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Full text of "Schriften zur Anthropologie und Geschichte"

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Rant’s 
gelammelte Schriften 


Berausgegeben 


von der 
Königlich Preußiſchen Mkademie 
der Wiſſenſchaften 


Band VI 


Erſte Abfheilung: Werke 
Sechſter Band 


Berlin 
Druck und Verlag von Georg Reimer 


1907 
y 


Rant’s Werke 


Band VI 


Die Religion innerhalb der Grengen der 
bloßen Bernunft. 


Die Metaphyſik der Sitten. 


Berlin 
Prudk und Perlag von Georg Beimer 
1907 


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rittes Stück. Der Sieg des guten Princips über das böſe und 
die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden... ..... 


Erfte Abtheilung. Philoſophiſche Vorftellung des Sieges des guten 

Princips unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden . . . 

1. Bon dem ethiſchen Naturzuftande . - 2 2 2 run na 

II. Der Menſch joll aus dem ethifchen Naturzuftande herausgeben, 

um ein Glied eines ethiihen gemeinen Weſens zu werben 

IM. Der Begriff eines ethifchen gemeinen Weſens ift der Begriff 
von einem Bolfe Gottes unter ethiſchen Geſetzen 

IV, Die Idee eines Volks Gottes ift (unter menschlicher Beranftal 

tung) nicht anders als in ber Form einer Kirche auszuführen 

V. Die Gonftitulion einer jeden Kirche geht allemal von irgend 

einem hiſtoriſchen (Offenbarungs-) Glauben aus. . - . . . 

Vi. Der Kirchenglaube hat zu feinem höchſten Ausleger den reinen 

Reigimdglauben . 2»: 2er ann rer nun nn. 

VII. Der allmählige Übergang des Kirchenglaubens zur Aleinderr: 

ichaft des reinen Religionsglaubens ift die Annäherung bes 








Zweite Abtheilung. Hiftorifche Vorſtellung der allmähligen 
Gründung der Herrſchaft des guten Princips auf Erden . . 
Ullgemeine Anmerkung : « - 2 2 22 nennen —V—— 


Viertes Stück. Vom Dienſt und Afterdienſt unter der 


Herrſchaft des guten — oder Von Religion 
J 


Erſter Theil. Vom Dienſt Gotles in einer Religion überhaupt. . . 
1. Abſchnmitt. Die chriftliche Neligion ald natürliche Religion . . 

2. Abfchnitt. Die chriftlicdhe Religion als gelehrte Religion . . 
Zweiter Theil. Bom Afterbienit Gottes in einer ftalutarifchen Religion 
& 1. Bom allgemeinen fubjectiven Grunde des Neligionswahnes 
82. Das dem Neligionswahne entgegengejebte moralifche Princip 
EEE erEr BE Ir 

83. en — — als — Regiment im er bes 


.#e.:; oo. u hä 5 eh er ne 
































‘ vm 

Der Rechtslehre Zweiter Theil. Das öffentliche Neht....-.- - 309 
Eriter Abichnitt. Das Staatöredt: - :.:.-.. + 811 

Allgemeine Anmerkung von ben rechllichen Wirkungen aus der 
Natur des bürgerlichen Bereind . - 22 2.2 ru. 318 

h Bon bem recilicen Berhäftniffe des Bürgers zum Bater- 
| lande und zum Auslandbe- - - - - > 2 222 000 337 
Zweiter Abſchnitt. Das Völlerredt - » - 2:20... 343 
Dritter Abſchnitt. Das Weltbürgerreht. -. » +» - .. .- - 352 

Anhang erläuterndber Bemerfungen zu ben metaphy- 
fiihen Anfangsgründen ber Nedhiölebre . .. - . » 356 
Zweiter Theil. Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. 
ER a ee et a ee 375 
Einleitung zur Tugenblehre DE ER 379 
I. Erörterung des Begrifj3 einer Tugenblehre- . »- -» + » satte a 879 


U. Erörterung des Begriffs von einem Bıwede, ber zugleich Pflicht ift . 382 
II. Bon dem Grunde fich einen Zwech der zugleich Pflicht ift, zu denfen * 


IV, Welche find die Zwecke, bie zugleich Pflichten ad De —— 

V. Erläuterung dieſer zwei Begriffee * 
A. Eigene Volllommenheiiitt 386 
B. Srembe Städfellaelt - . 22. 3 2m rar un nn 387 

VI. Die Ethik giebt micht Gefege für die Handlungen, jondern nur 
für die Marimen ber Handlunggen. 388 

VI. Die ethiſchen Pflichten find von Bee dagegen bie Rechtöpflichten 
von enger Berbinblihlet » » - - <a 22 nr en 390 
VII. Erpofition der Tugendpflichten als weiter Bilihtin -. -... 391 
DE ee een ta 394 

X. Das oberfte Princip der Nechtölehre war anatptife;: bas ber 
Zugendlehre ift ſynthetiſch.. 396 
XI. Schema ber Tugendpflihten - - =» = +» 2 u nun en nen 398 

XI. Afthetifche Vorbegriffe der Empfänglichfeit des Gemüths für Pflicht- 
ee 399 
a) Das moralische Gefühl - 2 22-2 meer 399 
a ee ee Er ER 400 
©) Bon ber Menfchenliebe . » = > - 22 401 
FREIE PER | - 

XIII. Allgemeine Grundſätze ber Methaphyſik der Sitten in Behandlung 
einer reinen Zugenblefre - » » 222 22 2m 0 na. 403 


XIV, Bom Princip der Wbjonderung der Tugendlehre : von * Rechtolehre 406 
XV, Zur Tugend wird zuerſt erforbert die Herrichaft über ſich felbft 407 





x. Micemitı. Bon pen Tugendvflichten gegen nuber 
Menichen ame ber itmen gehübeenden Bcdrtung. - . 46 


Um Ber die Rnicht ber Mchrumen für autberr Menichen 


verlegenden Yale . -. - - - 22220 .. | 
A Da Debut -. -. -. .. 2-2 220. 4 
r, Da Vırmresai. -.-.... 2:2 220000 MH 
ve Da Berbkune - . . -» 22.2.2202. Mi 
suite Damntitsd. Bon Ber etbricken Filsshten Der Merichen 
augen rmauber m Betetunmg iter: Rautıonteö . . . . 
Neam der lemermbarltrt -© - - 22 222 % 
Nu der meet. Nerremume. Der Sehr min ber Bchtumg 
van KRreundiat: . -. .-. . . 2.220220. 4 


Raise. Ser der Impemsöiugemsn . . . . . .. . #2 
Ripttpe ieinuentehre 


rd Rramıt De ee DE 2. 4 
Aumrttun. reiklie: sur: zugpatiägsen Füsterkulm . . . . 43 
we Nriamits Di the Miceel! 8222468 
Neue din gonzer Nrpi! | 
Jan SE „17T 205 "7 "Tee 7-2 | 7 He 49 


Arube a \- 





Die Religion 
innerhalb der Grenzen 


der bloßen Vexnunfl. 


Borgeftellt 


von 


Immanuel Kant. 


KRant’s Sqhriften. Verte. VI. 


4 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloken Vernunft. 


jet, zu erfennen, noch dazu, daß fie ausgeübt werde, anzutreiben: fondern 
fie fann gar wohl und ſoll, wenn es auf Pflicht anfommt, von allen Aweden 
abftrahiren. So bedarf es zum Beifpiel, um zu wifjen: ob ic) vor Gericht 
in meinem BZeugnifje wahrhaft, oder bei Abforderung eines mir anver- 
trauten fremden Guts treu fein ſoll (oder auch kann), gar nidyt der Nach- 5 
frage nad) einem Zwed, den ich mir bei meiner Erflärung zu bewirfen 
etwa vorjeken möchte, denn das iſt gleichviel, was für einer es jei; viel- 
mehr ift der, welcher, indem ihm jein Geſtändniß rechtmäßig abgefordert 
wird, noch nöthig findet, fi) nad) irgend einem Zwede umzufehen, hierin 
ſchon ein Nihtswärdiger. 10 
Obzwar aber die Moral zu ihrem eigenen Behuf feiner Zweckvor— 
ftellung bedarf, die vor der Willensbeftimmung vorhergehen müßte, jo 
fann es doch wohl fein, daß fie auf einen ſolchen Zwed eine nothwendige 
Beziehung habe, nämlich nicht als auf den Grund, jondern als auf Die 
nothwendigen Folgen der Marimen, die jenen gemäß genommen wer: 
den. — Denn ohne alle Zwedbeziehung kann gar feine Willensbeftimmung 
im Menſchen ftatt finden, weil fie nicht ohne alle Wirkung fein kann, deren 
Vorftellung, wenn gleich nicht als Bejtimmungsgrund der Willkür und 
als ein in der Abjicht vorhergehender Zwed, doc als Folge von ihrer 
Deitimmung durchs Geſetz zu einem Zwecke muß aufgenommen werden 20 
können (finis in consequentiam veniens), ohne welden eine Willfür, die 
fi, feinen weder objectiv noch jubjectiv beſtimmten Gegenftand (dem fie 
bat, oder haben follte) zur vorhabenden Handlung hinzudenft, zwar wie 
fie, aber nit wohin fie zu wirken habe, angewiefen, ſich ſelbſt nicht Gnüge 
ihun fann. So bedarf es zwar für die Moral zum Nechthandeln feines * 
Bweds, fondern das Geſeh, welches die formale Bedingung des Gebrauchs 


— 
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erflären würben, fo müßten fie die Naturvollfommenbeit des Menfchen, jofern fie 
einer Erhöhung fäbla Ift, und deren e8 viel geben lann (ala Geſchicklichkeit in Künften 
und Wiffenfchaften, Geſchmack, Gewandtheit des Körpers u. d. g.) meinen. Dies ift 
aber jederzeit nur bedingter Weife gut, das ift, mur unter der Bedingung, dab ihr 3 
Gebrauch dem moralifchen Gefehe (welches allein unbedingt gebietet) nicht wider» 
fireite; allo dann fie, zum Zweck gemacht, nicht Princip der Pilichtbegriffe fein. 
Eben daſſelbe gilt auch von dem auf Glüdfeligfeit anderer Menichen gerichteten 
Bwede, Denn eine Handlung muß zuvor am fich felbit madh dem moralijchen Ge- 
lebe abgewogen werben, ebe fie auf die Glüctfeligkeit anderer gerichtet wird. Dieler 35 
Ihre Welörberung Ift alfo mur bedingter Weile Pflicht und lann nicht zum oberiten 


Prinelp moralifcher Diaglınen dienen, 














ber Endamwed. Gigene 
abhängigen Natur hat, und von 


mit der bloken Idee eines 2 
gen! dah man ihn baden folte), und alle 






daben, And Fontbetikd; aber zugteid) eun- 


















mithin würde er —— ganz parteilos, gleich als vom 


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fen, weil es möglich ift, daß er vielleicht der Forderung der 


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8 Religion innerhalb ber Grenzen der bloßen Vernunft. 


Idee defielben zu ihrem Gebraud verwenden. Was nur fofern wahr: 
haftig verehrt werden kann, als die Achtung dafür frei ift, wird genöthigt, 
fi) nad) ſolchen Formen zu bequemen, denen man nur durch Zwangsge— 
jebe Anfehen verichaffen kann, und was ſich von ſelbſt der öffentlichen Kri- 
tik jedes Menjchen blopftelt, das muß fid einer Kritif, die Gewalt hat, 
d. i. einer Genfur, un 

Indefjen, da das Gebot: gehoräje der Dbrigfeit! doch auch moralifch 
ift, und die Beobachtung defielben wie die von allen Pflichten zur Religion 
gezogen werden kann, jo geziemt einer Abhandlung, weldye dem bejtimmten 
Begriffe der letztern gewidmet ift, jelbjt ein Beifpiel diefes Gehorjams ab- 
zugeben, der aber nicht durch die Achtſamkeit bloß auf das Gejeß einer 
einzigen Anordnung im Staat und blind in Anfehung jeder andern, fon: 
dern nur durch vereinigte Achtung für alle vereinigt bewiejen werden kann. 
Nun fann der Bücher richtende Theolog entweder als ein folder angeftellt 
fein, der blos für das Heil der Seelen, oder aud) als ein joldyer, der zu- 
gleich für das Heil der Wiſſenſchaften Sorge zu tragen hat: der erſte 
Richter bloß als Geiftlicher, der zweite zugleich als Gelehrter. Dem letz— 
tern als Sliede einer öffentlichen Anftalt, der (unter dem Namen einer 
Univerfität) alle Wiſſenſchaften zur Cultur und zur Verwahrung gegen 
Beeinträdtigungen anvertraut find, liegt es ob, die Anmaßungen des 
eritern auf die Bedingung einzufchränfen, das jeine Genjur feine Zerftö- 
rung im Felde der Wiſſenſchaften anrichte, und wenn beide biblifche Theo— 
logen find, fo wird dem lehtern als Univerfitätsgliede von derjenigen 
Facultät, welcher diefe Theologie abzubandeln aufgetragen worden, die 
Dbercenfur zukommen: weil, was die erfte Angelegenheit (das Heil » 
ber Seelen) betrifft, beide einerlei Auftrag haben; was aber die zweite 
(das Heil der Wiljenihaften) anlangt, der Theolog als Univerfitätsge- 
lehrter noch eine befondere Function zu verwalten hat. Geht man von 
biefer Regel ab, jo muß es endlich dahin kommen, wo es ſchon jonft (zum 
Beifpiel zur Zeit des Galileo) geweſen ift, nämlid dab der biblijche 
Theolog, um den Stolz der Wiffenfhaften zu demüthigen und ſich jelbft 
bie Vemdhung mit denſelben zu erſparen, wohl gar in die Aſtronomie 


Geſehe als uaq der Herbeiführung des böchften Guts (als Zweit) gedacht wer- 
ben follı fo muß, weil das Menfchenvermögen dazu nicht hinreicht, die Glächſſeligkeit 

In der Melt elnftimmig mit der MWürdigkeit glüdllich zu fein zu bewirken, ein all- 3 
berinögendes morallſches Weſen als Weltberricher angenommen werden, unter defien 
Vorſorge diefes geſchleht, & I die Moral führt umansbleiblich zur Religion. 


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10 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. 


bloßen Vernunft angemefjenen, der leßtern aber vielleicht nicht gefälligen 
Bedeutung! fondern nur fofern er in diefe etwas hineinträgt und fie 
dadurd) auf andere Zwede richten will, als es diejer ihre Einrichtung ver: 
ftattet. — So fann man z. B. nicht jagen, daß der Lehrer des Natur: 
rechts, der manche klaſſiſche Ausdrüde und Formeln für feine philojophi- 5 
ſche Rechtslehre aus dem Codex der römischen entlehnt, in dieſe einen 
Eingriff thue, wenn er fid) derjelben, wie oft geſchieht, auch nicht genau in 
demſelben Sinn bedient, in welchem fie nad) den Auslegern des*legtern zu 
nehmen fein möchten, wofern er nur nicht will, die eigentlichen Juriſten 
oder gar Gerichtshöfe follten fie auch jo brauchen. Denn wäre das nicht 
zu feiner Befugniß gehörig, jo könnte man auch umgefehrt den biblijchen 
Theologen, oder den ftatutarifhen Juriſten befchuldigen, fie thäten un— 
zählige Eingriffe in das Eigenthum der Philoſophie, weil beide, da fie der 
Dernunft und, wo es Wiſſenſchaft gilt, der Philojophie nicht entbehren 
fünnen, aus ihr jehr oft, obawar nur zu ihrem beiderjeitigen Behuf, bor- 
gen müfjen. Sollte es aber bei dem erjtern darauf angejehen fein, mit der 
Vernunft in Religionsdingen wo möglich gar nichts zu ſchaffen zu haben, 
fo fann man leicht vorausfehen, auf weſſen Seite der Verluft fein würde; 
denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg anfündigt, 
wird es auf die Dauer gegen fie nit aushalten. — Ich getraue mir fo- 
gar in Vorſchlag zu bringen: ob es nicht wohlgethan fein würde, nad) 
Vollendung der akademiſchen Unterweifung in der biblijhen Theologie 
jederzeit nod eine bejondere Borlefung über die reine philojophijche 
Religionslehre (die ſich alles, aud die Bibel, zu Nutze macht) nad) einem 
Leitfaden, wie etwa diejes Bud) (oder aud ein anderes, wenn man ein » 
befjeres von derjelben Art haben kann), als zur vollftändigen Ausrüftung 
bes Gandidaten erforderlich, zum Beſchluſſe hinzuzufügen. — Denn die 
Wiſſenſchaften gewinnen lediglich durd; die Abjonderung, fofern jede vor: 
erft für fi ein Ganzes ausmacht, und nur dann allererft mit ihnen der 
Verſuch angeftellt wird, fie in Vereinigung zu betrachten. Da mag nun so 
ber biblifche Theolog mit dem Philofophen einig jein oder ihn wider: 
legen zu müffen glauben: wenn er ihn nur hört. Denn jo kann er allein 
wider alle Schwierigkeiten, die ihm diefer machen dürfte, zum voraus be- 
waffnet fein. Aber diefe zu verbeimlichen, auch wohl als ungöttlich zu 
verrufen, ift ein armfeliger Bebelf, der nicht Stich hält; beide aber zu 3 
vermifchen und von Seiten des bibliſchen Theologen nur gelegentlich flüdh- 
tige Blicke darauf zu werfen, ift ein Mangel der Gründlichfeit, bei dem 


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Vorrede 
zur zweiten Auflage. 


In dieſet if auher den Drudfehlern und einigen wenigen verbefler 


ten Ausdrüden nichts geändert. Die neu hinzugefommenen Zuſätze find, 
mit einem Kreuz + bezeichnet, unter den Tert geſetzt. 

Bon dem Titel dieſes Werks (denn in Anſehung der unter demjelben 

Abſicht find auch Bedenken geäußert worden) merfe ich nod) 

an: Da Offenbarung doch auch reine Vernunftreligion in ſich we- 


ander befindliche, fondern als soncentrihe — —* —* 








Diefes zutrifft, fo 








Borrebe zur zweiten Auflage. 13 


jagen können, daß zwiſchen Vernunft und Schrift nicht blos Verträglich- 
feit, ſondern aud) Einigkeit anzutreffen fei, jo dab, wer der einen (unter 
Zeitung der moraliſchen Begriffe) folgt, nicht ermangeln wird auch mit 
der anderen zufammen zu treffen. Träfe es ſich nicht jo, jo würde man 
entweder zwei Religionen in einer Perſon haben, welches ungereimt ift, 
oder eine Religion und einen Eultus, in welchem Fall, da letzterer 
nit (jo wie Religion) Zwed an ſich jelbit ift, fondern nur als Mittel 
einen ®erth hat, beide oft müßten zufamm yüttelt werden, um ſich 
auf furze Zeit zu verbinden, alsbald aber wie DI und Waſſer ſich wieder 
von einander jheiden und das Reinmoralifche (die Bernunftreligion) oben 
auf müßten jhwimmen lafjen. 

Da dieje Bereinigung oder der Verſuch derjelben ein dem philo- 
ſophiſchen Religionsforſcher mit vollem Recht gebührendes Geſchäft und 
nicht Eingriff in die ausſchließlichen Rechte des bibliſchen Theologen fei, 
habe ich in der erften Borrede angemerkt. Seitdem habe ich dieje Be- 
hauptung in der Moral des jel. Michaelis (Erjter Theil, S.5—11), 
eines in beiden Bädern wohl bewanderten Mannes, angeführt und durch 
fein ganzes Werk ausgeübt gefunden, ohne daß die höhere Facultät darin 
etwas ihren Rechten Präjudicirliches angetroffen hätte. 

Auf die Urtheile würdiger, genannter und ungenannter Männer über 
dieſe Schrift habe ich in diejer zweiten Auflage, da fie (wie alles aus— 
wärtige Zitterarifche) in unſeren Gegenden jehr jpät einlaufen, nicht Be- 
dacht nehmen können, wie ich wohl gewünjcht hätte, vornehmlich in An— 
fehung der Annotationes quaedam theologicae etc. des berühmten Hrı. 
D. Storr in Tübingen, der fie mit feinem gewohnten Scharffinn, zugleich) 
aud) mit einem den größten Dank verdienenden Fleiße und Billigfeit in 
Prüfung genommen hat, welche zu erwiedern ich zwar Vorhabens bin, es 
aber zu verfprechen, der Bejchwerden wegen, die das Alter vornehmlich 
der Bearbeitung abjtracter Ideen entgegen jeßt, mir nicht getraue. — 
Eine Beurtheilung, nämlich die in den Greifswalder N. Krit. Nachrichten, 
29. Stüd, fann id) eben fo kurz abfertigen, als es der Necenjent mit der 


‚Schrift jelbft gethan hat. Denn fie ift feinem Urtheile nad) nichts anders, 


als Beantwortung der mir von mir felbft vorgelegten Trage: „Wie ift 
das firhlihe Syftem der Dogmatik in feinen Begriffen und Lehrſätzen 
nad) reiner (theor. und praft.) Vernunft möglih?" — Diejer Verſuch 
gehe alſo überall diejenige nicht an, die fein (Kes) Syſtem jo wenig 
fennen und verftehen, als fie diefes zu fönnen verlangen und für fie aljo 

















fr 
b 














als nicht eriftirend anzufehen fei. — Hierauf antworte id): Es bedarf, 
um biefe Sqhrift ihrem wejentlihen Inhalte nad) zu verftehen, nur ber 


feit in ofiähtmäßigen € Handlungen (ihrer Zegalität nad;) virtus phae- » 
nomenon, diejelbe aber als ftandhafte ———— ſolcher Handlungen 





Wenn man das 1 
legtere nur von den zur Religionslehre gezählten Geheimniffen von der 
göttlichen Natur rühmen fönnte, bie, als ob fie ganz populär wären, in 
die Katehismen gebracht werden, jpäterhin aber allererft in moraliſche 
Begriffe ——— werben maſſen wenn fie für jedermann verRän 


Königsberg, den 26. Januar 1794. 



























Inhalt. 


Erftes Stück. 


Von der Einwohnung des böſen Princips neben dem guten; d. i. vom 
radicalen Boͤſen in der menſchlichen Natur. 


Zweites Stück. 


Vom Kampf des guten Princips mit dem böfen um die Herrihaft über 
den Menden. 


Drittes Stüd. 


Dom Sieg des guten Principg über das böfe und der Stiftung eines 
Reichs Gottes auf Erden. 


Viertes Stüd. 


Dom Dienft und Afterbienft unter der Herrihaft des guten Princips, 
oder von Religion und Pfaffenthum. 


Der 
Philoſophiſchen Religionslehre 


Erftes Stüd. 


Kaut't Schriften. Berke VI. " 2 


30 Neligion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erftes Stüd. 


in umgefehrter Richtung, nämlid vom Schlechten zum Befjern, unaufs 
hoͤrlich (obgleich kaum merflidh) fortrüde, wenigftens die Anlage dazu in 
der menſchlichen Natur anzutreffen jei. Diefe Meinung aber haben fie 
ficherlic) nicht aus der Erfahrung geihöpft, wenn vom Moralijd- 
Guten oder Böſen (nicht von der Eivilifirung) die Rede ift: denn da 
ſpricht die Geſchichte aller Zeiten gar zu mächtig gegen fie; fondern es ijt 
vermuthlic bloß eine gutmüthige Vorausfeßung der Moraliften von Se- 
neca bis zu Rouſſeau, um zum unverdrofjenen Anbau des vielleicht 
in uns liegenden Keimes zum Guten anzutreiben, wenn man nur auf 
eine natürliche Grundlage dazu im Menſchen rechnen fönne. Hiezu fommt 
noch: daß, da man dod) den Menſchen von Natur (d. i. wie er gewöhnlich) 
geboren wird) als dem Körper nad) gefund annehmen muß, feine Urſache 
fei, ihn nicht aud) der Seele nad) eben jo wohl von Natur für gefund und 
gut anzunehmen. Dieje fittliche Anlage zum Guten in uns auszubilden, 


jei uns aljo die Natur ſelbſt beförderlid. Sanabilibus aegrotamus malis, 15 


nosque in rectum genitos natura, si sanari velimus, adiuvat: jagt 
Geneca. 

Weil es aber doch wohl gefchehen fein könnte, daß man fid) in beider 
angeblihen Erfahrung geirrt hätte, jo ift die Frage: ob nicht ein Mitt- 
leres wenigitens möglich fei, nämlich, daß der Menſch in feiner Gattung 
weder gut nod) böfe, oder allenfalls aud) eines jowohl als das andere, zum 


ı Theil gut, zum Theil böfe, jein könne. — Man nennt aber einen Men- 


chen böfe, nicht darum weil er Handlungen ausübt, welche böfe (gejeß- 
widrig) find; jondern weil diefe jo bejchaffen find, daß fie auf böfe Mari- 
men in ihm fließen lafjen. Nun kann man zwar geießwidrige Hand- 
Iungen durch Erfahrung bemerken, auch (wenigftens an ſich ſelbſt) daß fie 
mit Bewußtſein gefeßwidrig find; aber die Marimen fann man nicht be- 
obachten, jogar nicht allemal in ſich jelbjt, mithin das Urtheil, daß der 
Thäter ein böjer Menſch ſei, nicht mit Sicherheit auf Erfahrung gründen. 
Alſo müßte ſich aus einigen, ja aus einer einzigen mit Bewußtfein böfen 
Handlung a priori auf eine böfe zum Grunde liegende Marime und aus 
diejer auf einen in dem Subject allgemein liegenden Grund aller befon- 
dern moraliſch-böſen Marimen, der jelbft wiederum Marime ift, ſchließen 
laffen, um einen Menjchen böfe zu nennen. - 

Damit man ſich aber nicht fofort am Ausdrude Natur ſtoße, wel- 
cher, wenn er (wie gewöhnlich) das Gegentheil des Orundes der Hand- 
lungen aus Freiheit bedeuten follte, mit den Brädicaten moraliſch— 


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22 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Erſtes Stüd. 


ber erfte Grund der Annehmung unjrer Marimen, der jelbjt immer wie- 
derum in der freien Willfür liegen muß, fein Factum fein fann, das in 
der Erfahrung gegeben werden könnte: jo heißt das Gute oder Böſe im 
Menſchen (als der jubjective erfte Grund der Annehmung diejer oder jener 
Marime in Anjehung des moraliſchen Gejehes) bloß in dem Sinne ange 
boren, als e3 vor allem in der Erfahrung gegebenen Gebraude der Frei— 
heit (in der früheften Sugend bis zur Geburt zurüd) zum Grunde gelegt 
wird und jo ala mit der Geburt zugleich im Menſchen vorhanden vorge: 
jtellt wird: nicht daß die Geburt eben die Urjache davon fei. 


Anmerkung. 


Dem Streite beider oben aufgeftellten Hypothejen liegt ein disjune— 
tiver Saß zum Grunde: der Menſch ift (von Natur) entweder fitt- 
lich gut oder ſittlich böfe. E3 fällt aber Jedermann leicht bei, zu fra— 
gen: ob es aud mit diefer Disjunction feine Richtigkeit habe; und ob nicht 
jemand behaupten könne: der Menſch fei von Natur feines von beiden; 
ein Andrer aber: er fei beides zugleich, nämlich in einigen Stücken gut, 
in andern böfe. Die Erfahrung jcheint jogar diejes Mittlere zwiſchen 
beiden Ertremen zu beitätigen. 

Es liegt aber der Sittenlehre überhaupt viel daran, feine moralijche 
Mitteldinge weder in Handlungen (adiaphora) nod) in menſchlichen Cha- 
rafteren, jo lange es möglich ift, einzuräumen: weil bei einer ſolchen Dop— 
pelfinnigfeit alle Marimen Gefahr laufen, ihre Beftimmtheit und Feftig- 
feit einzubüßen. Man nennt gemeiniglich die, welche diejer ftrengen 
Denkungsart zugethan find (mit einem Namen, der einen Tadel in fid 
fafjen foll, in der That aber Lob ift): Rigoriften; und fo kann man ihre 
Antipoden Zatitudinarier nennen. Dieje find aljo entweder Latitudi- 
narier der Neutralität und mögen Indifferentiften, oder der Goali- 
tion und fönnen Synfretiften genannt werden. *) 


) Wenn das Gute a ift, fo ift fein comtradictorifch Entgegengejehtes das 
Nichtgute. Diejes iſt nun bie Folge entweber eines bloßen Mangels eines Grundes 
bes Guten =(0, ober eines pofitiven Grunbes bes Wiberfpiels beffelben = — a; im 
legtern Falle kann das Nichtgute auch bas pofitive Böfe heihen. (In Anſehung bes 
Bergnügens und Schmerzens giebt ed ein dergleichen Mittleres, jo daß das Ver— 
gnügen =a, ber Schmerz = — a unb ber Buftanb, worin feines von beiben ange 
trofjen wird, die Gleichgültigfeit, —=0 ift.) Wäre nun das moralifche Geſetz in ums 


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35 


94 Religlon innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Erftes Stüd. 


dab fie durch keine Triebfeder zu einer Handlung beftimmt werden kann, 
als nur fofern der Menſch fie in feine Marime aufgenommen 
hat (es fid) zur allgemeinen Negel gemacht hat, nad) der er ſich verhalten 
will); fo allein fann eine Triebfeber, welche fie auch jei, mit der abjoluten 
Spontaneität der Willkür (der Freiheit) zufammen bejtehen. Allein das 
moraliſche Geſetz ift für ſich felbft im Urtheile der Vernunft Triebfeder, 
und wer es zu feiner Marime macht, ift moraliſch gut. Wenn nun das 
Geſetz jemandes Willkür in Anjehung einer auf dafjelbe ſich beziehenden 
Handlung doc; nicht bejtimmt, jo muß eine ihm entgegengejehte Trieb- 
feder auf die Willkür deffelben Einfluß haben; und da diefes vermöge der 
Rorausfeßung nur dadurch geſchehen kann, daß der Menſch dieje (mithin 
auch die Abweichung vom moralifchen Geſetze) in feine Marime aufnimmt 
(in welchem Falle er ein böfer Menſch ift): jo ift feine Gefinnung in An- 
ſehung des moraliſchen Geſetzes niemals indifferent (niemals keines von 
beiden, weder gut, noch böfe). 

Er fann aber auch nicht in einigen Stüden fittlich gut, in andern 
zugleich böfe fein. Denn ift er in einem gut, jo hat er das moralijche Ge— 
ſetz in feine Marime aufgenommen; jollte er alfo in einem andern Stüde 
zugleich böje fein, jo würde, weil das moraliſche Gefeß der Befolgung der 
Pflicht überhaupt nur ein einziges und allgemein ift, die auf dafjelbe be- 
zogene Marime allgemein, zugleid) aber nur eine befondere Marime jein: 
welches ſich widerjprit.*) 


Temperament ber Tugend, mutbig, mithin fröhlich, oder ängftlich-gebeugt 
und niebergeichlagen? jo it faum eine Antwort nöthig. Die lebtere ſtlaviſche Ge- 
mätheftimmung kann nie ohne einen verborgenen Hab des Gejehes ftatt finden, 
und das fröhliche Herz in Befolgung feiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in An- 
erfennung bdeffelben) ift ein Zeichen der Achtheit tugendhafter Gefinnung, felbft in 
der Wrömmigfeit, die nicht in der Selbftpeinigung bes reuigen Sünders (welche 
fehr zweidentig ift und gemeiniglich nur innerer Vorwurf ift, wider bie Klugheits- 
regel verftohen zu haben), jondern im feſten Vorſatz es fünftig beifer zu machen 
bejtebt, der, durch den guten Fortgang angefenert, eine fröhliche Gemüthsftimmung 
bewirken muß, ohne welche man nie gewiß ift, bad Gute auch lieb gewonnen, 
db. i. es in feine Marine aufgenommen zu haben. 

) Die alten Moralpbilojopben, die jo ziemlich Alles erjchöpften, was über 
bie Tugend gejagt werben farm, baben obige zwei Fragen auch nicht unberührt 
gelaſſen. Die erite drüdten fie fo aus: Ob die Tugend erlernt werden müſſe (der 
Menſch alfo von Natur gegen fie und das Lafter inbifferent jei)? Die zweite war: 
Ob ed mehr ald eine Tugend gebe (mithin es nicht etwa ftatt finde, dab der Menſch 


* 


5 


26 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Erſtes Stüd. 


I. 
Bon der urfprüngliden Anlage zum Guten in der menjd= 
lien Natur. 


Wir lönnen fie in Beziehung auf ihren Zweck füglich auf drei Klafjen, 
als Elemente der Beftimmung des Menſchen, bringen: 

1. Die Anlage für die Thierheit des Menſchen, als eines leben- 

den; 

2. Für die Menſchheit dejjelben, als eines lebenden und zugleid) 

vernünftigen; 

3. Für feine Berfönlichkeit, als eines vernünftigen und zugleich 

der Zurechnung fähigen Mejens.*) 

1. Die Anlage für die Thierheit im Menihen kann man unter 
ben allgemeinen Titel der phyſiſchen und bloß mechaniſchen Selbitliebe, 
d. i. einer foldyen bringen, wozu nicht Vernunft erfordert wird. Sie ift 
dreifach: erjtlich zur Erhaltung feiner felbft; zweitens zur Fortpflan= 
zung feiner Art durch den Trieb zum Gejchlecht und zur Erhaltung dejjen, 
was durd Vermiſchung mit demjelben erzeugt wird; drittens zur Ge- 
meinjhaft mit andern Menjchen, d. i. der Trieb zur Gejellichaft. — Auf 
fie können allerlei Zajter gepfropft werden (die aber nicht aus jener An- 
lage als Wurzel von jelbft entjprießen). Sie können Zafter der Rohig— 


) Man kann biefe nicht als ſchon in dem Begriff der vorigen enthalten, ſon— 
bern man muß fie nothwendig als eine beſondere Anlage betrachten. Denn es folgt 
daraus, daß ein Weſen Bernunft hat, gar nicht, daß diefe ein Vermögen enthalte, 
bie Willfür unbedingt burd) die bloße Borftellung der Qualification ihrer Marimen 
zur allgemeinen Gejehgebung zu beitimmen und aljo für fich jelbft praftifch zu fein: 
wenigitens jo viel wir einjehen können. Das allervernünftigite Weltwejen könnte 
bod immer gewiſſer Triebfedern, bie ihm von Objecten der Neigung berfommen, 
bedürfen, um jeine Willkür zu beftimmen; biezu aber die vernünftigite Überlegung, 
jowohl was bie größte Summe der Triebfedern, ald auch die Mittel, ben dadurch 
beitimmten Bwed zu erreichen, betrifft, anwenden: ohne aud) nur bie Möglichkeit 
von fo etwas, als das moralijche, ſchlechthin gebietende Geſetz iſt, welches jich als 
jelbft und zwar höchſte Triebfeder anfündigt, zu ahnen. Wäre dieſes Gejet nicht 
in und gegeben, wir würden e8 als ein ſolches durch Feine Vernunft berausflügeln, 
ober der Willfür anfchwahen: und doch iſt dieſes Gejeh das einzige, was und der 
Umabbängigfeit unſrer Willfür von ber Beftimmung durch alle andern Triebfedbern 
(umfrer Freiheit) und biemit zugleich ber Zurechnmungsfäbigfeit aller Handlungen be 
wußt macht. 


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8 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd, 


Idee des moraliihen Gejeßes allein mit der davon unzertrennlichen Ach— 
tung fann man nicht füglich eine Anlage fürdie Perſönlichkeit nennen; 
fie ift die Perſönlichkeit felbft (die Idee der Menichheit ganz intellectuell 
betrachtet). Aber daß wir diefe Achtung zur Triebfeder in unfere Marimen 
aufnehmen, der fubjective Grund hiezu jcheint ein Zufaß zur Perſönlich— 
feit zu fein und daher den Namen einer Anlage zum Behuf derfelben zu 
verdienen. 

Wenn wir die genannten drei Anlagen nad) den Bedingungen ihrer 
Möglichkeit betrachten, fo finden wir, daß die erfte feine Vernunft, die 
zweite zwar praftijche, aber nur andern Triebfedern dienftbare, die dritte 
aber allein für ſich jelbft praftifche, d. i. unbedingt gefeßgebende, Vernunft 
zur Wurzel habe: Alle diefe Anlagen im Menſchen find nicht allein (nega— 
tiv) gut (fie widerftreiten nicht dem moraliſchen Gejeße), jondern find 
aud Anlagen zum Guten (fie befördern die Befolgung defjelben). Sie 
find urſprünglich; denn fie gehören zur Möglichkeit der menſchlichen 
Natur. Der Menſch fann die zwei erjteren zwar zwedwidrig brauden, 
aber feine derjelben vertilgen. Unter Anlagen eines Wejens verftehen wir 
ſowohl die Beitandftüde, die dazu erforderlich find, als aud) die Formen 
ihrer Verbindung, um ein ſolches Wejen zu fein. Sie find urjprünglid, 
wenn fie zu der Möglichkeit eines jolchen Wejens nothwendig gehören; zu— 
fällig aber, wenn das Weſen aud) ohne diejelben an ſich möglich wäre. 
Noch ift zu merken, daß hier von feinen andern Anlagen die Rebe ift, als 
denen, die fi unmittelbar auf das Begehrungsvermögen und den Ge— 
brand) der Willfür beziehen. 


Il. 
Bon dem Hange zum Böfen in der menjhliden Natur. 


Unter dem Hange (propensio) verftehe id) den fubjectiven Grund 
der Möglichkeit einer Neigung Chabituellen Begierde, concupiscentia), 
fofern fie für die Menjchheit überhaupt zufällig ift.F) Er unterjcheidet 


7) Hang ift eigentlich nur die Präbispojition zum Begehren eines Ge- 
nuſſes, der, wen das Subject bie Erfahrung davon gemacht haben wird, Nei- 
gung bazu bervorbringt. So haben alle rohe Menſchen einen Hang zu beraufchen- 
ben Dingen; denn obgleich viele von ibmen ben Naufch gar nicht kennen und alio 
aud gar Feine Begierbe zu Dingen haben, bie ihn bewirken, fo darf man fie jolche 
boch nur einmal verfuchen laſſen, um elme kaum vertilgbare Begierde bazu bei 
ihnen bervorzubringen. — Zwiſchen dem Hange umd ber Neigung, welche Bekannt: 


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25 


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Bon her Gimmobmunz bed hiien Prinins neher dem guten. * 
— — — — aber doch 








ipringende Faͤhigkeit e moraliſche Sefch 
J —— oder nicht, das gute oder böfe Herz ger 


—— ſich drei verſchiedene Stufen deſſelben denken. Erſtlich 
iſt es die Schwache des menſchlichen Herzens in Befolgung genommener 
Maximen ‚ oder die Gebrechlichkeit der menſchlichen Natur; 
zweitens der Hang zur Vermiſchung unmoraliſcher Triebfedern mit den 
so moraliichen (jelbft wenn es in guter Abficht und unter Marimen des 
Guten geſchaͤhe) d. i. die Unlanterkeit; drittens der Hang zur Ans 
nehmung böfer Marimen, d. i. die Bösartigfeit ber menſchlichen Natur, 
oder des menſchlichen Herzens. 

Erftlich, die Gebrechlichkeit (Iragilitas) der menſchlichen Natur ift 
» jelbjt in der Klage eines Apoftels ausgedrüdt: Wollen habe ich wohl, aber 
das Vollbringen fehlt, d. i. id) nehme das Gute (das Befek) in die Marime 
meiner Willtür auf; aber diefes, welches objectiv in der Idee (in thesi) 
eine unüberwindlihe Triebfeder ift, ift fubjectiv (in hypothesi), wenn die 
Marime befolgt werden fol, die fhwächere (in Vergleichung mit der 






















Zweitens, die Unlauterfeit (impuritas, improbitas) des menſch— 





(haft mit ben. Object des Begehrens vorausſetzt, ift noch der Inſtinet, welcher 
ein gefühltes Bebürfnig ift, etwas zu thun oder zu geniehen, wovon man noch 
feinen Begriff hat (wie der Kunſttrieb bei Thieren, oder der Trieb zum Gefchlecht). 
ss Bon ber Neigung am ift endlich noch eine Stufe des Begehrungsvermödgend, bie 
Leidenichaft (nicht ber Affect, denn biefer gehört zum Gefühl ber Luft und 
Unluft), welche eine Neigung ift, bie die Herrfchaft über fich felbft ausfchließt. 











L 


30 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Erftes Stüd. 


lihen Herzens befteht darin: dab die Marime dem Objecte nad) (der be- 
abfihtigten Befolgung des Geſetzes) zwar gut und vielleicht auch zur Aus- 
übung kräftig genug, aber nicht rein moraliſch ift, d. i. nicht, wie es fein 
jollte, das Geſetz allein zur hinreichenden Triebfeder in fich aufge: 
nommen hat: fondern mehrentheils (vielleicht jederzeit) noch andere Trieb- 5 
federn außer derfelben bedarf, um dadurch die Willkür zu dem, was Pflicht 
fordert, zu beftimmen; mit andern Worten, daß pfliditmäßige Hand- 
lungen nicht rein aus Pfliht gethan werden. 

Drittens, bie Bösartigfeit (vitiositas, pravitas), oder, wenn man 
lieber will, die Berderbtheit (corruptio) des menſchlichen Herzens ift 
der Hang der Willfür zu Marimen, die Triebfeder aus dem moraliſchen 
Gejeß andern (nidht moralifhen) nachzuſetzen. Sie kann aud) die Ver— 
fehrtheit (perversitas) des menſchlichen Herzens heißen, weil fie die fitt= 
lihe Ordnung in Anfehung der Triebfedern einer freien Willkür umfehrt, 
und obzwar damit noch immer geſetzlich gute (legale) Handlungen bes 1; 
ftehen können, jo wird doc die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel 
(was die moralifhe Gefinnung betrifft) verderbt und der Menſch darum 
als böje bezeichnet. 

Man wird bemerken: daß der Hang zum Böfen bier am Menjchen, 
auch dem beiten, (den Handlungen nad)) aufgeftellt wird, welches auch 0 
geſchehen muß, wenn die Allgemeinheit des Hanges zum Böſen unter 
Menſchen, oder, welches hier dafjelbe bedeutet, daß er mit der menſchlichen 
Natur verwebt jei, bewiejen werden joll. 

Es ift aber zwijhen einem Menſchen von guten Sitten (bene mo- 
ratus) und einem fittlih guten Menſchen (moraliter bonus), was die 3 
Ibereinftimmung der Handlungen mit dem Gejeb betrifft, fein Unter 
ihied (wenigitens darf feiner fein); nur daß fie bei dem einen eben nicht 
immer, vielleicht nie das Geſetz, bei dem andern aber es jederzeit zur 
alleinigen und oberften Triebfeder haben. Man kann von dem Erfteren 
jagen: er befolge das Gefeß dem Buchſtaben nad) (d. i. was die Hand- w 
lung angeht, die das Geſetz gebietet); vom Zweiten aber: er beobachte es 
dem Geiste nad (der Geiſt des moralischen Geſetzes bejteht darin, daß diefes 
für fi) allein zur Triebfeder hinreichend fei). Was nicht aus diejem 
Glauben gejdieht, das ift Sünde (der Denkungsart nad). Denn 
wenn andre Triebfedern nöthig find, die Willlür zu gefebmäßigen a 
Handlungen zu beitimmen, als das Gejeb ſelbſt (3. B. Ehrbegierde, 
Selbitliebe überhaupt, ja gar gutherziger Anftinet, dergleichen das Mit- 


— 


ah 


Bon der Einwohnung des böjen Princips neben dem guten 31 


leiden ijt), fo ift e8 bloß zufällig, daß diefe mit dem Geſetz übereinftimmen: 
denn fie könnten eben fowohl zur Übertretung antreiben. Die Marime, 
nad deren Güte aller moraliſche Werth der Perfon gefhäbt werden muß, 


ift alfo doch gefeßwidrig, und der Menſch ift bei lauter guten Handlungen u 


dennoch böje. 

Folgende Erläuterung ift noch nöthig, um den Begriff von diefem 
Hange zu beitimmen. Aller Hang ijt entweder phyſiſch, d. i. er gehört 
zur Willkür des Menſchen als Naturwejens; oder er ift moraliſch, d. i. 
zur Willkür defjelben als moraliſchen Weſens gehörig. — Im erfteren 
Sinne giebt es feinen Hang zum moraliſch Böfen, denn diejes muß aus 
der Freiheit entfpringen; und ein phyſiſcher Hang (der auf ſinnliche An- 
triebe gegründet ift) zu irgend einem Gebraudye der Freiheit, es fei zum 
Guten oder Böfen, it ein Widerſpruch. Alfo kann ein Hang zum Böfen 
nur dem moralijhen Bermögen der Willtür anfleben. Nun ift aber nichts 
ſittlichd. i. zurechnungsfähig-)böfe, als was unfere eigene That ift. Da- 
gegen verfteht man unter dem Begriffe eines Hanges einen jubjectiven Be- 
Himmungsgrund der Willfür, der vor jeder That vorhergeht, mithin 
ſelbſt nod nicht That tft; da denn in dem Begriffe eines bloßen Hanges 
zum Böſen ein Widerfpruch fein würde, wenn diefer Ausdrud nicht etwa 
in zweierlei verſchiedener Bedeutung, die ſich beide doch mit dem Begriffe 
der Freiheit vereinigen laffen, genommen werden könnte. Es kann aber 
ber Ausdrud von einer That überhaupt ſowohl von demjenigen Gebraud) 
ber Freiheit gelten, wodurd) die oberfte Marime (dem Geſetze gemäß oder 
zuwider) in die Willkür aufgenommen, als auch von demjenigen, da die 
Handlungen jelbft (ihrer Materie nad, d. i. die Objecte der Willfür be- 
treffend) jener Marime gemäß ausgeübt werden. Der Hang zum Böfen 
iſt nun That in der erſten Bedeutung (peccatum originarium) und zus 
glei) der formale Grund aller gefeßwidrigen That im zweiten Sinne ge— 
nommen, welche der Materie nad) demfelben widerjtreitet und Laſter 
(peecatum derivativum) genannt wird; und die erfte Berjchuldung bleibt, 
wenn gleich die zweite (aus Triebfedern, die nicht im Geſetz jelber be— 
ftehen) vielfältig vermieden würde. Sene ift intelligibele That, bloß 
durch Vernunft ohne alle Zeitbedingung erfennbar; dieje jenjibel, em— 
piriſch, in der Zeit gegeben (factum phaenomenon). Die erſte heißt 
nun vornehmlid, in Bergleihung mit der zweiten ein bloßer Hang und 
angeboren, weil er nicht ausgerottet werden kann (als wozu die oberite 
Marime die des Guten fein müßte, welche aber in jenem Hange jelbft 


Pe 


32 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd. 


als böſe angenommen wird); vornehmlich aber, weil wir davon, warum 
in uns das Böfe gerade die oberſte Marime verderbt habe, obgleich diejes 
unſere eigene That ift, eben jo wenig weiter eine Urſache angeben fünnen, 
als von einer Grundeigenſchaft, die zu unjerer Natur gehört. — Man 
wird in dem jeßt Gefagten den Grund antreffen, warum wir in diefem 5 
Abjchnitte gleich zu Anfange die drei Duellen des moraliſch Böfen Tedig- 
lid) in demjenigen ſuchten, was nad) Freiheitsgejeßen den oberften Grund 
der Nehmung oder Befolgung unferer Marimen, nit was die Sinnlid) 
feit (als Neceptivität) afficirt. 


III. 10 
Der Menſch ift von Natur böje. 


Vitiis nemo sine nascitur, Horat, 


Der Sat: der Menſch ift böfe, kann nad) dem obigen nichts anders 
jagen wollen als: er ift fi) des moraliichen Geſetzes bewußt und hat doch 
die (gelegenheitliche) Abweichung von demjelben in feine Maxime aufge 
nommen. Er ift von Natur böfe, heißt fo viel als: diejes gilt von ihm 
in feiner Gattung betradjtet; nicht als ob ſolche Dualität aus feinem 
Gattungsbegriffe (dem eines Menſchen überhaupt) fönne gefolgert werden 
(denn alsdann wäre fie nothwendig), jondern er kann nad) dem, wie man 
ihn durd Erfahrung kennt, nicht anders beurtheilt werden, oder man 20 
fann es als jubjectiv nothwendig in jedem, aud dem beiten Menſchen 
porausfeßen. Da diejer Hang nun jelbft als moraliſch böfe, mithin nicht 
als Naturanlage, fondern als etwas, was dem Menſchen zugerechnet 
werden kann, betradhtet werden, folglic in geſetzwidrigen Marimen der 
Willkür beftehen muß; diefe aber der Freiheit wegen für ſich als zufällig 
angejehen werden müfjen, welches mit der Allgemeinheit diejes Böjen fid) 
wiederum nicht zufammen reimen will, wenn nicht der jubjective oberite 
Grund aller Marimen mit der Menjchheit jelbft, es jei wodurch es wolle, 
verwebt und darin gleihjam gewurzelt ift: fo werden wir dieſen einen 
natürliyen Hang zum Böfen, und da er doch immer jelbitverfchuldet fein 
muß, ihn felbft ein radicales, angebornes, (nichts dejtoweniger aber 
uns von uns jelbft zugezogenes) Böje in der menſchlichen Natur nennen 
fünnen. 

Daß num ein folder verderbter Hang im Menſchen gewurzelt jein müſſe, 
darüber fönnen wir uns bei der Menge jchreiender Beifpiele, weldde uns 5 


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—— ig der Menſchen ug ſtellt, den ua 





5 Tnrlkundei te Sarf man ner bie Nufititie von ungereizter Graufans 
feit in den Mordfcenen auf Tofoa, Neufeeland, den Navigators« 
—— und die nie aufhörende in den weiten Wüften des nordweſtlichen 

Amerika (die Kapt. Hearne anführt), wo jogar fein Menſch den mins 
deiten Vortheil davon hat,+) mit jener Hypotheſe vergleichen, und man 

ı» hat Zafter der Rohigfeit, mehr als nöthig ift, um von diefer Meinung ab- 

zugehen. Iſt man aber für die Meinung geftimmt, daß fich die menſch— 
liche Natur im gefitteten Zuftand (worin fid) ihre Anlagen vollftändiger 
entwideln können) befjer erfennen lafje, jo wird man eine lange melancho⸗ 
liſche Litanei von Anflagen der Menſchheit anhören müfjen: von geheimer 

ı Falſchheit jelbft bei der innigften Freundihaft, jo daß die Mäßigung des 
Vertrauens in wechjeljeitiger Eröffnung aud) der beften Freunde zur alle 
gemeinen Marime der Klugheit im Umgange gezäblt wird; von einem 
Hange, denjenigen zu hafjen, dem man verbindlid) ift, worauf ein Wohl« 
thäter jederzeit aefaßt jein müfje; von einem herzlichen Wohlwollen, 

20 welches doch die Bemerkung zuläßt, „es ſei in dem Unglück unfrer beſten 

etwas, das uns nicht ganz mißfällt;* und von vielen andern 
unter dem Tugendſcheine noch verborgenen, gejchweige derjenigen Lafter, 
die ihrer gar nicht hehl haben, weil uns der ſchon gut heißt, der ein 
böjer Menſch von der allgemeinen Klaſſe ift: und er wird an den 

25 gaftern ber ( der Eultur und Eivilifirung (den kränkendſten unter allen) genug 


+) ®ie ber immerwährende Krieg zwiſchen ben Arathapefcan- und den Hunbe- 
nn feine andere Abficht, als Bloß das Todiſchlagen hat. Kriegs 


Hi 


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E; 
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5: 
5: 
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4333 
+ 


fie ein Gegenftanb der Sinanbenine und ein Grund der vorzüglicen 
berjenige Stand forbert, bei bem dieje das einzige Verdienſt ift; und 
ohne allen Grund in ber Vernunft. Denn daß ber Menid etwas 
id fich zum Zweck machen könne, was er noch höher jchäyt als fein Leben 
‚ wobei er allem Eigennutze entjagt, beweiſt doch eine gewiffe Erhabenheit 
e Anlage, Aber man fieht doch an der Behaglichkeit, womit bie Sieger 
re Grohthaten (des Aufammenhauens, Niederſtoßens ohne Verſchonen u. db. gl.) 
baß blos ihre Überlegenheit und bie Zerftörung, welche fie bewirken 
fonnten, ‚ohne einen anbern Zweck das ſei, worauf fie eigentlich etwas zu 


8 Säreiften. Werke. VI 


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Hi 






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34 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüdck. 


haben, um fein Auge lieber vom Betragen der Menſchen abzuwenden, 
damit er fih nicht felbjt ein anderes Laſter, nämlicdy den Menſchenhaß, 
zuziche. Sit er aber damit noch nicht zufrieden, fo darf er nur den aus 
beiden auf wunderlihe Weiſe zujammengejebten, nämlich den äußern 
Bölferzuftand in Betradhtung ziehen, da ciwilijirte Voͤllerſchaften gegen 
einander im Rerhältniffe des rohen Katurflandes (eines Standes der be- 
ſtaͤndigen Kriegsverfajlung) ftehen und ſich auch feft in den Kopf gejeht 
baden, nie daraus zu geben: und er wird dem öffentlichen Borgeben 
gerade widerſprechende und doch nie abzulegende Grundjühe der großen 
Geſellſchaften, Staaten genannt,t) gewahr werden, die noch fein Philo- 
fopb mit der Moral bat in Ginftimmung bringen und doch aud) (welches 
arg ift) feine beijern, die ich mit der menjchlichen Natur vereinigen ließen, 
vorfchlagen können: fo daß der philoſophiſche Chiliaſm, der auf den 
BZuftand eines ewigen, auf einen Bölferbund al3 Beltrepnblif gegründeten 
Friedens hofft, eben fo wie der theologiſche, der auf des ganzen Men- 
ſchengeſchlechts vollendete moraliiche Beiterung barrt, als Schwärmerei 
allgemein verlacht wird. 

Der Srund diejes Boten kann nun 1) nicht, wie man ihn gemeinig- 
lich anzugeben pflegt, in der Sinnlichkeit des Menſchen und den 
Mmraus entipringenten natürlichen Neigungen geſezt werden. Denn 
nicht allein daß dieſe feine gerade Bezichung aufs Böle haben vielmehr 


+) Kun wan diefer idee Gehbichtr blos old das Binnen der und green: 
teils derdergenen inneren Anlage der Kerichhett untteht, de fan man einem 
win wurbimmmmcakigee Gun dur Nater mic Zoccken. die nicht ihre der 
Nuhr Zoccke ſendem Summe dur Nuter für, Feraht werden. Gür eier Staat 
Art, da lang er cimem mer mebum fich but, der er zu beyzwüngen boden derẽ. 
Kb durch dicind Ihaterunmfemg je berzmöguee zrd alle zur Univerkimewundire, 
eimr Werfafium, daren alle KAreiheit um) weit ae (mans Die Welpe derkekhge Fit” 
Tuut Seien nut mehr ertlicez mekäte Aller Derins Ilmpeiprner „im 
vriibem Dir Gehege altmablig tler AMraft werükm, made ai alle Dumadıhzzte 
veridlmmgen Nat, Löder ch em2ink mo feihit au? mr) eeclr ch Durch Urtınde um 
Stwelkäiie ur märde Pieter Ssaatıe, Nor wmfbett HE vimmz Starwererie Nevaklıf 
er ertinnnr ihre m Teer würden teerims wir eele Saite vor 
VERRUR RTRER, war den NT MU Gurke Dei namen Geründick za zit: 
wuen ya ade, der, or er gun und Fo xrprähee hiee it. ats Rad Grat dur 
ren Arimeeripait rt za cr Alliertur) dor TeÄnece IE Ierneıe 
&nan aleammın ja baten At, zzor vie Wine age. zucde Ihe Mcriäer ınodı. 
WR dr derea Vnigmimnun!. 











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Bon ber Einwohnung des böfen Princips neben dem guten. 35 


zu dem, was die moraliſche Gefinnung in ihrer Kraft beweifen kann, zur 
Tugend, die Gelegenheit geben): jo dürfen wir ihr Dafein nicht verant- 
worten (wir können es aud) nicht, weil fie als anerfhaffen uns nicht zu 
Urhebern haben), wohl aber den Hang zum Böfen, der, indem er die Mo- 
ralität des Subjects betrifft, mithin in ihm als einem frei handelnden 
Weſen angetroffen wird, als ſelbſt verichuldet ihn muß zugerechnet wer- 
den können: ungeachtet der tiefen Einwurzelung defjelben in die Willkür, 
wegen weldher man jagen muß, er fei in dem Menſchen von Natur anzu— 
treffen. — Der Grund diefes Böfen kann auch 2) nicht in einer Ver— 
derbniß der moraliſch-geſetzgebenden Vernunft gefebt werden: gleich als 
ob dieſe das Anjehen des Geſetzes jelbit in ſich vertilgen und die Ver: 
bindlichfeit aus demfelben ableugnen fünne; denn das ift ſchlechterdings 
unmöglid. Sid) als ein frei handelndes Wejen und doch von dem einem 
jolden angemefjenen Gejete (dem moraliſchen) entbunden denken, wäre 
jo viel, als eine ohne alle Gefebe wirkende Urfache denken (deun die Be- 
ftimmung nad) Naturgejegen fällt der Freiheit halber weg): welches fid) 
widerſpricht. — Um aljo einen Grund des Moraliſch-Böſen im Menſchen 
anzugeben, enthält die Sinnlichkeit zu wenig; denn fie macht den 
Menſchen, indem fie die Triebfedern, die aus der Freiheit entjpringen 
fönnen, wegnimmt, zu einem blos Thierijhen; eine vom moralifchen 
Geſetze aber freifpredhende, gleihjam boshafte Vernunft (ein ſchlecht— 
hin böfer Wille) enthält dagegen zu viel, weil dadurch der Widerſtreit 
gegen das Geſetz jelbft zur Triebfeder (denn ohne alle Triebfeder kann die 
Willkür nit beftimmt werden) erhoben und jo das Subject zu einem 
teufliihen Wejen gemacht werden würde. — Kleines von beiden aber ijt 
auf den Menjdyen anwendbar. 

Wenn nun aber gleich das Dafein diefes Hanges zum Böjen in der 
menschlichen Natur durch Erfahrungsbeweije des in der Zeit wirklichen 
Widerftreits der menſchlichen Willkür gegen das Geſetz dargethan werden 
fann, jo lehren uns dieje doch nicht die eigentliche Beichaffenheit defjelben 
und den Grund diefes Widerftreits; fondern dieje, weil fie eine Beziehung 
der freien Willkür (aljo einer ſolchen, deren Begriff nicht empirijch ift) 
auf das moraliſche Geje als Triebfeder (wovon der Begriff gleichfalls 
rein intellectuell ijt) betrifft, muß aus dem Begriffe des Böjen, fofern es 
nad) Gejeßen der Freiheit (der Verbindlichkeit und Zuredynungsfähigfeit) 
möglid) ift, a priori erfannt werden. Folgendes ift die Entwicelung des 
Begriffs. 


3* 


36 Religion innerhalb ber Grenzen ber blohen Vernunft. Erſtes Stüd. 


Der Menſch (jelbit der ärgfte) thut, in welden Marimen es aud) 
fei, auf das moraliſche Gejek nicht gleihjam rebelliſcherweiſe (mit Auf: 
fündigung des Gehorfams) Verzicht. Diejes dringt ſich ihm vielmehr 
fraft feiner moralijhen Anlage unmiderftehlic auf; und wenn feine an- 
dere Triebfeder dagegen wirkte, jo würde er es aud) als hinreichenden Be: 
ftimmungsgrund der Willfür in feine oberſte Marime aufnehmen, d. i. 
er würde moralijd gut fein. Er hängt aber doch auch vermöge feiner 
gleichfalls ſchuldloſen Naturanlage an den Triebfedern der Sinnlichkeit 
und nimmt fie (nad) dem jubjectiven Princip der Selbitliebe) aud in 
feine Marime auf. Wenn er diefe aber, als für fi allein hin— 
reihend zur Beitimmung der Willtür, in feine Marime aufnähme, 
ohne fid) ans moralifche Gefeß (welches er doch im fich hat) zu kehren, fo 
würde er moralijch böfe fein. Da er nun natürlicherweife beide in die— 
jelbe aufnimmt, da er aud) jede für fich, wenn fie allein wäre, zur 
Willensbejtimmung hinreichend finden würde: jo würde er, wenn der Un— 
terfhied der Marimen blos auf den Unterſchied der Triebfedern (der 
Materie der Marimen), nämlich) ob das Gejeb, oder der Sinnenantrieb 
eine ſolche abgeben, anfäme, moraliſch gut und böje zugleich fein; welches 
ſich (nad) der Einleitung) widerfpriht. Alfo muß der Unterfchied, ob der 
Menſch gut oder böje fei, nicht in dem Unterſchiede der Triebfedern, die 
er in feine Marime aufnimmt (nicht in diefer ihrer Materie), jondern in 
der Unterordnung (der Form derjelben) liegen: welche von beiden 
er zur Bedingung der andern madjt. Folglich ift der Menſch (aud) 
der Bejte) nur dadurch böje, daß er die fittliche Ordnung der Triebfedern 


in der Aufnehmung derjelben in feine Marimen umfehrt: das moraliſche 


Geſetz zwar neben dem der Selbjtliebe in diejelbe aufnimmt, da er aber 
Inne wird, daß eines neben dem andern nicht beftehen fann, jondern eines 
dem andern als feiner oberjten Bedingung untergeordnet werden müſſe, 
er die Trtebfeder der Selbftliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der 
Befolgung des moraliihen Geſetzes macht, da das letztere vielmehr als 
die oberfte Bedingung der Befriedigung der erfteren in die allge- 
meine Marime der Willtür als alleinige Triebfeder aufgenommen wer: 
den jollte. 

Bei diefer Umkehrung der Triebfedern durch feine Marime wider die 
fittlihe Ordnung können die Handlungen dennod wohl jo geſetzmäßig 
ausfallen, als ob fie aus Achten Grundfägen entiprungen wären: wenn 
die Vernunft die Einheit der Marimen überhaupt, welche dem moraliichen 


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35 





38 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüäd. 


Diefe angeborne Schuld (reatus), welche jo genannt wird, weil fie 
fi jo früh, als fi nur immer der Gebrauch der Freiheit im Menjchen 
äußert, wahrnehmen läßt und nichts deſtoweniger dod) aus der Freiheit 
entjprungen fein muß und daher zugerechnet werden kann, kann in ihren 
zwei erjteren Stufen (der Gebredhlichkeit und der Unlauterfeit) als unvor— 
ſätzlich (eulpa), in der dritten aber als vorſätzliche Schuld (dolus) beur- 
theilt werden und hat zu ihrem Charakter eine gewifje Tüde des menſch— 
lichen Herzens (dolus malus), fid) wegen jeiner eigenen guten oder böfen 
Geſinnungen jelbit zu betrügen und, wenn nur die Handlungen das Böje 
nicht zur Folge haben, was fie nad) ihren Marimen wohl haben fönnten, 
ſich feiner Gefinnung wegen nicht zu beunrubigen, jondern vielmehr vor 
dem Geſetze gerechtfertigt zu halten. Daher rührt die Gewifjensruhe fo 
vieler (ihrer Meinung nad gewifjenhaften) Menſchen, wenn fie mitten 
unter Handlungen, bei denen das Gejet nidht zu Nathe gezogen ward, 
wenigjtens nicht das Meifte galt, nur den böjen Folgen glüdlid) entwijch- 
ten, und wohl gar die Einbildung von Berdienft, feiner folder Vergehun- 
gen fid) ſchuldig zu fühlen, mit denen fie Andere behaftet jehen: ohne doch 
nachzuforſchen, ob es nicht blos etwa Verdienſt des Glüds ſei, und ob 
nad der Denfungsart, die fie in ihrem Innern wohl aufdeden könnten, 
wenn fie nur wollten, nicht gleiche Zajter von ihnen verübt worden wären, 
wenn nicht Unvermögen, Temperament, Erziehung, Umjtände der Zeit 
und des Orts, die in Verſuchung führen, (lauter Dinge, die uns nicht zu— 
gerechnet werden fünnen) davon entfernt gehalten hätten. Dieſe Unred— 
lichkeit, fich jelbjt blauen Dunft vorzumadyen, weldye die Gründung ächter 
moraliidher Gefinnung in uns abhält, erweitert fi) denn aud äußerlich) 
zur Falſchheit und Täuſchung anderer, welche, wenn fie nicht Bosheit ge- 
nannt werden joll, doch wenigitens Nidhtswürdigkeit zu heißen verdient, 
und liegt in dem radicalen Böjen der menſchlichen Natur, welches (indem 
e3 die moralijche Urtheilsfraft in Anjehung dejjen, wofür man einen Men: 
ſchen halten jolle, verftimmt und die Zurechnung innerlid) und äußerlich 
ganz ungewiß macht) den faulen led unferer Gattung ausmacht, der, 
jo lange wir ihn nicht herausbringen, den Keim des Guten hindert, ſich, 
wie er jonit wohl thun würde, zu entwideln. 

Ein Mitglied des engliſchen Parlaments jtieß in der Hike die Be- 
hauptung aus: „Ein jeder Menſch hat jeinen Preis, für den er ſich weg- 
giebt." Wenn diejes wahr ijt (weldyes dann ein jeder bei ſich ausmachen 
mag), wenn es überall feine Tugend giebt, für die nicht ein Grad der 








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40 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Erites Stud. 


als Begebenheit in der Welt auf ihre Natururſache bezogen wird. Bon 
den freien Handlungen als ſolchen den Beiturfprung (glei) als von Na- 
turwirfungen) zu ſuchen, ift alſo ein Widerſpruch; mithin auch von der 
moraliſchen Beſchaffenheit des Menſchen, ſofern fie als zufällig betrachtet 
wird, weil diefe den Grund des Gebrauchs der Freiheit bedeutet, wel- ; 
her (jo wie der Beitimmungsgrund der freien Willfür überhaupt) Tedig- 
lic) in Vernunftvorftellungen geſucht werden muß. 

Wie num aber au) der Urfprung des moraliichen Böen im Men- 
chen immer beſchaffen fein mag, fo ift doch unter allen Borftellungsarten 
von der Verbreitung und Fortfekung deffelben durch alle Glieder unferer 
Gattung und in allen Jeugungen die unfhidlichfte: es fi als durd) An— 
erbung von den erjten Eltern auf uns gekommen vorzuftellen; denn man 
fann vom Moraliſch-Böſen eben das jagen, was der Dichter vom Guten 
fagt: — genus et proavos, et quaenon fecimus ipsi, vix ea nostra 
puto*). — Nod) ift zu merken: daß, wenn wir dem Urjprunge des Böfen 
nachforſchen, wir anfänglich noch nicht den Hang dazu (als peccatum in 
potentia) in Anſchlag bringen, fondern nur das wirkliche Böſe gegebener 
Handlungen nad) feiner innern Möglichkeit und dem, was zur Ausübung 
derjelben in der Willfür zuſammenkommen muß, in Betrachtung ziehen. 


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*) Die brei fogenanmnten obern Faculläten (auf hoben Schulen) würden, jede 20 
nach ihrer Art, fich dieſe Vererbung verftändlich machen: nämlich entweder als 
Erbfrantheit, ober Erbſchuld, oder Erbjünde. 1) Die medicinifche Facul- 
tät würde fich das erbliche Böfe etwa wie den Bandwurm vorftellen, von weldhem 
wirklich einige Naturfündiger ber Meinung find, daß, da er ſonſt weder in einem 
Elemente außer uns, noch (von berjelben Art) in irgend einem andern Thiere an- 35 
getroffen wird, er ſchon in bem erften Eltern gemejen fein müſſe. 2) Die Zu- 
riftenfacultät würbe es als die rechtliche Folge der Antretung einer und von 
biefen binterlafienen, aber mit einem jchweren Verbrechen belafteten Erbſchaft 
anfehen (denn geboren werben it nichts anders, alö den Gebrauch der Güter der 
Erde, jo fern fie zu umjerer Forldauer unentbehrlich find, erwerben). Wir müjlen 30 
alſo Zahlung leiften (bühen) und werden am Ende doch (durch ben Tod) aus die- 
fen Bejige geworfen. Wie recht ift von Rechts wegen! 3) Die theologiſche 
Facunltät würde dieſes Böje als perjönliche Theilmehmung unferer eriten Eltern 
an dem Abfall eines vermworfenen Aufrührers anſehen: entweder daß wir (ob- 

zwar jeht deffen unbewußt) damals felbit mitgewirkt haben; oder mur jeßt, umter & 
od (ald Kürten diefer Welt) Herrichaft geboren, und die Güter derjelben mehr, 
als den DOberbeiehl bes himmliſchen Gebieters gefallen laflen und nicht Treue ge 
nug befißen, und bavon loszurelßen, dafür aber Fünftig auch jein Loos mit ihm 

theilen muſſſen. 


ir. 





42  Meligion innerhalb ber Grenzen ber blohen Vernunft. Erfies Stüd. 


der Sünde (worunter die Übertretung des moraliſchen Geſetzes als gött- 

lien Gebots verftanden wird); der Zuftand des Menjchen aber vor 

allem Hange zum Böfen heißt der Stand der Unſchuld. Das moralische 

Geſetz ging, wie es aud) beim Menſchen als einem nicht reinen, ſondern 

von Neigungen verjuchten Weſen fein muß, als Verbot voraus (1. Moje 5 
II, 16. 17). Anftatt num diefem Geſetze, als hinreichender Triebfeder (die 
allein unbedingt gut ift, wobei auch weiter fein Bedenken ſtatt findet), ge— 
radezu zu folgen: jah ſich der Menſch doch noch nach andern Triebfedern 
um (II, 6), die nur bedingterweife (nämlich fo fern dem Geſetze dadurd) 
nicht Eintrag geſchieht) gut fein können, und machte es fi, wenn man 
die Handlung als mit Bewußtjein aus Freiheit entipringend denkt, zur 
Marime, bem Geſetze der Pflicht nicht aus Pflicht, jondern auch allenfalls 
aus Nüdficht auf andere Abfihten zu folgen. Mithin fing er damit an, 
die Strenge des Gebots, welches den Einfluß jeder andern Triebfeder 
ausſchließt, zu bezweifeln, hernad) den Gehorſam gegen daffelbe zu einem 
bloß (unter dem Princip der Selbjtliebe) bedingten eines Mittels herab 
zu vernünfteln,*) woraus dann endlich das Übergewicht der finnlichen An- 
triebe über die Triebfeder aus dem Gejeb, in die Marime zu handeln, 
aufgenommen und jo gejündigt ward (III, 6). Mutato nomine de te fa- 
bula narratur. Daß wir es täglich eben jo machen, mithin „in Adam 
alle gefündigt haben" und noch fündigen, ijt aus dem obigen Far; nur 
daß bei uns ſchon ein angeborner Hang zur Übertretung, in dem erften 
Menſchen aber fein folder, ſondern Unjchuld der Zeit nad) vorausgeſetzt 
wird, mithin die Übertretung bei diefem ein Sündenfall heißt: ftatt 
daß fie bei uns als aus der ſchon angebornen Bösartigfeit unjerer Natur 
erfolgend vorgeitellt wird. Diejer Hang aber bedeutet nichts weiter, als 
dab, wenn wir uns auf die Erflärung des Böjen jeinem Zeitanfange 
nad einlafjen wollen, wir bei jeder vorjehlichen Ubertretung die Urſachen 
in einer vorigen Zeit unjers Lebens bis zurüd in diejenige, wo der Ver: 


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*) Alle bezeugte Ehrerbietung gegen das moraliiche Geſetz, obme ihm doch, 0 
als für fich hinreichender Triebfeder, in feiner Marime das Übergewicht über alle 
andere Beitimmungsgründe ber Willlür einzuräumen, it gebeuchelt und der Hang 
bazu innere Walichheit, d. i. ein Hang, fich in der Deutung des moraliichen Ge- 
ſehes zum Nachthell deſſelben jelbit zu belügen (Ill, 5); weswegen auch bie Bibel 
(hriftlichen Untheild) den Urheber des Böfen (der in ums jelbit liegt) den Lügner 5 
von Anfang ment und jo den Menichen in Anſehung deſſen, was ber Hauptgrund 


des Bofen im ihm zu fein ſcheint, charakterifirt. 





44 Neligion innerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Erſtes Stück. 


Geiſte von urſprünglich erhabnerer Bejtimmung voranſchickt: wodurd) 
alfo der erjte Anfang alles Böfen überhaupt als für uns unbegreiflic) 
(denn woher bei jenem Geijte das Böfe?), der Menſch aber nur als durch 
Berführung ins Böſe gefallen, alſo nit von Grund aus (ſelbſt der 
erften Anlage zum Guten nad) verderbt, fondern als nod) einer Beſſerung 
fähig im Gegenjate mit einem verführenden Geifte, d. i. einem ſolchen 
Weſen, dem die Berfuhung des Fleiſches nicht zur Milderung feiner 
Schuld angerechnet werden kann, vorgejtellt und jo dem erjteren, der bei 
einem verderbten Herzen doch immer nod) einen guten Willen hat, Hoff: 
nung einer Wiederkehr zu dem Guten, von dem er abgewichen iſt, übrig 
gelaſſen wird. 


Allgemeine Anmerkung. 


Bon der Wiederherftellung der urfprünglihen Anlage zum 
Guten in ihre Kraft. 


Was der Menſch im moralifchen Sinne ift oder werden fol, gut oder 
böje, dazu muß er fich felbft machen oder gemacht haben. Beides muß 
eine Wirkung feiner freien Willkür fein; denn ſonſt könnte es ihm nicht 
zugerechnet werben, folglid) er weder moralisch gut noch böfe fein. Wenn 
es heißt: er ift gut gefchaffen, jo kann das nichts mehr bedeuten, als: er 
ift zum Guten erihaffen, und die urjprünglihe Anlage im Menſchen 
ift gut; der Menſch ift es jelber dadurch nod) nicht, jondern nachdem er 
die Triebfedern, die dieje Anlage enthält, in feine Marime aufnimmt oder 
nicht (welches feiner freien Wahl gänzlich überlafjen fein muß), madt er, 
daß er gut oder böfe wird. Geſetzt, zum Gut» oder Befjerwerden ſei nod) 
eine übernatürlihe Mitwirkung nöthig, jo mag dieje nur in der Bermin- 
derung der Hindernifje bejtehen, oder aud) pofitiver Beijtand fein, der 
Menſch muß ſich doch vorher würdig machen, fie zu empfangen, und dieſe 
Beihülfe annehmen (welches nichts Geringes ift), d. i. die pofitive Kraft- 
vermehrung in jeine Marime aufnehmen, wodurd; es allein möglich wird, 
daß ihm das Gute zugerechnet und er für einen guten Menſchen erfannt 
werde. 

Wie ed num möglich fei, daß ein natürlicherweife böjer Menſch ſich 
jelbft zum guten Menſchen made, das überjteigt alle unjere Begriffe; 


gehört unter die Adiaphora, mit benen es jeder halten mag, wie er es für fi er- 
baulich findet. 


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46 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Erſtes Stüd. 


Die Wiederherftellung der urjprünglidhen Anlage zum Guten in uns 
ift alfo nit Erwerbung einer verlornen Triebfeder zum Guten; denn 
dieje, die in der Achtung fürs moralifche Gejeß befteht, Haben wir nie ver- 
lieren fönnen, und wäre das letztere möglich, jo würden wir fie auch nie 
wieder erwerben. Sie iſt alfo nur die Herftellung der Reinigfeit dei- 
jelben, als oberften Grundes aller unjerer Marimen, nad) weldyer dafjelbe 
nicht bloß mit andern Triebfedern verbunden, oder wohl gar diejen (den 
Neigungen) als Bedingungen untergeordnet, fondern in feiner ganzen 
Reinigkeit als für fi zu reichen de Triebfeder der Beftimmung der Rill- 
für in diejelbe aufgenommen werden fol. Das urſprünglich Gute ift die 
Heiligkeit der Marimen in Befolgung feiner Pflicht, mithin blos aus 
Pfliht, wodurch der Menſch, der dieje Reinigkeit in jeine Marime auf: 
nimmt, obzwar darum nod) nicht jelbft heilig (denn zwifchen der Marime 
und der That ift nod) ein großer Zwijchenraum), dennod) auf dem Wege 


liebe bes unbebingten (nit von Gewinn ober Berluft als ben Folgen ber 
Handlung abhängenden) Wohlgefallens an fich jelbit würde das innere Princip 
einer allein unter ber Bedingung ber Unterordnung unferer Marimen unter das 
moraliihe Gejeb uns möglichen Zufriedenheit fein. Kein Menſch, dem bie Mo- 
ralität nicht gleichgültig ift, Fann am ſich ein Wohlgefallen haben, ja gar ohne ein 
bitteres Mibfallen am ſich jelbit fein, ber ſich ſolcher Marimen bewuht ift, die mit 
bem moraliichen Gefehe in ihm nicht übereinitimmen. Man könnte diefe bie Ber- 
nunftliebe feiner jelbft nennen, welche alle Bermiichung anderer lirfachen ber 
Zufriedenheit aus ben Folgen feiner Handlumgen (unter bem Namen einer dadurch 
ſich zu verihhaffenden Glüdjeligfeit) mit den Triebfedern der Willfür verhindert. 


— 


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Da nun das letztere die unbedingte Achtung fürs Geſetz bezeichnet, warum will % 


man durch ben Ausbrud einer vernünftigen, aber nur umter ber leßteren Be- 

dingung moraliihen Selbitliebe fi das deutliche Verſtehen bes Princips 

unndthigerweiſe erjchiveren, indem man fich im Zirkel herumdreht (denn man kann 

fi) nur auf moralifche Art jelbit lieben, jofern man ſich jeiner Marime bewußt 

it, die Achtung fürs Gejeh zur höchſten Triebfeber jeiner Willfür zu machen)? 

Y Glüdjeligfeit iit unſerer Natur nad) für uns, als von Gegenftänden der Sinnlic)- 

feit abhängige Wejen, das erjte und das, was wir unbedingt begehren. Eben 

dieſelbe ift unjerer Natur nad (wenn man überhaupt das, was uns angeboren 

ift, fo nennen will) ald mit Vernunft und Freiheit begabter Wejen bei weiten 

nicht das Erjte, noch auch unbebingt ein Gegenitand unſerer Marimen; jonbern 

dieſes ift die Würdigfeit glüdlich zu fein, d.i. die Übereinftimmung aller 

unſerer Marimen mit dem moraliichen Geſehe. Daß dieſe nun objectiv die Be- 

bingung fei, unter welcher der Wunſch ber erjteren allein mit der gejeggebenden 

Bernunft zufammenitimmen fann, darin befteht alle fittliche Vorſchrift und in ber 
Geſinnung, auch mur jo bedingt zu wünſchen, die fittlihe Denfungsart. 


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Bon der Eimvohnung des böfen Princips neben dem guten. 47 


dazu ift, ſich ihr im unendlichen Kortichritt zu nähern. Der zur Fertig. 
feit gewordene feite Borjaß in Befolgung feiner Pflicht heißt auch Tu— 
gend der Legalität nad) als ihrem empirijhen Charafter (virtus 
phaenomenon). Sie hat alſo die beharrlihe Marime gejeßmäßiger 
Handlungen; die Triebfeder, deren die Willkür hiezu bedarf, mag man 
nehmen, woher man wolle. Daher wird Tugend in diefem Sinne nad) 
und nad) erworben und heißt Einigen eine lange Gewohnheit (in Beob- 
achtung des Gejekes), durd die der Menſch vom Hange zum Laſter durd) 
allmählige Reformen feines Verhaltens und Befeftigung feiner Maris 
men in einen entgegengejebten Hang übergefommen ift. Dazu ift num 
nicht eben eine Herzensänderung nöthig, fondern nur eine Änderung 
der Sitten. Der Menjc findet ſich tugendhaft, wenn er fih in Mari- 
men, jeine Pflicht zu beobachten, befeitigt fühlt: obgleidy nicht aus dem 
oberiten Grunde aller Marimen, nämlid) aus Pflicht; fondern der Un: 
mäßige z. B. fehrt zur Mäßigfeit um der Gejundheit, der Lügenhafte zur 
Wahrheit um der Ehre, der Ungerechte zur bürgerlichen Ehrlichkeit um 
der Ruhe oder des Erwerbs willen u. ſ. w. zurüd; alle nad) dem geprieje- 


nen Princip der Glüdjeligfeit. Daß aber jemand nicht bloß ein gefeß- \ 


Lich, fondern ein moraliſch guter (Gott wohlgefälliger) Menſch, d. i. tu— 
gendhaft nad) dem intelligiblen Charakter (virtus Noumenon), werde, 
welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, feiner andern Triebfeder 
weiter bedarf, als diejer Vorjtellung der Pflicht ſelbſt: das kann nicht 


durch allmählige Reform, fo lange die Grundlage der Marimen unlau- ⸗ 


ter bleibt, ſondern muß durch eine Revolution in der Geſinnung im 
Menſchen (einen übergang zur Maxime der Heiligkeit derſelben) bewirkt 
werden; und er kann ein neuer Menſch nur durch eine Art von Wiederge— 
burt gleid) als durd) eine neue Schöpfung (Ev. Koh. III, 5; en 
mit 1. Moje I, 2) und Änderung des Herzens werden. 
Wenn der Menſch aber im Grunde feiner Marimen verderbt ift, — 
iſt es möglich, daß er durch eigene Kräfte dieſe Revolution zu Stande 
bringe und von ſelbſt ein guter Menſch werde? Und doch gebietet die 
Pflicht es zu fein, fie gebietet uns aber nichts, als was uns thunlich ift. 
Diefes ift nicht anders zu vereinigen, al3 daß die Revolution für die 
Denfungsart, die allmählige Reform aber für die Sinnesart (weldye jener 
Hindernifje entgegenjtellt) nothwendig und daher auch dem Menjchen 
möglich fein muß. Das ift: wenn er den oberften Grund feiner Mari- 
men, wodurd) er ein böjer Menſch war, durch eine einzige unwandelbare 








I 48 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Erfies Stück 
| — —— — fo ift 





für) 
lidpfeit des Fortioritts Einheit ift, d.i. für Gott, fo viel, als wirflid) ein 
— (ij gefäliger) Bea fein unb in [ofen faum die Berkuberung 
als Revolution betradytet werden; für die Beurtheilung der Menſchen 
re ner hie rc a een ee die 


Hierans Folgt, daß die moraliſche Bildung des Nenſchen nicht von 
der Beſſerung der Sitten, ſondern von der Umwandlung der Denkungsart 
und von Gründung eines Charakters anfangen müſſe; ob man zwar ge- 
wöhnlicherweife anders verfährt und wider Lafter einzeln kämpft, die all- 
gemeine Wurzel derjelben aber unberührt läßt. Nun ift jelbjt der einge 
ſchraͤnkteſte Menſch des Eindruds einer dejto größeren Achtung für eine 
nn fähig, je mehr er ihr in Gedanfen andere Trieb- 

rm, die durch die Selbftliebe auf die Marime der Handlung Einfluß 
‚haben Könnten —7 auq die Heinfte Spur 

















: ba denn die Handlung 
6 alen oralen Werth verliert. Dieſe Anlage 
—— Beiſpiel ſelbſt von guten Men- 
—— anführt und ſeine mo- 
en t Morimen aus den wirklichen 
e ab urtheilen chlich cultivirt 
ie * — art über: fo daß Pflicht bloß für 





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rn mi irch, 
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—— au befommen anhebt. 
3 fie auch gefoftet ha- 
| f no nic bie rehte Stimmung, 
25 rl er h Gute erhalten joll. Denn 

ud erg alles, was er immer Gutes 


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Von der Einwohnung des böjen Princips neben bem guten. 49 


thun fann, bloß Pflicht; feine Pflicht aber thun, ift nichts mehr, als das 
thun, was in der gewöhnlichen fittlihen Ordnung ift, mithin nicht be— 
wundert zu werden verdient. Vielmehr ift diefe Bewunderung eine Ab- 
ftimmung unfers Gefühls für Pflicht, gleich als ob es etwas Außerordent⸗ 
liches und Verdienſtliches wäre, ihr Gehorjam zu leijten. 

Aber eines ift in unfrer Seele, weldyes, wenn wir es gehörig ins 
Auge faflen, wir nicht aufhören Fönnen, mit der höchſten Verwunderung 
zu betrachten, und wo die Bewunderung redytmäßig, zugleich aud) jeelen- 
erhebend ift; und das ift: die urfprünglicye moralifche Anlage in ung über: 
haupt. — Was ift das (kann man ſich jelbjt fragen) in uns, wodurd) wir 
von der Natur durd) jo viel Bedürfniffe beitändig abhängige Wefen doch 
zugleich über dieje in der Idee einer urjprünglichen Anlage (in uns) fo 
weit erhoben werden, da& wir fie insgefammt für nichts und uns felbit 
des Dajeins für unwürdig halten, wenn wir ihrem Genuffe, der ung doch 
das Leben allein wünjdhenswerth maden fann, einem Geſetze zumider 
nahhängen follten, durch welches unjere Vernunft mächtig gebietet, ohne 
doch dabei weder etwas zu verheißen noch zu drohen? Das Gewicht diejer 
Frage muß ein jeder Menjd) von der gemeinften Fähigkeit, der vorher von 
ber Heiligkeit, die in der Idee der Pflicht liegt, belehrt worden, der ſich 
aber nicht bis zur Nachforſchung des Begriffes der Freiheit, weldyer aller: 
erit aus diefem Geſetze hervorgeht*), verfteigt, innigit fühlen; und jelbit 


*) Daf ber Begriff der Freiheit ber Willfür nicht vor dem Berwußtjein bet 
moralijchen Gejeges in und vorhergehe, ſondern nur aus der Beftimmbarkeit un- 
ferer Willfür durch biefes, als ein unbebingtes Gebot, gefchloffen werde, bavon 
kann man fich bald überzeugen, wenn man fich fragt: ob man auch gewiß und 
unmittelbar fid) eines Vermögens bewußt fei, jede noch jo große Triebfeder zur 
Übertretung (Phalaris licet imperet, ut sis falsus, et admoto dictet periuria tauro) 
durch Feten Vorſatz überwältigen zu fünnen. Sedermann wird geftehen müſſen: 
er wiſſe nicht, ob, wenm eim folder Fall einträte, er nicht in feinem Borfat 
mwanfen würbe. Gleichwohl aber gebietet ihm die Pflicht unbedingt: er jolle ihm 
treu bleiben; und hieraus ſchließt er mit Recht: er müfje e8 auch Fönnen, und 
feine Willfür fei alfo frei. Die, welche biefe unerforſchliche Eigenfchaft ald ganz 
begreiflic, vorjpiegeln, machen dur das Wort Determinismus (ben Sat 
ber Beitimmung der Willkür durch innere hinreichende Gründe) ein Blendwerf, 
gleich als ob die Schwierigkeit darin beftände, biefen mit der freiheit zu vereini— 
gen, woran boch niemand benft; jondern: wie der Präbeterminism, nach wel: 
Gem willfürlihe Handlungen als Begebenheiten ihre beftimmende Gründe in ber 
vorbergehenden Zeit haben (die mit bem, was fie in fich hält, nicht mehr in 
unferer Gewalt ift), mit der Freiheit, nach welcher die Handlung eg als ihr 

Kant’d Schriften Mate VI. 


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die Unbegreiflichkeit diefer eine göttliche Abkunft verkündigenden Anlage 
muß auf das Gemüth bis zur Begeifterung wirken und es zu den Auf- 
opferungen ftärfen, welche ihm die Achtung für feine Pflicht nur auferle- 
gen mag. Diejes Gefühl der Erhabenheit feiner moraliſchen Beſtimmung 
öfter rege zu machen, ift ald Mittel der Erwedung fittliher Gefinnungen 5 
vorzüglich anzupreifen, weil e8 dem angebornen Hange zur Verkehrung 
der Triebfedern in ben Marimen unferer Willkür gerade entgegen wirkt, 
um in der unbedingten Achtung fürs Gejeß, als der höchſten Bedingung 
aller zu nehmenden Marimen, die urſprüngliche fittlihe Drdnung unter 
den Triebfedern und hiemit die Anlage zum Guten im menjdliden Her- 
zen in ihrer Reinigfeit wieder herzuſtellen. 

Aber diejer Wiederherjtellung durch eigene Kraftanwendung fteht ja 
der Saß von der angebornen Verderbtheit der Menſchen für alles Gute 
gerade entgegen? Allerdings, was die Begreiflichkeit, d. i. unfere Ein— 
ſicht von der Möglichkeit derfelben, betrifft, wie alles defien, was als Be- 
gebenheit in der Zeit (Veränderung) und jo fern nad) Naturgejeken als 
nothwendig und defjen Gegentheil doch zugleid) unter moraliſchen Gejeßen 
als durd) Freiheit möglich vorgeftelt werden joll; aber der Möglichkeit 
dieſer Wiederherftellung ſelbſt ift er nicht entgegen. Denn wenn das mo— 
raliſche Geſetz gebietet: wir ſollen jeßt befjere Menſchen fein, jo folgt un- zo 
umgänglih: wir müſſen es aud können. Der Sat vom angebornen 
Böfen ift in der moraliihen Dogmatik von gar feinem Gebrauch: denn 
die Vorſchriften derjelben enthalten eben diefelben Pflichten und bleiben 
auch in derfelben Kraft, ob ein angeborner Hang zur Übertretung in uns 
jei, oder nicht. In der moraliſchen Aſcetik aber will diefer Sat mehr, 


Gegentheil in dem Augenblicke bes Geſchehens in der Gewalt bed Subjects fein 
a ee m Fake: bas its, was man einfehen will und nie ein« 
ſehen wirb. 


F Den Begriff ber Freiheit mit ber Idee von Gott, als einem moth- 
mwenb nm ejen, zu nereinig hat gar feine Schwierigkeit: weil bie freiheit 
we I — | | er. 


wi 
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——— — — — 


Som 3er Gommimum; dei hier Eros zeher em sum 31 





aber bad ziäts mehr jagen als: mir Humen in der ftlihen Ankbldung 
der aurrihefenen miraliiten 


bjective erfte | 

erimen) ihm eh unerferäich IR; aber anf den ct, der dar 

ı führt, und der ihrn von einer im Grunde gebeferten Geſinnung ange 

wiejen wird, muß er hoffen können dur eigene Kraftanwendung zu 

gelangen: weil er ein guter Menſch werden fol, aber nur nad demjeni« 

» gen, was ihm als von ihm jelbft gethan zugerechnet werden fann, als 
—— üft. 

Wider diefe Zumuthung der Selbſtbeſſerung bietet nun die zur mo» 
ralifchen Bearbeitung von Natur verdrofjene Vernunft unter dem Vor» 
wande bes natürlihen Unvermögens allerlei unlautere Neligionsideen 
* auf (wozu gehört: Gott jelbit das Glüdjeligfeitsprincip zur oberften Be 
dingung feiner Gebote anzudichten). Man faun aber alle Religionen in 
die der Gunftbewerbung (des bloßen Gultus) und die morallſche, 
——— des guten Lebenswandels, eintheilen. Nach der 
ſich entweder der Menſch: ðoit koͤnne ihn wohl ewig 
so a ohne daß er eben nöthig habe, ein befferer Menſch 

zu werden (durch Erlafjung feiner VBerfhuldungen); oder and, wenn 
ihm diefes nicht möglicy zu fein jheint: Gott könne ihn wohl zum befie» 
ren Menſchen machen, ohne daß er felbft etwas mehr dabei zu thun 
‚habe, als darum zu bitten; welches, da es vor einem allfehenden Wefen 
chts weiter it als wünfden, eigentlich nichts gethan fein würde: denn 
wenn e3 mit dem bloßen Wunjc ausgerichtet wäre, jo würde jeder Menſch 
ut fein. Na der moraliſchen Religion aber — unter allen 





























52 Religion inmerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Erftes Stüd. 


öffentlichen, die es je gegeben hat, allein die hriftliche ift) ift es ein 
Grundjaß: daß ein jeder fo viel, als in feinen Kräften ift, thun müffe, 
um ein befjerer Menſch zu werden; und nur alddann, wenn er fein ange: 
bornes Pfund nicht vergraben (Zucä XIX, 12—16), wenn er die urjprüng- 
lie Anlage zum Guten benußt hat, um ein befjerer Menſch zu werden, 5 
er hoffen Fönne, was nicht in jeinem Vermögen ift, werde durch höhere 
Mitwirkung ergänzt werden. Auch ift es nicht ſchlechterdings nothwendig, 
daß der Menſch wifje, worin dieje beftehe; vielleicht gar unvermeidlich, 
daß, wenn die Art, wie fie geſchieht, zu einer gewifjen Zeit offenbart wor: 
den, verſchiedene Menſchen zu einer andern Zeit fi) verſchiedene Begriffe 
und zwar mit aller Aufritigfeit davon machen würden. Aber alsdann 
gilt aud) der Grundjag: „Es ift nicht wejentlidy und alſo nicht jedermann 
nothwendig zu wifjen, was Gott zu feiner Seligfeit thue, oder gethan 
habe;" aber wohl, was er jelbjtzu thun habe, um diejes Beiftandes 
würdig zu werden. 15 
+ Diefe allgemeine Anmerkung tft die erfte von den vieren, deren 
eine jedem Stüd diefer Schrift angehängt ift, und welche die Aufſchrift 
führen fönnten: 1) von Gnadenwirkungen, 2) Wundern, 3) Geheimniffen, 
4) Önadenmitteln. — Dieje find gleihjam Parerga der Religion inner: 
halb der Grenzen der reinen Vernunft; fie gehören nicht innerhalb die- 20 
jelben, aber ſtoßen dod an fie an. Die Vernunft im Bewußtfein ihres 
Unvermögens, ihrem moraliihen Bedürfniß ein Genüge zu thun, dehnt 
fi bis zu überfhwenglichen Ideen aus, die jenen Mangel ergänzen 
fönnten, ohne fie dod) ala einen erweiterten Befit fich zugueignen. Sie 
beitreitet nicht die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Gegenftände derjel- = 
ben, aber fann fie nur nicht in ihre Marimen zu denfen und zu handeln 
aufnehmen. Sie rechnet jogar darauf, daß, wenn in dem unerforſchlichen 
Felde des libernatürlichen noch etwas mehr ift, als fie fidh verftändlid) 
machen kann, was aber doch zu Ergänzung des moraliſchen Unvermögens 
nothwendig wäre, diejes ihrem guten Willen auch unerkannt zu jtatten zo 
fommen werde, mit einem Glauben, den man den (über die Möglichkeit 
befjelben) reflectirenden nennen könnte, weil der dogmatijche, der 
fih als ein Wiſſen anfündigt, ihr unaufrichtig oder vermeflen vor: 
tommt; denn die Schwierigkeiten gegen das, was für fich ſelbſt (praktiſch) 
feſt jteht, wegguräumen, ift, wenn fie transjcendente Fragen betreffen, nur 35 
ein Nebengeichäfte (Barergon). Was den Nachtheil aus diejen auch mo- 
raliſch⸗transſcendenten Ideen anlangt, wenn wir fie in die Religion 


=} 


u 


Bon ber Eimvohnung des böfen Princips neben bem guten. 58 


einführen wollten, jo ift die Wirkung davon nad) der Ordnung der 
pier obbenannten Glafjen: 1) der vermeinten inneren Erfahrung (Gna— 
denwirfungen) Shwärmerei, 2) der angeblichen äußeren Erfahrung 
(Wunder) Aberglaube, 3) der gewähnten Verftandeserleudtung in 
Anjehung des Übernatürlichen (Geheimnifje) Sluminatism, Adepten- 
wahn, H der gewagten Berfuche aufs Übernatürliche Hin zu wirken (Ona- 
denmittel) Thaumaturgie, lauter Verirrungen einer über ihre Schran- 
fen hinausgehenden Vernunft und zwar in vermeintlid) moralifcher (gott- 
gefälliger) Abfiht. — Was aber dieje allgemeine Anmerkung zum erften 
» Stück gegenwärtiger Abhandlung befonders betrifft, jo ift die Herbeiru— 
fung der Gnadenwirkungen von der leßteren Art und kann nicht in 
die Marimen der Vernunft aufgenommen werden, wenn diefe ſich inner» 
halb ihren Grenzen hält; wie überhaupt nichts Übernatürliches, weil ge- 
rabe bei diefem aller Bernunftgebraud aufhört. — Denn fie theoretiſch 
ıs woran fennbar zu machen (daß fie Gnaden-, nicht innere Naturwirkungen 
find) ift unmöglich, weil unjer Gebraud) des Begriffs von Urſache und 
Wirkung über Gegenftände der Erfahrung, mithin über die Natur hinaus 
nicht erweitert werden kann; die Borausjeßung aber einer praktiſchen 
Benutzung diejer Fdee ijt ganz ſich ſelbſt widerfprehend. Denn als Be- 
» nußung würde fie eine Regel von dem vorausſetzen, was wir (in gewiffer 
Abficht) Gutes jelbft zu thun haben, um etwas zu erlangen; eine Gna— 
denwirfung aber zu erwarten bedeutet gerade das Begentheil, nämlich daß 
das Gute (das Moralifhe) nit unfere, fondern die That eines andern 
Weſens fein werde, wir aljo fie durch Nichtsthun allein erwerben 
5 fünnen, weldes fi widerſpricht. Wir können fie alſo als etwas Unbe— 
greifliches einräumen, aber fie weder zum theoretifchen nod) praktiſchen 
Gebrauch in unjere Marime aufnehmen. 


Der 
Philoſophiſchen Religionslehre 


Zweites Stüd. 


Der 
Philoſophiſchen Religionslehre 


Zweites Stüd. 


NR! 


Natürliche Neigungen find, an ſich ſelbſt betrachtet, gut, d. i. 
unverwerflich, und es iſt nicht allein vergeblich, jondern es wäre auch 
ſchaͤdlich und tadelhaft, fie ausrotten zu wollen; man muß fie vielmehr 
nur bezähmen, damit fie ſich untereinander nicht jelbft aufreiben, jondern 
zur Zufammenftimmung in einem Ganzen, Glüdjeligfeit genannt, ge— 
bracht werden können. Die Vernunft aber, die diejes ausrichtet, heißt 
Klugheit. Nur das Moraliſch-Geſetzwidrige ift an ſich ſelbſt böfe, 
ſchlechterdings verwerflih, und muß ausgerottet werden; die Vernunft 
aber, die das lehrt, nody mehr aber, wenn fie es auch ins Werk richtet, 
verdient allein den Namen der Weisheit, in Bergleihung mit weldyer 
das Lafter zwar auch Thorheit genannt werden kann, aber nur alsdann, 
wenn die Bernunft gnugſam Stärke in ſich fühlt, um es (und alle Anreize 
dazu) zu veradhten, und nicht bloß als ein zu fürdhtendes Weſen zu haj- 
fen, und fi dagegen zu bewaffnen. 


Kin 
fi 
Ei 
EHE 
ih, 
If 
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boraudgejeßt werden, mit dem die Tugend den Rumpf zu beftehen 
den alle Tugenden, zwar nidht, wie jener Krchenvater will, alänzen 
aber bo glänzende Armieltgtelten | 

ber \ 


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3 
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— 


62 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Zweites Stück. 


Am praftifhen Glauben an diefen Sohn Gottes (fofern er 
vorgejtellt wird, als habe er die menjhlihe Natur angenommen) fann 
num der Menfch hoffen, Gott wohlgefällig (dadurch aud) ſelig) zu werden; 
d. i. der, welcher ſich einer ſolchen moraliihen Gefinnung bewußt ift, daß 
er glauben und auf fi gegründetes Vertrauen ſetzen kann, er würde 
unter ähnlichen Verfuhungen und Leiden (jo wie jie zum Probirſtein jener 
Idee gemacht werden) dem Urbilde der Menſchheit unwandelbar anhängig 
und feinem Beifpiele in treuer Nachfolge ähnlid) bleiben, ein folder 
Menſch und auch nur der allein ift befugt, ſich für denjenigen zu halten, 
der ein des göttlichen Wohlgefallens nicht unwürdiger Gegenftand ift. 


b) Dbjective Nealität dieſer Idee. 
Diefe Idee hat ihre Realität in praktifher Beziehung vollftändig in 
fid) jelbjt. Denn fie liegt in unferer moraliſch gejeßgebenden Vernunft. 
Wir follen ihr gemäß fein, und wir müfjen es daher aud) fönnen. 


Müßte man die Möglichkeit, ein diefem Urbilde gemäßer Menſch zu fein, :; 


vorher beweijen, wie es bei Naturbegriffen unumgänglidy nothwendig ift 
(damit wir nicht Gefahr laufen, durch leere Begriffe hingehalten zu wer- 
den), jo würden wir eben ſowohl auch Bedenken tragen müfjen, jelbft dem 
moraliihen Gejebe das Anjehen einzuräumen, unbedingter und doch hin- 
reihender Beitimmungsgrund unfrer Willfür zu jein; denn wie es mög- 
lid) jei, daß die bloße Idee einer Geſetzmäßigkeit überhaupt eine mächtigere 
Triebfeder für diefelbe jein fönne, als alle nur erdenkliche, die von Vor— 
theilen hergenommen werden, das kann weder durch Vernunft eingejehen, 
noch durch Beifpiele der Erfahrung belegt werden, weil, was das erfte 
betrifit, das Gefeß unbedingt gebietet, und das zweite anlangend, wenn 
es auch nie einen Menjchen gegeben hätte, der dieſem Geſetze unbedingten 
Gehorjam geleiftet hätte, die objective Nothwendigfeit, ein folder zu fein, 
dod) unvermindert und für ſich ſelbſt einleuchtet. Es bedarf alfo Feines 
Beifpiels der Erfahrung, um die Idee eines Gott moraliſch wohlgefälli- 
gen Menſchen für uns zum Vorbilde zu maden; fie liegt als ein ſolches 
ſchon in unfrer Bernunft. — Wer aber, um einen Menſchen für ein fol- 
ches mit jener Idee ibereinjtimmendes Beijpiel zur Nadyfolge anzuer- 
kennen, noch etwas mehr, als was er fieht, d. i. mehr als einen gänzlich 
untadelhaften, ja jo viel, als man nur verlangen fann, verdienftvollen 
Zebenswandel, wer etwa außerdem nod Wunder, die durd ihn oder für 


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15 


64 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Bweites Stüd. 


in der menſchlichen Seele ſchon für ſich ſelbſt unbegreiflich genug ift, daß 
man nicht eben nöthig hat, außer feinem übernatürlihen Urfprunge es 
noch in einem bejondern Menihen bypoftafirt anzunehmen. Vielmehr 
würde die Erhebung eines folden Heiligen über alle Gebrechlichkeit der 
menſchlichen Natur der praftiihen Anwendung der Idee defjelben auf 
unfere Nachfolge nad) allem, wa3 wir einzufehen vermögen, eher im Wege 
fein. Denn wenn gleich jenes Gott wohlgefälligen Menſchen Natur in jo 
weit als menſchlich gedacht würde: daß er mit eben denjelben Bedürf- 
niffen, folglich auch denfelben Leiden, mit eben denjelben Naturneigungen, 
folglich aud eben folhen Verſuchungen zur lÜibertretung wie wir be: 
haftet, aber doch jo fern als übermenſchlich gedacht würde, daß nicht etwa 
errungene, jondern angeborne unveränderliche Nteinigkeit des Willens ihm 
ſchlechterdings Feine Übertretung möglich fein ließe: jo würde diefe Di- 
ftanz vom natürliden Menſchen dadurch wiederum jo unendlic groß wer: 
den, daß jener göttliche Menjc für diejen nicht mehr zum Beifpiel auf- 
geftellt werden könnte. Der Letztere würde jagen: man gebe mir einen 
ganz heiligen Willen, jo wird alle Berfuhung zum Böfen von felbft an 
mir ſcheitern; man gebe mir die innere vollfommenfte Gewißheit, daß 
nad) einem furzen Erbenleben ich (zufolge jener Heiligkeit) der ganzen 
ewigen Herrlichkeit des Himmelreichs fofort theilhaftig werden foll, fo 
werde id) alle Leiden, jo ſchwer fie auch immer fein mögen, bis zum 
Ihmählichften Tode nicht allein willig, fondern auch mit Fröhlichfeit über- 
nehmen, da ic) den herrlichen und nahen Ausgang mit Augen vor 'mir 
jehe. Zwar würde der Gedanke: daß jener göttliche Menſch im wirklichen 
Beſitze diefer Hoheit und Seligfeit von Ewigkeit war (und fie nicht aller: 
erft durch joldye Leiden verdienen durfte); daß er fi) derjelben für lauter 
Unwürdige, jogar für feine Feinde willig entäußerte, um fie vom ewigen 
Verderben zu erretten, unfer Gemüth zur Bewunderung, Liebe und Danl- 
barfeit gegen ihn jtimmen müfjen; imgleichen würde die Idee eines Ver: 
haltens nad) einer fo volllommenen Regel der Sittlichkeit für uns aller: 
dings aud) als Vorſchrift zur Befolgung geltend, er felbft aber nicht als 
Beiſpiel der Nahahmung, mithin aud) nicht als Beweis der Thunlichkeit 
und Erreichbarkeit eines jo reinen und hohen moralifchen Guts für uns 
ung vorgejtellt werden fünnen*). 


) Es ift freilich eine Beichränftheit ber menfchlichen Vernunft, die boch einmal 
bon ihr nicht zu trennen ift: daß wir uns feinen moralifchen Werth von Belange au 


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— 


— 


35 











Von dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 65 


Eben derſelbe göttlich gefinnte, aber ganz eigentlich menſchliche Lehrer 
würde dod) nichts deftoweniger von fi), ala ob das deal des Guten in 
— —— Lehre und Wandel) dargeſtellt würde, mit Wahrheit 


tblungen einer Perfon beufen können, ohne zugleich fie oder ihre Außerung auf 
Weiſe vorftellig zu machen; obzwar damit eben nicht behauptet werden 
will, da es an ſich Car akrderav) auch jo bewandt ſei; denn wir bedürfen, um uns 
faßlich zu machen, immer einer gewiffen Analogie mit 
Naturweien. So legt ein Yhilofophifejer Dichter dem Menſchen, fo fern er einen Hang 
zum Böfen in fich zu befämpfen hat, jelbft darum, wenn er ihn nur zu übermwältigen weiß, 
ww einen böhern Rang auf ber moralifchen Stufenleiter der Weſen bei, als felbft ben 
Himmelsbewohnern, bie vermöge ber Heiligkeit ihrer Natur über alle mögliche Ber 
leitung weggejebt find (Die Welt mit ihren Mängeln — ift befier als ein Reid) von 
Engeln. Haller). — Zu biefer Vorftellungsart bequemt fich auch die 
Schrift, um bie Liebe Gottes zum menſchlichen Geſchlecht uns ihrem Grade nad) faß-⸗ 
15 lich zu machen, indem fie ihm die höchfte Aufopferung beilegt, die nur ein Tiebendes 
Weſen thun kann, um jelbit Unwürdige glücklich zu machen („Alfo hat Gott die Welt 
aeliebt,“ u. ſ. w.): ob wir ung gleich durch die Bermunft feinen Begriff davon machen 
önnen, wie ein allgenugfames Weſen etiwas von dem, was zu feiner Seligfeit gehört, 
aufopfern unb ſich eines Befites berauben lünne. Das ift der Shematism ber 
Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht entbehren fönnen. Diejen aber in einen 
Schematiäm ber Objectöbeftimmung (zum Erweiterung unferes Erfenntniffes) 
zu verwandeln ift Antbropomorphism, der in moraliicher Abficht (in der Reli» 
gion) von ben nachtheiligſten Folgen ift. — Hier will ich mur noch beiläufig anmerfen, 
dag man im Auffteigen vom Sinnlichen zum Überfinnlichen zwar wohl ſchemati— 
» jiren (einen Begriff durd) Analogie mit etwas Sinnlihem fahlich machen), ſchlech— 
aber nicht nach der Analogie von dem, was dem Erfteren zukommt, daß es 
auch dem Letzteren beigelegt werben müfje, jhliehen (und fo jeinen Begriff erwei- 
tern) könne; und dieſes zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil ein ſolcher Schluß 
wider alle Analogie Taufen würde, der baraus, weil wir ein Schema zu einem Be: 
» griffe, um ihn uns verftänblich zu machen (durch ein Beifpiel zu belegen), nothwendig 
brauchen, die Folge ziehen wollte, daß es auch nothwendig dem Gegenſtande ſelbſt als 
fein Präbdicat zufommen müffe. Ich kann nämlich nicht jagen: fo wie ich mir bie Iir- 
ſache einer Pflanze (oder jedes organiſchen Geſchöpfs und überhaupt der zwedvollen 
Welt) nicht anders faßlich mach en kann, ald nad) der Analogie eines Künftlers in 
Beziehung auf jein Werk (eine Uhr), nämlich dadurch, daß ich ihr Berftand beilege: jo 
mus auch die Urſache felbft (ber Pflanze, der Welt überhaupt) Verſtand Haben; d. i. 
ihr Berftand beizulegen, ift nicht bloß eine Bedingung meiner Faßlichkeit, fondern ber 
Möglichkeit Urſache zu jein felbft. Zwiſchen dem Verhältniffe aber eines Schema zu 
feinem Begriffe unb dem Verbältniffe eben diejes Schema des Begriffs zur Sache felbft 
«0 ift gar feine Analogie, jondern ein gewaltiger Sprung (neraßasız eıs aAo yevos), ber 
a hinein führt, wovon ic) bie Beweiſe anberwärts ge- 


Kant'a Baritin. Werte. VI. 5 




































— 


66 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft. Zweites Stüd. 


reben können. Denn er würde alsdann nur von der Gefinnung ſprechen, 
die er ſich felbit zur Regel jeiner Handlungen macht, die er aber, da er fie 
als Beifpiel für andre, nicht für ſich jelbit ſichtbar machen kann, nur durd) 
jeine Lehren und Handlungen äußerlid) vor Augen ftellt: „Wer unter euch 
kann mid) einer Sünde zeihen?“ Es ift aber der Billigfeit gemäß, das 
untadelhafte Beifpiel eines Lehrers zu dem, was er lehrt, wenn diejes ohne- 
dem für jedermann Pflicht ift, feiner andern als der lauterften Geſinnung 
defielben anzurechnen, wenn man feine Beweife des Gegentheils hat. Eine 
ſolche Gefinnung mit allen um des Weltbeften willen übernommenen 
Leiden, in dem Zdeale der Menjchheit * — nun für alle Menſchen 
zu allen Zeiten und in allen Welten vor der oberſten Gerechtigleit voll- 
gültig: wenn der Menſch die feinige derjelben, wie er es thun ſoll, ähn- 
lid madt. Sie wird freilid; immer eine Gerechtigkeit bleiben, die nicht 
die unfrige ift, fofern diefe in einem jener Gefinnung völlig und ohne Fehl 
gemäßen Zebenswandel bejtehen müßte. Es muß aber doch eine Zueignung 
der erjteren um der legten willen, wenn dieje mit der Gefinnung des Ur- 
bilde vereinigt wird, möglid) jein, obwohl fie ſich begreiflich zu machen 
nod) großen Schwierigkeiten unterworfen ift, die wir jegt vortragen wollen. 


e) Schwierigkeiten gegen die Realität diejer Idee 
und Auflöjung derielben. 


Die erjte Schwierigkeit, welche die Erreichbarkeit jener Idee der Gott 
mwoblgefäligen Menjchbeit in uns in Beziehung auf die Heiligkeit des 
Geſetzgebers bei dem Mangel unferer eigenen Gerechtigkeit zweifelhaft 
macht, ift folgende. Das Gefek jagt: „Seid heilig (in eurem Lebenswan- 
del), wie euer Vater im Himmel beilig iſt!“ denn das ift Das Ideal des 
Sohnes Gottes, weldyes uns zum Rorbilde aufgeftet ift. Die Entfernung 
aber des ®uten, was wir in uns bewirken jollen, von dem Böjen, wovon 
wir ausgeben, ift unendlich und jofern, was die That, d.i. die Angemefjen- 
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68 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Zweites Stüd. 


jein, als ih ſchon im Beſitz diefes Reichs zu wifjen, da denn der jo ge: 
finnte Menſch jchon von jelbit vertrauen würde, daß ihm „das Übrige alles 
(was phyfiiche Glüdjeligkeit betrifft) zufallen werde". 

Nun fönnte man zwar den hierüber bejorgten Menjchen mit feinem 
Wunſche dahin verweifen: „Sein (Gottes) Geiſt giebt Zeugniß unferm 
Geiſt“ u. |. w., d. i. wer eine fo lautere Gefinnung, als gefordert wird, be- 
figt, wird von ſelbſt ſchon fühlen, daß er nie jo tief fallen fünne, das Böje 
wiederum lieb zu gewinnen; allein es ift mit ſolchen vermeinten Gefühlen 
überfinnlihen Urjprungs nur mißlich beftellt; man täufcht ſich nirgends 
leichter, als in dein, was die gute Meinung von fid) felbft begünstigt. Auch 
ſcheint e8 nicht einmal rathſam zu fein, zu einem jolden Vertrauen auf- 
gemuntert zu werden, jondern vielmehr zuträglicher (für die Moralität), 
„leine Geligfeit mit Furcht und Zittern zu ſchaffen“ (ein hartes Wort, 
welches, mißverjtanden, zur finfterften Schwärmerei antreiben fann); 
allein ohne alles Vertrauen zu feiner einmal angenommenen Gefinnung 
würde faum eine Beharrlichfeit, in derfelben fortzufahren, möglid) fein. 
Dieſes findet fi) aber, ohne fid) der fühen oder angftvollen Schwärmerei 
zu überliefern, aus der Bergleihung jeines bisher geführten Lebenswan— 
dels mit feinem gefaßten Vorſatze. — Denn der Menſch, welcher von ber 
Epoche der angenommenen Orundjäße des Guten an ein genugfam langes 
Leben hindurd) die Wirkung derjelben auf die That, d. i. auf feinen zum 
immer Befjeren fortj&reitenden Zebenswandel, wahrgenommen hat und 
daraus auf eine gründliche Befferung in feiner Gefinnung nur vermu— 
thungsweife zu fließen Anlaß findet, kann doch auch vernünftigermeife 
hoffen, daß, da dergleihen Fortſchritte, wenn ihr Princip nur gut ift, die 
Kraft zu den folgenden immer nod) vergrößern, er in diefem Erbenleben 
diefe Bahn nicht mehr verlafjen, fondern immer noch muthiger darauf 
fortrücken werde, ja, wenn nad) diefem ihm nod) ein anderes Leben bevor- 
fteht, er unter andern Umständen allem Anjehen nad) doch nad) eben dem— 
jelben Princip fernerhin darauf fortfahren und fid) dem, obgleich uner- 
reihbaren Ziele der Volfommenheit immer noch nähern werde, weil er 
nad) dem, was er bisher an jic wahrgenommen hat, jeine efinnung für 
von Grunde aus gebefjert halten darf. Dagegen der, welcher jelbft bei oft 
verſuchtem Borjabe zum Guten dennod) niemals fand, daß er dabei Stand 
hielt, der immer ins Böfe zurüdfiel, oder wohl gar im Fortgange feines 
Lebens an fi) wahrnehmen mußte, aus dem Böfen ins AÄrgere gleichſam 
als auf einem Abhange immer tiefer gefallen zu fein, vernünftigerweije 


— 


nn 





Bon dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 69 


fid) feine Hoffnung machen fann, daß, wenn er nod) länger hier zu leben 
hätte, oder ihn aud) ein fünftiges Leben bevorftände, er es beſſer machen 
werde, weil er bei joldjen Anzeigen das Verderben als in feiner Gefinnung 
gewurzelt anfehen müßte. Nun ift das erftere ein Blid in eine unab- | 
ſehliche, aber gewünſchte und glüdliche Zukunft, das zweite dagegen in ein 
eben ſo unabſehliches Elend, d.i. beides für Menfchen nad) dem, was fie 
urtheilen können, in eine felige oder unfelige Ewigfeit: Vorftellungen, die 
mächtig genug find, um dem einen Theil zur Beruhigung und Befeftigung 
im Guten, dem andern zur Aufwedung des richtenden Gewifjens, um 
dem Böfen fo viel möglich nod Abbruch; zu thun, mithin zu Triebfedern 
zu dienen, ohne daß es nöthig ift, auch objectiv eine Ewigfeit des Guten 
oder Böjen für das Schickſal des Menſchen dog matiſch als Lehrſatz vor- 
auszujeßen*), mit welchen vermeinten Kenntnifjfen und Behauptungen die 


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*) Es gehört unter die Fragen, aus benen ber Frager, wenn fie ihm auch > 
antwortet werben fönnten, doch nichts Kluges zu machen verftehen würbe (und bie 
man deshalb Kinberfragen nennen könnte), auch bie: ob die Höllenftrafen enbliche, 
ober ewige Strafen fein werben. Würde das erjte gelehrt, jo iſt zu bejorgen, daß 
manche (jo wie alle, die das Fegfeuer glauben, oder jener Matrofe in Moore's Reifen) 
jagen würden: „So hoffe ich, ich werde ed aushalten fünnen." Würde aber das andre 
20 behauptet und zum Glaubensſymbol gezählt, fo bürfte gegen die Abficht, die man da— 

mit hat, bie Hoffnung einer völligen Straflofigfeit nach dem ruchlofeiten Leben heraus- 
fommen. Denn dba in ben Nugenbliden ber fpäten Reue am Ende befjelben der um 
Rath und Troft befragte Geiftliche es doch graufanı und unmenfchlich finden muß, ihm 
feine ewige Berwerfung angufündigen, und er zwifchen biefer und ber völligen Los— 
25 jpredhung fein Mittleres ftatuirt (fondern entweder ewig, oder gar nicht geitraft), fo 
muß er ihm Hoffnung zum letzteren machen, d. i. ihn in ber Geſchwindigkeit zu einem 
Gott wohlgefälligen Menſchen umzufchaffen veriprechen; da dann, weil zum Einfchla- 
gen in einen guten Lebenswandel nicht mehr Zeit ift, reuevolle Bekenntniſſe, Glaubens. 
formeln, auch wohl Angelobungen eines neuen Lebens bei einem etwa noch längern 
0 Aufichub des Endes des gegenwärtigen bie Stelle der Mittel vertreten. — Das ift die 
undermeibliche Folge, wenn bie Ewigkeit de3 dem hier geführten Lebenswandel ge 
mäßen fünftigen Schidiald ald Dogma vorgetragen und nicht vielmehr der Menſch 
angemwiefen wird, aus feinem biäherigen fittlichen Zuſtande fich einen Begriff vom Fünf» 
tigen zu machen und darauf al3"die natürlich vorherzuſehende Folgen beffelben ſelbſt 
35 zu ſchließen; benn ba wird die Unabſehlichkeit ber Reihe derfelben unter ber ‚Öerr- 
ſchaft bes Böfen für ihn diefelbe moralifche Wirfung haben (ihn angutreiben, das Ge- 
ichehene, jo viel ihm möglich ift, burch Reparation oder Erſatz feinen Wirkungen nad) 
nod vor bem Ende bes Lebens ungeſchehen zu machen), als von ber angefünbigten 
Ewigkeit beffelben erwartet werben fannı: ohne doch die Nachiheile bes Dogma ber 
s0 Tehtern (wozu ohnebem weder Bernunfteinficht, noch Schriftauslegung berechtigt) bei 


u 
un 


Vernunft nur die Schranken ihrer Einficht überjchreitet. Die gute und 
— —— — — 


fh zu führen: een, im geben ſchon zum voraus auf dieſen leicht zu 





ne Bernunft durchs Gewiſſen zu gelinde 

glaube, fehr. Denn ebeh bar, weil fie frei iR unb fell Aber übe, ben Meufen, ' 
ſprechen joll, ift fie unbeftehlich, und wenn man ihm in einem joldhen Buftande nur 
jagt, daß es wenigſtens moͤglich jei, er werde bald vor einem Richter fteben müfjen, jo 





beifügen. Der gewöhnliche Sinnfprud: Ende gut, alles gut, lann auf ı5 
—— — — aber nur, wenn unter bem guten Ende 
basjenige verftanden wird, ba ber Menjch ein wahrbaftig-guter Mensch wirb. Aber 
woran will er fi) als einen joldyen erfennen, da er ed nur ans bem baranf folgenden 
bebharrlich guten Lebenswandel ſchliehen faun, für biejen aber am Embe des Lebens 
feine Zeit mehr ba ift? Bon ber Glüädjeligfeit kann diefer Spruch eber eingeräumt » 
werben, aber auch mur in Beziehung auf ben Standpunft, ans dem er jein Leben an- 





ber Gejinmung, wormadh fein dedes beuntfeilt werden mut. it (als etwas 
bed) nicht ven der Art, daf jein Daiein im Sritabichuitte Spräfber, jemdern 








zum Behat Diet Ehkiaug mar ala Zeiteinheit, Aials ein Ganzes, ia Be 
tradhtung fourmen; ba bumn die Bermärke amk der eriien Spell dab dedert (Der der 
eg re ehe ee 
renden Teu: Ende gut, alled gut! ger ſedr Mimzien mihten. — Beni ik mi jemer 
Lehre von eg ee ae fr) 











72 Religion innerhalb der Grenzen ber bloken Vernunft. Zweites Stück. 


doch in der Aburtheilung feines ganzen Lebenswandels vor einer gött- 
lien Gerechtigkeit als verwerflich vorftellt, it folgende. — Wie es 
auch mit der Annehmung einer guten Gefinnung an ihm zugegangen fein 
mag und fogar, wie beharrlidy er auch darin in einem ihr gemäßen Le— 
benswandel fortfahre, jo fing er doch vom Böſen an, und dieje Ber- 
ſchuldung ift ihm nie auszulöjchen möglid. Daß er nad) jeiner Herzens— 
änderung Feine neue Schulden mehr macht, fann er nicht dafür anjehen, 
als ob er dadurch die alten bezahlt habe. Auch fann er in einem fernerhin 
geführten guten Lebenswandel feinen Überjhuß über das, was er jedes- 
mal an fid zu thun ſchuldig ift, herausbringen; denn e8 iſt jederzeit feine 
Pflicht, alles Gute zu thun, was in feinem Vermögen fteht. — Diefe ur: 
fprüngliche, oder überhaupt vor jedem Guten, was er immer thun mag, 
vorhergehende Schuld, die aud) dasjenige ift, was, und nichts mehr, wir 
unter dem radicalen Böfen verftanden (S. das erjte Stüd), kann aber 
auch, jo viel wir nad) unferem Bernunftrecht einjehen, nicht von einem 
andern getilgt werden; denn fie ift feine transmifjible Verbindlichkeit, 
die etwa wie eine Geldſchuld (bei der es dem Gläubiger einerlei ift, ob 
der Schuldner jelbjt oder ein anderer für ihn bezahlt) auf einen andern 
übertragen werden fann, fondern die allerperjönlidhfte, nämlich eine 
Sündenſchuld, die nur der Strafbare, nicht der Unſchuldige, er mag aud) 
noch jo großmüthig fein, fie für jenen übernehmen zu wollen, tragen 
kann. — Da nun das Sittlich-Böſe (Übertretung des moralifchen Geſetzes 
als göttlihen Gebotes, Sünde genannt) nicht ſowohl wegen der Un- 
endlichfeit des höchſten Gejebgebers, defjen Autorität dadurch verleßt 
worden (von weldem ütberjhwenglichen Verhältniſſe des Menſchen zum 
höchſten Wejen wir nichts verftehen), jondern als ein Böjes in der Ge— 
Jinnung und den Marimen überhaupt (wie allgemeine Grundjäße 
vergleihungsweife gegen einzelne Übertretungen) eine Unendlichfeit von 
Verletzungen des Gejeßes, mithin der Schuld bei ſich führt (welches vor 
einem menſchlichen Gerihtshofe, der nur das einzelne Verbrechen, mithin 
nur die That und darauf bezogene, nicht aber die allgemeine Gefinnung 
in Betrachtung zieht, anders ift), jo würde jeder Menſch fi einer un— 
endlihen Strafe und Verſtoßung aus dem Reiche Gottes zu gewär—⸗ 
figen haben. 

Die Auflöfung diefer Schwierigkeit beruht auf Folgendem: Der 
Richterausſpruch eines Herzensfündigers muß als ein folder gedacht wer: 
den, der aus der allgemeinen Gefinnung des Angeklagten, nicht aus den 


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74 Religion innerhalb ber Grenzen ber blofen Vernunft. Zweites Stüd. 


nüge geihieht. — Die Sinnesänderung ift nämlich ein Ausgang vom 
Böjen und ein Eintritt ins Gute, das Ablegen des alten und das Anziehen 
des neuen Menſchen, da das Subject der Sünde (mithin aud allen Nei- 
gungen, jofern fie dazu verleiten) abjtirbt, um der Gerechtigkeit zu leben. 
In ihr aber als intellectueller Beftimmung find nicht zwei durd eine 
Zwiſchenzeit getrennte moraliſche Actus enthalten, fondern fie ift nur ein 
einiger, weil die Berlafjung des Böjen nur durch die gute Gefinnung, 


- welche den Eingang ins Gute bewirkt, möglid) ift, und jo umgefehrt. Das 


gute Princip ift alfo in der Berlafjung der böfen eben ſowohl, als in der 
Annehmung der guten Gefinnung enthalten, und der Schmerz, der die 
erjte rechtmäßig begleitet, entipringt gänzlich aus der zweiten. Der Aus- 
gang aus der verderbten Gefinnung in die gute ift (als „das Abfterben am 
alten Menden”, „Kreuzigung des Fleiſches“) an ſich ſchon Aufopferung 
und Antretung einer langen Reihe von Übeln des Lebens, die der neue 
Menjc in der Gefinnung des Sohnes Gottes, nämlid) bloß um des Guten 
willen, übernimmt; die aber doch eigentlich einem andern, nämlid dem 
alten (denn diejer ift moraliſch ein anderer), als Strafe gebührten. — 
Db er aljo gleih phyſiſch (feinem empirifchen Charafter als Sinnen 
wejen nad betrachtet) eben derjelbe ftrafbare Menſch ift und als ein joldyer 
vor einem moraliſchen Gerihtshofe, mithin aud) von ihm ſelbſt gerichtet 
werden muß, fo ift er doc) in feiner neuen Gefinnung (als intelligibles 
Weſen) vor einem göttlihen Richter, vor welchem dieje die That vertritt, 
moralijd ein anderer, und diefe in ihrer Neinigfeit, wie die des Sohnes 
Gottes, welche er in fi aufgenommen hat, oder (wenn wir dieje Idee per- 
jonificiren) die ſer felbft trägt für ihn und jo auch für alle, die an ihn 
(praftii) glauben, als Stellvertreter die Sündenſchuld, thut durch 
Leiden und Tod der höchſten Gerechtigkeit als Erlöſer genug und macht 
als Sachverwalter, daß fie hoffen fünnen, vor ihrem Richter als ge= 
rechtfertigt zu erfcheinen, nur daß (in diefer VBorftellungsart) jenes Leiden, 
was der neue Menſch, indem er dem alten abjtirbt, im Leben fortwährend 
übernehmen muß*), an dem Repräfentanten der Menjchheit als ein für 


thieriiche Körper zur Strafe für ehemalige Verbrechen eingeiperrte Geifter (Dewas ge- 
nannt), und ſelbſt ein Philofoph (Malebrandhe) wollte ben vernunftlofen Thieren 
lieber gar feine Seelen und hiermit auch feine Gefühle beilegen, als einräumen, daß bie 
Pferde jo viel Plagen ausftehen müßten, „ohne doch vom verbotenen Heu gefreifen 
zu haben“. 

*) Auch die reinfte moralifche Gefinnung bringt am Menſchen ala Weltwefen 





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35 


unfern Thaten ermefjen), jo daß der Anfläger in uns eher noch auf ein 
Berdammungsuribeil antragen würde. Es ift aljo immer nur ein lir- 
theilsiprud) aus Gnade, obgleidy (als auf Genugthuung gegründet, die für 
uns nur in der Idee der gebefjerten Gefinnung liegt, die aber Gott allein 
fennt) der ewigen Gerechtigkeit völlig gemäß, wenn wir um jenes Guten 
im Glauben willen aller Berantwortung entihlagen werben. 

Es kann nun nod) gefragt Iberden, ob diefe Deduction der Jdee einer 
Rechtfertigung des zwar verfchuldeten, aber doch zu einer Gott wohl- 
gefälligen Gefinnung übergegangenen Menſchen irgend einen praktiihen 
Gebrauch habe, und welder es jein fönne. Es ift nicht abzujehen, welcher 
pojitive Gebrauch davon für die Religion und den Lebenswandel zu 
machen fei, da im jener Unterfuhung die Bedingung zum Grunde liegt 
baß ber, ben fie angeht, in der erforderlichen guten Gefinnung ſchon wirt- 
lid) jei, auf deren Behuf (Entwidelung und Beförderung) aller praktiſche 
Gebrauch moraliicher Begriffe eigentlich abzwedt; denn was den Troft be 
trifft, fo führt ihn eine ſolche Gefinnung für den, der ſich ihrer bewußt ift, 
(als Troſt und Hoffnung, nicht ala Gewißbeit) ſchon bei ih. Sie ift alfo 
in fo fern nur die Beantwortung einer jpeculativen Frage, die aber darum 
nicht mit Stiljhweigen übergangen werben faun, weil ſonſt der Vernunft 
vorgeworfen werben fönnte, fie ſei ſchlechterdings unvermögend, die Hoff- 
nung auf die Losſprechung des Menſchen von jeiner Schuld mit der gött- 
lichen Gerechtigkeit zu vereinigen; ein Vorwurf, der ihr in mandıerlei, vor- 
nehmlidy in moraliſcher Rüdfiht nachtheilig fein fönnte. Allein der 
negative Nußen, der daraus für Religion und Sitten zum Behuf eines 
jeden Menſchen gezogen werden kann, erftredt fidy fehr weit. Denn man 
fieht aus der gedachten Deduction: da nur unter der Borausjeßung der 
gaͤnzlichen Herzensänderung fi) für den mit Schuld belafteten Menſchen 
vor der himmlischen Gerechtigkeit Losſprechung denken laſſe, mithin alle 
Erpiationen, fie mögen von der büßenden oder feierlichen Art fein, alle 
Anrufungen und Hochpreifungen (jelbft die des ftellvertretenden Ideals 
bes Sohnes Gottes) den Mangel der erftern nicht erſetzen, oder, wenn dieje 
ba ift, ihre Gültigkeit vor jenem Gerichte nicht im mindejten vermehren 
können; denn dieſes Ideal muß in unferer Gefinnung aufgenommen fein: 
um an Stelle der That zu gelten. Ein anderes enthält die Rrage: was ſich 
ber Menſch von jeinem geführten Zebenswandel am Ende deiielben zu 
verfpredhen, oder was er zu fürdten habe. Hier muß er allererit feinen 
Charakter wenigftens einigermaßen fennen, aljo, wenn er aleib alanbt, 


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Bon dem Kampf des guten Princips mit bem böfen. 17 


es ſei mit feiner Gefinnung eine Befferung vorgegangen, die alte (ver: 
derbie), von der er ausgegangen ift, zugleid mit in Betrachtung ziehen 
und, was und wie viel von der erfteren er abgelegt habe, und welche Qua⸗ 
Lität (ob lautere oder noch unlautere) ſowohl, ala weldyen Grad die ver- 
meinte neue Gefinnung habe, abnehmen fönnen, um die erfte zu über 
winden und den Nüdfall in diejelbe zu verhüten; er wird fie aljo durchs 
ganze Leben nachzuſuchen haben. Da er alfo von feiner wirklichen Ge 
finnung durch unmittelbares Bewußtjein gar feinen fidjern und beftimme 
ten Begriff befommen, fondern ihn nur aus feinem wirklich geführten 
Lebenswandel abnehmen Fan: jo wird er für das Urtheil des künftigen 
Richters (des aufwachenden Gewiffens in ihm ſelbſt zugleich mit der her— 
beigerufenen empirischen Selbfterfenntniß) fich feinen andern Zuftand zu 
feiner Überführung denten können, als daß ihm jein ganzes Leben ber» 
einft werde vor Augen geftellt werben, nicht bloß ein Abſchnitt defjelben, 
vielleicht der legte und für ihn noch günftigfte; hiermit aber würde er von 
jelbft die Ausfiht in ein nod) weiter fortgejeßtes Leben (ohne fi hier 
Grenzen zu jeßen), wenn es noch länger gedauert hätte, verfnüpfen. Hier 
kann num nicht die zuvor erfannte Gefinnung die That vertreten laſſen, 


jondern umgekehrt, er ſoll aus der ihm worgeftellten That feine Gefinnung _ 


abnehmen. Was, meint der Lejer wohl, wird bloß diefer Gedante, 
welcher dem Menſchen (der eben nicht der ärgite jein darf) vieles in die 
Erinnerung zurüdruft, was er jonft leichtfinnigerweijelängft aus der Acht 
gelafjen hat, wenn man ihm aud) nichts weiter fagte, als, er habe Urſache 
zu glauben, er werde dereinft vor einem Nichter ftehen, von feinem künf- 
tigen Schidjal nad) feinem bisher geführten Lebenswandel urtheilen? 
Wenn man im Menſchen den Richter, der in ihm felbit ift, anfragt, fo 
beurtheilt er fi) ftrenge, denn er fann feine Vernunft nicht beftechen; ftellt 
man ihm aber einen andern Richter vor, jo wie man von ihm aus ander: 
weitigen Belehrungen Nachricht haben will, jo hat er wider feine Strenge 


| 


vieles vom Vorwande der menſchlichen Gebredlichkeit Hergenommene ein» / 


zuwenden, und überhaupt denkt er, ihm beizufommen: es jei, daß er durd) 
reuige, nicht aus wahrer Gefinnung der Befjerung entjpringende Selbft- 
peinigungen der Beitrafung von ihm zuvorzufommen, oder ihn durd) 
Bitten und Flehen, auch durd Formeln und für gläubig ausgegebene 
Bekenntniſſe zu erweichen denft; und wenn ihm biezu Hoffnung gemad)t 
wird (nad) dem Sprichwort: Ende gut, alles gut): jo macht er darnad) 
ſchon frühzeitig feinen Anſchlag, um nicht ohne Noth zu viel am vergnrügten 


78 Religion inmerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Bweites Stüd. 


Leben einzubüßen und beim nahen Ende defjelben doch in der Geſchwindig⸗ 
feit die Rechnung zu feinem Bortheile abzuſchließen ). 


Zweiter Abſchnitt. 
Bon dem Rechtsanjpruche des böjen Princips auf die Herrichaft 
über den Menſchen und dem Kampf beider Principien 
mit einander. 


Die heilige Schrift (chriſtlichen Antheils) trägt diefes inteligible mo- 
raliſche —— in der Form einer Geſchichte vor, da zwei wie Himmel 
und Hölle einander entgegengejegte Principien im Menſchen, als Per: 
fonen außer ihm vorgeftellt, nit bloß ihre Macht gegen einander ver: 
ſuchen, jondern auch (der eine Theil als Anfläger, der andere als Sadı- 
walter des Menjchen) ihre Anſprüche gleihjam vor einem höchſten Richter 
durchs Recht gelten machen wollen. 

Der Menih war urjprüngli zum Eigenthümer aller Güter der 
Erde eingeſetzt (1. Mof. 1, 28), doch daß er dieje nur als fein Untereigen- 
thum (dominium utile) unter feinem Schöpfer und Herrn als Dbereigen- 
ihümer (dominus directus) befißen ſollte. Zugleich wird ein böfes Weſen 
(mie e3 jo böje geworden, um jeinem Herrn untreu zu werden, da es dod) 
uranfänglid; gut war, ift nicht befannt) aufgeftellt, weldyes durch feinen 
Abfall alles Eigenthums, das es im Himmel bejeffen haben mochte, ver- 
Iuftig geworden und fi nun ein anderes auf Erden erwerben will. Da 
ihm nun als einem Wefen höherer Art — als einem Geifte — irdiſche 


+) Die Abficht derer, die am Ende bes Lebens einen Geiftlichen rufen laſſen, ift 
gewöhnlidh: daß fie an ihm einen Tröfter haben wollen; nicht wegen ber phyſiſchen 
Leiden, welche die legte Krankheit, ja auch mur die natürliche Furcht vor dem Tod mit 
fich führt (denn darüber kann der Tod felber, der fie beendigt, Tröfter fein), ſondern 
wegen der moralifchen, nämlich ber Vorwürfe des Gewiſſens. Hier jollte nun die⸗ 
ſes eher aufgeregt und geidärft werben, um, was noch Gutes zu thun, ober Böjed 


lebft), damit er dich micht dem Richter (nach dem Tode) überlichere*, “ft. w. u bein 
Statt aber gleihfam Opium fürs Gewiſſen zu geben, it Verſchuldigung an ihm ſelbſt 
und andern, ihn Überlebenden; ganz wider — — — 
beiſtand am Ende des Lebens für nothig gedalten werden 


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35 


Bon dem Kampf des guten Princips mit dem böfen. 79 


und körperliche Gegenftände feinen Genuß gewähren können, fo ſucht er 
eine Herrſchaft über die Gemüther dadurd; zu erwerben, daß er die 
Stammältern aller Menſchen von ihrem Oberherrn abtrünnig und ihm an= 
hängig macht, da es ihm dann gelingt, ſich fo zum Obereigenthümer aller 
Güter der Erde, d. i. zum Fürſten diefer Welt, aufzuwerfen. Nun könnte 
man hierbei war e3 bedenklich finden: warum ſich Gott gegen diefen Ver— 
räther nicht feiner Gewalt bediente*) und das Reich, was er zu ftiften zur 
Abſicht hatte, Lieber in jeinem Anfange vernichtete ; aber die Beherrſchung 
und Regierung der höchſten Weisheit über vernünftige Wejen verfährt mit 
ihnen nad) dem Princip ihrer Freiheit, und was fie Gutes oder Böfes 
treffen ſoll, das jollen fie ſich jelbft zugujchreiben haben. Hier war aljo 
dem guten Princip zum Troß ein Reich des Böfen errichtet, welchem alle 
von Adam (matürlicherweije) abftammende Menſchen unterwürfig wurden 
und zwar mit ihrer eignen Einwilligung, weil das Blendwerf der Güter 
diejer Welt ihre Blide von dem Abgrunde des Verderbens ab;og, für das 
fie aufgejpart wurden. Zwar verwahrte fi) das gute Princip wegen feines 
Rechtsanſpruchs an der Herrſchaft über den Menſchen durd) die Errichtung 
der Form einer Regierung, die bloß auf öffentliche alleinige Verehrung 
feines Namens angeordnet war (in der jüdijchen Theofratie); da aber 
die Gemüther der Unterthanen in derjelben für feine andere Triebfedern 
als die Güter diejer Welt geftimmt blieben, und fie alfo aud) nicht anders 
als durch Belohnungen und Strafen in diefem Leben regiert fein wollten, 
dafür aber aud) feiner andern Geſetze fähig waren als joldher, welche theils 
läftige Geremonien und Gebräuche auferlegten, theils zwar fittliche, aber 
nur ſolche, wobei ein äußerer Zwang ftatt fand, alſo nur bürgerliche waren, 
wobei das Innere der moraliſchen Gefinnung gar nicht in Betradhtung 
fam: jo that diefe Anordnung dem Reiche der Finfterniß feinen wejent- 
lien Abbruch, fondern diente nur dazu, um das unauslöſchliche Recht des 
erjten Eigenthümers immer im Andenken zu erhalten. — Nun erfhien in 
eben demfelben Volke zu einer Zeit, da es alle Übel einer hierarchiſchen 
Berfafjung im vollen Maße fühlte, und das ſowohl dadurd), als vielleicht 


*) Der P. Eharlevoir berichtet: dab, dba er feinem iroleſiſchen Katechismusr 
ichüler alles Böfe vorerzählte, was ber böfe Geift in die zu Anfang gute Schöpfung 
bineingebradyt habe, und wie er noch bejtändig die beſten göttlichen Veranftaltungen 
zu vereitelm fuche, biefer mit Unmillen gefragt habe: aber warum jchlägt Gott den 
Zeufel nicht tobt? auf welche Frage er treuberzig geſteht, daß er in der Eil Feine Ant- 
wort habe finden fünnen. 


80 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Zweites Gtüd. 


durch die den Sflavenfinn erſchütternden moralijchen Freiheitslehren der 
griechiſchen Weltweifen, die auf dafjelbe allmählig Einfluß befommen 
hatten, großentheils zum Befinnen gebracht, mithin zu einer Revolution 
reif war, auf einmal eine Berfon, deren Weisheit noch reiner als die der 
bisherigen Philojophen, wie vom Himmel herabgefommen war, und die 
fid) auch ſelbſt, was ihre Lehren und Beifpiel betraf, zwar als wahren 
Menſchen, aber doch als einen Gejandten ſolchen Urſprungs ankündigte, 
ber in urfprünglidher Unſchuld in dem Vertrage, den das übrige Menſchen— 
geſchlecht durch feinen Repräjentanten, den erften Stammmvater, mit dem 
böfen Princip eingegangen, nicht mitbegriffen war,+) und „an dem ber 
Fürſt diefer Welt aljo feinen Theil hatte”. Hierdurch war des letztern 
Herrſchaft in Gefahr gejeßt. Denn mwiderftand diefer Gott mohlgefällige 


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+) Eine vom angebornen Hange zum Böfen freie Perſon fo als möglich fich zu 
benfen, daß man fie von einer jungfränlichen Mutter gebären läßt, ift eine Idee ber 
ſich zu einem ſchwer zu erflärenden und doch auch nicht abzuläugnenden gleichfam mo» 
ralifchen Inſtinct bequemenden Vernunft; dba wir nämlich die natürliche Zeugung, 
weil fie ohne Sinnenluft beider Theile nicht geſchehen faun, ung aber doch auch (für 
bie Würde ber Menjchheit) in gar zu nahe Berwandtichaft mit der allgemeinen Thier- 
gattung zu bringen fcheint, als etwas anfehen, deſſen wir und zu ſchämen haben — 
eine Borftellung, bie gewiß bie eigentliche Urfache von ber vermeinten Heiligfeit bes 2% 
Mönchsſtandes geworben ift, — welches und alſo etwas Unmoralifches, mit ber Boll- 
fommenbeit eined Menjchen nicht Bereinbares, doch in feine Natur Eingepfropftes 
und alfo ſich auch auf jeine Nachkommen als eine böfe Anlage Bererbenbes zu jein 
beurht. — Diejer dbunflen (von einer Seite blof; finnlichen, von ber andern aber doch 
moralifchen, mithin intellectuellen) Borftellung ift nun die Sdee einer von feiner;@e- 3 
ſchlechtsgemeinſchaft abhängigen (jungfräulichen) Geburt eines mit feinem moralifdhen 
Fehler behafteten Kindes wohl angemeffen, aber nicht ohne Schwierigkeit in der Theorie 
(in Anſehung beren aber etwas zu beftimmen in praftifcher Abſicht gar nicht nöthig ift). 
Denn nad ber Hypotheſe ber Epigenefis würde doch die Mutter, bie burch natürliche 
Zeugung von ihren Eltern abſtammt, mit jenem moralijchen Fehler behaftet fein und 30 
biefen wenigftens ber Hälfte nach) auch bei einer Abernatürlichen Zeugung auf ihr Kind 
bererben ; mithin müßte, damit dies nicht die Folge fei, bas Syſtem der Präeriftenz 
ber Keime in ben Eltern, aber auch nicht das der Einmwidelung im weiblichen (weil 
dadurch jene Folge nicht vermieben wird), fondern bloß im männlichen Theile (nicht 
ba® ber ovulorum, fonbern ber animalcul. sperm.) angenommen werben; welcher 3 
Theil min bei einer übernatürlichen Schwangerfchaft wegfällt, und fo jener Idee theo- 
retifch angemeffen jene VBorftellungsart vertheidigt werden künnte. — Wozu aber alle 
biefe Theorie dafür ober dawider, wenn es für das Praktifche genug ift, jene Idee als 
Symbol ber ſich jelbit über bie Verſuchung zum Böfen erhebenden (dieſem fiegreich 
widerſtehenden) Menjchheit und zum Mufter vorguftellen ? 40 


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Bon dent Kampf des guten Princips mit dem böfen., 81 


Menſch ſeinen Verſuchungen, jenem Contract auch beizutreten, nahmen 
andere Menſchen auch dieſelbe Geſinnung gläubig an, jo büßte er eben jo- 
viel Unterthanen ein, und fein Reid lief Gefahr, gänzlich zerftört zu wer- 
den. Diejer bot ihm aljo an, ihn zum Lehnsträger feines ganzen Reichs 
zu machen, wenn er ihm nur als Eigenthümer deſſelben huldigen wollte. 
Da diefer Verſuch nicht gelang, jo entzog er nicht allein diefem Fremd— 
linge auf feinem Boden alles, was ihm fein Erdenleben angenehm machen 
fonnte (bis zur größten Armuth), jondern erregte gegen ihn alle Verfol— 
gungen, wodurd) böje Menſchen es verbittern können, Leiden, die mur der 


ı Wohlgefinnte recht tief fühlt, Verleumdung der lautern Abficht feiner 


Lehren (um ihm allen Anhang zu entziehen) und verfolgte ihn bis zum 
ihmählichiten Tode, ohne gleichwohl durch dieſe Beftürmung feiner Stand» 
baftigkeit und Freimüthigfeit in Lehre und Beijpiel für das Befte von 
lauter Unmwürdigen im mindeften etwas gegen ihn auszurichten. Und 
nun der Ausgang diefes Kampfs! Der Ausihlag defjelben kann als ein 
rechtlicher, oder auch als ein phyſiſcher betradytet werden. Wenn man 
den leßtern anfieht (der in die Sinne fällt), jo ift das gute Princip der 
unterliegende Theil; er mußte in diefem Streite nad) vielen erlittenen 
Leiden hide Leben bingeben,F) weil er in einer fremden Herrſchaft (die 


P) Nicht baf er (wie D. Bahrbt romanhaft bichtete) den Tod juchte, um eine 
gute Abficht durch ein Auffehen erregendes glänzendes Beifpiel zu befördern; bas 
wäre Gelbftmorb gewejen. Denn man darf zwar auf die Gefahr des Berluftes jeines 
Lebens etwas wagen, oder auch den Tob vom den Händen eines andern erbulben, 
wenn man ihm nicht ausweichen kann, ohme einer unnachlahlichen Pflicht untreu zu 
werben, aber nicht über fid) und jein Leben ala Mittel, zu welchen Zweck es aud) 
jei, biöponiren und jo Urheber jeines Todes fein. — Uber auch nicht daß er (wie 
ber Wolfenbüttelihe Fragmentift argwohnt) fein Leben nicht in moralifcher, fondern 
bloß in politifcher, aber unerlaubter Abjicht, um etwa die Priefterregierung zu ſtürzen 
und ſich mit weltlicher Obergewalt ſelbſt an ihre Stelle zu ſetzen, gewagt habe; 
benn bawiber ftreitet feine, nachdem er die Hoffnung es zu erhalten ſchon aufgegeben 
hatte, an feine Sünger beim Abendmahl ergangene Ermahnung, es zu feinem Ge- 
bächinif zu thun; welches, wenn es die Erinnerung einer fehlgefchlagenen weltlichen 
Abficht Hätte fein follen, eine Fränfende, Unwillen gegen ben Urheber erregende, mit- 
hin fich ſelbſt widerfpredyende Ermahnung gewejen wäre. Gleihwohl fonnte dieje 
Erinnerung auch bas Fehlſchlagen einer jehr guten, rein-moralifchen Abficht bes Meijters 
betreffen, nämlich noch bei feinem Leben durch Stürgung bes alle moralifche Gefinnung 
verbrängenden Geremonialglaubens umb des Anfehens der Priefter deſſelben eine 
öffentliche Revolution (in der Religion) zu bewirfen (wozu bie Anftalten, feine 
im Lande zerftreute Zünger am Dftern zu verfammeln, abgezwedt fein mochlen); 

Kants Säriften Werke VI. 6 


Gewalt hat) einen erregte. Da aber das Reich, in welchem 
Principien mahthabend find (fie mögen nun gut oder böfe fein), nicht 
ein Reid) der Ratur, jondern der Freiheit ift, d. i. eim ſolches in welchem 
man über die Sachen nur in jofern disponiren fanı, al3 man über die Ge- 


müther herricht, in welchem alfo niemand Sklave (Zeibeigner) ift als der : 


— und jolange er es fein will: jo war eben diejer Tod (die höchſte Stufe 
ber Leiden eines Menſchen) die Darftellung des guten Princips, nämlid) 
ber Menſchheit, in ihrer moralifhen Volllommenheit, als Beifpiel der 
Nachfolge für Jedermann. Die Borftellung defjelben jollte und konnte 
aud für feine, ja fie fann für jede Zeit vom größten Einflufje auf menſch⸗ 
liche Gemüther fein, indem es die Freiheit der Kinder des Himmels und 
bie Krnechtſchaft eines bloßen Erbenfohns in dem allerauffallendften Gon- 
trafte fehen läßt. Das gute Brincip aber ift nicht bloß zu einer gewifjen 
Beit, fondern von dem Urfprunge des menſchlichen Geſchlechts an unficht- 
barerweije vom Himmel in die Menſchheit herabgefommen geweſen (wie 
ein jeder, der auf jeine Heiligkeit und zugleich die Unbegreiflichfeit der 
Berbindung derjelben mit der finnlihen Natur des Menſchen in der mo- 
raliihen Anlage Acht hat, geftehen muß) und hat in ihr redhtlicherweife 
feinen erften Wohnſitz. Da es aljo in einem wirflihen Menſchen als einem 
Beifpiele für alle andere erfhien, „jo fam er in fein Eigenthum, und die 
Seinen nahmen ihn nicht auf, denen aber, die ihn aufnahmen, hat er Macht 
gegeben, Gottes Kinder zu heißen, die an feinen Namen glauben“; d. i. 
durch das Beifpiel defjelben (in der moraliihen Idee) eröffnet er die 
Pforte der Freiheit für jedermann, die eben fo wie er Allem dem abfterben 
wollen, was fie zum Nadıtheil der Sittlichkeit an das Erdenleben gefejjelt 
hält, und ſammelt fi unter diefen „ein Volk, das fleißig wäre in guten 
Merken, zum Eigenthum“ und unter feine Herrſchaft, indefjen daß er die, 
jo die moralische Knechtſchaft vorziehen, der ihrigen überläßt. 

Alſo ift der moralifche Ausgang diejes Streits auf Seiten des Hel- 
ben dieſer Geſchichte (bis zum Tode defjelben) eigentlich nicht die Bejie- 
gung bes böfen Princips; denn fein Reid) währt noch, und es muß allen- 
falls noch eine neue Epoche eintreten, in der es zerftört werden joll, — 
fondern nur Bredung feiner Gewalt, die, welche ihm jo lange unterthan 





bon weldjer freilich auch noch jeht bebauert werben kann, daß fie nicht gelungen iſt; 


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bie aber bod) nicht vereitelt, fonbern nach feinem Tode im eine jich im Stillen, aber 3 


unter vlel Leiden ausbreitende Religtonsumänderung übergegangen ift. 





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Don dem Kampf des guten Princips mit bem böjen. 83 


gewefen find, nicht wider ihren Willen zu halten, indem ihnen eine andere 
moralifhe Herrſchaft (denn unter irgend einer muß der Menſch ftehen) 
als Freiftatt eröffnet wird, in der jie Schuß für ihre Moralität finden 
fönnen, wenn fie die alte verlafjen wollen. Übrigens wird das böfe Prin- 
cip noch immer der Fürft diefer Welt genannt, in welcher die, jo dem 
guten Princip anhängen, fid) immer auf phyſiſche Leiden, Aufopferungen, 
Kränkungen der Selbftliebe, welche hier als Verfolgungen des böfen Prin- 
cips vorgeftellt werden, gefaßt machen mögen, weil er nur für die, jo das 
Erdenmwohl zu ihrer Endabfiht gemacht haben, Belohnungen in feinem 
Reiche hat. 

