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Full text of "Gesammelte Schriften"

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Bierter Band. 





mis von Baumeiferifhen Schriften. 


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Mann ohne Vorurtheil, 


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>) PR Gregorius der Siebente gegen die 
Bifhöfe von Franfreih, von England, 
son Deutfchland, von der halben Welt, 
gegen die empoͤrte ganze Klerifey , nicht 
ohne Sefahr feines Anfeheng, und beinahe 
feines Lebens durchfeßfe, was feine Bor: 
gänger zwar oft verfucht , aber hinauszu⸗ 
führen, vielleicht nicht den günfligen Aus 
genblicf, oder nicht Politif, nicht Wend— 
famfeit, nicht Hartnäckigfeit, nicht Nerve 
genug hatten, da dachte er, wie der Ver⸗ 
faffer der folgenden wenigen Blätter ; daß 
dem Baterlande, ben Gefegen, dem Fürs 
fien, den Mitbürgern, den Zeitgenoffen , 
und der Nachfommenfchaft nichts näher 
verftrichen, nichts mehr anhänglich, mehr 
eigen machen koͤnne, als eine Samilie, 
in der der Menſch Iebt, wieder auflebt, 
durch die er gleichfam fein Daſeyn über 
die zu kurzen Grängen feines Wefens zu 
X er⸗ 


erweitern, und noch mit den fpäteren Ges 
fchlechtern zu leben hoffen fann. Der über 
muͤthige Hildebrand , der Kronen unter 
feine Züffe treten, und auf den Trümern 
ber eingeflürgten weltlihen Gewalt ben 
geiftlichen Defpotismug zu erheben , ven 
Entwurf gemacht hatte, gebot dem Klerus 
die Ehloſigkeit, überzeigt, daß diejenigen, 
welche nun nicht mehr Gatten, noch Bär 
ter feyn würden, auch bald aufhören Bür⸗ 
ger, bald nichts mehr als Priefter feyn 
wuͤrden. Von dem entgegengefeßten Punks 
te gieng ich aus, um Vaterlandsliebe, Uns 
terwürfigfeit gegen Gefege, Anhänglichkeit 
gegen allgemeine Ordnung, Verehrung ger 
gen den Negenten , Achtung und Wohl: 
wollen und Freundfchaft gegen bie Mitge- 
noffen derfelben Nechte, und jede bürger« 
liche Tugend, jede edle, auf die Zukunft 
hinuͤberreichende Handlung an einem Banı 
be zu reihen , welches aus ben einzelnen 
Säden der Samilienverhältniffe gewebt 
iſt 


iſt m Die Folge fohten dann meine Lefer 
ſelbſt ziehen — 

Es gab deren, die diefe Folgen aus einem 
infeftenmäffigen Vorgefühle, tote einer uns 
ferer heiterften Köpfe ſich ausdruͤckt, uber: 
holten, fo fehr ich meinen Zweck zu ver⸗ 
bergen , und meiner Reife bloß dag An- 
fehen eines Spaziergangs zu geben fuch- 
fe, Meine erften Blätter hatten cher die 
Geftalt eines leichten Romans, als einer 
Schrift, worin man auf ernflere Gegen: 
fände ftoffen wiirde, Aber mir den Weg 
zu vertreten, faßte man gerabe das als 
Vorwand an, wodurch ich mich zu fichern 
gehofft hatte, Man fchien meine Abſicht 
nicht zu errathen, man blieb nur bei dem 
Eingange ftehen : man ftellfe vor, von mwel- 
cher ſchaͤdlichen Wirkung ein nicht wenig 
gelefenes Blatt ſeyn koͤnnte, das Liebe 
predigte, daß die ungeftümfte aller Feiden- 
fchaften zum Triebmwerfe aller Buͤrgertugen⸗ 
ben zu erheben, und ein Siſtem von Patrio- 

2 tis⸗ 


tismus darauf zu gründen wagte. Durch 
eine fehe gewöhnliche Tafchenfunft ver- 
taufchte man die Begriffe, und fchob an 
den Plaß ber ordentlichen Liebe ihre Geg- 
nerinn die Ausfchweifung unter. Dann 
fchlug man Lärm über die bevorftchende 
Gefahr eines ‚allgemeinen Verderbniſſes, 
fegte Familien über die Zuͤchtigkeit ber 
Töchter , über die Sitten der Söhne in 
Angft, und beunrubigte felbft die öffentli- 
che Aufficht, die, vielleicht weniger e8 für 
Nothwendigkeit hielt, als der Ungeftüme 
nachgab, da fie nicht weiter fortzufahren 
befahl, und nur ſchwer zu bewegen war, 
zu erlauben , in dem letzten Blatte die 
Urfache, warum über dieſen Gegenftand 
fo haftig ahgebrochen warb, erratben zu 
laſſen. 


J 


S strates mit dem Giftbecher im der 
- Hand, Eamillus zu Vejos fluͤchtig, und 
ber Ueberwinder Annibals unter einem 
Steine begraben, der Rom die Graufam- 
feit gegen feinen Netter vorwirft, und dem 
undantbaren Daterlande feine Gebeine 
mißgönnet *), müffen die Blicke eines 
jeden an fich ziehen, der hingeht, und 
einer Gefelfchaft näglich werden, und dag 
Licht der Vernunft in derfelben herumtra= 
gen, und feinen Arm zu ihrer Vertheidi— 
gung ausftrecfen, und ihre Sicherheit mit 
feinem Leben Isfen, und den Grundftein 
ihres Ruhms, ihrer Gröffe, mit feinem 
Blute einweihen will. Die Geſchichte als 
A3 ler 


) Auf dem Grabe Scipions, welches in «ie 
nem Weile wor, den nicht einmal der Aufe 
enthalt diefes berühmten Mannes bekannt 
mahen konnte, Hund nah feinem Verlangen 
geſchrieben: ingrata Patria ! ne offa quidem 
mea habeas ! undankhares Vaterland! nicht 
einmal meine Sebeine folk du befigen ! — 


6 Der Mann 


ler Menfchen , die irgend Staaten unter- 
fcheidende Dienfte geleiftet haben, von den 
CLikurgen, bis auf die Enciklopediſten, 
von den Manliern, die das fchon erftie- 
gene Kapitol den Galliern entreiffen, bis 
auf...» » die durch Herfiellung einer 
bereit getrennten Schlachtordnung das 
Schickſal eines Krieges und eines ganzen 
Reiches entfcheiden, vom Clitus, melcher 
den Alerander im Gewuͤhle ver Schlacht 
von dem ſchon empor gefchwungenen Etreir 
che fichert, bis auf den Höfling , welcher 
das Degengehäng bes Bafılius entzwey 
bauet, um den Kaifer von dem Geweihe 
bes Hirfchen zu befreyen, die Gefchichte 
aller diefer ift eine und diefelbe; Verfol⸗ 
gungen, Feſſeln, Verweifungen, Todten- 
gerüfte, oder wenigſtens unwuͤrdige Ver: 
geffenheit! Die. Jahrbücher der Verdienfte 
find zugleich die Jahrbücher des Sffentli- 
chen Undanks. 

Soll dieß ben Mann , der wie ber 
Sohn des Sophronisfus den Beruf von 
oben ber empfangen bat, folk es ihn zu= 
ruͤcktreten machen ? — Wenn er fich ver- 
dingen, uud: fein Tagwerk nach dem Lohne 
verrichten will, um den er am Abende ſei⸗ 

nes 


ohne Vorurtheil. 7 


nes Lebens die gemiethete Hand ausſtre⸗ 
det; wenn er ein Soͤldner feiner Mitbuͤr⸗ 
ger werden will, da er ihr Wohlthaͤter 
feyn konnte, o ſo kehre er, durch ſo un⸗ 
endliche Beiſpiele gewarnet, auf ſeinem 
Wege um, und ſterbe in dem Schatten 
feiner Huͤtte, unangefochten und unbe— 
ruͤhmt! | | 

Aber , wer fih groß genug fühlet, 
auf jede Vergeltung, auch auf die ſchmei⸗ 
chelhaftſte Vergeltung des Ruhmes, Ver⸗ 
zicht zu thun; wer ſich ſtark genug fuͤh⸗ 
let, feinen Mitbuͤrgern Aufklaͤrung, oder 
Schutz aufzudringen, der bleibe vor den 
Denkmaͤlern der Undankbarkeit mit uner⸗ 
ſchuͤtterter Standhaftigkeit und dem Ent= 
ſchluſſe ſtehen, ſich, wie ein Decius, zum 
Opfer des Vaterlandes einzuweihen, oder 
den Schlund, aus welchem die verheerende 
Seuche heraufſteiget, wenn es fo noth⸗ 
wendig iſt, wie ein Kurtius, mit ſeinem 
eigenen Leibe zu fuͤllen! — 

Traͤumer! ſpricht hier, der mich 
lieſt, und legt das aberwitzige Blatt be— 
mitleidend aus feiner Hand; Träumer, 
der enffernet vom Streite, den Helden 
fpielt , und alle die Fäden noch nicht. ken⸗ 

14 net, 


8 Der Mann 


net, burch die man an der Gefellfchaft hängt, 
und die man nicht mit lachendem Mun- 
. be entjweyreißt, um, einer Tugend, wel⸗ 
che man in unfern Zeiten Thorbeit nennen 
wuͤrde, und einem Ruhme, einem leeren 
Nachhalle , der! einige Zeit in den Ohren 
ber Nachkommenſchaft tönet, und bald 
unter dem Übrigen Gelärme nicht mehr ver> 
nommen wird, einem Ruhme und einer 
Tugend, Frau und Kinder, und Gluͤck, 
und Gemächlichfeit und Verwandtſchaft 
zum Dpfer zu bringen! — „ 

Wenn diefe Unmerfungen wahrhaft find, 
wenn fie allgemein gemacht werben fönnen, 
weſſen Händen follen die Öffentlichen Angele⸗ 
genheiten anvertranet werden, bei deren Lei⸗ 
tung aller Eigennuß entfernet, wo ohne Ab⸗ 
fiht , ohne Anſehen, ohne Hoffnung und 
Furcht, ohne Leidenfchaft zu Nath gegans 
gen , überlegt, entfchloffen , ausgeführt 
werben fol? — Wenn die Privatverbin- 
dungen, je näher fie ung an die einzelnen 
Gegenftände hinziehen, deſto weiter. ung 
von dem Allgemeinen abziehen , in weſſen 
Seele wird man die mächtige Triebfeder 
ber fchönen und gemeinnügigen Handlun⸗ 
gen, den Spirit public auffuchen, wovon 

viel: 


ohne Vorurtheil. 9 


vielleicht die einzige Nation; die für den 
felben einen eigenen Namen , auch von 
demfelben den eigenthümlichen und richti- 
gen Begriff hat? 

Diefer Spirit public, den ic) durch 
Gefellfchaftsgeift überfege, wird mich in 
diefer legten Abtheilung befchäftigen, mit 
welcher ich die gefahrvolle Mühe , meine 
Mitbürger zur Leftur einzuleiten, beſchluͤſ⸗ 
fen werde, 

Meine Betrachtungen werden nicht als 
einzelne Stücke, von einer nur willführ- 
lichen Verbindung, fondern in einem Zu— 
fammenhange, davon die Fäden fichtbarer 
feyn werden, erfcheinen. Ich werde ben 
Geſellſchaftogeiſt in feinem eigenthuͤm⸗ 
lihen Wefen beobachten , und baffelbe 
voraus feftfegen. Ich werde dann burch 
alle Stände des gemeinen Weſens durch- 
ziehen, und bei jedem Stande die Kolgen 
feiner Gegenwart, und bie traurigen Fol⸗ 
gen feiner Abmefenheit wahrnehmen, Sch 
merbe feinem Stande heucheln, ſo weit 
naͤmlich, als es die Achtung zugiebt, die 
man jedem Stande nach dem Maſſe ſeines 
Beitrags zu der oͤffentlichen Wohlfahrt 
nicht verſagen kann, ohne die Ordnung 

A5 un 


10 Der Mann 


um und über zu ſtuͤrzen, an deren Auf- 
rechthaltung dem Glücke der Staaten un: 
endlich mehr gelegen ift, als an allenSchrift- 
fiellern und fchönen Geiftern in der Welt. 

Ich verbitte bei diefem meinen, voraus 
angefindigten Plane gleichwohl recht fehr 
die Erwartung eines mühfanen philoſo— 
phifchen Syftems , das fi) mit Erfld- 
rungen bemengef ‚, intheilungen und 
Untereintbeilungen macht, und indem 
es fich gegen den Lefer einer gar zu ge— 
wiffenhafeen Puͤnktlichkeit befleißt „ ihm 
ein efelhaftes Gerippe vorbält, von dem 
er feine Augen abfehret, die es nicht ver— 
fchuldet haben, fo unbarmberzig gequäler 
zu werden. ch denfe, wenn ich fo glück- 
fich feyn kann, ein Gebäude aufzuführen, 
deffen Pracht und Ebenmaß überhaupt zu 
gefallen fähig iſt; fo erläßt mir der groffe 
Theil den nacten Grundriß und Durch— 
fchnitt, und die Vorrechnung aller ein 
zelnen Verhaͤltniſſe unter ſich und gegen 
das Ganze. Kritiker mögen ſich dag 
diirre Vergnügen der Zergliederung ſelbſt 
machen ! 

Doch mit welchem Danfe der Mitbuͤr⸗ 
ger ergreife ich den Stab wieder , meine 

Mei- 


ohne Vorurtheil. ti 


Reife fortzufegen 9 werde ich beftändig 
wegen Anfälle aus Hinterhalt beſorgt 
ſeyn müffen? wird es mir mie vergönnt 
feyn, auf meinem Wege die frohe Stimme 
des Wanderers hören zu laſſen, deſſen 
Sorglofigfeit der Lobfpruch der öffentlis 
chen Wachfamfeit it? — 
0 Werde ich immer den Eigennüßigen 
laͤrmen hören, wann ich von der Uneigen⸗ 
nüßigfeit fprehe? wann ich die. Steige: 
rung der Bedienungen, oder das Feilbie- 
ten des Rechts erwaͤhne, wird der Aus— 
rufer, den ich nicht genannt habe, feine 
Stimme felbft erheben , und ſich dadurch 
fennbar machen? Freunde! wie unbehut⸗ 
fam ift das immer. von ihnen gehandelt, 
wann Sie durch ihr Zettergefchrey es aller 
Welt fund machen, daß Sie verwundert 
Äind! Vielmehr fprechen Sie mit einge: 
biffenen £ippen : ich bin es nicht! und 
wenn Sie ja die Wunde rächen wollen, 
fo fen der Gang ihrer Nache Teife und im 
Verborgenen, wie der Gang des mitter- 
nächtigen Gefpenftes ! die Handlung und 
das Vorbild dazu find ihrer wuͤrdiger. 
Ah fühle den Einfluß des Stoffes, 
den ich behandfe ; er erhoͤhet mich gewiſ⸗ 
ſer⸗ 


12 Der Mann 


fermaffen über mich felbft. Ich entfage 
dem Beifalle meiner Zeitgenoffen ; ich gebe 
ihnen meinen Fleinen Ruhm preis; bereit, 
wenn das Dpfer dem Vaterlande nügen 
kann, ein gleiches mit meinem Gluͤcke zu 
thun. Sie mögen, wenn fie wollen, mei- 
nen Namen vor meinen Zeitverwandten ge= 
ringſchaͤtzig machen! Aber ich fodre fie vor 
den Nichterftuhl der Zufunft, die nicht be— 
ftochen , nicht übertäubee wird , mo fie 
nicht daß Necht , allein zu fprechen, an 
fic) ziehen, mo meine Stimme vielleicht 
unendlich läuter als die ihrige wird ge= 
höret werden: dahin fodere ih Sie, und 
rufe ihnen zu, was Sie nicht zu beden⸗ 
fen fcheinen: die Seele des Menſchen, 
und das Andenken des redlichen Manz 
nes find unfterblich — 


op 27 20 


N, waren einzelne , abgefönderte 
Geſchoͤpfe, und waren feine glücklichen 
Geſchoͤpfe. Zu der Stufe von Glückfelig- 
feit wenigſtens, hatten wir ung nicht er= 
hoben, fiir welche wir ung beſtimmt fühl- 
ten , und deren Nichterreichung wir als 


einen unglücklichen Zuftand anfehen moch⸗ 
ten, 


ohne Borurtheil. 13 


ten , weil e8 die Abweſenheit eines Gutes 
war , das für ung befchieden ift, das zu 
- erwerben, in unfern Kräften ſtund. 

Wir vergefellten ung, und das brach⸗ 
te ung dem Gipfel, den wir vor ung hat— 
ten, je näher und näher, Es ward aug 
dem gemeinfihaftlichen Zuthun, aus dem 
wechfelweifen Beiftande ,„ wenn ich fo 
fagen darf , eine Maſſe des Wohls zu: 
fammgefest, die in der Mitte lag, zwar 
allen angehörte, aber von einem jeden als 
fein Eigenthum durfte angefehen werden. 

Wenn ic) dieſes Gleichniß zur Allegorie 
hinausführe, fo wird fie die Stelle einer 
philofophifchen Erklärung vertreten — geb 
diefen Stein auf! fpreche ich zu einem 
Menſchen. Es ift ein Stein von einigen, 
wenigen Pfunden , er bringe ihn ge— 
mächlich von der Stelle. Nun ift eben 
derfelbe Stein mit vielen andern , deren 
feiner für fi) am Gewichte mehr enthält, 
in ein Gebäude, :oder fonft auf eine Art 
verbunden, Sich fage eben zu dem Men: 
fchen : ſchaffe diefen&tein beifeite! Es ift 
ihm unmöglich: die Schwere des ganzen 
Klumpens widerſteht feinen Kräften; fie 
ift Die Schwere des Theils geworben. 

Es 


14 Der Mann 


Es war alfo der Vortheil eines jeden 
Einzelnen, feinen Eleinen, unb dem Ans 
laufe jeder geringen Kraft preisftehenden 
Antheil von Wohl, fo nahe als möglich, 
an das Ganze anzufchmiegen, fo untrenn- 
bar, alß es nur bei ihm fand, mit dem— 
felben zu verbinden. Aus diefer Verbin> 
dung entftand eine Lafl, die durch eigene 
Schwere unbeweglich ward. 

Vielleicht war diefes anfänglich weiter 
nichts als ein Entwurf, eine Betrachtung : 
Erfahrung, Vorfälle brachten fie bis zur 
Veberjeugung : und e8 ward nunmehr zu 
einer genugfam erfannten ,: tief einge— 
prägten Wahrheit: das Beil eines je- 
den @liedes der Befellfchaft, iſt in dem 
Beile der Gefellfchafe. 

Je lebhafter diefe Ueberzeugung ift, wo⸗ 
ferne fie bis zu dem Grabe erhöhet wird, 
daß fie gleichfam als ein finnliches Bild 
allgegenwärtig mit berumgetragen , auf 
alle Fälle angepaffet, in jedem Gefchäfte 
fich felbft vorgehalten wird , deſto aus— 
brechender find ihre Wirkungen, defto haͤu⸗ 
figer die Verläugnungen einzelner Vor— 
theile, die, fo großmuͤthig fie dem Auge 
desjenigen erfcheinen mögen, der daß ge⸗ 

bei= 


öhne Borurtbeil. 15. 


heime Triebwerk derfelben verfennet, in 
der That anders nichts find, als daß ein 
kleiner Vortheil für einen gröfferen, ein 
gegenwärtiger , kurzer für einen ent⸗ 
fernteren , dauerhafteren dahin gegeben 
wird. Eine mindere Eigenliebe wird durch 
eine gröffere von ihrer Stelle verdrängt. 
Geſetzgeber! vergeffet nie, daß ihr 
Menſchen zu führen habt! dag ift, Ge: 
fchöpfe, denen ihr eigenes Wohl dag fühl: 
barſte, vielleicht darf ich fagen , denen 
nur ihre eigenes Wohl fühlbar ift , bie 
alles im Kreife um fie herum, auf ſich als 
den Mittelpunft, zuriick führen, Gefchöpfe, 
die auf einem unfennbaren Sandforne der 
Erde hochmuͤthig fprechen : zu meinem 
Dienfte welzen fich oben die unzähl— 
baren Sonnen. Bei Gefchöpfen diefer 
Art fucht man vergeblich einen Beweger 
ber gefellfchaftlihen Tugend auffer dem 
Herzen besjenigen, bei dem man fie her— 
vorbringen will , und diefer Beweger ift 
der Eigennug. Die Natur hat ung abge⸗ 
ſoͤndert gefchaffen,, der Eigennug hat ung 
zufammgebracht. Man folge diefem An- 
ftofie der Natur! und fuche das Band der 
Geſelligkeit nach diefer Richtung fefter zu: 
famm 


16 Der Mann 


ſamm gu ziehen! man wiffe bei denen, die 
man leiten fol, die lebhafte Ueberzeugung 
hervor zu bringen: daß ihr felbft eigener 
Mugen der Endzwed aller Anftalten, 
aller Geſetze iſt — und man hat den 
Geſellſchaftsgeiſt erfchaffen! — 
Zwar hat er in der Geftalt, in welcher 
tch ihn erfcheinen laſſe, uhne Zweifel vieles 
son dem glänzenden Auffenwerfe verloren, _ 
unter welchem ihn der Redner erfcheinen 
zu laffen, und wir, denen feine bilder⸗ 
reiche Einbildungsfraft Vergnügen erwe⸗ 
cket, denfelben uns allemal vorzuftellen 
gewohnt find. Aber der Nebner hat feis 
nen Endzweck, wenn er von dem Gefell: 
fchaftsgeift prächtig wefprochen hat , er= 
reichet, der Philofopb nur dann, want 
er ihn hervorgebracht hat, Der erfte 
hat ein reizvolles Weſen dahin gezaubert, 
und e8 dauert ung, wann bie rednerifche 
Hitze verflogen ift, daß es nur ein Blend— 
werk fenn fol. Der andere nimmt ein 
Weſen, deffen Anziehungen weniger ſchmei— 
cheln, aber wahrhaft find. Der erfte fpricht : 
Bewundre! und meiften® denft er, mich, 
Der zweyte fpriht : ahme nach ! und 
vielleicht Fann er mit minderem Stolze 
auch 


ohne Borurtbeil. 17 


auch denfen, mid). Der Redner will feis 
ne Gefchieklichfeit, der unterrichtende Phi— 
lofoph die Wahrheit zeigen ; und wenn e8 
dem erſten je gelinger, bis zum Entfchluffe 
zu begeiftern , fo ift diefe Begeifterung 
das Werf einer überhinfahrenden Aufwal⸗ 
lung , eine jaͤh auffchlagende , und — 
fhon wieder erlofchene Flamme ; von dem 
andern aber läßt man ſich aus Leberzeus 
gung dahin führen, wohin man fol! — 

Die Klagen der Schriftfteller über die 
Verſchwindung des Befellfchaftsgeiftes 
find daher fehr ungerecht; und vielleicht 
find wir mehr berechtiger , ung über fie 
ju beflagen , und felbft alle Schuld dieſes 
Uebels auf fie zu waͤlzen — 

Wie, wenn fie einem Menfchen zuru— 
fen : gebe. hin! höre auf zu denken, 
zu empfinden ! opfere dich für das ge— 
meine Befte, an dem du ferner Feinen 
Theil nehmen Fannft! Verzehre dich 
bei der nachtlichen Lampe durch Wa: 
hen und Nachdenken! Stelle dich mis 
Entſchloſſenheit dem Schlunde der Ka: 
nonen entgegen! fieb deinen Sohn da— 
bin fallen, in der Blüthe feines Al: 
ters, im Frühlinge deiner Hoffnungen, 

IV, Band, B und 


18 Der Mann 


und wende dein Aug davon nicht ab! 
Gieb es bin dein Gut, und denfe 
daran nicht, daß du, deine Battinn, 
deine wimmernden Kinder bungern 
werden ? Härte dich gegen den Schmerz ! 
das ift die Bürgerpfliht — Warum 
fagen fie dem, Menfchen nicht : böre auf 
ein Menſch, ein fühlbares, fich ſelbſt 
tiebendes Geſchöpf zu ſeyn! eben fo 
leicht werden fie biefes bon ihm erhal- 
ten: oder beffer , fie werden ihm daburd) 
nichts, was von jenem unterfchieden iſt, 
auferlegen. Wenn ja in der Gefchichte fol 
che Helden uns gezeiget werden, mer fteht 
uns für die Unfehlbarkeit diefer Erzaͤh— 
lungen? Es ift der hoͤchſte Grad der Tu— 
gend , zu deren Ausübung nur wenige 
Seelen erwaͤhlt find: oder follte ich nicht 
vielmehr fagen dürfen: es ift der böchfte 
Grad der Fühllofigkeit, die den Menfchen, 
wenn fie allgemein werden fönnte, in das 
unglücklichfte Gefchöpf in der Welt um⸗ 
geſtalten wuͤrde. Man fagt: böre auf 
dich zu Lieben! Nun, wer fich felbft nicht 
liebet, was in der Welt follte der zu 
fieben, fähig feyn? wenn ich mit meinem 
eigenen Vortheile nicht an der Gefells 
ſchaft 


ohne Borurtheil, 19 


ſchaft hange, durch was ſoll ich feſter an 
ſie verbunden werden? 

Alle dieſe hochtrabenden Wortkraͤme⸗ 
reyen von Selbſtverlägnung, von Auf⸗ 
opferung, Uneigennutz, und wie die 
Schallwoͤrter immer: heiſſen mögen, lau« 
fen dahinaus, daß Unmögliche zu fo 
dern, und daher auc) Fichte gu erhalten : 
Nichts, oder etwas dag feinen Folgen 
nach, dem Lichte gleich zu fchägen ift, 
einen Zochmuth, der -fich hinter den 
Begriff des Edelmuths vor der Entlar— 
vung fiher hält — einen Hochmuth, der 
alles, womit ung die Abficht des Schoͤ— 
pfers zu unferm Dafeyn deſto untrenne 
barer verbinden, alle8 , durch was die 
Borficht unfer Dafeyn glückfelig und rete 
gend machen wollte, zu Boden tritt, und 
fi beinahe ſelbſt; — um einen Namen, 
deſſen er nicht mehr genieflen wird, zu 
erjagen. Set aus Hochmuth ein Schlacht= 
opfer des Allgemeinen , würde dag All— 
gemeine gewiß das Schlachtopfer feines 
Hochmuths feyn, wo er ſich dadurch. eine 
dauerhaftere und gemiffere Unfterblichkeie 
su verfchaffen glaubte. 


92 An⸗ 


20 "Der Mann 


Anftatt den Anfang zur Anfachung des 
@efellfchaftsgeiftes damit zu machen , 
daß man den Bürger von allem dem ab- 
zieht, womit ihm die Natur an das Bas 
terland gefmüpfet hat, anftatt ihn gleich- 
fam von fich feldft zu trennen, wuͤrde ich 
diefe Bande vielmehr näher anziehen, nnd 
ihn felbft durch diefelben an den Altar 
binfäffeln, an welchem er, unter gewiſſen 
Umftänden fo foftbare Opfer zu ſchlachten, 
bemiüffiget feyn wird. Sch würde fprechen : 
feyd eiferfüchtig über euer Eigenthum! 
die Srüchte eures Schweiſſes find Güter, 
deren Befig euch ſchätzbar ſeyn muß! — 
Lieber eure Gettinnen! die Liebe ift 
ein unfchägbares Geſchenk der Vorſe— 
Hung, euch die Bitterfeiten des Lebens 
zu verfüflen:: ein zaͤrtliches Gerz ifl eis 
ne Gabe, womit fie ihre Lieblinge 
unterfcheidet — Liebet eure Kinder! 
fie find ein Theil eurer felbft, ein Pfand 
der reinften Slamme eurer Feufchen 
Gattinn! — Wiflet das Leben, eure 
Gefundbeit, eure Gliedmaflen zu ſchaͤ⸗ 
gen! ihr feyd fo, wie ihr feyd, aus 
der Werffiätte des Bwigen geſendet 
worden — Und dann, wenn ich biefes 

als 


ohne Vorurtheil. 21 


alles gefprochen Hätte, wenn ich die Fol- 
gen meines Zuſpruchs fichtbar wahrnaͤh⸗ 
me, dann'fegte ich hinzu: aber eier ein= 
zelnes Eigenthum ift nicht ficher , wo 
das Allgemeine es nicht iſt — Die 
Llichtbefletung eures Khebettes hängt 
von den unbeflekten allgemeinen Sit⸗ 
ten ab — Wollt ihr eure Kinder, eure 
Battinnen, eure Güter, euer Leben der 
Gefahr entreiffen, ſetzt das Materland 
auſſer Gefahr ! — 

Nun mag fi) der Fall ereignen , mo 
nur blutige Schlachtungen das dräuende 
Schickſal verföhnen fönnen! die Bereit: 
willigfeit fi , und all dag Seinige hiezu 
gu weihen, muß in Aller Herzen auflos 
dern; jedes ift begierig, fich alles das zu 
erhalten, was ihm ber natürliche Hang, 
und die eingeflößte Denfungsart noch 
theurer machen: und er ift überzeugt, daß 
er e8, ohne die allgemeine Aufrechthaltung, 
nicht erhalten kann. So made ih, daß 
dem Staate uneigennügige Bürger , bie 
ihre Vermögen willig anbieten, daß ihm 
tapfere, die nicht achten ihres Bluts und 
Lebens, daß ihm folgfame , bie feinen 
Gefegen mit blinder Unterwürfigfeit ges 

B 3 hor⸗ 


22 ... Der Mann 


horchen, | nicht fehlen werben — fo lange, 
es ihm an Menfchen nicht frolen wird, 
die fich lieben — 


PET URN 


Mir das Syſtem, welches von dem 
©efellfchaftsgeift hier angenommen wird, 
auch gegen eine genaue philofophifche 
Prüfung nicht ftandhaft genug; fo wäre 
es immer bagjenige , daß fich mit dem 
menfchlihen Wunfche am genauften ver— 
trögt, das ſich den menfchlichen Neigun— 
gen am fchicklichften anpaſſen läßt, und 
von darum auc) in der Ausführung wer 
niger Schwierigfeiten als jedes andre fin- 
den wird. Es ift das Syſtem, welches 
die Menfchen glücklich machen wird , weil 
es die Foderungen auf beiden Eeiten gleich 
fiellet, da die ftolgen Syſteme, welche 
bis bieber immer noch als eine Stimme, 
in der MWüfte gerufen haben, die Buͤrde 
ganz und einzig auf den Nacken fich em— 
pfindender Gefchöpfe gewälzet haben. 
Ach — fpreche num zu der Gefellfchaft: 
ſey eiferfücht'g, die Rechte, das Gut, 
die Perfon jedes einzelnen Mitgliedee 
. zu 


ohne Borurtheil. 23 


zu bewahren! denn, wo das Ganze in 
Sicherheit feyn foll, muß Fein einzel: 
ner, Theil Gefahr Iaufen — und dann 
fpreche ich zu ben einzelnen Bürgern : 
bewahret das allgemeine Wohl! denn 
das eurige machet einen Theil deflelben 
aus, der für fich nicht beftehen Tann! 
So wird die Geſellſchaft, um fich ſelbſt 
zu erhalten, die Hüterinn und Währmän- 
ninn eines jeden Einzelnen; und fo jeder 
einzelne aus eben dem Grunde der feldft 
theilnehmende VBertheidiger des Ganzen. 
E8 werden, num weniger Winfelzüge, 
Schmiegungen und Ausbeugungen nöthig. 
feyn, um einige Erfcheinnngen des Ge— 
fellfchaftsgeiftes zu erklären. Sokrates 
fol heute von den Athenienfern dag Ur— 
theil erhalten, den. Giftbecher zu trinfen; 
feine Freunde befuchen ihn. Ich bin ge— 
Fommen , fpricht unter ihnen einer, dir 
deine Säflel abzunehmen, und in diefer - 
Kleidung deine SIucht zu erleichtern — 
id) fliehen? fragt Sokrates. Ja Freund! 
flieben , dich der Verfolgung deiner 
Seinde entziehen : Athen die Schande 
und die Reue erfparen, daf es den 
tugendbaftfien Mann ermordet ‚babe. 
SE Ich 


24 Der Mann 


Ich fliehen ? fragt. Sokrates abermal, 
ja Steund, flieben; und dich Länger 
noch deinem Weibe, deinen Sreunden, 
deinen Schülern, der Tugend erhal: 
ten! Sind das Feine Beweggründe, 
das Leben zu Lieben ? — Ja! aber feine 
Beweggründe, bie Gefege fraftlog zu mas 
chen. Laß hören, mie fo vortrefflich dein 
Rath iſt? Die Richter find gegen mich un— 
gerecht! wenn e8 dem Sofrates erlaubet 
ft, die Geſetze des Unrechts zu beſchuldi— 
gen, fo muß das jedem Uebelthäter eben 
ſowohl erlaubt feyn, oder wer bat eurem 
Freunde vor feinen übrigen Mitbürgern 
ein Recht eingeräumt ? Nun denn, feht 
die Gefeße, die Gerichte ihres Anfebeng , 
ihrer Gewalt entfeget » das Unrecht zu 
beftrafen. Ach fterbe meine Freunde! es 
es ift befier fterben, als in einer Stadt 
leben, worin die Gefeße nichts vermögen, 
und jeder Boͤſewicht über diejenigen ur 
theilet, die dazu gefegt find, ihn zu ver⸗ 
urtheilen — 

Sofrates gegen ben Freund fährt fort: 
du haft ein Weib , Haft eine Tochter und 
Söhne, haft einen Mayerhof. Gemalts 
that und Raub leben auf, wenn mein 

Bei⸗ 


ohne Vorurtheil. 25 


Beiſpiel die Geſetze toͤdtet. Sieh einen 
Knecht feiner geilen Luft deine Frau bee 
flecken! einen andern deine Tochter ent: 
ehren! ſieh deinen Sohn am hellen Mit: 
tage in ein Schandhaus hinreiffen:! -ein 
mächtiger Nachbar 'treibet dich aus dem 
Befige deines Gutes , und verpflüget den 
Rain eurer angränzgenden Aecker in fein 
Feld. Laß deinen Freund fterben, damit 
den Gefeken die Macht ‚verbleibe, dein 
Ehebett unbeflecft, deinen Sohn und deine 
Tochter ungefchändet, und dich unverdrune 
gen von deinem angeerbten Felde zu er: 
halten. *) 

So flug der nachdenfende Griech die 
angebotene Flucht aus, nicht aus Verach⸗ 

B 5 tung 


) Dieſes Heine Gefpeah iſt nicht aus den 
bekannten Gefprachen des Sofrates, welche 
von feinem Echüler aufbewahret, oder 
untergefchoben worden. Es waren aus dem 
Plato und Kenoyhon ſchöne Stücke anzufühs 

- zen geweſen; aber ich habe mir erlaubt, 
mich felbft in den Charakter und die Umſtände 
des erfien Martirers der Weltweisheit hinein 
zu denken, und fo zu reden, wie er wahr- 
ſcheinlich geredet haben würde. 


26 Der Mann 


tung des Lebens, noch fonft einer Urfache, 
die man insgemein den nicht täglichen 
Handlungen anzudichten pfleget, fondern 
aus Ueberzeugung , daß fein Beifpiel Ges 
fege und Gerichte über und umſtuͤrzen, 
und ihn, und feine Angehörigen und feine 
Freunde Gewaltthaten preis geben würde, 
vor denen der Tod unendlicd wuͤnſchens— 
werth if. Das Verdienft des Philofo- 
phen. ift nicht von Seite feiner Aufopfer 
rung. Man findet e8 nicht aufferordent- 
lich ‚ daß ein Neifender dem Näuber, der 
ihn überfält, feinen Beutel freywillig ab⸗ 
giebt , um daß Leben zu retten, ba er 
bei feinem Widerftande verlieren, und fein 
Geld dennoch nicht gerettet haben würde. 
Sofrates machet fein Leben, bag in eis 
ner gefeßlofen Stadt vor Aniten und 
Meliten doch nicht geborgt geweſen waͤ— 
re, zum Löfegelde feiner Familie und 
Freunde. _ Das Verbienft ift in der Leb- 
haftigkeit des Beweiſes, durch welchen er 
fi) und feine Schüler von dem Bande 
des befondern Wohls mit dem allgemei= 
nen , fo durch die Geſetze aufrecht erhal— 
ten wird , überzeuget bat. Die Folge 
war nothwendig; aber die Urfache, aus 
wel: 


oßne Vorurtheil. 27 


welcher die Folge abflieffen mußte, Ber 
war fein Werf, 

Nah dem Philofophen find vielleicht 
die drey hundert Lacedoͤmonier, welche 
ſich unter Anfuͤhrung des Leonidas bei 
dem Paſſe der Thermopilen den Perſen 
entgegengeſetzt, und durch ihren Tod die 
Freyheit Griechenlandes zu erkaufen be= 
reit waren, die Geprieſenſten. Die That 
iſt groß, aber das Auſſerordentliche laͤßt 
ſich ohne ſonderbare Muͤhe davon abzie— 
hen. Ich ſetze mich an die Stelle des 
Koͤnigs von Sparta, und fuͤhre meinen 
Haufen auf die Anhöhe des Berges Orte, 
Hier zeige ich ihm — vor ihm dag unuͤber⸗ 
fehbare Kriegsheer des Serxes, welches 
ganz Phtiotis kaum faßt ; zu. feiner 
Rechte die Ägeifche See, von ber perfi- 
fchen Flotte ganz bedecket. Ich habe es 
mit Maͤnnern vor, welchen die Reize eines 
wolluͤſtigen Lebens und einer wohlgenaͤhr⸗ 
ten Sklaverey unbekannt, und der Reich: 
thum unnäß if. Sie haben nichts als 
ihre Häufer , ihre Weiber und Kinder, 
ihre Freyheit, und ihre Waffen, dieſe 
Freyheit zu vertheidigen + ich halte an fie 
folgende Rebe, 

„Spar: 


28 Der Mann 


„, Spartaner! bier feht ihr die Feinde 
Griechenlands, und eurer Frenbeit, Tau- 
fend gegen einen aus ung! ihre Menge, 
was geht die uns an? ihr wiſſet nicht, 
euch zu fürchten, ihre wißt zu fierben — 
Sterben wollen wir, ehe wir der Barbaren 
Knechte werden! Aber laßt ung fierben, 
daß unfer Tod unfern Weibern und Kin 
dern die Freyheit erhalte! laßt ung ſter— 
ben, daß unfer Tod den Horden der Bar- 
baren ein Schimpf, Griechenland beil- 
fam, und ung rühmlich fey! Durch diefe 
Enge wird der Schwarm in Theffalten ein» 
bringen... Es ift leicht, mit einem kleinen 
Haufen ihnen den Eingang zu verbieten ; 
aber es ift nicht möglich , wo fie von 
diefem Paffe Meifter find, die fchimpflidh- 
fie Dienftbarfeit zu vermeiden. Wir ge: 
hen in den gewiſſen Tod ; aber wir fterben 
frey, und übergeben unfern Kindern das 
Erbtheil, fo wir von unfern Vätern em— 
pfangen haben , und ganz Griechenland 
wird unferm Sparta feine Rettung fchul- 
big. Doc wer nicht als ein Spartaner 
zu fterben Muth bat, bier find Herren, 
beren Knecht er werben fann. „ 


Eis 


ohne Borurtheil. 29 


Eine folche Anrede legt e8 harten, zum 
Kriege und in Waffen groß gemordenen 
Männern, die nichts fehägbareres fen: 
nen, als eine unangetaftete Sreyheit, nichs 
fhimpflichereg, als vor einem Könige fich 
zu frümen, fie legt eg ihnen nahe, und 
giebt ihnen die Wahl, zwiſchen Tod, und 
ihrer und der Ihrigen Knechtſchaft. Die 
Wahl iſt nicht zweifelhaft. Leonidas 
mit feinen Dreyhunderten hat nicht für 
Griechenland den Tod gemwählet, er bat 
ihn der Knechtſchaft, dem ärgfien, was 
ein Mann von feinen Grundfägen zu er— 
warten hatte, vorgezogen. 

Yuf eben diefe Art würde fi) dag 
Raͤthſel aller unglaublich fcheinenden Tha- 
ten des Alterthums erflären laflen, wenn 
man die Beziehungen und Umftände derer, 
an denen wir fie beroundern, auseinander 
feste. Wir würden finden, daß alle, die 
da fcheinen für das gemeine Wohl etwas 
aufferordentliche8 gethan zu haben, eg 
bloß in Abficht auf ihr befonderes Beſte 
gethban haben: fie haben den Tod, dis 
Verweiſung, Armuth oder fonft eines von 
den Uebeln gemähler , deren freymillige 


Auffichnehmung uns in Erftaunen ſetzet, 
weil 


30 Der Mann 


weil wir die erhabenfte Stufe der Selbft- 
verläugnung damit zu vereinbaren gewohnt 
> find. Sie haben diefe Uebel gemähler, 

weil fie dadurch entweder gröſſere Uebel 
vermieden , oder etwas fich zueigneten, 
deffen Wuͤnſchenswuͤrdigkeit, märe «8 
gleich nur nach ihrem Begriffe, fo unbe: 
grängt war, daß es ihnen um feinen Preis 
zu theuer erfauft fchien. 

Indeſſen wenn der Grund der Handr 
lung geändert wird, der Körper der Hand⸗ 
lung bleibt immer derſelbe. Die Bewun— 
derung fällt nach einer Zergliederung dies 
fer Art freylich hinweg. Defto beffer ! mas 
der Maffe der aufferordentlichen Handlun= 
gen, wie ich mich gerne ausdrücken moͤch⸗ 
te, dadurch von der einen Seite abgezo— 
gen wird, das waͤchſt von der ändern der 
Maffe gemeiner und gleich nüsbarer Pflich- 
tenentrichtungen zu. Mer aufferordent: 
liche Handlungen hervorzubringen bemüht 
ift, muß fih dazu verfehen, nur feltne 
Folgen feiner Mühe zu erblichen. Nur weni⸗ 
ge Menfchen find dazu aufgelegt, fich über 
die Natur megzufesen. Aber Handlune 
gen, die in der Katur gegründet find, 

fom: 


ohne Borurtheil. 32 


fommen täglich vor, und folche ift man 
berechtiget, von jederman zu fodern. 

PR 

U. den Gefellfchaftsgeift unter den 
Gliedern der Gefelfhaft anzufachen, was 
alfo hat der Staat zu thun ? — 

Er hat die Vortheile derfelben zu ver— 
mehren; das ift: er hat die Verhaltniffe, 
unter denen fie mit ihm zufammenhängen 
fönnen, zu vervielfaltigen. jede gute 
Anftalt, wovon der Nugen bis auf das 
Einzelne fichtbar wird, jedes Geſetz, dag 
die Sicherheit befeftiget, jede Verordnung, 
wodurch die Wege der Befchäfftigung aus- 
geftecket, oder geebnet werden, jedes Des 
fireben mit einem Worte, jedes DBeftreben 
eines Vorgeſetzten, das Wohl feiner Un: 
tergebenen zu vergröffern, und dauerhaft 
zu machen, legt dann gleichfam einen zu 
den Fäden hinzu, aus welchen dag Band 
der öffentlichen Verbindlichfeit dichter und 
. bauerhafter wird, 

Wäre es wohl unmsglich , eine Art 
von einem Maßſtabe auszufinden, in mie 
ferne der Staat mit feinem Beftreben bei 

| en die⸗ 


32 Der Mann 


diefem oder jenem Stande feinen Endzweck 
erreichen fann ? wäre es unmöglich , wie 
eine Art von Rangordnung unter den ver— 
fehiedenen Ständen, aus welchen dag ge— 
meine Wefen zufammgefegt ift, zu bes 
flimmen, und den Grad des Wohlwolleng, 
bei dem jeder derfelben ordentlicher Weife 
ftilfe ftehen wird, vorher zu bezeichnen ? — 
Wenn fi das irgend bei einem angenom= 
menen Grundfage vorher fagen läßt; fo 
muß e8 bier feyn, und diefes fällt ſicht⸗ 
bar in die Augen: denn die Grade ber 
Anhaͤnglichkeit für den Staat, find ge— 
rade diefelben mit den Graden ber ver— 
fchiedenen Verhältniſſe, worin jeder 
Stand mit dem Allgemeinen ſteht. 
Bevor ich meinen Weg verfolge, ift es 
notbwendig einem Mißverftändniffe aus⸗ 
zubeugen, das in meine fünftige Berech- 
nung einen ungeheuren Irrthum verbreis 
ten dürfte, Die Verbaältniffe, in welchen 
nur einzelne Privatbärger fiehen, und auf 
einem gewiſſen Zeitpunfte, auf einer ger 
wiſſen Lage der Umftände beruhen ‚um als 
leg mit einmal zu fagen, bloß perfönliche - 
Derhältniffe zu Perfonen , fommen bier 
nicht in Betrachtung + fie beftichen nur 
bitt= 


ohne Borurtheil. 33 


Bittweife ; fie find alſo ſchwankend, manch⸗ 
mal die Frucht der Schwachheit, des Ei: 
genfinnes, manchmal ein empoͤrender Bes 
weis der gemißbrauchten Gewalt des Obern, 
oder der big zu der Aufferfien Fühllofig- 
keit geftählten Geduld der Untergebenen, 

Ich will dem abgezogenen Gedanfen 
einen Körper geben, damit er auch dem 
blödern Auge fichtbar erfcheine. In ei— 
nem Staate, 100 dag Erbgut des gemei- 
nen Wohls unter die Bürger mit vaͤter— 
licher Unpartheylichkeit vertheilet, und 
jede vorzuͤgliche Gunft durch vorzügliche 
Derdienfte gerechtfertiget wird; in einem 
Staate, wo #8 ein Lobſpruch iſt, ein 
Günftling derjenigen zu feyn , die ihre 
Gunft niht, mie der Auswerfer bie 
Schaumünzen auf Geradbewehl, jeman— 
den, der £8 gar nicht vermuthet, an den 
Hals werfen; in einem ſolchen Staate 
darf man von den Günſtlingen der Re— 
genten ohne Zurächaltung fprechen. 

Sie fönnen freylich nicht in Betrach— 
tung fommen , wenn ber. angenommene 
Mafftab in unferen Händen nicht betruͤ— 
gen fol. Diefe Gattung Menfchen fennen 
ganz feinen Gefelfchaftegeift; fie find 

IV. Theil, . des 


34 Der Mann 


des einfachften Begriffs deffelben unfähig. 
Die Vortheile, welche die Gefellfchaft ih⸗ 
nen gewähren Fonnte, find unter dene: 
nlgen, mit denen fie die unterfcheidende 
Gnade ihrer Fürften uͤberſchuͤttet, ganz ver⸗ 
ſchwunden. Ihre Eigenliebe hat alfo auch 
den Fleinen Faden gar bald fahren laſſen, 
um mit beiden Händen die Kette zu faſſen, 
an der fie vielleicht nicht feltner fchleppen 
als gefchleppet werden. Sie leben alfo 
nicht für die Geſellſchaft; fie leben für 
ihren gerrn; fie richten ihre Handlun— 
gen dahin, nicht jener nüglich, fondern 
diefem gefällig zu werden. 

Da ihre befonderen und fo uͤberwie⸗ 
genden Vortheile nicht mit der Geſell— 
Schaft, fondern der Perfon des Negenten 
und feinem Leben verfnüpft find; fo bat 
auch er nur ihre Zuneigung , ihre Dienft= 
fertigfeit, ihre Wuͤnſche. Sie würden es 
mit unentfärbtem Angefichte anfehen Fön: 
nen , daß das Gebäude der äffentlichen 
Wohlfahrt zu Triimmern gienge, bätten 
fie nur nicht zu befürchten, daß die Schutt 
auch die Duelle verftürzte, aus ber fie 
bis bieher fo ohne alles Maß zu ſchoͤpfen 
gewohnt waren. 

Dier 


ohne Borurrheil. 35. 


Diefes Geftändniß wird und in dem 
Munde eines Mannes defto mehr erfchilt: 
fern, der in einer von den Ausſchuͤttungen 
des Herzens, welche nur unter Leuten von 
gleicher Denkungsart ftatt finden, feinen 
Charakter in der ganzen, fcheußlichen Ge— 
ftalt aufgedeckt hat. Ohne Zweifel war 
dieſe Bertraulichfeit nicht beſtimmt, einft 
an daß Licht gezogen zu werden: aber bie 
Dorficht weis fih der Werkzeuge ihrer 
Züchtigung aud zum Heilen zu gebraus 
chen, und in der Zeit, da es ihr gefällt, 
zu fügen, daß der traurige Schein des 
Irrwiſches, den Wanderer vor dem Sum⸗ 
pfe warne. ö 


Brief des Marquis ar om. 


ben Grafen von Delen.»..r 
Mein Freund! 


4 Fra Sie mir noch einige Zeit diefe 
Gemohnheit hingehen, zu der mid) unfre 
ehmalige DWertraulichfeit, wider meinen 
Willen hinreißt! Sie haben mir es ein 
geprägt, daß ich in der Stellung ‚ in der 
ich ißt fiehe, und zu der Sie mir ohne 
Ca Zwei⸗ 


36 Der Mann 


Zweifel Glück wuͤnſchen, niemandes Freund 
feyn muͤſſe. Ich Hoffe in kurzem, mic) 
von diefer Unanftändigfeit vollends los⸗ 
zuwickeln — „ 

„Es ift mir gelungen, ich babe den 
Menſchen, ven Sie wohl fennen, den ge— 
- fährlichen Menfchen, bei Seite gehoben. 
Es mar ein ſchwerer Kampf — Mit 
feiner fogenannten Uneigennügigfeit und 
Freymuͤthigkeit hatte er fich fo feft gefeßet, 
daß ich mich hinter feine eigene Künfte 
zu flüchten nöthig hatte. Ich that «8. 
Sch ſchlug einige Fleine Vortheile aus: 
man ſprach von meiner Uneigennüßigfeit. 
Sch fprach Sffentlich von... und von... 
die nicht fehr geliebt find: das ift ein 
Mann , der feine Meinungen nicht 
verfleider : hörte ich hinter mir im Tone 
des Beifalls zifcheln. Das war ein 
Schritt, Ich that bald den zweyten. Ich 
verfab vorfeglich in einem mir aufgetras 
genen Gefchäffte etwas, wodurch die eine 
Parthey in einen kleinen Schaden geſtuͤrzt 
ward. Nach einigen Tagen wird biefe 
Parthey zu mir gerufen. Mein Herr! 
rede ich fie an, es thut mir Leid, daf 
in ihrer Angelegenheit etwas verfeben 

wor: 


ohne Borurtheil. 37 


worden : ich babe mir den Vorwurf zu 
machen. Vergeben Sie mir! wir find 
Menfchen: die Unfeblbarkeit ift unfer 
Loos nicht; aber ein reölicher Mann 
muß feinen Sehler gefleben, und, wenn 
er fann, ihn wieder gut machen ; fonft 
wird fein Sehler Lafteer — Hier langte 
ich ein Roͤllchen mit funfzig Luisd'or her— 
vor — So groß, fuhr ich fort, wird un— 
gefahr der Derluft feyn, den Sie durch 
mich erlitten haben : nehmen Sie! ver- 
geſſen Sie ihn! und fepyn Sie mein 
Sreund! Ehe er fih von feinem Erflaus 
nen erholen fonnte, war ich verfhmwune 
den. „, 

„Ich hatte die" Perfon zu diefem Auf⸗ 
tritte vorſichtig gewaͤhlet: ſie war aus 
der Kamer des Koͤnigs. In wenig Tagen 
gelangte es bis an ihn; und nothwendig 
mußte es für mich eine vortheilhafte Mei 
nung erwecen. Ich beflagte mid) gleich 
wohl gegen den, welcher mir diefen Dienft 
ermwiefen, daß er dem Könige mein Vers 
fehen nicht verfchwiegen hätte. Dem Rö⸗— 
nige, verfegte er, müſſen folche edel- 
müthige Sandlungen , und diejenigen, 

63 wel: 


38 Der Männ 


welche derfelben fabig find, nicht un- 
befannt bleiben! „, 

„ Ohne Zweifel! und das war meine 
Abſicht. Ich übte nun meine Freymuͤ—⸗ 
thigfeit gegen den aus, an bem andre 
fie fo fehr bemunderten ; und da id) das 
gute Vorurtheil, fo der König von mir 
hatte, zu nügen wußte; fo machte ich 
über das Berragen des . . . Anmerfun- 
gen, die in dem Munde eines andern 
Tadel würden geheiffen kaben ; aber in 
dem Munde eines Menfchen, der mit fo 
vieler Selbfiverläugnnng eine Rolle mit 
50 Louisd'or hingeben, und feinen Feh— 
ler geftehen Fonnte ; in meinem Munde 
bieffen fie Nedlichfeit und Ueberzeugung. „, 

„ So machte ih den Grund, auf 
dem der Kolloſſus errichtet war, erft von 
Ferne nur ungleich ; dann entzog ich da= 
von mehr und mehr; bis es mir endlich 
nicht mehr fchwer fiel, dem Ginfenden 
den legten Stoß zu geben — „, 

Doch die Gefchichte der wechſelwei⸗ 
fen Untergrabungen der Höflinge ift Ih— 
nen feine unbewanberte Gegend. ch 
war glücklich ; ich habe den Poſten, ben 
‚mein Vorfahrer durch Tugenden erwor— 
ben, 





ben, durch den chein ER behaup- 
tet. Defto beffer! fagen Sie ohne Zwei⸗ 
fel; fo ift der Genuß davon von einem 
weiterem lUmfange : denn Gemiffen und 
wahre Nedlichfeit machen den Kreis defr 
felben fo enge, daß es der Mühe nicht 
lohnte, ein Pre des Negenten zu 
ſeyn. 

„Sie ſollen mir nun den Plan mei— 
ner fünftigen Aufführung entwerfen! Sie 
find zwar in ihrem Poften verunglücet : 
aber ich will die Klippen, der ich auszu— 
beugen babe , eben von einem Schiffer 
bemerfet haben, dem fie feine eigne Ger - 
fahr näher gezeiget hat. Ich würde Ih—⸗ 
nen noch andre Gründe, Sie zu bewegen 
anführen, Verheiſſungen, Danfbarfeit u. 
fe. w. Aber Sie fennen diefe Woͤrter in 
dem Munde eines Mannes von unferer 
Denfungsart, und mehr noch eines Man: 
nes an meinem Standorte ; fie heiffen fo 
wenig als die gewöhnliche Unterzeichnung 
ber Briefe | 

Ihr unterthänigfter Dr: 
Marquis Boi..er. 


C4 Ant⸗ 


40 Der 
Antwort des Grafen Delav ..te. 


” 


Bei Ns eine Umarmung |! und dann 
entfagen Sie auf ewig biefen Fleinen 
Bertraulichfeiten , wo nicht befondre Be⸗ 
weggruͤnde diefelben rechtfertigen. Sie 
fehen, ich gehe ohne lange Umftände, von 
Gluͤckwuͤnſchen, von Erhebungen ihrer 
Verdienſte, zur Sache felbft über. Der 
verdient allemal ben Platz bes Guͤnſtlings, 
der ihn zu behaupten weis. „ 
r „ Denfen Sie aber nicht, daß Sie 
von nun an zu niemanden, mein Sreund ! 
fprechen, niemanden in ihren Umarmun— 
gen den Athem kurz machen dürfen. Die- 
‚ger Ausdruck giebt Ihnen das gemiffe 
Yeufferliche der Leutfeligfeit, das fehr zu 
ihrem Vortheile einnimmt: die Worte 
Sreundfchaft, Dienftfertigfeit, Erge— 
benheit, müffen Ihnen unendlich gelaͤu⸗ 
‚fig werden! vor der Sache nur, daß Si⸗ 
ſich zu huten wiſſen! 

„Aber auch ſelbſt vor Wörtern ge— 
gen gewiſſe Leute! Gegen diejenigen, 
welche Geburt, Umftände, Rang und Bes 
bienung tief unter Ihnen hält, gegen bie 

ers 





ohne Borurtheil. 4: 


erlauben Sie fih ohne Bedenken dag 
freundfchaftlichfte Betragen , die vertraus 
lichten Ausdrüde! Sie merden Ihnen 
diefes als eine Herablaffung in die Rech⸗ 
nung bringen. Der Eitelfeit folcher Leute 
wird durch ein natürliches Auflehnen auf 
ihre Schulter, oder, men Sie befonderg 
unterfcheiden wollten, durch Einhangen in 
den Arm fehr geliebfofet ; befonders , mo 
andre dieſe Unterfcheidung wahrnehmen 
mögen : denn fie berechnen ihre Annäherung 
zu dem Fürften, nad) dem Grade der Ans 
nöherung zu feinem Lieblinge, ,, 

Mit den Groſſen haben Sie bdiefe 
Freyheit nicht. Diefe würden ihrer Leut- 
feligfeit die verhaßte Wendung einer De— 
müthigung geben ; oder wenigſtens fich 
mit Ihnen in gleichen Rang ftellen. Nein, 

Marquis, der Unterfchied gwifchen beiden 
fey immer auf dag in die Augen fallendfte - 
bezeichnet! freuen Sie fid) jeder Gelegen— 
heit, wo Sie ihnen den Zwifchenraum , 
durch den fie getrennet werben, fichtbar 
machen fönnen. ,, 

„ Die Ramer ihres Gebieters, lieber 
Marquis! muß ganz für Sie feyn. Die 
Handgriffe, diefer Leute fich zu verfichern, 

€ 3 find 


42 Der Mann 


find leicht, aber unentbehrlich : bemm un⸗ 
ter ihnen erfcheint der Fürft ale Menſch, 
der den Pomp von fich leget, und fidh 
freuet, fein Herz mitzutheilen, und feinen 
Neigungen und Schwachheiten den freyen 
Gang zu laffen, die er vor den Augen 
der Menge forgfältig zu vermänteln hat. 
Diefer menfchlichen Augenblicke müflen 
Sie fich ganz bemeiftern! es find font 
die gefährlichfien für Ste. Ein Wort 
wider Sie machte bier mehr Eindrud, 
als ganze Philippifen,, welche gegen Sie 
gefchrieben, und deflamirt werden, und 
fo ein Wort ift bei der wechfelmweifen Aug» 
(hüttung des Herzens ſehr leicht entfah⸗ 
ren. Es fey niemand um ihren Herrn, ber 
nicht auf irgend eine Art in ihrem Solde 
fiehe, der ihnen nicht irgend wofür ver— 
bunden waͤre, oder wenigſtens von ihrer 
Hand ehftens eine Wohlthat zu erwarten 
babe. Pernachläffigen Sie biefe Erin- 
nerung nicht al8 unwichtig! ich habe mich 
gegen die Vorftellungen einer anfehnlichen 
Landesftelle erhalten: mein Sturz mar 
die Folge eines Gefprächs, fo man hielt, 
‚während der König einem der ungele- 
gen= 


ohne Borurtheil. 43 


genften Bedirfniffe der Natur Genuͤge 
that. *) „ 

„ Ih fann dieſe Zwiſchengeit nicht 
verlaſſen, ohne fie Ihnen noch einmal 
auf das naddrüclichfte zu empfehlen. 
Sie ift ſchwer auszufüllen + denn der 
Herr bringt oft feinen Unwillen aus den 
Gefchäfften mit; und er will für den 
Verdruß, den er anderwärtig empfieng, 
bier entweder ſchadlos gehalten werden, 
oder er hält fich felbft fchadlos dadurch, 
daß er ihn allen empfinden läßt, die fich 
ihm nähern. Legen Eie alfo immer et— 
was von denjenigen Zerftreuungen bei, 
auf melche die Leidenfchaft des Fürften 
am begierigften fälle, um es zur beques 
men Stunde hervorzulangen; ein befon= 
dere Stüf Wild , wenn er die Jagd 
liebt, eine Sängerinn, wo ihn die Fer— 
tigfeit der Kehle ergoͤtzt, eine Schilderey, 

mo 


*) In dem franzbſiſchen Driginalbrief ſteht Hier 
ein ſeht natürlicher Ausdruck, der in ei— 
nem Schreiben von zween fo vertrauten Man—⸗ 
ner hingehen konnte , mit welchem aber 
der Ueberſetzer die Ohren ferner Lefer zu 
fhonen,, und alfo dafür die Eleine me. , 
fchreibung zu fegen, fih verpflichtet hielt. 


he 


4 Der Mann 


wo er den Künften hold ift, ein ſchoͤ— 
nes Weib, eine Beftellung, wenigſtens 
ein Handbriefchen , wo er ein empfind- 
liches Herz hat! Sie wiſſen es, was 
unter diefen bei ben Nachfolgern des Ca— 
petus am ficherften wirft. Die Lieblinge 
und Lieblinginnen von Franfreich haben 
auc immer ungetrennte Vortheile gehabt. 

„ Der Fürft wird einen Mann, der 
fi) feinen Neigungen mit Herzhaftigkeit 
widerfeßt, wo diefelben dem genau erwoge⸗ 
nen Öffentlichen Nugen entgegen fteben, er 
wird ihn ſchaͤtzen, aber Lieben wird er ihn 
nie. Sie — laffen bie falte, und uns 
fruchtbare Zochachtung des Monarchen, 
wen darnach küfterte. Sie wollen feine 
Liebe. Ahr Nachdenken fey alfo, feinen 
Hang bei jedem Vorfalle auszufpähen, 
und nach einem gefchichten Borfpiele immer 
die Saite zu rühren, die ihm die anges 
nehmfte iſt „ 

„ Manchmal geben Sie ihre Meinung 
fogleich für dag, wohin fie vermutben, 
daß feine Neigung ibn leite! manchmal 
ſeyn Sie auch mit Vorſatz gerade der ent— 
gegengefepten. Aber wiſſen Sie in’ der 


Zeit nachzugeben, und auf feinen Weg 
ein 


ohne Borurtheil, 45 


eingulenfen! Im erften Falle fchmeicheln 
Sie feiner Eitelfeit , da Sie gleichfam 
feiner Einfiht huldigen ; im zweyten wird 
er Ahnen für ihre Gefäligfeit Rechnung 
halten. „, 

„ Und dag allein muß auch ihre Ab— 
fiche feyn! Laffen Sie die unbeugfamen 
Kloͤtze mit ihrer altvaͤterlichen Denkungs⸗ 
art ſich immer groß duͤnken, und von ih- 
sen Zeitgenoſſen, und wenn Sie fo wol: 
len, den Nachfömmlingen bewundert wer⸗ 
den , welche durch eine übelangebrachte 
Srepmütbigfeit ihr eignes Befte verwahr⸗ 
Iofen , und der Neigung ihrer Gebieter 
gerade entgegen handeln , weil e8 das 
Allgemeine fo erfodert. Gleich als wäre 
dag Allgemeine etwas für ung, wenn 
unfer Befonderes nicht davon einen Theil 
ausmacht? und, gleih als koͤnnte diefer 
oft Fleine, oft ganz unmerfbare und un— 
geroiffe Theil neben dem groffen und zu= 
verläffigen Vortheile wahrgenommen wer- 
den, den uns eine leichte Gefälligfeit, 
gine Fleine Verlaͤugnung unfrer Einficht, 
oder wenn Sie glauben, eine Eleine Heu: 
cheley, von ber Hand des Fürften gel- 
sen fann? „, 

| „ ders 


46 Der Mann 


„Ferne, glücklicher Marquis! wo— 
ferne Sie diefes Gluͤckes Meifter zu feyn 
wiffen » ferne alle Bebdenflichfeiten von 
Vaterland , Staat, Pflicht, Ueberzeus 
gung ! Gie haben nur eine Pflihe — 
fich felbft alle die Wohlthaten zu verfi- 
chern, die Sie koͤnnen: und auch diefe 
Pflicht Hat nur ein Geſetz — denjenigen 
zu gewinnen, von deſſen Hand Gie der 
Fuͤlle und Ueberſtroͤmung diefer Wohltha— 
ten verſichert ſeyn koͤnnen. Dieſer, oder, 
wie man unter Leuten von unfrer Den— 
fungsart wohl ohne Verbluͤmung fprechen 
mag, ihr Vortheil ift Ihnen Vaterland 
und Staat. Nichts kann uͤberzeugender 
feyn, als daß man fich felbft alles Gute 
fchuldig ift, wo man fich folches verſchaf⸗ 
fen fann. „, 

» Daher, von dem Augenblicke an, 
als Cie in die beneidete Stelle eines 
Günftlings getreten find, machen Sie ſich 
von allen Beziehungen frey, welche ihre 
Anftrengung zerſtreuen, welche ihre Neb- 
lichfeit fodern , welche die Grundfäße ih⸗ 
res gegenwärtigen Standortes durchfret- 
zen; mit einem Worte, fagen Sie ſich 
von allen DVerbindlichfeiten frey, welche 

Ih⸗ 


ohne Borurtheil. 47 


Ihnen eine andre Art zu denken und zu 
handeln auflegen dürften, als die einzige, 
die fich mit ihrem Wohl verträgt: ihrem 
Berrn unbedingt zu Willen ſeyn, da= 
mit er auch Ihnen uneingefchranft 
willfabre. ,. 

„ Sein Wohlftand nur fey ihr Palla⸗ 
dium; und alle Angelegenheiten , alle 
Beränderungen, welche mit dem gemeinen 
Weſen vor fich gehen, find für Sie gleich- 
gültig, in foferne die Schutzſäule ihres 
Stückes unbewegt bleibt. Wenn es mög- 
lich ift, daß ihre Mitbürger Sflaven , 
und — *) 

„» Doc Sie verfichen mich: Sie wer- 
den von nun an ohnehin fich fehr daran 
geroöhnen muͤſſen, aus zwey Wörtern die 
ganze Reihe, aus einem leichten Winfe 


den Willen degjenigen zu erratben,, an _ 


defien Seele ihre Seele hängt, und mit 

defien Schickfale ihr Schickſal unabfön= 

derlich verflochten iſt, wenn Sie anders 
be⸗ 


”) Die Stelle, die hier wegbleibet, war zu 
Hartklingend und unverfhamt: ich habe 
daher dem Zuſammenhang durch einige 
Worte nachzuhelfen gefucht. 


48 Der Mann 


behutfamer als ih und durch meinen 
Sturz gewarnet feyn werben. ch mil 
Ahnen die Urfache deffelben aufrichtig mit⸗ 
theilen. Es fol, um ihre Gleichniß mir 
zu Nußen zu machen, eine Tonne feyn, 
die mit einem Stricke an der überfloffenen 
Klippe befeftiget, auf dem Waſſer ſpielet, 
und fie vor der verborgenen Gefahr 
warnet.· „ 

„ Ein Mann, ber das Ungluͤck hatte, 
dem König lange ſchon zu mißfallen, an 
dem ich aber eben fo unglückicher Weife 
mich nicht ermwehren fonnte, fehr in. bie 
Augen fallende, und feltne Eigenfchaften 
hoch zu fchäßen, gab endlich feinen Fein» 
den eine fehr fcheinbare , und fehr ſehn— 
lich gewuͤnſchte Blöffe, ihn bei den Mor 
narchen vollends zu Grunde zu richten, 
Er erhielt Befehl, ſich vom Hofe zu ente 
fernen. Er nahm feine Zuflucht zu mir. 
So fehr der Schein wider ihn war, fo 
fichtbar bewies er mir feine Unfchuld, und 
bewog mich, für ihn zu fprechen. Doch 
feine Feinde hatten ihn ohne Wiederkehr 
zu Grunde gerichtet, und anſtatt ihm zu 
nußen , machte ich mich felbft bei dem 
Herrn Berne und verbaßt. Die Kalte 

ſin⸗ 


ohme Borurtheil. 49 


finnigfeit, womit er mich von fich wies, 
ließ mic bald alle Folgen dieſer Unbe— 
dachtfamfeit einfehen, die nicht lange aug- 
blieben, und legtlih meine Beurlaubung 
nach fich zogen. „ 
Ä 5 Marquis! druͤcken Sie ſich zum 
Schluſſe diefe Lehre feft ein! forechen Sie 
für Menfchen, die beliebt find, und von 
denen Gie vorherfehen, daß der König 
fie zu begünftigen geneigt iſt! Das ift 
das Mittel, fich Leute zu verbinden, ohne 
die Gnade feines Herrin abzunägen. Huͤ— 
ten Sie fich ‚aber fehr „ jemals auf der 
Seite des Elenden zu feyn ! überlaffen 
Sie ihn feinem Schicffale ! der Elende ift 
am Hofe immer verhaßt, fonft wäre er 
nicht elend — Und dann bedenken Gie, 
daß Sie auf beiden Seiten zw viel zu 
verlieren haben, Retten Sie ihn nicht, 
fo hat man einen Beweis, daß Sie nicht 
der Allvermögende find, für den angefehen 
zu werden, ihnen fehr daran liegen muß; 
aber ift ihre Vermittelung glücklich ; fo 
wird eine, nicht ihnen ermwiefene Gunft 
doch auf ihre Rechnung gefchrieben: und 
glauben Sie, ein ewiger Önadenmwerber 
wird zuleßt als ein Ungeſtuͤmer vermie⸗ 
IV. Theil, D den. 


so Der Mann 


den. Die Gnabenquelle des Fürften ift 
nicht grundlos. Der Günftling muß fo 
vorſichtig ſeyn, fo wenig als moͤglich da⸗ 
von an andre abzuleiten, damit er fuͤr 
ſich und die Seinigen ſchoͤpfen moͤge, 
ohne auf den Sand zu kommen. Ich bin 
u. ſ. w. 
unterthaͤnig gehorſamer 
Graf Delav..re. 


* 


* * 


Mnſchen die wie Boi..re und fein 
Rathgeber venfen, müffen immer als eine 
Ausnahme betrachtet werden, menn bie 
Stufen der gemeinen Antbeilnebmung 
berechnet werben. 

Und es giebt noch eine andre Gattung 
Menſchen, die allen Bemuͤhungen, den Ge⸗ 
ſellſchaftogeiſt in ihnen rege zu machen, 
ſtets troßen werden. Man wird fie kennen 
fernen, fobald man die mancherlei Verbält- 
niffe wird uͤberſehen haben , welche bie 
bürgerlichen Gefellfchaften vereinbaren — 

Herr der Natur! eben fo weis im Er— 
halten, als allmächtig im Erfchaffen, du 
gehft zu deinem ca durch ein Mittel, 

ſo 


obne Borurtheil. 51 


fo des Lebens mächtigfte Neigung wird, 
und deine Geföpfe glüclicdy machet, ins 
dem e8 fie durch Jahrtauſende verewiger. 
Mer taucht den Kiel des EC chriftftellers in 
Slammen, der dih, Kiebe! fchildert, 
wie du in den Herzen zwoer fühlbaren 
Seelen entftehft „ wie dich Wünfche und 
Sehnfucht beim Urfprunge begleiten , wie 
Hinderniffe dich defto Eräftiger anfeuren, 
und Schwierigkeiten fchmackhafter machen; 
wie du aus den Augen, aus den Gebehr— 
den vernehmlich fprichft, in jeder Hand⸗ 
lung did) offenbareft ; wie deine unmider- 
ftehlige Kraft ohne Unterlaß nach dem ge: 
wählten Gegenftande hinreißt, bis Ge— 
genliebe dich befeliget , und die fanftfte 
Vereinigung deine Wünfche Erönet ! — 
Vergebens wird ſich bier Einbildung an 
die Stelle des Gefühls fegen: der dich nur 
gedacht , nie empfunden hat, wird dein 
Bild entweder durch eine froftige Steife , 
oder durch eine verzehrende Hitze und wil- 
des Braufen verunzieren. | 
Unglüdlicher , dem die Natur des Le- 
bens reinfte Luft, ein fühlbares gerz 
verfager, biefe Hiße, dieſe Steife ift fie 
nicht, bie Kiebe! du zeichneft in der einen 
D 2 ih⸗ 


52 Der Mann 


ihre tyrannifche Mlitwerberinn, die der 
fanften Schwefter den Zepter über bie 
Melt fireitig machet — die zügellofe Lei— 
denſchaft, die nicht an dem Blumenbande 
des Vergnuͤgens zu dem Gegenftande ih⸗ 
res Verlangens binleitet, die an diamant- 
nen Ketten dich hinfchleppet ; nicht zu einem 
folgfamen Aufrärter, fondern zu einem 
elenden Feibeignen dich machet ; der Freu⸗ 
den , die jene zu gewähren wuͤnſchet, 
zZerftshrerinn , in deren Gefolge Reue, 
Betrug, Untreue, Trennungen, Verach— 
tung, oft der Tod und die Verzweiflung . 
wandeln, die den Untergang der Welt be» 
fördern würde, waͤre die Welt ihrer Bot- 
möffigfeit unterworfen — 

Oder du zeichneft in der andern bie 
feellofe Popanze, das umgelenffame Wefen, 
das Stuͤckwerk des Eigennuges und der 
Familienabfichten, das, dem grünen Holze 
ähnlich , Wolfen von Rauch ohne Flam—⸗ 
me auffchlägt ; two bei den Foͤrmlichkeiten 
der beiligften Betheurungen, die der Mund 
ausſpricht, das Herz nicht erwaͤrmet wird, 
wo die Bewerbung ein Ueberfchlag , und 
die Einwilligung ein Kaufvertrag, wo die 
Haushaltung eine gemeinfchaftlihe Mies 

the, 


ohne Borurtbeil. 53 


the, und das wechſelweiſe Liebkoſen ein 
Feyertagsgepraͤnge iſt; wo die Kinder 
Pfaͤnder der Pflicht, nicht der Zärtlichkeit 
werden, und ihr Dafeyn gewünfchet wird, 
weil ein Erbe der zuſammgebrachten Gü- 
ter nothwendig ift — 

Pur der, den die Erdebeglückerinn 
Denus gewürdiget, in fichtbarer Geftalt 
fich ihm zu zeigen, ihr Liebling, ift fähig, 
die Bildfäule zu vollenden, die in dem 
Tempel von Gnidus den fugendhaften 
Sterblihen .zur Huldigung aufgeftellet 
werden foll. N 

Ein Mädchen, ſcheu mie gin junges 
Reh, fittfam, wie eine nur erſt geborftete 
Nofenfnofpe, heiter und lieblich wie die 
im Fruͤhlinge fich verjüngernde Natur — fo 
ein Mädchen geht bei dem Juͤnglinge vor— 
über. Ihr Auge, woraus Unfhuld und 
Pauterfeit der Eeele lächelt, fieht ihn an, 
und furchtfam fälle ihr Blick danieber. 
Aber ein Trieb, deſſen Kraft fie überwäl- 
tiget, und von dem ‚fie nicht ungerne fich 
überwältigen läßt, hebt ihn wieder empor, 
richtet ihn abermal auf den Juͤngling, 
deffen dreiftere® Aug von ihr beftändig 
unabgewendet blieb. Ihre Blicke begeg=- 
D3 nen , 


54 Der Mann 


nen fih. Der Yüngling frohlocket, daß 
dag reizende Mädchen ihn bemerfet. Das 
Mädchen erröthet; aber auch ihr pochet 
dag Herz mit fchnellen Freudenfchlägen , 
daß der Juͤngling fie fo aufmerffam be- 
trachtet. Ihre Schritte werden, ohne ihr 
Demußtfeyn, langfam, um noch eine Weile 
in dem Angefichte des Jünglings zu ver- 
barren. Ihm entwifcht dag Zaubern bes 
Mädchens nicht, dag er als eine gute 
Vorbedeutung anfieht, und vielleicht, als 
die erfie Gunft, womit es feinen Wuͤn— 
fchen entgegen geht. | 

Nun find fie wechfelweife ihren Blicken 
entzogen. Aber mechfelmeife hat ihr Bild 
fich ihrem Gedächtniffe, tief hat es ihrem 
Herzen ſich eingebrücder — O, fpricht der 
Süngling mit regem Triebe zu dem er— 
ſten Gefpielen feiner Jugend , ber ibm 
entgegen koͤmmt — © welch ein Mad— 
chen fab ich heute! welch ein Mädchen! 
das fchönfte, fo jemals meinem Blide 
entgegen Tam , das fittfamfte — und, 
Sreund! es muß auch das tugendhaftſte 
Mädchen feyn! ich wünfche es, und 
mein Herz fagt mir gut dafür, daß ich 
nicht vergebens wünſche. So war die 

Ge⸗ 


ohne Borurtheil, 355 


Beftalt des Mädchens — und hier ma- 
let er mit dem fichern, aber auch ver— 
fchönernden Pinfel der Liebe feine Ge— 
ſtalt — Rennſt du es — ſagt er dann — 
diefes göttliche Mädchen » — Ihm zau: 
dert die Nacht, die feine Geliebte ihm in 
Traume wiederzeigen wird; ihm zaubert 
der Tag, an dem er fie auffuchen will, 
an dem er fie zu finden hoffet. Führe du 
ihn an der: Hand beglückende Liebe! da= 
mit er dag reisende Mädchen bald finde, 
bald. wiederfehe ! 

Damit auch das Mädchen den fchönen 
Süngling wiederfehe! Schoͤn fand fie ihn: 
obgleich ihr furchtfames Aug ihn nur ver— 
fiohlen anzublicken wagte , fo hatte fie 
nicht weniger ihn liebreizend gefunden, 
Mädchen fehen gefchwind und richtig. 
Aber fie durfte die neuen Empfindungen 
niemanden anvertrauen: Faum wagte fie, 
da fie allein war, einen Blick in ihr Herz. 
Kaum — aber fie wagte ihn doch, und 
fand darin den Züngling mit allen Anz 
ziehungen ber Liebe. Edel wer fein 
Wuchs, fagt fie mit ungesffneten Lippen, 
um nicht behorcht zu werden, edel feine 
Mine; und auch feine Seele, mein 

D 4 verz 


» 


56 Der Mann 


gerz fat es mir, auch feine Seele 
gleicht feinem gerzen. Und leifer noch, 
als diefen Lobfpruc des Juͤglings, fagt 
fie, denkt fie nur ihren Wunſch: der, 
dem fie einft beflimmer wäre, möchte 
 diefem edeln Jünglinge gleich feyn — 
Der geheimgehaltene Wunfch des ſeh— 
nenden Maͤdchens verändert indeffen ihre 
Munterkeit in ein nicht weniger reigendeg 
Schmachten — eine Nofe , die bei der 
Hitze des Tages ihr mattes Haupt ſen— 
ket. Die Aeltern nehmen die Spuren 
auf ihrem blaſſenden Angeſichte wahr, 
und find für das gelichte Kind beſorgt, 
und wähnen hundert Urfachen diefer Ver: 
Änderung, und fuchen hundert Ergsßlich- 
feiten, ihre Munterfeit wieder berzuftele 
len. Vergebens! alle Freude ift ihr uns 
geſchmack, aller Umgang zur Laft: einfam, 
fann fie menigftens ohne Stöhrung an 
ihren Juͤngling denken. | 
Wie lange noch, fagt endlich die 
Mutter mit liebvollem Ernfte, wie lange 
fol deine Traurigfeir dich und uns 
verzehren v du besleiteft mich heute 
Abends, um in der Geſellſchaft dich 
zu zerſtreuen. Das befte Mädchen weis 
nicht, 


ohne Borurtheil. 57 


nicht , Ungehorfam durch Vorſtellungen 
zu bemönteln ; fie wird die Mutter be— 
gleiten; aber, fie denft, auch ihr gehei- 
mer Gram fie — 

Du irreft, liebes Kind! der Eintritt 
in den Befuchsort zeige dir deinen jun- 
gen , unvergeßlichen Freund, Die Liebe 
hat feine Schritte hieher geleitet, um euch 
beide zu ihren Günftlingen zu machen. 
Wie viele vergebene Öänge mußte er thun, 
ehe ihm feine Mühe, feine Nachforſchun— 
gen durch diefe glückliche Begegnung fo 
reichlich belohnt wurden. Eure Augen 
begegnen fih; eure Wangen färben ſich; 
und jeder lieft in dem Antlige des andern 
das Erftaunen, das Vergnügen, fich bier 
zu treffen; jeder erräth aus den zufrie— 
denen Blicken des andern, wie fehnlich 
gewuͤnſcht ihm diefe Zufammfunft müffe 
gewefen feyn. Dun dann, fo werdet 
ihe euch fprechen; fo wird der Juͤngling 
feine Liebe beredtfam fchildern; fo wird 
das Mädchen durch fitfame und nicht 
weniger beredte Blicke, das Geftändnif 
ablegen können, daß er ihrem Herzen nicht 
minder theuer ift. 


D5 Die 


58 Der Mann 


Die forgfältige Mutter nimmt die 
Veränderung ihres werthen Mädchens, 
fie nimmt auch die Aemfigfeit des Yüng- 
lings um daffelbe wahr ; fie erräth bald 
dag Geheimniß , das ihr die Gefchichte 
ihres eigenen Herzens erneuert, Das La—⸗ 
fter nur hat düftre Schlupfiwinfel zu ſu— 
chen: eine Liebe, auf Empfindung und 
Tugend gegründet, darf den hellen Tag 
nicht fcheuen. Auch will der entzückte Lieb⸗ 
baber feine Flamme nicht geheim halten. 
Er hat in dem Geifte feiner Geliebten, in 
ihrem anmuthvollen Betragen die Recht— 
ferfigung einer Neigung gefunden , die 
ehehin nur dag Werk ihrer Eörperlichen 
Heise war. Mr 

Und er, wie fehr ift er der Zärtlichkeit 
feiner Geliebten wertb! ein eben fo be— 
fcheidener, als dringender Liebhaber, zieht 
er die Augen der Gefellfchaft auf fich, und 
den Neid aller Mädchen auf den Gegen 
ftand feiner Nemfigkeit. Gab die männ- 
liche Geſtalt, und feine fittlichen Vorzüge 
ihr eine Entfchuldigung, daß fie ihn fo 
gelaffen anbörte, fo war der Sieg, ben 
ſie über ihre Gefpielinnen davon trug, 
ihrer Eitelkeit nicht weniger fchmeichelbaft. 

| Die 


ohne Vorurtheil. 59 


Die Mutter wird bald die Vertraute 
der Tochter; und ſoll auch immer die ein— 
zige Vertraute derfelben feyn! Der Zu: 
tritt ward dem Juͤglinge in’ dag Haus 
der Geliebten nicht erfchweret. Sie fahen 
ſich im Angefichte der beiderfeitigen Ael— 
tern taͤglich, und beftättigten ihre wech- 
felweife Hochachtung täglih durch neue 
Eigenfchaften,, welche an Tag zu legen, 
beiden Zeit und Umftände die Gelegenheit 
anbsten. Ihre Liebe fchmachtete nach ei— 
ner untrennbaren Vereinigung. 

Beide Verwandtſchaften ſchaͤtzten fich 
glücklich in dem Gluͤcke, daß die Ehe die- 
fem Paare zu verfichern ſchien. Aber um 
gar feinem Zweifel Raum zu geben, ward 
sorfichtig fo viele Zeit vorüber gelaffen, 
als erfodert wird , bie geheimeren Nei— 
gungen zwoer Perfonen auszuforfchen, die 
nicht immer in der Geftalt der Liebhaber, 
die fich fehr oft in ihren Menfchenfiunden 
fehen, und auch ihre wechfelmeifen Swach⸗ 
heiten übertragen müffen. Das Mädchen 
hatte Gelaffenheit und Sanftmuth genug, _ 
die Hiße , die ihren Liebhaber mandımal 
übermältigen würde, zu erfragen, und 
. zu mÄfligen; und er, hatte Selbftverläug- 
nung 


Ve Der Mann 


nung genug, wenn das Aufbraufen Hor- 
über, feinen Fehler fich nicht zu verhoͤlen, 
und fich zu bemühen, ihn abzulegen. 
Die Seele des Mädchens war. belle 
wie die Oberfläche einer ftillen Duelle, Die 
Fleinen Wirbelchen, welche manchmal dieſe 
Dberfläche verwirrten, waren nicht ihre 
eignen, fondern die ihre Gefchlechte. 


Bw 


©, hatte die Vorficht das Paar für 
einander beflimmt. Die eltern legten 
unter dem Gchuße des Himmels, und 
ihrem Segen die Hände ihrer Kinder in 
einander, den Wink der Vorficht in Er— 
füllung zu bringen, 
Könnet ihr euch die Vernichtung vor- 
ftellen , in welche ihrem Wunfche über: 
laffene Herzen für alles, was fie umgicht, 
verfallen, um einzig, um ganz dem Ver- 
gnügen anzugehoͤren, für dag fie allein 
Gefühl haben ? — Trüger euch nicht, ihr! 
die ihr ehliget, um eure Leidenfchaft zu 
befriedigen, und in der Befriedigung der— 
felben die Liebe zu toͤdten, trüger euch 
nicht! diefer wilde Taumel des Vergnuͤ— 
gen, der euch kaum durch einige Stun 
den 


ohne Borurtheil. 6x 


. den wirbelt, da er euch, zu bald ermuͤdet 
dahin wirft, diefe zu heftige Spannung 
der Begierde, die das Herz nicht lang 
aushält, weil fie zu gemwaltfam iff, diefe 
war ihr Zuftand nicht. 
0 Die Hand der Angetrauten feft im fei- 
ne Hand verfchloffen, feht ihn, unbemwegt, 
mit unerfättlichem Auge auf feine Gattinn 
blickend, figen! Hört ihn nach einem be— 
deutendem Stillſchweigen endlich in dieſe 
Worte ausbrechen — Ich befige Sie al- 
fox ich befige dich — gleich, als mwag- 
fe er es nicht, den Gedanfen ganz Plag 
zu geben; fie fey fein Gut, glei alg 
wagte er es niht — Aber die Neuver-⸗ 
lobte entlediget ihn alles Zweifels durch 
einer feurigen Ruß. Die blöden Mäd— 
hen find herzhaft, fobald fie getrauet 
find. Dieſe Veränderung ligt in dem 
weifen Plane der Natur. Die Ylödigfeit 
des Mädchens ſchaͤrfet die Wuͤnſche, die 
Sehnfucht des Juͤnglings: aber die Ehr: 
erbietung , welche eine fittfame und tu— 
gendhafte Verlobte um fich herum ver— 
breiter, würde dem Wunfche des Mannes. 
zu lange entgegen ſtehen, hätte nicht das 
theure Geſchoͤpf den regen Trieb , ihm 
durch 


62 Der Mann 


durch ihre Liebfofungen vorzukommen, und 
ihn gleichfam aufzufodern. 
| Sie ladete durch die liebenswuͤrdigſte 
Vertraulichkeit ihren zuruͤckhaltenden Mann 
zur Ausſchuͤttung ſeines Herzens ein. Und 
nun draͤngten ſich ſeine geheimſten Gedan⸗ 
fen hervor; nun ſtroͤmten feine Lippen 
von Liebe über — © theure Gattinn! 
fagte er , feinen Kopf an ihren Buſen 
Iehnend, fo bat die Vorficht unfer Ge— 
fchi denn vereinbaret! fo hat es mir 
die ſüſſe Pflicht auferlegt, für dich zu 
forgen! wie gütig weis fie uns die 
Bürde unfrer Bemühungen zu erleich- 


* teen ! welche Arbeit wird meine Kraͤf⸗ 


te übertreffen , meine Bebarrlichteit 
ermüden , wenn ich denken werde, ich 
arbeite für Sie! — für dich — Zwey- 
fach werde ich jeder Sreude genieflen: 
denn du wirft mit mir dich freuen — 
und auch der Schmerz — denn, Liebes 
Rind! Sreude und Schmerz find wech- 
felweife in unfer Leben eingeweber — 
aber durch dich wird der Schmerz fei- 
ne Serbe verlieren. Ihn werde ich, ich 
werde alles, was mir Unangenebmes 
wiederfäbrt, in dem Schooſſe der theil⸗ 
neh⸗ 


one Borurtheil, 63 


nehmenden Gattinn ausſchütten: mei- 
ne Wange wird durch eine Thräne dei- 
nes zdrtlichen Mitleids beneget wer- 
den, und diefe Thrane wird meinem 
gerzen Balfem feyn. Vielleicht aber 
werde ich auch den Schmerz doppelt 
empfinden ; meinen, und dann in dir — 
Doch felbft diefe Empfindung wird Wol⸗ 
Luft für mich, für uns ſeyn — Eine 
Zähre, welche dag weichmüthig gewordene 
Mädchen‘, zum Pfande feiner Antheilneh- 
mung, vorbinein flieffen ließ, ‚hielt den 
Mann in Mitte feiner Betrachtungen auf. 
Er fah, eben fo gerührt, fein Gluͤck in 
dem umwoͤlkten Auge, und beide fchwie- 
gen, weil eine angenehme Dielancholen 
ihre Seelen gleihfam in fid) verfchloffen 
hielt. | 

Diefer Trauungstag , der fo fehr von 
der Gewohnheit foldher Tage, und von 
dem übertäubenden Gepränge derfelben 
abgeht, iſt wirklich von einem glücklichen 
Paare gefeyert worden; und fein lautereg, 
fein niedliche® Vergnügen hat ,;: felbft bei 
einer langen Reihe der vergnügtften Tage, 
noch feine Würze nicht verloren — 


Wech⸗ 


64 Der Mann 


MWechfelweife Berbindlichfeiten, einan- 
der zuvoreilende -Gefälligfeiten bezeichnen 
jede Stunde der fchönften Ehe. Heute, 
riefen fie aus: das ift der ſchönſte un— 
frer Tage; und fagten eben daffelbe von 
dem morgigen wieder. Der Himmel ver- 
vielfältiget ihre Güter, und fegnet ihre 
Liebe mit Erben diefer Güter. 

Diefe find nun der Gegenftand ihrer 
gemeinfchaftlichen Sorgfalt. Die Mutter 
lieber in ihren Kindern den Vater; und 
er, der entzückte Vater wiederholt fich bei 
jedem Kuffe , den er den theuren Pfän- 
dern aufdrüct: o Kinder des vortreff- 
lichſten Weibes! Leber die Töchter ſpricht 
die Mutter täglich den groffen Wunſch 
aus : werdet eines Mannes würdig, 
wie euer Dater ift ! und findet ihn 
auch, diefen Mann! Eben dieß ift der 
tägliche Wunfc des Waters über dem 
Haupte feiner Soͤhne: möchter ihr er— 
wachſen, der Zärtlichkeit eines Mad⸗ 
chens werth, das eurer Mutter ahn⸗ 
Lich iſt! und der'gimmel gewäbre euch 
einft diefes Kleinod, das größte, fo ex 
in feinen Schägen bat! 


Dies 


ohne Vorurtheil. 65 

Diefe frommen Geluͤbde find nicht un: 
erhört. Jedes ihrer Kinder findet und 
macht einen eben slüclihen Gatten, als. 
ihre Aeltern waren : und ihre Nachkom— 
menſchaft verbreitet ſich, wie die efte 
der Linde am oͤſtlichen Eingange eines 
ruhigen Pandhaufes — | 

IG habe diefes Paar mit allem Ver: 
gnuͤgen der Liebe, mit allem Segen des 
Eheftandes nicht etwan bloß hergeſetzet, 
wie virgil die Schöne, aber müffige Fabel 
des Ariſtaͤus; um eine fonft öde Landſchaft 
zu beoslkern, und ihr dag Anfehen einer 
bewohnten Gegend mitzutheilen : es find 
handelnde Perfonen , die dag Gemälde 
zu einem Hiftorienftiicfe machen werden. 
Sch will fie fogleih in die Handlung 
verfeßen. 

Der Liebhaber noch — Das Vater 
land hatte feine Armes zum allgemeinen 
Schuße nöthig. Aber mit der Angelegen 
beit feines Herzens befchäfftiget, weis er 
nichts, was auffer ihm voraeht. Mar 
foricht um ihn herum von Ruhme des 
Helden , von der Ehre des Triumph, 
som ſchoͤnen Tode fürs Vaterland, von 
den Belohnungen der Tapferfeit — Sein 

IV Theil,  . € Ruhm, 


66 ‘Der Mann 


Ruhm, denkt er, fey das Lob feiner Ge: 
liebten, ihr Herz fein prächtiofter Triumph % 
mit ihre zu leben, fchöner noch, als fir das- 
Vaterland zu fterben ; und ihre Gunft wie⸗ 
ge alle Belohnungen auf, die ihm koͤnnten 
angeboten werben. Go denft der Liebha⸗ 
ber an der Seite des Mädchens, und 
böret nicht die Stimme des Vaterlandes, 
das die jungen Bürger zu feiner Vertheis 
digung aufruft; und verfennet, oder ach⸗ 
tet nicht den Wink der. Ehre; achtet fogar 
nicht den DVerluft, der dem Staate dro— 
bet. Werde ich darum weniger frey 
ſeyn, weniger meinen Weinftod leſen, 
in meinem Schatten figen, wenn mein 
Fürſt über einige hundert taufend Mor: 
nen Erdreichs weniger zu mebieten , 
und mit feinem Titel eine halbe Zeile: 
weniger auszufüllen bat? fo fpricht er, 
und bleibt bei allen Bewegungen bes Va⸗ 
terlandes ungeruͤhret. 

