden ersten Blastomeren blos mit Nahrungsdotter sind an
dem Effect nicht betheiligt. (Weiteres siehe : W. Roux, Ueber die ver-
schiedene Entwickelung isolirter erster Blastomeren, Arch. f. Entw.-
Mech., Bd. I, S. 597 u. f.).
Nr. 31.
Die Methoden zur Hervorbringung' halber Froseh-
embryonen und zum Nachweis der Beziehung der
ersten Furehungsebenen des Froseheies zur Median-
ebene des Embryo.
1894.
Anatomischer Anzeiger, Bd. IX, Februar 1894.
Inh alt.
Seite
1. Methode der Gewinnung von Hemierah ry on en durch rechtzeitige A u s-
lese aus den nach der ersten B^irche beliebig angestochenen Eiern . 943
Versuchsfehler 0. Hertvvig's 948, 964
la. Selbstentstehung von Heraiembryonen am Ende der Laichperiode 953
2. Methode zur Hervorbringung „bestimmter" (rechter, linker oder
vorderer) Hemiembryonen 954
Priorität bezüglich der Defectversuche am Ei 957
3. Wirkung der Deformation sich furchender Eier auf die Stellung
der Medianebene des Embryo zu den ersten Furchen ..... 960
Pressung zwischen senkrechten Platten 960
Pressung zwischen wagrechten Platten 962
Fehlerquellen 962
„Primäre" Lagerung der Medianebene 962
In Glasröhren aspirirte Eier 966
4. Methode zur Ermittelung der normalen Beziehung zwischen der
Richtung der ersten Furche und der Medianebene 967
Berichtigung der Behauptung, dass bei Störungen die Entwickelung
„normal" verlaufe 971
Aufbewahrung der brünstigen Thiere. 941
Soite
5, Einfluss der , Gestalt" der Zelle auf die Theilungsrichtung . . 972
Zusammenfassung: 978
Normale s. typische Entwickelung 980
Atypische, s. regulatorische Entwickelung 981
[Anhang: Neueste bezügliche Literatur] 984
[248] In einer soeben erschienenen ausgedehnten Abhandlung über
den Werth der ersten Furchungszellen für die Organbildung des Embryo
theilt O. Hertwig^) mit, dass es ihm nicht gelungen ist, aus halben
Frosch eiern halbe Embryonen hervorgehen zusehen; son-
dern er fand stets ,, ziemlich normal beschaffene, nur mit
Defecten an untergeordneten K ö r p e r g e g e n d e n ver-
sehene Embryonen". Dementsprechend hat er auch keine
Postgeneration einer fehlenden Hälfte beobachten können und
verneint in Folge dessen das Vorkommen von Hemiembryonen und
deren Postgeneration mit Bestimmtheit.
Sofern ein Medullarwulst und die ganze rechte oder linke Reihe
der Urwirbel ,, untergeordnete Körpergegenden" wären, könnte man
0. Hertwig zum Theil Recht geben; doch entspräche das nicht der
gewöhnlichen Auffassung. Die Besucher des Anatomencongresses inWien,
darunter hervorragende Forscher auf dem Gebiete der Entwickelungs-
geschichte, haben meine Querschnittspräparate von reinen Hemi-
embryonen gesehen (s. S. 804) und sich, wie ich, da kein Widerspruch
erfolgte , wohl vermuthen darf, meiner Darlegung gemäss von dem
Fehlen dieser Organe und der Keimblätter auf einer ganzen Hälfte
überzeugt; mejirere Herren haben mir nach Besichtigung der Präparate
ihre V^erwunderung über die präcise Halbheit der entwickelten Hälfte
ausgesprochen; und dasselbe war nach der Demonstration nicht micro-
tomirter halber Embryonen in der pathologischen und in der ver-
einigten anatomischen und zoologischen Section der Naturforscher-
versammlung zu Wiesbaden im Jahre 1887 geschehen (s. S. 428 Anm.).
1) Arch. f. micr. Anat. 1894, Bd. 42, S. 662-806.
942 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Inzwischen hat auch D. Barfurth beim Axolotl aus einem halben
Ei einen halben Embryo hervorgehen sehen ^)^).
Obgleich ich früher schon das Wesentliche meiner Versuchs-
methode in den bezüglichen Arbeiten kundgegeben habe (s. S. 154,
429 und 773), halte ich es [249] doch, nach diesem vergeblichen Ver-
suche Hertwig's, meine Versuche mit Erfolg nachzumachen, zur Er-
leichterung der Nachuntersuchung durch andere Autoren für ange-
messen, diese Methode noch ein Mal und zwar derart
detaillirt zu publiciren, dass der Nachuntersucher mit ziem-
licher Gewdssheit auf Erfolg rechnen kann, auch wenn ihm bisher
noch keine eigene Erfahrung auf diesem Gebiete zu Gebote steht.
[Ich habe nach der Publication in Nr. 22 diese Versuche oft wieder-
holt und dabei die Methode etwas verbessert.]
Es empfiehlt sich, die Versuche gleich mit dem Anfang der
Laichperiode zu beginnen; denn es ist gut, wenn man dieselben
mehrmals wiederholen kann, ßana fusca laicht in Deutschland bei
warmem Frühjahr manchmal schon Ende Februar, gewöhnlich Mitte
oder Ende März; Rana esculenta 4 — -6 Wochen später; Bombinator
igneus im Juni oder .Juli. Die Eier von Rana fusca reifen unter der
Umarmung des Männchens auch in der Gefangenschaft, die von Rana
esculenta dagegen nicht; sie müssen also bei letzterem Tliiere schon
zur Zeit der Gefangennahme im Uterus sein, wovon man sich beim
Fange sogleich durch Tödten und Aufschneiden einiger Weibchen zu
überzeugen hat. Die gefangenen Paare werden getrennt, und Männ-
chen und Weibchen in verschiedene Korbe mit feuchtem ]\Ioos ver-
packt, und an einem dunklen kühlen Ort aufbewahrt, um die Laich-
ung zu verzögern, so dass man länger Versuchsmaterial hat (Pflüger,
Born). Damit diese Männchen aber wieder Samen bilden, werden sie
am Tage vor ihrer Verwendung in einem Glase mit etwa 2 cm hohem
1) Anat. Anzeiger 1893, S. 497, u. Merkel u. Bonnet, Anat. Hefte IX, S. 379.
'-) Auf dem Anatomencongress zu ötrassburg 1894 theilte Herr Prof. H. E. Ziegler
mit, dass er nach den nachstehend von mir gegebeneu Vorschriften Versuche habe
anstellen lassen, wobei 24 seitliche und 1 vordere Halbbildung erhalten wurden; die
Postgeneration verlief gleichfalls, wie von mir angegeben, vorzugsweise in cephalo-
caudaler Richtung. Siehe H. Endres, Anstichversuche an Eiern von Rana fusca.
Arch. f. Entwickelungsmech. Bd. II, 1895, S. 88—51.]
1. Methode des beliebigen Anstechens und nachfolgender Auslese. 943
Wasserstand zu Weibchen gesetzt, am besten 3 Männchen zu 2 Weib-
chen, um C'oncurrenz anzuregen.
Ich empfehle, über die Entstehung halber Embryonen zweierlei
Experimente zu machen.
1. Gewinnung von Halbbildungen durch rechtzeitige
„Auslese" aus den nach der ersten Furche in beliebiger
Weise angestochenen Froscheiern.
Ein leichteres Experiment dient blos, um überhaupt aus
halben P~' r o s c h e i e r n halbe Embryonen zu ziehen, ohne
jede besondere Technik im Operiren und ohne vorher zu bestimmen,
w^as für ein Hemiembryo entstehen wird.
Der Versuch beginnt am Morgen , da man dann den Tag zu
allerhand Besorgungen vor sich hat.
Man zerschneidet nach der Decapitation und Zerstörung des
Rückenmarkes des brünstigen Frosches die Hoden desselben in einer
flachen Schale mit Wasser und giesst die gewonnene Flüssigkeit in
eine frische Schale ab, um den Bodensatz zu entfernen; oder, w^enn
die Samenbläschen prall mit der trüben, milchigen Samenflüssigkeit
gefüllt sind, entleert man blos diese in das Wasser.
In drei flache Schalen von 6 — 10 cm Durchmesser, etwa 1,5 cm
Randhöhe und ebenem Boden wdrd Wasser etwa 2 mm hoch gethan,
darauf etwas Samenflüssigkeit zugesetzt und umgerührt. Dem deca-
pitirten Weibchen werden die vorderen und seitlichen Bauchwau-
dungen und der Darm ausgeschnitten, das Thier danach auf doppel-
tes Fliesspapier gelegt und der Uterus vorsichtig ohne Quetschung
von Eiern [250] mit der Scheere weit eröffnet. Mit einem trockenen
Spatel enthebt man ihm einen Klumpen Samen, bringt ihn in eine
der drei Schalen unter mittelraschen seitlichen Bewegungen , wobei
durch die Oberflächenspannung der niedrigen Flüssigkeitsschicht die
Eier zu einer einfachen Lage ausgebreitet werden. Der Spatel
muss nach jedem einzelnen Gebrauch an Fliesspapier abgestrichen
und mit dem trockenen Handtuch abgewischt werden. Nachdem die
drei Schalen auf diese Weise bestellt sind, wird auf einer Etiquette
944 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
an jeder derselben die Zeit der Befruchtung, richtiger der Besamung
vermerkt. Der Sauberkeit wegen und um leiclit auftretender späterer
Verschimmekmg etwas vorzubeugen, wird nach 6 — 10 Minuten der
Samen abgegossen; darauf werden die Eier mehrmals mit aufgegossenem
Wasser abgespült und schliesslich wird Wasser bis doppelt so hoch,
als die Eier zur Zeit sind, darauf gethan, mit welchem die Schalen
stehen bleiben; adhärirende Luft wird abgepinselt; danach werden
die in Folge von Quellung der Gallerthüllen bei festem Haften am
Boden des Gefässes sich pressenden Eier mit einem biegsamen Micro-
scopirspatel vom Boden abgelöst, damit sie sich ausbreiten können;
danach muss die Schale ruhig stehen, damit die Eier wieder am
Boden ankleben. Ich sehe danach an der Dicke der Gallerthülle,
wann es Zeit ist, das Wasser wieder abzugiessen; da dies Verhalten
mit Worten nicht genügend zu schildern ist, empfehle ich, das
Wasser in der einen Schale 20 Minuten, in der anderen 25 Minuten,
in der dritten 30 Minuten nach der Besamung abzugiessen , etwas
abtropfen und darauf die Schalen offen stehen zu lassen, damit die
Gallerthülle äusserlich wieder dichter wird. Eine Schale bleibt im
Zimmer, eine kommt in das kühlere Vorzimmer, die dritte in einen
noch kühleren Raum; dies damit sie nicht alle gleichzeitig die erste
Eurchung durchmachen. Haben sich auch in der dritten, am läng-
sten mit Wasser versehenen Schale eine Stunde nach der Besamung
viele Eier noch nicht mit dem weissen Pol abwärts gedreht, so waren
entweder die Eier oder der Samen schlecht, und man thut gut, der
Sicherheit halber gleich auf's Neue zu befruchten ; doch furchen sich
manchmal trotzdem noch viele der Eier und sind für unseren Zweck
verwendbar. Die Eier bleiben bei dem angegebenen Verfahren ein
wenig in Zwangslage (s. S. 325).
Nach 2'/2 — 3 Stunden beginnt an der im Zimmer stehenden
Schale die Furchung ; 20 Minuten danach kann man operiren ; da
die zweite Furchung etwa 30 Minuten nach der ersten beginnt, hat
man 10 Minuten zur Verfügung. Jedoch ist auch zu dieser Zeit die
Trennung beider Zellen noch so unvollkommen, dass aus der nicht
angestochenen Zelle leicht Substanz in die operirte Zelle überfliesst.
Ich habe es als gut [251] befunden, nach dem Beginn der zweiten
Einfachste Methode. 945
Furchiiiig die Operation fortzusetzen mit der Modification, dass man
die Nadel in Richtung auf die beiden Kerne der eben in Trennung-
begriffenen Zellen führt, um beide durch Wärme zu zerstören.
Als Instrument dient eine etwas dicke, microscopische Präparir-
nadel, an welche derartig eine etwa 7 mm dicke Messingkugel als
Wärmeträger gesteckt ist, dass das Spitzenende der Nadel unterhalb
der Kugel etwa 12 mm lang bleibt.
Die Operation geschieht unter stehender Loupe, so dass beide
Hände disponibel bleiben. Rechts vom Loupentisch steht eine mittel-
grosse Gas- oder Spiritusflamme in bequemer Entfernung für die
rechte Hand; rechts daneben liegt ein kleiner, sauberer, grobkörniger
Schleifstein, ohne Hinsehen bequem mit der Nadel erreichbar.
Zur Operation hält man zunächst behufs Desinfection zuerst ein
wenig die Spitze, darauf länger die Kugel der Anstichnadel in die
Flamme, fasst danach mittels der linken Hand mit einer groben
anatomischen Pincette ein unter der Loupe eingestelltes Ei derb an
seiner Gallerthülle, um es zu fixiren, und sticht mit der Nadel
parallel der ersten Furche in einigem Abstand von dieser Ebene in
eine der beiden Furchungszellen in Richtung auf den oberhalb der
Mitte liegenden Furchungskern und verweilt einige Secunden mit der
Nadelspitze im Ei. Man sorge, die andere Zelle nicht mit anzustechen
und nicht anzusengen, was O. Hertwig gewöhnlich gethan zu haben
scheint ; dies schliesst zwar ihre Entwickelung , wenn der Kern
unverletzt blieb, nicht aus , macht jedoch die Bildung eines normal
gestalteten Hemiembryo unmöglich. Die Nadel wird langsam, beim
Haften an der Hülle unter Drehung um ihre Längsaxe , zurück-
gezogen.
Die Nadel^ war so heiss gemacht, dass beim Anstechen des ersten
Eies die Gallerthülle einige Bläschen bildete. Nach dem Herausziehen
der Nadel aus dem ersten Ei sticht man sogleich, ohne auf's Neue
zu erwärmen , in 2 — 3 weitere Eier. Auf diese Weise werden ver-
schiedene Wärmegrade angewendet, von denen gewöhnlich einer zu-
sammen mit der 2 — 6" betragenden Dauer des Verweilens der Nadel
im Ei die richtige Wirkung der Tödtung blos einer der beiden Zellen
hervorbringt. Nach jeder neuen Erhitzung der Nadel schleift man ihre
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. OÜ
946 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Spitze durch 3—4 Striche unter Drehung auf dem Stein fast ohne hin-
zusehen. Klebt beim Herausziehen aus dem Ei Substanz der Gallert-
hülle an der Nadelspitze , so hält man blos die Spitze in die Flamme,
um die Gallertsubstanz zu verbrennen , und glättet danach wieder auf
dem Stein.
Unsere wie oben vorbereiteten Eier befinden sich etwas in
Zwangs- [252] läge; man kann daher durch Fassen der Gallert-
hülle das ganze Ei fixiren, so dass es sich nicht oder nur wenig beim An-
stechen dreht.
Innerhalb In Minuten kann man bei einiger Uebung 30 — 40 Eier
operiren, da auf besondere Sorgfalt nicht viel ankommt, denn man
hat Material im Ueberfluss, und was zu stark geschädigt wird, geht
meist ganz zu Grunde, kann also keine Fehler machen; was zu wenig
geschädigt ist, so dass die operirte Hälfte sich theilweise entwickelt,
wird später ausgesondert. Bios die Eier, bei denen die andere Zelle
mit angesengt ist, können zu Irrthümern führen. Einige brauchbare,
blos halb sich entwickelnde Eier finden sich gewöhnlich, bei mir zuletzt
bis 20 Procent.
So werden die drei Schalen der Reihe nach operirt. Eine davon
ist nach dem Quellungsgrade der Gallerthülle die günstigste für die
Fixation des Eies beim Operiren , ohne zugleich durch zu starke
Pressung des Eies ein zu grosses Extraovat zu veranlassen, was leicht
tödtlich wird, da dabei auch aus der nicht operirten Zelle Substanz
nachfliesst.
Nach der Operation bleiben die Schalen eine halbe Stunde
offen stehen, werden dann aber mit einer Glasplatte ganz zugedeckt,
um die Entwickelung zu beschleunigen und dem Staubeinfall und
dadurch bedingter Verschimmelung vorzubeugen; 2 Stunden nach
der Operation kann Wasser aufgegossen werden bis zum Ueber-
stehen über die Eier, diese bleiben von nun an bedeckt und im war-
men Zimmer.
Abends werden unter der Loupe diejenigen Eier sammt ihrer
Gallerthülle mit der Scheere ausgeschnitten und in eine besondere
Schale mit über die Eier überstehendem Wasser gethan, an denen
sich bis jetzt blos die eine Hälfte gefurcht hat.
Einfachste Methode. 947
Am anderen Morgen geschieht aus diesen Eiern eine zweite
gleiche Auslese. Die auch jetzt noch blos in einer Hälfte
gefurchten Eier, Semiblastulae, werden in ihrer operirten
Hälfte weiterhin gewöhnlich nur langsam reorganisirt. Sie allein
können das Material für die Beobachtung der Entwicke-
ln ng einer „einzigen Eihälfte" zu Hemiembryonen abgeben.
Wenn man sicher gehen will, kann man am Abend des zweiten
Tages nochmals auslesen; die auch dann erst zur Hälfte in Zellen
zerlegten Eier, Semigastrulae, geben, bei genügender Wärme im
Zimmer während der ganzen Versuchszeit (22 ^ C), schon in der folgen-
den Nacht typische Hemiembryonen; war das Zimmer kühl gehalten,
so kann es einen bis zwei Tage länger dauern.
Da unsere Eier anfangs etwas in Zwangslage sich befanden, so
wird bei vielen zufolge des von mir dargelegten Mechanismus (siehe
S. 396 u. f.) [253] die normale zweite Furche zuerst gebildet; und man
erhält daher nach Zerstörung einer der beiden ersten Furchungs-
zellen ausser Hemiembryones laterales mit einem einzigen
Medullarwulste von normaler Länge auch Hemiembryones an-
teriores mit zwei im Bogen vereinigten Medullarwülsten von blos
halber Länge.
Da oft die Postgeneration der halben Embryonen sehr rasch
verläuft (s. S. 486 u. 501) und daher bei genügender Wärme und bei
dem Fehlen eines geronnenen Brockens am Kopfende neben seitlichen
Halbembryonen, oder in der Mitte der Dorsalseite des Eies hinter
vorderen Halbbildungen, in 5 — 6 Stunden die fehlende Hälfte
ganz na eher zeugt wird, so muss man natürlich in der
kritischen Zeit eigentlich continuirlich, aber wenig-
stens alle SJ;unden einmal Tag oder Nacht beobachten;
sonst ist zu gewärtigen, dass man das Stadium der reinen
Halbbildung verpasst (s. S. 949 Anm.).
Hat man Hemiembryonen gefunden, so zeichnet man sie rasch
ab, um nach 3 und 6 Stunden eine weitere Skizze von ihnen zu machen
und so den Verlauf der Postgeneration zu verfolgen ; der zweite Medul-
larwulst eines Hemiembryo lateralis wird in cephalocaudaler Richtung-
gebildet.
60*
948 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Hertwig's Figuren 7 und 12 auf Tafel 44 stellen Embryonen
mit schon weit fortgeschrittener Postgeneration des
zweiten Medullarwulstes dar; je nach der Temperatur des Zimmers
waren dieselben wahrscheinlich vor 5 — 10 Stunden reine Hemiem-
bryones laterales, sofern sie nicht gar der demnächst zu besprechenden
anderen Gruppe, nämlich den von vorn herein aus mehr als einem
„h alben" Ei hervorgegangenen Embryonen angehören.
Doch war offenbar nicht gut operirt und die zweite Zelle etwas mit
angesengt.
Beim Embryo der Figur 12 ist, wie die dazu gehörigen Quer-
schnittbilder Tafel 43, Fig. 2, 8 und 9 zeigen, bereits ein sehr
grosser Theil der zweiten Eihälfte mit zur Bildung des
Embryo verwendet; er ist somit kein aus blos einem halben
Ei hervorgangen es Gebilde, keine Halbeibildung mehr, sofern
er überhaupt früher eine solche war. Taf. 44, Fig. 4 zeigt einen
,,Hemiembryo anterior", der dorsal erst wenig, ventral schon
mehr postgeuerirt ist ; bei Fig. 2 derselben Tafel ist das Umgekehrte
der Fall.
Das Durchschnittsbild eines noch ziemlich reinen Hemiem-
bryo lateralis zeigt Tafel 43, Fig. 1, aber ventral bereits etwas
postgeuerirt; da keine Totalansicht gegeben ist, kann der Beschauer
nicht selber beurtheilen, ob der Embryo in der ganzen Länge so
beschaffen oder etwa cephal bereits zu zwei Medullarwülsten post-
geuerirt ist; doch [254] sagt 0. Hertwig S. 762 über ihn: „links
sehen wir eine halbe Medullarplatte, Chorda und mittleres Keimblatt
entwickelt ; die zerstörte Dottermasse nimmt in grosser Ausdehnung
auch die Gegend ein, in der sich bei den anderen Embryonen der
Embryoualwulst (wohl Druckfehler statt Medullarwulst,Rx.) der anderen
Seite angelegt hat."
Demnach hat 0. Hertwig also einen richtigen ,,Hemiembryo late-
ralis" mit blos dem linken Medullarwulst, blos linkem Mittelblatt, linker
Darmhöhle erhalten, der nur erst ein wenig im ventralen Bereiche des
Ectoblast postgeuerirt ist, und mit geringerer innerer Cellulation der
anderen Eihälfte. Es ist sehr zu bedauern , dass Hertwig gerade von
diesem einzigen Embryo, den er noch im Stadium der fast reinen Hemi-
Versuchsfehler 0. Hertwig's. 949
plasia augetroffen hat, keine FlJiclienabbildung gegeben hat; dieser
Hernie mbryo würde mit seinem einen Medullarwulst eine sehr in
die Augen fallende Widerlegung von HertwuVs Folgerungen
abgegeben haben. Hertwig ordnet ihn zu meinen Asyntaxiae medulläres ;
da aber erst sehr wenig mehr als die Hälfte eines Embryo und zwar blos
ventral vorhanden ist, aber gar nichts von einem zweiten Medullar-
wulst sich vorfindet, welcher also auch nicht vom anderen „absteht",
so ist dies sachlich durch nichts gerechtfertigt, und also wohl blos ein
Versuch, diesen Hemiembryo lateralis ,,als solchen" zu beseitigen^).
"Was wird nun aus den operirten Eiern , die schon am Abend des
ersten oder am Morgen des zweiten Tages in der operirten Hälfte ganz
oder theil weise n a c h g e f u r c h t s i n d ?
Diese Eier repräsentiren natürlich schon auf entsprechend früherem
Stadium Jceine „Halhhüdungen^^ mehr. Je früher diese nachträg-
liche Cellulation vor sich ging, um so weniger bleibt auch die weitere
Entwickelung der anderen Eihälfte hinter der normalen Hälfte zurück;
und es können die beiden Medullarwülste solcher Eier ganz
oder fast ganz gleichzeitig auftreten, wie ich das in meiner Arbeit
Nr. 22 mitgetheilt habe. Vielleicht hat O. Hertwig solches Vorkommniss
beobachtet und gründet darauf seinen irrthümlichen Ausspruch, dass es
keine Postgeneration gäbe. Jedenfalls hat er dabei wieder den Fehler
gemacht, dass er ein Gehilde, tvelches ans „mehr^'' als dem Halhei
entstand, als eine „Halheibildung'''' henrtheiUe.
O. Hertwig's irrthümliches Urtheil über die Entwickelung der
„halben Froscheier" beruht somit auf zweierlei Fehlerquellen:
Erstens hat er nicht oft genug beobachtet und daher das Stadium
1) H. Driesch hat jüngst (Analyt. Theorie der Entwickelung, S. 16) versucht, die
Ganzbildung eli 0. Hertwig's als dir e et entstanden zu erklären, indem er ohne
Beweis als sicher annimmt, die Eier hätten sich bald nach der Operation gedreht,
dadurch wäre eine neue Anordnung des Dotters entstanden wie bei einem ganzen
Ei und deshalb seien sogleich Ganzbildungen entstanden ähnlich, wie ich es (S. 933)
bezüglich der von 0. Schultze durch ümkehrung der Eier erzeugten Doppelbildungen
annehme. Dazu ist zu bemerken, dass die operirten Eier sich erst nach beendeter
Furchung, während der Gastrulation in entsprechender Weise drehen (s. S. 780).
Daher sind auch die von Driesch aus seiner Annahme gezogenen Folgerungen hin-
fällig. Genaueres siehe in W. Roux, üeber die verschiedene Entwickelung isolirter
Blastomeren. Arch. f. Entwickelungsmechanik, Bd. I. S. 597 u. f.
950 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
der reinen Halbeibildiing , des reinen Hemiembryo gänzlich versäumt.
Dafür spricht ausser seinen abge- [255] bildeten Embryonen und meinen
positiven Befunden, dass er blos angiebt, er habe operirte Eier am
ersten, zweiten, dritten und vierten Tage aufgehoben ; hätte er Tag und
Nacht beobachtet, würde er diesen in unserem Falle wichtigsten, ja ent-
scheidenden Umstand gewiss mitgetheilt und dann auclr von demselben
Embryo mehrere Entwickelungsstadien abgezeichnet oder wenigstens
mit Worten geschildert haben ^).
Zweitens hatHEiiTwiG, sofern er an einigen der operirten Eier
wirklich das gleichzeitige Auftreten beider Medullarwülste (von Hemi-
embryones anteriores, bei denen es selbstverständlich ist, abgesehen),
beobachtet hat , nicht beaclitet, dass nicht blos das „halbe Ei"
an ihrer Bildung betheiligt war.
Drittens ist meiirfach an seinen Eiern diejenige Hälfte, welche
unversehrt bleiben sollte, mit der heissen Nadel beschädigt w^orden,
was Störungen in der regelmässigen Entwdckelung dieser Eihälfte
bedingt hat.
Nur vom halben Ei des Frosches habe ich behauptet, dass
aus ihm nach Abtödtung der anderen Eihälfie zunächst Hemi-
embryones hervorgehen, und dass danach erst die fehlende Hälfte
des Embryo gebildet, postgenerirt wird^).
Von allen Embryonen, die Hertwig abgebildet hat, ist keiner
mehr auf dem Stadium der reinen Haibeibildung (Embryo Taf. 43,
[1) Da es wesentlich zur Aufklärung der Sachlage dient und da viele Autoren
trotz der hier erfolgten Darlegung der Fehlerquellen durch die bestimmten Behaup-
tungen 0. Hertwig's sich haben irre führen lassen, so halte ich es im Interesse der
Wissenschaft zur Verbreitung der Wahrheit für das geringere Uebel, die Indiscretion
zu begehen und statt seiner mitzutheilen , dass 0. Hertwig, nach mir von com-
petenter Seite gewordener Information, gewohnter Weise, auch zur Zeit di eser Ver-
suche allein von 8 — 3 Uhr täglich im Institute anwesend war, dass seine täglichen Be-
obachtungen also durch je eine 17 Stunden lange Pause unterbrochen waren (siehe
übrigens auch S. 964). Damit erklärt sich denn, dass er blos in einem Falle zu-
fällig das Stadium der fast reinen seitlichen Halbbildung erblickt hat, da, wie ich
S. 486 mitgetheilt hatte, in wenigen Stunden aus einem typischen . Hemiembryo ein
ganzer Embryo werden kann. Bei bestimmter Temperatur und Befruchtungszeit kann
es vorkommen, dass das Stadium des reinen Hemiembryo immer auf die Nachtzeit
fällt; wie man es bei einiger Erfahrung andererseits auch in der Hand hat, dieses
Stadium durch Regulation der Temperatur auf die Zeit des Tages zu verlegen.]
Versuchsfehler 0. Hertwig's. 951
Fig. 1, wie erwähnt, fast ausgenommen, da dieser noch einen zicmhch
guten Hemiembryo sinister darstellt); bei allen ist in dem Maasse,
als mehr als ein „halber^^ Emhryo vorhanden ist, Material und
Raum der „ziveiten'"'' Eihälfte in Verivendung gekommen; dies
s])richt sich auch darin aus, dass das Plus an Oberflächenepithel auf
der ÜHSseren Oherfläche der zweiten Eihälfte sich findet, statt
auf der Grenzfläche zwischen beiden ersten Furchungszellen, wie es bei
meinen reinen Halbei-Ganzbildungen der Fall ist, die ich in Wien
demonstrirt habe (s. S. 796 u. f.)^)^).
1) Es ist bemerkenswerth, dass weder 0. Hertwig noch seine Anhänger (z. B.
H. Driesch) diesen direct augenfälligen Beweis, dass Hertwig's Ganz-
embryonen überhaupt nicht einem ^halben" Ei angehören, selber
bemerkt oder auch nur den vorstehend gegebenen Hinweis darauf (S. 948 — 950) in
seiner Bedeutung zu würdigen vermocht haben. Von der etwas defecten zweiten
Hälfte des Embryo, welche, soweit sie überhaupt vorhanden ist, stets „an
Stelle des Materiales" der „zweiten" Eihälfte sich findet, behaupten
somit diese Autoren, sie sei direct (nicht erst durch Postgeneration) entstanden
und zwar aus dem Materiale der nicht operirten Eihälfte. Das
entsprechende Material der operirten Eihälfte müsste dann in der entsprechenden
Menge ausgetreten sein, und die unversehrte Eihälfte müsste so vielMaterial
neu aus Nichts hervorgebracht haben und zwar auch gleich primär von
Anfang an: Eine in unserem Zeitalter etwas gewagte Annahme. Meine wirklichen
Halbei-Ganzembryonen dagegen (S. 796 u. f.) bekunden nicht so wunder-
bare Eigenschaften; sondern sie liegen stets blos an Stelle des entsprechenden
halben Eies und sind daher von halber, nicht wie die Hertwig's (vergl. die Figuren
der Tafeln 42 und 43 mit Figur 6 und 7 auf Taf. 43) von ganzer Eigrösse; und
die operirte Eihällte liegt daneben.
[2) Auf Seite 796 u. f. ist berichtet, dass ich aus wirklich „halben"
Froscheiern durch Postgeneration „ganze" Embryonen gezüchtet habe;
hier wurde betont, dass 0. Hertwig ganze Embryonen wie früher ich (s. Nr. 22)
unter Verwendung von Material der zweiten Eihälfte erhalten hat.
M. Verworn berichtet dagegen hierüber (Allgemeine Physiologie, Jena 1895,
S. 516, Capitel über Entwickelungsniechanik) : „Gegenüber den Beobachtungen von Roux
stellte 0. Hertä'ig fest, dass auch aus einer einzigen Furchungshälfte der Eizelle
noch ganze Embryonen sich entwickeln".
Ebenso gewissenhaft sind die weiteren Angaben Verworn's.
Meine Abhandlungen Nr. 27 und 28 einerseits, Nr. 13 und 18 anderseits sind
Verworn offenbar unbekannt, was ihn jedoch nicht abhält, über die darin nieder-
gelegten Auffassungen zu berichten und z. B. zu sagen: „Roux's Theorie der Ontogenese
ist im Wesentlichen nichts Anderes, als die alte Präformationslehre Haller's in
modernem Gewände". (Vergl. dazu die Stichwörter Epigenesis und Involution des
Registers und den dazu gehörigen Text.)
Diesem Grade von Gewissenhaftigkeit entspricht weiterhin auch der Werth
952 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Ob an den Eiern dieser Embryonen Hertwig's ursprünglich die
ganze zweite Eihälfte zerstört war und erst später wieder mit in
Verwendung gezogen worden ist, oder ob schon frühzeitig diese Theile
der zweiten Eihälfte mit in die Entvvickelung einbezogen wurden, lässt
sich bei dem Fehlen jeder Angabe über die individuelle Ge-
schichte dieser Eier nachträglich nicht mehr beurtheilen.
Gleichwohl resumirt Hertwig Seite 791 § 10: „Bei vollständiger
Zerstörung" von „einer der beiden ersten Theilhälften" des Eies
(durch eine erwärmte Nadel oder durch den gal- [256] vanischen
Strom) entwickelt sich die überlebende „Hälfte" zu einem ziemlich
normal beschaffenen , nur mit Defecten an untergeordneten Körper-
gegenden versehenen Embryo", und
Seite 792 § 14: „Es findet weder eine Wiederbelebung^) der zer-
störten Eihälfte noch der von Roux beschriebene Process der Post-
generation statt."
Ich habe auf dem Anatomencongress in Wien Querschnitte von
Hemiembryones laterales unter dem Demonstrationsmicroscop herum-
gegeben, an welchen die eine Eihälfte noch ganz unentwickelt war
und die entwickelte sich noch ganz eben gegen dieselbe abgrenzte.
An einem Objecte hatte sich der Complex der Dotterzellen der
entwickelten Hälfte bereits etwas gerundet und in die todte Hälfte
vorgewölbt; dies wurde hinterher von einem Collegen erwähnt.
Man ersieht daraus, wie genau beobachtet wurde; und ich glaube
kaum, dass Jemand es übersehen haben würde, wenn mehr als das
halbe Medullarrohr und als eine Antimere des Mittelblattes vorhanden
gewiesen wäre ; und ich selber würde das wohl auch kaum übersehen
haben. Und nur zu oft haben sich zu meinem Bedauern
solche reinen Hemiembryonen, indem ich sie möglichst alt
der .sachlichen Urtheile und der Einsicht des Autors in die Natur der Probleme der
Entwickelungsmechanik.
So erfreulich und wünschenswerth es ist, dass Physiologen anfangen, in ihren
Lehrbüchern und sonstigen allgemeineren Darstellungen auch die Entwickelungs-
mechanik zu berücksichtigen, so ist es doch nicht genügend, dass dies, wie im vor-
liegenden Falle, wesentlich durch Excerpiren einer der flüchtigen, halb populären
Darstellungen gescliehe, wie sie jetzt leider schon von einigen Autoren verbreitet
werden.]
1) Siehe Seite 480 Anm.
Natürliche Entstehung von Hemiembryonen des Frosches. 953
züchten wollte, um zu sehen, wie weit die heniiplastische
Ent Wickelung gehen kann, zu ganzen Embryonen post-
g e n e r i r t.
Es muss ferner als ein besonders günstiger Umstand an-
gesehen werden, dass beim Amphibien- und Ctenophoreuei
die Postgeneration so verzögert ist, dass wir eine grosse
Strecke weit erkennen können, was die „normale s. typische"
Entwickelung für sich leistet; denn da bei den meisten
anderen Thieren die Entwickelungsmechanismen , welche
die Wie derber Stellung eines defecten Ganzen anbahnen,
viel früher, zum Theil schon fast sogleich nach dem
Defect activirt werden, w^ürden wir ohne dieses Verhalten
der ersteren Gruppen die besonderen Leistungen der „ty-
pischen" Entwickelung gar nicht haben erkennen können
(s. S. 830).
Mit den unzweifelhaften Hemiembryones laterales und ante-
riores ist auch das Vorkommen der gleichfalls von Hertwig
geleugneten, ihnen entsprechenden echten Semigastrulae
wohl bereits sehr wahrscheinlich gemacht; doch habe ich auch davon
nach der Publication meiner Abhandlung von 1888 (Nr. 22) noch
mehrere Objecte im richtigen Stadium gefasst, microtomirt und zwei
davon in Wien demonstrirt.
La) Natürliche Entstehung von Hemiembryonen.
[257] Auch derjenige, dem es nicht gelungen ist, künstliche Hemiem-
bryonen auf diese einfache Weise zu erhalten, braucht deshalb noch
nicht auf ihre Wahrnehmung zu verzichten, denn es giebt ■ auch eine
natürliche Entstehung von Hemiembryonen. Am Ende der
oft durch anhaltende Kälte im Frühjahre, oder der künstlich (durch
das oben erwähnte getrennte Aufbewahren der weiblichen und männ-
lichen Frösche) verzögerten Laichung stirbt nämlich häufig bei
der Entwickelung eine der beiden ersten (resp. eine oder zwei der vier
ersten) Furchungszellen von selber ab; und man braucht blos wie
oben 24—30 Stunden nach der Befruchtung die wirklich blos halb-
gefurchten Eier auszulesen, um dann aus ihnen die schönsten und
954 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
ältesten Hemiembryonen hervorgehen zusehen; letzteres da bei
diesen Eiern oft die Postgeneration unter Verwendung der nicht ent-
wickelten Eihälfte in Folge Zersetzung derselben, erst später, ja viel
später ein, als bei den am Anfang der Laichperiode operirten Eiern eintritt.
Gegen Ende der Laichperiode erhält man auch durch
Operation viel leichter reine Hemiembryonen. Dies weist
darauf hin, dass entweder das Selbstregulationsvermögen, wel-
ches die Bildung normaler Producte trotz stattgehabter Störungen
ermöglicht (wozu auch die Fähigkeit der Postgeneration gehört) durch
die mit der Verzögerung der Laichung eintretende Schädigung ,,früher'"
vermindert wird, als die Fähigkeit der ,, normalen" Ent-
wickeln ng oder einfacher, dass in Folge von Verzögerung der
Laichung der Zellkern und Dotter leichter zum Absterben resp. zur
Zersetzung neigt, als an noch jugendfrischen Eiern, so dass der Dotter
auch der Reorganisation resp. seiner Wiederverwendung, sei es auch
blos als Nahrungsmittel, mehr widersteht.
IL Hervorbringung im Voraus ,, bestimmter" Hemiembryonen.
Ich habe ferner angegeben, dass man im Voraus bestimmen
kann, ob aus einem Ei, dessen eine der beiden ersten Furchungszellen
zerstört wurde, ein rechter oder linker oder vorderer halber
Embryo hervorgehen wird.
Diese Bestimmung beruht auf der im Jahre 1883 für die normale
Entwickelung von Rana esculenta durch mich (s. S. 925), im selben Jahre
für Eier in Zwangslage durch Pflüger gemachten Beobachtung, dass
diejenige Seite des Eies, an der der helle Pol weiter aufwärts
reicht, einer bestimmten Seite des Embryo, uämhch der Anlagestelle
des Urmundes und damit der cephalen Seite entspricht. Die Ermitte-
lung dieser fundamentalen, von Born und mir noch hundertfach
bestätigten Thatsache, an welche in verschiedenen meiner Arbeiten
angeknüpft wird, ist jedoch O. Hertwig ganz unbekannt gebheben; wie
daraus hervorgeht, dass er sie selber erst in diesem Jahre neu entdeckt zu
haben glaubt (Sitzungsbericht der kgl.preuss.Acad. d.Wiss., 1893,XXIV).
[258] Ich hal)e zu dieser Vorausbestimmuno- der Natur der Halb-
II. Hervorbriugung im Voraus „besürainter" Halbbildungen. 955
bildungen zwei Methoden verwendet, eine einfachere und eine um-
ständHehere; letztere hat aber den Vorzug grösserer Sicherheit.
a. Die einfachere Methode ist folgende:
Da von den nach der oben angegebenen Weise behandelten
Eiern in Folge des frühzeitigen Abgiessens des Wassers viele etwas
in Zwangslage geblieben sind, so hat man auch, selbst wenn man
mit Rana fusca arbeitet, immer eine Anzahl Eier, an welchen der
weisse Pol an einer Seite des Eies von oben sichtbar ist, was bei
diesem Frosch normal gewöhnlich nicht der Fall ist. Stellt man nach
der ersten oder zweiten Furchung diese die Kopfhälfte des Embryo
darstellende Hälfte des Eies bei Besichtigung von oben distal von
sich, so entspricht dann die nach unserer rechten Seite gelegene Ei-
hälfte der linken Antimere des Embryo; theilt die erste Furchung
dies Oberflächenbild symmetrisch, so kann man durch entsprechende
Zerstörungen rechte oder linke halbe Embryonen hervorbringen;
steht die erste Furche quer, so sticht man die oben dunkle Eihälfte
an, um aus der anderen Hemiembryones anteriores zu erhalten;
die oben schwarze, also caudale Eihälfte dagegen entwickelt sich
nach Zerstörung der anderen Hälfte nur sehr selten bis zum Er-
kennbarwerden der Medullarwülste an ihr, also zu Andeutungen von
Hemiembryones posteriores (s. S. 447).
Manmuss also jetzt beim Anstechen genau auf die vorherige
Stellung des Eies achten und das Ei nach der Operation sogleich
ausschneiden und in die entsprechende von drei vorher zurecht
gestellten und auf rechte, linke und vordere Haibeibildungen etiquet-
tirte Schale legen. Die übrige Behandlung der Eier erfolgt genau,
wie oben angegeben wurde. Ist das Ei schon zweimal gefurcht, so
hat man diö' Wahl, welches der neben einander liegenden Zellpaare
man anstechen will.
Dabei kommen aber doch noch leicht Irrthümer vor, da der
Erfolg der Operation nicht selten ein anderer ist, als man beabsich-
tigte ; ein Mal, weil eine Zelle, die getödtet werden sollte , nicht oder
nicht ganz abstarb; oder indem eine Zelle, die unversehrt bleiben
sollte, angesengt oder durch Druck zum Theil entleert wurde und
sich gar nicht oder nur theilweise entwickelte. Diese Abweichungen
956 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
können besonders bei Anstich nach der zweiten Furchung zu groben
Irrthümern Veranlassung geben. Zur Verhütung dieser ist
es nöthig, die einzelnen Eier getrennt zu halten und das besondere
Geschehen an jedem derselben durch häufige Beobachtung festzustellen.
Diesem Zwecke dient die zweite von mir angewandte
Methode.
Zu dieser sind nöthig: runde Glasscheiben von 3 cm Durch-
messer, von denen jede nahe der Mitte einen mit dem Diamant
gezogenen [259] Pfeil eingeritzt enthält ; ferner Glasschalen mit innen
und aussen ebenem Boden, in welche diese Scheiben mit der Pincette
bequem hineingelegt werden können und w a g r e c h t aufliegen. Aussen
ist an jede dieser Schalen auf dem Boden, etwas seitlich, ein oblonger
Papierstreifen, etwa von halber Handgrösse, geklebt, den Boden nur
zu einem Viertel seiner Breite bedeckend.
Auf jede solche Glasplatte wird, bevor sie in die Schale gelegt
wird, ein Ei, das mit einer gut polirten, nach jedem einzelnen
Gebrauch stets frisch am Handtuch abgewischten Lancette vorsichtig
ohne jede Quetschung dem Uterus enthoben ist, so aufgesetzt, dass
seine Eiaxe annähernd wagrecht, mit dem hellen Pol etwas abwärts
geneigt steht. Darauf wird mit einem feinen Haarpinsel ein grosser
Tropfen Samen zugesetzt und um das Ei ringsum am Boden vertheilt,
derart, dass das Ei hinterher noch ein gut Theil Weisses nach oben
wendet. Nachdem man etwa 6 Eier so aufgesetzt hat, wird mit einem
grossen Pinsel allen der Reihe nach Wasser in mehreren Tropfen
zugesetzt; 10 Minuten nach der Besamung wird in jede Schale Wasser
so reichlich zugegossen, dass es über dem Ei übersteht ; weiterhin wird
das Ei in Bezug auf Wasser und Bedeckung etc. so behandelt, wie
oben angegeben wurde. Eine Stunde nach der Besamung wird jedes
Ei zum ersten Mal gezeichnet. Dazu wird die Glasschale so gedreht,
dass der Zettel nach unserer rechten Hand liegt ; die Glasscheibe wird
vor jeder Zeichnungsaufnahme so gedreht, dass der Pfeil die Spitze
immer nach ein und derselben Seite, z. B. distal von uns, wendet
und parallel dem angeklebten Rande des Papieres steht. Die Zeich-
nung giebt die Ansicht des Eies von oben, mit Wiedergabe der Ver-
theilung der scliwarzen und weissen Theile. Nach dem Beginn der
Historisches der Methode der Hervorbringung von Ha]b})ildungeii. 957
ersten Fiirchung wird eine neue Zeichnung aufgenommen und die
Richtung der ersten Furche genau in dieselbe eingetragen. Nach der
Vollendung der Operation wird die jetzige Einstellung verglichen mit
der früheren, bei eingetretener Aenderuug der Einstellung ein neues
Bild aufgenommen und die Ein- und auch Ausstichstelle sowie etwaige
durch ^^erfärbung kenntliche Versengungen und die Stellung des Extra-
ovates in das Bild eingetragen. Sehr nützlich erweist es sich, das Ei
auch von unten zu besichtigen und zu zeichnen; zu diesem Zwecke
wird ein Spiegelglas untergelegt und ein Tropfen Wasser daraufgegeben,
ehe die Schale darauf kommt; in die Schale kommt gleichfalls ein
Tropfen Wasser.
Einige Stunden, sowie Abends und am nächsten Morgen nach der
Operation werden neue Zeichnungen angefertigt und dabei besonders
darauf geachtet, ob wirklich die Zerstörung unserer Absicht ent-
sprochen hat; denn nur bei denjenigen Eiern, bei welchen dies der
[260] Fall war, kann unsere Prognose sich nach der Medullarwulst-
bildung bestätigen.
Zugleich sei eine historische Bemerkung über die Methode
der Zerstörung von Furchungszellen durch Anstich gestattet.
Hertwig sagt Seite 739:
„Chabry stellte seine Experimente (1887) am Ei von Ascidien an,
indem er bestimmte Furchungszellen durch Anstechen mit feinsten
Glasnadeln vernichtete."
,,Bald darauf hat Roux entsprechende Experimente am Froschei
ausgeführt." Hertwig citirt diese Methode danach unter dem Namen
,,das CHABRY-Roux'sche Experiment".
Dies Vef halten Hertwig 's deutet an, dass ich in diesem Versuche
der Nachfolger Chabry's gewesen wäre. Ich habe jedoch die ersten
Anstichversuche am Froschei im Jahre 1882 (s. S. 154) gemacht und
das Hauptergebniss derselben, dass circumscripte Defecte am Ei blos
circumscripte Störungen, besonders circumscripte Defecte am Em-
bryo zur Folge haben, am 15. Februar 1884 in der schlesischen Gesell-
schaft für vaterländische Cultur mitgetheilt. Diese und die darauf im
Frühjahre 1884 gewonnenen Versuchsergebnisse wurden im Dec. 1884
958 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
der Zeitschrift für Biologie übergeben; Ende Juni 1885 erhielt ich die
Separatabzüge, von denen einer Herrn G. Pouchet zugesandt wurde.
Herr Pouchet dankte per Postkarte für die Zusendung der „inter-
essanten Abhandlung". Chabry, welcher bei Pouchet arbeitete, publi-
cirte 1887 eine umfängliche Abhandlung unter dem Titel: ,,Contribution
ä l'embryologie normale et teratologique des Ascidies simples" ^), deren
Untersuchungen nach S. 4 in den Jahren 1885 und 1886 ausgeführt
wurden. Die Ascidien laichen im April bis September. Im Jahre
vorher hatte er schon (nach S. 72) wiederholt ,, abnorme Furchungen"
am Ascidienei gesehen.
Da der aus einer Titelübersicht mir bekannt gewordene Titel
von Chabry's Abhandlung auf keine Beziehung zu meiner im Jahre
1888 veröffentlichten zweiten Abhandlung über die halben Embryo-
nen hindeutete, habe ich dieselbe damals nicht eingesehen. Als ich
jedoch später aus einem Referat von dieser Beziehung Kenntniss
erhalten hatte, erbat ich die an einem für mich schwer zugänglichen
Ort abgedruckte Arbeit von ihrem Autor. Nach ihrer Leetüre war
ich erfreut über die mit den meinen übereinstimmenden Ergebnisse
derselben, andererseits aber etwas erstaunt darüber, dass Chabry meiner
[261] Priorität nicht gedenkt und angiebt, mit diesen Versuchen ,,ein
ganz neues Gebiet eröffnet zu haben" (vergleiche oben S. 154),
obschon sein Lehrer meine Abhandlung kurz nach dem Beginne von
Chabry's Untersuchung erhalten hatte. Wenn Chabry diese ausgedehnte
Arbeit mit der mitgetheilten Untersuchung der normalen Entwicke-
lung begonnen hat, dann liegt chronologisch die Möglichkeit vor, dass
er überhaupt erst durch meine Abhandlung zu seinen Anstichversuchen
angeregt worden sei ; doch spricht gegen diese Sachlage, dass er meine
Arbeit in seiner Publication nicht erwähnt. Jedenfalls aber ist meine
Priorität in Bezug auf diese Versuchsweise ausser Zweifel.
Gegenwärtig bin ich, wohl nicht mit Unrecht, verwundert, dass
0. Hertwig diesen ersten Beitrag zur Entwickelungsmechanik (Nr. 18)
(vom Jahre 1 885), in welchem auf 25 Seiten über solche Anstichversuche
1) Theses pr^sentees h la faculte des sciences de Paris. Serie A. Nr. 90.
Paris 1887.
Historisches der Methode der Hervorbringung von Halbbildungen. 959
am Ei in allen Stadien von der Befruchtung V)is /.um Embryo von
mir berichtet wird^), niclit kennt, obgleich diese Arbeit auch ihm
zugesandt wurde und in mehreren Abhandlungen von anderen Autoren
und mir darauf Bezug genommen worden ist; den Titel führt er
jedoch in dem Litteraturverzeichniss seiner jüngsten Abhandlung auf.
Ich habe es O. Hertwig schon ein Mal nahe gelegt (s. S. 830),
meine Arbeiten mit mehr Sorgfalt zu lesen, soweit er auf demselben
Gebiete mit mir arbeitet; damit er sowohl über das bereits Ermittelte
nnterrichtet sei, als auch, um nicht weiterhin irrthümliche Behaup-
tungen über meine Ansichten zu verbreiten.
Seine jüngste Arbeit veranlasst mich, diese Bitte zu wiederholen,
durch deren Erfüllung manche Differenz und nachträgliche Ausein-
andersetzung in Zukunft vermieden werden würde.