Man fieht leicht: daß, wenn man diefe Iebhafte und wahrfcheinlid) 
für ihre Zeit aud) einzige populäre Vorftellungsart von ihrer myſtiſchen 
Hülle entfleidet, fie (ihr Geift und Vernunftfinn) für alle Welt, zu aller 
Zeit praftifd gültig und verbindlich gewejen, weil fie jedem Menſchen 
nahe genug liegt, um hierüber feine Pflicht zu erfennen. Diejer Sinn be- 
fteht darin, daß es ſchlechterdings kein Heil für die Menſchen gebe, als in 
innigjter Aufnehmung ächter fittliher Grundjäße in ihre Gefinnung: daß 
diefer Aufnahme nicht etwa die jo oft befehuldigte Sinnlichkeit, ſondern 
eine gewifje jelbjt verſchuldete Verfehrtheit, oder wie man dieje Bösartig- 
feit noch jonft nennen will, Betrug (faussete, Satanslift, wodurd das 
Böfe in die Welt gelommen) entgegen wirkt, eine Berberbtheit, welche in 
allen Menſchen liegt und durdy nichts überwältigt werden kann, als durd) 
die Idee des Eittlihguten in feiner ganzen Reinigfeit mit dem Bewußt— 
fein, daß fie wirklich zu unjerer urſprünglichen Anlage gehöre, und man 
nur befliffen fein müfje, fie von aller unlauteren Beimiſchung frei zu er— 
halten und fie tief in unfere Gefinnung aufzunehmen, um durch die Wir- 
fung, die fie allmählig aufs Gemüth thut, überzeugt zu werden, daß die 
gefürchteten Mächte des Böfen dagegen nichts ausrichten („die Pforten 
der Hölle fie nicht überwältigen”) fönnen, und daß, damit wir nicht etwa 
den Mangel diejes Zutrauens abergläubijch durch Erpiationen, die 
feine Sinnesänderung vorausfeßen, oder ſchwaär meriſch durd) vermeinte 
(bloß pajfive) innere Erleuchtungen ergänzen und jo von dem auf Selbit- 
thätigfeit gegründeten Guten immer entfernt gehalten werden, wir ihm 
fein anderes Merkmal, als das eines wohlgeführten Lebenswandels unter: 
legen follen. — Übrigens fann eine Bemühung wie die gegemvärtige, in 
der Schrift denjenigen Sinn zu fuchen, der mit dem Heiligften, was bie 
Bernunft lehrt, in Harmonie fteht, nicht allein für erlaubt, fie muß viel- 

6* 














mehr für Pflicht gehalten werden+), und man fann fi pen 
erinnern, was der weije Lehrer feinen Füngern von jemanden jagte, der 

feinen befondern Weg ging, wobei er am Ende doch aufeben dafjelbe Ziel 
— — Wehret ihm nicht; denn wer nicht wider uns iſt, 


Allgemeine Anmerkung 
‚_ Bean eine moralijde Religion (die nicht in Safungen und Obfer- 






















1 ya Werben) char rt unb ger Die einige fe. 
1; alt müler meidhes Bergehen mit aller Maik gr: 


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[77 


Bon bem Kampf bes guten Princips mit bem böfen. 85 


ftritten werden muß. Es mag aljo jein, daß die Perjon des Lehrers der 
alleinigen für alle Velten gültigen Religion ein Geheimniß, daß feine Er- 
ſcheinung auf Erden, jo wie feine Entrüdung von derjelben, daß fein 
thatenvolles Leben und Leiden lauter Wunder, ja gar, daß die Gefchichte, 
welche die Erzählung aller jener Wunder beglaubigen foll, jelbft aud) ein 
Runder (übernatürlidhe Offenbarung) fei: fo können wir fie insgefammt 
auf ihrem Werthe beruhen laſſen, ja auch die Hülle noch ehren, welche ge— 
dient hat, eine Zehre, deren Beglaubigung auf einer Urkunde beruht, die 
unauslöſchlich in jeder Seele aufbehalten ift und feiner Wunder bedarf, 
öffentlich in Gang zu bringen; wenn wir nur, den Gebrauch diefer hifto- 
riſchen Nachrichten betreffend, es nicht zum Religionsftüde maden, daß 
das Wifjen, Glauben und Bekennen derjelben für ſich etwas fei, wodurd) 
wir uns Gott wohlgefällig machen können. 

Was aber Wunder überhaupt betrifft, jo findet ſich, daß vernünftige 
Menſchen den Glauben an diefelbe, dem fie gleichwohl nicht zu entſagen 
gemeint find, doch niemals wollen praftiich aufflommen laffen; welches jo 
viel jagen will als: jie glauben zwar, was die Theorie betrifft, daß es 
dergleichen gebe, in Geſchäften aber ftatuiren fie feine. Daher haben 
weije Regierungen jederzeit zwar eingeräumt, ja wohl gar unter die öffent: 
lien Neligionslehren die Meinung gejeblic aufgenommen, daß vor Als 
ters Wunder geichehen wären, neue Wunder aber nicht erlaubt.*) Denn 


*) Gelbjt Religionslehrer, die ihre Glaubensartifel an die Autorität der Re— 
gierung anfchliehen (Orthodore), befolgen hierin mit der leßteren die nämliche Marime. 
Daher Hr. Pfenninger, ba er feinen Freund, Herrn Lavater, wegen feiner Be- 
hauptung eines noch immer möglihen Wunberglaubens vertheidigte, ihnen mit Recht 
Inconſequenz vorwarf, ba jie (dem bie in diefem Punkt naturaliftiich Denfende 
nahm er ausbrüdlich aus), da fie doch bie vor etwa fiebzehn Sahrhunderten in der 
hriftlichen Gemeinde wirklich gewejenen Wunderthäter behaupteten, jebt feine mehr 
ftatuiren wollten, ohne doch aus ber Schrift beweifen zu können, daß und wenn fie 
einmal gänzlic; aufhören follten (denn bie Vernünftelei, daß fie jet nicht mehr nöthig 
jeien, ift Anmaßung größerer Einficht, als ein Menſch ſich wohl zutrauen joll), und 
dieſen Beweis find fie ihm jchuldig geblieben. Es war alfo mr Marime ber Ber- 
munft, fie jeßt nicht einzuräumen und zu erlauben, nicht objective Einficht, es gebe 
feine. Gilt aber diejelbe Marime, die für biesmal auf den bejorglichen Unfug im 
bürgerlihen Weſen zurücieht, nicht auch für die Befürchtung eines ähnlichen Un— 
fugs im philojophirenden und überhaupt vernünftig nachdenfenden gemeinen Wefen? 
— Die, jo zwar große (Auffehen machende) Wunder nicht einräumen, aber Fleine 
unter bem Namen einer auferorbentlihen Direction freigebig erlauben (meil 


86 Religion innerhalb ber Grenzen der bloßen Vernunft. Zweites Stüd. 


die alten Wunder waren nad) und nad) ſchon jo beftimmt und durd) die 
Obrigkeit beſchränkt, daß feine Verwirrung im gemeinen Weſen dadurd) 
angerichtet werden konnte, wegen neuer Wunderthäter aber mußten fie 
allerdings der Wirkungen halber beforgt fein, die fie auf den öffentlichen 
Ruheſtand und die eingeführte Ordnung haben könnten. Wenn man aber 5 
frägt: was unter dem Worte Wunder zu verftehen fei, jo fanın man (da 
uns eigentlich nur daran gelegen ift, zu wiffen, was fie für uns, d. i. zu 
unjerm praftifchen Vernunftgebraud), jeien) fie dadurch erflären, daß fie 
Begebenheiten in der Welt find, von deren Urſache uns die Wirfungs- 
gejehe jchledhterdings unbekannt find und bleiben müfjen. Da kann man 
fi num entweder theiftifche oder zdämoniſche Wunder denken, die letz— 
teren aber in engliſche (agathodämoniſche) oder teuflifche (kakodämo— 
niſche) Wunder eintheilen, don welchen aber die legteren eigentlich nur in 
Nachfrage kommen, weil die guten Engel (id) weiß nicht, warum) wenig 
oder gar nichts von ſich zu reden geben. 15 
Was die theiftifchen Wunder betrifft: fo können wir uns von ben 
Wirkungsgejeben ihrer Urſache (als eines allmächtigen ıc. und dabei mo— 
raliſchen Wejens) allerdings einen Begriff machen, aber nur einen all» 
gemeinen, fofern wir ihn als Weltſchöpfer und Regierer nad) der Orb- 
nung der Natur ſowohl, als der moralifchen denfen, weil wir von diefer 20 
ihren Geſetzen unmittelbar und für fid) Kenntniß befommen fönnen, deren 
ih dann die Vernunft zu ihrem Gebrauche bedienen fann. Nehmen wir 
aber an, daß Gott die Natur aud) bisweilen und in befondern Fällen von 
diejer ihren Geſetzen abweichen laſſe: jo haben wir nidht den mindejten 
Begriff und können aud) nie hoffen, einen von dem Gefebe zu befommen, » 
nad) welchem Gott alsdann bei Veranftaltung einer ſolchen Begebenheit 
verfährt (außer dem allgemeinen moraliſchen, daß, was er thut, Alles 
gut fein werde; wodurd) aber in Anjehung diejes befondern Vorfalls nichts 
beftimmt wird). Hier wird nun die Bernunft wie gelähmt, indem fie da- 
durch in ihrem Geſchäfte nad) befannten Geſetzen aufgehalten, durch fein 30 


ü 


— 


die letzteren als bloße Penfung nur wenig Kraftanwendung der übernatürlichen Ur⸗ 
fache erfordern), bedenfen nicht, daß es hiebei nicht auf die Wirkung und deren Größe, 
fondern auf bie Form bed Weltlaufs, d.i. auf die Art, wie jene geſchehe, ob 
natürlich, oder übernatürlich, anfommte, und daß für Bott fein Unterfchieb des Leichten 
und Schmweren zu benfen fei. Was aber das Geheime ber übernatürlichen Ein- 35 
flüſſe betrifft: fo ift eine ſolche abfichtliche Verbergung ber Wichtigkeit einer Begeben- 
heit diefer Art noch weniger angemefjen. 


EA 


Don dem Kampf des guten Principe mit bem böfen. 87 


neues aber belehrt wird, auch nie in der Welt davon belehrt zu werden 
hoffen kann. Unter diejen jind aber die dämonishen Wunder die aller- 
unverträgliähften mit dem Gebraude unſrer Vernunft. Denn in An— 
jehung der theiſtiſchen würde fie doch wenigitens noch ein negatives 
Merkmal für ihren Gebraud haben können, nämlich daß, wenn etwas 
als von Gott in einer unmittelbaren Erſcheinung defjelben geboten vor- 
geitellt wird, das dod) geradezu der Moralität widerftreitet, bei allem Ans 
ſchein eines göttlichen Wunders e8 doch nicht ein ſolches fein könne (z. B. 
wenn einem Vater befohlen würde, er jolle feinen, jo viel er weiß, ganz 
unſchuldigen Sohn tödten); bei einem angenommenen dämonijcden Wun- 
der aber fällt au) diejes Merkmal weg; und wollte man dagegen für ſolche 
das entgegengejeßte pofitive zum Gebrauch der Vernunft ergreifen: näm: 
lid) daß, wenn dadurd) eine Einladung zu einer guten Handlung gejchieht, 
die wir an fid) ſchon als Pflicht erfennen, fie nit von einem böfen Geifte 
geſchehen jei, jo würde man doch aud) alsdann falſch greifen können; denn 
diejer verjtellt fi, wie man jagt, oft in einen Engel des Lichts. 

Sn Geſchäften fann man aljo unmöglid auf Wunder rechnen, oder 
fie bei jeinem Bernunftgebraudy (und der ift in allen Fällen des Lebens 
nöthig) irgend in Anjchlag bringen. Der Richter (fo wundergläubig er 
aud in der Kirche fein mag) hört das Vorgeben des Delinquenten von 
teufliichen Verſuchungen, die er erlitten haben will, jo an, als ob gar nichts 
gejagt wäre: ungeachtet, wenn er diefen Fall als möglich) betrachtete, es 
doc) immer einiger Rüdficht darauf wohl werth wäre, daß ein einfältiger 
gemeiner Menſch in die Schlingen eines abgefeimten Böſewichts gerathen 
iit; allein er kann diefen nicht vorfordern, beide confrontiren, mit einem 
Worte, ſchlechterdings nichts Vernünftiges daraus machen. Der vernünf: 
tige Geiftliche wird fi) aljo wohl hüten, den Kopf der feiner Seeljorge 
Anbefohlnen mit Geſchichtchen aus dem Höllifhen Proteus anzufüllen 
und ihre Einbildungsfraft zu verwildern. Was aber die Wunder von der 
guten Art betrifft: jo werden jie von Leuten in Gejchäften bloß als Phrajen 
gebraucht. So jagt der Arzt: dem Kranken ift, wenn nicht etwa ein Wun— 
der geſchieht, nicht zu helfen, d. i. er ftirbt gewiß. — Zu Geſchäften gehört 
num auch das des Naturforſchers, die Urjachen der Begebenheiten in diefer 
ihren Naturgejegen aufzufuchen; ich fage, in den Naturgefegen dieſer Be- 
gebenheiten, die er alſo durd Erfahrung belegen kann, wenn er gleid) auf 
die Kenntniß defien, was nad) dieſen Geſetzen wirkt, an ſich jelbft, oder 
was fie in Beziehung auf einen andern möglichen Sinn für uns fein 


88 Meligion innerhalb der Grenzen ber blohen Vernunft. Zweites Stüd. 


möchten, Verzicht thun muß. Eben jo ift die moralifche Befjerung des 
Menſchen ein ihm obliegendes Gejchäfte, und nun mögen noch immer 
himmliſche Einflüffe dazu mitwirken, oder zu Erklärung der Möglichkeit 
derjelben für nöthig gehalten werden; er verfteht fich nicht darauf, weder fie 
fiher von den natürliden zu unterfcheiden, noch fie und fo gleichſam den 
Himmel zu ſich herabzuziehen; da er alfo mit ihnen unmittelbar nichts 
anzufangen weiß, jo ftatuirt+)erin diefem Falle feine Wunder, fondern 
wenn er der Vorſchrift der Vernunft Gehör giebt, jo verfährt er jo, als 
ob alle Sinnesänderung und Befjerung lediglidy von feiner eignen ange- 
wandten Bearbeitung abhinge. Aber daß man durd) die Gabe recht feit 
an Wunder theoretifch zu glauben fie auch wohl gar jelbjt bewirken und 
fo den Himmel beftürmen fünne, geht zu weit aus den Schranken der 
Vernunft hinaus, um ſich bei einem ſolchen finnlofen Einfalle lange zu 
verweilen. *) 

V Heibt fo viel ald: er nimmt den Wunderglauben nicht in feine Marimen 
(weber ber theoretifchen noch praftifchen Vernunft) auf, ohne doch ihre Möglichkeit 
ober Wirflichfeit anzufechten. 

Es ift eine gewöhnliche Ausflucht derjenigen, welche den Leichtgläubigen 
magische Künjte vorgaufeln, ober fie ſolche wenigſtens im Allgemeinen wollen glau- 
bend machen, daß fie jich auf das Geftändniß der Naturforfcher von ihrer Unwiſſen- 
beit berufen. Kennen wir doch nicht, jagen fie, die Urfache ber Schwere, ber magne- 
tiichen Kraft u. db. gl. — Uber bie Gejebe berjelben erfennen wir doch mit hinreichen- 
ber Ausführlichfeit unter beitimmten Einjchränkungen auf die Bedingungen, unter 
benen allein gewiffe Wirkungen geichehen; und das ift genug jowohl für einen fichern 
Vernunftgebrauch biejer Kräfte, ald auch zur Erflärung ihrer Erjcheinungen, secun- 
dum quid, abwärts zum Gebrauch diefer Gejete, um Erfahrungen darunter zu 
ordnen, wenn gleich nicht simplieiter und aufwärts, um jelbjt bie Urſachen ber 
nach biefen Geſetzen wirkenden Kräfte einzujehen. — Daburd; wird auch das imnere 
Phänomen des menſchlichen Berjtandes begreiflich: warum fogenannte Natunwunber, 
b. i. genugfam beglaubigte, obwohl widerſinniſche Erſcheinungen, oder ſich hervor- 
thuende unerwartete unb von ben bis dahin befannten Naturgefeßen abweichende 
Beichaffenheiten ber Dinge, mit Begierde aufgefaht werden und bas Gemüth er- 
inuntern, fo lange als fie bennoch für natürlid; gehalten werben, ba es hingegen 
burch die Ankündigung eines wahren Wunders niedergeichlagen wird. Denn 
die erftere eröffnen eine Ausficht in einen neuen Erwerb von Nahrung für die Ber- 
wunft; fie machen nämlich Hoffnung, neue Naturgejege zu entdeden; das zweite 
dagegen erregt Bejorgmiß, aud) das Butranen zu bem ſchon für befannt angenom- 
menen zu verlieren. Wenn aber die Vernunft um bie Erfahrungägejeße gebracht 
wird, fo iſt fie im einer ſolchen bezauberten Welt weiter zu gar nichts Nutze, jelbjt 
wicht für den moralifchen Gebrauch in derfelben zu Befolgung feiner Pflicht; denn 


— 


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Der 
Philoſophiſchen Religionslehre 


Drittes Stück. 


94 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Drittes Stüd. 


und die damit verbundenen feindjeligen Neigungen beftürmen alsbald 
feine an fi genügjame Natur, wenn er unter Menſchen ift, und es 
iſt nicht einmal nöthig, daß diefe ſchon als im Böfen verfunfen und als 
verleitende Beifpiele vorausgejeßt werden; es ift genug, daß fie da find, 
daß fie ihn umgeben, und daß fie Menfchen find, um einander wechjeljeitig 5 
in ihrer moralifhen Anlage zu verderben und fid) einander böje zu machen. 
Wenn nun feine Mittel ausgefunden werden fönnten, eine ganz eigentlich 
auf die Verhütung dieſes Böſen und zu Beförderung des Guten im 
Menſchen abzwedende Vereinigung als eine beftehende und ſich immer 
ausbreitende, bloß auf die Erhaltung der Moralität angelegte Geſellſchaft 
zu errichten, welche mit vereinigten Kräften dem Böſen entgegenwirkte, fo 
würde dieſes, jo viel der einzelne Menſch auch gethan haben möchte, um 
fi der Herrſchaft defielben zu entziehen, ihn doch unabläßlich in der Ge- 
fahr des Rückfalls unter diefelbe erhalten. — Die Herrihaft des guten 
Prineips, jo fern Menſchen dazu hinwirken können, ift alfo, fo viel wir 
einfehen, nicht anders erreichbar, als dur Errichtung und Ausbreitung 
einer Gejelihaft nad Tugendgejegen und zum Behuf derjelben; einer 
Geſellſchaft, die dem ganzen Menſchengeſchlecht in ihrem Umfange fie zu 
beſchließen durd) die Bernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird. 
— Denn fo allein fann für das gute Princip über das Böſe ein Sieg ge- 20 
hofft werden. Es iſt von der moraliſch⸗geſetzgebenden Bernunft außer den 
Geſehzen, die fie jedem Einzelnen vorjpreibt, noch überdem eine Fahne der 
Tugend als Bereinigungspunft für alle, die das Gute lieben, ausgeftedt, 
um ſich darunter zu verfammeln und jo allererft über das fie ratlos an- 
fechtende Böfe die Oberhand zu befommen. 25 
Man kann eine Verbindung der Menjhen unter bloßen Tugend- 
geſetzen nach Vorjchrift diefer Idee eine ethiſche, und ſofern dieje Ge— 
ſetze oͤffentlich find, eine ethiſch-bürgerliche (im Gegenſatz der recht— 
lihsbürgerliden) Geſellſchaft, oder ein ethiſches gemeines Weſen 
nennen. Dieſes fann mitten in einem politiſchen gemeinen Weſen und so 
fogar aus allen Gliedern defjelben beitehen (wie es denn auch, ohne daß 
das Ichtere zum Grunde liegt, von Menſchen gar nicht zu Stande gebracht 
werden könnte). Aber jenes hat ein befonderes und ihm eigenthümliches 
Vereinigungsprincip (die Tugend) nnd daber auch eine Form und Ber- 
fafjung, die fi von der des lektern wejentlich unterjcheidet. Gleichwohl 3 
ift eine gewifje Analogie zwiſchen beiden, als zweier gemeinen ®ejen über: 
haupt betradhtet, in Anſehung deren das erftere auch ein ethiſcher Staat, 


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ſſfisz e 5 —— — 


Bon dent Siege des guten Princips über das böfe. 95 


d. i. ein Reich der Tugend (des guten Princips), genannt werden kann, 

wovon die Idee in der menjhlihen Vernunft ihre ganz wohlgegründete 

objective Realität hat (als Pflicht ſich zu einem ſolchen Staate zu einigen), 
wenn es gleidy jubjectiv von dem guten Willen der Menjchen nie gehofft 

s werden fönnte, daß fie zu diefem Zwede mit Eintracht hinzuwirken fid) 
entſchließen würden. 








Erſte Abtheilung. 


Philoſophiſche Vorjtellung des Sieges des guten Prineips 
unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden. 


10 J. 

Bon dem ethiſchen Naturzuftande. 

Ein rechtlich-bürgerlicher (politifcher) Zuſtand ift das Verhält- 
niß der Menſchen untereinander, jo fern fie gemeinſchaftlich unter öffent: 
lihen Redtsgejeßen (die insgefammt Zwangsgefeße find) jtehen. Ein 

» ethiſch-bürgerlicher Zuftand ift der, da fie unter dergleichen zwangs- 
freien, d. i. bloßen Tugendgeſetzen vereinigt find. 

So wie nun dem erfteren der rechtlihhe (darum aber nicht immer 
redhtmäßige), d. 1. der juridifhe Naturzuftand entgegengejeßt wird, 
fo wird von dem letzteren der ethifche Naturzuftand unterfhieden. In 

0 beiden giebt ein jeder ſich jelbft das Geſetz, und es ift fein äußeres, dem 
er ji ſammt allen andern unterworfen erfennte. In beiden ift ein jeder 
jein eigner Richter, und es ift feine öffentliche machthabende Autorität 
ba, die nad) Geſetzen, was in vorfommenden Fällen eines jeden Pflicht ſei, 
rechtskräftig beftimme und jene in allgemeine Ausübung bringe. 

25 In einem ſchon beftehenden politifchen gemeinen Wejen befinden ſich 
alle politiihe Bürger als foldye doch im ethiſchen Naturzujtande 
und find beredhtigt, aud darin zu bleiben; denn daß jenes feine Bürger 
zwingen ſollte, in ein ethijches gemeines Weſen zu treten, wäre ein Wider: 
ſpruch (in adjecto), weil das leßtere jhon in feinem Begriffe die Zwangs— 

0 freiheit bei ſich führt. Wünjchen kann es wohl jedes politifche gemeine 
Weſen, daß in ihm aud) eine Herrſchaft über die Gemüther nad) Tugend» 
gejegen angetroffen werde; denn wo jener ihre Zwangsmittel nicht hin- 
langen, weil der menſchliche Richter das Innere anderer Menſchen nicht 
durchſchauen kann, da würden die Tugendgefinnungen das Verlangte be- 


BE . 


956 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd. 


wirken. Weh aber dem Gejeßgeber, der eine auf ethiſche Zwede gerichtete 
Verfafjung durch Zwang bewirken wollte! Denn er würde dadurd) nicht 
allein gerade das Gegentheil der ethiihen bewirken, jondern aud) feine 
politifche untergraben und unfiher machen. — Der Bürger des politijchen 
gemeinen Weſens bleibt aljo, was die gejeßgebende Befugniß des letztern 
betrifft, völlig frei: ob er mit andern Mitbürgern überdem aud) in eine 
ethiiche Vereinigung treten, oder lieber im Naturzuftande diefer Art blei- 
ben wolle. Nur jo fern ein ethijches gemeines Weſen doch auf öffent» 
lichen Geſetzen beruhen und eine darauf ſich gründende Verfafjung ent- 
halten muß, werden diejenigen, die jid) freiwillig verbinden, in diefen Zu- 
ſtand zu treten, ſich von der politischen Macht nicht, wie fie ſolche innerlid) 
einrichten oder nicht einrichten jollen, befehlen, aber wohl Einfhränfungen 
gefallen Taffen müfjen, nämlich auf die Bedingung, daß darin nichts ſei, 
was der Pflicht ihrer Glieder als Staatsbürger widerjtreite; wiewohl, 
wenn die eritere Verbindung ächter Art ift, das legtere ohmedem nicht zu 
bejorgen ift. 

Übrigens, weil die Tugendpflichten das ganze menſchliche Geſchlecht 
angehen, jo iſt der Begriff eines ethiihen gemeinen Weſens immer auf 
das Speal eines Ganzen aller Menjchen bezogen, und darin unterjcheidet 
es fi) von dem eines politifchen. Daher fann eine Menge in jener Abficht 
vereinigter Menſchen nod) nicht das ethijche gemeine Weſen felbft, jondern 
nur eine bejondere Geſellſchaft heißen, die zur Einhelligfeit mit allen 
Menſchen (ja aller endlichen vernünftigen Weſen) hinftrebt, um ein abfo- 
lutes ethiſches Ganze zu errichten, wovon jede partiale Geſellſchaft nur 
eine Vorjtellung oder ein Schema ift, weil eine jede jelbjt wiederum im 
Berhältnig auf andere diejer Art als im ethiſchen Naturzuftande ſammt 
allen Unvollkommenheiten dejjelben befindlic) vorgeftellt werden fann (wie 
es auch mit verjchiedenen politiſchen Staaten, die in feiner Verbindung 
durch ein öffentliches Völkerrecht ftehen, eben jo bewandt ift). 


1. 

Der Menſch ſoll aus dem ethiſchen Naturzuftande 
herausgeben, um ein Glied eines ethiſchen gemeinen Weſens 
ju werden. 

So wie der juridiihe Naturzujtand ein Zuftand des Krieges von 
jedermann gegen jedermann ift, fo ift auch der ethiſche Naturzuftand ein 


2 


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25 





98 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernimft. Drittes Stüd. 


einem Syitem wohlgefinnter Menſchen erfordert, in welchem und durd) 
deſſen Einheit e3 allein zu Stande fommen fann, die Sdee aber von einem 
ſolchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nad) Tugendgejeßen, eine 
von allen moraliſchen Gejeßen (die das betreffen, wovon wir wifjen, daß 
es in unferer Gewalt jtehe) ganz unterjhiedene Idee ift, nämlich auf ein 
Ganzes hinzumwirfen, wovon wir nicht wifjen können, ob es als ein foldyes 
aud) in unferer Gewalt jtehe: fo ift die Pflicht der Art und dem Princip 
nad) von allen andern unterſchieden. — Man wird ſchon zum voraus ver: 
muthen, daß dieje Pflicht der Vorausfegung einer andern Idee, nämlid) 
der eines höhern moralijhen Wejens, bedürfen werde, durd) deſſen allge: 
meine VBeranftaltung die für ſich unzulänglihen Kräfte der Einzelnen zu 
einer gemeinfamen Wirfung vereinigt werden. Allein wir müfjen allererft 
dem Leitfaden jenes fittlihen Bedürfnifjes überhaupt nachgehen und fehen, 
worauf uns diejes führen werde. 


II. 
Der Begriff eines ethiſchen gemeinen Wejens ift der Begriff 
von einem Volke Gottes unter ethifhen Geſetzen. 


Wenn ein ethiſches gemeines Wejen zu Stande fommen foll, jo müfjen 
alle Einzelne einer Öffentlichen Gejeßgebung unterworfen werden, und alle 
Geſetze, welche jene verbinden, müfjen als Gebote eines gemeinſchaftlichen 
Geſetzgebers angejehen werden können. Sollte nun das zu gründende ge 
meine Weſen ein juridifches fein: jo würde die fi zu einem Ganzen 
vereinigende Menge ſelbſt der Geſetzgeber (der Eonftitutionsgefeße) fein 
müffen, weil die Gejeßgebung von dem Princip ausgeht: die Freiheit 
eines jeden auf die Bedingungen einzufhränfen, unter denen 
fie mit jedes andern Freiheit nad einem allgemeinen Gejeße 
zuſammen beftehen fann*), und wo aljo der allgemeine Wille einen 
geſeßlichen äußeren Zwang errichtet. Soll das gemeine Wefen aber ein 
ethiſches fein, jo kann das Volk als ein ſolches nicht jelbjt für gejeh- 
gebend angejehen werden. Denn in einem jolden gemeinen Weſen find 
alle Geſetze ganz eigentlich darauf geftellt, die Moralität der Handlun- 
gen (weldye etwas Annerlidpes ift, mithin nicht unter öffentlichen menſch— 
lichen Geſetzen ftehen fann) zu befördern, da im Gegentheil die legteren, 


*) Diefes it das Princip alles außern Rechts. 





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30 








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Von dem Siege des guten Princips über das böfe. 99 


welches ein juridiſches gemeines Weſen ausmachen würde, nur auf die 
Legalität der Handlungen, die in die Augen fällt, geſtellt find und nicht 
auf die (innere) Moralität, von der hier allein die Rede iſt. Es muß alfo ein 
Anderer als das Volk fein, der für ein ethifches gemeines Weſen als öffent- 
lid) gejeßgebend angegeben werden fönnte. Gleihwohl können ethiſche 
Geſetze auch nicht als bloß von dem Willen diefes Obern urjprünglid) 
ausgehend (als Statute, die etwa, ohne daß jein Befehl vorher ergangen, 
nit verbindend fein würden) gedacht werden, weil fie alsdann feine 
ethiſche Geſetze und die ihnen gemäße Pflicht nicht freie Tugend, fondern 
zwangäfähige Rehtspflidt fein würde. Alſo kann nur ein foldyer als 
oberfter Gejeßgeber eines ethifchen gemeinen Weſens gedadjt werden, in 
Anjehung defjen ale wahren Pflihten, mithin auch die ethiihen*), 
zugleich als feine Gebote vorgeftellt werden müffen; weldyer daher aud) 
ein Herzenskündiger fein muß, um aud das Innerſte der Gefinnungen 
eines jeden zu durchſchauen und, wie es in jedem gemeinen Wefen fein 
muß, jedem, was feine Thaten werth find, zukommen zu lafjen. Dieſes 
ift aber der Begriff von Gott als einem moralifchen Weltherrfcher. Alfo 
ift ein ethiſches gemeines Weſen nur als ein Volk unter göttlichen Ge— 
boten, d. i. als ein Volt Bottes, und zwar nad) Tugendgejeßen, zu 
denfen möglid). 

Man könnte ſich wohl aud ein Volt Gottes nad) ſtatutariſchen 
Gejeben denken, nad) ſolchen nämlidy, bei deren Befolgung es nicht auf 
die Moralität, jondern bloß auf die Zegalität der Handlungen ankommt, 
weldyes ein juridifches gemeines Weſen fein würde, von welchem zwar Gott 
der Gejeßgeber (mithin die Verfaſſung defjelben Theofratie) fein würde, 


*, Sobald etwas als Pflicht erfannt wird, wenn es gleich durch die bloße Will- 
für eined menschlichen Bejehgebers auferlegte Pflicht wäre, fo ift es doch zugleich 
göttliches Gebot, ihr zu gehorchen. Die ftatutarischen bürgerlichen Geſetze kann man 
zwar nicht göttliche Gebote nennen, wenn fie aber rechtmäßig find, jo iſt die Be— 
obadıtung berjelben zugleich göttliches Gebot. Der Sat „man muß Gott mehr 
gehorchen, als den Menſchen“ bebeutet nur, daß, wenn die legten etwas gebieten, was 
am fich böfe (bem Sittengefeh unmittelbar zuwider) ift, ihnen micht gehorcht werben 
barf und fol. Umgekehrt aber, wenn einem politifchebirgerlichen, an ſich nicht un- 
moralifchen Geſetze ein dafür gehaltenes göttliches ftatutarifches entgegengeiegt wird, 
fo in Grund da, das lektere für untergefchoben anzufehen, weil es einer klaren Pflicht 
wiberflreitet, ſelbſt aber, daß es wirflich auch göttliches Gebot fei, durch empirifche 
Merkmale niemals hinreichend beglaubigt werben kann, um eine fonft beftehende Pflicht 
jenem zufolge üibertreten zu bürfen. 

7® 


100 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Städt. 


Menihen aber als Priefter, weldye feine Befehle unmittelbar von ihm 
empfangen, eine ariftofratiiche Regierung führten. Aber eine ſolche 
Verfaſſung, deren Eriftenz und Form gänzlid anf hiſtoriſchen Gründen 
beruht, ift nicht diejenige, welche die Aufgabe der reinen moraliſch-geſetz— 
gebenden Vernunft ausmacht, deren Auflöjung wir hier allein zu bewirken 
haben; fie wird in der en Abtheilung als Anftalt nad) politijdy- 
bürgerlichen Gefeßen, deren Geſetzgeber, obgleid; Gott, doch äußerlich ift, 
in Erwägung fommen, anftatt daß wir hier es nur mit einer foldyen, deren 
Geſehgebung bloß innerlich ift, einer Republik unter Tugendgejeßen, d. i. 
mit einem Volle Gottes, „das fleißig wäre zu guten Werfen”, zu thun 1 


Einem ſolchen Volle Gottes fann man die Idee einer Rotte des 
böjen Princips entgegenfeken, als Bereinigung derer, die feines Theils 
find, zur Ausbreitung des Böjen, weldem daran gelegen ift, jene Ver— 
einiqung nicht zu Stande kommen zu lafien; wiewohl aud) hier das die 
Tugendgefinnungen anfechtende Princip gleichfalls in uns jelbit liegt und 
nur bildlich als äußere Macht vorgeftellt wird. 


* 


IV. 
Die Idee eines Volks Gottes iſt (unter menſchlicher 
Veranftaltung) niht anders als in der Form einer Kirde » 
auszuführen. 
Die erhabene, nie völlig erreichbare Idee eines ethiſchen gemeinen 
Wefens verfleinert fi jehr unter menſchlichen Händen, —* zu einer 


























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102 Religion innerhalb der Geengen der bleijen Bermmmfk Driies Sch. 

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22 
enderaden. bis die Ahminitratien dereen be 





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Zu 


-— Bon dem Siege bes guten Princips über bas böje, 103 


fi) jedermann zur Überzeugung mittheilen läßt; indefjen daß ein bloß auf 
Facta gegründeter hiftoriiher Glaube feinen Einfluß nicht weiter aus— 
breiten fann, als jo weit die Nachrichten in Beziehung auf das Vermögen 
ihre Glaubwürdigkeit zu beurtheilen nad) Zeit- und Ortsumftänden hin— 
s gelangen können. Allein es iſt eine bejondere Schwäche der menſchlichen 
Natur daran Schuld, daß auf jenen reinen Glauben niemals jo viel ges 
rechnet werden kann, als er wohl verdient, nämlich eine Kirche auf ihn 
allein zu gründen. 
Die Menfhen, ihres Unvermögens in Erkenntniß überfinnlicher 
w Dinge fid) bewußt, ob fie zwar jenem Glauben (als welcher im Allge— 
meinen für fie überzeugend fein muß) alle Ehre widerfahren lafjen, find 
doch nicht leicht zu überzeugen: daß die jtandhafte Befliffenheit zu einem 
moralifch-guten Lebenswandel alles jei, was Gott von Menſchen fordert, 
um ihm wohlgefällige Unterthanen in feinem Reiche zu fein. Sie fönnen 
ſich ihre Verpflichtung nicht wohl anders, als zu irgend einem Dienft 
denken, den jie Gott zu leiften haben; wo es nicht ſowohl auf den innern 
moralifhen Werth der Handlungen, als vielmehr darauf ankommt, daß 
fie Gott geleijtet werden, um, jo moraliſch indifferent fie auch an ſich jelbft 
fein möchten, dod) wenigjtens durd) pajfiven Gehorfam Gott zu gefallen. 
> Daß fie, wenn fie ihre Pflichten gegen Menfchen (id) ſelbſt und andere) 
erfüllen, eben dadurch auc göttliche Gebote ausrichten, mithin in allem 
ihrem Thun und Zafjen, fofern es Beziehung auf Sittlichkeit hat, beſtän— 
dig im Dienjte Gottes jind, und daß es aud) ſchlechterdings unmöglich 
fei, Gott auf andere Weife näher zu dienen (weil fie doch auf feine andern, 
» als bloß auf Weltwejen, nidyt aber auf Gott wirkten und Einfluß haben 
Fönnen), will ihnen nicht in den Kopf. Weil ein jeder große Herr der Welt 
ein bejonderes Bedürfnig hat, von feinen linterthanen geehrt und durch 
Unterwürfigfeitäbezeigungen gepriejen zu werden, ohne weldyes er nicht 
jo viel Folgjamkeit gegen feine Befehle, als er wohl nöthig hat, um fie 
so beherrichen zu können, von ihnen erwarten kann; überdem auch der Menſch, 
jo vernunftvoll er aud) fein mag, an Ehrenbezeugungen doch immer ein 
unmittelbares Wohlgefallen findet: jo behandelt man die Pflicht, jo fern 
fie zugleich göttlicdyes Gebot ift, als Betreibung einer Angelegenheit 
Gpoites, nicht des Menſchen, und jo entfpringt der Begriff einer gottes— 
= bienjtliden ftatt des Begriffs einer reinen moraliſchen Religion. 
Da alle Religion darin bejteht: daß wir Gott für alle unfere Pflich— 
ten als den allgemein zu verehrenden Geſetzgeber anjehen, jo fommt es bei 


— 


94 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Drittes Stüd. 


und die damit verbundenen feindjeligen Neigungen beſtürmen alsbald 
feine an fih genügfame Natur, wenn er unter Menſchen ift, und es 
ift nicht einmal nöthig, daß dieje ſchon als im Böfen verfunfen und als 
verleitende Beijpiele vorausgejeßt werden; es ift genug, daß fie da find, 
daß fie ihn umgeben, und daß fie Menjchen find, um einander wechjeljeitig 
in ihrer moraliichen Anlage zu verderben und fid) einander böfe zu machen. 
Wenn nun feine Mittel ausgefunden werden Fönnten, eine ganz eigentlich 
auf die Verhütung diejes Böjen und zu Beförderung des Guten im 
Menſchen abzwedende Vereinigung als eine beftehende und ſich immer 
ausbreitende, bloß auf die Erhaltung der Moralität angelegte Geſellſchaft 
zu errichten, welche mit vereinigten Kräften dem Böſen entgegenwirkte, fo 
würde diejes, fo viel der einzelne Menſch aud) gethan haben möchte, um 
fi) der Herrſchaft defjelben zu entziehen, ihn doch unabläßlich in der Ge— 
fahr des Rückfalls unter diefelbe erhalten. — Die Herrſchaft des guten 
Prineips, fo fern Menſchen dazu hinwirken fönnen, iſt alfo, fo viel wir 
einfehen, nicht anders erreichbar, als durd Errichtung und Ausbreitung 
einer Gejellihaft nad Tugendgejeben und zum Behuf derjelben; einer 
Gejellichaft, die dem ganzen Menſchengeſchlecht in ihrem Umfange fie zu 
beſchließen durd) die Vernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird. 
— Denn fo allein fann für das gute Princip über das Böje ein Sieg ge- 
bofit werden. Es ift von der moralifch-gejeßgebenden Vernunft außer den 
Geſetzen, die fie jedem Einzelnen vorjchreibt, noch überdem eine Fahne der 
Tugend als Vereinigungspunft für alle, die das Gute lieben, ausgeftedt, 
um ji) darunter zu verfammeln und jo allererft über das fie rajtlos an— 
fechtende Böfe die Oberhand zu befommen. 

Man kann eine Verbindung der Menſchen unter bloßen Tugend- 
geſetzen nad) Vorſchrift diefer Idee eine ethiſche, und fofern dieje Ge— 
jeße öffentlich find, eine ethiſch-bürgerliche (im Gegenſatz der recht— 
lich-bürgerlichen) Geſellſchaft, oder ein ethiſches gemeines Wejen 
nennen. Dieſes kann mitten in einem politiſchen gemeinen Weſen und 
ſogar aus allen Gliedern deſſelben beſtehen (wie es denn auch, ohne daß 
das letztere zum Grunde liegt, von Menſchen gar nicht zu Stande gebracht 
werden könnte). Aber jenes hat ein beſonderes und ihm eigenthümliches 
Dereinigungsprincip (die Tugend) und daher aud) eine Form und Ver: 
fafjung, die fid) von der des lektern weſentlich unterjcheidet. Gleichwohl 
ift eine gewiffe Analogie zwifchen beiden, als zweier gemeinen Wejen über: 
haupt betrachtet, in Anfehung deren das erſtere aud) ein ethiſcher Staat, 


— 
= 


5 


— 


20 


25 


Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 95 


d. i. ein Reich der Tugend (des guten Princips), genannt werden kann, 
wovon die Idee im der menſchlichen Vernunft ihre ganz wohlgegründete 
objective Realität hat (als Pflicht fich zu einem ſolchen Staate zu einigen), 
wenn es gleich jubjectiv von dem guten Willen der Menjchen nie gehofft 
werden fönnte, daß fie zu diefem Zwede mit Eintradht hinzuwirfen ſich 
entſchließen würden. 


Erſte Abtheilung. 


Philoſophiſche Vorſtellung des Sieges des guten Prineips 
unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden. 


10 J. 
Bon dem ethiſchen Naturzuftande. 


Ein rechtlich-bürgerlicher (politifcher) Zuſtand ift das Verhält- 
niß der Menjchen untereinander, fo fern fie gemeinſchaftlich unter öffent: 
lihen Rechtsgeſetzen (die insgefammt Zwangsgefeße find) ftehen. Ein 
ethiſch-bürgerlicher Auftand ift der, da fie unter dergleichen zwangs— 
freien, d. i. bloßen Tugendgejeßen vereinigt find. 

&o wie nım dem eriteren der rechtliche (darum aber nicht immer 
rehtmäßige), d. i. der juridiſche Naturzuftand entgegengejebt wird, 
jo wird von dem lebteren der ethifche Naturzuftand unterfhieden. In 
»0 beiden giebt ein jeder fich jelbjt das Geſetz, und es ift fein äußeres, dem 

er ji jammt allen andern unterworfen erfennte. In beiden ift ein jeder 
jein eigner Richter, und es iſt feine öffentliche machthabende Autorität 
da, die nad) Geſetzen, was in vorfommenden Fällen eines jeden Pflicht ſei, 
rechtskräftig beftimme und jene in allgemeine Ausübung bringe. 

2 In einem ſchon beftehenden politischen gemeinen Weſen befinden fid) 
alle politiihe Bürger als ſolche doh im ethiſchen Naturzujtande 
und find berechtigt, aud) darin zu bleiben; denn daß jenes jeine Bürger 
zwingen follte, in ein ethijches gemeines Weſen zu treten, wäre ein Wider: 
jprud) (in adjeeto), weil das letztere ſchon in feinem Begriffe die Zwangs— 

» freiheit bei fic führt. Wünſchen kann es wohl jedes politifhe gemeine 
Weſen, daß in ihm aud) eine Herrſchaft über die Gemüther nad) Tugend- 
geſetzen angetroffen werde; denn wo jener ihre Zmangsmittel nicht hin- 
langen, weil der menſchliche Nidhter das Innere anderer Menſchen nicht 
durchſchauen kann, da würden die Tugendgefinnungen das Verlangte be- 




















106 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stück. 





babe eriheinen fönnen, nicht wohl eingejehen werden kann. In der Zweifel» 
baftigteit diefer Aufgabe nun, ob Gott oder die Menſchen jelbft eine Kirche 
gründen follen, beweift fi) nun der Hang der letztern zu einer gottes- 


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Bei Difen am mein), — 

zufammenhängenden 

und alles Bernünfteln verilägt n 

ne De ba ſtehts ren Daber beihen au 
einen Glanbenspunft 









t gleichjam gemeihte Berfonen, 
beweiß, Daß Tein auf Gift gegränbeter Blaube [ef ge 
wüftendften Staatsrevolutionen hat vertilgt werden fünnen, indeilen daß 
der, fo fi auf Tradition und alte öffentliche Obſervanzen gründete, In der 
Zerrüttung des Staats zugleid) feinen Untergang fand. Glüdlich*)! wenn 
ein ſolches den Menſchen zu Händen gelommenes Buch neben feinen Eta- 
tuten als Glaubensgejegen zugleich die reinfte moraliſche Religionslehre 
»o mit. enthält, die mit jenen (als Vehlleln ihrer Introduction) 
in bie beſte —— gebracht werden kann, in welchem Falle es ſowohl 






















natürlihien Geſehen begreiflid zu machen, 
das Anfehen gleid) einer Offenbarung behaupten fann. 


{ Nun noch einiges, was biefem Begriffe eines Offenbarungsalaubens 


Gi mar eine (meh) Beligion; aber «s Tan niert Are 
des Glaubens geben. —- Man fann hinjufeben 

















108 Nellgion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Drittes Stüd. 


Kfm, Kirchen dennoch eine und diefelbe wahre Religion anzutreffen 
| nit 

Es iſt daher ſchicklicher (wie es auch wirklich mehr im Gebrauche ift), 
zu jagen: diefer Menſch ift von diefem oder jenem (jüdiſchem, muhammeda- 
nischen, chriftlichem, katholiſchem, lutheriſchem) Glauben, als: er ift von 
diefer oder jener Neligion. Der lehtere Ausdrud jollte billig nicht ein- 
wel in ber Anrede an das große Publicum (in Katechismen und ** 





in die Sinne fällt, anftatt daß Religion innerlid) ver- 
moraliihe Gefinnungen anftommt. Man thut den 
el Cbre an, von ihnen zu age: fie befenmen ſich zu dieſer 


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—— vr alt Saſten 











Bon dem Siege des guten Princips über das bafe, 
ul ange sand 





| e des Kirchenglaubens heißt Orthodorie, welche man wohl 

in despotife (brutale) und liberale Orthodorte eintheilen fönnte, 

— Renn eine Kirche, die ihren Kirchenglauben für allgemein verbindlich 

ausgiebt, eine fatholifche, diejenige aber, welche fi genen diefe Ans 

ſprüche anderer verwahrt (ob fie gleich dieje öfters jelbft gerne ausüben 

» möchte, wenn fie könnte), eine proteftantifche Kirche genannt werden 

fol: jo wird ein aufmerffamer Beobachter manche ruühmliche Belfpiele 

von proteftantifchen Katholiken und dagegen noch mehrereanftößlge von erz 

fatholijchen Proteftanten antreffen; die erfte von Männern einer fid er» 

mweiternden Denfungsart (ob es gleich die ihrer Kirche wohl nicht Ift), 

ıs gegen welche bie letzteren mit ihrer eingefhränkten gar fehr, doch feines» 
wegs zu ihrem Bortheil abftechen. 


v1. 
Der Kirdenglaube hat zu feinem höchſten Ausleger ben reinen 
Religionsglauben. 


Bir haben angemerkt, daß, obzwar eine Kirche das wichtigfte Merl 
mal ihrer Wahrheit, nämlich das eines rehtmäßigen Anſpruchs auf All 
gemeinheit, entbehrt, wenn fie fih auf einen Offenbarungsglauben, ber 
als biftorifcher (obwohl durch Schrift weit ausgebreiteter und der fpäteften 
Radtommenjhaft zugefiherter) Glaube doc) feiner allgemeinen fiberzeu- 
= genden Mittbeilung fähig ift, gründet: dennoch wegen des natürlien Be⸗ 
bürfnifies aller Menſchen, zu den hoͤchſten Bernunftbegrifien und Örünben 
immer eimas Sinnlid-Haltbares, irgend eine Erfahrungsbeftätis 
gung m.d.9. zu verlangen (worauf man bei der Abfiht einen ®lauben 
gemein zu introduciren wirflid auch Rüdfiht nehmen muß), irgend 
ein Bifisriiher Kirchenglaube, den man aud) gemeiniglich ſchon vor ſich 
Furei, anäfje benußt werden. 


— — ——— 


Ather feinen Uriprumg nimmt, anhänglich waren und ihm bei ihren Einbrüchen im 
Enemn werheriteten; daher auch rine geraume Zeit hindurch bie Namen Iaeretiei 
amt Manichwei als gleihbedeutend im Gebrauch waren. 


— 




































— — — 
nach ein Ungefähr in bie Hände geſpielt hat, die Grundlage eines 











em vorgezogen werden, die entweder 
MEr Die Bora I ſich enthält, ober biefer — wohl gar 
entgegen wirft +) — Man wird aud) finden, daß es mit allen alten und =; 
zum Theil in heiligen Büchern abgefahten, Glaubensarten jederzeit 
fo ift gehalten worden, und daß vernünftige, wohldentende Boltelehrer ie 


4) mm dieſes am eimem Beifpiel zu zeigen, mehune man den Pal LEX, ®. 11—16, 








Bon dem Siege bed guten Princips über das böje. 111 


jo lange gedeutet haben, bis fie diefelbe ihrem wejentlihen Inhalte nad) 
nadhgerade mit den allgemeinen moraliihen Glaubensſätzen in Überein- 
ftimmung braten. Die Moralphilojophen unter den Griechen und nach— 
ber den Römern machten es nadhgerade mit ihrer fabelhaften Götterlehre 
eben jo. Sie wußten den gröbften Bolytheism doch zuleßt als bloße ſym— 
boliſche Vorftellung der Eigenſchaften des einigen göttlichen Weſens aus- 
zudenten und den mancherlei lajterhaften Handlungen, oder aud) wilden, 
aber doch ihönen Träumereien ihrer Dichter einen myftiihen Sinn unter: 
zulegen der einen Bollsglauben (welchen zu vertilgen nicht einmalrathjam 
geweien wäre, weil daraus vielleiht ein dem Staat nod) gefährlicherer 
Atheism hätte entjtehen können) einer allen Menſchen verftändlichen und 
allein eriprießlichen moraliſchen Lehre nahe brachte. Das jpätere Juden— 
thum und felbft das Chriſtenthum befteht aus ſolchen zum Theil fehr ge: 
zwungenen Deutungen, aber beides zu ungezweifelt guten und für alle 
Menſchen nothwendigen Sweden. Die Muhammedaner wifjen (wie 
Reland zeigt) der Beihreibung ihres aller Sinnlichkeit geweihten Para— 
diejes jehr gut einen geiftigen Sinn unterzulegen, und eben das thun die 
Indier mit der Auslegung ihres Bedas, wenigftens für den aufgeflär- 
teren Theil ihres Bolts.— Daß ſich dies aber thun läßt, ohne eben immer 
wider den buchftäblichen Sinn des Volksglaubens fehr zu verjtoßen, fommt 
daher: weil lange vor diejem legteren die Anlage zur moraliihen Religion 
in der menſchlichen Bernunft verborgen lag, wovon zwar die erjten rohen 
Äußerungen bloß auf gottesdienftlihen Gebrauch ausgingen und zu dieſem 
Behuf jelbjt jene angeblichen Dffenbarungen veranlaßten, hierdurd) aber 
auch etwas von dem Charakter ihres überfinnlihen Urfprungs jelbft in 
diefe Dihtungen, obzwar unvorjeßlich, gelegt haben. — Auch fann man 
dergleichen Auslegungen nicht der Unredlichkeit bejhuldigen, vorausgejett 
dab man nicht behaupten will, der Sinn, den wir den Symbolen des 
Vollsglaubens oder auch heiligen Büchern geben, ſei von ihnen aud) durch— 
aus jo beabfichtigt worden, ſondern diejes dahin geitellt fein läßt und nur 
die Möglichkeit, die Verfafjer derjelben jo zu verftehen, annimmt. Denn 
jelbjt das Leſen diejer heiligen Schriften, oder die Erfundigung nad) ihrem 
Inhalt hat zur Endabfidht, befjere Menſchen zu maden; das Hiftorijche 
aber, was dazu nichts beiträgt, ift etwas an fid) ganz Gleichgültiges, mit 
dem man es halten kann, wie man will. — (Der Geſchichtsglaube ift „todt 
an ihm ſelber“, d. i. für fi, als Bekenntniß betrachtet, enthält er nichts, 
führt auch auf nichts, was einen moralifhen Werth für uns hätte). 


112 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Drittes Stück. 


Wenn alfo glei eine Schrift als göttliche Offenbarung angenommen 
worden, fo wird doch das oberfte Kriterium derjelben als einer ſolchen fein: 
„Alle Schrift, von Gott eingegeben, ift nüßlicd) zur Lehre, zur Strafe, zur 
Befferung u. j.w.”; und da das lehtere, nämlich die moraliſche Befjerung 
des Menjchen, den eigentlichen Zwed aller VBernunftreligion ausmacht, jo 
wird dieje auch das oberjte Princip aller Schriftauslegung enthalten. 
Dieje Religion ift „der Geift Gottes, der uns in alle Wahrheit leitet”. 
Diejer aber ift derjenige, der, indem er uns belehrt, auch zugleich mit 
Grundjägen zu Handlungen belebt, und er bezieht alles, was die Schrift 
—————— Glauben noch enthalten mag, gänzlich auf die Regeln 
und Triebfedern des reinen moraliſchen Glaubens, der allein in jedem 
ben dasjenige ausmacht, was darin eigentliche Religion ift. 


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Kirchenglau 
Alles Forſchen und Auslegen der Schrift muß von dem Princip ausgehen 
———⏑ und ‚non fa Das enge Seen Darin ur 














Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 113 


jondere Stärkung ihres moraliihen Glaubens zu finden meinen und fie 
daher gerne annehmen, daran nicht zu hindern. — Aber nicht bloß die Be— 
urfundung, jondern aud die Auslegung der heiligen Schrift bedarf 
aus derjelben Urſache Gelehrſamkeit. Denn wie will der Ungelehrte, der 
fie nur in Überfeßungen leſen fann, von dem Sinne derfelben gewiß jein? 
daher ber Ausleger, welcher aud) die Grundſprache inne hat, doch noch 
ausgebreitete hiſtoriſche Kenntniß und Kritik beißen muß, um aus dem 
Zuftande, den Sitten und den Meinungen (dem Bolfsglauben) der dama— 
ligen Zeit die Mittel zu nehmen, wodurd; dem kirchlichen gemeinen Weſen 
ı» das Verſtändniß geöffnet werden kann. 

Bernunftreligion und Schriftgelehrjamfeit find alfo die eigentlichen 
berufenen Ausleger und Depofitäre einer heiligen Urkunde. Es fält in 
die Augen, daß dieje an öffentlihem Gebrauche ihrer Einfihten und Ent- 
dedungen in diefem Felde vom weltlihen Arm ſchlechterdings nicht fönnen 

ıs gehindert und an gewifje Glaubensjäge gebunden werden: weil jonft Zaten 
die Klerifer nöthigen würden, in ihre Meinung einzutreten, die jene doch 
nur von dieſer ihrer Belehrung ber haben. Wenn der Staat nur dafür 
jorgt, daß es nidyt an Gelehrten und ihrer Moralität nad) im quten Rufe 
ftehenden Männern fehle, weldye das Ganze des Kirchenweſens verwalten, 
»» deren Gewiſſen er dieje Bejorgung anvertraut, fo hat er alles gethan, was 
feine Pfliht und Befugniß mit fih bringen. Dieje jelbjt aber in die 
Schule zu führen und ſich mit ihren Streitigfeiten zu befafjen (die, wenn 
fie nur nicht von Kanzeln geführt werden, das Kirchenpublicum im völli» 
gen Frieden lafjen), ijt eine Zumuthung, die das Publicum an den 
Gejeßgeber nit ohne Unbejheidenheit thun kann, weil fie unter feiner 
Würde iſt. 

Aber e3 tritt nod) ein dritter Prätendent zum Amte eines Auslegers 
auf, welcher weder Vernunft, noch Gelehrfamfeit, jondern nur ein inneres 
Gefühl bedarf, um den wahren Sinn der Schrift und augleid) ihren gött- 
lihen Urfprung zu erfennen. Nun kann man freilidy nicht in Abrede 
ziehen, daß, „wer ihrer Lehre folgt und das thut, was fie vorfchreibt, aller- 
dings finden wird, daß fie von Gott ſei“, und daß felbft der Antrieb zu 
guten Handlungen und zur Nedtihaffenheit im Lebenswandel, den der 
Menſch, der fie liejt oder ihren Vortrag hört, fühlen muß, ihn von der 
Söttlichkeit derjelben überführen müffe: weil er nichts anders, als die Wir- 
fung von dem den Menſchen mit inniglidyer Achtung erfüllenden mora= 
lichen Geſetze ift, weldyes darum auch als göttliches Gebot angefehen zu 


Kant’ Schriften. Werfe VI. 


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114 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft, Drittes Stüd. 


werden verdient. Aber jo wenig wie aus irgend einem Gefühl Erkenntniß 
der Geſetze, und daß dieje moralijd) find, eben jo wenig und noch weniger 
fann durd) ein Gefühl das fihere Merkmal eines unmittelbaren göttlichen 
Einflufjes gefolgert und ausgemittelt werden: weil zu derjelben Wirkung 
mehr als eine Urſache ftatt finden fann, in diefem Falle aber die bloße 
Moralität des Gejehes (und der Lehre), durch die Bernunft erfannt, die 
Urjache derfelben ift, und ſelbſt in dem Falle der bloßen Möglichkeit diejes 
Urſprungs es Pflicht ift, ihm die leßtere Deutung zu geben, wenn man 
nicht aller Schwärmerei Thür und Thor öffnen und nicht ſelbſt das un- 
zweideutige moraliiche Gefühl durch die Verwandtſchaft mit jedem andern 
phantaftifchen um jeine Würde bringen will. — Gefühl, wenn das Gejeh, 
woraus oder aud) wornad) es erfolgt, vorher befannt ift, hat jeder nur für 
fid) und fann es andern nicht zumuthen, aljo auch nicht als einen Probir— 
ftein der Achtheit einer Offenbarung anpreifen, denn es lehrt ſchlechter— 
dings nichts, ſondern enthält nur die Art, wie das Subject in Anſehung 
feiner Zuft oder Unluft afficirt wird, worauf gar feine Erfenntniß gegrün— 
bet werden kann. — 

Es giebt aljo feine Norm des Kirdhenglaubens als die Schrift und 
feinen andern Ausleger defjelben, als reine VBernunftreligion und 
Schriftgelehrſamkeit (welde das Hiſtoriſche derjelben angeht), von 
welchen der erjtere allein authentijc und für alle Welt gültig, der zweite 
aber nur doctrinal ift, um den Kirchenglauben für ein gewifjes Wolf zu 
einer gewifjen Zeit in ein bejtimmtes, ſich beftändig erhaltendes Syftem 
zu verwandeln. Was aber diejen betrifft, jo ift es nicht zu ändern, daß 
der hiſtoriſche Glaube nicht endlich ein bloßer Glaube an Schriftgelehrte 
und ihre Einſicht werde: welches freilid der menſchlichen Natur nicht fon: 
derlich zur Ehre gereicht, aber doch durd; die öffentliche Denkfreiheit wie- 
derum gut gemacht wird, dazu dieje deshalb um deſtomehr berechtigt ift, 
weil nur dadurd, daß Gelehrte ihre Auslegungen jedermanns Prüfung 
ausjeßen, jelbjt aber auch zugleich für befjere Einfiht immer offen und 
empfänglid) bleiben, fie auf das Zutrauen des gemeinen Wejens zu ihren 
Entiheidungen rechnen Fönnen. 


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Bon dem Giege des guten Princips über bas böfe. 115 


vn. 
Der allmählige Übergang des Kirdenglaubens 
zur Alleinberrihaft des reinen Religionsglaubens ift die 
Annäherung des Reichs Bottes. 


Das Kennzeihen der wahren Kirche iſt ihre Allgemeinheit; bie 
von aber ift wiederum das Merkmal ihre Nothwendigkeit und ihre nur auf 
eine einzige Art mögliche Beitimmbarkeit. Nun bat der hiſtoriſche Glaube 
(der auf Offenbarung als Erfahrung gegründet ift) nur particuläre Gil» 
tigkeit, für die nämlich, an welche die Gefhichte gelangt ift, worauf er 
beruht, und enthält wie alle Erfahrungserfenntniß nicht das Bewußtſein, 
daß der geglaubte Gegenitand jo und nit anders fein müſſe, jondern 
nur, daß er fo jei, in fi; mithin enthält er zugleich das Bewußtfein feiner 
BZufäligfeit. Alfo fann er zwar zum Kirdhenglauben (deren es mehrere 
geben fann) zulangen, aber nur der reine Religionsglaube, der ſich gänz« 
li auf Bernunft gründet, fann als nothwendig, mithin für den einzigen 
erfannt werden, der die wahre Kirche auszeichnet. — Wenn aljo gleich 
(der unvermeidlihen Einjchränfung der menjhliden Vernunft gemäß) 
ein hiſtoriſcher Glaube als Zeitmittel die reine Religion afficirt, doch mit 
dem Bewußtſein, daß er bloß ein ſolches jei, und diejer als Kirchenglaube 
ein Princip bei ſich führe, dem reinen Religionsglauben fid) continwirlich zu 
nähern, um jenes Zeitmittel endlich entbehren zu können, jo fann eine ſolche 
Kirche immer die wahre heißen, da aber über hiſtoriſche Slaubenslehren 
der Streit nie vermieden werden kann, nur die ftreitende Kirche genannt 
werden; doch mit der Ausficht, endlich in die unveränderliche und alles 
vereinigende, triumphirende auszujchlagen! Man nennt den Glauben 
jedes einzelnen, der die moraliihe Empfänglichkeit (Würdigkeit) mit fid) 
führt, ewig glüdjelig zu fein, den feligmadhenden Glauben. Diejer 
fann aljo aud) nur ein einziger fein und bei aller Verſchiedenheit des 
Kirchenglaubens doch in jedem angetroffen werden, in welchem er, fid) auf 
fein Biel, den reinen Religionsglauben, beziehend, praktiſch ift. Der Olaube 
einer gottesdienftlihen Religion ift dagegen ein Frohn- und Kohnglaube 
(fides mercennaria, servilis) und fann nicht für den ſeligmachenden ange— 
jehen werden, weil er nidyt moraliſch ift. Denn dieſer muß ein freier, auf 
lautere Herzensgefinnungen gegründeter ®laube (fides ingenua) fein. Der 
eritere wähnt durch Handlungen (des cultus), welde (obzwar mühlam) 
doch für ſich feinen moraliihen Werth haben, mithin nur durch Furcht 

8* 
































116 Neligiom innerhalb der Geengen der bloßen Bermmft. Drütes Stück 
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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 117 


Mühe gegeben hat, von diefem Glauben und der Ncceptation der ange: 
botenen Wohlthat die unausbleibliche Folge fein werde. Diefen Glauben 
fann fein überlegender Menſch, jo jehr auch die Gelbitliebe öfters den 
bloßen Wunſch eines Gutes, wozu man nichts thut oder thun fann, in 
Hoffnung verwandelt, alö werde fein Gegenstand, durch die bloße Sehn- 
jucht gelodt, von jelbit fommen, in fich zumege bringen. Man kann diejes 
ſich nicht anders möglich denken, als dat der Menſch ſich diefen Glauben 
jelbjt als ihm himmliſch eingegeben und jo als etwas, worüber er jeiner 
Vernunft weiter feine Rechenſchaft zu geben nöthig hat, betradte. Wenn 
er dies nicht kann, oder noch zu aufrichtig ift, ein ſolches Vertrauen als 
blobes Einſchmeichelungsmittel in ſich zu erfüniteln, fo wird er bei aller 
Achtung für eine ſolche überſchwengliche Genugthuung, bei allem Wunjche, 
daß eine joldye auch für ihn offen ftehen möge, doch nicht umhin können, 
fie nur als bedingt anzuſehen, nämlich daß fein, jo viel in feinem Ber: 
mögen iſt, gebefjerter Zebenswandel vorhergehen müjje, um aud nur den 
mindejten Grund zur Hoffnung zu geben, ein ſolches höheres Verdienſt 
fönne ihm zu Gute fommen. — Wenn aljo das hiſtoriſche Erfenntniß von 
dem lebtern zum Kirdyenglauben, der erjtere aber als Bedingung zum 
reinen moraliihen Glauben gehört, jo wird dieſer vor jenem vorher= 
gehen müjjen. 

2. Wenn aber der Menſch von Natur verderbt ift, wie kann er glau— 
ben, aus ſich, er mag ſich auch beitreben, wie er wolle, einen neuen, Gott 
wohlgefälligen Menſchen zu maden, wenn er — ſich der Vergehungen, 
deren er ſich bisher ſchuldig gemacht hat, bewußt — nod) unter der Macht 
des böjen Princips jteht und in fid) fein hinreichendes Vermögen antrifft, 
es fünftighin befjer zu maden? Wenn er nicht die Gerechtigkeit, die er 
ſelbſt wider ſich erregt hat, durdy fremde Genugthuung als verjöhnt, ſich 
jelbjt aber durch diefen Glauben gleihjam als neugeboren anjehen und 
jo allererft einen neuen Lebenswandel antreten kann, der alödann die 
Folge von dem mit ihm vereinigten guten Princip jein würde, worauf will 
er jeine Hoffnung ein Gott gefälliger Menſch zu werden gründen? — Alfo 
muß der Olaube an ein Verdienft, das nicht das feinige ift, und wodurch 
er mit Gott verjöhnt wird, vor aller Beftrebung zu guten Werfen vorher: 
gehen; welches dem vorigen Sabe widerftreitet. Diejer Streit fann nicht 
durch Einfiht in die Saujalbeftimmung der Freiheit des menschlichen 
Weſens, d. i. der Urſachen, welche machen, daß ein Menſch qut oder böfe 
wird, aljo nicht theoretijh ausgeglichen werden: denn diefe Frage über: 


























Reigt das ganze Speculationsvermögen unferer Vernunft. Aber fürs 
Praftifche, wo nämlich) nicht gefragt wird, was phyſiſch, jondern was mo- 
raliſch für den Gebraud) unferer freien Willfür das erfte jei, wovon wir 
nämlich den Anfang machen jollen, ob vom Glauben an das, was Gott 
unfertwegen gethan hat, oder von dem, was wir thun jolen, um defjen 
Deere SR EEIen ———— 




















Bon bem Siege des guten Princips über das böje. 119 


ben, welder mit einem fonft vielleicht auch wohl exemplariſchen Lebens: 
wandel Gleihgültigfeit, oder wohl gar Widerfjeglichkeit gegen alle Offen- 
barung verbindet. — Das wäre aber den Knoten (durch eine praftifche 
Marime) zerhauen, anftatt ihn (theoretiſch) aufzulöfen, welches auch aller: 
dings in Religionsfragen erlaubt ift. — Zur Befriedigung des lekteren 
Unfinnens kann indefjen folgendes dienen. — Der lebendige Glaube an 
das Urbild der Gott wohlgefäligen Menſchheit (den Sohn Gottes) an 
ſich ſelbſt ift auf eine moraliſche Bernunftidee bezogen, fofern diefe ung 
nicht allein zur Richtſchnur, jondern auch zur Triebfeder dient, und alſo 
einerlei, ob id von ihm, als rationalem Glauben, oder vom Princip 
des guten Lebenswandels anfange. Dagegen ijt der Glaube an eben 
dafjelbe Urbild in der Erfheinung (an den Gottmenſchen), als empi- 
riſcher (hiſtoriſcher) Glaube, nicht einerlei mit dem Princip des guten 
Lebenswandels (weldyes ganz rational jein muß), und es wäre ganz etwas 
anders, von einem jolden}) anfangen und daraus den guten Lebens— 
wandel ableiten zu wollen. Sofern wäre aljo ein Widerjtreit zwiſchen den 
obigen zwei Säßen. Allein in der Erſcheinung des Gottmenſchen ift nicht 
das, was von ihm im die Sinne fällt, oder durch Erfahrung erfannt wer: 
den fann, jondern das in unfrer Vernunft liegende Urbild, welches wir 
dem leptern unterlegen (weil, jo viel fi an feinem Beifpiel wahrnehmen 
läßt, er jenem gemäß befunden wird), eigentlich das Dbject des ſelig— 
machenden Glaubens, und ein ſolcher Glaube ijt einerlei mit dem Brincip 
eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels. — Aljo find hier nicht zwei an 
ſich verſchiedene Principien, von deren einem oder dem andern anzufan— 
gen, entgegengeleßte Wege einzuſchlagen wären, jondern nur eine und dies 
jelbe praktiſche Idee, von der wir ausgehen, einmal, fo fern fie das Urbild 
als in Gott befindlicdy und von ihm ausgehend, ein andermal, fofern fie 
es als in uns befindlidh, beidemal aber jofern fie es als Richtmaß unſers 
Lebenswandels vorftellt; und die Antinomie ift aljo nur jcheinbar: weil 
fie eben diejelbe praktiſche Fdee, nur in verjchiedener Beziehung genommen, 
durch einen Mihverftand für zwei verſchiedene Principien anfteht. — 
Wollte man aber den Geſchichtsglauben an die Wirklichkeit einer foldyen 
einmal in der Welt vorgefommenen Erjheinung zur Bedingung des allein 
feligmachenden Glaubens maden, jo wären e8 allerdings zwei ganz ver- 


PY Der bie Eriiteng einer ſolchen Perſon auf hiſtoriſche Beweisthümer grün. 
muß. 































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Bermö | | : 
Gefinnung den Mangel der That, auf meidye Art es and) jei, ergän- 15 
zen werde. — Das erfte aber ſiedt wicht im jedes (amd des umgelehrten) 
Menichen Bermögen. Die Gedichte beweift, dab in allen Religions- 
formen diejer Streit zweier Glaubemsprincipien ebgemaltet bat; denn 
Erpiationen hatten ale Religionen, fie mochten fe num jegen, worein fie 











KIAR jo nerguiußt, ak ab er ehr I Auahett MrAR An elarn falten 
mpttiiden (oder mwagiitkn) Einiink dede Duk, ad cr zamat, fo Diel wir 





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Bon dem Siege bes guten Princips über das böfe. 121 


wifien, für bloß biftoriich gehalten werden follte, er dod, wenn man ihm 
und den damit verbundenen Gefühlen nachhängt, den ganzen Menſchen 
von Grunde aus zu befiern (einen neuen Menſchen aus ihm gu machen) 
im Stande jei: jo müßte diefer Glaube ſelbſt als unmittelbar vom Him- 
mel (mit und unter dem hiſtoriſchen Glauben) ertheilt und eingegeben ans 
gejehen werden, wo denn alles jelbjt mit der moraliihen Beichaffenheit 
des Menichen zuleßt auf einen unbedingten Rathſchluß Gottes hinaus: 
läuft: „Er erbarmet ſich, welches er will, und verjtodet, welden er 
will,“*) welches, nad dem Buchſtaben genommen, der salto mortale der 
ı» menſchlichen Vernunft ift. 

Es iſt alfo eine nothwendige Folge der phyfiihen und zugleich der 
moraliihen Anlage in uns, welde leßtere die Grundlage und zugleich 
Auslegerin aller Religion tft, daß diefe endlich von allen empirischen Be- 
ftimmungsgründen, von allen Statuten, welche auf Geſchichte beruhen, 

ıs und die vermittelit eines Kirchenglaubens proviforiid) die Menſchen zur 
Beförderung des Guten vereinigen, allmählig losgemadıt werde, und jo 
reine VBernunftreligion zulegt über alle herrſche, „damit Gott ſei alles in 
allem." — Die Hüllen, unter welchen der Embryo ſich zuerft zum Men- 
ſchen bildete, müfjen abgelegt werden, wenn er nun an das Tageslicht 
» treten foll. Das Leitband der heiligen Ülberlieferung mit feinen Anhängs 
jeln, den Statuten und Obſervanzen, welches zu jeiner Zeit gute Dienfte 
that, wird nad) und nad) entbehrlich, ja endlich zur Feſſel, wenn er in 
das Sünglingsalter eintritt. So lange er (die Menſchengattung) „ein 
Kind war, war er flug als ein Kind” und wußte mit Sagungen, die ihm 


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25 *), Das fann wohl fo ausgelegt werben: fein Menſch kann mit Gewißheit 
jagen, woher biejer ein quter, jener ein böjer Menjch (beide comparaltive) wird, ba 
oftmals die Unlage zu dieſem Iinterfchiede fchon in der Geburt anzutreffen zu fein 
ſcheint, bisweilen auch Zufälligfeiten des Lebens, für die niemand fan, hierin einen 
Ausſchlag geben; eben jo wenig auch, was aus ihm werben fünne. Hierüber müſſen 

so wir aljo das Urtheil dem Allfehenden überlafien, welches hier jo ausgedrückt wird, 
als ob, ehe fie geboren wurben, fein Rathſchluß, fiber fie ausgeiprochen, einem jeden 
feine Rolle vorgezeichnet habe, die er einſt fpielen follte. Das Vorherſehen ift in 
ber Orbmung ber Erſcheinungen für den Welturheber, wenn er hiebei ſelbſt anthro- 
popathiſch gedacht wirb, zugleich ein Vorherbeſchließen. In ber überfinnlichen 

as Ordnung der Dinge aber nad) Freiheitsgeſetzen, wo bie Beit wegfällt, ift es blof; 
ein allfehbendes Wifjen, ohne, warum der eine Menſch jo, der andere nach 
entgegengejehten Grundſätzen verfährt, erflären und doch auch zugleich mit ber Frei: 
beit bes Willens vereinigen zu können. 


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122 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd. 


ohne jein Zuthun auferlegt worden, aud) wohl Gelehrjamkeit, ja jogar 
eine der Kirche dienjtbare Philojophie zu verbinden; „nun er aber ein 
Mann wird, legt er ab, was kindiſch ijt.“ Der erniedrigende Unterjchied 
zwiſchen Laien und Klerifern hört auf, und Gleichheit entipringt aus 
der wahren Freiheit, jedoch ohne Anarchie, weil ein jeder zwar dem (nicht 
ſtatutariſchen) Geſetz gehorcht, das er ſich jelbft vorſchreibt, das er aber 
auch zugleich) als den ihm durd) die Vernunft geoffenbarten Willen des 
Meltherrichers anjehen muß, der alle unter einer gemeinſchaftlichen Re— 
gierung unfichtbarer Weije in einem Staate verbindet, weldyer durd) die 
fihtbare Kirche vorher dürftig vorgeftellt und vorbereitet war. — Das 
alles ift nicht von einer äußeren Revolution zu erwarten, die ſtürmiſch 
und gewaltjam ihre von Glüdsumftänden jehr abhängige Wirkung thut, 
in weldyer, was bei der Gründung einer neuen Verfafjung einmal ver: 
jehen worden, Sahrhunderte hindurd mit Bedauern beibehalten wird, 
weil es nicht mehr, wenigitens nicht anders, als durch eine neue (jederzeit 
gefährliche) Revolution abzuändern ijt. — In dem Princip der reinen 
Vernunftreligion, als einer an alle Menichen bejtändig geihehenden gött- 
lichen (obzwar nicht empiriihen) Offenbarung, muß der Grund zu jenem 
Überſchritt zu jener neuen Ordnung der Dinge liegen, welcher, einmal aus 
reifer Überlegung gefaßt, durch allmaͤhlig fortgehende Reform zur Aus— 
führung gebradt wird, jo fern fie ein menſchliches Werk fein ſoll; denn 
was Revolutionen betrifft, die diefen Fortſchritt abfürzen können, jo blei- 
ben fie der Vorſehung überlafjen und lafjen ſich nicht planmäßig der Frei- 
beit unbeſchadet einleiten. — 

Man kann aber mit Grunde jagen: „dab das Reid; Gottes zu uns 
gefommen fei," wenn aud nur das Princip des almähligen Überganges 
des Kirhenglaubens zur allgemeinen VBernunftreligion und jo zu einem 
(göttlihen) ethiihen Staat auf Erden allgemein und irgendwo auch 
öffentlich Wurzel gefaßt hat; obgleich die wirkliche Errichtung defjelben 
nod) in unendlicher Weite von uns entfernt liegt. Denn weil diejes Prin— 
cip den Grund einer continuirlichen Annäherung zu dieſer Vollkommen— 
beit enthält, jo liegt in ihm als in einem ſich entwidelnden und in der 
Folge wiederum befamenden Keime das Ganze (unfidhtbarer Weife), wel- 
ches dereinjt die Welt erleuchten und beherrichen jol. Das Wahre und 
Gute aber, wozu in der Naturanlage jedes Menſchen der Grund jomohl 
der Einjicht als des Herzensantheils liegt, ermangelt nicht, wenn es ein- 
mal öffentlich geworden, vermöge der natürlicyen Affinität, in der es mit 


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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 123 


der moralifchen Anlage vernünftiger Wejen überhaupt fteht, ſich durch— 
gängig mitzutheilen. Die Hemmungen durch politiſche bürgerliche Ur- 
ſachen, die feiner Ausbreitung von Zeit zu Zeit zuftoßen mögen, dienen 
eher dazu, die Vereinigung der Gemüther zum Guten (was, nachdem fie 
es einmal ins Auge gefaßt haben, ihre Gedanken nie ie veriatt nod) deſto 
inniglider zu machen.“) 


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* Dem Kirchenglauben kann, ohne daß man ihm weber ben Dienſt aufjagt, 
noch ihn befehbet, jein nüßlicher Einfluß als eines Vehifeld erhalten und ihm gleich. 
wohl als einem Wahne von gottesdienftlicher Pflicht aller Einfluß auf den Begriff 
ber eigentlichen (nämlich moraliichen) Neligion abgenommen werben unb fo bei Ber- 
ichiebenheit jtatutariicher Glaubensarten Berträglichkeit der Anhänger derjelben unter 
einander durd; die Grundſätze der einigen Vernunftreligion, wohin bie Lehrer alle 
jene Sabungen und Obfervanzen auszulegen haben, geitiftet werben; bi man mit 
ber Beit vermöge der überhandgenommenen wahren Aufklärung (einer Gejeblichleit, 
bie aus der moralijchen Freiheit hervorgeht) mit jedermanns Einſtimmung die Form 
eines erniedbrigenden Zwangsmittels gegen eine firchliche Form, die ber Würde einer 
moraliichen Religion angemejjen ift, nämlich bie eines freien Glaubens, vertaufchen 
kann. — Die kirchliche Blaubenseinheit mit der Freiheit in Slaubensfachen zu ver- 
einigen, tft ein Problem, zu deſſen Auflöfung die Idee der objectiven Einheit der Ber: 
nunftreligion durch das moralische Sntereffe, welches wir an ihr nehmen, comtinmirlich 
antreibt, welches aber in einer fichtbaren Kirche zu Stande zu bringen, wenn wir 
hierüber bie menichliche Natur befragen, wenig Hoffnung vorhanden iſt. Es ift eine 
Idee ber Vernunft, deren Daritellung in einer ihr angemefjenen Anichauung uns 
unmöglich ift, bie aber doch als praftijches regulatives Princip objective Realität 
bat, um auf diefen Zwed der Einheit der reinen VBernunftreligion binzumirfen. Es 
geht Biermit, wie mit ber politiichen Idee eined Staatsrechts, jo fern es zugleich 
auf ein allgemeines und machthabendes Völkerrecht bezogen werben fol. Die Er- 
fahrumg ſpricht ums hierzu alle Hoffnung ab, Es jcheint ein Hang in das menſch— 
liche Gejchlecht (vielleicht abfichtlich) gelegt zu fein, daß ein jeder einzelne Staat, 
wenn es ihm nach Wunſch geht, fich jeben andern zu unterwerfen und eine Univer— 
falmonardhie zu errichten ftrebe; wenn er aber eine gewiſſe Größe erreicht hat, ſich 
body von jelbjt in fleinere Staaten zeriplittere. So hegt eine jede Kirche ben ſtolzen 
Anſpruch eine allgemeine zu werden; fo mie fie fi) aber ausgebreitet hat und herr» 
ſchend wirb, zeigt ſich bald ein Princip der Auflöfung und Trennung in verichiebene 
Secten. 

r) Das zu frühe und dadurch (daß es eher fommıt, ald die Menjchen mora- 
liſch beffer geworden find) jchäbliche Aufammenjchmelzen der Staaten wird — wenn 
eö ums erlaubt ift bierin eine Abficht der Vorfehung anzunehmen — vornehmlich 
durch zwei mächtig wirfende Urſachen, nämlich Verfchiedenheit der Sprachen und Ber: 
fchiebenheit der Religionen, verhindert. 


























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aber beftändig 
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ice tens der offmäßfigen Gründung 
der Herrſchaft des guten Princips auf Erden. 


Bon der Religion Bedeutung des Worts 
fann jr Geißlehts verlan- 
man 
ae au — 
— verjalbi ger 
if —— = — meiden + 
es daber ne * biftoriihe Darftellun 
* ut fann | 
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gleicht. —— FEB Abhängigkeit einihrän- 











fiehenden welches dafielbe 
Princip, 
Vollendung deilelben fortzuichreiten. vorausiehen, 
für alle 
a Menicen und Zeiten ein 
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haben, wenn fie Beh 
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Bon dem Siege des guten Princips fiber das böfe. 125 


die Geſchichte der Satzungen verſchiedner Völfer, deren Glaube in feiner 
Verbindung unter einander fteht, gewährt ſonſt feine Einheit der Kirche. 
Zu diefer Einheit aber kann nicht gerechnet werden: daß in einem und 
demjelben Volk ein gewifjer neuer Glaube einmal entiprungen ift, der fid) 
von dem vorher herridenden namhaft unterſchied; wenn gleich diejer die 
veranlajjenden Urſachen zu des neuen Erzeugung bei fid) führte. Denu 
es muß Einheit des Princips fein, wenn man die Folge verſchiedner Glau— 
bensarten nadeinander zu den Modificationen einer und derjelben Kirche 
rechnen ſoll, und die Geſchichte der lebtern ift es eigentlich, womit wir uns 
jetzt beihäftigen. 

Wir können alfo in diefer Abficht nur die Geſchichte derjenigen Kirche, 
die von ihrem erften Anfange an den Keim und die Principien zur ob» 
jectiven Einheit des wahren und allgemeinen Neligionsglaubens bei 
ſich führte, dem fie allmählig näher gebradt wird, abhandeln. — Da zeigt 
fih nun zuerft: daß der jüdifhe Glaube mit diefem Kirhenglauben, 
defjen Geſchichte wir betrachten wollen, in ganz und gar feiner wejentlidhen 
Verbindung, d. i. in feiner Einheit nad) Begriffen, fteht, obzwar jener 
unmittelbar vorhergegangen und zur Gründung diejer (der hriftlichen) 
Kirche die phyfiiche Veranlaffung gab. 

Der jüdifhe Glaube ift feiner urfprüngligen Einrichtung nad) 
ein Inbegriff bloß ftatutarischer Gejeke, auf welchem eine Staatsverfafjung 
gegründet war; denn weldhe moralische Zujäße entweder damals ſchon 
oder auch in der Folge ihm angehängt worden find, die jind ſchlechter— 
dings nicht zum Sudenthum als einem ſolchen gehörig. Das letztere ift 
eigentlich gar feine Religion, jondern bloß Bereinigung einer Menge 
Menſchen, die, da fie zu einem bejondern Stamm gehörten, fich zu einem 
gemeinen Weſen unter bloß politiihen Geſetzen, mithin nicht zu einer 
Kirche formten; vielmehr jollte es ein bloß weltlicher Staat fein, jo daß, 
wenn diejer etwa durch widrige Zufälle zerrifjen worden, ihm nod) immer 
der (wejentlich zu ihm gehörige) politiiche Glaube übrig bliebe, ihn (bei 
Ankunft des Meſſias) wohl einmal wiederherzuftellen. Daß dieje Staats- 
verfafiung Theofratie zur Grundlage hat (ſichtbarlich eine Ariftofratie der 
Priejter oder Anführer, die ſich unmittelbar von Gott ertheilter Inſtruc— 
tionen rühmten), mithin der Name von Gott, der dod) bier bloß als melt- 
liher Regent, der über und an das Gewiſſen gar feinen Anſpruch thut, 
verehrt wird, macht fie nicht zu einer Religionsverfafjung. Der Beweis, 
daß fie das letztere nicht hat fein follen, ift Mar. Erſtlich find alle Ge— 


126 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernmnft. Drittes Etäd. 


bote von der Art, daß auch eine politiſche Berfafjung darauf halten und 
fie als Zwangsgeſetze auferlegen kann, weil fie bloß äußere Handlungen 
betreffen, und obzwar die zehn Gebote and, ohne da fie öffentlich ge- 
geben fein möchten, ſchon als ethiſche vor der Vernunft gelten, fo find fie 
in jener Geſetzgebung gar nit mit der Forderung an die moralijde 
Gejinnung in Befolgung derjelben (worin nachher das Chriftenthum 
das Hauptwerk ſetzte) gegeben, jondern ſchlechterdings nur auf die äußere 
Beobadjtung gerichtet worden; weldyes aud) daraus erhellt, daß: zweitens 
alle Folgen aus der Erfülung oder Übertretung diejer Gebote, alle Be- 
lohnung oder Beftrafung nur auf jolde eingejhränft werden, welche in 
biejer Welt jedermann zugetheilt werden können, und ſelbſt dieſe auch nicht 
einmal nad) ethiſchen Begriffen; indem beide aud) die Nachlommenſchaft, 
die an jenen Thaten oder Unthaten feinen praftijchen Antheil genommen, 
treffen jollten, weldyes in einer politiichen Verfaſſung allerdings wohl ein 
Klugheitsmittel jein kann, ſich Folgſamkeit zu verſchaffen, in einer ethijchen 
aber aller Billigfeit zumider jein würde. Da nun ohne Glauben an ein 
fünftiges Leben gar feine Religion gedacht werden fann, jo enthält das 
Judenthum als ein ſolches, in feiner Reinigfeit genommen, gar feinen Re= 
ligionsglauben. Diejes wird durch folgende Bemerfung noch mehr be 
ftärft. Es ift nämlich kaum zu zweifeln: daß die Juden eben jomohl wie 
andre, jelbit die roheften Völfer nicht auch einen Glauben an ein fünftiges 
Leben, mithin ihren Himmel und ihre Hölle follten gehabt haben; denn 
dieſer Glaube dringt ſich Fraft der allgemeinen moraliihen Anlage in der 
menſchlichen Natur jedermann von jelbjt auf. Es iſt alfo gewiß abjicht- 
lich geihehen, daß der Gejebgeber diejes Volks, ob er gleich als Gott jelbit 
vorgeftellt wird, doch nicht die mindefte Rüdfiht auf das fünftige Leben 
habe nehmen wollen, welches anzeigt: daß er nur ein politifches, nicht 
ein ethifches gemeines Wejen habe gründen wollen; in dem erjtern aber 
von Belohnungen und Strafen zu reden, die hier im Leben nicht fidhtbar 
werben lönnen, wäre unter jener Borausjeßung ein ganz inconjequentes 
und unſchickliches Verfahren geweien. Ob nun gleidy auch nicht zu zweifeln 
ift, daß die Juden ſich nicht in der Folge, ein jeder für ſich jelbft, einen 
gewiſſen Neligionsglauben werden gemadıt haben, der den Artikeln ihres 
jtatutarijchen beigemengt war, fo hat jener dody nie ein zur Gejeßgebung 
bes Judenthums gehöriges Stüd ausgemacht. Drittens ift es fo weit 
gefehlt, dab das Judenthum eine zum Zuftande der allgemeinen Kirche 
gehörige Epoche, oder dieje allgemeine Kirche wohl gar ſelbſt zu feiner Zeit 


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Von dem Siege des guten Principé über das böſe. 127 


ausgemacht habe, daß es vielmehr das ganze menſchliche Geſchlecht von 
ſeiner Gemeinſchaft ausſchloß, als ein beſonders vom Jehovah für ſich 
auserwähltes Volk, welches alle andere Völker anfeindete und dafür von 
jedem angefeindet wurde. Hiebei ift es auch nicht jo hoch anzuſchlagen, 
daß dieſes Volk fid) einen einigen, durd; fein fihhtbares Bild vorzuftellen- 
den Gott zum allgemeinen Weltherricher jeßte. Denn man findet bei den 
meijten andern Völkern, daß ihre Glaubenslehre darauf gleichfalls hinaus: 
ging und fi nur Durch die Verehrung gewifjer jenem untergeordneten 
mächtigen Untergötter des Bolytheismus verdädhtig machte. Denn ein Gott, 
der bloß die Befolgung folder Gebote will, dazu gar Feine gebefjerte mo— 
raliſche Gefinnung erfordert wird, ift doch eigentlich nicht dasjenige mo- 
ralijche Weſen, deſſen Begriff wir zu einer Religion nöthig haben. Dieje 
würde nod) eher bei einem Glauben an viele joldye mächtige unſichtbare 
Weſen ftatt finden, wenn ein Volk fid) diefe etwa jo dächte, daß fie bei 
der Verſchiedenheit ihrer Departements dod) alle darin übereinfämen, daß 
fie ihres Wohlgefallens nur den mwürdigten, der mit ganzem Herzen der 
Tugend anbinge, als wenn der Glaube nur einem einzigen Wejen ges 
widmet it, das aber aus einem mechaniſchen Eultus das Hauptwerk madıt. 

Wir können aljo die allgemeine Kirchengeſchichte, jofern fie ein Syftem 
ausmachen fol, nit anders als vom Urfprunge des Chriſtenthums an. 
fangen, das, als eine völlige Verlaſſung des Judenthums, worin es ent- 
jprang, auf einem ganz neuen Princip gegründet, eine gänzliche Revo- 
Intion in Slaubenslehren bewirkte. Die Mühe, welche ſich die Yehrer des 
erftern geben, oder gleich zu Anfange gegeben haben mögen, aus beiden 
einen zufammenhängenden Leitfaden zu Enüpfen, indem fie den neuen 
Glauben nur für eine Fortjebung des alten, der alle Ereignifje defjelben 
in Borbildern enthalten habe, gehalten wiffen wollen, zeigt gar zu deut- 
li, daß es ihnen hiebei nur um die ſchicklichſten Mittel zu thun fei oder 
war, eine reine moralijche Religion ftatt eines alten Gultus, woran das 
Bolf gar zu ftark gewöhnt war, zu introduciren, ohne doc) wider feine 
Borurtheile gerade zu verſtoßen. Schon die nachfolgende Abſchaffung des 
förperlidhen Abzeichens, welches jenes Volk von andern gänzlidy abzujon= 
dern diente, läßt urtheilen, daß der neue, nicht an die Statuten des alten, 
ja an feine Statuten überhaupt gebundene Glaube eine für die Welt, nicht 
für ein einziges Volf gültige Religion habe enthalten jollen. 

Aus dem Audenthum aljo, — aber aus dem nicht mehr altoäterlichen 
und unvermengten, bloß auf eigene politiiche Verfaſſung (die auch ſchon 


128 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd. 


jehr zerrüttet war) geftellten, jondern aus dem ſchon durch almählig darin 
öffentlich gewordene moraliſche Lehren mit einem Neligionsglauben ver- 
miſchten Judenthum, in einem BZuftande, wo dieſem ſonſt unwifjenden 
Volke ſchon viel fremde (griechiſche) Weisheit zugelommen war, welde 
vermuthlich aud dazu beitrug, es durch Tugendbegriffe aufzuflären und 
bei der drüdenden Laft ihres Sapungsglaubens zu Revolutionen zuzu— 
bereiten, bei Gelegenheit der Verminderung der Macht der Priejter durd) 
ihre Unterwerfung unter die Oberherrſchaft eines Volks, das allen frem- 
den Boltsglauben mit Gleichgültigkeit anfah, — aus einem ſolchen Juden— 
thum erhob ſich nun plößlid), obzwar nicht unvorbereitet, das Ehrijten- 
thum. Der Lehrer des Evangeliums kündigte fi als einen vom Himmel 
gejandten, indem er zugleich als einer ſolchen Sendung würdig den Frohn- 
glauben (an gottesdienftlice Tage, Bekenntniſſe und Gebräude) für an 
fi) nichtig, den moralifchen dagegen, der allein die Menjchen heiligt, „wie 
ihr Vater im Himmel heilig ift", und durd den guten Lebenswandel feine 
Achtheit beweift, für den alleinfeligmathenden erflärte, nachdem er aber 
durch Lehre und Leiden bis zum unverſchuldeten und zugleich verdienſt— 
lien Zode*) an feiner Perjon ein dem Urbilde der allein Gott wohlge- 


*) Mit weldhem fich bie öffentliche Gejchichte deffelben (die daher auch allge» 
mein zum Beijpiel der Nachfolge dienen Ffonnte) endigt. Die als Anhang binzuge- 
fügte geheimere, bloß vor ben Augen feiner Bertrauten vorgegangene Geſchichte feiner 
Auferftehbung und Himmelfahrt (die, wenn man fie bloß ald Bernunftideen 
nimmt, ben Anfang eines andern Lebens und Eingang in ben Sitz ber Seligfeit, 
db. i. in die Gemeinſchaft mit allen Guten, bedeuten würben) fann ihrer hiſtoriſchen 
Würdigung unbejchadet zur Religion innerhalb der Gränzen ber bloßen Bernunft 
nicht benußt werden. Nicht etwa deswegen, weil fie Gejchichtserzählung ift (denn 
bas iſt auch bie vorhergehende), fondern weil fie, buchftäblich genommen, einen Be- 
griff, der zwar ber finulichen Borjtellungsart der Menſchen jehr angemeſſen, ber 
Bernunft aber in ihrem Glauben an die Zukunft ſehr läſtig ift, nämlich den ber 
Materialität aller Weltwefen, annimmt, fowohl den MaterialiSm ber Perjön- 
lichkeit des Menjchen (ben piychologifchen), die mur unter ber Bedingung eben befjel- 
ben Körpers ftalt finde, ald audy der Gegenwart im einer Welt überhaupt (ben 
fosmologifchen), welche nach diefem Princip nicht anders ald räumlich fein könne: 
wogegen bie Hypotheſe bes Spiritnalismus vernünftiger Weltweſen, wo ber Körper 
tobt in ber Erbe bleiben und doch diejelbe Perjon lebend ba fein, imgleichen ber 
Menſch dem Geifte nach (in feiner nicht finnlichen Qualität) zum Sik der Seligen, 
ohne in irgend einen Ort im umendlichen Naume, der die Erbe umgiebt (und ben 
wir anch Himmel nennen), verjebt zu werben, gelangen kann, ber Bernunft günfti- 
ger ift, nicht bloß wegen ber Unmöglichleit, fich eine denlende Materie verftändlich 


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Don dem Siege bes guten Princips über das böfe. 129 


fälligen Menſchheit gemäßes Beiſpiel gegeben hatte, als zum Simmel, 
aus dem er gefommen war, wieder zurüdfehrend vorgeftellt wird, indem er 
feinen legten Willen (gleich als in einem Teftamente) mündlich zurüdließ 
und, was die Kraft der Erinnerung an fein Verdienft, Lehre und Beiſpiel 
betrifft, doch fagen konnte, „er (das Ideal der Gott wohlgefälligen Menſch— 
beit) bleibe nichts deftoweniger bei jeinen Zehrjüngern bis an der Melt 
Ende”. — Diefer Lehre, die, wenn es etwa um einen Geſchichtsglauben 
wegen der Abfunft und des vielleicht überirdiichen Ranges feiner Perſon 
zu thun wäre, wohl der Bejtätigung durch Wunder bedurfte, die aber als 
bloß zum moraliichen, feelenbefjernden Glauben gehörig aller folder Be- 
weisthümer ihrer Wahrheit entbehren fann, werden in einem heiligen 
Buche noch Wunder und Geheimnifje beigejellt, deren Bekanntmachung 
felbft wiederum ein Wunder ift und einen Gejhichtsglauben erfordert, der 
nicht anders als durch Gelehrſamkeit ſowohl beurkundet, als auch der Be- 
deutung und dem Sinne nad) gefihert werden kann. 

Aller Glaube aber, der ſich als Geſchichtsglaube auf Bücher gründet, 
bat zu feiner Gewährleiftung ein gelehrtes Publicum nöthig, in wel- 
chem er durch Schriftiteller als Zeitgenofjen, die in feinem Verdacht einer 
bejondern Verabredung mit den erften Verbreitern defjelben ftehen, und 
deren Zuſammenhang mit unferer jetzigen Schriftitellerei ſich ununter- 
brochen erhalten hat, gleihjam controllirt werden könne. Der reine Ver: 
nunftglaube dagegen bedarf einer ſolchen Beurkundung nicht, jondern be- 
weifet ſich ſelbſt. Nun war zu den Zeiten jener Revolution in dem Volke, 
welches die Juden beherrſchte und in diefer ihrem Sitze felbft verbreitet 
war (im römischen Volke), ſchon ein gelehrtes Publicum, von welchem uns 
auch die Geſchichte der damaligen Zeit, was die Ereignifje in der politijchen 


zu machen, fondern vornehmlich wegen der Zufälligfeit, ber unfere Eriftenz nach dem 
Zobe baburd; ausgejegt wird, daß fie bloß auf dem Zuſammenhalten eines gewiſſen 
Kumpens Materie in gewifier Form beruhen foll, anitatt daß fie die Beharrlich- 
feit einer einfachen Eubitany als auf ihre Natur gegründet denfen fann. — Unter 
ber letztern Vorausſetzung (der bes Spiritualismus) aber fann bie Vernunft weber 
ein Intereſſe dabei finden, einen Körper, der, fo geläutert er auch fein mag, bodh 
(wenn die Perjönlichfeit auf der Identität deifelben beruht) immer aus bemfelben 
Stoffe, ber die Bafis feiner Organifation ausmacht, beftehen muß, und den er jelbft 
im %eben nie recht Tieb gewonnen hat, in Ewigfeit mit zu jchleppen, noch Fan 
fie es ſich begreiflich machen, was dieſe Kalkerde, woraus er bejteht, imHimmel, db. i. 
in einer andern Weltgegend fol, wo vermuthlich andere Materien bie Bedingung 
bes Dafeins und der Erhaltung lebender Wefen ausmachen möchten. 

Rant'd Schriften Werke VI. 9 


130 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermmft. Drittes Stüd. 


Verfaſſung betrifft, durdh eine ununterbrodne Reihe von Schriftitellern 

überliefert worden; aud war diejes Volf, wenn es fid) gleich um den Re- 

ligionsglauben feiner nicht römischen Unterthanen wenig befümmerte, doch 

in Anfehung der unter ihnen öffentlich geſchehen fein follenden Wunder 

feinesweges ungläubig; allein fie erwähnten als Zeitgenofjen nichts, wer 5 
der von diejen, nod von der gleichwohl öffentlid, vorgegangenen Revolu- 
tion, die fie in dem ihnen unterworfenen Bolfe (in Abſicht auf die Religion) 
hervorbradhten. Nur jpät, nad mehr als einem Menjchenalter, jtellten fie 
Nachforſchung wegen der Beſchaffenheit diejer ihnen bis dahin unbekannt 
gebliebenen Glaubensveränderung (die nicht ohne öffentlihe Bewegung 
vorgegangen war), feine aber wegen der Geſchichte ihres erften Anfangs 
an,um fie in ihren eigenen Annalen aufzufuchen. Bon diejem an bis auf die 
Beit, da das Chriftenthum für ſich felbit ein gelehrtes Publicum ausmadhte, 
tft daher die Geſchichte defjelben dunkel, und aljo bleibt uns unbekannt, wel- 
che Wirkung die Lehre defjelben auf die Moralität feiner Neligionsgenoffen ı: 
that, ob die erften Chriften wirklich moraliſch-gebeſſerte Menſchen, oder 

aber Leute von gewöhnlichem Schlage geweſen. Seitdem aber das Ehrijten- 

thum ſelbſt ein gelehrtes Publicum wurde, oder doch in das allgemeine 

eintrat, gereicht die Geſchichte dejjelben, was die wohlthätige Wirkung be- 

trifft, die man von einer moraliſchen Neligion mit Recht erwarten fann, «“ 
ihm feinesweges zur Empfehlung. — Wie myftiihe Schwärmereien im 
Eremiten- und Mönchsleben und Hochpreifung der Heiligkeit des ehelojen 
Standes eine große Menſchenzahl für die Welt unnüß machten; wie da- 
mit zufammenbängende vorgebliche Wunder das Volk unter einem blinden 
Aberglauben mit jehweren Feſſeln drüdten; wie mit einer fich freien Men— 
ſchen aufdringenden Hierarchie fid die jhredliche Stimme der Rechtgläu— 
bigfeit aus dem Munde anmaßender, alleinig berufener Schriftausleger 
erhob und die hriftliche Welt wegen Slaubensmeinungen (in die, wenn 
man nicht die reine Vernunft zum Ausleger ausruft, ſchlechterdings Feine 
allgemeine Einftimmung zu bringen ift) in erbitterte Parteien trennte; 
wie im Orient, wo der Staat ſich auf eine laͤcherliche Art jelbit mit Glau- 
bensjtatuten der Priefter und dem Pfaffentbum befaßte, anſtatt fie in den 
engen Schranken eines bloßen Lehrſtandes (ans dem fie jederzeit in einen 
regierenden überzugeben geneigt find) zu halten, wie, fage ich, dieſer Staat 
endlich auswärtigen Feinden, die zuletzt feinem berrichenden Glauben ein 
Ende machten, unvermeidlicher Weile zur Beute werden mußte; wie im 
Derident, wo der Glaube jeinen eigenen, von der weltlichen Macht unab- 


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Bon dem Siege des guien Princips über da® böje. 131 


bängigen Thron errichtet hat, von einem angemaßten Statthalter Gottes 
die bürgerliche Ordnung jammt den Wiſſenſchaften (weldye jene erhalten) 
zerrüttet und fraftlos gemadyt wurden; wie beide riftliche Welttheile 
glei den Gewächſen und Thieren, die, durd) eine Krankheit ihrer Auf: 
löſung nahe, zerftörende Inſekten herbeiloden, dieje zu vollenden, von Bar- 
baren befallen wurden; wie in dem leßtern jenes geiftlihe Oberhaupt 

Könige wie Kinder durch die Zauberruthe feines angedrohten Bannes be- 

herrſchte und züchtigte, fie zu einen andern Weltiheil entvölfernden, aus- 

wärtigen Kriegen (den Kreuzzügen), zur Befehdung untereinander, zur 

Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit und zum biutdürftigen 

Haß gegen ihre anders denfenden Mitgenofjen eines und defjelben allge- 

meinen jo genannten Chriſtenthums aufreizte; wie zu dieſem Unfrieden, 

der auch jet nur noch durch das politiiche Intereſſe von gewaltthätigen 

Ausbrühen abgehalten wird, die Wurzel in dem Grundjaße eines deö- 

ıs potijch-gebietenden Kirchenglaubens verborgen liegt und jenen Auftritten 
ähnliche noch immer bejorgen läßt: — diefe Geſchichte des Chriſtenthums 
(welche, fofern es auf einem Gejhichtsglanben errichtet werden jollte, aud) 
nicht anders ausfallen fonnte), wenn man fie als ein Gemälde unter einem 
Blick faßt, fönnte wohl den Ausruf rechtfertigen: tantum religio potuit 

»» suadere malorum! wenn nit aus der Stiftung dejjelben immer nod) 
deutlich genug hervorlendhtete, daß feine wahre erjte Abficht Feine andre 
als die gemejen jei, einen reinen Neligionsglauben, über weldyen es feine 
ftreitende Meinungen geben kann, einzuführen, alles jenes Gewühl aber, 
wodurd) das menschliche Gejchlecht zerrfittet ward und nod) entzweiet wird, 

> bloß davon herrühre, daß durd) einen ſchlimmen Hang der menſchlichen 
Natur, was beim Anfange zur Zutroduction des lebtern dienen jollte, 
nämlich die an den alten Geichichtsglauben gewöhnte Nation durd) ihre 
eigene Borurtheile für die neue zu gewinnen, in der Yolge zum Funda— 
ment einer allgemeinen Weltreligion gemadjt worden. 

20 ragt man num: welde Zeit der ganzen bisher bekannten Kirchen— 
geihichte die beite jei, jo trage ich fein Bedenken, zu jagen: es ift die 
jetige, und zwar fo, daß man ben Keim des wahren Neligionsglaubens, 
jo wie er jet in der Ehriftenheit zwar nur von einigen, aber doch öffent- 
lich gelegt worden, nur ungehindert fi) mehr und mehr darf entwideln 

» Jaffen, um davon eine continuirliche Annäherung zu derjenigen alle Men— 
ſchen auf immer vereinigenden Kirche zu erwarten, die die fihtbare Vor- 
ftellung (das Schema) eines unfichtbaren Neiches Gottes auf Erden aus- 

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132 Religion Inmerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stück. 


macht. — Die in Dingen, welche ihrer Natur nad) moraliih und jeelen- 
befjernd fein follen, fi) von der Laſt eines der Willfür der Ausleger be- 
ftändig ausgejeßten Glaubens loswindende Vernunft hat in allen Ländern 
unjers Welttheils unter wahren Religionsverehrern allgemein (wenn gleich 
nicht allenthalben öffentlich) erftlich den Grundfaß der billigen Be- 
iheidenheit in Ausſprüchen über alles, was Offenbarung beißt, ange- 
nommen: daß, da niemand einer Schrift, die ihrem praktiſchen Snhalte 
nad) lauter Göttliches enthält, nicht die Möglichkeit abftreiten kann, fie 
koͤnne (nämlich in Anfehung deſſen, was darin hiſtoriſch ift) aud wohl 
wirklich als göttliche Offenbarung angejehen werden, imgleihen die Ver— 
bindung der Menſchen zu einer Religion nicht füglic ohne ein heiliges 
Bud und einen auf dafjelbe gegründeten Kirdenglauben zu Stande ge- 
bracht und beharrlich gemacht werden kann; da auch, wie der gegenwärtige 
Zuſtand menſchlicher Einficht beihaffen ift, wohl jchwerlic jemand eine 
neue Offenbarung, durch neue Wunder eingeführt, erwarten wird, — es 
das Vernünftigite und Billigfte fei, das Bud, was einmal da ift, ferner: 
bin zur Grundlage des Kirchenunterrichts zu brauchen und feinen Werth) 
nit durch unnüße oder muthwillige Angriffe zu ſchwächen, dabei aber 
aud) feinem Menſchen den Glauben daran als zur Seligfeit erforderlich 
aufzubringen. Der zweite Grundjaß ift: dab, da die heilige Geſchichte, 
die bloß zum Behuf des Kirchenglaubens angelegt ift, für ſich allein auf 
die Annehmung moraliiher Marimen ſchlechterdings feinen Einfluß 
haben kann und foll, ſondern diefem nur zur lebendigen Darftellung ihres 
wahren Objects (der zur Heiligkeit hinftrebenden Tugend) gegeben ift, 
fie jederzeit als auf das Moraliſche abzwedtend gelehrt und erflärt werden, 
hierbei aber auch forafältig und (weil vornehmlich der gemeine Menſch 
einen beftändigen Hang in fidh bat, zum paifiven*) Glauben überzu- 


*) Eine don den Urſachen dieſes Hanges Liegt in dem Sicherheitsprincip: 
Wie Bl ee ten, be a gebeten mb rgagen in, Deren Belehrung 


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134 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Dritte! Stück 


der hierdurch einer in diefem Falle heiligen Freiheit geſchieht, ungerechnet, 
dem Staate ſchwerlich gute Bürger verjchaffen kann. Wer von denen, 
die fih zur Verhinderung einer joldyen freien Entwidelung göttliher An- 
lagen zum Weltbeſten anbieten, oder fie gar vorjchlagen, würde, wenn er 
mit Zuratheziehung des Gewifſſens darüber nachdenkt, ſich wohl für alle 
das Böle verbürgen wollen, was aus joldhen gewaltthätigen Eingriffen 
entipringen kann, wodurch der von der Weltregierung beabfihtigte Yort- 
gang im Guten vielleicht auf lange Zeit gehemmt, ja wohl in einen Rüd- 
gang gebracht werden dürfte, werın er gleich durch feine menjchliche Macht 
und Anftalt jemals gänzlich aufgehoben werden kann. 

Das Himmelreich wird zuleßt auch, wa3 die Zeitung der Vorſehung 
betrifft, in diefer Geſchichte nicht allein als in einer zwar zu gewiſſen 
Zeiten verweilten, aber nie ganz unterbrodenen Annäherung, jondern 
aud in jeinem Eintritte vorgeftelt. Man kann es nun als eine blog zur 
größern Belebung der Hoffnung und des Muths und Nachſtrebung zu 
demfelben abgezweckte ſymboliſche Borftellung auslegen, wenn dieſer Ge⸗ 
Ihichtserzählung noch eine Weifſſagung (gleich als in ibyllinifhen Büchern) 
von der Vollendung diefer großen Heltveränderung in dem Gemälde eines 
fihtbaren Reichs Gottes auf Erden (unter der Regierung feines wieder 
berabgefommenen Stellvertreters und Statthalters) und der Slüdfeligfeit, 
die unter ihm nad) Abjonderung nnd Ausftogung der Rebellen, die ihren 
Widerſtand noch einmal verſuchen, hier auf Erden genojjen werden Toll, 
ſammt der günzlichen Pertilgung derfelben und ihres Anführers (in der 
Apofalypfe) beigefügt wird, und jo da3 Ende der Belt den Beſchluß 
der Geſchichte macht. Der Lehrer des Evangeliums hatte feinen Jüngern 
das Reich Gottes auf Erden nur von der herrlichen, jeelenerbebenden, 
moraliichen Seite, nämlich der Würdigkeit, Bürger eines göttlichen Staats 
zu jein, gezeigt und fie dahin angewieien, was fie zu thun hätten, nicht 
allein um ſelbſt dazu zu gelangen, fondern fich mit andern Sleichgefinnten 
und wo möglid mit dem ganzen menſchlichen Geſchlecht dahin zu ver: 
einigen. Was aber die Glüchſeligkeit betrifft, die den andern Iheil der 
unvermeidlichen menſchlichen Wünſche ausmacht, fo ſagte er ihnen vor: 
aus: daß fie auf dieje fi in ihrem Erdenleben feine Rechnung maden 





mäblid) von jelbſt ſchwinden mus, Dieter außere hingegen alle freiwillige sortichritte 
in der ethiſchen Gemeinichaft der Gläubigen, die dad Welten der wahren Kirche 
ausmacht, verhindert und die Form derfelben ganz polititihen Verordnungen 
unterwirft. 


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em deuz Siege des zuten Brumeps ter das wie, vo 


möchten. (Er herettere. jte. melmehr vor, auf Ne grogten Truͤbjuie und 
Zufapferuuger. gefagt ;u jet; Doch tete cr weil cine gunzliche Verzicht⸗ 
uumg auf das Bimjiidhe der Siückfeiigkeit dem Menſchen, 'v lange er 
inirt. nicht zugermuttier. werden fanm; hinzu: „Seid rohiich und getroſt, 
; wird ech im Simmel wohl vergoiten werden?“ Der angeführte Zu⸗ 
ug zır Gedichte ver Airche, der Ins künftige und legte Schickful dereiben 
berrifft, rteflt Biete num endlich als trriumpbirend, d. i. um allen uͤber⸗ 
mundenen Hinderniiſen als mit $lüdfeligfeit noch hier auf Erden vekront, 
sor. — Tie Shernng der Guten von den Böſen, die muhren? der Fort⸗ 
„ Arie ter irche zu ihrer Roflfonmmenheit diefem Zwecke nicht zutraglich 
gewmefen fein wiirde indem vie Nermiichung beider untereinunder gerude 
das nothig war, theils um den eritern zum Wesitein fer Tugend zu 
dienen. theils um die andern durch ihr Beiipiel vum Vöſen abzuziehen), 
wird uuch voſſendeter Errichtung des gõttlichen Stauts als die legie Toige 
derieſben vorgeſteſſt: mo noch der letzte Beweis feiner Feſtigleit, als Macht 
kerruchtet. fein Sieg ũber alle cußere Feinde, die eben fomohl auch als 
iz einem Siuure dem Höollenftaut betrachtet werden, hinzugefügt wird, 
wowit dant alles Erdenſeben ein Ende hat, indem der legte Feuid ir 
gutex Nenfchen, der Tod, aufgehoben wird', und um beiden Theile, 
» DENE EINEN zume Deil, dem andern zum Verderben, Unfterblichlett anhedt, 
die Fom einer Kirche jelbit aufgelöfet wird, der Statthalder auf Erden 
mit 3ex zu ihm als Himmelsbürger erhabenen Menjchen in eine Klare 
tritt, un je Gott alles in allem tft.” 
Diefe Zorftellung einer Gefhihtserzählung der Rachwelt, Die ſedſt 
> feine Geſchichte iſt, if ein Ichönes Ideal der durch Einführung der 
wahren allgemeinen Religion bewirkten moraliihen. tur Glauden vor: 


* Ziwier Amidruf kam (wenn man das Geheintnißvolle, Über alle Graugou 
möglicdyer Erfahrung Gimausreichende, bloß zur beiligen Gech ich de der Merchdeit 
Gehörige, ums alte praftiich nichts Angehende bei Seite jegt' ſo verſtauden weorden. 

» daR der Geidhichtäglaube, der al3 Kirchenglaube ein deiliges ud zum vdeitbande 
der MReuichen bedarf, aber eben dadurch die Einbeit und Alugeineinheit Der Xvche 
verhindert, felbit aufhören und in einen reinen, für alle Welt gleich einleuchtenden 
Religiousglauben übergehen werde: wohin wir dann öſchon jetzt durch andaltende 
Entwidelung der reinen Bemunftreligion aus jener gegemvärtig noch nicht entbehr 

z fichen Hülle fleißig arbeiten tollen. 

r Richt daß er aufböre (denn vielleicht may er als Vedikel immer niglich 
und nöthig fein), ſondern aufhören fünne; womit wur die innere Keſtigleit De 
reinen moraliſchen Glaubens gemeint ift. 




















ausgejehenen Weltepoche bis zu ihrer Vollendung, die wir nicht als 
empirische Vollendung abjehen, jondern auf die wir nur im continnirs 
lien Fortjchreiten und Annäherung zum höchſten auf Erden möglichen 
Guten (worin nichts Myftifches it, fondern alles auf moralifche Weiſe 
natürlich zugeht) hinausſehen, d. i. dazu Anftalt machen können. Die 
Erjheinung des Antichriſts, der Chiliasm, die Ankündigung der Naheit 
des MWeltendes fönnen vor der Vernunft ihre gute ſymboliſche Bedeutung 
annehmen, und die lektere, als ein (jo wie das Lebensende, ob nahe oder 
fern) * rg zu fehendes Ereigniß vorgeftellt, drüdt ſehr gut die 

| aus, jederzeit darauf in Bereitihaft zu ftehen, in der 


Staats anzufehen. „Wenn fommt nun aljo das Reid Gottes?" — 
„Das Neid; Gottes fommt nicht in fihtbarer Geſtalt. Man wird aud) 
nicht jagen: fiehe, hier oder da iftes. Denn jehet, das Reich Öottes 
— — in euch!“ (2uc. 17, 21 bis 22)+) 


N ‚Hier wird nun ein Reich Gottes, nicht nach einem befonderen Bunde (fein 
Ben ein moralifches (duch bloße Vernunft erfennbares) vor- 


Geſchichte ziehen, er da wird es in das meifianifche Reich nad) dem alten, 
ober nad) dem neuen Bumde eingetheilt. Nun ift e3 merlwürdig: daß die Ber- 
ehrer des eriteren (bie Juden) ſich noch als folche, obzwar in alle Welt 

erhalten haben, indeſſen dab anderer Religionsgenoſſen ihr Glaube mit dem Glauben 
Volls, worin fie gerftreut worden, gewöhnlich zufammenfchmolz. Diejes Pha- 
bünft vielen jo wunderſam zu fein, daß fie ed nicht wohl ald nad dem 
ber Natur möglich, ſondern ald auferorbentliche Veranftaltung zu einer be- 
göttlichen Abſicht beurtheilen. — ber ein Bolf, das eine gejchriebene 
(heilige Bücher) hat, ſchmilzt mit einem ſolchen, was (mie das römifche 


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Bon dem Siege bes guten Princips über bas böfe. 137 


Allgemeine Anmerkung. 

In allen Glaubensarten, die fid) auf Religion beziehn, ftöht das 
Nachforſchen Hinter ihre innere Beſchaffenheit unvermeidlid auf ein 
Geheimniß, d. i. auf etwas Heiliges, was zwar von jedem Einzelnen 
gekannt, aber doch nicht öffentlich) befannt, d. i. allgemein mitgetheilt, 
werden fan. — Als etwas Heiliges muß es ein moraliſcher, mithin 
ein Gegenftand der Vernunft fein und innerlic für den praftiihen Ge- 
braud hinreichend erfannt werden fünnen, aber als etwas Geheimes 
doch nicht für den theoretifchen: weil es alsdann auch jedermann müßte 
mittheilbar fein und aljo aud) äußerlich und öffentlidy befannt werden 
fönnen. 

Der Glaube an etwas, was wir doch zugleid) als heiliges Geheim— 
niß betrachten follen, fann num entweder für einen göttlich eingegebe- 


boten ift, im ihren heiligen Büchern zu lejen), der Vermiſchung mit fremdem Glauben 
nicht entgangen find, Was die Ruben aber für ſich allein dennoch nicht würden 
bewirkt haben, das that bie chriftliche und fpäterhin die mohammebaniiche Religion, 
vornehmlich die erftere: weil fie den jübifchen Glauben und bie dazu gehörigen heili« 
gen Bücher vorausfeben (wenn gleich die letztere fie für verfälfcht ausgiebt). Denn 
bie Suben fonnten bei den von ihnen ausgegangenen Ghriften ihre alten Documente 
immer wieber auffinden, wenn jie bei ihren Wanderungen, wo bie Gejchiclichfeit 
fie zu lefen und baber bie Luft fie zu befiten vielfältig erlofchen fein mag, nur bie 
Erinnerung übrig behielten, daß fie deren ehedem einmal gehabt hätten. Daher 
trifft man aufer ben gedachten Ländern auch feine Suden, wenn man bie wenigen 
auf ber Malabarfüjte und etwa eine Gemeinde in China ausnimmt (von welchen 
bie erjteren mit ihren Glaubensgenofien in Arabien im beitändigen Hanbelsverfehr 
fein Fonnten), obgleich nicht zu zweifelm ift, daß fie ſich nicht in jene reichen Yänber 
auch jollten ausgebreitet haben, aber aus Mangel aller Berwanbtfchaft ihres 
Glaubend mit den dortigen &laubensarten im völlige Bergefienheit des ihrigen 
gerathen find. Erbauliche Betrachtungen aber auf diefe Erhaltung des jüdijchen 
Bolls ſammt ihrer Religion ımter ihnen jo nachtheiligen Umſtänden zu gründen, ift 
eſhhr miß lich, weil ein jeber beider Theile babei jeine Nechnung zu finden glaubt. 
Der eine fieht in der Erhaltung des Volls, wozu er gehört, und feines ungeachtet 
ber Zerſtreuung unter jo mancherlei Völker unvermiſcht bleibenden alten Glaubens 
ben Beweis einer dafjelbe für ein Fünftiges Erdenreich aufjparenden bejonderen 
gütigen Vorſehung; der andere nichts ald warnende Ruinen eines zerjtörten, bem 
eintretenden Himmelreich ſich widerfehenden Staats, die eine befondere Vorſehung 
noch immer erhält, theils um die alte Weiffagung eines von dieſem Bolfe aus: 
gehenden Meſſias im Andenken aufzubehalten, theild um ein Beifpiel der Straf. 
gerechligfeit, weil es fich hartnädigerweife einen politifchen, nicht einen moralijchen 
Begriff von dbemielben machen wollte, an ihm zu ſtatuiren. 








nen, oder einen reinen Vernunftglauben gehalten werden. Ohne 
durd) die größte Noth zur Annahme des erften gedrungen zu fein, werden 
wir es uns zur Marime machen, es mit dem leßtern zu halten. — Gefühle 
find nit Erfenntniffe und bezeichnen alfo aud) Fein Geheimniß, und da 
das legtere auf Vernunft Beziehung hat, aber doch nicht allgemein mit- 
getheilt werden fann, jo wird (wenn je ein ſolches ift) jeder es nur in 
jeiner eignen Vernunft aufzufuchen haben. 

Es iſt unmöglid), a priori und objectiv auszumadhen, ob es der- 
gleichen Geheimniſſe gäbe, oder nicht. Wir werden alfo in dem Innern, 
dem Subjectiven unferer moralifhen Anlage, unmittelbar nachſuchen 
müfjen, um zu fehen, ob ſich dergleichen in uns finde. Doch werden wir 
nicht die ung unerforſchlichen Gründe zu dem Moraliſchen, was ſich zwar 
öffentlich mittheilen läßt, wozu uns aber die Urſache nicht gegeben ift, 
jondern das allein, was uns fürs Erkenntniß gegeben, aber doch einer 
öffentlichen Mittheilung unfähig ift, zu den heiligen Geheimniffen zählen 
dürfen. So ijt die Freiheit, eine Eigenfdaft, die dem Menſchen aus der 
Beitimmbarkeit feiner Willkür durd) das unbedingt moraliſche Gefeß Fund 
wird, fein Geheimniß, weil ihr Erfenntniß jedermann mitgetheilt 
werden kann; der uns unerforſchliche Grund diejer Eigenſchaft aber iſt 
ein Geheimniß, weiler uns zur Erfenntnig nicht gegeben ift. Aber 
eben dieje Freiheit iſt aud) allein dasjenige, was, wenn fie auf das letzte 
Objeet der praktiſchen Vernunft, die Realifirung der Idee des moraliſchen 
—— angewandt wird, uns unvermeidlich auf heilige Geheimniſſe 


ee aller Materie der Welt uns 
unbefannt, dermaßen daß man noch dazu einjehen fann, fie koͤnne von und nie 
erfann de 22 erſte und unbedingt ihr ſelbft 
belwohnen Farin BERN Sein * fonbern 
genacht werben, weil ihe Geſeh hinreichend erfannt it. Wenn 

mie die gti Allgegemvart in der Erſcheinung (omni- 
non) NIE ——— fie zu erflären (denn 


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Don bem Siege bes guten Princips Aber bas böfe. 139 


Weil der Menſch die mit der reinen moralijhen Gefinnung unzer: 
trennlid verbundene Idee des höchſten Guts (nicht allein von Seiten der 
dazu gehörigen Glüdjeligkeit, jondern auc) der nothwendigen Bereinigung 
der Menſchen zu dem ganzen Zwed) nicht ſelbſt realifiren kann, gleich- 
wohl aber darauf hinzumirfen in fich Pflicht antrifft, jo findet er fid) zum 
Glauben an die Mitwirkung oder Veranftaltung eines moralifchen Welt» 
herrſchers hingezogen, wodurch diefer Zweck allein möglich ift, und nun 
eröffnet ji) vor ihm der Abgrund eines Geheimnifjes von dem, was 
Gott hiebei thue, ob ihm überhaupt etwas und was ihm (Gott) be- 
o jonders zuzuſchreiben ſei, indejjen daß der Menſch an jeder Pflicht nichts 
anders erkennt, als was er jelbft zu thun habe, um jener ihm unbekannten, 
wenigſtens unbegreiflichen Ergänzung würdig zu fein. 

Dieje Idee eines moraliihen Weltherrihers ijt eine Aufgabe für 
unjere praktiſche Vernunft. Es liegt uns nicht ſowohl daran, zu willen, 
was Gott an ſich jelbjt (feine Natur) ei, jondern was er für uns als mo— 
raliſche Weſen jei; wiewohl wir zum Behuf diefer Beziehung die göttliche 
Naturbeſchaffenheit jo denken und annehmen müſſen, als es zu diefem 
Derhältnifje in der ganzen zur Ausführung feines Willens erforderlichen 
Bolllommenheit nöthig ift (3. B. als eines unveränderlichen, allwiffenden, 
allmädjtigen ıc. Wejens), und ohne diefe Beziehung nichts an ihm erfennen 
fönnen. 

Diefem Bedürfnifje der praktiichen Vernunft gemäß ift nun der all- 
gemeine wahre Neligionsglaube der Glaube an Gott 1) als den allmädti- 
gen Schöpfer Himmels und der Erden, d. i. moraliſch als heiligen Ge- 
jebgeber, 2) an ihn, den Erhalter des menſchlichen Geſchlechts, als güti— 
gen Regierer und moraliſchen Verſorger dejjelben, 3) an ihn, den Ver: 
walter jeiner eignen heiligen Gejebe, d. i. als gerechten Nidter. 


bie Grenzen aller unferer Einficht hinaus. — Es giebt Geheimniffe, Verborgen- 
beiten (arcana) der Nalur, es kann Geheimniffe (Geheimhaltung, secreta) der Politik 
geben, die nicht Öffentlich befannt werden jollen; aber beide können uns doch, 
fo fern fie auf empirischen Urfachen beruhen, bekannt werden. In Anjehung deſſen, 
was zu erfennen allgemeine Menfchenpflicht ift, (mämlich des Moralifchen) kann es 
fein Geheimmiß geben, aber in Anfehung beifen, was nur Gott thun kann, wozu 
eiwas jelbit zu thun unſer Vermögen, mithin auch unfere Pflicht überfteigt; da 
fan es nur eigentliches, nämlich heiliges Geheimniß (mysterium) der Religion 
geben, wovon uns eiwa nur, daß e3 ein folches gebe, zu willen und es zu ber 
ftehen, nicht eben es einzufehen, nüglich fein möchte. 






































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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 141 


Weil aber doch diefer Glaube, der das moraliihe Verhältniß der 
Menſchen zum höchſten Wejen zum Behuf einer Religion überhaupt von 
ſchädlichen Anthropomorphismen gereinigt und der ächten Sittlichkeit 
eines Volfs Gottes angemefjen bat, in einer (der chriſtlichen) Glaubens 
lehre zuerft und in derjelben allein der Welt öffentlich aufgeftellt worden: 
jo fann man die Bekanntmachung dejjelben wohl die Offenbarung des- 
jenigen nennen, was für Menjhen durd ihre eigene Schuld bis dahin 
Geheimniß war. 

In ihr nämlid heißt e8 erftlich: man foll den höchſten Geſetzgeber 
als einen ſolchen ſich nicht als gnädig, mithin nachſichtlich (indulgent) 
für die Schwäche der Menſchen, noch despotijch und bloß nad) feinem 
unbeſchraͤnkten Recht gebietend und jeine Geſetze nicht als willfürliche, mit 
unjern Begriffen der Sittlichkeit gar nicht verwandte, jondern als auf 
Heiligkeit des Menſchen bezogene Geſetze vorftellen. Zweitens, man muf 
feine Güte nicht in einem unbedingten Wohlwollen gegen feine Ge— 
ſchöpfe, jondern darein jeben, daß er auf die moraliihe Beichaffenheit 
derjelben, dadurch fie ihm wohlgefallen können, zuerft fieht und ihr 
Unvermögen, diejer Bedingung von felbjt Genüge zu thun, nur alsdann 
ergänzt. Drittens, jeine Gerechtigkeit fann nicht als gütig und ab- 
bittlich (weldhes einen Widerjprud enthält), noch weniger als in der 
Dualität der Heiligfeit des Gejeßgebers (vor der fein Menſch gerecht 
ift) ausgeübt vorgeftellt werden, jondern nur als Einfhränfung der Gü- 
tigfeit auf die Bedingung der Übereinftimmung der Menſchen mit dem 
heiligen Gejebe, jo weit fie als Menjchenfinder der Anforderung des 
legtern gemäß fein könnten. — Mit einem Wort: Gott will in einer drei= 
fachen, ſpecifiſch verſchiedenen moraliſchen Qualität gedient fein, für welche 
die Benennung der verjchiedenen (nicht phyſiſchen, fondern moralijchen) 
Perfönlichkeit eines und defjelben Mejens fein unjhidliher Ausdrud ift, 
welches Slaubensiymbol zugleich die ganze reine moraliſche Religion aus: 
drüdt, die ohne dieje Unterſcheidung ſonſt Gefahr läuft, nad) dem Hange 
des Menſchen, fid) die Gottheit wie ein menſchliches Oberhaupt zu denen, 


Thor, ben richtenben (ftrafenden) Gott. Selbſt die Juden fcheinen in ben letzten 
Beiten ihrer hierarchifchen Verfaſſung diefen Ideen nachgegangen zu fein. Denn 
in ber Auflage ber Pharijäer, daß Ehriftus fi einen Sohn Gottes genannt 
babe, jcheinen fie auf die Lehre, daß Bott einen Sohn habe, Fein befonderes Ge- 
wicht der Beicyuldigung zu legen, fondern nur darauf, dab Er biejer Sohn Gottes 
babe fein wollen. 


142 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermumft. Drittes Stüd. 


(weil er in feinem Regiment dieje dreifache Dualität gemeiniglich nicht 
von einander abjondert, jondern fie oft vermifcht oder verwechſelt) in einen 
anthropomorphiftiihen Frohnglauben auszuarten. 

Menn aber eben diefer Glaube (an eine göttliche Dreieinigkeit) nicht 
bloß als Vorftellung einer praktiſchen Idee, jondern als ein foldyer, der 
das, was Gott an ſich jelbft fei, vorftellen jolle, betrachtet würde, jo würde 
er ein alle menschlichen Begriffe überfteigendes, mithin einer Offenbarung 
für die menſchliche Faſſungskraft unfähiges Geheimniß fein und als ein 
ſolches in diefem Betracht angekündigt werden fünnen. Der Glaube an 
dafjelbe als Erweiterung der theoretiidhen Erkenntniß von der göttlichen 
Natur würde nur das Bekenntniß zu einem den Menſchen ganz unver— 
ſtändlichen und, wenn fie es zu verftehen meinen, anthropomorphiftiichen 
Symbol eines Kirdhenglaubens jein, wodurd) für die fittlihe Beſſerung 
nicht das mindefte ausgerichtet würde. — Nur das, was man zwar in 
praftijcher Beziehung gang wohl verftehen und einjehen kann, was aber 
in theoretifher Abfiht (zur Beftimmung der Natur des Objects an fi) 
alle unjre Begriffe überjteigt, ift Geheimniß (in einer Beziehung) und 
fann dod) (in einer andern) geoffenbart werden. Bon der lebtern Art ift 
das obenbenannte, weldyes man in drei uns durch unfre eigne Vernunft 
geoffenbarte Geheimnijje eintheilen fann: 

1. Das der Berufung (der Menjchen als Bürger zu einem ethi- 
ſchen Staat). — Wir fünnen uns die allgemeine unbedingte Unterwer- 
fung des Menſchen unter die göttliche Gejebgebung nicht anders denken, 
als ſofern wir uns zugleich als feine Geſchöpfe anjehen; eben jo wie 
Gott nur darum als Urheber aller Naturgejege angejehen werden kann, 
weil er der Schöpfer der Naturdinge ift. Es iſt aber für unſere Vernunft 
ſchlechterdings unbegreiflich, wie Wejen zum freien Gebrauch ihrer Kräfte 
erſchaffen jein jollen: weil wir nad) dem Princip der Eaujalität einem 
Weſen, das als hervorgebradht angenommen wird, feinen andern innern 
Grund feiner Handlungen beilegen können als denjenigen, welchen die 
hervorbringende Urſache in dafjelbe gelegt hat, durch welchen (mithin 
durch eine äußere Urſache) dann aud jede Handlung defielben bejtimmt, 
mithin diejes Wejen felbft nicht frei fein würde. Aljo läßt ſich die gött- 
liche, heilige, mithin bloß freie Weſen angehende Gejebgebung mit dem 
Degriffe einer Schöpfung derjelben durch unſere Vernunfteinficht nicht 
vereinbaren, jondern man muß jene jchon als erijtirende freie Weſen be- 
trachten, welche nicht durch ihre Naturabhängigfeit vermöge ihrer Schöp- 


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Bon dem Siege des guten Princips über das böfe. 143 


fung, jondern durch eine bloß moralifche, nad) Gejeken der Freiheit mög- 
liche Nöthigung, d.i. eine Berufung zur Bürgerſchaft im göttlichen Staate, 
bejtimmt werden. So ijt die Berufung zu diefem Zwecke moralifc ganz 
flar, für die Speculation aber ift die Möglichkeit diefer Berufenen ein un- 
durchdringliches Geheimniß. 

2. Das Geheimniß der Genugthuung. Der Menſch, jo wie wir 
ihn kennen, ift verderbt und keinesweges jenem heiligen Geſetze von felbft 
angemefjen. Gleihmwohl, wenn ihn die Güte Gottes gleihjam ins Dajein 
gerufen, d. i. zu einer befondern Art zu eriftiren (zum Gliede des Himmel- 
reichs) eingeladen hat, jo muß er and) ein Mittel haben, den Mangel feiner 
hierzu erforderlichen Tauglichkeit aus der Fülle feiner eignen Heiligkeit 
zu erjeßen. Diejes ijt aber der Spontaneität (welche bei allem morali- 
ihen Guten oder Böjen, das ein Menſch an fi) haben mag, vorausgejeßt 
wird) zumider, nach welcher ein ſolches Gute nicht von einem andern, ſon— 
dern von ihm ſelbſt herrühren muß, wenn es ihm foll zugerechnet werden 
können. — Es fann ihn alfo, joviel die Vernunft einfieht, fein andrer 
durch das Übermaß feines Wohlverhaltens und durd) fein Verdienft ver- 
treten; oder wenn diejes angenommen wird, jo kann es nur in moralijcher 
Abſicht nothwendig fein, es anzunehmen; denn fürs Bernünfteln ift es 
ein unerreichbares Geheimniß. 

3. Das Geheimniß der Erwählung. Wenn aud jene jtellver- 
tretende Genugthuung als möglicd eingeräumt wird, fo ift doch die mo— 
raliſch-gläubige Annehmung derjelben eine Willensbeftimmung zum Gu— 
ten, die ſchon eine gottgefällige Gefinnung im Menſchen vorausfeßt, die 


dieſer aber nad) dem natürlichen Verderben in fid) von felbjt nicht hervor- 


bringen fan. Daß aber eine himmlische Gnade in ihm wirken folle, die 
diejen Beiftand nicht nad) Verdienft der Werke, jondern durd) unbedingten 
Rakhſchluß einem Menſchen bewilligt, dem andern verweigert, und der 
eine Theil unfers Geſchlechts zur Seligfeit, der andere zur ewigen Ber: 
werfung auserjehen werde, giebt wiederum feinen Begriff von einer gött- 
lien Gerechtigkeit, jondern müßte allenfalls auf eine Weisheit bezogen 
werden, deren Regel für uns jchlechterdings ein Geheimniß ift. 

Über dieje Geheimnifje num, fofern fie die moralijche Lebensgeſchichte 
jedes Menjchen betreffen: wie es nämlich zugeht, daß ein ſittlich Gutes 
oder Böjes überhaupt in der Welt fei, und (ift das letztere in allen und 
zu jeder Zeit) wie aus dem letztern doc) das erftere entjpringe und in ir 
gend einem Menſchen hergeftellt werde; oder warum, wenn Diejes an 


144 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vermunft. Drittes Stüd. 


einigen gejchieht, andre doc davon ausgeſchloſſen bleiben, — hat uns 
Gott nichts offenbart und kann uns aud) nichts offenbaren, weil wir es 
dod) nicht verjtehent) würden. Es wäre, als wenn wir das, was ge 
ſchieht, am Menſchen aus feiner Freiheit erklären und uns begreiflid 
machen wollten, darüber Gott zwar durchs moraliihe Gejeß in uns 5 
feinen Willen offenbart hat, die Urſachen aber, aus welchen eine freie 
Handlung auf Erden geſchehe oder auch nicht gejchehe, in demjenigen 
Duntel gelafjen hat, in welchem für menſchliche Nachforſchung alles blei- 
ben muß, was als Gejhichte doch aud) aus der Freiheit nad) dem Geſetze 
der Urſachen und Wirkungen begriffen werden foll+F). Über die objective ı 
Negel unjers Verhaltens aber ift uns alles, was wir bedürfen, (durd) 
Vernunft und Schrift) hinreichend offenbart, und diefe Offenbarung ift 
zugleich für jeden Menjchen verftändlich. 

Daß der Menſch durchs moralifche Gejeß zum guten Lebenswandel 
berufen jei, daß er durch unauslöſchliche Achtung für dafjelbe, die in ihm 
liegt, aud) zum Zutranen gegen dieſen guten Geift und zur Hoffnung, ihm, 
wie es auch zugehe, genug thun zu fönnen, Verheißung in fid) finde, end- 
li, daß er, die leßtere Erwartung mit dem ftrengen ®ebot des eritern zu— 


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+) Man trägt gemeiniglid) fein Bedenken, ben Lehrlingen ber Neligion den 
Glauben an Geheimnifje zuzumuthen, weil, daß wir fie nicht begreifen, d. i. die 
Möglichkeit des Gegenjtandes berjelben nicht einjehen fünnen, und eben jo wenig 
zur Weigerung ihrer Annahme berechtigen Fönne, ald etwa bas Fortpflanzungäver- 
mögen organijcher Dlaterien, was auch fein Menich begreift und darum doch nicht 
anzunehmen gemweigert werben fann, ob es gleich ein Geheimniß für uns iſt und 
bleiben wird. Aber wir verjtehben doch jehr wohl, was biejer Ausbrud jagen 25 
wolle, und haben einen empirifchen Begriff von bem Gegenitande mit Bewußtiein, 
ba darin Fein Widerſpruch ſei. — Bon einem jeden zum Glauben aufgeitellten 
Geheimniffe fann man nun mit Recht forbern, daß man verftebe, was unter dem⸗ 
jelben gemeint jei; welches nicht dadurch geichiebt, dak man die Wörter, woburd) 
es angebeutet wirb, einzeln verſteht, db. i. damit einen Simm verbindet, fondern = 
daß fie, zufammen in einen Begriff geiaht, noch einen Sinn zulaffen müflen und 
nicht etwa babei alles Denen auägebe. — Dak, wenn man jeinerfeitd eö nur nicht 
am ernitlihen Wunſch ermangeln läßt, Bott dieſes Erkenntniß uns wohl durch 
Eingebung zukommen laffen Eönne, läßt ſich nicht denfen; denn es fann uns gar 
nicht inbäriren, weil die Natur unferes Verflandes deſſen unfäbig ift. EHI 

Tr) Daber wir, was freiheit fei, im praftiicher Beziehung (wenn von Pflicht 
die Rebe iſth gar wohl verfteben, im iheoretiicher Abſicht aber, was die Gaufalität 
derjelben (gleichiam ihre Natur) betrifft, ohne Wideripru nicht einmal daran 
benfen können, fle veriteben zu wollen. 


Bon bem Siege bes guten Princips über das böfe. 145 


ſammenhaltend, ſich als zur Rechenſchaft vor einen Richter gefordert be— 

fändig prüfen müfje: darüber belehren und dahin treiben zugleich Ver- 

nunft, Herz und Gewiſſen. Es ift unbejcheiden, zu verlangen, daß uns 
noch mehr eröffnet werde, und wenn dieſes geſchehen fein jollte, müßte er 
es nicht zum allgemeinen menſchlichen Bedürfnig zählen. 

Obzwar aber jenes, alle genannte in einer Formel befafjende, große 
Geheimniß jedem Menſchen durch feine Vernunft als praftifch notwendige 
Religionsidee begreiflic gemacht werden fann, jo kann man doch jagen, 
daß es, um moraliſche Grundlage der Religion, vornehmlich einer öffent- 
lichen, zu werden, damals allererjt offenbart worden, als es öffentlid) 
gelehrt und zum Symbol einer ganz neuen Religionsepodye gemadjt wurde. 
Solenne Formeln enthalten gewöhnlid) ihre eigene, bloß für die, welche 
zu einem bejfondern Verein (einer Zunft oder gemeinen Wejen) gehören, 
beftimmte, bisweilen myftijche, nicht von jedem verftandene Sprache, deren 
man ſich auch billig (aus Achtung) nur zum Behuf einer feierlichen Hand» 
lung bedienen jollte (wie etwa, wenn jemand in eine fid) von andern aus— 
jondernde Geſellſchaft als Glied aufgenommen werden joll). Das hödjite, 
für Menſchen nie völlig erreichbare Ziel der moraliſchen Volltommenheit 
endlicher Geſchöpfe ift aber die Liebe des Geſetzes. 

20 Diejer Idee gemäb würde es in der Religion ein Glaubensprincip 
jein: „Gott ift die Liebe ; in ihm fann man den Liebenden (mit der Liebe 
des moraliihen Wohlgefalleng an Menſchen, jo fern fie jeinem heili- 
gen Gejeße adäquat find), den Vater; ferner in ihm, jo fern er ſich in 
jeiner alles erhaltenden Idee, dem von ihm jelbjt gezeugten und geliebten 

» Urbilde der Menſchheit, darftellt, feinen Sohn; endlich auch, jo fern er 
diejes Wohlgefallen auf die Bedingung der Ilbereinftimmung der Men» 
ſchen mit der Bedingung jener Liebe des Wohlgefallens einihränft und 
dadurd als auf Weisheit gegründete Xiebe beweiit, den heiligen Geiſt“) 


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*) Diefer Geift, burch welchen bie Liebe Gottes als Seligmachers (eigentlich 

30 umfere biefer gemäße Gegenliebe) mit ber Gottesfurdit vor ihm als Gejehgeber, 
b.i. das Bebingte mit ber Bedingung, vereinigt wird, welcher aljo „als von beiden 
ausgehend“ vorgeftellt werben kann, iſt, außerdem daß „er in alle Wahrheit (Pflicht- 
beobadhtung) leitet“, zugleich ber eigentliche Richter der Menfchen (vor ihrem Ge: 
willen). Denn bad Richten kann im zwiefacher Bedeutung genommen werben: ent- 

as weber als das ber Berbienjt und Mangel des Verbienftes, oder Aber Schuld und 
Unſchulb. Gott, als die Liebe betrachtet (in feinem Sohn), richtet die Menfchen 

jo fern, als ihnen über ihre Schuldigfeit noch ein Verbienft zu jtatten fommen 

Kant’ Schriften Werte VI 10 


Pr 


146 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Drittes Stüd. 


verehren; eigentlich aber nicht in fo vielfacher Perſönlichkeit anrufen 
(denn das würde eine Verihiedenheit der Weſen andeuten, er ijt aber 


fann, und ba ift fein Ausfprud: würdig ober niht-würbig. Er jondert bie. 
jenigen al8 bie Geinen aus, denen ein ſolches noch zugerechnet werden fann. Die 
übrigen gehen leer aus. Dagegen ijt die Sentenz des Nichterd nach Geredhtig- 5 
feit (des eigentlich jo zu nennenden Richters unter ben Namen bes heiligen Geiftes) 
über bie, denen fein Verdienſt zu ftatten kommen fann: fchuldig oder unfchul- 
big, db. i. Berbammung ober Losſprechung. — Das Richten bedeutet im erften 
Falle die Ausfonderung ber Verbienten von ben Unverdienten, bie beiberjeits 
um einen Preis (ber Seligfeit) fich bewerben. Unter Verdienſt aber wirb hier 
nicht ein Vorzug der Moralität in Beziehung aufs Geſetz (in Anfehung deffen uns 
fein Überfhuß der Pflichtbeobachtung über unfere Schuldigkeit zutommen Tann), 
fondern in ®ergleihung mit andern Menſchen, was ihre moralifche Gefinnung be- 
trifft, verftanden. Die Würbdigfeit hat immer auch nur negative Bebeutimg 
(nichtrummviürbig), nämlich der moraliſchen Empfänglichfeit für eine ſolche Güte. — 
Der aljo in der eriten Qualität (als Brabeuta) richtet, fällt das Urtheil ber Wahl 
zwiichen zwei fi um ben! Preis (ber Geligleit) bewerbenden PBerjonen (ober 
Parteien); der in ber zweiten Qualität aber (der eigentliche Richter) die Sentenz 
über eine und diejelbe Perfon vor einem Gerichtähofe (dem Gewiſſen), der zwi— 
chen Anfläger und Sachwalter ben Rechtsausſpruch thut. — Wenn num angenommen 20 
wird, daß alle Menichen zwar unter ber Sünbenichuld jtehen, einigen von ihnen 
aber doch ein Verdienſt zu Statten fommen könne: fo findet ber Ausipruch des 
Richters aus Liebe ftatt, deffen Mangel nur ein Abweiſungsurtheil nad 
fich ziehen, wovon aber das Berdbammungsurtheil (indem ber Menſch aldbann 
bem Richter aus Gerechtigfeit anheim fällt) die unausbleibliche Folge jeiu würde. — 3 
Auf ſolche Weife fünnen meiner Meinung nad die jcheinbar einander wiberftreiten- 
den Sähe: „Der Sohn wird kommen, zu richten die Lebendigen und bie Tobten“, 
und andererſeits: „Bott bat ihn nicht in die Welt gefandt, daß er die Welt richte, 
fondern daß fie buch ihn felig werde“ (Ev. Sob. II, 17), vereinigt werben und 
mit dem in libereinftimmung ftehen, wo gefagt wird: „Wer an den Sohn nicht 0 
alaubet, ber iſt ſchon gerichtet” (V. 18), nämlich burch denjenigen Geift, von bem 

es heißt: „Er wird die Melt richten um der Sünde und um der Geredtigfeit 
willen“. — Die ängftliche Sorgfalt ſolcher Untericheidungen im Felde der bloken 
Bernunft, als für welche fie bier eigentlich angeftellt werden, fünnte man leicht für 
unmübe und Läftige Subtilität halten; fie würde es auch jein, wenn fie auf die Er- 3 
forfehung ber göttlichen Natur angelegt wäre. Allein da die Menjchen in ihrer 
Religionsangelegenheit beftändig geneigt find, ſich wegen ihrer Verſchuldigungen an 
bie göttliche Güte zu wenden, gleichwohl aber feine Gerechtigkeit nicht umgehen 
fünnen, ein gätiger Richter aber in einer und derielben Berjon ein Widerſpruch 
it, jo ſieht man wohl, daß felbft in praftiicher Nüdkficht ihre Begriffe hierüber jehr 40 
ichwantend und mit jich ſelbſt unzuſammenſtimmend fein müflen, ihre Berichtigung 
und genaue Beitimmung aljo von großer praftifcher Wichtigfeit fei. 


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Bon dem Siege bed guten Princips über das böſe 147 


immer nur ein einiger Gegenftiand), wohl aber im Namen des von ihm 
jelbft über alles verehrten, geliebten Gegenfiandes, mit dem es Wunſch 
und zugleih Pflicht ift, in moraliſcher Bereinigung zu ftehen. librigens 
gehört das theoretiſche Bekenntniß des Glaubens an bie göttliche Natur 
in diefer dreifachen Dualität zur blohen Haffilden Formel eines Kirdyen- 
glaubens, um ihn von andern aus hiftoriſchen Zuellen abgeleiteten @lan- 
bensartem zu unteriyeiben, mit welchem wenige Menſchen einen dentlichen 
und beitimmten (feiner Mibdeutung ansgejekten) Begriff zu verbinden im 
Stande find, und befien Erörterung mehr ben Lehrern in ihrem Berhält- 
niß zu einander (al3 philoſophiſchen und gelehrten Auslegern eines heili- 
gen Budys) zufommt, um fich über deſſen Sinn zu einigen, in welchen 
nicht alles für die gemeine Faffungskraft, oder aud für das Bebürfuig 
diejer Zeit ift, der bloße Buchſtabenglaube aber die wahre Religionöge- 
fiunung eher verdirbt als befiert. 


10° 


Der 
Philoſophiſchen Religionslehre 


Viertes Stüd. 


5 


Viertes Stück. 


Vom Dienſt und Afterdienſt unter der Herrſchaft des 
guten Prineips, 
oder 


Von Religion und Pfaffenthum. 


Es iſt ſchon ein Anfang der Herrſchaft des guten Princips und ein 
Zeichen, „daß das Reich Gottes zu uns fomme”, wenn auch nur die 
Grundjäße der Eonftitution dejjelben öffentlich zu werden anheben; 
denn das iſt in der Veritandeswelt jchon da, wozu die Gründe, die es 
allein bewirken können, allgemein Wurzel gefaßt haben, obſchon die voll— 
ftändige Entwidelung jeiner Erſcheinung in der Sinnenwelt nody in un— 
abjehlider Ferne hinausgerüdt ift. Wir haben gejehen, daß zu einem 
ethiſchen gemeinen Weſen ſich zu vereinigen eine Pflicht von bejonderer 
Urt (offieium sui generis) ſei, und daß, wenn gleid ein jeder feiner 
Privatpflicht gehorht, man daraus wohl eine zufällige Jufammen: 
ftimmung aller zu einem gemeinihaftlihen Guten, auch ohne daß dazu 
noch bejondere Beranftaltung nöthig wäre, folgern fünne, daß aber dod) 
jene Zufammenftimmung aller nicht gehofft werden darf, wenn nicht aus 
der Vereinigung derjelben mit einander zu eben demfelben Zwecke und 
Erridtung eines gemeinen Weſens unter moraliihen Geſetzen, als 
vereinigter und darum ftärferer Kraft, den Anfechtungen des böjen 
Princips (welchem Menjchen zu Werkzeugen zu dienen jonjt von einander 
felbft verjucht werden) fich zu widerjeben, ein bejonderes Gejchäfte ge 
madıt wird. — Wir haben auch gejehen, daß ein ſolches gemeines Weſen, 
als ein Reich Gottes, nur durd) Religion von Menjchen unternommen, 
und daß endlich, damit dieje öffentlich jei (weldjes zu einem gemeinen 
Weſen erfordert wird), jenes in der finnlihen Form einer Kirche vor- 


152 Religion innerhalb der Grenzen ber blofen Vernunft. Viertes Stüd. 


gejtellt werden könne, deren Anordnung alfo den Menſchen als ein Werf, 
was ihnen überlafjen ift und von ihnen gefordert werden fann, zu ftiften 
obliegt. 

Eine Kirche aber als ein gemeines Wejen nad) Neligionsgejeßen zu 
errichten, jcheint mehr Weisheit (jowohl der Einfidht als der guten ®e- 
finnung nad) zu erfordern, als man wohl den Menjdyen zutrauen darf, 
zumal das moraliſche Gute, welches durch eine joldye Beranftaltung be= 
abfichtigt wird, zu diefem Behuf ſchon an ihnen vorausgejegt werden 
zu müſſen ſcheint. In der That ift es auch ein widerfinnijcher Ausdrud, 
daß Menſchen ein Reid, Gottes ftiften follten (jo wie man von ihnen 
wohl jagen mag, daß fie ein Reich eines menſchlichen Monarchen errichten 
fönnen); Gott muß jelbjt der Urheber jeines Reichs fein. Allein da wir 
nicht willen, was Gott unmittelbar thue, um die Idee jeines Reichs, in 
welchem Bürger und Unterthanen zu fein wir die moraliſche Bejtimmung 
in uns finden, in der Wirklichkeit darzujtellen, aber wohl, was wir zu 
thun haben, um uns zu Gliedern bejjelben tauglid zu machen, jo wird 
diefe Idee, fie mag nun durch Vernunft oder durd Schrift im menſch— 
lihen Geſchlecht erwedt und öffentlich geworden jein, uns dod zur An- 
ordnung einer Kirche verbinden, von welcher im leßteren Fall Gott jelbit 
als Stifter der Urheber der Conſtitution, Menſchen aber dod als 
Glieder und freie Bürger diejes Reichs in allen Fällen die Urheber der 
Drganijation find; da denn diejenigen unter ihnen, welde der legtern 
gemäß die öffentlichen Geſchäfte derjelben verwalten, die Adminiftra- 
tion derſelben, als Diener der Kirche, jo wie alle übrige eine ihren Ge- 
jeßen untermorfene Mitgenofjenihaft, die Gemeinde, ausmaden. 