Die Feinde nähern: die Gefahr waͤchſt: 
man rufe die Bürger zuſamm, er ift in 
ihrer Mitte, | 

95 Bürger I ihr feht, in welchem Zus 
ftande das Vaterland fih befinder! das. 
Schickſal unfers Heeres iſt Ri 

8 


obne Borurtheil. 5 


Es erträger die feindlichen Anfälle nicht, 
und ift nicht ferne mehr, unter denen 
Mauren Schug zu fuchen, die es durch 
feine Tapferkeit fhügen follte. Glaubt 
ihr, fein Muth werde durch den Anblick 
diefer Stadt wieder aufleben, und ber 
ſchlaffe Arm am Fuffe diefer Mauren feine 
Stärfe wieder erhalten? — oder erwartet 
ihr, daß die Feinde hier, ihrem Siege 
und der Ziigellofigfeit der Eroberer Graͤn⸗ 
zen fegen werden? Sehet umher! und 
fehet in dem Schickſale des Landes um 
uns herum, das eurige vor. Der Rauch 
ber Flamme, melde die Saaten und 
Wohnungen eurer Mitbürger verzehret , 
verhehlet ung zwar einen groffen Theil 
ber allgemeinen Verwuͤſtung, aber er hält 
das Wimmern der Peidenden, dag ver- 
mengte Weheflagen der Weiber, der Kin— 
der, die Seufzer der Sterbenden nicht 
auf; und täglich hier anfommende Fluͤcht— 
linge geben ung die graufamfte Gemwißheit 
von dem, was mir nur zufehr mutb- 
maffen Fonnten — Der Staat fodert neue 
Dertheidiger , die er dem andringenden 
Schwarme entgegen werfe — er fobert 
fie weniger für fih, als für euch felbft: 
€ 2 eu⸗ 


68 Der Mann. 


euren Häufern droht die Flamme, euren 
Bräuten droht Schändung und Schmad). „, 
Der Liebhaber bricht bei diefer Stelle 
in ein lautes Wuthgefchrey aus , das den 
Medenden inne zu halten zwingt. eine 
Einbildung ftellet ihm die feinem Herzen 
graufame Scene in feiner ganzen Groͤſſe 
vor: feine händeringende, feine ihn um 
Beiftand flehende, feine in den Armen eis 
nes brünftigen Soͤldners gefchloffene, und 
soeil fie dem Näuber widerſteht, gemiß- 
handelte Braut — Nicht weiter | eine 
wohlthaͤtige Betäubung verfchließt vor ihm 
die noch fhrecflichere Ausſicht. Dieſe 
Betäubung bricht in eine Begeifterung 
von Entfchloffenheit und Herzhaftigkeit 
aus — Er ruft aufı Laft uns den raͤu⸗ 
berifchen Ungeheuren entgegen flürzen, 
Geſpielen! Laft uns fiegen, oder flers 
ben, Lieber, als Zeugen der grauſam— 
ſten That ſeyn — Eeine Hite theilet fi 
fchnell allen denen mit, welche um ihn ber 
fih verfammeln... Er wirft feinen Schild 
an feine Linke, und waffnet feine Rechte 
mit einem bligendem Schwerte, und zieht 
an der Epige eines durch fein Beifpiel 
angefrifchten Haufens dem Feinde 4 
ie 


öhne Borurtheil. 69 


Die Liebe macht ihn zum Helden. In 
jedem Feinde fieht er einen Räuber der 
‚Ehre feiner Geliebten, den fein unfehlba= 
ger Streich dahin ſtrecket, um fein Mäd- 
chen von einer Gemwaltthat zu befreyen. 
Der Sieg wandelt der Verzweiflung der 
Liebe nach: der Liebhaber wird der Netz 
ter feines Vaterlandes, weil er fein Maͤd⸗ 
„hen ber drohenden Schmach entreiſſen 
Mil — 


4 
Se muntert zu ruhmvollen Thaten auf, 
dieſe Liebe; und ſie haͤlt mit gleicher 
Kraft den fhon ausgeſtreckten Arm des 
Verbrechers zuruͤcke: eine unwiderſtehliche 
Circe, die, wann es noͤthig iſt, aus dem 
Furchtſamen einen Löwen macht, und wis 
der den Mütenden in ein zahmes garmin | 
umgeftaltet. : 
Entfchloffen, den fchrechlichften Streich 
su führen, gieng jener Arragonier mit eils 
fertigen Schritten dem Pallafte des Als 
phonfus zu. Es war um bag Leben des 
Königs geſchehen. Der Juͤngling hatte 
durch feine Geburt, feine Bedienung, durch 
bie Gunſt des Monarchen ſelbſt, freyen 
€ 3 aus 


70 Der Mann 


Zutritt bis in das innerfte Geheimzimmer. 
Er war , oder hielt ſich mwenigfiens für 
beleidiget, und die Rache waffnete feine 
Hand gegen das Vaterland und feinen 
MWohlthäter. An der Schwelle feines Vor⸗ 
zimmers führt die Liebe dem Juͤuglinge 
feine Geliebte entgegen. Er will fie ums 
armen, und dann fliehen, feinen Vorſatz 
auszuführen — Wie fagt das Mädchen, 
mehr nicht , als diefe Umarmung 2 
und hält ihn dann, mit zärtlicher Gewalt 
in ihre Arme gefchlofien,, zurid. Er 
ſchweigt, will fich loswiceln : nein! 
ruft fie, ich Laffe dich nicht, Aber ich 
babe Angelegenheiten — Feine Fönnen, 
follen dir dringender feyn, ale die An- 
gelegenbeiten der Liebe — Aber biefe 
mögen auf eine andere Zeit — ſie fällt 
ihm in dag Wort — Vielleicht überlegt 
werden y gehört die Fünftige nicht ob= 
nehin der Liebe any ift alfo das Jetzt, 
wenn wir es uns entwifchen laſſen, 
nicht Derlufty— Da der Liebhaber diefe 
Häuslichkeit der Geliebten fehr ungelegen 
findet, und immer noch darauf befteht, 
feinen Weg zu verfolgen; fo erweckt er 
in ihrem Herzen den Verdacht einer Uns 
treue 


ohne Borurtheil, Yi 


freue — Eile, Derräther! der Augen: 
blick der Beftellung möchte fonft ent- 
fliehen: deine neue Leidenfchaft halt 
ohne Zweifel firenger über die Punft- 
lichkeit, als ich „ deine zu nachficht- 
volle Liebhaberinn. KEile! flieg! ich 
babe dich zu lang ſchon zurück gehal⸗ 
ten. Diefe Vorwürfe, von einer .rüh: 
renden Thräne unterſtuͤtzet, übermwältigen 
ihn — Sc dich verrathen? dich? Grau: 
fame ! als wuͤßteſt du nicht. alle deine 
Gewalt über mih! — Und mun befchäff- 
figet er fi, ihren Argwohn zu zerſtreuen 
— Meine Angelegenheiten, find feine An— 
gelegenheiten des Herzens — Sie find vor 
mir Geheimniffe; fie müffen mir ver— 
dächtig werden — Aber ich werde, ich 
kann fie niemaden entdeden ; der Aug: 
gang , mein Leben, unfre Liebe „ alles 
ligt — unfre Liebe! dein Leben! und 
es müßte vor mir ein Geheimniß blei= 
benz was ift fonft in der Welt, was 
ich zu wiflen verlangen follte: alles 
übrige mag vor mir geheim feyn — 
Drohungen, Liebkoſungen, Thränen, alle 
Fünfte der Ueberredung, alle Bezauberun⸗ 
gen ber Liebe werden angewendet; und 
E4 berg 


72 Der Mann 


den: Liebhaber wirb fein Geheimniß ent: 
riſſen — 

Du giengſt alſo, eine That zu 
vollführen, die uns ewig trennen ſoll⸗ 
te! ach! als du den ſchreckenvollen 
Entſchluß faßteſt, dachteſt du da wohl 
daran, daß du eine Geliebte hatteſt, 
die in wenig Tagen dir die Hand reis 
chen folltes Geh! ich will mich nicht 
vergebens bemühen, dich zu entwaff- 
nen! die Rache ift taub. Ich will dir 
nicht zu Gemüth führen, daß der 
Mord, den du in Sinn haft , unter 
allen Morden der ruchlofefte, derjenige 
iſt, der deinen Kamen am meiften mit 
Schande und Such überbäufen wird, 
Ich will die Schwierigfeiten nicht 
überdenfen, die fich deiner That ente 
gegenfegen: einen Sürften , mitten in 
feinem Pallafte — in der Mitte feiner 
gofbedienten — feiner Wache — und 
wenn du über der That ergriffen wirft, 
den Tod auf dem Schandgerüfte der 
Mifferhäter — Die yeblendete Rachz 
fucht bat alles diefee überfeben: fie 
bat dir den Ausgang leicht und ohne 
zinderniffe porgefpiegek. Kun, "og 

te 


ohne Borurtbeil, 73 


fie dich nicht getäuſchet hätte, wenn 
du — ich will nichts weiter fagen, du 
verfteheft mich: du wirft dann fliehen, 
wirft Arragonien, wirft mich verlaſſen 
müffen: denn werden meine Anver= 
wendten mich dem Sluchtlinge ohne 
Zweifel nachfenden — 

Sie würde noch weiter forfgefahren 
feyn ; aber der Bräutigam erfrug die 
Borftellung der Entfernung nicht , welche 
ihm feine Liebhaberinn als unvermeidlich 
vorftelte Die Liebe wand der Rache den 
beinahe fchon gezücten Dolch aus den 
Händen, und ward der Schußgott Arra— 
goniens — 

Aber ich ersffue ihrer Thätigfeit ein 
weitraͤumigeres Feld. Die Geliebten find 
nun Ehegatten, Der Mann ift in den 
Defig der Nechte getreten, die in ber Na⸗ 
tur die heiligften find. Diefe Rechte find 
feine Glückfeligfeit, er eifert, fie unver- 
legt zu erhalten : er liebt die Gefege, 
unter deren Schuß fie beftehen ; fein Gut, 
feldft fein Leben ift ihm weniger koſtbar. 
Das Baterland mag es ihm abfodern , 
wenn e8 berfelben bedarf? nur daß es 
feinen Schild über die Gattinn breite, 

42 und 


74 Der Manu, 


und von ihrem Leibe jeden Anfall, jebe 
Schmad von ihrer und feiner Ehre abs 
halte! ! 

Es wird meinem Herzen fchwer, über 
das entzückte Paar, fo ich felbft vereiniget 
babe, ein Unglüd herbei zu führen, und 
den jungen Gatten zu den betrübten Pflich⸗ 
ten aufzufodern, zu denen ich ihn bereit 
weis, um von dem Haupte feines theu> 
ven Weibes die kleinſte Widerwärtigfeie 
abzuwenden. Der, welcher dag zärtliche 
Gefühl der Liebe in unfer Herz geleget, 
der felbft, raͤumet Nenverlobten eine Jahrs⸗ 
befreyung vom SKriegsdienfte ein. Ger 
nieffet dann ungeſtoͤhrt des lauterften Vers 
gnuͤgens! die Gefchichte wird es mir an 
erörternden Beifpielen von edlen Thaten » 
welche durch die ebeliche Liebe veran— 
laffet worden , nicht gebrechen laffen. 

Nom, das fiegreihe Nom, welches 
alle umliegenden Voͤlker fich unterwuͤrfig 
gemacht hatte, *) feufzete unter dem ſchwe⸗ 
ren Zepter der Tarquinier. Dieſe ta— 
pferen Arme , die den Feinden fo oft ben 

Uns 


) Romanos homines, vi@ores omnium ciren 
populorum. ” 


ohne Borurtbeil. 75 


Untergang, und den Königen den Triumph 
gebracht, wurden in Steinbrüchen , oder 
anderen unmürdigen Handgewerben er— 
mündet. *) Das Elend und die Laft des 
Volkes waren auf das Aeufferfie geftie- 
gen. **) Die Uebermwinder der Albaner, 
Dejer, Etrusker und Volfcer waren zu 
der fchmäligen Arbeit, die Kloafen und 
MWafferleitungen der Stadt zu reinigen , 
verurtheilet. ***) Tullius, in dem Ange: 
fihte des Senats bei dem Antritte der 
Negierung einer tyrannifhen Furcht ge— 
opfert; fo viele, fo offendare Grauſam— 
feiten einer fo allgemeinen Unterdrückung, 
fonnten biefe ‚nicht einen Laut gegen bie 
Tyrannen, , feinen Seufzer für die Frey— 
beit des Vaterlandeg entreiffen ? und Bru- 
tus und Dalerius, und: Poflumius und 
j fo 

*) Opifices ac Lapieidas pro vi&oribus factos. 

*) Milerie & labores plebis. 

***) Plebis in foflas cloacasque — 
demerfz, Dieſe Vorſtellung, welche Brus 
tus, nach dem Gefchichtfchreiber Livius, nah 
Her das Volk zur Vertheidigung feiner Frey⸗ 
heit aufgumuntern, machte, hätte fid) ihm 
Schon ehe anbieten können, da fie fhon durch 
fo fange Zeit vor feinen Augen ſchwebte. 


6 Der Mann 


fo viele andre Männer, deren republifas 

nifcher Geift bald darauf in fo mancher 
merkwürdigen That ausbrach, waren mit 
in der Zahl der gemißhandelten Bürger. 

Die Geduld diefer Männer bielt bei 
-alen Srevelthaten des ftolsen Targuinius 
aus, fo lange fie nicht den zärtlichften 
Nerven ihrer Empfindung erfchütterten. 
Seine Graufamfeit fchien ihnen erträglich, 
fo lange fie bei den Gütern ihrer Mitbür- 
ger, ober bei ihrer Arbeitfamfeit ſtehen 
blieb. Vielleicht dachten die Väter da— 
mals noch eben fo, als die Söhne nachher 
dachten : der König wäre ein Menfch, 
von dem möglich wäre , Recht und 
auch Ausnahme zu erhalten, wo dieſe 
nügen Fönnte: bei ihm fände guld, 
fände Wohlthaͤtigkeit flatt: er Fönnte 
zürnen und vergeben. Uber die Ge- 
fee wären ein taubes Wefen, uner⸗ 
bietlich, heilfamer und gebdeiblicher der 
Armuth, als den Reichtbämern : bei 
ihnen wäre keine Nachſicht, Feine 
Vergebung, wo man die Gränzen über- 
fhritte. Es fep wefäbrlich, bei fo 
‚mandherley menfchlichen Schwachheis 
gen, 


öhne Borurtheil, 77 


ten , bloß durch feine unſchuld ſich zu 
erhalten. ) 7* 

Aber der Thronfolger Sertus treikt 
feine Ungebundenpheit fo weit, dag Ehebett 
des Eollatinus zu verunreinigen — da fällt 
die Binde, die bis hieher ihre Knechtfchaft 
ihnen verhelet, hinweg. Die Anrede der 
übermältigten Lufretia: du findeſt, Cols. 
latin! die Spuren eines fremden Man: 
nes indeinem Bette — diefe Anrede macht 
die feigen Teidenden Römer zu Männern , 
facht in der Bruſt des Brutus die edel: 
müthige Begierde an, der Befreyer ſei⸗ 
nes DVaterlandes zu werden , und feinen 
Damen bei den Tyrannen der Nachwelt, 
zu einem Schrecfensworte zu machen , 
welches oft den zur graufamften That ° 
ſchon empor gehobenen Arm mit Beben 
finfen machen follte, Die Freyheit Roms 
ift das Werk der beleidigten ehelichen 
Liebe, 

* * * 


Dis erfiemal war bie Freyheit Roms 
das Werk der ehelichen Liebe, Da «8 
um 


*)#Avius do, I, L,e, U. 


78 Der Mann 


sum zweytenmale unterdrückt war, reichte 
ihm die Daterliebe die befreyenden Hän- 
de. Die Stimme des Virginius war bag 
Lofungswort Die Gefchichte ift befannt; 
aber fo befannt fie auch ift, fo muß ein 
Dater mit einem emporgehobenen Meffer, 
das von dem Blute feiner Tochter träufet, 
in deren Bruft er es felbft verfenfte, weil 
ihm nur dieſes einzige Mittel, fie von 
der Schmach frey zu machen, übrig blieb, 
e8 muß immer für die Menfchheit ein 
ruͤhrendes Gemälde feyn, bei dem fie bes 
trachtungsvoll ftehen bleiben , und ben 
Gipfel der Geduld, und den Gipfel ber 
Tpranney , vielleicht nicht ohne geheimen 
Schauder, bewundern wirb. 

Die Gefege, welche die Welt noch 
lange nachher Rom unterwürfig machten, 
als Rom von feiner ehmaligen Gröffe nur 
noch den Namen und die Herrfchfucht 
übrig behielt, diefe Gefeße waren die Ars 
beit der Unterdrückung. Die Nation, 
welche unrer dem Zepter eines Königs ih⸗ 
ren Nacken nicht beugen wollte, ward von 
zehen Tarquinien zugleich zu Boden ger 
freten. 


80: 


ohne Borurtheil. 79 


goratius Barbatus wagte es, das 
Recht ‚ von den Gefchäfften ded gemeinen 
Wefens in der Rarhsverfammlung zu fpre: 
chen, zurücfzufodern, aber ohne Wirkung, 
und beinahe mit der Gefahr feines Lebens. 
Seine Stimme war gleichſam der letzte 
Seufzer der ſterbenden Freyheit. Die 
Zehnmänner übten nunmehr ohne Zu: 
rüchaltung dasjenige aus, wozu fie Hoch: 
muth und Graufamfeit fpornten. Die Krier 
ge mit den Sebinern und Hequern wurden 
mehr mit Vorſatz ungefchickt als unglücklich 
geführt. Siccius, ein angefehener, taz 
pferer, aber freymüthiger und den Ty- 
rannen darum verdächtiger Maun, ward 
auf eine hinterliflige Weife aus dem Wege 
geräumt. Das Lafter diefes Meuchelmor⸗ 
des war durch unzweydeutige Merkmale 
befannt; aber e8 fand feinen Rächer un— 
ger einer Menge, die vor dem Haufen 
giftoren, und hundert ihrem Naden dro— 
henden Beilen knechtiſch zitterte. So wie 
die Geduld der Bürger ſtieg, flieg immer 
auch der Muth der Zehnmaͤnner, diefe 
Geduld zu üben, big fie zulegt nicht mehr 
hei ll Angelegenheiten allein fie: 

ben 


so Der Mann 


ben blieben ‚. (oben. in das Innere der. 
Familien drangen , und, rote fie vorhin. 
Allen furchtbar waren, nun auch jeden 
Einzelnen gefährlich wurden. 
Appius Tlaudius hatte feine Stiche 
auf Virginien, eine Verlobte des Yeilius 
geworfen. Er beftimmte fie ſich zum Naus 
be ; und eben die Geſetze, die das ‚Heilig: 
thum der Sicherheit fenn follten, machte 
er zum Werkzeuge feiner fchändlichen Ab 
fihten. Er trug feinen Pflegbefohlenen 
M. Claudius auf, das Mädchen als eis 
ne in feinem Haufe gebohtne Sklavinn 
zurück zu fodern. Ungeachtet die Geſetze 
in einem zweydeutigen Falle, wo es zwi⸗ 
ſchen Freyheit und Knechtſchaft zu thun 
war, den Ausſpruch für die Frevbeit, 
deutlich vorſchrieben, ſo ſetzte ſich der vor 
Liebe entbrannte Appius über dieſe Vor— 
ſchrift hinweg, und erkannt dem Claudius 
das angeſprochene Maͤdchen zu. * 
Der roͤmiſche Geſchichtſchreiber macht 
bie Anmerkunge: getten dieſen Ange: 
rechten Ausſpruch bat vielmehr die 
Menge nemurret , als jemand inabe- 
-fondere das Herz gehabt, demfelben 
au 


ohne Borurtheil. gı 


zu widerfprechen , *) bis der Oheim 
Dirginiens und Icilius ihr Bräutigam 
berbeieilten. Den Jcilius machte die Lie⸗ 
be beredt , und die nahe Gefahr feiner 
Berlobten unternehmend — Du mußt 
mich mit dem Eiſen von hier abhal⸗ 
ten, Appius , wenn du ohne Wi: 
derfpruch erhalten willft, wornach du 
ſtilſchweigend ſtrebeſt. Ich werde die⸗ 
ſes Mädchen ehelichen; und rein, und 
ungefchändet verlange ich fie zu be— 
figen — Ruf alfo immer alle Lif- 
toren deiner Amtsgefährten herbei ! 
heiß fie Ruthen und Beile bereit hal» 
ten! Sciliens Braut fol nicht aufler 
dem Saufe ihres Vaters bleiben — 
Diefe freyere Stimme hatte einige 
Wirkung; der Nichter begnügte fih, für 
das Mädchen Bürgen zu fodern, und 
verfchob den ferneren Ausſpruch auf Mor 
gen: würde aber, ſprach er, der Vater 
des 


*) Adverfus injuriam decreti, cum multi 


magis fremerent ,„ quam quisquam unus 
reclamaret, 
Liyius, 


IV. Theil, 8 


82 Der Mann 


bes Mädchens dann nicht zugegen feyn, 
fo Fündige er dem Jcilius, und feines 
gleichen an, daß der Gefengeber feine 
Gefene zu behaupten wiflen,, und den 
Decemoir feine Beharrlichkeit nicht 
verlafien werde, Er hatte indefien an 
feine Amtsgefährten in dag Lager melden 
lafien: fie follten dem Pirginius Feinen 
Urlaub nach der Stadt geben; viel- 
mehr follten fie ihn in genauer Der: 
wabrung halten! 

Der Bote des Decempird mar von 
Jeilius Brudern überholt, und Pirginius 
fam mit Anbruch des Tages in Nom an. 
Die Anrede, mit welcher er das Mitlei- 
den feiner Mitbürger zu erwecken fürchte, 
verhehlt den Beweggrund nicht „. der den 
Arm ded Mannes jur Tapferkeit ftärfte. 
Ich ftebe für eure Kinder und be: 
weiber täglich in der Schlecht, und 
man wird von Feinem andern Manne 
mebrere kühne, und tapfere Thaten 
erzählen, ale von Dirginius, Was nügt 
es mich, wenn meine Kinder bei der 
Wohlfahrt der Stadt das Aeuflerfte 
zu ertragen baben, was man in ei 

ner 


ohne Borurcheit. 83 


ner eroberten nur immer fürchten 
fanny *) 

Was nuͤtzt mic die Sicherheit der 
Stadt ohne die Meinige? ohne die Si: 
cherheit derjenigen, die den theuerften Theil 
von mir felbft ausmachen, ohne die Sicher- 
beit meiner Rinder v_ Diefe Erinnerung 
follte die Väter zu einer übereinftimmenden 
Rache empoͤret, jeder Römer follte in Dir- 
ginien bie Freyheit, die Keufchheit und 
Zugend feiner eigenen Tochter befchiget 
haben. Aber die Furcht hatte zu fehr 
dieſen Eindrücken alle Zugänge vertreten. 

Appius Elaudius ward durch die 
Ausrufungen des Schmerzens weder von 
dem Vorhaben abgeſchrecket, noch an der 
Ausführung gehindert. Er war mit al- 
len Schreden der Gerichtsbarfeit , mit 
aller Macht, diefelbe zu unterflügen,, ges 

52 waff⸗ 


Se pro liberis eorum & conjugibus quo- 
tidie in acie’ftare : nec alium virum effe, 
cujus ftrenue, ac ferociter Fadta in bello 
plura memorari poffint: quid prodejffe, fi 
incolumi urbe, qu& capta, ultima ti- 
meantur , liberis fwis fint patienda. 

Livius. 


84 Der Mann 


waffnet, auf dem Marfte erfchienen, und 
ſprach — unter den beftigften Drohungen 
gegen jederman, ber fich zu mwiderfegen 
unterftünde — das ungerechte Urtheil ger 
gen die. Tochter des Pirginius aus. 

Die Gerichtsdiener machten ſtch fertig, 
die verurtheilte Virginia dem Srepgelaf- 
. fenen des Appius zuzuführen. Der Haus 
fen der Anmwefenden trat verftumme zu— 
rücke ; das Mädchen fand, eine dem La— 
ſter überlaffene Beute. Es war eine ge- 
waltſame Erfchütterung nothwendig, diefe 
Betäubung zu zerſtreuen. Nur die thätige 
Daterliebe hatte Stärke genug , diefe Er- 
fchütterung zu verurfachen. 

Da virginius nirgend ber einige Hilfe 
zu erwarten hatte, erbat er fih von Ap— 
pius die Erlaubniß, das Mädchen noch 
einmal beifeite zu nehmen, und in Gegen- 
wart ihrer Säugmutter an fie cinige Fragen 
zu thun, um fich, fprach er, wenigftens darin 
zu beftättigen, daß es fein Kind nicht fey. 
Als er diefes erhielt, führte er fie an bie 
jenige Seite bin, wo die sffentlichen 
Sleifhframen gehalten wurden. Hier er= 
ariff er das zunächft liegende Meffer : und— 
Tochter, rief er aus — ich erhalte dir 

die 


ohne Borurtheit. 85 


die Freyheit auf die einzige Weife, die 
mir noch übrig iſt: mir welchen Worten 
er unter Dergieffung einer väterlichen 
Zähre ven hoch erhobenen Stahl tief in 
ihre Bruft verfenfte, dann fich gegen den 
Nichterftuhl wendend, hinzu feßte: dich 
Appius, und dein fchandliches gZaupt 
weihe ich durch diefes Blut zur Rache 
ein, Aus der Wunde Pirginiens quoll 
die Befreyung Noms von der Unterdruͤ— 
ckung der Zehnmänner. Bon allen Seiten 
erfcholl die Stimme: erzeugen wir zu 
einem folchen Schidfale unfre Kinder 4 
find diefes die Belohnungen der Keuſch⸗ 
beity Auf diefe Stimmen der gefränften, 
der beleidigten, 'rachfodernden Vaternei— 
gung folgte der ſchnelle Entfhluß , fi 
fünftig folche traurigen Begebenheiten , 
folche gräuliche Schaufpiele zu erfparen, 
und bie graufamen Urheber verfelben aufs 
fer Stand zu feßen, dergleichen zum sone 
tenmale auszuführen. 

Theures, reizvolles Geſchlecht! du biſt 
nicht nur dazu auserſehen, das Gluͤck 
unſrer Tage zu werden, du biſt auch die 
Triebfeder unſrer glaͤnzendſten, ruhmvoll⸗ 
ſten Handlungen, und du nahmſt oft 

53 dar⸗ 


86 Der Mann 


daran mit Antheil. Weimsberg , ein 
kleiner Ort im Wirtenbergifchen, verdient 
durch die Treue der Ehefrauen, die dem 
Lande, feinem Regenten und dem Vater— 
lande feine tapfern Vertheidiger erhielt , 
in den Jahrbuͤchern der deutſchen Ger 
fchichte merkwuͤrdig ju werden. 

Conrad der Dritte, fich wiegen ber 
Hinderniffe zu rächen, welche der Herzog 
von Wirtemberg bei feiner Wahl zur Kai— 
ferfrone erweckt hatte, überzog das Land 
diefes Fürften mit Kriege, und zwang den 
unglücklichen, ſich mit feiner Gemahlinn 
in diefem unbeträchtlichen Orte zu ver- 
fhlüffen. Die Tapferfeit, mit welcher die 
Belagerten aushielten, diente zu nichts 
weiter , ald den Sieg des Kaifers um 
einige Tage zu entfernen, und ben Gie- 
ger defto unverföhnlicher zu machen. Die 
Stadt gieng mit Sturme über, und alles 
follte vom Schwerte und den Flammen 
verheeret werden. Die einzigen Frauen 
fanden im Angefichte Conrads Verſcho— 
nung, er erlaubte ihnen, frey abjus 
gieben, und dasjenige mit fich hinwegzu— 
nehmen, was ihnen das Koftbarfte war — 
Die Herzoginn bedachte fich feinen Augen 

blick: 


ohne Borurtheil. 7” 37 


blick: fie ergriff ihren Gemahl, feste ihn 
auf ihre Schulter , und wanderte mit der 
theuren Laft durch die erſtaunten Ueber— 
minder, Ihrem Beifpiele folgten alle 
übrigen Frauen, und die Männer, deren 
Tapferfeit für die Rettung der Frauen 
vergebens war , fahen fich durch die Lie⸗ 
be ihrer Weiber von dem Untergange bee 
freyet — 
4 
* G. find in mancherley Streitigfei- 
ten verwickelt geweſen, und müffen da— 
ber fih auf ihrem Streitroffe mit vieler 
Gefchicklichfeie zu tummeln wiffen, weil 
Sie niemand aus dem Sattel gehoben 
hat. Indeſſen follte e8 Ihnen gewiß zu 
ſchaffen gegeben haben, es mit mir aufs 
zunehmen — mit mit , einem Kämpfer 
von ganz einer andern Art : oder vielmehr 
einer Kampferinn ; denn nun haben Gie 
doch nach der Unterfchrift gefehen, um 
den Rodomont zu Fennen, der fo groß- 
fprecherifch vor den Schranfen tritt, um 
mit Shen — nicht zu flreiten: denn mein 
Widermwillen ift durch die Galanterie, mit 
34 wel⸗ 


88 Der Mann 


swelcher ihr letztes Stück gefchloffen war, 
entwaffnet. „ 

Zwar. ich habe mich durch Jahre 
und Mühe uber die Neigungen meines 
Geſchlechts hinmweggehoben : ich habe bei 
der Abnahme meiner Förperlichen Neise, 
meinem Geifte Anziehungen zu verſchaffen, 
und mich dadurch bemerfungsmwertb in den 
Kreifen zu machen gefucht. Bei allen 
dem lodert die weibliche Eitelfeit manch— 
‚mal in die Höhe, wie die mit Aſche be- 
deckte Kohle oft plöglich mit Geräufche 
eine Funke fprüht. Ich blieb alfo gegen 
ihr Theures, reizvolle Gefchlecht ! nicht 
gleichgültig, und anftatt, wie ich vorhin 
den Borfaß ‚hatte , wider Gie meinen 
Streitbpammer zu heben, daß Sie unfes 
rer nicht gedachten ‚ in einem Selbe, da— 
von wir ganz Meifter fenn follten, flatt 
beffen werfe ich num mit dbanfbarer Hand 
Blumenfränze ‚nach ihrem Haupte, und 
verfihere Sie im Namen des ganzen 
Srauengefchlecht8 , einer ewigen Verbind⸗ 
lichkeit. „, 

nn Schmieget euch vor ihm ihr deutr 
fen , fchmieget euch ihr wellifchen 
Schriftſteller — Ich habe Ahnen bereits 


an: 


ohne Borurtheil. 89 


angemerket , daß ich der hinfallenden Ge- 
alt nicht mit der Schminfbüchfe , ſon⸗ 
dern dem Wie aufzuhelfen fuhe; Sie 
Fönnen alfo Anführungen, und gelehrfe 
Ausfchweifungen von mir erwarten — 
Noch einmal alfo : fehmieger euch vor 
ihm, ihr Schriftfteller Galliens, die ihr 
eure Feder der Liebe geweihet, aber fo 
weit ald er , euch nie gewaget, nie euch 
habet einfommen laffen, die Liebe zu der 
Duelle des buͤrgerlichen Heldenmuths, zu 
einer Staatsfache, und wo ich mich recht 
in ihre Denfungsart verfege, zu einem 
fehr fruchtbaren Gegenftande der Geſetz⸗ 
gebung zu machen. „ 

„Ihr Siftem ift nach meinem Ge- ' 
fchmade; es hat etwas ähnliches mit dem 
verjährten Sifteme der Ritterfchaft, daß 
e8 fchon feines grauen Alterthums wegen 
Berehrung und Beifall verdienet. Hätte 
fih Cervantes wohl jemals, auch"nur in 
der Unordnung eines Traumes beifommen 
lafien, daß im Jahre 1768 ein Hlegmati=- 
fher Deutſcher aufftehen, und mit. phi- 
Iofophifher Ernfihaftigfeit Don Quixoten 
zu Ehren bringen wuͤrde. 


5 5 Ey) Den- 


90 Der Mann 


„Denken Sie, daß ich von dem 
theuren reizvollen Gefchlechte bin, dem 
das Vaterland den fiegenden Helden ver 
danfer , das in Rom und Weimsberg 
Wunder gethan , borten folge Männer 
verfcheuchet, bier mit den werthen Ge- 
fchöpfen davon wandert! Denfen Sie, 
daß ich davon ein Theil bin, und daß 
Sie mit mir die Ausdrücke nicht auf die 
Probierwage legen , oder ihre galante 
Denfungsart verläugnen müffen! Glaus 
ben Sie indeffen nicht, daß es Männer, 
neidifche Männer geben wird , die ſich 
noch weit mehr, als diefen Ausdruck er- 
lauben, die es zu einem fehr ernfihaften 
Gefchäfte machen werden, ihr Lehrgebaͤu⸗ 
de zu entfräften, nicht es lächerlich zu ma⸗ 
chen, fondern als gefährlich zu verfchreyen. 
Ich kann Sie verfichern , weil ich bereits 
davon Zeuge war, und für die Lieblings— 
Ichre meines Gefchlechts , folglich auch 
für Sie, bereits einen fcharfen Gang ger 
than habe, wofür Sie mir ohne Zweifel 
in einem öffentlichen Schreiben danken 
werden. „, 

„Ich verdiene ed: ed war ein hartes 
Stück Arbeit , mit einem fürchterlichen 
Man: 


ohne Borurtbeil. 91 


Manne, dem die göttliche Venus nie ge= 
fächelt, dem Mißgunft mehr als Nach: 
finnen fünf groffe Furchen an die breite 
Stirne gezogen, und das Wachen bei der 
mitternächtlichen Lampe, über fein ganz 
Geficht die Farbe des im Herbfte fallen 
den Laubes verbreitet hat. Seine Den: 
fungsart ſtimmt mit diefem Auffenwerfe 
überein. ine weibliche Kreatur hat nie 
ſich ihm auf zehn Schritte, wenigſtens 
mit feinem Willen , nicht genähert. Die 
Stimme eines Kindes klinget feinem Ohre 
fchrecklicher , al8 dem verirrten Wanderer 
ber traurige Nuf des Nachtvogels: er 
hält Empfinden für Weichlichfeit, und Fie- 
ben, beinahe für eine Sünde. Ich weis 
nicht, durch welches unwiffentlihe Ver: 
brechen ich verdient hatte, diefem Manne 
unter die Augen zu fommen. Er faß un- 
gefähr fo weit von ung andern weiblichen 
Ungeheuren entfernet, als, nad) der ge— 
wiſſenhaften Ausmeſſung der neueren Welt: 
soeifen der Umfreiß der Aushauchung reicht, 
diefes, mie er felbft fagte, aus der wei—« 
fen. Borfiht , mit der Luft nicht etwan 
ein verflogeneß mweibliches KRörperchen ein= 
zuathmen. Die Srau von Haufe, eine 
Anz 


92 Der Mann 


Anverwandte von ihm, der feine Art zu 
denken befannt feyn mußte, legte die Uns 
ferredung an. z, 

„ Kun — fagte fie — bier iff ein. 
Schriftfteller , den Sie in roth Saf— 
fian gebunden ‚, Schnitt und Rüden 
vergüldet, in ihren Bücherfihranfen 
ftellen müffen. Er wird ihr ————— 
ſteller werden, ganz gewiß! „ . 

Wo nicht ihre gewöhnliche eebhaf— 
tigkeit Ihnen eine Thorheit in den Mund 
legt, fo bitte ih Sie um den Namen. „— 

„ Den Klameny der Namen thut 
zur Sache wenig + Sie müflen hö— 
zen! — und nun fieng fie an: YGerr der 
Natur! eben fo weis im Erhalten u. f. 
w. Als fie an die Wörter fam: wer 
taucht den Ziel des Schriftftellere in 
Flammen, der dich Liebe fchildert u. 
ſ. mw. verbreitete fich eine Nöthe, wie bie 
gräuliche Nöthe des Himmels bei einer 
nächtlichen Feuersbrunſt, über feinem er 
zen Gefichte — 

„ Ih dachte es — fiel er ein, es 
würde einer von den Spornftreichen feyn, 
dabei fich meine Muhme fowohl gefällt — 
Allein fie ließ ſi ch durch dieſe Hoͤflichkeit 

nicht 


ohne Borurtheil. 93 


nicht abhalten, und was auch immer der 
gute Mann für fürchterliche Gebehrden und 
Verzuͤckungen machen fonnte, er mußte 
den Lobfpruch der Liebe, und das Gluͤck 
der Liebenden, und den Vortheil, den dag 
gemeine Wohl daraus zieht, nad) ber 
ganzen Länge von einem Ende zum andern 
anhören — „, 

> Glauben Sie — fieng fie nach ge 
endigter Vorlefung an — glauben Sie 
nit, daß diefer menfchenfreundliche 
Schriftfteller ale ein Flafiifches Buch 
eingeführt , und der Jugend recht bei 
Zeiten austelegt werden ſollte — 

„ Dhne Zweifel, Madame! und ich 
denke, es foll auch nicht lange mehr feyn, 
bis es gefchieht — Wie kann man diefe 
Prediger ber Verwuͤſtung im Staate herum 
wandern, und fogar unter der Aufficht 
der Eenfur den Saamen der Zügellofig- 
feit ohne Scheu ausſtreuen laffen? Gie 
haben ihr Töchterchen, und ihren Sohn 
diefe Blätter natürlich einigemal überlefen 
laffen ; und wenn bie erbauliche Samm- 
lung alle feyn wird, wird e8 dann nicht 
—— der theuren Jugend wer⸗ 
den? 


Das 


94 Der Mann 


„ Das wird es — unterbrach fie ihn 
lächelnd — jedoch mit ihrer Genehm- 
baltung, Herr Obeim! „, 

„ Mit meiner Genehmbaltung zum 
mindften nicht, das betheure ich Ahnen, 
Giebt es nicht ohnehin der Tricbfedern zum 
Höfen genug ? ift die Jugend nicht ohner 
hin durch eigenen Hang, durch tägliche 
Beifpiele, felbft durch eine Art von Mode 
zu Ausfchweifungen geneigt, ohne das man 
noch ingbefondere , mie diefer Miſſionaͤr 
von Cythere, fie durch National oder 
Staatsgrundfäge dahin treiben darf ? ,, 

„ Nun fam meine Reihe, denn id) 
hatte bis hieher nur gehösrt. Ausfchwei- 
fungenv fagte ih — Sie nennen alfo 
gefittete, auf Tugend gegründete Lies 
be, Ausfchweifungen Sie find ohne 
Zweifel ein Rigorofifty „, 

„ Und Sie, Madame gab er mit ber 
fpösttenden Mine ber Verachtung zur Ant= 
wort — find ohne Zweifel feine Rigoroſi⸗ 
ftinn? Sch babe Sie nie dafür angefehen: 
ich weiß, daß die abgefpannte Sittenlehre 
giemlich nach dem Gefchmacke des heutigen 
Srauenvolfs ift, und es thut wohl daran; 
fie ift wenigftens febr bequem. Indeſſen, 

ba 


ohne Bor urtheil. 95 


da wir nun einmal darauf gefommen find, 
fo möchte ich in ihrem Munde gerne bie 
Grundfäge ihres neuen Sektirers mit den 
Grundfägen der Religion vereinbaret wiſ⸗ 


fen, welche den ehelofen Stand als ven | en, 


volfommenen anpreißt — „, 

„Ich ließ ihn nicht vollenden: Sie 
machen es — fiel ich ihm in die Rede — 
wie alle diejenigen, die eine üble Sache 
vertheidigen, wozu es ihnen an Brün- 
den,.mangelt ; fie flüchten in die Sa— 
friftey. Indeſſen ift zum Glüde die 
Kappe St. Benito nicht mebr üblich. 
Sie feben, ich weis ein Bischen von 
dent Gebeimniffe , die Schriftfteller 
fhweigen zu machen, die man nicht 
widerlegen Tann, und doch — Aber 
was habe ich zu forgen, Ich weis, 
daß die Liebe zur Ehe führt ; daß die 
Ehe von der Religion geheiliget ift; 
daß fie im Ungefichte der Kirche ge: 
fchloffen wird, und ihr von derfelben 
befondere Vorzüge und Gnaden ver: 
beiffen find; und daß ich, da ich zu 
wablen hatte, Gnade für Gnade, der-, 
fenigen Lieber theilbaftig geworden bin, 
die ich im Eheſtande, als derer, wel« 


he 


96 Der Mann 


he ich in der traurigen Einſamkeit 
des ebelofen Standes zu erwarten bat- 
te: und daß ich dem Staate zu dem 
Geſellſchaftogeiſte, der aus dem Glüde, 
and dem Segen der Ehe entfpringt, 
recht vom Gerzen Glück wünfche,. „. 

„Alſo Madame. halten Sie dafür, 
daß die Etände — „ 


„ Rein alfo, mein gerr! ich halte 


nichts dafür: und ich werde es nicht 
zugeben, daß Sie dafür halten. Mir 
ift eure Art zu folgen gs: unbe: 
kannt — 

* Aber die Vollkommenheit —¶ 

„Aber, noch einmal, dieſe Voll: 
Fommenbeit fodert zum wenigften von 
Ihnen nicht , daß Sie gegen eine 
Srauensperfon unertig ſeyn, und fie 
zwingen , wegen Sie eine Streitrede 
aus der Gottesgelehrtheit abzuhalten. 
Ich eſſe, ob ich gleich die Ehe nicht 
unter die verwerflichen Stände zähle, 


fo gut als Sie am Sreytage Feinen. 


Kalbebraten , der fonft mein Baum: 
gericht ift, und ih glaube — 
„ Ich darf Ihnen wohl in die Nebe 
fallen, Madam, und Sie mit aller Hody: 
; ach⸗ 


* 


ohne Borurtheil, 97 


achtung, die Sie auf das Anfehen ihres 
Fiſchbeinrockes vorausſetzen, verfichern , 
daß davon nie die Rede feyn wird, was 
Ste glauben, fondern — „ 

„ Sondern, was die tiefgelehrten 
Berten ihrer Art, durch einen allgermet: 
nen Rathſchluß uns zu glauben vor: 
fehreiben werden, nicht wahr „, 

„ Sie fehen , mein guter Schrifeftel: 
ler, ver Dann wollte anfangen , aus ei— 
nem fcherzhaften Tone zu fprechen : ich 
fürchtete den liebfofenden Huf des Grau— 
thiers , und gab meiner Freundinn einen 
Wink, unfte ——— zu unterbre⸗ 
den. „ 

„ Sndeffen fehen Sie durch alle die 
Umfchmweife meines verwirrten Briefes , 
was man etwan aus ihrer Meinung, ge> 
gen Sie für Schlüffe ziehen möchte: Sie 
find ein Miffionar Cytherens. Ich wuͤn⸗ 
(che Ihnen Gluͤck zu der Würde: ihr Hör» 
faal wird immer zahlreich feyn, fo lan— 
ge — 

„ Sie verftehen dag übrige, und was 
ich beforge. Wäre es nicht gut, ein we— 
nig vorhinein auf ihre Sicherheit zu den= 
fen, und allenfalls den Einmwürfen, die 

IV, Theil. & . Sie 


98 Der Mann ohne Vorurtheil. 


Sie vorherfehen, entgegen zu gehen? Ich 
dächte. Kehren Sie fih an die ungleiche 
Laune meines Briefes nicht! es wird mir 
ſchwer, einen Gedanken wegzuſtreichen, 
der mir ein wenig huͤpfend vorkoͤmmt, er 
mag nun paſſen, wo er ſteht, oder nicht: 
einmal iſt er da. Er mag alſo bleiben, 
ohne der Verſicherung das geringſte von 
ihrer Staͤrke zu benehmen, daß ich mit 
wahrer Achtung für ihre Bemuͤhung 
bin | 


Ihre eifrige Sreundinn Rofalia.s. 


ur U a u m ——— 


SIDE e ;, 
und | 


E leminitie 


. 62 


Bielleicht wär dieß Geflecht, das wir fo gem 
| beladen, 

Der Zärtlichkeit der Edlen werth : 
Bemlhten wir ung mehr, das, was die Geier 

ehrt, . 
Verſtand und Wis, Geſchmack und Tugend, 
Den ächten Wit der ſchönen Jugend , 
Mit ihm vertraulicher zu machen. 

Wieland. 


An die 
tugendhaftfte Franensperfon. 
Verehrungswuͤrdigſte 


ihres 


Geſchlechts! 





Bañꝛtter worin unter dem leichten 
Schleyer des Scherzes vielleicht einige 
von den wichtigen Lehren verhüller lie⸗ 
gen, die Sie durch ihre anmurhvollen 
Handlungen empfehlen; Blätter, worin 
vielleicht einige von den herrfchenden 
Laftern Ihres und des männlichen Ge- 
fchlecht3 entlarvet werden, deren Ab⸗ 
fcheufichfeit durch die Abftechung mit 
Ihren Tugenden noch abfcheulicher ger - 
macht werden; Blätter, die wenigftens 
Ihren vichtenden Blick, vor dem Uns 
anftändigfeit und GSittenlofiafeit es nie 
wagen werden, zu erfcheinen, nicht zu 
feheuen haben; folche Blätter Fönnen 
nur Ihnen zugeeignet, nur durch die 
Auffhrift Ihres Namens noch mehr 
empfohlen werden. 

Möge die gefahrbringende Deut- 
ſucht, die Tochter der allgemeinen Ber; 

U Air feum- 


feumdungsbegierde, die fich bisher im» 


mer geübet, entehrende Aehnlichfeis 


ten aufjufuchen, um die Dennoch mei- 
ftens nur die Linke nach der Rechten 
zu greifen gehabt hätte , möge dieſe 
ſich nun auch einmal anſtrengen, eine 
Perſon zu bezeichnen, die ſie nicht 
balder erkennen, als verehren wird. 
Vielleicht aber ſind die Stimmen 


der billigen Hochachtung nicht fo leicht, 


als die Stimmen der Berläumdung zu 
vereinigen! WBielleicht auch: ift vie 
Wahl unter ihren liebenswärdigen Ges 
fpielinnen fo leicht nicht zu treffen ! 
Dielleicht findet jeder Munn an feiner 
Geite eine Öattinn, jeder Liebhaber 
eine Geliebte, jede Mutter in ihrem 
Haufe eine Tochter, die die ehrenvolle 
Bezeichnung meiner Zuſchrift anfpres 
chen £önnen ! 

Ach hoffe es; wuͤnſche dann meinem 


Vaterlande und der Tugend hiezu 


Gluͤck, und fchreibe entzuͤckt meine Zus 
eignungsfihrift auf folgende Weife um: 


Allen tugendhaften Frauens⸗ 
perſonen ſeyn dieſe Blatter zuge⸗ 
eignet! 


von bem zerausgeber. 


An Herrn | 
3; Hofrath von Born, 


Verehrungswürdiger Freund! 


Mir wenn ein Mann der Ver: 
faſſer diefer Blätter ware? *) Durch 
diefe Worte wurden Sie in Ihrer 
Muthmaſſung beſtaͤttiget, und wuͤnſchen 
von mir ein Geſtaͤndniß — Nun denn! 
Sie haben nicht geirret. Thereſie, 
wie Sie wiſſen, iſt der Name der 
theuren Perſon, welche die Vorſehung 
zum Werkzeuge meiner Gluͤckſeligkeit 
auserfehen hat; und Eleonore, der. 
Dame ihrer Schwefter , deren Herz 
beftimme zu feyn fcheine, der Lohn eis 
nes gefitteten, tugendhaften Juͤnglings 
zu werden — 

Sch fee mich über das Vorur— 
theil weg, und habe das Herz, meiner 
G 4 Gat⸗ 

*) XLI. Stuck om Ende. — 


Gattinn und ihrer Schwefter vor aller 
Welt zu fagen, was ich beiden, in 
Shrer Gegenwart, wirdiger Freund, 
fo oft wiederholt babe, und wobei ich 
Sie als einen Zeugen aufführen kann, 
daß es Feine Schmeichelen ift. 

Don diefen mir fo werthen Pers 
fonen habe ich die Erlaubniß erhalten , 
unfer ihrem Namen ihrem Gefchlechte 
Wahrheiten zu fagen, und Erinneruns 
gen zu machen, die es vielleicht lieber 
aus dem Munde feiner Gefpielinnen 
hören würde. Und. vielleicht habe ich, 
den Beifall, ‚mit welchen diefe Blätter 
aufgenommen wurden groͤßtentheils 
diefer Einfleidung zu verdanken. 

Erlauben Sie mir nun aber, zum 
Preife meiner Offenherzigfeit, daß ich 
davon noch einen Gebrauch mache, und 
wie diefelben bereits der tugendhaft⸗ 
ften Frauensperfon zugeeignet find, 
ich fie auch noch Ahnen — dem beiten, 
redlichſten Manne — zufchreibe. 

Sonnenfels. 


Thereſie und Eleonore. 


Aßwaſt⸗ übertraf in der Politif den grof- 
fen Perifles , in der. Beredtfamfeit alle 
Redner ihrer Zeit, zählte unter ihren Zu— 
hoͤrern den weiſen Sokrates, und hatte zu 
ihrem Lobredner den goͤttlichen Plato. 
Sapho war eine gärtlichere Dichterinn, alg 
felbft Anakreon. Dacier überfeste uns 
gleich beffer als ihr Mann. . Sevigny in 
ihren Briefen läßt den Großfprecher Ra— 
butin weit hinter ſich. Deshouillers ift 
nicht ſo gernwitzig als Sontenelle. Wel: 
cher Mann darf mit einer Graphygni, 
mit einer Riccoboni in der Zeichnung der 
Leidenfchaften, in ihren feinern Verflöffun- 
gen auftreten? Bottfchedinn fonar, war 
mehr Dichterinn als ihr treuer Eheſchatz, 
der gleichwohl fo manchen Lorbeer augge- 
theilet hat; und Unzerinn und Karfchinn 
find wenigſtens mehr werth, alg die gan— 
je Schule der Reimreiche, Die Inſek— 
5 ten= 


en 
—— | | 


tengefchichte hat gegen Merieninn mehr 
Derbindlichfeit , als gegen was immer 
für Müdenfänger. Eliſabetha Cheron 
machte durch ihre Talente in der Malerey 
ihre Zeitgenoffen in Franfreih, und Ro- 
ſalva die ihrigen in Stalien zu unfern 
Zeiten, eiferfüchtig. Die Krone unſers Ge- 
» fchlechtes , die Monerkhinn The— 
refia, wird in allen Gefchichtbächern , 
den ftandhaftften Negenten, und den wei— 
feften Gefeggebern an die Seite geſetzt 
werden. 


Wir — wollen es verſuchen, ob The— 
reſie und Eleonore es dem Jünglinge 
und Manne, und Greifen *) gleich thun 
fönnen, Wir hätten Luft zu fagen: dem 
Manne ohne DVorurtheil : aber er ift 
ung zu ernſthaft, wir mollen ihn lieber 
zum Freunde baben. 


Das würde alfo eine Wochenfchrift 
von Derfaffern weiblichen Gefchlechtey 
— ‘a! und für das weibliche Gefchlecht! 
denn an bdaffelbe hauptfächlich wollen wir 

uns 


) Wochenblätter dirfes Namens. 


—— —— 


unſre Betrachtungen richten, von demſel⸗ 
ben wuͤnſchen wir vorzuͤglich geleſen zu 
werden. Erſchrecken Sie nicht davor, 
theuerſte Geſpielinnen! daß unfer Eingang _ 
ein ‚wenig gelehrt läßt; wir felbft find es 
bei weiten nicht: wir find unr den maͤnn⸗ 
lichen Schriftftelern auf die Spur gera— 
then, haben ihnen den Kunfigriff , ge: 
lehrt zu thun, abgelernt; ein hiſtoriſches 
Wörterbuch hat ung diefen Dienft gelei— 
fiet , und wir häften daraus noch viel 
mehr abfchreiben Finnen. Doc, wir ger 
ben Ihnen unfer Ehrenwort; in Zukunft 
foll unfre Miene gar nicht pedantifch, nicht 
die altjüngferliche Miene der vernünftigen 
Tadlerinnen *) feyn! Keine ängftliche 
Drdnung! fo, wie fich die Gegenftände 
darbieten, alle Gegenftände , die fich dar- 
bieten ‚die auf die Sitten , den Anftand, 
die Artigkeit, die Tugenden unfers Ge- 
ſchlechts eine Beziehung haben, werden 
wir vor uns nehmen! Aber wir wollen 
nicht unterrichten. ! wir wollen über diefe 
Ge: 


*) Eine billig vergeſſene gottſchediſche Wochen⸗ 
ſchriſt. 


— 


Gegenftände bloß einige unfrer Gedanken 
mittheilen! Sie — behalten immer die 
Freyheit, zu folgen, wenn Sie e8 für 
gut befinden — Wo nicht, fo werden wir 
nicht zürnen + denn wir haben fein vn 
Solgleiftung zu fodern. 


Daraus ungefähr Finnen Sie den Ton 
unfter Blätter vorfehen :. Offenherzigfeit, 
Dertraulichfeit, Laune; nichts Hergefuch- 
tes, nichts Steifes! das erfte Wort, fo 
ung unter die Feder koͤmmt, wird uns 
dag liebfte, der Ausdruck, der am beuf- 
lichften ift, immer der befte feyn. Dennoch 
find wir nicht gut dafür, ob ung nicht 
manchmal eine Eleine Ernfthaftigfeit an= 
wandeln werde, Therefie hat einen Mann, 
Eleonore einen Liebhaber : das Betragen 
diefer Gefchöpfe gegen uns iſt nothwendig 
von einigem Einfluffe. Alfo, wenn wir 
muͤrriſch find; fo fagen fie: Therefiens 
Mann fpielte heute den Eheherrn— 
Pleonore bat fich mit ihrem Liebhaber 
überworfen : Sie werben nicht geirref 
haben. 


The: 


_—— 
J 


— — 

CThereſie wird die Vertraute der 
Srauen , oder Braͤute, SEleonore bie 
Bertraute der Mädchen feyn: fo haben 
wie ang in unfre Fünftigen Korrefponden= 
tinnen getheilet.. Sollten auch Männer 
an ung fchreiben, fo wird es anſtaͤndiger 
feyn , fid) am die erfle zu wenden, 


Wir werben mechfelweife jede ein Blatt 
geben, und unfre Anfangsbuchftaben dar- 
unter fegen. Wo die Buchſtaben T. oder _ 
€, nicht fiehen, das werden eingefendete 
Stücde feyn *), denn wir weifen auch fremde 
Beiträge nicht zurück: befonder8 werden 
uns die von unferm Gefchlechte Ihäßbar 
ſeyn. 


Verſe, Proſa, Erzaͤhlungen, Uberſe— 
tzungen, Fabeln, Geſpraͤche, alle Arten 
von Einkleidungen werden ung zu Gebote 
ftehen, um die Binförmigfeit zu vermei- 
ben. Aber wir wollen ung auf feine lan- 
ge Zeit verbinden : ein halber Jahrgang ift 
genug, gegeneinander zu verfuchen : ob 

wir 


*) Es find Beine fremden Stüde an diefe 
Sammlung aufgenommen. 


— — — 
— — — —— 


wir den Leſern, ob die Leſer ung anſte— 
hen: und dann wollen wir ſehen! 


Wir werden beſorgt ſeyn, daß Papier 
und Druck rein gehalten werden. Die 
Korrektur und Rechtſchreibung, zu groſſe 
Kleinigkeiten fuͤr unſer Geſchlecht, haben 
wir, dem Verleger zu beſorgen, uͤberlaſſen. 


Wien den 20. Auguſt 1766. 


Sherefie 
und . 
“ Eleonore. 


1. 


Ihr Schönen, fchrenkt euch nicht auf Beinen 
Anſpruch ein! 
Erkennet euch! — und ſeyd zu ſtolz, nur 
ſchon zu ſeyn! 
Wieland. 


x 


| Cyhriſale! wo biſt du x höre ich den 
Schwarm der Lacher und Schönfchreiber 
ung zum Wilfomm entgegen rufen — Ich 
verftehe Sie, meine Herren! und ich will 
Ihnen die Mühe erfparen, ung aus Mo— 
liers gelehrten Weibern den Verweis: des 
baftigen Alten vorgufagen: Ich will e8 an 
ihrer Stelle felbft thun. 

Ebrifale alfo , hält feiner Schwefter 
ihr laͤcherliches Gelehrtthun fehr nachdruͤck⸗ 
lich vor ) — „ Eure ewigen Buͤcher — 
fpricht er — find mir ımerträglich. Einen 
einzigen dicken Plutarch ausgenommen , 
meine Halsfraufe aufzubewahren, follter 
ihr all den unnügen Plunder in das Feuer 
werfen ! Mebselßt das Vielwiſſen den 


Dok⸗ 
*) U. Auf. VI. Yufkr. 


ı12 Thereſie und Eleonore. 


Doftoren in der Stadt — Glaubt mir? 
wollt ihr Elug handeln, fo fchickt das lans 
ge Sehrohr auf dem Boden , an dem fich 
die Leute nur fchrecken, und alle die hun— 
dert Lumpereyen, die ich nicht mehr vor 
Augen haben will, zum Geyer! und an= 
ftatt darnad) zu gucken, was man im 
Monde thut, feht viel lieber ein menig 
zu, wie es bei euch bienieden ausſieht, 
wo alles ziemlich bunt über Ed geht — 
Es fieht nun einmal nicht gut, daß ein 
Weib fiudiert, und fo viel weiß. Ihre 
Kinder anftändig erziehen, das Hauswe⸗ 
fen im Gange erhalten, das Aug auf ih- 
vem Gefinde haben, die Ausgaben ber 
Hauswirthſchaft beforgen, das muß bie 
ganze Wiffenfchaft der Weiber, das muß 
ihre Philofophie fenn! — Unfte Väter . 
waren in diefem Stuͤcke ganz vernünftige 
Leute. Ein Weib, fagten fie, weis im⸗— 
mer genug, wenn es ein Wammes von 
Beinfleidern zu unterfcheiden weis. Ih⸗ 
ve Meiber blätterten nicht in Büchern, 
aber fie lebten , rote ſichs gebührer. Ihre 
Haushaltung war ihr gelehrter Zeitver⸗ 
freib ; und ihre Bibliothek beſtund in Fin— 
gerhut, Faden und Nähnadel, womit fie 
bie 


Therefie und Eleonore. 113 


die Brautwäfche ihrer Töchter zu rechte 
machen, Aber heute, ja doch! wie him: 
melweit find unfre Weiber von ihren Sit- 
ten abgefommen ! fihreiben wollen fie 
foger! ſogar Schriftftellerinnen wer: 
den! — „, | 

Hier wären wir alfo bei ver unglückli= 
chen Stelle! fchreiben wollen fie foger! 
foger Schriftftellerinnen werden! Aber, 
meine Schweftern! die Herren, die ung 
diefe froftreiche Stelle fo dreifte unter die 
Augen halten, denken nicht daran, daß 
wir die Feder in der Hand haben, und 
ung gegen fie und den Komoͤdienſchreiber 
vertheidigen Eönnen. Und, Moliere fol 
hier eben ſowohl dag Kürzere ziehen, als 
Belife bei ihm, die er, ligſtig genug, 
zu ihrer DVertheidigung nichts als eine 
froftige Ausrufung thun läßt: 

Ein Weib alfo darf nicht viel wiſſen! 
und warum , wenn ich fragen darf ? 

Weil fie dadurch von den häuslichen 
Derrihtungen abgehalten wird, die ihr 
eigenes Gefchäft ſeyn müſſen. 

Aber, wenn fie nun dadurch an den 
Pflichten ber Diskiape nicht gehindert 
wird ? 

IV. Theil. H Uber, 


114 Thereſie und Eleonore. 


Aber, wie ift das möglich v 

ie das möglich ift ? fehr leicht! Fin- 
den fie unter den Stunden einer Frau 
von einem gewiffen Stande — denn, von 
denen kann hier Feine Rede feyn, welche 
ihren Kindern gemeinfchaftlih mit ihrem 
Manne den Unterhalt erwerben muͤſſen — 
unter den Stunden alfo einer Frau von 
einem gemiffen Stande finden fie feine, 
die eben Feiner Befchäftigung zugetbeilt 
find, oder vielleicht auch nügbareren Be— 
fchäftigungen zugetheilt werben koͤnnten ?— 
zählen fie genau nah! von acht Uhr des 
Morgens, bis eilf Uhr in die Nacht find 
ı5 Stunden; find alle diefe dem Hauswe⸗ 
fen beftimmet ? — Iſt Feine Morgenftunde 
überfliäfig bei dem Anpuge ? find Feine 
Abendfiunden bei dem Spiele verloren ? — 
Wohl denn! Nehmen fie an, eine Fran 
breche ſich etwas von dem Pugtifche ab! 
oder auch fie pflege, während fie am Putz⸗ 
tifche ſitzt, ſich mit einem Buche zu untere 
halten! Seen fie, das Spiel fen ihr feine 
Zeitverfürgung , fie entziehe fich demfelben, 
“00 ed immer der Anftand zulaͤßt, und 
blaͤttre dafılr die langen Winterabende in 
einem amterrichtenden Buche! Sehen gt 

t a 


Therefie und Eleonore. 115 


da hätten wir vor der Hand eine Zeit ges 
funden, die nicht auf Köften der Haus: 
gefchäfte geht! — 

Wo aber ift die Stau, die ihre Zeit 
Lieber mit einem Emil, als am Qua-— 
drilientiſche hinbringtY — 

Keine Satire! meine Herren! Feine Ans 
wendungen! E8 war hier die Frage nicht, 
ob wir unfre Stunden fo verwenden 2 
wir hatten zu unterfuchen, ob wir fie fo 
verwenden Fonnen ? Aber, daich Sie nun 
einmal bis dahin gebracht habe, fo follen 
Sie mir nicht wieder entwifchen! ich will 
Sie noch weiter eintreiben. 

Was für eine Urfache hätten Sie wohl, 
ung fo fehr von jedem Buche ferne zu halten ? 
Ich habe den Spötter Juvenal in einer 
Veberfegung gelefen: ich weis, mie fehr 
ee vor einem Weibe warnet, die Schluß=- 
reden drehet, und die Befchichte von 
der Kanzel Lehren Fann: und aufrich- 
tig, er hat nicht ganz Unrecht. Ein Weib, 
das den Grotius anführt, und Friedens⸗ 
präliminerien entwirft, ift eben fo un= 
ausftehlih, als ein Profeffor , der feiner 
Geliebten die Saarloden kämet, oder 
ein Kath, der am Tambour naht. Aber 


2 es 


116 Thereſie und Eleonore. 


es giebt eine Mittelftraffe, und die allen= 
falls, follte tung doch wohl erlaubt feyn zu 
wandern. Es giebt unentbehrlicye Kennt: 
niffe, deren Mangel vor der Welt lächer- 
ih macht. Es find nun drey Jahre, ba 
fand ich mich in einer zahlreichen Gefell- 
fhaft, wo unter andern von Pommern 
die Rede war. Man behauptete, Pommern 
wäre aroß, andre wiberfprachen. Als der 
Mortftreit Iebhafter zu merden anfieng , 
frat die Frau vom Haufe ganz ernfihaft 
in das Mittel: wozu diefes Zanten, 
fing fie an, ich Laffe Ihnen meinen aus 
dem Stalle heraufbringen : er ift von 
den größten, und ift dennoch nur wie 
ein balbgewachfenes Schaf. Gie koͤn— 
nen denfen,, mit welchem innigen Ent 
zücken der Mann feine Hausehre betrach⸗ 
tet haben muß, bie ihren Verſtand der 
ganzen Gefellfchaft fo vortheilhaft auf: 
führte — 

Wenn e8 nicht buchftäblich wahr ſeyn 
fol, was ein anmuthiger Dichter, den 
mein Mana immer den deuffehen Catull 
nennet, von. ung fchreibt: 


& 


*. 


Therefie und Eleonore. 117 


So find die Mädchen, wie ihr meint, 

Denn Feine Menfchen?. Ä 
Nein mein Freund ! 

Was find fie denn Herr Mädchenfenner ? 

Lebend’ge Puppen für die Männer. 


Mollen wir nicht bloß als Tebendite 
Puppen gelten, beftimmt, die Tandeley 
der Männer zu feyn ; fo ift e8 nothwen- 
dig, daß wir zu etwas mehr taugen, als 
unferem theuren Eheberrn in einem Arm— 
fiuhle gegenüber zu figen, unfre Augen 
gegen ihn mafchinmäffig fhmachten zu laf- 
fen, und von Zeit zu Zeit, der beliebten 
Abwechslung wegen, bedachtfam zu gäh- 
nen. "Glauben Sie mir, meine Freun- 
dinnen ! die fchönften,, die feurigften Aus 
gen find ftumm, menn ber Mund nichts 
zu fagen weis: und das Wort, das unfre 
Abgötterer, wann es das erftemal über 
unfre Lippen fährt, vor Entzücken auffer 
ſich felbft feßet, das Foftbare : Ich Liebe 
Sie! wird ihnen endlich ungeſchmack, wenn 
fie immer nicht weiters hören, als; ich 
Liebe Sie! ich Liebe Sie! und abermal, 
ich liebe Sie. Cie werden e8 endlich 
überdrüffig, die fchöne Bildfäufe zu bes 
‘ N 3 trad)= 


ı1g Thereſie und Eleonore. 


-. trachten, und Ichnen fie irgend in einen 

Winkel zu. ihren übrigen Geltenheiten 
und Antifen. 

E8 mag feyn, daß es genug ift, ſchoͤn 
zu feyn, um bie Liebe eines Mannes an 
sufachen ; aber, um fiezu erhalten, iſt ne» 
ben andern Eigenfechaften, die wir ung felbft 
ſchuldig find, wenigftens ein gewiſſes Maaß 
von Verftand nothwendig. Nicht wahr, 
wir wirden unendliche lange Weile haben, 
wenn. uns ein böfes Geſchick zu einer 
ſtummen Neifegefellfchaft verurtheilte. Nun 
wie langweilig muß ein Mann feine Zeit 
finden, der an eine unbefeelte Benus auf 
ewig gefäffelt it ? der an ihrer Geite ent⸗ 
weder fchweigen, oder fich erzählen laſſen 
muß, wie Lange die Schleppe ihrer Ro- 
belonte ſeyn werde v 

Eh! meine Srauen: wir teftetten 
Ihnen gerne Vernunft zu haben! aber 
fo viel, ale genug if, und nicht zu 
viel! 

Wir danken Ahnen für. diefe gütige 
Erlaubniß. Und wie viel ift denn wenutt, 
meine Herren ? wo find die Gränzfteine , 
die Cie ung zu feßen belicben ? und damit 


ich auch etwas von meiner Gelehrfamfeit- 
an 


Therefie und Eleonore. 119 


an Mann bringe, wo ftehen die Säulen, 
die das Non plus ultra der weiblichen 
Vernunft find? — Kann ich in ihre tiefe 
Einfiht rathen, fo follen wir und an dem 
vernünftigen Reden begnügen, und das 
Schreiben Ahnen überlaffen ? Sch koͤnnte 
Ihnen antworten: bie Foberung fey bil- 
fig: die Buchläden flieffen ohnehin von 
ungefchmacken männlichen Erfchaffungen 
über! aber ich bin fo boshaft nicht. Sch 
hoffe, nachdem Sie ung einmal erlaubt 
haben, vernünftig zu reden, wohl auch 
die Erlaubniß zu fchreiben, von ihnen zu 
erbitten ; und daß eigentlich um ihrer feldft 
Willen. Es fann fidy fügen, daß Sie ab: 
wefend find, daß Sie von ihrem Haufe 
fih die Neuigfeiten überfchreiben laſſen 
muͤſſen. Wollen Sie durchaus, daß alle 
von ung einlaufenden Briefe mit einem: 
Es freut mich, daß du geſund biſt, ich 
und CEhriftoffel find es auch, oder uns 
gefähr auf diefe Art anfangen follen? — 
Nein! Sie fönnen fih kaum vorſtellen, 
wie man die mwohlgefchriebenen Briefe ei= 
ner Geliebten, einer Sattinn, einer Toch⸗ 
ter gleichfam verfchlingt. Sie koͤnnen nicht 
glauben, um wie viel Sie uns lieber ge⸗ 
24 win⸗ 


ı20 Thereſie und Eleonore. 


winnen werden , wenn Sie in unſern 
Schriften Neize des Geiftes entdecken, die 
wir bis ist zu entwickeln , Feine Gelegen⸗ 
heit hatten — 

Wohl, wenn es Briefe find, aber 
Wochenfihriften — 

Wie unbillig Sie find! Laffen Sie ung 
doc) die Unterhaltung — da wir einmal das 
Schreiben jedem andern Vergnügen vor— 
ziehen — unfre Gedanfen über diefen, über 
jenen Gegenftand niederzufchreiben! Wir 
thun e8 nicht, um drucken zu laffen. Aber 
mein Mann, Eleonorens Liebhaber über: 
rafchen ung: es ift zu fpät, daß wir uns 
fre Auffäge verbergen koͤnnen — Wie, Sie 
fchreiben fo artigY die Welt muß fo 
Schöne Schriften nicht verlieren !— Ue—⸗ 
berlegen Sie doch, fagen wir ihnen, was 
die Stadt fagen wird, wenn wir ung ab⸗ 
geben, Schriftftellerinnen zu werben. Gie 
bören nicht auf ung : fie laufen bin, 
unfre Verfuche drucken zu laſſen. Sollen 
wir zuͤrnen ? Warum zürnen fo viele Schrift⸗ 
fieller nicht, denen, wie fie wenigftens in 
ihren Vorreden gemeiniglich fagen, Freun— 
de ihre Auffäge entwenden , und wider 
ihren Willen zum Drucke befördern ? 


+ 


Therefie und Eleonore. 121 
II. 
Ich Höre meine Schweſtern ſagen: 


Man mäüffe kein Geſtaͤndniß wegen. 
Hagedorn. 


Man frage ung Mädchen: ob wir ei- 
nen Liebhaber haben 3 wir find offen 
herzig genug, ja! zu fagen — Man frage 
ung: ob wir einen Mann wünfchen x 
wir erröthen ; wir fchlagen die Yugen nie= 
der; wir find verlegen, und thun alles, 
einem Geftändniffe auszumeichen, wodurch 
wir, der Sittfamfeit unfers Gefchlechtes 
zu nahe zu treten, glauben. Ein Mann, 
deſſen Namen ich ſtets mit Ehrfurcht nen— 
nen werde, that einmal diefe verfängliche 
Frage an mich +: und ich „ antwortete 
nad) dem gewoͤhnlichen Tone unſers Ge- 
ſchlechtes. Das ift nicht vernünftig, 
mein Kind! verfeßte er, und führte einen 
Grund an, den ich mit feinen eigenen 
Worten wiederholen will, fo gut id) die= 
felben behalten habe. 

Wiffen Sie, mar feine Rede, wozu 
diefe Ziererey nüße ift? zu nichts weiter, 
als, um von der Unfchuld eines Mädchens 
nicht die befte Meinung zu befommen. Denn, 


95 war⸗ 


122 Thereſie und Efeonore. 


warum follte fie bei dem gleichgültigen 
Worte Mann erröthen, wenn fie nicht 
etwan feine Bebeutung weiter auffuchet, 
als e8 die Schambaftigfeit erlaubet?. In 
der That, fo lange ein Mädchen noch in 
der glücklichen Unmiffenheit ift, die fie oft 
mehr, als bie firengfie Sittenlehre von 
Fehltritten bewahret, was fann ihr dieſes 
Wort anders heiſſen, als: einen Lieb: 
baber , der ehehin durch die fanften 
Bande ihrer Reize an fie geheftet war, 
und nun durch die heiligen Bande der 
Religion und Geſetze unauflöslih an 
fie wefäflelt , der unabfönderliche Ge— 
Fährte ihrer Tage ſeyn, dem feine Lie— 
be zur Pflicht werden, der mit ihr Zaus 
and Glück gemeinfchaftlich haben folk. 
Ach finde in diefem Begriffe nichts, was 
die ffrengfteSittfamfeit beunruhigen, nichts, 
was der reinften Unfchuld ben Wunfch um 
einen Mann verbieten koͤnnte. Hüten Gie 
ſich alfo , befte Eleonore, den Unterfchied 
zwoifchen einem Liebhaber und einem 
Manne zu mwiffen, und auf Köften der 
wahren Ehrbarkeit, dem Wobhlftande 
eine Grimaſſe zu machen! 


Geit 


/ 


Therefie und Eleonore. 123 


Seit diefem Unterrichte mache ich aus 
meinem Wunfche Fein Geheimniß ; und id) 
Habe noch andere Gründe aufgefuchet , 
meine Dffenherzigfeit zu rechtfertigen. 
Taͤuſchen wir uns nicht felbft, meine 
Gefpielinnen ! wir alle fuchen zu gefallen: 
die Wahl in ‚unferm Anzuge, die Sorg⸗ 
falt für unfre Geftalt, diefe geheime Be— 
gierde,, bei Zufammfünften, in oͤffentli— 
hen Dertern nicht unbemerft zu bleiben, 
und hundert andre Dinge mehr, legen ein 
Zeugniß wider uns ab, auch mann mir 
ſchweigen — Und mohin fol uns nun 
diefe Begierde, zu gefallen, leiten? Die 
Männer find fo gnädig, einen guten Theil 
Kitelfeit zum Beſtandtheile unferes We— 
feng zu machen; und vielleicht haben fie 
fo unrecht nicht — Aber gefchieht alles dag, 
was wir unternehmen, um diefe Eitel⸗ 
Feit zu befriedigen ? vielleicht auch diefer- 
wegen, aber wenigfteng, nicht dieſerwegen 
allein. Wir werden es vergebens Täug- 
nen: die Männer haben davon zu viele 
Beweiſe, daß fie der groffe Gegenftand 
aller unfrer Sorgfalt find, und daß unfre 
Eitelfeit felbfi nur auf ſie Beziehung bat. 


Be⸗ 


ı24 Thereſie und Eleonore, 


Bekennen wir es alfo! wir fuchen dem 
männlichen Gefchlechte zu gefallen: und 
find unfre Bemühungen nicht unglücklich, 
fo umgiebt ung bald ein Kreis, ben un— 
fre Reize um ung ber verfammelt haben. 
So fehr fi die Eitelfeit in diefem Wirbel 
der Schmeicheley gefällt, fo waͤhlet doch 
dag Yerz bald feinen Liebling, und freuet 
fih, ibm Yetatomben *) zuruͤckgewieſe⸗ 
ner Anbeter zu ſchlachten. Wir verſtehen 
uns zwar nicht gerne zu einem foͤrmlichen 
Geſtaͤndniſſe unſrer Liebe, aber es laͤuft 
immer auf daſſelbe hinaus: unſre Hand⸗ 
lungen überzeigen ihn deffen , was wir zu 
jungfräulich ‚blöde find, wörtlich augjus 
fprechen. 

Sobald unfer Herz einmal feine Wahl 
getroffen, fo führen wir unfern Günftling 
der Welt auf. Wir befuchen die Schaus 

buͤh⸗ 

*) Diefes Wort, das, ich weis nicht griechiſch 
oder Latein ift, bat man mir untergefchoben : 
und vermuthlich foll es ſchöner feun, ale das: 

Zu hunderten , fo vorher an dieſer Stelle 

fund. Bielleicht dürfen ſolche Einfhaltune 

gen dftens gefchehen : aber wir erfuchen unfre 

Leferinnen und Lefer , diefes fremde Gemeng 

nicht auf unſte Rechnung zu fegen. 


Therefie und Eleonore. 125 


bühne, er ift ung zur Seite. Wir be- 
fuchen sffentlihe Spaziergänge , er be- 
gleitet und. Wir befuchen Gefellfchuften, 
er hat die Ehre, ung zu unterhalten. 
Sederman giebt ihn ung zum Liebhaber, 
und wir miderfprechen nicht. Aber, was 
‚wollen wir, daß man von unferem Ver— 
ftändniffe denfe, wenn e8 Schande feyn 
fol, zu geftehen, daß wir einen Mann 

wuͤnſchen? | 
Werden mir daffelbe ewig auf dem 
Fuſſe fortfegen, auf dem e8 zum Anfange 
ſteht? — Unfre Liebe wird dereinft ein fehr 
ſchoͤnes Winterſtück ausmachen. Es wird 
ausnehmend luſtig laſſen, wenn id) in ei— 
nem Alter von fechzig, meinen fieben- 
zigiahrigen Verehrer unterftügen werde, 
damit er fich zu meinen Füffen werfen fann, 
zum vierzehn taufend fechs hunderten: 
male *) mic) feiner unmwandelbaren Liebe 
zu verfihern: wann mein Piebhaber,, der 
in Rauchftiefeln und einem Pelze — 

pert, 


Ich nehme an, der Liebhaber ſey dreyſſig 
Zahre alt: bis in das ſiebenzigſte Jahr find 
vierzehntaufend fechshundert Sonnen über 
ihn aufgegangen , und wenigflend wird er 
söglich einmal feine Huldigung ernenert haben. 


126 Thereſie und Eleonore, 


pert, mic) von feiner feurigen Feidenfchaft 
unterhalten, und wann bei den Erhebun— 
gen meiner Reize jungfräuliche Sittſam— 
feit die Lilien meiner Wangen, die nur 
erft ein und fechzig Fruͤhlinge geſehen, 
vöthen wird. Wenigſtens glaube ich nicht, 
daß diefes die Beſtimmung unfrer, Her- 
zen fen. 

Wie denn? ich werde diefen Liebhaber 
fortfchiefen, wie ich ihn angenommen ba= 
be — Wäre es dann nicht auf jeden Fall 
beffer, ihn niemals angenommen zu haben ? 
Denn, hat die Eitelkeit gewaͤhlet, fo fand 
fie ihre Rechnung mehr bei Gunderten, als 
einem. Hat aber das Gerz die Wahl ger 
troffen, 0! dann ſcheint e8 mir nicht fo 
leicht, den Sägen zu flürgen, und feinen 
Altar zu zertrümmern. Wann er nun 
aber ja fortgefkhickt werben foll ; fo wird 
ein andrer an feine Stelle fommen — um, 
wieder verabfchiedet zu werben; unb man 
wird fo lange nehmen, und fortfchicen , 
bis zulegt Wir fortgefchicht , und nicht 
mebr genommen werden. Diefe Aus— 
ſicht ift für mich zu traurig, ich will, fo 
fehr ich fann, davon meine Augen ab— 


menden. 
Cs 


Sherefie und Eleonore. 127 


Es bleibt alfo einem Mädchen , das 
einmal einen Liebhaber angenommen hat, 
feine Abficht übrig, als die Ehe, Warum 
fol e8 nun Schande feyn , dasjenige 
zu geftehen, was allein dag rechtmäflige 
Ziel unfrer liebften Sorgfalt , und gleich= 
fam die eigene Beflimmung unfers Ge: 
ſchlechtes ift ? Alles genau überlegt, wenn 
irgend auf einer Seite etwas zu erröthen 
wäre, fo ift eg über eine Liebe, deren End⸗ 
zweck die Ehe niche ift : und wenn mir 
die Antswort eines Mädchens, welches läug- 
net, daß fie einen Hann wuͤnſchet, recht 
eigentlich überfegen wollen, fo heißt fie: 
ich will eine ewige Buhlfchweiter blei- 
ben, welches Geftändniß eben nicht viel 
Ehre bringen Fann. 

Zwar die Männer haben in der That 
Urfahe, zu verhindern, daß diefe Mei— 
nung nicht unter ung allgemein werde. 
Sie auch find es, die ein offenhersiges 
Geſchoͤpf, welches etwan feinen Vunſch nach 
einem Manne nicht in fich felbft verbarg , 
als einfaltig verfchrieen haben. Das ift 
ein dummes Mädchen, mit der nichts 
anzufangen ift; fie denket gleich aufs 

geu⸗ 


128 Therefie und Eleonore. 


Beuratben. Eh! meine Herren, worauf 
wollt ihr denn, daß fie denfen fol ? 

Alles genau überdacht, liegt unferem 
Vortheile fehr daran, öffentlich zu beken⸗ 
nen; daß wir einen Mann wünfchen; 
und daß wir einen jeden, der ſich beige- 
ben läßt , fih für unfern Liebhaber zu 
erflären, auch dafiir anfehen, als crflär- 
te er fih, ung zu eblichen- Wir wer: 
den ung dadurch auf einmal die ungeftüs 
men Schwäßer vom Halfe fchaffen, bie 
es ist fo wenig foftet, uns Schmeiche⸗ 
leyen vorzuſagen, wovon fie Feine Folgen 
beforgen : wir werden die wahren Lieb» 
haber von den Scheinbuhlern unterfchei: 
den, die fünftig, wie die Motte um das 
Licht, nur von ferne um ung herum flats 
tern werden, aus Furcht, fich die Flügel 
zu verfengen. Gelbft die Angriffe auf 
die Tugend unferes Gefchlechtes werben 
dadurch feltner werden, 

Sollte e8 mir gelingen, die ganze Res 
publif der Mädchen auf meine Seite zu 
bringen, fo wird in dem Neiche der Liebe 
eine erftaunliche Veränderung vorgeben. 
Die Liebhaber von Gemwerb, die von Puß- 
tifch zu Pustifch wahlfahrten, ihre aus⸗ 

wen 


Therefie und Eleonore. 129 


wendiggelernten Schmeicheleyen jeder oh⸗ 

ne Unterfchieb vorgubeten, werden, ihren 
ganzen Ratechiemus umzugieflen ge: 
zwungen feyn. Wie liebenswirdig find 
Sie doch! Wer Fann ihren Reizen wi: 
derfteben Ich fchwöre Ihnen die un: 
veränderlichfte Treue! Ich fierbe zu ih: 
ren Süffen, wenn. ich ihr gerz nicht 
erhalte — Sterben Sie nicht! werden 
wir ihnen antworten: dag wäre graufam, 
wenn wir es zugäben, Sie follen es ha⸗ 
ben, diefesgerz: aber e8 wird nicht ohne 
die Hand weggegeben — Warum mit eins 
mal fo ernfihaft? Wo ift ihre Lebhaftig- 
feit bin? Ich mache Sie gluͤcklich; ich 
gebe Ihnen mehr, als Sie baten, und 
Sie ſterben nicht vor Entzuͤcken zu meinen 
Fuͤſſen ?— Wie? Sie find ſtumm ? Sie ent: 
fernen ih? — Sehen Sie, Freundins 
nen, fo haben wir die Verräther entlar- 
ver! Mögen fie doch fünftig ihre Vortreff⸗ 
lichfeiten ,„ nad bem berrfchenden Ge— 
fchmade ihres Gefchlechteß, dahin tragen, 
100 ihnen das Hirn wenigſtens nicht mit 
Heurathsanträgen betäubet wird! unfre 
Einfamfeit fol ung nicht erfchrecfen. Was 
erden noir verloren haben? Leute, bie 

IV. Theil, Y die 


150 Thereſie und Eleonore. 


die Reichtgläubigfeit unfers Gefchlechtes 
durch unwuͤrdige Lügen zu mißbrauchen 
fuchten:: Leute, die mit ihren ungeſchmack⸗ 
ten Schmeicheleyen auf unfre Ehre: in 
Hinterhalt lagen: Leute, die, wie mein 
Papagey, zu jeder weiblichen Poppanze 
fchönes Kind! fagen, und eben fo viel, 
als er, dabei denken. Aber, bleibt ung 
dann noch, wann wir unfern Wunfch nicht 
gehetm halten, ein Freund zurüd; fo 
wiſſen wir menigftens , daß er nicht: uns 
wuͤrdig ift, der Sreund unfers gerzens 
zu feyn. J 
E. 


III. 


Romanen fliegen hier gethürmet in die Hop ,. 
Boll fchaler Zärtlichkeit, und ſuſſem Liebesweh. 
Quartanten wälsten ſich auf fenfgenden Duar- 
tanten , 
Und Frankreichs Clelie lag neben Atalanten. 
Zacharia. 


J kann mich nicht erwehren: ich be— 
daure ſehr, daß die Romanen, bie ein 
paar Gefchlechter vor uns, fo fehr Mo⸗ 
deleftur gemwefen , heute fo ſehr vers 
ſchrie⸗ 


Thereſie und Eleonore. 131 


fehrieen find : und ich habe gegen ven 
Ritter von der fraurigen Geftelt be= 
fändig einen Groll im Herzen ‚- daß er 
fo viel beigetragen hat, fie aus ihrem An- 
fehen zu fegen. Ich habe mit einer Sreun- 
dinn, die fich nach dem Tode ihres Ge⸗ 
mahls auf dem Lande niederließ, um fich 
einzig der Erziehung einer Tochter zu wid: 
men, über diefen Punkt Briefe gemec- 
felt, nach deren Durchlefung man vielleicht 
mein. Bedauren nicht mehr fo fonderbar 
finden wird, als e8 dem erfien Anfehen 
nac) ‚feinen mag: Diefe verehrungs- 
würdige Freundinn wird es mir gerne 
vergeben, daß ich die Briefe, mit denen 
fie mich beehrte, zugleich mittheile, um 
die Folge nicht zu unterbrechen. Die 
Zärtlichkeit für das Andenfen ihres Ge: 
mahls, die mütterliche Sorgfalt für eine 
geliebte Tochter, die in jeder Zeile durch- 
fcheinen, und gleihfam den Ton diefer 
Briefe ausmachen, fönnen, da fie ihrem 
Herzen-Ehre machen, zugleich für dieje- 
nigen, die fi) in ihren Umftänden befin— 
ben, eim Iehrreiches Beifpiel fenn: 


J 2 | I: 


32 . Iherefie und Eleonore, 


I. 
Theuerfte Freunbinn ! 

Warum mußten Sie fo bald wieder 
nach der Stadt zurückkehren, nachdem Sie 
mich die Süffigfeit ihres Umgangs kaum 
verfoften Taffen ? Meine Einfamfeit ift 
mir dadurch, fo zu fagen, noch einfamer 
geworden. Wo ich mich binwende, ver— 
miffe ich Sie. Der fleine Hügel, auf dem 
wir, Sie, meine Tonftantine und id, 
manchmal die Abwechfelung des Lichtes 
und der Finfterniß beobachteten, und die 
fichtbar werdenden Sterne zu zählen, bes 
muͤhet waren, die Fleine Duelle, beren 
Geſchwaͤtz wir durch hingeworfenes Ger 
ſtraͤuch, uͤber welches ſie dahin rollen 
mußte, vermehrten, unſer kleines Wind: 
ſor, die Weingaͤrten, das Feld bleiben 
unbeſucht. Bald wird die rauhere Wit⸗ 
terung ung ganz in unferm Zimmer ges 
fangen nehmen. Die langen Winternäch- 
te, fiir den arbeitfamen Landmann bie Zeit 
der Erquickung und des Genuffes, find 
auf dem Lande für die ftädtifchen Miüf- 
figgänger die fürchterlichfte Zeit. Ich ma= 
che den Entwurf, wie ich diefe Fleinen 
Eroigfeiten binbringen werde, Ich denke, 

mit 


Thereſie und Eleonore. 133 


mit dem Andenken meines theuerfien E**, 
mit meiner Tochter über einem. Bude, 
und mit Brieffehreiben an Sie: dag heißt: 
ich mill meine Zeit zwifchen dem Schmer- 
sen und der Pflicht theilen, und dann mid) 
bei Ihnen erholen — Geben Sie ihre Eins 
willigung zu diefem Entwurfe, in den Sie, 
wie Sie fehen , mit verflochten find ? 
Meine Conſtantine fehnt fich unausfprech- 
ich nach Ihnen: fie nennet Sie ihre 
Schwefter. Vergeben Sie ihr diefe Fleine 
Erhebung! e8 ift ein Ausbruch der Liebe, 
Seyn Eie ihr eine Führerinn durd ihren 
Rath! Sie find e8 bereits durch ihr Bei— 
fpiel, auf welches ich fie immer verweiſe. 
Sie fömmt , das theure Ebenbild ihres 
Vaters! ich gebe ihr diefen Brief zu les 
fen : fie drückt ihren Danf durch Küffe 
aus, und bittet mich um die Erlaubniß, 
ein Wort unten zu feßen. Ich kann ihr 
nichts verfagen. Leben Sie wohl! 
grr+ 

Ich habe Sie Schwefter zu nennen 
gewagt: id war zu frey. Seyn Sie — 
aber Sie fönnen nicht meine Mutter fenn : 
ich Fönnte der Liebe zwoer Mütter nicht 
zureichen. Sie haben den zweyten Play 

3 in 


134 Thereſie und Eleonore. 


in meinem Herzens Fönnte in dem ihrigen 
nur einen geringen ‚verdienen 
| ihre — 


II. 
Antwor t. 
Verehrungswuͤrdige Er! 


Ich habe einen groffen Theil meines 
Bergniügens bei Ihnen, und in den reis 
genden Gegenden gelaffen, an deren Ber: 
luft Sie mich erinnern. Könnte ich meine 
Winterabende in der liebreichen Gefells 
fchart Conſtantinens, und ihrer würdigen 
Mutter zubringen! Aber ich bin zu dem 
Geräufche verurtheilt , dem fie entfommen 
find — Ob ich in ihren Entwurf willige ? 
ihr Anerbieten ift eine Wohlthat. Ich ers 
halte Urfache mich den betäubenden Vers 
fammlungen zu entfchleichen, um mid) mit 
Ahnen zu befprechen, Wielleiht — und 
wie fehr wuͤnſche ich, daß es nicht bloß 
vielleicht fey — Fann ich auch auf einige 
Tage zu Ihnen ganz entrinnen! Aber ich 
werde dann wieder nur mit ſchwererem 
Herzen zuruͤckkommen. 

Meine Schwefter Conftantine umarme 
ih. Warum macht dag angenehme Kind 

Um: 


Thereſie und Eleonore. 135 


Umftände , : mich fo. gu nennen? Dieſer 
Namen wird mir ein Recht auf ihre Liebe 
- geben : fie hat bereits die_meinige ganz. 
- Bon nun an, Freundinn ! fodre ich 
ihre Briefe als eine Schadloshaltung über 
die Entfernung von zwo fo fhäßbaren 
Seelen. gi, 
Therefie. 
1;.°) 
Theuerſte Sreundinn!. 

Der Herbfi hat ung unbereitet. über: 
raſchet. Wir find noch nicht ganz mit 
unferm Entwurfe zu Stand. Senn Sie 
mit von unfern Nathsgliedern! Conſtan— 
tine foll meine VBorleferinn werden: aber 
die Bücher follen für Sie, nicht für mich 
gewaͤhlet ſeyn. Dieſes liebe, liebſte Kind, 
J 4 | das 


*) Die beiden erſten Briefe find nur eine Art 
von Einleitung. Ungeachtet fie nun zwar 
nicht zue Sache felbft mitgehören , fo glaub 
te man, fie würden wenigſtens als deutfche 
Driginale von Frauenbriefen , wovon wit ei— 
nen fo groſſen Abgang haben, nicht ungerne 
gelefen werden — Zwifhen dem dritten 
Briefe find noch mehrere gefchrieben worden, 
bie man hinwegläßt, weil fie zur gegen 


wärtigen Unterfuhung nichts beitragen. 
Der Herausg. 


136 Thereſie und: Efeonore. 


das meine Sorgfalt durch ihre voreilende 
Aufmerffamfeit fo fehr verdienet, befchäf: 
tiget fih den Tag über mit der Wirth⸗ 
(haft, und Sachen, die zu ihrem Unter 
tichte gehören. Ich wollte alfo, daß die 
Leftur zu ihrer Erholung diente. Könnte 
dieſe Erholung nicht zugleich mit einem 
Unterrichte, wenn nicht für den Verſtand, 
doch für das Herz, verbunden ſeyn ? Ach 
waͤlze feit einiger Zeit einen Gedanken in 
meinem Gebirne: ich will ihn mit Ihnen 
überlegen. Eonftantine ift in einem Als 
ter, wo die Herzen am fühlbarften, aber 
auch am unbehutfamften find. Die Liebe 
kann ſich auch in unfre Einfamfeit fchlei= 
den. Das Herz meines Kindes ift zaͤrt⸗ 
ih — fie wird lieben, Ich wuͤnſchte, 
daß fie diefe Leidenfchaft fennen lernte, 
noch da ihr Herz in dem rubigen Stande 
iſt, mir Gehör zu geben. Ich babe ben 
Beweis, eine Liebe auf einen würdigen 
Gegenftand geworfen, ift daß größte Gluͤck. 
Aber man fiebt auch aller Orten Denk— 
mäler der Zerſtoͤhrung unglücklicher Liebe. 
Ich kann den Weg der Xeltern unmöglid) 
gutheiſſen, die ihre Töchter am beften zu 
huͤten denfen , wenn fie diefelben in einer 
i gaͤnz⸗ 


Therefie und Elesnore. 137 


gänzlichen Unwiſſenheit erzalten. Gel- 
lerts Orakel, und Bruder Philipp ha= 
ben die beforglichen Folgen davon zu 
Leicht gezeichnet. Es giebt noch ſchreck⸗ 
lichere — Mein Kind fol ihre Tugend, 
nicht der Unwiſſenheit, e8 fol fie feiner 
Wahl zu danken haben. Wenn der Ver— 
räther erfcheinen wird ‚fo folk Conſtan⸗ 
tine ihn erfennen, um ihn zu fliehen. 
Aber Freundinn, wie fange ich es mit 
ihr an? Sch weis nur Bücher, die ich 
zu meinem Endzwecke wählen kann — Sind 
Sie meines Sinnes ? meine Tochter fol 
mir Romaneu vorlefen! Ich werde dabei 
Gelegenheit haben, die nothwendigen War: 
nungen mit untergumengen, die bei einem 
Mädchen, dag zum erftenmale auf folche 
Bücher fällt, unentbehrlich find — Aber 
nun ift unter Romanen felbft die Wahl 
nicht leicht. Ich habe die Buͤcherſamm—⸗ 
lung meined Mannes burchgefehen: ich 
finde Elerifien, Pamelen und Grandi- 
ſonen, feinen einzigen fonft von neueren. 
Aber in einer Ede zum ausfüllen, fteht 
Arminius und Thusnelde , Banife, u, 
db. gl. alte Romanen mehr, die zu nichts 
taugen, als das Hirn ver Mädchen mit 


& 


8 aben⸗ 


138 Thereſie und Eleonore, 


abentheuerlihen Entwürfen anzufüllen, 
und weibliche Don Muixoten aus’ ihnen 
zu bilden ; von diefen alfo kann die Frage‘ 
nicht feyn. Mit welchen bon ben dreyen 
englifchen fol ich bei Conftantinen den Anz 
fang machen? melden Gie ihre Meinung. 
ihrer g*** 
IV. 
Antwort, 
Schaͤtzbarſte L’**! 

Mit Feinem, weil Sie doc) fo gütig 
find, mir zu erlauben, meine Meinung 
darüber zu fagen. ch fehe, wie Sie zu—⸗ 
rückfahren, eine Menge Fragen auf ein⸗ 
mal an mich thun. Verwerfen Sie alle 
RomaneY oder ift diefes nicht: wie 
dürfen Sie diefe Meifterftüde verwer— 
fenv Pamelen, Rlariſſen, genrietten, 
Byron, diefe idealiſchen, unerreichba= 
ren Muftery welche andre dürfen Sie 
an ihrer Stelle vorfchlageny Ich wer⸗ 
be nach der Reihe auf alle Fragen ant— 
worten, als ob Sie diefelben wirklich an 
mich gethan haͤtten. Aber ich werde mehr 
als einen Brief dazu brauchen. Die erſte 
Frage iſt fuͤr dieſen genug. 

9— Sie 


Therefie und Eleonore, 139 - 


Sie haben ohne Zweifel gegen die 
Romanen überhaupt fehr losziehen ge- 
hört: fie vergiften das gerz, fie flöſſen 
den zarten Gemüthern eine fchadliche 
Hleigung ein. War dag alles, was man 
gegen Sie zu fagen wußte? bei meiner 
Treue! dag ift ed alles, worauf dag viele 
Gefchrey hinaus läuft. Man fagt mir, ein 
gelehrter und frommer Bifchof in Franf: 
veich babe für die Romane gefchrieben. 
Ich habe ihn nie gelefen: aber allenfalls 
sollen wir fein Anfehen Beaten entgegen 
fielen. Für uns fündige Weltgefchöpfe 
giebt es andere Gründe. Es fömmt ganz 
allein auf die Fragen an: ob die Liebe 
eine fchadliche Neigung ifty oder, ob 
die Romane eine verwerfliche Liebe - 
einflöffen » — ch war zugegen, wo eine 
Mutter ihrer Tochter den erſten Saß fehr 
einfchärfte. Das Mädchen , fo bereits 
Anmerfungen zu machen anfieng, fragte 
ganz unfhuldig: aber Mama , haben 
Papan ja geliebery welches die gute 
Mutter ziemlich in Verwirrung brachte. 
Die Aeltern koͤnnen alfo ihren Rindern, 
, meines Duͤnkens, die Liebe nicht verdaͤch⸗ 
fig machen , ohne ſich zugleich gegen fie 

eis 


140. üTherefie und Eleonore. 


- eines übeln Beiſpiels ſchuldig zu geben. 
ch weis nicht, ob e8 fogar gut ift, wenn 
man auf der Kanzel diefes Band der haͤus⸗ 
lichen Geſellſchaft, worauf die bürgerliche 
ſich gründet, herabſetzet. Menn ich, als 
ein Mädchen folhe Ermahnungen hörte: 
fagte ich bei mir ſelbſt, warum ift die 
Ehe denn ein Saframent Y 

Aber e8 giebt eine wilde Leidenfchaft, 
die den Namen der Liebe borget, vor ber 
die jugendlichen Herzen zu warnen find. 
Die Romane flöffen diefe Afterliebe ger 
wiß nicht ein: vielmehr ift ihr Ausgang 
ftets die Belohnung der tugendhaften Lie— 
be; und mie mein Mann fpridht: ein 
praftifcher Beweis ift überzeigender,, 
als alle Schlußreden der Schulen. 

Zwar es giebt auch fchädlihe Bücher 
unter den Namen Romane ‚ Lehrbücher 
der fchändlichen Wolluſt; aber die Cenfur 
hält diefe anftecfenden Schriften hinweg, 
und Gie laufen feine Gefahr, fo lange 
Sie bei den erlaubten flehen bleiben. 

Conftantine mag alfo immer Nomas 
ne lefen! aber von Ihnen gewählte, und 
an ihrer Seite! Ich glaube fogar, daß 
es nothwendig ift, ihr feinen in bie Hanb 

zu 


| Therefie und Eleonore. 141 


zu laffen, den nicht vorher Sie ganz über- 
gangen haben — Sch fchlüffe diefen lan— 
gen Brief, um Ihnen mit nächften einen 
noch längeren zu fchreiben: denn ich wer- 
de mich über die zweyte Frage gegen die 
halbe Welt auflehnen. Ich — 

ER 


a 


IV. *) 


Bit fieghaft geht er nicht mit feinen Schönen um ! 
Sie und was ihrer if, find bald fein Eigenthum. 
Haller. 


Schaͤtzbarſte £***! 