Zunächst verwahre ich mich gegen die bereits zwei Mal zurück-
gewiesene (s. Nr. 26 und 27) irrthümliche Angabe Hertwig's, dass
ich reiner ,,Evolutiouist" sei. Ich habe es von Anfang meiner
Untersuchungen an als eine Aufgabe derselben bezeichnet, den
Antheil sowohl der ,,correlativen Dif f erenzirung" wie
der ,,Selbstdifferen zirung" an der individuellen Ent-
wickelung zu ermitteln, und habe auch beiderlei Vorgänge
nachgewiesen. Ich nehme daher eine Mittelstellung zwischen
Weismanx, dem reinen Evolutionisten , und 0. Hertwig, dem reinen
Epigenetiker, ein. 0. Hertwig hat übrigens bereits eine Schwenkung
nach meiner Seite hin gemacht; allerdings wieder ohne meiner dabei
entsprechende Erwähnung zu thun. Die jetzt von ihm ausgesprochene
Ansicht, dass eine epigeuetische Theorie sich mit einer [262]
tieferen Aiilffassung der Evolutionslehre wohl vereinbaren
lässt" (S. 662), ist bereits in der Einleitung meiner Beiträge zur Ent-
wickelungsmechanik im Jahre 1885 (s. Nr. 13) ausführlich begründet
worden.
[1) Trotz der besonderen Schwierigkeiten, Avelcbe gerade dieses Material für
solche Versuche darbietet (s. S. 788), wurde bereits in dieser ersten Abhandlung
auch schon über einige erhaltene reine Halbbildungen: Semimorulae und Hemi-
embryones berichtet (s. S. 161 u. 174j.]
960 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
III. Wirkung der „Deformation" in der Furchung begrif-
fener Eier auf die Stellung der Medianebene zu den ersten
Furchungsrichtungen.
[265] Der andere Versuch, auf dessen Ergebniss O. Hertwig seine, der
meinen entgegengesetzte, Auffassung einiger Vorgcänge der ersten Ent-
wickelung begründet, besteht darin, dass er wie früher Pflüger und ich
(s. S. 838) Eier zwischen wagrechte, senkrechte oder schief-
stehende Platten p r e s s t e , die Richtung der ersten Furche mar-
kirte und später beobachtete, dass die Richtung der Medianebene
nicht damit übereinstimmte; während ich an „normal" aufge-
setzten und durch reichlichen Zusatz von Wasser zw^ anglos ge-
haltenen also nicht deformirten Eiern im Jahre 1883 eine Ueber-
einstimmung beider Richtungen beobachtet und publicirt hatte (Nr. 16).
Mein damaliger Befund hat sich bei späteren mehrfachen Wieder-
holungen dieses Versuches stets bestätigt.
[266] Schon auf die vorläufige Mittheilung O. Hertwig's hin
habe ich in Bd. VIII, S. 606 dieser Zeitschrift (s. Nr. 29) mitgetheilt,
dass ich die gleichen Deformations- Versuche wie jüngst Hertwig bereits
in den .lahren 1885—1887 gemacht habe, zuletzt mit 80 Proc. Ueber-
einstimmungen zwischen der Richtung der Medianebene des Embryo ;
ich habe aber hinzugefügt, dass bei diesen Versuchen mehrere nicht
ganz zu beseitigende und durch eingehende Erwägung und Abrechnung
aller störenden Componenten nur theilweise zu reducirende Fehler-
quellen vorhanden sind. Zu der angekündigten ausführlicheren Mit-
theilung über diese Versuche bin ich in Folge anderweiter Inanspruch-
nahme noch nicht gekommen. Dieselbe erscheint mir jetzt auch weniger
dringlich, weil inzwischen G. Born (in derselben Nummer dieser Zeit-
schrift, in welcher meine kurze Mittheilung erschien), eine Arbeit publi-
cirt hat, in der über die gleichen Versuche ausführlich berichtet wird
(Ueber Druckversuche an Froscheiern, anat. Anz. 1893, S. 609 — 627).
Dieser gewissenhafte Forscher fand bei Eiern , welche durch
senkrechte parallele Platten comprimirt waren, gleich mir eine
Beziehung zwischen der Lage der Medianebene des Embryo und der
ersten Furche, indem die Medianebene meist annähernd
111. Wirkung der Doformation des Eies auf die Medianebene. 961
rechtwinkelig zur Ebene der ersten Furche stand (s. S. 924,
Anm.).
O. Hertwig hat dasselbe gefunden , unterlässt es aber , diese
Uebereinstimmung mit meiner Auffassung zu constatiren und bei
seinen Folgerungen entsprechend zu berücksichtigen , in gleicher
Weise, wie er dies mit dem einzigen Hemiembryo, den er nach An-
stechen des Eies zufällig zur richtigen Zeit beobachtet und so noch
als solchen w^ahrgenommen hat, unterlassen hat^).
[1) In diesem Jahre (1894) hat dagegen G. Born (Neue Compressionsversuche
an Froscheiern, vorläufige Mittheilung, Sitzgsber. d. Schles. Ges. f. vaterländ. Cultur,
10. Mai 1894) an einer grösseren Zahl gleichfalls wieder zwischen senkrecht
stehenden Platten comprimirten Froscheiern bei ganz besonders darauf gerichteter
Sorgfalt nicht mehr das im vorigen Jahre gesehene Verhältniss wahrnehmen können;
sondern er fand jetzt ebenso wie bei Eiern, die zwischen geneigten Platten gepresst
waren, „absolut keine Beziehung zwischen der Lage des Meridianes des Urmunds-
anfanges rcsp. der Meridianebene und der ersten Furche." Die Richtigkeit dieses
„absolut keiner Beziehung" könnte jedoch nur durch Messung der Winkel zwischen
der ersten Furche und der Medianebene festgestellt werden und wäre blos dann
erwiesen, wenn diese Winkel sich auf alle Decaden von 0° — 90° gleich vertheilten;
Born erwähnt aber solcher Winkelmessungen nicht. Es scheint mir daher doch noch
nicht ganz erwiesen, ob nicht auch in diesen „abnormen" Verhältnissen,
wie er und ich 1884 für einfache Zwangslage ohne besondere Deformation ermittelt
haben (s. S. 328), bei dieser Deformation noch ein, wenn auch vielleicht geringeres Vor-
herrschen der Winkel um 0° und um 90° vorkommt (s. S. 331 Anm. u. S. 923); dafür
spricht schon, dass er selber, ebenso wie ich und 0. Hertwig bei einer geringeren
Anzahl von Beobachtungen zunächst ein solches Verhalten entnommen hat.
Ein solches Vorherrschen könnte aber theoretisch, von sehr erheblicher
Bedeutung werden, denn gerade von diesen feinen Unterschieden hängt
jetzt die ganze Deutung der ersten Entwickelungs Vorgänge ab (siehe
S. 903 u. 912).
Born sagt ferner (S. 2): „dass der Meridian des Urmundsanf anges mit der
Medianebene des Embryo zusammenfällt, kann als vollkommen gesichert gelten, da
er solches Zusammenfallen auch in diesen Deformationsversuchen beim Auftreten der
Rückenwülste bestätigt gefunden hat. Dem entgegen muss ich aufrecht erhalten,
dass ich wiederholt bei Zwangslage, besonders bei Combination mit Pressung, Abwei-
chungen des Meridianes der „ersten" ürmundsanlage von der Richtung der durch
die Medullarfurche bezeichneten Medianebene durch sehr häufige, unbemerkte Drehungen
des Eies ausschliessende, Beobachtungen sicher constatirt habe (s. S. 267), und
dass die Richtung dieser secundären Medianebene in manchen Fällen der
Richtung der ersten resp. zweiten Furche näher kam als der erstere Meridian ; doch
viel häufiger war das umgekehrte Verhalten, und das Nachtwachen, um die Stelle
der Avirklich ersten Ürmundsanlage zu sehen, wurde durch grosse Uebereinstimmung
belohnt. Ueber eine eventuelle Ursache abnormer e r s t e r Urmundsanlagestelle siehe
S. 342 Anm. 2
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. ■ Ql
962 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Von meinen Versuchen mit Eiern, welche zwischen senkrechte
Platten gepresst worden waren, sei hier noch mitgetheilt, dass ich
die erste Furche häufig, statt senkrecht, stark, bis 25°,
geneigt und die zweite Furche zwar rechtwinkelig zu dieser Rich-
tung, aber stark schief zu den Glasplatten fand. Diese Ab-
weichungen von der Norm rühren wohl von stärkerer Schiefstellung der
Eiaxe beim Beginne meiner Versuche und von stärkerer Compression
als bei den Eiern Born's her.
Bei Compression der Eier zwischen ,,wagrechte'^
Platten fand Born gleich O. Hertwig keine Beziehung mehr zwischen
der Richtung der ersten Furche und der Medianebene ; er leitet aber
daraus wohlbedachter Weise, nicht wie Hertwicx, das Fehlen jeder
solchen Beziehung ab, sondern führt dies Verhalten unter Berück-
sichtigung entsprechender Fehlerquellen auf Dreh u n g e n der Eier
Es scheint mir ferner zweifelhaft, ob die neue Beobachtung 0. Schultze's über
die Möglichkeit, die primäre Meridianebene an symmetrischer Ordnung und
Grösse der Zellen der Blastula zu erkennen (s. S. 965 Anm.), auch unter diesen
abnormen Verhältnissen die primäre Medianebene genau genug sich erweisen
wird, da hiebei häufig schon anfangs asymmetrische Furchung vorkommt. Doch
müsste dann erst ermittelt werden, wie sich diese primäre Medianebene zur secundären
verhält, und worauf eventuelle Abweichungen beider von einander beruhen, ehe so
weitgehende Folgerungen, dass die Richtungen der ersten Furchungen unter
abnormen Verhältnissen gar keine Beziehungen zur secundären
Medianebene hätten, gezogen werden können, und dass dieAnordnung der
, verschiedenen" Dottersubstanzen „ganz unumschränkt", ganz unbe-
einüusst durch die Richtungen der ersten Eitheilungen, die Richtungen der
Medianebene bestimme, statt blos mit den von mir auf Grund der damals von
mir gemachten Beobachtungen angegebenen Einschränkungen (s. S. 335 u. f. und 408).
Und selbst wenn sich die diesjährige Angabe G. Born's in den bezüglichen
Theilen vollkommen bestätigen sollte, so wüssten wir darob noch nicht, avo durch
diese unter abnormen Verhältnissen hervorgetretene Unabhängigkeit vermittelt wird,
ob auf normale Weise, d. h. dadurch, dass nach Driesch und 0. Hertwig überhaupt
die ersten Furchungen das durch die Befruchtung activirte Kernmaterial
qualitativ halbiren oder dass, wie ich es aus mannigfachen Gründen (s. Nr. 27 u. 28)
für wahrscheinlich halten würde, in diesen so abnormen Verhältnissen alsdann auch
sogleich abnorme mit Activirung von Regulationsmechanismen also von Reserve-
idioplassonten verbundene Vorgänge eingeleitet werden (s. S. 911 und 928). Mir
scheint jedoch, dass die Entscheidung bei diesen Versuchen in die Ver-
suchs-und Beobachtungsfehler-Breite fällt, und dass wir daher die definitive
Entscheidung über die beregte wichtige Frage bei anderer Gelegenheit zu gewinnen
suchen müssen. (Siehe Nr. 33 und W. Roux, Ueber die verschiedene Bedeutung
isolirter Blastomeren, Arch. f. Entwickelungsmechanik, Bd. I, S. 597 u. f.)].
III. Wirkung der Deformation des Eies auf die Medianebene. 963
zurück. Darin kann ich ihm nur beistimmen, denn es ist mir ge-
[267j hingen, durch sehr häufige Beobachtungen am Tage und bei
Nacht diese Drehungen in der Periode der Urmundbil-
dung zu constatiren. Ausserdem wird auch die Richtung; der
ersten Furclie während der zweiten und dritten Thei-
lung oft nocli erheblich geändert. Da ferner, wie icli sah,
dabei die centralen, mehr den normal oberen entsprechenden
Zellen sich gegen die peripheren, mehr den normal unteren
entsprechenden Zellen verschieben, und man diese Verschie-
bungen bei diesen Versuchen besonders gut sieht, scheint diese Ver-
suchsanordnuug sehr geeignet, um zu ermitteln, ob die unter-
halb der ersten wagrechten Furche gelegenen Zellen
ausschlaggebender für die Bestimmung der Medianebene
sind als die oberhalb davon gelegenen , wie mir dies nach einigen
früheren Beobachtungen, deren Aufzeichnungen aber leider in Verlust
gerathen sind, in der Erinnerung haftet (s. S. 912).
Doch ist bei diesen Versuchen noch eine nicht vermeidbare
Fehlerquelle vorhanden, die auch den sorgfältigen Beobachtungen
Born's entgangen zu sein scheint.
Die Richtung der Medianebene wird unter normalen Ver-
hältnissen am frühesten an der Lage der ,, ersten" Urmunds-
anlage erkennbar, indem die erst nach Ausbildung der Medullarwülste
direct erkennbare Lage der Meridianebene dem durch diese Stelle
gehenden verticalen Eimeridiane entspricht ; hat man den Moment
der ersten Urmundsanlage verpasst, so darf man ohne wesentlichen
Fehler an so normal gehaltenen Eiern diesen Meridian durch die Mitte
des Urmunde^ legen.
Ich habe nun gefunden, dass bei den Versuchen mit Pressung
der Eier zwischen Platten die Stelle der „ersten" Urmunds-
anlage oft nicht der Median ebene entspricht, ja Abweich-
ungen bis 30*^ von derselben darbietet, und zweitens, dass die Ver-
grösserung des Urmundes nicht immer symmetrisch
weder zur Stelle der „ersten" Urmundsanlage noch zur
Richtu'ng der späteren Medianebene erfolgt. Auf diese
61*
96i Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Abnormitäten habe ich früher schon kurz hingewiesen (s. S. 398,
426 Anm. und S. 342, Anm. 2).
Eine Ursache dieses abnormen VerhaHens erbhcke ich darin,
dass, wie ieii nachgewiesen habe, die Gastrulation des Froscheies durch
bilaterale Epibohe, durch Ueberwachung der einen, liehen Seite des
Eies von der anderen, pigmentirten Seite aus erfolgt. Die Pressung
der Eier kann nun leicht dieses Herabschieben von Material mecha-
nisch hindern (s. S. 922); und da, w^ie ich experimentell ermittelt
habe (Nr. 23), diese Epibolie von beiden Seiten her gegen die
Medianebene hin erfolgt, so kann diese Hinderung des Herab Wachsens
leicht in asymmetrischer Weise erfolgen. Letzteres zeigt die weitere
Entwickelung, bei welcher uicht selten ein Medullarwulst weit
zurückbleibt und die verticale Meridianebene nicht erreicht, während
der andere durch compensatorisches Wachsthum diese Ebene später
überschreitet. In Folge des ungleichen specifischen Gewichtes der
neuge- [268] bildeten Zellen und der Dotterzellen ist damit auch
zugleich eine Ursache für die asymmetrische Drehung
der Eier gegeben. 0. Hertwig hat selber Hemmung bei der
Bildung des UrmUndes gepresster Eier beobachtet (S. 704).
Kurz vorher macht Hertwig die für die Beurtheilung seiner
Versuche wichtige Mittheilung (S. 691), dass ihm ,,die Müsse zu einer
continuirlichen, über einen längeren Zeitraum ausgedehnten Unter-
suchung fehlte" ; ferner erwähnt er S. 692 : „Als am Nachmittage des
anderen Tages die Präparate wieder durchgemustert wurden, hatte
der Urmund" u. s. w. Hertwig giebt hier also selber an, dass
seine Beobachtungen durch sehr grosse Pausen, sogar
von mehr als einer Nacht unterbrochen waren. Es ist
daher natürlich, dass er das, was inzwischen geschehen war, nicht
wahrgenommen hat.
Aber es ist wohl zu verwundern, dass Hertwig gleichwohl über
die Vorgänge während dieser Zeit, insbesondere über das Aus-
bleiben von Verschiebungen der Eier u. s. w. bestimmt urtheilt und
auf so lückenhafte eigene Beobachtungen hin in Fällen, bei denen alles
davon abhing, dass keine eventuelle Verschiebung der Wahrnehmung
entging, Angaben eines anderen Autors als unrichtig bezeichnet.
III. Wirkung der Deloniiation tles Eies auf die Medianebene. 965
Wenn Hertwig öfter beobachtet hätte, würde er auch öfter die
Asymmetrien der Urmundbildung bei diesen Versuchen wahrgenommen
haben , die h i n t e r h e r oft nicht mehr von aussen zu erkennen
sind. Asymmetrische Entwickehmg hat er beim Microtomiren von
Embryonen dieser Versuchen selber gefunden, es aber unterlassen,
die für die Deutung seiner Versuche nöthige. Folgerung daraus
zu ziehen.
Vielleicht bestehen noch andere Ursachen für das erwähnte ab-
norme Verhalten. Es ist sehr zu bedauern, dass wir keinen Anhalt
haben, um schon auf dem Blastulastadium das Material des
künftigen rechten und linken Medullarwulstes von aussen sicher
unterscheiden und daran die primäre Lagerung der Median-
ehene vor dem Eintreten der erwähnten, so leicht störbaren Material-
umlagerungen und daher unabhängig von ihnen erkennen zu können ^).
Diese Verschiebungshemmung habe ich in höchstem Grade bei
der Pressung der Eier zwischen verticalen Platten in Gestalt
vollkommener Asyutaxia medullaris beobachtet, wobei die
Medullarwülste einen das Ei am Aequator rings umziehenden
Gürtel bildeten (s. S. 922, ganz wie in Fig. 4, S. 524).
Bezüglich der bei dem höchsten Grade der Asyntaxia
[269] medullaris vorkommenden Anentobla stia sei erwähnt,
dass 0. Hertwig diese letztere Bezeichnung von mir als unzutreffend
commentirt, weil stets die Dotterzellen, also Entoblast vorhanden wäre.
Es ist ihm somit entgangen, dass meine Bezeichnung sich auf den
diff erenzirten Entoblast bezieht, welcher bei der normalen Gastru-
lation entsteht ; als solcher sind aber die Dotterzellen doch wohl nicht
anzusehen. Diese nicht differenzirten Dotterzellen sind auch schon
an der Blastula vorhanden ; es ist aber nicht üblich , dieselben bereits
als Entoblast zu bezeichnen (siehe auch S. 782 Anm.).
1) 0. ScHULTZE hat hierzu neuerdings berichtet (Arch. f. Entwickelungsmech.
Bd. I, S. 293), dass es ihm gelungen ist, durch genaue Berücksichtigung der Anord-
nung und Grösse der Zellen der Morula und Blastula die Medianebene an diesen
Stadien zu erkennen. Es wäre eine wesentliche Hülfe, wenn sich diese Methode
genau und sicher genug für unsere Zwecke auch unter solch' abnormen Verhältnissen
erweisen würde (s. S. 962 Anm.).
966 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Dieselben störenden Ursachen wie bei Pressung des Eies zwischen
Glasplatten können auch an den von Hertwig wie früher von mir
(S. 302) in Glasröhren a s p i r i r t e n , und dadurch in abnorme
Formen gepressten Eier Abnormitäten und Drehungen hervorbringen.
Es muss auch bei diesen Versuchen zunächst durch sehr häufige
Beobachtungen unter mehrfacher Abzeichnung der Eier der Einfluss
der Drehung und einseitigen Gastrulationshemmung für
jedes einzelne Ei geprüft und danach entsprechend durch Interpretation
eliminirt werden , wie ich dies seiner Zeit an den zwischen wagrechte
Platten gepressten Eiern gethan habe mit dem Ergebniss , dass als-
dann statt blos 50 — 60 Proc. doch noch <S0 Proc. Uebereinstimmungen
zwischen der Richtung der ersten oder zweiten Furche und der Rich-
tung der Medianebene sich ergaben.
Ob die danach noch verbleibenden 20 Proc. Abweich-
ungen rein auf weiteren Versuchsfehlern oder auf dem
von mir anderen Ortes (S. 896 und 907 — 912) ausführlich behandelten
Moment der Umdiff erenzirung verlagerter Nebendiffereren-
zirungszellen durch Dif f erenzirungshauptzellen beruhen,
ist vorläufig nicht zu sagen (s. S. 924 Anm.).
Jedenfalls aber wäre es ein directer Fehler, wenn
wir aus Versuchen, welche mit solchen, theils überhaupt
nicht ganz zu beseitigenden, theils ausserdem noch, wie bei
0. Hertwig auf ungenügender Beobachtung beruhenden Fehlern
behaftet sind, gleich diesem Autor die positive Folge-
rung ableiten wollten, es habe sich das ,, Fehlen" jeder
Beziehung zwischen den ersten Furchungsebenen und der Median-
ebene ergeben, da bei dieser Sachlage auch eine sehr feste
Beziehung zwischen beiden aus der Beobachtung nicht
hervorzutreten braucht, ja wenn an mehreren Eiern Drehungen
stattfinden, überhaupt nicht hervortreten kann ^). Ein solcher Schluss
1) Man muss sich bei diesen Beobachtungen stets gegenwärtig halten, dass
die von uns aussen am Glas oder auf einem ihm angeklebten Papier gemachte
Marke der Richtung der ersten Furche, auf welche wir später die Richtung der
Medianebene beziehen, ihrerseits in gar keinen inneren Beziehungen zu den Vorgängen
im Ei steht und daher, sofern sich das Ei in seiner Hülle dreht, keinen Werth mehr
IV. Ermittelung der Beziehung zwisclien erster Furcliung und Medianebene. 967
ist um so weniger zu billigen, wenn bereits andere Thatsachen auf
eine solche Beziehung hinweisen (siehe auch S. 103).
Es ist überhaupt nicht rathsam, auf einem noch fremden Gebiete
gleich mit den schwereren, vielfachen. Einem selber noch nicht be- [270]
kannten Fehlerquellen ausgesetzten Versuchen zu beginnen. Ich em-
pl'ehle anderen Nachuntersuchern, zunächst meine leichteren Versuche
mit normal aufgesetzten Eiern zu wiederholen und sich zunächst an
ihnen ein eigenes ürtheil über die von 0. Hertwig in Abrede gestellten
Beziehungen zu bilden.
IV. Meine Methode der Ermittelung der Beziehungen
zwischen der Richtung der ersten F u r c h u n g s e b e n e und
der Medianebene unter „normalen" Verhältnissen ist
folgende (s. S. 99 u. f.):
Zu ihr bedarf es zweier Glasschalen von 8 — 10 cm Durchmesser,
1,5 cm hohem Rande, mit innen ebenem und aussen glatt geschliffenem
Boden und auf letzterem aufgeklebtem Zettel. Ist der Boden nicht
eben, so muss man wieder runde Glasscheiben mit eingeritztem Pfeile
verwenden, wie oben (S. 954) geschildert worden ist.
Die Eier werden mit der oben erwähnten Lancette einzeln dem
weit geöffneten Uterus ohne jede Quetschung derselben enthoben und
mit dem hellen Pol nach unten, in Abständen von mindestens 1 cm,
zu 6 — 10 auf den Boden der Glasschale resp. auf die Glasplatte auf-
gesetzt. Jedem aufgesetzten Ei wird sogleich mit dem feinen Haarpinsel
ein Tropfen Samen auf derjenigen Seite zugesetzt, auf welcher zu-
fällig der weisse Pol etwas höher heraufreicht; dadurch senkt sich das
Ei nach dieser Seite und erhält eine mehr senkrechte Stellung seiner
Eiaxe. Sobald eine Schale bestellt ist, wird sehr vorsichtig langsam
zur Bezeichnung der ersteren Richtung hat. Daher kann diese Methode, wie ich schon
in meiner ersten bezüglichen Arbeit (Nr. 16) hervorhob, blos im Falle einer Con-
stanz des Verhaltens sichere Schlüsse gestatten; während wir bei wechselndem
Resultat nicht wissen, wie viel von diesem Wechsel auf die Fehlerquelle der Dreh-
ung zu verrechnen ist. Ebenso unzulässig ist es aber, aus dem nicht deut-
lichen Hervortreten einer Beziehung zwischen der Richtung der ersten Furche
und der Medianebene des Embryo in sehr „abnormen" Verh ältnissen ein Fehlen
dieser Beziehung auch in „normalen" Verhältnissen abzuleiten, ganz
abgesehen davon, dass für letztere sowie für wenig abnorme Verhältnisse (einfache
Zwangslage) diese Beziehung unzweifelhaft nachgewiesen ist (s. Nr. 16 u. S. 326).
968 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc
Wasser bis zur doppelten Höhe der Eier zugegossen und die an ihnen
oben haftende Luft abgepinselt, so dass die Eier möglichst rasch und
gleichmässig quellen. Verwendet man eine Platte, so wird diese nach
der Besetzung mit Eiern vorsichtig auf den Boden der Schale gelegt
und danach das Wasser zugegossen. Nach dem Aufgiessen des Wassers
wird die Anordnung der Eier rasch auf den Zettel gezeichnet, bei
Anwendung der Glasplatte nach Parallelstellung des Pfeiles mit der
Kante des angeklebten Zettels, und dabei die Läge der Grenzlinie der
hellen und dunklen Hemisphäre jedes Eies eingetragen. Liegt diese
Linie, wie bei Rana fusca gewöhnlich, ganz auf der LTnterseite, dann
geschieht das Abzeichnen unter Benützung eines Spiegels, auf welchen
die Schale gesetzt wird. Das Abzeichnen muss deshalb schon so früh-
zeitig stattfinden, weil immer einige Eier durch ungleiches Haften der
Gallerthülle am Boden nach einer Seite hin wieder schiefgestellt werden ;
besonders ist, soviel ich mich erinnere, eine Neigung der Eier vor-
handen, wieder nach derjenigen Stelle des Gefässbodens sich hinzu-
wenden , an der sie zuerst gehaftet hatten. Da das Ei die ersten
30 — 45 Minuten nach der Besamung sich innerhalb der noch dicht
[271] anschliessenden Hülle in Zwangslage befindet, so muss es
ebenso lange jede Neigungsänderung seiner Hülle mitmachen ; und
ich habe gefunden, dass diese, gerade während der eigentlichen
Befruchtung vorhandene, nach genügender Quellung schwindende
erzwungene Einstellung nicht ohne Einfluss auf die
Richtung der ersten Furche ist, indem dadurch schon hervor-
gebracht werden kann, dass die normale zweite Furche als erste ent-
steht, zumal bei Rana esculenta (s. S. 396 u. f.).
Eine Stunde nach der Besamung giesst man von einer so ange-
setzten Schale das Wasser ab und deckt sie zu; eine andere Schale
behält das Wasser oder, vielleicht besser, sie erhält nach dem Abgiessen
des Wassers ^/-iprocentige Kochsalzlösung zum Vergleich der Resul-
tate, wird aber gleichfalls bedeckt; die Lösung muss in ihr so hoch
stehen, dass während der ganzen Versuchszeit die Eier die Oberfläche
derselben nicht erreichen. Das Zimmer ist 20—21° C warm, damit
man recht bald das Stadium der ersten Anlage des Urmundes und
weiterhin der Ausbildung der JNIedullarwülste gewinnt, bevor die
IV. Ermittelung der Beziehung zwisclion erster Furchung und Medianobene. 969
Gallerthülle in der einen Schale zu sehr schrumpft und in der anderen
zu sehr quillt; 2V4 Stunden nach der Besamung wird mit einem
anderen Farbstift der jetzige Stand des Pigmentrandes in die Eiskizzen
eingezeichnet. Darauf wird der erste Anfang der ersten Furchung
beobachtet, der am schwarzen Pol und zwar gewöhnlich ausgesprochen
auf der der ßefruchtungsseite des Eies gegenüberliegenden Eihälfte
stattfindet. Nach dem Durchschneiden der ersten Furche durch die
obere Hemisphäre wird mit Bleistift die Richtung derselben in die
Bilder eingezeichnet und mit I bezeichnet. Sobald die zweite Furche
gebildet ist, ist sowohl ihre Richtung, wie die oft dabei entstandene
neue Richtung der ersten Furche einzutragen und durch die Bezeich-
nungen II und la zu markiren. Nach der dritten, wagrechten Theilung
verschieben sich häufig die oberen Zellen gegen die unteren, manchmal
bis 45° (s. S. 911); ich empfehle dann, um weiter als ich zu kommen
und gleich die Frage zu entscheiden, ob die oberen oder
unteren Zellen für die B e s t i m m u n g der M e d i a n e b e n e
wichtiger sind, mit besonderer Farbe genau die Richtung des
oberen und unteren Stückes der ersten Furchung zu markiren.
Von dem Beginne der ersten Furchung an muss continuirlich
beobachtet werden bis nach Vollendung der vierten Furchung, welche
häufig auch noch wesentliche, sehr schwer an mehreren Eiern gleich-
zeitig zu verfolgende Umordnungen bringt. Man hat an zwei Schalen
mit je 10 Eiern reichlich zu thun und schon einige Uebung nöthig,
um alle für unseren Zweck wichtigen Vorgänge wahrzunehmen. Die
Schalen bleiben unverrückt jede auf ihrem Spiegel stehen bis nach
Schluss des [272] Versuches. In der folgenden Zeit ist wiederholt zu
beobachten; und Eier, welche umgefallen sind oder sich verschoben
haben, sind sogleich zu entfernen.
Sehr zu empfehlen ist es, die allererste Anlage des Ur-
mundes abzupassen und nach ihrer Lage die Richtung der Median-
ebene zu bestimmen, da nach dieser Zeit bis zum Auftreten der
Medullarwülste, also bis zum Sichtbarwerden der wirklichen Lage der
Medianebene, wohl in Folge bei der Gastrulation stattfindender asym-
metrischer Verschiebungen des Dotters, nicht selten etwas seitliche
Drehungen der Eier vorkommen. Unter den normalen Verhältnissen,
970 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
in denen sich unsere Eier befinden, entspricht der durch die Stelle
der ersten Urmundsanlage gelegte verticale Eimeridian fast immer
der Lage der Meridianebene des Embryo am Ei, das heisst die Ueber-
wachsung der Unterseite des Eies geschieht von beiden Antimeren
her gleich schnell, also symmetrisch zu ersterem Meridian,
und daher erfolgt auch die Anlage der Medullarwülste in symme-
trischer Lagerung zu ihm. Eine kleine Verzögerung des Herabwach-
sens von einer Seite her muss unser Urtheil über die normale
Richtung der Mediauebene schon erheblich irreführen.
Eier vom Ende der Laichperiode, welche beim Herausnehmen
aus dem Uterus an einanderkleben, oder gar, wie bei Rana esculenta
nicht selten vorkommt, Fäden ziehen, sind zu diesen Versuchen un-
brauchbar; solche Eier ändern mit der Quellung der Hülle ihre
Stellung durch Hinneigen und Hindrehen nach der früheren Berüh-
rungsstelle der Fäden mit dem Glase etc. Jedes Ei muss ferner
seitlich vollkommen frei auf dem Boden stehen und darf
den Rand des Gefässes oder ein anderes Ei nicht berühren.
Hertwig macht ferner den Einwand gegen mich, ich hätte die Ver-
schiebungen der Furchungszellen, insbesondere die Verhältnisse
bei der Brechungsfurche in meinen Folgerungen nicht berücksichtigt.
Diese Verhältnisse habe ich seit meinen ersten Versuchen, bei
denen ich schon eine Verschiebung der oberen 4 Zellen von 20°— 45^
gegen die unteren beobachtet habe, wohl erwogen. Die Darlegung
der Art, wie ich mir diese Verhältnisse vorstelle, war aber nur in einer
grösseren theoretischen Erörterung möglich, welche inzwischen er-
schienen ist (s. S. 907 u. f.). Ich nehme in diesen Fällen, wie auch bei
gepressten Eiern dieselben Vorgänge unter den Zellen an, vne sie bei
der Regeneration durch Um dif f er enzirung (s. S. 836) von
Zellen auch vorkommen; und es ist gewiss ein Vortheil meiner
Erklärung, dass ich für die Ausgleichungen bei diesen und anderen
[273] Störungen keine besonderen Vorgänge anzunehmen brauche,
sondern mit den für die Regeneration ohnedies anzunehmenden Vor-
gängen auskomme und ausserdem zugleich eine Ursache für die
Züchtung dieser Vorgänge schon auf niederer Thierstufe selber
gewonnen habe (s. S. 911).
Unrichtige Deutungen 0. Hertwig's. 971
Mit der Berichtigung der unrichtigen Beobachtungen
O. Hertwig's fallen auch seine darauf sich stützenden
Schlüsse hin. Es ist daher nicht nothig, sie noch im Ein-
zelnen zu widerlegen.
Bios eine, auf gar keine Beobachtung sich stützende, in apo-
dictischer Form geäusserte Behauptung 0. Hertwig's sei noch er-
örtert :
Auf Seite 792 lautet § 12: „Die Entwickelung der nicht ver-
letzten Eihälfte (allein oder zuzüglich eines Bruchstückes
der nur theilweise zerstörten anderen Hälfte) geschieht
unter Ablauf ,,derselben Processe", durch welche die normale
Ontogenese der betreffenden Thierart bewirkt wird." Und Seite 793
findet sich § 19b des Inhaltes: „Eine Durcheinan der wür feiung
des Kernmateriales durch Abänderung des Furchungsprocesses,
wodurch in den einzelnen Fällen der Abstammung nach gleichwertige
Kerne mit ungleichen Raumtheilen des Eidotters zu Zellen vereinigt
werden, hat auf den ,, Verlauf der Entwickelung keinen
Einf luss".
Dass die primäre Entwickelung einer von der Natur selber'
gebildete ten und abgegrenzten Eihälfte zu einem normal gestalteten
halben Embryo unter den normalen Entwickelungs Vorgängen erfolge,
habe ich aus bestimmten, dargelegten Gründen angenommen (s.
S. 894 und Nr. 33). Für die nachträgliche Weiterbildung desselben
und für die Verwendung des Materiales der operirten Hälfte habe
ich dagegen Abweichungen von den normalen Vorgängen
direct nachgewiesen.
Ich frage nun, woher hat dagegen 0. Hertwig die Kenntniss der
von mir durch gesperrten Druck markirten, angeblichen Thatsachen?
Hertwig hat keine einzige Beobachtung mitgetheilt, die beweist,
dass der Verlauf der Entwi ekel ungs processe nach solchen Stö-
rungen derselbe ist, wie bei der normalen Entwickelung. Hertwig
hat nur die Gestalt schon weit vorgeschrittener Producte dieser
Vorgänge beobachtet, und zwar hat er erst so spät beobachtet, dass'
ihm sogar die vorhergegangene Entstehung der Halbbildungen aus
972 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
den halben Eiern entgangen ist. Woher hat er nun [274] seine Kennt-
nisse von den wirklichen Processen geschöpft, dass er eine solche
Behauptung aufstellen kann?
Diese Behauptung Hertwig's schliesst zudem eine petitio prin-
cipii ein und findet sich in derselben Weise schon bei Driesch .vor.
Ich habe deshalb diesem letzteren Autor gegenüber bereits darauf hin-
gewiesen (S. 841, 843, 885; s. a. S. 93 u. f.), dass wir aus gleicher
Form nicht ohne Weiteres auf gleiche Bildungsprocesse
schliessen dürfen; denn z. B. die Regeneration in Verlust ge-
rathener Theile verläuft oft unter den Formen der normalen Ent-
wickelung, obschon sie unter zum Theil wesentlich anderen Processen,
nämlich unter Umdifferenzirung schon weit diff erenzirter
Zellen , erfolgen muss , da sie von wesentlich anders beschaffenem
(hochdifferenzirtem) Material ausgeht als die normale Bildung dieser
Theile.
V. Einfluss der ,, Gestalt" der Furchungszelle auf ihre
Theilungsrichtung.
Bezüglich meiner Priorität in Sachen des Beweises der Wir-
kung der „Gestalt" der Furchungszelle auf die Theilungs-
richtung derselben verweise ich auf meine Mittheilung im Zoolog.
Anzeiger vorigen Jahres (s. oben S. 927), in der ich schon meinen x4utheil
an dem wirklichen Nachweis der Wirkung der Gestalt der
Furchungszellen auf ihre Theilungsrichtung in Erinnerung gebracht
habe. Ich beabsichtigte damals, bald die oben schon erwähnte aus-
führlichere Arbeit auf Grund des früheren Materiales zu publiciren
uikI versparte auf diese Publication auch die Berichtigung eines
bezüglichen Irrthums, der bei Versuchen vom Jahre 1884 (s. S. 302),
vorgekommen war.
Da ich jedoch zur Zeit anderweitig zu beschäftigt bin, sei wenig-
stens dieser Irrthum hier gleich mit abgethan. An der erwähn-
ten Stelle theilte ich unter anderem die auffallende Thatsache mit,
dass bei Eiern, welche in eine Glasröhre aspirirt worden waren, fast
alle Theilungen ganz oder annähernd rechtwinkelig
zur Glasröhre standen, selbst bei solchen Eiern, welche in Pich-
V. Einfluss der , Gestalt" derFurchungszelle auf ihre Thcilungsrichtung. 973
tung der Röhre abgeplattet sich zeigten, welche also dabei nach
ihrer gros st en Dimension getheilt wurden. Dass diese letztere
That Sache vorkommt, hat sich bei den Wiederholungen des
Jahres 1885 als richtig erwiesen ; und ich besitze noch 5 solche, von
mir als linsenförmig bezeichnete Eier, welche die erste Furche in
der grössten Dimension gebildet haben und die stark abgeplattete
Gestalt auch noch darbieten, nachdem sie mit der Glasröhre in
Wasser von 80° C gebracht, dann nach dem Zerschneiden der Röhre
ausgeschält und in Alcohol conservirt worden waren. Diese Thatsache
ist aber lange nicht so häufig, als es mir [275] damals schien;
denn als ich bei der erwähnten Wiederholung des Versuches die Eier
unter Opferung der Glasröhren durch Zerschneiden derselben aus-
schälte, zeigten sich die meisten Eier trotz vorausgegangener Abtödtung
in der Glasröhre nach dem Ausschälen ein wenig länglich, statt
wie innerhalb der Röhre abgeplattet. Ich brachte daher in eine gleiche
Röhre ein in Gallerthülle gehülltes rundes Schrotkorn von Froschei-
grösse ; und dasselbe zeigte sich danach so vielmehr abgeplattet, als
ich erwartet hatte, dass die in der Röhre nur wenig abgeplattet
erscheinenden Eier in Wahrheit etwas verlängert gewesen sind, womit
die Querstellung ihrer ersten Furche auf eine häufiger ausschlag-
gebende Componente zurückgeführt ist. Wirklich linsenförmige , auch
nach dem Abtödten und Ausschälen noch so gestaltete Eier entstehen
überhaupt nur sehr selten ; und es war bei mir reiner Zufall, wenn sie
gelangen; ich werde die wenigen Eier, die ich von dieser Gestalt
habe und welche zugleich, statt wie häufiger in der kleinsten, in der
grössten Richtung getheilt sind, wenn es noch möglich ist, microtomiren.
Auch noch andere Beweise dafür, dass die Richtung
der Theilu"tig nicht durch eine Tendenz nach der Rich-
tung des „kleinsten Theilungswiderstandes" zu theilen
„beherrscht" w^rd, habe ich [an den zwischen Platten gepressten
Eiern mit schief statt rechtwinkelig zu den Platten stehender zweiter
Furche (s. oben S. 961 und S. 166)] beobachtet.
Auch habe ich wesentlich denselben Theilungsmodus, wie bei
den linsenförmigen Eiern, die Th eilung bei Einstellung der
Kernspindel in die ,, kürzeste" Ausdehnung der Proto-
974 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
plasmamasse unter ganz anderen Umständen, nämlich bei star-
ker oder geringer Zwangslage des Froscheies wahrge-
nommen , indem dabei die erste Theilung des Eies in der Richtung
der Symmetrieebene der Einstellung erfolgte (s. Nr. 20 und 21).
Trotz der rundlichen Gestalt des Eies ist unter diesen Umständen
in Folge der zuerst von Born nachgewiesenen, auch von mir häufig
gesehenen, aufsteigenden Strömung des Protoplasmas die Proto-
plasmamasse in Richtung der Symmetrieebene länger
als quer dazu. Diese Umgestaltung der Protoplasmamasse ist viel-
leicht auch mit ein Grund, dass selbst schon bei geringen Zwangs-
lagen, also bei nur wenig zwangsweise schief gestellter Eiaxe die
,, zweite" Furche häufig zuerst gebildet wird, weil sich dabei die
K e r n s p i n d e 1 in die g r ö s s t e D i m e n s i o n der Protoplasmamasse
einstellt. Uebrigens habe ich an bestimmt gestalteten, isolirt gewesenen
und wieder vereinigten Furchungszellen auch wiederholt die Kern-
spin d e 1 statt in der durch den M a s s e n m i 1 1 e 1 p u n c t gehenden
grössten Dimension des Protoplasmas in einer ein wenig , aber
deutlich davon abweichenden Richtung stehen sehen ^) ; auch kommt
es vor, dass die Mitte der Kernspinde'l nicht im Massenmittel-
puncte des protoplasmatischen Zellleibes steht. Diese Verhältnisse
sind indess subtil und können nur bei ausführlicher Mittheilung deut-
lich dargelegt werden.
Für jetzt aber sehen wir so viel; es kommen bei der Be-
[276] Stimmung der Zelltheilungsrichtung auch schon an
den noch wenig differenzirten „Furchungszellen" verschie-
dene Componenten zur Geltung, wie es ausser aus den linsen-
förmigen Eiern auch bereits aus meinen kegelförmig deformirten Eiern
(s. S. 303) hervorging.
Es ist somit irrthümlich, wenn O. Hertwig die allerdings augen-
fälligste Componente, nämlich die Neigung, die Kernspindel in die
Richtung der grössten (durch den Massenmittelpunct des Proto-
plasmaleibes der Furchungszelle gehenden) Dimension einzustellen,
1) Siehe W. Roux, Der Cytotropismus der Furchungszellen. Archiv f. Ent-
wickelungsmechanik Bd. I. 1894. S. 57 Anm.
V. Eintiuss der „Gestalt" der Furchungszelle auf ihre Tbeilungsrichtung. 975
als die einzige Compoiiente bezeichnet. Bei dieser Fassung lege ich
seiner, in allen Auflagen seines Lehrbuches der Entwickelungsge-
schichte und in seinem jüngsten Buch über die Zelle und die Gewebe
in gleicher Weise wiederkehrenden, nicht klaren Fassung, dass sich
die Kernspindel ,,in die Richtung der grössten Protoplasma-
masse" einstelle, noch die beste Deutung unter.
Wenn man Hertwig's Ausspruch wörtlich nähme, so müsste
man fragen: welche Richtung ist gemeint? da ja blos ,,eine"
Protoplasmamasse vorhanden ist; oder falls Hertwig, an telo-
lecithale Eier anknüpfend , dabei eine Hauptprotoplasmamasse von
der mit wenig Protoplasma durchsetzten Dotterkörnermasse sondern
will, so ist mit dem Ausdruck „Richtung der grössten (seil.
Haupt-) Protoplasmamasse" überhaupt keine Richtung be-
zeichnet, da diese Masse unendlich viele Richtungen hat.
Auch die beigefügte Erläuterung giebt noch der Mehrdeutigkeit Raum;
das ist freihch an sich, wie wir oben sahen, in Folge des Vorhanden-
seins mehrerer Componenten der Sachlage durchaus angemessen;
doch geht aus Hertwig's Darstellung hervor, dass er nicht beabsich-
tigt hat, dieses anzudeuten [s. auch S. 866]^).
1) Auf der Versammlung der Anatom. Gesellschaft zu Strassburg im Mai 1894
machte ich zu diesem Verhalten folgende Mittheilung (Verhandlungen der anatom.
Gesellsch. 1894, S. 152):
Richtiger ist es, zu sagen: „Die Kern Spindel der „Fiu-chungszellcn"
wird bei der ZelUeibtheilung in die, resp. in eine Richtung „festesten
Gleichgewichtes" der „tractiven" Einzelwirkung en der Protoplasma-
masse eingestellt. Diese Richtung ist von der „Ge st alt" der Protoplasmamasse
abhängig und entspricht überwiegend häufig annähernd oder ganz der
grössten" durch d e n Mittelpun et d er Pro t oplasm amasse gehenden
Dimension." ^ie Theilung des Zellleibes erfolgt rechtwinkelig zu dieser Richtung
der Kernspindel.]
Diese Richtung des Gleichgewichtes wird aber nicht vollkommen
vom Protoplasma allein bestimmt, sondern sie kann, wie ich bereits 1884 und
1885 auf Grund von Experimenten erschlossen habe (s. S. 303), von der Lage der
immanenten Tbeilungsrichtung des Kernes zu den Hauptrichtungen
des Protoplasmakörpers abhängig sein; denn ich erhielt bei symmetrisch
gestalteten, „linsenförmig" deformirten, mit der grössten Fläche senkrecht stehenden
Froscheiern zwei Prädictionsrichtungen der Spindeleinstellung: die Richtung der
grössten und der kleinsten durch den Massenmittelpunct gehenden Dimension, erstere
allerdings wieder die überwiegend häufige. Immerhin bekundet dies Verhalten, dass
976 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Zuletzt habe ich noch einige Bemerkungen über die Zusammen-
fassung der allgemeinen Ergebnisse, die Hertwig am Ende seiner
Arbeit giebt, zu machen. In eine solche Zusammenfassung nimmt
man gewöhnlich nur das Neue der eigenen Untersuchung auf und
hat dann keine Veranlassung, andere Autoren darin zu citiren. Legt
man aber die Ergebnisse des ganzen Gedankenganges der Arbeit in
das gewiss wichtige Bestreben, die beiden Kerntheilungsproducte
möglichst weit von einander zu entfernen, nicht ganz fest im Mecha-
nismus der Zellleibtheilung begründet ist. An isolirt gewesenen, danach
wieder activ vereinigten und dann an einander abgeplatteten Furchungszellen konnte
ich beobachten, dass die Kernspindel sich häufig in eine etwa um *'io
kleinere Dimension als die grösste Dimension einstellte.
Im Frühjahre 1883 habe ich die Idee geäussert, dass bei den Eiern von Ascaris
durch Pressung zwischen wagerechte Platten senkrechte Theilung hervorgerufen
werden könne (s. S. 118). Meine ersten Expei'imente über die Einstellung der Kern-
spindel resp. über die Theilungsrichtung künstlich deformirter Eier fallen jedoch
gleich denen Pflüger's erst in die Laichperiode des Jahres 1884; ich habe mich
aber, in der Absicht, meine Versuche noch weiter zu modificiren, nicht genügend mit
der Publication beeilt; so ist es gekommen, dass Pflüger eine Druckpriorität von
einem Jahre hat (s. ö. 302 und 839). Pflüger betrachtet aber als die Ursache
der einstellenden Wirkung durch Druck deformirter Pjier auf die Kernspindel den
Druck im Innern des Eies als solchen, ich dagegen sprach aus, dass die
durch den Druck dem Eie verliehene „Gestalt" es ist, was die Einstellung der
Kernspindel bedingt, und wies zugleich auf die beiden Prädilectionsrichtungen hin, die
aus einer symmetrischen Gestalt sich ergeben. 0. Hertwig hat meine Beobachtungen
bis zum vorigen Jahre, in dem er endlich auch Eier gepresst hat, stets unerwähnt
gelassen und sie auch dann nur ganz ungenügend berücksichtigt.
Bei den Zellen „differenzirter Gewebe" scheint die Einstellung der Kern-
spindel weniger durch die vor der Kerntheilung vorhandene Gestalt der Protoplasma-
masse bedingt zu werden als bei den Furchungszellen; denn wenn noch die über-
wiegende Neigung vorhanden wäre, die Spindel in die präexistirende grösste
Dimension der Zelle einzustellen, so müsste einschichtiges Cylinderepithel, da
die Theilung rechtwinkelig zur Zellaxe erfolgen würde, durch die Zelltheilung zunächst
immer ausgesprochen zweischichtig werden , was nicht der Fall ist; im Gegentheil sieht
man an solchem Epithel, dass die Kernspindel statt rechtwinkelig annähernd parallel
zur Oberfläche der Schicht orientirt ist und dabei fast in die vorher kleinste
Dimension der Zelle, unter allmäh lieh er Vergrösserung derselben,
sich einstellt. Doch wird erst noch genauer darauf zu achten sein, wie weit diese
Zellen aus wirklich contractionsfähigem Protoplasma bestehen und wie die Dimensionen
dieser Protoplasmamasse sich dabei verhalten (s. S. 866 u. 928).
"Weiteres über diese Beziehungen siehe in den neueren Arbeiten von M. Heiden-
hain, Cytomechanische Studien. Arch. f. Entwickelungsmech. Bd. I. S. 473—577 und
H. E. ZiKGLER, lieber Furchung unter Pressung, Verband!, d. anat. Ges. zu Strass-
burg, 1894.
Reclamation. 977
der Zusammenfassung dar und nimmt daher in dieselbe auch Ergeb-
nisse auf, deren Priorität einem selber nicht zukommt, denen man
blos zustimmt oder die man weiter gestützt hat oder gestützt zu haben,
glaubt, so ist es wohl das Richtige, die Namen der Autoren, denen
die Priorität zukommt, beizufügen, da bei der grossen Fülle von
Publicationen die Zusammenfassungen viel mehr Leser finden als die
Arbeit selber. Hertwig ist dieser Sitte nicht gefolgt. Daher erscheint
der stets überwiegenden Zahl der über die speciellen Ver- [277] hält-
nisse nicht orientirten Leser der ganze Inhalt seiner Zusammenfassung
als sein Eigenthum.
Ich beabsichtige in dieser kurzen Mittheilung blos mein eigenes
Recht in dieser Hinsicht zu wahren und ersuche daher die Leser
Hertwig's, mir die Priorität bezüglich des theilweisen Inhaltes der
Paragraphen 2, 6, 7, 8a, c, zweite Nr. 8, 12, 13, 19 und des ganzen
Inhaltes von 8 g, 11, 17 und 20a zuzuerkennen, üebrigens hat auch
im Contexte Hertwig bei ü e b e r e i n s t i m m u n g seiner Auffassungen
mit den meinigen meine früher erworbenen Rechte nicht gebührend
gewahrt.