Da eine reine Vernunftreligion als öffentlicher Religionsglaube nur 
die bloße Idee von einer Kirche (nämlich einer unfichtbaren) verftattet, 
und die fihtbare, die auf Sakungen gegründet ift, allein einer Organi- 
jation dur Menſchen bedürftig und fäbig ift: jo wird der Dienft unter 
der Herrjhaft des guten Princips in der erften nicht als Kirchendienft 
angejehen werden fönnen, und jene Religion hat feine geſeßliche Diener, 
ald Beamte eines eihiihen gemeinen Wejens; ein jedes Glied defjelben 
empfängt unmittelbar von dem hoͤchſten Geſetzgeber jeine Befehle. Da 
wir aber gleihwohl in Anjehung aller unjerer Pflichten (die wir ins- 
gefammt zugleich als göttliche Gebote anzujchen haben) jederzeit im 
Dienjte Gottes ftehen, j6 wird die reine Bernunftreligion alle wohl- 
denkende Menſchen zu ihren Dienern (dob ohne Beamte zu jein) 


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spurius) wird die Überredung jemanden durch ſolche Handlungen zu dienen 
» berftanden, die in der That diejes jeine Abſicht rüdgängig machen. Das 

geihieht aber in einem gemeinen Wejen dadurd, dab, was nur den Werth 

eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu thun, für 

dasjenige ausgegeben und an die Stelle deſſen gejebt wird, was ung ihm 

unmittelbar wohlgefällig made; wodurd dann die Abſicht des letzteren 
»s vereitelt wird. 


Erfter Theil. 
Vom Dienft Gottes in einer Religion überhaupt. 


Religion ift (fubjectiv betrachtet) das Erfenntniß aller unferer 
Pflichten als göttliher Gebote*). Diejenige, in welcher ich vorher wiſſen 


30 *) Durch diefe Definition wird mancher fehlerhaften Deutung bed Begriffs 
einer Religion überhaupt vorgebeugt. Erftlich: daß im ihr, was das theoretifche 
Erkenniniß und Belenntnih betrifft, kein aflertoriiches Willen (felbft bed Dafeind 
Gottes nicht) gefordert wird, weil bei dem Mangel unferer Einficht überfinnlicher 
Gegenftände dieſes Bekenntniß ſchon geheuchelt fein Fönnte; fonbern nur ein ber 

3 Gpeculation nad) über die oberjte Urfache der Dinge problematifches Annehmen 





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erfennen, ift die geoffenbarte (oder einer Offenbarung benöthigte) 


Religion: dagegen diejenige, in der ich zuvor wien muß, daß etwas 
natürliche Religion. — Der, welcher bloß die natürliche Religion für > 


moralifchenothwendig, d.i. für Pflicht, erklärt, kann aud) der Nationalift 


übernatürlichen göttlichen Offenbarung verneint, jo heißt er Naturalift; 
läht er nun diefe zwar zu, behauptet aber, daß fie zu kennen und für 


(in Glaubensjadhen) genannt werden. Wenn diejer die Wirklichkeit aller 


muß, daf etwas ein göttliches Gebot fei, um es als meine Pflicht anzu⸗ 
Pflicht fei, ehe ich es für eim göttliches Gebot anerkennen kann, ift die 











Bom Dienjt und Afterdienft unter der Herrichaft bes guten Principe. 155 


wirflid anzunehmen zur Neligion nicht nothwendig erfordert wird, fo 
würde er ein reiner Nationalift genannt werden können; hält er aber 
den Glauben an diejelbe zur allgemeinen Religion für nothwendig, jo 
würde er der reine Supernaturalift in Glaubensjadhen heißen können. 

5 Der Rationalift muß ſich vermöge diejes feines Titels von ſelbſt 
ſchon innerhalb der Schranfen der menſchlichen Einficht halten. Daher 
wird er nie als Naturalift abjprehen und weder die innere Möglichkeit 
der Offenbarung überhaupt, noch die Nothwendigkeit einer Offenbarung 
als eines göttlichen Mittels zur Introduction der wahren Neligion bes 

io fireiten; denn hierüber kann fein Menſch durd Vernunft etwas aus— 
machen. Aljo kann die Streitfrage nur die wechjeljeitigen Anſprüche des 
reinen Rationaliften und des Supernaturalijten in Glaubensſachen, oder 
dasjenige betreffen, was der eine oder der andere als zur alleinigen 
wahren Religion nothwendig und hinlänglich, oder nur als zufällig an 

ıs ihr annimmt, 

Wenn man die Religion nit nad ihrem erften Urfprunge und 
ihrer innern Möglichkeit (da fie in natürliche und geoffenbarte eingetheilt 
wird), jondern bloß nad) der Beichaffenheit derjelben, die fie der äußern 
Mittheilung fähig macht, eintheilt, jo fann fie von zweierlei Art jein: 

»o entweder die natürliche, von der (wenn fie einmal da iſt) jedermann 
durd; jeine Vernunft überzeugt werden fann, oder eine gelehrte Re— 
ligion, von der man andere nur vermittelft der Gelehrſamkeit (in und 
durch welche fie geleitet werden müfjen) überzeugen kann. — Dieſe Unter- 
ſcheidung ift jehr wichtig, denn man kann aus dem Urjprunge einer 

s Religion allein auf ihre Tauglichfeit oder Untauglichkeit, eine allgemeine 
Menjchenreligion zu fein, nichts folgern, wohl aber aus ihrer Beſchaffen— 
beit allgemein mittheilbar zu jein, oder nicht; die erjtere Eigenſchaft aber 
madt den wejentlihen Charakter derjenigen Religion aus, die jeden 
Menſchen verbinden joll. 

” Es kann demnach eine Religion die natürliche, gleihwohl aber 
aud) geoffenbart jein, wenn fie jo beichaffen ift, daß die Menſchen durch 
den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft auf fie von jelbft Hätten fommen 
fönnen und jollen, ob fie zwar nicht jo früh, oder in fo weiter Aus- 
breitung, als verlangt wird, auf diefelbe gefommen fein würden, mithin 

» eine Offenbarung derjelben zu einer gewiffen Zeit und an einem gewifjen 
Ort weile und für das menſchliche Geſchlecht jehr erſprießlich jein fonnte, 
jo doch, daß, wenn die dadurd) eingeführte Religion einmal da ift und 


156 "Religion innerhalb der Grenzen der blohen Vernunft. Viertes Stüd. 


öffentlich befannt gemacht worden, forthin jedermann ſich von diejer ihrer 
Wahrheit dur ſich jelbit und feine eigene Vernunft überzeugen kann. 
In diefem Falle ift die Religion objectiv eine natürliche, obwohl ſub⸗ 
jectiv eine geoffenbarte; weshalb ihr aud) der erftere Namen eigentlich) 
gebührt. Denn es könnte in der Folge allenfalls gänzlich in Bergefjenheit 
‚ kommen, daß eine joldhe übernatürlie Dffenbarung je vorgegangen 
jet, ohne daß dabei jene Religion doch das mindejte weder an ihrer 
Faßlichkeit, noch an Gewißheit, nod an ihrer Kraft über die Gemüther 
verlöre, " Mit der Religion aber, die ihrer innern Beſchaffenheit wegen 
nur als geoffenbart angejehen werden fann, ift es anders bewandt. Wenn 
fie nit in einer ganz fihern Tradition oder in heiligen Büchern als 
Urkunden aufbehalten würde, jo würde fie aus der Welt verjchwinden, 
und e8 müßte entweder eine von Zeit zu Zeit öffentlich wiederholte, oder 
in jedem Menſchen innerlich eine continuirlid) fortdauernde übernatürliche 
Dffenbarung vorgehen, ohne welche die Ausbreitung und Fortpflanzung 
eines folden Glaubens nicht möglid) jein würde. 

Aber einem Theile nad wenigftens muß jede, ſelbſt die geoffenbarte 
Religion doch auch gewifje Principien der natürlichen enthalten. Denn 
Dffenbarung fann zum Begriff einer Religion nur durd) die Vernunft 
hinzugedacht werden, weil diefer Begriff jelbft, als von einer Berbindlid- 
keit unter dem Willen eines moralijhen Gejeggebers abgeleitet, ein 
reiner Bernunftbegriff ift. Alſo werden wir ſelbſt eine geoffenbarte 
Religion einerjeits no als natürliche, andererjeits aber als gelehrte 
Religion betraditen, prüfen und, was oder wie viel ihr von der einen 
ober der andern Duelle zuftehe, unterjheiden können 

Es läßt ſich aber, wenn wir von einer geoffenbarten (wenigftens 
einer dafür angenommenen) Religion zu reden die Abſicht haben, diejes 
nicht wohl thun, ohne irgend ein Beijpiel davon aus der Geſchichte her⸗ 
zunehmen, weil wir uns doc Fälle als Beijpiele erdenten müßten, um 
ne — welcher Fälle Moͤglichteit uns aber ſonſt beſtritten 

Wir können aber nicht beſſer thun, als irgend ein Buch, 
Beides erlegen enthält, vornchnii ein jet, welches mit fitilichen, 


ww 


Vom Dienft und Afterdienft unter der Herrichaft des guten Principe. 157 


fahrens, das, was uns darin reine, mithin allgemeine Vernunftreligion 
jein mag, herauszufuchen, vor ung nehmen, ohne dabei in das Geſchäfte 
derer, denen die Auslegung defielben Buchs als Inbegriff pofitiver 
Dffenbarungslehren anvertraut ift, einzugreifen und ihre Auslegung, die 
fi auf Gelehrſamkeit gründet, dadurch anfechten zu wollen. Es ift der 
leßteren vielmehr vortheilhaft, da fie mit den Philojophen auf einen und 
denjelben Zwed, nämlich das Moraliſch-Gute, ausgeht, diefe durch ihre 
eigene Bernunftgründe eben dahin zu bringen, wohin fie auf einem 
andern Wege jelbft zu gelangen denkt. — Diejes Bud) mag nun hier das 
»» N.T. als Duelle der hriftlihen Glaubenslehre fein. Unſerer Abficht zu— 
folge wollen wir nun in zwei Abjchnitten erftlich die hriftliche Neligion 
als natürliche und dann zweitens als gelehrte Religion nad ihrem In— 
halte und nad) den darin vorkommenden Principien vorftellig machen. 


Des erften Theils 
15 erjter Abſchnitt. 
Die Hriftlihe Religion als natürliche Religion. 


Die natürliche Religion als Moral (in Beziehung auf die Freiheit 
des Subjects), verbunden mit dem Begriffe desjenigen, was ihrem legten 
Zwede Effect verihaffen kann, (dem Begriffe von Gott als moralijchem 

» Welturheber) und bezogen auf eine Dauer des Menjchen, die diefem gan 
zen Zwecke angemefjen ift (auf Unfterblicjfeit), ijt ein reiner praftijcher 
Bernunftbegriff, der ungeachtet feiner unendlichen Fruchtbarkeit doch nur 
jo wenig theoretifches Vernunftvermögen vorausjeßt, daß man jeden Men- 
jchen von ihr praktiſch hinreichend überzeugen und wenigjtens die Wirkung 

»s derjelben jedermann als Pflicht zumuthen kann. Sie hat die große Er- 
forberniß der wahren Kirche, nämlich die Dualification zur Allgemeinheit, 
in fi, jofern man darunter die Gültigkeit für jedermann (universitas vel 
omnitudo distributiva), d. i. allgemeine Einhelligfeit, verfteht. Um fie in 
dieſem Sinne als Weltreligion auszubreiten und zu erhalten, bedarf fie 

» freilich zwar einer Dienerjchaft (ministerium) der bloß unfihtbaren Kirche, 
aber feiner Beamten (officiales), d. i. Lehrer, aber nicht Vorſteher, weil 
durch Vernunftreligion jedes Einzelnen noch feine Kirche als allgemeine 
Bereinigung (omnitudo collectiva) eriftirt, oder auch durd) jene Idee 
eigentlich beabfichtigt wird. — Da fid) aber eine joldye Einhelligfeit nicht 


158 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft, Biertes Stüd. 


von jelbjt erhalten, mithin, ohne eine fihtbare Kirche zu werden, im ihrer 
Allgemeinheit nit fortpflanzen dürfte, jondern nur, wenn eine collective 
Allgemeinheit, d. i. Vereinigung der Gläubigen in eine (fihtbare) Kirche 
nad Principien einer reinen Bernunftreligion, dazu fommt, dieje aber 
aus jener Einhelligfeit nicht von ſelbſt entjpringt, oder auch, wenn fie er: 
richtet worden wäre, von ihren freien Anhängern (wie oben gezeigt wor- 
den) nicht in einen beharrlihen Zuſtand als eine Gemeinſchaft der 
Gläubigen gebradyt werden würde (indem Feiner von diefen Erleuchteten 
zu feinen Religionsgefinnungen der Mitgenofjenfchaft anderer an einer 
ſolchen Religion zu bedürfen glaubt): jo wird, wenn über die natürlichen, 
durd bloße Vernunft erfennbaren Gejege nicht noch gewiſſe jtatutarifche, 
aber zugleich mit gejeßgebendem Anjehen (Autorität) begleitete Verord- 
nungen hinzukommen, dasjenige doch immer noch mangeln, was eine be- 
jondere Pflicht der Menſchen, ein Mittel zum höchſten Zwede derjelben, 
ausmacht, nämlich die beharrliche Bereinigung derjelben zu einer allge ı; 
meinen ſichtbaren Kirche; welches Anjehen, ein Stifter derjelben zu fein, 
ein Factum und nicht bloß den reinen Bernunftbegriff vorausjeßt. 

Wenn wir num einen Lehrer annehmen, von dem eine Geſchichte (oder 
wenigftens die allgemeine, nicht gründlich zu beftreitende Meinung) jagt, 
daß er eine reine, aller Welt faßliche (natürliche) und eindringende Re— 
ligion, deren Lehren als uns aufbehalten wir desfalls ſelbſt prüfen können, 
zuerjt öffentlid und fogar zum Troß eines läftigen, zur moraliſchen Ab- 
ficht nicht abzwedenden herrſchenden Kirchenglaubens (defjen Frohndienft 
zum Beijpiel jedes andern in der Hauptſache bloß ftatutarifchen Glaubens, 
dergleichen in der Welt zu derjelben Zeit allgemein war, dienen fann) = 
vorgetragen habe; wenn wir finden, daß er jene allgemeine Vernunft: 
religion zur oberften unnachläßlichen Bedingung eines jeden Religions: 
glaubens gemacht habe und nun gewiſſe Statuta hinzugefügt habe, welche 
Formen und Objervanzen enthalten, die zu Mitteln dienen jollen, eine 
auf jene Principien zu grüändende Kirche zu Stande zu bringen: jo fann 
man umerachtet der Zufälligfeit und des Willfürlichen jeiner hierauf ab- 
zwedenden Anordnungen der leßteren dody den Namen der wahren allge 
meinen Kirche, ihm jelbit aber das Anjehen nicht ftreitig machen, die 
Menſchen zur Vereinigung in diejelbe berufen zu haben, ohne den Glau— 
ben mit nenen beläftigenden Anordnungen eben vermehren, oder aud) aus = 
den von ihm zuerſt getroffenen befondere heilige und für ſich jelbit als Re- 
ligionsftüde verpflichtende Handlungen machen zu wollen. 


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Man kann nach diefer Beihreibung die Perfon micht verfehlen, die 
zwar nicht ala Stifter der von allen Satungen reinen in aller Menſchen 
Herz geihriebenen Religiom (demm die ift nicht vom willfürlichen Ur 
ſprunge) aber doch der erften wahren Kirche verehrt werden kann. — 








Bas unbe Weraneliiciein werben fein fünnen; denn dieje find 
ı £3 allein, die fich felbft beweifen, und auf denen aljo die Beglaubigung 
der andern vorzüglid; beruhen muß. 
Zuerſt will er, daß nicht die Beobachtung äußerer bürgerlicher oder 
ſtatutariſcher Kirchenpflichten, fondern nur die reine moraliihe Herzens- 
gefinnung den Menſchen Gott wohlgefällig mahen könne (Matth. V, 
ıs 20-48); dab Sünde in Gedanken vor Gott der That gleich geachtet werde 
(B. 28) und überhaupt Heiligkeit das Ziel fei, wohin er jtreben joll 
dab 3. B. im Herzen hafjen jo viel fei als tödten (B. 22); daß 
ein dem Nächſten zugefügtes Unrecht nur dur Genugthuung an ihm 
ſelbſt, nicht durch gottesdienftlihe Handlungen fünne vergütet werden 
so (B.24), und im Punkte der Wahrhaftigkeit das bürgerliche Erpreſſungs— 
mittel®), der Eid, der Achtung für die Wahrheit jelbjt Abbrudy thue 


* Es ift nicht wohl einzufehen, warum biefes klare Verbot wiber bas auf 
bloßen Wberglauben, nicht auf Gemiflenhaftigfeit gegründete Bwangsmittel zum 
Belenntniſſe vor einem bürgerlichen Gerichtshofe von Neligionslehrern für jo un- 
gehalten wird. Denn daß es Aberglauben fei, auf deſſen Wirkung man 
bier am meiften rechnet, ijt baran zu erfenmen: daß von einem Menichen, bem 
man nicht zutranet, er werde in einer feierlichen Ausfage, auf beren Wahrheit bie 
Eulſcheidung des Nechts der Menjchen (bes Heiligen, was in ber Welt ift) beruht, 
die Wahrheit jagen, doch geglaubt wird, er werbe durch eine Formel bazu bewogen 

so werben, bie über jene Ausſage nichts weiter enthält, als daß er bie göttlichen 
Strafen (denen er ohnebem wegen einer ſolchen Lüge nicht entgehen kann) über fich 
aufeuft, glei; als ob es auf ihn anfomme, vor dieſem höchſten Gericht Rechen 
ſchaft zu geben ober nicht. — Im ber angeführten Schriftftelle wird biefe Art ber 
Betheurung ala eine ungereimte Vermeſſenheit vorgeftellt, Dinge gleichſam durch 

5 Bauberworte wirklich zu machen, bie bod nicht in unferer Gewalt find. — Über 
man fieht wohl, baf; ber weife Lehrer, ber da fagt, daß, was über das Ja, Ja! 
Nein, Nein! als Beiheurung der Wahrheit geht, vom Übel fei, bie böfe Folge vor 
Augen gehabt habe, welche die Eide nad) fi) ziehen: daß nämlich die ihnen beige 
legte größere Wichtigkeit die gemeine Yüge beinahe erlaubt macht. 





ii 


160 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stüd. 


(B. 34— 37); — daß der natürliche, aber böje Hang des menſchlichen 

Herzens ganz umgefehrt werden folle, das jüße Gefühl der Rache in Duld- 

jamfeit (3. 39. 40) und der Haß feiner Feinde in Wohlthätigkeit (V. 44) 

übergehen müfje. So, jagt er, jei er gemeint, dem jüdijchen Geſetze völlig 

Genüge zu thun (V. 17), wobei aber fihtbarlid nit Schriftgelehriam- 5 
feit, jondern reine Bernunftreligion die Auslegerin defjelben fein muß; 
denn nad) dem Buchſtaben genommen, erlaubte e3 gerade das Gegentheil 
von diefem Allem. — Er läßt überdem doch auch unter den Benennungen 
der engen Pforte und des jchmalen Weges die Mißdeutung des Gejeßes 
nicht unbemerkt, weldye jich die Menſchen erlauben, um ihre wahre mora- 
liſche Pflicht vorbeizugehen und fidy dafür dur Erfüllung der Kirchen: 
pflicht ſchadlos zu halten (VII, 13)*). Bon dieſen reinen Gefinnungen 
fordert er gleihwohl, daß fie ſich audy in Thaten beweifen jollen (®. 16), 
und ſpricht dagegen denen ihre hinterliftige Hoffnung ab, die den Mangel 
derjelben durch Anrufung und Hochpreifung des höchſten Gejehgebers in 
der Perjon jeines Gejandten zu erjeßen und fi Gunft zu erjchmeicheln 
meinen (V. 21). Bon diefen Werfen will er, daß fie um des Beiſpiels 
willen zur Nachfolge auch öffentlidy geſchehen ſollen (V, 16) und zwar in 
fröhlidyer Gemüthsftimmung, nicht als knechtiſch abgedrungene Handlun- 
gen (VI, 16), und daß jo von einem Heinen Anfange der Mittheilung und = 
Ausbreitung folder Gefinnungen, als einem Samentorne in gutem Ader 
oder einem Ferment des Guten, fi) die Religion durd innere Kraft all- 
mählid zu einem Reiche Gottes vermehren würde (XIII, 31. 32. 33). — 
Endlich faßt er alle Pflihten 1) in einer allgemeinen Regel zufammen 
(welche jowohl das innere, al3 das äußere moralifche Verhältniß der Men- 
ſchen in ſich begreift), nämlich: thue deine Pflicht aus feiner andern Trieb» 
feder, als der unmittelbaren Werthſchätzung derjelben, d. i. liebe Gott (den 
Geſetzgeber aller Pflichten) über alles; 2) einer befonderen Regel, näm— 
lid die das äußere Verhältniß zu andern Menſchen als allgemeine Pflicht 
betrifft: liebe einen jeden als dich felbft, d. i. befördere ihr Wohl aus un- % 
mittelbarem, nicht von eigennüßigen Triebfedern abgeleitetem Wohl— 


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*) Die enge Pforte und ber jchmale Weg, der zum Leben führt, ift ber 
bes guten Lebenswandeld; bie weite Pforte und der breite Weg, ben viele 
wanbeln, ift die Kirche. Nicht ald ob es an ihr und an ihren Satzungen liege, 
daß Menjchen verloren werben, fonbern dab das Gehen in biefelbe und Bekenntniß 35 
ihrer Statute ober Gelebrirung ihrer Gebräuche für bie Urt genommen wird, burch 


bie Gott eigentlich gedient fein will. 











Bom Dienſt und Afterbdienft unter der Hertichaft des guten Princips. 161 


wollen; welche Gebote nicht bloß Tugendgeſehe, fondern Vorſchriften der 
Heiligkeit find, der wir nachſtreben follen, in Anfehung deren aber die 
bloße Nachſtrebung Tugend heit. — Denen alfo, die dieſes moralifche 
Gute mit der Hand im Schooße, als eine himmliſche Gabe von oben her- 
s ab, ganz paffiv zu erwarten meinen, ſpricht er alle Hoffnung dazu ab. 
Wer die natürlihe Anlage zum Guten, die in der menſchlichen Natur (als 
ein ihm anvertrautes Pfund) liegt, unbenußt läßt, im faulen Vertrauen, 
ein höherer moraliſcher Einfluß werde wohl die ihm mangelnde fittliche 
Beihafjenheit und Vollkommenheit jonft ergänzen, dem droht er an, daf 
io jelbjt das Gute, was er aus natürlicher Anlage möchte gethan haben, um 
diefer Berabjäumung willen ihm nicht zu ftatten fommen folle (XXV, 29). 
Was nun die dem Menſchen jehr natürliche Erwartung eines dem 
fittlihen Verhalten des Menſchen angemefjenen Loofes in Anjehung der 
Glüdjeligkeit betrifft, vornehmlidy bei jo manden Aufopferungen der 
ıs leßteren, die des erjteren wegen haben übernommen werden müſſen, jo 
verheißt er (V, 11. 12) dafür Belohnung einer künftigen Welt; aber nad) 
Verſchiedenheit der Gefinnungen bei diefem Verhalten denen, die ihre 
Pit um der Belohnung (oder aud) Losſprechung von einer verſchul— 
deten Strafe) willen thaten, auf andere Art als den bejjeren Menfchen, 
0 die jie bloß um ihrer jelbft willen ausübten. Der, weldyen der Eigennuß, 
der Gott diejer Melt, beherricht, wird, wenn er, ohne fi) von ihm loszu— 
jagen, ihn nur durch Bernunft verfeinert und über die enge Grenze des 
Gegenwärtigen ausdehnt, als ein foldyer (Zuc. XVI, 3—9) vorgeitellt, der 
jenen feinen Herrn durd) ſich felbjt betrügt und ihm Aufopferungen zum 
»5 Behuf der Pflicht abgewinnt. Denn wenn er es in Gedanken faht, daß 
er doch einmal, vielleicht bald die Welt werde verlaſſen müfen, daß er 
bon dent, was er hier befaß, in die andre nichts mitnehmen könne, jo ent 
ſchließt er fi) wohl, das, was er oder fein Herr, der Eigenmuß, bier an 
dürftigen Menſchen geſetzmäßig zu fordern hatte, von feiner Rechnung ab- 
so zuſchreiben und ſich gleichſam dafür Anweifungen, zahlbar in einer andern 
Welt, anzufhaffen; wodurd er zwar mehr flüglic als jittlid), was 
die Triebfeder ſolcher wohlthätigen Handlungen betrifft, aber doch dem 
fittlichen Gejeße, wenigftens dem Buchſtaben nad), gemäß verfährt und 
hoffen darf, daß auch diejes ihm in der Zukunft nicht unvergolten bleiben 
» dürfe”). Wennman hiermit vergleicht, was von der Wohlthätigfeit an Dürf- 
*) Wir willen von ber Zukunft nichts und jollen auch nicht nach mehreren 
forichen, als was mit den Triebfebern ber Eittlichfeit und dem Bmwede berfelben 
Rant'd Säriften Ware VI. 11 





























162 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft. Biertes Stüd. 


tigen aus bloßen Bewegungsgründen der Pflicht (Matth. XXV, 35—40) 
gejagt wird, da der Weltrichter diejenigen, welche den Nothleidenden Hülfe 
leifteten, ohne fi) aud) nur in Gedanken fommen zu lafjen, daß jo etwas 
nod) einer Belohnung werth fei, und fie etwa dadurd gleichſam den Him- 
mel zur Belohnung verbänden, gerade eben darum, weil fie es ohne Rüd- 
fiht auf Belohnung thaten, für die eigentlichen Auserwählten zu feinem 
Reid) erklärt: jo fieht man wohl, daß der Lehrer des Evangeliums, wenn 
er von der Belohnung in der künftigen Welt ſpricht, fie dadurch nicht zur 
Triebfeder der Handlungen, fondern nur (als feelenerhebende Vorſtellung 
der Vollendung der göttlichen Güte und Weisheit in Führung des menſch— 
lichen Geſchlechts) zum Object der reinften Verehrung und des größten 
moraliihen Wohlgefallens für eine die Beftimmung des Menjchen im 
Ganzen beurtheilende Bernunft habe machen wollen. 

Hier ift nun eine volftändige Religion, die allen Menjhen durch 


ihre eigene Vernunft faßlich und überzeugend vorgelegt werden fann, die ı; 


über das an einem Beijpiele, defjen Möglichkeit und ſogar Nothwendig- 
keit, für uns Urbild der Nachfolge zu fein (fo viel Menſchen deſſen fähig 
find), anſchaulich gemacht worden, ohne daß weder die Wahrheit jener 
Lehren, nod) das Anjehen und die Würde des Lehrers irgend einer andern 
Beglaubigung (dazu Gelehrſamkeit oder Wunder, die nicht jedermanns 
Sache find, erfordert würde) bedürfte. Wenn darin Berufungen auf ältere 
(moſaiſche) Gejeßgebung und Vorbildung, als ob fie ihm zur Beftätigung 
dienen follten, vorfommen, jo find diefe nicht für die Wahrheit der ge— 
dachten Lehren jelbit, jondern nur zur Introduction unter Zeuten, die 
gänzlich und blind am Alten hingen, gegeben worden, welches unter Men- 
ſchen, deren Köpfe, mit jtatutarifchen Glanbensjägen angefüllt, für die 
Vernunftreligion beinahe unempfänglid geworden, allezeit viel ſchwerer 
jein muß, als wenn fie an die Bernunft unbelehrter, aber aud) unverdor: 


in vernunftmäßiger Berbindung fteht. Dabin gebört auch der Glaube: daß es Feine 
gute Handlung gebe, die wicht auch im der fünftigen Welt für dem, der fie ausübt, 
ihre gute Folge haben werde; mithin der Menſch, er mag jich am Ende des Lebens 
aud mod; jo verwerflich finden, ſich dadurch doch nicht müſſe abhalten Lafien, 
wenigftens noch eime gute Handlung, die in feinem Vermögen ift, zu thun, und 
daß er babei zu boffen Urſache habe, fie werde nach dem Maße, als er bierin eine 
reine gute Abſicht begt, noch immer von mehrerem Werthe jein, als jeme thatloſen 
Entjündigungen, die, ohne etwas zur Verminderung der Schuld beizutragen, ben 
Mangel guter Handlungen erſetzen jollen. 





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164 Religion innerhalb der Grenzen der blofen Vernunft. Vierles Stüd, 


Don da an Ber es die hriftliche Lehre auf Facta, nicht auf bloße 
Bernunftbegriffe gebaut ift, heißt fie nicht mehr blos die chriſtliche Re— 
ligion, ſondern = — Glaube, der einer Kirche zum Grunde 
gelegt worden. Der Dienſt einer Kirche, die einem ſolchen Glauben 
geweiht iſt, iſt alſo zweiſeitig; einerſeits derjenige, welcher ihr nach dem 
hiſtoriſchen Glauben geleiſtet werden muß; andrerſeits, welcher ihr nach 
dem praktiſchen und moraliſchen Vernunftglauben gebührt. Keiner von 
beiden kann in der hriftlihen Kirche als für ſich allein beftehend von dem 
andern getrennt werden; der leßtere darum nicht von dem erjtern, weil 
der hriftliche Glaube ein Neligionsglanube, der erftere nit von dem 
lehteren, weil er ein gelehrter Glaube ift. 

Der chriſtliche Glaube als gelehrter Glaube ftügt ſich auf Ge— 
ſchichte und ift, fo fern als ihm Gelehrjamkeit (objectiv) zum Grunde liegt, 
nicht ein an fi freier und von Einfiht hinlänglicher theoretiicher Be- 
weisgründe abgeleiteter Glaube (üdes elicita), Wäre er ein reiner 
Vernunftglaube, jo würde er, obwohl die moralijchen Gejete, worauf er 
als Glaube an einen göttlichen Gejeßgeber gegründet ift, unbedingt ge- 
bieten, doch als freier Glaube betrachtet werden müfjen: wie er im 
rn Abſchnitte auch vorgejtellt worden. Ja er würde aud) noch, wenn 
man das Glauben nur nicht zur Pflicht machte, als Geſchichtsglaube ein 
theoretiſch freier Glaube jein fönnen, wenn jedermann gelehrt wäre. Wenn 
er aber für jedermann, auch den Ungelehrten gelten ſoll, jo ift er nicht 
bloß ein gebotener, jondern aud dem Gebot blind, d. i. ohne Unter: 
fuhung, ob es auch wirklich göttlidhes Gebot ei, gehorchender Glaube 
(fides servilis), 

In der riftlihen Offenbarungälehre fann man aber feineswegs 
vom unbedingten Glauben an geoffenbarte (der Vernunft für ih 
verborgene) Süße anfangen, und die gelehrte Erkenntniß, etwa bloß als 
Verwahrung gegen einen den Nachzug anfallenden Feind, daranf folgen 
lafien; denn fonft wäre der chriſtliche Glaube nicht bloß fides imperata, 
jondern jogar servilis. Er muß aljo jederzeit wenigitens als fides histo- 
rice —— gelehrt werden, d. i. Gelebrjamkteit mußte in ihr als ge- 





langen Zug der Ungelebrten (Raten), die für fi der Schrift untundig 
find (und worunter jelbit die weltbürgerlidien Negenten gehören), nach 


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Heigon jet, fr ale Beten und Bölter geltend, ge 
nommen, fo da man glauben fol, ein jeder Chrift müßte ein Jude 


fein, dejjen Meſſias gekommen ift; womit aber nicht wohl zu- 









ftatutarüfehes) gebunden fei, bennod) aber das ganze beilige Bud) diejes > 
won eh Amin an- 


jammenhängt, daß er doch eigentlich an fein Gejeß des 




















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Vom Dienſt und Afterdienſt unter ber Herrſchaft des gulen Princips. 167 


in allen Völkern Gelehrte gebe, die der hebräiſchen Sprache (ſoviel es in 
einer ſolchen möglich iſt, von der man nur ein einziges Buch hat) kundig 
ſind, und es ſoll doch nicht bloß eine Angelegenheit der hiſtoriſchen Wiſſen— 
ſchaft überhaupt, ſondern eine, woran die Seligkeit der Menſchen hängt, 
ſein, daß es Männer giebt, welche derſelben genugſam kundig ſind, um 
der Welt die wahre Religion zu ſichern. 

Die Hriftlihe Religion hat zwar fo fern ein ähnlides Schickſal, 
daß, obwohl die heiligen Begebenheiten derjelben felbft unter den Augen 
eines gelehrten Volks öffentlid) vorgefallen find, dennoch ihre Geſchichte 
ſich mehr als ein Menjchenalter verjpätet hat, ehe fie in das gelehrte 
Publicum defjelben eingetreten ift, mithin die Authenticität derjelben der 
Beftätigung durch Zeitgenofjen entbehren muß. Sie hat aber den großen 
Vorzug vor dem Judenthum, daß fie aus dem Munde des erjten 
Lehrers als eine nicht ſtatutariſche, fondern moraliſche Religion hervor: 
gegangen, vorgeftellt wird und, auf ſolche Art mit der Vernunft in die 
engite Verbindung tretend, durch fie von ſelbſt auch ohne hiſtoriſche Ge— 
lehrjamteit auf alle Zeiten und Völker mit der größten Sicherheit ver: 
breitet werden fonnte. Aber die erjten Stifter der Gemeinden fanden 
e3 doc) nöthig, die Geſchichte des Judenthums damit zu verflechten, welches 
nad) ihrer damaligen Zage, aber vielleiht auch nur für diejelbe Flüglich 
gehandelt war und fo in ihrem heiligen Nachlaß mit an uns gefommen 
ift. Die Stifter der Kirche aber nahınen dieſe epifodischen Anpreifungs- 
mittel unter die wejentlidyen Artikel des Glaubens auf und vermehrten fie 
entweder mit Tradition, oder Auslegungen, die von Concilien gejeßliche 
Kraft erhielten, oder durch Gelehrſamkeit beurfundet wurden, von welcher 
leßtern, oder ihrem Antipoden, dem innern Licht, welches ſich jeder Laie 
aud) anmaßen kann, nod) nicht abzufehen ift, wie viel Veränderungen da— 
durch dem Glauben noch bevorftehen; welches nicht zu vermeiden ift, jo 
lange wir die Religion nicht in uns, fondern außer ung juchen. 


Zweiter Theil. 
Vom Afterdienjt Gottes in einer jtatutarijhen Religion. 
Die wahre, alleinige Religion enthält nichts als Geſetze, d. i. ſolche 


praktiſche Principien, deren unbedingter Nothwendigkeit wir uns bewußt 
werden können, die wir aljo als durd) reine Vernunft (nicht empiriſch) 








168 Neligion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Biertes Stüd, 


offenbart anerkennen. Nur zum Behuf einer Kirche, deren es verjchiedene 
glei; gute Formen geben kann, fann es Statuten, d.i. für göttlich ges 
haltene Verordnungen, geben, die für unjere reine moraliſche Beurtheilung 
willfürlic) und zufällig find. Diejen jtatutarifhen Glauben nun (der 
allenfalls auf ein Volk eingefhränkt ift und nicht die allgemeine Weltre- 
ligion enthalten kann) für weſentlich zum Dienfte Gottes überhaupt zu 
halten und ihn zur oberften Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am 
Menſchen zu maden, ijt ein Religionswahn*), dejjen Befolgung ein 
Afterdienft, d. i. eine ſolche vermeintliche Verehrung Gottes ift, wodurd) 
dem wahren, von ihm jelbft geforderten Dienfte gerade entgegen gehandelt 
wird, 


$1. 
Bom allgemeinen fubjectiven Grunde des Neligionswahnes. 


Der Anthropomorphism, der in der theoretiichen Vorftellung von 
Gott und feinem Weſen den Menjchen faum zu vermeiden, übrigens aber 
doch (wenn er nur nicht auf Pflichtbegriffe einfließt) aud) unſchuldig genug 
ift, der ift in Anfehung unfers praftiichen Verhältnifjes zu feinem Willen 
und für unfere Moralität ſelbſt höchſt gefährlidy; denn da maden wir 
uns einen Gott+), wie wir ihn am leidhteften zu unſerem Vortheil ge: 


) Wahn ijt die Käufchung, bie bloße Vorftellung einer Sache mit der Sadıe 
jelbit für gleichgeltend zu halten. So ift es bei einem fargen Neichen der geigende 
Wahn, dab er die Vorftellung, ſich einmal, wenn er iwollte, feiner Reichthümer be- 
dienen zu können, für genugjfamen Erjaß dafür hält, baß er fich ihrer niemals be» 
bient. Der Ehrenwahn jeßt in anderer Hochpreifung, mweldhe im Grunde nur Die 
äußere Borjtellung ihrer (innerlich vielleicht gar nicht gehegten) Achtung ift, ben 
Werth, ben er bloß der lehteren beilegen ſollte; zu diefem gehört aljo auch die 
ZTitel- und Ordensſucht, weil diefe nur äußere Vorftellungen eines Vorzugs vor 
andern find. Selbſt der Wahnſinn hat daher diefen Namen, weil er eine bloße 
Vorftellung (der Einbildungstraft) für die Gegenwart der Sadje ſelbſt zu nehmen 
und eben jo zu würdigen gewohnt iſt. — Nun ift das Bewußtjein des Beſitzes 
eines Mitteld zu irgend einem Zweck (ehe man fich jenes bediemt hat) der Beſitz 
bes letztern bloß in der Borjtellung; mithin ſich mit dem erfteren zu begnügen, 
gleich als ob es jtatt des Beſitzes bes letzteren gelten fünne, ein praftijcher 
Wahn; als von dem bier allein bie Mede ift. 

7) Es Mingt zwar bedenklich, iſt aber feinesiweges verwerflich, zu jagen: daß 
ein jeder Menfch ic einen Gott mache, ja nach moraliſchen Begriffen (begleitet 
mit den unendlich-großen Eigenfchaften, die zu dem Vermögen gehören, an ber Welt 
einen jenen angemefjenen Gegenſtand barzuitellen) fich einen ſolchen jelbft machen 


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Vom Dienit und Afterbienfi unter der Herrichaft des guten Princips. 169 


winnen zu können und der beſchwerlichen ununterbrodenen Bemühung, 
auf das Innerjte unfrer moralifhen Gefinnung zu wirken, überhoben zu 
werden glauben. Der Grundſatz, den der Menſch fi) für diejes Verhält— 
niß gewöhnlid) macht, ift: daß durch alles, was wir lediglid) darum thun, 
um der Gottheit wohl zu gefallen, (wenn es nur nicht eben der Moralität 
geradezu widerftreitet, ob es gleich dazu nicht das mindejte beiträgt) wir 
Gott unjere Dienjtwilligkeit als gehorfame und eben darum wohlgefällige 
Unterthanen beweifen, alſo auch Gott (in potentia) dienen. — Es dürfen 
nicht immer Aufopferungen fein, dadurd) der Menſch diefen Dienft Gottes 
zu verrichten glaubt: aud) Feierlichkeiten, ſelbſt öffentliche Spiele, wie bei 
Griehen und Römern, haben oft dazu dienen müfjen und dienen mod) 
dazu, um die Gottheit einem Wolfe, oder auch den einzelnen Menſchen 
ihrem Wahne nad) günftig zu machen. Doc) find die erfteren (die Büßun— 
gen, Kafteiungen, Wallfahrten u. d.g.) jederzeit für fräftiger, auf die 
Gunſt des Himmels wirkſamer und zur Entjündigung tauglicher gehalten 
worden, weil fie die unbegrenzte (obgleich nicht moralifche) Unterwerfung 
unter feinem Willen jtärker zu bezeichnen dienen. Se unnützer ſolche 
Selbjtpeinigungen find, je weniger fie auf die allgemeine moraliſche 
Beſſerung des Menſchen abgezwedt find, deſto heiliger ſcheinen fie zu fein: 
weil fie eben darum, daß fie in der Welt zu gar nichts nuben, aber dod) 
Mühe koften, lediglid) zur Bezeugung der Ergebenheit gegen Gott abge- 
zweckt zu fein ſcheinen. — Obgleich, jagt man, Gott hierbei durd) die That 
in feiner Abfiht gedient worden ift, jo fieht er doch hierin den guten 
Willen, das Herz, an, welches zwar zur Befolgung feiner moralifchen Ge— 
bote zu ſchwach iſt, aber durd) feine hierzu bezeugte Bereitwilligkeit dieje 
Ermangelung wieder qut macht. Hier ift nun der Hang zu einem Vers 
fahren fihtbar, das für ſich feinen moraliihen Werth hat, als etwa nur 
als Mittel, das finnlihe Vorftellungsvermögen zur Begleitung intellec- 
tueller Ideen des Zwecks zu erhöhen, oder um, wenn es den leßtern etwa 


müffe, um an ihm ben, ber ihn gemacht hat, zu verehren. Denn auf welcdherlei 
Art aud) ein Wejen ald Gott von einem anderen bekannt gemacht und bejchrieben 
worben, ja ihm eim ſolches auch (wenn das möglich ift) jelbit erjcheinen möchte, fo 
muß er dieje Vorftellung doch allererjt mit jeinem Ideal zufammen halten, um zu 
urtheilen, ob er befugt jei, es für eine Gottheit zu halten und zu verehren. Aus 
bloßer Offenbarung, ohne jenen Begriff vorher im feiner Neinigfeit, als Probir- 
jtein, zum Grunde zu legen, kann es aljo feine Religion geben, und alle Gottes» 
verehrung würde Idolola trie jein, 


170 NReligion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Biertes Stück. 


zuwider wirken könnte, es niederzudrüden*); diefem Verfahren legen wir 
doch in unferer Meinung den Werth des Zweds jelbjt, oder, welches eben 
jo viel ift, wir legen der Stimmung des Gemüths zur Empfanglichkeit 
» Gott ergebener Gefinnungen (Andaht genannt) den Werth der lebtern 
bei; weldyes Verfahren mithin ein bloßer Religionswahn ift, der allerlei 
Formen annehmen fann, in deren einer er der moralijchen ähnlicher fieht, 
als in der andern, ber aber in allen nicht eine bloß unvorjegliche Täu— 
ſchung, jondern jogar eine Marime ift, dem Mittel einen Werth an fid) 
ftatt des Zwecks beizulegen, da denn vermöge der leßtern diefer Wahn 
unter allen diejen Formen gleich ungereimt und als verborgene Betrugs— 
neigung verwerflich ijt. 


82, 
Das dem Religionswahne entgegengejekte moraliſche 
Princip der Religion. 


Ich nehme erftlic folgenden Sab als einen Feines Beweiſes be- 
nöthigten Grundjaß an: alles, was außer dem guten Lebens— 
wandel der Menſch noch thun zu können vermeint, um Gott 
wohlgefällig zu werden, ift bloßer Religionswahn und 
Afterdienft Gottes. — Ich fage: was der Menſch thun zu können 


) Für diejenigen, welche allenthalben, wo bie Unterfcheidungen bes Sinn- 
lichen vom Sntellectuellen ihnen nicht fo geläufig find, Wideriprüche der Kritif ber 
reinen Vernunft mit ihr jelbft anzutreffen glauben, merfe ich bier an, daß, wenn 
von finnlichen Mitteln das Sntellectnelle (ber reinen moralifchen Gefinnung) zu 
befördern, ober von dem Hinderniffe, welches die erftere dem lehzteren entgegen 
itellen, geredet wird, diefer Einflug zweier fo ungleichartigen Principien niemals 
als direct gebadht werben müſſe. Nämlich als Sinnenwejen fönnen wir nur an 
ben Eriheinungen des intellectuellen Princips, b. i. der Beltimmung 
unferer phyſiſchen Kräfte durch freie Willfür, die fi in Handlungen bervorthut, 
bem Gejeh entgegen, ober ihm zu Gunften wirken: fo daß Urſache und Wirkung 
als in der That gleichartig vorgeftellt werde. Was aber das Überfinnliche (das 
fubjective Princip der Moralität im uns, was in ber unbegreiflichen Eigenfchaft 
ber Freiheit verichloffen Liegt), z. B. die reine Religionsgeſinnung, betrifft, von 
dieſer jehen wir außer ihrem Geſetze (welches aber auch ſchon genug ift) nichts das 
Verhältniß der Urſache und Wirkung im Menfchen Betreffendes ein, d. i. wir fünnen 
uns die Möglichkeit der Handlungen als Begebenheiten in ber Sinnenmelt aus der 
moraliſchen Beſchaffenheit des Menſchen, als ihnen imputabel, nicht erklären, 
eben barum weil es freie Handlungen find, die Erflärungsgrände aber aller Be 
gebenheiten aus ber Sinnenmwelt bergenommen werben müfjen. 





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Dom Dienft und Afterbienft unter ber Öerrichaft bes guten Principe. 171 


glaubt; denn ob nicht über alles, was wir thun können, nod) in den Ge- 
heimnifien der höchſten Weisheit etwas fein möge, was nur Gott thun 
kann, um uns zu ihm wohlgefäligen Menſchen zu machen, wird hierdurd) 
nicht verneint. Aber wenn die Kirdye ein ſolches Geheimniß etwa als 
offenbart verfündigen follte, jo wird doc die Meinung, daß dieje Offen: 
barung, wie fie uns die heilige Geſchichte erzählt, zu glauben und fie 
(e3 jei innerlich oder äußerlich) zu befennen an fid) etwas fei, dadurch 
wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Neligionswahn fein. 
Denn diejes Glauben ijt als inneres Bekenntniß feines feiten Fürwahr— 
haltens jo wahrhaftig ein Thun, das durch Furcht abgezwungen wird, 
daß ein aufrichtiger Menſch eher jede andere Bedingung als dieje ein- 
gehen möchte, weil er bei allen andern Frohndienſten allenfalls nur et» 
was liberflüffiges, hier aber etwas dem Gewiffen in einer Declaration, 
von deren Wahrheit er nicht überzeugt ift, Widerftreitendes thun würde. 
Das Bekenntniß alfo, wovon er ſich überredet, daß es für fich jelbit (als 
Annahme eines ihm angebotenen Guten) ihn Gott wohlgefällig machen 
Fönne, ift etwas, was er nod) über den guten Lebenswandel in Befolgung 
der in der Welt auszuübenden moraliſchen Geſetze thun zu können ver: 
meint, indem er ſich mit feinem Dienft geradezu an Gott wendet. 

Die Vernunft läßt uns erftlidy in Anfehung des Mangels eigener 
Gerechtigkeit (die vor Gott gilt) nicht ganz ohne Troft. Sie jagt: daß, 
wer in einer wahrhaften der Pflicht ergebenen Gefinnung fo viel, als in 
feinem Vermögen fteht, thut, um (wenigftens in einer beftändigen An: 
näherung zur vollftändigen Angemefjenheit mit dem Geſetze) feiner Ver: 
bindlichkeit ein Genüge zu leisten, hoffen dürfe, was nicht in feinem Ver: 
mögen jteht, das werde von der höchſten Weisheit auf irgend eine 
Weife (welche die Gefinnung diefer bejtändigen Annäherung unwandel» 
bar machen kann) ergänzt werden, ohne daß fie fi) doch anmaßt, die Art 
zu beftimmen und zu wifjen, worin fie bejtehe, welche vielleicht jo ge 
heimnigvoll fein kann, daß Gott fie uns höchſtens in einer ſymboliſchen 
Voritellung, worin das Praftifche allein für uns verftändlid) ift, offen- 
baren könnte, indejjen daß wir theoretiſch, was diefes Verhältniß Gottes 
zum Menjchen an ſich jei, gar nicht fafjen und Begriffe damit verbinden 
fönnten, wenn er uns ein foldhes Geheimniß aud) entdeden wollte. — 
Geſetzt num, eine gewiſſe Kirche behaupte, die Art, wie Gott jenen mo— 
raliihen Mangel am menſchlichen Geſchlecht ergänzt, beſtimmt zu wiſſen, 
und verurtheile zugleich alle Menſchen, die jenes der Vernunft natürlicher 














ee 


172 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stud. 


Weiſe unbekannte Mittel der Nechtfertigung nicht wiffen, darıım alfo auch 
nicht zum Religionsgrundjage aufnehmen und befennen, zur ewigen Ver- 
werfung: wer ijt alsdann hier wohl der Ungläubige? der, welcher ver: 
trauet, ohne zu wiffen, wie das, was er hofft, zugehe, oder der, welcher 
diefe Art der Erlöfung des Menſchen vom Böfen durchaus wiſſen will, > 
widrigenfalls er alle Hoffnung auf diejelbe aufgiebt? — Im Grunde ijt 
dem Letzteren am Wifjen diejes Geheimnifjes jo viel eben nicht gelegen 
(denn das lehrt ihn ſchon feine Vernunft, dab etwas zu willen, wozu er 
doc nichts thun kann, ihm ganz unnüß jei); fondern er will es nur 
wiſſen, um ſich (wenn es aud nur innerlid) gefhähe) aus dem Glauben, 
der Annahme, dem Belenntniffe und der Hochpreiſung alles diejes Offen— 
barten einen Gottesdienft machen zu können, der ihm die Gunft des 
Himmels vor allem Aufwande feiner eigenen Kräfte zu einem guten 
Lebenswandel, aljo ganz umjonjt erwerben, den leßteren wohl gar über: 
natürlicher Weije hervorbringen, oder, wo ihm etwa zumider gehandelt 
würde, wenigitens die Ubertretung vergüten könne. 

Zweitens: wenn der Menjch fid) von der obigen Marine nur im 
mindeſten entfernt, fo hat der Afterdienjt Gottes (die Superftition) weiter 
feine Örenzen; denn über jene hinaus ijt alles (was nur nit uns 
mittelbar der Sittlichfeit widerjpricht) willfürlid. Won dem Opfer der = 
Lippen an, welches ihm am wenigjten fojtet, bis zu dem der Naturgüter, 
die ſonſt zum Vortheil der Menſchen wohl befjer benußt werden fünnten, 
ja bis zu der Aufopferung feiner eigenen Berjon, indem er ſich (im Ere- 
miten-, Falir- oder Möndsftande) für die Welt verloren macht, bringt 
er alles, nur nicht jeine moraliihe Gefinnung Gott dar; und wenn er » 
jagt, er brächte ihm aud) jein Herz, jo verjteht er darunter nicht die Ges 
finnung eines ihm wohlgefälligen Zebenswandels, fondern einen berz- 
lihen Wunſch, daß jene Opfer für die lektere in Zahlung möchten auf- 
genommen ‚werden (matio gratis anhelans, multa agendo nihil agens, 
Phaedrus). 30 

Endlid, wenn man einmal zur Marime eines vermeintlich Gott 
für ſich jelbit wohlgefälligen, ihn auch nöthigenfalls verjöhnenden, aber 
nicht rein moralifchen Dienjtes übergegangen ift, jo ift in der Art, ihm 
gleihfam mechaniſch zu dienen, fein wejentlicher Unterjchied, welcher der 
einen vor der andern einen Vorzug gebe. Sie find alle dem Werth (oder 5 
pielmehr Unwerth) nach einerlei, und es iſt bloße Ziererei, ſich durch 
feinere Abweihung vom alleinigen intellectwellen Princip der ächten 


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gleich noch genug davon Hibrig —— 












174 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd. 


möge des Tugendprincips von Menjchen gethan werden kann, Natur, 
was aber nur den Mangel alles feines moralifhen Vermögens zu er: 
gänzen dient und, weil defjen Zulänglichfeit auch für uns Pflicht ift, nur 
gewünſcht oder aud) gehofft und erbeten werden fann, Gnade zu nennen, 
beide zuſammen als wirkende Urſachen einer zum Gott wohlgefälligen > 
Lebenswandel zureihenden Gefinnung anzujehen, fie aber aud) nicht bloß 
von einander zu unterjheiden, jondern einander wohl gar entgegen zu 
jegen. 

Die Uberredung, Wirkungen der Gnade von denen der Natur (der 
Tugend) unterjcheiden, oder fie wohl gar in fi) hervorbringen zu können, 
it Shwärmerei; denn wir fönnen weder einen überfinnlichen Gegen- 
ftand in der Erfahrung irgend woran kennen, noch weniger auf ihn Ein- 
fluß haben, um ihn zu uns herabzuziehen, wenn gleid) ſich im Gemüth 
bisweilen aufs Moraliſche hinwirfende Bewegungen ereignen, die man 
ſich nicht erklären fann, und von denen unſere Unwiſſenheit zu geftehen 
gendthigt ift: „Der Wind wehet, wohin er will, aber du weißt nicht, wo— 
ber er kömmt u. ſ. w.“ Himmlifche Einflüffe in fi wahrnehmen zu 
wollen, ijt eine Art Wahnfinn, in welchem wohl gar auch Methode jein 
kann (weil ſich jene vermeinte innere Offenbarungen doch immer an mo— 
raliiche, mithin an VBernunftideen anſchließen müfjen), der aber immer 
dod) eine der Religion nadhtheilige Selbjttäufchung bleibt. Zu glauben, 
daß es Gnadenwirkungen geben fünne und vielleicht zur Ergänzung der 
Unvolltommenbeit unjerer Tugendbeftrebung aud) geben müſſe, ift alles, 
was wir davon jagen können; übrigens find wir unvermögend, etwas in 
Anſehung ihrer Kennzeichen zu beftimmen, noch mehr aber zur Hervor⸗ 
bringung derjelben etwas zu thun. 

Der Wahn, durd) religiöjfe Handlungen des Eultus etwas in Ans 
jehung der Rechtfertigung vor Gott auszurichten, ift der religiöfe Aber— 
glaube; jo wie der Wahn, diejes durch Beftrebung zu einem vermeint: 
lichen Umgange mit Gott bewirken zu wollen, die religiöfe Shwärmerei. 
— Es iſt abergläubifher Wahn, durch Handlungen, die ein jeder Menſch 
thun kann, ohne daß er eben ein guter Menſch jein darf, Gott wohlgefällig 
werden zu wollen (3. B. durd) Befenntniß ſtatutariſcher Glaubensſätze, 
durd; Beobachtung kirchlicher Obſervanz und Zudt u.d.g.) Er wird 
aber darum abergläubijc genannt, weil er fi bloße Naturmittel (nicht = 
moralijche) wählt, die zu dem, was nicht Natur ift, (d. i. dem fittlich 
Guten) für fi) ſchlechterdings nichts wirken fünnen. — Ein Wahn aber 


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176 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. Viertes Gtüd. 


gegründete Furdt abgenöthigt wurde, fing nicht ſogleich mit einer Reli- 
gion, fondern von einem knechtiſchen Gottes- (oder Gößen-) Dienjte an, 
welcher, wenn er eine gewilje Öffentlichgejeßliche Form befommen hatte, 
ein Tempeldienſt und nur, nachdem mit diefen Gejeßen allmählid) die 
moraliihe Bildung der Menſchen verbunden worden, ein Kirdendienft 5 
wurde: denen beiden ein Geſchichtsglaube zum Grunde liegt, bis man 
endlich diejen bloß für proviforifc und in ihm die ſymboliſche Darftellung 
und das Mittel der Beförderung eines reinen Neligionsglaubens zu 
jehen angefangen hat. | 

Von einem tungufiihen Shaman bis zu dem Kirche und Staat 
zugleich regierenden europäifhen Prälaten, oder (wollen wir jtatt der 
Häupter und Anführer nur auf die Glaubensanhänger nad) ihrer eignen 
Vorftellungsart fehen) zwiidhen dem ganz finnlihen Wogulißen, der 
die Tabe von einem Bärenfell fi des Morgens auf fein Haupt legt mit 
dem kurzen Gebet: „Schlag mid; nicht todt!”" bis zum fublimirten Pu— 
ritaner und Independenten in Connecticut ift zwar ein mächtiger 
Abftand in der Manier, aber nit im Princip zu glauben; denn was 
diejes betrifft, jo gehören fie insgefammt zu einer und derjelben Klaſſe, 
derer nämlich, die in dem, was an fich feinen beſſern Menſchen ausmacht, 
(im Glauben gewifjer ſtatutariſcher Säße, oder Begehen gewifjer willfür- » 
licher Objervanzen) ihren Gottesdienit jeßen. Diejenigen allein, die ihn 
lediglich in der Gefinnung eines quten Zebenswandels zu finden gemeint 
find, unterfheiden fi von jenen durd den Überſchritt zu einem ganz 
andern und über das erjte weit erhabenen Princip, demjenigen nämlid), 
wodurd fie ſich zu einer (unfichtbaren) Kirche befennen, die alle Wohl- 
denfende in fich befaßt und ihrer weſentlichen Beſchaffenheit nad allein 
die wahre allgemeine jein kann. 

Die unfihtbare Macht, weldhe über das Schidjal der Menfchen ge 
bietet, zu ihrem Vortheil zu lenken, iſt eine Abficht, die jie alle haben; nur 
wie das anzufangen jei, darüber denfen fie verſchieden. Wenn fie jene x 
Macht für ein verftändiges Weſen halten und ihr alfo einen Willen bei- 
legen, von dem fie ihr Loos erwarten, fo fann ihr Beftreben nur in der 
Auswahl der Art beitehen, wie fie als feinem Willen unterworfene Weſen 
durch ihr Thun und Zafjen ihm gefällig werden können. Wenn fie es als 
moraliſches Weſen denken, fo überzeugen fie ſich Teicht durch ihre eigene = 
BDernunft, daß die Bedingung, jein Woblgefallen zu erwerben, ihr mora- 
lifh guter Lebenswandel, vornehmlich die reine Gefinnung als das jub- 


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Bom Dienft und Afterdienſt unter der Herrſchaft des guten Princips. 177 


jective Princip defjelben fein müfje. Aber das höchſte Weſen kann doc) 
auch vielleicht nod, überdem auf eine Art gedient fein wollen, die uns 


durd) bloße Vernunft nicht befannt werden kann, nämlich durch Handluns 


gen, denen für fich jelbit wir zwar nichts Moralifches anjehen, die aber 
dod) entweder als von ihm geboten, oder aud) nur, um unfere Unterwür—⸗ 
figfeit gegen ihn zu bezeugen, willtürlidy von uns unternommen werden; 
in welchen beiden Berfahrungsarten, wenn fie ein Ganzes ſyſtematiſch 
geordneter Beihäftigungen ausmachen, fie alfo überhaupt einen Dienſt 
Gottes ſetzen. — Wenn nun beide verbunden jein jollen, jo wird entweder 
jede als unmittelbar, oder eine von beiden nur als Mittel zu der andern, 
als dem eigentlihen Dienfte Gottes, für die Art angenommen werden 
müſſen, Gott wohl zu gefallen. Daß der moralifhe Dienft Gottes (of- 
fieium liberum) ihm unmittelbar gefalle, leuchtet von ſelbſt ein. Er fann 
aber nicht für die oberjte Bedingung alles Wohlgefallens am Menjchen 
anerkannt werden (welches auch jchon im Begriff der Moralität liegt), 
wenn der Zohndienft (oflicium mercennarium) als für ſich allein Gott 
mwohlgefällig betrachtet werden Fünnte; denn alsdann würde Niemand 
wifjen, welder Dienjt in einem vorkommenden Falle vorzüglicher wäre, 
um das Urtheil über jeine Pflicht darnad) einzurichten, oder wie fie fid) ein- 
ander ergänzten. Alſo werden Handlungen, die an ſich feinen moraliſchen 
Werth haben, nur jo fern fie als Mittel zur Beförderung defjen, was an 
Handlungen unmittelbar gut it, (zur Moralität) dienen, d. i. um des 
moralijhen Dienftes Gottes willen, als ihm wohlgefällig ange- 
nommen werden müſſen. 

Der Menſch nun, welder Handlungen, die für fid) felbft nichts Gott 
Wohlgefäliges (Moralifches) enthalten, doch als Mittel braucht, das 
göttliche unmittelbare Wohlgefallen an ihm und hiemit die Erfüllung ſei— 
ner Wünſche zu erwerben, fteht in dem Mahn des Befihes einer Kunft, 
durch ganz natürliche Mittel eine übernatürliche Wirkung zuwege zu brin- 
gen; dergleichen Verſuche man das Zaubern zu nennen pflegt, welches 
Wort wir aber (da e3 den Nebenbegriff einer Gemeinschaft mit dem böſen 
Princip bei ſich führt, dagegen jene Verſuche doch aud) als übrigens in 
guter moraliicher Abficht aus Mifverftande unternommen gedacht werden 
fönnen) gegen das ſonſt befannte Wort des Fetiſchmachens austauſchen 
wollen. Eine übernatürlihe Wirkung aber eines Menſchen würde die- 
jenige jein, die nur dadurch in feinen Gedanken möglich ift, daß er ver- 


meintlid) auf Gott wirkt und ſich dejjelben als Mittels — um eine 
ſant's Schriften. Werke, VI. 





178 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernunft. Viertes Stüd. 


Wirkung in der Welt hervorzubringen, dazu feine Kräfte, ja nicht einmal 
feine Einficht, ob fie auch Gott wohlgefällig jein möchte, für ſich nicht zu— 
langen; welches ſchon in feinem Begriffe eine Ungereimtheit enthält. 

Wenn der Menſch aber, außerdem daß er durch das, was ihn un- 
mittelbar zum Gegenſtande des göttlihen Wohlgefallens macht, (dur > 
die thätige Gefinnung eines guten Lebenswandels) ſich noch überdem ver: 
mitteljt gewifjer Formlichkeiten der Ergänzung jeines Unvermögens durd) 
einen übernatürlihen Beiftand würdig zu machen judt und in diejer 
Abſicht durch Obſervanzen, die zwar feinen unmittelbaren Werth haben, 
aber doc) zur Beförderung jener moraliſchen Gefinnung als Mittel dienen, 10 
ſich für die Erreichung des Objects jeiner guten, moralifhen Rünjche blos 
empfänglic zu machen meint, jo rechnet er zwar zur Ergänzung feines 
natürlichen Unvermögens auf etwas Übernatürlihes, aber doch nicht 
als auf etwas vom Menſchen (durd) Einfluß auf den göttlihen Willen) 
Gewirftes, jondern Empfangenes, was er hoffen, aber nicht hervorbrin= 15 
gen kann. — Wenn ihm aber Handlungen, die an ſich, jo viel wir ein- 
jehen, nichts Moraliſches, Gott Wohlgefälliges enthalten, gleichwohl jei- 
ner Meinung nad) zu einem Mittel, ja zur Bedingung dienen jollen, die 
Erhaltung feiner Wünſche unmittelbar von Gott zu erwarten: jo muß er 
ni dem Wahne ftehen, daß, ob er gleid) für dieſes Übernatürlicye weder 20 
ein phyfiiches Vermögen, nod) eine moralifhe Empfänglichfeit hat, er es 
doch durch natürliche, an fi aber mit der Moralität gar nicht ver: 
wandte Handlungen (weldye auszuüben es feiner Gott wohlgefälligen Ge— 
finnung bedarf, die der ärgjte Menſch aljo eben ſowohl, als der beite aus— 
üben kann), durch Formeln der Anrufung, durch Bekenntniſſe eines Zohn- 
glaubens, durch kirchliche Objervanzen u. dgl., bewirken und jo den 
Beiltand der Gottheit gleihjam herbeizaubern Fönne; denn es iſt 
zwijchen bloß phyſiſchen Mitteln und einer moraliſch wirkenden Urſache 
gar feine Berfnüpfung nad) irgend einem Geſetze, welches ſich die Ver: 
nunft denken kann, nad) welchem bie leßtere durch die erftere zu gewiflen x 
Wirkungen als beftimmbar vorgeftellt werden könnte. 

Wer aljo die Beobachtung ſtatutariſcher einer Offenbarung bedür- 
fenden Geſetze als zur Religion nothwendig und zwar nicht bloß als Mit- 
tel für die moralijhe Gefinnung, fondern als die objective Bedingung, 
Gott dadurch unmittelbar wohlgefällig zu werden, voranjchidt und diefem * 
Geſchichtsglauben die Beftrebung zum guten Lebenswandel nachſetzt (at- 
ftatt daß die erftere als etwas, was nur bedingterweife Gott wohlge- 


Bom Dienft und Afterbienft umter der Herrſchaft des guten Princips. 179 


fällig fein kann, fid) nad) dem letzteren, was ihm allein ſchlechthin wohl- 
gefällt, richten muß), der verwandelt den Dienft Gottes in ein bloßes 
Fetiſchmachen und übt einen Afterdienft aus, der alle Bearbeitung zur 
wahren Religion rüdgängig madt. So viel liegt, wenn man zwei qute 
Saden verbinden will, an der Ordnung, in der man fie verbindet! — In 
diejer Unterfheidung aber befteht die wahre Aufflärung; der Dienit 
Gottes wird dadurd) allererft ein freier, mithin moralifcher Dienst. Wenn 
man aber davon abgeht, jo wird ftatt der Freiheit der Kinder Gottes dem 
Menſchen vielmehr das Joch eines Geſetzes (des ſtatutariſchen) auferlegt, 
ıo welches dadurd), daß es als unbedingte Nöthigung etwas zu glauben, 
was nur hiſtoriſch erkannt werden und darum nicht für jedermann über— 
zeugend fein fann, ein für gewiflenhafte Menſchen noch weit ſchwereres 
Joch ift*), als der ganze Kram frommer auferlegter Obfervanzen immer 
fein mag, bei denen e3 genug ift, daß man fie begeht, um mit einem ein- 
ı»s gerichteten firdlichen gemeinen Weſen zufammen zu pafjen, ohne daß je- 
mand innerlich oder äußerlid) das Bekenntniß feines Glaubens ablegen 
darf, daß er es für eine von Gott geftiftete Anordnung halte: denn 
durch diejes wird eigentlich das Gewiſſen beläftigt. 
Das Pfaffenthum ift aljo die Verfaffung einer Kirche, fofern in 
20 ihr ein Fetiſchdienſt regiert, welches allemal da anzutreffen ift, wo nicht 
Principien der Sittlichfeit, jondern jtatutarijche Gebote, Glaubensregeln 
und DObjervanzen die Orundlage und das Wejentliche derjelben ausmachen. 
Nun giebt es zwar manche Kirchenformen, in denen das Fetiſchmachen 


) „Dasjenige Joch ift fanft, und die Laſt ift leicht“, wo die Pflicht, bie jeber- 
» mann obliegt, als von ihm felbft und durch feine eigene Vernunft ihm auferlegt 
betrachtet werben Tann; das er baher fo ferm freiwillig auf fich nimmt. Bon biefer 
Art find aber nur bie moralifchen Geſetze, als göttliche Gebote, von denen allein 
ber Stifter ber reinen Kirche jagen konnte: „Meine Gebote find nicht ſchwer“. 
Diejer Ausdrud will nur jo viel jagen: fie find nicht befhwerlich, weil ein jeder 
so die Nothwendbigkeit ihrer Befolgung vom felbft einfieht, mithin ihm dadurch nichts 
aufgebrungen wird, dabingegen despotifch gebietende, obzwar zu unferm Beiten 
(boch nicht durch unſere Bernunft) und auferlegte Anorbnungen, davon wir feinen 
Nuben fehen können, gleihjam Berationen (Pladereien) find, denen man ſich nur 
gezwungen unterwirft. An jich find aber bie Handlungen, in ber Reinigfeit ihrer 
» Quelle betradjtet, die durch jene moralifche Gejebe geboten werben, gerabe bie, 
melde bem Menſchen am jchwerften fallen, und wofür er gerne bie beſchwerlichſten 
frommen Pladereien übernehmen möchte, wenn e3 möglich wäre, bieje ftatt jener 

in Zahlung zu bringen. 


— 


12* 


180 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Biertes Stüd. 


jo mannigfaltig und jo mechanisch ift, dab es beinahe alle Moralität, mit- 
hin aud) Religion zu verdrängen und ihre Stelle vertreten zu jollen jcheint 
und jo ans Heidenthun jehr nahe angränzt; allein auf das Mehr oder 
Weniger kommt es hier nicht eben an, wo der Werth oder Unwerth auf 
der Beihhaffenheit des zu oberjt verbindenden Princips beruht, Wenn ; 
diejes Die gehorfame Unterwerfung unter eine Sabung als Frohndienft, 
nicht aber die freie Huldigung auferlegt, die dem moraliihen Gejeke zu 
oberjt geleiftet werden foll: jo mögen der auferlegten Objervanzen noch 
fo wenig fein; genug, wenn fie für unbedingt nothwendig erflärt werden, 
jo ift das immer ein Fetiichglauben, durch den die Menge regiert und 
durch den Gehorfam unter eine Kirche (nicht der Neligion) ihrer moralis 
ſchen Freiheit beraubt wird. Die Verfaffung derjelben (Hierarchie) mag 
monarchiſch oder arijtofratiich oder demokratiſch fein: das betrifft nur die 
Drganifation; die Conftitution derjelben ift und bleibt doch unter allen 
diefen Formen immer despotiih. Wo Statute des Glaubens zum Con— 
ftitutionalgejeß gezählt werden, da herricht ein Klerus, der der Vernunft 
und jelbft zulegt der Schriftgelehrjamfeit gar wohl entbehren zu können 
glaubt, weil er als einzig autorifirter Bewahrer und Ausleger des Wil— 
lens des unfichtbaren Gejeßgebers die Glaubensvorſchrift ausſchließlich 
zu verwalten die Autorität hat und aljo, mit diefer Gewalt verjehen, nicht 20 
überzeugen, jondern nur befeblen darf. — Weil nun außer diefem Kle— 
rus alles übrige Laie ift (das Oberhaupt des politischen gemeinen We— 
ſens nicht ausgenommen): jo beherrſcht die Kirche zuleßt den Staat, nicht 
eben durch Gewalt, jondern durch Einfluß auf die Gemüther, überdem 
auch durch Vorſpiegelung des Nußens, den diejer vorgeblid aus einem > 
unbedingten Gehorfam joll ziehen fönnen, zu dem eine geiftige Difciplin 
jelbft das Denken des Volks gewöhnt hat; wobei aber unvermerft die 
Gewöhnung an Heucelei die Nedlichfeit und Treue der Unterthanen un- 
tergräbt, fie zum Scheindienft auch in bürgerlihen Pflichten abwitigt 
und wie alle fehlerhaft genommene Principien gerade das Gegentheil von = 
dem bervorbringt, was beabfihtigt war. 


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Das alles ift aber die unvermeidliche Folge von der beim erften An- 
blick unbedenkli ſcheinenden Verſetzung der Principien des allein jelig- 
machenden Religionsglaubens, indem es darauf anlam, weldhem von 








182 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. Vierles Stüd. 


reinen Religionsglauben, der jedem Menjchen nicht allein begreiflich, jon- 
dern auch im höchſten Grade ehrwürdig ift; ja es führt dahin jo natürlich, 
daß, wenn man den Verſuch machen will, man finden wird, daß er jedem 
Menſchen, ohne ihm etwas davon gelehrt zu haben, ganz und gar abge- 
fragt werden kann. Es iſt alfo nicht allein klüglich gehandelt, von diefem 
anzufangen und den Geſchichtsglauben, der damit harmonirt, auf ihn 
folgen zu laſſen, jondern es ift auch Pflicht, ihn zur oberften Bedingung 
zu machen, unter der wir allein hoffen können, des Heils theilhaftig zu 
werden, was uns ein Gejhichtsglaube immer verheigen mag, und zwar 
dergeftalt, daß wir diefen nur nad) der Auslegung, welche der reine Re— 
ligionsglaube ihm giebt, für allgemein verbindlich fünnen oder dürfen 
gelten lafjen (weil diefer allgemein gültige Lehre enthält), indefjen daß 
der Moralifc Gläubige dod) aud) für den Geſchichtsglauben offen ift, jo 
fern er ihn zur Belebung jeiner reinen Religionsgefinnung zuträglidh fin- 
det, weldher Glaube auf diefe Art allein einen reinen moraliſchen Werth 
hat, weil er frei und durd) feine Bedrohung (wobei er nie aufrichtig fein 
fann)Tabgedrungen ift. 

Sofern num aber aud der Dienft Gottes in einer Kirche auf die 
reine moraliſche Verehrung defjelben nad den der Menſchheit überhaupt 
vorgeihriebenen Gejeken vorzüglidy gerichtet ift, jo fann man doch nod) 
fragen: ob in diefer immer nur Öottjeligfeits- oder aud) reine Tu— 
gendlehre, jede bejonders, den Juhalt des Religionsvortrags ausmachen 
ſolle. Die erfte Benennung, nämlich Gottjeligfeitslehre, drüdt viel- 
leicht die‘ Bedeutung des Worts religio (wie es jeßiger Zeit verftanden 
wird) im objectiven Sinn am beiten aus. 

Gottjeligfeit enthält zwei Beftimmungen der moraliſchen Gefin- 
nung im Berhältnifje auf Gott; Furdt Gottes ift dieje Gefinnung in 
Befolgung jeiner Gebote aus ſchuldiger (Unterthans-) Pflicht, d. i. aus 
Achtung fürs Gejeh; Liebe Gottes aber aus eigener freier Wahl und 
aus Wohlgefallen am Geſetze (aus Kindespflidt). Beide enthalten alfo 
noch über die Moralität den Begriff von einem mit Eigenjhaften, die 
das durch dieje beabfichtigte, aber über unjer Vermögen hinausgehende 
höchſte Gut zu vollenden erforderlich find, verjehenen überfinnlichen We- 
jen, von defjen Natur der Begriff, wenn wir über das moralijdhe Ver: 
hältniß der Idee defjelben zu uns hinausgehen, immer in Gefahr jteht, 
von uns anthropomorpbiftiich und dadurch oft unjeren füttlichen Grund⸗ 
jägen gerade zum Nadhtheil gedacht zu werden, von dem aljo die Idee 





0 


Dom Dienft und Afterbienft unter ber Herrichaft bes guten Principe. 183 


in der fpeculativen Vernunft für ſich jelbjt nicht beftehen kann, fondern 
fogar ihren Urfprung, nod mehr aber ihre Kraft gänzlich auf der Bezie- 
hung zu unferer auf fid) jelbjt beruhenden Pflichtbeſtimmung gründet. 
Was ift nun natürlicher in der erften Jugendunterweifung und jelbft in 
dem Kanzelvortrage: die Tugendlehre vor der Gottjeligkeitslehre, oder 
dieje vor jener (wohl gar ohne derjelben zu erwähnen) vorzutragen? Beide 
jtehen offenbar in nothwendiger Verbindung mit einander, Dies ift aber 
nicht anders möglich, als, da fie nicht einerlei find, eine müßte als Zwed, 
die andere bloß als Mittel gedacht und vorgetragen werden. Die Tugend: 
lehre aber befteht durch fich ſelbſt (ſelbſt ohne den Begriff von Gott), Die 
Gottfeligfeitslehre enthält den Begriff von einem Gegenftande, den wir 
uns in Beziehung auf unjere Moralität, als ergänzende Urfache unferes 
Unvermögens in Anjehung des moralifhen Endzweds vorjtellen. Die 
Gnttfeligfeitslehre kann alſo nicht für fid) den Endzwed der fittlihen Be- 
ftrebung ausmaden, fondern nur zum Mittel dienen, das, was an ſich 
einen befjeren Menſchen ausmacht, die TZugendgefinnung, zu ſtärken, da- 
durd) daß fie ihr (als einer Beftrebung zum Guten, felbjt zur Heiligkeit) 
die Erwartung des Endzweds, dazu jene unvermögend ift, verheißt und 
fiber. Der Tugendbegriff ift dagegen aus der Seele des Menſchen ge 
nommen. Er hat ihn ſchon ganz, obzwar unentwidelt, in ſich und darf 
nicht, wie der Religionsbegriff durch Schlüfje herausvernünftelt werben. 
In feiner Reinigfeit, in der Erwedung des Bewußtfeins eines ſonſt von 
uns nie gemuthmaßten Vermögens, über die größten Hindernifje in uns 
Meifter werden zu können, in der Würde der Menjchheit, die der Menſch 
an feiner eignen Perjon und ihrer Beitimmung verehren muß, nad) der 
er ftrebt, um fie zu erreichen, liegt etwas jo Seelenerhebendes und zur 
Gottheit jelbit, die nur durch ihre Heiligkeit und als Gejekgeber für die 
Tugend anbetungswürdig ift, Hinleitendes, daß der Menſch, felbft wenn 
er noch weit davon entfernt ift, diefem Begriffe die Kraft des Einflufjes 
auf jeine Marimen zu geben, dennod nit ungern damit unterhalten 
wird, weil er ſich ſelbſt durch dieje Idee ſchon in gewiſſem Grade veredelt 
fühlt, indefjen daß der Begriff von einem diefe Pflicht zum Gebote für 
uns madenden Weltherriher nod in großer Ferne von ihm liegt und, 
wenn er davon anfinge, feinen Muth (der das Wejen der Tugend mit 
ausmacht) niederſchlagen, die Gottjeligfeit aber in ſchmeichelnde, knechti— 
ſche Unterwerfung unter eine despotijch gebietende Macht zu verwandeln, 
in Gefahr bringen würde. Diefer Muth, auf eigenen Füßen zu ftehen, 





184 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Viertes Stück. 


wird num ſelbſt durch die darauf folgende Verſöhnungslehre geitärft, in- 
dem fie, was nicht zu ändern ift, als abgethan vorftellt und nun den Pfad 
zu einem neuen Zebenswandel für uns eröffnet, anftatt daß, wenn dieje 
Lehre den Anfang macht, die leere Bejtrebung, das Gejchehene ungeſche— 
ben zu machen (die Erpiation), die Furcht wegen der Zueignung derjelben, 5 
die Vorftellung unſeres gänzlihen Unvermögens zum Guten und die 
Angftlichkeit wegen des Nüdfalls ins Böfe dem Menſchen den Muth be- 
nehmen*) und ihn in einen ächzenden moraliſch-paſſiven Zuftand, der 


*) Die verfchiedenen Glaubensarten ber Bölfer geben ihmen nad und nad 
auch wohl einen im bürgerlichen Verhältniß äußerlich ausgeichnenden Charakter, 10 
ber ihnen nachher, gleich al3 ob er Temperamentseigenfhaft im Ganzen wäre, bei- 
gelegt wird. So zog ſich der Zubaism feiner erften Einrichtung nad, da ein 
Volk fi durch alle erbenkliche, zum Theil peinliche Obfervangen von allen andern 
Bölfern abjondern und aller Bermifchung mit ihnen vorbeugen follte, ben Vor: 
wurf bes Menfchenhafjes zu. Der Mohammedanism unterfcheidet ſich durch 
Stolz, weil er ftatt ber Wunder an den Siegen und der Unterjocyung vieler Böl- 
fer bie Beitätigung feines Glaubens findet, und feine Andachtsgebräuche alle von 
ber muthigen Art find). Der hinduiſche Glaube giebt feinen Anhängern ben 
Charakter der Kleinmüthigfeit aus Urfachen, die denen des nächſtvorhergehen⸗ 
ben gerabe ———— find. — Nun liegt es gewiß nicht an der innern Be- 20 
ſchaffenheit des chriftlichen Glaubens, fondern an ber Art, wie er an die Gemüther 
gebracht wird, wenn ihm an — bie es am herzlichſten mit ihm meinen, aber, 
vom menfchlichen Verderben anhebend und an aller Tugend verzweifelnd, ihr Re- 
ligionsprincip allein in der Frömmigfeit (worunter der Grundfaß des leidenden 
Verhaltens in Anjehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottjelig- 35 
feit verftanden wirb) jehen, ein jenem ähnlicher Vorwurf gemacht werben fann: 
weil fie nie ein Zutrauen im fich ſelbſt ſetzen, in beftändiger Ängftlichkeit fich nach 
einem übernatürlichen Beiftande umſehen und ſelbſt im diefer Selbftveradhtung (die 
nicht Demuth ift) ein Gunft erwerbendes Mittel zu befien vermeinen, wovon ber 
äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine Enehtijhe Gemüths- 30 
art aufünbigt. 

+) Diefe merkwürdige Erjcheinung (bes Stolzes eines unwiſſenden, obgleich 
veritändigen Volfs auf feinen Glauben) fann auch von Einbildimg des Stifter 
herrühren, als habe er den Begriff der Einheit Gottes und deſſen überfinnlicher 
Natur allein in der Welt wiederum erneuert, der freilih eine Vereblung feines 35 
Volls durd; Befreiung vom Bilderdienft und der Anarchie der PVielgötterei fein 
würde, wenn jener fich dieſes Berdienft mit Necht zuichreiben könnte. — Was das 
Charakteriftifche der dritten Glafie von Religiondgenoffen betrifft, welche übel ver- 
ftandene Demuth zum Grunde bat, fo joll die Herabſetzung bes Eigendünfels in 
ber Schätzung feines moralif—en Werths durch die Borhaltung der Heiligkeit des 40 
Gejeges nicht Verachtung feiner jelbft, ſondern vielmehr Enſſchloſſenheit bewirfen 


ii 


ui 


wartet, verjegen muß. — Es foınmt in dem, was die moralifche Geſin⸗ 
nung betrifft, alles auf den oberften Begriff an, dem man feine Pflichten 
unterordnet. Wenn die Verehrung Gottes das Erfte ift, der man alfo 
bie Tugend unterordnet, fo ift diefer Gegenftand ein Zdol, d. i. er wird 
als ein Wejen gedadht, dem wir nicht durdy fittlihes Wohlverhalten in 
der Welt, fondern durdy Anbetung und Einſchmeichelung zu gefallen hof- 
fen dürften; die Religion aber ift aladann Idololatrie. ottjeligkeit ift 
aljo nicht ein Surrogat der Tugend, um fie zu entbehren, jondern die 
Bollendung derjelben, um mit der Hoffnung der endlichen Gelingung aller 
unjerer guten Zwede befrönt werden zu fönnen. 





1 


84 
Vom Leitfaden des Gewiſſens in Glaubensjaden. 
Es ift hier nicht die Frage: wie das Gewifjen geleitet werden folle 
ıs (denn das will feinen Leiter: es ift genug eines zu haben); jondern wie 
dieſes ſelbſt zum Leitfaden in den bedenflichften moraliihen Entſchließun— 
gen dienen könne. — | 
Das Gemifjen ift ein Bewußtjein, das für ſich ſelbſt Pflicht 
ift. Wie ift es aber möglich, ſich ein folches zu denken, da das Bewußt- 
so jein aller unjerer Vorjtellungen nur in logiicher Abficht, mithin bloß be 
dingter Weife, wenn wir unfere Vorftellung Mar machen wollen, noth- 
wendig zu fein jcheint, mithin nicht unbedingt Pflicht fein kann? 
Es ift ein moraliſcher Grundjaß, der feines Beweijes bedarf; man 
ſoll nichts auf die Gefahr wagen, daß es unrecht ei (quod dubitas, 
>» ne feceris! Plin.). Das Bewußtjein aljo, daß eine Handlung, Die id 


biejer edlen Anlage in uns gemäß uns der Angemefjenheit zu jener immer mehr 
zu nähern: ftatt deſſen Tugend, die eigentlich im Muthe dazu befteht, ald ein des 
Eigenbünfels fchon verdädhtiger Name, ind Heidenthum veriwiejen und Friechende 
Gunftbewerbung dagegen angepriejen wird. — Andächtelei (bigotterie, devotio 
30 spuria) ift bie Gewohnheit, ftatt Gott wohlgefälliger Handlungen (in Erfüllung 
aller Menfchenpflichten) in der unmittelbaren Bejchäftigung mit Gott durch Ehr- 
furchtöbezeigungen die Übung der Frömmigfeit zu ſetzen; welche Übung alsdann 
zum Frohndienſt (opus operatum) gezählt werben muß, nur daß fie zu dem 
Uberglauben noch ben ſchwärmeriſchen Wahn vermeinter überfinnlichen (himmliſcher) 
> Gefühle Hinzu thut. 

















186 Religion innerhalb der Grenzen ber blohen Vernunft. Viertes Stüd. 


unternehmen will, recht fei, ift unbedingte Pflicht. Ob eine Handlung 
überhaupt recht oder unrecht ſei, darüber urtheilt der Verſtand, nicht das 
Gewiſſen. Es ift auch nicht ſchlechthin nothwendig, von allen möglichen 
Handlungen zu wiſſen, ob fie recht oder unrecht find. Aber von der, die 
ich unternehmen will, muß id) nicht allein urtheilen und meinen, fondern 5 
aud gewiß fein, daß fie nicht unrecht fei, und dieje Forderung ift ein 
Poſtulat des Gewifjens, welchem der Brobabilismus, d. i. der Grund— 
jaß entgegengejebt ift: daß die bloße Meinung, eine Handlung fönne wohl 
recht fein, ſchon hinreichend jet, fie zu unternehmen. — Man könnte das 
Gewiſſen and) jo definiren: es ift die ſich ſelbſt rihtende moraliſche 
Urtheilstraft; nur würde diefe Definition nod einer vorhergehenden 
Erflärung der darin enthaltenen Begriffe gar jehr bedürfen. Das Ge- 
wiſſen richtet nicht die Handlungen als Gajus, die unter dem Geſetz jtehen; 
denn das thut die Vernunft, jo fern fie fubjectivspraftifc ift (daher die 
casus conscientiae und die Caſuiſtik, als eine Art von Dialektif des Ge- 
wifjens): ſondern hier richtet die Vernunft ſich jelbft, ob fie auch wirklich 
jene Beurtheilung der Handlungen mit aller Behutjamfeit (ob fie recht 
oder unrecht find) übernommen habe, und jtellt den Menden wider 
oder für ſich ſelbſt zum Zeugen auf, daß diejes gejchehen oder nicht ge— 
ſchehen jei. 90 
Man nehme 5. B. einen Keßerrichter an, der an der Alleinigfeit ſei— 
nes itatutariihen Glaubens bis allenfalls zum Märtyrerthume fejt hängt, 
und der einen des Unglaubens verflagten jogenannten Ketzer (jonft guten 
Bürger) zu richten hat, und nun frage ich: ob, wenn er ihn zum Tode ver- 
urtheilt, man jagen könne, er habe feinem (obzwar irrenden) Gewiſſen * 
gemäß gerichtet, oder ob man ihm vielmehr ſchlechthin Gewiſſenloſig— 
keit Schuld geben könne, er mag geirrt oder mit Bewußtjein unrecht ge- 
than haben; weil man es ihm auf den Kopf zufagen fann, daß er in 
einem ſolchen Falle nie ganz gewiß fein fonnte, er thue hierunter nicht 
vielleicht unredt. Er war zwar vermuthlid des feiten Glaubens, daß so 
ein übernatürlichegeoffenbarter göttlicher Wille (vielleicht nad dem Sprud): 
compellite intrare) es ihm erlaubt, wo nicht gar zur Pflicht macht, den 
vermeinten Unglauben zufammt den Ungläubigen auszurotten. Aber war 
er denn wirklich von einer ſolchen geoffenbarten Lehre und auch dieſem 
Sinne derjelben jo jehr überzeugt, als erfordert wird, um es darauf zu = 
wagen, einen Menſchen umzubringen? Daß einem Menſchen jeines Re 
ligionsglaubens wegen das Leben zu nehmen unrecht ſei, ift gewiß: wenn 


— 


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vermeinten 
———— 
»o auferlegen Dürfen. Da die Überzeugung feine anbere als hiſtoriſche Be- 





öffentlichen Beförderung der Gottjeligfeit, als ein von Gntt unmittelbar 
verordnetes Religionsftüd, anzuertennen, oder ein Geheimniß als von ihm 
30 feſtiglich geglaubt zu befennen, was es nicht einmal verfteht. Sein geift- 











ss alfo vielleicht Wahrheit im Geglaubten, aber dod) zugleid) Unwahrhaftige 
teit im Glauben (oder deffen jelbft bloß innerem Befenntniffe) fein, und 
biefe ift an ſich verdammlid). 














188 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd, 


Obzwar, wie oben angemerkt worden, Menſchen, die nur den min— 
beften Anfang in der Freiheit zu denfen gemacht haben*), da fie vorher 
unter einem Sklavenjoche des Glaubens waren (z. B. die Proteftanten), 
fid) fofort gleichſam für veredelt halten, je weniger fie (Pofitives und zur 
Prieſtervorſchrift Gehöriges) zu glauben nöthig haben, fo iſt es doch bei 
denen, die noch feinen Verſuch diejer Art haben machen können oder wol- 
fen, gerade umgekehrt; denn diejer ihr Grundjaß ijt: es ijt rathſam, lieber 
zu viel als zu wenig zu glauben. Denn was man mehr thut, als man 
ſchuldig ift, ſchade wenigitens nicht, könne aber dod) vielleicht wohl gar 
helfen. — Auf diefen Wahn, der die Unredlichkeit in Religionsbefennt- 
niffen zum Grundſatze macht (wozu man fid) defto leichter entichließt, weil 
die Religion jeden Fehler, folglich auch den der Unredlichkeit wieder gut 
macht), gründet fid die fogenannte Siherheitsmarime in Glaubensjahen 
(argumentum a tuto): Sit das wahr, was id) von Gott befenne, jo habe 
ichs getroffen; ift es nicht wahr, übrigens auch nichts an fid) Unerlaubtes: 
jo habe id) es blos überflüffig geglaubt, was zwar nicht nöthig war, mir 
aber nur etwa eine Bejchwerde, die doch fein Verbrechen tjt, aufgeladen. 
Die Gefahr aus der Unredlichfeit feines Vorgebens, die Verletzung des 
Gewiſſens, etwas jelbjt vor Gott für gewiß auszugeben, wovon er ſich 


*) Ich geitehe, bad ich mic, in dem Ausdrud, deſſen ſich auch wohl Fuge 
Männer bedienen, nicht wohl finden Tann: Ein gewiſſes Volf (was in der Bear: 
beitung einer geſetzlichen Freiheit begriffen ift) ift zur Freiheit nicht reif; die Zeib- 
eigenen eines Gutseigenthümers find zur Freiheit noch nicht reif; und jo auch: bie 
Menfchen überhaupt find zur Glanubensfreiheit noch nicht reif. Nach einer ſolchen 
Borausjeßung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu biejer 
nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gefeht worden ift (man muß frei 
fein, um ſich jeiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu Fönnen). Die 
eriten Verſuche werben freilich rob, gemeiniglid” auch mit einem beichwerlicheren 
und gefährlicheren Zuftande verbunden fein, ald dba man noch unter ben Befehlen, 
aber auch der Vorſorge anderer ftand; allein man reift für die Bermunft nie anders, 
als durch eigene Berfuche (welche machen zu dürfen, man frei fein muß). Ich 
babe nichtö dawider, dah bie, welche die Gewalt in Händen haben, durch Zeitum«- 
ſtände gendtbigt, die Entichlagung von dieſen drei Feſſeln moch weit, jehr weit 
aufichieben. Aber e8 zum Grundſatze machen, daß denen, die ihnen einmal unter- 
worfen find, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man berechtigt jei, fie jederzeit 
davon zu entfernen, ift ein Eingriff in die Regalien ber Gottheit ſelbſt. die der 
Menichen zur Freibeit ſchuf. Bequemer ift es freilich —— * und Ki 
zu herrſchen, wenn man einen ſolchen Grundfah durchzuſehen vermag. A 
gerechter? 





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Vom Dienft und Afterdienft unter der Herrfchaft des guten Principe. 189 


doc) bewußt ift, daß es nicht von der Beichaffenheit fei, es mit unbeding- 
tem Zutrauen zu betheuern, diefes alles hält der Heuchler für nichts: 
— Die ädhte, mit der Religion allein vereinbarte Sicherheitsmaxime ift 
gerade die umgekehrte: Was als Mittel oder als Bedingung der Gelig- 
feit mir nicht durch meine eigene Vernunft, ſondern nur durch Offenba- 
rung befannt und vermittelft eines Geſchichtsglaubens allein in meine 
Bekenntniſſe aufgenommen werden fann, übrigens aber den reinen mora= 
liihen Grundfägen nicht widerspricht, kann id) zwar nicht für gewiß glau— 
ben und betheuern, aber aud) eben jo wenig als gewiß falſch abweijen. 
Sleihwohl, ohne etwas hierüber zu bejtimmen, rechne ich darauf, daß, 
was darin Heilbringendes enthalten fein mag, mir, fofern ich mid) nicht 
etwa durd den Mangel der moralijchen Gefinnung in einem guten Le— 
benswandel defien unwürdig made, zu gut fommen werde, In diejer 
Marime ift wahrhafte moraliihe Sicherheit, nämlidy vor dem Gewiſſen 
(und mehr fann von einem Menſchen nicht verlangt werden), dagegen tft 
die höchſte Gefahr und Unficherheit bei dem vermeinten Klugheitsmittel, 
die nadıtheiligen Folgen, die mir aus dem Nicytbefennen entipringen 
dürften, liftiger Meife zu umgehen und dadurd, daß man e3 mit bei— 
den Parteien hält, es mit beiden zu verderben. — 

Wenn fid) der Berfafjer eines Eymbols, wenn fid) der Xehrer einer 
Kirche, ja jeder Menich, jofern er innerlich ſich jelbit die Uberzeugung 
von Süßen als göttlichen Dffenbarungen gejtehen joll, fragte: getrauejt 
du dich wohl in Gegenwart des Herzensfündigers mit Verzihtthunng auf 
alles, was dir werth und heilig ift, diejer Säge Wahrheit zu betheuren? 
jo müßte id) von der menſchlichen (des Guten doc wenigitens nicht ganz 
unfähigen) Natur einen jehr nachtheiligen Begriff haben, um nicht vor- 
auszufehen, daß auch der fühnfte Glaubenslehrer hiebei zittern müßte}). 


+) Der nämlide Mann, der jo breuft ift zu jagen: wer an dieſe ober jene 
Geſchichtslehre ald eine theure Wahrheit nicht glaubt, der ift verdammt, ber 
müßte body auch jagen fünnen: wenn bas, was ic) euch hier erzähle, nicht wahr 
ift, fo will ih verbammt jein! — Wenn es jemand gäbe, ber einen jolchen 
er Ausspruch thun könnte, fo würde ich rathen, fich in Anfehung feiner 
re Sprichwort von einem Hadgi zu richten: iſt jemand einmal 
Igrim) be Melka geweien, jo ziehe aus dem Haufe, worin er mit dir wohnt; 






en 
Ä 


te er veimal da geweien, fo ziehe aus derfelben Strafe, wo er fich befindet; ift 





da geweſen, jo verlaſſe die Stadt, ober gar das Land, wo er ſich 














190 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. Viertes Stüd. 


Wenn das aber fo ift, wie reimt es fi) mit der Gewifjenhaftigkeit zufam- 
men, gleihmwohl auf eine ſolche Glaubenserflärung, die feine Einjchrän- 
fung zuläßt, zu dringen und die Bermefjenheit ſolcher Betheurungen jogar 
felbft für Pflicht und gottesdienftlicdh auszugeben, dadurd) aber die Frei- 
heit der Menſchen, die zu allem, was moraliſch ift (dergleichen die An- 
nahme einer Religion), durdaus erfordert wird, gänzlid) zu Boden zu 
ihlagen und nicht einmal dem guten Willen Pla einzuräumen, der da 
jagt: „Sc glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!“ +) 


Allgemeine Anmerfung. 


Mas Gutes der Menſch nad Freiheitsgefegen für ſich felbit thun 
fann in Bergleihung mit dem Vermögen, weldyes ihm nur durd) über: 
natürlide Beihülfe möglich ift, fann man Natur zum Unterfchied von 
der Gnade nennen. Nicht als ob wir durd den erfteren Ausdrud eine 
phyſiſche, von der Freiheit unterfchiedene Beſchaffenheit verftänden, jon- 
dern bloß, weil wir für diefes Vermögen wenigitens die Gejebe (der 
Tugend) erfennen, und die Vernunft aljo davon, als einem Analogon 
der Natur, einen für fie fihtbaren und faßlichen Leitfaden hat; dagegen, 


+) DO Aufrichtigleit! bu Afträa, die du von ber Erde zum Himmel ent- 
flohen bift, wie zieht man dich (die Grundlage bes Gewiffens, mithin aller inneren 
Religion) von da zu uns wieder herab? Sch kann es einräumen, wiewohl es ſehr 
zu bedauren ift, daß Offenherzigkelt (bie ganze Wahrheit, die man weiß, zu jagen) 
in ber menſchlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit (baf alles, 
was man jagt, mit Wahrhaftigkeit gejagt fei) muß man von jedem Menſchen 
fordern fünnen, und wenn auch felbft dazu feine Anlage in umferer Natur wäre, 
beren Gultur nur vernadhläffigt wird, jo würde die Menfchenrafje in ihren eigenen 
Augen ein Gegenftanb ber tiefiten Verachtung fein müffen. Aber jene verlangte 
Gemuͤthseigenſchaft ift eine ſolche, die vielen Verſuchungen ausgeſetzt it und manche 
Aufopferung Foftet, daher auch moralifche Stärke, d. i. Tugend (bie erworben wer- 
ben muß), fordert, bie aber früher als jebe andere bewacht und cultivirt werben 
muß, weil ber entgegengejeßte Hang, wenn man ihn bat einwurzeln laſſen, am 
ſchwerſten auszurotten ift. — Nun vergleiche man damit unfere Erziehungsdart, vor- 
nehmlich im PBunfte der Religion, ober beifer ber Glaubendlehren, wo die Treue 
bes Gedächtnifjes in Beantwortung ber jie betreffenden Fragen, ohne auf die Treue 
bed Belenntnifies zu ſehen (worüber nie eine Prüfung angeftellt wird), ſchon für 
binreihend angenommen wird, einen Gläubigen zu machen, ber bas, was er heilig 
betheuert, nicht einmal veriteht, und man wirb fich über ben Mangel der Aufridh- 
tigfeit, der lauter innere Heuchler macht, nicht mehr wundern. 


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Vom Dienft und Afterbienft unter ber Herrichaft bes guten Principe. 191 


ob, wenn und was oder wie viel die Gnade in uns wirken werde, uns 
gänzlich verborgen bleibt, und die Vernunft hierüber, fo wie beim Über- 
natürlichen überhaupt (dazu die Moralität als Heiligkeit gehört) von 
aller Kenntniß der Geſetze, wornach e8 geichehen mag, verlafjen ift. 

Der Begriff eines übernatürlihen Beitritts zu unferem moralischen, 
obzwar mangelhaften, Bermögen und jelbjt zu unferer nicht völlig gerei- 
nigten, wenigitens ſchwachen Gefinnung, aller unferer Pflicht ein Genüge 
zu ihun, ift transjcendent und eine bloße Idee, von deren Realität uns 
feine Erfahrung verfidern kann. — Aber jelbft als Idee in bloß prafti- 
ſcher Abſicht fie anzunehmen, ift fie jehr gewagt und mit der Vernunft 
ſchwerlich vereinbar: weil, was uns als fittlidhes gutes Verhalten zuge: 
rechnet werden ſoll, nicht durdy fremden Einfluß, fondern nur durd) den 
beftmöglichen Gebrauch unferer eigenen Kräfte gejchehen müßte. Allein 
die Unmöglichkeit davon (dab beides neben einander ftatt finde) läßt fid) 
doch eben auch nicht beweiſen, weil die Freiheit ſelbſt, obgleich fie nichts 
Ubernatürlihes in ihrem Begriffe enthält, gleihwohl ihrer Möglichkeit 
nad) ung eben jo unbegreiflich bleibt, als das Übernatürliche, welches man 
zum Erjab der jelbjtthätigen, aber mangelhaften Beitimmung derjelben 
annehmen möchte. 

Da wir aber von der Freiheit doch wenigitens die Geſetze, nad) 
welchen fie beftimmt werden fol, (die moraliſchen) fennen, von einem 
übernatürlihen Beiftande aber, ob eine gewifje in uns wahrgenommene 
moraliſche Stärke wirflid) daher rühre, oder auch, in welchen Fällen und 
unter welchen Bedingungen fie zu erwarten jei, nicht das Mindejte erfen- 
nen fönnen, jo werden wir außer der allgemeinen Vorausfeßung, daß, 
was die Natur in uns nicht vermag, die Gnade bewirken werde, wenn 
wir jene (d. i. unfere eigenen Kräfte) nur nad) Möglichkeit benußt haben, 
von diefer Idee weiter gar feinen Gebraud; machen fönnen: weder wie 
wir (noch außer der ftetigen Beitrebung zum guten Xebenswandel) ihre 
Mitwirkung auf uns ziehen, noch wie wir bejtimmen könnten, in welchen 
Fällen wir uns ihrer zu gewärtigen haben. — Dieje Idee ift gänzlich) 
überfhwenglich, und es ift überdem heilfam, ſich von ihr als einem Hei- 
ligthum in ehrerbietiger Entfernung zu halten, damit wir nicht in dem 
Wahne jelbft Wunder zu thun, oder Wunder in uns wahrzunehmen uns 
für allen Vernunftgebraud untauglic; machen oder auch zur Trägheit 
einladen laſſen, das, was wir in uns felbft fuchen follten, von oben herab 
in paffiver Muße zu erwarten. 


194 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Vernunft. Viertes Stüd. 


das Beten, das Fajten, das Almofengeben, die Wallfahrt nad Mekka; 
wovon das Almojengeben allein ausgenommen zu werden verdienen würde, 
wenn es aus wahrer tugendhafter und zugleich religiöfer Gefinnung für 
Menſchenpflicht geihähe und jo auch wohl wirklich für ein Gnadenmittel 
gehalten zu werden verdienen würde: da es hingegen, weil es nad) diefem > 
Glauben gar wohl mit der Erprefjung defjen, was man in der Perſon der 
Armen Gott zum Opfer darbietet, von Andern zuſammen beftehen kann, 
nicht ausgenommen zu werden verdient). 

Es fann nämlid dreierlei Art von Wahnglauben der uns mög» 
lichen Überſchreitung der Grenzen unjerer Vernunft in Anfehung des 
Übernatürlien (das nicht nad) Vernunftgejegen ein Gegenjtand weder 
des theoretiſchen noch praftiichen Gebrauchs ift) geben. Erjtlid der 
Glaube etwas durd Erfahrung zu erkennen, was wir doch felbft als nad) 
objectiven Erfahrungsgejeßen geihehend unmöglid annehmen fönnen 
(der Glaube an Wunder). Zweitens der Wahn das, wovon wir 
jelbjt durd) die Vernunft ung feinen Begriff machen fönnen, doch unter 
unfere Bernunftbegriffe als zu unſerm moraliſchen Beſten nöthig auf: 
nehmen zu müffen (der Glaube an Geheimnifje). Drittens der Wahn 
durd den Gebrauch bloßer Naturmittel eine Wirkung, die für uns Ge- 
heimniß ift, nämlich den Einfluß Gottes auf unjere Sittlidyfeit hervor: à 
bringen zu können (der Blaube an Gnadenmittel). — Bon den zwei 
erften erfünjtelten Glaubensarten haben wir in den allgemeinen Anmer: 
fungen zu den beiden nächſt vorhergehenden Stüden dieſer Schrift gehan- 
delt. Es ift uns aljo jeßt nody übrig von den ®nadenmitteln zu handeln 
(die von Önadenwirfungen,F) d. i. übernatürlihen moraliihen Ein = 
flüffen, noch unterſchieden find, bei denen wir uns bloß leidend verhalten, 
deren vermeinte Erfahrung aber ein ſchwärmeriſcher Wahn ift, der bloß 
zum Gefühl gehört). 

1. Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und dar- 
um als Gnadenmittel gedacht, ift ein abergläubiijher Wahn (ein Fetiſch- 50 
machen); denn es ift ein bloß erflärtes Wünſchen gegen ein Wejen, 
das feiner Erflärung der inneren Gefinnung des Wünſchenden bedarf, 
wodurd) aljo nichts gethan und alfo feine von den Pflichten, die uns als 
Gebote Bottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird. 
Ein berzliher Wunſch, Gott in allem unjerm Thun und Lafjen wohlge- » 


+) ©, Allgemeine Anmerkung zum Erften Stüd. 


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Sem Dienft und Afterdient unter der Herrichaft des guten Krincivs 195 


fälig zu fein, &.i die alle unfere Handlungen | 
als ob fie im Dienfte Gottes geichehen, SE Betreiben, HR | | 
le Ge —— a 
Wunſch aber (es fei auch nur innerlich) in Worte und Formeln einzuflei« 
ns eek nu den Werth eines Mittels zu wiederholter Ber 


In jenem Wunſch, als dem Geifte des Gebets, fucht der Menich nur auf ſich 
— — der Idee von Gott), im diefem 
aber, ba er fich durch Worte, mithin äußerlich erflärt, auf Gott zu wirken. Im erfte- 
ren Sim kann ein Gebet nit voller Aufrichtigkeit ftatt finden, wenn gleich der Menſch 
fich nicht anmaßt, jelbit dad Dafein Gottes als völlig gewiß betheuren zu Lnnen; im 
ber zweiten Form ald Anrede nimmt er dieſen böchfien Gegenftand ald perfönlich 




































a ee ich will nicht jagen, De aa Re fondern auch nur 
20 im ber dieſes anzeigenden Geberdung überrafchte. Man wird, ohne daß Ich es fage, 
von jelbft eriwarten, daß jener darüber in Verwirrung oder Verlegenheit, gleich als 
über einen Zuftand, deſſen er fich zu fchämen habe, gerathen werde. Warum dad 
aber? Da ein Menſch mit fich felbit laut redend betroffen wird, bringt ihn vor der 
Hand in dem Verdacht, daß er eine Feine Anwandlung von Wahnfinn habe; mıd eben 
25 jo beurtheilt man ihn (micht ganz mit Unrecht), wenn man ihm, da er alleim ift, auf 


einer Beihäftigung oder Geberdung betrifft, die der nur haben Fan, welcher jemaud 
außer ſich vor Augen hat, was doc in dem angenommenen Beifpiele der Fall nicht 

— Der Lehrer des Evangeliums hat aber den Geilt des Gebets ganz vortrefflich 

in einer Formel ausgedrüdt, welche dieſes umd biemit auch fich jelbit (ald Buchitaben) 
»» zugleich entbehrlich macht. Im ihr findet man nichts, ald den Vorſatz zum guten Yes 
benswanbdel, der, mit bem Bewußtſein unjerer Gebrechlichkeit verbunden, einen beitän« 
digen Wunſch enthält, ein würdiges Glied im Reiche Gottes zu fein; aljo feine eigent- 
liche Bitte um Etwas, was und Gott nad) jeiner Weisheit auch wohl verweigern 
(in Got mehfgefitign Bi der, wenn er ermitlich (thätig) ift, jeinen Gegenftand 








Bla aa bie Benibaner berieiben suchst — 
ſchen gefühlten Bebürfniffes ift, iit mehr ein Bekenntuiß deifen, was die Natur in 
uns will, als eine befondere überlegte Bitte deſſen, was der Menjch will: dergleichen 
0 die um bas Brod auf den andern Tag fein würde; welche hier deutlich genug ausge 
ſchloſſen wird. — Ein Gebet diefer Urt, das im moraliſcher (nur dur die Idee von 


13* 








196 Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen Bernumft. Biertes Stück. 


lebung jener Gefinnung in uns jelbft bei fi führen, unmittelbar aber 
feine Beziehung aufs göttliche Wohlgefallen haben, eben darum auch nicht 


Gott belebter) Gefinnung geichieht, weil es als der moralifche Geiſt bes Gebets feinen 
Gegenftand (Bott wohlgefällig zu fein) ſelbſt hervorbringt, kann allein im Glauben 
geichehen; welches leßtere fo viel heißt, als fich ber Erhörlichkeit deflelben verfichert 
zu halten; von dieſer Art aber kann nichts, als die Moralität in ung fein. Denn wenn 
die Bitte auch nur auf das Brod für ben heutigen Tag ginge, fo kann niemanb fich von 
ber Erhörlichfeit deſſelben verjichert halten, b. i. baf ed mit ber Weisheit Gottes noth- 
wenbig verbunden fei, fie ihm zu gewähren; es kann vielleicht mit derſelben beſſer zu⸗ 
fammenftimmen, ihn an diefem Mangel heute fterbem zu lafien. Much ift es ein unge» 
reimter und zugleich vermeffener Wahn durch die pochende Zudringlichfeit bes Bittens 
zu verfuchen, ob Gott nicht von bem Plane feiner Weisheit (zum gegenwärtigen Vor- 
theil für un) abgebracht werben könne. Alfo können wir fein Gebet, was einen nicht 
moralifchen Gegenjtand hat, mit Gewißheit für erhörlich halten, b.i. um jo Etwas 
nicht im Glauben beten. Ja fogar: ob der Gegenftand gleich moralijch, aber doch 
nur durch übernatärlichen Einfluß möglich wäre (oder wir wenigſtens ihn bloß baher 
erwarteten, weil wir uns nicht felbft barım bemühen wollen, wie 3. B. bie Sinnes- 
änderung, das Anziehen des neuen Menfchen, die MWiebergeburt genamnt), jo ift es 
doch fo gar ſehr ungewiß, ob Gott es feiner Weisheit gemäß finden werde, unſern 
(felbftverjchuldeten) Mangel übernatürlicher Weife zu ergänzen, daß man eher Urſache 
bat, das Gegentheil zu erwarlen. Der Menſch kann alſo felbjt hierum nicht im Glau- 
ben beten. — Hieraus läft jich aufklären, was ed mit einem wunderthuenden Glau- 
ben (der immer zugleich mit einem inneren Gebet verbumbden jein würde) für eine Be- 
wandtniß haben könne. Da Golt dem Menfchen Feine Kraft verleihen fann, über 
natürlich zu wirfen (weil das ein Widerſpruch ift); da der Menſch ſeinerſeits nach ben 
Begriffen, die er fich von quten in der Welt möglichen Sweden macht, was hierüber 
die göttliche Weisheit urtheilt, nicht beitimmen unb alfo vermittelt des in und von 
ihm felbit erzeugten Wunfches die göttliche Macht zu feinen Abfichten nicht brauchen 
kann: jo läßt fich eine Wundergabe, eine ſolche nämlich, da es am Menſchen jelbit 
Liegt, ob er fie hat ober nicht hat („wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfforn“, u.f.w.), 
nad) dem Buchftaben genommen, gar nicht denfen. Ein ſolcher Glaube ift alio, wenn 
er überall etwas bedeuten joll, eine blohe Idee von der überwiegenden Wichtigkeit der 
moraliichen Beichaffenheit des Menſchen, wenn er fie in ihrer ganzen Gott gefälligen 
Vollfommenbeit (die er doch nie erreicht) befähe, über alle andre Bewegurjachen, bie 
Gott in feiner höchiten Weisheit haben mag, mithin ein Grund vertrauen zu fönnen, 
bah, wenn wir bad ganz wären oder einmal würden, was wir jein follen und (in ber 
beitändigen Annäherung) fein könnten, die Natur unferen Wünfchen, die aber jelbjt 
alsbann nie unweiſe fein würden, geborchen müßte. 

Mas aber die Erbauung betrifft, die durchs Kirchengehen beabfichtigt wirb, 
fo iſt das Öffentliche Gebet darin zwar auch fein Guadenmittel, aber doch eine ethiſche 
Weierlichfeit, es fei durch vereinigte Anftimmung bes Glaubens-Hymmus, ober auch 
durch die förmlich durch den Mund des Geiftlichen im Namen ber ganzen Ge 





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[7 =] 




















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für jedermann Pflicht fein: weil ein Mittel nur dem vorgefchrieben wer- 
den fann, der es zu gewiſſen Zwecken bedarf, aber bei weitem nicht jeder: 
mann diejes Mittel (in und eigentlich mit fich ſelbſt, vorgeblic aber 
deito verftändlicher mit Gott zu reden) nöthig hat, vielmehr durch fort 
geſetzte Läuterung und Erhebung der moralifhen Gefinnung dahin gear- 
beitet werden muß, daß diejer Geijt des Gebets allein in uns hinreichend 
belebt werde, und der Buchitabe defjelben (wenigftens zu unjerm eigenen 
Behuf) endlich wegfallen könne. Denn diejer ſchwächt vielmehr wie alles, 
was indirect auf einen gewifjen Zweck gerichtet ift, die Wirkung der mo- 
raliihen Idee (die, fubjectiv betrachtet, Andacht heißt). So hat die 
Betradhtung der tiefen Weisheit der göttlihen Schöpfung an den kleinſten 
Dingen und ihrer Majeftät im Großen, jo wie fie zwar ſchon von jeher 
von Menſchen hat erfannt werden können, in neueren Beiten aber zum 
höchſten Bewundern erweitert worden ijt, eine foldye Kraft, das Gemüth 
nicht allein in diejenige dahin finfende, den Menſchen gleihjam in feinen 
eigenen Augen vernichtende Stimmung, die man Anbetung nennt, zu 
verjeßen, ſondern es ift auch in Rüdfiht auf feine eigene moraliihe Be- 
ftimmung darin eine fo jeelenerhebende Kraft, daß dagegen Worte, wenn 
fie aud) die des königlichen Beters David (der von allen jenen Wundern 
wenig wußte) wären, wie leerer Schall verfhwinden müfjen, weil das Ge— 
fühl aus einer jolden Anfhauung der Hand Gottes unausſprechlich ift. 
— Da überdem Menjhen alles, was eigentlidy nur auf ihre eigene mo- 


meinbe an Gott gerichtete, alle moralische Angelegenheit der Menfchen in ſich faſſende 
Anrede, welche, ba fie biefe ala öffentliche Angelegenheit vorftellig macht, wo ber 
Wunſch eines jeden mit ben Wünſchen aller zu einerlei Zwecke (ber Herbeiführung 
bed Reichs Gottes) ala vereinigt vorgeitellt werben ſoll, nicht allein bie Nührung 
bis zur fittlichen Begeifterung erhöhen kann (anftatt daß bie Privatgebete, da fie 
ohne bieje erhabene Idee abgelegt werben, durch Gewohnheit den Einfluß aufs Ge- 
mũth nach und nad; ganz verlieren), jondern auch mehr Bernunftgrund für ſich hat 
als bie erfiere, ben moralifchen Wunfch, der ben Geift bes Gebets ausmacht, in 
förmliche Anrebe zu Mleiden, ohne doch hiebei an Vergegenmwärtigung des hödhiten 
Weſens, oder eigene befondere Kraft dieſer rednerifchen Figur ald eines Guaben- 
mittels zu benfen. Denn e3 ift hier eine bejonbere Abficht, nämlich durch eine 
äußere bie Bereinigung aller Menſchen im gemeinfchaftlichen Wunſche bes 
Reichd Gottes voritellende Feierlichkeit jedes Einzelnen moraliiche Triebfeder befto 
mehr in Bewegung zu jeben; welches nicht ſchicklicher geſchehen fann, als dadurch 
daß man bas Oberhaupt befjelben, gleich ald ob es an dieſem Orte bejonbers 
gegenwärtig wäre, anrebet, 




















ie Brunn ychung ha, ee Emm re Ges z 
Religion gern in Hofbienft verwandeln, wo die Demüthigungen und 
preifungen gemeiniglid defto weniger moraliſch — * 
mehr fie wortreid) find: fo iſt vielmehr nöthig, ſelbſt bei der früheſten mit 
Kindern, die des Buchſtabens noch bedürfen, angeftellten Gebetsübung 5 
—— einzufcärfen, daß die Rede (ſelbſt innerlich ausgeſprochen, ja 













fondern es nur um die Belebung der Geſinnung zu einem Gott wohlge- 
fälligen Qebenswandel zu thun fei, wozu jene Rede nur ein Mittel für die w 
Einbildungstraft ift; weil ſonſt alle jene devote Ehrfurchtsbezeugungen 
bringen, nichts als erheuchelte Gottesverehrung ftatt eines praf- 
nr defielben, der nicht in bloßen Gefühlen befteht, zu be- 


nr Das Kirchengehen, als feierlicher äußerer Gottesdienſt 

















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Vom Dienft und Afterdienſt unter der Herrjchaft des guten Princips. 199 


Kirdhe nit Förmlichleiten enthalte, die auf Sdololatrie führen und jo 
das Gewiſſen beläftigen können, z. B. gewifje Anbetungen Gottes in der 
Perjönlichkeit jeiner unendlichen Güte unter dem Namen eines Menſchen, 
da die finnlidie Daritellung defjelben dem Vernunftverbote: „Du follft 
dir fein Bildniß madhen“, u. j. w. zuwider ift. Aber es an fi als 
Gnadenmittel brauden zu wollen, gleich als ob dadurd) Gott unmittel- 
bar gedient, und mit der Gelebrirung diejer Feierlichfeit (einer bloßen 
finnlihen Vorftellung der Allgemeinheit der Religion) Gott bejondere 
Gnaden verbunden habe, ift ein Wahn, der zwar mit der Denfungsart 
eines guten Bürgers in einem politifhen gemeinen Weſen und der 
äußern Anftändigfeit gar wohl zuſammen ftimmt, zur Qualität defjelben 
aber, als Bürger im Reiche Gottes, nicht allein nichts beiträgt, jon- 
bern dieje vielmehr verfälſcht und den ſchlechten moraliſchen Gehalt jeiner 
Gefinnung den Augen anderer und jelbit jeinen eigenen durd) einen be- 
trüglihen Anſtrich zu verdeden dient. 

3. Die einmal gejchehende feierlihe Einweihung zur Kirchenge- 
meinſchaft, d. i. die erite Aufnahme zum ®liede einer Kirche (in der 
hriftlichen durd) die Taufe), ift eine vielbedeutende Feierlichfeit, die ent- 
weder dem Einzumeihenden, wenn er jeinen Glauben jelbjt zu befennen 
im Stande ift, oder den Zeugen, die feine Erziehung in demjelben zu be— 
jorgen ſich anheiſchig machen, große Verbindlichkeit auferlegt und auf 
etwas Heiliges (die Bildung eines Menſchen zum Bürger in einem gött— 
lien Staate) abzwedt, an fich jelbft aber feine heilige oder Heiligkeit 
und Empfänglichkeit für die göttliche Gnade in diefem Subject wirkende 
Handlung anderer, mithin fein Gnadenmittel; in jo übergroßem An- 
ſehen e3 auch in der erſten griechiſchen Kirche war, alle Sünden auf eins 
mal abwaſchen zu fönnen, wodurd) diefer Wahn aud) jeine Verwandtſchaft 
mit einem faft mehr als heidnifchen Aberglauben öffentlih an den Tag 
legte, 

4. Die mehrmals wiederholte Feierlichfeit einer Erneuerung, 
Fortdauer und Fortpflanzung diejer Kirdengemeinjhaft nad 
Geſetzen der Gleichheit (die Eommunion), welche allenfalls aud nad) 
dem Beijpiele des Stifters einer ſolchen Kirche (zugleich auch zu feinem 
Gedaͤchtniſſe) durch die Förmlichkeit eines gemeinihaftlichen Genuffes an 
berjelben Tafel geichehen kann, enthält etwas Großes, die enge, eigenlie- 
bige und unvertragiame Denkungsart der Menſchen, vornehmlid) in Re— 
ligionsſachen, zur Idee einer weltbürgerlihen moralijden Gemein— 














ſchaft Ermeiterndes in ſich und ijt ein gutes Mittel, eine Gemeinde zu 
der darunter vorgeftellten fittlihen Gefinnung der brüderliden Liebe zu 
beleben. Daß aber Gott mit der Gelebrirung diejer Feierlichkeit bejon- 
dere Gnaden verbunden habe, zu rühmen und den Sab, daß fie, die doch 
bloß eine kirchliche Handlung ift, doch nod) dazu ein Gnadenmittel fei, 
unter die Glaubensartifel aufzunehmen, ijt ein Wahn der Religion, der 
nicht anders als dem Geifte derfelben gerade entgegen wirken fann. — 
Pfaffenthum alſo würde überhaupt die ufurpirte Herrſchaft der Geilt- 
(ichkeit über die Gemüther fein, dadurd daß fie, im ausſchließlichen Be- 
fiß der Gnadenmittel zu fein, fid) das Anjehn gäbe. 


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* 


Alle dergleichen erkünſtelte Selbſttäuſchungen in Religionsſachen 
haben einen gemeinſchaftlichen Grund. Der Menſch wendet ſich gewöhn— 
licher Weiſe unter allen göttlichen moraliſchen Eigenſchaften, der Heilig— 
feit, der Gnade und der Geredhtigfeit, unmittelbar an die zweite, um jo 
die abjhredende Bedingung, den Forderungen der erfteren gemäß zu fein, 
zu umgehen. Es ift mühfam, ein guter Diener zu jein (man hört da 
immer nur von Pflichten ſprechen); er möchte daher lieber ein Favorit 
fein, wo ihm vieles nachgeſehen, oder, wenn ja zu gröblich gegen Pflicht 
verftogen worden, alles durch Vermittelung irgend eines im höchſten 
Grade Begimnftigten wiederum gut gemacht wird, indefjen daß er immer 
der loſe Knecht bleibt, der er war. Um fid) aber and wegen der Thunlid- 
feit diefer feiner Abſicht mit einigem Scheine zu befriedigen, trägt er jei- 
a en Menfhen Gufammt feinen Fehlern) wie 
lich auf die Gottheit ül 5* enden. 2 —— —— von 








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Som Diem: zrt Wardiert zrirr der Derrigent Des geten Bey MI 













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ig zu haben, fie zu beobachten; und damit feine 
zur Vergütung der Übertretung derfelben dienen 
! Herr!“ um mur nicht möthig zu baden, „den Ril- 
*, und jo macht er ſich vom den Keier- 
‚Mittel zur Belebung wahrbaft praftifcher 
zungen als von Gnadenmitteln am ſich jelbit, giebt ſo⸗ 
ı Glauben, daß fie e8 find, jelbft für ein weientlihes Stüd der 
(der gemeine Mann gar für das Gange derfelben) aus und über» 
der allgüfigen Borjorge, aus ihm einen befjern Menſchen zu 
1, indem er fi der Frömmigkeit (einer paffiven Verehrung des 
göttlien Gejepes) ftatt der Tugend (der Anwendung eigener Kräfte zur 
der von ihm verehrten Prliht) beeiigt, melde Ichtre da, 
mit der erfterenverbunden, allein die Idee ausmachen fann, die man 
unter dem Worte Gottjeligfeit (wahre Neligionsgefinnung) vew 
0 jteht. — Wenn der Wahn diefes vermeinten Himmelsgünftlings bis 
zur jhwärmerifhen Einbildung gefühlter befonderer Gnadenwirkungen 
in ihm fteigt (bis jogar zur Anmaßung der Bertraulichfeit eines vermein» 
argenen Umgangs mit Gott), ſo ekelt ihm gar endlich die Tugend 
an und wird ihm ein Gegenitand der Verachtung; daher es denn fein 
Wunder ift, wenn öffentlich geflagt wird: daß Religion noch immer fo 
wenig zur Befjerung der Menjchen beiträgt, und das innere Licht („unter 
dem Scheffel“) diefer Begnadigten nicht aud äußerlich durch gute Werke 
uchten will, und zwar (wie man nach diefem ihrem Worgeben wohl for» 


7 m Bo 
























dern nnte vorzüglich vor anderen natürlich-ehrlichen Menſchen, welche 
so die Rel eligion nicht zur Erfeßung, fondern zur Beförderung der Tugend» 
gefinnung, En einem guten Lebenswandel thätig erſcheint, kurz und gut 


ſich aufnehmen. Der Lehrer des Evangeliums hat gleichwohl biefe 
ußere Beweisthümer äußerer Erfahrung ſelbſt zum Probirftein an die 
Hand gegeb A, woran als an ihren Früchten man fie und ein jeder ſich 
» felbft erkennen fan. Noch aber hat man nicht gefehen, daß jene ihrer 
Meinung nad) außerordentlich Begünftigten (Auserwählten) es dem na 
türlichen ehrlichen Manne, auf den man im Umgange, in Gejchäften und 


202 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Vierte Stüd. 


in Nöthen vertrauen kann, im mindeften zuporthäten, daß fie vielmehr, 
im Ganzen genommen, die Bergleihung mit diefem kaum aushalten dürf- 
ten; zum Beweiſe, daß es nicht der rechte Weg fei, von der Begnadigung 
zur Tugend, jondern vielmehr von der Zugend zur Begnadigung fortzu- 
ſchreiten. 


Die 
Metaphnfik der Sitten. 


Abgefaßt 


von 


Immannel Kant. 


Erſter Theil. 


Metaphyſiſche Anfangsgründe 


der 


Rechtsblehxre. 





Borrede, 


Auf die Kritik der praftifhen Vernunft follte bas Syſtem, die 
Metaphyſik der Sitten, folgen, welches in metaphyſiſche Anfangsgründe 
der Rechtslehre und im eben ſolche für die Tugendlehre zerfällt (als 

s ein Gegenftüd der ſchon gelieferten metaphyfiihen Anfangsgründe ber 
Naturwifjenihaft), wozu die hier folgende Einleitung die Form bes 
Syſtems in beiden vorjtellig und zum Theil anjhaulid macht. 
Die Nechtslehre als der erfte Theil der Sittenlehre iſt nun bas, 
wovon ein aus der Vernunft hervorgehendes Syitem verlangt wirb, 
ı0 welches man die Metaphysik des Nedts nennen könnte, Da aber ber 
Begriff des Rechts als ein reiner, jedod) auf die Praris (Anwendung auf 
in der Erfahrung vortommende Fälle) geſtellter Begriff ift, mithin ein 
metaphyſiſches Syſtem defjelben in feiner Eintheilung auch auf bie 
empiriſche Mannigfaltigfeit jener Fälle Nüdfiht nehmen müßte, um bie 
ıs Eintheilung vollftändig zu machen (welches zur Errichtung eines Snftems 
der Bernunft eine unerlaßliche Forderung iſt), Bollftändigleit ber Ein— 
theilung des Empirifchen aber unmöglid) ift, und, wo fie verfucht wird 
(mwenigjtens um ihr nahe zu fommen), ſolche Begriffe nicht als Integrirende 
Theile in das Syftem, jondern nur als Beifpiele in bie Anmerkungen 
»» kommen können: jo wird der für ben erften Theil der Metaphnfll der Gitten 
allein ſchidliche Ausdrud fein metaphyfifhe Anfangsgrünbe ber 
Rechtslehre: weil in Rüdfiht auf jene Källe der Anwendung nur Am 
näherung zum Syſtem, nicht diefes jelbft erwartet werben fan. Es wirb 
daher hiemit, jo wie mit den (früheren) metaphyfiigen Anfangsgründen 
s der Naturwifjenichaft, aud) hier gehalten werben: nämlich bas Recht, was 
zum a priori entworfenen Syftem gehört, in ben Zert, bie Rechte aber, 
welche auf befondere Erfahrungsfälle bezogen werben, in zum Shell welt» 


206 Metaphufiihe Anfangsgründe der Rechtälehre. 


läuftige Anmerkungen zu bringen: weil fonft das, was hier Metaphyſik ift, 
von dem, was empiriſche Rechtspraxis ift, nicht wohl unterſchieden werden 
fönnte. 

Ich kann dem fo oft gemadyten Vorwurf der Dunkelheit, ja wohl gar 
einer gefliffenen, den Schein tiefer Einficht affectirenden Undeutlichkeit im 
philoſophiſchen Vortrage nicht befjer zuvorfommen oder abhelfen, als daß 
id, was Herr Garve, ein Philofoph in der ächten Bedeutung des Worts, 
jedem, vornehmlich dem philofophirenden Schriftfteller zur Pflicht macht, 
bereitwillig annehme und meinerjeits diejen Anjprud bloß auf die Be- 
dingung einihränfe, ihm nur fo weit Folge zu leiften, als es die Natur 
der Wiſſenſchaft erlaubt, die zu berichtigen und zu erweitern ift. 

Der weile Mann fordert (in feinen Werk, Vermiſchte Aufſätze 
betitelt, ©. 352 u. f.) mit Redt, eine jede philofophiiche Lehre müfje, wenn 
der Lehrer nicht felbjt in den Verdacht der Dunkelheit feiner Begriffe 
fommen fol — zur Popularität (einer zur allgemeinen Mittheilung 
binreihenden Verfinnlichung) gebradyt werden fünnen. Ich räume das 
gern ein, nur mit Ausnahme des Syſtems einer Kritit des Bernunftver- 
mögens jelbft und alles defjen, was nur durch diejer ihre Bejtimmung be- 
urfundet werden fan: weil es zur Unterjcpeidung des Sinnlihen in un- 
jerem Erfenntniß vom Überſinnlichen, dennod) aber der Bernunft Zuitehen- 
den gehört. Diejes kann nie populär werden, jo wie überhaupt feine 
formelle Metaphyfit; obgleich ihre Nejultate für die gejunde Vernunft 
(eines Metaphyfifers, ohne es zu wifjen) ganz einleuchtend gemacht werden 
können. Hier ift an feine Popularität (Bolksiprade) zu denfen, jondern 
es muß auf jcholaftiihe Pünktlichkeit, wenn fie auch Peinlichkeit ge— 
ſcholten würde, gedrungen werden (denn es ift Schuliprade): weil da— 
durd) allein die voreilige Vernunft dahin gebracht werden Tann, vor ihren 
dogmatischen Behauptungen ſich erft jelbjt zu verftehen. 

Wenn aber Bedanten fih anmapen, zum Bublicum (auf Kanzeln 
und in Bolksihriften) mit Kunftwörtern zu reden, die ganz für die Schule 
geeignet find, jo fann das fo wenig dem kritiſchen Philofophen zur Laft 
fallen, alö dem Grammatifer der Inverftand des Wortllaubers (logo- 
daedalus). Das Belahen fann bier nur den Mann, aber nicht die 
Wiſſenſchaft treffen. 

Es klingt arrogant, ſelbſtſüchtig und für die, welde ihrem alten 
Syſtem nod nicht entiagt haben, verfleinerlid, zu behaupten: daß vor 
dem Entjtehen der kritiſchen Philofophie es noch gar feine gegeben habe. 





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1 
































— Um nun über dieſe ſcheinbare Anmaßung abſprechen zu können, kommt 
es auf die Frage an: ob es wohl mehr als eine Philoſophie geben 
fünne. Verſchiedene Arten zu philofophiren und zu den erften Vernunft- 
principien zurüdzugehen, um darauf mit mehr oder weniger Glüd ein 
Syſtem zu gründen, hat es nicht allein gegeben, jondern es mußte viele 
Verſuche diejer Art, deren jeder auch um die gegenwärtige jein Verdienit 
hat, geben; aber da es doch, objectiv betrachtet, nur Eine menſchliche Ver- 
nunft geben fann: fo kann es auch nicht viel Philofophieen geben, d. i. es 
ift nur Ein wahres Syftem derjelben aus Principien möglich, jo mannig- 
faltig und oft widerftreitend man audy über einen und denjelben Saß phi« 
lojophirt haben mag. So jagt der Moralift mit Redt: es giebt nur 
Eine Tugend und Lehre derjelben, d. i. ein einziges Syftem, das alle Tu— 
gendpflichten durch Ein Princip verbindet; der Chymift: es giebt nur 
Eine Chemie (die nad) Zavoifier); der Arzneilehrer: es giebt nur Ein 
Princip zum Syitem der Kranfheitseintheilung (nad) Brown), ohne dod) 
darum, weil das neue Syftem alle andere ausjhließt, das Verdienſt der 
älteren (Moraliften, Chemifer und Arzneilehrer) zu ſchmälern: weil ohne 
diejer ihre Entdedungen, oder auch mißlungene Verſuche wir zu jener 
Einheit des wahren Princips der ganzen Philojophie in einem Syitem 
nicht gelangt wären. — Wenn alfo jemand ein Syſtem der Philofophie 
als fein eigenes Fabrifat ankündigt, fo ift es eben jo viel, als ob er jagte: 
vor dieſer Philofophie fei gar feine andere nod) gewejen. Denn wollte 
er einräumen, e3 wäre eine andere (und wahre) gewejen, jo würde es 
über diefelbe Gegenftände zweierlei wahre Philojophieen gegeben haben, 
welches ſich widerſpricht. — Wenn alfo die fritifche Philofophie fid als 
eine joldje anfündigt, vor der es überall noch gar feine Philofophie ge: 
geben habe, jo thut fie nichts anders, als was alle gethan haben, thun 
werden, ja thun müfjen, die eine Philojophie nad) ihrem eigenen Plane 
entwerfen. 

Bon minderer Bedeutung, jedody nicht ganz ohne alle Wichtigkeit 
wäre ber Vorwurf: da ein diefe Philofophie weſentlich unterſcheidendes 
Stüd doch nicht ihr eigenes Gewächs, fondern etwa einer anderen Philo- 
jophie (oder Mathematif) abgeborgt fei: dergleichen ift der Fund, den ein 
tübingjcher Recenſent gemacht haben will, und der die Definition der Phi- 
Iofophie überhaupt angeht, welche der Verfafjer der Kritik d. r. V. für fein 
eigenes, nicht unerheblicyes Product ausgiebt, und die doch jchon vor 
vielen Jahren von einem Anderen faft mit denjelben Ausdrüden gegeben 





208 Metapbufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 

worden jei.*) Ic) überlafje es einem jeden, zu beurtheilen, ob die Worte: 
intellectualis quaedam constructio, den Gedanfen der Darjtellung 
eines gegebenen Begriffs in einer Anjhauung a priori hätten 


bervorbringen fönnen, wodurd auf einmal die Philojophie von der Mathe- ° 


matif ganz beftimmt geſchieden wird. Sch bin gewiß: Haufen jelbft 
würde fid) geweigert haben, dieje Erklärung feines Ausdruds anzuer- 
fennen; denn die Möglichkeit einer Anſchauung a priori, und daß der 
Raum eine ſolche und nicht ein bloß der empirifchen Anſchauung (Wahr: 
nehmung) gegebenes Nebeneinanderjein des Mannigfaltigen außer einan- 
der jei (wie Wolff ihn erklärt), würde ihn ſchon aus dem Grunde abge- 
ſchreckt haben, weil er ſich hiemit in weit hinausjehende philoſophiſche 
Unterſuchungen verwidelt gefühlt hätte. Diegleihjam durd den Ber- 
ftand gemachte Darftellung bedeutete dem jharffinnigen Mathematiker 
nichts weiter, als die einem Begriffe correjpondirende (empiriſche) Ver— 
zeihnung einer Zinie, bei der bloß auf die Regel Acht gegeben, von den 
in der Ausführung unvermeidlihen Abweihhungen aber abftrahirt wird; 
wie man e3 in der Geometrie auch an der Eonftruction der Gleichungen 
wahrnehmen fann. 

Bon der allermindeften Bedeutung aber in Anfehung des Geiſtes 
diejer Bhilojophie ift wohl der Unfug, den einige Nachäffer derjelben mit 
den Wörtern ftiften, die in der Kritik d. r. V. ſelbſt nicht wohl durch an- 
dere gangbare zu erjegen find, fie aud) außerhalb derfelben zum öffent: 
lien Gedanfenverfehr zu brauchen, und welcher allerdings gezüchtigt zu 
werden verdient, wie Hr. Nicolai thut, wiewohl er über die gänzliche Ent- 
behrung derjelben in ihrem eigenthümlidyen Felde, gleich als einer überall 
bloß verjtedten Armfeligfeit an Gedanken, fein Urtheil zu haben fid) ſelbſt 
beidyeiden wird. — Indeſſen läßt ſich über den unpopulären Bedanten 
freilich viel Iuftiger laden, als über den unfritijhen Sgnoranten 
(denn in der That kann der Metaphyſiker, welder jeinem Syfteme fteif 
anbhängt, ohne fih an alle Kritik zu fehren, zur letzteren Claſſe gezählt 
werden, ob er zwar nur willfürlid ignorirt, was er nicht auffommen 
lafjen will, weil es zu jeiner älteren Schule nicht gehört). Wenn aber nad) 


*) Porro de actuali eonstructione hie non quaeritur, cum ne possint quidem 
sensibiles figurae ad rigorem definitionum effingi; sed requiritur cognitio eorum, 





10 


quibus absolvitur formatio, quas intelleetualis quaedam constructio est. 0. A. » 





Hausen, Elem. Mathes. Pars I. p. 86. A, 1734. 


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15 


Vorrede. 209 


Shaftesbury's Behauptung es ein nicht zu verachtender Probirſtein für 
die Wahrheit einer (vornehmlich praktiſchen) Lehre iſt, wenn fie das Be- 
laden aushält, jo müßte wohl an den Fritifhen Philoſophen mit der Zeit 
die Reihe kommen zulebt und fo auch am beſten zu lachen: wenn er die 
papierne Syfteme derer, die eine lange Zeit das große Wort führten, nad 
einander einjtürzen und alle Anhänger derfelben fidh verlaufen fieht: 
ein Schidfal, was jenen unvermeidlich bevoriteht. 

Segen das Ende des Buchs habe ich einige Abſchnitte mit minderer 
Ausführlichfeit bearbeitet, als in Vergleichung mit den vorhergehenden 
erwartet werden fonnte: theils weil fie mir aus diefen leicht gefolgert 
werden zu fönnen jchienen, theils auch weil die lebte (das öffentliche Recht 
betreffende) eben jebt fo vielen Discufjionen unterworfen und dennodj fo 
wichtig find, daß fie den Aufſchub des enticheidenden Urtheild auf einige 
Zeit wohl rechtfertigen fönnen. 

Die metaphyfiihe Anfangsgründe der Tugendlehre hoffe 
ih in Kurzem liefern zu können. 


Kant's Schriften. Werke VI. 14 


Tafel 
der Eintheilung der Rechtslehre. 


Erfter Theil. 


Das Privatrecht in Anfehung äußerer Gegenftände (Inbegriff derjenigen 
bedürfen). 


Gefehe, die feiner äußeren Belanntmadung 
Erftes Hauptftüd. 
Bon der Art etwas Auferes als das Seine zu haben. 
Zweites Hauptftäd. 
Bon der Art etwas Außeres zu erwerben. 


Sintbeilung der äußeren Erwerbung. 
Erſter Abſchnitt. 
Vom Sachenrecht. 
Zweiter Abſchnitt. 
Vom perjönlihen Recht. 
Dritter Abſchnitt. 
Bon dem auf dingliche Art perſoͤnlichen Recht. 
Epifodifher Abſchnitt. 
Bon der idealen Erwerbung. 


Drittes Hauptftüd. 
Bon der jubjertiv-bedingten Erwerbung vor einer Gerichtsbarkeit. 


Zweiter Theil. 
Das öffentlide Recht (Snbeariff der Geſeße, die einer öffentlichen 
Belanntmadhung bedürfen). 
Erſter Abſchnitt. 
Das Staatsrecht. 
Zweiter Abſchnitt. 
Das Voͤlkerrecht. 
Dritter Abſchnitt. 
Das Beltbuͤrgerrecht. 




















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212 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtötehte. 


Buftandes) enthält; da fonft jelbft Empfindungen außer der Dualität, 
die ihnen der Beſchaffenheit des Subjects wegen anhängt (z.B. bes Roiben, 
des Süßen u. ſ. w.), doch aud) als Erfenntnißftüde auf ein Object bezogen 
werben, die Luft oder Unluft aber (am Rothen und Sühen) ſchlechterdings 
nichts am Objecte, jondern lediglich Beziehung aufs Subject ausdrüdt. 
Näher können Luft und Umluft für fi) und zwar eben um des ange- 
führten Grundes willen nidjt erflärt werden, jondern man fann allen- 
falls nur, was fie in gewiſſen Berhältnifjen für Folgen haben, anführen, 
um fie im Gebrauch fennbar zu machen. 

Man kann die Luft, welche mit dem Begehren (des Gegenftandes, » 
deſſen Borftellung das Gefühl jo afficirt) nothwendig verbunden ift, 
praftifhe Luft nennen: fie mag nun Urſache oder Wirkung vom Be- 
gehren fein. Dagegen würde man die Luft, die mit dem Begehren des 
Gegenftandes nicht nothwendig verbunden ift, die aljo im Grunde nicht 
eine Luft an der Eriftenz des Objects der Vorftellung ift, ſondern blos = 
an der Borftellung allein haftet, blos contemplative uft oder untbätiges 
Wohlgefallen nennen fünnen. Das Gefühl der lektern Art von Luft 
nennen wir Geihmad. Bon diejem wird aljo in einer pratiiden Philo⸗ 
ſophie nicht als von einem einheimijhen Begriffe, jondern allenfalls 
nur epijodijch die Rede fein. Was aber die praftifhe Luft betrifft, jo = 
wird die Beftimmung des vor welder dieſe Luft 
er — — muß, im engen Verſtande Begierde, 
babituelle Begierde aber Neigung beißen, und weil die Berbindung 
a mit dem Begehrungsvermögen, ſofern dieje Verfnüpfung durch 
den Berftand nach einer allgemeinen Regel allenfalls auch nur für das =» 
Subject) gültig zu fein geurtheilt wird, Jatere ſſe beißt, jo wird die 

: der Neigung, dagegen ı 



























heäre has Soleudlie fall nah nit Dieb anf reine Mieranaftprincipien 
das ESubjective der Borftelung ann gar kein Erlenntnistäd werben: weil es 
bloö bie Beziehumg berielben anfd Subject umd michtd zur Erdenntnih dei Objects 











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an 


Einleitung in die Metaphyſik der Sitten, 1. 913 


gegründet, jo müßte Empfindung mit Luft verbunden fein und fo das 
Begehrungsvermögen beftimmen fünnen. Obgleich), wo ein bios reines 
Vernunftinterefje angenommen werden muß, ihm fein Interefje der Nei- 
gung untergejchoben werden fann, fo fönnen wir doch, um dem Sprachge— 
brauche gefällig zu jein, einer Neigung felbit zu dem, was nur Object einer 
intellectuellen Zuft fein Fann, ein habituelles Begehren aus reinem Ber: 
nunftinterefje einräumen, welde alsdann aber nicht die Urfache, ſondern 
die Wirkung des lebtern Sntereffe fein würde, und die wir die ſinnen— 
freie Neigung (propensio intellectualis) nennen fünnten. 

Noch ift die Concupiſcenz (das Gelüften) von dem Begehren jelbit 
als Anreiz zur Beſtimmung defjelben zu unterfcheiden. Sie ift jederzeit 
eine finnliche, aber noch zu feinem Act des Begehrungsvermögens ges 
diehene Gemüthsbejtimmung. 

Das Begehrungsvermögen nad) Begriffen, fofern der Beftimmungs- 
grund defjelben zur Handlung in ihm felbft, nicht in dem Objecte ange: 
troffen wird, heißt ein Vermögen nad Belieben zu thun oder zu 
lajjen. Sofern es mit dem Bewußtjein des Vermögens feiner Handlung 
zur Hervorbringung des Objects verbunden ift, heißt es Willkür; ift es 
aber damit nicht verbunden, fo heißt der Actus defjelben ein Wunſch. 
Das Begehrungsverinögen, defjen innerer Beitimmungsgrund, folglich 
jelbjt das Belieben in der Vernunft des Subject3 angetroffen wird, heißt 
der Wille. Der Wille ift aljo das Begehrungsvermögen, nicht jowohl 
(wie die Willkür) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den 
Beitimmungsarund der Willkür zur Handlung betrachtet, und hat jelber 
vor ſich eigentlich feinen Beftimmungsgrund, jondern it, fofern fie die 
Willkür beftimmen fann, die praktifche Vernunft jelbit. 

Unter dem Willen fann die Willkür, aber aud) der bloße Wunſch 
enthalten jein, jofern die Vernunft das Begehrungsvermögen überhaupt 
beftimmen kann. Die Willkür, die dur) reine Vernunft beftimmt werden 
fann, heißt die freie Willfür. Die, welde nur durd) Neigung (finnlichen 
Antrieb, stimulus) beftimmbar ift, würde thieriſche Willfür (arbitrium 
brutum) fein. Die menjhlihe Willkür ift dagegen eine joldye, welche 
durch Antriebe zwar afficirt, aber nicht bejtimmt wird, und ift alſo 
für fi) (ohne erworbene Fertigkeit der Vernunft) nicht rein, kann aber 
doch zu Handlungen aus reinem Willen beftimmt werden. Die Freiheit 
der Willkür ift jene Unabhängigkeit ihrer Beftimmung durch finnliche 
Antriebe; dies ift der negative Begriff derfelben. Der pofitive ijt: das 




















214 Detaphpfiiche Anfangsgrlimde der Restliche 


Bermögen ber reinen Bernunft für fi) ſelbſt praktiſch zu fein. Diejes ift 
aber nicht anders möglich, als durch die Unterwerfung der Marime einer 
jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglickeit der erſtern zum all- 
gemeinen Geſetze. Denn als reine Vernunft, auf die Willfür unangejehen 
diefer ihres Objects angewandt, kann fie ala Vermögen der Principien > 
(und hier praftijher Principien, mithin als gejeßgebendes Vermögen), 
da ihr die Materie des Geſetzes abgeht, nichts mehr als die Form der 
Zauglichfeit der Marime der Willkür zum allgemeinen Gejepe jelbit zum 
oberiten Gefege und Beftimmungsgrunde der Willfür machen und, da die 
Marimen des Menſchen aus jubjectiven Urſachen mit jenen objectiven nicht 1 
von jelbft übereinftimmen, diejes Geſetz nur ſchlechthin als Imperativ des 
Verbots oder Gebots vorichreiben 

Dieje Gejepe der Freiheit heißen ; zum Unterjhiede von Naturgejeßen 
moralijd. So fern fie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Ge- 
jegmäßigfeit gehen, heißen fie juridiſch; fordern fie aber auch, daß fie 1: 
(die ſelbſt die Beftimmungsgründe der Handlungen fein follen, 
fo find fie ethifch, und alsdann fagt man: die Übereinftimmung mit den 
eriteren ift die Zegalität, die mit den zweiten die Moralität der Hand- 
lung. Die Freiheit, auf die fi die erftern Geſetze beziehen, fann nur 
die Freiheit im äußeren Gebraude, diejenige aber, auf die ſich die letere = 
beziehen, die Freiheit jowohl im äußern als innern Gebrauche der Willkür 
fein, jofern fie durch Bernunftgejege beftimmt wird. So jagt man in der 
iheoretiihen Philojopbie: im Raume find nur die Gegenftände äußerer 
Sinne, in der Zeit aber alle, jowohl die Gegenftände äußerer ala bes 
inneren Sinnes: weil die Vorftellungen beider doc Borftellungen find 
und fofern insgefammt zum inneren Sinne gehören. Eben jo, mag die 
Sreiheit im äußeren oder inneren Gebraude der Willfür betrachtet werden, 














e Beitimmungsgründe berjelben 
fein: obgleid ie nit immer im Diefer Begichung betraditet werben Dürfen. = 
I. 
Bon der Idee und der Notbwendigkeit einer Metaphyſik der 
Sitten. 


Daß man für die Naturwiſſenſchaft, welche es mit den 
äußerer Sinne zu thun bat, Principien a priori haben müffe, und dab «8 m 


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10 


15 


Einleitung in bie Metaphyſik der Sitten. II. 215 


möglich, ja nothwendig jei, ein Syſtem diefer Brincipien unter den Namen 
einer metaphufifhen Naturwiſſenſchaft vor der auf bejondere Erfahrungen 
angewandten, d. i. der Phyfif, voranzuſchicken, ift an einem andern Orte 
bewiejen worden. Allein die leßtere fann (wenigitens wenn es ihr darum 
zu thun ift, von ihren Säßen den Irrthum abzuhalten) manches Princip 
auf das Zeugniß der Erfahrung als allgemein annehmen, obgleich das 
leßtere, wenn e3 in ftrenger Bedeutung allgemein gelten fol, aus Gründen 
a priori abgeleitet werden müßte, wie Newton das Prineip der Gleichheit 
der Wirkung und Gegenwirktung im Einflufje der Körper auf einander 
als auf Erfahrung gegründet annahm und es gleihmwohl über die ganze 
materielle Natur ausdehnte. Die Chymifer gehen noch weiter und gründen 
ihre allgemeinfte Gejeße der Vereinigung und Trennung der Materien 
durch ihre eigene Kräfte gänzlich auf Erfahrung und vertrauen gleichwohl 
auf ihre Allgemeinheit und Nothwendigkeit fo, daß fie in den mit ihnen 
angejtellten Verſuchen feine Entdeckung eines Irrthums beforgen. 

Allein mit den Sittengejeßen ift e8 anders bewandt. Nur fofern fie 
als a priori gegründet und nothwendig eingejehen werden können, gelten 
fie als Geſetze, ja die Begriffe und Urtheile über uns jelbjt und unfer Thun 
und Zafjen bedeuten gar nichts Sittliches, wenn fie das, was fid) blos 
von der Erfahrung lernen läßt, enthalten, und wenn man fid) etwa ver- 
leiten läßt, etwas aus der letztern Duelle zum moralifhen Grundjaße zu 
machen, jo geräth man in Gefahr der gröbjten und verderblichſten Irr— 
thümer. 

Wenn die Sittenlehre nichts als Glückſeligkeitslehre wäre, jo würde 
es ungereimt fein, zum Behuf derjelben fid) nad) Brincipien a priori um- 
zufehen. Denn fo jcheinbar es immer aud) lauten mag: daß die Vernunft 
nod) vor der Erfahrung einjehen könne, durch weldhe Mittel man zum 
dauerhaften Genuß wahrer Freuden des Lebens gelangen könne, fo ift 
doc) alles, was man darüber a priori lehrt, entweder tautologifch, oder 
ganz grundlos angenommen. Nur die Erfahrung kann lehren, was uns 
Freude bringe. Die natürlichen Triebe zur Nahrung, zum Geſchlecht, zur 
Ruhe, zur Bewegung und (bei der Entwidelung unjerer Naturanlagen) 
die Triebe zur Ehre, zur Erweiterung unferer Erfenntniß u. d. gl., fönnen 
allein und einem jeden nur auf feine befondere Art zu erkennen geben, 
worin er jene Freuden zu jeben, ebendiejelbe fann ihm auch die Mittel 
lehren, wodurd) er fie zu ſuchen habe. Alles jcheinbare Vernünfteln 
a priori ift hier im Grunde nichts, als durch Induction zur Allgemeinheit 


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Einleitung in bie Metaphnfif ber Sitten. II. 217 


daran nicht fönnen mangeln laffen, und wir werden oft die bejondere 
Natur des Menſchen, die nur durd) Erfahrung erfannt wird, zum Gegen 
ftande nehmen müfjen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen 
moralifhen PBrincipien zu zeigen, ohne daß jedod) dadurd) der Reinig— 
feit der letzteren etwas benommen, noch ihr Urjprung a priori dadurd) 
zweifelhaft gemacht wird. — Das will jo viel jagen als: eine Metaphyjif 
der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf fie an— 
gewandt werden. 

