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Rant’s
gelammelte Schriften
Berausgegeben
von der
Königlich Preußiſchen Mkademie
der Wiſſenſchaften
Band VI
Erſte Abfheilung: Werke
Sechſter Band
Berlin
Druck und Verlag von Georg Reimer
1907
y
Rant’s Werke
Band VI
Die Religion innerhalb der Grengen der
bloßen Bernunft.
Die Metaphyſik der Sitten.
Berlin
Prudk und Perlag von Georg Beimer
1907
104287
. .
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rittes Stück. Der Sieg des guten Princips über das böſe und
die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden... .....
Erfte Abtheilung. Philoſophiſche Vorftellung des Sieges des guten
Princips unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden . . .
1. Bon dem ethiſchen Naturzuftande . - 2 2 2 run na
II. Der Menſch joll aus dem ethifchen Naturzuftande herausgeben,
um ein Glied eines ethiihen gemeinen Weſens zu werben
IM. Der Begriff eines ethifchen gemeinen Weſens ift der Begriff
von einem Bolfe Gottes unter ethiſchen Geſetzen
IV, Die Idee eines Volks Gottes ift (unter menschlicher Beranftal
tung) nicht anders als in ber Form einer Kirche auszuführen
V. Die Gonftitulion einer jeden Kirche geht allemal von irgend
einem hiſtoriſchen (Offenbarungs-) Glauben aus. . - . . .
Vi. Der Kirchenglaube hat zu feinem höchſten Ausleger den reinen
Reigimdglauben . 2»: 2er ann rer nun nn.
VII. Der allmählige Übergang des Kirchenglaubens zur Aleinderr:
ichaft des reinen Religionsglaubens ift die Annäherung bes
Zweite Abtheilung. Hiftorifche Vorſtellung der allmähligen
Gründung der Herrſchaft des guten Princips auf Erden . .
Ullgemeine Anmerkung : « - 2 2 22 nennen —V——
Viertes Stück. Vom Dienſt und Afterdienſt unter der
Herrſchaft des guten — oder Von Religion
J
Erſter Theil. Vom Dienſt Gotles in einer Religion überhaupt. . .
1. Abſchnmitt. Die chriftliche Neligion ald natürliche Religion . .
2. Abfchnitt. Die chriftlicdhe Religion als gelehrte Religion . .
Zweiter Theil. Bom Afterbienit Gottes in einer ftalutarifchen Religion
& 1. Bom allgemeinen fubjectiven Grunde des Neligionswahnes
82. Das dem Neligionswahne entgegengejebte moralifche Princip
EEE erEr BE Ir
83. en — — als — Regiment im er bes
.#e.:; oo. u hä 5 eh er ne
‘ vm
Der Rechtslehre Zweiter Theil. Das öffentliche Neht....-.- - 309
Eriter Abichnitt. Das Staatöredt: - :.:.-.. + 811
Allgemeine Anmerkung von ben rechllichen Wirkungen aus der
Natur des bürgerlichen Bereind . - 22 2.2 ru. 318
h Bon bem recilicen Berhäftniffe des Bürgers zum Bater-
| lande und zum Auslandbe- - - - - > 2 222 000 337
Zweiter Abſchnitt. Das Völlerredt - » - 2:20... 343
Dritter Abſchnitt. Das Weltbürgerreht. -. » +» - .. .- - 352
Anhang erläuterndber Bemerfungen zu ben metaphy-
fiihen Anfangsgründen ber Nedhiölebre . .. - . » 356
Zweiter Theil. Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre.
ER a ee et a ee 375
Einleitung zur Tugenblehre DE ER 379
I. Erörterung des Begrifj3 einer Tugenblehre- . »- -» + » satte a 879
U. Erörterung des Begriffs von einem Bıwede, ber zugleich Pflicht ift . 382
II. Bon dem Grunde fich einen Zwech der zugleich Pflicht ift, zu denfen *
IV, Welche find die Zwecke, bie zugleich Pflichten ad De ——
V. Erläuterung dieſer zwei Begriffee *
A. Eigene Volllommenheiiitt 386
B. Srembe Städfellaelt - . 22. 3 2m rar un nn 387
VI. Die Ethik giebt micht Gefege für die Handlungen, jondern nur
für die Marimen ber Handlunggen. 388
VI. Die ethiſchen Pflichten find von Bee dagegen bie Rechtöpflichten
von enger Berbinblihlet » » - - <a 22 nr en 390
VII. Erpofition der Tugendpflichten als weiter Bilihtin -. -... 391
DE ee een ta 394
X. Das oberfte Princip der Nechtölehre war anatptife;: bas ber
Zugendlehre ift ſynthetiſch.. 396
XI. Schema ber Tugendpflihten - - =» = +» 2 u nun en nen 398
XI. Afthetifche Vorbegriffe der Empfänglichfeit des Gemüths für Pflicht-
ee 399
a) Das moralische Gefühl - 2 22-2 meer 399
a ee ee Er ER 400
©) Bon ber Menfchenliebe . » = > - 22 401
FREIE PER | -
XIII. Allgemeine Grundſätze ber Methaphyſik der Sitten in Behandlung
einer reinen Zugenblefre - » » 222 22 2m 0 na. 403
XIV, Bom Princip der Wbjonderung der Tugendlehre : von * Rechtolehre 406
XV, Zur Tugend wird zuerſt erforbert die Herrichaft über ſich felbft 407
x. Micemitı. Bon pen Tugendvflichten gegen nuber
Menichen ame ber itmen gehübeenden Bcdrtung. - . 46
Um Ber die Rnicht ber Mchrumen für autberr Menichen
verlegenden Yale . -. - - - 22220 .. |
A Da Debut -. -. -. .. 2-2 220. 4
r, Da Vırmresai. -.-.... 2:2 220000 MH
ve Da Berbkune - . . -» 22.2.2202. Mi
suite Damntitsd. Bon Ber etbricken Filsshten Der Merichen
augen rmauber m Betetunmg iter: Rautıonteö . . . .
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Nu der meet. Nerremume. Der Sehr min ber Bchtumg
van KRreundiat: . -. .-. . . 2.220220. 4
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Aumrttun. reiklie: sur: zugpatiägsen Füsterkulm . . . . 43
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Neue din gonzer Nrpi! |
Jan SE „17T 205 "7 "Tee 7-2 | 7 He 49
Arube a \-
Die Religion
innerhalb der Grenzen
der bloßen Vexnunfl.
Borgeftellt
von
Immanuel Kant.
KRant’s Sqhriften. Verte. VI.
4 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloken Vernunft.
jet, zu erfennen, noch dazu, daß fie ausgeübt werde, anzutreiben: fondern
fie fann gar wohl und ſoll, wenn es auf Pflicht anfommt, von allen Aweden
abftrahiren. So bedarf es zum Beifpiel, um zu wifjen: ob ic) vor Gericht
in meinem BZeugnifje wahrhaft, oder bei Abforderung eines mir anver-
trauten fremden Guts treu fein ſoll (oder auch kann), gar nidyt der Nach- 5
frage nad) einem Zwed, den ich mir bei meiner Erflärung zu bewirfen
etwa vorjeken möchte, denn das iſt gleichviel, was für einer es jei; viel-
mehr ift der, welcher, indem ihm jein Geſtändniß rechtmäßig abgefordert
wird, noch nöthig findet, fi) nad) irgend einem Zwede umzufehen, hierin
ſchon ein Nihtswärdiger. 10
Obzwar aber die Moral zu ihrem eigenen Behuf feiner Zweckvor—
ftellung bedarf, die vor der Willensbeftimmung vorhergehen müßte, jo
fann es doch wohl fein, daß fie auf einen ſolchen Zwed eine nothwendige
Beziehung habe, nämlich nicht als auf den Grund, jondern als auf Die
nothwendigen Folgen der Marimen, die jenen gemäß genommen wer:
den. — Denn ohne alle Zwedbeziehung kann gar feine Willensbeftimmung
im Menſchen ftatt finden, weil fie nicht ohne alle Wirkung fein kann, deren
Vorftellung, wenn gleich nicht als Bejtimmungsgrund der Willkür und
als ein in der Abjicht vorhergehender Zwed, doc als Folge von ihrer
Deitimmung durchs Geſetz zu einem Zwecke muß aufgenommen werden 20
können (finis in consequentiam veniens), ohne welden eine Willfür, die
fi, feinen weder objectiv noch jubjectiv beſtimmten Gegenftand (dem fie
bat, oder haben follte) zur vorhabenden Handlung hinzudenft, zwar wie
fie, aber nit wohin fie zu wirken habe, angewiefen, ſich ſelbſt nicht Gnüge
ihun fann. So bedarf es zwar für die Moral zum Nechthandeln feines *
Bweds, fondern das Geſeh, welches die formale Bedingung des Gebrauchs
—
=
erflären würben, fo müßten fie die Naturvollfommenbeit des Menfchen, jofern fie
einer Erhöhung fäbla Ift, und deren e8 viel geben lann (ala Geſchicklichkeit in Künften
und Wiffenfchaften, Geſchmack, Gewandtheit des Körpers u. d. g.) meinen. Dies ift
aber jederzeit nur bedingter Weife gut, das ift, mur unter der Bedingung, dab ihr 3
Gebrauch dem moralifchen Gefehe (welches allein unbedingt gebietet) nicht wider»
fireite; allo dann fie, zum Zweck gemacht, nicht Princip der Pilichtbegriffe fein.
Eben daſſelbe gilt auch von dem auf Glüdfeligfeit anderer Menichen gerichteten
Bwede, Denn eine Handlung muß zuvor am fich felbit madh dem moralijchen Ge-
lebe abgewogen werben, ebe fie auf die Glüctfeligkeit anderer gerichtet wird. Dieler 35
Ihre Welörberung Ift alfo mur bedingter Weile Pflicht und lann nicht zum oberiten
Prinelp moralifcher Diaglınen dienen,
ber Endamwed. Gigene
abhängigen Natur hat, und von
mit der bloken Idee eines 2
gen! dah man ihn baden folte), und alle
daben, And Fontbetikd; aber zugteid) eun-
mithin würde er —— ganz parteilos, gleich als vom
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fen, weil es möglich ift, daß er vielleicht der Forderung der
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8 Religion innerhalb ber Grenzen der bloßen Vernunft.
Idee defielben zu ihrem Gebraud verwenden. Was nur fofern wahr:
haftig verehrt werden kann, als die Achtung dafür frei ift, wird genöthigt,
fi) nad) ſolchen Formen zu bequemen, denen man nur durch Zwangsge—
jebe Anfehen verichaffen kann, und was ſich von ſelbſt der öffentlichen Kri-
tik jedes Menjchen blopftelt, das muß fid einer Kritif, die Gewalt hat,
d. i. einer Genfur, un
Indefjen, da das Gebot: gehoräje der Dbrigfeit! doch auch moralifch
ift, und die Beobachtung defielben wie die von allen Pflichten zur Religion
gezogen werden kann, jo geziemt einer Abhandlung, weldye dem bejtimmten
Begriffe der letztern gewidmet ift, jelbjt ein Beifpiel diefes Gehorjams ab-
zugeben, der aber nicht durch die Achtſamkeit bloß auf das Gejeß einer
einzigen Anordnung im Staat und blind in Anfehung jeder andern, fon:
dern nur durch vereinigte Achtung für alle vereinigt bewiejen werden kann.
Nun fann der Bücher richtende Theolog entweder als ein folder angeftellt
fein, der blos für das Heil der Seelen, oder aud) als ein joldyer, der zu-
gleich für das Heil der Wiſſenſchaften Sorge zu tragen hat: der erſte
Richter bloß als Geiftlicher, der zweite zugleich als Gelehrter. Dem letz—
tern als Sliede einer öffentlichen Anftalt, der (unter dem Namen einer
Univerfität) alle Wiſſenſchaften zur Cultur und zur Verwahrung gegen
Beeinträdtigungen anvertraut find, liegt es ob, die Anmaßungen des
eritern auf die Bedingung einzufchränfen, das jeine Genjur feine Zerftö-
rung im Felde der Wiſſenſchaften anrichte, und wenn beide biblifche Theo—
logen find, fo wird dem lehtern als Univerfitätsgliede von derjenigen
Facultät, welcher diefe Theologie abzubandeln aufgetragen worden, die
Dbercenfur zukommen: weil, was die erfte Angelegenheit (das Heil »
ber Seelen) betrifft, beide einerlei Auftrag haben; was aber die zweite
(das Heil der Wiljenihaften) anlangt, der Theolog als Univerfitätsge-
lehrter noch eine befondere Function zu verwalten hat. Geht man von
biefer Regel ab, jo muß es endlich dahin kommen, wo es ſchon jonft (zum
Beifpiel zur Zeit des Galileo) geweſen ift, nämlid dab der biblijche
Theolog, um den Stolz der Wiffenfhaften zu demüthigen und ſich jelbft
bie Vemdhung mit denſelben zu erſparen, wohl gar in die Aſtronomie
Geſehe als uaq der Herbeiführung des böchften Guts (als Zweit) gedacht wer-
ben follı fo muß, weil das Menfchenvermögen dazu nicht hinreicht, die Glächſſeligkeit
In der Melt elnftimmig mit der MWürdigkeit glüdllich zu fein zu bewirken, ein all- 3
berinögendes morallſches Weſen als Weltberricher angenommen werden, unter defien
Vorſorge diefes geſchleht, & I die Moral führt umansbleiblich zur Religion.
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2
&
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10 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft.
bloßen Vernunft angemefjenen, der leßtern aber vielleicht nicht gefälligen
Bedeutung! fondern nur fofern er in diefe etwas hineinträgt und fie
dadurd) auf andere Zwede richten will, als es diejer ihre Einrichtung ver:
ftattet. — So fann man z. B. nicht jagen, daß der Lehrer des Natur:
rechts, der manche klaſſiſche Ausdrüde und Formeln für feine philojophi- 5
ſche Rechtslehre aus dem Codex der römischen entlehnt, in dieſe einen
Eingriff thue, wenn er fid) derjelben, wie oft geſchieht, auch nicht genau in
demſelben Sinn bedient, in welchem fie nad) den Auslegern des*legtern zu
nehmen fein möchten, wofern er nur nicht will, die eigentlichen Juriſten
oder gar Gerichtshöfe follten fie auch jo brauchen. Denn wäre das nicht
zu feiner Befugniß gehörig, jo könnte man auch umgefehrt den biblijchen
Theologen, oder den ftatutarifhen Juriſten befchuldigen, fie thäten un—
zählige Eingriffe in das Eigenthum der Philoſophie, weil beide, da fie der
Dernunft und, wo es Wiſſenſchaft gilt, der Philojophie nicht entbehren
fünnen, aus ihr jehr oft, obawar nur zu ihrem beiderjeitigen Behuf, bor-
gen müfjen. Sollte es aber bei dem erjtern darauf angejehen fein, mit der
Vernunft in Religionsdingen wo möglich gar nichts zu ſchaffen zu haben,
fo fann man leicht vorausfehen, auf weſſen Seite der Verluft fein würde;
denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg anfündigt,
wird es auf die Dauer gegen fie nit aushalten. — Ich getraue mir fo-
gar in Vorſchlag zu bringen: ob es nicht wohlgethan fein würde, nad)
Vollendung der akademiſchen Unterweifung in der biblijhen Theologie
jederzeit nod eine bejondere Borlefung über die reine philojophijche
Religionslehre (die ſich alles, aud die Bibel, zu Nutze macht) nad) einem
Leitfaden, wie etwa diejes Bud) (oder aud ein anderes, wenn man ein »
befjeres von derjelben Art haben kann), als zur vollftändigen Ausrüftung
bes Gandidaten erforderlich, zum Beſchluſſe hinzuzufügen. — Denn die
Wiſſenſchaften gewinnen lediglich durd; die Abjonderung, fofern jede vor:
erft für fi ein Ganzes ausmacht, und nur dann allererft mit ihnen der
Verſuch angeftellt wird, fie in Vereinigung zu betrachten. Da mag nun so
ber biblifche Theolog mit dem Philofophen einig jein oder ihn wider:
legen zu müffen glauben: wenn er ihn nur hört. Denn jo kann er allein
wider alle Schwierigkeiten, die ihm diefer machen dürfte, zum voraus be-
waffnet fein. Aber diefe zu verbeimlichen, auch wohl als ungöttlich zu
verrufen, ift ein armfeliger Bebelf, der nicht Stich hält; beide aber zu 3
vermifchen und von Seiten des bibliſchen Theologen nur gelegentlich flüdh-
tige Blicke darauf zu werfen, ift ein Mangel der Gründlichfeit, bei dem
—
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Vorrede
zur zweiten Auflage.
In dieſet if auher den Drudfehlern und einigen wenigen verbefler
ten Ausdrüden nichts geändert. Die neu hinzugefommenen Zuſätze find,
mit einem Kreuz + bezeichnet, unter den Tert geſetzt.
Bon dem Titel dieſes Werks (denn in Anſehung der unter demjelben
Abſicht find auch Bedenken geäußert worden) merfe ich nod)
an: Da Offenbarung doch auch reine Vernunftreligion in ſich we-
ander befindliche, fondern als soncentrihe — —* —*
Diefes zutrifft, fo
Borrebe zur zweiten Auflage. 13
jagen können, daß zwiſchen Vernunft und Schrift nicht blos Verträglich-
feit, ſondern aud) Einigkeit anzutreffen fei, jo dab, wer der einen (unter
Zeitung der moraliſchen Begriffe) folgt, nicht ermangeln wird auch mit
der anderen zufammen zu treffen. Träfe es ſich nicht jo, jo würde man
entweder zwei Religionen in einer Perſon haben, welches ungereimt ift,
oder eine Religion und einen Eultus, in welchem Fall, da letzterer
nit (jo wie Religion) Zwed an ſich jelbit ift, fondern nur als Mittel
einen ®erth hat, beide oft müßten zufamm yüttelt werden, um ſich
auf furze Zeit zu verbinden, alsbald aber wie DI und Waſſer ſich wieder
von einander jheiden und das Reinmoralifche (die Bernunftreligion) oben
auf müßten jhwimmen lafjen.
Da dieje Bereinigung oder der Verſuch derjelben ein dem philo-
ſophiſchen Religionsforſcher mit vollem Recht gebührendes Geſchäft und
nicht Eingriff in die ausſchließlichen Rechte des bibliſchen Theologen fei,
habe ich in der erften Borrede angemerkt. Seitdem habe ich dieje Be-
hauptung in der Moral des jel. Michaelis (Erjter Theil, S.5—11),
eines in beiden Bädern wohl bewanderten Mannes, angeführt und durch
fein ganzes Werk ausgeübt gefunden, ohne daß die höhere Facultät darin
etwas ihren Rechten Präjudicirliches angetroffen hätte.
Auf die Urtheile würdiger, genannter und ungenannter Männer über
dieſe Schrift habe ich in diejer zweiten Auflage, da fie (wie alles aus—
wärtige Zitterarifche) in unſeren Gegenden jehr jpät einlaufen, nicht Be-
dacht nehmen können, wie ich wohl gewünjcht hätte, vornehmlich in An—
fehung der Annotationes quaedam theologicae etc. des berühmten Hrı.
D. Storr in Tübingen, der fie mit feinem gewohnten Scharffinn, zugleich)
aud) mit einem den größten Dank verdienenden Fleiße und Billigfeit in
Prüfung genommen hat, welche zu erwiedern ich zwar Vorhabens bin, es
aber zu verfprechen, der Bejchwerden wegen, die das Alter vornehmlich
der Bearbeitung abjtracter Ideen entgegen jeßt, mir nicht getraue. —
Eine Beurtheilung, nämlich die in den Greifswalder N. Krit. Nachrichten,
29. Stüd, fann id) eben fo kurz abfertigen, als es der Necenjent mit der
‚Schrift jelbft gethan hat. Denn fie ift feinem Urtheile nad) nichts anders,
als Beantwortung der mir von mir felbft vorgelegten Trage: „Wie ift
das firhlihe Syftem der Dogmatik in feinen Begriffen und Lehrſätzen
nad) reiner (theor. und praft.) Vernunft möglih?" — Diejer Verſuch
gehe alſo überall diejenige nicht an, die fein (Kes) Syſtem jo wenig
fennen und verftehen, als fie diefes zu fönnen verlangen und für fie aljo
fr
b
als nicht eriftirend anzufehen fei. — Hierauf antworte id): Es bedarf,
um biefe Sqhrift ihrem wejentlihen Inhalte nad) zu verftehen, nur ber
feit in ofiähtmäßigen € Handlungen (ihrer Zegalität nad;) virtus phae- »
nomenon, diejelbe aber als ftandhafte ———— ſolcher Handlungen
Wenn man das 1
legtere nur von den zur Religionslehre gezählten Geheimniffen von der
göttlichen Natur rühmen fönnte, bie, als ob fie ganz populär wären, in
die Katehismen gebracht werden, jpäterhin aber allererft in moraliſche
Begriffe ——— werben maſſen wenn fie für jedermann verRän
Königsberg, den 26. Januar 1794.
Inhalt.
Erftes Stück.
Von der Einwohnung des böſen Princips neben dem guten; d. i. vom
radicalen Boͤſen in der menſchlichen Natur.
Zweites Stück.
Vom Kampf des guten Princips mit dem böfen um die Herrihaft über
den Menden.
Drittes Stüd.
Dom Sieg des guten Principg über das böfe und der Stiftung eines
Reichs Gottes auf Erden.
Viertes Stüd.
Dom Dienft und Afterbienft unter der Herrihaft des guten Princips,
oder von Religion und Pfaffenthum.
Der
Philoſophiſchen Religionslehre
Erftes Stüd.
Kaut't Schriften. Berke VI. " 2
30 Neligion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erftes Stüd.
in umgefehrter Richtung, nämlid vom Schlechten zum Befjern, unaufs
hoͤrlich (obgleich kaum merflidh) fortrüde, wenigftens die Anlage dazu in
der menſchlichen Natur anzutreffen jei. Diefe Meinung aber haben fie
ficherlic) nicht aus der Erfahrung geihöpft, wenn vom Moralijd-
Guten oder Böſen (nicht von der Eivilifirung) die Rede ift: denn da
ſpricht die Geſchichte aller Zeiten gar zu mächtig gegen fie; fondern es ijt
vermuthlic bloß eine gutmüthige Vorausfeßung der Moraliften von Se-
neca bis zu Rouſſeau, um zum unverdrofjenen Anbau des vielleicht
in uns liegenden Keimes zum Guten anzutreiben, wenn man nur auf
eine natürliche Grundlage dazu im Menſchen rechnen fönne. Hiezu fommt
noch: daß, da man dod) den Menſchen von Natur (d. i. wie er gewöhnlich)
geboren wird) als dem Körper nad) gefund annehmen muß, feine Urſache
fei, ihn nicht aud) der Seele nad) eben jo wohl von Natur für gefund und
gut anzunehmen. Dieje fittliche Anlage zum Guten in uns auszubilden,
jei uns aljo die Natur ſelbſt beförderlid. Sanabilibus aegrotamus malis, 15
nosque in rectum genitos natura, si sanari velimus, adiuvat: jagt
Geneca.
Weil es aber doch wohl gefchehen fein könnte, daß man fid) in beider
angeblihen Erfahrung geirrt hätte, jo ift die Frage: ob nicht ein Mitt-
leres wenigitens möglich fei, nämlich, daß der Menſch in feiner Gattung
weder gut nod) böfe, oder allenfalls aud) eines jowohl als das andere, zum
ı Theil gut, zum Theil böfe, jein könne. — Man nennt aber einen Men-
chen böfe, nicht darum weil er Handlungen ausübt, welche böfe (gejeß-
widrig) find; jondern weil diefe jo bejchaffen find, daß fie auf böfe Mari-
men in ihm fließen lafjen. Nun kann man zwar geießwidrige Hand-
Iungen durch Erfahrung bemerken, auch (wenigftens an ſich ſelbſt) daß fie
mit Bewußtſein gefeßwidrig find; aber die Marimen fann man nicht be-
obachten, jogar nicht allemal in ſich jelbjt, mithin das Urtheil, daß der
Thäter ein böjer Menſch ſei, nicht mit Sicherheit auf Erfahrung gründen.
Alſo müßte ſich aus einigen, ja aus einer einzigen mit Bewußtfein böfen
Handlung a priori auf eine böfe zum Grunde liegende Marime und aus
diejer auf einen in dem Subject allgemein liegenden Grund aller befon-
dern moraliſch-böſen Marimen, der jelbft wiederum Marime ift, ſchließen
laffen, um einen Menjchen böfe zu nennen. -
Damit man ſich aber nicht fofort am Ausdrude Natur ſtoße, wel-
cher, wenn er (wie gewöhnlich) das Gegentheil des Orundes der Hand-
lungen aus Freiheit bedeuten follte, mit den Brädicaten moraliſch—
en
0
—
Lu
5
=
u
wi
5
22 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Erſtes Stüd.
ber erfte Grund der Annehmung unjrer Marimen, der jelbjt immer wie-
derum in der freien Willfür liegen muß, fein Factum fein fann, das in
der Erfahrung gegeben werden könnte: jo heißt das Gute oder Böſe im
Menſchen (als der jubjective erfte Grund der Annehmung diejer oder jener
Marime in Anjehung des moraliſchen Gejehes) bloß in dem Sinne ange
boren, als e3 vor allem in der Erfahrung gegebenen Gebraude der Frei—
heit (in der früheften Sugend bis zur Geburt zurüd) zum Grunde gelegt
wird und jo ala mit der Geburt zugleich im Menſchen vorhanden vorge:
jtellt wird: nicht daß die Geburt eben die Urjache davon fei.
Anmerkung.
Dem Streite beider oben aufgeftellten Hypothejen liegt ein disjune—
tiver Saß zum Grunde: der Menſch ift (von Natur) entweder fitt-
lich gut oder ſittlich böfe. E3 fällt aber Jedermann leicht bei, zu fra—
gen: ob es aud mit diefer Disjunction feine Richtigkeit habe; und ob nicht
jemand behaupten könne: der Menſch fei von Natur feines von beiden;
ein Andrer aber: er fei beides zugleich, nämlich in einigen Stücken gut,
in andern böfe. Die Erfahrung jcheint jogar diejes Mittlere zwiſchen
beiden Ertremen zu beitätigen.
Es liegt aber der Sittenlehre überhaupt viel daran, feine moralijche
Mitteldinge weder in Handlungen (adiaphora) nod) in menſchlichen Cha-
rafteren, jo lange es möglich ift, einzuräumen: weil bei einer ſolchen Dop—
pelfinnigfeit alle Marimen Gefahr laufen, ihre Beftimmtheit und Feftig-
feit einzubüßen. Man nennt gemeiniglich die, welche diejer ftrengen
Denkungsart zugethan find (mit einem Namen, der einen Tadel in fid
fafjen foll, in der That aber Lob ift): Rigoriften; und fo kann man ihre
Antipoden Zatitudinarier nennen. Dieje find aljo entweder Latitudi-
narier der Neutralität und mögen Indifferentiften, oder der Goali-
tion und fönnen Synfretiften genannt werden. *)
) Wenn das Gute a ift, fo ift fein comtradictorifch Entgegengejehtes das
Nichtgute. Diejes iſt nun bie Folge entweber eines bloßen Mangels eines Grundes
bes Guten =(0, ober eines pofitiven Grunbes bes Wiberfpiels beffelben = — a; im
legtern Falle kann das Nichtgute auch bas pofitive Böfe heihen. (In Anſehung bes
Bergnügens und Schmerzens giebt ed ein dergleichen Mittleres, jo daß das Ver—
gnügen =a, ber Schmerz = — a unb ber Buftanb, worin feines von beiben ange
trofjen wird, die Gleichgültigfeit, —=0 ift.) Wäre nun das moralifche Geſetz in ums
ei
a
20
*8
5
%
35
94 Religlon innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Erftes Stüd.
dab fie durch keine Triebfeder zu einer Handlung beftimmt werden kann,
als nur fofern der Menſch fie in feine Marime aufgenommen
hat (es fid) zur allgemeinen Negel gemacht hat, nad) der er ſich verhalten
will); fo allein fann eine Triebfeber, welche fie auch jei, mit der abjoluten
Spontaneität der Willkür (der Freiheit) zufammen bejtehen. Allein das
moraliſche Geſetz ift für ſich felbft im Urtheile der Vernunft Triebfeder,
und wer es zu feiner Marime macht, ift moraliſch gut. Wenn nun das
Geſetz jemandes Willkür in Anjehung einer auf dafjelbe ſich beziehenden
Handlung doc; nicht bejtimmt, jo muß eine ihm entgegengejehte Trieb-
feder auf die Willkür deffelben Einfluß haben; und da diefes vermöge der
Rorausfeßung nur dadurch geſchehen kann, daß der Menſch dieje (mithin
auch die Abweichung vom moralifchen Geſetze) in feine Marime aufnimmt
(in welchem Falle er ein böfer Menſch ift): jo ift feine Gefinnung in An-
ſehung des moraliſchen Geſetzes niemals indifferent (niemals keines von
beiden, weder gut, noch böfe).
Er fann aber auch nicht in einigen Stüden fittlich gut, in andern
zugleich böfe fein. Denn ift er in einem gut, jo hat er das moralijche Ge—
ſetz in feine Marime aufgenommen; jollte er alfo in einem andern Stüde
zugleich böje fein, jo würde, weil das moraliſche Gefeß der Befolgung der
Pflicht überhaupt nur ein einziges und allgemein ift, die auf dafjelbe be-
zogene Marime allgemein, zugleid) aber nur eine befondere Marime jein:
welches ſich widerjprit.*)
Temperament ber Tugend, mutbig, mithin fröhlich, oder ängftlich-gebeugt
und niebergeichlagen? jo it faum eine Antwort nöthig. Die lebtere ſtlaviſche Ge-
mätheftimmung kann nie ohne einen verborgenen Hab des Gejehes ftatt finden,
und das fröhliche Herz in Befolgung feiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in An-
erfennung bdeffelben) ift ein Zeichen der Achtheit tugendhafter Gefinnung, felbft in
der Wrömmigfeit, die nicht in der Selbftpeinigung bes reuigen Sünders (welche
fehr zweidentig ift und gemeiniglich nur innerer Vorwurf ift, wider bie Klugheits-
regel verftohen zu haben), jondern im feſten Vorſatz es fünftig beifer zu machen
bejtebt, der, durch den guten Fortgang angefenert, eine fröhliche Gemüthsftimmung
bewirken muß, ohne welche man nie gewiß ift, bad Gute auch lieb gewonnen,
db. i. es in feine Marine aufgenommen zu haben.
) Die alten Moralpbilojopben, die jo ziemlich Alles erjchöpften, was über
bie Tugend gejagt werben farm, baben obige zwei Fragen auch nicht unberührt
gelaſſen. Die erite drüdten fie fo aus: Ob die Tugend erlernt werden müſſe (der
Menſch alfo von Natur gegen fie und das Lafter inbifferent jei)? Die zweite war:
Ob ed mehr ald eine Tugend gebe (mithin es nicht etwa ftatt finde, dab der Menſch
*
5
26 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Erſtes Stüd.
I.
Bon der urfprüngliden Anlage zum Guten in der menjd=
lien Natur.
Wir lönnen fie in Beziehung auf ihren Zweck füglich auf drei Klafjen,
als Elemente der Beftimmung des Menſchen, bringen:
1. Die Anlage für die Thierheit des Menſchen, als eines leben-
den;
2. Für die Menſchheit dejjelben, als eines lebenden und zugleid)
vernünftigen;
3. Für feine Berfönlichkeit, als eines vernünftigen und zugleich
der Zurechnung fähigen Mejens.*)
1. Die Anlage für die Thierheit im Menihen kann man unter
ben allgemeinen Titel der phyſiſchen und bloß mechaniſchen Selbitliebe,
d. i. einer foldyen bringen, wozu nicht Vernunft erfordert wird. Sie ift
dreifach: erjtlich zur Erhaltung feiner felbft; zweitens zur Fortpflan=
zung feiner Art durch den Trieb zum Gejchlecht und zur Erhaltung dejjen,
was durd Vermiſchung mit demjelben erzeugt wird; drittens zur Ge-
meinjhaft mit andern Menjchen, d. i. der Trieb zur Gejellichaft. — Auf
fie können allerlei Zajter gepfropft werden (die aber nicht aus jener An-
lage als Wurzel von jelbft entjprießen). Sie können Zafter der Rohig—
) Man kann biefe nicht als ſchon in dem Begriff der vorigen enthalten, ſon—
bern man muß fie nothwendig als eine beſondere Anlage betrachten. Denn es folgt
daraus, daß ein Weſen Bernunft hat, gar nicht, daß diefe ein Vermögen enthalte,
bie Willfür unbedingt burd) die bloße Borftellung der Qualification ihrer Marimen
zur allgemeinen Gejehgebung zu beitimmen und aljo für fich jelbft praftifch zu fein:
wenigitens jo viel wir einjehen können. Das allervernünftigite Weltwejen könnte
bod immer gewiſſer Triebfedern, bie ihm von Objecten der Neigung berfommen,
bedürfen, um jeine Willkür zu beftimmen; biezu aber die vernünftigite Überlegung,
jowohl was bie größte Summe der Triebfedern, ald auch die Mittel, ben dadurch
beitimmten Bwed zu erreichen, betrifft, anwenden: ohne aud) nur bie Möglichkeit
von fo etwas, als das moralijche, ſchlechthin gebietende Geſetz iſt, welches jich als
jelbft und zwar höchſte Triebfeder anfündigt, zu ahnen. Wäre dieſes Gejet nicht
in und gegeben, wir würden e8 als ein ſolches durch Feine Vernunft berausflügeln,
ober der Willfür anfchwahen: und doch iſt dieſes Gejeh das einzige, was und der
Umabbängigfeit unſrer Willfür von ber Beftimmung durch alle andern Triebfedbern
(umfrer Freiheit) und biemit zugleich ber Zurechnmungsfäbigfeit aller Handlungen be
wußt macht.
0
—
15
—
u
8 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd,
Idee des moraliihen Gejeßes allein mit der davon unzertrennlichen Ach—
tung fann man nicht füglich eine Anlage fürdie Perſönlichkeit nennen;
fie ift die Perſönlichkeit felbft (die Idee der Menichheit ganz intellectuell
betrachtet). Aber daß wir diefe Achtung zur Triebfeder in unfere Marimen
aufnehmen, der fubjective Grund hiezu jcheint ein Zufaß zur Perſönlich—
feit zu fein und daher den Namen einer Anlage zum Behuf derfelben zu
verdienen.
Wenn wir die genannten drei Anlagen nad) den Bedingungen ihrer
Möglichkeit betrachten, fo finden wir, daß die erfte feine Vernunft, die
zweite zwar praftijche, aber nur andern Triebfedern dienftbare, die dritte
aber allein für ſich jelbft praftifche, d. i. unbedingt gefeßgebende, Vernunft
zur Wurzel habe: Alle diefe Anlagen im Menſchen find nicht allein (nega—
tiv) gut (fie widerftreiten nicht dem moraliſchen Gejeße), jondern find
aud Anlagen zum Guten (fie befördern die Befolgung defjelben). Sie
find urſprünglich; denn fie gehören zur Möglichkeit der menſchlichen
Natur. Der Menſch fann die zwei erjteren zwar zwedwidrig brauden,
aber feine derjelben vertilgen. Unter Anlagen eines Wejens verftehen wir
ſowohl die Beitandftüde, die dazu erforderlich find, als aud) die Formen
ihrer Verbindung, um ein ſolches Wejen zu fein. Sie find urjprünglid,
wenn fie zu der Möglichkeit eines jolchen Wejens nothwendig gehören; zu—
fällig aber, wenn das Weſen aud) ohne diejelben an ſich möglich wäre.
Noch ift zu merken, daß hier von feinen andern Anlagen die Rebe ift, als
denen, die fi unmittelbar auf das Begehrungsvermögen und den Ge—
brand) der Willfür beziehen.
Il.
Bon dem Hange zum Böfen in der menjhliden Natur.
Unter dem Hange (propensio) verftehe id) den fubjectiven Grund
der Möglichkeit einer Neigung Chabituellen Begierde, concupiscentia),
fofern fie für die Menjchheit überhaupt zufällig ift.F) Er unterjcheidet
7) Hang ift eigentlich nur die Präbispojition zum Begehren eines Ge-
nuſſes, der, wen das Subject bie Erfahrung davon gemacht haben wird, Nei-
gung bazu bervorbringt. So haben alle rohe Menſchen einen Hang zu beraufchen-
ben Dingen; denn obgleich viele von ibmen ben Naufch gar nicht kennen und alio
aud gar Feine Begierbe zu Dingen haben, bie ihn bewirken, fo darf man fie jolche
boch nur einmal verfuchen laſſen, um elme kaum vertilgbare Begierde bazu bei
ihnen bervorzubringen. — Zwiſchen dem Hange umd ber Neigung, welche Bekannt:
0
_
15
0
25
30
*
Bon her Gimmobmunz bed hiien Prinins neher dem guten. *
— — — — aber doch
ipringende Faͤhigkeit e moraliſche Sefch
J —— oder nicht, das gute oder böfe Herz ger
—— ſich drei verſchiedene Stufen deſſelben denken. Erſtlich
iſt es die Schwache des menſchlichen Herzens in Befolgung genommener
Maximen ‚ oder die Gebrechlichkeit der menſchlichen Natur;
zweitens der Hang zur Vermiſchung unmoraliſcher Triebfedern mit den
so moraliichen (jelbft wenn es in guter Abficht und unter Marimen des
Guten geſchaͤhe) d. i. die Unlanterkeit; drittens der Hang zur Ans
nehmung böfer Marimen, d. i. die Bösartigfeit ber menſchlichen Natur,
oder des menſchlichen Herzens.
Erftlich, die Gebrechlichkeit (Iragilitas) der menſchlichen Natur ift
» jelbjt in der Klage eines Apoftels ausgedrüdt: Wollen habe ich wohl, aber
das Vollbringen fehlt, d. i. id) nehme das Gute (das Befek) in die Marime
meiner Willtür auf; aber diefes, welches objectiv in der Idee (in thesi)
eine unüberwindlihe Triebfeder ift, ift fubjectiv (in hypothesi), wenn die
Marime befolgt werden fol, die fhwächere (in Vergleichung mit der
Zweitens, die Unlauterfeit (impuritas, improbitas) des menſch—
(haft mit ben. Object des Begehrens vorausſetzt, ift noch der Inſtinet, welcher
ein gefühltes Bebürfnig ift, etwas zu thun oder zu geniehen, wovon man noch
feinen Begriff hat (wie der Kunſttrieb bei Thieren, oder der Trieb zum Gefchlecht).
ss Bon ber Neigung am ift endlich noch eine Stufe des Begehrungsvermödgend, bie
Leidenichaft (nicht ber Affect, denn biefer gehört zum Gefühl ber Luft und
Unluft), welche eine Neigung ift, bie die Herrfchaft über fich felbft ausfchließt.
L
30 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Erftes Stüd.
lihen Herzens befteht darin: dab die Marime dem Objecte nad) (der be-
abfihtigten Befolgung des Geſetzes) zwar gut und vielleicht auch zur Aus-
übung kräftig genug, aber nicht rein moraliſch ift, d. i. nicht, wie es fein
jollte, das Geſetz allein zur hinreichenden Triebfeder in fich aufge:
nommen hat: fondern mehrentheils (vielleicht jederzeit) noch andere Trieb- 5
federn außer derfelben bedarf, um dadurch die Willkür zu dem, was Pflicht
fordert, zu beftimmen; mit andern Worten, daß pfliditmäßige Hand-
lungen nicht rein aus Pfliht gethan werden.
Drittens, bie Bösartigfeit (vitiositas, pravitas), oder, wenn man
lieber will, die Berderbtheit (corruptio) des menſchlichen Herzens ift
der Hang der Willfür zu Marimen, die Triebfeder aus dem moraliſchen
Gejeß andern (nidht moralifhen) nachzuſetzen. Sie kann aud) die Ver—
fehrtheit (perversitas) des menſchlichen Herzens heißen, weil fie die fitt=
lihe Ordnung in Anfehung der Triebfedern einer freien Willkür umfehrt,
und obzwar damit noch immer geſetzlich gute (legale) Handlungen bes 1;
ftehen können, jo wird doc die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel
(was die moralifhe Gefinnung betrifft) verderbt und der Menſch darum
als böje bezeichnet.
Man wird bemerken: daß der Hang zum Böfen bier am Menjchen,
auch dem beiten, (den Handlungen nad)) aufgeftellt wird, welches auch 0
geſchehen muß, wenn die Allgemeinheit des Hanges zum Böſen unter
Menſchen, oder, welches hier dafjelbe bedeutet, daß er mit der menſchlichen
Natur verwebt jei, bewiejen werden joll.
Es ift aber zwijhen einem Menſchen von guten Sitten (bene mo-
ratus) und einem fittlih guten Menſchen (moraliter bonus), was die 3
Ibereinftimmung der Handlungen mit dem Gejeb betrifft, fein Unter
ihied (wenigitens darf feiner fein); nur daß fie bei dem einen eben nicht
immer, vielleicht nie das Geſetz, bei dem andern aber es jederzeit zur
alleinigen und oberften Triebfeder haben. Man kann von dem Erfteren
jagen: er befolge das Gefeß dem Buchſtaben nad) (d. i. was die Hand- w
lung angeht, die das Geſetz gebietet); vom Zweiten aber: er beobachte es
dem Geiste nad (der Geiſt des moralischen Geſetzes bejteht darin, daß diefes
für fi) allein zur Triebfeder hinreichend fei). Was nicht aus diejem
Glauben gejdieht, das ift Sünde (der Denkungsart nad). Denn
wenn andre Triebfedern nöthig find, die Willlür zu gefebmäßigen a
Handlungen zu beitimmen, als das Gejeb ſelbſt (3. B. Ehrbegierde,
Selbitliebe überhaupt, ja gar gutherziger Anftinet, dergleichen das Mit-
—
ah
Bon der Einwohnung des böjen Princips neben dem guten 31
leiden ijt), fo ift e8 bloß zufällig, daß diefe mit dem Geſetz übereinftimmen:
denn fie könnten eben fowohl zur Übertretung antreiben. Die Marime,
nad deren Güte aller moraliſche Werth der Perfon gefhäbt werden muß,
ift alfo doch gefeßwidrig, und der Menſch ift bei lauter guten Handlungen u
dennoch böje.
Folgende Erläuterung ift noch nöthig, um den Begriff von diefem
Hange zu beitimmen. Aller Hang ijt entweder phyſiſch, d. i. er gehört
zur Willkür des Menſchen als Naturwejens; oder er ift moraliſch, d. i.
zur Willkür defjelben als moraliſchen Weſens gehörig. — Im erfteren
Sinne giebt es feinen Hang zum moraliſch Böfen, denn diejes muß aus
der Freiheit entfpringen; und ein phyſiſcher Hang (der auf ſinnliche An-
triebe gegründet ift) zu irgend einem Gebraudye der Freiheit, es fei zum
Guten oder Böfen, it ein Widerſpruch. Alfo kann ein Hang zum Böfen
nur dem moralijhen Bermögen der Willtür anfleben. Nun ift aber nichts
ſittlichd. i. zurechnungsfähig-)böfe, als was unfere eigene That ift. Da-
gegen verfteht man unter dem Begriffe eines Hanges einen jubjectiven Be-
Himmungsgrund der Willfür, der vor jeder That vorhergeht, mithin
ſelbſt nod nicht That tft; da denn in dem Begriffe eines bloßen Hanges
zum Böſen ein Widerfpruch fein würde, wenn diefer Ausdrud nicht etwa
in zweierlei verſchiedener Bedeutung, die ſich beide doch mit dem Begriffe
der Freiheit vereinigen laffen, genommen werden könnte. Es kann aber
ber Ausdrud von einer That überhaupt ſowohl von demjenigen Gebraud)
ber Freiheit gelten, wodurd) die oberfte Marime (dem Geſetze gemäß oder
zuwider) in die Willkür aufgenommen, als auch von demjenigen, da die
Handlungen jelbft (ihrer Materie nad, d. i. die Objecte der Willfür be-
treffend) jener Marime gemäß ausgeübt werden. Der Hang zum Böfen
iſt nun That in der erſten Bedeutung (peccatum originarium) und zus
glei) der formale Grund aller gefeßwidrigen That im zweiten Sinne ge—
nommen, welche der Materie nad) demfelben widerjtreitet und Laſter
(peecatum derivativum) genannt wird; und die erfte Berjchuldung bleibt,
wenn gleich die zweite (aus Triebfedern, die nicht im Geſetz jelber be—
ftehen) vielfältig vermieden würde. Sene ift intelligibele That, bloß
durch Vernunft ohne alle Zeitbedingung erfennbar; dieje jenjibel, em—
piriſch, in der Zeit gegeben (factum phaenomenon). Die erſte heißt
nun vornehmlid, in Bergleihung mit der zweiten ein bloßer Hang und
angeboren, weil er nicht ausgerottet werden kann (als wozu die oberite
Marime die des Guten fein müßte, welche aber in jenem Hange jelbft
Pe
32 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd.
als böſe angenommen wird); vornehmlich aber, weil wir davon, warum
in uns das Böfe gerade die oberſte Marime verderbt habe, obgleich diejes
unſere eigene That ift, eben jo wenig weiter eine Urſache angeben fünnen,
als von einer Grundeigenſchaft, die zu unjerer Natur gehört. — Man
wird in dem jeßt Gefagten den Grund antreffen, warum wir in diefem 5
Abjchnitte gleich zu Anfange die drei Duellen des moraliſch Böfen Tedig-
lid) in demjenigen ſuchten, was nad) Freiheitsgejeßen den oberften Grund
der Nehmung oder Befolgung unferer Marimen, nit was die Sinnlid)
feit (als Neceptivität) afficirt.
III. 10
Der Menſch ift von Natur böje.
Vitiis nemo sine nascitur, Horat,
Der Sat: der Menſch ift böfe, kann nad) dem obigen nichts anders
jagen wollen als: er ift fi) des moraliichen Geſetzes bewußt und hat doch
die (gelegenheitliche) Abweichung von demjelben in feine Maxime aufge
nommen. Er ift von Natur böfe, heißt fo viel als: diejes gilt von ihm
in feiner Gattung betradjtet; nicht als ob ſolche Dualität aus feinem
Gattungsbegriffe (dem eines Menſchen überhaupt) fönne gefolgert werden
(denn alsdann wäre fie nothwendig), jondern er kann nad) dem, wie man
ihn durd Erfahrung kennt, nicht anders beurtheilt werden, oder man 20
fann es als jubjectiv nothwendig in jedem, aud dem beiten Menſchen
porausfeßen. Da diejer Hang nun jelbft als moraliſch böfe, mithin nicht
als Naturanlage, fondern als etwas, was dem Menſchen zugerechnet
werden kann, betradhtet werden, folglic in geſetzwidrigen Marimen der
Willkür beftehen muß; diefe aber der Freiheit wegen für ſich als zufällig
angejehen werden müfjen, welches mit der Allgemeinheit diejes Böjen fid)
wiederum nicht zufammen reimen will, wenn nicht der jubjective oberite
Grund aller Marimen mit der Menjchheit jelbft, es jei wodurch es wolle,
verwebt und darin gleihjam gewurzelt ift: fo werden wir dieſen einen
natürliyen Hang zum Böfen, und da er doch immer jelbitverfchuldet fein
muß, ihn felbft ein radicales, angebornes, (nichts dejtoweniger aber
uns von uns jelbft zugezogenes) Böje in der menſchlichen Natur nennen
fünnen.
Daß num ein folder verderbter Hang im Menſchen gewurzelt jein müſſe,
darüber fönnen wir uns bei der Menge jchreiender Beifpiele, weldde uns 5
_ Ai
—
5
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[1
—— ig der Menſchen ug ſtellt, den ua
5 Tnrlkundei te Sarf man ner bie Nufititie von ungereizter Graufans
feit in den Mordfcenen auf Tofoa, Neufeeland, den Navigators«
—— und die nie aufhörende in den weiten Wüften des nordweſtlichen
Amerika (die Kapt. Hearne anführt), wo jogar fein Menſch den mins
deiten Vortheil davon hat,+) mit jener Hypotheſe vergleichen, und man
ı» hat Zafter der Rohigfeit, mehr als nöthig ift, um von diefer Meinung ab-
zugehen. Iſt man aber für die Meinung geftimmt, daß fich die menſch—
liche Natur im gefitteten Zuftand (worin fid) ihre Anlagen vollftändiger
entwideln können) befjer erfennen lafje, jo wird man eine lange melancho⸗
liſche Litanei von Anflagen der Menſchheit anhören müfjen: von geheimer
ı Falſchheit jelbft bei der innigften Freundihaft, jo daß die Mäßigung des
Vertrauens in wechjeljeitiger Eröffnung aud) der beften Freunde zur alle
gemeinen Marime der Klugheit im Umgange gezäblt wird; von einem
Hange, denjenigen zu hafjen, dem man verbindlid) ift, worauf ein Wohl«
thäter jederzeit aefaßt jein müfje; von einem herzlichen Wohlwollen,
20 welches doch die Bemerkung zuläßt, „es ſei in dem Unglück unfrer beſten
etwas, das uns nicht ganz mißfällt;* und von vielen andern
unter dem Tugendſcheine noch verborgenen, gejchweige derjenigen Lafter,
die ihrer gar nicht hehl haben, weil uns der ſchon gut heißt, der ein
böjer Menſch von der allgemeinen Klaſſe ift: und er wird an den
25 gaftern ber ( der Eultur und Eivilifirung (den kränkendſten unter allen) genug
+) ®ie ber immerwährende Krieg zwiſchen ben Arathapefcan- und den Hunbe-
nn feine andere Abficht, als Bloß das Todiſchlagen hat. Kriegs
Hi
®
J
55
E;
E
5:
5:
3—
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ä
TE
4333
+
fie ein Gegenftanb der Sinanbenine und ein Grund der vorzüglicen
berjenige Stand forbert, bei bem dieje das einzige Verdienſt ift; und
ohne allen Grund in ber Vernunft. Denn daß ber Menid etwas
id fich zum Zweck machen könne, was er noch höher jchäyt als fein Leben
‚ wobei er allem Eigennutze entjagt, beweiſt doch eine gewiffe Erhabenheit
e Anlage, Aber man fieht doch an der Behaglichkeit, womit bie Sieger
re Grohthaten (des Aufammenhauens, Niederſtoßens ohne Verſchonen u. db. gl.)
baß blos ihre Überlegenheit und bie Zerftörung, welche fie bewirken
fonnten, ‚ohne einen anbern Zweck das ſei, worauf fie eigentlich etwas zu
8 Säreiften. Werke. VI
EU
Hi
N
34 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüdck.
haben, um fein Auge lieber vom Betragen der Menſchen abzuwenden,
damit er fih nicht felbjt ein anderes Laſter, nämlicdy den Menſchenhaß,
zuziche. Sit er aber damit noch nicht zufrieden, fo darf er nur den aus
beiden auf wunderlihe Weiſe zujammengejebten, nämlich den äußern
Bölferzuftand in Betradhtung ziehen, da ciwilijirte Voͤllerſchaften gegen
einander im Rerhältniffe des rohen Katurflandes (eines Standes der be-
ſtaͤndigen Kriegsverfajlung) ftehen und ſich auch feft in den Kopf gejeht
baden, nie daraus zu geben: und er wird dem öffentlichen Borgeben
gerade widerſprechende und doch nie abzulegende Grundjühe der großen
Geſellſchaften, Staaten genannt,t) gewahr werden, die noch fein Philo-
fopb mit der Moral bat in Ginftimmung bringen und doch aud) (welches
arg ift) feine beijern, die ich mit der menjchlichen Natur vereinigen ließen,
vorfchlagen können: fo daß der philoſophiſche Chiliaſm, der auf den
BZuftand eines ewigen, auf einen Bölferbund al3 Beltrepnblif gegründeten
Friedens hofft, eben fo wie der theologiſche, der auf des ganzen Men-
ſchengeſchlechts vollendete moraliiche Beiterung barrt, als Schwärmerei
allgemein verlacht wird.
Der Srund diejes Boten kann nun 1) nicht, wie man ihn gemeinig-
lich anzugeben pflegt, in der Sinnlichkeit des Menſchen und den
Mmraus entipringenten natürlichen Neigungen geſezt werden. Denn
nicht allein daß dieſe feine gerade Bezichung aufs Böle haben vielmehr
+) Kun wan diefer idee Gehbichtr blos old das Binnen der und green:
teils derdergenen inneren Anlage der Kerichhett untteht, de fan man einem
win wurbimmmmcakigee Gun dur Nater mic Zoccken. die nicht ihre der
Nuhr Zoccke ſendem Summe dur Nuter für, Feraht werden. Gür eier Staat
Art, da lang er cimem mer mebum fich but, der er zu beyzwüngen boden derẽ.
Kb durch dicind Ihaterunmfemg je berzmöguee zrd alle zur Univerkimewundire,
eimr Werfafium, daren alle KAreiheit um) weit ae (mans Die Welpe derkekhge Fit”
Tuut Seien nut mehr ertlicez mekäte Aller Derins Ilmpeiprner „im
vriibem Dir Gehege altmablig tler AMraft werükm, made ai alle Dumadıhzzte
veridlmmgen Nat, Löder ch em2ink mo feihit au? mr) eeclr ch Durch Urtınde um
Stwelkäiie ur märde Pieter Ssaatıe, Nor wmfbett HE vimmz Starwererie Nevaklıf
er ertinnnr ihre m Teer würden teerims wir eele Saite vor
VERRUR RTRER, war den NT MU Gurke Dei namen Geründick za zit:
wuen ya ade, der, or er gun und Fo xrprähee hiee it. ats Rad Grat dur
ren Arimeeripait rt za cr Alliertur) dor TeÄnece IE Ierneıe
&nan aleammın ja baten At, zzor vie Wine age. zucde Ihe Mcriäer ınodı.
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—
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Bon ber Einwohnung des böfen Princips neben dem guten. 35
zu dem, was die moraliſche Gefinnung in ihrer Kraft beweifen kann, zur
Tugend, die Gelegenheit geben): jo dürfen wir ihr Dafein nicht verant-
worten (wir können es aud) nicht, weil fie als anerfhaffen uns nicht zu
Urhebern haben), wohl aber den Hang zum Böfen, der, indem er die Mo-
ralität des Subjects betrifft, mithin in ihm als einem frei handelnden
Weſen angetroffen wird, als ſelbſt verichuldet ihn muß zugerechnet wer-
den können: ungeachtet der tiefen Einwurzelung defjelben in die Willkür,
wegen weldher man jagen muß, er fei in dem Menſchen von Natur anzu—
treffen. — Der Grund diefes Böfen kann auch 2) nicht in einer Ver—
derbniß der moraliſch-geſetzgebenden Vernunft gefebt werden: gleich als
ob dieſe das Anjehen des Geſetzes jelbit in ſich vertilgen und die Ver:
bindlichfeit aus demfelben ableugnen fünne; denn das ift ſchlechterdings
unmöglid. Sid) als ein frei handelndes Wejen und doch von dem einem
jolden angemefjenen Gejete (dem moraliſchen) entbunden denken, wäre
jo viel, als eine ohne alle Gefebe wirkende Urfache denken (deun die Be-
ftimmung nad) Naturgejegen fällt der Freiheit halber weg): welches fid)
widerſpricht. — Um aljo einen Grund des Moraliſch-Böſen im Menſchen
anzugeben, enthält die Sinnlichkeit zu wenig; denn fie macht den
Menſchen, indem fie die Triebfedern, die aus der Freiheit entjpringen
fönnen, wegnimmt, zu einem blos Thierijhen; eine vom moralifchen
Geſetze aber freifpredhende, gleihjam boshafte Vernunft (ein ſchlecht—
hin böfer Wille) enthält dagegen zu viel, weil dadurch der Widerſtreit
gegen das Geſetz jelbft zur Triebfeder (denn ohne alle Triebfeder kann die
Willkür nit beftimmt werden) erhoben und jo das Subject zu einem
teufliihen Wejen gemacht werden würde. — Kleines von beiden aber ijt
auf den Menjdyen anwendbar.
Wenn nun aber gleich das Dafein diefes Hanges zum Böjen in der
menschlichen Natur durch Erfahrungsbeweije des in der Zeit wirklichen
Widerftreits der menſchlichen Willkür gegen das Geſetz dargethan werden
fann, jo lehren uns dieje doch nicht die eigentliche Beichaffenheit defjelben
und den Grund diefes Widerftreits; fondern dieje, weil fie eine Beziehung
der freien Willkür (aljo einer ſolchen, deren Begriff nicht empirijch ift)
auf das moraliſche Geje als Triebfeder (wovon der Begriff gleichfalls
rein intellectuell ijt) betrifft, muß aus dem Begriffe des Böjen, fofern es
nad) Gejeßen der Freiheit (der Verbindlichkeit und Zuredynungsfähigfeit)
möglid) ift, a priori erfannt werden. Folgendes ift die Entwicelung des
Begriffs.
3*
36 Religion innerhalb ber Grenzen ber blohen Vernunft. Erſtes Stüd.
Der Menſch (jelbit der ärgfte) thut, in welden Marimen es aud)
fei, auf das moraliſche Gejek nicht gleihjam rebelliſcherweiſe (mit Auf:
fündigung des Gehorfams) Verzicht. Diejes dringt ſich ihm vielmehr
fraft feiner moralijhen Anlage unmiderftehlic auf; und wenn feine an-
dere Triebfeder dagegen wirkte, jo würde er es aud) als hinreichenden Be:
ftimmungsgrund der Willfür in feine oberſte Marime aufnehmen, d. i.
er würde moralijd gut fein. Er hängt aber doch auch vermöge feiner
gleichfalls ſchuldloſen Naturanlage an den Triebfedern der Sinnlichkeit
und nimmt fie (nad) dem jubjectiven Princip der Selbitliebe) aud in
feine Marime auf. Wenn er diefe aber, als für fi allein hin—
reihend zur Beitimmung der Willtür, in feine Marime aufnähme,
ohne fid) ans moralifche Gefeß (welches er doch im fich hat) zu kehren, fo
würde er moralijch böfe fein. Da er nun natürlicherweife beide in die—
jelbe aufnimmt, da er aud) jede für fich, wenn fie allein wäre, zur
Willensbejtimmung hinreichend finden würde: jo würde er, wenn der Un—
terfhied der Marimen blos auf den Unterſchied der Triebfedern (der
Materie der Marimen), nämlich) ob das Gejeb, oder der Sinnenantrieb
eine ſolche abgeben, anfäme, moraliſch gut und böje zugleich fein; welches
ſich (nad) der Einleitung) widerfpriht. Alfo muß der Unterfchied, ob der
Menſch gut oder böje fei, nicht in dem Unterſchiede der Triebfedern, die
er in feine Marime aufnimmt (nicht in diefer ihrer Materie), jondern in
der Unterordnung (der Form derjelben) liegen: welche von beiden
er zur Bedingung der andern madjt. Folglich ift der Menſch (aud)
der Bejte) nur dadurch böje, daß er die fittliche Ordnung der Triebfedern
in der Aufnehmung derjelben in feine Marimen umfehrt: das moraliſche
Geſetz zwar neben dem der Selbjtliebe in diejelbe aufnimmt, da er aber
Inne wird, daß eines neben dem andern nicht beftehen fann, jondern eines
dem andern als feiner oberjten Bedingung untergeordnet werden müſſe,
er die Trtebfeder der Selbftliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der
Befolgung des moraliihen Geſetzes macht, da das letztere vielmehr als
die oberfte Bedingung der Befriedigung der erfteren in die allge-
meine Marime der Willtür als alleinige Triebfeder aufgenommen wer:
den jollte.
Bei diefer Umkehrung der Triebfedern durch feine Marime wider die
fittlihe Ordnung können die Handlungen dennod wohl jo geſetzmäßig
ausfallen, als ob fie aus Achten Grundfägen entiprungen wären: wenn
die Vernunft die Einheit der Marimen überhaupt, welche dem moraliichen
„
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30
35
38 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüäd.
Diefe angeborne Schuld (reatus), welche jo genannt wird, weil fie
fi jo früh, als fi nur immer der Gebrauch der Freiheit im Menjchen
äußert, wahrnehmen läßt und nichts deſtoweniger dod) aus der Freiheit
entjprungen fein muß und daher zugerechnet werden kann, kann in ihren
zwei erjteren Stufen (der Gebredhlichkeit und der Unlauterfeit) als unvor—
ſätzlich (eulpa), in der dritten aber als vorſätzliche Schuld (dolus) beur-
theilt werden und hat zu ihrem Charakter eine gewifje Tüde des menſch—
lichen Herzens (dolus malus), fid) wegen jeiner eigenen guten oder böfen
Geſinnungen jelbit zu betrügen und, wenn nur die Handlungen das Böje
nicht zur Folge haben, was fie nad) ihren Marimen wohl haben fönnten,
ſich feiner Gefinnung wegen nicht zu beunrubigen, jondern vielmehr vor
dem Geſetze gerechtfertigt zu halten. Daher rührt die Gewifjensruhe fo
vieler (ihrer Meinung nad gewifjenhaften) Menſchen, wenn fie mitten
unter Handlungen, bei denen das Gejet nidht zu Nathe gezogen ward,
wenigjtens nicht das Meifte galt, nur den böjen Folgen glüdlid) entwijch-
ten, und wohl gar die Einbildung von Berdienft, feiner folder Vergehun-
gen fid) ſchuldig zu fühlen, mit denen fie Andere behaftet jehen: ohne doch
nachzuforſchen, ob es nicht blos etwa Verdienſt des Glüds ſei, und ob
nad der Denfungsart, die fie in ihrem Innern wohl aufdeden könnten,
wenn fie nur wollten, nicht gleiche Zajter von ihnen verübt worden wären,
wenn nicht Unvermögen, Temperament, Erziehung, Umjtände der Zeit
und des Orts, die in Verſuchung führen, (lauter Dinge, die uns nicht zu—
gerechnet werden fünnen) davon entfernt gehalten hätten. Dieſe Unred—
lichkeit, fich jelbjt blauen Dunft vorzumadyen, weldye die Gründung ächter
moraliidher Gefinnung in uns abhält, erweitert fi) denn aud äußerlich)
zur Falſchheit und Täuſchung anderer, welche, wenn fie nicht Bosheit ge-
nannt werden joll, doch wenigitens Nidhtswürdigkeit zu heißen verdient,
und liegt in dem radicalen Böjen der menſchlichen Natur, welches (indem
e3 die moralijche Urtheilsfraft in Anjehung dejjen, wofür man einen Men:
ſchen halten jolle, verftimmt und die Zurechnung innerlid) und äußerlich
ganz ungewiß macht) den faulen led unferer Gattung ausmacht, der,
jo lange wir ihn nicht herausbringen, den Keim des Guten hindert, ſich,
wie er jonit wohl thun würde, zu entwideln.
Ein Mitglied des engliſchen Parlaments jtieß in der Hike die Be-
hauptung aus: „Ein jeder Menſch hat jeinen Preis, für den er ſich weg-
giebt." Wenn diejes wahr ijt (weldyes dann ein jeder bei ſich ausmachen
mag), wenn es überall feine Tugend giebt, für die nicht ein Grad der
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40 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Erites Stud.
als Begebenheit in der Welt auf ihre Natururſache bezogen wird. Bon
den freien Handlungen als ſolchen den Beiturfprung (glei) als von Na-
turwirfungen) zu ſuchen, ift alſo ein Widerſpruch; mithin auch von der
moraliſchen Beſchaffenheit des Menſchen, ſofern fie als zufällig betrachtet
wird, weil diefe den Grund des Gebrauchs der Freiheit bedeutet, wel- ;
her (jo wie der Beitimmungsgrund der freien Willfür überhaupt) Tedig-
lic) in Vernunftvorftellungen geſucht werden muß.
Wie num aber au) der Urfprung des moraliichen Böen im Men-
chen immer beſchaffen fein mag, fo ift doch unter allen Borftellungsarten
von der Verbreitung und Fortfekung deffelben durch alle Glieder unferer
Gattung und in allen Jeugungen die unfhidlichfte: es fi als durd) An—
erbung von den erjten Eltern auf uns gekommen vorzuftellen; denn man
fann vom Moraliſch-Böſen eben das jagen, was der Dichter vom Guten
fagt: — genus et proavos, et quaenon fecimus ipsi, vix ea nostra
puto*). — Nod) ift zu merken: daß, wenn wir dem Urjprunge des Böfen
nachforſchen, wir anfänglich noch nicht den Hang dazu (als peccatum in
potentia) in Anſchlag bringen, fondern nur das wirkliche Böſe gegebener
Handlungen nad) feiner innern Möglichkeit und dem, was zur Ausübung
derjelben in der Willfür zuſammenkommen muß, in Betrachtung ziehen.
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*) Die brei fogenanmnten obern Faculläten (auf hoben Schulen) würden, jede 20
nach ihrer Art, fich dieſe Vererbung verftändlich machen: nämlich entweder als
Erbfrantheit, ober Erbſchuld, oder Erbjünde. 1) Die medicinifche Facul-
tät würde fich das erbliche Böfe etwa wie den Bandwurm vorftellen, von weldhem
wirklich einige Naturfündiger ber Meinung find, daß, da er ſonſt weder in einem
Elemente außer uns, noch (von berjelben Art) in irgend einem andern Thiere an- 35
getroffen wird, er ſchon in bem erften Eltern gemejen fein müſſe. 2) Die Zu-
riftenfacultät würbe es als die rechtliche Folge der Antretung einer und von
biefen binterlafienen, aber mit einem jchweren Verbrechen belafteten Erbſchaft
anfehen (denn geboren werben it nichts anders, alö den Gebrauch der Güter der
Erde, jo fern fie zu umjerer Forldauer unentbehrlich find, erwerben). Wir müjlen 30
alſo Zahlung leiften (bühen) und werden am Ende doch (durch ben Tod) aus die-
fen Bejige geworfen. Wie recht ift von Rechts wegen! 3) Die theologiſche
Facunltät würde dieſes Böje als perjönliche Theilmehmung unferer eriten Eltern
an dem Abfall eines vermworfenen Aufrührers anſehen: entweder daß wir (ob-
zwar jeht deffen unbewußt) damals felbit mitgewirkt haben; oder mur jeßt, umter &
od (ald Kürten diefer Welt) Herrichaft geboren, und die Güter derjelben mehr,
als den DOberbeiehl bes himmliſchen Gebieters gefallen laflen und nicht Treue ge
nug befißen, und bavon loszurelßen, dafür aber Fünftig auch jein Loos mit ihm
theilen muſſſen.
ir.
42 Meligion innerhalb ber Grenzen ber blohen Vernunft. Erfies Stüd.
der Sünde (worunter die Übertretung des moraliſchen Geſetzes als gött-
lien Gebots verftanden wird); der Zuftand des Menjchen aber vor
allem Hange zum Böfen heißt der Stand der Unſchuld. Das moralische
Geſetz ging, wie es aud) beim Menſchen als einem nicht reinen, ſondern
von Neigungen verjuchten Weſen fein muß, als Verbot voraus (1. Moje 5
II, 16. 17). Anftatt num diefem Geſetze, als hinreichender Triebfeder (die
allein unbedingt gut ift, wobei auch weiter fein Bedenken ſtatt findet), ge—
radezu zu folgen: jah ſich der Menſch doch noch nach andern Triebfedern
um (II, 6), die nur bedingterweife (nämlich fo fern dem Geſetze dadurd)
nicht Eintrag geſchieht) gut fein können, und machte es fi, wenn man
die Handlung als mit Bewußtjein aus Freiheit entipringend denkt, zur
Marime, bem Geſetze der Pflicht nicht aus Pflicht, jondern auch allenfalls
aus Nüdficht auf andere Abfihten zu folgen. Mithin fing er damit an,
die Strenge des Gebots, welches den Einfluß jeder andern Triebfeder
ausſchließt, zu bezweifeln, hernad) den Gehorſam gegen daffelbe zu einem
bloß (unter dem Princip der Selbjtliebe) bedingten eines Mittels herab
zu vernünfteln,*) woraus dann endlich das Übergewicht der finnlichen An-
triebe über die Triebfeder aus dem Gejeb, in die Marime zu handeln,
aufgenommen und jo gejündigt ward (III, 6). Mutato nomine de te fa-
bula narratur. Daß wir es täglich eben jo machen, mithin „in Adam
alle gefündigt haben" und noch fündigen, ijt aus dem obigen Far; nur
daß bei uns ſchon ein angeborner Hang zur Übertretung, in dem erften
Menſchen aber fein folder, ſondern Unjchuld der Zeit nad) vorausgeſetzt
wird, mithin die Übertretung bei diefem ein Sündenfall heißt: ftatt
daß fie bei uns als aus der ſchon angebornen Bösartigfeit unjerer Natur
erfolgend vorgeitellt wird. Diejer Hang aber bedeutet nichts weiter, als
dab, wenn wir uns auf die Erflärung des Böjen jeinem Zeitanfange
nad einlafjen wollen, wir bei jeder vorjehlichen Ubertretung die Urſachen
in einer vorigen Zeit unjers Lebens bis zurüd in diejenige, wo der Ver:
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*) Alle bezeugte Ehrerbietung gegen das moraliiche Geſetz, obme ihm doch, 0
als für fich hinreichender Triebfeder, in feiner Marime das Übergewicht über alle
andere Beitimmungsgründe ber Willlür einzuräumen, it gebeuchelt und der Hang
bazu innere Walichheit, d. i. ein Hang, fich in der Deutung des moraliichen Ge-
ſehes zum Nachthell deſſelben jelbit zu belügen (Ill, 5); weswegen auch bie Bibel
(hriftlichen Untheild) den Urheber des Böfen (der in ums jelbit liegt) den Lügner 5
von Anfang ment und jo den Menichen in Anſehung deſſen, was ber Hauptgrund
des Bofen im ihm zu fein ſcheint, charakterifirt.
44 Neligion innerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Erſtes Stück.
Geiſte von urſprünglich erhabnerer Bejtimmung voranſchickt: wodurd)
alfo der erjte Anfang alles Böfen überhaupt als für uns unbegreiflic)
(denn woher bei jenem Geijte das Böfe?), der Menſch aber nur als durch
Berführung ins Böſe gefallen, alſo nit von Grund aus (ſelbſt der
erften Anlage zum Guten nad) verderbt, fondern als nod) einer Beſſerung
fähig im Gegenjate mit einem verführenden Geifte, d. i. einem ſolchen
Weſen, dem die Berfuhung des Fleiſches nicht zur Milderung feiner
Schuld angerechnet werden kann, vorgejtellt und jo dem erjteren, der bei
einem verderbten Herzen doch immer nod) einen guten Willen hat, Hoff:
nung einer Wiederkehr zu dem Guten, von dem er abgewichen iſt, übrig
gelaſſen wird.
Allgemeine Anmerkung.
Bon der Wiederherftellung der urfprünglihen Anlage zum
Guten in ihre Kraft.
Was der Menſch im moralifchen Sinne ift oder werden fol, gut oder
böje, dazu muß er fich felbft machen oder gemacht haben. Beides muß
eine Wirkung feiner freien Willkür fein; denn ſonſt könnte es ihm nicht
zugerechnet werben, folglid) er weder moralisch gut noch böfe fein. Wenn
es heißt: er ift gut gefchaffen, jo kann das nichts mehr bedeuten, als: er
ift zum Guten erihaffen, und die urjprünglihe Anlage im Menſchen
ift gut; der Menſch ift es jelber dadurch nod) nicht, jondern nachdem er
die Triebfedern, die dieje Anlage enthält, in feine Marime aufnimmt oder
nicht (welches feiner freien Wahl gänzlich überlafjen fein muß), madt er,
daß er gut oder böfe wird. Geſetzt, zum Gut» oder Befjerwerden ſei nod)
eine übernatürlihe Mitwirkung nöthig, jo mag dieje nur in der Bermin-
derung der Hindernifje bejtehen, oder aud) pofitiver Beijtand fein, der
Menſch muß ſich doch vorher würdig machen, fie zu empfangen, und dieſe
Beihülfe annehmen (welches nichts Geringes ift), d. i. die pofitive Kraft-
vermehrung in jeine Marime aufnehmen, wodurd; es allein möglich wird,
daß ihm das Gute zugerechnet und er für einen guten Menſchen erfannt
werde.
Wie ed num möglich fei, daß ein natürlicherweife böjer Menſch ſich
jelbft zum guten Menſchen made, das überjteigt alle unjere Begriffe;
gehört unter die Adiaphora, mit benen es jeder halten mag, wie er es für fi er-
baulich findet.
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46 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd.
Die Wiederherftellung der urjprünglidhen Anlage zum Guten in uns
ift alfo nit Erwerbung einer verlornen Triebfeder zum Guten; denn
dieje, die in der Achtung fürs moralifche Gejeß befteht, Haben wir nie ver-
lieren fönnen, und wäre das letztere möglich, jo würden wir fie auch nie
wieder erwerben. Sie iſt alfo nur die Herftellung der Reinigfeit dei-
jelben, als oberften Grundes aller unjerer Marimen, nad) weldyer dafjelbe
nicht bloß mit andern Triebfedern verbunden, oder wohl gar diejen (den
Neigungen) als Bedingungen untergeordnet, fondern in feiner ganzen
Reinigkeit als für fi zu reichen de Triebfeder der Beftimmung der Rill-
für in diejelbe aufgenommen werden fol. Das urſprünglich Gute ift die
Heiligkeit der Marimen in Befolgung feiner Pflicht, mithin blos aus
Pfliht, wodurch der Menſch, der dieje Reinigkeit in jeine Marime auf:
nimmt, obzwar darum nod) nicht jelbft heilig (denn zwifchen der Marime
und der That ift nod) ein großer Zwijchenraum), dennod) auf dem Wege
liebe bes unbebingten (nit von Gewinn ober Berluft als ben Folgen ber
Handlung abhängenden) Wohlgefallens an fich jelbit würde das innere Princip
einer allein unter ber Bedingung ber Unterordnung unferer Marimen unter das
moraliihe Gejeb uns möglichen Zufriedenheit fein. Kein Menſch, dem bie Mo-
ralität nicht gleichgültig ift, Fann am ſich ein Wohlgefallen haben, ja gar ohne ein
bitteres Mibfallen am ſich jelbit fein, ber ſich ſolcher Marimen bewuht ift, die mit
bem moraliichen Gefehe in ihm nicht übereinitimmen. Man könnte diefe bie Ber-
nunftliebe feiner jelbft nennen, welche alle Bermiichung anderer lirfachen ber
Zufriedenheit aus ben Folgen feiner Handlumgen (unter bem Namen einer dadurch
ſich zu verihhaffenden Glüdjeligfeit) mit den Triebfedern der Willfür verhindert.
—
—
Da nun das letztere die unbedingte Achtung fürs Geſetz bezeichnet, warum will %
man durch ben Ausbrud einer vernünftigen, aber nur umter ber leßteren Be-
dingung moraliihen Selbitliebe fi das deutliche Verſtehen bes Princips
unndthigerweiſe erjchiveren, indem man fich im Zirkel herumdreht (denn man kann
fi) nur auf moralifche Art jelbit lieben, jofern man ſich jeiner Marime bewußt
it, die Achtung fürs Gejeh zur höchſten Triebfeber jeiner Willfür zu machen)?
Y Glüdjeligfeit iit unſerer Natur nad) für uns, als von Gegenftänden der Sinnlic)-
feit abhängige Wejen, das erjte und das, was wir unbedingt begehren. Eben
dieſelbe ift unjerer Natur nad (wenn man überhaupt das, was uns angeboren
ift, fo nennen will) ald mit Vernunft und Freiheit begabter Wejen bei weiten
nicht das Erjte, noch auch unbebingt ein Gegenitand unſerer Marimen; jonbern
dieſes ift die Würdigfeit glüdlich zu fein, d.i. die Übereinftimmung aller
unſerer Marimen mit dem moraliichen Geſehe. Daß dieſe nun objectiv die Be-
bingung fei, unter welcher der Wunſch ber erjteren allein mit der gejeggebenden
Bernunft zufammenitimmen fann, darin befteht alle fittliche Vorſchrift und in ber
Geſinnung, auch mur jo bedingt zu wünſchen, die fittlihe Denfungsart.
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Bon der Eimvohnung des böfen Princips neben dem guten. 47
dazu ift, ſich ihr im unendlichen Kortichritt zu nähern. Der zur Fertig.
feit gewordene feite Borjaß in Befolgung feiner Pflicht heißt auch Tu—
gend der Legalität nad) als ihrem empirijhen Charafter (virtus
phaenomenon). Sie hat alſo die beharrlihe Marime gejeßmäßiger
Handlungen; die Triebfeder, deren die Willkür hiezu bedarf, mag man
nehmen, woher man wolle. Daher wird Tugend in diefem Sinne nad)
und nad) erworben und heißt Einigen eine lange Gewohnheit (in Beob-
achtung des Gejekes), durd die der Menſch vom Hange zum Laſter durd)
allmählige Reformen feines Verhaltens und Befeftigung feiner Maris
men in einen entgegengejebten Hang übergefommen ift. Dazu ift num
nicht eben eine Herzensänderung nöthig, fondern nur eine Änderung
der Sitten. Der Menjc findet ſich tugendhaft, wenn er fih in Mari-
men, jeine Pflicht zu beobachten, befeitigt fühlt: obgleidy nicht aus dem
oberiten Grunde aller Marimen, nämlid) aus Pflicht; fondern der Un:
mäßige z. B. fehrt zur Mäßigfeit um der Gejundheit, der Lügenhafte zur
Wahrheit um der Ehre, der Ungerechte zur bürgerlichen Ehrlichkeit um
der Ruhe oder des Erwerbs willen u. ſ. w. zurüd; alle nad) dem geprieje-
nen Princip der Glüdjeligfeit. Daß aber jemand nicht bloß ein gefeß- \
Lich, fondern ein moraliſch guter (Gott wohlgefälliger) Menſch, d. i. tu—
gendhaft nad) dem intelligiblen Charakter (virtus Noumenon), werde,
welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, feiner andern Triebfeder
weiter bedarf, als diejer Vorjtellung der Pflicht ſelbſt: das kann nicht
durch allmählige Reform, fo lange die Grundlage der Marimen unlau- ⸗
ter bleibt, ſondern muß durch eine Revolution in der Geſinnung im
Menſchen (einen übergang zur Maxime der Heiligkeit derſelben) bewirkt
werden; und er kann ein neuer Menſch nur durch eine Art von Wiederge—
burt gleid) als durd) eine neue Schöpfung (Ev. Koh. III, 5; en
mit 1. Moje I, 2) und Änderung des Herzens werden.
Wenn der Menſch aber im Grunde feiner Marimen verderbt ift, —
iſt es möglich, daß er durch eigene Kräfte dieſe Revolution zu Stande
bringe und von ſelbſt ein guter Menſch werde? Und doch gebietet die
Pflicht es zu fein, fie gebietet uns aber nichts, als was uns thunlich ift.
Diefes ift nicht anders zu vereinigen, al3 daß die Revolution für die
Denfungsart, die allmählige Reform aber für die Sinnesart (weldye jener
Hindernifje entgegenjtellt) nothwendig und daher auch dem Menjchen
möglich fein muß. Das ift: wenn er den oberften Grund feiner Mari-
men, wodurd) er ein böjer Menſch war, durch eine einzige unwandelbare
I 48 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Erfies Stück
| — —— — fo ift
für)
lidpfeit des Fortioritts Einheit ift, d.i. für Gott, fo viel, als wirflid) ein
— (ij gefäliger) Bea fein unb in [ofen faum die Berkuberung
als Revolution betradytet werden; für die Beurtheilung der Menſchen
re ner hie rc a een ee die
Hierans Folgt, daß die moraliſche Bildung des Nenſchen nicht von
der Beſſerung der Sitten, ſondern von der Umwandlung der Denkungsart
und von Gründung eines Charakters anfangen müſſe; ob man zwar ge-
wöhnlicherweife anders verfährt und wider Lafter einzeln kämpft, die all-
gemeine Wurzel derjelben aber unberührt läßt. Nun ift jelbjt der einge
ſchraͤnkteſte Menſch des Eindruds einer dejto größeren Achtung für eine
nn fähig, je mehr er ihr in Gedanfen andere Trieb-
rm, die durch die Selbftliebe auf die Marime der Handlung Einfluß
‚haben Könnten —7 auq die Heinfte Spur
: ba denn die Handlung
6 alen oralen Werth verliert. Dieſe Anlage
—— Beiſpiel ſelbſt von guten Men-
—— anführt und ſeine mo-
en t Morimen aus den wirklichen
e ab urtheilen chlich cultivirt
ie * — art über: fo daß Pflicht bloß für
1)
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rn mi irch,
‚y ewr.
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SEE a I
—— au befommen anhebt.
3 fie auch gefoftet ha-
| f no nic bie rehte Stimmung,
25 rl er h Gute erhalten joll. Denn
ud erg alles, was er immer Gutes
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Von der Einwohnung des böjen Princips neben bem guten. 49
thun fann, bloß Pflicht; feine Pflicht aber thun, ift nichts mehr, als das
thun, was in der gewöhnlichen fittlihen Ordnung ift, mithin nicht be—
wundert zu werden verdient. Vielmehr ift diefe Bewunderung eine Ab-
ftimmung unfers Gefühls für Pflicht, gleich als ob es etwas Außerordent⸗
liches und Verdienſtliches wäre, ihr Gehorjam zu leijten.
Aber eines ift in unfrer Seele, weldyes, wenn wir es gehörig ins
Auge faflen, wir nicht aufhören Fönnen, mit der höchſten Verwunderung
zu betrachten, und wo die Bewunderung redytmäßig, zugleich aud) jeelen-
erhebend ift; und das ift: die urfprünglicye moralifche Anlage in ung über:
haupt. — Was ift das (kann man ſich jelbjt fragen) in uns, wodurd) wir
von der Natur durd) jo viel Bedürfniffe beitändig abhängige Wefen doch
zugleich über dieje in der Idee einer urjprünglichen Anlage (in uns) fo
weit erhoben werden, da& wir fie insgefammt für nichts und uns felbit
des Dajeins für unwürdig halten, wenn wir ihrem Genuffe, der ung doch
das Leben allein wünjdhenswerth maden fann, einem Geſetze zumider
nahhängen follten, durch welches unjere Vernunft mächtig gebietet, ohne
doch dabei weder etwas zu verheißen noch zu drohen? Das Gewicht diejer
Frage muß ein jeder Menjd) von der gemeinften Fähigkeit, der vorher von
ber Heiligkeit, die in der Idee der Pflicht liegt, belehrt worden, der ſich
aber nicht bis zur Nachforſchung des Begriffes der Freiheit, weldyer aller:
erit aus diefem Geſetze hervorgeht*), verfteigt, innigit fühlen; und jelbit
*) Daf ber Begriff der Freiheit ber Willfür nicht vor dem Berwußtjein bet
moralijchen Gejeges in und vorhergehe, ſondern nur aus der Beftimmbarkeit un-
ferer Willfür durch biefes, als ein unbebingtes Gebot, gefchloffen werde, bavon
kann man fich bald überzeugen, wenn man fich fragt: ob man auch gewiß und
unmittelbar fid) eines Vermögens bewußt fei, jede noch jo große Triebfeder zur
Übertretung (Phalaris licet imperet, ut sis falsus, et admoto dictet periuria tauro)
durch Feten Vorſatz überwältigen zu fünnen. Sedermann wird geftehen müſſen:
er wiſſe nicht, ob, wenm eim folder Fall einträte, er nicht in feinem Borfat
mwanfen würbe. Gleichwohl aber gebietet ihm die Pflicht unbedingt: er jolle ihm
treu bleiben; und hieraus ſchließt er mit Recht: er müfje e8 auch Fönnen, und
feine Willfür fei alfo frei. Die, welche biefe unerforſchliche Eigenfchaft ald ganz
begreiflic, vorjpiegeln, machen dur das Wort Determinismus (ben Sat
ber Beitimmung der Willkür durch innere hinreichende Gründe) ein Blendwerf,
gleich als ob die Schwierigkeit darin beftände, biefen mit der freiheit zu vereini—
gen, woran boch niemand benft; jondern: wie der Präbeterminism, nach wel:
Gem willfürlihe Handlungen als Begebenheiten ihre beftimmende Gründe in ber
vorbergehenden Zeit haben (die mit bem, was fie in fich hält, nicht mehr in
unferer Gewalt ift), mit der Freiheit, nach welcher die Handlung eg als ihr
Kant’d Schriften Mate VI.
|
die Unbegreiflichkeit diefer eine göttliche Abkunft verkündigenden Anlage
muß auf das Gemüth bis zur Begeifterung wirken und es zu den Auf-
opferungen ftärfen, welche ihm die Achtung für feine Pflicht nur auferle-
gen mag. Diejes Gefühl der Erhabenheit feiner moraliſchen Beſtimmung
öfter rege zu machen, ift ald Mittel der Erwedung fittliher Gefinnungen 5
vorzüglich anzupreifen, weil e8 dem angebornen Hange zur Verkehrung
der Triebfedern in ben Marimen unferer Willkür gerade entgegen wirkt,
um in der unbedingten Achtung fürs Gejeß, als der höchſten Bedingung
aller zu nehmenden Marimen, die urſprüngliche fittlihe Drdnung unter
den Triebfedern und hiemit die Anlage zum Guten im menjdliden Her-
zen in ihrer Reinigfeit wieder herzuſtellen.
Aber diejer Wiederherjtellung durch eigene Kraftanwendung fteht ja
der Saß von der angebornen Verderbtheit der Menſchen für alles Gute
gerade entgegen? Allerdings, was die Begreiflichkeit, d. i. unfere Ein—
ſicht von der Möglichkeit derfelben, betrifft, wie alles defien, was als Be-
gebenheit in der Zeit (Veränderung) und jo fern nad) Naturgejeken als
nothwendig und defjen Gegentheil doch zugleid) unter moraliſchen Gejeßen
als durd) Freiheit möglich vorgeftelt werden joll; aber der Möglichkeit
dieſer Wiederherftellung ſelbſt ift er nicht entgegen. Denn wenn das mo—
raliſche Geſetz gebietet: wir ſollen jeßt befjere Menſchen fein, jo folgt un- zo
umgänglih: wir müſſen es aud können. Der Sat vom angebornen
Böfen ift in der moraliihen Dogmatik von gar feinem Gebrauch: denn
die Vorſchriften derjelben enthalten eben diefelben Pflichten und bleiben
auch in derfelben Kraft, ob ein angeborner Hang zur Übertretung in uns
jei, oder nicht. In der moraliſchen Aſcetik aber will diefer Sat mehr,
Gegentheil in dem Augenblicke bes Geſchehens in der Gewalt bed Subjects fein
a ee m Fake: bas its, was man einfehen will und nie ein«
ſehen wirb.
F Den Begriff ber Freiheit mit ber Idee von Gott, als einem moth-
mwenb nm ejen, zu nereinig hat gar feine Schwierigkeit: weil bie freiheit
we I — | | er.
wi
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Som 3er Gommimum; dei hier Eros zeher em sum 31
aber bad ziäts mehr jagen als: mir Humen in der ftlihen Ankbldung
der aurrihefenen miraliiten
bjective erfte |
erimen) ihm eh unerferäich IR; aber anf den ct, der dar
ı führt, und der ihrn von einer im Grunde gebeferten Geſinnung ange
wiejen wird, muß er hoffen können dur eigene Kraftanwendung zu
gelangen: weil er ein guter Menſch werden fol, aber nur nad demjeni«
» gen, was ihm als von ihm jelbft gethan zugerechnet werden fann, als
—— üft.
Wider diefe Zumuthung der Selbſtbeſſerung bietet nun die zur mo»
ralifchen Bearbeitung von Natur verdrofjene Vernunft unter dem Vor»
wande bes natürlihen Unvermögens allerlei unlautere Neligionsideen
* auf (wozu gehört: Gott jelbit das Glüdjeligfeitsprincip zur oberften Be
dingung feiner Gebote anzudichten). Man faun aber alle Religionen in
die der Gunftbewerbung (des bloßen Gultus) und die morallſche,
——— des guten Lebenswandels, eintheilen. Nach der
ſich entweder der Menſch: ðoit koͤnne ihn wohl ewig
so a ohne daß er eben nöthig habe, ein befferer Menſch
zu werden (durch Erlafjung feiner VBerfhuldungen); oder and, wenn
ihm diefes nicht möglicy zu fein jheint: Gott könne ihn wohl zum befie»
ren Menſchen machen, ohne daß er felbft etwas mehr dabei zu thun
‚habe, als darum zu bitten; welches, da es vor einem allfehenden Wefen
chts weiter it als wünfden, eigentlich nichts gethan fein würde: denn
wenn e3 mit dem bloßen Wunjc ausgerichtet wäre, jo würde jeder Menſch
ut fein. Na der moraliſchen Religion aber — unter allen
52 Religion inmerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erftes Stüd.
öffentlichen, die es je gegeben hat, allein die hriftliche ift) ift es ein
Grundjaß: daß ein jeder fo viel, als in feinen Kräften ift, thun müffe,
um ein befjerer Menſch zu werden; und nur alddann, wenn er fein ange:
bornes Pfund nicht vergraben (Zucä XIX, 12—16), wenn er die urjprüng-
lie Anlage zum Guten benußt hat, um ein befjerer Menſch zu werden, 5
er hoffen Fönne, was nicht in jeinem Vermögen ift, werde durch höhere
Mitwirkung ergänzt werden. Auch ift es nicht ſchlechterdings nothwendig,
daß der Menſch wifje, worin dieje beftehe; vielleicht gar unvermeidlich,
daß, wenn die Art, wie fie geſchieht, zu einer gewifjen Zeit offenbart wor:
den, verſchiedene Menſchen zu einer andern Zeit fi) verſchiedene Begriffe
und zwar mit aller Aufritigfeit davon machen würden. Aber alsdann
gilt aud) der Grundjag: „Es ift nicht wejentlidy und alſo nicht jedermann
nothwendig zu wifjen, was Gott zu feiner Seligfeit thue, oder gethan
habe;" aber wohl, was er jelbjtzu thun habe, um diejes Beiftandes
würdig zu werden. 15
+ Diefe allgemeine Anmerkung tft die erfte von den vieren, deren
eine jedem Stüd diefer Schrift angehängt ift, und welche die Aufſchrift
führen fönnten: 1) von Gnadenwirkungen, 2) Wundern, 3) Geheimniffen,
4) Önadenmitteln. — Dieje find gleihjam Parerga der Religion inner:
halb der Grenzen der reinen Vernunft; fie gehören nicht innerhalb die- 20
jelben, aber ſtoßen dod an fie an. Die Vernunft im Bewußtfein ihres
Unvermögens, ihrem moraliihen Bedürfniß ein Genüge zu thun, dehnt
fi bis zu überfhwenglichen Ideen aus, die jenen Mangel ergänzen
fönnten, ohne fie dod) ala einen erweiterten Befit fich zugueignen. Sie
beitreitet nicht die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Gegenftände derjel- =
ben, aber fann fie nur nicht in ihre Marimen zu denfen und zu handeln
aufnehmen. Sie rechnet jogar darauf, daß, wenn in dem unerforſchlichen
Felde des libernatürlichen noch etwas mehr ift, als fie fidh verftändlid)
machen kann, was aber doch zu Ergänzung des moraliſchen Unvermögens
nothwendig wäre, diejes ihrem guten Willen auch unerkannt zu jtatten zo
fommen werde, mit einem Glauben, den man den (über die Möglichkeit
befjelben) reflectirenden nennen könnte, weil der dogmatijche, der
fih als ein Wiſſen anfündigt, ihr unaufrichtig oder vermeflen vor:
tommt; denn die Schwierigkeiten gegen das, was für fich ſelbſt (praktiſch)
feſt jteht, wegguräumen, ift, wenn fie transjcendente Fragen betreffen, nur 35
ein Nebengeichäfte (Barergon). Was den Nachtheil aus diejen auch mo-
raliſch⸗transſcendenten Ideen anlangt, wenn wir fie in die Religion
=}
u
Bon ber Eimvohnung des böfen Princips neben bem guten. 58
einführen wollten, jo ift die Wirkung davon nad) der Ordnung der
pier obbenannten Glafjen: 1) der vermeinten inneren Erfahrung (Gna—
denwirfungen) Shwärmerei, 2) der angeblichen äußeren Erfahrung
(Wunder) Aberglaube, 3) der gewähnten Verftandeserleudtung in
Anjehung des Übernatürlichen (Geheimnifje) Sluminatism, Adepten-
wahn, H der gewagten Berfuche aufs Übernatürliche Hin zu wirken (Ona-
denmittel) Thaumaturgie, lauter Verirrungen einer über ihre Schran-
fen hinausgehenden Vernunft und zwar in vermeintlid) moralifcher (gott-
gefälliger) Abfiht. — Was aber dieje allgemeine Anmerkung zum erften
» Stück gegenwärtiger Abhandlung befonders betrifft, jo ift die Herbeiru—
fung der Gnadenwirkungen von der leßteren Art und kann nicht in
die Marimen der Vernunft aufgenommen werden, wenn diefe ſich inner»
halb ihren Grenzen hält; wie überhaupt nichts Übernatürliches, weil ge-
rabe bei diefem aller Bernunftgebraud aufhört. — Denn fie theoretiſch
ıs woran fennbar zu machen (daß fie Gnaden-, nicht innere Naturwirkungen
find) ift unmöglich, weil unjer Gebraud) des Begriffs von Urſache und
Wirkung über Gegenftände der Erfahrung, mithin über die Natur hinaus
nicht erweitert werden kann; die Borausjeßung aber einer praktiſchen
Benutzung diejer Fdee ijt ganz ſich ſelbſt widerfprehend. Denn als Be-
» nußung würde fie eine Regel von dem vorausſetzen, was wir (in gewiffer
Abficht) Gutes jelbft zu thun haben, um etwas zu erlangen; eine Gna—
denwirfung aber zu erwarten bedeutet gerade das Begentheil, nämlich daß
das Gute (das Moralifhe) nit unfere, fondern die That eines andern
Weſens fein werde, wir aljo fie durch Nichtsthun allein erwerben
5 fünnen, weldes fi widerſpricht. Wir können fie alſo als etwas Unbe—
greifliches einräumen, aber fie weder zum theoretifchen nod) praktiſchen
Gebrauch in unjere Marime aufnehmen.
Der
Philoſophiſchen Religionslehre
Zweites Stüd.
Der
Philoſophiſchen Religionslehre
Zweites Stüd.
NR!
Natürliche Neigungen find, an ſich ſelbſt betrachtet, gut, d. i.
unverwerflich, und es iſt nicht allein vergeblich, jondern es wäre auch
ſchaͤdlich und tadelhaft, fie ausrotten zu wollen; man muß fie vielmehr
nur bezähmen, damit fie ſich untereinander nicht jelbft aufreiben, jondern
zur Zufammenftimmung in einem Ganzen, Glüdjeligfeit genannt, ge—
bracht werden können. Die Vernunft aber, die diejes ausrichtet, heißt
Klugheit. Nur das Moraliſch-Geſetzwidrige ift an ſich ſelbſt böfe,
ſchlechterdings verwerflih, und muß ausgerottet werden; die Vernunft
aber, die das lehrt, nody mehr aber, wenn fie es auch ins Werk richtet,
verdient allein den Namen der Weisheit, in Bergleihung mit weldyer
das Lafter zwar auch Thorheit genannt werden kann, aber nur alsdann,
wenn die Bernunft gnugſam Stärke in ſich fühlt, um es (und alle Anreize
dazu) zu veradhten, und nicht bloß als ein zu fürdhtendes Weſen zu haj-
fen, und fi dagegen zu bewaffnen.
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boraudgejeßt werden, mit dem die Tugend den Rumpf zu beftehen
den alle Tugenden, zwar nidht, wie jener Krchenvater will, alänzen
aber bo glänzende Armieltgtelten |
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62 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Zweites Stück.
Am praftifhen Glauben an diefen Sohn Gottes (fofern er
vorgejtellt wird, als habe er die menjhlihe Natur angenommen) fann
num der Menfch hoffen, Gott wohlgefällig (dadurch aud) ſelig) zu werden;
d. i. der, welcher ſich einer ſolchen moraliihen Gefinnung bewußt ift, daß
er glauben und auf fi gegründetes Vertrauen ſetzen kann, er würde
unter ähnlichen Verfuhungen und Leiden (jo wie jie zum Probirſtein jener
Idee gemacht werden) dem Urbilde der Menſchheit unwandelbar anhängig
und feinem Beifpiele in treuer Nachfolge ähnlid) bleiben, ein folder
Menſch und auch nur der allein ift befugt, ſich für denjenigen zu halten,
der ein des göttlichen Wohlgefallens nicht unwürdiger Gegenftand ift.
b) Dbjective Nealität dieſer Idee.
Diefe Idee hat ihre Realität in praktifher Beziehung vollftändig in
fid) jelbjt. Denn fie liegt in unferer moraliſch gejeßgebenden Vernunft.
Wir follen ihr gemäß fein, und wir müfjen es daher aud) fönnen.
Müßte man die Möglichkeit, ein diefem Urbilde gemäßer Menſch zu fein, :;
vorher beweijen, wie es bei Naturbegriffen unumgänglidy nothwendig ift
(damit wir nicht Gefahr laufen, durch leere Begriffe hingehalten zu wer-
den), jo würden wir eben ſowohl auch Bedenken tragen müfjen, jelbft dem
moraliihen Gejebe das Anjehen einzuräumen, unbedingter und doch hin-
reihender Beitimmungsgrund unfrer Willfür zu jein; denn wie es mög-
lid) jei, daß die bloße Idee einer Geſetzmäßigkeit überhaupt eine mächtigere
Triebfeder für diefelbe jein fönne, als alle nur erdenkliche, die von Vor—
theilen hergenommen werden, das kann weder durch Vernunft eingejehen,
noch durch Beifpiele der Erfahrung belegt werden, weil, was das erfte
betrifit, das Gefeß unbedingt gebietet, und das zweite anlangend, wenn
es auch nie einen Menjchen gegeben hätte, der dieſem Geſetze unbedingten
Gehorjam geleiftet hätte, die objective Nothwendigfeit, ein folder zu fein,
dod) unvermindert und für ſich ſelbſt einleuchtet. Es bedarf alfo Feines
Beifpiels der Erfahrung, um die Idee eines Gott moraliſch wohlgefälli-
gen Menſchen für uns zum Vorbilde zu maden; fie liegt als ein ſolches
ſchon in unfrer Bernunft. — Wer aber, um einen Menſchen für ein fol-
ches mit jener Idee ibereinjtimmendes Beijpiel zur Nadyfolge anzuer-
kennen, noch etwas mehr, als was er fieht, d. i. mehr als einen gänzlich
untadelhaften, ja jo viel, als man nur verlangen fann, verdienftvollen
Zebenswandel, wer etwa außerdem nod Wunder, die durd ihn oder für
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15
64 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Bweites Stüd.
in der menſchlichen Seele ſchon für ſich ſelbſt unbegreiflich genug ift, daß
man nicht eben nöthig hat, außer feinem übernatürlihen Urfprunge es
noch in einem bejondern Menihen bypoftafirt anzunehmen. Vielmehr
würde die Erhebung eines folden Heiligen über alle Gebrechlichkeit der
menſchlichen Natur der praftiihen Anwendung der Idee defjelben auf
unfere Nachfolge nad) allem, wa3 wir einzufehen vermögen, eher im Wege
fein. Denn wenn gleich jenes Gott wohlgefälligen Menſchen Natur in jo
weit als menſchlich gedacht würde: daß er mit eben denjelben Bedürf-
niffen, folglich auch denfelben Leiden, mit eben denjelben Naturneigungen,
folglich aud eben folhen Verſuchungen zur lÜibertretung wie wir be:
haftet, aber doch jo fern als übermenſchlich gedacht würde, daß nicht etwa
errungene, jondern angeborne unveränderliche Nteinigkeit des Willens ihm
ſchlechterdings Feine Übertretung möglich fein ließe: jo würde diefe Di-
ftanz vom natürliden Menſchen dadurch wiederum jo unendlic groß wer:
den, daß jener göttliche Menjc für diejen nicht mehr zum Beifpiel auf-
geftellt werden könnte. Der Letztere würde jagen: man gebe mir einen
ganz heiligen Willen, jo wird alle Berfuhung zum Böfen von felbft an
mir ſcheitern; man gebe mir die innere vollfommenfte Gewißheit, daß
nad) einem furzen Erbenleben ich (zufolge jener Heiligkeit) der ganzen
ewigen Herrlichkeit des Himmelreichs fofort theilhaftig werden foll, fo
werde id) alle Leiden, jo ſchwer fie auch immer fein mögen, bis zum
Ihmählichften Tode nicht allein willig, fondern auch mit Fröhlichfeit über-
nehmen, da ic) den herrlichen und nahen Ausgang mit Augen vor 'mir
jehe. Zwar würde der Gedanke: daß jener göttliche Menſch im wirklichen
Beſitze diefer Hoheit und Seligfeit von Ewigkeit war (und fie nicht aller:
erft durch joldye Leiden verdienen durfte); daß er fi) derjelben für lauter
Unwürdige, jogar für feine Feinde willig entäußerte, um fie vom ewigen
Verderben zu erretten, unfer Gemüth zur Bewunderung, Liebe und Danl-
barfeit gegen ihn jtimmen müfjen; imgleichen würde die Idee eines Ver:
haltens nad) einer fo volllommenen Regel der Sittlichkeit für uns aller:
dings aud) als Vorſchrift zur Befolgung geltend, er felbft aber nicht als
Beiſpiel der Nahahmung, mithin aud) nicht als Beweis der Thunlichkeit
und Erreichbarkeit eines jo reinen und hohen moralifchen Guts für uns
ung vorgejtellt werden fünnen*).
) Es ift freilich eine Beichränftheit ber menfchlichen Vernunft, die boch einmal
bon ihr nicht zu trennen ift: daß wir uns feinen moralifchen Werth von Belange au
LE
—
—
35
Von dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 65
Eben derſelbe göttlich gefinnte, aber ganz eigentlich menſchliche Lehrer
würde dod) nichts deftoweniger von fi), ala ob das deal des Guten in
— —— Lehre und Wandel) dargeſtellt würde, mit Wahrheit
tblungen einer Perfon beufen können, ohne zugleich fie oder ihre Außerung auf
Weiſe vorftellig zu machen; obzwar damit eben nicht behauptet werden
will, da es an ſich Car akrderav) auch jo bewandt ſei; denn wir bedürfen, um uns
faßlich zu machen, immer einer gewiffen Analogie mit
Naturweien. So legt ein Yhilofophifejer Dichter dem Menſchen, fo fern er einen Hang
zum Böfen in fich zu befämpfen hat, jelbft darum, wenn er ihn nur zu übermwältigen weiß,
ww einen böhern Rang auf ber moralifchen Stufenleiter der Weſen bei, als felbft ben
Himmelsbewohnern, bie vermöge ber Heiligkeit ihrer Natur über alle mögliche Ber
leitung weggejebt find (Die Welt mit ihren Mängeln — ift befier als ein Reid) von
Engeln. Haller). — Zu biefer Vorftellungsart bequemt fich auch die
Schrift, um bie Liebe Gottes zum menſchlichen Geſchlecht uns ihrem Grade nad) faß-⸗
15 lich zu machen, indem fie ihm die höchfte Aufopferung beilegt, die nur ein Tiebendes
Weſen thun kann, um jelbit Unwürdige glücklich zu machen („Alfo hat Gott die Welt
aeliebt,“ u. ſ. w.): ob wir ung gleich durch die Bermunft feinen Begriff davon machen
önnen, wie ein allgenugfames Weſen etiwas von dem, was zu feiner Seligfeit gehört,
aufopfern unb ſich eines Befites berauben lünne. Das ift der Shematism ber
Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht entbehren fönnen. Diejen aber in einen
Schematiäm ber Objectöbeftimmung (zum Erweiterung unferes Erfenntniffes)
zu verwandeln ift Antbropomorphism, der in moraliicher Abficht (in der Reli»
gion) von ben nachtheiligſten Folgen ift. — Hier will ich mur noch beiläufig anmerfen,
dag man im Auffteigen vom Sinnlichen zum Überfinnlichen zwar wohl ſchemati—
» jiren (einen Begriff durd) Analogie mit etwas Sinnlihem fahlich machen), ſchlech—
aber nicht nach der Analogie von dem, was dem Erfteren zukommt, daß es
auch dem Letzteren beigelegt werben müfje, jhliehen (und fo jeinen Begriff erwei-
tern) könne; und dieſes zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil ein ſolcher Schluß
wider alle Analogie Taufen würde, der baraus, weil wir ein Schema zu einem Be:
» griffe, um ihn uns verftänblich zu machen (durch ein Beifpiel zu belegen), nothwendig
brauchen, die Folge ziehen wollte, daß es auch nothwendig dem Gegenſtande ſelbſt als
fein Präbdicat zufommen müffe. Ich kann nämlich nicht jagen: fo wie ich mir bie Iir-
ſache einer Pflanze (oder jedes organiſchen Geſchöpfs und überhaupt der zwedvollen
Welt) nicht anders faßlich mach en kann, ald nad) der Analogie eines Künftlers in
Beziehung auf jein Werk (eine Uhr), nämlich dadurch, daß ich ihr Berftand beilege: jo
mus auch die Urſache felbft (ber Pflanze, der Welt überhaupt) Verſtand Haben; d. i.
ihr Berftand beizulegen, ift nicht bloß eine Bedingung meiner Faßlichkeit, fondern ber
Möglichkeit Urſache zu jein felbft. Zwiſchen dem Verhältniffe aber eines Schema zu
feinem Begriffe unb dem Verbältniffe eben diejes Schema des Begriffs zur Sache felbft
«0 ift gar feine Analogie, jondern ein gewaltiger Sprung (neraßasız eıs aAo yevos), ber
a hinein führt, wovon ic) bie Beweiſe anberwärts ge-
Kant'a Baritin. Werte. VI. 5
—
66 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft. Zweites Stüd.
reben können. Denn er würde alsdann nur von der Gefinnung ſprechen,
die er ſich felbit zur Regel jeiner Handlungen macht, die er aber, da er fie
als Beifpiel für andre, nicht für ſich jelbit ſichtbar machen kann, nur durd)
jeine Lehren und Handlungen äußerlid) vor Augen ftellt: „Wer unter euch
kann mid) einer Sünde zeihen?“ Es ift aber der Billigfeit gemäß, das
untadelhafte Beifpiel eines Lehrers zu dem, was er lehrt, wenn diejes ohne-
dem für jedermann Pflicht ift, feiner andern als der lauterften Geſinnung
defielben anzurechnen, wenn man feine Beweife des Gegentheils hat. Eine
ſolche Gefinnung mit allen um des Weltbeften willen übernommenen
Leiden, in dem Zdeale der Menjchheit * — nun für alle Menſchen
zu allen Zeiten und in allen Welten vor der oberſten Gerechtigleit voll-
gültig: wenn der Menſch die feinige derjelben, wie er es thun ſoll, ähn-
lid madt. Sie wird freilid; immer eine Gerechtigkeit bleiben, die nicht
die unfrige ift, fofern diefe in einem jener Gefinnung völlig und ohne Fehl
gemäßen Zebenswandel bejtehen müßte. Es muß aber doch eine Zueignung
der erjteren um der legten willen, wenn dieje mit der Gefinnung des Ur-
bilde vereinigt wird, möglid) jein, obwohl fie ſich begreiflich zu machen
nod) großen Schwierigkeiten unterworfen ift, die wir jegt vortragen wollen.
e) Schwierigkeiten gegen die Realität diejer Idee
und Auflöjung derielben.
Die erjte Schwierigkeit, welche die Erreichbarkeit jener Idee der Gott
mwoblgefäligen Menjchbeit in uns in Beziehung auf die Heiligkeit des
Geſetzgebers bei dem Mangel unferer eigenen Gerechtigkeit zweifelhaft
macht, ift folgende. Das Gefek jagt: „Seid heilig (in eurem Lebenswan-
del), wie euer Vater im Himmel beilig iſt!“ denn das ift Das Ideal des
Sohnes Gottes, weldyes uns zum Rorbilde aufgeftet ift. Die Entfernung
aber des ®uten, was wir in uns bewirken jollen, von dem Böjen, wovon
wir ausgeben, ift unendlich und jofern, was die That, d.i. die Angemefjen-
ee — —
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68 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Zweites Stüd.
jein, als ih ſchon im Beſitz diefes Reichs zu wifjen, da denn der jo ge:
finnte Menſch jchon von jelbit vertrauen würde, daß ihm „das Übrige alles
(was phyfiiche Glüdjeligkeit betrifft) zufallen werde".
Nun fönnte man zwar den hierüber bejorgten Menjchen mit feinem
Wunſche dahin verweifen: „Sein (Gottes) Geiſt giebt Zeugniß unferm
Geiſt“ u. |. w., d. i. wer eine fo lautere Gefinnung, als gefordert wird, be-
figt, wird von ſelbſt ſchon fühlen, daß er nie jo tief fallen fünne, das Böje
wiederum lieb zu gewinnen; allein es ift mit ſolchen vermeinten Gefühlen
überfinnlihen Urjprungs nur mißlich beftellt; man täufcht ſich nirgends
leichter, als in dein, was die gute Meinung von fid) felbft begünstigt. Auch
ſcheint e8 nicht einmal rathſam zu fein, zu einem jolden Vertrauen auf-
gemuntert zu werden, jondern vielmehr zuträglicher (für die Moralität),
„leine Geligfeit mit Furcht und Zittern zu ſchaffen“ (ein hartes Wort,
welches, mißverjtanden, zur finfterften Schwärmerei antreiben fann);
allein ohne alles Vertrauen zu feiner einmal angenommenen Gefinnung
würde faum eine Beharrlichfeit, in derfelben fortzufahren, möglid) fein.
Dieſes findet fi) aber, ohne fid) der fühen oder angftvollen Schwärmerei
zu überliefern, aus der Bergleihung jeines bisher geführten Lebenswan—
dels mit feinem gefaßten Vorſatze. — Denn der Menſch, welcher von ber
Epoche der angenommenen Orundjäße des Guten an ein genugfam langes
Leben hindurd) die Wirkung derjelben auf die That, d. i. auf feinen zum
immer Befjeren fortj&reitenden Zebenswandel, wahrgenommen hat und
daraus auf eine gründliche Befferung in feiner Gefinnung nur vermu—
thungsweife zu fließen Anlaß findet, kann doch auch vernünftigermeife
hoffen, daß, da dergleihen Fortſchritte, wenn ihr Princip nur gut ift, die
Kraft zu den folgenden immer nod) vergrößern, er in diefem Erbenleben
diefe Bahn nicht mehr verlafjen, fondern immer noch muthiger darauf
fortrücken werde, ja, wenn nad) diefem ihm nod) ein anderes Leben bevor-
fteht, er unter andern Umständen allem Anjehen nad) doch nad) eben dem—
jelben Princip fernerhin darauf fortfahren und fid) dem, obgleich uner-
reihbaren Ziele der Volfommenheit immer noch nähern werde, weil er
nad) dem, was er bisher an jic wahrgenommen hat, jeine efinnung für
von Grunde aus gebefjert halten darf. Dagegen der, welcher jelbft bei oft
verſuchtem Borjabe zum Guten dennod) niemals fand, daß er dabei Stand
hielt, der immer ins Böfe zurüdfiel, oder wohl gar im Fortgange feines
Lebens an fi) wahrnehmen mußte, aus dem Böfen ins AÄrgere gleichſam
als auf einem Abhange immer tiefer gefallen zu fein, vernünftigerweije
—
nn
Bon dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 69
fid) feine Hoffnung machen fann, daß, wenn er nod) länger hier zu leben
hätte, oder ihn aud) ein fünftiges Leben bevorftände, er es beſſer machen
werde, weil er bei joldjen Anzeigen das Verderben als in feiner Gefinnung
gewurzelt anfehen müßte. Nun ift das erftere ein Blid in eine unab- |
ſehliche, aber gewünſchte und glüdliche Zukunft, das zweite dagegen in ein
eben ſo unabſehliches Elend, d.i. beides für Menfchen nad) dem, was fie
urtheilen können, in eine felige oder unfelige Ewigfeit: Vorftellungen, die
mächtig genug find, um dem einen Theil zur Beruhigung und Befeftigung
im Guten, dem andern zur Aufwedung des richtenden Gewifjens, um
dem Böfen fo viel möglich nod Abbruch; zu thun, mithin zu Triebfedern
zu dienen, ohne daß es nöthig ift, auch objectiv eine Ewigfeit des Guten
oder Böjen für das Schickſal des Menſchen dog matiſch als Lehrſatz vor-
auszujeßen*), mit welchen vermeinten Kenntnifjfen und Behauptungen die
WA
—
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*) Es gehört unter die Fragen, aus benen ber Frager, wenn fie ihm auch >
antwortet werben fönnten, doch nichts Kluges zu machen verftehen würbe (und bie
man deshalb Kinberfragen nennen könnte), auch bie: ob die Höllenftrafen enbliche,
ober ewige Strafen fein werben. Würde das erjte gelehrt, jo iſt zu bejorgen, daß
manche (jo wie alle, die das Fegfeuer glauben, oder jener Matrofe in Moore's Reifen)
jagen würden: „So hoffe ich, ich werde ed aushalten fünnen." Würde aber das andre
20 behauptet und zum Glaubensſymbol gezählt, fo bürfte gegen die Abficht, die man da—
mit hat, bie Hoffnung einer völligen Straflofigfeit nach dem ruchlofeiten Leben heraus-
fommen. Denn dba in ben Nugenbliden ber fpäten Reue am Ende befjelben der um
Rath und Troft befragte Geiftliche es doch graufanı und unmenfchlich finden muß, ihm
feine ewige Berwerfung angufündigen, und er zwifchen biefer und ber völligen Los—
25 jpredhung fein Mittleres ftatuirt (fondern entweder ewig, oder gar nicht geitraft), fo
muß er ihm Hoffnung zum letzteren machen, d. i. ihn in ber Geſchwindigkeit zu einem
Gott wohlgefälligen Menſchen umzufchaffen veriprechen; da dann, weil zum Einfchla-
gen in einen guten Lebenswandel nicht mehr Zeit ift, reuevolle Bekenntniſſe, Glaubens.
formeln, auch wohl Angelobungen eines neuen Lebens bei einem etwa noch längern
0 Aufichub des Endes des gegenwärtigen bie Stelle der Mittel vertreten. — Das ift die
undermeibliche Folge, wenn bie Ewigkeit de3 dem hier geführten Lebenswandel ge
mäßen fünftigen Schidiald ald Dogma vorgetragen und nicht vielmehr der Menſch
angemwiefen wird, aus feinem biäherigen fittlichen Zuſtande fich einen Begriff vom Fünf»
tigen zu machen und darauf al3"die natürlich vorherzuſehende Folgen beffelben ſelbſt
35 zu ſchließen; benn ba wird die Unabſehlichkeit ber Reihe derfelben unter ber ‚Öerr-
ſchaft bes Böfen für ihn diefelbe moralifche Wirfung haben (ihn angutreiben, das Ge-
ichehene, jo viel ihm möglich ift, burch Reparation oder Erſatz feinen Wirkungen nad)
nod vor bem Ende bes Lebens ungeſchehen zu machen), als von ber angefünbigten
Ewigkeit beffelben erwartet werben fannı: ohne doch die Nachiheile bes Dogma ber
s0 Tehtern (wozu ohnebem weder Bernunfteinficht, noch Schriftauslegung berechtigt) bei
u
un
Vernunft nur die Schranken ihrer Einficht überjchreitet. Die gute und
— —— — —
fh zu führen: een, im geben ſchon zum voraus auf dieſen leicht zu
ne Bernunft durchs Gewiſſen zu gelinde
glaube, fehr. Denn ebeh bar, weil fie frei iR unb fell Aber übe, ben Meufen, '
ſprechen joll, ift fie unbeftehlich, und wenn man ihm in einem joldhen Buftande nur
jagt, daß es wenigſtens moͤglich jei, er werde bald vor einem Richter fteben müfjen, jo
beifügen. Der gewöhnliche Sinnfprud: Ende gut, alles gut, lann auf ı5
—— — — aber nur, wenn unter bem guten Ende
basjenige verftanden wird, ba ber Menjch ein wahrbaftig-guter Mensch wirb. Aber
woran will er fi) als einen joldyen erfennen, da er ed nur ans bem baranf folgenden
bebharrlich guten Lebenswandel ſchliehen faun, für biejen aber am Embe des Lebens
feine Zeit mehr ba ift? Bon ber Glüädjeligfeit kann diefer Spruch eber eingeräumt »
werben, aber auch mur in Beziehung auf ben Standpunft, ans dem er jein Leben an-
ber Gejinmung, wormadh fein dedes beuntfeilt werden mut. it (als etwas
bed) nicht ven der Art, daf jein Daiein im Sritabichuitte Spräfber, jemdern
zum Behat Diet Ehkiaug mar ala Zeiteinheit, Aials ein Ganzes, ia Be
tradhtung fourmen; ba bumn die Bermärke amk der eriien Spell dab dedert (Der der
eg re ehe ee
renden Teu: Ende gut, alled gut! ger ſedr Mimzien mihten. — Beni ik mi jemer
Lehre von eg ee ae fr)
72 Religion innerhalb der Grenzen ber bloken Vernunft. Zweites Stück.
doch in der Aburtheilung feines ganzen Lebenswandels vor einer gött-
lien Gerechtigkeit als verwerflich vorftellt, it folgende. — Wie es
auch mit der Annehmung einer guten Gefinnung an ihm zugegangen fein
mag und fogar, wie beharrlidy er auch darin in einem ihr gemäßen Le—
benswandel fortfahre, jo fing er doch vom Böſen an, und dieje Ber-
ſchuldung ift ihm nie auszulöjchen möglid. Daß er nad) jeiner Herzens—
änderung Feine neue Schulden mehr macht, fann er nicht dafür anjehen,
als ob er dadurch die alten bezahlt habe. Auch fann er in einem fernerhin
geführten guten Lebenswandel feinen Überjhuß über das, was er jedes-
mal an fid zu thun ſchuldig ift, herausbringen; denn e8 iſt jederzeit feine
Pflicht, alles Gute zu thun, was in feinem Vermögen fteht. — Diefe ur:
fprüngliche, oder überhaupt vor jedem Guten, was er immer thun mag,
vorhergehende Schuld, die aud) dasjenige ift, was, und nichts mehr, wir
unter dem radicalen Böfen verftanden (S. das erjte Stüd), kann aber
auch, jo viel wir nad) unferem Bernunftrecht einjehen, nicht von einem
andern getilgt werden; denn fie ift feine transmifjible Verbindlichkeit,
die etwa wie eine Geldſchuld (bei der es dem Gläubiger einerlei ift, ob
der Schuldner jelbjt oder ein anderer für ihn bezahlt) auf einen andern
übertragen werden fann, fondern die allerperjönlidhfte, nämlich eine
Sündenſchuld, die nur der Strafbare, nicht der Unſchuldige, er mag aud)
noch jo großmüthig fein, fie für jenen übernehmen zu wollen, tragen
kann. — Da nun das Sittlich-Böſe (Übertretung des moralifchen Geſetzes
als göttlihen Gebotes, Sünde genannt) nicht ſowohl wegen der Un-
endlichfeit des höchſten Gejebgebers, defjen Autorität dadurch verleßt
worden (von weldem ütberjhwenglichen Verhältniſſe des Menſchen zum
höchſten Wejen wir nichts verftehen), jondern als ein Böjes in der Ge—
Jinnung und den Marimen überhaupt (wie allgemeine Grundjäße
vergleihungsweife gegen einzelne Übertretungen) eine Unendlichfeit von
Verletzungen des Gejeßes, mithin der Schuld bei ſich führt (welches vor
einem menſchlichen Gerihtshofe, der nur das einzelne Verbrechen, mithin
nur die That und darauf bezogene, nicht aber die allgemeine Gefinnung
in Betrachtung zieht, anders ift), jo würde jeder Menſch fi einer un—
endlihen Strafe und Verſtoßung aus dem Reiche Gottes zu gewär—⸗
figen haben.
Die Auflöfung diefer Schwierigkeit beruht auf Folgendem: Der
Richterausſpruch eines Herzensfündigers muß als ein folder gedacht wer:
den, der aus der allgemeinen Gefinnung des Angeklagten, nicht aus den
—
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74 Religion innerhalb ber Grenzen ber blofen Vernunft. Zweites Stüd.
nüge geihieht. — Die Sinnesänderung ift nämlich ein Ausgang vom
Böjen und ein Eintritt ins Gute, das Ablegen des alten und das Anziehen
des neuen Menſchen, da das Subject der Sünde (mithin aud allen Nei-
gungen, jofern fie dazu verleiten) abjtirbt, um der Gerechtigkeit zu leben.
In ihr aber als intellectueller Beftimmung find nicht zwei durd eine
Zwiſchenzeit getrennte moraliſche Actus enthalten, fondern fie ift nur ein
einiger, weil die Berlafjung des Böjen nur durch die gute Gefinnung,
- welche den Eingang ins Gute bewirkt, möglid) ift, und jo umgefehrt. Das
gute Princip ift alfo in der Berlafjung der böfen eben ſowohl, als in der
Annehmung der guten Gefinnung enthalten, und der Schmerz, der die
erjte rechtmäßig begleitet, entipringt gänzlich aus der zweiten. Der Aus-
gang aus der verderbten Gefinnung in die gute ift (als „das Abfterben am
alten Menden”, „Kreuzigung des Fleiſches“) an ſich ſchon Aufopferung
und Antretung einer langen Reihe von Übeln des Lebens, die der neue
Menjc in der Gefinnung des Sohnes Gottes, nämlid) bloß um des Guten
willen, übernimmt; die aber doch eigentlich einem andern, nämlid dem
alten (denn diejer ift moraliſch ein anderer), als Strafe gebührten. —
Db er aljo gleih phyſiſch (feinem empirifchen Charafter als Sinnen
wejen nad betrachtet) eben derjelbe ftrafbare Menſch ift und als ein joldyer
vor einem moraliſchen Gerihtshofe, mithin aud) von ihm ſelbſt gerichtet
werden muß, fo ift er doc) in feiner neuen Gefinnung (als intelligibles
Weſen) vor einem göttlihen Richter, vor welchem dieje die That vertritt,
moralijd ein anderer, und diefe in ihrer Neinigfeit, wie die des Sohnes
Gottes, welche er in fi aufgenommen hat, oder (wenn wir dieje Idee per-
jonificiren) die ſer felbft trägt für ihn und jo auch für alle, die an ihn
(praftii) glauben, als Stellvertreter die Sündenſchuld, thut durch
Leiden und Tod der höchſten Gerechtigkeit als Erlöſer genug und macht
als Sachverwalter, daß fie hoffen fünnen, vor ihrem Richter als ge=
rechtfertigt zu erfcheinen, nur daß (in diefer VBorftellungsart) jenes Leiden,
was der neue Menſch, indem er dem alten abjtirbt, im Leben fortwährend
übernehmen muß*), an dem Repräfentanten der Menjchheit als ein für
thieriiche Körper zur Strafe für ehemalige Verbrechen eingeiperrte Geifter (Dewas ge-
nannt), und ſelbſt ein Philofoph (Malebrandhe) wollte ben vernunftlofen Thieren
lieber gar feine Seelen und hiermit auch feine Gefühle beilegen, als einräumen, daß bie
Pferde jo viel Plagen ausftehen müßten, „ohne doch vom verbotenen Heu gefreifen
zu haben“.
*) Auch die reinfte moralifche Gefinnung bringt am Menſchen ala Weltwefen
—
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unfern Thaten ermefjen), jo daß der Anfläger in uns eher noch auf ein
Berdammungsuribeil antragen würde. Es ift aljo immer nur ein lir-
theilsiprud) aus Gnade, obgleidy (als auf Genugthuung gegründet, die für
uns nur in der Idee der gebefjerten Gefinnung liegt, die aber Gott allein
fennt) der ewigen Gerechtigkeit völlig gemäß, wenn wir um jenes Guten
im Glauben willen aller Berantwortung entihlagen werben.
Es kann nun nod) gefragt Iberden, ob diefe Deduction der Jdee einer
Rechtfertigung des zwar verfchuldeten, aber doch zu einer Gott wohl-
gefälligen Gefinnung übergegangenen Menſchen irgend einen praktiihen
Gebrauch habe, und welder es jein fönne. Es ift nicht abzujehen, welcher
pojitive Gebrauch davon für die Religion und den Lebenswandel zu
machen fei, da im jener Unterfuhung die Bedingung zum Grunde liegt
baß ber, ben fie angeht, in der erforderlichen guten Gefinnung ſchon wirt-
lid) jei, auf deren Behuf (Entwidelung und Beförderung) aller praktiſche
Gebrauch moraliicher Begriffe eigentlich abzwedt; denn was den Troft be
trifft, fo führt ihn eine ſolche Gefinnung für den, der ſich ihrer bewußt ift,
(als Troſt und Hoffnung, nicht ala Gewißbeit) ſchon bei ih. Sie ift alfo
in fo fern nur die Beantwortung einer jpeculativen Frage, die aber darum
nicht mit Stiljhweigen übergangen werben faun, weil ſonſt der Vernunft
vorgeworfen werben fönnte, fie ſei ſchlechterdings unvermögend, die Hoff-
nung auf die Losſprechung des Menſchen von jeiner Schuld mit der gött-
lichen Gerechtigkeit zu vereinigen; ein Vorwurf, der ihr in mandıerlei, vor-
nehmlidy in moraliſcher Rüdfiht nachtheilig fein fönnte. Allein der
negative Nußen, der daraus für Religion und Sitten zum Behuf eines
jeden Menſchen gezogen werden kann, erftredt fidy fehr weit. Denn man
fieht aus der gedachten Deduction: da nur unter der Borausjeßung der
gaͤnzlichen Herzensänderung fi) für den mit Schuld belafteten Menſchen
vor der himmlischen Gerechtigkeit Losſprechung denken laſſe, mithin alle
Erpiationen, fie mögen von der büßenden oder feierlichen Art fein, alle
Anrufungen und Hochpreifungen (jelbft die des ftellvertretenden Ideals
bes Sohnes Gottes) den Mangel der erftern nicht erſetzen, oder, wenn dieje
ba ift, ihre Gültigkeit vor jenem Gerichte nicht im mindejten vermehren
können; denn dieſes Ideal muß in unferer Gefinnung aufgenommen fein:
um an Stelle der That zu gelten. Ein anderes enthält die Rrage: was ſich
ber Menſch von jeinem geführten Zebenswandel am Ende deiielben zu
verfpredhen, oder was er zu fürdten habe. Hier muß er allererit feinen
Charakter wenigftens einigermaßen fennen, aljo, wenn er aleib alanbt,
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Bon dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 17
es ſei mit feiner Gefinnung eine Befferung vorgegangen, die alte (ver:
derbie), von der er ausgegangen ift, zugleid mit in Betrachtung ziehen
und, was und wie viel von der erfteren er abgelegt habe, und welche Qua⸗
Lität (ob lautere oder noch unlautere) ſowohl, ala weldyen Grad die ver-
meinte neue Gefinnung habe, abnehmen fönnen, um die erfte zu über
winden und den Nüdfall in diejelbe zu verhüten; er wird fie aljo durchs
ganze Leben nachzuſuchen haben. Da er alfo von feiner wirklichen Ge
finnung durch unmittelbares Bewußtjein gar feinen fidjern und beftimme
ten Begriff befommen, fondern ihn nur aus feinem wirklich geführten
Lebenswandel abnehmen Fan: jo wird er für das Urtheil des künftigen
Richters (des aufwachenden Gewiffens in ihm ſelbſt zugleich mit der her—
beigerufenen empirischen Selbfterfenntniß) fich feinen andern Zuftand zu
feiner Überführung denten können, als daß ihm jein ganzes Leben ber»
einft werde vor Augen geftellt werben, nicht bloß ein Abſchnitt defjelben,
vielleicht der legte und für ihn noch günftigfte; hiermit aber würde er von
jelbft die Ausfiht in ein nod) weiter fortgejeßtes Leben (ohne fi hier
Grenzen zu jeßen), wenn es noch länger gedauert hätte, verfnüpfen. Hier
kann num nicht die zuvor erfannte Gefinnung die That vertreten laſſen,
jondern umgekehrt, er ſoll aus der ihm worgeftellten That feine Gefinnung _
abnehmen. Was, meint der Lejer wohl, wird bloß diefer Gedante,
welcher dem Menſchen (der eben nicht der ärgite jein darf) vieles in die
Erinnerung zurüdruft, was er jonft leichtfinnigerweijelängft aus der Acht
gelafjen hat, wenn man ihm aud) nichts weiter fagte, als, er habe Urſache
zu glauben, er werde dereinft vor einem Nichter ftehen, von feinem künf-
tigen Schidjal nad) feinem bisher geführten Lebenswandel urtheilen?
Wenn man im Menſchen den Richter, der in ihm felbit ift, anfragt, fo
beurtheilt er fi) ftrenge, denn er fann feine Vernunft nicht beftechen; ftellt
man ihm aber einen andern Richter vor, jo wie man von ihm aus ander:
weitigen Belehrungen Nachricht haben will, jo hat er wider feine Strenge
|
vieles vom Vorwande der menſchlichen Gebredlichkeit Hergenommene ein» /
zuwenden, und überhaupt denkt er, ihm beizufommen: es jei, daß er durd)
reuige, nicht aus wahrer Gefinnung der Befjerung entjpringende Selbft-
peinigungen der Beitrafung von ihm zuvorzufommen, oder ihn durd)
Bitten und Flehen, auch durd Formeln und für gläubig ausgegebene
Bekenntniſſe zu erweichen denft; und wenn ihm biezu Hoffnung gemad)t
wird (nad) dem Sprichwort: Ende gut, alles gut): jo macht er darnad)
ſchon frühzeitig feinen Anſchlag, um nicht ohne Noth zu viel am vergnrügten
78 Religion inmerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Bweites Stüd.
Leben einzubüßen und beim nahen Ende defjelben doch in der Geſchwindig⸗
feit die Rechnung zu feinem Bortheile abzuſchließen ).
Zweiter Abſchnitt.
Bon dem Rechtsanjpruche des böjen Princips auf die Herrichaft
über den Menſchen und dem Kampf beider Principien
mit einander.
Die heilige Schrift (chriſtlichen Antheils) trägt diefes inteligible mo-
raliſche —— in der Form einer Geſchichte vor, da zwei wie Himmel
und Hölle einander entgegengejegte Principien im Menſchen, als Per:
fonen außer ihm vorgeftellt, nit bloß ihre Macht gegen einander ver:
ſuchen, jondern auch (der eine Theil als Anfläger, der andere als Sadı-
walter des Menjchen) ihre Anſprüche gleihjam vor einem höchſten Richter
durchs Recht gelten machen wollen.
Der Menih war urjprüngli zum Eigenthümer aller Güter der
Erde eingeſetzt (1. Mof. 1, 28), doch daß er dieje nur als fein Untereigen-
thum (dominium utile) unter feinem Schöpfer und Herrn als Dbereigen-
ihümer (dominus directus) befißen ſollte. Zugleich wird ein böfes Weſen
(mie e3 jo böje geworden, um jeinem Herrn untreu zu werden, da es dod)
uranfänglid; gut war, ift nicht befannt) aufgeftellt, weldyes durch feinen
Abfall alles Eigenthums, das es im Himmel bejeffen haben mochte, ver-
Iuftig geworden und fi nun ein anderes auf Erden erwerben will. Da
ihm nun als einem Wefen höherer Art — als einem Geifte — irdiſche
+) Die Abficht derer, die am Ende bes Lebens einen Geiftlichen rufen laſſen, ift
gewöhnlidh: daß fie an ihm einen Tröfter haben wollen; nicht wegen ber phyſiſchen
Leiden, welche die legte Krankheit, ja auch mur die natürliche Furcht vor dem Tod mit
fich führt (denn darüber kann der Tod felber, der fie beendigt, Tröfter fein), ſondern
wegen der moralifchen, nämlich ber Vorwürfe des Gewiſſens. Hier jollte nun die⸗
ſes eher aufgeregt und geidärft werben, um, was noch Gutes zu thun, ober Böjed
lebft), damit er dich micht dem Richter (nach dem Tode) überlichere*, “ft. w. u bein
Statt aber gleihfam Opium fürs Gewiſſen zu geben, it Verſchuldigung an ihm ſelbſt
und andern, ihn Überlebenden; ganz wider — — —
beiſtand am Ende des Lebens für nothig gedalten werden
|
—
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35
Bon dem Kampf des guten Princips mit dem böfen. 79
und körperliche Gegenftände feinen Genuß gewähren können, fo ſucht er
eine Herrſchaft über die Gemüther dadurd; zu erwerben, daß er die
Stammältern aller Menſchen von ihrem Oberherrn abtrünnig und ihm an=
hängig macht, da es ihm dann gelingt, ſich fo zum Obereigenthümer aller
Güter der Erde, d. i. zum Fürſten diefer Welt, aufzuwerfen. Nun könnte
man hierbei war e3 bedenklich finden: warum ſich Gott gegen diefen Ver—
räther nicht feiner Gewalt bediente*) und das Reich, was er zu ftiften zur
Abſicht hatte, Lieber in jeinem Anfange vernichtete ; aber die Beherrſchung
und Regierung der höchſten Weisheit über vernünftige Wejen verfährt mit
ihnen nad) dem Princip ihrer Freiheit, und was fie Gutes oder Böfes
treffen ſoll, das jollen fie ſich jelbft zugujchreiben haben. Hier war aljo
dem guten Princip zum Troß ein Reich des Böfen errichtet, welchem alle
von Adam (matürlicherweije) abftammende Menſchen unterwürfig wurden
und zwar mit ihrer eignen Einwilligung, weil das Blendwerf der Güter
diejer Welt ihre Blide von dem Abgrunde des Verderbens ab;og, für das
fie aufgejpart wurden. Zwar verwahrte fi) das gute Princip wegen feines
Rechtsanſpruchs an der Herrſchaft über den Menſchen durd) die Errichtung
der Form einer Regierung, die bloß auf öffentliche alleinige Verehrung
feines Namens angeordnet war (in der jüdijchen Theofratie); da aber
die Gemüther der Unterthanen in derjelben für feine andere Triebfedern
als die Güter diejer Welt geftimmt blieben, und fie alfo aud) nicht anders
als durch Belohnungen und Strafen in diefem Leben regiert fein wollten,
dafür aber aud) feiner andern Geſetze fähig waren als joldher, welche theils
läftige Geremonien und Gebräuche auferlegten, theils zwar fittliche, aber
nur ſolche, wobei ein äußerer Zwang ftatt fand, alſo nur bürgerliche waren,
wobei das Innere der moraliſchen Gefinnung gar nicht in Betradhtung
fam: jo that diefe Anordnung dem Reiche der Finfterniß feinen wejent-
lien Abbruch, fondern diente nur dazu, um das unauslöſchliche Recht des
erjten Eigenthümers immer im Andenken zu erhalten. — Nun erfhien in
eben demfelben Volke zu einer Zeit, da es alle Übel einer hierarchiſchen
Berfafjung im vollen Maße fühlte, und das ſowohl dadurd), als vielleicht
*) Der P. Eharlevoir berichtet: dab, dba er feinem iroleſiſchen Katechismusr
ichüler alles Böfe vorerzählte, was ber böfe Geift in die zu Anfang gute Schöpfung
bineingebradyt habe, und wie er noch bejtändig die beſten göttlichen Veranftaltungen
zu vereitelm fuche, biefer mit Unmillen gefragt habe: aber warum jchlägt Gott den
Zeufel nicht tobt? auf welche Frage er treuberzig geſteht, daß er in der Eil Feine Ant-
wort habe finden fünnen.
80 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Zweites Gtüd.
durch die den Sflavenfinn erſchütternden moralijchen Freiheitslehren der
griechiſchen Weltweifen, die auf dafjelbe allmählig Einfluß befommen
hatten, großentheils zum Befinnen gebracht, mithin zu einer Revolution
reif war, auf einmal eine Berfon, deren Weisheit noch reiner als die der
bisherigen Philojophen, wie vom Himmel herabgefommen war, und die
fid) auch ſelbſt, was ihre Lehren und Beifpiel betraf, zwar als wahren
Menſchen, aber doch als einen Gejandten ſolchen Urſprungs ankündigte,
ber in urfprünglidher Unſchuld in dem Vertrage, den das übrige Menſchen—
geſchlecht durch feinen Repräjentanten, den erften Stammmvater, mit dem
böfen Princip eingegangen, nicht mitbegriffen war,+) und „an dem ber
Fürſt diefer Welt aljo feinen Theil hatte”. Hierdurch war des letztern
Herrſchaft in Gefahr gejeßt. Denn mwiderftand diefer Gott mohlgefällige
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+) Eine vom angebornen Hange zum Böfen freie Perſon fo als möglich fich zu
benfen, daß man fie von einer jungfränlichen Mutter gebären läßt, ift eine Idee ber
ſich zu einem ſchwer zu erflärenden und doch auch nicht abzuläugnenden gleichfam mo»
ralifchen Inſtinct bequemenden Vernunft; dba wir nämlich die natürliche Zeugung,
weil fie ohne Sinnenluft beider Theile nicht geſchehen faun, ung aber doch auch (für
bie Würde ber Menjchheit) in gar zu nahe Berwandtichaft mit der allgemeinen Thier-
gattung zu bringen fcheint, als etwas anfehen, deſſen wir und zu ſchämen haben —
eine Borftellung, bie gewiß bie eigentliche Urfache von ber vermeinten Heiligfeit bes 2%
Mönchsſtandes geworben ift, — welches und alſo etwas Unmoralifches, mit ber Boll-
fommenbeit eined Menjchen nicht Bereinbares, doch in feine Natur Eingepfropftes
und alfo ſich auch auf jeine Nachkommen als eine böfe Anlage Bererbenbes zu jein
beurht. — Diejer dbunflen (von einer Seite blof; finnlichen, von ber andern aber doch
moralifchen, mithin intellectuellen) Borftellung ift nun die Sdee einer von feiner;@e- 3
ſchlechtsgemeinſchaft abhängigen (jungfräulichen) Geburt eines mit feinem moralifdhen
Fehler behafteten Kindes wohl angemeffen, aber nicht ohne Schwierigkeit in der Theorie
(in Anſehung beren aber etwas zu beftimmen in praftifcher Abſicht gar nicht nöthig ift).
Denn nad ber Hypotheſe ber Epigenefis würde doch die Mutter, bie burch natürliche
Zeugung von ihren Eltern abſtammt, mit jenem moralijchen Fehler behaftet fein und 30
biefen wenigftens ber Hälfte nach) auch bei einer Abernatürlichen Zeugung auf ihr Kind
bererben ; mithin müßte, damit dies nicht die Folge fei, bas Syſtem der Präeriftenz
ber Keime in ben Eltern, aber auch nicht das der Einmwidelung im weiblichen (weil
dadurch jene Folge nicht vermieben wird), fondern bloß im männlichen Theile (nicht
ba® ber ovulorum, fonbern ber animalcul. sperm.) angenommen werben; welcher 3
Theil min bei einer übernatürlichen Schwangerfchaft wegfällt, und fo jener Idee theo-
retifch angemeffen jene VBorftellungsart vertheidigt werden künnte. — Wozu aber alle
biefe Theorie dafür ober dawider, wenn es für das Praktifche genug ift, jene Idee als
Symbol ber ſich jelbit über bie Verſuchung zum Böfen erhebenden (dieſem fiegreich
widerſtehenden) Menjchheit und zum Mufter vorguftellen ? 40
—
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Bon dent Kampf des guten Princips mit dem böfen., 81
Menſch ſeinen Verſuchungen, jenem Contract auch beizutreten, nahmen
andere Menſchen auch dieſelbe Geſinnung gläubig an, jo büßte er eben jo-
viel Unterthanen ein, und fein Reid lief Gefahr, gänzlich zerftört zu wer-
den. Diejer bot ihm aljo an, ihn zum Lehnsträger feines ganzen Reichs
zu machen, wenn er ihm nur als Eigenthümer deſſelben huldigen wollte.
Da diefer Verſuch nicht gelang, jo entzog er nicht allein diefem Fremd—
linge auf feinem Boden alles, was ihm fein Erdenleben angenehm machen
fonnte (bis zur größten Armuth), jondern erregte gegen ihn alle Verfol—
gungen, wodurd) böje Menſchen es verbittern können, Leiden, die mur der
ı Wohlgefinnte recht tief fühlt, Verleumdung der lautern Abficht feiner
Lehren (um ihm allen Anhang zu entziehen) und verfolgte ihn bis zum
ihmählichiten Tode, ohne gleichwohl durch dieſe Beftürmung feiner Stand»
baftigkeit und Freimüthigfeit in Lehre und Beijpiel für das Befte von
lauter Unmwürdigen im mindeften etwas gegen ihn auszurichten. Und
nun der Ausgang diefes Kampfs! Der Ausihlag defjelben kann als ein
rechtlicher, oder auch als ein phyſiſcher betradytet werden. Wenn man
den leßtern anfieht (der in die Sinne fällt), jo ift das gute Princip der
unterliegende Theil; er mußte in diefem Streite nad) vielen erlittenen
Leiden hide Leben bingeben,F) weil er in einer fremden Herrſchaft (die
P) Nicht baf er (wie D. Bahrbt romanhaft bichtete) den Tod juchte, um eine
gute Abficht durch ein Auffehen erregendes glänzendes Beifpiel zu befördern; bas
wäre Gelbftmorb gewejen. Denn man darf zwar auf die Gefahr des Berluftes jeines
Lebens etwas wagen, oder auch den Tob vom den Händen eines andern erbulben,
wenn man ihm nicht ausweichen kann, ohme einer unnachlahlichen Pflicht untreu zu
werben, aber nicht über fid) und jein Leben ala Mittel, zu welchen Zweck es aud)
jei, biöponiren und jo Urheber jeines Todes fein. — Uber auch nicht daß er (wie
ber Wolfenbüttelihe Fragmentift argwohnt) fein Leben nicht in moralifcher, fondern
bloß in politifcher, aber unerlaubter Abjicht, um etwa die Priefterregierung zu ſtürzen
und ſich mit weltlicher Obergewalt ſelbſt an ihre Stelle zu ſetzen, gewagt habe;
benn bawiber ftreitet feine, nachdem er die Hoffnung es zu erhalten ſchon aufgegeben
hatte, an feine Sünger beim Abendmahl ergangene Ermahnung, es zu feinem Ge-
bächinif zu thun; welches, wenn es die Erinnerung einer fehlgefchlagenen weltlichen
Abficht Hätte fein follen, eine Fränfende, Unwillen gegen ben Urheber erregende, mit-
hin fich ſelbſt widerfpredyende Ermahnung gewejen wäre. Gleihwohl fonnte dieje
Erinnerung auch bas Fehlſchlagen einer jehr guten, rein-moralifchen Abficht bes Meijters
betreffen, nämlich noch bei feinem Leben durch Stürgung bes alle moralifche Gefinnung
verbrängenden Geremonialglaubens umb des Anfehens der Priefter deſſelben eine
öffentliche Revolution (in der Religion) zu bewirfen (wozu bie Anftalten, feine
im Lande zerftreute Zünger am Dftern zu verfammeln, abgezwedt fein mochlen);
Kants Säriften Werke VI. 6
Gewalt hat) einen erregte. Da aber das Reich, in welchem
Principien mahthabend find (fie mögen nun gut oder böfe fein), nicht
ein Reid) der Ratur, jondern der Freiheit ift, d. i. eim ſolches in welchem
man über die Sachen nur in jofern disponiren fanı, al3 man über die Ge-
müther herricht, in welchem alfo niemand Sklave (Zeibeigner) ift als der :
— und jolange er es fein will: jo war eben diejer Tod (die höchſte Stufe
ber Leiden eines Menſchen) die Darftellung des guten Princips, nämlid)
ber Menſchheit, in ihrer moralifhen Volllommenheit, als Beifpiel der
Nachfolge für Jedermann. Die Borftellung defjelben jollte und konnte
aud für feine, ja fie fann für jede Zeit vom größten Einflufje auf menſch⸗
liche Gemüther fein, indem es die Freiheit der Kinder des Himmels und
bie Krnechtſchaft eines bloßen Erbenfohns in dem allerauffallendften Gon-
trafte fehen läßt. Das gute Brincip aber ift nicht bloß zu einer gewifjen
Beit, fondern von dem Urfprunge des menſchlichen Geſchlechts an unficht-
barerweije vom Himmel in die Menſchheit herabgefommen geweſen (wie
ein jeder, der auf jeine Heiligkeit und zugleich die Unbegreiflichfeit der
Berbindung derjelben mit der finnlihen Natur des Menſchen in der mo-
raliihen Anlage Acht hat, geftehen muß) und hat in ihr redhtlicherweife
feinen erften Wohnſitz. Da es aljo in einem wirflihen Menſchen als einem
Beifpiele für alle andere erfhien, „jo fam er in fein Eigenthum, und die
Seinen nahmen ihn nicht auf, denen aber, die ihn aufnahmen, hat er Macht
gegeben, Gottes Kinder zu heißen, die an feinen Namen glauben“; d. i.
durch das Beifpiel defjelben (in der moraliihen Idee) eröffnet er die
Pforte der Freiheit für jedermann, die eben fo wie er Allem dem abfterben
wollen, was fie zum Nadıtheil der Sittlichkeit an das Erdenleben gefejjelt
hält, und ſammelt fi unter diefen „ein Volk, das fleißig wäre in guten
Merken, zum Eigenthum“ und unter feine Herrſchaft, indefjen daß er die,
jo die moralische Knechtſchaft vorziehen, der ihrigen überläßt.
Alſo ift der moralifche Ausgang diejes Streits auf Seiten des Hel-
ben dieſer Geſchichte (bis zum Tode defjelben) eigentlich nicht die Bejie-
gung bes böfen Princips; denn fein Reid) währt noch, und es muß allen-
falls noch eine neue Epoche eintreten, in der es zerftört werden joll, —
fondern nur Bredung feiner Gewalt, die, welche ihm jo lange unterthan
bon weldjer freilich auch noch jeht bebauert werben kann, daß fie nicht gelungen iſt;
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bie aber bod) nicht vereitelt, fonbern nach feinem Tode im eine jich im Stillen, aber 3
unter vlel Leiden ausbreitende Religtonsumänderung übergegangen ift.