0. Hertwig fasst im letzten Paragraphen das Gesammtergebniss
seiner Arbeit dahin zusammen : „An die Stelle der Mosaiktheorie von
Roux und der Keimplasmatheorie von Weismann tritt die Theorie
der E n t w i c k e 1 u n g durch r e g u 1 i r e n d e W e c h s e 1 b e z i e -
hungen der Embry onalzeUen (später der Gewebscomplexe
und Organe)."
Diese Auffassung, dass die Entwickelung durch regulirende
Wechselwirkungen erfolge, ist jedoch nur in der Ausschliess-
lichkeit Hertwig eigen, in welcher sie hier ausgesprochen wird;
nämlich indetn dabei der theils von mir entdeckte, tlieils aus
bereits früher vorliegenden Erfahrungen abgeleitete Antheil der
,,Selbstdifferen*zirung" verworfen w^ird.
In dieser Äusschliesslichheit aber kann ich den Satz
als durchaus irrthümlich bezeichnen. Auf die wirklich vor-
kommenden Differenzirungen durch Wechselwirkungen ist lange vor
Hertwig von mir hingewiesen worden (siehe Register: Epigenesis,
Correlationen).
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. ^'-
978 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Wenn erst mehrere Collegen nach den von mir vorstehend
mitgetheilten Methoden meine Versuche nachgemaclit haben werden
und es dabei nicht an Sorgfalt im öfteren Beobachten haben fehlen
lassen, dann wird über diese Irrthümer Hertwig's bald kein Zweifel
mehr sein.
Um zum Schluss den präcisen Zusammenfassungen der Auf-
fassungen 0. Hertwig's in seiner Arbeit eine Zusammenfassung
des Wesentlichsten meiner bezüglichen Auffassungen
gegenüberzustellen, so ziehe ich, unter Uebergehung aller Details, aus
den Thatsachen der Entstehung der Hemiembryonen und bezüglicher
Missbildungen einerseits, wie andererseits aus den Thatsachen der
Regeneration, Postgeneration und aus der Entstehung normal gestalteter
Embryonen nach Alteration der Furchung durch Deformation der
Eier etc. folgende allgemeine, in früheren Publicationen (Nr. 18, 22,
27 und 28) im Speciellen dargelegte Schlüsse. Denselben sind einige
Definitionen vorauszuschicken.
Unter „Selhstdifferensirung^'' eines von der Natur oder in
Gedanken von uns abgegrenzten Theiles verstehe ich, dass die
Ur- [278] Sachen des Specifischen der Differenzirung dieses
Theiles in ihm selber gelegen sind (siehe S. 15 und 881). Vorbe-
dingungen dieser Veränderungen, d. h. Componenten, welche
nicht das Specifische: die Qualität, den Ort, die Zeit und die Inten-
sität der Veränderung bestimmen, wie z.B. die Zufuhr von Wärme,
Sauerstoff und sonstiger Nahrung, können dabei von aussen zugeführt
werden, ohne dass die Veränderung dadurch den Charakter der Selbst-
differenzirung in meinem Sinne verliert. Als abhängig e resp. corre-
lative Differenzirung bezeichne ich die Veränderung eines um-
grenzten Theiles, sofern, resp. soweit die das specifische Ver-
halten nach Qualität, Ort, Zeit und Grösse dieser Veränderung be-
stimmenden Ursachen ausserhalb dieses Theiles gelegen sind; in
demMaasse, als daneben noch ,, specifische Differenzirungsursachen" in
dem Theile selber sich finden, ist seine Veränderung also soweit zugleich
auch als Selbstdiffereuzirung und zwar als unvoUhommene Seihst-
differenzirung charakterisirt. Diese Begriffe beziehen sich somit nur
^Entwickelungsfunctionen" und „Erhaltungsfunctionen^ 979
auf die Localisation der Differenzirungsursachen abgegrenzter
Tlieile oder abgegrenzter ganzer Gebilde, z. B. des ganzen Eies.
Die „Veränderung oder Bifferenziruny an sich'-^ dagegen
heriiht stets auf WechsehvirJcung von Tlieilen, da nichts ganz
von selber sich verändern kann. Diese die Entwickelung
bedingenden Wechselwirkungen will ich Entwichelnngscorre-
lationen oder differenzirende Correlationen nennen (im Unter-
schied zu den functionellen Correlationen, s. S. 980); sie liefern
(längere oder kürzere Zeit) andauernde neue Gestaltungen, soweit
sie nicht selber blos Vorstufen weiterer Gestaltungen sind und bald
in diese übergeführt werden (Genaueres siehe S. 906 u. f.).
Während der Furchung des Eies nun werden nach meiner
Auffassung Theile gebildet und durch die Furchung von einander
gesondert, denen hei vollkommen normalem, von „jeder^^ Stö-
rung freiem Verlauf der Entivickelutig ein hohes Maass von
,,Selhstd iffe r e n z i r u ng'" zukommt.
Diese Selbstdifferenzirung ist bei den beiden ersten Blasto-
meren und bei der Gesammtheit der Nachkommen jedes derselben
am srössten, das heisst am vollkommensten und am weitesten in der
Entwickelung fortschreitend derart, dass bei manchen Thieren, bei
denen durch den Defect nicht rechtzeitig Postgenerationsmechanismen
activirt werden, aus jedem isolirten Blastomer ein normal gebildeter
halber Embryo hervorgeht; diese Selbstdifferenzirung einzelner
Blastomere nimmt aber , wie es scheint , mit der weiteren Selbst-
theilung des Eies ab (s. S. 782). Doch giebt es auch später noch
Zellcomplexe , selbst solche, die nicht die ganze Nachkommenschaft
einer früheren Furchungszelle darstellen, welche gleichwohl in hohem
Maasse der Selbstdifferenzirung fähig sind, wie z. B. grosse Abschnitte
des Nervenrohres , die primäre Augenblase , grosse Abschnitte des
Darmtractus (z. B. in Teratomen und im sogenannten Amorphus) u. s. w.
[279] Je kleiner solche nicht von der Natur selber abgegliederten
Theile eines Gebildes sind, um so weniger weit scheint ceteris paribus
im Allgemeinen ihre Selbstdifferenzirung zu gehen.
Also die ..normalen"- MiitwlckelaiigsfHnctionen sind an-
fangs au einzelne, von der Entwickelung selber geson-
62*
980 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
derte Theile gebunden und können sich in diesen Theilen mehr
oder weniger weit selbstständig vollziehen.
Den Entwickelungsfunctionen stelle ich die blossen „Erlifil-
tiings/mictionen^^ f welche bisher fast alleiniger Forschungsgegen-
stand der Physiologen gewesen sind, gegenüber, ohne an dieser Stelle
auf die damit ausgesprochene Hypothese des Bestehens von den Ent-
wickelungsfunctionen gesonderter erhaltender Functionen weiter einzu-
gehen. Die Erhaltungsfunctionen treten am sich entwickelnden Organis-
mus im Allgemeinen um so später auf, je vollkommener der sog. ,, Em-
bryonalzustand'' der ersten Entwickelung ist, d. h. je vollkommener
der Abschluss des Eies von der Aussenwelt ist und auf je längere
Zeit das Ei mit Nahrung versorgt ist oder wird. Doch macht die
Nothwendigkeit der Ve rth eilung der Nahrung durch die Herz-
thätigkeit und durch die Blutgefässe diesem Zustande zuerst bezüglich
dieses Organsystemes ein Ende.
Durch den Beginn der „Erhaltungsfunctionen" in dem bereits
Entwickelten treten auch unter den selbstständig gebildeten Theilen
immer innigere sog. ,^functioneUe Wechselwirkungen^'' auf.
Die functionellen Wechselwirkungen dienen aber häufig nicht blos der
Erhaltung des bereits Gebildeten, sondern ihnen kommen nebenbei
auch dauernd gestaltende, also dif f erenzirende Wirkungen
(als ,,functionelle Anpassungen") zu; sie sind also in einem ge-
wissen Grade zugleich auch ,,differenzirende Correlationen".
Im Vorschreiten der individuellen Entwickelung nehmen allmählich
die reinen Entwickelungsfunctionen, später auch die differenzirenden
Wirkungen der Erhaltungsfunctionen ab (s. S. 348 u. f.).
Bisher haben wir blos die ,^vollhommen"' tppische, nicht
der „gering sten" Störung unterliegende Enttvickelung
charaJcterisirt (s. S. 843), die von mir als directe s. typische
Entwickelung bezeichnet worden ist, weil sie vom Ei auf directem,
d. h. typischem Wege zum typischen Endzustand führt.
Dieselbe kommt aber ganz rein für sich wohl nicht vor
(s. I S. 224, II S. 904 und 911); denn schon die geringsten
Ähiveich'ungen , wie z. B. die so häufigen Verschiebungen der
Für chungs. Zellen (s.S. 111 u. 911), die als Folgen des mechanischen
NoÜiwcndigkeit gestaltender Selbstrcgulatioiien. 981
Bestrebens die Oberflächenspannung der Zellen zu vermindern, statt-
finden, U' ecken und activiren neue Mechanismen: die Mechanismen
der SelhstreguJation^). Wenn diese letzteren in Thätigkeit treten,
werden die ab- [280] norm gelagerten oder abnorm beschaffenen Theile
unter die regulatorisch differenzirenden Wirkungen ihrer
Umgebung gestellt. Diese Begnlationsmechanismen iv erden
getveclit durch jede ^fStörung" des normalen Zustandes: durch
abnorme Lagerung, durch zeitlich oder qualitativ abnorme Ver-
änderung oder durch Defect von Theilen (s. S. 904 — 912). Wenn
es eine Entwickelung ohne jede Variation, eine bis in alle
kleinsten Vorgänge hinein typische Entwickelung eines Eies gäbe,
würden bei diesem Ei die Selbstregulationsmechanismen
nach meiner Meinung gar nicht in Thätigkeit treten (wohl aber
natürlich die typischen differenzirenden Correlationen).
Da jedoch das Ei bei seiner Entwickelung von äusseren
Bedingungen abhängig ist, indem es theils Ruhe (Schutz vor mecha-
nischen Einwirkungen), theils umgekehrt Erschütterung (manche Fisch-
eier) , ferner Zufuhr von Wärme , Sauerstoff und anderer Nahrung
braucht, so ist schon durch das ,,Variiren" dieser Factoren
eine Bethätigung der Selbstregulation auch bei der sogenannten
normalen Entwickelung in gewissem, aber geringem Grade nöthig,
ganz abgesehen von kleinen Unvollkommenheiten der directen Ent-
wickelung selber (s. I S. 220).
Und eben desshalb, iveil nie ,, vollkommen'-^ typische Ent-
wickelung möglich ivar, konnten zunächst blos solche Lebe-
wesen entstehen, weiche vom Anfang ihrer Entwickelung
an dieses Re^ulationsvermögen besassen (s. S. 911); bei den
meisten niederen Thieren ist dies in dem Maasse vorhanden, dass
nach Zerstörung einer der beiden Furchungszellen diese Selbstregula-
tionsmechanismen sehr bald geweckt werden und dadurch entsprechend
[1) Da auch der physiologische Tod der Gewebebestandtheile wohl nicht
typisch, d. h. für jede einzelne Zelle etc. zu von Anfang der Ontogenese an nor-
mirter Zeit stattfindet, so muss auch der Ersatz derselben, die physiologische Regene-
ration atypisch, also auf dem Wege der Selbstregulation vor sich gehen.]
982 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschenibryonen etc.
bald, bei einigen (z. B. Amphioxus) scheinbar sogleich, das „Ganze"
wieder hergesteht wird.
Je mehr aber bei den höheren Organismen die Entwicke-
ln ngsmechanismen fester geworden sind und je mehr Selbst-
schutz vor Störungen durch Mitgabe von Nahrungsdotter, durch eine
schützende Hülle oder zuletzt durch Einschluss in den Mutterleib und
mit diesem Sicherung einer constanten Temperatur, Nahrung und Schutz
vor äusseren Einwirkungen erlangt worden ist, um so mehr tritt
der Antheil der „Selbstregulation" auf den frühen Stufen
der individuellen Entwickelung gegen die ,,Selbstdifferen-
zirung" einzelner Theile zurück^).
Dies ist bei den am meisten geschützten Embryonen der Säuger
in so hohem Maasse der Fall, dass bis fast zur normalen Geburt
gereifte Halbbildungen (Roux, Eckhardt [S. 828]) und reife Em-
bryonen mit anderen grossen Defecten, der Acormus und der
Acephalus entstehen; ferner gehören hierher der Amorphus und
die Teratome, letztere beiden wegen ihrer oft normal gestalteten,
weit entwickelten isolirten Organe.
[281] Alle diese thierischen und menschlichenDefect-Miss-
bildungen der Mammalia legen unzw^eideutiges Zeugniss
dafür ab, dass die Postgeneration resp. Regeneration, also die
^.Selbstregulations^ oder die ,,regulirenden Wechselbeziehungen"
hei diesen Lebewesen nur in sehr unvollkommener Weise thätig
sind, dass dagegen die „Selhstdifferensirung^'' auf früher oder
erst auf späterer Stufe isolirter Theile (des Eies resp. des Embryo)
eine sehr grosse ist.
Wenn bei einem Säugethier noch kein so junger Hemiembryo
anterior oder posterior, wie ich sie beim Frosche hervorgebracht habe,
beobachtet worden ist, und wenn auch bei den menschlichen Acormis
inid Acephalis alle Uebergangsstufen von geringen Defecten durch
das Stadium der Halbbildung; hindurch bis zum Fehlen von etwa
[1} Obschon also nie ein Individuum ganz allein durch die „directe
s. typische Entwickelung" entsteht, so muss diese Art der Entwickelung doch
möglichst streng von der indirecten s. regulatorischen Entwickelung
geschieden werden, da die Processe beider wesentlich verschieden sind, siehe Nr. 27,
S. 843 u. Nr. 33.]
Vorkommen der Selbstdifferenziruns von Eitheilen. 983
Dreiviertel des Embryo und noch mehr vorkommen, so ist doch kein
Zweifel, dass bei diesen Missbildungen nach der Zerstörung früher vor-
handener Theile die übrig gebliebenen Theile sich noch lange Zeit und
zwar (von der Nachbarschaft der Grenzfläche gegen den Defect abge-
sehen) oft in wesentlich normaler Weise weiter entwickelt haben.
Daraus erkennen wir, dass die von Hertwig in Abrede
gestellte ,,Selhstdifferen2irung" von Theilen des gefurchten
Eies oder des Embryos in hohem Maasse sogar „Stüchen^'' des
Embryo zukommt, welche nicht früheren einzelnen Furch -
ungs Zellen (also nicht durch die normale Entwickelung selber und
von vornherein abgegrenzten Stücken des Eies) entsprechen.
Weiteres hierüber, insbesondere auch über die gleiche Bedeutung
der unvollkommenen Doppelbildungen, findet sich auf Seite 859 sowie
Seite 201 u. f. mitgetheilt.
Die Entiüi cJcel Hug durch Vermittelung der Selhst-
regulation ist nicht mehr „directe'''' s. typische, sondern
„indirecte'''- Entivichelnng (s. S. 843). In letzterer ist die Selbst-
differenzirung von Theilen um so mehr beschränkt, je mehr regulirt
wird ; an ihre Stelle tritt also in entsprechendem Maasse die abhängige
DiJfferenzirung dieser Theile.
Innsbruck, im Januar 1894.
Anmerkung: Nach Abschluss der Correctur erhalte ich die aus-
führliche Abhandlung Edm. B. Wilson's : „Amphioxus and the Mosaic
Theor}^ of Development" (Journ. of Morph. VIII 1894), in welcher
er mittheilt, jiass er doch noch aus isolirten Furchungszellen der Eier
dieses Thieres (Vs Eizellen) ,,Theil-Blastulae" in meinem Sinne (offene
Stücke von Blastulae) erhalten hat. Zugleich entnehme ich seinen
Abbildungen, dass sich bei dieser ,,Theilfurchung" die „Selbstordnung
der [282] Furchungszellen" betheiligte, welche von mir im vorigen
Frühjahr beobachtet und publicirt worden ist (s. Nr. 32).
984: Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
Literaturverzeichniss.
1. Hertwig, 0., lieber den Werth der ersten Furchungszellen für die Organbildung
des Embryo. Arch. f. micr. Anat. Bd. 42, 1893, S. 662—806.
2. Barfurth, D., Halbbildung oder Ganzbildung von halber Grösse. Anat. Anzeiger,
Jahrg. 8, 1893, S. 497.
3. Derselbe, Die organbildenden Keimbezirke und künstliche Missbildungen des
Amphibieneies. Merkel-Bonnet, Anat. Hefte, 1893, S. 379.
4. Born, Gust., Ueber Druckversuche an Froscheiern. Anat. Anz. 1893, Jahrg. 8,
1893, S. 609—627.
Anhang.
[Es sei gestattet , noch etwas eingehender über die zuletzt er-
wähnte bedeutende Abhandlung Ed. Wilson's sowie über einige weitere
neue bezügliche Arbeiten kurz zu berichten.
Wilson fand, dass bei Amphioxus isolirte Blastomeren des zwei-
getheilten Eies sich gewöhnlich wie ein ganzes Ei furchen; bei den
Viererzellen sind Abweichungen davon schon häufig, sie furchen sich,
ähnlich wie dieselbe Zelle im ganzen Ei. Zellen des Achtzellenstadiums
furchen sich abnorm. Isolirte Zellen des Zweizellenstadiums bilden
normal gestaltete Larven, die des Vierzellenstadiums gewöhulich blos
normale Gastrulae ; einzelne Zellen des Achtzellenstadiums bilden ent-
weder noch ganze Blastulae oder getrennte Stücke von solchen.
An auf dem Zweizellen Stadium etwas auseinander
g e z e r r t e n Eiern furchen sich die sich noch berührenden Blasto-
meren theils wie ein ganzes, theils wie ein halbes Ei und liefern
Zwillingsgastrulae, deren Axen beliebig zu einander stehen
können.
Bezüglich des Theoretischen ist Wilson (The Mosaic Theory of
Development, Biol. lect. of the marine biol. Lab. , Wood's Holl, 1894)
gleich mir der Meinung, dass meine und Weismann's Annahme einer
typischen qualitativ ungleichen Sonderuug des (NB. activen) Keru-
materiales nicht direct beweisbar ist. (Dasselbe gilt natürlich in
Neueste Literatur. 985
derselben Weise für die von Wilson acceptirte Auffassung, dass in jedem
Zellkern gleiche Qualitäten enthalten seien). Weiterhin meint Wilson,
dass meine Erklärung der Ganzbildungen einzelner Furchungszellen,
sowie meine Ableitung normal gestalteter Embryonen aus während
der Furchung gepressten Eiern zu viel besondere Hülf sannahmen
nöthig hat (siehe dagegen Nr. 33). Wilson lässt das Idioplasma in
allen Furchungszellen gleich sein, aber sobald mehr als eine Zelle
vorhanden ist, mrken sie auf einander modificirend ein und das Ganze
controHrt die Theile (wie nach Whitman); nur ein Theil des Idio-
plasmas jeder Zelle ist activirt (s. oben S. 830 u. f.) Bei Isolirung
von Furchungszellen wird das Ganze ein anderes und daher auch
die weiteren Vorgänge, aber nur wenn die Specification unter Ein-
fluss des früheren Ganzen nocht nicht zu weit gegangen war, wie
dies bei den Achterfurchungszellen bereits der Fall ist, da diese Theil-
stücke einer Blastula lieferten.
AVährend der Furchung finden differenzirende. Wirkungen zwischen
den Zellen statt, die die Zellen verschieden machen. Auch kommen
bei manchen Eiern Verschiedenheiten im Dotter vor, welche die Fur-
chungszellen von Anfang an typisch verschieden sein lassen (s. oben
S. 408).
Jaques Loeb (On some facts and principles of physiological
Morphology, Biol. lect. at the mar. Biol. Lab. of Wood's Hall. 1894)
brachte in den ersten Furchungstadien befindliche Seeigeleier von
Arbacia in mit destiliirtem Wasser verdünntes Seewasser; die Eier
platzten und es traten Stücke derselben aus. Diese Extraovate sowohl
wie die zurückgebliebenen Theile entwickelten sich jedes zu einem
vollständigen Pluteus, sodass 3 oder 4 Ganzbildungen aus einem
auch schon in* 16 — 64 Zellen zerlegten Ei entstanden.
Er folgert aus seinen Beobachtungen eine Widerlegung des
Principes der vorgebildeten Keim oder Kernbezirke.
F. H. Morgan (Experimental Studies an Teleost Eggs. Anat.
Anz. VIII) fand, dass bei Serranus und Ctenolabrus die Medianebene
des Embryo nicht mit der ersten oder zweiten Furche zusammenzu-
fallen braucht, sondern beliebig zu ihr stehen kann. (Sollten die Ei-
hülle, auf welcher die Carminmarke angebracht war, und ihr Inhalt sich
986 Nr. 31. Die Methoden zur Hervorbringung halber Froschembryonen etc.
nicht gegeneinander verschoben haben?). Ferner entfernte er am zweige-
theilten Ei von Fundulus eine der beiden Blastomeren und sah danach,
dass die andere sich rundete, wie das ganze Ei furchte und einen ganzen
Embryo producirte. Auch presste er Eier während der Furchung
und erhielt normale Embryonen. Einschnürung des zweigetheilten
Eies zwischen beiden Blastomeren verhinderte nicht die Bildung
eines Embryo; ebenso Umrühren des Plasmas mit einer Nadel
zwischen beiden Blastomeren. Weiters erhielt M. Bunting (Journ. of
Morph. IX, S. 223) aus isolirten Blastomeren des Zweizellenstadiums
von Hydractinia eine ganze Planula. (Weiteres siehe in dem Referat
von Driesch, Arch. f. Entwickelungsmechanik I, Heft 3.) Ueber meine
Auffassung aller dieser Befunde vergleiche Nr. 33, das „Nachwort".]
Nr. 32.
Ueber die Selbstordnung der Furehungszellen.
1893.
a) Vorläufige MitUieilung I.
Separatabdruck aus den Berichten des naturwissenschaftlich -medicinischen Vereins
zu Innsbruck Bd. XXI. S. 133—135.
Eingegangen am 27., gesondert ausgegeben am 28. März 1893.
Am 26. und 27. März 1893 beobachtete ich an ganz oder
fast ganz von einander isolirten Zellen der lebenden Blastula
und Gastrula, zum Theil auch der Morula des braunen Frosches
Folgendes :
Die isolirten Zellen runden sich rasch zur Kugelgestalt. Zwei
Zellen , die sich berühren , vergrössern die zuerst blos punctuelle
Berührungsfläche im Laufe einer Viertel- bis ganzen Stunde soweit,
dass am Rande der Berührungsstelle oft keine Einbiegung
mehr vorlTanden ist. Von mehreren, durch punctuelle Berührung
zu einer einfachen Zellreihe verbundenen Zellen werden die beiden
Endzellen halbgerundet, die mittleren scheibenförmig oder keilförmig
plattgedrückt. EinHaufen runder Zellen wird zu einem annähernd
kugeligen Gebilde, an welchem schliesslich die einzel-
nen Zellen gar nicht mehr gesondert über das Niveau der
Gesammtfläche vorspringen. Dies gilt für \'4 [134] bis Vsprocen-
tige Kochsalzlösung als Medium; in filtrirtem Hühnererweiss
Nr. 32. lieber die Selbstordnung der Furchungszellen.
geht die Vereinigung langsamer und weniger weit vor sich. Die bei
diesen Vereinigungen gebildeten Formen der Zellen entsprechen
grossentheils den Gesetzen der Blasenspannung; doch kommen
auch unzweifelhafte Abweichungen davon vor.
Nach kurz dauernder electri scher Reizung ziehen sich die
so vereinigten Zellen langsam zur Kugelgestalt zusammen und
lösen dadurch den innigen Verband wieder bis zur blos punctuellen
Berührung, um sich später auf's Neue innig zu vereinigen. Man
kann diese Vorgänge mehrmals an demselben Object sich wiederholen
lassen. Beim Absterben der Zellen wird gleichfalls zumeist
der i n n i g e V e r b a n d der Zellen unter Rundung derselben
wieder gelöst [Framboisia minor s. S. 151].
Zwei in filtrirtem Hühnereiweiss befindliche isolirte Zellen,
welche bis zu einem Drittel- ja halben Zelldurchmesser
(bis 50 Micromillimeter) von einander entfernt sind,
nähern sich oft geraden Weges einander, nicht selten anschei-
nend ohne dabei ihre Gestalt zu ändern, um nach 5 Minuten bis einer
halben Stunde sich zu berühren ^) und dann weiterhin sich, wie erwähnt,
noch inniger zu vereinigen. Je geringer der Abstand, um so rascher
ist oft die Näheruugsbewegung ; das Genauere dieser Beschleunigung
ist erst noch zu ermitteln; doch zeigt sie auch manchmal Unter-
brechungen, welche wohl durch äussere Momente bedingt sind.
Ist die eine Zelle am Boden befestigt, so kommt manchmal die
andere freiere Zelle, auch wenn sie mehrmals grösser ist, und ebenso
ein freier Complex von einigen Zellen, ihr entgegen. Das Ver-
mögen von einander entfernter Zellen, sich zu nähern geht in dem
fremden Medium oft eher verloren als das Vermögen der Zellen, sich
nach der Berührung noch inniger zu vereinigen. Auch in ^4 bis
Vs pro centiger Kochsalzlösung ist das Streben zur Näherung
weniger weit entfernter Zellen erkennbar, wenn es [135] auch durch
das stärkere Haften der Zellen auf der Unterlage in seiner Bethätigung
sehr gehemmt zu sein scheint.
1) Diese Näherung habe ich in der ausführlichen Abhandlung als: Cyto-
tropismus der Furchungszellen bezeichnet (s. Arch. f. Entwickelungsmechanik
1894, Bd. I).
Selbstordnungen der Furchixngszellen. 989
Befinden sieh drei Zellen von cimmder in ,, Nähern ngs ab-
stand", so schlagen sie manchmal Bahnen ein, welche aus den
verschiedenen Wirkungsrichtnngen resultiren.
Auch Drehungen der Zellen kommen bei diesen Näherungen
vor ; doch ist erst festzustellen, ob sie nicht blos durch äussere Wider-
stände gegen die rein cell nlipe teile Beiveijung bedingt sind.
DieTheilung dieser kleinen isolirten Furchungszellen erfolgte,
ähnlich wie bei den ersten Theilungen des Froscheies , vorwiegend
durch Einschnürung blos von ,, einer" Seite her, bei ganz
fehlendem oder nur geringem Entgegenkommen einer Einschnürung
von der anderen Seite.
Auch zwischen isolirten Zellen der Erwachsenen scheint eine
entsprechende Annäherung vorzukommen, ist aber viel schwieriger
zu beobachten; Genaueres wird mitgetheilt werden [siehe die S. 988
Anm. bereits citirte ausführliche Abhandlung].
b) Zweite Mittheilung.
Loco cit. S. 135—137.
Gesondert ausgegeben am 1. April 1893.
Das Vermögen der S e 1 b s t o r d n u n g aus dem Eiverband
gelöster Furchungszellen bethiitigt sich ausser durch die früher
erörterte acüve Näherung weiterhin durch active Loslösung
und geringe Entfernung der Zellen von einander, sowie durch
Verschiebung punctuell oder flächenhaft sich berührender Zellen
gegeneinander, wobei auch Drehungen vorkommen.
Die abgeplattete Gestalt, welche eine Zelle durch ausge-
dehnte Berührung mit einer anderen erhalten hat, kann auch nach
der Selbstlösung dieser Verbindung [136] durch Rundung der
einen Zelle an der anderen Zelle fortbestehen.
990 Nr. 32. lieber die Selbstordnung der Furchungszellen.
Zellen mit einseitiger Anordnung des Pigmentes ordnen sich
oder ihr Pigment manchmal derart, dass die Pigmentseiten der
Zellen einander nahe sind (s. S. 992). Liegen solche Zellen
in einer einfachen Zellreihe, so ordnen die von zwei gegenüber-
liegenden Seiten her gepressten Zellen ihr Rindenpigment zu
einem Aequatorring.
An isolirten Furchungszellen kommen Z e 1 1 1 h e i 1 u n g e n
auch unter gleichzeitiger und gleich massiger Einschnürung
von „allen" Seiten vor, wie bei der ersten äquatorialen
Furchung des Eies; solche Theilung scheidet, wie letztere äquatoriale
Theilung, einen pigmentreichen Zelltheil von einem pig-
mentarmen.
Nach der Theilung durch einseitige Einschnürung sah ich
eine Formenwandlung, die dazu führte, dass ein Theil des umgeben-
den Mediums zwischen beide Zellen aufgenommen und vorübergehend
nach aussen abgeschlossen (elementare Furchungshöhle ?), bald darauf
aber wieder eliminirt wurde. [Es blieb aber bei wiederholter Beobach-
tung zweifelhaft, ob die Einbuchtung beider Zellen an den einander
zugewendeten Seiten nicht doch nur vor der Vollendung der Durch-
theilung vorhanden war.]
Eine grössere Anzahl von isolirten Furchungszellen,
welche in ,, Näherungsabstand" sich befanden, bildeten oft ein
einheitliches System von Annäherungswirkungen, dessen
Einzelresultanten sich fortwährend durch stattfindende Annäherung
seiner Theile änderten. Dieser zur punctuellen Berührung führenden
Annäherung aller bei diesen Umlagerungen in Näherungsabstand ver-
bliebenen Zellen folgt dann gewöhnlich die früher mitgetheilte, weitere
Vereinigung durch ausgedehnte flächenhafte Berührung der
Zellen. Diese letztere Vereinigung bewirkt eine Gestalt und in-
nere Anordnung des ganzen Zelleucomplexes, welche mit
der Zeit immer weniger von der ursprünglichen Anordnung
der isolirten Zellen, immer mehr von der eigenen Be-
schaffenheit der Zellen und den daraus sich ergebenden [137] Wir-
kungen abhängig wird; dabei sind auch die Concentration des
Selbstordnungen der Furchungszellen. 991
umsreb enden Mediums und die Wärme von erheblichem
Einf luss.
Flächenhafte Vereinigungen der vorher isolirten Zellen ebenso
wie Gleitbewegungen derselben an einander werden manchmal
sogleich wieder rückgängig gemacht. Eine zwischen anderen Zellen
gelagerte Zelle nähert sich manchmal erst der einen, sei es etwas
näheren oder entfernteren Zelle, um darauf geraden Weges gegen
eine andere hin sich zu bewegen; ein Verhalten, das gleichfalls
auf einen Wechsel und auf eine Ungleichheit der die Annähe-
rung bewirkenden Kräfte der Zellen schliessen lässt.
In Näherungsabstand befindliche Zellen, welche durch flächen-
hafte Vereinigung mit anderen an der freien Wanderung gegenein-
ander verhindert sind, strecken manchmal Fortsätze gegen
einander aus und bewirken dadurch ihre Vereinigung.
Die die Annäherung bewirkenden Kräfte nehmen nach der
Isolirung der Zellen also nach der Versetzung derselben in ein fremdes
Medium rasch ab.
Die Mittheilung über feinere Vorgänge bei diesen Gescheh-
nissen wird in der ausführlichen Abhandlung erfolgen.
c) Dritte ]\I i 1 1 h e i 1 u n g.
Logo cit. S. 137—142.
Eingegangen am 10., gesondert ausgegeben am 12. April 1893.
Unter günstigen äusseren Umständen findet die active directe
Annäherung zweier rundlicher Furchungszellen auch schon bei einem
Abstand von der Grösse des ganzen Durchmessers der grösseren
Zelle statt.
Die Näherungskräfte sind, auch abgesehen von schwä-
chenden oder fördernden äusseren Einwirkungen, in ihrer Intensität
992 Nr. 32. Ueber die Selbstordnung der Furchungszellen.
zeitlich sehr wechsehid, und ferner unter Zellen [138] gleicher
Grösse manchmal so verschieden, dass von drei Zellen die
beiden entfernteren sich zuerst einander nähern und
dass erst nach der Vereinigung dieser eine Näherung
gegen die dritte stattfindet.
Die Selbstvereinigung zweier sich berührender Zellen kann
soweit sich fortsetzen, dass das Zell paar die Gestalt zweier
mit breiten Basen sich berührender Kegel annimmt.
In Ergänzung zu dem früher beobachteten und (S. 990) mitge-
theilten Verhalten ist zu erwähnen, dass öfter noch an den isolirten
Zellen von Gastrulae die dem normalen Verhalten entsprechende
Anordnung des Pigmentes vorkommt, indem das Pigment der
Zellen eines dicht geschlossenen Zelle ncomplexes sich
an der ,, freien" Oberfläche der Zellen oder seitlich in der
Nähe dieser Fläche ansammelt, oft unter einer bestimmten [schwach
konischen] Formbildung der Zelle.
In Näherungsabstand befindliche, aber auf dem Boden fixirte
Zellen nähern sich zunächst durch amöboide Gestalt-
änderung „direct", d. h. in Richtung ihrer mittleren Verbindungs-
linie; wenn diese Streckung und die mit ihr verbundene geringe
Verschiebung der Massenmittelpuncte nicht zur Vereinigung der
Zellen ausreichen, so sinken die Zellen gegen ihren Fixationspunct
zurück, um nach ungleichen Zeiten, manchmal auch wieder beide
zugleich dieselbe Bewegung aufs Neue und manchmal noch ener-
gischer auszuführen. Bleibt der Erfolg dauernd aus, so werden manche
Zellen sehr unruhig, bewegen sich nach allen Seiten vom Fixations-
punct, gelegentlich unter stossartig raschem Ausstrecken grosser
„paraplasmatischer Pseudopodien"; dabei findet manch-
mal die Lostrennung einer oder beider Zellen statt, worauf dann eine
sehr eilige Vereinigung auf directem Wege folgt. Bei der Näherung
ganz freier Zellen können die Zellen, selbst bei Messung mit starker
Vergrösserung, ganz oder fast ganz rund sich zeigen, so dass es noch
zweifelhaft scheinen kann, ob [139] auch diese Näherung wesentlich
durch amöboide Bewegung vermittelt wird, zumal da, notabene von oben,
Selbstordnungen der Furchungszellen. 993
in den Zellen selber dabei keinerlei Bewegung der Körnchen, also
keine Strömung zu sehen ist.
Bei den amöboiden Bewegungen ändert sich die Anordnung der
allein von aussen deutlich sichtbaren, die Zellrinde bildenden Körn-
chen nicht mehr, ja oft weniger, als durch die äussere Gestaltände-
rung der Zelle passiv bedingt erscheint; letzteres M^enn in den ,, proto-
plasmatischen" Pseudopodien die Dotterkörnchen sehr spär-
lich sind; während in den wohl nur von einer ausserordentlich dünnen
Protoplasmaschicht umschlossenen pa r aj) lasmatis chen Pseu-
dopodien die Körnchen oft ganz fehlen, bis auf einmal das die
eigentliche Zellrinde bildende Gefüge der gelben Körnchen an einer
Stelle bricht und ein Strom von Körnchen sich in den Fortsatz er-
giesst ; der Fortsatz kann dann nach mannigfachen Ortsveränderungen
an einer beliebigen Stelle der Zellperipherie wieder eingezogen werden.
Selbst grosse, aus vollkommen oder theilweise isolirt gewesenen,
blos schwarzen oder schwarzen und farblosen Zellen gebildete, voll-
kommengeschlossene, runde Complexe gastrulirten nicht, obgleich
sie drei Tage am Leben blieben.
Complexe von vier und mehr Zellen Dicke (letztere
gemessen in der Verbindungsrichtung beider Complexe) näherten sich
einander als Ganze nicht, selbst nicht bei einem Abstand blos von
Näherungsdistance ihrer einzelnen Zellen. Bios einige der in An-
näherungsabstand befindlichen Zellen zweier solcher
Complexe näherten sich manchmal einander, sei es durch
stärkere Vor Wölbung oder durch mehr oder weniger ausgedehnte
Verschiebung. Die zwischen grösseren Zellcomplexen stattfindende
Näherung ist also keineswegs proportional den Massen derselben und
somit wohl selber auch keine Masse n Wirkung der Complexe
[140] auf einander, sondern sie erscheint blos von Zellen der
einander zugewendeten Oberflächen der Complexe her-
vorgebracht.
Dagegen können Complexe von blos zwei oder drei
flächenhaft vereinigten Zellen noch einer Gesammt-
näherung gegen einander oder gegen eine fixirte ein-
zelne Zelle unterliegen ; bei länglicher Gestalt dieser (Komplexe
W. Koux, Gesammelte Abhaadluiigen. 11. "'^
994 Nr. 32. Ueber die Selbstordnung der Furchungszellen.
findet meist schon am Beginne der Annäherung eine derartige Dreh-
ung desselben statt, dass die Zelle eines der beiden Enden vorausgeht.
Mit . dem jetzt nahenden Aufhören der Entwickelungsfähigkeit
der Eier des braunen Frosches sinkt wie im Allgemeinen die Wider-
standsfähigkeit, so auch diejenige gegen die abnormen Einwirkungen,
welche mit unseren dermaligen Versuchen verbunden sind.
Zu Anfang der Laichperiode fand man 10 Minuten nach der
Zerreissung der Blastula oder Gastrula unter den Hunderten von
isolirten Zellen fast keine Zelle mehr, die blos um ^/s Zellradius und
darunter von anderen entfernt war, und nach einer Stunde keine
Zellen, die sich blos punctuell berührten. Jetzt ist beides nach
längerer Zeit sehr häufig und ändert sich dann ohne äusseres Zuthun
überhaupt nicht mehr. Auch beobachte ich jetzt, dass ein Theil der nur
eine Stunde isolirt gebliebenen grossen Dotterzellen in dieser Zeit schon
zur selbstständigen Amöbe geworden ist; diese Zellen ändern
nicht blos in jeder Minute in der überraschendsten
Weise ihre Gestalt, sondern manche von ihnen haben in der
kurzen Frist vollkommen die Fähigkeit, resp. das Bestreben,
verloren, sich mit anderen Furchungszellen zu vereinigen;
sie bewegen sich dichtest an einander vorbei und trennen sich sogleich
wieder, wenn sie sich zufällig berührt haben.
Unter bestimmten Bedingungen erhielt ich Zell an Ordnungen
und -Gestaltungen, welche der ganzen betreffenden [141] Dotter-
zellengruppe täuschend das äussere Ansehen eines verzweigten
Fadenpilzes mit etwas spindelig verdickten Zellen und endständigen
kleinen Sporangien gaben.
Die Selbstannäherungsfähigkeit der Furchungszellen gegen ein-
ander sinkt jetzt ausserordentlich rasch nach der Isolirung resp, nach
der üebertragung in das fremde Medium, aber bei den einzelnen Zellen
sehr verschieden schnell. Dieser Umstand macht vorläufig weitere quan-
titative Bestimmungen unmöglich und verhindert insbesondere die für die
Beurtheilung der Näherungsvorgänge wichtigen Feststellungen: 1. ob
es wirklich durch die Verbindung der Zellen bedingt ist, dass wieder-
holt die oberflächlichen Zellen grosser, aus bereits in ausgedehnter
flächenbafter Berührung befindhchen Zellen gebildeter, also „ge-
Selbstordnungen der Furchungszellen. 995
s c h 1 o s s e n e r " ( ' o ni p 1 e x e weniger aiü" in der Nähe liegende Zeilen
annähernd wirkten, als noch „offene", ferner als kleine Complexe
von 2 bis 3 Zellen, ja als einzelne Zellen; 2. ob zwei einfache Zell-
reihen von je 3 oder 4 Zellen sich ceteris paribus von einer
grösseren Distanz aus nähern , wenn sie einander ihre Langseiten
parallel zuwenden, als wenn sie mit Endzellen einander am näch-
sten sind.
Blast ulae, welche mit ihrer Gallerthülle in Wasser von 52" C.
gethan worden waren und darin unter Abkühlung des Wassers
auf 48° C. 6 Minuten verweilt hatten, zerfielen beim Zerreissen leicht
in einen Staub von lauter eckigen Zellen, an welchen, trotz der im
Uebrigen der früheren g 1 e i c h e n V" e r s u c h s a n o r d n u n g , keine der mit-
getheilten Erscheinungen zu beobachten war; denn nichts regte sich,
Kirchhofsruhe herrschte unter den das Gesichtsfeld dicht
bedeckenden Zellenleichen.
Denken wir uns, wie es bei unseren derzeitigen allgemeinen
Kenntnissen am nächsten liegt und mit den bis jetzt ermittelten
speciellen Thatsachen trotz nicht zu verkennender Schwierigkeiten viel-
leicht erträglich erscheint, die geschilderte Annäherung als chemotropi-
scher Natur, so können wir [142] kurz sagen: die Furchungszellen
verhalten sich zumeist in hohem iVIaasse positiv chemo-
tropisch zu einander, pigmenthaltige und pigmentlose
Zellen ohne Unterschied. Einige Male wurden auch Erschei-
nungenbeobachtet, welche vielleicht auf negativem Chemotropis-
mus beruhen. Der Grad des Chemotropismus zeigte sich an
denselben Zellen wechselnd und scheint sehr von eigenen
Zuständen der Zellen abhängig zu sein. Mit der Richtigkeit
dieser Deutung der beobachteten Näherungserscheinungen wird der
sogenannte Chemotropismus als ein wichtiges gestaltendes
Princip der Ontogenese aufzufassen sein.
[Genaueres siehe in den ausführlicheren Abhandlungen : „Lieber
den Cytotropismus der P'urchungszellen" und „Ueber die Selbstord-
nung sich berührender Furchungszellen", Archiv für Entwickelungs-
mechanik Bd. I und IL]
63=*
Nr. 33.
Nachwort
zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
Inhalt.
Seite
Zusammenfassende Erörterung über die zur Zeit umstrittenen theoretischen
Ableitungen aus den thatsächlichen Ergebnissen ......... 997
Selbstdifferenzirung der ersten Blastomeren . 998
Die idioplastische Bedeutung des Zellkernes und seine Specifi-
cation bei der Furchung 999
Gestaltung auslösende, Wirkung der „Anordnung"' der ver-
schiedenen Dottersubstanzen 999
Normal activirtes Idioplasson und Reserveidiop lassen . 1000
Die Umdif ferenzir ung von Zellen bei der Post- und Regeneration . 1000
Differenzirende Correlationen 1001
Bedeutung derLage der Zellen bei abhängiger Differenzirung der-
selben 1002
Gestaltliches Leben der Zellen ausser dem function eilen Leben 1002
Umdifferenzirung der Zellen nach Störung der normalen Anordnung
derselben 1003
Bedeutung der Entstehung von Halbbildungen aus halben Eiern 1003
Neuere Thatsachen und ihre Deutung 1004
Angebliche Gleichheit der Furchungszellen 1005
Unrichtiger Schluss von gleicher Fähigkeit der Zellen zurRe- und
Postgeneration auf gleiche normaleEntwickelungspotenzen
derselben 1006, 1011
Gestaltungsmechanismen auslösende Wirkungen der Anordnung
des Dotters 1008
der Halbeigestalt isolirter Blastomeren 1009
Erörterung umstrittener Fragen. 997
Seite
bei Rundung isolirter Blastomeren 1009
bei Deformation des Eies während der Furchung . . . 1014
Abweichung der Richtung der Medianebene von der Richtung
der ersten oder zweiten Furche 1014
Beweise gegen eine die Gestaltung beherrschende Wirkung der
Dottersubstanzen . 1015
Nicht teleologische Analyse der organischen Gestaltung 1018
Die morphologische Assimilation 1020
Morphologische Selbstregulation bei Störung der typischen
Entwickelung 1022
Successive Züchtung gestaltender Eigenschaften 1022
Phylogenese und Ontogenese 1023
Angebliche Vererbung erworbener Eigenschaften 1023
Implication und Translation 1023
Epigenesis und Evolution 1028
Zum Abschlüsse der vorstehenden Sammhmg ist es wohl zweck-
mässig, wemi der leichteren Uebersichtlichkeit halber diejenigen Auf-
fassungen kurz im Zusammenhange dargestellt werden, welche
sich auf zur Zeit umstrittene Fragen beziehen; theils weil diese
Auffassungen in den Abhandlungen sich nur zerstreut vorfinden,
theils auch, weil in letzter Zeit mannigfaches neues Beobachtungs-
material dem früheren hinzugefügt worden ist, dessen Bedeutung zu
ermitteln ist, theils auch weil Autoren über meine Auffassungen in
nicht entsprechender Weise berichtet haben, indem sie wesentliche
Züge ausgelassen, den Wirkungsumfang anderer Momente zu weit
ausgedehnt haben u. dgl. ^).
Bei der relativen Kürze der folgenden Ausführungen wird es
aber für Autoren, welche nicht schon durch die Leetüre der Spezial-
Abhandlungen orientirt sind, sofern sie selber zu urtheilen wünschen,
nicht zu umgehen sein, wenigstens die hier angezogenen Stellen nach-
zulesen.
1) Dies gilt besonders von den Darstellungen 0. Hertwig's und H. Driesch's,
ausweichen der Leser kein richtiges Bild meiner Auffassungen zu gewinnen vermag;
und dasselbe bezieht sich auf eine Darstellung von M. Verworn, welcher bei der Ab-
fassung eines mit der Ueberschrift „Entwickelungsmechanik" versehenen Kapitels
(seines Buches über allgemeine Physiologie 1894) seine Kenntnisse wesentlich einem
dieser Autoren entnommen zu haben scheint (s. S. 951 Anm. 2).
998 Nr. 33. Nachwort zu Band H der gesammelten Abhandlungen.
Bei ganz normalen Verhältnissen der Entwickelung des Frosch-
eies hatte sich ein Zusammenfallen der ersten Furchungsebene mit der
Medianebene des Embryo ergeben (Nr. 16), wonach das Material jeder
der beiden ersten Furchungszellen in seiner Lage dem Material einer
Antimere des Embryo entspricht und diese aus sich hervorgehen lassen
kann. Zugleich wurde festgestellt, dass normaler Weise die erste
Furchungsebene und die Medianebene des Embryo in die verticale
Symmetrieebene der normalen Eieinstelluug , das heisst in die
verticale Symmetrieebene der Anordnung der hellen und dunklen Ei-
rindensubstanzen fallen. Weiterhin wurde beobachtet, dass nach
Aufhebung der Entwickelungsfähigkeit einer der beiden ersten Fur-
chungszellen des Froscheies, die andere Zelle sich zu einem rechten
oder linken halben Froschembryo entwickelte (Nr. 22).
Die normale zweite Furche des Froscheies scheidet, wie ich fand,
das Material der Kopf- und Schwanzhälfte des Froschembryo ; diese
Bestimmung wird normalerweise zur Zeit der Befruchtung (Nr. 20)
und wie danach ermittelt wurde, durch dieselben getroffen (Nr. 21);
letzteres wird dadurch erkennbar, dass auf der von mir beliebig gewählten
,, Befruchtungsseite" des Eies der schwarze Pol sich etwas senkte und
diese Seite zur caudalen Seite des Embryo wurde (s. S. 408).
Nach Zerstörung der der letzteren Hälfte des Eies entsprechen-
den beiden der vier ersten Furchungszellen entstand ein typischer
vorderer halber Embryo. Bei einigen - anderen Thierstämmen
(Ctenophoren, Echinodermen : Echinus microtuberculatus) wurde gleich-
falls die Entstehung von Halbbildungen aus einer isolirten der
beiden ersten Furchungszellen beobachtet.
Auf diese Thatsachen begründete ich einige theoretische Auf-
fassungen. Icli schloss, dass unter normalen Verhältnissen das
Material der zwei ersten Furchungszellen dem Materiale der genannten
Hälften des Embryo entspricht, und dass in jeder dieser Zellen das
Material derart beschaffen, also auch zugleich von dem der anderen
Zelle derart verschieden ist, dass jede dieser Zellen sich selbstständig,
also durch „Selbstdif f erenzirung", zu der betreffenden Hälfte
des Embryo entwickeln kann und auch normalerweise sich selbst-
ständig entwickelt.
Idioplastische Bedeutung des Zellkernes. 999
Pathologische Vorkommnisse wie AcephaHa, Hemitheria, Dormoid-
cystome, metastatische Tumoren und besonders die unvollkonnnenen
doppeltsymmetrischen Doppelbildungen (S. 859) sprechen gleichfalls
dafür, dass einzelnen Zellen oder abgegrenzten Zellcomplexen das
Vermögen zukommt, mehr oder weniger weit sich selbstständig zu
entwckeln (Nr. 28 u. 31).
Da für die Scheidung des Zellkern materiales besondere,
feine Vorrichtungen getroffen sind, welche nach dem von mir er-
brachten Nachweise (S. 137 u. 308) geeignet sind, das Kernmaterial
sowohl qualitativ zu halbiren, wie beim Vorhandensein be-
stimmt sondernder Kräfte in den Chromosomen, in diesen Kräften
aussprechender Weise qualitativ ungleich zu theilen, so nahm
ich an, dass die diese besonderen gestaltlichen Leistungen der Zellen
bewirkenden gestaltenden Substanzen vorzugsweise im Kern
enthalten seien. In gleichem Sinne spricht, wie E. Haeckel,
v. KöLLiKER, C. Hasse, O. und R. Hertwig, Born, ich u. A. vertreten,
der Umstand, dass der Samenkörper w^eit überwiegend aus Kern-
material besteht, sowäe dass kernlose Stücke von Protisten nicht
regenerationsfähig sind. Auch scheint mir der Kern zur Lagerungs-
stätte typisch gestaltender Potenzen deshalb besonders geeignet
zu sein, weil er nicht so unmittelbar und intensiv an den der fort-
währenden Erhaltung des Individuums dienenden, function eilen
Leistungen der Zelle betheiligt erscheint als der Zellleib.