Das Gegenjtüd einer Metaphyfif der Sitten, al3 das andere Glied 
der Eintheilung der praftiihen Philofophie überhaupt, würde die mora— 
liſche Anthropologie fein, weldye, aber nur die fubjective, hindernde ſo— 
wohl als begünftigende Bedingungen der Ausführung der Gejeße der 
eriteren in der menſchlichen Natur, die Erzeugung, Ausbreitung und Stär: 
fung moraliſcher Grundjäße (in der Erziehung, der Schul- und Volksbe— 
lehrung) und dergleichen andere fid) auf Erfahrung gründende Lehren 
und Vorſchriften enthalten würde, und die nicht entbehrt werden kann, 
aber durchaus nicht vor jener vorausgeſchickt, oder mit ihr vermiſcht wer: 
den muß: weil man alsdann Gefahr läuft, faliche oder wenigitens nad)- 
ſichtliche moraliſche Geſetze heraus zubringen, weldhe das für unerreichbar 
vorſpiegeln, was nur eben darum nicht erreicht wird, weil das Geſetz nicht 
in ſeiner Reinigkeit (als worin auch feine Stärke beſteht) eingeſehen und 
vorgetragen worden, oder gar unächte oder unlautere Triebfedern zu dem, 
was an fid) pflihtmäßig und gut ift, gebraucht werden, welche feine fichere 
moraliihe Grundjäße übrig lafjen, weder zum Leitfaden der Beurthei- 
lung, noch zur Difciplin des Gemüths in der Befolgung der Pflicht, deren 
Vorſchrift ſchlechterdings nur durch reine Vernunft a priori gegeben wer: 
den muß. 

Mas aber die Dbereintheilung, unter welcher die eben jebt erwähnte 
ſteht, nämlich die der Philojophie in die theoretifche und praftiiche, und 
daß diefe feine andere als die moraliſche Weltweisheit fein fönne, betrifft, 
darüber habe ich mich ſchon anderwärts (in der Kritik der Urtheilstraft) 
erflärt. Alles Praktiſche, was nad) Naturgejeben möglich fein foll (die 
eigentliche Beihäftigung der Kunft), hängt feiner Vorſchrift nad) gänzlich 
von der Theorie der Natur ab; nur das Praktiſche nad) Freiheitsgejegen 
fann Brincipien haben, die von feiner Theorie abhängig find; denn über 
die Naturbeftimmungen hinaus giebt es feine Theorie. Alſo fann die 
Philoſophie unter dem praftiichen Theile (neben ihrem theoretijchen) feine 


— ondern blos moraliſch⸗praktiſche Lehre nerfiehen, und 
ie ergebe Bilfür nad Freiheitsgejeßen im 





ftelit, d. i. welches die Handlung zur Pflicht macht, zweitens eine Trieb- is 
feber, welche ben Beftimmungsgrund der Billfür Au diejer Handlung 


Durch das erftere wird die Handlung als Rilicht vorgejtellt, weldyes ein 
bloßes theoretijhes Erfenntniß der möglichen Beitimmung der Willfür, » 
d. en Regeln, ift: durch das zweite wird die Verbindlichkeit jo 
zu handeln mit einem Bejtimmungsgrunde der Rilltür überhaupt im 
Eubjecte verbunden. 
Alle Geſetzgebung alfo (fie mag auch in Anjehung der Handlung, die 
fie zur pflicht macht, mit einer anderen übereinfommen, z. B. die Hand- » 


— — 





*, Die Debuction ber Einthellung eines Syſtems: d. i. ber Beweis ihrer 
Bollſtaͤndigkeit ſowohl als auch der Stetigkeit, daß nämlich der Übergang vom 
— a er a ec ee — 
durch feinen Sprung (divisio per saltum) geſchehe, iſt eine der am 
——— erfüllenden Bebingungen für den Baumeiſter eines Syſtems. Auch 20 
was der ee eingetheitte Beariff zu der Eintheilung Recht ober Unrecht 
(aut fas aut nefas) ſei, hat jeine Bebenklichkeit. Es ift der Act ber freien Will- 
für überhaupt. So wie bie Lehrer ber Ontologie vom Etwas und Nichts zu 
oberft anfangen, ohne inne zu werben, daß biefes jchon Glieder einer Eintheilung 
find, bazu noch ber eingetheilte Begriff fehlt, ber fein anderer, ala der Begriff von 35 
einem Gegenitande überhaupt jein fan. 











Einleitung in die Metaphufif der Citten. IIT. 219 


lungen mögen in allen Fällen äußere jein) kann doch in Anſehung der 
Triebfedern unterſchieden fein. Diejenige, welche eine Handlung zur 
Pfliht und dieje Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ift ethiſch. Die 
jenige aber, welche das Letztere nicht im Geſetze mit einſchließt, mithin 
aud eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht jelbit zuläßt, ift 
juridiſch. Man fieht in Anjehung der legtern leicht ein, daß dieſe von 
der Idee der Pflicht unterichiedene Triebfeder von den pathologiſchen 
Beitimmungsgründen der Willfür der Neigungen und Abneigungen und 
unter diejen von denen der legteren Art hergenommen fein müjfen, weil 
es eine Geſetzgebung, welche nöthigend, wicht eine Anlodung, die ein- 
ladend ift, jein foll. x 

Man nennt die bloße llbereinftimmung oder Nichtübereinitimmung 
einer Handlung mit dem Geſetze ohne Rückſicht auf die Triebfeder der- 
jelben die Legalität (Geſetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die 
Idee der Pfliht aus dem Geſetze zugleich die Triebfeder der Handlung 
ift, die Moralität (Sittlicykeit) derjelben. 

Die Pflihten nad) der rechtlichen Geſetzgebung können nur äußere 
Pflichten fein, weil diefe Geſetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieſer 
Pflicht, welche innerlich iſt, für fich felbjt Beftimmungsgrund der Willkür 
des Handelnden jei, und, da fie doch einer für Geſetze ſchicklichen Trieb- 
feder bedarf, nur äußere mit dem Gejebe verbinden fann. Die ethiidhe 
Gejeßgebung dagegen macht zwar auch innere Handlungen zu Bilichten, 
aber nicht etwa mit Ausfchliegung der äußeren, fondern geht auf alles, 
was Pflicht ift, überhaupt. Aber eben darum, weil die ethiſche Gejep- 
gebung die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pfliht) in ihr 
Geſetz mit einſchließt, weldye Beftimmung durchaus nicht in die äußere 
Geſetzgebung einfließen muß, fo kann die ethiſche Geſetzgebung feine äußere 
(ſelbſt nicht die eines göttlichen Willens) fein, ob fie zwar die Pflichten, 
die auf einer anderen, nämlich äußeren Gejebgebung beruhen, als Pflich— 
ten in ihre Geſetzgebung zu Zriebfedern aufnimmt, 

Hieraus ift zu erfehen, daß alle Pflichten blos darum, weil fie Pflichten 
find, mit zur Ethik gehören; aber ihre Geſetzgebung ift darıım nicht alle 
mal in der Ethik enthalten, fondern von vielen derjelben außerhalb der- 
jelben. So gebietet die Ethik, daß ic) eine in einem Vertrage gethane 


s Anheifhigmahung, wenn mid) der andere Theil gleich nicht Dazu zwingen 


könnte, doch erfüllen müfle: allein fie nimmt das Geſetz (pacta sunt ser- 
vanda) und die diejem correfpondirende Pflicht aus der Nedjtslehre als 


gegeben an. Alſo nicht in der Ethik, jondern im Ius liegt die Geſetzgebung, 
daß angenommene Verſprechen gehalten werben müſſen. Die Ethik lehrt 
hernach nur, daß, wenn bie Triebfeder, welche bie juridiſche Geſetzgebung 
mit jener Pflicht verbindet, nämlid der äußere Zwang, auch weggelafjen 
wird, die Idee der Pflicht allein ſchon zur Zriebfeder hinreichend jei. 
Denn wäre das nicht und die Geſetzgebung ſelber nicht juridiſch, mithin 
bie aus ihr eutſpringende Pflicht nicht eigentliche Rechtspflicht (zum Un- 
terſchiede von der Tugendpflidht), jo würde man die Zeiftung der Treue 
(gemäß feinem Verſprechen in einem Bertrage) mit den Handlungen des 
Wohlwollens und der Berpflitung zu ihnen in eine Claſſe ſetzen, welches 
durchaus nicht geſchehen muß. Es ift feine Tugendpflicht, fein Verſprechen 
zu halten, fondern eine Nedhtspflicht, zu deren Zeiftung man gezwungen 
werben fann. Aber es ift doch eine tugendhafte Handlung (Beweis der 
Tugend), es aud) da zu thun, wo fein Zwang bejorgt werden barf. 
Nechtslehre und Tugendlehre unterfheiden ſich alfo nicht ſowohl durch 
ihre verſchledene Pflichten, als vielmehr durch die Verſchiedenheit der Ge- 
jebgebung, melde die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gejeße ver- 
bindet, 

Die ethiſche Geſetzgebung (die Pflichten mögen allenfalls aud) äußere 
fein) iſt diejenige, welche nicht äußerlich jein kann; die juridiſche ift, 
welche auch äußerlid) fein kann. So ift e8 eine äußerliche Pflicht, jein 
vertragsmäßiges Verſprechen zu halten; aber das Gebot, diejes bloß 
darum zu thun, weil es Pflicht ift, ohme auf eine andere Triebfeder Rüd- 
ficht zu nehmen, iſt bloß zur Innern Geſetzgebung gehörig. Alfo nicht 
als beiondere Art von Pfliht (eine befondere Art Handlungen, zu denen 
man verbunden Ift) — denn es ift in der Ethik jowohl als im Nedhte eine 
üußere Pflicht, — fondern weil die Geſetzgebung im angeführten Falle 
eine innere ift und feinen äußeren Geſetzgeber haben kann, wird die Ver— 
bindlichfeit zur Ethik gezählt. Aus eben dem Grunde werden die Pflichten 
des Wohlwollens, ob fie gleich äußere Pflichten (Verbindlichkeiten zu äuße- 
ren Handlungen) find, doch'zur Ethik gezählt, weil ihre Gefeßgebung nur 
innerlich ſein kann. — Die Ethik hat freilich auch ihre befondern Pflich- 
ten (3. B. die gegen fid) jelbit), aber hat doch aud) mit dem Rechte Pflid- 
ten, aber nur nicht die Art der Verpflihtung gemein. Denn Hand- 
lungen bloß darum, weil es Pflichten find, ausüben und den Grundjaß 
der Pflicht jelbft, woher fie auch fomme, zur hinreichenden Triebfeder der 
Willkür zu machen, ift das Eigenthümliche der ethiſchen Gejekgebung. 


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Einleitung in die Metaphyfil der Sitten. IV. 991 


So giebt es aljo zwar viele direct-ethiſche Pflichten, aber die innere 
Geſetzgebung macht auch die übrigen alle und insgefammt zu indirect- 
ethiſchen. 
IV. 
Vorbegriffe zur Metaphyſik der Sitten. 
(Philosophia practica universalis.) 


Der Begriff der Freiheit ift ein reiner Vernunftbeariff, der eben 
darum für die theoretiiche Philojophie transjcendent, d. i. ein ſolcher ift, 
dem fein angemefjenes Beifpiel in irgend einer möglichen Erfahrung ge- 
geben werden fann, weldyer alfo feinen Gegenjtand einer uns möglichen 
theoretifhen Erfenntniß ausmacht und ſchlechterdings nicht für ein con- 
ftitutives, fondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives 
Princip der jpeculativen Vernunft gelten kann, im praftifchen Gebraud) 
derjelben aber jeine Realität durch praftifche Grundſätze beweifet, die als 
Geſetze eine Gaufalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen em— 
piriſchen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt) die Willfür zu beftim- 
men, und einen reinen Willen in uns beweifen, in welchem die fittlichen 
Begriffe und Geſetze ihren Urjprung haben. 

Auf diefem (in praktiſcher Nüdficht) pofitiven Begriffe der Freiheit 
gründen ſich unbedingte praktiſche Geſetze, welche moralifch heißen, die 
in Anjehung Unfer, deren Willfür ſinnlich affieirt und fo dem reinen 
Willen nicht von ſelbſt angemeſſen, jondern oft widerjtrebend ift, Impe— 
rativen (Gebote oder Verbote) und zwar kategoriſche (unbedingte) Im— 
perativen find, wodurd) fie ſich von den technischen (den Kunſt-Vorſchriften), 
als die jederzeit nur bedingt gebieten, unterjcheiden, nad) denen gemifje 
Handlungen erlaubt oder unerlaubt, d.i. moraliſch möglich oder un= 
möglich, einige derjelben aber, oder ihr Gegentheil moraliſch nothwendig, 
d. 1. verbindlich, find, woraus dann für jene der Begriff einer Pflicht 
entipringt, deren Befolgung oder Ubertretung zwar aud) mit einer Luft 
oder Unluft von bejonderer Art (der eines moraliſchen Gefühls) verbun- 
den ift, auf welche wir aber [weil fie nicht den Grumd der praftifchen 
Gejebe, jondern nur die jubjective Wirkung im Gemüth bei der Be- 
ftimmung unferer Willkür durd) jene betreffen und (ohne jener ihrer Gül— 
tigfeit oder Einflufje objectiv, d. i. im Urtheil der Vernunft, etwas hinzu- 


5 zuthun oder zu benehmen) nad) Verjchiedenheit der Subjecte verſchieden 


fein kann] in praktischen Geſetzen der Vernunft gar nicht Rüdfiht nehmen. 


BE = — 


2212 Minsphefiide Meirzgsgränte der Rediesleher 

Felgende Begrifie find der Mietapbait der Sitten in ihren beiben 

Berbindbiidgfeit iſt bie sn ü—— unter 
tategorlihen Imperativ der Bernuaft. 








einem 





¶ Der Imperatio iſt eine praftiiche Regel, modurd) die an ſich zu- 





| dnetine 
heiligen —— oder (mie dem 
—* zufällig fet; denn wo das erftere ift, da findet fein Impe⸗ 
ratio ftatt. Alſo ift der Imperativ eine Regel, deren Borftellung die 
fubjectivsgufällige Handlung nothwendig macht, mithin das Subject 
als elm folhes, was zur Übereinftimmung mit diefer Regel ge: 
nörhlgt (meceffitirt) werden muß, vorftellt. — Der kategoriiche (un- 
bedingte) Jınperativ ift derjenige, welcher nicht etwa mittelbar, durch 
bie Borftellung eines Zwecks, der durch die Handlung erreicht wer- 
den fönne, fondern der fie durd) die bloße Vorftellung diefer Hand- 
lung felbit (ihrer Form), aljo unmittelbar, als objectiv-nothwendig 
denft umd nothwendig macht; dergleichen Imperativen feine andere = 
Lehre als allein die, welche Verbindlichkeit vorjchreibt (die 

ber Bitten), zum Beiſpiele aufftellen fann. Alle andere Imperativen 
find technisch und insgefammt bedingt. Der Grund der Möglidy- 
felt fategorifcher Imperativen liegt aber darin: daß fie ſich auf feine 
andere Beitimmung der Willfür (wodurd ihr eine Abſicht unterge- 
legt werden lann), als lediglich auf die Freiheit derjelben beziehen. 
Erlaubt ift eine Handlung (lieitum), die der Verbindlichkeit nicht 
feinen Impe- 








zus iftz und diefe freiheit, die durch entgegengefeßten 
ratlo eingeihräuft wird, beißt die rad (facultas moralis). Hieraus 
verftebt fich von felbit, was unerlanbt (illieitum) jei. » 


Bilicht it diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ift. 
Sie ift alſo die Materie der Verbindlichkeit, und es fann einerlei Pflicht 
(der Handlung nad) fein, ob wir zwar auf verchiedene Art dazu ver- 
bunden werden Können. 

Der dbategoriſche Imperativ, indem er eine Werbimdlickeit im 1 
Anichuug gewiffer Handlungen ausfugt, ift ein moraliſch draktiſches 








Einleitung in die Metaphyſit der Sitten. IV. 223 


Geſetz. Weil aber Verbindlichkeit nicht bloß praftifche Nothiwendig- 
feit (dergleichen ein Gejeß überhaupt ausjagt), jondern aud) Nöthie 
gung enthält, jo ijt der gedachte Imperativ entweder ein Gebot- 
oder Verbot⸗Geſetz, nachdem die Begehung oder Unterlafjung als 

5 Pflicht vorgejtellt wird. Eine Handlung, die weder geboten noch ver- 
boten ift, ift bloß erlaubt, weil es in Anjehung ihrer gar fein die 
Breiheit (Befugniß) einſchränkendes Geſetz und alſo auch feine Pflicht 
giebt. Eine ſolche Handlung heißt fittlich-gleihgültig (indifferens, 
adiaphoron, res merae facultatis). Man fann fragen: ob es der- 

10 gleichen gebe, und, wenn es joldye giebt, ob dazu, daß es jemanden 
freijtehe, etwas nad) jeinem Belieben zu thun oder zu lafjen, außer 
dem Gebotgejebe (lex praeceptiva, lex mandati) und dem Verbot: 
gejeße (lex prohibitiva, lex vetiti) nody ein Erlaubnißgejeb (lex 
permissiva) erforderlid) jei. Wenn diejes ijt, jo würde die Befugniß 

15 nicht allemal eine gleihgültige Handlung (adiaphoron) betreffen; 
denn zu einer ſolchen, wenn man fie nad) ſittlichen Geſetzen betrachtet, 
würde fein bejonderes Gejet erfordert werden. 


That heißt eine Handlung, fofern fie unter Gejegen der Verbind- 
lichkeit fteht, folglich auch ſofern das Subject in derfelben nad) der Freiheit 
»» jeiner Willkür betrachtet wird. Der Handelnde wird durd einen joldhen 
Act ala Urheber der Wirkung betrachtet, und diefe zufammt der Hand- 
lung jelbft fönnen ihm zugerechnet werden, wenn man vorher das Ge- 
jeß kennt, kraft weldhes auf ihnen eine Verbindlichkeit ruht. 
Perſon ift dasjenige Subject, deffen Handlungen einer Zurech— 
s nung fähig find. Die moraliſche Perfönlichkeit ift aljo nichts anders, 
als die Freiheit eines vernünftigen Wejens unter moraliihen Gejeßen 
(die pfychologiiche aber bloß das Vermögen, fi) der Fdentität feiner 
jelbft in den verjchiedenen Auftänden feines Dajeins bewußt zu werden), 
woraus dann folgt, daß eine Perſon feinen anderen Gejeßen als denen, 
so die fie (entweder allein, oder wenigſtens zugleich mit anderen) ſich jelbit 
giebt, unterworfen ift. 
Sade ift ein Ding, was feiner Zurechnung fähig ift. Ein jedes 
Dbject der freien Willfür, welches jelbit der Freiheit ermangelt, heißt 
daher Sache (res corporalis). 
35 Recht oder unredht (rectum aut minus rectum) überhaupt iſt eine 
That, jofern fie pfliytmäßig oder pflihtwidrig (factum lieitum aut illi- 

















eitum) ift; die Pflicht jelbft mag ihrem Inhalte oder ihrem Urjprunge 
nad) jein, von weldyer Art fie wolle. Eine pflihtwidrige That heißt lIber- 
tretung (reatus). 

Eine unvorjegliche Übertretung, die gleihwohl zugerecjnet werden 
kann, heißt bloße Verſchuldung (eulpa). * vorſetzliche (d. i. die s 
jenige, welche mit dem Bemußtjein, daß fie ſei, verbunden 
ift) heißt Verbrechen (dolus). Was nad — Geſetzen recht iſt, 
heißt gerecht (iustum), was es nicht ift, ungerecht (niustum) 

Ein Widerſtreit der Pflichten (collisio officiorum s. obligatio- 
num) würde das Verhältniß derjelben jein, durch welches eine derjelben 1 
die andere (ganz oder zum Theil) aufhöbe. — Da aber Pflicht und Ber- 
bindlicfeit überhaupt Begriffe find, welche die objective praktiſche Noth- 
wendigfeit gewifier Handlungen ausdrüden, und zwei einander ent- 
gegengejeßte Regeln nicht zugleich nothwendig fein fönnen, jondern wenn 
nad) einer derjelben zu Handeln es Pflicht ift, jo ift mad) der entgegenge- ı5 
jegten zu handeln nicht allein feine Pflicht, jondern fogar pflichtwidrig: 
jo ift eine Eollifion von Pflihten und Verbindlichkeiten gar nicht 
denfbar (obligationes non colliduntur). Es fünnen aber gar wohl zwei 
Gründe der Verbindlihfeit (rationes obligandi), deren einer aber oder 
ber andere zur Verpflichtung nicht zureihend ift (rationes obligandi non 20 
obligantes), in einem Subject und der Regel, die es ſich vorſchreibt, ver- 
bunden fein, da dann der eine nicht Pflicht ift. — Wenn zwei foldher 
Gründe einander widerftreiten, ſo fagt die praftiihe Philoſophie nicht: 
daß die ftärfere Verbindlichkeit die Oberhand behalte (fortior obligatio 
vineit), jondern der ftärfere Berpflihtungsgrund behält den Pla » 
—— ratio vincit). 

— upt 9 für die eine äußere Ge— 
ng ehe —— ee Unter diejen find 















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Einleitung in die Metaphyſik ber Sitten. IV. 225 


Der Grundjaß, welcher gewiſſe Handlungen zur Pflicht macht, ift 
ein praktiſches Geſetz. Die Regel des Handelnden, die er fid) jelbjt aus 
jubjectiven Gründen zum Princip macht, heißt feine Marime; daher bei 
einerlei ®ejeen doc die Marimen der Handelnden jehr verjchieden jein 
fünnen. 

Der kategoriſche Imperativ, der überhaupt nur ausjagt, was Ver: 
bindlichkeit fei, ift: handle nad) einer Marime, weldye zugleich als ein 
allgemeines Geſetz gelten fann! — Deine Handlungen mußt du aljo zuerft 
nad ihrem jubjectiven Grundſatze betrachten: ob aber dieſer Grundſatz 
auch objectiv gültig jei, kannſt du nur daran erkennen, daß, weil deine 
Dernunft ihn der Probe unterwirft, durch denfelben did zugleich als 
allgemein gejeßgebend zu denfen, er ſich zu einer ſolchen allgemeinen Ge⸗ 
ſetzgebung qualificire. 

Die Einfachheit dieſes Geſetzes in Vergleichung mit den großen und 
mannigfaltigen Folgerungen, die darans gezogen werden fünnen, im— 
gleihen das gebietende Anjehen, ohne daß es doch ſichtbar eine Triebfeder 
bei fi führt, muß freilich anfänglich befremden. Wenn man aber in 
diefer Verwunderung über ein Vermögen unferer Vernunft, durd) die 
bloße Fdee der Dualification einer Marime zur Allgemeinheit eines 
praktiſchen Gejeßes die Willkür zu beftimmen, belehrt wird: daß eben diefe 
praktiſchen Geſetze (die moralijchen) eine Eigenjchaft der Willfür zuerft 
fund machen, auf die feine jpeculative Vernunft weder aus Gründen 
a priori, noch durd) irgend eine Erfahrung gerathen hätte und, wenn fie 
darauf gerieth, ihre Möglichkeit theoretiſch durd nichts darthun könnte, 
gleihmohl aber jene praktiſchen Geſetze dieſe Eigenſchaft, nämlich die Frei- 
heit, unwiderfprechlich darthun: fo wird es weniger befremden, dieſe Ge- 
jeße glei mathematischen Poſtulaten unerweislich und doch apodif- 
tiſch zu finden, zugleich aber ein ganzes Feld von praktiſchen Erfennt- 
niffen vor ſich eröffnet zu jehen, wo die Vernunft mit derjelben Idee der 
Freiheit, ja jeder anderen ihrer Ideen des Überfinnlichen im Theoretiſchen 
alles ſchlechterdings vor ihr verſchloſſen finden muß. Die Übereinftim- 
mung einer Handlung mit dem Pflichtgejeße ift die Geſetzmäßigkeit 
(legalitas) — bie der Marime der Handlung mit dem Geſetze die Sitt- 
lichfeit (moralitas) derjelben. Marime aber ift das fubjective Prin- 
cip zu handeln, was ſich das Subject jelbft zur Negel macht (wie es nänt- 
li handeln will). Dagegen ift der Grundfaß der Pflicht das, was ihm 


die Vernunft ſchlechthin, mithin objectiv gebietet (wie es — joll). 
Kant’d Säriften Werke VL 


226 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre. 


Der oberfte Grundjaß der Sittenlehre ift aljo: handle nad) einer 
Marime, die zugleich als allgemeines Geſetz gelten fan. — Jede Marime, 
die ſich hiezu nicht qualificirt, ift der Moral zumider. 


Bon dem Willen gehen die Geſetze aus; von der Willlür die 
Marimen. Die legtere ift im Menſchen eine freie Willfür; der Wille, 
der auf nichts Anderes, als bloß auf Gejek geht, kann weder frei 
noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, jondern 
unmittelbar auf die Gejeßgebung für die Marime der Handlungen 
(alſo die praktijche Vernunft jelbft) geht, daher auch ſchlechterdings 
nothwendig und felbft feiner Nöthigung fähig ift. Nur die Will- vo 
für alſo fann frei genannt werden. 

Die Freiheit der Willfür aber kann nicht durd) das Vermögen 
der Wahl, für oder wider das Gejek zu handeln, (libertas indifferen- 
tiae) definirt werden — wie es wohl einige verfuht haben, — ob» 
zwar die Willkür als Phänomen davon in der Erfahrung häufige 
Beijpiele giebt. Denn die Freiheit (jo wie fie uns durchs moralijche 
Geſetz allererft fundbar wird) fennen wir nur als negative Eigen- 
ſchaft in uns, nämlic) durd) feine finnliche Beitimmungsgründe zum 
Handeln genöthigt zu werden. Als Noumen aber, d. i. nad) dem 
Vermögen des Menſchen bloß als Intelligenz betrachtet, wie fie in 20 
Anjehung der finnliden Rilfür nöthigend ift, mithin ihrer pofi- 
tiven Beſchaffenheit nad, fünnen wir fie theoretiſch gar nicht dar- 
ftellen. Nur das fönnen wir wohl einſehen: dag, obgleich der Menſch 
als Sinnenwejen der Erfahrung nad) ein Vermögen zeigt dem 
Geſetze nicht allein gemäß, jondern aud zuwider zu wählen, da— 
durch doch nicht jeine Freiheit als intelligiblen Wejens definirt 
werben könne, weil Erſcheinungen fein überfinnliches Object (der: 
gleihen dod die freie Willkür ift) verjtändlid machen Fönnen, und 
daß die Freiheit nimmermebr darin geiekt werden kann, daß das 
vernünftige Subject auch eine wider jeine (geſetzgebende) Bernunft » 
ftreitende Wahl treffen dann; wenn gleid die Erfahrung oft genug 
beweilt, dab es geſchieht (wovon wir doch die Möglichkeit nicht be— 
greifen Fönnen). — Denn ein Anderes ift, einen Satz (ber Erfah- 
rung) einräumen, ein Anderes, ihn zuın Erflärungsprincip (des 
Begriffs der freien Willlür) und allgemeinen Unterfcheidungsmert- 35 
mal (vom arbitrio bruto 5. servo) machen: weil das Eritere 


wi 
wi 


b23 





Einleitung in die Metaphyſik ber Sitten. IV, 2997 


nicht behauptet, daß das Merkmal nothwendig zum Begriff gehöre, 
welches doch zum Zweiten erforderlid) ift. — Die Freiheit in Be 
ziehung auf die innere Geſetzgebung der Vernunft ift eigentlid) allein 
ein Vermögen; die Möglichkeit von diefer abzuweichen ein Umver- 
mögen. Wie fann nun jenes aus diefem erklärt werden? Es ijt eine 
Definition, die über den praftifchen Begriff nod) die Ausübung 
defielben, wie fie die Erfahrung lehrt, hinzuthut, eine Baſtard— 
erflärung (definitio hybrida), weldye den Begriff im faljchen Lichte 
daritellt. 


Geſetz (ein moraliſch praftifches) ift ein Sab, der einen kategoriſchen 
Amperativ (Gebot) enthält. Der Gebietende (imperans) durd) ein Gejeß 
ift der Gejeßgeber (legislator). Er ift Urheber (autor) der Berbindlich- 


feit nad) dem Geſetze, aber nicht immer Urheber des Geſetzes. Im leßteren _ 


Tall würde das Geſetz pofitiv (zufällig) und willfürlich fein. Das Geſetz, 
was und a priori und unbedingt durch unfere eigene Vernunft verbindet, 
fann auch als aus dem Willen eines höchſten Gejebgebers, d. i. eines 
ſolchen, der lauter Rechte und feine Pflichten hat, (mithin dem göttlichen 
Willen) hervorgehend ausgedrüdt werden, welches aber nur die Idee von 
einem moralifhen Weſen bedeutet, deffen Wille für alle Gejeß ift, ohne 
ihn doch als Urheber defjelben zu denken. 

Zurechnung (imputatio) in moraliſcher Bedeutung ift das Urtheil, 
wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann 
That (factum) heißt und unter Geſetzen fteht, angefehen wird; welches, 
wenn e3 zugleich die rehtlihen Folgen aus diejer That bei ſich führt, 
eine rechtsfräftige (imputatio iudiciaria s. valida), fonft aber nur eine 
beurtheilende Zurehnung (imputatio diiudicatoria) fein würde. — 
Diejenige (phyſiſche oder moralifche) Perfon, welche rechtsfräftig zuzu— 
rechnen die Befugniß hat, heißt der Richter oder aud) der Gerichtshof 
(index s. forum). 

Was jemand pflihtmäßig mehr thut, als wozu er nad) dem Geſetze 
gezwungen werden kann, ift verdienſtlich (meritum); was er nur gerade 
dem leßteren angemejjen thut, iſt Schuldigfeit (debitum); was er 
endlid; weniger thut, als die letztere fordert, ift moraliſche Verſchul— 
dung (demeritum). Der rechtliche Effect einer Verſchuldung iſt die 
Strafe (poena); der einer verdienftlihen That Belohnung (praemium) 
(vorausgejeßt daß fie, im Geſetz verheißen, die Bewegurjadhe war); die 
15* 


J 


228 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre. 


Angemefjenheit des Verfahrens zur Schuldigkeit hat gar feinen rechtlichen 
Effert. — Die gütige Vergeltung (remuneratio s. repensio benefica) 
jteht zur That in gar feinem Rechtsverhältniß. 


Die guten oder ſchlimmen Folgen einer ſchuldigen Handlung 
— imgleichen die Folgen der Unterlafjung einer verdienftlihen — 5 
fönnen dem Subject nicht zugerechnet werden (modus imputationis 
tollens). 

Die guten Folgen einer verdienftlihen — imgleidhen Die 
ſchlimmen Folgen einer unredhtmäßigen Handlung tönnen dem Sub- 
ject zugerechnet werden (modus imputationis ponens). 10 

Subjectiv ift der Grad der Zurehnungsfähigfeit (impu- 
tabilitas) der Handlungen nad) der Größe der Hinderniſſe zu ſchatzen, 
bie dabei haben überwunden werden müfjen. — Se größer bie Natur- 
bindernifje (der Sinnlichkeit), je Meiner das moraliſche Hinderniß 
(der Pflicht), defto mehr wird die gute That zum Verdienft ange ı> 
rechnet; 5. B. wenn ich einen mir ganz fremden Menſchen mit meiner 
beträchtlihen Aufopferung aus großer Noth rette. 

Dagegen: je Heiner das Naturhindernig, je größer das Hinder- 
niß ans Gründen der Pflicht, defto mehr wird die Übertretung (als 
Verſchuldung) zugerechnet. — Daber der Gemüthszuftand, ob das » 
Subject die That im Affect, oder mit rubiger Überlegung verübt 
babe, in der Zuredhnung einen Unterſchied madt, der Folgen hat. 


Einleitung 
in die Rechtslehre. 


SA. 
Was die Redtslehre jei. 


5 Der Inbegriff der Geſetze, für welche eine äußere Geſetzgebung mög—⸗ 
lich ift, heißt die Rechtslehre (Ius). Sit eine jolche Geſetzgebung wirklich, 
fo ift fie Lehre des pojitiven Rechts, und der Rechtskundige derjelben 
oder Rechtsgelehrte (Iurisconsultus) heißt rehtserfahren (Iurisperi- 
tus), wenn er die äußern Geſetze aud) äußerlich, d. i. in ihrer Anwendung 

ı» auf in der Erfahrung vorfommende Fälle, kennt, die auch wohl Rechts— 
klugheit (Iurisprudentia) werden fann, ohne beide zufammen aber bloße 
Rechtswiſſenſchaft (Iurisscientia) bleibt. Die letztere Benennung 
fommt der ſyſtematiſchen Kenntniß der natürlihen Rechtslehre (Ius 
natarae) zu, wiewohl der Rechtskundige in der lekteren zu aller pofitiven 

ıs Gejeßgebung die unwandelbaren PBrincipien hergeben muß. 


SB. 
Mas ift Redt? 


Dieje Frage möchte wohl den Rechtsgelehrten, wenn er nicht in 
Zautologie verfallen, oder ftatt einer allgemeinen Auflöfung auf das, was 

» in irgend einem Lande die Gefebe zu irgend einer Zeit wollen, vermweifen 
will, eben jo in Berlegenheit ſetzen, als die berufene Aufforderung: Was 
ift Wahrheit? den Logiker. Was Nechtens ſei (quid sit iuris), d. i. was 
die Gejeße an einem gewiſſen Ort und zu einer gewiflen Zeit fagen oder 
gejagt haben, fann er nod) wohl angeben: aber ob das, was fie wollten, 

28 auch redht fei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht 
ſowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen fönne, bleibt ihm wohl 


2330 Metapbufiihe Anfangsgründe ber Rechtälehre. 


verborgen, wenn er nicht eine Zeit lang jene empiriſchen Principien ver: 
läßt, die Quellen jener Urtheile in der bloßen Vernunft ſucht (wiewohl 
ihm dazu jene Geſetze vortrefflid, zum Leitfaden dienen Fönnen), um zu 
einer möglichen pofitiven Gejebgebung die Grundlage zu errichten. Eine 
bloß empiriſche Rechtslehre ift (wie der hölzerne Kopf in Bhädrus’ Fabel) 
ein Kopf, der ſchön jein mag, nur Schade! daß er fein Gehirn hat. 

Der Begriff des Rechts, jofern er ſich auf eine ihm correjpondirende 
Verbindlichkeit bezieht, (d. i. der moralifche Begriff deifelben) betrifft 
erſtlich nur das äußere und zwar praftiihe Verhältniß einer Perſon 
gegen eine andere, jofern ihre Handlungen al3 Facta aufeinander (un- 
mittelbar oder mittelbar) Einfluß haben fünnen. Aber zweitens be- 
deutet er nicht das Verhältniß der Willkür auf den Wunſch (folglich) aud) 
auf das bloße Bedürfniß) des Anderen, wie etwa in den Handlungen der 
Mohlthätigkeit oder Hartherzigkeit, ſondern lediglid auf die Willfür 
des Anderen. Drittens, in diefem wechfeljeitigen Verhältnig der Willkür 
fommt aud) gar nicht die Materie der Willkür, d. i. der Zweck, den ein 
jeder mit dem Object, was er will, zur Abjicht hat, in Betrachtung, 3. B. 
es wird nicht gefragt, ob jemand bei der Waare, die er zu jeinem eigenen 
Handel von mir fauft, aud) feinen Vortheil finden möge, oder nicht, jon- 
dern nur nad) der Form im Verhältniß der beiderjeitigen Willkür, fofern 
fie bloß als frei betrachtet wird, und ob durd) die Handlung eines von 
beiden fi mit der Freiheit des andern nad) einem allgemeinen Geſetze 
zufammen vereinigen laſſe. 

Das Net iſt alfo der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die 
Willkür des einen mit der Willfür des andern nad) einem allgemeinen 
Geſetze der Freiheit zufammen vereinigt werden kann. 


80. 
Allgemeines Princip des Rechts. 


„Eine jede Handlung ift recht, die oder nad) deren Marime die 
Freiheit der Willfür eines jeden mit jedermanns Freiheit nad) einem all» 
gemeinen Geſetze zufammen beftehen kann.“ 

Nenn aljo meine Handlung, oder überhaupt mein Zuftand mit der 
Freiheit von jedermann nad) einem allgemeinen Geſetze aufammen bejtehen 
fann, jo thut der mir Unrecht, der mid) daran hindert; denn dieſes Hinder- 


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Einleitung in die Nechtslehre. 231 


niß (diefer Widerjtand) kann mit der Freiheit nad) allgemeinen Geſetzen 
nicht bejtehen. 

Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden fann, daß diefes 
Princip aller Marimen felbft wiederum meine Marime fei, d. i. daß ich 
es mir zur Marime meiner Handlung made; denn ein jeder kann frei 
fein, obgleich jeine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im 
Herzen derjelben gerne Abbruch thun möchte, wenn ich nur durch meine 
äußere Handlung ihr nit Eintrag thue. Das Rechthandeln mir zur 
Marime zu machen, ift eine Forderung, die die Ethik an mic) thut. 

Alſo ift das allgemeine Rechtsgejek: handle äußerlich fo, daß der 
freie Gebraud) deiner Willfür mit der Freiheit von jedermann nad) einem 
allgemeinen Geſetze zufammen bejtehen könne, zwar ein Geſetz, welches 
mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, nod) 
weniger fordert, daß ich ganz um diejer Verbindlichkeit willen meine Frei- 
heit auf jene Bedingungen ſelbſt einfchränfen folle, jondern die Ber: 
nunft jagt nur, daß fie in ihrer Idee darauf eingefchräntt fei und von 
andern auch thätlic eingeſchränkt werden dürfe; und dieſes jagt fie als 
ein Poftulat, welches gar feines Beweijes weiter fähig ift. — Wenn die 
Abſicht nicht ift Tugend zu lehren, jondern nur, was recht fei, vorzu— 
tragen, jo darf und foll man jelbjt nicht jenes Rechtsgeſetz als Trieb- 
feder der Handlung vorftellig’maden. 


SD. 
Das Recht ift mit der Befugniß zu zwingen verbunden. 


Der Widerjtand, der dem Hinderniffe einer Wirkung entgegengejekt 
wird, iſt eine Beförderung diejer Wirkung und ftimmt mit ihr zuſammen. 
Nun ift alles, was unrecht ift, ein Hinderniß der Freiheit nad) allgemeinen 
Geſetzen: der Zwang aber ift ein Hinderni oder Widerftand, der der 
Freiheit geſchieht. Folglich: wenn ein gewiffer Gebrauch der Freiheit 
jelbit ein Hinderniß der Freiheit nad) allgemeinen Geſetzen (d. i. unrecht) 
ift, jo ift der Zwang, der dieſem entgegengejebt wird, als Verhinderung 
eines Hindernijjes der Freiheit mit der Freiheit nad) allgemeinen 
Geſetzen zuſammen ſtimmend, d. i. recht: mithin iſt mit dem Rechte zu— 
gleich eine Befugniß, den, der ihm Abbrud) thut, au zwingen, nad) dem 
Satze des Widerſpruchs verknüpft. 





232 Metaphufiiche Anfangsgrünbe ber Rechtölehre. 


SE. 

Das jtricte Recht fann aud als die Möglichkeit eines mit 
jedermanns Freiheit nah allgemeinen Gejepen zufammen- 
ftimmenden durdgängigen wedhjeljeitigen Jwanges 
vorgeftellt werden. 


Diefer Sab will fo viel jagen als: das Recht darf nicht als aus zwei 
Stüden, nämlid) der Verbindlichkeit nad) einem Geſetze und der Befug- 
niß defjen, der durch feine Willfür den andern verbindet, dieſen dazu zu 
zwingen, zuſammengeſetzt gedacht werden, jondern man kann den Begriff 
des Rechts in der Möglichkeit der Verfnüpfung des allgemeinen mechjel- 
jeitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar ſetzen. So wie 
nämlich das Recht überhaupt nur das zum Dbjecte hat, was in Hand- 
lungen äußerlich ift, fo ijt das ftricte Recht, nämlid das, dem nichts 
Ethiſches beigemifcht ift, dasjenige, weldhes Feine andern Beſtimmungs— 
gründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ift es rein 
und mit feinen Tugendvorfchriften vermengt. Ein ftrictes (enges) Recht 
kann man aljo nur das völlig äußere nennen. Dieſes gründet fid nun 
zwar auf dem Bewußtjein der Verbindlichkeit eines jeden nad) dem Ge- 
ſetze; aber die Willfür darnach zu bejtimmen, darf und fann es, wenn es 
rein fein fol, fi auf diefes Bewußtſein ala Triebfeder nicht berufen, 
fondern fußt fi deshalb auf dem Princip der Möglichkeit eines äußeren 
Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nad) allgemeinen Gejeßen 
zujammen bejtehen fann. — Wenn aljo gejagt wird: ein Gläubiger hat 
ein Net von dem Schuldner die Bezahlung feiner Schuld zu fordern, jo 
bedeutet das nicht, er fan ihm zu Gemüthe führen, daß ihn feine Ver— 
nunft ſelbſt zu diefer Zeiftung verbinde, fondern ein Zwang, der jeder- 
mann nöthigt diefes zu thun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, 
alfo auch mit der jeinigen nad einem allgemeinen äußeren Geſetze zu— 
fammen beftehen; Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten aljo einerlei. 


Das Geſetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zu— 
fammenftimmenden wecdhjeljeitigen Zwanges unter dem Princip der 
allgemeinen Freiheit ift gleichjam die Eonftruction jenes Begriffs, 
d. i. Darftellung defjelben in einer reinen Anſchauung a priori, nad) 
der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter 
dem Gejeße der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirfung. 


25 


Einleitung in bie Rechtälehre, 233 


So wie wir num in der reinen Mathematik die Eigenſchaften ihres 
Dbjects nit unmittelbar vom Begriffe ableiten, fondern nur durch 
die Conjtruction des Begriffs entdeden können, fo ifts nicht ſowohl 
der Begriffdes Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Geſetze ge- 
brachte, mit ihm zufammenftimmende durdgängig wechjeljeitige und 
gleihe Zwang, der die Darftellung jenes Begrifjs möglid macht. 
Dieweil aber biefem dynamiſchen Begriffe noch ein bloß formaler 
in ber reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt: 
jo hat die Vernunft dafür geforgt, den Verftand aud mit Anſchau— 


ungen a priori zum Behuf der Conſtruction des Rechtsbegriffs fo 


viel möglich zu verforgen. — Das Rechte (rectum) wird als das 
Gerade theild dem Krummen, theils dem Sciefen entgegen 
gejebt. Das erite ift die innere Beſchaffenheit einer Linie von 
der Art, daß es zwijchen zwei gegebenen Bunften nur eine einzige, 
das zweite aber die Lage zweier einander durdjchneidenden oder 
zufammenftoßenden Linien, von deren Art es aud) nur eine ein— 
zige (die jenfrechte) geben fann, die ſich nicht mehr nad) einer Seite 
als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleid) 
abtheilt, nad) welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine 
einem jeden (mit mathematiicher Genauigfeit) beftimmt wiffen will, 
welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf, als welche 
einen gewiffen Raum zu Ausnahmen (latitudinem) nicht verweigern 
fan, — Aber ohne ins Gebiet der Ethik einzugreifen, giebt es zwei 
Fälle, die auf Rechtsentſcheidung Anſpruch maden, für die aber 
feiner, der fie entjcheide, ausgefunden werden kann, und die gleich: 
fam in Epikur's intermundia hingehören. — Dieje müffen wir zu: 
vörderſt aus der eigentlihen Rechtslehre, zu der wir bald fchreiten 
wollen, ausjondern, damit ihre jchwanfenden Principien nicht auf 
die feiten Orundfäbe der erftern Einfluß befommen. 


Anhang 
zur Einleitung in die Nechtslehre. 
Dom zweideutigen Redt. 
(Ius aequivocum.) 
Mit jedem Recht in enger Bedeutung (ius strictum) ift die Befug- 


ss niß zu zwingen verbunden. Aber man denkt fich noch ein Net im 


234 Metaphyfiihe Anfangsgründe der Rechtslehre. 


weiteren Sinne (ius latum), wo die Befugniß zu zwingen durch Fein 
Geſetz beftimmt werden kann. — Diejer wahren oder vorgeblidhen Rechte 
find nun zwei: die Billigfeit und das Nothredt; von denen bie erſte 
ein Recht ohne Zwang, das zweite einen Zwang ohne Redt annimmt, 
und man wird leicht gewahr, dieje Doppelfinnigfeit beruhe eigentlich — 
darauf, daß es Fälle eines bezweifelten Rechts giebt, zu deren Entſchei— 
dung fein Richter aufgeftellt werden kann. 


I. 
Die Billigkeit. 
(Aequitas.) 10 


Die Billigfeit (objectiv betrachtet) ijt Feinesweges ein Grund zur 
Aufforderung bloß an die ethiſche Pflicht Anderer (ihr Wohlwollen und 
Sütigfeit), jondern der, weldher aus diejem Grunde etwas fordert, fußt 
fi auf fein Recht, nur daß ihm die für den Richter erforderlichen Be— 
dingungen mangeln, nad) weldhen diejer bejtimmen könnte, wie viel, oder 
auf weldhe Art dem Anſpruche defjelben genug gethan werden fönne, Der 
in einer auf gleiche VBortheile eingegangenen Maskopei dennod mehr ge— 
than, dabei aber wohl gar durch Unglüdsfälle mehr verloren hat, als 
die übrigen Glieder, kann nad) der Billigkeit von der Geſellſchaft mehr 
fordern, als bloß zu gleichen Theilen mit ihnen zu gehen. Allein nad) dem » 
eigentlichen (jtricten) Recht, weil, wenn man fid in feinem Fall einen 
Richter denkt, diejer feine beftimmte Angaben (data) hat, um, wie viel 
nad) dem Contract ihm zufomme, auszumachen, würde er mit jeiner 
Forderung abzumeifen fein. Der Hausdiener, dem fein bis zu Ende des 
Jahres laufender Lohn in einer binnen der Zeit verſchlechterten Müng- 2 
forte bezahlt wird, womit er das nicht ausrichten kann, was er bei Schlie- 
bung des Eontracts fi dafür anſchaffen konnte, kann bei gleichem Bahl- 
werth, aber ungleichem Geldwerth fich nicht auf fein Necht berufen, deshalb 
ſchadlos gehalten zu werden, ſondern nur die Billigkeit zum Grunde auf 
rufen (eine ftumme Gottheit, die nicht gehört werden kann): weil nichts zo 
hierüber im Contract beftimmt war, ein Richter aber nach unbeftimmten 
Bedingungen nit ſprechen fann. 

Hieraus folgt aud), daß ein Gerichtshof der Billigfeit (in einem 
Streit Anderer über ihre Rechte) einen Widerſpruch in fich ſchließe. Nur 
da, wo es die eigenen Rechte des Richters betrifft, und im dem, worüber = 


— 
— 


u 


Einleitung in die Nedhtölehre. 235 


er für feine Perſon disponiren fann, darf und joll er der Billigfeit Gehör 
geben; 3. B. wenn die Krone den Schaden, den Andre in ihrem Dienfte 
erlitten haben, und den fie zu vergüten angefleht wird, jelber trägt, ob fie 
gleich nad) dem ftrengen Rechte diefen Anfpruc unter der Vorſchützung, 
5 daß fie ſolche auf ihre eigene Gefahr übernommen haben, abmweijen Fönnte. 
Der Sinnfprud) (dietum) der Billigfeit iſt nun zwar: „Das 
ſtrengſte Recht iſt das größte Unrecht“ (summum ius summa iniuria); 
aber diefem Übel ift auf dem Wege Nechtens nicht abzuhelfen, ob es gleich 
eine Rechtsforderung betrifft, weil dieje für dad Gewiſſensgericht 
io (forum poli) allein gehört, dagegen jede Frage Rechtens vor das bürger- 
lihe Recht (forum soli) gezogen werden muß. 


II. 
Das Nothredt. 
(Ius necessitatis.) 


15 Diejes vermeinte Recht joll eine Befugniß fein, im Tall der Gefahr 
des Verlufts meines eigenen Lebens einem Anderen, der mir nichts zu 
Leide that, das Leben zu nehmen. Es fällt in die Augen, daß hierin ein 
Widerſpruch der Rechtslehre mit fich jelbit enthalten fein müſſe — denn 
es ift hier nicht von einem ungerechten Angreifer auf mein Leben, dem 

»o id) durch Beraubung des feinen zuvorfomme (ius inculpatae tutelae), 
die Rede, wo die Anempfehlung der Mäßigung (moderamen) nicht ein= 
mal zum Recht, fondern nur zur Ethik gehört, fondern von einer erlaubten 
Gewaltthätigfeit gegen den, der feine gegen mic ausübte. 

Es ift Mar: daß dieje Behauptung nicht objectiv, nad) dem, was ein 

5 Gejek vorjhreiben, fondern bloß fubjectiv, wie vor Gericht die Sentenz 
gefällt werden würde, zu veritehen fei. Es kann nämlich fein Straf: 
geſetz geben, welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche, 
mit einem Andern in gleicher Lebensgefahr ſchwebend, diefen von dem 
DBrette, worauf er fich gerettet hat, wegitieße, um ſich jelbft zu retten. 

so Denn die durchs Geſetz angedrohte Strafe fönnte doc) nicht größer fein, 

‚als die des Verlufts des Lebens des erfteren. Nun kann ein ſolches Straf- 

geſetz die beabſichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit 

inem Übel, was noch ungewiß ift, (dem Tode durch dem richterlichen 

Ausiprud)) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ift, (nämlich dem 

ss Erfaufen) nicht überwiegen. Alſo ift die That der gewaltthätigen Selbft- 











236 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 


erhaltung nicht etwa als unſträflich (inculpabile), ſondern nur als un« 
ftrafbar (impunibile) zu beurtheilen, und diefe ſubjective Straflofigfeit 
wird durch eine wunderliche Verwechſelung von den Redhtslehrern für 
eine objective (Gejehmäßigkeit) gehalten. 

Der Sinnſpruch des Nothrechts heißt: „Noth hat fein Gebot (neces- 
sitas non habet legem)" ; und gleichwohl fann es feine Noth geben, welche, 
was unrecht ift, geſetzmaͤßig machte. 

Man fieht: daß in beiden Redhtsbeurtheilungen (nad) dem Billig- 
feitö- und dem Nothredhte) die Doppelfinnigkeit (aequivocatio) aus 
der Verwechſelung der objectiven mit den fubjectiven Gründen der Rechts— 
ausübung (vor der Vernunft und vor einem Gericht) entjpringt, da dann, 
was jemand für ſich jelbjt mit gutem Grunde für recht erfennt, vor einem 
Gerichtshofe nicht Beitätigung finden und, was er jelbit an ſich als un 
recht beurtheilen muß, von eben demjelben Nachſicht erlangen kann: weil 
der Begriff des Rechts in diefen zwei Fällen nicht in einerlei Bedeutung 
ift genommen worden. 


Eintheilung der Rechtslehre. 


A. 
Allgemeine Eintheilung der Rechtspflichten. 


Man kann diefe Eintheilung ſehr wohl nad) dem Ulpian machen, 
wenn man jeinen Formeln einen Sinn unterlegt, den er ſich dabei zwar 
nicht deutlich) gedacht haben mag, den fie aber doch verftatten daraus zu 
entwideln, oder hinein zu legen. Sie find folgende: 


1) Sei ein rechtlicher Menſch (honeste vive). Dierehtlide Ehr- 
barfeit (honestas iuridica) befteht darin: im Verhältniß zu An— 
deren feinen Werth als den eines Menſchen zu behaupten, welche 
Pflicht durch den Sat ausgebrüdt wird: „Mache did) anderen nicht 
zum bloßen Mittel, fondern fei für fie zugleich Zweck.“ Dieſe Pflicht 
wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menſch— 
heit in unjerer eigenen Perſon erflärt werden (Lex iusti). 

2) Thue niemanden Unredt (neminem laede), und jollteft du dbar« 
über aud) aus aller Verbindung mit andern heraus gehen und alle 
Gejellihaft meiden müfjen (Lex iuridica). 


— 


Einleitung in die Rechtälchre. 237 


3) Tritt (wenn du das legtere nicht vermeiden fannft) in eine Geſell 
ſchaft mit Andern, in welder Jedem das Seine erhalten werden 
fann (suum cuique tribue) — Die lektere Formel, wenn fie fo 
überjegt würde: „Sieb Jedem das Seine,“ würde eine Ungereimt- 

5 beit jagen; denn man fann niemanden etwas geben, was er ſchon 
bat. Wenn fie aljo einen Sinn haben fol, jo müßte fie jo lauten: 
„Zritt in einen Zuftand, worin Jedermann das Seine gegen jeden 
Anderen geſichert jein fann“ (Lex iustitiae). 

Alſo find obftehende drei claſſiſche Formeln zugleich Eintheilungs- 
ı0 principien des Syftems der Rechtspflichten in innere, äußere und in 
diejenigen, welche die Ableitung der lehteren vom Princip der erfteren 

durch Subfumtion enthalten. 

B. 
Allgemeine Eintheilung der Redte. 


ıs 1) Der Redte, als ſyſtematiſcher Lehren, in das Naturrecht, das 
auf lauter Brincipien a priori beruht, und das pojitive (ftatutari» 
ſche) Recht, was aus dem Willen eines Gefeßgebers hervorgeht. 
2) Der Rechte als (moralifher) Vermögen Andere zu verpflichten, 
d. i. als einen gejeglihen Grund zu den leßteren (titulum), von 
20 denen die Dbereintheilung die in das angeborne und erworbene 
Recht ift, deren erſteres dasjenige Recht ift, weldyes unabhängig von 
allem rechtlichen Act jedermann von Natur zukommt; das zweite 
das, wozu ein ſolcher Act erfordert wird. 


Das angeborne Mein und Dein kann and) das innere (meum vol 
»s tuum internum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erwor⸗ 
ben werden. 


Da3 angeborne Redt 
ift nur ein einziges. 


Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willfür), 

so jofern fie mit jedes Anderen Freiheit nad) einem allgemeinen Geſetz zu« 
ſammen beftehen kann, ift diejes einzige, urjprüngliche, jedem Menſchen 
fraft feiner Menſchheit zuftehende Recht. — Die angeborne Gleichheit, 

d. i. die Unabhängigkeit nicht zu mehrerem von Anderen verbunden zu 

werden, als wozu man fie wechjeljeitig aud) verbinden kann; mithin bie 








238 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 


Dualität des Menjchen fein eigener Herr (sui iuris) zu fein, imgleichen 
die eines unbejholtenen Menſchen (iusti), weil er vor allem rechtlichen 
Act feinem Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß, das gegen 
andere zu thun, was an ſich ihnen das Ihre nicht ſchmälert, wenn fie ſich 
defjen nur nicht annehmen wollen; dergleichen iſt ihnen bloß feine Ge— 
danken mitzuiheilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu verſprechen, es fei 
wahr und aufridtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsi- 
loquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob fie ihm glauben wollen oder 
nidht*); — alle diefe Befugnifje liegen ſchon im Princip der angebornen 
Freiheit und find wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter 
einem höheren Rechtsbegriff) unterjchieden. 

Die Abficht, weswegen man eine ſolche Eintheilung in das Syftem 
des Naturrehts (fofern es das angeborne angeht) eingeführt hat, geht 
darauf hinaus, damit, wenn über ein erworbenes Recht ein Streit ent- 
fteht und die Frage eintritt, wem die Beweisführung (onus probandi) 
obliege, entweder von einer bezweifelten That, oder, wenn dieje ausge: 
mittelt ift, von einem bezmweifelten Recht, derjenige, weldyer dieje Ver— 
bindlichfeit von ſich ablehnt, ſich auf fein angebornes Recht der Freiheit 
(welches nun nad) feinen verjhiedenen Verhältnifjen fpecificirt wird) 
methodiſch und gleidy als nad) verſchiedenen Redtstiteln berufen Fönne. 

Da es nun in Anjehung des angebornen, mithin inneren Mein und 
Dein feine Rechte, fondern nur Ein Recht giebt, jo wird dieſe Ober: 
eintheilung als aus zwei dem Inhalte nad) äußert ungleichen Gliedern 
beftehend in die Prolegomenen geworfen und die Eintheilung der Rechts— 
lehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können. 


*) Borjeklich, wenn gleich bloß leichtfinniger Weife, Unwahrheit zu jagen, pflegt 
zwar gewöhnlich Lüge (mendacium) genannt zu werben, weil fie wenigftens jo fern 
auch ſchaden Fann, daß ber, welcher fie treuberzig nachſagt, als ein Leichtgläubiger 
anderen zum Gefpötte wird. Sm rechtlichen Sinne aber will man, daß nur bie 
jenige Unwahrheit Lüge genannt werde, bie einem anderen unmittelbar an jeinem 
Rechte Abbruch thut, 3. B. das faljche Vorgeben eines mit jemanden gejchloffenen 
Vertrags, um ihn um dad Seine zu bringen (falsiloquium dolosum), und biejer 
Unterjchieb jehr verwandter Begriffe ift nicht ungegründet: weil es bei ber bloßen 
Erklärung feiner Gedanken immer dem andern frei bleibt, fie anzunehmen, wofür 
er will, obgleich die gegründete Nachrede, daß diefer ein Menſch jei, deffen Reden 
man nicht glauben fann, jo nahe an ben Bormurf, ihn einen Lügner zu neunen, 
ftreift, daß die Grenzlinie, die hier das, was zum Ius gehört, von dem, was ber 
Eihif anbeim Fällt, nur jo eben zu unterfcheiben ift. 


— 


[1] 


— 


35 


Einleitung in die Rechtslehre. 239 


Eintheilung 
der Metaphyfif der Sitten überhaupt. 
I. 


Alle Pflihten find entweder Rechtspflichten (officia iuris), d. i. 

5 foldhe, für weldhe eine äußere Gejebgebung möglid) ift, oder Tugend- 

pflichten (offieia virtutis s. ethica), für weldhe eine jolde nicht mög— 

lich iſt; — die leßtern Fünnen aber darum nur feiner äußeren Gefeßgebung 

unterworfen werben, weil fie auf einen Zweck gehen, der (oder weldyen zu 

haben) zugleich Pflicht ift; fi aber einen Zweck vorzujeßen, das fann 

ı» durch feine äußerliche Gejebgebung bewirkt werden (weil e3 ein innerer 

Act des Gemüths ift); obgleich äußere Handlungen geboten werden mögen, 
die dahin führen, ohne doch daß das Subject fie fi zum Zwed mad. 


Warum wird aber die Sittenlehre (Moral) gewöhnlich (nament- 
lid) vom Cicero) die Lehre von den Pflichten und nit auch von 
15 den Rechten betitelt? da doch die einen fid) auf die andern beziehen. 
— Der Grund ift diefer: Wir fennen unfere eigene Freiheit (von der 
alle moralifche Gejete, mithin auch alle Rechte ſowohl als Pflichten 
ausgehen) nur durd den moralifhen Imperativ, welder ein 
pflitgebietender Sab ift, aus welden nachher das Vermögen, 
20 andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden 
fanı, 
Il. 

Da in der Lehre von den Pflichten der Menſch nad) der Eigenſchaft 
feines Freiheitsvermögens, welches ganz überfinnlidh ift, aljo auch bloß 
nad) jeiner Menſchheit, als von phyſiſchen Beitimmungen unabhängiger 
Perjönlichkeit, (homo noumenon) vorgeftellt werden kann und joll, zum 
Unterjchiede von eben demielben, aber al3 mit jenen Beſtimmungen be- 
hafteten Subject, dem Menſchen (homo phaenomenon), jo werden Recht 
und Zweck, wiederum in diefer zwiefachen Eigenſchaft auf die Pflicht be- 

so zogen, folgende Eintheilung geben. 


Bnkyifie Krtungägeinite Ser Bielgilkiiger. 


280 


ii; des Gentges zum Aflch 


Eimtiherlung 
Pffllücht gegen ſſüch kelibit. 








VNellkoömmene Pflicht. 


———ee e 


I, . 
Das mMecht ber Menfſchheil Man Medi ber Menſcheu. 
in unferer eigenen Perfon, 
(Media) 
Pflicht 
(Tugend) 
3. 4, 
Der Awedk der Menſchheit Der Awed der Menſchen. 


in unferer Berlon, 


Unvolllommene Pflicht. 





Rflicht gegen Andere. 


1 


2 


ar 


Einleitung in bie Rechtälehre. 


241 


Da die Subjecte, in Anfehung deren ein Verhältnig des Rechts zur 
Pflicht (es fei ftatthaft oder unftatthaft) gedadyt wird, verſchiedne Bezie- 
hungen zulafjen: jo wird aud in diejer Abficht eine Eintheilung vorge- 


nommen werden fünnen. 


Eintheilung 
nad dem jubjectiven Berhältnig der Berpflidtenden 
und Berpflidteten. 


1. 

Das rechtliche Berhältni des 
Menſchen zu Wejen, die weder Recht 
nod Pflicht haben. 

Vacat. 

Denn das find vernunftloje We- 
jen, die weder uns verbinden, noch 
von weldyen wir fönnen verbunden 
werden. 


3. 
Das rechtliche Verhältniß des 
Menihen zu Wejen, die lauter 
Pflihten und feine Rechte haben. 


Vacat, 
Denn das wären Menſchen ohne 
Perfönlichkeit (Xeibeigene, Sklaven). 


2. 

Das redtlihe Verhältniß des 
Menſchen zu Wejen, die ſowohl Recht 
als Pflicht haben. 

Adest, 

Denn es ift ein VBerhältniß von 

Menſchen zu Menſchen. 


4. 

Das rechtliche Verhältniß des 
Menſchen zu einem Weſen, was 
lauter Rechte und feine Pfliht hat 
(Gott). 

Vacat. 

Nämlich in der bloßen Bhilofo- 
phie, weil e8 fein Gegenjtand mög» 
licher Erfahrung ift. 


Alio findet ih nur in No. 2 ein reales Berhältnig zwiſchen Recht 


und Pflicht. Der Grund, warum es nicht auch in No. 4 angetroffen wird, 
ift: weil es eine transjcendente Pflicht jein würde, d. i. eine joldhe, 
ber fein äußeres verpflidtendes Subject correipondirend gegeben 
werden fann, mithin das Verhältnik in theoretiſcher Rüdjicht hier nur 
ideal, d. i. zu einem Gedanfendinge ift, was wir uns jelbft, aber doch 
nicht durch feinen ganz leeren, jondern in Beziehung auf uns jelbjt und 
die Marimen der inneren Sittlichfeit, mithin in praftijcher innerer Ab- 


ss fit fruchtbaren Begriff mahen, worin denn aud) unjere — immas 


Rant’s Schriften. Bere VI. 


32 Reaarielüie Untanstgriute per Acchacichre 
nenie ansiũhrbare Bilidh: in Diefem bisz grdaihten Berhältuihe allein 
beieht. 


Eon der Eiutheilung der MRsrel als eines Egiems 
der Frlihien uberbaupt. 





—— — 
—————— — beit. hcetit 
Brisatreit Ofeniliches R, 


zur ip weiter. alles. 
web wulet ing Die Siarerialien, iondern au bie anhirfisuiide Horm 
Euerichre eufpält: wenn Dazu Die meiaphenichen 
Priacipien selltündig anögeipärt haben. 





Die sberfie Eiufheiiung dei Siuturredgtt Tauz wit (wie biäweilen 
gericht, Die is dei zetirlide ud gejelliattlidge, ionberz muß 
bie im& natürliche und bürgerlidhe Ned iein: beren ba2 erfiere des 
Prisatreht, det ;weite das sttentlihe Teht genannt wirb. Deun 
be Retur;ufenbe IR nie ter sriiibertiiie, inmderz der bürgerlidhe 


aber ſee Bergerlide ter iwextte Geiepe Dat Wein und Dein 
Tcherzde,. Daher rad Red iz den ccieren hei Frinztret heist 


Der 


Rechtslehre 
Erfter Theil. 


Das Privatrecht. 


16* 


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w 


> 
en 


Der 
allgemeinen Rechtslehre 
Erſter Theil. 


Das Privatredt 
bom äußeren Mein und Dein überhaupt. 


Erſtes Hauptjtüd. 
Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 


81. 

Das rechthich Meine (meum iuris) ift dasjenige, womit id) fo 
verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilli- 
gung von ihm machen möchte, mid; lädiren würde. Die jubjective Be— 
dingung der Möglichkeit des Gebraudys überhaupt ift der Beſitz. 

Etwas Außeres aber würde nur dann das Meine fein, wenn ich 
annehmen darf, es jei möglich, daß id) durch den Gebraud, den ein 
anderer von einer Sadye macht, in deren Beſitz ih dod nicht bin, 
gleichwohl doch lädirt werden fünne. — Aljo widerſpricht es ſich jelbit, 
etwas Äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Befites 
nicht einer verjhiedenen Bedeutung, nämlid des jinnlichen und des 
intelligiblen Befiges, fähig wäre, und unter dem einen der phyfijche, 
unter dem andern aber ein bloß rechtlicher Befit ebendefjelben Gegen 
ftandes verftanden werden fönnte. 

Der Ausdrud: ein Gegenstand ift außer mir, kann aber entweder 
fo viel bedeuten, als: er ift ein nur von mir (dem Subject) unter: 
ſchiedener, oder aud) ein in einer anderen Gtelle (positus) im Raum 
oder in der Zeit befindlicher Gegenjtand. Nur in der erfteren Bedeutung 
genommen, kann der Befik als Vernunftbefiß gedacht werden; in der 
zweiten aber würde er ein empirischer heißen müfjen. — Ein intelli- 


246 Metaphyſiſche Anfangdgründe ber Nechtslehre. 1. Theil. 1. Hauptftü, 


gibler Beſitz (wenn ein ſolcher möglich ift) ift ein Befiß ohne Inha: 
bung (detentio). 


82. 
Rechtliches Poftulat der praktiſchen Vernunft. 


Es iſt möglich, einen jeden aͤußern Gegenſtand meiner Willkür als 
das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn fie Geſetz 
würde, ein Gegenftand der Willfür an ſich (objectiv) herrenlos (res 
nullius) werden müßte, ift redhtswidrig. 

Denn ein Gegenftand meiner Willfür ift etwas, was zu gebrauden 
ich physisch in meiner Macht habe. Sollte es nun doch rechtlich ſchlech— 
terdings nicht in meiner Macht ftehen, d. i. mit der Freiheit von jeder- 
mann nad) einem allgemeinen Geſetz nicht zufammen beftehen Fönnen 
(unrecht fein), Gebrauch von demjelben zu machen: jo würde die Freiheit 
fich jelbft des Gebrauchs ihrer Willkür in Anſehung eines Gegenjtandes 
berjelben berauben, dadurch daß fie brauchbare Begenftände außer aller 
Möglichkeit des Gebrauchs jekte, d. i. dieſe in praktiſcher Rückſicht ver- 
nichtete und zur res nullius machte; obgleid die Willfür formaliter im 
Gebraud) der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nad) allgemeinen 
Geſetzen zufammenftimmte. — Da nun die reine praftifche Vernunft feine 
andere als formale Geſetze des Gebrauchs der Willtür zum Grunde legt 
und aljo von der Materie der Willkür, d. i. der übrigen Beſchaffenheit 
des Objects, wenn es nur ein Gegenſtand der Willfür iſt, abſtra— 
hirt, jo fann fie in Anjehung eines ſolchen Gegenftandes fein abjolutes 
Verbot jeines Gebrauchs enthalten, weil diefes ein Widerſpruch der 
äußeren Freiheit mit ſich jelbft jein würde. — Ein Gegenftand meiner 
Willfür aber ijt das, wovon beliebigen Gebrauch zu machen id) das 
phyſiſche Vermögen habe, deffen Gebraud in meiner Macht (potentia) 
jteht: wovon noch unterjieden werden muß, denjelben Gegenitand in 
meiner Gewalt (in potestatem meam redactum) zu haben, welches nicht 
bloß ein Vermögen, fondern aud) einen Act der Willtür voraus ſetzt. 
Um aber etwas bloß als Gegenftand meiner Willkür zu denken, ift hin- 
reichend, mir bewußt zu fein, daß ich ihn in meiner Macht habe, — Alfo 
iſt es eine Vorausjeßung a priori der praktiſchen Vernunft einen jeden 
Gegenſtand meiner Willfür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzu— 
jehen und zu behandeln. 


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Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 247 


Man kann dieſes Poſtulat ein Erlaubnißgefeß (lex permissiva) der 
praftiihen Vernunft nennen, was uns die Befugniß giebt, die wir aus 
bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: 
nämlid allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die fie jonft nicht 
hätten, fid) des Gebrauchs gewifjer Gegenjtände unferer Willkür zu ent- 
halten, weil wir zuerjt fie in unjeren Befiß genommen haben. Die Ver: 
nunft will, daß diejes als Grundſatz gelte, und das zwar als praftijche 
Vernunft, die fich durch diejes ihr Poftulat a priori erweitert, 


S 3. 

Im Befige eines Gegenjtandes muß derjenige fein, der eine Sache 
als das Seine zu haben behaupten will; denn wäre er nicht in demjelben: 
jo fönnte er nicht durch den Gebrauch, den der andere ohne feine Ein- 
willigung davon macht, lädirt werden: weil, wenn diefen Gegenftand 
etwas außer ihn, was mit ihn gar nicht rechtlich verbunden ift, afficirt, 
es ihn ſelbſt (das Subject) nicht afficiren und ihm unrecht thun könnte. 


$4. 
Erpojition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein. 


Der äußeren Gegenftände meiner Willkür fönnen nur drei fein: 
1) eine (körperliche) Sache außer mir; 2) die Willkür eines anderen zu 
einer beftimmten That (praestatio); 3) der Zuftand eines Anderen in 
Berhältniß auf mid; nad) den Kategorien der Subftanz, Caufalität 
und Gemeinſchaft zwiſchen mir und äußeren Gegenjtänden nad) Frei- 
heitsgeſetzen. 

a) Ich kann einen Gegenſtand im Raume (eine körperliche Sache) 
nicht mein nennen, außer wenn, obgleich ich nicht im phyfiichen 
Beſitz dejjelben bin, id dennod in einem anderen wirklichen 
Calfo nicht phyſiſchen) Befiß defjelben zu jein behaupten darf. — 
So werde id) einen Apfel nicht darum mein nennen, weil id) ihn 
in meiner Hand habe (phyſiſch befige), fondern nur, wenn ich jagen 
fann: ich befige ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es 
auch jei, gelegt habe; imgleichen werde id) von dem Boden, auf ben 
ic) mid) gelagert habe, nicht jagen können, er ſei darum mein; jon« 
dern nur, wenn ich behaupten darf, er fei immer nod) in meinem 
Beſitz, ob ich gleich dieſen Plaß verlafjen habe, Denn der, welcher 


248 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil, 1. Hauptftüd, 


mir im erftern Falle (des empirifhen Befibes) den Apfel aus der 
Hand winden, oder mid) von meiner Zagerftätte wegfchleppen wollte, 
würde mid) zwar freilich in Anfehung des inneren Meinen (der 
Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädiren, wenn ich nicht 
auch ohne Inhabung mid im Befik des Gegenstandes zu fein be > 
haupten könnte; ich könnte alſo diefe Gegenftände (den Apfel und 
das Lager) aud) nicht mein nennen. 

b) Ich fann die Zeiftung von etwas durch die Willfür des Andern 
nicht mein nennen, wenn ich bloß jagen fann, fie jei mit jeinem 
Verſprechen zugleich (pactum re initum) in meinen Befiß ge- 
fommen, fondern nur, wenn id) behaupten darf, id) bin im Befiß der 
Willkür des Andern (diefen zur Zeiftung zu beftimmen), obgleich Die 
Zeit der Leiftung noch erſt fommen fol; das Verſprechen des letz— 
teren gehört demnad) zur Habe und Gut (obligatio activa), und id 
fanı fie zu dem Meinen rechnen, aber nicht bloß, wenn id das 
Berfprodene (wie im erften Falle) ſchon in meinem Befiß habe, 
fondern aud), ob ich dieſes gleich noch nicht befiße. Alfo muß ich 
mich, als von dem auf Beitbedingung eingefchränften, mithin vom 
empirischen Befite unabhängig, doch im Beſitz dieſes Gegenftandes 
zu fein denken können. 20 

ce) Ich kann ein Weib, ein Kind, ein Geſinde und überhaupt eine 
andere Perſon nicht darum das Meine nennen, weil id) fie jebt als 
zu meinem Hausweſen gehörig befehlige, oder im Zwinger und in 
meiner Gewalt und Befis habe, ſondern wenn ich, ob fie ſich gleid) 
dem Zwange entzogen haben, und id) fie alſo nicht (empiriſch) be- 
fiße, dennod) jagen kann, ic) befite fie durch meinen bloßen Willen, 
jo lange fie irgendwo oder irgendwann eriftiren, mithin bloßeredt- 
lich; fie gehören aljo zu meiner Habe nur alddann, wenn und jo 
fern ic) das Lebtere behaupten Fann. 


— 


a 


LE} 


$5. 30 
Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein. 

Die Namenerllärung, d. i. diejenige, welche bloß zur Unter— 
iheidung des Objects von allen andern zureicht und aus einer volljtän- 
digen und beftimmten Erpofition de3 Begriffs hervorgeht, würde jein: 
Das Äußere Meine ift dasjenige außer mir, an deffen mir beliebigen Ge- » 





Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 249 


brauch mich zu hindern Läfion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit ber 
Freiheit von Jedermann nad) einem allgemeinen Geſetze zufammen be- 
ftehen fann) jein würde. — Die Saderflärung diejes Begriffs aber, 
d. i. die, weldhe auch zur Deduction defjelben (der Erfenntniß der Mög- 
lichkeit des Gegenstandes) zureicht, Tantet num jo: Das äußere Meine iſt 
dasjenige, in deſſen Gebrauch mic) zu ftören Läfion fein würde, ob id) 
gleih nicht im Bejiß dejjelben (nicht Inhaber des Gegenſtandes) bin. 
— Inn irgend einem Befiß des äußeren Gegenstandes muß ich jein, wenn 
der Gegenftand mein heißen fol; denn ſonſt würde der, welcher diejen 
Gegenftand wider meinen Willen afficirte, mid) nicht zugleich afficiren, 
mithin auch nicht lädiren. Alfo muß zu Folge des $ 4 ein intelligibler 
Beſitz (possessio noumenon) als möglich vorausgejegt werden, wenn e3 
ein äußeres Mein oder Dein geben joll; der empirische Beſitz (Inhabung) 
ift alsdann nur Befiß in der Erfheinung (possessio phaenomenon), ob» 
ıs glei der Gegenſtand, den id) befike, hier nicht jo, wie es in der trans 
jeendentalen Analytik geſchieht, jelbit als Erſcheinung, jondern als Sache 
an fid) ſelbſt betradhtet wird; denn dort war es der Vernunft um das theo- 
retiihe Erfenntniß der Natur der Dinge und, wie weit fie reichen fünne, 
bier aber ift es ihr um praktiſche Beftimmung der Willtür nad) Gefepen 
» der Freiheit zu thun, der Gegenftand mag nun durd) Sinne, oder aud) 
bloß den reinen Verftand erfennbar fein, und das Recht ift ein ſolcher 
reiner praktiſcher Bernunftbegriff der Willfür unter Freiheitsgejeßen. 
Eben darum jollte man auch billig nicht jagen: ein Necht auf diejen 
oder jenen Gegenjtand, fondern vielmehr ihn bloß rechtlich befigen; 
denn das Recht ift ſchon ein intellectueller Bejit eines Gegenjtandes, 
einen Beſitz aber zu befißen, würde ein Ausdrud ohne Sinn fein. 


1 


86. 
Deduction des Begriffs des bloß rechtlichen Beſitzes eines 
äußeren Gegenftandes (possessio noumenon). 


» Die Frage: wie it ein äußeres Mein und Dein möglid? löſt 
fi num in diejenige auf: wie ift ein bloß rechtlicher (intelligibler) 
Beſitz möglih? und dieſe wiederum in die dritte: wie iſt ein ſyn— 
thetiſcher Rechtsſatz a priori möglich? 

Alle Rechtsſätze find Sätze a priori, denn fie find Vernunftgefeße 

» (dietamina rationis). Der Rechtsſatz a priori in Anjehung des empi— 


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nk weggieitsiis Der Perizlz Meter zusagt 28T 02T Zäpenhiren, 


Bon der Art etwas Üußeres als das Seine zu haben, 351 


Dieje urfprüngliche Gemeinjchaft des Bodens und hiemit 
auch der Sachen auf demjelben (communio fundi originaria) ift eine 
Idee, welche objective (rechtlich praftiiche) Realität hat, und ijt ganz 
und gar von der uranfänglidhen (communio primaeva) unter: 
ichieden, welche eine Erdicdhtung ift: weil dieje eine geftiftete Ge- 
meinſchaft hätte fein und aus einem Bertrage hervorgehen müſſen, 
durd) den alle auf den Privatbefig Verzicht gethan, und ein jeder 
durch die Vereinigung feiner Befigung mit der jedes Andern jenen 
in einen Gejammtbefit verwandelt habe, und davon müßte uns die 
Geſchichte einen Beweis geben. Ein ſolches Berfahren aber als ur— 
ſprüngliche Befißnehmung anzujehen, und daß darauf jedes Men- 
ſchen bejonderer Befit habe gegründet werden können und jollen, ift 
ein Widerſpruch. 

Bon dem Beſitz (possessio) ift nody der Sitz (sedes), und von 


der Befibnehmung des Bodens in der Abſicht ihn dereinjt zu er: 


werben ift nod) die Niederlafjung, Anfiedelung (incolatus), unter: 
ſchieden, welche ein fortdauernder Privatbefiß eines Plaßes ift, der 
von der Gegenwart des Subject3 auf demjelben abhängt. Bon einer 
Niederlaffung als einem zweiten rechtlichen Act, der auf die Beſitz— 
nehmung folgen, oder aud) ganz; unterbleiben fann, ift hier nicht die 
Rede: weil fie fein urjprünglicher, jondern von der Beiitimmung 
Anderer abgeleiteter Befit fein würde. 

Der bloße phyfiiche Befik (die Inhabung) des Bodens tft ſchon 
ein Recht in einer Sadye, obzwar freilich noch nicht hinreichend, ihn 
als das Meine anzufehen. Beziehungsmweije auf Andere ijt er, als 
(jo viel man weiß) eriter Befik, mit dem Geſetz der äußern Freiheit 
einftimmig und zugleich in dem urjprünglichen Gejammtbefiß ent 
halten, der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbefites 
enthält; mithin den erften Inhaber eines Bodens in feinem Gebraud) 
defielben zu jtören, eine Läſion. Die erjte Beſitznehmung hat alſo 
einen Rechtsgrund (titulus possessionis) für fi), welcher der ur— 
ſprünglich gemeinfame Befik ift, und der Sa: wohl dem, der im 
Beſitz ift (beati possidentes)! weil Niemand verbunden ift, feinen 
Befit zu beurfunden, ift ein Grundfa des natürlihen Redts, der 
die erfte Beſitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung 
aufjtellt, auf den fich jeder erfte Befiter fußen kann. 

In einem theoretiſchen Grundſatze a priori müßte nämlich (zu 











Anwendung des Princips der Möglichkeit des äußeren 
Mein und Dein auf Gegenftände der Erfahrung. 














-_ 
= 


Von ber Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 253 


praftiiche Realität, d.i. er muß auf Gegenftände der Erfahrung, deren 
Erfenntniß von jenen Bedingungen abhängig ift, anwendbar fein. — 
Das Berfahren mit dem Redtsbegriffe in Anjehung der leßteren, als des 
möglichen äußeren Mein und Dein, ift folgendes: Der Nedhtsbegriff, der 
bloß in der Vernunft liegt, kann nidt unmittelbar auf Erfahrungs- 
objecte und auf den Begriff eines empiriſchen Beſitzes, fondern muß 
zunächſt auf den reinen Verjtandesbegriff eines Beſitzes überhaupt an- 
gewandt werden, jo daß ftatt der Inhabung (detentio), als einer empi- 
riſchen Borftellung des Beſitzes, der von allen Raumes- und Beitbedin- 
gungen abftrahirende Begriff des Habens, und nur daß der Gegenstand 
als in meiner Gewalt (in potestate mea positum esse) fei, gedacht 
werde; da dann der Ausdrud des Außeren nicht das Dafein in einem 
anderen Drte, als wo id) bin, oder meiner Willensentſchließung und 
Annahme als in einer anderen Zeit wie der des Angebots, jondern nur 
einen von mir unterjhiedenen Gegenftand bedeutet. Nun will die 
praktiſche Vernunft durch ihr Rechtsgejeb, dab ic das Mein und Dein 
in der Anwendung auf Gegenftände nicht nad) finnlihen Bedingungen, 
jondern abgefehen von denfelben, weil es eine Beftimmung der Willkür 
nad Freiheitsgejeßen betrifft, auch den Befit defielben denke, indem nur 
ein Berftandesbegriff unter Rechtsbegriffe jubjumirt werden Fann. 
Alſo werde ich jagen: id) befibe einen Ader, ob er zwar ein ganz anderer 
Plag ift, als worauf id mich wirklich befinde. Denn die Rede ift hier 
nur von einem intellectuellen Verhältnig zum Gegenſtande, jo fern id) 
ihn in meiner Gewalt habe (ein von Raumesbeftimmungen unabhän- 
giger Verftandesbegriff des Befites), und er ijt mein, weil mein zu dej- 
jelben beliebigem Gebraud; ſich beftimmender Wille dem Geſetz der äuße- 
ren Freiheit nicht widerftreitet. Gerade darin: daß abgejehen vom 
Befib in der Erjdheinung (der Suhabung) diefes Gegenftandes meiner 
Willkür die praftifche Vernunft den Bejit nad) Verjtandesbegriffen, nicht 
nad) empiriſchen, jondern ſolchen, die a priori die Bedingungen defjelben 
enthalten fönnen, gedacht wifjen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines 
ſolchen Begriffs vom Befite (possessio noumenon) als einer allgemein- 
geltenden Gefeßgebung; denn eine ſolche ift in dem Ausdrude enthal- 
ten: „Diejer äußere Gegenstand ift mein,” weil allen andern dadurd) 
eine Berbindlichkeit auferlegt wird, die fie ſonſt nicht hätten, fidh des Ge— 
brauds dejjelben zu enthalten. 

Die Art aljo, etwas außer mir als das Meine zu haben, ift die bloß 

















254 Metaphyfliiche Aufangögründe der Rechtölehre. 1. Theil. 1. Hauptſtück. 


rechtliche Verbindung bes Willens des Subjects mit jenem Gegenftande, 
er von dem Verhältniffe zu demfelben im Raum und in der 

nad) dem Begriff eines intelligibelen Befibes. — Ein Platz auf der 
Erbe ift nicht darıım ein äußeres Meine, weil ich ihn mit meinem Leibe 
einnehme (denn es betrifft hier nur meine äußere Freiheit, mithin nur 
ben Befit meiner felbft, fein Ding außer mir, und ift alfo nur ein inneres 
Recht); ſondern wenn ich ihn mod) beſitze, ob ich mich gleich von ihm weg 
und an einen andern Ort begeben habe, nur aladann betrifft e8 mein 
äuferes Recht, und berjenige, der die fortwährende Bejebung diejes 
Platzes durch meine Perſon zur Bedingung machen wollte, ihn als das 
Meine zu haben, muß entweder behaupten, es ſei gar nicht möglich, etwas 
Üuperes als das Seine zu haben (weldjes dem Poftulat $2 widerftreitet), 
oder er verlangt, daß, um diefes zu fönnen, id) in zwei Orten zugleich 
ſelz welches denn aber jo viel jagt, als: ich ſolle an einem Drte fein und 
auch nicht fein, wodurch er ſich ſelbſt widerjpricht. 

Diefes kann auch auf den Fall angewendet werden, da id ein Ver: 
ſprechen acceptirt habe; denn da wird meine Habe und Befis an dem 
Verſprochenen dadurd nicht aufgehoben, daß der Verſprechende zu einer 
Beit fagte: diefe Sache joll Dein jein, eine Zeit hernad) aber von eben- 
berjelben Sache jagt: ich will jeßt, die Sache folle nicht Dein fein. Denn 
8 hat mit ſolchen intellectuellen Verbältnifien die Bewandtniß, als ob 
jener ohne eine Zeit zwiſchen beiden Declarationen feines Willens gejagt 
hätte: fie ſoll Dein fein, umd auch: fie ſoll nicht Dein fein, was fid) dann 
ſelbſt widerjpricht. 

Ebendaffelbe gilt auch von dem Begriffe des rechtlichen Befites einer 
Perſon, als zu der Habe des Subjects gehörend (fein Weib, Kind, Knecht): 
daß nämlich diefe Häusliche Gemeinſchaft und der wechielfeitige Befit des 
AZuftandes aller Glieder derjelben durd die Befugniß ih örtlich von 
einander zu trennen nicht aufgehoben wird: weil es ein rechtliches Ber- 
hältmiß tft, was fie verfnüpft, und das äußere Mein und Dein bier eben 
jo wie in vorigen Fällen gänzlich auf der Vorausſetzung der Möglichkeit 


Zur Kritik der rechtlich-praftifchen Vernunft im Begriffe des 
äußeren Mein und Dein wird diefe eigentlich durd eine Antinomie 











— 
= 


der Säge über die Möglichkeit eines ſoichen Befipes genöthigt, & & = 


nur durd eine unvermeidliche Dialektik, im welcher Theis und Anti- 


Bon der Art etwas Außeres als das Seine zu haben. 255 


theſis beide auf die Gültigkeit zweier einander widerftreitenden Be- 
dingungen gleihen Anſpruch machen, wird die Vernunft auch in 
ihrem praftiichen (das Necht betreffenden) Gebraud) genöthigt, zwi- 
ſchen dem Befit als Erjcheinung und dem bloß durch den Verjtand 
5 denkbaren einen Unterfchied zu machen. h 
- Der Sakß heißt: Es ift möglid, etwas Außeres als das 
Meine zu haben, ob ich gleich nicht im Befit defjelben bin. 
Der Gegenfab: Es ift nit möglich, etwas Außeres als 
das Meine zu haben, wenn id) nicht im Beſitz defjelben bin. 

10 Auflöjung: Beide Säbe find wahr: der erftere, wenn ich den 
empiriichen Beſitz (possessio phaenomenon), der andere, wenn ich 
unter diefem Wort den reinen intelligibelen Befit (possessio nou- 
menon) verftehe. — Aber die Möglichkeit eines intelligibelen Be- 
fies, mithin aud) des äußeren Mein und Dein läßt ſich nicht ein- 

15 jehen, fondern muß aus dem Poftulat der praftifhen Vernunft 
gefolgert werden, wobei e8 noch befonders merkwürdig ift: daß diefe 
ohne Anſchauungen, ſelbſt ohne einer a priori zu bedürfen, ſich durch 
bloße, vom Gejet der Freiheit berechtigte Weglaffung empirifcher 
Bedingungen erweitere und jo ſynthetiſche Rechtsſätze a priori 

20 aufftellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden joll) nachher 
in praftiicher Rüdfiht auf analytijche Art geführt werden kann. 


88. 
Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ift nur in einem 
rechtlichen Zuftande, unter einer öffentlid-gefebgebenden 
35 Gewalt, d.i. im bürgerlihen Zuftande, möglid. 


Wenn ic) (wörtlich oder durd; die That) erfläre: ich will, daß etwas 
Äußeres das Meine fein folle, jo erfläre ich jeden Anderen für verbindlich, 
fid) des Gegenftandes meiner Willfür zu enthalten: eine Verbindlichkeit, 
die niemand ohne diefen meinen rechtlichen Act haben würde. In diejer 

 Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß: jedem Anderen in Ans 
jehung des äußeren Seinen wechjeljeitig zu einer gleihmäßigen Enthal- 
tung verbunden zu fein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer all- 
gemeinen Regel des äußeren rechtlichen Berhältnifjes hervor. Ich bin 
alfo nicht verbunden, das äußere Seine des Anderen unangetaftet zu 
ss laffen, wenn mid nicht jeder Andere dagegen aud) ſicher ftellt, er werde 


356 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 1. Hauptitüd. 


in Anfehung des Meinigen fid) nad) ebendemfelben Princip verhalten; 
welche Sidherftellung gar nicht eines befonderen rechtlihen Acts bedarf, 
jondern ſchon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen 
der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus 
einer allgemeinen Negel enthalten ift. — Nun Fann der einjeitige Wille 
in Anjehung eines äußeren, mithin zufälligen Befites nicht zum Zwangs— 
gejet für jedermann dienen, weil das der Freiheit nad) allgemeinen Ge— 
jeben Abbruch thun würde. Alfo ift nur ein jeden anderen verbindender, 
mithin collectiv allgemeiner (gemeinjamer) und machthabender Wille der- 
jenige, weldher jedermann jene Sicherheit leiften kann. — Der Zuftand 
aber unter einer allgemeinen äußeren (d. i. öffentlichen) mit Macht be- 
gleiteten Geſetzgebung ift der bürgerliche. Aljo fann es nur im bürger- 
lien Zuftande ein äußeres Mein und Dein geben. 

Folgefag: Wenn es rechtlich möglich jein muß, einen äußeren 
Gegenjtand als das Seine zu haben: jo muß e8 aud) dem Subject erlaubt 
fein, jeden Anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein 
ſolches Object fommt, zu nöthigen, mit ihm zufammen in eine bürger- 
liche Verfafjung zu treten. 


89. 
Im Naturzuftande fann doch ein wirflides, aber nur 
proviforifches äAußeres Mein und Dein ftatt haben. 


Das Naturreht im Zuftande einer bürgerlihen Verfafjung (d. i. 
dasjenige, was für die letere aus Principien a priori abgeleitet werden 
fann) fann durd die ſtatutariſchen Geſetze der leßteren nicht Abbrud) 
leiden, und fo bleibt das rechtliche Princip in Kraft: „Der, welcher nad) 
einer Marime verfährt, nad) der es unmöglid wird, einen Gegenftand 
meiner Willtür als das Meine zu haben, lädirt mid"; denn bürgerliche 
Verfaſſung ift allein der rechtliche Zuftand, durch welchen jedem das Seine 
nur gejichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bejtimmt wird. — 
Ale Garantie jegt aljo das Seine von jemanden (dem es gejichert wird) 
ſchon voraus. Mithin muß vor der bürgerlihen Berfafjung (oder von 
ihr abgejehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen 
werden und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend auf eine 
Urt in Verkehr kommen könnten, zu nöthigen, mit uns in eine Berfafjung 
zufammen zu treten, worin jenes gefidhert werden kann. — Ein Bejig in 


— 


— 


% 


1 


25 


Bon der Art etwas Auheres ala das Seine zu haben. 2357 


Erwartung und Borbereitung eines ſolchen Zuſtandes, der allein auf 
einem Geſetz des gemeinjamen Willens gegründet werden fann, der aljo 
zu der Möglicpfeit des Letzteren zufammenftimmt, ift ein provijorijch- 
rechtlicher Befit, wogegen derjenige, der in einem folden wirklichen 
BZuftande angetroffen wird, ein peremtorijher Befiß jein würde. — 
Vor dem Eintritt in diefen Zuftand, zu dem das Subject bereit ift, - 
widerjteht er denen mit Recht, die dazu ſich nicht bequemen und ihn in 
jeinem einftweiligen Beſitz ftören wollen: weil der Wille aller Anderen 
außer ihm jelbft, der ihm eine Verbindlichkeit aufzulegen denft, von einem 
gewiſſen Befis abzuftehen, bloß einjeitig it, mithin eben fo wenig 
gejeglihe Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird) 
zum Widerjpredhen hat, als jener zum Behaupten, indefjen daß der leßtere 
doch dies voraus hat, zur Einführung und Erridhtung eines bürgerlichen 
zuftandes zufammenzuftimmen. — Mit einem Worte: die Art, etwas 
Außeres als das Seine im Naturzuftande zu haben, iſt ein phyſiſcher 
Beſitz, der die rechtliche Präjumtion für jih hat, ihn durch Ver— 
einigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Geſetzgebung zu 
einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung comparativ für 
einen rechtlichen. 


Dieſes Prärogativ des Rechts aus dem empirischen Befikftande 
nad) der Kormel: wohl dem, der im Beſitz ift (beati possidentes) 
befteht nicht darin: daß, weil er die Präjumtion eines rehtlichen 
Mannes hat, er nicht nöthig habe, den Beweis zu führen, er befiße 
etwas rehtmäßig (denn das gilt nur im ftreitigen Rechte), jondern 
weil nad) dem Poftulat der praftifhen Vernunft jedermann das 
Vermögen zukommt, einen äußeren Gegenftand feiner Willtür als 
das Seine zu haben, mithin jede Inhabung ein Zuftand ift, defjen 
Rechtmäßigkeit fi auf jenem Poſtulat durd) einen Act des vorher: 
gehenden Willens gründet, und der, wenn nicht ein älterer Beſitz 
eines Anderen von ebendemjelben Gegenftande damider iſt, aljo vor— 
läufig, nad) dem Geſetz der äußeren Freiheit jedermann, der mit mir 
nicht in den Zuftand einer öffentlidy gejeglichen Freiheit treten will, 
von aller Anmaßung des Gebrauchs eines ſolchen Gegenstandes ab- 
zubalten berechtigt, um dem Poftulat der Vernunft gemäß eine 
Sache, die jonft praktiſch vernichtet fein würde, feinem Gebrauch zu 
unterwerfen. 

Rant's Schriften Werke VI 17 


258 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil, 2. Hauptftüd. 


Zweites Hauptſtück. 
Bon der Art etwas Äußeres zu erwerben. 
$ 10. 
Allgemeines Princip der äußeren Erwerbung. 


Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efficio), daß etwas mein werde. 5 
— Urfprünglich mein ift dasjenige Außere, was aud ohne einen recht— 
lihen Act mein ift. Eine Erwerbung aber ift urfprünglid; diejenige, 
welche nicht von dem Seinen eines Anderen abgeleitet ift. 

Nichts Äußeres ift urfprünglich mein; wohl aber kann es urfprüng- 
lid), d. i. ohne es von dem Seinen irgend eines Anderen abzuleiten, er: 
worben fein. — Der Zuftand der Gemeinjchaft des Mein und Dein 
(communio) fann nie als urſprünglich gedacht, fondern muß (durd) einen 
äußeren rechtlihen Act) erworben werden; obwohl der Befit eines 
äußeren Gegenftandes urjprünglih nur gemeinfam fein kann. Aud) 
wenn man fid) (problematiſch) eine urſprüngliche Gemeinſchaft (com- 
munio mei et tui originaria) denft: jo muß fie doch von der uranfäng— 
lichen (communio primaeva) unterjchieden werden, welche als im der 
erften Zeit der Rechtsverhältniffe unter Menſchen geftiftet angenommen 
wird und nicht wie die erjtere auf Principien, ſondern nur auf Geſchichte 
gegründet werden fann: wobei die lebtere dod) immer als erworben und » 
abgeleitet (communio derivativa) gedacht werden müßte. 

Das Princip der äußeren Erwerbung ift nun: Was id) (nad) dem 
Geſetz der äuferen Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon als 
Object meiner Willlir Gebraud zu machen id) (nad dem Boftulat der 
praktiihen Vernunft) das Vermögen habe: endlich, was id) (gemäß der 
Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, e8 jolle mein fein, das 
ift mein. 

Die Momente (attendenda) der urfprüngliden Erwerbung find 
alfo: 1. die Apprehenfion eines Gegenstandes, der Keinem angehört, 
widrigenfalls fie der Freiheit Anderer nad) allgemeinen Gejeßen wider: so 
jtreiten würde. Diefe Apprehenſion ift die Befißnehmung des Gegen- 
ftandes der Willfür im Raum und der Beit; der Beſitz aljo, in den id) 
mid) fee, ift (possessio phaenomenon). 2. Die Bezeihinung (decla- 
ratio) des Beſitzes diejes Gegenftandes und des Acts meiner Willkür 


1 
= 


— 
— 


3 


= 


Bon der Art etwas Äußeres zu erwerben. 259 


jeden Anderen davon abzuhalten. 3. Die Zueignung (appropriatio) 
als Act eines äußerlich allgemein gefeßgebenden Willens (in der Idee), 
durch welchen jedermann zur Einftimmung mit meiner ®illfür verbunden 
wird. — Die Gültigkeit des letzteren Moments der Erwerbung, als wor- 
auf der Schlußſatz: der äußere Gegenftand ift mein, beruht, d. i. daß 
der Befib als ein bloß rechtlicher gültig (possessio noumenon) jet, 
gründet fid) darauf: daß, da alle diefe Actus rechtlich find, mithin aus 
der praktiſchen Vernunft hervorgehen, und alſo in der Frage, was Rech— 
tens ift, von den empiriſchen Bedingungen des Befißes abjtrahirt werden 
fann, der Schlußjaß: der äußere Gegenftand ift mein, vom jenfibelen auf 
den intelligibelen Beſitz richtig geführt wird. 

Die urjprüngliche Erwerbung eines äußeren Gegenftandes der Will- 
für heißt Bemädhtigung (oceupatio) und fann nicht anders, als an 
förperliden Dingen (Subjtanzen) ſtatt finden. Wo nun eine folde ſtatt 
findet, bedarf fie zur Bedingung des empirischen Befikes die Priorität 
der Zeit vor jedem Anderen, der ſich einer Sadhe bemächtigen will (qui 
prior tempore potior iure). Sie ift als urſprünglich aud) nur die Folge 
von einfeitiger Willfür; denn wäre dazu eine boppeljeitige erforderlid), 
jo würde jie von dem Vertrag zweier (oder mehrerer) Berfonen, folglich 
von dem Seinen Anderer abgeleitet jein. — Wie ein folder Act der Will- 
für, als jener ift, das Seine für jemanden begründen fönne, ift nicht leicht 
einzujehen. — Indeſſen ift die erjte Erwerbung dod darum fofort nicht 
die urfprünglidhe. Denn die Erwerbung eines öffentlichen rechtlichen 
AZuftandes durch Vereinigung des Willens Aller zu einer allgemeinen 
Geſetzgebung wäre eine folche, vor der feine vorhergehen darf, und dod) 
wäre fie von dem befonderen Willen eines jeden abgeleitet und alljeitig: 
da eine urfprüngliche Erwerbung nur aus dem einjeitigen Willen hervor: 
gehen fann. 


Eintheilung 
der Erwerbung des äußeren Mein und Dein. 


1. Der Materie (dem Dbjecte) nad; erwerbe ich entweder eine 
förperlide Sache (Subftanz) oder die Leiftung (Eaufalität) eines 
Anderen oder diefe andere Perſon jelbft, d. i. den Zuftand derfelben, jo 
fern ich ein Recht erlange, über denjelben zu verfügen (das GCommercium 


» mit berjelben). 


13° 


260 Metaphufiihe Anfangsgrände der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


2. Der Form (Erwerbungsart) nad) ift es entweder ein Sachen— 
recht (ius reale) oder perjönlihes Redt (ius personale) oder ein 
dinglich-perſönliches Recht (ius realiter personale) des Befikes (ob⸗ 
zwar nicht des Gebrauchs) einer anderen Perſon als einer Sache. 

3. Nah) dem Rechtsgrunde (titulus) der Erwerbung; welches 
eigentlich Fein bejonderes Glied der Eintheilung der Rechte, aber dod) ein 
Moment der Art ihrer Ausübung ift: entweder durd) den Act einer ein- 
eitigen oder Doppeljeitigen oder alljeitigen Willfür, wodurd 
etwas Außeres (facto, pacto, lege) erworben wird. 


Erjter Abſchnitt. 
Bom Sachenrecht. 
$ 11. 
Was ift ein Sahenredt? 


Die gewöhnliche Erklärung des Rechts in einer Sache (ius reale, 
iusin re), „e8 ſei das Recht gegen jeden Bejißer derjelben*, iſt eine 
richtige Nominaldefinition. — Aber was ift das, was da madıt, daß id) 
mich wegen eines äußeren Gegenftandes an jeden Inhaber defjelben halten 
und ihn (per vindicationem) nöthigen kann, mid) wieder in Befik defjelben 
zu jeben? Iſt diefes äußere rechtliche Verhältnig meiner Willfür etwa 
ein unmittelbares Verhältniß zu einem förperlichen Dinge? So müßte 
derjenige, welcher fein Recht nicht unmittelbar auf Berfonen, fondern auf 
Sachen bezogen denkt, es fich freilich (obzwar nur auf dunkele Art) vor- 
ftellen: nämlich), weil dem Necht auf einer Seite eine Pflicht auf der an- 
dern correfpondirt, daß die äußere Sache, ob fie zwar dem erjten Befiker 
abhanden gekommen, diefem dod immer verpflichtet bleibe, d. i. fid 
jedem anmaßlichen anderen Beſitzer weigere, weil fie jenem ſchon verbind- 
lich ift, und jo mein Recht gleid, einem die Sache begleitenden und vor 
allem fremden Angriffe bewahrenden Genius den fremden Befiber 
immer an mid) weile. Es ift alfo ungereimt, fi) Verbindlichkeit einer 
Perſon gegen Sachen und umgekehrt zu denken, wenn e3 gleich allenfalls 
erlaubt werden mag, das rechtliche Verhältniß durch ein ſolches Bild zu 
verfinnlihen und ſich jo auszudrüden. 

Die Realdefinition würde daher jo lauten müflen: Das Recht in 


— 


1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 261 


einer Sache iſt ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren 

(urfprünglichen, oder gejtifteten) Gefammtbefiße ich mit allen andern bin. 

Denn das Letztere ift die einzige Bedingung, unter der es allein möglich 

ift, daß ich jeden anderen Befiker vom Privatgebraud) der Sache aus— 

ſchließe (ius contra quemlibet huius rei possessorem), weil, ohne einen 
ſolchen Geſammtbeſitz vorauszuſetzen, ſich gar nicht denken läßt, wie id), der 
ich doch nicht im Befiß der Sache bin, von Andern, die es find, und die 
fie brauchen, lädirt werden könne. — Durch einfeitige Willfür kann ic) 
feinen Andern verbinden, fid) des Gebrauchs einer Sache zu enthalten, 
wozu er jonft feine Verbindlichkeit haben würde: aljo nur durch vereinigte 

Willkür Aller in einem Gefammtbefit. Sonft müßte id) mir ein Recht in 

einer Sache jo denken: als ob die Sache gegen mich eine Verbindlichkeit 

hätte, und davon allererft das Recht gegen jeden Befiter derjelben ab- 
leiten; welches eine ungereimte Borftellungsart ift. 

15 Unter dem Wort: Sachenrecht (ius reale) wird übrigens nidht bloß 
das Redjt in einer Sache (ius in re), jondern aud) der Inbegriff aller 
Geſetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen, verjtanden. — Es ift 
aber klar, daß ein Menſch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich fein 
äußeres Ding als das Seine haben oder erwerben fönnte: weil zwiſchen 

»» ihm als Perfon und allen anderen äußeren Dingen als Sachen es gar 
fein Berhältniß der Verbindlichkeit giebt. E3 giebt alfo, eigentlidy und 
buchſtaͤblich verftanden, auch fein (directes) Recht in einer Sache, fondern 
nur dasjenige wird jo genannt, was jemanden gegen eine Perjon zus 
fommt, die mit allen Anderen (im bürgerlihen Zuftande) im gemeinjamen 


Beſitz ift. 


= 


$ 12. 


Die erfte Erwerbung einer Sade kann feine andere 
als die des Bodens fein. 


Der Boden (unter welchem alles bewohnbare Land verftanden wird) 

» ift in Anfehung alles Beweglichen auf demjelben als Subftanz, die 
Eriftenz des Lebteren aber nur als Inhärenz zu betrachten, und jo wie 
im theoretiihen Sinne die Accidenzen nicht außerhalb der Subftanz eri« 
ftiren fönnen, fo kann im praktiſchen das Bewegliche auf dem Boden nicht 
das Seine von jemanden jein, wenn diefer nicht vorher als im rechtlichen 

»s Beſitz defjelben befindlich (als das Seine defjelben) angenommen wird. 


262 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechislehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


Denn jebet, der Boden gehöre niemanden an: jo werde id) jede be- 
wegliche Sadye, die ſich auf ihm befindet, aus ihrem Plate ftoßen können, 
um ihn jelbjt einzunehmen, bis fie fi gaͤnzlich verliert, ohne da ber 
Freiheit irgend eines Anderen, der jeßt gerade nicht Inhaber defjelben ift, 
dadurch Abbruch geſchieht; alles aber, was zerftört werden fann, ein Baum, 
Haus u. |. w., ift (wenigftens der Materie nad) beweglich, und wenn man 
die Sache, die ohne Zerftörung ihrer Form nicht bewegt werden fan, ein 
Smmobile nennt, jo wird das Mein und Dein an jener nicht von der 
Subjtanz, jondern dem ihr Anhängenden verftanden, weldyes nicht die 
Sache jelbft ift. 


$ 13, 


Gin jeder Boden fann urjprünglidh erworben werden, 
und der Grund der Möglichfeit dieſer Erwerbung ift die 
urfprünglide Gemeinfhaft des Bodens überhaupt. 


Mas das erfte betrifft, jo gründet ſich diefer Sak auf dem Poftulat 
der praktiſchen Vernunft ($ 2); das zweite auf folgenden Beweis. 

Alle Menjhen find urfprünglidy (d. i. vor allem rechtlichen Act der 
Willkür) im rechtmäßigen Befik des Bodens, d. i. fie haben ein Recht, da 
zu fein, wohin fie die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gejept 
hat. Dieſer Befiß (possessio), der vom Sit (sedes) als einem willfür- 
lichen, mithin erworbenen, dauernden Beſitz unterſchieden ift, ift ein 
gemeinfamer Befit wegen der Einheit aller Pläbe auf der Erdfläche 
als Kugelflädhe: weil, wenn fie eine unendliche Ebene wäre, die Menſchen 
fid) darauf fo zerftrenen fönnten, daß fie in gar feine Gemeinſchaft mit 
einander kämen, dieſe alfo nicht eine nothwendige Folge von ihrem 
Dafein auf Erden wäre, — Der Beſitz aller Menſchen auf Erden, der vor 
allem rechtlichen Act derfelben vorhergeht (von der Natur jelbit con- 
ftitwirt ift), ft ein urfprünglider Gefammtbefit (communio pos- 
sessionis originaria), defjen Begriff nicht empirifch und von Beitbedin- 
gungen abhängig ift, wie etwa der gedichtete, aber nie erweisliche eines 
uranfängliden Gefammtbefiges (communio primaeva), jondern 
ein praftifher Vernunftbegriff, der a priori das Princip enthält, nad 
welchem allein die Menichen den Plab auf Erden nad Rechtsgeſetzen ge- 
brauchen können. 


i 


1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 263 


S 14. 
Der rechtliche Act diefer Erwerbung ift Demädtigung 


(oceupatio). 


Die Befibnehmung (apprehensio), als der Anfang der Inhabung 
s einer körperlichen Sadye im Raume (possessionis physicae), ftimmt unter 
feiner anderen Bedingung mit dem Geſetz der äußeren Freiheit von jeder- 
mann (mithin a priori) zujammen, als unter der der Priorität in An- 
jehung der Beit, d. i. nur als erfte Beſitznehmung (prior apprehensio), 
weldhe ein Act der Willfür ift. Der Wille aber, die Sache (mithin aud) 
ein bejtimmter abgetheilter Pla& auf Erden) jolle mein fein, d. i. die 
Zueignung (appropriatio), fann in einer urfprüngliden Erwerbung nidt 
anders al3 einjeitig (voluntas unilateralis s. propria) fein. Die Er» 
werbung eines äußeren Gegenftandes der Willfür durch einfeitigen Willen 
ift die Bemädtigung. Alfo kann die urjprüngliche Erwerbung defjelben, 
mithin auch eines abgemefjenen Bodens nur durch Bemächtigung (oceu- 
patio) geſchehen. — 

Die Möglichkeit auf ſolche Art zu erwerben läßt ſich auf feine Weiſe 
einjehen, noch durch Gründe darthun, jondern ift die unmittelbare Folge 
aus dem Boftulat der praftiihen Vernunft. Derfelbe Wille aber fann 
0 doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur fo fern er 
in einem a priori vereinigten (d. i. durch die Vereinigung der Willkür 
Aller, die in ein praftifches Verhältniß gegen einander fommen können) 
abſolut gebietenden Willen enthalten ift; denn der einfeitige Wille (mozu 
auch der boppeljeitige, aber doch bejondere Wille gehört) kann nicht 
jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an fid) zufällig ift, fondern 
dazu wird ein alljeitiger, nicht zufällig, jondern a priori, mithin noth— 
wendig vereinigter und darum allein gejeßgebender Wille erfordert; denn 
nur nad) diefes feinem Princip ift Übereinftimmung der freien Willkür 
eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, 
» und aljo aud) ein äußeres Mein und Dein möglid). 


ni 
= 


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2 





264 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechislehre. 1. Theil. 2. Hauptflüd. 


$ 15. 
Nur in einer bürgerlihen Berfajjung fann etwas 
peremtorifch, dagegen im Naturzuftande zwar aud, aber nur 
proviforifch erworben werden. 


Die bürgerliche Verfaſſung, obzwar ihre Wirklichkeit fubjectiv zufällig 
ift, ift gleichwohl objectiv, d. i. als Pflicht, nothwendig. Mithin giebt es 
in Hinfiht auf diejelbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgeſetz der 
Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ift. 

Der empirifche Titel der Erwerbung war die auf urfprüngliche 
Gemeinſchaft des Bodens gegründete phyſiſche Beſitznehmung (appre- 
hensio physica), weldjem, weil dem Beſitz nad) Vernunftbegriffen des 
Rechts nur ein Beſitz in der Erſcheinung untergelegt werden fann, der 
einer intellectuellen Beſitznehmung (mit Weglaffung aller empiriſchen 
Bedingungen in Raum und Zeit) correfpondiren muß, und die den Saß 
gründet: „Was ich nad Geſetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt 
bringe und will, es jolle mein fein, das wird mein.“ 

Der Vernunfttitel der Erwerbung aber fann nur in der Idee 
eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller 
liegen, welche hier ald unumgänglidye Bedingung (conditio sine qua non) 
ftillfihweigend vorausgejeßt wird; denn durch einfeitigen Willen fann 
Anderen eine Verbindlichkeit, die fie für fi) jonft nicht haben würden, 
nicht auferlegt werden. — Der Zuftand aber eines zur Gefebgebung all- 
gemein wirklich vereinigten Willens ift der bürgerliche Zuftand. Alfo nur 
in Conformität mit der Idee eines bürgerlihen Buftandes, d. i. in Hin- 
ficht auf ihn und feine Bewirfung, aber vor der Wirklichfeit defjelben 
(denn fonft wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur proviſoriſch 
kann etwas Äußeres urfprünglich erworben werden. — Die perem- 
torifche Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zuftande ftatt. 

Gleichwohl ift jene proviforische dennod eine wahre Erwerbung; 
denn nad) dem Postulat der rechtlich-praltiſchen Vernunft ift die Möglich: 
feit derjelben, in welchem Zuſtande die Menjchen neben einander jein 
mögen, (aljo aud) im Naturzuftande) ein Brincip des Privatredhts, nad) 
welchem jeder zu demjenigen Zwange beredhtigt ift, durch welchen e8 allein 
möglid) wird, aus jenem Naturzuftande heraus zu gehen und in den bür- 
gerlidyen, der allein alle Erwerbung peremtoriſch machen fann, zu treten. 


Pr 


35 


20 


25 


1. Abfchnitt. Vom Sachenrecht. 265 


Es ift die Frage: wie weit erftredt fi) die Befugniß der Befik- 
nehmung eines Bodens? So weit, als das Vermögen ihn in feiner 
Gewalt zu haben, d. i. als der, jo ihn ſich zueignen will, ihn verthei- 
digen kann; gleich als ob der Boden jpräde: wenn ihr mid, nicht 
beſchũtzen fönnt, jo fönnt ihr mir aud) nicht gebieten. Darnach 
müßte aljo auch der Streit über das freie oder verſchloſſene Meer 
entjchieden werden; 3. B. innerhalb der Weite, wohin die Kanonen 
reihen, darf niemand an der Küfte eines Landes, das ſchon einem 
gewifjen Staat zugehört, fiſchen, Bernftein aus dem Grunde der 
See holen u. dergl. — Ferner: ift die Bearbeitung des Bodens (Be- 
bauung, Beaderung, Entwäfjerung u. dergl.) zur Erwerbung dei- 
jelben nothwendig? Nein! denn da diefe Formen (der Specificirung) 
nur Aceidenzen find, jo machen fie fein Object eines unmittelbaren 
Beſitzes aus und können zu dem des Subjects nur gehören, jo fern 
die Subftanz vorher als das Seine defjelben anerkannt ift. Die Be- 
arbeitung ijt, wenn es auf die Frage von der erften Erwerbung an- 
fommt, nichts weiter als ein Äußeres Zeichen der Befibnehmung, 
welches man durch viele andere, die weniger Mühe koſten, erjeßen 
kann. — Ferner: darf man wohl jemanden in dem Act feiner Befit- 
nehmung hindern, jo daß feiner von beiden des Rechts der Priorität 
theilhaftig werde, und fo der Boden immer als feinem angehörig 
frei bleibe? Gänzlich Fann diefe Hinderung nicht jtatt finden, weil 
der Andere, um diefes thun zu können, ſich doc) auch jelbft auf irgend 
einem benadhbarten Boden befinden muß, wo er aljo jelbft behindert 
werden fann zu fein, mithin eine abjolute Verhinderung ein Wider: 
ſpruch wäre; aber rejpectiv auf einen gewiſſen (zwiſchenliegenden) 
Boden, diefen als neutral zur Scheidung zweier benadjbarten un— 
benußt liegen zu lafjen, würde doc mit dem Rechte der Bemädhti- 
gung zufammen beftehen; aber alsdann gehört wirklich diefer Boden 
Beiden gemeinſchaftlich und ift nicht herrenlos (res nullius) eben 
darum, weil er von beiden dazu gebraucht wird, um fie von ein- 
ander zu ſcheiden. — Ferner fann man auf einem Boden, davon fein 
Theil das Seine von jemanden ift, dod) eine Sache als die feine 
haben? Ja, wie in der Mongolei jeder fein Gepäd, was er hat, lie- 
gen lafjen, oder jein Pferd, was ihm entlaufen ift, als das Seine in 
feinen Befit bringen fann, weil der ganze Boden dem Volf, der Ge: 
brand) defjelben aljo jedem einzelnen zufteht; daß aber jemand eine 


1_- 2 


266 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtölehre, 1. Theil. 2. Haupiſtück. 


bewegliche Sache auf dem Boden eines Anderen als das Seine haben 
kann, ijt zwar möglich, aber nur durd) Bertrag. — Endlich ift die 
Frage: können zwei benadhbarte Völker (oder Familien) einander 
widerſtehen, eine gewifje Art des Gebrauchs eines Bodens anzu= 
nehmen, z. B. die Sagboölfer dem Hirtenvolf oder den Aderleuten, 5 
oder dieje den Pflanzern u. dergl.? Allerdings; denn die Art, wie 
fie fih auf dem Erdboden überhaupt anſäſſig machen wollen, ijt, 
wenn fie fid) innerhalb ihrer Gränzen halten, eine Sache des bloßen 
Beliebens (res merae facultatis). 

Zuletzt kann noch gefragt werden: ob, wenn uns weder die Na= ı0 
tur noch der Zufall, fondern bloß unjer eigener Wille in Nachbar⸗ 
ſchaft mit einem Volf bringt, weldyes feine Ausfidht zu einer bürger- 
lien Verbindung mit ihm verſpricht, wir nicht in der Abficht diefe 
zu ftiften und diefe Menſchen (Wilde) in einen rechtlichen Zuftand 
zu verjeßen (wie etwa die amerifaniichen Wilden, die Hottentotten, 
die Neuholländer) befugt fein jollten, allenfalls mit Gewalt, oder 
(welches nicht viel befjer ift) durd; betrügerifchen Kauf Eolonien zu 
errichten und jo Eigenthümer ihres Bodens zu werden und ohne 
Rückſicht auf ihren erften Befig Gebrauch von unferer Überlegenheit 
zu maden; zumal es die Natur jelbjt (als die das Leere verabfchenet) zo 
fo zu fordern jcheint, und große Landſtriche in anderen Welttheilen 
an gefitteten Einwohnern ſonſt menjchenleer geblieben wären, die 
jet herrlich bevölfert find, oder gar auf immer bleiben müßten, und 
jo der Zweck ber Schöpfung vereitelt werden würde. Allein man fieht 
durch dieſen Schleier der Ungerechtigkeit (Jeſuitism) alle Mittel zu 
guten Zwecken zu billigen, leicht durch; diefe Art der Erwerbung des 
Bodens ift aljo verwerflid). 

Die Unbeftimmtheit in Anjehung der Duantität jomohl als der 
Dualität des äußeren erwerblidyen Objects macht diefe Aufgabe (der 

— einzigen urfprünglihen äußeren Erwerbung) unter allen zur ſchwer-⸗ » 
| ſten fie aufzulöjen. Srgend eine urſprüngliche Erwerbung des Auße- 
ren aber muß es indeffen dod geben; denn abgeleitet kann nicht 
alle fein. Daher fann man dieje Aufgabe auch nicht als unauflöslich 
und als an fid) unmöglich aufgeben. Aber wenn fie auch durch den 
urfprünglichen Vertrag aufgelöjet wird, jo wird, wenn diejer fi » 
nicht aufs ganze menſchliche Geflecht erftredt, die Erwerbung doch 
immer nur proviforifch bleiben. 


[1 








u 
[=] 


u. 


1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 267 


$ 16. 


Erpofition des Begriffs einer urjprüngliden 
Erwerbung de3 Bodens. 


Ale Menſchen find urfprünglih in einem Geſammt-Beſitz des 
Bodens der ganzen Erde (communio fundi originaria) mit dem ihnen 
von Natur zuftehenden Willen (eines jeden) denfelben zu gebrauchen 
(lex iusti), der wegen der natürlid) unvermeidlichen Entgegenjeßung der 
Willkür des Einen gegen die des Anderen allen Gebrauch defjelben auf- 
heben würde, wenn nicht jener zugleich das Geſetz für diefe enthielte, nad) 
welchem einem jeden ein bejonderer Beſitz auf dem gemeinfamen Boden 
beftimmt werden fann (lex iuridica). Aber das austheilende Geſetz des 
Mein und Dein eines jeden am Boden fann nad) dem Axiom der äußeren 
Freiheit nicht anders ald aus einem urſprünglich und a priori ver« 
einigten Willen (der zu diejer Vereinigung feinen redhtlichen Act voraus— 
ſetzt), mithin nur im bürgerliden Zuftande hervorgehen (lex iustitiae 
distributivae), der allein, was recht, was rehtlich und was Rechtens 
ift, beftimmt. — In diefem Zuſtand aber, d. i. vor Gründung und dod) 
in Abficht auf denfelben, d. i. proviſoriſch, nad) dem Gefe der äußeren 
Erwerbung zu verfahren, ift Pflicht, folglich auch redtliches Vermögen 
des Willens jedermann zu verbinden, den Act der Befignehmung und 
Zueignung, ob er gleich nur einfeitig ift, als gültig anzuerkennen; mithin 
ift eine proviforifche Ermwerbung des Bodens mit allen ihren rechtlichen 
Tolgen möglich). 

Eine jolde Erwerbung aber bedarf doch und hat auch eine Gunſt 
des Gejebes (lex permissiva) in Anfehung der Beitimmung der Grenzen 
des rechtlih-möglichen Beſitzes für ſich: weil fie vor dem rechtlichen Zu— 
ftande vorhergeht und, al3 bloß dazu einleitend, nod) nicht peremtorifch 
ift, welche Gunſt ſich aber nicht weiter erftredt, als bis zur Einwilligung 
Anderer (Theilnehmender) zu Errichtung des Letzteren, bei dem Wider: 
ftande derjelben aber in diejen (den bürgerlichen) zu treten, und jo lange 
derjelbe währt, allen Effect einer rechtmäßigen Erwerbung bei ſich führt, 
weil diefer Ausgang auf Pflicht gegründet ift, 


268 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


& 17. 
Deduction des Begriffs der urſprünglichen ——— 


Wir haben den Titel der Erwerbung in einer urſprünglichen Ge— 
meinſchaft des Bodens, mithin unter Raums-Bedingungen eines äußeren 
Beſitzes, die Erwerbungsart aber in den empiriſchen Bedingungen 
der Beſitznehmung (apprehensio), verbunden mit dem Willen, den äußeren 
Gegenftand als den feinen zu haben, gefunden. Nun ift nod) nöthig die 
Erwerbung jelbit, d. i. das äußere Mein und Dein, was aus beiden 
gegebenen Stücden folgt, nämlich den intelligibelen Bejit (possessio nou- 
menon) des Gegenstandes, nad) dem, was fein Begriff enthält, aus den 
Principien der reinen rechtlich-praktiſchen Vernunft zu entwideln. 

Der Rehtsbegriff vom äußeren Mein und Dein, jo fern es 
Subjtanz ift, fann, was das Wort außer mir betrifft, nicht einen an- 
deren Drt, ald wo ich bin, bedeuten: denn er ift ein Vernunftbegriff; 
jondern, da unter diefem nur ein reiner Verftandesbegriff fubjumirt werden 
fann, bloß etwas von mir Unterfhhiedenes und den eines nicht empi- 
rischen Beſitzes (der gleihjam fortdauernden Apprehenfion), jondern nur 
den des in meiner Gewalt Habens (die Verknüpfung deffelben mit 
mir als fubjective Bedingung der Möglicyfeit des Gebrauchs) des äußeren 
Gegenftandes, welcher ein reiner Verftandesbegriff ift, bedeuten. Nun ift 
die Weglafiung oder das Abjehen (Abjtraction) von diefen ſinnlichen 
Bedingungen des Befibes als eines Verhältnifjes der Perjon zu Gegen- 
ftänden, die feine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhält- 
niß einer Perſon zu Perſonen, dieje alle durch den Willen der erjteren, 
jo fern er dem Ariom der äußeren Freiheit, dem Postulat des Vermögens 
und der allgemeinen Geſetzgebung des a priori al3 vereinigt gedachten 
Willens gemäß tft, in Anjehung des Gebrauchs der Saden zu ver— 
binden, weldjes aljo der intelligibele Beſitz derjelben, d. i. der durchs 
bloße Necht, ift, obgleich der Gegenftand (die Sache, die id) befiße) ein 
Sinnenobject ift. 


Daß die erfte Bearbeitung, Begränzung, oder überhaupt Vorme 
gebung eines Bodens feinen Titel der Erwerbung defjelben, d. i. 
der Beſitz des Accidens nicht einen Grund des rechtlichen Beſitzes der 
Subftanz abgeben könne, jondern vielmehr umgekehrt das Mein und 


— 


15 


Dein nad) der Regel (accessorium sequitur suum prineipale) aus d 


1. Abſchnitt. Vom Sachenrecht. 269 


dem Eigenthum der Subſtanz gefolgert werden müſſe, und daß der, 
welcher an einen Boden, der nicht ſchon vorher der ſeine war, Fleiß 
verwendet, feine Mühe und Arbeit gegen den Erſteren verloren hat, 
ift für ſich jelbit jo Mar, daß man jene jo alte und noch weit und 
breit herrſchende Meinung ſchwerlich einer anderen Urſache zujchreiben 
fann, als der ingeheim obwaltenden Täufhung, Saden zu perfoni- 
ficiren und, gleich als ob jemand fie ſich durd) an fie verwandte Ar- 
beit verbindlich machen könne, feinem Anderen als ihm zu Dienften 
zu ftehen, unmittelbar gegen fie ſich ein Recht zu denken; denn 
wahrjheinlicherweife würde man aud nicht fo leichten Fußes über 
die natürlihe Frage (von der oben jhon Erwähnung geſchehen) 
weggeglitten fein: „Wie ift ein Recht in einer Sache möglidh?" 
Denn das Recht gegen einen jeden Befiker einer Sache bedeutet nur 
die Befugniß der befonderen Willkür zum Gebraud) eines Objects, fo 
fern fie als im ſynthetiſch-allgemeinen Willen enthalten und mit dem 
Geſetz defjelben zufammenftimmend gedacht werden kann. 

Was die Körper auf einem Boden betrifft, der ſchon der meinige 
ift, jo gehören fie, wenn fie fonft feines Anderen find, mir zu, ohne 
daß id) zu diefem Zweck eines befonderen rechtlichen Acts bedürfte 
(nicht facto, jondern lege); nämlich weil fie als der Subftanz inhä— 
rirende Accidenzen betrachtet werden fünnen (iure rei meae), wozu 
auc Alles gehört, was mit meiner Sache jo verbunden ift, daß ein 
Anderer fie von dem Meinen nicht trennen kann, ohne dieſes ſelbſt 
zu verändern (3. B. Vergoldung, Miſchung eines mir zugehörigen 
Stoffes mit andern Materien, Anjpülung oder aud) Veränderung 
des anftoßenden Strombettes und dadurch geihehende Erweiterung 
meines Bodens u. f. w. Ob aber der erwerbliche Boden fid) noch 
weiter als das Land, naͤmlich auch auf eine Strede des Seegrundes 
hinaus (das Redjt, nody an meinen Ufern zu filchen, oder Bernftein 
herauszubringen u. bdergl.), ausdehnen lafje, muß nad) ebenden- 
jelben Grundjäßen beurtheilt werden. So weit id aus meinem 
Site mechaniſches Vermögen habe, meinen Boden gegen den Ein- 
griff Anderer zu fihern (3. B. fo weit die Kanonen vom Ufer ab» 
reichen), gehört er zu meinem Befig, und das Meer ift bis dahin 
geſchloſſen (mare clausum). Da aber auf dem weiten Meere felbft 
fein Sit möglich ift, jo fann der Beſitz aud) nicht bis dahin aus- 
gebehnt werden, und offene See ift frei (mare liberum). Das 


270 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


Stranden aber, es jei der Menſchen oder der ihnen zugehörigen 
Saden, kann als unvorfeplid) von dem Strandeigenthümer nicht 
zum Erwerbredyt gezählt werden: weil es nicht Laͤſion (ja überhaupt 
fein Factum) ift, und die Sache, die auf einen Boden gerathen ift, 
der doch irgend einem angehört, nicht als res nullius behandelt 
werden kann. Ein Fluß dagegen fann, fo weit der Beſitz jeines 
Ufers reicht, jo gut wie ein jeder Landboden unter obbenannten Ein- 
ihränfungen urfprünglid von dem erworben werden, der im Beſitz 
beider Ufer iſt. 


& * 
= 


Der äußere Gegenftand, weldyer der Subftanz nad) das Seine 
von jemanden ift, ijt defjen Eigenthum (dominium), welchem alle 
Rechte in diefer Sache (wie Accidenzen der Subftanz) inhäriren, 
über welche alfo der Eigenthümer (dominus) nad) Belieben verfügen 
fann (ius disponendi de re sua). Aber hieraus folgt von jelbit: 
daß eim folder Gegenſtand nur eine körperliche Sache (gegen die 
man feine Verbindlichkeit hat) fein fönne, daher ein Menſch fein 
eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigenthümer von ſich jelbit 
(sui dominus) (über ſich nady Belieben disponiren zu fönnen), ge 
Ihweige denn von anderen Menſchen fein Fann, weil er der Menſch— 
heit im feiner eigenen Perſon verantwortlid iftz wiewohl diejer 
Punkt, der zum Recht der Menfchheit, nicht dem der Menſchen gehört, 
bier nicht feinen eigentlihen Pla hat, jondern nur beiläufig zum 
befjeren Berftändniß des kurz vorher Geſagten angeführt wird. — 
Es kann ferner zwei volle Eigenthümer einer und derjelben Sache 
geben ohne ein gemeinfames Mein und Dein, jondern nur als ge— 
meinjame Befiger defjen, was nur einem als das Seine zugehört, 
wenn von den jogenannten Miteigenthümern (condomini) einem nur 
der ganze Befiß ohne Gebraudy, dem Anderen aber aller Gebraud) 
der Sache jammt dem Befik zukommt, jener alfo (dominus directus) 


0 


diefen (dominus utilis) nur auf die Bedingung einer beharrlichen zo 


Leiſtung rejtringirt, ohne dabei feinen Gebrauch zu limitiren. 


1 


2. Abſchnitt. Vom perfönlichen Recht. 271 


Zweiter Abſchnitt. 
Vom perjönlichen Recht. 


$ 18. 


Der Beſitz der Willfür eines Anderen, als Vermögen fie durd) die 
meine nad) Freiheitsgejegen zu einer gewifjen That zu beftimmen, (das 
äußere Mein und Dein in Anjehung der Cauſalität eines Anderen) ift 
ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen eben diejelbe Perſon oder gegen 
Andere haben kann): der Inbegriff (das Syitem) der Geſetze aber, nad) 
welchen id; in diejem Beſitz jein fann, das perjönlicde Recht, welches nur 
ein einziges ift. 

Die Erwerbung eines perfönlihen Rechts kann niemals urſprünglich 
und eigenmädtig fein (denn eine ſolche würde nicht dem Princip der Ein- 
ftimmung der Freiheit meiner Willtür mit der Freiheit von jedermann 
gemäß, mithin unrecht fein). Eben fo kann id) auch nicht durch rechts— 
widrige That eines Anderen (facto iniusto alterius) erwerben; denn 
wenn dieje Läfton mir aud) ſelbſt widerfahren wäre, und id) von dem 
Underen mit Recht Genugthuung fordern kann, jo wird dadurd) doch nur 
das Meine unvermindert erhalten, aber nichts über das, was ich ſchon 
vorher hatte, erworben. 

Erwerbung durd die Ihat eines Anderen, zu der ich diefen mad) 
Rechtsgeſetzen beftimme, ift aljo jederzeit von dem Seinen des Anderen 
abgeleitet, und dieje Ableitung als rechtlicher Act kann nicht durch diejen 
als einen negativen Act, nämlid) der Verlaſſung, oder einer auf das 
Seine geſchehenen Berzihtthuung (per derelictionem aut renuncia- 
tionem), gejhehen, denn dadurch wird nur das Seine Eines oder des An— 
deren aufgehoben, aber nichts erworben, — fondern allein durch Über: 
tragung (translatio), weldye nur durd) einen gemeinſchaftlichen Willen 
möglich ift, vermittelft defjen der Gegenitand immer in die Gewalt des 
Einen oder des Anderen fommt, aladann einer feinen Antheile an diefer 
Gemeinſchaft entjagt, und jo das Object durch Annahme defjelben (mithin 


einen pofitiven Act der Willlür) das Seine wird. — Die Übertragung 


feines Eigenthums an einen Anderen ift die Veräußerung. Der Act 
der vereinigten Willfür zweier Berjonen, wodburd überhaupt das Seine 
des Einen auf den Anderen übergeht, ift der Vertrag. 


272 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Dauptftäd, 


$ 19. 


In jedem Vertrage find zwei vorbereitende und zwei conjtitui- 
rende rechtliche Acte der Willfür; die beiden erfteren (die des Trac- 
tirens) find dad Angebot (oblatio) und die Billigung (approbatio) 
defjelben; die beiden andern (nämlid des Abſchließens) find das 
Verſprechen (promissum) und die Annehmung (acceptatio). — Denn 
ein Anerbieten kann nicht eher ein Verſprechen heißen, als wenn ich vor- 
ber urtheile, das Angebotene (oblatum) fei etwas, was dem Promiljar 
angenehm jein fönne; welches durch die zwei erftern Declarationen an— 
gezeigt, durch dieje allein aber noch nichts erworben wird. 

Aber weder durch den bejonderen Willen des Promittenten, nod) 
ben des Promifjars (als Acceptanten) geht das Seine des erfteren zu dem 
legteren über, jondern nur durd) den vereinigten Willen beider, mit- 
hin fo fern beider Wille zugleich declarirt wird. Nun ift dies aber durd) 
empirische Actus der Declaration, die einander nothwendig in der Zeit 
folgen müfjen und niemals zugleid find, unmöglid. Denn wenn id) 
verfprodhen habe und der Andere num acceptiren will, jo kann id; während 
der Zwifchenzeit (jo furz fie aud) fein mag) es mid) gereuen lafjen, weil 
ic) vor der Ncception noch frei bin; jo wie anderſeits der Ncceptant eben 
darum an jeine auf das Verſprechen folgende Gegenerflärung aud) ſich 
nicht für gebunden halten darf. — Die äußern Förmlichfeiten (solennia) 
bei Schließung des Vertrags [der Handſchlag, oder die Zerbrechung eines 
von beiden Perſonen angefaßten Strohhalms (stipula)] und alle hin und 
ber geichehene Beftätigungen feiner vorherigen Erklärung beweijen viel- 
mehr die Verlegenheit der Pacifcenten, wie und auf welche Art fie die 
immer nur aufeinander folgenden Erklärungen als in einem Augenblide 
zugleich eriitirend vorftellig machen wollen, was ihnen dod) nicht gelingt: 
weil e8 immer nur in der Zeit einander folgende Actus find, wo, wenn 
der eine Act ijt, der andere entweder noch nicht, oder nicht mehr ift. 

Über die transjcendentale Deduction des Begriffs der Erwerbung 
durd) Vertrag kann allein alle diefe Schwierigkeiten heben. In einem 
rechtlichen äußeren VBerhältnifje wird meine Befihnehmung der Willkür 
eines Anderen (und jo wechleljeitig), als Beitimmungsgrund defjelben 
zu einer That, zwar erjt empirifch durch Erklärung und Gegenerflärung 
der Willfür eines jeden von beiden in der Beit, als finnlicher Bedingung 
der Apprehenfion, gedacht, wo beide rechtliche Acte immer nur auf ein- 


10 


— 


ä 


20 


5 


1 


10 


15 


2. Abſchnitt. Vom perjönlidhen Recht. 273 


ander folgen: weil jenes Verhältniß (als ein rechtliches) reim intellectwell 
ift, durd den Willen als ein gejeßgebendes Vernunftvermögen jener 
Befik als ein intelligibeler (possessio noumenon) nad) Freiheitsbegriffen 
mit Abftraction von jenen empiriihen Bedingungen als das Mein oder 
Dein vorgejtellt; wo beide Acte, des Verfprechens und der Annehmung, 
nicht als aufeinander folgend, jondern (gleidy als pactum re initum) aus 
einem einzigen gemeinfamen Willen bervorgehend (weldyes durd; das 
Wort zugleich ausgedrüdt wird) und der Gegenjtand (promissum) durd) 
Weglafjung der empiriihen Bedingungen nad dem Gejeh der reinen 
praftifhen Vernunft als erworben vorgeftellt wird. 


Daß diefes die wahre und einzig mögliche Deduction des Begriffs 
der Erwerbung durch Vertrag fei, wird durd die mühjelige und doch 
immer vergebliche Beitrebung der Rechtsforſcher (z. B. Mojes Men- 
delsjohns in feinem „Jeruſalem“) zur Beweisführung jener Möglidy- 
feit hinreichend beftätigt. — Die Frage war: warum ſoll ich mein 
Verſprechen halten? Denn daß id) es joll, begreift ein jeder von 
ſelbſt. Es ift aber ſchlechterdings unmöglich, von diefem kategoriſchen 
Imperativ nody einen Beweis zu führen; eben fo wie es für den 
Geometer unmöglich ift, durch Vernunftichlüffe zu beweiſen, daß ich, 
um ein Dreied zu machen, drei Linien nehmen müſſe (ein analyti- 
iher Sa), deren zwei aber zufammengenommen größer fein müfjen, 
als die dritte (ein ſynthetiſcher; beide aber a priori). Es iſt ein Po— 
ftulat der reinen (von .allen finnlichen Bedingungen des Raumes 
und der Beit, was den Rechtsbegriff betrifit, abjtrahirenden) Ver— 
nunft, und die Lehre der Möglichkeit der Abjtraction von jenen Be- 
dingungen, ohne daß dadurch der Beſitz defjelben aufgehoben wird, 
iſt ſelbſt die Deduction des Begriffs der Erwerbung durd Vertrag; 

- jo wie es in dem vorigen Titel die Lehre von der Erwerbung durd) 
Bemädtigung der äußeren Sad)e war. 


$ 20. 
Was ift aber das Außere, das ich durch den Vertrag erwerbe? Da 
es nur die Gaujalität der Willfür des Anderen in Anjehung einer miv 


verſprochenen Leiſtung ift, jo erwerbe ich dadurdy unmittelbar nicht eine 
äußere Sache, ſondern eine That defjelben, dadurch jene Sache in meine 
18 


Kant’! Schriften Berfe VI 


274 Metapbyfiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftü. 


Gewalt gebradyt wird, damit id) fie zu der meinen made. — Durch den 
Vertrag aljo erwerbe ich das Verſprechen eines Anderen (nidyt das Ber: 
ſprochene), und dod) fommt etwas zu meiner äußeren Habe hinzu; id) bin 
vermögender (locupletior) geworden durch Erwerbung einer activen 
Dpbligation auf die Freiheit und das Vermögen des Anderen. — Dieſes 
mein Recht aber ijt nur ein perjönlidhes, nämlid gegen eine be— 
ftimmte phyſiſche Perfon, und zwar auf ihre Gaufalität (ihre Willfür) 
zu wirfen, mir etwas zu leiften, nicht ein Sachenrecht gegen bie- 
jenige moralifche Perſon, welche nichts anders als die Sdee der a priori 
vereinigten Willkür aller ift, und wodurd) ich allein ein Recht gegen 
jeden Bejißer derjelben erwerben fann; als worin alles Recht in 
einer Sache beiteht. 


Die Übertragung des Meinen durch Vertrag geſchieht nad) dem 
Geſetz der Stetigfeit (lex continui), d. i. der Befit des Gegenftandes 
ift während diefem Act feinen Augenblid unterbroden, denn font 
würde ich in diefem Auftande einen Gegenftand als etwas, das keinen 
Befiger hat (res vacua), folglich urfprünglid erwerben; welches 
dem Begriff des Vertrages widerſpricht. — Dieje Stetigfeit aber 
bringt es mit fi, daß nicht eines von beiden (promittentis et ac- 
ceptantis) bejonderer, fondern ihr vereinigter Wille derjenige ift, 
welder das Meine auf den Anderen überträgt; alſo nicht auf die 
Art: dab der Verſprechende zuerft feinen Befig zum Vortheil des 
Anderen verläßt (derelinquit), oder feinem Recht entjagt (renunciat), 
und der Andere ſogleich darin eintritt, oder umgefehrt. Die Trans: 
lation ift alfo ein Act, in welchem der Gegenftand einen Augenblid 
beiden zufammen angehört, fo wie in der paraboliihen Bahn eines 
geworfenen Steins dieſer im Gipfel derjelben einen Augenblid als 
im Steigen und Fallen zugleich begriffen betrachtet werden kann und 
jo allererft von der fteigenden Bewegung zum Fallen übergeht. 


821. 


Eine Sache wird in einem Vertrage nit durd) Annehmung (ac- 
ceptatio) des Verſprechens, fondern nur durch Ubergabe (traditio) des 
Verſprochenen erworben. Denn alles Verſprechen geht auf eine Zeiftung, 
und wenn das Berfprochene eine Sache iſt, fann jene nicht anders entrichtet 


— 


0 


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25 


2. Abſchnitt. Vom perfönlichen Recht. 975 


werden, al3 durch einen Act, wodurd der Promifjar vom Promittenten 
in den Beſitz derſelben geſetzt wird, d. i. durch die Übergabe. Vor diejer 
aljo und dem Empfang ift die Leiftung noch nicht geihehen; die Sache 
ift von dem Einen zu dem Anderen nod) nicht übergegangen, folglich von 
dieſem nicht erworben worden, mithin das Recht aus einem Vertrage nur 
ein perjönlidhes und wird nur durch die Tradition ein dingliches Nedt. 


Der Vertrag, auf den unmittelbar die Übergabe folgt (pactum 
re initum), j&hließt alle Zwiſchenzeit zwiſchen der Schließung und 
Vollziehung aus und bedarf Feines bejonderen nod) zu erwartenden 
Acts, wodurch das Seine des Einen auf den Anderen übertragen 
wird. Aber wenn zwiſchen jenen Beiden noch eine (beftimmte oder 
unbeftimmte) Zeit zur Übergabe bewilligt ift, frägt ſich: ob die Sache 
ſchon vor diefer durd, den Vertrag das Seine des Acceptanten ge 
worden und das Recht des Lebteren ein Necht in der Sadıe jei, oder 
ob noch ein befonderer Vertrag, der allein die Übergabe betrifft, dazu 
fommen müfje, mithin das Recht durch die bloße Acceptation nur ein 
perjönliches fei und allererft durch die Übergabe ein Recht in der 
Sache werde. — Daß es fi hiemit wirklich fo, wie das letztere be- 
fagt, verhalte, erhellt aus nadyfolgendem: 

Wenn id) einen Vertrag über eine Sache, 3. B. über ein Pferd, 
das id) erwerben will, ſchließe und nehme es zugleich mit in meinen 
Stall, oder jonft in meinen phyſiſchen Befiß, jo ift e$ mein (vi pacti 
re initi), und mein Redt ift ein Recht in der Sade; laſſe ich es 
aber in den Händen des Verkäufers, ohne mit ihm darüber befonders 
auszumachen, in weſſen phyſiſchem Befik (Inhabung) dieje Sache vor 
meiner Befignehmung (apprehensio), mithin vor dem Wechſel des 
Befiges jein jolle: jo ift diejes Pferd noch nicht mein, und mein Recht, 
was id; erwerbe, ift nur ein Recht gegen eine beftimmte Berjon, 
nämlid; den Verkäufer, von ihm in den Beſitz geſetzt zu werden 
(poscendi traditionem), als fubjective Bedingung der Möglichkeit 
alles beliebigen Gebraudys defjelben, d. i. mein Recht ijt nur ein 
perjönliches Recht, von jenem die Zeiftung des Verjprecdhens-(prae- 
statio), mid) in den Beſitz der Sache zu jeßen, zu fordern. Nun fann 
ich, wenn der Vertrag nicht zugleich die Übergabe (als pactum re 
initum) enthält, mithin eine Zeit zwiſchen dem Abſchluß defjelben 
und der Befihnehmung des Erworbenen verläuft, in diefer Zeit nicht 

18* 


276 Meiaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


anders zum Beſitz gelangen, als dadurd) daß ich einen bejonderen 
rechtlichen, nämlich einen Bejigact (actum possessorium) ausübe, 
der einen bejonderen Vertrag ausmacht, und diejer ift: daß ich jage, 
ich werde die Sache (das Pferd) abholen lafjen, wozu der Verkäufer 
einwilligt. Denn daß diejer eine Sache zum Gebraude eines An- 
deren auf eigene Gefahr in feine Gewahrjame nehmen werde, ver- 
fteht fich nicht von felbft, fondern dazu gehört ein befonderer Vertrag, 
nad) welchem der Beräußerer feiner Sache innerhalb der beftimm- 
ten Zeit noch immer Eigenthümer bleibt (und alle Gefahr, die die 
Sadıe treffen möchte, tragen muß), der Erwerbende aber nur dann, 
wenn er über dieje Zeit zögert, von dem Verkäufer dafür angejehen 
werden kann, als ſei fie ihm überliefert. Vor diefem Befipact ift 
aljo alles durd; den Vertrag Erworbene nur ein perjönliches Recht, 
und der Promifjar fann eine äußere Sache nur durch Tradition 
erwerben. 


Dritter Abſchnitt. 
Von dem auf dingliche Art perjönlichen Recht. 
$ 22. 


Diefes Recht ift das des Befikes eines Äußeren Gegenstandes als 
einer Sache und des Gebrauchs bdefjelben als einer Perſon. — Das 
Mein und Dein nad) diefem Recht ift das häusliche, und das Verhält- 
niß in diefem Zuftande ift das der Gemeinſchaft freier Wejen, die durch 
den wechſelſeitigen Einfluß (der Perjon des einen auf das andere) nad) 
dem Princip der äußeren Freiheit (Cauſalität) eine Geſellſchaft von 
Gliedern eines Ganzen (in Gemeinschaft ftehender Perjonen) aus- 
machen, welches das Hausweſen heißt. — Die Erwerbungsart diejes 
Auftandes und in demjelben gejchieht weder durch eigenmächtige That 
(facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), fondern durchs Geſetz (lege), 
welches, weil e8 fein Recht in einer Sadye, auch nidyt ein bloßes Recht 
gegen eine Perſon, jondern auch ein Beſitz derjelben zugleid) ift, ein über 
alles Sachen- und perſönliche hinaus liegendes Recht, nämlich das Recht 
ber Menſchheit in unferer eigenen Perſon fein muß, weldhes ein natür- 
liches Erlaubnißgejeb zur Folge hat, durch defjen Gunft uns eine ſolche 
Ermwerbung möglid) ift. 


2 


er 


3. Abfchnitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlichen Necht. 277 


$ 23. 


Die Erwerbung nad) diefem Geſetz ift dem Gegenftanbe nad) dreier- 
lei: Der Mann erwirbt ein Weib, das Baar erwirbt Kinder und die 
Familie Gefinde. — Alles diefes Erwerbliche ift zugleich unveräußer- 
li und das Recht des Beſitzers diefer Gegenstände das allerperjön- 
lichte. 


Des Rechts der häuslichen Geſellſchaft 
erfter Titel: 
Das Eherecht. 


$ 24. 

Geſchlechtsgemeinſchaft (commercium sexuale) ift der wechjel- 
feitige Gebrauch, den ein Menſch von eines anderen Geſchlechtsorganen 
und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alte- 
rius), und entweder ein natürlicher (wodurd) feines Gleichen erzeugt 
werden fann), oder unnatürlider Gebraud; und dieſer entweder an 
einer Perſon ebendefjelben Geſchlechts, oder einem Thiere von einer an— 
deren als der Menjhen-Battung; welche Übertretungen der Geſetze, un— 
natürliche Laſter (erimina carnis contra naturam), die auch unnennbar 
heißen, als Läſion der Menſchheit in unſerer eigenen Perſon durch gar 
feine Einſchränkungen und Ausnahmen wider die gänzliche Verwerfung 
gerettet werden fönnen. 

Die natürliche Geſchlechtsgemeinſchaft ift nun entweder die nadı der 
bloßen thieriihen Natur (vaga libido, venus volgivaga, fornicatio), oder 
nad dem Geſetz. — Die leptere ift die Ehe (matrimonium), d. i. die 
Verbindung zweier Perſonen verihiedenen Geſchlechts zum lebenswierigen 
wechleljeitigen Befiß ihrer Geſchlechtseigenſchaften. — Der Zweck, Kinder 
zu erzeugen und zu erziehen, mag immer ein Zwed der Natur fein, zu 
welhem fie die Neigung der Geſchlechter gegeneinander einpflanzte; aber 
daß der Menich, der fich verehlidht, dieſen Zwed ſich vorjeßen müſſe, 
wird zur Necdhtmäßigfeit diejer feiner Verbindung nicht erfordert; denn 
ſonſt würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe ſich zugleid) von 
ſelbſt auflöfen. 

Es iſt nämlich, auch unter Vorausfeßung der Luft zum wechjelfeitigen 
Gebraud ihrer Geſchlechtseigenſchaften, der Ehevertrag fein beliebiger, 


278 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptſtück. 


fondern durchs Gejeß der Menſchheit nothwendiger Vertrag, d. i. wenn 
Mann und Weib einander ihren Geſchlechtseigenſchaften nad) wechſelſeitig 
genießen wollen, jo müſſen fie ſich nothwendig verehlichen, und diefes ift 
nad) Rechtsgeſetzen der reinen Vernunft nothwendig. 


$ 25. 

Denn der natürliche Gebraud, den ein Geſchlecht von den Geſchlechts— 
organen des anderen madht, ift ein Genuß, zu dem ſich ein Theil dem 
anderen hingiebt. In diefem Act madt ſich ein Menſch jelbit zur Sache, 
welches dem Rechte der Menjchheit an jeiner eigenen Perſon widerftreitet. 
Nur unter der einzigen Bedingung tft diejes möglich, daß, indem die eine 
Perjon von der anderen gleidy als Sache erworben wird, dieje gegen- 
jeitig wiederum jene erwerbe; denn jo gewinnt fie wiederum ſich jelbft 
und jtellt ihre Perjönlichfeit wieder her. Es ijt aber der Erwerb eines 
Gliedmaßes am Menſchen zugleich Erwerbung der ganzen Berjon, — 
weil diefe eine abfolute Einheit iſt; — folglich ift die Hingebung und An- 
nehmung eines Geſchlechts zum Genuß des andern nicht allein unter der 
Bedingung der Ehe zuläffig, jondern aud) allein unter derjelben möglid). 
Daß aber diejes perſönliche Recht es doc zugleich auf dingliche 
Art jei, gründet fid) darauf, weil, wenn eines der Eheleute ſich verlaufen, 
oder ſich in eines Anderen Beſitz gegeben hat, das andere es jederzeit 
und unweigerlich gleich als eine Sade in feine Gewalt zurüdzubringen 
berechtigt iſt. 

$ 26. 


Aus denjelben Gründen ift das Verhältniß der Verehlichten ein 
Perhältniß der Gleichheit des Befites, ſowohl der Perſonen, die ein: 
ander wechjelfeitig befißen (folglid nur in Monogamie, denn in einer 
Rolygamie gewinnt die Perjon, die fi) weggiebt, nur einen Theil des— 
jenigen, dem fie ganz anheim fällt, und macht fid) alfo zur bloßen Sache), 
als aud) der Glüdsgüter, wobei fie dod) die Befugniß haben, fi, obgleich 
nur durd) einen befonderen Vertrag, des Gebrauchs eines Theils derjelben 
zu begeben. 


Daß der Concubinat feines zu Recht beftändigen Contracts 
fähig fei, jo wenig als die Berdingung einer Perſon zum einmaligen 
Genuß (pactum fornicationis), folgt aus dem obigen Grunde, Denn 


[3 


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5 


20 


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30 


3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlichen Reht. 279 


was ben legteren Vertrag betrifft: jo wird jedermann geftehen, daß 
die Perſon, weldye ihn geſchloſſen hat, zur Erfüllung ihres Ber- 
ſprechen rechtlich nicht angehalten werden fünnte, wenn es ihr ge 
reuete; und jo fällt aud) der erftere, nämlich der des Concubinats, 
(al3 pactum turpe) weg, weil diefer ein Gontract der Berdingung 
(locatio-conductio) jein würde und zwar eines Gliedmaßes zum 
Gebrauch eines Anderen, mithin wegen der unzertrennlichen Einheit 
ber Glieder an einer Perion dieje ſich jelbit als Sache der Willfür 
des Anderen hingeben würde; daher jeder Theil den eingegangenen 


Vertrag mit dem anderen aufheben fann, jo bald es ihm beliebt, 


ohne daß der andere über Läfion feines Rechts gegründete Beſchwerde 
führen kann. — Eben dafjelbe gilt auch von der Ehe an ber linfen 
Hand, um die Ungleichheit des Standes beider Theile zur größeren 
Herridaft des einen Theil über den anderen zu benußen; denn in 
der That ift fie nad dem bloßen Naturredyt vom Eoncubinat nicht 
unterjhieden und feine wahre Ehe. — Wenn daher die Frage ilt: 
ob es aud der Gleichheit der Verehlichten als foldyer widerftreite, 
wenn das Geſetz von dem Manne in Verhältniß auf das Weib fagt: 
er foll dein Herr (er der befehlende, fie der gehorchende Theil) fein, 
fo fann diejes nicht al3 der natürlichen Gleichheit eines Menjchen- 
paares widerftreitend angefehen werden, wenn diejer Herrihaft nur 
die natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das 
weibliche in Bewirkung des gemeinſchaftlichen Anterefje des Haus: 
wejens und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl zum Grunde 
liegt, weldyes daher ſelbſt aus der Pflicht der Einheit und Gleichheit 
in Anjehung des Zwecks abgeleitet werden fann. 