Hier ift er, Der verwegene Ausfpruch 
über Clariſſen, Pamelen — ja! und 
auch über Grandifonen, ihren, und wor- 
über Sie ſich mehr noch wundern werben, 
auch meinen Liebling. Hier ift er! 
Elerifie ift ein Buch, dag mir für 
Mädchen, deren Denfungsarf, um mich 
| fo. 
”) Diefe zwey Briefe find die Ausführung des 
im: vorigen Blatte angefongenen Satzes. Ne— 
benfahen und Antworten find hinwegarlaf- 


fen, um dieſe Materie nicht auf das dritte 
Blatt auszudehnen. 


i42 Thereſie und: Eleonore. 


fo auszudrücken, noch feinen feften Stand 
gewonnen hat, von miehr- als einer Seite 
genommen, gefährlich. fcheint. . Ich habe 
nichts gegen den. Satz, ben ıder Verfaſſer 
dieſer Gefchichte in ein Licht zu fegen, 
fib vorgenommen : er iſt an ſich ſelbſt 
richtig. Aber ein junges Mädchen nimmt 
fic) die Mühe nicht , einen Lehrfag aus 
einigen Bänden herauszuholen. Das ift fo 
gar felten unfre Sache, wenn unſre Ber: 
nunft ſchon ganz entwickelt und ausgebil- 
det if. Das Ganze alfo eines Buches 
ift für folche Leſerinnen, anders, als in 
fd ferne es das Schickfal der Hauptper- 
fon betrifft, ohne Wirkung. Das ift von 
flüchtigen Geiftern zu vie] gefodert, daß 
fie den mweitgedehnten Faden der Geſchichte 
beftändig in den Augen behalten, immer 
die Ereignungen aneinander ‚reihen, die 
vorhergehende als eine Urfache, die nach⸗ 
fommende, als Folge und Urfache zugleich 
betrachten , fchläffen,, erwägen, urtbeilen 
follen. Fir fie find eigentlich nur die 
einzelnen Auftritte der Gefchichte, wo Die 
Folge mit feiner Urfache unmittelbar ver— 
bunden, und daher auf ihre noch lebhaft 


geruͤhrte Einbildung zu wirken, faͤhiger iſt. 
| | Die 


Therefie und Eleonore. 143 


Die einzelnen Stellungen, worin fich 
die Schwärmerinn Eleriffe befindet, find 
in der That für Eonftentinen nicht fehr 
lehrreich. Sie haben das Bud) unter. den 
ihrigen, und es iſt auch. fonft in jeder— 


mans Händen : ich darf alfo feine befon- - 


deren Beifpiele anführen „ fondern nur 


überhaupt im. Groffen mich darauf bejie- 


hen. Diefes tugendhafte Mädchen, dag 
fich fo viel auf feine Reinigfeit zu gut thut, 
nimmt gleichwohl Briefe von einem Men= 
fhen an, von deſſen Tugend es ſehr 
ſchwankende Begriffe hat; und das liebe 
Kind weis wieder, ganz kuͤnſtlich, die 
Antwort darauf in der Holzkammer, wenn 
mir recht iſt, hinzulegen. Ich moͤchte nicht 
gerne, daß Conſtantine daͤchte, ein ſol— 
cher Briefwechſel koͤnne neben der Unſchuld 
eines Mädchens, ober neben feiner Pflicht 
beftehen — Bald darauf wirft fich die gu— 
te Reinigfeit einem Kerle gar in die Ar- 
me — Warum ? um der. Graufamfeit ih— 
ver Anverwandten zu entflichen. Thoͤrinn! 
möchte id) ihr zurufen, du hatteft andre 
Wege, did) daraus zu reifen, rechtmäf: 
fige Wege; warum wollteft bu lieber zu 
einer fEnsiaufenen werben ? Deine Sanft; 
muth 


144 Therefie und Eleonore. 


muth ift Dummbeit. Die Tugend muß 
fich zuweilen mit ihrem Nechte waffnen, 
um fich zu unterſtuͤtzen. 

Und, went das Mädchen auch fonft 
feinen Weg hatte, den Verfolgungen einer 
Verwandtſchaft zu entrinnen; feit warn 
ift e8 denn erlaubt, um nicht unglücklich 
zu feyn , firafbar zu werden? Wünfchen 
Sie, daß ihre Tochter die Lehre einfauge, 
daß ein tugendhaftes Mädchen entlaufen 
möge, wenn feine Neigung fich nicht zu 
den Abfichten feiner Aeltern ftimmet? Ri- 
hardfon mag inmer die Warnungen und 
Lehren in den Mund der Freundinn legen, 
er fchildert Elariffen zu liebenswertb, um 
nicht auf ihrer Seite zu ſeyn; man läßt 
Aennchen predigen , und denfet, Elarifie 
hatte Recht — 

Was der frommen Entlanfenen nach» 
her wiederfaͤhrt, find verbundene Folgen 
ihrer erften Unbefonnenheit ; aber man 
bemitleider fie, man entfchuldiget fie. Ich 
will nicht, daß ein Mädchen die Schwach⸗ 
beiten bemitleide ; daß es viefelben fo 
anfehe, als verdienten fie Entſchuldi— 
gung! es foll ſich vor denfelben "hüten ler⸗ 
nen! Ich will Mufter der fiegenden Tur 

gend 


Therefie und Efeonore- 145 


gend zum Grundfteine ihres Lehrgebäudes. 
Clariſſe, fo fugendhaft fie übrigens aus— 
gezeichnet ift, wird ein Opfer der Ver— 
führung. Schädliches Beifpiel! woraus 
ein jugendliches Herz vielleicht den After= 
faß zieht: daß, auch was immer für 
firenge Grundfäge, gegen die Kachftel- 
lungen der Bosheit zu fihwach find. 
Benriette Byron, die in dem Fritifchen 
Augenblicke gegen Sir Hargraven ringe, 
ift ein waferes Mädchen. So fehr mir 
ihr unaufhörliches Winfeln über die Fleine 
Klemmung zroifchen der Thuͤre mißfaͤllt, 
fo fehr gefällt fie mir, wenn fie durch. 
ihre Handlung bemweifer, daß die Tugend 
auch die Schwachen mit Murh und Staͤr⸗ 
fe begeiftert- 

Noch etwas anders gefällt mir in die- 
fem Werfe durchauß nicht» Lovelace, der 
ſchaͤndliche Lovelace ift mit fo Eräftigen, 
und anmuthigen Farben gefchildert,; gif- 
man aber, der fugendhafte Hifmen, was 
für ein armfeliges Geſchoͤpf ift er ge— 
gen ihn! Unter einer folchen Geftalt wird 
das Lafter beliebt, und die Rechtfchaf> 
fenheit laͤcherlich. Oder, made fich ein 
Mädchen nach diefen VBorftellungen ein 

IV, Theil, 8 Bild 


146 Therefie und Eleonore. 


Bild von dem männlichen Gefchlechte, fe 
wird fie jeden Tugendhaften für einen 
Pinfel , jeden Verführer für einen arti— 
gen Mann; oder aud) umgekehrt, jeden 
Pinfel für tugendhaft, jeden artigen Mann 
als einen Boͤſewicht betrachten. Diefen 
Fehler Hat der Schriftfteller im Grandi—⸗ 
fon verbeffert. Zwar gargrave hat Um⸗ 
gang genug, fo viel, daß er den weinen 
ben Orme, und Sowler aufziehen kann: 
aber fein fchwaches Licht wird unfichtbar, 
fobald die Sonne, Sir Carl erfcheint. 
Der tugendhaftfte Mann, ift auch der 
artigſte Mann. Vortrefflich ! da bie 
Männer nun einmal beftimmet find, das 
Haupt der Familie, und unfre gebieten- 
den Herren zu werden, fo balte ich da— 
für, ift e8 nothmendig, daß man ung von 
Kindheit an, fie hochachten lerne. Hoch» 
achten, nicht nur wegen ihres Verſtan— 
des, fondern aud) ihres Herzens: hoch— 
achten alfo, und verebren. Elarifie wird 
bei einem jungen Mädchen gerade dad 
Gegentheil wirken: fie macht die Männer 
verächtlich ; denn fie zeiget diefelben als 
Boͤſewichte, ohne einen bervorftechenden 
Eontraft. 
Ela: 


Therefie und Eleonore. 147 


Elerifie noch einmal — hat eine Schluß» 
ſcene, bei welcher ich vor einem Mädchen 
in den Jahren Eonftantinens den Vor- 
bang fallen laſſen möchte. Ich will durch— 
aus nicht , daß man die Verführungen 
eher, als die wahre, die tugendhafte Lies 
be fennen lerne. Einem gufgearteten Maͤd⸗ 
chen ift fhon diefer Begriff von Lafter 
zureichend : es fey dus, was nicht Tu= 
send iſt. Es ift gefährlich, wenn fie es 
anders, als verneinend, kennet. 

Eben darum fieht mir auch Pamele 
nicht an. Die Dirne verliebt fi in ihren 
Herrn, der fo weit über fie ift. Das ift 
fhon nicht erbaulid. Dann, fo werden 
dem Mädchen gemwiffe Anträge gemacht, 
es wird ein gewoiffer Auftritt gefpiele, wird 
mir von der abfcheulichen Dawres fo oft 
von zwey Bettladen gefproden, und 
nod) von einem geroiffen Kinde des Bon- 
files, fo nicht Pamelens Kind ift, daß 
ich das ganze Buch immer jedem Mäd- 
chen aus den Händen zu reiffen,, verfucht 
bin. 

Solche lehrreiche Stellen fommen zwar 
aud) im Grandiſon vor: aber hier zeigt 
ſich die Tugend in zu fiarfem Lichte, als 

82 daß 


48 Thereſie und Eleonore, 


daß diefe Nebenfchatten gefährlich ſeyn 
ſollten. Diefes Buch würde auch das Lehr» 
buch der: Tugend für alle Mädchen feyn, 
wenn nicht Byron bei aller ihrer Tugend 
ein fehr eingebilderes , oft naſenweiſes, 
immer aber fehr fchnüppifches Mädchen 
wäre, das auf feine Vernunft groffe Stuͤcke 
hält, von Sachen, die meit über feinen 
Gefichtsfreis find, entfcheidend urtheilet, 
von andern ziemlich boshaft, von ſich mit 
zu vieler Eigenliebe fpricht, und von eis 
nem Kreiſe vernarrter Verwandten ums 
rungen ift, die dem beften gerzblättchen 
auf jedes Wort vorfagen : daß alles in 
der Welt gegen Sie Thorbeit iſt. Je reis 
gender die Tugenden genriettens, je ans 
lockender ihre Eigenfchaften find , deſto 
gefährlicher find auch ihre Mängel, bie 
gleichfam durch fo viele Tugenden empfoh⸗ 
len werden. Um eine Genriette zu feyn, 
wlirde Conftantine eben fo geprängreich, 
wie fie thun. Sie fehe vielmehr ihre theure 
Mutter, die alle Tugenden diefer liebens⸗ 
würdigen Engländerinn hat, ohne, fo 
geziert, mie fie zu ſeyn. 
Thereſie. 


VI. 


Therefie und Eleonore, 149 


VI. 

— Freundinn E*! | 

Daͤchten Sie dag? Conſtantine fol 
ftatt aller neuen Nomane, eine Arminie 
Uramene, oder fo etwas aus dem alten 
Sache lefen! — Es ift mein Ernft, befte 
unter den Müttern! und ich will Ihnen 
mit wenig Worten melden, warum. Der 
erſte Grundſatz, den eine angehende Lieb— 
haberinn tief, tief in ihr Herz zu prägen 
bat, ift, fich felbft zu ehren, und von 
ihrem Liebhaber die firenufte Ehrer— 
bietigfeit zu fodern. Daß iſt ver Grund, 
worauf die älteren Nomane gebauet find. 
Keine von den verhaßten Sreybeiten, die 
ſich unfre Liebegritter fo gerne herausneh— 
men! feine von denen, die unfre neuen 
Heldinnen, ohne ihre Ehre zu befleden, 
erlauben zu Eönnen, glauben; feine Bes 
fellungen , als unter einem  begitterten 
FSenfter, Feine Unterredung, ale in Ge— 
genwart einer Zeuginn. ‚Der reine, unbes 
flecfte Ruhm ift die gemeinfchaftliche, Sor= 
ge der beiden Liebenden. Der Verliebte 
will lieber fterben , als feiner gelichten 
Fürftinn Ruhm in Zweydeutigkeit ſetzen — 
Ach, wie fehr find die Romane, die uns 

“3° fre 


150 Thereſie und Eleonore, 


fre Liebhaber fpielen, von biefer edeln, 
wechfelweifen Hochachtung unterfchieden ! 
ihre Liebe fängt mit Freyheiten an, und 
hört in der Ehe mit Verachtung auf, 
Lügner find fie, die Dichter, die Wochen- 
fchriftfchreiber,, die dem Stutzer Romane 
von diefem Cchlage in den Schranfen 
feßen + Egaremens du coeur & de l’efprit, 
Sophas, und was weis ich, wie die ab⸗ 
fcheulichen Bücher mehr heiffen , dag find 
ihre Mufter : ihre Grundfäge find gar nicht 
romanbaft, fie find ausgelefien, uns 
verfihämt', gerade das Gegentheil von 
dem , was fie durch bie Lefung alter Nor 
mane feyn wuͤrden. 

Sie fürchten, folhe Bücher würden 
weibliche Don Quixoten bilden, Das ift 
unmöglich. Der Abftand zwiſchen unferm 
Stande, und dem Stande ber Romans 
prinzeffinnen mird biefe Schwaͤrmerey 
von felbft zerftieben. Sie werden ihren 
Liebhabern Feine Niefen zur befriegen, Feine 
Neiche zu erobern anbefehlen,, weil auch 
fie feine Erbinnen von dreyen Neichen find, 
Alles, was auf fie eine Anwendung ba= 
ben kann, wird feyn: daß fie Tugend 
and Adel des Gerzens bei ihren Rittern 

viel: 


Therefie und Eleonore. 1351 


vielleicht mit einiger Vebertreibung, fodern 
werden. Glückliche Zeiten! wenn wir die⸗ 
fe billigen Foderungen wieder aufleben , 
und flatt Vermögens, Rangs, oder einer 
fliehenden Geftalt, wechfelfeitige Hochach— 
tung den Grund der Liebe und der Ehen 
werben ſehen! 

* 


V. 


Damon. J 
Du küſſeſt deinen kleinen Hund: 
Warum? das möcht ich wiſſen? 
Iſt eines jungen Schäfer Mund 
Nicht reigender zu küſſen? 


phyllis. 
Sind Schäfer, wie der kleine Hund, 


Auch treu? — das möcht ich, wiffen ? 
Weiffe. 


Unr £efer follen entfcheiden , wer zwi⸗ 
ſchen uns beiden Recht hat! ich? — oder 
ein gewiſſer Menſch, der mir feine Auf- 
martung zu machen glaubt, wenn er mir 
beſtaͤndig widerſpricht ? — 
Schweigen Sie nur! ſchweigen Sie! 
ich will ihre Gruͤnde in ihrer ganzen Staͤr⸗ 
ke, wenn ja welche darin iſt, mit ihren 
K4 ei⸗ 


352 Thereſie nnd Eleonore, 


eigenen Wprten will ich fie vortragen — — 
Noch nicht Recht ? was wollen Sie denn, 
daß ich thun fol? — — So? mißtraui— 
feher ! Aber auch darin will ih Shnen 
willfabren: Sie follen es felbft hinſchrei⸗ 
ben, was Sie’ zu fagen haben !: deſto 
beffer! wenigftens dürfen Sie zuleßt bie 
Schuld nicht auf mich wälzen, wenn Sie 
das Kürzere ziehen. Hier ift die Feder! 
Klagen Sie mid) an! 

„Sie, [häßbare Eleonore! Sie klage 
ich nicht an, fondern ihr ganzes Geſchlecht. 
Denn diefe unmäffige Liebe zu einem Zun— 
de , einem Affen, einem Papagey, einem 
Ranartenvogel haben Sie mit allen Frau 
ensperfonen gemein: es iſt der gemein- 
fchaftliche Fehler ihres Gefchlechtes. „, 

Sehler ? — Keine fo entfcheidenden 
Ausfprüche! Warum Seblery Eie werden 
Mühe haben, eine Schwachbeit heraus- 
zubringen; eine fehr vergebliche Schwach» 
beit — 

„ Wenn man Cie böret, fo machen 
Sie zulett wohl noch eine Tugend daraus 
— Mie? eine fehr vergeblihe Schwach: 
beit wäre, diefe Liebe für ſolch ein Thier, 
bie oft bis zur Verehrung getrieben wird ? 

Schwach⸗ 


Therefie und Eleonore. 153 


Schwachheit, wenn Sie ihre ganze Sorg- 
falt diefen vernunftlofen Gefhöpfen zu— 
wenden, auf diefelben ihre erften Gedan— 
fen morgens richten , und abends nur 
mit ihnen befchäftiget ,  einfchlafen ? 
Schwachheit, wenn ihre Laune einzig von 
dem theuren Wohlergehen ihres Sanfans 
abhänget? Wenn fie ihre Mägde, ihre 
Freunde, mid), mürrifch anlaffen, fobald 
ihr Liebling den Kaffee mit weniger Ge— 
fräffigfeit verfcehlingt, oder wohl gar das 
gefaute Zucerbrod verfchmäher — Ach, 
das drmfte Thier ! was mau dem Lieb: 
fien Geſchöpfe fehlen? — Nichts, fagt 
man Ihnen: es hat geftern viel gefreflen, 
28 hat noch feinen Hunger — Umfonft: 
Sie beruhigen fih niht — Klein! rufen 
Sie: nein! der Kaffee wer fonft fein 
Leben: es muß ihm etwas fehlen! das 
erme Thier! ſehen Sie feine Augen, 
wie fie trieb find ; fonft find es die 
feurigften Augen! fühlen Sie feine 
Naſe! wie fie heiß ift! follte diefem 
Liebften Thierchen etwas gefcheben ſeyn, 
alles foll mir dafür fteben! alle follen 
mirs entgelten! Heiffen Sie dag eine 
fleine Schwachheit, daß Sie nur für 

85 daf- 


154 Tcherefie und Eleonore. 


baffelbe fuͤhlbar, nur für daffelbe zärtlich 
find ? daß Ahnen eine vermeinte Kranf: 
heit des Fleinen Kläffers Thränen ausprefs 
feet? daß Sie für feine koſtbaren Tage 
Gelübde thun, und gegen ihn bie zärt- 
lichften Namen verfchwenden, die nur ih—⸗ 
ven Freunden vorbehalten fenn follen ? 
. Heiffen Sie das Schwachheit, daß man 
den Meg zu ihrem Herzen nur durch ihn 
finden fann ? und ein Fobgedicht auf ihren 
Bolognefer Ahnen angenehmer ift, als 
wann ihre eigenen Meise befungen wur⸗ 
den ? heiſſen Sie — „, 

Ach muß Ihnen die Feder entreiffen ; 
Sie halten mir da eine zu prächtige Lob: 
rede. Mann babe ich denn bie fehönen 
Auftritte alle geſpielt ? — Ach glaube 
nicht, daß je irgend jemand feine Liebe 
fo weit treiben wird — 

„Noch viel weiter, ich verfichere Sie. 
So manche Fran hat für ihren Hund oder 
Affen fo viele Zärtlichkeit, daß ihr Feine 
für ihren Mann übrig bleibt. Ich habe 
die feurigften Augen über den Verluſt eis 
nes lieben Sängers durch Thränenmwolfen 
getrüber gefeben: ich habe den ſchoͤnſten 
Mund an der bäflichen Schnauze eines 

Moͤps⸗ 


Therefie und Eleonore. 155 


Moͤpschens fich entweihen gefehen : ich 
habe gefehen, daß eine Frau, die zu nieds 
lich war , die goldnen Haare ihres Fleinen 
Engels von einen Kinde durchzufehen , 
einen unflättigen Affen mit eigenen Hän: 
den fämte, und von Ungesiefer reinigte, 
Aber jenes ift auch nur ein Kind, und 
dieſes ein allerliebfteg, herziges Aeffchen—,, 

Wenn id) Eie nicht unferbredhe , fo 
führen Sie mir wohl gar noch das Mär- 
den von der Gräfinn an, die fir Hunde, 
die nirgend zu Mittag geladen waren, eine 
offene Tafel gehalten, und für alte und 
früppelhafte Hunde ein reiches Spital ge- 
ftiftet haben fol. Aber, wenn es jemalg 
Thörinnen gegeben, die in ihrer Neigung 
zu weit gegangen find, fo war von ihnen 
hier die Nede nicht. Ich gebe dieſe ihrer 
Satire gerne preis, und verlange nur 
meine Neigung für ein unfchädliches Thier, 
das mir zugethan ift, das fo viel Gefühl 
hat, meine Piebfofungen zu. empfinden , 
und nad) feiner Art zu erwiedern, biefe 
Neigung verlange ih nur vor ihrer ih 
teren zu retten, 

Was für ein Uebel ift es, ads ich 
meinen Hund flreichle, und ein Vergnuͤ⸗ 

gen 


156 Therefie und Eleonore, 


gen empfinde , daß das danfbare Thiers 
chen meine ftreichelnden Hände belecket ? — 
Was für ein Uebel ift e8, wenn mich bie 
Gaufeley eines folchen Gefchöpfes, feine - 
Springe, womit es mich bewillkoͤmmt, und 
feine Freude an Tag legt, mich wieder zu 
feben, wenn feine ſcheckerhaften Gebehr- 
den, mit denen es vor mir ſpielet, mich 
ergögen? Was für ein Uebel ift «8, wenn 
ich ihm neben mir auf dem Sopha einen 
Platz gönne? wenn ich ihn mit Leckerbis⸗ 
chen nähre? wenn ich die ſchmerzhaften 
Empfindungen eines lebenden Gefchöpfes 
bemitleide, das ſich nicht zu helfen, dag 
fein Web nur mit feiner Traurigkeit, mit 
feinem durchdringenden Winfeln auszudri- 
cken weis? wenn ich dem leidenden Thier- 
chen beizuftehben, «8 von feinem Uebel zu 
befreyen, einen Hang empfinde, und bie= 
ſem Hange folge ? wenn id das Geſind 
fchelte,, welches das arme Thier muthwil⸗ 
lig mit Fuͤſſen ſtoͤßt? — Wen beleidige 
ich dadurch ? weſſen Nechte werden dadurch 
verletzt? 

Sie getrauen fi) einen Fehler zu heiſ— 
fen, was doch eine der fhäßbarften-Ei- 
genfchaften unferes Gefchlechtes if ? Pi 

e 


Thereſie und Eleonore. 1357 


fe MWohlthätigfeit gegen Ihiere hat ihren 
Grund in der überfläffenden Güte unferes 
Herzens, mit der wir alles, was fid) ung 
nähert, glücklich und froh zu machen ſu— 
chen. Der Umfreis unfrer Gutwilligkeit 
ift ung zu enge, wenn fie bei vernuͤnfti— 
gen Gefchöpfen allein ftehen Bleiben fol: 
wir wollen ihn erweitern, und ung gleich- 
fam unter allen Geſchoͤpfen Freunde er— 
werben. 

Ohne Zweifel, daß ihr Herren euch 
einbildet, der Haas fen erfchaffen, um von 
euch geheget, der Hirfch , um todt gejagt, 
ber Hund um geprügelt, und der Vogel 
um auf dem WVogelherde in dag Garn ge- 
locket, und mit mörderifcher Hand zer- 
fnicket zu werden? In diefer Abficht, 
und um eure Graufamfeit zn bemänteln,- 
habet ihr das fchöne Lehrgebäude erfun- 
den, daß die armen Tbiere nur Me: 
fhinen find. Aber warn ein Rad an 
einer Mafchine bricht, fo giebt e8 Feinen 
Faut von fih; wenn mein Hund getreten 
wird, fo erfüllt er das Haug mit feinem 
Geſchkeye. Mein Hund ift alfo feine Ma- 
ſchine: und ich glaube feft, diefe empfin- 
denden Gefchöpfe find gemacht, um in 

. ih: 


158 Thereſie und. Eleonore, 


ihrer Art glücklih zu fenn. Wenn mir 
alfo etwas dazu beitragen, ihre £hierifche 
Glückfeligkeit zu befördern, wenn wir ge: 
yoiffermaffen zu den Abfichten des Schoͤ—⸗ 
pfers beitragen, darf man das an ung 
tadeln? — 

Lernen Sie vielmehr diefe Sanftmuth 
hochſchaͤtzen, die die Natur in unfre Her— 
gen geleget hat, und erkennen Sie daraus 
unferen Werth! Wenn die Vorficht es 
euch zuläßt, ihre Werfe zu verderben, 
fo hat fie ung dazu erfohren , diefelben 
zu erbalten. Wir Finnen den Anblick 
eines ausgehungerten Hundes nicht erfra= 
gen ; werden wir den Hunger von unfers 
Gleichen zu ftillen, faumfelig feyn ? Das 
Heulen eines befchädigten Thieres locket 
ung Thränen in die Augen: wie groß wird 
unfere Antheilnehmung ſeyn, wenn bie 
Züdungen eines leidenden Menfchen ums 
fer Mitleid auffodern ? Wir befchügen un: 
fre Thiere gegen Gewaltthaten: wann es 
bei ung fichen wird ,„ Gewalt von dem 
Haupte der Menfchen abzuwenden, glau— 
ben Sie, daß wir e8 weniger thun wer⸗ 
den? Wenn wir felbft gegen bie Thiere 


wohlthätig , empfindungsvoll find , fe 
grüns 


Therefie und Eleonore. 159 


gründen wir dadurch dem ganzen menfch- 
lichen Gefchlehte auf unfre Wohlthätig: 
feit und Empfindung einen offenbaren und 
förfern Anſpruch. 

Was fagen Sie nun? ich glaube, Sie 
werden mich meinen Hund, meinen Vogel 
nach meiner Weife lieben laffen? vielleicht 
verdienen fie e8 durch ihre Treue und Un— 
fhuld auc mehr, als gemwiffe männliche 
Gefhöpfe, die fie darum beneiden. Aber 
ic) bin damit nicht zufrieden, unfre Schooß- 
hunde gegen Sie in Sicherheit geſetzt zu 
haben: ich will mit allen meinen Gefpie- 
linnen eine Verſchwoͤͤung machen : wir 
wollen alle Gemeinfchaft mit folchen Men: 
fchen aufheben, die umbarmberzig genug 
find, fih an den Schmerzen eines armen 
Thieres zu ergögen. Ein Menfch, der 
aus Muthwillen ein wehrloſes Gefchöpf 
quälet, was wird er thun, wenn er fich 
beleidiger Hält? O meine Schweftern ! wer 
immer au nur bag Bild des Schmer- 
zens, ohne Erfchütterung vor fich fehen 
kann, hat ein graufameg Herz : flieht ihn! 
er wird ein Tyrann feiner Gattinn, feiner 
Kinder , feines ganzen Haufes feyn! 

€. 
VI. 


160 Thereſie und Eleonore. 
vi. 


Ein Gellert ? — Bellert ift zn matt! 
Kin Gleim ? — Gleims Scherze find zu platt! 
Ein Kleiſt? — if ſtolpernd! Saller — hart! 
Kin Uz? — ſchr ungleich! Weiß ? nicht zart! 
Und Geffner ? — zu unedel landlich! 
Und KRlopfſtock? — fhwülfig, unverfändlich ! 
Nur Frankreichs Dieter , fie allein 
Eind naif, erhaben, wigig , fein. 


A rensans „daß ich vorgäbe, die Verfe, 
die ich heute zur Auffchrift gewaͤhlet, feyn 
von meiner eignen Hand; fo getraue ich 
mir vorher zu fagen, wie man fie finden 
würde: fchlecht! — Aber fie find Du- 
ſchens: der Namen des Verfaffers giebt 
ihnen , ungefähr wie das Bruftbild des 
Negenten einem Stüde Metalls, einen 
beftimmten Werth : man fieht nun erft 
ein, wie ein mit unfern beften Dichtern 
unzufriedner Ausländer fein Urtheil in eir 
nem einzigen Worte zufammfaßt , und 
daß dieſes Wort fehr Farafteriftifch if, 
wenn eine Frauensperſon ein folches Kunſt⸗ 
‘wort wagen barf. 

So viel ehut das Vorurtheil! Gäbe 
ich folgende Gedichte als deutfche Drigi- 

na⸗ 


Therefie und Eleonore, 161 


tale, ich bin gut dafür, ein groffer Theil 
unfrer franzsfifchen Partifane würde die 
darin häufig angebrachten Schönheiten , 
den tändelnden , anmuthigen Wig , die 
Neuheit der Erfindung , und die feine 
Schmeicheley für Sopbien, worein der 
Derfaffer das Gedicht durch den Schluß zu 
verändern wußte, verfennen. Aber, fobald 
ich ihnen vertraut haben werde, daß es 
eine Veberfegung nad) Greflet iſt; fo 
werden fie auf feine Schönheiten aufmerf- 
fam , und ich denfe , auch begierig feyn, 
das Original felbft zu fehen, dag in der 
Ueberfegung nothwendig vieles von feiner 
urfprünglichenAnmuth verloren haben muß. 

Diefes Original iſt ungedruckt, und 
wird nur noch in der Sandfchrift von 
Freunden an Freunde gegeben. Es ift durch 
einen befondern Zufall in meine Hände ges 
rathen. Aber ich bin fo neidifch nicht, einen 
ſolchen Schaß für mich allein zu behalten, 
befonders da mein Ueberſetzer — denn ich 
felbft war einer folchen Unternehmung nicht 
gewachſen — mir geftanden hat, daß er 
unmöglich; den Ausdruck feines Dichters - 
ganz in Berfen gebem können, und darum 
geswungen war, Profe mit darein zu flis 

IV. Theil, £ cken, 


162 Thereſie und Eleonore. 


den. Wer alfo das Driginal zu leſen 
wünfchet, darf durch einige eingefendeten 
Zeilen daffelbe bis heut über acht Tag von 
mir abfodern. 


Amors Geburt, - 
Nach dem Franzöfifchen von Greſſet: 


Nic erft in biefer Reih von Jahren 

Schon da, als Menfchen Schäfer waren, 

Bor Saͤklen fhon hab ih, Sophia dic 
gefüßt: 

Nur bloß dem Namen nach verfchieden, . 

Hab ich Sophien in Naiden, 

Haft du mich in Myrtill gefüßt — 

Zwar biefe Bilder find an Lethens goldnen 
Wellen, 

Der unter Trauben fich ergieht, 

Wo ewig, wie aus Neftarquellen 

Der Moft aus Bachus Urne fließt — 

Zwar find fie laͤngſt an Lethens goldnen 
Wellen 

Aus deiner Seel’ ertränft : | 

Nur aus des Dichters. Geift hat fie fein 
Moft ertränft, 

Der, 


Therefie und Eleonore. 163 


Der, Thaten aus Prometheus Zeiten 

So klar, wie ferne Künftigfeiten ‚ 

Am Agganipperbache denkt. 

Sch feh, ich feh? — o glaube dem Berichte !-—- 

In jene Welt zurück von heil’ger Glut bes 

ſeelt! 

O Liebſte, hoͤre die Geſchichte, 

In der dein Dichter dir erzaͤhlt 

Wie er vor Saͤklen ſchon dich und dein 
Herz gewaͤhlt. — 

Dein Herz voll Zaͤrtlichkeit, dein himmliſch 
Herz gewaͤhlt! 


* * 


* 
Es war im Anfange der Zeiten, da ich 
gebohren ward. 


Der Himmel trug noch wenig Goͤtter, 
Den Zevs verkuͤndigte Fein zornig Don— 
nerwetter, 
Halbgoͤtter kannte man noch nicht. 
Vor wenigen, holdlaͤchelnden Goͤttinnen 
Entzuͤckte Cypria durch Bildung und Ge—⸗ 
ſicht — 
Dir aber Maͤdchen, glich ſie nicht — 
Der ſpaͤtern Nachwelt Halbgoͤttinnen 
Durchirrten noch als Schaͤferinnen 
8a Die 


164 Ücherefie und Eleonore. 


Die bunte Flur, den jungen Hayn 

Und nahmen feinen Schäfer ein, 

Und fühlten nicht der Liebe Pein: 

-Denn Amor der Monarch der Herzen 

Scof noch in feine Bruft glutvolle Lie— 
besfchmerzen. 

Kein Wunder! der Gott war noch nicht 

gebohren — Ich war fhon ein Juͤngling, 

als Venus ihn gebahr. 


Singt Eypripors Geburt ihr Mufen! — 

Aus einer Rofenfnofp’ an Venus vollem 
Bufen 

Schlich unvermerft der Gott hervor, 

Auf feinem zarten Hals, durchfichtiger als 

Flor, 

Den ſeidne Locken frey umflogen, 

Hieng ſchon der Köcher und der Bogen. 

Schnell fprang der Schalf auf Venus 
Bruft empor, 

Sah von der Höhe ſtolz hernieder, 

Und ſchuͤttelte fein artiges Gefieder , 

Und wagts, und flog empor — 


D wie mußte id Jüngling lachen, ale 
id) den Fleinen Helden, Klein wie ein Nel= 


fenblatt, auf dem warmen Buſen fich blä= 
ben 


Therefie und Eleonore. 165 


ben fah! Aber ach! wer hätte es ge— 
glaubt: ſchon damals bewies mir der Gott, 
er fey nicht gebohren, um verlacht zu werben. 


Gewaltſam in der fchnellften Eile 

Flog in mein Herz der größte feiner Pfeile: 
Erfchrocen ſank ich hin; al 
Da fah ich meine Bruft von Tropfen Blut 

ſich färben, 

Und weint’ und glaubte nun zu fterben. 
Doch Cyperns edle Königinn | 
Entriß mich huldreich dem Verderben — 


Weine nicht lieber Juͤngling, fprach die 
holdfelige: Amors Pfeile verwunden zwar, 
aber fie tödten nicht. Sich! eines von 
diefen Mädchen aus meinem Gefolge foll 
deine blutende Bruft wieder heilen! Steh 
auf und waͤhle! es ſoll dein Eigenthum 
ſeyn — Und ich ſtand auf, und weinte nicht 
mehr. Da ſtellten ſich die Maͤdchen um 
mich herum, daß ich wählen follte: aber— 
aber glaube mir, Geliebte — der Pfeil 
hatte mich gelehrter gemacht, und ich un> 
terfchied ist Reize, die ich vor dem faum 
bemerft hatte. 


23 Hier 


166 Thereſie und Eleonore. 


Hier winfte mir ein Purpurmund ; 

Dort eine Bruft, gewoͤlbt, und rund; 

Hier reisten ein paar volle Wangen, 

Dort ein paar Augen mein Berlangen:; 

Wohin ich nur unfchläffig ſah, 

Stand etwas mic) zu reisen da ; 

Bis ich ein holdes Kind entdeckte, 

Das meinen Blicken fich verfteckte, 

Friſch, wie der Morgenthau , jung tie 
ein Srühlingstag , 

Und heiter, wie ein Silberbach. 


D meine Freundinn, dA warft eg, bie 
Liebenswürdigfte unter den Mädchen aus 

dem Gefolge der Venus: mie hätte ich 

dich überfehen koͤnnen ? Dich, dich wählte 

ih, meine Sophia, ber erfte der Liebha— 
ber, und fprach zur Cythere: 


Dein ganz Gefolge goͤnn ich Bir: 
Dieß Mädchen Goͤttinn fchenfe mir! 


Die Goͤttinn lächelte, und mwinfte mir . 


Beifall zu, daß ich fo vernünftig gewaͤh⸗ 
let hatte. 


2. 
VIL 


Therefie und Efeunore. 167 


VII. 


Was ſagten Sie Papa? Sie haben ſich ver— 
ſprochen: 
Ich ſollt' erſt vierzehn Jahre ſeyn? 
Kein, vierzehn Zahe und ſieben Wochen. 
Gellert. 


DIR haben zwey groffe Stufenjahre: 
das eine können wir nicht bald genug er- 
reichen; das andre wollen wir nie er= 
reicht haben. Einem Mädchen Friechen 
die Jahre : einer Frau fheinen fie auf 
den Echwingen bes Windes über fie hin- 
zu fliehen ; und wenn der Lauf der Zeiten 
von ung abhienge , fo würden wir vor 
dem wierzehnten Jahre dem büffenden 
Wolfe in der Fabel gleichen, und Tage 
und Nächte wie die Augenblicke über ung 
mechfeln laffen *): nad) dem dreyſſigſten 
Kahre hingegen der Sonne, wie Joſue, 
einen Stillftand gebieten. 
Wo 
N Ich liebe nicht ſehr, meine Beleſenheit aus— 
zukramen, ſeit dem Thereſens Gemahl von 
einem Citanten geſprochen: er machet ſeinem 
Gedächtniſſe auf Köſten der vernuuft Ehre, 
und da er uns zeiget, daß er viel geleſen 
hat, 


168 Thereſie und Eleonore, 


Wo wäre Gellerts vortreffliche Erzaͤh⸗ 
lung von Fickchen geblieben, aus welcher 
ich das Motto gemähler ? und mie fo 
manches. Sinngedicht der Dichter aller 
Sprachen hätte feine Spige entbehren 
miüffen, wenn ung die Männer dieſe ent⸗ 

ger 
hat, zeitget er tıns zugleich , wie wenig 
er felbit wedacht babe. Aber, da die Fabel, 
auf welche fich der Gedanke grlinder, wenig⸗ 
fiens meinem Sefchlechte nicht ſehr bekannt 
it, ſo muß ich fie mit einer Werklirsung 
bier anführen. ,, Wolf Ifegrim ward von 
dem Könige der Thiere, dem Löwen, verur- 
theilt, für jedes lebende Thier, fo er erwür 

gen würde, zwey Sabre zu faften : begnlige 
. dich, fprach der Fler, mit den todten Thies 
ren, bie du auf dem Felde finde ! Dee 

Wolf mußte ſchwören. Bald darauf fah rt 

ein fettes Schaaf ungehüttet weiden. Der 

Schwur ! der Schwur ! zwey Jabre Fein 

Steifch effen !. das ift ſchwer! Doch ber 

Räuber war nicht lange verlegen. In je 

dem Jahre find 365 Tage: Tag if, warın 

ich fehe, Nacht, wann idy nicht febe ; fo 

oft ich alfo die Augen zuthue, ift Yacht, 

und öffne ich fie, fo wirds Tag. Schnell 

blintte er die Augen gu, und that fie wieder 

anf, da ward aus Abend und Morgen der 
er⸗ 


EB 


Sherefie und Eleonore, 169 


gegengefegten Schwachheiten nicht vorzu⸗ 
werfen haͤtten? 
Vetulla ſchwaͤrzt ihr graues Haar, 
Und ſagt: ihr Alter fen nicht über dreyſ⸗ 
fig Jahr. 
Detulla redet wahr, 
Sie fagt ung dieß (don zwanzig Jahr. 
Ewald. 
Es kleidet Sie vortrefflich wohl, mei- 
ne Herren, uns daraus einen Vorwurf 
zu machen, da Sie daran doch allein Schuld 


find! fo, wie Sie nah dem Grundfage 


ber weiblichen Sittenlehre, überhaupt an 
allen unfern Schwachheiten und Sehlern 
Schuld find — 

Eilen Sie Lorchen, daß Sie bald 
groß werden! Ich erinnere mich ganz - 
genau, daß man immer fo zu mir fprach, 
wann ich durch ein wehmuͤthiges Geficht 
bezeugte , daß ich mich nicht gerne von 
allen Luftbarfeiten ausgefchloffen fah. Sch 
bin alfo unbedeutend, dachte ich bei mir ; 

85 und 


erſte Tag: fo zaͤhlte er zwey volle Jahre. Nun, 
ſprach er, habe ich für die Sünde zum voraus 
gebüfer,, ergriff das Echaaf, und würgte 
(6. 5 


ı70 Thereſie und Eleonore, 


und bie Zeit ward mir unerträglich lange, 
bis ich es nicht mehr feyn würde, Meine 
Miünfche flogen dem glüclichen Zeitpunfte 
entgegen , und ich wollte mit Gewalt älter 
ſeyn, als ich wirflich war. Mein Ge, 
burtstag fam. Sie haben heute das drey⸗ 
zehnte Jahr zum Vergnügen ihrer Ael- 
tern erreichet: wer fo feinen Gluͤckwunſch 
bei mir ablegte, dem warb fehr Faltfinnig 
gedanfet. Aber warn es hieß: noch ein 
Jahr, und Sie find groß genug, eine 
Rolle in Befellfchaften zu fpielen: wann 
mir diefer Geburtstag als ein näheres Ziel 
zu meinem groffen Hauptziele gegeiget warb, 
fo empfand ich eben das Vergnügen, wel 
ches ein Fremder , der eine ferne Neife 
nach diefer Hauptfiadt thun mußte, bei 
Erblifung des legten Meilenzeigers em- 
pfindet, auf dem er lieſt: daß er nur 
noch eine halbe Meile von Wien entfer— 
net ift. 

Maren es die Luftbarfeiten allein, bie 
mir den Wunſch, älter zu werben, ab—⸗ 
drangen ? Ach will mich nicht Findifch zie⸗ 
ren, und zur Unzeit die Verfchämte fpie- 
len: nein! die Luftbarfeiten allein waren 
es nicht, fondern, weil man mich, wann 


Therefie und Eleonore. 171 


ich groß feyn würde, einen Mann hoffen 
ließ. Sa! der Mann, den man mir in 
der Ferne zeigte, machte, daß ich fo fehr 
eilte, und wohl hundertmal die Jahrszeit 
träge hieß — Ich rede hier aus Gefällig- 
feit von mir allein: aber ich hoffe, meine 
Gefpielinnen werden fich in mir erfennen, 
und mit gleicher Offenherzigkeit, als ich, 
geftehen, daß ihre Gefinnungen den mei— 
nigen fo ähnlich waren, als die Jahre, - 
von denen bier die Rede ift. 

Lacher nicht, ihr Herren ! e8 war nicht 
unfere Schuld, wenn wir einen Mann 
für fo etwas wichtiges anfuhen, nach dem 
man fich fogar fehnen koͤnnte. Ihr ſor— 
get, mie id) von fo mancher Frau fagen 
höre, gar bald dafür, daß euren Gattinnen 
der Irrthum nicht lange bleibt. Aber mas 
wolltet ihr , daß man damals anders 
denfen follte, da unvorfichtige Kindsfrauen, 
vielleicht auch unvorfichtige Mütter ung 
den Befiß eines Mannes ale das höchfte 
Gut anpriefen? Lorchen wollte nicht ler— 
nen — Lerne Toͤchterchen! ich will dir ei- 
nen huͤbſchen Mann ausfuchen — Lorchen 
war nicht ordentlih : du mußt ordentlich 
fen, wenn du einen Mann befommen 

ſollſt! 


ı72 Thereſie und Eleonore. 


ſollſt! — Lorchen Fleidete fich übel; pfut 
fchäme dic), wie wirft du fo übel gefleis 
det einem Manne gefallen ! — Sogar wann 
Lorchen nicht beten wollte, hieß e8: dw 
mußt beten, fonft fchickt dir der Himmel 
feinen Mann! — So wird den Mädchen 
von ihren zartſten Jahren der Befig ei— 
nes Mannes, als das Koftbarfte , womit 
die Welt und der Himmel ihren Gehorfam, 
‚Gelehrigkeit und Frömmigkeit belohnen 
kann; fo wird ihnen das Unglück, feinen 
Mann zu befommen, als van Schredlich- 
fie, was der Himmel in feinem Zorne über: 
fie verhängen fann, als dag Schimpflich- 
fie, was ihnen in den Augen der Welt 
wiederfahren mag, gemwiefen: fo werben 
ihre erften ffammelnden Töne ein Mann; 
fo wird der vortheilhafte Begriff davon in 
dem Eleinen Herzen eingeäget , wachſet 
darin auf, und wird immer fefter — wie 
der von einem Daphnis in die zarte Rinde 
der jungen Buche eingefchnittene Name 
feiner Phifis, mit dem Baume felbft aufs 
wächft, und endlich nicht mehr auszuloͤ— 
fchen ift. | 

Wenn man ung den Lohn wuͤnſchens— 
werth machet, fo ift e8 fehr natürlich, da 

| wir 


<herefie und Eleonore. 173 


wir die Zeit abgefürget wuͤnſchen, die ung 
den erwuͤnſchten Lohn gewähren foll! 

Diefe Zeit koͤmmt endlich ; mir haben 
die Jahre erreicher, wo ung die mÄnnli- 
chen Schmetterlinge, gleich aufbrechenden 
Rofenfnofpen umflattern ; die Jahre des 
Dergnügeng, der Scherze, der Schmeiches 
ley. Uns werben die Tage gefeyert ; wir 
find die Königinnen ; wir herrfchen unums- 
fchränft, durch unfre Worte, unfre Winfe, 
unfre Wünfche. Das füffe Geräufch der 
Scmeichelen beräubt ung ; aber nur we— 
nige Zeit, Je ſchaͤtzbarer ung alles dag 
ift, was um ung her vorgeht, deſto em- 
pfindlicher fielen wir ung den Verluft da= 
von por — den Derluft! weg frauriger 
Gedanfe! werde aus meiner Seele ver- 
loͤſcht! — Doch ich bemühe mich verge- 
bens, die Stimme des Wandelnden zu 
uͤberhoͤren; er ruft mir wider meinen Wil⸗ 
len zu: 

Maͤdchen, deinen Wangen bluͤht 

Nicht ein ewig junger Fruͤhling, 

Diefe Lilien werden welken, 

Diefe Nofen werden fallen — 

Und die Schaar, die num ſich drängt, 

Blatternd um bich her zu fpielen , 

Dei: 


174 Thereſie und ‚Eleonore; 


Deine Winfe augzufpähen, 
Deinen Wünfchen vorzueilen, 
Wird das Älternd Mädchen fliehn : 
- Mie fie int Seriffen flieht; 
Die nur erft vor fieben Herbften , 
Gleich dir , in den Kreiſen herrſchte, 
Und,der eiferfücht’gen Mädchen , 
Und der lüfternden Narcife 
Neid und Blicke auf fich lockte, 
Nun beneidet fie fein Mädchen, 
Kein Narciß ficht nach ihr lüftern , 
Unbemerft fit fie in Reiben, 
Dann ibr Lenz ift nun vorüber, 

Penn diefes Dringen der Männer ung 
vergnüget, wie können wir ung entſchluͤſ— 
fen, daffelbe fobald zu verlieren ? Das find 
die Tage unfrer Regierung. Chriftine bat 
wenige Nachfolgerinnen , die einen Thron, 
fo gleichgültig zu verlaffen, das Herz has 
ben. „Vielmehr fuchen wir die Zeit unfrer 
Herrfchaft, fo fehr wir koͤnnen zu verlaͤn⸗ 
gern, und wir fuchen in diefer Abficht alle 
Künfte hervor, die wir nur anzuwenden 
wiſſen. Ach habe bier nur von einer ein» 
jigen zu reden: von der Kunſt feine Jab- 
re zu vermindern. Sch weis nicht, warum 


die Männer fo manche Spottrede darüber 
auß: 


<herefie und ‚Eleonore. 175 


ausftoffen ? was thun wir anderft, als 
was die größten Helden von ihrem Ge- 
ſchlechte fo oft gethan, und nod) täglich 
thun? Wenn wir nicht mit offener Macht 
fiegen fönnen, fo verfichern wir ung des 
Sieges durch eine Kriegeslift: wir legen 
den Ueberfluß unfrer Jahre in Hinterhalt, 
und bedienen ung derfelben nur dann, wann 
es unfrer Abficht gemäß iſt — 

Aber was fiht e8 mid) an, was Per- 
fonen meines Gefchlechtes von einem ge: 
goiffen Alter thun! E8 wird Zeit feyn, 
auf mich zu fehen, wenn ich diefen furcht⸗ 
baren Zeitpunft einft werde erreicher haben. 
Denn, nie war etwas fo in meine Seele 
gedacht, als der Kath, den ich meiner 
ernfteren Schmefter über die Schulter aus 
ihrem Senefa abgefehen habe: Wenn es 
nun aud) gefchehen wird, fagt er, was 
nügt es, feinem Schmerzen entgegen 
zu eilen: du wirft ihn immer noch ge— 
nug fühlen, wann er da ſeyn wird, 
Bis dahin hoffe! Was du damit gewin- 
nen wirft? die Zeit. Das ift eine troͤ— 
ftende Philofophie, diefe Philofophie des 
Senefa! 

€ 


VIII, 


176 Tbhbereſie und Eleonore, 


VIIL 


Sich ekeln Deutfchen zu empfehlen , 
Muß ſich der deutſche Wis in fremde Tracht 
verhrelen, 
v.©. 


Ta babe mich in meiner Muthmaffung 
nicht geirret; folgende zween Briefe, die 
unter den eingelaufenen vorzüglich mitge⸗ 
theilt zu werben verdienen „ werben es 

bemweifen. 
Liebenswärdige Schriftfiellerinn! _ 
„Geſtehen Sie es nur! es giebt gewiſſe 
Gattungen des Witzes, worauf Deutfch- 
fand auf ewig allen Anfpruch muß fahren 
laffen. Ich weiß es nicht eigentlich, woran 
e8 liegen mag; ift die Luft, die wir ein- 
athmen, vielleicht zu dicht, zu Förperlich ? 
oder find die Werfjeuge, deren fich bie 
Seele zu ihren geiftigen Verrichtungen be= 
dienet, bei ung zu grob ?— Hätte etwan 
das Waffer ver Seine und Rbone eine, 
—— *) Kraft, dergleichen bie 

Pleif- 


@&* Derdichtern , wie vergöttern: zum Gott, 
zum Dichter machen. 


Therefie und Efeonore. 177 


Dleiffe, die Elbe, die Spree und Donau 
nicht haben ? fehler es an der Erziehung ? 
oder. woran fehler eg, daß wir in fo man⸗ 
chem Theile der Dichtfunft, aber befon= 
ders in den feinen Tändeleyen, den Franz 
zofen fo fehr nachftehen? — ,, 

„ Kann ih, ohne Sie zu ergürnen, 
meine Meinug offenberzig fagen ? mir 
fcheint,, unfre Sprache fey zu arm, zu 
fehwerfallig , zu ungelenffam, etwas 
Seines auszudruͤcken; fie fen in der arti— 
gen Welt nicht üblich , und daher nicht 
bearbeitet genug, um fich die Wendun— 
gen zu geben, bie das Naife, das gewiffe 
Niedliche der Gedichte eines Chaulieu, 
Greflet und dergleichen ausmachen. Ich 
will in Anſehen Ihrer eine Ausnahme ſtatt 
finden laffen: aber allgemein zu reden, 
ſehen Sie nur, wie man zu ausländifchen 
Wörtern und Kedensarten feine Zuflucht 
zu nehmen gezwungen ift, wann man im 
geringften fih mit Kurze, Beftimmung, 
Eigenthumlichkeit ausdrüden will! „, 

„ Gie felbft geben mir durch dag mit— 
getheilte greſſetſche Gedichtchen eine neue 
Urfache an die Hand, mit meinen Natio— 
naldichtern weniger zufrieden zu feyn. Wels 

IV, Theil, M cher 


178 Thereſie und Efeonore, 


her von ihnen hat feiner braunen Doris, 
oder blonden Chloris jemals eine fo feine, 
"Schmeicheley geſagt, als der Franzofe 
feiner Sophie in der einzigen Zeile: 


Dir aber Mädchen glich fie nicht, 


ſo weit naͤmlich die deutfche Sprache nicht 
zu ungelenkfam geweſen feyn mag, Greſſets 
Niedlichkeit ohne Abbruch wieder zu ger 
ben ? denn, ohne Zweifel muß diefes Ge: 
dicht im Srangöfifchen ungleich artiger und 
zärtlicher feyn, als in der Ueberfeßung. Se 
fehr auch der Ueberſetzer derfelben die Miene 
der Freyheit geben wollen, fo merft man, 
feiner Mühe ungehindert, ihr den Zwang 
dennoch an — Es ift ein Bürgersmädchen, 
dag die Ungeswungenheit einer Stands— 
perfon fopiren möchte ; alles, was fie thut, 
tft links, wenn ich fo fagen darf, am uns 
rechten Drte angebracht, sufammgefeßt, 

ſtudirt — | 
„ Sie haben daher, fchägbare There: 
fie! fich ihre Lefer durch das Anerbieten, 
bag franzsfifche Original mitzutbeilen, noch 
mehr, als durch die Ueberfegung verbind- 
lich gemacht; und ich bediene mich ber 
gegebenen Freyheit, Sie zu bitten, daß 
| es 


Therefie und Eleonore. 179 


es mir gegen diefen Brief abfchriftlich mit⸗ 
gerheilt werde! Wenn unfre Sprache durch 
einen Mund, wie der ihrige u. ſ. w. — 

Hier folgen ein paar Schmeicheleyen, 
durch welche der Verfaſſer diefes Briefeg 
vielleicht zeigen wollte, daß er feine ge: 
priefenen Srangofen nicht ohne Frucht ge: 
lefen habe. Da fie bei einer gutartigen 
deutfchen Doris nicht wohl angelegt find, 
fo unterdrüce ich fie, und gebe ihm Er— 
laubniß , diefelben wieder irgend bei einer 
 frangsfirenden Schönen an Mann zu brin- 
gen, wo fie, vieleicht mit mehrerem Wohl» 
gefallen angenommen werden dürften — 

Sollte Phileten, wie er ſich unter- 
fchreibt , nicht gleich eine folche beifallen, 
ſo will id ihn an die Sreundinn verwei— 
fen , welche mich mit folgendem lebhaften 
Driefe beehret. 


Schriftfiellerifhe Landsmänninn ! 
m @&leim, Uz, Weiffe, Gellere — wie 
heiffen die Leute alle, die in der Auffchrift 
ihres VI, Stuͤckes genennet find, wovon 
ic) Feine Ehriftenfeele fenne, und die ohne 
Zweifel die witzigſten Schrifefteller find, 
bie Deutfchland von Ewigkeit her geboh⸗ 

M 2 ren 


180 Thereſie und Eleonore; 


ren bat, die aber ohne Zweifel auch feine 
einzige Zeile gefchrieben haben, welche bei 
einer ftandhaften Unterfuchung Stich hält. 
Bo find fie diefe unbehälflichen Goliats, 
daß mein David mit feiner Hirtentafche 
und dem Schäferftabe fie in den, Sand 
binftrecfe? wo find fie? In der That, 
Madam! ich fchäme mich, eine Deutfche 
zu feyn, weil ung fo ein geringer Antheil 
von Wit geworden. Aber ich hoffe, mit 
mir foll ein Feiner Lofalfehler vorbeiges 
gangen feyn. „, 

„„ Wieder auf ihr Gedicht zu fommen, 
es ift artig, fein, ift Sranfreihs, eines 
Greflets würdig. Sie hätten es nicht erſt 
bazufeßen dirfen, daß e8 nicht urſprüng⸗ 
Lich von deutfchem Gemächfe ift, man 
hätte das für fich felbft wohl erfennet. Wo 
follen einem deutfchen Barben foldhe fche- 
ckerhafte, launichte, tändelnde Gedanfen 
berfommen? Unfre Herren Poeten find 
‚ eitel Herren in us; und ein Herr in us, 
ift, wenn er artig thun will, gerade am 
unausftehlichften. Sch babe zu meinem 
Ungluͤcke davon in meinem achtjehnten 
Jahre eine traurige Erfahrung gemacht. 
Mein Bruder it, der Himmel weis wie, 

auf 


x 


Thereſie und Eleonore. 181 


auf den Gedanfen verfallen , gelehrt zu 
werden. Junge bift du toll, fagte ich 
ihm wohl hundertmal, willft Su deiner 
Samilie ſolche Schande anthun , die 
fich feit undenflicher Zeiten von diefer 
Deft rein und unbefle@t erhalten bat x 
Meine Nede war in Wind, der Purfche 
lag unaufhoͤrlich zwiſchen feinen Globufen 
und Folianten und andern ſolchem Plun— 
derwerke bisüber die Ohren begraben ; fein 
einziger Umgang mar gelehrtes Gewuͤrme, 
wovon ſein Zimmer wimmelte, und wenn 
ich mich nicht ſeiner erbarmt, und ihn ein 
wenig zugeſtutzet haͤtte, ſo waͤre er voͤllig 
verwildert. Ein verwilderter Deutſcher 
aber iſt weit aͤrger, als ein verwilderter 
Franzoſe; das ſieht man an Rouſſeau, 
der, trotz allem dem, daß er an ſeinem 
Gebirge auf Vieren herumkroch, - feine 
Julie dennoch recht galant und galanter 
als der artigſte Deutſche zu unterhalten 
wußte. Mein Bruder wuͤrde ein deutſcher 
Sauertopf geworden ſeyn, wozu ich ihn 
zu lieb hatte; und er war auch ſonſt zu gut 
dazu; wohl gebildet, von ſchoͤnem Wuch- 
ſe, hatte einen feinen Fuß, ſang, und 
ſpielte den Fluͤgel ganz artig, und war 
M3 bei 


182 Thereſie und Eleonore. 


bei Mädchen ‚nicht fehr verlegen „. dreis 
fie genug , und jur Noth auch ein wer 
nig unverfchämt: wäre es nicht ewig um 
ihn Schade geweſen ? ch fuchte ihn al 
fo meinen Freundinnen zu erhalten, 309 
ihn Sfter8 in meine Gefelfchaft, und be⸗ 
fuchte ihn fogar manchmal auf feiner ger 
lehrten Werfftätte. Hier num ſah mich fo 
ein Iateinifches Infekt, fieng Feuer, feuf- 
jete dreymal, reifperte ſich zweymal, und 
hatte zulegt doc das Herz — Ja wenn 
ich das mytholdgifche Zeug alles mußte, 
was er in feine luſtige Liebeserklärung 
brachte. Aber ich werde Sie vielleicht mit 
diefem Romane ein andermal zu unterhals 
ten, Gelegenheit finden. Genug, die deut⸗ 
fchen Dichter ſind wie die deutſchen Lieb— 
haber, fteif, gezwungen, froſtig, traurig. 5, 

„Die Franzoſen, die Franzoſen! In 
der Ueberſetzung noch, iſt Amors Geburt 
ein Meiſterſtuͤck; wie muß es erſt in der 
Urſprache ſeyn! ſo ein Unterſcheid, denke 
ich, iſt zwiſchen beiden, als zwiſchen der 
beruͤhmten Bildſaͤule Pygmalions, und der 
wahren Denus: den Umriß, die Rundung, 
bie Gefchmeidigfeit Fonnte ber nachahmen⸗ 
de Künftler geben, aber Wärme, Spiel, 

fe: 


Therefie und Eleonore, 133 


Leben, das war in dem Arbilde mit das 
bei. ,, 
* Gefhwind mein Schaß, ſchicken Sie 
mir das Original! Ich bin ein wenig un⸗ 
geduldig ‚nicht wahr, zu dringend, zu 
lebhaft fuͤr eine Deutſche? deſto mehr 
Ehre fuͤr mich! das geſetzte Weſen meines 
Vaterlandes glaube ich, wuͤrde mich 
ſchlecht kleiden, wuͤrde mir eine groſſe Luͤ— 
cke in den dichten Kreis meiner Sklaven 
machen. Ohne Zweifel bin ich ein vor— 
treffliches Original, worüber Ste einmal 
ein Blatt -fchreiben Fönnen. Damit Sie 
meinen Ranen wiffen ‚ich heiſſe 
ihre: Dienerinn 
Clarice, 

Nicht zwar in eben diefem Tone, aber: 
doch von ohngefähr diefem Inhalte find 
die mehreften eingefommenen Briefe: ba= 
ber ich alfegugleich mit einem fehr kurzen 
Handbriefchen beantworten, und meine 
Zufage erfüllen fann. 


Meine Leferinnen und Lefer ! 

„Die Auffchrift auf unferm VI. Stüde 
ift nicht von Duſch, fie ift von mir — 
Ich hoffe, fie wird Ihnen nun mißfallen! 

M 4 Dad 


84 Thereſie und Eleonore. 


Das Driginal von Amors Geburt, fin⸗ 
den Sie in Gerfienbergs Tändeleyen ; 
aber es ift nicht frangöfifch , es ift ur- 
fpringlich von diefem feinen deutſchen 
Dichter, der die Meinung, als wäre unfre 
Sprache zur tändelnden Dichtfunft nicht 
gefchmeidig genug , durch die artigften 
Gedichte widerleget bat. Vergeben Sie 
mir die Fleine Liſt, der ich mich bediener, 
ein Vorurtheil zu widerlegen, das fo all- 
gemein, befonders bei meinem Gefchlechte, 
iſt! DVielleicht habe ich der Sprache einen 
fleinen Dienft geleifter ? vielleicht werden 
Sie die ganze Sammlung, woraus dieſes 
fhöne Gedicht genommen, zu leſen begie- 
rig feyn? vielleicht wird es Fünftig nicht 
mehr nothwendig ſeyn, 


Sich ekeln Deutſchen zu empfehlen, 
In fremde Tracht ſich zu verhelen. 


J 


IX. 


4 


Therefie und Eleonore. 185 
Kalt Pi: 


WVerachte ſtets den Schmeichler, in der Larve 
Der Freundſchaft, oder Liebe! feine Reden, 
Sind ein beganberend Gift, den Ohren ſuß, 


Der Unſchuld todtlich. 
* Wieland. 


Eleonore an Criſpen. 


& Si haben ihre Sache vorfrefflich ge— 
macht: ich erkenne Sie daran, ob Sie ſich 
gleich nicht nennen. Nun ja! ich habe, 
wie Sie ſichs verfprachen, heute früh die— 
ſes Räftchen eröffnet, ich habe ihre Schmei- 
cheley gelefen, ich lefe diefelben noch einmal, 
und hundertmal, wenn Sie e8 verlangen : 
Sie werden’ mir immer gleichgültig, nie 
gefährlich feyn; Sie werden durch diefe 
Mittel nicht einen Schritt vorwaͤrts gehen; 
wohl aber, wenn Sie e8 noch einmal wa= 
gen, mir folhe Beleidigungen ins Geficht 
zu fagen, Finnen Sie es dahin bringen, 
daß ih Sie verachte „ 

„ Beleidigungen find eg, guter Menfch ! 
förmliche Beleidigungen ! zwar will ich 
glauben, daß das nicht ihre Abfiche war , 
daß Sie aus Unwiſſenheit fehlten, und will 

M 5 Ih⸗ 


186 Thereſie und Eleonore? NR 


Ahnen dießmal vergeben. Aber hüten Sie 
ſich vor einem Nückfalle! ich werde hun⸗ 
dertmal geneigter ſeyn, dem zu ‚vergeben, 
der mich laͤſtert ‚ als dem, der mich un 
verfchämt Lobt. „ i 

„ Sie legen eine vortreffliche Meinung 
von meinem Verftande an Tag, wenn Sie 
das Herz haben, mir ſo unverſchaͤmte Lü- 
gen in, das Geficht zu fagen, und wollen, 
daß ich Ihnen glaube. Sonnengleiche 
Augen! wenigftens darin fonnengleich , 
daß fie oft mit Wolfen umnebelt werden , 
und ordentliche Finfterniffe leiden — Ans 
betungswürdige Reize! mag ſeyn; eg 
ift wohl nicht einmal ein Affe Häßlich genug, 
der nicht von einem dummen Volfe wäre 
angebetet worden — Blendende Meiffe! 
bis auf die Sommerfproffen! gimmlifcher 
Wuchs! Haben Sie denn irgend die Ju— 
no, oder Minerva leibhaft geſehen, daß 
Sie von ihrem Wuchfe fo zuverläflig ſpre— 
hen — Die ganze Welt mülfe vor mir 
auf den Anieen Liegen! nein, das ift zu 
viel, das ift wahrhaft unverſchaͤmt! Heißt 
das nicht eben fo viel, als fagten: Gie zu 
mir: ich febe dich für Thörinn genug 
an, daß du fo fühlbare Lügen für gute 

Wahr: 


Therefie und Eleonore. 187 


Wahrheit annehmen, und dir darauf 
Lächerlich etwas zu gut thun wirft! ., 

„ Die Spötter kleiden die Gefchichte 
ber Verführung Evens in folgendes Mär: 
chen ein. Satan, fagen fie, habe fih uns 
frer Stammmufter unter mancherlei Ge— 
ftalt genähert ; er habe als ein Haas vor 
ihr Männchen gemacht, als ein Bologne= 
fer vor-ihr gewaͤdelt, als eine Taube vor 
ihr gegirret, als ein Affe vor ihr die Stel— 
lungen gemacht „ die ihm noch itzt gaufel= 
hafte Mädchen in Marftbuden nachmachen, 
und die eines folchen Urhebers volffommen 
würdig find. Aber durch alle diefe frum= 
men Springe habe e8 dem Berführer nicht 
gelungen, die Aufmerffamfeit Eveng an 
fi) zu ziehen, und mit ihr in ein Gefpräch 
zu gerathen. Endlich habe er fich in eine 
von den Schlangen verwandelt , die fo 
groſſe und fo glänzende Schuppen haben, 
daß fich ein Frauenfopf ganz bequem darin 
beſpiegeln kann. In biefer Geftalt habe 
er ſich, Even gegenüber, an einen Baum 
fo gehangen, daß fie. gerade ihr. eigenes 
Geficht erblichen mußte. Sie mußte nicht, 
daß e8 ihr eigenes Geficht war; aber die 
eingerourzelte weibliche Eigenliebe habe ſo— 

gleich 


188 Thereſie und Eleonore. 


gleich ihre Wirkung gethan; fie fen davor 
ſtehen geblieben, und habe biefes Geficht 
mit Vergnügen betrachtet. Nunmehr hat⸗ 
. te der Verführer Gelegenheit, feine Schmei⸗ 
cheley anzubringen: fchönftes unter al- 
len Gefhöpfen ! habe er gefprocen , 
Gebieterinn diefer Welt, von der du 
würdig bift, verehrt zu werden! diefe 
fchöne Geftalt, die du in dem Spiegel 
meiner Schuppen bewunderft , die — 
bift du. Diefe Böttergeftalt follte un- 
fterblich fepn! Der Baum, deſſen ſchö— 
ne Srüchte nur bier find, von der Ans 
mutb deiner Rofenwangen befchämt zu 
werden , Bann dir diefe LinfterblichFeit 
gewähren! Strede deine Hand aus, 
Bsttinn! — Eva habe diefen Schmeiche- 
Venen nicht mwiderfiehen können, und babe 
gegeffen: und wir wären, wie in’andern 
Stücden, auch in bdiefem , die wahren 
Töchter Evene. „, 
„Nein, das fol man ung nicht nach⸗ 
fagen! ich will meine Gefpielinnen gegen 
diefen Kunftgriff aufmerffam, argwoͤhniſch 
machen: ich will ihnen ans Herz legen, 
daß fie den Schmeichler, mie eine Schlan= 
ge haffen, und fliehen. Wie follten fie ei= 
nen 


Therefie und Eleonore. 189 


nen Menfchen anhören, der es fo fehr 
nicht verbirgt, daß er fie verachtet, da 
er offenbar ſich über fie aufpäle ? denn 
find folche übertriebenen Lobfprüche , die 
man ung ertheilt, nicht wahrhafte Spöt- 
fereyen , gleich als wenn man einem 
Rrummbeinigten über feine fchönen Fuͤſſe 
Komplimente machte! — „, 

„ Der Ratbgeber, ven man ung im- 
mer vorwirft, dieſes Werfzeug der Ver— 
führung Evens nach der luſtigen Ueberlie— 
ferung, foll ihren kluͤgern Toͤchtern zu ei⸗ 
nem beſſern Gebrauche dienen. Ich rathe 
meinen Freundinnen, zu thun, was mir 
immer vortrefflich bekommen iſt. Sobald 
ihre Liebhaber, oder ſonſt heuchleriſche 
Maͤnnergeſchoͤpfe auf den Weg gerathen, 
ihnen Blümchen vorzuſagen; fo hören 
Sie diefelben nicht anders an, als mit 
diefem Nathgeber in der Hand, und un— 
terfuchen Sie nad) feinem Ausfpruche, wie 
viel daran Wahrheit oder Lüge ift — ., 

+ Was glauben Sie, Erifpug! mag 
wuͤrde mein Spiegel fagen, wenn ic) ihn 
Wort für Wort über ihre Erzaäͤhlung zu 
Rath nähme? 


Bst: | 


190 Therefie und Eleonore, 


Gotterkind, auf deren Wantten 
Des Lenzes holde Schäge prangen! 
Wo find fie diefe Schäße? ich fehe, ich 
finde, um Reim für Reim wieder zu geben, 

Die Rofen und die Lilien nicht, 

Don denen Erifpus fpriht 1 — 

Ich wenigftens fehe Feine Stralen: ein 
paar Augen fehe ich wohl, aus denen 
Munterkeit, vielleicht auch Schalfheit bli⸗ 
cket, aber 

Das Seuer, das fo ſicher Glut erreget, 

Und eine Welt zu meinen Süffen leget, 
dieſes Feuer zu fehen , da muͤſſen Gie 

wahrlich beffere Augen haben. 

Gleich einer Muſchel Sffnee fich der 

‘ Mund, 

Und zeiget eine Reib von Perlen, 
Der Unverfchämte! fage mein Spiegel; 
ihre Zähne find nicht Perlen , fo wenig 
ihr Mund einer Mufchel gleicht. Es ſind 
gute, nicht eben ungefärbte Lippen, und 
diefe Lippen find ganz gut angebracht, 
zwo Reihen nicht am beften gereibter Zaͤh⸗ 
ne zu bedecken — „, 

„ Kurz, guter Freund! nicht eine ein⸗ 
zige ihrer Schmeicheleyen ift Wahrheit, 
und ich geratbe auf den Einfall, Sie has 

ben 


Therefie und Eleonore. 191 


ben mir vieleicht Durch ihr Lobgedicht fa= 
gen.wollen, was ich nicht bin; wie man 
cher Lobredner der Groffen in feinem Pa⸗ 
negyrikus, oder einer Zueignung ſagt, nicht 
was ſie ſind, ſondern was ſie ſeyn ſollten. 

„Allenfalls daß dieſes wäre, fo koͤnn⸗ 
ten wir aus euren Schmeicheleyen viel- 
Seicht immer einigen Vortheil ziehen. Se 
mehr ihr ung Echmeichelhaftes vorfaget, _ 
defto gröffer wäre unfre Demüthigung ; 
und wann ihr ung als vollfommen preis 
fet, fo hätten wir daraus recht deutlich 
zu verfiehen, daß wir in allen Stücden 
unvollfommen find — 

„ Sie find in der hat nicht der An 
zige, der feine Lobeserhebungen bis auf 
einen gemwiffen Grad der Unverfchämtheit 
getrieben hat; ich habe mehr von ihrem 
Gelichter gefehen, und unter benfelben ei— 
nen, deffen Schmeicheleyen von einer wir 
bigen Perſon, fo wie fie ed verdienten, 
aufgenommen wurden. Frau von E**, 
eine Wittwe, hatte von ihrem Manne ein 
beträchtliches Vermögen ererbet, und war 
ohne Kinder, . Ein groffes Vermögen, und 
ohne Kinder — das waren flarfe Anlo— 
Fungen für manchen Freyer. Es traten 

de: 


129 Thereſie und Eleonore. 


deren mehrere auf, und einer der drin 
gendften Mitwerber, war ein Offizier, der 
durch eine folche Heurath feine verwirrten 
Umftände wieder in Ordnung zu bringen 
hoffte. Frau von E** war in dem Alter, 
in dem ,‚. soie fie felbft zu fagen pflegte, 
die zweyte Ehe einer Thorheit, oder Un: 
enthaltfamfeit fchuldig machet , über. fünf 
und vierzig hinaus, und fie machte aus 
ihrem Alter ganz Fein Geheimniß. Der 
dringenden Zundthigungen ihrer Freyer auf 
eine Iuftige Art log zu werden , erflärte 
fie, daß, wenn fie ſich wirklich zu einer 
Heurath entfchlüffen ſollte, fie nur einen 
Hann wählen würde, der zehn Jahre 
älter wäre, als fie — So find Sie die 
Meinige, fagte der Dffisier, und kuͤßte 
ihr danffagend die Hände, Die ihrige Y 
fragte fie erfiaunt — Die Meinige, je; 
ich bin bereits vierzig , und Sie — 
fönnen Faum acht und zwanzig haben, 
gnädige Srau!— Durch diefe Schmeiche⸗ 
ley alaubte er, die Eitelfeit diefer Frau 
fo fehr aefäffelt zu haben, daß es ihm un⸗ 
möglich fehlen follte. Frau von E** gieng 
auch mit einem vielverfprechenden Blicke 
nach ihrem Zimmer, und verhieß ſogleich 
wies 


Therefie und Eleonore. 193 


wieder zu erfcheinen. Gie Fam mit einen 
Papiere in der Hand. Leſen Sie! fagte 
fie dem dreiften Schmeichler : e8 war ihr 
Taufdrief. Diefes Papier giebt: mir 45 
Sabre, und Sie 28. Eines von Ihnen 
Tüge: wer glauben Sie, daß es unter 
beiden ſeyn muß Y Diefe Befchämung 
war eine zu geringe Strafe für fo viele Un⸗ 
verfhämtheit — Hüten Sie fih, Crifpus ! 
künftig unfre Geftalt, fo ohne Maaß und 
Ziel zu erheben! wir werden Ihnen unfre 
Gefichter im Spiegel zeigen, und fprechen: 
einer aus beiden muß Lügen, und die— 
fer da kann es nicht — „, | 

€, 


x. 


Unwürdig unfeer Gunſt, und des geringften 
| Blicks, 
Iſt der gemeine Schwarm der Heuchler. 
Hagedorn. 


F die unwuͤrdigen Geſchoͤpfe, 
die Schmeichler, ſind bei dir zu leichten 
Kaufs durchgekommen: ſie wuͤrden deiner 
Nachſicht mißbrauchen; ſo wie ſie der Un— 
erfahrenheit manches unſchuldigen lieben 
Geſchoͤpfes mißbrauchen. Ich will den 
IV. Theil. N Stoff 


194 Tcherefie und Eleonore. 


Stoff noch einmal vornehmen, über den 
du mit fo flüchtigem Fuſſe weggeeilet bift, 
daß von deinem Gange faum einige Fuß: 
ftapfen im Sande zurückgeblieben find. 
Die Sache verdient noch einmal betrachtet 
zu werden. / 
Die Schmeicheleyen , die man dem 
Srauengefchlechte vorfagt , gehen entwe— 
der auf Eörperliche Eigenfchaften,, oder 
fie zielen auf die wichtigeren Eigenfchaften 
des Geiftes, der Seele. 

Größtentheilg find e8 die erftern; und 
wir felbft geben Anlaß, zu glauben, daß 
uns ein Lobfpruch über unfre Äuffere Ge— 
ſtalt werther ift, als ein Lobfpruch , den 
man ung über die inneren Eigenfchaften 
ertheilet. Zu diefer ernicdrigenden Mei- 
nung geben wir Anlaß, da wir zur Ver— 
vollfommung und Erhaltung diefer Reize 
alle Mühe anwenden; hingegen jene edle⸗ 
ren ganz auffer Acht laffen, vernachläffi- 
gen. Iſt es ein Wunder, wenn andre 
von einer Sache feine groffe Meinung ba 
ben, die wir felbft nicht der Mübe werth 
ſchaͤtzen, zu erhalten? 

Der Grund dieſes Vorzugs der Geſtalt 
vor dem Geiſte, ward ſchon in den zart⸗ 

ſten 


Therefie und Eleonore. 195 
fen Jahren in ung gelegt, worin wir von 
unfren Neltern nicht viel beffer arigefehen 
wurden, als Affen, oder fonft Fleine Spiel: 
thiere, beftimmt , durch unfre Gaufeleyen 
fie zu ergößen, und in welchen Jahren 
gleichwohl unfre Denfungsart gewiſſe Buͤge 
annahm, die fie nicht wieder big in dag 
Grab ableget. Wenn die Puppe unge! 
behrdig ift, und durch ihr Gefchrey dag 
ganze Haus beunruhiget, welches find die 
Worte, fie zu befänftigen: du häßliches 
Maschen, wenn du fo ſchreyſt — Und 
fchweigt fie dann; fo heißt es: fo bift du 
ein fchönes Kind! Derficht e8 dag Kind 
irgend worin, fo fchreyt die Mutter: ges 
fchwinde fchafft mir den haßlichen Ran⸗ 
gen aus den Augen! Will fie es aber 
wozu ermuntern, fo ſpricht fie: geb Töch⸗ 
terchen, thue dieß oder jenes! fo bift 
du ein fchönes Töchterchen. Man trägt 
wohl über dieß das Fleine Schreymaul vor 
den Spiegel, und zeigt ihm feine verzerrte 
Bildung darin: fiehft du das häßliche 
Maschen! * 

Die Früchte dieſer wohluͤberdachten Er⸗ 
ziehung zeigen ſich auch bald. Will man 
ein Rind weinen machen, man ſage ihm: 

2 du 


196 Thereſie und Eleonore. 


du haͤßliches, abfcheuliches Kind! auf 
der Stelle find die Augen voll mit Waſ— 
fer, das Kind fchluchzt, und nun bricht 
es in unſtillbare Thränen aus, Muͤt— 
ter! ihr-Fönnet ed fagen, ob meine Be: 
obachtung richtig it — Aber man lobe 
das Kind über feine Geftalt; wie fich dag 
kleine hochmuͤthige Geſchoͤpf briiften wird! 
Daher auch die Kinderwaͤrterinnen kein 
kraͤftigers Mittel wiſſen, die Kinder, die 
einen natürlichen Abſcheu vor dem War 
ſchen haben, dazu zu bringen, als durch 
die troſtbringende Verheiſſung: es werde 
dadurch ſchön werden. Durch dieſe Art 
von Betragen gegen Kinder ſetzet ſich der 
Begriff ſchön, mit dem andern eines groſ⸗ 
fen Guten und Vorzugs vereinbaret, in 
ber erften Jugend feft, und eben fo ber 
Begriff baplich , von jenem andern eines 
groffen Uebels vergefellfchaftet ; beide 
mwachfen mit ung auf, werden mit ung 
alt. 

Es ift ung nicht eben fonderbar ruͤhm⸗ 
lich, daß ung die Männer, wann wir er=- 
wachfen find, eben fo behandeln, wie un= 
fre Kindefrau es mit uns machte, ba 
wir noc) an dem Weisbande bergiengen. 

Wir 


Thereſie und Eleonore. 197 


Wir würden ung fchämen, wenn wir noch 
durch einen fehönen Apfel, oder irgend ein 
buntfärbigtes Band wozu zu bringen waͤ⸗ 
ren; warum fehämen wir ung nicht, daß 
wir ung durch einen Lobfpruch über unfre 
Geftalt beftechen laffen? daß Elarifien 
der erivachfenen, wie Claͤrchen dem Rinde 
das Wort ſchön die Stirne aufheitern, 
und das Wort haͤßlich Thraͤnen auspref- 
fen fann? Wollen wir nie aufhören Kin— 
ber zu ſeyn? 

Ich verdenfe den Männern ganz nicht, 
wenn fie fo mit ung umgeben, wie. fie fe= 
ben, daß wir e8 fodern. Sie fprechen: das 
Mädchen bat einen mittelmaffigen Der» 
ſtand! dag beleidiget uns nihe — fie fpre= 
chen: das Madchen tft nicht wohl gez 
bilder! nimmermehr werden fie diefe Be— 
feidigung ausſoͤhnen. Saget niir, meine 
Freundinnen! ift die Geftalt euer befter 
Theil? | 
Was würdet ihr dem Menfchen anf: 
worten, der in dem Lobe eures Kleides 
unerſchoͤpflich, von feiner Farbe, von feiz 
nem Ölanze, von feiner Schönheit ganz 
bezaubert wäre ; aber bei dem Kleide ſtehen 
bliebe, ohne eurer felbft mit einem Worte 

| N 3 ——9 


198 Thereſie und Eleonore. 


zu gedenfen? — Wie fid) das Kleid zu 
eurem. Körper verhält, eben fo verhält 
ſich der Körper zu dem Geifte; mie koͤnnt 
ihr fo gleichgültig feyn , die übertriebenen 
Lobfpräche des erfteren uhoͤren, bie 
nur auf Köften des andern fo übertrieben 
find ? | 

Wenn wir billig ſeyn wollen, fo fönnen 
wir ung fein Wort von allem dem zueig—⸗ 
nen , was man uns zu Ehren unfrer 
Schönheit vorſaget; gefeßt auch, daß als 
les nach) dem Buchftaben wahr if. Was 
haben wir dazu beigetragen, daß wir fo 
find, wie wir find? haben mir ung felbft 
gebilder? haben wir dem, ber ung ger 
bildet, vorgegeichnet, wie wir ſeyn woll⸗ 
ten? fonnten wir anders ſeyn, alg wir 
wirklich find? Man lobet uns alfo um 
einer Sache willen, ‚von der und ganz 
nichts eigen ift, woruͤber die Zeit, eine 
Krankheit, ein Fall, oft ein geringer Um— 
fand ihre Gewalt ausüben; und wenn 
unfer Ruhm auf unfrer Geftalt beruht, 
fo verlieren wir täglich einen guten Theil 
deſſelben, und dag Alter ift-die Zeit ber 
hoͤchſten Schande — 


Hör 


Therefie und Eleonore. 199 


Hörer ihr Mädchen die Klage des Hir- 
ten von Ida! er Flagte oft um fein Maͤd⸗ 
chen, das, in fich felbft verliebt, oft ſich 
aus feinen Armen riß, und an den Fluß 
eilee, der am Fuffe des Berges hin fid) 
ſchlang, und ſich im Fluffe; bewundernd ‚ber 

fah ; fo Flagte er über das eitle Mädchen: 
m Schön bift du Chloe! alle Hirten 
preifen dich, alle Mädchen am Ida be— 
neiden dich, und fürchten, daß du ihre 
Hirten untren ihnen machefl, „, 

„ Über, o möchteft du minder es willen, 
wie reigend du bift! dann Chloe waͤreſt 
du noch reigender für mich; die Hirten 
würden dann noch mehr dich erheben , die 

‚ Mädchen am Ida noch'mehr dich benei- 
den! — „ | 
„, Nie finde der die Iabende Kühlung 
des Schattens, wann feine Schaaf’ in 
dichtem Kreife gedrängt, im eignen Schaf: 
ten die Köpfe verbergen, dann grüne nir— 
gend für ihn, ein breitbefchattender Baum ! 
„Nie finde der ein fittfames Mädchen, 
das nur für ihn mit Blumen fid) kroͤnt, 
für ihn die Haare fich lockt, für ihn am 
Fluſſe ſich waͤſcht, ſchoͤn, nur für ihn 
ſeyn wuͤuſchet! fein Mädchen fen eitel — 
Na * Das 


200 Thereſie und Eleonore 


„Das Mädchen des Schmeichlerg , 
der Chloen, ehmal das fittfamfte Mäd- 
chen, mit feinem Lobe, wie dort die Mäbd- 
chen von Cyzikus gerne e8 hören, mit 
ſolchem Lobe fo eitel gemacht: es fen fo 
eitel, alg fie find! „ 

„ Hier fig? ich verlaffen, und Flage, 
indeffen fie unten am Bache, fich felbft zu 
befeben, nicht fatt wird. Derfieget ihr 
Flutten des Simois, damit. fie in euch 
fih nicht fehe, um ſich zu ſehen, mic) 
nicht verlaffe ! mid) , der ich das eitle 
Mädchen noch liebe — 

„ Was fiehft du o Mädchen im Bache ? 
fprich ! was gefällt dir fo fehr, an bir 
ſelbſt ? die Farbe der Wangen ? der 
Echmeichler verglich fie den Nofen. Sieh 
bier diefe Roſe, ich habe für dich fie ge— 
pfluͤckt! nicht zürne o Chloe! aber ihr 
Roth befchämt deine Wangen — „ 

„ Der Glanz deiner Augen ift maͤch— 
tig, ich hab? es gefühler; doch mächtiger 
nicht, als der Glanz des Fichtes, das ung 
den Tag miederbringt, an dem zur Pein 
ich dich nur fehe; du aber, du fiehft 
nichts, als dih — „, 


„ Ser 


Therefte und Eleonore. 201 


5 Gefällt dir dein lockigtes Haar ? die 
Wolle der Laͤmmer ift Fraufer, und zärter 
ift das Gefpinnft des Gewuͤrms, das dort 
der Städter ernährt, daraus fih praͤch⸗ 
tige Kleider zu mwirfen,, und darin flolzer 
zu feyn — 

„ Dein Fuß ift fein: doch feiner iſt 
noch der Fuß des flüchtigen Nehs: dein 
Wachs ift edel und ſchlank; doch fieh ! 
dorf fteb£ fie vor dir, die Erle am Bache 
ift ſchlanker als du — „, 

„ Worauf denn o Chloe, worauf chuſt 
du ſtolz? was immer der Schmeichler an 
bir erhub, womit er dich immer verglich, 
das — zuͤrne nicht über die Wahrheit ! 
daß übertrifft dich fo weit, als du bie 
Mädchen am Ida — ,, 

„ Nur eines haben fie nicht, die Roſe, 
der Tag, die Wolfe der Lämmer, die Sei- 
de des Wurmes, das fluͤchtige Reh, und 
die Erle am Bad’ ; ein fühlbares Herz 
und Treue für mih — 

„O Chloe, hab? du eg für mich! ent⸗ 
wend' es mir nicht das fühlbare Herz! und 
liebe dich mehr nicht, ald mich — 


— 2 4 Kehr 


202 Thereſie und Eleonore. 


„Kehr wieder an meine Seite zurück, 
und mache mid froh! und willſt du ja 
beftändig dich fehen; fo feb in mein Aug! 
dort auch erblickft du dein. Bild — 

} 8 


XI. 


Ein edles Herz iſt kat zu bintergehen. 
Weiffe. 


Preonoxe. An Thränen Julie ? Sind 
diefe Augen zu TIhränen gefchaffen? wuͤr⸗ 
de ihr Belidor — 

Jul, Nennen Sie mir den verhaßten 
Namen niht — 

Eleo. Verbaft? er? ; 

Zul, Verhaßt! der verächtlichfteMenfch 
in meinen Augen, werth von jederman 
verachtet zu feyn — 

Eleo. Gie fprechen von ihrem Gelieb⸗ 
ten, Julie! Er koͤnnte das nicht feyn, was 
Sie fagen, obne daß auch Sie durch ihre 
Wahl es mit wären. 

Sul, Schonen Sie meiner nicht! mei— 
ne Wahl war-unbedachtfam — aber ich 
fonnte fie durd) fo viele Gründe rechtfertie 
gen — Belidor war, er fchien es zu feyn, 

ehr= 





Therefie und Eleonore. 203 


ehrerbietig , befcheiden, zärtlich, er ſchien 
mich zu lieben. 

Eleo. Er fehien? diefer Menſch ſchien, 
der aller Orten, wie ihr Schatten Sie 
verfolgte, der, wo er Gie fah, nieman— 
ven alg Sie fah, der alles that, vie Welt 
von feiner Liebe gegen Sie zu überzeugen, 
ber Ihnen vor fo vielen Zeugen ewige 
Treue fhwur? — 

Sul. Sa, diefer Menſch, der hundert⸗ 
mal auf den Knieen um mein Herz, um 
einen guͤtigen Blick bat, der, ohne mei— 
ne Gewogenheit, ſich den ungluͤcklichſten 
unter allen Sterblichen nannte, dieſer 
Menſch, nachdem er durch ſeine ungeſtuͤ— 
me Aemſigkeit mir endlich das Geſtaͤndniß 
meiner Schwachheit entriſſen, triumphiret 
nun uͤber mich, und ruͤhmet ſich öffentlich 
meines Geftändniffes — 

Eleo. Und darüber weinen Sie? da— 
rüber muß der arme Belidor fich alle die 
- fhönen Namen gefallen laffen, mit denen 
Sie ihn nur erft beehrt haben ? Ich weis 
nicht Julie, wo ihre Grundfäße bleiben. 
Haben Eie vergeffen, was Cie immer zu 
fagen pflegten: Sie hatten Feine Gebeim- 
nifle : denn Siewollten nie etwas thun, 

was 


20% Thereſie und Eleonore, 


was nicht jederman wiflen dürfte + Wars 
um fol ihre Neigung gegen einen würdigen 
Mann ein Geheimniß bleiben, und viel- 
leicht eben durch) die Miene des Geheimnif- 
fe8 Verdacht erregen ? — 

ch muß Sie ausfchelten Julie, Wie? 
daß ihr Liebhaber fein Gluͤck nicht ver— 
ſchweigt, darüber fcheint er ihnen verächt- 
lich? — Ich würde ihn tadeln, wenn er 
fchwiege: ich würde denfen, er halte feine. 
Eroberung nicht für wichtig genug, um ſich 
derfelben zu rühmen: ich würde denken, 
fein Herz halte ein Gluͤck nur für mittel- 
mäffig, wenn es daffelbe verfchlüffen, ganz 
in fi faſſen kann. Mein Liebhaber fol 
aug meiner Gewogenheit Fein Geheimniß 
machen! er foll meine Kette Sffentlich tra— 
gen! er fol fich der Erlaubniß rübmen, 
mein Sflave zu ſeyn. Nur wo die Liebe 
durch das Lafter entweihet wird, ift ihr 
das Geheimniß nothiwendig : nur wann 
unſre Wahl auf einen unwuͤrdigen Gegen- 
ftand fällt, fann ung bie Offenbarung der⸗ 
felben Schande bringen — 

Jul. Ich babe Sie eifern laffen, wie 
Cie gewollt haben; Iaffen Sie mid nun 
auch, mich rechtfertigen?! Wenn Belidor 

ſich 


Therefie und Eleonore. 205 


fi) meiner Liebe nur gerühmet hätte, fo 
würde ich mich nicht beflagen: ich würde 
dieſes öffentliche Bekenntniß vielmehr alg 
eine Senerlichkeit angefehen haben, durch 
die er fich in den Augen aller Welt gegen 
midy zur unmandelbaren Treue verbinden 
goollen. In der That, fobald ein Lieb— 
haber fein Verſtaͤndniß mit einem Maͤd— 
chen befannt macht, fo muß er daſſelbe, 
wie ein Dichter feine Handlung, big zum 
Ende hinaugführen, oder, wenn er, ohne 
von ihr veranlaffer zu ſeyn, unbeftändig 
ift, fo brandmarfer er feinen guten Nuf 
felbft, und waget wenigſtens, für einen 
fehändlichen VBerräther angefehen, und von 
unſerm ganzen Gefchlechte Eünftig als ein 
 Slatterhafter geflohen zu werden. Aber 
Belidor rühmer fich meiner Liebe nicht, 
er verhöhnet fie. Er fpricht öffentlich von 
mir als von einer unbefonnenen, von einer 
verliebten Thoͤrinn, der man alles anz 
ſchwaͤrzen koͤnne, bie, fobald ihr ein Mann 
von Liebe erzählt, woreilig glaube: Furz, 
Belivor fpricht, er habe nie für mich eine 
Liebe empfunden, er habe mein Geftänd- 
niß durch feine Verftellung mir nur ent= 
locket, und ich werbe durch ihn das März 
chen 


206 Therefie und Eleonore; 


chen der Stadt, bie Unterhaltung aller 
 Bustifche und Gefellfchaften — 

leo. Freundinn ! Sie haben nun Recht, 
Belidorn zu verachten ; aber unrecht, fich 
ju betrüben. Wollen Sie, daß der gute 
Ruf eines Mädchens in den Händen der 
erſten, der beften Manngperfon liege? in 
der That, da könnte er nicht im fchlech- 
teren feyn. Aber was hat unfer Ruf mil 
diefen Gefchöpfen zu thun, wenn wir ih⸗ 
nen denfelben nicht felbft preis geben ? 

- Zul. Machen Sie unfre Häufer erft zu 

Schulen der Weisheit! aber ich fürchte, 
ihre Mühe wird vergebens feyn : und fo 
lange die vorige Denfungsart herrſchet, 
fo flebt einem Mädchen, das von einem 
Betrüger durch verabfcheuungswerthe Ver⸗ 
ftellung zum Beften gehabt worden, bes 
ftändig eine Art von Schimpf an, und 
die Welt hält fie gewiſſermaſſen für ent: 
ehret — 

Eleo. Diefe Meinung der Welt gehört 
zu den mehreren unbilligen, die der Ehre 
beider Gefchlechter daran liegt, ausjus 
reuten. Wenn jemand von feinem Bus 
fenfreund bintergangen worden, auf wer 


faͤllt der Unwillen der Welt über die ver- 
letz⸗ 


⸗ 


Therefie und Eleonore. 207 
legte Sreundfchaft ? auf den Betrogenen 
oder Betrüger ? Warum denn fol in der 
Liebe Schande und Verachtung auf dag 
Mischen fallen, wenn es einem Menfchen 
trauet, defien Handlungen ganz nicht zwey⸗ 
deutig find , nicht und nur und unfer 
Herz, fondern felbft die Welt feiner Liebe 
und Hochachtung gegen ung zu überfüh: 
ten, wenn e8 feinen heiligften Betheu: 
rungen , feinen hundert und bundertmal 
soiederholten Verficherungen trauet ? — 
Iſt der Irrthum in der Liebe mehr Irr⸗ 
thum , als der Irrthum im der Freund: 
fchaft? — Ja! wird irgend eine ausru— 
fen , die ſchon allen Foderungen längft 
entfagen müffen, ja, ihr tollen Mädchen! 
warum ſeyd ihr fo gutberzige Geſchs⸗ 
pfe, den Mannsperfonen alle Schmei- 
cheleyen zu ulauben. Beinahe möchte 
ich der Ehrwuͤrdigen nieder zurufen: wenn 
wir einft bis an ihre Stufe der weib- 
lichen Volltommenbeit hinangeſtietzen 
feyn werden, fo werden wir über. die- 
fen Punft fo unglaubig werden als fie 
find — Aber in diefen Jahren, die die 
Natur zu den Fahren der Blüthe und des 
Reizes gemacht , in diefen anziehenden 

Jah⸗ 


208 Thereſie und Eleonore. 


Sahren, wo ung der Spiegel wenigſtens 
ſo viel faget, es fen feine förmliche Un— 
. möglichkeit, daß wir jemanden gefallen, 
in diefen Jahren, die Betheurungen eines 
Menſchen anzuhören, den wir, Mann für 
Mann gerechnet, endlich wohl noch werth 
find, zwifchen welchen und ung fein Ab- 
fand der Geburt oder des Standes tritt, 
wo iſt da die tadelswürdige Guthersigfeit, 
aus welcher uns ein Vorwurf gemacht 
werden fann ? Aber ihr follt den Män= 
nern durchaus nicht glauben! Gut! der 
Sehler ift alfo darin, daß wir zu gütig 
von dem Mannsgefchlechte geurtheilt, daß 
wir nicht jeden unter ihnen für einen heu⸗ 
chelnden Böfewicht , nicht jedes ihrer 
Worte für Lüge, jeden Schwur für Mei- 
neid, jede Handlung, jeden Schritt für fo 
viel Rertufchftreiche angefehen haben ? — 
Unvergleihlih! wenn unfer Umgang mit 
unfern Ffünftigen regierenden Herren auf 
einen folchen Fuß gefegt werden müßte — 
Sul. Saft follte e8 feyn, Eleonore 
Seit dem die Betrüger fichs zum Geſetze 
gemacht, aller Orten Liebe vorzugeben, 
und nirgend fie zu empfinden : feit dem 
fie eine Art von Ruhm darin beftehen 
laſ⸗ 





N 


Therefie und Eleonore, 209 


Jaffen, vielen vorgelogen , und darunter 
viele gefunden zu haben, die ihren Luͤgen 
geglaubet ; feit dem, wie die Eroberer ih 
re Siege, fie die erhaltenen Gegenlieben 


zählen, und damit den Erdkreis erfüllen, 


und derjenige unter ihnen fich der Unſterb⸗ 
lichfeit am verfichertften hält, dem es ge— 
lungen , Myriaden leihtgläubiger Maͤd— 
chen gefunden zu haben ; feit dem daß 
männliche Gefchlecht ſolche Grundfäge ans 
gensnimen , feit dem follte das unfre 
diefen andern angenommen haben, fie 
fammtlich für fchandliche Betrüger an⸗ 
zufehen, und auc auf diefen Fuß mit 
ihnen umzugehen — 

Eleo. Ihre Wunde blutet noch; daher 
iſt Ihnen ihre Empfindlichkeit zu vergeben: 
Aber venfen Sie Julie! was würde aus 
unferem wechſelweiſen Umgange, was wire 
de aus unſern Ehen werben, deren Grund 
doch durch diefen vorläufigen LUmgang ger 
legt werben muß? Leute, die ſich ſchon vor 
ihrer Verbindung als Betrüger anfehen, 
werden ſich narhher gewiß verachten, Nein 
meine Freundinn! wenn unfre Beftimmung 
glücklich ſeyn foll, fo Finnen wir nicht zu 
fehr die gegenfeifige Hochachtung beider 

IV; Theil. O Ge⸗ 


210 Thereſie und Eleonore, 


Gefchlechter gegeneinander feftfenen ; ba 
‚mit wenigftens , wo die Liebe verlifcht , 
die Hochachtung an die Stelle trete, und 
dag Band der Ehe angenehm mache. Aber 
es ſteht ung frey, und es follte zu einer 
Staatsmarime der weiblichen Politik an⸗ 
genommen werden, denjenigen des Soch- 
verraths gegen ung alle ſchuldig zu erken⸗ 
nen, der e8 gegen eine unter ung gewor— 
den. 