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Don dem Kampf des guten Princips mit bem böjen. 83
gewefen find, nicht wider ihren Willen zu halten, indem ihnen eine andere
moralifhe Herrſchaft (denn unter irgend einer muß der Menſch ftehen)
als Freiftatt eröffnet wird, in der jie Schuß für ihre Moralität finden
fönnen, wenn fie die alte verlafjen wollen. Übrigens wird das böfe Prin-
cip noch immer der Fürft diefer Welt genannt, in welcher die, jo dem
guten Princip anhängen, fid) immer auf phyſiſche Leiden, Aufopferungen,
Kränkungen der Selbftliebe, welche hier als Verfolgungen des böfen Prin-
cips vorgeftellt werden, gefaßt machen mögen, weil er nur für die, jo das
Erdenmwohl zu ihrer Endabfiht gemacht haben, Belohnungen in feinem
Reiche hat.
Man fieht leicht: daß, wenn man diefe Iebhafte und wahrfcheinlid)
für ihre Zeit aud) einzige populäre Vorftellungsart von ihrer myſtiſchen
Hülle entfleidet, fie (ihr Geift und Vernunftfinn) für alle Welt, zu aller
Zeit praftifd gültig und verbindlich gewejen, weil fie jedem Menſchen
nahe genug liegt, um hierüber feine Pflicht zu erfennen. Diejer Sinn be-
fteht darin, daß es ſchlechterdings kein Heil für die Menſchen gebe, als in
innigjter Aufnehmung ächter fittliher Grundjäße in ihre Gefinnung: daß
diefer Aufnahme nicht etwa die jo oft befehuldigte Sinnlichkeit, ſondern
eine gewifje jelbjt verſchuldete Verfehrtheit, oder wie man dieje Bösartig-
feit noch jonft nennen will, Betrug (faussete, Satanslift, wodurd das
Böfe in die Welt gelommen) entgegen wirkt, eine Berberbtheit, welche in
allen Menſchen liegt und durdy nichts überwältigt werden kann, als durd)
die Idee des Eittlihguten in feiner ganzen Reinigfeit mit dem Bewußt—
fein, daß fie wirklich zu unjerer urſprünglichen Anlage gehöre, und man
nur befliffen fein müfje, fie von aller unlauteren Beimiſchung frei zu er—
halten und fie tief in unfere Gefinnung aufzunehmen, um durch die Wir-
fung, die fie allmählig aufs Gemüth thut, überzeugt zu werden, daß die
gefürchteten Mächte des Böfen dagegen nichts ausrichten („die Pforten
der Hölle fie nicht überwältigen”) fönnen, und daß, damit wir nicht etwa
den Mangel diejes Zutrauens abergläubijch durch Erpiationen, die
feine Sinnesänderung vorausfeßen, oder ſchwaär meriſch durd) vermeinte
(bloß pajfive) innere Erleuchtungen ergänzen und jo von dem auf Selbit-
thätigfeit gegründeten Guten immer entfernt gehalten werden, wir ihm
fein anderes Merkmal, als das eines wohlgeführten Lebenswandels unter:
legen follen. — Übrigens fann eine Bemühung wie die gegemvärtige, in
der Schrift denjenigen Sinn zu fuchen, der mit dem Heiligften, was bie
Bernunft lehrt, in Harmonie fteht, nicht allein für erlaubt, fie muß viel-
6*
mehr für Pflicht gehalten werden+), und man fann fi pen
erinnern, was der weije Lehrer feinen Füngern von jemanden jagte, der
feinen befondern Weg ging, wobei er am Ende doch aufeben dafjelbe Ziel
— — Wehret ihm nicht; denn wer nicht wider uns iſt,
Allgemeine Anmerkung
‚_ Bean eine moralijde Religion (die nicht in Safungen und Obfer-
1 ya Werben) char rt unb ger Die einige fe.
1; alt müler meidhes Bergehen mit aller Maik gr:
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[77
Bon bem Kampf bes guten Princips mit bem böfen. 85
ftritten werden muß. Es mag aljo jein, daß die Perjon des Lehrers der
alleinigen für alle Velten gültigen Religion ein Geheimniß, daß feine Er-
ſcheinung auf Erden, jo wie feine Entrüdung von derjelben, daß fein
thatenvolles Leben und Leiden lauter Wunder, ja gar, daß die Gefchichte,
welche die Erzählung aller jener Wunder beglaubigen foll, jelbft aud) ein
Runder (übernatürlidhe Offenbarung) fei: fo können wir fie insgefammt
auf ihrem Werthe beruhen laſſen, ja auch die Hülle noch ehren, welche ge—
dient hat, eine Zehre, deren Beglaubigung auf einer Urkunde beruht, die
unauslöſchlich in jeder Seele aufbehalten ift und feiner Wunder bedarf,
öffentlich in Gang zu bringen; wenn wir nur, den Gebrauch diefer hifto-
riſchen Nachrichten betreffend, es nicht zum Religionsftüde maden, daß
das Wifjen, Glauben und Bekennen derjelben für ſich etwas fei, wodurd)
wir uns Gott wohlgefällig machen können.
Was aber Wunder überhaupt betrifft, jo findet ſich, daß vernünftige
Menſchen den Glauben an diefelbe, dem fie gleichwohl nicht zu entſagen
gemeint find, doch niemals wollen praftiich aufflommen laffen; welches jo
viel jagen will als: jie glauben zwar, was die Theorie betrifft, daß es
dergleichen gebe, in Geſchäften aber ftatuiren fie feine. Daher haben
weije Regierungen jederzeit zwar eingeräumt, ja wohl gar unter die öffent:
lien Neligionslehren die Meinung gejeblic aufgenommen, daß vor Als
ters Wunder geichehen wären, neue Wunder aber nicht erlaubt.*) Denn
*) Gelbjt Religionslehrer, die ihre Glaubensartifel an die Autorität der Re—
gierung anfchliehen (Orthodore), befolgen hierin mit der leßteren die nämliche Marime.
Daher Hr. Pfenninger, ba er feinen Freund, Herrn Lavater, wegen feiner Be-
hauptung eines noch immer möglihen Wunberglaubens vertheidigte, ihnen mit Recht
Inconſequenz vorwarf, ba jie (dem bie in diefem Punkt naturaliftiich Denfende
nahm er ausbrüdlich aus), da fie doch bie vor etwa fiebzehn Sahrhunderten in der
hriftlichen Gemeinde wirklich gewejenen Wunderthäter behaupteten, jebt feine mehr
ftatuiren wollten, ohne doch aus ber Schrift beweifen zu können, daß und wenn fie
einmal gänzlic; aufhören follten (denn bie Vernünftelei, daß fie jet nicht mehr nöthig
jeien, ift Anmaßung größerer Einficht, als ein Menſch ſich wohl zutrauen joll), und
dieſen Beweis find fie ihm jchuldig geblieben. Es war alfo mr Marime ber Ber-
munft, fie jeßt nicht einzuräumen und zu erlauben, nicht objective Einficht, es gebe
feine. Gilt aber diejelbe Marime, die für biesmal auf den bejorglichen Unfug im
bürgerlihen Weſen zurücieht, nicht auch für die Befürchtung eines ähnlichen Un—
fugs im philojophirenden und überhaupt vernünftig nachdenfenden gemeinen Wefen?
— Die, jo zwar große (Auffehen machende) Wunder nicht einräumen, aber Fleine
unter bem Namen einer auferorbentlihen Direction freigebig erlauben (meil
86 Religion innerhalb ber Grenzen der bloßen Vernunft. Zweites Stüd.
die alten Wunder waren nad) und nad) ſchon jo beftimmt und durd) die
Obrigkeit beſchränkt, daß feine Verwirrung im gemeinen Weſen dadurd)
angerichtet werden konnte, wegen neuer Wunderthäter aber mußten fie
allerdings der Wirkungen halber beforgt fein, die fie auf den öffentlichen
Ruheſtand und die eingeführte Ordnung haben könnten. Wenn man aber 5
frägt: was unter dem Worte Wunder zu verftehen fei, jo fanın man (da
uns eigentlich nur daran gelegen ift, zu wiffen, was fie für uns, d. i. zu
unjerm praftifchen Vernunftgebraud), jeien) fie dadurch erflären, daß fie
Begebenheiten in der Welt find, von deren Urſache uns die Wirfungs-
gejehe jchledhterdings unbekannt find und bleiben müfjen. Da kann man
fi num entweder theiftifche oder zdämoniſche Wunder denken, die letz—
teren aber in engliſche (agathodämoniſche) oder teuflifche (kakodämo—
niſche) Wunder eintheilen, don welchen aber die legteren eigentlich nur in
Nachfrage kommen, weil die guten Engel (id) weiß nicht, warum) wenig
oder gar nichts von ſich zu reden geben. 15
Was die theiftifchen Wunder betrifft: fo können wir uns von ben
Wirkungsgejeben ihrer Urſache (als eines allmächtigen ıc. und dabei mo—
raliſchen Wejens) allerdings einen Begriff machen, aber nur einen all»
gemeinen, fofern wir ihn als Weltſchöpfer und Regierer nad) der Orb-
nung der Natur ſowohl, als der moralifchen denfen, weil wir von diefer 20
ihren Geſetzen unmittelbar und für fid) Kenntniß befommen fönnen, deren
ih dann die Vernunft zu ihrem Gebrauche bedienen fann. Nehmen wir
aber an, daß Gott die Natur aud) bisweilen und in befondern Fällen von
diejer ihren Geſetzen abweichen laſſe: jo haben wir nidht den mindejten
Begriff und können aud) nie hoffen, einen von dem Gefebe zu befommen, »
nad) welchem Gott alsdann bei Veranftaltung einer ſolchen Begebenheit
verfährt (außer dem allgemeinen moraliſchen, daß, was er thut, Alles
gut fein werde; wodurd) aber in Anjehung diejes befondern Vorfalls nichts
beftimmt wird). Hier wird nun die Bernunft wie gelähmt, indem fie da-
durch in ihrem Geſchäfte nad) befannten Geſetzen aufgehalten, durch fein 30
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die letzteren als bloße Penfung nur wenig Kraftanwendung der übernatürlichen Ur⸗
fache erfordern), bedenfen nicht, daß es hiebei nicht auf die Wirkung und deren Größe,
fondern auf bie Form bed Weltlaufs, d.i. auf die Art, wie jene geſchehe, ob
natürlich, oder übernatürlich, anfommte, und daß für Bott fein Unterfchieb des Leichten
und Schmweren zu benfen fei. Was aber das Geheime ber übernatürlichen Ein- 35
flüſſe betrifft: fo ift eine ſolche abfichtliche Verbergung ber Wichtigkeit einer Begeben-
heit diefer Art noch weniger angemefjen.
EA
Don dem Kampf des guten Principe mit bem böfen. 87
neues aber belehrt wird, auch nie in der Welt davon belehrt zu werden
hoffen kann. Unter diejen jind aber die dämonishen Wunder die aller-
unverträgliähften mit dem Gebraude unſrer Vernunft. Denn in An—
jehung der theiſtiſchen würde fie doch wenigitens noch ein negatives
Merkmal für ihren Gebraud haben können, nämlich daß, wenn etwas
als von Gott in einer unmittelbaren Erſcheinung defjelben geboten vor-
geitellt wird, das dod) geradezu der Moralität widerftreitet, bei allem Ans
ſchein eines göttlichen Wunders e8 doch nicht ein ſolches fein könne (z. B.
wenn einem Vater befohlen würde, er jolle feinen, jo viel er weiß, ganz
unſchuldigen Sohn tödten); bei einem angenommenen dämonijcden Wun-
der aber fällt au) diejes Merkmal weg; und wollte man dagegen für ſolche
das entgegengejeßte pofitive zum Gebrauch der Vernunft ergreifen: näm:
lid) daß, wenn dadurd) eine Einladung zu einer guten Handlung gejchieht,
die wir an fid) ſchon als Pflicht erfennen, fie nit von einem böfen Geifte
geſchehen jei, jo würde man doch aud) alsdann falſch greifen können; denn
diejer verjtellt fi, wie man jagt, oft in einen Engel des Lichts.
Sn Geſchäften fann man aljo unmöglid auf Wunder rechnen, oder
fie bei jeinem Bernunftgebraudy (und der ift in allen Fällen des Lebens
nöthig) irgend in Anjchlag bringen. Der Richter (fo wundergläubig er
aud in der Kirche fein mag) hört das Vorgeben des Delinquenten von
teufliichen Verſuchungen, die er erlitten haben will, jo an, als ob gar nichts
gejagt wäre: ungeachtet, wenn er diefen Fall als möglich) betrachtete, es
doc) immer einiger Rüdficht darauf wohl werth wäre, daß ein einfältiger
gemeiner Menſch in die Schlingen eines abgefeimten Böſewichts gerathen
iit; allein er kann diefen nicht vorfordern, beide confrontiren, mit einem
Worte, ſchlechterdings nichts Vernünftiges daraus machen. Der vernünf:
tige Geiftliche wird fi) aljo wohl hüten, den Kopf der feiner Seeljorge
Anbefohlnen mit Geſchichtchen aus dem Höllifhen Proteus anzufüllen
und ihre Einbildungsfraft zu verwildern. Was aber die Wunder von der
guten Art betrifft: jo werden jie von Leuten in Gejchäften bloß als Phrajen
gebraucht. So jagt der Arzt: dem Kranken ift, wenn nicht etwa ein Wun—
der geſchieht, nicht zu helfen, d. i. er ftirbt gewiß. — Zu Geſchäften gehört
num auch das des Naturforſchers, die Urjachen der Begebenheiten in diefer
ihren Naturgejegen aufzufuchen; ich fage, in den Naturgefegen dieſer Be-
gebenheiten, die er alſo durd Erfahrung belegen kann, wenn er gleid) auf
die Kenntniß defien, was nad) dieſen Geſetzen wirkt, an ſich jelbft, oder
was fie in Beziehung auf einen andern möglichen Sinn für uns fein
88 Meligion innerhalb der Grenzen ber blohen Vernunft. Zweites Stüd.
möchten, Verzicht thun muß. Eben jo ift die moralifche Befjerung des
Menſchen ein ihm obliegendes Gejchäfte, und nun mögen noch immer
himmliſche Einflüffe dazu mitwirken, oder zu Erklärung der Möglichkeit
derjelben für nöthig gehalten werden; er verfteht fich nicht darauf, weder fie
fiher von den natürliden zu unterfcheiden, noch fie und fo gleichſam den
Himmel zu ſich herabzuziehen; da er alfo mit ihnen unmittelbar nichts
anzufangen weiß, jo ftatuirt+)erin diefem Falle feine Wunder, fondern
wenn er der Vorſchrift der Vernunft Gehör giebt, jo verfährt er jo, als
ob alle Sinnesänderung und Befjerung lediglidy von feiner eignen ange-
wandten Bearbeitung abhinge. Aber daß man durd) die Gabe recht feit
an Wunder theoretifch zu glauben fie auch wohl gar jelbjt bewirken und
fo den Himmel beftürmen fünne, geht zu weit aus den Schranken der
Vernunft hinaus, um ſich bei einem ſolchen finnlofen Einfalle lange zu
verweilen. *)
V Heibt fo viel ald: er nimmt den Wunderglauben nicht in feine Marimen
(weber ber theoretifchen noch praftifchen Vernunft) auf, ohne doch ihre Möglichkeit
ober Wirflichfeit anzufechten.
Es ift eine gewöhnliche Ausflucht derjenigen, welche den Leichtgläubigen
magische Künjte vorgaufeln, ober fie ſolche wenigſtens im Allgemeinen wollen glau-
bend machen, daß fie jich auf das Geftändniß der Naturforfcher von ihrer Unwiſſen-
beit berufen. Kennen wir doch nicht, jagen fie, die Urfache ber Schwere, ber magne-
tiichen Kraft u. db. gl. — Uber bie Gejebe berjelben erfennen wir doch mit hinreichen-
ber Ausführlichfeit unter beitimmten Einjchränkungen auf die Bedingungen, unter
benen allein gewiffe Wirkungen geichehen; und das ift genug jowohl für einen fichern
Vernunftgebrauch biejer Kräfte, ald auch zur Erflärung ihrer Erjcheinungen, secun-
dum quid, abwärts zum Gebrauch diefer Gejete, um Erfahrungen darunter zu
ordnen, wenn gleich nicht simplieiter und aufwärts, um jelbjt bie Urſachen ber
nach biefen Geſetzen wirkenden Kräfte einzujehen. — Daburd; wird auch das imnere
Phänomen des menſchlichen Berjtandes begreiflich: warum fogenannte Natunwunber,
b. i. genugfam beglaubigte, obwohl widerſinniſche Erſcheinungen, oder ſich hervor-
thuende unerwartete unb von ben bis dahin befannten Naturgefeßen abweichende
Beichaffenheiten ber Dinge, mit Begierde aufgefaht werden und bas Gemüth er-
inuntern, fo lange als fie bennoch für natürlid; gehalten werben, ba es hingegen
burch die Ankündigung eines wahren Wunders niedergeichlagen wird. Denn
die erftere eröffnen eine Ausficht in einen neuen Erwerb von Nahrung für die Ber-
wunft; fie machen nämlich Hoffnung, neue Naturgejege zu entdeden; das zweite
dagegen erregt Bejorgmiß, aud) das Butranen zu bem ſchon für befannt angenom-
menen zu verlieren. Wenn aber die Vernunft um bie Erfahrungägejeße gebracht
wird, fo iſt fie im einer ſolchen bezauberten Welt weiter zu gar nichts Nutze, jelbjt
wicht für den moralifchen Gebrauch in derfelben zu Befolgung feiner Pflicht; denn
—
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20
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0
Der
Philoſophiſchen Religionslehre
Drittes Stück.
94 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Drittes Stüd.
und die damit verbundenen feindjeligen Neigungen beftürmen alsbald
feine an fi genügjame Natur, wenn er unter Menſchen ift, und es
iſt nicht einmal nöthig, daß diefe ſchon als im Böfen verfunfen und als
verleitende Beifpiele vorausgejeßt werden; es ift genug, daß fie da find,
daß fie ihn umgeben, und daß fie Menfchen find, um einander wechjeljeitig 5
in ihrer moralifhen Anlage zu verderben und fid) einander böje zu machen.
Wenn nun feine Mittel ausgefunden werden fönnten, eine ganz eigentlich
auf die Verhütung dieſes Böſen und zu Beförderung des Guten im
Menſchen abzwedende Vereinigung als eine beftehende und ſich immer
ausbreitende, bloß auf die Erhaltung der Moralität angelegte Geſellſchaft
zu errichten, welche mit vereinigten Kräften dem Böſen entgegenwirkte, fo
würde dieſes, jo viel der einzelne Menſch auch gethan haben möchte, um
fi der Herrſchaft defielben zu entziehen, ihn doch unabläßlich in der Ge-
fahr des Rückfalls unter diefelbe erhalten. — Die Herrihaft des guten
Prineips, jo fern Menſchen dazu hinwirken können, ift alfo, fo viel wir
einfehen, nicht anders erreichbar, als dur Errichtung und Ausbreitung
einer Gejelihaft nad Tugendgejegen und zum Behuf derjelben; einer
Geſellſchaft, die dem ganzen Menſchengeſchlecht in ihrem Umfange fie zu
beſchließen durd) die Bernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird.
— Denn fo allein fann für das gute Princip über das Böſe ein Sieg ge- 20
hofft werden. Es iſt von der moraliſch⸗geſetzgebenden Bernunft außer den
Geſehzen, die fie jedem Einzelnen vorjpreibt, noch überdem eine Fahne der
Tugend als Bereinigungspunft für alle, die das Gute lieben, ausgeftedt,
um ſich darunter zu verfammeln und jo allererft über das fie ratlos an-
fechtende Böfe die Oberhand zu befommen. 25
Man kann eine Verbindung der Menjhen unter bloßen Tugend-
geſetzen nach Vorjchrift diefer Idee eine ethiſche, und ſofern dieje Ge—
ſetze oͤffentlich find, eine ethiſch-bürgerliche (im Gegenſatz der recht—
lihsbürgerliden) Geſellſchaft, oder ein ethiſches gemeines Weſen
nennen. Dieſes fann mitten in einem politiſchen gemeinen Weſen und so
fogar aus allen Gliedern defjelben beitehen (wie es denn auch, ohne daß
das Ichtere zum Grunde liegt, von Menſchen gar nicht zu Stande gebracht
werden könnte). Aber jenes hat ein befonderes und ihm eigenthümliches
Vereinigungsprincip (die Tugend) nnd daber auch eine Form und Ber-
fafjung, die fi von der des lektern wejentlich unterjcheidet. Gleichwohl 3
ift eine gewifje Analogie zwiſchen beiden, als zweier gemeinen ®ejen über:
haupt betradhtet, in Anſehung deren das erftere auch ein ethiſcher Staat,
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ſſfisz e 5 —— —
Bon dent Siege des guten Princips über das böfe. 95
d. i. ein Reich der Tugend (des guten Princips), genannt werden kann,
wovon die Idee in der menjhlihen Vernunft ihre ganz wohlgegründete
objective Realität hat (als Pflicht ſich zu einem ſolchen Staate zu einigen),
wenn es gleidy jubjectiv von dem guten Willen der Menjchen nie gehofft
s werden fönnte, daß fie zu diefem Zwede mit Eintracht hinzuwirken fid)
entſchließen würden.
Erſte Abtheilung.
Philoſophiſche Vorjtellung des Sieges des guten Prineips
unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden.
10 J.
Bon dem ethiſchen Naturzuftande.
Ein rechtlich-bürgerlicher (politifcher) Zuſtand ift das Verhält-
niß der Menſchen untereinander, jo fern fie gemeinſchaftlich unter öffent:
lihen Redtsgejeßen (die insgefammt Zwangsgefeße find) jtehen. Ein
» ethiſch-bürgerlicher Zuftand ift der, da fie unter dergleichen zwangs-
freien, d. i. bloßen Tugendgeſetzen vereinigt find.
So wie nun dem erfteren der rechtlihhe (darum aber nicht immer
redhtmäßige), d. 1. der juridifhe Naturzuftand entgegengejeßt wird,
fo wird von dem letzteren der ethifche Naturzuftand unterfhieden. In
0 beiden giebt ein jeder ſich jelbft das Geſetz, und es ift fein äußeres, dem
er ji ſammt allen andern unterworfen erfennte. In beiden ift ein jeder
jein eigner Richter, und es ift feine öffentliche machthabende Autorität
ba, die nad) Geſetzen, was in vorfommenden Fällen eines jeden Pflicht ſei,
rechtskräftig beftimme und jene in allgemeine Ausübung bringe.
25 In einem ſchon beftehenden politifchen gemeinen Wejen befinden ſich
alle politiihe Bürger als foldye doch im ethiſchen Naturzujtande
und find beredhtigt, aud darin zu bleiben; denn daß jenes feine Bürger
zwingen ſollte, in ein ethijches gemeines Weſen zu treten, wäre ein Wider:
ſpruch (in adjecto), weil das leßtere jhon in feinem Begriffe die Zwangs—
0 freiheit bei ſich führt. Wünjchen kann es wohl jedes politifche gemeine
Weſen, daß in ihm aud) eine Herrſchaft über die Gemüther nad) Tugend»
gejegen angetroffen werde; denn wo jener ihre Zwangsmittel nicht hin-
langen, weil der menſchliche Richter das Innere anderer Menſchen nicht
durchſchauen kann, da würden die Tugendgefinnungen das Verlangte be-
BE .
956 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd.
wirken. Weh aber dem Gejeßgeber, der eine auf ethiſche Zwede gerichtete
Verfafjung durch Zwang bewirken wollte! Denn er würde dadurd) nicht
allein gerade das Gegentheil der ethiihen bewirken, jondern aud) feine
politifche untergraben und unfiher machen. — Der Bürger des politijchen
gemeinen Weſens bleibt aljo, was die gejeßgebende Befugniß des letztern
betrifft, völlig frei: ob er mit andern Mitbürgern überdem aud) in eine
ethiiche Vereinigung treten, oder lieber im Naturzuftande diefer Art blei-
ben wolle. Nur jo fern ein ethijches gemeines Weſen doch auf öffent»
lichen Geſetzen beruhen und eine darauf ſich gründende Verfafjung ent-
halten muß, werden diejenigen, die jid) freiwillig verbinden, in diefen Zu-
ſtand zu treten, ſich von der politischen Macht nicht, wie fie ſolche innerlid)
einrichten oder nicht einrichten jollen, befehlen, aber wohl Einfhränfungen
gefallen Taffen müfjen, nämlich auf die Bedingung, daß darin nichts ſei,
was der Pflicht ihrer Glieder als Staatsbürger widerjtreite; wiewohl,
wenn die eritere Verbindung ächter Art ift, das legtere ohmedem nicht zu
bejorgen ift.
Übrigens, weil die Tugendpflichten das ganze menſchliche Geſchlecht
angehen, jo iſt der Begriff eines ethiihen gemeinen Weſens immer auf
das Speal eines Ganzen aller Menjchen bezogen, und darin unterjcheidet
es fi) von dem eines politifchen. Daher fann eine Menge in jener Abficht
vereinigter Menſchen nod) nicht das ethijche gemeine Weſen felbft, jondern
nur eine bejondere Geſellſchaft heißen, die zur Einhelligfeit mit allen
Menſchen (ja aller endlichen vernünftigen Weſen) hinftrebt, um ein abfo-
lutes ethiſches Ganze zu errichten, wovon jede partiale Geſellſchaft nur
eine Vorjtellung oder ein Schema ift, weil eine jede jelbjt wiederum im
Berhältnig auf andere diejer Art als im ethiſchen Naturzuftande ſammt
allen Unvollkommenheiten dejjelben befindlic) vorgeftellt werden fann (wie
es auch mit verjchiedenen politiſchen Staaten, die in feiner Verbindung
durch ein öffentliches Völkerrecht ftehen, eben jo bewandt ift).
1.
Der Menſch ſoll aus dem ethiſchen Naturzuftande
herausgeben, um ein Glied eines ethiſchen gemeinen Weſens
ju werden.
So wie der juridiihe Naturzujtand ein Zuftand des Krieges von
jedermann gegen jedermann ift, fo ift auch der ethiſche Naturzuftand ein
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98 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernimft. Drittes Stüd.
einem Syitem wohlgefinnter Menſchen erfordert, in welchem und durd)
deſſen Einheit e3 allein zu Stande fommen fann, die Sdee aber von einem
ſolchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nad) Tugendgejeßen, eine
von allen moraliſchen Gejeßen (die das betreffen, wovon wir wifjen, daß
es in unferer Gewalt jtehe) ganz unterjhiedene Idee ift, nämlich auf ein
Ganzes hinzumwirfen, wovon wir nicht wifjen können, ob es als ein foldyes
aud) in unferer Gewalt jtehe: fo ift die Pflicht der Art und dem Princip
nad) von allen andern unterſchieden. — Man wird ſchon zum voraus ver:
muthen, daß dieje Pflicht der Vorausfegung einer andern Idee, nämlid)
der eines höhern moralijhen Wejens, bedürfen werde, durd) deſſen allge:
meine VBeranftaltung die für ſich unzulänglihen Kräfte der Einzelnen zu
einer gemeinfamen Wirfung vereinigt werden. Allein wir müfjen allererft
dem Leitfaden jenes fittlihen Bedürfnifjes überhaupt nachgehen und fehen,
worauf uns diejes führen werde.
II.
Der Begriff eines ethiſchen gemeinen Wejens ift der Begriff
von einem Volke Gottes unter ethifhen Geſetzen.
Wenn ein ethiſches gemeines Wejen zu Stande fommen foll, jo müfjen
alle Einzelne einer Öffentlichen Gejeßgebung unterworfen werden, und alle
Geſetze, welche jene verbinden, müfjen als Gebote eines gemeinſchaftlichen
Geſetzgebers angejehen werden können. Sollte nun das zu gründende ge
meine Weſen ein juridifches fein: jo würde die fi zu einem Ganzen
vereinigende Menge ſelbſt der Geſetzgeber (der Eonftitutionsgefeße) fein
müffen, weil die Gejeßgebung von dem Princip ausgeht: die Freiheit
eines jeden auf die Bedingungen einzufhränfen, unter denen
fie mit jedes andern Freiheit nad einem allgemeinen Gejeße
zuſammen beftehen fann*), und wo aljo der allgemeine Wille einen
geſeßlichen äußeren Zwang errichtet. Soll das gemeine Wefen aber ein
ethiſches fein, jo kann das Volk als ein ſolches nicht jelbjt für gejeh-
gebend angejehen werden. Denn in einem jolden gemeinen Weſen find
alle Geſetze ganz eigentlich darauf geftellt, die Moralität der Handlun-
gen (weldye etwas Annerlidpes ift, mithin nicht unter öffentlichen menſch—
lichen Geſetzen ftehen fann) zu befördern, da im Gegentheil die legteren,
*) Diefes it das Princip alles außern Rechts.
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30
1
wi
Von dem Siege des guten Princips über das böfe. 99
welches ein juridiſches gemeines Weſen ausmachen würde, nur auf die
Legalität der Handlungen, die in die Augen fällt, geſtellt find und nicht
auf die (innere) Moralität, von der hier allein die Rede iſt. Es muß alfo ein
Anderer als das Volk fein, der für ein ethifches gemeines Weſen als öffent-
lid) gejeßgebend angegeben werden fönnte. Gleihwohl können ethiſche
Geſetze auch nicht als bloß von dem Willen diefes Obern urjprünglid)
ausgehend (als Statute, die etwa, ohne daß jein Befehl vorher ergangen,
nit verbindend fein würden) gedacht werden, weil fie alsdann feine
ethiſche Geſetze und die ihnen gemäße Pflicht nicht freie Tugend, fondern
zwangäfähige Rehtspflidt fein würde. Alſo kann nur ein foldyer als
oberfter Gejeßgeber eines ethifchen gemeinen Weſens gedadjt werden, in
Anjehung defjen ale wahren Pflihten, mithin auch die ethiihen*),
zugleich als feine Gebote vorgeftellt werden müffen; weldyer daher aud)
ein Herzenskündiger fein muß, um aud das Innerſte der Gefinnungen
eines jeden zu durchſchauen und, wie es in jedem gemeinen Wefen fein
muß, jedem, was feine Thaten werth find, zukommen zu lafjen. Dieſes
ift aber der Begriff von Gott als einem moralifchen Weltherrfcher. Alfo
ift ein ethiſches gemeines Weſen nur als ein Volk unter göttlichen Ge—
boten, d. i. als ein Volt Bottes, und zwar nad) Tugendgejeßen, zu
denfen möglid).
Man könnte ſich wohl aud ein Volt Gottes nad) ſtatutariſchen
Gejeben denken, nad) ſolchen nämlidy, bei deren Befolgung es nicht auf
die Moralität, jondern bloß auf die Zegalität der Handlungen ankommt,
weldyes ein juridifches gemeines Weſen fein würde, von welchem zwar Gott
der Gejeßgeber (mithin die Verfaſſung defjelben Theofratie) fein würde,
*, Sobald etwas als Pflicht erfannt wird, wenn es gleich durch die bloße Will-
für eined menschlichen Bejehgebers auferlegte Pflicht wäre, fo ift es doch zugleich
göttliches Gebot, ihr zu gehorchen. Die ftatutarischen bürgerlichen Geſetze kann man
zwar nicht göttliche Gebote nennen, wenn fie aber rechtmäßig find, jo iſt die Be—
obadıtung berjelben zugleich göttliches Gebot. Der Sat „man muß Gott mehr
gehorchen, als den Menſchen“ bebeutet nur, daß, wenn die legten etwas gebieten, was
am fich böfe (bem Sittengefeh unmittelbar zuwider) ift, ihnen micht gehorcht werben
barf und fol. Umgekehrt aber, wenn einem politifchebirgerlichen, an ſich nicht un-
moralifchen Geſetze ein dafür gehaltenes göttliches ftatutarifches entgegengeiegt wird,
fo in Grund da, das lektere für untergefchoben anzufehen, weil es einer klaren Pflicht
wiberflreitet, ſelbſt aber, daß es wirflich auch göttliches Gebot fei, durch empirifche
Merkmale niemals hinreichend beglaubigt werben kann, um eine fonft beftehende Pflicht
jenem zufolge üibertreten zu bürfen.
7®
100 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Städt.
Menihen aber als Priefter, weldye feine Befehle unmittelbar von ihm
empfangen, eine ariftofratiiche Regierung führten. Aber eine ſolche
Verfaſſung, deren Eriftenz und Form gänzlid anf hiſtoriſchen Gründen
beruht, ift nicht diejenige, welche die Aufgabe der reinen moraliſch-geſetz—
gebenden Vernunft ausmacht, deren Auflöjung wir hier allein zu bewirken
haben; fie wird in der en Abtheilung als Anftalt nad) politijdy-
bürgerlichen Gefeßen, deren Geſetzgeber, obgleid; Gott, doch äußerlich ift,
in Erwägung fommen, anftatt daß wir hier es nur mit einer foldyen, deren
Geſehgebung bloß innerlich ift, einer Republik unter Tugendgejeßen, d. i.
mit einem Volle Gottes, „das fleißig wäre zu guten Werfen”, zu thun 1
Einem ſolchen Volle Gottes fann man die Idee einer Rotte des
böjen Princips entgegenfeken, als Bereinigung derer, die feines Theils
find, zur Ausbreitung des Böjen, weldem daran gelegen ift, jene Ver—
einiqung nicht zu Stande kommen zu lafien; wiewohl aud) hier das die
Tugendgefinnungen anfechtende Princip gleichfalls in uns jelbit liegt und
nur bildlich als äußere Macht vorgeftellt wird.
*
IV.
Die Idee eines Volks Gottes iſt (unter menſchlicher
Veranftaltung) niht anders als in der Form einer Kirde »
auszuführen.
Die erhabene, nie völlig erreichbare Idee eines ethiſchen gemeinen
Wefens verfleinert fi jehr unter menſchlichen Händen, —* zu einer
Fe.
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102 Religion innerhalb der Geengen der bleijen Bermmmfk Driies Sch.
'& Das Berbältnig umter dem Prinip immuäl des
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der Rirde zur zelitijchen Madt, ng er Ar (alte
Hierardie, ned Sllumiznetism, eine Urt zum Deme⸗
tratie darch bejeadere Gimgebungen, dir af wies feinem Kegfee
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4 De beriellen, die Unneränderlifeit dem Ern-
22
enderaden. bis die Ahminitratien dereen be
treffenden zufälligen Anseduzages, mwuzn je duch amd) für fihern »
Grmubfäe Ken kn fi FR (ir Der See erh Del) m pe
| zrrrimpäßer, mm
Bäher Pieter näher bekam: mund melde vener ir — —
amd itd untereinander ir ine treimillipe, allpemeine amd joridaueruide
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| berumpb linken au, Don won den
Kaniymap aueh awar der mare: ollaiı din al-
penseint Ehrche gronden Tann: — ER. ur
Zu
-— Bon dem Siege bes guten Princips über bas böje, 103
fi) jedermann zur Überzeugung mittheilen läßt; indefjen daß ein bloß auf
Facta gegründeter hiftoriiher Glaube feinen Einfluß nicht weiter aus—
breiten fann, als jo weit die Nachrichten in Beziehung auf das Vermögen
ihre Glaubwürdigkeit zu beurtheilen nad) Zeit- und Ortsumftänden hin—
s gelangen können. Allein es iſt eine bejondere Schwäche der menſchlichen
Natur daran Schuld, daß auf jenen reinen Glauben niemals jo viel ges
rechnet werden kann, als er wohl verdient, nämlich eine Kirche auf ihn
allein zu gründen.
Die Menfhen, ihres Unvermögens in Erkenntniß überfinnlicher
w Dinge fid) bewußt, ob fie zwar jenem Glauben (als welcher im Allge—
meinen für fie überzeugend fein muß) alle Ehre widerfahren lafjen, find
doch nicht leicht zu überzeugen: daß die jtandhafte Befliffenheit zu einem
moralifch-guten Lebenswandel alles jei, was Gott von Menſchen fordert,
um ihm wohlgefällige Unterthanen in feinem Reiche zu fein. Sie fönnen
ſich ihre Verpflichtung nicht wohl anders, als zu irgend einem Dienft
denken, den jie Gott zu leiften haben; wo es nicht ſowohl auf den innern
moralifhen Werth der Handlungen, als vielmehr darauf ankommt, daß
fie Gott geleijtet werden, um, jo moraliſch indifferent fie auch an ſich jelbft
fein möchten, dod) wenigjtens durd) pajfiven Gehorfam Gott zu gefallen.
> Daß fie, wenn fie ihre Pflichten gegen Menfchen (id) ſelbſt und andere)
erfüllen, eben dadurch auc göttliche Gebote ausrichten, mithin in allem
ihrem Thun und Zafjen, fofern es Beziehung auf Sittlichkeit hat, beſtän—
dig im Dienjte Gottes jind, und daß es aud) ſchlechterdings unmöglich
fei, Gott auf andere Weife näher zu dienen (weil fie doch auf feine andern,
» als bloß auf Weltwejen, nidyt aber auf Gott wirkten und Einfluß haben
Fönnen), will ihnen nicht in den Kopf. Weil ein jeder große Herr der Welt
ein bejonderes Bedürfnig hat, von feinen linterthanen geehrt und durch
Unterwürfigfeitäbezeigungen gepriejen zu werden, ohne weldyes er nicht
jo viel Folgjamkeit gegen feine Befehle, als er wohl nöthig hat, um fie
so beherrichen zu können, von ihnen erwarten kann; überdem auch der Menſch,
jo vernunftvoll er aud) fein mag, an Ehrenbezeugungen doch immer ein
unmittelbares Wohlgefallen findet: jo behandelt man die Pflicht, jo fern
fie zugleich göttlicdyes Gebot ift, als Betreibung einer Angelegenheit
Gpoites, nicht des Menſchen, und jo entfpringt der Begriff einer gottes—
= bienjtliden ftatt des Begriffs einer reinen moraliſchen Religion.
Da alle Religion darin bejteht: daß wir Gott für alle unfere Pflich—
ten als den allgemein zu verehrenden Geſetzgeber anjehen, jo fommt es bei
—
94 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Drittes Stüd.
und die damit verbundenen feindjeligen Neigungen beſtürmen alsbald
feine an fih genügfame Natur, wenn er unter Menſchen ift, und es
ift nicht einmal nöthig, daß dieje ſchon als im Böfen verfunfen und als
verleitende Beijpiele vorausgejeßt werden; es ift genug, daß fie da find,
daß fie ihn umgeben, und daß fie Menjchen find, um einander wechjeljeitig
in ihrer moraliichen Anlage zu verderben und fid) einander böfe zu machen.
Wenn nun feine Mittel ausgefunden werden Fönnten, eine ganz eigentlich
auf die Verhütung diejes Böjen und zu Beförderung des Guten im
Menſchen abzwedende Vereinigung als eine beftehende und ſich immer
ausbreitende, bloß auf die Erhaltung der Moralität angelegte Geſellſchaft
zu errichten, welche mit vereinigten Kräften dem Böſen entgegenwirkte, fo
würde diejes, fo viel der einzelne Menſch aud) gethan haben möchte, um
fi) der Herrſchaft defjelben zu entziehen, ihn doch unabläßlich in der Ge—
fahr des Rückfalls unter diefelbe erhalten. — Die Herrſchaft des guten
Prineips, fo fern Menſchen dazu hinwirken fönnen, iſt alfo, fo viel wir
einfehen, nicht anders erreichbar, als durd Errichtung und Ausbreitung
einer Gejellihaft nad Tugendgejeben und zum Behuf derjelben; einer
Gejellichaft, die dem ganzen Menſchengeſchlecht in ihrem Umfange fie zu
beſchließen durd) die Vernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird.
— Denn fo allein fann für das gute Princip über das Böje ein Sieg ge-
bofit werden. Es ift von der moralifch-gejeßgebenden Vernunft außer den
Geſetzen, die fie jedem Einzelnen vorjchreibt, noch überdem eine Fahne der
Tugend als Vereinigungspunft für alle, die das Gute lieben, ausgeftedt,
um ji) darunter zu verfammeln und jo allererft über das fie rajtlos an—
fechtende Böfe die Oberhand zu befommen.
Man kann eine Verbindung der Menſchen unter bloßen Tugend-
geſetzen nad) Vorſchrift diefer Idee eine ethiſche, und fofern dieje Ge—
jeße öffentlich find, eine ethiſch-bürgerliche (im Gegenſatz der recht—
lich-bürgerlichen) Geſellſchaft, oder ein ethiſches gemeines Wejen
nennen. Dieſes kann mitten in einem politiſchen gemeinen Weſen und
ſogar aus allen Gliedern deſſelben beſtehen (wie es denn auch, ohne daß
das letztere zum Grunde liegt, von Menſchen gar nicht zu Stande gebracht
werden könnte). Aber jenes hat ein beſonderes und ihm eigenthümliches
Dereinigungsprincip (die Tugend) und daher aud) eine Form und Ver:
fafjung, die fid) von der des lektern weſentlich unterjcheidet. Gleichwohl
ift eine gewiffe Analogie zwifchen beiden, als zweier gemeinen Wejen über:
haupt betrachtet, in Anfehung deren das erſtere aud) ein ethiſcher Staat,
—
=
5
—
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25
Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 95
d. i. ein Reich der Tugend (des guten Princips), genannt werden kann,
wovon die Idee im der menſchlichen Vernunft ihre ganz wohlgegründete
objective Realität hat (als Pflicht fich zu einem ſolchen Staate zu einigen),
wenn es gleich jubjectiv von dem guten Willen der Menjchen nie gehofft
werden fönnte, daß fie zu diefem Zwede mit Eintradht hinzuwirfen ſich
entſchließen würden.
Erſte Abtheilung.
Philoſophiſche Vorſtellung des Sieges des guten Prineips
unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden.
10 J.
Bon dem ethiſchen Naturzuftande.
Ein rechtlich-bürgerlicher (politifcher) Zuſtand ift das Verhält-
niß der Menjchen untereinander, fo fern fie gemeinſchaftlich unter öffent:
lihen Rechtsgeſetzen (die insgefammt Zwangsgefeße find) ftehen. Ein
ethiſch-bürgerlicher Auftand ift der, da fie unter dergleichen zwangs—
freien, d. i. bloßen Tugendgejeßen vereinigt find.
&o wie nım dem eriteren der rechtliche (darum aber nicht immer
rehtmäßige), d. i. der juridiſche Naturzuftand entgegengejebt wird,
jo wird von dem lebteren der ethifche Naturzuftand unterfhieden. In
»0 beiden giebt ein jeder fich jelbjt das Geſetz, und es ift fein äußeres, dem
er ji jammt allen andern unterworfen erfennte. In beiden ift ein jeder
jein eigner Richter, und es iſt feine öffentliche machthabende Autorität
da, die nad) Geſetzen, was in vorfommenden Fällen eines jeden Pflicht ſei,
rechtskräftig beftimme und jene in allgemeine Ausübung bringe.
2 In einem ſchon beftehenden politischen gemeinen Weſen befinden fid)
alle politiihe Bürger als ſolche doh im ethiſchen Naturzujtande
und find berechtigt, aud) darin zu bleiben; denn daß jenes jeine Bürger
zwingen follte, in ein ethijches gemeines Weſen zu treten, wäre ein Wider:
jprud) (in adjeeto), weil das letztere ſchon in feinem Begriffe die Zwangs—
» freiheit bei fic führt. Wünſchen kann es wohl jedes politifhe gemeine
Weſen, daß in ihm aud) eine Herrſchaft über die Gemüther nad) Tugend-
geſetzen angetroffen werde; denn wo jener ihre Zmangsmittel nicht hin-
langen, weil der menſchliche Nidhter das Innere anderer Menſchen nicht
durchſchauen kann, da würden die Tugendgefinnungen das Verlangte be-
106 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stück.
babe eriheinen fönnen, nicht wohl eingejehen werden kann. In der Zweifel»
baftigteit diefer Aufgabe nun, ob Gott oder die Menſchen jelbft eine Kirche
gründen follen, beweift fi) nun der Hang der letztern zu einer gottes-
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Bei Difen am mein), —
zufammenhängenden
und alles Bernünfteln verilägt n
ne De ba ſtehts ren Daber beihen au
einen Glanbenspunft
t gleichjam gemeihte Berfonen,
beweiß, Daß Tein auf Gift gegränbeter Blaube [ef ge
wüftendften Staatsrevolutionen hat vertilgt werden fünnen, indeilen daß
der, fo fi auf Tradition und alte öffentliche Obſervanzen gründete, In der
Zerrüttung des Staats zugleid) feinen Untergang fand. Glüdlich*)! wenn
ein ſolches den Menſchen zu Händen gelommenes Buch neben feinen Eta-
tuten als Glaubensgejegen zugleich die reinfte moraliſche Religionslehre
»o mit. enthält, die mit jenen (als Vehlleln ihrer Introduction)
in bie beſte —— gebracht werden kann, in welchem Falle es ſowohl
natürlihien Geſehen begreiflid zu machen,
das Anfehen gleid) einer Offenbarung behaupten fann.
{ Nun noch einiges, was biefem Begriffe eines Offenbarungsalaubens
Gi mar eine (meh) Beligion; aber «s Tan niert Are
des Glaubens geben. —- Man fann hinjufeben
108 Nellgion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stüd.
Kfm, Kirchen dennoch eine und diefelbe wahre Religion anzutreffen
| nit
Es iſt daher ſchicklicher (wie es auch wirklich mehr im Gebrauche ift),
zu jagen: diefer Menſch ift von diefem oder jenem (jüdiſchem, muhammeda-
nischen, chriftlichem, katholiſchem, lutheriſchem) Glauben, als: er ift von
diefer oder jener Neligion. Der lehtere Ausdrud jollte billig nicht ein-
wel in ber Anrede an das große Publicum (in Katechismen und **
in die Sinne fällt, anftatt daß Religion innerlid) ver-
moraliihe Gefinnungen anftommt. Man thut den
el Cbre an, von ihnen zu age: fie befenmen ſich zu dieſer
:
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—— vr alt Saſten
Bon dem Siege des guten Princips über das bafe,
ul ange sand
| e des Kirchenglaubens heißt Orthodorie, welche man wohl
in despotife (brutale) und liberale Orthodorte eintheilen fönnte,
— Renn eine Kirche, die ihren Kirchenglauben für allgemein verbindlich
ausgiebt, eine fatholifche, diejenige aber, welche fi genen diefe Ans
ſprüche anderer verwahrt (ob fie gleich dieje öfters jelbft gerne ausüben
» möchte, wenn fie könnte), eine proteftantifche Kirche genannt werden
fol: jo wird ein aufmerffamer Beobachter manche ruühmliche Belfpiele
von proteftantifchen Katholiken und dagegen noch mehrereanftößlge von erz
fatholijchen Proteftanten antreffen; die erfte von Männern einer fid er»
mweiternden Denfungsart (ob es gleich die ihrer Kirche wohl nicht Ift),
ıs gegen welche bie letzteren mit ihrer eingefhränkten gar fehr, doch feines»
wegs zu ihrem Bortheil abftechen.
v1.
Der Kirdenglaube hat zu feinem höchſten Ausleger ben reinen
Religionsglauben.
Bir haben angemerkt, daß, obzwar eine Kirche das wichtigfte Merl
mal ihrer Wahrheit, nämlich das eines rehtmäßigen Anſpruchs auf All
gemeinheit, entbehrt, wenn fie fih auf einen Offenbarungsglauben, ber
als biftorifcher (obwohl durch Schrift weit ausgebreiteter und der fpäteften
Radtommenjhaft zugefiherter) Glaube doc) feiner allgemeinen fiberzeu-
= genden Mittbeilung fähig ift, gründet: dennoch wegen des natürlien Be⸗
bürfnifies aller Menſchen, zu den hoͤchſten Bernunftbegrifien und Örünben
immer eimas Sinnlid-Haltbares, irgend eine Erfahrungsbeftätis
gung m.d.9. zu verlangen (worauf man bei der Abfiht einen ®lauben
gemein zu introduciren wirflid auch Rüdfiht nehmen muß), irgend
ein Bifisriiher Kirchenglaube, den man aud) gemeiniglich ſchon vor ſich
Furei, anäfje benußt werden.
— — ———
Ather feinen Uriprumg nimmt, anhänglich waren und ihm bei ihren Einbrüchen im
Enemn werheriteten; daher auch rine geraume Zeit hindurch bie Namen Iaeretiei
amt Manichwei als gleihbedeutend im Gebrauch waren.
—
— — —
nach ein Ungefähr in bie Hände geſpielt hat, die Grundlage eines
em vorgezogen werden, die entweder
MEr Die Bora I ſich enthält, ober biefer — wohl gar
entgegen wirft +) — Man wird aud) finden, daß es mit allen alten und =;
zum Theil in heiligen Büchern abgefahten, Glaubensarten jederzeit
fo ift gehalten worden, und daß vernünftige, wohldentende Boltelehrer ie
4) mm dieſes am eimem Beifpiel zu zeigen, mehune man den Pal LEX, ®. 11—16,
Bon dem Siege bed guten Princips über das böje. 111
jo lange gedeutet haben, bis fie diefelbe ihrem wejentlihen Inhalte nad)
nadhgerade mit den allgemeinen moraliihen Glaubensſätzen in Überein-
ftimmung braten. Die Moralphilojophen unter den Griechen und nach—
ber den Römern machten es nadhgerade mit ihrer fabelhaften Götterlehre
eben jo. Sie wußten den gröbften Bolytheism doch zuleßt als bloße ſym—
boliſche Vorftellung der Eigenſchaften des einigen göttlichen Weſens aus-
zudenten und den mancherlei lajterhaften Handlungen, oder aud) wilden,
aber doch ihönen Träumereien ihrer Dichter einen myftiihen Sinn unter:
zulegen der einen Bollsglauben (welchen zu vertilgen nicht einmalrathjam
geweien wäre, weil daraus vielleiht ein dem Staat nod) gefährlicherer
Atheism hätte entjtehen können) einer allen Menſchen verftändlichen und
allein eriprießlichen moraliſchen Lehre nahe brachte. Das jpätere Juden—
thum und felbft das Chriſtenthum befteht aus ſolchen zum Theil fehr ge:
zwungenen Deutungen, aber beides zu ungezweifelt guten und für alle
Menſchen nothwendigen Sweden. Die Muhammedaner wifjen (wie
Reland zeigt) der Beihreibung ihres aller Sinnlichkeit geweihten Para—
diejes jehr gut einen geiftigen Sinn unterzulegen, und eben das thun die
Indier mit der Auslegung ihres Bedas, wenigftens für den aufgeflär-
teren Theil ihres Bolts.— Daß ſich dies aber thun läßt, ohne eben immer
wider den buchftäblichen Sinn des Volksglaubens fehr zu verjtoßen, fommt
daher: weil lange vor diejem legteren die Anlage zur moraliihen Religion
in der menſchlichen Bernunft verborgen lag, wovon zwar die erjten rohen
Äußerungen bloß auf gottesdienftlihen Gebrauch ausgingen und zu dieſem
Behuf jelbjt jene angeblichen Dffenbarungen veranlaßten, hierdurd) aber
auch etwas von dem Charakter ihres überfinnlihen Urfprungs jelbft in
diefe Dihtungen, obzwar unvorjeßlich, gelegt haben. — Auch fann man
dergleichen Auslegungen nicht der Unredlichkeit bejhuldigen, vorausgejett
dab man nicht behaupten will, der Sinn, den wir den Symbolen des
Vollsglaubens oder auch heiligen Büchern geben, ſei von ihnen aud) durch—
aus jo beabfichtigt worden, ſondern diejes dahin geitellt fein läßt und nur
die Möglichkeit, die Verfafjer derjelben jo zu verftehen, annimmt. Denn
jelbjt das Leſen diejer heiligen Schriften, oder die Erfundigung nad) ihrem
Inhalt hat zur Endabfidht, befjere Menſchen zu maden; das Hiftorijche
aber, was dazu nichts beiträgt, ift etwas an fid) ganz Gleichgültiges, mit
dem man es halten kann, wie man will. — (Der Geſchichtsglaube ift „todt
an ihm ſelber“, d. i. für fi, als Bekenntniß betrachtet, enthält er nichts,
führt auch auf nichts, was einen moralifhen Werth für uns hätte).
112 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Drittes Stück.
Wenn alfo glei eine Schrift als göttliche Offenbarung angenommen
worden, fo wird doch das oberfte Kriterium derjelben als einer ſolchen fein:
„Alle Schrift, von Gott eingegeben, ift nüßlicd) zur Lehre, zur Strafe, zur
Befferung u. j.w.”; und da das lehtere, nämlich die moraliſche Befjerung
des Menjchen, den eigentlichen Zwed aller VBernunftreligion ausmacht, jo
wird dieje auch das oberjte Princip aller Schriftauslegung enthalten.
Dieje Religion ift „der Geift Gottes, der uns in alle Wahrheit leitet”.
Diejer aber ift derjenige, der, indem er uns belehrt, auch zugleich mit
Grundjägen zu Handlungen belebt, und er bezieht alles, was die Schrift
—————— Glauben noch enthalten mag, gänzlich auf die Regeln
und Triebfedern des reinen moraliſchen Glaubens, der allein in jedem
ben dasjenige ausmacht, was darin eigentliche Religion ift.
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Kirchenglau
Alles Forſchen und Auslegen der Schrift muß von dem Princip ausgehen
———⏑ und ‚non fa Das enge Seen Darin ur
Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 113
jondere Stärkung ihres moraliihen Glaubens zu finden meinen und fie
daher gerne annehmen, daran nicht zu hindern. — Aber nicht bloß die Be—
urfundung, jondern aud die Auslegung der heiligen Schrift bedarf
aus derjelben Urſache Gelehrſamkeit. Denn wie will der Ungelehrte, der
fie nur in Überfeßungen leſen fann, von dem Sinne derfelben gewiß jein?
daher ber Ausleger, welcher aud) die Grundſprache inne hat, doch noch
ausgebreitete hiſtoriſche Kenntniß und Kritik beißen muß, um aus dem
Zuftande, den Sitten und den Meinungen (dem Bolfsglauben) der dama—
ligen Zeit die Mittel zu nehmen, wodurd; dem kirchlichen gemeinen Weſen
ı» das Verſtändniß geöffnet werden kann.
Bernunftreligion und Schriftgelehrjamfeit find alfo die eigentlichen
berufenen Ausleger und Depofitäre einer heiligen Urkunde. Es fält in
die Augen, daß dieje an öffentlihem Gebrauche ihrer Einfihten und Ent-
dedungen in diefem Felde vom weltlihen Arm ſchlechterdings nicht fönnen
ıs gehindert und an gewifje Glaubensjäge gebunden werden: weil jonft Zaten
die Klerifer nöthigen würden, in ihre Meinung einzutreten, die jene doch
nur von dieſer ihrer Belehrung ber haben. Wenn der Staat nur dafür
jorgt, daß es nidyt an Gelehrten und ihrer Moralität nad) im quten Rufe
ftehenden Männern fehle, weldye das Ganze des Kirchenweſens verwalten,
»» deren Gewiſſen er dieje Bejorgung anvertraut, fo hat er alles gethan, was
feine Pfliht und Befugniß mit fih bringen. Dieje jelbjt aber in die
Schule zu führen und ſich mit ihren Streitigfeiten zu befafjen (die, wenn
fie nur nicht von Kanzeln geführt werden, das Kirchenpublicum im völli»
gen Frieden lafjen), ijt eine Zumuthung, die das Publicum an den
Gejeßgeber nit ohne Unbejheidenheit thun kann, weil fie unter feiner
Würde iſt.
Aber e3 tritt nod) ein dritter Prätendent zum Amte eines Auslegers
auf, welcher weder Vernunft, noch Gelehrfamfeit, jondern nur ein inneres
Gefühl bedarf, um den wahren Sinn der Schrift und augleid) ihren gött-
lihen Urfprung zu erfennen. Nun kann man freilidy nicht in Abrede
ziehen, daß, „wer ihrer Lehre folgt und das thut, was fie vorfchreibt, aller-
dings finden wird, daß fie von Gott ſei“, und daß felbft der Antrieb zu
guten Handlungen und zur Nedtihaffenheit im Lebenswandel, den der
Menſch, der fie liejt oder ihren Vortrag hört, fühlen muß, ihn von der
Söttlichkeit derjelben überführen müffe: weil er nichts anders, als die Wir-
fung von dem den Menſchen mit inniglidyer Achtung erfüllenden mora=
lichen Geſetze ift, weldyes darum auch als göttliches Gebot angefehen zu
Kant’ Schriften. Werfe VI.
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114 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft, Drittes Stüd.
werden verdient. Aber jo wenig wie aus irgend einem Gefühl Erkenntniß
der Geſetze, und daß dieje moralijd) find, eben jo wenig und noch weniger
fann durd) ein Gefühl das fihere Merkmal eines unmittelbaren göttlichen
Einflufjes gefolgert und ausgemittelt werden: weil zu derjelben Wirkung
mehr als eine Urſache ftatt finden fann, in diefem Falle aber die bloße
Moralität des Gejehes (und der Lehre), durch die Bernunft erfannt, die
Urjache derfelben ift, und ſelbſt in dem Falle der bloßen Möglichkeit diejes
Urſprungs es Pflicht ift, ihm die leßtere Deutung zu geben, wenn man
nicht aller Schwärmerei Thür und Thor öffnen und nicht ſelbſt das un-
zweideutige moraliiche Gefühl durch die Verwandtſchaft mit jedem andern
phantaftifchen um jeine Würde bringen will. — Gefühl, wenn das Gejeh,
woraus oder aud) wornad) es erfolgt, vorher befannt ift, hat jeder nur für
fid) und fann es andern nicht zumuthen, aljo auch nicht als einen Probir—
ftein der Achtheit einer Offenbarung anpreifen, denn es lehrt ſchlechter—
dings nichts, ſondern enthält nur die Art, wie das Subject in Anſehung
feiner Zuft oder Unluft afficirt wird, worauf gar feine Erfenntniß gegrün—
bet werden kann. —
Es giebt aljo feine Norm des Kirdhenglaubens als die Schrift und
feinen andern Ausleger defjelben, als reine VBernunftreligion und
Schriftgelehrſamkeit (welde das Hiſtoriſche derjelben angeht), von
welchen der erjtere allein authentijc und für alle Welt gültig, der zweite
aber nur doctrinal ift, um den Kirchenglauben für ein gewifjes Wolf zu
einer gewifjen Zeit in ein bejtimmtes, ſich beftändig erhaltendes Syftem
zu verwandeln. Was aber diejen betrifft, jo ift es nicht zu ändern, daß
der hiſtoriſche Glaube nicht endlich ein bloßer Glaube an Schriftgelehrte
und ihre Einſicht werde: welches freilid der menſchlichen Natur nicht fon:
derlich zur Ehre gereicht, aber doch durd; die öffentliche Denkfreiheit wie-
derum gut gemacht wird, dazu dieje deshalb um deſtomehr berechtigt ift,
weil nur dadurd, daß Gelehrte ihre Auslegungen jedermanns Prüfung
ausjeßen, jelbjt aber auch zugleich für befjere Einfiht immer offen und
empfänglid) bleiben, fie auf das Zutrauen des gemeinen Wejens zu ihren
Entiheidungen rechnen Fönnen.
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Bon dem Giege des guten Princips über bas böfe. 115
vn.
Der allmählige Übergang des Kirdenglaubens
zur Alleinberrihaft des reinen Religionsglaubens ift die
Annäherung des Reichs Bottes.
Das Kennzeihen der wahren Kirche iſt ihre Allgemeinheit; bie
von aber ift wiederum das Merkmal ihre Nothwendigkeit und ihre nur auf
eine einzige Art mögliche Beitimmbarkeit. Nun bat der hiſtoriſche Glaube
(der auf Offenbarung als Erfahrung gegründet ift) nur particuläre Gil»
tigkeit, für die nämlich, an welche die Gefhichte gelangt ift, worauf er
beruht, und enthält wie alle Erfahrungserfenntniß nicht das Bewußtſein,
daß der geglaubte Gegenitand jo und nit anders fein müſſe, jondern
nur, daß er fo jei, in fi; mithin enthält er zugleich das Bewußtfein feiner
BZufäligfeit. Alfo fann er zwar zum Kirdhenglauben (deren es mehrere
geben fann) zulangen, aber nur der reine Religionsglaube, der ſich gänz«
li auf Bernunft gründet, fann als nothwendig, mithin für den einzigen
erfannt werden, der die wahre Kirche auszeichnet. — Wenn aljo gleich
(der unvermeidlihen Einjchränfung der menjhliden Vernunft gemäß)
ein hiſtoriſcher Glaube als Zeitmittel die reine Religion afficirt, doch mit
dem Bewußtſein, daß er bloß ein ſolches jei, und diejer als Kirchenglaube
ein Princip bei ſich führe, dem reinen Religionsglauben fid) continwirlich zu
nähern, um jenes Zeitmittel endlich entbehren zu können, jo fann eine ſolche
Kirche immer die wahre heißen, da aber über hiſtoriſche Slaubenslehren
der Streit nie vermieden werden kann, nur die ftreitende Kirche genannt
werden; doch mit der Ausficht, endlich in die unveränderliche und alles
vereinigende, triumphirende auszujchlagen! Man nennt den Glauben
jedes einzelnen, der die moraliihe Empfänglichkeit (Würdigkeit) mit fid)
führt, ewig glüdjelig zu fein, den feligmadhenden Glauben. Diejer
fann aljo aud) nur ein einziger fein und bei aller Verſchiedenheit des
Kirchenglaubens doch in jedem angetroffen werden, in welchem er, fid) auf
fein Biel, den reinen Religionsglauben, beziehend, praktiſch ift. Der Olaube
einer gottesdienftlihen Religion ift dagegen ein Frohn- und Kohnglaube
(fides mercennaria, servilis) und fann nicht für den ſeligmachenden ange—
jehen werden, weil er nidyt moraliſch ift. Denn dieſer muß ein freier, auf
lautere Herzensgefinnungen gegründeter ®laube (fides ingenua) fein. Der
eritere wähnt durch Handlungen (des cultus), welde (obzwar mühlam)
doch für ſich feinen moraliihen Werth haben, mithin nur durch Furcht
8*
116 Neligiom innerhalb der Geengen der bloßen Bermmft. Drütes Stück
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Kerihgiruskggeriuen Yiirsanftnmsrmen mitte,
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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 117
Mühe gegeben hat, von diefem Glauben und der Ncceptation der ange:
botenen Wohlthat die unausbleibliche Folge fein werde. Diefen Glauben
fann fein überlegender Menſch, jo jehr auch die Gelbitliebe öfters den
bloßen Wunſch eines Gutes, wozu man nichts thut oder thun fann, in
Hoffnung verwandelt, alö werde fein Gegenstand, durch die bloße Sehn-
jucht gelodt, von jelbit fommen, in fich zumege bringen. Man kann diejes
ſich nicht anders möglich denken, als dat der Menſch ſich diefen Glauben
jelbjt als ihm himmliſch eingegeben und jo als etwas, worüber er jeiner
Vernunft weiter feine Rechenſchaft zu geben nöthig hat, betradte. Wenn
er dies nicht kann, oder noch zu aufrichtig ift, ein ſolches Vertrauen als
blobes Einſchmeichelungsmittel in ſich zu erfüniteln, fo wird er bei aller
Achtung für eine ſolche überſchwengliche Genugthuung, bei allem Wunjche,
daß eine joldye auch für ihn offen ftehen möge, doch nicht umhin können,
fie nur als bedingt anzuſehen, nämlich daß fein, jo viel in feinem Ber:
mögen iſt, gebefjerter Zebenswandel vorhergehen müjje, um aud nur den
mindejten Grund zur Hoffnung zu geben, ein ſolches höheres Verdienſt
fönne ihm zu Gute fommen. — Wenn aljo das hiſtoriſche Erfenntniß von
dem lebtern zum Kirdyenglauben, der erjtere aber als Bedingung zum
reinen moraliihen Glauben gehört, jo wird dieſer vor jenem vorher=
gehen müjjen.
2. Wenn aber der Menſch von Natur verderbt ift, wie kann er glau—
ben, aus ſich, er mag ſich auch beitreben, wie er wolle, einen neuen, Gott
wohlgefälligen Menſchen zu maden, wenn er — ſich der Vergehungen,
deren er ſich bisher ſchuldig gemacht hat, bewußt — nod) unter der Macht
des böjen Princips jteht und in fid) fein hinreichendes Vermögen antrifft,
es fünftighin befjer zu maden? Wenn er nicht die Gerechtigkeit, die er
ſelbſt wider ſich erregt hat, durdy fremde Genugthuung als verjöhnt, ſich
jelbjt aber durch diefen Glauben gleihjam als neugeboren anjehen und
jo allererft einen neuen Lebenswandel antreten kann, der alödann die
Folge von dem mit ihm vereinigten guten Princip jein würde, worauf will
er jeine Hoffnung ein Gott gefälliger Menſch zu werden gründen? — Alfo
muß der Olaube an ein Verdienft, das nicht das feinige ift, und wodurch
er mit Gott verjöhnt wird, vor aller Beftrebung zu guten Werfen vorher:
gehen; welches dem vorigen Sabe widerftreitet. Diejer Streit fann nicht
durch Einfiht in die Saujalbeftimmung der Freiheit des menschlichen
Weſens, d. i. der Urſachen, welche machen, daß ein Menſch qut oder böfe
wird, aljo nicht theoretijh ausgeglichen werden: denn diefe Frage über:
Reigt das ganze Speculationsvermögen unferer Vernunft. Aber fürs
Praftifche, wo nämlich) nicht gefragt wird, was phyſiſch, jondern was mo-
raliſch für den Gebraud) unferer freien Willfür das erfte jei, wovon wir
nämlich den Anfang machen jollen, ob vom Glauben an das, was Gott
unfertwegen gethan hat, oder von dem, was wir thun jolen, um defjen
Deere SR EEIen ————
Bon bem Siege des guten Princips über das böje. 119
ben, welder mit einem fonft vielleicht auch wohl exemplariſchen Lebens:
wandel Gleihgültigfeit, oder wohl gar Widerfjeglichkeit gegen alle Offen-
barung verbindet. — Das wäre aber den Knoten (durch eine praftifche
Marime) zerhauen, anftatt ihn (theoretiſch) aufzulöfen, welches auch aller:
dings in Religionsfragen erlaubt ift. — Zur Befriedigung des lekteren
Unfinnens kann indefjen folgendes dienen. — Der lebendige Glaube an
das Urbild der Gott wohlgefäligen Menſchheit (den Sohn Gottes) an
ſich ſelbſt ift auf eine moraliſche Bernunftidee bezogen, fofern diefe ung
nicht allein zur Richtſchnur, jondern auch zur Triebfeder dient, und alſo
einerlei, ob id von ihm, als rationalem Glauben, oder vom Princip
des guten Lebenswandels anfange. Dagegen ijt der Glaube an eben
dafjelbe Urbild in der Erfheinung (an den Gottmenſchen), als empi-
riſcher (hiſtoriſcher) Glaube, nicht einerlei mit dem Princip des guten
Lebenswandels (weldyes ganz rational jein muß), und es wäre ganz etwas
anders, von einem jolden}) anfangen und daraus den guten Lebens—
wandel ableiten zu wollen. Sofern wäre aljo ein Widerjtreit zwiſchen den
obigen zwei Säßen. Allein in der Erſcheinung des Gottmenſchen ift nicht
das, was von ihm im die Sinne fällt, oder durch Erfahrung erfannt wer:
den fann, jondern das in unfrer Vernunft liegende Urbild, welches wir
dem leptern unterlegen (weil, jo viel fi an feinem Beifpiel wahrnehmen
läßt, er jenem gemäß befunden wird), eigentlich das Dbject des ſelig—
machenden Glaubens, und ein ſolcher Glaube ijt einerlei mit dem Brincip
eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels. — Aljo find hier nicht zwei an
ſich verſchiedene Principien, von deren einem oder dem andern anzufan—
gen, entgegengeleßte Wege einzuſchlagen wären, jondern nur eine und dies
jelbe praktiſche Idee, von der wir ausgehen, einmal, fo fern fie das Urbild
als in Gott befindlicdy und von ihm ausgehend, ein andermal, fofern fie
es als in uns befindlidh, beidemal aber jofern fie es als Richtmaß unſers
Lebenswandels vorftellt; und die Antinomie ift aljo nur jcheinbar: weil
fie eben diejelbe praktiſche Fdee, nur in verjchiedener Beziehung genommen,
durch einen Mihverftand für zwei verſchiedene Principien anfteht. —
Wollte man aber den Geſchichtsglauben an die Wirklichkeit einer foldyen
einmal in der Welt vorgefommenen Erjheinung zur Bedingung des allein
feligmachenden Glaubens maden, jo wären e8 allerdings zwei ganz ver-
PY Der bie Eriiteng einer ſolchen Perſon auf hiſtoriſche Beweisthümer grün.
muß.
Benin inc ct, as ne aima) e
Bermö | | :
Gefinnung den Mangel der That, auf meidye Art es and) jei, ergän- 15
zen werde. — Das erfte aber ſiedt wicht im jedes (amd des umgelehrten)
Menichen Bermögen. Die Gedichte beweift, dab in allen Religions-
formen diejer Streit zweier Glaubemsprincipien ebgemaltet bat; denn
Erpiationen hatten ale Religionen, fie mochten fe num jegen, worein fie
KIAR jo nerguiußt, ak ab er ehr I Auahett MrAR An elarn falten
mpttiiden (oder mwagiitkn) Einiink dede Duk, ad cr zamat, fo Diel wir
u —
Bon dem Siege bes guten Princips über das böfe. 121
wifien, für bloß biftoriich gehalten werden follte, er dod, wenn man ihm
und den damit verbundenen Gefühlen nachhängt, den ganzen Menſchen
von Grunde aus zu befiern (einen neuen Menſchen aus ihm gu machen)
im Stande jei: jo müßte diefer Glaube ſelbſt als unmittelbar vom Him-
mel (mit und unter dem hiſtoriſchen Glauben) ertheilt und eingegeben ans
gejehen werden, wo denn alles jelbjt mit der moraliihen Beichaffenheit
des Menichen zuleßt auf einen unbedingten Rathſchluß Gottes hinaus:
läuft: „Er erbarmet ſich, welches er will, und verjtodet, welden er
will,“*) welches, nad dem Buchſtaben genommen, der salto mortale der
ı» menſchlichen Vernunft ift.
Es iſt alfo eine nothwendige Folge der phyfiihen und zugleich der
moraliihen Anlage in uns, welde leßtere die Grundlage und zugleich
Auslegerin aller Religion tft, daß diefe endlich von allen empirischen Be-
ftimmungsgründen, von allen Statuten, welche auf Geſchichte beruhen,
ıs und die vermittelit eines Kirchenglaubens proviforiid) die Menſchen zur
Beförderung des Guten vereinigen, allmählig losgemadıt werde, und jo
reine VBernunftreligion zulegt über alle herrſche, „damit Gott ſei alles in
allem." — Die Hüllen, unter welchen der Embryo ſich zuerft zum Men-
ſchen bildete, müfjen abgelegt werden, wenn er nun an das Tageslicht
» treten foll. Das Leitband der heiligen Ülberlieferung mit feinen Anhängs
jeln, den Statuten und Obſervanzen, welches zu jeiner Zeit gute Dienfte
that, wird nad) und nad) entbehrlich, ja endlich zur Feſſel, wenn er in
das Sünglingsalter eintritt. So lange er (die Menſchengattung) „ein
Kind war, war er flug als ein Kind” und wußte mit Sagungen, die ihm
us
25 *), Das fann wohl fo ausgelegt werben: fein Menſch kann mit Gewißheit
jagen, woher biejer ein quter, jener ein böjer Menjch (beide comparaltive) wird, ba
oftmals die Unlage zu dieſem Iinterfchiede fchon in der Geburt anzutreffen zu fein
ſcheint, bisweilen auch Zufälligfeiten des Lebens, für die niemand fan, hierin einen
Ausſchlag geben; eben jo wenig auch, was aus ihm werben fünne. Hierüber müſſen
so wir aljo das Urtheil dem Allfehenden überlafien, welches hier jo ausgedrückt wird,
als ob, ehe fie geboren wurben, fein Rathſchluß, fiber fie ausgeiprochen, einem jeden
feine Rolle vorgezeichnet habe, die er einſt fpielen follte. Das Vorherſehen ift in
ber Orbmung ber Erſcheinungen für den Welturheber, wenn er hiebei ſelbſt anthro-
popathiſch gedacht wirb, zugleich ein Vorherbeſchließen. In ber überfinnlichen
as Ordnung der Dinge aber nad) Freiheitsgeſetzen, wo bie Beit wegfällt, ift es blof;
ein allfehbendes Wifjen, ohne, warum der eine Menſch jo, der andere nach
entgegengejehten Grundſätzen verfährt, erflären und doch auch zugleich mit ber Frei:
beit bes Willens vereinigen zu können.
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122 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd.
ohne jein Zuthun auferlegt worden, aud) wohl Gelehrjamkeit, ja jogar
eine der Kirche dienjtbare Philojophie zu verbinden; „nun er aber ein
Mann wird, legt er ab, was kindiſch ijt.“ Der erniedrigende Unterjchied
zwiſchen Laien und Klerifern hört auf, und Gleichheit entipringt aus
der wahren Freiheit, jedoch ohne Anarchie, weil ein jeder zwar dem (nicht
ſtatutariſchen) Geſetz gehorcht, das er ſich jelbft vorſchreibt, das er aber
auch zugleich) als den ihm durd) die Vernunft geoffenbarten Willen des
Meltherrichers anjehen muß, der alle unter einer gemeinſchaftlichen Re—
gierung unfichtbarer Weije in einem Staate verbindet, weldyer durd) die
fihtbare Kirche vorher dürftig vorgeftellt und vorbereitet war. — Das
alles ift nicht von einer äußeren Revolution zu erwarten, die ſtürmiſch
und gewaltjam ihre von Glüdsumftänden jehr abhängige Wirkung thut,
in weldyer, was bei der Gründung einer neuen Verfafjung einmal ver:
jehen worden, Sahrhunderte hindurd mit Bedauern beibehalten wird,
weil es nicht mehr, wenigitens nicht anders, als durch eine neue (jederzeit
gefährliche) Revolution abzuändern ijt. — In dem Princip der reinen
Vernunftreligion, als einer an alle Menichen bejtändig geihehenden gött-
lichen (obzwar nicht empiriihen) Offenbarung, muß der Grund zu jenem
Überſchritt zu jener neuen Ordnung der Dinge liegen, welcher, einmal aus
reifer Überlegung gefaßt, durch allmaͤhlig fortgehende Reform zur Aus—
führung gebradt wird, jo fern fie ein menſchliches Werk fein ſoll; denn
was Revolutionen betrifft, die diefen Fortſchritt abfürzen können, jo blei-
ben fie der Vorſehung überlafjen und lafjen ſich nicht planmäßig der Frei-
beit unbeſchadet einleiten. —
Man kann aber mit Grunde jagen: „dab das Reid; Gottes zu uns
gefommen fei," wenn aud nur das Princip des almähligen Überganges
des Kirhenglaubens zur allgemeinen VBernunftreligion und jo zu einem
(göttlihen) ethiihen Staat auf Erden allgemein und irgendwo auch
öffentlich Wurzel gefaßt hat; obgleich die wirkliche Errichtung defjelben
nod) in unendlicher Weite von uns entfernt liegt. Denn weil diejes Prin—
cip den Grund einer continuirlichen Annäherung zu dieſer Vollkommen—
beit enthält, jo liegt in ihm als in einem ſich entwidelnden und in der
Folge wiederum befamenden Keime das Ganze (unfidhtbarer Weife), wel-
ches dereinjt die Welt erleuchten und beherrichen jol. Das Wahre und
Gute aber, wozu in der Naturanlage jedes Menſchen der Grund jomohl
der Einjicht als des Herzensantheils liegt, ermangelt nicht, wenn es ein-
mal öffentlich geworden, vermöge der natürlicyen Affinität, in der es mit
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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 123
der moralifchen Anlage vernünftiger Wejen überhaupt fteht, ſich durch—
gängig mitzutheilen. Die Hemmungen durch politiſche bürgerliche Ur-
ſachen, die feiner Ausbreitung von Zeit zu Zeit zuftoßen mögen, dienen
eher dazu, die Vereinigung der Gemüther zum Guten (was, nachdem fie
es einmal ins Auge gefaßt haben, ihre Gedanken nie ie veriatt nod) deſto
inniglider zu machen.“)
* *
”
* Dem Kirchenglauben kann, ohne daß man ihm weber ben Dienſt aufjagt,
noch ihn befehbet, jein nüßlicher Einfluß als eines Vehifeld erhalten und ihm gleich.
wohl als einem Wahne von gottesdienftlicher Pflicht aller Einfluß auf den Begriff
ber eigentlichen (nämlich moraliichen) Neligion abgenommen werben unb fo bei Ber-
ichiebenheit jtatutariicher Glaubensarten Berträglichkeit der Anhänger derjelben unter
einander durd; die Grundſätze der einigen Vernunftreligion, wohin bie Lehrer alle
jene Sabungen und Obfervanzen auszulegen haben, geitiftet werben; bi man mit
ber Beit vermöge der überhandgenommenen wahren Aufklärung (einer Gejeblichleit,
bie aus der moralijchen Freiheit hervorgeht) mit jedermanns Einſtimmung die Form
eines erniedbrigenden Zwangsmittels gegen eine firchliche Form, die ber Würde einer
moraliichen Religion angemejjen ift, nämlich bie eines freien Glaubens, vertaufchen
kann. — Die kirchliche Blaubenseinheit mit der Freiheit in Slaubensfachen zu ver-
einigen, tft ein Problem, zu deſſen Auflöfung die Idee der objectiven Einheit der Ber:
nunftreligion durch das moralische Sntereffe, welches wir an ihr nehmen, comtinmirlich
antreibt, welches aber in einer fichtbaren Kirche zu Stande zu bringen, wenn wir
hierüber bie menichliche Natur befragen, wenig Hoffnung vorhanden iſt. Es ift eine
Idee ber Vernunft, deren Daritellung in einer ihr angemefjenen Anichauung uns
unmöglich ift, bie aber doch als praftijches regulatives Princip objective Realität
bat, um auf diefen Zwed der Einheit der reinen VBernunftreligion binzumirfen. Es
geht Biermit, wie mit ber politiichen Idee eined Staatsrechts, jo fern es zugleich
auf ein allgemeines und machthabendes Völkerrecht bezogen werben fol. Die Er-
fahrumg ſpricht ums hierzu alle Hoffnung ab, Es jcheint ein Hang in das menſch—
liche Gejchlecht (vielleicht abfichtlich) gelegt zu fein, daß ein jeder einzelne Staat,
wenn es ihm nach Wunſch geht, fich jeben andern zu unterwerfen und eine Univer—
falmonardhie zu errichten ftrebe; wenn er aber eine gewiſſe Größe erreicht hat, ſich
body von jelbjt in fleinere Staaten zeriplittere. So hegt eine jede Kirche ben ſtolzen
Anſpruch eine allgemeine zu werden; fo mie fie fi) aber ausgebreitet hat und herr»
ſchend wirb, zeigt ſich bald ein Princip der Auflöfung und Trennung in verichiebene
Secten.
r) Das zu frühe und dadurch (daß es eher fommıt, ald die Menjchen mora-
liſch beffer geworden find) jchäbliche Aufammenjchmelzen der Staaten wird — wenn
eö ums erlaubt ift bierin eine Abficht der Vorfehung anzunehmen — vornehmlich
durch zwei mächtig wirfende Urſachen, nämlich Verfchiedenheit der Sprachen und Ber:
fchiebenheit der Religionen, verhindert.
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aber beftändig
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ice tens der offmäßfigen Gründung
der Herrſchaft des guten Princips auf Erden.
Bon der Religion Bedeutung des Worts
fann jr Geißlehts verlan-
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Bon dem Siege des guten Princips fiber das böfe. 125
die Geſchichte der Satzungen verſchiedner Völfer, deren Glaube in feiner
Verbindung unter einander fteht, gewährt ſonſt feine Einheit der Kirche.
Zu diefer Einheit aber kann nicht gerechnet werden: daß in einem und
demjelben Volk ein gewifjer neuer Glaube einmal entiprungen ift, der fid)
von dem vorher herridenden namhaft unterſchied; wenn gleich diejer die
veranlajjenden Urſachen zu des neuen Erzeugung bei fid) führte. Denu
es muß Einheit des Princips fein, wenn man die Folge verſchiedner Glau—
bensarten nadeinander zu den Modificationen einer und derjelben Kirche
rechnen ſoll, und die Geſchichte der lebtern ift es eigentlich, womit wir uns
jetzt beihäftigen.
Wir können alfo in diefer Abficht nur die Geſchichte derjenigen Kirche,
die von ihrem erften Anfange an den Keim und die Principien zur ob»
jectiven Einheit des wahren und allgemeinen Neligionsglaubens bei
ſich führte, dem fie allmählig näher gebradt wird, abhandeln. — Da zeigt
fih nun zuerft: daß der jüdifhe Glaube mit diefem Kirhenglauben,
defjen Geſchichte wir betrachten wollen, in ganz und gar feiner wejentlidhen
Verbindung, d. i. in feiner Einheit nad) Begriffen, fteht, obzwar jener
unmittelbar vorhergegangen und zur Gründung diejer (der hriftlichen)
Kirche die phyfiiche Veranlaffung gab.
Der jüdifhe Glaube ift feiner urfprüngligen Einrichtung nad)
ein Inbegriff bloß ftatutarischer Gejeke, auf welchem eine Staatsverfafjung
gegründet war; denn weldhe moralische Zujäße entweder damals ſchon
oder auch in der Folge ihm angehängt worden find, die jind ſchlechter—
dings nicht zum Sudenthum als einem ſolchen gehörig. Das letztere ift
eigentlich gar feine Religion, jondern bloß Bereinigung einer Menge
Menſchen, die, da fie zu einem bejondern Stamm gehörten, fich zu einem
gemeinen Weſen unter bloß politiihen Geſetzen, mithin nicht zu einer
Kirche formten; vielmehr jollte es ein bloß weltlicher Staat fein, jo daß,
wenn diejer etwa durch widrige Zufälle zerrifjen worden, ihm nod) immer
der (wejentlich zu ihm gehörige) politiiche Glaube übrig bliebe, ihn (bei
Ankunft des Meſſias) wohl einmal wiederherzuftellen. Daß dieje Staats-
verfafiung Theofratie zur Grundlage hat (ſichtbarlich eine Ariftofratie der
Priejter oder Anführer, die ſich unmittelbar von Gott ertheilter Inſtruc—
tionen rühmten), mithin der Name von Gott, der dod) bier bloß als melt-
liher Regent, der über und an das Gewiſſen gar feinen Anſpruch thut,
verehrt wird, macht fie nicht zu einer Religionsverfafjung. Der Beweis,
daß fie das letztere nicht hat fein follen, ift Mar. Erſtlich find alle Ge—
126 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernmnft. Drittes Etäd.
bote von der Art, daß auch eine politiſche Berfafjung darauf halten und
fie als Zwangsgeſetze auferlegen kann, weil fie bloß äußere Handlungen
betreffen, und obzwar die zehn Gebote and, ohne da fie öffentlich ge-
geben fein möchten, ſchon als ethiſche vor der Vernunft gelten, fo find fie
in jener Geſetzgebung gar nit mit der Forderung an die moralijde
Gejinnung in Befolgung derjelben (worin nachher das Chriftenthum
das Hauptwerk ſetzte) gegeben, jondern ſchlechterdings nur auf die äußere
Beobadjtung gerichtet worden; weldyes aud) daraus erhellt, daß: zweitens
alle Folgen aus der Erfülung oder Übertretung diejer Gebote, alle Be-
lohnung oder Beftrafung nur auf jolde eingejhränft werden, welche in
biejer Welt jedermann zugetheilt werden können, und ſelbſt dieſe auch nicht
einmal nad) ethiſchen Begriffen; indem beide aud) die Nachlommenſchaft,
die an jenen Thaten oder Unthaten feinen praftijchen Antheil genommen,
treffen jollten, weldyes in einer politiichen Verfaſſung allerdings wohl ein
Klugheitsmittel jein kann, ſich Folgſamkeit zu verſchaffen, in einer ethijchen
aber aller Billigfeit zumider jein würde. Da nun ohne Glauben an ein
fünftiges Leben gar feine Religion gedacht werden fann, jo enthält das
Judenthum als ein ſolches, in feiner Reinigfeit genommen, gar feinen Re=
ligionsglauben. Diejes wird durch folgende Bemerfung noch mehr be
ftärft. Es ift nämlich kaum zu zweifeln: daß die Juden eben jomohl wie
andre, jelbit die roheften Völfer nicht auch einen Glauben an ein fünftiges
Leben, mithin ihren Himmel und ihre Hölle follten gehabt haben; denn
dieſer Glaube dringt ſich Fraft der allgemeinen moraliihen Anlage in der
menſchlichen Natur jedermann von jelbjt auf. Es iſt alfo gewiß abjicht-
lich geihehen, daß der Gejebgeber diejes Volks, ob er gleich als Gott jelbit
vorgeftellt wird, doch nicht die mindefte Rüdfiht auf das fünftige Leben
habe nehmen wollen, welches anzeigt: daß er nur ein politifches, nicht
ein ethifches gemeines Wejen habe gründen wollen; in dem erjtern aber
von Belohnungen und Strafen zu reden, die hier im Leben nicht fidhtbar
werben lönnen, wäre unter jener Borausjeßung ein ganz inconjequentes
und unſchickliches Verfahren geweien. Ob nun gleidy auch nicht zu zweifeln
ift, daß die Juden ſich nicht in der Folge, ein jeder für ſich jelbft, einen
gewiſſen Neligionsglauben werden gemadıt haben, der den Artikeln ihres
jtatutarijchen beigemengt war, fo hat jener dody nie ein zur Gejeßgebung
bes Judenthums gehöriges Stüd ausgemacht. Drittens ift es fo weit
gefehlt, dab das Judenthum eine zum Zuftande der allgemeinen Kirche
gehörige Epoche, oder dieje allgemeine Kirche wohl gar ſelbſt zu feiner Zeit
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Von dem Siege des guten Principé über das böſe. 127
ausgemacht habe, daß es vielmehr das ganze menſchliche Geſchlecht von
ſeiner Gemeinſchaft ausſchloß, als ein beſonders vom Jehovah für ſich
auserwähltes Volk, welches alle andere Völker anfeindete und dafür von
jedem angefeindet wurde. Hiebei ift es auch nicht jo hoch anzuſchlagen,
daß dieſes Volk fid) einen einigen, durd; fein fihhtbares Bild vorzuftellen-
den Gott zum allgemeinen Weltherricher jeßte. Denn man findet bei den
meijten andern Völkern, daß ihre Glaubenslehre darauf gleichfalls hinaus:
ging und fi nur Durch die Verehrung gewifjer jenem untergeordneten
mächtigen Untergötter des Bolytheismus verdädhtig machte. Denn ein Gott,
der bloß die Befolgung folder Gebote will, dazu gar Feine gebefjerte mo—
raliſche Gefinnung erfordert wird, ift doch eigentlich nicht dasjenige mo-
ralijche Weſen, deſſen Begriff wir zu einer Religion nöthig haben. Dieje
würde nod) eher bei einem Glauben an viele joldye mächtige unſichtbare
Weſen ftatt finden, wenn ein Volk fid) diefe etwa jo dächte, daß fie bei
der Verſchiedenheit ihrer Departements dod) alle darin übereinfämen, daß
fie ihres Wohlgefallens nur den mwürdigten, der mit ganzem Herzen der
Tugend anbinge, als wenn der Glaube nur einem einzigen Wejen ges
widmet it, das aber aus einem mechaniſchen Eultus das Hauptwerk madıt.
Wir können aljo die allgemeine Kirchengeſchichte, jofern fie ein Syftem
ausmachen fol, nit anders als vom Urfprunge des Chriſtenthums an.
fangen, das, als eine völlige Verlaſſung des Judenthums, worin es ent-
jprang, auf einem ganz neuen Princip gegründet, eine gänzliche Revo-
Intion in Slaubenslehren bewirkte. Die Mühe, welche ſich die Yehrer des
erftern geben, oder gleich zu Anfange gegeben haben mögen, aus beiden
einen zufammenhängenden Leitfaden zu Enüpfen, indem fie den neuen
Glauben nur für eine Fortjebung des alten, der alle Ereignifje defjelben
in Borbildern enthalten habe, gehalten wiffen wollen, zeigt gar zu deut-
li, daß es ihnen hiebei nur um die ſchicklichſten Mittel zu thun fei oder
war, eine reine moralijche Religion ftatt eines alten Gultus, woran das
Bolf gar zu ftark gewöhnt war, zu introduciren, ohne doc) wider feine
Borurtheile gerade zu verſtoßen. Schon die nachfolgende Abſchaffung des
förperlidhen Abzeichens, welches jenes Volk von andern gänzlidy abzujon=
dern diente, läßt urtheilen, daß der neue, nicht an die Statuten des alten,
ja an feine Statuten überhaupt gebundene Glaube eine für die Welt, nicht
für ein einziges Volf gültige Religion habe enthalten jollen.
Aus dem Audenthum aljo, — aber aus dem nicht mehr altoäterlichen
und unvermengten, bloß auf eigene politiiche Verfaſſung (die auch ſchon
128 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd.
jehr zerrüttet war) geftellten, jondern aus dem ſchon durch almählig darin
öffentlich gewordene moraliſche Lehren mit einem Neligionsglauben ver-
miſchten Judenthum, in einem BZuftande, wo dieſem ſonſt unwifjenden
Volke ſchon viel fremde (griechiſche) Weisheit zugelommen war, welde
vermuthlich aud dazu beitrug, es durch Tugendbegriffe aufzuflären und
bei der drüdenden Laft ihres Sapungsglaubens zu Revolutionen zuzu—
bereiten, bei Gelegenheit der Verminderung der Macht der Priejter durd)
ihre Unterwerfung unter die Oberherrſchaft eines Volks, das allen frem-
den Boltsglauben mit Gleichgültigkeit anfah, — aus einem ſolchen Juden—
thum erhob ſich nun plößlid), obzwar nicht unvorbereitet, das Ehrijten-
thum. Der Lehrer des Evangeliums kündigte fi als einen vom Himmel
gejandten, indem er zugleich als einer ſolchen Sendung würdig den Frohn-
glauben (an gottesdienftlice Tage, Bekenntniſſe und Gebräude) für an
fi) nichtig, den moralifchen dagegen, der allein die Menjchen heiligt, „wie
ihr Vater im Himmel heilig ift", und durd den guten Lebenswandel feine
Achtheit beweift, für den alleinfeligmathenden erflärte, nachdem er aber
durch Lehre und Leiden bis zum unverſchuldeten und zugleich verdienſt—
lien Zode*) an feiner Perjon ein dem Urbilde der allein Gott wohlge-
*) Mit weldhem fich bie öffentliche Gejchichte deffelben (die daher auch allge»
mein zum Beijpiel der Nachfolge dienen Ffonnte) endigt. Die als Anhang binzuge-
fügte geheimere, bloß vor ben Augen feiner Bertrauten vorgegangene Geſchichte feiner
Auferftehbung und Himmelfahrt (die, wenn man fie bloß ald Bernunftideen
nimmt, ben Anfang eines andern Lebens und Eingang in ben Sitz ber Seligfeit,
db. i. in die Gemeinſchaft mit allen Guten, bedeuten würben) fann ihrer hiſtoriſchen
Würdigung unbejchadet zur Religion innerhalb der Gränzen ber bloßen Bernunft
nicht benußt werden. Nicht etwa deswegen, weil fie Gejchichtserzählung ift (denn
bas iſt auch bie vorhergehende), fondern weil fie, buchftäblich genommen, einen Be-
griff, der zwar ber finulichen Borjtellungsart der Menſchen jehr angemeſſen, ber
Bernunft aber in ihrem Glauben an die Zukunft ſehr läſtig ift, nämlich den ber
Materialität aller Weltwefen, annimmt, fowohl den MaterialiSm ber Perjön-
lichkeit des Menjchen (ben piychologifchen), die mur unter ber Bedingung eben befjel-
ben Körpers ftalt finde, ald audy der Gegenwart im einer Welt überhaupt (ben
fosmologifchen), welche nach diefem Princip nicht anders ald räumlich fein könne:
wogegen bie Hypotheſe bes Spiritnalismus vernünftiger Weltweſen, wo ber Körper
tobt in ber Erbe bleiben und doch diejelbe Perjon lebend ba fein, imgleichen ber
Menſch dem Geifte nach (in feiner nicht finnlichen Qualität) zum Sik der Seligen,
ohne in irgend einen Ort im umendlichen Naume, der die Erbe umgiebt (und ben
wir anch Himmel nennen), verjebt zu werben, gelangen kann, ber Bernunft günfti-
ger ift, nicht bloß wegen ber Unmöglichleit, fich eine denlende Materie verftändlich
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Don dem Siege bes guten Princips über das böfe. 129
fälligen Menſchheit gemäßes Beiſpiel gegeben hatte, als zum Simmel,
aus dem er gefommen war, wieder zurüdfehrend vorgeftellt wird, indem er
feinen legten Willen (gleich als in einem Teftamente) mündlich zurüdließ
und, was die Kraft der Erinnerung an fein Verdienft, Lehre und Beiſpiel
betrifft, doch fagen konnte, „er (das Ideal der Gott wohlgefälligen Menſch—
beit) bleibe nichts deftoweniger bei jeinen Zehrjüngern bis an der Melt
Ende”. — Diefer Lehre, die, wenn es etwa um einen Geſchichtsglauben
wegen der Abfunft und des vielleicht überirdiichen Ranges feiner Perſon
zu thun wäre, wohl der Bejtätigung durch Wunder bedurfte, die aber als
bloß zum moraliichen, feelenbefjernden Glauben gehörig aller folder Be-
weisthümer ihrer Wahrheit entbehren fann, werden in einem heiligen
Buche noch Wunder und Geheimnifje beigejellt, deren Bekanntmachung
felbft wiederum ein Wunder ift und einen Gejhichtsglauben erfordert, der
nicht anders als durch Gelehrſamkeit ſowohl beurkundet, als auch der Be-
deutung und dem Sinne nad) gefihert werden kann.
Aller Glaube aber, der ſich als Geſchichtsglaube auf Bücher gründet,
bat zu feiner Gewährleiftung ein gelehrtes Publicum nöthig, in wel-
chem er durch Schriftiteller als Zeitgenofjen, die in feinem Verdacht einer
bejondern Verabredung mit den erften Verbreitern defjelben ftehen, und
deren Zuſammenhang mit unferer jetzigen Schriftitellerei ſich ununter-
brochen erhalten hat, gleihjam controllirt werden könne. Der reine Ver:
nunftglaube dagegen bedarf einer ſolchen Beurkundung nicht, jondern be-
weifet ſich ſelbſt. Nun war zu den Zeiten jener Revolution in dem Volke,
welches die Juden beherrſchte und in diefer ihrem Sitze felbft verbreitet
war (im römischen Volke), ſchon ein gelehrtes Publicum, von welchem uns
auch die Geſchichte der damaligen Zeit, was die Ereignifje in der politijchen
zu machen, fondern vornehmlich wegen der Zufälligfeit, ber unfere Eriftenz nach dem
Zobe baburd; ausgejegt wird, daß fie bloß auf dem Zuſammenhalten eines gewiſſen
Kumpens Materie in gewifier Form beruhen foll, anitatt daß fie die Beharrlich-
feit einer einfachen Eubitany als auf ihre Natur gegründet denfen fann. — Unter
ber letztern Vorausſetzung (der bes Spiritualismus) aber fann bie Vernunft weber
ein Intereſſe dabei finden, einen Körper, der, fo geläutert er auch fein mag, bodh
(wenn die Perjönlichfeit auf der Identität deifelben beruht) immer aus bemfelben
Stoffe, ber die Bafis feiner Organifation ausmacht, beftehen muß, und den er jelbft
im %eben nie recht Tieb gewonnen hat, in Ewigfeit mit zu jchleppen, noch Fan
fie es ſich begreiflich machen, was dieſe Kalkerde, woraus er bejteht, imHimmel, db. i.
in einer andern Weltgegend fol, wo vermuthlich andere Materien bie Bedingung
bes Dafeins und der Erhaltung lebender Wefen ausmachen möchten.
Rant'd Schriften Werke VI. 9
130 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermmft. Drittes Stüd.
Verfaſſung betrifft, durdh eine ununterbrodne Reihe von Schriftitellern
überliefert worden; aud war diejes Volf, wenn es fid) gleich um den Re-
ligionsglauben feiner nicht römischen Unterthanen wenig befümmerte, doch
in Anfehung der unter ihnen öffentlich geſchehen fein follenden Wunder
feinesweges ungläubig; allein fie erwähnten als Zeitgenofjen nichts, wer 5
der von diejen, nod von der gleichwohl öffentlid, vorgegangenen Revolu-
tion, die fie in dem ihnen unterworfenen Bolfe (in Abſicht auf die Religion)
hervorbradhten. Nur jpät, nad mehr als einem Menjchenalter, jtellten fie
Nachforſchung wegen der Beſchaffenheit diejer ihnen bis dahin unbekannt
gebliebenen Glaubensveränderung (die nicht ohne öffentlihe Bewegung
vorgegangen war), feine aber wegen der Geſchichte ihres erften Anfangs
an,um fie in ihren eigenen Annalen aufzufuchen. Bon diejem an bis auf die
Beit, da das Chriftenthum für ſich felbit ein gelehrtes Publicum ausmadhte,
tft daher die Geſchichte defjelben dunkel, und aljo bleibt uns unbekannt, wel-
che Wirkung die Lehre defjelben auf die Moralität feiner Neligionsgenoffen ı:
that, ob die erften Chriften wirklich moraliſch-gebeſſerte Menſchen, oder
aber Leute von gewöhnlichem Schlage geweſen. Seitdem aber das Ehrijten-
thum ſelbſt ein gelehrtes Publicum wurde, oder doch in das allgemeine
eintrat, gereicht die Geſchichte dejjelben, was die wohlthätige Wirkung be-
trifft, die man von einer moraliſchen Neligion mit Recht erwarten fann, «“
ihm feinesweges zur Empfehlung. — Wie myftiihe Schwärmereien im
Eremiten- und Mönchsleben und Hochpreifung der Heiligkeit des ehelojen
Standes eine große Menſchenzahl für die Welt unnüß machten; wie da-
mit zufammenbängende vorgebliche Wunder das Volk unter einem blinden
Aberglauben mit jehweren Feſſeln drüdten; wie mit einer fich freien Men—
ſchen aufdringenden Hierarchie fid die jhredliche Stimme der Rechtgläu—
bigfeit aus dem Munde anmaßender, alleinig berufener Schriftausleger
erhob und die hriftliche Welt wegen Slaubensmeinungen (in die, wenn
man nicht die reine Vernunft zum Ausleger ausruft, ſchlechterdings Feine
allgemeine Einftimmung zu bringen ift) in erbitterte Parteien trennte;
wie im Orient, wo der Staat ſich auf eine laͤcherliche Art jelbit mit Glau-
bensjtatuten der Priefter und dem Pfaffentbum befaßte, anſtatt fie in den
engen Schranken eines bloßen Lehrſtandes (ans dem fie jederzeit in einen
regierenden überzugeben geneigt find) zu halten, wie, fage ich, dieſer Staat
endlich auswärtigen Feinden, die zuletzt feinem berrichenden Glauben ein
Ende machten, unvermeidlicher Weile zur Beute werden mußte; wie im
Derident, wo der Glaube jeinen eigenen, von der weltlichen Macht unab-
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Bon dem Siege des guien Princips über da® böje. 131
bängigen Thron errichtet hat, von einem angemaßten Statthalter Gottes
die bürgerliche Ordnung jammt den Wiſſenſchaften (weldye jene erhalten)
zerrüttet und fraftlos gemadyt wurden; wie beide riftliche Welttheile
glei den Gewächſen und Thieren, die, durd) eine Krankheit ihrer Auf:
löſung nahe, zerftörende Inſekten herbeiloden, dieje zu vollenden, von Bar-
baren befallen wurden; wie in dem leßtern jenes geiftlihe Oberhaupt
Könige wie Kinder durch die Zauberruthe feines angedrohten Bannes be-
herrſchte und züchtigte, fie zu einen andern Weltiheil entvölfernden, aus-
wärtigen Kriegen (den Kreuzzügen), zur Befehdung untereinander, zur
Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit und zum biutdürftigen
Haß gegen ihre anders denfenden Mitgenofjen eines und defjelben allge-
meinen jo genannten Chriſtenthums aufreizte; wie zu dieſem Unfrieden,
der auch jet nur noch durch das politiiche Intereſſe von gewaltthätigen
Ausbrühen abgehalten wird, die Wurzel in dem Grundjaße eines deö-
ıs potijch-gebietenden Kirchenglaubens verborgen liegt und jenen Auftritten
ähnliche noch immer bejorgen läßt: — diefe Geſchichte des Chriſtenthums
(welche, fofern es auf einem Gejhichtsglanben errichtet werden jollte, aud)
nicht anders ausfallen fonnte), wenn man fie als ein Gemälde unter einem
Blick faßt, fönnte wohl den Ausruf rechtfertigen: tantum religio potuit
»» suadere malorum! wenn nit aus der Stiftung dejjelben immer nod)
deutlich genug hervorlendhtete, daß feine wahre erjte Abficht Feine andre
als die gemejen jei, einen reinen Neligionsglauben, über weldyen es feine
ftreitende Meinungen geben kann, einzuführen, alles jenes Gewühl aber,
wodurd) das menschliche Gejchlecht zerrfittet ward und nod) entzweiet wird,
> bloß davon herrühre, daß durd) einen ſchlimmen Hang der menſchlichen
Natur, was beim Anfange zur Zutroduction des lebtern dienen jollte,
nämlich die an den alten Geichichtsglauben gewöhnte Nation durd) ihre
eigene Borurtheile für die neue zu gewinnen, in der Yolge zum Funda—
ment einer allgemeinen Weltreligion gemadjt worden.
20 ragt man num: welde Zeit der ganzen bisher bekannten Kirchen—
geihichte die beite jei, jo trage ich fein Bedenken, zu jagen: es ift die
jetige, und zwar fo, daß man ben Keim des wahren Neligionsglaubens,
jo wie er jet in der Ehriftenheit zwar nur von einigen, aber doch öffent-
lich gelegt worden, nur ungehindert fi) mehr und mehr darf entwideln
» Jaffen, um davon eine continuirliche Annäherung zu derjenigen alle Men—
ſchen auf immer vereinigenden Kirche zu erwarten, die die fihtbare Vor-
ftellung (das Schema) eines unfichtbaren Neiches Gottes auf Erden aus-
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132 Religion Inmerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stück.
macht. — Die in Dingen, welche ihrer Natur nad) moraliih und jeelen-
befjernd fein follen, fi) von der Laſt eines der Willfür der Ausleger be-
ftändig ausgejeßten Glaubens loswindende Vernunft hat in allen Ländern
unjers Welttheils unter wahren Religionsverehrern allgemein (wenn gleich
nicht allenthalben öffentlich) erftlich den Grundfaß der billigen Be-
iheidenheit in Ausſprüchen über alles, was Offenbarung beißt, ange-
nommen: daß, da niemand einer Schrift, die ihrem praktiſchen Snhalte
nad) lauter Göttliches enthält, nicht die Möglichkeit abftreiten kann, fie
koͤnne (nämlich in Anfehung deſſen, was darin hiſtoriſch ift) aud wohl
wirklich als göttliche Offenbarung angejehen werden, imgleihen die Ver—
bindung der Menſchen zu einer Religion nicht füglic ohne ein heiliges
Bud und einen auf dafjelbe gegründeten Kirdenglauben zu Stande ge-
bracht und beharrlich gemacht werden kann; da auch, wie der gegenwärtige
Zuſtand menſchlicher Einficht beihaffen ift, wohl jchwerlic jemand eine
neue Offenbarung, durch neue Wunder eingeführt, erwarten wird, — es
das Vernünftigite und Billigfte fei, das Bud, was einmal da ift, ferner:
bin zur Grundlage des Kirchenunterrichts zu brauchen und feinen Werth)
nit durch unnüße oder muthwillige Angriffe zu ſchwächen, dabei aber
aud) feinem Menſchen den Glauben daran als zur Seligfeit erforderlich
aufzubringen. Der zweite Grundjaß ift: dab, da die heilige Geſchichte,
die bloß zum Behuf des Kirchenglaubens angelegt ift, für ſich allein auf
die Annehmung moraliiher Marimen ſchlechterdings feinen Einfluß
haben kann und foll, ſondern diefem nur zur lebendigen Darftellung ihres
wahren Objects (der zur Heiligkeit hinftrebenden Tugend) gegeben ift,
fie jederzeit als auf das Moraliſche abzwedtend gelehrt und erflärt werden,
hierbei aber auch forafältig und (weil vornehmlich der gemeine Menſch
einen beftändigen Hang in fidh bat, zum paifiven*) Glauben überzu-
*) Eine don den Urſachen dieſes Hanges Liegt in dem Sicherheitsprincip:
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134 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Dritte! Stück
der hierdurch einer in diefem Falle heiligen Freiheit geſchieht, ungerechnet,
dem Staate ſchwerlich gute Bürger verjchaffen kann. Wer von denen,
die fih zur Verhinderung einer joldyen freien Entwidelung göttliher An-
lagen zum Weltbeſten anbieten, oder fie gar vorjchlagen, würde, wenn er
mit Zuratheziehung des Gewifſſens darüber nachdenkt, ſich wohl für alle
das Böle verbürgen wollen, was aus joldhen gewaltthätigen Eingriffen
entipringen kann, wodurch der von der Weltregierung beabfihtigte Yort-
gang im Guten vielleicht auf lange Zeit gehemmt, ja wohl in einen Rüd-
gang gebracht werden dürfte, werın er gleich durch feine menjchliche Macht
und Anftalt jemals gänzlich aufgehoben werden kann.
Das Himmelreich wird zuleßt auch, wa3 die Zeitung der Vorſehung
betrifft, in diefer Geſchichte nicht allein als in einer zwar zu gewiſſen
Zeiten verweilten, aber nie ganz unterbrodenen Annäherung, jondern
aud in jeinem Eintritte vorgeftelt. Man kann es nun als eine blog zur
größern Belebung der Hoffnung und des Muths und Nachſtrebung zu
demfelben abgezweckte ſymboliſche Borftellung auslegen, wenn dieſer Ge⸗
Ihichtserzählung noch eine Weifſſagung (gleich als in ibyllinifhen Büchern)
von der Vollendung diefer großen Heltveränderung in dem Gemälde eines
fihtbaren Reichs Gottes auf Erden (unter der Regierung feines wieder
berabgefommenen Stellvertreters und Statthalters) und der Slüdfeligfeit,
die unter ihm nad) Abjonderung nnd Ausftogung der Rebellen, die ihren
Widerſtand noch einmal verſuchen, hier auf Erden genojjen werden Toll,
ſammt der günzlichen Pertilgung derfelben und ihres Anführers (in der
Apofalypfe) beigefügt wird, und jo da3 Ende der Belt den Beſchluß
der Geſchichte macht. Der Lehrer des Evangeliums hatte feinen Jüngern
das Reich Gottes auf Erden nur von der herrlichen, jeelenerbebenden,
moraliichen Seite, nämlich der Würdigkeit, Bürger eines göttlichen Staats
zu jein, gezeigt und fie dahin angewieien, was fie zu thun hätten, nicht
allein um ſelbſt dazu zu gelangen, fondern fich mit andern Sleichgefinnten
und wo möglid mit dem ganzen menſchlichen Geſchlecht dahin zu ver:
einigen. Was aber die Glüchſeligkeit betrifft, die den andern Iheil der
unvermeidlichen menſchlichen Wünſche ausmacht, fo ſagte er ihnen vor:
aus: daß fie auf dieje fi in ihrem Erdenleben feine Rechnung maden
mäblid) von jelbſt ſchwinden mus, Dieter außere hingegen alle freiwillige sortichritte
in der ethiſchen Gemeinichaft der Gläubigen, die dad Welten der wahren Kirche
ausmacht, verhindert und die Form derfelben ganz polititihen Verordnungen
unterwirft.
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em deuz Siege des zuten Brumeps ter das wie, vo
möchten. (Er herettere. jte. melmehr vor, auf Ne grogten Truͤbjuie und
Zufapferuuger. gefagt ;u jet; Doch tete cr weil cine gunzliche Verzicht⸗
uumg auf das Bimjiidhe der Siückfeiigkeit dem Menſchen, 'v lange er
inirt. nicht zugermuttier. werden fanm; hinzu: „Seid rohiich und getroſt,
; wird ech im Simmel wohl vergoiten werden?“ Der angeführte Zu⸗
ug zır Gedichte ver Airche, der Ins künftige und legte Schickful dereiben
berrifft, rteflt Biete num endlich als trriumpbirend, d. i. um allen uͤber⸗
mundenen Hinderniiſen als mit $lüdfeligfeit noch hier auf Erden vekront,
sor. — Tie Shernng der Guten von den Böſen, die muhren? der Fort⸗
„ Arie ter irche zu ihrer Roflfonmmenheit diefem Zwecke nicht zutraglich
gewmefen fein wiirde indem vie Nermiichung beider untereinunder gerude
das nothig war, theils um den eritern zum Wesitein fer Tugend zu
dienen. theils um die andern durch ihr Beiipiel vum Vöſen abzuziehen),
wird uuch voſſendeter Errichtung des gõttlichen Stauts als die legie Toige
derieſben vorgeſteſſt: mo noch der letzte Beweis feiner Feſtigleit, als Macht
kerruchtet. fein Sieg ũber alle cußere Feinde, die eben fomohl auch als
iz einem Siuure dem Höollenftaut betrachtet werden, hinzugefügt wird,
wowit dant alles Erdenſeben ein Ende hat, indem der legte Feuid ir
gutex Nenfchen, der Tod, aufgehoben wird', und um beiden Theile,
» DENE EINEN zume Deil, dem andern zum Verderben, Unfterblichlett anhedt,
die Fom einer Kirche jelbit aufgelöfet wird, der Statthalder auf Erden
mit 3ex zu ihm als Himmelsbürger erhabenen Menjchen in eine Klare
tritt, un je Gott alles in allem tft.”
Diefe Zorftellung einer Gefhihtserzählung der Rachwelt, Die ſedſt
> feine Geſchichte iſt, if ein Ichönes Ideal der durch Einführung der
wahren allgemeinen Religion bewirkten moraliihen. tur Glauden vor:
* Ziwier Amidruf kam (wenn man das Geheintnißvolle, Über alle Graugou
möglicdyer Erfahrung Gimausreichende, bloß zur beiligen Gech ich de der Merchdeit
Gehörige, ums alte praftiich nichts Angehende bei Seite jegt' ſo verſtauden weorden.
» daR der Geidhichtäglaube, der al3 Kirchenglaube ein deiliges ud zum vdeitbande
der MReuichen bedarf, aber eben dadurch die Einbeit und Alugeineinheit Der Xvche
verhindert, felbit aufhören und in einen reinen, für alle Welt gleich einleuchtenden
Religiousglauben übergehen werde: wohin wir dann öſchon jetzt durch andaltende
Entwidelung der reinen Bemunftreligion aus jener gegemvärtig noch nicht entbehr
z fichen Hülle fleißig arbeiten tollen.
r Richt daß er aufböre (denn vielleicht may er als Vedikel immer niglich
und nöthig fein), ſondern aufhören fünne; womit wur die innere Keſtigleit De
reinen moraliſchen Glaubens gemeint ift.
ausgejehenen Weltepoche bis zu ihrer Vollendung, die wir nicht als
empirische Vollendung abjehen, jondern auf die wir nur im continnirs
lien Fortjchreiten und Annäherung zum höchſten auf Erden möglichen
Guten (worin nichts Myftifches it, fondern alles auf moralifche Weiſe
natürlich zugeht) hinausſehen, d. i. dazu Anftalt machen können. Die
Erjheinung des Antichriſts, der Chiliasm, die Ankündigung der Naheit
des MWeltendes fönnen vor der Vernunft ihre gute ſymboliſche Bedeutung
annehmen, und die lektere, als ein (jo wie das Lebensende, ob nahe oder
fern) * rg zu fehendes Ereigniß vorgeftellt, drüdt ſehr gut die
| aus, jederzeit darauf in Bereitihaft zu ftehen, in der
Staats anzufehen. „Wenn fommt nun aljo das Reid Gottes?" —
„Das Neid; Gottes fommt nicht in fihtbarer Geſtalt. Man wird aud)
nicht jagen: fiehe, hier oder da iftes. Denn jehet, das Reich Öottes
— — in euch!“ (2uc. 17, 21 bis 22)+)
N ‚Hier wird nun ein Reich Gottes, nicht nach einem befonderen Bunde (fein
Ben ein moralifches (duch bloße Vernunft erfennbares) vor-
Geſchichte ziehen, er da wird es in das meifianifche Reich nad) dem alten,
ober nad) dem neuen Bumde eingetheilt. Nun ift e3 merlwürdig: daß die Ber-
ehrer des eriteren (bie Juden) ſich noch als folche, obzwar in alle Welt
erhalten haben, indeſſen dab anderer Religionsgenoſſen ihr Glaube mit dem Glauben
Volls, worin fie gerftreut worden, gewöhnlich zufammenfchmolz. Diejes Pha-
bünft vielen jo wunderſam zu fein, daß fie ed nicht wohl ald nad dem
ber Natur möglich, ſondern ald auferorbentliche Veranftaltung zu einer be-
göttlichen Abſicht beurtheilen. — ber ein Bolf, das eine gejchriebene
(heilige Bücher) hat, ſchmilzt mit einem ſolchen, was (mie das römifche
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40
Bon dem Siege bes guten Princips über bas böfe. 137
Allgemeine Anmerkung.
In allen Glaubensarten, die fid) auf Religion beziehn, ftöht das
Nachforſchen Hinter ihre innere Beſchaffenheit unvermeidlid auf ein
Geheimniß, d. i. auf etwas Heiliges, was zwar von jedem Einzelnen
gekannt, aber doch nicht öffentlich) befannt, d. i. allgemein mitgetheilt,
werden fan. — Als etwas Heiliges muß es ein moraliſcher, mithin
ein Gegenftand der Vernunft fein und innerlic für den praftiihen Ge-
braud hinreichend erfannt werden fünnen, aber als etwas Geheimes
doch nicht für den theoretifchen: weil es alsdann auch jedermann müßte
mittheilbar fein und aljo aud) äußerlich und öffentlidy befannt werden
fönnen.
Der Glaube an etwas, was wir doch zugleid) als heiliges Geheim—
niß betrachten follen, fann num entweder für einen göttlich eingegebe-
boten ift, im ihren heiligen Büchern zu lejen), der Vermiſchung mit fremdem Glauben
nicht entgangen find, Was die Ruben aber für ſich allein dennoch nicht würden
bewirkt haben, das that bie chriftliche und fpäterhin die mohammebaniiche Religion,
vornehmlich die erftere: weil fie den jübifchen Glauben und bie dazu gehörigen heili«
gen Bücher vorausfeben (wenn gleich die letztere fie für verfälfcht ausgiebt). Denn
bie Suben fonnten bei den von ihnen ausgegangenen Ghriften ihre alten Documente
immer wieber auffinden, wenn jie bei ihren Wanderungen, wo bie Gejchiclichfeit
fie zu lefen und baber bie Luft fie zu befiten vielfältig erlofchen fein mag, nur bie
Erinnerung übrig behielten, daß fie deren ehedem einmal gehabt hätten. Daher
trifft man aufer ben gedachten Ländern auch feine Suden, wenn man bie wenigen
auf ber Malabarfüjte und etwa eine Gemeinde in China ausnimmt (von welchen
bie erjteren mit ihren Glaubensgenofien in Arabien im beitändigen Hanbelsverfehr
fein Fonnten), obgleich nicht zu zweifelm ift, daß fie ſich nicht in jene reichen Yänber
auch jollten ausgebreitet haben, aber aus Mangel aller Berwanbtfchaft ihres
Glaubend mit den dortigen &laubensarten im völlige Bergefienheit des ihrigen
gerathen find. Erbauliche Betrachtungen aber auf diefe Erhaltung des jüdijchen
Bolls ſammt ihrer Religion ımter ihnen jo nachtheiligen Umſtänden zu gründen, ift
eſhhr miß lich, weil ein jeber beider Theile babei jeine Nechnung zu finden glaubt.
Der eine fieht in der Erhaltung des Volls, wozu er gehört, und feines ungeachtet
ber Zerſtreuung unter jo mancherlei Völker unvermiſcht bleibenden alten Glaubens
ben Beweis einer dafjelbe für ein Fünftiges Erdenreich aufjparenden bejonderen
gütigen Vorſehung; der andere nichts ald warnende Ruinen eines zerjtörten, bem
eintretenden Himmelreich ſich widerfehenden Staats, die eine befondere Vorſehung
noch immer erhält, theils um die alte Weiffagung eines von dieſem Bolfe aus:
gehenden Meſſias im Andenken aufzubehalten, theild um ein Beifpiel der Straf.
gerechligfeit, weil es fich hartnädigerweife einen politifchen, nicht einen moralijchen
Begriff von dbemielben machen wollte, an ihm zu ſtatuiren.
nen, oder einen reinen Vernunftglauben gehalten werden. Ohne
durd) die größte Noth zur Annahme des erften gedrungen zu fein, werden
wir es uns zur Marime machen, es mit dem leßtern zu halten. — Gefühle
find nit Erfenntniffe und bezeichnen alfo aud) Fein Geheimniß, und da
das legtere auf Vernunft Beziehung hat, aber doch nicht allgemein mit-
getheilt werden fann, jo wird (wenn je ein ſolches ift) jeder es nur in
jeiner eignen Vernunft aufzufuchen haben.
Es iſt unmöglid), a priori und objectiv auszumadhen, ob es der-
gleichen Geheimniſſe gäbe, oder nicht. Wir werden alfo in dem Innern,
dem Subjectiven unferer moralifhen Anlage, unmittelbar nachſuchen
müfjen, um zu fehen, ob ſich dergleichen in uns finde. Doch werden wir
nicht die ung unerforſchlichen Gründe zu dem Moraliſchen, was ſich zwar
öffentlich mittheilen läßt, wozu uns aber die Urſache nicht gegeben ift,
jondern das allein, was uns fürs Erkenntniß gegeben, aber doch einer
öffentlichen Mittheilung unfähig ift, zu den heiligen Geheimniffen zählen
dürfen. So ijt die Freiheit, eine Eigenfdaft, die dem Menſchen aus der
Beitimmbarkeit feiner Willkür durd) das unbedingt moraliſche Gefeß Fund
wird, fein Geheimniß, weil ihr Erfenntniß jedermann mitgetheilt
werden kann; der uns unerforſchliche Grund diejer Eigenſchaft aber iſt
ein Geheimniß, weiler uns zur Erfenntnig nicht gegeben ift. Aber
eben dieje Freiheit iſt aud) allein dasjenige, was, wenn fie auf das letzte
Objeet der praktiſchen Vernunft, die Realifirung der Idee des moraliſchen
—— angewandt wird, uns unvermeidlich auf heilige Geheimniſſe
ee aller Materie der Welt uns
unbefannt, dermaßen daß man noch dazu einjehen fann, fie koͤnne von und nie
erfann de 22 erſte und unbedingt ihr ſelbft
belwohnen Farin BERN Sein * fonbern
genacht werben, weil ihe Geſeh hinreichend erfannt it. Wenn
mie die gti Allgegemvart in der Erſcheinung (omni-
non) NIE ——— fie zu erflären (denn
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Don bem Siege bes guten Princips Aber bas böfe. 139
Weil der Menſch die mit der reinen moralijhen Gefinnung unzer:
trennlid verbundene Idee des höchſten Guts (nicht allein von Seiten der
dazu gehörigen Glüdjeligkeit, jondern auc) der nothwendigen Bereinigung
der Menſchen zu dem ganzen Zwed) nicht ſelbſt realifiren kann, gleich-
wohl aber darauf hinzumirfen in fich Pflicht antrifft, jo findet er fid) zum
Glauben an die Mitwirkung oder Veranftaltung eines moralifchen Welt»
herrſchers hingezogen, wodurch diefer Zweck allein möglich ift, und nun
eröffnet ji) vor ihm der Abgrund eines Geheimnifjes von dem, was
Gott hiebei thue, ob ihm überhaupt etwas und was ihm (Gott) be-
o jonders zuzuſchreiben ſei, indejjen daß der Menſch an jeder Pflicht nichts
anders erkennt, als was er jelbft zu thun habe, um jener ihm unbekannten,
wenigſtens unbegreiflichen Ergänzung würdig zu fein.
Dieje Idee eines moraliihen Weltherrihers ijt eine Aufgabe für
unjere praktiſche Vernunft. Es liegt uns nicht ſowohl daran, zu willen,
was Gott an ſich jelbjt (feine Natur) ei, jondern was er für uns als mo—
raliſche Weſen jei; wiewohl wir zum Behuf diefer Beziehung die göttliche
Naturbeſchaffenheit jo denken und annehmen müſſen, als es zu diefem
Derhältnifje in der ganzen zur Ausführung feines Willens erforderlichen
Bolllommenheit nöthig ift (3. B. als eines unveränderlichen, allwiffenden,
allmädjtigen ıc. Wejens), und ohne diefe Beziehung nichts an ihm erfennen
fönnen.
Diefem Bedürfnifje der praktiichen Vernunft gemäß ift nun der all-
gemeine wahre Neligionsglaube der Glaube an Gott 1) als den allmädti-
gen Schöpfer Himmels und der Erden, d. i. moraliſch als heiligen Ge-
jebgeber, 2) an ihn, den Erhalter des menſchlichen Geſchlechts, als güti—
gen Regierer und moraliſchen Verſorger dejjelben, 3) an ihn, den Ver:
walter jeiner eignen heiligen Gejebe, d. i. als gerechten Nidter.
bie Grenzen aller unferer Einficht hinaus. — Es giebt Geheimniffe, Verborgen-
beiten (arcana) der Nalur, es kann Geheimniffe (Geheimhaltung, secreta) der Politik
geben, die nicht Öffentlich befannt werden jollen; aber beide können uns doch,
fo fern fie auf empirischen Urfachen beruhen, bekannt werden. In Anjehung deſſen,
was zu erfennen allgemeine Menfchenpflicht ift, (mämlich des Moralifchen) kann es
fein Geheimmiß geben, aber in Anfehung beifen, was nur Gott thun kann, wozu
eiwas jelbit zu thun unſer Vermögen, mithin auch unfere Pflicht überfteigt; da
fan es nur eigentliches, nämlich heiliges Geheimniß (mysterium) der Religion
geben, wovon uns eiwa nur, daß e3 ein folches gebe, zu willen und es zu ber
ftehen, nicht eben es einzufehen, nüglich fein möchte.
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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 141
Weil aber doch diefer Glaube, der das moraliihe Verhältniß der
Menſchen zum höchſten Wejen zum Behuf einer Religion überhaupt von
ſchädlichen Anthropomorphismen gereinigt und der ächten Sittlichkeit
eines Volfs Gottes angemefjen bat, in einer (der chriſtlichen) Glaubens
lehre zuerft und in derjelben allein der Welt öffentlich aufgeftellt worden:
jo fann man die Bekanntmachung dejjelben wohl die Offenbarung des-
jenigen nennen, was für Menjhen durd ihre eigene Schuld bis dahin
Geheimniß war.
In ihr nämlid heißt e8 erftlich: man foll den höchſten Geſetzgeber
als einen ſolchen ſich nicht als gnädig, mithin nachſichtlich (indulgent)
für die Schwäche der Menſchen, noch despotijch und bloß nad) feinem
unbeſchraͤnkten Recht gebietend und jeine Geſetze nicht als willfürliche, mit
unjern Begriffen der Sittlichkeit gar nicht verwandte, jondern als auf
Heiligkeit des Menſchen bezogene Geſetze vorftellen. Zweitens, man muf
feine Güte nicht in einem unbedingten Wohlwollen gegen feine Ge—
ſchöpfe, jondern darein jeben, daß er auf die moraliihe Beichaffenheit
derjelben, dadurch fie ihm wohlgefallen können, zuerft fieht und ihr
Unvermögen, diejer Bedingung von felbjt Genüge zu thun, nur alsdann
ergänzt. Drittens, jeine Gerechtigkeit fann nicht als gütig und ab-
bittlich (weldhes einen Widerjprud enthält), noch weniger als in der
Dualität der Heiligfeit des Gejeßgebers (vor der fein Menſch gerecht
ift) ausgeübt vorgeftellt werden, jondern nur als Einfhränfung der Gü-
tigfeit auf die Bedingung der Übereinftimmung der Menſchen mit dem
heiligen Gejebe, jo weit fie als Menjchenfinder der Anforderung des
legtern gemäß fein könnten. — Mit einem Wort: Gott will in einer drei=
fachen, ſpecifiſch verſchiedenen moraliſchen Qualität gedient fein, für welche
die Benennung der verjchiedenen (nicht phyſiſchen, fondern moralijchen)
Perfönlichkeit eines und defjelben Mejens fein unjhidliher Ausdrud ift,
welches Slaubensiymbol zugleich die ganze reine moraliſche Religion aus:
drüdt, die ohne dieje Unterſcheidung ſonſt Gefahr läuft, nad) dem Hange
des Menſchen, fid) die Gottheit wie ein menſchliches Oberhaupt zu denen,
Thor, ben richtenben (ftrafenden) Gott. Selbſt die Juden fcheinen in ben letzten
Beiten ihrer hierarchifchen Verfaſſung diefen Ideen nachgegangen zu fein. Denn
in ber Auflage ber Pharijäer, daß Ehriftus fi einen Sohn Gottes genannt
babe, jcheinen fie auf die Lehre, daß Bott einen Sohn habe, Fein befonderes Ge-
wicht der Beicyuldigung zu legen, fondern nur darauf, dab Er biejer Sohn Gottes
babe fein wollen.
142 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermumft. Drittes Stüd.
(weil er in feinem Regiment dieje dreifache Dualität gemeiniglich nicht
von einander abjondert, jondern fie oft vermifcht oder verwechſelt) in einen
anthropomorphiftiihen Frohnglauben auszuarten.
Menn aber eben diefer Glaube (an eine göttliche Dreieinigkeit) nicht
bloß als Vorftellung einer praktiſchen Idee, jondern als ein foldyer, der
das, was Gott an ſich jelbft fei, vorftellen jolle, betrachtet würde, jo würde
er ein alle menschlichen Begriffe überfteigendes, mithin einer Offenbarung
für die menſchliche Faſſungskraft unfähiges Geheimniß fein und als ein
ſolches in diefem Betracht angekündigt werden fünnen. Der Glaube an
dafjelbe als Erweiterung der theoretiidhen Erkenntniß von der göttlichen
Natur würde nur das Bekenntniß zu einem den Menſchen ganz unver—
ſtändlichen und, wenn fie es zu verftehen meinen, anthropomorphiftiichen
Symbol eines Kirdhenglaubens jein, wodurd) für die fittlihe Beſſerung
nicht das mindefte ausgerichtet würde. — Nur das, was man zwar in
praftijcher Beziehung gang wohl verftehen und einjehen kann, was aber
in theoretifher Abfiht (zur Beftimmung der Natur des Objects an fi)
alle unjre Begriffe überjteigt, ift Geheimniß (in einer Beziehung) und
fann dod) (in einer andern) geoffenbart werden. Bon der lebtern Art ift
das obenbenannte, weldyes man in drei uns durch unfre eigne Vernunft
geoffenbarte Geheimnijje eintheilen fann:
1. Das der Berufung (der Menjchen als Bürger zu einem ethi-
ſchen Staat). — Wir fünnen uns die allgemeine unbedingte Unterwer-
fung des Menſchen unter die göttliche Gejebgebung nicht anders denken,
als ſofern wir uns zugleich als feine Geſchöpfe anjehen; eben jo wie
Gott nur darum als Urheber aller Naturgejege angejehen werden kann,
weil er der Schöpfer der Naturdinge ift. Es iſt aber für unſere Vernunft
ſchlechterdings unbegreiflich, wie Wejen zum freien Gebrauch ihrer Kräfte
erſchaffen jein jollen: weil wir nad) dem Princip der Eaujalität einem
Weſen, das als hervorgebradht angenommen wird, feinen andern innern
Grund feiner Handlungen beilegen können als denjenigen, welchen die
hervorbringende Urſache in dafjelbe gelegt hat, durch welchen (mithin
durch eine äußere Urſache) dann aud jede Handlung defielben bejtimmt,
mithin diejes Wejen felbft nicht frei fein würde. Aljo läßt ſich die gött-
liche, heilige, mithin bloß freie Weſen angehende Gejebgebung mit dem
Degriffe einer Schöpfung derjelben durch unſere Vernunfteinficht nicht
vereinbaren, jondern man muß jene jchon als erijtirende freie Weſen be-
trachten, welche nicht durch ihre Naturabhängigfeit vermöge ihrer Schöp-
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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 143
fung, jondern durch eine bloß moralifche, nad) Gejeken der Freiheit mög-
liche Nöthigung, d.i. eine Berufung zur Bürgerſchaft im göttlichen Staate,
bejtimmt werden. So ijt die Berufung zu diefem Zwecke moralifc ganz
flar, für die Speculation aber ift die Möglichkeit diefer Berufenen ein un-
durchdringliches Geheimniß.
2. Das Geheimniß der Genugthuung. Der Menſch, jo wie wir
ihn kennen, ift verderbt und keinesweges jenem heiligen Geſetze von felbft
angemefjen. Gleihmwohl, wenn ihn die Güte Gottes gleihjam ins Dajein
gerufen, d. i. zu einer befondern Art zu eriftiren (zum Gliede des Himmel-
reichs) eingeladen hat, jo muß er and) ein Mittel haben, den Mangel feiner
hierzu erforderlichen Tauglichkeit aus der Fülle feiner eignen Heiligkeit
zu erjeßen. Diejes ijt aber der Spontaneität (welche bei allem morali-
ihen Guten oder Böjen, das ein Menſch an fi) haben mag, vorausgejeßt
wird) zumider, nach welcher ein ſolches Gute nicht von einem andern, ſon—
dern von ihm ſelbſt herrühren muß, wenn es ihm foll zugerechnet werden
können. — Es fann ihn alfo, joviel die Vernunft einfieht, fein andrer
durch das Übermaß feines Wohlverhaltens und durd) fein Verdienft ver-
treten; oder wenn diejes angenommen wird, jo kann es nur in moralijcher
Abſicht nothwendig fein, es anzunehmen; denn fürs Bernünfteln ift es
ein unerreichbares Geheimniß.
3. Das Geheimniß der Erwählung. Wenn aud jene jtellver-
tretende Genugthuung als möglicd eingeräumt wird, fo ift doch die mo—
raliſch-gläubige Annehmung derjelben eine Willensbeftimmung zum Gu—
ten, die ſchon eine gottgefällige Gefinnung im Menſchen vorausfeßt, die
dieſer aber nad) dem natürlichen Verderben in fid) von felbjt nicht hervor-
bringen fan. Daß aber eine himmlische Gnade in ihm wirken folle, die
diejen Beiftand nicht nad) Verdienft der Werke, jondern durd) unbedingten
Rakhſchluß einem Menſchen bewilligt, dem andern verweigert, und der
eine Theil unfers Geſchlechts zur Seligfeit, der andere zur ewigen Ber:
werfung auserjehen werde, giebt wiederum feinen Begriff von einer gött-
lien Gerechtigkeit, jondern müßte allenfalls auf eine Weisheit bezogen
werden, deren Regel für uns jchlechterdings ein Geheimniß ift.
Über dieje Geheimnifje num, fofern fie die moralijche Lebensgeſchichte
jedes Menjchen betreffen: wie es nämlich zugeht, daß ein ſittlich Gutes
oder Böjes überhaupt in der Welt fei, und (ift das letztere in allen und
zu jeder Zeit) wie aus dem letztern doc) das erftere entjpringe und in ir
gend einem Menſchen hergeftellt werde; oder warum, wenn Diejes an
144 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vermunft. Drittes Stüd.
einigen gejchieht, andre doc davon ausgeſchloſſen bleiben, — hat uns
Gott nichts offenbart und kann uns aud) nichts offenbaren, weil wir es
dod) nicht verjtehent) würden. Es wäre, als wenn wir das, was ge
ſchieht, am Menſchen aus feiner Freiheit erklären und uns begreiflid
machen wollten, darüber Gott zwar durchs moraliihe Gejeß in uns 5
feinen Willen offenbart hat, die Urſachen aber, aus welchen eine freie
Handlung auf Erden geſchehe oder auch nicht gejchehe, in demjenigen
Duntel gelafjen hat, in welchem für menſchliche Nachforſchung alles blei-
ben muß, was als Gejhichte doch aud) aus der Freiheit nad) dem Geſetze
der Urſachen und Wirkungen begriffen werden foll+F). Über die objective ı
Negel unjers Verhaltens aber ift uns alles, was wir bedürfen, (durd)
Vernunft und Schrift) hinreichend offenbart, und diefe Offenbarung ift
zugleich für jeden Menjchen verftändlich.
Daß der Menſch durchs moralifche Gejeß zum guten Lebenswandel
berufen jei, daß er durch unauslöſchliche Achtung für dafjelbe, die in ihm
liegt, aud) zum Zutranen gegen dieſen guten Geift und zur Hoffnung, ihm,
wie es auch zugehe, genug thun zu fönnen, Verheißung in fid) finde, end-
li, daß er, die leßtere Erwartung mit dem ftrengen ®ebot des eritern zu—
-.
=}
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Er
+) Man trägt gemeiniglid) fein Bedenken, ben Lehrlingen ber Neligion den
Glauben an Geheimnifje zuzumuthen, weil, daß wir fie nicht begreifen, d. i. die
Möglichkeit des Gegenjtandes berjelben nicht einjehen fünnen, und eben jo wenig
zur Weigerung ihrer Annahme berechtigen Fönne, ald etwa bas Fortpflanzungäver-
mögen organijcher Dlaterien, was auch fein Menich begreift und darum doch nicht
anzunehmen gemweigert werben fann, ob es gleich ein Geheimniß für uns iſt und
bleiben wird. Aber wir verjtehben doch jehr wohl, was biejer Ausbrud jagen 25
wolle, und haben einen empirifchen Begriff von bem Gegenitande mit Bewußtiein,
ba darin Fein Widerſpruch ſei. — Bon einem jeden zum Glauben aufgeitellten
Geheimniffe fann man nun mit Recht forbern, daß man verftebe, was unter dem⸗
jelben gemeint jei; welches nicht dadurch geichiebt, dak man die Wörter, woburd)
es angebeutet wirb, einzeln verſteht, db. i. damit einen Simm verbindet, fondern =
daß fie, zufammen in einen Begriff geiaht, noch einen Sinn zulaffen müflen und
nicht etwa babei alles Denen auägebe. — Dak, wenn man jeinerfeitd eö nur nicht
am ernitlihen Wunſch ermangeln läßt, Bott dieſes Erkenntniß uns wohl durch
Eingebung zukommen laffen Eönne, läßt ſich nicht denfen; denn es fann uns gar
nicht inbäriren, weil die Natur unferes Verflandes deſſen unfäbig ift. EHI
Tr) Daber wir, was freiheit fei, im praftiicher Beziehung (wenn von Pflicht
die Rebe iſth gar wohl verfteben, im iheoretiicher Abſicht aber, was die Gaufalität
derjelben (gleichiam ihre Natur) betrifft, ohne Wideripru nicht einmal daran
benfen können, fle veriteben zu wollen.
Bon bem Siege bes guten Princips über das böfe. 145
ſammenhaltend, ſich als zur Rechenſchaft vor einen Richter gefordert be—
fändig prüfen müfje: darüber belehren und dahin treiben zugleich Ver-
nunft, Herz und Gewiſſen. Es ift unbejcheiden, zu verlangen, daß uns
noch mehr eröffnet werde, und wenn dieſes geſchehen fein jollte, müßte er
es nicht zum allgemeinen menſchlichen Bedürfnig zählen.
Obzwar aber jenes, alle genannte in einer Formel befafjende, große
Geheimniß jedem Menſchen durch feine Vernunft als praftifch notwendige
Religionsidee begreiflic gemacht werden fann, jo kann man doch jagen,
daß es, um moraliſche Grundlage der Religion, vornehmlich einer öffent-
lichen, zu werden, damals allererjt offenbart worden, als es öffentlid)
gelehrt und zum Symbol einer ganz neuen Religionsepodye gemadjt wurde.
Solenne Formeln enthalten gewöhnlid) ihre eigene, bloß für die, welche
zu einem bejfondern Verein (einer Zunft oder gemeinen Wejen) gehören,
beftimmte, bisweilen myftijche, nicht von jedem verftandene Sprache, deren
man ſich auch billig (aus Achtung) nur zum Behuf einer feierlichen Hand»
lung bedienen jollte (wie etwa, wenn jemand in eine fid) von andern aus—
jondernde Geſellſchaft als Glied aufgenommen werden joll). Das hödjite,
für Menſchen nie völlig erreichbare Ziel der moraliſchen Volltommenheit
endlicher Geſchöpfe ift aber die Liebe des Geſetzes.
20 Diejer Idee gemäb würde es in der Religion ein Glaubensprincip
jein: „Gott ift die Liebe ; in ihm fann man den Liebenden (mit der Liebe
des moraliihen Wohlgefalleng an Menſchen, jo fern fie jeinem heili-
gen Gejeße adäquat find), den Vater; ferner in ihm, jo fern er ſich in
jeiner alles erhaltenden Idee, dem von ihm jelbjt gezeugten und geliebten
» Urbilde der Menſchheit, darftellt, feinen Sohn; endlich auch, jo fern er
diejes Wohlgefallen auf die Bedingung der Ilbereinftimmung der Men»
ſchen mit der Bedingung jener Liebe des Wohlgefallens einihränft und
dadurd als auf Weisheit gegründete Xiebe beweiit, den heiligen Geiſt“)
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*) Diefer Geift, burch welchen bie Liebe Gottes als Seligmachers (eigentlich
30 umfere biefer gemäße Gegenliebe) mit ber Gottesfurdit vor ihm als Gejehgeber,
b.i. das Bebingte mit ber Bedingung, vereinigt wird, welcher aljo „als von beiden
ausgehend“ vorgeftellt werben kann, iſt, außerdem daß „er in alle Wahrheit (Pflicht-
beobadhtung) leitet“, zugleich ber eigentliche Richter der Menfchen (vor ihrem Ge:
willen). Denn bad Richten kann im zwiefacher Bedeutung genommen werben: ent-
as weber als das ber Berbienjt und Mangel des Verbienftes, oder Aber Schuld und
Unſchulb. Gott, als die Liebe betrachtet (in feinem Sohn), richtet die Menfchen
jo fern, als ihnen über ihre Schuldigfeit noch ein Verbienft zu jtatten fommen
Kant’ Schriften Werte VI 10
Pr
146 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd.
verehren; eigentlich aber nicht in fo vielfacher Perſönlichkeit anrufen
(denn das würde eine Verihiedenheit der Weſen andeuten, er ijt aber
fann, und ba ift fein Ausfprud: würdig ober niht-würbig. Er jondert bie.
jenigen al8 bie Geinen aus, denen ein ſolches noch zugerechnet werden fann. Die
übrigen gehen leer aus. Dagegen ijt die Sentenz des Nichterd nach Geredhtig- 5
feit (des eigentlich jo zu nennenden Richters unter ben Namen bes heiligen Geiftes)
über bie, denen fein Verdienſt zu ftatten kommen fann: fchuldig oder unfchul-
big, db. i. Berbammung ober Losſprechung. — Das Richten bedeutet im erften
Falle die Ausfonderung ber Verbienten von ben Unverdienten, bie beiberjeits
um einen Preis (ber Seligfeit) fich bewerben. Unter Verdienſt aber wirb hier
nicht ein Vorzug der Moralität in Beziehung aufs Geſetz (in Anfehung deffen uns
fein Überfhuß der Pflichtbeobachtung über unfere Schuldigkeit zutommen Tann),
fondern in ®ergleihung mit andern Menſchen, was ihre moralifche Gefinnung be-
trifft, verftanden. Die Würbdigfeit hat immer auch nur negative Bebeutimg
(nichtrummviürbig), nämlich der moraliſchen Empfänglichfeit für eine ſolche Güte. —
Der aljo in der eriten Qualität (als Brabeuta) richtet, fällt das Urtheil ber Wahl
zwiichen zwei fi um ben! Preis (ber Geligleit) bewerbenden PBerjonen (ober
Parteien); der in ber zweiten Qualität aber (der eigentliche Richter) die Sentenz
über eine und diejelbe Perfon vor einem Gerichtähofe (dem Gewiſſen), der zwi—
chen Anfläger und Sachwalter ben Rechtsausſpruch thut. — Wenn num angenommen 20
wird, daß alle Menichen zwar unter ber Sünbenichuld jtehen, einigen von ihnen
aber doch ein Verdienſt zu Statten fommen könne: fo findet ber Ausipruch des
Richters aus Liebe ftatt, deffen Mangel nur ein Abweiſungsurtheil nad
fich ziehen, wovon aber das Berdbammungsurtheil (indem ber Menſch aldbann
bem Richter aus Gerechtigfeit anheim fällt) die unausbleibliche Folge jeiu würde. — 3
Auf ſolche Weife fünnen meiner Meinung nad die jcheinbar einander wiberftreiten-
den Sähe: „Der Sohn wird kommen, zu richten die Lebendigen und bie Tobten“,
und andererſeits: „Bott bat ihn nicht in die Welt gefandt, daß er die Welt richte,
fondern daß fie buch ihn felig werde“ (Ev. Sob. II, 17), vereinigt werben und
mit dem in libereinftimmung ftehen, wo gefagt wird: „Wer an den Sohn nicht 0
alaubet, ber iſt ſchon gerichtet” (V. 18), nämlich burch denjenigen Geift, von bem
es heißt: „Er wird die Melt richten um der Sünde und um der Geredtigfeit
willen“. — Die ängftliche Sorgfalt ſolcher Untericheidungen im Felde der bloken
Bernunft, als für welche fie bier eigentlich angeftellt werden, fünnte man leicht für
unmübe und Läftige Subtilität halten; fie würde es auch jein, wenn fie auf die Er- 3
forfehung ber göttlichen Natur angelegt wäre. Allein da die Menjchen in ihrer
Religionsangelegenheit beftändig geneigt find, ſich wegen ihrer Verſchuldigungen an
bie göttliche Güte zu wenden, gleichwohl aber feine Gerechtigkeit nicht umgehen
fünnen, ein gätiger Richter aber in einer und derielben Berjon ein Widerſpruch
it, jo ſieht man wohl, daß felbft in praftiicher Nüdkficht ihre Begriffe hierüber jehr 40
ichwantend und mit jich ſelbſt unzuſammenſtimmend fein müflen, ihre Berichtigung
und genaue Beitimmung aljo von großer praftifcher Wichtigfeit fei.
—
0
—
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“
Bon dem Siege bed guten Princips über das böſe 147
immer nur ein einiger Gegenftiand), wohl aber im Namen des von ihm
jelbft über alles verehrten, geliebten Gegenfiandes, mit dem es Wunſch
und zugleih Pflicht ift, in moraliſcher Bereinigung zu ftehen. librigens
gehört das theoretiſche Bekenntniß des Glaubens an bie göttliche Natur
in diefer dreifachen Dualität zur blohen Haffilden Formel eines Kirdyen-
glaubens, um ihn von andern aus hiftoriſchen Zuellen abgeleiteten @lan-
bensartem zu unteriyeiben, mit welchem wenige Menſchen einen dentlichen
und beitimmten (feiner Mibdeutung ansgejekten) Begriff zu verbinden im
Stande find, und befien Erörterung mehr ben Lehrern in ihrem Berhält-
niß zu einander (al3 philoſophiſchen und gelehrten Auslegern eines heili-
gen Budys) zufommt, um fich über deſſen Sinn zu einigen, in welchen
nicht alles für die gemeine Faffungskraft, oder aud für das Bebürfuig
diejer Zeit ift, der bloße Buchſtabenglaube aber die wahre Religionöge-
fiunung eher verdirbt als befiert.
10°
Der
Philoſophiſchen Religionslehre
Viertes Stüd.
5
Viertes Stück.
Vom Dienſt und Afterdienſt unter der Herrſchaft des
guten Prineips,
oder
Von Religion und Pfaffenthum.
Es iſt ſchon ein Anfang der Herrſchaft des guten Princips und ein
Zeichen, „daß das Reich Gottes zu uns fomme”, wenn auch nur die
Grundjäße der Eonftitution dejjelben öffentlich zu werden anheben;
denn das iſt in der Veritandeswelt jchon da, wozu die Gründe, die es
allein bewirken können, allgemein Wurzel gefaßt haben, obſchon die voll—
ftändige Entwidelung jeiner Erſcheinung in der Sinnenwelt nody in un—
abjehlider Ferne hinausgerüdt ift. Wir haben gejehen, daß zu einem
ethiſchen gemeinen Weſen ſich zu vereinigen eine Pflicht von bejonderer
Urt (offieium sui generis) ſei, und daß, wenn gleid ein jeder feiner
Privatpflicht gehorht, man daraus wohl eine zufällige Jufammen:
ftimmung aller zu einem gemeinihaftlihen Guten, auch ohne daß dazu
noch bejondere Beranftaltung nöthig wäre, folgern fünne, daß aber dod)
jene Zufammenftimmung aller nicht gehofft werden darf, wenn nicht aus
der Vereinigung derjelben mit einander zu eben demfelben Zwecke und
Erridtung eines gemeinen Weſens unter moraliihen Geſetzen, als
vereinigter und darum ftärferer Kraft, den Anfechtungen des böjen
Princips (welchem Menjchen zu Werkzeugen zu dienen jonjt von einander
felbft verjucht werden) fich zu widerjeben, ein bejonderes Gejchäfte ge
madıt wird. — Wir haben auch gejehen, daß ein ſolches gemeines Weſen,
als ein Reich Gottes, nur durd) Religion von Menjchen unternommen,
und daß endlich, damit dieje öffentlich jei (weldjes zu einem gemeinen
Weſen erfordert wird), jenes in der finnlihen Form einer Kirche vor-
152 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Viertes Stüd.
gejtellt werden könne, deren Anordnung alfo den Menſchen als ein Werf,
was ihnen überlafjen ift und von ihnen gefordert werden fann, zu ftiften
obliegt.