8 27. 
Der Ehe-Bertrag wird nur durch ehelihe Beiwohnung (copula 


carnalis) vollzogen. Ein Vertrag zweier Perſonen beiderlei Geſchlechts 


» mit dem geheimen Einverftändniß entweder fid) der fleiſchlichen Gemein- 


ſchaft zu enthalten, oder mit dem Bewußtſein eines oder beider Theile, 
dazu undermögend zu fein, tft ein jimulirter Vertrag und ftiftet feine 
Ehe; kann auch durd; jeden von beiden nad) Belieben aufgelöfet werden. 
Zritt aber das Unvermögen nur naher ein, jo fann jenes Recht durch 


» diefen unverjhuldeten Zufall nichts einbüßen. 

















282 Metaphyfifche Anfangsgründe der Nechtöfehre. 1. Theil. 2. Hauptftäd, 


Aus diejer Perjönlichkeit der erjtern folgt nun auch, daß, da bie 
Kinder nie als Eigenthum der Eltern angefehen werden können, aber doc) 
zum Mein und Dein derſelben gehören (weil fie glei; den Sachen im 
Beſitz der Eltern find und aus jedes Anderen Befib, jelbft wider ihren 
Willen, in diefen zuruückgebracht werden können), das Recht der erjteren 
fein bloßes Sachenrecht, mithin nidyt veräußerlich (ius personalissimum), 
aber auch nicht ein bloß perjönlidhes, jondern ein auf dingliche Art 
perjönliches Recht ift. 

Hiebei fällt alfo in die Augen, daß der Titel eines auf dingliche 
Art perſönlichen Rechts in der Redhtslehre nod) über dem des Sachen— 
und perfönlihen Nechts nothwendig hinzukommen müfje, jene bisherige 
Eintheilung alfo nicht vollftändig geweſen ift, weil, wenn von dem Nedht 
der Eltern an den Kindern als einem Stüd ihres Haufes die Rede ift, 
jene fich nicht bloß auf die Pflicht der Kinder berufen dürfen, zurückzu— 
kehren, wenn fie entlaufen find, fondern fi) ihrer als Sachen (verlaufener 
Hausthiere) zu bemädhtigen und fie einzufangen berechtigt find. 


Des Rechts der häuslichen Gejellihaft 
dritter Titel: 
Das Hausherren-Recht. 
$ 30. 

Die Kinder des Haufes, die mit den Eltern zufammen eine Familie 
ausmadıten, werden aud) ohne allen Vertrag der Auffündigung ihrer bis- 
berigen Abhängigkeit, durd) die bloße Gelangung zu dem Vermögen ihrer 
Selbfterhaltung (fo wie es theils als natürlihe Volljährigkeit dem all» 
gemeinen Laufe der Natur überhaupt, theils ihrer befonderen Natur- 
beihaffenheit gemäß eintritt), mündig (maiorennes), d. i. ihre eigene 
Herren (sui juris), und erwerben diejes Recht ohme befonderen rechtlichen 
Act, mithin bloß durchs Geſetz (lege) — find den Eltern für ihre Er- 
ziehung nichts jchuldig, jo wie gegenfeitig die letzteren ihrer Verbindlich- 
feit gegen dieje auf ebendiejelbe Art loswerden, hiemit beide ihre natür- 
liche Freiheit gewinnen oder wieder gewinnen — die häusliche Geſellſchaft 
aber, welche nad) dem Geſetz nothwendig war, nunmehr aufgelöjet wird. 

Beide Theile können nun wirklich ebendafjelbe Hausweſen, aber in 





3. Abſchnitt. Von bem auf bingliche Art perfönlichen Necht. 281 


Hinſicht ganz richtige und aud) nothwendige Idee, den Act der Zeugung 
als einen ſolchen anzufehen, wodurd; wir eine Berfon ohne ihre Einmilli- 
gung auf die Welt gefeßt und eigenmädhtig in fie herüber gebracht haben; 
für welde That auf den Eltern nun auch eine Verbindlichkeit haftet, fie, 
jo viel im ihren Kräften ift, mit diefem ihrem BZuftande zufrieden zu 
maden. — Sie fönnen ihr Kind nicht gleichſam als ihr Gemächſel (denn 
ein ſolches fann fein mit Freiheit begabtes Weſen fein) und als ihr Eigen- 
thum zerftören oder es aud) nur dem Zufall überlaffen, weil an ihm nicht 
bloß ein Weltweien, fondern audy ein Weltbürger in einen Zuftand her- 
über gezogen, der ihnen nun auch nady Rechtsbegriffen nicht gleichgültig 
fein fann. 


5 29. 


Aus diefer Pflicht entipringt audy nothwendig das Redyt der Eltern 
zur Handhabung und Bildung des Kindes, jo lange es des eigenen 
Gebrauchs feiner Gliedmaßen, imgleichen des Verſtandesgebrauchs noch 
nicht mächtig ift, außer der Ernährung und Pflege es zu erziehen und 
fowohl pragmatijch, damit es fünftig ſich jelbft erhalten und fortbringen 
fönne, als aud moralisch, weil fonft die Schuld ihrer VBerwahrlofung 
auf die Eltern fallen würde, — es zu bilden; Alles bis zur Zeit der Ent- 
laffung (emaneipatio), da diefe ſowohl ihrem väterlihen Recht zu befehlen, 
als aud; allem Anſpruch auf Koftenerftattung für ihre bisherige Berpfle- 
gung und Mühe entjagen, wofür und nad) vollendeter Erziehung fie der 
Kinder ihre Verbindlichkeit (gegen die Eltern) nur als bloße Tugend» 
pflicht, naͤmlich als Dankbarkeit, in Anſchlag bringen fönnen. 


gezeigt wird: der Widerſpruch eräugne ſich nur dann, wenn mit ber Kategorie ber 
Gaufalität zugleich bie Zeitbedingung, die im Verhältniß zu Sinnenobjecten nicht 
bermieben werben fann (daß nämlich der Grund einer Wirkung vor diejer vorbergebe), 
auch in das Berhältnif; des Überfinnlichen zu einander hinüber gezogen wirb (welches 
auch wirklich, wenn jener Ganfalbegriff in theoretifcher Abficht objective Realität ber 
fommen foll, geichehen müßte), er — der Widerſpruch — aber verichwinde, wenn in 
moralifch"praftifcher, mithin nicht-finnlicdyer Abficht die reine Kategorie (ohne ein ihr 
untergelegted Schenta) im Schöpfungsbegriffe gebraucht wird. 

Der philoſophiſche Rechtslehrer wird dieſe Nachforſchung bis zu den eriten Ele 
menten ber Transicendentalphilofophie in einer Metaphyſik der Sitten nicht für un« 
nöthige Grübelei erflären, die fich im zweckloſe Dumnfelbeit verliert, wenn er bie 
Schwierigkeit der zu löfenden Aufgabe und doch auch die Nothwendigfeit, hierim ben 
Rechtäprincipien genug zu thun, in Überlegung zieht. 


282 Metaphufliche Anfangsgrünbe der Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptfläd. 


Aus diefer Perfönlichkeit der erftern folgt nun auch, daß, da die 
Kinder nie als Eigenthum der Eltern angefehen werden fönnen, aber doch 
zum Mein und Dein derfelben gehören (weil fie glei den Sachen im 
Beſitz der Eltern find und aus jedes Anderen Befiß, felbft wider ihren 
Willen, in dieſen zurückgebracht werden können), das Recht der erfteren 
fein bloßes Sachenrecht, mithin nicht veräußerlidy (ius personalissimum), 
aber auch nicht ein bloß perjönliches, jondern ein auf dingliche Art 
perfönlicyes Recht ift. 

Hiebei fällt alfo in die Augen, daß der Titel eines auf dingliche 
Art perſönlichen Rechts in der Nechtslehre noch über dem des Sachen⸗ 
und perfönliden Rechts nothwendig hinzukommen müffe, jene bisherige 
Eintheilung alfo nicht vollftändig geweſen ift, weil, wenn von dem Recht 
der Eltern an den Kindern als einem Stüd ihres Haufes die Rede ift, 
jene fid nit bloß auf die Pflicht der Kinder berufen dürfen, zurückzu⸗ 
fehren, wenn fie entlaufen find, fondern ſich ihrer als Sachen (verlaufener 
Hausthiere) zu bemädhtigen und fie einzufangen berechtigt find. 


Des Rechts der häuslichen Geſellſchaft 
dritter Titel: 


Das Hausherren-Nedit. 


$ 30. 


Die Kinder des Haufes, die mit den Eltern zufammen eine Yamilie 
ausmachten, werben auch ohne allen Vertrag der Auffündigung ihrer bis⸗ 
herigen Abhängigkeit, durch die bloße Gelangung zu dem Vermögen ihrer 
Selbfterhaltung (fo wie es theild als natürliche Volljährigkeit dem all- 
gemeinen Zaufe der Natur überhaupt, theils ihrer bejonderen Natur: 
beihaffenheit gemäß eintritt), mündig (maiorennes), d. i. ihre eigene 
Herren (sui iuris), und erwerben dieſes Recht ohne befonderen rechtlichen 
Act, mithin bloß durchs Geſetz (lege) — find den Eltern für ihre Er» 
ziehung nichts ſchuldig, fo wie gegenfeitig die letzteren ihrer Verbindlid- 
feit gegen diefe auf ebendiefelbe Art loswerden, hiemit beide ihre natüre 
liche Freiheit gewinnen oder wieder gewinnen — die häusliche Geſellſchaft 
aber, welche nach dem Geſetz nothwendig war, nunmehr aufgeloͤſet wird. 

Beide Theile können nun wirklich ebendafjelbe Hauswelen, aber in 


25 





3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Urt perfönlichen Recht. 283 


einer anderen Form der Verpflihtung, nämlich als Verknüpfung des 
Hausherren mit dem Befinde (den Dienern oder Dienerinnen des Haufes), 
mithin eben diefe häusliche Gejelihaft, aber jet als hausherrliche 
(societas herilis) erhalten, durdy einen Vertrag, durch den der erjtere mit 
den mündig gewordenen Kindern, oder, wenn die Familie feine Kinder 
hat, mit anderen freien Berfonen (der Hausgenofjenihaft) eine häusliche 
Geſellſchaft ftiften, welche eine ungleiche Gefellichaft (des Gebietenden 
oder ber Herrihaft und der Gehorchenden, d. i. der Dienerſchaft, im- 
perantis et subiecti domestieci) jein würde. 

Das Gefinde gehört nun zu dem Seinen des Hausherrn und zwar, 
was die Form (den Beſitzſtand) betrifft, gleich als nad) einem Sadyen- 
redht; denn der Hausherr fann, wenn es ihm entläuft, es durch einjeitige 
Rillfür in jeine Gewalt bringen; was aber die Materie betrifft, d. i. 
welchen Gebraud) er von diejen feinen Hausgenofjen machen fann, jo 
us fann er fid nie als Eigenthümer defjelben (dominus servi) betragen: 

weil er nur durd Vertrag unter feine Gewalt gebradt ift, ein Vertrag 
aber, durd; den ein Theil zum Bortheil des anderen auf feine ganze 
Freiheit Verzicht thut, mithin aufhört, eine Perfon zu fein, folglich aud) 
feine Pflicht hat, einen Vertrag zu halten, fondern nur Gewalt anerkennt, 
»o im ſich jelbft widerſprechend, d. i. null und nichtig, ift. (Bon dem Eigen: 
thumsrecht gegen den, der ſich durch ein Verbrechen jeiner Perſönlichkeit 
verluftig gemacht hat, ift hier nicht die Rede.) 
Diejer Bertrag aljo der Hausherrichaft mit dem Gefinde kann nicht 
von folder Beſchaffenheit fein, daß der Gebrauch defjelben ein Ber- 
» brauch jein würde, worüber das Urtheil aber nicht bloß dem Hausherrn, 
jondern auch der Dienerjhaft (die aljo nie Leibeigenſchaft fein fann) zu— 
fommt; fann alfo nicht auf lebenslänglicye, fondern allenfalls nur auf 
unbeftimmte Zeit, binnen der ein Theil dem anderen die Verbindung auf: 
kündigen darf, geſchloſſen werden. Die Kinder aber (jelbit die eines durch 
» jein Berbreden zum Sklaven Gewordenen) find jederzeit frei. Denn frei 
geboren ift jeder Menſch, weil er nody nichts verbrocden hat, und die 
Koften der Erziehung bis zu feiner Volljährigkeit fönnen ihm aud nicht 
als eine Schuld angerechnet werden, die er zu tilgen habe. Denn der 
Sklave müßte, wenn er könnte, feine Kinder aud) erziehen, ohne ihnen 
» dafür Koften zu verrechnen; der Befiber des Sklaven tritt aljo bei diejes 
jeinem Unvermögen in bie Stelle jeiner Verbindlichkeit. 


1 


Nan fieht alio auch bier, wie unter beiden norigen Titeln, da es 
ein auf dingliche Art perfönliches Recht (der Herrichaft über das Gefinde) 
jebe: weil man fie zurüd holen und als das äugere Seine von jedem Be 
— en 











% 





jelben aufftele; ftatt 
befien alle empiriſche Eintheilung bloß fragmentarijd (partitio) 
it umd es ungemwiß läßt, ob es nicht noch mehr Glieder —— 
Ausfülung der ganzen Sphäre des eingetheilten Begriffs erfordert 

würden. — Gite Eintheilung nadj einem Princip a priori (im Gegenfah » 
der empiriſchen) fann man nun dogmatiſch nennen. 

Aller Vertrag beftcht an fi, d. i. a betradhtet, aus zwei 
rechtlichen Acten: dem Berfprehen und der Annehmung defielben; die 
Erwerhung durch die lebtere (wenn es nicht ein pactum re initum ift, 
welches Übergabe erfordert) ift nicht ein Theil, ſondern die rechtlich = 
noſhwendige Folge befielben. — Subjectiv aber erwogen, d. i. als 
Antwort auf die Frage: ob jene nad der Vernunft nothwendige Folge 
(weldye die Erwerbung fein jollte) auch wirflid) erfolgen (phyſiſche 
Folge fein) werde, dafür habe ih durch die Annehmung des Beripredhens 
noch feine Sicherheit. Diele ift aljo, als äußerlid) zur Modalität des = 
Dertrages, nämlih der Gewiß heit der Erwerbung durch denjelben, 
nehörend, ein Ergänzungsftüid zur Bollftändigfeit der Mittel zur Er- 
relhung der Abfiht des Vertrags, nämlich der Erwerbung. — Es treten 
zu diefem Behuf drei Perſonen auf: der Promittent, der Acceptant 
und der Gavent; durch welchen leßteren und feinen bejonderen Vertrag x 
mit dem Promittenten der Acceptant zwar nichts mehr in Anjehung des 
Dbfects, aber doch der Awangsmittel gewinnt, zu dem Seinen zu gelangen. 












15 


3. Ubfenitt. Bon dem auf dingliche Art perfönlicen Recht: 285 


Nach diefen Grundfägen der logiſchen (rationalen) Eintheilung giebt 
es num eigentlid nur drei einfadhe und reine Vertragsarten, der ver: 
mifchten aber und empirischen, weldhe zu den Principien des Mein und 
Dein nad) bloßen Vernunftgeſetzen noch ſtatutariſche und comventionelle 
s hinzuthun, giebt es unzählige, fie liegen aber außerhalb dem Kreiſe der 
metaphyſiſchen Rechtslehre, die hier allein verzeichnet werden fol. - 


Alle Verträge nämlich haben entweder A. einfeitigen Erwerb 
(wohlthätiger Vertrag), oder B. wechjeljeitigen (beläftigter Ver— 
trag), oder gar feinen Erwerb, fondern nur C. Sicherheit bes 
Seinen (der einerſeits wohlthätig, anderjeits doch auch zugleich 
beläftigend fein fann) zur Abfidht. 

A. Der wohlthätige Vertrag (pactum gratuitum) ift: 

a) Die Aufbewahrung des anvertrauten Guts (depositum), 

b) Das Verleihen einer Sache (commodatum), 

ce) Die Verſchenkung (donatio). 

B. Der beläftigte Vertrag. 
I. Der Beräußerungsvertrag (permutatio late sie dieta). 

a) Der Tauſch (permutatio stricte sic dieta). Waare gegen Raare. 

b) Der Kauf und Berfauf (emtio venditio). Waare gegen Gelb. 

ec) Die Anleihe (mutuum): Veräußerung einer Sache unter der 
Bedingung, fie nur der Species nad) wieder zu erhalten (3. B. 
Getreide gegen Getreide, oder Geld gegen Geld). 

I. Der Berdingungsvertrag (locatio conduetio). | 

a. Die Berdingung meiner Sade an einen Anbern zum ®e- 
braud; derjelben (locatio rei), welche, wenn fie nur in specie 
wiedererftattet werden darf, als beläftigter Bertrag auch mit Ber- 

. jinjung verbunden jein fann (pactum usurarium). 

B. Der Zohmvertrag (locatio operae), db. i. bie Bewilligung des 
Gebrauchs meiner Kräfte an einen Anderen für einen beftimmten 
Preis (merces). Der Arbeiter nad) dieſem Bertrage ift der Lohn⸗ 
diener (mercennarius). 

1. Der Bevollmädtigungsvertrag (mandatam): Die Geſchaͤfts⸗ 
führung au ber Etelle und im Ramen eines Anberen, welde, 
weun fie blo5 an des Anderen Stelle, nit zugleich in jeinem (bes 
Bertreienen) Ramen geführt wird, Geihäftsführung ohne 
Antrag (gestio negotü), wirb fie aber im Namen des Anderen 


256 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Hauptftüd. 


verrichtet, Mandat heißt, das hier als Verdingungävertrag ein 
beläjtigter Vertrag (mandatum onerosum) ift. 
C. Der Zujiherungsvertrag (cautio). 
a) Die Berpfändung und Pfandnehmung zuſammen (pignus). 
b) Die Gutjagung für das Verſprechen eines Anderen (fideiussio). 5 
- e) Die perfönlihe Verbürgung (praestatio obsidis). 


In diefer Tafel aller Arten der Übertragung (translatio) des 
Seinen auf einen Anderen finden fi Begriffe von Objecten oder 
Werkzeugen diefer Übertragung vor, welde ganz empiriſch zu fein 
und felbft ihrer Möglichkeit nad) in einer metaphyfiihen Rechts— 
lehre eigentlid; nicht Pla haben, in der die Eintheilungen nad) 
Principien a priori gemadjt werden müfjen, mithin von der Materie 
des Verkehrs (welche conventionell fein könnte) abftrahirt und bloß 
auf die Form gejehen werden muß, dergleidhen der Begriff des 
Geldes im Gegenjaß mit aller anderen veräußerlihen Sache, näm— 
ih der Waare, im Titel des Kaufs und Verkaufs, oder der 
eines Buchs ift. — Allein es wird fid) zeigen, daß jener Begriff des 
größten und braudbarften aller Mittel des Verkehrs der Menjchen 
mit Saden, Kauf und Verkauf (Handel) genannt, imgleihen der 
eines Buchs, als das des größten Verkehrs der Gedanken, jid) doch = 
in lauter intellectuelle Berhältniffe auflöjen laſſe und fo die Tafel 
der reinen Verträge nicht durch empirijche Beimijchung verunreinigen 
dürfe. 


— 
= 


— 


I. 
Was ijt Geld? 2 


Geld ift eine Sade, deren Gebraud nur dadurd möglich ift, 
dab man fie veräußert. Dies ift eine gute Namenerflärung dej- 
jelben (nad Achenwall), nämlich hinreihend zur Unterſcheidung diejer 
Art Gegenstände der Willtür von allen andern; aber fie giebt uns feinen 
Aufſchluß über die Möglichkeit einer jolhen Sache. Doch fieht man jo 
viel daraus: daß erftlich diefe Veräußerung im Verkehr nicht ala Ver— 
ſchenkung, fondern al3 zur wecdjelfeitigen Erwerbung (durd ein 
pactum onerosum) beabfidytigt ift; zweitens daß, da es als ein (in 
einem Volke) allgemein beliebtes bloßes Mittel des Handels, was an 
fid) feinen Werth hat, im Gegenjaß einer Sade als Waare (d. i. des⸗ s 


[2] 


0 


3. Abſchnitt. Bon dem auf dingliche Art perſönlichen Recht. 287 


jenigen, was einen jolden Hat und fich auf das beſondere Bedürfnif eines 

oder des anderen im Volk bezieht) gedacht wird, es alle Waare reprä- 
fentirt. 

Ein Scheffel Getreide hat den größten directen Werth als Mittel zu 

5 menſchlichen Bedürfnifien. Man kann damit Thiere futtern, die uns zur 


ein 
Hierauf läßt fi vorläufig eine Realdefinition bes Geldes grün- 
den: es ift das allgemeine Mittel den Fleiß der Menihen gegen 
| der zu verfebren, jo: ba ber Rationalreigfhum, in foferm er 





H 



















ihen im die Hände zu’ jaffen, #leiß, burd) wel- 
» dhen die Baare at erworben werben 
wäre es le 
jo fäme mehr 
mehr Fleik 
» Gelb im: 


288 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 1. Theil. 2. Haupiſtüd. 


daß die lebtere nicht in einer zum leichten und ficheren Verkehr hinreichen- 
den Menge da fei, plötzlich verſchwindet und den Ausfall der Zahlung 
unvermeidlid) madıt. — So iſt der Erwerbfleiß derer, weldye die Gold» 
und Silberbergwerfe in Peru oder Neumerico anbauen, vornehmlid) bei 
den fo vielfältig mißlingenden Verſuchen eines vergeblid; angewandten 
Fleißes im Aufſuchen der Erzgänge, wäahrſcheinlich noch größer, als der 
auf Verfertigung der Waaren in Europa verwendete und würde als un- 
vergolten, mithin von ſelbſt nadylafjend, jene Länder bald in Armuth 
finfen laſſen, wenn nicht der Fleiß Europens dagegen, eben durch dieje 
Materialien gereizt, fi) proportionirlic) zugleid erweiterte, um bei jenen 
die Luft zum Bergbau durd) ihnen angebotene Sachen des Luxus bejtän- 
dig rege zu erhalten: jo daß immer Fleiß gegen Fleiß in Eoncurrenz 
fommen. 

Wie ift es aber möglid), daß das, was anfänglid Waare war, endlich 
Geld ward? Wenn ein großer und machthabender Verthuer einer Materie, 
die er anfangs bloß zum Shmud und Glanz feiner Diener (des Hofes) 
brauchte (3. B. Gold, Silber, Kupfer, oder eine Art ſchöner Mufchel- 
ihalen, Kauris, oder aud wie in Kongo eine Art Matten, Mafuten 
genannt, oder wie am Senegal Eijenftangen und auf der Guineafüfte 
jelbft Negerjflaven), d. i. wenn ein Landesherr bie Abgaben von feinen 
Unterthanen in diejer Materie (als Waare) einfordert und die, deren 
Fleiß in Anſchaffung derjelben dadurd) bewegt werden joll, mit eben den- 
jelben nad) Verordnungen des Verkehrs unter und mit ihnen überhaupt 
(auf einem Markt oder einer Börfe) wieder lohnt. — Dadurd) allein 
bat (meinem Bedünken nad) eine Waare ein geſetzliches Mittel des Ver- 
kehrs des Fleißes der Unterthanen unter einander und hiemit aud) des 
Staatsreihthums, d. i. Geld, werden können. 

Der intellectuelle Begriff, dem der empirifche vom Gelde untergelegt 
iſt, ift aljo der von einer Sadye, die, im Umlauf des Befibes begriffen 
(permutatio publica), den Preis aller anderen Dinge(Waaren) beftimmt, 
unter welche leßtere jogar Wiffenichaften, jo fern fie Anderen nicht ums» 
ſonſt gelehrt werden, gehören: defjen Menge aljo in einem Volt die Be 
güterung (opulentia) defjelben ausmadıt. Denn Preis (pretium) iſt das 
öffentliche Urtheil über den Werth (valor) einer Sadye in Berhältnik 
auf die proportionirte Menge desjenigen, was das allgemeine ftellver: 
tretende Mittel der gegenfeitigen Vertauihung des Fleißes (des Um— 
laufs) ift. — Daher werden, wo der Verkehr groß ift, weder Gold noch 


- 


5 


a 


O 


= 


3. Abſchnitt. Bon bem auf bingliche Urt perjönlichen Nedht. 289 


Kupfer für eigentliches Geld, fondern nur für Waare gehalten: weil von 
dem erjteren zu wenig, vom anderen zu viel da ift, um es leicht in Um— 
lauf zu bringen und dennoch in jo fleinen Theilen zu haben, als zum 
Umſatz gegen Waare, oder eine Menge derjelben im Hleinften Erwerb 
nöthig ift. Silber (weniger oder mehr mit Kupfer verjeßt) wird daher 
im großen Verkehr der Welt für das eigentliche Material des Geldes und 
den Mapitab der Berechnung aller Breife genommen; die übrigen Metalle 
(noch viel mehr aljo die unmetalliiden Materien) können nur in einem 
Volk von Heinem Verkehr ftatt finden. — Die erjtern beiden, wenn fie nicht 
bloß gewogen, fondern auch geftempelt, d. i. mit einem Zeichen, für wie 
viel fie gelten jollen, verjehen worden, find gejeßliches Geld, d. i. Münze. 

„Geld iſt aljo (nad) Adam Smith) derjenige Körper, deſſen Ver: 
äußerung das Mittel und zugleid) der Maßſtab des Fleißes ift, mit wel: 
chem Menſchen und Völker unter einander Verkehr treiben." — Dieſe 
Erklärung führt den empirischen Begriff des Geldes dadurd) auf den in- 
tellectuellen hinaus, daß fie nur auf die Form der mwedhieljeitigen Lei- 
tungen im beläftigten Vertrage fieht (und von diejer ihrer Materie ab» 
ftrahirt), und jo auf Nechtsbegriff in der Umſetzung des Mein und Dein 
(commutatio late sic dieta) überhaupt, um die obige Tafel einer dogma— 
tiihen Eintheilung a priori, mithin der Metaphyfit des Rechts als eines 
Syſtems angemefjen vorzuftellen. 

II, 
Was ift ein Bud? 


Ein Bud, ift eine Schrift (ob mit der Feder oder durch Typen, auf 
wenig oder viel Blättern verzeichnet, ijt hier gleichgültig), welche eine 
Rede voritellt, die jemand durch fihtbare Sprachzeichen an das Bublicum 
hält. — Der, welcher zu diefem in feinem eigenen Namen fpricht, heißt 
der Schriftjteller (autor). Der, welcher durd eine Schrift im Namen 
eines Anderen (des Autors) öffentlidy redet, ift der Verleger. Diefer, 
wenn er es mit Senes feiner Erlaubniß thut, iſt der rechtmäßige; thut er 
es aber ohne diejelbe, der unrehtmähige Verleger, d. i. der Nahdruder. 
Die Summe aller Eopeien der Urſchrift (Eremplare) ift der Berlag. 


Der Bühernahdrud ift von rehtswegen verboten. 


Schrift iſt nicht unmittelbar Bezeichnung eines Begriffs (wie 
s eiwa ein Kupferſtich, der als Porträt, oder ein RAR: der als die 


Kant’d Schriften. Berfe VI. 


390 Metapbyfiiche Anfangsgründe der Nechtslehre, 1. Theil. 2. Hauptftüd, 


Büſte eine beftimmte Perfon vorftellt), jondern eine Rede ans Publicum, 
d. i. der Schriftiteller ſpricht durdy den Verleger öffentlih. — Diejer 
aber, nämlid) der Verleger, jpricht (durd) feinen Werfmeifter, operarius, 
den Druder) nicht in feinem eigenen Namen (denn ſonſt würde er ſich für 
den Autor ausgeben); jondern im Namen des Schriftftellers, wozu er 
alfo nur durch eine ihm von dem letzteren ertheilte Bollmadıt (manda- 
tum) bere&htigt ift. — Nun ſpricht der Nachdrucker durch jeinen eigen- 
mädtigen Verlag zwar aud) im Namen des Schriftitellers, aber ohne 
dazu Vollmacht von demfelben zu haben (gerit se mandatarium absque 
mandato); folglid) begeht er an dem von dem Autor bejtellten (mithin 
einzig rechtmäßigen) Verleger ein Verbrechen der Entwendung des Vor- 
theils, ben der lebtere aus dem Gebrauch feines Rechts ziehen konnte und 
wollte (fartum usus); alfo ift der Bühernadhdrud von rechtswegen 
verboten. 

Die Urſache des rechtlichen Anſcheins einer gleihwohl beim erften 
Anblid jo ftark auffallenden Ungerechtigkeit, als der Büchernachdruck ift, 
liegt darin: daß das Bud) einerjeits ein körperliches Kunftproduct 
(opus mechanicum) iſt, was nachgemacht werden fann (von dem, der ſich 
im rehtmäßigen Beſitz eines Eremplars defjelben befindet), mithin daran 
ein Sahenredt jtatt hat: andrerjeits aber ift das Bud) aud) bloße 
Rede des Verleger ans Publicum, die diefer, ohne dazu Vollmacht vom 
Verfaſſer zu haben, öffentlich nicht nachſprechen darf (praestatio operae), 
ein perſönliches Recht, und nun befteht der Irrkhum darin, daß beides 
mit einander verwechjelt wird. 


* * 
2 


Die Verwechſelung des perſönlichen Rechts mit dem Sachenrecht iſt 
noch in einem anderen, unter den Verdingungsvertrag gehörigen Falle 
(B, II, a), naͤmlich dem der Einmiethung (ius incolatus), ein Stoff zu 
Streitigkeiten. — Es frägt fih nämlich: ift der Eigenthümer, wenn er 
fein an jemanden vermiethetes Haus (oder jeinen Grund) vor Ablauf der 
Miethszeit an einen Anderen verkauft, verbunden, die Bedingung der 
fortdauernden Miethe dem Kaufcontracte beizufügen, oder fan man 
jagen: Kauf bricht Miethe (dod) in einer durch den Gebraud) bejtimmten 
Zeit der Auffündigung)? — Im erjteren Fall hätte das Haus wirflid) 
eine Beläftigung (onus) auf fi) liegend, ein Recht in diefer Sache, das 


— 
= 


- 


6 


der Miether ſich an derjelben (dem Haufe) erworben hätte; welches aud) 
wohl geihehen kann (durch Ingrofjation des Miethscontracts auf das 
Haus), aber alsdann fein bloßer Miethscontract fein würde, jondern wozu 
noch ein anderer Vertrag (dazu ſich nicht viel Vermiether verjtehen wür- 
den) hinzufommen müßte. Alfo gilt der Satz: „Kauf bricht Miethe”, d. i. 
das volle Recht in einer Sache (das Eigenthum) überwiegt alles perjön- 
liche Recht, was mit ihm nit zufammen bejtehen kann; wobei doch die 
Klage aus dem Grunde des lekteren dem Miether offen bleibt, ihn wegen 
des aus der Zerreißung des Contracts entipringenden Nachtheils ſchaden— 
ı0 frei zu halten. 


Epifodiiher Abſchnitt. 
Bon der idealen Erwerbung eines äußeren Öegenftandes 
der Willkür. 
$ 32. 

15 Ich nenne diejenige Erwerbung ideal, die feine Gaufalität in der 
Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde 
bat. Sie ift nichtsdeftoweniger wahre, nicht eingebildete Erwerbung 
und heißt nur darum nicht real, weil der Erwerbact nit empiriſch ift, 
indem das Subject von einem Anderen, der entweder noch nicht ift (von 
dem man bloß die Möglidjkeit annimmt, daß er jei), oder, indem dieſer 
eben aufhört zu fein, oder, wenn er nicht mehr ift, erwirbt, mithin 
die Gelangung zum Befit eine bloße praftiiche Sdee der Vernunft ift. — 
Es find die drei Erwerbungsarten: 1) durch Erjitung, 2) durd; Beer: 
bung, 3) durch unſterbliches Verdienft (meritum immortale), d. i. 
der Anfprud auf den guten Namen nad) dem Tode. Alle drei fönnen zwar 
nur im öffentlichen rechtlichen Zuſtande ihren Effect haben, gründen fid 
aber nicht nur auf der Eonftitution deffelben und willfürlichen Statuten, 
fondern find aud) a priori im Naturzuftande und zwar nothwendig zuvor 
denkbar, um hernach die Geſetze in der bürgerlihen Berfafjung darnad) 
so einzurichten (sunt iuris naturae). 


[= 


2 


I. 
Die Erwerbungsart durch Erjißung. 
$ 33. 
Ich erwerbe das Eigenthum eines Anderen bloß durch den langen 
 Befiß (usucapio); nicht weil ich diefes feine Einwilligung dazu recht- 
19* 





















if Body Bioß Durd; meinen fangen Befih ausföjliefen, fein Biäheriges » 
Dafein iqnoriren und gar, als ob er zur Zeit meines Befiges nur als 
ar tar. verfahren — — — 





gegangen ſein. — — tere ehe u 
Ba nicht einen beitändigen Bejigact (actus possessorius) einer 
äuße u Sadıe, als der feinen, ausübt, wird mit Recht als einer, der (als = 
—— en, Een denn er fanın nicht über Läfion 
— a ang ren eh 
da ſchon ein Anderer davon Beſitz genommen hat, 
de 
er fei es noch, und der Befiß ſei ohne einen conti» * 
ununterbroden 













Denn feet: die Berjäumung diejes Beſitzacts hätte nicht die Folge, = 
daß ein Anderer auf jeinen geſetzmäßigen und ehrlichen Beſitz (possessio 
bonae fidei) einem zu Necht bejtändigen (possessio irrefragabilis) gründe 
Ian Die Bader, Urn gern ge rn 






vermögend ift. — Die Präfumti welcher ſich die wen 
capio) gründet, ift alfo nicht bloß rechtmäßig (erlaubt, iusta) als Ber- 
muthung, fondern auch rechtlich (praesumtio iuris et de iure) als Bor- 


ausjegung nad; Zwangsgejeten (suppositio legalis): wer feinen Befigact * 
verabjäumt, hat jeinen Anſpruch auf den dermaligen 


documentiren 
Befier verloren, wobei die Länge der Zeit der Verabſäumung (die gar 






= 


- 
= 


_ 
[=)) 


25 


Epijodifcher Abſchnilt. Bon der idealen Erwerbung. 293 


nicht beftimmt werden kann und darf) nur zum Behuf der Gewißheit 
diefer Unterlafjung angeführt wird. Daß aber ein bisher unbekannter 
Befiber, wenn jener Befigact (es jei aud) ohne feine Schuld) unterbrochen 
worden, die Sache immer wiedererlangen (vindiciren) könne (dominia 
rerum incerta facere), widerjpridht dem obigen Poſtulat der rechtlich. 
praftifchen Bernunft. 

Nun kann ihn aber, wenn er ein Glied des gemeinen Wejens ift, 
d. i. im bürgerlichen Zuſtande, der Staat wohl jeinen Befiß (ſtellver— 
tretend) erhalten, ob diejer gleich als Privatbefiß unterbrochen war, und 
der jebige Befiber darf jeinen Titel der Erwerbung bis zur erjten nicht 
beweifen, noch auch fid) auf den der Erfibung gründen. Aber im Natur: 
zuftande ift der leßtere rechtmäßig, nicht eigentlich eine Sache dadurd) zu 
erwerben, ſondern ohne einen rechtlihen Act fi) im Beſitz derjelben zu 
erhalten: welche Befreiung von Anjprühen dann auch Erwerbung ge 
nannt zu werden pflegt. — Die Präfcription des älteren Befikers gehört 
alfo zum Naturredht (est iuris naturae). 


Il. 
Die Beerbung. 
(Acquisitio haereditatis.) 
$ 34. 

Die Beerbung ift die Übertragung (translatio) der Habe und des 
Guts eines Sterbenden auf den Überlebenden durd) Zulammenftimmung 
des Willens beider. — Die Erwerbung des Erbnehmers (haeredis insti- 
tuti) und die Verlafjung des Erblafjers (testatoris), d. i. diefer Wechſel 
des Mein und Dein, geſchieht in einem Augenblid (artieulo mortis), 
nämlich da der letztere eben aufhört zu jein, und ift alfo eigentlid) Feine 
Übertragung (translatio) im empirifhen Sinn, weldye zwei Actus nad) ein- 
ander, nämlich wo der eine zuerft feinen Befik verläßt, und darauf der 
Undere darin eintritt, vorausfeßt; jondern eine ideale Erwerbung. — 
Da die Beerbung ohne Bermädtnif (dispositio ultimae voluntatis) im 
Naturzuftande nicht gedacht werden fann, und, ob es ein Erbvertrag 
(pactum suecessorium), oder einfeitige Erbeseinjeßung (testamen- 
tum) jei, es bei der Trage, ob und wie gerade in demjelben Augenblid, 
da das Subject aufhört zu fein, ein Ilbergang des Mein und Dein mög- 





























294 Metaphpfifche Anfangsgeinde der Rechtslehte. 1. Theil. 2. Hauptſiud. 


lich fei, anfommt, jo muß die Frage: wie ift die Erwerbart durch Beerbung 
möglich? von den manderlei möglichen Formen ihrer Ausführung (die 
nur in einem gemeinen Weſen ftatt finden) unabhängig unterfucht werden. 
„Es ift möglidy, durch Erbeseinfeßung zu erwerben." — Denn der 
Erblafier Cajus verjpridt und erklärt in — letzten Willen dem 
Titins, der nichts von jenem Verſprechen weiß, feine Habe ſolle im Ster- 
befall auf diejen übergehen, und bleibt alfo, jo lange er lebt, alleiniger 
Eigenthümer derjelben. Nun fann zwar durd) den bloßen einfeitigen Willen 
nichts auf den Anderen übergehen: fondern es wird über dem Verfprechen 
nod) Annehmung (acceptatio) des anderen Theil dazu erfordert und ein 
gleichzeitiger Wille (voluntas simultanea), welcher jedoch hier mangelt; 
denn jo lange Cajus lebt, kann Titius nicht ausdrüdlid acceptiren, um 
dadurch zu erwerben: weil jener nur auf den Fall des Todes verf 
hat (denn fonft wäre das Eigenthum einen Augenblid gemeinfcaftlid, 
welches nicht der Wille des Erblafjers ift). — Diefer aber erwirbt doch 
ftillihmeigend ein eigenthümliches Net an der Verlafjenfchaft als ein 
Sachenrecht, nämlicd ausſchließlich fie zu acceptiren (ius in re iacente), 
daher diefe in dem gedachten Zeitpunft haereditas iacens heißt. Da num 
jeder Menſch nothwendigerweije (weil er dadurch wohl gewinnen, nie aber 
verlieren fann) ein ſolches Recht, mithin auch ftillihweigend acceptirt und 
Titins nad) dem Tode des Cajus in diefem Falle ift, jo fann er die Erb- 
ſchaft durch Annahme des Verfprechens erwerben, und fie ift nicht etwa 
mittlerweile ganz herrenlos (res nullius), jondern nur erledigt (res va- 
cua) gewefen: weil er ausjchließlic das Recht der Wahl hatte, ob er die 
binterlafjene Habe zu der jeinigen machen wollte, oder nicht. 


ne find die Teftamente auch nad) dem bloßen Naturrecht gül- 
ig (sunt er naturae); welde Behauptung aber jo zu verftehen 
ift, da 8 und würdig jeien im bürgerlihen Zuftande (wenn 
I} Keen ein N t) eingeführt und janctionirt zu werden. Denn 





2 r (ber 
ee * — 0 * 
⸗ k 22 5 4 


Any deſſen, daß dieſe zwiſchen der Annahme 
ig ſchwebt und eigentlich feinem angehört. 


= 
> 


— 
= 


en 
Di 


— Wille in demſelben) bewahrt den Beſitz » 


1 


7 


ei 
w. 


Epiſodiſcher Abjchnitt. Bon der idealen Enwerbung. 295 


III. 
Der Nachlaß eines guten Namens nad dem Tode, 
(Bona fama defuncti.) 


$ 35. 


Daß der Verftorbene nad) jeinem Tode (wenn er alfo nicht mehr ift) 
nod) etwas befigen könne, wäre eine Ungereimtheit zu denken, wenn ber 
Nachlaß eine Sache wäre. Nun ift aber der gute Name ein angebornes 
äußeres, obzwar bloß ideales Mein oder Dein, was dem Subject als einer 
Perſon anhängt, von deren Natur, ob fie mit dem Tode gänzlid) aufhöre 
zu fein, oder immer nod) al3 ſolche übrig bleibe, ic) abftrahiren fann und 
muß, weil id) im rechtlichen Verhältnig auf andere jede Perfon bloß nad) 
ihrer Menjchheit, mithin als homo noumenon wirflid) betrachte, und fo 
ift jeder Verſuch, ihn nad) dem Tode in übele faljche Nachrede zu bringen, 
immer bedenklich; obgleid, eine gegründete Anklage defjelben gar wohl 
ftatt findet (mithin der Grundjaß: de mortuis nihil nisi bene, unrichtig 
ift), weil gegen den Abwefenden, welcher fich nicht vertheidigen kann, Bor: 
würfe auszuftreuen ohne die größte Gewißheit derjelben wenigitens un— 
großmüthig ift. 

Daß durch ein tadellojes Leben und einen dafjelbe beſchließenden 
Tod der Menſch einen (negativ) guten Namen als das Seine, weldjes 
ihm übrig bleibt, erwerbe, wenn er al3 homo phaenomenon nit mehr 
eriftirt, und daß die liberlebenden (angehörige, oder fremde) ihn auch 
vor Redjt zu vertheidigen befugt find (weil unerwieſene Anklage fie ins— 
geſammt wegen ähnlicher Begegnung auf ihren Sterbefall in Gefahr 
bringt), daß er, jage ic), ein joldyes Recht erwerben könne, ift eine jonder: 
bare, nichtsdeſtoweniger unläugbare Erſcheinung der a priori gejeß- 
gebenden Vernunft, die ihr Gebot und Verbot aud) über die Örenze des 
Lebens hinaus erjtredt. — Wenn jemand von einem Berftorbenen ein 
Verbrechen verbreitet, das diefen im Leben ehrlos, oder nur verächtlich 
gemacht haben würde: jo fann ein jeder, weldyer einen Beweis führen 
fann, daß diefe Beihuldigung vorſetzlich unwahr und gelogen jei, dem, 
welcher jenen in böje Nachrede bringt, für einen Galumnianten öffentlich 
erflären, mithin ihn jelbft ehrlos machen; welches er nicht thun dürfte, 
wenn er nicht mit Recht vorausjebte, daß der Berftorbene dadurch beleidigt 


ss wäre, ob er glei) todt ift, und daß diefem durch jene Apologie Genug— 


296 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd. 


thuung widerfahre, ob er gleich nicht mehr eriftirt.*) Die Befugniß, die 
Rolle des Apologeten für den Verftorbenen zu jpielen, darf diejer auch 
nicht beweifen; denn jeder Menſch maßt fie fid) unvermeidlich an, als nicht 
bloß zur Tugendpflicht (ethiſch betrachtet), fondern fogar zum Recht der 
Menſchheit überhaupt gehörig: und es bedarf hiezu feiner befonderen per- 
jönlidyen Nadıtheile, die etwa Freunden und Anverwandten aus einem 
ſolchen Schandfled am Verftorbenen erwachſen dürften, um jenen zu einer 
ſolchen Rüge zu berechtigen. — Daß alfo eine ſolche ideale Erwerbung 
und ein Recht des Menſchen nach feinem Tode gegen die Überlebenden 
gegründet fei, ift nicht zu ftreiten, obſchon die Möglichkeit defjelben feiner 
Deduction fähig ift. 


Drittes Hauptſtück. 
Bon der jubjectiv-bedingten Erwerbung durch den Ausſpruch 
einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. 
$ 36, 
Wenn unter Naturrecht nur das nicht-ftatutarifche, mithin lediglich 
das a priori durd) jedes Menſchen Vernunft erfennbare Recht verjtanden 


* Daß man aber hiebei ja nicht auf Vorempfindung eines Fünftigen Lebens 
und unfichtbare Berhältniffe zu abgeichiebenen Seelen ſchwärmeriſch fchließe, denn 
es iſt bier von nichts weiter, ald dem rein moralifchen und rechtlichen Verbältniß, 
was unter Menjchen auch im Leben ftatt hat, die Rebe, worin fie als intelligibele 
Weſen ftehen, indem man alles Phnfifche (zu ihrer Exiſtenz in Raum ımb Seit 
Gehörende) logiſch davon abjondert, b.i. bavon abftrabirt, nit aber bie 
Menſchen dieſe ihre Natur ausziehen und fie Geifter werden läht, in welchem Zu. 
ſtande jie bie Beleidigung durch ihre Berleumbder fühlten. — Der, welcher nad) 
hundert Jahren mir etwas Böfes fälſchlich nachfagt, beleidigt mich Schon jebt; denn 
im reinen Nechtöverhältniffe, welches ganz intellectuell ift, wirb von allen phyſi⸗ 
ſchen Bedingungen (ber Beit) abftrabirt, und ber Ehrenräuber (Galunnniant) ift eben 
ſowohl ftrafbar, als ob er es im meiner Pebzeit gethan hätte; nur durch Tein Gri- 
minalgericht, fonbern nur dadurch, daß ihm mach dem Recht ber Wiebervergeltung 
burch die öffentlidye Meinung derſelbe Berluft ber Ehre zugefügt wird, die er an 
einem Anderen fchmälerte. — Selbſt bad Plagtat, welches ein Schriftjteller an 
Derftorbenen verübt, ob es zwar bie Ehre des PVerftorbenen nicht befledt, ſondern 
biefem nur einen Theil berfelben entwendet, wird doch mit Recht als Läſion deffelben 
(Menichenraub) geahndet. 


u 
[3 


Bon ber jubjectiv-bedingten Erwerbung. 297 


wird, jo wird nicht bloß die zwiichen Perjonen in ihrem wechjeljeitigen 
Berfehr unter einander geltende Gerechtigkeit (iustitia commutativa), 
fondern auch die austheilende (iustitia distributiva), fo wie fie nad) ihrem 
Gejebe a priori erfannt werden fann, daß fie ihren Sprud) (sententia) 
fällen müfje, gleichfalls zum Naturredyt gehören. 

Die moralijche Perfon, weldye der Gerechtigkeit vorjteht, ijt der Ge- 
rihtshof (forum) und im Zuſtande ihrer Amtsführung das Gericht 
(iudicium): alles nur nad) Nedtsbedingungen a priori gedacht, ohne, wie 
eine ſolche Verfaſſung wirflicd einzurichten und zu organifiren jei (wozu 
Statute, aljo empirische Principien, gehören), in Betradhtung zu ziehen. 

Die Frage ift alfo hier nicht bloß: was ift an ſich recht, wie näme 
lid) hierüber ein jeder Menſch für fi) zu urtheilen habe, fondern: was ift 
vor einem Gerichtshofe recht, d. i. was ijt Rechtens? Und da giebt es vier 
Fälle, wo beiderlei Urtheile verſchieden und entgegengejeßt ausfallen und 
dennoch neben einander bejtehen können: weil fie aus zwei verjchiedenen, 
beiderjeit3 wahren Geſichtspunkten gefällt werden, die eine nad) dem 
Privatrecht, die andere nad) der Idee des öffentlichen Rechts; — fie find: 
1) der Shenfungsvertrag (pactum donationis). 2) Der Leihever— 
trag (commodatum). 3) Die Wiedererlangung (vindicatio). 4) Die 


+0 Vereidigung (iuramentum). 


Es iſt ein gewöhnlicher Fehler der Erſchleichung (vitium 
subreptionis) der Necdhtslehrer, dasjenige rechtliche Princip, was ein 
Gerichtshof zu feinem eigenen Behuf (aljo in fubjectiver Abficht) an— 
zunehmen befugt, ja fogar verbunden ift, um über jedes Einem zu— 
ſtehende Recht zu jprechen und zu richten, auch objectiv für das, was 
an ſich felbjt recht ift, zu halten: da das erjtere doc) von dem leßteren 
ſehr unterfchieden ift. — Es ift daher von nicht geringer Wichtig. 
feit, dieſe ſpecifiſche Verfcyiedenheit fennbar und darauf aufmerkjam 
zu machen. 

A. 


$ 37. 

Don dem Schenfungsvertrag. 
Diefer Vertrag (donatio), wodurd) ic) das Mein, meine Sache (oder 
mein Net), unvergolten (gratis) veräußere, enthält ein Verhältniß 
von mir, dem Schenfenden (donans), zu einem Anderen, dem Bejchenften 


298 Metapbyfiiche Anfangsgründbe ber Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd. 


(donatarius), nad) dem Privatrecht, wodurd das Meine auf diefen durch 
Annehmung des letteren (donum) übergeht. — Es ift aber nicht zu prä- 
jumiren, daß id) hiebet gemeint fei, zu der Haltung meines Verfprechens 
gezwungen zu werden und alfo auch meine Freiheit umſonſt wegzugeben 
und gleihjam mich jelbft wegzumwerfen (nemo suum iactare praesumitur), 
welches doch nad dem Recht im bürgerliden Zuſtande gejchehen würde; 
denn da fann der zu Bejchenfende mi zu Leiftung des Verſprechens 
zwingen. Es müßte alſo, wenn die Sache vor Gericht fäme, d. i. nad 
einem öffentlihen Recht, entweder präjumirt werden, der Verſchenkende 
willigte zu dieſem Zwange ein, weldyes ungereimt ift, oder der Gerichts⸗ 
hof fehe in feinem Sprud) (Sentenz) gar nicht darauf, ob jener die Trei- 
heit, von feinem Verſprechen abzugeben, bat vorbehalten wollen, oder 
nicht, fondern auf das, was gewiß ift, naͤmlich das Verſprechen und Die 
Acceptation des Promifjars. Wenn alfo gleich der Promittent, wie wohl 
vermuthet werden Fann, gedadjt hat, daß, wenn e8 ihn noch vor der Er- 
füllung gereuet, das Verſprechen gethan zu haben, man ihn daran nicht 
binden fönne: jo nimmt doch das Gericht an, daß er fidh dieſes ausdrüd- 
lid) hätte vorbehalten müflen und, wenn er es nicht gethan hat, zu Er⸗ 
füllung des DVerfprechens könne gezwungen werden, und diejes PBrincip 
nimmt der Gerihtshof darum an, weil ihm fonft das Rechtſprechen un- 
endlich erjchwert, oder gar unmöglid) gemacht werden würde. 


B. 
$ 38, 
Bom Keihvertrag. 


In diefem Vertrage (commodatum), wodurd ich jemanden den un⸗ 
vergoltenen Gebrauch des Meinigen erlaube, wo, wenn diejes eine Sache 
ift, die Baciscenten darin übereinfommen, daß diefer mir eben diefelbe 
Sache wiederum in meine Gewalt bringe, fann der Empfänger des Gelie- 
henen (commodatarius) nicht zugleich präfumiren, der Eigenthümer deſſel⸗ 
ben (commodans) nehme aud) alle Gefahr (casus) des möglichen Verluftes 
der Sache, oder ihrer ihm nuͤtzlichen Beichaffenheit über fih, der daraus, 
daß er fie in den Befiß des Einpfängers gegeben bat, entipringen Fönnte. 
Denn es verjteht ſich nicht von felbit, daß der Eigenthümer außer dem 
Gebrauch feiner Sache, den er dem Lehnsempfänger bewilligt, (dem von 
demſelben ungertrennlichen Abbruche derjelben) aud) die Sicherftellung 


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1 


Bon ber fubjectiv-bedingten Eriwerbung. — 299 


wider allen Schaden, der ihm daraus entjpringen kann, daß er fie aus 
feiner eigenen Gewahrjame gab, erlafjen habe; fondern darüber müßte 
ein bejonderer Vertrag gemacht werden. Es kann alſo nur die Frage fein: 
wen von beiden, dem Lehnsgeber oder Lehnsempfänger, e3 obliegt, die 
Bedingung der Übernehmung der Gefahr, die der Sache zuftoßen fann, 
dem Leihevertrag ausdrüdlicd, beizufügen, oder, wenn das nicht gejchieht, 
bon wen man die Einwilligung zur Sidyerjtellung des Eigenthums 
des Lehnsgebers (durch die Zurücgabe derfelben oder ein Aquivalent) 
präjumiren könne. Von dem Darleiher nicht: weil man nicht präfu: 
miren fann, er habe mehr umjonft eingewilligt, als den bloßen Gebraud) 
der Sache (nämlich nicht auch noch obenein die Sicherheit des Eigenthums 
jelber zu übernehmen), aber wohl von dem Lehnsnehmer: weil er da nichts 
mebr leiftet, als gerade im Vertrage enthalten ift. 

Wenn ich, 3. B. bei einfallendem Regen, in ein Haus eintrete und 
erbitte mir einen Mantel zu leihen, der aber, etwa durch unvorfidhtige 
Ausgiekung abfärbender Materien aus dem Fenſter, auf immer verdorben, 
oder wenn er, indem ich ihn in einem anderen Haufe, wo id) eintrete, ab— 
lege, mir geftohlen wird, jo muß dod) die Behauptung jedem Menſchen 
als ungereimt auffallen, ich hätte nichts weiter zu thun, als jenen, jo wie 
er ift, zurückzuſchicken, oder den geſchehenen Diebjtahl nur zu melden; 
allenfalls jei es noch eine Höflidjkeit den Eigenthümer dieſes Verluſtes 
wegen zu beflagen, da er aus feinem Recht nichts fordern fünne. — Ganz 
anders lautet es, wenn ich bei der Erbittung dieſes Gebrauchs zugleich 
auf den Fall, dab die Sache unter meinen Händen verunglüdte, mir zum 
voraus erbäte, auch diefe Gefahr zu übernehmen, weil id) arm und den 
Verluſt zu erfeben unvermögend wäre. Niemand wird das letere über- 
flüfftg und lächerlich finden, außer etwa, wenn der Anleihende ein be 
kanntlich vermögender und wohldenkender Mann märe, weil es alsdann 
beinahe Beleidigung fein würde, die großmüthige Erlafjung meiner 
Schuld in diefem alle nicht zu präfumiren. 


* * 
* 


Da nun über das Mein und Dein aus dem Leihvertrage, wenn (wie 
es die Natur dieſes Vertrages jo mit ſich bringt) über die mögliche Verun— 
glüdung (casus), die die Sache treffen möchte, nichts verabredet worden, 
er aljo, weil die Einwilligung nur präfumirt worden, ein ungewiffer Ber- 


300 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Nechtölehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd. 


trag (pactum incertum) ift, das Urtheil darüber, d. i. die Entjcheidung, 
wen das UInglüd treffen müfje, nicht aus den Bedingungen des Vertrages 
an ſich felbit, jondern wie fie allein vor einem Gerichtshofe, der 
immer nur auf das Gewiſſe in jenem fieht (welches hier der Beſitz der 
Sadje als Eigenthum ift), entichieden werden Tann, fo wird das Urtbeil 
im Naturzuftande, d. i. nach der Sache innerer Beichaffenheit, jo lau⸗ 
ten: der Schade aus der Verunglüdung einer geliehenen Sade fällt auf 
den Beliehenen (casum sentit commodatarius); dagegen im bürger- 
lichen, alſo vor einem Gerichtshofe, wird die Sentenz jo ausfallen: der 
Schade fällt auf den Anleiher (casum sentit dominus), und zwar aus 
dem runde verſchieden von dem Ausſpruche der bloßen gefunden Ver—⸗ 
nunft, weil ein öffentlicher Richter ſich nicht auf Präfumtionen von dem, 
was der eine oder andere Theil gedacht haben mag, einlaflen kann, jon- 
dern der, welcher fid) nicht die Yreiheit von allem Schaden an der ge- 
liehenen Sache durch einen befonderen angehängten Vertrag ausbedungen 
bat, diejen felbft tragen muß. — Alſo iſt der Unterſchied zwiſchen dem 
Urtbeile, wie es ein Gericht fällen müßte, und dem, was die Privatvernunft 
eines jeden für ſich zu fällen berechtigt ift, ein durchaus nicht zu über- 
jehender Bunft in Berichtigung der Rechtsurtheile. 


C. 
Bon der Wiedererlangung (Rüdbemädhtigung) des Verlornen 


(vindicatio). 
$ 39. 


Daß eine fortdauernde Sache, die mein ift, mein bleibe, ob id) gleid) 
nicht in der fortdauernden Inhabung derfelben bin, und von felbft ohne 
einen rechtlichen Act (derelictionis vel alienationis) mein zu fein nicht 
aufhöre, und daß mir ein Recht in diefer Sache (ius reale), mithin gegen 
jeden Inhaber, nicht bloß gegen eine beftimmte Perjon (ius personale) 
zuſteht, ift aus dem obigen Har. Ob aber diejes Recht aud von jedem 
Anderen als ein für ſich fortdauerndes Eigenthum müſſe angeſehen wer- 
den, wenn id) demjelben nur nicht entſagt habe, und die Sade in dem 
Beſitz eines Anderen ift, das ift num die Trage. 

Sit die Sahe mir abhanden gefommen (res amissa) und jo von 
einem Anderen auf ehrliche Art (bona fide), als ein vermeinter Fund, 


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⸗ 


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5 


20 


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5 


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Bon der fubjectiv-bedingten Ermwerbung. ' 301 


oder durch förmliche Veräußerung des Befiers, der jid als Eigenthümer 
führt, an mic) gefommen, obgleid) diefer nicht Eigenthümer ift, jo frägt 
fi, ob, da ic) von einem Nichteigenthümer (a non domino) eine Sache 
nicht erwerben kann, ich durch jenen von allem Recht in diefer Sache aus— 
geſchloſſen werde und bloß ein perfönliches gegen den unredhtmäßigen Be— 
fier übrig behalte. — Das legtere ijt offenbar der Fall, wenn die Er- 
werbung bloß nad) ihren inneren beredhtigenden Gründen (im Naturzu- 
jtande), nicht nad) der Convenienz eines Gerichtshofes beurtheilt wird. 

Denn alles Beräußerlihe muß von irgend jemand Fönnen erworben 
werden. Die Rechtmäßigkeit der Erwerbung aber beruht gänzlid) auf der 
Form, nad) weldyer das, was im Befiß eines Anderen iſt, auf mid) über: 
fragen und von mir angenommen wird, d.i. auf der Förmlichkeit des recht: 
lien Acts des Verfehrs (commutatio) zwiſchen dem Bejiger der Sache 
und dem Erwerbenden, ohne daß id, fragen darf, wie jener dazu ge- 
fommen fei: weil diefes ſchon Beleidigung fein würde (quilibet praesu- 
mitur bonus, donec ete.). Geſetzt num, es ergäbe fid) in der Folge, daß 
jener nit Eigenthümer jei, jondern ein Anderer, jo kann id} nicht jagen, 
daß diefer jid geradezu an mich halten könnte (jo wie auch an jeden 
Anderen, der Inhaber der Sache fein möchte). Denn ich habe ihm nichts 
entwandt, jondern z. B. das Pferd, was auf öffentlichem Marfte feil geboten 
wurde, dem Geſetze gemäß (titulo emti venditi) erftanden: weil der Titel 
der Erwerbung meinerjeits unbejftritten ift, ich aber (als Käufer) den Titel 
des Bejibes des Anderen (des Verkäufers) nachzuſuchen — da dieje Nach— 
forfhung in der auffteigenden Neihe ins Unendlihe gehen würde — 
nicht verbunden, ja jogar nicht einmal befugt bin. Aljo bin id) durd) den 
gehörigebetitelten Kauf nicht der bloß putative, fondern der wahre 
Eigenthümer des Pferdes geworden. 

Hierwider erheben jid aber folgende Rechtsgründe: Alle Erwerbung 
von einen, der nicht Eigenthimer der Sadıe ijt (a non domino), iſt null 
und nichtig. Ich kann von dem Seinen eines Anderen nicht mehr auf 
mic ableiten, als er ſelbſt rechtmäßig gehabt hat, und ob id; gleich, was 
die Form der Erwerbung (modus acquirendi) betrifft, ganz rechtlich 
verfahre, wenn ich ein geftohlen Pferd, was auf dem Marfte feil fteht, 
erhandle, jo fehlt dody der Zitel der Erwerbung; denn das Pferd war 
nit das Seine des eigentlichen Verkäufers. Ich mag immer ein ehr- 
licher Befiber defjelben (possessor bonae fidei) fein, jo bin ich doch nur 
ein fi dünfender Eigenthümer (dominus putativus), und der wahre 


302 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftäd. 


Eigenthümer hat ein NRedt der Wiedererlangung (rem suam vin- 
dicandi). 

Wenn gefragt wird, was (im Naturzuftande) unter Menfchen nad) 
Principien der Gerechtigkeit im Verkehr derjelben untereinander (iustitia 
commutativa) in Erwerbung äußerer Saden an fi) Rechtens fei, jo 
muß man eingeftehen: daß, wer diejes zur Abſicht bat, durchaus nöthig 
habe, noch nachzuforſchen, ob die Sache, die er erwerben will, nicht ſchon 
einem Anderen angehöre; nämlid, wenn er gleich die formalen Bes 
dingungen der Ableitung der Sache von dem Seinen des Anderen genau 
beobadjtet (das Pferd auf dem Markte ordentlich erhandelt) hat, er 
dennoch hoöchſtens nur ein perſönliches Redt in Anjehung einer Sache 
(ius ad rem) habe erwerben können, fo lange es ihm noch unbelannt ift, 
ob nicht ein Anderer (als der Verkäufer) der wahre Eigenthümer derjelben 
fei; jo daß, wenn ſich einer vorfindet, der fein vorhergehendes Eigenthum 
daran documentiren Fönnte, dem vermeinten neuen Eigenthümer nichts 
übrig bliebe, als den Nuten, jo er als ehrlicher Befiker bisher daraus 
gezogen bat, bis auf diejen Augenblid rechtmäßig genoflen zu haben. — 
Da nun in der Reihe der von einander ihr Recht ableitenden ſich Dünfen- 
den Eigenthüner den ſchlechthin erjten (Stammeigenthümer) auszufinden 
mehrentheils unmöglich ift: fo fann fein Verkehr mit äußeren Sachen, fo 
gut er auch mit den formalen Bedingungen diefer Art von Gerechtigkeit 
(iustitia commutativa) übereinftimmen möchte, einen ſicheren Erwerb ge: 


währen. 
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Hier tritt nun wiederum die rechtlich-gefeßgebende Vernunft mit dem 
Grundſatz der diftributiven Gerechtigkeit ein, die Rechtmäßigkeit des 
Befites, nicht wie fie an fich in Beziehung auf den Privatwillen eines 
jeden (im natürlichen Zuftande), fondern nur wie fie vor einem Gerichts⸗ 
hofe in einem durd den allgemeinvereinigten Willen entftandenen Zus 
ftande (in einem bürgerlichen) abgeurtheilt werden würde, zur Richtſchnur 
anzunehmen: wo alsdann die Übereinſtimmung mit den formalen Bedin⸗ 
gungen der Erwerbung, die an ſich nur ein perfönliches Recht begründen, 
zu Erfegung der materialen Gründe (welche die Ableitung von dem Seinen 
eines vorhergehenden prätendirenden Eigenthümers begründen) als hin- 
reihend poftulirt wird, und ein an ſich perfönliches Redt, vor einen 


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Gerichtshof gezogen, als ein Sachenrecht gilt, z. B. daß das Pferd, » 


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30 


33 


Bon ber fubjectiv-bedingten Ermwerbung. 303 


was auf öffentlichem, durchs Polizeigejeb geordnetem Markt jedermann 
feil fteht, wenn alle Regeln des Kaufs und Verkaufs genau beobachtet 
worden, mein Eigenthum werde (jo doch, daß dem wahren Eigenthümer 
das Recht bleibt, den Verkäufer wegen feines ältern, unverwirkten Be— 
figes in Anſpruch zu nehmen), und mein ſonſt perjönliches Recht in ein 
Sachenrecht, nad) welchem ich das Meine, wo ich es finde, nehmen (vin— 
diciren) darf, verwandelt wird, ohne mid) auf die Art, wie der Verkäufer 
dazu gefommen, einzulafjen. 

Es geſchieht aljo nur zum Behuf des Rechtsſpruchs vor einem Ge- 
richtshofe (in favorem iustitiae distributivae), daß das Recht in Anfehung 
einer Sache nicht, wie ed an ſich ift (als ein perjönliches), jondern wie 
es am leichteſten und ſicherſten abgeurtheilt werden kann (als 
Sachenrecht), dod) nad) einem reinen PBrincip a priori angenommen und 
behandelt werde. — Auf diejem gründen ſich nun nachher verjchiedene 
ſtatutariſche Geſetze (Verordnungen), die vorzüglich zur Abficht haben, 
die Bedingungen, unter denen allein eine Erwerbungsart redhtsfräftig 
fein fol, jo zu ftellen, daß der Richter das Seine einem jeden am 
leichteſten und unbedenklichiten zuerfennen könne: 3. B. in dem 
Sak: Kauf bricht Miethe, wo, was der Natur des Vertrags nad), d. i. an 
fi, ein Sachenrecht ift, (die Miethe) für ein bloß perjönliches und um— 
gekehrt, wie in dem obigen Fall, was an fid) bloß ein perjönlidhes Recht 
ift, für ein Sachenrecht gilt; wenn die Frage ift, auf weldye Principien 
ein Gerichtshof im bürgerliden Zuftande anzuweiſen jei, um in feinen 
Ausiprühen wegen des einem jeden zuftehenden Rechts am ficherften 
zu gehen. 

D. 
Bon Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung. 
(Cautio iuratoria.) 


$ 40. 


Man kann feinen anderen Grund angeben, der rechtlich) Menfchen 
verbinden könnte, zu glauben und zu befennen, daß es Götter gebe, als 
den, damit fie einen Eid jchwören und durd die Furcht vor einer all» 
jehenden oberjten Macht, deren Rache fie feierlih gegen fi aufrufen 
mußten, im Fal daß ihre Ausjage faljch wäre, genöthigt werden Fönnten, 
wahrhaft im Ausfagen und treu im Verſprechen zu fein. Daß man hie 











4 Metasimäihe Untangsgrände der Hebtzlehre 1. Zieil 3. Gauptitäd. 
Th ——— foudern bloß auf einen 
Aberglauben | | 





Sörchenpt serhanten merhen, zu Hier! —— 


ſtande, wenn man annimmt, daß es kein anderes Mittel giebt, in ge— 
wifjen Fällen hinter die Wahrheit zu fommen, als den Eid, muß von der » 
Religion vorausgejeßt werden, daß fie jeder habe, um fie als ein Noth- 
mittel (in casu necessitatis) zum Behuf des rechtlichen Verfahrens vor 
einem Gerihtshofe zu —— welcher dieſen Geiftesjwang (tortura 


J 
J 
9 


darum für berehtigt Hält, e8 zu gebranden. — Die gefehgebende Ge- 
walt handelt aber im Grunde unrecht, dieje Befugniß der rihterliden 


zu ertbeilen: weil jelbft im bürgerlichen Zuftande ein Zwang zu Eides- 
leiftungen der unverlierbaren menſchlichen Freiheit zumider ift. 


Wenn die Amtseide, welde gewöhnlich promiſſoriſch find, 
dab man nämlich den ernftlihen Vorſatz babe, fein Amt pflicht- 
mäßig zu verwalten, in afjjertorijche verwandelt würden, daß 
nämlich, der Beamte etwa zu Ende eines Jahres (oder mehrerer) ver- 
bunden wäre, die Treue feiner Amtsführung während defjelben zu 
beihmwören: jo würde diejes Theils das Gewifjen mehr in Bewegung 
bringen, als der Berfpredhungseid, weldyer hinterher noch immer den 
inneren Borwand übrig läßt, man habe bei dem beiten Vorſatz die 
Beihwerden nicht voraus gejehen, die man nur nachher während 
der Amtsverwaltung erfahren babe, und die Pflichtübertretungen 
würden auch, wenn ihre Summirung durch Aufmerker bevorjtände, 
mehr Bejorgniß der Anklage wegen erregen, als wenn fie bloß eine 
nad) der anderen (über welche die vorigen vergefien find) gerügt 
würden. — Was aber das Beihwören des Glaubens (de ereduli- 
tate) betrifft, jo fann diejes gar nicht von einem Gericht verlangt 
werden. Denn erſtlich enthält es in ſich jelbjt einen Widerſpruch 
diefes Mittelding zwiſchen Meinen und Wiſſen, weil es jo etwas ift, 
worauf man wohl zu wetten, feinesweges aber darauf zu ſchwören 
ſich getrauen fann. Zweitens begeht der Richter, der ſolchen Glaubens- 
eid dem Parten anfinnte, um etwas zu jeiner Abficht Gehöriges, 
geiekt es fei auch das gemeine Befte, een einen großen 
Verſtoß an der Gemwifjenhaftigfeit des Eidleiftenden, theils durch 
den Leichtſinn, zu dem er verleitet und wodurch der Richter feine 
eigene Abjicht vereitelt, theils durch Gewiſſensbiſſe, die ein Menſch 
fühlen muß, der heute eine Sache, aus einem gewifjen Gefihtspunft 
betrachtet, jehr wahrſcheinlich, morgen aber, aus einem anderen, ganz 
unwahrjheinlid finden fann, und lädirt aljo denjenigen, den er zu 
einer ſolchen Eidesleiftung nöthigt. 


Übergang von dem Mein und Dein im Naturzuftande zu 


dem im rechtlichen Zuftande überhaupt. 
$.41. 
Der rechtliche Zuftand ift dasjenige Verhältniß der Menſchen unter 


» einander, weldyes die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder jeines 
20 


Kant’! Sdrifter Bere. VI. 












































“ii 
e 


Bon ber jubjectiv-bedingten Ermwerbung. 307 


perans) und dem Unterthan (subditus) iſt feine Mitgenofjenihaft; fie 
find nicht Geſellen, jondern einander untergeordnet, nicht bei— 
geordnet, und die fi) einander beiordnen, müſſen ſich eben deshalb 
untereinander als gleidy anjehen, jo fern fie unter gemeinſamen Gejeßen 
ftehen. Jener Verein ift alfo nicht ſowohl als macht vielmehr eine 
Geſellſchaft. 

$ 42. 


Aus dem Privatrecht im natürlichen Zuftande geht nun das Poſtulat 
des öffentlichen Nechts hervor: du ſollſt im Verhältnijje eines unvermeid- 
lien Nebeneinanderjeing mit allen anderen aus jenem heraus in einen 
rechtlichen Zuftand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen. 
— Der Grund davon läßt ſich analytiidh aus dem Begriffe des Rechts 
im äußeren Berhältniß im Gegenjaß der Gewalt (violentia) entwideln. 

Niemand ift verbunden, fid) des Eingriffs in den Befiß des An— 


s beren zu enthalten, wenn diejer ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit 


giebt, er werde eben diejelbe Enthaltjamfeit gegen ihn beobadten. Er 
darf aljo nit abwarten, bis er etwa durd) eine traurige Erfahrung von 
der entgegengejeßten Gefinnung des leßteren belehrt wird; denn was 
follte ihn verbinden, allererft durd; Schaden Flug zu werden, da er die 
Neigung der Menſchen überhaupt über andere den Meifter zu jpielen 
(die Iberlegenheit des Rechts anderer nicht zu achten, wenn jie fich der 
Macht oder Lift nad) diejen überlegen fühlen) in ſich jelbft hinreichend 
wahrnehmen kann, und es ijt nicht nöthig, die wirkliche Feindjeligfeit ab» 
zumarten; er ijt zu einem Zwange gegen den befugt, der ihm jchon feiner 
Natur nad) damit droht. (Quilibet praesumitur malus, donee securitatem 
dederit oppositi.) 

Bei dem Borjage, in diejem Zuftande äußerlich gejeßlojer Freiheit 
zu fein und zu bleiben, thun fie einander auch gar nicht unrecht, wenn 
fie fid) untereinander befehden; denn was dem Einen gilt, das gilt aud) 
wechjeljeitig dem Anderen, gleich als durch eine Übereinkunft (uti partes 
de iure suo disponunt, ita ius est): aber überhaupt thun fie im höchſten 
Grade daran unredht*) in einem Zuftande jein und bleiben zu wollen, 
* Diejer Unterſchied zwijchen dem, was bloß formaliter, und dem, was aud) 
materialiter unrecht ift, hat in ber Nechtslehre mannigfaltigen Gebrauch. Der Feind, 
ber, ftatt jeine Gapitulation mit der Befagung einer belagerten Feftung ehrlich zu 
vollziehen, fie bei diejer ihrem Auszuge mißhandelt, oder ſonſt dieſen Vertrag bricht, 

20* 


308 Metaphyſiſche Anfangsgründe der NRechtslehre. 1. Theil. 3. Hauptftüd. 


der fein rechtlicher ift, d. i. in dem Niemand des Seinen wider Gewalt: 
thätigfeit ſicher ift. 





kann nicht fiber Ilnrecht lagen, wenn fein Gegner bei Gelegenheit ihm benfelben 
Streich jpielt. Aber fie thun überhaupt im höchiten Grabe unrecht, weil fie ben Be- 
oriff des Rechts felber alle Sültigfeit nehmen und alles der wilden Gewalt gleidh- 5 
jam geſetzmäßig überliefern und jo das Recht ber Menfchen überhaupt umijtürzen. 


Der 
Rechtslehre 


Zweiter Theil, 
Das Öffentliche Recht. 


Erſter Abſchnitt. 
Das Staatsrecht. 


— 
= 


1 


2 


Lin} 
2 


wa 


= 


Des 
öffentlihen Nedts 
Erjter Abjchnitt. 

Das Staatsrecht. 


g 43. 


Der Inbegriff der Gefebe, die einer allgemeinen Bekanntmachung 
bedürfen, um einen rechtlichen Zuftand hervorzubringen, ift das öffent: 
lie Recht. — Diefes ift alfo ein Syſtem von Geſetzen für ein Volk, d. i. 
eine Menge von Menſchen, oder für eine Menge von Völfern, die, im wech— 
jeljeitigen Einfluffe gegen einander ftehend, des rechtlichen Zuſtandes 
unter einem fie vereinigenden Willen, einer Verfaſſung (constitatio), 
bedürfen, um defjen, was Rechtens ift, theilhaftig zu werden. — Diejer 
Zuftand der Einzelnen im Volke in Verhältniß untereinander heißt der 
bürgerlidje (status civilis) und das Ganze derjelben in Beziehung auf 
feine eigene Glieder der Staat (civitas), welcher feiner Form wegen, als 
verbunden durch das gemeinfame Intereſſe Aller, im rechtlichen Zuftande 
zu fein, das gemeine Weſen (res publica latius sic dieta) genannt 
wird, in Berhältniß aber auf andere Völker eine Macht (potentia) 
ſchlechthin heißt (daher das Wort Potentaten), was ſich aud) wegen 
(anmaßlich) angeerbter Vereinigung ein Stammvolf (gens) nennt und jo 
unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts nicht bloß das 
Staat, jondern aud) ein Völkerrecht (ius gentium) zu denfen Anlaß 
giebt: welches dann, weil der Erdboden eine nicht grängenlofe, ſondern ſich 
ſelbſt jchließende Fläche ift, beides zufammen zu der Idee eines Völker: 
ſtaatsrechts (ius gentium) oder ws Weltbürgerrechts (ius cosmo- 
politicum) unumgänglid) hinleitet: fo daß, wenn unter diejen drei mög- 
lihen Formen des rechtlichen Zuſtandes es nur einer an dem die äußere 
Freiheit durch Geſetze einjchränfenden Princip fehlt, das Gebäude aller 
übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einftürzen muß. 


4? Bennfuiige Irromphpinde der ſtechtslezre ı el I Bindeilt 
5 41 

Ermuſt uitaſeit der NRenidten heiefirt merter umr drer Bisuntipfeir, T.. 
is naft me eur Autom. melde: den sfr pieglnfger Imurm noch 
mwenfün mnfe. Anchenz, De uipas nf. Nr Kınmrmig um refiılkeient ge- 
Anar erden. mar ange mul, fie cnage e üundi: & geise: ür ner ernumeininer 
eins tüher feoreariher, Iarkumes.. do, heuer zur Merfift prürp- 
au: wet ernem aipenar Tahr sr Ser, ano dr veht set gordin?n, 
amt urrin an der Meinung 1% Innerer nÄr orzıhiunpen- motion Is 
Ertz, mo: An: éfñßÆßet niliem nem: & mär alex erfptstegrifien 
erfinger mul, Der Frenming %i: mon wife on: em Tiocogenonte, m 


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anderer "TC pener ir Sefnnertumg zu pernölen er nö permeiben 
u vierwerten. afin in einen Irhmnd Ireer., Darin jebem bes. meE für 
>n: Seine anzrinmr merter ink. grirrlik eine mr mn Drei 
ende Wolı Bir mie Die Tenipe, inmderr. eine ine fe su Tpel 
wat, 2.i er indle por olen Dinger it einer hiepetiiher Sırütiomt Iren. 

mar Darfie teir nrirtither Srtionr mÄr eher Dom sr Schon? 
Der Urperefitig?rt me Wir einander wor nad der hier Mope 
einer Semol u bepeguer: ober e= mor Dad: sit Sutont ner Erdt= 
Iptig?riz 'stzrur InsTeie Tacuı: , me ment. Io: kedr üre:tig 108 coIe 
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Das Staatsredht. . 313 


die Gejeße über das Mein und Dein im Naturzuftande ebendaffelbe, 
was die im bürgerlichen vorjchreiben, fo fern diejer bloß nad) reinen 
Dernunftbegriffen gedaht wird: nur daß im leßteren die Bedingun— 
gen angegeben werden, unter denen jene zur Ausübung (der diſtri— 
butiven Gerechtigfeit gemäß) gelangen. — Es würde aljo, wenn es 
im Naturzuftande aud) nicht proviſoriſch ein Äußeres Mein und 
Dein gäbe, auch feine Rechtspflichten in Anjehung defjelben, mithin 
auch fein Gebot geben, aus jenem Zuftande herauszugeben. 


$45. 


Ein Staat (eivitas) ift die Vereinigung einer Menge von Menſchen 
unter Nechtsgefeßen. Sofern dieje als Geſetze a priori nothwendig, d. i. 
aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von jelbft folgend, (nicht 
ftatutarifch) find, ijt jeine Form die Form eines Staats überhaupt, d. i. 
der Staat in der dee, wie er nad) reinen Rechtsprincipien jein joll, 
welche jeder wirklichen Wereinigung zu einem gemeinen Weſen (alfo im 
Inneren) zur Richtſchnur (norma) dient. 

Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in fid, d. i. den allgemein 
vereinigten Willen in dreifaher Perſon (trias politica): die Herrſcher— 
gemalt (Souveränität) im der des Gejeßgebers, die vollziehende Ge— 
» walt in der des Negierers (zu Folge dem Gejeß) und die rechtſpre— 
hende Gewalt (als Zuerfennung des Seinen eines jeden nad) dem 
Geſetz) in der Perſon des Richters (potestas legislatoria, rectoria et iudi- 
ciaria) gleich den drei Sätzen in einem praktiſchen Vernunftihluß: dem 
Oberſatz, der das Geſetz jenes Willens, dem Unterfaß, der das Gebot 
des Verfahrens nad) dem Geſetz, d. i. das Princip der Subfumtion unter 
denjelben, und dem Schlußjab, der den Rechtsſpruch (die Sentenz) ent- 
hält, was im vorfommenden Kalle Rechten ijt. 


8 46. 


Die gejebgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Vol- 
tes zufommen. Denn da von ihr alles Recht ausgehen fol, fo muß fie 
durch ihr Geſetz jchlechterdings niemand unrecht thun können. Nun ift 
es, wenn jemand etwas gegen einen Anderen verfügt, immer möglich, 
daß er ihm dadurch unrecht thue, nie aber in dem, was er über fid) jelbit 
beſchließt (denn volenti non fit iniuria). Alſo kann nur der übereinftim- 











314 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2, Theil. 1. Abſchnill. 


mende und vereinigte Wille Aller, jo fern ein jeder über und Alle 
über einen jeden ebendaffelbe beſchließen, mithin nur der allgemein ver- 
einigte Voltswille geſetzgebend fein. 

Die zur Gefeßgebung vereinigten Glieder einer ſolchen Geſellſchaft 
(societas eivilis), d. i. eines Staats, heigen Staatsbürger (cives), und 
die rechtlichen, von ihrem Wejen (als ſolchem) unabtrennliden Attribute 
berjelben find gefeliche Freiheit, feinem anderen Gejeß zu gehorden, 
als zu welchem er jeine Beiftimmung gegeben hat; bürgerliche Gleich— 
beit, feinen Oberen im Volk in Anfehung feiner zu erfennen, als nur 
einen foldhen, den er eben fo rechtlich zu verbinden das moraliſche Ver— 
mögen bat, als diejer ihn verbinden fann; drittens das Attribut der 
bürgerlihen Selbftftändigfeit, feine Eriftenz und Erhaltung nicht der 
Willlür eines Anderen im Wolfe, fondern feinen eigenen Redten 
und Kräften als Glied des gemeinen Wejens verdanken zu können, folg— 
lid die bürgerliche Perjönlichkeit, in Rechtsangelegenheiten durch feinen 
Anderen vorgeftellt werden zu dürfen. 


Nur die Fähigkeit der Stimmgebung madt die Dualification 
zum Staatsbürger aus; jene aber ſetzt die Selbitftändigfeit defjen im 
Volk voraus, der nicht bloß Theil des gemeinen MWefens, fondern 
auch Glied defjelben, d. i. aus eigener Willfür in Gemeinfhaft mit 
anderen handelnder Theil defjelben, jein will. Die legtere Qualität 
macht aber die Unterſcheidung des activen vom pafjiven Staats: 
bürger nothwendig, obgleich der Begriff des letzteren mit der Erklä— 
rung des Begriffs von einem Staatsbürger überhaupt im Wider: 
ſpruch zu jtehen ſcheint. — Folgende Beijpiele fönnen dazu dienen, 
diefe Schwierigkeit zu heben: Der Gejelle bei einem Kaufmann oder 
bei einem Handwerker; der Dienjtbote (nicht der im Dienfte des 
Staats fteht); der Unmündige (naturaliter vel civiliter); alles 
Frauenzimmer und überhaupt jedermann, der nicht nad) eigenem 
Betrieb, jondern nad) der Verfügung Anderer (außer der des Staats) 
genöthigt ift, feine Eriftenz (Nahrung und Schuß) zu erhalten, ent- 
behrt der bürgerlichen Berjönlichfeit, und feine Eriftenz ift gleichjam 
nur Inhärenz. — Der Holzhader, den id) auf meinem Hofe anftelle, 
der Schmied in Indien, der mit feinem Hammer, Ambos und Blas- 


balg in die Häufer geht, um da in Eifen zu arbeiten, in Vergleihung * 


mit dem europäilchen Tiſchler oder Schmied, der die Prodncte aus 


10 


Das Stantsredt. 315 


diejer Arbeit als Waare öffentlich feil ftellen fan; der Hauslehrer 

in Bergleihung mit dem Schulmann, der Zinsbauer in Vergleihung 

mit dem Pächter u. dergl. find blos Handlanger des gemeinen We— 
ſens, weil fie von anderen Individuen befehligt oder befhübt werden 
müffen, mithin feine bürgerliche Selbftftändigfeit befiken. 

Dieje Abhängigkeit von dem Willen Anderer und Ungleichheit 
ift gleichwohl feinesweges der Freiheit und Gleichheit derjelben als 
Menſchen, die zufammen ein Volk ausmahen, entgegen: vielmehr 
fann bloß den Bedingungen derjelben gemäß dieſes Volk ein Staat 
werden und in eine bürgerliche Verfafjung eintreten. In diefer Ver: 
fafjung aber das Recht der Stimmgebung zu haben, d. i. Staats: 
bürger, nicht bloß Staatsgenofje zu jein, dazu qualificiren fid) nicht 
alle mit gleihem Recht. Denn daraus, daß fie fordern fönnen, von 
allen Anderen nad) Gejeten der natürlidyen Freiheit und Gleichheit 
als pajjive Theile des Staats behandelt zu werden, folgt nicht das 
Recht, aud als active Glieder den Staat jelbjt zu behandeln, zu 
organifiren oder zu Einführung gewifjer Geſetze mitzuwirken: ſon— 
dern nur daß, welcherlei Art die pofitiven Gefeße, wozu fie ftimmen, 
aud) fein möchten, fie doch den natürlichen der Freiheit und der dieſer 
angemefjenen Gleichheit Aller im Volk, fih nämlid aus diejem 
paffiven Zuftande zu dem activen empor arbeiten zu können, nicht 
zuwider jein müfjen. 

8.47. 

Alle jene drei Gewalten im Staate find Würden und als wefentliche 
aus der Idee eines Staats überhaupt zur Gründung defjelben (Conſtitu— 
tion) nothwendig hervorgehend, Staatswürden. Sie enthalten das Ver: 
hältniß eines allgemeinen Dberhaupts (der, nad) Freiheitsgejeben 
betrachtet, fein Anderer als das vereinigte Volk felbft fein kann) zu der 
vereingelten Menge ebendefjelben als Unterthans, d. i. des Gebieten- 
den (imperans) gegen den Gehorjamenden (subditus). — Der Üct, 
wodurd; ſich das Volk ſelbſt zu einem Staat conftituirt, eigentlich aber 
nur die Idee defjelben, nach der die Nechtmäßigkeit deſſelben allein gedacht 
werden kann, ijt der urjprünglide Contract, nad weldem alle 
(omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um fie als 
Blieder eines gemeinen Weſens, d. i. des Volks als Staat betrachtet 
(aniversi), jofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht jagen: der 














316 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2, Theil, 1. Abichnitt. 


Staat, der Menih im Staate habe einen Theil feiner angebornen 
äußeren Freiheit einem Zwede aufgeopfert, fondern er hat die wilde, ge— 
jeblofe Freiheit gänzlich verlaffen, um feine Freiheit überhaupt in einer 
geſetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Buftande, unvermindert 
wieder zu finden, weil diefe Abhängigfeit aus feinem eigenen gejeßgeben- 5 
den Willen entjpringt. 

$ 48. 

Die drei Gewalten im Staate find aljo erjtlidh einander, als jo 
viel moraliſche Perjonen, beigeordnet (potestates coordinatae), d. i. die 
eine ift das Ergänzungsftüd der anderen zur Volljtändigfeit (comple- 
mentum ad sufficientiam) der Staatsverfaffung; aber zweitens aud) 
einander untergeordnet (subordinatae), jo daß eine nicht zugleich die 
Tunction der anderen, der fie zur Hand gebt, ufurpiren fann, ſondern ihr 
eigenes Princip hat, d. i. zwar in der Qualität einer bejonderen Perſon, 
aber doch unter der Bedingung des Willens einer oberen gebietet; drittens 1 
durch Vereinigung beider jedem Unterthanen fein Recht ertheilend. 

Bon diefen Gewalten, in ihrer Würde betradjtet, wird es heißen: 
der Wille des Geſetzgebers (legislatoris) in Anfehung deſſen, was das 
äußere Mein und Dein betrifft, ift untadelig (irreprehenfibel), das 
Ausführungs- Vermögen des Dberbefehlshabers (summi rectoris) = 
unwiderſtehlich (irrefiftibel) und der Rechtsſpruch des oberften Rich— 
ter3 (supremi iudicis) unabänderlid (inappellabel). 


— 


840. 


Der Regent des Staats (rex, princeps) iſt diejenige (moraliſche 
oder phyſiſche) Perjon, weldyer die ausübende Gewalt (potestas execu- 2» 
toria) zufommt: der Agent des Staats, der die Magifträte einjeht, dem 
Volk die Regeln vorſchreibt, nad) denen ein jeder in demjelben dem Ge— 
fee gemäß (durch Subjumtion eines Falles unter demjelben) etwas er- 
werben, oder das Seine erhalten fann. Als moralifche Perſon betrachtet, 
beißt er das Directorium, die Regierung. Seine Befehle an das m 
Bolf und die Magifträte und ihre Obere (Minifter), weldyen die Staats» 
verwaltung (gubernatio) obliegt, find Verordnungen, Decrete (nit 
Geſetze); denn fie gehen auf Entjheidung in einem befonderen Fall und 
werden als abänderlid) gegeben. Eine Regierung, die zugleich geſetz— 
gebend wäre, würde despotijch zu nennen fein im Gegenjag mit der = 


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Das Staatsrecht. 317 


patriotifhen, unter welcher aber nicht eine väterliche (regimen pater- 
nale), al$ die am meiſten despotifche unter allen (Bürger als Kinder zu 
behandeln), jondern vaterländijche (regimen eivitatis et patriae) ver- 
jtanden wird, wo der Staat jelbjt (eivitas) feine Unterthanen zwar gleich— 
ſam als Glieder einer Familie, doc) zugleich als Staatsbürger, d. i. nad) 
Gejeßen ihrer eigenen Selbitjtändigfeit, behandelt, jeder ſich ſelbſt befikt 
und nicht vom abjoluten Willen eines Anderen neben oder über ihm 
abhängt. 

Der Beherrſcher des Volks (der Gejebgeber) kann alſo nicht zugleich 
der Regent jein, denn diejer fteht unter dem Geſetz und wird durd) daj- 
jelbe folglidy von einem Anderen, dem Souverän, verpflichtet. Jener 
fann diejem auch jeine Gewalt nehmen, ihn abjeßen, oder jeine Verwal— 
tung reformiren, aber ihn nicht ftrafen (und das bedeutet allein der in 
England gebräuchliche Ausdrud: der König, d. i. die oberjte ausübende 
Gewalt, kann nicht unrecht thun); denn das wäre wiederum ein Act der 
ausübenden Gewalt, der zu oberjt das Vermögen dem Gejeße gemäß zu 
zwingen zujteht, die aber doch jelbjt einem Zwange unterworfen wäre; 
welches ſich widerjpricht. 

Endlich kann weder der Staatsherrſcher noch der Regierer richten, 
ſondern nur Richter als Magiſträte einſetzen. Das Volk richtet ſich ſelbſt 
durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl, als Repräſen— 
tanten deſſelben, und zwar für jeden Act beſonders dazu ernannt werden. 
Denn der Rechtsſpruch (die Sentenz) ift ein einzelner Act der öffentlichen 
Gerechtigkeit (iustitiae distributivae) durch einen Staatöverwalter (Rich— 
ter oder Gerichtshof) auf den Unterthan, d. i. einen, der zum Volk gehört, 
mithin mit feiner Gewalt befleidet ift, ihm das Seine zujuerfennen (zu 
erteilen). Da nun ein jeder im Volk diefem Berhältniffe nad) (zur 
Dbrigkeit) bloß paffiv ijt, jo würde eine jede jener beiden Gewalten in 
dem, was fie über den Unterthan im ftreitigen Falle des Seinen eines jeden 
beihließen, ihm unredht thun können: weil es nicht das Volk jelbit thäte 
und, ob ſchuldig oder nichtſchuldig, über feine Mitbürger ausjpräde; 
auf welde Ausmittelung der That in der Klagſache num der Gerichtshof 
das Gejek anzuwenden und vermittelft der ausführenden Gewalt einem 
jeden das Seine zu Theil werden zu lafjen die richterliche Gewalt hat. 
Alſo kann nur das Volk durd) feine von ihm felbft abgeordnete Stellver- 
treter (die Fury) über jeden in demjelben, obwohl nur mittelbar, richten. 
— Es wäre auch unter der Würde des Staatsoberhaupts, den Richter zu 


318 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt. 


fpielen, d. i. fi in die Möglichkeit zu verjeßen, Unrecht zu thun und jo 
in den Fall der Appellation (a rege male informato ad regem melius in- 
formandum) zu gerathen. 

Alſo find es drei verjchiedene Gewalten (potestas legislatoria, execu- 
toria, iudiciaria), wodurd) der Staat (eivitas) feine Autonomie hat, d. i. 
ſich jelbjt nad) Freiheitsgeſetzen bildet und erhält. — In ihrer Vereini- 
gung bejteht das Heil des Staats (salus reipublicae suprema lex est); 
worunter man nicht das Wohl der Staatsbürger und ihre Glüdjelig- 
feit verjtehen muß; denn die fann vielleicht (wie auch Rouffeau behaup- 
tet) im Naturzuftande, oder aud) unter einer despotiſchen Regierung viel 
behaglicher und erwünſchter ausfallen: jondern den Zuftand der größten 
Übereinftimmung der Berfaffung mit Rechtsprincipien verfteht, als nad) 
welchem zu jtreben uns die Vernunft durch einen fategorifhen Im— 
perativ verbindlid macht. 


Allgemeine Anmerkung 


von den rehtlihen Wirkungen aus der Natur des bürger- 
lien Vereins, 


A. 


Der Urfprung der oberften Gewalt ijt für das Volk, das unter ber: 
jelben fteht, in praftifcher Abfiht unerforſchlich: d. i. der Unterthan 
joll nit über diefen Urſprung, als ein noch in Anjehung des ihr ſchul— 
digen Gehorfams zu bezweifelndes Recht (ius controversum), werfthätig 
vernünfteln. Denn da das Bolf, um rechtskräftig über die oberfte 
Staatsgewalt (summum imperium) zu urtheilen, jhon als unter einem 
allgemein gefeßgebenden Willen vereint angejehen werden muß, jo kann 
und darf es nicht anders urtheilen, als das gegenwärtige Staatsober- 
haupt (summus imperans) e8 will. — Ob urjprünglid ein wirflider 
Bertrag der Unterwerfung unter denjelben (pactum subiectionis eivilis) 
als ein Yactum vorher gegangen, oder ob die Gewalt vorberging, und 
das Geſetz nur hintennach gefommen fei, oder aud) in diefer Ordnung fid) 
habe folgen jollen: das find für das Volk, das nun ſchon unter dem bür- 
gerlichen Geſetze fteht, ganz zwedleere und doc den Staat mit Gefahr 
bedrohende Bernünfteleien; denn wollte der Unterthan, der den leßteren 
Urſprung nun ergrübelt hätte, ſich jener jet herrichenden Autorität wider- 


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Das Staatsrecht. 319 


jeßen, jo würde er nad) den Geſetzen derjelben, d. i. mit allem Recht, be- 
ftraft, vertilgt, oder (als vogelfrei, exlex) ausgeftoßen werden. — Ein 
Geſetz, das jo heilig (unverletzlich) ift, daß es praktiſch auch nur in 
Ameifel zu ziehen, mithin jeinen Effect einen Augenblid zu juspendiren 
ſchon ein Verbredhen ift, wird fo vorgeftellt, als ob es nicht von Menjchen, 
aber doch von irgend einem höchſten, tadelfreien Gejeßgeber herkommen 
müfje, und das ift die Bedeutung des Sabes: „Alle Obrigkeit ift von 
Gott," weldyer nicht einen Geſchichtsgrund der bürgerlichen Verfafjung, 
jondern eine Idee als praftifches Vernunftprincip ausjagt: der jetzt be 
ftehenden gejehgebenden Gewalt gehorden zu follen, ihr Urfprung mag 
fein, welcher er wolle. 

Hieraus folgt nun der Sab: der Herrſcher im Staat hat gegen den 
Unterthan lauter Rechte und Feine (Zwangs-)Pflihten. — Ferner, wenn 
das Organ des Herrichers, der Negent, aud den Gejeßen zumider ver- 
führe, 3. B. mit Auflagen, Recrutirungen u. dergl. wider das Gejeß der 
Gleichheit in Vertheilung der Staatslaften, jo darf der Unterthan dieſer 
Ungeredtigfeit zwar Bejhwerden (gravamina), aber feinen Widerftand 
entgegenjeßen. 

Ja es kann auch jelbjt in der Gonftitution Fein Artikel enthalten 
jein, der e8 einer Gewalt im Staat möglid; machte, fich im Fall der liber- 
tretung der Conjtitutionalgefeße durch den oberjten Befehlshaber ihm zu 
widerjeßen, mithin ihn einzuſchraͤnken. Denn der, welder die Staats- 
gewalt einichränfen joll, muß doch mehr, oder wenigſtens gleiche Macht 
haben, als derjenige, welcher eingeſchränkt wird, und als ein rehtmäßiger 
Gebieter, der den Untertanen befähle, fid) zu widerſetzen, muß er fie aud) 
hüten können und in jedem vorfommenden Fall rechtskräftig urtheilen, 
mithin öffentlich den Widerjtand befehligen fönnen. Alsdann ift aber nicht 
jener, jondern dieſer der oberfte Befehlshaber; welches ſich widerſpricht. 
Der Souverän verfährt alsdann durd) feinen Minifter zugleich als Regent, 
mithin despotiich, und das Blendwerf, das Volk durd) die Deputirte dej> 
jelben die einſchränkende Gewalt vorftellen zu lafjen (da es eigentlidy nur 
die geſetzgebende hat), fann die Despotie nicht jo verjteden, daß fie aus 
den Mitteln, deren fid; der Minifter bedient, nicht hervorblidte. Das 
Volk, das durch jeine Deputirte (im Parlament) repräfentirt wird, hat an 
diefen Gewährsmännern feiner Freiheit und Rechte Leute, die für ſich 
und ihre Familien und diefer ihre vom Minijter abhängige Verforgung 
in Armeen, Flotte und Givilämtern lebhaft intereffirt find, und die (jtatt 











320 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt. 


des Widerftandes gegen die Anmaßung der Regierung, deſſen öffentliche 
Ankündigung ohnedem eine dazu ſchon vorbereitete Einhelligkeit im Volk 
bedarf, die aber im Frieden nicht erlaubt fein kann) vielmehr immer 
bereit find, ſich jelbjt der Negierung in die Hände zu jpielen. — Alſo ift 
die jogenannte gemäßigte Staatsverfafjung, als Eonjtitution des innern 
Rechts des Staats, ein Unding und, anftatt zum Recht zu gehören, nur 
ein Klugheitsprincip, um fo viel als möglich dem mädtigen Übertreier 
der Volksrechte feine willfürlihe Einflüffe auf die Regierung nicht zu er 
ſchweren, fondern unter dem Schein einer dem Volt verftatteten Oppo— 
fition zu bemänteln. 

Wider das gejeßgebende Oberhaupt des Staats giebt es alfo feinen 
rechtmäßigen Widerftand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter 
feinen allgemein-gefebgebenden Willen ift ein rechtlicher Zuftand möglich; 
aljo fein Recht des Aufftandes (seditio), nod) weniger des Aufruhrs 
(rebellio), am allerwenigjten gegen ihn als einzelne Berjon (Monard)) 
unter dem Worwande des Mikbrauds feiner Gewalt (tyrannis) Ver— 
greifung an feiner Perfon, ja au feinem Leben (monarchomachismus 
sub specie tyrannicidii). Der geringfte Verſuch hiezu iſt Hodverrath 
(proditio eminens), und der Berräther diejer Art kann als einer, der fein 
Daterland umzubringen verjudt (parricida), nit minder als mit 
dem Tode beitraft werden. — — Der Grund der Pflicht des Volks einen, 
jelbft den für unerträglidy ausgegebenen Mißbrauch der oberften Gewalt 
dennod) zu ertragen liegt darin: daß fein Widerftand wider die höchſte 
Geſetzgebung jelbit niemals anders als gejebwidrig, ja als die ganze ge- 
ſetzliche Verfafſung zernichtend gedadht werden muß. Denn um zu dem— 
jelben befugt zu fein, müßte ein öffentliches Geſetz vorhanden fein, weldyes 
diefen Widerjtand des Volks erlaubte, d. i. die oberjte Geſetzgebung ent- 
hielte eine Beftimmung in ſich, nicht die oberfte zu fein und das Volk als 
Unterthan in einem und demjelben Urtheile zum Souverän über den zu 
machen, dem es unterthänig ift; welches fi) widerfpricht und wovon ber 
Widerſpruch durd die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in 
diefem Streit zwiſchen Volk und Souverän Nidjter fein follte (denn es 
find rechtlich betradytet Doc) immer zwei verſchiedene moraliſche Perfonen); 
wo fid) dann zeigt, daß das erſtere es in feiner eigenen Sache fein will.*) 

*) Weil die Entthronung eines Monarchen doch aud als freiwillige Ab- : 
legung der Krone und Niederlegung feiner Gewalt mit Zurückgebung berjelben an 


40 


Das Gtaatsredht. 321 


Eine Veränderung der (fehlerhaften) Staatsverfafjung, die mohl 
bisweilen nöthig fein mag — kann aljo nur vom Souverän jelbjt durch 


das Bolf gebadjt werben kann, ober auch als eine ohne Bergreifung an ber höchſten 
Berjon vorgenommene Berlaffung berjelben, wodurch fie in ben Privatitandb ver 
jegt werben würbe, jo hat bas Verbrechen bed Bolfs, welches fie erzwang, bod) 
noch ienigftens den Borwand des Nothrechts (casus necessitatis) für fich, nie» 
mals aber bad mindefte Recht ihn, das Oberhaupt, wegen ber vorigen Verwaltung 
zu flrafen: weil alles, was er vorher in ber Qualität eines Oberhaupts Ihat, ala 
äußerlich rechtmäßig gefchehen angefehen werben muß, und er jelbft, als Quell ber 
Geſehe betrachtet, nicht unrecht thun kann. Unter allen Gräueln einer Staats- 
ummälzung durch Aufruhr ift jelbit die Ermordung bes Monarchen noch nicht 
bas ärgite; benn noch fann man fich vorjtellen, fie geichehe vom Volk aus Furdt, 
er Fönne, wenn er am Leben bleibt, fich wieder ermannen und jenes die verbiente 
Strafe fühlen laffen, und folle alſo nicht eine Verfügung der Strafgeredhtigfeit, 
ſondern bloß ber Selbfterhaltung fein. Die formale Hinrichtung iſt ed, was 
bie mit Ideen des Menfchenrecht3 erfüllte Seele mit einem Schaubern ergreift, 
bas man wieberholentlih fühlt, fo bald und jo oft man ich biefen Auftritt denkt, 
wie das Schickſal Karls I. oder Ludwigs XVI. Wie erllärt man ſich aber dieſes 
Gefühl, was hier nicht äſthetiſch (ein Mitgefühl, Wirkung ber Einbildungskraft, bie 
fih in die Stelle des Leidenden verjekt), jondern moralifch, der gänzlichen Um— 
fehrung aller Rechtäbegriffe, iſt“ Es wird als Berbrechen, was ewig bleibt und 
nie ausgetilgt werben fann, (crimen immortale, inexpiabile) angeſehen umb fcheint 
bemjenigen ähnlich zu fein, was die Theologen biejenige Sünde nennen, welche 
weber in biefer noch in jener Welt vergeben werden kann. Die Erflärung biejes 
Phänomens im menſchlichen Gemüthe ſcheint aus folgenden Reflerionen über ſich 
jelbft, die felbit auf bie ftaatörechtlichen Principien ein Licht werfen, hervorzugehen. 

Eine jede Übertretung des Geſetzes kann und muß nicht anders als fo er- 
Härt werben, daß fie aus einer Marime bed Verbrechers (fi) eine ſolche Unthat 
zur Regel zu machen) entipringe; denn wenn man fie von einem finnlichen An- 
trieb ableilete, jo wäre fie nicht von ihm, ala einem freien Wefen, begangen und 
könnte ihm nicht zugerechnet werben; wie e3 aber bem Subject möglich ift, eine 
foldje Mariıme wiber das Mare Berbot der gejeggebenden Vernunft zu fallen, läßt 
ſich ſchlechterdings nicht erflären; denn nur die Begebenheiten nad) dem Mechanism 
ber Natur find erflärungsfähig. Nun kann ber Verbrecher feine Unthat entweber 
nad), ber Marime einer angenommenen objectiven Negel (ald allgemein geltend), 
ober nur ald Ausnahme von ber Negel (fich bavon gelegentlich zu bispenfiren) 
begeben; im lesteren Kal weicht er nur (obzwar vorſetzlich) vom Gejek ab; 
er fann feine eigene libertretung zugleich verabjcheuen und, ohne bem Geſetz fürm- 
lih ben Gehorſam aufzufündigen, es nur umgehen wollen; im erfteren aber ver 
wirft er bie Autorität des Geſetzes felbit, dveifen Gültigfeit er fich boch vor feiner 
Bernunft nicht abläugnen kann, und macht es fich zur Regel wider baffelbe zu 
banbeln; feine Marime ift aljo nicht bloß ermangelungsweije (negative), jon- 

Kant'd Schriften Werte VI 21 


4 


322 Metapbyfifche Anfangsgriinde der Rechtslehte. 2. Theil. 1. übſchut 


Reform, aber nicht vom Wolf, mithin durd Revolution verrichtet wer- 
den, und wenn fie geſchieht, jo faun jene nur die ausübende Gewalt, 
nicht die gefeßgebende treffen. — An einer Staatsverfaffung, die jo be- 
ſchaffen it, daß das Volk durch jeine Nepräfentanten (im Parlament) 
jener und dem Repräfentanten derfelben (dem Minifter) geſetzlich wider» 3 
ſtehen kann — welche dann eine eingejhränfte Verfafjung — 
gleichwohl fein activer Widerſtand (der willfürlihen Verbindung 
die Regierung zu einem gewifjen thätigen Verfahren zu zwingen, ae 
jelbjt einen Act der ausübenden Gewalt zu begehen), jondern nur ein ne= 
gativer Widerftand, d. i. Weigerung des Volks (im Parlament), er= 1 
laubt, jener in den Forderungen, die fie zur Staatsverwaltung nötig 
zu haben vorgiebt, nicht immer zu willfahren; vielmehr wenn das I 
geſchähe, jo wäre es ein fiheres Zeichen, daß das Volk verderbt, feine R 
präjentanten erfäuflich und das Oberhaupt in —— —— 
Miniſter despotiſch, dieſer ſelber aber ein Verräther des u 
Übrigens, wenn eine Revolution einmal gelungen ya de neue 












dern ſogar abbruchsweiſe (contrarie) oder, wie man ſich ausdrückt, biametra- 
liter, als Widerſpruch (gleichſam feindſelig) dem Geſeh entgegen. So viel wir 
einſehen, iſt ein dergleichen Verbrechen einer förmlichen (ganz nutzloſen) Bosheit zu 
begehen Menjchen ummöglich umd doch (obzwar bloße Idee des Auferji-Böfen) in = 
einem Syſtem der Moral nicht zu übergehen, 

Der Grumd des Schauderhaften bei dem Gedanken von der fürmlichen Hin ⸗ 
richtung eines Monarchen durch jein Bolt ift alfo der, dak der Mord nur als 
Ausnahme von der Regel, welche diejes fi) zur Marime machte, bie Hinrid- 
tung aber als eine völlige Umkehrung der Principien des Verhältniſſes zwiſchen % 
Souverän und Bolt (diejed, was fein Dafein nur der Gefeßgebung bes erjteren 
zu verdanken hat, zum Serrfcher über jenen zu machen) gedacht werden muß, und 
io die Gewaltthätigfeit mit dreufter Stirn und nad) Grumbjäen über das heiligſte 
Recht erhoben wird; welches, wie ein Alles ohne Wiederkehr verjchlingender Abgrumb, 
ald ein vom Staate an ihm verübter Selbſtmord, ein feiner Entfündigung jähiges » 
Verbrechen zu fein jcheint. Man hat aljo Urſache anzunehmen, daf — 
zu ſolchen Hinrichtungen wirklich nicht aus einem vermeint⸗rechtlichen Princip, 
dern aus Furcht vor Rache des vielleicht dereinſt wieder een ne 
Bolf berrührte, und jene Förmlichkeit mur vorgenommen worden, um jener That 
den Anftrich von Beftrafung, mithin eines rechtlichen Berfahrens (bergleichen * 
ber Mord nicht jein wide) zu geben, welche Bemäntelung aber verunglüdt, weil 
eine ſolche Anmahung des Volks noch ärger ift, als jelbft der Mord, da biefe einen 
Grundſatz enthält, der jelbit die Wiedererzeugung eines umgeftäigten (Bean 


möglich machen müßte, 

















Das Staatsredht. 323 


Verfaſſung gegründet ift, jo kann die Unrechtmäßigfeit des Beginnens 
und der Bollführung derjelben die Unterthanen von der Verbindlichkeit, 
der neuen Ordnung der Dinge ſich als gute Staatsbürger zu fügen, nicht 
befreien, und fie können ſich nicht weigern, derjenigen Obrigkeit ehrlic) 
zu gehordhen, die jeßt die Gewalt hat. Der entthronte Monard) (der jene 
Ummälzung überlebt) kann wegen feiner vorigen Geihäftsführung nicht 
in Anfprud genommen, noch weniger aber geftraft werden, wenn er, in 
den Stand eines Staatsbürgers zurüdgetreten, feine und des Staats 
Ruhe dem Wagſtück vorzieht, ſich von diefem zu entfernen, um als Prä- 
tendent das Abenteuer der Wiedererlangung defjelben, es ſei durch ine 
geheim angeitiftete Gegenrevolution, oder durd) Beijtand anderer Mächte, 
zu bejtehen. Wenn er aber das lebtere vorzieht, jo bleibt ihm, weil der 
Aufruhr, der ihn aus jeinem Beſitz vertrieb, ungerecht war, fein Redht 
an demjelben unbenommen. Ob aber andere Mächte das Recht haben, 
fi diefem verunglüdten Oberhaupt zum beiten in ein Staatenbündniß 
zu vereinigen, bloß um jenes vom Bolf begangene Verbrechen nicht unge- 
ahndet, nod) als Sfandal für alle Staaten beftehen zu laſſen, mithin eine 
in jedem anderen Staat durch Nevolution zu Stande gefommene Ver- 
faſſung in ihre alte mit Gewalt zurüdzubringen beredhtigt und berufen 
»» jeien, das gehört zum Völkerrecht. 


Pr 
= 


1 


B. 


Kann der Beherricher als Dbereigenthümer (des Bodens), oder muß 
er nur als Oberbefehlshaber in Anjehung des Volks durch Geſetze be- 
trachtet werden? Da der Boden die oberfte Bedingung ift, unter der allein 
es möglich ift, äußere Sachen als das Seine zu haben, deren möglicher 
Befib und Gebraud) das erjte erwerbliche Recht ausmacht, jo wird von dem 
Souverän, als Zandesherren, bejjer al$ Dbereigenthümer (dominus 
territorii), alles ſolche Recht abgeleitet werden müfjen. Das Volk, als 
die Menge der Unterthanen, gehört ihm aud) zu (es iſt jein Volk), aber 
so nicht ihm als Eigenthümer (nad) dem dinglichen), jondern als Oberbefehls— 

haber (nad) dem perjönlichen Net). — Dieſes Obereigenthum ift aber 

nur eine Sdee des bürgerlichen Vereins, um die nothwendige Bereinigung 

des Privateigenthums aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen 

Befiker zu Beftimmung des befonderen Eigenthums nidt nad) Grund» 

 fäßen der Aggregation (die von dem Theilen zum Ganzen empirijd) 

fortfchreitet), fondern dem nothwendigen formalen Princip der Ein- 
=: 


324 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechlslehre. 2. Theil. 1. Abfchnitt. 


theilung (Divifion des Bodens) nad) Nedhtsbegriffen vorftellig zu 
machen. Nach diefen fann der Obereigenthümer fein Brivateigenthum an 
irgend einem Boden haben (denn jonft machte er ſich zu einer Privat: 
perfon), ſondern diejes gehört nur dem Volk (und zwar nicht collectiv, 
jondern difjtributiv genommen) zu; wovon dod) ein nomadiſch-beherrſchtes 
Bolf auszunehmen it, als in weldem gar fein Privateigenthum des 
Bodens ftatt findet. — Der Oberbefehlshaber kann alfo feine Domänen, 
d. i. Ländereien zu feiner Privatbenugung (zu Unterhaltung des Hofes), 
haben. Denn weil e3 alsdann auf fein eigen Gutbefinden anfäme, wie 
weit fie ausgebreitet fein jollten, jo würde der Staat Gefahr laufen, alles 
Eigenthum des Bodens in den Händen der Regierung zu ſehen und alle 
Unterthanen als grundunterthänig (glebae adscripti) und Befiker 
von dem, was immer nur Eigenthum eines Anderen it, folglid; aller 
Freiheit beraubt (servi) anzufehen. — Bon einem Landesherrn kann man 
jagen: er beſitzt nichts (zu eigen), außer ſich felbit; denn wenn er 
neben einem anderen im Staat etwas zu eigen hätte, jo wiirde mit diefem 
ein Streit möglid) fein, zu deffen Schlidtung fein Richter wäre. Aber 
man fann aud jagen: er beſitzt alles; weil er das Befehlshaberredht 
über das Volk hat (jedem das Seine zu Theil fommen zu laffen), dem alle 
äußere Sachen (divisim) zugehören. 

Hieraus folgt: daß es auch feine Eorporation im Staat, feinen 
Stand und Orden geben könne, der als Eigenthümer den Boden zur 
alleinigen Benntzung den folgenden Generationen (ins Unendliche) nad) 
gewiffen Statuten überliefern Fönne. Der Staat kann fie zu aller Beit 
aufheben, nur unter der Bedingung, die llberlebenden zu entſchädigen. 
Der Ritterorden (als Corporation, oder auch bloß Rang einzelner, 
vorzüglich beehrter Perſonen), der Orden der Geiſtlichkeit, die Kirche 
genannt, Fönnen nie durch diefe Vorrechte, womit fie begünftigt worden, 
ein auf Nachfolger übertragbares Eigenthum am Boden, fondern nur die 
einftweilige Benußung defjelben erwerben. Die Comthureien auf einer, 
die Kirchengüter auf der anderen Seite fünnen, wenn die öffentliche Mei: 
nung wegen der Mittel, durd die Kriegsehre den Staat wider die 
Zauigfeit in VBertheidigung defjelben zu ſchützen, oder die Menjchen in 
demfelben durch Seelmefjen, Gebete und eine Menge zu beftellender Seel- 
forger, um fie vor dem ewigen Feuer zu bewahren, anzutreiben, aufgehört 
hat, ohne Bedenken (doch unter der vorgenannten Bedingung) aufgehoben 
werden. Die, jo hier in die Reform fallen, fönnen nicht Hagen, daß ihnen 


45 


ı 


1 


Das Staatdredht. 325 


ihr Eigenthum genommen werde; denn der Grund ihres bisherigen Be- 
fies lag mur in der Bolfsmeinung und mußte auch, fo lange dieje 
fortwährte, gelten. So bald dieſe aber erlojd), und zwar auch nur in dem 


- Urtheil derjenigen, welche auf Zeitung defjelben durch ihr Verdienſt den 


= 


w 


größten Anjprud haben, jo mußte, gleichjam als durch eine Appellation 
defjelben an den Staat (a rege male informato ad regem melius infor- 
mandum), das vermeinte Eigenthum aufhören. 

Auf diefem urjprünglicy erworbenen Grundeigenthum beruht das 
Recht des Oberbefehlshabers, als Dbereigenthümers (des Landesherrn), 
die Privateigenthümer des Bodens zu beſchatzen, d. i. Abgaben durd) die 
Landtare, Aceife und Zölle, oder Dienitleiftung (dergleichen die Stellung 
der Mannihaft zum Kriegspdienft ijt) zu fordern: fo doch, dab das Wolf 
ſich jelber bejchaßt, weil diejes die einzige Art ift, hiebei nad) Rechts— 
gejegen zu verfahren, wenn es durch das Corps der Deputirten defjelben 
geſchieht, auch als gezwungene (von dem bisher bejtandenen Geſetz ab- 
weichende) Anleihe nad) dem Majeftätsredhte, als in einem Talle, da der 
Staat in Gefahr feiner Auflöfung fommt, erlaubt ift. 

Hierauf beruht aud) das Nedht der Staatswirthihaft, des Finanz— 
wejens und der Polizei, welche leßtere die öffentlihe Sicherheit, ®e- 
mädlidfeit und Anftändigfeit bejorgt (denn daß das Gefühl für 
dieje (sensus decori) al$ negativer Geſchmack durd) Bettelei, Lärmen auf 
Straßen, Geftant, öffentliche Wolluft (venus volgivaga), als Verleßungen 
des moraliſchen Sinnes, nit abgeftumpft werde, erleichtert der Negie- 
rung gar jehr ihr Geſchäfte, das Bolf durch Geſetze zu lenken). 

Zu Erhaltung des Staats gehört auch nod) ein drittes: nämlich das 
Recht der Aufficht (ius inspectionis), daß ihm nämlid) feine Verbindung, 
die aufs öffentlihe Wohl der Geſellſchaft (publicum) Einfluß haben 
fan, (von Staats- oder Religions-Illuminaten) verheimlicht, jondern, 
wenn es von der Polizei verlangt wird, die Eröffnung ihrer Verfafjung 
nicht geweigert werde. Die aber der Unterſuchung der Privatbehaufung 
eines jeden ijt nur ein Nothfall der Polizei, wozu fie durch eine höhere 
Autorität in jedem bejonderen Yalle berechtigt werden muß. 


U 
Dem Oberbefehlshaber fteht indirect, d.i. als lIbernehmer der 


» Pflicht des Volks, das Recht zu, dieſes mit Abgaben zu feiner (des Volks) 


326 Metapbofiiche Anfangsaründe ber Nechtslehre. 2. Thell. 1. Abjchnitt. 


eigenen Erhaltung zu belajten, als da find: das Armenmwejen, die 
Findelhänfer und das Kirhenwejen, fonft milde oder fromme 
Stiftungen genannt. 

Der allgemeine Boltswille hat ſich nämlich zu einer Gejellfchaft ver- 
einigt, welche ſich immerwährend erhalten fol, und zu dem Ende fid) der 
inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder diejer Geſellſchaft, die 
es jelbjt nicht vermögen, zu erhalten. Bon Staatswegen ift aljo die Ne- 
gierung berechtigt, die Vermögenden zu nöthigen, die Mittel der Erhaltung 
derjenigen, die es jelbjt den nothwendigiten Naturbedürfniffen nad) nicht 


find, herbei zu jhaffen: weil ihre Eriftenz zugleidy als Act der Unter- 


werfung unter den Schuß und die zu ihrem Dafein nöthige Vorjorge des 
gemeinen Wejens ift, wozu fie fich verbindlich gemadjt haben, auf welche 
der Staat num fein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das 
Shrige beizutragen. Das kann num geihehen: durch Belaftung des Eigen- 
thums der Staatsbürger, oder ihres Handelsverkehrs, oder durch errichtete 
Fonds und deren Zinjen; nicht zu Staats- (denn der ift reich) jondern 
zu Volksbedürfnifien, aber nicht bloß durch Freiwillige Beiträge (weil 
bier nur vom Rechte des Staats gegen das Volk die Rede ift), worunter 
einige gewinnfüchtige find (als Lotterien, die mehr Arme und dem öffent- 
lichen Eigenthum gefährliche machen, als jonft fein würden, und die alfo 
nicht erlaubt jein jollten), jondern zwangsmäßig, als Staatslaften. Hier 
frägt fi nun: ob die Verforgung der Armen durch Taufende Beiträge, 
fo daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt, oder durdy nad) und nad ge— 
fammelte Beftände und überhaupt fromme Stiftungen (dergleichen 
Wittwenhäujer, Hospitäler u. dergl. find) und zwar jenes nicht durch Bette- 
lei, welche mit der Räuberei nahe verwandt ift, jondern durch geſetzliche 
Auflage ausgerichtet werden joll. — Die erjtere Anordnung muß für die 
einzige dem Rechte des Staats angemefjene, der ſich niemand entziehen 
fan, der zu leben hat, gehalten werden: weil fie nicht (wie von frommen 
Stiftungen zu beforgen ift), wenn fie mit der Zahl der Armen anwachien, 
das Armjein zum Erwerbmittel für faule Menſchen maden und jo eine 
ungerehte Beläjtigung des Volls durd die Regierung fein würden. 

Was die Erhaltung der aus Noth oder Scham ausgeſetzten, oder wohl 
gar darum ermordeten Kinder betrifft, jo bat derStaat ein Redt, das Volf 
mit der Pflicht zu belaften, dieien, obzwar unwillfommenen Zuwachs des 
Staatsvermögens nicht wifjentlid) umfommen zu laſſen. Ob diejes aber 
durch Befteurung der Hageftolzen beiderlei Geſchlechts (worunter die 


gg Teer 


- 
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— 
ur 


Das Staatöredht. 327 


vermögende Ledige verftanden werden), als ſolche, die daran doch 
zum Theil Schuld find, vermittelft dazu errichteter Findelhäufer, oder auf 
andere Art mit Recht geſchehen könne (ein anderes Mittel es zu verhüten 
möchte es aber ſchwerlich geben), tft eine Aufgabe, deren Löfung, ohne 
entweder wider das Recht, oder die Moralität zu verjtoßen, bisher nod) 
nicht gelungen it. 

Da aud) das Kirchenweſen, weldes von der Religion als innerer 
Gefinnung, die ganz außer dem Wirkungskreiſe der bürgerlichen Macht it, 
jorgfältig unterjchieden werden muß (als Anjtalt zum öffentlihen Gottes— 
dienſt für das Volf, aus weldem diefer aud) feinen Urfprung hat, es fei 
Meinung oder Überzeugung), ein wahres Staatsbedürfniß wird, ſich aud) 
als Unterthanen einer höchſten unfihtbaren Macht, der fie huldigen 
müfjen, und die mit der bürgerlichen oft in einen jehr ungleichen Streit 
fommen fann, zu betrachten: jo hat der Staat das Recht, nicht etwa der 
inneren Gonftitutionalgejeßgebung, das Kirchenweſen nad feinem Sinne, 
wie es ihm vortheilhaft dünft, einzurichten, den Glauben und gottesdienft- 
lihe Formen (ritus) dem Volk vorzufchreiben oder zu befehlen (denn 
dieſes muß gänzlich den Lehrern und Vorftehern, die es ſich ſelbſt gewählt 
hat, überlafjen bleiben), jondern nur das negative Redt den Einfluß 
der öffentlichen Lehrer auf das ſichtbare, politifche gemeine Weſen, der 
ber öffentlihen Ruhe nachtheilig fein möchte, abzuhalten, mithin bei dem 
inneren Streit, oder dem der verjchiedenen Kirchen unter einander die 
bürgerlihe Eintracht nit in Gefahr kommen zu laſſen, welches aljo ein 
Recht der Polizei ift. Daß eine Kirche einen gewiſſen Glauben und 
welchen fie haben, oder daß fie ihn unabänderlich erhalten müfje und fi) 
nicht jelbft reformiren dürfe, find Einmiſchungen der obrigfeitlichen Se: 
walt, die unter ihrer Würde find: weil fie fid) dabei, als einem Schul— 
gezänfe, auf den Fuß der Gleichheit mit ihren Unterthanen einläßt (der 
Monarch fi zum Priefter mad), die ihr geradezu jagen können, daf fie 
hievon nichts verjtehe; vornehmlid) was das leßtere, nämlich das Verbot 
innerer Reformen, betrifft; — denn was das gefammte Volk nicht fiber ſich 
ſelbſt beſchließen kann, das kann aud) der Geſetzgeber nicht über das Volt 
beſchließen. Nun kann aber fein Wolf beſchließen, in feinen den Glauben 
betreffenden Einfihten (der Aufklärung) niemals weiter fortzufchreiten, 
mithin aud) fi in Anfehung des Kirchenwejens nie zu reformiren: weil 
dies der Menſchheit in feiner eigenen Berfon, mithin dem hödjften Nedht 
defjelben entgegen jein würde. Aljo fann es aud) feine obrigfeitliche Ge— 

















328 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abjchnitt. 


walt über das Volk beſchließen. — — Was aber die Koften der Erhaltung 
des Kirchenweſens betrifit, fo können diefe aus eben derfelben Urſache 
nit dem Staat, fondern müfjen dem Theil des Volks, der ſich zu einem 
oder dem anderen Glauben befennt, d. i. nur der Gemeine, zu Laften 
fommen. 


D. 


Das Recht des oberften Befehlshabers im Staat geht au) 1) auf 
Bertheilung der Ämter, als mit einer Befoldung verbundener Geſchäfts⸗ 
führung; 2) der Würden, die als Standeserhöhungen ohne Sold, d. i. 


Nangertheilung des Oberen (der zum Befehlen) in Anfehung der Niedri- 1 


gern (die, obzwar als freie und nur durchs öffentliche Geſetz verbindliche, 
doch jenen zu gehorjamen zum Boraus beftimmt find), bloß auf Ehre 


fundirt find — und 3) außer diefem (rejpectiv-wohlthätigen) Recht auch 
aufs Strafredt. 


Was ein bürgerliches Amt anlangt, jo fommt hier die Frage vor: hat ıs 


der Souverän das Recht, einem, dem er ein Amt gegeben, es nad) feinem 
Gutbefinden (ohne ein Verbrechen von Seiten des lekteren) wieder zu 
nehmen? Ich fage: nein! Denn was der vereinigte Wille des Volks über 
feine bürgerliche Beamte nie beſchließen wird, das fann aud) das Staats- 


oberhaupt über ihn nicht beſchließen. Nun will das Wolf (das die Koften » 


tragen ſoll, welche die Anjegung eines Beamten ihm maden wird) ohne 
allen Zweifel, daß diejer feinem ihm auferlegten Geſchäfte völlig gewachſen 
fei; welches aber nicht anders, als durch eine hinlängliche Zeit hindurch 
fortgejeßte Vorbereitung und Erlernung defjelben, über der er diejenige 


verjäumt, die er zur Erlernung eines anderen ihn nährenden Geſchäfts » 


hätte verwenden können, geſchehen fann; mithin würde in der Negel das 
Amt mit Leuten verjehen werden, die feine dazu erforderliche Geſchidlich⸗ 
feit und durch Übung erlangte reife Urtheilskraft erworben hätten; welches 
der Abficht des Staats zumider ift, als zu weldyer aud) erforderlid; ijt, 


daß jeder vom niedrigeren Amte zu höheren (die ſonſt lauter Untauglichen » 


in die Hände fallen würden) jteigen, mithin aud auf lebenswierige Ver: 
forgung müfje rechnen fönnen. 

Die Würde betreffend, nicht bloß die, welche ein Amt bei fi führen 
mag, fondern auch die, welche den Befiker auch ohne bejondere Be 


dienungen zum Gliede eines höheren Standes macht, ift der Adel, der, * 


vom bürgerlichen Stande, in welchem das Bolf ift, unterjchieden, den 


























Is Summer mus» ZUR 


männlier Rahm unit. farh ner anf zuil der meiden un 
u pe anız Farm: arm made Eier 








gemäß fei, inzz ira über fılh zu heben, dür zwar frühe 
i0 Unterihanen, aber Dal, ür Zuielung Dei Bol geborene Serhüsteher 
(menigkrzt gradegme, fu — — Dir Senmimerrur Ienirübre geriet 
nun bier eben fs zur zurier zı& Dem Bono berue: „Sr has Bolt (tue 
ganze Mae der Erteiumer, zußt üner Hıh eek und femme Beonsiier be> 
ichließen Saum, ie: Amer anf der Enmerie mift ier ie: Bull be 
ı jhliegen”" Sam Sin angerrüter Biel Sn Hang, der zur em Br- 
dieuft werher geit zud Nees auf me feier Grande jsfen Lift, ce 
Grdaztrzbing züme ale Merci Demn wenz der Secicaet Sera 
hatte, io fsmzir or Iieies bof ut zul cae Unkänemee mermben, 
fonberm biche uaäpen e& Th umımer Kit erwerben, ba ine Acca es müßt 
w Io fügt, bag has Zxieıe zus ber Eile meiße Serterene om der Zone 






















wichenien gut man, za j9 has er zrosuiesthg rim Bet, die Würde 
bem Tütdl mad Äoribenerz zu irre, bis jelh® ia der Sürmtlihen Meinzng 
die zu Eosurräs, Eid zus Bell ber einzigen netärlihen 
» in Gonserän and Zoll Für gemaft heben wird. 
Diaz ale Börde fauz nnz wohl fein Mori im Etante jeia, benz er 
hat wenigften: bie bei Zuaniähhrgeri ‚ anher wenn cr 5 dark iein eigenes 






























330 Metlaphyſiſche Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 1. Abfchnitt. 


Verbrechen darum gebradht hat, da er dann zwar im Leben erhalten, 
aber zum bloßen Werkzeuge der Willtür eines Anderen (entweder des 
Staats, oder eines anderen Staatsbürgers) gemacht wird. Wer num das 
leßtere ift (was er aber nur durd) Urtheil und Recht werden kann), ift ein 
Leibeigener (servus in sensu stricto) und gehört zum Eigenthum 
(dominium) eines Anderen, der daher nicht bloß fein Herr (herus), fon- 
dern aud) fein Eigenthümer (dominus) ift, der ihn als eine Sache ver- 
äußern und nad) Belieben (nur nicht zu ſchandbaren Zweden) brauchen 
und über feine Kräfte, wenn gleidy nicht über fein Leben und Glied— 
maßen verfügen (disponiren) kann. Durd einen Vertrag fann fi 
niemand zu einer ſolchen Abhängigkeit verbinden, dadurd er aufhört, 
eine Perſon zu fein; denn nur als Berfon fann er einen Vertrag machen. 
Nun ſcheint es zwar, ein Menſch könne ſich zu gewiffen, der Dualität nach 
erlaubten, dem Grad nad) aber unbeftimmten Dienften gegen einen 


Andern (für Lohn, Koſt oder Schuß) verpflichten durch einen Verdingungs- : 


vertrag (locatio conductio), und er werde dadurch bloß Unterthan (sub- 
iectus), nicht Zeibeigener (servus); allein das ift nur ein falſcher Schein. 
Denn wenn fein Herr befugt iſt, die Kräfte feines Unterthans nad) Belie- 
ben zu benußen, fo fann er fie aud) (wie es mit den Negern auf den Zuder- 
infeln der Fall ift) erichöpfen bis zum Tode oder der Verzweiflung, und 
jener hat fid) feinem Herrn wirklich als Eigenthum weggegeben; welches 
unmöglid) ift. — Er fann ſich alſo nur zu der Qualität und dem Grade 
nad) beftimmten Arbeiten verdingen: entweder als Tagelöhner, oder an- 
jäfliger Unterthan; im leßteren Fall, daß er theils für den Gebraud) des 
Bodens feines Herrn ftatt des Tagelohns Dienfte auf demfelben Boden, 
theils für die eigene Benußung defjelben beftimmte Abgaben (einen Zins) 
nad) einem Padıtvertrage leiftet, ohne fid) dabei zum Gutsunterthan 
(glebae adseriptus) zu maden, als wodurd) er feine Perſönlichkeit ein- 
büßen würde, mithin eine Zeit- oder Erbpacht gründen fann. Er mag 
num aber auch durd; fein Verbredden ein perſönlicher Unterthan ge 
worden jein, jo kann dieſe Unterthänigfeit ihm doch nit anerben, weil 
er fie ſich nur durch feine eigene Schuld zugezogen hat, und eben jo wenig 
fann der von einem Zeibeigenen Erzeugte wegen der Erziehungstoften, die 
er gemacht hat, in Anſpruch genommen werden, weil Erziehung eine ab- 
jolute Naturpflicht der Eltern und, im Falle daß dieje Leibeigene waren, 
der Herren ift, welche mit dem Befiß ihrer Unterthanen aud) die Pflichten 
derjelben übernommen haben. 


— 
= 


— 
u) 


Das Stantsredht. 331 


E. 
Bom Straf: und Begnadigungsredt. 
I. 


Das Strafredt ift das Necht des Befehlshabers gegen den Unter: 
würfigen, ihn wegen feines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen. 
Der Dberjte im Staate kann alfo nicht beftraft werden, jondern man kann 
ſich nur feiner Herrſchaft entziehen. — Diejenige Übertretung des öffent: 
lien Gejeßes, die den, welcher fie begeht, unfähig madjt, Staatsbürger 
zu fein, heißt Verbrechen ſchlechthin (erimen), aber aud) ein öffentliches 
Berbredhen (crimen publicum); daher das erftere (das Privatverbrechen) 
vor die Givil-, das andere vor die Griminalgerehtigfeit gezogen wird. — 
Veruntreuung, d. i. Unterfchlagung der zum Berfehr anvertrauten 
Gelder oder Waaren, Betrug im Kauf und Verkauf bei fehenden Augen 
des Anderen find Privatverbredyen. Dagegen find: falſch Geld oder falſche 
Wechſel zu machen, Diebftahl und Raub u. dergl. öffentlidhe Verbrechen, 
weil das gemeine Wejen und nicht bloß eine einzelne Perſon dadurd) ge— 
fährdet wird. — Sie fünnten in die der niederträdtigen Gemüthsart 
(indolis abiectae) und die der gewaltthätigen (indolis violentae) ein. 
getheilt werden. 

Richterliche Strafe (poena forensis), die von der natürlichen 
(poena naturalis), dadurd das Later ſich jelbit beftraft und auf melde 
der Gejeßgeber gar nicht Nüdfiht nimmt, verfchieden, kann niemals bloß 
als Mittel ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher ſelbſt, oder 
für die bürgerliche Gejellichaft, jondern muß jederzeit nur darum wider 
ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Menſch fann nie 
bloß als Mittel zu den Abſichten eines Anderen gehandhabt und unter die 
Gegenftände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn feine ange: 
borne Perfönlichkeit ſchützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar 
wohl verurtheilt werden fann. Er muß vorher ftrafbar befunden fein, 
ehe noch daran gedacht wird, aus diefer Strafe einigen Nuben für ihn 
jelbft oder feine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgeje ift ein kategoriſcher 
Imperativ, und wehe dem! welcher die Schlangenwindungen der Glüd- 
feligfeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durd) den Vortheil, 
den es verjpricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade der- 


 jelben entbinde nad) dem pharifäifhen Wahlſpruch: „Es ift befier, daß 























nn 





IR? Mieraptnfiice Amfangögrhnbe der Meisräirher 2 Theil. 1. Aiicpmitt. 


ein Menikh Fierie, ls haf; das ganze Buff werberbr * denn wenn Die Er 
zefptigleit — * je hat = —— mehr, ba — 





nit Sermästumg 
— denn die Gereiptigfeit hört ai die je win. wen fe Mh fin 
argenb einen Vres mepgieht. 
ee ee De ee enge 





der Boge — il mifgt anche auf Die eine, ai af Die 
anbere Seite Yinzumzigen. Mlie- mas für anmeriänilbeies Übel be = 
emem Anberen im Sof zıfüogft, des Su Din Dir lot on. Sirius 
du dbe, m beikpimurtt: de Did) Velbft; heizezhilit du hm, io beitiehft: Ds dich 
el. Thläpt be übe, je Ihlagf: du dich Melt, Anne du übe, Fo Snmeeft 
An Dit eb. Bar des Buenerperpeltenpsredt (me ulm) her, 


auohl zu nerfichen, nor ber Säranten des Gerd: mid: in meinem Prinoi- 
BORD: Bann Die SDOHENER ib Zianniiiiit —— — 





















— 


10 


hiemit, außer der Ungemächlichkeit, noch die Eitelfeit des Thäters ſchmerz⸗ 


haft angegriffen und jo durch Beihämung Gleiches mit Gleichem ge— 
börig vergolten würde. — Was heißt das aber: „Bejtiehlft du ihn, jo ber 
ftiehlft du dich ſelbſt“? Wer da ftiehlt, macht aller Anderer Eigenthum 
unficher; er beraubt ſich aljo (nad) dem Recht der Wiedervergeltung) der 
Sicherheit alles möglichen Eigenthums; er hat nichts und kann aud) nichts 
erwerben, will aber doch leben; welches num nicht anders möglid) ift, als 
daß ihn Andere ernähren. Weil diejes aber der Staat nicht umſonſt thun 
wird, jo muß er diefem feine Kräfte zu ihm beliebigen Arbeiten (Karren— 
oder Zuchthausarbeit) überlaffen und fommt auf gewifie Zeit, oder nad) 
Befinden aud) auf immer in den Sklavenjtand. — Hat er aber gemordet, 
fo muß er fterben. Es giebt hier fein Surrogat zur Befriedigung der 
Gerechtigkeit. Es ift feine Gleihartigfeit zwiſchen einem noch jo 
fummervollen Leben und dem Tode, alfo auch feine Gleichheit des Ver— 
bredjens und der Wiedervergeltung, als durch den am Thäter gerichtlich 
vollzogenen, doch von aller Mißhandlung, welche die Menſchheit in der 
feidenden Perſon zum Scheuſal machen fönnte, befreieten Tod. — Selbjt 
wenn fid) die bürgerliche Geſellſchaft mit aller Ölieder Einftimmung auf: 
löjete (3. B. das eine Inſel bewohnende Volk beſchlöſſe auseinander zu 
gehen und ſich in alle Welt zu zerjtreuen), müßte der lebte im Gefängniß 
befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das 
widerfahre, was feine Thaten werth find, und die Blutſchuld nicht auf dem 
Volke hafte, das auf diefe Beftrafung nicht gedrungen hat: weil es als 
Theilnehmer an diejer öffentlichen Verlegung der Gerechtigkeit betrachtet 
werden fann. 

Dieſe Gleichheit der Strafen, die allein durd die Erkenntniß des 
Richters auf den Tod nad) dem ftrengen Wiedervergeltungsrecdhte möglid) 
iſt, offenbart jih daran, daß dadurd allein proportionirlidy mit der 
inneren Bösartigfeit der Verbrecher das Todesurtheil über alle (ſelbſt 
wenn ed nicht einen Mord, jondern ein anderes nur mit dem Tode zu tilgen= 
des Staatöverbredhen beträfe) ausgejprochen wird. — Gebet: daß, wie in 
der legten ſchottiſchen Rebellion, da verfchiedene Theilnehmer an derjelben 
(wie Balmerino und andere) durch ihre Empörung nichts als eine dem 
Haufe Stuart jhuldige Pflicht auszuüben glaubten, andere dagegen 
Privatabfihten hegten, von dem höchſten Gericht das Urtheil jo geſprochen 
worden wäre: ein jeder jolle die Freiheit der Wahl zwiſchen dem Tode und 
der Karrenftrafe haben; jo jage ich: der ehrlihe Mann wählt den Tod, ° 


334 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtölehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt. 


der Schelm aber die Karre; jo bringt es die Natur des meunſchlichen 
Gemüths mit fi. Denn der erftere fennt etwas, was er noch höher ſchätzt, 
als jelbit das Leben: nämlid) die Ehre; der andere hält ein mit Schande 
bedecktes Leben doc) immer nod) für befjer, als gar nicht zu fein (animam 
praeferre pudori. Iuven.). Der erftere ift nun ohne Widerrede weniger 
itrafbar als der andere, und fo werden fie durch den über alle gleid) ver- 
hängten Tod ganz proportionirlic) beftraft, jener gelinde nad) jeiner Em: 
pfindungsart und dieſer hart mach der jeinigen; da hingegen, wenn durd)- 
gängig auf die Karrenftrafe erfannt würde, der erjtere zu hart, der andere 
für feine Niederträchtigfeit gar zu gelinde beftraft wäre ; und jo ift auch hier 
im Ausſpruche über eine im Gomplot vereinigte Zahl von Verbredern 
der befte Ausgleicher vor der öffentlichen Gerechtigkeit der Tod. — liber- 
dem hat man nie gehört, daß ein wegen Mordes zum Tode Verurtheilter 
fid) beſchwert hätte, daß ihm damit zu viel und alfo unrecht gejchehe; 
jeder würde ihm ins Geſicht lahen, wenn er ſich dejjen äußerte. — Man 
müßte fonft annehmen, daß, wenn dem Verbreder gleich nad) dem Gejeß 
nicht unrecht geſchieht, doch die gejeßgebende Gewalt im Staat dieſe Art 
von Strafe zu verhängen nicht befugt und, wenn fie es thut, mit ſich jelbit 
im Widerſpruch jei. 

&o viel alfo der Mörder find, die den Mord verübt, oder auch be— 
fohlen, oder dazu mitgewirkt haben, fo viele müſſen audy den Tod leiden; 


jo will es die Gerechtigkeit als Idee der ridhterlihen Gewalt nad) allge" 


meinen, a priori begründeten Geſetzen. — Wenn aber dod) die Zahl der 
Complicen (correi) zu einer ſolchen That jo groß ift, daß der Staat, um 
feine ſolche Verbredyer zu haben, bald dahin kommen könnte, feine Unter: 
thanen mehr zu haben, und fid) doch nicht auflöfen, d. i. in den nod) viel 
ärgeren, aller äußeren Gerechtigkeit entbehrenden Naturzujtand übergehen 
(vornehmlich nicht durch das Spectafel einer Schladhtbanf das Gefühl des 
Volks abſtumpfen) will, jo muß es auch der Somverän in feiner Macht 
haben, in diefem Nothfall (casus necessitatis) jelbft den Richter zu machen 
(vorzuftellen) und ein Urtheil zu ſprechen, welches ftatt der Lebensſtrafe 
eine andere den Verbrechern zuerfennt, bei der die Volksmenge noch er— 
halten wird, dergleichen die Deportation ift: diejes jelbjt aber nicht als 
nad) einem öffentlichen Geſetz, ſondern durd) einen Machtſpruch, d. i. einen 


— 


Act des Majeſtätsrechts, der als Begnadigung nur immer in einzelnen = 


Fällen ausgeübt werden fann. 
Hiegegen hat nun der Marcheſe Beccaria aus theilnehmender Em— 


5 


[nn 
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[7 
- 


Das Staatsredht. 335 . 


pfindelei einer affectirten Humanität (compassibilitas) feine 

der Unrehtmäßigfeit aller Todesftrafe aufgeftellt: weil fie im um 
Iprünglichen bürgerlichen Vertrage nicht enthalten fein fönnte; denn da 
hätte jeder im Wolf einwilligen müfjen, fein Leben zu verlieren, wenn er 
etwa einen Anderen (im Volk) ermordete; diefe Einwilligung aber jei uns 
möglich, weil Niemand über fein Leben disponiren lönne. Alles Sophifte- 
rei und Rechtsverdrehung. 

Strafe erleidet jemand nicht, weil er fie, fondern weil er eine ſtraf— 
bare Handlung gewollt hat; denn es iſt feine Strafe, wenn einem ges 
ſchieht, was er will, und es ift unmöglich, geftraft werden zu wollen. — 
Sagen: ic) will gejtraft werden, wenn ich jemand ermorde, heift nichis 
mehr als: ich unterwerfe mic fammt allen Übrigen den Geſetzen, melde 
natürlicherweife, wenn es Verbrecher im Boll giebt, aud) Strafgefehe jeln 
werden. Ic ala Mitgejeßgeber, der das Strafgejeh bdietirt, Tann ums 
möglich diejelbe Perſon fein, die als Unterthan nad) dem Gefeh beftraft 
wird; denn als ein folder, nämlich als Verbrecher, kann id) unmöglich eine 
Stimme in der Gejeßgebung haben (der Gefeßgeber ift heilig). Wenn id) 
aljo ein Strafgejeß gegen mic als einen Verbrecher abfaffe, fo Ift es In 
mir die reine rechtlich-gejeßgebende Bernunft (homo noumenon), bie mid) 
als einen des Verbrechens Fähigen, folglich als eine andere Perſon (homo 
phaenomenon) jammt allen übrigen in einen Bürgerverein bem Gtraf- 
gejeße unterwirft. Mit andern Worten: nicht bas Wolf (jeder einzelne 
in demjelben), ſondern das Gericht (die öffentliche Gerechtigleit), mithin ein 
anderer als der Verbrecher dictirt bie Tobesftrafe, und im Socialcoutract 
iſt gar nicht das Verſprechen enthalten, fi firafen zu laffen und fo fiber 
fid) jelbft und fein Leben zu disponiren. Denn wenn ber Befugnih zu 
ftrafen ein Berjpredhen des Mifjethäterd zum Grunde liegen müßte, 
ſich ftrafen lafjen zu wollen, jo müßte es dieſem auch überlaffen werben, 
ſich ftraffälig zu finden, und ber Verbrecher würbe fein eigener Richter 
fein. — Der Hauptpunft bes Irrthums (mpwrrv Leubrz) Diefes Eophisms 
beiteht darin: daß man das eigene Urtheil bes Verhrechers (bas man 
feiner Bernunft aothwen dig zutrauen muß), des Lebens verluſtig wer⸗ 
den zu müſſen, für einen Beſchluß bes Willens auſicht, es ſich ſelbſt zu 
nehmen, und fo fi die Rechtsvollziehung — —— 
einer und berſelben Lerſon vereinigt vorfiellt. 

Es giebt inbefien zwei tobeswhrbige Verbrechen, in Aufehung berem, 
ob bie Geleggebung auf bie Befuguiß habe, fie mit der Tobesitrafe 














336 Metaphofifcie Anfangsgründe ber Rechtölehre. 2. Theil. 1. Abſchun. 


zu belegen, noch zweifelhaft bleibt. Zu beiden verleitet das Ehrgefühl. 
Das eine ift das der Geſchlechtsehre, das andere der Kriegsehre 
und zwar der wahren Ehre, welche jeder diefer zwei Menſchenclaſſen als 
Pflicht obliegt. Das eine Verbrechen ift der mütterlihe Kindesmord 
(infantieidium maternale); das andere der Kriegsgejellenmord (com- 
militonicidium), das Duell. — Da die Gejeßgebung die Schmad) einer 
unehelihen Geburt nicht wegnehmen und eben jo wenig den "led, weldyer 
aus dem Verdacht der Teigheit, der auf einen untergeordneten Kriegs- 
befehlshaber fällt, weldyer einer verächtlichen Begegnung nicht eine über 
die Todesfurdt erhobene eigene Gewalt entgegenfeßt, wegwiſchen fann: 
jo ſcheint es, daß Menſchen in diefen Fällen fid) im Naturzuftande befin- 
den und Tödtung (homicidium), die alsdann nit einmal Mord (homi- 
cidium dolosum) heißen müßte, in beiden zwar allerdings ftrafbar jei, 
von der oberiten Macht aber mit dem Tode nicht fünne beftraft werben. 
Das uneheliche auf die Welt gekommene Kind ift außer dem Geſetz (demn 
das heißt Ehe), mithin auch außer dem Schuß deſſelben geboren. Es ift 
in das gemeine Wejen gleichjam eingeſchlichen (wie verbotene Waare), jo 
daß diefes feine Exiſtenz (weil es billig auf diefe Art nicht hätte eriftiren 
follen), mithin aud) feine Vernichtung ignoriren kann, und die Schande 
der Mutter, wenn ihre uneheliche Niederfunft befannt wird, faun feine 
Verordnung heben. — Der zum Unter-Befehlshaber eingejehte Krieges— 
mann, dem ein Schimpf angethan wird, fieht fi eben jowohl durch die 
öffentliche Meinung der Mitgenofjen feines Standes genöthigt, fih Ge— 
nugthuung und, wie im Naturzuftande, Beitrafung des Beleidigers nicht 
durchs Geſetz, vor einem Gerichtshofe, jondern durdy das Duell, darin er 
fid) jelbft der Lebensgefahr ausſetzt, zu verichaffen, um feinen Kriegamuth 
zu beweijen, als worauf die Ehre feines Standes weſentlich beruht, jollte 
e3 auch mit der Tödtung feines Gegners verbunden jein, die in diefem 
Kampfe, der öffentlich und mit beiderfeitiger Einwilligung, doch aud) un— 
gern geſchieht, eigentlih niht Mord (homicidium dolosum) genannt 
werden kann. — — Was ift num in beiden (zur Criminalgerechtigkeit ges 
hörigen) Fällen Rechtens? — Hier fommt die Strafgeredhtigfeit gar jehr 
ins Gedränge: entweder den Ehrbegriff (der hier fein Wahn ift) durchs 
Geſetz für nichtig zu erflären und jo mit dem Tode zu ftrafen, oder von 
dem Verbrechen die angemefjene Todesftrafe weggunehmen, und jo ent- : 
weder graufam oder nadyfichtig zu fein. Die Auflöfung diejes Knotens 
ift: daß der kategoriſche Imperativ der Strafgeredhtigfeit (die gefehwidrige 


Das Staatsrecht. 337 


Tödtung eines Anderen müfje mit dem Tode bejtraft werden) bleibt, die 
Gejebgebung felber aber (mithin aud) die bürgerliche Verfafjung), jo lange 
nod) al3 barbarifc und unausgebildet, daran Schuld ift, daß die Trieb- 
federn der Ehre im Volk (fubjectiv) nicht mit den Maßregeln zufammen 

s treffen wollen, die (objectiv) ihrer Abficht gemäß find, jo daß die öffent: 
lie, vom Staat ausgehende Gerechtigkeit in Anjehung der aus dem 
Volk eine Ungerechtigkeit wird. 


II. 


Das Begnadigungsredht (ius aggratiandi) für den Verbreder, 
ıo entweder der Milderung oder gänzlidhen Erlafjung der Strafe, ift wohl 
unter allen Rechten des Souveräns das jhlüpfrigite, um den Glanz feiner 
Hoheit zu beweifen und dadurch doch im hohen Grade unrecht zu thun. — 
In Anjehung der Verbrechen der Unterthanen gegen einander fteht es 
ſchlechterdings ihm nicht zu, es auszuüben; denn hier iſt Straflofigkeit 
ı5 (impunitas eriminis) das größte Unrecht gegen die letztern. Alfo nur bei 
einer Läſion, die ihm felbjt widerfährt, (erimen laesae maiestatis) 
fann er davon Gebraudy machen. Aber aud) da nicht einmal, wenn durch 
Ungeftraftheit dem Wolf felbit in Anſehung feiner Sicherheit Gefahr er: 
wachſen könnte. — Diejes Net ift das einzige, was den Namen des 

>» Majeſtätsrechts verdient. 


Bon dem rechtlichen Berhältnijje des Bürgers zum Bater- 
lande und zum Auslande. 
$ 50. 

Das Land (territorium), defjen Einſaſſen ſchon durch die Gonftitu- 

>: tion, d. i. ohne einen befonderen rechtlichen Act ausüben zu dürfen (mits 
hin durd die Geburt), Mitbürger eines und defjelben gemeinen Weſens 
find, heißt das Baterland; das, worin fie es ohne diefe Bedingung nicht 
find, das Ausland, und diefes, wenn es einen Theil der Landesherrſchaft 
überhaupt ausmadjt, heißt die Provinz (in der Bedeutung, wie die 

so Nömer diejes Wort brauchten), welche, weil fie doch feinen coalifirten 
Theil des Reichs (imperii) als Sik von Mitbürgern, fondern nur eine 
Beſitzung defjelben als eines Unterhaujes ausmadt, den Boden des 


herrjchenden Staats als Mutterland (regio domina) verehren muß. 
Kant’d Shriften, Berk, VI. 2 





335 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2, Theil. 1. Abfchnitt. 


1) Der Unterthan (aud) als Bürger betradhtet) hat das Recht der 
Auswanderung; denn der Staat könnte ihn nicht als fein Eigenthum 
zurüdhalten. Doch fann er nur feine fahrende, nicht die liegende Habe 
mit herausnehmen, welches alsdann dod) gefhehen würde, wenn er feinen 
bisher bejefjenen Boden zu verkaufen und das Geld dafür mit ſich zu 
nehmen befugt wäre. 

2) Der Landesherr hat das Recht der Begünftigung der Ein- 
mwanderung und Anfiedelung Fremder (Coloniften), obgleich jeine Lan— 
desfinder dazu jcheel jehen möchten; wenn ihnen nur nit das Privat- 
eigenthum derjelben am Boden gekürzt wird. 

3) Ebenderjelbe hat auch im Falle eines Verbrechens des Unterthans, 
welches alle Gemeinſchaft der Mitbürger mit ihm für den Staat verderb- 
lid) macht, das Net der Verbannung in eine Provinz im Auslande, 
wo er feiner Nechte eines Bürgers theilhaftig wird, d. i. zur Depor- 
tation. 