Zul. Sie haben da einen Bortrefflichen 
Gedanfen Eleonore! In der That, wars 
um follen role durch unfer Vorurtheil ges 
gen ung felbft handeln ? warum follen wir 
ung durch eine fhändliche Handlung des 
Dritten beſchimpft halten ? die Schande fey 
da, wo die Uebelthat ift, auf Seite des 
Betrügers, nicht der Betrogenen, der im 
Grunde nichts anders vorgeworfen wer— 
den kann, als daß fie zu redlich war, eis 
nen andern für unredlich zu halten. Sch 
bin nun ganz berubiget. Ich babe Beli: 
dorn gelicht, weil ic ihm Sitten und 
Denfungsart zutraute: er hat beides nicht 
ein Herz, weldyes nur bedingt gegeben wor= 
den, ift e8 nicht, wenn dag Bebingniß nicht 
erfuͤllet wird. Nehmen Sie, befte Freun—⸗ 

| binn, 


ne. eure 


Sherefie und Eleonore: 211 


dinn, den Stoff unfrer Unterredung ein- 
mal zum Stoffe eines ihrer Blätter ! 

Sch Fann nicht beſſer thun, werfegte 
ich, als daß id) diefe Unterredung felbft zu 
Papier bringe — Ich feße mich an Zus 
liens Schreibtiſch, und fchreibe hin, weil 
mir noch alles im frifchen. Andenken iſt — 

| E. 


XII. 


Gäbe Feiner auf mich Acht, 

Als une mein Herz mit Richterblicken; 

So trüg? ich vor dem Herzen Scheu. 
Rarfchinn. 


Eine morgenländifhe Erzählung. 


2 
„on der Provinz Di: al-dFhen, die an 


der oͤſtlichen Küfte von China liegt, aber 
durch eine unwegſame Wüfteney von dem> 
felben geföndert wird, berrfchte vor fie= 
benzehntaufend Fahren, nach ber di— al: 
dfhanifchen Zeitrechnung , eine ganz: be= 
fondere Krankheit unter dem meiblichen 
Geſchlechte. Alle Mädchen und ale Frauen, 
jede hatte für fich felbft eine tiefe Verach⸗ 
tung, bie fuͤr beide Gefchlechter bald die 
22 nad)s 


212 Tiserefie und Eleonöre: 


nachtheiligften Folgen zeigte. Die Frauen, 
warn fie allein waren , hielten e8 ber 
Mühe nicht werth, fich zu pußen: fie ver- 
nachläffigten fich dergeftalt , daß fie dert 
Männern efelhaft wurden, und fein Die 
al: dfhaner wollte mehr zu feinem Meibe 
wiederkehren. Die Mädchen übten unge: 
ſehen allen Muthwillen aus, und biefer 
Muthwillen ward ihnen zur Gewohnheit. 
Sie waren nachher auch in Gefellfchaft 
biß zur Ausgelaffenbeit leichtfertig ; und 
fein Dizsal:dfhaner verlangte ein ſolches 
Veichtfertiges Gefhöpf zum Weibe, Wie 
in den übrigen afiatifchen und morgenlän: 
difchen Reichen die ftummen Männer 
wegen ber Geheimniffe der Serrail üblid) 
find , fo find e8 in biefer Provinz bie 
ftummen Weiber, Man hält ſich bier 
aus einem partheyiſchen Vorurtheile, der 
Derfchroiegenheit der Männer ohne dag 
verfichert ; aber die Weiber, fagt man in 
Disal:dfhan, wären nur dann verſchwie⸗ 
gen, wann fie nicht reden Fönnten. Zu 
Gegenwart diefer Stummen nun, ‚bie man 
nicht zu fcheuen hatte, überlieffen ſich ver— 
ehlichte und unverehlichte, junge und bes 
tagte Disalzdfhanerinnen allen möglichen 
Thor⸗ 


Therefie und Eleonore. - 213 


<horheiten, allen ſchaͤndlichen Lüften ihres 
Herzens, und verberbten fich in Kurzem 
fo, daß fie von Männern und Juͤnglin— 
gen eben fo fehr, als von ſich ſelbſt ver⸗ 
achtet wurden. 

Dieſe allgemeine weibliche Unſittlich⸗ 
keit, fagen die Geſchichtſchreiber von Dis 
al⸗dkhan, Fam von dem Zorne des maͤch—⸗ 
tigen Zaubererd Tſoro⸗xorotſo, dem feine 
Ehrengemahlinn Ziran, *) die Tochter 
des Königs von Dizalsdfhan, untreu ges 
worden. Er hatte fie im neunten Jahre 
geehliget, und von ihrem Vater für hun— 
dert rothe Elephantenzähne, taufend Häute 
von Goldtiegern, taufend Teppichen aus 
Eolibrisfchmweifen gewirkt, und zehntau⸗ 
fend Erofobdileyern erkauft. Den dritten 
Tag nad) der Trauung erhub er fie zu 
feiner Ehrengemahlinn , welche Stelle 
in ben Serrailen biefer Reiche die vornehme 
fie, und mit einer beinahe unbeſchraͤnkten 
Freyheit verbunden iſt. Tforo = xorotſo 
überhäufte feine Zi⸗ an mit den praͤchtig⸗ 
fien Sefchenfen, die er aus den Schlafge- 
mächern von hundert Königinnen durd) 

93 feis 
=) In der nahdrüdlichen Sprache) diefer Pros 
sing, MWiederfchein der Sonne. 


214 Thereſie und Eleonore. 


feine untergebenen Dienftgeifter zuſamm⸗ 
bringen ließ. Er blieb zehn Nächte bins 
tereinander bei ihr. So lange hatte fonft 
die Welt von feinen Zaubermwerfen nie 
Ruhe gehabt. 

In der eilften Nacht mußte er,- nad 
dem Bunde ber orientalifchen Zauberer , 
Schaden zufügen, oder feiner Macht vers 
luſtig werden, Er verließ Ziran mit vier 
fer Widerftrebung feines Herzens, Sie 
war jung, ſchoͤn, empfindlich, und er — 
war fiebenhundert fieben und ſiebenzig Jah⸗ 
re alt. Er hatte Ahnungen. Er übers 
gab feine Neuvermählte einem feiner ges 
treuften Geifter in Verwahrung , befahl 
einer Wolfe niederzufteigen, und eilte im 
Sturme davon, um deſto eher wieder zu 
fommen. 

Die Neifen Tforosrorotfos waren fonft 
nie fürger als fieben Stunden. Der Hl: 
ter der Gi-an wußte diefes, und baute 
feine Verrätherey darauf. Denn vom er: 
ſten Augenblicke an, hatte er gegen feines 
Befehlhabers Fieblinginn die heftigſte Nei— 
gung gefaßt. Sieben Stunden ſchienen 
ihm Zeit genug, die Treue einer neunjaͤh⸗ 
rigen Gemahlinn eines — ſie⸗ 

en 


Therefie und Eleonore. 215 


den und fiebenzigjährigen Zauberers wan- 
fend zu machen. Er nahm in diefer Ab= 
fiht die Geftalt eines dreyzehnjährigen 
Sünglings an, und fland, mit allen Reis 
zen der Jugend und Schönheit geſchmuͤcket, 
mit einmal vor der bebenden Zi-an. Skis 
ne Schoͤnheit und fchmeichelnde Erklärung 
zerfireute ihr Schrecken bald. Kurz, der 
Geift wußte alle ihre Gemwiffensängftigun- 
gen zu beruhigen , und fie erlaubte ihm 
nun, an ihre Seite zu fißen, und fie zu 
unterhalten. 

Dießmal blieb Tforo - xorotſo nit 
fieben Etunden lang abmefend. Um befto 
eher mieder bei feiner Zi-en zu feyn, 
begnügte er fih, im Vorüberzichen die 
Saaten einer nördlichen Provinz durch den 
Hagel zu zernichten, und den Wetterſtral 
in das Vorrathshaus der Hauprftadt fals 
len zu laſſen, davon die Stadt in Flam— 
men aufgieng, und nur einige zwanzig 
taufend Inwohner ihr Leben einbüßten. 
Und ist — fand er plößlich vor dem Bes 
quembette Zi-ane, eben da der danfbare 
Juͤngling feine Lippen entzuͤckt auf ihrer 
Hand gehäfter hatte — Die Strafe fam ih- 
rem Erſchrecken noch zuvor : eine entfegliche 

O 4 Stra⸗ 


216  Therefie und Eleonore 


Strafe des beleidigten Liebhabers, ‚bee 
ſich rächen will, und eines mächtigen 
Zauberers, der fih rächen Kann. Zisan 
ward augenblicklich zu dem haͤßlichſten al- 
ten Beibe, das durch ihren Anblick Grauen 
erweckte, aber fie behielt ihre jugendlichen 
Degierden. hr Liebhaber fah die Ver— 
wandlung, und wollte fliehen. Aber Tfo- 
. 20: gForotfos Gewalt hatte ihn unbeweg= 
lich gemacht: er mar verurtheilt, ewig 
feine Augen an der verunftalteten Zi-an 
zu martern, und überall, wo er feine Bli⸗ 
cke hinwand, nur fie zu ſehen. Der Zau⸗ 
berer war durch dieſe Rache noch nicht ber 
friediget, Um die Entehrung feines Eher 
bettes unter der Menge zu verbergen , 
verunſtaltete er die Denfungsart des gan- 
zen weiblichen Gefchlechts in Di-al-dfhan; 
legte Geringfchägung für fich felbft in ihre 
Herzen, und überließ es dann ihnen, dag 
Schickſal aller Männer mit dem feinigen 
gleich zu machen, 
Zwanzig Jahre lang verwarfen fich al; 
le Weiber an die häßlichften Zwerge, war 
ren alle Mädchen ohne Sittfamfeit, und 
das ganze Gefchlecht ſchamlos, fobald es 
ohne Zeugen handelte, waren alle Mittel, 
bie 


Therefie und Eleonore. arm 


pie man verfuchet hatte, vergebens, als 
ber Priefter der Göttinn Zi-3i:by um 
Mitternacht ein Geficht hatte, dag er vor 
mehr als einen Traum bie. Die Goͤt— 
tinn fehien ihm, in der Geftalt, wie fie 
im Tempel verehret wurde, in das Ge: 
mach feiner Töchter zu treten, die, weil 
fie allein waren, nach der swangigjährigen 
Gewohnheit ihres Geſchlechts handelten, 
Zi-31:by ward durd) die Schmach, die 
ihren Priefter zugefügt ward, gerührt, 
und verwandelte durch ein fräftiges Goͤt⸗ 
ferwort die Wände des Gemachs in bell- - 
geichliffenen Stahl, worin fih die Prie— 
fierstöchter von allen Seiten erblickten. 
Die Eigenfhaft der Spiegel war damals 
noch unbefanntz die Mädchen mußten alfo 
nicht ,„ daß-bie Perfonen ,„ die fie fahen, 
fie felbft waren. Sie fcheuten fid) vor dem 
MWiederfcheine ihrer eignen Geſtalt, alg 
vor Zeugen , waren aus Achtung gegen 
diefelben zuͤchtig, und beobachteten den 
Wohlſtand ihres Geſchlechtes — Hier en» 
bigte das Gefiht: die Goͤttinn war ver— 
ſchwunden, und der Priefier wach, und 
nachdenfend, 


25 Mit 


218 Thereſie und Eleonore) 


Mit dem anbrechenden Tage ‚ nachdem 
er zu dem Fuffe der Göttinn dreymal ges 
opfert hatte, gieng er bin, fein nächtliche 
Geficht dem groffen Nathe zu erzählen; 
vielleicht hätte Zi-3i-by dag Heilmittel 
angeigen wollen. Er ward aufmerkſam 
gehoͤrt; und weil die Goͤttinn ihrem Elen⸗ 
"de in der That ein Ende machen wollen, 
fo mußte es fich fügen, daß eben ein grof« 
fer ſtahlener Schild zur Hand bieng, worin 
der Priefter feine Geſtalt erblickte. Diefer 
Zufall-beftättigte und erflärte das göttlis 
che Mittel; und alle riefen aus: groß iſt 
Ziz3i:by, und gefegnet ſey ihr Priefter ! 

Kon Stund an wurden alle Gemächer 
von allen Seiten mit ftahlenen Spiegeln 
bezogen. Die Aermern biengen wenigfteng 
ihre bellgepußten Schilde, die von der Zeit 
an fehr groß gemacht wurden, in bie 
Frauengemächer, und die weibliche Unart 
hörte auf. Anfangs fcheute man ſich vor 
den Geftalten , die man als fremde ans 
ſah. Nach langer Zeit erfannten fie zwar, 
daß fie nur fich felbft fahen. Allein bie 
Gewohnheit, anftändig zu handeln, und 
vor fich feldft eben fo viele Hochachtung 
zu haben, als ob Fremde zugegen waͤren, 

war 


Therefie und Eleonore. 213 


- war bereits fo tief eingewurzelt, daß die 
Di -al- fhanerinnen aud), von allen Zeu— 
gen entfernet, immer anftändig handelten. 
„Denjenigen Di al=fhanerinnen, de: 
nen lange nachher europäifche Neifende er— 
gählten, daß unter ung in Geheim fo man- 
che Ynanftändigfeit begangen werde, die 
gewiß unterbleiben würde, wenn ein Zeug, 
auch der geringfte, auch nur einer von den 
eigenen Bedieniten zugegen wäre, Fam die= 
ſes unglaublicy vor. Sie fagten, e8 wäre 
unmöglich , daß eine Frau für Fremde 
mehr Hochachtung als für ſich ſelbſt ha— 
ben, und ſich in ihren Augen ſelbſt ver— 
aͤchtlicher ſcheinen koͤnne, als ihr eigenes 
Dienſtgeſind. 
T. 


XII. 


" Allein was ſoll ich mich mit Schwägern lang 
entehren ? 
Dos Rüccchen lernte nie, und immer will es 
| lehren. 
Witthof. 


Ur Abhandlungen follen von allen An- 

fpielungen , und dadurch von dem Gifte 

der Deutung unbefleckt erhalten werden, 
Dies 


220 Thereſie und Eleonore. 


Diefes Gefen haben wir ung felbft ger 
macht; und ſelbſtgemachte Gefege find die 
unverbrüchlichften. So dadıten wir, Ther 
reſie und ich; allein wir. erfahren , daß 
Deutungen zu vermeiden, und perfönlich 
zu fcheinen, nicht von den Schriftfiellern, 
daß er nur von ihren Lefern abhängt. 
Ich befand mic) in einer Gefellfchaft, 
wo mein Unftern wollte, daß ich für eine 
ber Verfafferinnen Therefiens und Eleo⸗ 
norens befannt war. Ich wußte e8 nicht; 
man gab mir bald davon unangeneh- 
me Demweife, An wen ich mich immer 
wenden mochte, von dem ward mir mehr, 
als man es fonft gegen Mädchen pfleget, 
höflich, beinahe ehrerbietig begegnet. Aber 
es berrfchte in diefem Betragen eine ges 
wiſſe Zurückhaltung, ein gewiſſer Zwang , 
der nur allzu fichtbar war, und den man 
zu verbergen, ſich auch nur wenige Mühe 
gab. Jede Unterredung, die man einlei= 
fete, ward mit Eurzen Antworten unter- 
brochen , umd entweder geendet, oder mir 
überlaffen, fie allein hinauszuführen. Ich 
lobte einen Kopfputz — Man kann, be: 
Fam ich jur Antwort, fo vernünftiges 
auch wäre, dieſes Putzwerk abzufchaf- 
fen, 


Therefie und Eleonore. 221 
fen, doch nicht offenbar mie der Be: 
wohnheit und Mode brechen. Ich be: 
wunderte den Geſchinack, und die Wahl 
eines Auzugs — Mein Mann, hieß eg, 
zwingt mir dergleichen auf: Ich be: 
oreife wohl, daß der Schmuck einer 
Srau in ganz wasandern beſtehen müſſe. 
Die Rede vorm Spiele fam an die Reihe — 
Gewiß! nichts iſt weniger überlegt, als 
der Zeitvertreib des Spieles, wo man 
fich mit freudigem gerzen Binfegt, ein: 

ander die Börfen zu leeren. Man fpradj 
von der Verbindung Dorinens — Das 
Mädchen hat Plug gethan, ſich einen 
Steund ihres gerzens zu verfichern — 
und die Blicke aller Anmefehden fielen, 
von einem bedeutenden Lächeln begleitet , 
mit einmal auf mich, und es wärd in 
meinem Berftande licht. 

Das war alfo die Urfache diefer ſchoͤ— 
nen Denffprüche, daß man auf mich an: 
fpielen wollte, oder daß man fich vor mir 
fcheute — Gut, dachte ich, Gleiches mit 
Gleichem! ich will thun, als ob ich dieſe 
Desiehungen nicht faßte, und mir die 
Gelegenheit zu Nut machen, dag Urtheif 
über unfre Blätter auszuholen. 

| Do⸗ 


222 Thereſie und Eleonore, 


Dorine, antwortete ih, würde tie. 
verlegen gewefen feyn, diefen Freund 
zu finden. Bei fo vielen Vorzügen — 
Vorzügen » fieng ein zunächft an mich 
gränzender weiblicher Umfang von wenige 
ſtens drey Werffhuhen im Durchfchnitte 
das Wort auf — welches find diefe Vor: 
züge bei einem Maschen, das weder 
reich, noch ſchön, und obne gerkunft 
iſt — Dorine, verfegte ich, ift vernünf⸗ 
tig, von untadelbaften Sitten. Ihre 
Geſtalt mißfaͤllt gleich anfangs nicht 
und nachher wird fie durch ihren ein⸗ 
nehmenden Umgang empfohlen. Den 
Mangel ihres Vermögens wird ihrem 
Gatten ihre Genügſamkeit, ihre gdus- 
Lichfeit vergüten ; und Aeltern, deren 
Andenken bei aller Welt fo ſehr im 
‚Segen find , find eine ebrenvolle ger— 
Funft. Die ganze Gefellfchaft zückte über 
meine Reden die Achfeln, und gab dadurd) 
zu verfichen, daß fie die Ehre hatte, ihr 
zu mißfallen. Aber die leibichte Vorred⸗ 
nerinn war damit nicht zufricden,, fondern 
fagte mir gefünftelt Telfe, daß es jederman 
ganz wohl hören Fonnte — das iſt fo 
vortrefflich gefprochen, daß es verdien- 

fe, 


Thereſie und Eleonore. 223 


te, an die gelehrte Eleonore als ein 
Beitrag eingeſendet zu werden. Ich 
weis nicht, was ich bei diefer Rede für 
eine Faſſung hielt; ich fühlte auffteigende 
Hitze: bald aber war ich von meiner Bes 
wegung wieder Meifterinn, und gab mit 
einem Lächeln zur Antwort: ich glaubte, 
das Mädchen würde fich durch den Bei⸗ 
trag einer folchen Perfon, als die wd: 
ze, dte eben gefprochen hätte, ſehr yes 
ebret halten — 

Ih möchte das Mädchen Fennen, 
fagte fie, mir fehr fteif unter die Augen 
blicfend, es muß ein fchnappiges Wefen 
feyn, Die Sittenlehre in dem Munde 
einer neunzehnjahrigen Katoninn, oder 
ungefähr fo alt, flicht fonderbar ab. 

„Ich kenne das Mädchen, fo das 
Unglück hat, Ihnen zu mißfallen — » 

Sie kennen es: es ift vielleicht wer 
von ihren SreundinnenY o thuen Sie 
ihm den Liebesdienft, ihm zu fagen : 
daß feine Moral ganz eigen iſt; daß es 
ganz fonderbar laͤßt, wenn ein Maͤd⸗ 
chen die Sehnfucht nach einem Manne 
fo fehr verräth, und fich daraus noch, 
ein Derdienft machen will — Ja doch! 

Ä ibr 


234 Thereſie und Eleonore, 


ihm zu Liebe werden die Männer wohl 
feinen Haafen beten, Feinen Hirfchen 
zu tode jagen — ¶⸗· 

„Gnädige Frau, ich koͤnnte für Eleo⸗ 
noren gut werden, daß die Sehnfucht nad) 
einem Manne eben nicht ihr größter Feh— 
ler iſt. Und ich denke, die Männer nad) 
der heutigen Art, find aud) nicht ſehr ein 
Gut, wonach ſich viel zu fehrien iſt. Wenn 
fie fo etwas fagte, fo war es bloß eine 
Wendung , die vielleicht etwas Munter- 
Feit in den Vortrag brachte, ohne der 
Stärfe ihrer Gründe etwas zu benehmen. 4 

Sie wiſſen das arme Kind fo gut 
zu vertreten, daß fie es felbft nicht 
befjer thun würde, wenn fie zugegen 
were, Nun fo rechtfertigen Sie denn 
auch die Dreiftigfeit des Mädchens , 
ſich zur Lebrerinn der Stadt aufzu— 
werfen, und feine Träume für Grund- 
regeln auszuframen, Wiffen Sie, mein 
Schag! wie mir das vorkömmtr ges 
vade als wenn die Puppe, die noch 
am Weisbande Iduft , uns Inter: 
richt geben wollte, wie wir unfre 
Süffe fegen follen. Weis denn das 
Schnaͤpperchen noch nicht ri was 

e: 


Therefie und Eleonore, 225 


Leben ift, und thut Örafelausfprüche, 
wie andre Leben follen. Ich fürchte 
beftändig, das Kind wird Fein hohes 
Alter erreichen, denn es ift für feine 
Sabre zu Flug — 

Bis hieher hatte ich Selaffenheit genug, 
fie. nicht zu unterbrechen. Aber der ſpoͤt⸗ 
tifhe Ton, mit dem fie diefe legten Wor— 
te begleitete, entfeflelte meine Lippen — 
Sch will Bleonoren vertreten, als wäre 
ich e8 felbft, brach ich aus: und eg foll- 
te mir mwenigfteng nicht fehr ſchwer fallen, 
Spötterey gegen Spötterey wieder zu ges 
ben. Aber das mag die Zuflucht derer 
ſeyn, denen e8 an Gründen mangelt. $Eleo- 
noren wird e8 ſich nie haben beigehen laf- 
len, Srauen von ihrer Einfiht und Er— 
fahrung Lehren zu geben. Sie mag ſich 
fogar nicht einmal einbilden,, folches für 
bie Gefpielinnen ihrer Fahre zu thin. Aber 
100 wäre die Dreiftigfeit, wenige Beobach⸗ 
tungen mitzutheilen, die ein junges, Mäd- 
hen mit einiger Aufmerkfamfeit., fo leicht 
als eine Frau, zu machen im Stande ift? 
welches Uebel wäre e8, eine Art von öf- 
fentlichem Briefmechfel einzuleiten, wo mir 
Mädchen , einander unfre Vorfälle mittheis 

IV. Theil, p len, 


226 Thereſie und Efeonore. 


len, unter ung gleihfam zu Rathe gehen, 
‚und fo oft im Vorbeigehen, Männern, 
die der Leichtgläubigfeit eines. unbehute 
famen Mädchens mißbrauchen wollen, eine 
nicht immer verlorne Erinnerung geben ? 
soo waͤre das Uebel, zu zeigen, dag felbft 
unfre Schwachheiten aus einer Duelle flif- 
fen , die unferm Herzen Ehre machet? — 
Das war bis hieher der Stoff aller ihrer 
Blätter: ihre Einfleidung ift ihren Jah— 
ren gemäß, munter, unbefonnen, wenn 
Sie ja wollen, leicht, aber. feinesweges 
fann ihr aufgebürdet werden, daß fie fich 
das Pehreranfehen giebt , Feinesiwegeg , 
daß fie nachtheilge Anfpielungen machet — 

galten Sie — fiel ein Dritter aus 
der Gefenfchaft ein, der bis ist nur einen 
Zubörer abgegeben, Von Anfpielungen 
ift fie nicht ganz frep zu fprechen : ihr 
ganz letztes Blatt — 

„Nun ihr ganzes letztes Blatt ? frage 
te ich erſtaunt, wie man barin etwas 
finden fönnte, dag eine perfönliche Ber 
ziehung bätte. „, 

Diefes legte Blatt, verſetzte er, die— 
fer Belidor , diefe Julie, baben ihre 
Bedeutungen — 

„ Die 


Therefie und Eleonore. 227 


„ Die haben fie, fagte ich mit einer 
Hite, die mic) verrathen haben würde , 
wenn ich es nicht ehe ſchon gemwefen waͤre. 
Diefer Belidor ift ein Nichtswürdiger , 
dergleichen e8 unter ihrem Gefchlechte fo 
manchen giebt, die von Haug zu Haug 
herummandern , und Liebe fügen ; und 
dann, wann fie Gegenliebe erhalten ha— 
ben, damit ruhmredig pralen. Diefe Julie 
ift eine Leichtgläubige, deraleichen es un: 
ter unferm Gefchlechte fo manche giebt, die, 
ohne auf die Aufführung eines Menfchen 
Acht zu haben, Verficherungen und Ber 
theurungen glauben, die "gegen hundert 
andre gleichfall8 gethban werden. Beli— 
dor ift ein verabfcheuungswürdiger Ge— 
meinbubler. Julie eine bedaurenswuͤr⸗ 
dige Thörinn : das ift die Bedeutung. 
Ein gemiffes Wochenblatt *) hat ehe fchon 
unter diefem Namen einen ſolchen Gecken 
geichildert , und feinen Namen zu einem 
allgemeinen gemacht, und Julie wird 
vielleicht Fünftig der allgemeine Namen 
betrogener Mädchen werden — 


Y 2 Gnaͤ⸗ 
”) Der Vertraute. 


228 Thereſie und Efeonore. ' 


Gnädige Frau! 

Sie fehen,, ich habe ihren Bereit voll- 
zogen : wie glücklich, weis ich nicht. Es 
war eine fchwere Aufgabe, die Auffchrift, 
die Eure Gnaden mir vorfchrieben, 
beizuhalten, ohne in den fatirifhen Ton 
zu verfallen , ber fo fehr verfchrieen ift. 
Nah dem Wege, den ich gewaͤhlet, bat 
diefelbe eine Beziehung auf mich felbft, 
und ift gleichfam die Stimme derer, die 
durch meine Kühnheit, in einer fo aufges 
flärten Stadt zu fehreiben, beleidiget wor⸗ 
den find. Ich bin froh , ihnen meine 
Bertheidigung vorzulegen. Sch bin glück: 
lich, wenn man fie für hinlaͤnglich hält, 
ein Unternehmen zu entfchuldigen, zu dem 
mich nicht etwan eine Fühne Zuverſicht, 
fondern ein partheyifcher Freund verleitet, 
der mir hälfreiche Hand zu reichen, vers 
beiffen bat. 

Wie auch immer mein heutiger Auffaß 
ausfallen mag, fo bat er fein Verbienft. 
Habe ich als Schriftftellerinn feinen Ruhm 
erworben, fo habe ich einen andern erlan⸗ 
get, der mir nicht weniger fhäßbar iſt, 
den Ruhm, der verehrungsmwürdigften Frau 
geborfamet zu haben. 

Eleonore. 


Therefie und Eleonore. 229 
XIV. 


Der Schatten eines Fehlers wird 
Bei Hundert deiner Tugenden 
Der Läfrung gräulichftes Geſchrey 
Dft Hinter dir erwecken — 
Rleift. 


g), Gefundheit Therefiens ift nicht fe 
vollfommen hergeftellt, daß es ihr erlaubt 
wäre, fich mit etwas abzugeben, was eine 
anhaltende Anftrengung fodert. Sch fol 
alfo an ihrer Stelle die Ehre haben, un: 
fre Leſer zu unterhalten. 

Don mehr dann einer Seite find mei— 
ner Gefährtinn über die morgenlandifche . 
Erzaͤhlung des XII. Stüdes Lobfprüche 
zugefendet worden. Ich geftehe es, ich 
ward darüber eiferfüchtig, und fonnte der 
Anfechtung nicht widerſtehen, in diefer 
Art gleichfalls einen Verſuch zu. wagen, 
Sollte ich glücklich genug feyn, damit Ehre. 
einzulegen, fo mag. ich es leiden, daß mir 
ein paar Schmeichelenen von Männern 
darüber gefagt werden. Aber wäre ich 
ungluͤcklich, fo. verbifte ich recht demuͤthig 
alle Vorwürfe, oder wenigftens, daß man 
fie mir nur in das Ohr fliffre — 

P 3 ga: 


230  Therefie und Eleonore. - 
Lariſſe. 


Nicht immer waren Koͤnige nur, oder 
Koͤniginnen der Freundſchaft, und des 
Schutzes der maͤchtigen Feyen gewuͤrdiget; 
nicht immer waren nur Prinzen und Prin- 
zeffinnen bei der Geburt von ihnen mit 
Weisheit, Reichthum, Schönheit und 
andern folchen Gaben begnädiget , mo: 
durch die Menfchen fih groß und glüd: 
lih fchägen. Ihr Blick fanf auch auf 
niedere Hütten , unter denen manchmal 
ein tugendhaftes Paar wohnte , dag bie 
Gaben verdiente , die oft, nur zu oft an 
die Groffen verſchwendet, fie nicht gluͤck⸗ 
lich , nur ftolg machen. 

Auf der berufenen Flur Thefalieng war 
nicht lange ein folches Paar unter dem 
Segen ihrer Aeltern, und den froben Zus 
rufungen ihrer Gefpielinnen, in die Hoch— 
zeitlaube geführt worden. Das Mädchen 
hieß Mirle, der Namen des Juͤnglings 
war Erador. Das Brautgefchenfe bes 
Mädchens, fo fie Eradorn zubrachte, war, 
ber Liebe größter Schatz, ein fühlbares 
Herz, und der Bräute fchönfter Schmud, 
Unfchuld und Tugend. Die Hodhzeitgabe 

des 


Therefie und Eleonore. 231 


des Juͤnglings war ein durch Feine Lüfte 
entweihtes Herz , und die beſchworne 
Treue; Erador aber war nie noch meis 
neidig geworden. Ihr Vermögen beftand 
in Luft zur Arbeit, und ihre Genügfamfeit 
‚war ihnen Reichthum. Erador und Mirle 
giengen anfangs zuſamm, das Feld zu 
arbeiten, und ihre Arbeit ward ihnen zur 
Luft, weil fie zufamm arbeiteten. Als aber 
Mirle ihren Geliebten nicht mehr beglei=- 
ten fonnte, fo arbeitete ev mit defto gröf- 
ferem Eifer, um bald wieder bei ihr zu 
ſeyn 

Viele Monate waren ſeit ihres Hoch 
zeittages verfloffen, und Brador war der 
Gewohnheit nad) auf dem Felde , als 
Mirlen heftige Schmerzen. anwandelten— 
Ach Krador! feufzete fie, fich fo einfam 
und unbeholfen fehend, Erador! wo bift 
du! eile dießmal, deiner Mirle beizu: 
ſtehen! So fagte fie, als eben die Feye 
Ciname über ihre Hütte dahinfuhr , und 
ihre Seufzer vernahm. Einame war eine 
freundliche Feye, eine Wohlthäterinn der 
Menfhen, eine Befchügerinn der reinen 
Unfhuld , und eine unverföhnliche Ver— 
folgerinn ber Heucheley, welche unter den 

4 Mens 


232 Thereſie und Eleonore, 


Menfchen mehr Verheerung machet, als 
das offenbare Lafer, und welche die Tus 
gend felbft verbaßt machen fann, da fie un- 
ter. der Kleidung derfelben eigene Abfcheus 
lichfeit verhülleg, Die Feye ward durch 
bie Stimme Mirlens zum Mitleiden be- 
mwogen, und ließ ſich auf die Fleine Hütte 
nieder. In der Geftalt einer nachbarlis " 
chen Hirtinn trat fie nun hinein, und fand 
die Verlaffene mit dem Schmerzen ringen. 
Sie fah auf ihrer Stirne das Merkmal 
ber Tugend, welches die Feyen nie ver— 
fennen, aber felten wo erblicken, und be= 
fchloß von Stunde an, ihre Freundinn zu 
ſeyn. 

Tugendhafte Mirle, redete fie dies 
ſelbe an, du wirſt Mutter werden, ich 
komme dir beizuſtehen. Und ſie ruͤhrte 
Mirlen an, und ſprach einige von den 
kraͤftigen Worten uͤber ſie aus, da wich 
der Schmerz augenblicklich von ihr, und 
eine Tochter lag in ihrem Schooſſe, ſchoͤn, 
wie Mirle als Kind war — Ciname nahm 
nun das laͤchelnde Kind auf ihre Arme, 
und beruͤhrte ſeine Lippen, und ſprach: ſey 
immer wahrhaft! und befuͤhlte das Herz, 
und fprad) : ſey immer tugendhaft! 

konn⸗ 


Tfierefie und Eleonore. 233 


konnte ich dich nur auch immer glud: 
lich machen! aber ich habe für Sich 
nur zwey Gefchente : wenn du aber 
den Schlund des Lariffaifchen Wolfe 
flieben wirft, fo wirft du des dritten 
von mir entbehren können. Bei diefen 
Worten verfhmwand Einame, und hinter= 
lieg Mirlen gefund , und erfiaunt über 
dag, fo ihr begegnet. 

Mit ihrer Tochter. auf dem Arme gieng 
fie nun Bradorn entgegen. Welche Freu: 
de empfand er über dag Kind, und bie 
fchon genefene Mutter ! Sie erzählte ihm 
das Wunder, und die Warnung wegen 
des Echlundes des Wolfs, und fie hief: 
fen die Tochter zur ewigen Erinnerung 
Lariſſe. Sie wuchs unfer den Augen ih— 
rer eltern auf; ihre Schönheit entzückte, 
ihre Wahrhaftigkeit nahm ein, und ihre 
Tugend zwang zur Verehrung. Die Muͤt— 
ter in ganz Theffalien fagten zu ihren 
Töchtern: feyd wie Mirlens Lariffe ! 
Die Väter im ganzen Lande fagten zu ih- 
ven Söhnen: fucher ein Mädchen wie 
Lariſſe! und die Soͤhne gaben zur Ant» 
wort, wo werden wir ein folches fin- 
den Aber diefe Unterfcheibung, und ber 

P 5 all⸗ 


234 Thereſie und Eleonore, 


allgemeine Beifall erregten aud) unter den 
theffalifchen Mädchen Neid. Lariffe ward 
von allen Sefpielinnen mit ſcheelen Blicken 
angeſehen. 

Mitten unter den zaͤrtlichſten Liebko— 
ſungen rollten der zaͤrtlichen Mirle Thraͤ⸗ 
nen die Wangen herab, ſo oft ſie an den 
lariſſaͤiſchen Wolf dachte. Meine Toch- 
ter follte dem Ungeheuer zur Beute 
werden ! Und fie befchleß ſich von den 
Gegenden der Stadt Larifle *) ferne, 
ferne wegzubegeben, bis dahin, wohin ſich 
fein Thier derfelben Gegend je verirren 
würde : fie erhielt e8 auch fehr gerne von 
Eradorn, und beide begaben fich mit ih 
rer Tochter über den Fluß Peneus, ber 
neben dem Götterwalde Tempe binfchleicht, 
und feiner Schönheiten eine der größten iſt 

Man entgeht dem Schickfale nicht, wenn 
e8 ung zu prüfen feftgeftellet hat. Uber 
der Prüfung zu unterliegen oder zu über» 
mwinden, das haben die Götter in die Kraͤf⸗ 
te der Menfchen gelegt. Auch die Wan— 
derung Bradors änderte nichts an Larif- 
fens bevorftehendem Schickfale, es befoͤr⸗ 

der: 


*) Theffaliens eine der berühmten Städte. 


Therefie und Eleonore. 235 


derte fogar daffelbe. Aus Furcht vor dem 
Wolfe durfte Lariffe nie ihre Aeltern auf 
das Feld hinaus begleiten: häusliche Be— 
fhöftigungen, die fparfame Küche, die 
Reinlichkeit der Hüfte, die Eorge für die 
Kleidung waren ihr überlaffen. 

Als im fechgzehnten Srühlinge, den La⸗ 
riffe erlebet hatte, eben Mirle und Era: 
dor zur frühen Arbeit nach dem Felde 
giengen, verliefen die Edeln von Larifie 
ihre Stadt, um des Frühlings auf dem 
offenen Lande zu genieffen. Die Gefell- 
fhaft war zahlreich, und fie fuhren in 
föftlich gezierten Schiffen den Peneus hin- 
ab, bis fie in den Gegenden des Luſtwal⸗ 
des an bag Ufer trieben, und ans Land _ 
fliegen. Die Städter, wann fie in die 
Wälder eilen, ftellen nicht immer nur dem 
Wilde Netze. Oft jagen fie nach Unfchuld, 
die in Städten fo felten ift, als Gewild, 
und die ihnen Foftbar ift, damit fie diefelbe 
verderben mögen — Unter den Anfömms 
lingen waren vielleicht mehrere diefer Art ; 
aber den einen führte ein unglücklicher Pfad 
nach der Hütte Lariſſens zu. 

Er erftaunte über die Reize dieſes Land- 
maͤdchens, und beftimmte es fich zur Beus 

fe. 


236 Thereſie und Eleonore. 


te — Es band eben die Ranfen des Wein: 
ſtockes auf, der in viele Arme getheiler , 
das ganze Haus umfhlih, und von den 
Senftern bei der Hiße des Sommers mit 
wohlthätigem Laube die Stralen abhielt. 

„ Schönes Mädchen, fieng er zu La 
riffen an, deine Hände follten nicht diefe 
MWeinftöcke binden , fie follten von Fürften 
gefüßt werden — 

Das arbeitende Mädchen fah fic nach 
dens Schmeichler um — und band mie zus 
vor den Weinftocd auf — 

„ Du böreft nicht auf mich, Götter» 
find! O wie beneide ich diefes Gewaͤchs 
das du befühlft, das unter deiner wohl⸗ 
thätigen Arbeit, dem fchönften Mädchen 
auf Erden liebfofen fann! Schmiege did) 
fanft, du Weinſtock, unter ihren Händen !— 
Doch ift e8 erlaubt, deinen Namen zu 
wiffen ? „, 

Zeriffe war fchüchtern, aber nicht un. 
höflich; fie verſetzte: ich heiffe Lariffe! 

„ Und deine Mutter? „, 

Mirle, die tugendhafte Gattinn Bra: 
dors, meines beften Vaters — 

„ Du bift alfo die Leriffe, von deren 
bezaubernden Netze der Ruf bis nach Las 

riſ⸗ 


Thereſie und Eleonore. 237 


riſſe erſchallt, und alle Männer bie unter- 
worfen , und alle Weiber neidifch gemacht 
hat? — Aber wie fönnen deine Xeltern 
fo einfam dich laſſen? — und haft du denn 
feiner Geliebten , der an der Geite dir 
ftehe, um der glücflichfte unter allen Men 
fchen zu feyn, und die Mißgunft der Göt- 
ter zu erwecken ? i 

Laeriffe war wahrhaft; fie erzählte dem 
Ankoͤmmlinge, was fie von ihrer Gefchich- 
te wußte, Eine Frau, die fie für eine 
Göttinn hielten, häfte ihr bei der Geburt 
vorhergefagt , fie wuͤrde glüclih feyn , 
wenn fie den Schlund des lariffäifchen 
Wolfs fliehen würde. Meine Aeltern, 
fuhr das offenhersige Mädchen fort, wa- 
gen es daher nicht, mic) zu Felde zu neh- 
men, weil fie beforgen , ich würde ein 
Raub diefes Thieres werden. Sie ver- 
faufchten fogar aus Liebe zu mir ihre 
Wohnung , und zogen über den Peneus , 
weil fie glauben, dag Ungeheuer, fo mir 
gefährlich ift, werde nicht über den Fluß 
feßen; und dag Leben ihrer Tochter fen 
befto ficherer, je entfernter fie von Larif- 
fens Mauren ſeyn wiirde — 


. Der 


238 Thereſie und Eleonore. 


Der Bürger von Lariffe fand in den 
Worten des Mädchens den Grund zu eis 
ner boshaften Freude, Er fand in Ci— 
namens Worten einen Verſtand, der ihm 
fchmeichelte. Aber er verbarg feine Em— 
pfindung, und forfchte aus dem Mädchen 
die Zeit, wann immer ihre eltern fich 
von der Hütte entfernten, wann fie wie: 
der famen. Und nun baute er auf diefe 
Nachrichten feinen Entwurf. 

\ 6. 


XV. 
— — Dft ift Selaffenheit 
Die Tugend unfers Bluts, und fieget ohne 
Streit. a 
us. 


Meine befte Freundinn ! 


eute ift der erfte Tag, an dem mein 
Erretter mir erlaubet, mich mit etwas zu 
befchäftigen , und ich beftimme ibn der 
Danfbarfeit , für das freundfchaftvolle 
Gefühl, welches Sie mir in ihrer tröften- 
den Zufchrift begeiget haben — Noch fällt 
es mir ſchwer, zuſammenhangend zu denken; 
die Schwachheit des Koͤrpers uͤbet ihre 
Herrſchaft bis auf die Seele aus. Mei— 
ne 


Thereſie und Eleonore. "232 


ne Antwort wird dem Gange eines nur 
erft genefenden Menfchen gleichen, der 
immer nach einigen Schritten ſtille fiehen 
muß, um Athem zu holen — 

Die GBefchichte meiner Krankheit 
wünfchen Cie von mir zu hören? Wag 
fann ich Ihnen davon erzählen ? Das 
Uebel fchlich mit leifen , unvernehmbaren 
Schritten herbei, und überfiel mich wie 
ein mitternächtlicher Dieb , da ich es am 
mwenigften vermuthete. Ich warh bettläg- 
rig, aber ich erwartete nichts weniger als 
eine Krankheit von einer fernen Ausſicht. 
Doch bald fühlte ic den Puls hoch fich 
erheben , bald mein Geblüt ungewöhnlich 
wallen, die Hige fi) des Kopfes, und 
meiner Gedanken bemächtigen. Man fag- 
te mir nachher, ich hätte manches unge 
reimtes Zeug gefchwäget — 

Doch wozu fol Ihnen eine fo pünftli- 
che Befchreibung? ich will gleich auf die 
Gelaffenheit fommen , die Sie mir fo 
freundfchaftlich empfohlen haben , und wo⸗ 
von ich vielleicht in diefer Krankheit fo viel 
anmir blicken lieh, daß es mir nicht ſchwer 
fallen follte, mic, zu einer Philoſophinn 
aufzumerfen, in dem obenhinnigen Ver— 

ſtan⸗ 


240 Thereſie und Eleonore, 


ftande diefes Modewortes zu reden — Als 
fein, Sreundinn ! ich will mir nichts zueig⸗ 
nen, worüber mein eigenes Herz mich de= 
müthigen, und Lügen flrafen fann, Mei— 
ne Gelaffenheit war weniger Ueberlegung 
als Temperament, weniger Geduld als 
Fühlloſigkeit; wie bei einer genauen Prü- 
fung die Gelaffenheit der meiften von un— 
ferm, und vielleicht auch dem männlichen 
Gefchlechte feyn würde. Laſſen Sie mid) 
den befondern Fall von mir in einen all> 
gemeinen aller Menfchen verwandeln, und 
überhaupt uns einige Betrachtungen über 
dag Derdienft der Gelaffenbeit anftelfen ! 

Was ift Gelaſſenheit? — meine Er— 
flärung wird die ftarfen Denfer vielleicht 
zum Mitleiden bewegen, aber ich will da— 
rum nicht weniger eine wagen. Ich glau= 
Be , die Gelaffenbeit iſt, eine gewiſſe 
Gleichheit des Gemüthes bei den ver- 
fhiedenen Lällen, die auf unſre kör— 
perliche, oder fittliche Wohlfahrt ei⸗ 
ne merfwürdige Veränderung wirfen. 
&o wenigſtens ftelle ich mir bdiefelbe vor. 
Einen Menfchen , der jederzeit im Umgan⸗ 
ge aufgeweckt, ganz Freudigfeit und 
Scherz war, beiffe ich dann gelaffen, wann 

er 


Therefie und Eleonore. 241 


er bei dem Sturme der Widerwärtigfeiten 
fich den Gefellfchaften nicht entzieht, und 
immer. noch feine heitre Stirne behält. 
Ein Schweiger : mit finfterm Blicke, der 
nie lächelt, dem fein Nachfinnen immer 
tiefe Furchen an die Gtirne zieht, muß 
durch aufferordentlihe Gluͤcksfaͤlle nicht be= 
wogen werden, feine Ernfihaftigfeit abzu⸗ 
fhwören , wenn er bei mir den Namen 
eines Gelaſſenen verdienen will. Es 
giebt alſo eine Gelaſſenheit ber Freude, es 
giebt eine Gelaſſenheit des Ernſtes, und 
uͤberhaupt ſoll es nach mir das Weſen 
der Gelaſſenheit ſeyn, das Gleichgewicht 
ſo zu erhalten, daß ein aͤuſſerer Umſtand 
demſelben auf keine Seite den Ueberſchlag 
zu geben vermoͤgend iſt — 

Dieſen Stand des Gemuͤthes ſeht man 
heute fuͤr eine erhabene Stufe der aus— 
uͤbenden Weltweisheit an, und ſelbſt unſre 
Sibariten, und Sibaritinnen, die eine 
ſchlafloſe Nacht hinbringen, wann ein 
Roſenblatt unter ihrem verzaͤrtelten Koͤr⸗ 
per ſich faltet, wollen es darin hoch ge— 
bracht haben. 

Areinde hat ihren Mann verloren. 
Das Gepraͤng unterwirft fie einer ſechs⸗ 
IV, Theil, 2 mo⸗ 


342 Thereſie und Eleonore, 


monatlichen Trauer. Es ift nicht erlaubt) 
ſich über das Gepräng binauszufegen. 
Aber ich fehe fie in ihrem Hauſe, weil 
ich von ihren Freundinnen bin: WUrcinde 
‚bat eine wittibliche Faſſung, die fehr phi⸗ 
loſophiſch ift. Keine Thraͤne in ihrem Aus 
ge! feine Spur ded Harms in ihrem Ge» 
fichte ! Fein unterdrückter Seufzer! ie 
wuͤhlet in dem Kleivergeräthe ihres Mans 
nes, ohne fehmerzhafte Erinnerung. Dies 
fes Kleid ließ ihrem Seligen überaus 
ſchön: fage ih. Bo Liep ihm wur! bes 
komme ich zur Antwort, und man wuͤhlet 
fveiter. Sie zieht einen Schüber, darin 
Briefe von ihm aufgewahrer find; Er 
ſchrieb in der That vortreffliche Brier 
fe der Derftorbene, fie verdienen auf: 
bewahrt zu werden. Den Augenblid 
reicht fie mir die ganze Sammlung, went 
fie bei mir von einem Werthe find — Nun 
wird das. Ebenbild feines Vaters, das 
einzige Kind, der zweyjaͤhrige Knab her⸗ 
‚ beigebracht, der nur wenige Töne ſtam⸗ 
melt, Er erblickt das Portrait feines Bas 
ters, er erfennet es, und fodert ihn mit 
wehmuͤthigen Wimmern von feiner Mut 
ger: Papa! ſchreyt er, Papa! wo = iſt⸗ 
Par 


Therefie- und Eleonore. 243 


Papa! Der Kindgfrau treten Thränen in 
die Augen , und aud) mir : aber Arcinde — 
befiehlt das nicht zu „befriedigende Kind 
hinauszubringen, und feet fich gleichmuͤ⸗ 
thig bin, Gold zu zupfen — Die Wittib 
hatte nicht etwan den Verſtorbenen nicht 
geliebet : ihre Ehe war vergnügt, ‚ihre 
Trennung war rührend, an ihrem Bufen 
hauchte er den letzten Hauh — Woher 
ruͤhret diefe Gelaffenheit? ift fie dag Werf 
überdachter Trofigründe , der Sieg über 
ihre Empfindung ?— Das Werf ihrer na= 
türlichen Leichtfinnigfeit ift eg, die über 
alle fidy anbietenden Betrachtungen dahin= 
rollet, und Arcinden unfähig machet, bet 
einem Bilde ſich fo lange zu verweilen, daß 
ein Eindruck davon zurückbleiben follte. Die 
Welt faget von diefem leichtfinnigen Wei: 
be: fie weis fih in ihrem Salle zu 
faflen ! 

Satire, ich bedaure Sie, daß Sie 
füngſt fo unglücklich gefpielt haben! Ha 
haha! — Ich höre, ihre Minette if 
verloren: es ift Schade, es wear ein 
allerliebftes gundchen — Ha ha ha! — 
Gewiß, das ift undankbar gehandelt, 
daß Aleimor aller Orten mis fo wenig 

22 sehr: 


144 Thereſie und Eleonore, 


Khrerbietigfeit von Ihnen fprihel — - 
Ha ha ha! — Man fagt, ihr Gemabl 
fehe täglich die Schöne Tanzerinn! — Ha 
ha ha! — er fihleppe derfelben ihre Alei- 
der, Edelgefteine, alle ihre Koſtbarkeiten 
30: Ha ha hal — es fey eine Schlange, 
die Schon manchen bis auf den Grund 
troden geſetzt — Ha ba ha! er werde: 
zulest auch feine‘ Gefundheit bei ihr 
daran fegen: Ha haha! — Satire! ihr 
Rind — Haha ha — fol todt ſeyn — 
Ha ha ha! — Nun, verzweifelt! Fatire 
hat es in der. Gelaffenheit biß an die Grän- 
zen der. ftoifchen Härte gebracht „ da fie 
alles mit einem Haha ha! zu beantworten 
faͤhig iſt. Aber ein wenig Aufmerkfamfeit 
‘wird. ung überführen, daß die Quelle ihrer 
Gleichmuͤthigkeit natürlihe Dummheit ift, 
die fie unfähig macher, mit VBerfammlung 
ihrer Gedanken fich in ſich felbft zu kehren, 
ihr Nachdenken bis auf die Folgen hinaus 
zu erſtrecken, und einen Vergleich zwiſchen 
ihrem igigen und Einftigen Zuflande ans 
zuſtellen. Eine zum Lachen immer fertige 
Lunge ift ihre ganze Philofophie: Und es 
giebt Leute, die fo gut find, fie den weib⸗ 
lichen Demokrit zu neunen — 
End: 


Therefie und Eleonore. 245 


Endlich hat dag Glück aufgehört gegen 
Krantorn ungerecht zu feyn! fein Ver— 
dienft ift offenbar, und wird erkennet. Ein 
ehrenvolles , einträgliches Amt ſoll ihn 
-über die lange Vergeffenheit fchadlog hal⸗ 
ten , worin er vergraben lag. ‚Die Ael- 
tern feiner Delinde find nun feiner Vers 
bindung nicht weiter mehr entgegen. Es 
fcheint, das Schickſal will das Andenken 
feiner Berfolgungen auf einmal aus feinem 
Gedächtniffe verlöfchen. Seine Gefundheit 
gewinnt einen feften Stand ; fein reicher , 
aber geisiger , und ohne jemals beleidiger 
worden zu feyn, unverföhnlicher Oheim 
ftirbt ohne Teftament , und muß feinem 
Neffen alles hinterlaffen,, wovon er ihm: 
bei feinen Leben nicht deu geringften Theil 
gegönnet. Glüclicher Rrantor! Seine 
Seeunde befuchen ihn, um ihn mit fo vie— 
len angenehmen Neuigkeiten zu überra= 
fhen, und Zeugen -der freudigen Verwir⸗ 
rung zu feyn — Aber Rrantor hört alles 
mit eben und demſelben Geſichte an: feine 
Miene bleibt finfter, nachdenkend, mie fie 
immer war. Nicht einmal beiDelindene 
Namen, bei der fchmeichelhaften Hoffnung 
ihres nahen Befiges tritt eine Spur-der 

‘3 Freu: 


546 Thereſte und Eleonore. 


Sreude ihm an die Stirne — DO, fagten 
Rrantors Freunde, der Mann barf den 
Epifteten an die Seite gefeßt werben! Es 
gehöre weit mehr Standhaftigkeit dazu, 
die Liebfofungen des Gluͤckes, als feine 
Schlaͤge unbewegt und unverändert zu er= 
tragen. Der Römer, den die Botfchaft 
von dem Tode feines Sohnes, nicht Hinz 
dern konnte, fein angefangenes Dpfer zu 
vollenden, würde vielleicht bei fo vielen 
glücklichen Nachrichten aus feiner Faſſung 
gerathen ſeyn — O Lobredner ! erft unter 
fuchet ! und dann nennet Krantore immer 
ftatt der Ratone! Die Gewohnheit hat 
die Finfterfeit feiner Blicke unerheiterlich 
gemacht. So viele Jahre haben über fein 
Gemüth eine Schwile gezogen, die dem 
fanften Stachel des Vergnügens undurch⸗ 
dringbar iſt; und feine zur Natur geworz 
dene Unempfindfamfeit macht ihn zu einens 
Zato feiner Zeitgenoffen — 

Schen Sie , Freundinn! fo macht die 
Miſchung unfrer Säfte, oder der Mangel 
von Ueberlegung und Einficht, oder Ger 
mohnbeit ung oft zu etivag, wozu ung 
Gründe und Betrachtungen ſchwerlich brin« 
gen würden. Und wo iſt dann dag geprie⸗ 

| fes 


Thereſie und Eleonore, 247° 


feite Verdienſt? Nur dann iſt die Gleich 
heit des Gemuͤthes uns als ein ſolches 
anzurechnen, wann ſie uns auch etwas zu 
ſtehen koͤmmt. Ein Hebekuͤnſtler hat feir 
nen Anſpruch auf Ruhm, wenn ſeine Laſt 
durch eigenes Gewicht das Uebergewicht 
haͤlt. Aber wenn er die gefaͤhrlichen 
Schwankungen einzuhalten, und der hart⸗ 
näcigen Schwere feine Kunft entgegen zu 
feßen, und fie zu übermwältigen mei, dann 
loben wir ihn.. Eben fo wenig gründet 
ung eine, von was immer für Urfachen her= 
fommende Fühllofigfeit ein Recht auf den 
Beinamen Gelefien, weil fie das Werk 
unfrer natürlichen Trägheit ift, weil nie 
auf der einen Seite ein Hebergemwicht war, 
das wir zu übermwältigen hatten, Wenn 
der Stein nach der Tiefe rollt, darf er 
fagen, dieſes Fallen ift mein Werk? 

So war meine Öelaffenheit, Freundinn, 
benn es ift doch billig, daß mein Schreie 
ben dahin mwieber fomme, woher es aus— 
gieng,. Eine angebohrne Gleichmüthig- 
feit macht es mir leicht, mittelmäffige Em⸗ 
pfindungen zu bemeiftern, Aber wäre es 
höher gekommen, hätte ich die Vorboten 
des Todes, hätte ich dag ſchreckliche Ger 

24 vpraͤng 


248 Thereſie und Eleonore. 


präng der Verſoͤhnung, eine ſchmerzvolle 
Trennung von meinem — Aber warum foll 
ich folche ſchauervolle Gedanfen in mir 
felöft erwecken, da mich die Krankheit das 
mit verfhonet ? Danf fey dem Himmel; 
und meinem Jufchig! *) ich bin wieder 
ihre gefunde Freundinn 
Thereſie. 


XVL 


Der Schatten eines Fehlers wird 
Bei Hundert deiner Tugenden‘ 
Der Laͤſtrung graͤulichſtes Geſchrey 
Oft hinter dir erwecken — 
Rleift, 


Sortfegsung des XIV. Stüdes. 


Cyron — das war der Namen des Las 
riſſäers, jung „ und aus einem der vor⸗ 
nehmften: Häufer der Stade entfproffen „ 
kehrte fogleich zu feinen Gefährten wieder 
um, und hütete fich fehr , ihnen von der 
glücklichen Begegnung etwas merken zu 
laſſen. Er fürchtete, einer aus ihnen duͤrf⸗ 
te ihm in dem Lafter zuvorfommen „ das 
er befchloffen hatte, 
Jens 


) Des Arıt Thereſiens. 


= 


Therefie und Eleonore, 249 


Jenſeits des Flufes hatte Lyfon ein 
Landhaus, das von der Hütte Mirlens 
nur einige Feldwege entfernet war. Es 
war ganz verfallen, und darum ehe nie 
von feinem Befiger befucht worden. Nun 
aber würde er es gegen dag fehönfte der 
ganzen Gegend nicht vertaufchet haben. 
Er war faum mit der Gefelfchaft in der 
Stadt angefommen, ald er unbegleitet , 
noch felben Abend fich auf diefes Landhaus 
begab, Er wechfelte vafelbft feine Kleider 
mit ländlichen, und war nun , dem Äufs 
feren Anfehen nad) ein Landmann, unfenns 
bar, auch für feine eigenen Leute , wenn 
fie ihn zu Gefichte bekommen follten, 

Um die Stunde, dba er Lariſſens el: 
tern abmwefend mußte, feßte er auf einem 
Nachen über ven Peneus, und fam bis in 
bie Gegend der Hütte, Er hatte einen Bund 
Reifig auf feinem Rüden, und fette ſich, 
gleich) einem, der ausruhen wollte, unferne 
davon auf die Erde hin — Als er La: 
riffen erblickte, rufte er ihr zu: fie möchte 
ihm helfen, mit feiner Buͤrde fich erheben, 
und dag gutherzige Mädchen eilte auf den 
erfien Ruf herbei — „, Habe Dank — 
Wade er — gutes, beftes Mädchen! bie 

05 Goͤt⸗ 


250° Therefie und Eleonore. 


‚Götter wollen dir auch einen Gehuͤlfen 

geben , der deine Arbeit dir erleichtere! „,. 
Und nun gieng er mit ihr, als wäre fein: 
Weg eben berfelbe , bis fie an die Hütte: 
famen, „Freundliches Kind! hub er an, 

reiche mir doch einen Trunk Waffer, mich 
zu erquicken! ich habe diefen Bund heute 
gefammelt , und bin nun fehr durftia. 5 
Lariſſe gieng eilfertig hin, und brachte ihre 
einen Krug frifhe Milch, und er. tranf 
ihn aus ihrer Hand. Für den erften Tag 
fchien er: fich glücklich genug. Er wieder: 
holte feinen Danf, und begab ſich mit eis 


nen Umwege zu feinem Nachen, von. den | 


er in fein Landhaus eilte, 

Als Brador und Mirle von ihrer rs 
beit: nach Haufe famen „. erzählte ihre 
Tochter ihnen freudig, wie fie einem Juͤng⸗ 
linge feine. Buͤrde aufgeholfen, und einen 
Trunk gereichet babe; und fie lobten fie 
wegen der Neigung, Notbdürftigen beizus - 
ſtehen. 

Lykon kam durch viele Tage immer 
denſelben Weg, und hatte taͤglich Gelegen⸗ 
heit mit dem Mädchen zu fprechen:: und 
fie warb gegen ihn vertraulich ‚ weil fie 


ihn a einen Landjuͤngling hielt. — Aber 
ih: 


Therefie und Eleonore. 251 


ihre Vertraulichkeit war nicht die Vertrau—⸗ 
Jichfeit der Städte, welche alle Zurücdhals 
tung zwiſchen beiden Gefchlechtern aufpebt, 
und fich einander bald verächtlich macher: 
Die Bertraulichfeit Lariffens war Dffens 
herzigkeit und Unfhuld — Doch zwifchen 
einem Juͤnglinge und fühlbaren Mädchen 
find die Gränzen der Vertraulichkeit und 
Liebe feine andern, als die wechfelmeife 
Schuͤchternheit. Lykon hatte zwar bie 
Schuͤchternheit bei ven Phrynen der Stadt 
längft abgelegt, aber-hier war ihm wenig 
fieng ihr Schatten nothiwendig, Als er 
feiner Gewohnheit nach einmal an ber 
Hütte Lariſſens ſaß, die eben dem ihr 
nacheilenden Taubenvolke Sutter freute, 
blickte er das Mädchen mit einem Blicke 
an, der beredter ift, als alle Worte, 
„Gluͤckliche Tauben, rufte er, bie dag 
liebenswuͤrdige Mädchen täglich aus feinen 
Händen fpeifer! ich kenne einen Juͤngling, 
der euch fehr darum beneidet ,, — und nun 
feufjete er, und fchien den Seufzer unters 
brücen zu wollen — 

„ Und wer ift diefer Juͤngling, der fo 
etwas für ein Gluͤck Hält, das man bes 

nei⸗ 


252 Therefie nnd Eleonore, 


neiden Fönnte?,, fagte das vielleicht mit 
Vorſatz anbedachtſame Mädchen — ⸗ 

„ Du würdeft zuͤrnen, wenn ich ihn 
dir nennte, und bein Zorn würde ihn auf 
lebenslang elend machen „, 

Ich will niemanden elend machen, und 
du magft ihn mir alfo nicht nennen — 

„, Gleihwohl fann er auch nicht laͤn⸗ 
ger. ſchweigen, ohne eben fo unglücklich 
zu ſeyn: und kurz, Lariffe! der Jung 
ling — der — bin ich. 

Eine fittfame Röthe flieg auf die Wan— 
gen des Mädchens , und fie hielt einige 
Zeit die Augen niedergefchlagen ; endlich 
aber blickte fie wieder auf, und war nicht 
zornig, daß ber Juͤngling fi genannt 
hatte. Da kamen eben die Neltern des 
Mädchens zurücke, und fanden fie bei dem 
Juͤnglinge, und fie erzählte ihnen dag Ges 
ftändniß feiner Liebe , und daß fie ihm 
ebenfalls nicht abgeneigt wäre; und Ly⸗ 
Fon erzählte ihnen von feinen Neltern und 
Umftänden , eine Gefchichte, wie er es 
fchicklich fand, und Lariffens Vater und 
Mutter willigten gerne, daß Hymen beide 
vereinigen follte, fobald die Saaten reif 


fenn wuͤrden. 
Trium⸗ 


Therefie und Eleonore 255 


Triumphirend fam-der Städter nun zu 
feinem Landhaufe zurück, meil ihm bie 
unbehutſamen Aeltern ihre Tochter felbft 
überliefern würden. Er kehrte auf wenige 
Zeit in die Stadt, um diejenigen Anfials 
ten zu £reffen, die zur. Ausführung feines 
Entwurfs noͤthig ſchienen. Er bereitete ein 
eigene® Gemach, und ließ e8 mit Teppiz: 
chen ausfchlagen, worin die Diebftähle der 
Liebe, welche Jupitrr, und andre Götter 
an leichtgläubigen Nymphen begangen hate 
ten, gewebet waren. *) Er bereitete die 
Föftlichfien Rauchwerfe , die prächtigften 
Kleidungen , und zwanzig aftifhe Ta— 
Iente waren in einem Käftchen von Eben 
Holz mit Golde verzieret in dem Gemache 
hingeftellet, ein Gefchenf für Leariffen. 
Nach viefen Zubereitungen, die, fo eil- 
fertig als möglich, gemacht wurden, damit 
ſei⸗ 
*) Man ſieht, daß die Verfaſſerinn nicht gerne 
weitlauftig iſt. Was für eine ſchöne Gele— 
genheit ſich in das ganze Fabelreich auszu—⸗ 
breiten, und von den Teppichen wenigſtens 
fo eine ſchöne Beſchreibung zu machhen, als 
Homer von feinem Schilde. Schade! daß 
es nicht einem ... in die Hande gerathen, 


der wurde befchrieben haben ! 
Der zerausg. 


854 Therefie und Eleonore, 


feine laͤngere Abmwefenheit feinen Verdacht 
erwecken möchte, Fam er bei den frohen 
eltern feiner Beftimmten an, und fah 
mit Sehnfucht immer , ob die Aehren fich 
fälbten. Endlich war fie da, bie lange 
ſchon gewuͤnſchte Aernte , die ihm fein 
Verbrechen verfichern ſollte. Mirle und 
Erador wollten die Hochzeit ihres Kindes 
um Feine Stunde verzögern : fie dachten, 
fie wuͤrden ihr Glück verzögern. Lykon. 
der fich ihnen für den Sohn Irins, des 
Zuͤgenhirtens vom andern Ufer angegeben, 
und Philemon genannt hatte, führte Las 
riſſen, die thränend von thränenden Nel- 
tert fchied, an den Nachen, und fuhr bin 
an dag gegenfeitige Ufer. | 

Sie wandelten nun eine Meile, bis fie 
aus dem Angefichte ihrer immer noch zu> 
winfenden Neltern famen , als fie. eine 
Kutfche mit rafchen Pferden auf ſich ans 
fprengen faben. Es war Lykons Kutſche; 
und er trug das fich firäubende Mädchen 
in die Kutſche, und fuhr, wie auf den 
Flügeln des Windes mit ibm nach ber 
Stadt. Was half es dem Mädchen, daß 
e8 feine Aeltern zu Hülfe zufte? fie waren 

fer⸗ 


Therefie und Eleonore, 255 


ferne von ihm , und ahneten nicht dag 
Unglüc ihrer Tochter — 

Zu fchnell für Lariffen, den Wuͤnſchen 
Lykons zu langfam , famen fie da an, 
Das Mädchen ward gleich .einer Gefans 
genen in dag für fie bereitete Zimmer ges 
fchleppet, und. die fchandbaren Gehülfen 
der. Entführung verfchwanden. — Ich bin 
Lykon — hub nun der Räuber an — und 
das Mönchen erfchrack fo gewaltig ,. daß 
fie in eine Schwachheit gefunfen wäre, 
hätte nicht die gröffere Furcht ihr Stärfe 
gegeben; denn LAykon fagt in der Sprache 
des Landes Wolf — Du fiehft , das 
Schickſal felbft har dich für mich bes 
flimmet , und all dein Strauben ift 
eitel: mache dir aus deiner Gefällig— 
feit ein Verdienft, und fey glücklich, 
wie ich es fepn werde! — Alles diefes 
tft dein, einfältiges Maschen! fuhr er 
fort, als fie untröftbar ihm zu Füffen lag, 
und ihm Vorwürfe machte. Diefes Zim: 
mer ift ein Königreich gegen deinen 
ebmaligen Stand. Wie manche würde 
Lykons Liebe gerne um diefen Preiß 
verdienen !— ch! hub nunmehr dag faum 


| Bo. Mädchen an, alles dieſes 
- be: 


256 Thereſie und Eleonore; 


bedarf ich nicht, ich bedarf nur In 
Schuld und Zufriedenheit , und dieſe 
boffte ich bei Philemon! — Philemon, 
verfegte er, ift Lyfon: und wenn du 
diefen Liebft, fo Liebft du deinen TR 
Temon — 

EEr ſagte noch mehr, fie zu steigen, 
und ließ fie, ein Leben in Ueberfluß, im 
Wolluſt und Wonne vorberfehen , wenn 
fie freywillig auf dem Fuſſe einer Liebha⸗ 
berinn bei ihm bleiben wollte — wo nicht, 
fo wäre fie in feiner Gewalt. Und er ſchick⸗ 
‚te fich an; der Widerftrebenden einige Lieb⸗ 
fofungen zu erweifen, als Ciname, welche 
die Unfchuld des Mädchens befchüste, in 
dem Zimmer erfebien — Lariffe fannte fie 
nicht; doch e8 war eine Frau; dag geäng: 
ftigte Mädchen flog, ohne mehr zu beden⸗ 
Fen, in ihre Arme. Aber dem Lykon zeig⸗ 
te fi Einame mit dem Blicke einer er 
zuͤrnten Feye. Das Lafter ift immer feige: 
Er erfannte leicht ihre Höhere Macht, da 
er fie fo plöglich in einem verfchloffenen 
Gemache erblickte: er lebte, er bereute, 
er verbieh. Bis bieber, fagte die Feye 
mit einem Tone, der den Strafbaren von 
ihrer Unbengfamfeit verficherte — bis hie⸗ 

ber 


Therefie und Eleonore. 257 


ber war es dem Lafer erlaubt, die 
Tugend zu prüfen ! aber föhrft du 
weiter fort, Lariflen zu verfolgen, fo 
zittre vor Einamen, der Schunfeye 
der Unfchuld — Mit diefen Worten fuhr 
fie im Dufte von Ambra dahin, und hin 
terließ Stärfe in dem Gemuͤthe Lariſſens, 
und Entfegen in dem Gemuͤthe Lykons. 

Sobald er fich erholet hatte, bat er 
Cariſſen, fie möchte zu den Ihrigen zuruͤck⸗ 
fehren. Was eh der Preis der Schand- 
that ſeyn follte, bot er ihr ist zum Er— 
fage der Beleidigung an. Aus Furcht 
vor dem Zorne ber Feye, ſchaffte er fie 
noch felben Abend mit allem Geräthe des 
Gemachs, und den zwanzig Talenten in 
die Hütte Mirlene. 

Das Erftaunen der Yeltern‘ war unbe⸗ 
fchreiblich. So find das, fagten fie, Sie 
Sitten der Städte, und Zevs hat noch 
Keiley Lariffe erzählte ihnen den Schuß 
Cinamens, und fie tröfteten fich und ihre 
Tochter mit dem Bewußtſeyn der Unſchuld. 
Aber die Eiferfucht der Gefpielinnen La— 
riffens fand bald ein Mittel, diefe Un— 
fchuld verdächtig zu machen. Wollt ihr 
prächtige Tapeten, fprachen ſie, und 

IV, Teil. R Klei⸗ 


258 Therefie und Eleonore. 


Kleider und Föftliches Rauchwerf, und 
zwanzig Talente ! fo Laflet euch nach 
der Stadt fahren, wie Lariffe! Sie 
fpotteten auch über die Begebenheit mit 
der Feye, und liſpelten fih zw: das ift 
eine gütige Seye, die ihre Pflegbefob- 
lene fo reich nach Kaufe fendet. Ge: 
wiß, Lykon ift aus Reue — fehr freyge⸗ 
big! So breiteten fie über Lariffens Tu— 
gend einen vergiftenden Schatten, der ihr . 
ganzes Leben trübte, und fie zu aller Freude 
unfähig machte. Das ungluͤckliche Mädchen 
verwuͤnſchte hundertmal die unfeligen Ge— 
fchenfe, die man für einen Preis der Ent— 
ehrung anfehen Ffonnte, und ſtarb bald 
vom Kummer verzehret — Ein lehrreiches 
Beifpiel für gang Theffalien: daß, um 
glücklich zu leben, eben fo nothwendig 
iſt, tugendhaft zu ſcheinen, als zu 
ſeyn — 


a. XVI. 


Thereſie und Eleonore. 259 
XVII. 


Denn für die kleine Philomele 
War alles Ohr. 
Man zicht gemeiniglich doch eine ſchöne Seele 


Dem ſchonſten Körper vor! 
Gleim. 


D ich, Freundinn! gegen welche die frey⸗ 
gebige Natur alle förperlichen Reize ver— 
ſchwendet, dich, aus deren Augen Amor 
die verwundendften Pfeile abfchüffer, und 
feine unbefchränfte Macht über den fühl: 
baren’ Züngling, und dag Herz des Grei— 
fen befeftiger, dich betrachte id) oft, und 
ergöße mich an diefem edeln Baue, woran 
alles fo fehr zur Schönheit übereinftim- 
met, den ebeln Umriß des Sefichtes, die 
blauen gefchnittenen Augen, in denen dein 
fanftes Herz fi) malet, zu deren. Versier 
rung fich zwey Augenbraunen regelmäffig 
woͤlben, welche die blendende Weiffe der fein⸗ 
fien Stirne beinahe braun fcheinen macht, 
ob fie gleich die Farbe deiner Locken ha— 
ben, die auf das afchenfärbigte ziehen. 
Die unmerfbar aus der Stirne hervorra— 
gende Nafe giebt durch einen fanften Bug 
deinen Reigen auch Majeftät, und theilee 
R2 mit 


260 Thereſie und Eleonore. 


mit Anmuth zwo Wangen, auf welchen 
die Verlaufung der Lilien und Nofen dag 
bezaubernde Leibfarb mifchet , das bie 
Kunſt vergebens nachahmet. Wann der 

anmüthigfte Mund fich oͤffnet, fo ſehen 
zwo Reihen Perlen aus einer Koralen- 
mufchel, und dag Ganze deines huldvollen 
Gefichts endet in ein Kin, den ganz befon= 
deren Sitz der Grajien, und bes bejaus 
bernden Lächeln. Wäre ich ein Liebha- 
ber, fo würde ich fortfahren, dich und _ 
Venus Uranie ganz zu malen, und nies 
mand follte die .... *) verfennen. Aber 
ic) bin nur dein DVerehrer, erlaube! daß 
ich mich - weniger bei dem Lobfpruche deis 
nes Körpers aufhalte — ich habe eine noch 
fehönere Seele zu ſchildern. 

: Du allein mweift es nicht, wie fchön du 
bift. Denn vernachläffigeft du gleich nicht 
eine Geftalt, die beftimmt ift, die wir 
bige Wohnung der Tugend zu fenn, fo 

biſt 

I, Ih würde die Sittſamkelt der nerehrunge- 

wlrdiaften Perſon beleidigen, die ich Hier 
mit einem nicht ſchmeichelhaften Pinfel ent- 

v worfen babe. Ich wünfde, daß Wien die— 

Selbe in der Menge derer, auf welche diefe 

‚Schilderung paſſet, verkeunen möge — 


Therefie und Eleonore. 263 


bift du doch mit deinen Zügen fo befannt, 
daß du fie nicht bewunderſt — Du höreft 
alfo die Lobfprüche anderer Schönen ohne 
Mißgunft, ohne Eiferfucht, ohne Errss 
then an, und bift fters die erfie, ihnen 
folche zu ertheilen. Du haͤltſt nicht dafür, 
daß dir entzogen wird, was man andern 
giebt, denn du machft feine Soderungen: 
Indeſſen verlierft du nichts von dem, 
was man dir fchuldig if. Die Huldiguns 
gen, nach denen bir nicht läufft, folgen 
dir nad. Zwar man flattert nicht um 
dich herum, aber man fteht unbemeglich ; 
entzückt, von ferne, und verehret did). 
Eine gewiffe Entfernung. ift das wahre 
Merkmal ber Ehrerbietigfeit, wie die ver: 
traulihe Annäherung das untrügliche 

Kennzeichen der Geringfchägung ift. 
Gleich als unmiffend, daß die Natur dein 
Yeufferliches zum Gefallen gebildet, ftrebft 
du nach den edleren und dauerhafteren Rei: 
zen der Eeele. Man fieht dich bemuͤhet, mit 
Kenntniffen deinen Geift zu ſchmuͤcken, nicht 
um anzuführen, fondern um auszuüben, 
Wie befhämt deine Anfichhaltung die ge— 
fhwäßisen Pedantinnen, die nur lefen, 
um mit dem, was fie gelefen, Staat zu 

R3 ma⸗ 


262 Therefie und Eleonore. 


machen: traurige Gefchöpfe ! tie einem 
Menfchen von übelm Magen gleichen, der 
feine Speifen nicht verdauet, fondern von 
fich giebt. Sie lefen, um belefen zu fchei= 
nen, du, um beffer zu werden ; fie bau= 
chen die vortrefflichen Lehren aus, und 
find zufrieden , fie wieder an den Mann 
gebracht zu haben; du prägft fie tief deir 
ner Seele ein, aus ber fie nie wieder 
fommen follen; fie lefen für dag Gedächt- 
niß, du für das gerz — 

So wird beine Ergoͤtzung felbft ein 
Werkzeug deiner Vervollkommung. Indeffen 
die Gefpielinnen deines Standes an einem 
Tiſche geheftet, die Zeit, und vielleicht 
noch mehr verfpielen, nüßeft du diefelbe 
gu deinem, und deines Haufes Beften — 

Erftaunet nicht, wie fie mit einem mit⸗ 
telmäffigen Vermögen .ein Hausmwefen fuͤh⸗ 
re, worin nichts mangelt; wie fie allen 
Nothwendigkeiten des Wohlftandes Gen: 
ge leiften, und dennoch) fo viel erübrigen 
fönne, die Thränen eines Dürftigen zu 
trocknen, und ihre Hand dem Nothleiden- 
ben ſtets zu Öffnen! Sie giebt nirgend zu 
viel, um überall genug zu haben. Die 
Ordnung, und eine gewiſſe Einförmigfeit 

herr⸗ 


Therefie und Eleonore, 263 


herrſchet, wie in allen ihren Handluugen, 
alfo auch in ihrem Hausweſen: und fie 
bat ein Mittel gefunden, freygebig zur feyn, 
ohne daß es auf ihre Köften geht; fie if 
e8 auf Köften des Spiel. In der Aus— 
gabeneinrichtung hat fie einen gevoiffen 
Theil auch dem Spiele ausgefeger; aber 
fie fpielt nie, als wenn es der Wohlftand 
unumgänglich nothwendig machet. Das 
übrige ift ihr Erfparniß ; und diefeg Erfparz 
niß ift der beftimmte Antheil, der Güte 
ihres Herzens Genüge zu leiften — 
Diefes fühlbaren Herzens , dag eine 
ihrer herrlichften Eigenfchaften ift , welche 
macht, daß fie von ihrem ganzen Haufe 
angebetet wird. Welcher Unterſchied zwi—⸗ 
fchen dem Dienfte, den die Liebe verrich— 
et, und dem, welcher nur darum verrich- 
tet wird, weil er verrichtet werden muß Y 
In ihrem Haufe ift diefer Unterſcheid ficht- 
bar. Ihre Mägde , ihre Bedienten hän- 
gen an ihrem Blicke , beftreben fich, ihren 
geheimften Willen auszufpähen , um ihm 
vorzueilen; Fein Haß , Feine Eiferfudht, 
feine Streitigfeit anders, als um ihr bef- 
fer zu dienen! Gleichwohl erfauft fie fich 
diefe dringende Dienftfertigfeit des Gefins 
R4 des 


264 Therefie und Eleonore. 


des nicht etwan durch übertricbene Beloh⸗ 
nungen , durch Nachſicht, durch Vertrau⸗ 
lichfeit — Sie hält dafuͤr, es ſey unbil⸗ 
lig, arbeitfamen Leuten es irgend woran 
abgehen zu laffen, und Menfchen, die gang 
zu ihren Dienften leben, fpricht fie, muͤſſen 
auc ganz von meinen Dienften leben; Sie 
giebt ihnen genug, dieſer Urfache wegen: 
fie giebt ihnen nicht zu viel, ihrer felbft 
wegen. Einen Fehler, wobei fein Muth 
willen, Feine ftrafbare Nachläffigfeit, feine 
Bosheit unterläuft , vergiebt fie gerne, 
Wie dürfen wir, fagte fie jüngft zu einer 
ihrer Freundinnen, die fich über eine Magd 
wegen einer Kleinigfeit fehr erbofte, wie 
dürfen wir von Leuten ohne Erziehung 
mebr als von uns felbft fodern? fie fol- 
len nie feblen! gleich ale ob wir felbft 
nie fehlten v Aber dieſe Nachficht hoͤrt 
auf , fobald der Fehler nicht ein Fehler 
ber Menfchlichkeit , fobald e8 ein Fehler 
bes Herzens ift. 

Don Vertraulichkeit weis fie gegen 
Dienftleute nichts. Es iſt, mach ihrer 
Meinung, von der Vertraulichkeit nur ein 
furger Uebergang bis zur Geringfchäßung ; 
und eine Frau, bedarf der Vertraulichkeit 

ih⸗ 


Sherefie und Eleonore. 265 


ihrer Untergebenen nicht , ald wann fie 
fich zu entehren Willens ift — Wodurch 
alfo wirft fie diefes Wunderwerf bei fo 
allgemeinem Verderbniſſe des Gefindeg ? 
durch einen ganz einfachen Weg : fie 
firafet nie, ald wann fie e8 verdienen; 
und wann fie es verdienen, ſieht fie ihnen 
nie nach. ‚Uebrigens begegnet fie ihnen 
ftet8 mit einer Tiebreichen Güte , die für 
Untergebene fo fhmeichelhaft ift, und die 
Herzen ganz gewinnet: fie fürchten diejeniz 
gen zu beleidigen , deren Güte ihnen fo 
foftbar it — 

Ihre Freundfchaft ift ein Schaß : aber 
fie ift in der Wahl ihrer Freunde Äufferft 
behutfam. Es ift fchon ein Lobfpruch, aus 
ihrer Zahl zu feyn, weil fie nie jemanden 
darein aufnimmt , der es nicht verdienet. 
Sie kennet die allgemeine Ausſchuͤttung 
der Herzen nicht, die ſich dem erften, dem 
nächftfommenden , ohne Unterfcheid , ohne 
Prüfung anbieten, bei denen das Verzeich- 
niß der Sreumde fo groß ift, ale dag Ver⸗ 
zeichniß ihrer Befanntfchaften; die, nach 
ver Wahrheit gu reden, ganz Feine Sreuns 
de haben , weil fie deren zu viel haben 
Berbindlich gegen jederman , bitnfifertig 

R 5 ſo⸗ 


266 Thereſie und Eleonore. 


fogar , behält fie fich einem glücklichen 
Kreife weniger Freunde vor. Denn, fie 
hält dafür, die Freundfchaft habe zu viele 
weſentliche Pflichten, als daß fie zureichen 
fönnte, gegen eine Welt diefelben zu er— 
füllen. Wenn ich ihre Denkungsart recht 
Eenne, fo will fie fich auch durch die Freund⸗ 
fchaft mancher Perfonen nicht verdächtig 
machen: denn die Freundfchaft zwoer Per— 
fonen läßt auf eine gleihe Gemuͤthsart 
derſelben fchlüffen — 

Sittfam ohne Zwang, freudig oßue 
Ausgelaffenheit, gekleidet mit Wahl, ohne 
geputzt zu fenn, ift fie die Seele der Ge— 
feltfchaft ‚ohne es zu feheinen, felbft ohne 
e8 zu wiſſen; fo mie das fittfame Veilchen 
im Grafe verborgen , feinen aromatifchen 
Geruch. umherſtreuet, indeffen geruchlofe 
Blumen vergebens das ſtolze Haupt em— 
portragen, und buhlhaft winfen. Die 
Biene fliegt vor diefen vorüber, und fliegt 
jener zu — | 

Mit diefen vorzüglichen Gaben zeigt 
fie fiir die Schwachheit des Nebenmenſchen 
nicht eine boshafte Nachficht, welche ver- 
urtheilet, indem fie entfchuldiget, und uns 
ter. dem Scheine der Menfchenliebe, ber 

Tri⸗ 


Therefie und Elesnore. 267 


Triumph des Stolzes und der Eigenliebe 
if. Sie bemitleidet die Gebrechen an— 
derer nicht ; fie fchmeigt davon, oder be= 
decfet fie — 

Aber ich empfinde die Schwachheit mei⸗ 
nes Pinſels, und die Unzulaͤnglichkeit der 
Farben, Schönheit und Tugend nad) 
dem Leben zu malen — 

„ Wenn biefe Sfiffe e8 verdienet, ver— 
ehrungswuͤrdige Therefie! fo gönnen Sie 
ihr unter ihren anmüthigen Blättern ei- 
nen Platz, fo wie manchmal der Verfuch 
eines Lehrlings in einer prächtigen Bil- 
derfammlung einen Winfel erhält, wohin 
das Licht zu ſchwach fällt, um für die 
Meifterfticke ver Kunſt eine würdige Stelle 
zu feyn — 


XVIII. 


Du biſt das Aeffchen auf der Buche? 
Lichtwehr. 


Sr meine eingetroffenen Wuͤnſche muͤſſen 
Sie mir nun auch Erinnerungen zu Gut 
halten , gutes Kind! Sie wiſſen, mie 
* ich * liebe, und wie nahe mir alles 
das 


268 Therefie und Efeonore. 


das an der Seele liegt , was mit ihrem 
Wohl verfnüpfer iſt — 

So bat denn endlich auch einmal bie 
Uneigennügigfeit eine Wahl getroffen? So 
war denn einmal eine Ehe nicht nach Rech⸗ 
nungsgründen befchleffen,, und ein Ehe⸗ 
vertrag errichtet , der feinem Wechfelbrief 
ähnlich it ? Lyudame! ver Fall ift fo fel= 
ten, daß es nun nicht bloß ihrer Tugend 
und dem Glüce ihres Bräutigams , fonts 
dern dem ganzen Mädchenchore anliegen 
muß, wie er ausfchlägt — Ach glaube, 
ich fehe wuchernde Väter und geizige Muh⸗ 
men mit unabgemwendetem Blicke alle ihre 
Schritte , alle Handlungen ‚jeden Blick 
beobachten , wenn fie daran etwas aus: 
jufegen, wenn fie Ihnen Vorwürfe zu ma— 
chen, wenn fie zu ihren Söhnen und Nef- 
fen zu fagen hätten: „, nun gebt bin, juns 
ge Thoren , ehliget die nadte Tugend, 
und feht an Lygdamen das Gluͤck einer 
Ehe, wobei das Eingebrachte in ein paar 
fhönen Augen, und einem guten Herzen 
beftebt !,, — Machen Sie den Geiz, bie 
Abfichten zu Schande, und bemweifen Sie, 
das Gluͤck der ehlichen Verbindungen gruͤn⸗ 
de ſich auf Tugend, und ein gutes Herz. 

IH 


Thereſie und Eleonore. 26% 


Ich will Sie, mein immer zärtlich ge— 
liebtes Mädchen! in Feine Predigt führen; 
die Pflicht der Tugend ift immer diefelbe, 
nur daß fie im Eheſtande firenger gefodert 
wird. Aber ich will Sie über eine Sache 
bei Seite rufen, worauf Sie in diefen Zei- 
ten der zärtlichen Unruhe vielleicht ganz nicht 
verfallen, worin gleichwohl fo wefentliche 
Fehler begangen werden ; Sehler , die 
mancher Frau Demüthigungen und Ber: 
- wirrungen zugezogen haben. 

Haben Sie über die plöglichen Veraͤn⸗ 
derung ihres Gluͤckes bereits einige Be: 
trachtungen angeftellee? Diefe Berände- 
rung ift eine Belohnung ihrer Tugend : 
aber, mie werden Gie fich Fünftig dabei 
betragen? haben Sie ſich einen Entwurf 
ihres fünftigen Betragens gegen Höhere, 
gegen ihres gleichen, gegen Leute, deren 
Stand, oder Umftände diefelben unter Sie 
verfegen, haben Sie über diefes Betragen 
fich einen Entwurf gemacht? wollen Sie, 
daß die Welt fprehe: „Lygdame ift auch 
noch eines gröfferen Gluͤckes würdig! „, 
oder daß fie fprehe: „, wir fannten die 
folge Näreinn noch als fie Falblederne 
Schuhe trug, und ein: wollenes geftreif: 

tes 


ı70 Thereſie und Eleonore. 


tes Kleid ihr Feyertagpup war ?,, Beir 
des hängt von Ihnen ab, je nachdem Sie 
einen von diefen Wegen folgen, die nun 
vor Ihnen liegen ,„ wird Ihnen Segen 
oder Spott entgegen fchallen : wählen Sie! 

Das Vermögen ihres. fünftigen Ge— 
mahls ift groß , ift beinahe unerſchoͤpf⸗ 
lich, und feine Liebe wird Ihnen nichts 
verfagen. Gie fünnen alfo in einer Kut⸗ 
fche mit fieben Gläfern prächtig einher— 
fahren , deren Hintertheil für die Menge 
ihrer Bedienten zu Flein wird. Sie fön= 
nen eine halbe Million Edelgefteine um den 
Hals, und in ihre Locken hängen. Sie 
fönnen jede Mode zuerft haben , und 
ihre Kleider, wie ihre Wünfche , täglich 
wechfeln. In ihrem Haufe fann alles 
fürftlich prächtig feyn. Sie Finnen ihre 
Befuche in einem Foftbaren Ruhegemache 
annehmen, wozu man nur durch eine Reis 
be Zimmer gelangen wird, in denen Schnig= 
werke und Gold verfchwendet find. Ihre 
Tafel fann die niedlichfte in der ganzen 
Stadt, und täglich für zwanzig Fremde 
gedeckt feyn. Ahr Spiel kann dag ftärffte 
fen, das jemand fpielet, Sie fönnen, 
mit einem Worte , durch ihren Aufwand 

als 


» 
Therefie und Eleonore. 271 


alle Frauen ihres Standes verdunfeln , 
und es mit den. anfehnlichften Häufern in 
der Berfchwendung aufnehmen — Es giebt 
geroiffe Gelegenheiten, wo dag Geld über 
Geburt und Titel, über Bedienungen und 
Ehrenftellen, ven Vorzug behauptet. Sie 
koͤnnen fich diefer Gelegenheit, wo Sie fi 
anbietet , bemächtigen, und manchmal den 
Schritt über Fürftinnen behaupten, wenn 
es Ihnen beliebt. Sie können Frauen, 
die weit über Sie find, mit einem Anſe— 
hen von Gleichheit, :Perfonen ihres Stan= 
des mit Gleichgültigfeit , oder gar mit 
fihtbarer Erhebung, Sie fünnen Niedri— 
gen mit Verachtung, oder mit der Miene 
einer Befchügerinn begegnen. Sie können 
fprechen: das ſchickt fich für Leute mei- 
nes gleichen nicht ; oder : gemeine Leu⸗ 
te handeln fo! Sie fönnen auch viel von 
Samilien, von Standesgepränge, Eti— 
fette ‚u. d. gl. fprechen, Wann Sie fid) 
mit Leuten treffen, mit denen Sie in ih— 
vem vorigen Stande vertraute Freund- 
fchaft pflogen; fo können Sie ſich anftel- 
len, als fennten Sie diefelben nicht, und 
legt man es Ihnen zu nahe, wohl! fo 
können Sie fi ohngefähr dunkel erinnern, 

fie 


“ 
272 Thereſie und Eleonore. 
fie irgend einmal gefehen zu haben. Eie 
fönnen vornehm fränfeln, und manchmal 
eine Nachbarinn beneiden, die immer poͤ— 
beimäffig gefund if. Sie können ihrem 
Gefinde mit Härte begeanen, ihr Hauswe⸗ 
fen einem Miethlinge überlaffen , wie die 
Erziehung ihrer Kinder — und damit fein 
Strich abgehe , das vornehme Anfehen 
herauszuheben, fo fönnen Sie zuletzt noch 
gegen den Gemahl, ‚der Sie aus dem 
Staube erhoben ſich gleichgültig betra- 
gen, und ihn von Zeit zu Zeit ein wenig 
gebietrifch anlaffen , damit er fieht, er 
habe eine Gattinn gewählt, die ſich zu 
behaupten, an ihre Stelle zu verfeßen, 
in ihre Gröffe zu fchicken weis. 

Sie können aber auch ihren Aufwand 
fo abmeffen , daß man es deutlich fieht, 
Sie machen ihn nur um der Ehre ihres 
Gemahls nichts zu vergeben, die Sie zu 
behaupten fchuldig find. Sie fönnen, anz 
ftändig gefleidet feyn , ohne Staat zu 
machen. Ihre Zimmer, kann Gefchmadf, 
nicht Pracht unterfcheiden. An ihrer Tas 
fel, können Freunde ihres Gemahls will- 
fommen feyn , ohne tägliche Gaftereyen 
anzuftellen. Ihre gegebenen und empfan⸗ 

ger 


Therefie und Eleonore. 273 


genen Befuche, Fönnen Beſuche der Freund- 
ſchaft, nicht Gepränge des Stolzes, nicht 
Soderungen ſeyn. Ihr Spiel, kann fich 
nad) ihrer Gefelffchaft richten ; und wie 
es Ihnen nicht fchwer fallen würde, bie 
Mark um einen Gulden zu fpielen, fo koͤn⸗ 
nen Sie aus Gefälligkeit ſich auch bis zu 
einem. Pfeninge herablaffen, ohne durch 
die Zerftreuung und: Unaufmerffamfeit zu 
fehr an Tag zu legen, vaß Sie ein ſolches 
geringes Spiel nicht befchäfftiger. Auch 
wo Sie fi) in die erfien Reihen zu draͤn⸗ 
gen berechtiget wären, koͤnnen Sie be— 
fcheiden zurückfiehen. Sie können, gegen 
die, welche über Sie erhaben find , mit 
Ehrerbietung, mit Hochachtung gegen bie, 
welchen Sie die Wahl ihres Gemahls gleich 
gemacht, mit Höflichfeit gegen Leute unter 
ihrem Nange fih betragen, 

Sie können, manchmal einen Blick auf 
ihre erftien Umftände werfen, und, anftatt 
ſich über ihre Glückfeligkeit zu blähen, aug 
ihrem ehmaligen Stande einen Beweg— 
grund zur Gittfamfeit und Demuth heruͤ— 
berholen. Sie Finnen, ſich ihrer igigen 
Freunde auch nicht fhämen, und fich durch 
ein Gedaͤchtniß, welches die Erinnerung 

IV. Theil, & vo⸗ 


* 


274 Thereſie und Eleonore. 


voriger Befanntfchaften behalten Hat, nicht 
entehret fchäten. Wenn einige diefer Freun⸗ 
dinnen Sie nad) dem gemeinen Schlage ber 
hochmüthigen Weiber beurtheilen, und zu 
blöde ſeyn follten, fi Ihnen zu nähern y 
fo Finnen Sie ihrer Blödigfeit entgegen 
gehen, und fie zur Vertraulichkeit gegen 
fih aufmuntern. Sie fönnen, alle daß 
Geſchwaͤtz vermeiden, das nichts weniger 
als ftandmäflig ift, fo fehr auch darin mit 
Stand und Rang um fi geworfen wird. 
Sie können, fich der Gabe der Gefundbeit 
nicht ſchaͤmen, und fich verpflichtet alaus 
ben, die Aufficht über ihr Haus , über 
ihre Familie ſelbſt zu führen. Sie fönnen, 
ihrem Gefinde als Menfchen begegnen ) 
denen Sie ein unginftigesg Schickfal durch 
liebvolles, leutſeliges Begegnen erträglich 
zu machen, auserſehen ſind. Sie koͤnnen 
endlich, dafuͤr halten, Sie ſeyn einem Gat⸗ 
ten, der Sie gluͤcklich machet, Gefaͤlligkeit 
und Liebe, Sie ſeyn ihm die gaͤnzliche Uns 
terwerfung ihres Willens , cin Betragen, 
das diefe Unterwerfung aller "Welt vor 
Augen fiellt, Sie feyn ihm Ehrerbietung 
‚ und Dankbarkeit, und das Vergnügen, fo 
er in ihrer Verbindung fich verſprach, 
wirk⸗ 


Therefie und Eleonore. 278 


wirklich zu gewähren, und dauerhaft su 
machen ſchuldig — 

Sehen Sie ſich, liebes Kind! ein we— 
nig nach erörternden Beifpielen um, und 
betrachten Sie das End zwoer ſich fo ente 
gegen gefegten Strafen! Auf der einen 
wartet Verachtung, Haß, und oft em— 
pfindliche Demüthigung derer, welche dar⸗ 
auf wandern. Aber allgemeine Hochfchä> 
gung und Liebe wird denjenigen zu Theil, 
die die andere einfchlagen. 