Da aber auch bei künstlich localisirter Befruchtung des Froscli-
eies die erste Furche und die Medianebene durch den Meridian der
beliebig gewählten Befruchtungsstelle gehen (Nr. 21), und da ich entgegen
Pflüger zeigt^ (S. 328), dass auch noch bei wenig schiefer Zwangs-
lage des Eies ausser der Medianebene auch die erste (oder zweite)
Furche überwiegend häufig wiederum durch die mit der Zwangslage
zugleich künstlich bestimmte Symmetrieebene der Einstellung der
Dottersubstanzen des Eies ging, so folgte, dass der so hervorgebrachten
Anordnung des braunen und weissen Dotters ein Einfluss
bei der Bestimmung der Richtung der Medianebene und
der Furchungsebenen zukommt (S. 408). Ich nahm an, dass
die Anordnung dieses Materiales die Kernspindel richtend beein-
1000 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
flusst (S. 336) und zugleich auslösend darüber entscheidet, welche
von den zwei ersten (durch die mit der Befruchtung eingeleitete
t^^pische Entwickelung prädisponirten) typischen, die weitere Gestal-
tung bestimmenden qualitativen Kern th eilungen zuerst entstehe,
mit dem Erfolg, dass bestimmt beschaffenem Dottermaterial der ent-
sprechende Theil des durch die Befruchtung activirten, also bei
der normalen Entwickelung thätigen Kernmaterials zugewendet
und zugeführt werde; während gleichzeitig für die Re- und Post-
generation bestimmtes, durch die Befruchtung „nicht activirtes" Kern-
material, „Reserveidioplasson", qualitativ halbirt werde und daher
in jeder der ersten Blastomeren in gleicher Weise und zwar totipo-
tent vorhanden sei.
Die Unterscheidung des durch die Befruchtung activirten, die
normale s. typische Entwickelung bestimmenden und vollziehenden
Idioplasson von einem bei dieser Entwickelung un thätigen Reserve-
idioplasson zur regenerativen s. regulatorischen Entwickelung scheint
deshalb nöthig, weil ,,ganz" dasselbe thätige Idioplasson nicht wohl
verschiedene Leistungen veranlassen und vollziehen kann; wenn
schon die Hauptmenge des verwendeten Materiales in beiden Fällen
dieselbe sein kann, so muss doch das die Verschiedenheit der Ver-
wendung bedingende Material entsprechend anders beschaffen sein.
Aus den Hemiembryonen oder aus früheren Stufen der Halb-
bildungen bildeten sich weiterhin, je nach zufälligen Umständen mit
(Nr. 22) oder ohne (8. 796) Verwendung von Material der zweiten,
operirten Eihälfte, nachträglich ganze Embryonen. Diese Leistung
wurde von einer durch den Defect bewirkten Activirung des ange-
nommenen „Reserveidioplasson" abgeleitet.
Bei der Re- und Postgeneration unterschied ich zunächst
auf Grund der vorliegenden Thatsachen zwei Arten von Ergänzungs-
vorgängen, nämlich ausser der Regeneration unter der bekannten
Neubildung von Zellen oder Proliferation noch die Regeneration
durch Umdif f eren zirung und Umordnung schon vorhandener
Zellen (S. 836 u. f. u. 8. 896). Die letztere Art von Vorgängen über-
wiegt bei der Regeneration niederer Thiere und auf niederen Ent-
wickelungsstufen höherer Thiere; bei ihr werden nicht blos die Zellen,
Differencirende Conelationcn. 1001
welche den Defectrand begrenzen, sondern alliii;ililich fortschreitend
auch weit davon entfernte Zellen zur Bildung neuer Theile verwendet,
also entsprechend u m d i f f e r e n z i r t und u m g e o r d n e t. Dieser Vor-
gang muss irgendwie ausgelöst, und geleitet ^werden, obgleich diese
Zellen ganz oder grösstentlieils ihre frühere Nachbarschaft behalten
haben. Ich nehme an, dass diese Nachbarschaft, von der Störung am
Defectrande ausgehend qualitativ verändert wird, und dass diese
Aenderung das Auslösungsmoment der Activirung des Reserveidio-
plasson in den Zellen oder mit anderen Worten, das Auslösungs-
moment der ,, gestaltlichen Regulationsmechanismen" darstellt.
Dadurch mrd die etwa normaler Weise mehr oder weniger
vorhandene Selbstständigkeit mancher einzelner Zellen und Zellen-
gruppen unter Wirkung des durch die Summe aller Zellen gebildeten
Ganzen oder eines Theiles desselben sehr beschränkt (S. 980). Dies
gilt allgemein für die ,, atypische", durch Störungen des normalen
Verlaufes (in Folge von Defect, Pressung während der Furchung etc.)
ausgelöste Entwickeiung. Bei der normalen Eutwickelung ist die gestal-
tende und differenzirende Selbstständigkeit der einzelnen Zellen — von
der nachgewiesenen und etwa sonst noch bestehenden ,,Selbstdifl:e-
renzirung" einzelner Zellen oder Zellcomplexe abgesehen — ■ wahr-
scheinlich gleichfalls durch vielfache entsprechende, gestaltende und
qualitativ differenzirende Correlationen unter ihnen (s. S. 316, 455)
beschränkt, ganz abgesehen davon, dass die Entwickeiung als ,, Aende-
rung" ihrem allgemeinsten Wesen nach, überhaupt auf ,, Wechselwir-
kungen", also differenzirenden Correlationen beruht (S. 14, 828, 883);
so dass blos die Frage bleibt, innerhalb welcher Bezirke (Zellen,
Zellcomplexe ej^c.) diese Wechselwirkungen stattfinden. Ueber diese
Bezirke und über die in ihnen stattfindenden differenzirenden Wirkungen
der normalen Entwickeiung können wir aber zur Zeit nur überaus
unbestimmte Vermuthungen hegen, so dass es unangemessen ist, be-
stimmte Aeusserungen darüber zu machen (die späteren, durch die
Ausübung der Function vermittelten gestaltenden und anderen bereits
bekannten trophischen Correlationen [s. Nr. 4] ausgenommen).
Im Sinne derjenigen Autoren, welche auffallender Weise glauben,
dass die Gestaltungsvorgänge bei den genannten Störungen gleich-
1002 Nr. 33. Nachwort zu Band 11 der gesammelten Abhandlungen.
wohl die ii o r m a 1 e n seien , nehme ich somit überaus weitgehende
und bereits bestimmt formulirte (Nr. 28) Beschränkungen der Selbst-
ständigkeit der gestaltenden Thätigkeit der einzelnen Zellen auch für
die (nach ihrer Meinung) normale Entwickelung an; (gerade von
diesen Autoren ist aber die Behauptung ausgegangen , ich stellte
differenzirende Correlationen in Abrede).
Bei der normalen oder anormalen „abhängigen Di ff er en-
zirung" von Zellen ist es selbstverständlich durch die Lage der Zellen
zu den differenzirend auf sie wirkenden anderen Zellen bedingt, was aus
der einzelnen Zelle wird. In diesem Sinne ist das „Schicksal"
der Zelle eine Function ihrer Lage (S. 913). Indem das Ganze
aus lauter Nachbarzellen sich zusammensetzt, kann auch die Lage
der Zellen zum Ganzen und somit in gewissem Maasse die Gestalt
des Ganzen von Einfluss auf das Geschehen an den einzelnen Zellen
bei abhängiger Differenzirung derselben sein, wie dies l}ei der hoch-
gradigen Regeneration niederer Thiere sich zu bekunden scheint.
Daraus folgt, dass es ausser den der jeweiligen Erhaltung
des Individuums in seinem Zustande dienenden ,,f unctionellen"
Beziehungen der Theile des Organismus und deren gestaltenden
Wirkungen (der ,, morphologischen" functionellen Anpassung,
s. Bd. I) noch davon ganz oder in hohem Maasse unabhängige ge-
staltliche Beziehungen, somit ein gestaltliches Lehen der
Theile des Individuums, also auch des Individuums selber giebt (S. 187,
891,905). Dafür sprechen auch schon die überwiegend in gestalt-
lichen Leistungen sich vollziehenden frühen Stadien der embryo-
nalen Entwickelung und insbesondere noch die aus functionell
gleichen Theilen sich aufbauende, gleichwohl typische Structur
vieler Organe z. B. der Leber, Hoden, Milz etc. und die Regeneration
dieser Organe^).
1) Weiterhin kann noch experimentell geprüft werden, ob auch die Gestalt
des Ganzen oder der Theile desselben als solche, d. h. unabhängig von der Aende-
rung der Nachbarschaft der verschiedenen Zellen zu einander auf die sie
zusammensetzenden Zellen dififerenzirend wirkt, ob also z. B. ohne Defect und Zu-
sammenhangstrennung und mechanische Störungen bei passiver Deformation aus
functionell einander gleichen Zellen gebildeter Organe (Verdauungsdrüsen, Hoden,
Milz) Reparation ausgelöst werden kann, und ob andererseits nach Defect blos in Folge
passiver Wiederherstellung der Hauptform oder durch Vernähen der Wundflächen
Umdifferenzirung bei dem Ausgleich von Störungen. 1003
Die Annahme des Stattfindens umdifferenzircnder Wirknngen
der benachbarten Zellen aui" einander dehnte ieli auch auf den Aus-
gleich der Störungen bei dem häutigen aber gleichwold nicht als
normal zu bezeichnenden Vorkommniss der nachträglichen mecha-
nischen Umordnung der FurchungszeUen aus (S. 911). Hierbei
können z. B. die oberen vier Zellen sich um 20 — 45*^ gegen die vier
unteren verschieben; in Folge dessen können dann, da die normaler
Weise die Medianebene begrenzenden Theile sehr erheblich gegen ein-
ander verschoben sind, die Zellen nicht mehr auf dieselbe Weise, wie es
normal geschieht, sich entwickeln. Da solche Verschiebungen der ersten
FurchungszeUen auch in der freien Natur häufig vorkommen, so
nahm ich an, dass in Folge dessen schon in frühester Zeit der
Phylogenese regulatorische Mechanismen gezüchtet wurden, die
diese Fehler auszugleichen vermögen; das seien eben die Mecha-
nismen der Auslösung des Reserveidioplasson bei Störungen der
normalen Anordnung, welche ja gleich einem Defect zur Bil-
dung „abnormer Nachbarschaft" führt.
Da bei Entstehung der erwähnten H a 1 b b i 1 d u n g e n die isolirte
Blastomere dasselbe producirt, wie es unter den normalen Ver-
hältnissen geschieht ; und da dabei zugleich aufjedem einzelnen
durchlaufenen Ent wickeln ngsstadium die normalen typischen
äusseren und inneren Formen gebildet werden, so habe ich ange-
nommen, dass auch die Bildungs weisen bei der Production dieser
selbstständigen Halbgebilde dieselben seien, wie bei der Production
der gleichen Bildungen im ganzen Ei, also wie bei der normalen
Entwickelung beider noch in Berührung befindlicher Hälften des
Eies resp. des Embryos ').
eine sonst bei demselben Thiere stattündende echte Regeneration (nicht blos Narben-
bildung wie bei uns) verhindert werden kann.
Meine Beobachtung, dass dauernd während der Entwickelung gepresste Eier
sich der Hauptsache nach innerlich und äusscrlich in solcher Weise zu Embryonen
entwickeln, als ob erst die schon entwickelten normal gebildeten Embryonen passiv
deformirt worden wären (S. 926), spricht aber nicht für einen solchen jetzt von einigen
Autoren vertretenen Einfluss der Gestalt als solcher ohne Vermittelung der
von mir herangezogenen Nachbarschaftswirkungen (S. 890).
1) Von anderer Seite wird dagegen angenommen, die Production dieser Halb-
gebilde beruhe auf einer Störung der normalen Entwickelung.
1004 Nr. 33. Nachwort zu Band 11 der gesammelten Abhandlungen.
Diese Art der also durch selbst ständige Entwickelung jeder
von beiden (resp. vier) ersten Furchungszellen charakterisirten Ent-
wickelung habe ich als directe, normale s. typische bezeichnet, weil sie
auf typischem Wege, das heisst, soweit man es verfolgen kann,
unter Verwendung jeder Furchungszelle zu dem auch nor-
maler Weise aus ihr hervorgehenden Theile des Embryo
und unter dem normalen Eormencyclus das Typische producirt,
im Gegensatze zur atypischen s. regulatorischen Entwickelung,
welche bei ,, Störung" der Entwickelung (durch Defect, Defor-
mation etc.) also bei atypischen Verhältnissen stattfindet und
daher noth wendig auch auf mehr oder weniger atypischem Wege,
deutlich erkennbar u n t e r a n d e r e r als d e r n o r m a 1 e n Ve r w e n düng
der Zellen das (übrigens oft blos annähernd) Typische herstellt.
Den auf diese Weise gedeuteten Thatsachen wurden nun in den
letzten Jahren wichtige neue Thatsachen hinzugefügt. Erstens
fanden mehrere Autoren H. Drie.suh, Wilson, J. Loeb, Morgan, M. Bijnting
(s. S. 984 u. f.), dass bei verschiedenen niederen Thieren eine
isolirte der beiden oder der vier ersten Furchungszellen sich wie das
ganze Ei furchte und sogleich eine ganze Morula, Blastula etc.
lieferte, also nicht zuerst ein Halbgebilde producirte, das erst nach-
träglich durch Postgeneration sich zu einer (lanzbildung ergänzte.
Als Pflügek und ich früher Froscheier deformirt hatten (Nr. 29)
zeigten sich Aenderungen der Furchung, welche indess blos derart
waren, dass ich sie als zeitliche Verwechslung der drei ersten Fur-
chungen deuten konnte, indem dabei noch die übrigen normalen Bezieh-
ungen der ersten Furchen zur Medianebene des Embryo erkennbar
blieben. Neuerdings nun wurden widerstandsfähigere Eier (vom Seeigel)
viel stärker gepresst, so stark, dass statt einer zweischichtigen blos eine
einschichtige achtzellige Platte bei der Furchung entstand (H. Driesgh);-
trotz dieser hochgradigen Störung während der Furchung wurde
später, nach dem Aufhören der Deformation eine normal gestaltete
Pluteusform gebildet.
Diese beiderlei neuen Thatsachen lassen sich, für sich allein
genommen, am einfachsten so ableiten, dass die ersten Furchungen
normaler Weise im Wesentlichen gleichbeschaffene, toti})otente
Angebliche Gleichheit der Furchungszellen. 1005
Zellen liefern, also selber blos Z erkleine rnng des Eimateriales dar-
stellen.
Dann können ohne jede weitere für diese Fälle geraaehte An-
nahme, diese Resultate aus dem angenommenen normalen Geschehen
abgeleitet werden ; und die bezüglichen Autoren Driesch und 0. Hertwig
haben weiterhin sogleich behauptet, dass auch die Entwickelungs-
weise in den genannten abnormen Fällen die normale sei, ohne
jedoch einen Beweis hierfür zu erbringen.
Diese Einfachheit der Ableitung der neuen Thatsaclien ist
wohl der Grund, dass diese Auffassung, wie es scheint, einige Ver-
breitung gewonnen hat; was aber an sich nichts für die Richtigkeit
derselben beweist.
Den Kernpunct dieser Annahme, dass das ganze Kernmaterial
bei jeder Furchung qualitativ halbirt werde, hat natürlich Niemand
direct zu erweisen vermocht, ebenso wenig wie ich dies bezüglich
meiner Annahme, dass blos das Reserveidioplasson (eine Strecke
weit) qualitativ gleich getheilt werde, während das durch die Befruch-
tung activirte, bei der normalen Entwickelung thätige Kern-
material in typischer Weise qualitativ ungleich getheilt werde,
thun konnte. Es ist daher nicht begründet, es als einen besonderen
Mangel meiner Auffassung zu bezeichnen (Wilson, Driesch), dass ihr
Kernpunct nicht direct beweisbar sei. Beide Auffassungen müssen
damit rechnen, dass unter dem Microscop gleich aussehende Theil-
chen in ihren lebensthätigen Eigenschaften, also auch in ihrer Struc-
tur ausserordentlich verschieden sein können (s. S. 142). Vielleicht
ebenso wenig wie die verschiedenen Eigenschaften des Vaters im
Samenkörner, werden wir die vielen verschiedenen Qualitäten resp.
Structuren des idioplastischen Kernmateriales sichtbar machen können;
und ungleiche Vertheilung der Chromosomen auf beide Kerne nach
BovERi beweist blos bei ihrem Vorkommen ungleiche Theilung, ohne
bei ihrem Fehlen ungleiche qualitative Theilung auszuschliessen.
D i e s e' e r w ä h n t e neuere A b 1 e i t u n g s w e i s e ist jedoch
nur dann „einfach", wenn sie blos für die beiden neuen
Thatsachen angewendet wird, für die sie gemacht worden
ist; sie verliert diese Eigenschaft sofort, wenn man die anderen
1006 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
vorliegenden Thatsachen, statt sie zu übergehen, gleichfalls mit diesen
Annahmen zu erklären versucht.
Zunächst bedingt sie eine besonders schwierige, um nicht zu
sagen unverständliche Annahme für den ersten Theil der indivi-
duellen Entwickelung. Denn wenn nach 0. Hertwig alle Furchungs-
zellen einander ,,ganz" oder nach Driesch „wesentlich" gleich
sind, so entsteht die Frage, wodurch dann aus der Gesammtheit
dieser vielen Zellen, von denen jede einzelne dem ganzen Eie
gleicht, also auf ein Ganzes eingestellt ist, ein einziges typisches
Ganze werde.
Woher kommt auf ein Mal die dazu nöthige typische Un-
gleichheit?
Zudem habe ich beim Frosche direct eine typische, normaler
Weise durch die Befruchtung veranlasste, also gleich beim Beginne
der individuellen Entwickelung producirte Verschiedenheit in der
Anordnung der verschiedenen Dottermaterialien, wie bereits erwähnt,
direct nachgewiesen, (Nr. 21, Nr. 30), was den bezüglichen Autoren
nicht bekannt zu sein scheint.
Vielleicht in Folge der genannten Schwierigkeit haben jüngst
Driesch und zum Theil auch Wilson angenommen, dass die ersten
Furchungszellen nicht ganz oder w^esentlich gleich, sondern schon
wesentlich typisch ungleich sind, womit das Princip der Gleichheit
der Furchungszellen von ihnen durchbrochen und nur noch von O.
Hertwig vertreten ist. Danach besteht in dieser Hinsicht zwischen
den ersteren Autoren und mir blos noch über die Beschaffenheit
der normalerweise activen Theile des Kernes eine principielle
Verschiedenheit der Auffassung^).
1) Doch spricht sich Driesch in letzter Zeit wieder für die „prospective Gleich-
heit" der Furchungszellen und der Zellen der ßlastula und Gastrula aus. S. Arch.
f. Entw. Bd. IL Heft 2.
DRiESf:n und 0. Hertwig begehen fortgesetzt in der Deutung der Befunde
den wesentlichen Irrthum, dass sie die normale s. typische Entwickelung und
die atypische s. regulatorische Entwickelung, letzterer gar nicht, ersterer
nicht genügend trennen und daher normale und abnorme Verhältnisse
als gleichwerthig, ja als identisch behandeln, indem sie das Verhalten der
Zellen nach Defecten oder Störungen der Anordnung etc. auf das Verhalten der
Angebliche Gleichheit der Furchungszellen. 1007
Weiterhin vermag die Annahme vollkommen gleiche r erster
Furchungszellen auch die Entstehung der typischen H a 1 h h i kl u n g e n
aus allein sich entwickelnden ersten Furchungszellen nicht zu erklären^).
Für diese experimentell erzeugten, in der freien Natur nur selten vorkom-
menden Gebilde müsste ein ganz neuer, besonderer Mechanismus,
der bei keinem anderen Falle Verwendung finden könnte,
angenommen werden, obschon er in der freien Natur nur selten Ge-
legenheit zur Verwendung fände und daher keinen ^^orzug gewährte,
also nicht züchtbar gewesen wäre. H. Driesgh leitet die von Fiedler
und ihm erhaltenen Halbbildungen von Echinus davon ab, dass die
aus einer der beiden ersten Blastomeren hervorgegangenen Furchungs-
zellen zufällig nicht zu einer ganzen Kugel zusammen geglitten seien;
dabei ist aber versäumt anzugeben, durch welche nothwendiger Weise
wohl geordnete, typische ,, Zufälligkeit" vorher aus einer der beiden
ersten Blastomeren die die typische Halbbildung darstellende, halb-
kugelschalenförmige Semimorula und Semiblastula nach seiner Mei-
Zellen bei der normalen Entwickelung übertragen. Obgleich auch Driesch berichtet,
dass nach den Defecten viele Zellen „andere Verwendung finden als normal",
bezieht er die bei dieser „abnormen" Verwendung betliätigten Po-
tenzen doch auch auf die „normale" Entwickelung; ebenso wird aus
„gleichem" Vermögen von Zellen zur „Regeneration" und „Postgene-
ration" ohne Weiteres auf „gleiche prospective Bedeutung dieser
Zellen", auf gleiche Potenzen zur „normalen" Entwickelung ge-
schlossen.
So lange dieser wesentliche Irrthum bei der Deutung der Befunde gemacht
wird, ist eine richtige theoretische Verwerthung der an sich sehr werthvollen that-
sächlichen Ergebnisse Driesch's von seiner Seite nicht zu erwarten.
Dazu kommt, dass beide Autoren zu grossen Respect vor ihren Theorien haben ;
denn sie sind jederzeit bereit, jede Thatsache, die nicht zu diesen Theorien passt,
ohne Weiteres, d. h. ohne jede thatsächliche Unterlage als unrichtig oder mindestens
als zweifelhaft und als daher nicht berücksichtigenswerth zu bezeichnen; ihre nach-
träglich gemachten Versuche, solche Zweifel mit Thatsachen zu belegen, haben
sich aber nicht als glücklich erwiesen.
1) In seiner neuesten Publication: „Die Tragweite der Zellen theorie" (Aula,
Wochenschrift, Heft 1, 1895) verschweigt 0. Hertwig im Interesse der Einheit seiner
Lehre die dieser Lehre direct widersprechenden Halbbildungen: Hemiembryonen
des Frosches, der Ctenophoren, die Semimorula und Semiblastula von Echinus etc.
den zumeist nicht selber orientirten Lesern dieses Blattes ganz und erwähnt die
erst secundär, durch Postgeneration aus diesen Halbbildungen hervor-
gehenden Ganzbildungen im Sinne von primären (!) Bildungen.
1008 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
nung gebildet wurde, obgleich zuerst deren Entstehung zu er-
klären wäre.
Haben wir aber irgend eine typische, sei es auch nur proto-
plasmatische, die individuelle Entwickelung von der ersten Ei-
theilung an bestimmende Verschiedenheit der Furch ungszellen, so ist
damit sofort die Möglichkeit zur Ableitung der Halbbildungen
gegeben. Die specielle Art dieser möglichen Ableitung ist natürlich
sowohl von der Art der erwiesenen resp. angenommenen specifischen
Verschiedenheiten wie von den bei der Entwickelung vorkommenden
Wechselwirkungen von Theilen abhängig; sie kann also zunächst in
sehr verschiedener Weise gedacht werden.
Bei Annahme vollkommen gleicher Kerne muss eine Ver-
schiedenheit im Zellleib als das Bestimmende aut'gefasst werden.
Es erscheint mir aber zweifellos, dass für die Entstehung der
halben Froschembryonen eine grosse Folge auf Halbbildungen
eingestellter, besonderer gestaltender Mechanismen thätig
sein muss, dass es mit einigen groben physikalischen Geschehnissen
allein (Driesch) nicht gethan ist ; und ich kenne zur Zeit keine Gründe,
die dafür sprechen, dass diese gestaltenden, die Ausführung des
Detail der Halbbildungen bewirkenden Kräfte ganz oder wesentlich
im Zellleib liegen.
Eine andere Frage aber ist es, ob nicht solche complicirten
Mechanismen, welche die halben Embryonen mit allen ihren
Specialbildungen oder anders abgegrenzte Hälften unvoll-
kommener Doppelbildungen (s. S. 938) herstellen, auf eine ein-
fache Weise ,,ausgelöst" (S. 45) werden können, und ob zu
dieser Auslösung nicht schon Eigenschaften des Zellleibes genügen.
Diese Vorstellung war schon durch meine oben erwähnten Ableitungen
des Ausgleiches von Störungen, insbesondere durch die Regeneration
auf dem Wege der Umdifferenzirung und durch den Ausgleich bei
nicht künstlich hervorgebrachter Störung in der Lagerung der
Furchungszellen (Nr. 28) bei mir angebahnt und ist dann durch
die neueren Beobachtungen von sofortiger Ganzfurchung und Ganz-
entwickelung isolirter Blastomeren niederer Thiere verstäi'kt worden.
Als im vorigen Jahre auf dem Anatomencongress zu Strassburg
Gestaltbüduiig , auslösende" Wirkung der Anordnung des Dotters. 1009
TTcrr (). Sghultze licrichtctc, dass er durch Unikelir von Froscbeieru
nach der ersten Furche Doppelbildungen erzeugt habe, sprach ich
daher in der Discussion sofort diese Annahme aus (S. 1)83).
Danach ist bei den bezüglichen Thieren, Rana, Bolina, etc. die
Erhaltung derHalbeigestalt jeder der beiden ersten isolirten Blasto-
meren, vorzugsweise aber wohl die Erhaltung der Haibeianordnung
der verschiedenen Dottersubstanzen besonders in der Umgebung
des Kernes die Vorbedingung, dass sich der Kern entsprechend
seiner normalen immanenten Tendenz, so wie es einem halben Ei
zukommt, nicht blos theilt, sondern auch weiter gestaltend bethätigt.
Haben die verschiedenen Dottersubstanzen in der Umgebung des
Kernes aber abnormer Weise, sei es blos durch Rundung der Zelle
nach der Isolirung bei Amphioxus, Sphärechinus oder durch Pressung
und Umkehr beim Froschei (s. S. 937) das Wesentliche der Dotter-
an Ordnung eines ganzen Eies angenommen, dann wird nach meiner
Auffassung durch den gegenseitigen Widerstreit abnormer AVirkungen
zwischen Zellleib und dem auf Halbbildung eingestellten Zellkern die
weitere normale qualitative Kerntheilung gestört, das Reserveidio-
plasson des Kernes activirt, und es findet Ganzentwickelung
entsprechend der Anordnung des Dotters durch auslösende Wir-
kung desselben auf den Kern statt.
Da mehrere Autoren auch bei ein und demselben Objecte,
Echinus Driesch, Amphioxus Wilson abwechselnd verschiedene Resultate,
bald Ganz- bald Halbfurchung aus isolirten Blastomeren erhielten,
so sei darauf hingewiesen, dass ich beim Frosche schon seit vielen
Jahren beobachtet habe, dass die Schädigung der Eier durcli ver-
zögerte Laichung weniger die Fähigkeit zur normalen typischen
Entwickeluug beeinträchtigt als die Fähigkeit der atypischen s. regu-
latorischen Entwickelung, die Fähigkeit zur Postgeneration und zu son-
stigem Ausgleich von Störungen; sodass man am Ende der
Laichperiode nach Operation sehr leicht Halbbildungen
(s.S. 953) und Missbildungen erhält, während am Anfange einer
nicht verzögerten Laichperiode trotz tiefgreifender künst-
licher Störungen selbst Entwickelung der „operirten" Ei-
hälfte stattfindet, indem die letztere sehr rasch nachcellulirt und
W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. II. 64
1010 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
dann entwickelt wird. Es scheint somit, dass die Mechanismen der
„morphologischen Selbstregulation" leichter geschädigt
werden, als die festeren, typischen Mechanismen der
„normalen" Entwickelung. Dies könnte ein Grmid für die
Ungleichheit der Resultate bei demselben Objecte sein.
Von noch weit grösserer Bedeutung kann aber ein anderes
Moment sein.
Soweit jede der zwei resp. vier ersten Furchungszellen des
Ampbioxus und Fundulus bei Isolirung, auch ohne Schütteln, blos
durch die Nadel und ohne gleichzeitige passive Deformation ihre
normale abgeplattete Gestalt nach vollkommener Isolirung
nicht genügend behält, soweit muss, da diese Gestalt also dann
durch die Zusammenlagerung der Zellen nicht allein hervorgerufen,
sondern auch erhalten wurde, in Folge der erwähnten auslösenden
Wirkung dieser Gestalt der von mir für das Froschei aufgestellte Satz
der „selbstständigen Entwickelung jeder der vier ersten Furchungs-
zellen", der Satz der „Mosaikarbeit" für diese und alle in gleicher
Weise sich verhaltenden Thiere eine entsprechende Einschränkung
erfahren; doch ist das eventuelle bezügliche Verhalten erst durch
unter den genannten Cautelen angestellte Anstich- resp. Isolationsver-
suche für jede Thierart besonders festzustellen.
Für das Froschei dagegen, für welches der Satz aufge-
stellt wurde, ist Entsprechendes nicht zu vermuthen; und es
spricht direct gegen ein solches Verhalten, dass ich sogar bei Um-
kehrung der Eier nach der ersten Furchung (S. 936) keine Doppel-
bildungen, sondern noch Halbbildungen erhielt, obschon dadurch hoch-
gradige Umordnung der Dottersubstanzen auch in der sich entwickeln-
den Eihälfte bewirkt wurde. Dass dagegen O. Schultze Doppelbil-
dungen erhielt, beruht jedenfalls darauf, dass er die Umkehr der Eier
nach der ersten Furchung noch mit starker Compression zwischen
wagrechten Platten combinirt hatte (S. 937). Danach ist wohl als sicher
anzunehmen, dass die nach Entfernung der anderen Blastomeren ein-
tretende, blos unvollkommene Abrundung einer isolirten der zwei
oder vier ersten Blastomeren des Frosch ei es erst recht nicht
genügen würde, um Ganzfurchung und Ganzbildung jeder derselben
Gestaltbildung , auslösende" Wirkung der Anordnung des Dotters. 1011
7A\ veranlassen, wie dies auch bei manchen Seeigeln nicht der I'all
ist. Da diese nnvollkomniene Ahrnndung durch die rasche mole-
culare, während und nach der Tlieilung erfolgende Anpassung der neu-
gebildeten Grenzschichten der Zellen an die entstandene Form
bedingt ist, so gewinnt also dieses an sich so geringfügige zeitliche
Moment bei den bezüglichen Thieren : Fröschen, Seeigeln etc. eine für
die Selbstdifferenzirung der Furchungszellen wesentliche Bedeutung ^).
Wenn somit auch durch eine entsprechende Umordnung der
Dottersubstanzen aus demselben Objecte statt eines halben Embryo
die Bildung eines ganzen Embryo (oder vielleicht sogar noch statt
eines ganzen die Bildung eines halben (?) Embryo) mit allen seinen
specifischen Gestaltungen veranlasst werden kann, so vermag ich
doch in dieser Umordnung nicht die „speciellen gestaltenden
Ursachen" für alle die vielen typischen Ein^elgestaltung en
der betreffenden Gebilde, sondern blos das „auslösende Moment"
von Mechanismen zu sehen, die an sich zur Bildung dieser
Gestaltungen befähigt sind, mindestens in ähnlicher Weise, wie
Jemand, der einen bestimmten Hausbau veranlasst, darum ihn nicht
selber ausführt, sondern nur auf solche Leistung eingestellte Kräfte
in Thätigkeit setzt; sofern in unserem Falle diese Kräfte (des Kerns)
nicht überhaupt nur auf eine bestimmte Bauart, die der Species,
emgestellt sind und diese somit allein bestimmen.
Da normalerweise aus jeder der beiden ersten Blastomeren
ein halber Embryo wird, so ist es nicht die nächstliegende
Annahme, dass die Production dieses halben Embryo nach der I so-
ll rung dieser beiden Zellen auf einem abnormen Vorgang beruhe
und dass normal eigentlich ein ganzer Embryo daraus entstehen
müsste (Driesch, Heiitwig). Und wenn andererseits, nach diesen Autoren,
im ganzen Eie die Bildung der Embryo half ten aus jeder der beiden
ersten Furchungszellen auf normal stattfindenden differenzirenden
Wechselwirkungen dieser und aller späteren Zellen des Eies beruhte,
so wäre die Production der Halbbildung mit allen ihren Einzel-
1) Weiteres hierüber siebe W. Roux, Ueber die verschiedene Entwickelung
isolirter erster Blastomeren. Arcb. für Kntwickelungsmechanik Bd. f. S. r)96 u. f.
Siehe auch Nr. 31, S. 241 Anm.
64*
1012 Nr. 33. Nachwort zu Band 11 der gesammelten Abhandlungen.
heiteii nach der Isoliriing der beiden ersten Zellen jedenfalls ein
ganz besonderer neuer Modus, zu dem es nicht blos einer ein-
fachen Auslösung, sondern noch ganz besonderer, neuer, detaillirt
gestaltender Kräfte bedürfte.
Als Allgemeinstes hat sich ergeben, dass künstliche mechanische
Sonderung der beiden resp. der vier oder acht ersten Furchungs-
zellen, ja nach Loeb auch des kernhaltigen Dottermateriales der noch
ungetheilten Eizelle ,, selbstständige" Entwickelung des Ab-
gesonderten und zwar zu Theilbildung oder Ganzbildung ver-
anlassen kann, letztere aus ähnlicher Ursache, wie Zerschneidung
einer Hydra in kleine Stücke die Ganzbildung in ihnen auslöst. Die
sondernden Ursachen können sehr verschiedene sein: voll-
kommene räumliche Trennung, unvollkommene Abschnürung, Um-
kehrung unter Abplattung der Zellen, Tödtung der einen Zelle, ohne
dass dies an sich für die Folge von Bedeutung wäre.
Da, wie oben (S. 1010) erwähnt wurde, beim Frosch die Post-
generation auch schon sogleich nach dem Anfang der Ent-
wickelung etwas schwerer auslösbar ist als bei manchen
anderen Thieren (Amphioxus, Arbacia) gleichen Stadiums, so er-
halten wir bei ihm (wie auch bei Säugern : Hemitherium anterius etc.)
Gelegenheit, die Leistungen der typischen Entwickelung von
„einzelnen" Furchungszellen zu beobachten.
Die gegnerische Auffassung muss dagegen für die Ausbildung des
Details der Halbbildungen annehmen, dass bei höheren Thieren:
Frosch, Säuger plötzlich eine ganz neue, besondere, höchst compli-
cirte Mechanismen einschliessende Fähigkeit vorhanden sei, für
welche weder in anderen abnormen Fällen noch normaler
Weise eine Verwendung bestünde.
Aus dem Resultat, dass mit der Ausdehnung der Untersuchung auf
immer mehr niedere Thiere der Ausgleich von während der ersten
Furchungen bewirkten Störungen sich immer ausgedehnter als ein
sehr schneller und vollkommener erweist, und ein Vermögen der
isolirten Furchungszellen zur SelbstdifEerenzirung zu Th eilen des
entwickelten Thieres bei diesen Thieren nicht erkennbar ist, darf
man — auch sofern sich diese an „geschüttelten", also wohl in der
, Auslösung" und „Ausführung" von Gestaltung. 1013
Anordiuing ihres Dotters alterirteii Eiern crhaltoiien IJcruiide hei vor-
sichtig ohne Deformation und Er-scliiittcrung der Eier hewirkter Iso-
liruiig bestätigen — ohne besonderen Nachweis doch nicJit folgern,
dass bei diesen Thieren unter normalen ^^n-hältnissen (von dem oben
erwähnten „Auslösungsmomente" abgesehen) die „Ausführ-
ung" der Gestaltung der Körperhälften nicht Selbstdifferenzir-
ung der entsprechenden Furchungszellen sein könne. Noch weniger
freilich darf aus solchem Verhalten mancher Thiere geschlossen werden,
dass bei anderen Thieren die thatsächlich nachgewiesene Selbst-
^ differenzirung von Theilen des Eies nicht bestünde, zu welchem Schlüsse
nach 0. Hertwig's Vorgang auch manche andere Autoren geneigt zu
sein scheinen. Nach der Aeusserung solcher Argumentation ist es
wohl in der That nicht überflüssig, noch besonders zu erwähnen, dass
das häufige Vorkommen eines Vorganges bei den einen Objecten
nicht das festgestellte Vorkommen anderer Vorgänge bei anderen
Objecten zu negiren vermag.
Die gegnerische Auffassung hat noch die Regeneration und
Postgeneration zu erklären und muss dazu ebenso wie die
meine, differenzirende , irgendwie durch die Störung ausgelöste , in
ihrer Natur und Vermittelung zur Zeit nicht bekannte Wechselwir-
kungen der Theile annehmen ; nur werden bei ersterer Auffassung in
Folge der Annahme vollkommen gleicher Kerne in allen Zellen
die bestimmenden Momente in die Zellleiber zu verlegen sein.
Da die Gegner aber für diese Fälle gleich mir eine unbe-
kannte Art von AVechselwirkungen der Theile annehmen müssen,
so sehe ich keinen Vorzug ihrer Auffassung darin, dass sie von diesen
für die Regeneration unbedingt nothwendigen Wirkungsweisen nicht
auch bei der Umordnung oder Zerstörung der ersten Furch ungs-
kugeln Gebrauch machen, sondern hierfür eine besondere neue, zudem
noch allerhand neue, vorstehend erwähnte Schwierigkeiten mit sich
bringende Annahme gemacht haben.
Uebrigens nehmen auch schon einige dieser Autoren an, dass
die Zellkerne nach dem Ablauf der Furchung oder auch schon nach
den ersten Furchungen specifisch verschieden sind, (z. ß. H. Driesch
und anscheinend auch Wilson), so dass ihre Differenz von meinen
1014 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
Auffassungen sich dann in dieser Hinsicht blos noch um die ersten
Furchungszellen dreht, für welche sie vollkommene Kerngleichheit
annehmen (siehe S. 880 u. f.).
Nachdem ich meine Auffassung über die sofortige Entstehung
von Ganzbildung aus halben Eiern durch Activirung des Reserve-
idioplasson etc. ausgesprochen habe, liegt mir noch ob, meine Auffassung
bezüglich der Entstehung normal gestalteter Gebilde aus
während der Furchung ,, hochgradig" gepressten Eiern an-
zugeben. Derselbe allgemeine Mechanismus der Ausgleichung morpho-
logischer Störungen, welchen ich für die ,, Regeneration durch Um- ^
differenzirung" (S. 841) angenommen habe, reicht auch für diese Eier
aus, in gleicher Weise wie für den Ausgleich bei den erwähnten, von
selber vorkommenden abnormen Um Ordnungen der Furch-
ungszellen (S 901). (Indem H. Driesch die besonders bei niederen
Thieren vorkommende Regen erat ion durch Umordnung und
Umdiff erenzirung von Zellen und die von mir für diese be-
kannte Thatsache gemachten Annahmen übergeht, kommt er zu der
unzutreffenden Darstellung, dass ich für die Pressungs-Versuche an
Eiern besondere neue Annahmen zu machen gehabt hätte. Driesch
lässt seinerseits die Regulation in diesen Versuchen wesentlich durch
Umordnungen der Zellen geschehen, während ich glaube, ausser
diesen auch der Um differenzirung einen wesentlichen Antheil
zuerkennen zu sollen.)
Mit ganz denselben Annahmen lassen sich auch die jüngst mehr
betonten Abweichungen der Richtung der ersten (resp.
zweiten) Furche des Eies von der Richtung der Median-
ebene (S. 923, 960) in ,, abnormen" Verhältnissen, nämlich bei
stark schiefer Zwangslage und bei starker Pressung der Eier zwischen
Platten ableiten. Ich hatte schon in meiner ersten bezüglichen Ab-
handlung über solche Abweichungen berichtet; die schwierige
Sachlage aber nicht so eingehend geprüft, um entscheiden zu können,
ob dieselben thatsächliche Abweichungen darstellen oder
blos auf Fehlerquellen beruhen (S. 924 Anm.).
Die Richtung der Median ebene des Embryo wird bei hoch-
gradiger Pressung der Eier nach neueren Versuchen (S. 961) an-
Gegen die Gestaltung bestimmende Wirkung des Dotters. 1015
geblich ganz (liurli die hierbei künstlich gegebene Symmetrieebene
der Eieinstellinig, das heisst durch die verticale Symmetrieebene der
Anordnung des Dotters, bestimmt, während die Richtungen der ersten
Furchungsebenen durch die von der Kugelform abweichende ,, Gestalt"
der Eier bestimmt werden (S. 303) ; beiderlei Richtungen können daher
stark auseinander fallen. Gleichwohl gehen manchmal normal gestaltete
Producte daraus hervor; also muss die Abnormität überwunden werden.
Die Fehlerquellen dieser Versuche sind aber, wie ich gezeigt habe
(S. 923 u. 962), so grosse, dass vielleicht eine sichere Feststellung
des Thatsächlichen mit ihnen allein überhaupt nicht möglich ist^).
Die Ableitung dieses Resultates ist ausserdem vorläufig mit jeder
der vorstehend dargelegten beiden theoretischen Ansichten möglich; also
kann diese Thatsache an sich, d. h. ohne weiteren Einblick in das
dabei stattfindende Geschehen, zunächst für keine von beiden Auf-
fassungen als bevorzugend verwerthet werden^) (S. 901).
Wir können leider ■ wieder nicht sehen, ob die dabei statt-
findenden Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern im AVesen
noch die der „normalen" Entwickelung zugehörigen oder andere, der
atypischen s. regulatorischen Entwickelung entsprechende sind, ferner
ob der Kern sich qualitativ wie bei ersterer oder wie bei letzterer
Entwickelung theilt.
Aber es spricht ausser dem auf Seite 999 Erwähnten noch
Manches gegen eine ausschliesslich oder auch nur über-
wiegend die Gestaltung beherrschende Wirkung der
Dotter Substanzen. Zunächst die Thatsache, dass man den
schwarzen und weissen Dotter bei stark schiefer Zwangslage
1) Durch ,Combination verschiedenartiger experimenteller Ein-
griffe" kann man auch diese und andere Schwierigkeiten überwinden. Zu dem hier
vorliegenden Zwecke sind Froscheier, welche von der Befruchtung an zwischen verti-
calen, horizontalen oder schiefstehenden Platten gepresst waren, nach Vollendung der
ersten Furchung zu befreien und eine der beiden ersten Furchungszellen derselben
ist zu tödten, wonach man erkennen wird, worauf sie für sich allein durch die unter
abnormen Verhältnissen erfolgte Furchung eingestellt worden war.
2) Dasselbe gilt auch bezüglich der neuesten interessanten Ergebnisse der
Untersuchungen von Driesch und Morgan an vor und nach der ersten Theilung zer-
schnittenen Eiern von Ctenophoren (Berae ovata). Arch. f. Entwickelungsmechanik
Bd. II. Heft 2). Siehe hierzu meine darüber loc. cit. Heft 3 gemachten Bemerkungen.
1016 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
von Froscheiern nach Born's directer Beobachtung auf die acht
ersten Furchungszellen in hochgradig abnormer Weise ver-
theilt findet, eine Abnormität, welche in Folge der Trennung der
Zellen später wohl kaum wieder rückgängig gemacht werden kann;
es müsste denn braune Substanz aus Zellen entfernt und dafür weisse
aus anderen aufgenommen werden. Und wenn in diesen Fällen die
sichtbar verschiedenen Dottersubstanzen so stark durch einander
gekommen sind, ist dasselbe wohl auch als von den eventuellen anderen,
unsichtbar verschiedenen Dottersubstauzen anzunehmen. Gleichwohl
aber können dabei normal gestaltete Embryonen producirt werden.
Die Wirkung dieser hochgradigen Abnormität in der Vertheilung der
verschiedenen Dottersub stanzen auf die Furchungszellen kann
also überwunden werden ; durch wen ? Doch wohl nicht durch die ab-
norm gelagerten Theile selber, sondern durch normal gelagerte Theile,
also durch die Zellkerne und eventuell durch das ihnen zunächst an-
gelagerte Dottermaterial.
Ausserdem habe ich bei Zwangslage mit geringer Schiefstellung
der Eier direct beobachtet, dass die Lage der verticalen Symmetrieebene
der sogenannten ,, Einstellung des Eies", das heisst des hellen und
dunklen Rindendotters durch Umlagerung dieses Rindendotters
nachträglich der von ihr abweichenden ersten (oder zweiten) Furche
symmetrisch entsprechend umgearbeitet wurde, dass also das Rinden-
pigment symmetrisch zu einer dieser ersten Furchungsebenen umge-
ordnet wurde, sodass verschiedene Theile des Zellleibes zu der
durch die Kerntheilung gegebenen oder fixirten Richtung passend
geordnet wurden (s. S. 327). Dieses kann auf einen vom Kern aus-
gehenden erheblichen ordnenden Einfluss bezogen werden, oder aber
auf die Wirkung der den Kern zunächst umgebenden und vielleicht
seine Einstellung früher veranlassenden Dotter Substanzen, also
auf Selbstordnung der verschiedenen Dottersubstanzen auf einander
beruhen ; welches von beiden bestimmend ist, wissen wir noch nicht.
Besonders wichtig ist aber, dass ich sogar einige Male bei Zwangs-
lage Abweichungen von der Regel beobachtet habe, dass die Kopf-
seite des Embryo aus derjenigen Seite des Froscheies hervorgeht, wo
die helle Dottermasse am weitesten heraufreicht (s. S. 929).
Idioplastische Bedeutung des Zellkerns. 1017
Ferner spricht erheblich gegen eine allein A n s s c h 1 a g
gebende, also herrschende Wirkung der Anordnung der ver-
schiedenen Dottersubstanzen, dass es bei der Entwickelung
isolirter Furchungszellen der Seeigel nach Driescii für das Resultat
ohne Bedeutung ist, ob Micro nie ren bei der Furchung gebildet
waren oder nicht.
Alle diese Vorkommnisse deuten mehr oder weniger bestimmt darauf
hin, dass es neben den Wirkungen der Anordnung der Hauptmasse der
verschiedenen Dottersubstanzen noch ein anderes, manch-
mal stärker die Entwickelung bestimmendes Moment giebt, welches
daher wohl nicht im Zellleib liegt, und welches bei manchen
Störungen der Anordnung der Dottersubstanz bestimmend in
Activität tritt. Dieses Moment vermuthe ich auf Grund der oben
(S. 999) erwähnten Thatsachen in dem nach meiner Annahme die Aus-
führung der Gestaltungen vorzugsweise besorgenden und die specielle
„Art" der Gestaltung bestimmenden Idioplasson des Kerns.
Natürlich ist auch das wieder nicht direct zu sehen; und die Gegner
werden daher vielleicht, ihrer Art zu argumentiren gemäss, mit Be-
stimmtheit behaupten, diese bestimmende Substanz sei der den Kern
zunächst umgebende Theil des Dotters.
Die in den letzten Jahren entdeckten neuen Thatsachen haben
uns also darauf hingewiesen, dass dem Dotter der ersten Fur-
chungszellen ein wesentlich grösserer Antheil an der
Bestimmung mancher wichtiger Gestaltverhältnisse der
Ontogenese zukommt, als wir früher anzunehmen Ver-
anlassung hatten. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass
der Dotter-das allein die Entwickelung Bestimmende und zwar
nicht blos das „Auslösende", sondern auch das die „Detailaus-
führung Bewirkende" sei. Wir müssen mit unseren Schlüssen
den Thatsachen folgen, nicht aber dürfen wir gleich über sie hinaus
springen und in ein Extrem verfallen. Noch weniger aber können
wir, wie dargelegt, aus diesen neuen Thatsachen etwas Sicheres über
die angebliche Nichtspecification der bei der „normalen"
Entwickelung activen Kern Substanzen erschliessen.
Jede der beiden einander gegenüberstehenden Ansichten hat
1018 Nr. 33. Nachwort zu Band 11 der gesammelten Abhandlungen.
manche anscheinend guten Gründe für sich; und wir sind bei
nicht voreihger Beurtheihmg nicht befähigt, eine derselben als die
einzig mögliche oder wie es die genannten Autoren thmi, ihre
Auffassung als die einzig richtige zu bezeichnen. Wenn diese
Autoren die Gesammtheit der genannten Thatsachen nach ihrer
speciellen Vorstellungsweise sorgfältig, d. h. ohne Auslassungen
und Sprünge abzuleiten versuchen würden, so würden sie zu dem
Ergebiiiss gelangen, dass sie noch mehr Annahmen machen müssen
als ich, da ich mit den Annahmen zur Regeneration auch
die vorkommenden Ausgleichungen aller andern mor-
phologischen Störungen ableiten kann, während sie für die
wirkliche Bildung (nicht blos „Auslösung") der Halbbildungen bis-
her überhaupt keine annähernd plausible Erklärung gegeben haben;
und nur wer ein zweckthätiges Princip „direct" gestaltend ver-
wendet, kann schliesslich sagen, dass er alle verbleibenden Schwierig-
keiten auf ein einziges Princip zurückgeführt habe, ein Verfahren,
bei welchem aber die Wissenschaft nichts an Erkenntniss gewinnt.
Wichtiger als die jetzt mehrfach betonte Verminderung der
Zahl der Annahmen, also der Zahl der organischen Gestaltungs-
weisen, ist, bei unserer Analyse die möglichste Vereinfachung
der Gestaltungsweisen; vor allem aber müssen wir nach gleich-
förmigen s. homogenen Gestaltungs weisen suchen, d. h. nach ge-
staltenden Wirkungsweisen, von denen jede immer ,,in gleicher
Weise" wirkt.
Das wesentliche positive Ergebniss der hier erörterten Unter-
suchungen und des Streites der Meinungen ist nach meiner Auf-
fassung das, dass wir einer fundamentalen Art von gestal-
tenden Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zell-
kern, speciell zwischen der ,, Gestalt" des Zellleibes und
der ,, An Ordnung" seiner verschiedenen Bestan dt heile
einerseits und den idioplastischen Leistungen des Zell-
kernes andererseits auf der Spur sind. Mir scheint dieselbe
zur Zeit mehr eine Auslösung von gestaltenden Kernfuuctionen
durch gestaltliche Verhältnisse der Theile des Zellleibes ; den Gegnern
ist es mehr eine gestaltende Leistung des Zellleibes unter Benutzung
Nicht teleologische Analyse der organischen Gestaltbildung. 1019
von Materialien aus dem nacli ilii-er Annahme in allen Furchungs-
zellen gleichen Depot von Kermnaterialicn.