Eine Kirche aber als ein gemeines Wejen nad) Neligionsgejeßen zu
errichten, jcheint mehr Weisheit (jowohl der Einfidht als der guten ®e-
finnung nad) zu erfordern, als man wohl den Menjdyen zutrauen darf,
zumal das moraliſche Gute, welches durch eine joldye Beranftaltung be=
abfichtigt wird, zu diefem Behuf ſchon an ihnen vorausgejegt werden
zu müſſen ſcheint. In der That ift es auch ein widerfinnijcher Ausdrud,
daß Menſchen ein Reid, Gottes ftiften follten (jo wie man von ihnen
wohl jagen mag, daß fie ein Reich eines menſchlichen Monarchen errichten
fönnen); Gott muß jelbjt der Urheber jeines Reichs fein. Allein da wir
nicht willen, was Gott unmittelbar thue, um die Idee jeines Reichs, in
welchem Bürger und Unterthanen zu fein wir die moraliſche Bejtimmung
in uns finden, in der Wirklichkeit darzujtellen, aber wohl, was wir zu
thun haben, um uns zu Gliedern bejjelben tauglid zu machen, jo wird
diefe Idee, fie mag nun durch Vernunft oder durd Schrift im menſch—
lihen Geſchlecht erwedt und öffentlich geworden jein, uns dod zur An-
ordnung einer Kirche verbinden, von welcher im leßteren Fall Gott jelbit
als Stifter der Urheber der Conſtitution, Menſchen aber dod als
Glieder und freie Bürger diejes Reichs in allen Fällen die Urheber der
Drganijation find; da denn diejenigen unter ihnen, welde der legtern
gemäß die öffentlichen Geſchäfte derjelben verwalten, die Adminiftra-
tion derſelben, als Diener der Kirche, jo wie alle übrige eine ihren Ge-
jeßen untermorfene Mitgenofjenihaft, die Gemeinde, ausmaden.
Da eine reine Vernunftreligion als öffentlicher Religionsglaube nur
die bloße Idee von einer Kirche (nämlich einer unfichtbaren) verftattet,
und die fihtbare, die auf Sakungen gegründet ift, allein einer Organi-
jation dur Menſchen bedürftig und fäbig ift: jo wird der Dienft unter
der Herrjhaft des guten Princips in der erften nicht als Kirchendienft
angejehen werden fönnen, und jene Religion hat feine geſeßliche Diener,
ald Beamte eines eihiihen gemeinen Wejens; ein jedes Glied defjelben
empfängt unmittelbar von dem hoͤchſten Geſetzgeber jeine Befehle. Da
wir aber gleihwohl in Anjehung aller unjerer Pflichten (die wir ins-
gefammt zugleich als göttliche Gebote anzujchen haben) jederzeit im
Dienjte Gottes ftehen, j6 wird die reine Bernunftreligion alle wohl-
denkende Menſchen zu ihren Dienern (dob ohne Beamte zu jein)
Pr
&
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5
spurius) wird die Überredung jemanden durch ſolche Handlungen zu dienen
» berftanden, die in der That diejes jeine Abſicht rüdgängig machen. Das
geihieht aber in einem gemeinen Wejen dadurd, dab, was nur den Werth
eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu thun, für
dasjenige ausgegeben und an die Stelle deſſen gejebt wird, was ung ihm
unmittelbar wohlgefällig made; wodurd dann die Abſicht des letzteren
»s vereitelt wird.
Erfter Theil.
Vom Dienft Gottes in einer Religion überhaupt.
Religion ift (fubjectiv betrachtet) das Erfenntniß aller unferer
Pflichten als göttliher Gebote*). Diejenige, in welcher ich vorher wiſſen
30 *) Durch diefe Definition wird mancher fehlerhaften Deutung bed Begriffs
einer Religion überhaupt vorgebeugt. Erftlich: daß im ihr, was das theoretifche
Erkenniniß und Belenntnih betrifft, kein aflertoriiches Willen (felbft bed Dafeind
Gottes nicht) gefordert wird, weil bei dem Mangel unferer Einficht überfinnlicher
Gegenftände dieſes Bekenntniß ſchon geheuchelt fein Fönnte; fonbern nur ein ber
3 Gpeculation nad) über die oberjte Urfache der Dinge problematifches Annehmen
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erfennen, ift die geoffenbarte (oder einer Offenbarung benöthigte)
Religion: dagegen diejenige, in der ich zuvor wien muß, daß etwas
natürliche Religion. — Der, welcher bloß die natürliche Religion für >
moralifchenothwendig, d.i. für Pflicht, erklärt, kann aud) der Nationalift
übernatürlichen göttlichen Offenbarung verneint, jo heißt er Naturalift;
läht er nun diefe zwar zu, behauptet aber, daß fie zu kennen und für
(in Glaubensjadhen) genannt werden. Wenn diejer die Wirklichkeit aller
muß, daf etwas ein göttliches Gebot fei, um es als meine Pflicht anzu⸗
Pflicht fei, ehe ich es für eim göttliches Gebot anerkennen kann, ift die
Bom Dienjt und Afterdienft unter der Herrichaft bes guten Principe. 155
wirflid anzunehmen zur Neligion nicht nothwendig erfordert wird, fo
würde er ein reiner Nationalift genannt werden können; hält er aber
den Glauben an diejelbe zur allgemeinen Religion für nothwendig, jo
würde er der reine Supernaturalift in Glaubensjadhen heißen können.
5 Der Rationalift muß ſich vermöge diejes feines Titels von ſelbſt
ſchon innerhalb der Schranfen der menſchlichen Einficht halten. Daher
wird er nie als Naturalift abjprehen und weder die innere Möglichkeit
der Offenbarung überhaupt, noch die Nothwendigkeit einer Offenbarung
als eines göttlichen Mittels zur Introduction der wahren Neligion bes
io fireiten; denn hierüber kann fein Menſch durd Vernunft etwas aus—
machen. Aljo kann die Streitfrage nur die wechjeljeitigen Anſprüche des
reinen Rationaliften und des Supernaturalijten in Glaubensſachen, oder
dasjenige betreffen, was der eine oder der andere als zur alleinigen
wahren Religion nothwendig und hinlänglich, oder nur als zufällig an
ıs ihr annimmt,
Wenn man die Religion nit nad ihrem erften Urfprunge und
ihrer innern Möglichkeit (da fie in natürliche und geoffenbarte eingetheilt
wird), jondern bloß nad) der Beichaffenheit derjelben, die fie der äußern
Mittheilung fähig macht, eintheilt, jo fann fie von zweierlei Art jein:
»o entweder die natürliche, von der (wenn fie einmal da iſt) jedermann
durd; jeine Vernunft überzeugt werden fann, oder eine gelehrte Re—
ligion, von der man andere nur vermittelft der Gelehrſamkeit (in und
durch welche fie geleitet werden müfjen) überzeugen kann. — Dieſe Unter-
ſcheidung ift jehr wichtig, denn man kann aus dem Urjprunge einer
s Religion allein auf ihre Tauglichfeit oder Untauglichkeit, eine allgemeine
Menjchenreligion zu fein, nichts folgern, wohl aber aus ihrer Beſchaffen—
beit allgemein mittheilbar zu jein, oder nicht; die erjtere Eigenſchaft aber
madt den wejentlihen Charakter derjenigen Religion aus, die jeden
Menſchen verbinden joll.
” Es kann demnach eine Religion die natürliche, gleihwohl aber
aud) geoffenbart jein, wenn fie jo beichaffen ift, daß die Menſchen durch
den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft auf fie von jelbft Hätten fommen
fönnen und jollen, ob fie zwar nicht jo früh, oder in fo weiter Aus-
breitung, als verlangt wird, auf diefelbe gefommen fein würden, mithin
» eine Offenbarung derjelben zu einer gewiffen Zeit und an einem gewifjen
Ort weile und für das menſchliche Geſchlecht jehr erſprießlich jein fonnte,
jo doch, daß, wenn die dadurd) eingeführte Religion einmal da ift und
156 "Religion innerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Viertes Stüd.
öffentlich befannt gemacht worden, forthin jedermann ſich von diejer ihrer
Wahrheit dur ſich jelbit und feine eigene Vernunft überzeugen kann.
In diefem Falle ift die Religion objectiv eine natürliche, obwohl ſub⸗
jectiv eine geoffenbarte; weshalb ihr aud) der erftere Namen eigentlich)
gebührt. Denn es könnte in der Folge allenfalls gänzlich in Bergefjenheit
‚ kommen, daß eine joldhe übernatürlie Dffenbarung je vorgegangen
jet, ohne daß dabei jene Religion doch das mindejte weder an ihrer
Faßlichkeit, noch an Gewißheit, nod an ihrer Kraft über die Gemüther
verlöre, " Mit der Religion aber, die ihrer innern Beſchaffenheit wegen
nur als geoffenbart angejehen werden fann, ift es anders bewandt. Wenn
fie nit in einer ganz fihern Tradition oder in heiligen Büchern als
Urkunden aufbehalten würde, jo würde fie aus der Welt verjchwinden,
und e8 müßte entweder eine von Zeit zu Zeit öffentlich wiederholte, oder
in jedem Menſchen innerlich eine continuirlid) fortdauernde übernatürliche
Dffenbarung vorgehen, ohne welche die Ausbreitung und Fortpflanzung
eines folden Glaubens nicht möglid) jein würde.
Aber einem Theile nad wenigftens muß jede, ſelbſt die geoffenbarte
Religion doch auch gewifje Principien der natürlichen enthalten. Denn
Dffenbarung fann zum Begriff einer Religion nur durd) die Vernunft
hinzugedacht werden, weil diefer Begriff jelbft, als von einer Berbindlid-
keit unter dem Willen eines moralijhen Gejeggebers abgeleitet, ein
reiner Bernunftbegriff ift. Alſo werden wir ſelbſt eine geoffenbarte
Religion einerjeits no als natürliche, andererjeits aber als gelehrte
Religion betraditen, prüfen und, was oder wie viel ihr von der einen
ober der andern Duelle zuftehe, unterjheiden können
Es läßt ſich aber, wenn wir von einer geoffenbarten (wenigftens
einer dafür angenommenen) Religion zu reden die Abſicht haben, diejes
nicht wohl thun, ohne irgend ein Beijpiel davon aus der Geſchichte her⸗
zunehmen, weil wir uns doc Fälle als Beijpiele erdenten müßten, um
ne — welcher Fälle Moͤglichteit uns aber ſonſt beſtritten
Wir können aber nicht beſſer thun, als irgend ein Buch,
Beides erlegen enthält, vornchnii ein jet, welches mit fitilichen,
ww
Vom Dienft und Afterdienft unter der Herrichaft des guten Principe. 157
fahrens, das, was uns darin reine, mithin allgemeine Vernunftreligion
jein mag, herauszufuchen, vor ung nehmen, ohne dabei in das Geſchäfte
derer, denen die Auslegung defielben Buchs als Inbegriff pofitiver
Dffenbarungslehren anvertraut ift, einzugreifen und ihre Auslegung, die
fi auf Gelehrſamkeit gründet, dadurch anfechten zu wollen. Es ift der
leßteren vielmehr vortheilhaft, da fie mit den Philojophen auf einen und
denjelben Zwed, nämlich das Moraliſch-Gute, ausgeht, diefe durch ihre
eigene Bernunftgründe eben dahin zu bringen, wohin fie auf einem
andern Wege jelbft zu gelangen denkt. — Diejes Bud) mag nun hier das
»» N.T. als Duelle der hriftlihen Glaubenslehre fein. Unſerer Abficht zu—
folge wollen wir nun in zwei Abjchnitten erftlich die hriftliche Neligion
als natürliche und dann zweitens als gelehrte Religion nad ihrem In—
halte und nad) den darin vorkommenden Principien vorftellig machen.
Des erften Theils
15 erjter Abſchnitt.
Die Hriftlihe Religion als natürliche Religion.
Die natürliche Religion als Moral (in Beziehung auf die Freiheit
des Subjects), verbunden mit dem Begriffe desjenigen, was ihrem legten
Zwede Effect verihaffen kann, (dem Begriffe von Gott als moralijchem
» Welturheber) und bezogen auf eine Dauer des Menjchen, die diefem gan
zen Zwecke angemefjen ift (auf Unfterblicjfeit), ijt ein reiner praftijcher
Bernunftbegriff, der ungeachtet feiner unendlichen Fruchtbarkeit doch nur
jo wenig theoretifches Vernunftvermögen vorausjeßt, daß man jeden Men-
jchen von ihr praktiſch hinreichend überzeugen und wenigjtens die Wirkung
»s derjelben jedermann als Pflicht zumuthen kann. Sie hat die große Er-
forberniß der wahren Kirche, nämlich die Dualification zur Allgemeinheit,
in fi, jofern man darunter die Gültigkeit für jedermann (universitas vel
omnitudo distributiva), d. i. allgemeine Einhelligfeit, verfteht. Um fie in
dieſem Sinne als Weltreligion auszubreiten und zu erhalten, bedarf fie
» freilich zwar einer Dienerjchaft (ministerium) der bloß unfihtbaren Kirche,
aber feiner Beamten (officiales), d. i. Lehrer, aber nicht Vorſteher, weil
durch Vernunftreligion jedes Einzelnen noch feine Kirche als allgemeine
Bereinigung (omnitudo collectiva) eriftirt, oder auch durd) jene Idee
eigentlich beabfichtigt wird. — Da fid) aber eine joldye Einhelligfeit nicht
158 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft, Biertes Stüd.
von jelbjt erhalten, mithin, ohne eine fihtbare Kirche zu werden, im ihrer
Allgemeinheit nit fortpflanzen dürfte, jondern nur, wenn eine collective
Allgemeinheit, d. i. Vereinigung der Gläubigen in eine (fihtbare) Kirche
nad Principien einer reinen Bernunftreligion, dazu fommt, dieje aber
aus jener Einhelligfeit nicht von ſelbſt entjpringt, oder auch, wenn fie er:
richtet worden wäre, von ihren freien Anhängern (wie oben gezeigt wor-
den) nicht in einen beharrlihen Zuſtand als eine Gemeinſchaft der
Gläubigen gebradyt werden würde (indem Feiner von diefen Erleuchteten
zu feinen Religionsgefinnungen der Mitgenofjenfchaft anderer an einer
ſolchen Religion zu bedürfen glaubt): jo wird, wenn über die natürlichen,
durd bloße Vernunft erfennbaren Gejege nicht noch gewiſſe jtatutarifche,
aber zugleich mit gejeßgebendem Anjehen (Autorität) begleitete Verord-
nungen hinzukommen, dasjenige doch immer noch mangeln, was eine be-
jondere Pflicht der Menſchen, ein Mittel zum höchſten Zwede derjelben,
ausmacht, nämlich die beharrliche Bereinigung derjelben zu einer allge ı;
meinen ſichtbaren Kirche; welches Anjehen, ein Stifter derjelben zu fein,
ein Factum und nicht bloß den reinen Bernunftbegriff vorausjeßt.
Wenn wir num einen Lehrer annehmen, von dem eine Geſchichte (oder
wenigftens die allgemeine, nicht gründlich zu beftreitende Meinung) jagt,
daß er eine reine, aller Welt faßliche (natürliche) und eindringende Re—
ligion, deren Lehren als uns aufbehalten wir desfalls ſelbſt prüfen können,
zuerjt öffentlid und fogar zum Troß eines läftigen, zur moraliſchen Ab-
ficht nicht abzwedenden herrſchenden Kirchenglaubens (defjen Frohndienft
zum Beijpiel jedes andern in der Hauptſache bloß ftatutarifchen Glaubens,
dergleichen in der Welt zu derjelben Zeit allgemein war, dienen fann) =
vorgetragen habe; wenn wir finden, daß er jene allgemeine Vernunft:
religion zur oberften unnachläßlichen Bedingung eines jeden Religions:
glaubens gemacht habe und nun gewiſſe Statuta hinzugefügt habe, welche
Formen und Objervanzen enthalten, die zu Mitteln dienen jollen, eine
auf jene Principien zu grüändende Kirche zu Stande zu bringen: jo fann
man umerachtet der Zufälligfeit und des Willfürlichen jeiner hierauf ab-
zwedenden Anordnungen der leßteren dody den Namen der wahren allge
meinen Kirche, ihm jelbit aber das Anjehen nicht ftreitig machen, die
Menſchen zur Vereinigung in diejelbe berufen zu haben, ohne den Glau—
ben mit nenen beläftigenden Anordnungen eben vermehren, oder aud) aus =
den von ihm zuerſt getroffenen befondere heilige und für ſich jelbit als Re-
ligionsftüde verpflichtende Handlungen machen zu wollen.
nn
=
&
u
Man kann nach diefer Beihreibung die Perfon micht verfehlen, die
zwar nicht ala Stifter der von allen Satungen reinen in aller Menſchen
Herz geihriebenen Religiom (demm die ift nicht vom willfürlichen Ur
ſprunge) aber doch der erften wahren Kirche verehrt werden kann. —
Bas unbe Weraneliiciein werben fein fünnen; denn dieje find
ı £3 allein, die fich felbft beweifen, und auf denen aljo die Beglaubigung
der andern vorzüglid; beruhen muß.
Zuerſt will er, daß nicht die Beobachtung äußerer bürgerlicher oder
ſtatutariſcher Kirchenpflichten, fondern nur die reine moraliihe Herzens-
gefinnung den Menſchen Gott wohlgefällig mahen könne (Matth. V,
ıs 20-48); dab Sünde in Gedanken vor Gott der That gleich geachtet werde
(B. 28) und überhaupt Heiligkeit das Ziel fei, wohin er jtreben joll
dab 3. B. im Herzen hafjen jo viel fei als tödten (B. 22); daß
ein dem Nächſten zugefügtes Unrecht nur dur Genugthuung an ihm
ſelbſt, nicht durch gottesdienftlihe Handlungen fünne vergütet werden
so (B.24), und im Punkte der Wahrhaftigkeit das bürgerliche Erpreſſungs—
mittel®), der Eid, der Achtung für die Wahrheit jelbjt Abbrudy thue
* Es ift nicht wohl einzufehen, warum biefes klare Verbot wiber bas auf
bloßen Wberglauben, nicht auf Gemiflenhaftigfeit gegründete Bwangsmittel zum
Belenntniſſe vor einem bürgerlichen Gerichtshofe von Neligionslehrern für jo un-
gehalten wird. Denn daß es Aberglauben fei, auf deſſen Wirkung man
bier am meiften rechnet, ijt baran zu erfenmen: daß von einem Menichen, bem
man nicht zutranet, er werde in einer feierlichen Ausfage, auf beren Wahrheit bie
Eulſcheidung des Nechts der Menjchen (bes Heiligen, was in ber Welt ift) beruht,
die Wahrheit jagen, doch geglaubt wird, er werbe durch eine Formel bazu bewogen
so werben, bie über jene Ausſage nichts weiter enthält, als daß er bie göttlichen
Strafen (denen er ohnebem wegen einer ſolchen Lüge nicht entgehen kann) über fich
aufeuft, glei; als ob es auf ihn anfomme, vor dieſem höchſten Gericht Rechen
ſchaft zu geben ober nicht. — Im ber angeführten Schriftftelle wird biefe Art ber
Betheurung ala eine ungereimte Vermeſſenheit vorgeftellt, Dinge gleichſam durch
5 Bauberworte wirklich zu machen, bie bod nicht in unferer Gewalt find. — Über
man fieht wohl, baf; ber weife Lehrer, ber da fagt, daß, was über das Ja, Ja!
Nein, Nein! als Beiheurung der Wahrheit geht, vom Übel fei, bie böfe Folge vor
Augen gehabt habe, welche die Eide nad) fi) ziehen: daß nämlich die ihnen beige
legte größere Wichtigkeit die gemeine Yüge beinahe erlaubt macht.
ii
160 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stüd.
(B. 34— 37); — daß der natürliche, aber böje Hang des menſchlichen
Herzens ganz umgefehrt werden folle, das jüße Gefühl der Rache in Duld-
jamfeit (3. 39. 40) und der Haß feiner Feinde in Wohlthätigkeit (V. 44)
übergehen müfje. So, jagt er, jei er gemeint, dem jüdijchen Geſetze völlig
Genüge zu thun (V. 17), wobei aber fihtbarlid nit Schriftgelehriam- 5
feit, jondern reine Bernunftreligion die Auslegerin defjelben fein muß;
denn nad) dem Buchſtaben genommen, erlaubte e3 gerade das Gegentheil
von diefem Allem. — Er läßt überdem doch auch unter den Benennungen
der engen Pforte und des jchmalen Weges die Mißdeutung des Gejeßes
nicht unbemerkt, weldye jich die Menſchen erlauben, um ihre wahre mora-
liſche Pflicht vorbeizugehen und fidy dafür dur Erfüllung der Kirchen:
pflicht ſchadlos zu halten (VII, 13)*). Bon dieſen reinen Gefinnungen
fordert er gleihwohl, daß fie ſich audy in Thaten beweifen jollen (®. 16),
und ſpricht dagegen denen ihre hinterliftige Hoffnung ab, die den Mangel
derjelben durch Anrufung und Hochpreifung des höchſten Gejehgebers in
der Perjon jeines Gejandten zu erjeßen und fi Gunft zu erjchmeicheln
meinen (V. 21). Bon diefen Werfen will er, daß fie um des Beiſpiels
willen zur Nachfolge auch öffentlidy geſchehen ſollen (V, 16) und zwar in
fröhlidyer Gemüthsftimmung, nicht als knechtiſch abgedrungene Handlun-
gen (VI, 16), und daß jo von einem Heinen Anfange der Mittheilung und =
Ausbreitung folder Gefinnungen, als einem Samentorne in gutem Ader
oder einem Ferment des Guten, fi) die Religion durd innere Kraft all-
mählid zu einem Reiche Gottes vermehren würde (XIII, 31. 32. 33). —
Endlich faßt er alle Pflihten 1) in einer allgemeinen Regel zufammen
(welche jowohl das innere, al3 das äußere moralifche Verhältniß der Men-
ſchen in ſich begreift), nämlich: thue deine Pflicht aus feiner andern Trieb»
feder, als der unmittelbaren Werthſchätzung derjelben, d. i. liebe Gott (den
Geſetzgeber aller Pflichten) über alles; 2) einer befonderen Regel, näm—
lid die das äußere Verhältniß zu andern Menſchen als allgemeine Pflicht
betrifft: liebe einen jeden als dich felbft, d. i. befördere ihr Wohl aus un- %
mittelbarem, nicht von eigennüßigen Triebfedern abgeleitetem Wohl—
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*) Die enge Pforte und ber jchmale Weg, der zum Leben führt, ift ber
bes guten Lebenswandeld; bie weite Pforte und der breite Weg, ben viele
wanbeln, ift die Kirche. Nicht ald ob es an ihr und an ihren Satzungen liege,
daß Menjchen verloren werben, fonbern dab das Gehen in biefelbe und Bekenntniß 35
ihrer Statute ober Gelebrirung ihrer Gebräuche für bie Urt genommen wird, burch
bie Gott eigentlich gedient fein will.
Bom Dienſt und Afterbdienft unter der Hertichaft des guten Princips. 161
wollen; welche Gebote nicht bloß Tugendgeſehe, fondern Vorſchriften der
Heiligkeit find, der wir nachſtreben follen, in Anfehung deren aber die
bloße Nachſtrebung Tugend heit. — Denen alfo, die dieſes moralifche
Gute mit der Hand im Schooße, als eine himmliſche Gabe von oben her-
s ab, ganz paffiv zu erwarten meinen, ſpricht er alle Hoffnung dazu ab.
Wer die natürlihe Anlage zum Guten, die in der menſchlichen Natur (als
ein ihm anvertrautes Pfund) liegt, unbenußt läßt, im faulen Vertrauen,
ein höherer moraliſcher Einfluß werde wohl die ihm mangelnde fittliche
Beihafjenheit und Vollkommenheit jonft ergänzen, dem droht er an, daf
io jelbjt das Gute, was er aus natürlicher Anlage möchte gethan haben, um
diefer Berabjäumung willen ihm nicht zu ftatten fommen folle (XXV, 29).
Was nun die dem Menſchen jehr natürliche Erwartung eines dem
fittlihen Verhalten des Menſchen angemefjenen Loofes in Anjehung der
Glüdjeligkeit betrifft, vornehmlidy bei jo manden Aufopferungen der
ıs leßteren, die des erjteren wegen haben übernommen werden müſſen, jo
verheißt er (V, 11. 12) dafür Belohnung einer künftigen Welt; aber nad)
Verſchiedenheit der Gefinnungen bei diefem Verhalten denen, die ihre
Pit um der Belohnung (oder aud) Losſprechung von einer verſchul—
deten Strafe) willen thaten, auf andere Art als den bejjeren Menfchen,
0 die jie bloß um ihrer jelbft willen ausübten. Der, weldyen der Eigennuß,
der Gott diejer Melt, beherricht, wird, wenn er, ohne fi) von ihm loszu—
jagen, ihn nur durch Bernunft verfeinert und über die enge Grenze des
Gegenwärtigen ausdehnt, als ein foldyer (Zuc. XVI, 3—9) vorgeitellt, der
jenen feinen Herrn durd) ſich felbjt betrügt und ihm Aufopferungen zum
»5 Behuf der Pflicht abgewinnt. Denn wenn er es in Gedanken faht, daß
er doch einmal, vielleicht bald die Welt werde verlaſſen müfen, daß er
bon dent, was er hier befaß, in die andre nichts mitnehmen könne, jo ent
ſchließt er fi) wohl, das, was er oder fein Herr, der Eigenmuß, bier an
dürftigen Menſchen geſetzmäßig zu fordern hatte, von feiner Rechnung ab-
so zuſchreiben und ſich gleichſam dafür Anweifungen, zahlbar in einer andern
Welt, anzufhaffen; wodurd er zwar mehr flüglic als jittlid), was
die Triebfeder ſolcher wohlthätigen Handlungen betrifft, aber doch dem
fittlichen Gejeße, wenigftens dem Buchſtaben nad), gemäß verfährt und
hoffen darf, daß auch diejes ihm in der Zukunft nicht unvergolten bleiben
» dürfe”). Wennman hiermit vergleicht, was von der Wohlthätigfeit an Dürf-
*) Wir willen von ber Zukunft nichts und jollen auch nicht nach mehreren
forichen, als was mit den Triebfebern ber Eittlichfeit und dem Bmwede berfelben
Rant'd Säriften Ware VI. 11
162 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft. Biertes Stüd.
tigen aus bloßen Bewegungsgründen der Pflicht (Matth. XXV, 35—40)
gejagt wird, da der Weltrichter diejenigen, welche den Nothleidenden Hülfe
leifteten, ohne fi) aud) nur in Gedanken fommen zu lafjen, daß jo etwas
nod) einer Belohnung werth fei, und fie etwa dadurd gleichſam den Him-
mel zur Belohnung verbänden, gerade eben darum, weil fie es ohne Rüd-
fiht auf Belohnung thaten, für die eigentlichen Auserwählten zu feinem
Reid) erklärt: jo fieht man wohl, daß der Lehrer des Evangeliums, wenn
er von der Belohnung in der künftigen Welt ſpricht, fie dadurch nicht zur
Triebfeder der Handlungen, fondern nur (als feelenerhebende Vorſtellung
der Vollendung der göttlichen Güte und Weisheit in Führung des menſch—
lichen Geſchlechts) zum Object der reinften Verehrung und des größten
moraliihen Wohlgefallens für eine die Beftimmung des Menjchen im
Ganzen beurtheilende Bernunft habe machen wollen.
Hier ift nun eine volftändige Religion, die allen Menjhen durch
ihre eigene Vernunft faßlich und überzeugend vorgelegt werden fann, die ı;
über das an einem Beijpiele, defjen Möglichkeit und ſogar Nothwendig-
keit, für uns Urbild der Nachfolge zu fein (fo viel Menſchen deſſen fähig
find), anſchaulich gemacht worden, ohne daß weder die Wahrheit jener
Lehren, nod) das Anjehen und die Würde des Lehrers irgend einer andern
Beglaubigung (dazu Gelehrſamkeit oder Wunder, die nicht jedermanns
Sache find, erfordert würde) bedürfte. Wenn darin Berufungen auf ältere
(moſaiſche) Gejeßgebung und Vorbildung, als ob fie ihm zur Beftätigung
dienen follten, vorfommen, jo find diefe nicht für die Wahrheit der ge—
dachten Lehren jelbit, jondern nur zur Introduction unter Zeuten, die
gänzlich und blind am Alten hingen, gegeben worden, welches unter Men-
ſchen, deren Köpfe, mit jtatutarifchen Glanbensjägen angefüllt, für die
Vernunftreligion beinahe unempfänglid geworden, allezeit viel ſchwerer
jein muß, als wenn fie an die Bernunft unbelehrter, aber aud) unverdor:
in vernunftmäßiger Berbindung fteht. Dabin gebört auch der Glaube: daß es Feine
gute Handlung gebe, die wicht auch im der fünftigen Welt für dem, der fie ausübt,
ihre gute Folge haben werde; mithin der Menſch, er mag jich am Ende des Lebens
aud mod; jo verwerflich finden, ſich dadurch doch nicht müſſe abhalten Lafien,
wenigftens noch eime gute Handlung, die in feinem Vermögen ift, zu thun, und
daß er babei zu boffen Urſache habe, fie werde nach dem Maße, als er bierin eine
reine gute Abſicht begt, noch immer von mehrerem Werthe jein, als jeme thatloſen
Entjündigungen, die, ohne etwas zur Verminderung der Schuld beizutragen, ben
Mangel guter Handlungen erſetzen jollen.
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164 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Vierles Stüd,
Don da an Ber es die hriftliche Lehre auf Facta, nicht auf bloße
Bernunftbegriffe gebaut ift, heißt fie nicht mehr blos die chriſtliche Re—
ligion, ſondern = — Glaube, der einer Kirche zum Grunde
gelegt worden. Der Dienſt einer Kirche, die einem ſolchen Glauben
geweiht iſt, iſt alſo zweiſeitig; einerſeits derjenige, welcher ihr nach dem
hiſtoriſchen Glauben geleiſtet werden muß; andrerſeits, welcher ihr nach
dem praktiſchen und moraliſchen Vernunftglauben gebührt. Keiner von
beiden kann in der hriftlihen Kirche als für ſich allein beftehend von dem
andern getrennt werden; der leßtere darum nicht von dem erjtern, weil
der hriftliche Glaube ein Neligionsglanube, der erftere nit von dem
lehteren, weil er ein gelehrter Glaube ift.
Der chriſtliche Glaube als gelehrter Glaube ftügt ſich auf Ge—
ſchichte und ift, fo fern als ihm Gelehrjamkeit (objectiv) zum Grunde liegt,
nicht ein an fi freier und von Einfiht hinlänglicher theoretiicher Be-
weisgründe abgeleiteter Glaube (üdes elicita), Wäre er ein reiner
Vernunftglaube, jo würde er, obwohl die moralijchen Gejete, worauf er
als Glaube an einen göttlichen Gejeßgeber gegründet ift, unbedingt ge-
bieten, doch als freier Glaube betrachtet werden müfjen: wie er im
rn Abſchnitte auch vorgejtellt worden. Ja er würde aud) noch, wenn
man das Glauben nur nicht zur Pflicht machte, als Geſchichtsglaube ein
theoretiſch freier Glaube jein fönnen, wenn jedermann gelehrt wäre. Wenn
er aber für jedermann, auch den Ungelehrten gelten ſoll, jo ift er nicht
bloß ein gebotener, jondern aud dem Gebot blind, d. i. ohne Unter:
fuhung, ob es auch wirklich göttlidhes Gebot ei, gehorchender Glaube
(fides servilis),
In der riftlihen Offenbarungälehre fann man aber feineswegs
vom unbedingten Glauben an geoffenbarte (der Vernunft für ih
verborgene) Süße anfangen, und die gelehrte Erkenntniß, etwa bloß als
Verwahrung gegen einen den Nachzug anfallenden Feind, daranf folgen
lafien; denn fonft wäre der chriſtliche Glaube nicht bloß fides imperata,
jondern jogar servilis. Er muß aljo jederzeit wenigitens als fides histo-
rice —— gelehrt werden, d. i. Gelebrjamkteit mußte in ihr als ge-
langen Zug der Ungelebrten (Raten), die für fi der Schrift untundig
find (und worunter jelbit die weltbürgerlidien Negenten gehören), nach
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nommen, fo da man glauben fol, ein jeder Chrift müßte ein Jude
fein, dejjen Meſſias gekommen ift; womit aber nicht wohl zu-
ftatutarüfehes) gebunden fei, bennod) aber das ganze beilige Bud) diejes >
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jammenhängt, daß er doch eigentlich an fein Gejeß des
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Vom Dienſt und Afterdienſt unter ber Herrſchaft des gulen Princips. 167
in allen Völkern Gelehrte gebe, die der hebräiſchen Sprache (ſoviel es in
einer ſolchen möglich iſt, von der man nur ein einziges Buch hat) kundig
ſind, und es ſoll doch nicht bloß eine Angelegenheit der hiſtoriſchen Wiſſen—
ſchaft überhaupt, ſondern eine, woran die Seligkeit der Menſchen hängt,
ſein, daß es Männer giebt, welche derſelben genugſam kundig ſind, um
der Welt die wahre Religion zu ſichern.
Die Hriftlihe Religion hat zwar fo fern ein ähnlides Schickſal,
daß, obwohl die heiligen Begebenheiten derjelben felbft unter den Augen
eines gelehrten Volks öffentlid) vorgefallen find, dennoch ihre Geſchichte
ſich mehr als ein Menjchenalter verjpätet hat, ehe fie in das gelehrte
Publicum defjelben eingetreten ift, mithin die Authenticität derjelben der
Beftätigung durch Zeitgenofjen entbehren muß. Sie hat aber den großen
Vorzug vor dem Judenthum, daß fie aus dem Munde des erjten
Lehrers als eine nicht ſtatutariſche, fondern moraliſche Religion hervor:
gegangen, vorgeftellt wird und, auf ſolche Art mit der Vernunft in die
engite Verbindung tretend, durch fie von ſelbſt auch ohne hiſtoriſche Ge—
lehrjamteit auf alle Zeiten und Völker mit der größten Sicherheit ver:
breitet werden fonnte. Aber die erjten Stifter der Gemeinden fanden
e3 doc) nöthig, die Geſchichte des Judenthums damit zu verflechten, welches
nad) ihrer damaligen Zage, aber vielleiht auch nur für diejelbe Flüglich
gehandelt war und fo in ihrem heiligen Nachlaß mit an uns gefommen
ift. Die Stifter der Kirche aber nahınen dieſe epifodischen Anpreifungs-
mittel unter die wejentlidyen Artikel des Glaubens auf und vermehrten fie
entweder mit Tradition, oder Auslegungen, die von Concilien gejeßliche
Kraft erhielten, oder durch Gelehrſamkeit beurfundet wurden, von welcher
leßtern, oder ihrem Antipoden, dem innern Licht, welches ſich jeder Laie
aud) anmaßen kann, nod) nicht abzufehen ift, wie viel Veränderungen da—
durch dem Glauben noch bevorftehen; welches nicht zu vermeiden ift, jo
lange wir die Religion nicht in uns, fondern außer ung juchen.
Zweiter Theil.
Vom Afterdienjt Gottes in einer jtatutarijhen Religion.
Die wahre, alleinige Religion enthält nichts als Geſetze, d. i. ſolche
praktiſche Principien, deren unbedingter Nothwendigkeit wir uns bewußt
werden können, die wir aljo als durd) reine Vernunft (nicht empiriſch)
168 Neligion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Biertes Stüd,
offenbart anerkennen. Nur zum Behuf einer Kirche, deren es verjchiedene
glei; gute Formen geben kann, fann es Statuten, d.i. für göttlich ges
haltene Verordnungen, geben, die für unjere reine moraliſche Beurtheilung
willfürlic) und zufällig find. Diejen jtatutarifhen Glauben nun (der
allenfalls auf ein Volk eingefhränkt ift und nicht die allgemeine Weltre-
ligion enthalten kann) für weſentlich zum Dienfte Gottes überhaupt zu
halten und ihn zur oberften Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am
Menſchen zu maden, ijt ein Religionswahn*), dejjen Befolgung ein
Afterdienft, d. i. eine ſolche vermeintliche Verehrung Gottes ift, wodurd)
dem wahren, von ihm jelbft geforderten Dienfte gerade entgegen gehandelt
wird,
$1.
Bom allgemeinen fubjectiven Grunde des Neligionswahnes.
Der Anthropomorphism, der in der theoretiichen Vorftellung von
Gott und feinem Weſen den Menjchen faum zu vermeiden, übrigens aber
doch (wenn er nur nicht auf Pflichtbegriffe einfließt) aud) unſchuldig genug
ift, der ift in Anfehung unfers praftiichen Verhältnifjes zu feinem Willen
und für unfere Moralität ſelbſt höchſt gefährlidy; denn da maden wir
uns einen Gott+), wie wir ihn am leidhteften zu unſerem Vortheil ge:
) Wahn ijt die Käufchung, bie bloße Vorftellung einer Sache mit der Sadıe
jelbit für gleichgeltend zu halten. So ift es bei einem fargen Neichen der geigende
Wahn, dab er die Vorftellung, ſich einmal, wenn er iwollte, feiner Reichthümer be-
dienen zu können, für genugjfamen Erjaß dafür hält, baß er fich ihrer niemals be»
bient. Der Ehrenwahn jeßt in anderer Hochpreifung, mweldhe im Grunde nur Die
äußere Borjtellung ihrer (innerlich vielleicht gar nicht gehegten) Achtung ift, ben
Werth, ben er bloß der lehteren beilegen ſollte; zu diefem gehört aljo auch die
ZTitel- und Ordensſucht, weil diefe nur äußere Vorftellungen eines Vorzugs vor
andern find. Selbſt der Wahnſinn hat daher diefen Namen, weil er eine bloße
Vorftellung (der Einbildungstraft) für die Gegenwart der Sadje ſelbſt zu nehmen
und eben jo zu würdigen gewohnt iſt. — Nun ift das Bewußtjein des Beſitzes
eines Mitteld zu irgend einem Zweck (ehe man fich jenes bediemt hat) der Beſitz
bes letztern bloß in der Borjtellung; mithin ſich mit dem erfteren zu begnügen,
gleich als ob es jtatt des Beſitzes bes letzteren gelten fünne, ein praftijcher
Wahn; als von dem bier allein bie Mede ift.
7) Es Mingt zwar bedenklich, iſt aber feinesiweges verwerflich, zu jagen: daß
ein jeder Menfch ic einen Gott mache, ja nach moraliſchen Begriffen (begleitet
mit den unendlich-großen Eigenfchaften, die zu dem Vermögen gehören, an ber Welt
einen jenen angemefjenen Gegenſtand barzuitellen) fich einen ſolchen jelbft machen
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35
Vom Dienit und Afterbienfi unter der Herrichaft des guten Princips. 169
winnen zu können und der beſchwerlichen ununterbrodenen Bemühung,
auf das Innerjte unfrer moralifhen Gefinnung zu wirken, überhoben zu
werden glauben. Der Grundſatz, den der Menſch fi) für diejes Verhält—
niß gewöhnlid) macht, ift: daß durch alles, was wir lediglid) darum thun,
um der Gottheit wohl zu gefallen, (wenn es nur nicht eben der Moralität
geradezu widerftreitet, ob es gleich dazu nicht das mindejte beiträgt) wir
Gott unjere Dienjtwilligkeit als gehorfame und eben darum wohlgefällige
Unterthanen beweifen, alſo auch Gott (in potentia) dienen. — Es dürfen
nicht immer Aufopferungen fein, dadurd) der Menſch diefen Dienft Gottes
zu verrichten glaubt: aud) Feierlichkeiten, ſelbſt öffentliche Spiele, wie bei
Griehen und Römern, haben oft dazu dienen müfjen und dienen mod)
dazu, um die Gottheit einem Wolfe, oder auch den einzelnen Menſchen
ihrem Wahne nad) günftig zu machen. Doc) find die erfteren (die Büßun—
gen, Kafteiungen, Wallfahrten u. d.g.) jederzeit für fräftiger, auf die
Gunſt des Himmels wirkſamer und zur Entjündigung tauglicher gehalten
worden, weil fie die unbegrenzte (obgleich nicht moralifche) Unterwerfung
unter feinem Willen jtärker zu bezeichnen dienen. Se unnützer ſolche
Selbjtpeinigungen find, je weniger fie auf die allgemeine moraliſche
Beſſerung des Menſchen abgezwedt find, deſto heiliger ſcheinen fie zu fein:
weil fie eben darum, daß fie in der Welt zu gar nichts nuben, aber dod)
Mühe koften, lediglid) zur Bezeugung der Ergebenheit gegen Gott abge-
zweckt zu fein ſcheinen. — Obgleich, jagt man, Gott hierbei durd) die That
in feiner Abfiht gedient worden ift, jo fieht er doch hierin den guten
Willen, das Herz, an, welches zwar zur Befolgung feiner moralifchen Ge—
bote zu ſchwach iſt, aber durd) feine hierzu bezeugte Bereitwilligkeit dieje
Ermangelung wieder qut macht. Hier ift nun der Hang zu einem Vers
fahren fihtbar, das für ſich feinen moraliihen Werth hat, als etwa nur
als Mittel, das finnlihe Vorftellungsvermögen zur Begleitung intellec-
tueller Ideen des Zwecks zu erhöhen, oder um, wenn es den leßtern etwa
müffe, um an ihm ben, ber ihn gemacht hat, zu verehren. Denn auf welcdherlei
Art aud) ein Wejen ald Gott von einem anderen bekannt gemacht und bejchrieben
worben, ja ihm eim ſolches auch (wenn das möglich ift) jelbit erjcheinen möchte, fo
muß er dieje Vorftellung doch allererjt mit jeinem Ideal zufammen halten, um zu
urtheilen, ob er befugt jei, es für eine Gottheit zu halten und zu verehren. Aus
bloßer Offenbarung, ohne jenen Begriff vorher im feiner Neinigfeit, als Probir-
jtein, zum Grunde zu legen, kann es aljo feine Religion geben, und alle Gottes»
verehrung würde Idolola trie jein,
170 NReligion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Biertes Stück.
zuwider wirken könnte, es niederzudrüden*); diefem Verfahren legen wir
doch in unferer Meinung den Werth des Zweds jelbjt, oder, welches eben
jo viel ift, wir legen der Stimmung des Gemüths zur Empfanglichkeit
» Gott ergebener Gefinnungen (Andaht genannt) den Werth der lebtern
bei; weldyes Verfahren mithin ein bloßer Religionswahn ift, der allerlei
Formen annehmen fann, in deren einer er der moralijchen ähnlicher fieht,
als in der andern, ber aber in allen nicht eine bloß unvorjegliche Täu—
ſchung, jondern jogar eine Marime ift, dem Mittel einen Werth an fid)
ftatt des Zwecks beizulegen, da denn vermöge der leßtern diefer Wahn
unter allen diejen Formen gleich ungereimt und als verborgene Betrugs—
neigung verwerflich ijt.
82,
Das dem Religionswahne entgegengejekte moraliſche
Princip der Religion.
Ich nehme erftlic folgenden Sab als einen Feines Beweiſes be-
nöthigten Grundjaß an: alles, was außer dem guten Lebens—
wandel der Menſch noch thun zu können vermeint, um Gott
wohlgefällig zu werden, ift bloßer Religionswahn und
Afterdienft Gottes. — Ich fage: was der Menſch thun zu können
) Für diejenigen, welche allenthalben, wo bie Unterfcheidungen bes Sinn-
lichen vom Sntellectuellen ihnen nicht fo geläufig find, Wideriprüche der Kritif ber
reinen Vernunft mit ihr jelbft anzutreffen glauben, merfe ich bier an, daß, wenn
von finnlichen Mitteln das Sntellectnelle (ber reinen moralifchen Gefinnung) zu
befördern, ober von dem Hinderniffe, welches die erftere dem lehzteren entgegen
itellen, geredet wird, diefer Einflug zweier fo ungleichartigen Principien niemals
als direct gebadht werben müſſe. Nämlich als Sinnenwejen fönnen wir nur an
ben Eriheinungen des intellectuellen Princips, b. i. der Beltimmung
unferer phyſiſchen Kräfte durch freie Willfür, die fi in Handlungen bervorthut,
bem Gejeh entgegen, ober ihm zu Gunften wirken: fo daß Urſache und Wirkung
als in der That gleichartig vorgeftellt werde. Was aber das Überfinnliche (das
fubjective Princip der Moralität im uns, was in ber unbegreiflichen Eigenfchaft
ber Freiheit verichloffen Liegt), z. B. die reine Religionsgeſinnung, betrifft, von
dieſer jehen wir außer ihrem Geſetze (welches aber auch ſchon genug ift) nichts das
Verhältniß der Urſache und Wirkung im Menfchen Betreffendes ein, d. i. wir fünnen
uns die Möglichkeit der Handlungen als Begebenheiten in ber Sinnenmelt aus der
moraliſchen Beſchaffenheit des Menſchen, als ihnen imputabel, nicht erklären,
eben barum weil es freie Handlungen find, die Erflärungsgrände aber aller Be
gebenheiten aus ber Sinnenmwelt bergenommen werben müfjen.
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Dom Dienft und Afterbienft unter ber Öerrichaft bes guten Principe. 171
glaubt; denn ob nicht über alles, was wir thun können, nod) in den Ge-
heimnifien der höchſten Weisheit etwas fein möge, was nur Gott thun
kann, um uns zu ihm wohlgefäligen Menſchen zu machen, wird hierdurd)
nicht verneint. Aber wenn die Kirdye ein ſolches Geheimniß etwa als
offenbart verfündigen follte, jo wird doc die Meinung, daß dieje Offen:
barung, wie fie uns die heilige Geſchichte erzählt, zu glauben und fie
(e3 jei innerlich oder äußerlich) zu befennen an fid) etwas fei, dadurch
wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Neligionswahn fein.
Denn diejes Glauben ijt als inneres Bekenntniß feines feiten Fürwahr—
haltens jo wahrhaftig ein Thun, das durch Furcht abgezwungen wird,
daß ein aufrichtiger Menſch eher jede andere Bedingung als dieje ein-
gehen möchte, weil er bei allen andern Frohndienſten allenfalls nur et»
was liberflüffiges, hier aber etwas dem Gewiffen in einer Declaration,
von deren Wahrheit er nicht überzeugt ift, Widerftreitendes thun würde.
Das Bekenntniß alfo, wovon er ſich überredet, daß es für fich jelbit (als
Annahme eines ihm angebotenen Guten) ihn Gott wohlgefällig machen
Fönne, ift etwas, was er nod) über den guten Lebenswandel in Befolgung
der in der Welt auszuübenden moraliſchen Geſetze thun zu können ver:
meint, indem er ſich mit feinem Dienft geradezu an Gott wendet.
Die Vernunft läßt uns erftlidy in Anfehung des Mangels eigener
Gerechtigkeit (die vor Gott gilt) nicht ganz ohne Troft. Sie jagt: daß,
wer in einer wahrhaften der Pflicht ergebenen Gefinnung fo viel, als in
feinem Vermögen fteht, thut, um (wenigftens in einer beftändigen An:
näherung zur vollftändigen Angemefjenheit mit dem Geſetze) feiner Ver:
bindlichkeit ein Genüge zu leisten, hoffen dürfe, was nicht in feinem Ver:
mögen jteht, das werde von der höchſten Weisheit auf irgend eine
Weife (welche die Gefinnung diefer bejtändigen Annäherung unwandel»
bar machen kann) ergänzt werden, ohne daß fie fi) doch anmaßt, die Art
zu beftimmen und zu wifjen, worin fie bejtehe, welche vielleicht jo ge
heimnigvoll fein kann, daß Gott fie uns höchſtens in einer ſymboliſchen
Voritellung, worin das Praftifche allein für uns verftändlid) ift, offen-
baren könnte, indejjen daß wir theoretiſch, was diefes Verhältniß Gottes
zum Menjchen an ſich jei, gar nicht fafjen und Begriffe damit verbinden
fönnten, wenn er uns ein foldhes Geheimniß aud) entdeden wollte. —
Geſetzt num, eine gewiſſe Kirche behaupte, die Art, wie Gott jenen mo—
raliihen Mangel am menſchlichen Geſchlecht ergänzt, beſtimmt zu wiſſen,
und verurtheile zugleich alle Menſchen, die jenes der Vernunft natürlicher
ee
172 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stud.
Weiſe unbekannte Mittel der Nechtfertigung nicht wiffen, darıım alfo auch
nicht zum Religionsgrundjage aufnehmen und befennen, zur ewigen Ver-
werfung: wer ijt alsdann hier wohl der Ungläubige? der, welcher ver:
trauet, ohne zu wiffen, wie das, was er hofft, zugehe, oder der, welcher
diefe Art der Erlöfung des Menſchen vom Böfen durchaus wiſſen will, >
widrigenfalls er alle Hoffnung auf diejelbe aufgiebt? — Im Grunde ijt
dem Letzteren am Wifjen diejes Geheimnifjes jo viel eben nicht gelegen
(denn das lehrt ihn ſchon feine Vernunft, dab etwas zu willen, wozu er
doc nichts thun kann, ihm ganz unnüß jei); fondern er will es nur
wiſſen, um ſich (wenn es aud nur innerlid) gefhähe) aus dem Glauben,
der Annahme, dem Belenntniffe und der Hochpreiſung alles diejes Offen—
barten einen Gottesdienft machen zu können, der ihm die Gunft des
Himmels vor allem Aufwande feiner eigenen Kräfte zu einem guten
Lebenswandel, aljo ganz umjonjt erwerben, den leßteren wohl gar über:
natürlicher Weije hervorbringen, oder, wo ihm etwa zumider gehandelt
würde, wenigitens die Ubertretung vergüten könne.
Zweitens: wenn der Menjch fid) von der obigen Marine nur im
mindeſten entfernt, fo hat der Afterdienjt Gottes (die Superftition) weiter
feine Örenzen; denn über jene hinaus ijt alles (was nur nit uns
mittelbar der Sittlichfeit widerjpricht) willfürlid. Won dem Opfer der =
Lippen an, welches ihm am wenigjten fojtet, bis zu dem der Naturgüter,
die ſonſt zum Vortheil der Menſchen wohl befjer benußt werden fünnten,
ja bis zu der Aufopferung feiner eigenen Berjon, indem er ſich (im Ere-
miten-, Falir- oder Möndsftande) für die Welt verloren macht, bringt
er alles, nur nicht jeine moraliihe Gefinnung Gott dar; und wenn er »
jagt, er brächte ihm aud) jein Herz, jo verjteht er darunter nicht die Ges
finnung eines ihm wohlgefälligen Zebenswandels, fondern einen berz-
lihen Wunſch, daß jene Opfer für die lektere in Zahlung möchten auf-
genommen ‚werden (matio gratis anhelans, multa agendo nihil agens,
Phaedrus). 30
Endlid, wenn man einmal zur Marime eines vermeintlich Gott
für ſich jelbit wohlgefälligen, ihn auch nöthigenfalls verjöhnenden, aber
nicht rein moralifchen Dienjtes übergegangen ift, jo ift in der Art, ihm
gleihfam mechaniſch zu dienen, fein wejentlicher Unterjchied, welcher der
einen vor der andern einen Vorzug gebe. Sie find alle dem Werth (oder 5
pielmehr Unwerth) nach einerlei, und es iſt bloße Ziererei, ſich durch
feinere Abweihung vom alleinigen intellectwellen Princip der ächten
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ugendgeſinnung beſchäftigt ſich mit etwas Wirk—
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(og fe Grfgeimung daß die Anhänger einer Gonfeffion,
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gleich noch genug davon Hibrig ——
174 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd.
möge des Tugendprincips von Menjchen gethan werden kann, Natur,
was aber nur den Mangel alles feines moralifhen Vermögens zu er:
gänzen dient und, weil defjen Zulänglichfeit auch für uns Pflicht ift, nur
gewünſcht oder aud) gehofft und erbeten werden fann, Gnade zu nennen,
beide zuſammen als wirkende Urſachen einer zum Gott wohlgefälligen >
Lebenswandel zureihenden Gefinnung anzujehen, fie aber aud) nicht bloß
von einander zu unterjheiden, jondern einander wohl gar entgegen zu
jegen.
Die Uberredung, Wirkungen der Gnade von denen der Natur (der
Tugend) unterjcheiden, oder fie wohl gar in fi) hervorbringen zu können,
it Shwärmerei; denn wir fönnen weder einen überfinnlichen Gegen-
ftand in der Erfahrung irgend woran kennen, noch weniger auf ihn Ein-
fluß haben, um ihn zu uns herabzuziehen, wenn gleid) ſich im Gemüth
bisweilen aufs Moraliſche hinwirfende Bewegungen ereignen, die man
ſich nicht erklären fann, und von denen unſere Unwiſſenheit zu geftehen
gendthigt ift: „Der Wind wehet, wohin er will, aber du weißt nicht, wo—
ber er kömmt u. ſ. w.“ Himmlifche Einflüffe in fi wahrnehmen zu
wollen, ijt eine Art Wahnfinn, in welchem wohl gar auch Methode jein
kann (weil ſich jene vermeinte innere Offenbarungen doch immer an mo—
raliiche, mithin an VBernunftideen anſchließen müfjen), der aber immer
dod) eine der Religion nadhtheilige Selbjttäufchung bleibt. Zu glauben,
daß es Gnadenwirkungen geben fünne und vielleicht zur Ergänzung der
Unvolltommenbeit unjerer Tugendbeftrebung aud) geben müſſe, ift alles,
was wir davon jagen können; übrigens find wir unvermögend, etwas in
Anſehung ihrer Kennzeichen zu beftimmen, noch mehr aber zur Hervor⸗
bringung derjelben etwas zu thun.
Der Wahn, durd) religiöjfe Handlungen des Eultus etwas in Ans
jehung der Rechtfertigung vor Gott auszurichten, ift der religiöfe Aber—
glaube; jo wie der Wahn, diejes durch Beftrebung zu einem vermeint:
lichen Umgange mit Gott bewirken zu wollen, die religiöfe Shwärmerei.
— Es iſt abergläubifher Wahn, durch Handlungen, die ein jeder Menſch
thun kann, ohne daß er eben ein guter Menſch jein darf, Gott wohlgefällig
werden zu wollen (3. B. durd) Befenntniß ſtatutariſcher Glaubensſätze,
durd; Beobachtung kirchlicher Obſervanz und Zudt u.d.g.) Er wird
aber darum abergläubijc genannt, weil er fi bloße Naturmittel (nicht =
moralijche) wählt, die zu dem, was nicht Natur ift, (d. i. dem fittlich
Guten) für fi) ſchlechterdings nichts wirken fünnen. — Ein Wahn aber
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176 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Viertes Gtüd.
gegründete Furdt abgenöthigt wurde, fing nicht ſogleich mit einer Reli-
gion, fondern von einem knechtiſchen Gottes- (oder Gößen-) Dienjte an,
welcher, wenn er eine gewilje Öffentlichgejeßliche Form befommen hatte,
ein Tempeldienſt und nur, nachdem mit diefen Gejeßen allmählid) die
moraliihe Bildung der Menſchen verbunden worden, ein Kirdendienft 5
wurde: denen beiden ein Geſchichtsglaube zum Grunde liegt, bis man
endlich diejen bloß für proviforifc und in ihm die ſymboliſche Darftellung
und das Mittel der Beförderung eines reinen Neligionsglaubens zu
jehen angefangen hat. |
Von einem tungufiihen Shaman bis zu dem Kirche und Staat
zugleich regierenden europäifhen Prälaten, oder (wollen wir jtatt der
Häupter und Anführer nur auf die Glaubensanhänger nad) ihrer eignen
Vorftellungsart fehen) zwiidhen dem ganz finnlihen Wogulißen, der
die Tabe von einem Bärenfell fi des Morgens auf fein Haupt legt mit
dem kurzen Gebet: „Schlag mid; nicht todt!”" bis zum fublimirten Pu—
ritaner und Independenten in Connecticut ift zwar ein mächtiger
Abftand in der Manier, aber nit im Princip zu glauben; denn was
diejes betrifft, jo gehören fie insgefammt zu einer und derjelben Klaſſe,
derer nämlich, die in dem, was an fich feinen beſſern Menſchen ausmacht,
(im Glauben gewifjer ſtatutariſcher Säße, oder Begehen gewifjer willfür- »
licher Objervanzen) ihren Gottesdienit jeßen. Diejenigen allein, die ihn
lediglich in der Gefinnung eines quten Zebenswandels zu finden gemeint
find, unterfheiden fi von jenen durd den Überſchritt zu einem ganz
andern und über das erjte weit erhabenen Princip, demjenigen nämlid),
wodurd fie ſich zu einer (unfichtbaren) Kirche befennen, die alle Wohl-
denfende in fich befaßt und ihrer weſentlichen Beſchaffenheit nad allein
die wahre allgemeine jein kann.
Die unfihtbare Macht, weldhe über das Schidjal der Menfchen ge
bietet, zu ihrem Vortheil zu lenken, iſt eine Abficht, die jie alle haben; nur
wie das anzufangen jei, darüber denfen fie verſchieden. Wenn fie jene x
Macht für ein verftändiges Weſen halten und ihr alfo einen Willen bei-
legen, von dem fie ihr Loos erwarten, fo fann ihr Beftreben nur in der
Auswahl der Art beitehen, wie fie als feinem Willen unterworfene Weſen
durch ihr Thun und Zafjen ihm gefällig werden können. Wenn fie es als
moraliſches Weſen denken, fo überzeugen fie ſich Teicht durch ihre eigene =
BDernunft, daß die Bedingung, jein Woblgefallen zu erwerben, ihr mora-
lifh guter Lebenswandel, vornehmlich die reine Gefinnung als das jub-
A. .
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Bom Dienft und Afterdienſt unter der Herrſchaft des guten Princips. 177
jective Princip defjelben fein müfje. Aber das höchſte Weſen kann doc)
auch vielleicht nod, überdem auf eine Art gedient fein wollen, die uns
durd) bloße Vernunft nicht befannt werden kann, nämlich durch Handluns
gen, denen für fich jelbit wir zwar nichts Moralifches anjehen, die aber
dod) entweder als von ihm geboten, oder aud) nur, um unfere Unterwür—⸗
figfeit gegen ihn zu bezeugen, willtürlidy von uns unternommen werden;
in welchen beiden Berfahrungsarten, wenn fie ein Ganzes ſyſtematiſch
geordneter Beihäftigungen ausmachen, fie alfo überhaupt einen Dienſt
Gottes ſetzen. — Wenn nun beide verbunden jein jollen, jo wird entweder
jede als unmittelbar, oder eine von beiden nur als Mittel zu der andern,
als dem eigentlihen Dienfte Gottes, für die Art angenommen werden
müſſen, Gott wohl zu gefallen. Daß der moralifhe Dienft Gottes (of-
fieium liberum) ihm unmittelbar gefalle, leuchtet von ſelbſt ein. Er fann
aber nicht für die oberjte Bedingung alles Wohlgefallens am Menjchen
anerkannt werden (welches auch jchon im Begriff der Moralität liegt),
wenn der Zohndienft (oflicium mercennarium) als für ſich allein Gott
mwohlgefällig betrachtet werden Fünnte; denn alsdann würde Niemand
wifjen, welder Dienjt in einem vorkommenden Falle vorzüglicher wäre,
um das Urtheil über jeine Pflicht darnad) einzurichten, oder wie fie fid) ein-
ander ergänzten. Alſo werden Handlungen, die an ſich feinen moraliſchen
Werth haben, nur jo fern fie als Mittel zur Beförderung defjen, was an
Handlungen unmittelbar gut it, (zur Moralität) dienen, d. i. um des
moralijhen Dienftes Gottes willen, als ihm wohlgefällig ange-
nommen werden müſſen.
Der Menſch nun, welder Handlungen, die für fid) felbft nichts Gott
Wohlgefäliges (Moralifches) enthalten, doch als Mittel braucht, das
göttliche unmittelbare Wohlgefallen an ihm und hiemit die Erfüllung ſei—
ner Wünſche zu erwerben, fteht in dem Mahn des Befihes einer Kunft,
durch ganz natürliche Mittel eine übernatürliche Wirkung zuwege zu brin-
gen; dergleichen Verſuche man das Zaubern zu nennen pflegt, welches
Wort wir aber (da e3 den Nebenbegriff einer Gemeinschaft mit dem böſen
Princip bei ſich führt, dagegen jene Verſuche doch aud) als übrigens in
guter moraliicher Abficht aus Mifverftande unternommen gedacht werden
fönnen) gegen das ſonſt befannte Wort des Fetiſchmachens austauſchen
wollen. Eine übernatürlihe Wirkung aber eines Menſchen würde die-
jenige jein, die nur dadurch in feinen Gedanken möglich ift, daß er ver-
meintlid) auf Gott wirkt und ſich dejjelben als Mittels — um eine
ſant's Schriften. Werke, VI.
178 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Viertes Stüd.
Wirkung in der Welt hervorzubringen, dazu feine Kräfte, ja nicht einmal
feine Einficht, ob fie auch Gott wohlgefällig jein möchte, für ſich nicht zu—
langen; welches ſchon in feinem Begriffe eine Ungereimtheit enthält.
Wenn der Menſch aber, außerdem daß er durch das, was ihn un-
mittelbar zum Gegenſtande des göttlihen Wohlgefallens macht, (dur >
die thätige Gefinnung eines guten Lebenswandels) ſich noch überdem ver:
mitteljt gewifjer Formlichkeiten der Ergänzung jeines Unvermögens durd)
einen übernatürlihen Beiftand würdig zu machen judt und in diejer
Abſicht durch Obſervanzen, die zwar feinen unmittelbaren Werth haben,
aber doc) zur Beförderung jener moraliſchen Gefinnung als Mittel dienen, 10
ſich für die Erreichung des Objects jeiner guten, moralifhen Rünjche blos
empfänglic zu machen meint, jo rechnet er zwar zur Ergänzung feines
natürlichen Unvermögens auf etwas Übernatürlihes, aber doch nicht
als auf etwas vom Menſchen (durd) Einfluß auf den göttlihen Willen)
Gewirftes, jondern Empfangenes, was er hoffen, aber nicht hervorbrin= 15
gen kann. — Wenn ihm aber Handlungen, die an ſich, jo viel wir ein-
jehen, nichts Moraliſches, Gott Wohlgefälliges enthalten, gleichwohl jei-
ner Meinung nad) zu einem Mittel, ja zur Bedingung dienen jollen, die
Erhaltung feiner Wünſche unmittelbar von Gott zu erwarten: jo muß er
ni dem Wahne ftehen, daß, ob er gleid) für dieſes Übernatürlicye weder 20
ein phyfiiches Vermögen, nod) eine moralifhe Empfänglichfeit hat, er es
doch durch natürliche, an fi aber mit der Moralität gar nicht ver:
wandte Handlungen (weldye auszuüben es feiner Gott wohlgefälligen Ge—
finnung bedarf, die der ärgjte Menſch aljo eben ſowohl, als der beite aus—
üben kann), durch Formeln der Anrufung, durch Bekenntniſſe eines Zohn-
glaubens, durch kirchliche Objervanzen u. dgl., bewirken und jo den
Beiltand der Gottheit gleihjam herbeizaubern Fönne; denn es iſt
zwijchen bloß phyſiſchen Mitteln und einer moraliſch wirkenden Urſache
gar feine Berfnüpfung nad) irgend einem Geſetze, welches ſich die Ver:
nunft denken kann, nad) welchem bie leßtere durch die erftere zu gewiflen x
Wirkungen als beftimmbar vorgeftellt werden könnte.
Wer aljo die Beobachtung ſtatutariſcher einer Offenbarung bedür-
fenden Geſetze als zur Religion nothwendig und zwar nicht bloß als Mit-
tel für die moralijhe Gefinnung, fondern als die objective Bedingung,
Gott dadurch unmittelbar wohlgefällig zu werden, voranjchidt und diefem *
Geſchichtsglauben die Beftrebung zum guten Lebenswandel nachſetzt (at-
ftatt daß die erftere als etwas, was nur bedingterweife Gott wohlge-
Bom Dienft und Afterbienft umter der Herrſchaft des guten Princips. 179
fällig fein kann, fid) nad) dem letzteren, was ihm allein ſchlechthin wohl-
gefällt, richten muß), der verwandelt den Dienft Gottes in ein bloßes
Fetiſchmachen und übt einen Afterdienft aus, der alle Bearbeitung zur
wahren Religion rüdgängig madt. So viel liegt, wenn man zwei qute
Saden verbinden will, an der Ordnung, in der man fie verbindet! — In
diejer Unterfheidung aber befteht die wahre Aufflärung; der Dienit
Gottes wird dadurd) allererft ein freier, mithin moralifcher Dienst. Wenn
man aber davon abgeht, jo wird ftatt der Freiheit der Kinder Gottes dem
Menſchen vielmehr das Joch eines Geſetzes (des ſtatutariſchen) auferlegt,
ıo welches dadurd), daß es als unbedingte Nöthigung etwas zu glauben,
was nur hiſtoriſch erkannt werden und darum nicht für jedermann über—
zeugend fein fann, ein für gewiflenhafte Menſchen noch weit ſchwereres
Joch ift*), als der ganze Kram frommer auferlegter Obfervanzen immer
fein mag, bei denen e3 genug ift, daß man fie begeht, um mit einem ein-
ı»s gerichteten firdlichen gemeinen Weſen zufammen zu pafjen, ohne daß je-
mand innerlich oder äußerlid) das Bekenntniß feines Glaubens ablegen
darf, daß er es für eine von Gott geftiftete Anordnung halte: denn
durch diejes wird eigentlich das Gewiſſen beläftigt.
Das Pfaffenthum ift aljo die Verfaffung einer Kirche, fofern in
20 ihr ein Fetiſchdienſt regiert, welches allemal da anzutreffen ift, wo nicht
Principien der Sittlichfeit, jondern jtatutarijche Gebote, Glaubensregeln
und DObjervanzen die Orundlage und das Wejentliche derjelben ausmachen.
Nun giebt es zwar manche Kirchenformen, in denen das Fetiſchmachen
) „Dasjenige Joch ift fanft, und die Laſt ift leicht“, wo die Pflicht, bie jeber-
» mann obliegt, als von ihm felbft und durch feine eigene Vernunft ihm auferlegt
betrachtet werben Tann; das er baher fo ferm freiwillig auf fich nimmt. Bon biefer
Art find aber nur bie moralifchen Geſetze, als göttliche Gebote, von denen allein
ber Stifter ber reinen Kirche jagen konnte: „Meine Gebote find nicht ſchwer“.
Diejer Ausdrud will nur jo viel jagen: fie find nicht befhwerlich, weil ein jeder
so die Nothwendbigkeit ihrer Befolgung vom felbft einfieht, mithin ihm dadurch nichts
aufgebrungen wird, dabingegen despotifch gebietende, obzwar zu unferm Beiten
(boch nicht durch unſere Bernunft) und auferlegte Anorbnungen, davon wir feinen
Nuben fehen können, gleihjam Berationen (Pladereien) find, denen man ſich nur
gezwungen unterwirft. An jich find aber bie Handlungen, in ber Reinigfeit ihrer
» Quelle betradjtet, die durch jene moralifche Gejebe geboten werben, gerabe bie,
melde bem Menſchen am jchwerften fallen, und wofür er gerne bie beſchwerlichſten
frommen Pladereien übernehmen möchte, wenn e3 möglich wäre, bieje ftatt jener
in Zahlung zu bringen.
—
12*
180 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Biertes Stüd.
jo mannigfaltig und jo mechanisch ift, dab es beinahe alle Moralität, mit-
hin aud) Religion zu verdrängen und ihre Stelle vertreten zu jollen jcheint
und jo ans Heidenthun jehr nahe angränzt; allein auf das Mehr oder
Weniger kommt es hier nicht eben an, wo der Werth oder Unwerth auf
der Beihhaffenheit des zu oberjt verbindenden Princips beruht, Wenn ;
diejes Die gehorfame Unterwerfung unter eine Sabung als Frohndienft,
nicht aber die freie Huldigung auferlegt, die dem moraliihen Gejeke zu
oberjt geleiftet werden foll: jo mögen der auferlegten Objervanzen noch
fo wenig fein; genug, wenn fie für unbedingt nothwendig erflärt werden,
jo ift das immer ein Fetiichglauben, durch den die Menge regiert und
durch den Gehorfam unter eine Kirche (nicht der Neligion) ihrer moralis
ſchen Freiheit beraubt wird. Die Verfaffung derjelben (Hierarchie) mag
monarchiſch oder arijtofratiich oder demokratiſch fein: das betrifft nur die
Drganifation; die Conftitution derjelben ift und bleibt doch unter allen
diefen Formen immer despotiih. Wo Statute des Glaubens zum Con—
ftitutionalgejeß gezählt werden, da herricht ein Klerus, der der Vernunft
und jelbft zulegt der Schriftgelehrjamfeit gar wohl entbehren zu können
glaubt, weil er als einzig autorifirter Bewahrer und Ausleger des Wil—
lens des unfichtbaren Gejeßgebers die Glaubensvorſchrift ausſchließlich
zu verwalten die Autorität hat und aljo, mit diefer Gewalt verjehen, nicht 20
überzeugen, jondern nur befeblen darf. — Weil nun außer diefem Kle—
rus alles übrige Laie ift (das Oberhaupt des politischen gemeinen We—
ſens nicht ausgenommen): jo beherrſcht die Kirche zuleßt den Staat, nicht
eben durch Gewalt, jondern durch Einfluß auf die Gemüther, überdem
auch durch Vorſpiegelung des Nußens, den diejer vorgeblid aus einem >
unbedingten Gehorfam joll ziehen fönnen, zu dem eine geiftige Difciplin
jelbft das Denken des Volks gewöhnt hat; wobei aber unvermerft die
Gewöhnung an Heucelei die Nedlichfeit und Treue der Unterthanen un-
tergräbt, fie zum Scheindienft auch in bürgerlihen Pflichten abwitigt
und wie alle fehlerhaft genommene Principien gerade das Gegentheil von =
dem bervorbringt, was beabfihtigt war.
-_
0
—
5
Das alles ift aber die unvermeidliche Folge von der beim erften An-
blick unbedenkli ſcheinenden Verſetzung der Principien des allein jelig-
machenden Religionsglaubens, indem es darauf anlam, weldhem von
182 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Vierles Stüd.
reinen Religionsglauben, der jedem Menjchen nicht allein begreiflich, jon-
dern auch im höchſten Grade ehrwürdig ift; ja es führt dahin jo natürlich,
daß, wenn man den Verſuch machen will, man finden wird, daß er jedem
Menſchen, ohne ihm etwas davon gelehrt zu haben, ganz und gar abge-
fragt werden kann. Es iſt alfo nicht allein klüglich gehandelt, von diefem
anzufangen und den Geſchichtsglauben, der damit harmonirt, auf ihn
folgen zu laſſen, jondern es ift auch Pflicht, ihn zur oberften Bedingung
zu machen, unter der wir allein hoffen können, des Heils theilhaftig zu
werden, was uns ein Gejhichtsglaube immer verheigen mag, und zwar
dergeftalt, daß wir diefen nur nad) der Auslegung, welche der reine Re—
ligionsglaube ihm giebt, für allgemein verbindlich fünnen oder dürfen
gelten lafjen (weil diefer allgemein gültige Lehre enthält), indefjen daß
der Moralifc Gläubige dod) aud) für den Geſchichtsglauben offen ift, jo
fern er ihn zur Belebung jeiner reinen Religionsgefinnung zuträglidh fin-
det, weldher Glaube auf diefe Art allein einen reinen moraliſchen Werth
hat, weil er frei und durd) feine Bedrohung (wobei er nie aufrichtig fein
fann)Tabgedrungen ift.
Sofern num aber aud der Dienft Gottes in einer Kirche auf die
reine moraliſche Verehrung defjelben nad den der Menſchheit überhaupt
vorgeihriebenen Gejeken vorzüglidy gerichtet ift, jo fann man doch nod)
fragen: ob in diefer immer nur Öottjeligfeits- oder aud) reine Tu—
gendlehre, jede bejonders, den Juhalt des Religionsvortrags ausmachen
ſolle. Die erfte Benennung, nämlich Gottjeligfeitslehre, drüdt viel-
leicht die‘ Bedeutung des Worts religio (wie es jeßiger Zeit verftanden
wird) im objectiven Sinn am beiten aus.
Gottjeligfeit enthält zwei Beftimmungen der moraliſchen Gefin-
nung im Berhältnifje auf Gott; Furdt Gottes ift dieje Gefinnung in
Befolgung jeiner Gebote aus ſchuldiger (Unterthans-) Pflicht, d. i. aus
Achtung fürs Gejeh; Liebe Gottes aber aus eigener freier Wahl und
aus Wohlgefallen am Geſetze (aus Kindespflidt). Beide enthalten alfo
noch über die Moralität den Begriff von einem mit Eigenjhaften, die
das durch dieje beabfichtigte, aber über unjer Vermögen hinausgehende
höchſte Gut zu vollenden erforderlich find, verjehenen überfinnlichen We-
jen, von defjen Natur der Begriff, wenn wir über das moralijdhe Ver:
hältniß der Idee defjelben zu uns hinausgehen, immer in Gefahr jteht,
von uns anthropomorpbiftiich und dadurch oft unjeren füttlichen Grund⸗
jägen gerade zum Nadhtheil gedacht zu werden, von dem aljo die Idee
0
Dom Dienft und Afterbienft unter ber Herrichaft bes guten Principe. 183
in der fpeculativen Vernunft für ſich jelbjt nicht beftehen kann, fondern
fogar ihren Urfprung, nod mehr aber ihre Kraft gänzlich auf der Bezie-
hung zu unferer auf fid) jelbjt beruhenden Pflichtbeſtimmung gründet.
Was ift nun natürlicher in der erften Jugendunterweifung und jelbft in
dem Kanzelvortrage: die Tugendlehre vor der Gottjeligkeitslehre, oder
dieje vor jener (wohl gar ohne derjelben zu erwähnen) vorzutragen? Beide
jtehen offenbar in nothwendiger Verbindung mit einander, Dies ift aber
nicht anders möglich, als, da fie nicht einerlei find, eine müßte als Zwed,
die andere bloß als Mittel gedacht und vorgetragen werden. Die Tugend:
lehre aber befteht durch fich ſelbſt (ſelbſt ohne den Begriff von Gott), Die
Gottfeligfeitslehre enthält den Begriff von einem Gegenftande, den wir
uns in Beziehung auf unjere Moralität, als ergänzende Urfache unferes
Unvermögens in Anjehung des moralifhen Endzweds vorjtellen. Die
Gnttfeligfeitslehre kann alſo nicht für fid) den Endzwed der fittlihen Be-
ftrebung ausmaden, fondern nur zum Mittel dienen, das, was an ſich
einen befjeren Menſchen ausmacht, die TZugendgefinnung, zu ſtärken, da-
durd) daß fie ihr (als einer Beftrebung zum Guten, felbjt zur Heiligkeit)
die Erwartung des Endzweds, dazu jene unvermögend ift, verheißt und
fiber. Der Tugendbegriff ift dagegen aus der Seele des Menſchen ge
nommen. Er hat ihn ſchon ganz, obzwar unentwidelt, in ſich und darf
nicht, wie der Religionsbegriff durch Schlüfje herausvernünftelt werben.
In feiner Reinigfeit, in der Erwedung des Bewußtfeins eines ſonſt von
uns nie gemuthmaßten Vermögens, über die größten Hindernifje in uns
Meifter werden zu können, in der Würde der Menjchheit, die der Menſch
an feiner eignen Perjon und ihrer Beitimmung verehren muß, nad) der
er ftrebt, um fie zu erreichen, liegt etwas jo Seelenerhebendes und zur
Gottheit jelbit, die nur durch ihre Heiligkeit und als Gejekgeber für die
Tugend anbetungswürdig ift, Hinleitendes, daß der Menſch, felbft wenn
er noch weit davon entfernt ift, diefem Begriffe die Kraft des Einflufjes
auf jeine Marimen zu geben, dennod nit ungern damit unterhalten
wird, weil er ſich ſelbſt durch dieje Idee ſchon in gewiſſem Grade veredelt
fühlt, indefjen daß der Begriff von einem diefe Pflicht zum Gebote für
uns madenden Weltherriher nod in großer Ferne von ihm liegt und,
wenn er davon anfinge, feinen Muth (der das Wejen der Tugend mit
ausmacht) niederſchlagen, die Gottjeligfeit aber in ſchmeichelnde, knechti—
ſche Unterwerfung unter eine despotijch gebietende Macht zu verwandeln,
in Gefahr bringen würde. Diefer Muth, auf eigenen Füßen zu ftehen,
184 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stück.
wird num ſelbſt durch die darauf folgende Verſöhnungslehre geitärft, in-
dem fie, was nicht zu ändern ift, als abgethan vorftellt und nun den Pfad
zu einem neuen Zebenswandel für uns eröffnet, anftatt daß, wenn dieje
Lehre den Anfang macht, die leere Bejtrebung, das Gejchehene ungeſche—
ben zu machen (die Erpiation), die Furcht wegen der Zueignung derjelben, 5
die Vorftellung unſeres gänzlihen Unvermögens zum Guten und die
Angftlichkeit wegen des Nüdfalls ins Böfe dem Menſchen den Muth be-
nehmen*) und ihn in einen ächzenden moraliſch-paſſiven Zuftand, der
*) Die verfchiedenen Glaubensarten ber Bölfer geben ihmen nad und nad
auch wohl einen im bürgerlichen Verhältniß äußerlich ausgeichnenden Charakter, 10
ber ihnen nachher, gleich al3 ob er Temperamentseigenfhaft im Ganzen wäre, bei-
gelegt wird. So zog ſich der Zubaism feiner erften Einrichtung nad, da ein
Volk fi durch alle erbenkliche, zum Theil peinliche Obfervangen von allen andern
Bölfern abjondern und aller Bermifchung mit ihnen vorbeugen follte, ben Vor:
wurf bes Menfchenhafjes zu. Der Mohammedanism unterfcheidet ſich durch
Stolz, weil er ftatt ber Wunder an den Siegen und der Unterjocyung vieler Böl-
fer bie Beitätigung feines Glaubens findet, und feine Andachtsgebräuche alle von
ber muthigen Art find). Der hinduiſche Glaube giebt feinen Anhängern ben
Charakter der Kleinmüthigfeit aus Urfachen, die denen des nächſtvorhergehen⸗
ben gerabe ———— find. — Nun liegt es gewiß nicht an der innern Be- 20
ſchaffenheit des chriftlichen Glaubens, fondern an ber Art, wie er an die Gemüther
gebracht wird, wenn ihm an — bie es am herzlichſten mit ihm meinen, aber,
vom menfchlichen Verderben anhebend und an aller Tugend verzweifelnd, ihr Re-
ligionsprincip allein in der Frömmigfeit (worunter der Grundfaß des leidenden
Verhaltens in Anjehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottjelig- 35
feit verftanden wirb) jehen, ein jenem ähnlicher Vorwurf gemacht werben fann:
weil fie nie ein Zutrauen im fich ſelbſt ſetzen, in beftändiger Ängftlichkeit fich nach
einem übernatürlichen Beiftande umſehen und ſelbſt im diefer Selbftveradhtung (die
nicht Demuth ift) ein Gunft erwerbendes Mittel zu befien vermeinen, wovon ber
äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine Enehtijhe Gemüths- 30
art aufünbigt.
+) Diefe merkwürdige Erjcheinung (bes Stolzes eines unwiſſenden, obgleich
veritändigen Volfs auf feinen Glauben) fann auch von Einbildimg des Stifter
herrühren, als habe er den Begriff der Einheit Gottes und deſſen überfinnlicher
Natur allein in der Welt wiederum erneuert, der freilih eine Vereblung feines 35
Volls durd; Befreiung vom Bilderdienft und der Anarchie der PVielgötterei fein
würde, wenn jener fich dieſes Berdienft mit Necht zuichreiben könnte. — Was das
Charakteriftifche der dritten Glafie von Religiondgenoffen betrifft, welche übel ver-
ftandene Demuth zum Grunde bat, fo joll die Herabſetzung bes Eigendünfels in
ber Schätzung feines moralif—en Werths durch die Borhaltung der Heiligkeit des 40
Gejeges nicht Verachtung feiner jelbft, ſondern vielmehr Enſſchloſſenheit bewirfen
ii
ui
wartet, verjegen muß. — Es foınmt in dem, was die moralifche Geſin⸗
nung betrifft, alles auf den oberften Begriff an, dem man feine Pflichten
unterordnet. Wenn die Verehrung Gottes das Erfte ift, der man alfo
bie Tugend unterordnet, fo ift diefer Gegenftand ein Zdol, d. i. er wird
als ein Wejen gedadht, dem wir nicht durdy fittlihes Wohlverhalten in
der Welt, fondern durdy Anbetung und Einſchmeichelung zu gefallen hof-
fen dürften; die Religion aber ift aladann Idololatrie. ottjeligkeit ift
aljo nicht ein Surrogat der Tugend, um fie zu entbehren, jondern die
Bollendung derjelben, um mit der Hoffnung der endlichen Gelingung aller
unjerer guten Zwede befrönt werden zu fönnen.
1
84
Vom Leitfaden des Gewiſſens in Glaubensjaden.
Es ift hier nicht die Frage: wie das Gewifjen geleitet werden folle
ıs (denn das will feinen Leiter: es ift genug eines zu haben); jondern wie
dieſes ſelbſt zum Leitfaden in den bedenflichften moraliihen Entſchließun—
gen dienen könne. — |
Das Gemifjen ift ein Bewußtjein, das für ſich ſelbſt Pflicht
ift. Wie ift es aber möglich, ſich ein folches zu denken, da das Bewußt-
so jein aller unjerer Vorjtellungen nur in logiicher Abficht, mithin bloß be
dingter Weife, wenn wir unfere Vorftellung Mar machen wollen, noth-
wendig zu fein jcheint, mithin nicht unbedingt Pflicht fein kann?
Es ift ein moraliſcher Grundjaß, der feines Beweijes bedarf; man
ſoll nichts auf die Gefahr wagen, daß es unrecht ei (quod dubitas,
>» ne feceris! Plin.). Das Bewußtjein aljo, daß eine Handlung, Die id
biejer edlen Anlage in uns gemäß uns der Angemefjenheit zu jener immer mehr
zu nähern: ftatt deſſen Tugend, die eigentlich im Muthe dazu befteht, ald ein des
Eigenbünfels fchon verdädhtiger Name, ind Heidenthum veriwiejen und Friechende
Gunftbewerbung dagegen angepriejen wird. — Andächtelei (bigotterie, devotio
30 spuria) ift bie Gewohnheit, ftatt Gott wohlgefälliger Handlungen (in Erfüllung
aller Menfchenpflichten) in der unmittelbaren Bejchäftigung mit Gott durch Ehr-
furchtöbezeigungen die Übung der Frömmigfeit zu ſetzen; welche Übung alsdann
zum Frohndienſt (opus operatum) gezählt werben muß, nur daß fie zu dem
Uberglauben noch ben ſchwärmeriſchen Wahn vermeinter überfinnlichen (himmliſcher)
> Gefühle Hinzu thut.
186 Religion innerhalb der Grenzen ber blohen Vernunft. Viertes Stüd.
unternehmen will, recht fei, ift unbedingte Pflicht. Ob eine Handlung
überhaupt recht oder unrecht ſei, darüber urtheilt der Verſtand, nicht das
Gewiſſen. Es ift auch nicht ſchlechthin nothwendig, von allen möglichen
Handlungen zu wiſſen, ob fie recht oder unrecht find. Aber von der, die
ich unternehmen will, muß id) nicht allein urtheilen und meinen, fondern 5
aud gewiß fein, daß fie nicht unrecht fei, und dieje Forderung ift ein
Poſtulat des Gewifjens, welchem der Brobabilismus, d. i. der Grund—
jaß entgegengejebt ift: daß die bloße Meinung, eine Handlung fönne wohl
recht fein, ſchon hinreichend jet, fie zu unternehmen. — Man könnte das
Gewiſſen and) jo definiren: es ift die ſich ſelbſt rihtende moraliſche
Urtheilstraft; nur würde diefe Definition nod einer vorhergehenden
Erflärung der darin enthaltenen Begriffe gar jehr bedürfen. Das Ge-
wiſſen richtet nicht die Handlungen als Gajus, die unter dem Geſetz jtehen;
denn das thut die Vernunft, jo fern fie fubjectivspraftifc ift (daher die
casus conscientiae und die Caſuiſtik, als eine Art von Dialektif des Ge-
wifjens): ſondern hier richtet die Vernunft ſich jelbft, ob fie auch wirklich
jene Beurtheilung der Handlungen mit aller Behutjamfeit (ob fie recht
oder unrecht find) übernommen habe, und jtellt den Menden wider
oder für ſich ſelbſt zum Zeugen auf, daß diejes gejchehen oder nicht ge—
ſchehen jei. 90
Man nehme 5. B. einen Keßerrichter an, der an der Alleinigfeit ſei—
nes itatutariihen Glaubens bis allenfalls zum Märtyrerthume fejt hängt,
und der einen des Unglaubens verflagten jogenannten Ketzer (jonft guten
Bürger) zu richten hat, und nun frage ich: ob, wenn er ihn zum Tode ver-
urtheilt, man jagen könne, er habe feinem (obzwar irrenden) Gewiſſen *
gemäß gerichtet, oder ob man ihm vielmehr ſchlechthin Gewiſſenloſig—
keit Schuld geben könne, er mag geirrt oder mit Bewußtjein unrecht ge-
than haben; weil man es ihm auf den Kopf zufagen fann, daß er in
einem ſolchen Falle nie ganz gewiß fein fonnte, er thue hierunter nicht
vielleicht unredt. Er war zwar vermuthlid des feiten Glaubens, daß so
ein übernatürlichegeoffenbarter göttlicher Wille (vielleicht nad dem Sprud):
compellite intrare) es ihm erlaubt, wo nicht gar zur Pflicht macht, den
vermeinten Unglauben zufammt den Ungläubigen auszurotten. Aber war
er denn wirklich von einer ſolchen geoffenbarten Lehre und auch dieſem
Sinne derjelben jo jehr überzeugt, als erfordert wird, um es darauf zu =
wagen, einen Menſchen umzubringen? Daß einem Menſchen jeines Re
ligionsglaubens wegen das Leben zu nehmen unrecht ſei, ift gewiß: wenn
—
—
5
u
vermeinten
————
»o auferlegen Dürfen. Da die Überzeugung feine anbere als hiſtoriſche Be-
öffentlichen Beförderung der Gottjeligfeit, als ein von Gntt unmittelbar
verordnetes Religionsftüd, anzuertennen, oder ein Geheimniß als von ihm
30 feſtiglich geglaubt zu befennen, was es nicht einmal verfteht. Sein geift-
ss alfo vielleicht Wahrheit im Geglaubten, aber dod) zugleid) Unwahrhaftige
teit im Glauben (oder deffen jelbft bloß innerem Befenntniffe) fein, und
biefe ift an ſich verdammlid).
188 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd,
Obzwar, wie oben angemerkt worden, Menſchen, die nur den min—
beften Anfang in der Freiheit zu denfen gemacht haben*), da fie vorher
unter einem Sklavenjoche des Glaubens waren (z. B. die Proteftanten),
fid) fofort gleichſam für veredelt halten, je weniger fie (Pofitives und zur
Prieſtervorſchrift Gehöriges) zu glauben nöthig haben, fo iſt es doch bei
denen, die noch feinen Verſuch diejer Art haben machen können oder wol-
fen, gerade umgekehrt; denn diejer ihr Grundjaß ijt: es ijt rathſam, lieber
zu viel als zu wenig zu glauben. Denn was man mehr thut, als man
ſchuldig ift, ſchade wenigitens nicht, könne aber dod) vielleicht wohl gar
helfen. — Auf diefen Wahn, der die Unredlichkeit in Religionsbefennt-
niffen zum Grundſatze macht (wozu man fid) defto leichter entichließt, weil
die Religion jeden Fehler, folglich auch den der Unredlichkeit wieder gut
macht), gründet fid die fogenannte Siherheitsmarime in Glaubensjahen
(argumentum a tuto): Sit das wahr, was id) von Gott befenne, jo habe
ichs getroffen; ift es nicht wahr, übrigens auch nichts an fid) Unerlaubtes:
jo habe id) es blos überflüffig geglaubt, was zwar nicht nöthig war, mir
aber nur etwa eine Bejchwerde, die doch fein Verbrechen tjt, aufgeladen.
Die Gefahr aus der Unredlichfeit feines Vorgebens, die Verletzung des
Gewiſſens, etwas jelbjt vor Gott für gewiß auszugeben, wovon er ſich
*) Ich geitehe, bad ich mic, in dem Ausdrud, deſſen ſich auch wohl Fuge
Männer bedienen, nicht wohl finden Tann: Ein gewiſſes Volf (was in der Bear:
beitung einer geſetzlichen Freiheit begriffen ift) ift zur Freiheit nicht reif; die Zeib-
eigenen eines Gutseigenthümers find zur Freiheit noch nicht reif; und jo auch: bie
Menfchen überhaupt find zur Glanubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer ſolchen
Borausjeßung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu biejer
nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gefeht worden ift (man muß frei
fein, um ſich jeiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu Fönnen). Die
eriten Verſuche werben freilich rob, gemeiniglid” auch mit einem beichwerlicheren
und gefährlicheren Zuftande verbunden fein, ald dba man noch unter ben Befehlen,
aber auch der Vorſorge anderer ftand; allein man reift für die Bermunft nie anders,
als durch eigene Berfuche (welche machen zu dürfen, man frei fein muß). Ich
babe nichtö dawider, dah bie, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitum«-
ſtände gendtbigt, die Entichlagung von dieſen drei Feſſeln moch weit, jehr weit
aufichieben. Aber e8 zum Grundſatze machen, daß denen, die ihnen einmal unter-
worfen find, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt jei, fie jederzeit
davon zu entfernen, ift ein Eingriff in die Regalien ber Gottheit ſelbſt. die der
Menichen zur Freibeit ſchuf. Bequemer ift es freilich —— * und Ki
zu herrſchen, wenn man einen ſolchen Grundfah durchzuſehen vermag. A
gerechter?
0
er
—
30
-
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-
“n
Vom Dienft und Afterdienft unter der Herrfchaft des guten Principe. 189
doc) bewußt ift, daß es nicht von der Beichaffenheit fei, es mit unbeding-
tem Zutrauen zu betheuern, diefes alles hält der Heuchler für nichts:
— Die ädhte, mit der Religion allein vereinbarte Sicherheitsmaxime ift
gerade die umgekehrte: Was als Mittel oder als Bedingung der Gelig-
feit mir nicht durch meine eigene Vernunft, ſondern nur durch Offenba-
rung befannt und vermittelft eines Geſchichtsglaubens allein in meine
Bekenntniſſe aufgenommen werden fann, übrigens aber den reinen mora=
liihen Grundfägen nicht widerspricht, kann id) zwar nicht für gewiß glau—
ben und betheuern, aber aud) eben jo wenig als gewiß falſch abweijen.
Sleihwohl, ohne etwas hierüber zu bejtimmen, rechne ich darauf, daß,
was darin Heilbringendes enthalten fein mag, mir, fofern ich mid) nicht
etwa durd den Mangel der moralijchen Gefinnung in einem guten Le—
benswandel defien unwürdig made, zu gut fommen werde, In diejer
Marime ift wahrhafte moraliihe Sicherheit, nämlidy vor dem Gewiſſen
(und mehr fann von einem Menſchen nicht verlangt werden), dagegen tft
die höchſte Gefahr und Unficherheit bei dem vermeinten Klugheitsmittel,
die nadıtheiligen Folgen, die mir aus dem Nicytbefennen entipringen
dürften, liftiger Meife zu umgehen und dadurd, daß man e3 mit bei—
den Parteien hält, es mit beiden zu verderben. —
Wenn fid) der Berfafjer eines Eymbols, wenn fid) der Xehrer einer
Kirche, ja jeder Menich, jofern er innerlich ſich jelbit die Uberzeugung
von Süßen als göttlichen Dffenbarungen gejtehen joll, fragte: getrauejt
du dich wohl in Gegenwart des Herzensfündigers mit Verzihtthunng auf
alles, was dir werth und heilig ift, diejer Säge Wahrheit zu betheuren?
jo müßte id) von der menſchlichen (des Guten doc wenigitens nicht ganz
unfähigen) Natur einen jehr nachtheiligen Begriff haben, um nicht vor-
auszufehen, daß auch der fühnfte Glaubenslehrer hiebei zittern müßte}).
+) Der nämlide Mann, der jo breuft ift zu jagen: wer an dieſe ober jene
Geſchichtslehre ald eine theure Wahrheit nicht glaubt, der ift verdammt, ber
müßte body auch jagen fünnen: wenn bas, was ic) euch hier erzähle, nicht wahr
ift, fo will ih verbammt jein! — Wenn es jemand gäbe, ber einen jolchen
er Ausspruch thun könnte, fo würde ich rathen, fich in Anfehung feiner
re Sprichwort von einem Hadgi zu richten: iſt jemand einmal
Igrim) be Melka geweien, jo ziehe aus dem Haufe, worin er mit dir wohnt;
en
Ä
te er veimal da geweien, fo ziehe aus derfelben Strafe, wo er fich befindet; ift
da geweſen, jo verlaſſe die Stadt, ober gar das Land, wo er ſich
190 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Viertes Stüd.
Wenn das aber fo ift, wie reimt es fi) mit der Gewifjenhaftigkeit zufam-
men, gleihmwohl auf eine ſolche Glaubenserflärung, die feine Einjchrän-
fung zuläßt, zu dringen und die Bermefjenheit ſolcher Betheurungen jogar
felbft für Pflicht und gottesdienftlicdh auszugeben, dadurd) aber die Frei-
heit der Menſchen, die zu allem, was moraliſch ift (dergleichen die An-
nahme einer Religion), durdaus erfordert wird, gänzlid) zu Boden zu
ihlagen und nicht einmal dem guten Willen Pla einzuräumen, der da
jagt: „Sc glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!“ +)
Allgemeine Anmerfung.
Mas Gutes der Menſch nad Freiheitsgefegen für ſich felbit thun
fann in Bergleihung mit dem Vermögen, weldyes ihm nur durd) über:
natürlide Beihülfe möglich ift, fann man Natur zum Unterfchied von
der Gnade nennen. Nicht als ob wir durd den erfteren Ausdrud eine
phyſiſche, von der Freiheit unterfchiedene Beſchaffenheit verftänden, jon-
dern bloß, weil wir für diefes Vermögen wenigitens die Gejebe (der
Tugend) erfennen, und die Vernunft aljo davon, als einem Analogon
der Natur, einen für fie fihtbaren und faßlichen Leitfaden hat; dagegen,
+) DO Aufrichtigleit! bu Afträa, die du von ber Erde zum Himmel ent-
flohen bift, wie zieht man dich (die Grundlage bes Gewiffens, mithin aller inneren
Religion) von da zu uns wieder herab? Sch kann es einräumen, wiewohl es ſehr
zu bedauren ift, daß Offenherzigkelt (bie ganze Wahrheit, die man weiß, zu jagen)
in ber menſchlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit (baf alles,
was man jagt, mit Wahrhaftigkeit gejagt fei) muß man von jedem Menſchen
fordern fünnen, und wenn auch felbft dazu feine Anlage in umferer Natur wäre,
beren Gultur nur vernadhläffigt wird, jo würde die Menfchenrafje in ihren eigenen
Augen ein Gegenftanb ber tiefiten Verachtung fein müffen. Aber jene verlangte
Gemuͤthseigenſchaft ift eine ſolche, die vielen Verſuchungen ausgeſetzt it und manche
Aufopferung Foftet, daher auch moralifche Stärke, d. i. Tugend (bie erworben wer-
ben muß), fordert, bie aber früher als jebe andere bewacht und cultivirt werben
muß, weil ber entgegengejeßte Hang, wenn man ihn bat einwurzeln laſſen, am
ſchwerſten auszurotten ift. — Nun vergleiche man damit unfere Erziehungsdart, vor-
nehmlich im PBunfte der Religion, ober beifer ber Glaubendlehren, wo die Treue
bes Gedächtnifjes in Beantwortung ber jie betreffenden Fragen, ohne auf die Treue
bed Belenntnifies zu ſehen (worüber nie eine Prüfung angeftellt wird), ſchon für
binreihend angenommen wird, einen Gläubigen zu machen, ber bas, was er heilig
betheuert, nicht einmal veriteht, und man wirb fich über ben Mangel der Aufridh-
tigfeit, der lauter innere Heuchler macht, nicht mehr wundern.
ii
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—
5
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35
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Vom Dienft und Afterbienft unter ber Herrichaft bes guten Principe. 191
ob, wenn und was oder wie viel die Gnade in uns wirken werde, uns
gänzlich verborgen bleibt, und die Vernunft hierüber, fo wie beim Über-
natürlichen überhaupt (dazu die Moralität als Heiligkeit gehört) von
aller Kenntniß der Geſetze, wornach e8 geichehen mag, verlafjen ift.
Der Begriff eines übernatürlihen Beitritts zu unferem moralischen,
obzwar mangelhaften, Bermögen und jelbjt zu unferer nicht völlig gerei-
nigten, wenigitens ſchwachen Gefinnung, aller unferer Pflicht ein Genüge
zu ihun, ift transjcendent und eine bloße Idee, von deren Realität uns
feine Erfahrung verfidern kann. — Aber jelbft als Idee in bloß prafti-
ſcher Abſicht fie anzunehmen, ift fie jehr gewagt und mit der Vernunft
ſchwerlich vereinbar: weil, was uns als fittlidhes gutes Verhalten zuge:
rechnet werden ſoll, nicht durdy fremden Einfluß, fondern nur durd) den
beftmöglichen Gebrauch unferer eigenen Kräfte gejchehen müßte. Allein
die Unmöglichkeit davon (dab beides neben einander ftatt finde) läßt fid)
doch eben auch nicht beweiſen, weil die Freiheit ſelbſt, obgleich fie nichts
Ubernatürlihes in ihrem Begriffe enthält, gleihwohl ihrer Möglichkeit
nad) ung eben jo unbegreiflich bleibt, als das Übernatürliche, welches man
zum Erjab der jelbjtthätigen, aber mangelhaften Beitimmung derjelben
annehmen möchte.
Da wir aber von der Freiheit doch wenigitens die Geſetze, nad)
welchen fie beftimmt werden fol, (die moraliſchen) fennen, von einem
übernatürlihen Beiftande aber, ob eine gewifje in uns wahrgenommene
moraliſche Stärke wirflid) daher rühre, oder auch, in welchen Fällen und
unter welchen Bedingungen fie zu erwarten jei, nicht das Mindejte erfen-
nen fönnen, jo werden wir außer der allgemeinen Vorausfeßung, daß,
was die Natur in uns nicht vermag, die Gnade bewirken werde, wenn
wir jene (d. i. unfere eigenen Kräfte) nur nad) Möglichkeit benußt haben,
von diefer Idee weiter gar feinen Gebraud; machen fönnen: weder wie
wir (noch außer der ftetigen Beitrebung zum guten Xebenswandel) ihre
Mitwirkung auf uns ziehen, noch wie wir bejtimmen könnten, in welchen
Fällen wir uns ihrer zu gewärtigen haben. — Dieje Idee ift gänzlich)
überfhwenglich, und es ift überdem heilfam, ſich von ihr als einem Hei-
ligthum in ehrerbietiger Entfernung zu halten, damit wir nicht in dem
Wahne jelbft Wunder zu thun, oder Wunder in uns wahrzunehmen uns
für allen Vernunftgebraud untauglic; machen oder auch zur Trägheit
einladen laſſen, das, was wir in uns felbft fuchen follten, von oben herab
in paffiver Muße zu erwarten.
194 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd.
das Beten, das Fajten, das Almofengeben, die Wallfahrt nad Mekka;
wovon das Almojengeben allein ausgenommen zu werden verdienen würde,
wenn es aus wahrer tugendhafter und zugleich religiöfer Gefinnung für
Menſchenpflicht geihähe und jo auch wohl wirklich für ein Gnadenmittel
gehalten zu werden verdienen würde: da es hingegen, weil es nad) diefem >
Glauben gar wohl mit der Erprefjung defjen, was man in der Perſon der
Armen Gott zum Opfer darbietet, von Andern zuſammen beftehen kann,
nicht ausgenommen zu werden verdient).
Es fann nämlid dreierlei Art von Wahnglauben der uns mög»
lichen Überſchreitung der Grenzen unjerer Vernunft in Anfehung des
Übernatürlien (das nicht nad) Vernunftgejegen ein Gegenjtand weder
des theoretiſchen noch praftiichen Gebrauchs ift) geben. Erjtlid der
Glaube etwas durd Erfahrung zu erkennen, was wir doch felbft als nad)
objectiven Erfahrungsgejeßen geihehend unmöglid annehmen fönnen
(der Glaube an Wunder). Zweitens der Wahn das, wovon wir
jelbjt durd) die Vernunft ung feinen Begriff machen fönnen, doch unter
unfere Bernunftbegriffe als zu unſerm moraliſchen Beſten nöthig auf:
nehmen zu müffen (der Glaube an Geheimnifje). Drittens der Wahn
durd den Gebrauch bloßer Naturmittel eine Wirkung, die für uns Ge-
heimniß ift, nämlich den Einfluß Gottes auf unjere Sittlidyfeit hervor: à
bringen zu können (der Blaube an Gnadenmittel). — Bon den zwei
erften erfünjtelten Glaubensarten haben wir in den allgemeinen Anmer:
fungen zu den beiden nächſt vorhergehenden Stüden dieſer Schrift gehan-
delt. Es ift uns aljo jeßt nody übrig von den ®nadenmitteln zu handeln
(die von Önadenwirfungen,F) d. i. übernatürlihen moraliihen Ein =
flüffen, noch unterſchieden find, bei denen wir uns bloß leidend verhalten,
deren vermeinte Erfahrung aber ein ſchwärmeriſcher Wahn ift, der bloß
zum Gefühl gehört).
1. Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und dar-
um als Gnadenmittel gedacht, ift ein abergläubiijher Wahn (ein Fetiſch- 50
machen); denn es ift ein bloß erflärtes Wünſchen gegen ein Wejen,
das feiner Erflärung der inneren Gefinnung des Wünſchenden bedarf,
wodurd) aljo nichts gethan und alfo feine von den Pflichten, die uns als
Gebote Bottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird.
Ein berzliher Wunſch, Gott in allem unjerm Thun und Lafjen wohlge- »
+) ©, Allgemeine Anmerkung zum Erften Stüd.
—
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5
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| | | — — —
Sem Dienft und Afterdient unter der Herrichaft des guten Krincivs 195
fälig zu fein, &.i die alle unfere Handlungen |
als ob fie im Dienfte Gottes geichehen, SE Betreiben, HR | |
le Ge —— a
Wunſch aber (es fei auch nur innerlich) in Worte und Formeln einzuflei«
ns eek nu den Werth eines Mittels zu wiederholter Ber
In jenem Wunſch, als dem Geifte des Gebets, fucht der Menich nur auf ſich
— — der Idee von Gott), im diefem
aber, ba er fich durch Worte, mithin äußerlich erflärt, auf Gott zu wirken. Im erfte-
ren Sim kann ein Gebet nit voller Aufrichtigkeit ftatt finden, wenn gleich der Menſch
fich nicht anmaßt, jelbit dad Dafein Gottes als völlig gewiß betheuren zu Lnnen; im
ber zweiten Form ald Anrede nimmt er dieſen böchfien Gegenftand ald perfönlich
a ee ich will nicht jagen, De aa Re fondern auch nur
20 im ber dieſes anzeigenden Geberdung überrafchte. Man wird, ohne daß Ich es fage,
von jelbft eriwarten, daß jener darüber in Verwirrung oder Verlegenheit, gleich als
über einen Zuftand, deſſen er fich zu fchämen habe, gerathen werde. Warum dad
aber? Da ein Menſch mit fich felbit laut redend betroffen wird, bringt ihn vor der
Hand in dem Verdacht, daß er eine Feine Anwandlung von Wahnfinn habe; mıd eben
25 jo beurtheilt man ihn (micht ganz mit Unrecht), wenn man ihm, da er alleim ift, auf
einer Beihäftigung oder Geberdung betrifft, die der nur haben Fan, welcher jemaud
außer ſich vor Augen hat, was doc in dem angenommenen Beifpiele der Fall nicht
— Der Lehrer des Evangeliums hat aber den Geilt des Gebets ganz vortrefflich
in einer Formel ausgedrüdt, welche dieſes umd biemit auch fich jelbit (ald Buchitaben)
»» zugleich entbehrlich macht. Im ihr findet man nichts, ald den Vorſatz zum guten Yes
benswanbdel, der, mit bem Bewußtſein unjerer Gebrechlichkeit verbunden, einen beitän«
digen Wunſch enthält, ein würdiges Glied im Reiche Gottes zu fein; aljo feine eigent-
liche Bitte um Etwas, was und Gott nad) jeiner Weisheit auch wohl verweigern
(in Got mehfgefitign Bi der, wenn er ermitlich (thätig) ift, jeinen Gegenftand
Bla aa bie Benibaner berieiben suchst —
ſchen gefühlten Bebürfniffes ift, iit mehr ein Bekenntuiß deifen, was die Natur in
uns will, als eine befondere überlegte Bitte deſſen, was der Menjch will: dergleichen
0 die um bas Brod auf den andern Tag fein würde; welche hier deutlich genug ausge
ſchloſſen wird. — Ein Gebet diefer Urt, das im moraliſcher (nur dur die Idee von
13*
196 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernumft. Biertes Stück.
lebung jener Gefinnung in uns jelbft bei fi führen, unmittelbar aber
feine Beziehung aufs göttliche Wohlgefallen haben, eben darum auch nicht
Gott belebter) Gefinnung geichieht, weil es als der moralifche Geiſt bes Gebets feinen
Gegenftand (Bott wohlgefällig zu fein) ſelbſt hervorbringt, kann allein im Glauben
geichehen; welches leßtere fo viel heißt, als fich ber Erhörlichkeit deflelben verfichert
zu halten; von dieſer Art aber kann nichts, als die Moralität in ung fein. Denn wenn
die Bitte auch nur auf das Brod für ben heutigen Tag ginge, fo kann niemanb fich von
ber Erhörlichfeit deſſelben verjichert halten, b. i. baf ed mit ber Weisheit Gottes noth-
wenbig verbunden fei, fie ihm zu gewähren; es kann vielleicht mit derſelben beſſer zu⸗
fammenftimmen, ihn an diefem Mangel heute fterbem zu lafien. Much ift es ein unge»
reimter und zugleich vermeffener Wahn durch die pochende Zudringlichfeit bes Bittens
zu verfuchen, ob Gott nicht von bem Plane feiner Weisheit (zum gegenwärtigen Vor-
theil für un) abgebracht werben könne. Alfo können wir fein Gebet, was einen nicht
moralifchen Gegenjtand hat, mit Gewißheit für erhörlich halten, b.i. um jo Etwas
nicht im Glauben beten. Ja fogar: ob der Gegenftand gleich moralijch, aber doch
nur durch übernatärlichen Einfluß möglich wäre (oder wir wenigſtens ihn bloß baher
erwarteten, weil wir uns nicht felbft barım bemühen wollen, wie 3. B. bie Sinnes-
änderung, das Anziehen des neuen Menfchen, die MWiebergeburt genamnt), jo ift es
doch fo gar ſehr ungewiß, ob Gott es feiner Weisheit gemäß finden werde, unſern
(felbftverjchuldeten) Mangel übernatürlicher Weife zu ergänzen, daß man eher Urſache
bat, das Gegentheil zu erwarlen. Der Menſch kann alſo felbjt hierum nicht im Glau-
ben beten. — Hieraus läft jich aufklären, was ed mit einem wunderthuenden Glau-
ben (der immer zugleich mit einem inneren Gebet verbumbden jein würde) für eine Be-
wandtniß haben könne. Da Golt dem Menfchen Feine Kraft verleihen fann, über
natürlich zu wirfen (weil das ein Widerſpruch ift); da der Menſch ſeinerſeits nach ben
Begriffen, die er fich von quten in der Welt möglichen Sweden macht, was hierüber
die göttliche Weisheit urtheilt, nicht beitimmen unb alfo vermittelt des in und von
ihm felbit erzeugten Wunfches die göttliche Macht zu feinen Abfichten nicht brauchen
kann: jo läßt fich eine Wundergabe, eine ſolche nämlich, da es am Menſchen jelbit
Liegt, ob er fie hat ober nicht hat („wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfforn“, u.f.w.),
nad) dem Buchftaben genommen, gar nicht denfen. Ein ſolcher Glaube ift alio, wenn
er überall etwas bedeuten joll, eine blohe Idee von der überwiegenden Wichtigkeit der
moraliichen Beichaffenheit des Menſchen, wenn er fie in ihrer ganzen Gott gefälligen
Vollfommenbeit (die er doch nie erreicht) befähe, über alle andre Bewegurjachen, bie
Gott in feiner höchiten Weisheit haben mag, mithin ein Grund vertrauen zu fönnen,
bah, wenn wir bad ganz wären oder einmal würden, was wir jein follen und (in ber
beitändigen Annäherung) fein könnten, die Natur unferen Wünfchen, die aber jelbjt
alsbann nie unweiſe fein würden, geborchen müßte.
Mas aber die Erbauung betrifft, die durchs Kirchengehen beabfichtigt wirb,
fo iſt das Öffentliche Gebet darin zwar auch fein Guadenmittel, aber doch eine ethiſche
Weierlichfeit, es fei durch vereinigte Anftimmung bes Glaubens-Hymmus, ober auch
durch die förmlich durch den Mund des Geiftlichen im Namen ber ganzen Ge
—
0
—
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[7 =]
-
=
für jedermann Pflicht fein: weil ein Mittel nur dem vorgefchrieben wer-
den fann, der es zu gewiſſen Zwecken bedarf, aber bei weitem nicht jeder:
mann diejes Mittel (in und eigentlich mit fich ſelbſt, vorgeblic aber
deito verftändlicher mit Gott zu reden) nöthig hat, vielmehr durch fort
geſetzte Läuterung und Erhebung der moralifhen Gefinnung dahin gear-
beitet werden muß, daß diejer Geijt des Gebets allein in uns hinreichend
belebt werde, und der Buchitabe defjelben (wenigftens zu unjerm eigenen
Behuf) endlich wegfallen könne. Denn diejer ſchwächt vielmehr wie alles,
was indirect auf einen gewifjen Zweck gerichtet ift, die Wirkung der mo-
raliihen Idee (die, fubjectiv betrachtet, Andacht heißt). So hat die
Betradhtung der tiefen Weisheit der göttlihen Schöpfung an den kleinſten
Dingen und ihrer Majeftät im Großen, jo wie fie zwar ſchon von jeher
von Menſchen hat erfannt werden können, in neueren Beiten aber zum
höchſten Bewundern erweitert worden ijt, eine foldye Kraft, das Gemüth
nicht allein in diejenige dahin finfende, den Menſchen gleihjam in feinen
eigenen Augen vernichtende Stimmung, die man Anbetung nennt, zu
verjeßen, ſondern es ift auch in Rüdfiht auf feine eigene moraliihe Be-
ftimmung darin eine fo jeelenerhebende Kraft, daß dagegen Worte, wenn
fie aud) die des königlichen Beters David (der von allen jenen Wundern
wenig wußte) wären, wie leerer Schall verfhwinden müfjen, weil das Ge—
fühl aus einer jolden Anfhauung der Hand Gottes unausſprechlich ift.
— Da überdem Menjhen alles, was eigentlidy nur auf ihre eigene mo-
meinbe an Gott gerichtete, alle moralische Angelegenheit der Menfchen in ſich faſſende
Anrede, welche, ba fie biefe ala öffentliche Angelegenheit vorftellig macht, wo ber
Wunſch eines jeden mit ben Wünſchen aller zu einerlei Zwecke (ber Herbeiführung
bed Reichs Gottes) ala vereinigt vorgeitellt werben ſoll, nicht allein bie Nührung
bis zur fittlichen Begeifterung erhöhen kann (anftatt daß bie Privatgebete, da fie
ohne bieje erhabene Idee abgelegt werben, durch Gewohnheit den Einfluß aufs Ge-
mũth nach und nad; ganz verlieren), jondern auch mehr Bernunftgrund für ſich hat
als bie erfiere, ben moralifchen Wunfch, der ben Geift bes Gebets ausmacht, in
förmliche Anrebe zu Mleiden, ohne doch hiebei an Vergegenmwärtigung des hödhiten
Weſens, oder eigene befondere Kraft dieſer rednerifchen Figur ald eines Guaben-
mittels zu benfen. Denn e3 ift hier eine bejonbere Abficht, nämlich durch eine
äußere bie Bereinigung aller Menſchen im gemeinfchaftlichen Wunſche bes
Reichd Gottes voritellende Feierlichkeit jedes Einzelnen moraliiche Triebfeder befto
mehr in Bewegung zu jeben; welches nicht ſchicklicher geſchehen fann, als dadurch
daß man bas Oberhaupt befjelben, gleich ald ob es an dieſem Orte bejonbers
gegenwärtig wäre, anrebet,
ie Brunn ychung ha, ee Emm re Ges z
Religion gern in Hofbienft verwandeln, wo die Demüthigungen und
preifungen gemeiniglid defto weniger moraliſch — *
mehr fie wortreid) find: fo iſt vielmehr nöthig, ſelbſt bei der früheſten mit
Kindern, die des Buchſtabens noch bedürfen, angeftellten Gebetsübung 5
—— einzufcärfen, daß die Rede (ſelbſt innerlich ausgeſprochen, ja
fondern es nur um die Belebung der Geſinnung zu einem Gott wohlge-
fälligen Qebenswandel zu thun fei, wozu jene Rede nur ein Mittel für die w
Einbildungstraft ift; weil ſonſt alle jene devote Ehrfurchtsbezeugungen
bringen, nichts als erheuchelte Gottesverehrung ftatt eines praf-
nr defielben, der nicht in bloßen Gefühlen befteht, zu be-
nr Das Kirchengehen, als feierlicher äußerer Gottesdienſt
un
l
Vom Dienft und Afterdienſt unter der Herrjchaft des guten Princips. 199
Kirdhe nit Förmlichleiten enthalte, die auf Sdololatrie führen und jo
das Gewiſſen beläftigen können, z. B. gewifje Anbetungen Gottes in der
Perjönlichkeit jeiner unendlichen Güte unter dem Namen eines Menſchen,
da die finnlidie Daritellung defjelben dem Vernunftverbote: „Du follft
dir fein Bildniß madhen“, u. j. w. zuwider ift. Aber es an fi als
Gnadenmittel brauden zu wollen, gleich als ob dadurd) Gott unmittel-
bar gedient, und mit der Gelebrirung diejer Feierlichfeit (einer bloßen
finnlihen Vorftellung der Allgemeinheit der Religion) Gott bejondere
Gnaden verbunden habe, ift ein Wahn, der zwar mit der Denfungsart
eines guten Bürgers in einem politifhen gemeinen Weſen und der
äußern Anftändigfeit gar wohl zuſammen ftimmt, zur Qualität defjelben
aber, als Bürger im Reiche Gottes, nicht allein nichts beiträgt, jon-
bern dieje vielmehr verfälſcht und den ſchlechten moraliſchen Gehalt jeiner
Gefinnung den Augen anderer und jelbit jeinen eigenen durd) einen be-
trüglihen Anſtrich zu verdeden dient.
3. Die einmal gejchehende feierlihe Einweihung zur Kirchenge-
meinſchaft, d. i. die erite Aufnahme zum ®liede einer Kirche (in der
hriftlichen durd) die Taufe), ift eine vielbedeutende Feierlichfeit, die ent-
weder dem Einzumeihenden, wenn er jeinen Glauben jelbjt zu befennen
im Stande ift, oder den Zeugen, die feine Erziehung in demjelben zu be—
jorgen ſich anheiſchig machen, große Verbindlichkeit auferlegt und auf
etwas Heiliges (die Bildung eines Menſchen zum Bürger in einem gött—
lien Staate) abzwedt, an fich jelbft aber feine heilige oder Heiligkeit
und Empfänglichkeit für die göttliche Gnade in diefem Subject wirkende
Handlung anderer, mithin fein Gnadenmittel; in jo übergroßem An-
ſehen e3 auch in der erſten griechiſchen Kirche war, alle Sünden auf eins
mal abwaſchen zu fönnen, wodurd) diefer Wahn aud) jeine Verwandtſchaft
mit einem faft mehr als heidnifchen Aberglauben öffentlih an den Tag
legte,
4. Die mehrmals wiederholte Feierlichfeit einer Erneuerung,
Fortdauer und Fortpflanzung diejer Kirdengemeinjhaft nad
Geſetzen der Gleichheit (die Eommunion), welche allenfalls aud nad)
dem Beijpiele des Stifters einer ſolchen Kirche (zugleich auch zu feinem
Gedaͤchtniſſe) durch die Förmlichkeit eines gemeinihaftlichen Genuffes an
berjelben Tafel geichehen kann, enthält etwas Großes, die enge, eigenlie-
bige und unvertragiame Denkungsart der Menſchen, vornehmlid) in Re—
ligionsſachen, zur Idee einer weltbürgerlihen moralijden Gemein—
ſchaft Ermeiterndes in ſich und ijt ein gutes Mittel, eine Gemeinde zu
der darunter vorgeftellten fittlihen Gefinnung der brüderliden Liebe zu
beleben. Daß aber Gott mit der Gelebrirung diejer Feierlichkeit bejon-
dere Gnaden verbunden habe, zu rühmen und den Sab, daß fie, die doch
bloß eine kirchliche Handlung ift, doch nod) dazu ein Gnadenmittel fei,
unter die Glaubensartifel aufzunehmen, ijt ein Wahn der Religion, der
nicht anders als dem Geifte derfelben gerade entgegen wirken fann. —
Pfaffenthum alſo würde überhaupt die ufurpirte Herrſchaft der Geilt-
(ichkeit über die Gemüther fein, dadurd daß fie, im ausſchließlichen Be-
fiß der Gnadenmittel zu fein, fid) das Anjehn gäbe.
“- *
*
Alle dergleichen erkünſtelte Selbſttäuſchungen in Religionsſachen
haben einen gemeinſchaftlichen Grund. Der Menſch wendet ſich gewöhn—
licher Weiſe unter allen göttlichen moraliſchen Eigenſchaften, der Heilig—
feit, der Gnade und der Geredhtigfeit, unmittelbar an die zweite, um jo
die abjhredende Bedingung, den Forderungen der erfteren gemäß zu fein,
zu umgehen. Es ift mühfam, ein guter Diener zu jein (man hört da
immer nur von Pflichten ſprechen); er möchte daher lieber ein Favorit
fein, wo ihm vieles nachgeſehen, oder, wenn ja zu gröblich gegen Pflicht
verftogen worden, alles durch Vermittelung irgend eines im höchſten
Grade Begimnftigten wiederum gut gemacht wird, indefjen daß er immer
der loſe Knecht bleibt, der er war. Um fid) aber and wegen der Thunlid-
feit diefer feiner Abſicht mit einigem Scheine zu befriedigen, trägt er jei-
a en Menfhen Gufammt feinen Fehlern) wie
lich auf die Gottheit ül 5* enden. 2 —— —— von
-
u
=
Som Diem: zrt Wardiert zrirr der Derrigent Des geten Bey MI
| ſedt
ig zu haben, fie zu beobachten; und damit feine
zur Vergütung der Übertretung derfelben dienen
! Herr!“ um mur nicht möthig zu baden, „den Ril-
*, und jo macht er ſich vom den Keier-
‚Mittel zur Belebung wahrbaft praftifcher
zungen als von Gnadenmitteln am ſich jelbit, giebt ſo⸗
ı Glauben, daß fie e8 find, jelbft für ein weientlihes Stüd der
(der gemeine Mann gar für das Gange derfelben) aus und über»
der allgüfigen Borjorge, aus ihm einen befjern Menſchen zu
1, indem er fi der Frömmigkeit (einer paffiven Verehrung des
göttlien Gejepes) ftatt der Tugend (der Anwendung eigener Kräfte zur
der von ihm verehrten Prliht) beeiigt, melde Ichtre da,
mit der erfterenverbunden, allein die Idee ausmachen fann, die man
unter dem Worte Gottjeligfeit (wahre Neligionsgefinnung) vew
0 jteht. — Wenn der Wahn diefes vermeinten Himmelsgünftlings bis
zur jhwärmerifhen Einbildung gefühlter befonderer Gnadenwirkungen
in ihm fteigt (bis jogar zur Anmaßung der Bertraulichfeit eines vermein»
argenen Umgangs mit Gott), ſo ekelt ihm gar endlich die Tugend
an und wird ihm ein Gegenitand der Verachtung; daher es denn fein
Wunder ift, wenn öffentlich geflagt wird: daß Religion noch immer fo
wenig zur Befjerung der Menjchen beiträgt, und das innere Licht („unter
dem Scheffel“) diefer Begnadigten nicht aud äußerlich durch gute Werke
uchten will, und zwar (wie man nach diefem ihrem Worgeben wohl for»
7 m Bo
dern nnte vorzüglich vor anderen natürlich-ehrlichen Menſchen, welche
so die Rel eligion nicht zur Erfeßung, fondern zur Beförderung der Tugend»
gefinnung, En einem guten Lebenswandel thätig erſcheint, kurz und gut
ſich aufnehmen. Der Lehrer des Evangeliums hat gleichwohl biefe
ußere Beweisthümer äußerer Erfahrung ſelbſt zum Probirftein an die
Hand gegeb A, woran als an ihren Früchten man fie und ein jeder ſich
» felbft erkennen fan. Noch aber hat man nicht gefehen, daß jene ihrer
Meinung nad) außerordentlich Begünftigten (Auserwählten) es dem na
türlichen ehrlichen Manne, auf den man im Umgange, in Gejchäften und
202 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Vierte Stüd.
in Nöthen vertrauen kann, im mindeften zuporthäten, daß fie vielmehr,
im Ganzen genommen, die Bergleihung mit diefem kaum aushalten dürf-
ten; zum Beweiſe, daß es nicht der rechte Weg fei, von der Begnadigung
zur Tugend, jondern vielmehr von der Zugend zur Begnadigung fortzu-
ſchreiten.
Die
Metaphnfik der Sitten.
Abgefaßt
von
Immannel Kant.
Erſter Theil.
Metaphyſiſche Anfangsgründe
der
Rechtsblehxre.
Borrede,
Auf die Kritik der praftifhen Vernunft follte bas Syſtem, die
Metaphyſik der Sitten, folgen, welches in metaphyſiſche Anfangsgründe
der Rechtslehre und im eben ſolche für die Tugendlehre zerfällt (als
s ein Gegenftüd der ſchon gelieferten metaphyfiihen Anfangsgründe ber
Naturwifjenihaft), wozu die hier folgende Einleitung die Form bes
Syſtems in beiden vorjtellig und zum Theil anjhaulid macht.
Die Nechtslehre als der erfte Theil der Sittenlehre iſt nun bas,
wovon ein aus der Vernunft hervorgehendes Syitem verlangt wirb,
ı0 welches man die Metaphysik des Nedts nennen könnte, Da aber ber
Begriff des Rechts als ein reiner, jedod) auf die Praris (Anwendung auf
in der Erfahrung vortommende Fälle) geſtellter Begriff ift, mithin ein
metaphyſiſches Syſtem defjelben in feiner Eintheilung auch auf bie
empiriſche Mannigfaltigfeit jener Fälle Nüdfiht nehmen müßte, um bie
ıs Eintheilung vollftändig zu machen (welches zur Errichtung eines Snftems
der Bernunft eine unerlaßliche Forderung iſt), Bollftändigleit ber Ein—
theilung des Empirifchen aber unmöglid) ift, und, wo fie verfucht wird
(mwenigjtens um ihr nahe zu fommen), ſolche Begriffe nicht als Integrirende
Theile in das Syftem, jondern nur als Beifpiele in bie Anmerkungen
»» kommen können: jo wird der für ben erften Theil der Metaphnfll der Gitten
allein ſchidliche Ausdrud fein metaphyfifhe Anfangsgrünbe ber
Rechtslehre: weil in Rüdfiht auf jene Källe der Anwendung nur Am
näherung zum Syſtem, nicht diefes jelbft erwartet werben fan. Es wirb
daher hiemit, jo wie mit den (früheren) metaphyfiigen Anfangsgründen
s der Naturwifjenichaft, aud) hier gehalten werben: nämlich bas Recht, was
zum a priori entworfenen Syftem gehört, in ben Zert, bie Rechte aber,
welche auf befondere Erfahrungsfälle bezogen werben, in zum Shell welt»
206 Metaphufiihe Anfangsgründe der Rechtälehre.
läuftige Anmerkungen zu bringen: weil fonft das, was hier Metaphyſik ift,
von dem, was empiriſche Rechtspraxis ift, nicht wohl unterſchieden werden
fönnte.
Ich kann dem fo oft gemadyten Vorwurf der Dunkelheit, ja wohl gar
einer gefliffenen, den Schein tiefer Einficht affectirenden Undeutlichkeit im
philoſophiſchen Vortrage nicht befjer zuvorfommen oder abhelfen, als daß
id, was Herr Garve, ein Philofoph in der ächten Bedeutung des Worts,
jedem, vornehmlich dem philofophirenden Schriftfteller zur Pflicht macht,
bereitwillig annehme und meinerjeits diejen Anjprud bloß auf die Be-
dingung einihränfe, ihm nur fo weit Folge zu leiften, als es die Natur
der Wiſſenſchaft erlaubt, die zu berichtigen und zu erweitern ift.
Der weile Mann fordert (in feinen Werk, Vermiſchte Aufſätze
betitelt, ©. 352 u. f.) mit Redt, eine jede philofophiiche Lehre müfje, wenn
der Lehrer nicht felbjt in den Verdacht der Dunkelheit feiner Begriffe
fommen fol — zur Popularität (einer zur allgemeinen Mittheilung
binreihenden Verfinnlichung) gebradyt werden fünnen. Ich räume das
gern ein, nur mit Ausnahme des Syſtems einer Kritit des Bernunftver-
mögens jelbft und alles defjen, was nur durch diejer ihre Bejtimmung be-
urfundet werden fan: weil es zur Unterjcpeidung des Sinnlihen in un-
jerem Erfenntniß vom Überſinnlichen, dennod) aber der Bernunft Zuitehen-
den gehört. Diejes kann nie populär werden, jo wie überhaupt feine
formelle Metaphyfit; obgleich ihre Nejultate für die gejunde Vernunft
(eines Metaphyfifers, ohne es zu wifjen) ganz einleuchtend gemacht werden
können. Hier ift an feine Popularität (Bolksiprade) zu denfen, jondern
es muß auf jcholaftiihe Pünktlichkeit, wenn fie auch Peinlichkeit ge—
ſcholten würde, gedrungen werden (denn es ift Schuliprade): weil da—
durd) allein die voreilige Vernunft dahin gebracht werden Tann, vor ihren
dogmatischen Behauptungen ſich erft jelbjt zu verftehen.
Wenn aber Bedanten fih anmapen, zum Bublicum (auf Kanzeln
und in Bolksihriften) mit Kunftwörtern zu reden, die ganz für die Schule
geeignet find, jo fann das fo wenig dem kritiſchen Philofophen zur Laft
fallen, alö dem Grammatifer der Inverftand des Wortllaubers (logo-
daedalus). Das Belahen fann bier nur den Mann, aber nicht die
Wiſſenſchaft treffen.
Es klingt arrogant, ſelbſtſüchtig und für die, welde ihrem alten
Syſtem nod nicht entiagt haben, verfleinerlid, zu behaupten: daß vor
dem Entjtehen der kritiſchen Philofophie es noch gar feine gegeben habe.
u
0
1
1
1
— Um nun über dieſe ſcheinbare Anmaßung abſprechen zu können, kommt
es auf die Frage an: ob es wohl mehr als eine Philoſophie geben
fünne. Verſchiedene Arten zu philofophiren und zu den erften Vernunft-
principien zurüdzugehen, um darauf mit mehr oder weniger Glüd ein
Syſtem zu gründen, hat es nicht allein gegeben, jondern es mußte viele
Verſuche diejer Art, deren jeder auch um die gegenwärtige jein Verdienit
hat, geben; aber da es doch, objectiv betrachtet, nur Eine menſchliche Ver-
nunft geben fann: fo kann es auch nicht viel Philofophieen geben, d. i. es
ift nur Ein wahres Syftem derjelben aus Principien möglich, jo mannig-
faltig und oft widerftreitend man audy über einen und denjelben Saß phi«
lojophirt haben mag. So jagt der Moralift mit Redt: es giebt nur
Eine Tugend und Lehre derjelben, d. i. ein einziges Syftem, das alle Tu—
gendpflichten durch Ein Princip verbindet; der Chymift: es giebt nur
Eine Chemie (die nad) Zavoifier); der Arzneilehrer: es giebt nur Ein
Princip zum Syitem der Kranfheitseintheilung (nad) Brown), ohne dod)
darum, weil das neue Syftem alle andere ausjhließt, das Verdienſt der
älteren (Moraliften, Chemifer und Arzneilehrer) zu ſchmälern: weil ohne
diejer ihre Entdedungen, oder auch mißlungene Verſuche wir zu jener
Einheit des wahren Princips der ganzen Philojophie in einem Syitem
nicht gelangt wären. — Wenn alfo jemand ein Syſtem der Philofophie
als fein eigenes Fabrifat ankündigt, fo ift es eben jo viel, als ob er jagte:
vor dieſer Philofophie fei gar feine andere nod) gewejen. Denn wollte
er einräumen, e3 wäre eine andere (und wahre) gewejen, jo würde es
über diefelbe Gegenftände zweierlei wahre Philojophieen gegeben haben,
welches ſich widerſpricht. — Wenn alfo die fritifche Philofophie fid als
eine joldje anfündigt, vor der es überall noch gar feine Philofophie ge:
geben habe, jo thut fie nichts anders, als was alle gethan haben, thun
werden, ja thun müfjen, die eine Philojophie nad) ihrem eigenen Plane
entwerfen.
Bon minderer Bedeutung, jedody nicht ganz ohne alle Wichtigkeit
wäre ber Vorwurf: da ein diefe Philofophie weſentlich unterſcheidendes
Stüd doch nicht ihr eigenes Gewächs, fondern etwa einer anderen Philo-
jophie (oder Mathematif) abgeborgt fei: dergleichen ift der Fund, den ein
tübingjcher Recenſent gemacht haben will, und der die Definition der Phi-
Iofophie überhaupt angeht, welche der Verfafjer der Kritik d. r. V. für fein
eigenes, nicht unerheblicyes Product ausgiebt, und die doch jchon vor
vielen Jahren von einem Anderen faft mit denjelben Ausdrüden gegeben
208 Metapbufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre.
worden jei.*) Ic) überlafje es einem jeden, zu beurtheilen, ob die Worte:
intellectualis quaedam constructio, den Gedanfen der Darjtellung
eines gegebenen Begriffs in einer Anjhauung a priori hätten
bervorbringen fönnen, wodurd auf einmal die Philojophie von der Mathe- °
matif ganz beftimmt geſchieden wird. Sch bin gewiß: Haufen jelbft
würde fid) geweigert haben, dieje Erklärung feines Ausdruds anzuer-
fennen; denn die Möglichkeit einer Anſchauung a priori, und daß der
Raum eine ſolche und nicht ein bloß der empirifchen Anſchauung (Wahr:
nehmung) gegebenes Nebeneinanderjein des Mannigfaltigen außer einan-
der jei (wie Wolff ihn erklärt), würde ihn ſchon aus dem Grunde abge-
ſchreckt haben, weil er ſich hiemit in weit hinausjehende philoſophiſche
Unterſuchungen verwidelt gefühlt hätte. Diegleihjam durd den Ber-
ftand gemachte Darftellung bedeutete dem jharffinnigen Mathematiker
nichts weiter, als die einem Begriffe correjpondirende (empiriſche) Ver—
zeihnung einer Zinie, bei der bloß auf die Regel Acht gegeben, von den
in der Ausführung unvermeidlihen Abweihhungen aber abftrahirt wird;
wie man e3 in der Geometrie auch an der Eonftruction der Gleichungen
wahrnehmen fann.
Bon der allermindeften Bedeutung aber in Anfehung des Geiſtes
diejer Bhilojophie ift wohl der Unfug, den einige Nachäffer derjelben mit
den Wörtern ftiften, die in der Kritik d. r. V. ſelbſt nicht wohl durch an-
dere gangbare zu erjegen find, fie aud) außerhalb derfelben zum öffent:
lien Gedanfenverfehr zu brauchen, und welcher allerdings gezüchtigt zu
werden verdient, wie Hr. Nicolai thut, wiewohl er über die gänzliche Ent-
behrung derjelben in ihrem eigenthümlidyen Felde, gleich als einer überall
bloß verjtedten Armfeligfeit an Gedanken, fein Urtheil zu haben fid) ſelbſt
beidyeiden wird. — Indeſſen läßt ſich über den unpopulären Bedanten
freilich viel Iuftiger laden, als über den unfritijhen Sgnoranten
(denn in der That kann der Metaphyſiker, welder jeinem Syfteme fteif
anbhängt, ohne fih an alle Kritik zu fehren, zur letzteren Claſſe gezählt
werden, ob er zwar nur willfürlid ignorirt, was er nicht auffommen
lafjen will, weil es zu jeiner älteren Schule nicht gehört). Wenn aber nad)
*) Porro de actuali eonstructione hie non quaeritur, cum ne possint quidem
sensibiles figurae ad rigorem definitionum effingi; sed requiritur cognitio eorum,
10
quibus absolvitur formatio, quas intelleetualis quaedam constructio est. 0. A. »
Hausen, Elem. Mathes. Pars I. p. 86. A, 1734.
u
15
Vorrede. 209
Shaftesbury's Behauptung es ein nicht zu verachtender Probirſtein für
die Wahrheit einer (vornehmlich praktiſchen) Lehre iſt, wenn fie das Be-
laden aushält, jo müßte wohl an den Fritifhen Philoſophen mit der Zeit
die Reihe kommen zulebt und fo auch am beſten zu lachen: wenn er die
papierne Syfteme derer, die eine lange Zeit das große Wort führten, nad
einander einjtürzen und alle Anhänger derfelben fidh verlaufen fieht:
ein Schidfal, was jenen unvermeidlich bevoriteht.
Segen das Ende des Buchs habe ich einige Abſchnitte mit minderer
Ausführlichfeit bearbeitet, als in Vergleichung mit den vorhergehenden
erwartet werden fonnte: theils weil fie mir aus diefen leicht gefolgert
werden zu fönnen jchienen, theils auch weil die lebte (das öffentliche Recht
betreffende) eben jebt fo vielen Discufjionen unterworfen und dennodj fo
wichtig find, daß fie den Aufſchub des enticheidenden Urtheild auf einige
Zeit wohl rechtfertigen fönnen.
Die metaphyfiihe Anfangsgründe der Tugendlehre hoffe
ih in Kurzem liefern zu können.
Kant's Schriften. Werke VI. 14
Tafel
der Eintheilung der Rechtslehre.
Erfter Theil.
Das Privatrecht in Anfehung äußerer Gegenftände (Inbegriff derjenigen
bedürfen).
Gefehe, die feiner äußeren Belanntmadung
Erftes Hauptftüd.
Bon der Art etwas Auferes als das Seine zu haben.
Zweites Hauptftäd.
Bon der Art etwas Außeres zu erwerben.
Sintbeilung der äußeren Erwerbung.
Erſter Abſchnitt.
Vom Sachenrecht.
Zweiter Abſchnitt.
Vom perjönlihen Recht.
Dritter Abſchnitt.
Bon dem auf dingliche Art perſoͤnlichen Recht.
Epifodifher Abſchnitt.
Bon der idealen Erwerbung.
Drittes Hauptftüd.
Bon der jubjertiv-bedingten Erwerbung vor einer Gerichtsbarkeit.
Zweiter Theil.
Das öffentlide Recht (Snbeariff der Geſeße, die einer öffentlichen
Belanntmadhung bedürfen).
Erſter Abſchnitt.
Das Staatsrecht.
Zweiter Abſchnitt.
Das Voͤlkerrecht.
Dritter Abſchnitt.
Das Beltbuͤrgerrecht.
—— ——
ac Ya), m nr nn rl ma
m Mean Ms Giimsfleifett Yercih Hans Sahreeiime umher Yurziedltungen Men
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& ar allein Denrftr eh rn ermittelt reihen. Mun Faım nos Sulimesiie
auenen Mirzftelng erttmeiwe um Den Ir rem, Art, = and; af an Tlbipece gum
212 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtötehte.
Buftandes) enthält; da fonft jelbft Empfindungen außer der Dualität,
die ihnen der Beſchaffenheit des Subjects wegen anhängt (z.B. bes Roiben,
des Süßen u. ſ. w.), doch aud) als Erfenntnißftüde auf ein Object bezogen
werben, die Luft oder Unluft aber (am Rothen und Sühen) ſchlechterdings
nichts am Objecte, jondern lediglich Beziehung aufs Subject ausdrüdt.
Näher können Luft und Umluft für fi) und zwar eben um des ange-
führten Grundes willen nidjt erflärt werden, jondern man fann allen-
falls nur, was fie in gewiſſen Berhältnifjen für Folgen haben, anführen,
um fie im Gebrauch fennbar zu machen.
Man kann die Luft, welche mit dem Begehren (des Gegenftandes, »
deſſen Borftellung das Gefühl jo afficirt) nothwendig verbunden ift,
praftifhe Luft nennen: fie mag nun Urſache oder Wirkung vom Be-
gehren fein. Dagegen würde man die Luft, die mit dem Begehren des
Gegenftandes nicht nothwendig verbunden ift, die aljo im Grunde nicht
eine Luft an der Eriftenz des Objects der Vorftellung ift, ſondern blos =
an der Borftellung allein haftet, blos contemplative uft oder untbätiges
Wohlgefallen nennen fünnen. Das Gefühl der lektern Art von Luft
nennen wir Geihmad. Bon diejem wird aljo in einer pratiiden Philo⸗
ſophie nicht als von einem einheimijhen Begriffe, jondern allenfalls
nur epijodijch die Rede fein. Was aber die praftifhe Luft betrifft, jo =
wird die Beftimmung des vor welder dieſe Luft
er — — muß, im engen Verſtande Begierde,
babituelle Begierde aber Neigung beißen, und weil die Berbindung
a mit dem Begehrungsvermögen, ſofern dieje Verfnüpfung durch
den Berftand nach einer allgemeinen Regel allenfalls auch nur für das =»
Subject) gültig zu fein geurtheilt wird, Jatere ſſe beißt, jo wird die
: der Neigung, dagegen ı
heäre has Soleudlie fall nah nit Dieb anf reine Mieranaftprincipien
das ESubjective der Borftelung ann gar kein Erlenntnistäd werben: weil es
bloö bie Beziehumg berielben anfd Subject umd michtd zur Erdenntnih dei Objects
ni
=
=
an
Einleitung in die Metaphyſik der Sitten, 1. 913
gegründet, jo müßte Empfindung mit Luft verbunden fein und fo das
Begehrungsvermögen beftimmen fünnen. Obgleich), wo ein bios reines
Vernunftinterefje angenommen werden muß, ihm fein Interefje der Nei-
gung untergejchoben werden fann, fo fönnen wir doch, um dem Sprachge—
brauche gefällig zu jein, einer Neigung felbit zu dem, was nur Object einer
intellectuellen Zuft fein Fann, ein habituelles Begehren aus reinem Ber:
nunftinterefje einräumen, welde alsdann aber nicht die Urfache, ſondern
die Wirkung des lebtern Sntereffe fein würde, und die wir die ſinnen—
freie Neigung (propensio intellectualis) nennen fünnten.
Noch ift die Concupiſcenz (das Gelüften) von dem Begehren jelbit
als Anreiz zur Beſtimmung defjelben zu unterfcheiden. Sie ift jederzeit
eine finnliche, aber noch zu feinem Act des Begehrungsvermögens ges
diehene Gemüthsbejtimmung.
Das Begehrungsvermögen nad) Begriffen, fofern der Beftimmungs-
grund defjelben zur Handlung in ihm felbft, nicht in dem Objecte ange:
troffen wird, heißt ein Vermögen nad Belieben zu thun oder zu
lajjen. Sofern es mit dem Bewußtjein des Vermögens feiner Handlung
zur Hervorbringung des Objects verbunden ift, heißt es Willkür; ift es
aber damit nicht verbunden, fo heißt der Actus defjelben ein Wunſch.
Das Begehrungsverinögen, defjen innerer Beitimmungsgrund, folglich
jelbjt das Belieben in der Vernunft des Subject3 angetroffen wird, heißt
der Wille. Der Wille ift aljo das Begehrungsvermögen, nicht jowohl
(wie die Willkür) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den
Beitimmungsarund der Willkür zur Handlung betrachtet, und hat jelber
vor ſich eigentlich feinen Beftimmungsgrund, jondern it, fofern fie die
Willkür beftimmen fann, die praktifche Vernunft jelbit.
Unter dem Willen fann die Willkür, aber aud) der bloße Wunſch
enthalten jein, jofern die Vernunft das Begehrungsvermögen überhaupt
beftimmen kann. Die Willkür, die dur) reine Vernunft beftimmt werden
fann, heißt die freie Willfür. Die, welde nur durd) Neigung (finnlichen
Antrieb, stimulus) beftimmbar ift, würde thieriſche Willfür (arbitrium
brutum) fein. Die menjhlihe Willkür ift dagegen eine joldye, welche
durch Antriebe zwar afficirt, aber nicht bejtimmt wird, und ift alſo
für fi) (ohne erworbene Fertigkeit der Vernunft) nicht rein, kann aber
doch zu Handlungen aus reinem Willen beftimmt werden. Die Freiheit
der Willkür ift jene Unabhängigkeit ihrer Beftimmung durch finnliche
Antriebe; dies ift der negative Begriff derfelben. Der pofitive ijt: das
214 Detaphpfiiche Anfangsgrlimde der Restliche
Bermögen ber reinen Bernunft für fi) ſelbſt praktiſch zu fein. Diejes ift
aber nicht anders möglich, als durch die Unterwerfung der Marime einer
jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglickeit der erſtern zum all-
gemeinen Geſetze. Denn als reine Vernunft, auf die Willfür unangejehen
diefer ihres Objects angewandt, kann fie ala Vermögen der Principien >
(und hier praftijher Principien, mithin als gejeßgebendes Vermögen),
da ihr die Materie des Geſetzes abgeht, nichts mehr als die Form der
Zauglichfeit der Marime der Willkür zum allgemeinen Gejepe jelbit zum
oberiten Gefege und Beftimmungsgrunde der Willfür machen und, da die
Marimen des Menſchen aus jubjectiven Urſachen mit jenen objectiven nicht 1
von jelbft übereinftimmen, diejes Geſetz nur ſchlechthin als Imperativ des
Verbots oder Gebots vorichreiben
Dieje Gejepe der Freiheit heißen ; zum Unterjhiede von Naturgejeßen
moralijd. So fern fie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Ge-
jegmäßigfeit gehen, heißen fie juridiſch; fordern fie aber auch, daß fie 1:
(die ſelbſt die Beftimmungsgründe der Handlungen fein follen,
fo find fie ethifch, und alsdann fagt man: die Übereinftimmung mit den
eriteren ift die Zegalität, die mit den zweiten die Moralität der Hand-
lung. Die Freiheit, auf die fi die erftern Geſetze beziehen, fann nur
die Freiheit im äußeren Gebraude, diejenige aber, auf die ſich die letere =
beziehen, die Freiheit jowohl im äußern als innern Gebrauche der Willkür
fein, jofern fie durch Bernunftgejege beftimmt wird. So jagt man in der
iheoretiihen Philojopbie: im Raume find nur die Gegenftände äußerer
Sinne, in der Zeit aber alle, jowohl die Gegenftände äußerer ala bes
inneren Sinnes: weil die Vorftellungen beider doc Borftellungen find
und fofern insgefammt zum inneren Sinne gehören. Eben jo, mag die
Sreiheit im äußeren oder inneren Gebraude der Willfür betrachtet werden,
e Beitimmungsgründe berjelben
fein: obgleid ie nit immer im Diefer Begichung betraditet werben Dürfen. =
I.
Bon der Idee und der Notbwendigkeit einer Metaphyſik der
Sitten.
Daß man für die Naturwiſſenſchaft, welche es mit den
äußerer Sinne zu thun bat, Principien a priori haben müffe, und dab «8 m
_ ul zn
10
15
Einleitung in bie Metaphyſik der Sitten. II. 215
möglich, ja nothwendig jei, ein Syſtem diefer Brincipien unter den Namen
einer metaphufifhen Naturwiſſenſchaft vor der auf bejondere Erfahrungen
angewandten, d. i. der Phyfif, voranzuſchicken, ift an einem andern Orte
bewiejen worden. Allein die leßtere fann (wenigitens wenn es ihr darum
zu thun ift, von ihren Säßen den Irrthum abzuhalten) manches Princip
auf das Zeugniß der Erfahrung als allgemein annehmen, obgleich das
leßtere, wenn e3 in ftrenger Bedeutung allgemein gelten fol, aus Gründen
a priori abgeleitet werden müßte, wie Newton das Prineip der Gleichheit
der Wirkung und Gegenwirktung im Einflufje der Körper auf einander
als auf Erfahrung gegründet annahm und es gleihmwohl über die ganze
materielle Natur ausdehnte. Die Chymifer gehen noch weiter und gründen
ihre allgemeinfte Gejeße der Vereinigung und Trennung der Materien
durch ihre eigene Kräfte gänzlich auf Erfahrung und vertrauen gleichwohl
auf ihre Allgemeinheit und Nothwendigkeit fo, daß fie in den mit ihnen
angejtellten Verſuchen feine Entdeckung eines Irrthums beforgen.
Allein mit den Sittengejeßen ift e8 anders bewandt. Nur fofern fie
als a priori gegründet und nothwendig eingejehen werden können, gelten
fie als Geſetze, ja die Begriffe und Urtheile über uns jelbjt und unfer Thun
und Zafjen bedeuten gar nichts Sittliches, wenn fie das, was fid) blos
von der Erfahrung lernen läßt, enthalten, und wenn man fid) etwa ver-
leiten läßt, etwas aus der letztern Duelle zum moralifhen Grundjaße zu
machen, jo geräth man in Gefahr der gröbjten und verderblichſten Irr—
thümer.