Eine Perſon, die von einem geringen 
Stande zu einem befferen Gluͤcke uͤberge— 
gangen, hat den Neid ohnehin wider fich; 
fie darf nicht erft durch eigene Unbefchei- 
denheit der Tadelfucht eine Blöffe geben: 
Wer ift diefes Weiby fagen bie ſtolzen 
Meiber, die durch ihren gröfferen Stolz 
beleidiget werden — und nun wird. ihr 
Herfommen, ihr Vermögen, der geringfte 
Umftand unterfucht. Man findet die Seite 
bald, von der der Hochmuth erniedriget 
werben fann ; und man machet fich-eine 
wahre Feyer daraus, diefen beleidigenden 
Hochmuth nieder zu fchlagen. Bis auf 
die geringften Leute dehnt fich die Bes 
gierde, zu erniedrigen , aus. Sie bat 

Sa ſchon 


V 


276 Thereſie und Eleonore. 


Schon vergeſſen, wie fchwer das Dienen 
tft: hörte ich die Magd hinter dem Ruͤcken 
ihrer Frau murren, die vormals auch ein 
Kammermädchen war, und. nun die Dienft: 
leute fehr unbarmberzig hielt. Sey hoch— 
‚müthig , und es iſt ganz natürlich „ daß 
man die Urfachen des Hochmuths auffucht, 
der defto lächerlicher wird , je weniger 
man derfelben findet. 

‚Hingegen fpricht jederman su der an⸗ 
dern : die würdige Perfon! wie ſehr ift 
fie des Glückes wertb, das ihr zum 
Theil geworden! Die Gröfferen feffelt 
ihre Demuth, die Gleichen gewinnt ihre 
Beſcheidenheit, die Mindern ihre Leutfes 
ligfeit und Güte. , Niemand fucht ihre eh—⸗ 
maligen Umftände hervor, weil ihre igigen 
- niemanden beleidigen. ind wenn jemand 
derfelben ungefähr erwaͤhnet, fo fchlägt 
diefe Erwähnung felbft zu ihrem Lobe aus, 

Lygdame, behalten Sie von ihrer 
wahren FSreundinn die. furze Lehre, als 
ein Brautgefchenf : „ Befcheidenheit im 
Gluͤcke vermindert die Zahl der Neider, 
entwaffnet bie Tadelſucht, und bag fi- 
. sherfte Mittel, die Welt unferer ehmali⸗ 
gen —— vergeſſen zu machen iſt, 

J ch 


Therefie und. Eleonore, 277 


ſich ſelbſt derfelben unaufhörlich si 
erinnern. » 


XIX X. 


Dos Alter beugte fchon den abgelchten Rüden : 
Doch brannte Liche noch in den erfiorbnen Blicken. 
Zachariäͤ. 


Is nur ein Wort an diefem muntern 
Briefe zu Ändern, wäre unvergebliche 
Sünde. Gewiß, liebe Charlotte, ihre 
Laune ift nicht mit Gold zu bezahlen ! 
wenn fie nur nicht immer ein Bischen 
boshaft mit unter wäre! denn ic) Fan 
nicht eigentlich abfehen, ob ihr Brief 
Satire , oder Ernſt ift — So mögen 
nun denn die Lefer urtheilen ! Gutes 
Mädchen! es ift gefchehen; da fteht er, 
lieg ihn, deinen Brief, gedrude! — 


> Shweſterchen! eine Neuigkeit! ein 
Abentheuer! geſchwind ſtuͤtze mich! ich 
kann vor Lachen nicht feſten Tritt hal— 
ten — Ich muß mich erſt ſatt lachen, ehe 
ich weiter rede! — Nun iſt er ein wenig 
vorüber der Anfall ; ich bin wieder bei mir 
feloft ! 
63 „, Lies 


278 Thereſie und Eleonore. 


„ Liebenswuͤrdige Eleonore ! wundern 
Sie ſich nicht über meine Vertraulichkeit, 
da ich Sie, und Gie mid) nicht fennen! 
fo bin ic) immer ; und dießmal hat mich 
ein Zufall „ der aufferordentlichfte Zufall 
von der Melt, mitten in meine Munter- 
feit mit Gewalt hineingeftoffen. Wer foll- 
te da nicht lachen? „, 

„Ich bin nicht ganz fiebenzehn Jahre 
alt; wie Sie fehen, ein wenig boshaft, 
das voill ich auch geftehen; fluͤchtig, wie 
ein Mädchen es in diefen Jahren feyn 
fann , unbefonnen, wie meine liebe Muh— 
me ſpricht, artig, wie ich glaube, fchön, 
wie mie hundert Jungen bei ihren Seelen, 
und was weis ich Bei was noch mehr, 
zugefchworen haben — Diefem boshaften, 
flüchtigen , unbefonnenen Mädchen nun 
hat ihre theure Muhme das Gluͤck zuge— 
dacht , die Frau eines liebenswürdigen 
Juͤnglings von — acht und fechjig Jah— 
ven zu werden, der, wie fie ganz weislich 
binzufeßt, in feiner Kindheit ſtets maͤſſig 
gelebt, nie eine Frau gehabt, gefund mie 
ein Hirſch ift, nur erft anfängt , auf das 
Graue zu sieben, und ein ſchoͤnes Kapital, 
nebſt einem Nittergute hat, dag mein eis 

gen 


Therefie und Eleonore. 279 


gen feyn fol , als ein Wocengefchenf , 
fobald ich ihm einen Sohn gebe — Hören 
Eie weiter! es ift noch das Glück nicht 
all 

„ Mein acht und fechzigjähriger Freyer, 
mit feiner Geſundheit wie ein Hirſch, will 
im Heurathsvertrage feine edle Uneigen= 
nüßigfeit auch noch -dadurd) ins Helle fe= 
gen, daß er fich anheifchig machet, nach 
meinem Tode, mein ganzes Eingebrachte, 
Schmuck, Kleidung „ Wälche, & ctera, 
meinen rechtmaͤſſigen Erben zuruͤckzuſtel⸗ 
len; und damit ich durch die Sorge für 
unfre Piebespfänder nicht etwan in einer 
ruhigen. Sterbeftunde geftöhret werden 
möchte, fo will er großmüthig auf eine 
zweyte Heurath Verzicht thun, und mei— 
nen Kindern keine Stiefmutter in das 
Haus fuͤhren —_— 

„Es wird mir da fo viel von Kin- 
dern und Leibeserben vorgefchwäßt, daß 
ic) gang davon betäubt bin, ‚und immer 
zuruͤckſehe, ob nicht. irgend ‚eine -Eleine 
Kreatur mid) beim Kleide zupft , und 
Mama: ruft; ba doc zu einer andern 
Zeit meine theure Muhme ihre grauen 

84 Au⸗ 


290 Therefie und Eleonore, 


Augenbraunen gräßlich zufammzog, wenn 


mir unbedachtfamen Mädchen fo ein Wort 
entfuhr. „, | 

„Run, was benfen Sie, Eleonore ! 
ift nicht alles auf beiden Seiten vollfom> 
men gleich ? und habe ich nicht ſehr Uns 
recht, wenn ich folche Bortheile ausfchla> 
ge? Ich will Ihnen eine Scene von bie> 
fer Komödie niederfchreiben, wie fie in der 
Natur vor fich gieng: vielleicht weis ir- 
gend einmal einer unfrer Theatralfchrift- 
fteller davon Gebrauch zu machen — „ 

„ Muhme Spliney fist auf dem Sopha, 
und hat ihre Zupferey auf dem Schooffe : 
ihre fittfame Nichte fist ihr gegenüber , 
knipft Filet, uud guckt von Zeit zu Zeit 
in den Spiegel — „, 

„Wird Ahnen denn die Zeit bei mir 
nicht lange, Lottchen „, 

„ Gnddige Srau! in ihrer Gefell: 
fchaft lang Y „, 

„Loſe Schmeichlerinn! und einen ſanf⸗ 
ten Kneipper an die Wange, Ach möchte 
Sie gleichwohl gut gepaaret fehen — Die 
Nichte hufter ein Bißchen, fo zur Foͤrm⸗ 
lichfeit, und Spliney fährt fort — 


., Ad, 


- 


Sherefie und Eleonore. 281 


„» Ah, e8 ift heute fo Teicht nicht , 
eine anftändige Parthie zu finden ! die 
Männer find fo abgeneigt, eine Haushal- 
fung zu verrichten , und find im Grunde 
nicht zu verdenfen: die Pracht ift aufs 
böchfte geftiegen! es ift mit den Weibern 
nicht auszuhalten, entweder die Schäße 
des Mogols, oder Schulden big über die 
Dhren — Doc) ich glaube, gottchen wird 
nicht fo unbefriedlich fen — | 

„Sie werden mir immer das Vor—⸗ 
bild ſeyn, unddige Srau! — Die: Gute 
ward ein wenig verwirrt über das Kom: 
pliment; denn es fonnte fo eine Bedeu— 
tung haben — 

„ Ohne ER Yin Segenfompfiment zu 
machen , fährt fie alfo fort: „, 

„, Und dann fo find auch die Mädchen 
heut zu Tage fo niedlih, fo verwöhnt! 
Alles fann man doch nicht zuſamm fin⸗ 
den. 

„ Worauf wird das abzielen ? dachte 
id) bei mir: das muß ich aushören — 
Sreylich, antwortete ih, muß ein Maͤd⸗ 
chen von feinen Soderunten etwas ein- 
geben —— wenn Ne nicht figen blei: 
ben will — 


"8 5 Nun, 


282 Thereſie und Eleonore. 


„, Nun, ich dachte immer, mein Müms 
chen würde vernünftiger denfen. Ich ha— 
be für Sie einen Borfhlag — „, 

„Fuͤr mich ? mit einer Verbeugung — 
Und nun Fam fie allgemacd mit ihrem Ha⸗ 
| geſtolze angezogen, und wußte mir ſeine 
Eigenſchaften, ſein gutes Herz, und vor 
allem, fein Vermögen, fo herauszuſtrei⸗ 
chen, daß ich genau merken konnte, wie 
ſehr ihr dieſe Angelegenheit am Herzen 
liegt. Ich nahm mich indeſſen wohl in 
Acht, mich gegen ſie bloß zu geben. Ich 
dankte ihr fuͤr die Sorgfalt, die ſie mei— 
netwegen ſich geben wollte, aber — m > 

„Kein Aber! Mädchen! ſolches Gluͤck 
koͤmmt nicht alle Augenblicke wieder: man 
muß es haſchen, wenn es da iſt. 

„Geſetzt aber, ich hielte es für Fein 
Glück — „ 

„Geſetzt aber, du waͤreſt eine Thoͤ⸗ 
rinn ? und wenn du es für Fein Gluͤck 
haͤltſt, fo ift da fein Geſetzt — Einen 
Mann mit: hundert taufend Thalern, mit 
einem fchönen Gute, in beften Jahren — 

„ In beften Jahren x gnädige Frau! 
mie Acht und fechzigt ., 


“r Des 


Therefie und Eleongre. 283 


„Deſto beffer für ung! fo wirft du 
eine junge Wittive, und bald Frau von 
einem Gute und hundert taufend Thalern. z 

„ Onadige Srau! wenn ich einen 
Gatten wähle, fo wäble ich, um ibn 
zu haben, nicht um ihn zu verlieren... 

» Daß ift gut: du folft feinen Tod 
auch nicht befchleunigen: aber wenn eg 
nun der Himmel fo wollte — „ 

„ 80 würde ich untröftlich ſeyn: 
denn ich werde meinen Gatten Lieben. ., 

„Deſto beffer für ihn ! Tiebe ihn alfo. ,, 

„ Rechnen Sie doch, theuerfte Mub: 
me! acht und fechzig ‚"ift gerade vier: . 
mal fiebenzehn: und fo wenig ein Kind 
-pon vier Jahren meine Sache wäre, fo 
wenig Fann ich die Sache eines Groß: 
paters von feinen Jahren feyn. Ich 
würde ihn verebren — abet Lieben fo 
ich ihn, wenn er mein Gemabl ſeyn 
wird — ; 

„ Meiner RN Muhme mußte mein 
Vernuͤnfteln, daß fie fo kurz faßte, nicht 
anſtehen; fie hub fich ſchnell von ihrem 
Sitze, und gieng zur Gefellfchaft in ein 
anderes Zimmer. Inzwiſchen werde ich 
von ber ganzen Verwandtichaft verfolgt, 

und 


>84 Thereſie und Eleonore: 


und bin bei allen für eine Thoͤrinn aufges 
ſchrieben, die folche wichtige — 
auszuſchlagen fähig iſt. 

1, Sch weis mir fonft feine Huͤlfe zu ſchaf⸗ 
fen, Eleonore, als daß ich Sie erſuche, in 
ihren Blaͤttern einmal dieſe grauen Seufzen⸗ 
den mitzunehmen, und ihnen das Ungereimte 
ihrer Anſpruͤche recht lebhaft vorzuhalten. 

„Wie ? dieſe Knochenhaͤuſer duͤrfen 
fodern, daß wir fie liebenswuͤrdig finden? 
fie, die nun zu nichtS weiter taugen, al 
die Hinfälligfeit aller menfchlichen Dinge 
vorzuftellen , und die Munterkeit felbft 
bupochondrifch zu machen ? — Wie? fie 
dürfen fich an ein Mädchen von meinen 
Jahren — 

„ Aber um des Himmels Willen! vers 
geben Sie mir! ich mollte Ihnen nur 
meine Berlegenheit Flagen, und Sie um 
Beiftand bitten , gleich ift meine Lebhaf- 
figfeit mit im Spiele, und ba feßte ich 
mich beinahe bin, und fehrieb die Antwort 
felbft nieder, um die ich Gie nur erft bitte. 
Laffen Sie es gut feyn! die rafchen Mäd- 
chen werden gute Weiber , und da boffe 
ich, wenn das Sprichwort nicht trügt, ei= 
nes von den beften zu werden, Nur muß 

‚mein 


Therefie und Eleonore. 235 


mein Mann mir flatt der Jugend nicht 
Geld , und .flatt der Liebenswuͤrdigkeit 
- fein Rittergut mitbringen, fonft — „ 

„ Sobald Sie von acht und fechzige 
jährigen Liebhabern handeln werden, will 
ich mit dem Blatte in der Hand zu meinem 
Prätendenten eilen, und e8 ihm vorlefen! 
damit — damit ich Ihnen die Wirkung 
deſſelben melden, und zugleich meine ewige 
Verbindlichkeit zuſchwoͤren kann — Säu: 
men Sie nicht ‚, fie bald zu verdienen, 
diefe Verbindlichkeit 
| ihrer Ebarlotte. 

Die Sreyfucht alter Männer kann wohl 
durch fein wirffameres® Mittel niederge—⸗ 
fchlagen werden, als durch ihren Bricf, lieb 
fie Charlotte! Alles ift bier in dag rechte 
Licht gefeßet : und ich denfe , Männer, 
Die man überzeugt, daß fie nur in ber 
Hoffnung genommen werden, weil man 
ſich verfpricht,, fie werben fo viel Lebens- 
art befigen, und fich zum Trofte ihrer jun 
gen Öattinnen, die nad) der Erlöfung feuf- 
zen, bei Zeiten abführen , die — follten 
: alle Luft zu einer Verbindung verlieren. 
Hat dann eine fo vieljährige Erfahrung 
fie nicht überführen Finnen, daß fie nicht 

ge⸗ 


2586  Üherefie und Eleonore. 


gemacht find, um geliebt zu werden; 
und daß fie die Gefälligkeit, fich von 
ihnen lieben zu Laflen, nicht zu zeitig 
mit Hinterlaffung ihres Vermögens be: 
zahlen koͤnnen ? 
* E. 
XS 
— — — Ein wlitdiger Gemahl, 
Verſtandig, zärtlich und verbindlich, 
Nicht eigenſinnig, nicht. empfindlich , 
er bat nur da, wo jener wild befahl. 
Gellert. 


J. lieber Diem: finde mir dieſen 
Mann! rief meine muntere Freundinn 
auf, als wir zuſamm die ſchoͤne Erzaͤh⸗ 
lung Gellerts, das Hofpital, lafen. Ihr 
Gemahl war zugegen, und feine fich vers 
finfternde Stirne erinnerte fie , daß fie 
eine Unbedachtfamfeit begangen. Den Aus 
genblick griff fie mit einer bezaubernden 
Lebhaftigfeit nach feiner Hand , und zog 
ihn mit fanfter Gewalt nad) fi) — Den 
einzigen, fagte fie, habe ich der ganzen 
Melt entrifien. Ihr Mädchen mögt 
euch den zweyten fuchen! Ein Blick, 
worz 


Thereſie und Eleonore. 287 


worin Zärtlichkeit und Neue zu leſen wa⸗ 
ren, fühnte fie wieder miteinander aus — 

Die Betrachtung, worauf ich durd) die 
Munterkeit meiner Freundinn gebracht 
ward , iſt allerdings wichtig. Warum 
giebt e8 fo wenig verbindliche Nänners 
und — ich fann auch meinem Gefchlechte 
nicht heucheln: warum giebt es fo wenig 
verbindliche Frauen Ovid, Zacherid, 
die Verwandlungen der Liebhaber in 
Männer, der Geliebten in Ehegattin— 
nen, find eurer Feder würdig — Der 
Mann, der mit zurücgemworfenem Haupte, 
mit der wahren Miene eines Gefeßgebers 
eintritt, der trocken zu feiner Frau fpricht : 
Madam, du wirft dief thun! und, dieß 
wirft du nicht thun! der nur feinen Wil: 
len zu Rath zieht, und den firengften 
Gehorfam fodert, ‚der beftändig widerz 
fpricht, feinen Widerfpruch ertragen kann , 
der feine Frau über jede Kleinigkeit wie 
vor einen Nichterftuhl fodert, und fie un— 
gefähr auf dem Fuffe der erſten Dienft: 
madg hält — der Mann wäre derjenige, der 
noch vor Kurzem als Liebhaber, nur bat, 
nur gehorchte, nur auf den Knieen ver— 
ehrte, nur bie Winfe feiner Geliebten und 


ih⸗ 


288 Thereſie und Eleonore, ' 


ihre geheimſten Wünfche fEudierte, um fie zu 
überholen, der ihre Laune, ihren Eigen: 
finn felbft, unverdroffen erteug, der feinen 
Fehler an feiner Gebieterinn fah, der ihre 
fihtbaren Unvollfommenheiten nicht bloß 
entfchuldigte, fondern zu Bollfommenbeiten 
machte — eben derfelbe Mann wäre es? 

Die Reihe koͤmmt nun an ung, meine 
Freundinnen! find mir als Ehegattinnen 
auch noch die gefälligen Gefchöpfe , die 
wir als Geliebte zu fenn fchienen ? zu 
fcheinen alfe unfre Kunſt anmendeten? em 
pfangen wir unfre Männer noch immer mit 
diefem Blicke der fehnfuchtvollen Erwars 
tung , der unfern Aufwärtern entgegen 
fiel? Hören fie von ung noch einftens das 
Girren der Taube, einen zärtlichen Vor: 
wurf über eine längere Entfernung ? fegen 
wir ihnen die Mühe ‚, die Sorgfalt für 
ung, für das Hausmwefen, auf das Ver— 
zeichniß ihrer Verdienfte? halten wir ihre - 
Freygebigkeit gegen ung für Kennzeichen 
ihrer Liebe ? oder — für ihre Pflicht? find 
wir Frauen? oder Freundinnen? — 

Ich will das Band der Ehe nicht durch 
weitergetriebene Vergleiche verächtlich ma⸗ 
hen, niht von Haushaltungen fprechen, 

wo 


Therefie und Efeonore. 289 


wo swifchen Mann und Weib, Feine Kalt- 
finnigfeit, fondern Haß, feine Gleichgül- 
tigkeit, fondern Verachtung berrfchet, wo 
man fich gegenfeitig nicht etiwan unver: 
bindlich, fondern mit Unhsflichfeie anlaͤßt, 
wo die Gegenwart fremder Zeugen die 
wechfelweifen Seindfeligfeiten nicht. auf- 
‚hebt, wo man ſich die bitterften Spikfin- 
digfeiten, die entehrendften Vorwürfe vor 
jederman alle Augenblicke wiederholet, wo 
man in nicht8 übereinftimmt, als in dem 
Willen, fi) vor aller Welt fo geringſchaͤ— 
gig zu machen, als man einander in fei- 
nen eignen Augen felbft vorkoͤmmt. Von 
diefen Haushaltungen will ich nicht fpre= 
hen. Indeſſen, ift Feine unfrer Leferin- 
nen und Pefer, die bei diefen Zügen einen 
geheimen Vorwurf fühlen? die an ihre 
ſchuldige Bruft Flopfen , und in biefem 
Blatte ihre .offene Schuld Iefen koͤnnen? 
ich wünfche , daß jedes auf meine Frage 
mit vergnügendem Gelbftbeifalle antworten 
möge: ich bin es nicht — 

Die Urfache diefer beidfeitigen Wer: 
änderung ift lange fhon entdeckt: es ift 
die Verſtellung der Liebenden, mit wel: 
cher fie einander ihre Fehler zu verbergen, 

IV. Theil: 3 ſich 


290 Thereſie und Eleonore, 


fi) nur von der vollfommenften Seite zu 
zeigen, und gleichfam zu betrügen fuchen — 
Nun find fie unauflöslich miteinander ver- 
bunden, Fräulein N: if nun Baroninn, 
wie fie e8 gewuͤnſchet, Herr von N. ift 
Rath, oder Staabsoffizier, oder Herr von 
dem groffen Vermögen‘, fo feine Braut 
ihm eingebracht: Die Abficht beider Theile 
ift erreichet „ meiter wäre durch Verſtel— 
lung nichts mehr zu erhalten, wozu fol 
. fie nun fünftig dienen? man wirft ben 
Zwang ab, zeigt ſich in feiner natürlichen 
Seftalt — Recht fo, wann man einmal 
zu Haufe angelanget ift, warum foll win 
die Neifefleider nicht ablegen — 

Wenn den Ehleuten beftändig vonein⸗ 
ander etwas zu wuͤnſchen übrig bliebe, 
wenn fie immer etwas voneinander zu hof⸗ 
fen, etwas zu erwarten hätten, mit einem 
orte, wenn man bie Urfache ihres vor— 
läufigen Zwangs verewigen koͤnnte, fo 
wuͤrde wenigſtens eine Art von Gepraͤng 
zwiſchen denſelben herrſchen, das die wech⸗ 
ſelweiſe Geringſchaͤtzung verhindern koͤnnte. 
Es waͤre alſo vortrefflich; ich rede nur 
fuͤr mein Geſchlecht; wenn vermoͤgende 


Aeltern ihre Tochter zu Frauen der Mits 
9a: 


<Therefie und Eleonore 291 
gabe machten, und ihnen die Gewalt ein: 
raͤumten, nach) dem Maaffe, als ſich der 
Gemahl anftändig oder ungebehrdig ge⸗ 
gen fie betragen würde, gegen ihn. frey—⸗ 
gebig, oder fparfam zu feyn., Man wird 
fagen: die Liebe und Achtung werden fo 
zu einem Preife des Geldes gemacht: ich 
denfe, es ift beffer, fich derfelben auf die: 
fe Art zu verfichern,, als aller Hoffnung 
darauf zu entfagen, als fiir Geld ſogar eis 
nen Tprannen über ſich zu fegen: 

Nichts ift der Eigenliebe einer Frau 
fchmeichelhafter, nichts fähiger, ihr in den 
Augen der ganzen Welt einen Werth zu 
ertheilen , als wenn fie fih von ihrem 
Manne in öffentlihen Dertern, vor Zeus 
gen, mit einer gewiſſen Unterfcheidung und 
Achtung begegnen ficht. Ich kenne einen 
Mann, der feiner Gemahlinn in Geſell— 
ſchaften mit der Nemfigfeit eines Liebha— 
bers aufwartet. Er unterhält fie beſtaͤn— 
Dig, ohne jemals den Ton der Vertrau— 
lichkeit zu gebrauchen , der fonft zwifchen 
Mann und Weib üblich ift. Sie verlangt 
etwas: waB befeblen Sie Madam 
fpricht er, und dann eiler er, ihren Bes 
fehl zu vollziehen — Wollen wir neben ? 

za fag: 


292  Therefie und Efeonore. 


fagte fie jüngft in meiner Gegenwart — 
Ich bin zu ihrem Befehle, mein Rind! 
verſetzte er, und fie reichte ihm fehr vers 
bindlich die Hand. uͤnſcht fie irgend 
etwas, fo ift er eiferfüchtig darauf, daß 
fie ihn nur, mit ihrem Auftrage beehren 
fol — So ift er auch bei fich zu Haufe. 
Er koͤmmt nie, ohne feiner Gamahlinn eben 
ſo eine Verbeugung zu machen, «oder die 
Hand zu Füffen, wie es Fremde thun: er 
geht nie, ohne ſich auf eben diefe Art zu 
beurlauben. - Sin diefem Tone fpricht er 
abwefend , fpricht er zu dem Dienfigefinde 
von ihr. Erwartet die Befehle der Stau! 
gragt zuerft die Stau, ob es ihr fo be= 
Liebe! Ich werde mich nach ihrem Ges 
Fallen richten. So ift er aud) in wefent= 
fichen Stuͤcken. Er hält feine Gemahlinn 
nicht fie zw wenig einfehend , um ihren 
Kath in Familiengefchäften einzuholen , 
und er ergreift jede Gelegenheit , ihrem 
Kerftande, ihrer Einficht Ehre zu machen. 
Lobt jemand den Geſchmack eines Kleides, 
eines Hausgeraͤths — das ift der Ge: 
ſchmack feiner Frau , das iſt ihre Erfin= 
dung — Die Ordnung und Genaubeit im 
Haufe — das ift feine Frau, die fie eins 
Si ger 


Therefie und Eleonore. 293 


gerichtet hat , die fie unterhält. Mit ei: 
nem Worte, er fcheint einen. wichtigen, 
den größten Theil feines Verdienftes in 
dem Verdienſte feiner Frau zu fuchen, und 
zu finden, — 

Sch Habe manchmal über diefen ehrer- 
bietigen Gemahl fpotten gehört, aber mit 
welchem Rechte? — Dieß werde ich Fünf: 
tig unterfuchen, um den nod übrigen 
Kaum, einer ſchmerzvollen Zufchrift vor» 
subehalten, womit ich bin beehret worden. 

Berehrungsmwürdige Thereſie! 
„, Mit der fanften Stimme, durd) die 


Sie ihrem Gefchlechte die Fehler verweis 


fen , welche es verungieren, wuͤnſche ich , 
daß Sie einmal auch die unehrerbietigen 
Töchter zurechte weifen möchten. Ich habe 
das Ungluͤck, eine folche zu haben , und 
ich bete täglich, der Himmel möchte an ihr 
die Sünde nicht rächen, die fie an ihrer 
Mutter durch das ungezogenfte *) Betra⸗ 

gen begeht! „, | 

TH „ Ber: 

*) Diefer Brief enthalt Erinnerungen an ein 
Mädchen, deren umehrerbietiges Betragen 
gegen eine zu zartlihe Mutter, alle Welt 
deleidigte; und dieſe öffentlichen Erinnerun⸗ 

gen waren nicht fruchtlos gegeben. 


” 


294 Thereſie und ‚Eleonore. 


Verweiſe, wobei mein Mutterherg 
troſtlos iſt, weil meine Tochter fie ver— 
dienet , freundfchaftlichen Rath, liebvolle 
Erinnerungen, wie werben diefe von ihre 
aufgenommen? wie? mit Hohn, Verach— 
tung, Undanf — Du bift wohl gebildet, 
fagte ich zu ihr, das wird dir Nachſtel⸗ 
lung berbeiloden :. du bift jung und 
unerfabren, das macht, daß du ihre 
Gefahr nicht erfenneft. Ueberlaſſe dich 
der Leitung einer Liebenden Mutter ! 
 wäble fie zu deiner Vertrauten! fie 
voll nur dein Glück — Geftalt, obne 
Tugend , ohne Sitten ift ein Uebel 
mehr, weil es die Derfübrer vermeh⸗ 
vet. Ach daf man von meinem Kinde 
nicht fauen möge: Schade, daft fie fo 
geftalter ift! Ach daß Böfewichte nicht 
fagen mögen: für une ift fie fo ge: 
ftaltet. 

„ So fuchte ich dag unbehutfame Mäd- 
chen zu warnen, fo ihr Herz auf den Weg 
der Behutfamfeit und Pflicht zu leiten. 
Aber die Undankbare! Unwiſſenheit der 
Welt, mürrifche Strenge ‚ wirft fie mir 
vor, droht mir mit Schande , die mich 
sticht ohne fie treffen Fann ! Ach! bei eis 

nem 


Therefie und Eleonore. 295 


nem Mädchen , das der Tugend ſchon in 
Morten entfaget, wie ſchnell ift big zu 
den Thaten der Uebergang — ,, 

„ Mein Herz unterliegt bei der Aug: 
fiht, die ſich mir öffner, wenn ein uns 
danfbares , fchamlofes Mädchen auf dem 
Wege, , den e8 bereits antritt, auf dem 
Wege der Entehrung und des Untergangs 
dahin laͤuft, und am Ende — Aber ich 
will meine Augen von dem fchrecklichen 
Anblicke abwenden. Vielleicht ift noch nicht 
alle Hoffnung dahin! vielleicht , daß ihre 
Vorfiellungen , wuͤrdige Therefie} mehr 
nüßen, als die Vorſtellungen, 


einer verachteten, troftlofen 
Mutter R’* 


Giebt es denn Töchter, mie diefe un- 
gluͤckliche Mutter eine anflager ? 


T. 


296 Thereſie und Eleonore. 
XXI. 


— — — Die rauſchenden Feſte 
Schwarmender Thoren, find nicht für Gie. 
Zacharia. 


Briefe 
Schaͤtzbarſte Eleonore ! 


* Kennen Sie zu und! die Fafnächte 
rücken mit groffen, groffen Schritten ber> 
an. dag ift die Zeit. der Schmärmereyr 
fommen Sie! — Es warten ihrer Bälle, 
mit und ohne Mummereyen, eine muntre 
Gefelifchaft, wenn Sie ihr Leben geben 
wollen; ein paar recht artige Yünglinge, 
die fi auf bie Verfafferinn eines gewiſſen 
Blattes aus einer gewiffen Wochenfchrift 
von ganzem Herzen freuen, und denen ich. 
es recht anfehe, daß fie zum Seufzen ges 
Schaffen find. Geben Sie biefen guten 
Geelen, die it fo wenig reden, vermutb- 
lich um ihre Einfälle für Sie beifamm zu 
halten, diefen guten fanften Seelen etwas 
zu hun! Wollen Sie. fommen ? — „ 

„ Nun! haben Sie noch nicht anſpan— 
nen laſſen? zween Anbeter, ganz unge— 
zweifelt, die Sie fich erfchrieben hätten! 

dag 


Therefie und Eleonore. 297 


bag muß Sie beftimmen! — Ich frete 
nicht mehr vom Fenfter. Es kann bei fo 
dringender Einladung nicht anders feyn, 
Sie müffen in vollem Galloppe daher 
fprengen , es wartet ihrer mit offenen 
Armen | 

ihre... 


Antport. 


Gnaͤdige Frau! 

„Ich will heute, mit ihrer Erlaubniß, 
ein naſenweiſes Maͤdchen machen; und ich 
bin eben dazu aufgelegt, es recht ſehr zu 
ſeyn — Kein Wort von meinen erſchrie— 
benen Anbetern! Wenn ich komme, ſo 
komme ich um Ihnen die Hand zu kuͤſſen, 
nicht der Baͤlle und Mummereyen wegen — 
Aber Sie tanzen ja ſonſt gerne! das 
laͤugne ich nicht, gnaͤdige Frau, recht ſehr 
gerne! — Doch, warum duͤrften meine 
Fuͤſſe gerade nur in Faßnachtstagen un— 
ruhig werden? Wenn ich das Tanzen als 
eine Ergoͤtzung anſehen ſoll, ſo verlangt es 
mich das ganze Jahr hindurch von Zeit zu 
Zeit nach Ergoͤtzung: und ſoll ich es als 
eine Bemuͤhung betrachten! fo wünſche ich 

5 noch 


298 Therefie und Eleonore, 


noch einmal eine billigere Untertheilung : 
und foll ich e8 von Seite derer betrachten, 
die fi das ganze Jahr hindurch beinahe 
das Nothwendigſte abdarben, um einige 
Wochen hindurch verfhwenden zu koͤn— 
nen — Wahrhaftig! von diefer Geite ift 
es wahre, aufgelegte Thorheit. „, 

„ Ich bin in der That mit dem Ka— 
lendermacher nicht zufrieden, daß er mie 
die Zeit des Vergnuͤgens fo hintereinander 
fest, und dann, das ganze Jahr durch 
alles traurig läßt. Warum fest er nicht 
auc) Regen drey Monate hintereinander, 
und wieder drey Monate Sonnenfchein ? 
nicht wahr, dag ſteht ihm nicht wohl an? 
das würde dem Wachsthume nicht ger 
deihlich ſeyn ? glaubt er denn, das acht— 
woͤchentliche Erſchuͤttern hintereinander ſey 
unſrer kleinen Welt ſo nuͤtzbar? und die 
Maͤdchen werden bei einer ſo gewaltſamen 
Bewegung gut zu Stengel ſchieſſen ? 

„ Die Herren Moraliften mögen eine 
tieffinnige Abhandlung darüber fchreiben: _ 
ob e8 gut iſt, der Verfchwendung und 
Auefchweifung einen eigenen Zeitraum 
in dem Jahre einzugeben, und ſolcher⸗ 
geftale den Müſſiggang gleichfam ein: 

zur 


Therefie und Eleonore. 299 


suladen , und eine Befreyung zu ger 
ben! Bei mir ift es feft befchloffen:: das 
ganze Jahr durch ift es Zeit zu einem 
gefitteten Vergnügen, wie man in ihrem 
Haufe, gnädige Frau, anzutreffen pfleget: 
und gu einem ungefitteten, oder auch nur 
unmefligen; wie fih die Mädchen ins— 
gemein, auf das bloffe Wort Faßnacht, 
erlauben, mo fie fih in einigen Wochen 
fo fehr zu Grunde richten „ daß fie kaum 
bis folgende Faßnacht fih erholen, um 
wieder ſich zu Grunde zu richten; zu einer 
folchen Raferey fol nie eine Zeit feyn. „, 
„Indeſſen werde ich dennoch ihr güs 
tiges Anerbieten mit Dank annehmen, 
gnädige Frau! 
ihre ergebenfte 
Bleonore. 
XXII. 
Wann die Geſellſchaft nicht bei Zotten lachen 
will, 
Wo man Vernunft begehrt, da ſteht fein Geiß 
ihm fill. 


Haller. 
Schaͤtzbarſte Thereſie! 


* Genus Sanftmuth big hieher genug! 
ergreifen Sie nun einmal auch die Geiffel, 
und 


300 Therefie und Efeonore, 


und treiben Gie die elenden Gefchspfe 
aus unfrer Mitte, die für uns Mädchen 
und Frauen alle Derter unangenehm, nein! 
nicht unangenehm, fürchterlich , abfcheus 
Jih machen, wo fie fih nur immer befin= 
den! „ - 

„ Himmel! wo find die Zeiten hin, da 
die jungen Mannsperfonen für unfer Ge— 
fhlecht eine ſolche Ehrerbietung hatten , 
daß fie, wo jemand davon zugegen war, 
ohne mwiederholtes Heiffen,, e8 nicht gewas 
get haben wuͤrden, fich nur niederzufegen ? 
wo find diefe Jeiten hin ? Der Umgang, 
fagt man , ift heute weniger gesungen, 
natürlicher geworden — ja doch ! weniger 
anftändig, ausgelaffen iſt er; unerträglich 
einem fittfamen Mädchen, unerträglich ei⸗ 
ner chrbaren Frau! fo unerträglich, daf 
es beinahe nothwendig fenn wird, alle ger 
meinfchaftlichen Zufammfünfte beider Ge= . 
fchlechter aufzuheben, oder das unfrige 
wird feiner Zierde, der Eittfamfeit ent- 
fagen müffen — „, 

„, Der größte Wig unfrer Mannsper⸗ 
fonen befteht in Zwepdeutigfeiten : unb 
weil num die Zeiten ungemein witzig find, 


ſo befteht die Munterfeit unfererGefellfchaf- 
ten 


Therefie und Eleonore. 301 


ten größtentheils in ſolchen Blümchen, die 
oft noch , fogar nicht von der niedlichen 
Seite find , daß fie beinahe Efel und 
Grauen erwecken. „ 

„ Die Zungen find wie die Männer, 
und die Männer, wie die Greiſen, welche 
in den Sahren, da die Sünde fie ganz 
verlaſſen hat, wenigftens die Begierde mit 
ſich berumfchleypen, und wie ein abge: 
Iebter. Jagdhund, den feine Füffe nicht 
mehr zur Auffpirung des Wildes fragen, 
mwenigfteng gerne Laut geben, und bei eis 
nem Schuffe die Ohren fpigen,, waͤdeln. 
Freundinn! diefe abgezehrten Sünder find 
in ihrer Art die unerträglichfien., Da fie 
felbft zu fehr Eis find, als daß fie jemals 
die Hiße einer fittfamen Erröthung em 
pfinden follten, fo fhonen fie Fein Alter, 
feinen Stand. Unfchuld dauert fie nicht, 
und Ehrerbietung gegen Frauen macht fie 
nicht befcheiden. Sie bemühen fi) die 
Zucht und Ehrbarfeit fo aus allen Kreifen 
zu verbannen, wo fie zugegen find, wie 
beides aus ihren Herzen längft fchon, und 
unmieberfehrlich verbannet iſt. ! 

„, Lleffe man ung wenigſtens noch die 
— dieſe Laſtträger und Wachſtu⸗ 

ben» 


302 Thereſie und Eleonore. 


benfcherze zu überhören! aber nein; fo 
auf darf es ung nicht feyn! ihr Wit wäre 
dann verloren. Alfo machen Ste eg, wie 
ich dort irgendwo von einem vömifchen 
Tyrannen gelefen habe. Als man ihn zur 
ſchmaͤhlichſten Hinrichtung mitten durch 
das frohe, ihn verfluchende Wolf fchleppte, 
und er aus Verwirrung die Augen nieder⸗ 
ſchlug, da hielten feine Begleiter ihm eis 
nen fpigen Dolch unter das Kinn, und 
zwangen ihn , feine Befhämung mit ems 
porgehobenem Haupte zu erfragen. Nur 
daß das Gleichnig in Perfonen umgewen⸗ 
bet ift, fonft verhält fih alles vollfommen 
gleih. Sobald ein ungebehrdiger Junge 
aus dent Vorrathshauſe feiner Unflaͤttig⸗ 
feit eine vollwichtige Zotte hervorgelanget, 
fo ift er damit nicht etwan zufrieden, daß 
er es gethan, fondern er giebt mit einem 
lauten Gelächter gleichfam dem ganzen 
Heere der uns umlagernden Männer bie 
Loſung, fogleich fallen alfe Augen auf 
ung, und bleiben hartnäckig unbeweglich 
auf uns gerichtet, um über unfre Faffıng 
ihre boshaften Anmerkungen zu machen, „, 

„ Warum erröchen Sie Lräulein! 
fagen die Muthwilligen zu einem Kinde, 

bag 


<herefie und Eleonore. 383 


das glücklich unmwiffend, noch nicht gewußt 
hatte, daß etwas gefagt worden, worüber 
die Ehrbarfeit zu erröthen hätte — Ste 
fchlaygen die Augen nieder , weil Sie 
es verſtehen! zifcheln fie der andern ing 
Ohr — Oder auch: weil Sie es verfle: 
hen, ſo thun Sie böſe: wenn jemand 
von ung feinen Unwillen über ihre Ynan: 
fländigfeit merfen läßt — Das Aergſte 
unter allem tft, daß fie ung über ihren 
ſchmutzigen Wiß wohl gar zum Lachen 
auffodern , alfo nicht nur unfre Obren 
und den Anftand beleidigen, fondern noch 
dazu die üble Meinung an Tag legen, die 
fie von ung haben, als fünnte ung eine 
Zotte nicht beleidigen, als fönnten wir an 
einer folhen ein Vergnügen finden, ale 
fönnten wir ein Betragen, das wir durch 
unfre aͤuſſerſte Verachtung noch viel zu ges 
ring beftrafen , durch ein beifallendeg Lä: 
deln aufmuntern, ober belohnen — „, 
„, Sagen Sie mir, theuerfte Freundinn ! 
wie ift ihr Betragen in einem folchen Falle 
befchaffen ? fagen Sie mir, was würden 
Sie einer Mutter empfehlen, ihrer. Toch: 
ter darüber für einen Unterricht gu geben? 
Ich bin Mutter, und leider iſt diefes Les 
bel 


304 Thereſie und Eleonore. 


bel fo allgemein-eingeriffen, daß e8 wahre 
Nachläffigfeit, wahre Verwahrloſung feyn 
würde, wenn ich mein Sind in die Melt 
führte, ohne ihm die Negeln mitzugeben , 
nach welchen e8 fich in folchen Faͤllen zu 
richten haͤtte. 

„Verbinden Sie ſich durch eine Sffent- 
liche Antwort, den Anftand, die Sitten, 
unfer ganzes Gefchlecht, und insbefondere 

ihre wahre Verehrerinn 
Erneftine von * ** 


Verehrungswuͤrdigſte Erneftine ! 


Mit welcher unbedingten Unterwuͤrfig⸗ 
feit wird ihr geliebtes Kind Ihnen die 
järtliche Sorgfalt vergelten, die Sie für 
daffelbe in diefem Briefe an Tag legen, 
der, fo ſehr auch ber Eifer einer dag Ver— 
derbniß der Sitten ganz fühlenden Mutter 
durchleuchtet „ noch beiweitem nicht bie 
ſchwarzen Farben aufgetragen bat, mit 
welchen diefes Bild der Schändlichfeit ent> 
soorfen werden follte! Wären alle Frauen 
Erneſtinen, hätten alle Mädchen da® 
Gluͤck, Erneftinen zu Muͤttern zu haben, 
fo würde diefe Unebre unferer Herzen 
und unſers Umgangs nicht fo allgemein 

eins 


‘ Tperefie und Eleonore. 305 


eingeriffen feyn. Aber, wollen wir ung die 
Urfache des Uebels verhälen, wenn e8 ung 
Ernft ift, dem Uebel abzuhelfen? — Uns 
fre Rachſicht, leider, vielleicht auch mehr 
als Nachſicht, vielleicht Wohlgefallen, viel: 
leicht Auffoderung hat die größte Schuld : 
und, wenn ich einen fo fraurigen Anfpruch 
wagen darf, wie dürfen wir auf Ehrbar- 
feit und Eingezogenheit in Worten Anz 
ſpruch machen, da wir biefelben aug uns 
fern Zandlungen — Fönnte ich gu meiner 
Beruhigung mwenigftens hinzufeßen, viel- 
Leicht — lange fchon verbannet haben ? 
Jedoch ich will bei ihrem Gegenftande al= 
lein ftehen bleiben. 

Es ift ung leicht, geliebte Brneftine ! 
aus den männlichen Gefchöpfen zumachen, 
was ung beliebet: und ich bin ſtolz genug 
zu fagen, fie werben gut ſeyn, fo bald wir 
fie fo Haben wollen — wie ich auch mit De— 
müthigung zu befennen gezwungen bin, daß 
fie diefe ausgelaffenen Gefchöpfe groffen- 
theils nur darum find, weil e8 uns ange: 
nehm ift, daß fie es find. Die Spartaner 
waren tapfer, meil der Ruhm der Tapfer- 
feit das einzige war, maß bei den lakoni— 
[hen Söhnen empfahl, Als die Mädchen 

IV, Theil, y den 


366 Therefie und Eleonore, 


ben Preis der Turniere austheilten, brach 
jeder artige Herr durch ganz Sranfreich und _ 
Deutfchland Lanzen. Agnes Sorel mach⸗ 
te aus: dem Weichlinge Karl den Befieger 
der Engeländer: und Maintenon mit ihren 
verjährten Neigungen aus dem galantften 
Könige der Welt einen Betbruder — Ein 
ſchoͤnes Mädchen darf ihren Liebhaber nur 
son ferne merfen laffen, daß ihr dieſes 
oder jenes angenehm feyn- würde; fo wird 
er den Entfchluß Don Quirots faffen, und 
Abentheuer auffuchen, und Niefenköpfe zu 
ihren Fuͤſſen legen wollen ; fo groß ift 
unfre Gewalt über fie, wir dürfen nur wol⸗ 
len, fo wird geborfamet. Go foll alfo 
unfer Geſchlecht eine Verſchwoͤrung unter 
fi) machen, und von den Männern bie 
züchtigfte Ehrerbietigfeit, als den untrüg- 
lichften Beweis der Liebe und Hochach— 
tung fodern! ich bin es überzeugt, biefe 
ausgelaffenen Gefchäpfe follen in weniger 
als einer Monatsfriſt fo süchtig, fo beſchei⸗ 
den, fo ehrbar feyn, al® immer bie alten 
Nitter e8 vor ihren Prinzeffinnen waren. 
Zwar wird ein folder Entſchluß ihnen 
anfangs unglaublich fcheinen. Ich babe 
Männer fagen gehört: wir wären nur ein- 
ge: 


i 


Thereſie und Eleonore. 307 


gezoten, um fie zu reifen,’ Diefe Eingezo— 
genheit zu beftreiten: und diefe Männer 
wollen ihren Saß aus der Erfahrung ab: 
gegogen haben. Aber ein und anders Bei— 
fpiel wird fie bald von dem Ernfte unfers 
Vorhabens überführen. Wenn wir ein 
Paar berüchtigte Zottenreiffer durch einen 
allgemeinen Gefchlehtsfhluß aus allen 
unfern Kreifen verbannen ; wann wir alle, 
die e8 wagen, durch Zweydeutigkeit ung 
die Nöthe in das Ungeficht zu jagen, übel 
anlaſſen; mann wir dieſen Pöbelwig 
nicht nur nicht belachen , fondern verach- 
ten; fo werden in Kurzem alle diefe Ein— 
fälle verfcheucht,, und ſtatt ihrer gefitteter 
Witz und ehrbare Artigfeit in unfern Zus 
faommfünften eingeführt werden, 


»S 
XXI. i 
Gedankt fey es dem Gott der Ehen! 
Was ich gewünſcht Hab? ich gefehen. 
Gellert. 


W. ſind die hochentſcheidenden Herren! 
die da ſprechen: die Wochenſchriften, 
ſind zu nichts weiter gut, als einmal 

uU2 ges 


308 Üherefie und Eleonore. 


gelefen,, und dann auf ewig weggewor⸗ 
fen zu werden v bie da fprechen : Vom 
Zufchauer bis auf den . .. . ., bat 
nie je eine Mugen gefchafft v fie follen 
‚tommen, und hören , und an ihre Bruft 
Hopfen , und fprechen : gerr fep uns 
Unwiffenden barmberzig — Wir erhal: 
über das XX. Blatt einen Brief, der als 
deffen verheiffene Fortfegung und Ausfuͤh⸗ 
rung angefeben werden mas. Angeachtet 
er an beide gerichtet , und nach unferem 
erften Vertrage Thereflen zugetheilet ift; 
fo habe ich, doch mit ihrer Erlaubniß, 
mir denfelben zugeeignet , damit ich das 
Vergnügen haben kann, unfern Leferinnen 
ein fo feltnes Stück mitzutheilen. Es ift 
ein — Aber, wenn ich ed voraus fage, fo - 
ift das Vergnügen der Lefenden nachher 
nur halb fo groß. Kein Wort weiter, bier 
ift er felbft der Brief! 

Meine lieben guten zwo *) Frauen⸗ 

zimmer ! 

„ Senn Sie ja nicht ungehalten,, daß 

ich mich unterfange, an Sie zu ſchreiben! 
€8 


*) Sch habe mir erlauber, die grammatikali« 


ſchen Fehler in dieſem Briefe zu verbeflern ; 
und 


Therefie und Eleonore. 309 


Es iſt eine grofle Verwaͤgenheit, das ſehe 
ich ſelbſt wohl, an ſolche gelehrte Frau⸗ 
enzimmer zu fchreiben ; aber ich ſehe aus 
ihren andern Blättern , daß ſchon andere 
Leute auch an Sie gefchrieben haben, und 
Sie haben es ihnen nicht nur niche übel 
genommen , fondern wohl ihre Briefe gar 
drucken laſſen. Das nun verlange ich eben 
nicht, daß Sie auch mit dem meinigen 
thun follen , denn ich Bin nur eine fchlechte 
und gerechte Bürgerstochter , die wohl zur 
Noth ein wenig fchreiben gelernet, aber 
beffer mit dem Spigflöppel als der mm 
umfpringen fann — „ 

„ Sch bin, Ihnen aufzuwarten, eine 
Braut mit einem huͤbſchen, feinen Men- 
fchen, möchte ich fagen, wenn es fih 
fchiefte, daß ich mid) felber lobte: feiner 
Kunft ift er ein Wollenzeugroeber, und wann 
wir mit Gottes Segen Er und Sie feyn 
werden, fo hoffen wir mit Gotteshülfe 
unfre eignen zween Stühle zu haben. Zum 
Anfange immer genug. Sleiffig arbeiten, 

u3 und 


und ich glaube, dem Briefe fonk dadurch 
nichts on feiner Origiualität benommen gu 
haben. 

Der Zerausg. 


310 Thereſie und’ Eleonore. 


und mäflig leben, ift reich, fagt dag 
Sprichwort; und die Sprichwörter find 
nicht immer wegzuwerfen. Mit der Zeit 
hoffen wir e8 wohl höher zu bringen: als 
fo, lieber Wenzel, nur fleiffig! fage ich 
immer zu meinem Bräutigam. „.° 
„Mein Wenzel, wie gefagt, bat, ich 
weiß nicht wo, ihr XX. Blatt befommen, 
und mir Abends mitgebracht. Denn, ob 
wir gleich nur gemeine Leute find, fo lefen 
wir gleichwohl auch gerne: und wann id) 
fo eine fchöne Hiſtorie, oder fonft ein ſchoͤ⸗ 
nes Buch zu lefen anfange, und ich muß 


dann zu meinen Klöppelpolfter, da wuͤnſche 


ich mir immer, vornehm zu feyn, damit 
ich nicht zu arbeiten brauchte, und beftän- 
dig lefen könnte. An dem Blatte nun habe 
ich recht meine Freude gehabt. Sie müf- 
fen, babeich gefagt, wohl gar unfre Nach: 
barinn fennen, und ift wohl moͤglich; 
denn fie ift eine Schufterinn , vielleicht ar- 
beitet ihr Mann in das Haug, und ihr 
Hann ift fo genau getroffen, fo genau, 
wie er im Haufe berumpoltert, und ihr 
das ganze Jahr fein freundlich Wort gicbt, 
und nur beftändig feift, gewiß Sie müffen 
ihn kennen! 
„Aber 


Therefie und Eleonore. 311 


1, Aber der andre Herr, der immer, 
was befehlen Sie! und ich bin zu ih- 
rem Befehle! u. f. w. ſpricht, ift aller 
liebſt. Was glaubt er, Wenzel, habe ich 
ju meinem Künftigen gefagt, muß daß: 
nicht ein alferliebftes Leben feyn mit den 
zween Lenten? wollen wir e8 aud) fo hal- 
ten, wenn wir beifamm find — Närrifch, 
fagte er, dag würde verzweifelt laffen, 
wenn du fagteft: Lieber Mann! geb fpal: 
te mir da den Stod, ich kann ihn nicht 
entzwey bringen, und ich ſagte zu dir: 
wie du befiehleft mein Kind! nein, das 
ift für uns zu vornehm, unfre Nach— 
barn würden uns auslachen — „, 

„ Lachen oder nicht, dachte ich bei 
mir , und gieng den andern Tag zu 
dem Grundfchreiber,, und ließ mir einen 
Heurathsbrief machen , den ich Ihnen, 
abgefchriebener mittheile. Haben Sie die 
Geduld, ihn zu Iefen! er lauter: 


Im Namen der al. Drepfatigei, 
TTT Amen! 

Kund und zu wiſſen fey biemit jeder> 
maͤnniglich, daß anheut zu Ende gefentem 
Dato gwifchen dem ehrbaren und wohl fürs 

Dan neb= 


. 312 Thereſie und Eleonore. 


- nehmen Herren Wenzel Spinner an einem, 
denn ber vielsehrzund tugendfamen Jungs 
frau Lucia Dörnerinn am. andern Sheil , 
mit Wiffen und Einwilligung beiderfeits 
Verwandſchaft eine. chriftliche beftändige 
Eheberedung, in Beifeyn der Endes be— 
nannten befonders hierzu erbetenen beid⸗ 
feitiger Herren Gezeugen nachfolgender Ge⸗ 
ftalt abgehandelt und gefchloffen worden — 
nämlich 

ıtend, daß fich beide Verlobte in Nas 
men Gottes einander jur Ehe nehmen, 
haben, behalten, und ſolches Eheverloͤb⸗ 
niß auf beidfeitige gleiche Unkoͤſten chrift: 
licher Ordnung nach vollziehen, und ing 
Werk richten wollen. Ferner und 

ateng, hat befagter Herr Wenzel Spin: 
ner mit verbindlihen Worten verbeiffen 
und zugefagt, feine nunmehr vielgeliebte 
Jungfrau Braut, auch in der Ehe zu lie— 
ben, zu ehren, und hochzuachten ; keines— 
wegs aber nach. der leider im Schwange 
gehenden undhriftlichen Gewohnheit fogleich 
nad) vollsogener priefterlichen Einfegnung 
gu verachten, oder gar hart zu halten, 
mit fchimpflihen Scheltnamen, oder, wo⸗ 
für Gott fey, mit Schlägen zu belaffen : 

und 


Therefie und Eleonore. 313 


und damit diefer, Punkt defto unverbrüch- 
licher gehalten werde, fo bedingt fi 

ztens eröfterte Jungfrau. Lucia aug- 
drücklich von ihrem Bräutigam aus, daß 
derfelbe fie nach der gewoͤhnlichen Art nicht 
mit Du benennen, fonbern fie, nach wie 
ist, immer, liebe Lucia! mein liebes 
Weib ! oder wenigſtens Sie nennen zu 
muͤſſen, verpflichtet und gehalten feyn fol: 
wie denn fie wieder ihrer Seite ihren Bräu- 
tigam beftändig Lieber. Wenzel! oder Lie- 
ber Mann! oder zum mindeften Er zu 
heiffen, auf das nachdruckfamfte fich anhei⸗ 
ſchig macht: u: f. mw. 

» Daß übrige, meine geachteften Srau- 
engimmer! unfer Biffel Armuth betreffend, 
ift nicht nothwendig herzuſetzeu. Es hat 
mich Mühe gefoftet, die Sache mit dem 
Grundfchreiber ing Klare zu bringen , der 
alle feine Schriften, und ein dickes Buch 
nachgefchlagen, und mir immer einge: 
wendet hat, es fey nirgend in feinem For⸗ 
mular fo was anzutreffen, Allein, ich habe 
es ihm endlich begreiflich gemacht, daß alle 
Sachen doc einen Anfang haben müßten: 
und ic) hoffe, kuͤnftig wird diefes in allen 
Heurathsbriefen mit eingeräckt werben. „ 

N 5 „Ich 


314 Thereſie und Eleonore. 


„Ich bin ein wenig weitlauͤftig, ie 
Sie fehen, mit meinem Schreiben, aber 
Sie fcheinen fo gute Kinder zu fenn: Gie 
werden mir es doch nicht übel nehmen, 
daß ich noch etwas fage. Ach glaube, ich 
habe fehr vorfichtig gehandelt, daß ich es 
in den Heurathsbrief ſetzen laſſen, daß 
mich mein Mann allezeit Lieben ſoll! 
es ift bei diefer Zeit ſehr nothwendig, fich 
in diefem Stuͤcke vorsufehen. Aber ist 
muß mein Mann wohl, denn es ift gar 
su Flar vorgefchrieben. „, 

„ Eben fo, glaube ich, werben Sie 
es auch fehr gefcheid finden, daß ich mich 
gegen hartes Verfahren durch einen aus— 
drücklichen Punkt verwahre Die Zeiten 
find ungleich, man weis doch nicht, was 
etwan fich ereignen koͤnnte. Nun aber fol 
er mir kommen, gleich ruͤcke ich mit mei— 
nem Heurathsbriefe heraus. ,, 

„ Am allermeiften aber freuet mich ber 
legte Punft, auf den ich eigentlich durch 
ihre Schriften verfallen bin , und mwofür 
ich mich alfo auch bei Ihnen zu bedanfen 
babe, wann er gut ausfchlägt. Und das 
muß er ja, es kann unmöglich anders 
feyn! Die Höflichkeit ift eine gar zu ſchoͤ⸗ 

ue 


Therefie und Eleonore. 315 


ne Sache. Wie werden mich meine-Dienft- 
leute, wie meine Nachbarinnen, und die 
Fremden fchägen, wann fie fehen werden, 
daß mein Mann mich fo ehret ? Das muß- 
ein rechtſchaffenes Weib ſeyn, werben 
fie fprechen, weil ihr Mann fie fo hoch 
Hale! — Und hauptfächlich, hoffe ich, foll 
ung diefes Mittel vom Zanfen und Schelt- 
wörtern bewahren. Denfen Sie, wenn 
die Ehleute fich fo vertraulich dutzen, und, 
wie e8 nicht allemal am Himmel Sonnen= 
ſchein ift, fih manchmal miteinander sans 
fen, sie bald fchlüpft einem nicht, du 
S...!über die Zunge ? aber, wenn man 
einmal eine gewiſſe Höflichkeit unter fich 
‚eingeführt, und fich zur Gewohnheit ge= 
macht hat, fo ift eg beiweitem nicht mehr 
fo gefährlih: mein Liebes Weib S...! 
wahrhaftig, das. würde fih fchlecht ſchi— 
den — a 

„ Sehen Eie, meine beften Frauen— 
immer! wie auch wir gemeine Leute ung 
ihre Ermahnungen zu Nutzen machen. Fahr 
ren Sie fort, ung zu unterrichten! Vielleicht 
find die Bornehmen nicht fo gelehrig, denn 
fie find zu gefcheid. Wenigſtens fchaffen 

Eie 


316 Thereſie und Eleonore, 


Sie Gutes unter uns! Ich bin, wenn 
Sie mirs zu Gutem halten, von nım an 
ihre beftändige Peferinn 
und bemüthige Dienerinn 
Lucia Dirnerinn. 


RE 
XIV. 


Die fhönen Kinder Kühlen lange Weile. 
KRarſchinn. 


Ja babe Luft, das nafenweife Maͤb⸗ 
chen herumzunehmen, das an allen un= 
fern Thun und Laflen etwas auszuſe⸗ 
gen bat, fprach eine Frau bei Durchle- 
fung ihres Blattes — Nicht, unddige 
Stau, antwortete ich, würdigen Sie das 
fchnäppifche Wefen nicht ihres Zornes! 
überlaffen Sie es mir, Sie, und unfre 
Luftberfeiten zu rächen, wider welche 
Eleonore fich aufzulehnen waget — 
Diefe Blätter felbft, die das Unglück 
baben, Ihnen zu mißfallen, follen mir 
zum Werfzeuge dienen — Oder follten 
die Derfaflerinnen vielleicht meine Zu- 
ſchrift unterörüden , fo wird es mid 
nicht gereuen , fie mit einem der beif- 
ſend⸗ 


Therefie und ' Eleonore. _ 317 


fenöften Zufäge insbefondre abdrüden, 
und nach dem wohlbergebrachten Ge- 
brauche den Sffentlichen Blättern bei— 
legen zu Laffen. 

Mann Ffann aus diefem Eingange ur: 
theilen,, ob wir die Wahl hatten, folgen: 
den Auffaß zu unterdruͤcken, dem der Ver⸗ 
faffer felbft ven Namen beileger : 


Die vertheidigte Faſchingsluſt. 


Eine Gewohnheit, die fi) durch das Bei⸗ 
fpiel aller Voͤlker, und dag Alterthum em⸗ 
pfiehle , eine Gewohnheit, die fich unter 
allen Ständen feftgefeget, und, troß aller 
Miderfprüche,, unerfchüttert erhalten hat; 
eine folhe Gewohnheit anzugreifen, dazu 
gehoͤret entweder die Aufferfte Verwaͤgen⸗ 
heit, oder die aͤuſſerſte Unwiſſenheit — Ver⸗ 
geben Sie mir die Freyheit meines Aus— 
druckes! Derjenigen, die in Sachen ſo 
wenig zuruͤckhaͤlt, ſollte man dieſer wohl 
in Worten zur genauſten Zuruͤckhaltung 
verbunden ſeyn? 

Werfen Sie ihre eingeſchraͤnkten Blicke 
auf das weiſe Griechenland, dag Water: 
land der Solone , CLykurge, fo vieler 


Phi- 


318 Therefie und Eleonore; 


Philofophen, fo vieler Gefeßgeber, ſo vie⸗ 
ler fchönen Geiſter! fie hatten ihre Diony⸗ 


fie. Und diefe Zeit war nicht etiwan eine 


Zeit , die nur dem gemeinen Manne zur 
Luftbarfeit beflimmet war , fie war ein 
Mefentlicheg der griechifchen Religion, man 
glaubte, ein Gott ftehe derfelben vor, und 
‚man begieng die größten Thorbeiteu un—⸗ 
ter dem Schuße des Gottes der Trauben. 
Das durch feine Athleten, feine Aerzte 
den jüngern Orpheus und mehr noch durch 
die Schule des Pythagoras berühmte 
Kroton erhielt fogar feinen Namen von 
ber fchwarmenden Freude. 

Die Flugen Roͤmer, die von den Grier 
chen Geſetze, Künfte und Höflichfeit anges 
nommen batten , hiüteten fich fehr , bie 
Dionpfia derfelben hinweg zu laffen, bie 
fie Bachanalia nannten. Die jungen Roͤ—⸗ 
mer und Roͤmerinnen hatten uͤberdieß bie 
Saturnalien und Lupercalien, in wel 
cher fie, der Strenge der Eenforen zum 
Troße, ausfchweifen fonnten. Alle be— 
bannten Voͤlker haben ihre beftimmte Luft: 
zeiten, und ich zmeifle nicht im gering 
ften, daß felbft die Hottentoten ihre Faß⸗ 
nächte haben: denn welche Nation darf 

ſich 


in m nn m U nn 


Therefie und Eleonore: 319 


fich wohl einer Gefchmeidigfeit in Sitten, 
und einer vollfommenen Polizirung ruͤh— 
men, der man noch den gegründeten Vor: 
wurf machen fann , daß fie Freude und 
Bergnügen aus ihrer Mitte verbannet ? — 
Sn der That, was wollte man, daß ein 
Gefeßgeber mit einem Haufen kopfhaͤngen⸗ 
der Herafliten anfienge, die, weil fie fich 
mit fonft nichts zu befchäftigen wüßten, 
über alle feine Befehle mit ernfter Nuͤch— 
ternheit nachgrübelten , flatt, daß diejeni- 
gen, die ihr Gehirn mit den vielbedeuten- 
den Läppercyen ber Faßnächte anfıillen , 
zu jedem andern Nachdenken unfähig, defto 
voilliger gehorchen, um einem beffern End> 
zwecke beftimmte Augenblicke nicht zu vers 
lieren — 

Ich ſehe, ihr in diefer Art son Ber 
meifen nicht geübter Kopf wird Shnen 
ſchwindlicht. Sch muß mich bis zu Ihnen 
herablaffen, und Ihnen folche Gründe vor: 
legen, bie ihrer Faffung angemeffener find. 
Wie günftig find die Faßnachtzeit, und die 
damit verfnüpften Luftbarfeiten nicht dem 
Meiche der Liebe? Wie manche Befannt- 
fchaft würde ohne die günftige Gelegenheit, 
welche die Bälle und Mummereyen an bie 

Hand 


320 Thereſie und Eleonore, 


Hand geben, unterblieben feyn! wie man— 
ches Mädchen oder Weib, welches bie 
unuͤberdachte Strenge der Neltern , oder 
des Mannes beinahe eingeferfert gehalten, 
fand in dem Getümmel des Vergnuͤgens 
den langerfeufzten Zeitpunkt , fie endlich 
zu bintergehen, und alle ihre vorherge— 
hende Wachfamfeit in einem Augenblicke 
zu vereiteln ?— E8 liegt meinem Geſchlech⸗ 
te zu fehr daran, die Staarkoͤpfe von Vaͤ— 
tern und Männern nicht mit in dag Ge— 
heimniß zu ziehen , durch welche Beifpiele 
fönnte ich fonft den Vorzug ber Faßnaͤchte 
verherrlihen? Wie viele gesähmte Sproͤ⸗ 
den, betrogene Männer, gefchraubte Lieb⸗ 
haber, mit Fortgang befämpfte, und gluͤck⸗ 
lich Sefiegte Unfchulden koͤnnte ich bier auf— 
führen ? O laſſen Sie fi von unfern 
Siegern fagen, wie gefchmeidig , sie 
wächfern dieſe Fuftbarfeiten das Herz ei- 
nes fonft ungelehrigen Mädchens machen! 
MWollten Sie durch Abftellung der Fefte 
des Bachus die Triumphe der Venus ſelt⸗ 
ner machen ? 

Paffen Sie die Menfchen unvorfichtig ge= 
nug feyn, auf Sie zu hören! fie werben 
die Folgen ihrer Unvorfichtigfeit gar bald 

em= 


Therefie und Eleonore. 321 


empfinden. So viele Elende, die: ihren 
Unterhalt nur diefen Zeiten verdanken, 
Stuͤmper, die mehr nicht als eine Geige 
erbärmlich ftreichen gelernet, müßten, wenn 
die Faßnaͤchte abgeftellet würden, entwe⸗ 
der Hungers fterben , oder ſtehlen, oder 
vom Staate und dem gemeinen Mitleide 
ernähret - werden. Nechnen Sie den Ab: 
sang fo vieler Familien, für welche. die 
Thorheiten der Faßnaͤchte ein ficherer Grund 
der Erhaltung find, rechnen Sie den Ab- 
gang fo vieler Familien, die die Zahl der 
Bürger glücklich vermehren; für fein’ Uns 
glück? diefes Unglück wollen Sie gleich“ 
wohl über ung herbeiführcht. 

Alle Gefebe gegen Geiz; , und Kargheit 
find fruchtlos. Die Filze fcharren zuſamm 
und darben. Ihre Küfte gleicht der Hölle, 
in welche der Eingang offen fieht, aber 
woraus nie jemand wieder zuruͤckkoͤmmt — 
Nun, mas weder Gefege, noch fonft ir: 
send Mittel der politifchen Klugheit erhal: 
ten würden, hat man ber wohl überdachten 
Beſtimmung ber Raßnachtzeit zu verdanken. 
Die Begierde, der Luft dieſer Zeit zu ge— 
nieſſen, machet die Menfchen finnreich und 
erfindfam. Sie ſuchen alles auf, hier ein 

IV, Theil. > Sohn 


322 Thereſie und Eleonore, 


Cohn feinen Vater zu beftehlen , dort ein 
Mindel feinen Vormund zu hinterfähren, 
hier ein Verſchwender einen Wucherer, Det 
dag Ihränengeld der Armuth in eifernen 
Kuͤſten verfchloffen hielt, zu betrügen. Auf 
ſolche Weiſe bringt: eine kurze Zeit dem 
Kreislaufe alles das Geld wieder, was das 
ganze Jahr durch Filzigkeit oder unuͤber— 
legte Sparſamkeit oder himmelſchreyender 
Wucher demſelben entzogen hatten. 
Selbſt der arbeitſamſte Mann, der ſonſt 
genauſte Hauswirth wird durch einen ge— 
heimen, unerklaͤrbaren Zug um dieſe Zeit 
zur Verſchwendung aufgefodert. Was er 
in langer Zeit durch ſauren Schweiß er— 
« worben , und für einen unvorſehbaren 
Nothfall, für fein Weib, für die beffere 
Erziehung feiner Kinder, oder um feine 
Arbeitfanfeit gu erweitern, bei Seite ges 
legt, muß verpraffet, verſchlemmet, an eis 
nen Tage verfchlemmet werden. Und dieſe 
allgemeine Verſchwendung gereicht nicht nur 
der Arzneywiffenfchaft zur Aufnahme; ba 
die Menfchen fi fo manche Kanfheit an 
den Hals ziehen, die den Arzneyverſtaͤndi⸗ 
nen Gelegenheit zur Erweiterung ihrer Er⸗ 
fabrung, und mancher neuen. nüßlichen 
| Ent: 


J 
en * 


Thereſie und Eleonore: 323 


Entdeckung, zugleich auch reichliches Ver— 
dienft verfchaffen , fondern es iſt auch 
leicht eingufehen,, wie viel dadurch der 
Verzehrung , mithin den Accifen , und öf> 
fentlichen Einfinften, mithin auch der alls 
gemeinen Stärke, der Öffentlichen Sicher: 
heit, der Ehre, dem Anfehen des Staateg, 
des Regenten, ber "Nation zuwaͤchſt. 
Sol ich jenen groffen Bortheil mit Still: 
ſchweigen übergehen, den die Maffe bes 
Sleiffes und der Arbeitfamfeit aus der auf 
folche Weife begünftigten Schmelgeren na: 
tiirlich zu hoffen hat? Wenn, nad) vorüber: 
gegangenen Wirbelder Tohrheiten, der wie⸗ 
ber nüchterne Arbeiter feine Baarfchaft, mit- 
bin fo manche Hoffnung verloren, fo man: 
che fröhliche Ausficht verdunkelt ſieht, ſo 
ermuntert ihn dieſer Verluft zu Verdoppe⸗ 
lung feiner Aemſigkeit; er biet allen fei> 
nen Kräften auf, um diefen Verluft zu er: 
fegen, und widmet daB ganze übrige Jahr 
unausgeſetzt einer für die Handlung nuͤtz⸗ 
lichen Befchäfftigung , wodurch es ihm 
gelinget, fi) abermal fo viel zu ſammeln, 
baß er bei miederfehrender Zeit abermal 
‚wie vorhin verfchiwenden mag. Auf folche 
Art, wird der Kreis der Verzehrung und 
Ei Aem⸗ 


224 Thereſie und Eieonore. 


Aemſigkeit beftändig zum allgemeinen Vor⸗ 
theile der Handlung und Renten abge⸗ 
laufen — 

Noch hundert und hundert eben ſo wich⸗ 
tige Vortheile, welche die buͤrgerlichen Ge: 
felifchaften diefer mweifen Eintheilung der 
Zeiten zu verdanken haben, könnte ich ans 
führen, wenn Zeit, und Raum mir eine 
weitere Ausbreitung erlaubten. Aber ich 
urtheile nicht übel genug von ihrer Geleh⸗ 
rigfeit, um zu glauben, daß Sie nicht be= 
reit8 überführt find. Weiſe Geſetzgeber 
wirden die Faßnachtzeitin den Ländern, mo 
fie etwan nicht üblich wäre, fo gar einzu 
führen bewogen werden; weit entfernet, 
daß man fich durch Abfchaffung derſelben, 
fo. vieler, fo einleuchtender Vortheile vor= 
feglich berauben follte. 

Diefes einzige erlaube ich mir, zum 
Schluffe, nicht zu Äbergehen: Alle Men: 
ſchen, fpricht der Weife unter den Koͤni⸗ 
gen, und König unter den Weifen, alle 
Menfchen find Thoren, Iſt es alfo nicht 
mehr als platoniſche Weisheit, der Thor: 
beit der Menfchen lieber einen gewiſſen eis 
genen Kreis auszuzeichnen, und fie durch 
dieſes Mittel den Heberreft des Jahres Flug 

ju 


Therefie und Eleonore. 3235 


zu erhalten, als derfelben dag ganze Jahr, 
mithin das ganze menſchliche Leben Br 
zu geben? 1- 
XVI. 
Wie ſtralt nicht dort fein Geiſt, und ſirbmut 


in Einfäll' aus: 


Wie lacht und lobt man nicht — — 
Zaller. 


Fortſetzung des XXI. Stüdes. 


A ietteich, meine theure Erneſtine! wer⸗ 
den wir nöch viele Kälte und Hige über 
ung mwechfeln ſehen, ehe ein folcher allge: 
meiner Schluß zu Stand koͤmmt: was 
bat inzwiſchen ein armes Mädchen, oder 
eine ehrbare Frau für Huͤlfsmittel wider 
die Hummeln , die um fie berfummen ? 
ch geftehe Ihnen ganz offenherzig meine 
Derlegenheit, fo Tange folche Anfpielungen 
die Zieblingsfcherze nicht nur der Ges 
fellfchaft, die gleichwohl Bas Herz hat, 
ſich die artige Gefellfhafe zu nennen, 
fondern gewiſſermaſſen ſelbſt der Nation 
ſind. 

Von dieſem letzteren iſt die Schaubäpne 
der offenbarfte Beweis. Ein Schriftfteller, 

3 ein 


326 Thereſte und Efeonore. 


ein Schaufpieler koͤnnen verfichert ſeyn, 
daß das Schaufpielhaus vom Hänbeflat: 
ſchen mwiederfchallt, fo bald fie der Unar— 
tigfeit der Zufchauer etwas vormwerfen, 
woran fich ihre fefcenninifche Scharfſinnig⸗ 
feit üben fann. Das ift ein unfehlbarer 
Weg, einem Stücke einen Schwung zu 
geben ; ein unfehlbarer Weg zum Belfalle, 
und der theatralifchen Unfterblichfeit, fo 
wert nämlich Wien diefe verleihen fann — 
Bei dieſen sffentlichen Ergögungen gebt 
man ingbefondere mit den Zufchauerinnen 
ohne Mitleid um. : Man zwingt fie, folche 
Unanftändigfeiten nicht zu uͤberhoͤren; und 
Deffentlichkeit ded Ortes, bie bem Anz 
ftande und Sitten am meiften zu Hilfe 
fommen follten, vermehren die Auggelaf- 
ſenheit, und begünftigen fie — 

Iſt man fo unglücklich, fey es in ei: 
nem sffentlichen Drte, oder in einer Pri— 
>. hang von derlei Anfällen ver⸗ 
folget zu werden, fo glaube ich, wird bag 
leichtſte Mittel, fich aus der Verwirrung 
zu wickeln, diefeg feyn, daß man fie ganz 
und gar nicht bemerfe. Ich wollte, daß 
es ſogar in unfrer Gewalt ſtuͤnde, der auf; 
ſteigenden Roͤthe des Unwillens und der 

Ehr 


Therefie und Eleonore. 327 


Ehrbarfeit zu gebieten, und ohne dag ger 
ringſte äufferliche Merkmal, die Silene nur 
in dem innerften unfrer Seele zu veraditen, 
und zu verabſcheuen. Denn ich habe bes 
obachtet, daß die unfreywilligen Erroͤ— 
thungen, und die ſichtbaren Ausbruͤche des 
Verdruſſes zu nichts weiter nuͤtzten, als die 
Elenden aufzumuntern, mit ihren Abſcheu— 
lichkeiten fortzufahren, da fie ſahen, daß 
dieſelben die Wirkung, die fie wuͤnſchten, 
hervorbrachten — Im Gegentheile, ſobald 
man ihre Spaßhaftigkeit verloren ſeyn 
laͤßt, ſo ſchaͤmen ſie ſich; in ſo weit ihre 
ſtahlene Stirne einer Beſchaͤmung faͤhig 
iſt; und haben ſie ja die Unverſchaͤmtheit, 
ihre poͤbelmaͤſſige Zotte zu wiederholen, ſo 
nimmt ihre Beſchaͤmung nach dem Maſſe 
zu, als der Einfall durch die Wiederho— 
lung froftiger, und die Sfterd gebrauchte: 
Epiße ſtumpfer wird. Der Dialog hört 
auf, wo niemand antwortet. Ich habe- 
durd) diefes Mittel einen der allerunverz- 
ſchaͤmtſten Menfchen von drey Frauens-- 
perfonen dergeſtalt aus feiner Faffung brin⸗ 
gen gefehen, daß er zulegt es noch für‘ 
fein fehr groffes Gluͤck hielt, unbemerft zu 
entfchleihen, und der Befhämung, bie 
£ 4 für 


338: Thereſie und Eleonore. 


für ihn etwas ganz neues war, zu ent> 
fommen. | 

- Hingegen ift es die: unuͤberlegtſte Par— 
they, die man: nur immer ergreifen kann, 
wenn man feinen Unmillen darüber zeiget , 
oder einen Menſchen, der mit der Gift: 
famfeit fchon lange und auf ewig. zerfal> 
len ift, durch Verweiſe zum Stillſchweigen 
zu bringen, verfuchet. Man biet ihm da⸗ 
durch vielmehr neue Gelegenheit an, feinen 
fhändlichen Wis zu entwickeln, und fich 
nicht mehr auf Köften des allgemeinen Ans 
ſtandes, fondern auf Köften unfrer Ehr— 
barkeit insbefondre, luſtig zu machen. Die 
Einfälle eines Poffenreiffers gleichen dem 
Feuers fie erfticden, wenn man ihnen feine 
Luft laͤßt. 

Vorzuͤglich will ich allen Perſonen 
meines Geſchlechtes in ſolchen Umſtaͤnden 
bie Fächerſchwingerevyen, das gezwun⸗ 
gene Huften, ſtudirte Geſichtsverzer— 
rungen, oder ſolche Grimaſſen mißra— 
then, die man gewiß nicht ſo gutherzig 
ſeyn wird, auf Rechnung ihrer Tugend zu 
bringen. Im Gegentheile werden dieſe 
Bu ben Spöttereyen ein weites‘ N 

— 


Therefie und Zieonpre. 328 


Shen; und am Ende wird es dahinaus⸗ 
Saufen, daß man fie mit dem ſchoͤnen Ti 
gel einer Spröden beehren wird, welches 
mit einem andern Worte eben fo viel fagt, 
als Buhlfchwefter, und , was weis ich, 
ob nicht vielleicht noch etwas weit Are 
geres — 

Alles alfo genau überlegt, kann tine 
wahrhaft ehrbare Perfon, die ſich zum Uns 
glücke in einer unartigen Geſellſchaft befinz 
det, nichts klůgers thun, als ſchweigen. 
Aber Erneftine ! Sie find Mutter: follte 
es ihrer Vorfichtigfeit unmöglich feyn, 
ihre geliebte Tochter vor dein Ungluͤcke ei— 
ner unartigen Gefellfchaft zu bewahren ? 

Ach finde in dieſer nothwendigen Bor: 
fichtigfeit, in der Wahl des Umgangs, in 
ber Wahl der Geſellſchaft, in welche eine 
Mutter ihre Tochter bringt, das haupt⸗ 
ſaͤchlichſte, wenn ich ſo ſagen darf, das 
einzigſte Bewahrungsmittel wider die heit: 
tige Ungezogenheit des Mannsvolkes. Gie 
kann nicht, gleich einem Ulyſſes die Ohren 
ihrer Gefährtinn mit Machfe verkleben; 
aber fie kann, Flüger als Ulyſſes, fie an 
feinen folchen Ort führen, wo fie die 


330 Thereſie und. Eleonore, 


Ohren ihres Kindes zu verfchlüffen noͤthig 


hätte. 

Mütter , die ihr fo fehr eilet, eure 
wohlgeſtalteten Töchter in die groffe Welt 
zu führen! habt ihr auch die Gefahr über- 
leget, ber ihr fie dafelbft ausſetzet? habt 
ihr alle die Anfälle erwogen, die auf die 
Keinigfeit ihrer Sitten, auf ihre Unfchuld 
gefchehen werden ? habt ihr ihre Herzen, 
ihre Denfungsart geprüfet, ob fie aud) 
ftarf genung feyn werben, benfelben Wi— 
derftand zu leiften ? Erinnert euch — möchte 
ich beftändig folchen Weibern jurufen, die 
ihren Töchtern nicht Zeit laffen, groß zu 
werden, um. bei der Neige eigener Reis 
je , durch die erft aufblühenden Reize 
ihrer Kinder den Kreis um fih zu erhal 
ten, in dem fie fich fo fehr gefallen, der 


Mittelpunkt zu feyn — erinnert euch eu— 
rer Jugend , und laffet eure Erfahrung. 


euren Kindern zu flatt fommen! — 


Vergeben Sie, Erneſtine! ich bachte 
nicht , daß ich an Sie fehreibe, deren uns 
fchuldvolle Jugend Ihnen folche Erfah— 
rungen nicht zumege bringen fonnte, Jh 


felbf bin zu unerfahren, Ihnen Dorfchrifs 


ten 


Therefie und Efeonore. 331 


ten zu geben; aber ich kann Ahnen ein 
Beifpiel zeigen, das allen Müttern zum 
Mufter dienen follte, denen die Vorficht 
reizende Töchter gefchenfet, und die die koͤr⸗ 
perlichen Reize derfelben durch das Kleinod 
der unfchuldigen Meinigfeit erhöhen, und 


wahrhaft fchäßbar machen wollen, Sie 


fennen bie verehrungsmürdige 8 ==, und 
ihre nicht fchönere als wahrhaft (hägbar 
re Tochter! — 

Diefe Mutter führer ihr Kind aller Or: 
fen mit fih; und man weis es ihr unend: 
lihen Danf, daß fie den Geſellſchaften 
diefe Zierde nicht vorenthält. Aber fehen 
Sie, wie Sie das Mädchen, fo fehr fie 
fih aud) auf feine Klugheit zu verlaffen 
hat, nicht einen Augenbli aus den Au: 
gen verliert, und wie ihr von ihm unabger 
wendeter Blick die ungeſtuͤmen Schlüpf: 
redner in einer ehrerbietigen Entfernung 
hält. Die Ausgelaffenheit waget es nicht, 
fih ihm zu nähern: und wenn die Anmuth 
feiner Geftalt, und feines Umganges viel: 
leicht die Wünfche der Wolläftlinge erreger, 
fo zwingt fie die Wachtfamfeit einer ſtets 
gegenwärtigen Mutter, die ſe Wünfche ges 
beim zu halten, und an ihrer jemaligen 

Entz 


332 Thereſie und Eleonore, 


Entdeckung zu verzweifeln. Die Unverr 
ſchaͤmtheit felbft wird in ihrer Gegenwart 
fittfam. Ich babe bei ihr die unterneh- 
mendften Buhler alle ihre Herzbaftigfeit 
verlaffen gefehen. Um alfo unfchuldige 
Mädchen vor dem Wegelauern der Zot- 
tendrefcher zu beſchuͤtzen, follen die Muͤt⸗ 
ter ihren Kindern, nach einem folchen Bei» 
fpiele, zur Schutzwehr dienen. Aber ich 
feße voraus, daß die Mütter, fich felbft 
Ehrerbietigfeit zu erwerben fähig waren : 
fonft wird ihre Gegenwart die Angriffe, 
anftatt fte abzuhalten , berbeirufen,, uns 
gefährlicher machen. 

8 = = ift damit nicht zufrieden, ein 
geliebte Kind gleichfam beftändig unter 
ihren Flügeln zu tragen ; fie waͤhlet auch 
unter ven Gefellfchaften, die ſie ſammt dem 
angenehmen Mädchen durch ihre Gegen: 
wart beebhren will. Es ift ihr nicht gleiche 
gültig, unter welchen Leuten fie fich bes 
findet: und wer auf das Glück ihres Um: 
ganges einen Anfpruch machen will, muß 
dieſen Anfpruch auf die Anftändigfeit feines 
Betragens, und die Unbefcholtenheit feis 
ner Sitten gründen. Ein zu freyes Wort, 


eine bedeutende Miene find im ige Rn 
e 


Therefle und Eleonore. 333 


fie. auf ewig aus einem Haufe zu verfcheu> 
chen: und welches Haug würde ihr Hinz 
wegbleiben nicht für ein Ungluͤck halten ? 
Folgen Cie, ſchaͤtzbarſte Erneſtine! 
diefer Vorgängerinn , die wohl einft dag 
Herz hatte, einem Prinzen zu verfiehen zu 
geben, daß fein Etand über den Anftaud, 
den man unferm Gefchlechte ſchuldig iſt, 
hinmwegfege ! Wählen Eie für fi und ihr 
reisendes Mädchen nur Derter, die fich 
durch Eingesogenheit und Gitten von 
andern unterfcheiden !. fliehen fie diejenis 
gen, wo man ausgelaffen feyn, für artig 
Hält, und eine Perfon unfers Gefchlechteg 
recht fehr zu ehren glaubt, wann man fie 
für eine Unverfchämte anfieht, die an ei: 
ner Beleidigung der Ehrbarfeit ein Wohle 
gefallen haben fann. 
Es iſt fein Zmeifel, wenn diefes bie 
allgemeine Denfungsart unfers Geſchlech⸗ 
tes feyn wuͤrde, wenn alle artigen Pers 
fonen deffelben, die Häufer, wo bie Un: 
verſchaͤmten ihre Tummelpläge halten, wie 
angepeftete Derter flöhen , fo wuͤrde es 
bald zu einer für ung vortheilhaften Wech⸗ 
ſelwahl fommen: entweder, daß die Mäns 
ner auf den Umgang mit allen artigern 
Irau⸗ 


334 Therefie und Eleonore, 


Srauenoperfonen — oder auf die Unge⸗ 
sogenbeit verziehen müßten. 
2: 
I. 
Multa pudicitis veteris veſtigia forfan, 
Aut aligua extiterint, & fub Jove, Ted fove 
nondum 


Barbato — 
. Juvenal, 


N aan Cie mir da etwas aus ihrem 
Juvenal hingefegt haben, guter Menfch ! 
das vieleicht auf unfer Gefchlecht eine Ga- 
tire iſt, fo fol Sie's theuer zu fichen kom⸗ 
men! — Was fol dieß unbefcheidene Ge— 
lächter ? — Kann ich feine vernünftige 
Antwort aus. Ihnen bringen ?.— im: 
merhin lachen Sie, wie ein Unbefonne- 
ner! Ich weis mir Rath, auch wohl ohne 
Sie, zu der Ueberfegung diefer dritthalb 
Zeilen zu fommen. „ — So ſprach ich 
zu meinem ...., und nunmehr fuchte ich 
aus ber alten franzsfiichen Ueberſetzung 
Suvenale , roo ber lateinifche Text gegen 
über fteht , den DVerftand der Auffchrift 
berauszubringen. Es gelung mir nad) 
langer Bemuͤhung, und ich habe Urfache, 

mih 


Therefie und Eleonore, 334 


mich über die Bosheit diefes Menfchen , 
den ich um die Fleine Gefälligfeit bat, mir 
die Auffuchung einer Auffchrift zu erſpa⸗ 
ren, zu befchweren. Hier, meine Freun: 
dinnen! haben Sie die ed: der 
beiffenden Stelle. 

„ E8 mag feyn, daß das Alterthum 
viele Epuren der Keufchheit, oder eini— 
ge wenigftens aufzumeifen hatte: aber 
das muß fehr lange ſeyn, wenigſtens 
da Jupiter nod) auf der Welt wandel⸗ 

- fe, und gewiß, da ed noch ein Kind 
war — 22 

Damals alſo, liebes feines Herrchen! 
damals war noch einige Keufchheit unter _ 
dem Frauenvolfe anzutreffen : und heu— 
te? — Sa! nur danod, als Jupiter am 
MWeisbande gieng ! — Wiffen Sie, warum 
nur damalsy Weil die Keufchheit zu Ju⸗ 
piters Zeiten noch von einigem Werthe 
war , meil die Eingezogenheit und Tugend 
den Mädchen noch als eine Mitgabe an— 
gerechnet wurden, N weil eine unzuͤchtige 

Weibs⸗ 


*) Wiſſen Sie die. Antwort jener Spartane⸗ 
rinn? Eine der reichſten Athenienſerinnen 
befand ſich mit ih bei einem Guftmalen 

Der 


336 Therefie und Eleonore. 


Meibsperfon nicht nur von dem eigenen, 
fondern auch dem männlichen Gefchlechte 
geringgefchäst, und verachtet wurde, weil 
man bie Keufchheit fo zur Ehre einer 
Srauensperfon , wie die Tapferfeit zur 
Ehre eines Mannes unentbehrlich foder: 
te, weil man Fluge Zurückhaltung nicht 
Dummheit, Vernachläffigung des Anftan- 
des, Unverfchämtheit, Reichtfertigfeit, Un- 
befonnenheit nicht Lebensart hieß — Se⸗ 
| ben 


Der Nang der laredamonifchen Gaftgebote 
war nicht fo pünktlich, wie zu unferen Zei— 
ten ausgemeſſen; aber in Athen wußte man 
ſchon, was oben oder unten an figen wä— 
re. Die Spartansrinn traf von Lngeführ 
den Dre , den der Ehrgeiz der Athenien— 
ferinn foderte , welches dieſe für eine 
Beleidigung anfah: Sie hoffte indeſen, 
die Gelegenheit, das Weib zu demlithigen, 
follte fi ereignen — Während der ganien 
Tafel ward die Gefellfchaft durch die unbe» 
fonnene Munterbeit der Athenienferinn be- 
febt : und wie ihre Leichtfertigkeit bald dies 
fen bald jenen anfiel, fo fragte fie auch zu⸗ 
letzt mit ſpöttiſchem Lacheln die Spartane⸗ 
sinn: was fie ihrem Manne zur Mitgift 
gebracht babe ? mit lakoniſcher, khrnich⸗ 
ten Klinge verſetzte diefes Sin ! 


Therefie und Eleonore. 337 


ben Sie, mein Herr! denn ich laſſe Sie 
ſchon heute nicht mehr aus dem Gefichte; 
dag ift die Urfache, warum die Sitten deg 
Alterthums bei unferm Gefchlechte reiner 
waren: bie Sitten des Ihrigen waren es 
gleichfalls, und das Verderbniß der Män- 
ner bat auch dag Verderbniß der Weiber 
nach fich gezogen. Es ift unmöglich, daß 
ein Gefchlecht fih allein verfchlimmert : 
Sitten, Denfungsart, Gewohnheiten find 
allzufehr verflochten : e8 find ziwey Pferde 
nebeneinander gefpannet; wenn dag eine 
Davon dem Abgrunde zuſtuͤrzt, fo ift es 
unmöglich, daß das andre nicht mitgeriffen 
werde. | 

So fönnte ich denn nun den Verweis 
gerade an Sie richten, und mit feyerli- 
chem Anfehen auf ihr Gefchlecht losziehen. 
Aber es würde einem Mädchen fehr' übel 
laffen, far la Dottora! Auch würde e8 fehr 
ungegrünbdet feyn , wenn ich in der Ber 
fhuldigung der Männer , die Nechtferti- 
gung der Mädchen und Weiber fuchen 
wollte, oder zu finden glaubte. Wenn ich 
Alcibiadeg einen Verführer nenne, fo blete 
ben feine Liebhaberinnen doch immer die 
VDerführten. Die Gemeinfchaft hebt dag 

IV. Theil, p)] . Ber 


338 Thereſie und Eleonore. 


Verbrechen nicht auf, es vermehrt nur A 


die Schuldigen — 

Aber das werden Sie mir wenigftens 
erlauben , daß es verzweifelt arg läßt, 
wenn der Räuber den Dieb einen Galgens 
vogel fchile! Geben Sie ein wenig mit 
mir auf dag Betragen der Männer Acht! 
laffen Sie ung mitelnander vergleichen ! 
Wir wollen bei ver Schaubühne anfangen! 

Chrifatis hat eine einnehmende Geſtalt. 
Die Nettigkeit und Nichtigkeit ihrer Schritt: 
te, die Negelmäffigfeit, mit der fie ihren 
Leib, die Anmuth, mit der fie ihren Arm 
trägt, mit der fie jede Wendung verrich- 
tet, die Leichtigfeit und Kunſt ihres Tan— 
zes entzücken. ch begriff ange nicht, war: 
um das arme Mädchen fi) fo vergebens 
martere, ohne irgend mehr, als bie und 
da einen einzelnen — zu erwer⸗ 
ben — 

Thelmire hingegen, bie gegen Chriſa— 
tis, wie eine Folgemagd gegen ihre Ge— 
bieterinn abſticht, mit dem Wuchſe einer 
Schweizerinne, und einer der beſonderen 
Bildungen, die man nicht ſtuͤckweiſe be: 
trachten darf, wenn fie nur einen Augen— 


blick nicht mißfallen follen, ohne Anftand, 
oh⸗ 





— Die £ 
A 


Therefie und Eleonore. 339 


ohne Kunft, ohne Anmuth, träg mehr alg 
nachläffig , die nicht fanzet, fondern bäu- 
rifch ſpringt, und wie ein Rlotz in die 
Pfuͤtze mit zentnerfchwerer Laft faͤllt, Thel⸗ 
mire läßt faum das End ihrer Kleidung 
bei der Schiebewand hervorragen, fo hal- 
ten fich hundert Hände fertig, ihr Beifall 
zusuflopfen, den fie nicht verdienet, und 
Bravo zuzurufen , wo man immer elend! 
ebfcheulich! aufzuſchreyen, fich kaum zu⸗ 
ruͤckhaͤlt. Sie ſelbſt haben mir dag Näth- 
fel aufgelöft. Chriſatis hat die Verfucher 
mit einer Standhaftigfeit von fich gewie— 
fen, die um deſto mehr Erfiaunen machte, 
da es wider die Grundfäge der Gattung 
Leute iſt, den prächtigen Anerbietungen zu 
widerſtehen. Thelmire war gelebriger; 
ihre Schlüpfrichfeie ift ihr ſtatt der jap 
fchicktichfeit — | 
Wenden mir ung mit dem Rüden ges. 
gen die Schaubühne, und fehen ein we— 
nig unter den Zufchauern um! Welches 
find die Perfonen, um die der dichtfte Kreis 
ſich draͤnget? fehen Sie eine. 
nicht nur in Geheim, ſodern öffent: 
lich Sitten kommi⸗ 
ſelbſt verhuͤtten, 
92 mit⸗ 


340 Thereſie und. Eleonore, 


mitten unter. den Adel 
unverfchämter Stirnlofigfeit 

”) weichen muß? 
Treten wir in das Innere unfrer Zu—⸗ 
fammenfünfte! — Dod) nein, wir wuͤr⸗ 
den bier, wie aller Drten zur Schande 
unfrer Zeiten, die Ausgelaffenheit vorge- 
zogen, die Sittfamfeit uͤberſehen, Meſſa— 
linen fi an die. erfien Pläge drängen, 
und Sulpitien fich der Tugend „beinahe 
Thämen fehen! — Iſt es alfo wohl wertb, 
Wunder zu fchreyen ,„ wenn eine Tugend 
felten ift, die ihr Männer fürchtet, und 
die nicht oft ein Hinderniß des Gluͤckes 

ift, dag fie befördern füllte — 
Denn was nmuͤtzt es, die Augen zuzu⸗ 
drücken, wenn das Bild fhon einmal in 
uns 


*) Glitigfte Eleonore ! werden Gie es der Une 
gefchicklichkeit ihrer Drücker vergeben , daß 
fie fhon in der Preſſe, unglücklicher Weife 
eine ganze Stelle verfrhoben haben, die. fie 
unmdalich wieder zurechte bringen künnen? 

Sie haben fonft fo viele Menſchenliebe! 
Wir verfchen ung, Sie werden nicht verlan- 
gen, daß wir das Stuck von Neuem auf 


unfre Köften fegen laſſen! 
, N Die Drüder. 