Gewissenhafte Weiterarbeit auf den eingeschlagenen experimentellen
Bahnen wird uns hoffentlich Aufklärung ü])er diese fundamentale Frage
bringen.
Als die Scylla und die Charybdis, die den Forsclier auf dem
Gebiete der Eutwickelungsmechanik auf Abwege zu führen drohen,
habe ich die zu einfach physikalisch-chemische Auf-
fassung der Lebens Vorgänge und die Teleologie bezeichnet^).
Bei der Unübersehbarkeit der organischen Vorgänge einerseits
und den wunderbar zweckmässigen Leistungen derselben andererseits
ist die Verführung zu diesen Auffassungen nicht gering; und es
scheint, dass einige tüchtige jüngere Forscher auf unserem Gebiete
gleich zum Beginne ihrer Arbeit diesen Gefahren zu verfallen im Begriff
sind. Dies gilt zumal von H. Driesgh, der in einer jüngst erschienenen
Schrift^) sogar in beide zugleich verfallen ist. Es zeigt sich daran,
dass beide sich keineswegs ausschliessen, sondern dass die erstere
Gefahr zugleich die letztere herbeiführen kann.
Ich will wenigstens gegen die teleologische Auffassung
hier noch etwas weiter Stellung nehmen, als es schon in früheren
Schriften (Nr. 3 und 4) geschehen ist.
Driesch denkt sich die Lebensvorgänge und den typischen Eibau
,,sehr einfach", grob physikalisch-chemisch; er leugnet ferner
eine specifische Structur des Zellkernes, indem er ihn blos als ein Ge-
misch cheroischer Substanzen (lococit. S.92) auffasst; die Phylogenese
erscheint ihm zweifelhaft. Danach reichen seine Grundannahmen
nach meiner Auffassung allerdings zur Ableitung der typisch reprodu-
cirten feinen Gestaltungen der Organismen nicht aus ; und Driesch scheint
daher genötliigt, um die ihm fehlenden, (nach unserer Auffassung im
Laufe von Aeonen erworbenen, aus zufälligen Variationen ausgelesenen
und durch die Continuität des Keimplasson übertragenen), typischen ge-
1) Siehe „Einleitung" zum Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. I. 1894.
2) Analytische Theorie der Entwickelung. Leipzig 1894.
1020 Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
staltenden Potenzen zu ersetzen, neben dem causalen Princip noch
eine zweckthätige, gestaltende Lebenskraft wieder einzuführen.
Dem entspricht dann weiterhin seine Auffassung von der Ent-
wickelung, von der er sagt: „Wir betonen, dass der Begriff der
„Entwickelung" mit Recht nur auf die allmähliche Entstehung
eines vorgesehenen Zieles anwendbar ist" (1. c. S. 132, vgl. dagegen
oben S. 4 u. f.). ,,Die Natur will die Realisation ihrer Ideen sichern;
die einzelnen Individuen sind ihr gleichgiltig" (1. c. S. 146).
Die quantitative Insufficienz seiner eigenen causalen Ab-
leitungen bezeichnet Driesch jedoch nicht als die Ursache seiner teleo-
logischen Auffassung; sondern letztere wird von ihm viel allgemeiner,
principiellbegründet, indem er die Form überhaupt für nur teleo-
logisch ableitbar erkLärt: „Wenn auch nur zwei diflerente Stoffe, zu
einfachster, aber typischer Formeinheit verbunden, in der Natur gegeben
sein würden und stets einen bestimmten Folgeeffect erzielten, müssten
wir den teleologischen Gesichtspunct heranziehen, denn schon das
allerein fachste Geordnete und in diesem Sinne Formale ist
causaler Erkenntniss nicht zugänglich. Ganz allgemein ge-
sprochen, sind also „Kräfte" und ,, Stoffe" das Areal der causalen,
,, Formen" dagegen dasjenige der ,, teleologischen Betrachtung"
(1. c. S. 167). Nur durch die teleologische Auffassung lässt sich nach
dieser Meinung das Organische verstehen. „Wir wollen zur leichteren
Durchführung dieser Betrachtung eine Hülfsvorstellung einführen:
wir wollen uns jene Intelligenz, welche die organischen Bildungen zu
fertigen scheint, als thätiges Subject denken und Bildungstrieb
nennen."
Es ist nach diesen Aeusserungen nicht klar, wie weit Driesch
das gedachte zweckthätige Prinzip sich direct gestaltend wirksam
denkt; doch hat dies für uns auch keine Bedeutung.
Bewiesen dagegen ist nur die ,,indirect" gestaltende
Wirkung zweckthätiger seelischer Leistungen durch Ver-
mittelung der speciellen Organfunctionen, welche Wirkung als
functionelle Anpassung im ersten Band ausführlich erörtert und
zugleich erklärt worden ist. ,, Direct" „gestaltende" Wirkungen
eines zweckthätigen Agens in den Organismen dagegen sind niclit nur
Die morphologische Assimilation als Wesen des Organischen. 1021
niclit bewiesen; sondern sie wären bei dem gcrin_ü;en Stande unserer
eben erst beginnenden nrsäclilichen Erkenntniss der organischen Ge-
staltungen überhaupt nicht sicher zu beurtheilen. Sie gleichwohl schon
jetzt statuiren heisst der Erkenntnissarbeit künftiger Jahrhunderte
oder Jahrtausende beschränkend vorgreifen.
Mich hat die Analyse der organischen Gestaltungs-
vorgänge zu einem mehr Erkenntiss verheissenden Resultate geführt:
Die Entstehung typischer formaler Folgen aus typisch
geeordnten Combinationen von Ursachen hat für mich nichts principiell
Räthselvolles oder gar Teleologisches. Ich erblicke das höchste
Räthsel der organischen Gestaltung indem zwar überaus schwierigen
aber doch nur speciellen Probleme Aer morphologischen Assimi'
lation, in dem bisher von Niemandem in seiner hohen Bedeutung
erkannten Problem, wie Gestaltetes sich im Stoffwechsel durch
Assimilation erhalten, d. h. sich in gleicherweise selbst produciren
kann.
Diese ,,morph ologische Assimilation" ist vorläufig das
letzte Glied meiner Analyse der organischen Gestaltung (S. 79). Sie
stellt die allgemeinste, wesentlichste und eigenartigste
gestaltliche Leistung des Lebens dar, wie ich entgegen E. du
Bois-Reymond betone, welcher glaubt^) das Anorganische und Organische
auf die beste Weise zu charakterisiren , indem er sagt: in den an-
organischen Körpern ist die Materie in statischem, in
den Lebewesen in dynamischem Gleichgewichte. In dieser
Definition fehlt jedoch diese wesentlichste Leistung des Organischen.
(Genaueres siehe S. 76 und I, Nr. 4, Cap. V.)
Um hi«r nur das Hauptsächlichste zu skizziren, so müssen wir
sagen, die Organismen haben eine specifische Structur, welche sie
durch eigene Thätigkeit dieser Structur aus anders gruppirten,
elementar aber gleichen Massentheilen wieder neu hervorbringen,
und zwar aus einem Materiale, welchem für sich allein die Fähigkeit
solcher Gestaltung nicht zukommt Die Anorgane bekunden bei dem
Wachsthum der Gry stalle eine ähnliche Fähigkeit, aber nur in
1) Ueber Neovitalismus. Rede 1894.
1022 • Nr. 33. Nachwort zu Band II der gesammelten Abhandlungen.
all er ein fach st er und daher kaum zu Vergleichen verwendbarer
Weise. Die den Organismen zukommende morphologische Assimilation
kann trotz der unendlichen Verschiedenheiten ihrer Einzelleistungen
gleich der functionellen Anpassung (s. Nr. 4) als eine gleichartige
s. homogene Wirkungsweise aufgefasst werden, denn sie producirt
in jedem Einzelfalle das dem thätigen Gebilde, dem Assimilans im
Ganzen Gleichende (S. 79) und wir dürfen daher annehmen, dass
die Verschiedenheit ihrer Producte nur von der Verschiedenheit des
Producens abhängt, dass aber das abstracte Wesen des Vorganges in
allen Fällen das gleiche ist.
Neben dieser die organischen Maschinentheile prodiicirenden
morphologischen Assimilation (im Unterschied von der blos
,,function eilen", das geeignete Betriebsmaterial producirenden
Assimilation, welche bisher von den Forschern fast allein zu
analysiren versucht worden ist), sehe ich in den weiteren organischen
Gestaltungen, welche durch die Entwickelung hervorgebracht werden
nur noch speciellere Probleme (s. Nr. 15, 20, 27, 28).
Das nächstgrösste Räthsel der organischen Gestal-
tung ist die Bildung ,, typisch" gestalteter Producte bei
„atypischem" Ausgangsstück, also die regenerative s. regulato-
rische Entwickelung, die nach meiner Meinung auf causal ver-
mittelten „morphologischen Selbstregulationen" von typisch
beschränkter Leistungsfähigkeit beruht und bei der Re- und Post-
generation und beim Ausgleich von anderen morphologischen Stö-
rungen z. B. bei Störung der Anordnung der Theile in Thätigkeit
tritt. Das Gleichartige des Wirkens in den verschiedensten Special-
fällen derselben denke ich mir dabei darin, dass zum Ersatz resp. zur
Umänderung dem typischen (mehr oder weniger) entwickelten
Ganzen fehlender resp. veränderter Theile Activirung entsprechender
Theile des das Ganze potentiell repräsentirenden Reservedioplasson
stattfindet; wobei aber nicht eindirect zweckthätiges gestaltendes Agens,
sondern die stofflichen, (in wenn auch selbst erst wenig entwickeltem
doch schon individuellem, d. h. Stücke eines Individuums
repräsentirendem Zustande vorhandenen) Theile das Bestimmende und
Gestaltende sind (S. 81)9). Es ist also dabei besonders zu berück-
Erste Entstehung des Lebens durch Züchtung der Grundfunctionen. 1023
sichtigen, dass dieses atypische Aiisgangsstück blos seiner
Grösse und Begrenzung nach „atypisch" ist, nicht aber
seiner Qualität nach; denn es stellt immer einen typisch beschaffenen
entwickelten Theil eines „typischen Ganzen" dar (s. S. 42 u. 842). Dies
lässt es aber möglich erscheinen, dass von ihm aus dieses typische
Ganze unter Verwendung des dieses typische Ganze in noch ,,unent-
wickelten!" Zustande, p o t e n t i a repräsentirenden Reser veidioplasson
reproducirt wird.
Wenn das Vermögen der gestaltlichen Assimilation in
allereinfachstem Grade als zuerst zufällig entstanden angenommen
wird, so ist die weitere Ausbildung dieser Leistung durch successive
steigernde Züchtung dieser Grundf unction aus entstandenen
Variationen (s. I, S. 410 u. f.) bis zu der für die anderen primitivsten
organischen Leistungen als gleichzeitiger neuer Nebenleistungen : bis zur
Selbstbewegung, Selbsttlieilung und bis zur Selbstregulation in all diesen
Leistungen möglich (S. 76). Dieses „dauerfähige" Gebilde konnte durch
weitere Züchtung zufällig aufgetretener assimilationsfähiger Varia-
tionen (I S. 452) die Fähigkeit der „Selbstentwickelung" in den verschie-
densten Graden erwerben, indem die zufällig in den äusseren Verhält-
nissen dauerfähigen resp. dauerfähige reu dieser Eigenschaften
andauerten, also sich erhielten. Damit ist Phylogenese und ty-
pische Ontogenese auf Grund der Continuität des Keim-
plasson „möglich". Für die ReaHsirung dieser Möghchkeit ohne
zweckthätigen Nisus formativus spricht bei einiger Bekannt-
schaft mit den Thatsachen der vergleichenden Anatomie und Embryo-
logie doch noch manches Bessere als, wie Driesch (loco cit. S. 164)
meint, die Degeneration des Gehirns der Darwinisten.
Ein weiteres, ganz selbstständiges, eigenartiges allgemeines Problem
wäre die Vererbung ,,vom Individuum erworbener Eigen-
schaften": Dieses Problem wäre bei meiner epigenetisch-evolutio-
nistischen Auffassung zu zerlegen in die Implication, in die Zurück-
verwandlung des Explicirten, Complicirten in einfachere Compo-
nenten und in die Translation, in die Uebertragung dieser
implicirten Eigenschaften vom Individuum auf den Keimstoff (s. S. 61).
Die Realität dieses Problems ist jedoch nicht erwiesen, sondern hat
1024 Nr. 33. Nachwort zu Band 11 der gesammelten Abhandlungen.
sich im Gegentbeil mit der Zunalmie unserer Kenntnisse als immer
unwahrscheinlicher gezeigt (s. S. 450, 140, 201, 207).
Schliesslich noch mich über den speciellen Antheil der
Epigenese und der Evolution an der Ontogenese im Sinne
der neuen, von mir gegebenen und jetzt allgemein gebrauchten Defi-
nitionen (S. 5) auf's Neue zu äussern und zwar gleich meinen Gegnern
Genaueres darüber zu sagen, als es dem Stande unserer derzeitigen
sachlichen Kenntnisse entspricht, sehe ich mich trotz ihres Beispieles
nicht veranlasst. Ich betone nur, dass ich von Anfang an den Antheil
beider gestaltender Principien an der Entwickelung zu erforschen für
nöthig erklärt, die Wirkungsweise beider charakterisirt und Beispiele für
den Antheil jedes derselben (siehe Correlationen und Selbstdift'erenzirung)
beigebracht habe (S. 202 — 255). Der Umstand, dass ich in den Kern ver-
schiedene Qualitäten verlege, schliesst nicht ein, dass die Entwickelung
nach meiner Auffassung vorherrschend Evolution sei. Vielmehr kann
in dem mit typischer Metastructur versehenen Ei und Samen-
kürper die Zahl der chemischen und structurellen Qualitäten relativ
gering sein, z. B. blos Hunderter oder Tausender betragen, wohl aber
während der Entwickelung in Folge dieser typischen Structur bei
der ßethätigung der si% bildenden Theile in typischer Weise
auf das ausserordentlich Vielfache vermehrt werden, ein Geschehen
welches typische Epigenesis darstellt (s. S. 8 Anra).
Zusammenfassung.
Uebersicht
der
hauptsächlichsten im vorliegenden Bande ermittelten „gestal-
tenden Wirkungsweisen" (Naturgesetze) und Regeln^).
A. Gestaltende Wirkungsweisen.
§ 1. a) Die Copulation des Eikernes uud des Spermakernes im
Froschei bestimmt normaler Weise (auch noch in ab-
normen Verhältnissen?) mit ihrer Richtung zugleich
die Richtung der ersten Th eilung des Fur-
ch ungskernes „innerhalb seines Materiales" und damit
die Richtung der primären und secundären Median-
ebene (961 A.) zu diesem Kernniateriale und seinen
Derivaten und zwar dies derart, dass diese Ebenen
„in" die Copulationsrichtung fallen. (S. 384, 414.)
Oder umgekehrt vom Standpunkte des Resul-
tates aus gefasst^):
1) Die Definition der ,, gestaltenden Wirkungsweisen" und der „Regeln" siehe
Bd. r S. 803. üeber die den nachstehenden Formulirungen beizulegende Bedeutung
vergleiche Bd. I, Einleitung Ö. XIII.
2) Man kann die ursachlichen Ableitungen in zwei Weisen fassen: erstens, in-
dem man für ein bekanntes Geschehen die Ursachen angiebt, oder indem man
die fneuermittelten) Componenten und dann ihre Wirkung nennt.
Erstere Art ist wohl die den descriptiv denkenden Autoren genehmere Fas-
sung, weil sie von dem bereits Bekannten zum Neuen fortschreitet. Sie folgt aber
W. Roux, Gesammelte Abhandlangen. 11. 65
1026 Gestaltende Wirkungsweisen (Naturgesetze).
b) Die Richtung der ersten Theilung des Furchungskernes
und damit die Richtung der Median ebene im Fur-
chungskern des Froscheies werden normaler Weise
durch die Copulationsrichtung des Ei- und Sperma-
Kernes bestimmt und fallen in die Copulations-
richtung.
§ 2. a) Die durch die Befruchtung entstehende Anordnung der
verschiedenen Dotter Substanzen des Frosch eies be-
wirkt resp. bestimmt normaler Weise die Richtung der
ersten Dottertheilung und damit die Lage der primären
und secundären Medianebene im Eileib (Dotter)
und zwar derart, dass letztere Richtungen in die ver-
ticale Symmetrieebene der Dotteranordnung fallen. (S.
355, 409, 414, 416.)
b) Die Richtung der ersten Eileibtheilung und damit zu-
gleich die Lage der primären und secundären Median-
ebene im Eileib des Froscheies werden normaler Weise
durch die Befruchtung bestimmt und zwar derart, dass
diese Theilungsebene und die Medianebene in die verti-
cale Symmetrieebene der durch die Befruchtung be-
stimmten Anordnung des Dotters zu liegen kommen.
§ 3. Die Befruchtung wirkt unter ganz normalen Verhältnissen
derart, dass die nach § 1 und 2 durch sie bestimmten Richtungen iden-
tisch sind (sodass also keine nachträgliche Drehung des Furchungs-
kernes im Zellleib stattfindet).
§ 4. a) Die durch die Befruchtung entstehende Anordnung der
verschiedenen Dottersubstanzen des Froscheies bewirkt
normaler Weise auch die Lage der Schwanzseite
und der Kopfseite des Embryo im Eileib und zwar
nicht dem Gange des Naturgeschehens, sondern schreitet rückwärts vom Product
zu seinen Componenten. Wir bevorzugen daher die naturgemässere Darstellung, da
es, entsprechend Kirchhoffs Definition der Mechanik, unsere Aufgabe ist, das Natur-
geschehen auf die einfachste und richtigste Weise zu beschreiben.
Anfänglich wurden hier, blos des Vergleiches wegen, einige Male beide Formu-
lirungen gegeben.
Gestaltende Wirkungsweisen (Naturgesetze). 1027
bei Rana esculenta derart, dass diejenige Seite zur
Scliwanzseite wird, an welcher der schwarze Rinden-
dotter am weitesten abwärts reicht; das ist diejenige
Seite des Eileibes, welche vom Samenkörper durch-
wandert wurde. Die Kopfseite liegt auf der entgegen-
gesetzten Seite des Eies. (S. 409, 414, 41(3.)
b) Die Lage der Schwanzseite und der Kopfseite des Embryo
im Ei leib des Froscheies wird normaler Weise gleich-
falls durch die Befruchtung bewirkt, indem diejenige
Seite des Eileibes (bei Rana esculanta) zur Schwanz-
seite wird, auf welcher in Folge der Wirkung des ein-
gedrungenen Samenkörpers der pigmentirte Rindendotter
am weitesten abwärts reicht.
§ 5. Die Bestimmungen 2 und 4 können auch durch ent-
sprechende künstliche veranlasste Anordnung der Dottersubstanzen
(durch schiefe Zwangslage) bewirkt werden (wobei dann wohl der
Furchungskern mit seiner durch 1 bestimmten Theilungsrichtung sich
im Dotter entsprechend § 3 drehen muss).
§ 6. Dotter und Kern der Furchungszellen des Froscheies
können bei der Theilung dieser Zellen richtende und qualitative
Wirkungen aufeinander ausüben. (S. 305, 327, 339.)
§ 7. Die Berührungsstelle von Furchungszellen des Froscheies
übt als solche (das heisst, abgesehen von der bei grösserer Be-
rührungsfläche bedingten Aenderuug der Gestalt der Zellen und
deren Wirkung [s. 303]) keinen richtenden Einfluss auf die Einstellung
der Kernspindeln dieser Zellen aus. (S. 928.)
§ 8. Die nach § 2 und 4 hervorgebrachten Anordnungen des
Dotters wirken wahrscheinlich dadurch das Detail der typischen
Gestaltung des Embryo in seiner Richtung bestimmend, dass sie
auf die Anordnung des durch die Befruchtung activirten und bei
der Furchung unter normalen Verhältnissen in typischer Weise
qualitativ gleich resp. ungleich getheilten idioplastischen Kernmate-
riales wirken (siehe „Kern" im Register).
65*
1028 Gestaltende Wirkungsweisen (Naturgesetze).
§ 9. Das idioplastische Kernraaterial bestimmt wahr-
scheinlich vorzugsweise die typischen (d. h. der Art, Unterart etc.)
entsprechende Charaktere der GestaUungen; während dem Dotter-
resp. ZeUleibmateriale auf dem Wege der Auslösung der Kern-
thätigkeit, also der Activirung von Kernmaterial, mehr eine Bestim-
mung darüber zukommt, welche diese typischen Charaktere tragenden
Theile vom Kern aus hergestellt werden (siehe Dotter im Register).
§ 10. Die personelle Entwickelung vollzieht sich (wie jede Aende-
rung eines Seins oder Geschehens) durch „Wechselwirkung von Theilen"
(siehe Entwickelung, Wechselwirkung).
§ 11. Die ,, typischen" Gestaltungsvorgänge im befruchteten Ei
der nicht am Boden fixirt lebenden Thiere finden durch im Ei selber
liegende gestaltende Kräfte statt, d. h. die die typische Gestaltung
bestimmenden Componenten liegen im Ei; es ist also äusseren Ein-
wirkungen, z. B. der Schwerkraft nichts Wesentliches zu bestimmen
überlassen. (NB. Die Erziehung ist nicht „typische" sondern speciell
„individuelle", d. h. besondere persönliche Entwickelung.) (Siehe Seite
273, 276, 322, 422.)
§ 12. Diejenige Anordnung der ungleich specifisch schweren
Dottersubstanzen des Eies von Rana fusca, welche normaler Weise
die senkrechte Einstellung der Axe des noch nicht befruchteten
Eies veranlasst, wird erst durch die Vor Wirkung der Befruch-
tung genau hergestellt oder wieder hergestellt. (S. 291.)
§ 13. Die typischen Gestaltungsvorgänge an dem Materiale
jeder der beiden ersten Furchungszellen finden bei manchen Thieren
ganz, bei anderen Thieren weitaus überwiegend durch die in jeder
dieser Zellen selber liegenden, gestaltenden Kräfte statt. Doch kann
der Einwirkung der Nachbarzelle dabei ein wesentlicher ,, auslösender"
Antheil zukommen (s. § 14).
§ 14. Die Entwickelung einer isolirten Elastomere zu dem
auch im ganzen Eiverbande aus ihr hervorgehenden Stück des
Embryo ist durch die Gestalt und Anordnung der Dottersubstanz
bedingt.
§ 15. Ist die Zellrinde der isolirten Blastomere schon derart an
die innerhalb des ganzen Eiverbandes entstandene Gestalt der
Gestaltende Wirkungsweisen (Naturgesetze). 1029
Elastomere angepasst, dass auch nach der Isolirung noch diese Ge-
stalt und damit die entsprechende Anordnung der inneren Dotter-
substanzen erhalten bleibt, so entwickelt sich auch die isolirte Zelle
(mehr oder weniger weit) zu dem normaler Weise entsprechenden
Stück des jungen Embrj^o (siehe S. 1008, ferner Halbbildungen,
Furchungszellen).
§ 16. Ist die Zellrinde an diese Gestalt noch nicht fest ange-
passt, sondern rundet sich die Elastomere nach der Isolation stark
und wird dadurch das Wesentliche der Dotteranordnung eines ganzen
Eies hervorgebracht, so werden die speciellen Gestaltungsmechanismen
zu einem ganzen Embryo ausgelöst (s. S. 1008).
§ 17. Eine andere differenzirende Wirkung der beiden ersten
Furchungszellen resp. des Complexes ihrer Derivate auf einander
als die Erhaltung der Haibeianordnung der ersten Elastomere ist
zur typischen Entwickelung der ersten Embryostadien nicht nöthig.
(Siehe S. 1008 ff.)
§ 18. Die Entwickelung des befruchteten E i e s vollzieht sich
in zwei wesentlich verschiedenen Arten des Geschehens:
a) erstens durch typische, fest normirte Vorgänge, welche
zum Theil dadurch charakterisirt sind, dass sie eine Strecke
weit unabhängig von dem Geschehen in den anderen
Theilen, also selbstständig in natürlich abgegrenzten Be-
zirken des gefurchten Eies oder auch noch des Embryo
verlaufen (Selbstdifferenzirung dieser Bezirke) : typische
sive normale (directe) Entwickelung.
b] zweitens in atypischen Vorgängen, welche Störungen des
normalen Verlaufes durch morphologische Selbstregula-
tionsmechanismen unter weiter als normal ausgedehnten
Wechselwirkungen ausgleichen: atypische s. regula-
torische (indirecte) Entwickelung.
§ 19. Die typische Entwickelung wird durch das bei und infolge
der Befruchtung activirte, daher „typische" Idioplasson vollzogen; die
atypische sive regulatorische Entwickelung geschieht unter und nach
1030 Gestaltende Wirkungsweisen (Naturgesetze).
Activirung von durch die Befruchtung nicht activirtem „Reserve-
dioplasson."
§ 20. a) Störungen der Qualität oder der Anordnung von
Theilen oder D e f e c t von Th eilen des mehr oder weniger
weit entwickelten Ganzen, also abnorme Nachbar-
schaft veranlasst in den normal gebliebenen Theilen,
welche noch zu höherer Leistung als zur Bildung der
eigenen Zellqualität geeignetes Reserveidioplasson ent-
halten, die Activirung des letzteren.
Unter Wirkung des normal verbliebenen Theiles des
entwickelten typischen Ganzen und des durch das
Reserveidioplasson dargestellten potentiellen typi-
schen Ganzen (resp. Theiles desselben) findet eine diesem
Typus entsprechende, mehr oder weniger vollkommene
Wiederherstellung des entwickelten Ganzen unter
Umdifferenzirung resp. Neubildung statt: morphologi-
sche Selbstregulation (siehe diese sowie Regenera-
tion, Postgeneration),
b) Dabei findet eine Concurrenz umdifferenzirender
Wirkungen unter den Zellen statt, in welcher die Wir-
kungen der dem normal verbliebenen Theile des Indi-
viduums näherhegenden Zellen über die von den abnor-
men Zellen ausgehenden Wirkungen siegen (siehe S. 897
u. f. und Reserveidioplasson , Regeneration, Postgeneration).
Auch innerhalb der einzelnen Zellen kann Abnormität
der Anordnung und Qualität der Theile Veranlassung
zur Activirung des Reserveidioplasson werden (siehe
Dotter, Halbbildungen).
§ 21. Die Befruchtung bewirkt sogleich individuelle sive per-
onelle Differenzirung, d. h. Bildungen, welche auf ein einziges
ndividuum, auf eine Person angelegt sind ; die ersten Furchungszellen
werden dementsprechend actuell ungleich gebildet; potentiell d. h.
in ihrem Reserveidioplasson aber sind die ersten Furchungszellen
einander gleich und zwar totipotent.
Gestaltungsregeln. 1031
§ 22. Die differenzirenden Wirkungen der Epithelien gehen am
meisten von den „Seitenflächen", weniger von den „polaren" Flächen
derselben aus (S. 785).
§ 23. Viele in geringem Abstände von einander befindliche
Furchungszellen üben eine directe Näherung veranlassende Wir-
kung auf einander aus (S. 988 u. f.).
§ 24. Künstlich oder zufällig zusammengeordnete, sich be-
rührende Furchungszellen wirken umordnend auf einander
(S. 990 u. f.).
B. Gestaltungs-Regeln.
§ 1. Beim Froschei fällt unter normalen Verhältnissen die Median-
ebene des Embryo mit der ersten Furchungsebene zusammen.
§ 2. Bei den meisten bilateral-symmetrischen Thieren entspricht
unter normalen Verhältnissen eine der beiden ersten Furchuugsebenen
des Eies der Medianebene des Embryo (S. 768).
§ 3. Bei den Metazoen stehen unter normalen Verhältnissen die
drei ersten Furchen des Eies in typischen Richtungsbeziehungeu zu
den drei Hauptrichtungen des Embryo (S. 768).
§ 4. Die Kopfseite des Froschembryo entspricht der Seite des
höherstehenden hellen Eipoles, die Schwanzseite der entgegengesetzten
Seite (siehe: caudal).
§ 5. Bei schiefer Zwangslage des Froscheies ohne besondere De-
formation desselben steht die erste Furche annähernd entweder in
Richtung oder rechtwinkehg zur Richtung der Symmetrieebene der
Einstellung des Pigmentes der Eioberfläche (S. 325 u. f.).
§ 6. Steht die erste Furche ausnahmsweise schief zu der durch
einfache schiefe Zwangslage bestimmten Symmetrieebene des Rinden-
pigmentes, so wird letztere nachträglich symmetrisch zur ersten
oder zweiten Furche umgearbeitet (S. 327, 340).
§ 7. Bei einfacher schiefer Zwangslage des Froscheies entsteht
häufig die ihrer Bedeutung nach der normalen zweiten Furche ent-
sprechende Furche als erste (S. 329).
1032 Gestaltungsregeln.
§ 8. Der intraovale Verlauf des Samenkörpers vollzieht sich
beim Froschei in zwei typisch verschiedenen Bahnen: der Penetrations-
bahn und der Copulationsbahn (S. 371 u. f.).
§ 9. Die erste Theilungsebene des Furchungskernes geht nor-
maler Weise durch die Copulationsrichtung dieses Kernes (S. 384).
§ 10. Die erste Theilungsebene des Dotters geht normaler Weise
durch den senkrechten Meridian der Eintrittsstelle des Samenkörpers
in das Ei (S. 388).
§ 11. Umschriebene Defecte an dem mehr oder weniger gefurchten
Froschei können „umschriebene" Defecte am Embryo zur Folge haben
(S. 180).
§ 12. Eine der beiden ersten Furchungszellen des Froscheies
kann sich nach Tödtung der anderen Zelle zu einem (rechten, linken
oder vorderen) halben Embryo entwickeln (siehe Halbbildungen).
§ 13. Die erste Entwickelung des Froscheies und -Embryo ist
eine Mosaikarbeit aus mindestens vier den ersten Furchungszellen
entsprechenden, eine Strecke weit sich selbstständig entwickelnden
Stücken (S. 455).
§ 14. Die Hemiembryonen des Froscheies können früher oder später
die fehlenden Körperliälften postgeneriren , sowohl mit Verwendung
von Material der operirten Eihälfte (S. 484) wie ohne dieselbe (S. 796).
§ 15. Die Postgeneration der Hemiembryonen geschieht bei
Verwendung von Material der anderen Eihälfte unter abhängiger
Differenzirung dieses Materials, welche von der primär entwickelten
Hälfte aus bewirkt wird (S. 508).
§ 16. Die bei normaler Einstellung obere Seite des Froscheies,
der Morula, Blastula entspricht in ihren Producten der ventralen Seite
des Embryo (s. S. 527).
§ 17. Die Gastrulation des Frosches vollzieht sich unter bilateraler
Epibolie und Concrescenz (S. 529).
§ 18. Das explicite Material des künftigen Medullarrohres liegt
am gefurchten Froschei (an der Morula und Bastula) in Form eines
Ringes etwas oberhalb des Ei-Aequators (S. 529).
I
Gestaltungsregeln. 1033
§ 19. Die „Furchung" der höheren Vertebraten leistet zum Theil
bereits Arbeit, welche bei den niederen Vertebraten erst durcli die
„Gastrulatiou" besorgt wird (S. 535).
§ 20. Weder der Wecliselstrom noch der galvanische Strom
vermögen als solche die Richtung der ersten Theilung des Froscheies
zu beeinflussen. Das Gleiche gilt für die Besamungs- und Copula-
tionsrichtung (S. 556, 571, 583).
§ 21. Die lebende Zellleibsubstanz der früheren Entwickelungs-
stadien der Wirbel thiere besitzt eine starke Reactionsfähigkeit auf
electrische Einwirkungen (auf Gleichstrom, Wechselstrom und die
Schläge der Leydener Flasche), welche den Zellen des älteren Thieres
nicht mehr zukommt, welche aber bei Protisten und Cölenteraten
(Hydra) während des ganzen Lebens sich findet (S. 745).
§ 22. Bei intraelectrolytärer electrischer Durchströmung bildet
an der lebenskräftigen Morula, Blastula und Gastrula jede Zelle
ein resp. zwei Specialpol f eider , während die gleichen Objekte,
wenn sie in ihrer Vitalität geschwächt sind, blos zwei Generalpol-
felder bilden und sich damit wie das noch ungetheilte Ei verhalten
(S. 752).
Autoren-Register
zu Band I und IT.
AWfeld, Fr. II 121, 194, 518.
Alessandrini I 204.
Altmann II 85.
Ampere II 3.
Argyll, Duc of I 142.
Aristoteles I 388.
Auerbach, L. I 242; II 118, 299.
V. Baer, C. II 25, 30, 36, 213.
Balbiani, E. G. 11 90, 307.
Balfour II 30, 31, 286.
van Bambeke, Ch. 358, 368, 510.
Bardeleben, K. I 80, 179, 180; 11 212.
Barfurth, D. I 146, 163, 243, 754; II 160,
200, 490, 528, 540, 811, 837, 880, 942.
Beale II 315.
Beard I 244
Beclard 1 242.
Beethoven I 412.
Benecke, B. II 293.
V. Beneden, Ed. II 30, 111, 285, 295, 381,
391, 769, 853.
Beneke, Rud. I 315; II 293.
Bergh, S. II 768.
Bergmann II 203.
Bernard, Cl. I 309.
Berthold, G. I 412; II 33, 91, 305.
V. Bezold II 577.
Bidder I 286, 295, 310.
Billroth I 304.
Blochmann 11 43.
Boesle I 734.
du Bois-Reymond, E. I 146, 644, 733;
II 212, 730, 751.
BoU I 263, 315.
Borelli I 497.
Born, G. 1 139 ; II 44, 107, 257, 293, 297,
305, 334 A., 358, 360, 368, 397, 405. 416,
514, 787, 848, 849, 852, 853, 924. 925,
942, 954, 960 u. f., 999, 1015.
Bornet I 791.
Boulenger II 42.
Boveri, Th. II 44, 315, 833, 1005.
Braem, F. II 118, 305, 839.
Braune, W. I 268, 598; II 427.
Brown, A. E. I 191.
Brown-Sequard I 295, 296.
Brücke, E. I 71.
Büchner, L. I 191.
Bunting, M. II 985.
Busch, F. II 212.
Bütschli, 0. I 208, 412, 445; II 33, 61,
91, 315.
Cailletet I 257.
Calberla II 510.
Canstatt I 324, 544; II 211.
Carriere, J. I 205, 344; II 837.
Cartesius I 67.
Chabry, L. II 44, 788, 880, 958.
Charcot I 296.
Chun, C. II 808, 856, 886.
Clapp, Com. II 853.
Claus, C. I 144.
Cohen, E. I 788.
Autoren-Register zu Band I und TT.
1035
Colin, Ferd. I 802.
Colmheim, J. I 255, 262, 285, 301, 309, 633;
TT 212, 495. 751.
Colasanti T 177, 287.
Coste IT 351.
Coulomb I 58.
CruveiTlner I 268.
Culraan I 735.
Cyon I 165.
Dahl, Friedr. T 410.
Darcy I 48, 57.
Dareste, Cam. I 83, 243 ; IT 44, 423, 517.
Darwin, Gh.. I 141, 154, 157 u. f., 191,
270. 280, 443 ; TT 212.
V. Davidoff, M. IT 89, 858.
Dewitz, J. TT 432.
Ditscheiner TT 669.
Drasch, 0. I 258.
Dreyer, Friedr. TI 58, 69, 91, 914.
Driesch, Hans I 208; TI 58, 69, 78, 305,
456, 467, 790, 793 u. f., 835 u. f.,
863, 874 u. f., 881, 905 A., 949 A.,
951 u. f., 1004 u. f.
Duchenne I 244.
Duncan, M. I 796.
V. Ebner, Vict. I 717; TT 30, 708, 911.
Ebstein I 296.
Eckardt, C. Th. T 323, 384.
Ecker TT 437.
Eckhart, P. TT 827.
Edinger, Ludw. T 240, 250.
Ehlers I 789.
Eichbaum, F. 1 720.
Eichhorst I 291.
Eidam I 802.
Eimer T 116; IT 66.
Eisberg I 231.
Empedocles F153.
Endres, H. II 518, 942 A.
Engelmann, Th. I 259,288, 628; TT 577.
Erbkam, R. I 258.
Errera, Leo II 33, 91.
Exner, Sigm. T 164, 177, 191.
Feuer I 292.
Fick, A. I. 578, 633; TI 427.
Fick, Eug. I 834.
Fick, Ludw. I 264; IT 44, 212, 230.
Fick, Rud. T 354; II 376.
Fiedler, Carl TI 790, 880, 1007.
Fischer, H. T 190, 313.
Fischer, E. IT 206, 829.
Flahault I 791.
Flemming, W. I 255, 393; TI 85, 126,
283, 315.
FTourens T 740.
Flügel, A. T 598.
Foerster, Aug. I 205.
Fol, H. II 288.
Fraenkel, E. I 213.
Fraisse, P. I 146, 844, 754; IT 512, 837.
Friedländer, C. I 169, 262.
Friedreich I 251.
Fries, J. Fr. I 449.
Froriep, Roh. I 244, 650.
Gad, J. I 650.
Galton TI 61.
Gaule, -J. I 293.
Gegenbaur, C. T 189; IT 231.
Gensch II 477.
Geoffroy, St. Hilaire I 270.
Gerlach, Leo IT 44, 122, 194, 423, 517.
Goethe T 270.
Goette, AI. TT 30, 380, 581, 768, 801, 837,
853, 855.
Graham I 91.
Grapow I 181.
Grashof I 58.
Grawitz, P. T 147, 235, 657.
Grobben, C. T 212.
Grossmann I 857.
Gruber, A. TI 48, 44, 90.
Grützner, P. I 847.
Gubler T 578.
Gudden T 164.
Guebhard, Adrien TT 668.
Guerin, J. T. 881, 580.
GuTdberg. G. T 144.
Gurlt I 749.
Haeckel, E. I 139, 142 u. f., 210, 227, 281,
388, 391, 406, 410 A.; 11 66, 69, 212,
286, 999.
Haecker, Val. IT 315.
Haensell I 549.
Hagen I 48, 57.
Hagenbach I 48.
du Hamel I 742.
Hanau, Arth. TI 496.
Hansemann, D. IT 188, 815, 830.
1036
Autoren-Register zu Band I und II.
llartmann, Ed. von I 143.
Harvey I 393.
Hasse, C. 1 79, 265, 334 A , 336 A., 442,
466, 770, 776, 802; II 315, 999.
Hatschek I 394 A.
Hauerwaas I 266.
Hauptmann, Carl I 388.
Heiberg I 204.
Heidenhain, Mart. II 976 A.
Heidenhain, Rud. I 165, 286, 297.
Helmholtz, H. I 324.
Henke, Wilh. I 173, 202, 579 ; II 44, 212.
Henle I 368, 633, 702; II 212.
Hensen, V. I 191, II 32.
Heraklit I 216.
Herbst, C. II 835.
Hering. E I 191, 208, 243, 371; II 577.
Hermann, L. I 284, 290, 305; II 671,
730, 748, 751.
Hertel I 1.
Hertwig, 0. II 6, 75, 89, 182, 262, 305,
323, 332, 346, 351, 355, 443, 486, 525,
526, 776, 782, 793, 802 u. f. 826, 847
u. f., 863, 874 u. f., 881 A., 905. 928,
941 u. f , 950, 954, 1007 A.
Hertwig, Rieh. II 44, 314, 841, 999.
Heuser II 315.
Hirschberg I 293.
His, W. I 210, 264, 268; II 30, 39, 147,
203, 212, 214, 229, 240 u. f., 245, 251,
315, 426, 427, 527, 530, 534, 768, 801.
Hofer, Bruno II 90.
Hoffmann, C. K. I 177.
Hueter, C. I 579.
Hutchinson I 213.
HyrtI I 3, 45 71, 599, 702.
Jacobson 1 48, 91.
Janosik, J. II 213.
Joessel, G. I 204.
Joseph I 293.
Julin, Charles II 119, 285, 424, 769, 853.
Kapp I 755.
Kassowitz, M. I 293, 717; II 212, 229.
Katzenstein 1 239.
Kayserling, A., Graf I 379.
Keibel, F. II 89, 530, 795, 811.
Keuchel I 307.
Kiprijanoff I 797.
Kirchhoff II 3.
Klaussner, F. II 518.
Klebs, E. II 315.
Klein, E. I 379.
Klemensiewicz I 258.
Knop, W. I 379.
Knorz I 173.
V. Koch, Gust. I 443 A, 779.
V. Koelliker, A. I 266, 351, 371, 379, 790,
796, 797; II 66, 97, 426, 999.
Koester I 665, 716.
Kollmann, J. 1 549; II 75, 213, 226, 254,
530.
V. Kowalewski, M. II 424.
Krause, W. I 12, 287.
Kühne, Wilh. I 341 ; II 576, 583, 620.
Kükenthal, Willy I 466, 478, 555, 567.
V. Kupffer, C. II 293, 477, 801.
Kussmaul II 254.
Küster I 179.
Küstner, 0. I 380.
Lamarck I 156, 227, 280, 768; II 211.
Langendorff II 193.
Langerhans, P. I 179.
Laulanie I 549.
Legros I 295.
Lehmann I 802.
Leopold, S. II 206, 829.
Leuckart II 153, 203, 815.
Leuwenhoek I 708.
Leyden I 291.
Lichtheim I 251.
Loeb, Jacques I 84, 285, II 985, 1004,
1012.
Lott, G. I 258.
Lotze, H. II 11, 147.
Luchsinger I 176, 183, 286.
Lücke I 301, 380.
Ludwig, Carl I 48, 305; II 212.
Lwoff, Bas. II 533.
Mach, E. II 669, 708.
Magendie, I 507.
Marchand, F. II 205, 829.
Marey, E. J. I 580, 626, 629.
Marie, P. I 250.
Mariotte I 210.
Marling I 179.
Marshall, W. 143, 179.
Mai-tin, 1 380.
Autoren-Resister zu Band I uml II.
1037
Martiny I 179.
Mayer, Sigm. I 292, 295, 298 u. f., 310.
Mcckel II 518.
Meissner I 287.
Merkel, Friedr. I 144. 179.
Messerer I 280.
V. Metschnikoff, El. I 144, 147, 235;
II 307.
Meyer, Herrn. I 181, 703; II 44, 211.
Miller I 791.
Minot, Ch. Sedgw. II 34, 529.
Mitchell I 296.
Moleschott 1 242
Morgan, T. H. II 305, 530, 985, 1004, 1015.
Moseley, H. N. I 797.
Müller, Fritz I 210, 243, 443.
Müller, Joh. I 544, 633; 11211.
Müller, Wilh. I 163.
Murisier II 230.
Naegeli I 141; II 864.
Nasse, H. I 293; II 212.
Newport, G. 11 416, 424.
Newton 1 210; II 30, 293.
V. Nordenskjöld, E. l 442, 770, 780.
Nothnagel, H. I 97, 144, 163, 319, 322,
384, 768.
Nuel, J. P. II 98, 285.
Nussbaum, M. I 208, 212; 11 43, 44, 61,
90, 307, 813, 854, 861, 895.
Obolensky I 286.
Ollier I 309.
Orth, J. I 384.
Osborn, H. F. I 768; II 510.
Owen II 61.
Paget I 310.
Pander, Chr. II 147, 244.
Panum II 44, 205, 423, 829.
Partsch, C. I J.69.
Pascheies II 708.
Pasqualini II 669.
Peltier 11 751.
Pettenkofer 1 242.
Pfaff I 257.
Pfeifer, Georg I 146.
Pfeifer, W. I 259.
Pfitzner, W. I 386 A; II 126.
Pflüger, E. I 166, 24.i, 408, 410; II 44,
114, 123, 304, 326, 523, 577, 769, 848,
881, 925, 942, 1004.
Philipeaux I 165.
Platner, G. II 514.
Platte, W. II 912.
Poiseuille I 48, 57.
Popoff, Dem. 1 19, 84.
Pouchet II 958.
Preyer, Wilh. I 139, 193, 201, 228, 392,
410; II 106, 212.
Quincke, G. II 33, 91.
Rabe, L. I 179.
Rabl, C. II 309, 313, 315.
Raehlniann I 193.
Ranke, J. II 212.
Ranvier I 258.
Rauber, Antinous 1280, 719, 729; II 11,
30, 86, 90, 112, 165, 271, 324, 350, 444.
534, 801.
Ravogli I 549.
V. Recklinghausen I 721, 765; II 444.
Reichel I 708.
V. Reichenau I 144.
Reichert I 733.
Reid I 244.
Remak I 315; II 126, 314.
Retterer I 386 A.
Reuleaux I 1.
Ribbert I 163, 322, 384; II 43 A.
Riehl, A. I 144.
Rindfleisch, E. II 212.
Rockwell I 244.
Roemer I 802.
Rohde, Friedr. I 384, 452.
Roiti II 669.
Rollett, A. I 188, 292; II 657.
Romanes, G. J. I 141, 142, 226, 305 A
V. Rosen I 213.
Rott, Th. I 268.
Rückert, J. II 478.
V. Sachs, Jul. II 61.
Samuel, S. I 221, 262.
Schafter, J. I 791 A., 8U1 A.
Schanz, Fr. I 327.
Schenk, S. I 242.
Schewiakoff II 43.
Schiett'erdecker I 296.
Schilf I 165, 177, 285, 288, 293, 295, 296,
309, 310.
Schiller, Fr. I 331.
1038
Autoren-Register zu Band I und II.
Schmidt, 0. I 161.
Schreiber I 197.
Schrohe II 153.
Schuchardt, Carl I 163; II 496.
Schultze, Bernh. II 122.
Schultze, Max II 258.
Schultze, Oscar II 258, 267, 273, 529,
531, 932 u. f., 949, 965, 1010.
Schulz, L. H. I 294.
Schulze, Frz. Eilh. I 790.
Schwalbe, G. I 86, 169, 366; II 30, 427.
Schwarz, Frank I 802.
Scott, II 510.
Sczelkow I 305.
V. Seeland I 236.
Seeliger II 853.
Seidlitz, G. I 161.
Selenka, II 769, 875.
Semon, R. II 530.
Senftleben I 292.
Solger, B. I 386 A., 717, 718 u. f., 797.
Spallanzani II 889.
Speck I 242.
Spencer, Herb. 1 141, 142, 226, 231, 305 A.,
387, 391; II 212.
Spengel, J. W. II 123.
Spitta, Herrn. I 145.
Spitzer, Hugo I 144, 438 u. f.
Spring, W. I 257.
Stahel, Hans I 43, 68.
Steudener II 212.
Stirling I 310.
Strasburger, E. II 126, 309, 312, 315.
Strasser, H. I 146, 163, 179, 356 A., 384,
496, 580, 768; II 30, 149, 212, 229.
Stricker, S. I 549; II 212, 532, 801.
Strümpell, A. I 250, 265.
Swammerdam II 106.
Tait, P. G. I 682.
Taschenberg, 0. I 409.
Tliiersch I 262.
Thoma, R. I 19, 68, 83, 97, 98, 319, 384;
II 45.
Thomson, W. I 682.
Thürler, L. I 181.
Tiegel, I 174.
Tizzoni I 258.
Toldt, C. I 2, 74, 268, 371.
Tornier, G. I 141, 768.
Traube I 285.
Trembley II 43, 813.
Tribe. A. II 669.
Tyndall I 410.
ühthoff I 287 A.
Valentin II 153.
Verworn, M. I 412; H 90, 291, 577, 951 A.
997.
Vesal 1 268.
Virchow, H. 11 213.
Virchow, R. I 167, 219, 251, 257, 301,
309, 314, 328, 334, 393, 544, 616, 633;
II 212, 283, 495, 517, 751.
Vogel, J. I 242, 305.
Vogt, C. II 801.
Voit I 242, 309.
Volkmann, A. W. I 48, 163, 258, 280,
380.
Volterra II 669.
de Vries, H. I 231; 11 83, 864.
Vulpian I 165, 288, 293, 295.
V. Wagner F. II 841.
Wagner, Moritz I 216.
Waldeyer II 30, 200.
Wallace I 142, 154.
Waller I 288.
Weber, Ed. Fr. I 577, 623.
Weber, E. H. I 204.
Wedl I 795, 797.
Wegner, G. I 266, 351.
Weigert, Carl I 221, 240, 262, 264, 291;
II 514. 515.
Weisbach I 48, 57.
Weismann, Aug. 1 144, 190, 208, 231,
384, 449 u. f.; II 6, 8, 30, 61, 66, 68,
71, 83, 307, 846, 870, 875, 977.
Welcker, H. I 375, 605.
Whitman, C. 0. II 806, 985.
Wiener, Max I 326.
Wiesner, J. II 83.
Willkomm, M. I 410.
Wilson, Edm. B. II 819, 831, 834, 875,
877, 880, 989 u. f., 1004, 1005, 1006,
1009.
Winkler, E. I 675, 683.
Witkowsky I 193.
Wolfermann I 179.
Wolff, C. Fr. II 283.
Autoieii-Rosister zu Baud 1 und II.
1039
WolflF, G. I 147, 148, 235, 407 A.; II 66.
Wolff, Jul. I 144, 166, 179, 356 A., 357,
384, 662, 701, 716, 721, 723 u. f., 766,
768; II 45, 160, 212.
Wundt, W. I 145, 218, 448; II 223.
Würtb, E. I 410.
V. Wyss I 262.
Young I 242.
Zahn, Wilh. II 206, 829.
Ziegler, E. I 384, 549.
Ziegler, H. E. II 305, 922, 942 A.
Zielonko I 167.
Zscbokke I 681, 719, 729, 761.
Zuckerkand] 1 2, 74, 268, 371.
976 A.
Saeh-Register
zu Band I und II.
A nach einer Seitenzahl = Anmerkung.
Abhängige Differenziruug ') I 205
u. f.; Definit. II 14 u. f.; Vorkommen
1 205, II 20, 31, 98 u. f., II 72, 234, 287, 427,
820; zur Einheit des Ganzen I 39, Nr. 27,
Nr. 28; vom functionellen Reiz a. D.