Wenn die Sittenlehre nichts als Glückſeligkeitslehre wäre, jo würde
es ungereimt fein, zum Behuf derjelben fid) nad) Brincipien a priori um-
zufehen. Denn fo jcheinbar es immer aud) lauten mag: daß die Vernunft
nod) vor der Erfahrung einjehen könne, durch weldhe Mittel man zum
dauerhaften Genuß wahrer Freuden des Lebens gelangen könne, fo ift
doc) alles, was man darüber a priori lehrt, entweder tautologifch, oder
ganz grundlos angenommen. Nur die Erfahrung kann lehren, was uns
Freude bringe. Die natürlichen Triebe zur Nahrung, zum Geſchlecht, zur
Ruhe, zur Bewegung und (bei der Entwidelung unjerer Naturanlagen)
die Triebe zur Ehre, zur Erweiterung unferer Erfenntniß u. d. gl., fönnen
allein und einem jeden nur auf feine befondere Art zu erkennen geben,
worin er jene Freuden zu jeben, ebendiejelbe fann ihm auch die Mittel
lehren, wodurd) er fie zu ſuchen habe. Alles jcheinbare Vernünfteln
a priori ift hier im Grunde nichts, als durch Induction zur Allgemeinheit
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Einleitung in bie Metaphnfif ber Sitten. II. 217
daran nicht fönnen mangeln laffen, und wir werden oft die bejondere
Natur des Menſchen, die nur durd) Erfahrung erfannt wird, zum Gegen
ftande nehmen müfjen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen
moralifhen PBrincipien zu zeigen, ohne daß jedod) dadurd) der Reinig—
feit der letzteren etwas benommen, noch ihr Urjprung a priori dadurd)
zweifelhaft gemacht wird. — Das will jo viel jagen als: eine Metaphyjif
der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf fie an—
gewandt werden.
Das Gegenjtüd einer Metaphyfif der Sitten, al3 das andere Glied
der Eintheilung der praftiihen Philofophie überhaupt, würde die mora—
liſche Anthropologie fein, weldye, aber nur die fubjective, hindernde ſo—
wohl als begünftigende Bedingungen der Ausführung der Gejeße der
eriteren in der menſchlichen Natur, die Erzeugung, Ausbreitung und Stär:
fung moraliſcher Grundjäße (in der Erziehung, der Schul- und Volksbe—
lehrung) und dergleichen andere fid) auf Erfahrung gründende Lehren
und Vorſchriften enthalten würde, und die nicht entbehrt werden kann,
aber durchaus nicht vor jener vorausgeſchickt, oder mit ihr vermiſcht wer:
den muß: weil man alsdann Gefahr läuft, faliche oder wenigitens nad)-
ſichtliche moraliſche Geſetze heraus zubringen, weldhe das für unerreichbar
vorſpiegeln, was nur eben darum nicht erreicht wird, weil das Geſetz nicht
in ſeiner Reinigkeit (als worin auch feine Stärke beſteht) eingeſehen und
vorgetragen worden, oder gar unächte oder unlautere Triebfedern zu dem,
was an fid) pflihtmäßig und gut ift, gebraucht werden, welche feine fichere
moraliihe Grundjäße übrig lafjen, weder zum Leitfaden der Beurthei-
lung, noch zur Difciplin des Gemüths in der Befolgung der Pflicht, deren
Vorſchrift ſchlechterdings nur durch reine Vernunft a priori gegeben wer:
den muß.
Mas aber die Dbereintheilung, unter welcher die eben jebt erwähnte
ſteht, nämlich die der Philojophie in die theoretifche und praftiiche, und
daß diefe feine andere als die moraliſche Weltweisheit fein fönne, betrifft,
darüber habe ich mich ſchon anderwärts (in der Kritik der Urtheilstraft)
erflärt. Alles Praktiſche, was nad) Naturgejeben möglich fein foll (die
eigentliche Beihäftigung der Kunft), hängt feiner Vorſchrift nad) gänzlich
von der Theorie der Natur ab; nur das Praktiſche nad) Freiheitsgejegen
fann Brincipien haben, die von feiner Theorie abhängig find; denn über
die Naturbeftimmungen hinaus giebt es feine Theorie. Alſo fann die
Philoſophie unter dem praftiichen Theile (neben ihrem theoretijchen) feine
— ondern blos moraliſch⸗praktiſche Lehre nerfiehen, und
ie ergebe Bilfür nad Freiheitsgejeßen im
ftelit, d. i. welches die Handlung zur Pflicht macht, zweitens eine Trieb- is
feber, welche ben Beftimmungsgrund der Billfür Au diejer Handlung
Durch das erftere wird die Handlung als Rilicht vorgejtellt, weldyes ein
bloßes theoretijhes Erfenntniß der möglichen Beitimmung der Willfür, »
d. en Regeln, ift: durch das zweite wird die Verbindlichkeit jo
zu handeln mit einem Bejtimmungsgrunde der Rilltür überhaupt im
Eubjecte verbunden.
Alle Geſetzgebung alfo (fie mag auch in Anjehung der Handlung, die
fie zur pflicht macht, mit einer anderen übereinfommen, z. B. die Hand- »
— —
*, Die Debuction ber Einthellung eines Syſtems: d. i. ber Beweis ihrer
Bollſtaͤndigkeit ſowohl als auch der Stetigkeit, daß nämlich der Übergang vom
— a er a ec ee —
durch feinen Sprung (divisio per saltum) geſchehe, iſt eine der am
——— erfüllenden Bebingungen für den Baumeiſter eines Syſtems. Auch 20
was der ee eingetheitte Beariff zu der Eintheilung Recht ober Unrecht
(aut fas aut nefas) ſei, hat jeine Bebenklichkeit. Es ift der Act ber freien Will-
für überhaupt. So wie bie Lehrer ber Ontologie vom Etwas und Nichts zu
oberft anfangen, ohne inne zu werben, daß biefes jchon Glieder einer Eintheilung
find, bazu noch ber eingetheilte Begriff fehlt, ber fein anderer, ala der Begriff von 35
einem Gegenitande überhaupt jein fan.
Einleitung in die Metaphufif der Citten. IIT. 219
lungen mögen in allen Fällen äußere jein) kann doch in Anſehung der
Triebfedern unterſchieden fein. Diejenige, welche eine Handlung zur
Pfliht und dieje Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ift ethiſch. Die
jenige aber, welche das Letztere nicht im Geſetze mit einſchließt, mithin
aud eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht jelbit zuläßt, ift
juridiſch. Man fieht in Anjehung der legtern leicht ein, daß dieſe von
der Idee der Pflicht unterichiedene Triebfeder von den pathologiſchen
Beitimmungsgründen der Willfür der Neigungen und Abneigungen und
unter diejen von denen der legteren Art hergenommen fein müjfen, weil
es eine Geſetzgebung, welche nöthigend, wicht eine Anlodung, die ein-
ladend ift, jein foll. x
Man nennt die bloße llbereinftimmung oder Nichtübereinitimmung
einer Handlung mit dem Geſetze ohne Rückſicht auf die Triebfeder der-
jelben die Legalität (Geſetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die
Idee der Pfliht aus dem Geſetze zugleich die Triebfeder der Handlung
ift, die Moralität (Sittlicykeit) derjelben.
Die Pflihten nad) der rechtlichen Geſetzgebung können nur äußere
Pflichten fein, weil diefe Geſetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieſer
Pflicht, welche innerlich iſt, für fich felbjt Beftimmungsgrund der Willkür
des Handelnden jei, und, da fie doch einer für Geſetze ſchicklichen Trieb-
feder bedarf, nur äußere mit dem Gejebe verbinden fann. Die ethiidhe
Gejeßgebung dagegen macht zwar auch innere Handlungen zu Bilichten,
aber nicht etwa mit Ausfchliegung der äußeren, fondern geht auf alles,
was Pflicht ift, überhaupt. Aber eben darum, weil die ethiſche Gejep-
gebung die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pfliht) in ihr
Geſetz mit einſchließt, weldye Beftimmung durchaus nicht in die äußere
Geſetzgebung einfließen muß, fo kann die ethiſche Geſetzgebung feine äußere
(ſelbſt nicht die eines göttlichen Willens) fein, ob fie zwar die Pflichten,
die auf einer anderen, nämlich äußeren Gejebgebung beruhen, als Pflich—
ten in ihre Geſetzgebung zu Zriebfedern aufnimmt,
Hieraus ift zu erfehen, daß alle Pflichten blos darum, weil fie Pflichten
find, mit zur Ethik gehören; aber ihre Geſetzgebung ift darıım nicht alle
mal in der Ethik enthalten, fondern von vielen derjelben außerhalb der-
jelben. So gebietet die Ethik, daß ic) eine in einem Vertrage gethane
s Anheifhigmahung, wenn mid) der andere Theil gleich nicht Dazu zwingen
könnte, doch erfüllen müfle: allein fie nimmt das Geſetz (pacta sunt ser-
vanda) und die diejem correfpondirende Pflicht aus der Nedjtslehre als
gegeben an. Alſo nicht in der Ethik, jondern im Ius liegt die Geſetzgebung,
daß angenommene Verſprechen gehalten werben müſſen. Die Ethik lehrt
hernach nur, daß, wenn bie Triebfeder, welche bie juridiſche Geſetzgebung
mit jener Pflicht verbindet, nämlid der äußere Zwang, auch weggelafjen
wird, die Idee der Pflicht allein ſchon zur Zriebfeder hinreichend jei.
Denn wäre das nicht und die Geſetzgebung ſelber nicht juridiſch, mithin
bie aus ihr eutſpringende Pflicht nicht eigentliche Rechtspflicht (zum Un-
terſchiede von der Tugendpflidht), jo würde man die Zeiftung der Treue
(gemäß feinem Verſprechen in einem Bertrage) mit den Handlungen des
Wohlwollens und der Berpflitung zu ihnen in eine Claſſe ſetzen, welches
durchaus nicht geſchehen muß. Es ift feine Tugendpflicht, fein Verſprechen
zu halten, fondern eine Nedhtspflicht, zu deren Zeiftung man gezwungen
werben fann. Aber es ift doch eine tugendhafte Handlung (Beweis der
Tugend), es aud) da zu thun, wo fein Zwang bejorgt werden barf.
Nechtslehre und Tugendlehre unterfheiden ſich alfo nicht ſowohl durch
ihre verſchledene Pflichten, als vielmehr durch die Verſchiedenheit der Ge-
jebgebung, melde die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gejeße ver-
bindet,
Die ethiſche Geſetzgebung (die Pflichten mögen allenfalls aud) äußere
fein) iſt diejenige, welche nicht äußerlich jein kann; die juridiſche ift,
welche auch äußerlid) fein kann. So ift e8 eine äußerliche Pflicht, jein
vertragsmäßiges Verſprechen zu halten; aber das Gebot, diejes bloß
darum zu thun, weil es Pflicht ift, ohme auf eine andere Triebfeder Rüd-
ficht zu nehmen, iſt bloß zur Innern Geſetzgebung gehörig. Alfo nicht
als beiondere Art von Pfliht (eine befondere Art Handlungen, zu denen
man verbunden Ift) — denn es ift in der Ethik jowohl als im Nedhte eine
üußere Pflicht, — fondern weil die Geſetzgebung im angeführten Falle
eine innere ift und feinen äußeren Geſetzgeber haben kann, wird die Ver—
bindlichfeit zur Ethik gezählt. Aus eben dem Grunde werden die Pflichten
des Wohlwollens, ob fie gleich äußere Pflichten (Verbindlichkeiten zu äuße-
ren Handlungen) find, doch'zur Ethik gezählt, weil ihre Gefeßgebung nur
innerlich ſein kann. — Die Ethik hat freilich auch ihre befondern Pflich-
ten (3. B. die gegen fid) jelbit), aber hat doch aud) mit dem Rechte Pflid-
ten, aber nur nicht die Art der Verpflihtung gemein. Denn Hand-
lungen bloß darum, weil es Pflichten find, ausüben und den Grundjaß
der Pflicht jelbft, woher fie auch fomme, zur hinreichenden Triebfeder der
Willkür zu machen, ift das Eigenthümliche der ethiſchen Gejekgebung.
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Einleitung in die Metaphyfil der Sitten. IV. 991
So giebt es aljo zwar viele direct-ethiſche Pflichten, aber die innere
Geſetzgebung macht auch die übrigen alle und insgefammt zu indirect-
ethiſchen.
IV.
Vorbegriffe zur Metaphyſik der Sitten.
(Philosophia practica universalis.)
Der Begriff der Freiheit ift ein reiner Vernunftbeariff, der eben
darum für die theoretiiche Philojophie transjcendent, d. i. ein ſolcher ift,
dem fein angemefjenes Beifpiel in irgend einer möglichen Erfahrung ge-
geben werden fann, weldyer alfo feinen Gegenjtand einer uns möglichen
theoretifhen Erfenntniß ausmacht und ſchlechterdings nicht für ein con-
ftitutives, fondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives
Princip der jpeculativen Vernunft gelten kann, im praftifchen Gebraud)
derjelben aber jeine Realität durch praftifche Grundſätze beweifet, die als
Geſetze eine Gaufalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen em—
piriſchen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt) die Willfür zu beftim-
men, und einen reinen Willen in uns beweifen, in welchem die fittlichen
Begriffe und Geſetze ihren Urjprung haben.
Auf diefem (in praktiſcher Nüdficht) pofitiven Begriffe der Freiheit
gründen ſich unbedingte praktiſche Geſetze, welche moralifch heißen, die
in Anjehung Unfer, deren Willfür ſinnlich affieirt und fo dem reinen
Willen nicht von ſelbſt angemeſſen, jondern oft widerjtrebend ift, Impe—
rativen (Gebote oder Verbote) und zwar kategoriſche (unbedingte) Im—
perativen find, wodurd) fie ſich von den technischen (den Kunſt-Vorſchriften),
als die jederzeit nur bedingt gebieten, unterjcheiden, nad) denen gemifje
Handlungen erlaubt oder unerlaubt, d.i. moraliſch möglich oder un=
möglich, einige derjelben aber, oder ihr Gegentheil moraliſch nothwendig,
d. 1. verbindlich, find, woraus dann für jene der Begriff einer Pflicht
entipringt, deren Befolgung oder Ubertretung zwar aud) mit einer Luft
oder Unluft von bejonderer Art (der eines moraliſchen Gefühls) verbun-
den ift, auf welche wir aber [weil fie nicht den Grumd der praftifchen
Gejebe, jondern nur die jubjective Wirkung im Gemüth bei der Be-
ftimmung unferer Willkür durd) jene betreffen und (ohne jener ihrer Gül—
tigfeit oder Einflufje objectiv, d. i. im Urtheil der Vernunft, etwas hinzu-
5 zuthun oder zu benehmen) nad) Verjchiedenheit der Subjecte verſchieden
fein kann] in praktischen Geſetzen der Vernunft gar nicht Rüdfiht nehmen.
BE = —
2212 Minsphefiide Meirzgsgränte der Rediesleher
Felgende Begrifie find der Mietapbait der Sitten in ihren beiben
Berbindbiidgfeit iſt bie sn ü—— unter
tategorlihen Imperativ der Bernuaft.
einem
¶ Der Imperatio iſt eine praftiiche Regel, modurd) die an ſich zu-
| dnetine
heiligen —— oder (mie dem
—* zufällig fet; denn wo das erftere ift, da findet fein Impe⸗
ratio ftatt. Alſo ift der Imperativ eine Regel, deren Borftellung die
fubjectivsgufällige Handlung nothwendig macht, mithin das Subject
als elm folhes, was zur Übereinftimmung mit diefer Regel ge:
nörhlgt (meceffitirt) werden muß, vorftellt. — Der kategoriiche (un-
bedingte) Jınperativ ift derjenige, welcher nicht etwa mittelbar, durch
bie Borftellung eines Zwecks, der durch die Handlung erreicht wer-
den fönne, fondern der fie durd) die bloße Vorftellung diefer Hand-
lung felbit (ihrer Form), aljo unmittelbar, als objectiv-nothwendig
denft umd nothwendig macht; dergleichen Imperativen feine andere =
Lehre als allein die, welche Verbindlichkeit vorjchreibt (die
ber Bitten), zum Beiſpiele aufftellen fann. Alle andere Imperativen
find technisch und insgefammt bedingt. Der Grund der Möglidy-
felt fategorifcher Imperativen liegt aber darin: daß fie ſich auf feine
andere Beitimmung der Willfür (wodurd ihr eine Abſicht unterge-
legt werden lann), als lediglich auf die Freiheit derjelben beziehen.
Erlaubt ift eine Handlung (lieitum), die der Verbindlichkeit nicht
feinen Impe-
zus iftz und diefe freiheit, die durch entgegengefeßten
ratlo eingeihräuft wird, beißt die rad (facultas moralis). Hieraus
verftebt fich von felbit, was unerlanbt (illieitum) jei. »
Bilicht it diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ift.
Sie ift alſo die Materie der Verbindlichkeit, und es fann einerlei Pflicht
(der Handlung nad) fein, ob wir zwar auf verchiedene Art dazu ver-
bunden werden Können.
Der dbategoriſche Imperativ, indem er eine Werbimdlickeit im 1
Anichuug gewiffer Handlungen ausfugt, ift ein moraliſch draktiſches
Einleitung in die Metaphyſit der Sitten. IV. 223
Geſetz. Weil aber Verbindlichkeit nicht bloß praftifche Nothiwendig-
feit (dergleichen ein Gejeß überhaupt ausjagt), jondern aud) Nöthie
gung enthält, jo ijt der gedachte Imperativ entweder ein Gebot-
oder Verbot⸗Geſetz, nachdem die Begehung oder Unterlafjung als
5 Pflicht vorgejtellt wird. Eine Handlung, die weder geboten noch ver-
boten ift, ift bloß erlaubt, weil es in Anjehung ihrer gar fein die
Breiheit (Befugniß) einſchränkendes Geſetz und alſo auch feine Pflicht
giebt. Eine ſolche Handlung heißt fittlich-gleihgültig (indifferens,
adiaphoron, res merae facultatis). Man fann fragen: ob es der-
10 gleichen gebe, und, wenn es joldye giebt, ob dazu, daß es jemanden
freijtehe, etwas nad) jeinem Belieben zu thun oder zu lafjen, außer
dem Gebotgejebe (lex praeceptiva, lex mandati) und dem Verbot:
gejeße (lex prohibitiva, lex vetiti) nody ein Erlaubnißgejeb (lex
permissiva) erforderlid) jei. Wenn diejes ijt, jo würde die Befugniß
15 nicht allemal eine gleihgültige Handlung (adiaphoron) betreffen;
denn zu einer ſolchen, wenn man fie nad) ſittlichen Geſetzen betrachtet,
würde fein bejonderes Gejet erfordert werden.
That heißt eine Handlung, fofern fie unter Gejegen der Verbind-
lichkeit fteht, folglich auch ſofern das Subject in derfelben nad) der Freiheit
»» jeiner Willkür betrachtet wird. Der Handelnde wird durd einen joldhen
Act ala Urheber der Wirkung betrachtet, und diefe zufammt der Hand-
lung jelbft fönnen ihm zugerechnet werden, wenn man vorher das Ge-
jeß kennt, kraft weldhes auf ihnen eine Verbindlichkeit ruht.
Perſon ift dasjenige Subject, deffen Handlungen einer Zurech—
s nung fähig find. Die moraliſche Perfönlichkeit ift aljo nichts anders,
als die Freiheit eines vernünftigen Wejens unter moraliihen Gejeßen
(die pfychologiiche aber bloß das Vermögen, fi) der Fdentität feiner
jelbft in den verjchiedenen Auftänden feines Dajeins bewußt zu werden),
woraus dann folgt, daß eine Perſon feinen anderen Gejeßen als denen,
so die fie (entweder allein, oder wenigſtens zugleich mit anderen) ſich jelbit
giebt, unterworfen ift.
Sade ift ein Ding, was feiner Zurechnung fähig ift. Ein jedes
Dbject der freien Willfür, welches jelbit der Freiheit ermangelt, heißt
daher Sache (res corporalis).
35 Recht oder unredht (rectum aut minus rectum) überhaupt iſt eine
That, jofern fie pfliytmäßig oder pflihtwidrig (factum lieitum aut illi-
eitum) ift; die Pflicht jelbft mag ihrem Inhalte oder ihrem Urjprunge
nad) jein, von weldyer Art fie wolle. Eine pflihtwidrige That heißt lIber-
tretung (reatus).
Eine unvorjegliche Übertretung, die gleihwohl zugerecjnet werden
kann, heißt bloße Verſchuldung (eulpa). * vorſetzliche (d. i. die s
jenige, welche mit dem Bemußtjein, daß fie ſei, verbunden
ift) heißt Verbrechen (dolus). Was nad — Geſetzen recht iſt,
heißt gerecht (iustum), was es nicht ift, ungerecht (niustum)
Ein Widerſtreit der Pflichten (collisio officiorum s. obligatio-
num) würde das Verhältniß derjelben jein, durch welches eine derjelben 1
die andere (ganz oder zum Theil) aufhöbe. — Da aber Pflicht und Ber-
bindlicfeit überhaupt Begriffe find, welche die objective praktiſche Noth-
wendigfeit gewifier Handlungen ausdrüden, und zwei einander ent-
gegengejeßte Regeln nicht zugleich nothwendig fein fönnen, jondern wenn
nad) einer derjelben zu Handeln es Pflicht ift, jo ift mad) der entgegenge- ı5
jegten zu handeln nicht allein feine Pflicht, jondern fogar pflichtwidrig:
jo ift eine Eollifion von Pflihten und Verbindlichkeiten gar nicht
denfbar (obligationes non colliduntur). Es fünnen aber gar wohl zwei
Gründe der Verbindlihfeit (rationes obligandi), deren einer aber oder
ber andere zur Verpflichtung nicht zureihend ift (rationes obligandi non 20
obligantes), in einem Subject und der Regel, die es ſich vorſchreibt, ver-
bunden fein, da dann der eine nicht Pflicht ift. — Wenn zwei foldher
Gründe einander widerftreiten, ſo fagt die praftiihe Philoſophie nicht:
daß die ftärfere Verbindlichkeit die Oberhand behalte (fortior obligatio
vineit), jondern der ftärfere Berpflihtungsgrund behält den Pla »
—— ratio vincit).
— upt 9 für die eine äußere Ge—
ng ehe —— ee Unter diejen find
=
-
m
Einleitung in die Metaphyſik ber Sitten. IV. 225
Der Grundjaß, welcher gewiſſe Handlungen zur Pflicht macht, ift
ein praktiſches Geſetz. Die Regel des Handelnden, die er fid) jelbjt aus
jubjectiven Gründen zum Princip macht, heißt feine Marime; daher bei
einerlei ®ejeen doc die Marimen der Handelnden jehr verjchieden jein
fünnen.
Der kategoriſche Imperativ, der überhaupt nur ausjagt, was Ver:
bindlichkeit fei, ift: handle nad) einer Marime, weldye zugleich als ein
allgemeines Geſetz gelten fann! — Deine Handlungen mußt du aljo zuerft
nad ihrem jubjectiven Grundſatze betrachten: ob aber dieſer Grundſatz
auch objectiv gültig jei, kannſt du nur daran erkennen, daß, weil deine
Dernunft ihn der Probe unterwirft, durch denfelben did zugleich als
allgemein gejeßgebend zu denfen, er ſich zu einer ſolchen allgemeinen Ge⸗
ſetzgebung qualificire.
Die Einfachheit dieſes Geſetzes in Vergleichung mit den großen und
mannigfaltigen Folgerungen, die darans gezogen werden fünnen, im—
gleihen das gebietende Anjehen, ohne daß es doch ſichtbar eine Triebfeder
bei fi führt, muß freilich anfänglich befremden. Wenn man aber in
diefer Verwunderung über ein Vermögen unferer Vernunft, durd) die
bloße Fdee der Dualification einer Marime zur Allgemeinheit eines
praktiſchen Gejeßes die Willkür zu beftimmen, belehrt wird: daß eben diefe
praktiſchen Geſetze (die moralijchen) eine Eigenjchaft der Willfür zuerft
fund machen, auf die feine jpeculative Vernunft weder aus Gründen
a priori, noch durd) irgend eine Erfahrung gerathen hätte und, wenn fie
darauf gerieth, ihre Möglichkeit theoretiſch durd nichts darthun könnte,
gleihmohl aber jene praktiſchen Geſetze dieſe Eigenſchaft, nämlich die Frei-
heit, unwiderfprechlich darthun: fo wird es weniger befremden, dieſe Ge-
jeße glei mathematischen Poſtulaten unerweislich und doch apodif-
tiſch zu finden, zugleich aber ein ganzes Feld von praktiſchen Erfennt-
niffen vor ſich eröffnet zu jehen, wo die Vernunft mit derjelben Idee der
Freiheit, ja jeder anderen ihrer Ideen des Überfinnlichen im Theoretiſchen
alles ſchlechterdings vor ihr verſchloſſen finden muß. Die Übereinftim-
mung einer Handlung mit dem Pflichtgejeße ift die Geſetzmäßigkeit
(legalitas) — bie der Marime der Handlung mit dem Geſetze die Sitt-
lichfeit (moralitas) derjelben. Marime aber ift das fubjective Prin-
cip zu handeln, was ſich das Subject jelbft zur Negel macht (wie es nänt-
li handeln will). Dagegen ift der Grundfaß der Pflicht das, was ihm
die Vernunft ſchlechthin, mithin objectiv gebietet (wie es — joll).
Kant’d Säriften Werke VL
226 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre.
Der oberfte Grundjaß der Sittenlehre ift aljo: handle nad) einer
Marime, die zugleich als allgemeines Geſetz gelten fan. — Jede Marime,
die ſich hiezu nicht qualificirt, ift der Moral zumider.
Bon dem Willen gehen die Geſetze aus; von der Willlür die
Marimen. Die legtere ift im Menſchen eine freie Willfür; der Wille,
der auf nichts Anderes, als bloß auf Gejek geht, kann weder frei
noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, jondern
unmittelbar auf die Gejeßgebung für die Marime der Handlungen
(alſo die praktijche Vernunft jelbft) geht, daher auch ſchlechterdings
nothwendig und felbft feiner Nöthigung fähig ift. Nur die Will- vo
für alſo fann frei genannt werden.
Die Freiheit der Willfür aber kann nicht durd) das Vermögen
der Wahl, für oder wider das Gejek zu handeln, (libertas indifferen-
tiae) definirt werden — wie es wohl einige verfuht haben, — ob»
zwar die Willkür als Phänomen davon in der Erfahrung häufige
Beijpiele giebt. Denn die Freiheit (jo wie fie uns durchs moralijche
Geſetz allererft fundbar wird) fennen wir nur als negative Eigen-
ſchaft in uns, nämlic) durd) feine finnliche Beitimmungsgründe zum
Handeln genöthigt zu werden. Als Noumen aber, d. i. nad) dem
Vermögen des Menſchen bloß als Intelligenz betrachtet, wie fie in 20
Anjehung der finnliden Rilfür nöthigend ift, mithin ihrer pofi-
tiven Beſchaffenheit nad, fünnen wir fie theoretiſch gar nicht dar-
ftellen. Nur das fönnen wir wohl einſehen: dag, obgleich der Menſch
als Sinnenwejen der Erfahrung nad) ein Vermögen zeigt dem
Geſetze nicht allein gemäß, jondern aud zuwider zu wählen, da—
durch doch nicht jeine Freiheit als intelligiblen Wejens definirt
werben könne, weil Erſcheinungen fein überfinnliches Object (der:
gleihen dod die freie Willkür ift) verjtändlid machen Fönnen, und
daß die Freiheit nimmermebr darin geiekt werden kann, daß das
vernünftige Subject auch eine wider jeine (geſetzgebende) Bernunft »
ftreitende Wahl treffen dann; wenn gleid die Erfahrung oft genug
beweilt, dab es geſchieht (wovon wir doch die Möglichkeit nicht be—
greifen Fönnen). — Denn ein Anderes ift, einen Satz (ber Erfah-
rung) einräumen, ein Anderes, ihn zuın Erflärungsprincip (des
Begriffs der freien Willlür) und allgemeinen Unterfcheidungsmert- 35
mal (vom arbitrio bruto 5. servo) machen: weil das Eritere
wi
wi
b23
Einleitung in die Metaphyſik ber Sitten. IV, 2997
nicht behauptet, daß das Merkmal nothwendig zum Begriff gehöre,
welches doch zum Zweiten erforderlid) ift. — Die Freiheit in Be
ziehung auf die innere Geſetzgebung der Vernunft ift eigentlid) allein
ein Vermögen; die Möglichkeit von diefer abzuweichen ein Umver-
mögen. Wie fann nun jenes aus diefem erklärt werden? Es ijt eine
Definition, die über den praftifchen Begriff nod) die Ausübung
defielben, wie fie die Erfahrung lehrt, hinzuthut, eine Baſtard—
erflärung (definitio hybrida), weldye den Begriff im faljchen Lichte
daritellt.
Geſetz (ein moraliſch praftifches) ift ein Sab, der einen kategoriſchen
Amperativ (Gebot) enthält. Der Gebietende (imperans) durd) ein Gejeß
ift der Gejeßgeber (legislator). Er ift Urheber (autor) der Berbindlich-
feit nad) dem Geſetze, aber nicht immer Urheber des Geſetzes. Im leßteren _
Tall würde das Geſetz pofitiv (zufällig) und willfürlich fein. Das Geſetz,
was und a priori und unbedingt durch unfere eigene Vernunft verbindet,
fann auch als aus dem Willen eines höchſten Gejebgebers, d. i. eines
ſolchen, der lauter Rechte und feine Pflichten hat, (mithin dem göttlichen
Willen) hervorgehend ausgedrüdt werden, welches aber nur die Idee von
einem moralifhen Weſen bedeutet, deffen Wille für alle Gejeß ift, ohne
ihn doch als Urheber defjelben zu denken.
Zurechnung (imputatio) in moraliſcher Bedeutung ift das Urtheil,
wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann
That (factum) heißt und unter Geſetzen fteht, angefehen wird; welches,
wenn e3 zugleich die rehtlihen Folgen aus diejer That bei ſich führt,
eine rechtsfräftige (imputatio iudiciaria s. valida), fonft aber nur eine
beurtheilende Zurehnung (imputatio diiudicatoria) fein würde. —
Diejenige (phyſiſche oder moralifche) Perfon, welche rechtsfräftig zuzu—
rechnen die Befugniß hat, heißt der Richter oder aud) der Gerichtshof
(index s. forum).
Was jemand pflihtmäßig mehr thut, als wozu er nad) dem Geſetze
gezwungen werden kann, ift verdienſtlich (meritum); was er nur gerade
dem leßteren angemejjen thut, iſt Schuldigfeit (debitum); was er
endlid; weniger thut, als die letztere fordert, ift moraliſche Verſchul—
dung (demeritum). Der rechtliche Effect einer Verſchuldung iſt die
Strafe (poena); der einer verdienftlihen That Belohnung (praemium)
(vorausgejeßt daß fie, im Geſetz verheißen, die Bewegurjadhe war); die
15*
J
228 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre.
Angemefjenheit des Verfahrens zur Schuldigkeit hat gar feinen rechtlichen
Effert. — Die gütige Vergeltung (remuneratio s. repensio benefica)
jteht zur That in gar feinem Rechtsverhältniß.
Die guten oder ſchlimmen Folgen einer ſchuldigen Handlung
— imgleichen die Folgen der Unterlafjung einer verdienftlihen — 5
fönnen dem Subject nicht zugerechnet werden (modus imputationis
tollens).
Die guten Folgen einer verdienftlihen — imgleidhen Die
ſchlimmen Folgen einer unredhtmäßigen Handlung tönnen dem Sub-
ject zugerechnet werden (modus imputationis ponens). 10
Subjectiv ift der Grad der Zurehnungsfähigfeit (impu-
tabilitas) der Handlungen nad) der Größe der Hinderniſſe zu ſchatzen,
bie dabei haben überwunden werden müfjen. — Se größer bie Natur-
bindernifje (der Sinnlichkeit), je Meiner das moraliſche Hinderniß
(der Pflicht), defto mehr wird die gute That zum Verdienft ange ı>
rechnet; 5. B. wenn ich einen mir ganz fremden Menſchen mit meiner
beträchtlihen Aufopferung aus großer Noth rette.
Dagegen: je Heiner das Naturhindernig, je größer das Hinder-
niß ans Gründen der Pflicht, defto mehr wird die Übertretung (als
Verſchuldung) zugerechnet. — Daber der Gemüthszuftand, ob das »
Subject die That im Affect, oder mit rubiger Überlegung verübt
babe, in der Zuredhnung einen Unterſchied madt, der Folgen hat.
Einleitung
in die Rechtslehre.
SA.
Was die Redtslehre jei.
5 Der Inbegriff der Geſetze, für welche eine äußere Geſetzgebung mög—⸗
lich ift, heißt die Rechtslehre (Ius). Sit eine jolche Geſetzgebung wirklich,
fo ift fie Lehre des pojitiven Rechts, und der Rechtskundige derjelben
oder Rechtsgelehrte (Iurisconsultus) heißt rehtserfahren (Iurisperi-
tus), wenn er die äußern Geſetze aud) äußerlich, d. i. in ihrer Anwendung
ı» auf in der Erfahrung vorfommende Fälle, kennt, die auch wohl Rechts—
klugheit (Iurisprudentia) werden fann, ohne beide zufammen aber bloße
Rechtswiſſenſchaft (Iurisscientia) bleibt. Die letztere Benennung
fommt der ſyſtematiſchen Kenntniß der natürlihen Rechtslehre (Ius
natarae) zu, wiewohl der Rechtskundige in der lekteren zu aller pofitiven
ıs Gejeßgebung die unwandelbaren PBrincipien hergeben muß.
SB.
Mas ift Redt?
Dieje Frage möchte wohl den Rechtsgelehrten, wenn er nicht in
Zautologie verfallen, oder ftatt einer allgemeinen Auflöfung auf das, was
» in irgend einem Lande die Gefebe zu irgend einer Zeit wollen, vermweifen
will, eben jo in Berlegenheit ſetzen, als die berufene Aufforderung: Was
ift Wahrheit? den Logiker. Was Nechtens ſei (quid sit iuris), d. i. was
die Gejeße an einem gewiſſen Ort und zu einer gewiflen Zeit fagen oder
gejagt haben, fann er nod) wohl angeben: aber ob das, was fie wollten,
28 auch redht fei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht
ſowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen fönne, bleibt ihm wohl
2330 Metapbufiihe Anfangsgründe ber Rechtälehre.
verborgen, wenn er nicht eine Zeit lang jene empiriſchen Principien ver:
läßt, die Quellen jener Urtheile in der bloßen Vernunft ſucht (wiewohl
ihm dazu jene Geſetze vortrefflid, zum Leitfaden dienen Fönnen), um zu
einer möglichen pofitiven Gejebgebung die Grundlage zu errichten. Eine
bloß empiriſche Rechtslehre ift (wie der hölzerne Kopf in Bhädrus’ Fabel)
ein Kopf, der ſchön jein mag, nur Schade! daß er fein Gehirn hat.
Der Begriff des Rechts, jofern er ſich auf eine ihm correjpondirende
Verbindlichkeit bezieht, (d. i. der moralifche Begriff deifelben) betrifft
erſtlich nur das äußere und zwar praftiihe Verhältniß einer Perſon
gegen eine andere, jofern ihre Handlungen al3 Facta aufeinander (un-
mittelbar oder mittelbar) Einfluß haben fünnen. Aber zweitens be-
deutet er nicht das Verhältniß der Willkür auf den Wunſch (folglich) aud)
auf das bloße Bedürfniß) des Anderen, wie etwa in den Handlungen der
Mohlthätigkeit oder Hartherzigkeit, ſondern lediglid auf die Willfür
des Anderen. Drittens, in diefem wechfeljeitigen Verhältnig der Willkür
fommt aud) gar nicht die Materie der Willkür, d. i. der Zweck, den ein
jeder mit dem Object, was er will, zur Abjicht hat, in Betrachtung, 3. B.
es wird nicht gefragt, ob jemand bei der Waare, die er zu jeinem eigenen
Handel von mir fauft, aud) feinen Vortheil finden möge, oder nicht, jon-
dern nur nad) der Form im Verhältniß der beiderjeitigen Willkür, fofern
fie bloß als frei betrachtet wird, und ob durd) die Handlung eines von
beiden fi mit der Freiheit des andern nad) einem allgemeinen Geſetze
zufammen vereinigen laſſe.
Das Net iſt alfo der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die
Willkür des einen mit der Willfür des andern nad) einem allgemeinen
Geſetze der Freiheit zufammen vereinigt werden kann.
80.
Allgemeines Princip des Rechts.
„Eine jede Handlung ift recht, die oder nad) deren Marime die
Freiheit der Willfür eines jeden mit jedermanns Freiheit nad) einem all»
gemeinen Geſetze zufammen beftehen kann.“
Nenn aljo meine Handlung, oder überhaupt mein Zuftand mit der
Freiheit von jedermann nad) einem allgemeinen Geſetze aufammen bejtehen
fann, jo thut der mir Unrecht, der mid) daran hindert; denn dieſes Hinder-
—
15
20
2
30
„
2
2
=
un
=
w
Einleitung in die Nechtslehre. 231
niß (diefer Widerjtand) kann mit der Freiheit nad) allgemeinen Geſetzen
nicht bejtehen.
Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden fann, daß diefes
Princip aller Marimen felbft wiederum meine Marime fei, d. i. daß ich
es mir zur Marime meiner Handlung made; denn ein jeder kann frei
fein, obgleich jeine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im
Herzen derjelben gerne Abbruch thun möchte, wenn ich nur durch meine
äußere Handlung ihr nit Eintrag thue. Das Rechthandeln mir zur
Marime zu machen, ift eine Forderung, die die Ethik an mic) thut.
Alſo ift das allgemeine Rechtsgejek: handle äußerlich fo, daß der
freie Gebraud) deiner Willfür mit der Freiheit von jedermann nad) einem
allgemeinen Geſetze zufammen bejtehen könne, zwar ein Geſetz, welches
mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, nod)
weniger fordert, daß ich ganz um diejer Verbindlichkeit willen meine Frei-
heit auf jene Bedingungen ſelbſt einfchränfen folle, jondern die Ber:
nunft jagt nur, daß fie in ihrer Idee darauf eingefchräntt fei und von
andern auch thätlic eingeſchränkt werden dürfe; und dieſes jagt fie als
ein Poftulat, welches gar feines Beweijes weiter fähig ift. — Wenn die
Abſicht nicht ift Tugend zu lehren, jondern nur, was recht fei, vorzu—
tragen, jo darf und foll man jelbjt nicht jenes Rechtsgeſetz als Trieb-
feder der Handlung vorftellig’maden.
SD.
Das Recht ift mit der Befugniß zu zwingen verbunden.
Der Widerjtand, der dem Hinderniffe einer Wirkung entgegengejekt
wird, iſt eine Beförderung diejer Wirkung und ftimmt mit ihr zuſammen.
Nun ift alles, was unrecht ift, ein Hinderniß der Freiheit nad) allgemeinen
Geſetzen: der Zwang aber ift ein Hinderni oder Widerftand, der der
Freiheit geſchieht. Folglich: wenn ein gewiffer Gebrauch der Freiheit
jelbit ein Hinderniß der Freiheit nad) allgemeinen Geſetzen (d. i. unrecht)
ift, jo ift der Zwang, der dieſem entgegengejebt wird, als Verhinderung
eines Hindernijjes der Freiheit mit der Freiheit nad) allgemeinen
Geſetzen zuſammen ſtimmend, d. i. recht: mithin iſt mit dem Rechte zu—
gleich eine Befugniß, den, der ihm Abbrud) thut, au zwingen, nad) dem
Satze des Widerſpruchs verknüpft.
232 Metaphufiiche Anfangsgrünbe ber Rechtölehre.
SE.
Das jtricte Recht fann aud als die Möglichkeit eines mit
jedermanns Freiheit nah allgemeinen Gejepen zufammen-
ftimmenden durdgängigen wedhjeljeitigen Jwanges
vorgeftellt werden.
Diefer Sab will fo viel jagen als: das Recht darf nicht als aus zwei
Stüden, nämlid) der Verbindlichkeit nad) einem Geſetze und der Befug-
niß defjen, der durch feine Willfür den andern verbindet, dieſen dazu zu
zwingen, zuſammengeſetzt gedacht werden, jondern man kann den Begriff
des Rechts in der Möglichkeit der Verfnüpfung des allgemeinen mechjel-
jeitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar ſetzen. So wie
nämlich das Recht überhaupt nur das zum Dbjecte hat, was in Hand-
lungen äußerlich ift, fo ijt das ftricte Recht, nämlid das, dem nichts
Ethiſches beigemifcht ift, dasjenige, weldhes Feine andern Beſtimmungs—
gründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ift es rein
und mit feinen Tugendvorfchriften vermengt. Ein ftrictes (enges) Recht
kann man aljo nur das völlig äußere nennen. Dieſes gründet fid nun
zwar auf dem Bewußtjein der Verbindlichkeit eines jeden nad) dem Ge-
ſetze; aber die Willfür darnach zu bejtimmen, darf und fann es, wenn es
rein fein fol, fi auf diefes Bewußtſein ala Triebfeder nicht berufen,
fondern fußt fi deshalb auf dem Princip der Möglichkeit eines äußeren
Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nad) allgemeinen Gejeßen
zujammen bejtehen fann. — Wenn aljo gejagt wird: ein Gläubiger hat
ein Net von dem Schuldner die Bezahlung feiner Schuld zu fordern, jo
bedeutet das nicht, er fan ihm zu Gemüthe führen, daß ihn feine Ver—
nunft ſelbſt zu diefer Zeiftung verbinde, fondern ein Zwang, der jeder-
mann nöthigt diefes zu thun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit,
alfo auch mit der jeinigen nad einem allgemeinen äußeren Geſetze zu—
fammen beftehen; Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten aljo einerlei.
Das Geſetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zu—
fammenftimmenden wecdhjeljeitigen Zwanges unter dem Princip der
allgemeinen Freiheit ift gleichjam die Eonftruction jenes Begriffs,
d. i. Darftellung defjelben in einer reinen Anſchauung a priori, nad)
der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter
dem Gejeße der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirfung.
25
Einleitung in bie Rechtälehre, 233
So wie wir num in der reinen Mathematik die Eigenſchaften ihres
Dbjects nit unmittelbar vom Begriffe ableiten, fondern nur durch
die Conjtruction des Begriffs entdeden können, fo ifts nicht ſowohl
der Begriffdes Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Geſetze ge-
brachte, mit ihm zufammenftimmende durdgängig wechjeljeitige und
gleihe Zwang, der die Darftellung jenes Begrifjs möglid macht.
Dieweil aber biefem dynamiſchen Begriffe noch ein bloß formaler
in ber reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt:
jo hat die Vernunft dafür geforgt, den Verftand aud mit Anſchau—
ungen a priori zum Behuf der Conſtruction des Rechtsbegriffs fo
viel möglich zu verforgen. — Das Rechte (rectum) wird als das
Gerade theild dem Krummen, theils dem Sciefen entgegen
gejebt. Das erite ift die innere Beſchaffenheit einer Linie von
der Art, daß es zwijchen zwei gegebenen Bunften nur eine einzige,
das zweite aber die Lage zweier einander durdjchneidenden oder
zufammenftoßenden Linien, von deren Art es aud) nur eine ein—
zige (die jenfrechte) geben fann, die ſich nicht mehr nad) einer Seite
als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleid)
abtheilt, nad) welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine
einem jeden (mit mathematiicher Genauigfeit) beftimmt wiffen will,
welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf, als welche
einen gewiffen Raum zu Ausnahmen (latitudinem) nicht verweigern
fan, — Aber ohne ins Gebiet der Ethik einzugreifen, giebt es zwei
Fälle, die auf Rechtsentſcheidung Anſpruch maden, für die aber
feiner, der fie entjcheide, ausgefunden werden kann, und die gleich:
fam in Epikur's intermundia hingehören. — Dieje müffen wir zu:
vörderſt aus der eigentlihen Rechtslehre, zu der wir bald fchreiten
wollen, ausjondern, damit ihre jchwanfenden Principien nicht auf
die feiten Orundfäbe der erftern Einfluß befommen.
Anhang
zur Einleitung in die Nechtslehre.
Dom zweideutigen Redt.
(Ius aequivocum.)
Mit jedem Recht in enger Bedeutung (ius strictum) ift die Befug-
ss niß zu zwingen verbunden. Aber man denkt fich noch ein Net im
234 Metaphyfiihe Anfangsgründe der Rechtslehre.
weiteren Sinne (ius latum), wo die Befugniß zu zwingen durch Fein
Geſetz beftimmt werden kann. — Diejer wahren oder vorgeblidhen Rechte
find nun zwei: die Billigfeit und das Nothredt; von denen bie erſte
ein Recht ohne Zwang, das zweite einen Zwang ohne Redt annimmt,
und man wird leicht gewahr, dieje Doppelfinnigfeit beruhe eigentlich —
darauf, daß es Fälle eines bezweifelten Rechts giebt, zu deren Entſchei—
dung fein Richter aufgeftellt werden kann.
I.
Die Billigkeit.
(Aequitas.) 10
Die Billigfeit (objectiv betrachtet) ijt Feinesweges ein Grund zur
Aufforderung bloß an die ethiſche Pflicht Anderer (ihr Wohlwollen und
Sütigfeit), jondern der, weldher aus diejem Grunde etwas fordert, fußt
fi auf fein Recht, nur daß ihm die für den Richter erforderlichen Be—
dingungen mangeln, nad) weldhen diejer bejtimmen könnte, wie viel, oder
auf weldhe Art dem Anſpruche defjelben genug gethan werden fönne, Der
in einer auf gleiche VBortheile eingegangenen Maskopei dennod mehr ge—
than, dabei aber wohl gar durch Unglüdsfälle mehr verloren hat, als
die übrigen Glieder, kann nad) der Billigkeit von der Geſellſchaft mehr
fordern, als bloß zu gleichen Theilen mit ihnen zu gehen. Allein nad) dem »
eigentlichen (jtricten) Recht, weil, wenn man fid in feinem Fall einen
Richter denkt, diejer feine beftimmte Angaben (data) hat, um, wie viel
nad) dem Contract ihm zufomme, auszumachen, würde er mit jeiner
Forderung abzumeifen fein. Der Hausdiener, dem fein bis zu Ende des
Jahres laufender Lohn in einer binnen der Zeit verſchlechterten Müng- 2
forte bezahlt wird, womit er das nicht ausrichten kann, was er bei Schlie-
bung des Eontracts fi dafür anſchaffen konnte, kann bei gleichem Bahl-
werth, aber ungleichem Geldwerth fich nicht auf fein Necht berufen, deshalb
ſchadlos gehalten zu werden, ſondern nur die Billigkeit zum Grunde auf
rufen (eine ftumme Gottheit, die nicht gehört werden kann): weil nichts zo
hierüber im Contract beftimmt war, ein Richter aber nach unbeftimmten
Bedingungen nit ſprechen fann.
Hieraus folgt aud), daß ein Gerichtshof der Billigfeit (in einem
Streit Anderer über ihre Rechte) einen Widerſpruch in fich ſchließe. Nur
da, wo es die eigenen Rechte des Richters betrifft, und im dem, worüber =
—
—
u
Einleitung in die Nedhtölehre. 235
er für feine Perſon disponiren fann, darf und joll er der Billigfeit Gehör
geben; 3. B. wenn die Krone den Schaden, den Andre in ihrem Dienfte
erlitten haben, und den fie zu vergüten angefleht wird, jelber trägt, ob fie
gleich nad) dem ftrengen Rechte diefen Anfpruc unter der Vorſchützung,
5 daß fie ſolche auf ihre eigene Gefahr übernommen haben, abmweijen Fönnte.
Der Sinnfprud) (dietum) der Billigfeit iſt nun zwar: „Das
ſtrengſte Recht iſt das größte Unrecht“ (summum ius summa iniuria);
aber diefem Übel ift auf dem Wege Nechtens nicht abzuhelfen, ob es gleich
eine Rechtsforderung betrifft, weil dieje für dad Gewiſſensgericht
io (forum poli) allein gehört, dagegen jede Frage Rechtens vor das bürger-
lihe Recht (forum soli) gezogen werden muß.
II.
Das Nothredt.
(Ius necessitatis.)
15 Diejes vermeinte Recht joll eine Befugniß fein, im Tall der Gefahr
des Verlufts meines eigenen Lebens einem Anderen, der mir nichts zu
Leide that, das Leben zu nehmen. Es fällt in die Augen, daß hierin ein
Widerſpruch der Rechtslehre mit fich jelbit enthalten fein müſſe — denn
es ift hier nicht von einem ungerechten Angreifer auf mein Leben, dem
»o id) durch Beraubung des feinen zuvorfomme (ius inculpatae tutelae),
die Rede, wo die Anempfehlung der Mäßigung (moderamen) nicht ein=
mal zum Recht, fondern nur zur Ethik gehört, fondern von einer erlaubten
Gewaltthätigfeit gegen den, der feine gegen mic ausübte.
Es ift Mar: daß dieje Behauptung nicht objectiv, nad) dem, was ein
5 Gejek vorjhreiben, fondern bloß fubjectiv, wie vor Gericht die Sentenz
gefällt werden würde, zu veritehen fei. Es kann nämlich fein Straf:
geſetz geben, welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche,
mit einem Andern in gleicher Lebensgefahr ſchwebend, diefen von dem
DBrette, worauf er fich gerettet hat, wegitieße, um ſich jelbft zu retten.
so Denn die durchs Geſetz angedrohte Strafe fönnte doc) nicht größer fein,
‚als die des Verlufts des Lebens des erfteren. Nun kann ein ſolches Straf-
geſetz die beabſichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit
inem Übel, was noch ungewiß ift, (dem Tode durch dem richterlichen
Ausiprud)) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ift, (nämlich dem
ss Erfaufen) nicht überwiegen. Alſo ift die That der gewaltthätigen Selbft-
236 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre.
erhaltung nicht etwa als unſträflich (inculpabile), ſondern nur als un«
ftrafbar (impunibile) zu beurtheilen, und diefe ſubjective Straflofigfeit
wird durch eine wunderliche Verwechſelung von den Redhtslehrern für
eine objective (Gejehmäßigkeit) gehalten.
Der Sinnſpruch des Nothrechts heißt: „Noth hat fein Gebot (neces-
sitas non habet legem)" ; und gleichwohl fann es feine Noth geben, welche,
was unrecht ift, geſetzmaͤßig machte.
Man fieht: daß in beiden Redhtsbeurtheilungen (nad) dem Billig-
feitö- und dem Nothredhte) die Doppelfinnigkeit (aequivocatio) aus
der Verwechſelung der objectiven mit den fubjectiven Gründen der Rechts—
ausübung (vor der Vernunft und vor einem Gericht) entjpringt, da dann,
was jemand für ſich jelbjt mit gutem Grunde für recht erfennt, vor einem
Gerichtshofe nicht Beitätigung finden und, was er jelbit an ſich als un
recht beurtheilen muß, von eben demjelben Nachſicht erlangen kann: weil
der Begriff des Rechts in diefen zwei Fällen nicht in einerlei Bedeutung
ift genommen worden.
Eintheilung der Rechtslehre.
A.
Allgemeine Eintheilung der Rechtspflichten.
Man kann diefe Eintheilung ſehr wohl nad) dem Ulpian machen,
wenn man jeinen Formeln einen Sinn unterlegt, den er ſich dabei zwar
nicht deutlich) gedacht haben mag, den fie aber doch verftatten daraus zu
entwideln, oder hinein zu legen. Sie find folgende:
1) Sei ein rechtlicher Menſch (honeste vive). Dierehtlide Ehr-
barfeit (honestas iuridica) befteht darin: im Verhältniß zu An—
deren feinen Werth als den eines Menſchen zu behaupten, welche
Pflicht durch den Sat ausgebrüdt wird: „Mache did) anderen nicht
zum bloßen Mittel, fondern fei für fie zugleich Zweck.“ Dieſe Pflicht
wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menſch—
heit in unjerer eigenen Perſon erflärt werden (Lex iusti).
2) Thue niemanden Unredt (neminem laede), und jollteft du dbar«
über aud) aus aller Verbindung mit andern heraus gehen und alle
Gejellihaft meiden müfjen (Lex iuridica).
—
Einleitung in die Rechtälchre. 237
3) Tritt (wenn du das legtere nicht vermeiden fannft) in eine Geſell
ſchaft mit Andern, in welder Jedem das Seine erhalten werden
fann (suum cuique tribue) — Die lektere Formel, wenn fie fo
überjegt würde: „Sieb Jedem das Seine,“ würde eine Ungereimt-
5 beit jagen; denn man fann niemanden etwas geben, was er ſchon
bat. Wenn fie aljo einen Sinn haben fol, jo müßte fie jo lauten:
„Zritt in einen Zuftand, worin Jedermann das Seine gegen jeden
Anderen geſichert jein fann“ (Lex iustitiae).
Alſo find obftehende drei claſſiſche Formeln zugleich Eintheilungs-
ı0 principien des Syftems der Rechtspflichten in innere, äußere und in
diejenigen, welche die Ableitung der lehteren vom Princip der erfteren
durch Subfumtion enthalten.
B.
Allgemeine Eintheilung der Redte.
ıs 1) Der Redte, als ſyſtematiſcher Lehren, in das Naturrecht, das
auf lauter Brincipien a priori beruht, und das pojitive (ftatutari»
ſche) Recht, was aus dem Willen eines Gefeßgebers hervorgeht.
2) Der Rechte als (moralifher) Vermögen Andere zu verpflichten,
d. i. als einen gejeglihen Grund zu den leßteren (titulum), von
20 denen die Dbereintheilung die in das angeborne und erworbene
Recht ift, deren erſteres dasjenige Recht ift, weldyes unabhängig von
allem rechtlichen Act jedermann von Natur zukommt; das zweite
das, wozu ein ſolcher Act erfordert wird.
Das angeborne Mein und Dein kann and) das innere (meum vol
»s tuum internum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erwor⸗
ben werden.
Da3 angeborne Redt
ift nur ein einziges.
Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willfür),
so jofern fie mit jedes Anderen Freiheit nad) einem allgemeinen Geſetz zu«
ſammen beftehen kann, ift diejes einzige, urjprüngliche, jedem Menſchen
fraft feiner Menſchheit zuftehende Recht. — Die angeborne Gleichheit,
d. i. die Unabhängigkeit nicht zu mehrerem von Anderen verbunden zu
werden, als wozu man fie wechjeljeitig aud) verbinden kann; mithin bie
238 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre.
Dualität des Menjchen fein eigener Herr (sui iuris) zu fein, imgleichen
die eines unbejholtenen Menſchen (iusti), weil er vor allem rechtlichen
Act feinem Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß, das gegen
andere zu thun, was an ſich ihnen das Ihre nicht ſchmälert, wenn fie ſich
defjen nur nicht annehmen wollen; dergleichen iſt ihnen bloß feine Ge—
danken mitzuiheilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu verſprechen, es fei
wahr und aufridtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsi-
loquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob fie ihm glauben wollen oder
nidht*); — alle diefe Befugnifje liegen ſchon im Princip der angebornen
Freiheit und find wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter
einem höheren Rechtsbegriff) unterjchieden.
Die Abficht, weswegen man eine ſolche Eintheilung in das Syftem
des Naturrehts (fofern es das angeborne angeht) eingeführt hat, geht
darauf hinaus, damit, wenn über ein erworbenes Recht ein Streit ent-
fteht und die Frage eintritt, wem die Beweisführung (onus probandi)
obliege, entweder von einer bezweifelten That, oder, wenn dieje ausge:
mittelt ift, von einem bezmweifelten Recht, derjenige, weldyer dieje Ver—
bindlichfeit von ſich ablehnt, ſich auf fein angebornes Recht der Freiheit
(welches nun nad) feinen verjhiedenen Verhältnifjen fpecificirt wird)
methodiſch und gleidy als nad) verſchiedenen Redtstiteln berufen Fönne.
Da es nun in Anjehung des angebornen, mithin inneren Mein und
Dein feine Rechte, fondern nur Ein Recht giebt, jo wird dieſe Ober:
eintheilung als aus zwei dem Inhalte nad) äußert ungleichen Gliedern
beftehend in die Prolegomenen geworfen und die Eintheilung der Rechts—
lehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können.
*) Borjeklich, wenn gleich bloß leichtfinniger Weife, Unwahrheit zu jagen, pflegt
zwar gewöhnlich Lüge (mendacium) genannt zu werben, weil fie wenigftens jo fern
auch ſchaden Fann, daß ber, welcher fie treuberzig nachſagt, als ein Leichtgläubiger
anderen zum Gefpötte wird. Sm rechtlichen Sinne aber will man, daß nur bie
jenige Unwahrheit Lüge genannt werde, bie einem anderen unmittelbar an jeinem
Rechte Abbruch thut, 3. B. das faljche Vorgeben eines mit jemanden gejchloffenen
Vertrags, um ihn um dad Seine zu bringen (falsiloquium dolosum), und biejer
Unterjchieb jehr verwandter Begriffe ift nicht ungegründet: weil es bei ber bloßen
Erklärung feiner Gedanken immer dem andern frei bleibt, fie anzunehmen, wofür
er will, obgleich die gegründete Nachrede, daß diefer ein Menſch jei, deffen Reden
man nicht glauben fann, jo nahe an ben Bormurf, ihn einen Lügner zu neunen,
ftreift, daß die Grenzlinie, die hier das, was zum Ius gehört, von dem, was ber
Eihif anbeim Fällt, nur jo eben zu unterfcheiben ift.
—
[1]
—
35
Einleitung in die Rechtslehre. 239
Eintheilung
der Metaphyfif der Sitten überhaupt.
I.
Alle Pflihten find entweder Rechtspflichten (officia iuris), d. i.
5 foldhe, für weldhe eine äußere Gejebgebung möglid) ift, oder Tugend-
pflichten (offieia virtutis s. ethica), für weldhe eine jolde nicht mög—
lich iſt; — die leßtern Fünnen aber darum nur feiner äußeren Gefeßgebung
unterworfen werben, weil fie auf einen Zweck gehen, der (oder weldyen zu
haben) zugleich Pflicht ift; fi aber einen Zweck vorzujeßen, das fann
ı» durch feine äußerliche Gejebgebung bewirkt werden (weil e3 ein innerer
Act des Gemüths ift); obgleich äußere Handlungen geboten werden mögen,
die dahin führen, ohne doch daß das Subject fie fi zum Zwed mad.
Warum wird aber die Sittenlehre (Moral) gewöhnlich (nament-
lid) vom Cicero) die Lehre von den Pflichten und nit auch von
15 den Rechten betitelt? da doch die einen fid) auf die andern beziehen.
— Der Grund ift diefer: Wir fennen unfere eigene Freiheit (von der
alle moralifche Gejete, mithin auch alle Rechte ſowohl als Pflichten
ausgehen) nur durd den moralifhen Imperativ, welder ein
pflitgebietender Sab ift, aus welden nachher das Vermögen,
20 andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden
fanı,
Il.
Da in der Lehre von den Pflichten der Menſch nad) der Eigenſchaft
feines Freiheitsvermögens, welches ganz überfinnlidh ift, aljo auch bloß
nad) jeiner Menſchheit, als von phyſiſchen Beitimmungen unabhängiger
Perjönlichkeit, (homo noumenon) vorgeftellt werden kann und joll, zum
Unterjchiede von eben demielben, aber al3 mit jenen Beſtimmungen be-
hafteten Subject, dem Menſchen (homo phaenomenon), jo werden Recht
und Zweck, wiederum in diefer zwiefachen Eigenſchaft auf die Pflicht be-
so zogen, folgende Eintheilung geben.
Bnkyifie Krtungägeinite Ser Bielgilkiiger.
280
ii; des Gentges zum Aflch
Eimtiherlung
Pffllücht gegen ſſüch kelibit.
VNellkoömmene Pflicht.
———ee e
I, .
Das mMecht ber Menfſchheil Man Medi ber Menſcheu.
in unferer eigenen Perfon,
(Media)
Pflicht
(Tugend)
3. 4,
Der Awedk der Menſchheit Der Awed der Menſchen.
in unferer Berlon,
Unvolllommene Pflicht.
Rflicht gegen Andere.
1
2
ar
Einleitung in bie Rechtälehre.
241
Da die Subjecte, in Anfehung deren ein Verhältnig des Rechts zur
Pflicht (es fei ftatthaft oder unftatthaft) gedadyt wird, verſchiedne Bezie-
hungen zulafjen: jo wird aud in diejer Abficht eine Eintheilung vorge-
nommen werden fünnen.
Eintheilung
nad dem jubjectiven Berhältnig der Berpflidtenden
und Berpflidteten.
1.
Das rechtliche Berhältni des
Menſchen zu Wejen, die weder Recht
nod Pflicht haben.
Vacat.
Denn das find vernunftloje We-
jen, die weder uns verbinden, noch
von weldyen wir fönnen verbunden
werden.
3.
Das rechtliche Verhältniß des
Menihen zu Wejen, die lauter
Pflihten und feine Rechte haben.
Vacat,
Denn das wären Menſchen ohne
Perfönlichkeit (Xeibeigene, Sklaven).
2.
Das redtlihe Verhältniß des
Menſchen zu Wejen, die ſowohl Recht
als Pflicht haben.
Adest,
Denn es ift ein VBerhältniß von
Menſchen zu Menſchen.
4.
Das rechtliche Verhältniß des
Menſchen zu einem Weſen, was
lauter Rechte und feine Pfliht hat
(Gott).
Vacat.
Nämlich in der bloßen Bhilofo-
phie, weil e8 fein Gegenjtand mög»
licher Erfahrung ift.
Alio findet ih nur in No. 2 ein reales Berhältnig zwiſchen Recht
und Pflicht. Der Grund, warum es nicht auch in No. 4 angetroffen wird,
ift: weil es eine transjcendente Pflicht jein würde, d. i. eine joldhe,
ber fein äußeres verpflidtendes Subject correipondirend gegeben
werden fann, mithin das Verhältnik in theoretiſcher Rüdjicht hier nur
ideal, d. i. zu einem Gedanfendinge ift, was wir uns jelbft, aber doch
nicht durch feinen ganz leeren, jondern in Beziehung auf uns jelbjt und
die Marimen der inneren Sittlichfeit, mithin in praftijcher innerer Ab-
ss fit fruchtbaren Begriff mahen, worin denn aud) unjere — immas
Rant’s Schriften. Bere VI.
32 Reaarielüie Untanstgriute per Acchacichre
nenie ansiũhrbare Bilidh: in Diefem bisz grdaihten Berhältuihe allein
beieht.
Eon der Eiutheilung der MRsrel als eines Egiems
der Frlihien uberbaupt.
—— —
—————— — beit. hcetit
Brisatreit Ofeniliches R,
zur ip weiter. alles.
web wulet ing Die Siarerialien, iondern au bie anhirfisuiide Horm
Euerichre eufpält: wenn Dazu Die meiaphenichen
Priacipien selltündig anögeipärt haben.
Die sberfie Eiufheiiung dei Siuturredgtt Tauz wit (wie biäweilen
gericht, Die is dei zetirlide ud gejelliattlidge, ionberz muß
bie im& natürliche und bürgerlidhe Ned iein: beren ba2 erfiere des
Prisatreht, det ;weite das sttentlihe Teht genannt wirb. Deun
be Retur;ufenbe IR nie ter sriiibertiiie, inmderz der bürgerlidhe
aber ſee Bergerlide ter iwextte Geiepe Dat Wein und Dein
Tcherzde,. Daher rad Red iz den ccieren hei Frinztret heist
Der
Rechtslehre
Erfter Theil.
Das Privatrecht.
16*
=
w
>
en
Der
allgemeinen Rechtslehre
Erſter Theil.
Das Privatredt
bom äußeren Mein und Dein überhaupt.
Erſtes Hauptjtüd.
Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben.
81.
Das rechthich Meine (meum iuris) ift dasjenige, womit id) fo
verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilli-
gung von ihm machen möchte, mid; lädiren würde. Die jubjective Be—
dingung der Möglichkeit des Gebraudys überhaupt ift der Beſitz.
Etwas Außeres aber würde nur dann das Meine fein, wenn ich
annehmen darf, es jei möglich, daß id) durch den Gebraud, den ein
anderer von einer Sadye macht, in deren Beſitz ih dod nicht bin,
gleichwohl doch lädirt werden fünne. — Aljo widerſpricht es ſich jelbit,
etwas Äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Befites
nicht einer verjhiedenen Bedeutung, nämlid des jinnlichen und des
intelligiblen Befiges, fähig wäre, und unter dem einen der phyfijche,
unter dem andern aber ein bloß rechtlicher Befit ebendefjelben Gegen
ftandes verftanden werden fönnte.
Der Ausdrud: ein Gegenstand ift außer mir, kann aber entweder
fo viel bedeuten, als: er ift ein nur von mir (dem Subject) unter:
ſchiedener, oder aud) ein in einer anderen Gtelle (positus) im Raum
oder in der Zeit befindlicher Gegenjtand. Nur in der erfteren Bedeutung
genommen, kann der Befik als Vernunftbefiß gedacht werden; in der
zweiten aber würde er ein empirischer heißen müfjen. — Ein intelli-
246 Metaphyſiſche Anfangdgründe ber Nechtslehre. 1. Theil. 1. Hauptftü,
gibler Beſitz (wenn ein ſolcher möglich ift) ift ein Befiß ohne Inha:
bung (detentio).
82.
Rechtliches Poftulat der praktiſchen Vernunft.
Es iſt möglich, einen jeden aͤußern Gegenſtand meiner Willkür als
das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn fie Geſetz
würde, ein Gegenftand der Willfür an ſich (objectiv) herrenlos (res
nullius) werden müßte, ift redhtswidrig.
Denn ein Gegenftand meiner Willfür ift etwas, was zu gebrauden
ich physisch in meiner Macht habe. Sollte es nun doch rechtlich ſchlech—
terdings nicht in meiner Macht ftehen, d. i. mit der Freiheit von jeder-
mann nad) einem allgemeinen Geſetz nicht zufammen beftehen Fönnen
(unrecht fein), Gebrauch von demjelben zu machen: jo würde die Freiheit
fich jelbft des Gebrauchs ihrer Willkür in Anſehung eines Gegenjtandes
berjelben berauben, dadurch daß fie brauchbare Begenftände außer aller
Möglichkeit des Gebrauchs jekte, d. i. dieſe in praktiſcher Rückſicht ver-
nichtete und zur res nullius machte; obgleid die Willfür formaliter im
Gebraud) der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nad) allgemeinen
Geſetzen zufammenftimmte. — Da nun die reine praftifche Vernunft feine
andere als formale Geſetze des Gebrauchs der Willtür zum Grunde legt
und aljo von der Materie der Willkür, d. i. der übrigen Beſchaffenheit
des Objects, wenn es nur ein Gegenſtand der Willfür iſt, abſtra—
hirt, jo fann fie in Anjehung eines ſolchen Gegenftandes fein abjolutes
Verbot jeines Gebrauchs enthalten, weil diefes ein Widerſpruch der
äußeren Freiheit mit ſich jelbft jein würde. — Ein Gegenftand meiner
Willfür aber ijt das, wovon beliebigen Gebrauch zu machen id) das
phyſiſche Vermögen habe, deffen Gebraud in meiner Macht (potentia)
jteht: wovon noch unterjieden werden muß, denjelben Gegenitand in
meiner Gewalt (in potestatem meam redactum) zu haben, welches nicht
bloß ein Vermögen, fondern aud) einen Act der Willtür voraus ſetzt.
Um aber etwas bloß als Gegenftand meiner Willkür zu denken, ift hin-
reichend, mir bewußt zu fein, daß ich ihn in meiner Macht habe, — Alfo
iſt es eine Vorausjeßung a priori der praktiſchen Vernunft einen jeden
Gegenſtand meiner Willfür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzu—
jehen und zu behandeln.
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10
1
A
Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 247
Man kann dieſes Poſtulat ein Erlaubnißgefeß (lex permissiva) der
praftiihen Vernunft nennen, was uns die Befugniß giebt, die wir aus
bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten:
nämlid allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die fie jonft nicht
hätten, fid) des Gebrauchs gewifjer Gegenjtände unferer Willkür zu ent-
halten, weil wir zuerjt fie in unjeren Befiß genommen haben. Die Ver:
nunft will, daß diejes als Grundſatz gelte, und das zwar als praftijche
Vernunft, die fich durch diejes ihr Poftulat a priori erweitert,
S 3.
Im Befige eines Gegenjtandes muß derjenige fein, der eine Sache
als das Seine zu haben behaupten will; denn wäre er nicht in demjelben:
jo fönnte er nicht durch den Gebrauch, den der andere ohne feine Ein-
willigung davon macht, lädirt werden: weil, wenn diefen Gegenftand
etwas außer ihn, was mit ihn gar nicht rechtlich verbunden ift, afficirt,
es ihn ſelbſt (das Subject) nicht afficiren und ihm unrecht thun könnte.
$4.
Erpojition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein.
Der äußeren Gegenftände meiner Willkür fönnen nur drei fein:
1) eine (körperliche) Sache außer mir; 2) die Willkür eines anderen zu
einer beftimmten That (praestatio); 3) der Zuftand eines Anderen in
Berhältniß auf mid; nad) den Kategorien der Subftanz, Caufalität
und Gemeinſchaft zwiſchen mir und äußeren Gegenjtänden nad) Frei-
heitsgeſetzen.
a) Ich kann einen Gegenſtand im Raume (eine körperliche Sache)
nicht mein nennen, außer wenn, obgleich ich nicht im phyfiichen
Beſitz dejjelben bin, id dennod in einem anderen wirklichen
Calfo nicht phyſiſchen) Befiß defjelben zu jein behaupten darf. —
So werde id) einen Apfel nicht darum mein nennen, weil id) ihn
in meiner Hand habe (phyſiſch befige), fondern nur, wenn ich jagen
fann: ich befige ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es
auch jei, gelegt habe; imgleichen werde id) von dem Boden, auf ben
ic) mid) gelagert habe, nicht jagen können, er ſei darum mein; jon«
dern nur, wenn ich behaupten darf, er fei immer nod) in meinem
Beſitz, ob ich gleich dieſen Plaß verlafjen habe, Denn der, welcher
248 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil, 1. Hauptftüd,
mir im erftern Falle (des empirifhen Befibes) den Apfel aus der
Hand winden, oder mid) von meiner Zagerftätte wegfchleppen wollte,
würde mid) zwar freilich in Anfehung des inneren Meinen (der
Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädiren, wenn ich nicht
auch ohne Inhabung mid im Befik des Gegenstandes zu fein be >
haupten könnte; ich könnte alſo diefe Gegenftände (den Apfel und
das Lager) aud) nicht mein nennen.
b) Ich fann die Zeiftung von etwas durch die Willfür des Andern
nicht mein nennen, wenn ich bloß jagen fann, fie jei mit jeinem
Verſprechen zugleich (pactum re initum) in meinen Befiß ge-
fommen, fondern nur, wenn id) behaupten darf, id) bin im Befiß der
Willkür des Andern (diefen zur Zeiftung zu beftimmen), obgleich Die
Zeit der Leiftung noch erſt fommen fol; das Verſprechen des letz—
teren gehört demnad) zur Habe und Gut (obligatio activa), und id
fanı fie zu dem Meinen rechnen, aber nicht bloß, wenn id das
Berfprodene (wie im erften Falle) ſchon in meinem Befiß habe,
fondern aud), ob ich dieſes gleich noch nicht befiße. Alfo muß ich
mich, als von dem auf Beitbedingung eingefchränften, mithin vom
empirischen Befite unabhängig, doch im Beſitz dieſes Gegenftandes
zu fein denken können. 20
ce) Ich kann ein Weib, ein Kind, ein Geſinde und überhaupt eine
andere Perſon nicht darum das Meine nennen, weil id) fie jebt als
zu meinem Hausweſen gehörig befehlige, oder im Zwinger und in
meiner Gewalt und Befis habe, ſondern wenn ich, ob fie ſich gleid)
dem Zwange entzogen haben, und id) fie alſo nicht (empiriſch) be-
fiße, dennod) jagen kann, ic) befite fie durch meinen bloßen Willen,
jo lange fie irgendwo oder irgendwann eriftiren, mithin bloßeredt-
lich; fie gehören aljo zu meiner Habe nur alddann, wenn und jo
fern ic) das Lebtere behaupten Fann.
—
a
LE}
$5. 30
Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein.
Die Namenerllärung, d. i. diejenige, welche bloß zur Unter—
iheidung des Objects von allen andern zureicht und aus einer volljtän-
digen und beftimmten Erpofition de3 Begriffs hervorgeht, würde jein:
Das Äußere Meine ift dasjenige außer mir, an deffen mir beliebigen Ge- »
Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 249
brauch mich zu hindern Läfion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit ber
Freiheit von Jedermann nad) einem allgemeinen Geſetze zufammen be-
ftehen fann) jein würde. — Die Saderflärung diejes Begriffs aber,
d. i. die, weldhe auch zur Deduction defjelben (der Erfenntniß der Mög-
lichkeit des Gegenstandes) zureicht, Tantet num jo: Das äußere Meine iſt
dasjenige, in deſſen Gebrauch mic) zu ftören Läfion fein würde, ob id)
gleih nicht im Bejiß dejjelben (nicht Inhaber des Gegenſtandes) bin.
— Inn irgend einem Befiß des äußeren Gegenstandes muß ich jein, wenn
der Gegenftand mein heißen fol; denn ſonſt würde der, welcher diejen
Gegenftand wider meinen Willen afficirte, mid) nicht zugleich afficiren,
mithin auch nicht lädiren. Alfo muß zu Folge des $ 4 ein intelligibler
Beſitz (possessio noumenon) als möglich vorausgejegt werden, wenn e3
ein äußeres Mein oder Dein geben joll; der empirische Beſitz (Inhabung)
ift alsdann nur Befiß in der Erfheinung (possessio phaenomenon), ob»
ıs glei der Gegenſtand, den id) befike, hier nicht jo, wie es in der trans
jeendentalen Analytik geſchieht, jelbit als Erſcheinung, jondern als Sache
an fid) ſelbſt betradhtet wird; denn dort war es der Vernunft um das theo-
retiihe Erfenntniß der Natur der Dinge und, wie weit fie reichen fünne,
bier aber ift es ihr um praktiſche Beftimmung der Willtür nad) Gefepen
» der Freiheit zu thun, der Gegenftand mag nun durd) Sinne, oder aud)
bloß den reinen Verftand erfennbar fein, und das Recht ift ein ſolcher
reiner praktiſcher Bernunftbegriff der Willfür unter Freiheitsgejeßen.
Eben darum jollte man auch billig nicht jagen: ein Necht auf diejen
oder jenen Gegenjtand, fondern vielmehr ihn bloß rechtlich befigen;
denn das Recht ift ſchon ein intellectueller Bejit eines Gegenjtandes,
einen Beſitz aber zu befißen, würde ein Ausdrud ohne Sinn fein.
1
86.
Deduction des Begriffs des bloß rechtlichen Beſitzes eines
äußeren Gegenftandes (possessio noumenon).
» Die Frage: wie it ein äußeres Mein und Dein möglid? löſt
fi num in diejenige auf: wie ift ein bloß rechtlicher (intelligibler)
Beſitz möglih? und dieſe wiederum in die dritte: wie iſt ein ſyn—
thetiſcher Rechtsſatz a priori möglich?
Alle Rechtsſätze find Sätze a priori, denn fie find Vernunftgefeße
» (dietamina rationis). Der Rechtsſatz a priori in Anjehung des empi—
ur Write se SErINIERFENLE er decitsferre. ._Ler ..waumeıe
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nk weggieitsiis Der Perizlz Meter zusagt 28T 02T Zäpenhiren,
Bon der Art etwas Üußeres als das Seine zu haben, 351
Dieje urfprüngliche Gemeinjchaft des Bodens und hiemit
auch der Sachen auf demjelben (communio fundi originaria) ift eine
Idee, welche objective (rechtlich praftiiche) Realität hat, und ijt ganz
und gar von der uranfänglidhen (communio primaeva) unter:
ichieden, welche eine Erdicdhtung ift: weil dieje eine geftiftete Ge-
meinſchaft hätte fein und aus einem Bertrage hervorgehen müſſen,
durd) den alle auf den Privatbefig Verzicht gethan, und ein jeder
durch die Vereinigung feiner Befigung mit der jedes Andern jenen
in einen Gejammtbefit verwandelt habe, und davon müßte uns die
Geſchichte einen Beweis geben. Ein ſolches Berfahren aber als ur—
ſprüngliche Befißnehmung anzujehen, und daß darauf jedes Men-
ſchen bejonderer Befit habe gegründet werden können und jollen, ift
ein Widerſpruch.
Bon dem Beſitz (possessio) ift nody der Sitz (sedes), und von
der Befibnehmung des Bodens in der Abſicht ihn dereinjt zu er:
werben ift nod) die Niederlafjung, Anfiedelung (incolatus), unter:
ſchieden, welche ein fortdauernder Privatbefiß eines Plaßes ift, der
von der Gegenwart des Subject3 auf demjelben abhängt. Bon einer
Niederlaffung als einem zweiten rechtlichen Act, der auf die Beſitz—
nehmung folgen, oder aud) ganz; unterbleiben fann, ift hier nicht die
Rede: weil fie fein urjprünglicher, jondern von der Beiitimmung
Anderer abgeleiteter Befit fein würde.
Der bloße phyfiiche Befik (die Inhabung) des Bodens tft ſchon
ein Recht in einer Sadye, obzwar freilich noch nicht hinreichend, ihn
als das Meine anzufehen. Beziehungsmweije auf Andere ijt er, als
(jo viel man weiß) eriter Befik, mit dem Geſetz der äußern Freiheit
einftimmig und zugleich in dem urjprünglichen Gejammtbefiß ent
halten, der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbefites
enthält; mithin den erften Inhaber eines Bodens in feinem Gebraud)
defielben zu jtören, eine Läſion. Die erjte Beſitznehmung hat alſo
einen Rechtsgrund (titulus possessionis) für fi), welcher der ur—
ſprünglich gemeinfame Befik ift, und der Sa: wohl dem, der im
Beſitz ift (beati possidentes)! weil Niemand verbunden ift, feinen
Befit zu beurfunden, ift ein Grundfa des natürlihen Redts, der
die erfte Beſitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung
aufjtellt, auf den fich jeder erfte Befiter fußen kann.
In einem theoretiſchen Grundſatze a priori müßte nämlich (zu
Anwendung des Princips der Möglichkeit des äußeren
Mein und Dein auf Gegenftände der Erfahrung.
-_
=
Von ber Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 253
praftiiche Realität, d.i. er muß auf Gegenftände der Erfahrung, deren
Erfenntniß von jenen Bedingungen abhängig ift, anwendbar fein. —
Das Berfahren mit dem Redtsbegriffe in Anjehung der leßteren, als des
möglichen äußeren Mein und Dein, ift folgendes: Der Nedhtsbegriff, der
bloß in der Vernunft liegt, kann nidt unmittelbar auf Erfahrungs-
objecte und auf den Begriff eines empiriſchen Beſitzes, fondern muß
zunächſt auf den reinen Verjtandesbegriff eines Beſitzes überhaupt an-
gewandt werden, jo daß ftatt der Inhabung (detentio), als einer empi-
riſchen Borftellung des Beſitzes, der von allen Raumes- und Beitbedin-
gungen abftrahirende Begriff des Habens, und nur daß der Gegenstand
als in meiner Gewalt (in potestate mea positum esse) fei, gedacht
werde; da dann der Ausdrud des Außeren nicht das Dafein in einem
anderen Drte, als wo id) bin, oder meiner Willensentſchließung und
Annahme als in einer anderen Zeit wie der des Angebots, jondern nur
einen von mir unterjhiedenen Gegenftand bedeutet. Nun will die
praktiſche Vernunft durch ihr Rechtsgejeb, dab ic das Mein und Dein
in der Anwendung auf Gegenftände nicht nad) finnlihen Bedingungen,
jondern abgefehen von denfelben, weil es eine Beftimmung der Willkür
nad Freiheitsgejeßen betrifft, auch den Befit defielben denke, indem nur
ein Berftandesbegriff unter Rechtsbegriffe jubjumirt werden Fann.
Alſo werde ich jagen: id) befibe einen Ader, ob er zwar ein ganz anderer
Plag ift, als worauf id mich wirklich befinde. Denn die Rede ift hier
nur von einem intellectuellen Verhältnig zum Gegenſtande, jo fern id)
ihn in meiner Gewalt habe (ein von Raumesbeftimmungen unabhän-
giger Verftandesbegriff des Befites), und er ijt mein, weil mein zu dej-
jelben beliebigem Gebraud; ſich beftimmender Wille dem Geſetz der äuße-
ren Freiheit nicht widerftreitet. Gerade darin: daß abgejehen vom
Befib in der Erjdheinung (der Suhabung) diefes Gegenftandes meiner
Willkür die praftifche Vernunft den Bejit nad) Verjtandesbegriffen, nicht
nad) empiriſchen, jondern ſolchen, die a priori die Bedingungen defjelben
enthalten fönnen, gedacht wifjen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines
ſolchen Begriffs vom Befite (possessio noumenon) als einer allgemein-
geltenden Gefeßgebung; denn eine ſolche ift in dem Ausdrude enthal-
ten: „Diejer äußere Gegenstand ift mein,” weil allen andern dadurd)
eine Berbindlichkeit auferlegt wird, die fie ſonſt nicht hätten, fidh des Ge—
brauds dejjelben zu enthalten.
Die Art aljo, etwas außer mir als das Meine zu haben, ift die bloß
254 Metaphyfliiche Aufangögründe der Rechtölehre. 1. Theil. 1. Hauptſtück.
rechtliche Verbindung bes Willens des Subjects mit jenem Gegenftande,
er von dem Verhältniffe zu demfelben im Raum und in der
nad) dem Begriff eines intelligibelen Befibes. — Ein Platz auf der
Erbe ift nicht darıım ein äußeres Meine, weil ich ihn mit meinem Leibe
einnehme (denn es betrifft hier nur meine äußere Freiheit, mithin nur
ben Befit meiner felbft, fein Ding außer mir, und ift alfo nur ein inneres
Recht); ſondern wenn ich ihn mod) beſitze, ob ich mich gleich von ihm weg
und an einen andern Ort begeben habe, nur aladann betrifft e8 mein
äuferes Recht, und berjenige, der die fortwährende Bejebung diejes
Platzes durch meine Perſon zur Bedingung machen wollte, ihn als das
Meine zu haben, muß entweder behaupten, es ſei gar nicht möglich, etwas
Üuperes als das Seine zu haben (weldjes dem Poftulat $2 widerftreitet),
oder er verlangt, daß, um diefes zu fönnen, id) in zwei Orten zugleich
ſelz welches denn aber jo viel jagt, als: ich ſolle an einem Drte fein und
auch nicht fein, wodurch er ſich ſelbſt widerjpricht.
Diefes kann auch auf den Fall angewendet werden, da id ein Ver:
ſprechen acceptirt habe; denn da wird meine Habe und Befis an dem
Verſprochenen dadurd nicht aufgehoben, daß der Verſprechende zu einer
Beit fagte: diefe Sache joll Dein jein, eine Zeit hernad) aber von eben-
berjelben Sache jagt: ich will jeßt, die Sache folle nicht Dein fein. Denn
8 hat mit ſolchen intellectuellen Verbältnifien die Bewandtniß, als ob
jener ohne eine Zeit zwiſchen beiden Declarationen feines Willens gejagt
hätte: fie ſoll Dein fein, umd auch: fie ſoll nicht Dein fein, was fid) dann
ſelbſt widerjpricht.
Ebendaffelbe gilt auch von dem Begriffe des rechtlichen Befites einer
Perſon, als zu der Habe des Subjects gehörend (fein Weib, Kind, Knecht):
daß nämlich diefe Häusliche Gemeinſchaft und der wechielfeitige Befit des
AZuftandes aller Glieder derjelben durd die Befugniß ih örtlich von
einander zu trennen nicht aufgehoben wird: weil es ein rechtliches Ber-
hältmiß tft, was fie verfnüpft, und das äußere Mein und Dein bier eben
jo wie in vorigen Fällen gänzlich auf der Vorausſetzung der Möglichkeit
Zur Kritik der rechtlich-praftifchen Vernunft im Begriffe des
äußeren Mein und Dein wird diefe eigentlich durd eine Antinomie
—
=
der Säge über die Möglichkeit eines ſoichen Befipes genöthigt, & & =
nur durd eine unvermeidliche Dialektik, im welcher Theis und Anti-
Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 255
theſis beide auf die Gültigkeit zweier einander widerftreitenden Be-
dingungen gleihen Anſpruch machen, wird die Vernunft auch in
ihrem praftiichen (das Necht betreffenden) Gebraud) genöthigt, zwi-
ſchen dem Befit als Erjcheinung und dem bloß durch den Verjtand
5 denkbaren einen Unterfchied zu machen. h
- Der Sakß heißt: Es ift möglid, etwas Außeres als das
Meine zu haben, ob ich gleich nicht im Befit defjelben bin.
Der Gegenfab: Es ift nit möglich, etwas Außeres als
das Meine zu haben, wenn id) nicht im Beſitz defjelben bin.
10 Auflöjung: Beide Säbe find wahr: der erftere, wenn ich den
empiriichen Beſitz (possessio phaenomenon), der andere, wenn ich
unter diefem Wort den reinen intelligibelen Befit (possessio nou-
menon) verftehe. — Aber die Möglichkeit eines intelligibelen Be-
fies, mithin aud) des äußeren Mein und Dein läßt ſich nicht ein-
15 jehen, fondern muß aus dem Poftulat der praftifhen Vernunft
gefolgert werden, wobei e8 noch befonders merkwürdig ift: daß diefe
ohne Anſchauungen, ſelbſt ohne einer a priori zu bedürfen, ſich durch
bloße, vom Gejet der Freiheit berechtigte Weglaffung empirifcher
Bedingungen erweitere und jo ſynthetiſche Rechtsſätze a priori
20 aufftellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden joll) nachher
in praftiicher Rüdfiht auf analytijche Art geführt werden kann.
88.
Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ift nur in einem
rechtlichen Zuftande, unter einer öffentlid-gefebgebenden
35 Gewalt, d.i. im bürgerlihen Zuftande, möglid.
Wenn ic) (wörtlich oder durd; die That) erfläre: ich will, daß etwas
Äußeres das Meine fein folle, jo erfläre ich jeden Anderen für verbindlich,
fid) des Gegenftandes meiner Willfür zu enthalten: eine Verbindlichkeit,
die niemand ohne diefen meinen rechtlichen Act haben würde. In diejer
Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß: jedem Anderen in Ans
jehung des äußeren Seinen wechjeljeitig zu einer gleihmäßigen Enthal-
tung verbunden zu fein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer all-
gemeinen Regel des äußeren rechtlichen Berhältnifjes hervor. Ich bin
alfo nicht verbunden, das äußere Seine des Anderen unangetaftet zu
ss laffen, wenn mid nicht jeder Andere dagegen aud) ſicher ftellt, er werde
356 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 1. Hauptitüd.
in Anfehung des Meinigen fid) nad) ebendemfelben Princip verhalten;
welche Sidherftellung gar nicht eines befonderen rechtlihen Acts bedarf,
jondern ſchon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen
der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus
einer allgemeinen Negel enthalten ift. — Nun Fann der einjeitige Wille
in Anjehung eines äußeren, mithin zufälligen Befites nicht zum Zwangs—
gejet für jedermann dienen, weil das der Freiheit nad) allgemeinen Ge—
jeben Abbruch thun würde. Alfo ift nur ein jeden anderen verbindender,
mithin collectiv allgemeiner (gemeinjamer) und machthabender Wille der-
jenige, weldher jedermann jene Sicherheit leiften kann. — Der Zuftand
aber unter einer allgemeinen äußeren (d. i. öffentlichen) mit Macht be-
gleiteten Geſetzgebung ift der bürgerliche. Aljo fann es nur im bürger-
lien Zuftande ein äußeres Mein und Dein geben.
Folgefag: Wenn es rechtlich möglich jein muß, einen äußeren
Gegenjtand als das Seine zu haben: jo muß e8 aud) dem Subject erlaubt
fein, jeden Anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein
ſolches Object fommt, zu nöthigen, mit ihm zufammen in eine bürger-
liche Verfafjung zu treten.
89.
Im Naturzuftande fann doch ein wirflides, aber nur
proviforifches äAußeres Mein und Dein ftatt haben.
Das Naturreht im Zuftande einer bürgerlihen Verfafjung (d. i.
dasjenige, was für die letere aus Principien a priori abgeleitet werden
fann) fann durd die ſtatutariſchen Geſetze der leßteren nicht Abbrud)
leiden, und fo bleibt das rechtliche Princip in Kraft: „Der, welcher nad)
einer Marime verfährt, nad) der es unmöglid wird, einen Gegenftand
meiner Willtür als das Meine zu haben, lädirt mid"; denn bürgerliche
Verfaſſung ift allein der rechtliche Zuftand, durch welchen jedem das Seine
nur gejichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bejtimmt wird. —
Ale Garantie jegt aljo das Seine von jemanden (dem es gejichert wird)
ſchon voraus. Mithin muß vor der bürgerlihen Berfafjung (oder von
ihr abgejehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen
werden und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend auf eine
Urt in Verkehr kommen könnten, zu nöthigen, mit uns in eine Berfafjung
zufammen zu treten, worin jenes gefidhert werden kann. — Ein Bejig in
—
—
%
1
25
Bon der Art etwas Auheres ala das Seine zu haben. 2357
Erwartung und Borbereitung eines ſolchen Zuſtandes, der allein auf
einem Geſetz des gemeinjamen Willens gegründet werden fann, der aljo
zu der Möglicpfeit des Letzteren zufammenftimmt, ift ein provijorijch-
rechtlicher Befit, wogegen derjenige, der in einem folden wirklichen
BZuftande angetroffen wird, ein peremtorijher Befiß jein würde. —
Vor dem Eintritt in diefen Zuftand, zu dem das Subject bereit ift, -
widerjteht er denen mit Recht, die dazu ſich nicht bequemen und ihn in
jeinem einftweiligen Beſitz ftören wollen: weil der Wille aller Anderen
außer ihm jelbft, der ihm eine Verbindlichkeit aufzulegen denft, von einem
gewiſſen Befis abzuftehen, bloß einjeitig it, mithin eben fo wenig
gejeglihe Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird)
zum Widerjpredhen hat, als jener zum Behaupten, indefjen daß der leßtere
doch dies voraus hat, zur Einführung und Erridhtung eines bürgerlichen
zuftandes zufammenzuftimmen. — Mit einem Worte: die Art, etwas
Außeres als das Seine im Naturzuftande zu haben, iſt ein phyſiſcher
Beſitz, der die rechtliche Präjumtion für jih hat, ihn durch Ver—
einigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Geſetzgebung zu
einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung comparativ für
einen rechtlichen.
Dieſes Prärogativ des Rechts aus dem empirischen Befikftande
nad) der Kormel: wohl dem, der im Beſitz ift (beati possidentes)
befteht nicht darin: daß, weil er die Präjumtion eines rehtlichen
Mannes hat, er nicht nöthig habe, den Beweis zu führen, er befiße
etwas rehtmäßig (denn das gilt nur im ftreitigen Rechte), jondern
weil nad) dem Poftulat der praftifhen Vernunft jedermann das
Vermögen zukommt, einen äußeren Gegenftand feiner Willtür als
das Seine zu haben, mithin jede Inhabung ein Zuftand ift, defjen
Rechtmäßigkeit fi auf jenem Poſtulat durd) einen Act des vorher:
gehenden Willens gründet, und der, wenn nicht ein älterer Beſitz
eines Anderen von ebendemjelben Gegenftande damider iſt, aljo vor—
läufig, nad) dem Geſetz der äußeren Freiheit jedermann, der mit mir
nicht in den Zuftand einer öffentlidy gejeglichen Freiheit treten will,
von aller Anmaßung des Gebrauchs eines ſolchen Gegenstandes ab-
zubalten berechtigt, um dem Poftulat der Vernunft gemäß eine
Sache, die jonft praktiſch vernichtet fein würde, feinem Gebrauch zu
unterwerfen.
Rant's Schriften Werke VI 17
258 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil, 2. Hauptftüd.
Zweites Hauptſtück.
Bon der Art etwas Äußeres zu erwerben.
$ 10.
Allgemeines Princip der äußeren Erwerbung.
Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efficio), daß etwas mein werde. 5
— Urfprünglich mein ift dasjenige Außere, was aud ohne einen recht—
lihen Act mein ift. Eine Erwerbung aber ift urfprünglid; diejenige,
welche nicht von dem Seinen eines Anderen abgeleitet ift.
Nichts Äußeres ift urfprünglich mein; wohl aber kann es urfprüng-
lid), d. i. ohne es von dem Seinen irgend eines Anderen abzuleiten, er:
worben fein. — Der Zuftand der Gemeinjchaft des Mein und Dein
(communio) fann nie als urſprünglich gedacht, fondern muß (durd) einen
äußeren rechtlihen Act) erworben werden; obwohl der Befit eines
äußeren Gegenftandes urjprünglih nur gemeinfam fein kann. Aud)
wenn man fid) (problematiſch) eine urſprüngliche Gemeinſchaft (com-
munio mei et tui originaria) denft: jo muß fie doch von der uranfäng—
lichen (communio primaeva) unterjchieden werden, welche als im der
erften Zeit der Rechtsverhältniffe unter Menſchen geftiftet angenommen
wird und nicht wie die erjtere auf Principien, ſondern nur auf Geſchichte
gegründet werden fann: wobei die lebtere dod) immer als erworben und »
abgeleitet (communio derivativa) gedacht werden müßte.
Das Princip der äußeren Erwerbung ift nun: Was id) (nad) dem
Geſetz der äuferen Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon als
Object meiner Willlir Gebraud zu machen id) (nad dem Boftulat der
praktiihen Vernunft) das Vermögen habe: endlich, was id) (gemäß der
Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, e8 jolle mein fein, das
ift mein.
Die Momente (attendenda) der urfprüngliden Erwerbung find
alfo: 1. die Apprehenfion eines Gegenstandes, der Keinem angehört,
widrigenfalls fie der Freiheit Anderer nad) allgemeinen Gejeßen wider: so
jtreiten würde. Diefe Apprehenſion ift die Befißnehmung des Gegen-
ftandes der Willfür im Raum und der Beit; der Beſitz aljo, in den id)
mid) fee, ift (possessio phaenomenon). 2. Die Bezeihinung (decla-
ratio) des Beſitzes diejes Gegenftandes und des Acts meiner Willkür
1
=
—
—
3
=
Bon der Art etwas Äußeres zu erwerben. 259
jeden Anderen davon abzuhalten. 3. Die Zueignung (appropriatio)
als Act eines äußerlich allgemein gefeßgebenden Willens (in der Idee),
durch welchen jedermann zur Einftimmung mit meiner ®illfür verbunden
wird. — Die Gültigkeit des letzteren Moments der Erwerbung, als wor-
auf der Schlußſatz: der äußere Gegenftand ift mein, beruht, d. i. daß
der Befib als ein bloß rechtlicher gültig (possessio noumenon) jet,
gründet fid) darauf: daß, da alle diefe Actus rechtlich find, mithin aus
der praktiſchen Vernunft hervorgehen, und alſo in der Frage, was Rech—
tens ift, von den empiriſchen Bedingungen des Befißes abjtrahirt werden
fann, der Schlußjaß: der äußere Gegenftand ift mein, vom jenfibelen auf
den intelligibelen Beſitz richtig geführt wird.
Die urjprüngliche Erwerbung eines äußeren Gegenftandes der Will-
für heißt Bemädhtigung (oceupatio) und fann nicht anders, als an
förperliden Dingen (Subjtanzen) ſtatt finden. Wo nun eine folde ſtatt
findet, bedarf fie zur Bedingung des empirischen Befikes die Priorität
der Zeit vor jedem Anderen, der ſich einer Sadhe bemächtigen will (qui
prior tempore potior iure). Sie ift als urſprünglich aud) nur die Folge
von einfeitiger Willfür; denn wäre dazu eine boppeljeitige erforderlid),
jo würde jie von dem Vertrag zweier (oder mehrerer) Berfonen, folglich
von dem Seinen Anderer abgeleitet jein. — Wie ein folder Act der Will-
für, als jener ift, das Seine für jemanden begründen fönne, ift nicht leicht
einzujehen. — Indeſſen ift die erjte Erwerbung dod darum fofort nicht
die urfprünglidhe. Denn die Erwerbung eines öffentlichen rechtlichen
AZuftandes durch Vereinigung des Willens Aller zu einer allgemeinen
Geſetzgebung wäre eine folche, vor der feine vorhergehen darf, und dod)
wäre fie von dem befonderen Willen eines jeden abgeleitet und alljeitig:
da eine urfprüngliche Erwerbung nur aus dem einjeitigen Willen hervor:
gehen fann.
Eintheilung
der Erwerbung des äußeren Mein und Dein.
1. Der Materie (dem Dbjecte) nad; erwerbe ich entweder eine
förperlide Sache (Subftanz) oder die Leiftung (Eaufalität) eines
Anderen oder diefe andere Perſon jelbft, d. i. den Zuftand derfelben, jo
fern ich ein Recht erlange, über denjelben zu verfügen (das GCommercium
» mit berjelben).
13°
260 Metaphufiihe Anfangsgrände der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
2. Der Form (Erwerbungsart) nad) ift es entweder ein Sachen—
recht (ius reale) oder perjönlihes Redt (ius personale) oder ein
dinglich-perſönliches Recht (ius realiter personale) des Befikes (ob⸗
zwar nicht des Gebrauchs) einer anderen Perſon als einer Sache.
3. Nah) dem Rechtsgrunde (titulus) der Erwerbung; welches
eigentlich Fein bejonderes Glied der Eintheilung der Rechte, aber dod) ein
Moment der Art ihrer Ausübung ift: entweder durd) den Act einer ein-
eitigen oder Doppeljeitigen oder alljeitigen Willfür, wodurd
etwas Außeres (facto, pacto, lege) erworben wird.
Erjter Abſchnitt.
Bom Sachenrecht.
$ 11.
Was ift ein Sahenredt?
Die gewöhnliche Erklärung des Rechts in einer Sache (ius reale,
iusin re), „e8 ſei das Recht gegen jeden Bejißer derjelben*, iſt eine
richtige Nominaldefinition. — Aber was ift das, was da madıt, daß id)
mich wegen eines äußeren Gegenftandes an jeden Inhaber defjelben halten
und ihn (per vindicationem) nöthigen kann, mid) wieder in Befik defjelben
zu jeben? Iſt diefes äußere rechtliche Verhältnig meiner Willfür etwa
ein unmittelbares Verhältniß zu einem förperlichen Dinge? So müßte
derjenige, welcher fein Recht nicht unmittelbar auf Berfonen, fondern auf
Sachen bezogen denkt, es fich freilich (obzwar nur auf dunkele Art) vor-
ftellen: nämlich), weil dem Necht auf einer Seite eine Pflicht auf der an-
dern correfpondirt, daß die äußere Sache, ob fie zwar dem erjten Befiker
abhanden gekommen, diefem dod immer verpflichtet bleibe, d. i. fid
jedem anmaßlichen anderen Beſitzer weigere, weil fie jenem ſchon verbind-
lich ift, und jo mein Recht gleid, einem die Sache begleitenden und vor
allem fremden Angriffe bewahrenden Genius den fremden Befiber
immer an mid) weile. Es ift alfo ungereimt, fi) Verbindlichkeit einer
Perſon gegen Sachen und umgekehrt zu denken, wenn e3 gleich allenfalls
erlaubt werden mag, das rechtliche Verhältniß durch ein ſolches Bild zu
verfinnlihen und ſich jo auszudrüden.
Die Realdefinition würde daher jo lauten müflen: Das Recht in
—
1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 261
einer Sache iſt ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren
(urfprünglichen, oder gejtifteten) Gefammtbefiße ich mit allen andern bin.
Denn das Letztere ift die einzige Bedingung, unter der es allein möglich
ift, daß ich jeden anderen Befiker vom Privatgebraud) der Sache aus—
ſchließe (ius contra quemlibet huius rei possessorem), weil, ohne einen
ſolchen Geſammtbeſitz vorauszuſetzen, ſich gar nicht denken läßt, wie id), der
ich doch nicht im Befiß der Sache bin, von Andern, die es find, und die
fie brauchen, lädirt werden könne. — Durch einfeitige Willfür kann ic)
feinen Andern verbinden, fid) des Gebrauchs einer Sache zu enthalten,
wozu er jonft feine Verbindlichkeit haben würde: aljo nur durch vereinigte
Willkür Aller in einem Gefammtbefit. Sonft müßte id) mir ein Recht in
einer Sache jo denken: als ob die Sache gegen mich eine Verbindlichkeit
hätte, und davon allererft das Recht gegen jeden Befiter derjelben ab-
leiten; welches eine ungereimte Borftellungsart ift.
15 Unter dem Wort: Sachenrecht (ius reale) wird übrigens nidht bloß
das Redjt in einer Sache (ius in re), jondern aud) der Inbegriff aller
Geſetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen, verjtanden. — Es ift
aber klar, daß ein Menſch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich fein
äußeres Ding als das Seine haben oder erwerben fönnte: weil zwiſchen
»» ihm als Perfon und allen anderen äußeren Dingen als Sachen es gar
fein Berhältniß der Verbindlichkeit giebt. E3 giebt alfo, eigentlidy und
buchſtaͤblich verftanden, auch fein (directes) Recht in einer Sache, fondern
nur dasjenige wird jo genannt, was jemanden gegen eine Perjon zus
fommt, die mit allen Anderen (im bürgerlihen Zuftande) im gemeinjamen
Beſitz ift.
=
$ 12.
Die erfte Erwerbung einer Sade kann feine andere
als die des Bodens fein.
Der Boden (unter welchem alles bewohnbare Land verftanden wird)
» ift in Anfehung alles Beweglichen auf demjelben als Subftanz, die
Eriftenz des Lebteren aber nur als Inhärenz zu betrachten, und jo wie
im theoretiihen Sinne die Accidenzen nicht außerhalb der Subftanz eri«
ftiren fönnen, fo kann im praktiſchen das Bewegliche auf dem Boden nicht
das Seine von jemanden jein, wenn diefer nicht vorher als im rechtlichen
»s Beſitz defjelben befindlich (als das Seine defjelben) angenommen wird.
262 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechislehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
Denn jebet, der Boden gehöre niemanden an: jo werde id) jede be-
wegliche Sadye, die ſich auf ihm befindet, aus ihrem Plate ftoßen können,
um ihn jelbjt einzunehmen, bis fie fi gaͤnzlich verliert, ohne da ber
Freiheit irgend eines Anderen, der jeßt gerade nicht Inhaber defjelben ift,
dadurch Abbruch geſchieht; alles aber, was zerftört werden fann, ein Baum,
Haus u. |. w., ift (wenigftens der Materie nad) beweglich, und wenn man
die Sache, die ohne Zerftörung ihrer Form nicht bewegt werden fan, ein
Smmobile nennt, jo wird das Mein und Dein an jener nicht von der
Subjtanz, jondern dem ihr Anhängenden verftanden, weldyes nicht die
Sache jelbft ift.
$ 13,
Gin jeder Boden fann urjprünglidh erworben werden,
und der Grund der Möglichfeit dieſer Erwerbung ift die
urfprünglide Gemeinfhaft des Bodens überhaupt.
Mas das erfte betrifft, jo gründet ſich diefer Sak auf dem Poftulat
der praktiſchen Vernunft ($ 2); das zweite auf folgenden Beweis.
Alle Menjhen find urfprünglidy (d. i. vor allem rechtlichen Act der
Willkür) im rechtmäßigen Befik des Bodens, d. i. fie haben ein Recht, da
zu fein, wohin fie die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gejept
hat. Dieſer Befiß (possessio), der vom Sit (sedes) als einem willfür-
lichen, mithin erworbenen, dauernden Beſitz unterſchieden ift, ift ein
gemeinfamer Befit wegen der Einheit aller Pläbe auf der Erdfläche
als Kugelflädhe: weil, wenn fie eine unendliche Ebene wäre, die Menſchen
fid) darauf fo zerftrenen fönnten, daß fie in gar feine Gemeinſchaft mit
einander kämen, dieſe alfo nicht eine nothwendige Folge von ihrem
Dafein auf Erden wäre, — Der Beſitz aller Menſchen auf Erden, der vor
allem rechtlichen Act derfelben vorhergeht (von der Natur jelbit con-
ftitwirt ift), ft ein urfprünglider Gefammtbefit (communio pos-
sessionis originaria), defjen Begriff nicht empirifch und von Beitbedin-
gungen abhängig ift, wie etwa der gedichtete, aber nie erweisliche eines
uranfängliden Gefammtbefiges (communio primaeva), jondern
ein praftifher Vernunftbegriff, der a priori das Princip enthält, nad
welchem allein die Menichen den Plab auf Erden nad Rechtsgeſetzen ge-
brauchen können.
i
1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 263
S 14.
Der rechtliche Act diefer Erwerbung ift Demädtigung
(oceupatio).
Die Befibnehmung (apprehensio), als der Anfang der Inhabung
s einer körperlichen Sadye im Raume (possessionis physicae), ftimmt unter
feiner anderen Bedingung mit dem Geſetz der äußeren Freiheit von jeder-
mann (mithin a priori) zujammen, als unter der der Priorität in An-
jehung der Beit, d. i. nur als erfte Beſitznehmung (prior apprehensio),
weldhe ein Act der Willfür ift. Der Wille aber, die Sache (mithin aud)
ein bejtimmter abgetheilter Pla& auf Erden) jolle mein fein, d. i. die
Zueignung (appropriatio), fann in einer urfprüngliden Erwerbung nidt
anders al3 einjeitig (voluntas unilateralis s. propria) fein. Die Er»
werbung eines äußeren Gegenftandes der Willfür durch einfeitigen Willen
ift die Bemädtigung. Alfo kann die urjprüngliche Erwerbung defjelben,
mithin auch eines abgemefjenen Bodens nur durch Bemächtigung (oceu-
patio) geſchehen. —
Die Möglichkeit auf ſolche Art zu erwerben läßt ſich auf feine Weiſe
einjehen, noch durch Gründe darthun, jondern ift die unmittelbare Folge
aus dem Boftulat der praftiihen Vernunft. Derfelbe Wille aber fann
0 doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur fo fern er
in einem a priori vereinigten (d. i. durch die Vereinigung der Willkür
Aller, die in ein praftifches Verhältniß gegen einander fommen können)
abſolut gebietenden Willen enthalten ift; denn der einfeitige Wille (mozu
auch der boppeljeitige, aber doch bejondere Wille gehört) kann nicht
jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an fid) zufällig ift, fondern
dazu wird ein alljeitiger, nicht zufällig, jondern a priori, mithin noth—
wendig vereinigter und darum allein gejeßgebender Wille erfordert; denn
nur nad) diefes feinem Princip ift Übereinftimmung der freien Willkür
eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt,
» und aljo aud) ein äußeres Mein und Dein möglid).
ni
=
-
Lu
2
264 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechislehre. 1. Theil. 2. Hauptflüd.
$ 15.
Nur in einer bürgerlihen Berfajjung fann etwas
peremtorifch, dagegen im Naturzuftande zwar aud, aber nur
proviforifch erworben werden.
Die bürgerliche Verfaſſung, obzwar ihre Wirklichkeit fubjectiv zufällig
ift, ift gleichwohl objectiv, d. i. als Pflicht, nothwendig. Mithin giebt es
in Hinfiht auf diejelbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgeſetz der
Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ift.
Der empirifche Titel der Erwerbung war die auf urfprüngliche
Gemeinſchaft des Bodens gegründete phyſiſche Beſitznehmung (appre-
hensio physica), weldjem, weil dem Beſitz nad) Vernunftbegriffen des
Rechts nur ein Beſitz in der Erſcheinung untergelegt werden fann, der
einer intellectuellen Beſitznehmung (mit Weglaffung aller empiriſchen
Bedingungen in Raum und Zeit) correfpondiren muß, und die den Saß
gründet: „Was ich nad Geſetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt
bringe und will, es jolle mein fein, das wird mein.“
Der Vernunfttitel der Erwerbung aber fann nur in der Idee
eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller
liegen, welche hier ald unumgänglidye Bedingung (conditio sine qua non)
ftillfihweigend vorausgejeßt wird; denn durch einfeitigen Willen fann
Anderen eine Verbindlichkeit, die fie für fi) jonft nicht haben würden,
nicht auferlegt werden. — Der Zuftand aber eines zur Gefebgebung all-
gemein wirklich vereinigten Willens ift der bürgerliche Zuftand. Alfo nur
in Conformität mit der Idee eines bürgerlihen Buftandes, d. i. in Hin-
ficht auf ihn und feine Bewirfung, aber vor der Wirklichfeit defjelben
(denn fonft wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur proviſoriſch
kann etwas Äußeres urfprünglich erworben werden. — Die perem-
torifche Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zuftande ftatt.
Gleichwohl ift jene proviforische dennod eine wahre Erwerbung;
denn nad) dem Postulat der rechtlich-praltiſchen Vernunft ift die Möglich:
feit derjelben, in welchem Zuſtande die Menjchen neben einander jein
mögen, (aljo aud) im Naturzuftande) ein Brincip des Privatredhts, nad)
welchem jeder zu demjenigen Zwange beredhtigt ift, durch welchen e8 allein
möglid) wird, aus jenem Naturzuftande heraus zu gehen und in den bür-
gerlidyen, der allein alle Erwerbung peremtoriſch machen fann, zu treten.
Pr
35
20
25
1. Abfchnitt. Vom Sachenrecht. 265
Es ift die Frage: wie weit erftredt fi) die Befugniß der Befik-
nehmung eines Bodens? So weit, als das Vermögen ihn in feiner
Gewalt zu haben, d. i. als der, jo ihn ſich zueignen will, ihn verthei-
digen kann; gleich als ob der Boden jpräde: wenn ihr mid, nicht
beſchũtzen fönnt, jo fönnt ihr mir aud) nicht gebieten. Darnach
müßte aljo auch der Streit über das freie oder verſchloſſene Meer
entjchieden werden; 3. B. innerhalb der Weite, wohin die Kanonen
reihen, darf niemand an der Küfte eines Landes, das ſchon einem
gewifjen Staat zugehört, fiſchen, Bernftein aus dem Grunde der
See holen u. dergl. — Ferner: ift die Bearbeitung des Bodens (Be-
bauung, Beaderung, Entwäfjerung u. dergl.) zur Erwerbung dei-
jelben nothwendig? Nein! denn da diefe Formen (der Specificirung)
nur Aceidenzen find, jo machen fie fein Object eines unmittelbaren
Beſitzes aus und können zu dem des Subjects nur gehören, jo fern
die Subftanz vorher als das Seine defjelben anerkannt ift. Die Be-
arbeitung ijt, wenn es auf die Frage von der erften Erwerbung an-
fommt, nichts weiter als ein Äußeres Zeichen der Befibnehmung,
welches man durch viele andere, die weniger Mühe koſten, erjeßen
kann. — Ferner: darf man wohl jemanden in dem Act feiner Befit-
nehmung hindern, jo daß feiner von beiden des Rechts der Priorität
theilhaftig werde, und fo der Boden immer als feinem angehörig
frei bleibe? Gänzlich Fann diefe Hinderung nicht jtatt finden, weil
der Andere, um diefes thun zu können, ſich doc) auch jelbft auf irgend
einem benadhbarten Boden befinden muß, wo er aljo jelbft behindert
werden fann zu fein, mithin eine abjolute Verhinderung ein Wider:
ſpruch wäre; aber rejpectiv auf einen gewiſſen (zwiſchenliegenden)
Boden, diefen als neutral zur Scheidung zweier benadjbarten un—
benußt liegen zu lafjen, würde doc mit dem Rechte der Bemädhti-
gung zufammen beftehen; aber alsdann gehört wirklich diefer Boden
Beiden gemeinſchaftlich und ift nicht herrenlos (res nullius) eben
darum, weil er von beiden dazu gebraucht wird, um fie von ein-
ander zu ſcheiden. — Ferner fann man auf einem Boden, davon fein
Theil das Seine von jemanden ift, dod) eine Sache als die feine
haben? Ja, wie in der Mongolei jeder fein Gepäd, was er hat, lie-
gen lafjen, oder jein Pferd, was ihm entlaufen ift, als das Seine in
feinen Befit bringen fann, weil der ganze Boden dem Volf, der Ge:
brand) defjelben aljo jedem einzelnen zufteht; daß aber jemand eine
1_- 2
266 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre, 1. Theil. 2. Haupiſtück.
bewegliche Sache auf dem Boden eines Anderen als das Seine haben
kann, ijt zwar möglich, aber nur durd) Bertrag. — Endlich ift die
Frage: können zwei benadhbarte Völker (oder Familien) einander
widerſtehen, eine gewifje Art des Gebrauchs eines Bodens anzu=
nehmen, z. B. die Sagboölfer dem Hirtenvolf oder den Aderleuten, 5
oder dieje den Pflanzern u. dergl.? Allerdings; denn die Art, wie
fie fih auf dem Erdboden überhaupt anſäſſig machen wollen, ijt,
wenn fie fid) innerhalb ihrer Gränzen halten, eine Sache des bloßen
Beliebens (res merae facultatis).
Zuletzt kann noch gefragt werden: ob, wenn uns weder die Na= ı0
tur noch der Zufall, fondern bloß unjer eigener Wille in Nachbar⸗
ſchaft mit einem Volf bringt, weldyes feine Ausfidht zu einer bürger-
lien Verbindung mit ihm verſpricht, wir nicht in der Abficht diefe
zu ftiften und diefe Menſchen (Wilde) in einen rechtlichen Zuftand
zu verjeßen (wie etwa die amerifaniichen Wilden, die Hottentotten,
die Neuholländer) befugt fein jollten, allenfalls mit Gewalt, oder
(welches nicht viel befjer ift) durd; betrügerifchen Kauf Eolonien zu
errichten und jo Eigenthümer ihres Bodens zu werden und ohne
Rückſicht auf ihren erften Befig Gebrauch von unferer Überlegenheit
zu maden; zumal es die Natur jelbjt (als die das Leere verabfchenet) zo
fo zu fordern jcheint, und große Landſtriche in anderen Welttheilen
an gefitteten Einwohnern ſonſt menjchenleer geblieben wären, die
jet herrlich bevölfert find, oder gar auf immer bleiben müßten, und
jo der Zweck ber Schöpfung vereitelt werden würde. Allein man fieht
durch dieſen Schleier der Ungerechtigkeit (Jeſuitism) alle Mittel zu
guten Zwecken zu billigen, leicht durch; diefe Art der Erwerbung des
Bodens ift aljo verwerflid).
Die Unbeftimmtheit in Anjehung der Duantität jomohl als der
Dualität des äußeren erwerblidyen Objects macht diefe Aufgabe (der
— einzigen urfprünglihen äußeren Erwerbung) unter allen zur ſchwer-⸗ »
| ſten fie aufzulöjen. Srgend eine urſprüngliche Erwerbung des Auße-
ren aber muß es indeffen dod geben; denn abgeleitet kann nicht
alle fein. Daher fann man dieje Aufgabe auch nicht als unauflöslich
und als an fid) unmöglich aufgeben. Aber wenn fie auch durch den
urfprünglichen Vertrag aufgelöjet wird, jo wird, wenn diejer fi »
nicht aufs ganze menſchliche Geflecht erftredt, die Erwerbung doch
immer nur proviforifch bleiben.
[1
u
[=]
u.
1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 267
$ 16.
Erpofition des Begriffs einer urjprüngliden
Erwerbung de3 Bodens.
Ale Menſchen find urfprünglih in einem Geſammt-Beſitz des
Bodens der ganzen Erde (communio fundi originaria) mit dem ihnen
von Natur zuftehenden Willen (eines jeden) denfelben zu gebrauchen
(lex iusti), der wegen der natürlid) unvermeidlichen Entgegenjeßung der
Willkür des Einen gegen die des Anderen allen Gebrauch defjelben auf-
heben würde, wenn nicht jener zugleich das Geſetz für diefe enthielte, nad)
welchem einem jeden ein bejonderer Beſitz auf dem gemeinfamen Boden
beftimmt werden fann (lex iuridica). Aber das austheilende Geſetz des
Mein und Dein eines jeden am Boden fann nad) dem Axiom der äußeren
Freiheit nicht anders ald aus einem urſprünglich und a priori ver«
einigten Willen (der zu diejer Vereinigung feinen redhtlichen Act voraus—
ſetzt), mithin nur im bürgerliden Zuftande hervorgehen (lex iustitiae
distributivae), der allein, was recht, was rehtlich und was Rechtens
ift, beftimmt. — In diefem Zuſtand aber, d. i. vor Gründung und dod)
in Abficht auf denfelben, d. i. proviſoriſch, nad) dem Gefe der äußeren
Erwerbung zu verfahren, ift Pflicht, folglich auch redtliches Vermögen
des Willens jedermann zu verbinden, den Act der Befignehmung und
Zueignung, ob er gleich nur einfeitig ift, als gültig anzuerkennen; mithin
ift eine proviforifche Ermwerbung des Bodens mit allen ihren rechtlichen
Tolgen möglich).
Eine jolde Erwerbung aber bedarf doch und hat auch eine Gunſt
des Gejebes (lex permissiva) in Anfehung der Beitimmung der Grenzen
des rechtlih-möglichen Beſitzes für ſich: weil fie vor dem rechtlichen Zu—
ftande vorhergeht und, al3 bloß dazu einleitend, nod) nicht peremtorifch
ift, welche Gunſt ſich aber nicht weiter erftredt, als bis zur Einwilligung
Anderer (Theilnehmender) zu Errichtung des Letzteren, bei dem Wider:
ftande derjelben aber in diejen (den bürgerlichen) zu treten, und jo lange
derjelbe währt, allen Effect einer rechtmäßigen Erwerbung bei ſich führt,
weil diefer Ausgang auf Pflicht gegründet ift,
268 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
& 17.
Deduction des Begriffs der urſprünglichen ———
Wir haben den Titel der Erwerbung in einer urſprünglichen Ge—
meinſchaft des Bodens, mithin unter Raums-Bedingungen eines äußeren
Beſitzes, die Erwerbungsart aber in den empiriſchen Bedingungen
der Beſitznehmung (apprehensio), verbunden mit dem Willen, den äußeren
Gegenftand als den feinen zu haben, gefunden. Nun ift nod) nöthig die
Erwerbung jelbit, d. i. das äußere Mein und Dein, was aus beiden
gegebenen Stücden folgt, nämlich den intelligibelen Bejit (possessio nou-
menon) des Gegenstandes, nad) dem, was fein Begriff enthält, aus den
Principien der reinen rechtlich-praktiſchen Vernunft zu entwideln.
Der Rehtsbegriff vom äußeren Mein und Dein, jo fern es
Subjtanz ift, fann, was das Wort außer mir betrifft, nicht einen an-
deren Drt, ald wo ich bin, bedeuten: denn er ift ein Vernunftbegriff;
jondern, da unter diefem nur ein reiner Verftandesbegriff fubjumirt werden
fann, bloß etwas von mir Unterfhhiedenes und den eines nicht empi-
rischen Beſitzes (der gleihjam fortdauernden Apprehenfion), jondern nur
den des in meiner Gewalt Habens (die Verknüpfung deffelben mit
mir als fubjective Bedingung der Möglicyfeit des Gebrauchs) des äußeren
Gegenftandes, welcher ein reiner Verftandesbegriff ift, bedeuten. Nun ift
die Weglafiung oder das Abjehen (Abjtraction) von diefen ſinnlichen
Bedingungen des Befibes als eines Verhältnifjes der Perjon zu Gegen-
ftänden, die feine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhält-
niß einer Perſon zu Perſonen, dieje alle durch den Willen der erjteren,
jo fern er dem Ariom der äußeren Freiheit, dem Postulat des Vermögens
und der allgemeinen Geſetzgebung des a priori al3 vereinigt gedachten
Willens gemäß tft, in Anjehung des Gebrauchs der Saden zu ver—
binden, weldjes aljo der intelligibele Beſitz derjelben, d. i. der durchs
bloße Necht, ift, obgleich der Gegenftand (die Sache, die id) befiße) ein
Sinnenobject ift.
Daß die erfte Bearbeitung, Begränzung, oder überhaupt Vorme
gebung eines Bodens feinen Titel der Erwerbung defjelben, d. i.
der Beſitz des Accidens nicht einen Grund des rechtlichen Beſitzes der
Subftanz abgeben könne, jondern vielmehr umgekehrt das Mein und
—
15
Dein nad) der Regel (accessorium sequitur suum prineipale) aus d
1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 269
dem Eigenthum der Subſtanz gefolgert werden müſſe, und daß der,
welcher an einen Boden, der nicht ſchon vorher der ſeine war, Fleiß
verwendet, feine Mühe und Arbeit gegen den Erſteren verloren hat,
ift für ſich jelbit jo Mar, daß man jene jo alte und noch weit und
breit herrſchende Meinung ſchwerlich einer anderen Urſache zujchreiben
fann, als der ingeheim obwaltenden Täufhung, Saden zu perfoni-
ficiren und, gleich als ob jemand fie ſich durd) an fie verwandte Ar-
beit verbindlich machen könne, feinem Anderen als ihm zu Dienften
zu ftehen, unmittelbar gegen fie ſich ein Recht zu denken; denn
wahrjheinlicherweife würde man aud nicht fo leichten Fußes über
die natürlihe Frage (von der oben jhon Erwähnung geſchehen)
weggeglitten fein: „Wie ift ein Recht in einer Sache möglidh?"
Denn das Recht gegen einen jeden Befiker einer Sache bedeutet nur
die Befugniß der befonderen Willkür zum Gebraud) eines Objects, fo
fern fie als im ſynthetiſch-allgemeinen Willen enthalten und mit dem
Geſetz defjelben zufammenftimmend gedacht werden kann.
Was die Körper auf einem Boden betrifft, der ſchon der meinige
ift, jo gehören fie, wenn fie fonft feines Anderen find, mir zu, ohne
daß id) zu diefem Zweck eines befonderen rechtlichen Acts bedürfte
(nicht facto, jondern lege); nämlich weil fie als der Subftanz inhä—
rirende Accidenzen betrachtet werden fünnen (iure rei meae), wozu
auc Alles gehört, was mit meiner Sache jo verbunden ift, daß ein
Anderer fie von dem Meinen nicht trennen kann, ohne dieſes ſelbſt
zu verändern (3. B. Vergoldung, Miſchung eines mir zugehörigen
Stoffes mit andern Materien, Anjpülung oder aud) Veränderung
des anftoßenden Strombettes und dadurch geihehende Erweiterung
meines Bodens u. f. w. Ob aber der erwerbliche Boden fid) noch
weiter als das Land, naͤmlich auch auf eine Strede des Seegrundes
hinaus (das Redjt, nody an meinen Ufern zu filchen, oder Bernftein
herauszubringen u. bdergl.), ausdehnen lafje, muß nad) ebenden-
jelben Grundjäßen beurtheilt werden. So weit id aus meinem
Site mechaniſches Vermögen habe, meinen Boden gegen den Ein-
griff Anderer zu fihern (3. B. fo weit die Kanonen vom Ufer ab»
reichen), gehört er zu meinem Befig, und das Meer ift bis dahin
geſchloſſen (mare clausum). Da aber auf dem weiten Meere felbft
fein Sit möglich ift, jo fann der Beſitz aud) nicht bis dahin aus-
gebehnt werden, und offene See ift frei (mare liberum). Das
270 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
Stranden aber, es jei der Menſchen oder der ihnen zugehörigen
Saden, kann als unvorfeplid) von dem Strandeigenthümer nicht
zum Erwerbredyt gezählt werden: weil es nicht Laͤſion (ja überhaupt
fein Factum) ift, und die Sache, die auf einen Boden gerathen ift,
der doch irgend einem angehört, nicht als res nullius behandelt
werden kann. Ein Fluß dagegen fann, fo weit der Beſitz jeines
Ufers reicht, jo gut wie ein jeder Landboden unter obbenannten Ein-
ihränfungen urfprünglid von dem erworben werden, der im Beſitz
beider Ufer iſt.
& *
=
Der äußere Gegenftand, weldyer der Subftanz nad) das Seine
von jemanden ift, ijt defjen Eigenthum (dominium), welchem alle
Rechte in diefer Sache (wie Accidenzen der Subftanz) inhäriren,
über welche alfo der Eigenthümer (dominus) nad) Belieben verfügen
fann (ius disponendi de re sua). Aber hieraus folgt von jelbit:
daß eim folder Gegenſtand nur eine körperliche Sache (gegen die
man feine Verbindlichkeit hat) fein fönne, daher ein Menſch fein
eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigenthümer von ſich jelbit
(sui dominus) (über ſich nady Belieben disponiren zu fönnen), ge
Ihweige denn von anderen Menſchen fein Fann, weil er der Menſch—
heit im feiner eigenen Perſon verantwortlid iftz wiewohl diejer
Punkt, der zum Recht der Menfchheit, nicht dem der Menſchen gehört,
bier nicht feinen eigentlihen Pla hat, jondern nur beiläufig zum
befjeren Berftändniß des kurz vorher Geſagten angeführt wird. —
Es kann ferner zwei volle Eigenthümer einer und derjelben Sache
geben ohne ein gemeinfames Mein und Dein, jondern nur als ge—
meinjame Befiger defjen, was nur einem als das Seine zugehört,
wenn von den jogenannten Miteigenthümern (condomini) einem nur
der ganze Befiß ohne Gebraudy, dem Anderen aber aller Gebraud)
der Sache jammt dem Befik zukommt, jener alfo (dominus directus)
0
diefen (dominus utilis) nur auf die Bedingung einer beharrlichen zo
Leiſtung rejtringirt, ohne dabei feinen Gebrauch zu limitiren.
1
2. Abſchnitt. Vom perfönlichen Recht. 271
Zweiter Abſchnitt.
Vom perjönlichen Recht.
$ 18.
Der Beſitz der Willfür eines Anderen, als Vermögen fie durd) die
meine nad) Freiheitsgejegen zu einer gewifjen That zu beftimmen, (das
äußere Mein und Dein in Anjehung der Cauſalität eines Anderen) ift
ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen eben diejelbe Perſon oder gegen
Andere haben kann): der Inbegriff (das Syitem) der Geſetze aber, nad)
welchen id; in diejem Beſitz jein fann, das perjönlicde Recht, welches nur
ein einziges ift.
Die Erwerbung eines perfönlihen Rechts kann niemals urſprünglich
und eigenmädtig fein (denn eine ſolche würde nicht dem Princip der Ein-
ftimmung der Freiheit meiner Willtür mit der Freiheit von jedermann
gemäß, mithin unrecht fein). Eben fo kann id) auch nicht durch rechts—
widrige That eines Anderen (facto iniusto alterius) erwerben; denn
wenn dieje Läfton mir aud) ſelbſt widerfahren wäre, und id) von dem
Underen mit Recht Genugthuung fordern kann, jo wird dadurd) doch nur
das Meine unvermindert erhalten, aber nichts über das, was ich ſchon
vorher hatte, erworben.
Erwerbung durd die Ihat eines Anderen, zu der ich diefen mad)
Rechtsgeſetzen beftimme, ift aljo jederzeit von dem Seinen des Anderen
abgeleitet, und dieje Ableitung als rechtlicher Act kann nicht durch diejen
als einen negativen Act, nämlid) der Verlaſſung, oder einer auf das
Seine geſchehenen Berzihtthuung (per derelictionem aut renuncia-
tionem), gejhehen, denn dadurch wird nur das Seine Eines oder des An—
deren aufgehoben, aber nichts erworben, — fondern allein durch Über:
tragung (translatio), weldye nur durd) einen gemeinſchaftlichen Willen
möglich ift, vermittelft defjen der Gegenitand immer in die Gewalt des
Einen oder des Anderen fommt, aladann einer feinen Antheile an diefer
Gemeinſchaft entjagt, und jo das Object durch Annahme defjelben (mithin
einen pofitiven Act der Willlür) das Seine wird. — Die Übertragung
feines Eigenthums an einen Anderen ift die Veräußerung. Der Act
der vereinigten Willfür zweier Berjonen, wodburd überhaupt das Seine
des Einen auf den Anderen übergeht, ift der Vertrag.
272 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Dauptftäd,
$ 19.
In jedem Vertrage find zwei vorbereitende und zwei conjtitui-
rende rechtliche Acte der Willfür; die beiden erfteren (die des Trac-
tirens) find dad Angebot (oblatio) und die Billigung (approbatio)
defjelben; die beiden andern (nämlid des Abſchließens) find das
Verſprechen (promissum) und die Annehmung (acceptatio). — Denn
ein Anerbieten kann nicht eher ein Verſprechen heißen, als wenn ich vor-
ber urtheile, das Angebotene (oblatum) fei etwas, was dem Promiljar
angenehm jein fönne; welches durch die zwei erftern Declarationen an—
gezeigt, durch dieje allein aber noch nichts erworben wird.
Aber weder durch den bejonderen Willen des Promittenten, nod)
ben des Promifjars (als Acceptanten) geht das Seine des erfteren zu dem
legteren über, jondern nur durd) den vereinigten Willen beider, mit-
hin fo fern beider Wille zugleich declarirt wird. Nun ift dies aber durd)
empirische Actus der Declaration, die einander nothwendig in der Zeit
folgen müfjen und niemals zugleid find, unmöglid. Denn wenn id)
verfprodhen habe und der Andere num acceptiren will, jo kann id; während
der Zwifchenzeit (jo furz fie aud) fein mag) es mid) gereuen lafjen, weil
ic) vor der Ncception noch frei bin; jo wie anderſeits der Ncceptant eben
darum an jeine auf das Verſprechen folgende Gegenerflärung aud) ſich
nicht für gebunden halten darf. — Die äußern Förmlichfeiten (solennia)
bei Schließung des Vertrags [der Handſchlag, oder die Zerbrechung eines
von beiden Perſonen angefaßten Strohhalms (stipula)] und alle hin und
ber geichehene Beftätigungen feiner vorherigen Erklärung beweijen viel-
mehr die Verlegenheit der Pacifcenten, wie und auf welche Art fie die
immer nur aufeinander folgenden Erklärungen als in einem Augenblide
zugleich eriitirend vorftellig machen wollen, was ihnen dod) nicht gelingt:
weil e8 immer nur in der Zeit einander folgende Actus find, wo, wenn
der eine Act ijt, der andere entweder noch nicht, oder nicht mehr ift.
Über die transjcendentale Deduction des Begriffs der Erwerbung
durd) Vertrag kann allein alle diefe Schwierigkeiten heben. In einem
rechtlichen äußeren VBerhältnifje wird meine Befihnehmung der Willkür
eines Anderen (und jo wechleljeitig), als Beitimmungsgrund defjelben
zu einer That, zwar erjt empirifch durch Erklärung und Gegenerflärung
der Willfür eines jeden von beiden in der Beit, als finnlicher Bedingung
der Apprehenfion, gedacht, wo beide rechtliche Acte immer nur auf ein-
10
—
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5
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10
15
2. Abſchnitt. Vom perjönlidhen Recht. 273
ander folgen: weil jenes Verhältniß (als ein rechtliches) reim intellectwell
ift, durd den Willen als ein gejeßgebendes Vernunftvermögen jener
Befik als ein intelligibeler (possessio noumenon) nad) Freiheitsbegriffen
mit Abftraction von jenen empiriihen Bedingungen als das Mein oder
Dein vorgejtellt; wo beide Acte, des Verfprechens und der Annehmung,
nicht als aufeinander folgend, jondern (gleidy als pactum re initum) aus
einem einzigen gemeinfamen Willen bervorgehend (weldyes durd; das
Wort zugleich ausgedrüdt wird) und der Gegenjtand (promissum) durd)
Weglafjung der empiriihen Bedingungen nad dem Gejeh der reinen
praftifhen Vernunft als erworben vorgeftellt wird.
Daß diefes die wahre und einzig mögliche Deduction des Begriffs
der Erwerbung durch Vertrag fei, wird durd die mühjelige und doch
immer vergebliche Beitrebung der Rechtsforſcher (z. B. Mojes Men-
delsjohns in feinem „Jeruſalem“) zur Beweisführung jener Möglidy-
feit hinreichend beftätigt. — Die Frage war: warum ſoll ich mein
Verſprechen halten? Denn daß id) es joll, begreift ein jeder von
ſelbſt. Es ift aber ſchlechterdings unmöglich, von diefem kategoriſchen
Imperativ nody einen Beweis zu führen; eben fo wie es für den
Geometer unmöglich ift, durch Vernunftichlüffe zu beweiſen, daß ich,
um ein Dreied zu machen, drei Linien nehmen müſſe (ein analyti-
iher Sa), deren zwei aber zufammengenommen größer fein müfjen,
als die dritte (ein ſynthetiſcher; beide aber a priori). Es iſt ein Po—
ftulat der reinen (von .allen finnlichen Bedingungen des Raumes
und der Beit, was den Rechtsbegriff betrifit, abjtrahirenden) Ver—
nunft, und die Lehre der Möglichkeit der Abjtraction von jenen Be-
dingungen, ohne daß dadurch der Beſitz defjelben aufgehoben wird,
iſt ſelbſt die Deduction des Begriffs der Erwerbung durd Vertrag;
- jo wie es in dem vorigen Titel die Lehre von der Erwerbung durd)
Bemädtigung der äußeren Sad)e war.
$ 20.
Was ift aber das Außere, das ich durch den Vertrag erwerbe? Da
es nur die Gaujalität der Willfür des Anderen in Anjehung einer miv
verſprochenen Leiſtung ift, jo erwerbe ich dadurdy unmittelbar nicht eine
äußere Sache, ſondern eine That defjelben, dadurch jene Sache in meine
18
Kant’! Schriften Berfe VI
274 Metapbyfiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftü.
Gewalt gebradyt wird, damit id) fie zu der meinen made. — Durch den
Vertrag aljo erwerbe ich das Verſprechen eines Anderen (nidyt das Ber:
ſprochene), und dod) fommt etwas zu meiner äußeren Habe hinzu; id) bin
vermögender (locupletior) geworden durch Erwerbung einer activen
Dpbligation auf die Freiheit und das Vermögen des Anderen. — Dieſes
mein Recht aber ijt nur ein perjönlidhes, nämlid gegen eine be—
ftimmte phyſiſche Perfon, und zwar auf ihre Gaufalität (ihre Willfür)
zu wirfen, mir etwas zu leiften, nicht ein Sachenrecht gegen bie-
jenige moralifche Perſon, welche nichts anders als die Sdee der a priori
vereinigten Willkür aller ift, und wodurd) ich allein ein Recht gegen
jeden Bejißer derjelben erwerben fann; als worin alles Recht in
einer Sache beiteht.
Die Übertragung des Meinen durch Vertrag geſchieht nad) dem
Geſetz der Stetigfeit (lex continui), d. i. der Befit des Gegenftandes
ift während diefem Act feinen Augenblid unterbroden, denn font
würde ich in diefem Auftande einen Gegenftand als etwas, das keinen
Befiger hat (res vacua), folglich urfprünglid erwerben; welches
dem Begriff des Vertrages widerſpricht. — Dieje Stetigfeit aber
bringt es mit fi, daß nicht eines von beiden (promittentis et ac-
ceptantis) bejonderer, fondern ihr vereinigter Wille derjenige ift,
welder das Meine auf den Anderen überträgt; alſo nicht auf die
Art: dab der Verſprechende zuerft feinen Befig zum Vortheil des
Anderen verläßt (derelinquit), oder feinem Recht entjagt (renunciat),
und der Andere ſogleich darin eintritt, oder umgefehrt. Die Trans:
lation ift alfo ein Act, in welchem der Gegenftand einen Augenblid
beiden zufammen angehört, fo wie in der paraboliihen Bahn eines
geworfenen Steins dieſer im Gipfel derjelben einen Augenblid als
im Steigen und Fallen zugleich begriffen betrachtet werden kann und
jo allererft von der fteigenden Bewegung zum Fallen übergeht.
821.
Eine Sache wird in einem Vertrage nit durd) Annehmung (ac-
ceptatio) des Verſprechens, fondern nur durch Ubergabe (traditio) des
Verſprochenen erworben. Denn alles Verſprechen geht auf eine Zeiftung,
und wenn das Berfprochene eine Sache iſt, fann jene nicht anders entrichtet
—
0
a
25
2. Abſchnitt. Vom perfönlichen Recht. 975
werden, al3 durch einen Act, wodurd der Promifjar vom Promittenten
in den Beſitz derſelben geſetzt wird, d. i. durch die Übergabe. Vor diejer
aljo und dem Empfang ift die Leiftung noch nicht geihehen; die Sache
ift von dem Einen zu dem Anderen nod) nicht übergegangen, folglich von
dieſem nicht erworben worden, mithin das Recht aus einem Vertrage nur
ein perjönlidhes und wird nur durch die Tradition ein dingliches Nedt.
Der Vertrag, auf den unmittelbar die Übergabe folgt (pactum
re initum), j&hließt alle Zwiſchenzeit zwiſchen der Schließung und
Vollziehung aus und bedarf Feines bejonderen nod) zu erwartenden
Acts, wodurch das Seine des Einen auf den Anderen übertragen
wird. Aber wenn zwiſchen jenen Beiden noch eine (beftimmte oder
unbeftimmte) Zeit zur Übergabe bewilligt ift, frägt ſich: ob die Sache
ſchon vor diefer durd, den Vertrag das Seine des Acceptanten ge
worden und das Recht des Lebteren ein Necht in der Sadıe jei, oder
ob noch ein befonderer Vertrag, der allein die Übergabe betrifft, dazu
fommen müfje, mithin das Recht durch die bloße Acceptation nur ein
perjönliches fei und allererft durch die Übergabe ein Recht in der
Sache werde. — Daß es fi hiemit wirklich fo, wie das letztere be-
fagt, verhalte, erhellt aus nadyfolgendem:
Wenn id) einen Vertrag über eine Sache, 3. B. über ein Pferd,
das id) erwerben will, ſchließe und nehme es zugleich mit in meinen
Stall, oder jonft in meinen phyſiſchen Befiß, jo ift e$ mein (vi pacti
re initi), und mein Redt ift ein Recht in der Sade; laſſe ich es
aber in den Händen des Verkäufers, ohne mit ihm darüber befonders
auszumachen, in weſſen phyſiſchem Befik (Inhabung) dieje Sache vor
meiner Befignehmung (apprehensio), mithin vor dem Wechſel des
Befiges jein jolle: jo ift diejes Pferd noch nicht mein, und mein Recht,
was id; erwerbe, ift nur ein Recht gegen eine beftimmte Berjon,
nämlid; den Verkäufer, von ihm in den Beſitz geſetzt zu werden
(poscendi traditionem), als fubjective Bedingung der Möglichkeit
alles beliebigen Gebraudys defjelben, d. i. mein Recht ijt nur ein
perjönliches Recht, von jenem die Zeiftung des Verjprecdhens-(prae-
statio), mid) in den Beſitz der Sache zu jeßen, zu fordern. Nun fann
ich, wenn der Vertrag nicht zugleich die Übergabe (als pactum re
initum) enthält, mithin eine Zeit zwiſchen dem Abſchluß defjelben
und der Befihnehmung des Erworbenen verläuft, in diefer Zeit nicht
18*
276 Meiaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
anders zum Beſitz gelangen, als dadurd) daß ich einen bejonderen
rechtlichen, nämlich einen Bejigact (actum possessorium) ausübe,
der einen bejonderen Vertrag ausmacht, und diejer ift: daß ich jage,
ich werde die Sache (das Pferd) abholen lafjen, wozu der Verkäufer
einwilligt. Denn daß diejer eine Sache zum Gebraude eines An-
deren auf eigene Gefahr in feine Gewahrjame nehmen werde, ver-
fteht fich nicht von felbft, fondern dazu gehört ein befonderer Vertrag,
nad) welchem der Beräußerer feiner Sache innerhalb der beftimm-
ten Zeit noch immer Eigenthümer bleibt (und alle Gefahr, die die
Sadıe treffen möchte, tragen muß), der Erwerbende aber nur dann,
wenn er über dieje Zeit zögert, von dem Verkäufer dafür angejehen
werden kann, als ſei fie ihm überliefert. Vor diefem Befipact ift
aljo alles durd; den Vertrag Erworbene nur ein perjönliches Recht,
und der Promifjar fann eine äußere Sache nur durch Tradition
erwerben.
Dritter Abſchnitt.
Von dem auf dingliche Art perjönlichen Recht.
$ 22.
Diefes Recht ift das des Befikes eines Äußeren Gegenstandes als
einer Sache und des Gebrauchs bdefjelben als einer Perſon. — Das
Mein und Dein nad) diefem Recht ift das häusliche, und das Verhält-
niß in diefem Zuftande ift das der Gemeinſchaft freier Wejen, die durch
den wechſelſeitigen Einfluß (der Perjon des einen auf das andere) nad)
dem Princip der äußeren Freiheit (Cauſalität) eine Geſellſchaft von
Gliedern eines Ganzen (in Gemeinschaft ftehender Perjonen) aus-
machen, welches das Hausweſen heißt. — Die Erwerbungsart diejes
Auftandes und in demjelben gejchieht weder durch eigenmächtige That
(facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), fondern durchs Geſetz (lege),
welches, weil e8 fein Recht in einer Sadye, auch nidyt ein bloßes Recht
gegen eine Perſon, jondern auch ein Beſitz derjelben zugleid) ift, ein über
alles Sachen- und perſönliche hinaus liegendes Recht, nämlich das Recht
ber Menſchheit in unferer eigenen Perſon fein muß, weldhes ein natür-
liches Erlaubnißgejeb zur Folge hat, durch defjen Gunft uns eine ſolche
Ermwerbung möglid) ift.
2
er
3. Abfchnitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlichen Necht. 277
$ 23.
Die Erwerbung nad) diefem Geſetz ift dem Gegenftanbe nad) dreier-
lei: Der Mann erwirbt ein Weib, das Baar erwirbt Kinder und die
Familie Gefinde. — Alles diefes Erwerbliche ift zugleich unveräußer-
li und das Recht des Beſitzers diefer Gegenstände das allerperjön-
lichte.
Des Rechts der häuslichen Geſellſchaft
erfter Titel:
Das Eherecht.
$ 24.
Geſchlechtsgemeinſchaft (commercium sexuale) ift der wechjel-
feitige Gebrauch, den ein Menſch von eines anderen Geſchlechtsorganen
und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alte-
rius), und entweder ein natürlicher (wodurd) feines Gleichen erzeugt
werden fann), oder unnatürlider Gebraud; und dieſer entweder an
einer Perſon ebendefjelben Geſchlechts, oder einem Thiere von einer an—
deren als der Menjhen-Battung; welche Übertretungen der Geſetze, un—
natürliche Laſter (erimina carnis contra naturam), die auch unnennbar
heißen, als Läſion der Menſchheit in unſerer eigenen Perſon durch gar
feine Einſchränkungen und Ausnahmen wider die gänzliche Verwerfung
gerettet werden fönnen.
Die natürliche Geſchlechtsgemeinſchaft ift nun entweder die nadı der
bloßen thieriihen Natur (vaga libido, venus volgivaga, fornicatio), oder
nad dem Geſetz. — Die leptere ift die Ehe (matrimonium), d. i. die
Verbindung zweier Perſonen verihiedenen Geſchlechts zum lebenswierigen
wechleljeitigen Befiß ihrer Geſchlechtseigenſchaften. — Der Zweck, Kinder
zu erzeugen und zu erziehen, mag immer ein Zwed der Natur fein, zu
welhem fie die Neigung der Geſchlechter gegeneinander einpflanzte; aber
daß der Menich, der fich verehlidht, dieſen Zwed ſich vorjeßen müſſe,
wird zur Necdhtmäßigfeit diejer feiner Verbindung nicht erfordert; denn
ſonſt würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe ſich zugleid) von
ſelbſt auflöfen.
Es iſt nämlich, auch unter Vorausfeßung der Luft zum wechjelfeitigen
Gebraud ihrer Geſchlechtseigenſchaften, der Ehevertrag fein beliebiger,
278 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptſtück.
fondern durchs Gejeß der Menſchheit nothwendiger Vertrag, d. i. wenn
Mann und Weib einander ihren Geſchlechtseigenſchaften nad) wechſelſeitig
genießen wollen, jo müſſen fie ſich nothwendig verehlichen, und diefes ift
nad) Rechtsgeſetzen der reinen Vernunft nothwendig.
$ 25.
Denn der natürliche Gebraud, den ein Geſchlecht von den Geſchlechts—
organen des anderen madht, ift ein Genuß, zu dem ſich ein Theil dem
anderen hingiebt. In diefem Act madt ſich ein Menſch jelbit zur Sache,
welches dem Rechte der Menjchheit an jeiner eigenen Perſon widerftreitet.
Nur unter der einzigen Bedingung tft diejes möglich, daß, indem die eine
Perjon von der anderen gleidy als Sache erworben wird, dieje gegen-
jeitig wiederum jene erwerbe; denn jo gewinnt fie wiederum ſich jelbft
und jtellt ihre Perjönlichfeit wieder her. Es ijt aber der Erwerb eines
Gliedmaßes am Menſchen zugleich Erwerbung der ganzen Berjon, —
weil diefe eine abfolute Einheit iſt; — folglich ift die Hingebung und An-
nehmung eines Geſchlechts zum Genuß des andern nicht allein unter der
Bedingung der Ehe zuläffig, jondern aud) allein unter derjelben möglid).
Daß aber diejes perſönliche Recht es doc zugleich auf dingliche
Art jei, gründet fid) darauf, weil, wenn eines der Eheleute ſich verlaufen,
oder ſich in eines Anderen Beſitz gegeben hat, das andere es jederzeit
und unweigerlich gleich als eine Sade in feine Gewalt zurüdzubringen
berechtigt iſt.
$ 26.
Aus denjelben Gründen ift das Verhältniß der Verehlichten ein
Perhältniß der Gleichheit des Befites, ſowohl der Perſonen, die ein:
ander wechjelfeitig befißen (folglid nur in Monogamie, denn in einer
Rolygamie gewinnt die Perjon, die fi) weggiebt, nur einen Theil des—
jenigen, dem fie ganz anheim fällt, und macht fid) alfo zur bloßen Sache),
als aud) der Glüdsgüter, wobei fie dod) die Befugniß haben, fi, obgleich
nur durd) einen befonderen Vertrag, des Gebrauchs eines Theils derjelben
zu begeben.