Ne in in 


Therefie und Eleonore. - 341 


unfrer Borftellung liegt ? ein Mädchen hat 
feinen ficherern Weg , fich Liebhaber ans 
zuloden, als wenn fie ihr. Gefchlecht und 
feinen Anftand beifeite legt — — 

„ Erlauben Sie, Eleonore, daß id) 
Sie hindre, weiter fortzufahren! Es thut 
mir leid, daß ich durch meine Auffchrift 
Ihnen Gelegenheit gegeben habe, mir die— 
fe bittre Wahrheit, und fo unroiderlegliche 
Merkmale unfrer verderbten Sitten unter 
die Augen zu rücen. Ohne Zweifel koͤmmt 
es nur größtentheils auf Männer, an kei— 
ne untergefchobenen Kinder, Feine befled= 
ten Ehfrauen, Feine entehrfen Bräute und 
Töchter zu haben. Ich erfenne es, und 
da ich durch die Wahl der ſpoͤttiſchen Auf 
fchrift mir ihren Unmillen billig zugezogen 
habe, fo erlauben Sie mir, daß ich Ih— 
nen durch das Geftändniß genug thue : 
Männer, die die Tugend nicht zu fcha= 
gen wiſſen, find unwerth, fie irgend 
wo 31 finden. „ 


„3 II, 


342. Thereſie und Efeonore. 


IL 


Dit ihrem eignen Reit zieh euch die Tugend an! 
Wo hat die Welt ein Gut, das fie belohnen 
kann? 


>) FOR ift in den Zeiten, worin wir le: 
ben, Eigennug; alles, felbft die Tugend, 
und Clarine ift davon der nicht einzige 
Beweis — 

Es find nun fünf Jahre, daß Elarine 
bie Frau eines Mannes ward, der von 
einnehmender Geftalt, reich, im Umgange 
angenehm ift, und feine Gemahlinn nicht 
liebte, fondern anbetete. Auch war fie 
feiner Ergebenheit vollfommen werth. Sie 
war roeniger fchön , wenn man fie ſtuͤck⸗ 
weiſe unterfucht hätte. Aber fie hatte ei- 
ne von den reisenden Bildungen, die gleich⸗ 
fam den Gefegen der Negelmäffigkeit zu. 
Troß gefallen, fobald man fie ſieht, und 
ung nicht Seit laſſen, fie erft ftäckweife zu 
unterfuchen. Ahr Umgang war lebhaft, fo 
fehr alg es der Wohlftand erlaubte, beinahe 
ein wenig unbefonnen, welches au einem 
tugendhaften Mädchen nicht immer ungerne 
gefeben wird: kurz, Clarine war des Gat⸗ 
ten, der fie um ihre Hand bat, ſowohl 


ih⸗ 


Therefie und Eleonore. 343 


ihrer Eörperlichen Gaben , als ihrer fitt- 
lichen Eigenfchaften wegen, werth. Sie 
hatte, ſprachen die gewerbmäfligen Ge— 
meinbuhler, den einzigen Fehler, aber 
der alle ihre Vorzuͤge verdunkelte, daß ſie 
ihren Bräutigam, mehr als des Gepraängs 
halber liebte, und ſchon ziemlich deutlich 
merfen ließ , daß fie abgeſchmackt genug 
feyn würde, ihn noch als Mann zu lies 
ben — Diefe Vorherſehung traff vollkom— 
men ein. Elerine hatte, der Mode und des 
Zifcheng der Spoͤtter ungeachtet, das Herz, 
fih von ihrem Manne Sffentlih am Arme 
führen zu laſſen — Eh! unadige Srau, 
fagte ihre Belidor im Namen der ganzen 
Buhlerzunft: Sie richten mit ihrer alt= 
feäntifchen Aufführung die ganze Herr- 
fchaft ihrer Reize zu Grund! Willen 
Sie denn nicht, daß die Geſchichte 
Penelopens nur eine Brdichtnng von 
Yomer ifty In der That, Sie laufen 
Gefahr, nie ein einziges Wort , das 
ihrer Eigenliebe fehmeicheln Fönnte, zu 
hören! Wann wollen Sie dann, daf 
wir es Ihnen fagen, wie reizend Sie 
find y vielleicht an der Beite ihres un: 
abfonderlichen MannesY Sehen Sie 
& 4 we: 


344 Thereſie und Efepnore. 


weniuftens auf die berrfchenden Sit— 
ten! auf die Beifpiele aus ihrer Zeit! 
Man muß — erlauben Sie, daß ich 
mir um die Welt das Verdienſt erwer: 
be, Sie eines beflern unterrichtet Zu 
haben! man muß nicht älter feyn, ale 
fein Jahrhundert! Sie haben zu Haus 
manches Bild ihrer Urgroßmütter ; 
warum tragen Sie nicht, wie diefe 
Matronen trugen, zwo fchöne runde 
Loden an beiden Schläfen gegenein— 
ander gefchnirdeley Diefe Zartlichkeit 
gegen einen Mann wider die Sitten 
der Zeitgenoffen Iäft eben fo altmüt— 
terlich , als es immer laſſen würde, 
wenn Sie die Trachten ihrer Samilien= 
ſtücke Fopiren wollten! Was für ein 
trauriges, einförmies Leben müſſen 
Sie und ihr theurer Ehſchatz wohl füh- 
ven immer das ndmliche Geficht! 
Gewif , Sie müflen fih ganz aus 
gelernt haben: und ich wette, daß fie 
einander voraus fagen können, was 
das andre antworten wird. Macht Sie 
denn die aufuewedte und glückliche 
Coramine nicht eiferfüchtig e Fönnen 
Sie die Blüthe unfers Adels um fie 
ber: 


<herefie und Efeonore. 345 


herumflattern, fie im Schaufptelhaufe, 
bei öffentlichen Luſtbarkeiten, aller 
Orten, von allen, was nur unter Män- 
nern artig ift, umringt, begleiter, 
verehrt fehen, ohne daß es Ihnen nur 
einmal einfällt, ihre Rechte gelten zu 
machen , und ihr dieſen Saufen von 
Liebhabern zu entführeny Haben Sie 
denn nicht den rühmlichen Stolz ihres 
Gefchlechtes, Sürften und Grafen, und 
— alle Welt an ihrem Siegeswagen 
zu feben, und die durch’ fie zur EKin— 
ſamkeit verurtbeilten. Weiber aus ei: 
nem tewiflen Stodwerfe raſend zu 
machen — So und durch noch mehr fuch- 
te Belidor das junge Weibchen von ihrem 
Manne abzuföndern, und ftet3 vergebens. 
Das glückliche Baar fchien die feltne Kunft 
su befigen,, einander zujureichen , ohne 
eines dritten dabei nöthig zu haben; und, 
was auch die gefeßtften Frauen nicht leicht 
begreifen Eonnten „, Elarine fonnte alle 
Öffentlichen Luftbarfeiten , die mehr der 
Eigenliebe, als dem Vergnügen gewidmet 
find, diefe feyerlichen, in die Augen fal— 
enden Schlittenzuge , diefe ihr zu Ehren 
gegebenen Bälle , diefe und dergleichen 
95 Luſt⸗ 


346 Thereſie und Eleonore, 


Luftbarfeiten konnte fie an der Seite ihres 
theuren Gatten ruhig entbehren. 

Was für ein Weib! ruften bie oft 
zur Verzweiflung gebrachten Liebhaber aug, 
nachdem fie alle Künfte ver Verführung er⸗ 
fchöpfet hatten; war für ein Weib! Ei— 
nen Mann, der wie an fie gefchmieder 
ift, und fie ift feiner nicht überdruflig x 
Jede andre würde eben diefe ungeflü- 
me Aemſigkeit — die Aemſigkeit eines 
Mannes — uns defto gewiſſer überlie- 
fern. Sie gaben gleichwohl noch nicht 
alle Hoffnung auf. Für ein in ihrer Zeit 
fo feltnes Weib mußten feltne Mittel er— 
griffen werden. Die Liebe, die, wie Vol⸗ 
täre fagt, alles zum Beften thut, gab 
ihnen ein fonderbareß an die Hand. Die 
Gemahlinn eines der eifrigften Anbeter 
Elerinens ward in biefen Gatten von 
neuer Art Äufferft verliebt. Sie war in 
einem Alter, wo fie noch Foderungen ma— 
chen durfte; und da fie die geheime Slam: 
me ihres Mannes ſchon lange entdecket 
hatte, fo befchloß fie , feinen Wünfchen 
Borfchub zu thun, um ihre eigenen zu bes 
glücden. Ste machte mit Elerinen Be— 
Fanntfchaft. Artig genug, um ihren Um⸗ 

gang 


Therefie und Eleonore. 347 


gang wuͤnſchen zu machen, waren ihre 
wechfelfeitigen Befuche in Eurzer Zeit haͤu⸗ 
figer; bald wurden fie taͤglich, und nun 
errichteten fie unter fich eine genaue Freunde 
fchaft, wodurd ihre Häufer gleichfam in 
eines zufammgefchmolzen wurden. 
Clarinens neue Freundinn war von 
der Art Frauen, die für die Tugend alles 
gethban zu haben glauben , svenn fie den 
Schein davon erhalten, und ihre Seiten- 
wege dem Auge der Welt und der Ver— 
laͤumdung zu verdeefen wiſſen. Sie über- 
ließ fich den anwandelnden Schwachheis 
ten, aber fie beobachtete auf daß genaufte 
dag Auffenmwerf des Wohlſtandes. In ei— 
ner der Yusfchüttungen des Herzens, die 
bei unferm Gefchlechte weniger felten find, 
weil wir ungefähr die Gefchichte unfrer 
Herzen gleich zu feyn glauben , bat fie 
Elerinen, ihr doch das Merkmal ihrer 
Dffenherzigfeit zu geben, und ihr zu be- 
fennen, ob fie nie jemanden von fo vielen 
liebenswürdigen jungen Leuten, die fie be— 
zaubert hätte, den Vorzug gegeben ? — 
 Kiebenswürdige Clarine! rufte fie, wäre 
es möglich, daß diefes gute Gerz, un— 
empfindlich, nie geliebet hatte x — Wie, 
ver⸗ 


348 Thereſie und Eleonore, 


verfegte Elarine: ichdenfe, daf ich mei- 
nen Mann liebey — Ihren Mann ba: 
ben Sie geliebt, aber er ift nun ſchon 
in das fünfte Jahr ihr Mann! Es ift 
genug, wenn Sie für ihn noch einige 
Achtung behalten haben — Achtung! 
fiel Elarine fehr feurig ein — Achtung ! 
nein! gewiß Liebe! ich wüßte nicht, 
daf ich ihn am erften Tage unfrer Ver— 
mäblung mehr geliebt hätte — Ganz 
vortrefflich vor der Welt geſprochen, 
meine Sreundinn! aber, und fie Flopf- 
te Clarinen fanft an den Baden , mir 
dürfen Sie ihr Gerz reden laſſen! Ich 
will Ihnen den Fleinen Reft von Miß— 
trauen benehmen, und Sie durch mein 
Beifpiel zur Offenherzigkeit auffodern. 
Und nun fchickte fie ſich an, ihr ihre ganze 
Geſchichte zu vertrauen , die mit einer 
Menge , begangener und erlittener Un— 
freuen, erhoͤrter und weggeſchickter Licbhar 
ber, Zänfereyen und Verſoͤhnungen durch⸗ 
flochten war. Sie befannte ihr zugleich, 
ihr Herz märe eben it vergeben , ohne 
baß fie wußte, ob fie auch Gegenliebe 
erwarten dürfte! Es fehlte wenig , 
bie geringſte Neugierde von Geite ihrer 
Freun⸗ 


Therefie und Efeonore. 349 


Freundinn, fo hätte fie ihr den Gegen 
ftand ihrer igigen Schwachheit genenner — 
Kun! fchloß fie endlich mit einer Umar— 
mung , berzbaft Elerine! laſſen Sie 
mich in ihr gerz feben , wie Sie in 
- das meinige tefeben haben ! Das ift 
feine Sreundfchaft , wo man fich was 
hinterhält. Wenn wir uns unſre Ge: 
heimniffe mitgetheilet haben , fo find 
wir einander in Stand zu unterfiugen, 
und das wollen wir auch — 
| VNein, Madam, fiel hier Elerine ein, 
ich werde nie von einem folchen Aner⸗ 
bieten Gebrauch machen. Ic babe nur 
für meinen Mann ein gerz — ind, fe- 
ben Sie einmal, Sreundinn ! wiirde ich 
nicht die verabſcheuungowürdigſte Perr 
fon, würde ich nicht felbft der Nach— 
fiht, die Sie für die Schwachbeiten 
unferes Gefhlechte haben, unwürdig 
fepn , wenn ich jemal eine Untreue an 
meinem Manne begeben follter Mein ' 
Herz leitet mic) genug, ihn zu Lieben, 
Aber wäre auch mein gerz nicht — hat 
er mir nur einen Vorwand telaffen, 
meine Untreue zu rechtfertigen Sehen 
Sie fein Betragen gegen mich! es ift 
ganz 


350 Thereſie und Eleonore, 


ganz Gefälligteit, ganz Liebe! Was 
kann ich wünfchen, womit er meinem 
Wunfche nicht zunorfömmter — Und, 
was einem Weibe befonderes fchmeichel- 
baft feyn, was fie zwingen muß, ihre 
pfliht zu beobachten ‚, feben Sie, ob 
mein Mann den Weg alle Männer 
gebt , und nad) Broberungen Iduftv 
Tänzerinnen, oder fonft Foftbare Max- 
dalenen, worin die Männer heute eis 
nen groſſen Rubm befteben laſſen, un- 
terhaͤlt v oder fonft irttend einem von 
denen Modeabentheuern nachjaut v 
Nichts ift billiger , ale daß ich feine 
Treue , feine ganze Ergebenheit mit 
meiner vollflommenen Ergebenheit be- 
zahle, und daf derjenige, der mich nie 
bintergebt, auch von mir nicht hinter⸗ 
Yantten werde — 

Die Freundinn Elarinens empfand 
über diefen Reden den äufferften Verdruß: 
fie fchienen ihr eine Art von Troß und 
beleiwwigender Zuverficht gegen die Macht 
ihrer Reise — Nehmen Sie fich wohl 
in Ache verſetzte fie mit einem Lä= 
cheln, wovon ein guter Beſtandtheil Hohn 
war , daß nicht gleichwohl irgend der 

Eigen: 


Therefie und Eleonore. 351 


Eigeſinn des Schidfals diefe unwan- 
delbare und fo wohl verdiente Treue 
ihres Mannes wantend zu machen, ein 
Vergnügen finde! Man hat folche un- 
vermutbete Salle fich einft ereignen ge⸗ 
feben ! Dielleicht daf Ste dann mich 
3u ihrer VDertrauten machen ! 

Und nun gieng fie , biefen Fall durch 
ihre Raͤnke zu befchleunigen — 


III. 


Du kannſt zwar nichts und ſitzeſt ſtumm, 

Doch niemand ſoll dich höhnen! 

Du biſt mein Pappchen fhon und dumm! 

Sind das. nicht viele Schönen ? 
Zachariä. 


Geehrtſte Thereſie und Eleonore! 
Gelehrte Schriftſtellerinnen! 


* Done Zweifel muß ihren Ohren der 
Namen gelehrt eben fo fchmeichelhaft und 
barmonifch Flingen, als fonft unferm 
Gefchledyte die Schmeicheleyen über die 
Schönheit und Artigkeit. Sch fchlüffe 
diefeg, mit vielen ihrer Landesleuten da— 
raus, weil Sie fih fo viel Mühe geben, 
fih mwinben » und menden, und mit fo 
vie⸗ 


352 Therefie und Eleonore. 


vieler AengftlichFeit darnach laufen, da 
Sie fogar der Zuruͤckhaltung unferes Ge— 
fchlechtes uneingedenf, ein Wochenblatt 
fchreiben, und an unfertem Thun. und Laf- 
fen bald dieß, bald dag, bald im Tone 
der Moraliften, bald fchnäppifch genug , 
zu tadeln , zu verbeſſern, augzuftellen 
wiflen. >, | 

„ Sch habe e8 lange auf meinem Her: 
gen, und ich muß es nun einmal wegha— 
ben — Ach bin nicht fo glücklich, die be— 
wundernswuͤrdigen Schriftftellerinnen von 
Perfon zu kennen: aber ich getraue mir 
beinahe meine Ehre zu verwerten, daß Sie 
beide weder jung, noch fehön find; und 
daß ihr Schriftftellerberuf ungefähr eben 
daher fömmet, woher die Sonderlichkeit 
des Anputzes bei fo manchen Mädchen 
oder Weibe ihren Urfprung bat. Da biefe 
durch ihre Geftalt die Aufmerkſamkeit der 
Männer nicht an fich ziehen fönnen, fo 
fol Ahnen die in die Augen fallende Klei— 
dung den toichtigen Dienft leiften — Das 
wird, denfe ich auch Eie auf den verzwei⸗ 
felten Entfchluß gebracht haben, Schrift: 
ftellerinnen zumerden, damit Sie nicht fo 
ganz unbemerft , durch das Leben. hin- 

ſchlei⸗ 


u 


Therefie und Eleonore. 353 


fchleichen, und ihren Lauf vollenden möch- 
ten, ohne von der Welt vermiße zu wer- 
den — Geftehen fie eg! habe ich nicht da 
einen Bug ihres Herzens mehr entfalter, 
‚als es Ahnen lieb it? Wenigſtens ift der 
Weg, den Sie ergreifen , bie herrfchenbe 
Neigung unfers Geſchlechts zu befriedigen, 
wenigſtens ift er neu, und bringt ihrer 
Erfindfamfeit Ehre, Bringt er fie aber auch 
ihrem Hergen? „, 

» Ach will Shnen ein Gefchichtchen 
ersäblen : Sie pflegen ihre Leferinnen 
auch zuweilen mit dergleichen zu unterhals 
ten — In einer gewiffen Stadt lebten zwo 
Schweſtern von ganz verfchiedener Art 
Die eine war immer die erfte, alle neuen 
Trachten mitzumachen, und oft wohl gar 
zu erfinden. Ihre Kleider vom erften Ge— 
ſchmacke waren unterfcheidend zierlich: fie 
trug felten ein Halstuch , oder nur vom 
durchfichtiaften Zeuge, einen groffen Blus 
menftrauß vor dem Bufen, hohes Kopfjeug 
auf den gethürmten Haaren, In Gefelle 
fchaften warf fie immer ihre Augen frey 
um fih, fproch fo laut, daß ihre Stimme 
unter gehen bervorfchallte, hupfte, fang, 
frillerte: mit einem Worte, that alles, 

IV, Theil. 3 was 


J 


354 Thereſie und Eleonore, 


was». thut Die Schwerter 
war ganz das Gegentheil. Ihre Kleider 
waren von großblümichten Stoffe, mit 
Häufern und ganzen Bäumen darauf, mie 
die Brautfleider unfrer Ururmuͤtter, wie 
man noch hie und dort Leberbleibfel an 
Traghimmeln , oder Befpermänteln an: 
trifft, und diefe Kleider mußten fo feft 
unter dem Halſe paffen, daß fein Luͤft— 
chen, gefchweine dann ein Aug — Sie ver- 
fiehen mich , und dieſe Kleider waren mit 
einem filberbefchlagenen Gürtel feſt an ih⸗ 
ven Leib gegürtet: auf ihrem Kopfe trug 
fie eine Haube , vote fie auf den Bildern 
des vorigen Aahrhunderts hie und dort 
gefeben haben muͤſſen; oder fie fchlug die 
Haare etwan in Locken , wie die Kaiferiun 
Claudiag anihrem Trauungstage getragen 
haben mag. Sie redete leife, recht un 
vernehmlich leiſe, nur abgebrochen Ja! 
und Ylein! hatte die Augen immer an 
dem 


*) Man hat fur nothwendig erachtet, den Ras 

. men, der bier ausgefchrieben war, wegsulaf- 
fen. Wir Haben das Zutrauen, jeder unſter 
Leſer und Leferinnen werden rinen willen, 
des hineinpaſſet — 


Therefie und Eleonore. 353 


dem Erdboden geheftet, wie ein Mädchen, 
daß eben igt von den Motredamen aug 
der Koft getreten, und das erftemal un: 
ter einer zahlreichen Geſellſchaft fich fin: 
det — Es meldete fich nach der Hand ein 
Freyer, der, weil er fchon fo viele Son— 
nen über feinem Haupte auf und nieder 
gehen gefehen, nicht mit ganzem Herzen 
an den Eidſchwur am Altare glaubte, und 
ber Treue feiner Fünftigen Ehegattinn auch 
auf andre Weiſe verfichert feyn wollte. 
Ich will, fprad er zu einen feiner 
Freunde , die fittfame wählen, ich wer» 
de bei ihr weniger Gefahr Iaufen — — 
©, fiel ihm diefer groffer Kenner des weib- 
lichen Geſchlechts ein, das tft gleich viel, 
welche fie wählen: die eine Zieht die 
Augen durch ihre Freyheit, und bie 
andre durch ihre fcheinbare Sittfam- 
feit an fich. Die eine hat die Bitelfeit 
einer Kokette, die andere die Kitelkeit 
einer Beate — 

„, Und Sie, meine guten Schweftern — 
denn nun koͤmmt die Nukanwendung ber 
Erzählung — Sie haben die Bitelfeit der 
Scriftfteller ; und im Grunde ift diefe eben« 
falls von dem Sefchlechte der Toͤchter Eveng, 

32 uns 


356 Thereſie und Eleonore. 


und will nichts anders fagen , als ihre 
Männer was Läuft ihr nach die 
fen Madchen und Weibern , die nichts 
anders find „ ale Spieltbiere, für das 
Aug, die Sinnen bloß geſchaffen, die 
euch Fein vernünftig Wort zu fagen, 
von nichts weiter als einem leide, 
einem Bande, einem Balle, einer Schlit- 
tenfahrt' „ oder ihrer Nachberinn zu 
fhwagen wifleny Sebet da an unfern 
Schrifteneine Probe, was ihr bei uns 
zu erwarten haben werdet, wo ihr zu 
uns euch wendet! ſeht da, Geift! Wig! 
Kopf ! etwas für den Derfiand!,, 

© Ia! werden die Männer antworten, 
daß ıft vortrefflich ausgedacht, gleich 
ale wäre e8 uns bei dem ‚weiblichen 
Befchlechte um Verſtand zu thun ? gleich 
ale wollten wir Bofmeifterinnen bes 
fprechen, und nicht Geliebte wählen — 
und fo weiter! „, j 

„ ‘a, meine vortrefflichen Kinder! — 
ſo werden die Maͤnner antworten, und 
ihr werdet erfahren, daß ihr euch mit 
aller eurer tiefen Weisheit hoch geirret 


habet, da ihr glaubtet: ihr wuͤrdet durch 
die⸗ 


Therefie und Eleonore. 357 


diefes Mittel Auffehen machen, und viel- 
leicht in unfern Geſellſchaften eine Wuͤſte 
und Leere zuwege bringen’ Man fi eht 
wohl, daß man aus ihren Biichern einen 
guten Vorrath von verälteten Sittenfprüs= 
hen, von Grundfägen, die gang abſcheu— 
lich fchön feyn mögen, aber niemand aus” 
zuüben verlangt , taß man einen ſtar— 
fen Vorrath davon beilegen ‚aber Welt, 
und dag für ung fo nothwendige Kennt— 
niß des männlichen Geſchlechts fich nim- 
mer mehr erwerben kann — Sie kommen 
uns mit ihren Vernünftelenen über diefes 
und jenes vor, wie die heutigen Agrono= 
men: auf dem Papiere, da macht fo ein 
Plaudrer die fchönften Entwürfe : aber 
wen ihm ein Bauer fagte: da gerr, ſteht 
der Pflug, afert ein wenig! fo würde 
das Mitglied von zehn Agrifultursfocitäs 
ten fehr in DVerlegenheit gerathen *) Ich 
will mir u. —* Anbeter — als 
rg ’ OH Sie 


*) Hier. hatte die Derfafferinm ein, "anderse 
Gleichniß, welches ich, da es mir nicht dem 
Orte angemeſſen ſchien, nach der mir ein⸗— 
geräumten Freyheit * dafür 
hinſetzte. . LEE! 

De ON 


358 Thereſie und Eleonore. 


Sie fi) nur einen Gefellfchafter en 
ben werden — 

Nun unfre Leferinnen! haben Sie nicht 
ein Bißchen der Derfaflerinn dieſes Brie= 
fes beigeftimmet? haben Sie nicht in ihren 
Herzen eine heimliche Freude empfunden , 
daß fich jemand gewaget, bagjenige zu 
fchreiben, wag Sie vielleicht fchon lange bei 
ſich gedacht, und nur nicht Muth genung 
hatten, uns unter das Geficht zu fagen ? — 
Mäfligen Sie ihre Freude! der Brief iſt 
nicht eingelaufen : wir haben, ung nur an 
die Stelle gewiſſer unberufenen Kunſtrich— 
terinnen gefeßt, und ung das Vergnuͤgen 
gemacht, in ihre Seele zu denfen, 

Diefe gewiffen Perfonen fönnen es frey⸗ 
lich nicht begreifen, wie e8 möglich ſeyn 
foll, etwas anders, als eine feine Haut, 
ein munteres Aug, einen Eleinen rubin— 
farben Mund, ein rundes Kinn, ein Grübr 
hen an dem Backen, und ein anders neben 
dem Munde, einen weilfen Hals, und eine 
Hand, welche die Sonne noch nie befchier 
nen hat, ſchoͤn und anziehend zu finden. 
Für fie iſt es freylich ein Raͤthſel, wie 
ein Mädchen den traurigen Entfchluß faf- 
fen, und etwas mehr als einen Roman , 

der 


Thereſte und. Eleonore. 359 


ber aber nicht über fingerdick feyn darf, 
leſen und — fo gar fihreißben fönne ! — 
Weil fih nun aber dennoch zwey Gefchöpfe 
von einem ſo abenthenerlichen Geſchmacke 
hervorgethan, die fehon wirflich acht und 
zwanzig Stücke niedergefchrieben, und aus 
den gewählten Auffchriften haben wahr: 
nehmen laſſen, daß fie mit Lafıng, Gel: 
lert, Kleift; Gleim, Wieland, Zacherig, 
Weiße, Uz, uhd anderen guten deutfchen 
Dichtern, und Schriftftelleen bekannt find; 
fie aber Freundinnen! — aus dem Triebe 
zu urtheilen, nach welchen ihre Mäfchinen 
aufgezogen find — nicht anders vermuthen 
können, als daß wir zu einer, in ihren 
Augen mehr als ſtlavenmaͤſſigen Arbeit, 
nur von einem fehr thätigen Beweggründe 
angefpornet, ung werden entfchloffen ha— 
ben: und noch einmal , nach ihnen zu 
urtheilen , da über ihre trägen Sinnen 
nichts fo viel vermag ‚, als die Begierde, 
den Männern zu gefallen ; fo, fonnten wire 
ohne erfi bei einer Wahrfagerinn Rath 
einzuholen, ganz leicht darauf verfallen, 
was man unferem Unternehmen für einen 
Grund leihen werde.  , 


TER. Aber 


360 Thereſie und: Eleonore. 


Aber e8 ſey mir vergoͤnnt, nicht mit mei⸗ 
nem ganzen Gefchlechte, fondern nur mit 
diefen gewiſſen Perfonen, die fich hier nicht 
verfennen werben, einen Vertrag zu er— 
richten! Wir wollen das Mannsvolf, da 
fie doch darin die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit be⸗ 
fiehen laſſen, unter ung tbeilen: fie — 
follen den groffen Haufen für fich behal⸗ 
ten, der von dem weiblichen Gefchlechte 
unedel genug denfet, nach dem Auge, wie. 
bei einer Bildfaule, oder ungefähr nach 
dem Gefieder, wie bei einem Päppchen un⸗ 
fern Werth zu beftimmen — Uns aber 
follen fie die Fleine Zahl der Auserwaͤhl⸗ 
ten nicht mißgoͤnnen, die an ung den uns 
vergänglicheren Werth , einen gebildeten 
Geift und Sitten zu fchägen wiffen. 


N. S. Man erinnere ſich deffen, was in 
der Ankündigung gefagt worden: Ele—⸗ 
onore bat einen Liebhaber — das 
Betragen diefes Geſchöpfes ge: 
gen uns wird von einem Einfluſſe 
feyn — Ich denfe, die böfe Laune 
Bleonorens, die in dieſem Blatte 
berrfchet, ift — doch ich kann irren. 

Thereſie. 
IV. 


Therefie und Eleonore. 361 
ä "IV. 


Mit ihrem eignen Reis zieh euch die Tugend an! 
Wo Hat die Welt ein Gut, das fie belohnen 

kann? 
Wieland. 


| Fortſetzung des II. Stuͤcks. 


S. unterließ e8, durch einige Tage, 
Clarinen nad) ihrer Gewohnheit zu befu- 
chen , und fo off diefe einen Befuch bei 
ihr abzuftatten kam, ward fie unter ver— 
fchiedenen ‚, und offenbar nur gefuchten 
Borwänden , zurückgewiefen — Freun— 
dinn ! fchrieb endlich ſehr — * Cla⸗ 
rine an fier 
Freundinn! 

Sch fehe Sie fchon fo *8 nicht bei 
mir — auch bei Ihnen macht man es mir 
ſchwer, Sie zu umarmen! — Wenn Sie 
ihrer Clarine fo leicht muͤſſig gehen koͤn— 
nen, Clarine kann das ſo leicht nicht mit 
Ihnen. Ich muß Sie ſehen! ich muß Sie 
ſprechen! Was haben Sie ſo wichtiges, 
das dieſes Vergnuůgen rauben ſoll 

ihrer ——— 


3 — Der 


362 Thereſie und &feonore. 


Der Bediente, der diefes Handbriefs 
chen überbringen mußte, brachte auch die 
Antwort wieder: | 
„Was haben Weiber wichtigeres, als 
die Angelegenheiten ihres Herzens ? uns 
glücklichermweife habe ich eine. Aber ihre 
Zurückhaltung gegen mich uͤber diefen 
Punkt, zwingt mid, Ihnen ein Geheim- 
niß daraus zumachen — Ich muß ein Ges 
beimniß vor der Freundinn meines Her: 
zens haben! ah)! — Seyn Sie zufrieden, 
Clarine! Sie find in fhonenden Händen : 
ihr Verluſt fol nicht der größte feynt — 
Was habe ich da unbedachtfam hingeſchrie⸗ 
ben? Meine Hand ift meiner Ueberlegung 
zuvorgefommen! — Hand! fen nicht ges 
ſchaͤftig! Clarine muß bier zu ihrer Ruhe 
unwiſſend bleiben ! — Ja das müffen Sie, 
Elerine, und werden es! das war bie 
Urfahe , warum ich -einige Tage nicht 
fihtbar war. Heute aber bin ich es für 
Sie: denn ich habe mich einige Stunden 
von meinem: Ungeftümen frey gemacht — 

Erine. 

Dieſer Brief machte feine Wirkung. 
Ihr Derluft Soll nicht der größte feyn !— 
Elarine muß zu ihrer Ruhe unwiflend 

blei⸗ 


Therefie und Eleonore. 363 


bleiben ! — Was für ein Verluſt! dachte 
Elerine: marum zu meiner Ruhe ? was 
habe ich mit den Angelegenheiten ihres 
Herzens su fchaffen ?. ich muß diefes Ge⸗ 
heimniß aufflären. . Argwohn ift faufend- 
mal folternder als Gewißheit — Die Tar 
fel war faum aufgehoben, ſo eilt fie zu 
ihrer Sreundinn. 

Der Befuch war vorgeſehen, alles war 
dazu bereitet. Sie fand Erinen an ihrem 
Schreibtiſche, die, fobald fie eintrat, er- 
fhrocen that, und geffiffentlich langwei— 
lig, ein paar Briefe unter das übrige Pas 
pier binfchleifte, — Ich hatte Sich fo 
frühe nicht erwarter, mein Kind! — 
Habe ich dich in einer angenehmen Ber 
ſchäftigung geftöbre ? — Im Hering: 
fen nicht, Clarine! ich überſah nur 
meine Zausrechnungen — ausrech⸗ 
nungen? wobei Clarine lächelte — ¶ gaus 
rechnungen v mir einem Umfchlage an 
Madame — Ach! unterbiach Brine ge: 
zwungenverlegen: du haft Falkenauggen 
!lun, es waren Briefe von einer Freun⸗ 
dinn — Leaf uns auf was andere Fonte 
men! und nun Ienften fie ju einer gleich: 
gültigen Interredung ein, 

Auf 


364 Thereſie und Eleonore, 


Auf dem Tifche lag etwas, das einem 
Gehäufe über ein Portrait , oder einem 
Schreibtäfelchen ähnlih war , welches 
Clarine mit unverwandten Augen anfah. 
eben als fie darnach, gleich als nad) eis 
ner Sache langen wollte, womit man uns 
gefähr eine muͤſſige Hand befchäftigee, zog 
e8 Erine eilfertig hinweg. Das ift nichte 
für Sie! ſprach fie mit einem froftigen 
Lächeln, und wollte es zu. fich fchieben. 
Elerine gab fchergend zur Antwortt nun 
wollte fie es durchaus feben, eben: weil 
es nicht für fie wäre; und nach einigem 
Hin und Wiederreden, Dringen vonder 
einen , Weigern und Gträuben von ber 
andern Seite, fah endlich Elarine ihren 
Vortheil ab , nahm es ihrer Freundinn 
aus den Händen , und eilte damit einem 
Senfter zu. Oeffnen Sie es nichr!: ruft 
Erine ihr nad, es hängt bei einem Weis 
be von ihrer Denfunusart die Glüd- 
feligfeit ihres Lebens davon ab — Ele= 
rine wuͤrde es nun nur deſto gewiffer ger 
öffnet haben , fie thats, es war — das 
Bild ihres Mannes, Yymen, als das 
Ebenbild Elarinens , ruft ibn zu fich, 
aber er, fößt ihn mit abgemendetem Ge— 

ſich⸗ 


Therefie und Eleonore. 365 


fichte von: fi), ganz mit einem Liebesgotte 
befchäftiget, der ihm dag Bildnif Kri- 
nens, mit Blumenbändern ummunden , 
vorhält,, und ſich feines Sieges über den 
Gott der Ehe zu freuen feheint — Elerine 
fprach fein Wort; Erſtaunen, Schmerz, 
Widermillen hatten ihr. die Stimme ge- 
bunden: fie fah bald dag Bild, bald ihre 
Freundinn an, und ſank zuletzt kraftlos 
auf das Ruhebett hin, | 

Sie find an diefem Verdruſſe ſelbſt 
fchuld, hub Erine mit unfergefchlagenen 
Augen an. Don mir hätten Sie diefes 
unglüdliche Geheimniß nie erfahren 
follen! Aber das Ungefähr bat es fo 
gewollt. Sie find nun einmal Seas 
Opfer ihrer Leichtglaubigkeit. Trö- 
fen Sie ſich! Wie, wenn ihr Mann 
auf eines von den Foflbaren Abentheu— 
ren gerathen wäre, die, wie Sie felbft 
fagten , fo ſehr Mode finds Es ift 
immer Glüd dabei, da Sie von ihrem 
Manne bintergangen zu werden, be- 
ſtimmt waren , daß Sie in die BÄande 
einer $reundinn gefallen find ! 

Clarine fand diefen Troſt beinahe 
hoͤhnend. Aber Erine fuhr fort, ihr darin 

ei⸗ 


/ 


366 Thereſie und Eleonore, | 


eine Beruhigung zu zeigen, daß die In: 
treue ihres Mannes ihre Freundinn zum 
Gegenftande gewähler. Ich babe, fagt 
fie, da ich feinen Zunstbigungen Ge— 
hör ab, ganz nicht Sie hinterge— 
ben , fondern nur ihren Gemahl zu: _ 
rückhalten wollen, daß er feine Liebe 
nicht irgend an eine Perfon wende, 
der Elarinens Vortbeil nicht, wie mir 
am Serzen läge. Diefe Fleinere Un— 
treue follte ihn von einem wröfferen 
Sebler zurüdbalten, Uebrigens, ſchloß 
fie, Sie find mir wertb : ich werde 
ihren Vortbeil zu beobachten wiflen. 
Werfen Sie in diefer erften Weallung, 
den Ratb einer wohlmeinenden Freun— 
dinn nicht von fich! Büten Sie fich, ih⸗ 
rem Hanne über feine Untrete Vorwür⸗ 
fe zu machen! Vorwürfe würden verge: 
bene ſeyn, und den Zwang aufheben , 
dem er fich noch int unterwerfen muß, 
um fich vor Ihnen zu verbergen. Aber — 
bier umfchloß fie Clarinen auf dag zärt- 
lichſte — Sie find jung , bezaubernd, 
fhön; man betrügt ein Weib von ih⸗ 
ter Geftale nicht ungeftraft. Seben 
Sie — da fie ihr ein Spiegelchen vor— 
hielt; 


Therefie und Eleonore. 367 


- hielt, ob es diefen Augen fehlen — — 
Ihnen Rächer zu erwecken — 

Der erſte Verdruß ſetzte ſich endlich in 
dem Herzen Clarinens. Ihre empoͤrte 
Miene ward fanfter, ihr Aug heiterer; 
nur noch eine kleine Finſterniß woͤlkte 
ihren Blick, von der es ungewiß war, 
ob Unwillen, ob die Begierde, ſich zu raͤ— 
chen, diefelbe verurfachte. KErinens Ge- 
mahl trat in demfelben Augenblicke ein — 
Ich babe eine Sreundinn zu befuchen ! 
Leben Sie wohl Elerine! mein Mann 
wird Sie bis zu meiner Wiederfunft 
unterhalten — Er liebt Sie — Clarinen 
in das Ohr — ich Iafle Ste mit ibm, 
und überlafle ihrer Klugheit die Sor- 
ge, ſich zu rächen — Immer aber, 
nehmen auch Sie meinen Dortbeil ein 
Bifchen in Acht, wie ich den ihrigen, 
damit ich nicht zu viel dabei verliere — 
Mit diefen Worten verließ fie beide in ei: 
nem Augenblicke, der für Clarinens Tu- 
gend nicht hätte gefährlicher feyn koͤnnen. 

ihre Treue war nicht auf die Leber: 
jeugung von der Pflicht, nicht auf dag 
Gelbfigefühl der Ehre, nicht auf den ei- 
genen Reiz ber Tugend gegründet ; e8 war 

| in 


368 Therefie und Eleonore. 


in ihren Augen eine abzutragende Schuld, 
eine Wiedervergeltung, eine Art von Taufh 
gegen die Treue ihres Gemahle. Es war - 
fein Wunder, daß die Unglückliche fich bes 
rechtiget hielt, fie zurückzuziehen, fobald 
fie von der Untreue ihres Gemahls verge— 
wiſſert zu feyn glaubte. » Brinens Mann, 
der lange fchon nach der Gelegenheit ge= 
feufset, wo er Elarinen feine Leidenfchaft 
entdecken fönnte, machte fich die Foftbaren 
Augenblicke zu Nuß , umd warf bald die 
geringe Dormaner des Wohlftandes , und 
einer weichenden Schambaftigfeit über dem 
Haufen, die feine Geliebte nur noch allein 
ihm entgegen ſetzen Fonnte, da fie bie 
Pflicht nicht mehr zuräckhielt. Er fiegte, 
und fein Sieg war weniger das MWerf ber 
Schwachheit, ald der Rache. 

Es fen mir erlaubt, ehe ich Leineris 
verabfcheuungswärdigen Betrug entdecke , 
einige Fragen an Elarinen zu ftellen, gleich 
als ob fie feldft zugegen wäre, Freundinn! 
ihr Gemahl, den Sie für untreu halten, 
was that er, als er Sie betrog? — 

Elerine. ine fchändliche That — 

Wohl! das ift fie: aber die Schande 
that, wen entehrer fie? 

Clear, 





Therefie und Eleonore» 369 


Clar. Ihn ſelbſt — 

Und nun, da Sie eben das, was Sie 
an ihm Schandthat nennen, nachahmen, 
haben Sie überdacht , daß aud) ‚Sie da: 
durch , nur ſich ſelbſt entehren ? 
Clarine würde die Augen niederſchla⸗ 
gen, und fchweigen. Aber, toürde fie 
endlich ausbrechen: ich vergelte gleiches 
mit gleichem — 

Das heißt fo viel: weil ein Menfch, 
den Sie ihrer Hochachtung werth hielten, 
ſich in ihren Augen veraͤchtlich gemacht, 
fo wollen Sie in den ſeinigen wieder ver— 
aͤchtlich werden; ſo wollen Sie ſich das 
Vergnuͤgen * ihm uͤberlegen zu ſeyn; 
ſo wollen Sie, daß die Welt ſpreche, Sie 
ſind der Beleidigung werth, die er Ihnen 
zugefuͤgt. Und haben Sie denn die Art 
ihrer Rache uͤberlegt? Wollen Sie ihre 
Untreue offenbar werben laſſen ? ich denke 
nicht — In diefem Falle alfo verlieren Sie 
daß traurige Vergnuͤgen ber Wiederver: 
geltung, weil ihm ihre Schmachheit unbe> 
Fannt ift — Oder wollten Sie, daß er 
feine Befhimpfung wife, fo würden Sie 
gleich dem Thoren handeln, der, als ihn 
ein Vorübergehender ungefähr mit Koth 

IV, Toeil, Ya be: 


370 Thereſie und Eleonore. 


befpritste , fich an ihm zu rächen, ihn beim 
Leibte faßte, und mit ihm fich in eine 


Pfüge warf — 
V. 


Mit ihrem eignen Reiz zieh euch die Tugend an! 

Wo hat die Welt ein Gut, das ſie belohnen 
kann? 
Wieland. 


— Bild, dieſe vermeinte Untreue 
von dem Gemahle Clarinens war ein 
Kunſtgrieff der verfehlagenen Brine, wel: 
hen ihr die Vertraulichkeit mit der Be— 
trogenen leicht machte, : Denn , als fie 
ſich einntal allein in dem Zimmer ihrer 
Freundinn befand, hatte fie das Portrait 
dieſes Mannes, den fie fo fehr umtrem zu 
machen wuͤnſchte, von dem Handbändchen 
Clarinens abgelöft, durch einen gefchickten 
Kuͤnſtler den Kopf eilends kopiren laſſen, 
und war glücklich genug, alles wieder um 
bemerft an Ort und Stelle zu bringen, 
Das übrige war nun leicht binzugethan, 
Zu der Figur Kymens gab fie das Por: 
trait Clarinens, welches fie che von ihr 
felbft empfangen hatte, und die ganze bes 
feidigende Gruppe ward dem Künftler von 
ihr 


ie ı und Eleonae en 


ihr angegeben — Aber ich will die Ge» 
ſchichte zu Ende bringen: 

Erine war num, fo fehr fie Fonnte, der 
Liebe ihres Mannes beförberlih: Durch 
diefes Mittel wendetefie feine Aufmerkſam⸗ 
Feit von ihrer eigenen Aufführung ab, und 
£onnte deſto ungeftöhrter ihre Abficht hine 
-aug führen. Cie gab gar bald den allge- 
meinen Höflichfeiten, die Elarinens Ge: 
mahl ihr zu ermweifen,, nicht Umgang neh⸗ 
men fonnte, eine Auslegung , die zu einer 
näheren Vertraulichfeit einleitete — Es 
fcheint mir , daß 88 einem Manne fehr 
ſchwer fallen fol , zu entfommen, wenn 
ein Weib einmal ihn zu befigen ,. und von 
ihrer Seite die erften Schritte zu thun, ent: 
fchloffen ift. Die HöflichFeiten, zu wel— 
hen die Männer gegen unfer Gefchlecht 
werbunden find , nehmen leicht eine Wen- 
dung an, die man ihnen geben will. Ein 
ertiger Mann hat dann das Herz nicht, 
bem erzwungenen Verftande, fo man in 
feine Worte zu legen, für gut befand, zu 
swiderfprechen: er wird biß auf die Hälf- 
Te des Weges, wenn ich fo fagen darf, 
geführet , und ich habe gehört, wann 
die Halbfcheid des Weges einmal. hinter= 

Na legt 


372 Thereſie nnd Eleonore, 


legt ift, fenn die Männer Feine Gefchd: 
pfe, freywillig wieder umjufehren, mo ber 
Gegenitand nur ein wenig der leichten Mühe 
werth zu feyn fcheint, die fie fih noch zu 
:geben haben. 

Erine hatte einmal die Eroberung die— 
ſes Mannes befchloffen. Ich babe es fchon 
gefagt, fie durfte noch Foderungen ma= 
hen, und fie hatte ein untrügliches Mit» 
tel, wenn, wider Vermuthen, ver Mann 
eigenfinnig feyn follte. Der Fall ereignete 
fich wirklich ,„ daß fie. diefes Mittel zur 
‚Hand nehmen mußte — Woarbaftig ! 
fagte fie einmal, als er von ihr in bie 
Enge getrieben, und e8 unmittelbar noth⸗ 
wendig war, entweder fie zu verachten, 
oder eine geltende Urſache anzuführen), 
warum er gegen fo vielen Reiz unempfind⸗ 
lich feyn mußte, wahrhaftig! Sie find 
zu bedauren ! Sie fchlafen auf die Treue 
ihrer tbeuren gälfte rubig und zuver⸗ 
fihtlich ein, Eh! wiffen Sie denn nicht, 
daß die Zeiten vorüber find , wo die 
Weiber auf die Gausehre bielten, und 
fih) mit ihrer eblichen Tumend breit 
machten — das ihrige weis befler, was 
Ihnen Ehre machen kann! Gewiß, ihr 

‚Ger 


Thereſie und Eleonore. 373 


Geſchmaͤck müßte ganz fonderbar feyn, 
wenn ihre Srau nur Ihnen gefallen foll- 
te — Aber in der That! was für eine 
Soderung! ein wohlgeflaltetes Weib zu 
haben, und zu glauben, daß niemand als 
ihr gefegtee Eheherr Augen babe , die⸗ 
fes zu bemerfen, niemand einen Mund, 
es ihr zu fagen! — und, feste fie mit 
einem höhnenden Zone hinzu, die Pene: 
Iope auch Feine ——— es anzuhö⸗ 
ren! — 

Dieſe Spoͤtterey leitete nothwendig 
auf weitere Erklaͤrungen. Nun! fuhr 
Erine fort, als man in fie drang, zu ſa— 
gen, was fie zu folchem beiffenden Scherze 
berechtigte: nun! die Männer find doch 
immer die legten, von den Liebeshän: 
deln ihrer Weiber etwas zu wiflen: 
und daran thun fie auch fehr weislich, 
fie würden fonft unhöflich genug feyn, 
fie daran zu hindern — Elarine alfo,” 
nicht wahr Elerine — Hier hielt fie mit 
einmal inne, und betrachtete ihren Geliebs 
ten — Nein! ich werde mich wohl hü⸗— 
ten, fortzufahren, fo Lange Sie diefen 
Blick nicht ablegen , der ihrer Srau 
Derweife, Vorwürfe, und, was weis 

a3 ich, 


( 
} 


7374 Thereſie und Eleonore. 
ich, was noch alles droht — Sie find 
ein junger, unerfahrner Ehmann : ich, 
muß mich ihrer erbarmen, und Sie ein 
wenig indie Karte ſehen Laflen — 
Wollen fie den Kiferfüchtigen machen v 
was wird es nügenY ift Ihnen Cla— 
rine untreu , fo ift es zu fpde: ift fie 
es nicht, fo ift es zu früb. Ein Eifer— 
füchtiger gewinnt mehr nicht, ale daß 
er dem Liebhaber feines Weibes und 
ihr felbft die Sreude ſchmackhafter mas 
het , und das Vergnügen der Liebe 
durch das Vergnügen ibn zu verlachen, 
vergröſſert. Sin heutiger Ehemann 
muß ein Pbilofopb feyn! das Uebel 
feben, und fiche nicht merfen laſſen — 
Aber ich bin wohl eine gutartige Kidr- 
rinn mit meiner Lebre da! wiflen Sie! 
daß es gar nicht artig Idft, vor einem 
Weibe, die felbft auf Reize Anfprüche 
macht, den Biferfüchtigen gegen feine 
Srau zu fpielen — Ein ganz nicht zwey— 
beutiger Blick fagte ihm das Uebrige — 
Sie follen mich rächen, gnädige 
Stau! aber laſſen Sie mich wenigſtens 
wiffen, an wen Y. SErinen war baranges 
fegen, aller mwechfelfeitigen RT zwi⸗ 
ſchen 


Therefie und Eleonore, 375 


fehen Elerinen und ihrem Gemahle vor= 
zufommen, wenn ihre Mifcherey verbor— 
gen bleiben ſollte. In diefer Abficht hatte 
fie Clarinen zum Schweigen überredet, 
und in diefer Abficht foderte fie auch von 
ihm die Geheimhaltung. Er- verfprad) 
es ihr: und nun madte fie ihn auf 
die Yemfigkeit ihres Mannes , auf alle 
Schritte, auf alle Gelegenheiten aufmerf 
fam , welche auf das Betragen Elarinens 
ein fo helles Licht warfen, daß ihm Fein 
Zweifel mehr übrig blieb. 

Er .tröftere fid) mit Erinen, die * 
glauben machte, daß fie durch ihn auch 
die Untreue ihres Gemahls räche, welche 
fie durch fo kuͤnſtliche Ränfe vo ſelbſt 
veranlaſſet hatte. 

Ich habe dieſe Geſchichte von einer 
werthen Freundinn, deren Einſicht dag ver= 
ſchmitzte Weib nicht betrog. Sie empfahl 
mir dieſelbe durch einen Brief, voll Be⸗ 
trachtungen über die Begebenheit Clari— 
nens, mit welchem ich beſchluͤſſen will. 

Schaͤtzbarſte Freundinn! 

„Die Untreue der Weiber iſt nicht im⸗ 
mer die Folge ihres aͤuſſerſten Verderbniſ⸗ 
ſes: Clarinens Geſchichte, wozu ich Ihnen 

Aa 4 ei⸗ 


376 Thereſie und Fleonore, . 


‚einen Fleinen Grundriß beilege, ift ein 
neuer Beweis davon: frauriger Beweis 
der zu gleich ſchluͤſſen läßt, daß ihre Treue. 
auch nicht immer das Werf ihrer Tugend 
iſt. Die unbefleckte Ehre ift ihre Pflicht: 
aber man fann, und foll die Pflicht auch: 
aus Tugend ausüben! Es ift ein Irrthum, 
den man den Mädchen von Jugend einprär 
get, daß fie die Treue ihren Fünfigen 
Gatten fchuldig find. Nein, liebe Kinder! 
die Treue in der Ehe, befteht in einer uns 
beflecften Ehre, in der Neinigfeit der Sit: 
ten, und diefe ſeyd ihr euch ſelbſt, fenb 
ihr euch am meiften fchuldig. » 
„Wie fehr ift Elarine zu bedauren! 
Mit fo vielen Gaben. der Natur und Erzies 
bung vorbereitet, würde fie tugenbhaft ge= 
wefen feyn, wenn fie den wahren Begriff 
der Tugend gefennet hätte, Aber man fagte 
ihr: ihr ſeyd Eheleute: eure Pflichten 
find wechfelweife — So fpricht ein zank⸗ 
füchtiger. Nechtsgelehrter , der fich freuet; 
einen Vorwand fi) vorzubehalten ,„ eine 
Verbindlichkeit aufzuheben, die ihn druͤcket. 
Die Tugend fpricht : wenn der Gatte feine 
pflicht nicht erfüllet, fo ſaget dich dieß 
von der deinigen nicht Ios — Wenn 
Ael: 


Sherefie und Eleonore. 377 


eltern die Pflicht, die fie ihrem Kinde 
fchuldig find, nicht erfüllten, wird man 
darum die Kinder weniger undanfbar,, la: 
fterhaft nennen, die fi) dadurch berechti⸗ 
get hielten, Ihnen mit Verachtung zu bes 
gegen? — ; 

„Ich glaube, das Mittel, die Tugend 
unter allen Ständen, in gllen Vorfallen⸗ 
heiten feft zu feßen, iff, ihren unerborge _ 
ten Reiz in ein helles Licht zu bringen, ung 
von ihrem eigenen Werthe zu überzeigen, 
und den Grundfag in die Geele der Ju— 
gend, in die Seele aller Menſchen unaus 
Iöfchlich zu prägen: daf Ste Tugend auch 
in einer gütte groß, auch im Blende 
glücklich macht ; daß Feine Beleidigung 
ihre Schönheit verunftelten, Fein Vor: 
wand, irgend einem Laſter feine Ab: 
fheulichteit benehmen Fann. „, | 

„, Uber, was fagen Sie, Sreundinn, 
zu Erinen? ich glaube, ihr gütiges, fanf- 
te8 Herz heißt Gie zur Ehre der Men: 
ſchen, und unfers Gefchlechtes zweifeln, 
ob es eine Perfon mit einer fo niederträch- 
tigen Denfungsart geben koͤnne — Ich 
wünfche es mit ihnen ; daß wir zu dies 
fer haͤßlichen Abſchilderung nirgend ein Ur⸗ 

Aa5 bilb 


3785 Thereſie und Eleonore, 


bild anträfen! Aber, wenn ich Sie nun 
auf meine Ehre verfichere, daß es mehr 
als eine Erine giebt, bie auf die fchänd- 
lichfte und hinterliftigfte Art der unbehut— 
famen Empfindlichkeit Schlingen legen ? 
daß diefe Brine, bie, um zu ihrem Ends 
zwecke zu gelangen, erft ein getreues Weib 
dem Abgrunde zuführte, Feine erbichtete 
Perſon iſt? Sie werden über die Gefahr, 
der die Tugend ausgefegt iſt, feufgen, 
wie 
ihre Freundinn Cecilie. 
J 
VI 

Sich, wie der fteife Ernſt, der ekle Zwanz, 
Die dumme Dürftigkeit, die nichts begehrt, 


- Als was fie Hat, der Väter Rauhigkeit 


Und grobe Sitten fich geändert hat. | 
Befreyung von Theben. 


N. Alten lobten die Zeiten ihrer Ju— 
gend , die Jugend ſchilt die Zeiten, bie 


vor ihrer Geburt hergiengen. Die erflern 


find für dag, was fie genoffen haben, die 

letztere ift für dag, was fie genieffen will. 

Wie wir e8 unfern Großältern machen, 
ſo 


— a ut 2 


Therefie und Eleonore. 379 


fo haben fie e8 den ihrigen gemacht, und 
unfre Enkeln werden e8 uns auf eben 
dieſe Weife vergelten, Diefer Krieg ift fo 
alt, als das Menfchengefchlecht: und nach 
einer gemwiffen verjährten Sage, mußte Eve 
fchon fehr vieles dagegen einzumenden , 
daß Banag, ihre Späterenfelinn, fid 
die fhönen langen Haare geflochten, und 
in einen Bund aufgefteckt hat. Die Welt 
verfchlimmert fich mit jedem Geſchlech⸗ 
te, fprad) fie zu Adam, die Menfchen: 
töchter tragen foger geflochtene gaa⸗ 
te — Die leppichteitspuppen tragen 
fogar bloſſe galfe,, fagt eine Eva unfrer 
Zeiten, weil ihre Zeit, den Hals bloß zu 
tragen, vorüber if. 

Man fagt, es habe fid) in der Unter— 
welt zwiſchen Thusnelden, und der nicht 
lange verfiordbenen Ggerzoginn .. .. ein 
heftiger Streit entfponnen, ber bie Auf⸗ 
merffamfeit des ganzen Kliſiums an fich 
gezogen, und zuletzt bis vor die Berfamm- 
lung der Götter gedrungen wäre, Die 
Zänferen diefer Weiber hätte für die Stille 
des ruhigen Elifiums zu gefährlich wer— 
ben fönnen : daher ward im Dlimp be= 
ſchloſſen, Merkurn an fie abzuſenden, 

da⸗ 


380 Therefie und Eleonore, 


damit er ihre beibfeitigen Grinde und 
Beſchwerden aufnehmen, und dem oberen 
Rathe zur Entfcheidung vorlegen Fönnte, 
Merkur verrichtere feinen Auſtrag, hörte 
die beiden Streitenden ab, und legte ber 
Götterfhaar darüber ein Protofoll vor, 
davon man fo glücdlid war, die erfte 
Sitzzung in Abfchrift zu erhalten. 


Den 13. des Monats Thargelion. 


„Nachdem dem Götterrathe die Strei⸗ 
tigfeiten zu Ohren gefommen, die fich zwi⸗ 
fchen Thusnelden, der Firftinn der Kat⸗ 
ten, und der Berzoginn +... über ben 
Vorzug ihrer Zeiten geäuffert hat, und 
diefe Streitigkeiten fehr das Anſehen hats 
ten, auf eine langwierige Spaltung des 
plutonifhen Reichs binauszulaufen , bin 
ic) Merkur befehliget worden ‚ die Bes 
ſchwerden und Gegenbefchwerden zu ver—⸗ 
nehmen , und hieruͤber vor ber hellglaͤn⸗ 
genden DVerfammlung der Götter unpars 
theyifchen Bericht abzuftatten. In diefer 
Abſicht Habe ich fogleich meine geflügelten 
Halbftiefeln angezogen, und meine Nechte 
mit dem Schlangenftabe bewaffnet: und, 


nachdem ich meinen erfien Ausflug auf die 
Spi⸗ 


Therefte und, Eleonore, 381 


Spitze des Piko di Teneriffa genommen, 
fam ich von da mit unausgefegtem Fluge 
an der Pforte deg Erebus, den ich, fo 
fehr ich Merkur bin, nicht ohne Schau: 
dern durchwandere. Endlich bin ich in 
dem Site der glüclichen Seelen ange: 
langet — Hier fand ich alles in Bewe— 
gung, wovon ich die Urfache ganz leicht 
einfah; und, um fernerer Unordnung vor— 
zubeugen, durch Stentorn, *) den ich 
zu diefem Ende eigens mit mir hergebracht, 
bie freitenden Prinzeflinnen vor mich las 
ben hieß. „ 

„Sie famen, Thusnelde zuerfi, in 
ihrer einförmigen Kleidung, ohne anders 
Gefolg, als eine Magd, auf die fie fi) 
vertraulich Ichnte. Bald darauf erfchien 
auch die Herzoginn , auf das Foftbarfte 
angethan, von einem Kammerdiener ge: 
führet , der nicht über achtzehn Fahre, 
und in ihren Augen eben fo viel zu bedeu⸗ 
ten haben mochte, al® gebe in den Augen 
unfer8 Zevs. Ihre Kleidung ſchleppte 

| URL weit 
) Ein Ausrufer beim ſomer, der ſo fehe 
ſchreyen konnte, daß ſein Namen ein Aus— 
druck, einen Schreyhals zu hezeichnen, ge— 
blieben it — 


382 Thereſie und Eleonore. 


soeit hinter ihr auf der Erde, „und fegte 
den Boden, daß fi eine Staubwolke da= 
von erhub, Aber als fie näber famen, 
hub der. eine ihrer Begleiter das Aeuſſer⸗ 
fie ihres Kleides empor , und trug es auf 
ſolche Weife hinter ihr her. Ein- Haufe 
von Bedienten folgte ihr nah, alle wohl 
gebauet, mit breiten Schultern, ſtarken 
Waden, jung, und gut genaͤhrt. Als 
beide Damen einander im Gefichte fian- 
den , drückte jede ihren Widerwillen ge— 
gen die andre auf verſchiedene Art aus. 
Die altdeutfche Fürfinn fah mit ernſthaf⸗ 
tem Widerwillen auf ihre Gegnerinn, und 
wendete von ihr fchnell des Geficht ab. 
Die gerzoginn hingegen maß Chuenel- 
den von Kopf big zu den Füffen mit einem 
verächtlichen, bemitleidenden Blicke. Man 
ſah deutlich, daß die erftere umvillig war, 
die. andere ſpottete. 4. 

„ Prinzefiinnen, hub id) darauf an, 
der Götterratb bat mich abgeordnet, 
ihre Streitigteiten beizulegen , und, 
wenn es möglich iſt, fie miteinander 
zu vergleichen, denn ihr Zwift ift dem 
ganzen Elyſium Uergernif, Aber da= 
mit alles ordentlich vor fich gebe, ſo 

er: 


Thereſie und Eleonore. 393 


erſuche ich Sie — ich glaubte nicht, dem 
Anſehen eines Richters etwas vergeben su 
"haben, menn ich gegen das fchöne Ge: 
‚Schlecht die Sprache der Höflichkeit brauch⸗ 
te — mir den Urſprung ihres Streites 
auf das Fürzefle vorzutragen, auch 
übrigens auf dasjenige, was ich etwan 
fragen möchte , Befcheid zu geben; 
Thusnelde ! fagen Sie mir, wie fieng 
ſich ihre Uneinigkeit any, 
CThusnelde. ,, Diefes Weib, die nicht 
lange in unfern Gegenden angelanget ift, 
nennte ſich eine Gerzoginn der Deutfchen, 
und ließ, ehe fie noch anfam, durch ei— 
nen Abgeordneten, die erfte Stelle unter 
ung verlangen. Man befchied ihn, in der 
Unterwelt höre aller Rang auf; bier wär 
ven «die Gemeinen und Fürftinnen gleid) ; 
nur die Tugend gäbe einen, von allen frey= 
willig erkannten, und gerne eingeraumten 
Borzug. Der Abgeordnete fhürtelte den 
Kopf , als fchien er für feine Frau auf 
biefes Bedingniß nicht eben den erften Plat 
zu hoffen. Die ganze Sefelffchaft war bes 
gierig, den rangfüchtigen Schatten zu er— 
blicken, Er Fam in eben diefem fonder: 
baren Anputze, Merfur, mie du ihn bier 
vor 


384 Therefie und Efeonste, 


dor dir erblickeft , mit einem Reifrocke, 
ber zwifchen den Gefträuchen,, welche die 
Selder diefeg feligen Aufenthalts anmuthig 
machen, nur mit Muͤhe und Angſt hindurch 
kriechen konnte, und ihrem ganzen Wuchfe 
ein recht abentheuerliches Anſehen gab; 
Ihre Haare waren ruͤckwaͤrts empor ge- 
fhlagen, und an beiden Seiten in Klum: 
pen zufamgerollet; an der Stirne fiunden 
fie in eine uncbenmäfftge Höhe gethuͤrmet 
empor. Ob fie gleich fo gut als jede andre 
don ung todt war, fo hatte fie dennoch 
nicht die blaffe Farbe, welche die Entſee— 
fung über unfre Gefichter zu verbreiten 
‚pfleget ; fie war, weis wie Kalf, und 
roth, wie der Purpur, den ich in meinem 
Leben auf der Oberwelt zu tragen pflegte, 
Kaum daß fie im Etande war, zu gehen, 
und ſich auf ihren Füffen zu halten ; fie 
hatte ihres Führers hoͤchſt nothwendig, 
und als ich nad) der Urfache ſah, fand ich, 
daß ihre Fuͤſſe zu dem Leibe ganz nicht im 
Verhaͤltniſſe kunden, und durch eine Ark 
von Schuhe auf eine recht jämmerliche Art 
jufammgepreffet waren — Cie war faum 
unfer ung angelanget, als fie fich auf die 
Nafenfige, welche hie und dort errichtet 
| find, 


a a un 


Therefie und Eleonore, 385 


find, niederwarf, und einen Sad von eis 
nem aus ihren Gefolge reichen ließ, den 
fie auf ihrem Schooffe hinbreitete. Sie 
öffnete ven Sad, und that nichts anders, 
als daß fie glänzende Fäden zwifchen ihren 
Fingern bin und her wälzte, und mit einer 
fteifen Miene ung übrigen Schatten , die 
wir uns, bald auf diefe, bald auf jene 
Art befchäftigen, zuſah. Die fonderbare 
Yufführung der neuen Anfömmlinginn zog 
gar bald um fie einen Kreis sufamm, wor⸗ 
unter ich mich felbft befand. Sieb Thus- 
nelde! fprady ein nachbarlicher Schatten 
zu mir , diefe fonderbare Perfon ift aus 
deiner Derwandtfchaft — Unmoͤglich, 
gab ich zur Antwort, ich erfenne fein ein 
ziges Merfmal meines Gefchlehts. Ach 
fprach noch eben die legten Worte, als 
fich eine Anzahl männlicher Schatten hers 
beifand, mit welchen diefes Weib im er— 
ſten Augenblicfe fo vertraulich that, als 
wäre ihre Bekanntfchaft von jeher. Sie 
lehnte ſich bald auf dag freyefte auf den 
einen , ließ fich von dem andern etwas 
in die Ohren fliftern,, und flifterfie ihm 
fogleih zuruͤcke, aͤugelte mit. einem 
dritten , und mußte jedem in die Reihe 
IV, Theil, Bh et: 


386 Therefie und Eleonore, 


etwas zu thun, zu fagen, zu zeigen, das 
thre dringende NAemfigfeit, mit welcher fie 
um fie bemüdet waren, zu belohnen fchien. 
Da der Schatten, ber mir Anfangs ihre 
Verwandtſchaft vorgeworfen hatte, noch 
immer gegen mich fortfuhr, fo wollte ich 
ihn endlich feiner unbilligen Muthmaſſung 
überführen. Ich näherte mich der Unbe— 
fonnenen, und fragte fie auf das verbind> 
lichte um ihren Stand, ihre Herkunft. „ 

Die gerzoginn,. „, Und ich gab zur 
Antwort : ich fen aus dem ruhmvollen 
Gefchlechte der Fürften ... entfproffen- 
Wie die Gipfel der hoͤchſten Berge fich in 
den Wolfen verlieren, fo verliert ſich der 
Adel meines Haufes in dem Alterthume, 
und meine Ahnen fteigen bis‚an die Gerz 
manne zuruͤcke — „ 

Thusnelde. ,, Das fagteft du: aber 
hatte ich, o Merkur, nicht Grund, ihren 
Reden feinen Glauben beisumeffen , da ich 
an ihr nicht die geringfte Spur von ben 
Sitten meines Gefchlechtes, nicht die ges 
ringfte Spur von den Sitten ber Deuts 
fchen wahrnahm, die felbft unfre Feinde, 
die Roͤmer, zu bewundern, nicht Umgang 
nehmen fonnten ?— Diefes fagte ich ihr, 

und 


ER 


Therefie und Eleonore. 387 


und zog ihre Vorgeben, rote wohl auf eine 
ganz befcheidene Art, in Zweifel Es ift 
nicht möglich, daß unſre Enfeln fo fehr ' 
Bon den Sitten und Gewohnheiten ihrer 
Vorfahren abgewichen feyn follten, daß 
ic fie gang zu verfennen , gezwungen 
wäre z | IR 
Die Herzoginn. „Wir find von den 
gröberen Sitten unfrer Vorfahren abge: 
wichen, und haben ung verfeinert — gab 
ich zur Antwort — Und id) bin übergengt, 
Thusnelde felbft, wenn fie zugegen waͤ— 
re — „ 
Thusnelde. ,, Run, ich war es, und 
‚fagte e8 ihr — „ 
VIL 
Der leere Franzmann pfeift und fchneider Has 
beiolen , 
Der römifche Kaſtrate fingt, 
Der Dritte laßt am Strang fih Miltons Ten: 
fel Holen, 
Der Deutfhe, was thus der ? er trinke! 
Weiffe. 


Dos doch die Schriftfteller und Dichter 

fo unabfönderlih an der alten Sage Fle- 

ben bleiben, und immer einer ben andern 
2: Bb2 wie⸗ 


388 Thereſie und Eleonore. 


wiederholt! Vor fo vielen Jahrhunderten 
fagt ein geroiffer römifcher Gefchichtfchrei= 
ber, der nie in Deutfchland einen Fuß ger 
fest, ganz treuherzig: die Deutfchen find 
Säufer : ihre Berathfchlegungen ge— 
hen gemeiniglich bei vollen Bechern 
vor: und dergleichen Dinge mehr, ba: 
rüber ich mich nicht zanfen will, ob fie 
einft wahr gemwefen oder nicht. Seit ber 
Zeit fchreiben alle Gefchichtfchreiber, alle 
Dichter, alle Erbbefchreiber, nach: der 
Deutfche trinkt! und andre Nationen 
find treuherzig genug geweſen, uns. in 
dem Beſitze diefes Nationalsvorzuges zu 
laffen. 

Ach habe in der Silderfammlung der 
Sräfinn. ... ein Gemälde aus der venesia= 
nifchen Schule gefehen, wo e8 dem Herrn 
Maler beliebt hat, auf einem andern Wege 
zu wandern, und fich über ung arme Deut» 
fche Iuftig zu machen. Es war eine Zus 


fammfegung der Nationen. Der Eng⸗ 


Länder ftand mit Bewunderung vor ei— 
ner Schilderen , auf welcher Kato vorge— 
ftelle war, der Platond Buch von der Un— 
fterblichFeit der Seele — es war auf dem 
Buche angezeichnet — vor fich baffe, und 
mit 


u a ee ER 


Wa Zu N An 


Therefie und Eleonore. 389 


mit der ruhigen Miene des Stoikers den 
Dolch unter feinem Haupte hervorlangte. 
Der Engländer hatte eine Piftole in der 
Hand, und fchien fid) vor diefem Bilde 
Much zu der groffen Unternehmung des 
Selbfimordes zu fammeln, Nicht ferne 
von ihm faß ein Mann, der Prozente be— 
rechnete, und auf alles, was fonft um 
ihn ber vorgieng, wenig zu achten fchien. 
Aus feiner einfachen, fchlechten Kleidung, 
und einigen Briefe mit der UÜberfchrift & 
Amfterdam, die vor ihm auf dem Tifche 
lagen, zu urtheilen, war es ein Holländer. 
Der Franzos ftand, leicht gefleidet, auf dem 
einen Abfage , und fchien fi im Wirbel 
herumdrehen zu wollen. Den Deutfchen 
vorzuftellen,, hatte -der Maler den befon= 
dern Einfall, ein nach Art der Sängerins 
nen oder Tänzerinnen gefleidetes Weib zu 
ſchildern, die den einen ihrer Arme ganz 
um den Leib eines zärtlich auf fie hinüber 
gelehnten Mannes herumgefchlagen hält, 
fo, daß die Hand ihres Lieblings , wie er 
zu ſeyn fcheint, in die ihrige zu liegen 
koͤmmt. Diefe Hand ift nicht müffig ; fie 
befchäftiget fi, von der Hand des Lieb- 
habers einen koſtbaren Ning herabzugleis 
B37 60 


390 Thereſie und Eleonore. 


ten , da die andre ruckwaͤrts eine volle 
Geldboͤrſe in die Höhe hält, wornach ein 
bejährtes Weib langet, die mit dem halb 
vor den Mund gelegten Finger und einem 
nach der halboffenftebenden Tafche bes 
Mannes gemendeten lächelnden Blicke zu 
erkennen giebt, woher dieſes Geld ges 
fommen fey. Auf dem Tifche liegen Uhren, 
Dofen „ und andre Foftbare Gefchmeide, 
auf welche die Bublerinn ihre Augen fteif 
beftet. Der Liebhaber figt indeffen vor 
Liebe trunken, feinen Blick gegen: das Ans 
geficht des Weibes gefehrt, und hält mit 
der Linfen foralos einen Becher vor fich 
empor. Ach habe an dieſer Vorftellung 
befonders- noch den Einfall des Malers 
finnreich gefunden, daß er unter den Tifch 
einen Affen, mit Knabenfleidern angetban, 
binfeget, der dem ganz gefühllofen Liebha- 
ber die Schubfchnallen auslöft. Die file 
zichte Raubſucht diefer Harpyen koͤnnte mit 
feinem ausdruckvollerem Zuge bezeichnet 
werben. 

Es ift Zeit, daß Deutfchland fich ſelbſt 
zu adeln anfängt, und diefe gemeine, poͤ⸗ 
belhafte, mwohlfeile Untugend des Trunfes, 
gegen edlere, und Foftbarere Lafter zu vers 

tau⸗ 


— 
ee ar DE VVVV08 


Thereſie und, Eleonore. 391 


taufchen anfängt. Wir waren lange ges 
nug der Spott der Nationen, und die 
fchon feit ihres groflen Ludwigs big auf 
die höchfte Stufe der Artigfeit geftiegenen 
Sranzofen hielten lange genug die beiden 
Wörter dumm und deutfch, für gleiche 
bedeutend. Kure Sitten, fpradhen Sie, 
mit denen ihr euch fo viel wifler, find 
nicht die Solgen eurer Tugend , fie 
find-die Wirkung eurer natürlichen Un- 
wigigfeit. Ihr feyd nicht fein genug, 
Lafter zu begehen , welche Derfihle- 
tenbeit, Verbindung, Zunftgriffe, Ent 
fchloffenheit und Beharrlichkeit, welche 
Entwürfe zur Unternehmung, Zriegs- 
liften in der Musführung fodern! Yört 
man unter euch von den feltnen Strei- 
chen , die die franzsfifche Galanterie 
von einem Ende der Erde bis zu dem 
andern berühmt, und felbft dem Serail 
des Großtürfen zum einzigen Muſter 
gemacht haben gört man unter euch 
von fo fein hinterführten Ehemädnnern, 
von fo prächtigen, und ruhmvollen Un⸗ 
treuen, von fo glüdlichen als Fühnen 
Entehrungen der Zamilien, wovon man 
bei uns täglich, nicht unter der Blü⸗—⸗ 
Bb4 the 


392 Thereſte und. Eleonore. 


the und Bhre der Nation, den Adelnur, 
ſelbſt unter dem Haufen der gemeinern 
Bürger tägliche Beifpiele aufweifen 
Fanny Bat ein fchwerfälliger, bedacht 
famer Deutfcher das gerz, ſich unter 
den Helden Cytherens durch feine und 
der. Beinigen Zugrundrichtung eine 
Bildfäule zu verdienen Y Bei uns ge— 
bören alle diefe Sachen zum Tone der 
artigen Gefellfchaft. Wenn man mit 
etwas Ruhm in die Welt eintreten 
will, fo muß man vorber fein Meifter- 
flüd in diefer Gattung abgeleget ha— 
ben: und alles mit einem Worte zu 
fagen: wir haben ſogar Lehrbücher da⸗ 
rüber , da der Deutfche nur feine ver- 
altete Tugend in Spfteme bringt. 
Man fol uns diefe Vorwürfe nicht 
länger machen. Der Augenblick fcheint ge= 
fommen zu feyn, da wir, nicht nur unter 
den polisirten Voͤlkern einen Rang bes 
haupten, da mir vielleicht bald mit Unter— 
fcheidung das Haupt emporheben , und 
ihnen den Vorzug ftreitig zu machen, fähig 
ſeyn werden. So eilen wir mit groffen 
Schritten der Vollfommenheit zu. Die 
Demeife durch Thatfachen überführen weit 
mehr 


Therefie und Eleonore. 393 


mehr als trockne Schlüffe. Man laffe die 
Hrtigften aus der artigften Nation diefen 
eingefendeten Brief Iefen, und fie werben 
gerne geftehen, daß wir Hoffnung haben, 
unfre Vorgänger und Urbilder noch zu über- 
treffen. 


Gechrte Schriftftellerinnen ! 


, Bielfeicht lieft meine Lukrezia diefe 
Blätter, wenn fie anders von Tugend und 
Züchtigfeit ffrogen , und zum Einfchlä- 
- fern ehrbar find! Laffen Sie mid) einen 
Gebrauch davon machen, der ihrer erbau« 
lichen Abficht ganz gemäß ift, einer un— 
ausftehlich tugendhaften Battinn Nach: 
richt von ihrem entwichenen und für fie 
ewig verlornen Manne zugubringen, und 
fie ihres Unglüdg zu vergemwiffern, wovon 
fie vieleicht wahrfagende Ahnungen ge: 
habt, oder auch durch einen ſchwankenden 
Ruf etwas vernommen haben möchte. „, 

„ Fa Mabame! Sie dürfen nicht mehr 
anftehen, e8 zu glauben, ihr Mann ift an 
Leib und Vermögen zu Grund gerichter. 
Eie follen umftändlich von allem Meinigen 
und dem Ihrigen Rechnung erhalten ; nicht 
als ob ich 68 bedauerte, nein! hat ein 

Bb5 nicht 


394 Thereſie und Eleonore, 


nicht unerfchöpfliches Glück meinen, mie 
Sie es zunennen belieben werden, Aus— 
fchweifungen Ziel gefeßt, fo hat es mir 
doch den Willen nicht rauben fönnen, dem 
Vergnügen der Liebe heute noch taufend 
Vermögen, tauſend Gefundheiten aufzu— 
opfern, und immer wieder von vorne an= 
zufangen, wenn der Neichthum, wie ein 
Antäus, auch neue Kräfte fchöpfte, fo oft 
er zu Boden gefchlagen wird. Sie follen 
nur darum von allem unterrichtet werden, 
damit Sie niemanden an der Ehre, Sie ' 
mit ihren zwey Kindern an ben Bettelftab 
gebracht zu haben , Theil nehmen laffen. 
Goͤttliche Cidalife! da ich auf deinen Al= 
tären nicht mehr Gefchenfe nieder legen 
fann, fo ſieh wenigfteng diefe rege Freude, 
dir alles, was fonften Menfchen theuer 
it, Ehre, Gefundheit, Vermögen, und 
felbft mein Blut , meine Kinder geopfert 
zu haben? „, 

„ Sie fennen meine Gottheit: ich babe 
ihr mit der volfommenften Gelbftverläug- 
nung alles übergeben. Ahr Silber und 
Vorzelanferpis, Madam, dienet nun zu 
eblerm Gebrauche: und die güldne Schale, 


die Ste von ihrem Vater zum erften Wo— 
chen⸗ 





Therefie und Eleonore. 395 


ehengefchenfe empfangen haben , ift zur 
Dpferfchale geheiliget, woraus Venus Am- 
brofie trinket. Ihre mit Brillianten ver— 
feßte Uhr ziert die ſchoͤnen Hüfte, und ihre 
dazu gehörende Dofe wird fündlich, und 
augenblicklich! von den fchönften Händen 
befühlet. Durch ihre fchöneren Kleider habe 
ich die Neige verhuͤllet, die die Welt zu 
erblicken unwürdig iſt: und ihre Brabant: 
ner Spige find von dem Glanze der Haut 
befchämet, die ich dadurch zu zieren glaub- 
ke 94 

„ Zürnen Ste immer Madamel ihre 
Ninge, ihre Juwelen, und auch die meis - 
nigen , alle find in den Händen Cidali— 
feng. Sollte ich die Focen, die ſchwaͤr— 
zeften Locken , den Hals von Alabafter, 
bie Hände, die nur gefüßt zu werben ge= 
fchaffen find , ohne diefen Zierath gelaffen 
haben: und Sie, Sie Madame hätten 
darin prangen follen ? Eidalife foderte es: 
ic war feinen Augenblick unentichloffen , 
welche aus beiden derſelben entbehren 
ſollte? — 

„Ich würde Cidaliſen die Aufwar— 
tung der ganzen Welt erkauft haben, waͤre 
mein Voͤrmoͤgen meinen Wiufchen gleich 

ges 


396 Thereſte und Efeonore. 
gemefen. Ich habe gethan, was ich Fonnte, 


Sie hatte ihre Bediente , ihre Kamer— 


mägde und Jungfern, ihren Kamerdie— 


ner, ihre Kutfche und Pferde, alles nicht 


nach ihrer Würde, aber mwenigftens nad) 
meinen Kräften. Du weinteſt, als ich bie 
die Pferde abfchaffte. Madame! du fonn- 
teſt mit deinen Kindern leichter zu Fuß 
‚geben, als dieſes Goͤtterkind, deren Füffe 
täglich das Entzücken der Welt waren — 
War es etwan unbillig, daß ich bein Haus- 


weſen bis auf eine Magd, und einen Bes 


dienten herabfegte ; ich fonnte nicht. für 
beide zureichen — Was endlich an biefer 
Bedienung mangelte, erfeßte ich — id), 
Cidalifens Sklav, der feine Gebieterinn 
auf den Knieen bediente. „, 

„, Mit einem Worte: ich that was ich 
konnte, damit ihre Tafel, dem Gaftmale 
der Götter , ihre Wohnung dem Auf 
enthalte der Goͤttinn von Gnidus wenig⸗ 
fteng in etwas Ähnlich fam. Es war nd- 
thig, die Gottheit mir vor andern durch 
die Gröffe meiner Gaben geneigt zu erhal- 
ten, und alles dag zu gewinnen, was ſich 
ihr näherte. Ich erfchöpfee erft mein Baa⸗ 

reg: 


en a En . 








Thereſie und Eleonore. 397 


res, dann verpfändete, verkaufte ich, was 
mein war, was dein war, was meinen 
Kindern follte, fur; alles, was ich hatte, 
und nicht hatte; und, Dank fey eg der 
fiebe, und meinem Eifer, ich hatte die 
weiſe Vorſicht, mich fo tief in Schulden 
zu ſtecken, daß ich fie nie zu bezahlen im 
Stande bin, mithin es mir nie an ver- 
gnügender Erinnerung an die entzückend- 
ſten Stunden fehlen ann, die je ein Menſch 
hienieden genoffen,, und die ein Borges 
ſchmack des Elifiumg find. ;, 

„ Wenn Sie das Weinen ihrer Toͤch— 
ter, die meine Verſchwendung — denn fo 
werden Sie die wohl angebrachtfte Frey⸗ 
gebigkeit heiſſen — zwingt, Dienſte zu 
ſuchen; wenn ihre Einſamkeit, ihr gegen⸗ 
waͤrtiges Elend, und ein kuͤnftiges noch 
weit groͤſſeres, wenn Sie das Andenken 
an mich, dem Sie mit zu gewiſſenhaf⸗ 
ter Treue zugethan waren, niederſchlagen 
will, ſo richten Sie ſich mit dem Gedan— 
ken auf: mein Mann hat Aufſehen in 
der Welt gemacht, und es den größten 
Herren gleich gethan! Diefer Nachruhm 
iſt mir unendlich theurer, als der traurige 

Nr 


398 Thereſie und Eleonore. ” 


Namen, eines Vaters von tugendhaften 
Kindern, oder der noch fraurigere 
| ihres Mannes, Fr» v. 
gellwing. 
Er 


VIIL 


Der Hoffnung Gögenbild wird dich zulegt 
beteligen. 
Drollinger. 


Sine Erzählung 
in jmwenfingerbreiten Verſen. 


Un EClianten. 


Freundin: das Vergnügen 
Iſt mit dir entflohen; 
Und an feine Stelle 

Tritt am frühen Morgen, 
Mo ich fonft dir Fröhlich 
An den Bufen eilte; 

In den Abendftunden , 
Wo ich dir zur Geite 
Unfers Freundes Lehren 
Las und ftärfer fühlte; 
in der dunfeln Laube, 





Die 





Therefie und Eleonore, 399 


Die nun einfam trauert, 
Und ohn' ihre Sreundinn , 
Auch für Eleonoren , 
Eich vergebens wölber, 

In den sden Zimmern, 
Wo ich dich vermiffe, 
Sin dem ganzen Haufe, 
Und in meinem Herzen, 
Das nad) dir fich ſehnet, 
Tritt ist, ſtatt Vergnuͤgens 
Sram und finftre Laune — 

„, Mädchen ! bift du thoͤricht, 
Sprach” id, mich zu tröften, 
Durfteft du erwarten, 

Daß ein fchönes Mädchen 

Sich um deine Grille 

Auf das Land vergrübe, 

Und der Luft entfagte, 

Sich von Süßlern: *) Gsttinn ! 
Gra⸗ 

) Ich habe auch einmal Luſt, mich um die 
Sprache durch einen Beitrag verdient zu ma⸗ 
hen, und diefen Beitrag will ich dazu noch 
ang der öſterteich ſchen Mundart holen. Man 
het ein im Volksdialekte gewöhnliche Wort 
Sienzler, welches einen Menfchen bedeutet, 

ber ſich einzufchleihen,, und Tone und Ge— 
behrden fanft zu machen ſucht. Ich glaube 
el⸗ 


400 Thereſie und Efeonvre, 


@razie! und Venus! 

Dft genennt zu hören, 

Und von. Äberftäubten 

Auf und um belockten 

Aber Ieeren Köpfen 

Angebet’t zu fehen ? 

Konnteft du erwarten — ,, 
Fuhr ich fort zu reden, | 

Als ein fanftes Zächeln, | 

Wie der Hauch des Sephirs, 

Der durch Blumen gaufelt, 

Und den Duft der Roſe, 

Die er ist gefüffet, 


— 


Gau⸗ 


eine Aehnlichkeit mit dem Worte Doucereux 
darin zu finden, und nicht unrecht gu ur- 
theilen,, daß dag Wort Süßler heiffe, und 

nur durch die Ausſptache fo verſtaltet ſey — 

Eleonorens Beitrag bat die Sprache wirk⸗ 

Lich bereichert; denn das Wort Suüßler ıft von 
mehr als einem. Schriftftellee aufgenommen 
worden. Der vom ihr gegebene Fingergeig 
Bann noch weiter benlige werden. Das Dolf 
gebraucht ſich des Worts Sienzeln auch als 
eines Zeitworts: Süffeln alfo wäre eine 
vorteeffliche Erwerdung , um Edrnigt , eigen- 
thümlich mit einem Worte zu fagen: faire 
le doucereux, | 





Der Herausg. 





Therefie und Eleonore. 401 


Gaukelnd vor ſich hertreibt, 
Meinen Blick an ſich zog — 
Welch ein Schauſpiel! Amer, 
Nicht der fchlaue Krieger, 
Der mit Pfell und Bogen 
Dft bei Tanz, und Spielen 
Oft auch vor dem Altar 
Auf die Mädchen laurer; 
Amor, unbewaffnet, 
Sanft, vol Unfhuld, zärtlich, 
Wie einft in der Kindheit 
Diefer Welt, die Götter 
Unſchuldvollen Menfchen 
Ihn zum Troft gefender, 
So fland Amor vor mir — 
Dennoch fchreckt fein Blick mich , 
Und ich wollte fliehen ; 
Als mit heiterm Blicke 
Er mid) fanft zuruͤckhielt: 
Flieh mich nicht, o Mädchen ! 
Sprad er — flieh nicht Amorn! 
Ihm enttömmt Fein —“ 
Er hat Elianten 
In der Stadt ereiler, 
Wohin fich die Stolze 
Meinen Sieg zu trogen, 
Kur umfonft geflüchtet ; 

IV. Theil, Es _ Denn 


Therefie und Eleonore. - 


Denn in ihrem Gerzen 
Trätgt fie tief die Wunde, 
Strdubt fich nur vergebens 
Begen ihren Sieger — 
Himmel! — ruft? ich zitternd; 
Wer ift er, der Sieger 
Meiner Freundinn ? Lächelnd 
Sprach der Gott ber Liebe: 
Baft du nicht bemerfet, 
Wie ein fchöner Jüngling, 
Der mir Amorn gleicher, 
Ihren Blick auf fich z0g Y 
Doch fobald fein Auge 
Ihrem Aug? begegnet, 
Sant ihr Bli zur Erde: 
Denn das eitle Mädchen 
Schämer fich zu Lieben, 
Tauſcht fich ſelbſt, und pralt noch 
Mit der güldnen Freyheit, 
Die fie lLäneft verloren — 
Diefer ſchöne Jüngling 
Iſt der Ueberwinder 
Ihres ſtolzen Herzens — 
Amor fprach noch weiter: 
güte dich o Mädchen, 
Meiner Macht zu trogen! 
Ungeflraft trotzt Amorn 
Selbſt 


Therefie und Eleonore. 403 


Selbft nicht Zevs; auf feinem 
Güldnen Götterthrone 
Schützt ihn nicht der Donner 
Gegen Amors Wunden — 

Hier verfhmwand er, und ihre Freunz 
binn weis nun bie Urfache, warum Sie 
nicht länger dag Niefeln ber Bäche, und 
das Rauſchen der Wälder, und den Schmelz 
der Fluren reizend, warum Sie dag Land— 
leben zu einförmig gefunden, und fo fehr 
nach der Stadt geeilet haben. Unaufs 
richtige Freundinn! man kann alfo hin⸗ 
ter ihre Geheimniffe nicht. fommen, wenn 
nicht ein Gott ſich die Mühe giebt, Sie 
zu verrathen ? Ich will gleiches mit gleis 
chem vergelten, und Sie follen von mir 
nicht erfahren, was feit ihrer Abweſenheit 
mit mir für eine Veränderung vorgegan- 
gen if. Sie follen in einer langen fol— 
ternden Ungemwißheit bleiben, durch wel—⸗ 
ches Wunder ich fo plöglich zu einer Dich- 
terinn geroorden, die in einer halben Stun«- 
de hundert und einen Vers niedergefchrie- 
ben, und fogar ſchon Göttererfcheinungen 
hat — Waß für eine finftre Miene ? 

Ich fehe wohl, es wird mir ſchwerer 
werben, mein Geheimniß vor Ihnen zu 

€c2 vers 


404 Thereſie und Eleonore. 


verbergen, als e8 Ihnen geworden, mit 
ihrer ftillen, beuchelnden Miene mir ihre 
feimende Zumeigung zu dem fchönen Jüng⸗ 
Linge zu verheelen—fhönnennte ihn Amor, 
und Sie Fönnen über den Lobſpruch, den 
eine Gottheit ihrer Wahl ertbeilet , ein 
wenig aroß thun — Heitern Sie ihr Ges 
ficht auf! ich mischte nicht gerne eine Ver⸗ 
wäftung in diefen liebreigenden Zügen ans 
ſtellen! heitern Sie fich alfo auf, und Sie 
follen den. Augenblick erfahren ‚ welcher 
Zufall mich fo fchnell in eine Dichterinn 
umgeftaltet hat, mich, die ich fonft eben 
fo wenig zu Verſen aufgelegt war, als 
Sie, wie Sie fagten, zum Lieben. 

Ich war in einer Gefellfchaft von ſchrei⸗ 
benden Gefchöpfen. Sie wiſſen eg, über: 
haupt find diefe Art Leute nicht fehr ges 
fprächig, wenn man fie ein wenig aus ihr 
rem Kreiſe beraustreibt. Hingegen find fie 
auch nicht zum Schweigen zu bringen, 


wenn e8 auf Handmwerfsfachen anfömme, 


Weil ich mich num eben zu ergögen Luft 
hatte , fo Sffnete ich durch eine hingewor⸗ 
fene Srage viefen ‚Herren die Laufbahn. 
Ale liefen fih aus den Athem. Da hörte 
ich weiter nichts, als von Geſpraͤchen, 
Ge⸗ 


Therefie und Eleonore, 405 


Gedichten, Sabeln (darunter wohl weder 
Klopſtock, nod) *** war) und was weis 
ich, noch hundert andern Dingen mehr, 
denen jeder, nachden: er ſich in einer oder 
andern Gattung ſtark glaubte, einen Vor— 
zug beilegte, oder fie herunterſetzte. Bor 
allen unterfchied fich, ein fich ſelbſt fo nen— 
nender anafreontifcher Dichter, der dag 
Herz hatte, gomeren dem alten Tejer nach⸗ 
zufeßgen, und Klopfioden gegen *** einen 
Schwäger zu fehelten. Die ganze Schaar 
von oben fiel einmüchig über dieſen Un— 
glücklichen her, und eg wäre zuletzt vielfeicht 
zu einem Fritifchen Gefechte gefommen, 
wenn nicht zu allem Glücde ſich jemand 
aus dem Haufen der Zänfer befonnen 
hätte, daß man wenigſtens meinem Ges 
fchlechte einige Achtung bezeugen müßte. 
Die ganze Geſellſchaft wendete ſich 
darauf einmüthig an mich: und weil fie 
mir, als einem weiblichen fchönen Geifte, 
unter ihnen Siß und Stimme ertheilt hat— 
ten, fo erfohren fie mich zur Schiedse 
richterinn , ihre Streitigkeit durch mein 
Urtheil zu enden. Ich war verwegen ge- 
nug, dieſes Amt zu übernehmen; und nad), 
einiger Ueberlegung fiel mein Spruch dae 
€c3 hin 


406 Thereſie und Eleonore. 


bin aus: daß, da ich nicht das Herz hät: 
te, zwo Zeilen, wie Klopftod, in meinem 
ganzen Leben zu machen, ich folcher zwey⸗ 
fingerbreiten Verſe wohl hundert in ei= 
ner halben Stunde niederfchreiben wollte. 
Der Anakreontiker hieß diefes vermeflen, 
und foderte mid) zur Erfüllung meiner Zu⸗ 
fage auf. Yundert und einen, fagte ich, 
und hielt Wort — Gehen Sie! das ift 
die Gefchichte diefes Briefs, der eben groß 
genug ift, ein Blatt abzugeben; und zu 
dem ich nur noch die erfte, die nächfte 
Auffchrift zu wählen nöthig hatte, bie fo 
wenig zu dem Inhalte fchicklich feyn darf, 
als die Titel der Bücher es gewöhnlich 
find — = 


IX. 
Sieh, wie der feife Ernft , der ekle Zwang 
Die dumme Dürftigkeit , die nichts begehrt, 
Als was fie bat, der Vater Rauhigkeit 
Und grobe Sitten fich geändert bat. 
Befreyung von Theben. 


Fortfegung des VI. Stückes. 


a Thuonelde. Meine Gegenwart machte 
ſie nicht verlegen. Sie maß mich recht vom 
Ko⸗ 


Therefie und Eleonore. 407 


Kopfe bis zu den Fuͤſſen, und ein Lächeln 
war der Dolmetſch des Spottes, deſſen 
fie eine deutfche Herzoginn würdig ſchaͤtzte, 
deren Anpuß fich fo wenig zu ihrem Stan- 
de zu ſchicken ſchien — 

„ Die gerzoginn unterbrad) Thus- 
nelden mit einigem Gelächter. Aber, fagte 
fie, geflügelter Goͤtterbot! mie äft eg moͤ—⸗ 
glich bei diefem Anpuge ernfthaft zu bleis 
ben? fieh diefes Kleid, das von einem 
Kleide der alten deutfchen Männer fo wenig 
unterfchieden ift *) , die man bie .und da 
noch zur Seltenheit auf Bildern aufbehal: 
ten findet! Das Kleid einer Hergoginn 
von Leinzeug, ohne allen anderen Zierrath 
als einigen Scharlachlappen, dag fo genau 

Cc4 am 
*) Tacitus von den Sitten der Deutfohen 6.. 

Hauptſtück: Die Weiber haben Feine an 

dere Rleidung, als die Männer, nur, daß 

fie öfters ficb mit: Leinenzeuge bededen , 

welches mit Purpurfireifen geziert if, und 

daß der obere Theil des Kleides nicht in Aer⸗ 
mel ausgedehnt ift, fondern die Arme und 
den nächſten Theil des Bufens frey läßt. 

Er fagt vorhero: fie unterfcheiden ſich — 

mit einem engen Rleide, das alle Glieder 

genau ausdrüdt. 