I 346; a. D. des Eies von aussen II 422;
a. D. im Kern II 45 Anm.; zwischen
Zellleib und Kern II 303, 306, 317, 837,
927-937; zwischen Zellen II 306, 317;
der Bindesubstanzen I 333 u. f.; wan-
dernder Zellen II 801. Siehe auch: Dif-
ferenzirung ; Correlationen ; Wirkungen ;
Entwickelung, atypische; Epigenesis;
Umdifferenzirung; gestaltende functio-
nelle Anpassung; Massencorrelation;
Kampf der Theile; Regeneration; Post-
generation; Selbstregulation (morpho-
logische).
Abhängige Diflerenziriingsgebilde
II 908; temporäre, permanente II 908.
Abiogenesis, durch Züchtung der Grund-
functionen des Lebens I 409—416.
Ablenkung des Arterienstammes bei
der Astabgabe: Thatsachen I 11 u. f.;
Ursachen I 80 u. f. ; des Venenstammes
bei der Vereinigung etc. I 11 u. f.
Abplattung der Organe aneinander 1 268.
Abschcerimg, Scheerung oder Schub.
Defin. I 505, 679; A. ist abhängige Dif-
ferenzirung II 234; A. als functioneller
und zugleich Entstehungs- und Erhal-
tungsreiz des Knorpels II 227; ihre
Bedeutung für die Localisation der Epi-
und Apophysen II 229; ihrVorkommen
II 230; horizontale, verticale A. I 511,
516; A.-sfasern I 483; A.-sfaser-
paare: im Perimysium inteinum 1 182,
in der Flosse des Delphin 1 516, 558.
Abschnüriingen II 37.
Absterben des jungen Embryo, Zeichen
desselben II 150; während der Fur-
chung II 156.
Abstraction, Wesen und Entstehung der-
selben I 414.
Accessorisclie Organe, als Beweis von
Selbstdifferenzirung II 206.
Acepbaliis, künstlich hervorgebrachter II
166; als Beweis von Selbstdifferenzi-
rung II 205.
Achromatintbeilung, ev. Bedeutung 11
139, 312.
Acormus als Beweis von Selbstdifferenzi-
rung II 205.
Activität (1er Ernährung I 308, 311, 312.
Activitätsbypertrophie od. functionelle
Hypertrophie I 166 u. f.; Gesetz der
dimensionalen Hypertrophie I 166; sie
ist nicht bedingt durch die functionelle
1) Die in den Abhandlungen neu eingeführten oder in neuem, bestimmt definir-
tem Sinne gebrauchten Termini sind fett gedruckt.
I
Sach-Register zu Band I und II.
1041
Hyperämie I 315—325; ihr Antheil an
der fuuctionellen Structur I 356-360,
K 205; A. der Muskeln I 285, 631; Ur-
sache I 637; A. der „langen Knochen"
I 758; A. der Lymphdrüsen, Milz und
Niere: Auslösung derselben durch ver-
mehrte Blutzufuhr I 311.
Aehnlichkeitswacb Silin 111 I 128
(172), 202.
Aehnlichkeit zwischen Eltern und Kin-
dern I 832 A; Ursache, siehe Keim-
plasson, Vererbung.
Aequator, electrisch er, II 579.
Aequatorisation, electrische II 703.
Aeqiüpotentiale Flächen, ihre Darstel-
lung an Froscheiern II 550 u. f.
Aequivalente zwischen Reizgrösse und
geweblicher Reactionsgrösse I 347, 553,
559 u. f ; a) der Bildung I 555 ; b) der
Erhaltung I 555; des Bindegewebes I
559; siehe auch Gleichgewicht, Coeffi-
cienten der Gewebebildung.
Aethalium septicum, seine electrische
Polarisation II 582.
AIjü:eii, im Knochen lebende I 769 — 802,
speciell 791.
Allantois, electrische Polarisation der-
selben n 636.
Allobiosis atrophischer Theile I 648.
Alloplasia II 80.
Alloplasten II 85.
Allotrophie der Muskeln I 622, 648.
Altersstöi'iingen, Ursache in mangeln-
der Züchtung I 653.
Amnionkreislauf, Richtungsverhältnisse
seiner Blutgefässverzweigungen I 16, 19.
Ami)hioxu8, £ntwickelung einer der bei-
den ersten Biastomeren II 831, 877,
879; einer der 8 ersten Blastomeren II
832.
Amorphus als Beweis von Selbstdifferen-
zirung II 205.
Amyelia, künstliche durch Borsäure II
152 Anm., 887 Anm.
Anachronismen der Entwickelung als
Beweis von Selbstdifferenzirung II 203;
ihre formalen Folgen IE 114; A. der
Furchung 11 117, 164. 176, 329, 445,
W. Roux, Ge.sammelte Abhandlungen. II.
855, Ursache II 338, bei Zwangs-
lage II 400, bei Deformation (Pressung)
II 445, 838; A. in der Sonderung der
Keimblätter und ihre descriptive Be-
deutung II 438, 440, 458; A. der Me-
dullarrohrbildung II 438, 440.
Analyse der organischen Gestaltungen
II 86, 1020.
Anatomie II 21; bisherige Richtung der-
selben II 26; vergleichende A. II 51,
ihr Nutzen für die Entwickelungsmecha-
nik I 343, 363.
Anderdiffereuziruiigsgebilde II 910.
Auenteria II 442; s. auch Anentoblastia.
Aneutoblastia II 442, 782, 965 ; s. auch
Asyntaxia medullaris.
Anophthalmie als Beweis von Selbst-
differenzirung 11 205.
AnordnungsstiJrungen , Entwickelung
dabei II 896 u. f.; s. auch Selbstregu-
lation; Entwickelung, atypische.
Anpassung, Definition I 157 A.; A. In-
directe : durch Auslese unter den Indi-
viduenI157; B. Directe: 1. auf nicht-
function eilen Correlationenberuhende
1 130—132, 2. auf fuuctionellen Corre-
lationen und deren gestaltenden Wir-
kungen beruhende: Fnnctiouelle An-
passung siehe diese; F. A. der Blut-
gefäss wandungl 66 u. f., 82,, 95 u. f.;
der Knochengestalt, Wanderung der
Kanten I 606; der Knochenstructur,
siehe Knochen ; der M u s k e 1 1 ä n g e : an
die Bewegungsgrösse der ßefestigungs-
punkte I 583—623; an die mittlere
Grösse des Impulses I 588; durch
Schrumpfung I 600, 608, 615; A. des
Embryo an passive Deformation II 245,
252; des Eies II 246; qualitative A.
an Reize I 283; vollkommene I 347; sin-
kende I 348; an die Reizfrequenz und
-Intensität I 283, -345, siehe Theilaus-
lese, Gewöhnung.
Anpassungsfähigkeit: Abnahme der
qualitativen A. mit dem Alter I 373;
phylogenetischer Verlust derselben, be-
dingt durch Selbstregulation I 224, 337.
Anstichversuche an Eiern: Methode II
66
1042
Sach-Register zu Band I und II.
940 u. f.; Priorität II 957; Ergebnisse
II 153-200, 432—458.
Antidarwinisten II 67.
Aorta, Verästelungsregeln I 24.
Apoiieurosis palmaris und plantaris,
Function als Ligg. cutanea etc. I 180.
Apophysen, Ursache ihrer Entstehung
und Localisation II 228, I 811.
Arbeitsorgaiie, ihr von der Hyperämie
unabhängiges Wachsthuni I 311, 327.
Arcliitecturumvvälzung der Knochen,
ihre Vermittelung I 357.
Area vasculosa, Regel ihrer Gefässver-
ästelung I 19, 31.
Art, Bedingung ihrer höchsten Vervoll-
kommnung durch functionelle Anpassung
I 382; Perioden und Ursachen ihrer
Variabilität und annähernden Constanz
I 117, 224, 337 u. f., 455.
Arteriae : pulmonales foetales, ihre grosse
Weite, 326 A.; meningeae mediae, Ver-
ästelung I 25, 87 ; coronariae cordis :
Ursprungswinkel und seine Bedeutung
I 34, 71 ; recurrentes, Abgangsregel I
35, siehe auch Blutgefässe.
Arzneimittel, gestaltende Wirkung auf
den Embryo II 887.
Ascidieii-Halbbildung aus einer der beiden
ersten Blastomeren II 788.
Assimilation I 208, II 76 u. f., als Prob-
lemen Anm. ,1179; morphologische
A. 1 223, II 80, 1020; functionelle A. II
1022; öelbstregulation der A. I 224; voll-
kommene, unvollkommene II 76; Fremd-
assimilation II 77 ; präparatif e,
generative, reparative A. II 79;
Selbstassimalation II 76—79; Ab-
hängigkeit der A. vom Umsatz I 401;
ZüchtendeWirkungder A.I 222, 231 u. f.;
Nutzen der A.I 394; A. als Grundbedin-
gung der Vererbbarkeit I 395, 451, II 62 ;
Bedeutung der A. für dieUebertragung des
Gesetzes der Trägheit auf die mit Stoff-
wechsel verbundenen Vorgänge I 332.
Ast, der Arterien, Definition I 11.
Astkeil der Gefässe I 81.
Astverlaufswinkel I 15
Astwiukel = Astursprungswinkel der Ar-
terien, Definition I 15; ihn bestimmende
Regeln I 15 u. f.
Asyntaxia medullaris II 443, 447
524 Fig. 4, 526, 528; künstliche totale
(durch Pressung) II 89, 922, 965 ; durch
Anstich II 160, 162, 163, 167, 168, =171,
172, 173, 177, 178, 185 Anm. ; als An-
lass zu Doppelbildungen II 517 u. f.
Athnuingsfunetion der Theile der Blas-
tula und Gastrula II 323.
Atrophie : der Organe und Nerven nach
Nervendurchschneidung I 284 u. f.; des
Bindegewebes durch üeberdehnungl 554.
Atrophische Organe, ihr Stoffwechsel
I 285; ihre Erhaltung bei mangelnder
Concurrenz um den Raum I 269.
Attractive und tractive Wirkungen
zwischen Kern und Zellleil) 11 474, siehe
auch .ZelUeib".
Aufhellung der Eirinde, typische nach
der Befruchtung s. II 355, 410.
Aufzehrung von Zellen durch andere,
Zeichen dafür II 494; siehe auch Kampf.
Äugenblase, primäre und secundäre, ihre
electrische Polarisation II 637.
Ausbildung, feinere, von Organen I 363.
Ausführungsgefülile,controlirende, beim
Lernen I 565 u. f.
Auslese: 1. im Organismus 1218, durch
den Stoffwechsel bedingte I 231 u. f.
Partial- oder Theilauslese I 541;
2. Personal- oder Individualauslese
I 247, 538-541.
Auslosung I 240 Anm., II 38, 45, 63, 81,
82, 86, 87, siehe auch Activirung. Ihre
Unabhängigkeit von Wirkungungsäqui-
valenten I 553. A. von Differenzirung
II 409, 509; der Regeneration und Post-
generation II 800, 810, 897; derPartheno-
genesis II 823.
Ausmerzung I 541, siehe Auslese.
Ausstülpungen II 37.
Antobiosis atrophischer Theile I 648.
Autogonie des ersten Lebens durch Züch-
tung der Grundfunctionen r 409— 416.
Antokineon I 231 A., II 84.
Automatie, geringer Nutzen derselben
I 398.
Sach-Register zu Band 1 und II.
1043
Automerizon I 231 A , II 84.
Autwpliolie, siehe Selbstnützlichkoit.
Aiixoii II 84.
Axe, neutrale iin Knochen bei Biegungs-
beanspruchuug I 683.
Axolotl-Ei, Befruchtung, Copulationsbahn
II 376.
Bänder, functionelle Anpassung I 168;
Ursache ihrer Gestalt I 355, 360, 361;
ihrer Structur I 359, 363; Erhaltung
zufällig entstandener B. 1 361 A. ; Wande-
rung I 606.
Beanspruchung der Widerstandsfähig-
keit der Gebilde, die fünf Arten der-
selben I 505, 678; a) constante B., Ein-
fluss auf die Structur I 547, 706; b) in-
constante B., Eiufluss auf die Structur
I 553, 705; B. der Knochen I 120, 681
Anm., 720, 761.
„Befruchlende" Wirkung dos Sa-
mens, Definition II 294.
Befruchtung, Leistung II 833 ; Bestim-
mung der caudalen Seite des Embryo
durch die B. II 409; Verzögerte B. :
Geschwulstkeime II 496 Anm.; Ab-
normität der B. II 367; Künstlich
localisirte B. II 300, 352 u. f.;
Methode II 359; ihre Wirkung auf die
Aiiordnun des Dotters II 355, 401 Anm.
Befruchtungsseite des Eies II 355, 357,
534; durch die Lage derselben bestimmte
Gestaltungen II 425 ; Abweichungen da-
von II 426 ; Anhäufung von Protoplasma
daselbst II 401 Anm.
Begattungsorgane, Entstehung ihrer
Gestalt I 378.
Besamungsi*ichtung, Wirkung des elec-
trischen Stromes auf dieselbe II 583.
Beständigkeit der Gewebsleistungen II
72, s. auch Auslösungen ; B. organischer
Producte bei Wechsel ihrer Herstellung,
siehe Constanz.
Bestimmung, mehrfache, derselben or-
ganischen Gestaltung I 507 ; Beispiel
I 530 u. f.
Bewähren, Sich-, der Organismen I 424,
427.
Beweis, Unsicherheit der auf Grund nor-
maler Vorgänge erschlossenen ursäch-
lichen Beziehungen II 30, 75, 928.
Bewusstsein, mögliche lllntstehung des-
selben I 414.
Biegung, I 683; mögliche Ursachen der-
selben 235, 242 ; Ermittelung dieser Ur-
sachen II 239.
Biegiiugsebeiie, Definition I 511.
Biegungsfestigkcits-Constructiou aus
Bindegewebe I 510 u. f.; aus
Knochen I 683, 689, 727; Seiten-
flächen I 511; Oberfläche I 511.
Biegnngslinie, Definition I 511; ihre
Ermittelung I 526.
Bildungen , direct vererbte und secun-
däre I 201 u. f.
Bildnugsäqiiivalent zwischen Substrat
und Reizgrösse I 554.
Bildungscoefficieiilen: a) des Kno-
chengewebes I 345 Anm.; b) des Binde-
gewebes I 554, 559; Localisation der-
selben I 554, 559 u. f.
Bildungsdotter, Zeit seiner typischen,
die Richtung der Medianebene bestim-
I menden Anordnung II 295, siehe auch
Dotter.
BindegeAvebe, functionelle Anpassung I
168, 170 ; Entstehung functioneller Struc-
tur aus demselben I 282, 385, 547—553,
808; Entstehung desselben unter Ein-
wirkung von Zug I 550 , und des Druckes
I 550; Schrumpfung durch Entspannung
I 555; Atrophie durch Ueberdehnung I
554; Bildungscoefficient I 555; Erhal-
tungscoefficient 1 555 — 561 ; Schrumpf-
ungscoefficient I 555, 559; functionelle
Metastructur I 187; phylogenet. Ent-
stehungsbedingung II 227; ontogenet.
Selbstdifferenzirung II 239.
Bindegewebsfaser , ihre functionellen
Eigenschaften I 486', 508; Bildungs-
coefficient I 559; Erhaltungscoefficient
I 559 ; Koppelung der Fasern I 484.
Bindesubstanzen , Diff'erenzirungsursa-
chen derselben I 334, 343, 205 ; Zücht-
ung der B. II 227 ; Identität ihrer func-
tionellen und Wachsthurns-Reize II 229;
Wachsthum schon in Folge von Hyper-
ämie I 295, 310, 311.
66*
1044
Sacli-Register zu Band I und II.
Biogenetisches Grundgesetz I 209 bis
212, II 71 ; entwickelungsmechanische
Begründung I 443—447.
Biophoren I 231 A, II 83.
Blasenspannungsgesetze , Abweichun-
gen davon bei Furchungszellen II 988.
Blastonieren, siehe Furchungszellen.
Blastula, Defin. II 875; Defectversuche
an ihr II 175 u. f.; localisirte Anstich-
versuche II 527—529; ihr „explicites"
Material ist typisch verschieden bei den
verschiedenen Vertebratenabtheilungen
II 538.
Blutgefässe, Verästelungsgesetze der Ar-
terien I Nr. 1 und 2; Vereinigungsge-
setze der Venen I Nr. 1; hämodynami-
sche Gestaltung ihres Lumens durch
Anpassung der Intinia II 45; Entstehung
dieser Gestaltung I 365; dimensionale
functionelle Hypertrophie I 168; Regu-
lation der Weite I 316—326, 205; selbst-
ständige Anlage und Wachsthura I 88,
168, 205, 316, 326, 327 A., 385, 815;
correlative Entwickelung mit dem Pa-
renchym I 83, 815; directe Ausbildung
bei Anlage eines neuen Organes I 564;
functionelle Transplantation der B. I
404 A.
Blutgefässwandung, Nachgiebigkeit der-
selben gegen kleine Flüssigkeitsstösse
bei Widerstandsfähigkeit gegen grosse
Spannungen I 66 u. f.
Blutgef ässweite , morphologische,
ihre Regulation I 316 A. u. f., 321;
functionelle I 316 A., 321.
Borsäure bewirkt Framboisia embryo-
nalis II 152; bewirkt Amyelia und Te-
lescopnase II 152 A., 887 A.
Brechungsfurche II 111, 351; Entste-
hung durch Verkleinerung einer Zelle
11 166; ihre richtige Stellung zur nor-
malen Furche II 351 ; Entwickelung bei
B. II 911.
Brüste, Selbstbefestigung derselben durch
functionelle Anpassung 362 A ; Ursache
der Hängebrüste I 362 A.
Calcaneus, seine Structur 1 720; spongiosa
tubulosa I 708.
Callus, provisorische Verwendung des-
selben zur statischen Structur I 753.
Canalis nutritius, Lage im Knochen 1
728.
Capillaren, Anpassung derselben an ihre
in den verschiedenen Organen qualita-
tiv verschiedene Function 1 314; ihr
Verschluss durch von ihr ernährte Theile
I 303.
Caudal, Zeit und Ursache seiner Bestim-
mung am Eie 11 113, 326, 341, 349,
357, 408, 425, 534, 1026; Variabilität
der Bestimmung II 350, 929, 1016, siehe
auch cephal.
Causalität siehe Ursachen.
Causa summandi I 538.
Celiulation operirter Blastomeren II 475,
515; sehr frühzeitige 11 476; sogleich
in kleine Zellen H 783.
Centrosomen, in reorganisirtem Dotter?
480 Anm.; Ueberwanderung 11 783;
idioplastische Bedeutung 790.
Centruni tendineum des Krokodil, durch
die Leber gebildet I 73.
Cephal, Bestimmung desselben am Ei II
113, 326, 349, 408, 1026; durch die Seite
des höher stehenden weissen Dotters
II 113, 341, 534; Variabilität desselben
n 350, 929, 1016.
Charactere zweiter Ordnung, ihr Werth
für die causale Forschung II 94.
Chemotropismus, seine Züchtung I 259 ;
Vorkommen im Embryo II 422; an den
Furchungszellen (Cytotropismus) II 995.
Chondroblasten, ihr Thätigkeitsreiz II
227, 229.
Chorda dorsalis des Frosches, Anlage-
stelle 11 456; Selbstloslüsung, Selbst-
ordnung ihrer Zellen H 440, 457; Ur-
sache der wechselnden sogen. Abstam-
mung II 457; ihre Dicke beim Frosch-
embryo II 440.
Chromatintheiluug, Bedeutung II 139,
310 u. f
Coefflcienten der Gewebebildung 1 555;
der Gewebe-Erhaltung I 555, 806; der
Schrumpfung des Bindegewebes I 555;
ihre Züchtung I 559; der Knochenbil-
Sach-Register zu Band I und II.
1045
düng 1 281 Anm. ; des Muskelwachsthums
I 627; C. der Muskelverkürzung I 577,
637. Siehe auch: Aequivalente, Gleich-
gewicht.
Coincidcnz des Befruch tun gsmer i-
dianes und des ersten Furchungs-
meridianes, ihre Ursachen II 363, 381.
Collaterale Hyperämie, geringe gestal-
tende Bedeutung I 320, 322.
Combination verschiedenerExperi-
mente, hohe Leistungsfähigkeit der-
selben II 89, 1015.
Compeiisation des Wachsthnms I 270.
Compensatorisehe Hypertrophie nicht-
thätiger Organe II 43.
Complexe von isolirt ge wesenenFurchungs-
zellen, ihr cytotropisches Verhalten
II 988, 993; sie gastruliren nicht II 993.
Complexe Componenten II 82.
Componeiiten , einfache II 82, 91, com-
plexe, II 82.
Corapression des Eies, siehe Deformation.
Concrescenztheorie der Gastrulation
resp. des Embryo II 529 u. f., siehe
Gastrulation.
Coneurrenz der Theile im Organis-
mus I 217 u. f.; siehe auch Kampf der
Theile u.Theilauslese; C. in der Differen-
zirung II 910; C. der Wirkung der Be-
fruchtung und der Zwangslage II 407.
Conflguration eines Systems II 233 ; Ur-
sachen seiner Aenderung II 235—239;
Ermittelung dieser Ursachen II 239.
Congruenz der Muskelursprungs-
und Ausatz flächen I 584.
Consistenz,ihre functionelle Veränderung
in der Sch-aanzflosse des Delphin I 504.
Constanz: der Art, sie beruht auf Selbst-
regulation I 224, 337 u. f., 455: Kampf
der Theile während dieser Periode der
C. I 653; C. der organischen Producte
bei Variation ihrer Herstellung II 52, 93,
841 ; siehe auch Entwickelung, typische
und atypische; C. der functionellen
Beanspruchung, ihre structurelle Bedeu-
tung 1552, bei den Knochen I 706, 719.
Continiiität: des Keimplasson II 61; C.
der typischen Structur unter verwandten
Lebewesen I 208, 214 A., 241 A., 392,
422 A., II 228 A., 913; 0. typischer
Differenzirung in der individuellen Ent-
wickelung bereits von der Befruchtung
des Eies an II 864 — 869; C. typischer
Richtungsfolge des normalen ontogene-
tischen Geschehens von der Befruch-
tung an II 104, 117.
Coordlnationeii, Ausbildung zweckmässi-
ger I 367, 567.
Copulation der Geschlechtskerne, ihr
Mechanismus II 367 , bei Zwangslage
II 404, künstliche Nachahmung der C.
II 34 ; die C. ist unvollkommene Ver-
mischung II 391 u. f.
Copnlationsbahn des Samonkörpers
II 376.
Copulationslinie II 384.
Copiilationsi'ichtung der Geschlechts-
kerne: Wirkung auf die Richtung der
Medianebene des Embryo II 121 299,
301, 344-418, speciell 355—358, 390,
394, 1025; Einfluss auf die erste Thei-
lungsrichtung II 338, 367 ; Wirkung des
electrischen Stromes auf die C. 584.
Coi'onarai'terien des Herzens : Bedeutung
der Gestalt ihres Ursprungskegels I 71.
Correlationen : 1. functionelle I. 109, 115,
153, 187, 216, 350—380, ihre „gestal-
tenden" Wirkungen siehe Functionelle
Anpassung, morphologische; 2. direct
,, gestaltende", formal und geweblich
differenzirende G I 108, 132, 381, 543, II
15, 20, 29, 38, 65, 72, 82, 187 u. f.,
214, 254, 316 u. f., 455, 468, 476, 904,
911, 980, 1001, siehe auch: Massen-
correlation; nach Störungen regula-
torisch gestaltende C. II 44, 896 und f.,
904 und f., 911, 915, siehe auch: ab-
hängige Differenzirung, Epigenesis, An-
passung, functionelle Anpassung, Ent-
wickelung (atypische), Kampf der
Theile, Selbstregulation, Umdifferen-
zirung, Postgeneration, Regeneration;
specielle, differenzirende C., unter Zellen
II 317, 491, 495, 502, 506, 507;
zwischen Zellleib (Dotter) und Zellkern
II 317, 327, 336, 400 u. f., 407, 916,
1046
Sach-Register zu Band I und IL
927—939, 1009 u. f., 1018; von den „Sei-
tenflächen" der Epithelien ausgehende II
785; zwischen Parenchym und Blutge-
fässen 1 83 ; bei derGesichtshildung II 254,
secundäre Geschlechtscharactere II 254;
unrichtig angenommene Correlationen
II 803-806.
Corroslon : Technik I 2—7 ; des Nerven-
systems I 3.
Cutis, Entstehung ihrer Grösse I 555, 567 ;
C. des Delphin, hohe Papillen I 490,
528; typische Anordnung I 491, 528.
Cytotropisuins der Furchungszellen
II 988 u. f., 993.
Darmrolir , Selbstschluss desselben im
Embryo II 251.
Daiiei'fahjgkoit des Organismus statt
Zweckmässigkeit I 145, 154, 392, 449,
II 223; Entstehung derselben I 103,
541, II 223; Bedingungen I 393; Steige-
rung I 157, 247, 274.
Dauerprocesse I 395 u. f.
Decubitus, acuter, Ursache 1 296.
Defecte am Embryo als Beweise der Selbst-
differenzirung des Uebrigen II 204 ; Ent-
stehung localer D. am Embryo nach
localem D. am Ei II 153, 161 u. f., 179
u. f. ; 180, 516, 525, 528, D. wirkt fast
v/ie Befruchtung II 842, 800, siehe auch
Regeneration, Postgeneration.
Defonuation, passive des Eies: Ent-
wickelung dabei II 189, 204, 246, 442,
445 A., 527 A., 661, 838, 885—887, 891,
901,926, 1014; Localisationsursache der
ersten Einstülpung dabei II 342 A., Rich-
tung der Medianebene zur ersten Furche
dabei II 921 u. f., 960 — 967; D. der
Furchungszellen, ihre Wirkung auf die
Theilungsrichtung II 118, 302, 973, 984;
D. des Embryo II 245 u. f., 926.
Deformität des Knochens, Definition Jul.
Wolffs I 731.
Degeneration nach Nervendurchschnei-
dung 1 286; an Muskeln I 284; an Drüsen
I 2SG; des Rückenmarkes I 288.
Delphin, Schwanzflosse: ihre Stuctur I
466-491; deren Bedeutung 1493—536;
deren Entstehung 537—568; Rücken-
flosse I 562; subcutaner Fettkörper I
563; Knochen: Biegungsconstruction
der Vorderarmknochen I 727 ; Spongiosa
der Knochen : Maschenweite derselben
I 708, 709, 728.
Demarcation operirter und nicht operirter
erster Blastomeren des Froscheies II 467.
Dermoidcystome, als Beweis von Selbst-
differenzirung II 206. 427.
Dexterität, Unabhängigkeit von der Lage
und Weite der Blutgefässe I 320.
Diaphyse, Entstehungsursache II 228,
I 810 u. f.
DifTerentiatio sui perfecta et imper-
fecta II 15, 907; ex alio II 907 ; mixta
II 20.
Differenzirung. Definition II 906 ; D. be-
ruht auf Wechselwirkung II 14, 883,
979; specifische Natur der D. nach
Qualität, Ort, Zeit und Grösse der Ver-
änderung II 907; qualitative D. durch
Theilauslese I 246, 253, 275 ; durch An-
passung an Reize I 283; formale D.
zum Theil bedingt durch active Nah-
rungswahl I 315; Unabhängigkeit der
D. von der Zahl der Zelltheilungen II 317 ;
D. „begrenzter" Gebilde oder Theile:
a) Selbstdifferenzirung, siehe diese und
Evolution; b) abhängige D. II 111 A.,
205 u. f. 511, 907; bei der Postgenera-
tion 11491—510; passive D. II 16, 208,
235; c) gemischte D. II 20, 908, siehe
auch: abhängige Ditferenzirung und Epi-
genesis; D. des Embryo I 332, Ursachen
derselben I 333; D. des Erwachsenen
I 333; Ursachen I 333; siehe auch Cor-
relation , Umdiflferenzirung, Entwicke-
lung.
Diflerenzirungsflächeii der Epithelien
II 800; Differenzirungsfolge bei der
Postgeneration 11490—495; Ablenkung
der Differenzirungsrichtung durch Hin-
dernisse II 495—499.
DiffereuziriingshauptgebiI<leII910.
DifrereiizirHngsnebeMgebildeII910.
Differeiizirnugsnrzellen II 515.
Diniensionalc ActiTÜätstaypcrtro-
phie I 128, 166, 627—639.
Sach-Register zu Band I und II.
1047
Diuiousioiinlo Striietiir dor Binde-
gewebsfaser I 187.
DissiniiLatioii I 208.
Doppclhilduuii-en , Entstchungsmüglich-
keiten II 20; Anlagezeit II 20, 121;
Gesetz der doppelten Symmetrie ihrer
Anlage II 122, 333; unvollkommene D.,
als Beweis von Selbstdifferenzirung II
860, 892, 334; Entstehungsweise der D.
II 332; Entstehung durch Postgeuera-
tion nach Asyntaxia medullaris II 516 ;
D. durch die Anordnung des Dotters
II 932 u. f. ; hervorgebracht durch Um-
kehrung der Eier II 932 u. f.; unvoll-
kommene D. II 938; durch unvollkom-
mene abnorme Entfernung der Elasto-
meren von einander II 794 — 795.
Dorsal des Embryo am Ei II 534, siehe
auch ventral; Bestimmung desselben am
Ei II 112 u. f., 347, 349, 408; durch
die Seite des höher stehenden weissen
Dotters II 113, 341.
Dorsalplatte II 348.
Dotter des Frosclieies, Arten desselben
II 374; Nachweis des ungleichen spec.
Gewichtes von Nahrungs- und Bildungs-
dotter II 113, 120,260—262: Aenderung
durch die Befruchtung II 291 ; Anord-
nung des D. durch die Befruchtung II
355, 365 ; unvollkommene Rotationsan-
ordnung beim Froschei II 382; Entste-
hungszeit der Anordnung desselben,
welche die ^Richtung" der Medianebene
bestimmt 11295, 852; die , Anordnung"
bestimmt die „Lage" von cephal und
caudal II 409, 416; sonstige Wirkung
II 827, -^36, 890 A.; Erhaltung seiner
Anordnung vor der Befruchtung ent-
gegen der Schwerkraft II 297 , 375 ;
Selbsterhaltung seiner Gestalt II 175,
passivesVordrängenu.AbschnürenII175;
nachträgliche Umordnung symmetrisch
zur ersten Theilungsrichtung II 327, 340,
402, 928; Theilung des D.'s II 388;
Bedeutung der „Gestalt" des D.'s für
die Furchung II 302 u. f., 922 A., 924 A.;
Folgen der Störung der Anordnung des
D.'s II 180; Wirkung der halbkugeligen
Gestalt derselben für die Bildung der
seitlichen Körperhälften II 451 ; Einfluss
der Dotteranordnung auf die Entste-
hung von Halb- und Doppelbildungen 1 1
932 u. f., 1009-1011, 1017; seine idio-
plastische Bedeutung II 315, 513 u. f.,
999; ihre Beschränkung II 1015 u. f.;
gestaltende Wechselwirkung zwischen
Dotter und Kern II 317, 327 u. f., 336
u. f., 340, 400 u. f., 407, 916, 927—989,
1009 u. f., 1018.
Dotterkreislaiif , Richtungsverhältnisse
seiner Blutgefässverzweigungen I 19,
68 ; selbstständige Anlage desselben I 83.
Dotterkörner, ihre Grösse und Ordnung
im Froschei II 374.
Dotterreichthum als Ursache der Hem-
mung der Postgeneration II 798, 809, 810.
Dottertlieilungsfläche 388 ; Ursache
ihres Zusammenfallens mit der Kern-
theilungsfläche II 389.
Dotterzellen, ihre functionelle Bedeutung
II 181 u. f.; sie sind noch keine Ento-
blastzellen II 782 A., 965.
Dreiviertelgebilde II 174, 446.
Druck, Definit. I 678; Druckfestigkeits-
Construction I 679 ; Umsetzung des D.
in Zug I 550, 180; Beanspruchung der
Druckaufnahmestelle I 685 ; D. von
Knorpel auf Knochen I 708, 735, 762;
vom Periost aus I 735, 762; D. sowie
Wechsel von D. und Zug (ohne Ab-
scheerung) als functioneller und zugleich
als Entstehungsreiz des Knochengewebes
II 227; D. der Zellen auf einander,
Zeichen desselben II 494; D. der Or-
gane aufeinander, Gestaltung I 268;
chemisch hemmende Wirkung des D.
I 257.
Driickfascrn des Bindegewebes I 513.
Druckfestigkeit der Zellen, ihre Bedeu-
tung im Kampfe der Zellen I 257—258,
432.
Drüsen, functionelle Anpassung I 169,
176, 814; Ursache ihrer Gestalt I 355,
365, 814; Atrophie nach Nervendurch-
schneidung 1 286 ; functionelle Rei-
zung durch Bestandtheile des Blutes
1048
Sach-Reffister zu Band I und IL
I 298, 321 u. f., 342; functionelle Rei-
zung durch Nerven I 286.
Ductus : Arantii, Ursache des Verschlusses
I 327 A.; Botalli, Ursache des Ver-
schlusses I 327 A.
Dynamische Structur I 736, siehe
auch Structur.
Echiuodei'men , Entwickelung isolirter
Blastomeren II 790, 878.
Ectoblast des Froschembryo, normaler
Bau II 488; Postgeneration II 485; Unab-
hängigkeit vom Mesoblast II 504; vom
Entoblast II 505.
Ei, unbefruchtetes, Erhaltung seiner
inneren Anordnung II 297, 376; Ein-
stellung II 259, 261 ; befruchtetes Ei,
seine Selbstdifferenzirung I 333 A., siehe
diese ; spiralige Strömungen in ihm II
321 ; actuelIesEiI1832 ; morphologische
electrische Polarisation des Eies II 545
u. f.; Ei, def ormirtes: Entwickelung
des während der Furchung defor-
mirten II 661, 885—887, 901 ; Entwicke-
lung des nach der Furchung defor-
mirten II 891 ; siehe auch Deformation.
Eiaxe, ihre senkrechte Einstellung bei
Rana fusca II 257 u. f., 291 u. f.; ihre
Schiefstellung bei Rana esculenta II 113,
258,335: Geschwindigkeit der Einstel-
lung vor und nach der Befruchtung II
261, 291 ; Mechanismus der Einstellung
II 295 u. f; actuelle E:iaxe II 849;
ihre Lage bei Entstehung von Doppel-
bildungen II 937.
Eihälfte, ihre isolirte Entwickelung II
428 u. {.
Eikern, seine Lage im Froschei II 378;
Exaxialität, Excentricität desselben II
379; seine Bewegung bei der Copulation
II 380.
Einiatei'ial, Entbehrlichkeit eines Theiles
II 179.
Einfachheit, grössere, locale, bei den
höheren Organismen II 815; E. von Er-
klärungen ist kein Beweis von Richtiij-
keit II 30.
Einheitlichkeit der Theile des Organis-
mus, Vermittelung derselben II 39 u. f.,
806, 816.
Einseitiglveit, ihre Züchtung durch Theil-
auslese I 245.
Einstellung der Eiaxe, siehe letztere.
Einstüli>ung bei der Gastrulation des
Frosches II 525, 530.
Eiuriertelbildungen II 446.
Einwirkungen, äussere, differenzirende
Wirkungen derselben auf das Ei II 422 ;
störende Wirkungen II 423.
„Einziger Fall", Bedeutung eines solchen
für die „Möglichkeit", z. B. bei Halb-
bildungen II 856.
Eirinde des Froscheies, Beschaffenheit II
156, 364; rasche Anpassungsfähigkeit
an neue passive Formen II 246; Unab-
hängigkeit der Entwickelung von ihrem
Dotter II 848.
Kitheil-Bildungen II 793.
Elasticität der Gastrulaschiehten II 190.
Electricität, Einfluss auf dieZelltheilungs-
richtung II 319 ; ihre Nichtbetheiligung
an der embryonalen Formbildung II 149;
trophische Wirkung derselben I 244.
Elementarorgane, letzte 11 84; Anto-
kineonten II 84; Isoplassonten
' II 84.
Elementarorganismen, letzte II 83; s.
Antonierizonten II 84; Idioplas-
sonten II 85.
Elimination abnormer Zellkerne etc.
durch epithelialen Zusammenschluss der
Umgebung mit glattem Abgrenzungs-
contour II 478, 497; E. lebenden
Materiales bei der Regeneration II 845
u. f. ; E. von Dotter der operirten Ei-
hälfte II 783; siehe auch Ausmerzung,
Theilauslese, Kampf der Theile.
Ellipsoidgelenlv, Ursache 1 376.
Embryo, inneres Gleichgewicht seiner
Theile II 245; Anpassung an defor-
mirende Einwirkungen II 245 u. f. ;
Elasticität II 245—250; Operationen am
£. II 196; reeller und virtueller Em-
bryo 11 349; Lage zum Ei II 349;
variable Lage zur Furchungsaxe bei
Zwangslage II 349; siehe letztere
Sach-Recister zu Band I und II.
1049
Lage zur Axo des imbefruchteten Eies
II 349; siehe auch Medianebene, caudal,
cephal; morpliologische electrische Po-
larisation der Embryonen II 563, 597,
634, 642, 646.
Embryonal, Definition I 203, 207.
Embryonale Gebilde, ihre morphologische
Polarisirbarkeit 741, 752, 655.
Embryonales Lieben, Periode des-
selben jeden Organes, siehe Lebens-
perioden.
Energien der normalen s. typischen
Entwickelung ; ihre Activirung H 830;
der atypischen s. regulatorischen Ent-
wickelung; Activirung derselben durch
eine „Störung" II 830; functionelle
11 282.
En face Minimum der Gefässe I 37 u. f.
Entoblast, seine feste Lage zum Nah-
rungsdotter II 851, 285; Postgeneration
11 504; Unabhängigkeit vom Ectoblast
II 505; Dotterzellen sind noch keine
Entoblastzellen II 782 A., 965.
Entstehung, succesive, des ersten
Lebens I 409—416, II 85.
Entwickelung, organische, ihr Wesen
II 4, I 224, 332 ; sie beruht auf Wechsel-
wirkung (Correlation) II 14, 822;
a) in dividu eile Arten derselben ;a)Epi-
genesis 11 5 (siehe diese und Selbst-
differenzirung) ; b) Evolution II 5 (siehe
diese und abhängige Differenzirung,
Correlationen); c) Combination beider
II 20, 202—253, I 331-382; d) Meta-
morphose von Mannigfaltigkeit II 8;
Zeit des Beginnes der individuellen E.
II 863, 869 ;-Periode der selbstständigen
oder organbildenden E. II 281, 909,
I 348; der functionellen E. II 281, 909,
I 348; structurelle E. 1 214 A. ;
chemische E. I 214 A. ; E. durch Be-
thätigung ungleicher Qualitäten II 341,
306. Sie ist im Hauptsächlichen Selbst-
differenzirung ,des Eies" I 422, II 276
(siehe Selbstdifferenzirung) ; typische,
(s. normale, directe) und atypische
s. regnlatorische s. regenerative E.
II 94, 450, 520, 811 u. f., 843, 981;
Gemeinsames beider II 915; Unterschied
beiderll 840; Verwechslung beider 11 885,
971, 1007, 1011, 1029; typische E.
kommt nicht ganz rein vor II 981 ;
festere Mechanisirung derselben II 815;
Verzögerung der E. nach Operationen
am Ei II 159; vorzeitiger Stillstand II
159; Vorzug der Frösche zum Studium
der typischen E. II 918; Fehlen der E.
bei niederen Organismen II 13, 35;
2. phyle tische E. siehe Stammes-
geschichte.
Entwickelnngsenergien , besondere
II 188, 282.
Entwickelnngsfunctionen I 409 A.;
II 979.
Entwickelungsmechanik , Definition
II 4, 27—29; Aufgaben II 14, 28, 74,
86; Nutzen II 47 u. f., 52, 60 u. f., 69,
I 441, 443; Methode I 213, II 13,
22, 30, 35—37; Ermittelung einfacher
und complexer Componenten 1182; Un-
sicherheit causaler Folgerungen aus Be-
obachtungen des „normalen" Geschehens
II .30, 75; ontogenetische und phylo-
genetische E. II 60, 73; vergleichende
I 441 ; Erklärung des „biogenetischen"
Grundgesetzes I 443-447.
Epibolia bilateralis der Gastrulation
II 529 u. f., 183.
Epidermis, functionelle Anpassung I 169.
Epigenesis II 5, 9, 20, 74, 148, 186,
287, 451 A., 959, 1023, I 101, 201 u. f.,
207, 214 A., 224, 332, 385, 422 A.;
unrichtige E. II 858, 864-868; Com-
bination mit Evolution II 20, 456 A.,
202—257; 1 331—382; siehe auch ab-
hängige Difterenzirung, Correlationen;
Einschränkung der E. durch die indirecte
Kerntheilung II 863 ; E. bei der Fur-
chung II 451 Anm.; specieller Antheil
der E. an der Bildung der Delphin-
schwanzflosse I 567.
Epiphysen, Entstehungsursache II 228;
I 811; Ursache der Grösse und Locali-
sation II 228, 18; der Gestalt I 720 A. ;
Ursache ihrer anderen Structur als der
Diaphyse I 719.
1050
Sach-Register zu Band I und II.
Epithelialgewebe, ihre ontogenetisehen
Entstehungsursachen I 333 u. f. ; Ent-
stehung durch äussere Ein Wirkung II 422;
durch Selbstdiiferenzirung, siehe diese;
differenzirendü Wirkung blos der „Sei-
tenflächen", nicht der Oberfläche und
der basalen Fläche 11 785, 800; Ab-
scheidung von Kittsubstanz erst beim
Absterben II 600.
Epitlielzellen, Bestreben sich dicht zu-
sammenzuschliessen II 453; bei em-
bryonalem Defect II 440; am freien
Rande des Stratum II 482.
Erblichkeit functioneller Anpassungen?
I 189 u. f., 199 Anm.; 207, 214 Anm.
Erdmagnetismus, Nichtnöthigsein des-
selben zur Entwickelung des Eies II 274.
Ererbt, Definition I 203, 207.
Erhaltung unthätiger Theile I 346, 348,
721 A.
Erhaltungsäquivalout zwischen Sub-
stratmenge und Reizgrösse I 554.
Erhaltiingseoef'ficient des Bindege-
webes I 559, 806.
Erhaltungscorrelationen II 72.
Erhaltungsfunotionen I 409 A. , II 980.
Erhalliingsmecliauik der Organismen
II 29.
Erklärung, mechanische, der functionellen
Anpassung I 377, Anm.
Erklärungsarten der Organismen II 58.
Erlernung von Bewegungen: Wichtigkeit
„controllirender Ausführungsgefühle" I
565.
Ernährung ist activ, nicht passiv I 307
u. f., 311, 805.
Erregung I 391 ; siehe auch Auslösung.
Erschütterung, Entwickelung fördernde
Wirkung derselben I 243.
Erworbene BiUlungcn I 200; siehe auch
Vererbung.
Evolution, II 5, 9, 20, I 201 u. f., 207,
332, 582; II 283 u. f. 288, 959, 1023;
siehe auch Selbstdift'erenzirung ; Com-
bination mit Epigenesis II 20, 456 A.;
302—253; I 331-382.
Excretion, ihre Züchtung I 259.
Exostosen, ihre Erhaltungsursachen 346,
760; functionelle Structur I 762.
Experiment, analytisches, Bedeutung
für die Entwickelungsmechanik II 32;
combinirte Experimente II 89, 1015.
Explieite vorhandene Theile im Froschei
II 401.
E.vplicites Material auf der Blastula-
stufe bei höheren und niederen Verte-
braten typisch verschieden II 538.
Extracellulate , electrische , an der
Gastrula II 615.
Extraovat, Entwickelung desselben II
155, 162, 5.39 u. 540; Furchung 11 516;
electrische Polarisation II 619.
Fadenpilz ähnliche Gestaltungen aus
Furchungszellen II 994; F. in Knochen
I 792.
Faltungen sind keine „einfachen" Vor-
gänge II 37.
Fascien, functionelle Structur I 180;
Entstehung derselben I 282, 359; F.
palmaris und plantaris; siehe Aponeu-
rosis.
Femur, individuelle Verschiedenheit seiner
Structur je nach dem Gebrauch I 677 ;
Ausbildung zweckmässiger Structur in
neuen Verhältnissen I 662 — 713; func-
tionelle Vielseitigkeit seiner Structur
I 727—729.
Fernwirkung zwischen Samen und Ei
II 293 ; zwischen Kern und Dotter?
II 341 ; differenzirende F. ? II 187, 189.
Festigkeitsconstructionen, allgemeine
Gesetze derselben I 509; Arten der-
selben I 678 u. f.
Fettaufspeicherung nach Inanition, be-
dingt durch innere Umzüchtung des
Organismus zur Sparmaschine I 236 A.
Fettkörper, subcutaner, des Delphin,
Structur I 563.
Fibroblasten, reactive gestaltliche Leis-
tungen I 550.
Fibula, functionelle Structur und Gestalt
in neuen Verhältnissen 1 165.
Fieber, chronisches, innere Umzüchtung
des Organismus dabei I 236 A.
Fiederung der Muskeln ; Entstehung
durch Selb-stregulation I 269, 174; 596,
621, 813; Anordnung der Sehnen 1586.
Sach-Register zu Band I und II.
1051
Fläche, neutrale, d. Biegungsconstniction
I 512.
Flamme, Vergleich mit den Organismen
I 896; Kampf derselben II 218.
Flossenflü^yel des Delphin I 467. 470.
Flüsslgkeitsstoss, Autheil desselben an
der Gestaltung der Gefässe I 80 u. f.
Flüssigkeitsstrahl , Gestalt des frei
ausspringenden I 48.
Form eines Systems II 238; Bedeutung
der F. für das Leben des Embryo 11 187
u. f.
Formales Lieben, s. Leben, gestaltliches.
Formcharactere , zweiter, dritter Ord-
nung II 88; ihre causale Bedeutung
II 93; grössere Constanz derselben als
der Art ihrer Herstellung II 93.
Fortsetzung des Stammes, der Arterien
I 11; Richtung I 11 u. f.; Ursachen I
80—98 u. f.
Frainboisia eMibr.youalis finalis,
minor II 151, 198; major 11 152,
198; nach Operationen II 475; electrische
Erzeugung II 564, 567 (vergl. 599);
Reaction auf den electrischen Strom bei
Fr. minor II 621; F. minor interna
II 151, 172 u. f., 887; major II 152,
198 u. f.
Froschei, Abplattung nach der Befruch-
tung II 377; schwere Auslösung der
Ganzbildung aus Eiteilen II 1010, 1012 ;
electrisches Leitungsvermögen II 601.
Function der Organe. 1. Erhaltungs-
functionen: a) Selbsterhaltungsfunc-
tion des Organes II 213, 979 u. f.;
b) „specifische Function" (zur Erhaltung
des Ganzenf II 213, 216, I 397 u. f.;
automatische und reflectorische I 398.
2. Entwickelungsfunctionen I 409
A., II 213, 979 u. f.; Verschiedenheit der
F. in den verschiedenen Dimensionen
der Organe 1 171 ; trophische Wirkung
der „Erhaltungsfunctionen" I 437, 760;
gestaltende Wirkungen s. functionelle
Anpassung.
Fnnctionelle Anpassung, Definition
1157 A.. 462, II 115, 149; Allgemeines
I 546 u. f , 757-768, 804, II 211-216;
ilirc Leistungen I 122 u. f., 164-187;
a) rein fiinetionolle oder vorüber-
gehende (siehe Selbstregulation, functio-
nelle) I 321, 316 Anm., 377 Anm., 406;
b) morphologische I 321, 316 Anm.
877 Anm., 40(5; quantitative I 173,
757; qualitative I 166, 758; mecha-
nisch vermittelte II 214; trophisch
vermittelte I 278—382, 11 215 (siehe
auch Wirkungsweisen , gestaltende) ;
Princip der Selbstlöhnung II215; Kinwen-
dungenI386, 719Anm.; morphologisches
Gesetz der F.A. 1 166 und 173; physiolo-
gisches Gesetz derselben I 175 u. f. ; un-
erlässliche Vorbedingung ibrer umge-
staltenden Wirkung I 703; Wirkung
auf die Structur der Organe I 178;
Besonderes ihrer Leistungen gegenüber
der Zuchtwahl I 198; Beginn ihrer Wir-
kung im Embryo 1201 ; Wirkung auf die
höchste Ausbildung des Zweckmässigen
I 382; empirischer Wirkungsumfang I
384 u. f. , an der typischen Ontogenese
I 385; Ausbildung ihrer phylogenet.
Producte durch „Selbstdifferenzirung" in
der Ontogenese II 231; nachtheilige
Wirkung der F. A. I 352; F. A. der
Knochen I 606, 644—718, 739, 741, 753,
811 (siehe auch Knochen, functionelle
Structur) ; bindegewebiger Organe I 385,
464, 537—568, 808 ; der Muskeln I 576
bis 658, 813, siehe auch Drüsen, Niere,
Netzhaut , Nerven etc. , siehe auch
Anpassung, Correlationen.
Functionelle Correlationen s. functio-
nelle Anpassung, Correlationen.
Functionelle Gestalt I 690, 700 u. f.,
736 u. f., 763, 361, 436, II 213, 221,
siehe auch I 83, 100, 353, 361, 435, 561 ;
F.G. der Zellen der Gastrula 11 218. a) sta-
tische F.G. I 736 A., b) dynamische I 786,
761,766; der Knochen 1863, 690, 436,
701, 716, 721 A., 753, 761 u. f.; Abwei-
chung von ihr II 737 ; der Bänder I 361 ;
der Delphinflosse, Entstehung I 560 u. f. ;
Functionelle Hypertrophie s. Activi-
täts-Hypertrophie I 172.
Functionelle Linien I 463.
1052
Sach-Register zu Band I und IL
Fuiictioiielle Orthopädie II 160,
I 766.
Eunctionelle Reize, trophische Wirkung
derselben I 278—330; gestaltende Wir-
kung I 281 u. f.
Fuuctioiiolle Selbsfgestaltnng des
sogen. Zweckmässigen, Princip I 363;
nötbige Zeit I 371, s. auch Gestaltung.