Daß der Concubinat feines zu Recht beftändigen Contracts
fähig fei, jo wenig als die Berdingung einer Perſon zum einmaligen
Genuß (pactum fornicationis), folgt aus dem obigen Grunde, Denn
[3
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30
3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlichen Reht. 279
was ben legteren Vertrag betrifft: jo wird jedermann geftehen, daß
die Perſon, weldye ihn geſchloſſen hat, zur Erfüllung ihres Ber-
ſprechen rechtlich nicht angehalten werden fünnte, wenn es ihr ge
reuete; und jo fällt aud) der erftere, nämlich der des Concubinats,
(al3 pactum turpe) weg, weil diefer ein Gontract der Berdingung
(locatio-conductio) jein würde und zwar eines Gliedmaßes zum
Gebrauch eines Anderen, mithin wegen der unzertrennlichen Einheit
ber Glieder an einer Perion dieje ſich jelbit als Sache der Willfür
des Anderen hingeben würde; daher jeder Theil den eingegangenen
Vertrag mit dem anderen aufheben fann, jo bald es ihm beliebt,
ohne daß der andere über Läfion feines Rechts gegründete Beſchwerde
führen kann. — Eben dafjelbe gilt auch von der Ehe an ber linfen
Hand, um die Ungleichheit des Standes beider Theile zur größeren
Herridaft des einen Theil über den anderen zu benußen; denn in
der That ift fie nad dem bloßen Naturredyt vom Eoncubinat nicht
unterjhieden und feine wahre Ehe. — Wenn daher die Frage ilt:
ob es aud der Gleichheit der Verehlichten als foldyer widerftreite,
wenn das Geſetz von dem Manne in Verhältniß auf das Weib fagt:
er foll dein Herr (er der befehlende, fie der gehorchende Theil) fein,
fo fann diejes nicht al3 der natürlichen Gleichheit eines Menjchen-
paares widerftreitend angefehen werden, wenn diejer Herrihaft nur
die natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das
weibliche in Bewirkung des gemeinſchaftlichen Anterefje des Haus:
wejens und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl zum Grunde
liegt, weldyes daher ſelbſt aus der Pflicht der Einheit und Gleichheit
in Anjehung des Zwecks abgeleitet werden fann.
8 27.
Der Ehe-Bertrag wird nur durch ehelihe Beiwohnung (copula
carnalis) vollzogen. Ein Vertrag zweier Perſonen beiderlei Geſchlechts
» mit dem geheimen Einverftändniß entweder fid) der fleiſchlichen Gemein-
ſchaft zu enthalten, oder mit dem Bewußtſein eines oder beider Theile,
dazu undermögend zu fein, tft ein jimulirter Vertrag und ftiftet feine
Ehe; kann auch durd; jeden von beiden nad) Belieben aufgelöfet werden.
Zritt aber das Unvermögen nur naher ein, jo fann jenes Recht durch
» diefen unverjhuldeten Zufall nichts einbüßen.
282 Metaphyfifche Anfangsgründe der Nechtöfehre. 1. Theil. 2. Hauptftäd,
Aus diejer Perjönlichkeit der erjtern folgt nun auch, daß, da bie
Kinder nie als Eigenthum der Eltern angefehen werden können, aber doc)
zum Mein und Dein derſelben gehören (weil fie glei; den Sachen im
Beſitz der Eltern find und aus jedes Anderen Befib, jelbft wider ihren
Willen, in diefen zuruückgebracht werden können), das Recht der erjteren
fein bloßes Sachenrecht, mithin nidyt veräußerlich (ius personalissimum),
aber auch nicht ein bloß perjönlidhes, jondern ein auf dingliche Art
perjönliches Recht ift.
Hiebei fällt alfo in die Augen, daß der Titel eines auf dingliche
Art perſönlichen Rechts in der Redhtslehre nod) über dem des Sachen—
und perfönlihen Nechts nothwendig hinzukommen müfje, jene bisherige
Eintheilung alfo nicht vollftändig geweſen ift, weil, wenn von dem Nedht
der Eltern an den Kindern als einem Stüd ihres Haufes die Rede ift,
jene fich nicht bloß auf die Pflicht der Kinder berufen dürfen, zurückzu—
kehren, wenn fie entlaufen find, fondern fi) ihrer als Sachen (verlaufener
Hausthiere) zu bemädhtigen und fie einzufangen berechtigt find.
Des Rechts der häuslichen Gejellihaft
dritter Titel:
Das Hausherren-Recht.
$ 30.
Die Kinder des Haufes, die mit den Eltern zufammen eine Familie
ausmadıten, werden aud) ohne allen Vertrag der Auffündigung ihrer bis-
berigen Abhängigkeit, durd) die bloße Gelangung zu dem Vermögen ihrer
Selbfterhaltung (fo wie es theils als natürlihe Volljährigkeit dem all»
gemeinen Laufe der Natur überhaupt, theils ihrer befonderen Natur-
beihaffenheit gemäß eintritt), mündig (maiorennes), d. i. ihre eigene
Herren (sui juris), und erwerben diejes Recht ohme befonderen rechtlichen
Act, mithin bloß durchs Geſetz (lege) — find den Eltern für ihre Er-
ziehung nichts jchuldig, jo wie gegenfeitig die letzteren ihrer Verbindlich-
feit gegen dieje auf ebendiejelbe Art loswerden, hiemit beide ihre natür-
liche Freiheit gewinnen oder wieder gewinnen — die häusliche Geſellſchaft
aber, welche nad) dem Geſetz nothwendig war, nunmehr aufgelöjet wird.
Beide Theile können nun wirklich ebendafjelbe Hausweſen, aber in
3. Abſchnitt. Von bem auf bingliche Art perfönlichen Necht. 281
Hinſicht ganz richtige und aud) nothwendige Idee, den Act der Zeugung
als einen ſolchen anzufehen, wodurd; wir eine Berfon ohne ihre Einmilli-
gung auf die Welt gefeßt und eigenmädhtig in fie herüber gebracht haben;
für welde That auf den Eltern nun auch eine Verbindlichkeit haftet, fie,
jo viel im ihren Kräften ift, mit diefem ihrem BZuftande zufrieden zu
maden. — Sie fönnen ihr Kind nicht gleichſam als ihr Gemächſel (denn
ein ſolches fann fein mit Freiheit begabtes Weſen fein) und als ihr Eigen-
thum zerftören oder es aud) nur dem Zufall überlaffen, weil an ihm nicht
bloß ein Weltweien, fondern audy ein Weltbürger in einen Zuftand her-
über gezogen, der ihnen nun auch nady Rechtsbegriffen nicht gleichgültig
fein fann.
5 29.
Aus diefer Pflicht entipringt audy nothwendig das Redyt der Eltern
zur Handhabung und Bildung des Kindes, jo lange es des eigenen
Gebrauchs feiner Gliedmaßen, imgleichen des Verſtandesgebrauchs noch
nicht mächtig ift, außer der Ernährung und Pflege es zu erziehen und
fowohl pragmatijch, damit es fünftig ſich jelbft erhalten und fortbringen
fönne, als aud moralisch, weil fonft die Schuld ihrer VBerwahrlofung
auf die Eltern fallen würde, — es zu bilden; Alles bis zur Zeit der Ent-
laffung (emaneipatio), da diefe ſowohl ihrem väterlihen Recht zu befehlen,
als aud; allem Anſpruch auf Koftenerftattung für ihre bisherige Berpfle-
gung und Mühe entjagen, wofür und nad) vollendeter Erziehung fie der
Kinder ihre Verbindlichkeit (gegen die Eltern) nur als bloße Tugend»
pflicht, naͤmlich als Dankbarkeit, in Anſchlag bringen fönnen.
gezeigt wird: der Widerſpruch eräugne ſich nur dann, wenn mit ber Kategorie ber
Gaufalität zugleich bie Zeitbedingung, die im Verhältniß zu Sinnenobjecten nicht
bermieben werben fann (daß nämlich der Grund einer Wirkung vor diejer vorbergebe),
auch in das Berhältnif; des Überfinnlichen zu einander hinüber gezogen wirb (welches
auch wirklich, wenn jener Ganfalbegriff in theoretifcher Abficht objective Realität ber
fommen foll, geichehen müßte), er — der Widerſpruch — aber verichwinde, wenn in
moralifch"praftifcher, mithin nicht-finnlicdyer Abficht die reine Kategorie (ohne ein ihr
untergelegted Schenta) im Schöpfungsbegriffe gebraucht wird.
Der philoſophiſche Rechtslehrer wird dieſe Nachforſchung bis zu den eriten Ele
menten ber Transicendentalphilofophie in einer Metaphyſik der Sitten nicht für un«
nöthige Grübelei erflären, die fich im zweckloſe Dumnfelbeit verliert, wenn er bie
Schwierigkeit der zu löfenden Aufgabe und doch auch die Nothwendigfeit, hierim ben
Rechtäprincipien genug zu thun, in Überlegung zieht.
282 Metaphufliche Anfangsgrünbe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptfläd.
Aus diefer Perfönlichkeit der erftern folgt nun auch, daß, da die
Kinder nie als Eigenthum der Eltern angefehen werden fönnen, aber doch
zum Mein und Dein derfelben gehören (weil fie glei den Sachen im
Beſitz der Eltern find und aus jedes Anderen Befiß, felbft wider ihren
Willen, in dieſen zurückgebracht werden können), das Recht der erfteren
fein bloßes Sachenrecht, mithin nicht veräußerlidy (ius personalissimum),
aber auch nicht ein bloß perjönliches, jondern ein auf dingliche Art
perfönlicyes Recht ift.
Hiebei fällt alfo in die Augen, daß der Titel eines auf dingliche
Art perſönlichen Rechts in der Nechtslehre noch über dem des Sachen⸗
und perfönliden Rechts nothwendig hinzukommen müffe, jene bisherige
Eintheilung alfo nicht vollftändig geweſen ift, weil, wenn von dem Recht
der Eltern an den Kindern als einem Stüd ihres Haufes die Rede ift,
jene fid nit bloß auf die Pflicht der Kinder berufen dürfen, zurückzu⸗
fehren, wenn fie entlaufen find, fondern ſich ihrer als Sachen (verlaufener
Hausthiere) zu bemädhtigen und fie einzufangen berechtigt find.
Des Rechts der häuslichen Geſellſchaft
dritter Titel:
Das Hausherren-Nedit.
$ 30.
Die Kinder des Haufes, die mit den Eltern zufammen eine Yamilie
ausmachten, werben auch ohne allen Vertrag der Auffündigung ihrer bis⸗
herigen Abhängigkeit, durch die bloße Gelangung zu dem Vermögen ihrer
Selbfterhaltung (fo wie es theild als natürliche Volljährigkeit dem all-
gemeinen Zaufe der Natur überhaupt, theils ihrer bejonderen Natur:
beihaffenheit gemäß eintritt), mündig (maiorennes), d. i. ihre eigene
Herren (sui iuris), und erwerben dieſes Recht ohne befonderen rechtlichen
Act, mithin bloß durchs Geſetz (lege) — find den Eltern für ihre Er»
ziehung nichts ſchuldig, fo wie gegenfeitig die letzteren ihrer Verbindlid-
feit gegen diefe auf ebendiefelbe Art loswerden, hiemit beide ihre natüre
liche Freiheit gewinnen oder wieder gewinnen — die häusliche Geſellſchaft
aber, welche nach dem Geſetz nothwendig war, nunmehr aufgeloͤſet wird.
Beide Theile können nun wirklich ebendafjelbe Hauswelen, aber in
25
3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Urt perfönlichen Recht. 283
einer anderen Form der Verpflihtung, nämlich als Verknüpfung des
Hausherren mit dem Befinde (den Dienern oder Dienerinnen des Haufes),
mithin eben diefe häusliche Gejelihaft, aber jet als hausherrliche
(societas herilis) erhalten, durdy einen Vertrag, durch den der erjtere mit
den mündig gewordenen Kindern, oder, wenn die Familie feine Kinder
hat, mit anderen freien Berfonen (der Hausgenofjenihaft) eine häusliche
Geſellſchaft ftiften, welche eine ungleiche Gefellichaft (des Gebietenden
oder ber Herrihaft und der Gehorchenden, d. i. der Dienerſchaft, im-
perantis et subiecti domestieci) jein würde.
Das Gefinde gehört nun zu dem Seinen des Hausherrn und zwar,
was die Form (den Beſitzſtand) betrifft, gleich als nad) einem Sadyen-
redht; denn der Hausherr fann, wenn es ihm entläuft, es durch einjeitige
Rillfür in jeine Gewalt bringen; was aber die Materie betrifft, d. i.
welchen Gebraud) er von diejen feinen Hausgenofjen machen fann, jo
us fann er fid nie als Eigenthümer defjelben (dominus servi) betragen:
weil er nur durd Vertrag unter feine Gewalt gebradt ift, ein Vertrag
aber, durd; den ein Theil zum Bortheil des anderen auf feine ganze
Freiheit Verzicht thut, mithin aufhört, eine Perfon zu fein, folglich aud)
feine Pflicht hat, einen Vertrag zu halten, fondern nur Gewalt anerkennt,
»o im ſich jelbft widerſprechend, d. i. null und nichtig, ift. (Bon dem Eigen:
thumsrecht gegen den, der ſich durch ein Verbrechen jeiner Perſönlichkeit
verluftig gemacht hat, ift hier nicht die Rede.)
Diejer Bertrag aljo der Hausherrichaft mit dem Gefinde kann nicht
von folder Beſchaffenheit fein, daß der Gebrauch defjelben ein Ber-
» brauch jein würde, worüber das Urtheil aber nicht bloß dem Hausherrn,
jondern auch der Dienerjhaft (die aljo nie Leibeigenſchaft fein fann) zu—
fommt; fann alfo nicht auf lebenslänglicye, fondern allenfalls nur auf
unbeftimmte Zeit, binnen der ein Theil dem anderen die Verbindung auf:
kündigen darf, geſchloſſen werden. Die Kinder aber (jelbit die eines durch
» jein Berbreden zum Sklaven Gewordenen) find jederzeit frei. Denn frei
geboren ift jeder Menſch, weil er nody nichts verbrocden hat, und die
Koften der Erziehung bis zu feiner Volljährigkeit fönnen ihm aud nicht
als eine Schuld angerechnet werden, die er zu tilgen habe. Denn der
Sklave müßte, wenn er könnte, feine Kinder aud) erziehen, ohne ihnen
» dafür Koften zu verrechnen; der Befiber des Sklaven tritt aljo bei diejes
jeinem Unvermögen in bie Stelle jeiner Verbindlichkeit.
1
Nan fieht alio auch bier, wie unter beiden norigen Titeln, da es
ein auf dingliche Art perfönliches Recht (der Herrichaft über das Gefinde)
jebe: weil man fie zurüd holen und als das äugere Seine von jedem Be
— en
%
jelben aufftele; ftatt
befien alle empiriſche Eintheilung bloß fragmentarijd (partitio)
it umd es ungemwiß läßt, ob es nicht noch mehr Glieder ——
Ausfülung der ganzen Sphäre des eingetheilten Begriffs erfordert
würden. — Gite Eintheilung nadj einem Princip a priori (im Gegenfah »
der empiriſchen) fann man nun dogmatiſch nennen.
Aller Vertrag beftcht an fi, d. i. a betradhtet, aus zwei
rechtlichen Acten: dem Berfprehen und der Annehmung defielben; die
Erwerhung durch die lebtere (wenn es nicht ein pactum re initum ift,
welches Übergabe erfordert) ift nicht ein Theil, ſondern die rechtlich =
noſhwendige Folge befielben. — Subjectiv aber erwogen, d. i. als
Antwort auf die Frage: ob jene nad der Vernunft nothwendige Folge
(weldye die Erwerbung fein jollte) auch wirflid) erfolgen (phyſiſche
Folge fein) werde, dafür habe ih durch die Annehmung des Beripredhens
noch feine Sicherheit. Diele ift aljo, als äußerlid) zur Modalität des =
Dertrages, nämlih der Gewiß heit der Erwerbung durch denjelben,
nehörend, ein Ergänzungsftüid zur Bollftändigfeit der Mittel zur Er-
relhung der Abfiht des Vertrags, nämlich der Erwerbung. — Es treten
zu diefem Behuf drei Perſonen auf: der Promittent, der Acceptant
und der Gavent; durch welchen leßteren und feinen bejonderen Vertrag x
mit dem Promittenten der Acceptant zwar nichts mehr in Anjehung des
Dbfects, aber doch der Awangsmittel gewinnt, zu dem Seinen zu gelangen.
15
3. Ubfenitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlicen Recht: 285
Nach diefen Grundfägen der logiſchen (rationalen) Eintheilung giebt
es num eigentlid nur drei einfadhe und reine Vertragsarten, der ver:
mifchten aber und empirischen, weldhe zu den Principien des Mein und
Dein nad) bloßen Vernunftgeſetzen noch ſtatutariſche und comventionelle
s hinzuthun, giebt es unzählige, fie liegen aber außerhalb dem Kreiſe der
metaphyſiſchen Rechtslehre, die hier allein verzeichnet werden fol. -
Alle Verträge nämlich haben entweder A. einfeitigen Erwerb
(wohlthätiger Vertrag), oder B. wechjeljeitigen (beläftigter Ver—
trag), oder gar feinen Erwerb, fondern nur C. Sicherheit bes
Seinen (der einerſeits wohlthätig, anderjeits doch auch zugleich
beläftigend fein fann) zur Abfidht.
A. Der wohlthätige Vertrag (pactum gratuitum) ift:
a) Die Aufbewahrung des anvertrauten Guts (depositum),
b) Das Verleihen einer Sache (commodatum),
ce) Die Verſchenkung (donatio).
B. Der beläftigte Vertrag.
I. Der Beräußerungsvertrag (permutatio late sie dieta).
a) Der Tauſch (permutatio stricte sic dieta). Waare gegen Raare.
b) Der Kauf und Berfauf (emtio venditio). Waare gegen Gelb.
ec) Die Anleihe (mutuum): Veräußerung einer Sache unter der
Bedingung, fie nur der Species nad) wieder zu erhalten (3. B.
Getreide gegen Getreide, oder Geld gegen Geld).
I. Der Berdingungsvertrag (locatio conduetio). |
a. Die Berdingung meiner Sade an einen Anbern zum ®e-
braud; derjelben (locatio rei), welche, wenn fie nur in specie
wiedererftattet werden darf, als beläftigter Bertrag auch mit Ber-
. jinjung verbunden jein fann (pactum usurarium).
B. Der Zohmvertrag (locatio operae), db. i. bie Bewilligung des
Gebrauchs meiner Kräfte an einen Anderen für einen beftimmten
Preis (merces). Der Arbeiter nad) dieſem Bertrage ift der Lohn⸗
diener (mercennarius).
1. Der Bevollmädtigungsvertrag (mandatam): Die Geſchaͤfts⸗
führung au ber Etelle und im Ramen eines Anberen, welde,
weun fie blo5 an des Anderen Stelle, nit zugleich in jeinem (bes
Bertreienen) Ramen geführt wird, Geihäftsführung ohne
Antrag (gestio negotü), wirb fie aber im Namen des Anderen
256 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd.
verrichtet, Mandat heißt, das hier als Verdingungävertrag ein
beläjtigter Vertrag (mandatum onerosum) ift.
C. Der Zujiherungsvertrag (cautio).
a) Die Berpfändung und Pfandnehmung zuſammen (pignus).
b) Die Gutjagung für das Verſprechen eines Anderen (fideiussio). 5
- e) Die perfönlihe Verbürgung (praestatio obsidis).
In diefer Tafel aller Arten der Übertragung (translatio) des
Seinen auf einen Anderen finden fi Begriffe von Objecten oder
Werkzeugen diefer Übertragung vor, welde ganz empiriſch zu fein
und felbft ihrer Möglichkeit nad) in einer metaphyfiihen Rechts—
lehre eigentlid; nicht Pla haben, in der die Eintheilungen nad)
Principien a priori gemadjt werden müfjen, mithin von der Materie
des Verkehrs (welche conventionell fein könnte) abftrahirt und bloß
auf die Form gejehen werden muß, dergleidhen der Begriff des
Geldes im Gegenjaß mit aller anderen veräußerlihen Sache, näm—
ih der Waare, im Titel des Kaufs und Verkaufs, oder der
eines Buchs ift. — Allein es wird fid) zeigen, daß jener Begriff des
größten und braudbarften aller Mittel des Verkehrs der Menjchen
mit Saden, Kauf und Verkauf (Handel) genannt, imgleihen der
eines Buchs, als das des größten Verkehrs der Gedanken, jid) doch =
in lauter intellectuelle Berhältniffe auflöjen laſſe und fo die Tafel
der reinen Verträge nicht durch empirijche Beimijchung verunreinigen
dürfe.
—
=
—
I.
Was ijt Geld? 2
Geld ift eine Sade, deren Gebraud nur dadurd möglich ift,
dab man fie veräußert. Dies ift eine gute Namenerflärung dej-
jelben (nad Achenwall), nämlich hinreihend zur Unterſcheidung diejer
Art Gegenstände der Willtür von allen andern; aber fie giebt uns feinen
Aufſchluß über die Möglichkeit einer jolhen Sache. Doch fieht man jo
viel daraus: daß erftlich diefe Veräußerung im Verkehr nicht ala Ver—
ſchenkung, fondern al3 zur wecdjelfeitigen Erwerbung (durd ein
pactum onerosum) beabfidytigt ift; zweitens daß, da es als ein (in
einem Volke) allgemein beliebtes bloßes Mittel des Handels, was an
fid) feinen Werth hat, im Gegenjaß einer Sade als Waare (d. i. des⸗ s
[2]
0
3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Art perſönlichen Recht. 287
jenigen, was einen jolden Hat und fich auf das beſondere Bedürfnif eines
oder des anderen im Volk bezieht) gedacht wird, es alle Waare reprä-
fentirt.
Ein Scheffel Getreide hat den größten directen Werth als Mittel zu
5 menſchlichen Bedürfnifien. Man kann damit Thiere futtern, die uns zur
ein
Hierauf läßt fi vorläufig eine Realdefinition bes Geldes grün-
den: es ift das allgemeine Mittel den Fleiß der Menihen gegen
| der zu verfebren, jo: ba ber Rationalreigfhum, in foferm er
H
ihen im die Hände zu’ jaffen, #leiß, burd) wel-
» dhen die Baare at erworben werben
wäre es le
jo fäme mehr
mehr Fleik
» Gelb im:
288 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Haupiſtüd.
daß die lebtere nicht in einer zum leichten und ficheren Verkehr hinreichen-
den Menge da fei, plötzlich verſchwindet und den Ausfall der Zahlung
unvermeidlid) madıt. — So iſt der Erwerbfleiß derer, weldye die Gold»
und Silberbergwerfe in Peru oder Neumerico anbauen, vornehmlid) bei
den fo vielfältig mißlingenden Verſuchen eines vergeblid; angewandten
Fleißes im Aufſuchen der Erzgänge, wäahrſcheinlich noch größer, als der
auf Verfertigung der Waaren in Europa verwendete und würde als un-
vergolten, mithin von ſelbſt nadylafjend, jene Länder bald in Armuth
finfen laſſen, wenn nicht der Fleiß Europens dagegen, eben durch dieje
Materialien gereizt, fi) proportionirlic) zugleid erweiterte, um bei jenen
die Luft zum Bergbau durd) ihnen angebotene Sachen des Luxus bejtän-
dig rege zu erhalten: jo daß immer Fleiß gegen Fleiß in Eoncurrenz
fommen.
Wie ift es aber möglid), daß das, was anfänglid Waare war, endlich
Geld ward? Wenn ein großer und machthabender Verthuer einer Materie,
die er anfangs bloß zum Shmud und Glanz feiner Diener (des Hofes)
brauchte (3. B. Gold, Silber, Kupfer, oder eine Art ſchöner Mufchel-
ihalen, Kauris, oder aud wie in Kongo eine Art Matten, Mafuten
genannt, oder wie am Senegal Eijenftangen und auf der Guineafüfte
jelbft Negerjflaven), d. i. wenn ein Landesherr bie Abgaben von feinen
Unterthanen in diejer Materie (als Waare) einfordert und die, deren
Fleiß in Anſchaffung derjelben dadurd) bewegt werden joll, mit eben den-
jelben nad) Verordnungen des Verkehrs unter und mit ihnen überhaupt
(auf einem Markt oder einer Börfe) wieder lohnt. — Dadurd) allein
bat (meinem Bedünken nad) eine Waare ein geſetzliches Mittel des Ver-
kehrs des Fleißes der Unterthanen unter einander und hiemit aud) des
Staatsreihthums, d. i. Geld, werden können.
Der intellectuelle Begriff, dem der empirifche vom Gelde untergelegt
iſt, ift aljo der von einer Sadye, die, im Umlauf des Befibes begriffen
(permutatio publica), den Preis aller anderen Dinge(Waaren) beftimmt,
unter welche leßtere jogar Wiffenichaften, jo fern fie Anderen nicht ums»
ſonſt gelehrt werden, gehören: defjen Menge aljo in einem Volt die Be
güterung (opulentia) defjelben ausmadıt. Denn Preis (pretium) iſt das
öffentliche Urtheil über den Werth (valor) einer Sadye in Berhältnik
auf die proportionirte Menge desjenigen, was das allgemeine ftellver:
tretende Mittel der gegenfeitigen Vertauihung des Fleißes (des Um—
laufs) ift. — Daher werden, wo der Verkehr groß ift, weder Gold noch
-
5
a
O
=
3. Abſchnitt. Bon bem auf bingliche Urt perjönlichen Nedht. 289
Kupfer für eigentliches Geld, fondern nur für Waare gehalten: weil von
dem erjteren zu wenig, vom anderen zu viel da ift, um es leicht in Um—
lauf zu bringen und dennoch in jo fleinen Theilen zu haben, als zum
Umſatz gegen Waare, oder eine Menge derjelben im Hleinften Erwerb
nöthig ift. Silber (weniger oder mehr mit Kupfer verjeßt) wird daher
im großen Verkehr der Welt für das eigentliche Material des Geldes und
den Mapitab der Berechnung aller Breife genommen; die übrigen Metalle
(noch viel mehr aljo die unmetalliiden Materien) können nur in einem
Volk von Heinem Verkehr ftatt finden. — Die erjtern beiden, wenn fie nicht
bloß gewogen, fondern auch geftempelt, d. i. mit einem Zeichen, für wie
viel fie gelten jollen, verjehen worden, find gejeßliches Geld, d. i. Münze.
„Geld iſt aljo (nad) Adam Smith) derjenige Körper, deſſen Ver:
äußerung das Mittel und zugleid) der Maßſtab des Fleißes ift, mit wel:
chem Menſchen und Völker unter einander Verkehr treiben." — Dieſe
Erklärung führt den empirischen Begriff des Geldes dadurd) auf den in-
tellectuellen hinaus, daß fie nur auf die Form der mwedhieljeitigen Lei-
tungen im beläftigten Vertrage fieht (und von diejer ihrer Materie ab»
ftrahirt), und jo auf Nechtsbegriff in der Umſetzung des Mein und Dein
(commutatio late sic dieta) überhaupt, um die obige Tafel einer dogma—
tiihen Eintheilung a priori, mithin der Metaphyfit des Rechts als eines
Syſtems angemefjen vorzuftellen.
II,
Was ift ein Bud?
Ein Bud, ift eine Schrift (ob mit der Feder oder durch Typen, auf
wenig oder viel Blättern verzeichnet, ijt hier gleichgültig), welche eine
Rede voritellt, die jemand durch fihtbare Sprachzeichen an das Bublicum
hält. — Der, welcher zu diefem in feinem eigenen Namen fpricht, heißt
der Schriftjteller (autor). Der, welcher durd eine Schrift im Namen
eines Anderen (des Autors) öffentlidy redet, ift der Verleger. Diefer,
wenn er es mit Senes feiner Erlaubniß thut, iſt der rechtmäßige; thut er
es aber ohne diejelbe, der unrehtmähige Verleger, d. i. der Nahdruder.
Die Summe aller Eopeien der Urſchrift (Eremplare) ift der Berlag.
Der Bühernahdrud ift von rehtswegen verboten.
Schrift iſt nicht unmittelbar Bezeichnung eines Begriffs (wie
s eiwa ein Kupferſtich, der als Porträt, oder ein RAR: der als die
Kant’d Schriften. Berfe VI.
390 Metapbyfiiche Anfangsgründe der Nechtslehre, 1. Theil. 2. Hauptftüd,
Büſte eine beftimmte Perfon vorftellt), jondern eine Rede ans Publicum,
d. i. der Schriftiteller ſpricht durdy den Verleger öffentlih. — Diejer
aber, nämlid) der Verleger, jpricht (durd) feinen Werfmeifter, operarius,
den Druder) nicht in feinem eigenen Namen (denn ſonſt würde er ſich für
den Autor ausgeben); jondern im Namen des Schriftftellers, wozu er
alfo nur durch eine ihm von dem letzteren ertheilte Bollmadıt (manda-
tum) bere&htigt ift. — Nun ſpricht der Nachdrucker durch jeinen eigen-
mädtigen Verlag zwar aud) im Namen des Schriftitellers, aber ohne
dazu Vollmacht von demfelben zu haben (gerit se mandatarium absque
mandato); folglid) begeht er an dem von dem Autor bejtellten (mithin
einzig rechtmäßigen) Verleger ein Verbrechen der Entwendung des Vor-
theils, ben der lebtere aus dem Gebrauch feines Rechts ziehen konnte und
wollte (fartum usus); alfo ift der Bühernadhdrud von rechtswegen
verboten.
Die Urſache des rechtlichen Anſcheins einer gleihwohl beim erften
Anblid jo ftark auffallenden Ungerechtigkeit, als der Büchernachdruck ift,
liegt darin: daß das Bud) einerjeits ein körperliches Kunftproduct
(opus mechanicum) iſt, was nachgemacht werden fann (von dem, der ſich
im rehtmäßigen Beſitz eines Eremplars defjelben befindet), mithin daran
ein Sahenredt jtatt hat: andrerjeits aber ift das Bud) aud) bloße
Rede des Verleger ans Publicum, die diefer, ohne dazu Vollmacht vom
Verfaſſer zu haben, öffentlich nicht nachſprechen darf (praestatio operae),
ein perſönliches Recht, und nun befteht der Irrkhum darin, daß beides
mit einander verwechjelt wird.
* *
2
Die Verwechſelung des perſönlichen Rechts mit dem Sachenrecht iſt
noch in einem anderen, unter den Verdingungsvertrag gehörigen Falle
(B, II, a), naͤmlich dem der Einmiethung (ius incolatus), ein Stoff zu
Streitigkeiten. — Es frägt fih nämlich: ift der Eigenthümer, wenn er
fein an jemanden vermiethetes Haus (oder jeinen Grund) vor Ablauf der
Miethszeit an einen Anderen verkauft, verbunden, die Bedingung der
fortdauernden Miethe dem Kaufcontracte beizufügen, oder fan man
jagen: Kauf bricht Miethe (dod) in einer durch den Gebraud) bejtimmten
Zeit der Auffündigung)? — Im erjteren Fall hätte das Haus wirflid)
eine Beläftigung (onus) auf fi) liegend, ein Recht in diefer Sache, das
—
=
-
6
der Miether ſich an derjelben (dem Haufe) erworben hätte; welches aud)
wohl geihehen kann (durch Ingrofjation des Miethscontracts auf das
Haus), aber alsdann fein bloßer Miethscontract fein würde, jondern wozu
noch ein anderer Vertrag (dazu ſich nicht viel Vermiether verjtehen wür-
den) hinzufommen müßte. Alfo gilt der Satz: „Kauf bricht Miethe”, d. i.
das volle Recht in einer Sache (das Eigenthum) überwiegt alles perjön-
liche Recht, was mit ihm nit zufammen bejtehen kann; wobei doch die
Klage aus dem Grunde des lekteren dem Miether offen bleibt, ihn wegen
des aus der Zerreißung des Contracts entipringenden Nachtheils ſchaden—
ı0 frei zu halten.
Epifodiiher Abſchnitt.
Bon der idealen Erwerbung eines äußeren Öegenftandes
der Willkür.
$ 32.
15 Ich nenne diejenige Erwerbung ideal, die feine Gaufalität in der
Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde
bat. Sie ift nichtsdeftoweniger wahre, nicht eingebildete Erwerbung
und heißt nur darum nicht real, weil der Erwerbact nit empiriſch ift,
indem das Subject von einem Anderen, der entweder noch nicht ift (von
dem man bloß die Möglidjkeit annimmt, daß er jei), oder, indem dieſer
eben aufhört zu fein, oder, wenn er nicht mehr ift, erwirbt, mithin
die Gelangung zum Befit eine bloße praftiiche Sdee der Vernunft ift. —
Es find die drei Erwerbungsarten: 1) durch Erjitung, 2) durd; Beer:
bung, 3) durch unſterbliches Verdienft (meritum immortale), d. i.
der Anfprud auf den guten Namen nad) dem Tode. Alle drei fönnen zwar
nur im öffentlichen rechtlichen Zuſtande ihren Effect haben, gründen fid
aber nicht nur auf der Eonftitution deffelben und willfürlichen Statuten,
fondern find aud) a priori im Naturzuftande und zwar nothwendig zuvor
denkbar, um hernach die Geſetze in der bürgerlihen Berfafjung darnad)
so einzurichten (sunt iuris naturae).
[=
2
I.
Die Erwerbungsart durch Erjißung.
$ 33.
Ich erwerbe das Eigenthum eines Anderen bloß durch den langen
Befiß (usucapio); nicht weil ich diefes feine Einwilligung dazu recht-
19*
if Body Bioß Durd; meinen fangen Befih ausföjliefen, fein Biäheriges »
Dafein iqnoriren und gar, als ob er zur Zeit meines Befiges nur als
ar tar. verfahren — — —
gegangen ſein. — — tere ehe u
Ba nicht einen beitändigen Bejigact (actus possessorius) einer
äuße u Sadıe, als der feinen, ausübt, wird mit Recht als einer, der (als =
—— en, Een denn er fanın nicht über Läfion
— a ang ren eh
da ſchon ein Anderer davon Beſitz genommen hat,
de
er fei es noch, und der Befiß ſei ohne einen conti» *
ununterbroden
Denn feet: die Berjäumung diejes Beſitzacts hätte nicht die Folge, =
daß ein Anderer auf jeinen geſetzmäßigen und ehrlichen Beſitz (possessio
bonae fidei) einem zu Necht bejtändigen (possessio irrefragabilis) gründe
Ian Die Bader, Urn gern ge rn
vermögend ift. — Die Präfumti welcher ſich die wen
capio) gründet, ift alfo nicht bloß rechtmäßig (erlaubt, iusta) als Ber-
muthung, fondern auch rechtlich (praesumtio iuris et de iure) als Bor-
ausjegung nad; Zwangsgejeten (suppositio legalis): wer feinen Befigact *
verabjäumt, hat jeinen Anſpruch auf den dermaligen
documentiren
Befier verloren, wobei die Länge der Zeit der Verabſäumung (die gar
=
-
=
_
[=))
25
Epijodifcher Abſchnilt. Bon der idealen Erwerbung. 293
nicht beftimmt werden kann und darf) nur zum Behuf der Gewißheit
diefer Unterlafjung angeführt wird. Daß aber ein bisher unbekannter
Befiber, wenn jener Befigact (es jei aud) ohne feine Schuld) unterbrochen
worden, die Sache immer wiedererlangen (vindiciren) könne (dominia
rerum incerta facere), widerjpridht dem obigen Poſtulat der rechtlich.
praftifchen Bernunft.
Nun kann ihn aber, wenn er ein Glied des gemeinen Wejens ift,
d. i. im bürgerlichen Zuſtande, der Staat wohl jeinen Befiß (ſtellver—
tretend) erhalten, ob diejer gleich als Privatbefiß unterbrochen war, und
der jebige Befiber darf jeinen Titel der Erwerbung bis zur erjten nicht
beweifen, noch auch fid) auf den der Erfibung gründen. Aber im Natur:
zuftande ift der leßtere rechtmäßig, nicht eigentlich eine Sache dadurd) zu
erwerben, ſondern ohne einen rechtlihen Act fi) im Beſitz derjelben zu
erhalten: welche Befreiung von Anjprühen dann auch Erwerbung ge
nannt zu werden pflegt. — Die Präfcription des älteren Befikers gehört
alfo zum Naturredht (est iuris naturae).
Il.
Die Beerbung.
(Acquisitio haereditatis.)
$ 34.
Die Beerbung ift die Übertragung (translatio) der Habe und des
Guts eines Sterbenden auf den Überlebenden durd) Zulammenftimmung
des Willens beider. — Die Erwerbung des Erbnehmers (haeredis insti-
tuti) und die Verlafjung des Erblafjers (testatoris), d. i. diefer Wechſel
des Mein und Dein, geſchieht in einem Augenblid (artieulo mortis),
nämlich da der letztere eben aufhört zu jein, und ift alfo eigentlid) Feine
Übertragung (translatio) im empirifhen Sinn, weldye zwei Actus nad) ein-
ander, nämlich wo der eine zuerft feinen Befik verläßt, und darauf der
Undere darin eintritt, vorausfeßt; jondern eine ideale Erwerbung. —
Da die Beerbung ohne Bermädtnif (dispositio ultimae voluntatis) im
Naturzuftande nicht gedacht werden fann, und, ob es ein Erbvertrag
(pactum suecessorium), oder einfeitige Erbeseinjeßung (testamen-
tum) jei, es bei der Trage, ob und wie gerade in demjelben Augenblid,
da das Subject aufhört zu fein, ein Ilbergang des Mein und Dein mög-
294 Metaphpfifche Anfangsgeinde der Rechtslehte. 1. Theil. 2. Hauptſiud.
lich fei, anfommt, jo muß die Frage: wie ift die Erwerbart durch Beerbung
möglich? von den manderlei möglichen Formen ihrer Ausführung (die
nur in einem gemeinen Weſen ftatt finden) unabhängig unterfucht werden.
„Es ift möglidy, durch Erbeseinfeßung zu erwerben." — Denn der
Erblafier Cajus verjpridt und erklärt in — letzten Willen dem
Titins, der nichts von jenem Verſprechen weiß, feine Habe ſolle im Ster-
befall auf diejen übergehen, und bleibt alfo, jo lange er lebt, alleiniger
Eigenthümer derjelben. Nun fann zwar durd) den bloßen einfeitigen Willen
nichts auf den Anderen übergehen: fondern es wird über dem Verfprechen
nod) Annehmung (acceptatio) des anderen Theil dazu erfordert und ein
gleichzeitiger Wille (voluntas simultanea), welcher jedoch hier mangelt;
denn jo lange Cajus lebt, kann Titius nicht ausdrüdlid acceptiren, um
dadurch zu erwerben: weil jener nur auf den Fall des Todes verf
hat (denn fonft wäre das Eigenthum einen Augenblid gemeinfcaftlid,
welches nicht der Wille des Erblafjers ift). — Diefer aber erwirbt doch
ftillihmeigend ein eigenthümliches Net an der Verlafjenfchaft als ein
Sachenrecht, nämlicd ausſchließlich fie zu acceptiren (ius in re iacente),
daher diefe in dem gedachten Zeitpunft haereditas iacens heißt. Da num
jeder Menſch nothwendigerweije (weil er dadurch wohl gewinnen, nie aber
verlieren fann) ein ſolches Recht, mithin auch ftillihweigend acceptirt und
Titins nad) dem Tode des Cajus in diefem Falle ift, jo fann er die Erb-
ſchaft durch Annahme des Verfprechens erwerben, und fie ift nicht etwa
mittlerweile ganz herrenlos (res nullius), jondern nur erledigt (res va-
cua) gewefen: weil er ausjchließlic das Recht der Wahl hatte, ob er die
binterlafjene Habe zu der jeinigen machen wollte, oder nicht.
ne find die Teftamente auch nad) dem bloßen Naturrecht gül-
ig (sunt er naturae); welde Behauptung aber jo zu verftehen
ift, da 8 und würdig jeien im bürgerlihen Zuftande (wenn
I} Keen ein N t) eingeführt und janctionirt zu werden. Denn
2 r (ber
ee * — 0 *
⸗ k 22 5 4
Any deſſen, daß dieſe zwiſchen der Annahme
ig ſchwebt und eigentlich feinem angehört.
=
>
—
=
en
Di
— Wille in demſelben) bewahrt den Beſitz »
1
7
ei
w.
Epiſodiſcher Abjchnitt. Bon der idealen Enwerbung. 295
III.
Der Nachlaß eines guten Namens nad dem Tode,
(Bona fama defuncti.)
$ 35.
Daß der Verftorbene nad) jeinem Tode (wenn er alfo nicht mehr ift)
nod) etwas befigen könne, wäre eine Ungereimtheit zu denken, wenn ber
Nachlaß eine Sache wäre. Nun ift aber der gute Name ein angebornes
äußeres, obzwar bloß ideales Mein oder Dein, was dem Subject als einer
Perſon anhängt, von deren Natur, ob fie mit dem Tode gänzlid) aufhöre
zu fein, oder immer nod) al3 ſolche übrig bleibe, ic) abftrahiren fann und
muß, weil id) im rechtlichen Verhältnig auf andere jede Perfon bloß nad)
ihrer Menjchheit, mithin als homo noumenon wirflid) betrachte, und fo
ift jeder Verſuch, ihn nad) dem Tode in übele faljche Nachrede zu bringen,
immer bedenklich; obgleid, eine gegründete Anklage defjelben gar wohl
ftatt findet (mithin der Grundjaß: de mortuis nihil nisi bene, unrichtig
ift), weil gegen den Abwefenden, welcher fich nicht vertheidigen kann, Bor:
würfe auszuftreuen ohne die größte Gewißheit derjelben wenigitens un—
großmüthig ift.
Daß durch ein tadellojes Leben und einen dafjelbe beſchließenden
Tod der Menſch einen (negativ) guten Namen als das Seine, weldjes
ihm übrig bleibt, erwerbe, wenn er al3 homo phaenomenon nit mehr
eriftirt, und daß die liberlebenden (angehörige, oder fremde) ihn auch
vor Redjt zu vertheidigen befugt find (weil unerwieſene Anklage fie ins—
geſammt wegen ähnlicher Begegnung auf ihren Sterbefall in Gefahr
bringt), daß er, jage ic), ein joldyes Recht erwerben könne, ift eine jonder:
bare, nichtsdeſtoweniger unläugbare Erſcheinung der a priori gejeß-
gebenden Vernunft, die ihr Gebot und Verbot aud) über die Örenze des
Lebens hinaus erjtredt. — Wenn jemand von einem Berftorbenen ein
Verbrechen verbreitet, das diefen im Leben ehrlos, oder nur verächtlich
gemacht haben würde: jo fann ein jeder, weldyer einen Beweis führen
fann, daß diefe Beihuldigung vorſetzlich unwahr und gelogen jei, dem,
welcher jenen in böje Nachrede bringt, für einen Galumnianten öffentlich
erflären, mithin ihn jelbft ehrlos machen; welches er nicht thun dürfte,
wenn er nicht mit Recht vorausjebte, daß der Berftorbene dadurch beleidigt
ss wäre, ob er glei) todt ift, und daß diefem durch jene Apologie Genug—
296 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd.
thuung widerfahre, ob er gleich nicht mehr eriftirt.*) Die Befugniß, die
Rolle des Apologeten für den Verftorbenen zu jpielen, darf diejer auch
nicht beweifen; denn jeder Menſch maßt fie fid) unvermeidlich an, als nicht
bloß zur Tugendpflicht (ethiſch betrachtet), fondern fogar zum Recht der
Menſchheit überhaupt gehörig: und es bedarf hiezu feiner befonderen per-
jönlidyen Nadıtheile, die etwa Freunden und Anverwandten aus einem
ſolchen Schandfled am Verftorbenen erwachſen dürften, um jenen zu einer
ſolchen Rüge zu berechtigen. — Daß alfo eine ſolche ideale Erwerbung
und ein Recht des Menſchen nach feinem Tode gegen die Überlebenden
gegründet fei, ift nicht zu ftreiten, obſchon die Möglichkeit defjelben feiner
Deduction fähig ift.
Drittes Hauptſtück.
Bon der jubjectiv-bedingten Erwerbung durch den Ausſpruch
einer öffentlichen Gerichtsbarkeit.
$ 36,
Wenn unter Naturrecht nur das nicht-ftatutarifche, mithin lediglich
das a priori durd) jedes Menſchen Vernunft erfennbare Recht verjtanden
* Daß man aber hiebei ja nicht auf Vorempfindung eines Fünftigen Lebens
und unfichtbare Berhältniffe zu abgeichiebenen Seelen ſchwärmeriſch fchließe, denn
es iſt bier von nichts weiter, ald dem rein moralifchen und rechtlichen Verbältniß,
was unter Menjchen auch im Leben ftatt hat, die Rebe, worin fie als intelligibele
Weſen ftehen, indem man alles Phnfifche (zu ihrer Exiſtenz in Raum ımb Seit
Gehörende) logiſch davon abjondert, b.i. bavon abftrabirt, nit aber bie
Menſchen dieſe ihre Natur ausziehen und fie Geifter werden läht, in welchem Zu.
ſtande jie bie Beleidigung durch ihre Berleumbder fühlten. — Der, welcher nad)
hundert Jahren mir etwas Böfes fälſchlich nachfagt, beleidigt mich Schon jebt; denn
im reinen Nechtöverhältniffe, welches ganz intellectuell ift, wirb von allen phyſi⸗
ſchen Bedingungen (ber Beit) abftrabirt, und ber Ehrenräuber (Galunnniant) ift eben
ſowohl ftrafbar, als ob er es im meiner Pebzeit gethan hätte; nur durch Tein Gri-
minalgericht, fonbern nur dadurch, daß ihm mach dem Recht ber Wiebervergeltung
burch die öffentlidye Meinung derſelbe Berluft ber Ehre zugefügt wird, die er an
einem Anderen fchmälerte. — Selbſt bad Plagtat, welches ein Schriftjteller an
Derftorbenen verübt, ob es zwar bie Ehre des PVerftorbenen nicht befledt, ſondern
biefem nur einen Theil berfelben entwendet, wird doch mit Recht als Läſion deffelben
(Menichenraub) geahndet.
u
[3
Bon ber jubjectiv-bedingten Erwerbung. 297
wird, jo wird nicht bloß die zwiichen Perjonen in ihrem wechjeljeitigen
Berfehr unter einander geltende Gerechtigkeit (iustitia commutativa),
fondern auch die austheilende (iustitia distributiva), fo wie fie nad) ihrem
Gejebe a priori erfannt werden fann, daß fie ihren Sprud) (sententia)
fällen müfje, gleichfalls zum Naturredyt gehören.
Die moralijche Perfon, weldye der Gerechtigkeit vorjteht, ijt der Ge-
rihtshof (forum) und im Zuſtande ihrer Amtsführung das Gericht
(iudicium): alles nur nad) Nedtsbedingungen a priori gedacht, ohne, wie
eine ſolche Verfaſſung wirflicd einzurichten und zu organifiren jei (wozu
Statute, aljo empirische Principien, gehören), in Betradhtung zu ziehen.
Die Frage ift alfo hier nicht bloß: was ift an ſich recht, wie näme
lid) hierüber ein jeder Menſch für fi) zu urtheilen habe, fondern: was ift
vor einem Gerichtshofe recht, d. i. was ijt Rechtens? Und da giebt es vier
Fälle, wo beiderlei Urtheile verſchieden und entgegengejeßt ausfallen und
dennoch neben einander bejtehen können: weil fie aus zwei verjchiedenen,
beiderjeit3 wahren Geſichtspunkten gefällt werden, die eine nad) dem
Privatrecht, die andere nad) der Idee des öffentlichen Rechts; — fie find:
1) der Shenfungsvertrag (pactum donationis). 2) Der Leihever—
trag (commodatum). 3) Die Wiedererlangung (vindicatio). 4) Die
+0 Vereidigung (iuramentum).
Es iſt ein gewöhnlicher Fehler der Erſchleichung (vitium
subreptionis) der Necdhtslehrer, dasjenige rechtliche Princip, was ein
Gerichtshof zu feinem eigenen Behuf (aljo in fubjectiver Abficht) an—
zunehmen befugt, ja fogar verbunden ift, um über jedes Einem zu—
ſtehende Recht zu jprechen und zu richten, auch objectiv für das, was
an ſich felbjt recht ift, zu halten: da das erjtere doc) von dem leßteren
ſehr unterfchieden ift. — Es ift daher von nicht geringer Wichtig.
feit, dieſe ſpecifiſche Verfcyiedenheit fennbar und darauf aufmerkjam
zu machen.
A.
$ 37.
Don dem Schenfungsvertrag.
Diefer Vertrag (donatio), wodurd) ic) das Mein, meine Sache (oder
mein Net), unvergolten (gratis) veräußere, enthält ein Verhältniß
von mir, dem Schenfenden (donans), zu einem Anderen, dem Bejchenften
298 Metapbyfiiche Anfangsgründbe ber Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd.
(donatarius), nad) dem Privatrecht, wodurd das Meine auf diefen durch
Annehmung des letteren (donum) übergeht. — Es ift aber nicht zu prä-
jumiren, daß id) hiebet gemeint fei, zu der Haltung meines Verfprechens
gezwungen zu werden und alfo auch meine Freiheit umſonſt wegzugeben
und gleihjam mich jelbft wegzumwerfen (nemo suum iactare praesumitur),
welches doch nad dem Recht im bürgerliden Zuſtande gejchehen würde;
denn da fann der zu Bejchenfende mi zu Leiftung des Verſprechens
zwingen. Es müßte alſo, wenn die Sache vor Gericht fäme, d. i. nad
einem öffentlihen Recht, entweder präjumirt werden, der Verſchenkende
willigte zu dieſem Zwange ein, weldyes ungereimt ift, oder der Gerichts⸗
hof fehe in feinem Sprud) (Sentenz) gar nicht darauf, ob jener die Trei-
heit, von feinem Verſprechen abzugeben, bat vorbehalten wollen, oder
nicht, fondern auf das, was gewiß ift, naͤmlich das Verſprechen und Die
Acceptation des Promifjars. Wenn alfo gleich der Promittent, wie wohl
vermuthet werden Fann, gedadjt hat, daß, wenn e8 ihn noch vor der Er-
füllung gereuet, das Verſprechen gethan zu haben, man ihn daran nicht
binden fönne: jo nimmt doch das Gericht an, daß er fidh dieſes ausdrüd-
lid) hätte vorbehalten müflen und, wenn er es nicht gethan hat, zu Er⸗
füllung des DVerfprechens könne gezwungen werden, und diejes PBrincip
nimmt der Gerihtshof darum an, weil ihm fonft das Rechtſprechen un-
endlich erjchwert, oder gar unmöglid) gemacht werden würde.
B.
$ 38,
Bom Keihvertrag.
In diefem Vertrage (commodatum), wodurd ich jemanden den un⸗
vergoltenen Gebrauch des Meinigen erlaube, wo, wenn diejes eine Sache
ift, die Baciscenten darin übereinfommen, daß diefer mir eben diefelbe
Sache wiederum in meine Gewalt bringe, fann der Empfänger des Gelie-
henen (commodatarius) nicht zugleich präfumiren, der Eigenthümer deſſel⸗
ben (commodans) nehme aud) alle Gefahr (casus) des möglichen Verluftes
der Sache, oder ihrer ihm nuͤtzlichen Beichaffenheit über fih, der daraus,
daß er fie in den Befiß des Einpfängers gegeben bat, entipringen Fönnte.
Denn es verjteht ſich nicht von felbit, daß der Eigenthümer außer dem
Gebrauch feiner Sache, den er dem Lehnsempfänger bewilligt, (dem von
demſelben ungertrennlichen Abbruche derjelben) aud) die Sicherftellung
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or
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1
Bon ber fubjectiv-bedingten Eriwerbung. — 299
wider allen Schaden, der ihm daraus entjpringen kann, daß er fie aus
feiner eigenen Gewahrjame gab, erlafjen habe; fondern darüber müßte
ein bejonderer Vertrag gemacht werden. Es kann alſo nur die Frage fein:
wen von beiden, dem Lehnsgeber oder Lehnsempfänger, e3 obliegt, die
Bedingung der Übernehmung der Gefahr, die der Sache zuftoßen fann,
dem Leihevertrag ausdrüdlicd, beizufügen, oder, wenn das nicht gejchieht,
bon wen man die Einwilligung zur Sidyerjtellung des Eigenthums
des Lehnsgebers (durch die Zurücgabe derfelben oder ein Aquivalent)
präjumiren könne. Von dem Darleiher nicht: weil man nicht präfu:
miren fann, er habe mehr umjonft eingewilligt, als den bloßen Gebraud)
der Sache (nämlich nicht auch noch obenein die Sicherheit des Eigenthums
jelber zu übernehmen), aber wohl von dem Lehnsnehmer: weil er da nichts
mebr leiftet, als gerade im Vertrage enthalten ift.
Wenn ich, 3. B. bei einfallendem Regen, in ein Haus eintrete und
erbitte mir einen Mantel zu leihen, der aber, etwa durch unvorfidhtige
Ausgiekung abfärbender Materien aus dem Fenſter, auf immer verdorben,
oder wenn er, indem ich ihn in einem anderen Haufe, wo id) eintrete, ab—
lege, mir geftohlen wird, jo muß dod) die Behauptung jedem Menſchen
als ungereimt auffallen, ich hätte nichts weiter zu thun, als jenen, jo wie
er ift, zurückzuſchicken, oder den geſchehenen Diebjtahl nur zu melden;
allenfalls jei es noch eine Höflidjkeit den Eigenthümer dieſes Verluſtes
wegen zu beflagen, da er aus feinem Recht nichts fordern fünne. — Ganz
anders lautet es, wenn ich bei der Erbittung dieſes Gebrauchs zugleich
auf den Fall, dab die Sache unter meinen Händen verunglüdte, mir zum
voraus erbäte, auch diefe Gefahr zu übernehmen, weil id) arm und den
Verluſt zu erfeben unvermögend wäre. Niemand wird das letere über-
flüfftg und lächerlich finden, außer etwa, wenn der Anleihende ein be
kanntlich vermögender und wohldenkender Mann märe, weil es alsdann
beinahe Beleidigung fein würde, die großmüthige Erlafjung meiner
Schuld in diefem alle nicht zu präfumiren.
* *
*
Da nun über das Mein und Dein aus dem Leihvertrage, wenn (wie
es die Natur dieſes Vertrages jo mit ſich bringt) über die mögliche Verun—
glüdung (casus), die die Sache treffen möchte, nichts verabredet worden,
er aljo, weil die Einwilligung nur präfumirt worden, ein ungewiffer Ber-
300 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechtölehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd.
trag (pactum incertum) ift, das Urtheil darüber, d. i. die Entjcheidung,
wen das UInglüd treffen müfje, nicht aus den Bedingungen des Vertrages
an ſich felbit, jondern wie fie allein vor einem Gerichtshofe, der
immer nur auf das Gewiſſe in jenem fieht (welches hier der Beſitz der
Sadje als Eigenthum ift), entichieden werden Tann, fo wird das Urtbeil
im Naturzuftande, d. i. nach der Sache innerer Beichaffenheit, jo lau⸗
ten: der Schade aus der Verunglüdung einer geliehenen Sade fällt auf
den Beliehenen (casum sentit commodatarius); dagegen im bürger-
lichen, alſo vor einem Gerichtshofe, wird die Sentenz jo ausfallen: der
Schade fällt auf den Anleiher (casum sentit dominus), und zwar aus
dem runde verſchieden von dem Ausſpruche der bloßen gefunden Ver—⸗
nunft, weil ein öffentlicher Richter ſich nicht auf Präfumtionen von dem,
was der eine oder andere Theil gedacht haben mag, einlaflen kann, jon-
dern der, welcher fid) nicht die Yreiheit von allem Schaden an der ge-
liehenen Sache durch einen befonderen angehängten Vertrag ausbedungen
bat, diejen felbft tragen muß. — Alſo iſt der Unterſchied zwiſchen dem
Urtbeile, wie es ein Gericht fällen müßte, und dem, was die Privatvernunft
eines jeden für ſich zu fällen berechtigt ift, ein durchaus nicht zu über-
jehender Bunft in Berichtigung der Rechtsurtheile.
C.
Bon der Wiedererlangung (Rüdbemädhtigung) des Verlornen
(vindicatio).
$ 39.
Daß eine fortdauernde Sache, die mein ift, mein bleibe, ob id) gleid)
nicht in der fortdauernden Inhabung derfelben bin, und von felbft ohne
einen rechtlichen Act (derelictionis vel alienationis) mein zu fein nicht
aufhöre, und daß mir ein Recht in diefer Sache (ius reale), mithin gegen
jeden Inhaber, nicht bloß gegen eine beftimmte Perjon (ius personale)
zuſteht, ift aus dem obigen Har. Ob aber diejes Recht aud von jedem
Anderen als ein für ſich fortdauerndes Eigenthum müſſe angeſehen wer-
den, wenn id) demjelben nur nicht entſagt habe, und die Sade in dem
Beſitz eines Anderen ift, das ift num die Trage.
Sit die Sahe mir abhanden gefommen (res amissa) und jo von
einem Anderen auf ehrliche Art (bona fide), als ein vermeinter Fund,
fer
⸗
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20
*8
5
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Bon der fubjectiv-bedingten Ermwerbung. ' 301
oder durch förmliche Veräußerung des Befiers, der jid als Eigenthümer
führt, an mic) gefommen, obgleid) diefer nicht Eigenthümer ift, jo frägt
fi, ob, da ic) von einem Nichteigenthümer (a non domino) eine Sache
nicht erwerben kann, ich durch jenen von allem Recht in diefer Sache aus—
geſchloſſen werde und bloß ein perfönliches gegen den unredhtmäßigen Be—
fier übrig behalte. — Das legtere ijt offenbar der Fall, wenn die Er-
werbung bloß nad) ihren inneren beredhtigenden Gründen (im Naturzu-
jtande), nicht nad) der Convenienz eines Gerichtshofes beurtheilt wird.
Denn alles Beräußerlihe muß von irgend jemand Fönnen erworben
werden. Die Rechtmäßigkeit der Erwerbung aber beruht gänzlid) auf der
Form, nad) weldyer das, was im Befiß eines Anderen iſt, auf mid) über:
fragen und von mir angenommen wird, d.i. auf der Förmlichkeit des recht:
lien Acts des Verfehrs (commutatio) zwiſchen dem Bejiger der Sache
und dem Erwerbenden, ohne daß id, fragen darf, wie jener dazu ge-
fommen fei: weil diefes ſchon Beleidigung fein würde (quilibet praesu-
mitur bonus, donec ete.). Geſetzt num, es ergäbe fid) in der Folge, daß
jener nit Eigenthümer jei, jondern ein Anderer, jo kann id} nicht jagen,
daß diefer jid geradezu an mich halten könnte (jo wie auch an jeden
Anderen, der Inhaber der Sache fein möchte). Denn ich habe ihm nichts
entwandt, jondern z. B. das Pferd, was auf öffentlichem Marfte feil geboten
wurde, dem Geſetze gemäß (titulo emti venditi) erftanden: weil der Titel
der Erwerbung meinerjeits unbejftritten ift, ich aber (als Käufer) den Titel
des Bejibes des Anderen (des Verkäufers) nachzuſuchen — da dieje Nach—
forfhung in der auffteigenden Neihe ins Unendlihe gehen würde —
nicht verbunden, ja jogar nicht einmal befugt bin. Aljo bin id) durd) den
gehörigebetitelten Kauf nicht der bloß putative, fondern der wahre
Eigenthümer des Pferdes geworden.
Hierwider erheben jid aber folgende Rechtsgründe: Alle Erwerbung
von einen, der nicht Eigenthimer der Sadıe ijt (a non domino), iſt null
und nichtig. Ich kann von dem Seinen eines Anderen nicht mehr auf
mic ableiten, als er ſelbſt rechtmäßig gehabt hat, und ob id; gleich, was
die Form der Erwerbung (modus acquirendi) betrifft, ganz rechtlich
verfahre, wenn ich ein geftohlen Pferd, was auf dem Marfte feil fteht,
erhandle, jo fehlt dody der Zitel der Erwerbung; denn das Pferd war
nit das Seine des eigentlichen Verkäufers. Ich mag immer ein ehr-
licher Befiber defjelben (possessor bonae fidei) fein, jo bin ich doch nur
ein fi dünfender Eigenthümer (dominus putativus), und der wahre
302 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftäd.
Eigenthümer hat ein NRedt der Wiedererlangung (rem suam vin-
dicandi).
Wenn gefragt wird, was (im Naturzuftande) unter Menfchen nad)
Principien der Gerechtigkeit im Verkehr derjelben untereinander (iustitia
commutativa) in Erwerbung äußerer Saden an fi) Rechtens fei, jo
muß man eingeftehen: daß, wer diejes zur Abſicht bat, durchaus nöthig
habe, noch nachzuforſchen, ob die Sache, die er erwerben will, nicht ſchon
einem Anderen angehöre; nämlid, wenn er gleich die formalen Bes
dingungen der Ableitung der Sache von dem Seinen des Anderen genau
beobadjtet (das Pferd auf dem Markte ordentlich erhandelt) hat, er
dennoch hoöchſtens nur ein perſönliches Redt in Anjehung einer Sache
(ius ad rem) habe erwerben können, fo lange es ihm noch unbelannt ift,
ob nicht ein Anderer (als der Verkäufer) der wahre Eigenthümer derjelben
fei; jo daß, wenn ſich einer vorfindet, der fein vorhergehendes Eigenthum
daran documentiren Fönnte, dem vermeinten neuen Eigenthümer nichts
übrig bliebe, als den Nuten, jo er als ehrlicher Befiker bisher daraus
gezogen bat, bis auf diejen Augenblid rechtmäßig genoflen zu haben. —
Da nun in der Reihe der von einander ihr Recht ableitenden ſich Dünfen-
den Eigenthüner den ſchlechthin erjten (Stammeigenthümer) auszufinden
mehrentheils unmöglich ift: fo fann fein Verkehr mit äußeren Sachen, fo
gut er auch mit den formalen Bedingungen diefer Art von Gerechtigkeit
(iustitia commutativa) übereinftimmen möchte, einen ſicheren Erwerb ge:
währen.
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%
Hier tritt nun wiederum die rechtlich-gefeßgebende Vernunft mit dem
Grundſatz der diftributiven Gerechtigkeit ein, die Rechtmäßigkeit des
Befites, nicht wie fie an fich in Beziehung auf den Privatwillen eines
jeden (im natürlichen Zuftande), fondern nur wie fie vor einem Gerichts⸗
hofe in einem durd den allgemeinvereinigten Willen entftandenen Zus
ftande (in einem bürgerlichen) abgeurtheilt werden würde, zur Richtſchnur
anzunehmen: wo alsdann die Übereinſtimmung mit den formalen Bedin⸗
gungen der Erwerbung, die an ſich nur ein perfönliches Recht begründen,
zu Erfegung der materialen Gründe (welche die Ableitung von dem Seinen
eines vorhergehenden prätendirenden Eigenthümers begründen) als hin-
reihend poftulirt wird, und ein an ſich perfönliches Redt, vor einen
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Gerichtshof gezogen, als ein Sachenrecht gilt, z. B. daß das Pferd, »
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33
Bon ber fubjectiv-bedingten Ermwerbung. 303
was auf öffentlichem, durchs Polizeigejeb geordnetem Markt jedermann
feil fteht, wenn alle Regeln des Kaufs und Verkaufs genau beobachtet
worden, mein Eigenthum werde (jo doch, daß dem wahren Eigenthümer
das Recht bleibt, den Verkäufer wegen feines ältern, unverwirkten Be—
figes in Anſpruch zu nehmen), und mein ſonſt perjönliches Recht in ein
Sachenrecht, nad) welchem ich das Meine, wo ich es finde, nehmen (vin—
diciren) darf, verwandelt wird, ohne mid) auf die Art, wie der Verkäufer
dazu gefommen, einzulafjen.
Es geſchieht aljo nur zum Behuf des Rechtsſpruchs vor einem Ge-
richtshofe (in favorem iustitiae distributivae), daß das Recht in Anfehung
einer Sache nicht, wie ed an ſich ift (als ein perjönliches), jondern wie
es am leichteſten und ſicherſten abgeurtheilt werden kann (als
Sachenrecht), dod) nad) einem reinen PBrincip a priori angenommen und
behandelt werde. — Auf diejem gründen ſich nun nachher verjchiedene
ſtatutariſche Geſetze (Verordnungen), die vorzüglich zur Abficht haben,
die Bedingungen, unter denen allein eine Erwerbungsart redhtsfräftig
fein fol, jo zu ftellen, daß der Richter das Seine einem jeden am
leichteſten und unbedenklichiten zuerfennen könne: 3. B. in dem
Sak: Kauf bricht Miethe, wo, was der Natur des Vertrags nad), d. i. an
fi, ein Sachenrecht ift, (die Miethe) für ein bloß perjönliches und um—
gekehrt, wie in dem obigen Fall, was an fid) bloß ein perjönlidhes Recht
ift, für ein Sachenrecht gilt; wenn die Frage ift, auf weldye Principien
ein Gerichtshof im bürgerliden Zuftande anzuweiſen jei, um in feinen
Ausiprühen wegen des einem jeden zuftehenden Rechts am ficherften
zu gehen.
D.
Bon Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung.
(Cautio iuratoria.)
$ 40.
Man kann feinen anderen Grund angeben, der rechtlich) Menfchen
verbinden könnte, zu glauben und zu befennen, daß es Götter gebe, als
den, damit fie einen Eid jchwören und durd die Furcht vor einer all»
jehenden oberjten Macht, deren Rache fie feierlih gegen fi aufrufen
mußten, im Fal daß ihre Ausjage faljch wäre, genöthigt werden Fönnten,
wahrhaft im Ausfagen und treu im Verſprechen zu fein. Daß man hie
4 Metasimäihe Untangsgrände der Hebtzlehre 1. Zieil 3. Gauptitäd.
Th ——— foudern bloß auf einen
Aberglauben | |
Sörchenpt serhanten merhen, zu Hier! ——
ſtande, wenn man annimmt, daß es kein anderes Mittel giebt, in ge—
wifjen Fällen hinter die Wahrheit zu fommen, als den Eid, muß von der »
Religion vorausgejeßt werden, daß fie jeder habe, um fie als ein Noth-
mittel (in casu necessitatis) zum Behuf des rechtlichen Verfahrens vor
einem Gerihtshofe zu —— welcher dieſen Geiftesjwang (tortura
J
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9
darum für berehtigt Hält, e8 zu gebranden. — Die gefehgebende Ge-
walt handelt aber im Grunde unrecht, dieje Befugniß der rihterliden
zu ertbeilen: weil jelbft im bürgerlichen Zuftande ein Zwang zu Eides-
leiftungen der unverlierbaren menſchlichen Freiheit zumider ift.
Wenn die Amtseide, welde gewöhnlich promiſſoriſch find,
dab man nämlich den ernftlihen Vorſatz babe, fein Amt pflicht-
mäßig zu verwalten, in afjjertorijche verwandelt würden, daß
nämlich, der Beamte etwa zu Ende eines Jahres (oder mehrerer) ver-
bunden wäre, die Treue feiner Amtsführung während defjelben zu
beihmwören: jo würde diejes Theils das Gewifjen mehr in Bewegung
bringen, als der Berfpredhungseid, weldyer hinterher noch immer den
inneren Borwand übrig läßt, man habe bei dem beiten Vorſatz die
Beihwerden nicht voraus gejehen, die man nur nachher während
der Amtsverwaltung erfahren babe, und die Pflichtübertretungen
würden auch, wenn ihre Summirung durch Aufmerker bevorjtände,
mehr Bejorgniß der Anklage wegen erregen, als wenn fie bloß eine
nad) der anderen (über welche die vorigen vergefien find) gerügt
würden. — Was aber das Beihwören des Glaubens (de ereduli-
tate) betrifft, jo fann diejes gar nicht von einem Gericht verlangt
werden. Denn erſtlich enthält es in ſich jelbjt einen Widerſpruch
diefes Mittelding zwiſchen Meinen und Wiſſen, weil es jo etwas ift,
worauf man wohl zu wetten, feinesweges aber darauf zu ſchwören
ſich getrauen fann. Zweitens begeht der Richter, der ſolchen Glaubens-
eid dem Parten anfinnte, um etwas zu jeiner Abficht Gehöriges,
geiekt es fei auch das gemeine Befte, een einen großen
Verſtoß an der Gemwifjenhaftigfeit des Eidleiftenden, theils durch
den Leichtſinn, zu dem er verleitet und wodurch der Richter feine
eigene Abjicht vereitelt, theils durch Gewiſſensbiſſe, die ein Menſch
fühlen muß, der heute eine Sache, aus einem gewifjen Gefihtspunft
betrachtet, jehr wahrſcheinlich, morgen aber, aus einem anderen, ganz
unwahrjheinlid finden fann, und lädirt aljo denjenigen, den er zu
einer ſolchen Eidesleiftung nöthigt.
Übergang von dem Mein und Dein im Naturzuftande zu
dem im rechtlichen Zuftande überhaupt.
$.41.
Der rechtliche Zuftand ift dasjenige Verhältniß der Menſchen unter
» einander, weldyes die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder jeines
20
Kant’! Sdrifter Bere. VI.
“ii
e
Bon ber jubjectiv-bedingten Ermwerbung. 307
perans) und dem Unterthan (subditus) iſt feine Mitgenofjenihaft; fie
find nicht Geſellen, jondern einander untergeordnet, nicht bei—
geordnet, und die fi) einander beiordnen, müſſen ſich eben deshalb
untereinander als gleidy anjehen, jo fern fie unter gemeinſamen Gejeßen
ftehen. Jener Verein ift alfo nicht ſowohl als macht vielmehr eine
Geſellſchaft.
$ 42.
Aus dem Privatrecht im natürlichen Zuftande geht nun das Poſtulat
des öffentlichen Nechts hervor: du ſollſt im Verhältnijje eines unvermeid-
lien Nebeneinanderjeing mit allen anderen aus jenem heraus in einen
rechtlichen Zuftand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen.
— Der Grund davon läßt ſich analytiidh aus dem Begriffe des Rechts
im äußeren Berhältniß im Gegenjaß der Gewalt (violentia) entwideln.
Niemand ift verbunden, fid) des Eingriffs in den Befiß des An—
s beren zu enthalten, wenn diejer ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit
giebt, er werde eben diejelbe Enthaltjamfeit gegen ihn beobadten. Er
darf aljo nit abwarten, bis er etwa durd) eine traurige Erfahrung von
der entgegengejeßten Gefinnung des leßteren belehrt wird; denn was
follte ihn verbinden, allererft durd; Schaden Flug zu werden, da er die
Neigung der Menſchen überhaupt über andere den Meifter zu jpielen
(die Iberlegenheit des Rechts anderer nicht zu achten, wenn jie fich der
Macht oder Lift nad) diejen überlegen fühlen) in ſich jelbft hinreichend
wahrnehmen kann, und es ijt nicht nöthig, die wirkliche Feindjeligfeit ab»
zumarten; er ijt zu einem Zwange gegen den befugt, der ihm jchon feiner
Natur nad) damit droht. (Quilibet praesumitur malus, donee securitatem
dederit oppositi.)
Bei dem Borjage, in diejem Zuftande äußerlich gejeßlojer Freiheit
zu fein und zu bleiben, thun fie einander auch gar nicht unrecht, wenn
fie fid) untereinander befehden; denn was dem Einen gilt, das gilt aud)
wechjeljeitig dem Anderen, gleich als durch eine Übereinkunft (uti partes
de iure suo disponunt, ita ius est): aber überhaupt thun fie im höchſten
Grade daran unredht*) in einem Zuftande jein und bleiben zu wollen,
* Diejer Unterſchied zwijchen dem, was bloß formaliter, und dem, was aud)
materialiter unrecht ift, hat in ber Nechtslehre mannigfaltigen Gebrauch. Der Feind,
ber, ftatt jeine Gapitulation mit der Befagung einer belagerten Feftung ehrlich zu
vollziehen, fie bei diejer ihrem Auszuge mißhandelt, oder ſonſt dieſen Vertrag bricht,
20*
308 Metaphyſiſche Anfangsgründe der NRechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd.
der fein rechtlicher ift, d. i. in dem Niemand des Seinen wider Gewalt:
thätigfeit ſicher ift.
kann nicht fiber Ilnrecht lagen, wenn fein Gegner bei Gelegenheit ihm benfelben
Streich jpielt. Aber fie thun überhaupt im höchiten Grabe unrecht, weil fie ben Be-
oriff des Rechts felber alle Sültigfeit nehmen und alles der wilden Gewalt gleidh- 5
jam geſetzmäßig überliefern und jo das Recht ber Menfchen überhaupt umijtürzen.
Der
Rechtslehre
Zweiter Theil,
Das Öffentliche Recht.
Erſter Abſchnitt.
Das Staatsrecht.
—
=
1
2
Lin}
2
wa
=
Des
öffentlihen Nedts
Erjter Abjchnitt.
Das Staatsrecht.
g 43.
Der Inbegriff der Gefebe, die einer allgemeinen Bekanntmachung
bedürfen, um einen rechtlichen Zuftand hervorzubringen, ift das öffent:
lie Recht. — Diefes ift alfo ein Syſtem von Geſetzen für ein Volk, d. i.
eine Menge von Menſchen, oder für eine Menge von Völfern, die, im wech—
jeljeitigen Einfluffe gegen einander ftehend, des rechtlichen Zuſtandes
unter einem fie vereinigenden Willen, einer Verfaſſung (constitatio),
bedürfen, um defjen, was Rechtens ift, theilhaftig zu werden. — Diejer
Zuftand der Einzelnen im Volke in Verhältniß untereinander heißt der
bürgerlidje (status civilis) und das Ganze derjelben in Beziehung auf
feine eigene Glieder der Staat (civitas), welcher feiner Form wegen, als
verbunden durch das gemeinfame Intereſſe Aller, im rechtlichen Zuftande
zu fein, das gemeine Weſen (res publica latius sic dieta) genannt
wird, in Berhältniß aber auf andere Völker eine Macht (potentia)
ſchlechthin heißt (daher das Wort Potentaten), was ſich aud) wegen
(anmaßlich) angeerbter Vereinigung ein Stammvolf (gens) nennt und jo
unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts nicht bloß das
Staat, jondern aud) ein Völkerrecht (ius gentium) zu denfen Anlaß
giebt: welches dann, weil der Erdboden eine nicht grängenlofe, ſondern ſich
ſelbſt jchließende Fläche ift, beides zufammen zu der Idee eines Völker:
ſtaatsrechts (ius gentium) oder ws Weltbürgerrechts (ius cosmo-
politicum) unumgänglid) hinleitet: fo daß, wenn unter diejen drei mög-
lihen Formen des rechtlichen Zuſtandes es nur einer an dem die äußere
Freiheit durch Geſetze einjchränfenden Princip fehlt, das Gebäude aller
übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einftürzen muß.
4? Bennfuiige Irromphpinde der ſtechtslezre ı el I Bindeilt
5 41
Ermuſt uitaſeit der NRenidten heiefirt merter umr drer Bisuntipfeir, T..
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Anar erden. mar ange mul, fie cnage e üundi: & geise: ür ner ernumeininer
eins tüher feoreariher, Iarkumes.. do, heuer zur Merfift prürp-
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Ertz, mo: An: éfñßÆßet niliem nem: & mär alex erfptstegrifien
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Der Urperefitig?rt me Wir einander wor nad der hier Mope
einer Semol u bepeguer: ober e= mor Dad: sit Sutont ner Erdt=
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wsersum', mar. Tıl) Sein mine Hide Tont woinstrche per. An
peu zu den, art wellbem num in einer: veiistiiher. ze Srerer. eit jeher
Aus Sinibesen sit Gent ontreiber. Dee®: mei. obolrud nad ıehe& ieinen
fen eine Aubere: vurä Remactigung oder Verrog er:
am wesen Baum, Die Ermerbung Doc nur rrersicr:id io. in
gr u ie de Sunctior eine nfientlimer Geienes für dh bo,
ul fir Bund Beine Hfgenttiiche "nikribimme‘ Steredisipten beitmm: und
q; Kiez Sieb Melt anßübene Semal: peiiher: ir.
ee man zur Bunrerumg ir Der. birmerliher. Auftont gar
elBsmenlbung, zucch id einmal urmmiioriid für vechtiih ertennen.
I fear RE unmüglich ein. Dem Der Form nod enthalten
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Das Staatsredht. . 313
die Gejeße über das Mein und Dein im Naturzuftande ebendaffelbe,
was die im bürgerlichen vorjchreiben, fo fern diejer bloß nad) reinen
Dernunftbegriffen gedaht wird: nur daß im leßteren die Bedingun—
gen angegeben werden, unter denen jene zur Ausübung (der diſtri—
butiven Gerechtigfeit gemäß) gelangen. — Es würde aljo, wenn es
im Naturzuftande aud) nicht proviſoriſch ein Äußeres Mein und
Dein gäbe, auch feine Rechtspflichten in Anjehung defjelben, mithin
auch fein Gebot geben, aus jenem Zuftande herauszugeben.
$45.
Ein Staat (eivitas) ift die Vereinigung einer Menge von Menſchen
unter Nechtsgefeßen. Sofern dieje als Geſetze a priori nothwendig, d. i.
aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von jelbft folgend, (nicht
ftatutarifch) find, ijt jeine Form die Form eines Staats überhaupt, d. i.
der Staat in der dee, wie er nad) reinen Rechtsprincipien jein joll,
welche jeder wirklichen Wereinigung zu einem gemeinen Weſen (alfo im
Inneren) zur Richtſchnur (norma) dient.
Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in fid, d. i. den allgemein
vereinigten Willen in dreifaher Perſon (trias politica): die Herrſcher—
gemalt (Souveränität) im der des Gejeßgebers, die vollziehende Ge—
» walt in der des Negierers (zu Folge dem Gejeß) und die rechtſpre—
hende Gewalt (als Zuerfennung des Seinen eines jeden nad) dem
Geſetz) in der Perſon des Richters (potestas legislatoria, rectoria et iudi-
ciaria) gleich den drei Sätzen in einem praktiſchen Vernunftihluß: dem
Oberſatz, der das Geſetz jenes Willens, dem Unterfaß, der das Gebot
des Verfahrens nad) dem Geſetz, d. i. das Princip der Subfumtion unter
denjelben, und dem Schlußjab, der den Rechtsſpruch (die Sentenz) ent-
hält, was im vorfommenden Kalle Rechten ijt.
8 46.
Die gejebgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Vol-
tes zufommen. Denn da von ihr alles Recht ausgehen fol, fo muß fie
durch ihr Geſetz jchlechterdings niemand unrecht thun können. Nun ift
es, wenn jemand etwas gegen einen Anderen verfügt, immer möglich,
daß er ihm dadurch unrecht thue, nie aber in dem, was er über fid) jelbit
beſchließt (denn volenti non fit iniuria). Alſo kann nur der übereinftim-
314 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2, Theil. 1. Abſchnill.
mende und vereinigte Wille Aller, jo fern ein jeder über und Alle
über einen jeden ebendaffelbe beſchließen, mithin nur der allgemein ver-
einigte Voltswille geſetzgebend fein.
Die zur Gefeßgebung vereinigten Glieder einer ſolchen Geſellſchaft
(societas eivilis), d. i. eines Staats, heigen Staatsbürger (cives), und
die rechtlichen, von ihrem Wejen (als ſolchem) unabtrennliden Attribute
berjelben find gefeliche Freiheit, feinem anderen Gejeß zu gehorden,
als zu welchem er jeine Beiftimmung gegeben hat; bürgerliche Gleich—
beit, feinen Oberen im Volk in Anfehung feiner zu erfennen, als nur
einen foldhen, den er eben fo rechtlich zu verbinden das moraliſche Ver—
mögen bat, als diejer ihn verbinden fann; drittens das Attribut der
bürgerlihen Selbftftändigfeit, feine Eriftenz und Erhaltung nicht der
Willlür eines Anderen im Wolfe, fondern feinen eigenen Redten
und Kräften als Glied des gemeinen Wejens verdanken zu können, folg—
lid die bürgerliche Perjönlichkeit, in Rechtsangelegenheiten durch feinen
Anderen vorgeftellt werden zu dürfen.
Nur die Fähigkeit der Stimmgebung madt die Dualification
zum Staatsbürger aus; jene aber ſetzt die Selbitftändigfeit defjen im
Volk voraus, der nicht bloß Theil des gemeinen MWefens, fondern
auch Glied defjelben, d. i. aus eigener Willfür in Gemeinfhaft mit
anderen handelnder Theil defjelben, jein will. Die legtere Qualität
macht aber die Unterſcheidung des activen vom pafjiven Staats:
bürger nothwendig, obgleich der Begriff des letzteren mit der Erklä—
rung des Begriffs von einem Staatsbürger überhaupt im Wider:
ſpruch zu jtehen ſcheint. — Folgende Beijpiele fönnen dazu dienen,
diefe Schwierigkeit zu heben: Der Gejelle bei einem Kaufmann oder
bei einem Handwerker; der Dienjtbote (nicht der im Dienfte des
Staats fteht); der Unmündige (naturaliter vel civiliter); alles
Frauenzimmer und überhaupt jedermann, der nicht nad) eigenem
Betrieb, jondern nad) der Verfügung Anderer (außer der des Staats)
genöthigt ift, feine Eriftenz (Nahrung und Schuß) zu erhalten, ent-
behrt der bürgerlichen Berjönlichfeit, und feine Eriftenz ift gleichjam
nur Inhärenz. — Der Holzhader, den id) auf meinem Hofe anftelle,
der Schmied in Indien, der mit feinem Hammer, Ambos und Blas-
balg in die Häufer geht, um da in Eifen zu arbeiten, in Vergleihung *
mit dem europäilchen Tiſchler oder Schmied, der die Prodncte aus
10
Das Stantsredt. 315
diejer Arbeit als Waare öffentlich feil ftellen fan; der Hauslehrer
in Bergleihung mit dem Schulmann, der Zinsbauer in Vergleihung
mit dem Pächter u. dergl. find blos Handlanger des gemeinen We—
ſens, weil fie von anderen Individuen befehligt oder befhübt werden
müffen, mithin feine bürgerliche Selbftftändigfeit befiken.
Dieje Abhängigkeit von dem Willen Anderer und Ungleichheit
ift gleichwohl feinesweges der Freiheit und Gleichheit derjelben als
Menſchen, die zufammen ein Volk ausmahen, entgegen: vielmehr
fann bloß den Bedingungen derjelben gemäß dieſes Volk ein Staat
werden und in eine bürgerliche Verfafjung eintreten. In diefer Ver:
fafjung aber das Recht der Stimmgebung zu haben, d. i. Staats:
bürger, nicht bloß Staatsgenofje zu jein, dazu qualificiren fid) nicht
alle mit gleihem Recht. Denn daraus, daß fie fordern fönnen, von
allen Anderen nad) Gejeten der natürlidyen Freiheit und Gleichheit
als pajjive Theile des Staats behandelt zu werden, folgt nicht das
Recht, aud als active Glieder den Staat jelbjt zu behandeln, zu
organifiren oder zu Einführung gewifjer Geſetze mitzuwirken: ſon—
dern nur daß, welcherlei Art die pofitiven Gefeße, wozu fie ftimmen,
aud) fein möchten, fie doch den natürlichen der Freiheit und der dieſer
angemefjenen Gleichheit Aller im Volk, fih nämlid aus diejem
paffiven Zuftande zu dem activen empor arbeiten zu können, nicht
zuwider jein müfjen.
8.47.
Alle jene drei Gewalten im Staate find Würden und als wefentliche
aus der Idee eines Staats überhaupt zur Gründung defjelben (Conſtitu—
tion) nothwendig hervorgehend, Staatswürden. Sie enthalten das Ver:
hältniß eines allgemeinen Dberhaupts (der, nad) Freiheitsgejeben
betrachtet, fein Anderer als das vereinigte Volk felbft fein kann) zu der
vereingelten Menge ebendefjelben als Unterthans, d. i. des Gebieten-
den (imperans) gegen den Gehorjamenden (subditus). — Der Üct,
wodurd; ſich das Volk ſelbſt zu einem Staat conftituirt, eigentlich aber
nur die Idee defjelben, nach der die Nechtmäßigkeit deſſelben allein gedacht
werden kann, ijt der urjprünglide Contract, nad weldem alle
(omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um fie als
Blieder eines gemeinen Weſens, d. i. des Volks als Staat betrachtet
(aniversi), jofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht jagen: der
316 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2, Theil, 1. Abichnitt.
Staat, der Menih im Staate habe einen Theil feiner angebornen
äußeren Freiheit einem Zwede aufgeopfert, fondern er hat die wilde, ge—
jeblofe Freiheit gänzlich verlaffen, um feine Freiheit überhaupt in einer
geſetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Buftande, unvermindert
wieder zu finden, weil diefe Abhängigfeit aus feinem eigenen gejeßgeben- 5
den Willen entjpringt.
$ 48.
Die drei Gewalten im Staate find aljo erjtlidh einander, als jo
viel moraliſche Perjonen, beigeordnet (potestates coordinatae), d. i. die
eine ift das Ergänzungsftüd der anderen zur Volljtändigfeit (comple-
mentum ad sufficientiam) der Staatsverfaffung; aber zweitens aud)
einander untergeordnet (subordinatae), jo daß eine nicht zugleich die
Tunction der anderen, der fie zur Hand gebt, ufurpiren fann, ſondern ihr
eigenes Princip hat, d. i. zwar in der Qualität einer bejonderen Perſon,
aber doch unter der Bedingung des Willens einer oberen gebietet; drittens 1
durch Vereinigung beider jedem Unterthanen fein Recht ertheilend.
Bon diefen Gewalten, in ihrer Würde betradjtet, wird es heißen:
der Wille des Geſetzgebers (legislatoris) in Anfehung deſſen, was das
äußere Mein und Dein betrifft, ift untadelig (irreprehenfibel), das
Ausführungs- Vermögen des Dberbefehlshabers (summi rectoris) =
unwiderſtehlich (irrefiftibel) und der Rechtsſpruch des oberften Rich—
ter3 (supremi iudicis) unabänderlid (inappellabel).
—
840.
Der Regent des Staats (rex, princeps) iſt diejenige (moraliſche
oder phyſiſche) Perjon, weldyer die ausübende Gewalt (potestas execu- 2»
toria) zufommt: der Agent des Staats, der die Magifträte einjeht, dem
Volk die Regeln vorſchreibt, nad) denen ein jeder in demjelben dem Ge—
fee gemäß (durch Subjumtion eines Falles unter demjelben) etwas er-
werben, oder das Seine erhalten fann. Als moralifche Perſon betrachtet,
beißt er das Directorium, die Regierung. Seine Befehle an das m
Bolf und die Magifträte und ihre Obere (Minifter), weldyen die Staats»
verwaltung (gubernatio) obliegt, find Verordnungen, Decrete (nit
Geſetze); denn fie gehen auf Entjheidung in einem befonderen Fall und
werden als abänderlid) gegeben. Eine Regierung, die zugleich geſetz—
gebend wäre, würde despotijch zu nennen fein im Gegenjag mit der =
1
1
©
wi
Das Staatsrecht. 317
patriotifhen, unter welcher aber nicht eine väterliche (regimen pater-
nale), al$ die am meiſten despotifche unter allen (Bürger als Kinder zu
behandeln), jondern vaterländijche (regimen eivitatis et patriae) ver-
jtanden wird, wo der Staat jelbjt (eivitas) feine Unterthanen zwar gleich—
ſam als Glieder einer Familie, doc) zugleich als Staatsbürger, d. i. nad)
Gejeßen ihrer eigenen Selbitjtändigfeit, behandelt, jeder ſich ſelbſt befikt
und nicht vom abjoluten Willen eines Anderen neben oder über ihm
abhängt.
Der Beherrſcher des Volks (der Gejebgeber) kann alſo nicht zugleich
der Regent jein, denn diejer fteht unter dem Geſetz und wird durd) daj-
jelbe folglidy von einem Anderen, dem Souverän, verpflichtet. Jener
fann diejem auch jeine Gewalt nehmen, ihn abjeßen, oder jeine Verwal—
tung reformiren, aber ihn nicht ftrafen (und das bedeutet allein der in
England gebräuchliche Ausdrud: der König, d. i. die oberjte ausübende
Gewalt, kann nicht unrecht thun); denn das wäre wiederum ein Act der
ausübenden Gewalt, der zu oberjt das Vermögen dem Gejeße gemäß zu
zwingen zujteht, die aber doch jelbjt einem Zwange unterworfen wäre;
welches ſich widerjpricht.
Endlich kann weder der Staatsherrſcher noch der Regierer richten,
ſondern nur Richter als Magiſträte einſetzen. Das Volk richtet ſich ſelbſt
durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl, als Repräſen—
tanten deſſelben, und zwar für jeden Act beſonders dazu ernannt werden.
Denn der Rechtsſpruch (die Sentenz) ift ein einzelner Act der öffentlichen
Gerechtigkeit (iustitiae distributivae) durch einen Staatöverwalter (Rich—
ter oder Gerichtshof) auf den Unterthan, d. i. einen, der zum Volk gehört,
mithin mit feiner Gewalt befleidet ift, ihm das Seine zujuerfennen (zu
erteilen). Da nun ein jeder im Volk diefem Berhältniffe nad) (zur
Dbrigkeit) bloß paffiv ijt, jo würde eine jede jener beiden Gewalten in
dem, was fie über den Unterthan im ftreitigen Falle des Seinen eines jeden
beihließen, ihm unredht thun können: weil es nicht das Volk jelbit thäte
und, ob ſchuldig oder nichtſchuldig, über feine Mitbürger ausjpräde;
auf welde Ausmittelung der That in der Klagſache num der Gerichtshof
das Gejek anzuwenden und vermittelft der ausführenden Gewalt einem
jeden das Seine zu Theil werden zu lafjen die richterliche Gewalt hat.
Alſo kann nur das Volk durd) feine von ihm felbft abgeordnete Stellver-
treter (die Fury) über jeden in demjelben, obwohl nur mittelbar, richten.
— Es wäre auch unter der Würde des Staatsoberhaupts, den Richter zu
318 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt.
fpielen, d. i. fi in die Möglichkeit zu verjeßen, Unrecht zu thun und jo
in den Fall der Appellation (a rege male informato ad regem melius in-
formandum) zu gerathen.
Alſo find es drei verjchiedene Gewalten (potestas legislatoria, execu-
toria, iudiciaria), wodurd) der Staat (eivitas) feine Autonomie hat, d. i.
ſich jelbjt nad) Freiheitsgeſetzen bildet und erhält. — In ihrer Vereini-
gung bejteht das Heil des Staats (salus reipublicae suprema lex est);
worunter man nicht das Wohl der Staatsbürger und ihre Glüdjelig-
feit verjtehen muß; denn die fann vielleicht (wie auch Rouffeau behaup-
tet) im Naturzuftande, oder aud) unter einer despotiſchen Regierung viel
behaglicher und erwünſchter ausfallen: jondern den Zuftand der größten
Übereinftimmung der Berfaffung mit Rechtsprincipien verfteht, als nad)
welchem zu jtreben uns die Vernunft durch einen fategorifhen Im—
perativ verbindlid macht.
Allgemeine Anmerkung
von den rehtlihen Wirkungen aus der Natur des bürger-
lien Vereins,
A.
Der Urfprung der oberften Gewalt ijt für das Volk, das unter ber:
jelben fteht, in praftifcher Abfiht unerforſchlich: d. i. der Unterthan
joll nit über diefen Urſprung, als ein noch in Anjehung des ihr ſchul—
digen Gehorfams zu bezweifelndes Recht (ius controversum), werfthätig
vernünfteln. Denn da das Bolf, um rechtskräftig über die oberfte
Staatsgewalt (summum imperium) zu urtheilen, jhon als unter einem
allgemein gefeßgebenden Willen vereint angejehen werden muß, jo kann
und darf es nicht anders urtheilen, als das gegenwärtige Staatsober-
haupt (summus imperans) e8 will. — Ob urjprünglid ein wirflider
Bertrag der Unterwerfung unter denjelben (pactum subiectionis eivilis)
als ein Yactum vorher gegangen, oder ob die Gewalt vorberging, und
das Geſetz nur hintennach gefommen fei, oder aud) in diefer Ordnung fid)
habe folgen jollen: das find für das Volk, das nun ſchon unter dem bür-
gerlichen Geſetze fteht, ganz zwedleere und doc den Staat mit Gefahr
bedrohende Bernünfteleien; denn wollte der Unterthan, der den leßteren
Urſprung nun ergrübelt hätte, ſich jener jet herrichenden Autorität wider-
—-
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Di)
Das Staatsrecht. 319
jeßen, jo würde er nad) den Geſetzen derjelben, d. i. mit allem Recht, be-
ftraft, vertilgt, oder (als vogelfrei, exlex) ausgeftoßen werden. — Ein
Geſetz, das jo heilig (unverletzlich) ift, daß es praktiſch auch nur in
Ameifel zu ziehen, mithin jeinen Effect einen Augenblid zu juspendiren
ſchon ein Verbredhen ift, wird fo vorgeftellt, als ob es nicht von Menjchen,
aber doch von irgend einem höchſten, tadelfreien Gejeßgeber herkommen
müfje, und das ift die Bedeutung des Sabes: „Alle Obrigkeit ift von
Gott," weldyer nicht einen Geſchichtsgrund der bürgerlichen Verfafjung,
jondern eine Idee als praftifches Vernunftprincip ausjagt: der jetzt be
ftehenden gejehgebenden Gewalt gehorden zu follen, ihr Urfprung mag
fein, welcher er wolle.
Hieraus folgt nun der Sab: der Herrſcher im Staat hat gegen den
Unterthan lauter Rechte und Feine (Zwangs-)Pflihten. — Ferner, wenn
das Organ des Herrichers, der Negent, aud den Gejeßen zumider ver-
führe, 3. B. mit Auflagen, Recrutirungen u. dergl. wider das Gejeß der
Gleichheit in Vertheilung der Staatslaften, jo darf der Unterthan dieſer
Ungeredtigfeit zwar Bejhwerden (gravamina), aber feinen Widerftand
entgegenjeßen.
Ja es kann auch jelbjt in der Gonftitution Fein Artikel enthalten
jein, der e8 einer Gewalt im Staat möglid; machte, fich im Fall der liber-
tretung der Conjtitutionalgefeße durch den oberjten Befehlshaber ihm zu
widerjeßen, mithin ihn einzuſchraͤnken. Denn der, welder die Staats-
gewalt einichränfen joll, muß doch mehr, oder wenigſtens gleiche Macht
haben, als derjenige, welcher eingeſchränkt wird, und als ein rehtmäßiger
Gebieter, der den Untertanen befähle, fid) zu widerſetzen, muß er fie aud)
hüten können und in jedem vorfommenden Fall rechtskräftig urtheilen,
mithin öffentlich den Widerjtand befehligen fönnen. Alsdann ift aber nicht
jener, jondern dieſer der oberfte Befehlshaber; welches ſich widerſpricht.
Der Souverän verfährt alsdann durd) feinen Minifter zugleich als Regent,
mithin despotiich, und das Blendwerf, das Volk durd) die Deputirte dej>
jelben die einſchränkende Gewalt vorftellen zu lafjen (da es eigentlidy nur
die geſetzgebende hat), fann die Despotie nicht jo verjteden, daß fie aus
den Mitteln, deren fid; der Minifter bedient, nicht hervorblidte. Das
Volk, das durch jeine Deputirte (im Parlament) repräfentirt wird, hat an
diefen Gewährsmännern feiner Freiheit und Rechte Leute, die für ſich
und ihre Familien und diefer ihre vom Minijter abhängige Verforgung
in Armeen, Flotte und Givilämtern lebhaft intereffirt find, und die (jtatt
320 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt.
des Widerftandes gegen die Anmaßung der Regierung, deſſen öffentliche
Ankündigung ohnedem eine dazu ſchon vorbereitete Einhelligkeit im Volk
bedarf, die aber im Frieden nicht erlaubt fein kann) vielmehr immer
bereit find, ſich jelbjt der Negierung in die Hände zu jpielen. — Alſo ift
die jogenannte gemäßigte Staatsverfafjung, als Eonjtitution des innern
Rechts des Staats, ein Unding und, anftatt zum Recht zu gehören, nur
ein Klugheitsprincip, um fo viel als möglich dem mädtigen Übertreier
der Volksrechte feine willfürlihe Einflüffe auf die Regierung nicht zu er
ſchweren, fondern unter dem Schein einer dem Volt verftatteten Oppo—
fition zu bemänteln.
Wider das gejeßgebende Oberhaupt des Staats giebt es alfo feinen
rechtmäßigen Widerftand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter
feinen allgemein-gefebgebenden Willen ift ein rechtlicher Zuftand möglich;
aljo fein Recht des Aufftandes (seditio), nod) weniger des Aufruhrs
(rebellio), am allerwenigjten gegen ihn als einzelne Berjon (Monard))
unter dem Worwande des Mikbrauds feiner Gewalt (tyrannis) Ver—
greifung an feiner Perfon, ja au feinem Leben (monarchomachismus
sub specie tyrannicidii). Der geringfte Verſuch hiezu iſt Hodverrath
(proditio eminens), und der Berräther diejer Art kann als einer, der fein
Daterland umzubringen verjudt (parricida), nit minder als mit
dem Tode beitraft werden. — — Der Grund der Pflicht des Volks einen,
jelbft den für unerträglidy ausgegebenen Mißbrauch der oberften Gewalt
dennod) zu ertragen liegt darin: daß fein Widerftand wider die höchſte
Geſetzgebung jelbit niemals anders als gejebwidrig, ja als die ganze ge-
ſetzliche Verfafſung zernichtend gedadht werden muß. Denn um zu dem—
jelben befugt zu fein, müßte ein öffentliches Geſetz vorhanden fein, weldyes
diefen Widerjtand des Volks erlaubte, d. i. die oberjte Geſetzgebung ent-
hielte eine Beftimmung in ſich, nicht die oberfte zu fein und das Volk als
Unterthan in einem und demjelben Urtheile zum Souverän über den zu
machen, dem es unterthänig ift; welches fi) widerfpricht und wovon ber
Widerſpruch durd die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in
diefem Streit zwiſchen Volk und Souverän Nidjter fein follte (denn es
find rechtlich betradytet Doc) immer zwei verſchiedene moraliſche Perfonen);
wo fid) dann zeigt, daß das erſtere es in feiner eigenen Sache fein will.*)
*) Weil die Entthronung eines Monarchen doch aud als freiwillige Ab- :
legung der Krone und Niederlegung feiner Gewalt mit Zurückgebung berjelben an
40
Das Gtaatsredht. 321
Eine Veränderung der (fehlerhaften) Staatsverfafjung, die mohl
bisweilen nöthig fein mag — kann aljo nur vom Souverän jelbjt durch
das Bolf gebadjt werben kann, ober auch als eine ohne Bergreifung an ber höchſten
Berjon vorgenommene Berlaffung berjelben, wodurch fie in ben Privatitandb ver
jegt werben würbe, jo hat bas Verbrechen bed Bolfs, welches fie erzwang, bod)
noch ienigftens den Borwand des Nothrechts (casus necessitatis) für fich, nie»
mals aber bad mindefte Recht ihn, das Oberhaupt, wegen ber vorigen Verwaltung
zu flrafen: weil alles, was er vorher in ber Qualität eines Oberhaupts Ihat, ala
äußerlich rechtmäßig gefchehen angefehen werben muß, und er jelbft, als Quell ber
Geſehe betrachtet, nicht unrecht thun kann. Unter allen Gräueln einer Staats-
ummälzung durch Aufruhr ift jelbit die Ermordung bes Monarchen noch nicht
bas ärgite; benn noch fann man fich vorjtellen, fie geichehe vom Volk aus Furdt,
er Fönne, wenn er am Leben bleibt, fich wieder ermannen und jenes die verbiente
Strafe fühlen laffen, und folle alſo nicht eine Verfügung der Strafgeredhtigfeit,
ſondern bloß ber Selbfterhaltung fein. Die formale Hinrichtung iſt ed, was
bie mit Ideen des Menfchenrecht3 erfüllte Seele mit einem Schaubern ergreift,
bas man wieberholentlih fühlt, fo bald und jo oft man ich biefen Auftritt denkt,
wie das Schickſal Karls I. oder Ludwigs XVI. Wie erllärt man ſich aber dieſes
Gefühl, was hier nicht äſthetiſch (ein Mitgefühl, Wirkung ber Einbildungskraft, bie
fih in die Stelle des Leidenden verjekt), jondern moralifch, der gänzlichen Um—
fehrung aller Rechtäbegriffe, iſt“ Es wird als Berbrechen, was ewig bleibt und
nie ausgetilgt werben fann, (crimen immortale, inexpiabile) angeſehen umb fcheint
bemjenigen ähnlich zu fein, was die Theologen biejenige Sünde nennen, welche
weber in biefer noch in jener Welt vergeben werden kann. Die Erflärung biejes
Phänomens im menſchlichen Gemüthe ſcheint aus folgenden Reflerionen über ſich
jelbft, die felbit auf bie ftaatörechtlichen Principien ein Licht werfen, hervorzugehen.
Eine jede Übertretung des Geſetzes kann und muß nicht anders als fo er-
Härt werben, daß fie aus einer Marime bed Verbrechers (fi) eine ſolche Unthat
zur Regel zu machen) entipringe; denn wenn man fie von einem finnlichen An-
trieb ableilete, jo wäre fie nicht von ihm, ala einem freien Wefen, begangen und
könnte ihm nicht zugerechnet werben; wie e3 aber bem Subject möglich ift, eine
foldje Mariıme wiber das Mare Berbot der gejeggebenden Vernunft zu fallen, läßt
ſich ſchlechterdings nicht erflären; denn nur die Begebenheiten nad) dem Mechanism
ber Natur find erflärungsfähig. Nun kann ber Verbrecher feine Unthat entweber
nad), ber Marime einer angenommenen objectiven Negel (ald allgemein geltend),
ober nur ald Ausnahme von ber Negel (fich bavon gelegentlich zu bispenfiren)
begeben; im lesteren Kal weicht er nur (obzwar vorſetzlich) vom Gejek ab;
er fann feine eigene libertretung zugleich verabjcheuen und, ohne bem Geſetz fürm-
lih ben Gehorſam aufzufündigen, es nur umgehen wollen; im erfteren aber ver
wirft er bie Autorität des Geſetzes felbit, dveifen Gültigfeit er fich boch vor feiner
Bernunft nicht abläugnen kann, und macht es fich zur Regel wider baffelbe zu
banbeln; feine Marime ift aljo nicht bloß ermangelungsweije (negative), jon-
Kant'd Schriften Werte VI 21
4
322 Metapbyfifche Anfangsgriinde der Rechtslehte. 2. Theil. 1. übſchut
Reform, aber nicht vom Wolf, mithin durd Revolution verrichtet wer-
den, und wenn fie geſchieht, jo faun jene nur die ausübende Gewalt,
nicht die gefeßgebende treffen. — An einer Staatsverfaffung, die jo be-
ſchaffen it, daß das Volk durch jeine Nepräfentanten (im Parlament)
jener und dem Repräfentanten derfelben (dem Minifter) geſetzlich wider» 3
ſtehen kann — welche dann eine eingejhränfte Verfafjung —
gleichwohl fein activer Widerſtand (der willfürlihen Verbindung
die Regierung zu einem gewifjen thätigen Verfahren zu zwingen, ae
jelbjt einen Act der ausübenden Gewalt zu begehen), jondern nur ein ne=
gativer Widerftand, d. i. Weigerung des Volks (im Parlament), er= 1
laubt, jener in den Forderungen, die fie zur Staatsverwaltung nötig
zu haben vorgiebt, nicht immer zu willfahren; vielmehr wenn das I
geſchähe, jo wäre es ein fiheres Zeichen, daß das Volk verderbt, feine R
präjentanten erfäuflich und das Oberhaupt in —— ——
Miniſter despotiſch, dieſer ſelber aber ein Verräther des u
Übrigens, wenn eine Revolution einmal gelungen ya de neue
dern ſogar abbruchsweiſe (contrarie) oder, wie man ſich ausdrückt, biametra-
liter, als Widerſpruch (gleichſam feindſelig) dem Geſeh entgegen. So viel wir
einſehen, iſt ein dergleichen Verbrechen einer förmlichen (ganz nutzloſen) Bosheit zu
begehen Menjchen ummöglich umd doch (obzwar bloße Idee des Auferji-Böfen) in =
einem Syſtem der Moral nicht zu übergehen,
Der Grumd des Schauderhaften bei dem Gedanken von der fürmlichen Hin ⸗
richtung eines Monarchen durch jein Bolt ift alfo der, dak der Mord nur als
Ausnahme von der Regel, welche diejes fi) zur Marime machte, bie Hinrid-
tung aber als eine völlige Umkehrung der Principien des Verhältniſſes zwiſchen %
Souverän und Bolt (diejed, was fein Dafein nur der Gefeßgebung bes erjteren
zu verdanken hat, zum Serrfcher über jenen zu machen) gedacht werden muß, und
io die Gewaltthätigfeit mit dreufter Stirn und nad) Grumbjäen über das heiligſte
Recht erhoben wird; welches, wie ein Alles ohne Wiederkehr verjchlingender Abgrumb,
ald ein vom Staate an ihm verübter Selbſtmord, ein feiner Entfündigung jähiges »
Verbrechen zu fein jcheint. Man hat aljo Urſache anzunehmen, daf —
zu ſolchen Hinrichtungen wirklich nicht aus einem vermeint⸗rechtlichen Princip,
dern aus Furcht vor Rache des vielleicht dereinſt wieder een ne
Bolf berrührte, und jene Förmlichkeit mur vorgenommen worden, um jener That
den Anftrich von Beftrafung, mithin eines rechtlichen Berfahrens (bergleichen *
ber Mord nicht jein wide) zu geben, welche Bemäntelung aber verunglüdt, weil
eine ſolche Anmahung des Volks noch ärger ift, als jelbft der Mord, da biefe einen
Grundſatz enthält, der jelbit die Wiedererzeugung eines umgeftäigten (Bean
möglich machen müßte,
Das Staatsredht. 323
Verfaſſung gegründet ift, jo kann die Unrechtmäßigfeit des Beginnens
und der Bollführung derjelben die Unterthanen von der Verbindlichkeit,
der neuen Ordnung der Dinge ſich als gute Staatsbürger zu fügen, nicht
befreien, und fie können ſich nicht weigern, derjenigen Obrigkeit ehrlic)
zu gehordhen, die jeßt die Gewalt hat. Der entthronte Monard) (der jene
Ummälzung überlebt) kann wegen feiner vorigen Geihäftsführung nicht
in Anfprud genommen, noch weniger aber geftraft werden, wenn er, in
den Stand eines Staatsbürgers zurüdgetreten, feine und des Staats
Ruhe dem Wagſtück vorzieht, ſich von diefem zu entfernen, um als Prä-
tendent das Abenteuer der Wiedererlangung defjelben, es ſei durch ine
geheim angeitiftete Gegenrevolution, oder durd) Beijtand anderer Mächte,
zu bejtehen. Wenn er aber das lebtere vorzieht, jo bleibt ihm, weil der
Aufruhr, der ihn aus jeinem Beſitz vertrieb, ungerecht war, fein Redht
an demjelben unbenommen. Ob aber andere Mächte das Recht haben,
fi diefem verunglüdten Oberhaupt zum beiten in ein Staatenbündniß
zu vereinigen, bloß um jenes vom Bolf begangene Verbrechen nicht unge-
ahndet, nod) als Sfandal für alle Staaten beftehen zu laſſen, mithin eine
in jedem anderen Staat durch Nevolution zu Stande gefommene Ver-
faſſung in ihre alte mit Gewalt zurüdzubringen beredhtigt und berufen
»» jeien, das gehört zum Völkerrecht.
Pr
=
1
B.
Kann der Beherricher als Dbereigenthümer (des Bodens), oder muß
er nur als Oberbefehlshaber in Anjehung des Volks durch Geſetze be-
trachtet werden? Da der Boden die oberfte Bedingung ift, unter der allein
es möglich ift, äußere Sachen als das Seine zu haben, deren möglicher
Befib und Gebraud) das erjte erwerbliche Recht ausmacht, jo wird von dem
Souverän, als Zandesherren, bejjer al$ Dbereigenthümer (dominus
territorii), alles ſolche Recht abgeleitet werden müfjen. Das Volk, als
die Menge der Unterthanen, gehört ihm aud) zu (es iſt jein Volk), aber
so nicht ihm als Eigenthümer (nad) dem dinglichen), jondern als Oberbefehls—
haber (nad) dem perjönlichen Net). — Dieſes Obereigenthum ift aber
nur eine Sdee des bürgerlichen Vereins, um die nothwendige Bereinigung
des Privateigenthums aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen
Befiker zu Beftimmung des befonderen Eigenthums nidt nad) Grund»
fäßen der Aggregation (die von dem Theilen zum Ganzen empirijd)
fortfchreitet), fondern dem nothwendigen formalen Princip der Ein-
=:
324 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechlslehre. 2. Theil. 1. Abfchnitt.
theilung (Divifion des Bodens) nad) Nedhtsbegriffen vorftellig zu
machen. Nach diefen fann der Obereigenthümer fein Brivateigenthum an
irgend einem Boden haben (denn jonft machte er ſich zu einer Privat:
perfon), ſondern diejes gehört nur dem Volk (und zwar nicht collectiv,
jondern difjtributiv genommen) zu; wovon dod) ein nomadiſch-beherrſchtes
Bolf auszunehmen it, als in weldem gar fein Privateigenthum des
Bodens ftatt findet. — Der Oberbefehlshaber kann alfo feine Domänen,
d. i. Ländereien zu feiner Privatbenugung (zu Unterhaltung des Hofes),
haben. Denn weil e3 alsdann auf fein eigen Gutbefinden anfäme, wie
weit fie ausgebreitet fein jollten, jo würde der Staat Gefahr laufen, alles
Eigenthum des Bodens in den Händen der Regierung zu ſehen und alle
Unterthanen als grundunterthänig (glebae adscripti) und Befiker
von dem, was immer nur Eigenthum eines Anderen it, folglid; aller
Freiheit beraubt (servi) anzufehen. — Bon einem Landesherrn kann man
jagen: er beſitzt nichts (zu eigen), außer ſich felbit; denn wenn er
neben einem anderen im Staat etwas zu eigen hätte, jo wiirde mit diefem
ein Streit möglid) fein, zu deffen Schlidtung fein Richter wäre. Aber
man fann aud jagen: er beſitzt alles; weil er das Befehlshaberredht
über das Volk hat (jedem das Seine zu Theil fommen zu laffen), dem alle
äußere Sachen (divisim) zugehören.
Hieraus folgt: daß es auch feine Eorporation im Staat, feinen
Stand und Orden geben könne, der als Eigenthümer den Boden zur
alleinigen Benntzung den folgenden Generationen (ins Unendliche) nad)
gewiffen Statuten überliefern Fönne. Der Staat kann fie zu aller Beit
aufheben, nur unter der Bedingung, die llberlebenden zu entſchädigen.
Der Ritterorden (als Corporation, oder auch bloß Rang einzelner,
vorzüglich beehrter Perſonen), der Orden der Geiſtlichkeit, die Kirche
genannt, Fönnen nie durch diefe Vorrechte, womit fie begünftigt worden,
ein auf Nachfolger übertragbares Eigenthum am Boden, fondern nur die
einftweilige Benußung defjelben erwerben. Die Comthureien auf einer,
die Kirchengüter auf der anderen Seite fünnen, wenn die öffentliche Mei:
nung wegen der Mittel, durd die Kriegsehre den Staat wider die
Zauigfeit in VBertheidigung defjelben zu ſchützen, oder die Menjchen in
demfelben durch Seelmefjen, Gebete und eine Menge zu beftellender Seel-
forger, um fie vor dem ewigen Feuer zu bewahren, anzutreiben, aufgehört
hat, ohne Bedenken (doch unter der vorgenannten Bedingung) aufgehoben
werden. Die, jo hier in die Reform fallen, fönnen nicht Hagen, daß ihnen
45
ı
1
Das Staatdredht. 325
ihr Eigenthum genommen werde; denn der Grund ihres bisherigen Be-
fies lag mur in der Bolfsmeinung und mußte auch, fo lange dieje
fortwährte, gelten. So bald dieſe aber erlojd), und zwar auch nur in dem
- Urtheil derjenigen, welche auf Zeitung defjelben durch ihr Verdienſt den
=
w
größten Anjprud haben, jo mußte, gleichjam als durch eine Appellation
defjelben an den Staat (a rege male informato ad regem melius infor-
mandum), das vermeinte Eigenthum aufhören.
Auf diefem urjprünglicy erworbenen Grundeigenthum beruht das
Recht des Oberbefehlshabers, als Dbereigenthümers (des Landesherrn),
die Privateigenthümer des Bodens zu beſchatzen, d. i. Abgaben durd) die
Landtare, Aceife und Zölle, oder Dienitleiftung (dergleichen die Stellung
der Mannihaft zum Kriegspdienft ijt) zu fordern: fo doch, dab das Wolf
ſich jelber bejchaßt, weil diejes die einzige Art ift, hiebei nad) Rechts—
gejegen zu verfahren, wenn es durch das Corps der Deputirten defjelben
geſchieht, auch als gezwungene (von dem bisher bejtandenen Geſetz ab-
weichende) Anleihe nad) dem Majeftätsredhte, als in einem Talle, da der
Staat in Gefahr feiner Auflöfung fommt, erlaubt ift.
Hierauf beruht aud) das Nedht der Staatswirthihaft, des Finanz—
wejens und der Polizei, welche leßtere die öffentlihe Sicherheit, ®e-
mädlidfeit und Anftändigfeit bejorgt (denn daß das Gefühl für
dieje (sensus decori) al$ negativer Geſchmack durd) Bettelei, Lärmen auf
Straßen, Geftant, öffentliche Wolluft (venus volgivaga), als Verleßungen
des moraliſchen Sinnes, nit abgeftumpft werde, erleichtert der Negie-
rung gar jehr ihr Geſchäfte, das Bolf durch Geſetze zu lenken).
Zu Erhaltung des Staats gehört auch nod) ein drittes: nämlich das
Recht der Aufficht (ius inspectionis), daß ihm nämlid) feine Verbindung,
die aufs öffentlihe Wohl der Geſellſchaft (publicum) Einfluß haben
fan, (von Staats- oder Religions-Illuminaten) verheimlicht, jondern,
wenn es von der Polizei verlangt wird, die Eröffnung ihrer Verfafjung
nicht geweigert werde. Die aber der Unterſuchung der Privatbehaufung
eines jeden ijt nur ein Nothfall der Polizei, wozu fie durch eine höhere
Autorität in jedem bejonderen Yalle berechtigt werden muß.
U
Dem Oberbefehlshaber fteht indirect, d.i. als lIbernehmer der
» Pflicht des Volks, das Recht zu, dieſes mit Abgaben zu feiner (des Volks)
326 Metapbofiiche Anfangsaründe ber Nechtslehre. 2. Thell. 1. Abjchnitt.
eigenen Erhaltung zu belajten, als da find: das Armenmwejen, die
Findelhänfer und das Kirhenwejen, fonft milde oder fromme
Stiftungen genannt.
Der allgemeine Boltswille hat ſich nämlich zu einer Gejellfchaft ver-
einigt, welche ſich immerwährend erhalten fol, und zu dem Ende fid) der
inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder diejer Geſellſchaft, die
es jelbjt nicht vermögen, zu erhalten. Bon Staatswegen ift aljo die Ne-
gierung berechtigt, die Vermögenden zu nöthigen, die Mittel der Erhaltung
derjenigen, die es jelbjt den nothwendigiten Naturbedürfniffen nad) nicht
find, herbei zu jhaffen: weil ihre Eriftenz zugleidy als Act der Unter-
werfung unter den Schuß und die zu ihrem Dafein nöthige Vorjorge des
gemeinen Wejens ift, wozu fie fich verbindlich gemadjt haben, auf welche
der Staat num fein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das
Shrige beizutragen. Das kann num geihehen: durch Belaftung des Eigen-
thums der Staatsbürger, oder ihres Handelsverkehrs, oder durch errichtete
Fonds und deren Zinjen; nicht zu Staats- (denn der ift reich) jondern
zu Volksbedürfnifien, aber nicht bloß durch Freiwillige Beiträge (weil
bier nur vom Rechte des Staats gegen das Volk die Rede ift), worunter
einige gewinnfüchtige find (als Lotterien, die mehr Arme und dem öffent-
lichen Eigenthum gefährliche machen, als jonft fein würden, und die alfo
nicht erlaubt jein jollten), jondern zwangsmäßig, als Staatslaften. Hier
frägt fi nun: ob die Verforgung der Armen durch Taufende Beiträge,
fo daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt, oder durdy nad) und nad ge—
fammelte Beftände und überhaupt fromme Stiftungen (dergleichen
Wittwenhäujer, Hospitäler u. dergl. find) und zwar jenes nicht durch Bette-
lei, welche mit der Räuberei nahe verwandt ift, jondern durch geſetzliche
Auflage ausgerichtet werden joll. — Die erjtere Anordnung muß für die
einzige dem Rechte des Staats angemefjene, der ſich niemand entziehen
fan, der zu leben hat, gehalten werden: weil fie nicht (wie von frommen
Stiftungen zu beforgen ift), wenn fie mit der Zahl der Armen anwachien,
das Armjein zum Erwerbmittel für faule Menſchen maden und jo eine
ungerehte Beläjtigung des Volls durd die Regierung fein würden.
Was die Erhaltung der aus Noth oder Scham ausgeſetzten, oder wohl
gar darum ermordeten Kinder betrifft, jo bat derStaat ein Redt, das Volf
mit der Pflicht zu belaften, dieien, obzwar unwillfommenen Zuwachs des
Staatsvermögens nicht wifjentlid) umfommen zu laſſen. Ob diejes aber
durch Befteurung der Hageftolzen beiderlei Geſchlechts (worunter die
gg Teer
-
=
—
ur
Das Staatöredht. 327
vermögende Ledige verftanden werden), als ſolche, die daran doch
zum Theil Schuld find, vermittelft dazu errichteter Findelhäufer, oder auf
andere Art mit Recht geſchehen könne (ein anderes Mittel es zu verhüten
möchte es aber ſchwerlich geben), tft eine Aufgabe, deren Löfung, ohne
entweder wider das Recht, oder die Moralität zu verjtoßen, bisher nod)
nicht gelungen it.
Da aud) das Kirchenweſen, weldes von der Religion als innerer
Gefinnung, die ganz außer dem Wirkungskreiſe der bürgerlichen Macht it,
jorgfältig unterjchieden werden muß (als Anjtalt zum öffentlihen Gottes—
dienſt für das Volf, aus weldem diefer aud) feinen Urfprung hat, es fei
Meinung oder Überzeugung), ein wahres Staatsbedürfniß wird, ſich aud)
als Unterthanen einer höchſten unfihtbaren Macht, der fie huldigen
müfjen, und die mit der bürgerlichen oft in einen jehr ungleichen Streit
fommen fann, zu betrachten: jo hat der Staat das Recht, nicht etwa der
inneren Gonftitutionalgejeßgebung, das Kirchenweſen nad feinem Sinne,
wie es ihm vortheilhaft dünft, einzurichten, den Glauben und gottesdienft-
lihe Formen (ritus) dem Volk vorzufchreiben oder zu befehlen (denn
dieſes muß gänzlich den Lehrern und Vorftehern, die es ſich ſelbſt gewählt
hat, überlafjen bleiben), jondern nur das negative Redt den Einfluß
der öffentlichen Lehrer auf das ſichtbare, politifche gemeine Weſen, der
ber öffentlihen Ruhe nachtheilig fein möchte, abzuhalten, mithin bei dem
inneren Streit, oder dem der verjchiedenen Kirchen unter einander die
bürgerlihe Eintracht nit in Gefahr kommen zu laſſen, welches aljo ein
Recht der Polizei ift. Daß eine Kirche einen gewiſſen Glauben und
welchen fie haben, oder daß fie ihn unabänderlich erhalten müfje und fi)
nicht jelbft reformiren dürfe, find Einmiſchungen der obrigfeitlichen Se:
walt, die unter ihrer Würde find: weil fie fid) dabei, als einem Schul—
gezänfe, auf den Fuß der Gleichheit mit ihren Unterthanen einläßt (der
Monarch fi zum Priefter mad), die ihr geradezu jagen können, daf fie
hievon nichts verjtehe; vornehmlid) was das leßtere, nämlich das Verbot
innerer Reformen, betrifft; — denn was das gefammte Volk nicht fiber ſich
ſelbſt beſchließen kann, das kann aud) der Geſetzgeber nicht über das Volt
beſchließen. Nun kann aber fein Wolf beſchließen, in feinen den Glauben
betreffenden Einfihten (der Aufklärung) niemals weiter fortzufchreiten,
mithin aud) fi in Anfehung des Kirchenwejens nie zu reformiren: weil
dies der Menſchheit in feiner eigenen Berfon, mithin dem hödjften Nedht
defjelben entgegen jein würde. Aljo fann es aud) feine obrigfeitliche Ge—
328 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abjchnitt.
walt über das Volk beſchließen. — — Was aber die Koften der Erhaltung
des Kirchenweſens betrifit, fo können diefe aus eben derfelben Urſache
nit dem Staat, fondern müfjen dem Theil des Volks, der ſich zu einem
oder dem anderen Glauben befennt, d. i. nur der Gemeine, zu Laften
fommen.
D.
Das Recht des oberften Befehlshabers im Staat geht au) 1) auf
Bertheilung der Ämter, als mit einer Befoldung verbundener Geſchäfts⸗
führung; 2) der Würden, die als Standeserhöhungen ohne Sold, d. i.
Nangertheilung des Oberen (der zum Befehlen) in Anfehung der Niedri- 1
gern (die, obzwar als freie und nur durchs öffentliche Geſetz verbindliche,
doch jenen zu gehorjamen zum Boraus beftimmt find), bloß auf Ehre
fundirt find — und 3) außer diefem (rejpectiv-wohlthätigen) Recht auch
aufs Strafredt.
Was ein bürgerliches Amt anlangt, jo fommt hier die Frage vor: hat ıs
der Souverän das Recht, einem, dem er ein Amt gegeben, es nad) feinem
Gutbefinden (ohne ein Verbrechen von Seiten des lekteren) wieder zu
nehmen? Ich fage: nein! Denn was der vereinigte Wille des Volks über
feine bürgerliche Beamte nie beſchließen wird, das fann aud) das Staats-
oberhaupt über ihn nicht beſchließen. Nun will das Wolf (das die Koften »
tragen ſoll, welche die Anjegung eines Beamten ihm maden wird) ohne
allen Zweifel, daß diejer feinem ihm auferlegten Geſchäfte völlig gewachſen
fei; welches aber nicht anders, als durch eine hinlängliche Zeit hindurch
fortgejeßte Vorbereitung und Erlernung defjelben, über der er diejenige
verjäumt, die er zur Erlernung eines anderen ihn nährenden Geſchäfts »
hätte verwenden können, geſchehen fann; mithin würde in der Negel das
Amt mit Leuten verjehen werden, die feine dazu erforderliche Geſchidlich⸗
feit und durch Übung erlangte reife Urtheilskraft erworben hätten; welches
der Abficht des Staats zumider ift, als zu weldyer aud) erforderlid; ijt,
daß jeder vom niedrigeren Amte zu höheren (die ſonſt lauter Untauglichen »
in die Hände fallen würden) jteigen, mithin aud auf lebenswierige Ver:
forgung müfje rechnen fönnen.
Die Würde betreffend, nicht bloß die, welche ein Amt bei fi führen
mag, fondern auch die, welche den Befiker auch ohne bejondere Be
dienungen zum Gliede eines höheren Standes macht, ift der Adel, der, *
vom bürgerlichen Stande, in welchem das Bolf ift, unterjchieden, den
Is Summer mus» ZUR
männlier Rahm unit. farh ner anf zuil der meiden un
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(menigkrzt gradegme, fu — — Dir Senmimerrur Ienirübre geriet
nun bier eben fs zur zurier zı& Dem Bono berue: „Sr has Bolt (tue
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hatte, io fsmzir or Iieies bof ut zul cae Unkänemee mermben,
fonberm biche uaäpen e& Th umımer Kit erwerben, ba ine Acca es müßt
w Io fügt, bag has Zxieıe zus ber Eile meiße Serterene om der Zone
wichenien gut man, za j9 has er zrosuiesthg rim Bet, die Würde
bem Tütdl mad Äoribenerz zu irre, bis jelh® ia der Sürmtlihen Meinzng
die zu Eosurräs, Eid zus Bell ber einzigen netärlihen
» in Gonserän and Zoll Für gemaft heben wird.
Diaz ale Börde fauz nnz wohl fein Mori im Etante jeia, benz er
hat wenigften: bie bei Zuaniähhrgeri ‚ anher wenn cr 5 dark iein eigenes
330 Metlaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abfchnitt.
Verbrechen darum gebradht hat, da er dann zwar im Leben erhalten,
aber zum bloßen Werkzeuge der Willtür eines Anderen (entweder des
Staats, oder eines anderen Staatsbürgers) gemacht wird. Wer num das
leßtere ift (was er aber nur durd) Urtheil und Recht werden kann), ift ein
Leibeigener (servus in sensu stricto) und gehört zum Eigenthum
(dominium) eines Anderen, der daher nicht bloß fein Herr (herus), fon-
dern aud) fein Eigenthümer (dominus) ift, der ihn als eine Sache ver-
äußern und nad) Belieben (nur nicht zu ſchandbaren Zweden) brauchen
und über feine Kräfte, wenn gleidy nicht über fein Leben und Glied—
maßen verfügen (disponiren) kann. Durd einen Vertrag fann fi
niemand zu einer ſolchen Abhängigkeit verbinden, dadurd er aufhört,
eine Perſon zu fein; denn nur als Berfon fann er einen Vertrag machen.
Nun ſcheint es zwar, ein Menſch könne ſich zu gewiffen, der Dualität nach
erlaubten, dem Grad nad) aber unbeftimmten Dienften gegen einen
Andern (für Lohn, Koſt oder Schuß) verpflichten durch einen Verdingungs- :
vertrag (locatio conductio), und er werde dadurch bloß Unterthan (sub-
iectus), nicht Zeibeigener (servus); allein das ift nur ein falſcher Schein.
Denn wenn fein Herr befugt iſt, die Kräfte feines Unterthans nad) Belie-
ben zu benußen, fo fann er fie aud) (wie es mit den Negern auf den Zuder-
infeln der Fall ift) erichöpfen bis zum Tode oder der Verzweiflung, und
jener hat fid) feinem Herrn wirklich als Eigenthum weggegeben; welches
unmöglid) ift. — Er fann ſich alſo nur zu der Qualität und dem Grade
nad) beftimmten Arbeiten verdingen: entweder als Tagelöhner, oder an-
jäfliger Unterthan; im leßteren Fall, daß er theils für den Gebraud) des
Bodens feines Herrn ftatt des Tagelohns Dienfte auf demfelben Boden,
theils für die eigene Benußung defjelben beftimmte Abgaben (einen Zins)
nad) einem Padıtvertrage leiftet, ohne fid) dabei zum Gutsunterthan
(glebae adseriptus) zu maden, als wodurd) er feine Perſönlichkeit ein-
büßen würde, mithin eine Zeit- oder Erbpacht gründen fann. Er mag
num aber auch durd; fein Verbredden ein perſönlicher Unterthan ge
worden jein, jo kann dieſe Unterthänigfeit ihm doch nit anerben, weil
er fie ſich nur durch feine eigene Schuld zugezogen hat, und eben jo wenig
fann der von einem Zeibeigenen Erzeugte wegen der Erziehungstoften, die
er gemacht hat, in Anſpruch genommen werden, weil Erziehung eine ab-
jolute Naturpflicht der Eltern und, im Falle daß dieje Leibeigene waren,
der Herren ift, welche mit dem Befiß ihrer Unterthanen aud) die Pflichten
derjelben übernommen haben.
—
=
—
u)
Das Stantsredht. 331
E.
Bom Straf: und Begnadigungsredt.
I.
Das Strafredt ift das Necht des Befehlshabers gegen den Unter:
würfigen, ihn wegen feines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen.
Der Dberjte im Staate kann alfo nicht beftraft werden, jondern man kann
ſich nur feiner Herrſchaft entziehen. — Diejenige Übertretung des öffent:
lien Gejeßes, die den, welcher fie begeht, unfähig madjt, Staatsbürger
zu fein, heißt Verbrechen ſchlechthin (erimen), aber aud) ein öffentliches
Berbredhen (crimen publicum); daher das erftere (das Privatverbrechen)
vor die Givil-, das andere vor die Griminalgerehtigfeit gezogen wird. —
Veruntreuung, d. i. Unterfchlagung der zum Berfehr anvertrauten
Gelder oder Waaren, Betrug im Kauf und Verkauf bei fehenden Augen
des Anderen find Privatverbredyen. Dagegen find: falſch Geld oder falſche
Wechſel zu machen, Diebftahl und Raub u. dergl. öffentlidhe Verbrechen,
weil das gemeine Wejen und nicht bloß eine einzelne Perſon dadurd) ge—
fährdet wird. — Sie fünnten in die der niederträdtigen Gemüthsart
(indolis abiectae) und die der gewaltthätigen (indolis violentae) ein.
getheilt werden.
Richterliche Strafe (poena forensis), die von der natürlichen
(poena naturalis), dadurd das Later ſich jelbit beftraft und auf melde
der Gejeßgeber gar nicht Nüdfiht nimmt, verfchieden, kann niemals bloß
als Mittel ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher ſelbſt, oder
für die bürgerliche Gejellichaft, jondern muß jederzeit nur darum wider
ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Menſch fann nie
bloß als Mittel zu den Abſichten eines Anderen gehandhabt und unter die
Gegenftände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn feine ange:
borne Perfönlichkeit ſchützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar
wohl verurtheilt werden fann. Er muß vorher ftrafbar befunden fein,
ehe noch daran gedacht wird, aus diefer Strafe einigen Nuben für ihn
jelbft oder feine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgeje ift ein kategoriſcher
Imperativ, und wehe dem! welcher die Schlangenwindungen der Glüd-
feligfeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durd) den Vortheil,
den es verjpricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade der-
jelben entbinde nad) dem pharifäifhen Wahlſpruch: „Es ift befier, daß
nn
IR? Mieraptnfiice Amfangögrhnbe der Meisräirher 2 Theil. 1. Aiicpmitt.
ein Menikh Fierie, ls haf; das ganze Buff werberbr * denn wenn Die Er
zefptigleit — * je hat = —— mehr, ba —
nit Sermästumg
— denn die Gereiptigfeit hört ai die je win. wen fe Mh fin
argenb einen Vres mepgieht.
ee ee De ee enge
der Boge — il mifgt anche auf Die eine, ai af Die
anbere Seite Yinzumzigen. Mlie- mas für anmeriänilbeies Übel be =
emem Anberen im Sof zıfüogft, des Su Din Dir lot on. Sirius
du dbe, m beikpimurtt: de Did) Velbft; heizezhilit du hm, io beitiehft: Ds dich
el. Thläpt be übe, je Ihlagf: du dich Melt, Anne du übe, Fo Snmeeft
An Dit eb. Bar des Buenerperpeltenpsredt (me ulm) her,
auohl zu nerfichen, nor ber Säranten des Gerd: mid: in meinem Prinoi-
BORD: Bann Die SDOHENER ib Zianniiiiit —— —
—
10
hiemit, außer der Ungemächlichkeit, noch die Eitelfeit des Thäters ſchmerz⸗
haft angegriffen und jo durch Beihämung Gleiches mit Gleichem ge—
börig vergolten würde. — Was heißt das aber: „Bejtiehlft du ihn, jo ber
ftiehlft du dich ſelbſt“? Wer da ftiehlt, macht aller Anderer Eigenthum
unficher; er beraubt ſich aljo (nad) dem Recht der Wiedervergeltung) der
Sicherheit alles möglichen Eigenthums; er hat nichts und kann aud) nichts
erwerben, will aber doch leben; welches num nicht anders möglid) ift, als
daß ihn Andere ernähren. Weil diejes aber der Staat nicht umſonſt thun
wird, jo muß er diefem feine Kräfte zu ihm beliebigen Arbeiten (Karren—
oder Zuchthausarbeit) überlaffen und fommt auf gewifie Zeit, oder nad)
Befinden aud) auf immer in den Sklavenjtand. — Hat er aber gemordet,
fo muß er fterben. Es giebt hier fein Surrogat zur Befriedigung der
Gerechtigkeit. Es ift feine Gleihartigfeit zwiſchen einem noch jo
fummervollen Leben und dem Tode, alfo auch feine Gleichheit des Ver—
bredjens und der Wiedervergeltung, als durch den am Thäter gerichtlich
vollzogenen, doch von aller Mißhandlung, welche die Menſchheit in der
feidenden Perſon zum Scheuſal machen fönnte, befreieten Tod. — Selbjt
wenn fid) die bürgerliche Geſellſchaft mit aller Ölieder Einftimmung auf:
löjete (3. B. das eine Inſel bewohnende Volk beſchlöſſe auseinander zu
gehen und ſich in alle Welt zu zerjtreuen), müßte der lebte im Gefängniß
befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das
widerfahre, was feine Thaten werth find, und die Blutſchuld nicht auf dem
Volke hafte, das auf diefe Beftrafung nicht gedrungen hat: weil es als
Theilnehmer an diejer öffentlichen Verlegung der Gerechtigkeit betrachtet
werden fann.
Dieſe Gleichheit der Strafen, die allein durd die Erkenntniß des
Richters auf den Tod nad) dem ftrengen Wiedervergeltungsrecdhte möglid)
iſt, offenbart jih daran, daß dadurd allein proportionirlidy mit der
inneren Bösartigfeit der Verbrecher das Todesurtheil über alle (ſelbſt
wenn ed nicht einen Mord, jondern ein anderes nur mit dem Tode zu tilgen=
des Staatöverbredhen beträfe) ausgejprochen wird. — Gebet: daß, wie in
der legten ſchottiſchen Rebellion, da verfchiedene Theilnehmer an derjelben
(wie Balmerino und andere) durch ihre Empörung nichts als eine dem
Haufe Stuart jhuldige Pflicht auszuüben glaubten, andere dagegen
Privatabfihten hegten, von dem höchſten Gericht das Urtheil jo geſprochen
worden wäre: ein jeder jolle die Freiheit der Wahl zwiſchen dem Tode und
der Karrenftrafe haben; jo jage ich: der ehrlihe Mann wählt den Tod, °
334 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtölehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt.
der Schelm aber die Karre; jo bringt es die Natur des meunſchlichen
Gemüths mit fi. Denn der erftere fennt etwas, was er noch höher ſchätzt,
als jelbit das Leben: nämlid) die Ehre; der andere hält ein mit Schande
bedecktes Leben doc) immer nod) für befjer, als gar nicht zu fein (animam
praeferre pudori. Iuven.). Der erftere ift nun ohne Widerrede weniger
itrafbar als der andere, und fo werden fie durch den über alle gleid) ver-
hängten Tod ganz proportionirlic) beftraft, jener gelinde nad) jeiner Em:
pfindungsart und dieſer hart mach der jeinigen; da hingegen, wenn durd)-
gängig auf die Karrenftrafe erfannt würde, der erjtere zu hart, der andere
für feine Niederträchtigfeit gar zu gelinde beftraft wäre ; und jo ift auch hier
im Ausſpruche über eine im Gomplot vereinigte Zahl von Verbredern
der befte Ausgleicher vor der öffentlichen Gerechtigkeit der Tod. — liber-
dem hat man nie gehört, daß ein wegen Mordes zum Tode Verurtheilter
fid) beſchwert hätte, daß ihm damit zu viel und alfo unrecht gejchehe;
jeder würde ihm ins Geſicht lahen, wenn er ſich dejjen äußerte. — Man
müßte fonft annehmen, daß, wenn dem Verbreder gleich nad) dem Gejeß
nicht unrecht geſchieht, doch die gejeßgebende Gewalt im Staat dieſe Art
von Strafe zu verhängen nicht befugt und, wenn fie es thut, mit ſich jelbit
im Widerſpruch jei.
&o viel alfo der Mörder find, die den Mord verübt, oder auch be—
fohlen, oder dazu mitgewirkt haben, fo viele müſſen audy den Tod leiden;
jo will es die Gerechtigkeit als Idee der ridhterlihen Gewalt nad) allge"
meinen, a priori begründeten Geſetzen. — Wenn aber dod) die Zahl der
Complicen (correi) zu einer ſolchen That jo groß ift, daß der Staat, um
feine ſolche Verbredyer zu haben, bald dahin kommen könnte, feine Unter:
thanen mehr zu haben, und fid) doch nicht auflöfen, d. i. in den nod) viel
ärgeren, aller äußeren Gerechtigkeit entbehrenden Naturzujtand übergehen
(vornehmlich nicht durch das Spectafel einer Schladhtbanf das Gefühl des
Volks abſtumpfen) will, jo muß es auch der Somverän in feiner Macht
haben, in diefem Nothfall (casus necessitatis) jelbft den Richter zu machen
(vorzuftellen) und ein Urtheil zu ſprechen, welches ftatt der Lebensſtrafe
eine andere den Verbrechern zuerfennt, bei der die Volksmenge noch er—
halten wird, dergleichen die Deportation ift: diejes jelbjt aber nicht als
nad) einem öffentlichen Geſetz, ſondern durd) einen Machtſpruch, d. i. einen
—
Act des Majeſtätsrechts, der als Begnadigung nur immer in einzelnen =
Fällen ausgeübt werden fann.
Hiegegen hat nun der Marcheſe Beccaria aus theilnehmender Em—
5
[nn
w
[7
-
Das Staatsredht. 335 .
pfindelei einer affectirten Humanität (compassibilitas) feine
der Unrehtmäßigfeit aller Todesftrafe aufgeftellt: weil fie im um
Iprünglichen bürgerlichen Vertrage nicht enthalten fein fönnte; denn da
hätte jeder im Wolf einwilligen müfjen, fein Leben zu verlieren, wenn er
etwa einen Anderen (im Volk) ermordete; diefe Einwilligung aber jei uns
möglich, weil Niemand über fein Leben disponiren lönne. Alles Sophifte-
rei und Rechtsverdrehung.
Strafe erleidet jemand nicht, weil er fie, fondern weil er eine ſtraf—
bare Handlung gewollt hat; denn es iſt feine Strafe, wenn einem ges
ſchieht, was er will, und es ift unmöglich, geftraft werden zu wollen. —
Sagen: ic) will gejtraft werden, wenn ich jemand ermorde, heift nichis
mehr als: ich unterwerfe mic fammt allen Übrigen den Geſetzen, melde
natürlicherweife, wenn es Verbrecher im Boll giebt, aud) Strafgefehe jeln
werden. Ic ala Mitgejeßgeber, der das Strafgejeh bdietirt, Tann ums
möglich diejelbe Perſon fein, die als Unterthan nad) dem Gefeh beftraft
wird; denn als ein folder, nämlich als Verbrecher, kann id) unmöglich eine
Stimme in der Gejeßgebung haben (der Gefeßgeber ift heilig). Wenn id)
aljo ein Strafgejeß gegen mic als einen Verbrecher abfaffe, fo Ift es In
mir die reine rechtlich-gejeßgebende Bernunft (homo noumenon), bie mid)
als einen des Verbrechens Fähigen, folglich als eine andere Perſon (homo
phaenomenon) jammt allen übrigen in einen Bürgerverein bem Gtraf-
gejeße unterwirft. Mit andern Worten: nicht bas Wolf (jeder einzelne
in demjelben), ſondern das Gericht (die öffentliche Gerechtigleit), mithin ein
anderer als der Verbrecher dictirt bie Tobesftrafe, und im Socialcoutract
iſt gar nicht das Verſprechen enthalten, fi firafen zu laffen und fo fiber
fid) jelbft und fein Leben zu disponiren. Denn wenn ber Befugnih zu
ftrafen ein Berjpredhen des Mifjethäterd zum Grunde liegen müßte,
ſich ftrafen lafjen zu wollen, jo müßte es dieſem auch überlaffen werben,
ſich ftraffälig zu finden, und ber Verbrecher würbe fein eigener Richter
fein. — Der Hauptpunft bes Irrthums (mpwrrv Leubrz) Diefes Eophisms
beiteht darin: daß man das eigene Urtheil bes Verhrechers (bas man
feiner Bernunft aothwen dig zutrauen muß), des Lebens verluſtig wer⸗
den zu müſſen, für einen Beſchluß bes Willens auſicht, es ſich ſelbſt zu
nehmen, und fo fi die Rechtsvollziehung — ——
einer und berſelben Lerſon vereinigt vorfiellt.
Es giebt inbefien zwei tobeswhrbige Verbrechen, in Aufehung berem,
ob bie Geleggebung auf bie Befuguiß habe, fie mit der Tobesitrafe
336 Metaphofifcie Anfangsgründe ber Rechtölehre. 2. Theil. 1. Abſchun.
zu belegen, noch zweifelhaft bleibt. Zu beiden verleitet das Ehrgefühl.
Das eine ift das der Geſchlechtsehre, das andere der Kriegsehre
und zwar der wahren Ehre, welche jeder diefer zwei Menſchenclaſſen als
Pflicht obliegt. Das eine Verbrechen ift der mütterlihe Kindesmord
(infantieidium maternale); das andere der Kriegsgejellenmord (com-
militonicidium), das Duell. — Da die Gejeßgebung die Schmad) einer
unehelihen Geburt nicht wegnehmen und eben jo wenig den "led, weldyer
aus dem Verdacht der Teigheit, der auf einen untergeordneten Kriegs-
befehlshaber fällt, weldyer einer verächtlichen Begegnung nicht eine über
die Todesfurdt erhobene eigene Gewalt entgegenfeßt, wegwiſchen fann:
jo ſcheint es, daß Menſchen in diefen Fällen fid) im Naturzuftande befin-
den und Tödtung (homicidium), die alsdann nit einmal Mord (homi-
cidium dolosum) heißen müßte, in beiden zwar allerdings ftrafbar jei,
von der oberiten Macht aber mit dem Tode nicht fünne beftraft werben.
Das uneheliche auf die Welt gekommene Kind ift außer dem Geſetz (demn
das heißt Ehe), mithin auch außer dem Schuß deſſelben geboren. Es ift
in das gemeine Wejen gleichjam eingeſchlichen (wie verbotene Waare), jo
daß diefes feine Exiſtenz (weil es billig auf diefe Art nicht hätte eriftiren
follen), mithin aud) feine Vernichtung ignoriren kann, und die Schande
der Mutter, wenn ihre uneheliche Niederfunft befannt wird, faun feine
Verordnung heben. — Der zum Unter-Befehlshaber eingejehte Krieges—
mann, dem ein Schimpf angethan wird, fieht fi eben jowohl durch die
öffentliche Meinung der Mitgenofjen feines Standes genöthigt, fih Ge—
nugthuung und, wie im Naturzuftande, Beitrafung des Beleidigers nicht
durchs Geſetz, vor einem Gerichtshofe, jondern durdy das Duell, darin er
fid) jelbft der Lebensgefahr ausſetzt, zu verichaffen, um feinen Kriegamuth
zu beweijen, als worauf die Ehre feines Standes weſentlich beruht, jollte
e3 auch mit der Tödtung feines Gegners verbunden jein, die in diefem
Kampfe, der öffentlich und mit beiderfeitiger Einwilligung, doch aud) un—
gern geſchieht, eigentlih niht Mord (homicidium dolosum) genannt
werden kann. — — Was ift num in beiden (zur Criminalgerechtigkeit ges
hörigen) Fällen Rechtens? — Hier fommt die Strafgeredhtigfeit gar jehr
ins Gedränge: entweder den Ehrbegriff (der hier fein Wahn ift) durchs
Geſetz für nichtig zu erflären und jo mit dem Tode zu ftrafen, oder von
dem Verbrechen die angemefjene Todesftrafe weggunehmen, und jo ent- :
weder graufam oder nadyfichtig zu fein. Die Auflöfung diejes Knotens
ift: daß der kategoriſche Imperativ der Strafgeredhtigfeit (die gefehwidrige
Das Staatsrecht. 337
Tödtung eines Anderen müfje mit dem Tode bejtraft werden) bleibt, die
Gejebgebung felber aber (mithin aud) die bürgerliche Verfafjung), jo lange
nod) al3 barbarifc und unausgebildet, daran Schuld ift, daß die Trieb-
federn der Ehre im Volk (fubjectiv) nicht mit den Maßregeln zufammen
s treffen wollen, die (objectiv) ihrer Abficht gemäß find, jo daß die öffent:
lie, vom Staat ausgehende Gerechtigkeit in Anjehung der aus dem
Volk eine Ungerechtigkeit wird.
II.
Das Begnadigungsredht (ius aggratiandi) für den Verbreder,
ıo entweder der Milderung oder gänzlidhen Erlafjung der Strafe, ift wohl
unter allen Rechten des Souveräns das jhlüpfrigite, um den Glanz feiner
Hoheit zu beweifen und dadurch doch im hohen Grade unrecht zu thun. —
In Anjehung der Verbrechen der Unterthanen gegen einander fteht es
ſchlechterdings ihm nicht zu, es auszuüben; denn hier iſt Straflofigkeit
ı5 (impunitas eriminis) das größte Unrecht gegen die letztern. Alfo nur bei
einer Läſion, die ihm felbjt widerfährt, (erimen laesae maiestatis)
fann er davon Gebraudy machen. Aber aud) da nicht einmal, wenn durch
Ungeftraftheit dem Wolf felbit in Anſehung feiner Sicherheit Gefahr er:
wachſen könnte. — Diejes Net ift das einzige, was den Namen des
>» Majeſtätsrechts verdient.
Bon dem rechtlichen Berhältnijje des Bürgers zum Bater-
lande und zum Auslande.
$ 50.
Das Land (territorium), defjen Einſaſſen ſchon durch die Gonftitu-
>: tion, d. i. ohne einen befonderen rechtlichen Act ausüben zu dürfen (mits
hin durd die Geburt), Mitbürger eines und defjelben gemeinen Weſens
find, heißt das Baterland; das, worin fie es ohne diefe Bedingung nicht
find, das Ausland, und diefes, wenn es einen Theil der Landesherrſchaft
überhaupt ausmadjt, heißt die Provinz (in der Bedeutung, wie die
so Nömer diejes Wort brauchten), welche, weil fie doch feinen coalifirten
Theil des Reichs (imperii) als Sik von Mitbürgern, fondern nur eine
Beſitzung defjelben als eines Unterhaujes ausmadt, den Boden des
herrjchenden Staats als Mutterland (regio domina) verehren muß.
Kant’d Shriften, Berk, VI. 2
335 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2, Theil. 1. Abfchnitt.
1) Der Unterthan (aud) als Bürger betradhtet) hat das Recht der
Auswanderung; denn der Staat könnte ihn nicht als fein Eigenthum
zurüdhalten. Doch fann er nur feine fahrende, nicht die liegende Habe
mit herausnehmen, welches alsdann dod) gefhehen würde, wenn er feinen
bisher bejefjenen Boden zu verkaufen und das Geld dafür mit ſich zu
nehmen befugt wäre.
2) Der Landesherr hat das Recht der Begünftigung der Ein-
mwanderung und Anfiedelung Fremder (Coloniften), obgleich jeine Lan—
desfinder dazu jcheel jehen möchten; wenn ihnen nur nit das Privat-
eigenthum derjelben am Boden gekürzt wird.