4) Aud) das der Zandesvermweifung überhaupt (ius exilii), ihn 
in die weite Welt, d.i. ins Ausland überhaupt (in der altdeutihen Sprache 
Elend genannt), zu ſchicken; welches, weil der Landesherr ihm num allen 
Schuß entzieht, jo viel bedeutet, als ihn innerhalb feinen Grenzen vogel- 
frei zu machen. 


$ 51. 


Die drei Gewalten im Staat, die aus dem Begriff eines gemeinen 
Weſens überhaupt (res publica latius dieta) hervorgehen, find nur fo 
viel Verhältniffe des vereinigten, a priori aus der Vernunft abſtammen— 
den Bolfswillens und eine reine Idee von einem Staatsoberhaupt, weldye 
objective praftiiche Realität hat. Diejes Oberhaupt (der Souverän) aber 
ift fo fern nur ein (das gefammte Volk vorjtellendes) Gedanfending, 
als es nod) an einer phyfiihen Perſon mangelt, weldye die höchſte Staats— 
gewalt vorftellt und diefer Idee Wirkſamkeit auf den Volkswillen ver: 
ihafft. Das Verhältniß der erjteren zum leßteren ift num auf dreierlei 
verfchiedene Art denkbar: entweder daß Einer im Staate über alle, oder 
dab Einige, die einander gleid) find, vereinigt, über alle andere, oder 
dab Alle zufammen über einen jeden, mithin auch über ſich ſelbſt ge- 
bieten, d. i. die Staatsform ift entweder autokratiſch, oder arijto- 
fratifcd), oderdemofratifch. (Der Ausdrud monarchiſch ftatt auto» 
fratiich ijt nicht dem Begriffe, den man bier will, angemefjen; denn 


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3 


Das Gtaatäredht. 339 


Monard) ift der, weldher die höchſte, Autofrator aber oder Selbit- 
herrſcher der, weldher alle Gewalt hat; diefer ift der Souverän, jener 
repräfentirt ihn bloß). — Man wird leicht gewahr, daß die autofratijche 
Staatsform die einfachſte jei, nämlid von Einem (dem Könige) zum 
Volke, mithin wo nur Einer der Geſetzgeber ift. Die ariftofratiiche ift 
ſchon aus zwei Berhältnijfen zufammengejett: nämlid dem der Bor: 
nehmen (als Gejeßgeber) zu einander, um den Souverän zu machen, und 
dann das diejes Souveräns zum Volk; die demofratifche aber die aller- 
zufammengejeßtefte, nämlid; den Willen Aller zuerft zu vereinigen, um 
daraus ein Bolf, dann den der Staatsbürger, um ein gemeines Weſen zu 
bilden, und dann diefem gemeinen Wejen den Souverän, der diejer ver: 
einigte Wille ſelbſt ift, vorzujeßen.”) Was die Handhabung des Nedhts 
im Staat betrifft, jo ift freilich die einfachſte auch zugleich die beite, aber, 
was das Recht ſelbſt anlangt, die gefährlidhite fürs Volk in Betracht des 


Despotismus, zu dem fie jo jehr einladet. Das Simplificiren ift zwar im 


Maſchinenwerk der Bereinigung des Bolfs durch Zwangsgejeße die ver- 
nünftige Marime: wenn nämlich alle im Bolf paffiv find und Einem, der 
über fie ift, gehorchen; aber das giebt feine Unterthanen als Staats- 
bürger. Was die Vertröftung, womit ſich das Volk befriedigen joll, be— 
trifft, daß nämlidy die Monardyie (eigentlid hier Autofratie) die befte 
Staatsverfafjung jei, wenn der Monard gut ijt (d. i. nicht bloß den 
Willen, jondern aud) die Einfiht dazu hat): gehört zu den tautologijchen 
MWeisheitsiprüchen und jagt nidyts mehr als: die befte Verfafjung ijt die, 
durd welche der Staatöverwalter zum beiten Regenten BER wird, 
d. i. diejenige, weldye die beite iſt. 


$ 52. 


Der Gefhichtsurfunde diefes Mehanismus nachzuſpüren, iſt 
vergeblid), d. i. man fann zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen 
Geſellſchaft nicht herauslangen (denn die Wilden errichten Fein Inſtru— 
ment ihrer Unterwerfung unter das Geſetz, und es iſt auch jhon aus der 
Natur roher Menjchen abzunehmen, daß jie es mit der Gewalt angefangen 
haben werden). Dieje Nachforſchung aber in der Abſicht anzuftellen, um 


*) Bon ber Berfälichung diefer Formen durch ſich einbringende unbefugte Macht» 
baber (ber Dligardie und Ochlofratie), inngleichen ben fogenannten gemiſch— 
ten Staatsverfaffungen erwähne ich hier nichts, weil e8 zu weit führen würde. 

22* 


340 Metaphufiiche Anfangsgründe der Nechtslehre. 2. Theil. 1. Abſchnitt. 


allenfalls die jetzt beftehende Verfafjung mit Gewalt abzuändern, ift fträf: 
lid. Denn diefe Umänderung müßte durchs Wolf, weldes fid dazu 
rottirte, alfo nicht durd die Gejebgebung, geſchehen; Meuterei aber in 
einer ſchon beftehenden Verfaflung ift ein Umſturz aller bürgerlich-recht- 
lichen Verhältnifje, mithin alles Rechts, d. i. nicht Veränderung der 
bürgerlichen VBerfafjung, fondern Auflöfung derfelben, und dann der Über— 
gang in die befere nicht Metamorphofe, jondern Balingenefie, welche einen 
neuen gejelichaftlichen Vertrag erfordert, auf den der vorige (nun aufge- 
hobene) feinen Einfluß hat. — Es muß aber dem Souverän dod) möglich) 
jein, die beftehende Staatsverfafjung zu ändern, wenn fie mit der Idee 
des urjprünglichen Vertrags nicht wohl vereinbar ift, und hiebei doch die— 
jenige Form beftehen zu lafjen, die dazu, da das Volk einen Staat aus» 
mache, wejentlid; gehört. Dieſe Veränderung fann nun nicht darin be- 
ftehen, daß der Staat fid) von einer dieſer drei Formen zu einer der beiden 
anderen jelbjt conftituirt, z. B. daß die Ariftofraten einig werden, ſich 
einer Autofratie zu unterwerfen, oder in eine Demokratie verſchmelzen zu 
wollen, und jo umgekehrt; gleidy als ob es auf der freien Wahl und dem 
Belieben des Souveräns beruhe, welder Berfafjung er das Volk unter: 
werfen wolle. Denn jelbjt dann, wenn er fid) zu einer Demokratie umzu— 
ändern bejdhlöffe, würde er doch dem Volk unrecht thun fünnen, weil es 
jelbft dieſe Verfaffung verabſcheuen könnte und eine der zwei übrigen für 
ſich zuträglicher fände. 

Die Staatsformen find nur der Buchſtabe (littera) der urjprüngs 
lichen Sejeßgebung im bürgerliden Zuftande, und fie mögen aljo bleiben, 
jo lange fie, als zum Maſchinenweſen der Staatsverfafjung gehörend, durd) 
alte und lange Gewohnheit (alfo nur jubjectiv) für nothwendig gehalten 
werden. Aber der Geift jenes urſprünglichen Vertrages (anima pacti 
originarii) enthält die Verbindlichkeit der conjtituirenden Gewalt, die 
Regierungsart jener Idee angemefjen zu machen und jo fie, wenn es 
nit auf einmal geſchehen fann, allmählich und continuirlic dahin zu 
verändern, daß fie mit der einzig redytmäßigen Verfafjung, nämlid) der 
einer reinen Nepublif, ihrer Wirkung nad aufammenftimme, und jene 
alte empiriſche (ftatutarifche) Formen, welche bloß die Unterthänigfeit 
des Volks zu bewirken dienten, fi) in die urfprünglidhe (rationale) auf 
löſen, welche allein die Freiheit zum Princip, ja zur Bedingung alles 
Zwanges macht, der zu einer rechtlichen Verfaſſung im eigentlichen Sinne 
des Staats erforderlid) ift und dahin aud dem Buchjtaben nad) endlich 


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25 


Das Staatöredit, 341 


führen wird. — Dies ift die einzige bleibende Staatsverfafjung, wo das 
Geſetz jelbjtherrihend ift und an feiner befonderen Perſon hängt; der 
legte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zuftand, in weldyem allein jedem 
das Seine peremtorijch zugetheilt werden kann; indejjen daß, jo lange 
jene Staatsformen dem Buchſtaben nad) eben jo viel verfchiedene mit der 
oberjten Gewalt befleidete moraliſche Perſonen vorftellen jollen, nur ein 
proviforifches inneres Recht und Fein abſolut-rechtlicher Zuſtand der 
bürgerlichen Geſellſchaft zugeſtanden werden kann. | 

Alle wahre Republik aber ift und kann nichts anders fein, als ein 
repräjentatives Syitem des Volks, um im Namen defjelben, durd) 
alle Staatöbürger vereinigt, vermittelft ihrer Abgeordneten (Deputirten) 
ihre Rechte zu beiorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt der Perſon 
nad) (es mag fein König, Adeljtand, oder die ganze Bolfszahl, der demo: 
kratiſche Verein) ſich auch repräfentiren läßt, jo repräfentirt das ver- 
einigte Volk nicht bloß den Souverän, jondern es ift diejer jelbit; denn 
in ihm (dem Volk) befindet fi urjprünglich die oberfte Gewalt, von der 
alle Rechte der Einzelnen, als bloßer Unterthanen (allenfalls als Staats- 
beamten), abgeleitet werden müſſen, und die nunmehr errichtete Nepublif 
hat num nicht mehr nöthig, die Zügel der Negierung aus den Händen zu 
lafjen und fie denen wieder zu übergeben, die fie vorher geführt hatten, 
und die num alle neue Anordnungen durch abjolute Willkür wieder ver: 
nichten fönnten. 


Es war aljo ein großer Fehltritt der Urtheilstraft eines mäd)- 
tigen Beherrſchers zu unferer Zeit, fi aus der Verlegenheit wegen 
großer Staatsfhulden dadurd helfen zu wollen, da er es dem Volt 
übertrug, diefe Laſt nad) defjen eigenem Gutbefinden jelbit zu über: 
nehmen und zu vertheilen; da es denn natürlicherweife nicht allein 
die nejeßgebende Gewalt in Anjehung der Befteurung der Unter: 
thanen, ſondern aud) in Anfehung der Regierung in die Hände be— 
fam: nämlich zu verhindern, daß dieje nicht durch Verſchwendung 
oder Krieg neue Schulden machte, mithin die Herridyergewalt des 
Monardien gänzlich verſchwand (nicht bloß juspendirt wurde) und 
aufs Volk überging, defjen nefebgebenden Willen nıın das Mein und 

- Dein jedes Unterthans unterworfen wurde. Man kann auch nicht 
jagen: daß dabei ein jtillihweigendes, aber dod) vertragsmäßiges 
Berjprehen der Nationalverfammlung, ſich nicht eben zur Sonverä= 


2 PDenpiitite Ihfinngäpriue der 2. Eiell. 1 Mikipuiti. 


at zu Aufttutaen, Inubern ur Disier Apr Berlpafie zu abemiuittriren, 
na versißuriem Behkhätie aber die Zug dei Bepimenti dem Br 
merken micherum is \eime ide zu überietenn, angenmemen meı= 
Deu whie ; Damm ein Iskiger Bertrag m um if, Ya mul und mfg, 


Tas ot ber oberen Seiepgrbung im gemeimen Bein 6 kein : 


vernuberliches, Toubern bes aleryeriüuiihie Reit Ber es bat, 
fan nur buch ben Grlamzutwillen des Bılis über bes Bell, aber 
nidt über ben Sciammswillen jelbit, ber ber Ilrgrmat aler ipeat- 


nit a6 geichgebender Madıt zujichen unb body das Beil nerbinben, 
welches na Dem Eatze⸗ iemanb kann zueicn Darren dienen, ein 
Wideriyrud if. 


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2 


[7] 


Des 
öffentliben Nedts 
Zweiter Abichnitt. 

Das Völkerrecht. 


8 58. 


Die Menſchen, welche ein Volk ausmachen, fünnen al3 Landesein— 
geborne nad) der Analogie der Erzeugung von einem gemeinfchaftlichen 
Elterftamm (congeniti) vorgeftellt werden, ob fie es gleich nicht find: 
dennoch aber in intellectueller und rechtlicher Bedeutung, als von einer 
gemeinſchaftlichen Mutter (der Republik) geboren, gleicyjam eine Familie 
(gens, natio) ausmadjen, deren Glieder (Staatsbürger) alle ebenbürtig 
find und mit denen, die neben ihnen im Naturzuftande leben möchten, als 
unedlen feine Vermiſchung eingehen, obgleich dieje (die Wilden) ihrer: 
ſeits fid) wiederum wegen der gejeßlojen Freiheit, die fie gewählt haben, 
vornehmer dünfen, die gleichfalls Völkerſchaften, aber nicht Staaten 
ausmahen. Das Recht der Staaten in Verhältniß zu einander [welches 
nicht ganz richtig im Deutſchen das Völferredht genannt wird, jondern 
vielmehr das Staatenreht (ius publicum eivitatum) heißen jollte] ift 
nun dasjenige, was wir unter dem Namen des Völkerrechts zu betrachten 
haben: wo ein Staat, als eine moralifche Perjon, gegen einen anderen im 
BZuftande der natürlidyen Freiheit, folglich auch dem des beftändigen 
Krieges betradjtet, theils das Recht zum Kriege, theils das im Kriege, 
theils das, einander zu nöthigen, aus diejem Kriegszuftande heraus: 
zugehen, mithin eine den beharrlihen Frieden gründende Verfafjung, 
d.i. das Recht nad; dem Kriege, zur Aufgabe madt, und führt nur 
das Unterjcheidende von dem des Naturzujtandes einzelner Menjchen 
oder Familien (im Verhältniß gegen einander) von dem der Völker bei 
fi, dab im Völkerrecht nicht bloß ein Verhältniß eines Staats gegen 
den anderen im Ganzen, jondern auch einzelner Berjonen des einen gegen 





344 Metaphufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Theil. 2. Abſchnitt. 


einzelne des anderen, imgleiden gegen den ganzen anderen Staat jelbjt 
in Betrachtung fommt; welder Unterſchied aber vom Recht Einzelner im 
bloßen Naturzuftande nur folder Beftimmungen bedarf, die fi) aus dem 
Begriffe des letzteren leicht folgern laffen. 


$ 54. 

Die Elemente des Völkerrechts find: 1) daß Staaten, im äußeren 
Berhältnig gegen einander betrachtet, (wie geſetzloſe Wilde) von Natur in 
einem nicht⸗rechtlichen Zuftande find; 2) daß diefer Zuftand ein Zuftand 
des Krieges (des Rechts des Stärferen), wenn gleich nicht wirflicher Krieg 
und immermwährende wirkliche Befehdung (Hoftilität) ift, welde (indem 
fie e3 beide nicht bejjer haben wollen), obzwar dadurd; feinem von dem 
Anderen unrecht geichieht, doch am ſich ſelbſt im höchſten Grade unrecht 
ift, und aus welhem die Staaten, welde einander benachbart find, aus- 
zugehen verbunden find; 3) daß ein Völferbund nad der Idee eines ur- 
jprünglichen gejellihaftlihen Vertrages nothwendig ift, fih zwar ein- 
ander nicht in die einheimische Mißhelligfeiten derfelben zu mijdyen, aber 
doch gegen Angriffe der äußeren zu ſchützen; 4) daß die Verbindung doc) 
feine fouveräne Gewalt (wie in einer bürgerlihen Berfafjung), jondern 
nur eine Genoſſenſchaft (Föderalität) enthalten müſſe; eine VBerbün- 
dung, die zu aller Zeit aufgefündigt werben kann, mithin von Zeit zu Zeit 
erneuert werden muß, — ein Redjt in subsidium eines anderen und ur: 
fprüngliden Redts, den Verfall in den Zuftand des wirklichen Krieges 
berjelben untereinander von ſich abzumehren (foedus Amphictyonum), 


8 55. 

Bei jenem urjprünglihen Rechte zum Kriege freier Staaten gegen 
einander im Naturzuftande (um etwa einen dem rechtlichen fih an- 
nähernden Zuftand zu ftiften) erhebt ſich zuerft die Frage: welches Recht 
bat der Staat gegen feine eigene Unterthanen fie zum Kriege gegen 
andere Staaten zu brauchen, ihre Güter, ja ihr Leben dabei aufzumenden, 
oder aufs Spiel zu jeßen: jo daß es nicht von diejer ihrem eigenen Urtheil 
abhängt, ob fie in den Krieg ziehen wollen oder nicht, jondern der Ober— 
befehl des Souveräng fie hineinſchicken darf? 

Dieſes Recht jcheint ſich leicht darthun zu laſſen; nämlich aus dem 
Rechte mit dem Seinen (Eigenthum) zu ihun, was man will. Was jemand 


— 
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ii 
= 


— 
—— 


Das Voͤllerrecht. 345 


aber der Subſtanz nad) ſelbſt gemacht hat, davon hat er ein unbeſtrille— 
nes Eigenthum. — Hier ift alfo die Deduction, jo wie fie ein bloßer Jurift 
abfafjen würde. 

Es giebt manderlei Naturproducte in einem Lande, die doch, was 
die Menge berjelben von einer gewifjen Art betrifft, zugleich als Ge— 
mädhjel (artefacta) des Staats angefehen werden müſſen, weil das 
Land fie in folder Menge nicht liefern würde, wenn es nicht einen Staat 
und eine ordentliche machthabende Regierung gäbe, fondern die Bewohner 
im Stande der Natur wären. — Haushühner (die nützlichſte Art des Ge— 
flügels), Schafe, Schweine, das Rindergejhleht u. a. m. würden ent- 
weder aus Mangel an Futter, oder der Naubthiere wegen in dem Lande, 
wo id) lebe, entweder gar nicht, oder höchft ſparſam anzutreffen fein, wenn 
es darin nicht eine Negierung gäbe, welche den Einwohnern ihren Erwerb 
und Befiß fiherte. — Eben das gilt auch von der Menjchenzahl, die eben 
jo wie in den amerifanijhen Wüften, ja felbjt dann, wenn man dieſen 
ben größten Fleiß (den jene nicht haben) beilegte, nur gering fein kann. 
Die Einwohner würden nur jehr dünn gejäet fein, weil feiner derjelben 
fi mit fammt feinem Gefinde auf einem Boden weit verbreiten fönnte, 
der immer in Gefahr ift, von Menſchen oder wilden und Raubthieren 
verwüͤſtet zu werden; mithin fich für eine jo große Menge von Menſchen, 
als jebt auf einem Lande leben, fein hinlänglicdyer Unterhalt finden würde. 
— — So wie man nun von Gewächſen (3. B. den Kartoffeln) und von 
Hausthieren, weil fie, was die Menge betrifft, ein Machwerk der Menſchen 
find, jagen kann, dag man fie gebrauchen, verbrauden und verzehren 
(tödten lafjen) Fann: fo, jcheint es, könne man aud) von der oberften Ge— 
walt im Staat, dem Souverän, jagen, er habe das Recht, feine Unter: 
thanen, die dem größten Theil nad) fein eigenes Product find, in den Krieg 
wie auf eine Jagd und zu einer Feldſchlacht wie auf eine Luftpartie zu 
führen. 

Diejer Rechtsgrund aber (der vermuthlich den Monarchen auch dunkel 
vorſchweben mag) gilt zwar freilid in Anfehung der Thiere, die ein 
Eigenthum des Menſchen fein können, will fid) aber dod) ſchlechterdings 
nicht auf den Menſchen, vornehmlid als Staatsbürger, anwenden lafjen, 
der im Staat immer als mitgejeßgebendes Glied betrachtet werden muß 
(nicht bloß als Mittel, jondern auch zugleid; als Zweck an ſich felbit), 
und der alſo zum Kriegführen nicht allein überhaupt, fondern auch zu 
jeder befondern Kriegserflärung vermittelit feiner Repräfentanten feine 




















346 Metaphyfiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre. 2. Theil. 2. Ahfchnitt. 


freie Beiftimmung geben muß, unter weldyer ı 
allein der Staat über feinen gefahrvollen Dienft Versen 

Wir werden alfo wohl diejes Necht von der Pflicht des Somveräns 
gegen das Volk (nicht umgekehrt) abzuleiten haben; wobei diejes dafür 
angejehen werden muß, daß es feine Stimme dazu gegeben habe, in > 
welcher Qualität es, obzwar paſſiv (mit ſich machen läßt), doch auch jelbjt- 
thätig ift und den Souverän ſelbſt vorftellt. 


$ 56. 
Am natürlichen Zuftande der Staaten ift das Recht zum Kriege 

(zu Hoftilitäten) die erlaubte Art, wodurd) ein Staat fein Recht gegen 10 
einen anderen Staat verfolgt, nämlich, wenn er von diefem ſich lädirt 
glaubt, durch eigene ®ewalt: weil es durch einen Proceß (als durch den 

allein die Zwiftigfeiten im ——— 





(der erſten Aggreſſi 
ift es die Bedrohung. Hiezu gehört entweder eine zuerſi | 
Zuräftung, worauf id das Recht des Zuvorfommens (ius praeven- 


tionis) gründet, Er ee ir 
(potentia tremenda) eines anderen Staats. Dieie 
bloß durd dem Zuftand vor aller » 
diejer Angriff 










anmahiende Macht 
ift eine Zäfion des Mindermächtigen 
That des Übermägtigen, und im Naturzuftande ift 

Hierauf grümdet fi aljo das Recht des Gleich⸗ 
gemichts aller einander thätig Stauten. 
Bas die en en Verlegung betrifft, die ein Recht zum Kriege 


giebt, jo gebört dazu Die ‚ für die Belei- 
digumg dos einen Dulis darch das Volt des anderen Staats, die Bieder- 
























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Das Völkerrecht. 347 


$ 57. 


Das Recht im Kriege ijt gerade das im Völlerrecht, wobei die meifte 
Schwierigkeit iſt, um ſich aud) nur einen Begriff davon zu machen und 
ein Geſetz in diejem geſetzloſen Zuftande zu denken (inter arma silent 
leges), ohne fid) jelbjt zu widerjprechen; e8 müßte denn dasjenige jein: 
den Krieg nad) jolden Grundſätzen zu führen, nad) welden es immer 
noch möglich bleibt, aus jenem Naturzuftande der Staaten (im äußeren 
Verhältnig gegen einander) herauszugeben und in einen rechtlichen 
zu treten. 

Kein Krieg unabhängiger Staaten gegen einander fann ein Straf: 
krieg (bellum punitivum) fein. Denn Strafe findet nur im Verhältnifje 
eines Dbern (imperantis) gegen den Unterworfenen (subditum) ftatt, 
welches Verhältnig nicht das der Staaten gegen einander ift. — Aber 
aud) weder ein Ausrottungs= (bellum interneeinum) nod Unter: 
johungsfrieg (bellum subiugatorium), der eine moralijche Vertilgung 
eines Staats (defjen Volk nun mit dem des Uberwinders entweder in eine 
Mafje verfchmelzt, oder in Knechtichaft verfällt) jein würde. Nicht als ob 
diejes Nothmittel des Staats zum Friedenszuftande zu gelangen an ſich 
dem Rechte eines Staats widerjpräche, fondern weil die Idee des Völker: 
rechts bloß den Begriff eines Antagonismus nad) Principien der äußeren 
Freiheit bei fi führt, um fid) bei dem Seinen zu erhalten, aber nicht 
eine Art zu erwerben, als welche durd) Vergrößerung der Macht des einen 
Staats für den anderen bedrohend jein fann. 

Bertheidigungsmittel aller Art find dem befriegten Staat erlaubt, 
nur nicht joldhe, deren Gebrauch die Unterthanen dejjelben, Staatsbürger 
zu fein, unfähig madyen würde; denn alsdann machte er ſich ſelbſt zugleich 
unfähig im Staatenverhältnifje nad) dem Völkerrecht für eine Perjon zu 
gelten (die gleicher Rechte mit andern theilhaftig wäre). Darunter gehört: 
feine eigne Unterthanen zu Spionen, dieje, ja auch Auswärtige zu Meuchel— 
mördern, Giftmifchern (in welche Claſſe aud) wohl die fo genannten Scharf: 
Ihüßen, welche Einzelen im Hinterhalte auflauern, gehören möchten), oder 
aud nur zur Verbreitung falfcher Nachrichten zu gebrauden; mit einem 
Wort, fidy folder heimtüdischen Mittel zu bedienen, die das Vertrauen, 
welches zur künftigen Gründung eines dauerhaften Friedens erforderlid) 
ift, vernichten würden. 

Im Kriege ift es erlaubt, dem überwältigten Feinde Lieferungen 














348 Metaphufiiche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2, Theil 2. Wbicmitt. 

und Gontribution aufzulegen, aber nit das Volk zu plündern, d. i. ein- 
zelnen Perfonen das Ihrige abzugwingen (denn das wäre Raub: weil 
nicht das überwundene Volk, fondern der Staat, unter deſſen Herridaft 
es war, durch daſſelbe Krieg führte): ſondern durch Ausjhreibungen 
gegen ausgeftellte Scheine, um bei nahfolgendem Frieden die dem Lande 
oder ber Provinz aufgelegte Zaft proportionirlich zu vertheilen. 











& 58. 

Das Reht nad; dem Kriege, di. im Zeitpunfte des teren 
vertrags umd in Hinfiht auf die Folgen deſſelben, bejteht darin: der 
Sieger macht die Bedingungen, über die mit dem Befiegten übereinzu- 1 
kommen und zum Friedensihluß zu gelangen Tractaten gepflogen 
werden, und zwar nicht gemäß irgend einem vorzujhüßenden Recht, was 
ihm wegen der vorgebliden Läſion feines Gegners zuftehe, jondern, in: 
dem er dieje Frage auf fid) beruhen läßt, ſich ftügend auf jeine Gewalt. 
Daher kann der überwinder nicht auf Erftattung der Kriegsfoften an- ıs 
tragen, weil er den Krieg jeines Gegners alsdann für ungerecht ausgeben 
müßte: jondern ob er fi) gleic) diefes Argument denfen mag, jo darf er 
es doch nicht anführen, weil er ihn jonft für einen Beftrafungsfrieg er: 
Hären und jo wiederum eine Beleidigung ausüben würde. Hiezu gehört 
and) die (auf feinen Loskauf zu ftellende) Auswechjelung der Gefangenen, = 
ohme auf Gleichheit der Zahl zu jehen. 

Der überwundene Staat, oder defjen linterthanen verlieren durch 
die Eroberung des Landes nicht ihre ftaatsbürgerliche Freibeit, jo daß 
jener zur Golonie, dieje zu Zeibeigenen abgewürdigt würden; denn jonft 
wäre es ein Straffrieg gewejen, der an ſich jelbft widerjpredyend ift. — * 
Eine Eolonie oder Provinz ift ein Volk, das zwar feine eigene Ver: 
fafjung, Gejeßgebung, Boden hat, auf welchem die zu einem anderen 
Staat Gehörige nur Fremdlinge find, der dennoch über jenes die oberfte 
ausübende Gewalt hat. Der legtere heit der Mutterftaat. Der 
Tochterſtaat wird von jenem beherrſcht, aber doch von ſich jelbft (durch z⸗ 
fein eigenes Parlament, allenfalls unter dem Vorſitz eines Bicefönigs) 
regiert (eivitas bybrida). Dergleidyen war Athen in Beziehung auf ver: 
ſchiedene Inſeln und ift jegt Großbritannien in Anjehung Irlands. 

Nod) weniger kann Zeibeigenfhaft und ihre Rechtmäßigkeit von 

der Überwältigung eines Volks dur Krieg abgeleitet werden, weil man x 


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35 


Das Voͤllerrecht. 349 


biezu einen Straffrieg annehmen müßte. Am allerwenigjten eine erbliche 
Leibeigenſchaft, die überhaupt abfurd ift, weil die Schuld aus Jemandes 
Verbrechen nicht anerben kann. | 

Daß mit dem Friedensfhluffe auch die Amneftie verbunden ſei, 
liegt ſchon im Begriffe defjelben. 


$ 59. 


Das Recht des Friedens ift 1) das im Frieden zu fein, wenn in 
der Nachbarſchaft Krieg ift, oder das der Neutralität; 2) fi die Fort- 
dauer des geichlofjenen Friedens zufichern zu lafjen, d. i. das der Ga— 
rantie; 3) zu wechjeljeitiger Verbindung (Bundsgenofjenidhaft) 
mehrerer Staaten, ſich gegen alle äußere oder innere etwanige Angriffe 
gemeinjchaftlic zu vertheidigen; nicht ein Bund zum Angreifen und 
innerer Vergrößerung. 

$ 60. 

Das Recht eines Staats gegen einen ungeredhten Feind hat 
feine Grenzen (wohl zwar der Qualität, aber nicht der Quantität, d. i. dem 
Grade, nad): d. i. der beeinträdhtigte Staat darf ſich zwar nicht aller 
Mittel, aber doch der an ſich zuläjligen in dem Maße bedienen, um das 
Seine zu behaupten, als er dazu Kräfte hat. — Was ift aber num nad) 
Begriffen des Völferrehts, in welchem wie überhaupt im Naturzuftande 
ein jeder Staat in feiner eigenen Sache Richter ift, ein ungeredter 
Feind? Es ift derjenige, deſſen öffentlich (es fei wörtlich oder thätlich) 
geäußerter Wille eine Marime verräth, nad) welcher, wenn fie zur allge 
meinen Regel gemacht würde, fein Friedenszuftand unter Völkern möglich, 
fondern der Naturzuftand verewigt werden müßte. Dergleichen iſt die 
Verletzung öffentlicher Verträge, von weldher man vorausjeßen fann, daß 
fie die Sadye aller Völker betrifft, deren Freiheit dadurd) bedroht wird, 
und die dadurd) aufgefordert werden, fid) gegen einen ſolchen Unfug zu 
vereinigen und ihm die Macht dazu zu nehmen; — aber doch aud nicht, 
um jid in fein Land zu theilen, einen Staat gleichſam auf der Erde 
verſchwinden zu machen; denn das wäre Ungerechtigkeit gegen das Wolf, 
welches jein urjprüngliches Recht, fi in ein gemeines Weſen zu ver: 
binden, nicht verlieren kann, fondern e3 eine neue Verfafjung annehmen 
zu lafjen, die ihrer Natur nad) der Neigung zum Kriege ungünftig it. 

Übrigens ift der Ausdrud eines ungerechten Feindes im Natur— 
































—— 
Werfiuugpegriundter dr Mochtelefin. V Theil. 
























De der Nrturzattmd u 
er ir mußt as Sue Merigen i 


















Das Voͤlkerrecht. 351 


Unter einem Congreß wird hier aber nur eine willfürliche, zu aller 

Zeit auflösliche Zufammentretung verjchiedener Staaten, nicht eine 

ſolche Verbindung, welche (jo wie die der amerikanischen Staaten) auf 

einer Staatsverfafjung gegründet und daher unauflöslich ift, verjtanden; 

s — dur welchen allein die Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts 

der Völker, ihre Streitigkeiten auf civile Art, gleichſam durch einen Bro- 

ceß, nicht auf barbariſche (nad Art der Wilden), nämlich durch Krieg, zu 
entjcheiden, realifirt werden kann. 


Des 
öffentliden Rechts 
Dritter Abjchnitt. 

Das Weltbürgerredt. 


$ 62. 


Dieje Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freunds 
Ihaftliden, durchgängigen Gemeinſchaft aller Völker auf Erden, die unter- 
einander in wirkſame Verhältnifje fommen fönnen, ift nit etwa philan- 
thropiſch (ethiſch), fondern ein rehtliches Princip. Die Natur hat fie 
alle zufammen (vermöge der Kugelgeftalt ihres Aufenthalts, als globus 
terraqueus) in beftimmte Grenzen eingeſchloſſen; und da der Beſitz des 
Bodens, worauf der Erdbewohner leben fann, immer nur als Befit von 
einem Theil eines bejtimmten Ganzen, folglich als ein foldyer, auf den 
jeder derjelben urjprünglid) ein Recht hat, gedacht werden faun: fo ftehen 
alle Bölfer urfpriüinglich in einer Gemeinschaft des Bodens, nicht aber 
der rehtlihen Gemeinſchaft des Befißes (communio) und biemit des 
Gebrauchs, oder des Eigenthums an demſelben, jondern der phyfiichen 
möglihen Wechſelwirkung (commercium), d. i. in einem durchgängigen 
Derhältnifje eines zu allen Anderen, fi zum Verkehr untereinander 
anzubieten, und haben ein Recht, den Verſuch mit demjelben zu madjen, 
ohne daß der Auswärtige ihm darum als einem Feind zu begegnen be— 
rechtigt wäre. — Dieſes Recht, jo fern es auf die mögliche Vereinigung 
aller Völker in Abfiht auf gewiffe allgemeine Gefebe ihres möglichen 
Verkehrs geht, kann das weltbürgerliche (ius cosmopoliticum) genannt 
werden. 

Meere fünnen Völker aus aller Gemeinſchaft mit einander zu feßen 
ſcheinen, und dennod) find fie vermittelt der Schiffahrt gerade die glüd- 
lihften Naturanlagen zu ihrem Verkehr, welder, je mehr es einander 
nahe Küften giebt (wie die des mittelländifchen), nur deito lebhafter fein 


25 


Das Weltbürgerrecht. 353 


kann, deren Beſuchung gleihwohl, noch mehr aber die Niederlafjung auf 
denfelben, um fie mit dem Mutterlande zu verknüpfen, zugleich die Beran- 
lafjung dazu giebt, daß Ubel und Gewaltthätigkeit an einem Orte unferes 
Globs an allen gefühlt wird. Dieſer mögliche Mißbrauch fann aber das 
Recht des Erdbürgers nicht aufheben, die Gemeinichaft mit allen zu ver» 
ſuchen und zu diefem Zweck alle Gegenden der Erde zu befuden, wenn 
es gleich nicht ein Recht der Anjiedelung auf dem Boden eines anderen 
Volks (ius incolatus) ijt, als zu weldhem ein bejonderer Vertrag erfordert 
wird. 

Es frägt fi aber: ob ein Volk in neuentdedten Ländern eine An— 
wohnung (accolatus) und Belignehmung in der Nachbarſchaft eines 
Volks, das in einem ſolchen Landſtriche ſchon Pla genommen hat, auch 
ohne jeine Einwilligung unternehmen dürfe. — 

Wenn Anbauung in folder Entlegenheit vom Sit des erfteren ge- 
ſchieht, dab feines derfelben im Gebraud) feines Bodens dem anderen 
Eintrag thut, jo ijt das Recht dazu nicht zu bezweifeln; wenn es aber 
Hirten- oder Jagdvölker find (wie die Hottentotten, Tungufen und die 
meisten amerifanifchen Nationen), deren Unterhalt von großen öden Land— 
ſtrecken abhängt, jo würde dies nicht mit Gewalt, fondern nur durch Ver— 
trag, und ſelbſt diefer nicht mit Benußung der Unmifjenheit jener Ein- 
wohner in Anjehung der Abtretung folder Yändereien geſchehen fünnen; 
obzwar die Nechtfertigungsgründe jheinbar genug find, daß eine ſolche 
Gemwaltthätigfeit zum Weltbeften gereiche; theil$ durch Gultur roher 
Völker (wie der Vorwand, durch den ſelbſt Büjhing die blutige Ein- 
führung der riftliden Religion in Deutſchland entſchuldigen will), theils 
zur Reinigung feines eigenen Landes von verderbten Menſchen und ge 
hoffter Befjerung derjelben oder ihrer Nachkommenſchaft in einem ande: 
ren Welttheile (wie in Neuholland); denn alle diefe vermeintlicdy gute Ab» 
fihten fünnen dody den Fleden der Ungerechtigkeit in den dazu gebraud): 
ten Mitteln nicht abwaſchen. — Wendet man hiegegen ein: daß bei joldyer 
Bedenflichkeit, mit der Gewalt den Anfang zu Gründung eines geieh- 
lihen Zujtandes zu machen, vielleiht die ganze Erde noch in geſetzloſem 
Buftande fein würde: fo fann das eben jo wenig jene Rechtsbedingung 
aufheben, als der Borwand der Staatsrevolutionijten, daß es aud, wenn 
Derfaflungen verunartet find, dem Volk zuftehe, fie mit Gewalt umzu— 
formen und überhaupt einmal für allemal ungerecht zu fein, um nachher 


die Gerechtigkeit deito fiherer zu gründen und aufblühen zu machen. 
Kant's Schriften. Werke, VI. 23 











354 Metaphyfifche Anfangsgrände der Rechtölehre. 2. Theil. 3. Abſchnitt. 


Beſchluß. 

Wenn jemand nicht beweiſen kann, daß ein Ding iſt, jo mag er ver- 
ſuchen zu beweifen, daß es nicht ift. Will es ihm mit feinem von beiden 
gelingen (ein Fall, der oft eintritt), jo fann er noch fragen: ob es ihn 
interejjire, das Eine oder das Andere (durch eine Hypothefe) anzu⸗ 
nehmen, und dies zwar entweder in theoretiicher, oder in praftifcher 
Ruͤckſicht, d. i. entweder um ſich ea gen 
für den Aitronom das des Nüdganges und Stilljtandes der Planeten) 
zu erflären, oder um einen gewifjen Zwed zu erreichen, der nun wiederum 
entweder pragmatijch (blofer Kunftzwed) oder moraliſch, d. i. ein 
folder Zwedt jein kann, den fih zu ſehen die Marime jelbft Pflicht ift. 
== 08 derficht fi von feR: hab nid das Annehmen (snppositio) ber 









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Das Weltbürgerrecht. 355 


frommer Wunfd) bliebe, jo betrügen wir uns doch gewiß nicht mit der 
Annahme der Marime dahin unabläjfig zu wirken; denn dieſe ift Pflicht; 
das moralijdhe Geſetz aber in ung jelbjt für betrüglich anzunehmen, würde 
den Abſcheu erregenden Wunſch hervorbringen, lieber aller Vernunft zu 
entbehren und ſich feinen Grundſätzen nad) mit den übrigen Thierclafjen 
in einen gleichen Medhanism der Natur geworfen anzufehen. 

Man fann jagen, daß dieje allgemeine und fortdauernde Friedens- 
itiftung nicht bloß einen Theil, jondern den ganzen Endzweck der Rechts— 
lehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft ausmache; denn der 
Triedenszuftand ift allein der unter Geſetzen gefiherte Auftand bes 
Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menſchen, mithin 
die im einer Verfafjung zufammen find, deren Regel aber nicht von der 
Erfahrung derjenigen, die ſich bisher am beiten dabei befunden haben, 
als einer Norm für Andere, fondern die durd) die Vernunft a priori von 
dem deal einer rechtlichen Verbindung der Menſchen unter öffentlichen 
Gejeken überhaupt hergenommen werden muß, weil alle Beiipiele (als 
die nur erläutern, aber nichts beweijen fünnen) trüglich find, und jo aller: 
dings einer Metaphyfit bedürfen, deren Nothwendigkeit diejenigen, die 
dieſer fpotten, doch unvorfichtiger Weife jelbit zugejtehen, wenn fie 3. 8., 
wie fie es oft thun, jagen: „Die bejte Verfaſſung ift die, wo nicht die 
Menſchen, fondern die Geſetze machthabend find.“ Denn was fann mehr 
metaphyfiih jublimirt fein, als eben dieſe Fdee, welche gleihwohl nad) 
jener ihrer eigenen Behauptung die bewährtefte objective Realität hat, 
die fi) au in vorfommenden Fällen leicht darjtellen läßt, und welche 
allein, wenn jie nidyt revolutionsmäßig, durd einen Sprung, d. i. durd) 
gewaltiame Umftürzung einer bisher beftandenen fehlerhaften — (denn da 
würde ſich zwiſcheninne ein Augenblid der Vernichtung alles rechtlichen 
Buftandes ereignen), jondern durd; allmähliche Reform nad) feiten Grund— 
fägen verſucht und durchgeführt wird, in continuirlicyer Annäherung zum 


so höchſten politijhen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten fann. 


23* 

















Anhang 
erläuternder Bemerkungen 
zu ben 


metaphyfiihen Anfangsgründen der Rechtslehre. 





| | daß jene ? t 
für Die Wiffenfejaft Bleiben werben,* abgefaht, Id) — ber 
er ee 






Gleich, beim Anfange der Einleitung in die Rechtslehre ſtößt fich 
Recenfent an einer Definition. — Bas heißt Be- 


mein jharfprüfender 
en Sie it, ſagt der Tert, das Vermögen, durch jeine 
Vorſtellungen Urſache ber i | 












3 abitraht fee 
miſt aber aud) dem Idealiſten Etwas, obgleich dieſem 
At nichts ift." Antwort: Giebt es aber nicht aud) eine heftige 
—— Bewußtſein vergebliche Sehnſucht (3. B. wollte Gott, 20 
lebte noch!), die zwar thatleer, aber doch nicht folgeleer 
a ae ae aber doch im Innern des Subjects 
j wirft (krank mat). Eine Begierde als Bejtreben (nisus) 
ft feiner Borftellungen Urſache zu fein ift, wenn das Subject 
ie Unzulänglichteit ber lebteren zur beabfihtigten Wirkung einfieht, — 
r Gaufalität, wenigftens im Innern defjelben. — Was hier den 





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Anhang erläuternder Bemerkungen. 357 


Mißverſtand ausmadıt, ift: daß, da das Bemwußtfein feines Vermögens 
überhaupt (in dem genannten Falle) zugleid) das Bewußtjein feines Un— 
vermögens in Anfehung der Außenwelt ift, die Definition auf den Fdea- 
Liften nicht anwendbar ift; indefjen daß doch, da hier bloß von dem Ber- 
hältnifje einer Urſache (der Vorftellung) zur Wirkung (dem Gefühl) über: 
haupt die Rede ift, die Caufalität der Vorftellung (jene mag äußerlich 
oder innerlich fein) in Anjehung ihres Gegenftandes im Begriff des Be- 
gehrungsvermögens unvermeidlich gedacht werden muß. 


l. 


Logiſche Vorbereitung zu einem neuerdings gemagten 
Rechtsbegriffe. 


Wenn rechtskundige Philoſophen ſich bis zu den metaphyſiſchen An- 
fangsgründen der Rechtslehre erheben oder verſteigen wollen (ohne welche 
alle ihre Rechtswiſſenſchaft bloß ſtatutariſch ſein würde), ſo können ſie 
über die Sicherung der Vollſtändigkeit ihrer Eintheilung der Rechts— 
begriffe nicht gleichgültig wegſehen: weil jene Wiſſenſchaft ſonſt kein Ver— 
nunftſyſtem, ſondern bloß aufgerafftes Aggregat ſein würde. — Die 
Topik der Principien muß der Form des Syſtems halber vollſtändig ſein, 
d. i. es muß der Platz zu einem Begriff (locus communis) angezeigt 
werden, der nad) der ſynthetiſchen Form der Eintheilung für dieſen Begriff 
offen iſt; man mag naher aud) darthun, daß einer oder der andere Be— 
griff, der in diefen Plaß geſetzt würde, an fid) widerjpredyend jei und aus 
diefem Plage wegfalle. 

Die Rechtslehrer haben bisher nun zwei Gemeinpläße befebt: den 
des dinglichen und den des perjönlidhen Rechts. Es ift natürlich, 
zu fragen: ob auch, da nod) zwei Pläße aus der bloßen Form der Ver— 
bindung beider zu einem Begriffe, als Glieder der Eintheilung a priori, 
offen ftehen, nämlich) der eines auf perjönliche Art dinglichen, imgleichen 
der eines auf dingliche Art perfönlichen Rechts, ob nämlich ein folder neu— 
binzufommender Begriff auch ftatthaft fei und vor der Hand, obzwar nur 
problematifch, in der vollftändigen Tafel der Eintheilung angetroffen 
werden müfje. Das letere leidet feinen Zweifel. Denn die bloß logijche 
Eintheilung (die vom Inhalt der Erkenntniß — dem Object — abftrahirt) 
it immer Dichotomie, 3. B. ein jedes Recht ift entweder ein dingliches 
oder ein nicht-dingliches Recht. Diejenige aber, von der hier die Rede ift, 


358 Metaphufiide Anfangsgründe ber Rechtslehre. 


nämlich die metaphyfifche Eintheilung, fann auch Tetrachotomie fein: weil 
außer den zwei einfachen Gliedern der Eintheilung nody zwei Berhält- 
niſſe, nämlich die der das Recht einihränfenden Bedingungen, binzu- 
fommen, unter denen das eine Recht mit dem anderen in Verbindung 
tritt, deren Möglichkeit einer beionderen Unterjuhhung bedarf. — Der Bes 
ariff eines auf perſönliche Art dinglichen Rechts fällt ohne weitere 
Umftände weg; denn es läßt fidy fein Recht einer Sache gegen eine Ber- 
fon denfen. Nun fragt fi: ob die Umkehrung diejes Verhältnifjes auch 
eben jo undenfbar jei; oder ob diefer Begriff, nämlidy der eines auf ding— 
lihe Art perfünligen Rechts, nicht allein ohne inneren Widerſpruch, 
jondern felbit audy ein nothmwendiger (a priori in der Vernunft gegebener) 
zum Begriffe des äußeren Mein und Dein gehörender Begriff fei, Ber: 
fonen auf ähnliche Art als Sachen zwar nicht in allen Etüden zu be- 
handlen, aber fie doch zu befigen und in vielen Verhältnifſen mit ihnen 
als Sachen zu verfahren. 


2. 
Rechtfertigung des Begriffs von einem auf dinglidhe Art 
perſönlichen Recht. 


Die Definition des auf dingliche Art perſönlichen Rechts iſt nun kurz 
und gut dieſe: „Es iſt das Recht des Menſchen, eine Perſon außer ſich 
als das Seine*) zu haben." Ich ſage mit Fleiß: eine Perſon; denn 
einen anderen Menfchen, der durch Verbrechen feine Berjönlichfeit ein 
gebüßt hat (zum Leibeigenen geworden ift), fönnte man wohl als das 
Seine haben; von diefem Sachenrecht ift aber hier nicht die Rede. 

Ob nun jener Begriff „als neues Phänomen am juriftiihen Himmel“ 
eine Stella mirabilis (eine bis zum Stern erfter Größe wachſende, vorher 


*, Sch Sage bier auch nicht: eine Perfon als die meinige (mit bem Abjectiv), 
fondern: ald dag Meine (To meum, mit bem Subitantiv) zu haben. Denn ich fann 
fagen: dieſer iſt mein Vater, das bezeichnet nur mein phyliiches Verhältniß (der 
Verknüpfung) zu ihm überhaupt. 8. B.: ich habe einen Bater. Uber ich kann nicht 
jagen: ich habe ihn al8 da8 Meine. Sage ich aber: mein Weib, jo bedeutet dieſes 
ein befonderes, nämlich rechtliched, Verhältniß bes Beſitzers zu einem Gegenitaude 
(wenn es auch eine Berjon wäre), als Sache. Beſitz (phyſiſcher) aber ilt die Be- 
dingung !ber Möglichkeit ber Handhabung (manipulatio) eines Dinges als einer 
Sache; wenn biejes gleich in einer anderen Beziehung zugleich als Perſon behandelt 
werden muß. 


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Anhang erläuternder Bemerkungen. 359 


nie gejehene, allmählig aber wieder verihwindende, vielleicht einmal wie- 
derfehrende Erſcheinung), oder bloß eine Sternfhnuppe ſei, das foll 
jebt unterjucdht werden. 
3. 
Beijpiele. 

Etwas Äußeres als das Seine haben heißt es rechtlich befiken; Beſitz 
aber ift die Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs. Wenn dieſe Be- 
dingung bloß als die phyſiſche gedacht wird, fo heißt der Befiß Inhabung. 
— Rechtmäßige Inhabung reiht nun zwar allein nicht zu, um deshalb 
den Gegenitand für das Meine auszugeben, oder es dazu zu machen; 
wenn ich aber, es jei, aus welchem Grunde es wolle, befugt bin auf die 
Inhabung eines Gegenjtandes zu dringen, der meiner Gewalt entwijcht 
oder entriſſen ift, jo ift diefer Nechtsbegriff ein Zeichen (wie Wirkung von 
ihrer Urſache), daß ich mid) für befugt halte ihn als das Meine, mid) 
aber auch als im intelligibelen Befiß defjelben befindlich gegen ihn zu 
verhalten und dieſen Gegenftand jo zu gebrauchen. 

Das Seine bedeutet zwar hier nicht das des Eigenthums an der 
Perfon eines anderen (denn Eigenthümer fann ein Menjc nicht einmal 
von ſich jelbit, viel weniger von einer anderen Perjon fein), jondern nur 
das Seine des Nießbrauchs (ius utendi fruendi), unmittelbar von diefer 
Perſon gleidy als von einer Sache, dody ohne Abbruch an ihrer Perſön— 
lichkeit, als Mittel zu meinem Zweck Gebraud; zu machen. 

Diefer Zweck aber, als Bedingung der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs, 
muß moraliſch nothwendig fein. Der Mann kann weder das Weib be— 
gehren, um es gleich als Sache zu genießen, d. i. unmittelbare Ber- 
gnügen an der bloß thieriihen Gemeinſchaft mit demjelben zu empfinden, 
nod) das Weib fid) ihm dazu hingeben, ohne daß beide Theile ihre Per: 
jönlichkeit aufgeben (fleiſchliche oder viehijche Beimohnung), d. i. ohne 
unter der Bedingung der Ehe, welche, als wechſelſeitige Dahingebung 
feiner ‘Berjon jelbft in den Befiß der anderen, vorher geſchloſſen werden 
muß: um durch förperlihen Gebraud), den ein Theil vom anderen mad, 
ſich nicht zu entmenſchen. 

Ohne diefe Bedingung ift der fleifchliche Genuß dem Grundjaß (wenn 
gleich nicht immer der Wirkung nah) cannibalifd. Ob mit Maul 
und Zähnen, oder der weiblidhe Theil durch Schwängerung und daraus 


vielleicht erfolgende, für ihn tödtliche Niederkunft, der männliche aber durch 


360 Metapbufiihe Anfangsgründe ber Rechtslehre. 


von öfteren Anfprücden des Weibes an das Geichlechtsvermögen des 
Mannes herrührende Erjhöpfungen aufgezehrt wird, ift bloß in der 
Manier zu genießen unterfcyieden, und ein Theil ift in Anjehung des 
anderen bei diejem wechſelſeitigen Gebrauche der Geſchlechtsorganen wirk⸗ 
lid) eine verbraudbare Sadıe (res fungibilis), zu weldyer aljo fidy ver: 
mittelft eines Vertrags zu maden, e3 ein gejebwidriger Vertrag (pac- 
tum turpe) fein würde. 

Eben fo fann der Mann mit dem Weibe fein Kind, als ihr beider- 
feitige8 Machwerk (res artificialis), zeugen, ohne daß beide Theile ſich 
gegen diejes und gegen einander die Verbindlichkeit zuziehen es zu er- 
halten: welches doch auch die Erwerbung eines Menſchen gleich als einer 
Sade, aber nur der Form nad) (einem bloß auf dinglihe Art perfön- 
lihen Rechte angemeflen) ift. Die Eltern*) haben ein Recht gegen jeden 
Befiber des Kindes, das aus ihrer Gewalt gebracht worden, (ius in re) 
und zugleid ein Recht, e8 zu allen Leiftungen und aller Befolgung ihrer 
Befehle zu nöthigen, die einer möglichen gejeplichen Freiheit nicht zuwider 
find (ius ad rem): folglidy auch ein perſönliches Recht gegen dafielbe. 

Endlich, wenn bei eintretender Volljährigkeit die Pflicht der Eltern 
zur Erhaltung ihrer Kinder aufhört, fo haben jene nody das Recht, diefe 
als ihren Befehlen unterworfene Hausgenofien zu Erhaltung des Haus- 
weiens zu brauchen, bis zur Entlafjung derfelben; welches eine Pflicht der 
Eltern gegen dieje ift, die aus der natürlichen Beſchränkung des Rechts 
der eriteren folgt. Bis dahin find fie zwar Hausgenofjen und gehören 
zur Familie, aber von nun an gehören fie zur Dienerſchaft (famu- 
latus) in derjelben, die folglidy nidyt anders al8 durdy Vertrag zu dem 
Seinen des Hausherrn (als feine Domeftifen) hinzu kommen fünnen. — 
Eben fo fann aud) eine Dienerfhaft außer der Familie zu dem Seinen 
des Hausherren nach einem auf dingliche Art perſönlichen Rechte gemacht 
und als Befinde (famulatus domesticus) durdy Vertrag erworben werden. 
Ein folder Vertrag ift nicht der einer bloßen VBerdingung (locatio con- 
ductio operae), jondern der Hingebung jeiner Perfon in den Befiß des 
Hausherrn, VBermiethung (locatio conductio personae), weldhe darin 
von jener VBerdingung unterfcdieden ift, daß das Sefinde fi zu allem 
Erlaubten verfteht, was das Wohl des Hauswejens betrifft und ihm 

*) In deutfcher Schreibart werden unter dem Wort Altern Seniores, unter ben 


Eltern aber Parentes verftanden; welches im Spradjlaut nicht zu unterfcheiben, dem 
Sinne nad) aber ſehr unterfchieden ift. 


(u 


0 


⸗ 


5 


1 


= 


Anhang erläuternder Bemerkungen. 361 


nicht als beftellte und ſpecifiſch beſtimmte Arbeit aufgetragen wird: an- 
ftatt daß der zur beftimmten Arbeit Gedungene (Handwerker oder Tage: 
löhner) fid) nicht zu dem Seinen des Anderen hingiebt und jo aud) fein 
Hausgenofje ift. — Des lebteren, weil er nicht im rechtlichen Befib des 
Anderen ift, der ihn zu gewifjen Leiftungen verpflichtet, fann der Haus: 
herr, wenn jener auch jein häuslidyer Einwohner (inquilinus) wäre, ſich 
nicht (via facti) als einer Sahe bemädtigen, jondern muß nad) dem 
perſönlichen Recht auf die Leiſtung des Verſprochenen dringen, welche ihm 
durch Rechtsmittel (via iuris) zu Gebote ftehen. — — So viel zur Er- 
läuterung und Vertheidigung eines befremdlichen, neu hinzukommenden 
Rechtstitels in der natürlichen Gejeßlehre, der doch ſtillſchweigend immer 
im Gebrauch gewejen ift. 
4. 


Über die Verwechſelung des dinglihen mit dem 
perſönlichen Redte. 


Ferner iſt mir als Heterodorie im natürlidien Privatredite auch der 


Sab: Kauf bricht Miethe (Rechtslehre $ 31. ©. 129)') zur Rüge 


% 


s 


[1 


= 


aufgeitellt worden. 

Daß jemand die Miethe feines Haufes vor Ablauf der bedungenen 
Beit der Einwohnung dem Miether auffündigen und aljo gegen diejen, 
wie es jcheint, fein Verſprechen brechen könne, wenn er es nur zur ges 
wöhnlidhen Zeit des Verziehens in der dazu gewohnten bürgerlichgejeß- 
lihen Friſt thut, jcheint freilich beim erſten Anblid allen Rechten aus 
einem Bertrage zu mwiderjtreiten. — Wenn aber bewiejen werden fann, 
dab der Miether, da er feinen Miethscontract machte, wußte oder wiſſen 
mußte, daß das ihm gethane Verjprehen des Vermiethers als Eigen: 
thümers natürlicherweife (ohne daß es im Contract ausdrüdlid gejagt 
werden durfte), alfo jtilihweigend, an die Bedingung geknüpft war: wo— 
fern diejer fein Haus binnen diejer Zeit nicht verfaufen jollte 
(oder es bei einem etwa über ihn eintretenden Goncurs feinen Gläubigern 
überlajjen müßte): jo hat diefer jein ſchon an fid der Vernunft nad) be- 
dingtes Verſprechen nicht gebroden, und der Miether ijt durd die ihm 
vor der Miethszeit geſchehene Auffündigung an feinem Rechte nicht ver: 
kürzt worden. 


!) Oben S. 290f, 


362 Metapbufiiche Anfangögründe der Rechtslehre. 


Denn das Recht des lekteren aus dem Miethöcontracte ift ein per— 
jönliches Recht auf das, was eine gewifje Perjon der anderen zu leijten 
hat (ius ad rem); nicht gegen jeden Befiger der Sache (ius in re), ein 
dinglidhes. 

Nun konnte der Miether fi wohl in feinem Miethscontracte 
fihern und fid ein dingliches Recht am Haufe verjhaffen: er durfte näm— 
lich diefen nur auf das Haus des Vermiethers, als am Grunde baftend, 
einihreiben (ingroffiren) lafjen: alsdann fonnte er durch feine Auf- 
fündigung des Eigenthimers, ſelbſt nicht durch deſſen Tod (den natür- 
lichen oder auch den bürgerlihen, den Banfrott) vor Ablauf der abge: 
machten Zeit aus der Miethe gejeßt werden. Wenn er es nicht that, weil 
er etwa frei jein wollte, anderweitig eine Miethe auf bejjere Bedingungen 
zu ſchließen, oder der Eigenthümer fein Haus nicht mit einem joldyen onus 
belegt wifjen wollte, fo ift daraus zu ſchließen: daß ein jeder von beiden 
in Anfehung der Zeit der Auffündigung (die bürgerlich beftimmte Frift 
zu derjelben ausgenommen) einen jtillichweigend-bedingten Contract ges 
madıt zu haben ſich bewußt war, ihn ihrer Convenienz nad) wieder auf: 
zulöfen. Die Beitätigung der Befugniß, durd den Kauf Miethe zu 
brechen, zeigt fid) auch an gewifjen rechtlichen Folgerungen aus einem 
folden nadten Miethscontracte; denn den Erben des Miethers, wenn 
diejer verjtorben ift, wird doch nicht die Verbindlichkeit zugemuthet, die 
Miethe fortzufegen: weil diefe nur die Verbindlichkeit gegen eine gewiſſe 
Perſon iſt, die mit diefer ihrem Tode aufhört (wobei doch die gejeßliche 
Zeit der Auffündigung immer mit in Anſchlag gebradt werden muß). 
Eben jo wenig fann aud) das Recht des Miethers, als eines joldyen, aud) 
auf feine Erben ohne einen befonderen Vertrag übergehen; jo wie er aud) 
beim eben beider Theile ohne ausdrüdliche Übereinkunft feinen After- 
miether zu jegen befugt ift. 

D. 
Zufaß zur Erörterung der Begriffe des Strafredt3. 

Die bloße Idee einer Staatsverfafjung unter Menſchen führt ſchon 
den Begriff einer Strafgerechtigfeit bei ſich, weldye der oberften Gewalt 
zufteht. Es fragt ſich nur, ob die Strafarten dem Gejeßgeber gleichgültig 
find, wenn fie nur als Mittel dazu taugen, das Verbreden (als Verlegung 
der Staatsfiherheit im Befik des Seinen eines jeden) zu entfernen, oder 
ob auch nody auf Adytung für die Menſchheit in der Perſon des Miſſe— 


— 


5 


20 


wu 


5 


Anhang erläuternder Bemerkungen. 363 


thäter3 (d. i. für die Gattung) Rüdfiht genommen werden müfje, und 
zwar aus bloßen Nechtsgründen, indem ich das ius talionis der Form nad) 
noch immer für die einzige a priori beftimmende (nicht aus der Erfahrung, 
welche Heilmittel zu diejer Abſicht die Fräftigiten wären, hergenommene) 
Idee als Princip des Strafredts halte.*) — Wie wird es aber mit den 
Strafen gehalten werden, die feine Erwiederung zulaſſen, weil dieſe 
entweder an ſich unmöglich, oder jelbft ein ftrafbares Verbrechen an der 
Menſchheit überhaupt fein würden, wie 4. B. das der Nothzüchtigung, 
imgleicyen das der Bäderajtie, oder Beitialität? Die beiden eriteren durd) 
ı Gaitration (entweder wie eines weißen oder Schwarzen VBerichnittenen im 
Serail), das leßtere durdy Ausſtoßung aus der bürgerlichen Gefellichaft 
auf immer, weil er id) jelbft der menſchlichen unwürdig gemadjt hat. — 
Per quod quis peccat, per idem punıtur et idem. — Die gedachten Ver: 
breden heißen darum unnatürlich, weil fie an der Menſchheit jelbit auss 
ıs geübt werden. — Willfürlid Strafen für fie zu verhängen ift dem Be— 
griff einer Straf-Gerechtigkeit buchſtäblich zuwider. Nur dann fann 
der Verbrecher nicht klagen, daß ihm unrecht geſchehe, wenn er jeine lIbel- 
that ſich jelbft über den Hals zieht, und ihm, wenn gleidy nicht dem Bud)- 
jtaben, doch dem Geifte des Strafgeſetzes gemäß das widerfährt, was er 
»» an anderen verbroden hat. 


[= 


6. 
Vom Redt der Erjikung. 


„Das Recht der Erſitzung (Usucapio) foll nah ©. 131Ff.') durds 
Naturrecht begründet werden. Denn nähme man nit an, daß durd) den 


9 *) Sn jeder Beitrafung liegt etwas das Ehrgefühl des Angeflagten (mit Recht) 
Krünfendes, weil fie einen bloßen einfeitigen Zwang enthält und jo an ihm die Würde 
eines Staatsbürgers, als eines ſolchen, in einem befonderen Fall wenigiteng fuipendirt 
it: ba er einer äußeren Pflicht unterworfen wird, der er jeinerieits feinen Wibderftand 
entgegen jegen darf. Der Bornehme und Reiche, ber auf den Beutel geflopft wird, 
fühlt mehr feine Erniedrigung fich unter ben Willen des geringeren Mannes beugen 
zu müſſen, als ben Geldverluſt. Die Strafgeredhtigfeit (iustitia punitiva), ba 
nämlich das Argument der Strafbarfeit moralijd) iit (quia peceatum est), muß 
hier von ber Strafflugbeit, ba ed bloß pragmatiid) ift (ne peecetur) und ſich 
auf Erfahrung von dem gründet, was am ftärfiten wirft, Verbrechen abzuhalten, 
35 unterjchieben werben und hat in der Topif der Rechtöbegriffe einen ganz anderen Ort, 


3 


= 


1) Oben 8. 291M. 

















ehrlichen Befig eine ideale Ermwerbung, wie fie bier genannt wird, ber 
| | peremtorifch 





Beiißer derſelben Sade mar und mit 
gehört hat.) — — Davon ift nun bier nicht di 
mid) aud als Eigenthümer behaupten fann, 
tendent als früherer wahrer Eigenthümer der 
Erkundung aber feiner Eriften; als Befigers und feines Befikftandes als 
Eigenthümers ſchlechterdings unmöglid war; welches legtere alsdann 
zutrifft, wenn diejer gar fein öffentlidy gültiges Zeichen jeines umunter- 
brodenen Befißes (es jei aus eigener Schuld oder auch ohne fie), z. B. 
durch Einihreibung in Matrifeln, oder unwideriprodene Stimmgebung u 
als Eigenthümer in bürgerlichen Verfammlungen, von fih gegeben hat. 
Denn die Frage ift hier: wer joll feine rechtmähige Erwerbung be 
weifen? Dem Befiger fann diefe Verbindlidfeit (onus probandi) nicht 
aufgebürdet werden; denn er ift, jo weit wie jeine conjtatirte Geſchichte 
reicht, im Befig derjelben. Der frühere angeblidye Eigenthümer der Sache 20 
ift durch eine Zwifchenzeit, innerhalb deren er feine bürgerlih gültige 
Beiden feines Eigenthums gab, von der Reihe der auf einander folgenden 
Befiper nad) Rechtsprincipien ganz abgeihnitten. Dieje Unterlafjung 
irgend eines öffentlichen Befigacts macht ihn zu einem unbetitelten Prä- 
tendenten. (Dagegen heißt es hier wie bei der Theologie: conservatio est » 
continua creatio.) Wenn ſich aud) ein bisher nidyt manifejtirter, ob» 
zwar hinten nad mit aufgefundenen Documenten verjehener Brätendent 
vorfände, jo würde dod) wiederum aud) bet diefem der Zweifel vormalten, 
ob nicht ein nod) älterer Prätendent dereinft auftreten und feine Anſprüche 
auf ben früheren Befit gründen könnte. — Auf die Länge der Zeit des 5 
Befipes fommt es hiebei gar nicht an, um die Sache endlich zu erfißen 
(acquirere per usucapionem). Denn es ift ungereimt, anzunehmen, daß 
ein Unrecht dadurd, dab es lange gewährt hat, nachgerade ein Recht 
werde. Der (nod) jo lange) Gebraud; ſetzt das Recht in der Sache vor- 





locus Iusti, nicht des condueibilis ober bes Buträglichen in gewiffer Abficht, noch 35 
aud) ben bes bloßen honesti, beffen Ort in Ethik ber aufgejucht werden muß. 


- 
>) 


Anhang erläuternder Bemerkungen. 365 


aus: weit gefehlt, daß diejes fi auf jenen gründen follte. Alſo ift die 
Erſitzung (usucapio) als Erwerbung durd) den langen Gebrauch einer 
Sache ein ſich jelbjt widerfpredhender Begriff. Die Verjährung der An- 
ſprüche als Erhaltungsart (conservatio possessionis meae per prae- 
scriptionem) iſt es nicht weniger: indefjen doch ein von dem vorigen unter: 
ſchiedener Begriff, was das Argument der Zueignung betrifft. Es ift 
nämlich ein negativer Grund, d. i. der gänzlihe Nihtgebraud; jeines 
Rechts, ſelbſt nicht einmal der, welcher nöthig ift, um fid) als Beſitzer zu 
manifeftiren, für eine Verzichtthuung auf diejelbe (derelictio), welche 
ein rechtlicher Act, d. i. Gebrauch feines Rechts gegen einen anderen, iſt, 
um durd Ausſchließung defjelben vom Anſpruche (per praescriptionem) 
das Dbject defjelben zu erwerben, welches einen Widerjprud) enthält. 

Ich erwerbe aljo ohne Beweisführung und ohne allen rechtlichen 
Act: ich brauche nicht zu beweijen, jondern durchs Geſetz (lege); und was 
dann? Die öffentliche Befreiung von Anſprüchen, d. i. die geſetzliche 
Sicherheit meines Beſitzes, dadurch daß idy nicht den Beweis führen 
darf und mid; auf einen ununterbrodenen Befit gründe. Daß aber alle 
Erwerbung im Naturftande bloß proviſoriſch ift, das hat feinen Einfluß 
auf die Frage von der Sicherheit des Beſitzes des Ermorbenen, welche 
vor jener vorhergehen muß. 


T, 
Bon der Beerbung. 


Was das Recht der Beerbung anlangt, fo hat den Herrn Necenjenten 
diejesmal fein Scharfblid, den Nerven des Beweijes meiner Behauptung 
zu treffen, verlafjen. — Ich jage ja nit S. 135"): daß ein jeder Menſch 
nothwendigermeife jede ihm angebotene Sadye, durd) deren Annehmung 
er nur gewinnen, nichts verlieren kann, annehme (denn joldye Sachen giebt 
es gar nicht), fondern daß ein jeder das Recht des Angebots in deme 
jelben Augenblid unvermeidlid) und ſtillſchweigend, dabei aber doch gültig 
immer wirflid annehme: wenn es nämlid die Natur der Sadıe jo mit fid) 
bringt, daß der Widerruf ſchlechterdings unmöglid) ift, nämlich im Augen 
blide feines Todes; denn da fann der Bromittent nicht widerrufen, und der 
Promifjar ift, ohne irgend einen rechtlichen Act begehen zu dürfen, in dem— 
jelben Augenblid Acceptant, nicht der verſprochenen Erbſchaft, jondern des 


) Oben $. 294. 




















nehmen oder ober antsniälagen im meiner freien Zahl gef wird, — 
iacene Penn ber Eigenthümer einer Sache mir etmas, ;. B. ein Möbel 
des Haufes, aus dem ich auszuziehen eben im Begriff bin, umjonft au- 








erflären, ich wolle, die Sache jolle mir —— angehören (meil dieſe 
Aunabme mir Berdriehlifeiten mit Anderen zuzichen dürfte), aber id) 
| | mwolen, auzjhliehliä die Wahl zu haben, ob fie mir ange- 
bören iolle oder nit; dean dieles Recht (dei Annehmens 











= 


— 
= 


7 
= 


2 


Anhang erläuternder Bemerkungen. 567 


8. 
Bon den Redten des Staats in Anjehung ewiger Stiftungen 
für feine Unterthanen. 


Stiftung (sanctio testamentaria beneficii perpetui) ift die frei- 
willige, durch den Staat bejtätigte, für gewifje auf einander folgende 
Glieder defjelben bis zu ihrem gänzlihen Aussterben errichtete wohlthätige 
Anftalt. — Sie heißt ewig, wenn die Verordnung zu Erhaltung derfelben 
mit der Eonititution des Staats jelbit vereinigt ift (denn der Staat muß 
für ewig angejehen werden); ihre Wohlthätigfeit aber ift entweder für das 
Volk überhaupt, oder für einen nad) gewiſſen befonderen Grundfäßen ver- 
einigten Theil defjelben, einen Stand, oder für eine Familie und die 
ewige Fortdauer ihrer Dejcendenten abgezwedt. Ein Beijpiel vom ersteren 
find die Hofpitäler, vom zweiten die Kirdhen, vom dritten die Orden 
(geiftliche und weltliche), vom vierten die Majorate. 

Bon diejen Corporationen und ihrem Rechte zu fuccediren jagt man 
nun, fie fönnen nicht aufgehoben werden: weil es durch Vermächtniß 
zum Eigenthum des eingejeßten Erben geworden ſei, und eine ſolche Ver: 
fafjung (corpus mysticum) aufzuheben jo viel heiße, als jemanden das 
Seine nehmen. 

A. 

Die wohlthätige Anftalt für Arme, Invalide und Kranke, welche auf 
dem Staatövermögen fundirt worden, (in Stiften und Hojpitälern) ift 
allerdings unablöslih. Wenn aber nicht der Buchſtabe, jondern der Sinn 
des Willens des Teftators den Vorzug haben foll, jo können fid) wohl 
Zeitumftände ereignen, welche die Aufhebung einer ſolchen Stiftung 
wenigſtens ihrer Form nad) anräthig machen. — So hat man gefunden: 
daß der Arme und Kranke (den vom Narrenhojpital ausgenommen) befjer 
und wohlfeiler verforgt werde, wenn ihm die Beihülfe in einer gewifjen 
(dem Bedürfnifje der Zeit proportionirten) Geldſumme, wofür er ſich, wo 
er will, bei feinen Verwandten oder ſonſt Bekannten, einmiethen fann, 
gereicht wird, als wenn — wie im Hofpital von Greenwich — prächtige 
und dennod die Freiheit jehr bejchränfende, mit einem koſtbaren Perſo— 
nale verjehene Anftalten dazu getroffen werden. — Da fann man num 


nidht jagen, der Staat nehme dem zum Genuß diejer Stiftung beredhtigten 


Volfe das Seine, jondern er befördert e8 vielmehr, indem er weiſere 
Mittel zur Erhaltung defjelben wählt. 





B 





Die Geitliäkeit, welche Ah Arch mit Fortphanzt, (bie deche 
Kipe) befikt mit Següntigung des Siam: Sünderrien und baren haftende 
Unterthoner, Me einem oeitlden Sacere Rirde penonm, enpebören, 
weißem tie Beiflihe Durh Termäheeih zu Heil ümer Serien ni ale ihr > 
Eipenthem bengegeben hohen, an! in bat der Kierps ale ein beinnberer 



















a Di nit Bandit dab Gar nilnan: ir ei Ba Ge ER 
gez ber razzikiber Wepaküit verjaas wird? 
_ Die Girage üft Bier: ob Die Liche dem Stoct aber ber Sinai ber 















Simnd uab ia jener Melt iR, unßlien, in — eier fi 
auf birjes beäehende Berfahung (erarchon- peäitca) zuprficht, Ah den 
Seiten barier Zeit onter ber Dberormalt der Seiimeien zmiermerien 
— Bis findet zur bie erfiere Beriaumg Reit. 
Meligisn (im ter Erihrimeng) eis Gizzir an bie Schungen ter = 
Rirde und Die Wat ber Erirher is Ararteraen einer ſrahen Ber 
feheng, oder anf, mexz bir ermardnih (pärelif) IR, Same vom frimer 
Hartähärperiihher Gemalt dem Uxlte meer eripetrongre nn ornse- 
nen werden nnd cut wer 2s mn) ir Senbirüzenser me der menden 
























ken, bar) mie gewiß Sänberricn beriefhen nad rem Iote cin Eiger- 


LZ 











- 
u 


= 


Anhang erläuternder Bemerfungen. 369 


thum der Kirche werden follen, und der Staat an diefem oder jenem 
Theil, oder gar ganz fid) der Kirche lehnspflidytig macht, um durd) Ge— 
bete, Abläfje und Büßungen, durd welche die dazu bejtellten Diener der- 
jelben (die Geiftlihen) das 2008 in der anderen Welt ihnen vortheilhaft 
zu machen verheißen: jo ift eine ſolche vermeintlich auf ewige Zeiten ge- 
machte Stiftung feineswegs auf ewig begründet, jondern der Staat kann 
dieſe Zaft, die ihm von der Kirche aufgelegt worden, abwerfen, wenn er 
will, — Denn die Kirdye jelbft ift als ein bloß auf ®lauben errichtetes 
Inſtitut, und wenn die Täufhung aus diefer Meinung durch Volksauf— 
klärung verſchwunden ijt, jo fällt auch die darauf gegründete furdtbare 
Gewalt des Klerus weg, und der Staat bemächtigt fid) mit vollem Rechte 
des angemaßten Eigenthums der Kirche: nämlidy des durd Vermächt: 
nifje an fie verſchenkten Bodens; wiewohl die Lehnsträger des bis dahin 
bejtandenen Snftituts für ihre Lebenszeit jhadenfrei gehalten zu werden 
aus ihrem Rechte fordern fünnen. 

Selbit Stiftungen zu ewigen Zeiten für Arme, oder Schulanftalten, 
jobald fie einen gewiſſen, von dem Stifter nad) feiner Idee bejtimmten 
entworfenen Zuſchnitt haben, fönnen nicht auf ewige Zeiten fundirt und 
der Boden damit beläftigt werden; jondern der Staat muß die Freiheit 
haben, fie nad) dem Bedürfniffe der Zeit einzurichten. — Daß es jchwerer 
hält, diefe Idee allerwärts auszuführen (z. B. die Pauperburſche die Un- 
zulänglichfeit des mwohlthätig errichteten Schulfonds durch bettelhaftes 
Singen ergänzen zu müfjen), darf niemanden wundern; denn der, weldyer 
gutmüthiger-, aber doch zugleich etwas ehrbegierigerweife eine Stiftung 
macht, will, daß fie nicht ein anderer nad) jeinen Begriffen umändere, 
fondern Er darin unfterblidy ſei. Das ändert aber nicht die Beihaffen- 
beit der Sache felbjt und das Recht des Staats, ja die Pflicht defjelben 


zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn fie der Erhaltung und dem 


Fortſchreiten defjelben zum Befjeren entgegen ift, kann daher niemals als 
auf ewig begründet betradjtet werden. 

C, Ä 

Der Adel eines Landes, das ſelbſt nicht unter einer ariftofratijchen, 

fondern monarchiſchen Berfaffung fteht, mag immer ein für ein gewifles 

Beitalter erlaubtes und den Umftänden nad) nothwendiges Inſtitut fein; 

aber daß diejer Stand auf ewig könne begründet werden, und ein Staats: 


oberhaupt nicht folle die Befugniß haben, diefen Standesvorzug gänzlich) 
Kant'e Schriften. Berfe VL 4 
































vr Beusteihe Unfengegrinde der Herslre 





B 







„ie Geiwaäten, nißt (rt, Die at 





zu ben erferen länne genommen werden, and würde das aiat fu ciet ferm, 
als jemanden mit Gewalt bas Seine meinen: wie es dad son Ungiäubi- 
gen der framzöfiihen Hepublit verfaßt wird? 

Die Grage ih Wer: #6 Die Richie dem Einst aber ber Einak ber 








In, Dur) weiße gewife Sindereen Derielbn nad ihrem Zode en Gigen 


Die 











tum der Kirche werden follen, und der Staat an —* 
Theil, oder gar gamz fi der Kirche Ichnäpflichtig 






des angemaßten Eigenthbums der Kirche: nämlich; des dur) Vermägt: 

nifje an fie verſcheukten Bodens; wiewohl die Lehnäträger des bis dahin 

beftandenen Juftituts für ihre Lebenszeit jhadenfrei gehalten zu werden 
ı aus ihrem Rechte fordern können. 

Selbſt Stiftungen zu ewigen Zeiten für Arme, oder Schulanftalten, 
jobald fie einen gemijjen, von dem Stifter nad jeiner Idee beitimmten 
entworfenen Zuſchnitt haben, können nicht auf ewige Zeiten fundirt und 
der Boden damit beläftigt werden; fondern der Staat muß die Freibeit 

0 haben, fie nad) dem Bedürfnifje der Zeit einzurichten. — Daß es jchwerer 
hält, dieje Idee allerwärts auszuführen (z. B. die Pauperburiche die Un: 
zulänglichfeit des mwohlthätig errichteten Schulfonds durch bettelhaftes 
Singen ergänzen zu müfjen), darf niemanden wundern; denn der, welcher 
gutmüthiger-, aber doch zugleich etwas ehrbegierigerweile eine Stiftung 

 madıt, will, daß fie nicht ein anderer nad) jeinen Begriffen umändere, 
jondern Er darin unſterblich jei. Das ändert aber nicht die Beſchaffen⸗ 
beit der Sadıe jelbft und das Recht des Staats, ja die Pflicht defjelben 
zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn fie der Erhaltung und dem 
Fortſchreiten defjelben zum Befjeren entgegen ift, kann daher niemals als 
» auf ewig begründet betradytet werben. 
C. 

Der Adel eines Landes, das jelbft nicht unter einer ariftofratifchen, 
jondern monarchiſchen Verfafiung fteht, mag immer ein für ein gewifies 
Zeitalter erlaubtes und den Umftänden nad) nothwendiges Inſtitut fein; 

» aber daß diefer Stand auf ewig fünne begründet werden, und ein Staats: 
oberhaupt nicht jolle Die Befugniß haben, diejen —— gaͤnzlich 


Raut'd Sriften. Befe VI 


wi 


- 
= 


1 


— 


Anhang erläuternder Bemerkungen. 371 


Wiſſens hat noch Fein Philofoph den paradoreften aller paradoren Sätze 
anerkannt, den Saß: daß die bloße Fdee der Oberherrichaft mid; nöthigen 
fol, jedem, der fi zu meinem Herrn aufwirft, als meinem Herrn zu ge 
horchen, ohne zu fragen, wer ihm das Recht gegeben, mir zu befehlen. 
Daß man DOberberrihaft und Oberhaupt anerfennen und man Diejen 
oder Jenen, dejjen Dafein nidyt einmal a priori gegeben ift, a priori für 
feinen Herrn halten fol, das joll einerlei fein?" — Nun, hiebei die Para— 
dorie eingeräumt, hoffe ich, es jolle, näher betrachtet, doch wenigitens der 
Heterodorie nicht überwiejen werden können; vielmehr folle es dem ein- 
fihtsvollen und mit Beſcheidenheit tadelnden, gründlichen Necenjenten (der 
jenes genommenen Anftoßes ungeachtet „Dieje metaphyfiihen Anfangs» 
gründe der Rechtslehre im Ganzen als Gewinn für die Wiſſenſchaft an: 
ſieht“) nicht gereuen, fie wenigitens als einen der zweiten Prüfung nicht 
unwürdigen Verſuch gegen Anderer troßige und ſeichte Abjpredyungen in 
Schuß genommen zu haben. 

Daß dem, weldyer ſich im Beſitz der zu oberjt gebietenden und gejeb- 
gebenden Gewalt über ein Volk befindet, müfje gehordht werden und zwar 
jo juridtjcheunbedingt, daß auch nur nad) dem Titel diejer feiner Erwer- 
bung öffentlid) zu forjchen, aljo ihn zu bezweifeln, um ſich bei etwaniger 
Ermangelung dejjelben ihm zu widerjeßen, ſchon ftrafbar, daß es ein fate- 
goriſcher Imperativ fei: Gehorchet der Obrigkeit (in allem, was nicht 
dem inneren Moralijchen widerjtreitet), die ®ewalt über euch hat, iſt 
der anjtößige Sab, der in Abrede gezogen wird. — Nicht allein aber diejes 
Prineip, weldjes ein Factum (die Bemädtigung) als Bedingung dem 
Rechte zum Grunde legt, fondern daß jelbjt die bloße Idee der Ober: 
herridaft über ein Volk mic, der ich zu ihm gehöre, nöthige, ohne vor— 
bergehende Forihung dem angemaßten Rechte zu gehorden (Rechtslehre 
$ 49), das jcheint die Vernunft des Rec. zu empören. 

Ein jedes Factum (Thatſache) ift Gegenftand in der Erſchei— 
nung (der Sinne); dagegen das, was nur durch reine Vernunft vorges 
ftelt werden fann, was zu den Ideen gezählt werden muß, denen adä= 
quat fein Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden fann, dergleichen 
eine volllommene rehtlihe Verfaſſung unter Menſchen iſt, das iſt 
das Ding an ſich ſelbſt. 

Wenn dann nun ein Volk, durch Geſetze unter einer Obrigfeit ver- 
einigt, da ift, fo ift der Idee der Einheit defjelben überhaupt unter 
einem madıthabenden oberjten Willen gemäß als Gegenjtand der Erfah- 

24* 











— aber freilich nur in ber 
* Erieinung; b. i. eine rehllide 
| —— Sinne bes Worts ift ba; und tcicis Fe mit 


FE 









F 





al 


FH 
e 





fr ——— 





—————————— bie Gewalt grübelt 
über ⸗ 
nad, wie fie zu Dicier Gewalt gefommen jei — ai 





bem aber audh als Norm feine wiberfpreiien muß. 


a. 


Die 
Metaphyſik der Suiten. 


Abgefaßt 


von 


Immanuel Kant. 


Zweiter Theil. 


Metapbnfifhde Unfangsgründe 


der 


Tugendlehre 


en 


- 
= 


= 
w 


30 


Vorrede. 


Wenn es über irgend einen Gegenſtand eine Philoſophie (Syſtem 
der Vernunfterkenntniß aus Begriffen) giebt, jo muß es für dieſe Philo— 
ſophie aud ein Syftem reiner, von aller Anſchauungsbedingung unab- 
hängiger VBernunftbegriffe, d. i. eine Metaphyſik, geben. — Es frägt 
ſich nur: ob es für jede praktiſche Philoſophie als Pflichtenlehre, mithin 
auch für die Tugendlehre (Ethif) auch metaphyſiſcher Anfangs- 
gründe bedürfe, um fie als wahre Wiſſenſchaft (ſyſtematiſch), nicht blos 
als Aggregat einzeln aufgeſuchter Lehren (fragmentariſch) aufitellen zu 
fönnen. — Von der reinen Rechtslehre wird niemand dies Bedürfniß be— 
zweifeln; denn fie betrifft nur das Förmliche der nad) Freiheitsgejeken 
im äußeren Verhältniß einzuſchränkenden Willfür; abgejehen von allem 
Zmwed (als der Materie derjelben). Die Pflichtenlehre ift alfo hier eine 
bloße Wifjenslehre (doctrina scientiae)*). 

In diefer Philofophie (der Tugendlehre) jcheint es nun der Idee der: 
jelben gerade zuwider zu fein, bis zu metaphyſiſchen Anfangsgrün- 


») Ein der praftifhen Philoſophie Kundiger ift darum eben nicht ein 
praftifcher Bhilofoph. Der letztere ift berjenige, welcher jic den Bernunftenb- 
zweck zum Grundſahß feiner Handlungen macht, indem er bamit zugleich das dazu 
nöthige Wiffen verbindet: welches, dba es aufs Thun abgezmwedt ift, nicht ebem bis zu 
ben fubtiliten Fäden der Metaphyſik ausgefponnen werben barf, wenn es nicht etwan 
eine Nechtöpflicht betrifft — als bei welcher auf ber Wage der Gerechtigfeit bad Mein 
und Dein nach dem Princip der ®leichheit ber Wirfung und Gegenwirkung gemau 
bejtimmt werden und darum ber matbhematifchen Abgemeffenheit analog fein muß; 
— jondern eine bloße Tugendpflidht angeht. Denn da fommt es nicht blos Darauf an, 
zu willen, was zu thun Pflicht ift (melches wegen ber Zwecke, die natürlicherweiſe 
alle Menjchen haben, leicht angegeben werben kann): jondern vornehmlich auf dem 
inneren Princip des Willens, nämlich daß das Bemuhtjein dieſer Pflicht zugleich 
Triebfeber ber Handlungen fei, um von dem, ber mit feinem Wiſſen dieſes Weis- 
heitäprincip verfnüpft, zu jagen: ba er ein praftifcher Philoſoph ſei. 


376 Netarmche Unfengägrände ber Tugenbleier. 


ben zurüdzugehen, um ben Pflichtbegriff, von allem Empirischen (jedem 
Gefühl) gereinigt, doch zur Triebfeder zu madyen. Denn was fann man 
fi) für einen Begriff von einer Kraft und herculiſcher Stärke madyen, um 
die laftergebärende Neigungen zu überwältigen, wenn die Tugend ihre 
Waffen aus der Rüftlammer der Metaphyſik entlehnen joll? welche eine 
Sache der Speculation ift, die nur wenig Menſchen zu handhaben willen. 
Daher fallen au; alle Tugendlehren in Hörjälen, von Kanzeln und in 
Bollsbüchern, wenn fie mit metaphyſiſchen Broden ausgeſchmückt werden, 
ins Lächerliche. — Aber darum ift es dody nicht unnüß, viel weniger 
laͤcherlich, den erften Gründen der Tugendlehre in einer Metaphyfif nach— 
zuſpuren; denn irgend einer muß doch als Philoſoph auf die erſten Gründe 
dieſes hinausgehen: weil ſonſt weder Sicherheit noch Lau— 
terfeit für die Tugenbiehre überhaupt zu erwarten wäre. Sid) desfalls 
auf ein gewifies Gefühl, weldes man feiner davon erwarteten Wirkung 
halber moraliſch nennt, zu verlafjen, fann aud wohl dem Vollslehrer 
gnügen: indem diejer zum Brobirftein einer Iugendpflicht, ob fie es jei 
oder nicht, die Aufgabe zu beherzigen verlangt: „wie, wenn nun ein jeder 
in jedem Fall deine Marime zum allgemeinen Gejeß machte, würde eine 
foldje wohl mit fid) ſelbſt zuſammenſtimmen können?“ Aber wenn es blos 
Sefühl wäre, was aud) diefen Sah zum Probirftein zu nehmen uns zur 
Pflicht machte, jo wäre dieſe doch alsdann nicht durch die Vernunft dictirt, 
fondern nur inftinetmäßig, mithin blindlings dafür angenommen. 

Allein fein moralifhes Princip gründet fi in der That, wie man 
wohl wähnt, auf irgend einem Gefühl, jondern ift wirklich nichts anders, 
als dunfel gedachte Metaphyſik, die jedem Menſchen in feiner Vernunft: 
anlage beimohnt; wie der Lehrer es leicht gewahr wird, der feinen Lehr: 
ling über den Pflichtimperativ und defjen Anwendung auf moralijde Be- 
urtheilung feiner Handlungen ſokratiſch zu katechiſiren verfudht. — Der 
Vortrag defjelben (die Technik) darf eben nicht allemal metaphyſiſch und 
die Sprache ſcholaſtiſch fein, wenn jener den Lehrling nicht etwa zum Phi- 
lofophen bilden will. Aber der Gedanke muß bis auf die Elemente der 
Metaphyſik zurück gehen, ohne die feine Sicherheit und Reinigfeit, ja ſelbſt 
nicht einmal bewegende Kraft in der Tugendlehre zu erwarten ift. 

Geht man von diefem Grundſatze ab und fängt vom pathologiſchen, 
oder dem rein-äfthetifchen, oder auch dem moraliihen Gefühl (dem fub- 
jectivspraftiichen ftatt des objectiven), d. i. von der Materie des Willens, 
dem Zwech, nicht von der Form deffelben, d. i. bem Gefetz, au, um von 


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wir 


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Rorrebe. 377 


da aus die Pflichten zu beftimmen: fo finden freilich feine metaphyjfi- 
Ihe Anfangsgründe der Tugendlehre ſtatt — denn Gefühl, wodurch 
e3 aud) immer erregt werden mag, ift jederzeit phyſiſch. — Aber die 
Tugendlehre wird alsdann aud) in ihrer Duelle, einerlei ob in Schulen, 
oder Hörfälen u. ſ. w. verderbt. Denn es ift nicht gleichviel, durch welche 
Triebfedern als Mittel man zu einer guten Abficht (der Befolgung aller 
Pflicht) hingeleitet werde. — — Es mag alfo den orafel- oder aud) 
geniemäßig über Pflichtenlehre abjpredhenden vermeinten Weisheits- 
lehrern Metaphyfit noch jo jehr anekeln: jo ift es doch für die, welche 
ſich dazu aufwerfen, unerlagliche Pflicht, jelbft in der Tugendlehre zu jener 
ihren Grundjäßen zurüdzugehen und auf ihren Bänfen vorerjt jelbft die 
Schule zu machen. 


* * 
* 


Man muß ſich hiebei billig wundern: wie es nad) allen bisherigen 
Läuterungen des Pflidhtprincips, jo fern es aus reiner Vernunft abge- 
leitet wird, nod) möglid) war, es wiederum auf Glüdjeligfeitslehre 
zurüd zu führen: doch fo, daß eine gewiffe moraliſche Slüdjeligfeit, die 
nit auf empirifchen Urſachen beruhte, zu dem Ende angedadht worden, 


' welche ein ſich jelbft widerfprechendes Unding ift. — Der denfende Menſch 


nämlich, wenn er über die Anreize zum Lafter gefiegt hat und feine oft 
fauere Pflicht gethan zu haben fi) bewußt ift, findet fi in einem Zu- 
ftande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Slüdjeligkeit 
nennen kann, in weldyem die Tugend ihr eigener Lohn ift. — Nun fagt 
der Eundämonift: diefe Wonne, dieſe Glückſeligkeit ift der eigentliche 
Bewegungsgrund, warum er tugendhaft handelt. Nicht der Begriff der 
Pflicht beftimme unmittelbar feinen Willen, fondern nur vermitteljt 
der im Profpect gejehnen Glüdjeligfeit werde er bewogen feine Pflicht zu 
thun. — Nun ift aber Har, daß, weil er fich diefen Tugendlohn nur von 
dem Bewußtſein feine Pflicht gethan zu haben verſprechen kann, das lebt: 
genannte doch vorangehen müfje; d. i. er muß fid) verbunden finden feine 
Pflicht zu thun, ehe er noch und ohne daß er daran denkt, dab Glüdielig- 
feit die Folge der Pflihtbeobadtung fein werde. Er dreht fid mit feiner 
Ätiologie im Girkel herum. Er fann nämlich nur hoffen glücklich 
(oder innerlich felig) zu fein, wenn er ſich feiner Pflihtbeobadhtung be- 
wußt ift: er fann aber zur Beobachtung feiner Pflicht nur bewogen werden, 
wenn er vorausfieht, daß er fi) dadurch glücklich machen werde. — Aber 






































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Einleitung 
zur Tugendlehre. 


Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre (philosophia 
moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten be— 
nannte. In der Folge hat man es rathjam gefunden, diefen Namen auf 
einen Theil der Sittenlehre, nämlid; auf die Lehre von den Pflichten, die 
nicht unter äußeren Gejeßen ftehen, allein zu übertragen (dem man im 
Deutihen den Namen Tugendlehre angemefjen gefunden hat): fo daß 
jebt das Syftem der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre 
(ins), welche äußerer Gejeke fähig ift, und der Tugendlehre (Ethica) 
eingetheilt wird, die deren nicht fähig iſt; wobei es denn aud) jein Be- 
wenden haben mag. 

I. 
Erörterung des Begriffs einer Tugendlehre. 


Der Pflihtbegriff ift an ſich ſchon der Begriff von einer Nöthi- 
gung (Zwang) der freien Willfür durchs Gefeb; diefer Zwang mag nun 
ein äußerer oder ein Selbjtzwang fein. Der moraliihe Imperativ 
verfündigt durch jeinen fategoriihen Ausſpruch (das unbedingte Sollen) 
diefen Zwang, der alſo nicht auf vernünftige Weſen überhaupt (deren es 
etwa aud) heilige geben könnte), fondern auf Menjhhen als vernünftige 
Naturweſen geht, die dazu unheilig genug find, daß fie die Luft wohl 
anmwandeln fann das moralijche Geſetz, ob fie gleich deſſen Anjehen felbit 
anerfennen, doch zu übertreten und, ſelbſt wenn fie es befolgen, es dennod) 
ungern (mit Widerjtand ihrer Neigung) zu thun, als worin der Zwang 
eigentlich bejteht*). — Da aber der Menſch doch ein freies (moralijches) 


9 Der Menſch aber findet fich boch als moralifches Wefen zugleich (wenn er 
ſich objectiv, wozu er burch feine reine praftifche Bernunft beftimmt ift, (nach der Menjch- 


| 


380 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. 


Weſen ift, jo fann der Pflichtbegriff feinen anderen als den Selbjtzwang 
(dur) die Vorftellung des Geſetzes allein) enthalten, wenn es auf die 
innere Willensbeftimmung (die Triebfeder) angejehen ift, denn dadurch 
allein wird es möglid) jene Nöthigung (ſelbſt wenn fie eine äußere wäre) 
mit der Freiheit der Willfür zu vereinigen, wobei aber alsdann der Pfliht- 
begriff ein ethifcher fein wird. 

Die Antriebe der Natur enthalten alſo Hinderniffe der Pflichtoll⸗ 
ziehung im Gemüth des Menſchen und (zum Theil mächtig) widerftre- 
bende Kräfte, die aljo zu befämpfen und durd die Vernunft nicht erft 
künftig, jondern gleich jeßt (zugleich mit dem Gedanken) zu befiegen er fid) 
vermögend urtheilen muß: nämlich das zu Fönnen, was das Geſetz un- 
bedingt befiehlt, daß er thun joll. 

Nun ift das Vermögen und der überlegte Vorſatz einem ftarfen, aber 
ungeredhten Gegner Widerftand zu thun die Tapferkeit (fortitudo) und 
in Anjehung des Gegners der fittlihen Gefinnung in uns Tugend 
(virtus, fortitudo moralis). Alfo ift die allgemeine Pflihtenlehre in dem 
Theil, der nicht die äußere Freiheit, ſondern die innere unter Gefehe 
bringt, eine Tugendlehre. 

Die Rechtslehre hatte es blos mit der formalen Bedingung der 
äußeren Freiheit (durch die Zufammenftimmung mit fich jelbft, wenn ihre 
Marine zum allgemeinen Geſetz gemacht wurde), d. i. mit dem Hecht, zu 
thun. Die Ethik dagegen giebt nod; eine Materie (einen Gegenftand der 
freien ®illfür), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objec- 
tiv-nothwendiger Zwed, d. i. für den Menſchen als Pflicht, vorgeftellt 
wird, an die Hand. — Denn da die finnlichen Neigungen zu Zweden (ala 
der Materie der Rillfür) verleiten, die der Pflicht zuwider fein können, fo 


beit in feiner eigenen Perſon) betradhtet) heilig genug, um bas innere Geſeh ungern 
zu Abertreten; denn ed giebt feinen jo verruchten Menfchen, der bei dieſer 

in fich nicht einen Widerftand fühlte ınıd eine Berabfhenung feiner felbft, bei derer 
ſich jelbit Zwang anthun mu. — Das Phänomen mim: daß ber Menjch auf diefem 
Scheibewege (mo bie jchöne Fabel den Hercules zwiſchen Tugend und Wohlluſt hin- 
ftellt) mehr Hang zeigt ber Neigung ald dem Gejeg Gehör zur geben, zu erflärem ift 
unmöglich: weil wir, was gefchieht, mar erflären fönnen, indem wir eö von einer Ur⸗ 
ſache nad) Geſetzen der Natur ableiten; wobei wir aber bie Willkür nicht ala frei den- 
fen würden. — Dieſer wechielfeitig entgegengefegte Selbitawang aber und bie Inver- 
meidlichkeit deſſelben giebt doch die unbegreifliche Eigenſchaft der Freiheit jelbft zu 


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1 


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— 
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— 
— 


Einleitung. 381 


kann die geſetzgebende Vernunft ihrem Einfluß nicht anders wehren, als 
wiederum durch einen entgegengeſetzten moraliſchen Zweck, der alſo von 
der Neigung unabhängig a priori gegeben fein muß. 

Zwed ift ein Gegenftand der Willkür (eines vernünftigen Weſens), 
durd) deſſen Vorftellung diefe zu einer Handlung diejen Gegenftand her— 
vorzubringen bejtimmt wird. — Nun kann id zwar zu Handlungen, die 
als Mittel auf einen Zweck gerichtet find, nie aber einen Zwed zu 
haben von anderen gezwungen werden, jondern id fann nur jelbjt mir 
etwas zum Zwed machen. — Daß id; aber aud) verbunden bin mir 
irgend etwas, was in den Begriffen der praktiſchen Vernunft liegt, zum 
Zwecke zu maden, mithin außer dem formalen Bejtimmungsgrunde der 
Willfür (wie das Recht dergleichen enthält) noch einen materialen, einen 
Zweck zu haben, der dem Zweck aus finnlichen Antrieben entgegengejeßt 
werden fönne: diejes würde der Begriff von einem Zweck fein, der an 
ſich jelbft Pflicht ift; die Lehre defjelben aber würde nicht zu der des 
Rechts, jondern zur Ethif gehören, ala weldye allein den Selbftzwang 
nad) (moraliſchen) Geſetzen in ihrem Begriffe mit fid) führt. 

Aus diefem Grunde kann die Ethik aud) als das Syitem der Zwecke 
der reinen praftiichen Vernunft definirt werden. — Zweck und Pflicht 
unterſcheiden die zwei Abtheilungen der allgemeinen Sittenlehre. Daß 
die Ethik Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von andern nicht 
(phyſiſch) gezwungen werden fann, ift blos die Folge daraus, daß fie eine 
Lehre der Zwecke ift, weil dazu (fie zu haben) ein Zwang ſich felbft 
widerſpricht. 

Daß aber die Ethik eine Tugendlehre (doctrina officiorum virtu- 
tis) fei, folgt aus der obigen Erklärung der Tugend, verglichen mit der 
Verpflichtung, deren Eigenthümlichkeit jo eben gezeigt worden. — Es 
giebt nämlich feine andere Beſtimmung der Willür, die durd; ihren Be- 
griff Ihon dazu geeignet wäre, von der Willkür Anderer ſelbſt phyſiſch 
nicht gezwungen werden zu fünnen, als nur Die zu einem Zwecke. Ein 
Anderer fann mich zwar zwingen etwas zu thun, was nicht mein Zweck 
(jondern nur Mittel zum Zweck eines Anderen) ift, aber nicht dazu, daß 
ih es mir zum Zweck made, und doch kann id) feinen Zwed haben, 
ohne ihn mir zu machen. Das letztere ift ein Widerjpruch mit ſich jelbft: 
ein Act der Freiheit, der doc) zugleidy nicht frei ift. — Aber ſich ſelbſt 
einen Zwed zu jeßen, der zugleich Pflicht iſt, ijt fein Widerſpruch: weil 
ich da mich ſelbſt zwinge, welches mit der Freiheit gar wohl zuſammen 


382 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. 


befteht.*) — Wie ift aber ein ſolcher Zweck möglich? das ift jet die Frage. 
Denn die Möglichfeit des Begriffs von einer Sache (dab er ſich nicht 
widerſpricht) ift noch nicht hinreichend dazu, um die Möglichkeit der Sache 
jelbjt (die objective Realität des Begriffs) anzunehmen. 


I. 
Erörterung des Vegriffs von einem Zwecke, der 
zugleich Pflicht if. 


Man kann ſich das Verhältnig des Zwecks zur Pflicht auf zweierlei 
Art denken: entweder, von dem Zwecke ausgehend, die Marime der 
pflihtmäßigen Handlungen, oder umgekehrt, von diejer anhebend, den 
Zweck ausfindig zu machen, der zugleid Pflicht ift. — Die Rechtslehre 
geht auf dem erften Wege. Es wird jedermanns freier Willfür überlafjen, 
welchen Zweck er ſich für feine Handlung jeßen wolle. Die Marime der- 
jelben aber ift a priori beftimmt: daß nämlid; die Freiheit des Handeln- 
den mit Jedes anderen Freiheit nad) einem allgemeinen Gejeß zujammen 
beitehen könne. 

Die Ethik aber nimmt einen entgegengejeßten Weg. Sie kann nicht 
von den Zwecken ausgehen, die der Menſch fi ſetzen mag, und darnad) 
über jeine zu nehmende Marimen, d. i. über jeine Pflicht, verfügen; denn 
das wären empirifhe Gründe der Marimen, die feinen Pflidhtbegriff ab- 
geben, ald welcher (das kategoriſche Sollen) in der reinen Vernunft allein 
feine Wurzel hat; wie denn auch, wenn die Marimen nad jenen Zweden 
(welche alle jelbjtjüchtig find) genommen werden jollten, vom Pflichtbegriff 
eigentlich gar nicht die Nede fein könnte. — Aljo wird in der Ethik der 
Pflichtbegriff auf Zwecke leiten und die Marimen in Anjehung der 
Zwecke, die wir uns jegen follen, nad moraliſchen Grundjäßen begrün- 
den müfjen. 


*) Je weniger ber Menſch phyfiich, je mehr er Dagegen moraliic (durch bie bloße 
Borftellung der Pflicht) Tann gezwungen werden, beito freier ift er. — Der jo. B. 
von genugfam feſter Eutſchließung und ftarfer Seele ift eine Luftbarfeit, die er ſich 
vorgenommen bat, nicht aufzugeben, man mag ihm nod fo viel Schaden voritellen, 
ben er ſich dadurch zuzieht, aber auf bie Borfiellung, daß er biebei eine Amtspflicht 
verabjäume, ober einen Tranfen Vater vernadhläffige, von feinem Borfag unbedenklich, 
obzwar jehr ungern, abſteht, beweift eben damit jeine Freiheit im höchſten Grade, dab 
er der Stimme der Pflicht nicht widerftehen kann. 





5 


Einleitung. 3833 


Dahin geftellt: was denn das für ein Zweck fei, der an ſich felbit 
Pflicht ift, und wie ein joldher möglich fei, ift hier nur noch zu zeigen 
nöthig, dab und warum eine Pflicht diefer Art den Namen einer Tugend= 
pflidht führe. 

Aller Pflicht correfpondirt ein Necht, als Befugniß (facultas mo- 
ralis generatim) betrachtet, aber nicht aller Pflicht correjpondiren Rechte 
eines Anderen (facultas iuridica) jemand zu zwingen ; fondern dieje heißen 
bejonders Rechtspflichten. — Eben jo correjpondirt aller ethiſchen Ver— 
bindlichkeit der Tugendbegriff, aber nicht alle ethiiche Pflichten find 


ı darum Tugendpflichten. Diejenige nämlid) find es nicht, welche nicht ſo— 


wohl einen gewifjen Zweck (Materie, Object der Willfür), als blos das 
Förmliche der fittlihen Willensbeftimmung (3. B. daß die pflichtmäßige 
Handlung aud) aus Pflicht geihehen müfje) betreffen. Nur ein Zwed, 
der zugleidy Pflicht tft, kann Tugendpflicht genannt werden, Daher 


ıs giebt es mehrere der leßtern (auch verjchiedene Tugenden); dagegen von 


der erſteren nur eine, aber für alle Handlungen gültige (tugendhafte Ge— 
finnung) gedacht wird. 

Die Tugendpflicht ift von der Nechtspflicht wejentlid, darin unter: 
ſchieden: daß zu diejer ein äußerer Zwang moraliſch-möglich ift, jene aber 


»» auf dem freien Selbjtzwange allein beruht. — Für endlihe heilige 


Weſen (die zur Verlegung der Pflicht gar nicht einmal verſucht werden 
können) giebt es feine Tugendlehre, jondern blos Sittenlehre, welche letz— 
tere eine Autonomie der praftiihen Vernunft ift, indefien daß die erftere 
zugleich eine Autofratie derjelben, d. i. ein, wenn gleid) nicht unmittel- 


» bar wahrgenommenes, dody aus dem fittlichen Fategorifchen Imperativ 


richtig geſchloſſenes Bewußtſein des Bermögens enthält, über feine dem 
Geſetz widerjpenftige Neigungen Meifter zu werden: jo daß die menſch— 
lie Moralität in ihrer höchſten Stufe doch nichts mehr als Tugend fein 
fann; jelbjt wenn fie ganz rein (vom Einflufje aller fremdartigen Trieb- 


o feder als der der Pflicht völlig frei) wäre, da fie dann gemeiniglid) als ein 


Ideal (dem man jtets fid) annähern müffe) unter dem Namen des Weijen 
dichterifch perjonificirt wird. 

Tugend ift aber auch nicht blos als Fertigkeit und (wie Die Preis— 
Ihrift des Hofpred. Cochius fid) ausdrüdt) für eine lange, durch Übung 


s erworbene Gewohnheit moraliſch-guter Handlungen zu erflären und zu 


würdigen. Denn wenn dieje nicht eine Wirkung überlegter, fejter und 
immer mehr geläuterter Grundjäße ift, jo ift fie wie ein jeder andere 




















10 


15 


Eine jede Handlung hat aljo ihren Zweck, und da niemand einen Zweck 
haben kann, ohne ſich den Gegenſtand feiner Willfür ſelbſt zum Zweck zu 
machen, jo ift es ein Act der Freiheit des handelnden Subjects, nicht 
eine Rirkung der Natur irgend einen Zwed der Handlungen zu baben, 
Weil aber diejer Act, der einen Zweck beftimmt, ein praßtiiches Brincip 
ift, welches nicht die Mittel (mithin nicht bedingt), jondern den Zweck ſelbſt 
(folglidy unbedingt) gebietet, jo iſt es ein kategoriſcher Imperativ der reis 
nen praktiſchen Vernunft, mithin ein folder, der einen Pflichtbegriff 
mit dem eines Zwecks überhaupt verbindet. 

E3 muß nun einen ſolchen Jwed und einen ihm correfpondirenden 
fategoriihen Imperativ geben, Denn da es freie Handlungen giebt, jo 
muß es auch Zwecke geben, auf welche ala Object jene gerichtet find. Inter 
diejen Zweden aber muß es aud) einige geben, die zugleidy (d. I, ihrem 
Begriffe nad) Pflichten find. — Denn gäbe es feine dergleichen, jo würs 
den, weil doch feine Handlung zwedlos fein kann, alle Zwecke für die prafs 
tiſche Vernunft immer nur als Mittel zu andern Bweden gelten, und ein 
fategorifcher Imperativ wäre unmöglid; welches alle Sittenlehre 
aufhebt. 

Hier ift alfo nicht von Zwecken, die der Menſch fid) nad) finnlichen 
Antrieben feiner Natur mat, fondern von Gegenftänden der freien Wills 
für unter ihren Geſetzen die Rede, welche er fi zum Zwed maden foll. 
Man kann jene die techniſche (jubjective), eigentlich pragmatiide, die 
Regel der Klugheit in der Wahl feiner Zwede enthaltende: diefe aber muß 
man die moraliſche (objective) Zwedlehre nennen; weldye Unterſcheidung 
hier doch überflüffig ift, weil die Sittenlehre ſich ſchon durch ihren Begriff 
von der Naturlehre (hier der Anthropologie) deutlicy abfondert, als welche 
legtere auf empiriihen Principien beruht, dagegen die moraliihe Zweck⸗ 
lehre, die von Pflichten handelt, auf a priori in ber reinen praftifchen Ber: 
nunft gegebenen Principien beruht. 


IV. 
Welche find die Zwede, die zugleich Pflichten find? 
Sie find: Eigene Bolltommenheit — fremde Blüdjeligkeit. 
Man kann dieje nicht gegen einander umtauſchen und eigene Gluͤd⸗ 
jeligfeit einerjeits mit frember Bolllommenheit andererfeitö zu 
Zweden madyen, die an Dip VON: PABen berläben Werjon wien. 
25 


Kont's Säriften Berk VL 


























Meustuifte Meriampspeiinite der Zanperanidhee 
— ee an 











Eigene Bolltommenbeit. 


Das Bort Bolltommenheit ijt mander Mibdentung ausgejezt 
Es wirb biöweilen als ein z anne 
griff ber Aliheit des Mannigfaltigen, was zufammengensmmen ein 
Ding ausmacht, — dann aber auch, als zur Teleologie gehörend, jo 
verjtanden, daß es bie Zujammenftimmung ber eines 
— gen Pen — Man konnte bie Volllommenheit in 
ber erfteren Bebeutung bie quantitative (materiale), in ber zweiten bie = 
qualitative — nalen benge Sene kann nur eine jein 
(beun das AU des einem Dinge Zugehörigen ift Ein) Bon diejer aber 
fann es in einem Dinge mehrere geben; und von ber leßteren wird bier 
? id) gehandelt 



















mas Wirkung von feiner Zhat jein fanı, nicht was bios @eiden if, das 
er der Natur verdanten — — ———— Sie fann 


— 


Einleitung. 387 


aljo nicht anders fein als Cultur feines Vermögens (oder der Natur- 
anlage), in welhem der Berftand als Vermögen der Begriffe, mithin 
auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberfte ift, zugleich aber aud) feines 
Willens (fittliher Denkungsart) aller Pflicht überhaupt ein Gmüge zu 
thun. 1) Es ift ihm Pflicht: ſich aus der Rohigkeit feiner Natur, aus der 
Thierheit (quoad actum), immer mehr zur Menfchheit, durch die er allein 
fähig ift ſich Zwede zu jegen, empor zu arbeiten: feine Unwifjenheit durch 
Belehrung zu ergänzen und feine Srrthümer zu verbefjern, und dieſes ijt 
ihm nicht blos die techniſch-praktiſche Vernunft zu feinen anderweitigen 
ı Abfihten (der Kunft) anräthig, fondern die moralifch-praftiiche gebie= 
tet es ihm ſchlechthin und macht diefen Zwed ihm zur Pflicht, um der 
Menichheit, die in ihm wohnt, würdig zu fein. 2) Die Eultur feines 
Willens bis zur reinften Tugendgefinnung, da nämlich das Geſetz zu— 
gleich die Triebfeder jeiner pflihtmäßigen Handlungen wird, zu erheben 
und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moraliſch-praktiſche Voll— 
kommenheit it, die, weil es ein Gefühl der Wirkung iſt, welche der in ihm 
ſelbſt gefebgebende Wille auf das Vermögen ausübt darnad) zu handeln, 
das moraliſche Gefühl, gleihjam ein befonderer Sinn (sensus mo- 
ralis), ift, der zwar freilich oft ſchwärmeriſch, als ob er (gleich dem Genius 
» des Gofrates) vor der Vernunft vorhergehe, oder auch ihr Urtheil gar ent— 
behren könne, mißbraucht wird, doch aber eine fittlihe Vollkommenheit 
ift, jeden bejonderen Zwed, der zugleich Pflicht ift, fich zum Gegenſtande 
zu machen. 


— 
— 


B. 
2 Fremde Glüdjeligfeit. 


Slüdfeligfeit, d. i. Zufriedenheit mit feinem Zuftande, fofern man 
der Fortdauer derjelben gewiß ift, fc zu wünſchen und zu ſuchen ift der‘ 
menschlichen Natur unvermeidlich; eben darum aber aud) nicht ein Zweck, 
der zugleich Pflicht ift. — Da einige nod) einen Unterſchied zwiſchen einer 

3 moralifhen und phyfiihen Glüdjeligfeit machen (deren erjtere in der Zu— 
friedenheit mit feiner Perſon und ihrem eigenen fittlihen Verhalten, alfo 
mit dem, was man thut, die andere mit dem, was die Natur beſchert, 
mithin was man als fremde Gabe genießt, beitehe): jo muß man be- 
merken, daß, ohne den Mißbrauch des Worts hier zu rügen (das ſchon 

ss einen Widerſpruch in fic enthält), die erftere Art zu empfinden allein zum 
25* 

















— = 


Sittlichteit des Eubjeds iſt e 
men, es blos bas erlaubte Mittel ift; da ziemand anders ein Reit 





* 
Die Ethil giebt nicht Geſetze für die Handlungen (denn das 
thut das Ius), jondern nur für die Marimen der Handlungen. 

Der Pflichtbegriff ſteht unmittelbar im Beziehung auf ein Gejek 









- 























3 


= 


Einleitung. 38V 


hire); wie denn das formale Princip der Pflicht im fategoriichen Impera⸗ 
tiv: „Handle jo, daß die Marime deiner Handlung ein allgemeines Ge» 
ſetz werden könne” es jchon anzeigt; nur daß In der Ethik diefes als das 
Gejeh deines eigenen Willens gedacht wird, nicht des Willens über 
haupt, der auch der Wille Anderer jein fönnte: wo es alddann eine Rechts⸗ 
pflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört. — Die 
Marimen werden hier als ſolche jubjective Grundjäße angefehen, die ſich 
zu einer allgemeinen Gejeßgebung blos qualificiren; weldes nur ein 
negatives Princip (einem Gejeß überhaupt nicht zu widerftreiten) tft. — 
Wie fann es aber dann noch ein Gejeß für die Marime der Handlungen 
geben ? 

Der Begriff eines Zwecks, der zugleich Pflicht ift, welcher der Ethik 
eigenthümlid) zugehört, ift es allein, der ein Gefeh für die Maximen der 
Handlungen begründet, indem der fubjective Zwed (den jedermann bat) 
dem objectiven (den ſich jedermann dazu machen joll) untergeordnet wird, 
Der Imperativ: „Du jolljt dir Diefes oder Jenes (z. B. die Glüdfeligfeit 
Anderer) zum Zwed machen“ geht auf die Materie der Willkür (ein Ob» 
ject). Da nun feine freie Handlung möglid) ift, ohne daß der Handelnde 
hiebei zugleich einen Zweck (als Materie der Willfür) beabfidytigte, fo 
muß, wenn es einen Zweck giebt, der zugleich Pflicht ift, die Marime ber 
Handlungen als Mittel zu Zweden nur die Bedingung der Dualification 
zu einer möglichen allgemeinen Gejebgebung enthalten; wogegen ber 
Zweck, der zugleid) Pflicht ift, es zu einem Geſetz machen fann eine foldye 
Marime zu haben, indefjen daß für die Marime jelbjt die bloße Möglich. 
feit zu einer allgemeinen Gejeßgebung zufammen zu fimmen ſchon ge 
nug ift. 

Denn Marimen der Handlungen können willkürlich fein und ftehen 
nur unter der einihränfenden Bedingung der Habilität zu einer allge 
meinen Gefebgebung, als formalem Prineip der Handlungen. Ein Ge: 
fet aber hebt das Willkürliche der Handlungen auf und iſt Darin von aller 
Anpreifung (da blos die ſchicklichſten Mittel zu einem Zwecke zu wiſſen 
verlangt werden) unterjdieben. 


Einfeitung. 391 


Anderer aus ſeinem Rechte wohl Handlungen nach dem Geſetz, aber nicht 
daß dieſes auch zugleich die Triebfeder zu denſelben enthalte, von mir for— 
dern fann. Eben diejelbe Bewandtniß hat es aud) mit dem allgemeinen 
ethiſchen Gebote: „Handle pflihtmäßig aus Pflicht." Diefe Gefinnung 
in fi) zu gründen und zu beleben ift jo wie die vorige verdienftlid;: 
weil fie über das Pflichtgeje der Handlungen hinaus geht und das Geſetz 
an fid) zugleid) zur Triebfeder macht. 

Aber eben darum müſſen auch dieje Pflichten zur weiten Verbind- 
lichkeit gezählt werden, in Anfehung deren ein fubjectives Princip ihrer 
ethiijhen Belohnung (und zwar um fie dem Begriffe einer engen Ver: 
bindlichkeit jo nahe als möglid) zu bringen), d. i. der Empfänglichfeit der- 
jelben nad) dem Tugendgejeße, ſtatt findet, nämlich einer moralifchen Luft, 
die über die bloße Zufriedenheit mit ſich jelbit (die blos negativ fein fann) 
hinaus geht und von der man rühmt, daß die Tugend in dieſem Bewußt- 
fein ihr eigner Lohn jei. 

Wenn diefes Verdienit ein Verdienft des Menfhen um andere Men- 
ichen ift, ihren natürlien und von allen Menſchen dafür anerfannten 
Awed zu befördern (ihre Glüdjeligfeit zu der jeinigen zu machen), jo önnte 
man dies das ſüße Verdienft nennen, deflen Bewußtſein einen morali- 
»» [hen Genuß verſchafft, in welchem Menſchen durch Mitfreude zu ſchwel— 

gen geneigt find; indefjen daß das fauere Berdienft, anderer Men- 

ſchen wahres Wohl, auch wenn fie es für ein joldhes nicht erfennten, (an 

Unerfenntlidhen, Undankbaren) doch zu befördern, eine ſolche Rüdwirfung 

gemeiniglidy nicht hat, jondern nur Zufriedenheit mit fid) ſelbſt be— 
» wirkt, obzwar es in leßterem Falle nod) größer fein würde, 


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v1. 
Erpofition der Tugendpflichten 
als weiter Pflichten. 
1. Eigene Vollkommenheit als Zwed, der zugleih Pflicht ift. 


30 a) Phyſiſche, d. i. Eultur aller Bermögen überhaupt zu Beför- 
derung der durdy die Vernunft vorgelegten Zwecke. Daß diejes Pflicht, 
mithin an ſich jelbft Zwed fei, und jener Bearbeitung auch ohne Rüdfidht 
auf den Vortheil, den fie uns gewährt, nicht ein bedingter (pragmatijcher), 
jondern unbedingter (moralijher) Imperativ zum Grunde liege, ift hier: 


J 





die nur Glückliche find, fo vielen Verfuchungen entgangen zu fein; wie 
viel reiner moraliſcher Gehalt bei jeder That in der Gefinnung gelegen 
habe, das bleibt ihnen ſelbſt verborgen. 

Alſo ift auch dieſe Pflicht, * Werth ſeiner Handlungen nicht blos 
nach der Legalität, ſondern auch der Moralität (Geſinnung) zu ſchätzen, 
nur von weiter Verbindlichkeit, das Geſetz gebietet nicht dieſe innere 
Handlung im menſchlichen Gemüth ſelbſt, ſondern blos die Maxime der 
Handlung, darauf nad) allem Vermögen auszugehen: daß zu allen pflicht⸗ 
mäßigen Handlungen der Gedanke der Pflicht für ſich ſelbſt hinreichende 
Zriebfeder jei. 


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2. Fremde Blüdfeligkeit als Zwed, der zugleich Pflicht ift. 


a) Phyſiſche Wohlfahrt. Das Wohlmollen kann unbegränzt 
fein; denn es darf hiebei nichts gethan werden, Aber mit dem Wohlthun, 
vornehmlich wenn es nit aus Zuneigung (Liebe) zu Anderen, fondern 
aus Pflicht, mit Aufopferung und Kränfung mander Eoncupifcenz ge 
ſchehen foll, geht es ſchwieriger zu. — Daß dieſe Wohlthätigfeit Pflicht 
fei, ergiebt fi daraus: daß, weil unfere Selbftliebe von dem Bebürfniß 
von Anderen audy geliebt (in Nothfällen geholfen) zu werben nicht getrennt 
werben fann, wir alfo uns zum Zwed für Andere maden und dieſe 
Marime niemals anders als blos durch ihre Dualification zu einem all» 
gemeinen Geſetz, folglich durd einen Willen Andere auch für uns zu 
Zweden zu maden verbinden fann, fremde Glüdjeligfeit ein Zwed jei, 
der zugleich Pflicht ift. 

Allein ich joll mit einem Theil meiner Rohlfahrt ein Opfer an An- 
25 dere ohne Hoffnung der Riebervergeltung machen, weil es Pflicht ift, und 
nun iſt unmöglid, beftimmte Grenzen anzugeben: wie weit bas gehen 
könne. Es fommt ſehr darauf an, was für jeden nadı feiner Empfinbungs- 
art wahres Bedürfniß fein werbe, weldyes zu beftimmen jedem ſelbſt über- 
lafjen bleiben muß. Denn mit Aufopferung feiner eigenen Slüdfeligfeit 
(jeiner wahren Bebürfnifie) Anderer ihre zu befördern, würbe eine an ſich 
jelbft widerftreitende Marime fein, wenn man fie zum allgemeinen Geleb 
madıte. Alfo ift dieſe Pflicht nur eine weite; fie hat einen Spielraum, 
mehr oder weniger hierin zu thus, ohne dab ich bie Oränyen Davon be: 
ftimmt angeben lafjen. — Das Gefeß gilt nur für bie Marimen, nit für 
- s beftimmte Handlungen. 


5 





V 
































— 


b) Moraliſches Bohljein Anderer (sa 
zu der Glüdjeligfeit Anderer, die zu 











Tugend ift die Stärfe ber Marime des Menſchen in Befelgung 2 
feiner Pflicht. — Alle Stärke wird nur durd Hindernifie erfannt, die fie 
—— bei der Tugend aber find dieſe die Raturmeigungen, 

hitlihen Borjag in Streit tommen können, und da der 





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Einleitimg, 395 


Zwed, der zugleich als Pflicht gedacht wird. — Da aber die ethiſche 
Verbindlichkeit zu Zweden, deren e8 mehrere geben fann, nur eine weite 
ift, weil fie da blos ein Gejeß für die Marime der Handlungen enthält 
und der Zwed die Materie (Object) der Rillfür ift, jo giebt es viele nad) 
Verſchiedenheit des gefeklihen Zwecks verſchiedene Pflichten, welche Tu—⸗ 
gendpflichten (ofſiecia honestatis) genannt werden; eben darum weil fie 
blos dem freien Selbjtzwange, nidyt dem anderer Menſchen unterworfen 
find und die den Zweck beftimmen, der zugleich Pflicht ift. 

Die Tugend, als die in der feften Gefinnung gegründete Überein- 
ftimmung des Willens mit jeder Pflicht, ift wie alles Formale blos eine 
und diefelbe. Aber in Anfehung des Zweds der Handlungen, der zu 
gleich Pflicht ift, d. i. desjenigen (des Materiale), was man fid zum 
Zwecke machen joll, kann es mehr Tugenden geben, und die Berbindlidy- 
feit zu der Marime defjelben heißt Tugendpflicht, deren es alfo viele giebt. 

Das oberjte Princip der Tugendlehre ift: handle nad) einer Marime 
der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gejeß jein fann. 
— Nach diefem Princip ift der Menſch ſowohl ſich jelbft ala Andern Zweck, 
und es ift nicht genug, daß er weder ſich jelbft noch andere blos als Mittel 
zu brauchen befugt ift (dabei er doch gegen fie auch indifferent fein fann), 
fondern den Menſchen überhaupt ſich zum Zwecke zu machen ift an ſich 
jelbft des Menſchen Pflicht. 

Diejer Grundſatz der Tugendlehre verftattet, al3 ein kategoriſcher 
Smperativ, feinen Bemeis, aber wohl eine Deduction aus der reinen 
praftifhen Bernunft. — Was im Verhältniß der Menjchen zu ſich jelbft 
und anderen Zwed fein fann, das ift Zweck vor der reinen praftifchen 
Vernunft; dern fie ift ein Vermögen der Zwecke überhaupt, in Anfehung 
derjelben indifferent jein, d. i. fein Intereſſe daran zu nehmen, ift alfo 
ein Widerfprud): weil fie alsdann aud) nicht die Marimen zu Handlungen 
(als welche leßtere jederzeit einen Zwed enthalten) bejtimmen, mithin feine 
praktiſche Vernunft fein würde. Die reine Vernunft aber fann a priori 
feine Zwecke gebieten, als nur jo fern fie foldye zugleich als Pflicht an- 
fündigt; welche Pflicht alsdann Tugendpflicht heit. 





396 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. 


2 
Das oberjte Princip der Nechtölehre war analytijch; das der 
Tugendlehre ift ſynthetiſch. 


Daß der äußere Zwang, fo fern diefer ein dem Hinderniffe der nad) 
allgemeinen Gejeßen zufammenftimmenden äußeren Freiheit entgegenge- 
ſetzter Widerftand (ein Hindernig des Hindernifjes derſelben) ift, mit 
Zweden überhaupt zufammen beftehen könne, ijt nad) dem Sab bes 
Widerſpruchs Far, und id) darf nicht über den Begriff der Freiheit hin- 
ausgehen, um ihn einzujehen; der Zweck, den ein jeder hat, mag jeim, 
welcher er wolle. — Alſo ift das oberfte Redhtsprincip ein analpti- 
ſcher Sat. 

Dagegen geht das Princip der Tugendlehre über den Begriff der 
äußern Freiheit hinaus und verknüpft nach allgemeinen Gejegen mit dem— 
jelben noch einen Jwed, den es zur Pflicht macht. Diejes Princip ift 
aljo fynthetiich. — Die Möglichkeit defjelben ift in der Deduction ($ IX) 
enthalten. 

Dieſe Erweiterung des Pflihtbegriffs über den der äußeren Freiheit 
und der Einſchränkung derjelben durch das bloße Förmliche ihrer durch— 
gängigen Zufammenftimmung, wo die innere Freiheit ftatt des Zwan— 
ges von außen, das Vermögen des Selbitzwanges und zwar nicht ver: 
mittelft anderer Neigungen, fondern durd) reine praftifche Vernunft (wel: 
he alle dieſe VBermittelung verſchmäht), anfgeftellt wird, befteht darin 
und erhebt fid) dadurch über die Nechtspflicht: daß durd fie Zwecke auf: 
gejtellt werden, von denen überhaupt das Recht abjtrahirt. — Im mora— 
liſchen Imperativ und der nothwendigen Vorausjeßung der Freiheit zum 
Behuf deffelben madyen das Gejek, das Vermögen (es zu erfüllen) und 
der die Marime beftimmende Wille alle Elemente aus, weldye den Be— 
griff der Rechtspflicht bilden. Aber in demjenigen, welcher die Tugend» 
pflicht gebietet, fommt noch über den Begriff eines Selbjtzwanges der 
eines Zwecks dazu, nicht den wir haben, jondern haben jollen, den alſo 
bie reine praktiſche Vernunft in ſich hat, deren hödhiter, unbedingter Zweck 
(der aber doch immer noch Pflicht ift) darin gejeßt wird: daß die Tugend 
ihr eigener Zwed und bei dem Verdienst, das fie um den Menſchen hat, 
aud ihr eigener Zohn ſei [wobei fie als Ideal jo glänzt, daß fie nad) 
menſchlichem Augenmaß die Heiligkeit jelbft, die zur Übertretung nie 


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Einleitung, 397 


verjucht wird, zu verdunfeln jheint*); welches gleihwohl eine Täufhung 
ift, da, weil wir fein Maß für den Grad einer Stärfe, als die Größe der 
Hindernifje Haben, die da haben überwunden werden fönnen (welche in 
uns die Neigungen find), wir die jubjective Bedingungen der Schäbung 
einer Größe für die objective der Öröße an fich jelbit zu Halten verleitet 
werden]. Aber mit menſchlichen Zwecken, die insgefammt ihre zu be» 
fämpfende Hindernifje haben, verglichen, hat es feine Richtigkeit, dab 
der Werth der Tugend jelbit, als ihres eigenen Zwecks, den Werth alles 
Nutzens und aller empiriihen Zwede und VBortheile weit übermiege, bie 
fie zu ihrer Folge immerhin haben mag. 

Man kann audy gar wohl jagen: der Menidy jei zur Tugend (als 
einer moraliſchen Stärfe) verbunden. Denn obgleich das Vermögen (fa- 
eultas) der Überwindung aller finnlich entgegenwirfenden Antriebe feiner 
Freiheit halber ſchlechthin vorausgejegt werden kann und muß: fo ift 
doch diefes Vermögen als Stärfe (robur) etwas, was erworben werden 
muß, dadurch daß die moralijhe Triebfeder (die Vorftellung bes Be- 
jeßes) dur Betrachtung (contemplatione) der Würde bes reinen Ber- 
nunftgejeßes in uns, zugleid aber auch durd Übung (exercitio) erho- 
ben wird. 





*) Der Menich mit feinen Mängeln 
Sit befler als das Heer von willenloſen Engeln. — 
aller. 


xl, 
Das Schema ber Eugendpflichten kann obigen Brundfähen gemäß auf folgende Art verzeichnet werden: 


Das Materiale ber Tugendpflicht 


———— =, Jr 


Biteyimiiige Buiangägsinte ter Ingenbliier 


E22 





l. 


Eigener Zweck, 
der mir zugleich Pflicht iſt. 


(Meine eigene Vollkommen⸗ 


beit.) 
Innere 
Tugendpflicht 
a. 
Das Geſeh, welches zugleich 
Triebfeder iſt. 


Worauf die Moralität 


2 


Iweck Anderer, 
deſſen Beförderung mir zu—⸗ 


gleich Pflicht iſt. 
(Die Glückſeligkeit 
Anderer.) 
Außere 
Tugendpflicht. 
4. 


Der Zweck, der zugleich 
Triebfeder iſt. 
Worauf die Legalitaät 


aller freien Willensbeſtimmung beruht. 








Das Formale der Tugendpflicht. 


Einleitung. 399 


XI. 
Afthetifche Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths 
für Pflichtbegriffe überhaupt. 


Es find ſolche moraliſche Beichaffenheiten, die, wenn man fie nicht 
s befigt, e8 auch feine Pflicht geben kann fi in ihren Befiß zu jeßen. — 
Sie find das moraliſche Gefühl, das Gewiſſen, die Liebe des Näch— 
ften und die Ahtung für ſich felbft (Selbftihäbung), welde zu haben 
es feine Verbindlichfeit giebt: weil fie als jubjective Bedingungen der 
Empfänglicfeit für den Pflihtbegriff, nicht als objective Bedingungen 
der Moralität zum Grunde liegen. Sie find insgefammt äſthetiſch und 
vorhergehende, aber natürlide Gemüthsanlagen (praedispositio) durch 
Pflichtbegriffe aflicirt zu werden; welche Anlagen zu haben nicht als Pflicht 
angejehen werden kann, jondern die jeder Menſch hat und fraft deren er 
verpflichtet werden fan. — Das Bewußtjein derjelben ift nicht empiri- 
ihen Ursprungs, jondern kann nur auf das eines moralifchen Geſetzes, 
als Wirkung defjelben aufs Gemüth, folgen. 


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A. 
Das moralifhe Gefühl. 


Diejes ift die Empfänglichkeit für Luft oder Unluft blos aus dem 
Bewußtfein der Übereinftimmung oder des Widerftreits unferer Hand- 
lung mit dem Pflichtgejeße. Alle Beftimmung der Willfür aber geht von 
der Vorftellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Luft oder 
Unluft, an ihr oder ihrer Wirkung ein Intereſſe zu nehmen, zur That; 
wo der äſthetiſche Zuftand (der Afficirung des inneren Sinnes) nun 
s entweder ein pathologijhes oder moraliſches Gefühl ift. — Das 

erftere ift dasjenige Gefühl, welches vor der Vorſtellung des Geſetzes vor- 
hergeht, das letere das, was nur auf dieſe folgen kann. 
Nun kann es feine Pflicht geben ein moraliiches Gefühl zu haben, 
oder ſich ein foldhes zu erwerben; denn alles Bemußtjein der Verbindlich: 
» feit legt diefes Gefühl zum Grunde, um fi) der Nöthigung, die im Pflidht- 
begriffe liegt, bewußt zu werden: fondern ein jeder Menjd (als ein mora- 
liſches Weſen) hat es urſprünglich in fi; die Verbindlichfeit aber fann 
nur darauf gehen, es zu cultiviren und ſelbſt durd) die Bewunderung 


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Denn Bewifien it bie bem Meuitgen iu — 
Pfligt zum Losſprechen ober Berurtheilen vorhaltende prattiſche Vernunft. 
Seine Beziehung aljo ift nicht Die auf ein Dibject, jonbern bios aufs Sub- 
ject (das moraliſche Gefühl durch ihren Act zu afficiren); aljo eine unaus- 
bleibliche Thatjache, wit eine Obliegenkeit und Pit. Benn man 
eh nn nn man un da 











Einleitung. 401 


widrig borwerfen, mithin auch ſelbſt die Pflicht ein Gewiſſen zu Haben ſich 
gar nicht denfen können. 
Die manderlei Eintheilungen des Gewifjens gehe id) noch hier vor« 
bei und bemerfe nur, was aus dem eben Angeführten folgt: daß nämlid) 
s ein irrendes Gemifjen ein Unding fei. Denn in dem objectiven Urtheile, 
ob etwas Pflicht jei oder nicht, kann man wohl bisweilen irren; aber im 
jubjectiven, ob ich es mit meiner praftiihen (hier richtenden) Vernunft 
zum Behuf jenes Urtheils verglichen habe, kann idy nicht irren, well id) 
alsdann praktiſch gar nicht geurtheilt haben würde; in welchem Fall weder 
io Irrthum noch Wahrheit jtatt hat. Gewiſſenloſigkeit ift nidt Mangel 
des Gewifjens, jondern Hang fid an deſſen Urteil nicht zu fehren. Wenn 
aber jemand fid) bewußt ift nach Gewiſſen gehandelt zu haben, fo kann 
von ihn, was Schuld oder Unſchuld betrifft, nichts mehr verlangt werden. 
Es liegt ihm nur ob, feinen Verftand über das, was Pflicht ift oder 
is nicht, aufzuklären: wenn es aber zur That kommt oder gekommen ift, fo 
ſpricht das Gewiſſen unwillkürlich und unvermeidlid. Nach Gewiſſen zu 
handeln kann alſo ſelbſt nicht Pflicht ſein, weil es ſonſt noch ein zweites 
Gewiſſen geben müßte, um ſich des Acts des erfteren bewußt zu werben. 
Die Pflicht ift Hier nur jein Gewiſſen zu cultiviren, die Aufmerkfjam- 
0 feit auf die Stimme des inneren Richters zu ſchärfen und alle Mittel an- 
zuwenden (mithin nur indirecte Pflicht), um ihm Gehör zu verſchaffen. 


c 
Bon ber Menjhenliebe. 


Liebe ift eine Sache ber Empfindung, nit des Bollens, und id) 

> fann nit lieben, weil ih will, noch weniger aber weil ich ſoll (zur Liebe 

genöthigt werden); mithin ift eine Pfliht zu lieben ein Unbing. 

Wohlwollen (amor benevolentise) aber fann als ein Thun eimem 

Pflichtgeſetz unterworfen fein. Man nennt aber oftmals ein uneigennäßi- 

ges Bohlmwollen gegen Menihen auch (obzwar jehr uneigentlid) Liebe; 

» ja, mo «3 nit um des Andern Glüdjeligfeit, fondern die gänzlide und 

freie Ergebung aller feiner Zwede in die Zwede eines anderen (felbft eines 

übermenidligen) Beiens zu thun ift, ſpricht man von Liebe, bie zugleich 

für uns Pflicht fei Aber alle Pfligt it Nöthigung, ein Zwang, wenn 

er auch ein Ecibfizwang mad, einem Geſetz fein follte. Bas man aber ans 
 Bwang that, das geihicht nicht aus Liebe, 


Rast Bärifien. Bee TI. 29 


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Einleitung. 403 


vermeidlih Achtung für fein eigenes Wefen ab, und diefes Gefühl (wel- 
des von eigner Art ift) ift ein Grund gewiſſer Pflichten, d. i. gewiſſer 


Handlungen, die mit der Pflicht gegen ſich ſelbſt zufammen beftehen kön— 
nen; nit: er habe eine Pflicht der Adytung gegen ſich; denn er muß 
Achtung vor dem Geſetz in ſich ſelbſt haben, um ſich nur eine Pflicht über: 
haupt denfen zu können. 


XI. 
Allgemeine Grundſätze der Metaphyfif der Sitten in 
Behandlung einer reinen Tugendlehre, 


Eritlid: Für Eine Pflicht kann auch nur ein einziger Grund der 
Verpflichtung gefunden werden, und werden zwei oder mehrere Beweiſe 
darüber geführt, jo it es ein ficheres Kennzeichen, daß ınan entweder nod) 
gar feinen gültigen Beweis habe, oder es aud) mehrere und verjdiedne 
Pflichten find, die man für Eine gehalten hat. 

Denn alle moraliihe Beweile können, als philojophiiche, nur ver: 
mitteljt einer Bernunfterfenntniß aus Begriffen, nicht, wie die Mathe: 
matif jie giebt, durch die Gonjtruction der Begriffe geführt werden; die 
leßtern verjtatten Mehrheit der Beweiſe eines und dejjelben Sabes: weil 
in der Anſchauung a priori e$ mehrere Beitimmungen der Beſchaffen— 
heit eines Objects geben fann, die alle auf eben denjelben Grund zurüd 
führen. — Wenn z.B. für die Pfliht der Wahrhaftigkeit ein Beweis 
erftlih aus dem Schaden, den die Lüge andern Menjchen verurfacht, 
dann aber auch aus der Nihtswürdigfeit eines Lügners und der Ver: 
legung der Achtung gegen ſich jelbft geführt werden will, jo ift im erfteren 
eine Pflicht des Wohlwollens, nicht eine der Wahrhaftigkeit, mithin nicht 
dieje, von der man den Beweis verlangte, jondern eine andere Pflicht be— 
wiejen worden. — Was aber die Mehrheit der Beweiſe für einen und 
denjelben Satz betrifft, womit man ſich tröftet, daß die Menge der Gründe 
den Mangel am Gewicht eines jeden einzeln genommen ergänzen werde, 
jo ift diejes ein jehr unphiloſophiſcher Behelf: weil er Hinterlijt und Uns 
redlichkeit verräth — denn verſchiedene unzureichende Gründe, neben 
einander gejtellt, ergänzen nicht der eine den Mangel des anderen zur 
Gewißheit, ja nicht einmal zur Wahrjheinlichkeit. Sie müjjen ald Grund 
und Folge in einer Reihe bis zum zureichenden Grunde fortſchreiten 

26* 








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44 


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Einleitung. 407 


gung aller Pflicht überhaupt) als vorbereitender Theil (discursus praeli- 
minaris) vorangeſchickt werden. a1 


Anmerkung. | 
Bon der Tugendlehre nad) dem Princip der inneren Freiheit. 


3 Fertigkeit (habitus) ift eine Leichtigkeit zu handeln und eine 
jubjective Vollkommenheit der Willkür. — Nicht jede jolde Leich— 
tigfeit aber ijt eine freie Fertigkeit (habitus libertatis); denn 
wenn fie Angewohnheit (assuetudo), d. i. durch öfters wiederholte 
Handlung zur Nothwendigfeit gewordene Gleichförmigkeit, der- 

10 jelben ift, jo ift fie feine aus der Freiheit hervorgehende, mithin aud) 
nicht moraliihe Fertigkeit. Die Tugend fann man aljo nicht durd) 
die Fertigkeit in freien gefeßmäßigen Handlungen definiren; wohl 
aber, wenn hinzugejebt würde, „fi durd die Boritellung des Ge— 
jebes im Handeln zu bejtimmen”, und da ift dieſe Fertigkeit eine 

15 Beihaffenheit nit der Willfür, fondern des Willens, der ein mit 
der Negel, die er annimmt, zugleich allgemeinsgejeßgebendes Begeh- 
rungsvermögen ift, und eine ſolche allein fann zur Tugend gezählt 
werden. 

Bur inneren Freiheit aber werden zwei Stüde erfordert: feiner 

20 jelbjt in einem gegebenen Kal Meijter (animus sui compos) und 
über ſich felbft Herr zu fein (imperium in semetipsum), d. i. feine 
Affecten zu zähmen und feine Leidenſchaften zu beherriden. — 
Die Gemüthsart (indoles) in diefen beiden Zuftänden ift edel 
(erecta), im entgegengejekten Fall aber unedel (indoles abiecta, 

2 serva). 


XV, | 
Zur Tugend wird zuerſt erfordert die Herrjchaft über 
ſich jelbit. 


Affecten und Leidenſchaften find wejentlid von einander unter 

sw ſchieden; die erftern gehören zum Gefühl, jo fern es, vor der Ilberlegung 
porhergehend, diefe jelbjt unmöglich oder ſchwerer macht. Daher heißt der 
Affect jäh oder jach (animus praeceps), und die Vernunft jagt durd) den 


— 





408 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugenblehre. 


Tugenbdbegriff, man folle ſich faſſen; dod) ift diefe Schwäche im Gebrauch 
feines Verftandes, verbunden mit der Stärfe der Gemüthöbewegung, nur 
eine Untugend und gleihjam etwas Kindiihes und Schwades, was 
mit dem beten Willen gar wohl zufammen bejtehen kann und das einzige 
Gute nod) an fid) hat, daß diefer Sturm bald aufhört. Ein Hang zum 
Affect (4. B. Zorn) verſchwiſtert ſich daher nicht jo jehr mit dem Laſter, 
als die Leidenſchaft. Leidenſchaft dagegen ift die zur bleibenden Nei- 
gung gewordene finnlihe Begierde (z.B. der Haß im Gegenfab des 
Zorns). Die Ruhe, mit der ihr nachgehangen wird, läßt Überlegung zu 
und verftattet dem Gemüth ſich darüber Grundfäße zu machen und fo, 
wenn die Neigung auf das Geſetzwidrige fällt, über fie zu brüten, fie tief 
zu wurzeln und das Böfe dadurd; (als vorfäglidh) in feine Marime auf: 
zunehmen; welches alsdann ein qualificirtes Böfe, d. i. ein wahres 
Zaiter, ift. 

Die Tugend alfo, jo fern fie auf innerer Freiheit gegründet ift, ent: 
hält für die Menſchen aud) ein bejahendes Gebot, nämlich alle feine Ver- 
mögen und Neigungen unter feine (der Vernunft) Gewalt zu bringen, 
mithin der Herridaft über ſich jelbjt, weldye über das Werbot, nämlid) 
von feinen Gefühlen und Neigungen fidy nicht beherrjchen zu lajjen, (der 
Pflicht der Apathie) hinzu fommt; weil, ohne daß die Vernunft die Zü- 
gel der Regierung in ihre Hände nimmt, jene über den Menſchen dem 
Meijter jpielen. 


XVI. 
Zur Tugend wird Apathie (als Stärke betrachtet) 
nothwendig borausgejebt. 


Diefes Wort ift, gleich als ob es Fühllofigkeit, mithin jubjective 
Sleihgültigkeit in Anfehung der Gegenftände der Willfür bedeutete, in 
übelen Ruf geflommen; man nahm es für Schwäde. Diejer Mißdeutung 
fann dadurch vorgebeugt werden, daß man diejenige Affectlofigfeit, welche 
von der Indifferenz zu unterjcheiden ift, die moralifhe Apathie nennt: 
da die Gefühle aus finnlihen Eindrüden ihren Einfluß auf das mora- 
liſche nur dadurch verlieren, daß die Achtung fürs Gejeß über fie insge- 
jammt mädtiger wird. — Es ift nur die jheinbare Stärke eines Fieber: 
kranken, die den lebhaften Antheil jelbjt am Guten bis zum Affect ftei- 


— 


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Einleitung. 409 


gen, oder vielmehr darin ausarten läßt. Man nennt den Affect diefer 
Art Enthufiasm, und dahin ift auch die Mäßigung zu deuten, bie 
man jelbjt für Tugendausübungen zu empfehlen pflegt (insani sapiens 
nomen habeat aequus iniqui — ultra quam satis est virtutem si petat 
ipsam. Horat.), Denn fonft ift es ungereimt zu wähnen, man könne 
auch wohl allzumweije, allzutugendhaft fein. Der Affect gehört im: 
mer zur Sinnlichkeit; er mag durch einen Gegenſtand erregt werden, wel- 
her es wolle. Die wahre Stärke der Tugend ift das Gemüth in Ruhe 
mit einer überlegten und feſten Entſchließung ihr Gejeß in Ausübung zu 
bringen. Das ift der Zuftand der Gefundheit im moralischen Leben; 
dagegen der Affect, jelbjt wenn er durch die Vorftellung des Guten auf- 
geregt wird, eine augenblidlid glänzende Erjcheinung ijt, welche Maltig- 
feit hinterläßt. — Phantaftifcyetugendhaft aber kann doch der genannt 
werden, der feine in Anfehung der Moralität gleihgültige Dinge 
(adiaphora) einräumt und ſich alle feine Schritte und Tritte mit Pflichten 
als mit Fußangeln beftreut und es nicht gleichgültig findet, ob ich mid) 
mit Fleiſch oder Fiſch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides befommt, 
nähre; eine Mitrologie, weldye, wenn man fie in die Lehre der Tugend auf- 
nähme, die Herrichaft derjelben zur Tyrannei madyen würde. 


Anmerfung. 


Die Tugend ift immer im Fortſchreiten und hebt doch aud) 
immer von vorne au. — Das erite folgt daraus, weil fie, objectiv 
betrachtet, ein Ideal und unerreihbar, gleichwohl aber fi) ihm be— 
ftändig zu nähern dennod) Pflicht ift. Das zweite gründet ſich, jub- 
jectiv, auf der mit Neigungen afficirten Natur des Menſchen, unter 
deren Einfluß die Tugend mit ihren einmal für allemal genommenen 
Marimen niemals ſich in Nuhe und Stillſtand ſetzen kann, jondern, 
wenn fie nicht im Steigen ift, unvermeidlich finkt: weil ſittliche Mari- 
men nicht fo wie technische auf Gewohnheit gegründet werden können 
(denn dieſes gehört zur phyſiſchen Beihaffenheit feiner Willensbe- 
ftimmung), fondern, jelbjt wenn ihre Ausübung zur Gewohnheit 
würde, das Subject damit die Freiheit in Nehmung feiner Mari: 
men einbüßen würde, welche doc der Charakter einer Handlung aus 
Pflicht iſt. 











Einleitung. 409 


gen, oder vielmehr darin ausarten läßt. Man nennt den Affect diefer 

Art Enthufiasm, und dahin ift auch die Mäfigung zu deuten, bie 

man jelbft für Tugendausübungen zu empfehlen pflegt (insani sapiens 

nomen habeat aequus iniqui — ultra quam satis est virtutem ai petat 
;s ipsam. Horat.), Denn fonft ift e8 ungereimt zu wähnen, man fönne 
auch wohl allzuweije, allzautugendhaft fein. Der Affect gehört Im» 
mer zur Sinnlichkeit; er mag durd) einen Gegenftand erregt werden, wel» 
her es wolle, Die wahre Stärke der Tugend ift das Gemüth in Nube 
mit einer überlegten und feſten Entichließung ihr Geſetz in Ausübung zu 
bringen. Das ift der Zuftand_der Gefundheit im moralifcdyen Leben; 
dagegen der Affect, jelbjt wenn er durd) die Vorftellung des Guten auf 
geregt wird, eine augenbliclich glänzende Erſcheinung ift, welche Mattig- 
feit hinterläßt. — Phantaftifdytugendhaft aber kann doch der genannt 
werden, der feine in Anfehung der Moralität gleihgäültige Dinge 
(adiaphora) einräumt und fi alle feine Schritte und Tritte mit Pflichten 
als mit Fußangeln beftreut und es nicht gleihgültig findet, ob Id) mid) 
mit Fleiſch oder Fifch, mit Bier oder Wein, wenn mir beides belommt, 
nähre; eine Mifrologie, welche, wenn man fie in bie Lehre der Tugend auf» 
nähme, die Herridaft derjelben zur Tyrannei maden würde. 


— 
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— 
a 


zo Anmerkung. 


Die Tugend ift immer im Fortſchreiten und hebt doch auch 
immer von vorne an. — Das erite folgt daraus, weil fie, objectiv 
betradhtet, ein Ideal und unerreichbar, gleihwohl aber ſich ihm be- 
ftändig zu nähern dennod; Pflicht ift. Das zweite grünbet ſich, 208 

2 jectiv, auf der mit Neigungen afficirten Natur bes Menſchen, unter 
bereu Einfluß die Tugend mit ihren einmal für allemal genommenen 
Marimen niemals fi in Ruhe und Etilftand ſetzen kann, ſondern, 
wenn fie nicht im Steigen ift, unvermeidlich finft: weil fittlihe Mari- 
men nit fo wie techniſche auf Gewohnheit gegründet werben fönnen 


ftimmung), fondern, jelbft wenn ihre Ausübung zur Gewohnheit 
würde, das Subject damit Die Freiheit in Nehmung feiner Mari- 
men einbühen würde, weldye bod ber Charakter einer Haudlung aus 
Pflicht ift. 





Einleitung. 413 


Erſte Eintheilung der Ethik 
nad dem Unterjhiede der Subjecte und ihrer Geſetze. 
Sie enthält: 
Pflichten 


— des Menſchen gegen des Menſchen gegen 
den Menſchen nicht menſchliche Weſen 


—— — — — —— 
gegen fich gegen andere untermenfch- übermenfd- 
ſelbſt Weſen liche Weſen. liche Weſen. 


Zweite Eintheilung der Ethik 
10 nah Principien eines Syſtems der reinen praftifchen 
Dernunft. 


Ethiſche 
Elementarlehre Methodenlehre 
Dogmatit Gafuiftit Katedetit Afcetit. 


15 Die letztere Eintheilung muß aljo, weil fie die Yorm der Wifjen- 
ſchaft betrifft, vor der erfteren als Grundriß des Ganzen vorbergehen. 


J. 


Ethiſche Elementarlehre. 





in 


— 
— 


— 


5 


Der etbifchen Elementarlehre 
Eriter Theil. 
Bon den Pflihten gegen ſich jelbit überhaupt. 


Einleitung. 
$1. Der Begriff einer Pfliht gegen ſich jelbit enthält (dem 
eriten Anſcheine nad) einen Widerjprud). 


Wenn das verpflihtende Ich mit dem verpflichteten in einerlei 
Sinn genommen wird, fo ift Pflicht gegen fid) ſelbſt ein fich widerſprechen— 
der Begriff. Denn in dem Begriffe der Pflicht ift der einer pajfiven 
Nöthigung enthalten (id) werde verbunden). Darin aber, daß es eine 
Pflicht gegen mich felbit ift, ftelle ih mid; al& verbindend, mithin in 
einer activen Nöthigung vor (I, eben dafjelbe Subject, bin der Berbin- 
dende); und der Sab, der eine Pflicht gegen ſich ſelbſt ausſpricht (ich 
ſoll mid) jelbjt verbinden), würde eine Verbindlichkeit verbunden zu jein 
(paffive Obligation, die dody zugleich in demfelben Sinne des Verhält- 
nifjes eine active wäre), mithin einen Widerjprud enthalten. — Man 
kann dieſen Widerſpruch auch dadurd ins Licht ftellen: daß man zeigt, 
der Berbindende (auctor obligationis) fünne den Verbundenen (subiectum 
obligationis) jederzeit von der Verbindlichkeit (terminus obligationis) [08* 
ſprechen; mithin (wenn beide ein und dafjelbe Subject find) er jei an eine 
Pflicht, die er fi) auferlegt, gar nidyt gebunden: welches einen Wider: 
ſpruch enthält. 