Fiinctioiielle Strtictur, Definition I
462, 357 ; a) s t a t i s c li e der Knochen ei c.
I 357, 878, 436, 462, 678, 682, 690, 701,
716, 721 Anni., 736, 753, 761—764;
ihre Entstehung in neuen Verhältnissen
I 547, 662-713, 716; Ursache ihrer
Entstehung im Knochen I 356 u. f., 281,
434, 753, II 221, 806 u. f. ; im Bindegewebe
I 349, 546—552, siebe auch ZerfäUung ;
Beschränkung der F. S. I 716 u. f.,
721 Anm., 765; b) dy namisch e I 168,
368, 736, 807; ihre Abhängigkeit von
der „Gestalt" des Ganzen I 378; ihre
Rückwirkung auf die Gestalt I 561,
573; sie ist feiner als die Capillar-
maschen I 312, 327. II 216; Vorkommen
im Sirenenknochen I 738; in bindege-
webigen Organen bei wechselnder Zug-
richtung I 360.
FiiuftionolIeTrauspInntation 1 404.
Fnncti<»uining der Organe, ihr Beginn
im Embryo II 213.
Furclmiig des Eies, ihre functionelle Be-
deutung II 331, 450 u. f.; innere Son-
derung vor der äusseren II 365 ; die F.
der höheren Vertebraten leistet Arbeit
der Gastrulation der niederen Verte-
braten II 536; normale F. ist Selbst-
difFerenzirung des Eies II 881 u. f., 892;
erste F., Beziehung zwischen ihrerRich-
tung und der Anordnung des Dotters
n 327; Beziehimg ihrer Richtung zu
den Hauptrichtungen des Embryo II
110, 163, 186, siehe Medianebene und
Hauptrichtungen; Ursache der mero-
: blastischen F. II 31, 32, 476; Anachro-
nismen der F.[n 117 u. f., 164, 329; F.
bei Deformation des Eies II 302-305,
921, siehe auch Deformation; Bestim-
mung der Medianebene dabei II 382,
923; Fehlerquellen 923 u. f.; Pressung
bewirkt keine Doppelbildung II 937;
F. bei Doppelbildung II 334; abnorme
F. , Auslösung des Reserveidioplasson
durch dieselbe II 896; Entwickelung
dabei II 911 u. f.; angebliche F. unbe-
fruchteter Eier durch Einlegung in
Sublimat II 432.
Furchiiiigsaxe, variable Lage zum Em-
bryo II 349.
Fiirchniigskerii , Bestimmung seiner
ersten Theilungsrichtung II 384.
Fui't'luingsschema für Rana esculenta
II 112, 324; Abweichungen davon II
325, siehe auch Zwangslage.
Fui'clmngszelleii, ihr Rundungsbestreben
11 156, 423; isolirte F., ihre Ent-
wickelung II 428 u. f., 876—893, 1008,
1028; entwickelungsmechanisches Ver-
mögen II 766 — 814, siehe auch Selbst-
differenzirung, Halbbildungen, Theilbil-
dungen. Unvollkommene Sonderung der
F. im Froschei II 156, 460; actiielle
Ungleichheit u. potentielle Gleich-
heit II 831; Totipotenz 11839; angeb-
liche „actuelle" Gleicbheit 11835, 865 u. f.,
1005. LTrsache ihrer Umwandlung zu
Epithelien 11422; Pseudopodien II 992
u. f.; Amoeboidwerden 11994; Selbst-
ordnung der F. 11 987-995; Näherung
gegen einander, C'.ytotropismns II
988-993; Chemotropismus II 995 ; faden-
pilzähnliche Anordnung II 994; nachträg-
liche Verschiebung II 111, 769, 911; ihre
Entwickelung danach 11911; Abhängig-
keit ihrer Theilungsrichtung von der „Ge-
stalt" der Zelle 11303; Verhalten der F.
sogleich nach dem Anstechen II 156,
158 u. f.; Zersetzungsvorgänge II 461;
Vacuolisation II 462; Kernvermehrung
11464; Reorganisation, Modus I: II 468 ;
IVncIeisation II 469, 480; nachträg-
liche Cellulation II 475; Reorganisation,
Modus H: II 479; Modus HI: II 481. F.
als Gesch wulstkeim el 302, II 495, s.
Geschwulstkeime. Die „Berührungs-
fläche" der F. als solche hat keinen
Einfluss auf die Theilungsrichtung
Sach-Register zu Band I und II.
1053
II 928; differenzirende Beeinflussung
sieb berührender F. II 935.
Für-Sidi-Sein der Lebewesen 1389,11218.
Gallenblase, ihre morphologische elec-
trische Polarisation II 572, 606, 632,
634, 647.
Gallei'thiille des Froscheies, ihre Quel-
lung II 100; ihre chemischen Wirkungen
II 165; theilweiser Parallelismus ihrer
Ausweitung mit der Entwickelung des
Embryo II 100 A.
Galliis (lomesticus, electrische Polaj-isa-
tion der Embryonen 11 636.
Ganglienzellen, Ursache ihrer Gestalt
I 365 u. f.
Gauzbildnngen, Definition II 884;
G. aus halben Eiern, secundäre II 796.
primäre siehe Furchungszellen, isolirte;
angebliche 0. Hertwig's II 949 u. f.;
G. infolge runden Dotters 11 1002, 1009.
Ganzes, actuelles II 831; poteu-
tielles II 831.
Gastrula, Operationen II 186; Elastici-
tät II 190; morphologische electrische
Polarisation II 623.
Gastnilation des Froscheies II 88 u. f. ;
nächste Ursache II 342; Ort des Be-
ginnes II 342 ; Gestaltung beim Beginn
derselben II 343 A. ; angebliche Wir-
kung des Luftdruckes II 342 ; Vorgang
II 182-185, 493; G. ist Mosaikarbeit II
455; durch bilaterale Epibolia II 183,
436, 629 u. f. ; der Elasmobranchier II
535; der Amnioten II 535; der Säuger
II 535 ; ihr theilweiser Ersatz durch die
Furchung bei den höheren Vertebraten
II 536 ; unvöflkommene G. der Achtelei-
Blastomeren II 782; Asymmetrische G.
II 964 ; abnorme Schlussstelle II 529 ;
Fehlen der G. bei der Postgeneration
der seitlichen Hemiembryonen II 519;
siehe auch Urmund.
Gebärmutter, Ursache ihrer complicirten
Faserung beim Menschen I 369.
Gebrauch und Nichtgebrauch, Wirkung
desselben s. Anpassung functionelle.
Gedächtniss, mechanisches I 389.
Gefässe. functionelle Structur I 183; di-
recte .Anpassung ihrer functionell ge-
stalteten Lichtung I 186; siehe auch
Blutgefässe.
Gefässverlaufswinkel I 94.
GegenabKcheeriiii«; an den Epiphysen
II 228.
Gehirn, Ursache seiner Gestalt I 355;
electrische Polarisation II 634, 636 u.
f.; innere Anpassung I 367.
Gekrösarterieu I 25, 87.
Gelenke, Entstehung durch Selbstdiffe-
renzirung I 885 ; Ursachen I 734 Anm.,
812, II 231; ihre Anpassung an die
Variation der Muskeln I 353, 376 ; Ge-
lenkpfanne, Ort ihrer Entstehung I 354.
Ursache der Gelenkformationen I 354,
II 231.
Gelenkvariation, Wirkung auf die Mus-
keln I 354, 376.
Gemischte DifTerenzirung, siehe Dif-
ferenzirung.
Generalpolarisatiou, morphologisch-
electrische,getheilterEierII595,612,759.
Generatio si)ontanea durch „successive"
Züchtung I 409-416.
Gepresste Eier, siehe Deformation.
Gesclilechtsbestimmung- durch äussere
Einwirkung I 454.
Gesclileclitsorg-ane, zweierlei Bildungs-
ursachen I 378.
Geschlechtszellen, Theilung ihres Idio-
plasson II 861.
Geschwülste, künstliche Production II
196, 201 ; Ursache des seltenen Vor-
kommens an Nerven und Muskeln, des
häufigen Vorkommens bei Bindesub-
stanzen I 206, Entstehung nach Opera-
tionen am Ei II 171, 176, 453 u. f.,
472, 474, 476; Ursache des häufigen
Vorkommens im Alter I 653.
Geschwnlstkeime, Furchungszellen in
dififerenzirten Organen I 302 , II 495 ;
Erhaltungsfähigkeit I 374; Verhalten
gegen den electrischen Strom II 751.
Gesetze , specielle , organischer Gestal-
tungen I 802-816, II 1025—1031.
Gestalt, fuuctionelle, statische,
dynamische: siehe functionelle
Gestalt.
1054
Sach-Register zu Band I und 11.
Gestalt der Individuen, ihre angebliche
Bedeutung für die Diflferenzirung II 890,
893; G. des Organes: bedingt durch
die Nachbarn I 378; ihre Rückwirkung
auf die Structur I 573; G. der Zelle,
ihr Einfluss auf die Theilungsrichtung
II 302, 973, siehe Deformation des Eies.
Gestaltende Kräfte II 503, siehe auch
Ursachen; Sitz derselben II 772, 776;
Selbstdifferenzirung.
Gestaltende AVirkungen qualitativer
Aenderungen I 379.
Gestaltende Wirkungsweisen 1802 bis
816, II 1025—1031 ; der Gewebe I 96
u. f.; beständige sive homogene II 82,
187, 1018; gestaltliche W. 904 A.; siehe
auch Wirkungen.
Gestaltliclies L.eben der Theile II 44
187, 192, 905, 926, 1002; siehe auch
Leben.
Gestaltung", organische, direct aus chemi-
schen Processen I 208 A., 214 A.; aus
dem Stoffwechsel unterliegenden Pro-
cessen I 412 ; aus Reactions-Qualitäten
I 261; durch Druck der Organe I 220,
268; Bestimmung der specitischen Ge-
staltung durch die specifisch fungiren-
den Theile I 83; functionelle Selbst-
gestaltung des Zweckmässigen I 178,
350 — 382; mehrfache Bestimmung der-
selben Gestaltung I 507, 530.
Gestaltungscorrelationen siehe Corre-
lationen.
Gestaltungsfunctionen I 409 A., siehe
Function.
Gestaltungsgesetze, nöthige Unbe-
stimmtheit derselben I 225.
Gestaltungsprincipien siehe Gestaltung.
Gestaltungsreize siehe Reize.
Gewebe , ontogenetische Entstehungs-
ursachen I 332, phylogenetische Ent-
stehung I 332 u. f.; Stabilität ihrer
Reactionen II 45; epitheliale G. , Selbst-
differenzirung derselben I 333; Binde-
substanzen, zum Theil abhängige Diffe-
renzirung derselben I 333, 334, siehe
abhängige Differenzirung, Correlationen,
Selbstdifferenzirung; Kampf der G. I
261—266.
Gewöhnung an Schädlichkeiten, Gifte
etc., durch innere Umzüchtung I 235,
539, 656, 659, II 223.
Gifte, Gewöhnung an sie durch Theilaus-
lese, siehe Gewöhnung.
Gleichgewicht, vitales, zwischen den
Geweben, Züchtung desselben I 261;
Störung desselben I 262 ; labiles G. im
Organischen I 336; inneres G. der Theile
des Embryo II 245 und 246; G. zwischen
benachbarten Zellen, Zeichen desselben II
494 ; G. zwischen Function und sie voll-
ziehendem Substrat nach Grösse und
StructurI 252, 266, 269, 113, 553, 562,
630, II 222, siehe Aequivalente.
Gleichheit organischer Producte bei
Wechsel ihrer Herstellung; Constanz
des Aussehens bei verschiedener unsicht-
barer Structur II 1005 ; s. Metastructur.
Gleichstrom, polarisirende Wirkung auf
embryonale Objecto II 542 u. f. ; Wir-
kung auf die Richtung der Befruchtung
und ersten Eitheilung II 571.
Gleitbewegung der Furchungszellen
II 991.
Glycerin bewirkt Framboisia embryonaiis
II 152.
Granula der Zellen, ihre Bedeutung II 85.
Granulationsgeschwülste , trophische
Reiz Wirkung als Ursache I 303.
Grösse der Organe, Selbstgestaltung der
fnnctiouellen G. I 252, 266, 269, 280,
553, 636; der Knochen, ihre Ursache
I 680 A. ; der Zellen, bedingt durch den
Kampf der Theile um den Raum I 234;
um die Nahrung 1235; durch die raschere
Assimilation I 232.
Grundgesetz , biogenetisches , entwicke-
lungsmechauischeBegründung 1443—447.
Gymnastik siehe Uebung, functionelle
Anpassung; G. des weiblichen Becken-
bodeus I 362 A.
Gynäkologie, Wichtigkeit der functio-
nellen Anpassung für dieselbe I 362 A.
Halbbilcluiigen II 792, 810 ; bei Fröschen
II 428—458; bei Ascidien II 788; Echino-
Sach-Register zu Band T und 11.
1055
dermen II 790 ; Ctenophoren II 808 ; Unter-
schiede von einander II 795; Methode
der Hervorbriuguug beim Frosch II 429.
941—959; ihre Bildung 434; Zurück-
weisung von Einwendungen gegen sie
II 803—805, 856, 948 - 951, 964 ; typische
Umordnung des Einiateriales bei der Bil-
dung II 876; H. ist durch die Anordnung
dos Dotters bedingt II 932—939, 1009;
Erklärung der H. II 1007 ; Ursache der
Auslösung im Dotter II 1008; Ursache
der Bildung im Kern II 1008, 1029;
H. aus „halben" Eiern ist das „Normale"
II 894, 1007, 1011; Bedeutung ihrer Ab-
normitäten II 454, siehe auch Hemi-
embryonen, Semigastrula, Semiblastula,
Semimorula.
Halboi-Bildmigeu II 792.
Halbei • Ganzbildniigen , Definition
II 884, 793; des Frosches II 796; der
Echinodermenll 794 ; angebliche O.Hkrt-
wig's II 949 u. f., 895 A.
Halbgebilde II 792, siehe Halbbil-
dungen.
Halbiruug, qualitative II 129 u. f.,
308 u. f. , 862 ; mechanische , durch
Emulgirung II 311 ; Folgen der Störung
der qualitativen H. II 450; Nothwendig-
keit sondernder Kräfte in den Chromo-
somen II 862.
Halbseitige Abnormitäten als Folge
gestörter qualitativer Halbirung bei
der ersten Eitheilung II 451.
Halitherinm, functionelle Knochenstruc-
tur I 738; zu geringe Inactivitätsatrophie
I 738.
Harmonie der Theile, functionelle, bei
Variationen einiger Theile, ihre Ursache
I 123, 377, 561, II 216.
Hani)tbahnen der Blutgefässe, Definition
I 19 ; Bedeutung ihrer Entstehung I 67 ;
Ursache ihrer Lage I 68.
Hauptbewegung der Schwanzflosse
des Delphin I 502.
Hanptrichtiingen des Embryo vom
Frosch : Zeit ihrer Bestimmung im Ei
II 97—124, 184, 286—295, 534; ihre
Beziehung zu den ersten Furchungs-
richtungen beim Frosch II 330 ; bei ver-
schiedenen Thierstämmon II 768, 853
u. f.; Abweichungen 11 330; Bestimm-
mung geschieht durch die Anordnung
des Dotters II 413—415, 852; nach-
trägliche Aenderungen II 185, 398, 923
u. f. ; siehe auch Medianebene, caudal,
dorsal, Copulationsrichtung.
Haut, abhängiges Wachsthum I 567.
Heilung der Knochenbrüche I 357, 732,
749—753; Ursache der Gewebsdifferen-
zirung dabei II 227-232, 808 u. f. ; H. der
Wunden am Embryo : per primam in-
tentionem II 196, 200, 440 A.
Hemiatropliia facialis, Ursache II 451.
Hemicormns s. Hemiembryo.
Hemiembryo lateralis ranae II 174.
186, 437; Störungen daran II 441; H.
anterior II 161, 444; H. posterior? II
446, 447 ; Methoden ihrer Erzeugung
II 429, 941—959; Selbstentstehung II
953; H. lat. aus einem Extraovat II
540, 798; siebe auch Halbbildungen,
Postgeneration.
Heniiooliolopl asten, Definition II 884 ;
s. Halbei-Ganzbildung.
Hemiooplasten II 792, 796, siehe
Haibeigebilde.
Hemiplasten II 810, s. Halbgebilde.
Hemipoesis lateralis, Production der-
selben II 433.
Hemitheria, II 828.
Hemitherinni anterius II 446, 828.
Herz, dynamische Gestalt und Structur
I 184, 766; Ursache derselben I 369;
functionelle Anpassung 1 168 ; electrische
Polarisation bei intraelectrolytärer
Durchströmung II 574, 606, 632.
Herzarterien, Verästelung I 25, 87.
Heterogenesis durch „successive" Züch-
tung I 409—416.
Hoden. Atrophie, nach Nervendurch-
schneidung I 286; compensatorische
Hypertrophie I 321 ; chemischer Thätig-
keitsreiz I 342.
Hohlmnskeln, ihre functionelle Anpas-
sung I 168, 368.
1056
Sach-ßegister zu Band I und II.
Homogenität, ihre Züchtung durch Theil-
auslese 1249, 275; scheinbare H. organi-
scher Gebilde II 142, 1005.
Homologie, Definition und Wesen I 440;
Nutzen der vergleichenden Entwicke-
lungsmechanik für die Ermittelung der
Homologien I 441, 443.
Höi'substaiizen, ihre Züclitung I 336 bis
341.
Humerus, Torsionsstructur I 762, 765;
Ursache des Sulcus intertubercularis
II 31.
Hunger als mechanisches Princip der
Selbstregulation der Ernährung I 400;
seine den Organismus zur „Spar-
ma seh ine" umzüchtende Wirkung I
236, 658, II 224.
Hydra fusca, electrische Polarisation,
II 583; Regeneration II 841.
Hydrops der Gastrula II 160; der Hals-,
der Bauchgegend des Embryo II 160.
Hyiierämie, functionelle, I 141; ge-
staltende Wirkung I 151, 160, 304 bis
329; Unmöglichkeit, die functionelle An-
passung durch sie zu erklären I 305 u. f.,
548.
Hypertrophie, compensatorische 1 322 u. f.
Hyperthrophie, functionelle I 128.
Identität der Bildungen selbstständiger
Wachsthumsgesetze mit den functio-
nellen Linien oder der Wachsthums-
trajectorien mit den Spannungstrajec-
torien I 553, 568; I. von functionellem
und Entstehungsreiz mancher Gewebe
I 343, II 229.
Idioplasson II 85, 1231 A.; verschiedene
Beschaffenheit bei gleichem Aussehen
II 1005; Hauptdepot im Kern II 315,
862; actives und inactives II 831, 868;
durch die Befruchtung activirtes II 874;
richtige Activirung II 865, 869 ; I. der
directen, der indirecten Entwickelung
II 915, 307; Activirung jedes derselben
II 916; I. in den Blastomeren II 460;
richtige qualitative Sonderung des I.
II 867.
Iliocostalis, Selbstregulation der Mus-
kel- und Sehnenlänge I 620.
Immunität, Entstehung durch innere Um-
züchtung I 147, 235, II 223.
Implantation, „functionelle" und
ihre Theorie I 404.
Imi>lantirte Gebilde, Nervenversorgung
derselben I 565.
Iniplicatio , Zurückverwandlung
somatogener Eigenschaften aus dem
entwickelten in den unentwickelten
Zustand I 214 Anm., II 61, 62, 1023.
Implicite vorhandene Theile imFroschei
II 401 ; implicites Material der Blas-
tula ist typisch verschieden bei ver-
schiedenen Wirbelthier-Abtheilungen II
538.
Impulse, irradiirte, trophische Wirkung
derselben I 647, 648.
Inactivitätsatrophie , diniensionale
I 173; I. der Muskeln I 631; Ursachen
I 639; I. nach Durchschneidungen I 295;
I. ist nicht durch Blutmangel bedingt
I 325—328 ; I. der Knochen , Folgen
ihrer Langsamkeit I 721 A.; Fälle des
Ausbleibens der I. I 362 A.
luanition, Urazüchtung des Oi-ganismus
zur Sparmaschine dadurch I 236 A.
Indirecte s. atypische Entwicke-
lang II 111, 983; Charakterisirung II
844 u. f., siehe auch Entwickelung;
Idioplasson derselben II 307 : ihre Acti-
virung durch Defect, „Störung" der An-
ordnung etc. II 833; siehe auch Corre-
lationen, abhängige Differenzirung.
Individxialauslese, siehe Personalauslese.
Individuen giebt es nicht I 404 A.
Infection der Eier II 157.
Infectionsgeschwülste, trophische Reiz-
wirkung als Ursache I 303.
Injection von Farbstoffen in das Ei II
158.
Injectionsmassen zur Corrosion I 2.
Innervation , morphologische , durch
Selbstversorgung I 565.
Insertionsstellen der Muskeln, Züchtung
günstiger etc. I 353, 654.
Intima der Gefässe, gestaltende Reac-
tionen derselben I 98.
Intraelectrolyt, Definition II 672, 545 ;
Reaction II 541-759; lebender II 545
Sach-Register zu Band I und II.
1057
bis 656, 727—759; nicht lebender II
659—726.
Isoplasson II ö4, I 231 A., 389.
Isotropie des Dotters, meridionale des
Froscheies II 358, 848 u. f.; Beschrän-
kung derselben II 850 u. f.
Kami)f derTheile im Organismus, 1. als
zerstörendes Princip I 428; 2. als
einfach mechanisch gestaltendes Princip
1429; 3. als züchtendes Princip
I 99 u. 100, 216—266, 429, 651-656,
II 218 u. 219; Zeitliches desselben I
225; allgemeine Begründung I 216 — 225,
II 218; directer K. I 250^, II 219; in-
directer II 219; Kampf unter Flammen
II 218; Arten und Leistungen 1 230—277,
spec. 248, 272 u. f., 803; a) K. unter den
lebensthätigenZe 11 th eilen I 231—250,
803; um den Raum I 217, 234, 100, 432;
um die Nahrung I 236, 430; b) unter
den Zellen I 251—260, 99; c) unter
den Geweben 1261 — 266; d) unter den
Organen I 267 — 271. Wirkung zur
höchsten Ausbildung des Zweckmäs-
sigen (Dauerfähigen) I 382; direct ge-
staltende Wirkung I 260; Bedeutung
für die Physiologie I 146, für die Pa-
thologie I 147, für die Orthopädie I
148; Fehlen des Kampfes um den Raum :
Erhaltung inactiver Theile I 645, 759,
siehe auch Theilauslese, abhängige Dif-
ferenzirung.
Karyoiiinese, siehe Kerntheilung.
Kegelförmig deformirte Eier II 302, siehe
Deformation.
Keimbläsclien, sein angeblicher Einfluss
auf die RicStung der ersten Eitheilung
II 355.
Keimblätter, Anachronismen ihrer Son- \
derung II 458.
Keimplasma II 73; Beruhen seiner Con-
tinuität auf reiner Assimilation I 451;
Selbstdifferenzirung desselben I 453;
Personaltheil desselben I 453 ; genereller
Theil desselben I 454.
Heimplasüioii, Definition II 73 ; Con-
iinuität II 61, I 451 ; Persoualisatioii
desselben II 62 u. f.
AV. Eoux, Gesamnielto Abhaudlangen. II.
Kern, Mannigfaltigkeit seiner Qualitäten
II 141, 309; seine idioplastische Bedeu-
tung I 254, II 143, 300, 306, 315, 514
u. f., 874, 890 A., 999, 1015; seine ev.
Function für den Zellleib II 313 ; Selbst-
regulation seiner Functionen I 255;
züchtende Theilauslese in ihm I 251,
254; normale Beschaffenheit der Kerne
bei der ersten Entwickelung des Frosch-
eies II 462; unabhängige Entwickelung
vom Zellleib II 930 u. f.; Wechsel-
wirkung zwischen Kern und Dotter II
317, 327 u. f., 336 u. f., 340 u. f., 400
u. f., 407, 916, 927-939, 1009 u. f., 1018.
Kernbestandtlieile, Bedeutung ihrer An-
ordnung für die Bildung der Körper-
hälften II 451.
Kernmaterial, eine richtige Vertheilung
bei der normalen Ontogenese II 306,
316; Selbstregulation dabei II 316.
Keruuester, in operirten Blastomeren
II 465, 478.
Kernschicht des Eies II 374, 377.
Kernspindel, Einstellung derselben durch
die Gestalt des Zellleibes II 118, 299,
303 u. f., 336 u. f., 340, 866, 927, 972
bis 975: Einstellung durch die Schwer-
kraft? II 302, 337; Einstellung in die
kürzeste Richtung des Protoplasma II
973 ; rechtwinkelig zur Copulationsrich-
tung II 383-388; Vergleich der Ein-
stellungswirkung mit magnetischer Wir-
kung II 340.
Kerntheilung, indirecte, ihre functio-
nelle Bedeutung II 125—143. spec. 138
308—316, 337,860,862; K. ist angebliche
qualitative Halbirung in den Furchungs-
zellen II 1005; Mechanismus, electrische
Vermittelung?II545 u.f.; „Molekulare
Theilung" und^Massenson derung"
II 140; Theiluugsrichtung II 385
u. f. ; S 0 n d e r u n g s r i qh t u n g , Defin.
und ihre Bedeutung II 385 u. f. ; Ueber-
führungsmechanismus II 388; Nothwen-
digkeit sondernder Kräfte in den Chromo-
somen II 862. Abnormitäten der K.II 314 ;
Bedeutung für die Ontogenese der
Metazoen II 306; Ursache ihrer „Rich-
tung" und Qualität II 927—933, 975;
67
1058
Sach Register zu Band I und II.
Beziehung zwischen Richtung und Quali-
tät der Theilung II 317, 827, 336 u. f.,
840, 400 u. f., siehe auch Zelltheilungs-
richtung; Pigmentanordnung hei der K.
II 473.
Kerntheiliiiigsfläehe II 385; Ursache
ihres Zusammenfallens mit der Dotter-
theilungsfläche II 389.
Kernübei'wandeniug I 472—474.
Kind, ist das Geschwister der Eltern
I 456; Ursache der Aehnlichkeit mit
den Eltern II 332 A., siehe Vererbung.
Kinderlähmun«?, spinale I 290.
Kiueniatik der Entwickelung II 2.
Kiuetik der P^ntwickelung II 3.
Kleinste Fläche, als Zelltheilungsfläche
II 303.
Kniescheibe, Function I 700.
Knochen, Substantia spongiosa, statische
Elemente und Formationen derselben
nebst ihrer functionellen Bedeutung
I 703 u. f., 719 A., 729 A.; Entstehung
entsprechend neuen statischen Verhält-
nissen I 712; Substantia compacta, ihre
statischen Elementartheile 1711; Func-
tion der Knochen 1 120, 195, 294, 720, 736,
759 — 763; relative Beanspruchung
1 680 ; mögliche Arten der Beanspruchung
1678-682; Druckknochen I 760; Zug-
knochen I 760 ; Festigkeit gegen Druck-
spannung I 280; gegen lebendige Kraft
I 281 A. ; drei Knochenbildungscoeffi-
cienten des Körpers I 281 A. , 357;
grosseWiderstandsfähigkeitgegenDruck
von den „ü berknorpelten' Flächen aus
I 761 ; deren gestaltliche Bedeutung I
762 ; geringe Widerstandsfähigkeit gegen
Druck auf das Periost I 761, 763;
f unctiouelle »«.statische Structur
und deren Entstehung I 100, 165, 172,
176. 179, 281, 356 u. f., 434—436, 682,
690, 700, 7k2, 731, 753, 761 u. f., 812,
II 221; siehe auch Trajectorien ; Ab-
neigungen davon I 721 A., 737, 765,
II 232; UnZweckmässigkeit in der Ver-
wendung der statischen Elementartheile
I 716 — 718; siehe auch Substantia spon-
giosa und compacta; rnnctiouelle
Gestalt II 690, 701, 715, 721 A.;
Röhrenknochen l 363, 435, 690, 728,
758 u. f ; functionelle Anpassung s.
functionelle Stuctur und Gestalt. Grösse
der Knochen I 680; Länge I 758, 749;
siehe auch Markhöhle. Activitätshyper-
trophie, Ort derselben I 758 u. f.; In-
activitätsatrophie 1 351, 732, 758 u. f.;
interstitieller Schwund ? 1 749 ; trophisehe
Wirkung der Function I 731; Erhaltung
durch Muskelwirkung I 294; Ursachen
der embryonalen und jugendlichen Form
I 734, II 48, spätere Form I 731, 205;
Ort der stärksten Aenderung der Struc-
tur bei Aenderungen der Beanspruchung
I 736; Regeneration und Heilung I 732,
749 — 758 ; angebliches Streben zur Her-
steilung der Function I 732; Trans-
plantation I 404 A.; verschiedene Be-
anspruchung d. K. beim Wasser- und
Landleben I 120; Zerstörung d, K. durch
Algen und Pilze I 769-802.
Knochenbrnch, Heilung und Ausbildung
neuer statischer Structur I 357, 732
749-753, II 227-232.
Knochendicke, von der Function unab-
hängige I 386 A.
Knoclienform, Ursachen I 434 — 436, 753,
II 48; Knochenlänge I 758, 749; siehe
auch Knochen.
Knochengewebe, abhängige Entstehung
I 334, 343; phylogenet. Entstehungs-
bedingung II 228, 230, 810; ontogenet.
Selbstditferenzirung desselben II 231 ; un-
zweckmässige Verwendung des lamel-
lösen K. I 716, 718.
Knochenwachsthum : appositioneJles I
357, 758 u. f. ; gegen expansives K. I 741
bis 749: Wachsthum infolge von Hy-
perämie I 295: siehe a. Knochen.
Knoi'pelgewebe , phylogenet. Entste-
hungsbedingung 11 228 810; ontogenet.
Selbstditferenzirung II 231, 810; Ge-
staltung aus ihm II 48; Bedeutung für
die Beanspruchungsrichtungen des unter-
liegenden Knochens I 685 A., 708.
Knospnng, Art der Entwickelung dabei
II 841. 847.
Kochsalzlösung-, das Gleiten der Zellen
befördernd II 899.
Sach-Register zu Band I und II.
1059
Komplexe Honipoiienteii. II 82.
Kopfwärts, siehe cephal.
Korrelation, korrelative Differenzierung:
siehe Correlation.
Kräfte, gestaltende: Sitz derselben in
jeder Furchimgszelle II 503, 772, 776.
Kraftmaschine, zugleich Arbeitsmaschine
(Herz) I 370 A.
Krahnenconstrnction, I 727.
Kugelgelenk, Ursache I 876.
Kyphosis, Regulation der Muskellänge
dabei; sehnige Metamorphose der Enden
der Muskelfasern I 605, 613, 616 u. f.
Lacerta agilis, electrische Polarisation
der Eier und Embryonen 11 633.
Lähmungen, periphere, trophiscbe Stö-
rungen dabei I 296.
Länge, specifische der Muskeln I 284 A. ;
der Knochen, siehe diese; nachträgliches
Kleinerwerden I 749.
Lage der Zellen, Einfluss auf die folgende
Differenzirung II 891, 897, 913, s. a.
abhängige Differenzirung; Lage des
Embryo zum Ei: siehe Hauptrichtungen,
Medianebene, cephal, caudel, ventral,
dorsal; Variation derselben bei Zwangs-
lage, siehe diese; Beziehung zwischen
Lage und Function der Theile des Or-
ganismus II 187.
,,Lageeigenscliaften*' der Zellen II 1905.
Laichung, Folgen ihrer Verzögerung
II 355, 367, 461, 936; Polyspermie II
362, 470; Missbildungen II 159, 429,
438; Halbbildungen II 953; meroplas-
tische urchung II 476; Geschwulst-
keime? I 302, II 496 A.; mindert den
Cytotropismus II 994.
Laniellae staticae I 704; ihre func-
tionelle Bedeutung I 704.
Latenz: Stadium der latenten Reizung
bei Activirung der Regeneration und
Postgeneration II 830; ihre Bedeutung
für die Erkennung der Specification der
Zellen II 831.
Leben, Wesen I 405 u. f., 415, 420, 152,
II 69 A., 76 u. f., 141, 217; Besonder-
heit des L. II 318; seine Grundfunctionen
I 406 A., 11 76 u. f.; Dauerfähigkeit
I 392 u. f. ; Möglichkeit der ersten Ent-
stehung durch successive Züchtung
der Grundfunctionen 1409—416, II 85 ;
functionelles und solbstständiges L. der
Theile I 348, II 281, 905, 909, siehe
auch Perioden; goxtaltliche!« Li. II
44, 187 u. f., 192, 905, 926, 1002; Wir-
kung der Deformation auf letzteres II 190,
siehe auch Deformation ; primäres und
secundäres Geschehen im Organischen
I 83, 214, 506, 561. II 29.
Lebensi)erio(len von Theilen: des selbst-
ständigen Lebens I 348, 804, II 281,
909 ; abhängigen, speciell functionellen
Lebens I 345, 804; II 281, 909.
Lebensstructur, unsichtbare und sicht-
bare I 406 A., II 1005; Metastructur
II 143, 283, 1005, 1024, I 187, 406 A.;
siehe Continuität.
Leber, Selbstdifferenzirung ihrer Structur
II 207, 909; abhängige Differenzirung
ihrer Gestalt I 134, 268, 11 909; Ur-
sache ihrer acinösen Gliederung I 134;
reactive Production ihrer specifischen
Structur I 220 ; Ursache ihres Fach-
werktypus I 370, 813; chemischer Thä-
tigkeitsreiz I 342.
Leberzelle, Ursache ihrer Structur 1134,
219, 813.
Leistung, Definition, Nutzen I 397 u. f.
Lernen ist functionelle Auffassung I 767,
175, 165 ; siehe letztere.
Licht, gestaltende Wirkung I 242, II 18;
Nichtnöthigsein zur Hervorbringung des
Typischen der Gestaltungen aus dem
Ei II 274.
Ligamenta, siehe Bänder; L. cutanea
1 181 ; siehe Aponeurosis palmaris und
plantaris.
liinien, fanctionelle, I 463.
Linsenförmig deformirte Eier; ihre
Theilungsrichtung II 302, 972.
Localisation der Entwickelungsursachen
im Ei II 772 ; siehe Selbstdifferenzirung.
L.ocalisirte Befruchtung, künstliche,
Methode II 300, 359—363; ihre Wir-
kung siehe Copulationsrichtung.
Locomotionsarten der Fische und Del-
phine I 493.
67*
1060
Sach-Register zu Band I und IL
Longissimus dorsi , Selbstregulalion
seiner Länge I 619.
Lordosis embryonalis ranae II 160, 168,
177; Heilung durch functionelle
Orthopädie II 160.
Luft, Nothwendigkeit zur Entwickelung
II 322; nicht local differenzirende Wir-
kung II 328.
Liiftmangel, Entwickelungsstörungen II
438.
Lutein, Bildung im Embryo aus Berliner-
blau II 154.
Lymphdrüse , functionelle Anpassung
1 170 ; compensatorische Hypertrophie
I 323.
Magnetische Wirkung zwischen Kern
und Dotter? II 340.
Mais, Aenderung des Blüthenstandes bei
Aenderung der Nahrung I 379.
Marken, natürliche am Ei, Verschiebung
derselben II 99, 115.
Markhöhle der Knochen , Abweichungen
von der functionellen Gestalt 1 737.
Maschenweite der Spongiosa ossea , Ur-
sache I 710 A., 764.
Massencorrelation, mechanische II
214, 232-252; Definition II 240 u. 253;
Vorkommen im Embryo II 240; experi-
menteller Nachweis II 245 ; gestörte bei
Hemiembryonen II 442; siehe auch Cor-
relation, abhängige Differenzirung.
„Ulassensonderuug'^bei der indirecten
Kerntheiking II 140.
Materielles System, Definition II 233.
Maus, electrische Polarisation der Em-
bryonen II 646.
Maximum - Minimum - Priucip der
Construction l 509 ; ihre allgemeinen
Gesetze I 509.
Mechanik, teleologische, von Pflüger,
I 408, 148 A.; 1019 u. f.
Mechanisirung, feste, der Entwickelung
der höheren Organismen II 815.
Medianebene des Embryo, Bestimmung
ihrer Richtung II 102, 110, 164, 185,
286—295, 441 A., 768; Abweichungen
II 325 u. f. ; 340; Bestimmung durch
das obere oder untere Stück der ersten
Furchungsebene II 912, 969; Bestim-
mung durch die Copulationsrichtung bei
künstlich localisirter Befruchtung II
301, 355—358; bei nicht künstlich
localisirter Befruchtung II 357 Anm. 358,
Abweichungen davon 357; Bestimmung
der Richtung bei Zwangslage der Eier
II 328, 398 (Abweichungen 398); bei
Pressung der Eier II 912, 923, 960—967
(Abweichungen II 1014); primäre M. II
962, 965; secundäre M. 11961 A.; Me-
thode zur Ermittelung ihrer Beziehung
zu den ersten Furchen II 99 u. f.; 967.
Medullarrohr, Selbstschluss II 247,458;
relative Biegsamkeit II 243.
Medullarwülste, Lage zur EiaxelI347;
Bestimmung dieser Lage II 347 ; An-
lagestelle am Froschei II 456, 529, 534,
1033; Variationen der Anlage II 193;
Selbstdifferenzirung II 192 u. f. ; Post-
generation eines Medullarwulstes bei
seitlichen Halbbildungen II 486; Ge-
schwindigkeit II 486; die M. bei vorderen
Halbbildungen siehe Hemieembryo.
Mehrfachbestimmung, causale,desselben
Structurverhältnisses I 507.
Merkmale zweiter und dritter Ordnung,
ihre causale Bedeutung II 93.
Meroplast, Definition II 792, 884.
Mesenchymzellen , abhängige Differen-
zirung II 914.
Mesoblast des Froschembryo, normaler
Bau II 501; Postgeneration II 502;
Unabhängigkeit vom Ectoblast II 504.
Messungsmethode der Blutgefässver-
zweigungen I 26, 46.
Metaplasie 11 10.
Metastructur organischer Gebilde II
143, 283, 1005, 1024, 1 187, 406 A.
Metazoen , hypothetische Erfordernisse
ihrer Ontogenese II 306 ; ihrer beiden
Entwickelungsarten : directe und in-
directe II 843; Eutstehungsweise aus
den Protisten II 916.
Methoden:
1. Zur Ermittelung der Avahren Gestalt
und Winkel des Lumens der Ge-
fäss Verzweigungen I 2 — 7.
Sach-Register zu Band I und II.
1061
Methoden:
2. Zur Ermittelung der modelliren-
den Wirkung des in verzweigten
Röhren fliessenden Stromes I 61
A., 55.
3. Zur Ermittelung der Zunahme
des R e i b u n g s w i d e r s t a n d e s in
Röhren bewegter Flüssigkeiten bei
Zunahme der Stromgeschwindigkeit
I 61.
4. Zur mechanischen Selbstdar Stel-
lung der Druck-, Zug- und Ab-
scheerungstrajectorien 1673.
5. Zur Prüfung, ob die Schwerkraft
für die Entwickelung des Eies n ö t h i g
ist II 265, 272.
6. Zur Bestimmung der normalen Be-
ziehung der ersten Furchung s-
ebene zur Medianebene des
Embryo 11 98—101, 106, 107.
7. Zur Ermittelung der Zeit der Be-
stimmung der Richtung derMe-
diauebene sowie der Caudal- resp.
Cephalseite des Embryo im Ei II
289, 290, 292.
8. Zur willkürlich localisirten Be-
fruchtung des Froscheies II 300,
359—363.
9. Zur Selbstcopulation schwim-
mender Tropfen II 34.
10. Zur Prüfung der Wirkung des elec-
trischen Stromes auf dieBefruchtungs-
richtung und Theilung des Eies II
319, 556, 571, 583.
11. Zur Ermittelung der Gestaltungs-
fähigkeit von Theilen des Eies II
148, resp. zur Production halber
Embryonen aus halben Frosch-
eiern II 154, 429-431, 773, 942-947,
953, 954-958.
12. Zur Hervorbringung eines ganzen
Froschembryo aus einem halben
Ei II 797.
13. Zur Ermittelung eines eventuellen
Antheils der Vertheilung freier
Electricität an der Gestal-
tung des P]mbryo II 147.
14. Zur Prüfung, ob die Anlagestelle
mancher Organe des Embryo
von der Stelle des Luftzutritts
abhängig ist U 322.
15. Zur Bestimmung der Lagerung
des Mate riales des Medullar-
r 0 h r e s am gefurchten Ei TI 347 A.,
527.
16. Zur Ermittelung des Ortes der beim
Schluss des Medullarrohres und des
Darmrohres thätigten Kräfte II
244, 247, 251.
17. Zur künstlichen Hervorbringung von
Rautengruben amMedullarrohr II 248.
18. Zur Ermittelung der Wirkung der
Gestalt des Zellleibes des Eies
auf die Theilungsrichtung des-
selben II 302.
19. Zur qualitativen Halbirung
eines Stoffgemenges ohne vorausge-
gangene Analyse desselben 11 310.
20. Zur Ermittelung des Cytotropis-
mus derFurchungszellen It
987 u. f.
21. Zur Ermittelung des Selb st Ord-
nungsvermögens sich berühren-
der Furchungszellen II 987 u. f.
22. Zur Demonstration des unbewussten
Kampfes von Selbste r ha I-
tungsprocessen II 217.
23. Zur Ermittelung des Verlaufsder
electrischen Stromfäden im
Electrolyten II 707.
24. Methode, jedesbeliebigeGebilde seiner
Gestalt und seinemLeitungsver-
mögen entsprechend reactions-
fähig auf den electrischen Strom
zu machen II 703.
25. Methode, vollkommen abgeschlif-
fenePrägung metallischer Gebilde
wieder sichtbar zu machen
II 696.
26. Methode, aus einem Wechselstrom
einen Gleichstrom zu gewin-
nen II 581.
JVIicrohoIoplasten II 792.
Microsonien enthalten verschiedene Qua-
litäten 11 309.
Milchdrüse, chemischer functionellerReiz
I 342.
1062
Sach-Register zu Band I und IL
Milz, functionelle Anpassung I 170, che-
mischer functioneller Reiz I 342.
Missbildungen, Folgerung von Selbst-
differenzirung aus ihnen II 204, siehe
auch Doppelbildungen ; ihre Entstehung:
siehe Laichung verzögerte, Luftmangel.
Mitose, functionelle Bedeutung derselben
II 125—143, 862, speciell des „Fadens"
II 133, 310; siehe auch Kerntheilung.
Nothwendigkeit sondernder Kräfte in den
Chromosomen II 862; ungleiche M. bei
Activirung des Reserveidioplasson ? II
833.
..Moleculare Theilung" bei der in-
directen Kerntheilung II 140.
Molekel, lebensthätige I 231; züchtender
Kampf derselben unter einander I 231
bis 251.
Morphologie der Organismen, Definition
II 27.
Morula, Defectversuche an ihr II 172;
morphologische electrische Polarisation
derselben II 552, 591.
Iflosaikarbeit. in der embryonalen Ent-
wickelung II 455, 821, 1010; Correla-
tionen dabei II 445 ; siehe auch Selbst-
differenzirung.
Müiidungskegel der Venen I 45.
Muskeln, quergestreifte, functionelle
Anpassung I 167, 173, 367, 376; .Ver-
werfungen" der Faserbündel I 582,
„Verlaiifsliiiie" I 584; Selbst-
regulation der „relativen liänge"
I 576—658; Gesetze derselben I 588;
Selbstregulation a) durch Zurückbleiben
im Wachsthum I 603 ; durch Schrum-
pfung I 605, 615; durch sehnige Meta-
morphose der Enden I 605, 613 u. f.;
Anpassung an die Excursionsgrösse der
Befestigungspuncte I 583—623, 813; an
die mittlere Grösse der Impulse (un-
gleiche relative Länge) I 284, 589
A. ; Anpassung an langdauernde Con-
tractionen I 638; morphologische
91uskellänge I 623; Selbstregulation
der Dicke I 631; Art der trophischen
Wirkung der Function I 635; Bil-
«luugsgleichgewicht I 636; Erhal-
tiiiig!«glciehgewicht I 636; Ausbil-
dung der dimensionalen Activitätshyper-
trophie I 285, 637; der Inactivitäts-
atrophie I 639; Züchtung günstiger
Richtung I 353; günstiger Insertionen
I 353, 654; Ursache zweckmässiger
Lagerung I 566 ; Erhaltung vom Nerven-
system aus I 284, auch schon in der
Jugend I 291; Atrophie nach Nerven-
durchschneidung 1 284; qualitative An-
passung durch Theilauslese I 655, 344 bis
348 ; Ursache der Variation I 204
u. f.; Anpassung an die Variation der
Gelenke I 353 ; erhaltende Wirkung der
M. auf die Knochen I 293; glatte
Muskeln, Entstehung ihrer functionellen
Anordnung im Darm I 368.
Muskelarterien, Verästelungsgesetze I
11, 14.
Muskelfasern, siehe Muskeln ; functionelle
od. dimensionale Metastructur I 188.
Muskellänge, ihre Selbstregulation etc.
siehe Muskeln.
Muskelnerveneintritt , ursächliche Ab-
leitung der Regel Schwalbe's I 366.
Muskelschrumpfung I 600, 608, 613,
615 u. f.
Muskelvariationen I 582; topische I
582; functionelle I 587 u. f.; Gesetze
der letzteren I 588; Wirkung auf das
Gelenk I 376.
Musculus i)almaris brevis, seine Func-
tion I 348; M. iliocostalis, longissimus
bei Kyphosis, siehe diese; M. quadri-
ceps femoris bewirkt Zug entspannung
der Knochen I 700.
Mycelites ossifragus, im Knochen
lebender Pilz 769-802.
Nachahmung, unbewusste,beim Schreiben
I 215; künstliche N. vitaler Gestal-
tungen und Vorgänge II 33, 91; der
Copulation der Geschlechtskerne II 34.
BJachbarschartswirkiingen, differen-
zirende, ihr Antheil an der Ontogenese
II 891, 906 ; Folgen ihrer Störung II 834.
Nachbarzellen, differenzirende Wir-
kungen auf einander II 306 — 308.
Nacbfurchung der operirten Eihälfte II
475, 783.
Sach-Register zu Band I und II.
1063
Nachweis der züchtenden Tlieilauslese
I 277.
Nälieruu$;.sabstaii<I von Furchungs-
zellen 11 989.
Nahrung, umzüchtende Wirkung der-
selben auf die Theile des Organismus
1 235.
Nahrungsdottei", Einfluss auf die Fur-
chung II 31.
Nahrungsmangel, Anjiassung an ihn,
siehe Hunger, Sparmascliine.
Nahrungswahl, qualitative und quanti-
tative der Zellen I 812; Verscliniähung
vermehrter Nahrungsaufnahme der
Zellen I 309.
Narbe an operirten Embryonen II 197,
201.
Naturgesetze , siehe Wirkungsweisen,
Gesetze.
Nebencharaktere, grosse, Bedeutung der-
selben für ursächliche Ableitungen II 93.
Nebenkern II 497.
Nebenorgane als Beweis von Selbst-
differenzirung II 206.
Nei'ven, Folgen der Durchschneidung
I 286; ihre Ernährung I 288; Entste-
hung sensibler N. in einem neuen Organ
I 565; in transplantirten Theilen I 565.
Nerveneintritt in den Muskel, ursäch-
liche Ableitung der Regel Schwalbe's
I 366.
Nervenfasern, functionelle Anpassung
I 168; Ursache ihrer Gestalt I 365.
Netzhaut, functionelle Anpassung I 170;
Atrophie bei Lichtmangel 1 287 ; Ursache
ihrer complicirten Differenzirung I 283,
341.
Neutrale Schicht in der Biegungscon-
struction, ihre Structur I 729, 512.
Niere, compensatorische Hypertrophie,
Ursache I 321 ; chemischer functioneller
Reiz I 342. Functionelle Transplan-
tation der N. 1 404 A.
Nierenarterien, Yerästelungsgesetze 1 18.
Nisus formativus II 1019, 1023.
Niveauflächen, electrische, Methode, sie
sichtbar zu machen 11 550 u. f.; Niveau-
fliU'lioii der Riogiiiig I 511; ihre
Ermittelung bei Biegung 1 522.
^'iicloisatiou operirter Blastomeren II
469, 471, 480.
NncleitrauNinigratioii in operirte
Blastomeren II 471, 480.
Nucleus ijiilposus der Zwischenwirbel-
scheiben, wichtige Function als Theil
einer hydraulichen Presse I 182,
H 49 A.
Oeconoraie des Wachsthums I 270; 0.
im Organismus, Ursache 1 402.
Ohrmuskeln des Menschen, Grund ihrer
Erhaltung I 348.
Oligodactylie , directe Anpassung dabei
II 52.
Ontogenesis, siehe Entwickelung, indi-
viduelle.
Ontogenetische AViederholung früherer
functioneller Anpassung I 581.
Ordnung des Kernmateriales bei der
Ontogenese II 306, 316 ; Selbstregulation
dabei 11 316; 0. der Furchungszellen, siehe
letztere.
Organe, Grösse derselben, siehe Grösse;
Kampf derselben I 267 ; um die Nah-
rung I 270 ; functionelle, statische und
dynamische Structur, siehe Structur.
„Organisation" der Muskeln 1 591.
Organisches siehe Leben; primäres und
secundäres Geschehen im Organischen
I 83, 214, 506, 561, II 29; siehe auch
Leben.
Organismen, gegenwärtige, als Restbe-
standtheile des bezüglichen Erdge-
schehens I 398 ; besondere Eignung der
höheren 0. zur causalen Forschung II 90.
Ort der Ursachen II 15, 37, 87.
Orthopädie, wissenschaftliche. Grundlage
und Methode derselben 1 148, II 47 u. f.
I S. Vlll Anm. ; runctionelle Ortlio-
pä<iie 1 731, 766, 11 160, 909.