3) Ebenderjelbe hat auch im Falle eines Verbrechens des Unterthans,
welches alle Gemeinſchaft der Mitbürger mit ihm für den Staat verderb-
lid) macht, das Net der Verbannung in eine Provinz im Auslande,
wo er feiner Nechte eines Bürgers theilhaftig wird, d. i. zur Depor-
tation.
4) Aud) das der Zandesvermweifung überhaupt (ius exilii), ihn
in die weite Welt, d.i. ins Ausland überhaupt (in der altdeutihen Sprache
Elend genannt), zu ſchicken; welches, weil der Landesherr ihm num allen
Schuß entzieht, jo viel bedeutet, als ihn innerhalb feinen Grenzen vogel-
frei zu machen.
$ 51.
Die drei Gewalten im Staat, die aus dem Begriff eines gemeinen
Weſens überhaupt (res publica latius dieta) hervorgehen, find nur fo
viel Verhältniffe des vereinigten, a priori aus der Vernunft abſtammen—
den Bolfswillens und eine reine Idee von einem Staatsoberhaupt, weldye
objective praftiiche Realität hat. Diejes Oberhaupt (der Souverän) aber
ift fo fern nur ein (das gefammte Volk vorjtellendes) Gedanfending,
als es nod) an einer phyfiihen Perſon mangelt, weldye die höchſte Staats—
gewalt vorftellt und diefer Idee Wirkſamkeit auf den Volkswillen ver:
ihafft. Das Verhältniß der erjteren zum leßteren ift num auf dreierlei
verfchiedene Art denkbar: entweder daß Einer im Staate über alle, oder
dab Einige, die einander gleid) find, vereinigt, über alle andere, oder
dab Alle zufammen über einen jeden, mithin auch über ſich ſelbſt ge-
bieten, d. i. die Staatsform ift entweder autokratiſch, oder arijto-
fratifcd), oderdemofratifch. (Der Ausdrud monarchiſch ftatt auto»
fratiich ijt nicht dem Begriffe, den man bier will, angemefjen; denn
10
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3
Das Gtaatäredht. 339
Monard) ift der, weldher die höchſte, Autofrator aber oder Selbit-
herrſcher der, weldher alle Gewalt hat; diefer ift der Souverän, jener
repräfentirt ihn bloß). — Man wird leicht gewahr, daß die autofratijche
Staatsform die einfachſte jei, nämlid von Einem (dem Könige) zum
Volke, mithin wo nur Einer der Geſetzgeber ift. Die ariftofratiiche ift
ſchon aus zwei Berhältnijfen zufammengejett: nämlid dem der Bor:
nehmen (als Gejeßgeber) zu einander, um den Souverän zu machen, und
dann das diejes Souveräns zum Volk; die demofratifche aber die aller-
zufammengejeßtefte, nämlid; den Willen Aller zuerft zu vereinigen, um
daraus ein Bolf, dann den der Staatsbürger, um ein gemeines Weſen zu
bilden, und dann diefem gemeinen Wejen den Souverän, der diejer ver:
einigte Wille ſelbſt ift, vorzujeßen.”) Was die Handhabung des Nedhts
im Staat betrifft, jo ift freilich die einfachſte auch zugleich die beite, aber,
was das Recht ſelbſt anlangt, die gefährlidhite fürs Volk in Betracht des
Despotismus, zu dem fie jo jehr einladet. Das Simplificiren ift zwar im
Maſchinenwerk der Bereinigung des Bolfs durch Zwangsgejeße die ver-
nünftige Marime: wenn nämlich alle im Bolf paffiv find und Einem, der
über fie ift, gehorchen; aber das giebt feine Unterthanen als Staats-
bürger. Was die Vertröftung, womit ſich das Volk befriedigen joll, be—
trifft, daß nämlidy die Monardyie (eigentlid hier Autofratie) die befte
Staatsverfafjung jei, wenn der Monard gut ijt (d. i. nicht bloß den
Willen, jondern aud) die Einfiht dazu hat): gehört zu den tautologijchen
MWeisheitsiprüchen und jagt nidyts mehr als: die befte Verfafjung ijt die,
durd welche der Staatöverwalter zum beiten Regenten BER wird,
d. i. diejenige, weldye die beite iſt.
$ 52.
Der Gefhichtsurfunde diefes Mehanismus nachzuſpüren, iſt
vergeblid), d. i. man fann zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen
Geſellſchaft nicht herauslangen (denn die Wilden errichten Fein Inſtru—
ment ihrer Unterwerfung unter das Geſetz, und es iſt auch jhon aus der
Natur roher Menjchen abzunehmen, daß jie es mit der Gewalt angefangen
haben werden). Dieje Nachforſchung aber in der Abſicht anzuftellen, um
*) Bon ber Berfälichung diefer Formen durch ſich einbringende unbefugte Macht»
baber (ber Dligardie und Ochlofratie), inngleichen ben fogenannten gemiſch—
ten Staatsverfaffungen erwähne ich hier nichts, weil e8 zu weit führen würde.
22*
340 Metaphufiiche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt.
allenfalls die jetzt beftehende Verfafjung mit Gewalt abzuändern, ift fträf:
lid. Denn diefe Umänderung müßte durchs Wolf, weldes fid dazu
rottirte, alfo nicht durd die Gejebgebung, geſchehen; Meuterei aber in
einer ſchon beftehenden Verfaflung ift ein Umſturz aller bürgerlich-recht-
lichen Verhältnifje, mithin alles Rechts, d. i. nicht Veränderung der
bürgerlichen VBerfafjung, fondern Auflöfung derfelben, und dann der Über—
gang in die befere nicht Metamorphofe, jondern Balingenefie, welche einen
neuen gejelichaftlichen Vertrag erfordert, auf den der vorige (nun aufge-
hobene) feinen Einfluß hat. — Es muß aber dem Souverän dod) möglich)
jein, die beftehende Staatsverfafjung zu ändern, wenn fie mit der Idee
des urjprünglichen Vertrags nicht wohl vereinbar ift, und hiebei doch die—
jenige Form beftehen zu lafjen, die dazu, da das Volk einen Staat aus»
mache, wejentlid; gehört. Dieſe Veränderung fann nun nicht darin be-
ftehen, daß der Staat fid) von einer dieſer drei Formen zu einer der beiden
anderen jelbjt conftituirt, z. B. daß die Ariftofraten einig werden, ſich
einer Autofratie zu unterwerfen, oder in eine Demokratie verſchmelzen zu
wollen, und jo umgekehrt; gleidy als ob es auf der freien Wahl und dem
Belieben des Souveräns beruhe, welder Berfafjung er das Volk unter:
werfen wolle. Denn jelbjt dann, wenn er fid) zu einer Demokratie umzu—
ändern bejdhlöffe, würde er doch dem Volk unrecht thun fünnen, weil es
jelbft dieſe Verfaffung verabſcheuen könnte und eine der zwei übrigen für
ſich zuträglicher fände.
Die Staatsformen find nur der Buchſtabe (littera) der urjprüngs
lichen Sejeßgebung im bürgerliden Zuftande, und fie mögen aljo bleiben,
jo lange fie, als zum Maſchinenweſen der Staatsverfafjung gehörend, durd)
alte und lange Gewohnheit (alfo nur jubjectiv) für nothwendig gehalten
werden. Aber der Geift jenes urſprünglichen Vertrages (anima pacti
originarii) enthält die Verbindlichkeit der conjtituirenden Gewalt, die
Regierungsart jener Idee angemefjen zu machen und jo fie, wenn es
nit auf einmal geſchehen fann, allmählich und continuirlic dahin zu
verändern, daß fie mit der einzig redytmäßigen Verfafjung, nämlid) der
einer reinen Nepublif, ihrer Wirkung nad aufammenftimme, und jene
alte empiriſche (ftatutarifche) Formen, welche bloß die Unterthänigfeit
des Volks zu bewirken dienten, fi) in die urfprünglidhe (rationale) auf
löſen, welche allein die Freiheit zum Princip, ja zur Bedingung alles
Zwanges macht, der zu einer rechtlichen Verfaſſung im eigentlichen Sinne
des Staats erforderlid) ift und dahin aud dem Buchjtaben nad) endlich
—
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15
25
25
Das Staatöredit, 341
führen wird. — Dies ift die einzige bleibende Staatsverfafjung, wo das
Geſetz jelbjtherrihend ift und an feiner befonderen Perſon hängt; der
legte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zuftand, in weldyem allein jedem
das Seine peremtorijch zugetheilt werden kann; indejjen daß, jo lange
jene Staatsformen dem Buchſtaben nad) eben jo viel verfchiedene mit der
oberjten Gewalt befleidete moraliſche Perſonen vorftellen jollen, nur ein
proviforifches inneres Recht und Fein abſolut-rechtlicher Zuſtand der
bürgerlichen Geſellſchaft zugeſtanden werden kann. |
Alle wahre Republik aber ift und kann nichts anders fein, als ein
repräjentatives Syitem des Volks, um im Namen defjelben, durd)
alle Staatöbürger vereinigt, vermittelft ihrer Abgeordneten (Deputirten)
ihre Rechte zu beiorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt der Perſon
nad) (es mag fein König, Adeljtand, oder die ganze Bolfszahl, der demo:
kratiſche Verein) ſich auch repräfentiren läßt, jo repräfentirt das ver-
einigte Volk nicht bloß den Souverän, jondern es ift diejer jelbit; denn
in ihm (dem Volk) befindet fi urjprünglich die oberfte Gewalt, von der
alle Rechte der Einzelnen, als bloßer Unterthanen (allenfalls als Staats-
beamten), abgeleitet werden müſſen, und die nunmehr errichtete Nepublif
hat num nicht mehr nöthig, die Zügel der Negierung aus den Händen zu
lafjen und fie denen wieder zu übergeben, die fie vorher geführt hatten,
und die num alle neue Anordnungen durch abjolute Willkür wieder ver:
nichten fönnten.
Es war aljo ein großer Fehltritt der Urtheilstraft eines mäd)-
tigen Beherrſchers zu unferer Zeit, fi aus der Verlegenheit wegen
großer Staatsfhulden dadurd helfen zu wollen, da er es dem Volt
übertrug, diefe Laſt nad) defjen eigenem Gutbefinden jelbit zu über:
nehmen und zu vertheilen; da es denn natürlicherweife nicht allein
die nejeßgebende Gewalt in Anjehung der Befteurung der Unter:
thanen, ſondern aud) in Anfehung der Regierung in die Hände be—
fam: nämlich zu verhindern, daß dieje nicht durch Verſchwendung
oder Krieg neue Schulden machte, mithin die Herridyergewalt des
Monardien gänzlich verſchwand (nicht bloß juspendirt wurde) und
aufs Volk überging, defjen nefebgebenden Willen nıın das Mein und
- Dein jedes Unterthans unterworfen wurde. Man kann auch nicht
jagen: daß dabei ein jtillihweigendes, aber dod) vertragsmäßiges
Berjprehen der Nationalverfammlung, ſich nicht eben zur Sonverä=
2 PDenpiitite Ihfinngäpriue der 2. Eiell. 1 Mikipuiti.
at zu Aufttutaen, Inubern ur Disier Apr Berlpafie zu abemiuittriren,
na versißuriem Behkhätie aber die Zug dei Bepimenti dem Br
merken micherum is \eime ide zu überietenn, angenmemen meı=
Deu whie ; Damm ein Iskiger Bertrag m um if, Ya mul und mfg,
Tas ot ber oberen Seiepgrbung im gemeimen Bein 6 kein :
vernuberliches, Toubern bes aleryeriüuiihie Reit Ber es bat,
fan nur buch ben Grlamzutwillen des Bılis über bes Bell, aber
nidt über ben Sciammswillen jelbit, ber ber Ilrgrmat aler ipeat-
nit a6 geichgebender Madıt zujichen unb body das Beil nerbinben,
welches na Dem Eatze⸗ iemanb kann zueicn Darren dienen, ein
Wideriyrud if.
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[7]
Des
öffentliben Nedts
Zweiter Abichnitt.
Das Völkerrecht.
8 58.
Die Menſchen, welche ein Volk ausmachen, fünnen al3 Landesein—
geborne nad) der Analogie der Erzeugung von einem gemeinfchaftlichen
Elterftamm (congeniti) vorgeftellt werden, ob fie es gleich nicht find:
dennoch aber in intellectueller und rechtlicher Bedeutung, als von einer
gemeinſchaftlichen Mutter (der Republik) geboren, gleicyjam eine Familie
(gens, natio) ausmadjen, deren Glieder (Staatsbürger) alle ebenbürtig
find und mit denen, die neben ihnen im Naturzuftande leben möchten, als
unedlen feine Vermiſchung eingehen, obgleich dieje (die Wilden) ihrer:
ſeits fid) wiederum wegen der gejeßlojen Freiheit, die fie gewählt haben,
vornehmer dünfen, die gleichfalls Völkerſchaften, aber nicht Staaten
ausmahen. Das Recht der Staaten in Verhältniß zu einander [welches
nicht ganz richtig im Deutſchen das Völferredht genannt wird, jondern
vielmehr das Staatenreht (ius publicum eivitatum) heißen jollte] ift
nun dasjenige, was wir unter dem Namen des Völkerrechts zu betrachten
haben: wo ein Staat, als eine moralifche Perjon, gegen einen anderen im
BZuftande der natürlidyen Freiheit, folglich auch dem des beftändigen
Krieges betradjtet, theils das Recht zum Kriege, theils das im Kriege,
theils das, einander zu nöthigen, aus diejem Kriegszuftande heraus:
zugehen, mithin eine den beharrlihen Frieden gründende Verfafjung,
d.i. das Recht nad; dem Kriege, zur Aufgabe madt, und führt nur
das Unterjcheidende von dem des Naturzujtandes einzelner Menjchen
oder Familien (im Verhältniß gegen einander) von dem der Völker bei
fi, dab im Völkerrecht nicht bloß ein Verhältniß eines Staats gegen
den anderen im Ganzen, jondern auch einzelner Berjonen des einen gegen
344 Metaphufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 2. Abſchnitt.
einzelne des anderen, imgleiden gegen den ganzen anderen Staat jelbjt
in Betrachtung fommt; welder Unterſchied aber vom Recht Einzelner im
bloßen Naturzuftande nur folder Beftimmungen bedarf, die fi) aus dem
Begriffe des letzteren leicht folgern laffen.
$ 54.
Die Elemente des Völkerrechts find: 1) daß Staaten, im äußeren
Berhältnig gegen einander betrachtet, (wie geſetzloſe Wilde) von Natur in
einem nicht⸗rechtlichen Zuftande find; 2) daß diefer Zuftand ein Zuftand
des Krieges (des Rechts des Stärferen), wenn gleich nicht wirflicher Krieg
und immermwährende wirkliche Befehdung (Hoftilität) ift, welde (indem
fie e3 beide nicht bejjer haben wollen), obzwar dadurd; feinem von dem
Anderen unrecht geichieht, doch am ſich ſelbſt im höchſten Grade unrecht
ift, und aus welhem die Staaten, welde einander benachbart find, aus-
zugehen verbunden find; 3) daß ein Völferbund nad der Idee eines ur-
jprünglichen gejellihaftlihen Vertrages nothwendig ift, fih zwar ein-
ander nicht in die einheimische Mißhelligfeiten derfelben zu mijdyen, aber
doch gegen Angriffe der äußeren zu ſchützen; 4) daß die Verbindung doc)
feine fouveräne Gewalt (wie in einer bürgerlihen Berfafjung), jondern
nur eine Genoſſenſchaft (Föderalität) enthalten müſſe; eine VBerbün-
dung, die zu aller Zeit aufgefündigt werben kann, mithin von Zeit zu Zeit
erneuert werden muß, — ein Redjt in subsidium eines anderen und ur:
fprüngliden Redts, den Verfall in den Zuftand des wirklichen Krieges
berjelben untereinander von ſich abzumehren (foedus Amphictyonum),
8 55.
Bei jenem urjprünglihen Rechte zum Kriege freier Staaten gegen
einander im Naturzuftande (um etwa einen dem rechtlichen fih an-
nähernden Zuftand zu ftiften) erhebt ſich zuerft die Frage: welches Recht
bat der Staat gegen feine eigene Unterthanen fie zum Kriege gegen
andere Staaten zu brauchen, ihre Güter, ja ihr Leben dabei aufzumenden,
oder aufs Spiel zu jeßen: jo daß es nicht von diejer ihrem eigenen Urtheil
abhängt, ob fie in den Krieg ziehen wollen oder nicht, jondern der Ober—
befehl des Souveräng fie hineinſchicken darf?
Dieſes Recht jcheint ſich leicht darthun zu laſſen; nämlich aus dem
Rechte mit dem Seinen (Eigenthum) zu ihun, was man will. Was jemand
—
wi
ii
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—
——
Das Voͤllerrecht. 345
aber der Subſtanz nad) ſelbſt gemacht hat, davon hat er ein unbeſtrille—
nes Eigenthum. — Hier ift alfo die Deduction, jo wie fie ein bloßer Jurift
abfafjen würde.
Es giebt manderlei Naturproducte in einem Lande, die doch, was
die Menge berjelben von einer gewifjen Art betrifft, zugleich als Ge—
mädhjel (artefacta) des Staats angefehen werden müſſen, weil das
Land fie in folder Menge nicht liefern würde, wenn es nicht einen Staat
und eine ordentliche machthabende Regierung gäbe, fondern die Bewohner
im Stande der Natur wären. — Haushühner (die nützlichſte Art des Ge—
flügels), Schafe, Schweine, das Rindergejhleht u. a. m. würden ent-
weder aus Mangel an Futter, oder der Naubthiere wegen in dem Lande,
wo id) lebe, entweder gar nicht, oder höchft ſparſam anzutreffen fein, wenn
es darin nicht eine Negierung gäbe, welche den Einwohnern ihren Erwerb
und Befiß fiherte. — Eben das gilt auch von der Menjchenzahl, die eben
jo wie in den amerifanijhen Wüften, ja felbjt dann, wenn man dieſen
ben größten Fleiß (den jene nicht haben) beilegte, nur gering fein kann.
Die Einwohner würden nur jehr dünn gejäet fein, weil feiner derjelben
fi mit fammt feinem Gefinde auf einem Boden weit verbreiten fönnte,
der immer in Gefahr ift, von Menſchen oder wilden und Raubthieren
verwüͤſtet zu werden; mithin fich für eine jo große Menge von Menſchen,
als jebt auf einem Lande leben, fein hinlänglicdyer Unterhalt finden würde.
— — So wie man nun von Gewächſen (3. B. den Kartoffeln) und von
Hausthieren, weil fie, was die Menge betrifft, ein Machwerk der Menſchen
find, jagen kann, dag man fie gebrauchen, verbrauden und verzehren
(tödten lafjen) Fann: fo, jcheint es, könne man aud) von der oberften Ge—
walt im Staat, dem Souverän, jagen, er habe das Recht, feine Unter:
thanen, die dem größten Theil nad) fein eigenes Product find, in den Krieg
wie auf eine Jagd und zu einer Feldſchlacht wie auf eine Luftpartie zu
führen.
Diejer Rechtsgrund aber (der vermuthlich den Monarchen auch dunkel
vorſchweben mag) gilt zwar freilid in Anfehung der Thiere, die ein
Eigenthum des Menſchen fein können, will fid) aber dod) ſchlechterdings
nicht auf den Menſchen, vornehmlid als Staatsbürger, anwenden lafjen,
der im Staat immer als mitgejeßgebendes Glied betrachtet werden muß
(nicht bloß als Mittel, jondern auch zugleid; als Zweck an ſich felbit),
und der alſo zum Kriegführen nicht allein überhaupt, fondern auch zu
jeder befondern Kriegserflärung vermittelit feiner Repräfentanten feine
346 Metaphyfiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 2. Ahfchnitt.
freie Beiftimmung geben muß, unter weldyer ı
allein der Staat über feinen gefahrvollen Dienft Versen
Wir werden alfo wohl diejes Necht von der Pflicht des Somveräns
gegen das Volk (nicht umgekehrt) abzuleiten haben; wobei diejes dafür
angejehen werden muß, daß es feine Stimme dazu gegeben habe, in >
welcher Qualität es, obzwar paſſiv (mit ſich machen läßt), doch auch jelbjt-
thätig ift und den Souverän ſelbſt vorftellt.
$ 56.
Am natürlichen Zuftande der Staaten ift das Recht zum Kriege
(zu Hoftilitäten) die erlaubte Art, wodurd) ein Staat fein Recht gegen 10
einen anderen Staat verfolgt, nämlich, wenn er von diefem ſich lädirt
glaubt, durch eigene ®ewalt: weil es durch einen Proceß (als durch den
allein die Zwiftigfeiten im ———
(der erſten Aggreſſi
ift es die Bedrohung. Hiezu gehört entweder eine zuerſi |
Zuräftung, worauf id das Recht des Zuvorfommens (ius praeven-
tionis) gründet, Er ee ir
(potentia tremenda) eines anderen Staats. Dieie
bloß durd dem Zuftand vor aller »
diejer Angriff
anmahiende Macht
ift eine Zäfion des Mindermächtigen
That des Übermägtigen, und im Naturzuftande ift
Hierauf grümdet fi aljo das Recht des Gleich⸗
gemichts aller einander thätig Stauten.
Bas die en en Verlegung betrifft, die ein Recht zum Kriege
giebt, jo gebört dazu Die ‚ für die Belei-
digumg dos einen Dulis darch das Volt des anderen Staats, die Bieder-
gmramer |
TUR, dad Bee ie Rt au Ach At Jade mein
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Das Völkerrecht. 347
$ 57.
Das Recht im Kriege ijt gerade das im Völlerrecht, wobei die meifte
Schwierigkeit iſt, um ſich aud) nur einen Begriff davon zu machen und
ein Geſetz in diejem geſetzloſen Zuftande zu denken (inter arma silent
leges), ohne fid) jelbjt zu widerjprechen; e8 müßte denn dasjenige jein:
den Krieg nad) jolden Grundſätzen zu führen, nad) welden es immer
noch möglich bleibt, aus jenem Naturzuftande der Staaten (im äußeren
Verhältnig gegen einander) herauszugeben und in einen rechtlichen
zu treten.
Kein Krieg unabhängiger Staaten gegen einander fann ein Straf:
krieg (bellum punitivum) fein. Denn Strafe findet nur im Verhältnifje
eines Dbern (imperantis) gegen den Unterworfenen (subditum) ftatt,
welches Verhältnig nicht das der Staaten gegen einander ift. — Aber
aud) weder ein Ausrottungs= (bellum interneeinum) nod Unter:
johungsfrieg (bellum subiugatorium), der eine moralijche Vertilgung
eines Staats (defjen Volk nun mit dem des Uberwinders entweder in eine
Mafje verfchmelzt, oder in Knechtichaft verfällt) jein würde. Nicht als ob
diejes Nothmittel des Staats zum Friedenszuftande zu gelangen an ſich
dem Rechte eines Staats widerjpräche, fondern weil die Idee des Völker:
rechts bloß den Begriff eines Antagonismus nad) Principien der äußeren
Freiheit bei fi führt, um fid) bei dem Seinen zu erhalten, aber nicht
eine Art zu erwerben, als welche durd) Vergrößerung der Macht des einen
Staats für den anderen bedrohend jein fann.
Bertheidigungsmittel aller Art find dem befriegten Staat erlaubt,
nur nicht joldhe, deren Gebrauch die Unterthanen dejjelben, Staatsbürger
zu fein, unfähig madyen würde; denn alsdann machte er ſich ſelbſt zugleich
unfähig im Staatenverhältnifje nad) dem Völkerrecht für eine Perjon zu
gelten (die gleicher Rechte mit andern theilhaftig wäre). Darunter gehört:
feine eigne Unterthanen zu Spionen, dieje, ja auch Auswärtige zu Meuchel—
mördern, Giftmifchern (in welche Claſſe aud) wohl die fo genannten Scharf:
Ihüßen, welche Einzelen im Hinterhalte auflauern, gehören möchten), oder
aud nur zur Verbreitung falfcher Nachrichten zu gebrauden; mit einem
Wort, fidy folder heimtüdischen Mittel zu bedienen, die das Vertrauen,
welches zur künftigen Gründung eines dauerhaften Friedens erforderlid)
ift, vernichten würden.
Im Kriege ift es erlaubt, dem überwältigten Feinde Lieferungen
348 Metaphufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2, Theil 2. Wbicmitt.
und Gontribution aufzulegen, aber nit das Volk zu plündern, d. i. ein-
zelnen Perfonen das Ihrige abzugwingen (denn das wäre Raub: weil
nicht das überwundene Volk, fondern der Staat, unter deſſen Herridaft
es war, durch daſſelbe Krieg führte): ſondern durch Ausjhreibungen
gegen ausgeftellte Scheine, um bei nahfolgendem Frieden die dem Lande
oder ber Provinz aufgelegte Zaft proportionirlich zu vertheilen.
& 58.
Das Reht nad; dem Kriege, di. im Zeitpunfte des teren
vertrags umd in Hinfiht auf die Folgen deſſelben, bejteht darin: der
Sieger macht die Bedingungen, über die mit dem Befiegten übereinzu- 1
kommen und zum Friedensihluß zu gelangen Tractaten gepflogen
werden, und zwar nicht gemäß irgend einem vorzujhüßenden Recht, was
ihm wegen der vorgebliden Läſion feines Gegners zuftehe, jondern, in:
dem er dieje Frage auf fid) beruhen läßt, ſich ftügend auf jeine Gewalt.
Daher kann der überwinder nicht auf Erftattung der Kriegsfoften an- ıs
tragen, weil er den Krieg jeines Gegners alsdann für ungerecht ausgeben
müßte: jondern ob er fi) gleic) diefes Argument denfen mag, jo darf er
es doch nicht anführen, weil er ihn jonft für einen Beftrafungsfrieg er:
Hären und jo wiederum eine Beleidigung ausüben würde. Hiezu gehört
and) die (auf feinen Loskauf zu ftellende) Auswechjelung der Gefangenen, =
ohme auf Gleichheit der Zahl zu jehen.
Der überwundene Staat, oder defjen linterthanen verlieren durch
die Eroberung des Landes nicht ihre ftaatsbürgerliche Freibeit, jo daß
jener zur Golonie, dieje zu Zeibeigenen abgewürdigt würden; denn jonft
wäre es ein Straffrieg gewejen, der an ſich jelbft widerjpredyend ift. — *
Eine Eolonie oder Provinz ift ein Volk, das zwar feine eigene Ver:
fafjung, Gejeßgebung, Boden hat, auf welchem die zu einem anderen
Staat Gehörige nur Fremdlinge find, der dennoch über jenes die oberfte
ausübende Gewalt hat. Der legtere heit der Mutterftaat. Der
Tochterſtaat wird von jenem beherrſcht, aber doch von ſich jelbft (durch z⸗
fein eigenes Parlament, allenfalls unter dem Vorſitz eines Bicefönigs)
regiert (eivitas bybrida). Dergleidyen war Athen in Beziehung auf ver:
ſchiedene Inſeln und ift jegt Großbritannien in Anjehung Irlands.
Nod) weniger kann Zeibeigenfhaft und ihre Rechtmäßigkeit von
der Überwältigung eines Volks dur Krieg abgeleitet werden, weil man x
[7,7
a
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35
Das Voͤllerrecht. 349
biezu einen Straffrieg annehmen müßte. Am allerwenigjten eine erbliche
Leibeigenſchaft, die überhaupt abfurd ift, weil die Schuld aus Jemandes
Verbrechen nicht anerben kann. |
Daß mit dem Friedensfhluffe auch die Amneftie verbunden ſei,
liegt ſchon im Begriffe defjelben.
$ 59.
Das Recht des Friedens ift 1) das im Frieden zu fein, wenn in
der Nachbarſchaft Krieg ift, oder das der Neutralität; 2) fi die Fort-
dauer des geichlofjenen Friedens zufichern zu lafjen, d. i. das der Ga—
rantie; 3) zu wechjeljeitiger Verbindung (Bundsgenofjenidhaft)
mehrerer Staaten, ſich gegen alle äußere oder innere etwanige Angriffe
gemeinjchaftlic zu vertheidigen; nicht ein Bund zum Angreifen und
innerer Vergrößerung.
$ 60.
Das Recht eines Staats gegen einen ungeredhten Feind hat
feine Grenzen (wohl zwar der Qualität, aber nicht der Quantität, d. i. dem
Grade, nad): d. i. der beeinträdhtigte Staat darf ſich zwar nicht aller
Mittel, aber doch der an ſich zuläjligen in dem Maße bedienen, um das
Seine zu behaupten, als er dazu Kräfte hat. — Was ift aber num nad)
Begriffen des Völferrehts, in welchem wie überhaupt im Naturzuftande
ein jeder Staat in feiner eigenen Sache Richter ift, ein ungeredter
Feind? Es ift derjenige, deſſen öffentlich (es fei wörtlich oder thätlich)
geäußerter Wille eine Marime verräth, nad) welcher, wenn fie zur allge
meinen Regel gemacht würde, fein Friedenszuftand unter Völkern möglich,
fondern der Naturzuftand verewigt werden müßte. Dergleichen iſt die
Verletzung öffentlicher Verträge, von weldher man vorausjeßen fann, daß
fie die Sadye aller Völker betrifft, deren Freiheit dadurd) bedroht wird,
und die dadurd) aufgefordert werden, fid) gegen einen ſolchen Unfug zu
vereinigen und ihm die Macht dazu zu nehmen; — aber doch aud nicht,
um jid in fein Land zu theilen, einen Staat gleichſam auf der Erde
verſchwinden zu machen; denn das wäre Ungerechtigkeit gegen das Wolf,
welches jein urjprüngliches Recht, fi in ein gemeines Weſen zu ver:
binden, nicht verlieren kann, fondern e3 eine neue Verfafjung annehmen
zu lafjen, die ihrer Natur nad) der Neigung zum Kriege ungünftig it.
Übrigens ift der Ausdrud eines ungerechten Feindes im Natur—
——
Werfiuugpegriundter dr Mochtelefin. V Theil.
De der Nrturzattmd u
er ir mußt as Sue Merigen i
Das Voͤlkerrecht. 351
Unter einem Congreß wird hier aber nur eine willfürliche, zu aller
Zeit auflösliche Zufammentretung verjchiedener Staaten, nicht eine
ſolche Verbindung, welche (jo wie die der amerikanischen Staaten) auf
einer Staatsverfafjung gegründet und daher unauflöslich ift, verjtanden;
s — dur welchen allein die Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts
der Völker, ihre Streitigkeiten auf civile Art, gleichſam durch einen Bro-
ceß, nicht auf barbariſche (nad Art der Wilden), nämlich durch Krieg, zu
entjcheiden, realifirt werden kann.
Des
öffentliden Rechts
Dritter Abjchnitt.
Das Weltbürgerredt.
$ 62.
Dieje Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freunds
Ihaftliden, durchgängigen Gemeinſchaft aller Völker auf Erden, die unter-
einander in wirkſame Verhältnifje fommen fönnen, ift nit etwa philan-
thropiſch (ethiſch), fondern ein rehtliches Princip. Die Natur hat fie
alle zufammen (vermöge der Kugelgeftalt ihres Aufenthalts, als globus
terraqueus) in beftimmte Grenzen eingeſchloſſen; und da der Beſitz des
Bodens, worauf der Erdbewohner leben fann, immer nur als Befit von
einem Theil eines bejtimmten Ganzen, folglich als ein foldyer, auf den
jeder derjelben urjprünglid) ein Recht hat, gedacht werden faun: fo ftehen
alle Bölfer urfpriüinglich in einer Gemeinschaft des Bodens, nicht aber
der rehtlihen Gemeinſchaft des Befißes (communio) und biemit des
Gebrauchs, oder des Eigenthums an demſelben, jondern der phyfiichen
möglihen Wechſelwirkung (commercium), d. i. in einem durchgängigen
Derhältnifje eines zu allen Anderen, fi zum Verkehr untereinander
anzubieten, und haben ein Recht, den Verſuch mit demjelben zu madjen,
ohne daß der Auswärtige ihm darum als einem Feind zu begegnen be—
rechtigt wäre. — Dieſes Recht, jo fern es auf die mögliche Vereinigung
aller Völker in Abfiht auf gewiffe allgemeine Gefebe ihres möglichen
Verkehrs geht, kann das weltbürgerliche (ius cosmopoliticum) genannt
werden.
Meere fünnen Völker aus aller Gemeinſchaft mit einander zu feßen
ſcheinen, und dennod) find fie vermittelt der Schiffahrt gerade die glüd-
lihften Naturanlagen zu ihrem Verkehr, welder, je mehr es einander
nahe Küften giebt (wie die des mittelländifchen), nur deito lebhafter fein
25
Das Weltbürgerrecht. 353
kann, deren Beſuchung gleihwohl, noch mehr aber die Niederlafjung auf
denfelben, um fie mit dem Mutterlande zu verknüpfen, zugleich die Beran-
lafjung dazu giebt, daß Ubel und Gewaltthätigkeit an einem Orte unferes
Globs an allen gefühlt wird. Dieſer mögliche Mißbrauch fann aber das
Recht des Erdbürgers nicht aufheben, die Gemeinichaft mit allen zu ver»
ſuchen und zu diefem Zweck alle Gegenden der Erde zu befuden, wenn
es gleich nicht ein Recht der Anjiedelung auf dem Boden eines anderen
Volks (ius incolatus) ijt, als zu weldhem ein bejonderer Vertrag erfordert
wird.
Es frägt fi aber: ob ein Volk in neuentdedten Ländern eine An—
wohnung (accolatus) und Belignehmung in der Nachbarſchaft eines
Volks, das in einem ſolchen Landſtriche ſchon Pla genommen hat, auch
ohne jeine Einwilligung unternehmen dürfe. —
Wenn Anbauung in folder Entlegenheit vom Sit des erfteren ge-
ſchieht, dab feines derfelben im Gebraud) feines Bodens dem anderen
Eintrag thut, jo ijt das Recht dazu nicht zu bezweifeln; wenn es aber
Hirten- oder Jagdvölker find (wie die Hottentotten, Tungufen und die
meisten amerifanifchen Nationen), deren Unterhalt von großen öden Land—
ſtrecken abhängt, jo würde dies nicht mit Gewalt, fondern nur durch Ver—
trag, und ſelbſt diefer nicht mit Benußung der Unmifjenheit jener Ein-
wohner in Anjehung der Abtretung folder Yändereien geſchehen fünnen;
obzwar die Nechtfertigungsgründe jheinbar genug find, daß eine ſolche
Gemwaltthätigfeit zum Weltbeften gereiche; theil$ durch Gultur roher
Völker (wie der Vorwand, durch den ſelbſt Büjhing die blutige Ein-
führung der riftliden Religion in Deutſchland entſchuldigen will), theils
zur Reinigung feines eigenen Landes von verderbten Menſchen und ge
hoffter Befjerung derjelben oder ihrer Nachkommenſchaft in einem ande:
ren Welttheile (wie in Neuholland); denn alle diefe vermeintlicdy gute Ab»
fihten fünnen dody den Fleden der Ungerechtigkeit in den dazu gebraud):
ten Mitteln nicht abwaſchen. — Wendet man hiegegen ein: daß bei joldyer
Bedenflichkeit, mit der Gewalt den Anfang zu Gründung eines geieh-
lihen Zujtandes zu machen, vielleiht die ganze Erde noch in geſetzloſem
Buftande fein würde: fo fann das eben jo wenig jene Rechtsbedingung
aufheben, als der Borwand der Staatsrevolutionijten, daß es aud, wenn
Derfaflungen verunartet find, dem Volk zuftehe, fie mit Gewalt umzu—
formen und überhaupt einmal für allemal ungerecht zu fein, um nachher
die Gerechtigkeit deito fiherer zu gründen und aufblühen zu machen.
Kant's Schriften. Werke, VI. 23
354 Metaphyfifche Anfangsgrände der Rechtölehre. 2. Theil. 3. Abſchnitt.
Beſchluß.
Wenn jemand nicht beweiſen kann, daß ein Ding iſt, jo mag er ver-
ſuchen zu beweifen, daß es nicht ift. Will es ihm mit feinem von beiden
gelingen (ein Fall, der oft eintritt), jo fann er noch fragen: ob es ihn
interejjire, das Eine oder das Andere (durch eine Hypothefe) anzu⸗
nehmen, und dies zwar entweder in theoretiicher, oder in praftifcher
Ruͤckſicht, d. i. entweder um ſich ea gen
für den Aitronom das des Nüdganges und Stilljtandes der Planeten)
zu erflären, oder um einen gewifjen Zwed zu erreichen, der nun wiederum
entweder pragmatijch (blofer Kunftzwed) oder moraliſch, d. i. ein
folder Zwedt jein kann, den fih zu ſehen die Marime jelbft Pflicht ift.
== 08 derficht fi von feR: hab nid das Annehmen (snppositio) ber
Ga
"ML ee nr ‚ee —J
3 —— ee —— ——
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1
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1
25
Das Weltbürgerrecht. 355
frommer Wunfd) bliebe, jo betrügen wir uns doch gewiß nicht mit der
Annahme der Marime dahin unabläjfig zu wirken; denn dieſe ift Pflicht;
das moralijdhe Geſetz aber in ung jelbjt für betrüglich anzunehmen, würde
den Abſcheu erregenden Wunſch hervorbringen, lieber aller Vernunft zu
entbehren und ſich feinen Grundſätzen nad) mit den übrigen Thierclafjen
in einen gleichen Medhanism der Natur geworfen anzufehen.
Man fann jagen, daß dieje allgemeine und fortdauernde Friedens-
itiftung nicht bloß einen Theil, jondern den ganzen Endzweck der Rechts—
lehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft ausmache; denn der
Triedenszuftand ift allein der unter Geſetzen gefiherte Auftand bes
Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menſchen, mithin
die im einer Verfafjung zufammen find, deren Regel aber nicht von der
Erfahrung derjenigen, die ſich bisher am beiten dabei befunden haben,
als einer Norm für Andere, fondern die durd) die Vernunft a priori von
dem deal einer rechtlichen Verbindung der Menſchen unter öffentlichen
Gejeken überhaupt hergenommen werden muß, weil alle Beiipiele (als
die nur erläutern, aber nichts beweijen fünnen) trüglich find, und jo aller:
dings einer Metaphyfit bedürfen, deren Nothwendigkeit diejenigen, die
dieſer fpotten, doch unvorfichtiger Weife jelbit zugejtehen, wenn fie 3. 8.,
wie fie es oft thun, jagen: „Die bejte Verfaſſung ift die, wo nicht die
Menſchen, fondern die Geſetze machthabend find.“ Denn was fann mehr
metaphyfiih jublimirt fein, als eben dieſe Fdee, welche gleihwohl nad)
jener ihrer eigenen Behauptung die bewährtefte objective Realität hat,
die fi) au in vorfommenden Fällen leicht darjtellen läßt, und welche
allein, wenn jie nidyt revolutionsmäßig, durd einen Sprung, d. i. durd)
gewaltiame Umftürzung einer bisher beftandenen fehlerhaften — (denn da
würde ſich zwiſcheninne ein Augenblid der Vernichtung alles rechtlichen
Buftandes ereignen), jondern durd; allmähliche Reform nad) feiten Grund—
fägen verſucht und durchgeführt wird, in continuirlicyer Annäherung zum
so höchſten politijhen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten fann.
23*
Anhang
erläuternder Bemerkungen
zu ben
metaphyfiihen Anfangsgründen der Rechtslehre.
| | daß jene ? t
für Die Wiffenfejaft Bleiben werben,* abgefaht, Id) — ber
er ee
Gleich, beim Anfange der Einleitung in die Rechtslehre ſtößt fich
Recenfent an einer Definition. — Bas heißt Be-
mein jharfprüfender
en Sie it, ſagt der Tert, das Vermögen, durch jeine
Vorſtellungen Urſache ber i |
3 abitraht fee
miſt aber aud) dem Idealiſten Etwas, obgleich dieſem
At nichts ift." Antwort: Giebt es aber nicht aud) eine heftige
—— Bewußtſein vergebliche Sehnſucht (3. B. wollte Gott, 20
lebte noch!), die zwar thatleer, aber doch nicht folgeleer
a ae ae aber doch im Innern des Subjects
j wirft (krank mat). Eine Begierde als Bejtreben (nisus)
ft feiner Borftellungen Urſache zu fein ift, wenn das Subject
ie Unzulänglichteit ber lebteren zur beabfihtigten Wirkung einfieht, —
r Gaufalität, wenigftens im Innern defjelben. — Was hier den
un
I
wu.
—
=
Anhang erläuternder Bemerkungen. 357
Mißverſtand ausmadıt, ift: daß, da das Bemwußtfein feines Vermögens
überhaupt (in dem genannten Falle) zugleid) das Bewußtjein feines Un—
vermögens in Anfehung der Außenwelt ift, die Definition auf den Fdea-
Liften nicht anwendbar ift; indefjen daß doch, da hier bloß von dem Ber-
hältnifje einer Urſache (der Vorftellung) zur Wirkung (dem Gefühl) über:
haupt die Rede ift, die Caufalität der Vorftellung (jene mag äußerlich
oder innerlich fein) in Anjehung ihres Gegenftandes im Begriff des Be-
gehrungsvermögens unvermeidlich gedacht werden muß.
l.
Logiſche Vorbereitung zu einem neuerdings gemagten
Rechtsbegriffe.
Wenn rechtskundige Philoſophen ſich bis zu den metaphyſiſchen An-
fangsgründen der Rechtslehre erheben oder verſteigen wollen (ohne welche
alle ihre Rechtswiſſenſchaft bloß ſtatutariſch ſein würde), ſo können ſie
über die Sicherung der Vollſtändigkeit ihrer Eintheilung der Rechts—
begriffe nicht gleichgültig wegſehen: weil jene Wiſſenſchaft ſonſt kein Ver—
nunftſyſtem, ſondern bloß aufgerafftes Aggregat ſein würde. — Die
Topik der Principien muß der Form des Syſtems halber vollſtändig ſein,
d. i. es muß der Platz zu einem Begriff (locus communis) angezeigt
werden, der nad) der ſynthetiſchen Form der Eintheilung für dieſen Begriff
offen iſt; man mag naher aud) darthun, daß einer oder der andere Be—
griff, der in diefen Plaß geſetzt würde, an fid) widerjpredyend jei und aus
diefem Plage wegfalle.
Die Rechtslehrer haben bisher nun zwei Gemeinpläße befebt: den
des dinglichen und den des perjönlidhen Rechts. Es ift natürlich,
zu fragen: ob auch, da nod) zwei Pläße aus der bloßen Form der Ver—
bindung beider zu einem Begriffe, als Glieder der Eintheilung a priori,
offen ftehen, nämlich) der eines auf perjönliche Art dinglichen, imgleichen
der eines auf dingliche Art perfönlichen Rechts, ob nämlich ein folder neu—
binzufommender Begriff auch ftatthaft fei und vor der Hand, obzwar nur
problematifch, in der vollftändigen Tafel der Eintheilung angetroffen
werden müfje. Das letere leidet feinen Zweifel. Denn die bloß logijche
Eintheilung (die vom Inhalt der Erkenntniß — dem Object — abftrahirt)
it immer Dichotomie, 3. B. ein jedes Recht ift entweder ein dingliches
oder ein nicht-dingliches Recht. Diejenige aber, von der hier die Rede ift,
358 Metaphufiide Anfangsgründe ber Rechtslehre.
nämlich die metaphyfifche Eintheilung, fann auch Tetrachotomie fein: weil
außer den zwei einfachen Gliedern der Eintheilung nody zwei Berhält-
niſſe, nämlich die der das Recht einihränfenden Bedingungen, binzu-
fommen, unter denen das eine Recht mit dem anderen in Verbindung
tritt, deren Möglichkeit einer beionderen Unterjuhhung bedarf. — Der Bes
ariff eines auf perſönliche Art dinglichen Rechts fällt ohne weitere
Umftände weg; denn es läßt fidy fein Recht einer Sache gegen eine Ber-
fon denfen. Nun fragt fi: ob die Umkehrung diejes Verhältnifjes auch
eben jo undenfbar jei; oder ob diefer Begriff, nämlidy der eines auf ding—
lihe Art perfünligen Rechts, nicht allein ohne inneren Widerſpruch,
jondern felbit audy ein nothmwendiger (a priori in der Vernunft gegebener)
zum Begriffe des äußeren Mein und Dein gehörender Begriff fei, Ber:
fonen auf ähnliche Art als Sachen zwar nicht in allen Etüden zu be-
handlen, aber fie doch zu befigen und in vielen Verhältnifſen mit ihnen
als Sachen zu verfahren.
2.
Rechtfertigung des Begriffs von einem auf dinglidhe Art
perſönlichen Recht.
Die Definition des auf dingliche Art perſönlichen Rechts iſt nun kurz
und gut dieſe: „Es iſt das Recht des Menſchen, eine Perſon außer ſich
als das Seine*) zu haben." Ich ſage mit Fleiß: eine Perſon; denn
einen anderen Menfchen, der durch Verbrechen feine Berjönlichfeit ein
gebüßt hat (zum Leibeigenen geworden ift), fönnte man wohl als das
Seine haben; von diefem Sachenrecht ift aber hier nicht die Rede.
Ob nun jener Begriff „als neues Phänomen am juriftiihen Himmel“
eine Stella mirabilis (eine bis zum Stern erfter Größe wachſende, vorher
*, Sch Sage bier auch nicht: eine Perfon als die meinige (mit bem Abjectiv),
fondern: ald dag Meine (To meum, mit bem Subitantiv) zu haben. Denn ich fann
fagen: dieſer iſt mein Vater, das bezeichnet nur mein phyliiches Verhältniß (der
Verknüpfung) zu ihm überhaupt. 8. B.: ich habe einen Bater. Uber ich kann nicht
jagen: ich habe ihn al8 da8 Meine. Sage ich aber: mein Weib, jo bedeutet dieſes
ein befonderes, nämlich rechtliched, Verhältniß bes Beſitzers zu einem Gegenitaude
(wenn es auch eine Berjon wäre), als Sache. Beſitz (phyſiſcher) aber ilt die Be-
dingung !ber Möglichkeit ber Handhabung (manipulatio) eines Dinges als einer
Sache; wenn biejes gleich in einer anderen Beziehung zugleich als Perſon behandelt
werden muß.
0
—
zu
a
Anhang erläuternder Bemerkungen. 359
nie gejehene, allmählig aber wieder verihwindende, vielleicht einmal wie-
derfehrende Erſcheinung), oder bloß eine Sternfhnuppe ſei, das foll
jebt unterjucdht werden.
3.
Beijpiele.
Etwas Äußeres als das Seine haben heißt es rechtlich befiken; Beſitz
aber ift die Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs. Wenn dieſe Be-
dingung bloß als die phyſiſche gedacht wird, fo heißt der Befiß Inhabung.
— Rechtmäßige Inhabung reiht nun zwar allein nicht zu, um deshalb
den Gegenitand für das Meine auszugeben, oder es dazu zu machen;
wenn ich aber, es jei, aus welchem Grunde es wolle, befugt bin auf die
Inhabung eines Gegenjtandes zu dringen, der meiner Gewalt entwijcht
oder entriſſen ift, jo ift diefer Nechtsbegriff ein Zeichen (wie Wirkung von
ihrer Urſache), daß ich mid) für befugt halte ihn als das Meine, mid)
aber auch als im intelligibelen Befiß defjelben befindlich gegen ihn zu
verhalten und dieſen Gegenftand jo zu gebrauchen.
Das Seine bedeutet zwar hier nicht das des Eigenthums an der
Perfon eines anderen (denn Eigenthümer fann ein Menjc nicht einmal
von ſich jelbit, viel weniger von einer anderen Perjon fein), jondern nur
das Seine des Nießbrauchs (ius utendi fruendi), unmittelbar von diefer
Perſon gleidy als von einer Sache, dody ohne Abbruch an ihrer Perſön—
lichkeit, als Mittel zu meinem Zweck Gebraud; zu machen.
Diefer Zweck aber, als Bedingung der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs,
muß moraliſch nothwendig fein. Der Mann kann weder das Weib be—
gehren, um es gleich als Sache zu genießen, d. i. unmittelbare Ber-
gnügen an der bloß thieriihen Gemeinſchaft mit demjelben zu empfinden,
nod) das Weib fid) ihm dazu hingeben, ohne daß beide Theile ihre Per:
jönlichkeit aufgeben (fleiſchliche oder viehijche Beimohnung), d. i. ohne
unter der Bedingung der Ehe, welche, als wechſelſeitige Dahingebung
feiner ‘Berjon jelbft in den Befiß der anderen, vorher geſchloſſen werden
muß: um durch förperlihen Gebraud), den ein Theil vom anderen mad,
ſich nicht zu entmenſchen.
Ohne diefe Bedingung ift der fleifchliche Genuß dem Grundjaß (wenn
gleich nicht immer der Wirkung nah) cannibalifd. Ob mit Maul
und Zähnen, oder der weiblidhe Theil durch Schwängerung und daraus
vielleicht erfolgende, für ihn tödtliche Niederkunft, der männliche aber durch
360 Metapbufiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre.
von öfteren Anfprücden des Weibes an das Geichlechtsvermögen des
Mannes herrührende Erjhöpfungen aufgezehrt wird, ift bloß in der
Manier zu genießen unterfcyieden, und ein Theil ift in Anjehung des
anderen bei diejem wechſelſeitigen Gebrauche der Geſchlechtsorganen wirk⸗
lid) eine verbraudbare Sadıe (res fungibilis), zu weldyer aljo fidy ver:
mittelft eines Vertrags zu maden, e3 ein gejebwidriger Vertrag (pac-
tum turpe) fein würde.
Eben fo fann der Mann mit dem Weibe fein Kind, als ihr beider-
feitige8 Machwerk (res artificialis), zeugen, ohne daß beide Theile ſich
gegen diejes und gegen einander die Verbindlichkeit zuziehen es zu er-
halten: welches doch auch die Erwerbung eines Menſchen gleich als einer
Sade, aber nur der Form nad) (einem bloß auf dinglihe Art perfön-
lihen Rechte angemeflen) ift. Die Eltern*) haben ein Recht gegen jeden
Befiber des Kindes, das aus ihrer Gewalt gebracht worden, (ius in re)
und zugleid ein Recht, e8 zu allen Leiftungen und aller Befolgung ihrer
Befehle zu nöthigen, die einer möglichen gejeplichen Freiheit nicht zuwider
find (ius ad rem): folglidy auch ein perſönliches Recht gegen dafielbe.
Endlich, wenn bei eintretender Volljährigkeit die Pflicht der Eltern
zur Erhaltung ihrer Kinder aufhört, fo haben jene nody das Recht, diefe
als ihren Befehlen unterworfene Hausgenofien zu Erhaltung des Haus-
weiens zu brauchen, bis zur Entlafjung derfelben; welches eine Pflicht der
Eltern gegen dieje ift, die aus der natürlichen Beſchränkung des Rechts
der eriteren folgt. Bis dahin find fie zwar Hausgenofjen und gehören
zur Familie, aber von nun an gehören fie zur Dienerſchaft (famu-
latus) in derjelben, die folglidy nidyt anders al8 durdy Vertrag zu dem
Seinen des Hausherrn (als feine Domeftifen) hinzu kommen fünnen. —
Eben fo fann aud) eine Dienerfhaft außer der Familie zu dem Seinen
des Hausherren nach einem auf dingliche Art perſönlichen Rechte gemacht
und als Befinde (famulatus domesticus) durdy Vertrag erworben werden.
Ein folder Vertrag ift nicht der einer bloßen VBerdingung (locatio con-
ductio operae), jondern der Hingebung jeiner Perfon in den Befiß des
Hausherrn, VBermiethung (locatio conductio personae), weldhe darin
von jener VBerdingung unterfcdieden ift, daß das Sefinde fi zu allem
Erlaubten verfteht, was das Wohl des Hauswejens betrifft und ihm
*) In deutfcher Schreibart werden unter dem Wort Altern Seniores, unter ben
Eltern aber Parentes verftanden; welches im Spradjlaut nicht zu unterfcheiben, dem
Sinne nad) aber ſehr unterfchieden ift.
(u
0
⸗
5
1
=
Anhang erläuternder Bemerkungen. 361
nicht als beftellte und ſpecifiſch beſtimmte Arbeit aufgetragen wird: an-
ftatt daß der zur beftimmten Arbeit Gedungene (Handwerker oder Tage:
löhner) fid) nicht zu dem Seinen des Anderen hingiebt und jo aud) fein
Hausgenofje ift. — Des lebteren, weil er nicht im rechtlichen Befib des
Anderen ift, der ihn zu gewifjen Leiftungen verpflichtet, fann der Haus:
herr, wenn jener auch jein häuslidyer Einwohner (inquilinus) wäre, ſich
nicht (via facti) als einer Sahe bemädtigen, jondern muß nad) dem
perſönlichen Recht auf die Leiſtung des Verſprochenen dringen, welche ihm
durch Rechtsmittel (via iuris) zu Gebote ftehen. — — So viel zur Er-
läuterung und Vertheidigung eines befremdlichen, neu hinzukommenden
Rechtstitels in der natürlichen Gejeßlehre, der doch ſtillſchweigend immer
im Gebrauch gewejen ift.
4.
Über die Verwechſelung des dinglihen mit dem
perſönlichen Redte.
Ferner iſt mir als Heterodorie im natürlidien Privatredite auch der
Sab: Kauf bricht Miethe (Rechtslehre $ 31. ©. 129)') zur Rüge
%
s
[1
=
aufgeitellt worden.
Daß jemand die Miethe feines Haufes vor Ablauf der bedungenen
Beit der Einwohnung dem Miether auffündigen und aljo gegen diejen,
wie es jcheint, fein Verſprechen brechen könne, wenn er es nur zur ges
wöhnlidhen Zeit des Verziehens in der dazu gewohnten bürgerlichgejeß-
lihen Friſt thut, jcheint freilich beim erſten Anblid allen Rechten aus
einem Bertrage zu mwiderjtreiten. — Wenn aber bewiejen werden fann,
dab der Miether, da er feinen Miethscontract machte, wußte oder wiſſen
mußte, daß das ihm gethane Verjprehen des Vermiethers als Eigen:
thümers natürlicherweife (ohne daß es im Contract ausdrüdlid gejagt
werden durfte), alfo jtilihweigend, an die Bedingung geknüpft war: wo—
fern diejer fein Haus binnen diejer Zeit nicht verfaufen jollte
(oder es bei einem etwa über ihn eintretenden Goncurs feinen Gläubigern
überlajjen müßte): jo hat diefer jein ſchon an fid der Vernunft nad) be-
dingtes Verſprechen nicht gebroden, und der Miether ijt durd die ihm
vor der Miethszeit geſchehene Auffündigung an feinem Rechte nicht ver:
kürzt worden.
!) Oben S. 290f,
362 Metapbufiiche Anfangögründe der Rechtslehre.
Denn das Recht des lekteren aus dem Miethöcontracte ift ein per—
jönliches Recht auf das, was eine gewifje Perjon der anderen zu leijten
hat (ius ad rem); nicht gegen jeden Befiger der Sache (ius in re), ein
dinglidhes.
Nun konnte der Miether fi wohl in feinem Miethscontracte
fihern und fid ein dingliches Recht am Haufe verjhaffen: er durfte näm—
lich diefen nur auf das Haus des Vermiethers, als am Grunde baftend,
einihreiben (ingroffiren) lafjen: alsdann fonnte er durch feine Auf-
fündigung des Eigenthimers, ſelbſt nicht durch deſſen Tod (den natür-
lichen oder auch den bürgerlihen, den Banfrott) vor Ablauf der abge:
machten Zeit aus der Miethe gejeßt werden. Wenn er es nicht that, weil
er etwa frei jein wollte, anderweitig eine Miethe auf bejjere Bedingungen
zu ſchließen, oder der Eigenthümer fein Haus nicht mit einem joldyen onus
belegt wifjen wollte, fo ift daraus zu ſchließen: daß ein jeder von beiden
in Anfehung der Zeit der Auffündigung (die bürgerlich beftimmte Frift
zu derjelben ausgenommen) einen jtillichweigend-bedingten Contract ges
madıt zu haben ſich bewußt war, ihn ihrer Convenienz nad) wieder auf:
zulöfen. Die Beitätigung der Befugniß, durd den Kauf Miethe zu
brechen, zeigt fid) auch an gewifjen rechtlichen Folgerungen aus einem
folden nadten Miethscontracte; denn den Erben des Miethers, wenn
diejer verjtorben ift, wird doch nicht die Verbindlichkeit zugemuthet, die
Miethe fortzufegen: weil diefe nur die Verbindlichkeit gegen eine gewiſſe
Perſon iſt, die mit diefer ihrem Tode aufhört (wobei doch die gejeßliche
Zeit der Auffündigung immer mit in Anſchlag gebradt werden muß).
Eben jo wenig fann aud) das Recht des Miethers, als eines joldyen, aud)
auf feine Erben ohne einen befonderen Vertrag übergehen; jo wie er aud)
beim eben beider Theile ohne ausdrüdliche Übereinkunft feinen After-
miether zu jegen befugt ift.
D.
Zufaß zur Erörterung der Begriffe des Strafredt3.
Die bloße Idee einer Staatsverfafjung unter Menſchen führt ſchon
den Begriff einer Strafgerechtigfeit bei ſich, weldye der oberften Gewalt
zufteht. Es fragt ſich nur, ob die Strafarten dem Gejeßgeber gleichgültig
find, wenn fie nur als Mittel dazu taugen, das Verbreden (als Verlegung
der Staatsfiherheit im Befik des Seinen eines jeden) zu entfernen, oder
ob auch nody auf Adytung für die Menſchheit in der Perſon des Miſſe—
—
5
20
wu
5
Anhang erläuternder Bemerkungen. 363
thäter3 (d. i. für die Gattung) Rüdfiht genommen werden müfje, und
zwar aus bloßen Nechtsgründen, indem ich das ius talionis der Form nad)
noch immer für die einzige a priori beftimmende (nicht aus der Erfahrung,
welche Heilmittel zu diejer Abſicht die Fräftigiten wären, hergenommene)
Idee als Princip des Strafredts halte.*) — Wie wird es aber mit den
Strafen gehalten werden, die feine Erwiederung zulaſſen, weil dieſe
entweder an ſich unmöglich, oder jelbft ein ftrafbares Verbrechen an der
Menſchheit überhaupt fein würden, wie 4. B. das der Nothzüchtigung,
imgleicyen das der Bäderajtie, oder Beitialität? Die beiden eriteren durd)
ı Gaitration (entweder wie eines weißen oder Schwarzen VBerichnittenen im
Serail), das leßtere durdy Ausſtoßung aus der bürgerlichen Gefellichaft
auf immer, weil er id) jelbft der menſchlichen unwürdig gemadjt hat. —
Per quod quis peccat, per idem punıtur et idem. — Die gedachten Ver:
breden heißen darum unnatürlich, weil fie an der Menſchheit jelbit auss
ıs geübt werden. — Willfürlid Strafen für fie zu verhängen ift dem Be—
griff einer Straf-Gerechtigkeit buchſtäblich zuwider. Nur dann fann
der Verbrecher nicht klagen, daß ihm unrecht geſchehe, wenn er jeine lIbel-
that ſich jelbft über den Hals zieht, und ihm, wenn gleidy nicht dem Bud)-
jtaben, doch dem Geifte des Strafgeſetzes gemäß das widerfährt, was er
»» an anderen verbroden hat.
[=
6.
Vom Redt der Erjikung.
„Das Recht der Erſitzung (Usucapio) foll nah ©. 131Ff.') durds
Naturrecht begründet werden. Denn nähme man nit an, daß durd) den
9 *) Sn jeder Beitrafung liegt etwas das Ehrgefühl des Angeflagten (mit Recht)
Krünfendes, weil fie einen bloßen einfeitigen Zwang enthält und jo an ihm die Würde
eines Staatsbürgers, als eines ſolchen, in einem befonderen Fall wenigiteng fuipendirt
it: ba er einer äußeren Pflicht unterworfen wird, der er jeinerieits feinen Wibderftand
entgegen jegen darf. Der Bornehme und Reiche, ber auf den Beutel geflopft wird,
fühlt mehr feine Erniedrigung fich unter ben Willen des geringeren Mannes beugen
zu müſſen, als ben Geldverluſt. Die Strafgeredhtigfeit (iustitia punitiva), ba
nämlich das Argument der Strafbarfeit moralijd) iit (quia peceatum est), muß
hier von ber Strafflugbeit, ba ed bloß pragmatiid) ift (ne peecetur) und ſich
auf Erfahrung von dem gründet, was am ftärfiten wirft, Verbrechen abzuhalten,
35 unterjchieben werben und hat in der Topif der Rechtöbegriffe einen ganz anderen Ort,
3
=
1) Oben 8. 291M.
ehrlichen Befig eine ideale Ermwerbung, wie fie bier genannt wird, ber
| | peremtorifch
Beiißer derſelben Sade mar und mit
gehört hat.) — — Davon ift nun bier nicht di
mid) aud als Eigenthümer behaupten fann,
tendent als früherer wahrer Eigenthümer der
Erkundung aber feiner Eriften; als Befigers und feines Befikftandes als
Eigenthümers ſchlechterdings unmöglid war; welches legtere alsdann
zutrifft, wenn diejer gar fein öffentlidy gültiges Zeichen jeines umunter-
brodenen Befißes (es jei aus eigener Schuld oder auch ohne fie), z. B.
durch Einihreibung in Matrifeln, oder unwideriprodene Stimmgebung u
als Eigenthümer in bürgerlichen Verfammlungen, von fih gegeben hat.
Denn die Frage ift hier: wer joll feine rechtmähige Erwerbung be
weifen? Dem Befiger fann diefe Verbindlidfeit (onus probandi) nicht
aufgebürdet werden; denn er ift, jo weit wie jeine conjtatirte Geſchichte
reicht, im Befig derjelben. Der frühere angeblidye Eigenthümer der Sache 20
ift durch eine Zwifchenzeit, innerhalb deren er feine bürgerlih gültige
Beiden feines Eigenthums gab, von der Reihe der auf einander folgenden
Befiper nad) Rechtsprincipien ganz abgeihnitten. Dieje Unterlafjung
irgend eines öffentlichen Befigacts macht ihn zu einem unbetitelten Prä-
tendenten. (Dagegen heißt es hier wie bei der Theologie: conservatio est »
continua creatio.) Wenn ſich aud) ein bisher nidyt manifejtirter, ob»
zwar hinten nad mit aufgefundenen Documenten verjehener Brätendent
vorfände, jo würde dod) wiederum aud) bet diefem der Zweifel vormalten,
ob nicht ein nod) älterer Prätendent dereinft auftreten und feine Anſprüche
auf ben früheren Befit gründen könnte. — Auf die Länge der Zeit des 5
Befipes fommt es hiebei gar nicht an, um die Sache endlich zu erfißen
(acquirere per usucapionem). Denn es ift ungereimt, anzunehmen, daß
ein Unrecht dadurd, dab es lange gewährt hat, nachgerade ein Recht
werde. Der (nod) jo lange) Gebraud; ſetzt das Recht in der Sache vor-
locus Iusti, nicht des condueibilis ober bes Buträglichen in gewiffer Abficht, noch 35
aud) ben bes bloßen honesti, beffen Ort in Ethik ber aufgejucht werden muß.
-
>)
Anhang erläuternder Bemerkungen. 365
aus: weit gefehlt, daß diejes fi auf jenen gründen follte. Alſo ift die
Erſitzung (usucapio) als Erwerbung durd) den langen Gebrauch einer
Sache ein ſich jelbjt widerfpredhender Begriff. Die Verjährung der An-
ſprüche als Erhaltungsart (conservatio possessionis meae per prae-
scriptionem) iſt es nicht weniger: indefjen doch ein von dem vorigen unter:
ſchiedener Begriff, was das Argument der Zueignung betrifft. Es ift
nämlich ein negativer Grund, d. i. der gänzlihe Nihtgebraud; jeines
Rechts, ſelbſt nicht einmal der, welcher nöthig ift, um fid) als Beſitzer zu
manifeftiren, für eine Verzichtthuung auf diejelbe (derelictio), welche
ein rechtlicher Act, d. i. Gebrauch feines Rechts gegen einen anderen, iſt,
um durd Ausſchließung defjelben vom Anſpruche (per praescriptionem)
das Dbject defjelben zu erwerben, welches einen Widerjprud) enthält.
Ich erwerbe aljo ohne Beweisführung und ohne allen rechtlichen
Act: ich brauche nicht zu beweijen, jondern durchs Geſetz (lege); und was
dann? Die öffentliche Befreiung von Anſprüchen, d. i. die geſetzliche
Sicherheit meines Beſitzes, dadurch daß idy nicht den Beweis führen
darf und mid; auf einen ununterbrodenen Befit gründe. Daß aber alle
Erwerbung im Naturftande bloß proviſoriſch ift, das hat feinen Einfluß
auf die Frage von der Sicherheit des Beſitzes des Ermorbenen, welche
vor jener vorhergehen muß.
T,
Bon der Beerbung.
Was das Recht der Beerbung anlangt, fo hat den Herrn Necenjenten
diejesmal fein Scharfblid, den Nerven des Beweijes meiner Behauptung
zu treffen, verlafjen. — Ich jage ja nit S. 135"): daß ein jeder Menſch
nothwendigermeife jede ihm angebotene Sadye, durd) deren Annehmung
er nur gewinnen, nichts verlieren kann, annehme (denn joldye Sachen giebt
es gar nicht), fondern daß ein jeder das Recht des Angebots in deme
jelben Augenblid unvermeidlid) und ſtillſchweigend, dabei aber doch gültig
immer wirflid annehme: wenn es nämlid die Natur der Sadıe jo mit fid)
bringt, daß der Widerruf ſchlechterdings unmöglid) ift, nämlich im Augen
blide feines Todes; denn da fann der Bromittent nicht widerrufen, und der
Promifjar ift, ohne irgend einen rechtlichen Act begehen zu dürfen, in dem—
jelben Augenblid Acceptant, nicht der verſprochenen Erbſchaft, jondern des
) Oben $. 294.
nehmen oder ober antsniälagen im meiner freien Zahl gef wird, —
iacene Penn ber Eigenthümer einer Sache mir etmas, ;. B. ein Möbel
des Haufes, aus dem ich auszuziehen eben im Begriff bin, umjonft au-
erflären, ich wolle, die Sache jolle mir —— angehören (meil dieſe
Aunabme mir Berdriehlifeiten mit Anderen zuzichen dürfte), aber id)
| | mwolen, auzjhliehliä die Wahl zu haben, ob fie mir ange-
bören iolle oder nit; dean dieles Recht (dei Annehmens
=
—
=
7
=
2
Anhang erläuternder Bemerkungen. 567
8.
Bon den Redten des Staats in Anjehung ewiger Stiftungen
für feine Unterthanen.
Stiftung (sanctio testamentaria beneficii perpetui) ift die frei-
willige, durch den Staat bejtätigte, für gewifje auf einander folgende
Glieder defjelben bis zu ihrem gänzlihen Aussterben errichtete wohlthätige
Anftalt. — Sie heißt ewig, wenn die Verordnung zu Erhaltung derfelben
mit der Eonititution des Staats jelbit vereinigt ift (denn der Staat muß
für ewig angejehen werden); ihre Wohlthätigfeit aber ift entweder für das
Volk überhaupt, oder für einen nad) gewiſſen befonderen Grundfäßen ver-
einigten Theil defjelben, einen Stand, oder für eine Familie und die
ewige Fortdauer ihrer Dejcendenten abgezwedt. Ein Beijpiel vom ersteren
find die Hofpitäler, vom zweiten die Kirdhen, vom dritten die Orden
(geiftliche und weltliche), vom vierten die Majorate.
Bon diejen Corporationen und ihrem Rechte zu fuccediren jagt man
nun, fie fönnen nicht aufgehoben werden: weil es durch Vermächtniß
zum Eigenthum des eingejeßten Erben geworden ſei, und eine ſolche Ver:
fafjung (corpus mysticum) aufzuheben jo viel heiße, als jemanden das
Seine nehmen.
A.
Die wohlthätige Anftalt für Arme, Invalide und Kranke, welche auf
dem Staatövermögen fundirt worden, (in Stiften und Hojpitälern) ift
allerdings unablöslih. Wenn aber nicht der Buchſtabe, jondern der Sinn
des Willens des Teftators den Vorzug haben foll, jo können fid) wohl
Zeitumftände ereignen, welche die Aufhebung einer ſolchen Stiftung
wenigſtens ihrer Form nad) anräthig machen. — So hat man gefunden:
daß der Arme und Kranke (den vom Narrenhojpital ausgenommen) befjer
und wohlfeiler verforgt werde, wenn ihm die Beihülfe in einer gewifjen
(dem Bedürfnifje der Zeit proportionirten) Geldſumme, wofür er ſich, wo
er will, bei feinen Verwandten oder ſonſt Bekannten, einmiethen fann,
gereicht wird, als wenn — wie im Hofpital von Greenwich — prächtige
und dennod die Freiheit jehr bejchränfende, mit einem koſtbaren Perſo—
nale verjehene Anftalten dazu getroffen werden. — Da fann man num
nidht jagen, der Staat nehme dem zum Genuß diejer Stiftung beredhtigten
Volfe das Seine, jondern er befördert e8 vielmehr, indem er weiſere
Mittel zur Erhaltung defjelben wählt.
B
Die Geitliäkeit, welche Ah Arch mit Fortphanzt, (bie deche
Kipe) befikt mit Següntigung des Siam: Sünderrien und baren haftende
Unterthoner, Me einem oeitlden Sacere Rirde penonm, enpebören,
weißem tie Beiflihe Durh Termäheeih zu Heil ümer Serien ni ale ihr >
Eipenthem bengegeben hohen, an! in bat der Kierps ale ein beinnberer
a Di nit Bandit dab Gar nilnan: ir ei Ba Ge ER
gez ber razzikiber Wepaküit verjaas wird?
_ Die Girage üft Bier: ob Die Liche dem Stoct aber ber Sinai ber
Simnd uab ia jener Melt iR, unßlien, in — eier fi
auf birjes beäehende Berfahung (erarchon- peäitca) zuprficht, Ah den
Seiten barier Zeit onter ber Dberormalt der Seiimeien zmiermerien
— Bis findet zur bie erfiere Beriaumg Reit.
Meligisn (im ter Erihrimeng) eis Gizzir an bie Schungen ter =
Rirde und Die Wat ber Erirher is Ararteraen einer ſrahen Ber
feheng, oder anf, mexz bir ermardnih (pärelif) IR, Same vom frimer
Hartähärperiihher Gemalt dem Uxlte meer eripetrongre nn ornse-
nen werden nnd cut wer 2s mn) ir Senbirüzenser me der menden
ken, bar) mie gewiß Sänberricn beriefhen nad rem Iote cin Eiger-
LZ
-
u
=
Anhang erläuternder Bemerfungen. 369
thum der Kirche werden follen, und der Staat an diefem oder jenem
Theil, oder gar ganz fid) der Kirche lehnspflidytig macht, um durd) Ge—
bete, Abläfje und Büßungen, durd welche die dazu bejtellten Diener der-
jelben (die Geiftlihen) das 2008 in der anderen Welt ihnen vortheilhaft
zu machen verheißen: jo ift eine ſolche vermeintlich auf ewige Zeiten ge-
machte Stiftung feineswegs auf ewig begründet, jondern der Staat kann
dieſe Zaft, die ihm von der Kirche aufgelegt worden, abwerfen, wenn er
will, — Denn die Kirdye jelbft ift als ein bloß auf ®lauben errichtetes
Inſtitut, und wenn die Täufhung aus diefer Meinung durch Volksauf—
klärung verſchwunden ijt, jo fällt auch die darauf gegründete furdtbare
Gewalt des Klerus weg, und der Staat bemächtigt fid) mit vollem Rechte
des angemaßten Eigenthums der Kirche: nämlidy des durd Vermächt:
nifje an fie verſchenkten Bodens; wiewohl die Lehnsträger des bis dahin
bejtandenen Snftituts für ihre Lebenszeit jhadenfrei gehalten zu werden
aus ihrem Rechte fordern fünnen.
Selbit Stiftungen zu ewigen Zeiten für Arme, oder Schulanftalten,
jobald fie einen gewiſſen, von dem Stifter nad) feiner Idee bejtimmten
entworfenen Zuſchnitt haben, fönnen nicht auf ewige Zeiten fundirt und
der Boden damit beläftigt werden; jondern der Staat muß die Freiheit
haben, fie nad) dem Bedürfniffe der Zeit einzurichten. — Daß es jchwerer
hält, diefe Idee allerwärts auszuführen (z. B. die Pauperburſche die Un-
zulänglichfeit des mwohlthätig errichteten Schulfonds durch bettelhaftes
Singen ergänzen zu müfjen), darf niemanden wundern; denn der, weldyer
gutmüthiger-, aber doch zugleich etwas ehrbegierigerweife eine Stiftung
macht, will, daß fie nicht ein anderer nad) jeinen Begriffen umändere,
fondern Er darin unfterblidy ſei. Das ändert aber nicht die Beihaffen-
beit der Sache felbjt und das Recht des Staats, ja die Pflicht defjelben
zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn fie der Erhaltung und dem
Fortſchreiten defjelben zum Befjeren entgegen ift, kann daher niemals als
auf ewig begründet betradjtet werden.
C, Ä
Der Adel eines Landes, das ſelbſt nicht unter einer ariftofratijchen,
fondern monarchiſchen Berfaffung fteht, mag immer ein für ein gewifles
Beitalter erlaubtes und den Umftänden nad) nothwendiges Inſtitut fein;
aber daß diejer Stand auf ewig könne begründet werden, und ein Staats:
oberhaupt nicht folle die Befugniß haben, diefen Standesvorzug gänzlich)
Kant'e Schriften. Berfe VL 4
vr Beusteihe Unfengegrinde der Herslre
B
„ie Geiwaäten, nißt (rt, Die at
zu ben erferen länne genommen werden, and würde das aiat fu ciet ferm,
als jemanden mit Gewalt bas Seine meinen: wie es dad son Ungiäubi-
gen der framzöfiihen Hepublit verfaßt wird?
Die Grage ih Wer: #6 Die Richie dem Einst aber ber Einak ber
In, Dur) weiße gewife Sindereen Derielbn nad ihrem Zode en Gigen
Die
tum der Kirche werden follen, und der Staat an —*
Theil, oder gar gamz fi der Kirche Ichnäpflichtig
des angemaßten Eigenthbums der Kirche: nämlich; des dur) Vermägt:
nifje an fie verſcheukten Bodens; wiewohl die Lehnäträger des bis dahin
beftandenen Juftituts für ihre Lebenszeit jhadenfrei gehalten zu werden
ı aus ihrem Rechte fordern können.
Selbſt Stiftungen zu ewigen Zeiten für Arme, oder Schulanftalten,
jobald fie einen gemijjen, von dem Stifter nad jeiner Idee beitimmten
entworfenen Zuſchnitt haben, können nicht auf ewige Zeiten fundirt und
der Boden damit beläftigt werden; fondern der Staat muß die Freibeit
0 haben, fie nad) dem Bedürfnifje der Zeit einzurichten. — Daß es jchwerer
hält, dieje Idee allerwärts auszuführen (z. B. die Pauperburiche die Un:
zulänglichfeit des mwohlthätig errichteten Schulfonds durch bettelhaftes
Singen ergänzen zu müfjen), darf niemanden wundern; denn der, welcher
gutmüthiger-, aber doch zugleich etwas ehrbegierigerweile eine Stiftung
madıt, will, daß fie nicht ein anderer nad) jeinen Begriffen umändere,
jondern Er darin unſterblich jei. Das ändert aber nicht die Beſchaffen⸗
beit der Sadıe jelbft und das Recht des Staats, ja die Pflicht defjelben
zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn fie der Erhaltung und dem
Fortſchreiten defjelben zum Befjeren entgegen ift, kann daher niemals als
» auf ewig begründet betradytet werben.
C.
Der Adel eines Landes, das jelbft nicht unter einer ariftofratifchen,
jondern monarchiſchen Verfafiung fteht, mag immer ein für ein gewifies
Zeitalter erlaubtes und den Umftänden nad) nothwendiges Inſtitut fein;
» aber daß diefer Stand auf ewig fünne begründet werden, und ein Staats:
oberhaupt nicht jolle Die Befugniß haben, diejen —— gaͤnzlich
Raut'd Sriften. Befe VI
wi
-
=
1
—
Anhang erläuternder Bemerkungen. 371
Wiſſens hat noch Fein Philofoph den paradoreften aller paradoren Sätze
anerkannt, den Saß: daß die bloße Fdee der Oberherrichaft mid; nöthigen
fol, jedem, der fi zu meinem Herrn aufwirft, als meinem Herrn zu ge
horchen, ohne zu fragen, wer ihm das Recht gegeben, mir zu befehlen.
Daß man DOberberrihaft und Oberhaupt anerfennen und man Diejen
oder Jenen, dejjen Dafein nidyt einmal a priori gegeben ift, a priori für
feinen Herrn halten fol, das joll einerlei fein?" — Nun, hiebei die Para—
dorie eingeräumt, hoffe ich, es jolle, näher betrachtet, doch wenigitens der
Heterodorie nicht überwiejen werden können; vielmehr folle es dem ein-
fihtsvollen und mit Beſcheidenheit tadelnden, gründlichen Necenjenten (der
jenes genommenen Anftoßes ungeachtet „Dieje metaphyfiihen Anfangs»
gründe der Rechtslehre im Ganzen als Gewinn für die Wiſſenſchaft an:
ſieht“) nicht gereuen, fie wenigitens als einen der zweiten Prüfung nicht
unwürdigen Verſuch gegen Anderer troßige und ſeichte Abjpredyungen in
Schuß genommen zu haben.
Daß dem, weldyer ſich im Beſitz der zu oberjt gebietenden und gejeb-
gebenden Gewalt über ein Volk befindet, müfje gehordht werden und zwar
jo juridtjcheunbedingt, daß auch nur nad) dem Titel diejer feiner Erwer-
bung öffentlid) zu forjchen, aljo ihn zu bezweifeln, um ſich bei etwaniger
Ermangelung dejjelben ihm zu widerjeßen, ſchon ftrafbar, daß es ein fate-
goriſcher Imperativ fei: Gehorchet der Obrigkeit (in allem, was nicht
dem inneren Moralijchen widerjtreitet), die ®ewalt über euch hat, iſt
der anjtößige Sab, der in Abrede gezogen wird. — Nicht allein aber diejes
Prineip, weldjes ein Factum (die Bemädtigung) als Bedingung dem
Rechte zum Grunde legt, fondern daß jelbjt die bloße Idee der Ober:
herridaft über ein Volk mic, der ich zu ihm gehöre, nöthige, ohne vor—
bergehende Forihung dem angemaßten Rechte zu gehorden (Rechtslehre
$ 49), das jcheint die Vernunft des Rec. zu empören.
Ein jedes Factum (Thatſache) ift Gegenftand in der Erſchei—
nung (der Sinne); dagegen das, was nur durch reine Vernunft vorges
ftelt werden fann, was zu den Ideen gezählt werden muß, denen adä=
quat fein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden fann, dergleichen
eine volllommene rehtlihe Verfaſſung unter Menſchen iſt, das iſt
das Ding an ſich ſelbſt.
Wenn dann nun ein Volk, durch Geſetze unter einer Obrigfeit ver-
einigt, da ift, fo ift der Idee der Einheit defjelben überhaupt unter
einem madıthabenden oberjten Willen gemäß als Gegenjtand der Erfah-
24*
— aber freilich nur in ber
* Erieinung; b. i. eine rehllide
| —— Sinne bes Worts ift ba; und tcicis Fe mit
FE
F
al
FH
e
fr ———
—————————— bie Gewalt grübelt
über ⸗
nad, wie fie zu Dicier Gewalt gefommen jei — ai
bem aber audh als Norm feine wiberfpreiien muß.
a.
Die
Metaphyſik der Suiten.
Abgefaßt
von
Immanuel Kant.
Zweiter Theil.
Metapbnfifhde Unfangsgründe
der
Tugendlehre
en
-
=
=
w
30
Vorrede.
Wenn es über irgend einen Gegenſtand eine Philoſophie (Syſtem
der Vernunfterkenntniß aus Begriffen) giebt, jo muß es für dieſe Philo—
ſophie aud ein Syftem reiner, von aller Anſchauungsbedingung unab-
hängiger VBernunftbegriffe, d. i. eine Metaphyſik, geben. — Es frägt
ſich nur: ob es für jede praktiſche Philoſophie als Pflichtenlehre, mithin
auch für die Tugendlehre (Ethif) auch metaphyſiſcher Anfangs-
gründe bedürfe, um fie als wahre Wiſſenſchaft (ſyſtematiſch), nicht blos
als Aggregat einzeln aufgeſuchter Lehren (fragmentariſch) aufitellen zu
fönnen. — Von der reinen Rechtslehre wird niemand dies Bedürfniß be—
zweifeln; denn fie betrifft nur das Förmliche der nad) Freiheitsgejeken
im äußeren Verhältniß einzuſchränkenden Willfür; abgejehen von allem
Zmwed (als der Materie derjelben). Die Pflichtenlehre ift alfo hier eine
bloße Wifjenslehre (doctrina scientiae)*).
In diefer Philofophie (der Tugendlehre) jcheint es nun der Idee der:
jelben gerade zuwider zu fein, bis zu metaphyſiſchen Anfangsgrün-
») Ein der praftifhen Philoſophie Kundiger ift darum eben nicht ein
praftifcher Bhilofoph. Der letztere ift berjenige, welcher jic den Bernunftenb-
zweck zum Grundſahß feiner Handlungen macht, indem er bamit zugleich das dazu
nöthige Wiffen verbindet: welches, dba es aufs Thun abgezmwedt ift, nicht ebem bis zu
ben fubtiliten Fäden der Metaphyſik ausgefponnen werben barf, wenn es nicht etwan
eine Nechtöpflicht betrifft — als bei welcher auf ber Wage der Gerechtigfeit bad Mein
und Dein nach dem Princip der ®leichheit ber Wirfung und Gegenwirkung gemau
bejtimmt werden und darum ber matbhematifchen Abgemeffenheit analog fein muß;
— jondern eine bloße Tugendpflidht angeht. Denn da fommt es nicht blos Darauf an,
zu willen, was zu thun Pflicht ift (melches wegen ber Zwecke, die natürlicherweiſe
alle Menjchen haben, leicht angegeben werben kann): jondern vornehmlich auf dem
inneren Princip des Willens, nämlich daß das Bemuhtjein dieſer Pflicht zugleich
Triebfeber ber Handlungen fei, um von dem, ber mit feinem Wiſſen dieſes Weis-
heitäprincip verfnüpft, zu jagen: ba er ein praftifcher Philoſoph ſei.
376 Netarmche Unfengägrände ber Tugenbleier.
ben zurüdzugehen, um ben Pflichtbegriff, von allem Empirischen (jedem
Gefühl) gereinigt, doch zur Triebfeder zu madyen. Denn was fann man
fi) für einen Begriff von einer Kraft und herculiſcher Stärke madyen, um
die laftergebärende Neigungen zu überwältigen, wenn die Tugend ihre
Waffen aus der Rüftlammer der Metaphyſik entlehnen joll? welche eine
Sache der Speculation ift, die nur wenig Menſchen zu handhaben willen.
Daher fallen au; alle Tugendlehren in Hörjälen, von Kanzeln und in
Bollsbüchern, wenn fie mit metaphyſiſchen Broden ausgeſchmückt werden,
ins Lächerliche. — Aber darum ift es dody nicht unnüß, viel weniger
laͤcherlich, den erften Gründen der Tugendlehre in einer Metaphyfif nach—
zuſpuren; denn irgend einer muß doch als Philoſoph auf die erſten Gründe
dieſes hinausgehen: weil ſonſt weder Sicherheit noch Lau—
terfeit für die Tugenbiehre überhaupt zu erwarten wäre. Sid) desfalls
auf ein gewifies Gefühl, weldes man feiner davon erwarteten Wirkung
halber moraliſch nennt, zu verlafjen, fann aud wohl dem Vollslehrer
gnügen: indem diejer zum Brobirftein einer Iugendpflicht, ob fie es jei
oder nicht, die Aufgabe zu beherzigen verlangt: „wie, wenn nun ein jeder
in jedem Fall deine Marime zum allgemeinen Gejeß machte, würde eine
foldje wohl mit fid) ſelbſt zuſammenſtimmen können?“ Aber wenn es blos
Sefühl wäre, was aud) diefen Sah zum Probirftein zu nehmen uns zur
Pflicht machte, jo wäre dieſe doch alsdann nicht durch die Vernunft dictirt,
fondern nur inftinetmäßig, mithin blindlings dafür angenommen.
Allein fein moralifhes Princip gründet fi in der That, wie man
wohl wähnt, auf irgend einem Gefühl, jondern ift wirklich nichts anders,
als dunfel gedachte Metaphyſik, die jedem Menſchen in feiner Vernunft:
anlage beimohnt; wie der Lehrer es leicht gewahr wird, der feinen Lehr:
ling über den Pflichtimperativ und defjen Anwendung auf moralijde Be-
urtheilung feiner Handlungen ſokratiſch zu katechiſiren verfudht. — Der
Vortrag defjelben (die Technik) darf eben nicht allemal metaphyſiſch und
die Sprache ſcholaſtiſch fein, wenn jener den Lehrling nicht etwa zum Phi-
lofophen bilden will. Aber der Gedanke muß bis auf die Elemente der
Metaphyſik zurück gehen, ohne die feine Sicherheit und Reinigfeit, ja ſelbſt
nicht einmal bewegende Kraft in der Tugendlehre zu erwarten ift.
Geht man von diefem Grundſatze ab und fängt vom pathologiſchen,
oder dem rein-äfthetifchen, oder auch dem moraliihen Gefühl (dem fub-
jectivspraftiichen ftatt des objectiven), d. i. von der Materie des Willens,
dem Zwech, nicht von der Form deffelben, d. i. bem Gefetz, au, um von
e
5
wir
*
——
=
_
=
Rorrebe. 377
da aus die Pflichten zu beftimmen: fo finden freilich feine metaphyjfi-
Ihe Anfangsgründe der Tugendlehre ſtatt — denn Gefühl, wodurch
e3 aud) immer erregt werden mag, ift jederzeit phyſiſch. — Aber die
Tugendlehre wird alsdann aud) in ihrer Duelle, einerlei ob in Schulen,
oder Hörfälen u. ſ. w. verderbt. Denn es ift nicht gleichviel, durch welche
Triebfedern als Mittel man zu einer guten Abficht (der Befolgung aller
Pflicht) hingeleitet werde. — — Es mag alfo den orafel- oder aud)
geniemäßig über Pflichtenlehre abjpredhenden vermeinten Weisheits-
lehrern Metaphyfit noch jo jehr anekeln: jo ift es doch für die, welche
ſich dazu aufwerfen, unerlagliche Pflicht, jelbft in der Tugendlehre zu jener
ihren Grundjäßen zurüdzugehen und auf ihren Bänfen vorerjt jelbft die
Schule zu machen.
* *
*
Man muß ſich hiebei billig wundern: wie es nad) allen bisherigen
Läuterungen des Pflidhtprincips, jo fern es aus reiner Vernunft abge-
leitet wird, nod) möglid) war, es wiederum auf Glüdjeligfeitslehre
zurüd zu führen: doch fo, daß eine gewiffe moraliſche Slüdjeligfeit, die
nit auf empirifchen Urſachen beruhte, zu dem Ende angedadht worden,
' welche ein ſich jelbft widerfprechendes Unding ift. — Der denfende Menſch
nämlich, wenn er über die Anreize zum Lafter gefiegt hat und feine oft
fauere Pflicht gethan zu haben fi) bewußt ift, findet fi in einem Zu-
ftande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Slüdjeligkeit
nennen kann, in weldyem die Tugend ihr eigener Lohn ift. — Nun fagt
der Eundämonift: diefe Wonne, dieſe Glückſeligkeit ift der eigentliche
Bewegungsgrund, warum er tugendhaft handelt. Nicht der Begriff der
Pflicht beftimme unmittelbar feinen Willen, fondern nur vermitteljt
der im Profpect gejehnen Glüdjeligfeit werde er bewogen feine Pflicht zu
thun. — Nun ift aber Har, daß, weil er fich diefen Tugendlohn nur von
dem Bewußtſein feine Pflicht gethan zu haben verſprechen kann, das lebt:
genannte doch vorangehen müfje; d. i. er muß fid) verbunden finden feine
Pflicht zu thun, ehe er noch und ohne daß er daran denkt, dab Glüdielig-
feit die Folge der Pflihtbeobadtung fein werde. Er dreht fid mit feiner
Ätiologie im Girkel herum. Er fann nämlich nur hoffen glücklich
(oder innerlich felig) zu fein, wenn er ſich feiner Pflihtbeobadhtung be-
wußt ift: er fann aber zur Beobachtung feiner Pflicht nur bewogen werden,
wenn er vorausfieht, daß er fi) dadurch glücklich machen werde. — Aber
1
=
e
Einleitung
zur Tugendlehre.
Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre (philosophia
moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten be—
nannte. In der Folge hat man es rathjam gefunden, diefen Namen auf
einen Theil der Sittenlehre, nämlid; auf die Lehre von den Pflichten, die
nicht unter äußeren Gejeßen ftehen, allein zu übertragen (dem man im
Deutihen den Namen Tugendlehre angemefjen gefunden hat): fo daß
jebt das Syftem der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre
(ins), welche äußerer Gejeke fähig ift, und der Tugendlehre (Ethica)
eingetheilt wird, die deren nicht fähig iſt; wobei es denn aud) jein Be-
wenden haben mag.
I.
Erörterung des Begriffs einer Tugendlehre.
Der Pflihtbegriff ift an ſich ſchon der Begriff von einer Nöthi-
gung (Zwang) der freien Willfür durchs Gefeb; diefer Zwang mag nun
ein äußerer oder ein Selbjtzwang fein. Der moraliihe Imperativ
verfündigt durch jeinen fategoriihen Ausſpruch (das unbedingte Sollen)
diefen Zwang, der alſo nicht auf vernünftige Weſen überhaupt (deren es
etwa aud) heilige geben könnte), fondern auf Menjhhen als vernünftige
Naturweſen geht, die dazu unheilig genug find, daß fie die Luft wohl
anmwandeln fann das moralijche Geſetz, ob fie gleich deſſen Anjehen felbit
anerfennen, doch zu übertreten und, ſelbſt wenn fie es befolgen, es dennod)
ungern (mit Widerjtand ihrer Neigung) zu thun, als worin der Zwang
eigentlich bejteht*). — Da aber der Menſch doch ein freies (moralijches)
9 Der Menſch aber findet fich boch als moralifches Wefen zugleich (wenn er
ſich objectiv, wozu er burch feine reine praftifche Bernunft beftimmt ift, (nach der Menjch-
|
380 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre.
Weſen ift, jo fann der Pflichtbegriff feinen anderen als den Selbjtzwang
(dur) die Vorftellung des Geſetzes allein) enthalten, wenn es auf die
innere Willensbeftimmung (die Triebfeder) angejehen ift, denn dadurch
allein wird es möglid) jene Nöthigung (ſelbſt wenn fie eine äußere wäre)
mit der Freiheit der Willfür zu vereinigen, wobei aber alsdann der Pfliht-
begriff ein ethifcher fein wird.
Die Antriebe der Natur enthalten alſo Hinderniffe der Pflichtoll⸗
ziehung im Gemüth des Menſchen und (zum Theil mächtig) widerftre-
bende Kräfte, die aljo zu befämpfen und durd die Vernunft nicht erft
künftig, jondern gleich jeßt (zugleich mit dem Gedanken) zu befiegen er fid)
vermögend urtheilen muß: nämlich das zu Fönnen, was das Geſetz un-
bedingt befiehlt, daß er thun joll.
Nun ift das Vermögen und der überlegte Vorſatz einem ftarfen, aber
ungeredhten Gegner Widerftand zu thun die Tapferkeit (fortitudo) und
in Anjehung des Gegners der fittlihen Gefinnung in uns Tugend
(virtus, fortitudo moralis). Alfo ift die allgemeine Pflihtenlehre in dem
Theil, der nicht die äußere Freiheit, ſondern die innere unter Gefehe
bringt, eine Tugendlehre.
Die Rechtslehre hatte es blos mit der formalen Bedingung der
äußeren Freiheit (durch die Zufammenftimmung mit fich jelbft, wenn ihre
Marine zum allgemeinen Geſetz gemacht wurde), d. i. mit dem Hecht, zu
thun. Die Ethik dagegen giebt nod; eine Materie (einen Gegenftand der
freien ®illfür), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objec-
tiv-nothwendiger Zwed, d. i. für den Menſchen als Pflicht, vorgeftellt
wird, an die Hand. — Denn da die finnlichen Neigungen zu Zweden (ala
der Materie der Rillfür) verleiten, die der Pflicht zuwider fein können, fo
beit in feiner eigenen Perſon) betradhtet) heilig genug, um bas innere Geſeh ungern
zu Abertreten; denn ed giebt feinen jo verruchten Menfchen, der bei dieſer
in fich nicht einen Widerftand fühlte ınıd eine Berabfhenung feiner felbft, bei derer
ſich jelbit Zwang anthun mu. — Das Phänomen mim: daß ber Menjch auf diefem
Scheibewege (mo bie jchöne Fabel den Hercules zwiſchen Tugend und Wohlluſt hin-
ftellt) mehr Hang zeigt ber Neigung ald dem Gejeg Gehör zur geben, zu erflärem ift
unmöglich: weil wir, was gefchieht, mar erflären fönnen, indem wir eö von einer Ur⸗
ſache nad) Geſetzen der Natur ableiten; wobei wir aber bie Willkür nicht ala frei den-
fen würden. — Dieſer wechielfeitig entgegengefegte Selbitawang aber und bie Inver-
meidlichkeit deſſelben giebt doch die unbegreifliche Eigenſchaft der Freiheit jelbft zu
5
1
=
—
=
—
—
Einleitung. 381
kann die geſetzgebende Vernunft ihrem Einfluß nicht anders wehren, als
wiederum durch einen entgegengeſetzten moraliſchen Zweck, der alſo von
der Neigung unabhängig a priori gegeben fein muß.
Zwed ift ein Gegenftand der Willkür (eines vernünftigen Weſens),
durd) deſſen Vorftellung diefe zu einer Handlung diejen Gegenftand her—
vorzubringen bejtimmt wird. — Nun kann id zwar zu Handlungen, die
als Mittel auf einen Zweck gerichtet find, nie aber einen Zwed zu
haben von anderen gezwungen werden, jondern id fann nur jelbjt mir
etwas zum Zwed machen. — Daß id; aber aud) verbunden bin mir
irgend etwas, was in den Begriffen der praktiſchen Vernunft liegt, zum
Zwecke zu maden, mithin außer dem formalen Bejtimmungsgrunde der
Willfür (wie das Recht dergleichen enthält) noch einen materialen, einen
Zweck zu haben, der dem Zweck aus finnlichen Antrieben entgegengejeßt
werden fönne: diejes würde der Begriff von einem Zweck fein, der an
ſich jelbft Pflicht ift; die Lehre defjelben aber würde nicht zu der des
Rechts, jondern zur Ethif gehören, ala weldye allein den Selbftzwang
nad) (moraliſchen) Geſetzen in ihrem Begriffe mit fid) führt.
Aus diefem Grunde kann die Ethik aud) als das Syitem der Zwecke
der reinen praftiichen Vernunft definirt werden. — Zweck und Pflicht
unterſcheiden die zwei Abtheilungen der allgemeinen Sittenlehre. Daß
die Ethik Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von andern nicht
(phyſiſch) gezwungen werden fann, ift blos die Folge daraus, daß fie eine
Lehre der Zwecke ift, weil dazu (fie zu haben) ein Zwang ſich felbft
widerſpricht.
Daß aber die Ethik eine Tugendlehre (doctrina officiorum virtu-
tis) fei, folgt aus der obigen Erklärung der Tugend, verglichen mit der
Verpflichtung, deren Eigenthümlichkeit jo eben gezeigt worden. — Es
giebt nämlich feine andere Beſtimmung der Willür, die durd; ihren Be-
griff Ihon dazu geeignet wäre, von der Willkür Anderer ſelbſt phyſiſch
nicht gezwungen werden zu fünnen, als nur Die zu einem Zwecke. Ein
Anderer fann mich zwar zwingen etwas zu thun, was nicht mein Zweck
(jondern nur Mittel zum Zweck eines Anderen) ift, aber nicht dazu, daß
ih es mir zum Zweck made, und doch kann id) feinen Zwed haben,
ohne ihn mir zu machen. Das letztere ift ein Widerjpruch mit ſich jelbft:
ein Act der Freiheit, der doc) zugleidy nicht frei ift. — Aber ſich ſelbſt
einen Zwed zu jeßen, der zugleich Pflicht iſt, ijt fein Widerſpruch: weil
ich da mich ſelbſt zwinge, welches mit der Freiheit gar wohl zuſammen
382 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre.
befteht.*) — Wie ift aber ein ſolcher Zweck möglich? das ift jet die Frage.
Denn die Möglichfeit des Begriffs von einer Sache (dab er ſich nicht
widerſpricht) ift noch nicht hinreichend dazu, um die Möglichkeit der Sache
jelbjt (die objective Realität des Begriffs) anzunehmen.
I.
Erörterung des Vegriffs von einem Zwecke, der
zugleich Pflicht if.
Man kann ſich das Verhältnig des Zwecks zur Pflicht auf zweierlei
Art denken: entweder, von dem Zwecke ausgehend, die Marime der
pflihtmäßigen Handlungen, oder umgekehrt, von diejer anhebend, den
Zweck ausfindig zu machen, der zugleid Pflicht ift. — Die Rechtslehre
geht auf dem erften Wege. Es wird jedermanns freier Willfür überlafjen,
welchen Zweck er ſich für feine Handlung jeßen wolle. Die Marime der-
jelben aber ift a priori beftimmt: daß nämlid; die Freiheit des Handeln-
den mit Jedes anderen Freiheit nad) einem allgemeinen Gejeß zujammen
beitehen könne.
Die Ethik aber nimmt einen entgegengejeßten Weg. Sie kann nicht
von den Zwecken ausgehen, die der Menſch fi ſetzen mag, und darnad)
über jeine zu nehmende Marimen, d. i. über jeine Pflicht, verfügen; denn
das wären empirifhe Gründe der Marimen, die feinen Pflidhtbegriff ab-
geben, ald welcher (das kategoriſche Sollen) in der reinen Vernunft allein
feine Wurzel hat; wie denn auch, wenn die Marimen nad jenen Zweden
(welche alle jelbjtjüchtig find) genommen werden jollten, vom Pflichtbegriff
eigentlich gar nicht die Nede fein könnte. — Aljo wird in der Ethik der
Pflichtbegriff auf Zwecke leiten und die Marimen in Anjehung der
Zwecke, die wir uns jegen follen, nad moraliſchen Grundjäßen begrün-
den müfjen.
*) Je weniger ber Menſch phyfiich, je mehr er Dagegen moraliic (durch bie bloße
Borftellung der Pflicht) Tann gezwungen werden, beito freier ift er. — Der jo. B.
von genugfam feſter Eutſchließung und ftarfer Seele ift eine Luftbarfeit, die er ſich
vorgenommen bat, nicht aufzugeben, man mag ihm nod fo viel Schaden voritellen,
ben er ſich dadurch zuzieht, aber auf bie Borfiellung, daß er biebei eine Amtspflicht
verabjäume, ober einen Tranfen Vater vernadhläffige, von feinem Borfag unbedenklich,
obzwar jehr ungern, abſteht, beweift eben damit jeine Freiheit im höchſten Grade, dab
er der Stimme der Pflicht nicht widerftehen kann.
5
Einleitung. 3833
Dahin geftellt: was denn das für ein Zweck fei, der an ſich felbit
Pflicht ift, und wie ein joldher möglich fei, ift hier nur noch zu zeigen
nöthig, dab und warum eine Pflicht diefer Art den Namen einer Tugend=
pflidht führe.
Aller Pflicht correfpondirt ein Necht, als Befugniß (facultas mo-
ralis generatim) betrachtet, aber nicht aller Pflicht correjpondiren Rechte
eines Anderen (facultas iuridica) jemand zu zwingen ; fondern dieje heißen
bejonders Rechtspflichten. — Eben jo correjpondirt aller ethiſchen Ver—
bindlichkeit der Tugendbegriff, aber nicht alle ethiiche Pflichten find
ı darum Tugendpflichten. Diejenige nämlid) find es nicht, welche nicht ſo—
wohl einen gewifjen Zweck (Materie, Object der Willfür), als blos das
Förmliche der fittlihen Willensbeftimmung (3. B. daß die pflichtmäßige
Handlung aud) aus Pflicht geihehen müfje) betreffen. Nur ein Zwed,
der zugleidy Pflicht tft, kann Tugendpflicht genannt werden, Daher
ıs giebt es mehrere der leßtern (auch verjchiedene Tugenden); dagegen von
der erſteren nur eine, aber für alle Handlungen gültige (tugendhafte Ge—
finnung) gedacht wird.
Die Tugendpflicht ift von der Nechtspflicht wejentlid, darin unter:
ſchieden: daß zu diejer ein äußerer Zwang moraliſch-möglich ift, jene aber
»» auf dem freien Selbjtzwange allein beruht. — Für endlihe heilige
Weſen (die zur Verlegung der Pflicht gar nicht einmal verſucht werden
können) giebt es feine Tugendlehre, jondern blos Sittenlehre, welche letz—
tere eine Autonomie der praftiihen Vernunft ift, indefien daß die erftere
zugleich eine Autofratie derjelben, d. i. ein, wenn gleid) nicht unmittel-
» bar wahrgenommenes, dody aus dem fittlichen Fategorifchen Imperativ
richtig geſchloſſenes Bewußtſein des Bermögens enthält, über feine dem
Geſetz widerjpenftige Neigungen Meifter zu werden: jo daß die menſch—
lie Moralität in ihrer höchſten Stufe doch nichts mehr als Tugend fein
fann; jelbjt wenn fie ganz rein (vom Einflufje aller fremdartigen Trieb-
o feder als der der Pflicht völlig frei) wäre, da fie dann gemeiniglid) als ein
Ideal (dem man jtets fid) annähern müffe) unter dem Namen des Weijen
dichterifch perjonificirt wird.
Tugend ift aber auch nicht blos als Fertigkeit und (wie Die Preis—
Ihrift des Hofpred. Cochius fid) ausdrüdt) für eine lange, durch Übung
s erworbene Gewohnheit moraliſch-guter Handlungen zu erflären und zu
würdigen. Denn wenn dieje nicht eine Wirkung überlegter, fejter und
immer mehr geläuterter Grundjäße ift, jo ift fie wie ein jeder andere
10
15
Eine jede Handlung hat aljo ihren Zweck, und da niemand einen Zweck
haben kann, ohne ſich den Gegenſtand feiner Willfür ſelbſt zum Zweck zu
machen, jo ift es ein Act der Freiheit des handelnden Subjects, nicht
eine Rirkung der Natur irgend einen Zwed der Handlungen zu baben,
Weil aber diejer Act, der einen Zweck beftimmt, ein praßtiiches Brincip
ift, welches nicht die Mittel (mithin nicht bedingt), jondern den Zweck ſelbſt
(folglidy unbedingt) gebietet, jo iſt es ein kategoriſcher Imperativ der reis
nen praktiſchen Vernunft, mithin ein folder, der einen Pflichtbegriff
mit dem eines Zwecks überhaupt verbindet.
E3 muß nun einen ſolchen Jwed und einen ihm correfpondirenden
fategoriihen Imperativ geben, Denn da es freie Handlungen giebt, jo
muß es auch Zwecke geben, auf welche ala Object jene gerichtet find. Inter
diejen Zweden aber muß es aud) einige geben, die zugleidy (d. I, ihrem
Begriffe nad) Pflichten find. — Denn gäbe es feine dergleichen, jo würs
den, weil doch feine Handlung zwedlos fein kann, alle Zwecke für die prafs
tiſche Vernunft immer nur als Mittel zu andern Bweden gelten, und ein
fategorifcher Imperativ wäre unmöglid; welches alle Sittenlehre
aufhebt.
Hier ift alfo nicht von Zwecken, die der Menſch fid) nad) finnlichen
Antrieben feiner Natur mat, fondern von Gegenftänden der freien Wills
für unter ihren Geſetzen die Rede, welche er fi zum Zwed maden foll.
Man kann jene die techniſche (jubjective), eigentlich pragmatiide, die
Regel der Klugheit in der Wahl feiner Zwede enthaltende: diefe aber muß
man die moraliſche (objective) Zwedlehre nennen; weldye Unterſcheidung
hier doch überflüffig ift, weil die Sittenlehre ſich ſchon durch ihren Begriff
von der Naturlehre (hier der Anthropologie) deutlicy abfondert, als welche
legtere auf empiriihen Principien beruht, dagegen die moraliihe Zweck⸗
lehre, die von Pflichten handelt, auf a priori in ber reinen praftifchen Ber:
nunft gegebenen Principien beruht.
IV.
Welche find die Zwede, die zugleich Pflichten find?
Sie find: Eigene Bolltommenheit — fremde Blüdjeligkeit.
Man kann dieje nicht gegen einander umtauſchen und eigene Gluͤd⸗
jeligfeit einerjeits mit frember Bolllommenheit andererfeitö zu
Zweden madyen, die an Dip VON: PABen berläben Werjon wien.
25
Kont's Säriften Berk VL
Meustuifte Meriampspeiinite der Zanperanidhee
— ee an
Eigene Bolltommenbeit.
Das Bort Bolltommenheit ijt mander Mibdentung ausgejezt
Es wirb biöweilen als ein z anne
griff ber Aliheit des Mannigfaltigen, was zufammengensmmen ein
Ding ausmacht, — dann aber auch, als zur Teleologie gehörend, jo
verjtanden, daß es bie Zujammenftimmung ber eines
— gen Pen — Man konnte bie Volllommenheit in
ber erfteren Bebeutung bie quantitative (materiale), in ber zweiten bie =
qualitative — nalen benge Sene kann nur eine jein
(beun das AU des einem Dinge Zugehörigen ift Ein) Bon diejer aber
fann es in einem Dinge mehrere geben; und von ber leßteren wird bier
? id) gehandelt
mas Wirkung von feiner Zhat jein fanı, nicht was bios @eiden if, das
er der Natur verdanten — — ———— Sie fann
—
Einleitung. 387
aljo nicht anders fein als Cultur feines Vermögens (oder der Natur-
anlage), in welhem der Berftand als Vermögen der Begriffe, mithin
auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberfte ift, zugleich aber aud) feines
Willens (fittliher Denkungsart) aller Pflicht überhaupt ein Gmüge zu
thun. 1) Es ift ihm Pflicht: ſich aus der Rohigkeit feiner Natur, aus der
Thierheit (quoad actum), immer mehr zur Menfchheit, durch die er allein
fähig ift ſich Zwede zu jegen, empor zu arbeiten: feine Unwifjenheit durch
Belehrung zu ergänzen und feine Srrthümer zu verbefjern, und dieſes ijt
ihm nicht blos die techniſch-praktiſche Vernunft zu feinen anderweitigen
ı Abfihten (der Kunft) anräthig, fondern die moralifch-praftiiche gebie=
tet es ihm ſchlechthin und macht diefen Zwed ihm zur Pflicht, um der
Menichheit, die in ihm wohnt, würdig zu fein. 2) Die Eultur feines
Willens bis zur reinften Tugendgefinnung, da nämlich das Geſetz zu—
gleich die Triebfeder jeiner pflihtmäßigen Handlungen wird, zu erheben
und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moraliſch-praktiſche Voll—
kommenheit it, die, weil es ein Gefühl der Wirkung iſt, welche der in ihm
ſelbſt gefebgebende Wille auf das Vermögen ausübt darnad) zu handeln,
das moraliſche Gefühl, gleihjam ein befonderer Sinn (sensus mo-
ralis), ift, der zwar freilich oft ſchwärmeriſch, als ob er (gleich dem Genius
» des Gofrates) vor der Vernunft vorhergehe, oder auch ihr Urtheil gar ent—
behren könne, mißbraucht wird, doch aber eine fittlihe Vollkommenheit
ift, jeden bejonderen Zwed, der zugleich Pflicht ift, fich zum Gegenſtande
zu machen.
—
—
B.
2 Fremde Glüdjeligfeit.
Slüdfeligfeit, d. i. Zufriedenheit mit feinem Zuftande, fofern man
der Fortdauer derjelben gewiß ift, fc zu wünſchen und zu ſuchen ift der‘
menschlichen Natur unvermeidlich; eben darum aber aud) nicht ein Zweck,
der zugleich Pflicht ift. — Da einige nod) einen Unterſchied zwiſchen einer
3 moralifhen und phyfiihen Glüdjeligfeit machen (deren erjtere in der Zu—
friedenheit mit feiner Perſon und ihrem eigenen fittlihen Verhalten, alfo
mit dem, was man thut, die andere mit dem, was die Natur beſchert,
mithin was man als fremde Gabe genießt, beitehe): jo muß man be-
merken, daß, ohne den Mißbrauch des Worts hier zu rügen (das ſchon
ss einen Widerſpruch in fic enthält), die erftere Art zu empfinden allein zum
25*
— =
Sittlichteit des Eubjeds iſt e
men, es blos bas erlaubte Mittel ift; da ziemand anders ein Reit
*
Die Ethil giebt nicht Geſetze für die Handlungen (denn das
thut das Ius), jondern nur für die Marimen der Handlungen.
Der Pflichtbegriff ſteht unmittelbar im Beziehung auf ein Gejek
-
3
=
Einleitung. 38V
hire); wie denn das formale Princip der Pflicht im fategoriichen Impera⸗
tiv: „Handle jo, daß die Marime deiner Handlung ein allgemeines Ge»
ſetz werden könne” es jchon anzeigt; nur daß In der Ethik diefes als das
Gejeh deines eigenen Willens gedacht wird, nicht des Willens über
haupt, der auch der Wille Anderer jein fönnte: wo es alddann eine Rechts⸗
pflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört. — Die
Marimen werden hier als ſolche jubjective Grundjäße angefehen, die ſich
zu einer allgemeinen Gejeßgebung blos qualificiren; weldes nur ein
negatives Princip (einem Gejeß überhaupt nicht zu widerftreiten) tft. —
Wie fann es aber dann noch ein Gejeß für die Marime der Handlungen
geben ?
Der Begriff eines Zwecks, der zugleich Pflicht ift, welcher der Ethik
eigenthümlid) zugehört, ift es allein, der ein Gefeh für die Maximen der
Handlungen begründet, indem der fubjective Zwed (den jedermann bat)
dem objectiven (den ſich jedermann dazu machen joll) untergeordnet wird,
Der Imperativ: „Du jolljt dir Diefes oder Jenes (z. B. die Glüdfeligfeit
Anderer) zum Zwed machen“ geht auf die Materie der Willkür (ein Ob»
ject). Da nun feine freie Handlung möglid) ift, ohne daß der Handelnde
hiebei zugleich einen Zweck (als Materie der Willfür) beabfidytigte, fo
muß, wenn es einen Zweck giebt, der zugleich Pflicht ift, die Marime ber
Handlungen als Mittel zu Zweden nur die Bedingung der Dualification
zu einer möglichen allgemeinen Gejebgebung enthalten; wogegen ber
Zweck, der zugleid) Pflicht ift, es zu einem Geſetz machen fann eine foldye
Marime zu haben, indefjen daß für die Marime jelbjt die bloße Möglich.
feit zu einer allgemeinen Gejeßgebung zufammen zu fimmen ſchon ge
nug ift.
Denn Marimen der Handlungen können willkürlich fein und ftehen
nur unter der einihränfenden Bedingung der Habilität zu einer allge
meinen Gefebgebung, als formalem Prineip der Handlungen. Ein Ge:
fet aber hebt das Willkürliche der Handlungen auf und iſt Darin von aller
Anpreifung (da blos die ſchicklichſten Mittel zu einem Zwecke zu wiſſen
verlangt werden) unterjdieben.
Einfeitung. 391
Anderer aus ſeinem Rechte wohl Handlungen nach dem Geſetz, aber nicht
daß dieſes auch zugleich die Triebfeder zu denſelben enthalte, von mir for—
dern fann. Eben diejelbe Bewandtniß hat es aud) mit dem allgemeinen
ethiſchen Gebote: „Handle pflihtmäßig aus Pflicht." Diefe Gefinnung
in fi) zu gründen und zu beleben ift jo wie die vorige verdienftlid;:
weil fie über das Pflichtgeje der Handlungen hinaus geht und das Geſetz
an fid) zugleid) zur Triebfeder macht.
Aber eben darum müſſen auch dieje Pflichten zur weiten Verbind-
lichkeit gezählt werden, in Anfehung deren ein fubjectives Princip ihrer
ethiijhen Belohnung (und zwar um fie dem Begriffe einer engen Ver:
bindlichkeit jo nahe als möglid) zu bringen), d. i. der Empfänglichfeit der-
jelben nad) dem Tugendgejeße, ſtatt findet, nämlich einer moralifchen Luft,
die über die bloße Zufriedenheit mit ſich jelbit (die blos negativ fein fann)
hinaus geht und von der man rühmt, daß die Tugend in dieſem Bewußt-
fein ihr eigner Lohn jei.
Wenn diefes Verdienit ein Verdienft des Menfhen um andere Men-
ichen ift, ihren natürlien und von allen Menſchen dafür anerfannten
Awed zu befördern (ihre Glüdjeligfeit zu der jeinigen zu machen), jo önnte
man dies das ſüße Verdienft nennen, deflen Bewußtſein einen morali-
»» [hen Genuß verſchafft, in welchem Menſchen durch Mitfreude zu ſchwel—
gen geneigt find; indefjen daß das fauere Berdienft, anderer Men-
ſchen wahres Wohl, auch wenn fie es für ein joldhes nicht erfennten, (an
Unerfenntlidhen, Undankbaren) doch zu befördern, eine ſolche Rüdwirfung
gemeiniglidy nicht hat, jondern nur Zufriedenheit mit fid) ſelbſt be—
» wirkt, obzwar es in leßterem Falle nod) größer fein würde,
[|
=
1
1
zw
v1.
Erpofition der Tugendpflichten
als weiter Pflichten.
1. Eigene Vollkommenheit als Zwed, der zugleih Pflicht ift.
30 a) Phyſiſche, d. i. Eultur aller Bermögen überhaupt zu Beför-
derung der durdy die Vernunft vorgelegten Zwecke. Daß diejes Pflicht,
mithin an ſich jelbft Zwed fei, und jener Bearbeitung auch ohne Rüdfidht
auf den Vortheil, den fie uns gewährt, nicht ein bedingter (pragmatijcher),
jondern unbedingter (moralijher) Imperativ zum Grunde liege, ift hier:
J
die nur Glückliche find, fo vielen Verfuchungen entgangen zu fein; wie
viel reiner moraliſcher Gehalt bei jeder That in der Gefinnung gelegen
habe, das bleibt ihnen ſelbſt verborgen.
Alſo ift auch dieſe Pflicht, * Werth ſeiner Handlungen nicht blos
nach der Legalität, ſondern auch der Moralität (Geſinnung) zu ſchätzen,
nur von weiter Verbindlichkeit, das Geſetz gebietet nicht dieſe innere
Handlung im menſchlichen Gemüth ſelbſt, ſondern blos die Maxime der
Handlung, darauf nad) allem Vermögen auszugehen: daß zu allen pflicht⸗
mäßigen Handlungen der Gedanke der Pflicht für ſich ſelbſt hinreichende
Zriebfeder jei.
e
2. Fremde Blüdfeligkeit als Zwed, der zugleich Pflicht ift.
a) Phyſiſche Wohlfahrt. Das Wohlmollen kann unbegränzt
fein; denn es darf hiebei nichts gethan werden, Aber mit dem Wohlthun,
vornehmlich wenn es nit aus Zuneigung (Liebe) zu Anderen, fondern
aus Pflicht, mit Aufopferung und Kränfung mander Eoncupifcenz ge
ſchehen foll, geht es ſchwieriger zu. — Daß dieſe Wohlthätigfeit Pflicht
fei, ergiebt fi daraus: daß, weil unfere Selbftliebe von dem Bebürfniß
von Anderen audy geliebt (in Nothfällen geholfen) zu werben nicht getrennt
werben fann, wir alfo uns zum Zwed für Andere maden und dieſe
Marime niemals anders als blos durch ihre Dualification zu einem all»
gemeinen Geſetz, folglich durd einen Willen Andere auch für uns zu
Zweden zu maden verbinden fann, fremde Glüdjeligfeit ein Zwed jei,
der zugleich Pflicht ift.
Allein ich joll mit einem Theil meiner Rohlfahrt ein Opfer an An-
25 dere ohne Hoffnung der Riebervergeltung machen, weil es Pflicht ift, und
nun iſt unmöglid, beftimmte Grenzen anzugeben: wie weit bas gehen
könne. Es fommt ſehr darauf an, was für jeden nadı feiner Empfinbungs-
art wahres Bedürfniß fein werbe, weldyes zu beftimmen jedem ſelbſt über-
lafjen bleiben muß. Denn mit Aufopferung feiner eigenen Slüdfeligfeit
(jeiner wahren Bebürfnifie) Anderer ihre zu befördern, würbe eine an ſich
jelbft widerftreitende Marime fein, wenn man fie zum allgemeinen Geleb
madıte. Alfo ift dieſe Pflicht nur eine weite; fie hat einen Spielraum,
mehr oder weniger hierin zu thus, ohne dab ich bie Oränyen Davon be:
ftimmt angeben lafjen. — Das Gefeß gilt nur für bie Marimen, nit für
- s beftimmte Handlungen.
5
V
—
b) Moraliſches Bohljein Anderer (sa
zu der Glüdjeligfeit Anderer, die zu
Tugend ift die Stärfe ber Marime des Menſchen in Befelgung 2
feiner Pflicht. — Alle Stärke wird nur durd Hindernifie erfannt, die fie
—— bei der Tugend aber find dieſe die Raturmeigungen,
hitlihen Borjag in Streit tommen können, und da der
u
=>
ei
u
Einleitimg, 395
Zwed, der zugleich als Pflicht gedacht wird. — Da aber die ethiſche
Verbindlichkeit zu Zweden, deren e8 mehrere geben fann, nur eine weite
ift, weil fie da blos ein Gejeß für die Marime der Handlungen enthält
und der Zwed die Materie (Object) der Rillfür ift, jo giebt es viele nad)
Verſchiedenheit des gefeklihen Zwecks verſchiedene Pflichten, welche Tu—⸗
gendpflichten (ofſiecia honestatis) genannt werden; eben darum weil fie
blos dem freien Selbjtzwange, nidyt dem anderer Menſchen unterworfen
find und die den Zweck beftimmen, der zugleich Pflicht ift.
Die Tugend, als die in der feften Gefinnung gegründete Überein-
ftimmung des Willens mit jeder Pflicht, ift wie alles Formale blos eine
und diefelbe. Aber in Anfehung des Zweds der Handlungen, der zu
gleich Pflicht ift, d. i. desjenigen (des Materiale), was man fid zum
Zwecke machen joll, kann es mehr Tugenden geben, und die Berbindlidy-
feit zu der Marime defjelben heißt Tugendpflicht, deren es alfo viele giebt.
Das oberjte Princip der Tugendlehre ift: handle nad) einer Marime
der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gejeß jein fann.
— Nach diefem Princip ift der Menſch ſowohl ſich jelbft ala Andern Zweck,
und es ift nicht genug, daß er weder ſich jelbft noch andere blos als Mittel
zu brauchen befugt ift (dabei er doch gegen fie auch indifferent fein fann),
fondern den Menſchen überhaupt ſich zum Zwecke zu machen ift an ſich
jelbft des Menſchen Pflicht.
Diejer Grundſatz der Tugendlehre verftattet, al3 ein kategoriſcher
Smperativ, feinen Bemeis, aber wohl eine Deduction aus der reinen
praftifhen Bernunft. — Was im Verhältniß der Menjchen zu ſich jelbft
und anderen Zwed fein fann, das ift Zweck vor der reinen praftifchen
Vernunft; dern fie ift ein Vermögen der Zwecke überhaupt, in Anfehung
derjelben indifferent jein, d. i. fein Intereſſe daran zu nehmen, ift alfo
ein Widerfprud): weil fie alsdann aud) nicht die Marimen zu Handlungen
(als welche leßtere jederzeit einen Zwed enthalten) bejtimmen, mithin feine
praktiſche Vernunft fein würde. Die reine Vernunft aber fann a priori
feine Zwecke gebieten, als nur jo fern fie foldye zugleich als Pflicht an-
fündigt; welche Pflicht alsdann Tugendpflicht heit.
396 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre.
2
Das oberjte Princip der Nechtölehre war analytijch; das der
Tugendlehre ift ſynthetiſch.
Daß der äußere Zwang, fo fern diefer ein dem Hinderniffe der nad)
allgemeinen Gejeßen zufammenftimmenden äußeren Freiheit entgegenge-
ſetzter Widerftand (ein Hindernig des Hindernifjes derſelben) ift, mit
Zweden überhaupt zufammen beftehen könne, ijt nad) dem Sab bes
Widerſpruchs Far, und id) darf nicht über den Begriff der Freiheit hin-
ausgehen, um ihn einzujehen; der Zweck, den ein jeder hat, mag jeim,
welcher er wolle. — Alſo ift das oberfte Redhtsprincip ein analpti-
ſcher Sat.
Dagegen geht das Princip der Tugendlehre über den Begriff der
äußern Freiheit hinaus und verknüpft nach allgemeinen Gejegen mit dem—
jelben noch einen Jwed, den es zur Pflicht macht. Diejes Princip ift
aljo fynthetiich. — Die Möglichkeit defjelben ift in der Deduction ($ IX)
enthalten.
Dieſe Erweiterung des Pflihtbegriffs über den der äußeren Freiheit
und der Einſchränkung derjelben durch das bloße Förmliche ihrer durch—
gängigen Zufammenftimmung, wo die innere Freiheit ftatt des Zwan—
ges von außen, das Vermögen des Selbitzwanges und zwar nicht ver:
mittelft anderer Neigungen, fondern durd) reine praftifche Vernunft (wel:
he alle dieſe VBermittelung verſchmäht), anfgeftellt wird, befteht darin
und erhebt fid) dadurch über die Nechtspflicht: daß durd fie Zwecke auf:
gejtellt werden, von denen überhaupt das Recht abjtrahirt. — Im mora—
liſchen Imperativ und der nothwendigen Vorausjeßung der Freiheit zum
Behuf deffelben madyen das Gejek, das Vermögen (es zu erfüllen) und
der die Marime beftimmende Wille alle Elemente aus, weldye den Be—
griff der Rechtspflicht bilden. Aber in demjenigen, welcher die Tugend»
pflicht gebietet, fommt noch über den Begriff eines Selbjtzwanges der
eines Zwecks dazu, nicht den wir haben, jondern haben jollen, den alſo
bie reine praktiſche Vernunft in ſich hat, deren hödhiter, unbedingter Zweck
(der aber doch immer noch Pflicht ift) darin gejeßt wird: daß die Tugend
ihr eigener Zwed und bei dem Verdienst, das fie um den Menſchen hat,
aud ihr eigener Zohn ſei [wobei fie als Ideal jo glänzt, daß fie nad)
menſchlichem Augenmaß die Heiligkeit jelbft, die zur Übertretung nie
—
0
-
5
20
Le
5
in
u
3b
—
=
=
Einleitung, 397
verjucht wird, zu verdunfeln jheint*); welches gleihwohl eine Täufhung
ift, da, weil wir fein Maß für den Grad einer Stärfe, als die Größe der
Hindernifje Haben, die da haben überwunden werden fönnen (welche in
uns die Neigungen find), wir die jubjective Bedingungen der Schäbung
einer Größe für die objective der Öröße an fich jelbit zu Halten verleitet
werden]. Aber mit menſchlichen Zwecken, die insgefammt ihre zu be»
fämpfende Hindernifje haben, verglichen, hat es feine Richtigkeit, dab
der Werth der Tugend jelbit, als ihres eigenen Zwecks, den Werth alles
Nutzens und aller empiriihen Zwede und VBortheile weit übermiege, bie
fie zu ihrer Folge immerhin haben mag.
Man kann audy gar wohl jagen: der Menidy jei zur Tugend (als
einer moraliſchen Stärfe) verbunden. Denn obgleich das Vermögen (fa-
eultas) der Überwindung aller finnlich entgegenwirfenden Antriebe feiner
Freiheit halber ſchlechthin vorausgejegt werden kann und muß: fo ift
doch diefes Vermögen als Stärfe (robur) etwas, was erworben werden
muß, dadurch daß die moralijhe Triebfeder (die Vorftellung bes Be-
jeßes) dur Betrachtung (contemplatione) der Würde bes reinen Ber-
nunftgejeßes in uns, zugleid aber auch durd Übung (exercitio) erho-
ben wird.
*) Der Menich mit feinen Mängeln
Sit befler als das Heer von willenloſen Engeln. —
aller.
xl,
Das Schema ber Eugendpflichten kann obigen Brundfähen gemäß auf folgende Art verzeichnet werden:
Das Materiale ber Tugendpflicht
———— =, Jr
Biteyimiiige Buiangägsinte ter Ingenbliier
E22
l.
Eigener Zweck,
der mir zugleich Pflicht iſt.
(Meine eigene Vollkommen⸗
beit.)
Innere
Tugendpflicht
a.
Das Geſeh, welches zugleich
Triebfeder iſt.
Worauf die Moralität
2
Iweck Anderer,
deſſen Beförderung mir zu—⸗
gleich Pflicht iſt.
(Die Glückſeligkeit
Anderer.)
Außere
Tugendpflicht.
4.
Der Zweck, der zugleich
Triebfeder iſt.
Worauf die Legalitaät
aller freien Willensbeſtimmung beruht.
Das Formale der Tugendpflicht.
Einleitung. 399
XI.
Afthetifche Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths
für Pflichtbegriffe überhaupt.
Es find ſolche moraliſche Beichaffenheiten, die, wenn man fie nicht
s befigt, e8 auch feine Pflicht geben kann fi in ihren Befiß zu jeßen. —
Sie find das moraliſche Gefühl, das Gewiſſen, die Liebe des Näch—
ften und die Ahtung für ſich felbft (Selbftihäbung), welde zu haben
es feine Verbindlichfeit giebt: weil fie als jubjective Bedingungen der
Empfänglicfeit für den Pflihtbegriff, nicht als objective Bedingungen
der Moralität zum Grunde liegen. Sie find insgefammt äſthetiſch und
vorhergehende, aber natürlide Gemüthsanlagen (praedispositio) durch
Pflichtbegriffe aflicirt zu werden; welche Anlagen zu haben nicht als Pflicht
angejehen werden kann, jondern die jeder Menſch hat und fraft deren er
verpflichtet werden fan. — Das Bewußtjein derjelben ift nicht empiri-
ihen Ursprungs, jondern kann nur auf das eines moralifchen Geſetzes,
als Wirkung defjelben aufs Gemüth, folgen.
—
=
—
ww
A.
Das moralifhe Gefühl.
Diejes ift die Empfänglichkeit für Luft oder Unluft blos aus dem
Bewußtfein der Übereinftimmung oder des Widerftreits unferer Hand-
lung mit dem Pflichtgejeße. Alle Beftimmung der Willfür aber geht von
der Vorftellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Luft oder
Unluft, an ihr oder ihrer Wirkung ein Intereſſe zu nehmen, zur That;
wo der äſthetiſche Zuftand (der Afficirung des inneren Sinnes) nun
s entweder ein pathologijhes oder moraliſches Gefühl ift. — Das
erftere ift dasjenige Gefühl, welches vor der Vorſtellung des Geſetzes vor-
hergeht, das letere das, was nur auf dieſe folgen kann.
Nun kann es feine Pflicht geben ein moraliiches Gefühl zu haben,
oder ſich ein foldhes zu erwerben; denn alles Bemußtjein der Verbindlich:
» feit legt diefes Gefühl zum Grunde, um fi) der Nöthigung, die im Pflidht-
begriffe liegt, bewußt zu werden: fondern ein jeder Menjd (als ein mora-
liſches Weſen) hat es urſprünglich in fi; die Verbindlichfeit aber fann
nur darauf gehen, es zu cultiviren und ſelbſt durd) die Bewunderung
*
Fl
=
v2
“
—
Denn Bewifien it bie bem Meuitgen iu —
Pfligt zum Losſprechen ober Berurtheilen vorhaltende prattiſche Vernunft.
Seine Beziehung aljo ift nicht Die auf ein Dibject, jonbern bios aufs Sub-
ject (das moraliſche Gefühl durch ihren Act zu afficiren); aljo eine unaus-
bleibliche Thatjache, wit eine Obliegenkeit und Pit. Benn man
eh nn nn man un da
Einleitung. 401
widrig borwerfen, mithin auch ſelbſt die Pflicht ein Gewiſſen zu Haben ſich
gar nicht denfen können.
Die manderlei Eintheilungen des Gewifjens gehe id) noch hier vor«
bei und bemerfe nur, was aus dem eben Angeführten folgt: daß nämlid)
s ein irrendes Gemifjen ein Unding fei. Denn in dem objectiven Urtheile,
ob etwas Pflicht jei oder nicht, kann man wohl bisweilen irren; aber im
jubjectiven, ob ich es mit meiner praftiihen (hier richtenden) Vernunft
zum Behuf jenes Urtheils verglichen habe, kann idy nicht irren, well id)
alsdann praktiſch gar nicht geurtheilt haben würde; in welchem Fall weder
io Irrthum noch Wahrheit jtatt hat. Gewiſſenloſigkeit ift nidt Mangel
des Gewifjens, jondern Hang fid an deſſen Urteil nicht zu fehren. Wenn
aber jemand fid) bewußt ift nach Gewiſſen gehandelt zu haben, fo kann
von ihn, was Schuld oder Unſchuld betrifft, nichts mehr verlangt werden.
Es liegt ihm nur ob, feinen Verftand über das, was Pflicht ift oder
is nicht, aufzuklären: wenn es aber zur That kommt oder gekommen ift, fo
ſpricht das Gewiſſen unwillkürlich und unvermeidlid. Nach Gewiſſen zu
handeln kann alſo ſelbſt nicht Pflicht ſein, weil es ſonſt noch ein zweites
Gewiſſen geben müßte, um ſich des Acts des erfteren bewußt zu werben.
Die Pflicht ift Hier nur jein Gewiſſen zu cultiviren, die Aufmerkfjam-
0 feit auf die Stimme des inneren Richters zu ſchärfen und alle Mittel an-
zuwenden (mithin nur indirecte Pflicht), um ihm Gehör zu verſchaffen.
c
Bon ber Menjhenliebe.
Liebe ift eine Sache ber Empfindung, nit des Bollens, und id)
> fann nit lieben, weil ih will, noch weniger aber weil ich ſoll (zur Liebe
genöthigt werden); mithin ift eine Pfliht zu lieben ein Unbing.
Wohlwollen (amor benevolentise) aber fann als ein Thun eimem
Pflichtgeſetz unterworfen fein. Man nennt aber oftmals ein uneigennäßi-
ges Bohlmwollen gegen Menihen auch (obzwar jehr uneigentlid) Liebe;
» ja, mo «3 nit um des Andern Glüdjeligfeit, fondern die gänzlide und
freie Ergebung aller feiner Zwede in die Zwede eines anderen (felbft eines
übermenidligen) Beiens zu thun ift, ſpricht man von Liebe, bie zugleich
für uns Pflicht fei Aber alle Pfligt it Nöthigung, ein Zwang, wenn
er auch ein Ecibfizwang mad, einem Geſetz fein follte. Bas man aber ans
Bwang that, das geihicht nicht aus Liebe,
Rast Bärifien. Bee TI. 29
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Einleitung. 403
vermeidlih Achtung für fein eigenes Wefen ab, und diefes Gefühl (wel-
des von eigner Art ift) ift ein Grund gewiſſer Pflichten, d. i. gewiſſer
Handlungen, die mit der Pflicht gegen ſich ſelbſt zufammen beftehen kön—
nen; nit: er habe eine Pflicht der Adytung gegen ſich; denn er muß
Achtung vor dem Geſetz in ſich ſelbſt haben, um ſich nur eine Pflicht über:
haupt denfen zu können.
XI.
Allgemeine Grundſätze der Metaphyfif der Sitten in
Behandlung einer reinen Tugendlehre,
Eritlid: Für Eine Pflicht kann auch nur ein einziger Grund der
Verpflichtung gefunden werden, und werden zwei oder mehrere Beweiſe
darüber geführt, jo it es ein ficheres Kennzeichen, daß ınan entweder nod)
gar feinen gültigen Beweis habe, oder es aud) mehrere und verjdiedne
Pflichten find, die man für Eine gehalten hat.
Denn alle moraliihe Beweile können, als philojophiiche, nur ver:
mitteljt einer Bernunfterfenntniß aus Begriffen, nicht, wie die Mathe:
matif jie giebt, durch die Gonjtruction der Begriffe geführt werden; die
leßtern verjtatten Mehrheit der Beweiſe eines und dejjelben Sabes: weil
in der Anſchauung a priori e$ mehrere Beitimmungen der Beſchaffen—
heit eines Objects geben fann, die alle auf eben denjelben Grund zurüd
führen. — Wenn z.B. für die Pfliht der Wahrhaftigkeit ein Beweis
erftlih aus dem Schaden, den die Lüge andern Menjchen verurfacht,
dann aber auch aus der Nihtswürdigfeit eines Lügners und der Ver:
legung der Achtung gegen ſich jelbft geführt werden will, jo ift im erfteren
eine Pflicht des Wohlwollens, nicht eine der Wahrhaftigkeit, mithin nicht
dieje, von der man den Beweis verlangte, jondern eine andere Pflicht be—
wiejen worden. — Was aber die Mehrheit der Beweiſe für einen und
denjelben Satz betrifft, womit man ſich tröftet, daß die Menge der Gründe
den Mangel am Gewicht eines jeden einzeln genommen ergänzen werde,
jo ift diejes ein jehr unphiloſophiſcher Behelf: weil er Hinterlijt und Uns
redlichkeit verräth — denn verſchiedene unzureichende Gründe, neben
einander gejtellt, ergänzen nicht der eine den Mangel des anderen zur
Gewißheit, ja nicht einmal zur Wahrjheinlichkeit. Sie müjjen ald Grund
und Folge in einer Reihe bis zum zureichenden Grunde fortſchreiten
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Einleitung. 407
gung aller Pflicht überhaupt) als vorbereitender Theil (discursus praeli-
minaris) vorangeſchickt werden. a1
Anmerkung. |
Bon der Tugendlehre nad) dem Princip der inneren Freiheit.
3 Fertigkeit (habitus) ift eine Leichtigkeit zu handeln und eine
jubjective Vollkommenheit der Willkür. — Nicht jede jolde Leich—
tigfeit aber ijt eine freie Fertigkeit (habitus libertatis); denn
wenn fie Angewohnheit (assuetudo), d. i. durch öfters wiederholte
Handlung zur Nothwendigfeit gewordene Gleichförmigkeit, der-
10 jelben ift, jo ift fie feine aus der Freiheit hervorgehende, mithin aud)
nicht moraliihe Fertigkeit. Die Tugend fann man aljo nicht durd)
die Fertigkeit in freien gefeßmäßigen Handlungen definiren; wohl
aber, wenn hinzugejebt würde, „fi durd die Boritellung des Ge—
jebes im Handeln zu bejtimmen”, und da ift dieſe Fertigkeit eine
15 Beihaffenheit nit der Willfür, fondern des Willens, der ein mit
der Negel, die er annimmt, zugleich allgemeinsgejeßgebendes Begeh-
rungsvermögen ift, und eine ſolche allein fann zur Tugend gezählt
werden.
Bur inneren Freiheit aber werden zwei Stüde erfordert: feiner
20 jelbjt in einem gegebenen Kal Meijter (animus sui compos) und
über ſich felbft Herr zu fein (imperium in semetipsum), d. i. feine
Affecten zu zähmen und feine Leidenſchaften zu beherriden. —
Die Gemüthsart (indoles) in diefen beiden Zuftänden ift edel
(erecta), im entgegengejekten Fall aber unedel (indoles abiecta,
2 serva).
XV, |
Zur Tugend wird zuerſt erfordert die Herrjchaft über
ſich jelbit.
Affecten und Leidenſchaften find wejentlid von einander unter
sw ſchieden; die erftern gehören zum Gefühl, jo fern es, vor der Ilberlegung
porhergehend, diefe jelbjt unmöglich oder ſchwerer macht. Daher heißt der
Affect jäh oder jach (animus praeceps), und die Vernunft jagt durd) den
—
408 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugenblehre.
Tugenbdbegriff, man folle ſich faſſen; dod) ift diefe Schwäche im Gebrauch
feines Verftandes, verbunden mit der Stärfe der Gemüthöbewegung, nur
eine Untugend und gleihjam etwas Kindiihes und Schwades, was
mit dem beten Willen gar wohl zufammen bejtehen kann und das einzige
Gute nod) an fid) hat, daß diefer Sturm bald aufhört. Ein Hang zum
Affect (4. B. Zorn) verſchwiſtert ſich daher nicht jo jehr mit dem Laſter,
als die Leidenſchaft. Leidenſchaft dagegen ift die zur bleibenden Nei-
gung gewordene finnlihe Begierde (z.B. der Haß im Gegenfab des
Zorns). Die Ruhe, mit der ihr nachgehangen wird, läßt Überlegung zu
und verftattet dem Gemüth ſich darüber Grundfäße zu machen und fo,
wenn die Neigung auf das Geſetzwidrige fällt, über fie zu brüten, fie tief
zu wurzeln und das Böfe dadurd; (als vorfäglidh) in feine Marime auf:
zunehmen; welches alsdann ein qualificirtes Böfe, d. i. ein wahres
Zaiter, ift.
Die Tugend alfo, jo fern fie auf innerer Freiheit gegründet ift, ent:
hält für die Menſchen aud) ein bejahendes Gebot, nämlich alle feine Ver-
mögen und Neigungen unter feine (der Vernunft) Gewalt zu bringen,
mithin der Herridaft über ſich jelbjt, weldye über das Werbot, nämlid)
von feinen Gefühlen und Neigungen fidy nicht beherrjchen zu lajjen, (der
Pflicht der Apathie) hinzu fommt; weil, ohne daß die Vernunft die Zü-
gel der Regierung in ihre Hände nimmt, jene über den Menſchen dem
Meijter jpielen.
XVI.
Zur Tugend wird Apathie (als Stärke betrachtet)
nothwendig borausgejebt.
Diefes Wort ift, gleich als ob es Fühllofigkeit, mithin jubjective
Sleihgültigkeit in Anfehung der Gegenftände der Willfür bedeutete, in
übelen Ruf geflommen; man nahm es für Schwäde. Diejer Mißdeutung
fann dadurch vorgebeugt werden, daß man diejenige Affectlofigfeit, welche
von der Indifferenz zu unterjcheiden ift, die moralifhe Apathie nennt:
da die Gefühle aus finnlihen Eindrüden ihren Einfluß auf das mora-
liſche nur dadurch verlieren, daß die Achtung fürs Gejeß über fie insge-
jammt mädtiger wird. — Es ift nur die jheinbare Stärke eines Fieber:
kranken, die den lebhaften Antheil jelbjt am Guten bis zum Affect ftei-
—
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25
au
Einleitung. 409
gen, oder vielmehr darin ausarten läßt. Man nennt den Affect diefer
Art Enthufiasm, und dahin ift auch die Mäßigung zu deuten, bie
man jelbjt für Tugendausübungen zu empfehlen pflegt (insani sapiens
nomen habeat aequus iniqui — ultra quam satis est virtutem si petat
ipsam. Horat.), Denn fonft ift es ungereimt zu wähnen, man könne
auch wohl allzumweije, allzutugendhaft fein. Der Affect gehört im:
mer zur Sinnlichkeit; er mag durch einen Gegenſtand erregt werden, wel-
her es wolle. Die wahre Stärke der Tugend ift das Gemüth in Ruhe
mit einer überlegten und feſten Entſchließung ihr Gejeß in Ausübung zu
bringen. Das ift der Zuftand der Gefundheit im moralischen Leben;
dagegen der Affect, jelbjt wenn er durch die Vorftellung des Guten auf-
geregt wird, eine augenblidlid glänzende Erjcheinung ijt, welche Maltig-
feit hinterläßt. — Phantaftifcyetugendhaft aber kann doch der genannt
werden, der feine in Anfehung der Moralität gleihgültige Dinge
(adiaphora) einräumt und ſich alle feine Schritte und Tritte mit Pflichten
als mit Fußangeln beftreut und es nicht gleichgültig findet, ob ich mid)
mit Fleiſch oder Fiſch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides befommt,
nähre; eine Mitrologie, weldye, wenn man fie in die Lehre der Tugend auf-
nähme, die Herrichaft derjelben zur Tyrannei madyen würde.
Anmerfung.
Die Tugend ift immer im Fortſchreiten und hebt doch aud)
immer von vorne au. — Das erite folgt daraus, weil fie, objectiv
betrachtet, ein Ideal und unerreihbar, gleichwohl aber fi) ihm be—
ftändig zu nähern dennod) Pflicht ift. Das zweite gründet ſich, jub-
jectiv, auf der mit Neigungen afficirten Natur des Menſchen, unter
deren Einfluß die Tugend mit ihren einmal für allemal genommenen
Marimen niemals ſich in Nuhe und Stillſtand ſetzen kann, jondern,
wenn fie nicht im Steigen ift, unvermeidlich finkt: weil ſittliche Mari-
men nicht fo wie technische auf Gewohnheit gegründet werden können
(denn dieſes gehört zur phyſiſchen Beihaffenheit feiner Willensbe-
ftimmung), fondern, jelbjt wenn ihre Ausübung zur Gewohnheit
würde, das Subject damit die Freiheit in Nehmung feiner Mari:
men einbüßen würde, welche doc der Charakter einer Handlung aus
Pflicht iſt.
Einleitung. 409
gen, oder vielmehr darin ausarten läßt. Man nennt den Affect diefer
Art Enthufiasm, und dahin ift auch die Mäfigung zu deuten, bie
man jelbft für Tugendausübungen zu empfehlen pflegt (insani sapiens
nomen habeat aequus iniqui — ultra quam satis est virtutem ai petat
;s ipsam. Horat.), Denn fonft ift e8 ungereimt zu wähnen, man fönne
auch wohl allzuweije, allzautugendhaft fein. Der Affect gehört Im»
mer zur Sinnlichkeit; er mag durd) einen Gegenftand erregt werden, wel»
her es wolle, Die wahre Stärke der Tugend ift das Gemüth in Nube
mit einer überlegten und feſten Entichließung ihr Geſetz in Ausübung zu
bringen. Das ift der Zuftand_der Gefundheit im moralifcdyen Leben;
dagegen der Affect, jelbjt wenn er durd) die Vorftellung des Guten auf
geregt wird, eine augenbliclich glänzende Erſcheinung ift, welche Mattig-
feit hinterläßt. — Phantaftifdytugendhaft aber kann doch der genannt
werden, der feine in Anfehung der Moralität gleihgäültige Dinge
(adiaphora) einräumt und fi alle feine Schritte und Tritte mit Pflichten
als mit Fußangeln beftreut und es nicht gleihgültig findet, ob Id) mid)
mit Fleiſch oder Fifch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides belommt,
nähre; eine Mifrologie, welche, wenn man fie in bie Lehre der Tugend auf»
nähme, die Herridaft derjelben zur Tyrannei maden würde.
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zo Anmerkung.
Die Tugend ift immer im Fortſchreiten und hebt doch auch
immer von vorne an. — Das erite folgt daraus, weil fie, objectiv
betradhtet, ein Ideal und unerreichbar, gleihwohl aber ſich ihm be-
ftändig zu nähern dennod; Pflicht ift. Das zweite grünbet ſich, 208
2 jectiv, auf der mit Neigungen afficirten Natur bes Menſchen, unter
bereu Einfluß die Tugend mit ihren einmal für allemal genommenen
Marimen niemals fi in Ruhe und Etilftand ſetzen kann, ſondern,
wenn fie nicht im Steigen ift, unvermeidlich finft: weil fittlihe Mari-
men nit fo wie techniſche auf Gewohnheit gegründet werben fönnen
ftimmung), fondern, jelbft wenn ihre Ausübung zur Gewohnheit
würde, das Subject damit Die Freiheit in Nehmung feiner Mari-
men einbühen würde, weldye bod ber Charakter einer Haudlung aus
Pflicht ift.
Einleitung. 413
Erſte Eintheilung der Ethik
nad dem Unterjhiede der Subjecte und ihrer Geſetze.
Sie enthält:
Pflichten
— des Menſchen gegen des Menſchen gegen
den Menſchen nicht menſchliche Weſen
—— — — — ——
gegen fich gegen andere untermenfch- übermenfd-
ſelbſt Weſen liche Weſen. liche Weſen.
Zweite Eintheilung der Ethik
10 nah Principien eines Syſtems der reinen praftifchen
Dernunft.
Ethiſche
Elementarlehre Methodenlehre
Dogmatit Gafuiftit Katedetit Afcetit.
15 Die letztere Eintheilung muß aljo, weil fie die Yorm der Wifjen-
ſchaft betrifft, vor der erfteren als Grundriß des Ganzen vorbergehen.
J.
Ethiſche Elementarlehre.
in
—
—
—
5
Der etbifchen Elementarlehre
Eriter Theil.
Bon den Pflihten gegen ſich jelbit überhaupt.
Einleitung.
$1. Der Begriff einer Pfliht gegen ſich jelbit enthält (dem
eriten Anſcheine nad) einen Widerjprud).
Wenn das verpflihtende Ich mit dem verpflichteten in einerlei
Sinn genommen wird, fo ift Pflicht gegen fid) ſelbſt ein fich widerſprechen—
der Begriff. Denn in dem Begriffe der Pflicht ift der einer pajfiven
Nöthigung enthalten (id) werde verbunden). Darin aber, daß es eine
Pflicht gegen mich felbit ift, ftelle ih mid; al& verbindend, mithin in
einer activen Nöthigung vor (I, eben dafjelbe Subject, bin der Berbin-
dende); und der Sab, der eine Pflicht gegen ſich ſelbſt ausſpricht (ich
ſoll mid) jelbjt verbinden), würde eine Verbindlichkeit verbunden zu jein
(paffive Obligation, die dody zugleich in demfelben Sinne des Verhält-
nifjes eine active wäre), mithin einen Widerjprud enthalten. — Man
kann dieſen Widerſpruch auch dadurd ins Licht ftellen: daß man zeigt,
der Berbindende (auctor obligationis) fünne den Verbundenen (subiectum
obligationis) jederzeit von der Verbindlichkeit (terminus obligationis) [08*
ſprechen; mithin (wenn beide ein und dafjelbe Subject find) er jei an eine
Pflicht, die er fi) auferlegt, gar nidyt gebunden: welches einen Wider:
ſpruch enthält.