$2. Es giebt doch Pflihten des Menſchen gegen fidh felbit. 
Denn jeßet: e8 gebe Feine joldye Pflichten, jo würde es überall gar feine, 


s aud) feine äußere Pflichten geben. — Denn ic kann mich gegen Andere 


nicht für verbunden erfennen, als nur jo fern ic) zugleich mich jelbt ver- 
binde: weil das Gejeß, kraft defien ich mich für verbunden achte, in allen 


Kant'd Schriften Werte V]. 27 














418 Metaphyſiſche Anfangsgrümde der Zugemblehre. 1. Ethijche Elememtariehrr. 


Frällen aus meiner eigenen praftiichen Bernunft hervorgeht, durch welche 
a indem ic) zugleich der Röthigende in Anjehung mei- 
ner 


& 3. Aufihluß dieſer jheinbaren Antinomie. 


Der Menſch betrachtet fi in dem Bewußtſein einer Pfliht gegen » 
ſich jelbft, als Subject derjelben, in awiefaher Dualität: erftli als Sin- 
nenmwejen, d.i. ald Menſch (zu einer der Thierarten gehörig); dann aber 
aud) als Vernunftweſen (nicht blos vernünftiges Weien, weil die Ber- 
nunft nad) ihrem theoretiſchen Bermögen wohl aud die Dualität eines 
lebenden körperlihen Weſens fein fönnte), weldyes fein Sinn erreicht und m 
das fid) nur in moralifdpraftiihen Verhältnifjen, wo die unbegreifliche 
Eigenihaft der Freiheit fi durch den neuen ber Vernunft auf den 
innerlich gefebgebenden Willen offenbar macht, erfennen 

Der Menſch nun als vernünftiges Raturweien — phaenome- 
non) iſt durch feine Vernunft, als Urſache, beftimmbar zu Handlungen 1 
in der Sinnenmwelt, und biebei fommt der Begriff einer Verbindlichkeit 
nod) nicht in Betrachtung. Eben derjelbe aber feiner Perſönlichkeit 
nad), d. i. alö mit innerer Freiheit begabtes Wejen (homo noumenon) 
gedacht, ift ein der Verpflichtung Fähiges Wejen und zwar gegen ſich jelbft 
(die Menſchheit in feiner Perſon) betradhtet, fo: dat der Menſch (in zweier: * 
lei Bedeutung betrachtet), ohne in Widerſpruch mit ſich zu gerathen (weil 
ber Begriff vom Menfhen nicht in einem und demſelben Sinn gedacht 
wird), eine Pflicht gegen ſich jelbft anerkennen kann. 


8 4. Vom Princip der Eintheilung der Pflihten gegen 
fi ſelbſt. % 


Die Einthellung kann nur in Anfehung des Objects der Pflicht, nicht 
in Unfehung des ſich verpflitenden Subjects gemacht werden. Das 


So fagt man, wenn es 3. B. einen Punkt meiner Ehrenrettung ober ber 
Gelbfterhaltung betrifft: „Ich bin mir bas jelbit ſchuldig“. Selbft wenn es Pflichten 
* minberer Bebeutung, bie nämlich nicht das Nothwendige, ſondern nur das Ber- 30 

bienfifiche meiner Pflichtbefolgung betreffen, ſpreche ich jo, 3. B.: „Ich bin es mir ſelbſt 
fehuuldig meine Gefchidlichkeit für ben Umgang mit Menſchen u. ſ. w. zu erweitern 
(mich zu eultiviren).* 





En 
[= | 


1. Theil. Bon ben Pflichten gegen fich felbit überhaupt. 419 


verpflichtete jomwohl als das verpflichtende Subject ift immer nur der 
Menſch, und wenn es uns in theoretijcher Nüdficht gleich erlaubt ift im 
Menſchen Seele und Körper als Naturbejchaffenheiten des Menſchen von 
einander zu unterfcheiden, jo ijt es doch nicht erlaubt fie als verſchiedene 
den Menſchen verpflihtende Subjtanzen zu denken, um zur Eintheilung 
in Pflichten gegen den Körper und gegen die Seele beredhtigt zu fein. 
— Wir find weder durd) Erfahrung, noch durch Schlüffe der Vernunft 
hinreichend darüber belehrt, ob der Menſch eine Seele (als in ihm woh— 
nende, vom Körper unterjhiedene und von diefem unabhängig zu denfen 
vermögende, d. i. geiltige Subftanz) enthalte, oder ob nicht vielmehr das 
Leben eine Eigenſchaft der Materie fein möge, und wenn es fid) aud) auf 
die erjtere Art verhielte, jo würde doch feine Pflicht des Menſchen gegen 
einen Körper (als verpflidtendes Subject), ob er gleich der menſchliche 
ift, denfbar fein. 

1) Es wird daher nur eine objective Eintheilung der Pflichten 
gegen ſich felbft in das Formale und Materiale derjelben jtatt finden; 
wovon die eine einjhränfend (negative Pflichten), die andere erwei- 
ternd (pofitive Pflihten gegen ſich felbit) find: jene, weldye dem Men— 
hen in Anjehung des Zwecks feiner Natur verbieten demjelben zu— 
wider zu handeln, mithin blos auf die moraliidhe Selbfterhaltung, 
dieje, welche gebieten fich einen gewifien Gegenjtand der Willkür zum 
Zweck zu machen und auf die Bervollfommnung feiner jelbjt gehen: 
von welchen beide zur Tugend entweder als Unterlafjungspflichten (sustine 
et abstine) oder als Begehungspflichten (viribus concessis utere), beide 
aber als Zugendpflichten gehören. Die erftere gehört zur moralifchen 
Gejundheit (ad esse) des Menjchen, jowohl als Gegenftandes feiner 
äußeren, als feines inneren Sinnes zu Erhaltung feiner Natur in ihrer 
Vollkommenheit (als Neceptivität), die andere zur moraliihen Wohl— 
habenheit (ad melius esse; opulentia moralis), welde in dem Befib 
eines zu allen Zweden hinreichenden Bermögens befteht, jo fern dieſes 
erwerblich ift und zur Eultur (als thätiger Volltommenheit) feiner ſelbſt 
gehört. — Der erftere Grundfah der Pflicht gegen fich felbit liegt in dem 
Spruch: lebe der Natur gemäß (naturae convenienter vive), d. i. erhalte 
dich in der Vollkommenheit deiner Natur, der zweite in dem Sab: madje 
dic volllommner, als die bloße Natur did) ſchuf (perfice te ut ſinem; 
perfice te ut medium). 

2) Es wird eine jubjective Eintheilung der Pflichten des Menſchen 

27* 


420 Metapbyfiiche Anfangsgründe ber Tugenblehre. I. Ethiſche Elementarlehre. 


gegen ſich jelbit, d. i. eine jolche, nad) der das Subject der Pflicht (der 
Menſch) ſich jelbit entweder als animalisches (phyſiſches) und zugleich 
moralifches, oder blos als moraliſches Wejen betrachtet. 

Da find num die Antriebe der Natur, was die Thierheit des Men— 
ſchen betrifft, a) der, durch welchen die Natur die Erhaltung feiner jelbit, 
b) die Erhaltung der Art, c) die Erhaltung jeines Vermögens zum an- 
genehmen, aber dody nur thierifchen Lebensgenuß beabfihtigt. — Die 
Laſter, weldye hier der Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbft widerftreiten, 
find: der Selbjtmord, der unnatürliche Gebrauch, den jemand von der 
Geſchlechtsneigung macht, und der das Vermögen zum zwedmäßigen 
Gebraud; jeiner Kräfte ſchwächende unmäßige Genuß der Nahrungs— 
mittel. 

Was aber die Pflicht des Menſchen gegen fich jelbit blos als mora- 
liſches Weſen (ohne auf feine Thierheit zu jehen) betrifft, jo befteht fie im 
Formalen der Übereinftimmung der Marimen feines Willens mit der 
Würde der Menſchheit in feiner Perſon; alfo im Verbot, daß er ſich jelbit 
des Borzugs eines moralifchen MWejens, nämlich nad) Principien zu han- 
dein, d. i. der inneren Freiheit, nicht beraube und dadurd zum Spiel 
bloßer Neigungen, aljo zur Sache, made. — Die Yajter, welche diejer 
Pflicht entgegen ftehen, find: die Lüge, der Geiz und die faljche Demuth 
(Kriedherei). Dieje nehmen ſich Grundjäbe, welche ihrem Charakter ala 
moraliſcher Wejen, d. i. der inneren Freiheit, der angebornen Würde des 
Menſchen, geradezu (ſchon der Form nach) widerſprechen, welches jo viel 
jagt: fie madyen ſich es zum Grundjaß, feinen Grundjaß und jo aud) fei- 
nen Charakter zu haben, d. i. fich weggumerfen und fich zum Gegenftande 
ber Veradhtung zu machen. — Die Tugend, welche allen diejen Laſtern 
entgegen fteht, könnte die Ehrliebe (honestas interna, iustum sui aesti- 
mium), eine von der Ehrbegierde (ambitio) (welde auch jehr nieder- 
trädhtig fein kann) himmelweit unterſchiedene Denkungsart, genannt wer: 
den, wird aber unter diefer Betitelung in der Folge bejonders vorfommen. 


— 


0 


5 


5 


Der Tugendlehre 
Erſter Theil. 
Ethiſche Elementarlehre. 


Erſtes Bud. 
5 Bon den vollfommenen Pflichten gegen fich ſelbſt. — 


Erftes Hauptitüd, 
Die Pfliht des Menihen gegen ſich felbft, als ein 
animalifhes Weſen. 


85. 

10 Die, wenn gleich nicht vornehmfte, doch erfte Pflicht des Menjchen 

gegen ſich jelbft in der Dualität feiner Thierheit ift die Selbiterhaltung 
in feiner animalijhen Natur. 

Das Widerjpiel derjelben iſt der willfürliche phyſiſche Tod, wel- 
her wiederum entweder als total oder blos partial gedacht werden kann. 

ss — Der phyſiſche, die Entleibung (autochiria), fann alfo aud) total 
(suicidium) oder partial, Entgliederung (Verftümmelung), fein, welche 
wiederum in die materiale, da man fid) ſelbſt gewifjer integrirenden 
Theile als Organe beraubt, d. i. fi) verftüämmelt, und die formale, 
da man fid) (auf immer oder auf einige Zeit) des Vermögens des phy- 

»» ſiſchen (und hiemit indirect auch des moraliihen) Gebrauchs feiner 
Kräfte beraubt. 

Da in diefem Hauptftüde nur von negativen Pflichten, folglid von 
Unterlaffungen nur die Rede it, jo werden die Pflichtartifel wider die 
Laſter gerichtet fein müffen, welche der Pflicht gegen fich jelbjt entgegen 

» geſetzt find, 


422 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. I. Ethifche Elementarlehre. 


Des erften Hauptftüds 
Erſter Artifel. 


Bon der Selbjtentleibung. 


86. 

Die willkürliche Entleibung ſeiner ſelbſt kann nur dann allererſt 
Selbſtmord (homicidium dolosum) genannt werden, wenn bewieſen wer— 
den kann, daß fie überhaupt ein Verbrechen iſt, welches entweder an unſe— 
rer eigenen Perſon oder aud) durch diefer ihre Selbftentleibung an anderen 
begangen wird (3. B. wenn eine ſchwangere Perjon ſich jelbjt umbringt). 

a) Die Selbjtentleibung ift ein Verbrechen (Mord). Diejes kann 
num zwar aud) als Ubertretung feiner Pfliht gegen andere Menſchen 
(Eheleute, Eltern gegen Kinder, des Unterthans gegen jeine Obrigfeit, 
oder jeine Mitbürger, endlich auch gegen Gott, defjen uns anvertrauten 
Poſten in der Welt der Menſch verläßt, ohne davon abgerufen zu fein) 
betradhtet werden; — aber hier ift nur die Nede von Verlebung einer 
Pflicht gegen fich jelbit, ob nämlid), wenn ich auch alle jene Rüdjichten 
bei Seite feßte, der Menſch doch zur Erhaltung feines Lebens blos durch 
feine Qualität als Perfon verbunden ſei und hierin eine (und zwar 
ftrenge) Pflicht gegen ſich ſelbſt anerkennen müſſe. 

Daß der Menſch ſich ſelbſt beleidigen könne, fcheint ungereimt zu 
jein (volenti non fit iniuria), Daher jah es der Stoifer für einen Vor- 
zug feiner (des Weijen) Perſönlichkeit an, beliebig aus dem Leben (als 
aus einem Zimmer, das raudt), ungedrängt durch gegenwärtige oder 
bejorgliche Ubel, mit ruhiger Seele hinaus zu gehen: weil er in demjelben 
zu nichts mehr nußen fönne. — Aber eben dieſer Muth, dieje Seelenftärfe, 
den Tod nicht zu fürdten und etwas zu Fennen, was der Menjd noch 
höher jhäßen kann, als jein Leben, hätte ihm ein um noch jo viel größerer 
Bewegungsgrund fein müfjen, fi, ein Wejen von jo großer, über die 
ſtaͤrkſte finnliche Triebfedern gewalthabenden Obermacht, nicht zu zerftören, 
mithin ſich des Lebens nicht zu berauben. 

Der Perjönlichfeit kann der Menſch fi nicht entäußern, jo lange von 
Pflichten die Rede ift, folglid) fo lange er lebt, und es ift ein Widerſpruch 
die Befugniß zu haben ſich aller Verbindlichkeit zu entziehen, d. i. frei fo 
zu handeln, als ob es zu diejer Handlung gar feiner Befugniß bedürfte. 


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2 


Kl] 








= Sc ne genau en un a A mat 
baabficptigt vond. 





frei ft, werm er zum änberen Erwerb 
Safnittijde Rragen. 
3 es Sclhitmerd, Aa (mie Gartine) in den arwiffen Dad an 
verfepliihe Märtertbin, 






um bes Baterland zu veiten? — oder Ift dad | 
| zum Opfer Dirmaeben, 





— — — iin Ente Kine er dl 
Seneca) erlaubte zu thun? 
» Kann manes einem grohen umlängit verftobenen Monmnben 6 
verbrecheriſchen Vorhaben anrechnen, daß er ein behend wirfundes 
bei ſich führte, vermuthlich damit, wenn er In dan Melone, ben or perſon 
id) führte, gefangen würde, er nicht etwa nendtblnt fel, Bedinanmmen ber 
Auslöfung einzugehn, die feinem Staate nachtbeilig fein könnten; beim 
0 dieſe Abficht kann man ihm unterlegen, obne daß man nötbin bat, bier 
unter einen bloßen Stolz zu vermutben 
Ein Mann empfand ſchon die Waſſerſchen, ala Mirhing bon bem 
Biß eines tollen Hundes, und nachdem er ſich barlıber fo erflärt battle: 
er habe noch nie erfahren, dah jemand daran neheilt worben jel, bradhte 
> er fid) felbft um, damit, wie er Im einer hinterlaffenen Schrift jagte, er 














424 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. 1. Ethiſche Elementarlehre. 


nicht in feiner Hundewuth (zu welcher er ſchon den Anfall fühlte) andere 
Menſchen auch unglücklich machte; es frägt ſich, ob er damit unrecht that. 
Wer ſich die Poden einimpfen zu lafjen beſchließt, wagt jein Leben 
aufs Ungewiffe, ob er es zwar thut, um fein Leben au erhalten, und 
ift fo fern in einem weit bedenklicheren Fall des Pflichtgeſetzes, als der 
Seefahrer, weldyer dody wenigitens den Sturm nidht macht, dem er ſich 
anvertraut, ftatt defjen jener die Krankheit, die ihn in Todesgefahr bringt, 
fich felbft zuzieht. Sit alfo die Podeninoculation erlaubt? 


Zweiter Artikel. 
Bon der wohllüftigen Selbjtihändung. 


87. 

So wie die Liebe zum Leben von der Natur zur Erhaltung der Ber- 
fon, fo ift die Liebe zum Geſchlecht von ihr zur Erhaltung der Art be: 
ftimmt; d. i. eine jede von beiden ift Naturzwed, unter welhem man 
diejenige Verknüpfung der Urſache mit einer Wirfung verfteht, in welcher 
jene, auch ohne ihr dazu einen Verftand beizulegen, dieſe doch nad) der 
Analogie mit einem ſolchen, aljo gleihjam abſichtlich Menſchen hervor- 
bringend gedacht wird. Es frägt ſich nun, ob der Gebraud) des Teßteren 
Vermögens in Anfehung der Berjon jelbit, die es ausübt, unter einem 
einfhränfenden Pilichtgefeb ftehe, oder ob dieje, aud) ohne jenen Zwed zu 
beabſichtigen, den Gebraud) ihrer Geſchlechtseigenſchaften der bloßen thie= 
riſchen Luft zu widmen befugt jei, ohne damit einer Pflicht gegen ſich ſelbſt 
zumwider zu handeln. — In der Nechtölehre wird bewiefen, daß der Menſch 
fi) einer anderen Perfon dieſer Luft zu gefallen ohne befondere Ein- 
ihränfung durch einen rechtlichen Vertrag nicht bedienen könne; wo dann 

zwei Berjonen wechjelfeitig einander verpflichten. Hier aber ift die Frage: 

0b in Anjehung diejes Genufjes eine Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit 
obmalte, deren Übertretung eine Shändung (nicht blos Abwitrdigung) 
ber Menjchheit in feiner eigenen Berfon fei. Der Trieb zu jenem wird 
Fleiſchesluſt (aud) Wohlluft chledhthin) genannt. Das Lafter, welches 
dadurch erzeugt wird, heißt Unfenjchheit, die Tugend aber in Anjehung 
diejer finnlihen Antriebe wird Keufchheit genannt, die num bier als 
Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt vorgeftellt werden fol. Unnatür- 
Lich heißt eine Wohlluft, wenn der Menſch dazu nicht dur den wirkli— 


20 




















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in feiner ehe 5*8* BI findet, jene, —* ah 
ſchen Neigung hberläßt, den Menfchen zur nen 


3 zugleich naturwidrigen Sache, b. t. zum efelha te Begenftande, et 
und fo aller Achtung für fich felbft beraubt. 


— 





426 Metaphufiiche Anfangsgründe ber Tugendlehre. I. Ethische Elementarlehre. 


Caſuiſtiſche Fragen. 


Der Zwed der Natur ift in der Beiwohnung der Geſchlechter die 
Fortpflanzung, d. i. die Erhaltung der Art; jenem Zwecke darf aljo 
wenigftens nicht zuwider gehandelt werden. ft es aber erlaubt, aud) 
ohne auf diefen Rüdjiht zu nehmen, ſich (jelbjt wenn es in der Ehe 
geihähe) jenes Gebrauchs anzumaßen? 

Sit es 5. B. zur Zeit der Schwangerjchaft — iſt es bei der Eterilität 
des MWeibes (Alters oder Krankheit wegen), oder wenn diefes feinen Anreiz 
dazu bei ſich findet, nicht dem Naturzwece und hiemit aud der Pflicht 
gegen ſich jelbft an einem oder dem anderen Theil eben jo wie bei der 
unnatürlihen Wohlluft zuwider, von feinen Geſchlechtseigenſchaften Ge— 
braud) zu maden; oder giebt es hier ein Erlaubnißgejeb der moraliſch— 
praktiſchen Vernunft, welches in der Collifion ihrer Beftimmungsgründe 
etwas an fid) zwar Unerlaubtes doc) zur Verhütung einer nod) größeren 
Übertretung (gleichſam nachſichtlich) erlaubt macht? — Bon wo an kann 
man die Einſchränkung einer weiten Verbindlichkeit zum Burism (einer 
Pedanterei in Anjehung der Pflichtbeobachtung, was die Weite derjelben 
betrifft) zählen und den thieriſchen Neigungen mit Gefahr der Verlaffung 
des Vernunftgejeßes einen Spielraum verftatten? 

Die Gefhlehtsneigung wird auch Liebe (in der engften Bedeutung 
des Worts) genannt und ift in der That die größte Sinnenluft, die an 
einem Gegenftande möglich ift; — nicht blos ſinnliche Luft, wie an 
Gegenftänden, die in der bloßen Reflerion über fie gefallen (da die Em- 
pfänglichfeit für fie Gejchmad heißt), fondern die Luft aus dem Genuſſe 
einer anderen Perjon, die alfo zum Begehrungspermögen und zwar 
der höchſten Stufe dejjelben, der Leidenjhaft, gehört. Sie kann aber 
weder zur Liebe des MWohlgefallens, nod) der des Wohlwollens gezählt 
werden (denn beide halten eher vom fleifchlichen Genuß ab), fondern ift 
eine Luft von befonderer Art (sui generis), und das Brünftigfein hat mit 
der moralifchen Liebe eigentlich nichts gemein, wiewohl fie mit der lebte: 
ren, wenn die praktiſche Vernunft mit ihren einfhränfenden Bedingungen 
hinzu fommt, in enge Berbindung treten kann. 


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1. Buch. 1. Hauptftücd, 3, Artikel. Bon ber Selbfibetäubung 427 


Dritter Artifel. 
Von der Selbijtbetäubung durch Unmäßigfeit im Gebraud) 
der Genieß- oder aud) Nahrungsmittel. 


858. 

Das Laſter in dieſer Art der Unmäßigkeit wird hier nicht aus dem 
Schaden, oder den körperlichen Schmerzen (ſolchen Krankheiten), die der 
Menſch ſich dadurd) zuzieht, beurtheilt; denn da wäre es ein Princip des 
Mohlbefindens und der Behaglichkeit (Folglich der Glückſeligkeit), wodurd) 
ihm entgegen gearbeitet werden jollte, welches aber nie eine Pflicht, ſon— 
dern nur eine Klugheitregel begründen kann: wenigſtens wäre ‚8 fein 
Princip einer directen Pflicht. 

Die thierifche Unmäßigfeit im Genuß der Nahrung ift der Mißbrauch 
der Geniekmittel, wodurd) das Vermögen des intellectuellen Gebrauchs 
derjelben gehemmt oder erſchöpft wird. Verfoffenheit und Gefräßig- 


keit find die Lafter, die unter diefe Rubrik gehören. Im Buftande der 


Betrunfenheit ift der Menſch nur wie ein Thier, nicht ala Menſch zu be 
handeln; durch die Überladung mit Speifen und in einem foldhen Zus 
ftande ift er für Handlungen, wozu Gewandtheit und Überlegung im Ge- 
braud) jeiner Kräfte erfordert wird, auf eine gewifje Zeit gelähmt. — 
Daß fid) in einen ſolchen Zuftand zu verſetzen Verlebung einer Pflicht 
wider ſich ſelbſt fei, fällt von felbjt in die Augen. Die erfte diefer Ernied- 
rigungen, ſelbſt unter die thieriſche Natur, wird gewöhnlich durch ge- 
gohrene Getränke, aber auch durch andere betäubende Mittel, als den 
Mohniaft und andere Producte des Gewächsreichs, bewirkt und wird da— 


»s durch verführeriich, daß dadurd) auf eine Weile geträumte Glückſeligkeit 


und Sorgenfreiheit, ja wohl auch eingebildete Stärke hervorgebradt, 
Niedergefchlagenheit aber und Schwäche und, was das Schlimmſte ift, 
Nothwendigkeit dieſes Betäubungsmittel zu wiederholen, ja wohl gar da— 
mit zu fteigern eingeführt wird. Die Gefräßigfeit iſt fofern noch unter 
jener thieriſchen Sinnenbeluftigung, daß fie blos den Sinn als pajfive 
Beihaffenheit und nicht einmal die Einbildungstraft, weldye doch noch ein 
thätiges Spiel der Vorftellungen, wie im vorerwähnten Genuß der Fall 
ift, beichäftigt; mithin fi) dem des Viehes noch mehr nähert. 





428 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugenblehre. T. Eihiiche Elementarlehre. 


Gajuiftifhe Fragen. 


Kann man dem Wein, wenn gleich nicht als Banegyrift, doch wenig- 
ftens als Apologet einen Gebrauch verftatten, der bis nahe an die Berau- 
ſchung reiht: weil er doch die Gejellihaft zur Geiprädigfeit belebt und 
damit Offenherzigfeit verbindet? — Dder fann man ihm wohl gar das ; 
Verdienſt zugeitehen, das zu befördern, was Seneca vom Cato rühmt: 
virtus eius incaluit mero? — Der Gebraud) de3 Opium und Brannt- 
meins find als Genießmittel der Niederträchtigfeit näher, weil fie bei 
dem geträumten Wohlbefinden ftumm, zurüdhaltend und unmittheilfam 
machen, daher auch nur als Arzneimittel erlaubt find. — Wer fann aber 1 
das Maß für einen beftimmen, der in den Zuftand, wo er zum Meſſen 
feine flare Augen mehr hat, überzugehen eben in Bereitidaft ift? Der 
Mohammedanism, welher den Wein ganz verbietet, hat aljo jehr ſchlecht 
gewählt, dafür das Opium zu erlauben. 

Der Schmaus, als förmliche Einladung zur Unmäßigfeit in beiderlei 
Art des Genufjes, hat doch außer dem blos phyſiſchen Wohlleben noch 
etwas zum fittlichen Zweck Abzielendes an fi, nämlich viel Menſchen und 
lange zu wechjeljeitiger Mittheilung zufammen zu halten: gleichwohl aber, 
da eben die Menge (wenn fie, wie Cheiterfield jagt, über die Zahl der 
Mufen geht) nur eine Feine Mittheilung (mit den nächſten Beifitern) » 
erlaubt, mithin die Beranftaltung jenem Bwed widerſpricht, jo bleibt fie 
immer Berleitung zum Unfittlihen, nämlich der Unmäßigfeit, der Über— 
tretung der Pflicht gegen ſich felbft; aud ohne auf die phyſiſchen Nach— 
theile der Überladung, die vielleicht vom Arzt gehoben werden können, zu 
jehen. Wie weit geht die fittliche Befugnig, diefen Einladungen zur Un 
mäßigfeit Gehör zu geben? 


— 
m 


Zweites Hauptſtück. 
Die Pfliht des Menjhen gegen ſich ſelbſt, blos als ein 
moraliihes Wejen. 
Sie ift den Laftern:; Züge, Geiz und falſche Demuth (Kriecherei) zo 
entgegen gejebt. 


1 


1 


1. Bud, 2. Hauptſtuck. 1. Bun ber Luge. 429 
I. 
Bon der Lüge. 
59. | 

Die größte Verleßung der Pflicht des Menſchen gegen fid) ſelbſt, blos 
als moraliſches Wejen betrachtet (die Menjchheit in feiner Berfon), ift das 
Widerjpiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge (aliud lingua promtum, aliud 
pectore inclusum gerere), Daß eine jede vorjeglihe Unwahrheit in 
Äußerung feiner Gedanten diefen harten Namen (den fie in der Rechts: 
lehre nur dann führt, wenn fie anderer Recht verleßt) in der Ethik, die 
aus der Unjhädlichfeit fein Befugniß hernimmt, nicht ablehnen fönne, ift 
für ſich ſelbſt Mar. Denn Ehrlofigfeit (ein Gegenjtand der moralifchen 
Verachtung zu fein), welche fie begleitet, die begleitet aud) den Lügner wie 
fein Schatten. Die Lüge fann eine äußere (mendacium externum), oder 
aud) eine innere fein. — Durd) jene madıt er ſich in Anderer, durch dieje 
aber, was noch mehr ift, im feinen eigenen Augen zum Gegenftande der 
Verachtung und verlegt die Würde der Menſchheit in feiner eigenen Per— 
jon; wobei der Schade, der anderen Menſchen daraus entipringen faun, 
nicht das Eigenthümliche des Lajters betrifft (denn da beftände es blos 
in der Berlegung der Pflicht gegen Andere) und alfo hier nicht in Ans 
ſchlag fommt, ja auch nicht der Schade, den er ſich jelbit zuzieht; denn 
alsdann würde es blos als Klugheitsfehler der pragmatifchen, nidyt der 
moraliihen Marime widerftreiten und gar nicht als Pflichtverlekung an: 
gejehen werden fünnen. — Die Lüge iſt Wegmwerfung und gleichſam Ver: 
nichtung feiner Menſchenwürde. Ein Menſch, der ſelbſt nicht glaubt, was 
er einem Anderen (wenn es aud) eine blos idealijche Perjon wäre) jagt, 
hat einen noch geringeren Werth, als wenn er blos Sache wäre; denn von 
diefer ihrer Eigenſchaft etwas zu nußen, kann ein anderer doch irgend 
einen Gebrauch machen, weil fie etwas Wirfliches und Gegebenes ift; aber 
die Mittheilung feiner Gedanken an jemanden durd) Worte, die doch das 
Gegentheil von dem (abſichtlich) enthalten, was der Sprechende dabei 
denkt, ijt ein der natürlichen Zweckmäßigkeit feines Vermögens der Mit- 
theilung feiner Gedanfen gerade entgegen gejeßter Zwed, mithin Verzicht: 
thuung auf jeine Berjönlichkeit und eine blos täuſchende Erſcheinung vom 
Menjchen, nicht der Menſch jelbit. — Die Wahrhaftigkeit in Erflärun- 
gen wird aud Ehrlichkeit und, wenn dieje zugleich Verſprechen find, 

Redlichkeit, überhaupt aber Aufrichtigkeit genannt. 





















































= 


= 


= 


1. Bud. 2. Hauptitüd. J. Bon ber Yüige. 431 


lichen Natur gewurzelt zu fein jheint) aus das Übel der Unwahrhaftigfeit 
fi) auch in Beziehung auf andere Menſchen verbreitet, nachdem einmal 
der oberite Grundfaß der Wahrhaftigkeit verlegt worden. — 


Unmerfung. 


Es iſt merfwürdig, daß die Bibel das erfte Verbrechen, wodurd) 
das Böfe in die Welt gefommen iſt, niht vom Brudermorde 
(Kains), jondern von der eriten Züge datirt (weil gegen jenen fid) 
dod) die Natur empört) und als den Urheber alles Böjen den Lügner 
von Anfang und den Vater der Lügen nennt; wiewohl die Vernunft 
von diefem Hange der Menihen zur Gleisnerei (esprit fourbe), 
der doc) vorher gegangen jein muß, feinen Grund weiter angeben 
fann: weil ein Act der Freiheit nicht (gleich einer phyſiſchen Wirkung) 
nad) dem Naturgejeb des Aufammenhanges der Wirkung und ihrer 
Urſache, weldhe insgefammt Erſcheinungen find, deducirt und erflärt 
werden fann. 


Gafuiftifhe Fragen. 


Kann eine Unmwahrheit aus bloßer Höflichkeit (3. B. das ganz ge— 
hborfamfter Diener am Ende eines Briefes) für Lüge gehalten werden? 
Niemand wird ja dadurch betrogen. — Ein Autor frägt einen feiner Zefer: 
wie gefällt Ihnen mein Wert? Die Antwort könnte nun zwar illuforifc) 
gegeben werben, da man über die Verfänglichkeit einer ſolchen Frage ſpöt— 
telte; aber wer hat den Wiß immer bei der Hand? Das geringfte Zögern 
mit der Antwort ift ſchon Kränfung des Verfaffers; darf er diefem alfo 
zum Munde reden ? 

In wirfliden Geihäften, wo es aufs Mein und Dein ankommt, 
wenn ich da eine Unwahrheit ſage, muß ich alle die Folgen verantworten, 
die daraus entfpringen möchten? 83. B. ein Hausherr hat befohlen: daß, 
wenn ein gewiffer Menſch nad) ihm fragen würde, er ihn verläugnen folle. 
Der Dienftbote thut diefes: veranlaßt aber dadurch, daß jener entwiſcht 
und ein großes Verbrechen ausübt, welches jonft durch die gegen ihn aus» 
geſchickte Wache wäre verhindert worden. Auf wen fällt hier die Schuld 
(nad) ethiſchen Grundjäßen)? Allerdings auch auf den lebteren, welcher 
bier eine Pflicht gegen ſich jelbft durch eine Lüge verlebte; deren Folgen 
ihm num durch jein eigen Gewiſſen zugerechnet werden. 


432 Metlaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. I. Ethifche Elementarlehre. 


II. 
Vom Geize. 
$ 10. 

Ich verftehe hier unter diefem Namen nicht den habſüchtigen Geiz 
(der Erweiterung feines Erwerbs der Mittel zum Wohlleben über die 
Schranken des wahren Bedürfnifjes): denn diefer kann auch als bloße 
Verletzung feiner Pflicht (der Wohlthätigfeit) gegen Andere betrachtet 
werden; auch nicht den fargen Geiz, welder, wenn er ſchimpflich ift, 
Kniderei oder Knauſerei genannt wird, aber doch blos Bernadjläffigung 
jeiner Liebespflihten gegen Andere jein kann; fondern die Verengung 
feines eigenen Genufjes der Mittel zum Wohlleben unter das Map 
des wahren eigenen Bedürfnifjes; diefer Geiz ift es eigentlid), der hier 
gemeint ift, welcher der Pflicht gegen jich ſelbſt widerftreitet. 

An der Rüge diefes Lafters kann man ein Beijpiel von der Unrich— 
tigfeit aller Erflärung der Tugenden jowohl als Laſter durch den bloßen 
Grad deutlich machen und zugleich die Unbrauchbarkeit des Ariftoteli=- 
ihen Grundjaßes darthun: daß die Tugend in der Mittelftraße zwiſchen 
zwei Zaftern beftehe. | 

Wenn id nämlich zwiſchen Verjhwendung und Geiz die gute 
Wirthſchaft als das Mittlere anjehe, und dieſes das Mittlere des Gra— 
des fein joll: jo würde ein Laſter in das (contrarie) entgegengejeßte Lafter 
nicht anders übergehen, als durch die Tugend, und fo würde dieje nichts 
anders, als ein vermindertes, oder vielmehr verſchwindendes Laſter fein, 
und die Folge wäre in dem gegenwärtigen Fall: daß von den Mitteln des 
Wohllebens gar feinen Gebrauch zu machen die ächte Tugendpflicht ei. 

Nicht das Maß der Ausübung fittliher Marimen, fondern das ob- 
jective Brincip derjelben muß als verſchieden erfannt und vorgetragen 
werden, wenn ein Lafter von der Tugend unterjchieden werden foll. — 
Die Marime des habjühtigen Geizes (als Verſchwenders) ift: alle 
Mittel des Wohllebens in der Abjiht auf den Genuß anzuſchaffen 
und zu erhalten. — Die des fargen Geizes ift hingegen der Erwerb fo- 
wohl, als die Erhaltung aller Mittel des Wohllebens, aber ohne Abficht 
anf den Genuß (d. i. ohne daß dieſer, fondern nur der Beſitz der 
Zweck jei). 

Allſo ift das eigenthümliche Merkmal des leßteren Lafters der Grund: 
ſatz des Beſitzes der Mittel zu allerlei Zweden, dod mit dem Vorbehalt, 


— 


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10 


73 
in 


1. Buch. 2. Hauptftüc. II. Vom Geige, .. 433 


feines derjelben für fid brauchen zu wollen und ſich jo des angenehmen 
Zebensgenufjes zu berauben: welches der Pflicht gegen ſich ſelbſt in An— 
jehung des Zwecks gerade entgegengejeßt iſt.“ Verſchwendung und Karg- 
heit find aljo nicht durch den Grad, jondern ſpecifiſch durch die entgegen- 
geſetzte Marimen von einander unterjchteden. 


Gafuiftifhe Fragen. 


Da hier nur von Pflichten gegen ſich felbit die Rede ift und Habſucht 
(Unerfättlichfeit im Erwerb), um zu verſchwenden, eben jo wohl als Knau— 
jerei (Peinlichkeit im Verthun) Selbſtſucht (solipsismus) zum Grunde 


*) Der Sat: man foll feiner Sache zu viel oder zu wenig thun, jagt jo viel ala 
nichts; denn er iſt tautologifh. Was heißt zu viel thun? Antw. Mehr als gut ift. 
Was heißt zu wenig thun? Antw. Weniger thun, als gut ift. Was heißt: ich ſoll 
(etwas thun oder unterlajfen)? Antw. Es iſt nicht gut (wider bie Pflicht) mehr 
ober auch weniger zu thun, als gut ilt. Wenn das die Weisheit ift, die zu erforjchen 
wir zu den Alten (dem Ariftoteles), gleich als folchen, die der Quelle näher waren, 
zurückkehren jollen: virtus consistit in medio, medium tenuere beati, est modus in 
rebus, sunt certi denique fines, quos ultra eitraque nequit consistere rectum, fo 
haben wir ſchlecht gewählt, uns an ihr Drafel zu wenden. — Es giebt zwijchen Wahr: 
haftigfeit und Yüge (als contradietorie oppositis) fein Mittleres: aber wohl zwiſchen 
Dffenberzigfeit und Zurückhaltumg (als contrarie oppositis), ba an dem, welcher feine 
Meinung erklärt, Alles, was er jagt, wahr ift, er aber nicht die ganze Wahrheit 
jagt. Nun ift doch ganz natürlid) von dem Tugenblehrer zu fordern, baf er mir dieſes 
Mittlere anweife. Das kann er aber nicht; denn beide Tugendpflichten haben einen 
Spielraum ber Anwendung (latitudinem), und was zu thun fei, kann nur von der lIr- 
theilöfraft nach Regeln der Klugheit (den pragmatifchen), nicht denen ber Sittlichfeit 
(dem moralifchen), d. i. nicht ald enge (officium strietum), ſondern nur ald weite 
Pflicht (offieium latum) entfchieben werben. Daher ber, welcher bie Grundſätze ber 
Tugend befolgt, zwar in ber Ausübung im Mehr oder Weniger, als die Klugheit vor- 
ichreibt, einen Fehler (peccatum) begehn, aber nicht darin, daß er biefen Grunb- 
jäben mit Strenge anhänglich ift, ein Kater (vitium) ausüben, und Horazens Vers: 
insani sapiens nomen habeat aequus iniqui, wra quam satis est virtutem si petat 
ipsam, ijt, nad) bem Buchjtaben genommen, grundfalſch. Sapiens bedeutet hier wohl 
nur einen geihenten Mann (prudens), ber fich nicht phantaftifch Tugenbvollfommen- 
heit benft, die als Ideal zwar die Annäherung zu diefem Zwecke, aber nicht bie Boll» 


s endung fordert, als welche Forderung die menſchlichen Kräfte überfteigt und Unfinn 


(Phantafterei) in ihr Princip hinein bringt. Denn garzutugendhaft, b. i. jeiner 
Pflicht gar zu anhänglich, zu fein, würbe ungefähr fo viel fagen als: einen Girfel gar 
zu rund, ober eine gerabe Linie gar zu gerabe machen. 

Kant’? Schriften Werke. VI. 28 


434 Metaphyfiiche Anfangsgründe ber Zugendblehre. L Eibiiche Elementarlehre. 


haben, und beide, die Verſchwendung jowohl als die Kargheit, blos darum 
verwerflich zu fein ſcheinen, weil fie auf Armuth hinaus laufen, bei dem 
einen auf nicht erwartete, bei dem anderen auf willfürlidhe (armjelig leben 
zu wollen), — fo iſt die Frage: ob fie, die eine ſowohl als die andere, 
überhaupt Zafter und nicht vielmehr beide bloße Unflugheit genannt wer- 
den jollen, mithin nicht ganz und gar außerhalb den Grenzen der Pflicht 
gegen ſich jelbit liegen mögen. Die Kargheit aber ift nidyt blos migver- 
ftandene Sparjamfeit, jondern ſtlaviſche Unterwerfung feiner jelbit unter 
die Slüdsgüter, ihrer nicht Herr zu fein, weldyes Verlegung der Pflicht 
gegen ſich jelbft ift. Sie ift der Ziberalität (liberalitas moralis) der 
Denkungsart überhaupt (nicht der Freigebigfeit (liberalitas sumptuosa), 
welche nur eine Anwendung derjelben auf einen befonderen Fall ift), d. i. 
dem Princip der Unabhängigkeit von allem anderen außer von dem Geſetz, 
entgegengejeßt und Defraudation, die das Subject an fi ſelbſt begeht. 
Aber was ijt das für ein Gejeß, defjen innerer Geſetzgeber jelbjt nicht 
weiß, wo es anzumenden ift? Soll id; meinem Munde abbredhen, oder 
nur dem äußeren Aufwande? im Alter, oder jchon in der Jugend? oder 
ift Sparfamfeit überhaupt eine Tugend? 


III. 


Von der Kriecherei. 
$ 11. 

Der Menſch im Syftem der Natur (homo phaenomenon, animal 
rationale) ift ein Wejen von geringer Bedeutung und hat mit den übrigen 
Thieren, als Erzeugnifjen des Bodens, einen gemeinen Werth (pretium 
vulgare). Selbſt, daß er vor diejen den Verftand voraus hat und ſich 
jelbjt Zwede jegen fann, das giebt ihm doc) nur einen äußeren Werth 
feiner Braudpbarfeit (pretium usus), nämlidy eines Menſchen vor dem 
anderen, d. i. ein Breis, als einer Waare, in dem Verkehr mit diefen 
Thieren als Saden, wo er doc) nod) einen niedrigern Werth hat, als das 
allgemeine Taufhmittel, das Geld, defien Werth daher ausgezeichnet 
(pretium eminens) genannt wird. 

Allein der Menſch, als Perjon betrachtet, d. i. als Subject einer 
moraliſch⸗praktiſchen Vernunft, ijt über allen Preis erhaben; denn als ein 
ſolcher (homo noumenon) ift er nicht blos als Mittel zu anderer ihren, 


2 


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1. Buch. 2. Hauptftück. 1. Von der Kriecherei. 435 


ja ſelbſt jeinen eigenen Zmweden, fondern als Zweck an ſich ſelbſt zu jchät- 
zen, d. i. er befißt eine Würde (einen abjoluten innern Werth), wodurd) 
er allen andern vernünftigen Weltwefen Achtung für ihn abnöthigt, ſich 
mit jedem Anderen diejer Art mefjen und auf den Fuß der Gleichheit 
ihäßen kann. 

Die Menfchheit in feiner Perfon ift das Object der Achtung, die er 
von jedem anderen Menſchen fordern kann; deren er aber aud) fich nicht 
verluftig machen muß. Er fann und ſoll fid) aljo nad) einem Heinen ſo— 
wohl als großen Maßitabe ſchätzen, nachdem er ſich als Sinnenwefen 
(feiner thieriihen Natur nach) oder als intelligibles Weſen (feiner mora= 
liihen Anlage nad) betrachtet. Da er ſich aber nicht blos als Perſon 
überhaupt, jondern aud) als Menſch, d. i. als eine Perſon, die Pflichten 
auf fich hat, die ihm feine eigene Vernunft auferlegt, betrachten muß, fo 
fann jeine Geringfähigfeit al3 Thiermenjcd dem Bewußtjein feiner 
Miürde als Vernunftmenſch nidt Abbruch thun, und er ſoll die mora— 
liche Selbſtſchätzung in Betracht der letzteren nicht verläugnen, d. i. er 
ſoll id um feinen Zweck, der an ſich jelbit Pflicht ift, nicht kriechend, nicht 
knechtiſch (animo servili), gleic als fih um Gunſt bewerbend, bewer: 
ben, nicht feine Würde verläugnen, fondern immer mit dem Bemwußtjein 
der Erhabenheit feiner moraliſchen Anlage (welches im Begriff der Tu— 
gend Schon enthalten ift), und dieje Selbſtſchätzung ijt Pflicht des Men- 
ſchen gegen ſich jelbit. 

Das Bewußtfein und Gefühl der Geringfähigfeit feines moraliſchen 
Werths in Bergleihung mit dem Geſetz iſt die Demuth (humilitas 
moralis), Die llberredung von einer Größe diejes feines Werths, aber 
nur aus Mangel der Vergleihung mit dem Gejeb, kann der Tugendſtolz 
(arrogantia moralis) genannt werden. — Die Entjagung alles Anſpruchs 
auf irgend einen moraliihen Werth feiner ſelbſt in der Uberredung, fid) 
eben dadurd) einen geborgten zu erwerben, ift die ſittlich-falſche Krieche— 
rei (humilitas spuria). 

Demuth in Bergleihung mit anderen Menſchen (ja über- 
haupt mit irgend einem endlichen Wejen, und wenn es aud ein Seraph 
wäre) ijt gar feine Pflicht; vielmehr ift die Bejtrebung in diefem Wer: 
hältniffe andern gleich zu kommen oder fie zu übertreffen mit der Über: 
redung fi dadurch aud einen inneren größeren Werth zu verfchaffen 
Hochmuth (ambitio), welder der Pflicht gegen andere gerade zumider 
ift. Aber die blos als Mittel zu Erwerbung der Gunft eines Anderen 

28* 





456 Metapytihe Anfampsarimde der Zugendlehre. 1. Ethifhe Elementarlehre 

(mer es auch jei) ausgefonmene Herabfegung feines eigenem moralifdjen 

— ——— 
als Abwürdigung feiner Perſonlichkeit der Pflicht gegen ſich ſelbſt ent- 


gegen. 
Aus unferer aufrichtigen und genauen Bergleihung mit dem mora- = 
fen ei (fen Beige ud Eienge, maß umementih ma 

















Bürbe (dignitas interna) befipt, Die ihm Aitung (reverentia) gegen ih 
jeföft einflöht. 


$12. 

Mehr oder weniger kann man dieje Pflicht in Beziehung auf die = 
Würde der Menſchheit in uns, mithin auch gegen uns jelbft in folgenden 
Beifpielen fennbar madjen. 

Werdet nit ber Menſchen Knete; — laßt euer Recht nicht unge: 
ahndet von Anderen mit Füßen treten. — Macht feine Schulden, für die 
ihr nicht volle Sicherheit Teiftet. — Nehmt nicht Wohlthaten an, die ihr = 
entbehren fönnt, und jeid nit Schmaroker, oder Schmeidhler, oder gar 
(was freilid; nur im Grad von dem Borigen unterſchieden ift) Bettler. 
Daher jeid wirthſchaftlich, damit ihr nicht betteların werdet. — Das Kla- 
gen und Winfeln, felbft das bloße Schreien bei einem körperlihen Schmerz 
tft ener ſchon unwerth, am meiften, wenn ihr euch bewußt feid ihm felbft 
verſchuldet zu haben: daher die Veredlung (Abwendung der Schmach) des 
Todes eines Delinquenten durch die Standhaftigfeit, mit der er ftirbt. — 
Das Hinknien oder Hinwerfen zur Erde, felbft um die Verehrung himm- 
liiher Segenftände ſich dadurch zu verfinnlichen, ift der Menſchenwürde 
zumiber, jo wie die Anrufung derjelben in gegenwärtigen Bildern; denn » 
Ihr demüthigt euch alsdann nicht unter einem Fdeal, das euch eure 





" Heucheln (eigentlich häudjlen) jcheint vom ächzenden, bie Spradhe unter- 
brechenden Hauch (Stoßfeufzer) abgeleitet zu fein; dagegen Schmeichlen vom 
Scdmlegen, welches als Habtius Schmiegeln und endlich von den Hochdeutſchen 
Echmeldeln genannt worben Ift, abzuſtammen. 35 


= 


— 
= 


= 


2 





1. Bud. 2. Hauptft. 1, Abſchn. Bon ber Pflicht des Menfchen gegen fich felbftic. 437 


eigene Vernunft vorjtellt, jondern unter einem Idol, was euer eigenes 
Gemaͤchſel ift. 


Caſuiſtiſche Fragen. 


Fit nicht in dem Menſchen das Gefühl der Erhabenheit feiner Be- 
ſtimmung, d. i. die Gemüthserhebung (elatio animi) als Schäkung 
feiner jelbjt, mit dem Eigendünfel (arrogantia), welcher der wahren 
Demuth (humilitas moralis) gerade entgegengejeßt ift, zu nahe verwandt, 
als daß zu jener aufzumuntern es rathjam wäre; jelbjt in Vergleichung 
mit anderen Menjchen, nicht blos mit dem Geſetz? oder würde dieſe Art 
von Gelbftverläugnung nicht vielmehr den Ausſpruch Anderer bis zur 
Geringihäbung unferer Berfon fteigern und fo der Pflicht (der Achtung) 
gegen uns jelbjt zuwider fein? Das Büden und Schmiegen vor einem 
Menſchen Scheint in jedem Fall eines Menſchen unwürdig zu fein. 

Die vorzügliche Adhtungsbezeigung in Worten und Manieren ſelbſt 
gegen einen nicht Gebietenden in der bürgerlihen Berfaffung — die Re— 
verenzen, Verbeugungen (Gomplimente), höfiſche — den Unterſchied der 
Stände mit jorgfältiger Pünktlichkeit bezeichnende Phraſen, — weldje von 
der Höflichkeit (die auch ſich gleich Adytenden nothwendig ift) ganz unters 
ihieden find — das Du, Er, Ihr und Sie, oder Ew. Wohledlen, Hod)- 
edel, Hocedelgebornen, Wohlgebornen (ohe, iam satis est!) in der Ans 
rede — als in welcher Bedanterei die Deutihen unter allen Völkern der 
Erde (die indiihe Kaften vielleicht ausgenommen) es am weiteſten ge— 
bracht haben, find das nicht Beweiſe eines ausgebreiteten Hanges zur 
Kriecherei unter Menjhen? (Hae nugae in seria ducunt.) Wer fid aber 
zum Wurm macht, kann nachher nicht Klagen, daß er mit Füßen getre- 
ten wird, 


Des zweiten Hauptftüds 
Erſter Abſchnitt. 
Von der Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt, als den 
angebornen Richter über ſich ſelbſt. 
813. 


Ein jeder Pflichtbegriff enthält objective Nöthigung durchs Geſetz 
(als moralifchen, unfere Freiheit einfchränfenden Imperativ) und gehört 








438 Metaphnfiſche Anfangsgründbe ber Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlebre. 


dem praltiſchen Verſtande zu, der die Regel giebt; die innere Zurech⸗ 
nung aber einer That, als eines unter dem Geſetz jtehenden Falles, (in 
meritum aut demeritum) gehört zur Urtheilsfraft (iudieium), welche 
als das fubjective Brincip der Zurechnung der Handlung, ob fie als That 
(unter einem Geſetz ftehende Handlung) geichehen jei oder nicht, rechts— 
fräftig urtheilt; worauf denn der Schluß der Vernunft (die Sentenz), 
d. 1. die Berfnüpfung der rechtlichen Wirkung mit der Handlung (die Ber: 
urtheilung oder Losſprechung), folgt: weldhes alles vor Gericht (coram 
iudieio), als einer dem Gejeß Effect verihaffenden moraliſchen Perjon, 
Serihtshof (forum) genannt, gefhieht. — Das Bewußtſein eines 
inneren Gerihtshofes im Menſchen („vor welchem ſich feine Gedan- 
fen einander verflagen oder entihuldigen“) ift das Gewiſſen. 


Jeder Menſch hat Gewiffen und findet ſich durch einen inneren Rich— 
ter beobachtet, bedroht und überhaupt im Reſpect (mit Furcht verbundener 
Achtung) gehalten, und diefe über die Geſetze in ihm wachende Gewalt ift 
nicht etwas, was er ſich ſelbſt (willfürlih) macht, jondern es ijt jeinem 
Weſen einverleibt. &3 folgt ihm wie fein Schatten, wenn er zu entfliehen 
gedenft. Er kann ſich zwar durch Lüfte und Berjtrenungen betäuben oder 
in Schlaf bringen, aber nicht vermeiden dann und wann zu fich felbft zu 
kommen oder zu erwachen, wo er alsbald die furdtbare Stimme defjelben 
vernimmt. Er kann es in jeiner äußerjten Berworfenheit allenfalls da- 
bin bringen, fi daran gar nicht mehr zu fehren, aber fie zu hören, fann 
er doch nicht vermeiden. 


Diefe urjprüngliche intellectuelle und (weil fie Pflihtvorjtellung ift) 
moraliiche Anlage, Gewiſſen genannt, hat nun das Bejondere in fich, 
daß, obzwar biejes fein Geſchäfte ein Geſchäfte des Menschen mit ſich jelbft 
ift, diefer ſich doch durch feine Vernunft gemöthigt fieht, es als auf den 
Geheiß einer anderen Perjon zu treiben. Denn der Handel ijt hier 
die Führung einer Rechts ſache (causa) vor Geriht. Daß aber ber 
durch jein Gewiffen Angeklagte mit dem Nichter als eine und die— 
jelbe Perſon vorgeftellt werde, ijt eine ungereimte Vorftellungsart 
von einem Gerichtshofe; denn da würde ja der Ankläger jederzeit ver- 
lieren. — Alfo wird fi) das Gewifjen des Menſchen bei allen Pflich— 
ten einen Anderen (als den Menſchen überhaupt, d. i.) als ſich felbft, 
zum Nichter feiner Handlungen denken müſſen, wenn es nicht mit fid) 
jelbft im Widerſpruch ftehen fol. Diefer Andere mag nun eine wirt 


— 


3 


20 


5 


[2] 


20 


2 


— 
>} 


1. Bud). 2. Hauptſt. 1. Abſchn. Bon ber Pflicht bes Menfchengegen ſich felbftzc. 439 


lie, oder blos idealiſche Perfon fein, welche die Vernunft ſich ſelbſt 
ſchafft.) 

Eine ſolche idealiſche Perſon (der autorifirte Gewiſſensrichter) muß 
ein Herzenskündiger ſein; denn der Gerichtshof iſt im Inneren des Men— 
ichen aufgeſchlagen — zugleich muß er aber aud) allverpflidhtend, d.i. 
eine ſolche Perſon fein, oder als eine ſolche gedadjt werden, in Verhältniß 
auf welche alle Pflichten überhaupt auch als ihre Gebote anzujehen find: 
weil das Gewifjen über alle freie Handlungen der innere Richter ift. — 
— Da nun ein ſolches moralifches Weſen zugleich alle Gewalt (im Him— 
mel und auf Erden) haben muß, weil es fonft nicht (mas doch zum Rich— 
teramt nothwendig gehört) jeinen Geſetzen den ihnen angemefjenen Effect 
verſchaffen könnte, ein ſolches über Alles machthabende moralifche Weſen 
aber Gott heißt: jo wird das Gewiſſen als jubjectives Princip einer vor 
Gott feiner Thaten wegen zu leiftenden Verantwortung gedacht werden 
müfjen: ja es wird der leßtere Begriff (wenn gleich nur auf dunfele Art) 
in jenem moraliſchen Selbjtbewußtjein jederzeit enthalten fein. 

Diefes will num nicht jo viel jagen als: der Menſch, durch die Idee, 
zu welcher ihn fein Gewiſſen unvermeidlich leitet, jei berechtigt, noch weni- 
ger aber: er jei durd) dafjelbe verbunden ein ſolches höchſte Wejen außer 
ſich als wirflid anzunehmen; denn fie wird ihm nicht objectiv, durch 
theoretijche, jondern blos jubjectiv, durch praftifche, ſich ſelbſt verpflich— 


) Die zwiefache Perjönlicgkeit, in welcher der Menſch, der fich im Gewiſſen an« 
klagt und richtet, ſich jelbft denfen muß: dieſes doppelte Selbit, einerfeits vor ben 
Schranken eines Geridhtähofes, der doch ihm ſelbſt anvertraut ift, zitternd ftehen zu 
müffen, anberfeit8 aber das Richteramt aus angeborener Autorität ſelbſt in Händen 
zu haben, bebarf einer Erläuterung, bamit wicht die Bernumft mit fich felbit gar in 
Wiberſpruch gerathe. — Ich, der Kläger unb doch auch Angeflagter, bin eben berfelbe 
Menjch (numero idem), aber ald Subject ber moralifchen, von dem Begriffe ber 
Freiheit ausgehenden Geſetzgebung, wo der Menfch einem Geſetz unterthan tt, das er 
ſich felbit giebt (homo noumenon), iſt er als ein Anderer als ber mit Vernunft begabte 
Sinnenmenſch (specie diversus), aber mur in praftifcher Rüdficht zu betrachten — 
denn über das Gaufal:Berhältnif des Sntelligibilen zum Genfibilen giebt es Feine 
Theorie, — und bieje ſpecifiſche Verſchiedenheit ift die der Facultäten des Menjchen 
(der oberen und unteren), die ihn charafterifiren. Der erjtere iſt ber Ankläger, dem 
entgegen eim rechtlicher Beiltand bes Berklagten (Sachwalter beffelben)!bewilligt ift. 
Nah Schließung ber Acten thut der innere Richter, als machthabende Berfon, ben 
Ausſpruch über Glüdjeligfeit oder Elend, als moralifche Folgen der That; in welcher 
Qualität wir diefer ihre Macht (ald Weltherrjchers) durch unfere Vernunft nicht weiter 
verfolgen, ſondern mur das unbedingte iubeo oder veto verehren fünnen, 


440 Metaphyſiſche Anfangsgrände der Tugendlehre. I. Ethifche Elementarlehre. 


tende Vernunft ihr angemefjen zu handeln gegeben; und der Menſch er- 
hält vermittelft diefer nur nad) der Analogie mit einem Gejehgeber 
aller vernünftigen Weltwefen eine bloße Leitung, die Gewifjenhaftigkeit 
(welche aud) religio genannt wird) als Berantwortlichfeit vor einem von 
uns jelbjt unterjchiedenen, aber uns doch innigjt gegenwärtigen heiligen 
Weſen (der moraliſch-geſetzgebenden Vernunft) fid) vorzuftellen und dejjen 
Willen den Regeln der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Der Begriff von 
der Religion überhaupt ift hier dem Menſchen blos „ein Princip der Be: 
urtheilung aller feiner Pflichten als göttlicher Gebote.” 

1) Sn einer Gewifjensfache (causa conscientiam tangens) denkt fid) 
der Menſch ein warnendes Gemwifjen (praemonens) vor der Entjchlie- 
Bung; wobei die äußerfte Bedenklichkeit (scrupulositas), wenn es einen 
Pflihtbegriff (etwas an fi Moraliſches) betrifft, in Fällen, darüber das 
Gewiſſen der alleinige Richter ift (casibus conscientiae), nicht für Klei— 
nigfeitsfrämerei (Mifrologie) und eine wahre libertretung nicht für Ba- 
gatelle (peccatillum) beurtheilt und (nad) dem Grundſatz: minima non 
eurat praetor) einem willtürlid) ſprechenden Gewifjensrath überlafjen 
werden kann. Daher ein weites Gewiljen jemanden zuzuſchreiben jo 
viel heißt als: ihn gewiſſenlos nennen. — 

2) Wenn die That befchlofjen iſt, tritt im Gewifjen zuerjt der An— 
fläger, aber zugleidy mit ihm auch ein Anwalt (Advocat) auf; wobei 
der Streit nicht gütlid) (per amicabilem compositionem) abgemadt, ſon— 
bern nad) der Strenge des Rechts entichieden werden muß; und hier: 
auf folgt 

3) der rehtsfräftige Spruch des Gewifjens über den Menichen, ihn 
loszujpreden oder zu verdammen, der den Beihluß macht; wobei zu 
merfen ift, daß der erjtere nie eine Belohnung (praemium), als Ge— 
winn von etwas, was vorher nicht jein war, beſchließen fann, jondern nur 
ein Frobjein, der Gefahr, jtrafbar befunden zu werden, entgangen zu 
fein, enthalte und daher die Seligfeit in dem troftreihen Zuſpruch feines 
Gewifjens nicht pojitiv (als Freude), jondern nur negativ (Berubi- 
gung nad) vorhergegangener Bangigleit) ift, was der Tugend, als einem 
Kampf gegen die Einflüfje des böfen Princip im Menſchen, allein beige- 
legt werden fann. 


ui 


0 


1. Buch. 2. Hauptft. 2. Abſchn. B.d. erften Gebot aller Pflichten geg. ſich ſelbſt. 441 


Zweiter Abſchnitt. 
Bon dem erjten Gebot aller Pflihten gegen ſich jelbit. 


$ 14. 


Diefes ift: Erkenne (erforjche, ergründe) did jelbft nicht nad 

5 deiner phyfifchen Volltommenheit (der Tauglichkeit oder Untauglichkeit 

zu allerlei dir beliebigen oder aud) gebotenen Zwecke), jondern nad) der 

moralifhen in Beziehung auf deine Pflicht — dein Herz, — ob es gut 

oder böfe fei, ob die Duelle deiner Handlungen lauter oder unlauter, und 

was entweder als urfprünglid) zur Subftanz des Menſchen gehörend, 

o oder als abgeleitet (erworben oder zugezogen) ihm jelbjt zugeredjnet wer- 
den fann und zum moraliihen Zuſtande gehören mag. 

Das moraliſche Selbfterfenntniß, das in die ſchwerer zu ergründende 
Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ift aller menjchlichen 
Meisheit Anfang. Denn die lebtere, weldye in der Zufammenjtimmung 
des Willens eines Wefen zum Endzwed befteht, bedarf beim Menjchen zu 
allererjt die Wegräumung der inneren Hindernifje (eines böjen in ihm 
geniftelten Willens) und dann die Entwidelung der nie verlierbaren urs 
ſprünglichen Anlage eines guten Willens in ihm zu entwideln (nur die 
Höllenfahrt des Selbiterfenntniffes bahnt den Weg zur Vergötterung). 


0 $ 15. 


Diejes moraliſche Selbiterfenntniß wird erftlid die ſchwärmeri— 
ſche Veradhtung feiner jelbit, als Menſch (feiner ganzen Gattung) über: 
haupt, verbannen; denn fie widerſpricht ſich jelbit. — Es kann ja nur 
dur) die herrliche in uns befindliche Anlage zum Guten, weldye den Men— 
ihen achtungswürdig macht, geihehen, dab er den Menjchen, der diejer 
zuwider handelt, (ſich jelbft, aber nicht die Menſchheit in ſich) verachtungs⸗ 
würdig findet. — Dann aber widerjteht fie auch der eigenliebigen 
Selbjtihäßung, bloße Wünſche, wenn fie mit nod) fo großer Sehnſucht 
geihähen, da fie an fid) doch thatleer find und bleiben, für Beweife eines 
guten Herzens zu halten (Gebet ift aud nur ein innerlicd) vor einem 
Herzensfündiger declarirter Wunſch). Unparteilichkeit in Beurtheilung 
unjerer jelbft in Bergleihung mit dem Gejeß und Aufrichtigfeit im Selbſt— 
geftändnijje feines inneren moralijchen Werths oder Unwerths find Pflich— 


2 


= 


3 


= 


442 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. T. Ethiſche Elementarlehre. 


ten gegen ſich ſelbſt, die aus jenem erften Gebot der Selbfterfenntniß uns 
mittelbar folgen. 


Epifodiiher Abſchnitt. 


Bon der Amphibolie der moralijhen Neflegionsbegriffe: das, 
was Pflicht des Menihen gegen fi felbit ift, für Pflicht 
gegen Andere zu halten. 


$ 16. 


Nad) der bloßen Vernunft zu urtheilen, hat der Menſch jonjt Feine 
Pflicht, als blos gegen den Menſchen (fich ſelbſt oder einen anderen); 
denn feine Pflicht gegen irgend ein Subject ift die moraliſche Nöthigung 
durch diefes feinen Willen. Das nöthigende (verpflichtende) Subject muß 
aljo erjtlich eine Berfon fein, zweitens muß dieje Perſon als Gegenftand 
der Erfahrung gegeben fein: weil der Menſch auf den Zwed ihres Willens 
hinwirken ſoll, weldyes nur in dem Verhältnifje zweier eriftirender Weſen 
zu einander gejchehen fann (denn ein bloßes Gedankending kann nicht 
Urſache von irgend einem Erfolg nad Zweden werden). Nun kennen 
wir aber mit aller unferer Erfahrung fein anderes Weſen, was der Ver: 
pflidhtung (der activen oder paſſiven) fähig wäre, als blos den Menſchen. 
Alfo kann der Menſch ſonſt feine Pflicht gegen irgend ein Weſen haben, 
als blos gegen den Menſchen, und ftellt er fi gleichwohl eine ſolche zu 
haben vor, jo geichieht diejes durd) eine Amphibolie der Reflexions— 
begriffe, und feine vermeinte Pflicht gegen andere Weſen ift blos Pflicht 
gegen ſich jelbit; zu welchem Mißverftande er dadurd) verleitet wird, dab 
er jeine Pflicht in Anfehung anderer Wejen für Pfliht gegen dieſe 
Weſen verwedhjelt. 

Dieje vermeinte Pflicht fann nun auf unperjönliche, oder zwar 
perjönliche, aber ſchlechterdings unſichtbare (den äußeren Sinnen nit 
darzuftellende) Gegenftände bezogen werden. — Die erjtere (außer— 
menſchliche) fünnen der bloße Naturftoff, oder der zur Fortpflanzung 
organifirte, aber empfindungslofe, oder der mit Empfindung und Rillfür 
begabte Theil der Natur (Mineralien, Pflanzen, Thiere) fein: die zweite 
(übermenjhliche) können als geijtige Wejen (Engel, Gott) gedacht 
werden. — Ob zwijchen MWefen beider Art und den Menſchen ein Pflicht: 
verhältniß und welches dazwiſchen ftatt finde, wird nun gefragt. 





1. Buch. 2. Hauptft. Epifob. Abſchn. Amphibolle d. moral. Rechtsbegriffe. 443 
$ 17. 

In Anfehung des Schönen, obgleid) Zeblojen in der Natur ift ein 

Hang zum bloßen Zerſtören (spiritus destructionis) der Pflicht des Men- 
ſchen gegen ſich jelbit zumider: meil es ‚dasjenige Gefühl im Menſchen 
ſchwächt oder vertilgt, was zwar nicht für ſich allein ſchon moraliſch iſt, 
aber dod) diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität ſehr 
befördert, wenigjtens dazu vorbereitet, nämlich etwas aud ohne Abficht 
auf Nutzen zu lieben (z. B. die ſchöne Kryftallifationen, das unbejchreib- 
lih Schöne des Gewächsreichs). 
10 In Anfehung des lebenden, obgleid) vernunftlofen Theils der Ge— 
ſchöpfe ift die Pflicht der Enthaltung von gewaltjamer und zugleich graus 
jamer Behandlung der Thiere der Pflicht des Menſchen gegen ſich ſelbſt 
weit inniglicher entgegengejebt, weil dadurd) das Mitgefühl an ihrem 
Leiden im Menſchen abgeftumpft und dadurd) eine der Moralität im Ber- 
hältnifje zu anderen Menſchen jehr dienſame natürliche Anlage geſchwächt 
und nad) und nad) ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Dual ver: 
richtete) Tödtung, oder aud) ihre, nur nicht bis über Vermögen ange: 
jtrengte Arbeit (dergleihen aud wohl Menſchen ſich gefallen laſſen 
müfjen) unter die Befugniffe des Menſchen gehören; da hingegen die 
martervolle phyſiſche Verſuche zum bloßen Behuf der Speculation, wenn 
auch ohne fie der Zwed erreicht werden könnte, zu verabjcheuen find. — 
Selbjt Dankbarkeit für lang geleiftete Dienfte eines alten Pferdes oder 
Hundes (gleich als ob fie Hausgenofjen wären) gehört indirect zur 
Pflicht des Menſchen, nämlid in Anſehung diejer Thiere, direct aber 
betrachtet ift fie immer nur Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit. 


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23 
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2 


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$ 18. 


In Anjehung defjen, was ganz über unjere Erfahrungsgränge hin- 
aus liegt, aber dod) feiner Möglichkeit nad) in unferen Fdeen angetroffen 
wird, 3. B. der Idee von Gott, haben wir eben jo wohl aud) eine Pflicht, 
welche Religionspflicdht genannt wird, die nämlich „der Erfenntniß 
aller unſerer Pflichten als (instar) göttlicher Gebote.“ Aber diejes ift 
nicht das Bewußtſein einer Pfliht gegen Gott. Denn da dieje Idee 
ganz aus unferer eigenen Vernunft hervorgeht und von uns, es fei in 
theoretischer Abfiht, um fi die Zweckmäßigkeit im Weltganzen zu er- 
5 klären, oder auch um zur Zriebfeder in unferem Verhalten zu dienen, 


= 


d 





446 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlehre. 


kann, ift es Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbft, ein der Welt nüßliches 
Glied zu fein, weil diefes aud) zum Werth) der Menſchheit in feiner eige- 
nen Perſon gehört, die er aljo nicht abwürdigen joll. 

Die Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit in Anjehung jeiner phy— 
ſiſchen Bollfommenheit ift aber nur weite und unvolllommene Pflicht: 
weil fie zwar ein Gejeß für die Marime der Handlungen enthält, in Au— 
ſehung der Handlungen jelbft aber ihrer Art und ihrem Grade nad) nichts 
beitimmt, fondern der freien Willfür einen Spielraum verftattet. 


Zweiter Abſchnitt. 
Von ber Pfliht gegen ſich jelbit in Erhöhung feiner 
moralifchen Volltommenheit, d. i. in blos jittliher Abſicht. 


Ss 21. 


Sie befteht erftlich fubjectiv in der Zauterfeit (puritas moralis) 
der Pflichtgefinnung: da nämlich aud) ohne Beimifhung der von der 
Sinnlichkeit hergenommenen Abfihten das Gefek für fi allein Trieb- 
feder ift, und die Handlungen nicht blos pflihtmäßig, jondern auch aus 
Pflicht geihehen. — „Seid heilig“ ift hier das Gebot. Bweitens ob» 
jectiv in Anfehung des ganzen moraliihen Zwecks, der die Vollkommen— 
heit, d. i. jeine ganze Pflicht und die Erreichung der Vollftändigfeit des 
moraliſchen Zweds in Anfehung feiner ſelbſt, betrifft, „jeid vollkommen“; 
zu welchem Biele aber hinzuftreben beim Menſchen immer nur ein Fort— 
jchreiten von einer Vollkommenheit zur anderen ift, „iſt etwa eine Zus 
gend, ift etwa ein Lob, dem trachtet nad.” 


$ 22. 


Dieſe Pflicht gegen ſich ſelbſt ift eine der Dualität nad) enge und 
volllommene, obgleich dein Grade nad) weite und unvolllommene Pflicht 
und das wegen der Gebrechlichkeit (fragilitas) der menſchlichen Natur. 

Diejenige Bolllommenheit nämlich, zu welcher zwar das Streben, 
aber nit das Erreichen derjelben (in diejem Leben) Pflicht ift, deren 
Befolgung alfo nur im continuirlihen Fortſchreiten beftehen kann, iſt in 
Hinfiht auf das Object (die Idee, deren Ausführung man fid) zum 
Bwed machen fol) zwar enge und volllommene, in Rückſicht aber auf 
das Subject weite und nur unvolltommene Pflicht gegen ſich ſelbſt. 


- 


- 


[2] 


— 
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2. Bud). 2. Abſchn. Die Pflicht gegen fich felbft in blos fittlicher Abſicht. 447 


Die Tiefen des menschlichen Herzens find unergründlih. Wer fennt 
fi) gnugſam, wenn die Triebfeder zur Pflichtbeobachtung von ihm gefühlt 
wird, ob fie gänzlich) aus der Vorftellung des Gejebes hervorgehe, oder 
ob nicht mandye andere ſinnliche Antriebe mitwirken, die auf den Vortheil 
(oder zur Verhütung eines Nachtheils) angelegt find und bei anderer Ge— 
legenheit aud) wohl dem Lafter zu Dienften ſtehen könnten. — Was aber 
die Vollkommenheit als moraliijhen Zwed betrifft, jo giebts zwar in der 
Idee (objectiv) nur eine Tugend (als fittlihe Stärfe der Marimen), in 
der That (jubjectiv) aber eine Menge derjelben von heterogener Beſchaffen— 
heit, worunter es unmöglid) fein dürfte, nicht irgend eine Untugend (ob 
fie gleid) eben jener wegen den Namen des Laſters nicht zu führen pflegen) 
aufzufinden, wenn man fie ſuchen wollte. ine Summe von Tugenden 
aber, deren Bollftändigkeit oder Mängel das Selbjterfenntniß uns nie 
hinreihend einſchauen läßt, fann feine andere ald unvollflommene Pflicht 
s vollfommen zu jein begründen. 

Alfo find alle Pflichten gegen ſich jelbit in Anjehung des Zwecks der 
Menſchheit in unferer eigenen Berfon nur unvolllommene Pflichten. 


— 
= 


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3 


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2. Theil. 1. Hauptft. 1. Abſchn. B. d, Liebespflicht gegen andere Menſchen. 449 


bloße Schuldigfeit oder geringen Liebesdienft vorftellt, die Demüthigung 
zu erfparen und ihm feine Achtung für ſich ſelbſt zu erhalten. 


S 24. 

Wenn von Pflihtgefeben (nit von Naturgefeken) die Rede ift und 
zwar im äußeren Verhältniß der Menſchen gegen einander, jo betrachten 
wir ung in einer moralifchen (intelligibelen) Welt, in welcher nad) der 
Analogie mit der phyfiihen die Verbindung vernünftiger Wefen (auf 
Erden) durd; Anziehung und Abftoßung bewirkt wird. Vermöge des 
Princips der Wechfelliebe find fie angewiefen ſich einander beftändig 
zu nähern, durd) das der Achtung, die fie einander ſchuldig find, ſich 
im Abftande von einander zu erhalten; und follte eine diejer großen 
fittlihen Kräfte finfen, „jo würde dann das Nichts (der Immoralität) 
mit aufgefperrtem Schlund der (moraliiden) Wejen ganzes Reich wie 
einen Tropfen Waffer trinken“ (wenn ich mich hier der Worte Hallers, 
nur in einer andern Beziehung, bedienen darf). 


8 25. 


Die Liebe wird hier aber nit als Gefühl (äfthetiich), d. i. als Luft 
an der Vollkommenheit anderer Menjchen, nicht als Liebe des Wohlge- 
fallens, verftanden (denn Gefühle zu haben, dazu kann es feine Ver: 
pflihtung durd; Andere geben), jondern muß als Marime des Wohl: 
wollens (als praktiſch) gedaht werden, weldhe das Wohlthun zur 
Folge hat. 

Eben dafjelbe muß von der gegen Andere zu beweifenden Achtung 
gejagt werden: daß nämlich nicht blos das Gefühl aus der Vergleihung 
unjeres eigenen Werths mit dem des Anderen (dergleichen ein Kind 
gegen feine Altern, ein Schüler gegen feinen Lehrer, ein Niedriger über: 
haupt gegen jeinen Oberen aus bloßer Gewohnheit fühlt), jondern nur 
eine Marime der Einfhränfung unjerer Selbjtihäkung durd) die Würde 
der Menjchheit in eines Anderen Perſon, mithin die Achtung im prafti- 
Ihen Sinne (observantia aliis praestanda) verftanden wird. 

Auch wird die Pflicht der freien Adytung gegen Andere, weil fie 
eigentlich nur negativ ijt (fich nicht über Andere zu erheben) und fo der 
Nechtspflicht, niemanden das Seine zu jhmälern, analog, obgleich als 

Kant’d Schriften Werke. VI 29 


— 
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35 











2, Theil. 1, Hauptft. 1. Abſchn. B. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 451 


hältniß gegen Menſchen ift ein Verhältniß derjelben in der Vorftellung 
der reinen Vernunft, d. i. der freien Handlungen nad Marimen, nie 
ſich zur allgemeinen Gefeßgebung qualificiren, die alſo nicht ſelbſtſüchtig 
(ex solipsismo prodeuntes) fein können. Ich will jedes Anderen Wohl- 
wollen (benevolentiam) gegen mich; ic) ſoll aljo aud) gegen jeden Anderen 
wohlwollend fein. Da aber alle Andere außer mir nidt Alle fein, mit- 
hin die Marime nicht die Allgemeinheit eines Geſetzes an ſich Haben würde, 
welche dod) zur Verpflichtung nothwendig iſt: jo wird das Pflichtgeſetz des 
Wohlwollens mid) als Dbject defjelben im Gebot der praktiſchen Bernunft 
mit begreifen: nicht als ob id) dadurd verbunden würde, mid; jelbjt zu 
lieben (denn das geſchieht ohne das unvermeidlich, und dazu giebts aljo 
feine Verpflichtung), fondern die gejeßgebende Vernunft, weldye in ihrer 
Idee der Menjchheit überhaupt die ganze Gattung (mid) aljo mit) ein- 
ſchließt, nicht der Menſch, ſchließt als allgemeingejeßgebend mid) in der 
Pflicht des wechjeljeitigen Wohlwollens nad) dem PBrincip der Gleicyheit 
wie alle Andere neben mir mit ein und erlaubt es dir dir felbft wohl— 
zuwollen, unter der Bedingung, daß du aud) jedem Anderen wohl willft: 
weil jo allein deine Marime (des Wohlthuns) fid) zu einer allgemeinen 
Geſetzgebung qualificirt, als worauf alles Pflichtgeſetz gegründet ift. 





$ 28, 


Das Wohlwollen in der allgemeinen Menfchenliebe ift nun zwar dem 
Umfange nad) das größte, dem Grade nad) aber das fleinfte, und wenn 
ic) jage: id) nehme an dem Wohl diefes Menjchen nur nad) der allgemei- 
nen Menfchenliebe Antheil, jo ift das Intereſſe, was ich hier nehme, das 
Fleinjte, was nur fein fann. Sch bin in Anjehung defjelben nur nicht 
gleichgültig. 

Aber Einer iſt mir doch näher als der Andere, und id) bin im Wohl» 
wollen mir jelbft der Nähte. Wie ftimmt das nun mit der Formel: 
Liebe deinen Nähten (deinen Mitmenſchen) als dich ſelbſt? Wenn 
einer mir näher ift (in der Pfliht des Wohlmollens) als der Andere, id) 
alfo zum größeren Wohlmwollen gegen Einen ald gegen den Anderen ver- 
bunden, mir jelber aber gejtändlidy näher (ſelbſt der Pflicht nad) bin, als 
jeder Andere, jo fann ich, wie es jcheint, ohne mir jelbjt zu widerſprechen, 
nicht jagen: ich foll jeden Menſchen lieben wie mich jelbft ; denn der Maß— 
ftab der Selbftliebe würde feinen Unterſchied in Graden zulafjen, — Man 

29% 





452 Metaphufiie Anfangägrände der Tugendlehre. I. Eihiüce Elementarlehrr. 


fieht bald: daß hier nicht blos das Wohlwollen des Bundes, welches 
eigentlich ein bloßes Rohlgefallen am Wohl jedes Anderen ift, ohne ſelbſt 
dazu etwas beitragen zu dürfen (ein jeder für ſich; Gott für uns alle), 
fondern ein thätiges, praltiſches Wohlwollen, fid) das Wohl und Heil des 
Anderen zum Zmwed zu machen, (das Wohlthun) gemeint jei. Denn im 
Bünfden fann ich allen gleich wohlmwollen, aber im Thun fann der Grab 
nad) Verſch ber Geliebten (deren Einer mid näher angeht als 
ber Andere), oh die Allgemeinheit der Marime zu verlegen, doch jehr 
verſchieden fein 


Eintheilung der Ziebespflihten. 


Eie find: A) Pflichten der Wohlthätigkeit, B)der Dankbarkeit, 
C) ber Theilnehmung. 
A. 
Bon der Pfliht der Wohlthätigkeit. 
8 29. 

Eid) felber gütlid) thum, fo weit als nöthig ift, um nur am Leben 
ein Vergnügen zu finden, (feinen Leib, doc nicht bis zur Weichlichkeit zu 
pflegen) gehört zu den Pflichten gegen ſich jelbft; — deren Gegentheil ift: 
fid) aus Geiz (ſtlaviſch) des zum frohen Genuß des Lebens Nothwendigen 
ober aus übertriebener Disciplin jeiner natürlihen Neigungen (ſchwär—⸗ 
meriſch) fid) des Genuſſes der Lebensfreuden zu berauben, welches beides 
ber Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbit widerftreitet. 

Wie fann man aber außer dem Wohlmollen des Wunſches in An- 
ſehung anderer Menſchen (welches uns nichts foftet) noch, daß dieſes 
praftifch jet, d. i. das Wohlthun in Anfehung der Bedürftigen, jeder- 
mann, ber bas Vermögen dazu hat, als Pflicht anfinnen? — Rohlwollen 
ift das Bergnügen an der Glüdjeligfeit (dem Wohljein) Anderer; Wohl- 
thun aber die Marime, fi dafjelbe zum Zweck zu machen, und Pflicht 
dazu ift die Nöthigung des Subjects durch die Vernunft, diefe Marime 
als allgemeines Gejeß anzunehmen. 

Es fällt nit von felbft in die Augen: daß ein ſolches Geſetz über: 
haupt in der Vernunft liege; vielmehr fcheint die Marime: „Ein jeder 
für ſich, Gott (das Schidjal) für uns alle,“ die natürlichſte zu jet. 


15 


[21 


— 
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= 


2. Theil. 1. Hauptft. 1. Abſchn. V. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 453 


$ 30. 


Wohlthätig, d. i. anderen Menfchen in Nöthen zu ihrer Glückſelig— 
feit, ohne dafür etwas zu hoffen, nad) feinem Vermögen beförderlich zu 
fein, ift jedes Menſchen Pflicht. 

Denn jeder Menfch, der fid) in Noth befindet, wünſcht, daß ihm von 
anderen Menſchen geholfen werde. Wenn er aber feine Marime, Anderen 
wiederum in ihrer Noth nicht Beijtand leijten zu wollen, laut werden 
ließe, d. i. fie zum allgemeinen Erlaubnißgefeß madıte: jo würde ihm, 
wenn er jelbit in Noth ift, jedermann gleichfalls feinen Beiltand verjagen, 
oder wenigitens zu verjagen befugt jein. Alſo widerjtreitet jid) die eigen- 
nüßige Marime jelbit, wenn fie zum allgemeinen Gejeb gemacht würde, 
d. i. fie ift pflichtwidrig, folglich die gemeinnüßige des Wohlthung gegen 
Bedürftige allgemeine Pflicht der Menjchen und zwar darum: weil fie als 
Mitmenjchen, d. i. bedürftige, auf einem Wohnplatz durd die Natur zur 
wechjeljeitigen Beihülfe vereinigte vernünftige Weſen, anzufehen find. 


831. 


Wohlthun ift für den, der reich (mit Mitteln zur Glüdjeligfeit 
Anderer überflüffig, d. i. über fein eigenes Bedürfniß, verjehen) ift, von 
dem Wohlthäter faſt nicht einmal für feine verdienftliche Pflicht zu halten ; 
ob er zwar dadurch zugleid) den Anderen verbindet. Das Vergnügen, 
was er fid) hiemit jelbjt macht, welches ihm feine Aufopferung foftet, ift 
eine Art in moralifchen Gefühlen zu ſchwelgen. Auch muß er allen 
Schein, als dädte er den Anderen hiemit zu verbinden, jorgfältig ver: 
meiden: weil es fonft nicht wahre Wohlthat wäre, die er diefem erzeigte, 


» indem er ihm eine Verbindlichkeit (die den lebteren in feinen eigenen 


zn 


= 


Augen immer erniedrigt) auflegen zu wollen äußerte. Er muß ſich vielmehr, 
als durd) die Annahme des Anderen jelbjt verbindlich gemacht, oder be— 
ehrt, mithin die Pflicht blos als feine Schuldigfeit äußeren, wenn er nicht 
(welches befjer ijt) feinen Wohlthätigkeitsact ganz im Berborgenen aus- 
übt. — Größer ift diefe Tugend, wenn das Vermögen zum Wohlthun be- 
ſchränkt und der Wohlthäter ftark genug ift, die Ubel, welche er Anderen 
eripart, ſtillſchweigend über fid) zu nehmen, wo er alddann wirklich für 
moraliſch⸗ reich anzufehen ift. 


454 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. J. Ethifche Elementarlehre, 


Gajuiftifhe Fragen. 


Wie weit fol man den Aufwand feines Vermögens im Wohlthun 
treiben? Dod wohl nicht bis dahin, daß man zuleßt jelbjt Anderer 
Wohlthätigkeit bedürftig würde. Wie viel ift die Wohlthat werth, die 
man mit kalter Hand (im Abſcheiden aus der Welt durd) ein Teftament) 
beweijet? — Kann derjenige, weldyer eine ihm durchs Landesgeſetz er: 
laubte Obergewalt über einen übt, dem er die Freiheit raubt, nad) feiner 
eigenen Wahl glüdlich zu fein (jeinem Erbunterthan eines Guts), kann, 
fage ich, diejer ſich als Wohlthäter anjehen, wenn er nad) feinen eigenen 
Begriffen von Glüdjeligfeit für ihn gleichſam väterlich ſorgt? Oder iſt 
nicht vielmehr die Ungeredhtigfeit, einen feiner Freiheit zu berauben, 
etwas der Rechtspflicht überhaupt jo MWiderftreitendes, daß unter diefer 
Bedingung auf die Wohlthätigkeit der Herrichaft rechnend ſich hinzugeben 
die größte Wegwerfung der Menfchbeit für den jein würde, der fid) dazu 
freiwillig verjtände, und die größte Vorſorge der Herridaft für den leß- 
teren gar feine Wohlthätigkeit jein würde? Oder fann etwa das Ver: 
dient mit der lebteren jo groß fein, daß es gegen das Menſchenrecht auf: 
gewogen werden Fönnte? — Ich kann niemand nad meinen Begriffen 
von Glüdjeligkeit wohlthun (außer unmündigen Kindern oder Geftörten), 
fondern nad) jenes feinen Begriffen, dem id) eine Wohlthat zu erweifen 
denke, indem id) ihm ein Geſchenk aufdringe. 

Das Vermögen wohlzuthun, was von Glüdsgütern abhängt, ift 
größtentheils ein Erfolg aus der Begünftigung verſchiedener Menſchen 
durch die Ungerechtigkeit der Regierung, welche eine Ungleichheit des 
Wohlftandes, die Anderer Wohlthätigkeit nothwendig macht, einführt. 
Perdient unter foldyen Umftänden der Beiftand, den der Neiche den Noth— 
leidenden erweijen mag, wohl überhaupt den Namen der Wohlthätigkeit, 
mit weldyer man fid) jo gern als Verdienſt brüftet? 


B. 
Von der Pfliht der Dankbarkeit. 

Dankbarkeit ift die Verehrung einer Perſon wegen einer uns 
erwiejenen Wohlthat. Das Befühl, was mit diefer Beurtheilung ver- 
bunden ift, ift das der Achtung gegen den (ihn verpflidhtenden) Wohlthä- 
ter, da hingegen diejer gegen den Empfänger nur als im Verhältniß der 


5 


Pi 


30 


— 
= 


— 
= 


2 


3 


= 


= 

















| 


2. Theil. 1. Haupiſt. 1. Abſchn. B. d. Liebespflicht gegen andere Menſchen. 455 


Liebe betrachtet wird. — Selbft ein bloßes herzliches Wohlwollen des 
Anderen ohne phyſiſche Folgen verdient den Namen einer Tugendpflicht; 
weldhes dann den Unterſchied zwijchen der thätigen und blos affectio- 
nellen Dankbarkeit begründet. 


$ 32. 


Dankbarkeit ift Pflicht, d. i. nicht blos eine Klugheitsmarime, 
durch Bezeugung meiner Verbindlichkeit wegen der mir widerfahrenen 
Wohlthätigkeit den Andern zu mehrerem Wohlthun zu bewegen (gratiarum 
actio est ad plus dandum invitatio); denn dabei bediene ich mich diefer 
blos als Mittel zu meinen andermweitigen Abſichten; jondern fie ift un— 
mittelbare Nöthigung durchs moralijche Geſetz, d. i. Pflicht. 

Dankbarkeit aber muß auch noch befonders als heilige Pflicht, d. i. 
als eine foldye, deren Verlegung die moraliihe Triebfeder zum Wohlthun 
in dem Grundfaße ſelbſt vernichten kann (als ſtandalöſes Beifpiel), an- 
gejehen werden. Denn heilig ift derjenige moraliſche Gegenftand, in An- 
fehung deffen die Verbindlichkeit durch feinen ihr gemäßen Act völlig ge— 
tilgt werden kann (wobei der Verpflichtete immer nod) verpflichtet bleibt). 
Alle andere ift gemeine Pfliht. — Man kann aber durd) feine Vergel— 
tung einer empfangenen Wohlthat über diefelbe quittiren: weil ber 
Empfänger den Borzug des Verdientes, den der Geber hat, nämlid) der 
Erite im Wohlwollen gewejen zu fein, diefem nie abgewinnen kann. — 
Aber aud) ohne einen jolden Act (des Wohlthuns) iſt felbjt das bloße 
herzliche Wohlwollen ſchon Grund der Berpflihtung zur Dankbarkeit. — 
Eine dankbare Gefinnung diejer Art wird Erkenntlichkeit genannt. 


8 33. 


Mas die Ertenfion diefer Dankbarkeit betrifft, jo geht fie nicht 
allein auf Zeitgenofjen, fondern auch auf die Vorfahren, felbft diejenige, 
die man nicht mit Gewißheit namhaft machen kann. Das ijt aud) die 
Urfache, weswegen es für unanftändig gehalten wird, die Alten, die als 
unfere Zehrer angejehen werden können, nicht nad) Möglichkeit wider alle 
Angriffe, Beihuldigungen und Geringihäßung zu vertheidigen; wobei e3 
aber ein thörichter Wahn ift, ihnen um des Altertfums willen einen 
Vorzug in Talenten und gutem Willen vor den Neueren, gleich als ob die 
Welt in continuirliher Abnahme ihrer urſprünglichen Vollkommenheit 














466 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre, I. Ethiſche Elementarlehre. 


nad) Naturgejeßen wäre, anzudichten und alles Neue in Bergleihung das 


mit zu verachten. | 

Was aber die Intenfion, d. i. den Grad der Verbindlichkeit zu 
biefer Tugend, betrifft, fo ift er nad) dem Nußen, den der Verpflichtete 
aus der Wohlthat gezogen bat, und der Uneigennüßigfeit, mit der ihm 
dieſe ertheilt worden, zu jhäßen. Der mindejte Grad ift, gleiche Dienft- 
leiftungen dem Wohlthäter, der diefer empfänglich (noch lebend) ift, und, 
wenn er es micht ift, Anderen zu erweifen: eine empfangene Wohlthat 
nicht wie eine Laft, deren man gern überhoben fein möchte, (weil der jo 
Begünftigte gegen feinen Gönner eine Stufe niedriger fteht und dies dej- 
fen Stolz kräntt) anzujehen; fondern felbft die Veranlaſſung dazu als 
moraltiche Wohlthat aufzunehmen, d. i. als gegebene Gelegenheit, dieje 
Tugend der Menjchenliebe, welche mit der Innigkeit der wohlwollenden 
Sefinnung zugleich Zärtlichkeit des Wohlwollens (Aufmerkffamfeit auf 
den kleinſten Grad derjelben in der Pflichtvorſtellung) ift, zu verbinden 
und jo die Menſchenliebe zu cultiviren. 


Ü. 
Theilnebmende Empfindung ift überhaupt Pflicht. 
$ 34. 


Mitfreude und Mitleid (sympathia moralis) find zwar finnliche 
Gefühle einer (darum äfthetifch zu nennenden) Luft oder Unluft an dem 
Zuftande des Vergnügens ſowohl als Schmerzens Anderer (Mitgefühl, 
theilnehmende Empfindung), wozu ſchon die Natur in den Menfchen die 
Empfänglichfeit gelegt hat. Aber diefe als Mittel zu Beförderung des 
thätigen und vernünftigen Wohlwollens zu gebrauchen, ift nod) eine be- 
jondere, obzwar nur bedingte Pflicht unter dem Namen der Menſchlich— 
feit (humanitas): weil bier der Menjc nicht blos als vernünftiges We— 
fen, jondern auch als mit Vernunft begabtes Thier betradjtet wird. Dieſe 
fann nun in den Bermögen und Willen, fi einander in Anfehung 
jeiner Gefühle mitzutheilen (humanitas practica), oder blos in der 
Empfänglichkeit für das gemeinjfame Gefühl des Vergnügens oder 
Schmerzen (humanitas aesthetica), was die Natur ſelbſt giebt, gejet 
werden. Das erftere it frei und wird daher theilnehmend genannt 
(communio sentiendi liberalis) und gründet ſich auf praftifche Vernunft: 


je 


— 


20 





2. Theil. 1. Hauptit. 1. Abſchn. V. d. Licbespflicht gegen andere Menfchen. 457 


das zweite ift unfrei (communio sentiendi illiberalis, servilis) und fann 
mittheilend (wie die der Wärme oder auftedender Krankheiten), aud) 
Mitleidenschaft heißen: weil fie fi unter nebeneinander lebenden Men- 
ſchen natürlicher Weife verbreitet. Nur zu dem erfteren giebts Verbind- 
lichkeit. 

Es war eine erhabene Vorftellungsart des Weifen, wie ihn fich der 
Stoifer dachte, wenn er ihn jagen ließ: ich wünjche mir einen Freund, 
nicht der mir in Armuth, Krankheit, in der Gefangenschaft u. j. w. Hülfe 
leijte, jondern damit ich ihm beiftehen und einen Menſchen retten könne; 
und gleihwohl jpricht eben derjelbe Weiſe, wenn fein Freund nicht au 
retten ift, zu. ſich jelbjt: was gehts mid) an? d. i. er verwarf die Mitlei- 
denichaft. 

In der That, wenn ein Anderer leidet und ich mid) durch feinen 

Schmerz, dem ich doch nicht abhelfen kann, aud) (vermitteljt der Einbil— 
dungskraft) anfteden lafje, jo leiden ihrer zwei; obzwar das Übel eigent⸗ 
lic (in der Natur) nur Einen trifft. Es kann aber unmöglich Pflicht 
fein, die Übel in der Welt zu vermehren, mithin aud nit aus Mitleid 
wohl zu thun; wie dann diefes auch eine beleidigende Art des Wohlthuns 
fein würde, indem es ein Wohlwollen ausdrüdt, was ſich auf den Uns 
würdigen bezieht und Barmherzigkeit genannt wird, und unter Men— 
ihen, welde mit ihrer Würdigfeit glücklich zu fein eben nicht prahlen 
dürfen, rejpectiv gegen einander gar nicht vorfommen follte. 


= 


— 
— 


= 


$ 35. 


Dbzwar aber Mitleid (und jo auch Mitfreude) mit Anderen zu haben 
:s an fi) ſelbſt nicht Pflicht ift, fo ift es doch thätige Theilnehmung an ihrem 
Scidjale und zu dem Ende alſo indirecte Pflicht, die mitleidige natürliche 
(äfthetifche) Gefühle in uns zu eultiviren und fie als jo viele Mittel zur 
Theilnehmung aus moraliſchen Grundjäßen und dem ihnen gemäßen Ge- 
fühl zu benußen. — So ijt es Pflicht: nicht die Stellen, wo ſich Arme be- 
finden, denen das Nothwendigite abgeht, umzugehen, jondern fie aufzu- . 
ſuchen, die Kranfenftuben, oder die Befängnifje der Schuldener u. dergl. 
zu fliehen, um dem jchmerzhaften Mitgefühl, deſſen man ſich nicht er- 
wehren fönne, auszumeichen: weil diejes dod) einer der in uns von der 
Natur gelegten Antriebe ijt, dasjenige zu thun, was die Pflichtvorftellung 
ss für fid) allein nicht ausrichten würde. 


[5 
ww 


3 


— 
— 


458 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Zugendlehre. J. Eihiſche Elementarlehre. 
Caſuiſtiſche Fragen. 


Würde es mit dem Wohl der Welt überhaupt nicht befier fteben, 
wenn alle Moralität der Menſchen nur auf Rechtspflichten, doch mit der 
größten Gewifienhaftigfeit eingeihräntt, das Wohlwollen aber unter die 
Adiaphora gezählt würde? Es ijt nicht jo leicht zu überjehen, welche 
Folge es auf die Glüdjeligkeit der Menſchen haben dürfte. Aber in die- 
jem Fall würde es doch wenigitens an einer großen moralijen Zierde 
der Welt, nämlich der Menjchenliebe, fehlen, welche alſo für fi, auch 
ohne die Vortheile (der Glüdjeligkeit) zu berechnen, die Melt als ein ſchö— 
nes moralifches Ganze in ihrer ganzen Vollkommenheit darzuftellen er- 
fordert wird. 

Dankbarkeit ift eigentlich nicht Gegenliebe des Verpflihteten gegen 
den Wohlthäter, jondern Achtung vor demjelben. Denn der allgemeinen 
Nächſtenliebe kann und muß Gleichheit der Pflichten zum Grunde gelegt 
werden; in der Dankbarkeit aber fteht der Berpflidhtete um eine Stufe 
niedriger als jein Wohlthäter. Sollte das nicht die Urjache jo mandyer 
Undankbarkeit jein, nämlich der Stolz, einen über fidh zu jehen; der Wi- 
dermwille, ſich nicht in völlige Gleichheit (was die Pflichtverhältnifie betrifft) 
mit ihm jeßen zu können? 


Non den der Menjhenliebe gerade (contrarie) entgegen— 
gejegten Laſtern des Menſchenhaſſes. 
$ 36. 

Sie machen die abſcheuliche Familie des Neides, der Indanfbar- 
feit und der Schadenfreude aus. — Der Haß ift aber hier nicht offen 
und gewaltthätig, jondern geheim und verjchleiert, welches zu der Pflicht: 
vergefienheit gegen feinen Nädhiten noch Niederträchtigkeit hinzuthut und 
fo zugleid; die Pflicht gegen ſich ſelbſt verlegt. 

a) Der Neid (livor), al3 Hang das Wohl Anderer mit Schmer; 
wahrzunehmen, obzwar dem jeinigen dadurd) fein Abbruch geichieht, der, 
wenn er zur That (jenes Wohl zu ſchmälern) ausſchlägt, qualificirter 
Neid, fonft aber nur Mißgunſt (invidentia) heißt, ift dod nur eine 
indirect-bösartige Gefinnung, nämlid) ein Umwille, unſer eigen Wohl durd) 
das Wohl Anderer in Schatten geftellt zu jehen, weil wir den Maßſtab def- 
felben nicht in defjen innerem Werth, fondern nur in der Vergleichung mit 


un 














2, Theil. 1. Hauptſt. 1. Abſchn. B. d. Fiebespflicht gegen andere Menſchen. 459 


dem Wohl Anderer zu ſchätzen und diefe Schäßung zu verfinnlichen wifien. 
— Daher ſpricht man auch wohl von einer beneidungsmürdigen Ein- 
tracht und Glüdjeligfeit in einer Ehe oder Familie u. f. w.; glei) als ob 
e3 in manchen Fällen erlaubt wäre, jemanden zu beneiden. Die Negun- 
gen des Neides liegen alfo in der Natur des Menjchen, und nur der Aus— 
bruch derjelben macht fie zu dem ſcheuslichen Laſter einer grämifchen, ſich 
jelbit folternden und auf Zerftörung des Glüds Anderer wenigitens dem 
Wunſche nad) gerichteten Leidenſchaft, ijt mithin der Pflicht des Men— 
ſchen gegen ſich jelbjt jowohl, al3 gegen Andere entgegengejeßt. 

b) Undanfbarfeit gegen feinen Mohlthäter, welche, wenn fie gar jo 
weit geht, feinen Wohlthäter zu hafjen, qualificirte Undankbarteit, 
jonft aber blos Unerkenntlichkeit heißt, ijt ein zwar im öffentlichen 
Urtheile höchſt verabſcheutes Laſter, gleihwohl iſt der Menſch defjelben 
wegen jo berüchtigt, daß man es nicht für unwahrſcheinlich hält, man 
fönne fid) durd) erzeigte Wohlthaten wohl gar einen Feind machen. — 
Der Grund der Möglichkeit eines ſolchen Laſters liegt in der mißverjtan- 
denen Pflicht gegen fid) jelbit, die Mohlthätigfeit Anderer, weil fie uns 
Verbindlichfeit gegen fie auferlegt, nicht zu bedürfen und aufzufordern, 
jondern lieber die Beichwerden des Lebens ſelbſt zu ertragen, als Andere 
damit zu beläftigen, mithin dadurch bei ihnen in Schulden (Verpflichtung) 
zu fommen: weil wir dadurd) auf die niedere Stufe des Beſchützten gegen 
feinen Beſchützer zu gerathen fürdten; welches der ächten Selbſtſchätzung 
(auf die Witrde der Menichheit in feiner eigenen Perjon jtolz zu fein) zu— 
wider ift. Daher Dankbarkeit gegen die, die uns im Wohlthun unver— 


» meidlid) zuvor fommen mußten, (gegen Vorfahren im Angedenfen, oder 


= 


gegen Eltern) freigebig, die aber gegen Zeitgenofjen nur kärglich, ja, um 
diefes Verhältniß der Ungleichheit unfihtbar zu maden, wohl gar das 
Segentheil derjelben bewiejen wird. — Dieſes ift aber alsdann ein die 
Menſchheit empörendes Later, nicht blos des Schadens wegen, den ein 
ſolches Beifpiel Menſchen überhaupt zuziehen muß, von fernerer Wohl: 
thätigfeit abzujchreden (denn dieje fönnen mit ächtmoraliſcher Gefinnung 
eben in der Verſchmähung alles folden Lohns ihrem Wohlthun nur einen 
deſto größeren inneren moralifhen Werth jeßen): jondern weil die Men- 
ichenliebe hier gleihjam auf den Kopf gejtellt und der Mangel der Liebe 
gar in die Befugniß, den Liebenden zu hafjen, verumedelt wird. 

c) Die Shadenfreude, weldhe das gerade Umgefehrte der Theil: 
nehmung ift, ift der menſchlichen Natur auch nicht fremd; wiewohl, wenn 












| 





I 


f 
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Segierbe), ben Shaben Ant 
zu maden, bie Radıbegierbe. 

Eine jede das Recht eines Menſchen fränfende That verbient Strafe, 
re | | e | 
hofes, der eines Dberem über Alle, die 


2, Theil. 1. Hanptit. 1. Abſchn. V. b. Liebespflicht gegen andere Menfchen. 461 


jelbft fehr zu bedürfen, theils und zwar vornehmlich, weil feine Strafe, 
von wem es auch fei, aus Haß verhängt werden darf. — Daher ijt Ver— 
ſöhnlichkeit (placabilitas) Menſchenpflicht; womit doc die janfte 
Duldſamkeit der Beleidigungen (mitis iniuriarum patientia) nicht ver- 

s wechjelt werden muß, als Entjagung auf harte (rigorosa) Mittel, um der 
fortgejeßten Beleidigung Anderer vorzubeugen; denn das wäre Wegwer— 
fung feiner Rechte unter die Fühe Anderer und Verlegung der Pflicht des 
Menſchen gegen ſich jelbit. 


Anmerfung. Alle Later, welche ſelbſt die menſchliche Natur 

10 hafjenswerth machen würden, wenn man fie (als qualificirt) in der 

Bedeutung von Grundfäben nehmen wollte, find inhuman, objec- 

tiv betradhtet, aber doch menschlich, jubjectiv erwogen: d. i. wie Die 

Erfahrung uns unjere Gattung kennen lehrt. Ob man aljo zwar 

einige derjelben in der Heftigkeit des Abſcheues teuflifch nennen 

15 möchte, jo wie ihr Gegenftüd Engelstugend genannt werden 

könnte: jo find beide Begriffe dody nur Sdeen von einem Maximum, 

als Maßſtab zum Behuf der Vergleihung des Grades der Morali- 

tät gedacht, indem man dem Menjchen feinen Pla im Himmel 

oder der Hölle anmweijet, ohne aus ihm ein Mittelmejen, mas weder 

20 den einen diejer Pläße, noc den anderen einnimmt, zu machen. Ob 

e3 Haller mit feinem „zweideutig Mittelding von Engeln und von 

Vieh" befjer getroffen habe, mag bier unausgemacht bleiben, Aber 

das Halbiren in einer Jufammenftellung heterogener Dinge führt 

auf gar feinen beftimmten Begriff, und zu diejem kann uns in der 

2 Drdnung der Wejen nad) ihrem uns unbelannten Claffenunterfchiede 

nichts hinleiten. Die erjtere Gegeneinanderftellung (von Engels- 

tugend und teufliſchem Zafter) ift IIbertreibung. Die zweite, obzwar 

Menſchen, leider! aud) in viehiſche Laſter fallen, berechtigt doch nicht 

eine zu ihrer Species gehörige Anlage dazu ihnen beizulegen, 

30 jo wenig als die Verkrüppelung einiger Bäume im Walde ein Grund 
ift, fie zu einer befondern Art von Gewächſen zu machen. 


Bweiter Mimik. 
Bon ben Tugendpfliäten gegen andere Deniden aus der 
iänen gebüährenden Adtumg. 


& 37. 


——— in Anfprüden überhaupt, b. i freiwillige Einfhrän- > 
fung der Ecitfiliebe eines Nenſchen durch die Selbfiliebe Anderer, heist 
Befheidenheit; der Mangel dieſer Näbigung (Unbeiheidenkeit) in 
Anfehung ber er von Anderen geliebt zu werben die Eigen- 
liebe (philantia), Die Unbeiheidenheit der Forderung aber, von Ande- 
ren geachtet zu werben, iit ber Eigenbünfel (arrogantia). —* 
bie Id) für andere trage, oder bie ein Anderer von mir fordern fann 
(oAnervantia aliis praestanda), ift alfo die Anerfennung einer Bürbe 
(dignitas) an anderen Menſchen, d. i. eines Bertha, ber keinen Preis hat, 
fein Äquivalent, wogegen das Dbjert der Werthihäbung (sestimii) aus- 
getauft werben könnte, — Die Beurtheilung eines Dinges als eines 
ſolchen, bas feinen Werth hat, ift die Beratung. 














$ 58, 


Ein jeber Menic hat rehtmäßigen Anſpruch auf Achtung von feinen 
Nebenmenfhen, und wechſelſeitig iſt er dazu auch gegen jeden Anderen 
verbunden. 

Die Menſchhelt jelbit ift eine Würde; denn der Menſch fann von 
feinem Menſchen (weder von Anderen nod) fogar von ſich jelbft) blos ala 
Mittel, ſondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und 
barin befteht eben feine Würde (die Perfönlichkeit), dadurd) er ſich über 
alle andere Weltwefen, die nit Menſchen find und doch gebraudjt werden 
fönnen, mithin über alle Sahen erhebt. Gleichwie er aljo ſich ſelbſt für 
feinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbftihätung wider: 
ftreiten würde), fo kann er aud) nicht der eben fo — Selbſt⸗ 
ſchabung Anderer als Menſchen entgegen handeln, d. i. er iſt verbunden, 


die Warde ber Menſchhelt an jedem anderen Menſchen praktiſch anzuer: * 


fennen, mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die ji auf die jedem anderen 
Menſchen nothwendig zu erzeigende Achtung bezieht. 


— 
= 


u 
[53 


= 


25 


35 


2, Theil. 1. Hauptft. 2. Abſchn. Bon der Prlicht der Achtung für Unbere. 465 


$ 39. 

Andere verachten (contemnere), d. i. ihnen die dem Menſchen über- 
haupt ſchuldige Achtung weigern, ijt auf alle Fälle pflidytwidrig; denn es 
find Menfchen. Sie vergleihungsweije mit Anderen innerlidy gering: 
ſchätzen (despicatui habere) ift zwar bisweilen unvermeidlidy, aber die 
äußere Bezeigung der Geringihäßung ift dod) Beleidigung. — Was ge— 
faͤhrlich ift, ift fein Gegenjtand der Verachtung, und jo ift es auch nicht 
der Laſterhafte; und wenn die Überlegenpeit über die Angriffe dejielben 
mich berechtigt zu jagen: ich verachte jenen, jo bedeutet das nur fo viel, 
als: es ift feine Gefahr dabei, wenn ich gleid; gar feine Vertheidigung 
gegen ihn veranstaltete, weil er ſich in feiner Verworfenheit ſelbſt dar- 
ftellt. Nichts defto weniger fann ich ſelbſt dem Lafterhaften als Menſchen 
nicht alle Adytung verjagen, die ihm wenigjtens in der Dualität eines 
Menihen nicht entzogen werden fann; ob er zwar durch feine That ſich 
derjelben unwürdig madjt. So Fann es ſchimpfliche, die Menfchheit jelbjt 
entehrende Strafen geben (wie das Viertheilen, von Hunden zerreißen 
lafjen, Nafen und Ohren abjchneiden), die nicht blos dem Ehrliebenden 
(der auf Adtung Anderer Anſpruch macht, was ein jeder thun muß) 
ihmerzhafter find, als der Verluft der Güter und des Lebens, jondern 
aud) dem Zuſchauer Schamröthe abjagen, zu einer Battung zu gehören, 
mit der man jo verfahren darf. 


Anmerkung. Hierauf gründet fi eine Pflicht der Adıtung 
für den Menjchen ſelbſt im logischen Gebraud) feiner Vernunft: die 
Fehltritte derjelben nicht unter dem Namen der Ungereimtheit, des 
abgejchmadten Urtheils u. dg. zu rügen, jondern vielmehr voraus zu 
jeben, daß in demjelben dod etwas Wahres fein müfle, und diejes 
heraus zu ſuchen; dabei aber auch zugleich den trüglichen Schein 
(das Subjective der Bejtimmungsgründe des Urtheils, was durd) 
ein Verjehen für objectiv gehalten wurde) aufzudeden und fo, indem 
man die Möglichkeit zu irren erklärt, ihm noch die Achtung für ſei— 
nen Verſtand zu erhalten. Denn ſpricht man jeinem Gegner in einem 
gewiſſen Urtheile durch jene Ausdrüde allen Verftand ab, wie will 
man ihn dann darüber verftändigen, daß er geirrt habe? — Eben 
jo ift es aud mit dem Vorwurf des Lafters bewandt, weldyer nie 
zur völligen Verachtung und Abſprechung alles moralijchen Werths 
des Lajterhaften ausſchlagen muß: weil er nad) dieſer Hypotheſe auch 


u 


464 Metaphyfiiche Anfangsartınde der Tugendlehre. I. Ethiſche Elementarlehre. 


nie gebejjert werden könnte; welches mit der Fdee eines Menſchen, 
der als jolder (als moralifches Wejen) nie alle Anlage zum Guten 
einbüßen fann, unvereinbar ift. 


$ 40. 


Die Achtung vor dem Gejeße, welche jubjectiv als moraliſches Ge- 
fühl bezeichnet wird, ift mit dem Bewußtjein feiner Pflicht einerlei. Eben 
darum ift aud) die Bezeigung der Achtung vor dem Menſchen als mora- 
liſchen (jeine Pflicht höchſtſchätzenden) Weſen felbft eine Pflicht, die An- 
dere gegen ihn haben, und ein Recht, worauf er den Anſpruch nicht auf: 
geben kann. — Man nennt diejen Anſpruch Ehrliebe, deren Phänomen 
im äußeren Betragen Ehrbarfeit (honestas externa), der Berftoß da— 
wider aber Skandal heißt: ein Beifpiel der Nichtachtung derjelben, das 
Nachfolge bewirken dürfte, weldyes zu geben zwar hödhjft pflichtwidrig, 
aber am blos Widerfinnifchen (paradoxon), ſonſt an ſich Guten zu neh— 
men, ein Wahn (da man das Nichtgebräuchliche auch für nicht erlaubt 
hält), ein der Tugend gefährlicher und verderblicyer Fehler ift. — Denn 
die ſchuldige Achtung für andere ein Beijpiel gebende Menſchen kann nicht 
bis zur blinden Nahahmung (da der Gebrauch, mos, zur Würde eines 
Geſetzes erhoben wird) ausarten; als welche Tyrannei der Bolfsfitte der 
Pflicht des Menſchen gegen ſich jelbjt zuwider fein würde, 


$ 41. 


Die Interlafjung der bloßen Liebespflihten ift Untugend (pecca- 
tum). Aber die Unterlafjung der Pflicht, die aus der ſchuldigen Achtung 
für jeden Menſchen überhaupt hervorgeht, ift Laſter (vitium). Denn 
durch die VBerabjäumung der erjteren wird fein Menſch beleidigt; durd) 
die Unterlafjung aber der zweiten gejhieht dem Menſchen Abbruch in 
Anfehung feines gefegmäßigen Anſpruchs. — Die erjtere Übertretung ift 
das Pilihtwidrige des Widerjpiels (contrarie oppositum virtutis). 
Was aber nicht allein feine moraliſche Zuthat ift, fondern fogar den 
Werth derjenigen, die jonft dem Subject zu Gute fommen würde, auf: 
hebt, iſt Laſter. 

Eben darum werden auch die Pflichten gegen den Nebenmenſchen 
aus der ihm gebührenden Achtung nur negativ ausgedrückt, d. i. dieſe 


5 


8* 


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Er 


2 


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30 


2. Theil. 1. Hauptit. 2. Abſchn. Von der Pflicht der Achtung für Andere. 465 


Zugendpflicht wird nur indirect (durch das Verbot des Widerjpiels) aus- 
gedrüdt werden. 


Bon den die Pfliht der Achtung für andere Menſchen 
verleßenden Laſtern. 


Dieje Lajter find: A) der Hochmuth, B) das Afterreden und 
C) die Verhöhnung. 


A, 
Der Hochmuth. 


$ 42. 


Der Hochmuth (superbia und, wie dieſes Wort es ausdrüdt, die 
Neigung immer oben zu ſchwimmen) ift eine Art von Ehrbegierde 
(ambitio), nad welcher wir anderen Menſchen anfinnen, ſich jelbft in 
Bergleihung mit uns gering zu Shäßen, und ift alſo ein der Achtung, 
worauf jeder Menſch geſetzmäßigen Anſpruch machen kann, widerjtreiten- 
des Laſter. 

Er ift vom Stolz (animus elatus) als Ehrliebe, d. i. Sorgfalt ſei— 
ner Menſchenwürde in Bergleihung mit Anderen nichts zu vergeben, (der 
daher auch mit dem Beimwort des edlem belegt zu werden pflegt) unter: 
ſchieden; denn der Hochmuth verlangt von Andern eine Achtung, die er 
ihnen doch verweigert. — Aber diejer Stolz felbjt wird do zum Fehler 
und Beleidigung, wenn er aud) blos ein Anfinnen an Andere ift, ſich mit 
feiner Wichtigkeit zu bejhäftigen. 

Daß der Hochmuth, welcher gleichſam eine Bewerbung des Ehrſüch— 
tigen um Nachtreter ift, und denen verächtlich zu begegnen er ſich berech— 
tigt glaubt, ungerecht und der jchuldigen Achtung für Menſchen fiber: 
haupt wibderjtreitend jei: daß er Thorheit, d. i. Eitelfeit im Gebraud) 
der Mittel zu etwas, was in einem gewifjen Verhältnifje gar nicht den 
Werth hat, um Zweck zu fein, ja daß er fogar Narrheit, d. i. ein belei- 
digender Unverjtand jei, fich joldher Mittel, die an Anderen gerade das 
MWiderfpiel feines Zwecks hervorbringen müfjen, zu bedienen (denn dem 
Hodmüthigen weigert ein jeder um defto mehr feine Achtung, je beitrebter 
er ſich darnach bezeigt), — dies alles ift für fi) flar. —* möchte 


Kant'e Schriften Werke. VI 














466 Metaphufifche Anfangsgrlnde der Tugendlehre. 1. Ethiſche Elementarlehre. 


doch angemerkt worden fein: daß der Hochmüthige jederzeit im Grunde 
feiner Seele niederträdtig ift. Denn er würde Anderen nicht anfinnen, 
ſich felbft in Bergleihung mit ihm gering zu halten, fände er nicht bei 
fi), daß, wenn ihm das Glück umſchlüge, er es gar nicht hart finden 
vofirde, num feinerjeits auch zu friehen und auf alle Achtung Anderer 
Derzicht zu thun, 
B. 
Das Wfterreben. 
$ 43, 

Die übele Nadyrede (obtreetatio) oder das Afterreden, worunter ich 
nicht die Verleumdung (eontumelia), eine falſche, vor Recht zu zie- 
hende Nachrede, fondern blos die unmittelbare, auf feine befondere Abficht 
angelegte Neigung verftehe, etwas der Achtung für Andere Nachtheiliges 
ins Gerücht zu bringen, ift der ſchuldigen Achtung gegen die Menjchheit 
überhaupt zumiber: weil jedes gegebene Skandal diefe Adytung, auf wel- 
der dod) der Antrieb zum Sittlichguten beruht, ſchwaͤcht und jo viel mög— 
lic) gegen fie ungläubiſch macht. 

Die gefliffentlihe Verbreitung (propalatio) desjenigen die Ehre 
eines Andern Schmälernden, was aud nicht zur öffentlichen Gerichtbar— 
feit gehört, es mag übrigens aud wahr fein, ift Verringerung der Achtung 
für die Menfchheit überhaupt, um endlich auf unfere Gattung ſelbſt den 
Schatten der Nichtswürdigkeit zu werfen und Mifanthropie (Menſchen— 
hen) oder Verachtung zur herrſchenden Denfungsart zu machen, oder 
jein moralifches Gefühl durch den öfteren Anblick derjelben abzuftumpfen 
und fi daran zu gewöhnen. Es ift alfo Tugendpflicht, ftatt einer hämi- 
ſchen Luft an der Blosftellung der Fehler Anderer, um ſich dadurd die 
Meinung, aut, wenigitens nicht jchlechter als alle andere Menſchen zu 
fein, zu ſicheren, den Schleier der Menjchenliebe nicht blos durch Milde- 
rung unferer Urtbeile, fondern auch durch Verſchweigung derjelben über 
bie Fehler Anderer zu werfen: weil Beifpiele der Achtung, weldhe uns an- 
dere geben, auch die Beftrebung rege machen fünnen fie gleihmäßig au 
verdienen. — Um deswillen ift die Ausſpähungsſucht der Sitten Anderer 
(allotrio-episcopia) auch für ſich felbft ſchon ein beleidigender Vorwitz der 
Menſchenkunde, welchem jedermann ſich mit Recht als Verlegung der ihm 
ſchuldigen Achtung widerſetzen kann. 


10 


= 


= 


ww 


— 














2. Theil. 1. Hauptſt. 2. Abſchn. Bon ber Pflicht der Achtung für Andere, 467 
C. 
Die Verhöhnung. 
$ 44. 


Die leihtfertige Tadelſucht und der Hang Andere zum Gelächter 
blos zu ftellen, die Spottjudht, um die Fehler eines Anderen zum uns 
mittelbaren Gegenjtande feiner Beluftigung zu maden, ift Bosheit und 
von dem Scherz, der Vertraulichkeit unter Freunden, fie nur zum Schein 
als Fehler, in der That aber als Vorzüge des Muths, bisweilen aud) 
außer der Regel der Mode zu fein, zu belachen (welches dann fein Hohn- 
laden ijt), gänzlich unterſchieden. Wirkliche Fehler aber, oder, gleich 
als ob fie wirflidy wären, angedicdhtete, weldye die Perſon ihrer verdienten 
Achtung zu berauben abgezwedt find, dem Gelächter blos zu ftellen, und 
der Hang dazu, die bittere Spottjudht (spiritus causticus), hat etwas von 
teufliicher Freude an fid) und ift darum eben eine dejto härtere Verlegung 
der Pflicht der Achtung gegen andere Menjchen. 

Hievon ift doch die jcherzhafte, wenn gleich jpottende Abweiſung der 
beleidigenden Angriffe eines Gegners mit Verachtung (retorsio iocosa) 
unterjchieden, wodurd) der Spötter (oder überhaupt ein jhadenfroher, aber 
fraftlojer Gegner) gleihmäßig verjpottet wird, und rechtmäßige Vertheis 
digung der Achtung, die er von jenem fordern fann. Wenn aber der 
Gegenftand eigentlid; fein Gegenftand für den Witz, fondern ein folder 
ift, an weldyem die Bernunft nothwendig ein moralifches Interefje nimmt, 
jo ijt e8, der Gegner mag nod) jo viel Spötterei ausgeltoßen, hiebei aber 
aud) jelbit zugleich nody jo viel Blößen zum Beladyen gegeben haben, der 
Würde des Gegenjtandes und der Achtung für die Menſchheit angemef- 
jener, dem Angriffe entweder gar feine oder eine mit Würde und Ernit 
geführte Vertheidigung entgegen zu jeßen. 


Anmerkung. Man wird wahrnehmen, daß unter dem vorher- 
gehenden Titel nicht ſowohl Tugenden angepriejen, als vielmehr die 
ihnen entgegenftehende Laſter getadelt werden; das liegt aber ſchon 
in dem Begriffe der Achtung, jo wie wir fie gegen andere Menſchen 
zu beweijen verbunden find, welde nur eine negative Pflicht it. 
— Ich bin nit verbunden andere (blos als Menſchen betradjtet) zu 
verehren, d.i. ihnen pojitive Hochachtung zu beweiſen. Alle 
Achtung, zu der ich von Natur verbunden bin, ift die vor dem Geſetz 

30* 

















472 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre, I. Ethiſche Elementarlehre. 


verfhließen. Er möchte ſich gern darüber mit irgend jemand unter: 
halten, wie er über die Menſchen, mit denen er umgeht, wie er über die 
Regierung, Religion u. f. w. denft; aber er darf es nidyt wagen; theils weil 
der Andere, der fein Urtheil behutfam zurüdhält, davon zu feinem Schaden 
Gebrauch machen, theils, was die Eröffnung feiner eigenen Fehler betrifft, > 
der Andere die feinigen verhehlen und er fo in der Achtung defjelben ein- 
büßen würde, wenn er ſich ganz offenherzig gegen ihn daritellte, 

Findet er aljo einen, der Verjtand hat, bei dem er in Anfehung jener 
Gefahr gar nicht beforgt fein darf, jondern dem er ſich mit völligem Ber- 
trauen eröffnen fann, der überdem auch eine mit der feinigen übereinftim- 10 
mende Art die Dinge zu beurtheilen an fid hat, jo fann er feinen Ge— 
danfen Luft madjen; er ift mit feinen Gedanken nicht völlig allein, wie 
im Gefängniß, und genießt eine Freiheit, der er in dem großen Haufen 
entbehrt, wo er ſich in fich ſelbſt verſchließen muß. Ein jeder Menſch hat 
Geheimniſſe und darf ſich nicht blindlings Anderen anvertrauen; theils 1 
wegen der unedlen Dentungsart der Meiften, davon einen ihm nahthei- 
ligen Gebraud) zu machen, theils wegen des Unverſtandes mander in der 
Beurtheilung und Unterfdheidung deſſen, was ſich nachſagen läßt, oder 
nicht (der Indiscretion), welche Eigenſchaften zufammen in einem Subject 
anzutreffen jelten ift (rara avis in terris et nigro simillima oygno); zumal » 
da die engſte Freundjchaft es verlangt, dab diejer verftändige und ver- 
traute Freund zugleich verbunden ift, ebendafjelbe ihm anvertraute Ge— 
heimniß einem anderen, für eben fo zuverläffig gehaltenen ohne des erſte⸗ 
ren ausdrüdlice Erlaubniß nicht mitzutheilen. 

Dieje (blos moraliihe Freundſchaft) ift fein Ideal, jondern (der » 
ihwarze Schwan) eriftirt wirklich hin und wieder in feiner Bolltommen- 
heit; jene aber mit den Zwecken anderer Menſchen fich, obzwar aus Liebe, 
beläjtigende (pragmatifche) kann weder die Lauterfeit, noch die verlangte 
Bolljtändigkeit haben, die zu einer genau beftimmenden Marime erforder: 
lic) ift, und tft ein deal des Wunfches, das im Vernunftbegriffe feine — 
Grenzen kennt, in der Erfahrung aber doc immer jehr begrenzt werden 
muß. 

Ein Menjhenfreund überhaupt aber (d. i. der ganzen Gattung) 
ift der, welcher an dem Wohl aller Menſchen äfthetiichen Antheil (der 
Mitfreude) nimmt und ed nie ohne inneres Bedauren jtören wird. Dody = 
ift der Ausdrud eines Freundes der Menſchen noch von etwas engerer 
Bedeutung, als der des blos Menfchenliebenden (Philanthrop). Denn 


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— 
— 


2 


& 








Beichluh der Elemenlarlehre. — 469 


Gebrauch ihrer Wiſſenſchaft als umgänglichen (geſchliffenen), oder in 
ihrem Fach unumgänglichen Gelehrten (Pedanten), pragmatiſchen, oder 
mehr auf Geiſt und Geſchmack ausgehenden; welches nach Verſchiedenheit 
der Stände, des Alters, des Geſchlechts, des Geſundheitszuſtandes, des 
der Wohlhabenheit oder Armuth u. ſ. w. zukomme: das giebt nicht fo 
vielerlei Arten der ethiſchen Verpflichtung (denn es ift nur eine, 
nämlid) die der Tugend überhaupt), fondern nur Arten der Anwendung 
(Borismen) ab; die aljo nicht, als Abjchnitte der Ethif und Glieder der 
Eintheilung eines Syſtems (das a priori aus einem Vernunftbegriffe 
hervorgehen muß), aufgeführt, fondern nur angehängt werden können. — 
Aber eben dieſe Anwendung gehört zur Volljtändigfeit der Darftellung 
deſſelben. 


Beſchluß der Elementarlehre. 


Von der innigſten Vereinigung der Liebe mit der Achtung 
in der Freundſchaft. 
46. 

Freundſchaft (in ihrer Vollkommenheit betrachtet) iſt bie Vereini— 
gung zweier Perſonen durch gleiche wechſelſeitige Liebe und Achtung. — 
Man fieht leicht, daß fie ein Sdeal der Theilnehmung und Mittheilung 
an dem Wohl eines jeden diejer durd den moraliic guten Willen Ver: 
einigten jei, und, wenn es auch nicht das ganze Glüd des Lebens bewirkt, 
die Aufnahme defjelben in ihre beiderjeitige Gefinnung die Würdigfeit 
enthalte glüdlicd) zu fein, mithin daß Freundfchaft unter Menſchen Pflicht 
derjelben ift. — Daß aber Freundichaft eine bloße (aber doch praktiſch— 
nothwendige) Idee, in der Ausübung zwar unerreichbar, aber dod) dar- 
nad) (als einem Marimum der guten Gefinnung gegen einander) zu 
ftreben von der Vernunft aufgegebene, nicht etwa gemeine, jondern ehren- 
volle Pflicht ei, ift leicht zu erfehen. Denn wie ift es für den Menſchen 
in Berhältniß zu feinem Nächten möglich, die Gleichheit eines der dazu 
erforderlihen Stüde eben derjelben Pflicht (z. B. des wedhjeljeitigen 
Wohlwollens) in dem Einen mit eben derjelben Gefinnung im Anderen 
auszumitteln, nody mehr aber, welches Berhältniß das Gefühl aus der 
einen Pflicht zu dem aus der andern (3. D. das aus dem Wohlwollen zu 
dem aus der Achtung) im derjelben Perfon habe, und ob, wenn die eine 





470 Melaphyſiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. I. Ethiſche Elementarfehre. 


in der Liebe inbrünftiger ift, fie nicht eben dadurd) in der Achtung des 
Anderen etwas einbüße, jo daß beiderjeitig Liebe und Hochſchätzung jub- 
jectiv ſchwerlich in das Ebenmaß des Gleichgewichts gebradht werden wird; 
welches body zur Freundſchaft erforderlich ift? — Denn man fann jene 
als Anziehung, diefe als Abftogung betrachten, und wenn das Princip der 
erfteren Annäherung gebietet, daS der zweiten fid) einander in geziemen- 
dem Abftande zu halten fordert, weldye Einſchränkung der Vertraulichkeit, 
durch die Regel: daß auch die beften Freunde ſich unter einander nicht 
gemein maden jollen, ausgedrüdt, eine Marime enthält, die nicht blos 
dem Höheren gegen den Niedrigen, fondern auch umgekehrt gilt. Denn 
der Höhere fühlt, ehe man es ſich verfieht, feinen Stolz gekränft und will 
bie Adıtung des Niedrigen etwa für einen Augenblid aufgeſchoben, nidyt 
aber aufgehoben willen, weldye aber, einmal verlegt, innerlid) unmieder- 
bringlid; verloren ift; wenn gleich bie äußere Bezeichnung derjelben (das 
Geremoniell) wieder in den alten Gang gebradjt wird. 

Freundſchaft in ihrer Reinigfeit oder Bollftändigfeit, als erreichbar 
(zwiſchen DOreftes und Pylades, Theſeus und Pirithous) gedacht, ift das 
Stedenpferd der Romanenjhreiber; wogegen Ariftoteles jagt: meine 
lieben Freunde, es giebt feinen Freund! Folgende Anmerkungen fönnen 
auf die Schwierigkeiten derjelben aufmerkſam machen. 

Moraliſch erwogen, ift es freilich Pflicht, daß ein Freund dem ande» 
ren jeine Fehler bemerflid; mache; denn das geſchieht ja zu feinem Beften, 
und es ift aljo Ziebespflidt. Seine andere Hälfte aber fieht hierin einen 
Mangel der Adytung, die er von jenem erwartete, und zwar daß er ent- 
weder darin ſchon gefallen jei, oder, da er von dem Anderen beobaditet 
und ingeheim Eritifirt wird, beftändig Gefahr läuft in den Berluft feiner 
Achtung zu fallen; wie dann felbft, da er beobachtet und gemeiftert wer: 
den jolle, ihm ſchon für ſich jelbft beleidigend zu fein dünken wird. 

Ein Freund in der Noth, wie erwünjcht ift er nicht (wohl zu ver- 
ftehen, wenn er ein thätiger, mit eigenem Nufwande hülfreicher Freund 
ift)! Aber es ift doch aud) eine große Laft, fi an Anderer ihrem Schidjal 
angefettet und mit fremdem Bedürfniß beladen zu fühlen. — Die Freund: 
ſchaft kann alſo nit eine auf wechjeljeitigen Vortheil abgejwedte Ver- 
bindung, jondern diefe muß rein moraliſch fein, und der Beiftand, auf 
ben jeder von beiden von dem Anderen im Falle der Noth rechnen darf, 
muß nicht als Zwed und Beftimmungsgrund zu derjelben — dadurch 
würde er die Achtung des andern Theils verlieren, — fondern fann nur als 


25 











Beſchluß der Elementarlehre. . 41 


äußere Bezeichnung des inneren herzlid; gemeinten Wohlwollens, ohne es 
doch auf die Probe, als die immer gefährlich ift, anfommen zu Lafjen, ge— 
meint fein, indem ein jeder großmüthig den Anderen diefer Laſt zu über: 
heben, fie für fi allein zu tragen, ja ihm fie gänzlich zu verhehlen bedacht 
ift, fi aber immer doch damit ſchmeicheln fann, daß im Falle der Noth 
er auf den Beiltand des Andern fidher würde rechnen fünnen. Wenn aber 
Einer von dem Andern eine Wohlthat annimmt, jo kann er wohl viel- 
leicht auf Gleichheit in der Liebe, aber nicht in der Achtung rechnen, denn 
er fieht fi offenbar eine Stufe niedriger, verbindlich zu fein und nicht 
gegenjeitig verbinden zu können. — Freundichaft ift bei der Süßigfeit der 
Empfindung des bis zum Aufammenfchmelzen in eine Perſon ſich an- 
nähernden wechſelſeitigen Befites doch zugleid; etwas jo Zartes (tene- 
ritas amicitiae), daß, wenn man fie auf Gefühle beruhen läßt und diefer 
mwechjelfeitigen Mittheilung und Ergebung nicht Grundjäße oder das Ge— 
meinmachen verhütende und die Wechjelliebe durch Forderungen der Ach— 
tung einſchränkende Regeln unterlegt, fie feinen Augenblid vor Inter: 
brechungen ſicher ift; dergleichen unter uncultivirten Perjonen gewöhn- 
lic) find, ob fie zwar darum eben nicht immer Trennung bewirken (denn 
Pöbel ſchlaͤgt fid) und Pöbel verträgt fi); fie können von einander nicht 
0 laffen, aber ſich auch nicht unter einander einigen, weil das Zanken ſelbſt 
ihnen Bedürfniß ift, um die Süßigfeit der Eintradht in der Verſöhnung 
zu ſchmecken. — Auf alle Fälle aber kann die Liebe in der Freundidaft 
nicht Affect fein: weil diefer in der Wahl blind und in der Fortſetzung 
verrauchend it. 


2 847. 


Moraliſche Freundſchaft (zum Unterſchiede von der äfthetiſchen) 
iſt das völlige Vertrauen zweier Perſonen in wechſelſeitiger Eröffnung 
ihrer geheimen Urtheile und Empfindungen, ſo weit ſie mit beiderſeitiger 
Achtung gegen einander beſtehen kann. 

Der Menſch iſt ein für die Geſellſchaft beſtimmtes (obzwar doch auch 
ungeſelliges) Weſen, und in der Cultur des geſellſchaftlichen Zuſtandes 
fühlt er mächtig das Bedürfniß ſich Anderen zu eröffnen (ſelbſt ohne 
etwas dabei zu beabſichtigen); andererſeits aber auch durch die Furcht vor 
dem Mißbrauch, den Andere von dieſer Aufdeckung ſeiner Gedanken 
ss machen dürften, beengt und gewarnt, ſieht er ſich genöthigt, einen guten 

Theil feiner Urteile (vornehmlich über andere Menſchen) im ſich jelbft zu 


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Beſchluß der Elementarlehre. 473 


in jenem ift aud) die Vorftellung und Beherzigung der Gleichheit unter 
Menſchen, mithin die Idee dadurd) felbit verpflichtet zu werden, indem 
man Andere durch Wohlthun verpflichtet, enthalten; gleihjam als Brüder 
unter einem allgemeinen Vater, der Aller Glüdfeligfeit will. — Denn 
das Verhältniß des Beſchützers als Mohlthäters zu dem Beſchützten als 
Danfpflidtigen ift zwar ein Verhältniß der Wechſelliebe, aber nicht der 
Freundidaft: weil die ſchuldige Achtung beider gegen einander nicht gleich 
ift. Die Pflicht als Freund den Menſchen wohl zu wollen (eine nothwen- 
dige Herablaffung) und die Beherzigung derjelben dient dazu, vor dem 
Stolz zu verwahren, der die Glüdlihen anzuwandeln pflegt, welche das 
Vermögen wohl zu thun befiben. 


Zuſatz. 
Von den Umgangstugenden 
(virtutes homileticae). 


$ 48, 


Es ift Pflicht ſowohl gegen fid) jelbit, als aud) gegen Andere, mit 
feinen ſittlichen Bollflommenheiten unter einander Verkehr zu treiben (offi- 
cium commercii, sociabilitas), ſich nicht zu ifoliren (separatistam agere); 
zwar fid) einen unbeweglichen Mittelpunft feiner Grundfäbe zu machen, 
aber diejen um fic gezogenen Kreis doch auch als einen, der den Theil 
von einem allbefafjenden der weltbürgerlihen Gefinnung ausmacht, ans 
zuſehen; nicht eben um das Weltbejte als Zweck zu befördern, fondern nur 
die wechjelfeitige, die indirect dahin führt, die Annehmlichkeit in derjelben, 
die Verträglichkeit, die wechjelfeitige Liebe und Achtung (Leutfeligfeit und 
MWohlanftändigfeit, humanitas aesthetica et decorum) zu cultiviren und 
fo der Tugend die Brazien beizugefellen; welches zu bewerfftelligen jelbjt 
Tugendpflicht ift. 

Dies find zwar nur Außenmwerfe oder Beiwerfe (parerga), welche 
einen Schönen, tugendähnlihen Schein geben, der auch nicht betrügt, weil 
ein jeder weiß, wofür er ihn annehmen muß. Es ijt zwar nur Scheide- 
münge, befördert aber dod) das Tugendgefühl felbft durd; die Beftrebung, 
diefen Schein der Wahrheit jo nahe wie möglich zu bringen, in der Zu— 
gänglichkeit, der Gefprädigfeit, der Höflichkeit, Gaftfreiheit, 
Gelindigkeit (im Widerjprehen, ohne zu zanfen), insgefammt als blo- 





474 Retaphyfiſche Anfangsgränbe ber Zugenblehre. L Ethiſche Glementariehre. 


Ben Manieren des Berfehrs mit geäußerten Berbindlichkeiten, dadurch 
man zugleich Andere verbindet, die aljo doch zur Tugendgefinnung bin- 
wirfen, indem fie die Tugend wenigitens beliebt machen. 

Es frägt fich aber hiebei: ob man auch mit Zafterhaften Umgang 
pflegen dürfe. Die Zufammenkunft mit ihnen fann man nicht vermeiden, 
man müßte denn fonft aus der Welt geben; und felbit unfer Urtheil über 
fie ift nicht competent. — Wo aber bas Lafter ein Skandal, d. i. ein öffent- 
lich gegebenes Beijpiel der Verachtung firenger Pflichtgejebe, ift, mithin 
Ehrlofigkeit bei ih führt: da muß, wenn gleidy das Landesgeſetz es nicht 
beitraft, der Umgang, der bis dahin flatt fand, abgebrocdyen, oder jo viel 
möglich gemieden werden: weil die fernere Fortjeßung defjelben die Tu⸗ 
gend um alle Ehre bringt und fie für jeden zu Kauf ftellt, der reich genug 
ift, um den Schmaroger durch die Bergnügungen der Uppigkeit zu be- 
ſtechen. 


m 


1. 


Ethiſche Methodenlehre. 


= 


u 


Der ethiſchen Methodenlehre 
Erſter Abſchnitt. 


Die ethiſche Didaktik. 
$ 49. 


Daß Tugend erworben werden müfje (nicht angeboren jei), liegt, 
ohne fi) deshalb auf anthropologifche Kenntniffe aus der Erfahrung bes 
rufen zu dürfen, ſchon in dem Begriffe derjelben. Denn das jittliche Ver- 
mögen des Menjhen wäre nicht Tugend, wenn es nicht durch die Stärfe 
des Vorſatzes in dem Streit mit jo mädhtigen entgegenftehenden Nei- 
gungen hervorgebracht wäre. Sie ift das Product aus der reinen praf- 
tiſchen Vernunft, jo fern dieje im Bemwußtjein ihrer lberlegenheit (aus 
Freiheit) über jene die Obermacht gewinnt. 

Daß fie fönne und müfje gelehrt werden, folgt ſchon daraus, daß 
fie nicht angeboren ift; die Tugendlehre ijt aljo eine Doctrin. Weil 
aber durch die bloße Lehre, wie man ſich verhalten jolle, um dem Tugend» 
begriffe angemefjen zu fein, die Kraft zur Ausübung der Regeln noch nicht 
erworben wird, jo meinten die Stoifer hiemit nur, die Tugend könne 
nicht durch bloße Borjtellungen der Pflicht, dur Ermahnungen (paräne- 
tiſch) gelehrt, ſondern fie müfje durch Verjuche der Befämpfung des 
inneren Feindes im Menſchen (aſcetiſch) cultivirt, geübt werden; denn 
man fann nicht Alles fofort, was man will, wenn man nicht vorher feine 
Kräfte verfudht und geübt hat, wozu aber freilich) die Entſchließung auf 
einmal vollftändig genommen werden muß: weil die Gefinnung (animus) 
fonft bei einer Eapitulation mit dem Laſter, um es allmählich zu verlajien, 
an ſich unlauter und felbft lafterhaft fein, mithin auch feine Tugend (als 
die auf einem einzigen Princip beruht) hervorbringen könnte. 


478 Metaphyfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. II. Ethiſche Methobenlehre. 
$ 50. 

Was nun die doctrinale Methode betrifft (denn methodiſch muß 
eine jede wifjenichaftliche Lehre jein; fonjt wäre der Vortrag tumultu- 
ariſch): fo kann fie auch nicht fragmentarijch, fondern muß ſyſtema— 
tiſch fein, wenn die Tugendlehre eine Wiſſenſchaft vorjtellen ſoll. — 
Der Vortrag aber fann entweder akroamatiſch, ba alle Andere, melden 
er gejchieht, bloße Zuhörer find, oder erotematijc jein, wo der Zehrer 
das, was er jeine Fünger lehren will, ihnen abfrägt; und dieſe erotema= 
tiiche Methode ift wiederum entweder die, da er es ihrer Vernunft, die 
dialogifche Zehrart, oder blos ihrem Gedächtniſſe abfrägt, die Fateche- 
tifche Xehrart. Denn wenn jemand der Vernunft des Anderen etwas 
abfragen will, jo fanı es nidyt anders als dialogiſch, d. i. dadurch ge- 
ſchehen: daß Lehrer und Schüler einander wechjeljeitig fragen und ant- 
worten. Der Zehrer leitet durch Fragen den Gedanfengang feines Lehr: 
jüngers dadurd), daß er die Anlage zu gewijjen Begriffen in demjelben 
durch vorgelegte Fälle blos entwicelt (er ift die Hebamme feiner Gedan- 
fen); der Zehrling, welcher hiebei inne wird, daß er ſelbſt zu denfen ver: 
möge, veranlaßt durch feine Gegenfragen (über Dunkelheit, oder den ein- 
geräumten Süßen entgegenitehende Zweifel), daß der Zehrer nad) dem 
docendo discimus felbjt lernt, wie er gut fragen müfje. [Denn es ift 
eine an die Logik ergebende, noch nicht genugjam beherzigte Forderung: 
daß fie aud) Regeln an die Hand gebe, wie man zweckmäßig juchen jolle, 
d. i. nicht immer blos für bejtimmende, jondern aud für vorläufige 
Urtheile(iudicia praevia), durd) die man auf Gedanken gebradht wird; eine 
Lehre, die jelbft dem Mathematiker zu Erfindungen ein Fingerzeig fein 
kann und die von ihm auch oft angewandt wird.) 


$ 51. 


Das erjte und nothwendigfte doctrinale Inftrument der Tugenb- 
lehre für den noch rohen Zögling ift ein moralifher Katehism. Dieſer 
muß vor dem Religionskatehism hergehen und kann nicht blos als Ein- 
ſchiebſel in die Religionslehre mit verwebt, fondern muß abgefondert, als 
ein für fid) beftehendes Ganze, vorgetragen werden; denn nur durch rein 
moralifhe Grundjäße kann der Überſchritt von der Tugendlehre zur Reli- 
gion gethan werden, weil dieſer ihre Belenntniffe jonft unlauter fein wür- 


⸗ 


den. — Daher haben gerade die würdigſten und größten Theologen An— = 


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— 
or 


2 


= 


1.) 
u. 


we 
= 


ie 
= 








ftand genommen, für die ftatutarifche Religionslehre einen Katechism ab- 
zufaffen (und fi zugleid für ihn gu verbüngen); da man Doc glauben 
** — 

re moralifder Katedjism, als Grundlehre der 
Tugendpflichten, Feine ſolche Bedenklichfeit oder Schwierigkeit, weil er aus 
der gemeinen Menſchenvernunft (jeinem Inhalte nad) entwickelt werden 
fann und nur den didaktiſchen Regeln der erften Unterweifung (der Form 
nad)) angemefjen werden darf. Das formale Brincip eines ſolchen Unter- 
richts aber verftattet zu diefem Zwed nicht die ſokratiſch-dialogiſche 





Lehrart: weil der Schüler nicht einmal weiß, wie er fragen foll; der Lehrer 


ift alfo allein der Fragende. Die Antwort aber, die er aus der Vernunft 
des Lehrlings methodiſch auslodt, muß in bejtimmten, nicht leicht zu ver- 
ändernden Ausdrüden abgefaßt und aufbewahrt, mithin feinem Gedächt⸗ 
niß anvertraut werden: als worin die katechetiſche Lehrart fi ſowohl 
von der dogmatiſchen (da der Lehrer allein jpricht), als auch der dia= 
logiſchen (da beide Theile einander fragend und antwortend find) unter: 
iheidet. 


$ 52. 


Das erperimentale (technische) Mittel der Bildung zur Tugend 
ift das gute Beifpiel an dem Lehrer jelbft (von eremplarifcher Führung 
zu fein) und das warnende an Audern; denn Nachahmung ift Dem noch 
ungebildeten Menſchen die erſte Rillensbeftimmung zu Annehmung von 
Marimen, die er ſich in der Folge macht. — Die Angewöhnung oder Ab- 
gewöhnung ift die Begründung einer beharrlichen Neigung ohne alle 
Marimen durd die öftere Befriedigung derfelben; und ift ein Medhanisın 
der Sinnesart ftatt eines Princips der Denfungsart (wobei das Ver- 
lernen in der Folge ſchwerer wird als das Erlernen). — Mas aber 
die Kraft des Erempels (es fei zum Guten oder Böen) betrifft, was ſich 
dem Hange zur Nahahmung oder Warnung darbietet*), jo kann das, 


*) Beifpiel, ein beutfches Wort, was man gemeiniglich für Erempel als Ihm 
gleichgeltend braucht, ift mit biefem nicht von elmerlei Bedeutung. Woran ein Erem: 
pel nehmen und zur Berftändlichkeit eines Uusdruds ein Beifpiel anführen, find ganz 
verfchiebene Begriffe. Das Erempel ijt ein befonberer Fall von einer praftifchen 
Negel, fofern diefe bie Thunlichkeit oder Unthunlichleit einer Handlung vorftellt. Hin 
gegen ein Beiſpiel ift nur das Befondere (coneretum), als unter dem Allgemeinen 


480 Metaphyfiſche Anfangsgründe der Tugenblehre. II. Ethiſche Methodenlehre. 


was uns Andere geben, feine Tugendmarime begründen. Denn dieje be 
jteht gerade in der jubjectiven Autonomie der praftiichen Vernunft eines 
jeden Menſchen, mithin daß nicht Anderer Menihen Verhalten, jondern 
das Gejeß uns zur Triebfeder dienen müſſe. Daher wird der Erzieher 
feinem verunarteten Lehrling nicht jagen: Nimm ein Erempel an jenem 
guten (ordentlichen, fleißigen) Knaben! denn das wird jenem nur zur Ur- 
ſache dienen, diejen zu haffen, weil er durch ihn in ein nadjtheiliges Licht 
gejtellt wird. Das gute Erempel (der eremplarifche Wandel) fol nicht 
als Mufter, fondern nur zum Beweiſe der Thunlichfeit des Pflihtmäßigen 
dienen. Alſo nicht die Vergleihung mit irgend einem andern Menjchen 
(wie er ijt), fondern mit der dee (der Menjchheit), wie er fein joll, aljo 
mit dem Gejeß, muß dem Lehrer das nie fehlende Richtmaß jeiner Er: 
ziehung an die Hand geben. 


Anmerkung. 
Bruchſtück eines moraliſchen Katehism. 


Der Lehrer =. frägt der Vernunft jeines Schülers = ©. das- 
jenige ab, was er ihn lehren will, und wenn dieſer etwa nicht Die 
Trage zu beantworten wüßte = 0, fo legt er fie ihm (feine Bernunft 
leitend) in den Mund, 

1.2. Was ift dein größtes, ja dein ganzes Verlangen im Leben? ©. 
0. — L. Daß es dir Alles und immer nad) Wunſch und Willen 
gehe. 

2.2. Wie nennt man einen folden Auftand? ©. 0. L. Man nennt 
ihn Glückſeligkeit (das beftändige Wohlergehen, vergnügtes Leben, 
völlige Zufriedenheit mit feinem Zuftande). 

3.2. Wenn du nun alle Glüdfeligfeit (die in der Welt möglich ift) in 
deiner Hand hätteft, würdeft du fie alle für did behalten, oder fie 
aud) deinen Nebenmenjchen mittheilen? — ©. Ich würde fie mit- 
theilen, Andere auch glüdlich und zufrieden machen. 

4.2. Das bemeift nun wohl, daß du nod) jo ziemlid) ein gutes Herz 
haft; laß aber jehen, ob du dabei aud) guten Verftand zeigejt. — 
Würdeſt du wohl dem Faullenzer weiche Polſter verfhaffen, damit 


nad) Begriffen (abstractum) enthalten vorgeftellt, | unb blos theoretijche Daritellung 
eines Begriffs. 


10 


30 


36 


eo 


je) 


1. Abjchnitt. Die ethiſche Dibattif. 481 


er im jühen Nihtsthun fein Leben dahin bringe, oder dem Trunken— 
bolde es an Wein, und was fonft zur Beraufhung gehört, nicht er— 
mangeln laffen, dem Betrüger eine einnehmende Geitalt und Manie- 
ren geben, um andere zu überliften, oder dem Gewaltthätigen Kühne 
heit und jtarfe Fauft, um Andere überwältigen zu fönnen? Das 
find ja jo viel Mittel, die ein jeder ſich wünſcht, um nad) feiner Art 
glüdlid) zu fein. S. Nein, das nicht. 

2. Du fiehft alfo: daß, wenn du aud alle Glüdjeligfeit in deiner 
Hand und dazu den beften Willen hättejt, du jene dod) nicht ohne 
Bedenken jedem, der zugreift, preis geben, fondern erft unterſuchen 
würdet, wie fern ein jeder der Glüdjeligfeit würdig wäre — X. 
Tür dich jelbft aber würdeft du doch wohl fein Bedenken haben, did) 
mit Allen, was du zu deiner Glückjeligfeit rechneſt, zuerft zu ver- 
jorgen? ©. Ja. 2. Aber fommt dir da nicht auch die Frage in Ge— 
danfen, ob du wohl ſelbſt aud) der Glückſeligkeit würdig fein mögeft? 
S. Mlerdings. 2. Das nun in dir, was nur nad Glückſeligkeit 
ftrebt, ijt die Neigung; dasjenige aber, was deine Neigung auf die 
Bedingung einſchränkt, diefer Glückſeligkeit zuvor würdig zu fein, tft 
deine Bernunft, und daß du durch deine Vernunft deine Neigung 
einfhränfen und überwältigen kannt, das ift die Freiheit deines 
Willens. 


2. Um nun zu wiffen, wie du es anfängjt, um der Glückſeligkeit 


theilhaftig und doch auch nicht unwürdig zu werden, dazu liegt bie 
Regel und Anweifung ganz allein in deiner Vernunft; das heißt 
fo viel als: du haft nicht nöthig diefe Negel deines Verhaltens von 
ber Erfahrung, oder von Anderen durd ihre Unterweifung abzuler- 
nen; deine eigene Vernunft lehrt und gebietet dir geradezu, was du zu 
thun haft. 3. B. wenn dir ein Fall vorfommt, da du durd) eine fein 
ausgedadhte Lüge dir oder deinen Freunden einen großen Vortheil 
verihaffen kannſt, ja noch dazu badurd) auch feinem anderen ſchadeſt, 
was jagt dazu deine Vernunft? S. Ich foll nicht lügen; der Bor: 
theil für mich und meinen Freund mag jo groß fein, wie er immer 
wolle. Lügen ift niederträhtig und madt den Menſchen un— 
würdig glüdlich zu fein. — Hier ift eine unbedingte Nöthigung 
durch ein Bernunftgebot (oder Verbot), dem ich gehorchen muß: mo» 
gegen alle meine Neigungen verjtummen müfjen. 2. Wie nennt 
man diefe unmittelbar durd) die Vernunft dem — auferlegte 


Kant's Schriften Werke. VI. 


482 Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. II. Ethiſche Methodenlehre. 


— 


—2* 


Nothwendigkeit, einem Geſetze derſelben gemäß zu handeln? ©. Sie 
beißt Pflicht. 2. Alfo ift dem Menſchen die Beobachtung feiner 
Pflicht die allgemeine und einzige Bedingung der Würdigfeit glüd- 
lid) zu fein, und diefe ift mit jener ein und daſſelbe. 


.2. Wenn wir uns aber auch eines ſolchen guten und thätigen Wil- 


lens, durch den wir uns würdig (wenigitens nicht unwürdig) halten 
glüdlich zu fein, auch bewußt find, können wir darauf aud) die ſichere 
Hoffnung gründen, dieſer Glückjeligkeit theilhaftig zu werden? ©. 
Nein! darauf allein nicht; denn es fteht nicht immer in unferem Ber: 
mögen, fie uns zu verfchaffen, und der Lauf der Natur richtet fi) 
auch nicht jo von jelbft nach dem Verdienſt, fondern das Glüd des 
Lebens (unjere Wohlfahrt überhaupt) hängt von Umftänden ab, die 
bei weitem nicht alle in des Menſchen Gewalt find. Alſo bleibt 
unfere Glüdfeligkeit immer nur ein Wunſch, ohne daß, wenn nicht 
irgend eine andere Macht hinzufommt, diejer jemals Hoffnung wer- 
den kann. 