408 Thereſie und Eleonore, 


am Leibe figt, daß es bie ganze Bildung bes 
Leibes ausdrücdt, ohne Aermeln, und wor 
raus zween nackte Arme bervorragen, bie 
ſich meine geringfte Folgemagd fo unver: 
fchont zu haben, ſchaͤmen würde! — Glaubft 
du wohl, o Merkur! daß die ganze Prin—⸗ 
zeffin thenrer als für fünfzeben Gulden 
gekleidet worden ? und fie wagt es, ihre 
ungef&hlachten Zeiten mit den unfrigen in 
Vergleich zu feen „ wo fie Bürgerinnen 
finden kann, die den Werth von einigen 
taufend Gulden um ihren Hals , ober ih⸗ 
ren Kopf tragen , und es felbft unferem 
Stande ſchwer machen, es ihnen im Ans 
puge vorzuthun — „ 

Thusnelde, „, Tolles Weib! du olanz 
beft alfo, deine Zeiten durch diefen unge 
mäffigten Aufwand zu ehren? du fchimpfeft 
fie und diejenigen , die darin leben — 
Wie? du Hältft dafür, der Schmuck einer 
fürftlicden Gemahlinn beftebe darin, daß 
fie den Werth eines Fürftenthums auf ib- 
ren Leib Hänger, und die niedrigeren Klafz 
fen verzweifeln macht, e8 ihr jemals gleich 
thun zu fönnen ?. woher fann dieſe Ver: 
fhwendung anders, als von den Auflagen 
des Volfes beftritten werden, die ein nad)= 

ſe⸗ 


Therefie und Eleonore. 409 


fehender Gemahl bis auf das unerfchwing: 
lichfte erhöhen muß? Das ift alfo der 
Vorzug , den du mir fo ſehr rühmeft, 
daß die Unterthanen eurer Ehemänner die 
Weiber ihrer Herren für ihr größtes Un: 
glück halten müffen, da die unfrigen die 
Ehen ihrer Fürften für den größten Segen 
des Himmels hielten ? Dei ung mußte 
die Fuͤrſtinn Weibern das Beyſpiel der 
Sittfamfeit und Genügfamfeit feyn, sie 
ihr Gemahl Männern das Beifpiel der 
Zapferfeit, und Mufter, alles Ungemach 
des Krieges zu ertragen, feyn mußte, ,, 
Die gerzoginn. „ Vergeben mir euer 
Liebden, und du Götterbott, wen ich 
öfters bei diefen Neden ein Gelächter nicht 
unterdrücden fann, dag diefe einfältigen, 
fittenlofen Zeiten fo fehr verdienen! Wag 
für eine feltne Art, fih von dem Pöbel 
zu unterfcheiden ift diefe Eittfamfeit und 
Zugend, darin e8 jedes gemeine, gemein- 
fie Weib ung gleich thun fann, und wor: 
in fie e8 ‚unfrem Stande wirflid fo weit 
‚zuvor thun? Ich hatte mir zwar von dem 
Verſtande der Alten nie vorthetlhafte Be: 
griffe gemacht; aber, was ich von Thue= 
nelden höre, übertrifft weit die Vorſtel⸗ 
a lung, 


410 Thereſie und Eleonore. 


lung, fo ich davon hatte — Wenn ich alfo 
zu einem Haufen Weiber binzutrat,, fo 
mußte ich diejenige für die vornehmfte hal» 
ten, welche am einfachften, am züchtigften, 
gekleidet war ? Wenigftens, fam da ber 
Schmuck der Fürftinnen nicht fehr theuer 
zu ſtehen: aber ich hätte auch um alles in 
der Welt feine Perfon von hohem Nange 
feyn mögen. Wie? ich hätte dem Vergnuͤ⸗ 
gen entfagen müffen, alle vier Theile der 
Welt zu meinem Puße zinsbar zu machen ? 
ich hätte nicht Millionen auf meinem Ko— 
pfe, Millionen an meinem Halfe, nicht bie 
auserlöfenften Stoffe zu meinen Kleidern 
fragen, nicht durch meinen Anblick allein 
Erftaunen und Neid erwecken, nicht zu— 
wege bringen follen , daß jedermann aus— 
gerufen hätte: das ift fürftlich! das 
kann fonft niemand, als Sürflinnen Y 
Glauben Sie mir, meine werthe Thus— 
nelde! Sie würden bey unferen ferneren 
Zeiten viele Miihe haben, daß fich eine 
von unferen Frauen bereden ließ, eine 
Fürftinn zu werden, um den traurigen. 
Preis, die genügfamfte unter dem ganzen 
Volfe zu fern, und fich nur durch Sitt⸗ 
famfeit zu unterfcheiden. Ich ſehe erg 
ie 


Therefie und Eleonore. 411 


Eie find wegen unfrer Lebensart durchaus 

im Irrthume: ich will die Mühe nehmen, 
Sie darüber zu belehren, wenn Sie mid 
geduldig anzuhören verfprechen. Aber ich 
kann mich fo lange nicht auf den Füffen 
Halten: fie fegte fich, und fuhr fort, Der 
gemeine Haufen urtheilt nicht anders, als 
nach Dingen , die in die Augen fallen: 
es war alfo nothwendig ſich nach Merk- 
malen umzufehen, die von diefer Eeite auf 
ihn mwirften. Diefes machte und am erften 
die Bracht der Kleidung unentberlich. Der 
Poͤbel erftaunte , wenn er Schäge an ung 
glänzen fah. Was für einen Begriff mußte 
er fich nicht von dem Reichthume derjeni— 
gen machen, die eine Summe an ihren Leib 
verwenden konnten, welche alle feine Ein- 
bildung überftieg! Weil der Neichtbum 
bie Duelle alles Vergnuͤgens, und Ueber: 
fluß des Vergnuͤgens, der Maafftab ift, 
nah welchem bie Einbildung der Men: 
ſchen die Gröffe abmißt, fo hielt man ung 
nad) dem Maaffe über andre erhaben, als 
man unfer Vermögen aus dem äufferlichen 
Aufwande unerfchöpflich hiele — Darin 
muß ich geftehen, haben unfre Männer ei- 
nigermaffen einen Schler begangen , daß 

| fie 


— 


412 Üherefie und Eleonore. 


fie ihren Gemahlinnen durch ausdrückliche 

Gefege nicht gewiffe Dinge vorbehalten 
haben, die ihnen zur Unterfcheibung von 
den gemeineren Weibern hätten dienen 
fönnen. In der That, man fann es nicht 
ohne innigften Berdruß anfehen, wann ber 
bürgerlihe Stolz gang feine Schranfen 
hält, und mit ung gleichfam wettlaͤuft, 
wobei der Sieg nicht immer auf unfere 
Seite fält. Sollten Sie glauben Thus— 
nelde, daß e8 heute etwas ganz gemeine 
ift, Weiber aus den unteren Klaffen mit 
fo foftbarem Schmufe und mit fo ausges 
fuchten Kleidern zu fehen, wodurch fie ung 
anderen Frauen von Stand oft verbuns 
feln — Nein! würden fie felbft gefteben , 
es ift äufferft unerträglich, wann die Ord⸗ 
nung aller Stände vermenget, und einen 
alten Haufe nichts mehr vorausgelaffen ift, 
wodurch e8 fih vom neuen Adel unter- 
fcheiden koͤnnte. Kaum läßt jemand aus 
unferer Klaffe fich mit einer Mode, oder 
einem Foftbaren Aufwande irgendwo er— 
blicken, fo muß man zu feiner Seelen— 
fränfung ſich am naͤchſten Tage von eis 
nem Weibe nachgeäfft finden, deren Mann 
vor zehen Jahren vielleicht noch in einer 

Bus 


Therefie und Eleonore. 413 


Bude die Waaren hervorlangte, oder bei 
einer Gerichtfiele Schreiber war. Wir 
haben vergebens zu Taufenden auf unfere 
Mögen und Pferde verwendet, über die 
Geftalt, die Zahl der Gläfer, und was 
weiß ich, worüber noch gefünftelt. Die 
Srau von, wie fie dann heißt, oder die 
Baronnin läßt fi gerade fo ein Fahr: 
werk machen, und gebt mit mir in glei= 
dem Schritte. Wir haben nur die Mühe, 
die Erfindfamfeit unfrer finnreichften alt= 
adelichen Köfpe aufzubieten, damit diefe 
geftrichen Edelleute Fommen, und fih da= 
mit, troß der Ältften Familie brüften, und 
blähen mögen. Vergebens haben wir eine 
. Unterfcheidung in der Zahl unfers Gefol- 
ges gefucher, und auf unfere Wägen fo - 
viel Bediente gepadet , daß die armen 
Dferde fie. beinahe nicht heranfchleppen 
fonnten. ch glaube, der Stolz deg leo» 
nifchen Adels hat die Hintertheile feiner 
Mögen alles Fleiffes breiter und groͤſſer 
machen laffen, damit er e8 und auch da— 
rin zuvor oder wenigſtens gleichthun koͤn⸗ 
ne. Sie merben auf öffentlichen Spazier⸗ 
fahrten von Ferne Kutfchen erblicken, vie 
wegen der zahlreichen Liverey das Anfehen 
’ ha⸗ 


414 Scherefie und Eleonore, 


haben, wenigſtens eine Gräfinn aus irgend 
einem der ältften Häufer zu führen: die 
Kutſche naht, und es fist recht adelich 
bineingepolftert darin bie — Frau eines 

. Wir hatten uns verabredet, die— 
fen Rolsen, nachäffenden Puppen zu Trog 
auf eine Zeit zu Fuß zu gehen, aber zum 
- Zeichen unfers Vorzugs unfre Bedienten, 
auffer eines einzigen , der. die Schleppe 
hält , alle vor uns hergeben zu laſſen. 
Wie lange blieben wir in bem Befiße dies 
ſes Vorzugs? Urtheilen Sie noch ist aus 
dem Vortrabbe der Liverey auf die Wuͤrde 
der Perſon! Sie werden ſich auf das haͤß— 
lichfte betriegen. Wer ift fie, diefe Dame, 
die dort fich fo langfam heranwaͤlzet, daß 
man ficht , mie fchwer ihr das Geben ans 
fommen, und, wie die Mühe, ihren Körper 
auf eigenen Beinen zu tragen, gar nicht 
ihre Gewohnheit feyn müffe ? wer ? eine 
raͤthinn, vieleicht nur noch bloß dem Tis 
tel nach. Sie treiben es bald fo weit, daß 
dag gemeinfte Weib, das nur einen eingiz 
gen ſchmutzigen Bedienten hat, dennoch fo 
eitel ift, feinen ganzen Hofftaat vor fich her⸗ 
treten, oder fich vielleicht von ihm gar an 
der Hand führen zu laffen, da es doch nie 

eig⸗ 








Therefie und Eleonore. 415 


eignes Fahrzeug gehabt, und oft, nur noch) 
vor ein paar Jahren nicht nur ohne Führer 
gehen, fondern auch eine ziemlich ſchwere 
Laft auf feinen neugeadelten Schultern tra 
gen mußte. Selbſt das Innerſte unfrer 
Haͤuſer ift vor diefen Affen nicht mehr fi: 
cher. Wir haben offene Tafeln, fie deg- 
gleichen: wir geben Gefellfchaften, fie des⸗ 
gleichen: wir fpielen zum Zugrundrichten 
hoch, fie eben fo wohl: wir haben Em— 
pfang und Befuchgepränge, fie haben das, 
ihrige, nur daß e8 vielleicht noch fteifer ift, 
als dag unfrige: wir empfangen um Mit: 
ternacht unfre Freunde, bei ihnen wird eg 
nicht früher ruhig: mir fchlafen bis an 
Mittag, fie fruͤhſtuͤcken um zwoͤlf Uhr ihm 
Bette: wir empfangen Befuche beim Nach» 
tifche, fie desgleichen: wir haben eigene 
Aufwaͤrter, die ung aller Orten begleiten, 
fie haben die ihrigen: bei ung ift es Schan» 
be gefund zu feyn: fie lagen beftändig über 
PR, Wir fehen unfre Männer felten an- 
derswo, als an der Tafel, im Schau: 
fpiele, in einer Geſellſchaft, oder fonft an 
einem dritten Orte; fie find um feine Mi: 
nute länger um bie ihrigen: wir überlaffen 
bie Erziehung unfrer Töchter frangsfifchen 
Wir 


416 CThereſie und Eleonore. 


Wäfchermägden, die mir durch den bei- 
gelegten Titel zu Gouvernanten erhöhen; _ 
fie entladen fid) der mühfamen Pflicht auf 
eben die Weife: wir find um dag Haus: 
wefen unbefümmert; fie nehmen eben fo 
wenig an allem, was Sorge machen fann, 
Antheil: wir finden feit einer gewiſſen 
Zeit einen befondern Gefhmad an wohlge⸗ 
‚bildeten Lakeyen; auch fie zahlen einem 
mwohlgerundeten Burfchen vierfach, um ihn 
in ihre Dienfte zu befommen: wir machen 
Schulden, und richten unfre Männer durch 
geheimen Aufwand zu Grund: damit fie 
ung in Nichts nachgeben; fo unterhalten 
fie ebenfall® ... +. und flürgen ihre Fa— 
'milien dadurch in Untergang — Und was 
wir uns auch fiir Mühe gegeben, bei uns 
fern Gemahlen einige Gefege zu bemwirfen , 
welche diefer Nachahmungsſucht Einhalt 
thun follten, fo haben wir, ich muß «8 
zur Echande geftehen, doch itzt weniger 
als jemals Hoffnung, fie zu erhalten, da 
e8 dem Flitteradel gelungen, unfte Mäns 
ner in ihre Häufer zu locken , und fie, 
weis ichs wodurch, in ihren BREUER zu 
sieben. „ 


Die 


Therefie und Eleönore. 417 


Die gerzoginn war bei diefer langen, 
ganz von der Hauptfache ausfchweifenden 
Nede fo fehr in Eifer geratben , daß ihr 
Athen und Etimme'entgieng, und Merfur 
für nothwendig erachfete, fie zu erfuchen, 
bier die erfte Sißung zu befchlüffen, und 
ihre erfchöpften Kräfte für die folgende in 
etwas herzuftelen — — — 


X. 


So oft ein junger Mann fih in der Stadt 
vermäßlt, 

Hört man Beturien mit grauem Haare fagen : 

Auch der hiele um mich an, auch dem hab 
ich gefehlt, 


Auch diefen hab’ ich ausgefchlagen. 
— 


Ja⸗ kenne ein Maͤdchen, dag dem Vers 
fafler des Grandifon, den fie fonft ſehr 
hochſchaͤtzte, aus der einzigen Urfache gram 
geworden, daß er in feinem fchönen Ro— 
mane bie gute Tante Lore mit aufführet. - 
Man wird fich erinnern, daß dieſes Fraͤu⸗ 
fein von feiner Nichte Charlotte Gran: 
difon manchmal fehr aufgegogen wird, 
mie e8 überhaupt die Gewohnheit junger 
W. Theil. Db ° Kafr 


418 Thereſie und Eleonore. 


Leffinnen *) zu feyn pflegt, ein Ziel, 
wohin fie laufen , zu ſcheuen, ein Alter, 
das fie zu erreichen münfchen,, lächerlich 
zu finden. Befonders ift ein unverheu— 
vathetes Mädchen von gemwiffen Jahren in 
den Augen der ganzen Welt ein Gefpstt, 
und mir find mehr den zwanzig liebens— 
würdige Kinder befannt, die bei ſich be— 
fchloffen Haben , lieber fih hinter den 
Schleyer zu ftecfen, als, ein Nergerniß 
Bekannten und Unbefanntrn, mit acht und - 
zwanzig Jahren auf dem Nücken herum— 
zumandeln, ohne ihren Namen geändert, 
und die Schande ber Ehlofigfeit von fich 
gewaͤlzt zu haben. 

Unfre Begriffe find ſehr oft ein Wider: 
ſpruch. Die Ehlofigfeit, wenn dag Klo— 
ſtergeluͤbd dazukoͤmmt, ift Ehre, ift Ver: 
dienft : die Ehlofigfeit in der Melt ifi 
Schande. Man kann e8 daher Mädchen, 

die 
* Laffinnen, von dem Worte Laff, wie Nar— 
rinn von Plarr. So wenig das Wort durch 
den Gebrauch gerechtfertiget ift , fo richtig 
it es dee Sprachlehre nach, und noch rich⸗ 
tiger, wenn die Bedeutung dabei mit in Er⸗ 


ung kommt. 
m Anmerk. des Seransg. 


Therefie und Eleonore. 419 


bie ihren Frühling überlebt haben, nicht 
verdenken, wenn fie die Schande, wenig: 
ſtens in fo weit es ſich thun läßt, won fich 
zu weiſen fuchen, und fich der Eroberuns 
gen ihrer jugendlichen Wangen, und ber 
Derheerung ihrer noch unverlöfchten Augen 
rühbmen — Ich danke meinem Gott, 
fagte Talemine, die unter allen Moden 
die franzoͤſiſchen Schlafhauben anpreift ; 
weil fie darunter ihre grauen Haare dem 
Auge neugieriger Jugend entziehen kann, 
ich danke meinem Gott, daß ich man⸗ 
cher Gefahr ſo glücklich entgangen, und 
mein Ber wider die vervielfaͤltigten 
Unfälle; die man darauf gewaget, ver- 
theidiget habe! wie ünglüdlich würde 
ich bei den heutigen Männern mit mei: 
nen gutwilligen Gefinnungen gewefen 
fepn! Talemirie beftimmt nun Jahr, Mer 
nat, Tag, Stunde; und den Ort pünft: 
ih, wo Alcidanes Mann’ fie auf den 
Knieen um ihre Hand bat, tind zu ihren 
Füffen zu flerben drohte, wo er fie nicht 
erhielt — Beinahe wäre fie weichmüthig 
geworden ; aber zum Stücke hat fie fich 
gewiſſer Liebeshaͤndel Maine die der fie: 
hende Liebhaber mit . . gehabt, aus 
D 2 de⸗ 


1 


420 Thereſie und Eleonore, 


denen er fich nicht fehr zu feiner Ehre 
herauggezogen; und fie hat fich den Un— 
geftümen mit einem befchämenden Vor— 
mwurfe vom Halfe gefchafft — Eie Fennen, 
fagt fie euch im Vertrauen — den lo— 
Keren BalUmondyY wiünfihen Sie mir 
Glück! das Schöne Leben, das er nun 
mit Dorianten fübret, hatte mir gelten 
follen. Aber ich Fannte den Znaben, 
und ließ ihn Iaufen, denn ich hätte 
mich nicht , wie feine weife Salfte zu 
entfchädigen gewußt. In diefem Tone 
fährt fie fort zu erzählen , wie fich zween 
erbitterte Nebenbuhler um fie die Hälfe 
gebrochen, und fie eben diefe Schlägeren 
zum Vorwande ergriffen „„fich beide vom 
Halfe zu fchaffen : wie ein Hauptmann, 
den fie nicht nennen will, aus Verzweif— 
lung, von ihr abgemwiefen worden zu feyn, 
a la Trappe gegangen , wo er noch in 
einem groffen Nufe der Heiligfeit Tebt: 
wie ihre Anverwandten den einzigen Lieb: 
haber , für den ihr Herz fich erfläret hat, 
nicht gebilliger hätten, weil feine Familie 
ein wenig modern , und fein Vermögen 
nicht aroß genug gemefen wäre. Indeſſen, 
ſetzt fie zärtlich gerührt hinzu, wuͤrde ich 
sa 4% 


Thereſie und Eleonore. 421 


in Geſellſchaft dieſes Menſchen, der allein 
Gnade in meinen Augen zu finden gewußt, 
unter einem Strohdache, bei Milch und 
Brod anmuthigere Tage verlebet haben, 
als an der Seite des kroͤſusreichen Storr, 
der mir Tempel zu erbauen, und mich mit 
Nektar zu verkoͤſten gelobte, den man mir 
mit aller Gewalt aufdrang, und mit deſ— 
fen Abweifung ich alle Tanten und Bafen, 
die mit im Spiele waren, auf dag em— 
pfindlichfte vor den Kopf ſtieß. Telamine, 
mit einem Worte , hat, wenn man fie 
hört, die halbe Schoͤpfung durch ihre 
Graufamfeit vermwäfter, und fie ermangelt 
nie, den unsoiberleglichen Beweis hinzu 
zu thun: es fey leicht zu denfen, daf 
es einem Mädchen mit ihrem bifichen 
Geſicht, und zweymalbundet taufend 
Gulden Vermögen nicht an Sreyern 
Tonne gefehlet haben. 

Gluͤcklich dag veraltelte Mädchen, dag, 
wie Telamine, den Beweis fo bear führen 
fann, daß fie freymwillig unverehliget geblie= 
ben! Aber, zu weichem Gott nehmen dieje= 
nigen ihre Zuflucht, denen dieſe Aushülfe 
verfagt it? Zwar fie würden ihrerfeits 
auch von Entführungen, von Zweyfämpfen, 

Dd3 von 


422 Thereſie und Eleonore. 


von DVerzweiflungen erjählen , auch aus: 
gefchlagene vortheilhafte Verbindungen an⸗ 
führen , auch Liebeshiftörchen erdichten ; 
aber wo finden fie jemanden, ber guther- 
zig genug iſt, ihnen zuzuhoͤren, oder wohl 
gar zu glauben; geſetzt auch, daß fie die 
Hälfte davon mit Urkunden belegen koͤnn—⸗ 
ten? — Diefen unglüclichen Binfamen 
fälle die ganze Laft des Spottes auf den 
Hals, der unferem Gefchlechte fo empfind⸗ 
lich ift, daß es wohl der Mühe lohnet, 
den Grund deffelben aufzufuchen. 

Warum muß ich ung die unangenchms 
fe Wahrheit durch einen neuen Beweis 
beftättigen, daß diefe binfällige Geftalt, 
diefe mit jedem Jahre, mit jeder Minute 
abnehmenden Neize das einzige , einzigfte 
find, was bei ung felbft fowohl, als bei 
dem Gefchlechte, dem zu gefallen wie uns 
fer wichtigftes Gefchäfe feyn laffen , in 
Arkchlag gebracht wird ? ES fpreche je= 
mand von unferem Verfiande, von unfes 
ren Sitten, man fpreche von unfrer Tus 
gend zweydeutig; wir werben ung fröften. 
Aber wer es waget, mit feiner Verläum: 
dung bis in das Heiligehum unfers Ge— 
ſchlechtes zu dringen, und bie Vorzüge 

uns 


Therefie und Eleonore. 428 


unſrer Geſtalt in Zweifel zu ziehen, wis 
fchen dem und ung ift der Bruch auf ewig 
befeftiget. Wir vergeben eher Entehrung, 
als Verachtung — Und auch ihr, ihr Her- 
ren, die ihr diefer Wahrheit , welche ich 
meinem Gefchlechte mit fo vieler Dreiftig- 
feit ins Geſicht zu ſagen, das Herz habe, 
die ihr darüber lachet, auch ihr nehmer 
lieber Ppgmalions Bildfäule als eine Ge: 
fpielinn aus dem Zempel der Goͤttinn 
Arete *) zu eurer Gebieterinn an; auch 
ihr zieht bei euren Wahlen mehr eure 
Yugen, als eure Herzen, zu Rath; Ich 
irre mich , ihr wählt nur für eure Augen, 
nicht für das Herz ; ihr waͤhlet nur für 
den Körper, weil ihr nur für die Begier: 
den wäbler, und ihr würdet unbekuͤmmert 
feyn, wenn der Gegenftand eurer Sinn: 
lichkeit ganz Feine Seele hätte. 

Dei dem einem Gefchlecdjte fowohl ale 
bei dem andern ift alfo die Geſtalt dag 
ſchaͤtzbarſte. Eine vortheilhafte Bildung, 
eine feine Haut, eine lebhafte Farbe, ein 
reiner Wuchs, machen Sitten und Ver: 

D>Ddb4 ftand 


*) Arete ift die Gottinn der guten Sitten, deren, 
Zenipel alle fchon verfallen find — 


424 Therefie und Efeonore. 


fand fehr entbehrlich + wozu auch find - 
Derftand und Sitten? 

Aber auch der Borzug der Geftalt wird 
nicht immer nach feinem wahren Gehalte 
abgemeſſen. Dft hat ed dem Obngefähr 
gefallen , gewiſſen wunderbarlich gemodel⸗ 
ten Gefichtern einen Schwung zu geben, 
und fie in Mode zu bringen. Die fchön- 
ften groffen Augen wurden nicht felten von 
fleinen verbunfelt, die man Taubenaugen 
der Venus bief. Ein fchlanfer Wuchs 
mußte einem dicken Leibe, eine feine Bil- 
dung männlichen Gefichtszigen, eine Mar 
jorſtimme der entzuͤckenden Etimme einer 
Täuberinn *) weichen. In diefen Anwand⸗ 
lungen des verliebten Eigenfinnes liefen 
die Männer heerdenmeife nach ben klein— 
äuaigten, bdicfleibigten, männlich geftal- 
teten, und grobftimmigten Schönen. Die 
Schönheit beftimmt den Werth des Maͤd— 
eng, die Zahl der Anbeter den Grab ber 
Schönheit. Und einem Mädchen, das ſich 
von ganzen Heeren ber Liebhaber verehret, 
und von Wolfen des Wenhrauchs beinahe 
erfticket fab, konnte es einem folchen Mäbd- 
chen wohl an einem Manne gefehlet haben ? 

Ev 
*) Die Ältere, welche damals Wien entzückte 





Therefie und Eleonore. 425 


So fchlüßt die Welt: und dann wen— 
det fie den Schluß um, und ift boshaft 
genug, zu urtheilen, daß ein Mädchen, 
welches das fünf und zwanzigfte Jahr er- 
reichet hat , und noch immer Mädchen 
ift, was e8 von feiner eigenen Geſtalt, 
und den Abentheuren feiner Jugend auch 
forechen möge, niemanden in Verfuchung 
geführet haben müffe, um daſſelbe Anwer⸗ 
bung zu thun — 

Jede Wiederholung des Namens Fraͤu⸗ 
lein , ift daher in gewiffen Sahren ein 
ſtillſchweigender Vorwurf des Unmertheg 
ihrer Reize, und es ift fein Wunder, 
wenn Verfonen, die fi) in diefem Falle 
befinden, bei ver Erwähnung ihres Stan- 
des ein zweyſchneidiges Schwert durch die 
Seele dringt, wie einem Handelsmanne 
der Blick erfchrecfli feyn muß, den er 
auf einen Vorrath Waare wirft, die durch 
die Unbeftändigfeit des Gefchmads aus 
ber Mode gefommen, und auf immer ein 
verlegenes Gut find — 

* 








DEE, XL 


426 Üherefie und Eleonore. 
XK 


Veniunt a Dote ſagittæ. 
“ Juvenälis. *) 


Anbetenswärdige Talemine! 


w RM, Sie fich auch immer befinden moͤ⸗ 
gen, empfangen Sie von mir die Verſi— 
cherung der zärtlichiten Ergebenheit! Ich 
habe nicht erft geprängmäflig einen Sams 
ftag erwarten wollen, ehe ich an Gie fchrieb, 
aus Beforgniß, daß jemand mich überho-= 
le, und ihren unmwiderftchlichen Neizen von 
zweymal bunderttaufend Gulden vor mir 
duldige. Die Eilfertigkett ift an einem 
Liebhaber Fein Fehler: und nad) der ges 
meinen Sage find diejenigen immer am 

gläclichften, die am dringendften find. ,, 


* * 


*) Diefer Brief Hatte die Aufſchrift am den 
Herausgeber diefer Blätter, Der BVerfaffer 
defielben hat mich in den deingendfien Aus— 
drücten befchworen , die lateiniſche Aufſchrift 
beisubehalten , ohme fie zu überfegen. Er 
behauptet: Taleminens Einwilligung, und 
folslih fin Glück beruhe daranf, daß fie 
nicht liberfegt würde. Sollte ic fo grauſam 
ſeyn, und ihn unglüdlich maden wollen? 

Der verausg. 


Therefie und Eleonore, 427 


„ Engel von einem Mädchen! Göttinn 
von einem Menfchenkinde! laffen Sie ih- 
ven Triumph nad) den zwey und fiebeke 
jig Winden der Welt erſchallen! Der 
Caffer und Mohr, der Ehinefer und Ta: 
pinambous follen mid, vor Ihnen auf den 
Knieen fehen! Führen Sie mich allen Na— 
tionen in Fäffeln zur Schau auf — Ad 
ich ſchweife aus! Talemine! urtheilen 
Sie von der Macht ihrer Reise ! göttliche 
Reize von zweymalhundert taufend su 

„ £ernen Sie, unvergleichlihe Taler 
mine! lernen Sie ihren Sflaven fennen, 
und halten Gie feine Niederlage für ein 
Werf, das nur Ihnen vorbehalten war ; 
nur ihrer würdig iſt! Der Wuchs eineg 
Grenadiers, ein paar funfelnde ſchwarze 
Augen, Eie durch und durch zu ſchauen, 
Lipven , wovon die Schmeicheleyen wie 
ein Waſſerfall zu ihren Füffen herabftär- 
zen follen, Schultern, Sie, nicht wie ein 
faltfinniger Eneas feine Kreuſa bei einer 
Hand aus Troja zu führen, fordern mit 
allen ihren Kouponen und Bankozeddeln, 
als eine koſtbare Laſt bei der Heringften 
Gefahr aufzufarteln, Arme, Sie zu erdrii- 
den, wenn meine ZärtlichFeit überläuft, und 


Bei: 


425 Thereſie und Eleonore, 


Beine, sole die Beine des Herfuleg, bie 
Deianiren fo fehr gefäffelte haben. Und 
alle diefe männlichen Schönheiten follen 
ihre feyn, wenn Sie mich zu dem glüdlich- 
ftien Menfchen von der Welt machen, und 
mir ihre zweymalbundert taufend — 
werthe Perſon fchenfen,, und dafür mein 
Herz, meine Hand, und biefe Schultern, 
und diefe Beine, und diefe Lippen, und 
diefen ganzen, nicht etwan baufälligen 
Körper , fondern einen Menfchen im der 
Stärke feiner Jahre, zwiſchen dreyfig und 
vierzig, und, was insbefondere nicht auffer 
Acht zu laffen ift, der nie eine Frau ges 
habt, und fonft wohl behalten ift, in Em— 
pfang nehmen mollen. Theuerfie Tales 
mine! befahren Gie fich feiner Lift von 
mir! diefer Brief foll in ihrer Hand ſtatt 
einer Verfchreibung gelten, Kraft der ich 
mich anheiſchig mache, Ihnen alles Obige 
pünftlich einzuliefern, Zug für Zug, mei 
ne Geliebte! wir Leute vom Kriegeshand⸗ 
werfe miffen nicht, wie die Civiliften zu 
fhifaniren — „ . 

„Vom Kriegeshandmwerfe, ja! und ich 
hoffe, das foll mir in ihren Augen einen 
neuen Werth zulegen. Schon bin ich Haupt» 

y mann, 


Therefie und Eleonore. 429 


mann, und was fann ich nicht noch wer= 
den? wie hoch Fann ich meine Talemine 
nicht noch erheben ? bis auf die Zinne der 
Ehre, wo Sie, alle ihre Sie beneidenden 
Gefpielinnen zu ihren Füffen tief, tief im 
Staube, unfennbar erblicken follen. Neh— 
men Gie einen Staatsbedienten! feine Be— 
förderung hat Gränzen. Wann er einmal 
einen gewiffen Punkt erreichet hat, fo ſteht 
er unbemeglich , als wäre er hingezau- 
bert — Aber ein Soldat — die Leiter der 
Ehre, worauf der hinanzuflettern hat, vers 
birgt ihre Spigen in dem Himmel der ent- 
ferntften Unfterblichfeit : und wenn Cie 
mich durch den mächtigen Beiftand ihrer 
Daarfchaft einmal bis zu einer gewiſſen 
Stufe erhoben haben, fo fey das übrige 
die Eorge meiner Tapferkeit, und fiebe, 
die mic) zum Helden machen wird. Man 
hat wohl eher Beifpiele gehabt , daß fich 
gemeine Soldaten auf den Thron geſchwun⸗ 
gen. Sollte ihren Reizen das Wunder un: 
möglich feyn , meinen Arm zu befeelen , 
daß er ihnen wenigfteng einen Komando— 
fiab zu Füffen legte? und dann wird mei- 
neTalemineErcellenz! o Wonne!,, 


„ Aber 


430 Thereſie und Efeonore. 


Aber die Ehre ift nicht der einzige 
Vorzug, den die Martisfshne ihren Ey: , 
theren verfichern. Welch ein mweltenweiter 
Unterſcheid zwiſchen dem Ehftande eines 
Staatsbedienten und eines Kriegers! Das, 
was meine — fhon nenne ich Sie mein; 
meil ich mir e8 einmal unveränderlich vor? 
gehommen habe, Sie zu erobern — das, 

was meine Talemine vielleicht bei einem 
Soldaten fchenen möchte, twag in ber Zus 
funft meiner Bruſt die erfien Seufzer, 
meinen Augen die erften Thränen entlocken 
wird, das eben tft durch die weiſe Reihung 
der Umftände das Glück Eriegerifcher Ehen. 
Euch, würdigen Schoͤnen, für welche die 
Schönheit der Natur, der holde Frühling, 
die fchrecklichfte Feit if, weil er eure Ge- 
liebte euren Armen entreißt , und eure 
feufchen Flammen zu einer balbjährigen 
Wittibſchaft verdammet, euch, die ihr bei 
der Erwähnung einer Schlacht bebet, in 
jedem Koüriere einen Boten des Todes 
fürchtet, euch hat die Liebe zum Erfage für 
diefe Feiden ihre wahreren, ihre ſchmack⸗ 
haftften Freuden vorbehalten. Diefe fuͤrch⸗ 
terlichen Abwefenheiten find vwortheilhafte 
Zwiſchenraͤume, die beiden Theilen zur 

Er: 


Thereſie und Eleonore. 431 


Erholung nothwendig find, und der Er: 
fchöpfung. der Zärtlichfeit währen ‚ deren 
Folge immer mechfelfeitiger Leberdruß und 
Efel iſt. Statt, daß der, an die Seite 
feiner unabfönderlichen Hälfte mit eifernen 
Ketten gefchmiedete Staatsmann bei dem 
größten Vorrathe der Zärtlichkeit bald auf 
dem Grunde if, und nun das Paar ge: 
fühllos , gedanfenlog gegeneinander ſitzt, 
ſich nichts zu ſagen weis, als was es 
hundertmal gehoͤret und geſagt, und wie— 
der zu ſagen muͤde iſt, dreymal gaͤhnt, 
und zuletzt ſanft einſchlaͤft; ſtatt deſſen 
hat die Mutter der Liebe, die noch ihrem 
Lieblinge in jedem Krieger hold iſt, da—⸗ 
für geforget, daß bei ung dag Bergnügen 
zu gelegener Zeit unterbrochen werde, che 
mir befielben fatt feyn koͤnnen. Die Ab: 
weſenheit facht dann die Zärtlichkeit aufge 
neue in lichterlohe Flammen auf; und die 
Gefahr, die Furcht, ung zu verlieren, 
macht uns unferen Geliebten theurer — 
wie immer ein Gut, dag man verloren 
hält, und nun wieder finder, Foftbarer 
wird. Go Ieben wir, nicht einen ewi- 
gen Ehftand dahin, wovon man fein End 
abfieht, fondern erneuern mit jedem Ende 
der 


432 Thereſie und Eleonore. 


der Gampangne eine Verbindung, bie wie 
ber länger nicht als fir die Wintermonate 
dauren fol — Wir leben nicht in einer, 
wir leben in hundert Ehen, denen unfer 
Stand felbft nicht Zeit laͤßt, jemals zu 


überreifen. Der Symen des Staatsbe— 


dienten ift ein alter fopfhängender Kerl: 
der gymen des Coldaten, ein huͤpfender, 


muthwilliger Züngling , auf deſſen Haupte 


die Rofen im ewigen Lenze prangen. „ 

„ Neichen Sie mir die Hand, theure 
Schoͤne! und nehmen Sie dagegen bie 
meinige an , die ich Ahnen mit wahrer 
Vorempfindung des innigften Vergnuͤgens 


darreiche , momit: ung die Liebe kroͤnen 
wird, Ich bin eiferfüchtig, Eie zu befißen: 


ihre Vorzuͤge leuchten zu ftarf in die Au— 


gen, als daß ich nicht Nebenbubler zu ber 


fürchten haben ſollte. Wer ift im Etande, 


neben dem blendenden Glanze von funfzigs 


taufend Kremnigern der glatten Haut ei= 


nes flatterhaften Wefens wahrzunehmen ? 


und wer follte bei dem Silberflante ih⸗ 
rer Annehmlichkeiten für die fchmeichelnden 


Zaubertöne der jüngften Kehle noch Obren . 


haben? — Sagen Eie mir, angebetefe 


Talemine! ift die Vorftellung, die ich mir 
von 


Therefie und Eleonore. 433 


von ihrer koſtbaren Perfon mache, ein 
Spiel meiner Einbildung ? oder hat mein 
Geift fich durch ein geheimes Zauberftüc 
ihrer Baarfchaften, auf eine Zeit von mir 
felbft losreiffen, und zu Ihnen eilen, und 
die Züge zu dem entzückenden Bilde fam= 
meln fönnen,, das ic) mir zum Abgotte 
meiner Wünfche erhoben habe? — „, 

„ Sie find, denfe ich, über die Unbe— 
fiändigfeit der Jahre hinweg, die einen 
Mann immer noch Kinberpocen , oder 
einen andern Feind der Schönheit: fürdhs 
fen, und vor einer traurigen Veränderung 
feines jungen Weibeg zittern laſſen. Ueber 
die Anmuth, die Cie mir einmal einräu- 
men, bat die Zeit, mie der Winter über 
das unveränderliche Wintergrün , feine - 
ganze Herrfchaft verloren. Sie find von 
unmanbelbarer , unfterblicher Geftalt, wie 
die Goͤttinnen des Olympus. Verbergen 
Sie immer ihre Haare unter einer ſchuͤtzen⸗ 
den Nachthaube! die muthwilligen Purſche 
verbienen fie nicht zu ſehen. Schon find 
fie aſchengrau, aber bald werden fie vol⸗ 
lends die Silberfarbe des Mondes errei: 
chen: und welche Farbe in der Welt darf 
ſich mit filberfärbichten Locken in einen 

IV, Theil. Eee Wett⸗ 


234 Thereſie ımd Eleonore. 


Wettſtreit einlaffen ! - Die Roſen ihrer 
Wangen werden nicht die vergängliche 
Roͤthe der Frählingsblumen haben ; «8 
werden dauerhafte Scharladhrofen fenn , 
die nicht von jedem Hauche der Luft ver- 
soehet werden. Nicht wahr? die Gorge, 
fi von der Ungeftüme ihrer Liebhaber mit 
Anftand los zu machen, bat auf ihrer 
Stirne einige Furchen gezogen, die ihrem 
ganzen Gefichte ein ehrfurchterzwingendes 
Anfehen geben? Wie wohl bat die Natur 
gethan, ihre Augen ein wenig zuruͤckzu⸗ 
ziehen, und den Glanz derfelben durch die 
überhängenden Gefträuche der Augenbräune 
zu mildern! wer hätte fonft ihre fiegenden 
Blicke ertragen, mie hätte ihr glücklicher 
Gemahl Eie ohne Blincken jemals betrach- 
ten fönnen.? Ihr Hals, und ihr Buſen — 
Lafien Cie mic) davon wegwenden, ba= 
mit ich nicht In einem Meere des Vergnuͤ⸗ 
gens erfäufe! Sie find, mit einem Worte, 
wie die Bildfäule einer Goͤttinn, die auf 
einem guͤldnen Fußgeſtelle erhoͤhet ift, mir 
Sterblihen unerreichbar , der ich mich 
ehrerbietig begnügen will, das Fußgeftell 
ju umarmen. „, 


Noch 


Sherefie und Eleonore. 435 


„ Noch einmal, göttliche Talemine! 
reichen Sie mir ihre Hand, und machen 
Sie mich durd) den Befis aller ihrer Vor— 
züge zu demjenigen glüclichen Sterblichen, 
der den Reid aller Freyer verdienet, aber 
auch an ihrer Seite verachter! Bald foll 
die Glüfeligfeit ihres Gemahld dem gan- 
zen Erdenfreife fichtbar in die Augen fira- 
len! Bald will ich in einer prächtigen 
Kutfche daherrollen, an deren Seitenftü- 
Ken der Gott der Liebe fich in einer Win: 
terlandſchaft auf dag anmuthigfte zu er— 
gößen fuchen wird. Bald will ich ihrem 
Vermögen mit einer Foftbaren und zahle 
reichen Liverey Ehre machen. Bald fol 
ihre Großmuth durch die niedlichften Gaſt— 
gebote, durch die höchften Spiele berühmt, 
bald ihr Haus ein Sammelplaß der artig- 
ften Geſellſchaft beiderlen Gefchlechteg, ein 
offener Luftort der Stadt werden. Ach 
will alles Fleiſſes nachfinnen, unfer Geld 
mit immer neuen Ergögungen anzumerben. 
Und da mic ihre Jahre der Sorge ent— 
übrigen , auf Nachkommenſchaft zu den— 
fen, fo haben wir, ohne gu ber traurigen 
Muͤhe der Berechnung und eines Leber: 

Eea ſchlags 


435  Üherefie und Eleonore; 


ſchlags gehalten zu feyn, nichts zu thun, 


als zu genieflen. „ 

„ Das find die Bedingniffe unſeres 
kuͤnftigen Ehvertrags, zu denen ich mich 
hiemit vor dem Angeſichte der ganzen Welt 
auf das feyerlichſte verpflichte, und zu 


den vorhergehenden nur noch dieſe hinzu⸗ 


fee: daß ich ihre Schritte und Wege nie 
mit einer Nachforſchung beleuchten , ihre 
Freyheit in nichts hemmen, weder wegen 
ihres Umgangs, noch ihrer Gefellfchafter 
eine Ausnahme machen, und Gie, mit eis 
nem Worte, unbefchränfte Frau ihres ei- 
genen Willens werde feyn laſſen — wo— 
für ich mir meinerfeitd nichts weiter, als 
eine gleiche Freyheit vorbehalten haben 
soil — „ 

„AIch erwarte num die förmliche Be— 
ftättigung von ihren Götterlippen , und 
nenne mic) fchon zum voraus mit der 
regſten Inbrunſt 


ihren, ganz ihren Ellwern. 


XL. 


ee ——— 


Therefie und Eleonore. 437 
XII. 


In deinem, nicht wie Glas durchſi — Hersen 
Entfohütt ich mich auch der geheimſten Sorgen. 
Ich halte die dein Menſchliches zu gute, 

Wie du meines dedeft. 
Zange. 


Talemine an El!wern, 
Mein Freund! 


> 

u Ihre Liebeserklaͤrung hat ihre Wir- 
fung gethan: Sie haben die Funfen, die 
noch unter der Afche glimmten, anzufa- 
chen gewußt: ih bin ganz Feuer, ganz 
Leben! Ellwern! die Falten meines Ge— 
ſichts verſchwinden: mein ſchon zufamm- 
gezogenes Herz blaͤſt ſich auf, erweitert 
ſich — Was alles fühle ich für Sie — 
„ Zwar follte ich mit mehrerer Foͤrm—⸗ 
lichfeit zu Werfe gehen: ich ſollte Ihnen 
das Erdreich Fuß für Fuß ftreitig machen: 
ich follte Sie feufzen, verzweifeln, Gri— 
maſſen machen laffen! Da ich noch, wie 
Eomorren *) Jungfrau bin; fo follte ich 

€ez | mich 
- *) Eine gemeinübliche Redensart von einer Fer 
fung, Die noch nie erobert worden, zu ſa— 

gen: 


438 iherefie und Eleonore, 


mich nicht fo auf Gnade und Ungnade er⸗ 
geben , fondern wenigſtens vor meiner 
Uebergabe gewiſſe Ehrenbedingniffe zu er- 
halten fuchen. Aber, Sreund meines Her- 
zens! wozu dieſe Verftellung ? ich will 
Ahnen den Sieg nicht ſchwer machen, da 
es mich felbft gu viele Ueberwindung ko— 
fien würde, den liebften Wunſch meines 
Herzens nur eine Minute zu verweilen —,, 

„ Komm tbeurer , füffer Gelichter ! 
fomm nur erft in meine Fligeren Jahre, ba 
weis man mit feinen Augenblicken haus⸗ 
zuhalten! Wann ein Augenblick einen be— 
frächtlichen Theil der Zeit ausmachet, die 
wir noch zu leben haben, verliert man fie 
dann etwan gerne? „, 

Schalk! ftünden Sie da vor mir, 
tch muͤßte Ste mit einem fanften Baden» 
freie für ihre Schmeichelen beftrafen, 
Ihre Abmefenbeit koͤmmt mir gleichwohl in 
diefem Augenblife fehr zu aut: ich würde 
meine Verwirrung binter meinem Fächer 
nur fchlecht verbergen. Jch bin zwar, wie 

wir 


gen: diefe Sefkumg ift noch Jungfrau. Br: 
fonder# fagt man diefes hier su Lande von der 
ungarifhen Feſtung Comorren. 





Therefie und Eleonore. 439 


wir Mädchen fämmelich , feine Feindinn, 
daß man meine Neisungen ein Bißchen 
übertreibt; aber.man fol dabei Maaß hals 
ten, Lieber ! Sie gehen ein wenig gu mweitf- 
Da wir vor dem Angefichte der Liebe nun 
fhon Mann und Frau find, fo tarf ih 
mit Ihnen auch verfraulicher ſprechen. Es 
fteigen über dem Bilde, fo Sie fich von 
mir machen, bei mir allerlei Bedenflich- 
feiten auf. Wie nun, wenn ich nicht fo 
wäre, wärden Sie mih dann nicht fo 
feurig lieben? Wie, wenn vielleicht ihr 
Pinfel fo fehr zu verfchönern gewohnt ift, 
daß er auch bei ihrer eigenen Schilderung 
mehr nach Phantafey, als nach der Natur 
gezeichnet hätte? Denken Sie, daß Sie 
mich berechfiget haben, alles von Ahnen 
Stuͤck für Stuͤck in Empfang zu nehmen ; 
und daß man in meinen Jahren nicht mehr 
fo flatterhaft ift , über einem beftäubten 
Kopfe, oder fonft einem erborgten jufälli: 
gen Zierrathe die mefentlicheren Reize eiz 
nes Mannes, die Beine ober die Schul— 
tern zu vergeffen! Zug für Zug fagten 
Sie: ich nehme Sie beim Worte. „, ! 
„ So fehr ich überhaupe auch für ihe 
ven Stand eingenommen bin, fo fann id 
€ eg mel⸗ 


440 Thereſie und Eleonore. 


meinem liebften Freunde gleichwohl nicht 
verbergen, daß ich bei demfelben, wenig 
fiens für dag erfte Jahr ganz nicht meine 
Rechnung finde. Die neun und vierzig -» 
Winter, fo über mein Haupt dahin ver— 
floffen find, haben meine Lebhaftigfeit 
nicht etwan getödtet, oder mich gelaffener 
gemacht. Haben Sie nie die Sonne im 
Winter beobachter? der Falte Luftfreis hält 
alle ihre Stralen beifamm — Das ift dag 
Ebenbild ihrer Talemine , fie bat noch 
den ganzen Vorrath ihrer Zärtlichkeit, ih⸗ 
res Gefühle, alle Stralen ihres lebhaften 
Zemperaments beifamm, und die Morgen» 
roͤthe unfrer Liebe foll nicht fo kurz ſeyn. 
Ich will, wenn ich einmal die Ihrige feyn 
fol, von Ihnen fo viel geliebt ſeyn, als 
mir lieb ift; und Sie, Eie werben von 
mir geliebte werden — mehr als Ahnen lieb 
feyn wird — Kommen Sie meiner Scham⸗ 
baftigfeit auf dem halben Wege entgegen, 
und erratben Sie, mas ich über meine 
jungfräulichen Lippen zu bringen, nicht 
vermögend bin. Der Winter zwar ift die 
günftige Zeit der Liebe. Die Natur fcheint 
ausdräclich dafür geforgt zu haben, daß 
die langen Winterabende ung nicht in uns 
end⸗ 


v 


Therefie und Eleonore. - 441 


endliche Ewigfeiten ausarten. Ich werde, 
Ahnen zur Seite, folche kuͤrzer als die 
kuͤr zeſten Sommernächte finden: aber fol 
mich der Frühling freudenlos auf feinen 
Sluren herumwandern, ſoll ich die Schoͤ— 
pfung im Sommer traurig, und den Herbſt 
mit allen feinen Fruͤchten geſchmacklos fin⸗ 
den? Grauſamer! wollten Sie, daß meine 
Geufzer um Zhrentwillen dem Himmel Ge: 
walt thäten, damit die Grängen der Zei— 
ten verrücket werden , damit der Winter 
das gefeßte Ziel überhole, und der zu— 
frühe braufende Nord mir meinen Gatten 
zugleich mit den Schneeflocden herbeiftür= 
me? Nein, liebes Leben! vereinigen wir 
ben Bortheil unfrer Zärtlichkeit mit dem 
Bortheile der Natur ! Der Winter fey 
unfer! aber dag fey auch Frühling, Som: 
mer und Herbfi! Die Jahrszeiten mögen 
über ung hinwechſeln, unfer Vergnügen 
foll e8 niche! ung fol die — * Liebe 
ewigen Lenz bereiten! 

Es iſt einer Zetlichteit Ben der mei- 
nigen nicht ſchwer, das Mittel dazu zu 
finden — Es ift fchon gefunden biefeg 
Mittel, und hier hören Sie e8, zugleich 


‚mit dem ganzen Entwurfe unfrer kuͤnfti— 


Ee5 gen 


442 Thereſie und Efeonore, 


gen Haushaltung! denn ich habe in der 
That an dem ihrigen um unferes wechſel⸗ 
weifen Beften Willen einige VBeränderun- 
gen zu treffen. Sie find jung, und feurig; 
mich zu lieben fol ihr einiges Gefchäfft 
ſeyn! das meinige für Sie und das Haus: 
weſen zu forgen,. ,; 

„ Sie follen, mein Sohn! einen. 
Stand verlaffen, der mich ohne Unterlaß 
für dag, mas mir beinahe foftbarer ift, 
als ich mir felbft bin, zu zittern zwaͤnge. 
Warum follte ich Sie immer neuen Ges 
fahren Preis geben? — Um mir einen 
Kommandoftab zu Füffen zu legen ? — 
Kleiner Don Quixote! diefes Nomani: 
firen gefällt mir ! aber ich , ich bin Feihe 
graufame Prinzefinn, ich erlaffe Sie der 
Verbindlichkeit, auf Abentbeuer auszuge⸗ 
ben: die Ehre hat fiir mich feinen Stachel, 
mein Herz iſt nur für die Liebe fühlbar ; 
nur fie die Liebe, und das foll in Hinz 
funft auch das ihrige ſeyn! ich fey ihre 
Kompagnie, ihr Regiment, ihr Komman— 
bo, dag Ziel ihrer. Ehrfucht! ihre Campa= 
gnen haben Sie bei mir zu mahen — „ 
"95 Sie haben mich in einem einzigen 
Briefe fchon fehr die Liebe gelehret. Seyn 

Sie 


Therefie nnd Eleonore. 443 


Sie ftolz darauf! mein Herz war zu andes 
ver Zeit fehr aufrührifh — Wiſſen ‚Sie 
‚nicht, wann man wahrhaft liebt, fo if 
man argwoͤhniſch, fo fürchtet nıan. Ihr 
ißiger Stand. würde oft Länder und Meere 
zwiſchen ung feßen. junger Slattergeift! 
ftünde Ihnen dag zu Gefiht? nein, ich 
will Sie nicht der Gefahr ausfegen. Wer 
wäre mir gut dafür, daß das Andenfen 
ihrer Talemine Sie immer gegen die An⸗ 
fälle einer, ohne Zweifel nur unwillkuͤhrli— 
chen Untreue fhüsen würde? Sie wiſſen 
es, die Abweſenheit, die Gelegenheit, die 
nicht frengften Grundſaͤtze — Glauben Sie, 
ba ift es gut , wenn das an im⸗ 
mer bei der Hand iſt. — „, 

„ Ich will unbeweglicher als ein Fels 
gegen alle Liebeserflärungen feyn. Die 
Hälfte des menfchlichen Gefchlechts fol zu 
meinen Füffen fterben, und e8 fol mic, mei: 
nem Bllwern, nicht mit einem Gebanfen 
untreu werben fehen. Diefe meine gewiſſen⸗ 
hafte Treue giebt mir aber auch ein Recht 
auf die ihrige, ich will, Sie ausfchlüffend 
befigen. Ich will Sie daher als meinen 
Augapfel denabten und, eine unabſoͤn—⸗ 

der= 


444 Thereſie und Eleonore. 


derliche Gefährtinn ihrer Schritte, Sie 
aller Orten begleiten — — 

„Ja, mein Goldfind! Sie follen mit 
einem ftolgen Gefpanne daher fahren! aber 


Sie werden mir die Freude nicht mißgoͤn⸗ 


nen, ihre Kutfche mit Ihnen zu theilen ? 
Ihre Liverey fol prächtig feyn! meine Be 
dienten den ihrigen beigefellet, werben ein 
fehr zahlreiches Gefolge ausmachen, und 
welches fürftlich in die Augen fallen wird. „, 
„Es wird meine Sorge ſeyn, ihre 
Tafel mit den niedlichften Gerichten , mit 
dem £öftlichften Getränfe zu befegen. Ich 
werde Ihnen den befeelenden Göttertranf 
in einer güldnen Schaale mit meinen Häns 
ben reichen , und mit meinem Munde ims 
mer den Ort zuvor berühren, wo Gietrin, 
fen ſollen — Unfrer Tafel follen angenehme 
Gäfte nicht mangeln: aber, Sie werden 
doc) mir die Wahl laffen ? nicht wahr? „, 

„ Wozu Ellwern! foll uns das be— 
täubende Geräufch der Gefellfchaft? Bin 
ich nicht Ihnen, find Sie nicht mir Gefell: 
fchaft genug? Werden wir uns nicht im- 
mer etwas zu fagen haben? Wird unfre 
wechfelfeitige Liebe ung nicht beftändig et⸗ 
was neues an die Hand geben? mögen 


\ 


Therefie und Eleonore. 445 


ſich die ungeitigen Gefchöpfe, die ehe heu— 
rathen, ehe fie Kinder zu feyn aufhören, 
die mögen fih nad einem Dritten umfes 
ben, der daß Leere ihres kaltſinnigen Um— 
gangs ausfülle! Talemine hat Erfahrung: 
. deine Augen, mein lieber Ellwern! werden 
mich beredt machen : wir wollen dem ſtoͤh⸗ 
renden Lärmen der Gefellfchaft entfliehen , 
“ die unferer Liebe nur Zwang auflegen 
würde! Ich will dir meine Liebe erzählen, 
du follft mir deine Liebe erzählen : fo 
wollen wir une felbft zureichen! ,, 

„ Daß Spiel, nein mein Freund! dag 
liebe ich eben nicht, dag will ich mir ver— 
bitten, und du follft e8 gleich itzt wiffen. 
Ein Mann von Vermögen mwaget alles, 
und fann nichts gewinnen. Du kannſt dich 
arm fpielen. Aber wenn du geminnft, was 
fannft du mehr, als gut, vortrefflich le— 
ben ? und das magft du durch meine Vor— 
forge ohne Spiel — Alſo, fein Spiel, 
guter Mann, oder nur mit mir! und ber 
Preis find gegebene oder empfangene Lieb⸗ 
fofungen, da gemwinnft du immer, ,„, 

„ Ecdon bin ich ganz vertraulich ! wa= 
rum wäre ichs nicht? werde ich e8 doch 
noch mehr werden, Weißt du was, klei— 

ner 


446 Thereſie und Eleonore, 


ner Schelm! du ſollſt ganz ohne andre 
Sorge leben, als die Sorge, mich zu lie— 
ben. ch werde dir deine Kleider , beine 
Bedienung, beine Kleinodien, alles be— 
forgen , alle Ausgaben beftreiten : du ſollſt 
dir feine Hand mit dem Gelde befchmu= 
gen — Ueberhaupt ift euch unerfahrnen 
Geſchoͤpfen dag Geld nicht nd, ihr taͤn— 
delt nur. Ich mache dich zum Herren über 
mich, das fey dir genug — ich aber werde 
Frau über meine Cuponen und Bankozed⸗ 
dei bleiben. Ich möchte mir nicht gerne 
durch undberdachte Verſchwendung die Mit- 
tel aus Händen geben laffen, deiner Bes 
harrlichfeit immer eimen Preis auszufegen, 
und deine ZärtlichFeit zu belohnen. „ 

„ Das wäre alfo der, ein wenig,von 
dem Ihrigen abgehende Entwurf unſeres 
Ehvertrags, den Sie für mich nicht zu 
frühzeitig unterfertigen fönnen. Mein Herz 
wallet Ihnen entgegen, ich fühle die ver— 
jüngernde Kraft der Liebe, ich fange nun 
erft zu leben an, und ich werde, ſeyn 
Sie verfichert ,„ unfterblich feyn, und 
immer „, 

ihre Talemine. 


Ich 


<herefie und Eleonore, 447 


Ich fehe die befden Verliebten wie zween 
MWettläufer an , die einander den Vor: 
theil abzugeminnen ſuchen — EUwern will 
feine Zörtlichkeiten theurer verkaufen: Tas 
lemine will fich die Sreyheit vorbehalten, 
ihre Sreygebigfeit nach dem Betragen ih- 
res Liebhabers abzumeffen. Talemine geht 
vorfihtig zu MWerfe, und thut recht dar 
an. Sch vermuthe, fie werden ſich beide 
zu ihrer Dual zureichen. Und mehe SEI- 
wern , wenn feine graue Geliebte die 
fchredlihe Drohung, unfterblich a“ ſeyn, 
erfuͤllet! 

Der — 


XIII. 


Wenn ungewiß bei meiner Pflicht ich wanke, 
Wie ſtärtt mich oft der ſelige Gedanke: 
Was that Arift bei diefer Price? 
Berfohre fo , als wär’ se ſelbſt zugegen — 
So giebt ein Blick auf ihn mir ein Vermögen, 
Und der erfi wankte, wanker nicht — 
Geller. 


Eleonore an den Herausgeber. 
Pr Das Dergnügen, das Publifum zu 


unterhalten, muß boch aufferordentlich 
bin: 


448 Thereſie und Eleonore. 


bhinreiffen,, weil Gie fi fo fehr davon 
einnehmen laffen. Aber mein guter ger: 
ausgeber ! wiſſen Sie auch, daß es gar 
nicht verbindlich läßt, wenn Sie nur 
auf fih — nicht auf uns fehen? wiſſen 
Sie auch, daß diefe Blätter Frauenblät- 
ter fenn follen, und daß Sie da gleich- 
wohl mit ihren wahren, oder untergefcho- 
benen Briefen, Stuͤcken und Erzählungen 
ſo oft herangiehen, daß wir Schriftftellerin- 
nen, und insbefondere ich, ihre Dienerinn, 
ſchon eine ganze lange Zeit nicht zur Re— 
de fommen? Vergeſſen Sie denn etwan 
den Lobſpruch ihres Geſchlechtes: daß ei⸗ 
nem Mädchen nichts fo ſchwer fällt, 
als das Schweigen — Mit einem Wor⸗ 
te fo viel alg mit hunderten, ich habe mich 
in das Mecht gefeßt , oder gedrungen , 
wenn Sie licher fo fprechen wollen, ums 
zählig die Woche einmal mich Iefen zu lafs 
fen , und Sie follen mid fünftig nicht 
mehr um diefes Nergnügen bringen. Es 
find ohnehin nur noch XIV. Blätter, bie 
wir nach unferem erften Vertrage zu liefern 
haben : davon find fieben mein Eigentbum, 
darum mich gewiß niemand bringen fol. 
Wenn Therefie eben fo eiferfüchtis auf 
bie 


— — U I 


Therefie und Eleonore. 449 


die Ehre , das Publifum zu unterhalten, 
hält, fo mögen Sie nun fehen, mie Sie 
ihre gerzoginn ganz ausſchwaͤtzen laffen, 
von der ich mir die Freyheit nehme, Ih— 
nen im Vorbeigehen die offenherzige An 
merfung zu machen, daß fie, dem größten 
Theile zu mißfallen, die Ehre gehabt. „ 


Das fihre Mittel, 


junge Mädchen ämfig, artig und ‚gefittet 
su machen: 


eine Erzählung 
in meinem eigenen Gefchmade. 


— war ſchon in das fuͤnfte Jahr im 
Ehſtande, und war noch nicht Mutter, 
Das junge Weibchen härmte fich dariiber 
fehr ab. Die Urfache des groffen Leidwe— 
fens, wenn ein junges Weib nicht Mutter 
ift, mögen die Lefer einfehen. Ich Mäd- 
chen fann nicht begreifen, worin die Ur: 
fache des Betrübniffes liegen fol? — Aber 
genug, Emire war Äufferft betrübt. Wenn 
fie ih in Gefelfhaft befand, und andre 
Frauen fie lächelnd fragten: ob fie noch 
feine Samilie batter fo fah fie dieſe 
IV. Theil, Sf Sra: 


450 Thereſie und Eleonore. 


Stage immer als einen Vorwurf an, und 


erroͤthete. Ihre Aeltermuhme erbaute fie 


manchmal mit dem frommen Beifpiele der 
Rachel, die fich eher den Tod gewuͤnſcht 
babe, als ohne Kinder zu feyn: denn, 
fagte die gute alte Tante, das ift der 
Ehfegen; und Emire weinte fehr oft in 
Geheim, daß fie der Himmel nicht fegnen 
wollte. Enblich wurde fie, nach manchem 
frommen Seufzer, nach manchem Gelübde, 
mancher Wahlfahre erbört: welche Freu⸗ 
de! — Die fünfjährigen Ehleute empfien- 
gen den Gluͤckwunſch über die Geburt eis 
ner Tochter. 

Sie ward Emire genannt, weil fie ber 
Mutter wie aus dem Gefichte gerifien war, 
und eine Schönheit vom erſten Nange zu 
werden verfprah — Die Töchter find für 
bie jungen Weiber eine Fundgrube von 
Zeitvertreib. Indem fie dag junge Puͤpp⸗ 
chen pußen, zieren, zaͤrteln, fo thun 
fie ihrer eigenen Eitelfeit genug , und 
freuen ſich, in dem zarten Gemüthe des 
kleinen Gefchöpfes einen fo tiefen Eindruck 
ihrer Sorgfalt wahrzunehmen — Die jun 
ge Emire war fonderbar gelehrig. Schon 
im zweyten Jahre war ihr größtes * 

gnu⸗ 


| 
| 





Therefie und Eleonore. 451 


gnügen, fi) vor dem Epiegel zu befehen. 
Eie meinte, wenn fie ein anderes Rind . 
fchöner als fie gefleider fah; lobte man 
eines in ihrer Gegenwart, oder zog e8 ihr 
gar vor, fo fehrie fie vor Bosheit, und, 
hätte man fie gelaffen, fie hätte das Kind, 
fo ihr vorgezogen ward , gefraget und 
gebiffen — Die Mutter ergögte fih an 
biefen liebenswürdigen Neide: Mann, 
fagte fie oft, wenn unfre Tochter fo fort 
wächft, die wird Niederlagen in der 
Melt anrichten ! Noch waren die Pocken 
gu beforgen. Sie famen, und hatten bie 
Gefälligfeit , feine andre Zerftöhrung an 
dem fchönen Gefichtgen anzuftellen , als 
daß fie die gewöhnlichen Flecken hinter 
liefen. Die junge Emire durfte, fo lange 
diefelben fichtbar waren , nicht vor dem 
Spiegel gelaffen werden, Daß einzigemal, 
als es die Kindgfrau gewagt , ihr bag 
von Flecken verftellte Gefiht zu zeigen, 
hätte dag Kind beinahe eine Krankheit da- 
von gehabt. Man mußte dem unmanier=- 
lihen Epiegel die Schuld geben, und ihn 
zur Genugthuung vor ihren Augen zerfchla- 
gen. Zeit, Liliendl, und andre reinigen- 
den Mittel verdrangen endlich diefe Ueber 
Ff2 bleib⸗ 


452 Thereſie und Eleonore. 


bleibfel der Pocken ganz, und die junge 
Emire glänzte, wie ein junger Frühlings 
tag nad) einem Aprilgeftieber, | 
Gie war der Abgott ihrer Mutter. Den 
‚ganzen Tag über hörte fie nichts als, wie 
ſchön fie wäre — Alfo war dieß ber eins 
ige Vorzug, den fie kannte, ber fie ftol 
machte, Die geringfte Mühe wurd ihr 
wicht geftattet: wie bald koͤnnten die ſchoͤ— 
nen Händchen Schaden nehmen ? Sie fiand 
auf, feste fih bin, ließ fich anfleiden, 
zieren , pußen „ ohne fich zu regen, Vom 
Hausweſen durfte ihrer Mutter niemand 
erwähnen. Meine Tochter wird feinen 
Mann nebmen , bei dem fie nöthig 
hätte, fich mit Zausſorgen zu bemen= 
gen — Ein Freund vom Haufe aab der 
Mutter den mohlgemeinten Rath, den 
Geift des Mädchens aus;ubilden, und ihm 
ju den förperlichen Reizen, auch die Reize 
des Geiftes eigen zu machen. Mein Gott, 
gab die Mutter zur Antwort , dns bat 
mein Rind nicht nöthig: ihr Mund ift 
fchön; ein fchöner Mund fpricht flete 
Orakelſprüche + auch wenn er Thorbei- 
ten forache, gefallen Thorbeiten beffer, 
als die Weisheic felbft aus dem Munde 
ei: 





Therefie und Eleonore. 453. 


einer gemeinen Geftalt. Die junge Emi⸗ 
re hatte nie ein Buch gelefen, als viel- 
feicht Romane, worin fie aber die Lehren, 
die aus den Vorfällen gezogen wurden, 
fehr langweilig fand, und gefchwind.über: - 
fhlug — Du bift fchön, mein Kind! 
fprich, was dir vor die Zähne kömmt! 
handle, wie es dir beifalle! und fey 
ficher zu gefallen. Das war der ganze 
Unterricht , den die Mutter der jungen. 
Emire gab. 

Das Mädchen Fannfe die Uebermacht, 
die e8 über feine vernärrte Mutter hatte, 
und bediente fich derfelben, jeden Wunfch 
feine® Herzens genug zu thun. Gie war 
unerfättlich in Kleidern, und Pub; eigen: 
finnig gegen jederman, auffahrend gegen 
das Gefind , unmiffend in’ allem , und, 
dennoch) eingenommen, nie zu ſchweigen, 
vol Zuverfiht zu fich felbft, voll Verach—⸗ 
tung gegen ihre Gefpielinnen; fie foderte 
über ihr ganzes Gefchlecht den Schritt, 
und von allen Maͤnnern Verehrung. Wer 
fie nur anfah , war in ihren Augen ein 
Leibeigener ihrer Schönheit : in ihrer Mei— 
nung mußte wenigftens ein Prinz fich gluͤck⸗ 
lich ſchaͤtzen, wenn fie ihm gnädig mar — 

5 f.3 So 


454 Thereſie und Eleonore. 


Sp wuch$ fie heran, bewundert von 
jederman, aber auch von jederman gefuͤrch⸗ 
tet. Man wußte ihre Foderungen, und 
niemand getrante ſich denfelben genug zu 
thun, jederman bielt fich entferne. Wer 
hätte das Herz gehabt, eine hochmüthige, 
verfchiwenderifche Tyranninn in das Haug 
zu führen, die alle Gefälligfeiten als einen 
fchuldigen Zins ihrer Schönheit angenoms 
men, bie den Mann zu Grund gerichtet, 
und doch ſich über Mangel beflaget ha— 
ben würde ?— Big hieher war ber Vater 
der jungen Thörinn gleihfam in einem 
angenehmen Traume der groffen Hoffnuns 
gen geiwieget worden. Aber als Emire 
in dag Alter eintrat, wo biefe Hoffnungen 
in Erfüllung gehen follten, und gleichwohl 
nirgend her dazu ein Anfang gemacht wur⸗ 
de, als ſich zur Verforgung feiner Tochter 
fogar nirgend her einiger Anfchein zeigte, 
da oͤffnete er die Augen über den verwahrs 
loften Gegenftand feiner Zärtlichkeit, und 
entdeckte ohne viele Mühe die Mängel, 
bie dag fchöne Bild verunftalteten — Der 
Fehler war begangen ; er bielt fich nicht 
erft lang mit Vorwürfen auf, fondern 
dachte auf Wege, ihn zu verbeffern. Er 

mac): 


Therefie und Eleonore. 455 


machte einen Entwurf dazu, der vielleicht 
allgemein auf unfer Gefchlecht anwendbar 
feyn möchte. 

Des Stolzes ungeachtet, den die jun— 
ge Emire in ihrem ganzen Betragen ges 
gen das männliche Gefchlecht blicken Tief, 
war ihr Herz gegen die Liebe nicht unem⸗ 
pfindlich. Wie waͤre diefes möglich gewe— 
fen, da e8 durch Feine Lehren bewaffnet, 
durch feinen Unterricht bewahret, nur den 
ganz unausgebildeten natürlichen Negun- 
gen nachhängen fonnte, Ihre Augen mwähl- 
ten, und das Herz wußte fich der getrofz 
fenen Wahl nicht zur widerfegen. - Zum 
Gluͤcke für fie war diefe Wahl auf einen 
würdigen Gegenftand gefallen. Aront 
hätte die Wahl der verftändigften Perſon 
unfers Gefchlecht8 gerechtfertiget. Er hate 
. oft bei fich bedauret, daß fo viele Fehler 
eine fo vollfommene Schönheit entftellten. 
Emirens Vater, der von der Zeit, alg 
er über die Aufführung feiner Tochter Be- 
trachtungen anzuftellen angefangen , auf 
alles, was fie angieng, aufmerffam ward, 
überrafchte nicht nur die Blicke Aronts, 
bie oft fundenlang an Emiren gehäf: 
tet waren; er entdeckte fogar, baß ber 


5 f4 Juͤng⸗ 


456 Thereſie und Eleonore, 


Juͤngling, wenn er feine Blicke von. ihr 
wegwand, feine Seufzer nicht unterdrücken 
fonnte. Diefe Seufzer waren für den auf 
merffamen Bater fihere Ausleger; er drang 
in dag Geheimniß Aronts ein, und wuͤnſch⸗ 
te fich über feine Entdeckung Gluͤck; nur 
wollte er, ehe er fonft etwas unternahm, 
auch die Gefinnungen feiner Tochter aus— 
forfchen. 

Er hatte dabei weniger Mühe. Das 
Mädchen hatte die Kunft, feine Neigung 
einem fpäbenden Auge zu verbergen, nicht 
gelernet. Sie hatte vielleicht nicht geglaubt, 
daß fie e8 jemals nöthig haben würde, 
fich zu verbergen. Als der Vater fi mit 
ihr ernftlich über ihre Verſorgung befprach, 
und die verfchiedenen Männer gleichfam 
durch die Mufterung geben lieh ,„ welche 
zu einem folchen Glüde ihre Foderungen 
erheben dürften, blieb ihr Aug und Ger 
ficht bei allen unverändert. Der eine war 
‚nicht edel, der nicht reich, der nicht wohl⸗ 
geftaltet genug; kurz, fie fand an jedem 
‚mit vieler Sreybeit diefes oder jenes, und 
immer etwas auszuſetzen — Aber Uront— 
hub endlich der Vater an — Aront — 
yoiederholte Emire, und erröthete, und 


flug 





— Thereſie und Eleonore. 457 


flug die Augen nieder — Aront, fuhr 
der Vater fort, bat er feinen von den 
Fehlern, welche die andern fo unglüd- 
Lich machen, dir zu mißfalleny — In 
Wahrheit Pape, ich wüßte nicht, was 
ich an ihm auszufegen hätte, als def 
er vielleicht zu unvorfichtig,, vielleicht 
auch zu ſtolz if. Er biele fich immer 
ſehr von mir entfernet — Der Bater 
wußte nun genug , und hielt nicht für 
noͤthig, die Unterredung fortzufegen. 


XIV. 


Ja, nad) der Männer ihren Klagen 
Sind wir durch widriges Betragen 

An alle Dual der Ehen fhuld. 

| Gellert. 


D er Prinz von Ithaka, den meine Freun⸗ 
binnen, wenigſtens von ihrem Sprachmeir 
fier auß, fennen werden, wenn fie fonft 
nirgend in der Sabellehre mit dem Sohne 
des Ulnffes befannt geworden, kam auf 
feiner Reife auf die berufene Inſel der 
Goͤttinn Ealypfo — Telemach war ſchoͤn 
und jung; mehr war nicht noͤthig, ihn bei 
einer verbuhlten Nymphe zu empfehlen , 
und ihm zu Liebe dag firenge Gebut eins 
5 f5 ges 


458 Thereſie und Eleonore. 


gehen su laſſen, durch welches von ihrem 
Strande der Fußtritt eines jeden Mannes 
abgehalten, und biefe Anfel, der Liebe un— 
zugangbar gemacht werben follte — Der 
Scriftfteller des Romans hat bier aleich- 
fam einen Seitenzug gegen gewiffe aͤltern⸗ 
de Sproͤden anbringen wollen, die, bei ei» 
nem Herzen voll jugendlichen Gefühle, ein 
ernfthaftes Auffenmwerf annehmen, und Er- 
Härungen und Anträgen zuvorfommen wol» 
len, bie ihnen — niemand zu thun Wil: 
lens iſt. Wird nun aber ja einer ungluͤck⸗ 
lichermweife von dem Sturme feiner unor- 
dentlihen Negungen, an ihre Kuͤſte ver- 
ſchlagen, fo heitert fich die ernftbafte Stir⸗ 
ne auf, bie Blicke werden fanfter , ihre 
Stimme füfer , ihr Herz empfindet bie 
Triebe des Mitleides, bis fie endlich dem 
unglücklichen Verirrten zu Liebe gan 
menfchlich werden. So machte es Caly⸗ 
pfo — Weißt du nicht Sremdling das Ge⸗ 
bot, welches jedem deines Befchlechtes 
die Infel zu betreten unterfagerY Das 
ift der Ton, die Sprache der Spröven, 
die nur darum fo gebieterifch fpricht, da— 
mit fie von dem fchönen Juͤnglinge gebe- 
ten werde, mit einem Verungluͤckten ge= 
lin⸗ 








Therefie und Eleonore. 459 


Jinder zu verfahren, den nicht Kuͤhnheit, 
oder Neugierde — den der Götterzorn 
‚an ihre Küfte getrieben hat, der aber fich 
noch in feinem Unglücke preifet, da es ihm 
Gelegenheit giebt, eine fo ſchoͤne — er if 
ungewiß, ob er fie eine Sterbliche oder 
eine Gsttinn nennen fol; nad) ihrer Ge— 
ſtalt wenigſtens eine Göttinn , zu vereh⸗ 
ren — Die Nymphe kann foldhen Schmei— 
cheleyen unmöglich soiderftehen; Sie nimmt 
den Iinglüclichen, ven fie erft den Tod droh- 
te, leutfelig in ihre Grotte auf,-und bald 
findet fie feine Geſellſchaft fo liebreizend, 
daß fie, um derfelben nie beraubt zu wer⸗ 
den, das Anerbieten thut, ihn an ihrer 
Seite unfterblich zu machen. 

Bis dahin hat Senelon ziemlich wie 
ein Kenner unferes Geſchlechts gefprochen: 
aber bier verräth er feinen Stand, alg er 
diefe Verſuchung der Unfterblichfeit für fo 
wichtig anfieht, daß er es für nöthig hält, 
Minerven in das Spiel zu bringen, um 
den jungen Prinzen von der Bezauberung 
logzureiffen. Der gute Bifchof! man ſieht 
ed, daß er nie eine Frau gehabt! — 

Aber man ſieht auch zugleich, daß Ea- 
Ippfo in der. Kunft, die Männer zu fäffeln, 

eben 


460 Thereſie und Eleonore, 


eben nicht ausgelernet hatte! — Wenn 
man anders von den Herzen ber heutigen 
Männer auf diejenigen fchlüffen darf, die 
vormals gelebt haben, fo hätte in der That 
der weiſe Begleiter Telemachs, fo fehr 
er Minerve war, fein wirffameres Ge— 
genmittel, das Blendwerf der Liebe zu 
entzaubern, ausfindig machen fönnen, als 
das unbefonnene Anerbieten der Nymphe, 
ihrer Liebe eine ewige Dauer zu geben. 
Einfältig ! liebe Göttinn! hoͤchſt ein- 
fältig! dich , die du fo manchen Liebhaber 
gehabt , von fo manchem Liebhaber fchon 
verlaffen worden, dich hätte doch die Er— 
fahrung ein wenig kluͤger machen ſollen. 
Du hätteft, dächte ich, deinen Liebhabern 
es wohl anmerfen fönnen, daß fie end 
lich in die Länge deiner immer uͤberdruͤſe 
fig geworden; und daß diefer Ueberdruß 
weit mehr, als alle die vorgefchüsten Ges 
fchäfte an ihrer Entfernung Schuld trus 
gen, weil jedem nur erft dann, wann ihre 
Vertraulichkeit ein wenig Falten ſchlug, 
beifiel, daß fie Gefchäfte hatten — Gera— 
de fo machte e8 auch der Fromme Eneas 
bei feiner Dido. Der gute Jupiter ſendet 
ihm den Befehl zur Abreiſe, meil dem 
gu⸗ 





2 Therefie und Efeonore, 461 
guten Manne bei der Stifterinn von Kar⸗ 
thago die Zeit lang ward. 

Verſuchen Sie es ein wenig, meine 
Damen aus ihrer heidniſchen Unſterblich— 
feit! machen Sie einem unſrer Ehmänner _ 
den Antrag, daß Sie ihn an unfrer Seite 
unfterblich machen wollen ? — Wie, Mae: 
Same Ealypfo! Wenn Sie mir allein 
diefe Gnade erweifen wollen, da, da 
will ich Ihnen dafür die gande küſſen — 
Aber mit meiner lieben gausehre zu— 
gleich dann ein gehorfamer Diener 
von ihrer Unfterblichteit — Ich zaͤhle 
ohnehin die Augenblide unfrer Auflö— 
fung: und wenn meine theure gälfte 
fih nicht bald wegtragt, fo babe ich 
wohl eher Luft, voran zu gehen, als 
mich noch Länger in ihrer Geſellſchaft 
zu quaͤlen — 

Maͤn darf die Sache ſo weit nicht trei⸗ 
ben. Sehen Sie ein Bißchen auf unſre 
jungen Leute, wie ſie da nach der Reihe 
ſind! Itzt ſtirbt der gute Junge vor Zaͤrt⸗ 
lichkeit zu den Fuͤſſen eines Maͤdchens, itzt 
findet er die Stunden Jahre, die Jahre 
Ewigkeiten, die er nicht an ihrer Seite 
hinzubringen das Gluͤck hat; itzt beneidet 

| er 


462 Thereſie und Eleonore. 


er den glücklichen Boden, den ihre Fuͤſſe 
betreten, den Hund, ben ihre Hände ſtrei⸗ 
cheln; itzt ift er ein unabfönderlicher Ges 

fährte ihrer Schritte. Geijig, einen Aus 
genblick zu verlieren, wo er neue Liebe 
aus ihren Blicken ſchoͤpfen, und Seligkeit 
mit unerfättlihen Zügen trinfen kann, 
verfäumet er eher feine Verrichtungen, als 
einen Ort, wo er wenigfteng mit ihr un= 
ter einem Dache fich finden , die nämliche 


Luft mit ihr einathmen fann. Alles in als 


lem zu fagen, ber Menfch ift ganz Feuer 
und Flamme — Kaum aber thut die forg« 
fältige Mutter eine. bedeutende Frage, wo— 
bin diefe Aemfigkeit um ihre Tochter, und 
ob fie auch auf eine Verbindung mit ihr 
abzielen dürfte ? — Weg ift Hige, der Him— 


mel, das Glück, die Seligfeit! der eis— 


falte Liebhaber zieht ſich zuruͤcke, wenn er 
ein wenig rechtfchaffen ift, mit Anftand; 
ift er ein unbefonnener Thor, mie es bie= 
fe Suͤßlinge gemeiniglicd) find, über Stock 
und Straͤuche, ohne die geringfie Wohl: 
anftändigkeit zu beobachten. So, fo fehr 
fcheuen ſich die Männer — nicht vor einer 
Ewigkeit, fondern nur vor einer lebens⸗ 


länglichen Verbindung , die fie guͤtigſt 
und 


— 
“ — 
sec a a 





Thereſie und Eleonore. 463 


und zum Ruhme unſers Gefchlechteg eine 
unendliche Kwigkeit zu nennen belieben, 

Menn ich geroiß müßte, daß dieſes Blatt 
fein Mann zu lefen befäme , fo wuͤnſchte 
ich , meinen Freundinnen ein paar Wor: 
te über meinen Gegenftand zu vertrauen. 
Berfprehen Sie e8 mir, daß Sie alle dag 
Geheimniß unter ſich bewahren wollen ! 
es möchte fonft fehr zu unferem Nachtheile 
gereichen, wenn es ausfäme — Sehen Sie 
fih noch einmal forgfältig um, ehe Sie 
zu lefen anfangen, ob Ihnen nicht etwan 
jemand über die Schulter guckt! Fein v 
nun, fo lefen Eie! 

Sener Schriftfteler ſprach, als ein. 
Kritifer ihm Ausftellungen machte: was 
würde der Menfch erſt fagen, wenn er 
mich fo Fennte , wie ich mich. felbft ! 
Ich glaube, wir dürfen auch bei ung felbft 
fprechen: thun Sie das am grünen, was 
wird am dürren Solze gefcheben v was 
würden die Männer thun, wenn fie 
uns fo Fennten, wie wir uns felbft 
fenrien? Denn, alles genau überlegt, und 
unpartheyifc zu reden , find wir wenig⸗ 
fteng zwey Drittheil ſchuld, an diefem 
Widerwillen der Männer vor dem Ehftan= 

de, 


464 Thereſie und Efeonore. 


be, an den vielen Gelübden , welche Ver: 
ehlichte um ihre Erlöfung thun, und die 
fie, wenn ihre heiffen Seufzer erhoͤrt find, 
mit fodanfbarem Herzen entrichten — Sind 
wir auch, mie wir feyn follten, die gefäl= 
ligen Gefchöpfe,, die dem Winfe unfrer 
Männer gehorchen , und die geheimen 
Wuͤnſche ausfpähen , um ihnen zuvorzu⸗ 
fommen? Sind wir auch, wie wir feyn 
follten, die genügfamen Gefchöpfe, bie den 
Schultern unfrer Männer nicht mehr auf- 
zulegen verlangen, als fie tragen fönnen ? 
die ihnen nicht gerade fo viel auflegen, 
als fie tragen fönnen? die unfre Begier- 
de, es andern gleich zu thun, oder fie zu 
übertreffen, unterdruͤcken ? Sind wir aud), 
wie wir feyn follten, die gelaffenen Ges 
ſchoͤpfe, welche die üble Laune eines be= 
(häftigten Mannes entfchuldigen , und 
übertragen? Sind wir auch, wie wir feyn 
follten, die forgfältigen Gefchöpfe, welche, 
wenigftens in fo weit e8 ſich thun läßt, 
den Mann der Hausgefchäfte entladen, und 
ihn bei feinen wichtigeren Gorgen zum 
mindften überheben,, fich nach dem Preife 
der Butter zu erfundigen, oder Zucker aus 


der Vorrathkammer zu langen ? Sind wir, 
wie 





Therefie und Eleonore. 465 


wie wir feyn follten, nachgebend, wenn 
der Mann etwan worin einer andern Mei: 
nung ift, als wir ? Sind wir, mie wir 
feyn follten, tugendhaft? und find mir es 
ohne, wie eine Juno, mit unfrer Tugend 
alle Augenblicke angezogen zu fommen, und 
aus unfrer Pflicht uns ein Verdienft zu 
machen? Sind wir, alles mit einmal zu 
fagen, fo gearter, daß unfer Beſitz für 
unfre Gatten ein Glück, ein Vergnügen, 
‚ein Eegen; unfer Verluft für diefelben 
wahrhaft ein Verluſt ift, den fie mit nicht 
gelogenem Schmerzen dem Himmel vor— 
werfen? daß fie an ung die Gehälfinn ih- 
rer Sorgfalt, die Theilnehmerinn, die Ab— 
wenderinn ihres Verdruffes, die Bewah— 
rerinn ihrer Geheimniffe, die Wächterinn 
über ihr Wohl, daß fie die Stüge ihres 
Hausweſens, die Freundinn ihres Herzend 
vermiffen? — 

Wenn wir diefes find, fo werben die 
Männer, die mit ung unfterblich zu wer: 
den, nicht taufend Gelübde thun, die 
fchändlichften, verächtlichften Geſchoͤpfe der 
Erde feyn, zu deren Beftrafung wir in 
Geheim die Verſchwoͤrung anfpinnen mol: 
len, ihnen unfre Liebe zu verfagen, als 

IV, Theil, Sg ein 


466 Thereſie und Eleonore. 


ein Gut, deffen Werth fie verfennen, und 
defien fie in der Thorheit ihres Herzens 
nicht würdig find. 
3. 
XV. 

Wenn ungewig bei meiner Pflicht ih wanke, 

Wie fürke mich oft der felige Gedanke: 

Was that Arift bei diefer Pflicht? 

Verfahre fo, ala wär’ er felbft zugegen 1— ” 

So giebt ein Bli auf ihn mir ein Bermögen , 


Und die erft wankte, wanket nicht — 
Gellert. 


Sortfegung des XIII. Stuͤckes. 


Peiner euch hoch ihr Männer ! hier folgt 
bie Gefchichte eures Triumphe. Emi— 
rens Vater zog nach feiner Entdeckung 
Aronten in alle Gefelfchaften,, zu allen 
Luftbarfeiten , wo der Juͤngling die Reize 
feiner Tochter beobachten ,„ wo eine erft 
feimende Neigung zur Liebe fproffen und 
ausreifen konnte, Er fam einer Schuͤch⸗ 
ternbeit manchmal durd einen Scherz zu 
Hülfe, und übergab ihm das Mädchen bei 
einem Spagiergange zu führen, und zu 
unterhalten — Bei diefem froftigen Mens 
fchen, 


Therefie und Eleonore. 467 


(hen, fagte er lächelnd , iſt für meine 
Tochter Feine Gefahr: er Fenner nur 
die Grazien der geftorbenen Griechen; 
für ihn haben die Lebenden Deutſchen 
Feine Auleje. 

Durch diefe Reden fachte er den Stolz 
feiner Tochter an, daß fie fih Mühe gab, 
über die griechifchen Grazien zu triumphis 
ren, und verfeßte Aronten in die Noth— 
wendigfeit , eine Befchuldigung zu ger: 
fireuen, bie ein attiger Mann , wie er, 
wirklich nicht auf fich Fonnte liegen laffen, 

Aront fand alle Augenblicke Selegen: 
heit, die Gaben feines Geiftes zu entwi: 
deln. Die Anmuth, die Ungezrwungen- 
heit, mit welcher er ſprach und handelte, 
ber edle Anftand , womit er auc) ben 
gleichgültisften Handlungen Werth, und 
Anziehung zu verfchaffen wußte, die uner⸗ 
fhöpflihe Duelle feiner Unterredungen, 
die gleichwohl nie anf Wind und Wettet 
ausfielen, alles dieſes, mit einer vortreff⸗ 
lichen Geftalt vereinbaret, häfte auch ei: 
nem Herzen, bag nicht, tie Kmirens 
Herz, ſchon vorher wäre eingenommen ge 
weſen, gefährlich werden Finnen. Eie em⸗ 
pfand ihre Niederlage bald : aber es wuͤr⸗ 

692 De 


468 Thereſie und Eleonore. 


de ihrem Stolge zu demüthigend geweſen 
feyn, wenn der Sieg nur einfeitig geme- 
fen wäre. Sie wollte auch von ihrer Sei— 
te erobern. 

Und fie war nicht unglücklich. Was ihr 
Männer auch immer von der vergänglichen 
Schönheit des Geiftes für Aufhebend ma— 
chen möget, eine glatte Haut , regelmäf- 
fige Züge, eine fchöne Farbe, ein edler 
Bau des Körpers verfehlen bei euch weni- 
ger ihren Eindruck, als diefe unfichtbaren 
Reize, die ihr immer erft nachher aufſu— 
het, um eure Uebergabe an ein gleiſſendes 
Auſſenwerk zu bemänteln. Erft immer 
Iocket euch die Farbe des Apfels , bie 
Hände darnach auszuſtrecken. Iſt dann 
auch das Fleiſch ſuͤſſe, ſo ſprecht ihr zur 
Ehre eurer Wahl: ihr haͤttet ihn um des 
letzteren Willen gewaͤhlet. 

Auch Aront konnte Emiren nicht wi— 
derſtehen, ob er gleich ihre Fehler zu ſehr 
kannte — Aber ſie war ſchoͤn, wie eine 
Denus : pallas bekam bier den Apfel 
nicht. Er befannte ihr die Herrfchaft, die 
fie über fein Herz hätte, und wuͤnſchte — 
Nach den gewöhnlichen Förmlichfeiten und 
Gegenförmlichfeiten, die unfer Geſchlecht 

im⸗ 


Therefie und Eleonore, 469 


immer des Mohlftandes wegen beobachten 
muß, fagte ihm feine Emire fo viel, ohne 
doch ein Wort zu fagen, daß er glücklich 
war — 

Wie Uronty Sie wollten fich mit die— 
fem fchönen Körper ohne Seele vermaͤh— 
len? Vermäblen y dachte auch der Lieb— 
haber bei fih , und feine Liebe wanfte. 
Aber der Vater Emirens, der beide auf dag 
genaufte ausgefpähet hatte, und als ein 
Mann von Erfahrung aus ihrem gegen: 
feitigen Betragen deutlich laß, wie weit 
feine Abficht erreicher war, nahm, als ſich 
hiezu eine Gelegenheit anbot , Aronten 
beifeite, und umarmte ihn — Ich febe: 
mit Vergnügen , fprach er , daß Bie 
meine Tochter Lieben. &ie find ihrer 
wertb — Ich fehe auch, daß Ste Emi— 
ven nicht gleichgültig find. Wäre fie 
nur audy Aronts werth ! Ich bin Va— 
ter, aber ich habe auch für die Sehler 
meiner Tochter Augen. Aront! machen 
Sie mich glüdlich, de Sie fiche zu— 
gleich machen. Laſſen Sie die Liebe 
Wunder thbun, und dann uns beide ei: 
ne Öpfertafel in dem Tempel Denus’ 
der mächtigen gerzenwenderinn , aufs 

93 hän⸗ 


470 Thereſie und Eleonore, 


hängen! mich für eine Tochter, Sie 
für eine Gemablinn. | 
Der rechtfchaffene Vater verhelte gegen 

den Liebhaber feiner Tochter feinen von 
den Mängeln, die fie entftellten, und gab 
ihm das Mittel, fie davon frey ju ma= 
chen, felbft an die Hand, 

Aront ward in feiner Aemſigkeit oͤf⸗ 
fentlicher, nachdem ibn Emirens Vater 
dazu berechtigte — Theure Emire, ſagte 
er einſt nach einer langen Unterredung 
zu ihr, ich werde zwar nicht meine 
Zärtlichkeit, aber die Ausdrücke derfel: 
ben bei Ihnen erfchöpfen. Laflen Sie 
mich fremde gülfe zuzichen, und er» 
lauben &ie mir, Ihnen etwas vors 
zulefen, was Sie wie die Schilderung 
meines Herzens, und meine eigenen 
Gefinnungen anbören können — Dies 
mit nahm er einige der beften Schriften 
zur Hand, und las ihr, bald eine Em: 
pfindung, bald ein Gefprach, bald einen 
naifen Gedanken, bald eine Gefchichte 
vor, welche ſich unbemerkt in ihr Gedaͤcht⸗ 
niß einprägten, und von da fich in das 
Herz Ichlichen,, daß fie felbft Luft befam, 
dergleichen zu leſen. Geben Sie mir, 

Ur: 


Therefie und Efeonöre. | 471 


Aront , eines von diefen Büchern, des 
nen Sie ohne Zweifel die Ausdrücke abs 
gelernet, welche mir aus ihrem Mun⸗ 
de fo fehmeichelhaft klingen. Ih will 
Sie Fünftig mit gleicher Münze beloh— 
nen! — Ach Emire! rufte der enzückte 
Liebhaber, um wie viel noch wird ihr 
Mund reizender werden, wenn er fich 
mit der Anmuth diefer fchönen Geifter 
ausdrüken wird! Mein Mund wird reis 
gender, dachte Emire; mag thut ein Mäd- 
hen nicht, ihre Neize zu erhöhen? Aront 
traf fie, fo oft er Fam, über den Schrifte 
ftellern an, die er ihr felbft gemählt,, und 
bie in ihre Reden eine gewiffe Lebhaftig- 
Feit der Wendungen, einen Adel des Aug: 
drucks legten, der fie in den Augen Aronts 
in der That liebreisender machen mußte. 
Daß Lefen hatte noch eine andre Wirfung. 
E8 machte ihr den Unterfcheid zwifchen dem 
wahren Wise, der wahren Munterfeit, 
den feinen und nicht beleidigenden Erhe— 
bungen ihres Liebhaberd , und den froftie 
gen Spigen, den fchaalen Einfällen, und 
dem plumpen , übertriebenen Lobe des 
Schwarms zu erkennen, der fih um fie 
herbrängte. Es erhöhte alfo auch Aronten 
94 in 


472  Üherefie und Eleonore, 


in ihren Augen. Sie fagte fehr oft: feit 
dem fie leſe, ſey ihr die Munterkeit 
Aronts gegen die Spaßhaftigkeit der 
meiften übrigen Männer, wie das freu⸗ 
dige Süpfen eines Lammes, gegen die 
muthwilligen Springe der Böcke — 
Emire war nun im Stande, auch in 
Aronto nothivendiger Abweſenheit die Zeit 
nicht lange zu finden. Das war ein glüde 
licher Anfang. 

Er hatte fehr bald vortheilhaftere Fol: 
gen. Das ungefittete Betragen Emirens, 
der Stolz, mit dem fie alle Welt belei= 
digte, dag fchnippifche Weſen, womit fie 
alle Welt anließ, kam von der Wichtig- 
keit her, die fie fich felbft wegen ihrer Reis 
je beilegte. Schon fieng fie an zu empfin⸗ 
den, daß es auffer den Eörperlichen noch 
andre Anziehungen gebe: fie fuchte fich 
viefelben zu erwerben, um ihren Liebhaber 
mit allen möglichen Banden zu fäffeln. 
Aber ein Zufall brachte fie vollends zurech⸗ 
te. Sie begegnete einer Perſon, gegen 
welche die Natur farg mit den Gaben des 
Leibes, aber defto frengebiger mit den Ga- 
ben des Geiſtes geweſen, in Uronts Ge: 
genmwart fehr verächtlih. Das mar ein 

| Ruͤck⸗ 


Therefie und Eleonore, 473 


Ruͤckfall, den der aufmerffame Freund 
nicht wollte aus Händen laffen, um fie 
Fünftig auf immer davon gu befreyen. Er 
begegnete alfo der beleidigten Häßlichen 
mit fo fichtbarer Unterfcheidung, daß Emi⸗ 
re darüber fogar beunruhiget ward — Ich 
babe, gab er ihr mit einem verweifenden 
Blicke zur Antwort, als fie ihn zur Rede 
ftellte — ich babe das unertige Verfah— 
ren, fo diefe Derfon von Ihnen ertre- 
gen mußte, einigermaflen wieder gut 
zu machen gefucht — Sie verftand ihn, 
und war feit der Zeit von einer einneh- 
menden Höflichfeit gegen alle Welt. 
Wenn fie fi auf Rechnung ihrer Ge: 
ftalt Shorheiten erlaubte , fo feufzete ihr 
Liebhaber, und fchlug die Augen nieder. 
Seine Traurigfeit war ihr eine empfinds 
liche Beftrafung, denn er war ihrem Herz 
zen theuer ; und er brachte es zuletzt ba= 
bin, daß fie, wenn fie ſich fehr munter 
fühlte, immer in den Blicken ihres Aronts 
entweder ihren Verweis fuchfe, oder die 
Erlaubniß, ſich ihrer Munterfeit weiter zu 
überlaffen. Mit einem Worte , da ihr 
höchfter Wunſch mar , ihrem Piebhaber zu 
— ſo nahm ſie ſich ſehr vor allem 
985 in 


474. Thereſie und Eleonore; 


in Acht, was ihm mißfallen fonnte, Sein 
Beifall, oder feine Mißbilligung war ihre 
Richtſchnur. Er zeigte einen Gefallen an 
der Mufif ; fie gab fih Mühe, ihn dadurch 
zu verbinden, daß fie den Fluͤgel fchlagen 
lernte. Sie überrafchte ihn fogar mit eis 
ner ganz netten Zeichnung von ihrer Hand, 
da er einft von ungefähr die Geſchicklich⸗ 
feit im Zeichnen an einem Mädchen fehr 
erhub. 