Ossification der knorpelig präformirten
Scelettheile, phylogenetische Ursachen
der Diaphysen- und Epiphysenbildung
II 227 — 230; ontogenetische Ursachen
II 231 ; endochondrale 0., ihr Einfluss auf
die .Gestalt" der Knochen 1 758, II 49
1064
Sach-Register zu Band I und II.
\
Palniaris brevis, musculus, seine Function
I 348.
Pansene I 231 A, II 83.
Papillen der Cutis des Delphin I 490,
528; ihre Anordnung I 491, 528.
Partialauslese im Organismus, siehe
Theilauslese.
Partialbefruchtiing durch geschädigten
Samen II 291.
Partialprocesse, selbsterhaltungs-
fähige, des normalen Lebens I 647.
Passive Diflerenziriing II 235.
Patella, ihre Function I 700.
Pathologie, Bedeutung f. d. Entwicke-
lungsmechanik I 44.
Pathologisches: sichtbare Geschwulst-
keime? II 495 siehe diese.
Penetrationsbahii des Samenkörpers
II 371.
Perimysiiiin, Ausbildung durch Uebung
I 364; P. internum, Zusammensetzung
aus Abscheernngsfaserpaaren ;
wichtige Function desselben I 182.
Perioden der Variabilität und Constanz
der Arten I 117, 224, 337 u. f., 455;
der Entwickelung der Person: a) der
organbildenden oder selbstständigen Ent-
wickelung resp. des „embryonalen Le-
bens" der Individuen, Defin. I 848, 311,
II 281; Geschehen II 283, 909; b) der
functionellen Entwickelung resp. des
Reizlebens, Defin. I 348, 311, II 281,
909.
Personalauslese oder Individualauslese
I 247, 538—541, 542, 545 u. f.
Persoiialisatiou desKeimplasson II 63.
Personen, statt Individuen I 404 A.
Phylogenesis, siehe Stammesgeschichte.
Physikalische Componenten des Or-
ganischen II 34. 83, 91, 93; Einschrän-
kung ihrer erkennbaren Wirkung II 92.
Pigment im postgenerirten Ectoblast II
490; in der Chorda dorsalis II 457, 458.
Pigmentflecke am P^i, ihr Wandern und
Verschwinden II 533. 115; Nichtverwend-
barkeit als Marken II 115, siehe auch
Samenfleck.
Pigmentortlnung , typische nach der
Befruchtung von Rana fusca II 355;
atypische II 355; P. in der Eirinde II
167 ; symmetrische zur ersten Theilung
II 340; an Wunden des Embryo II 150,
197, 199,473,475; im Extraovat II 540;
an isolirt gewesenen und wieder vereinig-
ten Furchungszellen II 900, 992.
Pigmentstrasse des Samenkörpers im
Ei II 293; ihre Bedeutung II 358, 365.
Pila ossea, knöcherne Kugelschale als
Elementartheil I 704, 709.
Pilze, im Knochen lebende I 769—802,
speciell 792.
Placenta materna, Ursache II 68, ex-
trauterina 11 68.
Piasomen H 83, I 231 A.
Plasson-Moleciile I 231 A.
Plastidule 1 231 A.
Pleuroperitonealhölile I 364.
Polarisatiou, morphologische, em-
bryonaler Gebilde durch den electrischen
Strom II 541—765; der Morula und
Blastula: Generalpolarisation II 591,759,
Specialpolarisation der Zellen II 591,
752; nichtpolarisirbare Organe II 653.
Polarisirende Wirkung des functionellen
Reizes auf die Fleischprismen I 367.
Polfeld, electrisches, II 579, siehe Pola-
risation, morphologische.
Polmeridiane, electrische II 579.
Polseiten, electrische II 579.
Polydactylie II 52.
Polysi^ermie, künstliche II 362; durch
verzögerte Laichung II 362, 470, 466 A.
Postgeneration II 484—511, 41, 185
Anm., 1013; unter Verwendung von
Material der operirtenEihälfte II 484;
Unterschied von Regeneration II 484,
511: 1. des Ectoblast von der ven-
tralen Seite II 485, Geschwindigkeit der
Medullarwulstbildung II 486, Ausbleiben
derselben II 487, 499, Unterschied von der
normalen Entwickelung II 486, 487; P.
von der dorsalen Seite her II 499; 2. des
Mesoblast II 501; 3. des Entoblast
II 504. Allgemeines: sie ist abhängige
Differenzirung 11 508; Unterschied von
der normalen EntAvickelung II 511, 784;
Unterschied von der Regeneration II 511.
B. ohne directe oder ohne jede Ver-
Sacb-Register zu Band I und II.
1065
Wendung von Material der operirten Ei-
hälfte II 441 (P^rgänzung der Semichorda
lateralis). II 796, 798, 801 ; Activirung der-
selben II 798; principiolle Uebereinstim-
nuing von A und B 11 799; Uebergangs-
stufen beider 11 800. P. a) durch Um Ord-
nung und Umdifferenzirung von
Zellen II 801, 888, 899, b) durch Pro-
liferation II 888; auslösendes Moment
II 896 u. f. ; Geschwindigkeit derselben
II 947; Verschiedenheiten: bei Fröschen
II Nr. 22, früher Beginn II 795, 799, 812 ;
später Beginn 798, 809 ; bei Ascidien
II 789; bei Echinodermen II 795; bei
Gtenophoren II 808; UnvoUkommenheit
II 802; Auslösungsgeschwindigkeit II
810 Anm.; Mangel derselben bei Säugern
II 829. Siehe auch: Abhängige Differen-
zirung, Entwickelung (atypische). Selbst-
regulation (morphologische).
Pressung der Eier, siehe Deformation.
Priiicipien der Gestaltung, siehe Gestal-
tung ; P. der organbildenden Keimbe-
zirke, seine wahre Bedeutung II 813,
847—852.
Processus trochlearis,tunctionelIe Struc-
tur 1 762 u. f.
Producte,g I e i c h e, nach verschiedener
Entwickelungsweise II 885, 902, siehe
Constanz.
Profilniinimum der Gefässe I 40 u. f.
Pi'Oiiator quadratus, Bau I 598; Regu-
lation seiner Länge I 599 — 616; Func-
tion I 599.
Protoplasma, seine geringere idioplasti-
sche Bedeutung als des Kerns II 315,
513 u. f., 1015 u. f. ; siehe Dotter u. Kern.
Protozoen, typische und atypische Ent-
wickelung II 845 ; Mangel an Entwicke-
lung II 13, 35; Vielseitigkeit ihrer Zel-
len I 245.
Pseudarthrose I 812.
Pseudopodien, paraplasmatische der Fur-
chungszellen II 992.
Quadx'iceps femoris bewirkt Zugentspan-
nung der Knochen I 700.
Qualitäten des Lebens, erste Entstehung
derselben I 412, siehe Leben.
Qualitative Anpassung durch Theil-
auslese I 230-254, 655.
Qualitative 31atcrialschcidung in der
Zelle, unabhängige von Nachbarzellen
II 452; im Kern, siehe Kcrntheilung.
Radioulnargelenk, Constanten desselben
I 605.
Rana, electrische Polarisation der Eier
und Embryonen II 583 ; fusca, senkrechte
Stellung der Eiaxe II 257 ; siehe Eiaxe.
Rautengrube des Medullarrohres, Künst-
liche Erzeugung II 248 u. f.
Reactionen des Organismus 1 240 A. ; Ge-
staltende R. der Gewebe I 96 — 101,
240 A. , 261, 319, 427 ; Stabilität der-
selben II 45.
Reactions weisen , morph elegische,
der embryonalen Objecto auf den electri-
schen Strom II 741—752.
Reflectorische Leistungen, als Selbst-
regulation I 399.
Reflexbewegung I 391.
Regeln, specielle, organischer Gestal-
tungen I 803-816, II 1031 — 1033.
Regeneration. Grundlage derselben 1206;
Bedingtsein der R. durch Reste embryo-
naler Substanz in den Zellen I 344 ;
Allgemeines II 42, 43, 78, 80, 200;
Regenerationsidioplasson II 307 ; seine
Theilung bei der Furchung II 450 ;
siehe auch Reserveidioplasson; Auslö-
sungsursache der R. II 800, 896 u.
f., I 636; UnvoUkommenheit der R.
II 802; R. a) durcli Uniordiiiing
und Uniilifferenzirung von Zellen
II 836 u. f.; 841, 801, 899; b) durch
Sprossung und Dif ferenzirung II
836 u. f.; Correlationen der R. II 839;
R. findet auch in der Entfernung
vom Defectrand statt II 901 ; Mecha-
nische Formulirung des Regenerations-
problemes II 842, 1013; Abweichung
der R. von der normalen Entwickelung
II 840 ; Unterschied von der Postgene-
ration II 511 u. f.; durch Uebercom-
pensation schädliche R. I 264; R. der
Protozoen II 834: der Hydra II 836;
der Knochen I 732, 754; siehe auch
Postgeneration ; Entwickelung,atypische.
1066
Sacli-Register zu Band 1 und IL
Re^enerationsmaterial II 450; siehe
Reserveidioplasson.
Regenerationsvermögen, seineAbnahme
mit dem Alter I 373.
„Regulation" des Muskels I 591.
Regulationsmechanismen II 111 Anm.,
158 Anm.; siehe Selbstregulation; Ent-
wickelung, atypische.
Regulatorische Functionen, gestaltende
II 41 u. f.; R. Entwickelung; siehe diese.
Reiz, Definition I 240 ; züchtende Wir-
kung desselben I 240 u. f.; Züchtung
seiner trophischen Wirkung I 241 ;
functioneller R. der verschiedenen
Gewebe I 280; II 227; chemischer der
Leber, Nieren etc. I 298, 342: seine
Identität mit dem Entstehungsreiz bei
den Stützsubstanzen I 343, II 227;
trophische Wirkung des f. R. I 151 ;
300 ; angeblich verjüngende Wirkung
I 301; qualitativ differenzirende Wir-
kungen I 331—350; gestaltende Wir-
kungen I 151, 350—386; Anpassung der
Gewebe an die mittlere Frequenz und
Intensität der Reize 1 345 u. f. ; Be-
ziehung zwischen Reizgrösse und Organ-
grösse I 252, 266, 269, 275, 553, 636;
vollkommene Anpassung an den Reiz
I 347 ; siehe auch Gleichgewicht, vitales;
gest altende Reize: Production der-
selben im Embryo I 380 ; Schutz des
Organismus vor fremden Reizen I 380.
Reizbarkeit I 391.
Reizcentralisation I 381.
Reizentziehung, Folgen derselben I 284.
Reizinteusitäten , Anpassung an die-
selben I 283.
Reizleben, Periode desselben jedes Or-
ganes I 348; Beginn I 349; 372 u. f.,
s. a. Lebensperioden, Perioden.
Reizsubstanzeu, lebende, ihr Nutzen 1
401 u. f.
Reizung, ihre angeblich schädigende Wir-
kung I 291 A.
Reorganisation operirter Furchungs-
zellen des Frosches II 469; Nucleisation
469; Nucleitransmigratio 471 ; nachträg-
. liehe Cellulation 475.
Reserveidioplasson, od. Regulations-
und Regenerationsplasson I 344, II 877 ;
Gleichheit desselben in den Furchungs-
zellen II 832; Ungleichheit II 833;
Activirung II 800, 897 ; bei Amphioxus
II 831, 833 ; seine Bethätigung bei Eitheil-
Ganzbildungen II 794, 795, 798, 814.
Restbestandtbeile des lebenden Erd-
geschehens I 398.
Rhytina, Structur der Rippe I 442, 738;
ungenügende Inactivitätsatrophie 1443;
pflanzliche Canäle im Knochen I 769
bis 802.
Richtung der ersten Eitheilung, siehe
Theilungsrichtung; der Copulation der
beiden Geschlechtskerne , ihre Wirkung
auf die Bestimmung der Medianebene :
siehe Copulationsrichtung.
Riclitungsbestimmung des Embryo im
Ei II 96, 120, 185; der Median-
ebene II 109; Methode II 98, 110, 164,
185, 289, 295; Ursachen der Bestim-
mung 11 285; siehe auch Medianebene.
Hauptrichtungen, cephal, dorsal.
Riclitungskörper, sein angeblicher Ein-
fluss auf die Richtung der ersten Ei-
theilung II 355.
Riechsubstanzen, ihre Züchtung I 336
bis 341.
Rieseneier des Frosches, partielle Fur-
chung dei-selben II 476.
Riesenwuchs , Unabhängigkeit von der
Weite der Blutgefässe I 314; halb-
seitiger R., Ursache II 451.
Röhrenknochen, Ursache der Röhrenge-
stalt I 363, 690, 728.
Rotation, künstliche, der Froscheier, um
eine wagrechte Axe, Entwickelung da-
bei II 256-276.
Rotatiousapparat zum Nachweis des
Nichtnöthigseins der Schwerkraft zur
Entwickelung des Eies II 265 u. f.
Rückbildung überflüssiger Organe II 68.
Rückenflosse des Delphin, ihre Structur
I 562; Bedeutung derselben für die
Theorie der functionellen Anpassung
I 563.
Rüclvenfurche, künstliche Spaltung der-
selben II 194.
Sach-Register zu Band I und II.
1067
Rückstoss, seine gestaltende Wirkung
in den Gefässen I 87 u. f.
RuderbewegUHiü: des Delphin I 499.
Samcnfleok, (Pigmentanbäulung an der
Eintrittsstelle des Samenkörpers in das
Amphibienei) 11 355 A.
Samenkörper, intraovaler Verlauf II 365,
370; Peiiotratioiisbahu II 371;
Co|>ulatiou<«baliu II 376.
Säuifethiere, hohe Selbstdifferenzirung,
geringe Postgeneration II 982; schwere
Auslösung der Ganzbildung aus Ei-
theilen II 1010, 1012.
Säule, hohle , ihre statische Begründung
I 690.
Scelettlieile, Ursache ihrer Variationen
I 204 u. f., siehe Knochen, Knorpel.
Schädliche Substanzen, umzüchtend
anpassende Wirkung derselben "Auf die
Theile des Organismus I 235, 539.
Schädliche Wirkung, eventuelle, der
functionellen Anpassung I 352.
Scheerung, Scheerfestigkeit I 505, 678.
Schlagbewegung des Delphin I 495.
Sclileimbeutel, Ursache I 364.
Schraubengeleuk, Ursache I 376, 354,
734; siehe Gelenkform.
Schrumpfungscoefficieuten des Binde-
gewebes I 555.
Schub, s. Scheerung.
Schwanzflosse des Delphin I Nr. 7, siehe
Delphin.
Schwanzwärts, Bestimmung desselben,
siehe caudal.
Schwerkraft, richtende Wirkung auf das
Ei 11^ 257—260, 274; Nichtnöthigsein
derselben zur Hervorbringung des Ty-
pischen der Gestaltungen aus dem Ei
H 264 u. f., 271, 17 u. f.; Wirkung der-
selben bei der Entwickelung des Eies
II 113, 120; umordnende Wirkung auf
den Dotter II 404; Umordnung des
Dotters entgegen der Schwere im Ei
11297,298; Ursache ihrer einstellenden
Wirkung auf die Zelltheilung II 337.
Scplrosis, ihr Bildungsvorgang II 48;
siehe auch Zwischenwirbelscheibe I 182.
Sehnen, Ausbildung ihrer Structur I 358,
360; functionelleMetastructur I 187;
functionelleAnpassung 1168, 174; Selbst-
regulation ihrer Länge bei der Regu-
lation der Muskellänge I 596, 614, 610,
durch Wachsthum I 622; durch „seh-
nige Metamorphose der Muskelfasei-
enden" I 616 u. f., durch Schrumpfung
I 629, 555; ihre Lage 813.
Sehnenknochen der Vögel I 760 A.
Sehncuröhreu im Schwänze des Del-
phin 1 489.
Sehnenscheiden, Ursache I 364.
Sehnenschrumpfung bei Muskelatrophie
I 629, 555, 807.
Sehnerv, Folgen der Durchschneidimg
• I 290.
Sehnige Metamori^liose der Muskel-
faserenden zur Regulation der Muskel-
länge I 605, 613, 616, 621.
Sehsubstanzen, ihre Züchtung I 336, 341.
,, Seitenfläche" d«r Epithelien, ihre dif-
ferenzierende Wirkung II 785.
Selbst, eigenes, der Organismen, Wesen
desselben II 218, siehe a. Selbstnütz-
lichkeit.
Selbstassimilatiou II 76. 78, 79.
Selbstausmerzung von Theilen im Or-
ganismus I 218, 224; im Stoffwechsel
I 232 u. f.
Selbstbewegung II 77.
Selbstbewusstsein, Entstehung desselben
I 414.
Selbsttliffereiiziruug I 422, II 15, 96.
201, 234, 881 ; Mängel der S. I 582 ;
formale S. II 208; qualitative S. II 209
u. f.; unvollkommene 11 209; S. bei
mechanischen Störungen der Form II
204; ontogenetische S. von in der Phy-
logenese durch functionelle Anpassung
entstandenen Bildungen II 231 ; S. von
Gestaltungen, welche durch functionelle
Anpassung entstehen könnten I 385;
S. siehe auch Mosaikarbeit; S. des
Keimplasson I 453; des ganzen Eies
II 96, 264, 276, I 333 A., II 423, 772;
des Extraovates II 102; von Theilen
des Eies II 202-211, S. des Gastrula
II 190; S. des Medullarrohres II 192;
1068
Sach-Reerister zu Band I und II.
201, 247; des Darmrolires 11 251; anderer
Theile des Embryo 11 149, 166, 426;
S. epithelialer Gewebe I 333; S. der
Furcbungszellen II 156, 448, 770 u. f.;
verschieden abgegrenzter Stücke des
Eies II 983; hohe S. bei Säugern II 982 ;
S. bei normaler Entwickelung II 979;
Zusammenstellung von Thatsachen der
S. II 826—830.
Selbstclifferenzirungsgebilde II 907 :
a) temporäre, b) permanente II 909 ;
kleinste II 452, 779.
Selbstelimination, siehe Theilauslese.
Selbsterhaltung 1 405 u. f., II 77, siehe
auch Selbstnützlichkeit; Selbsterhal-
tungseigenschaften, allgemeine I 254,
ihre Züchtung I 247, 260; Selbster-
haltungsfähigkeit der Orgaue, ihr Ver-
lust I 346, 372.
Selbsterhaltungsprocesse , das Wesen
des Organischen darstellend II 217 u. f.;
Kampf derselben untereinander 1 218 u. f.
Selbstgestaltiing des zur Erhaltung
Nöthigen, als Wesen des Organischen
1405u. f., 1178; functioneUe S. des
Selbstnützlichen (sog. Zweckmässigen)
I 178, 278—330, 350—382, spec. 357
u. f., 560 ; die Assimilation als erste S.
I 395, II 1023; S. hydrodynamisch ge-
stalteter Blutgefässe I 65 u. f., 75,
97; S. der Zellen II 453, 457.
Selbstlöhnung im Organismus, der dem
Ganzen geleisteten Arbeitsgrösse ent-
sprechende II 215.
Selbstloslösung, active, der Chorda,
MeduUa, des Entoblast und des Meso-
blast von einander II 456; von Fur-
cbungszellen II 989.
Selbstnützlichkeit sive Antophe-
lia, als allgemeine Eigenschaft des
Organischen 1 393—415; statt Zweck-
mässigkeit n 58 u. f ., 78, siehe auch Selbst-
regulation.
Selbstordnung der Eisubstanzen ent-
gegen der Schwerkraft 11 297; des
Rindendotters bei Zwangslage II 327 ;
S. der Zellen II 435, 453, 457, 493; s. a.
Zcllordnung der Furcbungszellen 11 987
bis 995.
Selbstregulation als eine wesentliche
Eigenschaft des Organischen I 400, 405
bis 411, II 69 A., 78, 217, 981 u. f.;
Beschränkung derselben II 202; S. zur
Erhaltung labilen Gleichgewichts I 336;
S. der Assimilation 1 222, 224; S. als
Ursache der Stabilität der Art I 224,
336, 337, 455; quantitative S. I 130 u. f.,
350; functioneUe S. (der Erhal-
tungsfunctionen) 1 321, 316 A., 381, 400
bis 409 ; morphologische Selbst-
regnlatioii(derGestaltungsfunctionen)
I 321, 316 A., 409 A., II 1022; am An-
fange der individuellen Entwickelung
II 360 A., 401; ihre Schwächung am
Ende der Laichperiode II 461, 1010; S.
im Stoffwechsel, ihre Züchtung durch
Theilauslese I 237 ; normale S. im Em-
bryo I 220. 224; S. nach Anachronis-
men II 445 A.; prästabilirte S. bei den
ersten Eitheilungen II 401 ; während
der Furchung II 316; bei der Verthei-
lung und Ordnung der Kernbestandtheile
in der Ontogenese II 316; morphologische
nach Umordnung der Furcbungszellen
II 911 ; Züchtungsursache dieser Art
II 912, 918; Reflexthätigkeit ist S. I.
399; S. der Muskellänge 1 576-658,
speciell I 583—623, Nothwendigkeit
derselben I 582; S. der Sehnenlänge
I 596, 621; der Gestalt der Muskeln
(durch Fiederung) 1 596; S. derWeite
der Blutgefässe I 316; nervöse Regu-
lation I 319; morphologische Regulation
1 316, 318; allgemeine gestaltende
Reactionsfähigkeit der Blutgefässe I 319,
siehe auch Entwickelung, atypische.
Selbstschluss des MeduUarrohres II 247;
des Darmrohres II 251.
Selbstschutz des Embryo II 982.
Selbstständigkeit der Theile des Orga-
nismus in ihrer Erhaltung, Variation etc.
1 219 u. f.
Selbststeuerung im Organismus I 409.
Selbstvariation 11 62.
Selbstwachsthum II 77; siehe auch
Wachsthum.
Selection siehe Züchtung.
Seleetionstheorie, Einwendungen gegen
Sach-Resister zu Band I und II.
1069
sie II 66; Wegzüchtung nicht ge-
brauchter Theile II 68; ihre jüngsten
(leüner II 68.
Jsioiiiiblastiila Ranae II 43.j; siiperior
II 448; von Echinodermen II 791 ; siehe
auch Halbbildungen; electrische Polari-
sation II 618.
Souiivliorda «lorsnlis lateralis II
441. 443, 447, 526, s. Halbbildungen.
SeiuigaMlriila Ranae II 435, 953;
anterior II 445; der Ascidien II 788;
s. Halbbildungen.
Semiliinai'klappen, functionelle Structur
I 182.
Sciuiiuodulla lateralis II 439.
Seiniuioriila II 434, 156; Charaktere
II 877, 879; Zellordnung II 804; Bil-
dung durch Umordnung des Eimateriales
II 857, 876, 888; nach Rundung der
isolirten Blastomere II 857, 835; S. der
Ascidien II 788 ; von Echinodermen
II 791.
Seiuispinalis, nmsciilus, Selbstregulation
der Muskel- und Sehnenlänge I 619.
SensibiHtät I 391 ; implantirter Gebilde
I 565.
Sesambeine, functionelle Structur 1387 A.,
762.
Sieg des „stärker fungirenden" I 100.
Sinnesorgane, zweierleiBildungsursachen
I 378 ; Antheil der Züchtung I 339 ; der
functionellen Anpassui.i- I 170, 175.
Sinnessnbstanzen, ihre Züchtung I 336,
341 ; ihr Fehlen für manche Formen
von Energie I 839.
Sinus Valsalvae, Ursache derselben I 68.
Sirenen, functionelle Knochenstructur I
442, J38; geringe Inactivitätsatrophie
I 443, 738.
Sunderangsrichtung bei der Kern-
theilung II 385 u. f.
SiJannung, nutritive, ihre Bedeutung
im Kampfe der Zellen I 257.
Spannnngstrajectorien I 546; Fall der
Identität mit den Wachsthumstrajec-
torien I 553, 568.
Sparniaschine, innere Umzüchtung des
Organismus dazu durch Bunger I 236,
658, II 224.
Specialpularisation, morphologische,
electrische, der Morula und Blastula
II 591, 611, 752.
Specification der Furchungszellen II 830
832, 835, 884—893 ; siehe a. Furchungs-
zellen; S. der Keimblätter II 200.
Speciflsches Gewicht, ungleiches der
Dottersubtanzen II 113, 120, 260 bis
262; Wirkung desselben auf die Ent-
wickelung II 260; Aenderung durch die
Befruchtung II 291.
Spermatozoon, Antheil an der Richtungs-
bestimmung des Embryo im Ei, siehe
Copulationsrichtung, Hauptrichtungen.
Sphaerechinus , Entwickelung isolirter
Blastomeren II 878 u. f.
Spina bifida II 526; siehe Asyntaxia
medullaris.
Spiralgelenk, Ursache I 376, 354, 734.
Spongiosa der Knochen, Ursache ihrer
Maschenweite I 710 A., 764; Formen der
S. I 704—711; S. globata. Vorkommen
und Bedeutung I 685 A., 706, 709 u. f.,
729; rectangulata I 706; tubnlosa I
705, Vorkommen 1708; Maschenweite I
710; siehe auch Knochen, functionelle
Structur; statische Elementartheile I
703 - 704.
Sprossung der Nerven in neue Organe
I 565.
Stabilität der Organismen, Ursache I
224, 336, 337, 455.
Stanimaxen- Radialebene der Ge-
fässe I 9.
„Staninicouiplex" von Zellen bei der
Re- u. Postgeneration II 898.
Stammesgeschichte, II 61-69, 231, 440
u. f. , 1023 ; s. biogenetisches Grundge-
setz, Homologien; Zerstörung ihrer
knöchernen Urkunden I 801.
Staniinverlaufswinkel der Gefässe
I 15.
Stauiinwinkel der Gefässe = Stammur-
sprungswinkel I 15.
Stehen: Wirkung auf die Knochenstruc-
tur I 719 A.; St. auf einem Bein, Bean-
spruchung des Schenkelhalses dabei I
682 A.
Sterilität, eine Ursache II 369.
1070
Sach-Register zu Band I und II.
Stillstand der Entwickeliing nach
Operation während der Furchung II
159.
Störung, mechanische Natur ihres Aus-
gleiches im Organismus II 1022; St. der
Entwickelung, Verlauf der weitereu Ent-
wickelung II 971; St. der Anordnung
oder Qualität: Auslösung des Reserve-
idioplasson durch dieselbe II 887, 896
bis 903; an den Halbbildungen, ihre all-
gemeine Bedeutung II 775.
Stoffwechsel seine Bedeutung für die
innere Züchtung I 222, 231—238, 251;
St. atrophischer Organe I 285.
Stossbewegiiiig des Delphin I 493.
Stoss des Blutes, seine gestaltende Wir-
kung I 97.
Streckung, nachträgliche der Medullar-
wülste II 532.
Stromfäden, electrische, Methode zur
directen Ermittelung ihres Verlaufs II
25, 152.
Stromschatten, electrischer II 565, 650.
Structiir, statische, dynamische,
siehe runctiouelle Structur.
Stützorgane, ihre von der Anordnung
der Capillaren unabhängige Structur I
312, 327; siehe functionelle Structur.
Stützsubstanzen : vererbte und abhängige
Bildung derselben I 205 ; siehe auch
Bindesubstanzen, Knochen. Knorpel.
Subcutanes Bindegewebe , Züchtung
desselben I 555.
Subduralraum, Ursache I 364.
Substantia conipacta ossea, ihre stati-
schen Elementartheile I 711, siehe auch
Knochen, S. spongiosa, siehe Spongiosa.
Symmetrie, bilaterale, ihre Ursache
II 451.
„Symmetrieebene der Sonderung" II 386.
Sympathicus - üurchschneidung , ihre
Folgen I 295, 309.
System materieller Theile II 233; seine
Configuration II 233 ; seine Form II 233,
seine Structur 11 233.
Teleologie 1 145, 148 Anm., 153 u. f.,
408, 11 78, 842, 1018; teleologisch
gestaltende Wirkungen der functionellen
Anpassung I 381.
Telestes Agassizii, electrische Polari-
sation der Eier II 625.
Telescopform der Nase, künstliche, durch
Borsäure II 887 A.
Theilanslese oder Partialanslesc
im Organismus, züchtende I 217 u. f.,
222, 235, 542, 546 u. f., 651—656, 804,
II 216 u. f. ; nicht züchtende T. I 222, 235,
II 220; höchste Ausbildung des Zweck-
mäs,sigen durch T. I 382; siehe auch
Kampf der Theile.
Theilbildiiug oder Theilgebilde,
Definition II 792, 884, 1012; ihre Ur-
sachen II 1009—1013; siehe auch Semi-
morula , Semigastrula , Hemiembryo,
Halbbildungen.
Theilungsfliiche, Definition II 384 u. f.
Theiluugsricbtung, Definition II 385 u. f. ;
T. der Zelle, Wirkung der Gestalt
auf die Theilungsrichtung II 299, 337,
973, 975 ; erste Theilungsrichtung des
Eies: sie ist die variabelste II 300;
ihre normale Ursache, siehe Copulations-
richtung, Hauptrichtungen , Median-
ebene; Wirkung einer Anstichstelle des
Eies auf die T. II 364; Wirkung ge-
ringsten Widerstandes II 305, 364, 973;
Wirkung des electrischen Stromes auf
dieselbe II 556, 571, 583.
Theiluugswiderstand der Zelle, gering-
steril 166 ; bestmimt nicht die Theilungs-
richtung II 973.
Thiere, höhere und niedere , ihre ver-
schiedene Leistungsfähigkeit I 403.
Tibia, Bedeutung ihrer Gestalt I 737 ;
neue functionelle Structur in neuen Ver-
hältnissen I 662 — 713.
Topographie der organ. Gestaltungs-
ursachen, Aufgabe, sie zu ermitteln
II 16, 37, 87, 233, 254, siehe auch
Selbstdifferenzirung und abhängige Dif-
ferenzirung, Correlationen.
Torsion I 683; Torsionsconstruction I
683.
Torsionsstructur des Humerus I 762 A.,
765.
Sach-Register zu Band I und II.
1071
Totipotcnz der Furchungszellen, poten-
tielle II 831, 839.
Trabeoulac osseae I 704; ihre functio-
nelle Bedeutung I 704.
Tractiis ossei I 707.
Trajeotorien, Bedeutung I 678 u. f.;
Ableitung derselben für Druck I 678;
für Zug 1682; Torsion I 683; Biegung!
683 u. f.; Methoden der mechanischen
Selbstdarstelluug der Trajeotorien I 673;
T. der Spannung und des Wachsthums
I 546; Fall der Identität beider I 553,
568.
Transformatioiisgesetz Jul. Wolff's,
bezeichnet functionelle Anpassungen I
725.
Trauslatio elterlicher Eigenschaften auf
das Keimplasson II 61, 1023; siehe
Vererbung.
Transplantation, „functionelle" und
ihre Theorie I 404.
Ti'ansi)lantationsfähigkeit, Bedeutung
für den Kampf der Theile I 219.
Transversale Stellung der Delphin-
Schwanzflosse, ihre Bedeutung I 498.
Trennungskeil der Blutgefässverzwei-
gungen I 85.
Triton alpestris , electrische Polarisa-
tion der Eier II 608.
Trommelfell, functionelle StructurI 182;
Ursache I 359.
Trophische Nerven I 292—299; ihre an-
geblichen Functionen I 292; ihr Unver-
mögen functionelle Structur auszubilden
I 568.
Tropliische Wirkung der functio-
uellen Reize I 100, 151, 240 u. f.,
278-330. 544-552, 806; gestaltende
\Yirkung der Function I 548.
Tubuli"ossei I 703; ihre functionelle
Bedeutung I 703.
Tumoren, siehe Geschwülste.
Typische Gestaltungskräfte, ihre Noth-
wendigkeit II 28 Anm., 72.
Tyi)isehe oder direete Entwickelung,
personelle : Herstellung der richtigen An-
ordnung des verschiedenen Materiales
II 316; Selbstregulation dabei II 316;
Charakterisirung II 844 u. f.; nicht voll-
kommen reines Vorkommen II 847, siehe
auch atypische Entwickelung.
Typisch reproducirte Gestaltung,
Verständlichkeit derselben bei Ent-
stehung auf typischem Wege II 40;
Bedingungen II 8 A., 228 A., 868, 913,
siehe Entwickelung ; bei atypischem Aus-
gang II 41 ; bei atypischem Wege II 52.
Uebercompensation des Verbrauches
I 396; ü. im Ersätze I 396; ihre Züch-
tung durch Theilauslese I 237 ; U. in
der Activitätshypertrophie I 280; der
Blutgefässe I 280; des Knochen I
280.
Ueberdelinung des Bindegewebes hat
Atrophie zur Folge I 554.
Üebergang vom Wasser zum Luft- resp.
Landleben I 119. II 64.
,,Uebertragung" vom Elter erworbener
Eigenschaften auf denlveim, s.Translatio.
Ueberwindung mechanischer Componen-
ten durch vitale II 91.
Hebung I 461, 766. Ist nicht bedingt
durch Hyperämie I 324; embryonale ü.
I 555 ; motorische U. im Centralnerven-
system I 122, 174; U. der Muskeln I
353, 364, 367.
Umarbeitung des Pigmente^ der Ei-
rinde, symmetrisch zur ersten oder
zweiten Furche II 328.
Umbildungen durch geänderten Gebrauch,
Beschränkung derselben I 374, durch
embryonale Variation I 375; vitale U.
durch mechanische Massencorrelation
II 253.
UnKliftereuzirung von Zellen, nach
Störung II 896, 899, bei Re- und Post-
generation n 801, 896, 899; Verlauf
derselben II 899; von Dotterzellen durch
differenzirte Zellen II 495; siehe auch:
abhängige Dififerenzirung, Correlationen.
Umformung, siehe Umbildung.
Umkelirnng in Zwangslage gehaltener
Eier II 330; Entstehung von Doppel-
bildungen danach II 932 u. f., 936.
Umordnung von Zellen II 491, 497, 505
u. f. Anregung dazu II 493; von Fur-
chungszellen II 857.
1072
Sach-Register zu Band I und II.
Umstände äussere, direct das Zweck-
mässige schaffende Wirkung derselben
I 130.
Umwachsung der todten Eihälfte II 482.
Ungleichheit, atypische, der Theile
des Organismus I 222, 225 ; Bedeutung
derselben für den züchtenden Kampf
der Theile I 222, 225.
Unterbrechuugsfläche einer Zell-
schicht: Bedeutung für die Postgene-
ration II 498, 506, 507, für die Re-
generation II 512, 897 u. f.
Unzulässigkeit causaler Ableitungen aus
den Beobachtungen des typischen
organischen Geschehens II 75 u. f.,
239.
Urdarmhöhle, von ihr ausgehende ord-
nende Wirkung auf die Zellen II 505.
Urmiind des Froscheies II 164; Ort seiner
ersten Anlage II 398; nächste Ursache
II 342; die erste Anlagestelle fällt
nicht immer in die Medianebene des
Embryo II 399, 867 A., 961 A., 963;
künstliche Bestimmung seiner Lage II
925; Wanderung des U. II 347 u. f.,
525 ; abnorme Schlussstelle II 529.
Ursachen der sichtbaren organischen Ge-
staltungen, Ermittelbarkeit derselben I
406 A.; primäre ü. der Gestaltung I 543;
Causae summandi I 538; U. der Zeit, des
Ortes, der Richtung, Grösse und Quali-
tät des organischen Geschehens II 87,
87,96; verschiedene Ursachen mit
gleichen Wirkungen II 92, siehe auch
„Constanz" der Producte; die einfach-
sten Ursachen nicht immer im Organi-
schen die wahrscheinlichsten II 242;
Ursache und Folge im Organischen I 88 ;
Trennung der specifischen Ursache von
der Vorbedingung I 306, 325; Ursachen
der speciellen Entwickelung, ihre Locali-
sation im Ei II 772, siehe auch Knochen
u. a. Organe.
Urspruii(;!«kogel der Blutgefässe: des
Astes I 36, 43; der „Fortsetzung des
Stammes" I 45; Selbstgestaltung des-
selben aus dem Wandungsmateriale I
55; Variationen desselben II 71.
Urzeugung durch „successive" Züch-
tung der Gr undfunctionen des
Lebens I 409-416.
Uterus , Ursache seiner complicirten
Structur beim Menschen I 369.
Vacuolisation des Dotters II 462, 488.
Variabilität, der Theile des Organismus
I 222, 225; Bedeutung derselben für
den züchtenden Kampf der Theile I 222,
225 ; V. infolge unvollkommener Selbst-
regulation I 455; V. durch Einwirkung
der äusseren Lebensbedingungen I 105;
Bedingtheit der Variabilität I 116; Corre-
lative V. I 108, 131 , II 255; ihre Ur-
sache I 372 ; V. des Keimplasma I 455,
II 62—67,
Variationen oder Varietäten, ihre Ur-
sachen I 217 A. ; zeitliche V. als Ursache
morphologischer Varietäten II 114 u.
f. ; ihre Bedeutung für die descriptive
Entvvickelungsgeschichte II 51; V. des
Keimplasma: Entstehung aus inneren
oder äusseren Ursachen II 62. Succes-
sive Variation II 63; sprungweise V.
II 63; Freiheit des V. II 64, 67, I 116;
Unfreiheit I 204, II 67 ; Beziehung zwi-
schen den V. des Keimplasson und den
V. der entwickelten Theile II 65; Selbst-
variation der Theile II 65; gleiche V.
mehrerer Theile II 67 ; gleichzeitige
nützliche V. verschiedener Theile II 64;
Leistung embryonaler Variationen 1 368,
375; V. machen abhängige Ditferenzi-
rung nöthig II 918 ; machen morphologi-
sche Selbstregulation nöthig II 913, 981 ;
Werth der V. für die causale Forschung
II 31, 93 ; V. der M u s k e 1 n I 582—591
topische I 582; functionelle I 587
Regulation der Länge dabei I 591 — 620
der Scelettheile I 204 u. f.
Vasa vasornni, ihre unzureichende Be-
deutung für die Gestaltung I 313.
Vasomotorische Störungen, ihre tro-
phischen Folgen I 295.
Vater ist der Bruder seiner Kinder I 456.
Vena i)ortae, Verzweigungsregeln I 10,
17, 22, 81, 73.
Venen, Entstehung an Stellen geringsten
Druckes I 184, 564; Gestalts verhält-
Sach-Register zu Band I und IL
1073
nisse des Lumens au den Vereinigungs-
stellen s. I Nr. 1 und 2.
Ventral des P^nibryo, seine Bestimmung
am Ei II 347, 349, 408, 424, 437, 448,
460 A., 527, 534. 780.
Veränderung, specifische Natur der-
selben: Qualität, Ort, Zeit, Grösse IT
907, s. Differenzirung.
Verästelnngswinkel der Arterien,
Definition I 15; bestimmende Regeln 1
15 u. f.
Verbrauch, züchtende Wirkung desselben
I 233, 399.
Yereinignngsebene der Venen, Defi-
nition und bestimmende Regeln I 13.
Vererbt Definition I 200—203, 207.
Vererbting: angebliche, vom Individuum
erworbener Eigenschaften I 140, 383,
444, II 61, 1023; Bedingung der Ver-
erbung I 451 u. f., II 62; Vererbungs-
theorie, angebliche II 860; siehe auch
Keimplasson ; vererbte Selbstditferen-
zirungs-Charaktere, geringe nöthige Zahl
derselben I 201, 567.
Vergiftung, chronische, umzüchtende
Wirkung derselben auf die Theile des
Organismus I 235, 658.
Vergleichende Anatomie II 70.
Verlanfslinie der Muskelfasern I 584.
Verlanfswinkel der Gefässe I 15, 35,
94; ihre Bedeutung für Ermittelung der
Wachsthumsgesetze I 94.
Verschiedenheit gleich aussehender
Theile II 1005.
Verschmähung vermehrter Nahrungsauf-
nahme durch die Zellen I 309.
Vertheilnng, electrische, Fehlen auf
dem Embryo II 149.
Verwer&mgen der Muskelfasern, Be-
deutung für die Selbstregulation der
Muskellänge I 582 u f.
Verzögerte Laichung, ihre Folgen,
siehe Laichung; Schwächung der Selbst-
regulation II 1009.
Verzögerung der persönlichen Entwicke-
lung durch Abkühlung 11 101; nach
Operation des Eies II 159.
Verzweigungen der Blutgefässe 1
W. Roux, Gesammelte Abhandlunfjen. II.
Nr. 1 und 2; Richtungsverhältnisse 1
9u. L ; Gestaltungsverhältnisse I 36 u. f.
Verzwoigiingsebcne der Gefässe 1 9.
..Verzwoigungsstelle" der Arterien,
Definition 1 12.
Viertelei-Gebilde II 793.
Viertelmornlae und Blastulae 11 446.
Vorbedingungen der Diff'erenzirung H
210; ihre Unterscheidung von der spec.
Ursache I 306, 325 Nr. 13, 27, 28.
Vorentwickelnng 1 409 A., 453, II 74;
Definition II 280; ontogenetische, per-
sönliche, unpersönliche, accessorische
II 280; phylogenetische II 74, 280.
Vorkerne, Wirkung ihrer Copulations-
richtung auf die Medianebene II 366.
Waalthiere , eigenthümliche substantia
spongiosa ossea I 708.
Wachsthum, Züchtung desselben durch
Theilauslese 1 237 ; züchtende Wirkung
desselben im Organismus I 222 , 232 ;
Nutzen desselben I 396; Arten des W. :
actives I 391, II 77, passives II 77;
Massenwaclisthnm II 81 ; blosdi-
nieusionales W. II 81 ; embryonales
selbstständiges I 207 A. , 311 ; W. beruht
auf qualitativer u.quantitativerNahrungs-
wahl der Theile I 314; W. infolge von
Hyperämie 1 295, 310 ; W. des Embryo
unabhängig von electrischer Vertheilung
II 147; W. der Arbeitsorgane I 311;
der Stützsubstanzen und Deckepithelien
I 311; des Knochens: Deutung des
Ringversuches I 742; des Markirver-
suches I 746; W. von Organen durch
Aufnahme und Um differenzirung frem-
der Zellen II 801.
Wachsthiimsarchitectur 11 232; siehe
auch Wachsthumstrajectorien.
Wachsthumskräfte, auf die Herstellung
der normalen Formen eingestellte II
245 ; Wirkung zeitlicher Hemmung der-
selben II 245.
Wachsthumsperioden: l.des selbststäu-
digen Wachsthums der Theile 1 311;
Wirkung der Hyperämie dabei I 311;
2. des functionellen Wachsthums 1 311;
siehe auch Perioden.
1074
Sach-Register zu Band I und IL
AVaclistlnimstrajectorien I 546; Fall
der Identität mit den Spannungstrajec-
torien I 553, 568.
Wärme, trophisclie Wirkung derselben I
242, II 18.
Wänne.strahlniig Nichtnöthigsein der-
selben zur Hervorbringung des Typi-
schen der Gestaltungen aus dem Ei
II 274.
Wanderung der Bänder bei örtl. Aen-
derung der functionellen Verhältnisse I
606 : der Z ä h n e im Knochen I 268, 747.
AVaiulerzellen, abhängige Differenzirung
II 801, 914.
AVechsel der Beanspriicluingsrichtung,
Einfluss auf die Knochenstructur I 706,
719.
Wechselstrom, Wirkung auf die Rich-
tung der Eitheilung II 556 ; auf die Be-
samungsrichtuug und Copulationsrich-
tung II 583 ; polarisirende Wirkung auf
embryonale Objecte II 542 u. f.
AVechselwirkung ist der Grundvorgang
der Entwickelung II 14, 822 ; siehe auch
Correlationen, abhängige Differenzirung.
Wellenbewegung der Delphin I 496.
Wesen des Organischen I 152, 387 bis
416, 11 69 A., 76, 141, 217; siehe auch
Leben.
Wettbewerb II 223.
Widerstandsfähigkeit lebender Körper,
ihre iSteigerung durch Theilauslese bei
schlechten Existenzbedingungen I 237 ;
mechanische W.: Arten derselben I 505,
(>78; der Knochen: gegen Druck von
überknorpelten Flächen aus I 735;
gegen Druck vom Periost aus I 735.
Widerstandsznnahme in Röhren beweg-
ter Flüssigkeit bei Zunahme der Strom-
geschwindigkeit, neue Methode ihrer
Ermittelung I 61.
Wiederbelebung II 477, 480; siehe Re-
organisation.
Windungen im befruchteten Ei II 321.
W^irkungsäquivalent : siehe Aequivalent,
Gleichgewicht.
Wirkungen, gestaltende im Organischen
II 904 A.; unvollkommene Kenntniss
derselben II 93; daraus folgende Ein-
schränkung der Anwendbarkeit des
Satzes: gleiche Wirkungen haben gleiche
Ursachen II 92; gestaltende W. per
continuitatem et contiguitatem, differen-
zirende II 891.
AVirkungsweisen, gestaltende bestän-
dige n 82, 187, 1018, I 804-816, II
1025 — 1031 ; besondere im Organischen
II 189, 318; statt Naturgesetze II 39.
AVundernetze , Entstehung durch ver-
erbte Gefässweite I 326 A.
AA^mdheilung im Embryo: II 196, 200,
440 A.; siehe Heilung.
AA'undpigmentirung am Embryo II 150,
195, 197.
AVundreaction junger Froschembryonen
n 149, 196.
Zähne, seitliches Wandern derselben
I 268, 747.
Zeit der Bestimmung der embryonalen
Gestaltungen II 95 u. f., II 286; der
Hauptrichtungen II 95—124, II 286 u. f.;
Z. der Gestaltungsursachen II 37, 87.
Zelläquator, electrischer II 593.
Zelle, Selbstständigkeit II 40, Beschrän-
kung der Selbstständigkeit II 41, 806;
Kampf resp. züchtende Auslese unter
ihnen I 251—260, II 494. Richtende
Wirkung auf Nachbarzellen II 318; Um-
differenzirende AVirkung aufeinander
bei der Postgeneration II 491, 495, 502,
506, 507, 509, 510, Reihenfolge der
Vorgänge dabei II 491, 500, Ablenkung
der Differenzirungsrichtung 496 u. f.,
500, 504.
Zellgestalt, ihr Einfluss auf dieTheilungs-
richtung; siehe Zelltheilungsrichtung.
Zellgranula II 85.
Zellkern, siehe Kern.
Zellleib, seine Function 1254 ; siehe Dotter ;
gestaltende Wirkung II 890 A., 932—939,
1009 u. f.; gestaltende Correlationen
mit dem Kern II 927—939, 474; siehe
auch Kern; züchtende Theilauslese in
ihm I 231-250.
Sach-Register zu Band 1 und II.
1075
Zollordnnn;?, active II 453, 457, 804,
987 — 995: siehe auch Zellwandeiung,
Cytotropisnitis, Clieniotropismus.
Zellpollelder, electrische II 593.
Zelltlioiluiiii". selbstständige qualitative
Materialschcidung II 452; richtige An-
ordnung, selbstständige II 453; nicht
notlnvendig di f ferenz irende Wir-
kung derselben II 317 A.; Verschiebung
der Theilungsstolle in die Anstichstelle
II 166; Beginn an der Anstichstelle
II 163.
Zelltheiliingsriclitung , Abhängigkeit
von der „Gestalt" der Furchungszelle
II 118, 303 u. f., 336, 339 u. f., 407,
866, 890, 927 u. f., 972 u. f.; Unab-
hängigkeit von der Gestalt II 866; bei
Zwangslage II 302, 336; Einfluss der
Electricität II 319, 556, 571 ; siehe auch
Kerntheilungsrichtung.
Zellwaiidemngen beim Wach sthum der
Keimblätter II 801; bei der Re- und
Postgeneration II 801; siehe auch Zell-
ordnung.
Zei'fällung verschieden gerichteter Wir-
kung auf rechtwinkelige, stärkste Com-
ponenten in der Structur der Organe
I 180, 181 Anm. 2, 183, 359, 368, 510
u. f., 679 u. f.; siehe auch functionelle
Structur.
Züchtung, unter den Personen I 116,
155, s. a. Peraonalauslese ; unter den
„Theilen- des Organismus, durch den
Stoifwechsel 1232; Bedingungen 1276;
Wirkungsgrösse I 382 ; siehe auch
„Kampf der Theile" und „Theilauslese",
Kern, Zellleib; Wegzüchtung nichtge-
brauchter Theile II 68; successive Z.
der Grundfunctionen des ersten Lebens
I 409, II 1022.
Ziichtungslehre, ihre Mängel I 425 II 66,
ihre jüngsten Gegner II 68.
Zuchtwahl, Leistungsgrösse derselben
I 116, 123, 159, Beschränkung I 184;
Mangel ihrer Wirkung auf das Greisen-
alter I 653.
Zug I 678, als functioneller Reiz und
als Ent.stehungsreiz des Bindegewebes
II 227; Zug findet im Knochen statt
I 681.
Zugconstruction I 682.
Zugfasern des Bindegewebes I 513.
Zugknochen I 760 A. ; reiner, fehlt den
Säugern I 745.
„Zurückverwandlung" aus dem ent-
wickelten in den unentwickelten Zustand
I 214 A., II 61, 62, 1023.
Zwang bei der organischen Gestaltung
II 245.
Zwangslage des Froscheies : einfache
II 325; schiefe II 325, 396; gerade II 325,
396; Methode II 347, 396 u. f.; ihre
Wirkung II 165, 177, 343, auf die Co-
pulationsrichtung II 367, 399, 404, auf
die Theiluugsrichtung II 325 u. f., 339,
399, 406. Erste Furche nicht senkrecht
II 326; Wirkung auf die Richtung der
Medianebene II 403, siehe Medianebene ;
Bedeutung von Pflügers Versuch II 262,
343, 848; Z. der Froscheier im Mutter-
leib II 290, 409.
Zweck, wirkt nur indirect, durch func-
tionelle Anpassung „gestaltend" im Oi'-
ganismus II 1020.
Zweckmässigkeit der organischen Ge-
staltungen, siehe D auerf ähi gk eit,
Selbstnützlichkeit; feine innere
Z. der Organismen I 137, 155; ihre
Entstehung s. Selbstgestaltung, functio-
nelle Anpassung.
Zwischeuwirbelscheiben, Function als
hydraulische Presse und Bedeutung
ihrer Structur I 182.
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