2. Hat die Vernunft wohl Gründe für fi, eine ſolche die Glückſelig— 
feit nach Verdienft und Schuld der Menſchen austheilende, über die 
ganze Natur gebietende und die Welt mit höchſter Weisheit regie- 
rende Macht als wirflid anzunehmen, d. i. an Bott zu glauben? 
S. 3a; denn wir ſehen an den Werfen der Natur, die wir beur- 
theilen können, jo ausgebreitete und tiefe Weisheit, die wir uns nicht 
anders als durd) eine unansipredlic große Kunſt eines Weltſchöp— 
fers erklären können, von weldiem wir uns denn aud), was die fitt- 
liche Ordnung betrifft, in der doch die höchſte Zierde der Welt be- 
fteht, eine nicht minder weije Regierung zu verfprechen Urſache 
haben: nämlich dab, wenn wir uns nicht ſelbſt der Glückſeligkeit 
unwürdig machen, welches durch libertretung unjerer Pflicht ge 
ſchieht, wir auch hoffen fönnen, ihrer theilhaftig zu werden. 

In diejer Katecheje, welche durch alle Artikel der Tugend und 
des Lafters durchgeführt werden muß, ift die größte Aufmerkiamkeit 
darauf zu richten, daß das Pflichtgebot ja nicht auf die aus deffen 
Beobachtung für den Menſchen, den es verbinden joll, ja jelbit aud) 
nicht einmal für Andere fließenden Vortheile oder Nachtheile, jondern 
ganz rein auf das fittlidhe Princip gegründet werde, der letzteren aber 
nur beiläufig, als an fi) zwar entbehrlicher, aber für den Gaumen 
der von Natur Schwachen zu bloßen Vehikeln dienender Zujäbe, Er: 


15 


25 


20 


30 


1. Abſchnitt. Die ethifche Didaktik. 483 


wähnung geſchehe. Die Schändlichkeit, nit die Schädlichkeit 
des Laſters (für den Thäter felbft) muß überall hervorſtechend dar— 
gejtellt werden. Denn wenn die Würde der Tugend in Handlungen 
nicht über Alles erhoben wird, jo verjchwindet der Pflichtbegriff jelbit 
und zerrinnt in bloße pragmatiſche Vorſchriften; da dann der Adel 
des Menſchen in jeinem eigenen Bewußtjein verſchwindet und er für 
einen Preis feil ift und zu Kauf fteht, den ihm verführerifche Nei- 
gungen anbieten. 

Wenn diejes num weislih und pünftlih nad Verjchiedenheit 
der Stufen des Alters, des Geſchlechts und des Standes, die der 
Menſch nad) und nad) betritt, aus der eigenen Vernunft des Men 
ſchen entwidelt worden, fo ift nod) etwas, was den Beſchluß machen 
muß, was die Seele inniglich bewegt und den Menſchen auf eine 
Stelle jeßt, wo er ſich jelbft nicht anders als mit der größten Be— 
wunderung der ihm beimohnenden urjprünglichen Anlagen betrachten 
fann, und wovon der Eindrud nie erlifcht. — Wenn ihm nämlich beim 
Schluſſe jeiner Unterweifung feine Pflihten in ihrer Ordnung noch 
einmal ſummariſch vorerzählt (recapitulirt), wenn er bei jeder ders 
felben darauf aufmerffam gemacht wird, daß alle Übel, Drangjale 
und Leiden des Rebens, jelbjt Bedrohung mit dem Tode, die ihn dar- 
über, daß er feiner Pflicht treu gehordht, treffen mögen, ihm doc) das 
Bewußtjein, über fie alle erhoben und Meiſter zu fein, nicht rauben 
fönnen, jo liegt ihm num die Frage ganz nahe: was ijt das in dir, 
was fid) getrauen darf, mit allen Kräften der Natur in dir und um 
dich in Kampf zu treten und fie, wenn fie mit deinen fittlihen Grund- 
jäben in Streit fommen, zu befiegen? Wenn diefe Frage, deren 
Auflöfung das Vermögen ber fpeculativen Vernunft gänzlich über: 
fteigt und die fid) dennod) von ſelbſt einftellt, ans Herz gelegt wird, 
jo muß ſelbſt die Unbegreiflichkeit in diefem Selbfterfenntnifje der 
Seele eine Erhebung geben, die fie zum Heilighalten ihrer Pflicht 
nur deſto ftärfer belebt, je mehr fie angefochten wird. 

In diejer katechetiſchen Moralunterweifung würde es zur ſitt— 
lien Bildung von großem Nutzen fein, bei jeder Pflichtzergliederung 
einige cafuiftifche Fragen aufzumwerfen und die verjammelten Kinder 
ihren Verſtand verfuchen zu laſſen, wie ein jeder von ihnen die ihm 
vorgelegte verfängliche Aufgabe aufzulöfen meinte. — Nicht allein daß 
diejes eine der Fähigkeit des Ungebildeten am meiften angemefjene 

81° 


E 


484 Metaphpfiiche Anfangsgründe der Tugendlehre. II. Ethiſche Methodenlehre. 


Gultur der Vernunft ift (weil diefe in Fragen, die, was Pflicht ift, 
betreffen, weit leichter entjcheiden fann, als in Anfehung der fpecula= 
tiven) und jo den Verftand der Jugend überhaupt zu ſchärfen die 
ſchicklichſte Art ift: jondern vornehmlich deswegen, weil es in der 
Natur des Menſchen liegt, das zu lieben, worin und in defien Be 
arbeitung er es bis zu einer Wiſſenſchaft (mit der er nun Beſcheid 
weiß) gebracht hat, und jo der Lehrling durch dergleichen Ubungen 
unvermerkt in das Inter eſſe der Sittlichfeit gezogen wird. 

Don der größten Wichtigfeit aber in der Erziehung ift es, den 
moralijhen Katehism nit mit dem Religionsfatehism vermiſcht 
vorzutragen (zu amalgamiren), noch weniger ihn auf den leßteren 
folgen zu lafjen; fondern jederzeit den erjteren und zwar mit dem 
größten Fleiße und Ausführlichkeit zur Elärften Einſicht zu bringen. 
Denn ohne diejes wird nachher aus der Religion nichts als Heuchelei, 
ih aus Furcht zu Pflichten zu befennen und eine Theilnahme an 
derjelben, die nicht im Herzen ift, zu lügen. 


Zweiter Abjchnitt. 
Die ethische Ajcetik. 
$ 53. 

Die Regeln der Übung in der Tugend (exercitiorum virtutis) gehen 
auf die zwei Gemüthsjtimmungen hinaus, waderen und fröhlichen 
Gemüths (animus strenuus et hilaris) in Befolgung ihrer Pflichten zu 
fein. Denn fie hat mit Hindernifjen zu fämpfen, zu deren liberwältigung 
fie ihre Kräfte zufammen nehmen muß, und zugleich manche Zebensfreu- 
den zu opfern, deren Verluft das Gemüth wohl bisweilen finfter und 
mürriſch madyen kann; was man aber nicht mit Luft, fondern blos als 
Frohndienft thut, das hat für den, der hierin feiner Pflicht gehorcht, feinen 
inneren Werth und wird nicht geliebt, jondern die Gelegenheit ihrer Aus: 
übung jo viel möglich geflohen. 

Die Eultur der Tugend, d. i. die moralifhe Ajcetif, hat in An 
jehung des Princips der rüftigen, muthigen und waderen Tugendübung 
den Wahlſpruch der Stoifer: gewöhne dich die zufälligen Lebensübel zu 
ertragen und die eben jo überflüffigen Ergötzlichkeiten zu entbehren 
(assuesce incommodis et desuesce commoditatibus vitae). Es ift eine 

















— ne in und, Cat mer 1 RD Be 
ı» rung) zu bereuen, fie büßen zu wollen, welches bei 
uni ——— — 
legen) ein Widerſpruch iſt, und kann auch den Frohſinn, der 
begleitet, nicht bewirken, vielmehr nicht ohne geheimen 
Tugendgebot ftatt finden. — Die ethiſche Oymnaftit 
»o der Bekämpfung der Naturtriebe, die das Maß erreicht, über fie dei vor“ 
fommenden, der Moralität Gefahr drohenden Fällen Meifter werden au 
fönnen; mithin die wader und im Bewußtſein feiner wiebererworbenen 
Freiheit fröhlich madht. Etwas bereuen (weldes bei der Nüderinne 
rung ehemaliger Übertretungen unvermeidlich, ja wobel diefe @rlnnerung 
» nicht ſchwinden zu lafjen, es fogar Pflicht ift) und fich eine Pönktena 
auferlegen (3. B. das Faften), nicht in diätetifcher, fondern frommer Mike 
ficht, find zwei fehr verfchtedene, moraliih gemeinte Vorkehrungen, von 
denen die leßtere, welche freudenlos, finfter und mirrljch Ift, die Tugend 
jelbft verhaßt macht und ihre Anhänger verfagt. Die Zucht (Disciplin), 
» die der Menſch an ſich jelbit verübt, Tann daher nur durd) den Rrohlinn, 
der fie begleitet, verdienftlic und eremplarifch werden, 












Beſchluß. 
Die Religionslehre als Lehre der Pflichten gegen Gott 
liegt außerhalb den Grenzen der reinen Moralpbilojophie. 


Protagoras von Abdera fing fein Bud) mit den Worten an: „Ob 
Götter find, oder nicht find, davon weiß id nichts zu ſagen“). 
Er wurde deshalb von den Athenienfern aus der Stadt und von feinem 
Landbefiß verjagt und feine Bücher vor der öffentlihen Verſammlung 
verbrannt (Quinctiliani Inst. Orat. lib. 3. Cap. 1). — Hierin thaten ihm 
die Richter "von Athen als Menſchen zwar jehr unrecht; aber als 
Staatsbeamte und Richter verfuhren fie ganz rechtlich und conje- 
quent; denn wie hätte man einen Eid ſchwören können, wenn es nicht 
öffentlich und gefeplidh von hoher Obrigkeit wegen (de par le Senat) 
befohlen wäre: daß es Götter gebe**). 


) „De Diis, neque ut sint, neque ut non sint, habeo dicere.“ 

»*) Biwar hat fpäter hin ein großer moralifch-gejeßgebender Weile dad Schwören 
als ungereimt und zugleich beinahe an Blasphemie gremzend ganz und gar verboten; 
allein in politifcher Rüdjicht glaubt man noch immer dieſes mechanischen, zur Berwal- 
tung ber öffentlichen Gerechtigfeit bienlichen Mittels ſchlechterdings nicht entbehren 
zu können und hat milde Uuslegungen ausgedacht, um jenem Berbot auszumeichen. 
— Da es eine Ungereimtheit wäre im Ernſt zu jchwören, daß ein Gott jei (weil man 
dieſen fchon poftulirt haben muß, um überhaupt nur jchwören zu fönnen), jo bleibt 
noch bie Frage: ob nicht ein Eib möglich und geltend jei, da man nur auf ben Fall, 
daß ein Gott fei (ohne wie Protagoras barüber etwas auszumachen), ſchwöre. — In 
ber That mögen wohl alle reblih und zugleich mit Bejonnenheit abgelegten Eibe in 
feinem anderen Sinne gethan worben jein. — Denn daß einer jich erböte jchlechibhin 
zu beihwören, daß ein Gott ſei: jcheint zwar Fein bebenfliches Anerbieten zu jein, er 
mag ihn glauben ober nicht. Iſt einer (wirb ber Betrüger jagen), jo habe ichs ge- 
troffen; ift feiner, fo zieht mich auch feiner zur Verantwortung, und id) bringe mid) 
durch foldhen Eid in feine Gefahr. — Iſt denn aber feine Gefahr babei, wenn ein 


- 


folder ift, auf einer vorjeglichen und, jelbft um Gott zu täufchen, angelegten Lüge 


betroffen zu werben? 


23 


= 


in 
= 





Dos Formale aller Religion, wenn man fic jo erflärt: fie ſei „der 
Inbegriff aller Pflichten als (instar) gotilicher Gebote", gehört ; 


ſophiſchen 

is a ne — 

wird laden od nicht zur Wikht gepen Cora) Geil 
ss cin auer anferr Dee rifirendes Befn gemakt, indem wir biebei 
von der Eriftenz deijelben noch ans Ne Menſchenpflichten 
ä diefem Hormalen (der Beziehung derjelben auf einen göttlichen, a pri 















defien Willen (von dem die allgemein geiehgebende Vernunft mir der 
Sprecher ift), nämlich) Gott, dabei zu denlen. — — Allein diefe Richt 
in Anjehung Gottes (eigentlich der Idee, welche wir uns bon einem 
ſolchen Wejen machen) ift Pflicht des Menſchen gegen ſich felbft, d: i. nicht 
objective, die Verbindlichkeit zur Leiftung gewiffer Dienfte an einen Aude⸗ 
ren, jondern nur jubjective zur Stärkung der morallfden Trtebfeber in 
unferer eigenen gejeßgebenden Vernunft. 

Was aber das Materiale der Neligion, den Inbegriff ber Pflichten 
gegen (erga) Gott, d. i. den ihm zu leiftenden Dienft Cad praestandum), 
anlangt, fo würde fie befondere, von der allgemelngelepgebenden Vers 
nunft allein nicht ausgehende, von uns alſo nicht a priori, fondern nur 
empirifch erfennbare, mithin nur zur geoffenbarten Religion nebdrende 
Pflichten als göttliche Sebote enthalten können; bie alfo aud) bas Dafein 
diejes Wefens, nicht blos die Idee von demfelben in praltifher Abſicht, 
nicht willfürlich vorausfeßen, fondern als unmittelbar (oder mittelbar) In 
der Erfahrung gegeben dargelegt werden könnte. ine folde Rellglon 
aber würde, fo gegründet fie ſonſt auch fein möchte, doch feinen Theil der 
reinen philofophifhen Moral ausmaden. 

Religion alfo, als Lehre der Pflihten gegen Bott, Liegt jenfeit 








488 Metaphyſiſche Anfangsgründe der Tugendlehre. 


aller Grenzen der rein-philoſophiſchen Ethik hinaus, und das dient zur 
Rechtfertigung des Verfafjers des Gegenmwärtigen, daß er zur Vollftändig- 
feit derjelben nicht, wie es fonft wohl gewöhnlich war, die Religion, in 
jenem Sinne gedadht, in die Ethik mit hinein gezogen hat. 

Es kann zwar von einer „Religion innerhalb den Örenzen der 
bloßen Vernunft,“ die aber niht aus bloßer Vernunft abgeleitet, jondern 
zugleih auf Geſchichts- und Dffenbarungslehren gegründet ift und die 
nur die Übereinftimmung der reinen praktiſchen Vernunft mit den- 
jelben (daß fie jener nicht widerftreite) enthält, die Nede fein. Aber als- 
dann ift fie auch nicht reine, fondern auf eine vorliegende Geſchichte an= 
gewandte Religionslehre, für welche in einer Ethik, als reiner praf: 
tiſchen Philoſophie, fein Platz ijt. 


Schlußanmerkung. 


Alle moraliſche Verhältnifje vernünftiger Weſen, welche ein 
Princip der Übereinftimmung des Willens des einen mit dem des 
anderen enthalten, laſſen fi auf Ziebe und Achtung zurüdführen 
und, fofern dies Princip praktiſch ift, der Beitimmungsgrund des 
Willens in Anjehung der erfteren auf den Zweck, in Anjehung des 
zweiten auf das Recht des Anderen. — Iſt eines diejer Weſen ein 
joldyes, was lauter Rechte und feine Pflihten gegen das andere hat 
(Gott), hat mithin das andere gegen das erſtere lauter Pflichten und 
feine Rechte, jo ift das Princip des moraliſchen Verhältnifjes zwi: 
Ichen ihnen transjcendent (dagegen das der Menſchen gegen Men 
chen, deren Wille gegen einander wechſelſeitig einſchränkend ift, ein 
immanentes ‘Princip hat). 

Den göttlihen Zweck in Anjehung des menjhlichen eſchlechis 
(deſſen Schöpfung und Leitung) kann man ſich nicht anders denken, 
als nur aus Liebe, d. i. daß er die Glückſeligkeit der Menſchen 
jei. Das Princip des Willens Gottes aber in Anjehung der ſchul— 
digen Achtung (Ehrfurdt), weldhe die Wirkungen der erjteren ein: 
ſchränkt, d. i. des göttlichen Rechts, fann fein anderes fein als das 
der Gerechtigkeit. Man könnte fid) (nad; Menſchenart) auch fo 
ausdrüden: Gott hat vernünftige Wejen erichaffen, gleihjfam aus 
dem Bedürfnijje etwas außer ſich zu haben, was er lieben fünne, 
oder aud) von dem er geliebt werde. 


_ 
= 


— 


5 


25 


35 


Beſchluß der ganzen Ethik. 489 


Aber nicht allein eben jo groß, fondern noch größer (meil das 
Princip einſchränkend ift) ift der Anfprud), den die göttliche Gerech— 
tigfeit im Urtheile unferer eigenen Vernunft und zwar als ftra- 
fende an uns madt. — Denn Belohnung (praemium, remune- 
ratio gratuita) bezieht ſich gar nicht auf Gerechtigkeit gegen Weſen, 
die lauter Pflichten und feine Rechte gegen das andere haben, jondern 
blos auf Liebe und Wohlthätigkeit (benignitas); — noch weniger 
fann ein Anſpruch auf Zohn (merces) bei einem ſolchen Weſen ftatt- 
finden, und eine belohnende Gerechtigkeit (iustitia brabeutica) 
ift im Berhältniß Gottes gegen Menſchen ein Widerjprud). 

Es ift aber doch in der Sdee einer Gerechtigkeitsausuübung eines 
Weſens, was über allen Abbrud; an feinen Zwecken erhaben ift, 
etwas, was fid) mit dem Verhältnig des Menſchen zu Gott nicht 
wohl vereinigen läßt: nämlidy der Begriff einer Läſion, welde an 
dem unumfchränften und unerreihbaren Weltherrſcher begangen wer: 
den könne; denn bier ift nicht von den Rechtsverletzungen, die Men- 
Ichen gegen einander verüben und worüber Gott als ftrafender Rid)- 
ter entjcheide, jondern von der Verlegung, die Bott jelber und feinem 
Recht widerfahren jolle, die Nede, wovon der Begriff transſcen— 
dent iſt, d. i. über den Begriff aller Strafgeredhtigkeit, wovon wir 
irgend ein Beifpiel aufitellen können, (d. i. der unter Menſchen), 
ganz hinaus liegt und überſchwengliche Principien enthält, die mit 
denen, weldye wir in Erfahrungsfällen gebraudgen würden, gar nicht 
in Zufammenftimmung gebracht werden können, folglich für unjere 
praftifche Vernunft gänzlicd) leer find. 

Die Idee einer göttlihen Strafgerechtigfeit wird hier perjonifi= 
eirt; eg ift nicht ein bejonderes ridhtendes Wejen, was fie ausübt (denn 
da würden Widerſprüche defjelben mit Rechtsprincipien vorfommen), 
fondern die Gerechtigkeit gleid als Subſtanz (jonjt die ewige 
Gerechtigkeit genannt), die wie das Fatum (Verhängniß) der alten 
philofophirenden Dichter noch über dem Jupiter ijt, fpridht das 
Recht nad) der eifernen, unablenfbaren Nothwendigfeit aus, die für 
uns weiter unerforſchlich ift. — Hievon jebt einige Beifpiele. 

Die Strafe läßt (nad) dem Horaz) den vor ihr ftolz ſchreitenden 
Verbrecher nicht aus den Augen, jondern hinkt ihm unabläjfig nach, 
bis fie ihn ertappt. — Das unſchuldig vergofjene Blut jhreit um 
Race. — Das Verbreden fann nicht ungerächt bleiben; trifft die 


40 


Metaphyſiſche Anfangsgründe ber Tugendlehre. 


Strafe nicht den Verbrecher, jo werden es feine Nachkommen ent: 
gelten müflen; oder geſchiehts nicht bei feinem Leben, jo muß es in 
einem Leben nad) dem Tode*) geſchehen, welches ausdrüdlid) darum 
aud angenommen und gern geglaubt wird, damit der Anjprud) der 
ewigen Gerechtigkeit ausgeglichen werde. — Ich will feine Blut» 
ſchuld auf mein Land kommen laffen, dadurd) daß id) einen boshaft 
mordenden Duellanten, für den ihr Fürbitte thut, begnadige, ſagte 
einmal ein wohldenfender Zandesherr. — Die Sündenjhuld muß 
bezahlt werden, und follte ſich aud ein völlig Unſchuldiger zum 
Sühnopfer hingeben (wo dann freilidy die von ihm übernommene 
Leiden eigentlich nit Strafe — denn er hat jelbjt nichts verbrochen 
— heißen könnten); aus weldem allem zu erjehen ift, daß es nicht 
eine die Gerechtigkeit verwaltende Perſon ift, der man diejen Ver— 
urtheilungsſpruch beilegt (denn die würde nicht jo ſprechen fönnen, 
ohne Anderen unrecht zu thun), jondern daß die bloße Geredhtigfeit, 
als überjchwenglidhes, einem überfinnlien Subject angedadhtes 
Princip, das Necht dieſes Weſens beftimme; welches zwar dem For— 
malen diejes Princips gemäß ift, dem Materialen defjelben aber, 
dem Zweck, welder immer die Glüdjeligfeit der Menſchen ift, 
wiberjtreitet. — Denn bei der etwanigen großen Menge der Ber: 
bredher, die ihr Schuldenregifter immer fo fortlaufen lafjen, würde 
die Strafgerechtigfeit den Zweck der Schöpfung nidht in der Liebe 
des Welturhebers (wie man fid) doc denken muß), fondern in der 
ftrengen Befolgung des Rechts ſetzen (das Recht jelbit zum Zweck 
machen, der in der Ehre Gottes gejeßt wird), welches, da das Letz— 
tere (die Gerechtigkeit) nur die einfchränfende Bedingung des Erjte- 
ren (der Gütigfeit) ift, den Principien der praftiihen Vernunft zu 


*) Die Hypotheie von einem Fünftigen Peben barf bier nicht eimmal einge 


mijcht werben, um jene brohende Strafe als vollftändig in ber Vollziehung vor- 
auftellen. Denn ber Menſch, feiner Moralität nad) betrachtet, wirb als überfinnlicher 
Gegenſtand vor einem überfinnlichen Richter nicht nach Zeitbedingungen beurtheilt; 
es iſt nur von feiner Eriftenz die Rede. Sein Erdenleben, es fei kurz ober lang, ober 
gar ewig, ijt nur das Dajein befjelben in ber Erfcheinung, und ber Begriff ber Gerech— 
tigfeit bebarf feiner näheren Beitimmung; wie denn auch der Glaube an ein fünftiges 
Leben eigentlich nicht vorausgeht, um die Strafgerechtigfeit an ihm ihre Wirkung ſehen 
zu laffen, jondern vielmehr umgekehrt aus ber Nothwendigkeit der Beitrafung auf ein 
fünftiges Leben bie Folgerung gezogen wird. 


5* 


am 


Beſchluß ber gangen Ethil. 40] 


zotberfpregen icheint, nach welchen eine Weltſchoöpfung hätte unter- 
bleiben müffen, dic em ber Abſicht ihres Urhebers, Die nur Liebe 
zum Grunde haben taım, fo wiberftreitendes Rroduet geliefert haben 
würde. 

Man tet Hieraus: vaß in ber Ethll, als reiner praftifiher Phi⸗ 
wiophie der inmeren Gefetzgebung, nur die moralifihen Verhältniffe 
de Menſchen gegen den Menſchen fin uns vepreiflich find: was 
aber zwitdyen Bott und dem Menſchen hierüber fr ein Nerhältni 
obwalte, bie Grenzen berjelben ginzlich überfteipt und uns ſchlechter 
dings unbegreiflich ift; wodurch dann betätigt wird, was oben de⸗ 
bauptet ward: dag die Ethit fich wicht über Die Mrengen der werhfel- 


Zafel 
der Eintheilung der Ethik. 


I. Ethiſche Elementarlehre. 


Erfter Theil. 
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt. 5 


Erftes Bud. 
Bon den volllommenen Pflihten des Menſchen gegen fi jelbit. 


Erftes Hauptftück. 
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt als animalifhes Wejen. 


Zweites Hauptftüd. 10 
Bon den Pflichten des Menſchen gegen fich felbit, blos als moraliſches 
Mejen. 
Erſter Abſchnitt. 
Bon den Pflichten des Menſchen gegen ſich ſelbſt als angebornen Richter 
über fich ſelbſt. 15 
Zweiter Abſchnitt. 
Vom erften Gebot aller Pflichten gegen fi) jelbft. 
Epifodifher Abſchnitt. 
Bon der Ampbibolie der moraliihen Reflerionsbegriffe in Anfehung 
der Pflichten gegen fich jelbft. » 


5 


0 


Tafel der Eintheilung der Ethik. 493 


Zweites Bud. 


Bon den unvollfommenen Pflichten des Menfchen gegen fidh felbft in 
Anfehung feines Zwecks. 


Erſter Abſchnitt. 


Bon der Pflicht gegen fidh ſelbſt in Entwidelung und Vermehrung 
jeiner Naturvollkommenheit. 


Zweiter Abſchnitt. 


Bon der Pflicht gegen fich ſelbſt in Erhöhung feiner moralifchen 
Vollkommenheit. 


Der ethiſchen Elementarlehre 
Zweiter Theil. 
Von den ethiſchen Pflichten gegen Andere. 
Erſtes Hauptſtück. 
Von den Pflichten gegen Andere blos als Menſchen. 


Erſter Abſchnitt. 
Von der Liebespflicht gegen andere Menſchen. 


Zweiter Abſchnitt. 
Von der Pflicht der Achtung für Andere. 


Zweites Hauptftüd. 
Bon der Pfliht gegen Andere nah Verſchiedenheit ihres Zuſtandes. 


Beſchluß der Elementarlebre. 
Bon ber inniglichen Vereinigung der Liebe mit der Achtung in der Freundſchaft. 


Il. Ethiſche Methodenlehre. 


Eriter Abſchnitt. 
Ethiſche Didaktik. 


Zweiter Abſchnitt. 
Ethiſche Aſcetik. 


Beſchluß der ganzen Ethik. 


Anmerkungen. 


Die Religion innerhalb der Grenzen 
der bloßen Dernunft. 


Herausgeber: Georg Wobbermin. 


Einleitung. 

1. In dem Begleitschreiben bei Übersendung eines Exemplars der Religion 
innerhalb der Grenzen d. bl. B. an den Göttinger Tbeologie-Professor Carl 
Friedrich Stäudlin hat Kant selbst die Stelle angegeben, welche diese Schrift 
in seinem System einzunehmen bestimmt ist. Es heißt dort: Mein fehon jeit 
geraumer Zeit gemachter Plan ber mir obliegenden Bearbeitung bes Feldes 
der reinen Philofophie ging auf die Auflöfung der drei Aufgaben: 1) Was 
fann ich wiſſen? (Metaphyſik.) D Was foll ih Ihum? (Moral) 3) Mas barf 
ich hoffen? (Neligion); welcher zulegt bie vierte folgen follte: Was tft ber Menjc ? 
(Anthropologie) — Mit beifommender Schrift habe die dritte Abtheilung meines 
Plans zu vollführen gefucht, in welcher Arbeit mich Gewifienbaftigfeit unb wahre 
Hochachtung für die chriftliche Neligion, dabei aber auch ber Grundſatz einer ge 
ziemenden Freimüthigkeit geleitet hat, nichts zu verheimlichen, ſondern, wie id) die 
mögliche Vereinigung der leßteren mit der reinften praftifchen Bernunft einzufehen 
glaube, offen baraulegen.') 

Die Publicationsgeschichte dieser religionsphilosophischen Hauptschrift 
Kants, welche unter der Herrschaft des Wöllnerschen Religions-Edietes und des von 
diesem im April 1791 als oberste Censurbehörde in Kirchen- und Schulsachen 
eingesetzten Dreimänner-Collegiums (Hermes, Woltersdorf, Hillmer) verfaßt und 
veröffentlicht wurde, ?) ist aufs engste mit den Uensurschwierigkeiten verknüpft, 
die die preußische Unterriehts-Verwaltung dem Philosophen bereitete. 

Kant hatte, wie er am 4, Mai 1793 an Stäudlin berichtet,?) ursprünglich beab- 
sichtigt, das ganze Werk in 4 Stüden in ber von Biester herausgegebenen Berliner 
Monatsjchrift?) erscheinen zu lassen. Nun hatten Ilerausgeber und Verleger der 


1) Brief an Stäudlin vom 4. Mai 1793; XI 414. 
) Vgl. Borrede zum Streit ber Bacultäten, VII Sf. 
) Xl Als. 
*) Genauer: Berlinische Monatsschrift, 
Kant’d Shriften Were V]. 32 











498 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Vernunft. 


Monatsschrift sich schon Ende des Jahres 1791 entschlossen, dieDrucklegung statt in 
Berlin in Jena besorgen zu lassen; denn „auswärts drucken zu lassen, ist niehier ver- 
boten gewesen“'). Damit waren sie der Nothwendigkeit ausgewichen, die Artikel 
der Monatsschrift der Berliner Censur vorlegen zu müssen. Das wäre also an sich 
auch nicht nöthig gewesen, als Kant für das März-Heft 1792 seinen Aufsatz Über 
bas rabicale Böfe in der menſchlichen Natur (denn nur so lautet die ursprüngliche 
Überschrift) einsandte. Indess in einem besonderen, leider verloren gegangenen 
Schreiben an Biester?) bat Kant ausdrücklich, sein Manuscript der Berliner Censur 
einzureichen. Er wollte, wie es in Borowskis (in diesen Worten wohl authentischem) 
Bericht über „Kants Censurleiden“ 9 heißt, „durchaus auch nicht den Schein einmal 
haben, als ob er einen literarifchen Schleihweg gerne einfchlüge und nur bei ge- 
fliffentlicher Nusweichung der ftrengen Berlinifchen Genfur jogenannte fühne Dieinungen 
äubere”.*) Allerdings fürchtete Kant schon, er habe zu spät von dem Wechsel 
des Druckorts gehört, sein Manuseript sei bereits nach Jena gesandt. „Durch 
einen Zufall“ lag es aber noch bei Biester, da dieser den Aufsatz erst im April- 
heft bringen wollte. Biester entsprach also — wenn auch offenbar nicht gerne — 
dem Wunsche Kants und erhielt schon Tags darauf das Manuscript von Hillmer, 
der es — weil moralischen Inhalts — zu beurtheilen hatte, mit der Druck- 
erlaubniss und dem Bescheid zurück, „er [finde] nach sorgfältiger Durchlesung diese 
Schrift, wie dieübrigen Kantischen, nur nachdenkenden, Untersuchungs- und Unter- 
scheidungsfähigen Gelehrten, nicht aber allen Lesern überhaupt, bestimmt u, 
genießbar.*°) 

Das zweite Stüd aber war nicht ebenso glücklich.) Kant hatte wieder 
„durchaus* auf die Überweisung an die Censurbehörde in Berlin gedrungen.”) Dies- 
mal antwortete Hillmer: „Da es ganz in die bibl. Theologie einschlage, habe er es, 
seiner Instruction gemäß, mit seinem Collegen HEn Hermes gemeinschaftl. durchge- 
lesen, u. da dieser sein Imprimatur verweigere, trete er diesem bei.*”) Biester 
wandte sich sofort-an Herınes, erbielt aber nur die Antwort: „Das Rel.-edikt sei 


) Joh, Erich Biester an Kant, d. 6. März 1792; XT315 (vgl. auch XI 451). 

”) Vgl. in dem unter ') genannten Briefe XI 316. 

3) Von Borowski als 4te Beilage seiner „Darstellung des Lebensund Charakters 
I. Kants“ mit der Vorbemerkung —25 „Von K. an mich, als Beitrag zu 
meine[n] in Hinsicht auf seine Biographie gesammelten Miscellaneen, milge- 
—— hier aus der Handschrift abgedruekt.“ Vgl. a. a. O. 8. 283. und 


9 Zur ER vgl. Emil Arnoldt, Beiträge zu dem Material der Ge- 
schichte von Kants Leben ur Schrifistellerthätigkeit. in Bezug auf seine — ———— 
lehre u, seinen Conflict mit der Preußischen Regierung, Altpreuß. Monats- 
schrift, 1898, XXXIV, 8. 346, 

») XI 316. 

©) XI 415. 

) Vgl. Biesters Brief vom 18. Juni 1792; XI 529. Unter dem 30. Juli 1792, XI 
336, begründet Kant Biester gegenüber seinen Standpunkt, 

#) Biesters Brief vom 18. Juni 1792; XI che — Vgl. Kant an Stäudlin, 


XI 415. 


— # 





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499 $ 
hierin seine Richtschnur, .“)) Anch ein 
— — — re EEE 


— ——— um 3. Sal, „AnB 'oiee Deniwerte 
worden und es bei dem ihm verweigerten Imprimatur sein 





Einleitung. 

















Verbleiben 
PAR BB u Ja ee EEE nn En 
weil er einen — a EVER, Teen 








4) XI 330, Ausführlich bei R. Fromm, I, Kant ı. die preußische Conwur, 
Lei 1894, F 261. 


rn a. 0, 8. 28M 
J— vgl. wski, 0 m 0.8. 79, 
5) d. hei preußischen. 
te 


X1 344, Dieser Entwurf des Schreibens an den Decan einer theolopischen 
Facultät ist erstmalig von W, Dilthey im Archiv 1, Gesch. 4, Philos, IL, 
8. 429. (1890) zusammen mit zwei Entwürfen zur Vorrede der ganzen Sehrl 
publieirt worden, — Ir außerdem den Brief an Ständlin, XI 415, Daß sich 
Kant an die theologische Faenltät in Königsberg —— hat, ist die nächst- 
liegende — der keine Indieien widersprechen; direet belegt ist ale aber 
bisher nicht, Doch sprechen die — im Binzelnen freilich recht ungenauen — Dar- 
stellungen von Borowski u, Schubert (in seiner Biographie Kants 1842) sehr stark 


ür. 
9 Vgl. XI 41b. 
32* 


500 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 


ben Titel zu verrathen.') Am 28. Febr. 1793 war der Druck zur Hälfte vollendet, ) 
am 20. März stand das Erscheinen zur Östermesse fest.?) 

Noch im Lauf desselben Jahres beabsichtigte Prof. Grillo in Berlin, „ein 
Mann von 60 Jahren, einen Auszug aus [Kants Schrift] drucken zu lassen“, 
wurde aber von Hermes, der ihm „wie einem Schulknaben Knittel am Rande 
des Msc.* machte, daran gehindert.%) Im übrigen vgl, man Kants Vorrede und 
die Einleitung‘) zum Streit der Facultälen. 

2. Manuseript und Drucke, Die Schrift ist, abgesehen von einigen aller- 
dings nicht unbedeutenden Lücken im vierten Stück, handschriftlich erhalten, und 
zwar — entsprechend der Publicationsgeschichte — in zwei Theilen. 

Für Stück I besitzt der „Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen“ 
zu Prag das Manuscript, das als Druckvorlage für die erste Veröffentlichung in 
der Berlinischen Monatsschrift diente. Es sind 7!/, Doppel-Blätter (nebst einer nur 
einseitig beschriebenen Beilage zum dritten Doppelblatt) in Quart-Format; also 
31 beschriebene Quart-Seiten. Am Schluß der letzten findet sich die eigenhändige 
Unterschrift? I. Kant — links daneben: Königsberg. Der Haupttext ist 
nicht von Kant selbst geschrieben, wohl aber stammen von seiner Hand viel- 
fache Correeturen und Zusätze. Daß dies Manuseript die Druckvorlage der 
Monatsschrift gewesen ist, beweisen folgende Momente: Dem ganzen Aufsatz 
ist die Ziffer 2 vorgesetzt; die Überschrift lautet einfach: Über das rabicale 
Böfe in der menſchlichen Natur; neben der Überschrift befindet sich Millmers 
Gensurvermerk; die Seitenumbrechungen der Monatsschrift sind am Rande 
markirt 

Das Manuscript der Stücke II—IV erster Auflage ist kürzlich aus dem 
Nachlaß R, Reicke’s in den Besitz der Königsberger Universitäts- Bibliothek 
übergegangen. Es umfaßt 66 Seiten in Folio, ‘von denen die ersten 20 das 
zweite Stück, die folgenden 30 das dritte Stück enthalten. Die letzten 16 Folio- 
Seiten bieten zwei Fragmente des vierten Stückes, nämlich vom Anfang desselben 
bis zu den Worten: &8 ift ber lebter[en vielmehr vortheilhaft] — S. 157, 2.5.6: 
und sodann von den Worten [allmählich bie moralifche Bildung der Menſchen — 
S. 176 2. 4. 5 bis zum 6ten Absatz der allgemeinen Anmerfung, wo das Manuseript 
mit den Worten: 4) Die Erhaltung dieljer Gemeinſchaft) = 8. 195, Z. 13/14 
abbricht. — Die Blätter tragen das Vidi von Hennigs; auch sie sind von fremder Hand 
geschrieben (das dritte Stück von einer anderen, als das zweite und vierte), von 
Kant aber sorgfältig überarbeitet. 

Beide Manuscripte durfte der Herausgeber durch das freundliche Entgegen- 
kommen ihrer Besitzer benutzen. 


n) xi 385. 
®) Yet. "Schillers Nachricht an G. Körner; Schillers Briefe (ed. F. Jonas) III 287. 
Schiller an Fischenich; a. a. O. III 305f. 


) Carl Christian Kieseweiter an Kant am 23. XI. 93; XI 451. 
vi 337£. 


je See or 4 


—— Friebrid * nu * 1 793 X — 


Emendenda —— Anmut in 
plaren verbessert ist. — en ese u and 
Exemplar zugrunde.) En ee 





Naehdrucke erschienen: >» 6 u 
.— — Frankfurt u. Leipzig, 1793. 24 a 
2.— — Neuwied, 1793. ⸗ — — 
3. — — Neue Auflage. Frankfurt u. Leipzig, 1794. u i 


Ein Auszug erschien unter dem Titel: Kants Theorie der rein moralischen 
Religion mit Rücksicht auf — — —* 
Hartknoch 1796. (en EEE N ri 


— er wo ua 







1320.05 des —— m D. Store — 
(1746—1805), seit 1775 a. 0. Prof. ee Tata | | 
Prof, ‚der — ** ebendort — —— — ——— 





öffentlichten Annotationes gegen Kant, die Süsskind im folgenden Jahre deutsch 


1330 in den — Nachrichten. 1330] Neueste Critische Nachrichten für das 
Jahr 1793. Greifswald 1793, 8. 225—229, das Citat findet sich auf $. 226. 

1924.) Horaz, Oden III. 6. 

2015f,] Seneca, De ira Il. 13.1. 

3030. dem Buchſtaben nach ... dem Geiſte nadj] wel. Rom Mer uni 
2. Cor. del. 

3053 Mas nicht usw.) vgl. Röm. XIV m. 

32127] Horaz, Sat. I 3, 68, Br 

338 (die Kapt. Hearne anführt)] Samuel Hearne (17451709, rwwerer 
Bericht der Reiseergebnisse H.’s findet sich in: Des Onpimin I Wnek rn 
Entdeckungsreise übers. von Forster, 1798 1, Einleitung 8 1A, Diewrunh- 
lung, auf welche Kant anspielt, dort 8. Si 1. 






') Über die Erscheinungszeit won 
Körner vom 18, Mai 1794 (Jonas 111438). 










502 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bernunft. 


3437 wie ein Witer fagte]. Von Kant auch ceitirt in dem Erſten Zujak 
zum 2, Ubjchnitt von Zum ewigen Frieden. Dort wird das Citat ein Ausfpruch 
jenes Griechen genaunt; es war leider nicht auffindbar. 

3716 zu überwiegen] in H auf Kants eigene Hand zurückgehend; über- 
wiegen transitiv gebraucht — das Übergewicht gewinnen über. 

3851f. Ein Mitglied ,„.] Den Ausspruch soll Robert Walpole gethan haben. 

394. Der Apoftel] Paulus, Röm. IIIoff. 

429.21 „in Adam — haben“) Röm. Vis ist das dp’  ravres Ynaprov des 
griechischen Textes (= !rı rourw drı x.r.A. — auf Grund dessen, daß) in der latei- 
nischen Übersetzung (Vulgata) durch in quo omnes peccaverunt wiedergegeben 
und dies in quo frühzeitig (zumal von Augustin im Interesse seiner Erbsünden- 
lehre: in Adam omnes tunc peccaverunt, quando in eius natura illa insita vi, 
qua eos gignere poterat, adhuc omnes ille unus fuerunt, De pecc, mer. et rem. 
I1,7,14.) masculinisch = in Adam gedeutet worden. Diese Auslegung war denn 
auch in der älteren protestantischen Exegese herrschend geblieben. Übrigens ver- 
treten auch heute noch kritische Exegeten die Auffassung, daß im Sinne des 
Paulus sachlich ein „in Adam“ zu ergänzen sei. 

481 einen neuen Menjchen anzieht] Ephes. 424. 

4830. Denn — verdient] Vgl. Evang. Luc. 1710, 

4937 Phalaris — tauro]) Phalaris, Tyrann zu Agrigent, ließ sich für 
Folterzwecke von dem Athenischen Kunsthandwerker Perill einen ehernen 
Stier mit hohlem Leibe verfertigen, der durch untergelegtes Feuer glühend ge- 
macht wurde, Das Citat aus Juvenal sat, III, 8sıf. von Kant auch gebraucht V 159. 
und unten 3344.5. 

5838 jener Kirchenvater] Augustin, dem die Tradition das in den uns er- 
haltenen Schriften allerdings nicht nachweisbare, einer Richtung seiner Gedanken 
aber entsprechende Wort zuschreibt: virtutes gentium splendida vitia. 

5910, ein Apoftel] Paulus, Ephes. Vlauf. Die nachfolgende Mahnung v. 
13. belegt das Wahrheitsmoment der Auslegung Kants. 

6014.) vgl. Evang. Job, Iıff, 

6020] Hebr. 1a. 

6021] 1. Joh. IV io, 

611] Evang. Joh, Iıa. 

6116 Stand ber Erniedrigung ] Die dogmatische Christologie unterscheidet 
in Anlehnung an Philipp. llefl,. zwei „Stände“: den Stand der Erniedrigung und 
den Stand der Erhöhung (status exinanitionis, status exaltationis). 

6513] Haller, Vgl. unten 397»9—22 und Erläuterung dazu. 

6516.17) Evang. Joh. Illıs, 

664.5] Evang. Joh, VIII. 

6624f.] 3. Mos. Xlas, vgl. 1. Petr. [ıe, 

672%f.] Evang. Matth. VIss, vgl. Evang. Luc. Xllst. 

685f.] Röm. VIllte. 

6818) Philipp. 12. 


—— e —* ur cr « 
ar 4J =“ —— 


* — Bio ä All x I Da 2 
rd — dogmati isch 
Fr = ve; — u TE any Goal . re 
7315. gleichwohl — Gendge ——— der oberste Grund- 
r ki - | nstheorie, aus dem dann schon Anselm 
die — das Wesen dis ehulstliahen: Gotivägliabens e 
gezogen hat: aut poena aut satisfactio, 

742.3.] Ephes. IV 22.24, Coloss. Illof. 

74 12f. Röm. VIas, Galat, V24, 

7433 Malebranche] Vgl. De la recherche de la verits Livre IV chap. XI. 

7518] Röm. VIIII. 

7850.) Evang. Matth. Vs. Eben diese Stelle hat Kant nach Hasse (letzte 
Äußerungen Kants, Zweiter Abdruck, 8.27) am Buß- und Bettage des Jahres 1802 
als einen jehr ſchicklichen Bußtert bezeichnet. Weiter heißt es a. a. O.: Er wollte 
selbst über diesen Text einst als Candidat eine Predigt ausgearbeitet [aber nicht 
gebalten] haben, die sich noch er en Aber bei 
allem Nachsuchen wurde nichts g | ae > 


und Missionar in Kanada. Er schrieb „Histoire et desiriptien — “ ia 
Nouvelle-France“ Paris 1744. 3 vol. Vgl. V 204 mf. 

80 10f.] vgl. Evang. Joh. XIV, 

8029 Hypotheſe der Epigenefis] Vgl. Kritif der Urtheilsfraft $ 81. 

8120 D. Bahrdt] Karl Friedrich B., 1741—1792. Populärster, aber auch 
unwürdigster Vertreter des sog. vulgären Rationalismus. Vgl. zur Stelle sein 

„System der moralischen Religion zur endlichen Beruhigung für Zweifler und 
Denker. Allen Christen und Nichtehristen lesbar“, Berlin 1887, Kap. IX, X. 
Von der Autorität Jesu, philosophisch geurtheilt, wo es zusammenfassend 8. 64 
heißt: „Wahrbaftig so frei hat noch niemand sein Schicksal gewählt, so absichtlich 
hat kein Märtyrer der Wahrheit seine Hinrichtung veranstaltet. Und eine fühl- 
lose Seele muß es sein, die nicht hier mit starrer Verwunderung gesteht, daß 
kein Mensch sich ja so eigentlich selbst für den Zweck der Menschheit hinge- 
opfert hat, wie Jesus.“ 

SIT Der Wolfenbüttelſche Rragmentift] vgl. das siebente Wolfenbättler 
Fragment nebst Lessings Vorrede; vgl. auch E. Arnoldt, Kritische Exeurse, Königs- 
berg 1894 8. 255 . 

82 20) Evang. Joh, Luf. 

8226f.] 1. Timoth. Vlıe. 

835 Fürft diefer Welt] vgl. Evang. Joh. XIlat, XIV, XVIu, 

8328f.] Evang. Matt. XVlıs, 

844f.] Evang. Marc. IX, 






















Anmerkungen. 























Die Neligion innerhalb der Grenzen 
der bloßen Vernunft. 


Herausgeber: Georg Wobbermin. 










— 






—* 







H 


5; 
3 


diesem im April 1791 als oberste Censurbehörde in Kirchen- und Schulsachen 
eingesetzten Dreimänner-Collegiums (Hermes, Woltersdorf, Nillmer) verfaßt und 
veröffentlicht wurde,?) ist aufs engste mit den Censurschwierigkeiten verknüpft, 
die die preußische Unterrichts-Verwaltung dem Philosophen bereitete, 

Kant hatte, wie er am 4. Mai 1799 an Stäudlin berichtet, ?) ursprünglich beah- 
sichtigt, das ganze Werk in 4 Städten in der von Biester herausgegebenen Berliner 
Monatöjchrift*) erscheinen zu lassen. Nun hatten Herausgeber und Verleger der 


!) Brief an Stäudlin vom 4. Mai 1798; XI 414. 
> Y R in zum Streit der Racnltäten, VII Sf, 
y2 15. 
) Genauer: Berlinische Monatsschrift. 
Kant'd Shriften Werke V]. 32 











Lesarten. r 509 


wohl? wirb Kehrbach Was meint der Leſer wohl: wird Vorländer. Da was Object 
zu dem nachfolgenden urtheilen ist, so ist dns Semikolon Kants zu streichen, nicht 
aber durch ein Kolon oder Fragezeichen zu ersetzen. Dagegen sind die einge- 
schobenen Worte meint ber Leſer wohl in Kommata einzuschließen || 791.2 er 
— er] HA. Eine masculinische Bezeichnung des böjen Wejens, die Kant in Ge- 
danken vorausnimmt, ist in Wirklichkeit allerdings nicht vorausgegangen || 82 in 
ihrer) A® in ihrer ganzen HA’. ganzen dürfte von Kant als überflüssiger Pleonasmus 
absiehtlich gestrichen sein || 82» fonnte] A? kann HA'. Formte ist logisch correcter, 
also wohl von Kant absichtlich für fann eingesetzt || 8210 feinen] A* ihren HA! || 
836 fich immer] A immer Vorländer || 83 s machen]) Wobbermin fein HA Vorländer || 
Ss A® zu ergänzen HA' || 84% Revolution] HA Religion? 
Kirchmann. Die Änderung scheint durch das vorangehende Beiwort neue nahe- 
gelegt zu werden, doch ist sie um der folgenden Worte willen abzuweisen. 
Denn wenn hier gesagt wird, daß die Religion bes bloßen Gultus und ber 
jehung war, ansgelegt werden darf, so fordert der Ausdruck „ber Endzwed ber 
Borjehung in ber leptern“ als Beziehungswort für die letztere nicht die neue 
Religion selbst, sondern das Ereigniss, durch welches dieselbe eingeführt worden 
ist || 8428 beftreiten] HA im Sinne von „umstreiten*, „zum Gegenstand des Streites 
machen“, nicht aber in der negativen Bedeutung — ableugnen || 85% Seele] 
A? H Menfchen Erele A! || 8520.21 Alters] A? Alters zwar HA'. In H ist das 
zwar allerdings von Kant selbst nachträglich hinzugefügt worden; trotzdem wird 
es in A? von ihm selbst wieder gestrichen worden sein, um die unnütze Wieder- 
holung zu vermeiden || 85 27 ba fie dodj] A? fehlt in HA! || 86 ı die alten Wunder) 
A? bie Alten HA! || 86 10 ihm) HA scil. Gott: auf das Folgende comftruirt || 86 77 
daß] A? baf alles HA! |) 88 10-12 Uber daß man durch — und fo] A? Daß aber 
recht feit Wumder theoretiich zu glauben, fie auch wohl gar felbft bewirfen, umd 
man jo H Daß aber die Gabe — recht feſt an Wunder theoretiich zu glauben, fie 
uad wohl gar jelbft bewirken, und man jo A'. In H ist das man erst nachträglich 
von Kant selbst hinzugefügt, so daß ursprünglich der Infinitiv „recht feſt Wunder 
theoretiich zu glauben“ als Subject zu bewirken und den Himmel ftürmen gedacht 
war | — ba — wird] A? werben, durch Wunders aber daſſelbe nieder» 
geichlagen wirb HA! |) 8934 demüthige] U demüthigende A. Die Lesart demüthige 
geht nicht nur auf H, sondern auch auf Kants eigene Hand zurück; denn die 
Anmerkung schloß in N ursprünglich mit dem Wort Bermefjenbeit, die übrigen 
Schlußworte sind erst von Kant selbst hinzugefügt |] 


93 18 und darin erhalten] HA seil. und ihn || 941 die] A? fehlt HA! || 947 
fönnten] A? können A? fein Mittel ausgefunben werden Fünnte I || 940 als eine] 
A? als fehlt in HA! und ist auch im Druckfehlerverzeichniß von A' nicht hinzu- 
gefügt, obgleich dieses zu der Lesart des Textes feine im Menfchen dahin abawedende 
Bereinigung eine beftehende die Bemerkung macht: „die Worte feine und dahin 
(sind) auszustreichen und nach Bereinigung ein Comma zu setzen* || 9415. 10 











510 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bermunft. 


binwirfen können, — einjehen] A? hinwirken fönnen — einfehen fünnen HA! hin- 
wirfen — einfehen fünnen Kehrbach. Kant hat offenbar absichtlich das zweite 
fünnen aus sprachlichen Rücksichten gestrichen, da es sachlich entbehrlich ist. 
Das erste fünnen ist dagegen für den Sinn des Satzes unentbehrlich und wird 
also von Kehrbach mit Unrecht gestrichen || 952 ihre] A® feine A! || 955 fie 
zu] A? fie jemald zu HA. Vorländer setzt das jemals aus A! in den Text mit 
der Begründung: „jemals ist in der 2. Auflage ausgefallen“. Es scheint indes 
eine absichtliche Streichung vorzuliegen, da das vorhergehende nie das nach- 
folgende jemals thatsächlich überflüssig macht || 96 ı7 bie] fehlt in HA! |] 96 =s 
auch] HA! fehlt in A®, scheint versehentlich ausgefallen zu sein, da das aud) 
die beabsichtigte Vergleichung deutlicher hervorhebt |] 971.2 Befehdung — Böje] 
H statt bas Böſe „das böſe“ A', die Worte bes 'guten Princips, das in 
jedem Menſchen liegt fehlen in A®, wo zugleich wieder für bas böje „bas 
Böfe* eingesetzt ist. Kant hat die Schwerfälligkeit der Periode von A! für A? 
durch die vorgenommene Streichung beseitigen wollen, dabei aber übersehen, 
dal nun in A? das in ihm beziehungslos wird. Ich habe daher den Text von A! 
oder genauer von H wiederhergestellt, denn daD Kant das Böje, nicht bas böfe 
(Prinzip) gelesen wissen wollte, beweist die Übereinstimmung von H und A? || 975 
jedes] H jenes A || 976 ſich] Hartenstein fie HA || 97» ferner) fehlt in HA! || 97 ın 
befleißigen foll] befleißigt A! || 9724 derfelben] HA auf vernünftige Weſen [oben 
Z. 19] zurückzubeziehen || 97 30 (des — berfelben)] A*? (ihres Erwerbs ober Er- 
haltung nach) HA! || 9732 recht] HA? Ruhe A! || 9753 in] HA? mit A! || 9830 
in] A® fehlt in HA! || 9832. 32 (welche — Tann) Hartenstein (welche eiwas Inner- 
fiches ift) mithin — kam HA. Die Worte mithin — fann gehören mit zur 
Parenthese und sind also mit in die Klammer hereinzunehmen || 99 ı welches] 
A: welche HA! || 99 10 zu laffen] HA! Taffen A? || 10020 finnlichen) HA! fittlichen 
A® || 10lır.ı# die — weldje] Vorländer die Gemeinde, welche unter ihren 
Obern HA. Die Aussage des Relativsatzes welche etc. bezieht sich ausschließlich 
auf die Obern, die Umstellung der Worte ist daher nothwendig || 1028 in] 
A® als bag in H als in A! || 103» Aberjinnlicher] Neues theolog. Journal finnlicher 
HA || 103 10 body — Gehorfam]) A? baburdy HA! || 10320 gegen feine Befehle] 
A? ımter feinen Befehlen HA! || 10425 jelbft] fehlt in HA! || 1059 Glaubens] 
A? fehlt HA ' || 105 31 Murpation — Anfehens] A? ein ufurpirtes Anfehen HA! || 
10537 1061 gehörig vorbereiteten] A? gewöhnlichen vorbereitenden HA ' |] 10611, ı= 
vermittelft — ums] vermittelft der Vernunft und] HA! || 106 eı ihn] A? ihm HAP |) 
107 5 forbert] H förbert A || 1070 Eimwürfe] A? Zweifel HA' || 107 12 beftimmten] 
A? beftellten HA! || 10720 Behifeln] A? Vehikel HA! || 10721 kann] A*® fünnen 
HA! || 10723 baffelbe] A? fie HA! |) 10733 wir alfo] A? man alfo HA! || 1088 
biefem] Vorländer diefen HA. Kant construirt biefen auf den im Singularbegriff 
bad große Publicum beschlossenen Plural „die gemeinen Leute“, Doch ist in 
diesem Falle die Änderung unabweislich, weil der Neutralbegriff die zu ergänzende 
ıasculinische Pluralforn nicht ohne weiteres an die Hand giebt |] 108% ihr] 
A ihnen H || 108 31 vornehmlich — auöbreitet] fehlt HA! || 1096 despotiſche] 








512 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bermunft. 


strnetionen ist bei Kant nicht selten || 13331 da] A? fo, baß HA! |} 13336 eben dad- 
jenige] A? es eben, bem MH eben, baß A! |] 13339 daS] HA! fehlt A? || 
A® jener MA] 1352 eine] fehlt in M |] 1352. 3 gängliche Verzichtihuung TA 
liche Verzicht A! |} 1354 Klammerzeichen nach kann H fehlt A, ee 
ade || 13538 dann ſchon jet] HA, fchon fehlt in A® und ist auch von Vor- 
länder nicht in den Text aufgenommen worden. Da es durchaus sinngemäß ist, 
wird es in A® versehentlich ausgefallen sein || 1853 arbeiten] A uns . . . be- 
arbeiten U (wohin wir ums denn ſchon jeht . . . fleißig bearbeiten jollen) || 1366 
der Ghiliasm] HA! des Chiliasm A? || 1364 nadh) Vorländer vor A®. || 1873 ihre 
innere] Wobbermin (bestätigt durch II) ihrer innern A. H hatte ursprünglich: 
bie Nachforſchung ihrer inneren Bejchaffenbeit, diese Worte hat aber Kant ge- 
ändert in: das Nachforichen hinter ihre innere Beſchaffenheit, wobei allerdings 
die Wortenden von ihre und innere sehr undeutlich geworden sind || 1877 
innerlich] fehlt HA! |) 13710 äußerlich und] fehlt MA! || 13730 ihrer — ihnen] 
die Pluralformen in Rückbeziehung auf den Colleetiv-Singular „das Volk* |] 
13811 finde) A*® finden HA! || 13915 (feine Natur)] fehlt HA! |] 13920 Geheim 
haltung) HA! Gebeimnißhaltung A? || 13936 eiwa] fehlt in HA!|| 13957 fein 
möchte] ift HA! || 1408.90 im einem und demjelben] 42 in einem einigen IIA' |) 
140 11 müßte] mußte HA! || 14019 wie] A? fo wie HA! || unferm HA zu unſerm 
Vorländer: im Sinne Kants, doch unnöthig || 140% vorgeſtelli) A! 
wirb MA! || 14120.2 für welche bie) A? für die die HA! || 14131 des) A* ber 
1A! || 14215 was aber] fehlt in HA', wo dafür aber nach Absicht steht |] 142" 
durch] fehlt in MA! || 14286 jchon ala] HA als jchon Vorländer || 1432 Bürger: 
ichaft) A' Bargſchaft A”, H zu Bürgern |] 14327 diefen Beiftand] fehlt MA! | 
1441 doch] fehlt HA! |] 1446.7 die — Handlung) A? aus welchen dieſes 
aber HA? || 14414 der Menſch] A? er HA! |} 14517 Das] A⸗ Dies MA? || 145% 
aber] fehlt HA! || 145» Glaubensprinzip) A? Glaubenägejeg HA! || 1452- a 
ferner — lrbilde] ferner, der (den H) in ibm, fo fern er jich im feiner alles er 
haltenden Idee der von ihm jelbit gezeugten und geliebten, dem Urbilde HA? |) 
145% erbaltenden] HA enthaltenden? Rosenkranz || 14535 ober über] HA! über 
feblt A® || 1468-20 Das — thut] fehlt HA! || 





en enen unter ihnen aber HA! |] 15224 Diener] A® 
Diener (offieiales) HA'; vgl. S. 15730. || 15320 im der That] fehlt HA" |) 

15334 made] H macht A || 15518 ber Beichaffenheif] HA! der fehlt A: || 156 
fonft] A- felbit HA» || 15651 aber] A! aljo HA! || 1572 im] A! an HA! |I 
1553 follen] A* jollten A! |} 158% ftreitig machen] 42 fireiten A |) 1594 
fünme] A® fann A* |) 15928 Heiligen] A? Heiligiten A’ || 15936 daß] fehlt At |] 
1607 28] A? fie A! || 1622: ältere] die ältere Hartenstein, Vorländer. Die Zu- 
fügung des bestimmten Artikels dürfte kaum im Sinne Kants sein. Der Text 
von A ohne bie giebt dem ausgesproehenen Gedanken größere Allgemeinheit und 
Allgemeingültigkeit: die historische Speeialisirung wird daber nur in Kammern 
hinzugefügt: (mofatiche) || 1643: mußte] A* müßte A! |) 16623 eim — if] in 


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514 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Bermunft. 


Subject wieder mit es aufnimmt, so ist auch hier die neutrale Form einzusetzen |] 
1822 es]) Wobbermin er HA fie Vorländer. Vergleiche die vorige Anmerkung; 
die dort getroffene Entscheidung bewährt sich an der hier vorzunehmenden Cor- 
rectur || 18220 Gottes] A? fehlt in HA! |] 18418 Hinduifche] HA? heidnifche A! 
vgl. Jen. Allg. Literat.-Ztg. a. a. O. || 18428 Selbſtverachtung] A? Kleinmüthigfeit 
HA! || 18430 (im — Frömmelei) A? (ein Pietiömus) A! (im Pietismus) H || eine] A? 
fehlt in HA! || 18438 welche] Vorländer welcher A?. Kant hat die Constructionen 
zum Grunde haben und zum Grunde liegen ineinander gewirrt || 18630 vielleicht] 
HA' völlig A®. Der Gedankenzusammenhang erfordert die Wiedereinsetzung des 
vielleicht aus A! || 18714 oder erlaubt, unrecht] HA? erlaubt, oder unrecht A! || 
18737 biefe] A? dieſes A! dieſen || 18816. 17 jo — anfgelaben] A? es, zwar, war, 
aber fehlen in Al. fo habe ich bloß überflüffig genlaubt, was nicht möthig war (mir 
nur eiwa eine Bejchwerbe... ift, aufgelaben) H || 18820 in ben] A? im HA || 
18836 bie] Vorländer ver HA. Kant construirt auf das in Gottheit enthaltene 
Maseulinum ®ott || 1893 vereinbarte] HA vereinbare? Vorländer || 1891-13 nicht — 
mache) A? durch den Mangel — nicht ummwfirdig mache HA’ || 1912» außer — 
Bejtrebung] A? über bie ftetige Beftrebung HA! || 19135 oder) A- aber HA? |] 
19211 können] A* fehlt in HA! || 19221 Dienft— Herzen] A® in H, A! nicht ge- 
sperrt || 19221.22 (im — ber Wahrheit)] A? die Worte fehlen in HA! || 19231 
doch] A? aber HA! || 1941 das Ulmofengeben] A? die Worte fehlen in A! || 1944 
gar wohl] A? die Worte fehlen in A! || 19414 objectiven] A* fehlt in AP || 
19423 Stüden biefer Schrift] A? Abfchnitten A! || 19424 von den Gnabenmitteln] 
A? von dem an Önadenmittel A! || 19425—28 (die — gehört) A. Die Klammern 
fehlen in A!; auch ist in A! das Wort Gnabenwirlungen (Z. 25) nicht gesperrt |] 
19536 er] Vorländer e8] A. Die Änderung ist nothwendig, da nur die Beziehung 
auf Wunsch sinngemäß ist || 1976 hinreichend] A? fehlt in A! |] 19716 Die — 
nennt] A®. Die Worte stehen in Al in Klammern || 19718 fo] A! fehlt in A® |] 
19721 ber — Gottes] A®. Die Worte fehlen in A! || 19735 mit] fi) mit A. Kant 
ist aus der Medial- in die Passiv-Construction über-gegangen, das ſich ist also zu 
streichen. || 197m die — Menſchen] A®. Die Worte sind in A' nicht gesperrt |) 
im] A® zum A! || 1982 Demütbhigungen] A! Demütbigung A®. Die Einsetzung der 
Singularform Demüthigung neben Lobpreifungen ist offenbar Druckfehler von A®, || 
19834.35 erbaut — gebauet] A?. Die Worte sind in Al nicht gesperrt || 2004 
den Gab] A?. Die Worte fehlen in A! || 20017 nur] A! fehlt in A®: wohl ver- 
sehentlich ausgefallen, da es der Verdeutlichung des Sinnes dient || 20020 ge 
bredjlichen] A? Gebrechlichfeit der A! || 2013.4 jede] A? um jebe A!. Das um ist 
in A® wohl absichtlich zur Vereinfachung der Construction und des Gedanken- 
ganges gestrichen: durch die Idee — kenntlich zu machen ist nach dieser Les- 
art die Näherbestimmung der wichtigen Abfonderung. Die Lesart von A! giebt die 
Näherbestimmung zunächst nur vermittelst des Ablativ burdh bie Idee u. f. m. 
und fügt dannfnochmals hinzu: um jede u. j. m. || 201 16.17 zur Beobachtung] A'. 
Die Worte fehlen — offenbar versehentlich — in A? || 20115 mit — verbunden] 
A’. Die Worte sind in A! nicht gesperrt || Georg Wobbermin. 





Orthographie, Interpunction und Sprache. 515 


Orthographie, Interpunetion und Sprache. 

Orthographie. Voeale. Änderungen waren selten nöthig bei aa: Maah- 
regel (neben dermafen), Saamen; häufiger bei ey: Freyheit, frey, zwey, drey, 
dreyfach, zweyte, meynen (Verbum), ſeyn (dgl.). ſey, Benfpiel, bey, Wüftenen, 
Bernünfteley (vgl. dazu Layen); bei ie: gieng, fieng, bieng, Probierftein, bypo- 
itafiert (neben confrontirem u. a), — Consonanten. Auch hier bedurfte es 
verhältnißmäßig selten eines Eingriffs. c steht in Glerus, Elerifer, practifch (zu- 
weilen praftifch, so in der Vorrede zur 1. Aufl.), Bunct. Dafür findet sich öfter 
in Wörtern lateinischer Herkunft f: Effekt, Fafultät, Disjunktion, fubjeftiv, 
objeftiv (doch überwiegend c: Cultus, Sntrobuction, fubjectiv, objectiv usw.). — 
Auch Dehnungs-h stört mehrfach: Willführ, Nahme, Merfmahl, einmahl (in der 
Regel einmal, diesmal), zeritöhrt, aufjpahren (meist zerjtört, gehöret u. a.); dazu 
ih: Bothichaft (neben geboten), partheylos. — Die Schreibung der f-Laute ent- 
spricht nur in einzelnen Fällen der späteren Gewohnheit nicht: Erfenninife, an- 
fäßig, vernadhläßigt (überwiegend: Beflerung, gewiſſe usw.); Beweißgründe, be: 
weißt (neben Beweis u. a.); aufferorbentlicy, entäuffernbe (meist äußere, bloße, 
aufjchliefen usw.); mislich (meist Bewußtjeyn, Anſtoß usw.). — Die Consonanten- 
verdoppelung und -vereinfachung erregt selten Anstoß: betrift (sonst betrifft, 
eröffnet, Begriff u. a.); Innhalt, worinn (meist darin, hierin, worin u. a.). — 
Anfangsbuchstaben, Die Minuskel substantivirter Adjective bildet die 
Ausnahme, doch stört das Schwanken oft innerhalb weniger Zeilen: etwas 
gleichgültiges — nichts Beftimmbares, das hiſtoriſche — ben Gewifjenhaften; so 
auch im entgegengesetzten Falle: Meſſianiſch — meffianifh. — Zuweilen ent- 
spricht auch der Anfangsbuchstabe nicht der vorangehenden Interpunetion, 
z. B. die Minuskel nach Kolon in directer Rede, die Majuskel nach Semikolon. — 
Zusammensetzung. ob zwar, jo gar mußten mehrfach zusammengerückt, 
unförmliche Verbindungen wie moralifchqut, öffentlichgejeglich, juridifchbürgerlich 
getrennt werden. — Eigennamen. Es fanden sich die Schreibungen Arih- 
man, Siewen, Brama, Herkules, Ronnecticut, fartbheuferartig, Ehadzaren, muba- 
mebanifch (neben mohammedaniſch). 

Interpunetion. Die Zeichensetzung ist hinsichtlich des Kommas gerade- 
zu verwährlost. Der Druck leidet mehr als andere der Spätzeit an einer Über- 
fülle der Kommata bei regellosem Gebrauch. Am häufigsten stört es wie ge- 
wöhnlich vor und hinter oder nur hinter adverbialen Bestimmungen ohne Rück- 
sicht auf deren Umfang, dann vor Satztheilen, die durch und angeknüpft sind, 
auch hinter ihnen oder hinter solchen, die durch oder, mithin, aber, vergleichen- 
des ale, wie angeschlossen werden. Das Prädicatsnomen, ebenso ein zweites 
Objeet bei Verben, die doppelten Accusativ regieren, ist nicht selten durch 
Komma abgeglieder. An Gegenbeispielen ist in allen diesen Fällen kein 
Mangel. — Zabllos sind die Belege für falsch oder überflüssig gesetztes Komma 
vor, hinter und in Klammern. — Mehrfach scheint seine Anwendung durch 


33* 





516 Religion innerhalb der Grenzen ber bloßen Bernunft. 


keinen benachbarten Satztheil, sondern durch das Bedürfniß nach Pausenbildung 
beeinflußt, also rein rhetorisch. Vgl. noch Verbindungen wie darum, weil; unb, 
mer; und, da; aljo, daß; indeffen, baf; bemm, was; denn, wenn. — Dagegen ver- 
schwinden die Stellen, an denen Komma vermißt wurde. So mußte es nur zu- 
weilen eingefügt werden vor Haupt- und Nebensätzen, vor und binter Appo- 
sitionen, prädicativ gestellten adjectivischen Attributen, vor unverbunden 
angefügten gleichartigen Satztheilen, vor mithin u. a, — Recht häufig veran- 
laßten auch Semikolon und Kolon Eingriffe. Namentlich tritt Semikolon 
zwischen Vorder- und Nachsätzen auf, wo wir Kolon erwarten. Oder es ist gleich 
diesem verschwenderisch anStelle des besser angebrachten Kommas gesetzt. Andrer- 
seits steht Komma vor Aufzählungen, wo der heutige Brauch Kolon fordert. 
Die Sprache weicht verbältnilmäßig wenig von unserer Norm ab. Laute. 
Vocale. Geändert wurden die umgelauteten Formen anfömmt, fümmt (16 mal 
neben vorwiegenden umlautlosen Bildungen), genenmet (lmal; sonst genannt), 
Rüben (lmal; auf derselben Seite und sonst Juden)) Hingegen erhielt den 
Umlaut ausgebrudt (1mal; sonst ü). — Für die sonstigen Stammsilbenvocale 
kommt allein aldbenn mit 3 Belegen in Betracht, während sonst stets aldbann 
gesetzt ist. — Ableitungssilben. In den Superlativen ist stets Synkope einge- 
treten mit Ausnahme von fchmwereften (l mal); ebenso im Conj. Imperf., aus- 
genommen einmaliges führeten. — Häufiger hat sich e in der unflectirten Form 
des Part. Perf. gehalten: gefället (aber vorgeftellt u. a.), geirret, verführet (aber 
bypoftafirt), verneinet (aber gemeynt, befrönt u. a.), gemeibet, bewadhet (aber 
verjucht, gemacht u. a.), im Ganzen doch nur 8mal. Vgl. 3 Belege der flectirten 
Form: vergönnete, geweibete (meist Synkope: gefinnter usw.). — Flexionssilben. 
Imal steht Urſach; nur Smal ist e in der 3. Pers. Sing. Präs. bewahrt: barret, 
währet, geböret, fället; einräumet, fcheinet; drohet, wirfet. Die Gegenbeispiele 
überwiegen bedeutend. — Die Adverbialform ferne, foferne ist nur 3mal belegt. 
— (Consonanten. fobern findet sich noch an 3 Stellen. Pabſt ist wohl ortho- 
graphisch zu fassen. — Flexion. jeyn steht — finb 4le, 15421, — feien 8531, 
868. — Wortbildung. Einzeln kommen vor von jelbften, mehrmalen; häufig 
vornämlich (doch auch vornehmlidy). — Syntax. Die Verwendung der starken 
und schwachen Flexion entbehrt auch in unserm Drucke klarer, streng durch- 
geführter Regeln, sei es, daß es sich um substantivirte Adjective handelt: 
vieles Hergenommenes, oder um adjeetivische Attribute, die trotz fehlenden Ar- 
tikels manchmal die schwache Form aufweisen; mit völligen Vermögen, von ganzen 
Herzen, aus fo frummen Holze, ihm als allein feelenbeifernden Glauben, von Gott 
als moralifchen Urheber, von jüdifchen Glauben; aber auch nach einem Pronomen 
die starker ein jeder moralifch wohlgefinnter Menfch, ein jeder großer Herr. — 
Es kommt auch vor, dal coordinirte, durch Komma getrennte adjectivische 
Attribute verschieden behandelt sind: befonberer, auf Gott... bezogenen Pflich- 
ten 1541. — Zur Behandlung der Pronomina vgl. allem ken Thun (2 mal), 
benen — ben (2 mal); — zu derjenigen der Zahlwörter zwifchen zweyen ... Per 
fonen, biefem Allen Ge Imal). Ewald Prey. 


Die Metaphpfik der Sitten. 


Herausgeber: Paul Natorp. 


Einleitung. 


Zur Entstehungsgeschichte der Metaphyſik ber Sitten findet man dasMa- 
terial größtenteils in der Einleitung zur Kritif der praftiidden Vernunft (Bd. V, 
S. 489 ff.) zusammengestellt. Es ergiebt sich daraus, dab der Plan des Werkes 
zwar bis in die sechziger Jahre zurückgeht, die Ausführung aber sich immer 
wieder hinausschob, weil die wichtigere Aufgabe einer grundlegenden Kritif ber 
reinen (theoretischen wie praktischen) Vernunft zuvor erledigt sein mußte, Nach 
Vollendung beider Kritiken aber war es der neu entstandene Plan der ritif 
ber Uriheiläfraft, dessen verhältnißmäßig rasche Ausführung die Arbeit des Philo- 
sophen für die nächste Zeit (bis 1790) ganz in Anspruch nahm, Nun endlich hätte 
die Reihe an die Fertigstellung der seit lange vorbereiteten und verheißenen 
Metaphyfif der Sitten kommen sollen. Wir hören auch, daß sie zur Öster- 
messe 1791 ficher erwartet wurde (Kiesewetter an Kant, 14, Juni 1791, XI 253). 
Aber noch in den nächsten zwei Jahren bezeichnet Kant selbst das Werk in 
Briefen erst als unter Händen habende oder als vorbabende Arbeit (an Erhard, 
21. Dee. 1792, und an Fichte, 12. Mai 1798, XI 384, 419). Und es ging auch 
jetzt langsam damit; die Abfassung der Religion innerhalb ber Grenzen ber bloßen 
Vernunft (ersch. 1793) und mehrerer kleinerer Arbeiten schob sich dazwischen. 
Auch sachliche Schwierigkeiten scheinen die Vollendung des Werkes aufgehalten 
zu haben. Schiller schreibt am 28. Oct. 1794 an Erhard (Jonas IV, 46): „Die 
Ableitung des Eigenthumsrechts ist jetzt ein Punkt, der sehr viele denkende 
Köpfe beschäftigt, und von Kanten selbst höre ich, sollen wir in seiner Meta- 
physik der Sitten etwas darüber zu erwarten haben. Zugleich höre ich aber, 
dal er mit seinen Ideen darüber nicht mehr zufrieden sei, und deßwegen die 
Herausgabe vor der Hand unterlassen habe.“ Endlich im Sommer 1796 wurde 
die Rechtslehre für den Druck fertig. Sie sollte zur Michaelis-Messe 1796 er- 
erscheinen und wurde auch als zu diesem Termin erschienen in verschiedenen 
Zeitungen aufgeführt. Wirklich aber scheint sie erst im Jan. 1797 ausgegeben 
worden zu sein. Denn zwar bezeichnet Jäsche in einem Briefe vom 4, Nov. 
(XII 105) das Werk (dessen Erscheinung noch am 23. Sept. [XII 96 f.] Kiese- 


ie 


518 Metaphyſit der Sitten. 


wetier mit großem Verlangen entgegensahb) als „soeben erschienen“; aber am 
7. Dez. (XII 134) erwartet Jakob das Buch noch immer mit Sehnsucht, das 
„als fertig angekündigt ist, wovon aber wahrscheinlich der Druck noch nicht 
vollendet ist“; und am 16. Jan. 1797 hat Erhard (XII 144) es „noch nicht er- 
halten“. Entscheidend aber ist, daß in der Beilage zum 6. Stück der Königs- 
berger gelehrten und politischen Zeitungen vom Donnerstag den 19. Januar 1797 
das Buch als soeben bei Friedrich Nieolovius erschienen angezeigt ist (s. Warda, 
Altpr. Monatsschr. XXXXI 132f., wo auch die unrichtige Datirung des Brief- 
fragments XII 186, betreffend die Honorarzahlung für die Nechtölehre, hiernach 
berichtigt ist). 

Nach dem erwähnten Briefe von Jacob arbeitete Kant Anfangs December 
1796 bereits an der Tugenblehre. Sie sollte zur Ostermesse 1797 erscheinen 
(Reuß an Kant, 21, April 1797, XII 159), wurde aber erst im Laufe des 
Sommers fertig. Denn nur auf dies Buch kann die als Brieffragment 879 von 
Reicke (XII 377) veröffentlichte Aufzeichnung vom 29. Juli 1797’) sich be- 
ziehen, wo Kant schreibt: Wegen ber möglichen anfprüche auf das Mein und 
Dein an Schriften, nad ber früheren oder jpäteren Erjcheinung derjelben, bemerfe 
id) noch: daß das Micpt dem Hrn. Berleger jo früh vor der Oftermeffe und 
vollſtändig eingehändigt worben, daf ber Abdrud deffelben nothwendig um diefe 
Zeit hätte vollendet fein müſſen, aber fich, aus mir unbekannten Urjachen, bis 
jeßt verzogen bat. Erst die Beilage zum 69, Stück der Königsberger gelehrten 
und politischen Zeitungen, vom Montag den 28, August 1797, zeigt das Buch 
als soeben erschienen an; am 8. Sept. bat Jakob (XII 195) es in Händen. Ge- 
druckt wurde die Rechtslehre in Leipzig bei Solbrig; so ist in den mir vor- 
liegenden (3) Exemplaren auf S. 235 angegeben; nach Warda soll in andern 
Exemplaren diese Angabe fehlen. Ein entsprechender Vermerk findet sich da- 
gegen in der Qugendlehre, wie es scheint, überhaupt nicht; die Lettern sind 
andre als in der Nechtölehre. 

Beide Schriften erschienen einestheils gesondert als: Metaphyſiſche Anfangs- 
gründe ber Rechtslehre von Immanuel Kant. Königsberg, bey Friedrich Nico- 
lovius. 1797 (XIL S. Vorrede, dann 235 S., von denen die der doppelten Ein- 
leitung, in die Metaphyſik der Eitten und in die Nechislehre, S, I-LIl, wieder- 
um in römischen, die folgenden in arabischen Ziffern gesetzt sind; auf der 
letzten, nicht paginirten Seite finden sich Verbesserungen) und: Metaphyſiſche 
Unfangsgrände der Tugenblehre von Immanuel Kant. Königsberg, bey Friebrich 
Nicolovius, 1797 (X u. 190 S. und 1, Bl. Verbesserungen); anderntheils vereint 
wd,.T. Die Metaphyfif der Sitten in zwey Theilen. Abgefaht von Smmannel 
Kant. Königsberg, bey Friedrich Nicolovius, 1797. Dieser Obertitel ist so gleich- 
lautend jeder der beiden Schriften vorgesetzt; daneben steht dann der Sondertitel: 

) 8, darüber ebenfalls Warda a. a. O. (133 Anm.) Ob das Bruchstück 


als ein „von Kant beabsichtigter, vielleicht mit Rücksicht auf Nicolovius fort- 
—— Schluß der Vorrede“ anzusehen sei, möchte ich dahingestellt sein 
Assen, 























Die Metaphyſik der Sitten. Abgefaht von Immanuel Kant. Erfter Theil. Me: 
taphyſiſche Anfangsgründe der Nechtölehre. Königsberg, bey Friedrich Nicolovius, 
1797, und entsprechend: Zweyter Theil. Melaphyſiſche Anfangsgründe der 
Zugenblehre, Nach diesem doppelten Titel folgt dann überflüssigerweise auch noch 
der oben angegebene Titel der Sonderausgabe. Es wurde, so scheint es, der neue, 
doppelte Titel den mit Titel fertigen beiden Büchern nachträglich vorgeheftet 

Über. die Nechtölehre waren inzwischen bereits Recensionen erschienen, 
von denen eine, in den Göttingischen Anzeigen 1797, 1, 28. Stück, 18. Febr., 
Kant einer eingehenden Beantwortung wertlı schien. Eine solche wird in Aus- 
sicht gestellt in einem Briefe an Schütz, 10. Juli 1797 (XII 180M.) und be- 
stimmter, als Zugabe zu seinem Buche, in einem Briefe an Tiefirunk, 13, Okt. 
(XII 206). Da aber 1798 schon eine zweite Auflage der Rechtölehre nöthig 
wurde, so traf Kant in einem Schreiben an Nieolovius vom 9. Mai 1798 (X 
241) folgende Anordnung: Nod habe ich, was die zweyte Auflage ber metaph. 
Anf. Gr. der Rechtslehre betrifft, anzumerfen: dab zweyerley Titel dazu ge 
macht werben müßten: ber eine, welcher nur bas Wort Zweyte Auflage“ hinzu- 
fügte der Andere aber welcher jo lautete: „Erläuternde Anmerkungen zu ben 
metaph. Anfangdgr. d. Mechtölehre v. I Kant“: bamit die, welche das erftere 
(Buch ſchon beiten nur das zweyte zu Faufen nöthig haben. Das kann nur so 
gemeint sein: es solle die gedachte Zugabe als Sondersehrift mit eigenem Titel 
gedruckt und dies Schriftehen der zweiten Auflage der Rechtslehre nur ange- 
heftet werden, daneben aber, besonders für die Besitzer der ersten Auflage, 
auch separat käuflich sein. Dieser Anordnung entspricht aber die Ausführung 
nicht: die Zugabe erschien zwar separat unter dem im Briefe angegebenen Titel 
Königäberg, bey Friedridy Nicolovius. 1798. 31 S.; über die zwei verschie- 
denen Drucke dieser Schrift s. Lesarten), der zweiten Auflage der Rechtslehre 
aber ist sie nicht in eben dieser Gestalt, mit besonderem Titel und besonderer 
Paginirung, angehängt, sondern unter durchgehender Paginirung (S. 159—187) 
nicht am Ende, sonderu inmitten des Werks, zwischen dem ersten und zweiten 
Theil, eingefügt. Daß dies nicht so von Kant beabsichtigt gewesen sein kann, 
geht, abgesehen von dem klaren Wortlaut des angeführten Briefes, aus der Sache 
hervor: der Anhang — ausdrücklich als soleber zu den metaphyſiſchen Anfangs- 
gründen ber Nechtslehre im Titel bezeichnet — steht schon darum nicht richtig 
zwischen deren beiden Theilen, dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht; 
überdies bezieht sich ein Theil der Anmerkungen auf das öffentliche Recht, ja 
es wird der zu diesem gehörige $ 49 darin eitirt. Diese sinnwidrige Einfügung 
kann also nur entweder vom Verleger auf eigne land verfügt, oder vom Drucker, 
vielleicht nur infolge eines Milverständnisses '), bewirkt worden sein. Ich habe 
daher kein Bedenken getragen, die sachlich allein richtige und der ausdrück- 


iY Es könnte etwa die Anordnung, daß der Anhang auf den ersten Theil 
— nämlich der Metapbyjif der Sitten — folgen solle, irrthümlich auf den 
ersten Theil der Nechtölehre bezogen worden sein. 


520 Metaphyfif der Sitten. 


lichen Anordnung Kants entsprechende Stellung des Anhangs am Schluß der 
Rechtslehre wiederherzustellen. Wohl ebenso wenig ist Kant dafür verantwort- 
lich zu machen, dal die zweite Auflage im Titel nicht, wie doch in dem Briefe 
ausdrücklich bestimmt wird, einfach so als „Zweite Auflage“, sondern als 
Zweyte mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Bufäße vermehrte 
Auflage” bezeichnet wird. Da die Worte „und Zufäße“ der Überschrift des in 
die Rechtslehre eingeschobenen Anhangs ebenso fremd sind wie dem Sonder- 
titel des letzteren, so ist vermuthlich gemeint: und Zuſätzen (nämlich: mit sol- 
chen vermehrt). Auch das entspricht gewiß nicht der Absicht Kants, da die 
zweite Auflage, abgesehen von einer einzigen, wobl gleichfalls durch die Göt- 
tingische Recension veranlaßten Änderung (2491-3, s. u. Lesarten), irgend- 
welche Zusätze oder sachliche Änderungen gegenüber der ersten Auflage nicht 
enthält. An den stilistischen, orthographischen und sonstigen äußern Ände- 
rungen der 2; Aufl. aber (Königäberg, bey Friedrich Nicolovius, 1798. KU u. 
266 8.) dürfte Kant erst recht keinen Theil haben. Und dasselbe gilt jedenfalls 
auch von den viel stärkeren Änderungen, welche die i. J. 1803 erschienene 
„Bweyte verbeflerte Auflage” der Tugendlehre (X u. 188 S., dazu Inhaltsver- 
zeichniß auf nicht paginirtem Blatt) gegenüber dem Erstdruck aufweist. Von 
Nachdrucken liegen vor einer der Rechtslehre, Frankfurt und Leipzig, 1797 (XI 
u. 255 8.), und einer der Tugenblebre, keck als 2. Auflage bezeichnet, Kreuznach 
bei Ludwig Christian Kehr, 1800, derselbe Druck mit der Jahreszahl 1803 (248 8.). 
Auch ein zweiter Druck der „Erläuternden Anmerkungen“, Königsberg, 1800 (325,), 
von dem ein Exemplar aus der Bibliothek des Paulus-Museums in Worms mir 
vorlag, ist, da ein Verlag nicht angegeben ist, wohl als Nachdruck zu bezeichnen, 


Sachliche Erläuterungen. 

1. Zur Nechtslehre. — Die von Kant gebrauchten juristischen Ter- 
mini bedürfen im allgemeinen keiner Erklärung, da das im Text Gesagte zum 
Verständniss hinreicht. Sie sind fast durchweg dem Achenwall entnommen, auf 
den jede genauere Untersuchung dieser Dinge an erster Stelle zurückzugehen hat. 
Tieftrunks umfänglicher Commentar („Philosophische Untersuchungen über das 
Privat- und öffentliche Recht zur Erläuterung und Beurtheilung der Metapbysischen 
Anfangsgründe der Rechtslehre vom Herrn Prof. Imm. Kant“, zwei Theile, Halle 
1797 und 1798) giebt meist nur eine weitläufige Umschreibung dessen, was bei 
Kant selbst steht. Eine beachtenswerthe Kritik der Kantischen Rechtslehre liefert 
L..H. Jakob in den „Annalen der Philosophie“, Bd. 3, S. 13—58, 1797; vgl. 
auch dessen Brief an Kant, 8, September 1797 (XII, 196). 

2067.12 Garde — in feinem Werk, Bermifchte Aufjäge) 1796. In un- 
mittelbarem Anschluß an die citirte Stelle (in dem Aufsatz „Von der Popularität 
des Vortrages*) beklagt sich Garve, daß seit einiger Zeit „verschiedene Schrift- 
steller aus der Kantischen Schule an den Namen eines Populärphilosophen eine 
verächtliche Nebenidee geknüpft“ hätten. Die von Kant angeführte Bemerkung 
hatte also deutlichen Bezug, wenn nicht auf Kant selbst, so doch auf dessen Schule, 



































20714 Ravoijier] 1743—1794, der alsbald nach der Entdeckung des 
Sauerstoffgases (durch Priestley 1774) die richtige Erklärung des Verbren- 
nungsprocesses lieferte, dadurch und durch seine weiteren Entdeckungen 
die Stahlsche Phlogistontheorie beseitigte und die Chemie auf eine neue Grund- 
lage stellte. 

20715 Brown] 1735—1788. Vgl. Anthropologie Bd. VII 255%. 

20733. ein tübingicher Necenjent] nach aller Wahrscheinlichkeit derselbe, 
gegen den sich Kant in der Vorrede der &ritif ber praftiichen Vernunft be- 
reits zu wehren hatte (vgl. Bd. V, S. 505f.), nämlich der Tübinger Professor J. Fr. 
Flatt, der in den Tüb. gel. Anz, zahlreiche Schriften von und über Kant und 
dessen Schule recensirt hat und dabei, ebenso wie in seinen eigenen Schriften, 
in immer neuen Wendungen besonders den Vorwurf wiederholt, daß die Lehre 
Kants in Stücken, auf die sie selbst großes Gewicht lege, nicht neu sei. So will 
er die Unterscheidung analytischer und synthetischer Urtheile bei Samuel Weren- 
fels (T. g. A., 1789, S. 620), dann bei Lambert (1790, S. 89) gefunden haben; er 
beriebtet mit Genugthuung von der Entdeckung seines Gesinnungsgenossen, des 
Stuttgarter Professors Schwab, dal schon die Alten (Plut. adv. Col. 1119f,, mit 
Bezug auf Stilpos Satz, daß es nur identische Urtheile gebe) diese Unterschei- 
dung gekannt hätten (1794, S. 410), Und so heißt es nun, T. g. A., 1795, S. 815, 
in der Recension einer in Erlangen erschienenen mathematischen Dissertation 
von J. ©. Yelin: „In Ansehung der Construction dieser und anderer krummer 
Linien erinnert d. H. Vf. noch mit Recht, daß dadurch nicht nothwendig eine 
mechanische Beschreibung verstanden werde, und diese also keiner praktischen 
Richtigkeit bedürfe; weil nun heut zu Tag alles in der Kantischen Sprache aus- 
gedrückt sein muß, so nennt er die Construction einer Größe eine Darstellung 
durch reine Anschauung. Zum Beweis, daß blos die Sprache, keineswegs 
aber der Begriff neu sei, will Rec. eine Stelle aus der Vorrede zu Hausens 
Elem. Geometriae hersetzen, wo es von den geometrischen Constructionen heißt: 
„De actuali .. . est“ (die von Kant, oben 20833—3, citirten Worte; darauf 
weiter:) „Es ist Zeit, sagt Herr Nieolai in einer neuen Schrift, daß bald ein 
neuer Zeidler wiederum den Mißbrauch scholastischer Terminologieen rüge, womit 
unsere teutsche energische Sprache verderbt und die Philosophie nicht gebessert.* 
Direct wird zwar bier, wie man sieht, nur der unnöthige Gebrauch Kantischer Ter- 
minologie zum Ausdruck einer einfachen, jedem Mathematiker geläufigen Unter- 
scheidung getadelt; aber gewiß nicht ohne Grund setzt Kant dabei die Nebenabsicht 
voraus, wieder einmal einen wichtigen Punkt seiner Lehre als eine altbekannte 
Sache erscheinen zu lassen, für die Kant nur unnöthiger Weise eine neue „Sprache“ 
eingeführt habe, wie es ihm von Eberhard und dessen ganzer Partei, besonders 
oft aber von dem anonymen, doch wohlbekannten tübingschen Recensenten wider- 
fahren war. Man könnte sich wundern, dem Theologen und Philosophen Flatt 
als Recensent en einer mathematischen Dissertation zu begegnen. Aber Flatt war 
in der That sehr vielseitig; seine „Vermischten Versuche* z. B. enthalten neben 
rechtspbilosophischen, dogmatisch-, exegetisch- und historisch-theologischen sowie 


622 Metaphyſik der Eitten. 


religionsphilosophischen Aufsätzen auch einen über den Begriff der Subtraction. 
Vermuthlich war ihm die Anzeige jener mathematischen Abhandlung nur der will- 
kommene Anlaß, wieder einmal seinem Herzen gegen Kant und dessen siegreich 
vordringende Schule Luft zu machen. 

2085.35 Haufen] 1693—1745, Professor der Mathematik in Leipzig. 
Vgl. Anthropologie, Bd. VII 213%. 

208 10 wie Molff ihn erklärt] Ontol. $ 588: Si ad simultaneorum A, B, C, 
D ete. eoexistentiam attendentes modum, quo A coexistit ipsi B, distinguimus a 
modo quo ceteris G et D coexistit, et similiter modum, quo B coexistit ipsi 
C, a modo, quo ceteris A et D coexistit etc,, quatenus tali ordine iuxta se in- 
vicem collocantur, ut distantia inter A et Ü sit diversa a distantia inter idem 
A et Dete., notionem spatii habemus. Patet propositionis veritas per experi- 
entiam, si ad obiecta quaevis nobis proxima attendamus ..- Vgl. Bernünfftige 
Gedanken von Gott, ber Welt etc. $ 45.46 

20824 Hr. Nicolai] Es handelt sich um die „Geschichte eines dicken Mannes“, 
1794, wo über den pedantischen Mißbrauch philosophischer, besonders Kantischer 
Terminologie zur Bezeichnung alltäglicher Dinge nicht allzu witzig gespottet wird; 
vgl. auch die „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz*, 
Bd. XI, 1796, S. 183 Anm. Kants Bemerkung mag durch die Berufung des tü- 
bingschen Recensenten auf Nicolai (s. o. zu 20733.34) mitveranlalt sein. 

2091 Shaftesburys Behauptung] Characteristics of Men, Manners, Opi- 
nions, Times, Tr. Il Sensus communis, an Essay on the Freedom of Wit and 
Humour (1709), Sect. I (im 3, Absatz): Truth... may bear all Lights: and 
one of those prineipal Lights .... is Ridicule itself .... So much, at least, 
is allow’d by All, who at any time appeal to this Criterion... » 

2158 Newton] beruft sich für seine Lex Ill in der That nur auf „viel- 
fültige Erfahrung“ (in der Einl. zu den Prineipia: Axiomata s, leges motus, 
Lex III, nebst Scholion zu den Axiomata). 

22423 Übertretung (reatus).)] Reatus heißt vielmehr der Anklagezustand. 
Kant folgt in dem abweichenden Gebrauch des Wortes dem Achenwall (Jus nat. $ 17); 
ebenso in der Fassung der Begriffe cu/pa und dolus, Vgl. auch „Religion etc.*, oben. 

23417 Masfopei] von holl. Maatschappij, Handelsgesellschaft. 

23515 Diefed vermeinte Recht] vgl. „Über den Gemeinfpruch etc,“ (in der 
„Folgerung“ zu Abschn. II). 

23620 nach dem Ulpiau] Corp. iur, eiv. D, 1ı, 101. J. 11.3. 

25914 Gicero] in dem Werke de officiis. 

2702.90 dominus directus „.. dominus utilis] Achenwall $ 162. Beispiele: 
Lehnsherr und Vasall, Eigenthümer und Erbpächter (emphytheuta). 

27221, Die äußern Förmlichkeiten . .. ] die altrömische stipulatio, — 
Die subtile Untersuchung über die Stetigkeit im Besitzübergang (in der Vor- 
lesung dem Problem der Stetigkeit in der Bewegung verglichen) ist dem Achen- 
wall fremd; ebenso der auch sonst so nicht gebräuchliche Terminus pactum re 
mitum 2736; 2757.22.9. 

















nicht völlig dem Buchstaben, dann um so mehr dem Sinn jenes 
Grundsatzes gemäl, "den Ertiruck aa den (in anf je ce Vorbmerung) 
malgeblichen anzusehen, Änderungen der 2, Aufl, also nur so weit in den Text 
— alba. de A De 
Besondere Umstände müssen bei dem Drack der Erlänternden Anmer- 
tungen zur Rechtsiehre gewaltet haben. Diese sind in demselben Jahre 1708 





‚vormuthe, 

ausgabe, welche von ee ee 
nur ee Anderung dr Pgung und Wong dr nm 
stellt waren, der Nachfrage nicht genügten, und daß nun, da 
Satz inzwischen abgebrochen war, der Text —9 x genotat 
wobei der Erstdruck zwar als Vorlage diente und sonst bis 
(auch in denselben Lettern) nachgebildet wurde, beim Sata 
Correetur die erwähnten geringfügigen Abweichungen theila mil, 
sicht hineinkamen. Die beiden Typen unterscheiden sich leicht am 
8. 12 des Sonderdrucks — 8. 168 der 2, Aufl; dort steht in der ®, Aufl, 
dieser entsprechenden Exomplaren des Bonderdrucks 4, #8 cin ıdinser 
36117) das richtige Citat ©, 129, dagegen %, 9 (Aulı) Alachlich Das 
die abweichenden Exemplare des Sonderdrucks dagegen haben an ernterer 
fälschlich S. 29, an zweiter richtige Daf, (Dor Fohler $ 00 at, 6 DI Im bolden 
Typen gemein.) Hiernach dürfte ala KErmdrnek der in der 9 Aufl und der 
dieser entsprechende Typna dor Sonderaungabe anaunehen nein, Er int In den 
Lesarten durch AP, der abweichende Typus durch B berslichnet, 

Handelt es sich bei der Mechiölehre Inat durelwag nur um die bei vor 
schiedenen Auflagen gewöhnlichen Abwolchungen, #o stellt dagegen die 2, Aufl. 
der Tugenblehre elna nehr eingrelfende, größtenthelln tlIatlache, an manchen 
Stellen aber auch den Sion mohr oder wenlger berährende Überarbeltung der 
ersten dar. Schubert und nach ihm Hartenstein hatten diene Oberarholtung, 
ohne Bedenken Kant selbat zugetraut, Doch int dus schon wegen der gosund- 
heitlichen Verfassung Kants in seinen letzten Lebensjahren wohl gan» nung 
schlossen. Eher wäre denkbar, daD Kant einen seiner Freunde zu einer solchen 


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sı bo] A! Druckf.-Verz. A®, fehlt A’ Text || 220% aus 


Druckfehler: 2421, st. nente 1. mente. 
eile. 269% fehlt ) nach u.f.w. 27210 st. 
Rant’s Säriften Bee. VL 


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2608 fehlt ein ſ im Anfang der 
— 


Lerarten. 531 


23u> deñelven Vorlandr: berielben A 2a: Durch" A dadurch Narten- 
ste: Scaupert: rt durch bie Handlung eines von beiden freiheit ſich mit 
Ber Des amder: (sorian.. ansprechend: aber durch Bir DBandlıma Heike 
schwierit. Be. solche Unsienerheit halıc jet: vargernzen nichts zu An- 
dern 332.2. emes — des andem A Teni Eines - dei Anderen A' 
Lrruckf.-Verz. A- (uoc: mült- dann anet: Z. Dh dea Finen -- deä Andern ge— 
schriewer: werden. Da die Schreilmnz in den Oririnaldrueken fartwährend 
schwank:. schieL es zwecklo- in. einzelnen Fall! u ändern 2302. Tann.” 
Mellın Tann :c.’ \ 25114 aany Tel: hätt» ganz allein für eine zrnnwend sichere 
Verbesserun: tebalten: aner Sschließlien bestehen dach noch andere Möglichkeiten, 
z. b. konnte ganz au- der vorigen Zeile verschentlieh wirderholt. also nberhanpt 
zu Streichen sein (so Gorland ?äle: unrecht Unrecht A vgl. oben zu WB. 
Zweileiios bandelt ex sich Z. 2 und Z. 2° mn denselben Regriff: es müßte also. 
wenn hier Unrecht stehen hieiben sollte. Z. 29 geändert werden: da aber ist das Ad- 
jeetivum durch den Gegensatz recht 7. 8? zeschützt: also war die nathwendige Übor- 
eustummung zwischen Z. 2 und 29 dureh Andening der ersten Stelle herinstellon. 
Es ist auen eliıer anzunehmen. dal: der Setzer ader Alschreiben ans dem mindeı 
reluulgen. ın der Mechiölehre aher rerelmäßiz sa gebranchten Adjectiinm das 
ihum gelaußger- Substantivum gemacht hat als nmeekchrt 2%? ın. 10 Geſetze aber, 
Geiepe aber A Gelege: aber um Görland “dach kann das um wohl enthehrt worden) 
237-1: Dieweil — verlorgen.]| A Der Satz ist nicht ahne Schwierigkeit. Der Sinn 
scheint zu sein: Für da. Recht hesteht zunächst die dynamische Analogie dei 
Gieschweit von Wirkung und !ierenwirkung. Da aber der Dynamik überhanpt 
die reine Mathematik (Grometrie‘ zu Grunde liegt. so mnli os neben der dyna- 
mischen auch eine rein mathematische (nnd zwar genmotrische‘ Analagie zum 
Recht seben. nämlich die des Rechten in der Redentnng des beiderseits gleichen 
Verialtens. „Ein bloß formaler in der reinen Matbematif” kann verwundern, 
da der dynamische Regrifi anch bloli formal ist. Aber im Vergleich zum mathe- 
mätischen kann er woh! als relativ materinler wedacht sein. Trgend etwas am 
Text zu ändern wäre eenart m. antrufen“ A! anrnfen A° vielleicht rich 
tie , 2554 Anſpruch Aneipruch A ı 2458 foldhe: A nämlich Dienste. Die Ans- 
lassung an sich ist nieht auffällig. aber 7.2 steht Singnlar. Tech möchte den- 
noch nicht ändern, da Kant im Gehranch des XNumerus bei Zurückberiehnng 
sich große Freiheit gestattet. Da mehrere Snbjerte in Frage stehen. sind ex in 
der That Dienfte, also construirt er. als ob Plural voranseegangen wäre! 55 
sol‘! Hartenstein (des Timmels« der Erde pa A| 23C12 recht! Recht N (vel. 
zu 225 und 281m. Das Adj. ist auch hier gefordert dureh den Gegensatz ım 
regt ıR 14 wie darch den allgemeinen Kantischen Gebrauch‘ ' 2370 obſtehende, 
A! obenitchene A? 237 19 ale einen aefeklichen Grund zu den Tekteren (rirehen)] 
&A fehlt etwas wie enthaltend? Außerdem ist den letzteren unverständlich. Tch 
vermuthe dem Iekteren, nämlich dem Verpflichten — 702 aber bei der Unsicherheit 
der Sache vor nichts zu ändern . 237as mehrerem‘ A! mehreren A? 2383: am 
beim fällt,] A fehlt etwas wie fondert | 230m mmabhämgiger] A unabhängige Gör- 

34° 


Lesarten. 531 


2308 beffelben] Vorländer berjelben A || 23021 durch] A baburdh Harten- 
stein Schubert; ob durch die Handlung eines von beiden freiheit fich mit 
ber bed andern Görland (ansprechend; aber burd; die Handlung bleibt 
schwierig. Bei solcher Unsicherheit habe ich vorgezogen nichts zu än- 
dern) || 23021.22 eines — bes andern] A! Text Eines — bes Anderen A! 
Druckf.-Verz. A® (doch müßte dann auch 2.25 bes Einen — des Andern ge- 
schrieben werden. Da die Schreibung in den Öriginaldrucken fortwährend 
schwankt, schien es zwecklos im einzelnen Fall zu ändern) || 230sı fann.*] 
Mellin fann zc.* A || 23114 ganz] Ich hätte ganz allein für eine genügend sichere 
Verbesserung gehalten; aber schließlich bestehen doch noch andere Möglichkeiten, 
2. B. könnte ganz aus der vorigen Zeile versehentlich wiederholt, also überhaupt 
zu streichen sein (so Görland) || 23120 unrecht] Unrecht A (vgl. oben zu 2233, 
Zweifellos handelt es sich Z. 26 und Z. 29 um denselben Begriff; es müßte also, 
wenn hier Unrecht stehen bleiben sollte, Z. 29 geändert werden; da aber ist das Ad- 
jeetivum durch den Gegensatz recht Z. 32 geschützt; also war die nothwendige Über- 
einstimmung zwischen Z. 26 und 29 durch Änderung der ersten Stelle herzustellen. 
Es ist auch eher anzunehmen, daß der Setzer oder Abschreiber aus dem minder 
geläufigen, in der Nechtölehre aber regelmäßig so gebrauchten Adjectivum das 
ihm geläufigere Substantivum gemacht hat als umgekehrt || 232 18,10 Geſetze; aber] 
Gejehe aber A Geſetze; aber um Görland (doch kann das um wohl entbehrt werden) || 
2337-11 Dieweil— verforgen.] A Der Satz ist nicht ohne Schwierigkeit. Der Sinn 
scheint zu sein: Für das Recht besteht zunächst die dynamische Analogie der 
Gleichbeit von Wirkung und Gegenwirkung. Da aber der Dynamik überhaupt 
die reine Mathematik (Geometrie) zu Grunde liegt, so muß es neben der dyna- 
mischen anch eine rein mathematische (und zwar geometrische) Analogie zum 
Recht geben, nämlich die des Rechten in der Bedeutung des beiderseits gleichen 
Verhaltens. „Ein bloß formaler in der reinen Maihematif" kann verwundern, 
da der dynamische Begriff auch bloß formal ist. Aber im Vergleich zum mathe- 
matischen kann er wohl als relativ materialer gedacht sein. Irgend etwas am 
Text zu ändern wäre gewagt || 2340.90 aufrufen] A! anrufen A? vielleicht rich- 
tig || 2354 Anſpruch] Ausfpruch A || 2355 foldye] A nämlich Dienste. Die Aus- 
lassung an sich ist nicht auffällig, aber Z. 2 steht Singular. Ich möchte den- 
noch nicht ändern, da Kant im Gebrauch des Numerus bei Zurückbeziehung 
sich große Freiheit gestaltet. Da mehrere Subjecte in Frage stehen, sind es in 
der That Dienfte, also construirt er, als ob Plural vorausgegangen wäre || 23511 
soli) Hartenstein (des Himmels — der Erde) poli A |] 23612 recht) Recht A (vgl. 
zu 22335 und 23126. Das Adj. ist auch hier gefordert durch den Gegensatz um- 
recht 19.14 wie durch den allgemeinen Kantischen Gebrauch) || 2370 obftehenbe] 
A! obenftehende A? || 23719 als einen gefeßlichen Grund zu den leßterem (eitulum)] 
A fehlt etwas wie enthaltend? Außerdem ist ben lehteren unverständlich. Ich 
vermuthe bem lebteren, nämlich dem Berpflichten — zog aber bei der Unsicherheit 
der Sache vor nichts zu ändern || 23733 mebrerem] A! mebreren A?|| 23833 am- 
heim fällt] A fehlt etwas wie fonbert || 239% unabhängiger] A unabhängige Gör- 

34* 





terhaus A! Text || 31550—3161 ber Staat] A von Hartenstein wohl richtig ge- 
strichen || 31616 ertheilend] Hartenstein Schubert eriheilend jeyn A (Vielleicht 
aber liegt der Fehler anderswo. Dies ganze drittens — eriheilend ist nicht zu 
verstehen. Es scheint eher eine Bestimmung, die die dritte Gewalt allein betrifft, 
als eine dritte Bestimmung, die sich auf alle drei und ihr gegenseitiges Ver- 
hältniss bezöge. Ich komme duher auf den Verdacht, dal ein größeres Stück 
Text ausgefallen ist. Vielleicht kam zweimal ein erſtens — zweitens — brittens 
und wurde versehentlich beim Satz vom ersten brittens aufs zweite überge- 
sprungen) |] 31721 ihrer] A dürfte richtig sein feiner? Vorländer || 3186 ſelbſt] 
A! fehlt A? || 31813 einen] einen A || 31936 abhängige] abhängigen A || 3204 
der] A! die A? || 3210 moralich, der] A moralifch, das der Schubert (nicht noth- 
wendig) || 32210. 11 (im Parlament), erlaubt, jener in] Vorländer (im Parlament) 
und erlaubt jener, in A |] 3235 die Gewalt] A’ Gewalt A? || 3238 urücdgetreten] 
A! zurüdtretend A® || 32310 beffelben] A seil. des Thrones (aus entthronte Z. 5)? || 
32319 in ihre alte] A nämlich Berfaffung (ihre auf einen gedachten Plural Staaten 
zu beziehen) || 3254 u. 6 beffelben] A nämlich des Bolfes (aus Bolfsmeinung 
2. 2) || 32523.24 werde, erleichtert — zu Ienfen)] werde), erleichtert — zu Ienfen A || 
32530 Die aber] A ist schwierig. Gedacht vielleicht etwas wie Befugniß? Oder 
Aufficht? so dad Aufficht der Unterfuchung heißen sollte: Aufficht, die in ber 
Unterjuchung bejteht? || 32610-ı2 ald — ift] vgl. zu 20511 || 326 13.14 fein Recht 
gründet, zur Erhaltung — beizutragen] A Es müßte lauten: fein Recht gründet, 
die Bermögenden zu nöthigen, zur Erhaltung — beizutragen. Es ist wohl anzu- 
nehmen, daß Kant wirklich so oder ähnlich geschrieben oder zu schreiben im 
Sinne gehabt hat || 32623. 24 nad) und nach gefammelte] A! fehlt A? || 32620—32 
weil — würden] so A (Subject ist: laufende Beiträge aus Z. 22) || 3271 folde] 
A foldyer Vorländer; doch construirt Kant bei als bisweilen ähnlich frei, z. B. 
286% eines Buchs, als das- (seil. Mittel) ete.; 4102.30 || 3270-11 muß (ald — 
Überzeugung),] muß, (als — Überzeugung) A || 32712 Unterthanen] A! Unterihan 
A® || 32720 ber öffentlichen Pehrer] A! fehlt A® || 32810 bes] A! der A? || 32816 
einem] A? einen A! (Druckf.) || 329 15 Adel ein Rang] A; besser wohl Abel, ein 
Rang (verst. bas heißt, ein Rang) || 32930 erblichen] A! fehlt A? || 33030 aud)] 
A! fehlt A? || 3310 aber] A oder? (doch ». zu Z. 10) || 38110 das erfiere] A 
worauf zu beziehen? Es scheiut eine bezügliche Bestimmung vorher ausgefallen || 
33134 einem] A! in einem A? || 33211 der) A! des A? || 33333 nichts) A! nicht 
A? || 3349 erflere] A! erfte A? || 39551 daß man) daß A daß es Hartenstein || 
3568 Weigheit, der auf] A Weigbeit auf Vorlünder (vielleicht richtig) || 35621 
heben] A! haben A? || 33654 firafen] A! beftrafen A? || 3873 als barbarifch und 
unausgebilbet] A als fie barbarifch und unausgebildet ift Vorländer (Mir scheint, 
daß die Worte, so wie sie dastehen, eben dies besagen wollen) || 33732 Unter- 
baufes]) A Unterthans Mellin vielleicht richtig (ähnlicher Druckfehler 31520); 
aber schließlich nicht sicher genug. Die lateinische Übersetzung von G. L. Koenig, 
1799, wie der Commentar von Tieftrunk, 1798, II 480, halten an dem über- 
lieferten Text fest. Daß er unverständlich sei, bemerkt dagegen schon Jakob an 














die Anführung aus der Rec. weiter geht) || 3647.» zu fein nicht aufgehört] A’B 
nie zu fein aufgehört Ree. || 3644 Der] B Der A? || 3656-# Es iſt — (derelierio),) 
A®B (fehlt ein Partie. wie genommen oder mißverftanden o. dgl, — dieſelbe Z. 9, 
nämlich Sache, s. Z. 3) || 36514 (lege); umb] (lege) und A?B || 36515 Die öffent» 
liche] A? Die öffentliche B || 3668 fi] A®!B wohl nicht zu beanstanden |] 
3677 ewig] A? ewig B || 36710 Bolf] A? Bolk B || 56711 Familie] Familie 
A® B || 36733 verfehene] verjehenen A?B || 3689 berjelben] A’B (Plural dem 
Sinne nach: der Geiftlichen) || 368° —5695 Wenn — verheihen:] ein Anakoluth. 
Es fehlt nach um 3692 ein zu mit Infinitiv. Ich vermuthe, daß der ganze Ab- 
schnitt 3692-5 um — verheißen am Rande oder unter dem Text stand und als 
Zusatz zum ersten 'Theil des Satzes gemeint war, und dal das um aus 56833 nur 
wiederholt ist, um die Stelle zu bezeichnen, wo die Einschiebung geschehen 
sollte. Der Satz hätte also lauten sollen: Wenn num gewiſſe anbächtige und 
gläubige Seelen, um durch Gebete — verheißen, der Gnade theilhaftig zu werben 
— lehnspflichtig macht: fo ift ıc. || 36 8 ift als ein] A®B (vgl. zu 20511) iſt ein 
Hartenstein |] 369 17.18 bejtimmten entworfenen] A’B Umstellung läge nahe || 
36923 zu müffen] A?B miüffen Hartenstein (vielleicht richtig) || 36920 fann] A®B 
(erg. eine folche Tann) || 3702.3 feinesweges] A? Teineswegs B || 37015 deifelben] 
A®B (nämlich des Drbens) || 3717 Herrn] B Herren A? || 3T1er.28 (Nechtslehre 
5 49)] (MR. &. 8. 44.) A®B, genauer: Anmerfung zu $49 || 37136 fo ift der] A®B 
jo ift eö ber Hartenstein (was auch Stammler befürwortet) || 

37527.28 bem inneren] Al das innere A? || 37530 zu jagen] A! jagen zu fönnen 
A® || 576 1.2 (jedem Gefühl)] A! (von jedem Gefühl) A? || 3763 von einer Kraft und 
berculiicher Stärke machen,] A! von der hohen Kraft und hereulifchen Stärfe machen, 
bie ausreichen follte, A? || 37623 Allein Fein moralifches Princip gründet ſich in ber 
That,] A! Allein in der That gründet ſich fein moralifches Princip, A? || 37624 einem] 
A' ein A? || 3764 fondern ift] A’ ſondern ein ſolches Brincip ift A? |) 37630 Sprache 
ſcholaſtiſchj A! Sprache nicht nothwendig jchulaftiih A? || 3777 orafel«) A' 
orafelmäßig A? || 37717 angebadjt] A! (nach älterem Gehrauch richtig) aus- 
gedacht A® |] 37823 Sich aber) A! Der Unmuth aber, fi A? || 3752-9 wird 
durch — fühlt, gleichſam zum allgemeinen Aufgebot der für die Allgewalt ber 
theoretijchen Bermunft Verbündeten gereizt, fi] A! reizt durch — fühlt, die für 
die Allgewalt ber theorelifchen Bernunft verbündeten gleichiam zum allgemeinen 
Aufgebot fih A. — Nach der Vorrede hat A? ein Inhaltsverzeichnid (Inhalt 
der Tugendlehre), entsprechend der Tafel der Eintheilung der Ethif in A', 
oben 402f., wozu weiter unten die Abweichungen angegeben sind. — 

37910 (iux)J A! (Zurisprudentia) A® || 3803 angefehen] A abgejehen? || 3811 
ihrem] A! ihren A? || 3819 Dah] A! Wenn A? || 38114 dieſes würde ber Begriff von 
einem Zwed fein,] A! jo giebt diejes den Begriff von einem Zwed || 381 15 würbe] 
A! fann A? || 38110 jondern zur) A! fondern muß zur A? || 38110 Pflicht) Ar 
Bmwangspfliht A? || 33123 dazu (fie zu haben) ein Zwang] A! ein Bwang ber 
gleichen zu haben, oder fi) vorzufehen A? || 38134 lehtere] A! legte A? || 381as 
it] At wäre A? || 38221 als welcher (das Fategorifche Sollen)] A! indem diejer, 





Dr 


das Fategorifche Sollen, A? |] 3836 aller Pflicht) A! allen Pflichten A? || 383 7.5 
bieje heißen befonders] A! nur ben befonders jogenannten A* || 38316 gülti 

(tugendhafle] A! gültige Pflicht (mur eine iugembhafte A? || 38323 erjtere] A! 
erjte A® || 38320 aller] A! einer der Pflicht A? || 359% als ber der Pflidt] A’ 
fehlt A? || 38414 des Menfchen.] A! der Seele fich befindet. A? || 38415 an Seele] 
A! au der Eeele A? || 38424 Krankheit] A! Druckf.-Verz. A? Raferei A! Text |] 
35715 das moraliihe Gefühl, gleichſam) A! der moraliide Sinn, Heißt 
gleichjan A? || 39710 ift,] A! fehlt A2 || 89722 zum Gegenjtande] A! zu dem 
jeinigen A? || 38734 das] A! der A? || 838755 erftere] A! erfte A® || 3885 ſchon) 
A' Druckf,-Verz. A? fehlt A! Text || 38821 fie] A (Sinn etwa: feine Zwecke ) ſich 
Görland (wahrscheinlich, aber nicht sicher) || 35833 das /us) A! die Nechtölehre 
A® || 39012 bie allgemeine) A der allgemeinen läge nahe, doch sind ähnliche 
Ungenauigkeiten der Construction bei Kant nicht selten || 390% taugen, jo 
ſtamml Umtugend von] A! taugen herkömmt, jo bedeutet Untugend der Etymologie 
nach jo viel ald A? || 39097 vorfepliche] Vorſetzliche A! vorjehliche Übertretung A? || 
3912 von mir] A! Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text || 3915 es] A (nämlich das Ver 
bienjt) || in letzterem] Al im lepten A? || 39210 können“, ungewiß — fünnten.] A! 
fünnen, ungewiß — könnten.“ A? || 392% welche] A! welche einem Menſchen A® |] 
39236 Menfchen] A! fehlt A? || 39812 a) Phyfiſche Wohlfahrt] =) Phyſiſche 
Wohlfahrt, A (vgl. 39120, 392, 3941) || 39315 geliebt (in Nothfällen geholfen) zu 
werben) A! geliebt zu werden, (in Notbfällen von ihnen Hilfe zu erhalten) A? |) 
39530 eine] A? fehlt A! || 394° salubriras] A! salus A? || 3940,10 welches man 
Sfandal mennt.] A' das heißt, ihm kein Skandal zu geben. A? || 39425 bie 
etbifche] A! und zwar enthalten die ethifchen A? || 39435 Nechtspflichten] A! 
Rectspflichten A® || 39427 ift; beide aljo] A’ ift. Sm beiden liegt aljo ber 
Begriff A? |) 3957 dem anderer] dem, anderer A! dem Bwange anderer A® || 
3958 bie den] Al den A® || 39512 Materiale] A! Materialen A? || 39513 und die] 
A! und da bie A? || 39514 defjelben] A (nämlich bes Bweds) |) 39514 heißt 
Zugenbpflicdht, deren es aljo viele giebt.] A! Tugendpflicht heibt, jo folgt, daß es 
auch der Tugendpflichten mehrere gebe, A? || 39527 fein] A! zu fein A? || 3975 
ihreö] A! Druckf.-Verz. A? ihren A! Text || 39720 *) Der Menich) A’ *) So ba 
man zwei befannte Verfe von Haller alfo variiren fünnte: Der Menſch A? || 3972 
Haller] A! fehlt A? || 89912 welche Anlagen] A! Anlagen, weldje A? || 3995 
moöoraliſches]) moralijches A || 3996 erftere] A! erfte A? || 399 ar lehtere) A) 
legte A? || 40010 (md ihr Gejeb)] A’ und ihr Gejeb A? || 402 14.16 und es gelingt 
ihm mit feiner wohlthätigen Abficht,] A! und die Abficht feines Wohlthuns gelingen 
fieht, A® |] 4035.4 fünmen; nicht: er habe] können, nicht er habe A! lönnen, nicht 
aber kann man jagen, er habe A? || 40324 eriteren] A! erften A? || 40327.28 Was 
aber die Mehrheit — Satz betrifft, womit man fich tröftel,] A! Wenn man fich 
aber bei der Mehrheit — Eat damit tröftet A? || 4040 fo fann fie ald Tugend 
nicht durch] A! fo kann ihr Urſprung als einer Tugend weder durd; A? || 4041 
legteren] A! leiten A? || 40412 als entjpringend vorgejtellt werden: indem fie] A! 
erflärt; auch können diefe Laſter nicht jo angejehn werben, als ob fie A? || 40414 





4172 Erfter Theil.) A' Erftes Bud. A? || 41715 paffive] A! eine paffive 
A? || 41720 mithin (mern) A' mithin fei, wenn A® || find) er fei] A! find, ber 
Berbindende A? || 4181» fählges Weſen und zwar] A! umd infonderheit der Ver 
rg Bulle en nen Sep ce A || 
so auch 


erhört ]] 4193 uns in theoretifdher Rüdfidst gleich] A' ums gleid) in 
Rüctficht A? |] 4199.10 und — geiftige) A? Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text |] 419 

die eine — felbft)] A! die einen einſchränkende (oder negative) Pflchten, ie 
andern erweiternde (pofitive) Pflichten gegen ſich ſelbſt A? || 41925 erftere] A) 


wirb] A! (fehlt etwas wie ftatt finden, vgl. Z. 15.16) 
betrifft, a) der,] A" betrifft, dreifach: mäunlidh a) der Trieb A? |] die Erhaltung) 
A! zur Erhaltung A? || 4206 b) die Erhaltung) A' b) ber, durch welchen fie die 


























— erlaubt find. — Wer kann — Bereitichaft ift?] so A'; in A? sind die beiden 
Sätze umgestellt (wohl richtig) |] 4289 unmittheilfam] unmittheilbar A |) 42822 
Unmäßigfeit, der] A! Unmäßigkeit, und zur A? || 42528,20 als ein moraliiches 
MWefjen.] als einem moralifchen Wefen. A! (vgl. 4217.58; 437%) ald mora» 
lifches Wejen betradhtet. A? || 42830 Lajtern: Züge, Geiz und falſche] A! 
Yaftern der Lüge, bed Geizes und der faljchen A? || 4291 1] A! Erfter Ar- 
tifel. A? || 4296 Wahrhaftigkeit: die Lüge] A! Wahrhaftigkeit, oder die tige A? || 
429 12 fie] A (worauf bezüglich? Auf vorfeglidhe Umwahrheit Z. 7? — Görland 
dachte daran welche fie begleitet mit in die Klammer zu setzen; aber das fol- 
gende: bie begleitet ıc. läßt eher vermuthen, daD der Relativsatz zu Ehrlofigfeit 
gehört) || 42914 er fich] A! fich ber Menfch A? || 4291.17 Perfon; wobei] A' 
Perfon. Hiebey kömmt weder A? || 42918 nicht] A! da er nicht A? || be 
trifft) At trifft AR || (dem ba beitände e8] A! (bad alsdann A? || 4291.20 
Andere) — auch nicht) A! Andere beitände) in Anſchlag, noch aud A? || 429% 
er] A' ber Lügner A? || 42938 aber] A! Druckf.-Verz. A? fehlt A! Text || 42953 
Perjönlichleit und eine] A! Perfönlichkeit, wobei der Lügner ſich als eine A® || 
42954 der Menſch felbft.] A! ald wahren Menfchen zeigt. A? || 4306 werden, jo iſt 
boch] A! werben; dennoch ift A? || 43010.17 (der Gebanfenmittheilung)] Al ber 
Bebanfenmittheilumng A? || 43020 indem] A! Druckf,-Verz, A? obgleid; Al Text 
(vielleicht dennoch richtig) || 43027 Unreblichfeit] A! Unlauterfeit A? || 43020. 
wird, wenn — für] A! wird. 3. B. nach ber gröjlen Strenge betrachtet, ijt es 
ihon Unlanterfeit, wenn ein Wunſch aus Selbftliebe für A? || 4307 Gitelle] A! 
Stelle aus A? || 431ı aus] A! fehlt A? || 4312 In] A! Muß ich, wenn ich in 
A® || 43126 wenn ich da] A’ fehlt A? || muß ich) A! fehlt A? || 431m 
(nad) etbiichen Grundfäben)?] A! nad eihifchen Grundſätzen? A? |] Tebteren] 
A' lebten Az || 43134 eigen] A! eigues A? || 4321 11.] A! Bweiter Artikel. A? || 
4325 (ber Erweiterung] A! (dem Hang zur Erweiterung A? || 4328 auch nicht] 
A! fonbern A? || 432» aber doc blos] A! und zwar nicht in fofern er in A? |) 
43210 fein kann J A! befteht; A? |] 43210 fondern die] A! fonbern in jo fern als 
die A? || 43212,13 eigenen Bedürfniffes; diefer — welcher ber] eigenen Bebürf- 
nifjes, biefer — welcher ber A! Bebürfniffes ber A? || 43221 entgegengejehte 
Yalter] A' Druckf.-Verz, Eingegengejebte, die Zugend A! Text entgegen- 
geſetzte Yafler, die Tugend A? |) 43220 bes habſüchtigen Geizes (als 
Berichwenbers)] A! ber verſchwenderiſchen Habfucht A? || 4520 im] A! 
lediglich im A? || 43231 und zu erhalten] Al fehlt A? || 43232-44 aber — Zweck 
jei).] A! wobei man ſich blos den Beſitz zum Zwecke macht, unb fid bes Ge» 
nuſſes entäußert. A? || 43312 Weniger] Al Druckf.-Verz. A? Nicht weniger A! 
Text || 433 16.17 rirtus — reetum,] A! fehlt A? || 43529 begehn,] A! begehn kann, 
A? (vielleicht aber sollte der Satz sich an den vorigen eng anschließen und aus 
diesem, 2.24, das fehlende kann ergänzt werden; dann wäre nur die Inter- 
punetion 2.27 zu ändern: werben; baber) || 435» ausüben] A! ausnibt A? || 
45331 habeat] A! ferat A® vgl. 4094; 40420 43332 bedeutet] A’ bebeutet aber 
A? |) 4343 (armielig] A! (auf den Vorſatz armjelig A? || 45419 III.) A! Dritter 


542 Metaphyſik der Sitten. 


Artifel. A? || 43428 ein] A! (nach d. i. möglich, z. B. V, 1290) einen A? || 43434 
folder] A! Druckf.-Verz. A? ſolches A! Text (vielleicht doch richtig) || 43514 
Geringfähigfeit] A! Geringfügigfeit A? (vgl. Z. 23) || 43519 mit dem] A! das A? || 
435 20.21 (welches — ift),] A! in ſich aufrecht erhalten; A? || 43523 Geringfäbigfeit] 
A! Geringfügigfeit A? || 43524 Demuth] A! moralifde Demuth A? || 4352 
feines] A? feinen A! |] 43520.30 fittlich-falfhe Kriecherei (kumilitas spuria).] A! 
falſche moraliihe Demuth (Aumiltas moralis spuria) oder geiftlide Krie- 
herei. A? || 43531 Demuth) A! Demuth als Seringfchäßung feiner felbft A? || 
43533.31 in diefem Berhältniffe] A! in foldher Demuth A? || 43616. 17 in folgenden 
Beifpielen] A! durch folgende Borfchriften A? || 43727 Des zweiten Haupt- 
Ads) A! Drittes Hauptſtück A? || 43720. deu angebornen]) bem ange- 
bornen A! (vgl. 4217.8; 4282.29) den gebornen A? || 4382.3 in meritum) A! 
Druckf.-Verz. A? inmeritum A! Text || 43813 Gewiflen] A ein Gewiſſen Vorländer 
(wohl nicht nothwendig) || 43827 den] A! das A? || 43834 (ald den Menfchen 
überhaupt, d. i.)] (als den Menfchen überhaupt) d. i. A! fehlt A? || 43915 leßtere] 
A! Tebte A? || 43932 Sntelligibilen zum Cenjibilen] A! Sntelligiblen zum Sen- 
jiblen A? || 4407 den Regeln] A! fi al8 Regel A? || 44019 gewiffenlos) ge- 
wiffenslos A || 440% den] A! Druckf.-Verz. A? die A! Text || 44027 erftere] 
A! erfte Spruch A? || 44030 enthalte] A! enthält A? || 44032 ift, was] A! ift; 
eine Geligfeit, die A? || 44033 Brincip] A! Princips A? || 441o Zwecke] A! 
Zweden A? || 4417 dein Herz] A! prüfe dein Herz A? 44111 Tann] At könne 
A? || mag.] A! möge. A? 44112 Das moraliiche Selbiterfenntniß, das] A! 
Diefe Selbftprüfung, die A? || 44113 Tiefen (Abgrund)] A! Tiefen oder den Ab- 
grund A? || verlangt, iſt] A! verlangt, und die dadurch zu erhaltende Selbft- 
erkenntniß ift A? || 44114 leßtere) A! letzte A? || 44116 die] A! der A? || 4417.18 
und dann die Entwidelung — in ihm zu entwideln] A! (und dann die Entwide- 
‚lung — in ihm zu befördern? oder einfacher zu entiwideln zu streichen?) unb 
dann, der Beftrebung die nie verlierbare urjprüngliche Anlage eines guten Willens 
in fich zu entwideln. A? || 441ıs (nur bie] A! Nur bie A? || 44119 des Selbft- 
erfenntnifies) A der Gelbiterfenntnig A? Vergötterung)) A! Bergötte 
rung. A? || 44121 Diefes] A! Diefe A? || 44122 Menfch (feiner ganzen Gattung)] 
A! eines Menfchen, oder des ganzen Menfchengeichlehts A? || 44las fie] A 
dbiefe A? || 441 20.27 (fi — findet. —] A! und in einem foldden Falle auch 
fi, jelbit der Verachtung würdig findet; einer Verachtung, die denn immer nur 
diefen oder jenen Menfchen, nicht die Menſchheit überhaupt treffen fanıı. — || 
4413.31 halten (Gebet — Wunſch).] A! halten. Gebet — Wunſch. A? || 4425 
ſich felbit] A! fi) oder andere Menfchen A? || 4426 Andere) AT An- 
dere Wefen A? || 442 15.16 kann (denn — werden).) A! Tann; denn — werden. 
A? || 442% für] A! (bei verwedjfeln, wenn ich nicht irre, auch sonst) mit einer 
A? || 44228.29 erftere (außermenfchliche)] A! erften (außermenfchlichen) A? | 
442 31.32 zweite (übermenfchliche)] A! zweiten (übermenfchlichen) A? || 4436 
diejenige — Moralität] A! eine ber Moralität günjtige Stimmung der Sinnlichkeit 
A? (dem Sinn nach richtig) || 4437 nämlich) A! nämlich die Luft A? || 4438 


lieben (3. B. — Gewächsreichs).]) A! lieben und 3. B. an den jchönen Eryitallifa- 
tionen an ber ıumbejchreiblichen Schönheit des Gewächsreichs ein unintereffirtes 
Wohfgefallen zu finden, A? || 443 11.12 Pflicht — nraufamer] A! gewaltfame und 
zugleich graufame A? (dem Sinn nach riehtig) || 44314 dadurch] A! folglich A® || 
44327 deifen] A! eines Wefens A? || 44520 3. B. ber Idee von Gott,] A! nemlich 
der Gottheit, A? || 44331 Gebote.”] A? Gebete.“ A! || 4441 felbft] A® von und 
jelbft A! (möglich auch 44533 von und zu streichen) || 4443 (geoffenbart)] A! 
(ober geoffenbart) A? || 
44410 Zweites Bund.) Al Zweite Mbtheilung. A? 44421 Natur 
anlage] A! Naturanlagen A? || 444er der Zwecke (fh — zu machen)] A! 
Zwede zu haben, ober fit) — zu machen A? || 44525 Welche] A? Auf welche 
A! Uber welche Görland (sehr ansprechend, vgl. 4465, wo dann freilich richtiger 
aljo statt aber stände) || 44550 es) A! fehle A? || ihrer] A! feiner A® || 
4463 abwürbdigen] A! herabwürdigen A® || 44621 zu — binzuftreben] A! die Be- 
ftrebung nach dieſem Biele ift A? || 44620 anderen ift] A! anderen A? || 446 
im continnirlichen Fortfchreiten] (vgl. Z. 21.22) im comtinnirlichen Fortfchritten A! 
in continuirlichen Wortichritten A? |) 4474 andere finuliche] A (richtiger andere, 
finnfiche) || 4474.5 Bortheil (oder — Nachtheils)]) A! Bortheil, oder — Nadıtheils, 
A? || 4476 könnten. —] A! könnten? — A? (richtig) || 44711 jener] A? jener Tu- 
genden A? || 44712 aufzufinden,] Al bei fich aufgufinden, A? || 4482 Zweiter 
Theil.| A! Zweites Buch. A? || 44812 erftere] A! erfte A® || verbienft- 
lich;] A! verbienftliche; A® || 44914 der] A! bie A? || 44910 verftanden] A! 
genommen A? || 449 ba] A! dba A? || 44927 mur) A! fehlt A? || 4502 lehtere] 
A! letzte A? || 4505 Nächſten] A? Nächitens A! || 4507 abzuwürdigen] A! herab» 
zuwürdigen A? || 4500 erftere] A! erfte A? || 45011 Teßteren] A! fehten A? |) 45027 
menfchenfcheu] A? Menfchenicheu A! || Adlıs nicht der Menſch,] A! fehlt A? (stände 
besser in Klammern) || 45115.16 Gleichheit wie alle Andere] Natorp Görland 
Gleichheit alle Andere A! Gleichheit mit allen Underen A? (weniger gut wegen 
des folgenden mit) |] 45219 des zum — Nothwendigen] A? fehlt A? || 45220.21 
Neigungen (ſchwärmeriſch)]) A? Neigungen, ſchwärmeriſch, A! || 45224 noch)] A! 
auch noch A® |) 452325 fei] A! werbe A® || db. i. das] A! b. i. wie kann man 
bas A? || 45312 die gemeinnüßige] A! ift bie gemeinnübige Marime A? || 4537 
für deu, der] A! im all bab jemand A? || 45310 feine] A! eine A? || 4535 
letzteren) A! lebten A? || 4532 feinen Wohlthätigleitsact] A! feine Wohlthätigfeit 
A? || 454 16 Vorforge] A! Fürforge A? || 45415.16 letzteren) A! leßten A? || 454ı7 
[eßteren] A! Ießten A? || 45419 Geftörten] A! Blöbfinnigen und Verrückten A? || 
45421 denke, indem] A! denle; bem ich aber wirklich Feine Wohlthat erweife, 
indem A? || 45491 ba hingegen] A dahingegen (Rel.) Görland || 455 13 Berlehung] 
A! Verlegung (als fcandalöfes Beifpiel) A? || 45514 (als jfanbalöfes Beifpiel)] A' 
fehlt A? || 45523 ſchon — Dankbarkeit] A! gegen den Wohlthäter ſchon eine Art 
von Danfbarteit. A? || 4563 Grab] A! Druckf,-Verz. A? Grumb Al Text || 4567 
ber] A! deren A? |) 45613 ber Menfchenliebe] A' (Dativ!) fehlt A? || 45615 ift, 
zu verbinden) A! verbindet, auszuüben A* || 45633 erftere] A! erfte A® || 45654 


544 Metaphyfil ber Sitten. 


Iiberalis) A! liwra A? ı| 457 1 ıllıberalis, serrilis) A! meerssaria A? , 455 
erfteren] A! erften A? |j A5Tıs dieſes] A! fehlt A? ‚| 45710 fein würde, indem es) 
A! Barmberzigleit genannt, bie A? |, 457 und — wird) A! fehlt A? |: 
45720 und unter) Vorländer unter A |, 45722 rejpectiv) A? und rejpectiv A! (dies 
und scheint nur an die falsche Stelle gerathen zu sein, s. zu Z. 20) |] 4572 es] 
A! fehlt A? |j 45726 Schickſale]) A! Edhidfale Pflicht A? |, indirecte Pilicht) 
A! fehlt A? || 45720 benugen.] A! benugen, wenigftens indirecte Pilicht. A? |! 
45730 umzugehen] A' zu ungehen A? | 4573.31 aufzujuchen, die] A’ aufzujuchen, 
nicht die A? (dem Sinn nach richtig) !| 45813 allgemeinen) A! Druckf.-Verz. A? 
fehlt A! Text || 45816 das] A! alfo A? || 45817 fein, nämlich der Stolz,] A! 
ber Stolz fein, A? || über fi zu fehen;] A! nicht über ſich ſehen zu 
wollen; A? || 45832 eigen] A! eigned A? || 459ı12.14 defjelben wegen) A! defient- 
wegen A? || 45915 erzeigte] A? erzeugte A' || 45926 Eliten] A! ältern A? | 
45931 ächtmoraliſcher]) A! ächt moralifcher A? || 4601 Böfes] A! Böfe A? (viel- 
leicht richtig) || 4609 Eräugniſſe] A' Ereigniffe A? || 4601«.17 Theilnehmung 
(des — Tereuz)] A! Xheilnehmung, der Marime des — Terenz, A? || 4613 fanite) 
A! fchlaffe A? || 4614 wii) A! ignave A? || 4615 Entjagung] A! Ber 
zichtleiftung A? || 46126 erftere] A! erite A? || 4626 durd) die Eelbftliebe Anderer) 
A (logisch genau wäre etwa: dur Rückſicht auf die beredhtigte Eelbitliebe 
Anderer; aber nicht zu ändern) || 4627 (Unbeidgeidenheit)] A! oder die Un. 
beicheidenheit A? || 4628 Würbigkeit] A! Forderung A? || werden die) A 
werden, iſt die Hartenstein (nicht nothwendig) ;| 4629 der Forderung aber] A’ 
aber in ber Forderung A? || 46231 ihm] A? ihn A! || 46317 Ehrliebenden] A! 
Beitraften A? || 46318 auf) A! noch auf A? || 46319 fehmerzhafter] A! durdh diefe 
Entehrung jchmerzhafter A? || 46324 bderfelben)] A befjelben Görland (an sich 
richtig, doch ist ähnlicher Wechsel zwischen Singular und Plural bei Kant 
nicht selten) || 46326 demfelben] A (nämlich Urtheil) || 46335 und — Werths] A! 
fehlt A? || 46336 ausfchlagen) A! ausfchlagen, nie ihm allen moraliicden Werth 
abjpreden A? || 4647 als) A! als einen A? || 4648 höchſtſchätzenden] A! 
hochſchätzenden A? || 46414 aber — Buten] A! Hingegen an dem was blos als Ab- 
weichung von der gemeinen Meinung auffallend (paradoxon), ſonſt aber an ſich 
gut ift, folches A? || 46414.15 nehmen] A? nehmen A! || 46416 ein] A! und ein 
A? (vielleicht richtig) || 46427 erftere]) A! erfie A? || 4651 Widerfpield] A! Gegen- 
theil® A? || 46617 ungläubifh] A! ungläubig A? || 46618.19 desjenigen die — 
Schmalernden, was] A! desjenigen, was die — fchmälert, wenn es) A? || 466m es 
mag — fein] A! geſetzt daß es — wäre A? || 46630.31 uns andere) A’ wir Andern 
A? || 4677 fie] A! gewiffe Sonberbarfeiten A? || 46713 caustieus] A! Druckf.-Verz. 
A? castirus A! Text || 4681 dieſes,] A! diefes, auch in Beziehung auf andere 
Menſchen zu befolgen, A? || 46812 reine] A?’ reinen A? || 46818 Diefe (Tugend- 
pflihten)] A! Diefe Tugendpflichten A? || 46823 Subjecte der Anwendung] A 
Cubjecte durch Anwendung Görland (doch läßt sich das Überlieferte wohl 
halten) || 46834 Zuftande; was den) A! Zuſtande zu beobachten fei; welches Ber- 
halten dem || und jenen) A! gezieme unb welches den A? || 469ı ihrer) 




















' ausgehenden Gelehrten carafterifire; 
fei: A® |) 46914 — AS 
; vielleicht richtig || 46923 Menichen] A! Menfdien 

I Ka ie man —— 





A’ jeiner A u N ee ae 
4693 auögebenden;] A 










A: || 4702 einbüße, jo baß Beiberfeitig] A! einbüßet Wie läht ſich alfo erwarten, 
Eeiten A: || 4703 jdhwerlih] A’ fehlt A® || wird) A) 
und wenn) A’ (ohne Nachsatz!) jo ba A? |} 4707.5 melde — 
— welche, durd; A? || 47016 Areumdichaft] A! Freundſchaft alfo A? |] 
Pirithous] A® Pyrithous A! |) 47019 Folgende Anmerkungen können] A! 
en os folgende Anmerkungen A? || 47024 und zwar daß er] A! und 
|] 470% gefallen jei, ober] A’ gefunfen zu fein, oder fürchtet wenig» 
| | 47026 ingebeim] A! insgeheim A? I 4709. beitändig — 
immer bie Gefahr feine Achtung au verlieren A*® || 47lıo 
fünnen. —] A’ fönnen, — A! || 47112 Gefühle] A! Gefühlen A? ger 
Vorländer; > scheint Sing. richtig) || 471ıs oder das] A' oder fefle, das 
A® || 47120 aber fi] A" Druckf.-Verz. A? aber A! Text || 471as aber] 
A! aber wird er A? (| 47125 fiebt er ſich] A! und fieht er ſich daher A? || 4722.4 
theild weil ber Andere, der jein — zurüdhält] A' weil Andere, indem fie ihr — 
zurüdhalten As || 4725 machen — betrifft] A’ machen fünnten. Er mödjle auch 
anbern jeine Mängel oder Fehler eröffnen; aber er mu fürdjten, daß A? |] 
— A! möchte A? || 4725—11 einen — an ſich hat,] A’ einen Men. 
gute Gefinnung und Berftand hat, jo dab er ihm, ohne jene Gefahr 
| fein Herz mit völligem Vertrauen auffchliefen fann, und ber 
ber Urt die Dinge zu beurtheilen mit ihm übereinſtimmt, A? a 
allein,) A’ allein, A? || 47218.19 ober — weldje] A! ober nidjt; ober 
r Indiscretion. Nun it es aber äußerſt felten jene || 472% jelten ift] A’ 
A? || 472% #4 nigro] A? nigroque A? (richtig) || 47222 zugleich — anver- 
te] At fi) verbunden achte, ein ihm anvertrantes A® |) 4729,%4 erfleren] A! 
eriteren, ber es ihm amvertraute, A? || 47225 Diefe — ift] Al. Indeß ift doch 
bie blos moraliſche Freundſchaft A? || 47225. (der ſchwarze Schwan] A' 
ber ſchwarze Schwan A?® || 47228 (pragmatiiche)] A! (pragmatifche) Freundſchaft A? |] 
47238 (d. i. ber] A? (d. i. ein Freund der A: || 47237 des bios Menichen- 
liebenden (Bhilanthrop).] A! des Philanthropen, bie Menfchen bios 
liebenden Menichen. A? || 4733 gleihjam] A! wobei man alle Menſchen A® |] 
4734 will] A! will, fid) vorjtellt. A? |] 4730-2 einen, der — anzufehen;) A! 
einen Theil eines allbefafienden Kreiſes, der mweltbürgerlihen Geſinnung anzır- 
Razt’H Säriften Bale. VL 39 


& 
2: 
H, 


FE 
Fi 


in 


f 


: 


5 


> 
zz 
a5 


® 


en 














T 





Orthographie, Interpunetion und Sprache. 547 


ſich ſelbſt und andere Menſchen, A» 492. 493 Diese Tafel fehlt A®%, wo sich 
dafür nach der Borrebe ein Inhaltsverzeichniß u. d. T. Inhalt der Tugendiehre 
finde. Dieses giebt die Überschriften durchweg nach den Änderungen 
der 2. Auflage, nur theilweise gekürzt. Im Abdruck der Tafel aus A! ist die 
dort wenig consequente Sperrung nach Möglichkeit verbessert (A! hat nicht 
gesperrt: 4925 gegen ſich ſelbſt ı0 Meflerionsbegriffe 4932 unvollfommenen 
Pflichten ı2 Pflichten gegen Andere.) Zu 4920 animaliſches u moraliſches 
vgl. zu 4217.85 42828.20, Paul Natorp. 


Orthographie, Interpunetion und Sprache. 


Orthographie. Vocale. Störendes aa ist vereinzelt: Maas (neben Maf- 
ftab), ee selten: Leulſeeligkeit, Glüdjeeligfeit, verheelen, en häufig: Freyheit, frey- 
lich, zweyerley, zweyte, dreyerley, beyde, jey, jeyn (= sint, esse), bey, Benfpiel, 
Arzney, Länberey, Kriecheren, Policey. — Consonanten. c herrscht in Wörtern 
griechischer Abkunft wie in eingebürgerten Fremdwörtern: Character, Dibactif, 
Gritif, Scandal, Canzel, practifch, acroamatifch, catechetifch (aber Punkt), selten 
umgekehrt f, wo c erwartet wird: Bubliftum, Prodult (sonst Product, Eultur, 
activ usw.). — Dehnungs-h wird reichlich gebraucht: Nahme, willführlih, ver 
lohren, ftöhren, angebohren, zuftröhmt, einmahl; aber vornemlich (neben vor- 
nehmlich). Vgl. dazu ih: Geboth, Dienftbothe, Abenlheuer. — Die Schreibung 
des stimmlosen f-Lautes ist nicht einheitlich, Im Inlaut zwischen Vocalen 
findet sich nach kurzem Vocal &: Bernadhläßigung, zuverläßig; nach Diphthong fj: 
auffer, Auffenmwerfe. Doch überwiegen die uns genehmen Formen (müfle; Ent 
ihliehung, geäußert usw.). Vgl. dazu Maas, Gaufjalität. — 5 weisen Geib, 
gereift auf. Vgl. dagegen Privatbenugung. Auch in Bewandniß fehlt das t 
wie öfter in den Drucken. — Doppeleonsonanz vermissen wir besonders bei f 
in der Rechtslehre: Begrif, Begrifs, Hofnung, betrift (daneben Begriff, Er- 
Öffnung, verichafft). ff überwiegt in der ZTugenblehre, z. B. beirifft. — An- 
fangsbuchstaben. Im Allgemeinen entspricht die Schreibung den heu- 
tigen Gewohnheiten; doch haben substantivirte Adjeetive mehrfach die Mi- 
nuskel: das ärgſte, ber nächſte, etwas zartes (überwiegend bas Berfprochene, 
beinen Nächten, alles Erwerblihe u. a.), Häufig finden wir ber eine... ber 
Andere, ohne daß ein grammatischer Unterschied die Schwankung rechtfertigte. 
— Auch der Großbuchstabe tritt an ungewohnter Stelle auf, so bei Adjectiven: 
das Häusliche, Gut (Subject zu ergänzen), eine Andere Perſon; bei Präpositionen: 
firaft; bei zusammengeselzten Adjeetiven, deren erster Bestandtheil ein Sub- 
stantiv ist: Grunbunterthänig, Menfchenicheu; nach Semikolon, nach einfach vor- 
bereitendem Kolon (nicht in direkter Rede). Überall herrscht aber die jetzt 
übliche Schreibung, — Zusammensetzung. Wir finden fo gar, jo fort, fo 
wohl (neben fowohl), ob zwar (neben obzwar). — Eigennamen. Verändert 
wurden Wolf, Schaftsbury, Congo, Gauris, Cain, Gremvich, Socrates, Epicur, 
Pyrithous. 

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548 Metaphyſil ber Sitten. 


Interpunetion. Komma ist noch recht häufig zur Kennzeichnung rbe- 
torischer Pausen gesetzt: vor und, welches gleichartige Satztlieile verbindet, 
vor und hinter adverbialen Bestimmungen (z. B. nach Verordnungen des Berfehrs 
unter und mit ihnen überhaupt; aber auch wenn sie ganz kurz sind), Genitiv- 
Altributen, zumal wenn sie von einem Pronomen abhängen und hinter diesem 
ein Substantiv zu ergänzen ist (dem freyen Gelbitzwange, nicht dem, anberer 
Menichen), hinter adjectivischen Attributen (in einem anderen, unter ben Ber- 
bingumgävertrag gehörigen alle), vor adverbialen Attributen (Fleiß, im Wuf- 
fuchen ber Erzgänge), hinter Satztheilen, die mit einem vergleichenden als, wie 
oder mit anknüpfendem mithin, (weder —) nod) eingeleitet sind, vor ober, auch 
wenn es keinen Gegensatz ausdrückt (andererseits fehlt Komma mehrfach vor 
ober, das auf ein entweber antwortet); — bei denn, wo; und, werm; nicht, al& ob; 
fonbern, wenn; ſondern, weil; aber, weil. Dazu kommen überflüssige Kommata 
vor oder hinter oder in der Klammer. In allen diesen Fällen fehlt das Zeichen 
auch häufig, ohne daß ein Gesetz erkennbar wäre. — Nur selten vermissen wir 
ein Komma: hinter Appositionen, vor oder hinter Nebensätzen. — Zuweilen 
würden wir an seiner Stelle lieber Kolon sehen, z. B. nach einem Verbum des 
Sagens vor direkter Rede. — Semikolon ist sehr beliebt. Wir ziehen Kolon 
vor, wo Vorder- und Nachsatz sich scheiden, aber auch vor Nebensätzen mit 
weil, fo bafj. Mehrfach empfiehlt sich besser ein Komma, so, wenn das Zeichen 
vor einem Nebensatz steht und hinter diesem die grammatische Construction des 
Hauptsatzes weitergeführt wird. 

Sprache, Die Fälle, welche ein Eingreifen erfordern, sind durchweg ver- 
einzelt und verschwinden unter zahlreichen Gegenbeispielen. Sie seien in Kürze 
angeführt. Laute. Vocale der Stammsilben. In R (NRechtslehre) findet sich 
nur Imal ausgebrudt, desgleichen in T (Zugenblehre) (auf derselben Seite wie 
auch sonst ausgebrüädt), in dieser außerdem je Imal befümmt, vorfümmt. — 
alsbenn tritt in NR 8, in T 4mal auf, dazu in R ausjchlüßlich (2mal), in € 
Schwürigfeit, jhwüriger (je Imal). — Vocale der Ableitungssilben. Belegt sind 
je Imal die Superlative jchwerejten in R, reineften, engefte in T; der Ind. Imp. 
berubete in T, der Conj. Imp. zuerfennete, anfinnete, zufammenjtimmtete, füblete, 
führete in R, einfchränfete im Anhang zur Nechtslehre, fühlete, daritellete, meinete, 
erfenneten in T. — Die entsprechenden Bildungen des unfl. Part. Perf. treten 
im Ganzen 16mal auf: e ist erhalten nach Liquida in gefället (R), aufgeftellet 
(Unm. zu N, ZT), zerfället (T); nach Resonans in gemeinet (R, T), eingeräumet 
(Z); nach Spirans in angeflehet (R), gerächet (T); nach stimmhaften Verschluß- 
laut in gelanget (R), geliebet, gezeiget (T); nach stimmlosem in bewirfet (R). — 
Für das seltenere flectirte Part. Perf. liegen nur 2 Beispiele aus R vor: erfüllete, 
angebrohete. — Vocale der Flexionssilben. Von Substantiven findet sich Imal Ge 
päde (R), von Verbalformen nur 1Omal die 3. Pers. Sing. Präs. ohne Synkope: 
erhellet (R), offenbaret, gehöret (R), beftehet (R), ruhet (R, I), geſchiehet, fiehet 
(Z), fußet (R). — In & steht Imal ſahe (3. Pers.). — Consonanten. Foderung, 
erfodert tritt nur 3mal in T auf, gewiffenslos 44019 ist wohl Druckfehler. — 


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Orthographie, Interpunction und Sprache. 549 


Flexion. ſeyn kommt 2mal in R vor in der, Bedeutung von jeien (294 
32320). — Wortbildung. In & steht Imal obngefähr. — Syntax. Die Ver- 
wendung der starken bezw. schwachen Flexion der Adjective nach andren Ad- 
jectiven, Fürwortern, Zahlwortern und Präpositionen entbehrt wie immer der 
Festigkeit. Als Beispiele für Abweichungen von der Regel mögen dienen: auf 
öffentlichen, durchs Policeygejeß geordneten Markt (R, ein entsprechendes Bei- 
spiel in X; also trotz des Kommas, durch welches beide adjectivische Attribute 
als grammatisch coordinirt gekennzeichnet sind); einem . . . perſönlichem Rechte 
angemefjen (Anhang zu R; wohl Druckfehler), unfer eigene Wille (R), vor jeder an- 
derer angebotenen Waare (T), vor allem rechtlichen Act (R, 2mal), diefes jelnen 
Werths (T); mit fremden Bebürfniß (T), jeder anderer (R) Zur Flexion der 
Zablwörter vgl. noch in zweyen Theilen (je Imal in R und 3) — Daß die 
Apposition auch in unsern Drucken zuweilen im Casus von ihrem Beziehungs- 
wort abweicht, beweist Plicht gegen fich felbft, als einem animaliſchen Weſen 
(2mal in 3). — 27611 wurde wann durch wenn ersetzt. — In ®R fand sich 
2 mal der Duell, Imal bie Ereigniß. Ewald Frey. 








e recalled after 7 days 


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