$2. Es giebt doch Pflihten des Menſchen gegen fidh felbit.
Denn jeßet: e8 gebe Feine joldye Pflichten, jo würde es überall gar feine,
s aud) feine äußere Pflichten geben. — Denn ic kann mich gegen Andere
nicht für verbunden erfennen, als nur jo fern ic) zugleich mich jelbt ver-
binde: weil das Gejeß, kraft defien ich mich für verbunden achte, in allen
Kant'd Schriften Werte V]. 27
418 Metaphyſiſche Anfangsgrümde der Zugemblehre. 1. Ethijche Elememtariehrr.
Frällen aus meiner eigenen praftiichen Bernunft hervorgeht, durch welche
a indem ic) zugleich der Röthigende in Anjehung mei-
ner
& 3. Aufihluß dieſer jheinbaren Antinomie.
Der Menſch betrachtet fi in dem Bewußtſein einer Pfliht gegen »
ſich jelbft, als Subject derjelben, in awiefaher Dualität: erftli als Sin-
nenmwejen, d.i. ald Menſch (zu einer der Thierarten gehörig); dann aber
aud) als Vernunftweſen (nicht blos vernünftiges Weien, weil die Ber-
nunft nad) ihrem theoretiſchen Bermögen wohl aud die Dualität eines
lebenden körperlihen Weſens fein fönnte), weldyes fein Sinn erreicht und m
das fid) nur in moralifdpraftiihen Verhältnifjen, wo die unbegreifliche
Eigenihaft der Freiheit fi durch den neuen ber Vernunft auf den
innerlich gefebgebenden Willen offenbar macht, erfennen
Der Menſch nun als vernünftiges Raturweien — phaenome-
non) iſt durch feine Vernunft, als Urſache, beftimmbar zu Handlungen 1
in der Sinnenmwelt, und biebei fommt der Begriff einer Verbindlichkeit
nod) nicht in Betrachtung. Eben derjelbe aber feiner Perſönlichkeit
nad), d. i. alö mit innerer Freiheit begabtes Wejen (homo noumenon)
gedacht, ift ein der Verpflichtung Fähiges Wejen und zwar gegen ſich jelbft
(die Menſchheit in feiner Perſon) betradhtet, fo: dat der Menſch (in zweier: *
lei Bedeutung betrachtet), ohne in Widerſpruch mit ſich zu gerathen (weil
ber Begriff vom Menfhen nicht in einem und demſelben Sinn gedacht
wird), eine Pflicht gegen ſich jelbft anerkennen kann.
8 4. Vom Princip der Eintheilung der Pflihten gegen
fi ſelbſt. %
Die Einthellung kann nur in Anfehung des Objects der Pflicht, nicht
in Unfehung des ſich verpflitenden Subjects gemacht werden. Das
So fagt man, wenn es 3. B. einen Punkt meiner Ehrenrettung ober ber
Gelbfterhaltung betrifft: „Ich bin mir bas jelbit ſchuldig“. Selbft wenn es Pflichten
* minberer Bebeutung, bie nämlich nicht das Nothwendige, ſondern nur das Ber- 30
bienfifiche meiner Pflichtbefolgung betreffen, ſpreche ich jo, 3. B.: „Ich bin es mir ſelbſt
fehuuldig meine Gefchidlichkeit für ben Umgang mit Menſchen u. ſ. w. zu erweitern
(mich zu eultiviren).*
En
[= |
1. Theil. Bon ben Pflichten gegen fich felbit überhaupt. 419
verpflichtete jomwohl als das verpflichtende Subject ift immer nur der
Menſch, und wenn es uns in theoretijcher Nüdficht gleich erlaubt ift im
Menſchen Seele und Körper als Naturbejchaffenheiten des Menſchen von
einander zu unterfcheiden, jo ijt es doch nicht erlaubt fie als verſchiedene
den Menſchen verpflihtende Subjtanzen zu denken, um zur Eintheilung
in Pflichten gegen den Körper und gegen die Seele beredhtigt zu fein.
— Wir find weder durd) Erfahrung, noch durch Schlüffe der Vernunft
hinreichend darüber belehrt, ob der Menſch eine Seele (als in ihm woh—
nende, vom Körper unterjhiedene und von diefem unabhängig zu denfen
vermögende, d. i. geiltige Subftanz) enthalte, oder ob nicht vielmehr das
Leben eine Eigenſchaft der Materie fein möge, und wenn es fid) aud) auf
die erjtere Art verhielte, jo würde doch feine Pflicht des Menſchen gegen
einen Körper (als verpflidtendes Subject), ob er gleich der menſchliche
ift, denfbar fein.
1) Es wird daher nur eine objective Eintheilung der Pflichten
gegen ſich felbft in das Formale und Materiale derjelben jtatt finden;
wovon die eine einjhränfend (negative Pflichten), die andere erwei-
ternd (pofitive Pflihten gegen ſich felbit) find: jene, weldye dem Men—
hen in Anjehung des Zwecks feiner Natur verbieten demjelben zu—
wider zu handeln, mithin blos auf die moraliidhe Selbfterhaltung,
dieje, welche gebieten fich einen gewifien Gegenjtand der Willkür zum
Zweck zu machen und auf die Bervollfommnung feiner jelbjt gehen:
von welchen beide zur Tugend entweder als Unterlafjungspflichten (sustine
et abstine) oder als Begehungspflichten (viribus concessis utere), beide
aber als Zugendpflichten gehören. Die erftere gehört zur moralifchen
Gejundheit (ad esse) des Menjchen, jowohl als Gegenftandes feiner
äußeren, als feines inneren Sinnes zu Erhaltung feiner Natur in ihrer
Vollkommenheit (als Neceptivität), die andere zur moraliihen Wohl—
habenheit (ad melius esse; opulentia moralis), welde in dem Befib
eines zu allen Zweden hinreichenden Bermögens befteht, jo fern dieſes
erwerblich ift und zur Eultur (als thätiger Volltommenheit) feiner ſelbſt
gehört. — Der erftere Grundfah der Pflicht gegen fich felbit liegt in dem
Spruch: lebe der Natur gemäß (naturae convenienter vive), d. i. erhalte
dich in der Vollkommenheit deiner Natur, der zweite in dem Sab: madje
dic volllommner, als die bloße Natur did) ſchuf (perfice te ut ſinem;
perfice te ut medium).
2) Es wird eine jubjective Eintheilung der Pflichten des Menſchen
27*
420 Metapbyfiiche Anfangsgründe ber Tugenblehre. I. Ethiſche Elementarlehre.
gegen ſich jelbit, d. i. eine jolche, nad) der das Subject der Pflicht (der
Menſch) ſich jelbit entweder als animalisches (phyſiſches) und zugleich
moralifches, oder blos als moraliſches Wejen betrachtet.
Da find num die Antriebe der Natur, was die Thierheit des Men—
ſchen betrifft, a) der, durch welchen die Natur die Erhaltung feiner jelbit,
b) die Erhaltung der Art, c) die Erhaltung jeines Vermögens zum an-
genehmen, aber dody nur thierifchen Lebensgenuß beabfihtigt. — Die
Laſter, weldye hier der Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbft widerftreiten,
find: der Selbjtmord, der unnatürliche Gebrauch, den jemand von der
Geſchlechtsneigung macht, und der das Vermögen zum zwedmäßigen
Gebraud; jeiner Kräfte ſchwächende unmäßige Genuß der Nahrungs—
mittel.
Was aber die Pflicht des Menſchen gegen fich jelbit blos als mora-
liſches Weſen (ohne auf feine Thierheit zu jehen) betrifft, jo befteht fie im
Formalen der Übereinftimmung der Marimen feines Willens mit der
Würde der Menſchheit in feiner Perſon; alfo im Verbot, daß er ſich jelbit
des Borzugs eines moralifchen MWejens, nämlich nad) Principien zu han-
dein, d. i. der inneren Freiheit, nicht beraube und dadurd zum Spiel
bloßer Neigungen, aljo zur Sache, made. — Die Yajter, welche diejer
Pflicht entgegen ftehen, find: die Lüge, der Geiz und die faljche Demuth
(Kriedherei). Dieje nehmen ſich Grundjäbe, welche ihrem Charakter ala
moraliſcher Wejen, d. i. der inneren Freiheit, der angebornen Würde des
Menſchen, geradezu (ſchon der Form nach) widerſprechen, welches jo viel
jagt: fie madyen ſich es zum Grundjaß, feinen Grundjaß und jo aud) fei-
nen Charakter zu haben, d. i. fich weggumerfen und fich zum Gegenftande
ber Veradhtung zu machen. — Die Tugend, welche allen diejen Laſtern
entgegen fteht, könnte die Ehrliebe (honestas interna, iustum sui aesti-
mium), eine von der Ehrbegierde (ambitio) (welde auch jehr nieder-
trädhtig fein kann) himmelweit unterſchiedene Denkungsart, genannt wer:
den, wird aber unter diefer Betitelung in der Folge bejonders vorfommen.
—
0
5
5
Der Tugendlehre
Erſter Theil.
Ethiſche Elementarlehre.
Erſtes Bud.
5 Bon den vollfommenen Pflichten gegen fich ſelbſt. —
Erftes Hauptitüd,
Die Pfliht des Menihen gegen ſich felbft, als ein
animalifhes Weſen.
85.
10 Die, wenn gleich nicht vornehmfte, doch erfte Pflicht des Menjchen
gegen ſich jelbft in der Dualität feiner Thierheit ift die Selbiterhaltung
in feiner animalijhen Natur.
Das Widerjpiel derjelben iſt der willfürliche phyſiſche Tod, wel-
her wiederum entweder als total oder blos partial gedacht werden kann.
ss — Der phyſiſche, die Entleibung (autochiria), fann alfo aud) total
(suicidium) oder partial, Entgliederung (Verftümmelung), fein, welche
wiederum in die materiale, da man fid) ſelbſt gewifjer integrirenden
Theile als Organe beraubt, d. i. fi) verftüämmelt, und die formale,
da man fid) (auf immer oder auf einige Zeit) des Vermögens des phy-
»» ſiſchen (und hiemit indirect auch des moraliihen) Gebrauchs feiner
Kräfte beraubt.
Da in diefem Hauptftüde nur von negativen Pflichten, folglid von
Unterlaffungen nur die Rede it, jo werden die Pflichtartifel wider die
Laſter gerichtet fein müffen, welche der Pflicht gegen fich jelbjt entgegen
» geſetzt find,
422 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. I. Ethifche Elementarlehre.
Des erften Hauptftüds
Erſter Artifel.
Bon der Selbjtentleibung.
86.
Die willkürliche Entleibung ſeiner ſelbſt kann nur dann allererſt
Selbſtmord (homicidium dolosum) genannt werden, wenn bewieſen wer—
den kann, daß fie überhaupt ein Verbrechen iſt, welches entweder an unſe—
rer eigenen Perſon oder aud) durch diefer ihre Selbftentleibung an anderen
begangen wird (3. B. wenn eine ſchwangere Perjon ſich jelbjt umbringt).
a) Die Selbjtentleibung ift ein Verbrechen (Mord). Diejes kann
num zwar aud) als Ubertretung feiner Pfliht gegen andere Menſchen
(Eheleute, Eltern gegen Kinder, des Unterthans gegen jeine Obrigfeit,
oder jeine Mitbürger, endlich auch gegen Gott, defjen uns anvertrauten
Poſten in der Welt der Menſch verläßt, ohne davon abgerufen zu fein)
betradhtet werden; — aber hier ift nur die Nede von Verlebung einer
Pflicht gegen fich jelbit, ob nämlid), wenn ich auch alle jene Rüdjichten
bei Seite feßte, der Menſch doch zur Erhaltung feines Lebens blos durch
feine Qualität als Perfon verbunden ſei und hierin eine (und zwar
ftrenge) Pflicht gegen ſich ſelbſt anerkennen müſſe.
Daß der Menſch ſich ſelbſt beleidigen könne, fcheint ungereimt zu
jein (volenti non fit iniuria), Daher jah es der Stoifer für einen Vor-
zug feiner (des Weijen) Perſönlichkeit an, beliebig aus dem Leben (als
aus einem Zimmer, das raudt), ungedrängt durch gegenwärtige oder
bejorgliche Ubel, mit ruhiger Seele hinaus zu gehen: weil er in demjelben
zu nichts mehr nußen fönne. — Aber eben dieſer Muth, dieje Seelenftärfe,
den Tod nicht zu fürdten und etwas zu Fennen, was der Menjd noch
höher jhäßen kann, als jein Leben, hätte ihm ein um noch jo viel größerer
Bewegungsgrund fein müfjen, fi, ein Wejen von jo großer, über die
ſtaͤrkſte finnliche Triebfedern gewalthabenden Obermacht, nicht zu zerftören,
mithin ſich des Lebens nicht zu berauben.
Der Perjönlichfeit kann der Menſch fi nicht entäußern, jo lange von
Pflichten die Rede ift, folglid) fo lange er lebt, und es ift ein Widerſpruch
die Befugniß zu haben ſich aller Verbindlichkeit zu entziehen, d. i. frei fo
zu handeln, als ob es zu diejer Handlung gar feiner Befugniß bedürfte.
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Safnittijde Rragen.
3 es Sclhitmerd, Aa (mie Gartine) in den arwiffen Dad an
verfepliihe Märtertbin,
um bes Baterland zu veiten? — oder Ift dad |
| zum Opfer Dirmaeben,
— — — iin Ente Kine er dl
Seneca) erlaubte zu thun?
» Kann manes einem grohen umlängit verftobenen Monmnben 6
verbrecheriſchen Vorhaben anrechnen, daß er ein behend wirfundes
bei ſich führte, vermuthlich damit, wenn er In dan Melone, ben or perſon
id) führte, gefangen würde, er nicht etwa nendtblnt fel, Bedinanmmen ber
Auslöfung einzugehn, die feinem Staate nachtbeilig fein könnten; beim
0 dieſe Abficht kann man ihm unterlegen, obne daß man nötbin bat, bier
unter einen bloßen Stolz zu vermutben
Ein Mann empfand ſchon die Waſſerſchen, ala Mirhing bon bem
Biß eines tollen Hundes, und nachdem er ſich barlıber fo erflärt battle:
er habe noch nie erfahren, dah jemand daran neheilt worben jel, bradhte
> er fid) felbft um, damit, wie er Im einer hinterlaffenen Schrift jagte, er
424 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. 1. Ethiſche Elementarlehre.
nicht in feiner Hundewuth (zu welcher er ſchon den Anfall fühlte) andere
Menſchen auch unglücklich machte; es frägt ſich, ob er damit unrecht that.
Wer ſich die Poden einimpfen zu lafjen beſchließt, wagt jein Leben
aufs Ungewiffe, ob er es zwar thut, um fein Leben au erhalten, und
ift fo fern in einem weit bedenklicheren Fall des Pflichtgeſetzes, als der
Seefahrer, weldyer dody wenigitens den Sturm nidht macht, dem er ſich
anvertraut, ftatt defjen jener die Krankheit, die ihn in Todesgefahr bringt,
fich felbft zuzieht. Sit alfo die Podeninoculation erlaubt?
Zweiter Artikel.
Bon der wohllüftigen Selbjtihändung.
87.
So wie die Liebe zum Leben von der Natur zur Erhaltung der Ber-
fon, fo ift die Liebe zum Geſchlecht von ihr zur Erhaltung der Art be:
ftimmt; d. i. eine jede von beiden ift Naturzwed, unter welhem man
diejenige Verknüpfung der Urſache mit einer Wirfung verfteht, in welcher
jene, auch ohne ihr dazu einen Verftand beizulegen, dieſe doch nad) der
Analogie mit einem ſolchen, aljo gleihjam abſichtlich Menſchen hervor-
bringend gedacht wird. Es frägt ſich nun, ob der Gebraud) des Teßteren
Vermögens in Anfehung der Berjon jelbit, die es ausübt, unter einem
einfhränfenden Pilichtgefeb ftehe, oder ob dieje, aud) ohne jenen Zwed zu
beabſichtigen, den Gebraud) ihrer Geſchlechtseigenſchaften der bloßen thie=
riſchen Luft zu widmen befugt jei, ohne damit einer Pflicht gegen ſich ſelbſt
zumwider zu handeln. — In der Nechtölehre wird bewiefen, daß der Menſch
fi) einer anderen Perfon dieſer Luft zu gefallen ohne befondere Ein-
ihränfung durch einen rechtlichen Vertrag nicht bedienen könne; wo dann
zwei Berjonen wechjelfeitig einander verpflichten. Hier aber ift die Frage:
0b in Anjehung diejes Genufjes eine Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit
obmalte, deren Übertretung eine Shändung (nicht blos Abwitrdigung)
ber Menjchheit in feiner eigenen Berfon fei. Der Trieb zu jenem wird
Fleiſchesluſt (aud) Wohlluft chledhthin) genannt. Das Lafter, welches
dadurch erzeugt wird, heißt Unfenjchheit, die Tugend aber in Anjehung
diejer finnlihen Antriebe wird Keufchheit genannt, die num bier als
Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt vorgeftellt werden fol. Unnatür-
Lich heißt eine Wohlluft, wenn der Menſch dazu nicht dur den wirkli—
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3 zugleich naturwidrigen Sache, b. t. zum efelha te Begenftande, et
und fo aller Achtung für fich felbft beraubt.
—
426 Metaphufiiche Anfangsgründe ber Tugendlehre. I. Ethische Elementarlehre.
Caſuiſtiſche Fragen.
Der Zwed der Natur ift in der Beiwohnung der Geſchlechter die
Fortpflanzung, d. i. die Erhaltung der Art; jenem Zwecke darf aljo
wenigftens nicht zuwider gehandelt werden. ft es aber erlaubt, aud)
ohne auf diefen Rüdjiht zu nehmen, ſich (jelbjt wenn es in der Ehe
geihähe) jenes Gebrauchs anzumaßen?
Sit es 5. B. zur Zeit der Schwangerjchaft — iſt es bei der Eterilität
des MWeibes (Alters oder Krankheit wegen), oder wenn diefes feinen Anreiz
dazu bei ſich findet, nicht dem Naturzwece und hiemit aud der Pflicht
gegen ſich jelbft an einem oder dem anderen Theil eben jo wie bei der
unnatürlihen Wohlluft zuwider, von feinen Geſchlechtseigenſchaften Ge—
braud) zu maden; oder giebt es hier ein Erlaubnißgejeb der moraliſch—
praktiſchen Vernunft, welches in der Collifion ihrer Beftimmungsgründe
etwas an fid) zwar Unerlaubtes doc) zur Verhütung einer nod) größeren
Übertretung (gleichſam nachſichtlich) erlaubt macht? — Bon wo an kann
man die Einſchränkung einer weiten Verbindlichkeit zum Burism (einer
Pedanterei in Anjehung der Pflichtbeobachtung, was die Weite derjelben
betrifft) zählen und den thieriſchen Neigungen mit Gefahr der Verlaffung
des Vernunftgejeßes einen Spielraum verftatten?
Die Gefhlehtsneigung wird auch Liebe (in der engften Bedeutung
des Worts) genannt und ift in der That die größte Sinnenluft, die an
einem Gegenftande möglich ift; — nicht blos ſinnliche Luft, wie an
Gegenftänden, die in der bloßen Reflerion über fie gefallen (da die Em-
pfänglichfeit für fie Gejchmad heißt), fondern die Luft aus dem Genuſſe
einer anderen Perjon, die alfo zum Begehrungspermögen und zwar
der höchſten Stufe dejjelben, der Leidenjhaft, gehört. Sie kann aber
weder zur Liebe des MWohlgefallens, nod) der des Wohlwollens gezählt
werden (denn beide halten eher vom fleifchlichen Genuß ab), fondern ift
eine Luft von befonderer Art (sui generis), und das Brünftigfein hat mit
der moralifchen Liebe eigentlich nichts gemein, wiewohl fie mit der lebte:
ren, wenn die praktiſche Vernunft mit ihren einfhränfenden Bedingungen
hinzu fommt, in enge Berbindung treten kann.
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1. Buch. 1. Hauptftücd, 3, Artikel. Bon ber Selbfibetäubung 427
Dritter Artifel.
Von der Selbijtbetäubung durch Unmäßigfeit im Gebraud)
der Genieß- oder aud) Nahrungsmittel.
858.
Das Laſter in dieſer Art der Unmäßigkeit wird hier nicht aus dem
Schaden, oder den körperlichen Schmerzen (ſolchen Krankheiten), die der
Menſch ſich dadurd) zuzieht, beurtheilt; denn da wäre es ein Princip des
Mohlbefindens und der Behaglichkeit (Folglich der Glückſeligkeit), wodurd)
ihm entgegen gearbeitet werden jollte, welches aber nie eine Pflicht, ſon—
dern nur eine Klugheitregel begründen kann: wenigſtens wäre ‚8 fein
Princip einer directen Pflicht.
Die thierifche Unmäßigfeit im Genuß der Nahrung ift der Mißbrauch
der Geniekmittel, wodurd) das Vermögen des intellectuellen Gebrauchs
derjelben gehemmt oder erſchöpft wird. Verfoffenheit und Gefräßig-
keit find die Lafter, die unter diefe Rubrik gehören. Im Buftande der
Betrunfenheit ift der Menſch nur wie ein Thier, nicht ala Menſch zu be
handeln; durch die Überladung mit Speifen und in einem foldhen Zus
ftande ift er für Handlungen, wozu Gewandtheit und Überlegung im Ge-
braud) jeiner Kräfte erfordert wird, auf eine gewifje Zeit gelähmt. —
Daß fid) in einen ſolchen Zuftand zu verſetzen Verlebung einer Pflicht
wider ſich ſelbſt fei, fällt von felbjt in die Augen. Die erfte diefer Ernied-
rigungen, ſelbſt unter die thieriſche Natur, wird gewöhnlich durch ge-
gohrene Getränke, aber auch durch andere betäubende Mittel, als den
Mohniaft und andere Producte des Gewächsreichs, bewirkt und wird da—
»s durch verführeriich, daß dadurd) auf eine Weile geträumte Glückſeligkeit
und Sorgenfreiheit, ja wohl auch eingebildete Stärke hervorgebradt,
Niedergefchlagenheit aber und Schwäche und, was das Schlimmſte ift,
Nothwendigkeit dieſes Betäubungsmittel zu wiederholen, ja wohl gar da—
mit zu fteigern eingeführt wird. Die Gefräßigfeit iſt fofern noch unter
jener thieriſchen Sinnenbeluftigung, daß fie blos den Sinn als pajfive
Beihaffenheit und nicht einmal die Einbildungstraft, weldye doch noch ein
thätiges Spiel der Vorftellungen, wie im vorerwähnten Genuß der Fall
ift, beichäftigt; mithin fi) dem des Viehes noch mehr nähert.
428 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugenblehre. T. Eihiiche Elementarlehre.
Gajuiftifhe Fragen.
Kann man dem Wein, wenn gleich nicht als Banegyrift, doch wenig-
ftens als Apologet einen Gebrauch verftatten, der bis nahe an die Berau-
ſchung reiht: weil er doch die Gejellihaft zur Geiprädigfeit belebt und
damit Offenherzigfeit verbindet? — Dder fann man ihm wohl gar das ;
Verdienſt zugeitehen, das zu befördern, was Seneca vom Cato rühmt:
virtus eius incaluit mero? — Der Gebraud) de3 Opium und Brannt-
meins find als Genießmittel der Niederträchtigfeit näher, weil fie bei
dem geträumten Wohlbefinden ftumm, zurüdhaltend und unmittheilfam
machen, daher auch nur als Arzneimittel erlaubt find. — Wer fann aber 1
das Maß für einen beftimmen, der in den Zuftand, wo er zum Meſſen
feine flare Augen mehr hat, überzugehen eben in Bereitidaft ift? Der
Mohammedanism, welher den Wein ganz verbietet, hat aljo jehr ſchlecht
gewählt, dafür das Opium zu erlauben.
Der Schmaus, als förmliche Einladung zur Unmäßigfeit in beiderlei
Art des Genufjes, hat doch außer dem blos phyſiſchen Wohlleben noch
etwas zum fittlichen Zweck Abzielendes an fi, nämlich viel Menſchen und
lange zu wechjeljeitiger Mittheilung zufammen zu halten: gleichwohl aber,
da eben die Menge (wenn fie, wie Cheiterfield jagt, über die Zahl der
Mufen geht) nur eine Feine Mittheilung (mit den nächſten Beifitern) »
erlaubt, mithin die Beranftaltung jenem Bwed widerſpricht, jo bleibt fie
immer Berleitung zum Unfittlihen, nämlich der Unmäßigfeit, der Über—
tretung der Pflicht gegen ſich felbft; aud ohne auf die phyſiſchen Nach—
theile der Überladung, die vielleicht vom Arzt gehoben werden können, zu
jehen. Wie weit geht die fittliche Befugnig, diefen Einladungen zur Un
mäßigfeit Gehör zu geben?
—
m
Zweites Hauptſtück.
Die Pfliht des Menjhen gegen ſich ſelbſt, blos als ein
moraliihes Wejen.
Sie ift den Laftern:; Züge, Geiz und falſche Demuth (Kriecherei) zo
entgegen gejebt.
1
1
1. Bud, 2. Hauptſtuck. 1. Bun ber Luge. 429
I.
Bon der Lüge.
59. |
Die größte Verleßung der Pflicht des Menſchen gegen fid) ſelbſt, blos
als moraliſches Wejen betrachtet (die Menjchheit in feiner Berfon), ift das
Widerjpiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge (aliud lingua promtum, aliud
pectore inclusum gerere), Daß eine jede vorjeglihe Unwahrheit in
Äußerung feiner Gedanten diefen harten Namen (den fie in der Rechts:
lehre nur dann führt, wenn fie anderer Recht verleßt) in der Ethik, die
aus der Unjhädlichfeit fein Befugniß hernimmt, nicht ablehnen fönne, ift
für ſich ſelbſt Mar. Denn Ehrlofigfeit (ein Gegenjtand der moralifchen
Verachtung zu fein), welche fie begleitet, die begleitet aud) den Lügner wie
fein Schatten. Die Lüge fann eine äußere (mendacium externum), oder
aud) eine innere fein. — Durd) jene madıt er ſich in Anderer, durch dieje
aber, was noch mehr ift, im feinen eigenen Augen zum Gegenftande der
Verachtung und verlegt die Würde der Menſchheit in feiner eigenen Per—
jon; wobei der Schade, der anderen Menſchen daraus entipringen faun,
nicht das Eigenthümliche des Lajters betrifft (denn da beftände es blos
in der Berlegung der Pflicht gegen Andere) und alfo hier nicht in Ans
ſchlag fommt, ja auch nicht der Schade, den er ſich jelbit zuzieht; denn
alsdann würde es blos als Klugheitsfehler der pragmatifchen, nidyt der
moraliihen Marime widerftreiten und gar nicht als Pflichtverlekung an:
gejehen werden fünnen. — Die Lüge iſt Wegmwerfung und gleichſam Ver:
nichtung feiner Menſchenwürde. Ein Menſch, der ſelbſt nicht glaubt, was
er einem Anderen (wenn es aud) eine blos idealijche Perjon wäre) jagt,
hat einen noch geringeren Werth, als wenn er blos Sache wäre; denn von
diefer ihrer Eigenſchaft etwas zu nußen, kann ein anderer doch irgend
einen Gebrauch machen, weil fie etwas Wirfliches und Gegebenes ift; aber
die Mittheilung feiner Gedanken an jemanden durd) Worte, die doch das
Gegentheil von dem (abſichtlich) enthalten, was der Sprechende dabei
denkt, ijt ein der natürlichen Zweckmäßigkeit feines Vermögens der Mit-
theilung feiner Gedanfen gerade entgegen gejeßter Zwed, mithin Verzicht:
thuung auf jeine Berjönlichkeit und eine blos täuſchende Erſcheinung vom
Menjchen, nicht der Menſch jelbit. — Die Wahrhaftigkeit in Erflärun-
gen wird aud Ehrlichkeit und, wenn dieje zugleich Verſprechen find,
Redlichkeit, überhaupt aber Aufrichtigkeit genannt.
=
=
=
1. Bud. 2. Hauptitüd. J. Bon ber Yüige. 431
lichen Natur gewurzelt zu fein jheint) aus das Übel der Unwahrhaftigfeit
fi) auch in Beziehung auf andere Menſchen verbreitet, nachdem einmal
der oberite Grundfaß der Wahrhaftigkeit verlegt worden. —
Unmerfung.
Es iſt merfwürdig, daß die Bibel das erfte Verbrechen, wodurd)
das Böfe in die Welt gefommen iſt, niht vom Brudermorde
(Kains), jondern von der eriten Züge datirt (weil gegen jenen fid)
dod) die Natur empört) und als den Urheber alles Böjen den Lügner
von Anfang und den Vater der Lügen nennt; wiewohl die Vernunft
von diefem Hange der Menihen zur Gleisnerei (esprit fourbe),
der doc) vorher gegangen jein muß, feinen Grund weiter angeben
fann: weil ein Act der Freiheit nicht (gleich einer phyſiſchen Wirkung)
nad) dem Naturgejeb des Aufammenhanges der Wirkung und ihrer
Urſache, weldhe insgefammt Erſcheinungen find, deducirt und erflärt
werden fann.
Gafuiftifhe Fragen.
Kann eine Unmwahrheit aus bloßer Höflichkeit (3. B. das ganz ge—
hborfamfter Diener am Ende eines Briefes) für Lüge gehalten werden?
Niemand wird ja dadurch betrogen. — Ein Autor frägt einen feiner Zefer:
wie gefällt Ihnen mein Wert? Die Antwort könnte nun zwar illuforifc)
gegeben werben, da man über die Verfänglichkeit einer ſolchen Frage ſpöt—
telte; aber wer hat den Wiß immer bei der Hand? Das geringfte Zögern
mit der Antwort ift ſchon Kränfung des Verfaffers; darf er diefem alfo
zum Munde reden ?
In wirfliden Geihäften, wo es aufs Mein und Dein ankommt,
wenn ich da eine Unwahrheit ſage, muß ich alle die Folgen verantworten,
die daraus entfpringen möchten? 83. B. ein Hausherr hat befohlen: daß,
wenn ein gewiffer Menſch nad) ihm fragen würde, er ihn verläugnen folle.
Der Dienftbote thut diefes: veranlaßt aber dadurch, daß jener entwiſcht
und ein großes Verbrechen ausübt, welches jonft durch die gegen ihn aus»
geſchickte Wache wäre verhindert worden. Auf wen fällt hier die Schuld
(nad) ethiſchen Grundjäßen)? Allerdings auch auf den lebteren, welcher
bier eine Pflicht gegen ſich jelbft durch eine Lüge verlebte; deren Folgen
ihm num durch jein eigen Gewiſſen zugerechnet werden.
432 Metlaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. I. Ethifche Elementarlehre.
II.
Vom Geize.
$ 10.
Ich verftehe hier unter diefem Namen nicht den habſüchtigen Geiz
(der Erweiterung feines Erwerbs der Mittel zum Wohlleben über die
Schranken des wahren Bedürfnifjes): denn diefer kann auch als bloße
Verletzung feiner Pflicht (der Wohlthätigfeit) gegen Andere betrachtet
werden; auch nicht den fargen Geiz, welder, wenn er ſchimpflich ift,
Kniderei oder Knauſerei genannt wird, aber doch blos Bernadjläffigung
jeiner Liebespflihten gegen Andere jein kann; fondern die Verengung
feines eigenen Genufjes der Mittel zum Wohlleben unter das Map
des wahren eigenen Bedürfnifjes; diefer Geiz ift es eigentlid), der hier
gemeint ift, welcher der Pflicht gegen jich ſelbſt widerftreitet.
An der Rüge diefes Lafters kann man ein Beijpiel von der Unrich—
tigfeit aller Erflärung der Tugenden jowohl als Laſter durch den bloßen
Grad deutlich machen und zugleich die Unbrauchbarkeit des Ariftoteli=-
ihen Grundjaßes darthun: daß die Tugend in der Mittelftraße zwiſchen
zwei Zaftern beftehe. |
Wenn id nämlich zwiſchen Verjhwendung und Geiz die gute
Wirthſchaft als das Mittlere anjehe, und dieſes das Mittlere des Gra—
des fein joll: jo würde ein Laſter in das (contrarie) entgegengejeßte Lafter
nicht anders übergehen, als durch die Tugend, und fo würde dieje nichts
anders, als ein vermindertes, oder vielmehr verſchwindendes Laſter fein,
und die Folge wäre in dem gegenwärtigen Fall: daß von den Mitteln des
Wohllebens gar feinen Gebrauch zu machen die ächte Tugendpflicht ei.
Nicht das Maß der Ausübung fittliher Marimen, fondern das ob-
jective Brincip derjelben muß als verſchieden erfannt und vorgetragen
werden, wenn ein Lafter von der Tugend unterjchieden werden foll. —
Die Marime des habjühtigen Geizes (als Verſchwenders) ift: alle
Mittel des Wohllebens in der Abjiht auf den Genuß anzuſchaffen
und zu erhalten. — Die des fargen Geizes ift hingegen der Erwerb fo-
wohl, als die Erhaltung aller Mittel des Wohllebens, aber ohne Abficht
anf den Genuß (d. i. ohne daß dieſer, fondern nur der Beſitz der
Zweck jei).
Allſo ift das eigenthümliche Merkmal des leßteren Lafters der Grund:
ſatz des Beſitzes der Mittel zu allerlei Zweden, dod mit dem Vorbehalt,
—
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—
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or
10
73
in
1. Buch. 2. Hauptftüc. II. Vom Geige, .. 433
feines derjelben für fid brauchen zu wollen und ſich jo des angenehmen
Zebensgenufjes zu berauben: welches der Pflicht gegen ſich ſelbſt in An—
jehung des Zwecks gerade entgegengejeßt iſt.“ Verſchwendung und Karg-
heit find aljo nicht durch den Grad, jondern ſpecifiſch durch die entgegen-
geſetzte Marimen von einander unterjchteden.
Gafuiftifhe Fragen.
Da hier nur von Pflichten gegen ſich felbit die Rede ift und Habſucht
(Unerfättlichfeit im Erwerb), um zu verſchwenden, eben jo wohl als Knau—
jerei (Peinlichkeit im Verthun) Selbſtſucht (solipsismus) zum Grunde
*) Der Sat: man foll feiner Sache zu viel oder zu wenig thun, jagt jo viel ala
nichts; denn er iſt tautologifh. Was heißt zu viel thun? Antw. Mehr als gut ift.
Was heißt zu wenig thun? Antw. Weniger thun, als gut ift. Was heißt: ich ſoll
(etwas thun oder unterlajfen)? Antw. Es iſt nicht gut (wider bie Pflicht) mehr
ober auch weniger zu thun, als gut ilt. Wenn das die Weisheit ift, die zu erforjchen
wir zu den Alten (dem Ariftoteles), gleich als folchen, die der Quelle näher waren,
zurückkehren jollen: virtus consistit in medio, medium tenuere beati, est modus in
rebus, sunt certi denique fines, quos ultra eitraque nequit consistere rectum, fo
haben wir ſchlecht gewählt, uns an ihr Drafel zu wenden. — Es giebt zwijchen Wahr:
haftigfeit und Yüge (als contradietorie oppositis) fein Mittleres: aber wohl zwiſchen
Dffenberzigfeit und Zurückhaltumg (als contrarie oppositis), ba an dem, welcher feine
Meinung erklärt, Alles, was er jagt, wahr ift, er aber nicht die ganze Wahrheit
jagt. Nun ift doch ganz natürlid) von dem Tugenblehrer zu fordern, baf er mir dieſes
Mittlere anweife. Das kann er aber nicht; denn beide Tugendpflichten haben einen
Spielraum ber Anwendung (latitudinem), und was zu thun fei, kann nur von der lIr-
theilöfraft nach Regeln der Klugheit (den pragmatifchen), nicht denen ber Sittlichfeit
(dem moralifchen), d. i. nicht ald enge (officium strietum), ſondern nur ald weite
Pflicht (offieium latum) entfchieben werben. Daher ber, welcher bie Grundſätze ber
Tugend befolgt, zwar in ber Ausübung im Mehr oder Weniger, als die Klugheit vor-
ichreibt, einen Fehler (peccatum) begehn, aber nicht darin, daß er biefen Grunb-
jäben mit Strenge anhänglich ift, ein Kater (vitium) ausüben, und Horazens Vers:
insani sapiens nomen habeat aequus iniqui, wra quam satis est virtutem si petat
ipsam, ijt, nad) bem Buchjtaben genommen, grundfalſch. Sapiens bedeutet hier wohl
nur einen geihenten Mann (prudens), ber fich nicht phantaftifch Tugenbvollfommen-
heit benft, die als Ideal zwar die Annäherung zu diefem Zwecke, aber nicht bie Boll»
s endung fordert, als welche Forderung die menſchlichen Kräfte überfteigt und Unfinn
(Phantafterei) in ihr Princip hinein bringt. Denn garzutugendhaft, b. i. jeiner
Pflicht gar zu anhänglich, zu fein, würbe ungefähr fo viel fagen als: einen Girfel gar
zu rund, ober eine gerabe Linie gar zu gerabe machen.
Kant’? Schriften Werke. VI. 28
434 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Zugendblehre. L Eibiiche Elementarlehre.
haben, und beide, die Verſchwendung jowohl als die Kargheit, blos darum
verwerflich zu fein ſcheinen, weil fie auf Armuth hinaus laufen, bei dem
einen auf nicht erwartete, bei dem anderen auf willfürlidhe (armjelig leben
zu wollen), — fo iſt die Frage: ob fie, die eine ſowohl als die andere,
überhaupt Zafter und nicht vielmehr beide bloße Unflugheit genannt wer-
den jollen, mithin nicht ganz und gar außerhalb den Grenzen der Pflicht
gegen ſich jelbit liegen mögen. Die Kargheit aber ift nidyt blos migver-
ftandene Sparjamfeit, jondern ſtlaviſche Unterwerfung feiner jelbit unter
die Slüdsgüter, ihrer nicht Herr zu fein, weldyes Verlegung der Pflicht
gegen ſich jelbft ift. Sie ift der Ziberalität (liberalitas moralis) der
Denkungsart überhaupt (nicht der Freigebigfeit (liberalitas sumptuosa),
welche nur eine Anwendung derjelben auf einen befonderen Fall ift), d. i.
dem Princip der Unabhängigkeit von allem anderen außer von dem Geſetz,
entgegengejeßt und Defraudation, die das Subject an fi ſelbſt begeht.
Aber was ijt das für ein Gejeß, defjen innerer Geſetzgeber jelbjt nicht
weiß, wo es anzumenden ift? Soll id; meinem Munde abbredhen, oder
nur dem äußeren Aufwande? im Alter, oder jchon in der Jugend? oder
ift Sparfamfeit überhaupt eine Tugend?
III.
Von der Kriecherei.
$ 11.
Der Menſch im Syftem der Natur (homo phaenomenon, animal
rationale) ift ein Wejen von geringer Bedeutung und hat mit den übrigen
Thieren, als Erzeugnifjen des Bodens, einen gemeinen Werth (pretium
vulgare). Selbſt, daß er vor diejen den Verftand voraus hat und ſich
jelbjt Zwede jegen fann, das giebt ihm doc) nur einen äußeren Werth
feiner Braudpbarfeit (pretium usus), nämlidy eines Menſchen vor dem
anderen, d. i. ein Breis, als einer Waare, in dem Verkehr mit diefen
Thieren als Saden, wo er doc) nod) einen niedrigern Werth hat, als das
allgemeine Taufhmittel, das Geld, defien Werth daher ausgezeichnet
(pretium eminens) genannt wird.
Allein der Menſch, als Perjon betrachtet, d. i. als Subject einer
moraliſch⸗praktiſchen Vernunft, ijt über allen Preis erhaben; denn als ein
ſolcher (homo noumenon) ift er nicht blos als Mittel zu anderer ihren,
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1. Buch. 2. Hauptftück. 1. Von der Kriecherei. 435
ja ſelbſt jeinen eigenen Zmweden, fondern als Zweck an ſich ſelbſt zu jchät-
zen, d. i. er befißt eine Würde (einen abjoluten innern Werth), wodurd)
er allen andern vernünftigen Weltwefen Achtung für ihn abnöthigt, ſich
mit jedem Anderen diejer Art mefjen und auf den Fuß der Gleichheit
ihäßen kann.
Die Menfchheit in feiner Perfon ift das Object der Achtung, die er
von jedem anderen Menſchen fordern kann; deren er aber aud) fich nicht
verluftig machen muß. Er fann und ſoll fid) aljo nad) einem Heinen ſo—
wohl als großen Maßitabe ſchätzen, nachdem er ſich als Sinnenwefen
(feiner thieriihen Natur nach) oder als intelligibles Weſen (feiner mora=
liihen Anlage nad) betrachtet. Da er ſich aber nicht blos als Perſon
überhaupt, jondern aud) als Menſch, d. i. als eine Perſon, die Pflichten
auf fich hat, die ihm feine eigene Vernunft auferlegt, betrachten muß, fo
fann jeine Geringfähigfeit al3 Thiermenjcd dem Bewußtjein feiner
Miürde als Vernunftmenſch nidt Abbruch thun, und er ſoll die mora—
liche Selbſtſchätzung in Betracht der letzteren nicht verläugnen, d. i. er
ſoll id um feinen Zweck, der an ſich jelbit Pflicht ift, nicht kriechend, nicht
knechtiſch (animo servili), gleic als fih um Gunſt bewerbend, bewer:
ben, nicht feine Würde verläugnen, fondern immer mit dem Bemwußtjein
der Erhabenheit feiner moraliſchen Anlage (welches im Begriff der Tu—
gend Schon enthalten ift), und dieje Selbſtſchätzung ijt Pflicht des Men-
ſchen gegen ſich jelbit.
Das Bewußtfein und Gefühl der Geringfähigfeit feines moraliſchen
Werths in Bergleihung mit dem Geſetz iſt die Demuth (humilitas
moralis), Die llberredung von einer Größe diejes feines Werths, aber
nur aus Mangel der Vergleihung mit dem Gejeb, kann der Tugendſtolz
(arrogantia moralis) genannt werden. — Die Entjagung alles Anſpruchs
auf irgend einen moraliihen Werth feiner ſelbſt in der Uberredung, fid)
eben dadurd) einen geborgten zu erwerben, ift die ſittlich-falſche Krieche—
rei (humilitas spuria).
Demuth in Bergleihung mit anderen Menſchen (ja über-
haupt mit irgend einem endlichen Wejen, und wenn es aud ein Seraph
wäre) ijt gar feine Pflicht; vielmehr ift die Bejtrebung in diefem Wer:
hältniffe andern gleich zu kommen oder fie zu übertreffen mit der Über:
redung fi dadurch aud einen inneren größeren Werth zu verfchaffen
Hochmuth (ambitio), welder der Pflicht gegen andere gerade zumider
ift. Aber die blos als Mittel zu Erwerbung der Gunft eines Anderen
28*
456 Metapytihe Anfampsarimde der Zugendlehre. 1. Ethifhe Elementarlehre
(mer es auch jei) ausgefonmene Herabfegung feines eigenem moralifdjen
— ———
als Abwürdigung feiner Perſonlichkeit der Pflicht gegen ſich ſelbſt ent-
gegen.
Aus unferer aufrichtigen und genauen Bergleihung mit dem mora- =
fen ei (fen Beige ud Eienge, maß umementih ma
Bürbe (dignitas interna) befipt, Die ihm Aitung (reverentia) gegen ih
jeföft einflöht.
$12.
Mehr oder weniger kann man dieje Pflicht in Beziehung auf die =
Würde der Menſchheit in uns, mithin auch gegen uns jelbft in folgenden
Beifpielen fennbar madjen.
Werdet nit ber Menſchen Knete; — laßt euer Recht nicht unge:
ahndet von Anderen mit Füßen treten. — Macht feine Schulden, für die
ihr nicht volle Sicherheit Teiftet. — Nehmt nicht Wohlthaten an, die ihr =
entbehren fönnt, und jeid nit Schmaroker, oder Schmeidhler, oder gar
(was freilid; nur im Grad von dem Borigen unterſchieden ift) Bettler.
Daher jeid wirthſchaftlich, damit ihr nicht betteların werdet. — Das Kla-
gen und Winfeln, felbft das bloße Schreien bei einem körperlihen Schmerz
tft ener ſchon unwerth, am meiften, wenn ihr euch bewußt feid ihm felbft
verſchuldet zu haben: daher die Veredlung (Abwendung der Schmach) des
Todes eines Delinquenten durch die Standhaftigfeit, mit der er ftirbt. —
Das Hinknien oder Hinwerfen zur Erde, felbft um die Verehrung himm-
liiher Segenftände ſich dadurch zu verfinnlichen, ift der Menſchenwürde
zumiber, jo wie die Anrufung derjelben in gegenwärtigen Bildern; denn »
Ihr demüthigt euch alsdann nicht unter einem Fdeal, das euch eure
" Heucheln (eigentlich häudjlen) jcheint vom ächzenden, bie Spradhe unter-
brechenden Hauch (Stoßfeufzer) abgeleitet zu fein; dagegen Schmeichlen vom
Scdmlegen, welches als Habtius Schmiegeln und endlich von den Hochdeutſchen
Echmeldeln genannt worben Ift, abzuſtammen. 35
=
—
=
=
2
1. Bud. 2. Hauptft. 1, Abſchn. Bon ber Pflicht des Menfchen gegen fich felbftic. 437
eigene Vernunft vorjtellt, jondern unter einem Idol, was euer eigenes
Gemaͤchſel ift.
Caſuiſtiſche Fragen.
Fit nicht in dem Menſchen das Gefühl der Erhabenheit feiner Be-
ſtimmung, d. i. die Gemüthserhebung (elatio animi) als Schäkung
feiner jelbjt, mit dem Eigendünfel (arrogantia), welcher der wahren
Demuth (humilitas moralis) gerade entgegengejeßt ift, zu nahe verwandt,
als daß zu jener aufzumuntern es rathjam wäre; jelbjt in Vergleichung
mit anderen Menjchen, nicht blos mit dem Geſetz? oder würde dieſe Art
von Gelbftverläugnung nicht vielmehr den Ausſpruch Anderer bis zur
Geringihäbung unferer Berfon fteigern und fo der Pflicht (der Achtung)
gegen uns jelbjt zuwider fein? Das Büden und Schmiegen vor einem
Menſchen Scheint in jedem Fall eines Menſchen unwürdig zu fein.
Die vorzügliche Adhtungsbezeigung in Worten und Manieren ſelbſt
gegen einen nicht Gebietenden in der bürgerlihen Berfaffung — die Re—
verenzen, Verbeugungen (Gomplimente), höfiſche — den Unterſchied der
Stände mit jorgfältiger Pünktlichkeit bezeichnende Phraſen, — weldje von
der Höflichkeit (die auch ſich gleich Adytenden nothwendig ift) ganz unters
ihieden find — das Du, Er, Ihr und Sie, oder Ew. Wohledlen, Hod)-
edel, Hocedelgebornen, Wohlgebornen (ohe, iam satis est!) in der Ans
rede — als in welcher Bedanterei die Deutihen unter allen Völkern der
Erde (die indiihe Kaften vielleicht ausgenommen) es am weiteſten ge—
bracht haben, find das nicht Beweiſe eines ausgebreiteten Hanges zur
Kriecherei unter Menjhen? (Hae nugae in seria ducunt.) Wer fid aber
zum Wurm macht, kann nachher nicht Klagen, daß er mit Füßen getre-
ten wird,
Des zweiten Hauptftüds
Erſter Abſchnitt.
Von der Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt, als den
angebornen Richter über ſich ſelbſt.
813.
Ein jeder Pflichtbegriff enthält objective Nöthigung durchs Geſetz
(als moralifchen, unfere Freiheit einfchränfenden Imperativ) und gehört
438 Metaphnfiſche Anfangsgründbe ber Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlebre.
dem praltiſchen Verſtande zu, der die Regel giebt; die innere Zurech⸗
nung aber einer That, als eines unter dem Geſetz jtehenden Falles, (in
meritum aut demeritum) gehört zur Urtheilsfraft (iudieium), welche
als das fubjective Brincip der Zurechnung der Handlung, ob fie als That
(unter einem Geſetz ftehende Handlung) geichehen jei oder nicht, rechts—
fräftig urtheilt; worauf denn der Schluß der Vernunft (die Sentenz),
d. 1. die Berfnüpfung der rechtlichen Wirkung mit der Handlung (die Ber:
urtheilung oder Losſprechung), folgt: weldhes alles vor Gericht (coram
iudieio), als einer dem Gejeß Effect verihaffenden moraliſchen Perjon,
Serihtshof (forum) genannt, gefhieht. — Das Bewußtſein eines
inneren Gerihtshofes im Menſchen („vor welchem ſich feine Gedan-
fen einander verflagen oder entihuldigen“) ift das Gewiſſen.
Jeder Menſch hat Gewiffen und findet ſich durch einen inneren Rich—
ter beobachtet, bedroht und überhaupt im Reſpect (mit Furcht verbundener
Achtung) gehalten, und diefe über die Geſetze in ihm wachende Gewalt ift
nicht etwas, was er ſich ſelbſt (willfürlih) macht, jondern es ijt jeinem
Weſen einverleibt. &3 folgt ihm wie fein Schatten, wenn er zu entfliehen
gedenft. Er kann ſich zwar durch Lüfte und Berjtrenungen betäuben oder
in Schlaf bringen, aber nicht vermeiden dann und wann zu fich felbft zu
kommen oder zu erwachen, wo er alsbald die furdtbare Stimme defjelben
vernimmt. Er kann es in jeiner äußerjten Berworfenheit allenfalls da-
bin bringen, fi daran gar nicht mehr zu fehren, aber fie zu hören, fann
er doch nicht vermeiden.
Diefe urjprüngliche intellectuelle und (weil fie Pflihtvorjtellung ift)
moraliiche Anlage, Gewiſſen genannt, hat nun das Bejondere in fich,
daß, obzwar biejes fein Geſchäfte ein Geſchäfte des Menschen mit ſich jelbft
ift, diefer ſich doch durch feine Vernunft gemöthigt fieht, es als auf den
Geheiß einer anderen Perjon zu treiben. Denn der Handel ijt hier
die Führung einer Rechts ſache (causa) vor Geriht. Daß aber ber
durch jein Gewiffen Angeklagte mit dem Nichter als eine und die—
jelbe Perſon vorgeftellt werde, ijt eine ungereimte Vorftellungsart
von einem Gerichtshofe; denn da würde ja der Ankläger jederzeit ver-
lieren. — Alfo wird fi) das Gewifjen des Menſchen bei allen Pflich—
ten einen Anderen (als den Menſchen überhaupt, d. i.) als ſich felbft,
zum Nichter feiner Handlungen denken müſſen, wenn es nicht mit fid)
jelbft im Widerſpruch ftehen fol. Diefer Andere mag nun eine wirt
—
3
20
5
[2]
20
2
—
>}
1. Bud). 2. Hauptſt. 1. Abſchn. Bon ber Pflicht bes Menfchengegen ſich felbftzc. 439
lie, oder blos idealiſche Perfon fein, welche die Vernunft ſich ſelbſt
ſchafft.)
Eine ſolche idealiſche Perſon (der autorifirte Gewiſſensrichter) muß
ein Herzenskündiger ſein; denn der Gerichtshof iſt im Inneren des Men—
ichen aufgeſchlagen — zugleich muß er aber aud) allverpflidhtend, d.i.
eine ſolche Perſon fein, oder als eine ſolche gedadjt werden, in Verhältniß
auf welche alle Pflichten überhaupt auch als ihre Gebote anzujehen find:
weil das Gewifjen über alle freie Handlungen der innere Richter ift. —
— Da nun ein ſolches moralifches Weſen zugleich alle Gewalt (im Him—
mel und auf Erden) haben muß, weil es fonft nicht (mas doch zum Rich—
teramt nothwendig gehört) jeinen Geſetzen den ihnen angemefjenen Effect
verſchaffen könnte, ein ſolches über Alles machthabende moralifche Weſen
aber Gott heißt: jo wird das Gewiſſen als jubjectives Princip einer vor
Gott feiner Thaten wegen zu leiftenden Verantwortung gedacht werden
müfjen: ja es wird der leßtere Begriff (wenn gleich nur auf dunfele Art)
in jenem moraliſchen Selbjtbewußtjein jederzeit enthalten fein.
Diefes will num nicht jo viel jagen als: der Menſch, durch die Idee,
zu welcher ihn fein Gewiſſen unvermeidlich leitet, jei berechtigt, noch weni-
ger aber: er jei durd) dafjelbe verbunden ein ſolches höchſte Wejen außer
ſich als wirflid anzunehmen; denn fie wird ihm nicht objectiv, durch
theoretijche, jondern blos jubjectiv, durch praftifche, ſich ſelbſt verpflich—
) Die zwiefache Perjönlicgkeit, in welcher der Menſch, der fich im Gewiſſen an«
klagt und richtet, ſich jelbft denfen muß: dieſes doppelte Selbit, einerfeits vor ben
Schranken eines Geridhtähofes, der doch ihm ſelbſt anvertraut ift, zitternd ftehen zu
müffen, anberfeit8 aber das Richteramt aus angeborener Autorität ſelbſt in Händen
zu haben, bebarf einer Erläuterung, bamit wicht die Bernumft mit fich felbit gar in
Wiberſpruch gerathe. — Ich, der Kläger unb doch auch Angeflagter, bin eben berfelbe
Menjch (numero idem), aber ald Subject ber moralifchen, von dem Begriffe ber
Freiheit ausgehenden Geſetzgebung, wo der Menfch einem Geſetz unterthan tt, das er
ſich felbit giebt (homo noumenon), iſt er als ein Anderer als ber mit Vernunft begabte
Sinnenmenſch (specie diversus), aber mur in praftifcher Rüdficht zu betrachten —
denn über das Gaufal:Berhältnif des Sntelligibilen zum Genfibilen giebt es Feine
Theorie, — und bieje ſpecifiſche Verſchiedenheit ift die der Facultäten des Menjchen
(der oberen und unteren), die ihn charafterifiren. Der erjtere iſt ber Ankläger, dem
entgegen eim rechtlicher Beiltand bes Berklagten (Sachwalter beffelben)!bewilligt ift.
Nah Schließung ber Acten thut der innere Richter, als machthabende Berfon, ben
Ausſpruch über Glüdjeligfeit oder Elend, als moralifche Folgen der That; in welcher
Qualität wir diefer ihre Macht (ald Weltherrjchers) durch unfere Vernunft nicht weiter
verfolgen, ſondern mur das unbedingte iubeo oder veto verehren fünnen,
440 Metaphyſiſche Anfangsgrände der Tugendlehre. I. Ethifche Elementarlehre.
tende Vernunft ihr angemefjen zu handeln gegeben; und der Menſch er-
hält vermittelft diefer nur nad) der Analogie mit einem Gejehgeber
aller vernünftigen Weltwefen eine bloße Leitung, die Gewifjenhaftigkeit
(welche aud) religio genannt wird) als Berantwortlichfeit vor einem von
uns jelbjt unterjchiedenen, aber uns doch innigjt gegenwärtigen heiligen
Weſen (der moraliſch-geſetzgebenden Vernunft) fid) vorzuftellen und dejjen
Willen den Regeln der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Der Begriff von
der Religion überhaupt ift hier dem Menſchen blos „ein Princip der Be:
urtheilung aller feiner Pflichten als göttlicher Gebote.”
1) Sn einer Gewifjensfache (causa conscientiam tangens) denkt fid)
der Menſch ein warnendes Gemwifjen (praemonens) vor der Entjchlie-
Bung; wobei die äußerfte Bedenklichkeit (scrupulositas), wenn es einen
Pflihtbegriff (etwas an fi Moraliſches) betrifft, in Fällen, darüber das
Gewiſſen der alleinige Richter ift (casibus conscientiae), nicht für Klei—
nigfeitsfrämerei (Mifrologie) und eine wahre libertretung nicht für Ba-
gatelle (peccatillum) beurtheilt und (nad) dem Grundſatz: minima non
eurat praetor) einem willtürlid) ſprechenden Gewifjensrath überlafjen
werden kann. Daher ein weites Gewiljen jemanden zuzuſchreiben jo
viel heißt als: ihn gewiſſenlos nennen. —
2) Wenn die That befchlofjen iſt, tritt im Gewifjen zuerjt der An—
fläger, aber zugleidy mit ihm auch ein Anwalt (Advocat) auf; wobei
der Streit nicht gütlid) (per amicabilem compositionem) abgemadt, ſon—
bern nad) der Strenge des Rechts entichieden werden muß; und hier:
auf folgt
3) der rehtsfräftige Spruch des Gewifjens über den Menichen, ihn
loszujpreden oder zu verdammen, der den Beihluß macht; wobei zu
merfen ift, daß der erjtere nie eine Belohnung (praemium), als Ge—
winn von etwas, was vorher nicht jein war, beſchließen fann, jondern nur
ein Frobjein, der Gefahr, jtrafbar befunden zu werden, entgangen zu
fein, enthalte und daher die Seligfeit in dem troftreihen Zuſpruch feines
Gewifjens nicht pojitiv (als Freude), jondern nur negativ (Berubi-
gung nad) vorhergegangener Bangigleit) ift, was der Tugend, als einem
Kampf gegen die Einflüfje des böfen Princip im Menſchen, allein beige-
legt werden fann.
ui
0
1. Buch. 2. Hauptft. 2. Abſchn. B.d. erften Gebot aller Pflichten geg. ſich ſelbſt. 441
Zweiter Abſchnitt.
Bon dem erjten Gebot aller Pflihten gegen ſich jelbit.
$ 14.
Diefes ift: Erkenne (erforjche, ergründe) did jelbft nicht nad
5 deiner phyfifchen Volltommenheit (der Tauglichkeit oder Untauglichkeit
zu allerlei dir beliebigen oder aud) gebotenen Zwecke), jondern nad) der
moralifhen in Beziehung auf deine Pflicht — dein Herz, — ob es gut
oder böfe fei, ob die Duelle deiner Handlungen lauter oder unlauter, und
was entweder als urfprünglid) zur Subftanz des Menſchen gehörend,
o oder als abgeleitet (erworben oder zugezogen) ihm jelbjt zugeredjnet wer-
den fann und zum moraliihen Zuſtande gehören mag.
Das moraliſche Selbfterfenntniß, das in die ſchwerer zu ergründende
Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ift aller menjchlichen
Meisheit Anfang. Denn die lebtere, weldye in der Zufammenjtimmung
des Willens eines Wefen zum Endzwed befteht, bedarf beim Menjchen zu
allererjt die Wegräumung der inneren Hindernifje (eines böjen in ihm
geniftelten Willens) und dann die Entwidelung der nie verlierbaren urs
ſprünglichen Anlage eines guten Willens in ihm zu entwideln (nur die
Höllenfahrt des Selbiterfenntniffes bahnt den Weg zur Vergötterung).
0 $ 15.
Diejes moraliſche Selbiterfenntniß wird erftlid die ſchwärmeri—
ſche Veradhtung feiner jelbit, als Menſch (feiner ganzen Gattung) über:
haupt, verbannen; denn fie widerſpricht ſich jelbit. — Es kann ja nur
dur) die herrliche in uns befindliche Anlage zum Guten, weldye den Men—
ihen achtungswürdig macht, geihehen, dab er den Menjchen, der diejer
zuwider handelt, (ſich jelbft, aber nicht die Menſchheit in ſich) verachtungs⸗
würdig findet. — Dann aber widerjteht fie auch der eigenliebigen
Selbjtihäßung, bloße Wünſche, wenn fie mit nod) fo großer Sehnſucht
geihähen, da fie an fid) doch thatleer find und bleiben, für Beweife eines
guten Herzens zu halten (Gebet ift aud nur ein innerlicd) vor einem
Herzensfündiger declarirter Wunſch). Unparteilichkeit in Beurtheilung
unjerer jelbft in Bergleihung mit dem Gejeß und Aufrichtigfeit im Selbſt—
geftändnijje feines inneren moralijchen Werths oder Unwerths find Pflich—
2
=
3
=
442 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. T. Ethiſche Elementarlehre.
ten gegen ſich ſelbſt, die aus jenem erften Gebot der Selbfterfenntniß uns
mittelbar folgen.
Epifodiiher Abſchnitt.
Bon der Amphibolie der moralijhen Neflegionsbegriffe: das,
was Pflicht des Menihen gegen fi felbit ift, für Pflicht
gegen Andere zu halten.
$ 16.
Nad) der bloßen Vernunft zu urtheilen, hat der Menſch jonjt Feine
Pflicht, als blos gegen den Menſchen (fich ſelbſt oder einen anderen);
denn feine Pflicht gegen irgend ein Subject ift die moraliſche Nöthigung
durch diefes feinen Willen. Das nöthigende (verpflichtende) Subject muß
aljo erjtlich eine Berfon fein, zweitens muß dieje Perſon als Gegenftand
der Erfahrung gegeben fein: weil der Menſch auf den Zwed ihres Willens
hinwirken ſoll, weldyes nur in dem Verhältnifje zweier eriftirender Weſen
zu einander gejchehen fann (denn ein bloßes Gedankending kann nicht
Urſache von irgend einem Erfolg nad Zweden werden). Nun kennen
wir aber mit aller unferer Erfahrung fein anderes Weſen, was der Ver:
pflidhtung (der activen oder paſſiven) fähig wäre, als blos den Menſchen.
Alfo kann der Menſch ſonſt feine Pflicht gegen irgend ein Weſen haben,
als blos gegen den Menſchen, und ftellt er fi gleichwohl eine ſolche zu
haben vor, jo geichieht diejes durd) eine Amphibolie der Reflexions—
begriffe, und feine vermeinte Pflicht gegen andere Weſen ift blos Pflicht
gegen ſich jelbit; zu welchem Mißverftande er dadurd) verleitet wird, dab
er jeine Pflicht in Anfehung anderer Wejen für Pfliht gegen dieſe
Weſen verwedhjelt.
Dieje vermeinte Pflicht fann nun auf unperjönliche, oder zwar
perjönliche, aber ſchlechterdings unſichtbare (den äußeren Sinnen nit
darzuftellende) Gegenftände bezogen werden. — Die erjtere (außer—
menſchliche) fünnen der bloße Naturftoff, oder der zur Fortpflanzung
organifirte, aber empfindungslofe, oder der mit Empfindung und Rillfür
begabte Theil der Natur (Mineralien, Pflanzen, Thiere) fein: die zweite
(übermenjhliche) können als geijtige Wejen (Engel, Gott) gedacht
werden. — Ob zwijchen MWefen beider Art und den Menſchen ein Pflicht:
verhältniß und welches dazwiſchen ftatt finde, wird nun gefragt.
1. Buch. 2. Hauptft. Epifob. Abſchn. Amphibolle d. moral. Rechtsbegriffe. 443
$ 17.
In Anfehung des Schönen, obgleid) Zeblojen in der Natur ift ein
Hang zum bloßen Zerſtören (spiritus destructionis) der Pflicht des Men-
ſchen gegen ſich jelbit zumider: meil es ‚dasjenige Gefühl im Menſchen
ſchwächt oder vertilgt, was zwar nicht für ſich allein ſchon moraliſch iſt,
aber dod) diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität ſehr
befördert, wenigjtens dazu vorbereitet, nämlich etwas aud ohne Abficht
auf Nutzen zu lieben (z. B. die ſchöne Kryftallifationen, das unbejchreib-
lih Schöne des Gewächsreichs).
10 In Anfehung des lebenden, obgleid) vernunftlofen Theils der Ge—
ſchöpfe ift die Pflicht der Enthaltung von gewaltjamer und zugleich graus
jamer Behandlung der Thiere der Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt
weit inniglicher entgegengejebt, weil dadurd) das Mitgefühl an ihrem
Leiden im Menſchen abgeftumpft und dadurd) eine der Moralität im Ber-
hältnifje zu anderen Menſchen jehr dienſame natürliche Anlage geſchwächt
und nad) und nad) ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Dual ver:
richtete) Tödtung, oder aud) ihre, nur nicht bis über Vermögen ange:
jtrengte Arbeit (dergleihen aud wohl Menſchen ſich gefallen laſſen
müfjen) unter die Befugniffe des Menſchen gehören; da hingegen die
martervolle phyſiſche Verſuche zum bloßen Behuf der Speculation, wenn
auch ohne fie der Zwed erreicht werden könnte, zu verabjcheuen find. —
Selbjt Dankbarkeit für lang geleiftete Dienfte eines alten Pferdes oder
Hundes (gleich als ob fie Hausgenofjen wären) gehört indirect zur
Pflicht des Menſchen, nämlid in Anſehung diejer Thiere, direct aber
betrachtet ift fie immer nur Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit.
=
—
En
23
“
—_
2
2
$ 18.
In Anjehung defjen, was ganz über unjere Erfahrungsgränge hin-
aus liegt, aber dod) feiner Möglichkeit nad) in unferen Fdeen angetroffen
wird, 3. B. der Idee von Gott, haben wir eben jo wohl aud) eine Pflicht,
welche Religionspflicdht genannt wird, die nämlich „der Erfenntniß
aller unſerer Pflichten als (instar) göttlicher Gebote.“ Aber diejes ift
nicht das Bewußtſein einer Pfliht gegen Gott. Denn da dieje Idee
ganz aus unferer eigenen Vernunft hervorgeht und von uns, es fei in
theoretischer Abfiht, um fi die Zweckmäßigkeit im Weltganzen zu er-
5 klären, oder auch um zur Zriebfeder in unferem Verhalten zu dienen,
=
d
446 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlehre.
kann, ift es Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbft, ein der Welt nüßliches
Glied zu fein, weil diefes aud) zum Werth) der Menſchheit in feiner eige-
nen Perſon gehört, die er aljo nicht abwürdigen joll.
Die Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit in Anjehung jeiner phy—
ſiſchen Bollfommenheit ift aber nur weite und unvolllommene Pflicht:
weil fie zwar ein Gejeß für die Marime der Handlungen enthält, in Au—
ſehung der Handlungen jelbft aber ihrer Art und ihrem Grade nad) nichts
beitimmt, fondern der freien Willfür einen Spielraum verftattet.
Zweiter Abſchnitt.
Von ber Pfliht gegen ſich jelbit in Erhöhung feiner
moralifchen Volltommenheit, d. i. in blos jittliher Abſicht.
Ss 21.
Sie befteht erftlich fubjectiv in der Zauterfeit (puritas moralis)
der Pflichtgefinnung: da nämlich aud) ohne Beimifhung der von der
Sinnlichkeit hergenommenen Abfihten das Gefek für fi allein Trieb-
feder ift, und die Handlungen nicht blos pflihtmäßig, jondern auch aus
Pflicht geihehen. — „Seid heilig“ ift hier das Gebot. Bweitens ob»
jectiv in Anfehung des ganzen moraliihen Zwecks, der die Vollkommen—
heit, d. i. jeine ganze Pflicht und die Erreichung der Vollftändigfeit des
moraliſchen Zweds in Anfehung feiner ſelbſt, betrifft, „jeid vollkommen“;
zu welchem Biele aber hinzuftreben beim Menſchen immer nur ein Fort—
jchreiten von einer Vollkommenheit zur anderen ift, „iſt etwa eine Zus
gend, ift etwa ein Lob, dem trachtet nad.”
$ 22.
Dieſe Pflicht gegen ſich ſelbſt ift eine der Dualität nad) enge und
volllommene, obgleich dein Grade nad) weite und unvolllommene Pflicht
und das wegen der Gebrechlichkeit (fragilitas) der menſchlichen Natur.
Diejenige Bolllommenheit nämlich, zu welcher zwar das Streben,
aber nit das Erreichen derjelben (in diejem Leben) Pflicht ift, deren
Befolgung alfo nur im continuirlihen Fortſchreiten beftehen kann, iſt in
Hinfiht auf das Object (die Idee, deren Ausführung man fid) zum
Bwed machen fol) zwar enge und volllommene, in Rückſicht aber auf
das Subject weite und nur unvolltommene Pflicht gegen ſich ſelbſt.
-
-
[2]
—
_
2. Bud). 2. Abſchn. Die Pflicht gegen fich felbft in blos fittlicher Abſicht. 447
Die Tiefen des menschlichen Herzens find unergründlih. Wer fennt
fi) gnugſam, wenn die Triebfeder zur Pflichtbeobachtung von ihm gefühlt
wird, ob fie gänzlich) aus der Vorftellung des Gejebes hervorgehe, oder
ob nicht mandye andere ſinnliche Antriebe mitwirken, die auf den Vortheil
(oder zur Verhütung eines Nachtheils) angelegt find und bei anderer Ge—
legenheit aud) wohl dem Lafter zu Dienften ſtehen könnten. — Was aber
die Vollkommenheit als moraliijhen Zwed betrifft, jo giebts zwar in der
Idee (objectiv) nur eine Tugend (als fittlihe Stärfe der Marimen), in
der That (jubjectiv) aber eine Menge derjelben von heterogener Beſchaffen—
heit, worunter es unmöglid) fein dürfte, nicht irgend eine Untugend (ob
fie gleid) eben jener wegen den Namen des Laſters nicht zu führen pflegen)
aufzufinden, wenn man fie ſuchen wollte. ine Summe von Tugenden
aber, deren Bollftändigkeit oder Mängel das Selbjterfenntniß uns nie
hinreihend einſchauen läßt, fann feine andere ald unvollflommene Pflicht
s vollfommen zu jein begründen.
Alfo find alle Pflichten gegen ſich jelbit in Anjehung des Zwecks der
Menſchheit in unferer eigenen Berfon nur unvolllommene Pflichten.
—
=
_
=.
2
3
=
wi
=
2. Theil. 1. Hauptft. 1. Abſchn. B. d, Liebespflicht gegen andere Menſchen. 449
bloße Schuldigfeit oder geringen Liebesdienft vorftellt, die Demüthigung
zu erfparen und ihm feine Achtung für ſich ſelbſt zu erhalten.
S 24.
Wenn von Pflihtgefeben (nit von Naturgefeken) die Rede ift und
zwar im äußeren Verhältniß der Menſchen gegen einander, jo betrachten
wir ung in einer moralifchen (intelligibelen) Welt, in welcher nad) der
Analogie mit der phyfiihen die Verbindung vernünftiger Wefen (auf
Erden) durd; Anziehung und Abftoßung bewirkt wird. Vermöge des
Princips der Wechfelliebe find fie angewiefen ſich einander beftändig
zu nähern, durd) das der Achtung, die fie einander ſchuldig find, ſich
im Abftande von einander zu erhalten; und follte eine diejer großen
fittlihen Kräfte finfen, „jo würde dann das Nichts (der Immoralität)
mit aufgefperrtem Schlund der (moraliiden) Wejen ganzes Reich wie
einen Tropfen Waffer trinken“ (wenn ich mich hier der Worte Hallers,
nur in einer andern Beziehung, bedienen darf).
8 25.
Die Liebe wird hier aber nit als Gefühl (äfthetiich), d. i. als Luft
an der Vollkommenheit anderer Menjchen, nicht als Liebe des Wohlge-
fallens, verftanden (denn Gefühle zu haben, dazu kann es feine Ver:
pflihtung durd; Andere geben), jondern muß als Marime des Wohl:
wollens (als praktiſch) gedaht werden, weldhe das Wohlthun zur
Folge hat.
Eben dafjelbe muß von der gegen Andere zu beweifenden Achtung
gejagt werden: daß nämlich nicht blos das Gefühl aus der Vergleihung
unjeres eigenen Werths mit dem des Anderen (dergleichen ein Kind
gegen feine Altern, ein Schüler gegen feinen Lehrer, ein Niedriger über:
haupt gegen jeinen Oberen aus bloßer Gewohnheit fühlt), jondern nur
eine Marime der Einfhränfung unjerer Selbjtihäkung durd) die Würde
der Menjchheit in eines Anderen Perſon, mithin die Achtung im prafti-
Ihen Sinne (observantia aliis praestanda) verftanden wird.
Auch wird die Pflicht der freien Adytung gegen Andere, weil fie
eigentlich nur negativ ijt (fich nicht über Andere zu erheben) und fo der
Nechtspflicht, niemanden das Seine zu jhmälern, analog, obgleich als
Kant’d Schriften Werke. VI 29
—
=
—
Lee}
u
35
2, Theil. 1, Hauptft. 1. Abſchn. B. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 451
hältniß gegen Menſchen ift ein Verhältniß derjelben in der Vorftellung
der reinen Vernunft, d. i. der freien Handlungen nad Marimen, nie
ſich zur allgemeinen Gefeßgebung qualificiren, die alſo nicht ſelbſtſüchtig
(ex solipsismo prodeuntes) fein können. Ich will jedes Anderen Wohl-
wollen (benevolentiam) gegen mich; ic) ſoll aljo aud) gegen jeden Anderen
wohlwollend fein. Da aber alle Andere außer mir nidt Alle fein, mit-
hin die Marime nicht die Allgemeinheit eines Geſetzes an ſich Haben würde,
welche dod) zur Verpflichtung nothwendig iſt: jo wird das Pflichtgeſetz des
Wohlwollens mid) als Dbject defjelben im Gebot der praktiſchen Bernunft
mit begreifen: nicht als ob id) dadurd verbunden würde, mid; jelbjt zu
lieben (denn das geſchieht ohne das unvermeidlich, und dazu giebts aljo
feine Verpflichtung), fondern die gejeßgebende Vernunft, weldye in ihrer
Idee der Menjchheit überhaupt die ganze Gattung (mid) aljo mit) ein-
ſchließt, nicht der Menſch, ſchließt als allgemeingejeßgebend mid) in der
Pflicht des wechjeljeitigen Wohlwollens nad) dem PBrincip der Gleicyheit
wie alle Andere neben mir mit ein und erlaubt es dir dir felbft wohl—
zuwollen, unter der Bedingung, daß du aud) jedem Anderen wohl willft:
weil jo allein deine Marime (des Wohlthuns) fid) zu einer allgemeinen
Geſetzgebung qualificirt, als worauf alles Pflichtgeſetz gegründet ift.
$ 28,
Das Wohlwollen in der allgemeinen Menfchenliebe ift nun zwar dem
Umfange nad) das größte, dem Grade nad) aber das fleinfte, und wenn
ic) jage: id) nehme an dem Wohl diefes Menjchen nur nad) der allgemei-
nen Menfchenliebe Antheil, jo ift das Intereſſe, was ich hier nehme, das
Fleinjte, was nur fein fann. Sch bin in Anjehung defjelben nur nicht
gleichgültig.
Aber Einer iſt mir doch näher als der Andere, und id) bin im Wohl»
wollen mir jelbft der Nähte. Wie ftimmt das nun mit der Formel:
Liebe deinen Nähten (deinen Mitmenſchen) als dich ſelbſt? Wenn
einer mir näher ift (in der Pfliht des Wohlmollens) als der Andere, id)
alfo zum größeren Wohlmwollen gegen Einen ald gegen den Anderen ver-
bunden, mir jelber aber gejtändlidy näher (ſelbſt der Pflicht nad) bin, als
jeder Andere, jo fann ich, wie es jcheint, ohne mir jelbjt zu widerſprechen,
nicht jagen: ich foll jeden Menſchen lieben wie mich jelbft ; denn der Maß—
ftab der Selbftliebe würde feinen Unterſchied in Graden zulafjen, — Man
29%
452 Metaphufiie Anfangägrände der Tugendlehre. I. Eihiüce Elementarlehrr.
fieht bald: daß hier nicht blos das Wohlwollen des Bundes, welches
eigentlich ein bloßes Rohlgefallen am Wohl jedes Anderen ift, ohne ſelbſt
dazu etwas beitragen zu dürfen (ein jeder für ſich; Gott für uns alle),
fondern ein thätiges, praltiſches Wohlwollen, fid) das Wohl und Heil des
Anderen zum Zmwed zu machen, (das Wohlthun) gemeint jei. Denn im
Bünfden fann ich allen gleich wohlmwollen, aber im Thun fann der Grab
nad) Verſch ber Geliebten (deren Einer mid näher angeht als
ber Andere), oh die Allgemeinheit der Marime zu verlegen, doch jehr
verſchieden fein
Eintheilung der Ziebespflihten.
Eie find: A) Pflichten der Wohlthätigkeit, B)der Dankbarkeit,
C) ber Theilnehmung.
A.
Bon der Pfliht der Wohlthätigkeit.
8 29.
Eid) felber gütlid) thum, fo weit als nöthig ift, um nur am Leben
ein Vergnügen zu finden, (feinen Leib, doc nicht bis zur Weichlichkeit zu
pflegen) gehört zu den Pflichten gegen ſich jelbft; — deren Gegentheil ift:
fid) aus Geiz (ſtlaviſch) des zum frohen Genuß des Lebens Nothwendigen
ober aus übertriebener Disciplin jeiner natürlihen Neigungen (ſchwär—⸗
meriſch) fid) des Genuſſes der Lebensfreuden zu berauben, welches beides
ber Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit widerftreitet.
Wie fann man aber außer dem Wohlmollen des Wunſches in An-
ſehung anderer Menſchen (welches uns nichts foftet) noch, daß dieſes
praftifch jet, d. i. das Wohlthun in Anfehung der Bedürftigen, jeder-
mann, ber bas Vermögen dazu hat, als Pflicht anfinnen? — Rohlwollen
ift das Bergnügen an der Glüdjeligfeit (dem Wohljein) Anderer; Wohl-
thun aber die Marime, fi dafjelbe zum Zweck zu machen, und Pflicht
dazu ift die Nöthigung des Subjects durch die Vernunft, diefe Marime
als allgemeines Gejeß anzunehmen.
Es fällt nit von felbft in die Augen: daß ein ſolches Geſetz über:
haupt in der Vernunft liege; vielmehr fcheint die Marime: „Ein jeder
für ſich, Gott (das Schidjal) für uns alle,“ die natürlichſte zu jet.
15
[21
—
za
=
2. Theil. 1. Hauptft. 1. Abſchn. V. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 453
$ 30.
Wohlthätig, d. i. anderen Menfchen in Nöthen zu ihrer Glückſelig—
feit, ohne dafür etwas zu hoffen, nad) feinem Vermögen beförderlich zu
fein, ift jedes Menſchen Pflicht.
Denn jeder Menfch, der fid) in Noth befindet, wünſcht, daß ihm von
anderen Menſchen geholfen werde. Wenn er aber feine Marime, Anderen
wiederum in ihrer Noth nicht Beijtand leijten zu wollen, laut werden
ließe, d. i. fie zum allgemeinen Erlaubnißgefeß madıte: jo würde ihm,
wenn er jelbit in Noth ift, jedermann gleichfalls feinen Beiltand verjagen,
oder wenigitens zu verjagen befugt jein. Alſo widerjtreitet jid) die eigen-
nüßige Marime jelbit, wenn fie zum allgemeinen Gejeb gemacht würde,
d. i. fie ift pflichtwidrig, folglich die gemeinnüßige des Wohlthung gegen
Bedürftige allgemeine Pflicht der Menjchen und zwar darum: weil fie als
Mitmenjchen, d. i. bedürftige, auf einem Wohnplatz durd die Natur zur
wechjeljeitigen Beihülfe vereinigte vernünftige Weſen, anzufehen find.
831.
Wohlthun ift für den, der reich (mit Mitteln zur Glüdjeligfeit
Anderer überflüffig, d. i. über fein eigenes Bedürfniß, verjehen) ift, von
dem Wohlthäter faſt nicht einmal für feine verdienftliche Pflicht zu halten ;
ob er zwar dadurch zugleid) den Anderen verbindet. Das Vergnügen,
was er fid) hiemit jelbjt macht, welches ihm feine Aufopferung foftet, ift
eine Art in moralifchen Gefühlen zu ſchwelgen. Auch muß er allen
Schein, als dädte er den Anderen hiemit zu verbinden, jorgfältig ver:
meiden: weil es fonft nicht wahre Wohlthat wäre, die er diefem erzeigte,
» indem er ihm eine Verbindlichkeit (die den lebteren in feinen eigenen
zn
=
Augen immer erniedrigt) auflegen zu wollen äußerte. Er muß ſich vielmehr,
als durd) die Annahme des Anderen jelbjt verbindlich gemacht, oder be—
ehrt, mithin die Pflicht blos als feine Schuldigfeit äußeren, wenn er nicht
(welches befjer ijt) feinen Wohlthätigkeitsact ganz im Berborgenen aus-
übt. — Größer ift diefe Tugend, wenn das Vermögen zum Wohlthun be-
ſchränkt und der Wohlthäter ftark genug ift, die Ubel, welche er Anderen
eripart, ſtillſchweigend über fid) zu nehmen, wo er alddann wirklich für
moraliſch⸗ reich anzufehen ift.
454 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. J. Ethifche Elementarlehre,
Gajuiftifhe Fragen.
Wie weit fol man den Aufwand feines Vermögens im Wohlthun
treiben? Dod wohl nicht bis dahin, daß man zuleßt jelbjt Anderer
Wohlthätigkeit bedürftig würde. Wie viel ift die Wohlthat werth, die
man mit kalter Hand (im Abſcheiden aus der Welt durd) ein Teftament)
beweijet? — Kann derjenige, weldyer eine ihm durchs Landesgeſetz er:
laubte Obergewalt über einen übt, dem er die Freiheit raubt, nad) feiner
eigenen Wahl glüdlich zu fein (jeinem Erbunterthan eines Guts), kann,
fage ich, diejer ſich als Wohlthäter anjehen, wenn er nad) feinen eigenen
Begriffen von Glüdjeligfeit für ihn gleichſam väterlich ſorgt? Oder iſt
nicht vielmehr die Ungeredhtigfeit, einen feiner Freiheit zu berauben,
etwas der Rechtspflicht überhaupt jo MWiderftreitendes, daß unter diefer
Bedingung auf die Wohlthätigkeit der Herrichaft rechnend ſich hinzugeben
die größte Wegwerfung der Menfchbeit für den jein würde, der fid) dazu
freiwillig verjtände, und die größte Vorſorge der Herridaft für den leß-
teren gar feine Wohlthätigkeit jein würde? Oder fann etwa das Ver:
dient mit der lebteren jo groß fein, daß es gegen das Menſchenrecht auf:
gewogen werden Fönnte? — Ich kann niemand nad meinen Begriffen
von Glüdjeligkeit wohlthun (außer unmündigen Kindern oder Geftörten),
fondern nad) jenes feinen Begriffen, dem id) eine Wohlthat zu erweifen
denke, indem id) ihm ein Geſchenk aufdringe.
Das Vermögen wohlzuthun, was von Glüdsgütern abhängt, ift
größtentheils ein Erfolg aus der Begünftigung verſchiedener Menſchen
durch die Ungerechtigkeit der Regierung, welche eine Ungleichheit des
Wohlftandes, die Anderer Wohlthätigkeit nothwendig macht, einführt.
Perdient unter foldyen Umftänden der Beiftand, den der Neiche den Noth—
leidenden erweijen mag, wohl überhaupt den Namen der Wohlthätigkeit,
mit weldyer man fid) jo gern als Verdienſt brüftet?
B.
Von der Pfliht der Dankbarkeit.
Dankbarkeit ift die Verehrung einer Perſon wegen einer uns
erwiejenen Wohlthat. Das Befühl, was mit diefer Beurtheilung ver-
bunden ift, ift das der Achtung gegen den (ihn verpflidhtenden) Wohlthä-
ter, da hingegen diejer gegen den Empfänger nur als im Verhältniß der
5
Pi
30
—
=
—
=
2
3
=
=
|
2. Theil. 1. Haupiſt. 1. Abſchn. B. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 455
Liebe betrachtet wird. — Selbft ein bloßes herzliches Wohlwollen des
Anderen ohne phyſiſche Folgen verdient den Namen einer Tugendpflicht;
weldhes dann den Unterſchied zwijchen der thätigen und blos affectio-
nellen Dankbarkeit begründet.
$ 32.
Dankbarkeit ift Pflicht, d. i. nicht blos eine Klugheitsmarime,
durch Bezeugung meiner Verbindlichkeit wegen der mir widerfahrenen
Wohlthätigkeit den Andern zu mehrerem Wohlthun zu bewegen (gratiarum
actio est ad plus dandum invitatio); denn dabei bediene ich mich diefer
blos als Mittel zu meinen andermweitigen Abſichten; jondern fie ift un—
mittelbare Nöthigung durchs moralijche Geſetz, d. i. Pflicht.
Dankbarkeit aber muß auch noch befonders als heilige Pflicht, d. i.
als eine foldye, deren Verlegung die moraliihe Triebfeder zum Wohlthun
in dem Grundfaße ſelbſt vernichten kann (als ſtandalöſes Beifpiel), an-
gejehen werden. Denn heilig ift derjenige moraliſche Gegenftand, in An-
fehung deffen die Verbindlichkeit durch feinen ihr gemäßen Act völlig ge—
tilgt werden kann (wobei der Verpflichtete immer nod) verpflichtet bleibt).
Alle andere ift gemeine Pfliht. — Man kann aber durd) feine Vergel—
tung einer empfangenen Wohlthat über diefelbe quittiren: weil ber
Empfänger den Borzug des Verdientes, den der Geber hat, nämlid) der
Erite im Wohlwollen gewejen zu fein, diefem nie abgewinnen kann. —
Aber aud) ohne einen jolden Act (des Wohlthuns) iſt felbjt das bloße
herzliche Wohlwollen ſchon Grund der Berpflihtung zur Dankbarkeit. —
Eine dankbare Gefinnung diejer Art wird Erkenntlichkeit genannt.
8 33.
Mas die Ertenfion diefer Dankbarkeit betrifft, jo geht fie nicht
allein auf Zeitgenofjen, fondern auch auf die Vorfahren, felbft diejenige,
die man nicht mit Gewißheit namhaft machen kann. Das ijt aud) die
Urfache, weswegen es für unanftändig gehalten wird, die Alten, die als
unfere Zehrer angejehen werden können, nicht nad) Möglichkeit wider alle
Angriffe, Beihuldigungen und Geringihäßung zu vertheidigen; wobei e3
aber ein thörichter Wahn ift, ihnen um des Altertfums willen einen
Vorzug in Talenten und gutem Willen vor den Neueren, gleich als ob die
Welt in continuirliher Abnahme ihrer urſprünglichen Vollkommenheit
466 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre, I. Ethiſche Elementarlehre.
nad) Naturgejeßen wäre, anzudichten und alles Neue in Bergleihung das
mit zu verachten. |
Was aber die Intenfion, d. i. den Grad der Verbindlichkeit zu
biefer Tugend, betrifft, fo ift er nad) dem Nußen, den der Verpflichtete
aus der Wohlthat gezogen bat, und der Uneigennüßigfeit, mit der ihm
dieſe ertheilt worden, zu jhäßen. Der mindejte Grad ift, gleiche Dienft-
leiftungen dem Wohlthäter, der diefer empfänglich (noch lebend) ift, und,
wenn er es micht ift, Anderen zu erweifen: eine empfangene Wohlthat
nicht wie eine Laft, deren man gern überhoben fein möchte, (weil der jo
Begünftigte gegen feinen Gönner eine Stufe niedriger fteht und dies dej-
fen Stolz kräntt) anzujehen; fondern felbft die Veranlaſſung dazu als
moraltiche Wohlthat aufzunehmen, d. i. als gegebene Gelegenheit, dieje
Tugend der Menjchenliebe, welche mit der Innigkeit der wohlwollenden
Sefinnung zugleich Zärtlichkeit des Wohlwollens (Aufmerkffamfeit auf
den kleinſten Grad derjelben in der Pflichtvorſtellung) ift, zu verbinden
und jo die Menſchenliebe zu cultiviren.
Ü.
Theilnebmende Empfindung ift überhaupt Pflicht.
$ 34.
Mitfreude und Mitleid (sympathia moralis) find zwar finnliche
Gefühle einer (darum äfthetifch zu nennenden) Luft oder Unluft an dem
Zuftande des Vergnügens ſowohl als Schmerzens Anderer (Mitgefühl,
theilnehmende Empfindung), wozu ſchon die Natur in den Menfchen die
Empfänglichfeit gelegt hat. Aber diefe als Mittel zu Beförderung des
thätigen und vernünftigen Wohlwollens zu gebrauchen, ift nod) eine be-
jondere, obzwar nur bedingte Pflicht unter dem Namen der Menſchlich—
feit (humanitas): weil bier der Menjc nicht blos als vernünftiges We—
fen, jondern auch als mit Vernunft begabtes Thier betradjtet wird. Dieſe
fann nun in den Bermögen und Willen, fi einander in Anfehung
jeiner Gefühle mitzutheilen (humanitas practica), oder blos in der
Empfänglichkeit für das gemeinjfame Gefühl des Vergnügens oder
Schmerzen (humanitas aesthetica), was die Natur ſelbſt giebt, gejet
werden. Das erftere it frei und wird daher theilnehmend genannt
(communio sentiendi liberalis) und gründet ſich auf praftifche Vernunft:
je
—
20
2. Theil. 1. Hauptit. 1. Abſchn. V. d. Licbespflicht gegen andere Menfchen. 457
das zweite ift unfrei (communio sentiendi illiberalis, servilis) und fann
mittheilend (wie die der Wärme oder auftedender Krankheiten), aud)
Mitleidenschaft heißen: weil fie fi unter nebeneinander lebenden Men-
ſchen natürlicher Weife verbreitet. Nur zu dem erfteren giebts Verbind-
lichkeit.
Es war eine erhabene Vorftellungsart des Weifen, wie ihn fich der
Stoifer dachte, wenn er ihn jagen ließ: ich wünjche mir einen Freund,
nicht der mir in Armuth, Krankheit, in der Gefangenschaft u. j. w. Hülfe
leijte, jondern damit ich ihm beiftehen und einen Menſchen retten könne;
und gleihwohl jpricht eben derjelbe Weiſe, wenn fein Freund nicht au
retten ift, zu. ſich jelbjt: was gehts mid) an? d. i. er verwarf die Mitlei-
denichaft.
In der That, wenn ein Anderer leidet und ich mid) durch feinen
Schmerz, dem ich doch nicht abhelfen kann, aud) (vermitteljt der Einbil—
dungskraft) anfteden lafje, jo leiden ihrer zwei; obzwar das Übel eigent⸗
lic (in der Natur) nur Einen trifft. Es kann aber unmöglich Pflicht
fein, die Übel in der Welt zu vermehren, mithin aud nit aus Mitleid
wohl zu thun; wie dann diefes auch eine beleidigende Art des Wohlthuns
fein würde, indem es ein Wohlwollen ausdrüdt, was ſich auf den Uns
würdigen bezieht und Barmherzigkeit genannt wird, und unter Men—
ihen, welde mit ihrer Würdigfeit glücklich zu fein eben nicht prahlen
dürfen, rejpectiv gegen einander gar nicht vorfommen follte.
=
—
—
=
$ 35.
Dbzwar aber Mitleid (und jo auch Mitfreude) mit Anderen zu haben
:s an fi) ſelbſt nicht Pflicht ift, fo ift es doch thätige Theilnehmung an ihrem
Scidjale und zu dem Ende alſo indirecte Pflicht, die mitleidige natürliche
(äfthetifche) Gefühle in uns zu eultiviren und fie als jo viele Mittel zur
Theilnehmung aus moraliſchen Grundjäßen und dem ihnen gemäßen Ge-
fühl zu benußen. — So ijt es Pflicht: nicht die Stellen, wo ſich Arme be-
finden, denen das Nothwendigite abgeht, umzugehen, jondern fie aufzu- .
ſuchen, die Kranfenftuben, oder die Befängnifje der Schuldener u. dergl.
zu fliehen, um dem jchmerzhaften Mitgefühl, deſſen man ſich nicht er-
wehren fönne, auszumeichen: weil diejes dod) einer der in uns von der
Natur gelegten Antriebe ijt, dasjenige zu thun, was die Pflichtvorftellung
ss für fid) allein nicht ausrichten würde.
[5
ww
3
—
—
458 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Zugendlehre. J. Eihiſche Elementarlehre.
Caſuiſtiſche Fragen.
Würde es mit dem Wohl der Welt überhaupt nicht befier fteben,
wenn alle Moralität der Menſchen nur auf Rechtspflichten, doch mit der
größten Gewifienhaftigfeit eingeihräntt, das Wohlwollen aber unter die
Adiaphora gezählt würde? Es ijt nicht jo leicht zu überjehen, welche
Folge es auf die Glüdjeligkeit der Menſchen haben dürfte. Aber in die-
jem Fall würde es doch wenigitens an einer großen moralijen Zierde
der Welt, nämlich der Menjchenliebe, fehlen, welche alſo für fi, auch
ohne die Vortheile (der Glüdjeligkeit) zu berechnen, die Melt als ein ſchö—
nes moralifches Ganze in ihrer ganzen Vollkommenheit darzuftellen er-
fordert wird.
Dankbarkeit ift eigentlich nicht Gegenliebe des Verpflihteten gegen
den Wohlthäter, jondern Achtung vor demjelben. Denn der allgemeinen
Nächſtenliebe kann und muß Gleichheit der Pflichten zum Grunde gelegt
werden; in der Dankbarkeit aber fteht der Berpflidhtete um eine Stufe
niedriger als jein Wohlthäter. Sollte das nicht die Urjache jo mandyer
Undankbarkeit jein, nämlich der Stolz, einen über fidh zu jehen; der Wi-
dermwille, ſich nicht in völlige Gleichheit (was die Pflichtverhältnifie betrifft)
mit ihm jeßen zu können?
Non den der Menjhenliebe gerade (contrarie) entgegen—
gejegten Laſtern des Menſchenhaſſes.
$ 36.
Sie machen die abſcheuliche Familie des Neides, der Indanfbar-
feit und der Schadenfreude aus. — Der Haß ift aber hier nicht offen
und gewaltthätig, jondern geheim und verjchleiert, welches zu der Pflicht:
vergefienheit gegen feinen Nädhiten noch Niederträchtigkeit hinzuthut und
fo zugleid; die Pflicht gegen ſich ſelbſt verlegt.
a) Der Neid (livor), al3 Hang das Wohl Anderer mit Schmer;
wahrzunehmen, obzwar dem jeinigen dadurd) fein Abbruch geichieht, der,
wenn er zur That (jenes Wohl zu ſchmälern) ausſchlägt, qualificirter
Neid, fonft aber nur Mißgunſt (invidentia) heißt, ift dod nur eine
indirect-bösartige Gefinnung, nämlid) ein Umwille, unſer eigen Wohl durd)
das Wohl Anderer in Schatten geftellt zu jehen, weil wir den Maßſtab def-
felben nicht in defjen innerem Werth, fondern nur in der Vergleichung mit
un
2, Theil. 1. Hauptſt. 1. Abſchn. B. d. Fiebespflicht gegen andere Menſchen. 459
dem Wohl Anderer zu ſchätzen und diefe Schäßung zu verfinnlichen wifien.
— Daher ſpricht man auch wohl von einer beneidungsmürdigen Ein-
tracht und Glüdjeligfeit in einer Ehe oder Familie u. f. w.; glei) als ob
e3 in manchen Fällen erlaubt wäre, jemanden zu beneiden. Die Negun-
gen des Neides liegen alfo in der Natur des Menjchen, und nur der Aus—
bruch derjelben macht fie zu dem ſcheuslichen Laſter einer grämifchen, ſich
jelbit folternden und auf Zerftörung des Glüds Anderer wenigitens dem
Wunſche nad) gerichteten Leidenſchaft, ijt mithin der Pflicht des Men—
ſchen gegen ſich jelbjt jowohl, al3 gegen Andere entgegengejeßt.
b) Undanfbarfeit gegen feinen Mohlthäter, welche, wenn fie gar jo
weit geht, feinen Wohlthäter zu hafjen, qualificirte Undankbarteit,
jonft aber blos Unerkenntlichkeit heißt, ijt ein zwar im öffentlichen
Urtheile höchſt verabſcheutes Laſter, gleihwohl iſt der Menſch defjelben
wegen jo berüchtigt, daß man es nicht für unwahrſcheinlich hält, man
fönne fid) durd) erzeigte Wohlthaten wohl gar einen Feind machen. —
Der Grund der Möglichkeit eines ſolchen Laſters liegt in der mißverjtan-
denen Pflicht gegen fid) jelbit, die Mohlthätigfeit Anderer, weil fie uns
Verbindlichfeit gegen fie auferlegt, nicht zu bedürfen und aufzufordern,
jondern lieber die Beichwerden des Lebens ſelbſt zu ertragen, als Andere
damit zu beläftigen, mithin dadurch bei ihnen in Schulden (Verpflichtung)
zu fommen: weil wir dadurd) auf die niedere Stufe des Beſchützten gegen
feinen Beſchützer zu gerathen fürdten; welches der ächten Selbſtſchätzung
(auf die Witrde der Menichheit in feiner eigenen Perjon jtolz zu fein) zu—
wider ift. Daher Dankbarkeit gegen die, die uns im Wohlthun unver—
» meidlid) zuvor fommen mußten, (gegen Vorfahren im Angedenfen, oder
=
gegen Eltern) freigebig, die aber gegen Zeitgenofjen nur kärglich, ja, um
diefes Verhältniß der Ungleichheit unfihtbar zu maden, wohl gar das
Segentheil derjelben bewiejen wird. — Dieſes ift aber alsdann ein die
Menſchheit empörendes Later, nicht blos des Schadens wegen, den ein
ſolches Beifpiel Menſchen überhaupt zuziehen muß, von fernerer Wohl:
thätigfeit abzujchreden (denn dieje fönnen mit ächtmoraliſcher Gefinnung
eben in der Verſchmähung alles folden Lohns ihrem Wohlthun nur einen
deſto größeren inneren moralifhen Werth jeßen): jondern weil die Men-
ichenliebe hier gleihjam auf den Kopf gejtellt und der Mangel der Liebe
gar in die Befugniß, den Liebenden zu hafjen, verumedelt wird.
c) Die Shadenfreude, weldhe das gerade Umgefehrte der Theil:
nehmung ift, ift der menſchlichen Natur auch nicht fremd; wiewohl, wenn
|
I
f
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Segierbe), ben Shaben Ant
zu maden, bie Radıbegierbe.
Eine jede das Recht eines Menſchen fränfende That verbient Strafe,
re | | e |
hofes, der eines Dberem über Alle, die
2, Theil. 1. Hanptit. 1. Abſchn. V. b. Liebespflicht gegen andere Menfchen. 461
jelbft fehr zu bedürfen, theils und zwar vornehmlich, weil feine Strafe,
von wem es auch fei, aus Haß verhängt werden darf. — Daher ijt Ver—
ſöhnlichkeit (placabilitas) Menſchenpflicht; womit doc die janfte
Duldſamkeit der Beleidigungen (mitis iniuriarum patientia) nicht ver-
s wechjelt werden muß, als Entjagung auf harte (rigorosa) Mittel, um der
fortgejeßten Beleidigung Anderer vorzubeugen; denn das wäre Wegwer—
fung feiner Rechte unter die Fühe Anderer und Verlegung der Pflicht des
Menſchen gegen ſich jelbit.
Anmerfung. Alle Later, welche ſelbſt die menſchliche Natur
10 hafjenswerth machen würden, wenn man fie (als qualificirt) in der
Bedeutung von Grundfäben nehmen wollte, find inhuman, objec-
tiv betradhtet, aber doch menschlich, jubjectiv erwogen: d. i. wie Die
Erfahrung uns unjere Gattung kennen lehrt. Ob man aljo zwar
einige derjelben in der Heftigkeit des Abſcheues teuflifch nennen
15 möchte, jo wie ihr Gegenftüd Engelstugend genannt werden
könnte: jo find beide Begriffe dody nur Sdeen von einem Maximum,
als Maßſtab zum Behuf der Vergleihung des Grades der Morali-
tät gedacht, indem man dem Menjchen feinen Pla im Himmel
oder der Hölle anmweijet, ohne aus ihm ein Mittelmejen, mas weder
20 den einen diejer Pläße, noc den anderen einnimmt, zu machen. Ob
e3 Haller mit feinem „zweideutig Mittelding von Engeln und von
Vieh" befjer getroffen habe, mag bier unausgemacht bleiben, Aber
das Halbiren in einer Jufammenftellung heterogener Dinge führt
auf gar feinen beftimmten Begriff, und zu diejem kann uns in der
2 Drdnung der Wejen nad) ihrem uns unbelannten Claffenunterfchiede
nichts hinleiten. Die erjtere Gegeneinanderftellung (von Engels-
tugend und teufliſchem Zafter) ift IIbertreibung. Die zweite, obzwar
Menſchen, leider! aud) in viehiſche Laſter fallen, berechtigt doch nicht
eine zu ihrer Species gehörige Anlage dazu ihnen beizulegen,
30 jo wenig als die Verkrüppelung einiger Bäume im Walde ein Grund
ift, fie zu einer befondern Art von Gewächſen zu machen.
Bweiter Mimik.
Bon ben Tugendpfliäten gegen andere Deniden aus der
iänen gebüährenden Adtumg.
& 37.
——— in Anfprüden überhaupt, b. i freiwillige Einfhrän- >
fung der Ecitfiliebe eines Nenſchen durch die Selbfiliebe Anderer, heist
Befheidenheit; der Mangel dieſer Näbigung (Unbeiheidenkeit) in
Anfehung ber er von Anderen geliebt zu werben die Eigen-
liebe (philantia), Die Unbeiheidenheit der Forderung aber, von Ande-
ren geachtet zu werben, iit ber Eigenbünfel (arrogantia). —*
bie Id) für andere trage, oder bie ein Anderer von mir fordern fann
(oAnervantia aliis praestanda), ift alfo die Anerfennung einer Bürbe
(dignitas) an anderen Menſchen, d. i. eines Bertha, ber keinen Preis hat,
fein Äquivalent, wogegen das Dbjert der Werthihäbung (sestimii) aus-
getauft werben könnte, — Die Beurtheilung eines Dinges als eines
ſolchen, bas feinen Werth hat, ift die Beratung.
$ 58,
Ein jeber Menic hat rehtmäßigen Anſpruch auf Achtung von feinen
Nebenmenfhen, und wechſelſeitig iſt er dazu auch gegen jeden Anderen
verbunden.
Die Menſchhelt jelbit ift eine Würde; denn der Menſch fann von
feinem Menſchen (weder von Anderen nod) fogar von ſich jelbft) blos ala
Mittel, ſondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und
barin befteht eben feine Würde (die Perfönlichkeit), dadurd) er ſich über
alle andere Weltwefen, die nit Menſchen find und doch gebraudjt werden
fönnen, mithin über alle Sahen erhebt. Gleichwie er aljo ſich ſelbſt für
feinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbftihätung wider:
ftreiten würde), fo kann er aud) nicht der eben fo — Selbſt⸗
ſchabung Anderer als Menſchen entgegen handeln, d. i. er iſt verbunden,
die Warde ber Menſchhelt an jedem anderen Menſchen praktiſch anzuer: *
fennen, mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die ji auf die jedem anderen
Menſchen nothwendig zu erzeigende Achtung bezieht.
—
=
u
[53
=
25
35
2, Theil. 1. Hauptft. 2. Abſchn. Bon der Prlicht der Achtung für Unbere. 465
$ 39.
Andere verachten (contemnere), d. i. ihnen die dem Menſchen über-
haupt ſchuldige Achtung weigern, ijt auf alle Fälle pflidytwidrig; denn es
find Menfchen. Sie vergleihungsweije mit Anderen innerlidy gering:
ſchätzen (despicatui habere) ift zwar bisweilen unvermeidlidy, aber die
äußere Bezeigung der Geringihäßung ift dod) Beleidigung. — Was ge—
faͤhrlich ift, ift fein Gegenjtand der Verachtung, und jo ift es auch nicht
der Laſterhafte; und wenn die Überlegenpeit über die Angriffe dejielben
mich berechtigt zu jagen: ich verachte jenen, jo bedeutet das nur fo viel,
als: es ift feine Gefahr dabei, wenn ich gleid; gar feine Vertheidigung
gegen ihn veranstaltete, weil er ſich in feiner Verworfenheit ſelbſt dar-
ftellt. Nichts defto weniger fann ich ſelbſt dem Lafterhaften als Menſchen
nicht alle Adytung verjagen, die ihm wenigjtens in der Dualität eines
Menihen nicht entzogen werden fann; ob er zwar durch feine That ſich
derjelben unwürdig madjt. So Fann es ſchimpfliche, die Menfchheit jelbjt
entehrende Strafen geben (wie das Viertheilen, von Hunden zerreißen
lafjen, Nafen und Ohren abjchneiden), die nicht blos dem Ehrliebenden
(der auf Adtung Anderer Anſpruch macht, was ein jeder thun muß)
ihmerzhafter find, als der Verluft der Güter und des Lebens, jondern
aud) dem Zuſchauer Schamröthe abjagen, zu einer Battung zu gehören,
mit der man jo verfahren darf.
Anmerkung. Hierauf gründet fi eine Pflicht der Adıtung
für den Menjchen ſelbſt im logischen Gebraud) feiner Vernunft: die
Fehltritte derjelben nicht unter dem Namen der Ungereimtheit, des
abgejchmadten Urtheils u. dg. zu rügen, jondern vielmehr voraus zu
jeben, daß in demjelben dod etwas Wahres fein müfle, und diejes
heraus zu ſuchen; dabei aber auch zugleich den trüglichen Schein
(das Subjective der Bejtimmungsgründe des Urtheils, was durd)
ein Verjehen für objectiv gehalten wurde) aufzudeden und fo, indem
man die Möglichkeit zu irren erklärt, ihm noch die Achtung für ſei—
nen Verſtand zu erhalten. Denn ſpricht man jeinem Gegner in einem
gewiſſen Urtheile durch jene Ausdrüde allen Verftand ab, wie will
man ihn dann darüber verftändigen, daß er geirrt habe? — Eben
jo ift es aud mit dem Vorwurf des Lafters bewandt, weldyer nie
zur völligen Verachtung und Abſprechung alles moralijchen Werths
des Lajterhaften ausſchlagen muß: weil er nad) dieſer Hypotheſe auch
u
464 Metaphyfiiche Anfangsartınde der Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlehre.
nie gebejjert werden könnte; welches mit der Fdee eines Menſchen,
der als jolder (als moralifches Wejen) nie alle Anlage zum Guten
einbüßen fann, unvereinbar ift.
$ 40.
Die Achtung vor dem Gejeße, welche jubjectiv als moraliſches Ge-
fühl bezeichnet wird, ift mit dem Bewußtjein feiner Pflicht einerlei. Eben
darum ift aud) die Bezeigung der Achtung vor dem Menſchen als mora-
liſchen (jeine Pflicht höchſtſchätzenden) Weſen felbft eine Pflicht, die An-
dere gegen ihn haben, und ein Recht, worauf er den Anſpruch nicht auf:
geben kann. — Man nennt diejen Anſpruch Ehrliebe, deren Phänomen
im äußeren Betragen Ehrbarfeit (honestas externa), der Berftoß da—
wider aber Skandal heißt: ein Beifpiel der Nichtachtung derjelben, das
Nachfolge bewirken dürfte, weldyes zu geben zwar hödhjft pflichtwidrig,
aber am blos Widerfinnifchen (paradoxon), ſonſt an ſich Guten zu neh—
men, ein Wahn (da man das Nichtgebräuchliche auch für nicht erlaubt
hält), ein der Tugend gefährlicher und verderblicyer Fehler ift. — Denn
die ſchuldige Achtung für andere ein Beijpiel gebende Menſchen kann nicht
bis zur blinden Nahahmung (da der Gebrauch, mos, zur Würde eines
Geſetzes erhoben wird) ausarten; als welche Tyrannei der Bolfsfitte der
Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbjt zuwider fein würde,
$ 41.
Die Interlafjung der bloßen Liebespflihten ift Untugend (pecca-
tum). Aber die Unterlafjung der Pflicht, die aus der ſchuldigen Achtung
für jeden Menſchen überhaupt hervorgeht, ift Laſter (vitium). Denn
durch die VBerabjäumung der erjteren wird fein Menſch beleidigt; durd)
die Unterlafjung aber der zweiten gejhieht dem Menſchen Abbruch in
Anfehung feines gefegmäßigen Anſpruchs. — Die erjtere Übertretung ift
das Pilihtwidrige des Widerjpiels (contrarie oppositum virtutis).
Was aber nicht allein feine moraliſche Zuthat ift, fondern fogar den
Werth derjenigen, die jonft dem Subject zu Gute fommen würde, auf:
hebt, iſt Laſter.
Eben darum werden auch die Pflichten gegen den Nebenmenſchen
aus der ihm gebührenden Achtung nur negativ ausgedrückt, d. i. dieſe
5
8*
s
_
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—
Er
2
[=]
30
2. Theil. 1. Hauptit. 2. Abſchn. Von der Pflicht der Achtung für Andere. 465
Zugendpflicht wird nur indirect (durch das Verbot des Widerjpiels) aus-
gedrüdt werden.
Bon den die Pfliht der Achtung für andere Menſchen
verleßenden Laſtern.
Dieje Lajter find: A) der Hochmuth, B) das Afterreden und
C) die Verhöhnung.
A,
Der Hochmuth.
$ 42.
Der Hochmuth (superbia und, wie dieſes Wort es ausdrüdt, die
Neigung immer oben zu ſchwimmen) ift eine Art von Ehrbegierde
(ambitio), nad welcher wir anderen Menſchen anfinnen, ſich jelbft in
Bergleihung mit uns gering zu Shäßen, und ift alſo ein der Achtung,
worauf jeder Menſch geſetzmäßigen Anſpruch machen kann, widerjtreiten-
des Laſter.
Er ift vom Stolz (animus elatus) als Ehrliebe, d. i. Sorgfalt ſei—
ner Menſchenwürde in Bergleihung mit Anderen nichts zu vergeben, (der
daher auch mit dem Beimwort des edlem belegt zu werden pflegt) unter:
ſchieden; denn der Hochmuth verlangt von Andern eine Achtung, die er
ihnen doch verweigert. — Aber diejer Stolz felbjt wird do zum Fehler
und Beleidigung, wenn er aud) blos ein Anfinnen an Andere ift, ſich mit
feiner Wichtigkeit zu bejhäftigen.
Daß der Hochmuth, welcher gleichſam eine Bewerbung des Ehrſüch—
tigen um Nachtreter ift, und denen verächtlich zu begegnen er ſich berech—
tigt glaubt, ungerecht und der jchuldigen Achtung für Menſchen fiber:
haupt wibderjtreitend jei: daß er Thorheit, d. i. Eitelfeit im Gebraud)
der Mittel zu etwas, was in einem gewifjen Verhältnifje gar nicht den
Werth hat, um Zweck zu fein, ja daß er fogar Narrheit, d. i. ein belei-
digender Unverjtand jei, fich joldher Mittel, die an Anderen gerade das
MWiderfpiel feines Zwecks hervorbringen müfjen, zu bedienen (denn dem
Hodmüthigen weigert ein jeder um defto mehr feine Achtung, je beitrebter
er ſich darnach bezeigt), — dies alles ift für fi) flar. —* möchte
Kant'e Schriften Werke. VI
466 Metaphufifche Anfangsgrlnde der Tugendlehre. 1. Ethiſche Elementarlehre.
doch angemerkt worden fein: daß der Hochmüthige jederzeit im Grunde
feiner Seele niederträdtig ift. Denn er würde Anderen nicht anfinnen,
ſich felbft in Bergleihung mit ihm gering zu halten, fände er nicht bei
fi), daß, wenn ihm das Glück umſchlüge, er es gar nicht hart finden
vofirde, num feinerjeits auch zu friehen und auf alle Achtung Anderer
Derzicht zu thun,
B.
Das Wfterreben.
$ 43,
Die übele Nadyrede (obtreetatio) oder das Afterreden, worunter ich
nicht die Verleumdung (eontumelia), eine falſche, vor Recht zu zie-
hende Nachrede, fondern blos die unmittelbare, auf feine befondere Abficht
angelegte Neigung verftehe, etwas der Achtung für Andere Nachtheiliges
ins Gerücht zu bringen, ift der ſchuldigen Achtung gegen die Menjchheit
überhaupt zumiber: weil jedes gegebene Skandal diefe Adytung, auf wel-
der dod) der Antrieb zum Sittlichguten beruht, ſchwaͤcht und jo viel mög—
lic) gegen fie ungläubiſch macht.
Die gefliffentlihe Verbreitung (propalatio) desjenigen die Ehre
eines Andern Schmälernden, was aud nicht zur öffentlichen Gerichtbar—
feit gehört, es mag übrigens aud wahr fein, ift Verringerung der Achtung
für die Menfchheit überhaupt, um endlich auf unfere Gattung ſelbſt den
Schatten der Nichtswürdigkeit zu werfen und Mifanthropie (Menſchen—
hen) oder Verachtung zur herrſchenden Denfungsart zu machen, oder
jein moralifches Gefühl durch den öfteren Anblick derjelben abzuftumpfen
und fi daran zu gewöhnen. Es ift alfo Tugendpflicht, ftatt einer hämi-
ſchen Luft an der Blosftellung der Fehler Anderer, um ſich dadurd die
Meinung, aut, wenigitens nicht jchlechter als alle andere Menſchen zu
fein, zu ſicheren, den Schleier der Menjchenliebe nicht blos durch Milde-
rung unferer Urtbeile, fondern auch durch Verſchweigung derjelben über
bie Fehler Anderer zu werfen: weil Beifpiele der Achtung, weldhe uns an-
dere geben, auch die Beftrebung rege machen fünnen fie gleihmäßig au
verdienen. — Um deswillen ift die Ausſpähungsſucht der Sitten Anderer
(allotrio-episcopia) auch für ſich felbft ſchon ein beleidigender Vorwitz der
Menſchenkunde, welchem jedermann ſich mit Recht als Verlegung der ihm
ſchuldigen Achtung widerſetzen kann.
10
=
=
ww
—
2. Theil. 1. Hauptſt. 2. Abſchn. Bon ber Pflicht der Achtung für Andere, 467
C.
Die Verhöhnung.
$ 44.
Die leihtfertige Tadelſucht und der Hang Andere zum Gelächter
blos zu ftellen, die Spottjudht, um die Fehler eines Anderen zum uns
mittelbaren Gegenjtande feiner Beluftigung zu maden, ift Bosheit und
von dem Scherz, der Vertraulichkeit unter Freunden, fie nur zum Schein
als Fehler, in der That aber als Vorzüge des Muths, bisweilen aud)
außer der Regel der Mode zu fein, zu belachen (welches dann fein Hohn-
laden ijt), gänzlich unterſchieden. Wirkliche Fehler aber, oder, gleich
als ob fie wirflidy wären, angedicdhtete, weldye die Perſon ihrer verdienten
Achtung zu berauben abgezwedt find, dem Gelächter blos zu ftellen, und
der Hang dazu, die bittere Spottjudht (spiritus causticus), hat etwas von
teufliicher Freude an fid) und ift darum eben eine dejto härtere Verlegung
der Pflicht der Achtung gegen andere Menjchen.
Hievon ift doch die jcherzhafte, wenn gleich jpottende Abweiſung der
beleidigenden Angriffe eines Gegners mit Verachtung (retorsio iocosa)
unterjchieden, wodurd) der Spötter (oder überhaupt ein jhadenfroher, aber
fraftlojer Gegner) gleihmäßig verjpottet wird, und rechtmäßige Vertheis
digung der Achtung, die er von jenem fordern fann. Wenn aber der
Gegenftand eigentlid; fein Gegenftand für den Witz, fondern ein folder
ift, an weldyem die Bernunft nothwendig ein moralifches Interefje nimmt,
jo ijt e8, der Gegner mag nod) jo viel Spötterei ausgeltoßen, hiebei aber
aud) jelbit zugleich nody jo viel Blößen zum Beladyen gegeben haben, der
Würde des Gegenjtandes und der Achtung für die Menſchheit angemef-
jener, dem Angriffe entweder gar feine oder eine mit Würde und Ernit
geführte Vertheidigung entgegen zu jeßen.
Anmerkung. Man wird wahrnehmen, daß unter dem vorher-
gehenden Titel nicht ſowohl Tugenden angepriejen, als vielmehr die
ihnen entgegenftehende Laſter getadelt werden; das liegt aber ſchon
in dem Begriffe der Achtung, jo wie wir fie gegen andere Menſchen
zu beweijen verbunden find, welde nur eine negative Pflicht it.
— Ich bin nit verbunden andere (blos als Menſchen betradjtet) zu
verehren, d.i. ihnen pojitive Hochachtung zu beweiſen. Alle
Achtung, zu der ich von Natur verbunden bin, ift die vor dem Geſetz
30*
472 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre, I. Ethiſche Elementarlehre.
verfhließen. Er möchte ſich gern darüber mit irgend jemand unter:
halten, wie er über die Menſchen, mit denen er umgeht, wie er über die
Regierung, Religion u. f. w. denft; aber er darf es nidyt wagen; theils weil
der Andere, der fein Urtheil behutfam zurüdhält, davon zu feinem Schaden
Gebrauch machen, theils, was die Eröffnung feiner eigenen Fehler betrifft, >
der Andere die feinigen verhehlen und er fo in der Achtung defjelben ein-
büßen würde, wenn er ſich ganz offenherzig gegen ihn daritellte,
Findet er aljo einen, der Verjtand hat, bei dem er in Anfehung jener
Gefahr gar nicht beforgt fein darf, jondern dem er ſich mit völligem Ber-
trauen eröffnen fann, der überdem auch eine mit der feinigen übereinftim- 10
mende Art die Dinge zu beurtheilen an fid hat, jo fann er feinen Ge—
danfen Luft madjen; er ift mit feinen Gedanken nicht völlig allein, wie
im Gefängniß, und genießt eine Freiheit, der er in dem großen Haufen
entbehrt, wo er ſich in fich ſelbſt verſchließen muß. Ein jeder Menſch hat
Geheimniſſe und darf ſich nicht blindlings Anderen anvertrauen; theils 1
wegen der unedlen Dentungsart der Meiften, davon einen ihm nahthei-
ligen Gebraud) zu machen, theils wegen des Unverſtandes mander in der
Beurtheilung und Unterfdheidung deſſen, was ſich nachſagen läßt, oder
nicht (der Indiscretion), welche Eigenſchaften zufammen in einem Subject
anzutreffen jelten ift (rara avis in terris et nigro simillima oygno); zumal »
da die engſte Freundjchaft es verlangt, dab diejer verftändige und ver-
traute Freund zugleich verbunden ift, ebendafjelbe ihm anvertraute Ge—
heimniß einem anderen, für eben fo zuverläffig gehaltenen ohne des erſte⸗
ren ausdrüdlice Erlaubniß nicht mitzutheilen.
Dieje (blos moraliihe Freundſchaft) ift fein Ideal, jondern (der »
ihwarze Schwan) eriftirt wirklich hin und wieder in feiner Bolltommen-
heit; jene aber mit den Zwecken anderer Menſchen fich, obzwar aus Liebe,
beläjtigende (pragmatifche) kann weder die Lauterfeit, noch die verlangte
Bolljtändigkeit haben, die zu einer genau beftimmenden Marime erforder:
lic) ift, und tft ein deal des Wunfches, das im Vernunftbegriffe feine —
Grenzen kennt, in der Erfahrung aber doc immer jehr begrenzt werden
muß.
Ein Menjhenfreund überhaupt aber (d. i. der ganzen Gattung)
ift der, welcher an dem Wohl aller Menſchen äfthetiichen Antheil (der
Mitfreude) nimmt und ed nie ohne inneres Bedauren jtören wird. Dody =
ift der Ausdrud eines Freundes der Menſchen noch von etwas engerer
Bedeutung, als der des blos Menfchenliebenden (Philanthrop). Denn
a
—
—
2
&
Beichluh der Elemenlarlehre. — 469
Gebrauch ihrer Wiſſenſchaft als umgänglichen (geſchliffenen), oder in
ihrem Fach unumgänglichen Gelehrten (Pedanten), pragmatiſchen, oder
mehr auf Geiſt und Geſchmack ausgehenden; welches nach Verſchiedenheit
der Stände, des Alters, des Geſchlechts, des Geſundheitszuſtandes, des
der Wohlhabenheit oder Armuth u. ſ. w. zukomme: das giebt nicht fo
vielerlei Arten der ethiſchen Verpflichtung (denn es ift nur eine,
nämlid) die der Tugend überhaupt), fondern nur Arten der Anwendung
(Borismen) ab; die aljo nicht, als Abjchnitte der Ethif und Glieder der
Eintheilung eines Syſtems (das a priori aus einem Vernunftbegriffe
hervorgehen muß), aufgeführt, fondern nur angehängt werden können. —
Aber eben dieſe Anwendung gehört zur Volljtändigfeit der Darftellung
deſſelben.
Beſchluß der Elementarlehre.
Von der innigſten Vereinigung der Liebe mit der Achtung
in der Freundſchaft.
46.
Freundſchaft (in ihrer Vollkommenheit betrachtet) iſt bie Vereini—
gung zweier Perſonen durch gleiche wechſelſeitige Liebe und Achtung. —
Man fieht leicht, daß fie ein Sdeal der Theilnehmung und Mittheilung
an dem Wohl eines jeden diejer durd den moraliic guten Willen Ver:
einigten jei, und, wenn es auch nicht das ganze Glüd des Lebens bewirkt,
die Aufnahme defjelben in ihre beiderjeitige Gefinnung die Würdigfeit
enthalte glüdlicd) zu fein, mithin daß Freundfchaft unter Menſchen Pflicht
derjelben ift. — Daß aber Freundichaft eine bloße (aber doch praktiſch—
nothwendige) Idee, in der Ausübung zwar unerreichbar, aber dod) dar-
nad) (als einem Marimum der guten Gefinnung gegen einander) zu
ftreben von der Vernunft aufgegebene, nicht etwa gemeine, jondern ehren-
volle Pflicht ei, ift leicht zu erfehen. Denn wie ift es für den Menſchen
in Berhältniß zu feinem Nächten möglich, die Gleichheit eines der dazu
erforderlihen Stüde eben derjelben Pflicht (z. B. des wedhjeljeitigen
Wohlwollens) in dem Einen mit eben derjelben Gefinnung im Anderen
auszumitteln, nody mehr aber, welches Berhältniß das Gefühl aus der
einen Pflicht zu dem aus der andern (3. D. das aus dem Wohlwollen zu
dem aus der Achtung) im derjelben Perfon habe, und ob, wenn die eine
470 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. I. Ethiſche Elementarfehre.
in der Liebe inbrünftiger ift, fie nicht eben dadurd) in der Achtung des
Anderen etwas einbüße, jo daß beiderjeitig Liebe und Hochſchätzung jub-
jectiv ſchwerlich in das Ebenmaß des Gleichgewichts gebradht werden wird;
welches body zur Freundſchaft erforderlich ift? — Denn man fann jene
als Anziehung, diefe als Abftogung betrachten, und wenn das Princip der
erfteren Annäherung gebietet, daS der zweiten fid) einander in geziemen-
dem Abftande zu halten fordert, weldye Einſchränkung der Vertraulichkeit,
durch die Regel: daß auch die beften Freunde ſich unter einander nicht
gemein maden jollen, ausgedrüdt, eine Marime enthält, die nicht blos
dem Höheren gegen den Niedrigen, fondern auch umgekehrt gilt. Denn
der Höhere fühlt, ehe man es ſich verfieht, feinen Stolz gekränft und will
bie Adıtung des Niedrigen etwa für einen Augenblid aufgeſchoben, nidyt
aber aufgehoben willen, weldye aber, einmal verlegt, innerlid) unmieder-
bringlid; verloren ift; wenn gleich bie äußere Bezeichnung derjelben (das
Geremoniell) wieder in den alten Gang gebradjt wird.
Freundſchaft in ihrer Reinigfeit oder Bollftändigfeit, als erreichbar
(zwiſchen DOreftes und Pylades, Theſeus und Pirithous) gedacht, ift das
Stedenpferd der Romanenjhreiber; wogegen Ariftoteles jagt: meine
lieben Freunde, es giebt feinen Freund! Folgende Anmerkungen fönnen
auf die Schwierigkeiten derjelben aufmerkſam machen.
Moraliſch erwogen, ift es freilich Pflicht, daß ein Freund dem ande»
ren jeine Fehler bemerflid; mache; denn das geſchieht ja zu feinem Beften,
und es ift aljo Ziebespflidt. Seine andere Hälfte aber fieht hierin einen
Mangel der Adytung, die er von jenem erwartete, und zwar daß er ent-
weder darin ſchon gefallen jei, oder, da er von dem Anderen beobaditet
und ingeheim Eritifirt wird, beftändig Gefahr läuft in den Berluft feiner
Achtung zu fallen; wie dann felbft, da er beobachtet und gemeiftert wer:
den jolle, ihm ſchon für ſich jelbft beleidigend zu fein dünken wird.
Ein Freund in der Noth, wie erwünjcht ift er nicht (wohl zu ver-
ftehen, wenn er ein thätiger, mit eigenem Nufwande hülfreicher Freund
ift)! Aber es ift doch aud) eine große Laft, fi an Anderer ihrem Schidjal
angefettet und mit fremdem Bedürfniß beladen zu fühlen. — Die Freund:
ſchaft kann alſo nit eine auf wechjeljeitigen Vortheil abgejwedte Ver-
bindung, jondern diefe muß rein moraliſch fein, und der Beiftand, auf
ben jeder von beiden von dem Anderen im Falle der Noth rechnen darf,
muß nicht als Zwed und Beftimmungsgrund zu derjelben — dadurch
würde er die Achtung des andern Theils verlieren, — fondern fann nur als
25
Beſchluß der Elementarlehre. . 41
äußere Bezeichnung des inneren herzlid; gemeinten Wohlwollens, ohne es
doch auf die Probe, als die immer gefährlich ift, anfommen zu Lafjen, ge—
meint fein, indem ein jeder großmüthig den Anderen diefer Laſt zu über:
heben, fie für fi allein zu tragen, ja ihm fie gänzlich zu verhehlen bedacht
ift, fi aber immer doch damit ſchmeicheln fann, daß im Falle der Noth
er auf den Beiltand des Andern fidher würde rechnen fünnen. Wenn aber
Einer von dem Andern eine Wohlthat annimmt, jo kann er wohl viel-
leicht auf Gleichheit in der Liebe, aber nicht in der Achtung rechnen, denn
er fieht fi offenbar eine Stufe niedriger, verbindlich zu fein und nicht
gegenjeitig verbinden zu können. — Freundichaft ift bei der Süßigfeit der
Empfindung des bis zum Aufammenfchmelzen in eine Perſon ſich an-
nähernden wechſelſeitigen Befites doch zugleid; etwas jo Zartes (tene-
ritas amicitiae), daß, wenn man fie auf Gefühle beruhen läßt und diefer
mwechjelfeitigen Mittheilung und Ergebung nicht Grundjäße oder das Ge—
meinmachen verhütende und die Wechjelliebe durch Forderungen der Ach—
tung einſchränkende Regeln unterlegt, fie feinen Augenblid vor Inter:
brechungen ſicher ift; dergleichen unter uncultivirten Perjonen gewöhn-
lic) find, ob fie zwar darum eben nicht immer Trennung bewirken (denn
Pöbel ſchlaͤgt fid) und Pöbel verträgt fi); fie können von einander nicht
0 laffen, aber ſich auch nicht unter einander einigen, weil das Zanken ſelbſt
ihnen Bedürfniß ift, um die Süßigfeit der Eintradht in der Verſöhnung
zu ſchmecken. — Auf alle Fälle aber kann die Liebe in der Freundidaft
nicht Affect fein: weil diefer in der Wahl blind und in der Fortſetzung
verrauchend it.
2 847.
Moraliſche Freundſchaft (zum Unterſchiede von der äfthetiſchen)
iſt das völlige Vertrauen zweier Perſonen in wechſelſeitiger Eröffnung
ihrer geheimen Urtheile und Empfindungen, ſo weit ſie mit beiderſeitiger
Achtung gegen einander beſtehen kann.
Der Menſch iſt ein für die Geſellſchaft beſtimmtes (obzwar doch auch
ungeſelliges) Weſen, und in der Cultur des geſellſchaftlichen Zuſtandes
fühlt er mächtig das Bedürfniß ſich Anderen zu eröffnen (ſelbſt ohne
etwas dabei zu beabſichtigen); andererſeits aber auch durch die Furcht vor
dem Mißbrauch, den Andere von dieſer Aufdeckung ſeiner Gedanken
ss machen dürften, beengt und gewarnt, ſieht er ſich genöthigt, einen guten
Theil feiner Urteile (vornehmlich über andere Menſchen) im ſich jelbft zu
— —
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[41
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Beſchluß der Elementarlehre. 473
in jenem ift aud) die Vorftellung und Beherzigung der Gleichheit unter
Menſchen, mithin die Idee dadurd) felbit verpflichtet zu werden, indem
man Andere durch Wohlthun verpflichtet, enthalten; gleihjam als Brüder
unter einem allgemeinen Vater, der Aller Glüdfeligfeit will. — Denn
das Verhältniß des Beſchützers als Mohlthäters zu dem Beſchützten als
Danfpflidtigen ift zwar ein Verhältniß der Wechſelliebe, aber nicht der
Freundidaft: weil die ſchuldige Achtung beider gegen einander nicht gleich
ift. Die Pflicht als Freund den Menſchen wohl zu wollen (eine nothwen-
dige Herablaffung) und die Beherzigung derjelben dient dazu, vor dem
Stolz zu verwahren, der die Glüdlihen anzuwandeln pflegt, welche das
Vermögen wohl zu thun befiben.
Zuſatz.
Von den Umgangstugenden
(virtutes homileticae).
$ 48,
Es ift Pflicht ſowohl gegen fid) jelbit, als aud) gegen Andere, mit
feinen ſittlichen Bollflommenheiten unter einander Verkehr zu treiben (offi-
cium commercii, sociabilitas), ſich nicht zu ifoliren (separatistam agere);
zwar fid) einen unbeweglichen Mittelpunft feiner Grundfäbe zu machen,
aber diejen um fic gezogenen Kreis doch auch als einen, der den Theil
von einem allbefafjenden der weltbürgerlihen Gefinnung ausmacht, ans
zuſehen; nicht eben um das Weltbejte als Zweck zu befördern, fondern nur
die wechjelfeitige, die indirect dahin führt, die Annehmlichkeit in derjelben,
die Verträglichkeit, die wechjelfeitige Liebe und Achtung (Leutfeligfeit und
MWohlanftändigfeit, humanitas aesthetica et decorum) zu cultiviren und
fo der Tugend die Brazien beizugefellen; welches zu bewerfftelligen jelbjt
Tugendpflicht ift.
Dies find zwar nur Außenmwerfe oder Beiwerfe (parerga), welche
einen Schönen, tugendähnlihen Schein geben, der auch nicht betrügt, weil
ein jeder weiß, wofür er ihn annehmen muß. Es ijt zwar nur Scheide-
münge, befördert aber dod) das Tugendgefühl felbft durd; die Beftrebung,
diefen Schein der Wahrheit jo nahe wie möglich zu bringen, in der Zu—
gänglichkeit, der Gefprädigfeit, der Höflichkeit, Gaftfreiheit,
Gelindigkeit (im Widerjprehen, ohne zu zanfen), insgefammt als blo-
474 Retaphyfiſche Anfangsgränbe ber Zugenblehre. L Ethiſche Glementariehre.
Ben Manieren des Berfehrs mit geäußerten Berbindlichkeiten, dadurch
man zugleich Andere verbindet, die aljo doch zur Tugendgefinnung bin-
wirfen, indem fie die Tugend wenigitens beliebt machen.
Es frägt fich aber hiebei: ob man auch mit Zafterhaften Umgang
pflegen dürfe. Die Zufammenkunft mit ihnen fann man nicht vermeiden,
man müßte denn fonft aus der Welt geben; und felbit unfer Urtheil über
fie ift nicht competent. — Wo aber bas Lafter ein Skandal, d. i. ein öffent-
lich gegebenes Beijpiel der Verachtung firenger Pflichtgejebe, ift, mithin
Ehrlofigkeit bei ih führt: da muß, wenn gleidy das Landesgeſetz es nicht
beitraft, der Umgang, der bis dahin flatt fand, abgebrocdyen, oder jo viel
möglich gemieden werden: weil die fernere Fortjeßung defjelben die Tu⸗
gend um alle Ehre bringt und fie für jeden zu Kauf ftellt, der reich genug
ift, um den Schmaroger durch die Bergnügungen der Uppigkeit zu be-
ſtechen.
m
1.
Ethiſche Methodenlehre.
=
u
Der ethiſchen Methodenlehre
Erſter Abſchnitt.
Die ethiſche Didaktik.
$ 49.
Daß Tugend erworben werden müfje (nicht angeboren jei), liegt,
ohne fi) deshalb auf anthropologifche Kenntniffe aus der Erfahrung bes
rufen zu dürfen, ſchon in dem Begriffe derjelben. Denn das jittliche Ver-
mögen des Menjhen wäre nicht Tugend, wenn es nicht durch die Stärfe
des Vorſatzes in dem Streit mit jo mädhtigen entgegenftehenden Nei-
gungen hervorgebracht wäre. Sie ift das Product aus der reinen praf-
tiſchen Vernunft, jo fern dieje im Bemwußtjein ihrer lberlegenheit (aus
Freiheit) über jene die Obermacht gewinnt.
Daß fie fönne und müfje gelehrt werden, folgt ſchon daraus, daß
fie nicht angeboren ift; die Tugendlehre ijt aljo eine Doctrin. Weil
aber durch die bloße Lehre, wie man ſich verhalten jolle, um dem Tugend»
begriffe angemefjen zu fein, die Kraft zur Ausübung der Regeln noch nicht
erworben wird, jo meinten die Stoifer hiemit nur, die Tugend könne
nicht durch bloße Borjtellungen der Pflicht, dur Ermahnungen (paräne-
tiſch) gelehrt, ſondern fie müfje durch Verjuche der Befämpfung des
inneren Feindes im Menſchen (aſcetiſch) cultivirt, geübt werden; denn
man fann nicht Alles fofort, was man will, wenn man nicht vorher feine
Kräfte verfudht und geübt hat, wozu aber freilich) die Entſchließung auf
einmal vollftändig genommen werden muß: weil die Gefinnung (animus)
fonft bei einer Eapitulation mit dem Laſter, um es allmählich zu verlajien,
an ſich unlauter und felbft lafterhaft fein, mithin auch feine Tugend (als
die auf einem einzigen Princip beruht) hervorbringen könnte.
478 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. II. Ethiſche Methobenlehre.
$ 50.
Was nun die doctrinale Methode betrifft (denn methodiſch muß
eine jede wifjenichaftliche Lehre jein; fonjt wäre der Vortrag tumultu-
ariſch): fo kann fie auch nicht fragmentarijch, fondern muß ſyſtema—
tiſch fein, wenn die Tugendlehre eine Wiſſenſchaft vorjtellen ſoll. —
Der Vortrag aber fann entweder akroamatiſch, ba alle Andere, melden
er gejchieht, bloße Zuhörer find, oder erotematijc jein, wo der Zehrer
das, was er jeine Fünger lehren will, ihnen abfrägt; und dieſe erotema=
tiiche Methode ift wiederum entweder die, da er es ihrer Vernunft, die
dialogifche Zehrart, oder blos ihrem Gedächtniſſe abfrägt, die Fateche-
tifche Xehrart. Denn wenn jemand der Vernunft des Anderen etwas
abfragen will, jo fanı es nidyt anders als dialogiſch, d. i. dadurch ge-
ſchehen: daß Lehrer und Schüler einander wechjeljeitig fragen und ant-
worten. Der Zehrer leitet durch Fragen den Gedanfengang feines Lehr:
jüngers dadurd), daß er die Anlage zu gewijjen Begriffen in demjelben
durch vorgelegte Fälle blos entwicelt (er ift die Hebamme feiner Gedan-
fen); der Zehrling, welcher hiebei inne wird, daß er ſelbſt zu denfen ver:
möge, veranlaßt durch feine Gegenfragen (über Dunkelheit, oder den ein-
geräumten Süßen entgegenitehende Zweifel), daß der Zehrer nad) dem
docendo discimus felbjt lernt, wie er gut fragen müfje. [Denn es ift
eine an die Logik ergebende, noch nicht genugjam beherzigte Forderung:
daß fie aud) Regeln an die Hand gebe, wie man zweckmäßig juchen jolle,
d. i. nicht immer blos für bejtimmende, jondern aud für vorläufige
Urtheile(iudicia praevia), durd) die man auf Gedanken gebradht wird; eine
Lehre, die jelbft dem Mathematiker zu Erfindungen ein Fingerzeig fein
kann und die von ihm auch oft angewandt wird.)
$ 51.
Das erjte und nothwendigfte doctrinale Inftrument der Tugenb-
lehre für den noch rohen Zögling ift ein moralifher Katehism. Dieſer
muß vor dem Religionskatehism hergehen und kann nicht blos als Ein-
ſchiebſel in die Religionslehre mit verwebt, fondern muß abgefondert, als
ein für fid) beftehendes Ganze, vorgetragen werden; denn nur durch rein
moralifhe Grundjäße kann der Überſchritt von der Tugendlehre zur Reli-
gion gethan werden, weil dieſer ihre Belenntniffe jonft unlauter fein wür-
⸗
den. — Daher haben gerade die würdigſten und größten Theologen An— =
a”
—
or
2
=
1.)
u.
we
=
ie
=
ftand genommen, für die ftatutarifche Religionslehre einen Katechism ab-
zufaffen (und fi zugleid für ihn gu verbüngen); da man Doc glauben
** —
re moralifder Katedjism, als Grundlehre der
Tugendpflichten, Feine ſolche Bedenklichfeit oder Schwierigkeit, weil er aus
der gemeinen Menſchenvernunft (jeinem Inhalte nad) entwickelt werden
fann und nur den didaktiſchen Regeln der erften Unterweifung (der Form
nad)) angemefjen werden darf. Das formale Brincip eines ſolchen Unter-
richts aber verftattet zu diefem Zwed nicht die ſokratiſch-dialogiſche
Lehrart: weil der Schüler nicht einmal weiß, wie er fragen foll; der Lehrer
ift alfo allein der Fragende. Die Antwort aber, die er aus der Vernunft
des Lehrlings methodiſch auslodt, muß in bejtimmten, nicht leicht zu ver-
ändernden Ausdrüden abgefaßt und aufbewahrt, mithin feinem Gedächt⸗
niß anvertraut werden: als worin die katechetiſche Lehrart fi ſowohl
von der dogmatiſchen (da der Lehrer allein jpricht), als auch der dia=
logiſchen (da beide Theile einander fragend und antwortend find) unter:
iheidet.
$ 52.
Das erperimentale (technische) Mittel der Bildung zur Tugend
ift das gute Beifpiel an dem Lehrer jelbft (von eremplarifcher Führung
zu fein) und das warnende an Audern; denn Nachahmung ift Dem noch
ungebildeten Menſchen die erſte Rillensbeftimmung zu Annehmung von
Marimen, die er ſich in der Folge macht. — Die Angewöhnung oder Ab-
gewöhnung ift die Begründung einer beharrlichen Neigung ohne alle
Marimen durd die öftere Befriedigung derfelben; und ift ein Medhanisın
der Sinnesart ftatt eines Princips der Denfungsart (wobei das Ver-
lernen in der Folge ſchwerer wird als das Erlernen). — Mas aber
die Kraft des Erempels (es fei zum Guten oder Böen) betrifft, was ſich
dem Hange zur Nahahmung oder Warnung darbietet*), jo kann das,
*) Beifpiel, ein beutfches Wort, was man gemeiniglich für Erempel als Ihm
gleichgeltend braucht, ift mit biefem nicht von elmerlei Bedeutung. Woran ein Erem:
pel nehmen und zur Berftändlichkeit eines Uusdruds ein Beifpiel anführen, find ganz
verfchiebene Begriffe. Das Erempel ijt ein befonberer Fall von einer praftifchen
Negel, fofern diefe bie Thunlichkeit oder Unthunlichleit einer Handlung vorftellt. Hin
gegen ein Beiſpiel ift nur das Befondere (coneretum), als unter dem Allgemeinen
480 Metaphyfiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. II. Ethiſche Methodenlehre.
was uns Andere geben, feine Tugendmarime begründen. Denn dieje be
jteht gerade in der jubjectiven Autonomie der praftiichen Vernunft eines
jeden Menſchen, mithin daß nicht Anderer Menihen Verhalten, jondern
das Gejeß uns zur Triebfeder dienen müſſe. Daher wird der Erzieher
feinem verunarteten Lehrling nicht jagen: Nimm ein Erempel an jenem
guten (ordentlichen, fleißigen) Knaben! denn das wird jenem nur zur Ur-
ſache dienen, diejen zu haffen, weil er durch ihn in ein nadjtheiliges Licht
gejtellt wird. Das gute Erempel (der eremplarifche Wandel) fol nicht
als Mufter, fondern nur zum Beweiſe der Thunlichfeit des Pflihtmäßigen
dienen. Alſo nicht die Vergleihung mit irgend einem andern Menjchen
(wie er ijt), fondern mit der dee (der Menjchheit), wie er fein joll, aljo
mit dem Gejeß, muß dem Lehrer das nie fehlende Richtmaß jeiner Er:
ziehung an die Hand geben.
Anmerkung.
Bruchſtück eines moraliſchen Katehism.
Der Lehrer =. frägt der Vernunft jeines Schülers = ©. das-
jenige ab, was er ihn lehren will, und wenn dieſer etwa nicht Die
Trage zu beantworten wüßte = 0, fo legt er fie ihm (feine Bernunft
leitend) in den Mund,
1.2. Was ift dein größtes, ja dein ganzes Verlangen im Leben? ©.
0. — L. Daß es dir Alles und immer nad) Wunſch und Willen
gehe.
2.2. Wie nennt man einen folden Auftand? ©. 0. L. Man nennt
ihn Glückſeligkeit (das beftändige Wohlergehen, vergnügtes Leben,
völlige Zufriedenheit mit feinem Zuftande).
3.2. Wenn du nun alle Glüdfeligfeit (die in der Welt möglich ift) in
deiner Hand hätteft, würdeft du fie alle für did behalten, oder fie
aud) deinen Nebenmenjchen mittheilen? — ©. Ich würde fie mit-
theilen, Andere auch glüdlich und zufrieden machen.
4.2. Das bemeift nun wohl, daß du nod) jo ziemlid) ein gutes Herz
haft; laß aber jehen, ob du dabei aud) guten Verftand zeigejt. —
Würdeſt du wohl dem Faullenzer weiche Polſter verfhaffen, damit
nad) Begriffen (abstractum) enthalten vorgeftellt, | unb blos theoretijche Daritellung
eines Begriffs.
10
30
36
eo
je)
1. Abjchnitt. Die ethiſche Dibattif. 481
er im jühen Nihtsthun fein Leben dahin bringe, oder dem Trunken—
bolde es an Wein, und was fonft zur Beraufhung gehört, nicht er—
mangeln laffen, dem Betrüger eine einnehmende Geitalt und Manie-
ren geben, um andere zu überliften, oder dem Gewaltthätigen Kühne
heit und jtarfe Fauft, um Andere überwältigen zu fönnen? Das
find ja jo viel Mittel, die ein jeder ſich wünſcht, um nad) feiner Art
glüdlid) zu fein. S. Nein, das nicht.
2. Du fiehft alfo: daß, wenn du aud alle Glüdjeligfeit in deiner
Hand und dazu den beften Willen hättejt, du jene dod) nicht ohne
Bedenken jedem, der zugreift, preis geben, fondern erft unterſuchen
würdet, wie fern ein jeder der Glüdjeligfeit würdig wäre — X.
Tür dich jelbft aber würdeft du doch wohl fein Bedenken haben, did)
mit Allen, was du zu deiner Glückjeligfeit rechneſt, zuerft zu ver-
jorgen? ©. Ja. 2. Aber fommt dir da nicht auch die Frage in Ge—
danfen, ob du wohl ſelbſt aud) der Glückſeligkeit würdig fein mögeft?
S. Mlerdings. 2. Das nun in dir, was nur nad Glückſeligkeit
ftrebt, ijt die Neigung; dasjenige aber, was deine Neigung auf die
Bedingung einſchränkt, diefer Glückſeligkeit zuvor würdig zu fein, tft
deine Bernunft, und daß du durch deine Vernunft deine Neigung
einfhränfen und überwältigen kannt, das ift die Freiheit deines
Willens.
2. Um nun zu wiffen, wie du es anfängjt, um der Glückſeligkeit
theilhaftig und doch auch nicht unwürdig zu werden, dazu liegt bie
Regel und Anweifung ganz allein in deiner Vernunft; das heißt
fo viel als: du haft nicht nöthig diefe Negel deines Verhaltens von
ber Erfahrung, oder von Anderen durd ihre Unterweifung abzuler-
nen; deine eigene Vernunft lehrt und gebietet dir geradezu, was du zu
thun haft. 3. B. wenn dir ein Fall vorfommt, da du durd) eine fein
ausgedadhte Lüge dir oder deinen Freunden einen großen Vortheil
verihaffen kannſt, ja noch dazu badurd) auch feinem anderen ſchadeſt,
was jagt dazu deine Vernunft? S. Ich foll nicht lügen; der Bor:
theil für mich und meinen Freund mag jo groß fein, wie er immer
wolle. Lügen ift niederträhtig und madt den Menſchen un—
würdig glüdlich zu fein. — Hier ift eine unbedingte Nöthigung
durch ein Bernunftgebot (oder Verbot), dem ich gehorchen muß: mo»
gegen alle meine Neigungen verjtummen müfjen. 2. Wie nennt
man diefe unmittelbar durd) die Vernunft dem — auferlegte
Kant's Schriften Werke. VI.
482 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. II. Ethiſche Methodenlehre.
—
—2*
Nothwendigkeit, einem Geſetze derſelben gemäß zu handeln? ©. Sie
beißt Pflicht. 2. Alfo ift dem Menſchen die Beobachtung feiner
Pflicht die allgemeine und einzige Bedingung der Würdigfeit glüd-
lid) zu fein, und diefe ift mit jener ein und daſſelbe.
.2. Wenn wir uns aber auch eines ſolchen guten und thätigen Wil-
lens, durch den wir uns würdig (wenigitens nicht unwürdig) halten
glüdlich zu fein, auch bewußt find, können wir darauf aud) die ſichere
Hoffnung gründen, dieſer Glückjeligkeit theilhaftig zu werden? ©.
Nein! darauf allein nicht; denn es fteht nicht immer in unferem Ber:
mögen, fie uns zu verfchaffen, und der Lauf der Natur richtet fi)
auch nicht jo von jelbft nach dem Verdienſt, fondern das Glüd des
Lebens (unjere Wohlfahrt überhaupt) hängt von Umftänden ab, die
bei weitem nicht alle in des Menſchen Gewalt find. Alſo bleibt
unfere Glüdfeligkeit immer nur ein Wunſch, ohne daß, wenn nicht
irgend eine andere Macht hinzufommt, diejer jemals Hoffnung wer-
den kann.
2. Hat die Vernunft wohl Gründe für fi, eine ſolche die Glückſelig—
feit nach Verdienft und Schuld der Menſchen austheilende, über die
ganze Natur gebietende und die Welt mit höchſter Weisheit regie-
rende Macht als wirflid anzunehmen, d. i. an Bott zu glauben?
S. 3a; denn wir ſehen an den Werfen der Natur, die wir beur-
theilen können, jo ausgebreitete und tiefe Weisheit, die wir uns nicht
anders als durd) eine unansipredlic große Kunſt eines Weltſchöp—
fers erklären können, von weldiem wir uns denn aud), was die fitt-
liche Ordnung betrifft, in der doch die höchſte Zierde der Welt be-
fteht, eine nicht minder weije Regierung zu verfprechen Urſache
haben: nämlich dab, wenn wir uns nicht ſelbſt der Glückſeligkeit
unwürdig machen, welches durch libertretung unjerer Pflicht ge
ſchieht, wir auch hoffen fönnen, ihrer theilhaftig zu werden.
In diejer Katecheje, welche durch alle Artikel der Tugend und
des Lafters durchgeführt werden muß, ift die größte Aufmerkiamkeit
darauf zu richten, daß das Pflichtgebot ja nicht auf die aus deffen
Beobachtung für den Menſchen, den es verbinden joll, ja jelbit aud)
nicht einmal für Andere fließenden Vortheile oder Nachtheile, jondern
ganz rein auf das fittlidhe Princip gegründet werde, der letzteren aber
nur beiläufig, als an fi) zwar entbehrlicher, aber für den Gaumen
der von Natur Schwachen zu bloßen Vehikeln dienender Zujäbe, Er:
15
25
20
30
1. Abſchnitt. Die ethifche Didaktik. 483
wähnung geſchehe. Die Schändlichkeit, nit die Schädlichkeit
des Laſters (für den Thäter felbft) muß überall hervorſtechend dar—
gejtellt werden. Denn wenn die Würde der Tugend in Handlungen
nicht über Alles erhoben wird, jo verjchwindet der Pflichtbegriff jelbit
und zerrinnt in bloße pragmatiſche Vorſchriften; da dann der Adel
des Menſchen in jeinem eigenen Bewußtjein verſchwindet und er für
einen Preis feil ift und zu Kauf fteht, den ihm verführerifche Nei-
gungen anbieten.
Wenn diejes num weislih und pünftlih nad Verjchiedenheit
der Stufen des Alters, des Geſchlechts und des Standes, die der
Menſch nad) und nad) betritt, aus der eigenen Vernunft des Men
ſchen entwidelt worden, fo ift nod) etwas, was den Beſchluß machen
muß, was die Seele inniglich bewegt und den Menſchen auf eine
Stelle jeßt, wo er ſich jelbft nicht anders als mit der größten Be—
wunderung der ihm beimohnenden urjprünglichen Anlagen betrachten
fann, und wovon der Eindrud nie erlifcht. — Wenn ihm nämlich beim
Schluſſe jeiner Unterweifung feine Pflihten in ihrer Ordnung noch
einmal ſummariſch vorerzählt (recapitulirt), wenn er bei jeder ders
felben darauf aufmerffam gemacht wird, daß alle Übel, Drangjale
und Leiden des Rebens, jelbjt Bedrohung mit dem Tode, die ihn dar-
über, daß er feiner Pflicht treu gehordht, treffen mögen, ihm doc) das
Bewußtjein, über fie alle erhoben und Meiſter zu fein, nicht rauben
fönnen, jo liegt ihm num die Frage ganz nahe: was ijt das in dir,
was fid) getrauen darf, mit allen Kräften der Natur in dir und um
dich in Kampf zu treten und fie, wenn fie mit deinen fittlihen Grund-
jäben in Streit fommen, zu befiegen? Wenn diefe Frage, deren
Auflöfung das Vermögen ber fpeculativen Vernunft gänzlich über:
fteigt und die fid) dennod) von ſelbſt einftellt, ans Herz gelegt wird,
jo muß ſelbſt die Unbegreiflichkeit in diefem Selbfterfenntnifje der
Seele eine Erhebung geben, die fie zum Heilighalten ihrer Pflicht
nur deſto ftärfer belebt, je mehr fie angefochten wird.
In diejer katechetiſchen Moralunterweifung würde es zur ſitt—
lien Bildung von großem Nutzen fein, bei jeder Pflichtzergliederung
einige cafuiftifche Fragen aufzumwerfen und die verjammelten Kinder
ihren Verſtand verfuchen zu laſſen, wie ein jeder von ihnen die ihm
vorgelegte verfängliche Aufgabe aufzulöfen meinte. — Nicht allein daß
diejes eine der Fähigkeit des Ungebildeten am meiften angemefjene
81°
E
484 Metaphpfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. II. Ethiſche Methodenlehre.
Gultur der Vernunft ift (weil diefe in Fragen, die, was Pflicht ift,
betreffen, weit leichter entjcheiden fann, als in Anfehung der fpecula=
tiven) und jo den Verftand der Jugend überhaupt zu ſchärfen die
ſchicklichſte Art ift: jondern vornehmlich deswegen, weil es in der
Natur des Menſchen liegt, das zu lieben, worin und in defien Be
arbeitung er es bis zu einer Wiſſenſchaft (mit der er nun Beſcheid
weiß) gebracht hat, und jo der Lehrling durch dergleichen Ubungen
unvermerkt in das Inter eſſe der Sittlichfeit gezogen wird.
Don der größten Wichtigfeit aber in der Erziehung ift es, den
moralijhen Katehism nit mit dem Religionsfatehism vermiſcht
vorzutragen (zu amalgamiren), noch weniger ihn auf den leßteren
folgen zu lafjen; fondern jederzeit den erjteren und zwar mit dem
größten Fleiße und Ausführlichkeit zur Elärften Einſicht zu bringen.
Denn ohne diejes wird nachher aus der Religion nichts als Heuchelei,
ih aus Furcht zu Pflichten zu befennen und eine Theilnahme an
derjelben, die nicht im Herzen ift, zu lügen.
Zweiter Abjchnitt.
Die ethische Ajcetik.
$ 53.
Die Regeln der Übung in der Tugend (exercitiorum virtutis) gehen
auf die zwei Gemüthsjtimmungen hinaus, waderen und fröhlichen
Gemüths (animus strenuus et hilaris) in Befolgung ihrer Pflichten zu
fein. Denn fie hat mit Hindernifjen zu fämpfen, zu deren liberwältigung
fie ihre Kräfte zufammen nehmen muß, und zugleich manche Zebensfreu-
den zu opfern, deren Verluft das Gemüth wohl bisweilen finfter und
mürriſch madyen kann; was man aber nicht mit Luft, fondern blos als
Frohndienft thut, das hat für den, der hierin feiner Pflicht gehorcht, feinen
inneren Werth und wird nicht geliebt, jondern die Gelegenheit ihrer Aus:
übung jo viel möglich geflohen.
Die Eultur der Tugend, d. i. die moralifhe Ajcetif, hat in An
jehung des Princips der rüftigen, muthigen und waderen Tugendübung
den Wahlſpruch der Stoifer: gewöhne dich die zufälligen Lebensübel zu
ertragen und die eben jo überflüffigen Ergötzlichkeiten zu entbehren
(assuesce incommodis et desuesce commoditatibus vitae). Es ift eine
— ne in und, Cat mer 1 RD Be
ı» rung) zu bereuen, fie büßen zu wollen, welches bei
uni ——— —
legen) ein Widerſpruch iſt, und kann auch den Frohſinn, der
begleitet, nicht bewirken, vielmehr nicht ohne geheimen
Tugendgebot ftatt finden. — Die ethiſche Oymnaftit
»o der Bekämpfung der Naturtriebe, die das Maß erreicht, über fie dei vor“
fommenden, der Moralität Gefahr drohenden Fällen Meifter werden au
fönnen; mithin die wader und im Bewußtſein feiner wiebererworbenen
Freiheit fröhlich madht. Etwas bereuen (weldes bei der Nüderinne
rung ehemaliger Übertretungen unvermeidlich, ja wobel diefe @rlnnerung
» nicht ſchwinden zu lafjen, es fogar Pflicht ift) und fich eine Pönktena
auferlegen (3. B. das Faften), nicht in diätetifcher, fondern frommer Mike
ficht, find zwei fehr verfchtedene, moraliih gemeinte Vorkehrungen, von
denen die leßtere, welche freudenlos, finfter und mirrljch Ift, die Tugend
jelbft verhaßt macht und ihre Anhänger verfagt. Die Zucht (Disciplin),
» die der Menſch an ſich jelbit verübt, Tann daher nur durd) den Rrohlinn,
der fie begleitet, verdienftlic und eremplarifch werden,
Beſchluß.
Die Religionslehre als Lehre der Pflichten gegen Gott
liegt außerhalb den Grenzen der reinen Moralpbilojophie.
Protagoras von Abdera fing fein Bud) mit den Worten an: „Ob
Götter find, oder nicht find, davon weiß id nichts zu ſagen“).
Er wurde deshalb von den Athenienfern aus der Stadt und von feinem
Landbefiß verjagt und feine Bücher vor der öffentlihen Verſammlung
verbrannt (Quinctiliani Inst. Orat. lib. 3. Cap. 1). — Hierin thaten ihm
die Richter "von Athen als Menſchen zwar jehr unrecht; aber als
Staatsbeamte und Richter verfuhren fie ganz rechtlich und conje-
quent; denn wie hätte man einen Eid ſchwören können, wenn es nicht
öffentlich und gefeplidh von hoher Obrigkeit wegen (de par le Senat)
befohlen wäre: daß es Götter gebe**).
) „De Diis, neque ut sint, neque ut non sint, habeo dicere.“
»*) Biwar hat fpäter hin ein großer moralifch-gejeßgebender Weile dad Schwören
als ungereimt und zugleich beinahe an Blasphemie gremzend ganz und gar verboten;
allein in politifcher Rüdjicht glaubt man noch immer dieſes mechanischen, zur Berwal-
tung ber öffentlichen Gerechtigfeit bienlichen Mittels ſchlechterdings nicht entbehren
zu können und hat milde Uuslegungen ausgedacht, um jenem Berbot auszumeichen.
— Da es eine Ungereimtheit wäre im Ernſt zu jchwören, daß ein Gott jei (weil man
dieſen fchon poftulirt haben muß, um überhaupt nur jchwören zu fönnen), jo bleibt
noch bie Frage: ob nicht ein Eib möglich und geltend jei, da man nur auf ben Fall,
daß ein Gott fei (ohne wie Protagoras barüber etwas auszumachen), ſchwöre. — In
ber That mögen wohl alle reblih und zugleich mit Bejonnenheit abgelegten Eibe in
feinem anderen Sinne gethan worben jein. — Denn daß einer jich erböte jchlechibhin
zu beihwören, daß ein Gott ſei: jcheint zwar Fein bebenfliches Anerbieten zu jein, er
mag ihn glauben ober nicht. Iſt einer (wirb ber Betrüger jagen), jo habe ichs ge-
troffen; ift feiner, fo zieht mich auch feiner zur Verantwortung, und id) bringe mid)
durch foldhen Eid in feine Gefahr. — Iſt denn aber feine Gefahr babei, wenn ein
-
folder ift, auf einer vorjeglichen und, jelbft um Gott zu täufchen, angelegten Lüge
betroffen zu werben?
23
=
in
=
Dos Formale aller Religion, wenn man fic jo erflärt: fie ſei „der
Inbegriff aller Pflichten als (instar) gotilicher Gebote", gehört ;
ſophiſchen
is a ne —
wird laden od nicht zur Wikht gepen Cora) Geil
ss cin auer anferr Dee rifirendes Befn gemakt, indem wir biebei
von der Eriftenz deijelben noch ans Ne Menſchenpflichten
ä diefem Hormalen (der Beziehung derjelben auf einen göttlichen, a pri
defien Willen (von dem die allgemein geiehgebende Vernunft mir der
Sprecher ift), nämlich) Gott, dabei zu denlen. — — Allein diefe Richt
in Anjehung Gottes (eigentlich der Idee, welche wir uns bon einem
ſolchen Wejen machen) ift Pflicht des Menſchen gegen ſich felbft, d: i. nicht
objective, die Verbindlichkeit zur Leiftung gewiffer Dienfte an einen Aude⸗
ren, jondern nur jubjective zur Stärkung der morallfden Trtebfeber in
unferer eigenen gejeßgebenden Vernunft.
Was aber das Materiale der Neligion, den Inbegriff ber Pflichten
gegen (erga) Gott, d. i. den ihm zu leiftenden Dienft Cad praestandum),
anlangt, fo würde fie befondere, von der allgemelngelepgebenden Vers
nunft allein nicht ausgehende, von uns alſo nicht a priori, fondern nur
empirifch erfennbare, mithin nur zur geoffenbarten Religion nebdrende
Pflichten als göttliche Sebote enthalten können; bie alfo aud) bas Dafein
diejes Wefens, nicht blos die Idee von demfelben in praltifher Abſicht,
nicht willfürlich vorausfeßen, fondern als unmittelbar (oder mittelbar) In
der Erfahrung gegeben dargelegt werden könnte. ine folde Rellglon
aber würde, fo gegründet fie ſonſt auch fein möchte, doch feinen Theil der
reinen philofophifhen Moral ausmaden.
Religion alfo, als Lehre der Pflihten gegen Bott, Liegt jenfeit
488 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre.
aller Grenzen der rein-philoſophiſchen Ethik hinaus, und das dient zur
Rechtfertigung des Verfafjers des Gegenmwärtigen, daß er zur Vollftändig-
feit derjelben nicht, wie es fonft wohl gewöhnlich war, die Religion, in
jenem Sinne gedadht, in die Ethik mit hinein gezogen hat.
Es kann zwar von einer „Religion innerhalb den Örenzen der
bloßen Vernunft,“ die aber niht aus bloßer Vernunft abgeleitet, jondern
zugleih auf Geſchichts- und Dffenbarungslehren gegründet ift und die
nur die Übereinftimmung der reinen praktiſchen Vernunft mit den-
jelben (daß fie jener nicht widerftreite) enthält, die Nede fein. Aber als-
dann ift fie auch nicht reine, fondern auf eine vorliegende Geſchichte an=
gewandte Religionslehre, für welche in einer Ethik, als reiner praf:
tiſchen Philoſophie, fein Platz ijt.
Schlußanmerkung.
Alle moraliſche Verhältnifje vernünftiger Weſen, welche ein
Princip der Übereinftimmung des Willens des einen mit dem des
anderen enthalten, laſſen fi auf Ziebe und Achtung zurüdführen
und, fofern dies Princip praktiſch ift, der Beitimmungsgrund des
Willens in Anjehung der erfteren auf den Zweck, in Anjehung des
zweiten auf das Recht des Anderen. — Iſt eines diejer Weſen ein
joldyes, was lauter Rechte und feine Pflihten gegen das andere hat
(Gott), hat mithin das andere gegen das erſtere lauter Pflichten und
feine Rechte, jo ift das Princip des moraliſchen Verhältnifjes zwi:
Ichen ihnen transjcendent (dagegen das der Menſchen gegen Men
chen, deren Wille gegen einander wechſelſeitig einſchränkend ift, ein
immanentes ‘Princip hat).
Den göttlihen Zweck in Anjehung des menjhlichen eſchlechis
(deſſen Schöpfung und Leitung) kann man ſich nicht anders denken,
als nur aus Liebe, d. i. daß er die Glückſeligkeit der Menſchen
jei. Das Princip des Willens Gottes aber in Anjehung der ſchul—
digen Achtung (Ehrfurdt), weldhe die Wirkungen der erjteren ein:
ſchränkt, d. i. des göttlichen Rechts, fann fein anderes fein als das
der Gerechtigkeit. Man könnte fid) (nad; Menſchenart) auch fo
ausdrüden: Gott hat vernünftige Wejen erichaffen, gleihjfam aus
dem Bedürfnijje etwas außer ſich zu haben, was er lieben fünne,
oder aud) von dem er geliebt werde.
_
=
—
5
25
35
Beſchluß der ganzen Ethik. 489
Aber nicht allein eben jo groß, fondern noch größer (meil das
Princip einſchränkend ift) ift der Anfprud), den die göttliche Gerech—
tigfeit im Urtheile unferer eigenen Vernunft und zwar als ftra-
fende an uns madt. — Denn Belohnung (praemium, remune-
ratio gratuita) bezieht ſich gar nicht auf Gerechtigkeit gegen Weſen,
die lauter Pflichten und feine Rechte gegen das andere haben, jondern
blos auf Liebe und Wohlthätigkeit (benignitas); — noch weniger
fann ein Anſpruch auf Zohn (merces) bei einem ſolchen Weſen ftatt-
finden, und eine belohnende Gerechtigkeit (iustitia brabeutica)
ift im Berhältniß Gottes gegen Menſchen ein Widerjprud).
Es ift aber doch in der Sdee einer Gerechtigkeitsausuübung eines
Weſens, was über allen Abbrud; an feinen Zwecken erhaben ift,
etwas, was fid) mit dem Verhältnig des Menſchen zu Gott nicht
wohl vereinigen läßt: nämlidy der Begriff einer Läſion, welde an
dem unumfchränften und unerreihbaren Weltherrſcher begangen wer:
den könne; denn bier ift nicht von den Rechtsverletzungen, die Men-
Ichen gegen einander verüben und worüber Gott als ftrafender Rid)-
ter entjcheide, jondern von der Verlegung, die Bott jelber und feinem
Recht widerfahren jolle, die Nede, wovon der Begriff transſcen—
dent iſt, d. i. über den Begriff aller Strafgeredhtigkeit, wovon wir
irgend ein Beifpiel aufitellen können, (d. i. der unter Menſchen),
ganz hinaus liegt und überſchwengliche Principien enthält, die mit
denen, weldye wir in Erfahrungsfällen gebraudgen würden, gar nicht
in Zufammenftimmung gebracht werden können, folglich für unjere
praftifche Vernunft gänzlicd) leer find.
Die Idee einer göttlihen Strafgerechtigfeit wird hier perjonifi=
eirt; eg ift nicht ein bejonderes ridhtendes Wejen, was fie ausübt (denn
da würden Widerſprüche defjelben mit Rechtsprincipien vorfommen),
fondern die Gerechtigkeit gleid als Subſtanz (jonjt die ewige
Gerechtigkeit genannt), die wie das Fatum (Verhängniß) der alten
philofophirenden Dichter noch über dem Jupiter ijt, fpridht das
Recht nad) der eifernen, unablenfbaren Nothwendigfeit aus, die für
uns weiter unerforſchlich ift. — Hievon jebt einige Beifpiele.
Die Strafe läßt (nad) dem Horaz) den vor ihr ftolz ſchreitenden
Verbrecher nicht aus den Augen, jondern hinkt ihm unabläjfig nach,
bis fie ihn ertappt. — Das unſchuldig vergofjene Blut jhreit um
Race. — Das Verbreden fann nicht ungerächt bleiben; trifft die
40
Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre.
Strafe nicht den Verbrecher, jo werden es feine Nachkommen ent:
gelten müflen; oder geſchiehts nicht bei feinem Leben, jo muß es in
einem Leben nad) dem Tode*) geſchehen, welches ausdrüdlid) darum
aud angenommen und gern geglaubt wird, damit der Anjprud) der
ewigen Gerechtigkeit ausgeglichen werde. — Ich will feine Blut»
ſchuld auf mein Land kommen laffen, dadurd) daß id) einen boshaft
mordenden Duellanten, für den ihr Fürbitte thut, begnadige, ſagte
einmal ein wohldenfender Zandesherr. — Die Sündenjhuld muß
bezahlt werden, und follte ſich aud ein völlig Unſchuldiger zum
Sühnopfer hingeben (wo dann freilidy die von ihm übernommene
Leiden eigentlich nit Strafe — denn er hat jelbjt nichts verbrochen
— heißen könnten); aus weldem allem zu erjehen ift, daß es nicht
eine die Gerechtigkeit verwaltende Perſon ift, der man diejen Ver—
urtheilungsſpruch beilegt (denn die würde nicht jo ſprechen fönnen,
ohne Anderen unrecht zu thun), jondern daß die bloße Geredhtigfeit,
als überjchwenglidhes, einem überfinnlien Subject angedadhtes
Princip, das Necht dieſes Weſens beftimme; welches zwar dem For—
malen diejes Princips gemäß ift, dem Materialen defjelben aber,
dem Zweck, welder immer die Glüdjeligfeit der Menſchen ift,
wiberjtreitet. — Denn bei der etwanigen großen Menge der Ber:
bredher, die ihr Schuldenregifter immer fo fortlaufen lafjen, würde
die Strafgerechtigfeit den Zweck der Schöpfung nidht in der Liebe
des Welturhebers (wie man fid) doc denken muß), fondern in der
ftrengen Befolgung des Rechts ſetzen (das Recht jelbit zum Zweck
machen, der in der Ehre Gottes gejeßt wird), welches, da das Letz—
tere (die Gerechtigkeit) nur die einfchränfende Bedingung des Erjte-
ren (der Gütigfeit) ift, den Principien der praftiihen Vernunft zu
*) Die Hypotheie von einem Fünftigen Peben barf bier nicht eimmal einge
mijcht werben, um jene brohende Strafe als vollftändig in ber Vollziehung vor-
auftellen. Denn ber Menſch, feiner Moralität nad) betrachtet, wirb als überfinnlicher
Gegenſtand vor einem überfinnlichen Richter nicht nach Zeitbedingungen beurtheilt;
es iſt nur von feiner Eriftenz die Rede. Sein Erdenleben, es fei kurz ober lang, ober
gar ewig, ijt nur das Dajein befjelben in ber Erfcheinung, und ber Begriff ber Gerech—
tigfeit bebarf feiner näheren Beitimmung; wie denn auch der Glaube an ein fünftiges
Leben eigentlich nicht vorausgeht, um die Strafgerechtigfeit an ihm ihre Wirkung ſehen
zu laffen, jondern vielmehr umgekehrt aus ber Nothwendigkeit der Beitrafung auf ein
fünftiges Leben bie Folgerung gezogen wird.
5*
am
Beſchluß ber gangen Ethil. 40]
zotberfpregen icheint, nach welchen eine Weltſchoöpfung hätte unter-
bleiben müffen, dic em ber Abſicht ihres Urhebers, Die nur Liebe
zum Grunde haben taım, fo wiberftreitendes Rroduet geliefert haben
würde.
Man tet Hieraus: vaß in ber Ethll, als reiner praftifiher Phi⸗
wiophie der inmeren Gefetzgebung, nur die moralifihen Verhältniffe
de Menſchen gegen den Menſchen fin uns vepreiflich find: was
aber zwitdyen Bott und dem Menſchen hierüber fr ein Nerhältni
obwalte, bie Grenzen berjelben ginzlich überfteipt und uns ſchlechter
dings unbegreiflich ift; wodurch dann betätigt wird, was oben de⸗
bauptet ward: dag die Ethit fich wicht über Die Mrengen der werhfel-
Zafel
der Eintheilung der Ethik.
I. Ethiſche Elementarlehre.
Erfter Theil.
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt. 5
Erftes Bud.
Bon den volllommenen Pflihten des Menſchen gegen fi jelbit.
Erftes Hauptftück.
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt als animalifhes Wejen.
Zweites Hauptftüd. 10
Bon den Pflichten des Menſchen gegen fich felbit, blos als moraliſches
Mejen.
Erſter Abſchnitt.
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt als angebornen Richter
über fich ſelbſt. 15
Zweiter Abſchnitt.
Vom erften Gebot aller Pflichten gegen fi) jelbft.
Epifodifher Abſchnitt.
Bon der Ampbibolie der moraliihen Reflerionsbegriffe in Anfehung
der Pflichten gegen fich jelbft. »
5
0
Tafel der Eintheilung der Ethik. 493
Zweites Bud.
Bon den unvollfommenen Pflichten des Menfchen gegen fidh felbft in
Anfehung feines Zwecks.
Erſter Abſchnitt.
Bon der Pflicht gegen fidh ſelbſt in Entwidelung und Vermehrung
jeiner Naturvollkommenheit.
Zweiter Abſchnitt.
Bon der Pflicht gegen fich ſelbſt in Erhöhung feiner moralifchen
Vollkommenheit.
Der ethiſchen Elementarlehre
Zweiter Theil.
Von den ethiſchen Pflichten gegen Andere.
Erſtes Hauptſtück.
Von den Pflichten gegen Andere blos als Menſchen.
Erſter Abſchnitt.
Von der Liebespflicht gegen andere Menſchen.
Zweiter Abſchnitt.
Von der Pflicht der Achtung für Andere.
Zweites Hauptftüd.
Bon der Pfliht gegen Andere nah Verſchiedenheit ihres Zuſtandes.
Beſchluß der Elementarlebre.
Bon ber inniglichen Vereinigung der Liebe mit der Achtung in der Freundſchaft.
Il. Ethiſche Methodenlehre.
Eriter Abſchnitt.
Ethiſche Didaktik.
Zweiter Abſchnitt.
Ethiſche Aſcetik.
Beſchluß der ganzen Ethik.
Anmerkungen.
Die Religion innerhalb der Grenzen
der bloßen Dernunft.
Herausgeber: Georg Wobbermin.
Einleitung.
1. In dem Begleitschreiben bei Übersendung eines Exemplars der Religion
innerhalb der Grenzen d. bl. B. an den Göttinger Tbeologie-Professor Carl
Friedrich Stäudlin hat Kant selbst die Stelle angegeben, welche diese Schrift
in seinem System einzunehmen bestimmt ist. Es heißt dort: Mein fehon jeit
geraumer Zeit gemachter Plan ber mir obliegenden Bearbeitung bes Feldes
der reinen Philofophie ging auf die Auflöfung der drei Aufgaben: 1) Was
fann ich wiſſen? (Metaphyſik.) D Was foll ih Ihum? (Moral) 3) Mas barf
ich hoffen? (Neligion); welcher zulegt bie vierte folgen follte: Was tft ber Menjc ?
(Anthropologie) — Mit beifommender Schrift habe die dritte Abtheilung meines
Plans zu vollführen gefucht, in welcher Arbeit mich Gewifienbaftigfeit unb wahre
Hochachtung für die chriftliche Neligion, dabei aber auch ber Grundſatz einer ge
ziemenden Freimüthigkeit geleitet hat, nichts zu verheimlichen, ſondern, wie id) die
mögliche Vereinigung der leßteren mit der reinften praftifchen Bernunft einzufehen
glaube, offen baraulegen.')
Die Publicationsgeschichte dieser religionsphilosophischen Hauptschrift
Kants, welche unter der Herrschaft des Wöllnerschen Religions-Edietes und des von
diesem im April 1791 als oberste Censurbehörde in Kirchen- und Schulsachen
eingesetzten Dreimänner-Collegiums (Hermes, Woltersdorf, Hillmer) verfaßt und
veröffentlicht wurde, ?) ist aufs engste mit den Uensurschwierigkeiten verknüpft,
die die preußische Unterriehts-Verwaltung dem Philosophen bereitete.
Kant hatte, wie er am 4, Mai 1793 an Stäudlin berichtet,?) ursprünglich beab-
sichtigt, das ganze Werk in 4 Stüden in ber von Biester herausgegebenen Berliner
Monatsjchrift?) erscheinen zu lassen. Nun hatten Ilerausgeber und Verleger der
1) Brief an Stäudlin vom 4. Mai 1793; XI 414.
) Vgl. Borrede zum Streit ber Bacultäten, VII Sf.
) Xl Als.
*) Genauer: Berlinische Monatsschrift,
Kant’d Shriften Were V]. 32
498 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft.
Monatsschrift sich schon Ende des Jahres 1791 entschlossen, dieDrucklegung statt in
Berlin in Jena besorgen zu lassen; denn „auswärts drucken zu lassen, ist niehier ver-
boten gewesen“'). Damit waren sie der Nothwendigkeit ausgewichen, die Artikel
der Monatsschrift der Berliner Censur vorlegen zu müssen. Das wäre also an sich
auch nicht nöthig gewesen, als Kant für das März-Heft 1792 seinen Aufsatz Über
bas rabicale Böfe in der menſchlichen Natur (denn nur so lautet die ursprüngliche
Überschrift) einsandte. Indess in einem besonderen, leider verloren gegangenen
Schreiben an Biester?) bat Kant ausdrücklich, sein Manuscript der Berliner Censur
einzureichen. Er wollte, wie es in Borowskis (in diesen Worten wohl authentischem)
Bericht über „Kants Censurleiden“ 9 heißt, „durchaus auch nicht den Schein einmal
haben, als ob er einen literarifchen Schleihweg gerne einfchlüge und nur bei ge-
fliffentlicher Nusweichung der ftrengen Berlinifchen Genfur jogenannte fühne Dieinungen
äubere”.*) Allerdings fürchtete Kant schon, er habe zu spät von dem Wechsel
des Druckorts gehört, sein Manuseript sei bereits nach Jena gesandt. „Durch
einen Zufall“ lag es aber noch bei Biester, da dieser den Aufsatz erst im April-
heft bringen wollte. Biester entsprach also — wenn auch offenbar nicht gerne —
dem Wunsche Kants und erhielt schon Tags darauf das Manuscript von Hillmer,
der es — weil moralischen Inhalts — zu beurtheilen hatte, mit der Druck-
erlaubniss und dem Bescheid zurück, „er [finde] nach sorgfältiger Durchlesung diese
Schrift, wie dieübrigen Kantischen, nur nachdenkenden, Untersuchungs- und Unter-
scheidungsfähigen Gelehrten, nicht aber allen Lesern überhaupt, bestimmt u,
genießbar.*°)
Das zweite Stüd aber war nicht ebenso glücklich.) Kant hatte wieder
„durchaus* auf die Überweisung an die Censurbehörde in Berlin gedrungen.”) Dies-
mal antwortete Hillmer: „Da es ganz in die bibl. Theologie einschlage, habe er es,
seiner Instruction gemäß, mit seinem Collegen HEn Hermes gemeinschaftl. durchge-
lesen, u. da dieser sein Imprimatur verweigere, trete er diesem bei.*”) Biester
wandte sich sofort-an Herınes, erbielt aber nur die Antwort: „Das Rel.-edikt sei
) Joh, Erich Biester an Kant, d. 6. März 1792; XT315 (vgl. auch XI 451).
”) Vgl. in dem unter ') genannten Briefe XI 316.
3) Von Borowski als 4te Beilage seiner „Darstellung des Lebensund Charakters
I. Kants“ mit der Vorbemerkung —25 „Von K. an mich, als Beitrag zu
meine[n] in Hinsicht auf seine Biographie gesammelten Miscellaneen, milge-
—— hier aus der Handschrift abgedruekt.“ Vgl. a. a. O. 8. 283. und
9 Zur ER vgl. Emil Arnoldt, Beiträge zu dem Material der Ge-
schichte von Kants Leben ur Schrifistellerthätigkeit. in Bezug auf seine — ————
lehre u, seinen Conflict mit der Preußischen Regierung, Altpreuß. Monats-
schrift, 1898, XXXIV, 8. 346,
») XI 316.
©) XI 415.
) Vgl. Biesters Brief vom 18. Juni 1792; XI 529. Unter dem 30. Juli 1792, XI
336, begründet Kant Biester gegenüber seinen Standpunkt,
#) Biesters Brief vom 18. Juni 1792; XI che — Vgl. Kant an Stäudlin,
XI 415.
— #
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499 $
hierin seine Richtschnur, .“)) Anch ein
— — — re EEE
— ——— um 3. Sal, „AnB 'oiee Deniwerte
worden und es bei dem ihm verweigerten Imprimatur sein
Einleitung.
Verbleiben
PAR BB u Ja ee EEE nn En
weil er einen — a EVER, Teen
4) XI 330, Ausführlich bei R. Fromm, I, Kant ı. die preußische Conwur,
Lei 1894, F 261.
rn a. 0, 8. 28M
J— vgl. wski, 0 m 0.8. 79,
5) d. hei preußischen.
te
X1 344, Dieser Entwurf des Schreibens an den Decan einer theolopischen
Facultät ist erstmalig von W, Dilthey im Archiv 1, Gesch. 4, Philos, IL,
8. 429. (1890) zusammen mit zwei Entwürfen zur Vorrede der ganzen Sehrl
publieirt worden, — Ir außerdem den Brief an Ständlin, XI 415, Daß sich
Kant an die theologische Faenltät in Königsberg —— hat, ist die nächst-
liegende — der keine Indieien widersprechen; direet belegt ist ale aber
bisher nicht, Doch sprechen die — im Binzelnen freilich recht ungenauen — Dar-
stellungen von Borowski u, Schubert (in seiner Biographie Kants 1842) sehr stark
ür.
9 Vgl. XI 41b.
32*
500 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.
ben Titel zu verrathen.') Am 28. Febr. 1793 war der Druck zur Hälfte vollendet, )
am 20. März stand das Erscheinen zur Östermesse fest.?)
Noch im Lauf desselben Jahres beabsichtigte Prof. Grillo in Berlin, „ein
Mann von 60 Jahren, einen Auszug aus [Kants Schrift] drucken zu lassen“,
wurde aber von Hermes, der ihm „wie einem Schulknaben Knittel am Rande
des Msc.* machte, daran gehindert.%) Im übrigen vgl, man Kants Vorrede und
die Einleitung‘) zum Streit der Facultälen.
2. Manuseript und Drucke, Die Schrift ist, abgesehen von einigen aller-
dings nicht unbedeutenden Lücken im vierten Stück, handschriftlich erhalten, und
zwar — entsprechend der Publicationsgeschichte — in zwei Theilen.
Für Stück I besitzt der „Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen“
zu Prag das Manuscript, das als Druckvorlage für die erste Veröffentlichung in
der Berlinischen Monatsschrift diente. Es sind 7!/, Doppel-Blätter (nebst einer nur
einseitig beschriebenen Beilage zum dritten Doppelblatt) in Quart-Format; also
31 beschriebene Quart-Seiten. Am Schluß der letzten findet sich die eigenhändige
Unterschrift? I. Kant — links daneben: Königsberg. Der Haupttext ist
nicht von Kant selbst geschrieben, wohl aber stammen von seiner Hand viel-
fache Correeturen und Zusätze. Daß dies Manuseript die Druckvorlage der
Monatsschrift gewesen ist, beweisen folgende Momente: Dem ganzen Aufsatz
ist die Ziffer 2 vorgesetzt; die Überschrift lautet einfach: Über das rabicale
Böfe in der menſchlichen Natur; neben der Überschrift befindet sich Millmers
Gensurvermerk; die Seitenumbrechungen der Monatsschrift sind am Rande
markirt
Das Manuscript der Stücke II—IV erster Auflage ist kürzlich aus dem
Nachlaß R, Reicke’s in den Besitz der Königsberger Universitäts- Bibliothek
übergegangen. Es umfaßt 66 Seiten in Folio, ‘von denen die ersten 20 das
zweite Stück, die folgenden 30 das dritte Stück enthalten. Die letzten 16 Folio-
Seiten bieten zwei Fragmente des vierten Stückes, nämlich vom Anfang desselben
bis zu den Worten: &8 ift ber lebter[en vielmehr vortheilhaft] — S. 157, 2.5.6:
und sodann von den Worten [allmählich bie moralifche Bildung der Menſchen —
S. 176 2. 4. 5 bis zum 6ten Absatz der allgemeinen Anmerfung, wo das Manuseript
mit den Worten: 4) Die Erhaltung dieljer Gemeinſchaft) = 8. 195, Z. 13/14
abbricht. — Die Blätter tragen das Vidi von Hennigs; auch sie sind von fremder Hand
geschrieben (das dritte Stück von einer anderen, als das zweite und vierte), von
Kant aber sorgfältig überarbeitet.
Beide Manuscripte durfte der Herausgeber durch das freundliche Entgegen-
kommen ihrer Besitzer benutzen.
n) xi 385.
®) Yet. "Schillers Nachricht an G. Körner; Schillers Briefe (ed. F. Jonas) III 287.
Schiller an Fischenich; a. a. O. III 305f.
) Carl Christian Kieseweiter an Kant am 23. XI. 93; XI 451.
vi 337£.
je See or 4
—— Friebrid * nu * 1 793 X —
Emendenda —— Anmut in
plaren verbessert ist. — en ese u and
Exemplar zugrunde.) En ee
Naehdrucke erschienen: >» 6 u
.— — Frankfurt u. Leipzig, 1793. 24 a
2.— — Neuwied, 1793. ⸗ — —
3. — — Neue Auflage. Frankfurt u. Leipzig, 1794. u i
Ein Auszug erschien unter dem Titel: Kants Theorie der rein moralischen
Religion mit Rücksicht auf — — —*
Hartknoch 1796. (en EEE N ri
— er wo ua
1320.05 des —— m D. Store —
(1746—1805), seit 1775 a. 0. Prof. ee Tata | |
Prof, ‚der — ** ebendort — —— — ———
öffentlichten Annotationes gegen Kant, die Süsskind im folgenden Jahre deutsch
1330 in den — Nachrichten. 1330] Neueste Critische Nachrichten für das
Jahr 1793. Greifswald 1793, 8. 225—229, das Citat findet sich auf $. 226.
1924.) Horaz, Oden III. 6.
2015f,] Seneca, De ira Il. 13.1.
3030. dem Buchſtaben nach ... dem Geiſte nadj] wel. Rom Mer uni
2. Cor. del.
3053 Mas nicht usw.) vgl. Röm. XIV m.
32127] Horaz, Sat. I 3, 68, Br
338 (die Kapt. Hearne anführt)] Samuel Hearne (17451709, rwwerer
Bericht der Reiseergebnisse H.’s findet sich in: Des Onpimin I Wnek rn
Entdeckungsreise übers. von Forster, 1798 1, Einleitung 8 1A, Diewrunh-
lung, auf welche Kant anspielt, dort 8. Si 1.
') Über die Erscheinungszeit won
Körner vom 18, Mai 1794 (Jonas 111438).
502 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft.
3437 wie ein Witer fagte]. Von Kant auch ceitirt in dem Erſten Zujak
zum 2, Ubjchnitt von Zum ewigen Frieden. Dort wird das Citat ein Ausfpruch
jenes Griechen genaunt; es war leider nicht auffindbar.
3716 zu überwiegen] in H auf Kants eigene Hand zurückgehend; über-
wiegen transitiv gebraucht — das Übergewicht gewinnen über.
3851f. Ein Mitglied ,„.] Den Ausspruch soll Robert Walpole gethan haben.
394. Der Apoftel] Paulus, Röm. IIIoff.
429.21 „in Adam — haben“) Röm. Vis ist das dp’ ravres Ynaprov des
griechischen Textes (= !rı rourw drı x.r.A. — auf Grund dessen, daß) in der latei-
nischen Übersetzung (Vulgata) durch in quo omnes peccaverunt wiedergegeben
und dies in quo frühzeitig (zumal von Augustin im Interesse seiner Erbsünden-
lehre: in Adam omnes tunc peccaverunt, quando in eius natura illa insita vi,
qua eos gignere poterat, adhuc omnes ille unus fuerunt, De pecc, mer. et rem.
I1,7,14.) masculinisch = in Adam gedeutet worden. Diese Auslegung war denn
auch in der älteren protestantischen Exegese herrschend geblieben. Übrigens ver-
treten auch heute noch kritische Exegeten die Auffassung, daß im Sinne des
Paulus sachlich ein „in Adam“ zu ergänzen sei.
481 einen neuen Menjchen anzieht] Ephes. 424.
4830. Denn — verdient] Vgl. Evang. Luc. 1710,
4937 Phalaris — tauro]) Phalaris, Tyrann zu Agrigent, ließ sich für
Folterzwecke von dem Athenischen Kunsthandwerker Perill einen ehernen
Stier mit hohlem Leibe verfertigen, der durch untergelegtes Feuer glühend ge-
macht wurde, Das Citat aus Juvenal sat, III, 8sıf. von Kant auch gebraucht V 159.
und unten 3344.5.
5838 jener Kirchenvater] Augustin, dem die Tradition das in den uns er-
haltenen Schriften allerdings nicht nachweisbare, einer Richtung seiner Gedanken
aber entsprechende Wort zuschreibt: virtutes gentium splendida vitia.
5910, ein Apoftel] Paulus, Ephes. Vlauf. Die nachfolgende Mahnung v.
13. belegt das Wahrheitsmoment der Auslegung Kants.
6014.) vgl. Evang. Job, Iıff,
6020] Hebr. 1a.
6021] 1. Joh. IV io,
611] Evang. Joh, Iıa.
6116 Stand ber Erniedrigung ] Die dogmatische Christologie unterscheidet
in Anlehnung an Philipp. llefl,. zwei „Stände“: den Stand der Erniedrigung und
den Stand der Erhöhung (status exinanitionis, status exaltationis).
6513] Haller, Vgl. unten 397»9—22 und Erläuterung dazu.
6516.17) Evang. Joh. Illıs,
664.5] Evang. Joh, VIII.
6624f.] 3. Mos. Xlas, vgl. 1. Petr. [ıe,
672%f.] Evang. Matth. VIss, vgl. Evang. Luc. Xllst.
685f.] Röm. VIllte.
6818) Philipp. 12.
—— e —* ur cr «
ar 4J =“ ——
* — Bio ä All x I Da 2
rd — dogmati isch
Fr = ve; — u TE any Goal . re
7315. gleichwohl — Gendge ——— der oberste Grund-
r ki - | nstheorie, aus dem dann schon Anselm
die — das Wesen dis ehulstliahen: Gotivägliabens e
gezogen hat: aut poena aut satisfactio,
742.3.] Ephes. IV 22.24, Coloss. Illof.
74 12f. Röm. VIas, Galat, V24,
7433 Malebranche] Vgl. De la recherche de la verits Livre IV chap. XI.
7518] Röm. VIIII.
7850.) Evang. Matth. Vs. Eben diese Stelle hat Kant nach Hasse (letzte
Äußerungen Kants, Zweiter Abdruck, 8.27) am Buß- und Bettage des Jahres 1802
als einen jehr ſchicklichen Bußtert bezeichnet. Weiter heißt es a. a. O.: Er wollte
selbst über diesen Text einst als Candidat eine Predigt ausgearbeitet [aber nicht
gebalten] haben, die sich noch er en Aber bei
allem Nachsuchen wurde nichts g | ae >
und Missionar in Kanada. Er schrieb „Histoire et desiriptien — “ ia
Nouvelle-France“ Paris 1744. 3 vol. Vgl. V 204 mf.
80 10f.] vgl. Evang. Joh. XIV,
8029 Hypotheſe der Epigenefis] Vgl. Kritif der Urtheilsfraft $ 81.
8120 D. Bahrdt] Karl Friedrich B., 1741—1792. Populärster, aber auch
unwürdigster Vertreter des sog. vulgären Rationalismus. Vgl. zur Stelle sein
„System der moralischen Religion zur endlichen Beruhigung für Zweifler und
Denker. Allen Christen und Nichtehristen lesbar“, Berlin 1887, Kap. IX, X.
Von der Autorität Jesu, philosophisch geurtheilt, wo es zusammenfassend 8. 64
heißt: „Wahrbaftig so frei hat noch niemand sein Schicksal gewählt, so absichtlich
hat kein Märtyrer der Wahrheit seine Hinrichtung veranstaltet. Und eine fühl-
lose Seele muß es sein, die nicht hier mit starrer Verwunderung gesteht, daß
kein Mensch sich ja so eigentlich selbst für den Zweck der Menschheit hinge-
opfert hat, wie Jesus.“
SIT Der Wolfenbüttelſche Rragmentift] vgl. das siebente Wolfenbättler
Fragment nebst Lessings Vorrede; vgl. auch E. Arnoldt, Kritische Exeurse, Königs-
berg 1894 8. 255 .
82 20) Evang. Joh, Luf.
8226f.] 1. Timoth. Vlıe.
835 Fürft diefer Welt] vgl. Evang. Joh. XIlat, XIV, XVIu,
8328f.] Evang. Matt. XVlıs,
844f.] Evang. Marc. IX,
Anmerkungen.
Die Neligion innerhalb der Grenzen
der bloßen Vernunft.
Herausgeber: Georg Wobbermin.
—
—*
H
5;
3
diesem im April 1791 als oberste Censurbehörde in Kirchen- und Schulsachen
eingesetzten Dreimänner-Collegiums (Hermes, Woltersdorf, Nillmer) verfaßt und
veröffentlicht wurde,?) ist aufs engste mit den Censurschwierigkeiten verknüpft,
die die preußische Unterrichts-Verwaltung dem Philosophen bereitete,
Kant hatte, wie er am 4. Mai 1799 an Stäudlin berichtet, ?) ursprünglich beah-
sichtigt, das ganze Werk in 4 Städten in der von Biester herausgegebenen Berliner
Monatöjchrift*) erscheinen zu lassen. Nun hatten Herausgeber und Verleger der
!) Brief an Stäudlin vom 4. Mai 1798; XI 414.
> Y R in zum Streit der Racnltäten, VII Sf,
y2 15.
) Genauer: Berlinische Monatsschrift.
Kant'd Shriften Werke V]. 32
Lesarten. r 509
wohl? wirb Kehrbach Was meint der Leſer wohl: wird Vorländer. Da was Object
zu dem nachfolgenden urtheilen ist, so ist dns Semikolon Kants zu streichen, nicht
aber durch ein Kolon oder Fragezeichen zu ersetzen. Dagegen sind die einge-
schobenen Worte meint ber Leſer wohl in Kommata einzuschließen || 791.2 er
— er] HA. Eine masculinische Bezeichnung des böjen Wejens, die Kant in Ge-
danken vorausnimmt, ist in Wirklichkeit allerdings nicht vorausgegangen || 82 in
ihrer) A® in ihrer ganzen HA’. ganzen dürfte von Kant als überflüssiger Pleonasmus
absiehtlich gestrichen sein || 82» fonnte] A? kann HA'. Formte ist logisch correcter,
also wohl von Kant absichtlich für fann eingesetzt || 8210 feinen] A* ihren HA! ||
836 fich immer] A immer Vorländer || 83 s machen]) Wobbermin fein HA Vorländer ||
Ss A® zu ergänzen HA' || 84% Revolution] HA Religion?
Kirchmann. Die Änderung scheint durch das vorangehende Beiwort neue nahe-
gelegt zu werden, doch ist sie um der folgenden Worte willen abzuweisen.
Denn wenn hier gesagt wird, daß die Religion bes bloßen Gultus und ber
jehung war, ansgelegt werden darf, so fordert der Ausdruck „ber Endzwed ber
Borjehung in ber leptern“ als Beziehungswort für die letztere nicht die neue
Religion selbst, sondern das Ereigniss, durch welches dieselbe eingeführt worden
ist || 8428 beftreiten] HA im Sinne von „umstreiten*, „zum Gegenstand des Streites
machen“, nicht aber in der negativen Bedeutung — ableugnen || 85% Seele]
A? H Menfchen Erele A! || 8520.21 Alters] A? Alters zwar HA'. In H ist das
zwar allerdings von Kant selbst nachträglich hinzugefügt worden; trotzdem wird
es in A? von ihm selbst wieder gestrichen worden sein, um die unnütze Wieder-
holung zu vermeiden || 85 27 ba fie dodj] A? fehlt in HA! || 86 ı die alten Wunder)
A? bie Alten HA! || 86 10 ihm) HA scil. Gott: auf das Folgende comftruirt || 86 77
daß] A? baf alles HA! |) 88 10-12 Uber daß man durch — und fo] A? Daß aber
recht feit Wumder theoretiich zu glauben, fie auch wohl gar felbft bewirfen, umd
man jo H Daß aber die Gabe — recht feſt an Wunder theoretiich zu glauben, fie
uad wohl gar jelbft bewirken, und man jo A'. In H ist das man erst nachträglich
von Kant selbst hinzugefügt, so daß ursprünglich der Infinitiv „recht feſt Wunder
theoretiich zu glauben“ als Subject zu bewirken und den Himmel ftürmen gedacht
war | — ba — wird] A? werben, durch Wunders aber daſſelbe nieder»
geichlagen wirb HA! |) 8934 demüthige] U demüthigende A. Die Lesart demüthige
geht nicht nur auf H, sondern auch auf Kants eigene Hand zurück; denn die
Anmerkung schloß in N ursprünglich mit dem Wort Bermefjenbeit, die übrigen
Schlußworte sind erst von Kant selbst hinzugefügt |]
93 18 und darin erhalten] HA seil. und ihn || 941 die] A? fehlt HA! || 947
fönnten] A? können A? fein Mittel ausgefunben werden Fünnte I || 940 als eine]
A? als fehlt in HA! und ist auch im Druckfehlerverzeichniß von A' nicht hinzu-
gefügt, obgleich dieses zu der Lesart des Textes feine im Menfchen dahin abawedende
Bereinigung eine beftehende die Bemerkung macht: „die Worte feine und dahin
(sind) auszustreichen und nach Bereinigung ein Comma zu setzen* || 9415. 10
510 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft.
binwirfen können, — einjehen] A? hinwirken fönnen — einfehen fünnen HA! hin-
wirfen — einfehen fünnen Kehrbach. Kant hat offenbar absichtlich das zweite
fünnen aus sprachlichen Rücksichten gestrichen, da es sachlich entbehrlich ist.
Das erste fünnen ist dagegen für den Sinn des Satzes unentbehrlich und wird
also von Kehrbach mit Unrecht gestrichen || 952 ihre] A® feine A! || 955 fie
zu] A? fie jemald zu HA. Vorländer setzt das jemals aus A! in den Text mit
der Begründung: „jemals ist in der 2. Auflage ausgefallen“. Es scheint indes
eine absichtliche Streichung vorzuliegen, da das vorhergehende nie das nach-
folgende jemals thatsächlich überflüssig macht || 96 ı7 bie] fehlt in HA! |] 96 =s
auch] HA! fehlt in A®, scheint versehentlich ausgefallen zu sein, da das aud)
die beabsichtigte Vergleichung deutlicher hervorhebt |] 971.2 Befehdung — Böje]
H statt bas Böſe „das böſe“ A', die Worte bes 'guten Princips, das in
jedem Menſchen liegt fehlen in A®, wo zugleich wieder für bas böje „bas
Böfe* eingesetzt ist. Kant hat die Schwerfälligkeit der Periode von A! für A?
durch die vorgenommene Streichung beseitigen wollen, dabei aber übersehen,
dal nun in A? das in ihm beziehungslos wird. Ich habe daher den Text von A!
oder genauer von H wiederhergestellt, denn daD Kant das Böje, nicht bas böfe
(Prinzip) gelesen wissen wollte, beweist die Übereinstimmung von H und A? || 975
jedes] H jenes A || 976 ſich] Hartenstein fie HA || 97» ferner) fehlt in HA! || 97 ın
befleißigen foll] befleißigt A! || 9724 derfelben] HA auf vernünftige Weſen [oben
Z. 19] zurückzubeziehen || 97 30 (des — berfelben)] A*? (ihres Erwerbs ober Er-
haltung nach) HA! || 9732 recht] HA? Ruhe A! || 9753 in] HA? mit A! || 9830
in] A® fehlt in HA! || 9832. 32 (welche — Tann) Hartenstein (welche eiwas Inner-
fiches ift) mithin — kam HA. Die Worte mithin — fann gehören mit zur
Parenthese und sind also mit in die Klammer hereinzunehmen || 99 ı welches]
A: welche HA! || 99 10 zu laffen] HA! Taffen A? || 10020 finnlichen) HA! fittlichen
A® || 10lır.ı# die — weldje] Vorländer die Gemeinde, welche unter ihren
Obern HA. Die Aussage des Relativsatzes welche etc. bezieht sich ausschließlich
auf die Obern, die Umstellung der Worte ist daher nothwendig || 1028 in]
A® als bag in H als in A! || 103» Aberjinnlicher] Neues theolog. Journal finnlicher
HA || 103 10 body — Gehorfam]) A? baburdy HA! || 10320 gegen feine Befehle]
A? ımter feinen Befehlen HA! || 10425 jelbft] fehlt in HA! || 1059 Glaubens]
A? fehlt HA ' || 105 31 Murpation — Anfehens] A? ein ufurpirtes Anfehen HA! ||
10537 1061 gehörig vorbereiteten] A? gewöhnlichen vorbereitenden HA ' |] 10611, ı=
vermittelft — ums] vermittelft der Vernunft und] HA! || 106 eı ihn] A? ihm HAP |)
107 5 forbert] H förbert A || 1070 Eimwürfe] A? Zweifel HA' || 107 12 beftimmten]
A? beftellten HA! || 10720 Behifeln] A? Vehikel HA! || 10721 kann] A*® fünnen
HA! || 10723 baffelbe] A? fie HA! |) 10733 wir alfo] A? man alfo HA! || 1088
biefem] Vorländer diefen HA. Kant construirt biefen auf den im Singularbegriff
bad große Publicum beschlossenen Plural „die gemeinen Leute“, Doch ist in
diesem Falle die Änderung unabweislich, weil der Neutralbegriff die zu ergänzende
ıasculinische Pluralforn nicht ohne weiteres an die Hand giebt |] 108% ihr]
A ihnen H || 108 31 vornehmlich — auöbreitet] fehlt HA! || 1096 despotiſche]
512 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bermunft.
strnetionen ist bei Kant nicht selten || 13331 da] A? fo, baß HA! |} 13336 eben dad-
jenige] A? es eben, bem MH eben, baß A! |] 13339 daS] HA! fehlt A? ||
A® jener MA] 1352 eine] fehlt in M |] 1352. 3 gängliche Verzichtihuung TA
liche Verzicht A! |} 1354 Klammerzeichen nach kann H fehlt A, ee
ade || 13538 dann ſchon jet] HA, fchon fehlt in A® und ist auch von Vor-
länder nicht in den Text aufgenommen worden. Da es durchaus sinngemäß ist,
wird es in A® versehentlich ausgefallen sein || 1853 arbeiten] A uns . . . be-
arbeiten U (wohin wir ums denn ſchon jeht . . . fleißig bearbeiten jollen) || 1366
der Ghiliasm] HA! des Chiliasm A? || 1364 nadh) Vorländer vor A®. || 1873 ihre
innere] Wobbermin (bestätigt durch II) ihrer innern A. H hatte ursprünglich:
bie Nachforſchung ihrer inneren Bejchaffenbeit, diese Worte hat aber Kant ge-
ändert in: das Nachforichen hinter ihre innere Beſchaffenheit, wobei allerdings
die Wortenden von ihre und innere sehr undeutlich geworden sind || 1877
innerlich] fehlt HA! |) 13710 äußerlich und] fehlt MA! || 13730 ihrer — ihnen]
die Pluralformen in Rückbeziehung auf den Colleetiv-Singular „das Volk* |]
13811 finde) A*® finden HA! || 13915 (feine Natur)] fehlt HA! |] 13920 Geheim
haltung) HA! Gebeimnißhaltung A? || 13936 eiwa] fehlt in HA!|| 13957 fein
möchte] ift HA! || 1408.90 im einem und demjelben] 42 in einem einigen IIA' |)
140 11 müßte] mußte HA! || 14019 wie] A? fo wie HA! || unferm HA zu unſerm
Vorländer: im Sinne Kants, doch unnöthig || 140% vorgeſtelli) A!
wirb MA! || 14120.2 für welche bie) A? für die die HA! || 14131 des) A* ber
1A! || 14215 was aber] fehlt in HA', wo dafür aber nach Absicht steht |] 142"
durch] fehlt in MA! || 14286 jchon ala] HA als jchon Vorländer || 1432 Bürger:
ichaft) A' Bargſchaft A”, H zu Bürgern |] 14327 diefen Beiftand] fehlt MA! |
1441 doch] fehlt HA! |] 1446.7 die — Handlung) A? aus welchen dieſes
aber HA? || 14414 der Menſch] A? er HA! |} 14517 Das] A⸗ Dies MA? || 145%
aber] fehlt HA! || 145» Glaubensprinzip) A? Glaubenägejeg HA! || 1452- a
ferner — lrbilde] ferner, der (den H) in ibm, fo fern er jich im feiner alles er
haltenden Idee der von ihm jelbit gezeugten und geliebten, dem Urbilde HA? |)
145% erbaltenden] HA enthaltenden? Rosenkranz || 14535 ober über] HA! über
feblt A® || 1468-20 Das — thut] fehlt HA! ||
en enen unter ihnen aber HA! |] 15224 Diener] A®
Diener (offieiales) HA'; vgl. S. 15730. || 15320 im der That] fehlt HA" |)
15334 made] H macht A || 15518 ber Beichaffenheif] HA! der fehlt A: || 156
fonft] A- felbit HA» || 15651 aber] A! aljo HA! || 1572 im] A! an HA! |I
1553 follen] A* jollten A! |} 158% ftreitig machen] 42 fireiten A |) 1594
fünme] A® fann A* |) 15928 Heiligen] A? Heiligiten A’ || 15936 daß] fehlt At |]
1607 28] A? fie A! || 1622: ältere] die ältere Hartenstein, Vorländer. Die Zu-
fügung des bestimmten Artikels dürfte kaum im Sinne Kants sein. Der Text
von A ohne bie giebt dem ausgesproehenen Gedanken größere Allgemeinheit und
Allgemeingültigkeit: die historische Speeialisirung wird daber nur in Kammern
hinzugefügt: (mofatiche) || 1643: mußte] A* müßte A! |) 16623 eim — if] in
— di
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514 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bermunft.
Subject wieder mit es aufnimmt, so ist auch hier die neutrale Form einzusetzen |]
1822 es]) Wobbermin er HA fie Vorländer. Vergleiche die vorige Anmerkung;
die dort getroffene Entscheidung bewährt sich an der hier vorzunehmenden Cor-
rectur || 18220 Gottes] A? fehlt in HA! |] 18418 Hinduifche] HA? heidnifche A!
vgl. Jen. Allg. Literat.-Ztg. a. a. O. || 18428 Selbſtverachtung] A? Kleinmüthigfeit
HA! || 18430 (im — Frömmelei) A? (ein Pietiömus) A! (im Pietismus) H || eine] A?
fehlt in HA! || 18438 welche] Vorländer welcher A?. Kant hat die Constructionen
zum Grunde haben und zum Grunde liegen ineinander gewirrt || 18630 vielleicht]
HA' völlig A®. Der Gedankenzusammenhang erfordert die Wiedereinsetzung des
vielleicht aus A! || 18714 oder erlaubt, unrecht] HA? erlaubt, oder unrecht A! ||
18737 biefe] A? dieſes A! dieſen || 18816. 17 jo — anfgelaben] A? es, zwar, war,
aber fehlen in Al. fo habe ich bloß überflüffig genlaubt, was nicht möthig war (mir
nur eiwa eine Bejchwerbe... ift, aufgelaben) H || 18820 in ben] A? im HA ||
18836 bie] Vorländer ver HA. Kant construirt auf das in Gottheit enthaltene
Maseulinum ®ott || 1893 vereinbarte] HA vereinbare? Vorländer || 1891-13 nicht —
mache) A? durch den Mangel — nicht ummwfirdig mache HA’ || 1912» außer —
Bejtrebung] A? über bie ftetige Beftrebung HA! || 19135 oder) A- aber HA? |]
19211 können] A* fehlt in HA! || 19221 Dienft— Herzen] A® in H, A! nicht ge-
sperrt || 19221.22 (im — ber Wahrheit)] A? die Worte fehlen in HA! || 19231
doch] A? aber HA! || 1941 das Ulmofengeben] A? die Worte fehlen in A! || 1944
gar wohl] A? die Worte fehlen in A! || 19414 objectiven] A* fehlt in AP ||
19423 Stüden biefer Schrift] A? Abfchnitten A! || 19424 von den Gnabenmitteln]
A? von dem an Önadenmittel A! || 19425—28 (die — gehört) A. Die Klammern
fehlen in A!; auch ist in A! das Wort Gnabenwirlungen (Z. 25) nicht gesperrt |]
19536 er] Vorländer e8] A. Die Änderung ist nothwendig, da nur die Beziehung
auf Wunsch sinngemäß ist || 1976 hinreichend] A? fehlt in A! |] 19716 Die —
nennt] A®. Die Worte stehen in Al in Klammern || 19718 fo] A! fehlt in A® |]
19721 ber — Gottes] A®. Die Worte fehlen in A! || 19735 mit] fi) mit A. Kant
ist aus der Medial- in die Passiv-Construction über-gegangen, das ſich ist also zu
streichen. || 197m die — Menſchen] A®. Die Worte sind in A' nicht gesperrt |)
im] A® zum A! || 1982 Demütbhigungen] A! Demütbigung A®. Die Einsetzung der
Singularform Demüthigung neben Lobpreifungen ist offenbar Druckfehler von A®, ||
19834.35 erbaut — gebauet] A?. Die Worte sind in Al nicht gesperrt || 2004
den Gab] A?. Die Worte fehlen in A! || 20017 nur] A! fehlt in A®: wohl ver-
sehentlich ausgefallen, da es der Verdeutlichung des Sinnes dient || 20020 ge
bredjlichen] A? Gebrechlichfeit der A! || 2013.4 jede] A? um jebe A!. Das um ist
in A® wohl absichtlich zur Vereinfachung der Construction und des Gedanken-
ganges gestrichen: durch die Idee — kenntlich zu machen ist nach dieser Les-
art die Näherbestimmung der wichtigen Abfonderung. Die Lesart von A! giebt die
Näherbestimmung zunächst nur vermittelst des Ablativ burdh bie Idee u. f. m.
und fügt dannfnochmals hinzu: um jede u. j. m. || 201 16.17 zur Beobachtung] A'.
Die Worte fehlen — offenbar versehentlich — in A? || 20115 mit — verbunden]
A’. Die Worte sind in A! nicht gesperrt || Georg Wobbermin.
Orthographie, Interpunction und Sprache. 515
Orthographie, Interpunetion und Sprache.
Orthographie. Voeale. Änderungen waren selten nöthig bei aa: Maah-
regel (neben dermafen), Saamen; häufiger bei ey: Freyheit, frey, zwey, drey,
dreyfach, zweyte, meynen (Verbum), ſeyn (dgl.). ſey, Benfpiel, bey, Wüftenen,
Bernünfteley (vgl. dazu Layen); bei ie: gieng, fieng, bieng, Probierftein, bypo-
itafiert (neben confrontirem u. a), — Consonanten. Auch hier bedurfte es
verhältnißmäßig selten eines Eingriffs. c steht in Glerus, Elerifer, practifch (zu-
weilen praftifch, so in der Vorrede zur 1. Aufl.), Bunct. Dafür findet sich öfter
in Wörtern lateinischer Herkunft f: Effekt, Fafultät, Disjunktion, fubjeftiv,
objeftiv (doch überwiegend c: Cultus, Sntrobuction, fubjectiv, objectiv usw.). —
Auch Dehnungs-h stört mehrfach: Willführ, Nahme, Merfmahl, einmahl (in der
Regel einmal, diesmal), zeritöhrt, aufjpahren (meist zerjtört, gehöret u. a.); dazu
ih: Bothichaft (neben geboten), partheylos. — Die Schreibung der f-Laute ent-
spricht nur in einzelnen Fällen der späteren Gewohnheit nicht: Erfenninife, an-
fäßig, vernadhläßigt (überwiegend: Beflerung, gewiſſe usw.); Beweißgründe, be:
weißt (neben Beweis u. a.); aufferorbentlicy, entäuffernbe (meist äußere, bloße,
aufjchliefen usw.); mislich (meist Bewußtjeyn, Anſtoß usw.). — Die Consonanten-
verdoppelung und -vereinfachung erregt selten Anstoß: betrift (sonst betrifft,
eröffnet, Begriff u. a.); Innhalt, worinn (meist darin, hierin, worin u. a.). —
Anfangsbuchstaben, Die Minuskel substantivirter Adjective bildet die
Ausnahme, doch stört das Schwanken oft innerhalb weniger Zeilen: etwas
gleichgültiges — nichts Beftimmbares, das hiſtoriſche — ben Gewifjenhaften; so
auch im entgegengesetzten Falle: Meſſianiſch — meffianifh. — Zuweilen ent-
spricht auch der Anfangsbuchstabe nicht der vorangehenden Interpunetion,
z. B. die Minuskel nach Kolon in directer Rede, die Majuskel nach Semikolon. —
Zusammensetzung. ob zwar, jo gar mußten mehrfach zusammengerückt,
unförmliche Verbindungen wie moralifchqut, öffentlichgejeglich, juridifchbürgerlich
getrennt werden. — Eigennamen. Es fanden sich die Schreibungen Arih-
man, Siewen, Brama, Herkules, Ronnecticut, fartbheuferartig, Ehadzaren, muba-
mebanifch (neben mohammedaniſch).
Interpunetion. Die Zeichensetzung ist hinsichtlich des Kommas gerade-
zu verwährlost. Der Druck leidet mehr als andere der Spätzeit an einer Über-
fülle der Kommata bei regellosem Gebrauch. Am häufigsten stört es wie ge-
wöhnlich vor und hinter oder nur hinter adverbialen Bestimmungen ohne Rück-
sicht auf deren Umfang, dann vor Satztheilen, die durch und angeknüpft sind,
auch hinter ihnen oder hinter solchen, die durch oder, mithin, aber, vergleichen-
des ale, wie angeschlossen werden. Das Prädicatsnomen, ebenso ein zweites
Objeet bei Verben, die doppelten Accusativ regieren, ist nicht selten durch
Komma abgeglieder. An Gegenbeispielen ist in allen diesen Fällen kein
Mangel. — Zabllos sind die Belege für falsch oder überflüssig gesetztes Komma
vor, hinter und in Klammern. — Mehrfach scheint seine Anwendung durch
33*
516 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft.
keinen benachbarten Satztheil, sondern durch das Bedürfniß nach Pausenbildung
beeinflußt, also rein rhetorisch. Vgl. noch Verbindungen wie darum, weil; unb,
mer; und, da; aljo, daß; indeffen, baf; bemm, was; denn, wenn. — Dagegen ver-
schwinden die Stellen, an denen Komma vermißt wurde. So mußte es nur zu-
weilen eingefügt werden vor Haupt- und Nebensätzen, vor und binter Appo-
sitionen, prädicativ gestellten adjectivischen Attributen, vor unverbunden
angefügten gleichartigen Satztheilen, vor mithin u. a, — Recht häufig veran-
laßten auch Semikolon und Kolon Eingriffe. Namentlich tritt Semikolon
zwischen Vorder- und Nachsätzen auf, wo wir Kolon erwarten. Oder es ist gleich
diesem verschwenderisch anStelle des besser angebrachten Kommas gesetzt. Andrer-
seits steht Komma vor Aufzählungen, wo der heutige Brauch Kolon fordert.
Die Sprache weicht verbältnilmäßig wenig von unserer Norm ab. Laute.
Vocale. Geändert wurden die umgelauteten Formen anfömmt, fümmt (16 mal
neben vorwiegenden umlautlosen Bildungen), genenmet (lmal; sonst genannt),
Rüben (lmal; auf derselben Seite und sonst Juden)) Hingegen erhielt den
Umlaut ausgebrudt (1mal; sonst ü). — Für die sonstigen Stammsilbenvocale
kommt allein aldbenn mit 3 Belegen in Betracht, während sonst stets aldbann
gesetzt ist. — Ableitungssilben. In den Superlativen ist stets Synkope einge-
treten mit Ausnahme von fchmwereften (l mal); ebenso im Conj. Imperf., aus-
genommen einmaliges führeten. — Häufiger hat sich e in der unflectirten Form
des Part. Perf. gehalten: gefället (aber vorgeftellt u. a.), geirret, verführet (aber
bypoftafirt), verneinet (aber gemeynt, befrönt u. a.), gemeibet, bewadhet (aber
verjucht, gemacht u. a.), im Ganzen doch nur 8mal. Vgl. 3 Belege der flectirten
Form: vergönnete, geweibete (meist Synkope: gefinnter usw.). — Flexionssilben.
Imal steht Urſach; nur Smal ist e in der 3. Pers. Sing. Präs. bewahrt: barret,
währet, geböret, fället; einräumet, fcheinet; drohet, wirfet. Die Gegenbeispiele
überwiegen bedeutend. — Die Adverbialform ferne, foferne ist nur 3mal belegt.
— (Consonanten. fobern findet sich noch an 3 Stellen. Pabſt ist wohl ortho-
graphisch zu fassen. — Flexion. jeyn steht — finb 4le, 15421, — feien 8531,
868. — Wortbildung. Einzeln kommen vor von jelbften, mehrmalen; häufig
vornämlich (doch auch vornehmlidy). — Syntax. Die Verwendung der starken
und schwachen Flexion entbehrt auch in unserm Drucke klarer, streng durch-
geführter Regeln, sei es, daß es sich um substantivirte Adjective handelt:
vieles Hergenommenes, oder um adjeetivische Attribute, die trotz fehlenden Ar-
tikels manchmal die schwache Form aufweisen; mit völligen Vermögen, von ganzen
Herzen, aus fo frummen Holze, ihm als allein feelenbeifernden Glauben, von Gott
als moralifchen Urheber, von jüdifchen Glauben; aber auch nach einem Pronomen
die starker ein jeder moralifch wohlgefinnter Menfch, ein jeder großer Herr. —
Es kommt auch vor, dal coordinirte, durch Komma getrennte adjectivische
Attribute verschieden behandelt sind: befonberer, auf Gott... bezogenen Pflich-
ten 1541. — Zur Behandlung der Pronomina vgl. allem ken Thun (2 mal),
benen — ben (2 mal); — zu derjenigen der Zahlwörter zwifchen zweyen ... Per
fonen, biefem Allen Ge Imal). Ewald Prey.
Die Metaphpfik der Sitten.
Herausgeber: Paul Natorp.
Einleitung.
Zur Entstehungsgeschichte der Metaphyſik ber Sitten findet man dasMa-
terial größtenteils in der Einleitung zur Kritif der praftiidden Vernunft (Bd. V,
S. 489 ff.) zusammengestellt. Es ergiebt sich daraus, dab der Plan des Werkes
zwar bis in die sechziger Jahre zurückgeht, die Ausführung aber sich immer
wieder hinausschob, weil die wichtigere Aufgabe einer grundlegenden Kritif ber
reinen (theoretischen wie praktischen) Vernunft zuvor erledigt sein mußte, Nach
Vollendung beider Kritiken aber war es der neu entstandene Plan der ritif
ber Uriheiläfraft, dessen verhältnißmäßig rasche Ausführung die Arbeit des Philo-
sophen für die nächste Zeit (bis 1790) ganz in Anspruch nahm, Nun endlich hätte
die Reihe an die Fertigstellung der seit lange vorbereiteten und verheißenen
Metaphyfif der Sitten kommen sollen. Wir hören auch, daß sie zur Öster-
messe 1791 ficher erwartet wurde (Kiesewetter an Kant, 14, Juni 1791, XI 253).
Aber noch in den nächsten zwei Jahren bezeichnet Kant selbst das Werk in
Briefen erst als unter Händen habende oder als vorbabende Arbeit (an Erhard,
21. Dee. 1792, und an Fichte, 12. Mai 1798, XI 384, 419). Und es ging auch
jetzt langsam damit; die Abfassung der Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen
Vernunft (ersch. 1793) und mehrerer kleinerer Arbeiten schob sich dazwischen.
Auch sachliche Schwierigkeiten scheinen die Vollendung des Werkes aufgehalten
zu haben. Schiller schreibt am 28. Oct. 1794 an Erhard (Jonas IV, 46): „Die
Ableitung des Eigenthumsrechts ist jetzt ein Punkt, der sehr viele denkende
Köpfe beschäftigt, und von Kanten selbst höre ich, sollen wir in seiner Meta-
physik der Sitten etwas darüber zu erwarten haben. Zugleich höre ich aber,
dal er mit seinen Ideen darüber nicht mehr zufrieden sei, und deßwegen die
Herausgabe vor der Hand unterlassen habe.“ Endlich im Sommer 1796 wurde
die Rechtslehre für den Druck fertig. Sie sollte zur Michaelis-Messe 1796 er-
erscheinen und wurde auch als zu diesem Termin erschienen in verschiedenen
Zeitungen aufgeführt. Wirklich aber scheint sie erst im Jan. 1797 ausgegeben
worden zu sein. Denn zwar bezeichnet Jäsche in einem Briefe vom 4, Nov.
(XII 105) das Werk (dessen Erscheinung noch am 23. Sept. [XII 96 f.] Kiese-
ie
518 Metaphyſit der Sitten.
wetier mit großem Verlangen entgegensahb) als „soeben erschienen“; aber am
7. Dez. (XII 134) erwartet Jakob das Buch noch immer mit Sehnsucht, das
„als fertig angekündigt ist, wovon aber wahrscheinlich der Druck noch nicht
vollendet ist“; und am 16. Jan. 1797 hat Erhard (XII 144) es „noch nicht er-
halten“. Entscheidend aber ist, daß in der Beilage zum 6. Stück der Königs-
berger gelehrten und politischen Zeitungen vom Donnerstag den 19. Januar 1797
das Buch als soeben bei Friedrich Nieolovius erschienen angezeigt ist (s. Warda,
Altpr. Monatsschr. XXXXI 132f., wo auch die unrichtige Datirung des Brief-
fragments XII 186, betreffend die Honorarzahlung für die Nechtölehre, hiernach
berichtigt ist).
Nach dem erwähnten Briefe von Jacob arbeitete Kant Anfangs December
1796 bereits an der Tugenblehre. Sie sollte zur Ostermesse 1797 erscheinen
(Reuß an Kant, 21, April 1797, XII 159), wurde aber erst im Laufe des
Sommers fertig. Denn nur auf dies Buch kann die als Brieffragment 879 von
Reicke (XII 377) veröffentlichte Aufzeichnung vom 29. Juli 1797’) sich be-
ziehen, wo Kant schreibt: Wegen ber möglichen anfprüche auf das Mein und
Dein an Schriften, nad ber früheren oder jpäteren Erjcheinung derjelben, bemerfe
id) noch: daß das Micpt dem Hrn. Berleger jo früh vor der Oftermeffe und
vollſtändig eingehändigt worben, daf ber Abdrud deffelben nothwendig um diefe
Zeit hätte vollendet fein müſſen, aber fich, aus mir unbekannten Urjachen, bis
jeßt verzogen bat. Erst die Beilage zum 69, Stück der Königsberger gelehrten
und politischen Zeitungen, vom Montag den 28, August 1797, zeigt das Buch
als soeben erschienen an; am 8. Sept. bat Jakob (XII 195) es in Händen. Ge-
druckt wurde die Rechtslehre in Leipzig bei Solbrig; so ist in den mir vor-
liegenden (3) Exemplaren auf S. 235 angegeben; nach Warda soll in andern
Exemplaren diese Angabe fehlen. Ein entsprechender Vermerk findet sich da-
gegen in der Qugendlehre, wie es scheint, überhaupt nicht; die Lettern sind
andre als in der Nechtölehre.
Beide Schriften erschienen einestheils gesondert als: Metaphyſiſche Anfangs-
gründe ber Rechtslehre von Immanuel Kant. Königsberg, bey Friedrich Nico-
lovius. 1797 (XIL S. Vorrede, dann 235 S., von denen die der doppelten Ein-
leitung, in die Metaphyſik der Eitten und in die Nechislehre, S, I-LIl, wieder-
um in römischen, die folgenden in arabischen Ziffern gesetzt sind; auf der
letzten, nicht paginirten Seite finden sich Verbesserungen) und: Metaphyſiſche
Unfangsgrände der Tugenblehre von Immanuel Kant. Königsberg, bey Friebrich
Nicolovius, 1797 (X u. 190 S. und 1, Bl. Verbesserungen); anderntheils vereint
wd,.T. Die Metaphyfif der Sitten in zwey Theilen. Abgefaht von Smmannel
Kant. Königsberg, bey Friedrich Nicolovius, 1797. Dieser Obertitel ist so gleich-
lautend jeder der beiden Schriften vorgesetzt; daneben steht dann der Sondertitel:
) 8, darüber ebenfalls Warda a. a. O. (133 Anm.) Ob das Bruchstück
als ein „von Kant beabsichtigter, vielleicht mit Rücksicht auf Nicolovius fort-
—— Schluß der Vorrede“ anzusehen sei, möchte ich dahingestellt sein
Assen,
Die Metaphyſik der Sitten. Abgefaht von Immanuel Kant. Erfter Theil. Me:
taphyſiſche Anfangsgründe der Nechtölehre. Königsberg, bey Friedrich Nicolovius,
1797, und entsprechend: Zweyter Theil. Melaphyſiſche Anfangsgründe der
Zugenblehre, Nach diesem doppelten Titel folgt dann überflüssigerweise auch noch
der oben angegebene Titel der Sonderausgabe. Es wurde, so scheint es, der neue,
doppelte Titel den mit Titel fertigen beiden Büchern nachträglich vorgeheftet
Über. die Nechtölehre waren inzwischen bereits Recensionen erschienen,
von denen eine, in den Göttingischen Anzeigen 1797, 1, 28. Stück, 18. Febr.,
Kant einer eingehenden Beantwortung wertlı schien. Eine solche wird in Aus-
sicht gestellt in einem Briefe an Schütz, 10. Juli 1797 (XII 180M.) und be-
stimmter, als Zugabe zu seinem Buche, in einem Briefe an Tiefirunk, 13, Okt.
(XII 206). Da aber 1798 schon eine zweite Auflage der Rechtölehre nöthig
wurde, so traf Kant in einem Schreiben an Nieolovius vom 9. Mai 1798 (X
241) folgende Anordnung: Nod habe ich, was die zweyte Auflage ber metaph.
Anf. Gr. der Rechtslehre betrifft, anzumerfen: dab zweyerley Titel dazu ge
macht werben müßten: ber eine, welcher nur bas Wort Zweyte Auflage“ hinzu-
fügte der Andere aber welcher jo lautete: „Erläuternde Anmerkungen zu ben
metaph. Anfangdgr. d. Mechtölehre v. I Kant“: bamit die, welche das erftere
(Buch ſchon beiten nur das zweyte zu Faufen nöthig haben. Das kann nur so
gemeint sein: es solle die gedachte Zugabe als Sondersehrift mit eigenem Titel
gedruckt und dies Schriftehen der zweiten Auflage der Rechtslehre nur ange-
heftet werden, daneben aber, besonders für die Besitzer der ersten Auflage,
auch separat käuflich sein. Dieser Anordnung entspricht aber die Ausführung
nicht: die Zugabe erschien zwar separat unter dem im Briefe angegebenen Titel
Königäberg, bey Friedridy Nicolovius. 1798. 31 S.; über die zwei verschie-
denen Drucke dieser Schrift s. Lesarten), der zweiten Auflage der Rechtslehre
aber ist sie nicht in eben dieser Gestalt, mit besonderem Titel und besonderer
Paginirung, angehängt, sondern unter durchgehender Paginirung (S. 159—187)
nicht am Ende, sonderu inmitten des Werks, zwischen dem ersten und zweiten
Theil, eingefügt. Daß dies nicht so von Kant beabsichtigt gewesen sein kann,
geht, abgesehen von dem klaren Wortlaut des angeführten Briefes, aus der Sache
hervor: der Anhang — ausdrücklich als soleber zu den metaphyſiſchen Anfangs-
gründen ber Nechtslehre im Titel bezeichnet — steht schon darum nicht richtig
zwischen deren beiden Theilen, dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht;
überdies bezieht sich ein Theil der Anmerkungen auf das öffentliche Recht, ja
es wird der zu diesem gehörige $ 49 darin eitirt. Diese sinnwidrige Einfügung
kann also nur entweder vom Verleger auf eigne land verfügt, oder vom Drucker,
vielleicht nur infolge eines Milverständnisses '), bewirkt worden sein. Ich habe
daher kein Bedenken getragen, die sachlich allein richtige und der ausdrück-
iY Es könnte etwa die Anordnung, daß der Anhang auf den ersten Theil
— nämlich der Metapbyjif der Sitten — folgen solle, irrthümlich auf den
ersten Theil der Nechtölehre bezogen worden sein.
520 Metaphyfif der Sitten.
lichen Anordnung Kants entsprechende Stellung des Anhangs am Schluß der
Rechtslehre wiederherzustellen. Wohl ebenso wenig ist Kant dafür verantwort-
lich zu machen, dal die zweite Auflage im Titel nicht, wie doch in dem Briefe
ausdrücklich bestimmt wird, einfach so als „Zweite Auflage“, sondern als
Zweyte mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Bufäße vermehrte
Auflage” bezeichnet wird. Da die Worte „und Zufäße“ der Überschrift des in
die Rechtslehre eingeschobenen Anhangs ebenso fremd sind wie dem Sonder-
titel des letzteren, so ist vermuthlich gemeint: und Zuſätzen (nämlich: mit sol-
chen vermehrt). Auch das entspricht gewiß nicht der Absicht Kants, da die
zweite Auflage, abgesehen von einer einzigen, wobl gleichfalls durch die Göt-
tingische Recension veranlaßten Änderung (2491-3, s. u. Lesarten), irgend-
welche Zusätze oder sachliche Änderungen gegenüber der ersten Auflage nicht
enthält. An den stilistischen, orthographischen und sonstigen äußern Ände-
rungen der 2; Aufl. aber (Königäberg, bey Friedrich Nicolovius, 1798. KU u.
266 8.) dürfte Kant erst recht keinen Theil haben. Und dasselbe gilt jedenfalls
auch von den viel stärkeren Änderungen, welche die i. J. 1803 erschienene
„Bweyte verbeflerte Auflage” der Tugendlehre (X u. 188 S., dazu Inhaltsver-
zeichniß auf nicht paginirtem Blatt) gegenüber dem Erstdruck aufweist. Von
Nachdrucken liegen vor einer der Rechtslehre, Frankfurt und Leipzig, 1797 (XI
u. 255 8.), und einer der Tugenblebre, keck als 2. Auflage bezeichnet, Kreuznach
bei Ludwig Christian Kehr, 1800, derselbe Druck mit der Jahreszahl 1803 (248 8.).
Auch ein zweiter Druck der „Erläuternden Anmerkungen“, Königsberg, 1800 (325,),
von dem ein Exemplar aus der Bibliothek des Paulus-Museums in Worms mir
vorlag, ist, da ein Verlag nicht angegeben ist, wohl als Nachdruck zu bezeichnen,
Sachliche Erläuterungen.
1. Zur Nechtslehre. — Die von Kant gebrauchten juristischen Ter-
mini bedürfen im allgemeinen keiner Erklärung, da das im Text Gesagte zum
Verständniss hinreicht. Sie sind fast durchweg dem Achenwall entnommen, auf
den jede genauere Untersuchung dieser Dinge an erster Stelle zurückzugehen hat.
Tieftrunks umfänglicher Commentar („Philosophische Untersuchungen über das
Privat- und öffentliche Recht zur Erläuterung und Beurtheilung der Metapbysischen
Anfangsgründe der Rechtslehre vom Herrn Prof. Imm. Kant“, zwei Theile, Halle
1797 und 1798) giebt meist nur eine weitläufige Umschreibung dessen, was bei
Kant selbst steht. Eine beachtenswerthe Kritik der Kantischen Rechtslehre liefert
L..H. Jakob in den „Annalen der Philosophie“, Bd. 3, S. 13—58, 1797; vgl.
auch dessen Brief an Kant, 8, September 1797 (XII, 196).
2067.12 Garde — in feinem Werk, Bermifchte Aufjäge) 1796. In un-
mittelbarem Anschluß an die citirte Stelle (in dem Aufsatz „Von der Popularität
des Vortrages*) beklagt sich Garve, daß seit einiger Zeit „verschiedene Schrift-
steller aus der Kantischen Schule an den Namen eines Populärphilosophen eine
verächtliche Nebenidee geknüpft“ hätten. Die von Kant angeführte Bemerkung
hatte also deutlichen Bezug, wenn nicht auf Kant selbst, so doch auf dessen Schule,
20714 Ravoijier] 1743—1794, der alsbald nach der Entdeckung des
Sauerstoffgases (durch Priestley 1774) die richtige Erklärung des Verbren-
nungsprocesses lieferte, dadurch und durch seine weiteren Entdeckungen
die Stahlsche Phlogistontheorie beseitigte und die Chemie auf eine neue Grund-
lage stellte.
20715 Brown] 1735—1788. Vgl. Anthropologie Bd. VII 255%.
20733. ein tübingicher Necenjent] nach aller Wahrscheinlichkeit derselbe,
gegen den sich Kant in der Vorrede der &ritif ber praftiichen Vernunft be-
reits zu wehren hatte (vgl. Bd. V, S. 505f.), nämlich der Tübinger Professor J. Fr.
Flatt, der in den Tüb. gel. Anz, zahlreiche Schriften von und über Kant und
dessen Schule recensirt hat und dabei, ebenso wie in seinen eigenen Schriften,
in immer neuen Wendungen besonders den Vorwurf wiederholt, daß die Lehre
Kants in Stücken, auf die sie selbst großes Gewicht lege, nicht neu sei. So will
er die Unterscheidung analytischer und synthetischer Urtheile bei Samuel Weren-
fels (T. g. A., 1789, S. 620), dann bei Lambert (1790, S. 89) gefunden haben; er
beriebtet mit Genugthuung von der Entdeckung seines Gesinnungsgenossen, des
Stuttgarter Professors Schwab, dal schon die Alten (Plut. adv. Col. 1119f,, mit
Bezug auf Stilpos Satz, daß es nur identische Urtheile gebe) diese Unterschei-
dung gekannt hätten (1794, S. 410), Und so heißt es nun, T. g. A., 1795, S. 815,
in der Recension einer in Erlangen erschienenen mathematischen Dissertation
von J. ©. Yelin: „In Ansehung der Construction dieser und anderer krummer
Linien erinnert d. H. Vf. noch mit Recht, daß dadurch nicht nothwendig eine
mechanische Beschreibung verstanden werde, und diese also keiner praktischen
Richtigkeit bedürfe; weil nun heut zu Tag alles in der Kantischen Sprache aus-
gedrückt sein muß, so nennt er die Construction einer Größe eine Darstellung
durch reine Anschauung. Zum Beweis, daß blos die Sprache, keineswegs
aber der Begriff neu sei, will Rec. eine Stelle aus der Vorrede zu Hausens
Elem. Geometriae hersetzen, wo es von den geometrischen Constructionen heißt:
„De actuali .. . est“ (die von Kant, oben 20833—3, citirten Worte; darauf
weiter:) „Es ist Zeit, sagt Herr Nieolai in einer neuen Schrift, daß bald ein
neuer Zeidler wiederum den Mißbrauch scholastischer Terminologieen rüge, womit
unsere teutsche energische Sprache verderbt und die Philosophie nicht gebessert.*
Direct wird zwar bier, wie man sieht, nur der unnöthige Gebrauch Kantischer Ter-
minologie zum Ausdruck einer einfachen, jedem Mathematiker geläufigen Unter-
scheidung getadelt; aber gewiß nicht ohne Grund setzt Kant dabei die Nebenabsicht
voraus, wieder einmal einen wichtigen Punkt seiner Lehre als eine altbekannte
Sache erscheinen zu lassen, für die Kant nur unnöthiger Weise eine neue „Sprache“
eingeführt habe, wie es ihm von Eberhard und dessen ganzer Partei, besonders
oft aber von dem anonymen, doch wohlbekannten tübingschen Recensenten wider-
fahren war. Man könnte sich wundern, dem Theologen und Philosophen Flatt
als Recensent en einer mathematischen Dissertation zu begegnen. Aber Flatt war
in der That sehr vielseitig; seine „Vermischten Versuche* z. B. enthalten neben
rechtspbilosophischen, dogmatisch-, exegetisch- und historisch-theologischen sowie
622 Metaphyſik der Eitten.
religionsphilosophischen Aufsätzen auch einen über den Begriff der Subtraction.
Vermuthlich war ihm die Anzeige jener mathematischen Abhandlung nur der will-
kommene Anlaß, wieder einmal seinem Herzen gegen Kant und dessen siegreich
vordringende Schule Luft zu machen.
2085.35 Haufen] 1693—1745, Professor der Mathematik in Leipzig.
Vgl. Anthropologie, Bd. VII 213%.
208 10 wie Molff ihn erklärt] Ontol. $ 588: Si ad simultaneorum A, B, C,
D ete. eoexistentiam attendentes modum, quo A coexistit ipsi B, distinguimus a
modo quo ceteris G et D coexistit, et similiter modum, quo B coexistit ipsi
C, a modo, quo ceteris A et D coexistit etc,, quatenus tali ordine iuxta se in-
vicem collocantur, ut distantia inter A et Ü sit diversa a distantia inter idem
A et Dete., notionem spatii habemus. Patet propositionis veritas per experi-
entiam, si ad obiecta quaevis nobis proxima attendamus ..- Vgl. Bernünfftige
Gedanken von Gott, ber Welt etc. $ 45.46
20824 Hr. Nicolai] Es handelt sich um die „Geschichte eines dicken Mannes“,
1794, wo über den pedantischen Mißbrauch philosophischer, besonders Kantischer
Terminologie zur Bezeichnung alltäglicher Dinge nicht allzu witzig gespottet wird;
vgl. auch die „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz*,
Bd. XI, 1796, S. 183 Anm. Kants Bemerkung mag durch die Berufung des tü-
bingschen Recensenten auf Nicolai (s. o. zu 20733.34) mitveranlalt sein.
2091 Shaftesburys Behauptung] Characteristics of Men, Manners, Opi-
nions, Times, Tr. Il Sensus communis, an Essay on the Freedom of Wit and
Humour (1709), Sect. I (im 3, Absatz): Truth... may bear all Lights: and
one of those prineipal Lights .... is Ridicule itself .... So much, at least,
is allow’d by All, who at any time appeal to this Criterion... »
2158 Newton] beruft sich für seine Lex Ill in der That nur auf „viel-
fültige Erfahrung“ (in der Einl. zu den Prineipia: Axiomata s, leges motus,
Lex III, nebst Scholion zu den Axiomata).
22423 Übertretung (reatus).)] Reatus heißt vielmehr der Anklagezustand.
Kant folgt in dem abweichenden Gebrauch des Wortes dem Achenwall (Jus nat. $ 17);
ebenso in der Fassung der Begriffe cu/pa und dolus, Vgl. auch „Religion etc.*, oben.
23417 Masfopei] von holl. Maatschappij, Handelsgesellschaft.
23515 Diefed vermeinte Recht] vgl. „Über den Gemeinfpruch etc,“ (in der
„Folgerung“ zu Abschn. II).
23620 nach dem Ulpiau] Corp. iur, eiv. D, 1ı, 101. J. 11.3.
25914 Gicero] in dem Werke de officiis.
2702.90 dominus directus „.. dominus utilis] Achenwall $ 162. Beispiele:
Lehnsherr und Vasall, Eigenthümer und Erbpächter (emphytheuta).
27221, Die äußern Förmlichkeiten . .. ] die altrömische stipulatio, —
Die subtile Untersuchung über die Stetigkeit im Besitzübergang (in der Vor-
lesung dem Problem der Stetigkeit in der Bewegung verglichen) ist dem Achen-
wall fremd; ebenso der auch sonst so nicht gebräuchliche Terminus pactum re
mitum 2736; 2757.22.9.
nicht völlig dem Buchstaben, dann um so mehr dem Sinn jenes
Grundsatzes gemäl, "den Ertiruck aa den (in anf je ce Vorbmerung)
malgeblichen anzusehen, Änderungen der 2, Aufl, also nur so weit in den Text
— alba. de A De
Besondere Umstände müssen bei dem Drack der Erlänternden Anmer-
tungen zur Rechtsiehre gewaltet haben. Diese sind in demselben Jahre 1708
‚vormuthe,
ausgabe, welche von ee ee
nur ee Anderung dr Pgung und Wong dr nm
stellt waren, der Nachfrage nicht genügten, und daß nun, da
Satz inzwischen abgebrochen war, der Text —9 x genotat
wobei der Erstdruck zwar als Vorlage diente und sonst bis
(auch in denselben Lettern) nachgebildet wurde, beim Sata
Correetur die erwähnten geringfügigen Abweichungen theila mil,
sicht hineinkamen. Die beiden Typen unterscheiden sich leicht am
8. 12 des Sonderdrucks — 8. 168 der 2, Aufl; dort steht in der ®, Aufl,
dieser entsprechenden Exomplaren des Bonderdrucks 4, #8 cin ıdinser
36117) das richtige Citat ©, 129, dagegen %, 9 (Aulı) Alachlich Das
die abweichenden Exemplare des Sonderdrucks dagegen haben an ernterer
fälschlich S. 29, an zweiter richtige Daf, (Dor Fohler $ 00 at, 6 DI Im bolden
Typen gemein.) Hiernach dürfte ala KErmdrnek der in der 9 Aufl und der
dieser entsprechende Typna dor Sonderaungabe anaunehen nein, Er int In den
Lesarten durch AP, der abweichende Typus durch B berslichnet,
Handelt es sich bei der Mechiölehre Inat durelwag nur um die bei vor
schiedenen Auflagen gewöhnlichen Abwolchungen, #o stellt dagegen die 2, Aufl.
der Tugenblehre elna nehr eingrelfende, größtenthelln tlIatlache, an manchen
Stellen aber auch den Sion mohr oder wenlger berährende Überarbeltung der
ersten dar. Schubert und nach ihm Hartenstein hatten diene Oberarholtung,
ohne Bedenken Kant selbat zugetraut, Doch int dus schon wegen der gosund-
heitlichen Verfassung Kants in seinen letzten Lebensjahren wohl gan» nung
schlossen. Eher wäre denkbar, daD Kant einen seiner Freunde zu einer solchen
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2608 fehlt ein ſ im Anfang der
—
Lerarten. 531
23u> deñelven Vorlandr: berielben A 2a: Durch" A dadurch Narten-
ste: Scaupert: rt durch bie Handlung eines von beiden freiheit ſich mit
Ber Des amder: (sorian.. ansprechend: aber durch Bir DBandlıma Heike
schwierit. Be. solche Unsienerheit halıc jet: vargernzen nichts zu An-
dern 332.2. emes — des andem A Teni Eines - dei Anderen A'
Lrruckf.-Verz. A- (uoc: mült- dann anet: Z. Dh dea Finen -- deä Andern ge—
schriewer: werden. Da die Schreilmnz in den Oririnaldrueken fartwährend
schwank:. schieL es zwecklo- in. einzelnen Fall! u ändern 2302. Tann.”
Mellın Tann :c.’ \ 25114 aany Tel: hätt» ganz allein für eine zrnnwend sichere
Verbesserun: tebalten: aner Sschließlien bestehen dach noch andere Möglichkeiten,
z. b. konnte ganz au- der vorigen Zeile verschentlieh wirderholt. also nberhanpt
zu Streichen sein (so Gorland ?äle: unrecht Unrecht A vgl. oben zu WB.
Zweileiios bandelt ex sich Z. 2 und Z. 2° mn denselben Regriff: es müßte also.
wenn hier Unrecht stehen hieiben sollte. Z. 29 geändert werden: da aber ist das Ad-
jeetivum durch den Gegensatz recht 7. 8? zeschützt: also war die nathwendige Übor-
eustummung zwischen Z. 2 und 29 dureh Andening der ersten Stelle herinstellon.
Es ist auen eliıer anzunehmen. dal: der Setzer ader Alschreiben ans dem mindeı
reluulgen. ın der Mechiölehre aher rerelmäßiz sa gebranchten Adjectiinm das
ihum gelaußger- Substantivum gemacht hat als nmeekchrt 2%? ın. 10 Geſetze aber,
Geiepe aber A Gelege: aber um Görland “dach kann das um wohl enthehrt worden)
237-1: Dieweil — verlorgen.]| A Der Satz ist nicht ahne Schwierigkeit. Der Sinn
scheint zu sein: Für da. Recht hesteht zunächst die dynamische Analogie dei
Gieschweit von Wirkung und !ierenwirkung. Da aber der Dynamik überhanpt
die reine Mathematik (Grometrie‘ zu Grunde liegt. so mnli os neben der dyna-
mischen auch eine rein mathematische (nnd zwar genmotrische‘ Analagie zum
Recht seben. nämlich die des Rechten in der Redentnng des beiderseits gleichen
Verialtens. „Ein bloß formaler in der reinen Matbematif” kann verwundern,
da der dynamische Regrifi anch bloli formal ist. Aber im Vergleich zum mathe-
mätischen kann er woh! als relativ materinler wedacht sein. Trgend etwas am
Text zu ändern wäre eenart m. antrufen“ A! anrnfen A° vielleicht rich
tie , 2554 Anſpruch Aneipruch A ı 2458 foldhe: A nämlich Dienste. Die Ans-
lassung an sich ist nieht auffällig. aber 7.2 steht Singnlar. Tech möchte den-
noch nicht ändern, da Kant im Gehranch des XNumerus bei Zurückberiehnng
sich große Freiheit gestattet. Da mehrere Snbjerte in Frage stehen. sind ex in
der That Dienfte, also construirt er. als ob Plural voranseegangen wäre! 55
sol‘! Hartenstein (des Timmels« der Erde pa A| 23C12 recht! Recht N (vel.
zu 225 und 281m. Das Adj. ist auch hier gefordert dureh den Gegensatz ım
regt ıR 14 wie darch den allgemeinen Kantischen Gebrauch‘ ' 2370 obſtehende,
A! obenitchene A? 237 19 ale einen aefeklichen Grund zu den Tekteren (rirehen)]
&A fehlt etwas wie enthaltend? Außerdem ist den letzteren unverständlich. Tch
vermuthe dem Iekteren, nämlich dem Verpflichten — 702 aber bei der Unsicherheit
der Sache vor nichts zu ändern . 237as mehrerem‘ A! mehreren A? 2383: am
beim fällt,] A fehlt etwas wie fondert | 230m mmabhämgiger] A unabhängige Gör-
34°
Lesarten. 531
2308 beffelben] Vorländer berjelben A || 23021 durch] A baburdh Harten-
stein Schubert; ob durch die Handlung eines von beiden freiheit fich mit
ber bed andern Görland (ansprechend; aber burd; die Handlung bleibt
schwierig. Bei solcher Unsicherheit habe ich vorgezogen nichts zu än-
dern) || 23021.22 eines — bes andern] A! Text Eines — bes Anderen A!
Druckf.-Verz. A® (doch müßte dann auch 2.25 bes Einen — des Andern ge-
schrieben werden. Da die Schreibung in den Öriginaldrucken fortwährend
schwankt, schien es zwecklos im einzelnen Fall zu ändern) || 230sı fann.*]
Mellin fann zc.* A || 23114 ganz] Ich hätte ganz allein für eine genügend sichere
Verbesserung gehalten; aber schließlich bestehen doch noch andere Möglichkeiten,
2. B. könnte ganz aus der vorigen Zeile versehentlich wiederholt, also überhaupt
zu streichen sein (so Görland) || 23120 unrecht] Unrecht A (vgl. oben zu 2233,
Zweifellos handelt es sich Z. 26 und Z. 29 um denselben Begriff; es müßte also,
wenn hier Unrecht stehen bleiben sollte, Z. 29 geändert werden; da aber ist das Ad-
jeetivum durch den Gegensatz recht Z. 32 geschützt; also war die nothwendige Über-
einstimmung zwischen Z. 26 und 29 durch Änderung der ersten Stelle herzustellen.
Es ist auch eher anzunehmen, daß der Setzer oder Abschreiber aus dem minder
geläufigen, in der Nechtölehre aber regelmäßig so gebrauchten Adjectivum das
ihm geläufigere Substantivum gemacht hat als umgekehrt || 232 18,10 Geſetze; aber]
Gejehe aber A Geſetze; aber um Görland (doch kann das um wohl entbehrt werden) ||
2337-11 Dieweil— verforgen.] A Der Satz ist nicht ohne Schwierigkeit. Der Sinn
scheint zu sein: Für das Recht besteht zunächst die dynamische Analogie der
Gleichbeit von Wirkung und Gegenwirkung. Da aber der Dynamik überhaupt
die reine Mathematik (Geometrie) zu Grunde liegt, so muß es neben der dyna-
mischen anch eine rein mathematische (und zwar geometrische) Analogie zum
Recht geben, nämlich die des Rechten in der Bedeutung des beiderseits gleichen
Verhaltens. „Ein bloß formaler in der reinen Maihematif" kann verwundern,
da der dynamische Begriff auch bloß formal ist. Aber im Vergleich zum mathe-
matischen kann er wohl als relativ materialer gedacht sein. Irgend etwas am
Text zu ändern wäre gewagt || 2340.90 aufrufen] A! anrufen A? vielleicht rich-
tig || 2354 Anſpruch] Ausfpruch A || 2355 foldye] A nämlich Dienste. Die Aus-
lassung an sich ist nicht auffällig, aber Z. 2 steht Singular. Ich möchte den-
noch nicht ändern, da Kant im Gebrauch des Numerus bei Zurückbeziehung
sich große Freiheit gestaltet. Da mehrere Subjecte in Frage stehen, sind es in
der That Dienfte, also construirt er, als ob Plural vorausgegangen wäre || 23511
soli) Hartenstein (des Himmels — der Erde) poli A |] 23612 recht) Recht A (vgl.
zu 22335 und 23126. Das Adj. ist auch hier gefordert durch den Gegensatz um-
recht 19.14 wie durch den allgemeinen Kantischen Gebrauch) || 2370 obftehenbe]
A! obenftehende A? || 23719 als einen gefeßlichen Grund zu den leßterem (eitulum)]
A fehlt etwas wie enthaltend? Außerdem ist ben lehteren unverständlich. Ich
vermuthe bem lebteren, nämlich dem Berpflichten — zog aber bei der Unsicherheit
der Sache vor nichts zu ändern || 23733 mebrerem] A! mebreren A?|| 23833 am-
heim fällt] A fehlt etwas wie fonbert || 239% unabhängiger] A unabhängige Gör-
34*
terhaus A! Text || 31550—3161 ber Staat] A von Hartenstein wohl richtig ge-
strichen || 31616 ertheilend] Hartenstein Schubert eriheilend jeyn A (Vielleicht
aber liegt der Fehler anderswo. Dies ganze drittens — eriheilend ist nicht zu
verstehen. Es scheint eher eine Bestimmung, die die dritte Gewalt allein betrifft,
als eine dritte Bestimmung, die sich auf alle drei und ihr gegenseitiges Ver-
hältniss bezöge. Ich komme duher auf den Verdacht, dal ein größeres Stück
Text ausgefallen ist. Vielleicht kam zweimal ein erſtens — zweitens — brittens
und wurde versehentlich beim Satz vom ersten brittens aufs zweite überge-
sprungen) |] 31721 ihrer] A dürfte richtig sein feiner? Vorländer || 3186 ſelbſt]
A! fehlt A? || 31813 einen] einen A || 31936 abhängige] abhängigen A || 3204
der] A! die A? || 3210 moralich, der] A moralifch, das der Schubert (nicht noth-
wendig) || 32210. 11 (im Parlament), erlaubt, jener in] Vorländer (im Parlament)
und erlaubt jener, in A |] 3235 die Gewalt] A’ Gewalt A? || 3238 urücdgetreten]
A! zurüdtretend A® || 32310 beffelben] A seil. des Thrones (aus entthronte Z. 5)? ||
32319 in ihre alte] A nämlich Berfaffung (ihre auf einen gedachten Plural Staaten
zu beziehen) || 3254 u. 6 beffelben] A nämlich des Bolfes (aus Bolfsmeinung
2. 2) || 32523.24 werde, erleichtert — zu Ienfen)] werde), erleichtert — zu Ienfen A ||
32530 Die aber] A ist schwierig. Gedacht vielleicht etwas wie Befugniß? Oder
Aufficht? so dad Aufficht der Unterfuchung heißen sollte: Aufficht, die in ber
Unterjuchung bejteht? || 32610-ı2 ald — ift] vgl. zu 20511 || 326 13.14 fein Recht
gründet, zur Erhaltung — beizutragen] A Es müßte lauten: fein Recht gründet,
die Bermögenden zu nöthigen, zur Erhaltung — beizutragen. Es ist wohl anzu-
nehmen, daß Kant wirklich so oder ähnlich geschrieben oder zu schreiben im
Sinne gehabt hat || 32623. 24 nad) und nach gefammelte] A! fehlt A? || 32620—32
weil — würden] so A (Subject ist: laufende Beiträge aus Z. 22) || 3271 folde]
A foldyer Vorländer; doch construirt Kant bei als bisweilen ähnlich frei, z. B.
286% eines Buchs, als das- (seil. Mittel) ete.; 4102.30 || 3270-11 muß (ald —
Überzeugung),] muß, (als — Überzeugung) A || 32712 Unterthanen] A! Unterihan
A® || 32720 ber öffentlichen Pehrer] A! fehlt A® || 32810 bes] A! der A? || 32816
einem] A? einen A! (Druckf.) || 329 15 Adel ein Rang] A; besser wohl Abel, ein
Rang (verst. bas heißt, ein Rang) || 32930 erblichen] A! fehlt A? || 33030 aud)]
A! fehlt A? || 3310 aber] A oder? (doch ». zu Z. 10) || 38110 das erfiere] A
worauf zu beziehen? Es scheiut eine bezügliche Bestimmung vorher ausgefallen ||
33134 einem] A! in einem A? || 33211 der) A! des A? || 33333 nichts) A! nicht
A? || 3349 erflere] A! erfte A? || 39551 daß man) daß A daß es Hartenstein ||
3568 Weigheit, der auf] A Weigbeit auf Vorlünder (vielleicht richtig) || 35621
heben] A! haben A? || 33654 firafen] A! beftrafen A? || 3873 als barbarifch und
unausgebilbet] A als fie barbarifch und unausgebildet ift Vorländer (Mir scheint,
daß die Worte, so wie sie dastehen, eben dies besagen wollen) || 33732 Unter-
baufes]) A Unterthans Mellin vielleicht richtig (ähnlicher Druckfehler 31520);
aber schließlich nicht sicher genug. Die lateinische Übersetzung von G. L. Koenig,
1799, wie der Commentar von Tieftrunk, 1798, II 480, halten an dem über-
lieferten Text fest. Daß er unverständlich sei, bemerkt dagegen schon Jakob an
die Anführung aus der Rec. weiter geht) || 3647.» zu fein nicht aufgehört] A’B
nie zu fein aufgehört Ree. || 3644 Der] B Der A? || 3656-# Es iſt — (derelierio),)
A®B (fehlt ein Partie. wie genommen oder mißverftanden o. dgl, — dieſelbe Z. 9,
nämlich Sache, s. Z. 3) || 36514 (lege); umb] (lege) und A?B || 36515 Die öffent»
liche] A? Die öffentliche B || 3668 fi] A®!B wohl nicht zu beanstanden |]
3677 ewig] A? ewig B || 36710 Bolf] A? Bolk B || 56711 Familie] Familie
A® B || 36733 verfehene] verjehenen A?B || 3689 berjelben] A’B (Plural dem
Sinne nach: der Geiftlichen) || 368° —5695 Wenn — verheihen:] ein Anakoluth.
Es fehlt nach um 3692 ein zu mit Infinitiv. Ich vermuthe, daß der ganze Ab-
schnitt 3692-5 um — verheißen am Rande oder unter dem Text stand und als
Zusatz zum ersten 'Theil des Satzes gemeint war, und dal das um aus 56833 nur
wiederholt ist, um die Stelle zu bezeichnen, wo die Einschiebung geschehen
sollte. Der Satz hätte also lauten sollen: Wenn num gewiſſe anbächtige und
gläubige Seelen, um durch Gebete — verheißen, der Gnade theilhaftig zu werben
— lehnspflichtig macht: fo ift ıc. || 36 8 ift als ein] A®B (vgl. zu 20511) iſt ein
Hartenstein |] 369 17.18 bejtimmten entworfenen] A’B Umstellung läge nahe ||
36923 zu müffen] A?B miüffen Hartenstein (vielleicht richtig) || 36920 fann] A®B
(erg. eine folche Tann) || 3702.3 feinesweges] A? Teineswegs B || 37015 deifelben]
A®B (nämlich des Drbens) || 3717 Herrn] B Herren A? || 3T1er.28 (Nechtslehre
5 49)] (MR. &. 8. 44.) A®B, genauer: Anmerfung zu $49 || 37136 fo ift der] A®B
jo ift eö ber Hartenstein (was auch Stammler befürwortet) ||
37527.28 bem inneren] Al das innere A? || 37530 zu jagen] A! jagen zu fönnen
A® || 576 1.2 (jedem Gefühl)] A! (von jedem Gefühl) A? || 3763 von einer Kraft und
berculiicher Stärke machen,] A! von der hohen Kraft und hereulifchen Stärfe machen,
bie ausreichen follte, A? || 37623 Allein Fein moralifches Princip gründet ſich in ber
That,] A! Allein in der That gründet ſich fein moralifches Princip, A? || 37624 einem]
A' ein A? || 3764 fondern ift] A’ ſondern ein ſolches Brincip ift A? |) 37630 Sprache
ſcholaſtiſchj A! Sprache nicht nothwendig jchulaftiih A? || 3777 orafel«) A'
orafelmäßig A? || 37717 angebadjt] A! (nach älterem Gehrauch richtig) aus-
gedacht A® |] 37823 Sich aber) A! Der Unmuth aber, fi A? || 3752-9 wird
durch — fühlt, gleichſam zum allgemeinen Aufgebot der für die Allgewalt ber
theoretijchen Bermunft Verbündeten gereizt, fi] A! reizt durch — fühlt, die für
die Allgewalt ber theorelifchen Bernunft verbündeten gleichiam zum allgemeinen
Aufgebot fih A. — Nach der Vorrede hat A? ein Inhaltsverzeichnid (Inhalt
der Tugendlehre), entsprechend der Tafel der Eintheilung der Ethif in A',
oben 402f., wozu weiter unten die Abweichungen angegeben sind. —
37910 (iux)J A! (Zurisprudentia) A® || 3803 angefehen] A abgejehen? || 3811
ihrem] A! ihren A? || 3819 Dah] A! Wenn A? || 38114 dieſes würde ber Begriff von
einem Zwed fein,] A! jo giebt diejes den Begriff von einem Zwed || 381 15 würbe]
A! fann A? || 38110 jondern zur) A! fondern muß zur A? || 38110 Pflicht) Ar
Bmwangspfliht A? || 33123 dazu (fie zu haben) ein Zwang] A! ein Bwang ber
gleichen zu haben, oder fi) vorzufehen A? || 38134 lehtere] A! legte A? || 381as
it] At wäre A? || 38221 als welcher (das Fategorifche Sollen)] A! indem diejer,
Dr
das Fategorifche Sollen, A? |] 3836 aller Pflicht) A! allen Pflichten A? || 383 7.5
bieje heißen befonders] A! nur ben befonders jogenannten A* || 38316 gülti
(tugendhafle] A! gültige Pflicht (mur eine iugembhafte A? || 38323 erjtere] A!
erjte A® || 38320 aller] A! einer der Pflicht A? || 359% als ber der Pflidt] A’
fehlt A? || 38414 des Menfchen.] A! der Seele fich befindet. A? || 38415 an Seele]
A! au der Eeele A? || 38424 Krankheit] A! Druckf.-Verz. A? Raferei A! Text |]
35715 das moraliihe Gefühl, gleichſam) A! der moraliide Sinn, Heißt
gleichjan A? || 39710 ift,] A! fehlt A2 || 89722 zum Gegenjtande] A! zu dem
jeinigen A? || 38734 das] A! der A? || 838755 erftere] A! erfte A® || 3885 ſchon)
A' Druckf,-Verz. A? fehlt A! Text || 38821 fie] A (Sinn etwa: feine Zwecke ) ſich
Görland (wahrscheinlich, aber nicht sicher) || 35833 das /us) A! die Nechtölehre
A® || 39012 bie allgemeine) A der allgemeinen läge nahe, doch sind ähnliche
Ungenauigkeiten der Construction bei Kant nicht selten || 390% taugen, jo
ſtamml Umtugend von] A! taugen herkömmt, jo bedeutet Untugend der Etymologie
nach jo viel ald A? || 39097 vorfepliche] Vorſetzliche A! vorjehliche Übertretung A? ||
3912 von mir] A! Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text || 3915 es] A (nämlich das Ver
bienjt) || in letzterem] Al im lepten A? || 39210 können“, ungewiß — fünnten.] A!
fünnen, ungewiß — könnten.“ A? || 392% welche] A! welche einem Menſchen A® |]
39236 Menfchen] A! fehlt A? || 39812 a) Phyfiſche Wohlfahrt] =) Phyſiſche
Wohlfahrt, A (vgl. 39120, 392, 3941) || 39315 geliebt (in Nothfällen geholfen) zu
werben) A! geliebt zu werden, (in Notbfällen von ihnen Hilfe zu erhalten) A? |)
39530 eine] A? fehlt A! || 394° salubriras] A! salus A? || 3940,10 welches man
Sfandal mennt.] A' das heißt, ihm kein Skandal zu geben. A? || 39425 bie
etbifche] A! und zwar enthalten die ethifchen A? || 39435 Nechtspflichten] A!
Rectspflichten A® || 39427 ift; beide aljo] A’ ift. Sm beiden liegt aljo ber
Begriff A? |) 3957 dem anderer] dem, anderer A! dem Bwange anderer A® ||
3958 bie den] Al den A® || 39512 Materiale] A! Materialen A? || 39513 und die]
A! und da bie A? || 39514 defjelben] A (nämlich bes Bweds) |) 39514 heißt
Zugenbpflicdht, deren es aljo viele giebt.] A! Tugendpflicht heibt, jo folgt, daß es
auch der Tugendpflichten mehrere gebe, A? || 39527 fein] A! zu fein A? || 3975
ihreö] A! Druckf.-Verz. A? ihren A! Text || 39720 *) Der Menich) A’ *) So ba
man zwei befannte Verfe von Haller alfo variiren fünnte: Der Menſch A? || 3972
Haller] A! fehlt A? || 89912 welche Anlagen] A! Anlagen, weldje A? || 3995
moöoraliſches]) moralijches A || 3996 erftere] A! erfte A? || 399 ar lehtere) A)
legte A? || 40010 (md ihr Gejeb)] A’ und ihr Gejeb A? || 402 14.16 und es gelingt
ihm mit feiner wohlthätigen Abficht,] A! und die Abficht feines Wohlthuns gelingen
fieht, A® |] 4035.4 fünmen; nicht: er habe] können, nicht er habe A! lönnen, nicht
aber kann man jagen, er habe A? || 40324 eriteren] A! erften A? || 40327.28 Was
aber die Mehrheit — Satz betrifft, womit man fich tröftel,] A! Wenn man fich
aber bei der Mehrheit — Eat damit tröftet A? || 4040 fo fann fie ald Tugend
nicht durch] A! fo kann ihr Urſprung als einer Tugend weder durd; A? || 4041
legteren] A! leiten A? || 40412 als entjpringend vorgejtellt werden: indem fie] A!
erflärt; auch können diefe Laſter nicht jo angejehn werben, als ob fie A? || 40414
4172 Erfter Theil.) A' Erftes Bud. A? || 41715 paffive] A! eine paffive
A? || 41720 mithin (mern) A' mithin fei, wenn A® || find) er fei] A! find, ber
Berbindende A? || 4181» fählges Weſen und zwar] A! umd infonderheit der Ver
rg Bulle en nen Sep ce A ||
so auch
erhört ]] 4193 uns in theoretifdher Rüdfidst gleich] A' ums gleid) in
Rüctficht A? |] 4199.10 und — geiftige) A? Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text |] 419
die eine — felbft)] A! die einen einſchränkende (oder negative) Pflchten, ie
andern erweiternde (pofitive) Pflichten gegen ſich ſelbſt A? || 41925 erftere] A)
wirb] A! (fehlt etwas wie ftatt finden, vgl. Z. 15.16)
betrifft, a) der,] A" betrifft, dreifach: mäunlidh a) der Trieb A? |] die Erhaltung)
A! zur Erhaltung A? || 4206 b) die Erhaltung) A' b) ber, durch welchen fie die
— erlaubt find. — Wer kann — Bereitichaft ift?] so A'; in A? sind die beiden
Sätze umgestellt (wohl richtig) |] 4289 unmittheilfam] unmittheilbar A |) 42822
Unmäßigfeit, der] A! Unmäßigkeit, und zur A? || 42528,20 als ein moraliiches
MWefjen.] als einem moralifchen Wefen. A! (vgl. 4217.58; 437%) ald mora»
lifches Wejen betradhtet. A? || 42830 Lajtern: Züge, Geiz und falſche] A!
Yaftern der Lüge, bed Geizes und der faljchen A? || 4291 1] A! Erfter Ar-
tifel. A? || 4296 Wahrhaftigkeit: die Lüge] A! Wahrhaftigkeit, oder die tige A? ||
429 12 fie] A (worauf bezüglich? Auf vorfeglidhe Umwahrheit Z. 7? — Görland
dachte daran welche fie begleitet mit in die Klammer zu setzen; aber das fol-
gende: bie begleitet ıc. läßt eher vermuthen, daD der Relativsatz zu Ehrlofigfeit
gehört) || 42914 er fich] A! fich ber Menfch A? || 4291.17 Perfon; wobei] A'
Perfon. Hiebey kömmt weder A? || 42918 nicht] A! da er nicht A? || be
trifft) At trifft AR || (dem ba beitände e8] A! (bad alsdann A? || 4291.20
Andere) — auch nicht) A! Andere beitände) in Anſchlag, noch aud A? || 429%
er] A' ber Lügner A? || 42938 aber] A! Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text || 42953
Perjönlichleit und eine] A! Perfönlichkeit, wobei der Lügner ſich als eine A® ||
42954 der Menſch felbft.] A! ald wahren Menfchen zeigt. A? || 4306 werden, jo iſt
boch] A! werben; dennoch ift A? || 43010.17 (der Gebanfenmittheilung)] Al ber
Bebanfenmittheilumng A? || 43020 indem] A! Druckf,-Verz, A? obgleid; Al Text
(vielleicht dennoch richtig) || 43027 Unreblichfeit] A! Unlauterfeit A? || 43020.
wird, wenn — für] A! wird. 3. B. nach ber gröjlen Strenge betrachtet, ijt es
ihon Unlanterfeit, wenn ein Wunſch aus Selbftliebe für A? || 4307 Gitelle] A!
Stelle aus A? || 431ı aus] A! fehlt A? || 4312 In] A! Muß ich, wenn ich in
A® || 43126 wenn ich da] A’ fehlt A? || muß ich) A! fehlt A? || 431m
(nad) etbiichen Grundfäben)?] A! nad eihifchen Grundſätzen? A? |] Tebteren]
A' lebten Az || 43134 eigen] A! eigues A? || 4321 11.] A! Bweiter Artikel. A? ||
4325 (ber Erweiterung] A! (dem Hang zur Erweiterung A? || 4328 auch nicht]
A! fonbern A? || 432» aber doc blos] A! und zwar nicht in fofern er in A? |)
43210 fein kann J A! befteht; A? |] 43210 fondern die] A! fonbern in jo fern als
die A? || 43212,13 eigenen Bedürfniffes; diefer — welcher ber] eigenen Bebürf-
nifjes, biefer — welcher ber A! Bebürfniffes ber A? || 43221 entgegengejehte
Yalter] A' Druckf.-Verz, Eingegengejebte, die Zugend A! Text entgegen-
geſetzte Yafler, die Tugend A? |) 43220 bes habſüchtigen Geizes (als
Berichwenbers)] A! ber verſchwenderiſchen Habfucht A? || 4520 im] A!
lediglich im A? || 43231 und zu erhalten] Al fehlt A? || 43232-44 aber — Zweck
jei).] A! wobei man ſich blos den Beſitz zum Zwecke macht, unb fid bes Ge»
nuſſes entäußert. A? || 43312 Weniger] Al Druckf.-Verz. A? Nicht weniger A!
Text || 433 16.17 rirtus — reetum,] A! fehlt A? || 43529 begehn,] A! begehn kann,
A? (vielleicht aber sollte der Satz sich an den vorigen eng anschließen und aus
diesem, 2.24, das fehlende kann ergänzt werden; dann wäre nur die Inter-
punetion 2.27 zu ändern: werben; baber) || 435» ausüben] A! ausnibt A? ||
45331 habeat] A! ferat A® vgl. 4094; 40420 43332 bedeutet] A’ bebeutet aber
A? |) 4343 (armielig] A! (auf den Vorſatz armjelig A? || 45419 III.) A! Dritter
542 Metaphyſik der Sitten.
Artifel. A? || 43428 ein] A! (nach d. i. möglich, z. B. V, 1290) einen A? || 43434
folder] A! Druckf.-Verz. A? ſolches A! Text (vielleicht doch richtig) || 43514
Geringfähigfeit] A! Geringfügigfeit A? (vgl. Z. 23) || 43519 mit dem] A! das A? ||
435 20.21 (welches — ift),] A! in ſich aufrecht erhalten; A? || 43523 Geringfäbigfeit]
A! Geringfügigfeit A? || 43524 Demuth] A! moralifde Demuth A? || 4352
feines] A? feinen A! |] 43520.30 fittlich-falfhe Kriecherei (kumilitas spuria).] A!
falſche moraliihe Demuth (Aumiltas moralis spuria) oder geiftlide Krie-
herei. A? || 43531 Demuth) A! Demuth als Seringfchäßung feiner felbft A? ||
43533.31 in diefem Berhältniffe] A! in foldher Demuth A? || 43616. 17 in folgenden
Beifpielen] A! durch folgende Borfchriften A? || 43727 Des zweiten Haupt-
Ads) A! Drittes Hauptſtück A? || 43720. deu angebornen]) bem ange-
bornen A! (vgl. 4217.8; 4282.29) den gebornen A? || 4382.3 in meritum) A!
Druckf.-Verz. A? inmeritum A! Text || 43813 Gewiflen] A ein Gewiſſen Vorländer
(wohl nicht nothwendig) || 43827 den] A! das A? || 43834 (ald den Menfchen
überhaupt, d. i.)] (als den Menfchen überhaupt) d. i. A! fehlt A? || 43915 leßtere]
A! Tebte A? || 43932 Sntelligibilen zum Cenjibilen] A! Sntelligiblen zum Sen-
jiblen A? || 4407 den Regeln] A! fi al8 Regel A? || 44019 gewiffenlos) ge-
wiffenslos A || 440% den] A! Druckf.-Verz. A? die A! Text || 44027 erftere]
A! erfte Spruch A? || 44030 enthalte] A! enthält A? || 44032 ift, was] A! ift;
eine Geligfeit, die A? || 44033 Brincip] A! Princips A? || 441o Zwecke] A!
Zweden A? || 4417 dein Herz] A! prüfe dein Herz A? 44111 Tann] At könne
A? || mag.] A! möge. A? 44112 Das moraliiche Selbiterfenntniß, das] A!
Diefe Selbftprüfung, die A? || 44113 Tiefen (Abgrund)] A! Tiefen oder den Ab-
grund A? || verlangt, iſt] A! verlangt, und die dadurch zu erhaltende Selbft-
erkenntniß ift A? || 44114 leßtere) A! letzte A? || 44116 die] A! der A? || 4417.18
und dann die Entwidelung — in ihm zu entwideln] A! (und dann die Entwide-
‚lung — in ihm zu befördern? oder einfacher zu entiwideln zu streichen?) unb
dann, der Beftrebung die nie verlierbare urjprüngliche Anlage eines guten Willens
in fich zu entwideln. A? || 441ıs (nur bie] A! Nur bie A? || 44119 des Selbft-
erfenntnifies) A der Gelbiterfenntnig A? Vergötterung)) A! Bergötte
rung. A? || 44121 Diefes] A! Diefe A? || 44122 Menfch (feiner ganzen Gattung)]
A! eines Menfchen, oder des ganzen Menfchengeichlehts A? || 44las fie] A
dbiefe A? || 441 20.27 (fi — findet. —] A! und in einem foldden Falle auch
fi, jelbit der Verachtung würdig findet; einer Verachtung, die denn immer nur
diefen oder jenen Menfchen, nicht die Menſchheit überhaupt treffen fanıı. — ||
4413.31 halten (Gebet — Wunſch).] A! halten. Gebet — Wunſch. A? || 4425
ſich felbit] A! fi) oder andere Menfchen A? || 4426 Andere) AT An-
dere Wefen A? || 442 15.16 kann (denn — werden).) A! Tann; denn — werden.
A? || 442% für] A! (bei verwedjfeln, wenn ich nicht irre, auch sonst) mit einer
A? || 44228.29 erftere (außermenfchliche)] A! erften (außermenfchlichen) A? |
442 31.32 zweite (übermenfchliche)] A! zweiten (übermenfchlichen) A? || 4436
diejenige — Moralität] A! eine ber Moralität günjtige Stimmung der Sinnlichkeit
A? (dem Sinn nach richtig) || 4437 nämlich) A! nämlich die Luft A? || 4438
lieben (3. B. — Gewächsreichs).]) A! lieben und 3. B. an den jchönen Eryitallifa-
tionen an ber ıumbejchreiblichen Schönheit des Gewächsreichs ein unintereffirtes
Wohfgefallen zu finden, A? || 443 11.12 Pflicht — nraufamer] A! gewaltfame und
zugleich graufame A? (dem Sinn nach riehtig) || 44314 dadurch] A! folglich A® ||
44327 deifen] A! eines Wefens A? || 44520 3. B. ber Idee von Gott,] A! nemlich
der Gottheit, A? || 44331 Gebote.”] A? Gebete.“ A! || 4441 felbft] A® von und
jelbft A! (möglich auch 44533 von und zu streichen) || 4443 (geoffenbart)] A!
(ober geoffenbart) A? ||
44410 Zweites Bund.) Al Zweite Mbtheilung. A? 44421 Natur
anlage] A! Naturanlagen A? || 444er der Zwecke (fh — zu machen)] A!
Zwede zu haben, ober fit) — zu machen A? || 44525 Welche] A? Auf welche
A! Uber welche Görland (sehr ansprechend, vgl. 4465, wo dann freilich richtiger
aljo statt aber stände) || 44550 es) A! fehle A? || ihrer] A! feiner A® ||
4463 abwürbdigen] A! herabwürdigen A® || 44621 zu — binzuftreben] A! die Be-
ftrebung nach dieſem Biele ift A? || 44620 anderen ift] A! anderen A? || 446
im continnirlichen Fortfchreiten] (vgl. Z. 21.22) im comtinnirlichen Fortfchritten A!
in continuirlichen Wortichritten A? |) 4474 andere finuliche] A (richtiger andere,
finnfiche) || 4474.5 Bortheil (oder — Nachtheils)]) A! Bortheil, oder — Nadıtheils,
A? || 4476 könnten. —] A! könnten? — A? (richtig) || 44711 jener] A? jener Tu-
genden A? || 44712 aufzufinden,] Al bei fich aufgufinden, A? || 4482 Zweiter
Theil.| A! Zweites Buch. A? || 44812 erftere] A! erfte A® || verbienft-
lich;] A! verbienftliche; A® || 44914 der] A! bie A? || 44910 verftanden] A!
genommen A? || 449 ba] A! dba A? || 44927 mur) A! fehlt A? || 4502 lehtere]
A! letzte A? || 4505 Nächſten] A? Nächitens A! || 4507 abzuwürdigen] A! herab»
zuwürdigen A? || 4500 erftere] A! erfte A? || 45011 Teßteren] A! fehten A? |) 45027
menfchenfcheu] A? Menfchenicheu A! || Adlıs nicht der Menſch,] A! fehlt A? (stände
besser in Klammern) || 45115.16 Gleichheit wie alle Andere] Natorp Görland
Gleichheit alle Andere A! Gleichheit mit allen Underen A? (weniger gut wegen
des folgenden mit) |] 45219 des zum — Nothwendigen] A? fehlt A? || 45220.21
Neigungen (ſchwärmeriſch)]) A? Neigungen, ſchwärmeriſch, A! || 45224 noch)] A!
auch noch A® |) 452325 fei] A! werbe A® || db. i. das] A! b. i. wie kann man
bas A? || 45312 die gemeinnüßige] A! ift bie gemeinnübige Marime A? || 4537
für deu, der] A! im all bab jemand A? || 45310 feine] A! eine A? || 4535
letzteren) A! lebten A? || 4532 feinen Wohlthätigleitsact] A! feine Wohlthätigfeit
A? || 454 16 Vorforge] A! Fürforge A? || 45415.16 letzteren) A! leßten A? || 454ı7
[eßteren] A! Ießten A? || 45419 Geftörten] A! Blöbfinnigen und Verrückten A? ||
45421 denke, indem] A! denle; bem ich aber wirklich Feine Wohlthat erweife,
indem A? || 45491 ba hingegen] A dahingegen (Rel.) Görland || 455 13 Berlehung]
A! Verlegung (als fcandalöfes Beifpiel) A? || 45514 (als jfanbalöfes Beifpiel)] A'
fehlt A? || 45523 ſchon — Dankbarkeit] A! gegen den Wohlthäter ſchon eine Art
von Danfbarteit. A? || 4563 Grab] A! Druckf,-Verz. A? Grumb Al Text || 4567
ber] A! deren A? |) 45613 ber Menfchenliebe] A' (Dativ!) fehlt A? || 45615 ift,
zu verbinden) A! verbindet, auszuüben A* || 45633 erftere] A! erfte A® || 45654
544 Metaphyfil ber Sitten.
Iiberalis) A! liwra A? ı| 457 1 ıllıberalis, serrilis) A! meerssaria A? , 455
erfteren] A! erften A? |j A5Tıs dieſes] A! fehlt A? ‚| 45710 fein würde, indem es)
A! Barmberzigleit genannt, bie A? |, 457 und — wird) A! fehlt A? |:
45720 und unter) Vorländer unter A |, 45722 rejpectiv) A? und rejpectiv A! (dies
und scheint nur an die falsche Stelle gerathen zu sein, s. zu Z. 20) |] 4572 es]
A! fehlt A? |j 45726 Schickſale]) A! Edhidfale Pflicht A? |, indirecte Pilicht)
A! fehlt A? || 45720 benugen.] A! benugen, wenigftens indirecte Pilicht. A? |!
45730 umzugehen] A' zu ungehen A? | 4573.31 aufzujuchen, die] A’ aufzujuchen,
nicht die A? (dem Sinn nach richtig) !| 45813 allgemeinen) A! Druckf.-Verz. A?
fehlt A! Text || 45816 das] A! alfo A? || 45817 fein, nämlich der Stolz,] A!
ber Stolz fein, A? || über fi zu fehen;] A! nicht über ſich ſehen zu
wollen; A? || 45832 eigen] A! eigned A? || 459ı12.14 defjelben wegen) A! defient-
wegen A? || 45915 erzeigte] A? erzeugte A' || 45926 Eliten] A! ältern A? |
45931 ächtmoraliſcher]) A! ächt moralifcher A? || 4601 Böfes] A! Böfe A? (viel-
leicht richtig) || 4609 Eräugniſſe] A' Ereigniffe A? || 4601«.17 Theilnehmung
(des — Tereuz)] A! Xheilnehmung, der Marime des — Terenz, A? || 4613 fanite)
A! fchlaffe A? || 4614 wii) A! ignave A? || 4615 Entjagung] A! Ber
zichtleiftung A? || 46126 erftere] A! erite A? || 4626 durd) die Eelbftliebe Anderer)
A (logisch genau wäre etwa: dur Rückſicht auf die beredhtigte Eelbitliebe
Anderer; aber nicht zu ändern) || 4627 (Unbeidgeidenheit)] A! oder die Un.
beicheidenheit A? || 4628 Würbigkeit] A! Forderung A? || werden die) A
werden, iſt die Hartenstein (nicht nothwendig) ;| 4629 der Forderung aber] A’
aber in ber Forderung A? || 46231 ihm] A? ihn A! || 46317 Ehrliebenden] A!
Beitraften A? || 46318 auf) A! noch auf A? || 46319 fehmerzhafter] A! durdh diefe
Entehrung jchmerzhafter A? || 46324 bderfelben)] A befjelben Görland (an sich
richtig, doch ist ähnlicher Wechsel zwischen Singular und Plural bei Kant
nicht selten) || 46326 demfelben] A (nämlich Urtheil) || 46335 und — Werths] A!
fehlt A? || 46336 ausfchlagen) A! ausfchlagen, nie ihm allen moraliicden Werth
abjpreden A? || 4647 als) A! als einen A? || 4648 höchſtſchätzenden] A!
hochſchätzenden A? || 46414 aber — Buten] A! Hingegen an dem was blos als Ab-
weichung von der gemeinen Meinung auffallend (paradoxon), ſonſt aber an ſich
gut ift, folches A? || 46414.15 nehmen] A? nehmen A! || 46416 ein] A! und ein
A? (vielleicht richtig) || 46427 erftere]) A! erfie A? || 4651 Widerfpield] A! Gegen-
theil® A? || 46617 ungläubifh] A! ungläubig A? || 46618.19 desjenigen die —
Schmalernden, was] A! desjenigen, was die — fchmälert, wenn es) A? || 466m es
mag — fein] A! geſetzt daß es — wäre A? || 46630.31 uns andere) A’ wir Andern
A? || 4677 fie] A! gewiffe Sonberbarfeiten A? || 46713 caustieus] A! Druckf.-Verz.
A? castirus A! Text || 4681 dieſes,] A! diefes, auch in Beziehung auf andere
Menſchen zu befolgen, A? || 46812 reine] A?’ reinen A? || 46818 Diefe (Tugend-
pflihten)] A! Diefe Tugendpflichten A? || 46823 Subjecte der Anwendung] A
Cubjecte durch Anwendung Görland (doch läßt sich das Überlieferte wohl
halten) || 46834 Zuftande; was den) A! Zuſtande zu beobachten fei; welches Ber-
halten dem || und jenen) A! gezieme unb welches den A? || 469ı ihrer)
' ausgehenden Gelehrten carafterifire;
fei: A® |) 46914 — AS
; vielleicht richtig || 46923 Menichen] A! Menfdien
I Ka ie man ——
A’ jeiner A u N ee ae
4693 auögebenden;] A
A: || 4702 einbüße, jo baß Beiberfeitig] A! einbüßet Wie läht ſich alfo erwarten,
Eeiten A: || 4703 jdhwerlih] A’ fehlt A® || wird) A)
und wenn) A’ (ohne Nachsatz!) jo ba A? |} 4707.5 melde —
— welche, durd; A? || 47016 Areumdichaft] A! Freundſchaft alfo A? |]
Pirithous] A® Pyrithous A! |) 47019 Folgende Anmerkungen können] A!
en os folgende Anmerkungen A? || 47024 und zwar daß er] A! und
|] 470% gefallen jei, ober] A’ gefunfen zu fein, oder fürchtet wenig»
| | 47026 ingebeim] A! insgeheim A? I 4709. beitändig —
immer bie Gefahr feine Achtung au verlieren A*® || 47lıo
fünnen. —] A’ fönnen, — A! || 47112 Gefühle] A! Gefühlen A? ger
Vorländer; > scheint Sing. richtig) || 471ıs oder das] A' oder fefle, das
A® || 47120 aber fi] A" Druckf.-Verz. A? aber A! Text || 471as aber]
A! aber wird er A? (| 47125 fiebt er ſich] A! und fieht er ſich daher A? || 4722.4
theild weil ber Andere, der jein — zurüdhält] A' weil Andere, indem fie ihr —
zurüdhalten As || 4725 machen — betrifft] A’ machen fünnten. Er mödjle auch
anbern jeine Mängel oder Fehler eröffnen; aber er mu fürdjten, daß A? |]
— A! möchte A? || 4725—11 einen — an ſich hat,] A’ einen Men.
gute Gefinnung und Berftand hat, jo dab er ihm, ohne jene Gefahr
| fein Herz mit völligem Vertrauen auffchliefen fann, und ber
ber Urt die Dinge zu beurtheilen mit ihm übereinſtimmt, A? a
allein,) A’ allein, A? || 47218.19 ober — weldje] A! ober nidjt; ober
r Indiscretion. Nun it es aber äußerſt felten jene || 472% jelten ift] A’
A? || 472% #4 nigro] A? nigroque A? (richtig) || 47222 zugleich — anver-
te] At fi) verbunden achte, ein ihm anvertrantes A® |) 4729,%4 erfleren] A!
eriteren, ber es ihm amvertraute, A? || 47225 Diefe — ift] Al. Indeß ift doch
bie blos moraliſche Freundſchaft A? || 47225. (der ſchwarze Schwan] A'
ber ſchwarze Schwan A?® || 47228 (pragmatiiche)] A! (pragmatifche) Freundſchaft A? |]
47238 (d. i. ber] A? (d. i. ein Freund der A: || 47237 des bios Menichen-
liebenden (Bhilanthrop).] A! des Philanthropen, bie Menfchen bios
liebenden Menichen. A? || 4733 gleihjam] A! wobei man alle Menſchen A® |]
4734 will] A! will, fid) vorjtellt. A? |] 4730-2 einen, der — anzufehen;) A!
einen Theil eines allbefafienden Kreiſes, der mweltbürgerlihen Geſinnung anzır-
Razt’H Säriften Bale. VL 39
&
2:
H,
FE
Fi
in
f
:
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Orthographie, Interpunetion und Sprache. 547
ſich ſelbſt und andere Menſchen, A» 492. 493 Diese Tafel fehlt A®%, wo sich
dafür nach der Borrebe ein Inhaltsverzeichniß u. d. T. Inhalt der Tugendiehre
finde. Dieses giebt die Überschriften durchweg nach den Änderungen
der 2. Auflage, nur theilweise gekürzt. Im Abdruck der Tafel aus A! ist die
dort wenig consequente Sperrung nach Möglichkeit verbessert (A! hat nicht
gesperrt: 4925 gegen ſich ſelbſt ı0 Meflerionsbegriffe 4932 unvollfommenen
Pflichten ı2 Pflichten gegen Andere.) Zu 4920 animaliſches u moraliſches
vgl. zu 4217.85 42828.20, Paul Natorp.
Orthographie, Interpunetion und Sprache.
Orthographie. Vocale. Störendes aa ist vereinzelt: Maas (neben Maf-
ftab), ee selten: Leulſeeligkeit, Glüdjeeligfeit, verheelen, en häufig: Freyheit, frey-
lich, zweyerley, zweyte, dreyerley, beyde, jey, jeyn (= sint, esse), bey, Benfpiel,
Arzney, Länberey, Kriecheren, Policey. — Consonanten. c herrscht in Wörtern
griechischer Abkunft wie in eingebürgerten Fremdwörtern: Character, Dibactif,
Gritif, Scandal, Canzel, practifch, acroamatifch, catechetifch (aber Punkt), selten
umgekehrt f, wo c erwartet wird: Bubliftum, Prodult (sonst Product, Eultur,
activ usw.). — Dehnungs-h wird reichlich gebraucht: Nahme, willführlih, ver
lohren, ftöhren, angebohren, zuftröhmt, einmahl; aber vornemlich (neben vor-
nehmlich). Vgl. dazu ih: Geboth, Dienftbothe, Abenlheuer. — Die Schreibung
des stimmlosen f-Lautes ist nicht einheitlich, Im Inlaut zwischen Vocalen
findet sich nach kurzem Vocal &: Bernadhläßigung, zuverläßig; nach Diphthong fj:
auffer, Auffenmwerfe. Doch überwiegen die uns genehmen Formen (müfle; Ent
ihliehung, geäußert usw.). Vgl. dazu Maas, Gaufjalität. — 5 weisen Geib,
gereift auf. Vgl. dagegen Privatbenugung. Auch in Bewandniß fehlt das t
wie öfter in den Drucken. — Doppeleonsonanz vermissen wir besonders bei f
in der Rechtslehre: Begrif, Begrifs, Hofnung, betrift (daneben Begriff, Er-
Öffnung, verichafft). ff überwiegt in der ZTugenblehre, z. B. beirifft. — An-
fangsbuchstaben. Im Allgemeinen entspricht die Schreibung den heu-
tigen Gewohnheiten; doch haben substantivirte Adjeetive mehrfach die Mi-
nuskel: das ärgſte, ber nächſte, etwas zartes (überwiegend bas Berfprochene,
beinen Nächten, alles Erwerblihe u. a.), Häufig finden wir ber eine... ber
Andere, ohne daß ein grammatischer Unterschied die Schwankung rechtfertigte.
— Auch der Großbuchstabe tritt an ungewohnter Stelle auf, so bei Adjectiven:
das Häusliche, Gut (Subject zu ergänzen), eine Andere Perſon; bei Präpositionen:
firaft; bei zusammengeselzten Adjeetiven, deren erster Bestandtheil ein Sub-
stantiv ist: Grunbunterthänig, Menfchenicheu; nach Semikolon, nach einfach vor-
bereitendem Kolon (nicht in direkter Rede). Überall herrscht aber die jetzt
übliche Schreibung, — Zusammensetzung. Wir finden fo gar, jo fort, fo
wohl (neben fowohl), ob zwar (neben obzwar). — Eigennamen. Verändert
wurden Wolf, Schaftsbury, Congo, Gauris, Cain, Gremvich, Socrates, Epicur,
Pyrithous.
35*
548 Metaphyſil ber Sitten.
Interpunetion. Komma ist noch recht häufig zur Kennzeichnung rbe-
torischer Pausen gesetzt: vor und, welches gleichartige Satztlieile verbindet,
vor und hinter adverbialen Bestimmungen (z. B. nach Verordnungen des Berfehrs
unter und mit ihnen überhaupt; aber auch wenn sie ganz kurz sind), Genitiv-
Altributen, zumal wenn sie von einem Pronomen abhängen und hinter diesem
ein Substantiv zu ergänzen ist (dem freyen Gelbitzwange, nicht dem, anberer
Menichen), hinter adjectivischen Attributen (in einem anderen, unter ben Ber-
bingumgävertrag gehörigen alle), vor adverbialen Attributen (Fleiß, im Wuf-
fuchen ber Erzgänge), hinter Satztheilen, die mit einem vergleichenden als, wie
oder mit anknüpfendem mithin, (weder —) nod) eingeleitet sind, vor ober, auch
wenn es keinen Gegensatz ausdrückt (andererseits fehlt Komma mehrfach vor
ober, das auf ein entweber antwortet); — bei denn, wo; und, werm; nicht, al& ob;
fonbern, wenn; ſondern, weil; aber, weil. Dazu kommen überflüssige Kommata
vor oder hinter oder in der Klammer. In allen diesen Fällen fehlt das Zeichen
auch häufig, ohne daß ein Gesetz erkennbar wäre. — Nur selten vermissen wir
ein Komma: hinter Appositionen, vor oder hinter Nebensätzen. — Zuweilen
würden wir an seiner Stelle lieber Kolon sehen, z. B. nach einem Verbum des
Sagens vor direkter Rede. — Semikolon ist sehr beliebt. Wir ziehen Kolon
vor, wo Vorder- und Nachsatz sich scheiden, aber auch vor Nebensätzen mit
weil, fo bafj. Mehrfach empfiehlt sich besser ein Komma, so, wenn das Zeichen
vor einem Nebensatz steht und hinter diesem die grammatische Construction des
Hauptsatzes weitergeführt wird.
Sprache, Die Fälle, welche ein Eingreifen erfordern, sind durchweg ver-
einzelt und verschwinden unter zahlreichen Gegenbeispielen. Sie seien in Kürze
angeführt. Laute. Vocale der Stammsilben. In R (NRechtslehre) findet sich
nur Imal ausgebrudt, desgleichen in T (Zugenblehre) (auf derselben Seite wie
auch sonst ausgebrüädt), in dieser außerdem je Imal befümmt, vorfümmt. —
alsbenn tritt in NR 8, in T 4mal auf, dazu in R ausjchlüßlich (2mal), in €
Schwürigfeit, jhwüriger (je Imal). — Vocale der Ableitungssilben. Belegt sind
je Imal die Superlative jchwerejten in R, reineften, engefte in T; der Ind. Imp.
berubete in T, der Conj. Imp. zuerfennete, anfinnete, zufammenjtimmtete, füblete,
führete in R, einfchränfete im Anhang zur Nechtslehre, fühlete, daritellete, meinete,
erfenneten in T. — Die entsprechenden Bildungen des unfl. Part. Perf. treten
im Ganzen 16mal auf: e ist erhalten nach Liquida in gefället (R), aufgeftellet
(Unm. zu N, ZT), zerfället (T); nach Resonans in gemeinet (R, T), eingeräumet
(Z); nach Spirans in angeflehet (R), gerächet (T); nach stimmhaften Verschluß-
laut in gelanget (R), geliebet, gezeiget (T); nach stimmlosem in bewirfet (R). —
Für das seltenere flectirte Part. Perf. liegen nur 2 Beispiele aus R vor: erfüllete,
angebrohete. — Vocale der Flexionssilben. Von Substantiven findet sich Imal Ge
päde (R), von Verbalformen nur 1Omal die 3. Pers. Sing. Präs. ohne Synkope:
erhellet (R), offenbaret, gehöret (R), beftehet (R), ruhet (R, I), geſchiehet, fiehet
(Z), fußet (R). — In & steht Imal ſahe (3. Pers.). — Consonanten. Foderung,
erfodert tritt nur 3mal in T auf, gewiffenslos 44019 ist wohl Druckfehler. —
—
Orthographie, Interpunction und Sprache. 549
Flexion. ſeyn kommt 2mal in R vor in der, Bedeutung von jeien (294
32320). — Wortbildung. In & steht Imal obngefähr. — Syntax. Die Ver-
wendung der starken bezw. schwachen Flexion der Adjective nach andren Ad-
jectiven, Fürwortern, Zahlwortern und Präpositionen entbehrt wie immer der
Festigkeit. Als Beispiele für Abweichungen von der Regel mögen dienen: auf
öffentlichen, durchs Policeygejeß geordneten Markt (R, ein entsprechendes Bei-
spiel in X; also trotz des Kommas, durch welches beide adjectivische Attribute
als grammatisch coordinirt gekennzeichnet sind); einem . . . perſönlichem Rechte
angemefjen (Anhang zu R; wohl Druckfehler), unfer eigene Wille (R), vor jeder an-
derer angebotenen Waare (T), vor allem rechtlichen Act (R, 2mal), diefes jelnen
Werths (T); mit fremden Bebürfniß (T), jeder anderer (R) Zur Flexion der
Zablwörter vgl. noch in zweyen Theilen (je Imal in R und 3) — Daß die
Apposition auch in unsern Drucken zuweilen im Casus von ihrem Beziehungs-
wort abweicht, beweist Plicht gegen fich felbft, als einem animaliſchen Weſen
(2mal in 3). — 27611 wurde wann durch wenn ersetzt. — In ®R fand sich
2 mal der Duell, Imal bie Ereigniß. Ewald Frey.
e recalled after 7 days
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