Noch war die Sorgloſigkeit, eine ges 
wiſſe Läſſigkeit, und eine Unwiſſenheit 
in allen Geſchaͤften des Hausweſens das 
einzige, was ihr zu wuͤnſchen war, um 
eine der liebenswuͤrdigſten Perſonen ihres 
Geſchlechtes zu ſeyn. Die Liebe machte 
dieſen letzten Pinſelſtrich, um ihr Werk 
zu vollenden. Emirens Vater zeigte ſich 
geneigt, ihre Verbindung mit Aronten zu 
unterzeichnen, mit der ſie nicht laͤugnete, 
daß ihre Gluͤckſeligkeit verſiegelt wuͤrde — 
Emire! ich würde durch ihre Band der 
glüdlichfte Menſch ſeyn, war des Lieb⸗ 
habers Antwort, aber da meine Verrich⸗ 
tungen mich ganz fodern, ſo wird mei⸗ 
ne Gattinn die Bausforgen über ſich 
nehmen müſſen, wofür Sie einen un= 

über: 


Therefie und Eleonore, 475 


überwindlichen Abſcheu zu haben ſchei⸗ 
nen. Wer wahr mehr, als Emire, be— 
mühe, zu zeigen, daß fie ihm zu Liebe 
jeden Abfcheu überwinden könne! Sie eil- 
te, biefes einzige Hinderniß ihrer wechſel⸗ 
feitigen Glückfeligfeit aus dem Wege zu 
räumen. In fehr Furger Zeit war fie die 
ämfigfte , verftändigfte Gaushälterinn. 
Sch will den Schluß im Idyllen Tone 
machen: dieſes Wunder that Amor; und 
nun frönte er die Liebhaber vor feinem Al: 
tare, und fein Bruder Hymen führte fie 
in die hochzeitliche Faube. Aber die an 
der Seite Aronts glücliche Emire ersähl- 
te oft Elagenden Muͤttern und leichtfinni= 
gen Mädchen ihre Gefchichte, und fchloß 
immer mit der Lehre: Mütter habet ihre 
Zöchter, die euren Lehren frogen ; wollet 
ihr fie ämfig, artig und gefittet machen, 
waͤhlet ihnen einen Liebhaber, wie mein 
Aront! Ya! wären fie nur nicht fo ſel⸗ 


ten, die Aronte! antworteten die Mt: 
ger — 


€. 


XVI. 


476 Thereſie und Eleonore. 
XVL 
Eh’ ih von euch mich rühmen höre, 


Eh wolle ich noch gefcholten ſeyn. 
Haller. 


Urne. Gewiß allerliebft! — eine Wos 
chenſchrift von Weibern gefchrieben ! 
fagen Sie mir doch, Terander, laufen 
die Wifche fchon lange in der Stadt ber- 
um? — 

Terander. Hiſch, gnädige Frau! fol- 
che Fragen thut man nur insg Ohr. Wie 
fann man zu der artigen Welt gehören, 
und nicht alle Blätter halten, die in ber 
Stadt gehalten werden , und wären es 
auch Hundert? — 

Alife. Und muß man alle die hundert 
Blätter auch lefen ? 

Terander. Lefen? wenigſtens bin ih 
nicht gut dafiir, daß man fie überall lieft, wo 
fie gehalten werden, Aber einmal ift das 
Mode geworden, daß ein Wochenblatt un: 
ter die Geräthe der Pußtifche mit gehoͤret. 

Alife. Wohl! (zu dem Kamermädchen) 
Daß man die Mochenblätter fünftig ors 
dentlich beftele! — (zu Terandern) Sie 


beiffen — 
Ter: 


Therefie und Eleonore. 477 


Terand. Therefle und Eleonore. 

Alife. Das nenne ich einen vortreff⸗ 
lichen Gedanken! Therefie und Eleonore! 
Die guten Gefchöpfe werden, durch ihre 
Blätter wenigſtens, fic) veremwigen wollen, 
fonft würden fie fih aus der Welt ge- 
Ählichen haben , ohne daß man wüßte, 
daß fie da gewefen. Kennen Cie die lie⸗ 
ben Seelen ? ich wette, fie find von Herz 
zen häßlich ‚weil fie. ſich durch dag Ge- 
lehrtſeyn aushelfen wollen. 

Terand. 8aͤßlich nicht eben — aber 
son einem Schlage , der nicht fehr aud) 
groffes Auffehen macht. *) Das Mädchen 
ein gut einfältigtugendhaftes Geficht, und 
das Weib, mit einer Miene, die gerne 
für wichtig gelten möchte — Aber wie war 
es möglich, anädige Frau, daß Sie nichts 
von diefen Blaͤttern gehört hätten ? — 

Ali⸗ 


N Die Verfaſſerinn des Geſpraͤchs hat Hier den 
Karakter des mannlihen Zwifchenrednerg vor= 
trefflich beobachtet. Sie wußte ohne Zwei- 
fel, daß man es einem Manne nicht verge= 
ben würde, wenn er mit einer Frau von 
der Geſtalt einer andern vortheilhaft ſpräche. 

Der Herausg. 


478 Thereſie und Eleonore, 


Alife. Aber wie war es möglich, daß 
diefes ungeſchmacke Zeug fich in bie arti- 
ge Gefellfchaft eingedrungen ?— Wozu eB 
gut it, in dem Wagen, auf einer Spa- 
sierfahrt ein Buch in der Hand zu haben, 
dag fehe ich ein, aber ein folches Blatt — 

Terand, ft die bequemfte Lektur von 
der Welt; das auch hat ihnen den Schwung 
gegeben. Der muß viel Muth befigen, der 
ein dickes Buch vor ſich liegen fieht, und 
darnad) greift, im Vorſatze, e8 durch zu 
lefen. Aber folche Eleine Broſchuͤren — 
einer Biertelfinnde hat man fie über — und 
gleichwohl — ⸗ 

Aliſe. Gut! weil es einmal Wochen⸗ 
blaͤtter ſeyn muͤſſen, ſagen Sie mir in 
Auszug, was haben denn die Schwaͤtze⸗ 
rinnen, in dem Wuſte da, alles ausge— 
frame? Thun fie auch ſehr gelehrt — oder 
hängen fie vielleicht Moral und Tugend 
an allen Eden aus? — daß wäre für 
mich zu erbaulich — 

Terand. Fürchten Sie nichts, gnaͤdige 
Frau! die Moral ift ziemlich abgefpannt — 
der Förmlichfeit halber ein wenig Tugend 


bie und dort, mit groffer Schrift gedruckt, 
nimmf 


Therefie und Eleonore. 47% 


nimmt fich erffaunend gut aus, laͤßt ſich 
auch leicht uͤberhuͤpfen — ſonſt ſind es — 

Aliſe. Nur keine Stadtgeſchichten! — 
Es mag Leute geben, die ſich dabei die 
Gicht an Hals lachen, das kann ſeyn; 
ich, zuͤrne mich nur daruͤber; denn man 
muß immer in Sorgen ſtehen, daß man 
mit an die Reihe koͤmmt — 

Terand. Verſprechen Sie mir, gebul- 
dig zu ſeyn! fo will ich die. Blätterchen 
vor Ahnen ein wenig durchlaffen, damit 
Sie nicht nöthig haben, weit zurück aus- 
zuholen. 

Aliſe. Ich will wie verſteinert da ſitzen. 
Vielleicht bringt mich das erbauliche Ge— 
plauder in einen ſanften Schlaf. Das 
ſollte mir lieb ſeyn: ich habe dieſe Nacht 
mich ohnehin — ) Ach, biſt du es Liante! 
Geſchwind in meine Arme — Konnteft du 
fo lange nad) dir feufzen laffen? Aber, 
du koͤmmſt eben, wie gerufen ; wir wollen 
ba über diefe Schwaͤtzereyen zu Gericht fir 

gen, 
"Men muß ſich vorftellen: Aliſe habe jeman- 
den kommen gehoört, und erwartet, wer ein= 
geeten würde. Nun fie ihre Freundinn er— 

kennet, ruft fie: ch bit du m. ſ. w. 


480 Thereſie und Eleonore. 


tzen, du ſollſt deine Stimme zur Verur⸗ 
theilung mit geben! 

Terand. Um des Himmelswillen, * 
dige Frau! Sie wollen mich zu Grund 
richten. Liante iſt die Kampfhaͤlterinn 
dieſes Wochenblatts. Ich trete gegen ſie 
nicht in den Schranfen — Da — ruht fanft 
ibr Blätter! Fein rauber Nordwind ver⸗ 
wehe euch — 

Liante. Spotten Sie nicht, Teran— 
der! Sie ſollen damit nicht los fommen. 
Dhne Zweifel bat er dir viel zum Nach— 
theil diefer Blätter vorgefagt? weißt bu 
warum? er war einmal ftarf in der Per— 
fon eines Belidors auf die Schulter ge: 
flopft, das wird er Eleonoren big in die 
Grube nicht vergeffen. 

Terand. Aber, müffen denn unfre Be: 
gegnungen immer blutig ſeyn, anbetens⸗ 
würdige Liante! Sie wollen es: wohl, 
die Blätter find ſchoͤn, unnachahmlich? 
göttlich) ! 

Liante: Ich erlaffe Sie des Zwangs, 
‚mir eine Schmeicheley zu fagen — Eie bes 
deutet nichts in bem Munde eines Papa= 
geys — Doch, troß ihrem hoͤhnenden Tone 
fol Alife die Blätter fo übel nicht fin⸗ 

den 


Therefie und Eleonore. 481 


den — Oder find Sie im Stande, bewei⸗ 
fen Sie das Gegentheil! 

Alife. Terander, dag ift eine Auffo⸗ 
derung nach allen Regeln; die koͤnnen Sie 
mit Ehren nicht abſchlagen. 

Terand. Aber, gnaͤdige Frau, ſehen 
Sie denn nicht, wir kaͤmpfen mit unglei— 
hen Waffen! Liante ſchießt aus ihren Aus 
gen tödtende Pfeile — 

Lionte, (Mit einer Verbeugung) Die: 
ſes Nitterblümchen haben Sie ohne Zwei— 
fel ihrem Handbuche, der vortrefflichen , 
Clelie abgeborgee — Um Ihnen nichts 
fhuldig zu bleiben: feßen Sie dem töd- 
tenden Pfeile meiner Augen den diamanf: 
nen Schild der unübertrefflichen Reize ih: 
rer Nachtigall — *) Aber ich bin muͤde, 
in diefem ungeſchmacken Zone fortzufah: 
ren — Ohne fid) von meinen Augen irren 
zu laſſen, was fanden Sie denn in den 
Blättern fo unausftehliches ? 

CTe⸗ 
Ich vermuthe, unter der Nachtigall fey Hier 
eine Saͤngerinn verſtanden, und es habe auf 
eine Anekdote mit Terandern feine Bezie 
bung. 


Iv. Ge. 95 


Der Berausg. 


432 Icherefie und Eleonore. 


Terand. Lindern Gie den Ausdruck 
ſchoͤne Freundinn! unausftehlich nicht 
eben, aber langweilig, weil Sie fo bes 
fehlen, gefünftelt in der Sprache, alle 
täglich in der Materie; manchmal ein we⸗ 
nig freyer, als e8 Deftalen zuftehen mag. 

Alife. Eben Habe ich ein Blatt im 
Durchgehen ergriffen, welches Terandern 
über daß legte vielleicht einen Beleg geben 
fann: das Mittel, die Mädchen artig, 
ämfig, und gefittet zu machen, eine 
Erzählung in meinem Geſchmacke — 

Liante. Und diefe Erzählung — 

Terand. Sie haben nicht geirret, gnaͤ⸗ 
dige Frau ; wiſſen Sie , was bag, in 
meinem Gefchmade, bedeutet ? 

Liante. In dem Munbe eines Gall: 
füchtigen wird alles bitter — Nach ber 
Iöblichen Denfungsart der Männer diefer 
Zeit wird e8 freylich, was weis ich, be= 
deuten: in dem Munde ber Enhriftftellerinn 
bedeutet e8, den Wunfch, einen liebens— 
würdigen, gefitteten, aufrichtigen Freund — 
einen Menfchen, der gerade dag ift, was 
Sie nicht find — zu finden, der ung bie 
Sehler unfrer Erziehung verlernen helfe. 


Was finden Sie darin Freyes ? — 
A Tes 


Therefie und Eleonore. 483 


Terand, D ganz und gar nichts, bei 
einem Mädchen , das ihren Karafter fo 
gleich Anfangs offenherzig ankuͤndiget — 
nicht geheim hält , daß es einen Mann 
wuͤnſchet — 

Liante. Und ihn durch Ben und 
Zugend zu verdienen fuchet,; diefen Mann, 
der, wenn man die Verfafferinn fraget, 
Ihnen fehr ungleich feyn muß — | 

Terand. Ein fchüchterneg, Fleines Wer 
fen, das in der Unfchuld feines Herzens 
befennet: e8 habe einen Liebhaber — 

Alife. Vortrefflich, Terander! es wä- 
re alfo Schande, einen Liebhaber zu has 
ben? — 


Terander. Nein! — aber e8 zu bes 
fennen — 


Liante. Das ift ein Grundfag , der 
fehr tief in ihrem Herzen eingepräget ſeyn 
muß: ſich viel zu erlauben, welches Schans. 
de feyn würde, zu befennen. Aber Gie 
haben Recht ‚. e8 ift beides Schande, einen 
Liebhaber zu haben, und es zu befennen, 
da ihr heutigen Männer unfrer Wahl fo 
wenig Ehre macht — 

Alife. Merken Sie fid biefe Yugle- 
gung zu ihrem Zerte, Terander! 

ha „ Te 


484 Thereſie und Eleonore, > 


Terand. Sch habe nie an Ziantene 
Wie gezweifelt — 

KLiante, Aber ich fehr oft an dem ib: 
sigen , und diefe Beobachtungen firafen 
mich wenigftens nicht des Unrechts — Les 
fer ohne Kopf, ohne Beurtheilung ! wiſſen 
Sie denn gar nichts von Einfleidungen, 
von Schriftftellerwendungen ! — Iſt denn 
da herum bei Ihnen fo fehr Finfterniß, 
daß Sie nicht durchfehen fönnen, die Ver 
fafferinn habe in ihrem Namen gefagt, 
was auf unfer ganzes Gefchlecht anpaflend 
ift? — Muß denn die Sache gerade fo, 
wie fie liegt, wahr feyn ? ift feine Dich» 
tung erlaubt? — Senelons Todten haben 
alfo die Gefprache wirklich gehalten, bie 
er ihnen in Mund legt? Die Gefchichte 
des Tforororotfo hat ſich alfo In ber That 
ereignet? Und wie, wenn vielleicht ein 
Mann der DVerfaffer dieſer Blätter waͤ— 
re? — Mber ihr habet Recht, ſolche 
Maximen zu verfchreyen : fie würden 
euren Betrügereyen, die ihr Galanterien 
nennet, zu fehr Einhalt thun — Alifel 
man erzählet wirflich eine artige Anefdote 
von dem IL. Stücke des I. Quartals. Ein 


Nadchen lieſt daſſelbe ihrem Anbeter vor — 
Sind 


Therefie und Eleonore. 485 


Sind Sie mit der Verfaflerinn eines 
Sinnes v fragte diefer — Vollkommen! — 
Von der Stunde hat der Menſch nicht 
mehr das Haus betreten. Es war der 
Mühe werth, nur um einen einzigen fol= 
chen Heuchler zu entlarven , das Blatt 
gefchrieben zu haben. 

Bin Bedienter. Gnädige Frau, ber 
Freyherr v. ..... will feine Aufwartung 
machen. | 

Alife. Eine Ehre — Wir Fönnen viel- 
leicht den Faden einmal wieder fnüpfen, 
wo wir ihn itzt abreiffen müffen, 


| 


553° XVM. 


486 Thereſie und Eleonore, 


XVII. 


Armbander, Palatin, Egtetien, 
Schönpflafter , Ohrgehäng, Manfchetten , 
Pompons, Bandläge, Garnituren , 
Mantille n] Reifrock N Handſchuh ’ Uhren f 
Schmint, Esklavagen, Flor , Brillanten, 
Strickbeutel, Schnürbruſt, Angaſchanten, 
Halsſchleifen, Kappen und Bukette, 
Saloppen, Hauben und Planſchette, 
Glasfedern, Roben, Müffe, Schmelwerd, 
Karkaſſen, Spitzen, Ringe, Pelzwerck — 
Dieß alles hat nur einen Namen, 
Und heiſſet ** zuſammen. 

Ewald. 


* Mi. wollen unferem Bruder nun 
‚auch unfte gerrlichFeit zeigen! ſprach 
der Monarch der nördlichen Wildniffe, der 
Bar, ald von dem Löwen aus Afrika 
zur Erneurung des alten Bündniffes, bei 
ihm ein fchön gefleckter Tieger als Bott: 
fchafter anlangte, den Fürft Petzens gan- 
je Hofftadt aufferordentlich beiwunderte — 
Und er befahl dent Suchfen, feinem Ge: 
heimſchreiber, unter alfen Vaſallen, bie 
der brummenden Majeftät buldigten, ben 
jenigen auszuloͤſen, deffen Haut die Augen 
durch feine Schönheit anziehen, und deſ— 
fen 


Therefie und Eleonore. 437 


fen Gröffe ihm zugleich bei der loͤwiſchen 
Pforte Anfehen verfchaffen koͤnnte. Der 
Fuchs verließ die Nefidenz des Bären, und 
befchloß nicht fobald wiederzukehren, fon= 
dern einen Abgeſandten, nad) dem Willen 
feines Fuͤrſten auh am Ende der Welt 
aufzuſuchen — 

„ Er trabbte von Wald zu Wald, 
fah den Luchſen, den Marder und ande⸗ 
re Thiere mit ſchoͤnem Pelzwerke; fie find 
ſchön, aber nicht anfebnlich ! und trabb⸗ 
te weiter, „ 

„ Ein Luſtwald, der zunächft an ei— 
ner Hauptftadt liegt, deffen Alleen bis an 
das Thor der fürftlichen Burg reichten, 
führte den Fuchfen ganz von ungefähre 
nad) der Stadt — Diefed war für ihn 
ein gefahrvollee Drt: aber in: welche Ge= 
fahr wagt man fich nicht aus Eifer für den 
Herrendienft, und um gute Liefergelder ? 
Der fehlaue Bevollmächtigte wußte feinen 
Schlich einzurichten , daß er von Men— 
fhen nicht gefehen, von Hunden nicht ges 
rohen ward. 

„ Eben war e8 Winter , der unge 
beure Schnee, ber gefallen war , foderte 
die ganze Stadt zu Lufifahrten in Sclit- 
| 254 ten 


438 Thereſie und Eleonore, 


ten auf — Reinede fah eine derfelben, 
und erftaunte über die Pracht und Schön: 
heit des Thiers, fo vor dem Schlitten ge= 
ſpannet war — Welche Zierde des Zaupts 
und Halfes! dachte er bei fich ſelbſt — 
welche Foftbare Sleden der Haut! wel- 
. ches Anfeben! Bier babe ich mehr ge—⸗ 
funden, als ich geſucht: und fchon über: 
dachte er, was er für eine Belohnung 
von feinem Herren file den wichtigen Dienft 
fodern würde, den er ihm mit Auffindung 


ER eines fo prächtigen Abgefandten, würde 


geleiftet Haben — Er wählte nun unter ei⸗ 
ner langen Reihe Pferde , die an Schlitten 
bei ihm vorüber gieng, dasjenige, dag ihm 
am meiften gefiel, und folgte ihm von fer= 
ne bis nach feinem Stalfe, um ibm ba 
die Ehre fund zu machen, welche feiner 
am Hofe wartete, „ 

„ Der Schlitten ward bineingeführt. 
Es fam ein Stallfnecht, der Petzens be 
ftimmten Bottfchafter abfpannte : der Fuchs 
wartete mit Ungebuld , feine Anmwerbung 
anzubringen — Nun trat der Knecht her⸗ 
bei, hub den prächtigen Federkamm vom 
Halfe, 508 bie foftbare Decke vom Leibe, 

und 


Therefie und Eleonore. 489 


md der Fuchs fah traurig, ſtatt des an⸗ 
fehnlichen Thieres , dad dem Bären an 
dem Hofe feines Bundsgenoffen fo viel 
Anfehen verfchaffen follte , ein — gemeiz 
nes, dickleibigtes Kutfchepferd. „, 

Sch laſſe Politikern gerne eine eigne 
Anwendung diefer Erzählung , welche aus 
den Jahrbüchern von Urfomanien entlehnt 
ift, und mache fie nach meiner Weife, wenn 
fie nichts dawider einzumenden haben. 

Damis fucht eine Frau: er hat in 
Gefellfchaften beobachtet , wie gerne bie 
Männer fchöner Frauen gefehen find, wenn 
anders diefe Männer ein wenig gefällig, 
die Frauen nicht altdeutfchtugendlich feyn 
wollen. Nun fpricht Damis: ich fuche 
mir eine $rau auch zum Anfehen! man 
fol, wo ich eintrete, fprechen: Damis 
ift glücklich! Damis bat eine fchöne 
Stau! Vielleicht war Damis auch in ber 
Schule des Weifen gemefen, und hatte dag 
demuͤthigende: Kenne dich felbft ! über 
der Schwelle des Tempels gelefen, und 
ba er befcheiden feine eigene Unwichtigkeit 
fühlte, wollte er ſich durch die Reize feiner 
Grau, zu einer wichtigen, zu einer noth⸗ 


58h5 wen⸗ 


490  Therefie und Eleonore, 


wendigen Perfon in Geſellſchaften auffti= 
gen. Man gebe mir nicht Schuld, daf 
ich perfönliche Anfpielungen einmenge : ich 
rede im allgemeinen ; denn man werfe fei= 
ne Augen umher! findet man nicht mehr 
als einen Damis, deffen ganzes Verdienft 
in der Geftalt feiner Frau befteht? der 
darum alfer Orten willkomm ift , weil er 
nie ohne feine fchöne Fran koͤmmt? — Dar 
mis num wollte, mit einem Worte eine 
Frau haben, die ihm Anfehen, Freunde, 
Verehrer verfchaffe — 

Er fah Liſinden, ein Mädchen von 
vortrefflihem Herzen, und ſtiller Echön- 
heit — Er fab fie, aber diefe Stille war 
feine Rechnung nicht. Er ſah — kurs, er 
fah wohl sehen verehrungswerthe, liebens⸗ 
wuͤrdige Kinder, welche die Neigung eines 
vernünftigen Menſchen zu faͤſſeln faͤhig 
ſeyn ſollten. Aber Damis uͤberſah ſie, 
ſein Auge blieb luͤſtern, mit einer der Ue— 
berlegung zuvorkommender Wahl, an Tin» 
darinen gehäfter — 

Tindarine , weldye veisende Geftalt! 
Farbe, Wuchs, Gang, Gebehrden, Klei- 
dung, alles ſtimmte verräthrifch gegen den 

armen Damis überein : er war ein Sklav, 


noch 


Therefie und Eleonore. 491 


noch ehe er wußte, ob feine Knechtſchaft 
von der Sultaninn feines Herzens genehm 
gehalten würde — Er eilte fich ihr zu Füf- 
fen zu werfen. Ich will immer, diefen ro⸗ 
manmäffigen Ausdruck mitnehmen: denn 
der Liebhaber. Tinderinens fpielte in der 
That einen Roman, der würdig waͤre von 
einer Skudery befchrieben zu werden, nur 
auf zehn Bände würde fie es hart bringen: 
denn ber Ritter fuchte Feine Abentheuer 
auf, um in den Augen feiner Goͤttinn wuͤr⸗ 
dig zu erfcheinen — Er griff unmittelbar 
Tinderinens Herz an: wenn ich fie be— 
fige, ſprach er, dann follen des Erztes 
wurdige Thaten unfern Samen verei- 
nigt der Nachwelt überliefern. Er that 
fo gleich die Anmwerbung. 

Es war Stadt befannt, daß Damis 
von feinem Vater ein groffes Vermögen 
ererbet, und von einem drey und achkig- 
jährigen Oheim ein eben fo groffes zu er⸗ 
warten habe. Wie der Ruhm vor dem 
fiegreichen Helden hergeht, und ihm Staͤd⸗ 
te öffnet, und Völker unterwirft; fo wan- 
delte vor Damifen der Ruf feines Neich- 
thums her, und Tinderine brachte ihm die 
Schluͤſſel zu ihren Herzem auf halben We- 


ge 


492 Therefie und Efeonore, 


ge entgegen. Der Mann, fagten Tin» 
darinens Aeltern , kann dich reichlich 
ernähren — Der Mann, dachte Tindas 
eine bei fih, Tann dich prächtig hal- 
ten. Das war, mie e8 bei den meiften 
Ehen ift, der Beweggrund, der ihm ein 
eilfertigs Ia zumege brachte. Aber Damis 
war vernünftig genug, ihn in feinem per: 
foͤnlichen Verdienfte zu finden , und auf 
guten Glauben diefes Irrthums von ber 
Zeit an auf fich groffe Stüde zu halten, 

Die Liebesgätter führten dem entzückten 
Bräutigam die holdſeliggeſchmuͤckte Braut 
zu — 

Nach dem Ehrentage wurden bie Gluͤck⸗ 
wuͤnſche angenommen, wobei man in den 
Augen des neuen Ehmanns jene ruhige 
Freude nicht wahrzunehmen glaubte, die 
fonft eine ordentliche Folge des Befißes 
zu feyn pfleget. Gleichgiültigfeit am erften 
Tage der Ehe ift noch mehr als Unzufrie⸗ 
denheit: man zerbrach fich den Kopf über 
biefe unerwartete Veränderung. Nach er 
ner Zeit, als Reue und Mißvergnügen ſich 
in dem Herzen des Damis feft geſetzt hat⸗ 
ten, machte er felbft fein Geheimniß dar⸗ 
aus: es wanderte von Hand zu Hand ein 

Briefe 


<herefie und Eleonore. - 493 


Briefchen herum, darin er einem Freunde 
das Raͤthſel erfläret, Ich theile hier eine 
Öffentliche Abfchrift mit, fo darf man ſich 
diefelbe nicht mehr verholen mittheilen. Es 
ift kurz, aber es ift die Sprache des Her» 


send — 
, Freund 

„, Schlagen Sie alle Verbindungen aug, 
fo vortheilhaft fie auch fcheinen mögen. Dar 
miſens Beifpiel müffe Sie warnen! Alle 
Mädchen find Puppen, die nur durch ge 
borgte Schönheiten faͤſſeln; fie legen dag, 
wodurch fie ung gefielen , abends vor ihe 
rem Nachtifche ab. Da liegt die Farbe in 
einer Schminfbüchfe, der Wuchs in elen= 
hohen Abfägen! Ah! ich will den Ver— 
druß nicht erneuern: ich habe an meinem 
Weibe ven Ausfpurch des Dichters zu fehr 
bemwähret gefunden : das Weib ift der 
Zleinfte Theil feiner felbft — Efel und 
Grauen ift für den Mann; die Reize find 
nur für Fremde und die Gefellfchaft — 
Traurige Theilung, vor ber Sie fi noch 
hüten fönnen — und werden , wenn ne 

folgen; » 

ihrem Damis, 

; &; 
-XVUL 


494 Thereſie und Eleonore. 


XVIII. 


Wer nie beſeſſen hat, empfindt nicht den 
Verluſt. 
Renig. 
Un Eleonoren. 


* Se ſollen unſeren Zwiſt entſcheiden, 
Fraͤulein Schriftſtellerinn! Ich bin nicht 
eben eine Venus; mein Spiegel erinnert 
mich dieſer traurigen Wahrheit nur zu oft, 
und die Einſamkeit, die um mich herſchet, 
beweift mir beutlidy genug, das Glas mei- 
nes Spiegels entftelle mich nicht, Alidan⸗ 
te ift ſchoͤn, aber gewiſſe Umftände haben 
alle ihre Anbeter von ihr entfernets Unſere 
Häufer find nun von Männern unbefucht. 
Wir wären unglüclich, wenn wir ung 
nicht felbft zureichten. Zum Gluͤcke können 
wir ihrer Gefelfchaft mäfjig geben : uns 
fee Umftände wären alſo für ist auf gleis 
chem Fuſſe. So glaubt Alidante — nicht 
ich. Mich martert fein Andenken deſſen, 
was ich war, und nun — nicht mehr bin. 
. Hd) Habe nie den Mittelpunft ausgemacht, 
um den fich einft der ganze Wirbel der 
männlichen Gefellfchaft gedrehet bat; id) 
habe nie geberrfcher — Alfo habe ich auch 
kei⸗ 


Therefie und: Eleonore. 495 


feinen Zepter verloren, wie meine Freun⸗ 
dinn, die von einer Höhe, auf welche fie 
die Schmeicheley vor. wenigen Sahren ers 
hoben, herabgeſtuͤrzt, fehr oft in Geheim 
nad) ihrem ehmaligen Standorte zuruͤck 
ſchielen, und fich, und die vorüber gegans 
genen Zeiten — umfonft bedauren wird, 
Sch vergleihe mid und fie immer mit 
zween it zwar gleich elenden Landleuten,, - 
davon aber der eine feine elende Koft von 
Jugend auf gemohnet ift, der andere lange 
Zeit in der Stadt Leckerbiffen genoffen hat. 
Dem einen fchmeckt fein trocen Brod, — 
nicht eben vortrefflih , aber auch nicht 
ſchlecht, weil er nichts Beffers kennet: 
der andre hingegen ftellt immer Vergleiche 
an, und fein Gaum findet feine gegenwaͤr⸗ 
tige Nahrung ungleich elender. Ueberhaupt 
beſteht alfe Slückfeligfeit oder Unglückfelige 
feit fehr viel in unfrer eignen Einbildung, 
die unaufbörlich gefchäfftig ift, Bilder zu— 
fammzuftelen, und Maßſtaͤbe zur Ausmeſ⸗ 
fung des einen, und andern ausfindig zu 
machen. u 

„ Sagen Ste ung, liebes Mädchen , 
wen fallen’ Sie bei? mir? oder Alidan⸗ 
ten, bie immer bärtnäcig behauptet: das 
An⸗ 


496 Thereſie und Eleonore. 


Andenfen eines auch ſchon verlornen Gutes 
fey ſuͤſſe? — Sträuben Sie ſich nit, 
Eleine Heuchlerinn, als ob die Frage über 
ihre Faffung gienge! Sie find in dem, was 
die Zufriedenheit des Herzens betrifft, wer 
nigſtens nach ihren Blättern zu urtheilen, 
_ feine Schülerinn. Ich befehle Ihnen alfo, 
Kraft diefes Anfehens, daß fi) auch dag 
- dummfle Weib auf ihren Srauenftand, 
gegen das kluͤgſte Maschen giebt; Kraft 
dieſes Anſehens befehle ich Ihnen, mir zu 
antworten: was wollen Sie: Lieber nie 
geliebte werden? ober aufhören es zu 


ePNY a 
vu Silviane. 
Gebietriſche Sylviane. 

Ich wuͤrde vielleicht gegen ihr ange— 
maßtes Recht, mir Mädchen zu befehlen, 
Einwendungen machen; und uͤberhaupt ha⸗ 
ben Sie es errathen, ihre Frage reichet 
uͤber den engen Kreis meiner Faſſung hin⸗ 
aus. Aber ic) kann zum guten Gluͤcke ges 
borchen, ohne es auf Unföften meiner Eins 
ficht zu thun, und vielleicht auch ohne mid) 
den Lachern auszufegen. Einer der ſchoͤn⸗ 
ften Geifter Frankreichs bat diefe Frage 


feiner Unterfuchung nicht unwuͤrdig gehal⸗ 
tem, 


Therefie und Eleonore. 497 


ten. Ich will ihn unfre Mutterſprache res 
den lehren: und dann werden Sie fich lie: 
ber durch den Ausfpruch eines Biſchoffs, 
als dag Urtheil eines leichtfinnigen , feich- 
ten Mädchens zu einem Vergleiche bewes 
gen laffen. ; 


Ariadne und Sapho ein Geſpräch. 


Ariadne. Nach dem Tone zu urtheilen, 
aus dem Phaon mit Ihnen fprach, hat eg 
zu allen Zeiten, folche glänzende , unbe: 
deutende und eingebildete Gefchöpfe gege- 
ben, die fie heute in der Oberwelt Klein: 
meifter, Stußer, nennen : eine Benen⸗ 
nung, die zugleich ihre unendliche Klein⸗ 
beit, und ihre Kitelkeit bezeichnet? 

Sapho. Es gab zu allen Zeiten Köpfe, 
die recht dazu gemacht waren , fich mit 
Unbefonnenheit zu füllen, und mit Eigen=. 
duͤnkel zu zieren. — 

Ariad, Aber wie Fonnten Sie, nad) ei- 
ner fo unfchmeichelhaften Schilderung fich 
von ihm hintergehen laffen ? 

Sapho. Kennen Sie denn allein den 
Eigenfinn der Liebe, und des menfchlichen 
Herzens nicht? 

7 
IV, Theil. 4 Ari⸗ 


498 Therefie und Eleonore, 


Ariad. Ich würde über jedes Mädchen 
mich weniger wundern , als über Sie — 
Mit fo vieler Vernunft, folchem Geifte, 
felbft mit fo vielem Genie. — 

Sapho. Zf die Seele darum weniger 
(hwad) ? Die Vernunft gränzt fo nahe an 
die Thorheit, daß fie ung berfelben meit 
mehr nähert, als uns dawider bewahret. 
Sie unterfiügt das Herz in feinen Vor- 
fpieglungen : und Sie fonnten aus meinen 
Gedichten abnehmen, daß ich zu allen Ber: 
irrungen aufgelegt war. 

Artad, Diefe Gedichte find in der That 
von einer unnadhahmlichen Stärfe, Aber 
ich vergebe es Ihnen nicht, fich wegen ei- 
nes tollen, undafbaren. — 

Sapho. Eine vernünftigere Liebe wür- 
de vielleicht nicht fo ausdruckvoll geweſen 
feyn. Doch, warum erinnern Sie mich meir 
ner Schwachheit? warum machen Sie mir 
deswegen Vorwuͤrfe ? Hat mein Tode nicht 
allesausgelöfcht ? Ach habe mich ſelbſt wer 
gen einer ungluͤcklichen Leidenſchaft befiva- 
fet : das Leufadifche Vorgebuͤrg ift bes 
ruͤhmt durch meine Verzweiflung. 


Ari⸗ 


Tperefie und Eleonore. 499 


Ariad. Und durch ihre Thorheit. Das 
war für Phaon ein neuer Triumph, fich 
um feinefiwegen in die See zu ſtuͤrzen. 

Sapho. Wie? ift e8 Ariadne, die mit 
diefe Aufbraufung vorwirft? Hätten Sie 

‚die Infel Naxos vergeffen ? 

Ariad. E8 ift wahr, ich nahm mir da 
freywillich das Leben : aber die Urſache 
rechtfertiget mein Verfahren. - Thefeus 
flatterhaft, ungetreu, eidbrädtg. — — 

Sapho. VBerdiente nur ihre Verachtung. 

Ariad. Thefeus, der fo fehr mich lieb» 
te; den ich noch anbetete ; er, den meine 
Liebe taufendmal der Wuth meines Vaters 
entrifien hätte, ploͤtzlich undankbar, ums 
beftändig — — Wag für eine Beleidis 
gung kann einem Weibe graufamer, wel⸗ 
che Stellung für fie empfindlicher feyn? 

Sapho. Nein! diefes Unrecht ift dem 
meinigen nicht zu vergleichen: Was hatte 
ich nicht gewagt, einen Graufamen zu bes 
wegen , einen Gleichgültigen gu rühren ? 
Hatte ich etwas unterlaffen, was ein jun⸗ 
ge8, geiftreiches, gefuͤhlvolles Weib, thun, 
ſagen, erfinden kann? 

Ariad. Mit welcher Luſt ſah ich mei— 
nen Geliebten an dem Hofe meines Va—⸗ 

ia ters 


soo Therefie und Eleonore. 


ters anlangen !-Mit welcher Entzuͤckung 
nahm id) die erſten Merfmale feiner Liebe _ 
auf! In welche Angft ſtuͤrzten mich die 
Gefahren „ denen ich ihn ausgeſetzt fah ! 
ie dringend war ich , ihnen vorzufome 
men, ihn dagegen zu fchüßen, oder wer 
nigfteng fie mit ihm zu theilen ! Stolz, 
von dem fchrecfbarften Feinde ihn befrenet 
zu haben, eile id) dem Sohne des Egeus 
auf feinen Schritten nad) :-ich folge ihm, 
in dem bezauberenden Gedanfen, die Tage 
meines Geliebten erhalten zu haben, Ich 
pereinige mein: Schickfal mit dem ſeini— 
gen — Der Undanfbare — er verläßt mich, 
um, fich einer neuen Liebe zu uͤberlaſſen, 
die ihn der meinigen vergeffen macht... 
Konnte ich meine Entehrung,, und mehr 
noch, mein Unglück überleben ? 
Sapho. Sch hatte meinen Phaon nicht 
gegen ben Minotaurus zu vertheidigen : 
aber ich wollte für ihn, er follte für mich  \ 
leben. Meine Gedichte, die Ihnen gan 
Feuer fchienen , waren nur nod) ſchwache 
Ausleger meiner Empfindung, -- Die Lob- 
fprüche,, fo man gegen mich verſchwen⸗ 
bete, waren mir gleichgültig, wenn ich fie 
nicht mit Phaon theilte. Härte ſelbſt fein 
Bei: 


Be _ 


Therefie und Eleonore.  Zor- 


Beifall meinem Herzen zureichen Finnen ? 
e8 foderte Liebe, und der Undanfbare — 
die hatte er nicht. Kaum nahm er wahr, 
daß er fie mir eingeflöße — Noch ist wär: 
de ich vor Schmerz und Verzweiflung ſter— 
ben, wenn ich es nicht bereits wäre — 

- Ariad. Sollte ich ißt wieder mein Les 
ben erhalten, fo wuͤrde ich eg fir meinen 
Undanfbaren noch einmal hingeben — Sa— 
pho! Eie hatten: foldhe Urfachen nicht, . 
‚den Entfehluß des Todes zu faffen — 

Sapho. Ah, ich hatte ftärfere — 

Ariad. Iſt es für ein Weib nicht tau— 
fendmal ſchmerzhafter, taufendmal demuͤ— 
thigender, wenn fie aufhört, geliebt zu 
ſeyn, als wenn ſie es nie war? 

Sapho. Ueberlegen Sie einen Augen— 
blick unſre Vorzuͤge! Sie werden anders 
denken. Man muß das zugefuͤgte Unrecht 
nach unſern Anſpruͤchen, nach unſern Vor⸗ 
zuͤgen abmeſſen. Sind wie nicht geboh: 
ren, um geſucht, gedrungen, angebetet 
zu werden? Wenn wir zuerft lieben, fo 
haben wir unferm Sefchlechte, unfrer Wür: 
de vieles vergeben; und lieben wir ver: 
gebens,. fo ift e8 dag Uebermaß unfrer 
Demüthigung. 

3 Ari⸗ 


502 Thereſie und Efeonore, 


Ariad. Ich fehe darin gar Feine Ur⸗ 
- fache zur Verzweiflung , zum Tode. Was 
verliert man, wenn man einem Gegenſtande 
entfagt, deffen Eroberungen man nie ge= 
macht bat? Kann man fo lebhaft ein 
Gut bedauren, das man nie befeffen bat ? 
Aber, wann man fi der Gewohnheit zu 
gefallen, der Suͤſſigkeit, gelicht zu feyn, 
überlaffen hat; wenn man die graufame 
Hintanfegung mit der fehmeichelhaften 
Stellung vergleicht , barein man uns ver- 
feet hatte , mie fönnen mir biefe grau— 
fame Bergleichung ertragen ? Ach habe 
für Thefeus alles gethanz Ahnen — hat: 
te Phaon nichts zugefagt: Stund es aud) 
fonft in feiner Gewalt Sie zu lieben ? 
Sapbo. Stund e8 in Thefeus Gewalt, 

nicht unbeftändig zu ſeyn? 

Ariad. Wählt man nah Wilführ? 

Sapbo. Berläßt man freymwillig? Phaon, 
fagen Sie, hatte nichts zugefager ? Sagt 
nicht ein wwohlgebildeter Menfc ung im⸗ 
mer etwas su, fobald wir ihn lieben? und 
wenn er gleichgültig bleibt, hebt er ba 
nicht die Verbindlichkeit auf, die unfre 
Eitelfeit ihm auflegt? 


Ur: 


Tperefie und Eleonore, 303 


Ariad. Sie hatten wenigfteng die Zu— 
flucht, zu denfen, jedes andre Weib wuͤr— 
de ihrem Unempfindlichen eben fo wenig 
gefallen. Aber ein unbefländiger Liebha= 
ber beweift den Vorzug einer andern, und 
diefen Vorzug vergiebt unfre Eigenliebe 
nie — 

Sapbo. Es ift fo fehr gemöhntich; 
vielleicht liegt es felbft in der Natur , daß 
glückliche Liebhaber unbeftändig find; und 
man fann ſich über fein befonderes Ins 
glück, durch das allgemeine unfers Ges 
ſchlechts tröften. Aber es ift fo etwas 
aufferordentliches, nicht geliebt zu werden, 
daß man nirgend dawider Troftgründe aufs 
fuchen kann. Es ift, mit einem Worte, 
fehr gemein, einen Liebhaber zu verlieren, 
Aber feinen zu haben — 

Ariad. Auch diefes kann für gewiſſe 
Gemuͤthsarten gleichgültig feyn. Ein wahr⸗ 
haft zartliches, und. nur zärtliches Weib, 
wird in beiden Fällen gleid unglücklich 
feyn. Ein Weib, die viel Eitelkeit, und 
menig Liebe beſitzt, wird in beiden Faͤllen 
fehr Teicht 5 finden. 


El XIX, 


304 Therefie und Efeonore, 
XIX. 


Nun heute führt man mich zur Tran, 


Und morgen bin ich eine Frau. 
Gleim. 


Uns morten bin ich eine Frau! fo ruft 
‚das Mädchen entzückt, wirft einen ſehn⸗ 
fuchtvollen Blick in die anmuthige Zufunft, 
und fieht nur ſcheu, und mit fchiefem Au— 
ge, gleich einer jungen Dryade, hinter 
der ein fcheußlicher Zaun herjagt, nad 
der vergangenen Zeit ihrer Mädchentage 
zuruͤcke — Mein Bott! fagte einft ein 
lebhaftes Toͤchterchen, als fie in der Ges 
fchichte an die Begebenheit der Tochter 
Jephte fam — die gute Ifraelitinn ift 
in ihrem Sterbeftündchen wahnwigig 
geworden ! ihren Mädchenſtand bewei— 
nen! das lohnte der Mühe — Eie wir: 
den alfo um ihren Mädchenftand nicht fehr 
traurig fenn ? nahm jemand, der zugegen 
war, das Wort auf — Im gerinuften 
nicht: und ich febe alle die ale Thö— 
rinnen oder geuchlerinnen an, die bei 
der Trauung fo ungebehrdig thun, wie 
nicht einmal Ipbigenie gesban , ale 
man file in der Oper zum Würgelter 
ſchlepp⸗ 


Therefie und Eleonore. 505 


fchleppte ⸗ Sie find ſehr voffenherzig, 
Fräulein! — Eh! warum follte ich es 
nicht feyn? warum heurathet die ThS- 
rinn, wenn fie darüber weinen muß y 
oder warum weint fie, wenn fie gerne 
beuratbety — ( 

Der erfie Schein iſt ſtark wider dag of⸗ 
fenherzige Mädchen, welches id) hier ſpre— 
chen ließ; und doch dürfte-egs im Grunde 
weniger zu fchelten feyn, als e8 dag An- 
ſehen hat — Der Wunſch, aus dem Mäd- 
chenſtande zu treten, iſt unferm ganzen 
Gefchlechte gemein: die es läugnet, macht 
Grimaffen „ oder — hat vielleicht diefen 
Wunfch nicht mehr zu thun. Aber es ift 
nicht immer Mannfucht, in der Bedeu: 
tung, welche dem Worte die Kopfſchuͤttler 
beilegen, und die unferem Geſchlechte we— 
nig Ehre bringt: es ift meiflens ein uns 
ſchuldiges Verlangen, welches die ordent- 
liche Art, womit den Mädchen zu Haug, 
und auffer demfelben, von ung Weibern 
begegnet wird , in der That fehr Aue: 
lidy macht. 

„ Grüß dich der Sinmehz meine 
Louiſe! Laß dich umermen — Wan: 
delft du unter der Erde, daß man dich 

33 gar 


506 Thereſie und Eleonore, 


gar nicht zu fehen beksmmt, feit dem 
du beine eigne Frau biftv — „ | 

Sräulein Ninette — ſagt die fünf 
‚tägige Frau ganz ſteifnaͤcklzgt, indem fie 
der angebotenen Umarmung gefchickt aus⸗ 
weicht ; ich babe Sie — 

„ Sraulein Ylinette! ich babe Sie! 
was ift das für eine froftige Sprache 
unter fo guten Sreundinnen , als ih 
und du — 

Waren — — 

Und nun — — 

Und nun — liebes Sräulein! ich 
muß Sie erfischen, mich zu nennen, 
wie ich Bie nenne. Es wird mir im⸗ 
mer eine Sreude ſeyn, wenn Sie bei 
mir einfprechen. Ich werde freplich 
Sie nicht felbft unterhalten Fönnen, 
Sie wiflen es, eine Frau, muß die 
Srauen unterhalten, Aber ich werde 
ſchon dafür forgen, daß Sie Gefell- 
ſchaft von Fraͤulein finden. 

Die Fran, bie einem Maͤdchen, mit 
der fie vor wenig Tagen Schwefter war, 
und die bei ihrer Standesveraͤnderung noch 
fo kuͤhn iſt, ſich daran zu erinnern, bie 
Frau, bie einem fo dreiften Mädchen nur 

kalt⸗ 


Sherefie und Eleonore. 307 


kaltſinnig mitfährt, ift noch fehr gnaͤdig; 
und die Beifpiele davon werden nicht eben 
alltäglich feyn — 

Dei den meiften wird dag ber Ton * 
aus dem ſie ſprechen werden — Meine 
gute Ninette! du weiſt vielleicht wohl 
nicht, daß ich eine Frau binv In der 
That Madchen, das bin ih — Du 
weift vielleicht wohl auch nicht , die 
Ehrerbietigfeit , die du mir ſchuldig 
biſt? Nun, ich will an dir das Werk 
der Liebe thun, und dir Linterricht ge- 
ben! Sobald du eintrittfi, mache mir 
fein eine Derbeugung bis auf die Erde, 
und wiederhole fie ein paarmal, ebe du 
ganz zu mir an die Sophe kömmſt, 
von der ich mich nicht im gering: 
ften heben Tann ; denn das ſchickt fich 
nicht für eine Frau gegen ein Mid: _ 
chen — Nähere dich dann meinem Pla: 
tze mit Ehrfurcht, um mir die Hand zu 
küſſen! Tritt ja nicht gerade vor mich, 
bas Laßt zu vertraulich, gübſch von 
der Seite herangetreten, und nach der 
Band gegriffen — Wenn ich dir auch ei- 
nen Ruß anbiete, beileib laß die Hand 
nicht fahren! es ift nur Gepräng, wenn 

| men 


508  Therefle und Eleonore, 


man fich firdubes , ale wollte man ed 
nicht gefiheben laſſen: Die Schuldigkeit 


des Mädchens wird darum nicht aufs . 


gehoben, weil die Srau aus Höflichfeit 
ein wenig Limftände macht — Nach dem 
BandFufle tritt ehrerbietig, und mit eis 
ner Derbeugung zurüd, und erfundige 
dich mit unterdrüdter Stimme, damit 
e8 fittfam berausfömmt, wie Ihre 
Gnaden ſich befindeny Wieder: 
bole das Ihre Gnaden feinoft!denn 
das ift die guldigung, die du meinem 
neuen Stande ablegft — —⸗— | 
Ich werde dann ganz gütig, und 
buldvoll zu dir fprechen: Ylinette, es 
ift mir zu viel Zwang, wenn ich Sie 
immer S$räulein nennen foll » nicht 
wahr, du bleibft mein Du, wie vors 
ber? — Gefchwind küſſe mir die Hand 
für die Gnade, die ich dir erweife, dich 
du, und Ninette ohne Umftand zu nen= 
nen. 
Wenn ich fpreche: ſetze dich, Ninet⸗ 
te! — fo tunke recht tief, aber nimm 
ja Eeinen Sig an, ob ich dich gleich 
etlichemal ſitzen gebeiffen habe! Sage 
immer — Es ift meine Schuldigfeit, 
Bus 


Therefie und Eleonore. 509 


Eurer Gnaden aufzuwarten. Nur 
dann erſt, wann ich fpreche : ſetze dich, 
Ylinette! ich befeble dirs — Eine Ver— 
beugung, und: weıl es Eure Gne: 
den befeblen ! 

Reden ‚. liebes Mädchen , muße du 
ja nicht anders, als wann du gefragt 
wirft; und auch Samals nur, Je, und 
Kein, und immer einen Tunker dazu. 
Dergif niemals, daß ein Weib alles, 
und ein Maschen nichts weis. Wenn 
du einmal Stau feyn wirft, fo wird die 
Reihe auch an dich Fommen , von den 
Mädchen Ehrerbietigkeit zu fodern. 

DBirleicht hat manche Frau, und mans 
ches Mädchen hier einen Auftritt gelefen , 
ben fie wirklich felbft gefpielet haben; und 
alsdann wird dag Mädchen, wenn fie mit 
zween Fingern auf der Bruft ausfagen fol, 
was in ihrem Innerſten vorgegangen ift, 
befennen: daB Herz fey ihr erbärmlic ger 
preßt worden , in Erwartung , daß ber 
Augenblick erfcheinen möchte, gleiches mit 
gleichem zu vergelten , und da, in recht 
eigentlichen Verſtande, die Schande des 
Madchenftandes von ihr hinweg genom⸗ 
men würde, 

Ich 


sıo Thereſie und Eleonore. 


Ich bin ordentlicherweife zum Mitleide 
geneigt, und ich habe diefes fehr oft ven 
liebenswoürdigen Kindern gefchenfet , die 
ic von folgen Weibern von Kopf bis gun 
Fuͤſſen funftrichterifch betrachten, und recht 
boshaft habe Flein machen fehen — Sie 
werden es befler verfteben, bis Sie eine 
Srau werden — und — fo dachte auch 
ih ,» da ich noch ein unverfländiges 
Madchen war — Wie oft fagt fo, oder 
ungefähr fo ein Weib, das noch als Weib 
fo fehr Gans it, als fie e8 vor ihrer 
Vermählung war; und das auch bis an 
das chriftliche Sterbeftündlein, fo fehr «8 
Weib ift, immer Gans feyn wird. - 

Wären doc mit diefer Demüthigung 
mwenigften® nicht wirkliche Nachtheile ver: 
knuͤpfet! Aber was fir ein unbelebtes 
Mafchinenwerk find fie die armen Geſchoͤ—⸗ 
pfe! Sie wollen in das Schaufpiel ges 
ben, Fräulein! bitten Sie eine Frau, daß 
fie Sie dahin führet — Sie wollen irgend 
einen Spaziergang machen! Haben Sie 
eine Frau , die Sie mit fih nimmt? — 
Ste wollen einen Beſuch abftatten? Bel 
Ehre und Leben nicht, wenn Sie Feine 
Frau zur Begleiterinn haben — apa le: 

en 


Therefie und Eleonore, 511 


- ben die Mädchen unter dem ungelegenften 
Zwange, dürfen ſich nicht regen, nicht 
wenden, nicht geben, kaum Athem ſchoͤ—⸗ 
pfen ,„ wenn e8 nicht unter der AYufficht 
einer Frau gefchieht! Und man wundert 
ſich, und man darf es ihnen übel aus deu⸗ 
ten, wenn fie von diefem Zwange ſich zu 
befreyen , wenn fie den Gebrauch ihrer 
Hände und Füffe fi eigen zu machen , 
wenn fie, mit einem Worte alles zu fagen, 
Stauen zu werden begierig find, denen 
alles ohne Unterfcheid erlaubt , die dag 
Joch nicht nur diefes unbequemen Wohl- 
ftandg, fondern beinahe die Herrfchaft des 
Anſtands und der Sittfamfeit abgefchüttele 
zu haben ſcheinen; menigfteng , wenn e8 
erlaubt ift, nach dem Betragen gewiſſer 
Weiber zu urtheilen , die gleichham nur 
darum fo fehr geeilet haben, in den Eh: 
fland zu freten, damit fie defto geſchwin⸗ 
ber über die Graͤnzen, zum mindften der 
äufferlihen Tugend auszufchmweifen , be: 
sechtiget feyn möchten. 

Iſt Ihnen, betrübte Mutter, ift Ihnen 
nun die Unbefonnenheit, noch ein Räthfel, 
mit melcher fid) ihre liebenswürdige Toch- 
ter einem Manne faft an ben Hals gewor⸗ 


fen, 


sı2 Therefie und Eleonore. 


fen‘, der von grauenermweckender Geſtalt 
ift, von Jahren, die den Efel feiner Per: 
fon noch vermehren, bei dem Sie vorher 
fahen, daß ihr Kind unglücklich, daß es, 
was ihrem zÄrtlichen und tugendhaften 
Herzen noch unendlich empfindlicher fallen 
muß, daß es untugendhaft werden wird? 
Sehen Sie den Sflavenftand an , darin. 
unfre Mädchen nach einem gemiffen alt- 
hergebrachten Erziehungsgepränge gehal— 
ten werden! und es wird nicht nur dag 
Betragen ihrer Töchter , fondern über: 
haupt, fo manche unbedachtfame Heurath 
Ahnen und der Welt aufhören ein Raͤthſel 
zu feyn — Der gedruͤckte Gefangene, ber 
nach der Befreyung ſeufzet, waͤhlet der 
wohl einen Augenblick, wann er feiner 
Dienftbarfeit durch einen unflättigen Ka— 
nal entfliehen fann ?-—- Die wenigften Ehen 
bat vieleicht die Liebe, und Ueberlegung, 
die meiften hat das brennende Verlangen 
geftiftet, alle diejenigen Freyheiten zu ges 
nieſſen, davon den Maͤbchen der unfchule 
dige Gebrauch, den Weibern auch fogar 
der Mißbrauch nicht unterfagt ift — 


XX. 


Iherefie und Eleonore. 513 
—— 


Du gabſt mir ihn, geneigtes Sud; 
Do willſt du mir geneigten feyn , / 
Nimm Velten wiederum zurück, 
o liehes Glück! 
Wernike 


MW, bat Ihnen, Schweſter TIherefie , 
das angehäfter, daß ein Mädchen eine Gri- 
maſſe macht, wann e8 feinen Mädchen: 
fand werth hält? — Sch habe es zwar 
felbft irgend an einem Drte geftanden : 
unſer hoͤchſter Wunfch fey den Männern 
su gefallen, und diefer Wunfch muͤſſe ein 
ehrbares Mädchen zur Ehe führen, fonft 
fey er — Roketterie menigfteng, wenn 
es nichts aͤrgeres if, Indeſſen, fehen Sie 
nur ein Bißchen unter den Männern her— 
um! fehen Sie daß erfeufste Gluͤck, eine 
Stau zu ſeyn, genauer an! wahrhaftig , 
die Ehetyrannen, und die männlichen Un- 
fhiere , bie noch etwas Ärgeres find, ale 
Ehetyrannen, die find in der That die 
Geſchoͤpfe nicht, für bie eg der Mühe lohn⸗ 
te, einen Seufzer aus der Bruft zu flof- 
fen! — So.fehr. vielleicht daB unholde Ver 
fahren der Frauen gegen arme Mädchen, 
IV, Theil, Kk uns 


514 Thereſie und Eleonore. 


ung den Srauenftand wuͤnſchenswerth mas 
chen koͤnnte, fo fehr muß die Betrachtung 
deffen, mas im Eheftande felbft vorgeht, 
uns dieſes Wunfches gereuen machen — 
Ah, rufte ein Menfh, der Lebenslang 
nie eine See geſehen, nie in einem Schiffe 
gefahren war, was für eine Luft muß 
es. fepyn, fo in einem Sahrzeuge fanft 
gewiegt zu werden! fo über die Wellen 
dabinzugleiten! Fönnte ich in meinem 
Leben doch eine Seefahrt thun! — Sein 
MWunfc ward ihm gewähret; er flieg vor 
Vergnügen trunfen in das Schiff, man 
entfernte fih vom Lande — Er flieg 
bald einen Berg von Maffer hinan „ fiel 
bald in einen Abgrund zwiſchen den ges 
thuͤrmten Wogen hinunter, Das, was ihm 
von ferne fanftes Wiegen ſchien, war ein 
gewaltfames Hin und Wiederwerfen, wo⸗ 
bei er fich nicht auf den Füffen halten 
fonnte , das ihm die gemwaltfamften Er— 
ſchuͤtterungen verurfachte — Wäre ich wier 
der am Lande! fihrie er, und flebte ben 
Himmel an, ihm nur diefen einzigen Wunſch 
in feinem Leben ju gewaͤhren — Umfonft: 
er war einmal am Borde, und mußte bie 


Fahre bis an das End aushalten — Die 
geb: 


Therefie und Eleonore. 515 


Lehre ift aus diefer Erzählung fehr Teiche 
herauszuholen. Die Schiffahrt ift der Eh⸗ 
fand, das Mädchen ift der unüberlegte 
Wuͤnſcher. Es iſt eingefchifft, es min: 
ſchet ſich zuruͤcke an das Geſtad des Mäd- 
chenſtandes: aber es muß die Reiſe fort- 
fegen, bis ein roillfommener Tod derfelben 
ein Ende machet — 

Sch will dag Gleichniß fortfegen. Der 
Wahn ift vielleicht fehr vergeblich , wenn 
ein Menfh , der die See nur in ihrer 
Stille gefehen, fih zu einem voreiligen 
Wunſche hat verleiten laſſen. Aber für was 
würden fie, theure Gefpielinnen , benjeni« 
gen halten, der das flürmende Meer in der 
Nähe betrachtet , der dag Schrecken ber: 
jenigen mit angefehen, soelche feiner Unge- 
ſtuͤme Preis gegeben waren; ber ein Aus 
genzeuge gemwefen , wie die empirten Wo— 
gen ein Schiff an die Klippen gefchleudert; 
zu deffen Füffen die Wellen ſchwimmende 
Truͤmmer, die traurigen Merkmale ihrer 
Wuth, hinfpülen ; der gleichwohl noch, 
den Augenblick, zu Schiff zu gehen , mit 
Ungeduld erwarten wirde? — — — 

Sie haben fo Unrecht nicht , mit der 
Berurtheilung ein wenig an ſich zu halten, 
ara weil 


516 Thereſie und Eleonore, 


weil Sie biefelbe doch nicht ausfprechen 
koͤnnen, ohne zugleich , wenigſtens zwey 
Driteheile unter ung in dem Bannfpruche 
mit zubegreifen. Denn, wie viele ſehen 
nicht um und neben ſich tägliche Schlacht: 
opfer ihrer Leichtfinnigfeit, Schlachtopfer 
unbebeutender , auswenbiggelernter , ohne 
Andacht hergebeteter Schmeicheleyen, Ber» 
beiffungen, Eidſchwuͤre? — Sie fehen fie, 
bebauren fie , und treten bald darauf an 
den Altar bin, um bald wieder von ans 
dern bebauret zu werben — 

Woher Fommen dir diefe Fopfbans 
gerifchen Gedanken, flatterbaften Maͤd⸗ 
benz Du haft wenigftene die Beifpiele 
nicht in der Naͤhe, die dich darauf brin- 
gen konnten — 

Das ift zwar wahr ‚, liebe Therefin! 
aber nur eine glüdliche Ehe kann mich 
fon traurig machen: und wenn id) dann 
ein paar wohlgerathene Verbindungen bin 
tereinander erfahre, fo ift es beſchloſſen 
ich finge mein Schwanenlied , und Hülle 
mid) mit Standhaftigfeit auf ewig in mei- 
nen Mädchenftand.ein. 

Das wäre grillenbaft — fprichft bu ?— 
Etwas weniger als du denfeft, Wenn in 
ei⸗ 


Therefie und Eleonore. 517 


einem Glückstopfe nur wenige Treffer find, 
und du fiehft, daß von diefen wenigen eis 
nige hintereinander ausgehoben werben , 
waͤchſt dir. da wohl der Muth fehr, zu wa: 
gen, da natürlich nicht viel gute Loofe für 
dich übrig find ?— Als Jupiter durch die 
ewigen Zänfereyen feiner Juno gegen uns 
ſer ganzes Gefchleht aufgebracht ward, 
fhmwur er bei dem Styr fidy an demfelben 
zu eächen. In jedem Menfchenalter, fagte 
er, follen euch nur drey gute Männer 
zu Theil werden! alle übrigen follen 
ihren Weibern feyn , was Juno mir 
iſt — Alſo geſchahs, denn die Schwuͤre 
Jupiters ſind unwiderruflich. Nun, wann 
drey gute Maͤnner hintereinander heraus⸗ 
gehoben ſind, ſo moͤgen wir Maͤdchen alle, 
lieber uns einen Stein an Hals haͤngen, 
als heurathen, denn es iſt kein Trefloos 
mehr fuͤr uns im Topfe — 

Lieber, Geſpielinnen, laßt uns unſers 
Fruͤhlings genieſſen, ehe er verbluͤht! Denn 
die Unterwuͤrfigkeit, worin man uns als 
Maͤdchen erhaͤlt, hat gleichwohl eine ange⸗ 
nehme Seite, bie Therefie in ihrem Blat⸗ 
te ſich in Acht genommen hat, zu zeigen, 
wofür wir in der That Urſache haben, 

“03 ihr. 


518g Thereſie und Efeonore. 


ihr verbunden zu feyn. So eingefchränft 
wir auc an allen Eden find , fo giebt 
e8 dennoch Augenblide, wo ſich diefe Steif- 
haͤlſe von Frauen — wie ich fie, nach ei— 
ner Frau zu nennen, mir die Freyheit her⸗ 
Ausnehme — wo alfo die guten Frauen, 
die nichts über fi) , nichts unter einem 
armen Mädchen erblicken, wo fie fich viel- 
leicht recht fehr an unfre Stelle wuͤnſch⸗ 
ten. Ich will im Vertrauen unter ung ein 
Schreiben herumgehen laflen, welches mir 
ein munteres Wefen von einem Mädchen 
noch Dienftag Abends zugefendet. Ihr wer: 
det aus dem Inhalte fehen, es liege uns 
ferm Bortheile daran , dieſes Briefchen 
nicht gemein zu machen, damit fauerfehen- 
de Mütter nicht auf die Spur geleitet wer- 
den, auf die fie nie fommen müffen, wo 
fie uns Mädchen nicht auch das einzige 
entreiffen follen , was ung für die übri- 
ge Geringſchaͤtzung gemwiffermaffen ſchadlos 
halten fann — Lefer a!fo diefes Schreir 
ben auf dem ».. , mo fonft insgemein 
der Mädchen geheime Kanzeley ift. 
Schweſter Schriftftellerinn ! 

„ Das war ein Schrecken , als ih 

Cherefiene ae Blatt zu Geficht bes 
fam ! 


Therefie und Eleonore. 519 


fam! Ich zitterte, wie ein Efpenlaub, da 
ich es meiner Mutter vorlefen mußte — 
Nun, dachte ich alle Augenblick, nun wird 
es fommen — Mit jeder Zeile gieng mir 
ein Stich an die. Seele, und erft am En— 
de — erft am Ende hatte ich dag Hertz, 
aus freyer Bruft Athem zu holen — » 

„ Zorchen! dag märe ein verzweifel⸗ 
ter Streich gewefen , wenn die gutherzige 
Thereſie, aus Mitleiden gegen und, ung 
villeicht unglücklich gemacht hätte — Es 
war fo nahe, fo nahe daran — Aber ein 
gaufelnder ‚Syiphe , ber Schutzgott ed 
jugendlichen Vergnuͤgens, hat ohne Zwei⸗ 
fel ſein Gefieder uͤber den Luſtort gebreitet, 
und ihn ihrem Auge verdeckt gehalten — 
Es waͤre um uns, und das Vergnuͤgen 
geſchehen geweſen. » 

Was daͤucht dir ? wenn Thereſie die 
Saite von unferer Abſoͤnderung in Gefell- 
fchaften ein wenig flärfer gegriffen, wenn 
fie eine beleuchtende Betrachtung darauf 
geworfen hätte, daß man ung Mädchen 
fonders und fämmtlich, mie mein Va— 
ter fpricht , in ein Zimmer fperret , wo 
niemand nach ung ſieht, nach ung fragt, 
als etwan ein Bedienter mit Erfrifehungen 

Kk4 der 


s20 Therefie und Eleonore. 


ber man feine ungelegene Dienſtfertigkeit 
gerne erlaffen wuͤrde? 

„ Gewiß da fühle ich erſt das Ver: 
gnügen meines Standes, und beneide die 
Frauen an ihren Spieltifchen, und auf ih— 
ren Sophen im geringften nicht „ weil fie 
fo gewogenheitvoll find, mir freye- Hand 
ju laffen, um mic) ‚mit den jungen Leuten 
zu unterhalten , die ſich natuͤrlich zahlreich 
bei uns einfinden, da ihnen der Eintritt 
nicht vermehrt iſt. Wie viel wird bier ges 
lacht, geſchwaͤtzt, geſchaͤckert, und fonft 
Albernheit getrieben ! welches alles unters 
bleiben würde, wenn bie Mütter nicht bie 
weife Vorficht hätten, ung von fich zu entz 
fernen , und zwiſchen ihren Argusaugen 
und unferen Scherzen ein paar unburd)s 
fichtige Wände zu fehen. „ 

„Wie ſehr entfchäbiget man ſich in 
biefen Augenblichen ver Freyheit über ben 
unbequemen Zwang , ben ung ihre ewige 
Gegenwart atiferleger ! und mie glücklich 
wird bier in einigen Minuten ihre fonft ims 
merwährende überläftige Aufficht vereitelt! 
Daß find vielleicht die fogenannten Schar 
ferftunden ‚, davon ich fo oft das Wort 
höre, ohne daß mir jemand ben Sinn er⸗ 


Therefie und Eleonore. zer 


Hören will — Doch Hiſch! dag find unfre 
Logen, aus denen wir nicht ſchwaͤtzen 
dürfen — Das Aug der Mütter fey davon 
beftändig ferne! — „, 

„, Senn Sie, wenigftens aug Liebe zu 
ihren Gefpielinnen auf der Hut, daß ihrer 
Schreibgefährtinn nicht etwas entfahre, 
was und um dieſe koſtbaren Augenblicke 
bringen koͤnnte! ö 
Ihre Armine. 

E. 


XXI. 


Scilicet expectas ut tradat mater honeſto⸗ 
"Aut alios mores, quam guos habet — 
Juvenalis. *) 


Us, Madame! wie glücklich find Sie, 
eine fo gefittete Tochter zu haben! — 
Kfz Ich 


*) In dem Augenblicke, da dieſes Blatt zum 
Drucke abgegeben werden ſoll, fah ich, def 
Thereſte die Aufſchrift darliber zu ſetzen ves- 
geſſen hatte. Es war nicht mehr an der Zeit, 
in den deutſchen Schriftſtellern darnach zu 
ſuchen; und mein Gedachtniß bot mir chen 
Feine ſchicklichere on , als dieſe Stelle dee 

la⸗ 


s22 Therefie und Eleonore. 


Ich geftehe e8 , daß ich es bin; und 
wenn alle Mütter eben die Empfindungen 
haben, die fich bei mir fo oft erneueren, 
als ich meine Tochter anblicke, fo zweifle 
ich, ob der Himmel in feinen Schägen et= 
was koſtbareres zu verleihen habe ‚ als 
den Mutternamen — 

„Das iſt vielleicht das erftemal in mei⸗ 
nem Leben, daß mir das Vergmügen mei: 
nes Nebenmenfhen Seufzer auspreffet — 
Nicht, meine Freundinn, als mißgännte 
ich Ihnen ein Glück, deſſen Sie fo wir: 
dig find, und das Ihnen die Güte des 
Himmels fhuldig war, für ihre zärtliche 
Sorgfalt, der Welt ein Beifpiel, und un— 
ferm Gefchlechte eine Krone zu erziehen, 
fondern, weil ich mir ſelbſt, mir nur al- 
lein den Vorwurf zu machen habe — 

- Halten Sie ein, und reiffen Sie mit 
——— Hand nicht eine Wunde auf, 

uͤber 


— Satirikers, die ich für die Les 
ferinnen hiemit Überfege: Erwarteft du viel- 
leicht, die Mutter werde ihre Tochter zu 
ebrbaren, oder anderen Sitten anführen, 
als ihre eigenen find ? 

Der Heranst. 


Therefie und Eleonore. 325 


über welche die Zeit nun ſchon eine Schwuͤ⸗ 
fe gegogen hat. 

„ Nein, Sreundinn! bie Zeit hat bei 
meinem Schmerzen ihre lindernde Kraft 
serloren. Ich trage den Geyer, der mir 
das Herz abfrißt,, immer mit mir herum. 
Ich fehe fie jeden Augenblick vor mir, diefe 
Ungluͤckstochter, die nun meine Schande 
it, und bie fo leicht mein Stolz ſeyn 
konnte — „ 

So Ienften Sedamine, und ihre be— 
daurenswürdige Freundinn eine Unterre- 
dung ein, welche die ganze Gefchichte ei- 
nes verunglückten Mädchens in fih ent: 
hielt , deren Namen ihre Anverwandten 
nicht ohne Erröthen ausfprechen hören, 
und deren Betrübniffe ich die Verfchonung 
fhuldig bin, ihn nicht herzuſetzen. 
Sedamine war die glückliche Mutter; 

fie hatte mit der ganzen Stadt beinahe bes 
roeifende Vermuthungen von der Begeben- 
heit, die ihrer Freundinn fo viele, fo ge- 
rechte Thränen koſtete. Uber fie verftand 
nicht, warum fich die Mutter felbft mit 
Vorwuͤrfen überhäufte — 

Sie Haben ſich vielleicht zu groſſe Nach: 
ſicht gegen eine lebhafte Tochter zu ver— 

wei⸗ 


324 Thereſie und Eleonore 


weifen — fuhr Sedamine im Tone ber 
Tröftung fort — Auch diefe Nachſicht iſt 
nicht ganz ohne Schuld ; aber e8 ift eine fehr 
mütterliche Schuld, wegen melcher fie in 
dem Buſen aller Mütter, ja beinahe aller 
Menfchen einen Vertreter finden — 

„ Möchte ich nur gegen mich felbft eben 
fo gütig feyn fönnen, als Sie es find! 
möchte ich mir weiter nichts, als Nachſicht 
vorzumerfen haben! Aber , Freundinn — 
wenn ich Sie anders nad) dieſem ernie- 
drigenden Geftändniffe fo nennen, wenn 
ich meine Augen noch gegen bie tugend- 
baftfte Mutter auffchlagen darf — ich har 
be — mein Beifpiel hat mein Kind zu 
Grund gerichtet: das elende Mädchen iſt 
auf den Fußftapfen ihrer Mutter der Ent: 
ehrung zugemanbert. „, 

Ein Thränenguß, der ihre lange Anz 
fichhaltung nun überwältigte, zwang fie, 
bier in ihrer Rebe einen Heinen Stillſtand 
zu machen — Als fie endlich ihre ganze 
Standhaftigkeit aufgeboten, und in etwas 
fich erholet hatte, fuhr fie fort — 

„ Wiürdigen Sie mich anzuhören, befte 
Sedamine! und wenn Sie aus der offen- 
berzigen Erzählung zwar mein Verbrechen 

er⸗ 


Thperefie und Eleonore. 325 


- erkennen werben , fo erkennen Sie wenig⸗ 
ſtens daraus zugleich die lebhaftſte Vers 
sweiflung , welche meine Bruft zerfleifcher, 
welche mein Kind, und die Tugend an mir 
mit unaufbörlichen Qualen raͤchet! — Meis 
ne Tochter verlor, zu frühe für ihre Ehre 
und Wohlfahrt ihren Vater, als fie nur 
erft neun Jahr alt war. Ihre ganze Er 
giehung war alfo mein Werf: traurigeg 
Seftändnig! auch ihre Schande ift nun 
ungetheilt mein! Da fie die einzige Frucht 
einer glädlichen Ehe war, und ihre fi 
entwickelnden Reize eine fehr vortheilhaf- 
te Geſtalt verhieffen,, fo lebte meine Seele 
einzig, ganz in diefem Kinde. Sch lieg 
fie nicht einen Augenblick von meiner Sei» 
te, und ihre Sitten fehmiegten fi) durch- 
aus an bie meinigen an „ 

„ Bar e8 nicht natürlich , daß eine 
Tochter ſich nach ihrer Mutter modelte? 
und fann es ber Unglückfeligen nicht ger 
soiffermaffen zur Verringerung ihres Der 
brecheng dienen, daß fie nur dadurch) dem 
Laſter in die Arme gelaufen, weil fie mich 
nachgeahmet hat? — Mit wie vieler Des 
müthigung muß ich es vor Ahnen befenz 
nen, daß meine Sitten durchaus unorz 

dent⸗ 


526 Thereſie und Eleonore, 


dentlich , meine Aufführung unbedachtſam, 
eitel, frey , mithin das Beifpiel, fo dag 
arme Kind unaufhärlich vor fich ſah, aͤuſ— 
ferft verderblich war? Da mein Gemahl 
mich durch feinen Tod in den Genuf eines 
anfehnlichen Gutes gefeget , fo hatte ich 
nicht nöthig , mid) um meines Nusens 
Willen zu befchäftigen. Aber ich trieb die 
fe Gemächlichfeit fo weit, daß ich jebe 
Arbeit zur Schande machte, und von Leu— 
ten, welchen das Glück nicht fo wie mir 
günftig gemwefen, von Leuten, die fich ihres 
Unterhalts wegen zu befchäftigen gezwun⸗ 
gen waren, nicht anders als mit Verach⸗ 
tung, nicht anders als von Unglüdlichen 
und Blenden ſprach. Meine Fleine Nach— 
ahmerinn gewoͤhnte fich fehr an meine 
Sprache. Sie hielt Müfftggehen für eine 
Gluͤckſeligkeit, die ihr ihre Mutter nicht 
mißgsnnen wollte. Sie hielt alfo Knot— 
tenfchlagen, oder fonft ein Tändelwerf für 
die einzige Arbeit, die fie nicht zum * 
bel hinabdruͤckte. 

„Womit konnte eine Perſon, die * 
Stunden mit keiner Arbeit ausfuͤllet, den 
Tag hinbringen? womit anders, als mit 


Eitelkeit, der anerſchaffenen Schooßſuͤnde 
un⸗ 


Therefie und Eleonore. 327 


unſeres Geſchlechtes. Die Mutter brachte 
den Morgen an ihrem Pustifche, den Nach- 
mittag mit Umfleidung und der Wahl neuer 
Ziergeräthe hin, und fo wurden zehn Stun= 
den des Tages dazu verwendete, um zwo 
in. Gefenfchaften zu ſchimmern, und andre 
Weiber zu verbunfeln. „, 

„Der Geſchmack meiner Tochter ge⸗ 
woͤhnte ſich ſehr leicht an dieſe Unterhaltung. 
Ihre Mutter war noch dazu unbeſonnen 
genug, ſie in der Wahl der Stoffe ſehr oft 
zu Rath zu ziehen, und ihr in allen den 
ſogenannten Raffinimens der Eitelkeit Un⸗ 
terricht zu geben. Damals ergoͤtzte ich mich 
ſehr daran, weil ich die Folgen davon nicht 
einſah, wann das zwoͤlfjaͤhrige Mädchen 
mit feiner Einficht in das Pug und Pracht⸗ 
weſen bie erfahrenften Frauen befchämte — 
Sch felbft Ihäßte nichts über einen präch- 
tigen Anzug; und ich erzählte ſehr oft: mit 
dem Stolze einer Siegerinn, daß von funf⸗ 
ig Frauen, die alle mit Neid auf mich 
gefeben , feine fih mit mir vergleichen 
dürfen. Das Kind theilte aus einer kind⸗ 
lichen Regung den Triumph feiner Mut- 
ter ; aber feine Denfungsart faltete fid) 
ganz unvermerft nach ber meinigen: es 

warb 


528 Therefie und Eleonore. 


ward eben fo begierig, das unter feinen 
Gefpielinnen zu feyn, was ich im groffen 
Kreife war: und bie eitle Thoͤrinn, feine 
Muster, unterftügte es leider zu gutwil⸗ 
lig in dieſer Begierde. 

„Der Muͤſſiggang und die Eitelkeit wa: 
ren noch die kleinſten Untugenden, die mei⸗ 
ne Tochter aus meinem Beiſpiele an ſich 
nahm. Die Eitelkeit eines Weibes iſt der 
Magnet, der die Schmeichelei der Maͤn— 
ner gervaltig an fich zieht. Sie wiſſen es 
nur zu fehr, daß fie bei einem eitlen Weibe 
natürlicherweife fehr willlommen find. So 
ward nein Haus ein Sammelplas ſchim⸗ 
mernber Becken, die mir ohne Unterlaß von 
meinen bezaubernden Reizen, von meiner 
unumfchränften Macht über ihre Herzen 
vorſchwaͤtzten — Und ich, ich ward gang 
von dem Dampfe des Weihrauchs, den fie 
‚mir freuten , betaͤubt — Meine Tochter 
ließ feine Sylbe von allem auf die Erde 
fallen. Sie wiederholte mir fehr oft Wort 
für Wort, alle die Albernheiten,, die mir 
den Tag Über vorgebetet worden: Aus 
dem DBergnügen ihrer Mutter ſchloß fie 
natürlich, daß diefer Wirbel von Vereh— 
vern für unſer Gefchlecht ein koſtbares Gut 


ſeyn 


— 


Thereſie und Eleonore. 529 


ſeyn muͤſſe; und ihr Herz, das ſo ſehr 
durch die Eitelkeit vorbereitet war, ſeuf⸗ 
zete nach dem Beſitze dieſes Gutes. 
Laſſen Sie mich mein Geſicht in ih⸗ 
ren Buſen verbergen! ich war ſchwach ge⸗ 
nug — ich ließ mich in einem ungluͤcklichen 
Augenblicke von der Leidenſchaft überra= 
(hen — Sch that mit einem Worte den groͤß⸗ 
ten Fehltritt, deffen unfer Geſchlecht fähig 
iſt — Ich erniedrigte mic) felbft in den Aus 
gen desjenigen, der mid) dazu. verleitet 
hatte, und war dabei fo unbehutfan , daß 
ich meinem Liebhaber manche Freyheiten 
erlaubte, daß ich mir felbft dergleichen her⸗ 
ausnahm , ohne den Blick derjenigen zu 
fcheuen, die ich nicht zu lange in einer vor= 
sheilhaften Unwiſſenheit hätte erhalten koͤn⸗ 
nen. Dadurch nun begab ich mich gleich 
fam mit einmal meines Rechtes; ich begab 
mich des mütterlichen Anfehens , und ber 
Gewalt, etwas an ihrer Aufführung aus⸗ 
sufegen. Mit welcher Stirne follte ich ihr 
etwas verweifen, woruͤber fie mir antwor⸗ 
ten konnte: ich thue das, wozu ich von 
Ihnen ſehr oft Beifpiele gefehen? — 
„Hier nun fieng das Verderbniß mei⸗ 
nes Kindes an, Ein ungluͤcklicher Weges 
IV, Theil, et laus 


530 Thereſie und Cfeonore. 


laurer der unbehutfamen, oder unbewahr- 
ten Tugend, dergleichen leider nur zu viele, 
und an allen Drten auf der Warte ftehen, 
war zu meinem und meines Kindes Elende 
nur zu fcharffichtig: durch Schmeicheley , 
durch Nahrung der Eitelfeit, fand er den 
Weg zu ihrem zu fühlbahren Herzen; und 
ich weis ed, mir zur ewigen Folter, nur 
ju gewiß, daß er den legten Widerſtand 
des Mädchens hauptfächlich durch dag Bei⸗ 
fpiel einer Mutter, dag feinen Schritt recht- 
fertigen konnte, übermwältiget babe — ,, 

Ein neuer Thränenguß erftichte ihre 
Worte, und zwang fie inne zu halten: faum 
hatte fie noch die Kraft, den Wunfch aus⸗ 
zuftoffen : möchte wenigftens mein Sall, 
Mütter, wo nicht wegen ihrer eigenen 
Ehre, wenigftens um ihrer Kinder Wil- 
len, in ihrer erh bebutfamer 
machen! 


T. 


XXII. 


Therefie und Eleonore. 538 


Des Schönheit ewige Neht, wer hat es ihr 
gegeben ? 
Haller. 


Da maͤnnlichen Geſchoͤpfe haben ſich uͤber 
einen kleinen Vortheil, den wir ihnen ir— 
gend wo eingeräumt haben *), zu viel her⸗ 
ausgenommen: ich muß ihre aufbraufen- 
den Beifter ein wenig niederfchlagen, und 
fie zw ihrer vorigen Unterwuͤrfigkeit und 
Pflicht zurück weifen — 

Sehet denn, ihr folgen Herren ber 
Schöpfung , nicht etwan einen jungen, 
unauggebildeten Wildfang von einem ſchoͤ⸗ 
nen Mädchen zahm gemacht: nein! feht 
den weifeften Sterblichen, Sofrates felbft, 
zu den Füffen eines Weibes das Befennt- 
niß ablegen , daß er ihrer Schönheit die 
Schaͤtze feiner Weisheit zu verdanfen habe! 
Welcher Triumph für unfer Geſchlecht! — 

Ja Väter, habt ihr ungezogene Söhne, 
die wie Mäuler und Pferde find, in denen 
fein Verſtand, fein Wis , Fein Anftand- 
feine Sitten zu finden , übergebet einem 

el2 ge⸗ 
*) XV, Etüg. 


532 Thereſie und Eleonore. 


gefitfeten, verftändigen, artigen Mädchen 
ihre Heilung — entweber bier, oder nirs 
gend wird fie zu hoffen feyn — 

Sollen euch Beifpiele zu diefem Vers 
fuhe Muth machen, lefet den Brief ei— 
nes Juͤnglings, den feine Thorheiten un 
ter den drey vornehmften Thoren ber Stadt 
berühmt gemacht haben, und freuet euch 
mit feinen Aeltern, die dieſes Zengniß fei= 
ner Wiederkehr zur Einruͤckung angelegen 
empfohlen haben : mit biefen nun gluͤckli⸗ 
chen Aetern, freuet euch über die Rückkehr 
eines Menfchen, der ohne die Erbauung 
ber Liebe zu Grund gerichtet, verloren 
war ! 

Theuerſte Mutter ! 

„ Nun darf ich, mit einiger Zuberfiche 
auf ihre Güte, diefen Namen ausfprechen, 
da ich wenigſtens nicht mehr fo unmürdig 
bin, ihr Sohn zu beiffen ‚da Sie felbft 
mit meiner Wiederfehr in den Schoof ber 
Rechtſchaffenheit, mich in das Necht ihres 
Kindes wieder einzufegen, Fein Bedenken 
fragen werden — „, 

Es war eine Zeit, nicht lange noch, 
da fie e8 war, wo Befhämung ihre Wan⸗ 
gen röthete, wenn mein Name genennet 

ward, 


EN Therefie und Eleonore. 333 


ward, wo die Schande, die meine beruͤch⸗ 
tigten Streiche mir zuzog, ſich fo gar big 
auf Sie verbreitete — Wie glüdlich bin 
ich, wie glücklich find Sie, daß ich fagen 
darf: es war — Denn fie ift nicht mehr, 
danf fen es dem Himmel! der langmuͤthig 
genug war, mich Elenden jju ertragen, 
und dem tugendhafteften Mädchen, von feiz 
ner Guͤte zu dem foftbaren Werkzeuge mei⸗ 
ner Befehrung auserſehen. Die Tugend 
eines Mädchens , war auch fonft immer 
eine Reizung fürjmich , aber, um fie zu 
verderben, und zu meinem Unglüce, war 
ich nur zu glücklich — oder zur Echande 
der Menfchheit fand ich vielmehr nirgend, 
wahre Tugend zu zerfiöhren; ich fand nur 
ihr Gefpenft , Ziererey *) und heuchles 
e13 ri⸗ 

*) Wir haben in der gemeinen öſterreichſchen 
Mundart das Wort, eine Zerinn, Zererey, 
welches dem franzbſiſchen Precieufe zufegt. 
Zererey ift offenbar nichts, als die verdorbene 
Ausſprache des von fich zieren abgeleiteten 
Wortes Ziererey. Go könnten wir in unfrer 
Mundart viele ausdrückende Wörter aufſu— 
hen, wenn wir darauf mehr zu merken, Ste 


duld hätten, a 
Der Serausgeb, 


534 Therefie und Eleonore. 


riſche Srimaffen, die bei einem ernften Ans 
sriffe , wie die Irrwiſche bei Annäherung 
des Hauchs zerftiebten — Die ähte Tu⸗ 
gend ift ſtandhaft, ift Siegerinn im Streis . 
te, wenn bag Lafter fich ihr zu nähern, 
das Herz hat — Iſt Siegerinn, und wird 
zugleich Wohlthäterinn an denjenigen, bie 
fie fich unterwirft — „ 

„Dieſe ſtandhafte, fiegende Tugend hat 
mid) Mirane, fie nur hat mich diefe Tu> 
gend fennen gelehret — Ich ſah fie. Die 
Natur muß Miranen in einer der arbeitfa= 
men Stunden gebildet haben, in denen fie 
fich ſelbſt übertreffen, und Sterblichen geiz 
gen will, was fie zu thun fähig wäre, 
wenn Menfchen ihre koſtbaren Gefchenfe 
nicht fo oft mißbrauchten. Die bildenden 
Künfte dürfen die Mufter zur Bollfommen- 
heit des Baues, des Ebenmaffeg, der Fein- 
heit der Züge nicht in Griechenland und Nom 
ſuchen: Mirane wäre für fie mehr, alg die 
medicäifche Venus — Ihr erfter Blick mach⸗ 
te mich ihr untermürfig ! aber ich nahte mich 
ihr in firafbarer Begierde, und beftimmte 
fie zum Opfer meiner Sinnlichfeit — „, 

„Ich habe oft gehört „ derjenige, 
welcher die Abficht hat, Götterfäulen und 
Als 


Therefie und Eleonore. 535 


Yltäre zu berauben, empfände bei-feiner 
Annäherung, in ſich einen geheimen Schau- 
der , gleihfam als wollten die Gottheiten 
ihm dadurch zurück halten, das vorgenom— 
mene Bubenftück anszuführen. Sch has 
be diefes immer für ein Märchen gehals 
ten, das man ganz fhicklidy erfunden, die 
Boͤſewichte von ihrem Unternehmen abzu⸗ 
ſchrecken. Aber, es ift mir fein Zweifel 
mehr übrig, da ich diefen Schauder felbft 
empfunden, als ich mich in götterfchände- 
rifchen Abfichten Miranen näherte, Sch 
fam, um fie zu entehren, und ihre fanfte, 
aber unwiderſtehliche Majeftät zwang mich, 
fie anzubeten — u. 

„ Sc) war anfangs verwegen genug, 
der geheimen Zuruͤckhaltung Gewalt zu 
thun, und Sie mit der zutraulichen Miene 
anzuſprechen, die ich mir eigen gemacht 
habe, da ſie aller Orten unter dem Namen 
der Ungezwungenheit ſo willkommen war — 
Es war ein einziger Blick zureichend, mich 
zurecht zu weiſen. In dem Augenblicke 
fühlte ich, deutlicher als jemals, die Ueber⸗ 
macht der Tugend. Ich mar durch diefen 
Blick wie zergichtet. ch wagte es kaum, 
ein Zug gegen fie erheben; ich bebte vor 

e£la ihr, 


356 Thereſie und Eleonore, 


ihr wie ein Miffethäter vor feinem Richter, 
und ich fürchtete, fie möchte die Schänb: 
lichkeit meiner Abfichten in dem Innerſten 
meines Herzens leſen, und mich auf ewig 
aus ihrer Gegenwart verbannen. ch fuch- 
te alfo, glei als in dem Angefichte einer 
Gottheit, meine Gedanfen zur Anftänbig- 
feit einzurichten, um ihr näher treten zu 
dürfen. Wie mar ich nicht von ihrem 
Geifte, von ihrer gefitteten Lebhaftigfeit, 
von ihren feinen und finnreichen Scher— 
zen, von ihrer leutfeligen Herablaffung , 
‚die fie mit der Würde ihres Gefchlechtes 
fo wohl zu vereinbaren wußte, entzuͤckt! 
Ich gieng von ihr, aber mein Herz, meine - 
Freyheit, Ich, blieben ganz bei ihr zurück, 
Ich that das Geluͤbd, ihr beftändiger Ver—⸗ 
ehrer zu ſeyn. 

„ Meine Zerftreuungen Töfchten indef= 
fen bald einen groffen Theil der Ehrerbie- 
tigkeit wieder aus , die ich mit mir gegen 
fie binmeggenommen hatte; und in dem 
Zaumel milder Begierden, der mich bin 
und wieder trieb, durfte ich fo gar, meine 
ehrlofen Entwürfe wieder hervorſuchen — 
Da ich aus der erften Unterredung geler- 
et hatte, daß ich bier mit ftärferen Waf- 

fen 


’ 


Sherefie und Eleonore. 537 


fen den Angriff zu machen haben würde, 
fo war ich boshaft genug , den Vorſatz 
der Heucheley zu faffen , und mich umter 
dem Scheine der Tugend in ihrem Herzen 
einzufchleihen — », IR 

„ €8 gelang mir: Mirane fonntemich 
um fich dulden, fie fieng an, mich zu uns 
terfcheiden , fie liebte mid, fie geſtund 
e8 mir — und ich Elender war boshaft 
genug, dieſes Geftändniffes der reinften Un- 
Thuld zu ihrem Untergange mißbrauchen zu 
wollen. Ich beurtheilte fie nach denen, 
welchen fie doch fo wenig ähnlich war, nach 
Mädchen, die fich felbft nicht mehr befigen, 
fobald fie ihr Herz vergeben haben — Ich 
hatte die Verwegenheit — ach theuerfte 
Mutter! welcher Augenblick war dieſes, 
als ich die Verwegenheit hatte, den Engel, 
von ferne nur zu verfuchen. Cie lärmte 
nicht. Nur diejenigen fchreyen , die ſich 
eine Ehre daraus mad)en, verfucht zu wer⸗ 
den. Wahre Sittfamfeit Handelt mit Wiür- 
de, und fucht darin feinen Ruhm, daß fie 
nad) ihrer Pflicht handelt. Sie haben, fagte 
Mirane mit einer Faſſung des Gemürheg, 
die bewies, daß ihre Sprache nicht erfünftelt 
war — Sie haben ohne Zweifel von der 

215 Schwach⸗ 


538 Thereſie und Efeonore; 


Schwachheit meines Gefchlechtes manz 
che Beweife, die Ihnen überhaupt von 
uns eine geringe Meinung beibringen. 
Wenisftens machen Sie Fünftig einige 
Ausnahme! und meiden Sie eine Per- 
fon ‚, die Sie nie geliebt haben, weil 
Sie diefelbe zu entebren den Vorſatz 
faflen Eonnten — Und nun gieng fie, als 
Uebermwinderinn meiner und ihrer felbft — 
denn fie liebte mich wahrhaft — von mir, 
und warf noch zuleßt einen bedbaurenden 
Blick auf mich zurüd. „, 

„Beſchaͤmt, verwirrt, mehr als jemals 
ihr Leibeigener , floh ich in mein einfames 
Zimmer, und überlief mein bisher zwifchen 
der Unordnung, dem Lafter, und ber Thor- 
heit getheilte® Leben, bebte vor mir felbft, 
und erfennte die Unwuͤrdigkeit der lebten 
That in ihrer ganzen Gröffe. ‚Bald bar- 
auf fchilderte ich mir die Glückfeligfeit, in 
dem Herzen Miranens eines Plabes ge— 
würdiget zu ſeyn, biefer Glückfeligfeit, 
daraus ich mohl verdient verftoffen wor— 
den, und die ich — wieder zu erobern 
den Entfhluß faßte. Sie ift gütig, wie 
fie Schön ift, fagte ich zu mir — Sie wird 
mir Vergebung angedeihen Laflen, wenn 


ich 


Thevefie und Eleonore. 539 


ich fie zu verdienen weis. Ich ſchrieb ihr : 
meine Reue war mit den lebhaftften Far— 
ben gefchildert. Ich verkleinerte mein Ver⸗ 
brechen nicht, ich erkannte es, ich wollte 
dafuͤr buͤſſen; fie ſelbſt folte mir die Buffe 
vorfchreiben. Sch ſchloß mit diefen Wor⸗ 
ten? da Sie mich einmal ihrer Gewogen⸗ 
heit verficherten, was Tann ich thun 5 
um fie wieder zu erlangen, um fie nie 
wieder zu verlieren?! — „ 

Tutendhaft feyn ! dag war die ganze 
Antwort, diefes göttlichen Kindes: und die, 
fe zwey Worte mwirften das Wunder mei- 
ner Befehrung. Ich erfchien wieder vor 
ihre, da fie mir hierzu die Erlaubniß nicht 
verfagt hatte: ich entfagte den Gefährten 
meiner Unordnung, fah Feine ‚andere alg 
gefittete Gefellfchaften, ertrug die Spoͤtte⸗ 
reyen der Ausfchwifer,, die meiner Bekeh— 
rung lachten — und nach einer Zeit, die 
meiner Mirane, von beren Sitten ich dag 
Muſter zu den meinigen nahm, zur Probe- 
zeit zureichend fchien, ward ich auf neue 
in ihre Gewogenheit aufgenommen, die id) 
nie roieder durch eigne Entehrung zu ver- 
lieren, Miranen, und Ahnen, thenerfte 
Mutter, angelobe. 


> Wenn 


je) 


5456 Thereſie und Eleonore, 


„Wenn es.heute fo wenig tugenbhafte 
Männer giebt , dürfte man nicht die Ur⸗ 
fache darin fuchen,, daß auch die Miranen 
felten find, die ihren Liebhabern, zum Preis 
fe ihrer Gewogenheit vorfchreiben, tugend⸗ 
haft zu feyn Y | 

€ 
XXI. 


Die fich bei fchlimmen Süd in allen Sliden 
wies, 
Und alle Gragien aus ihrem Antlig fick. 


le. 


His die Männer allein, auch wir ſchwa⸗ 
chen Werkzeuge haben unfre ernfthafte Lau⸗ 
ne , bie wir gang wohl pbilofopbifche 
Stunden nennen möchten, wenn wir mes 
niger befcheiden wären. Eine unter ihrem 
Schutthaufen begrabene Stadt , die ein- 
ftens Nationen Gefege gab, ein auf dem 
Bette der Schmerzen niedergebeugter Held, 
ein den Weg aller Menfchen wandelnder 
Monarch, ein übertünchtes Grabmal, ein 
Kirchhof, find Gegenftände , melche bie 
Weifen unferer Zeiten veranlaffen, Nacht⸗ 
gedanten und Denkſpruͤche zu fchreiben. 
Bm ung fi nd ein aus der Mode gefoms 
me 


Therefie und Eleonore, 541 


menes Kleid, das einft die Augen aller 
Männer, und den Neid aller Weiber auf 
ſich gezogen, und nun im Kleiderfchranfe 
nur noch der Seltenheit wegen feinen Ort 
findet, eine unter dem Joche der Liebe 
gezaͤhmte, einſt tygermaͤſſige Spröde, eine 
den Weg aller Geſtalten wandelnde Ge— 
ſtalt, eine Schminkbuͤchſe, die Verheerungen 
der Zeit auf dem Geſichte, falſche Haar— 
‚Locken, die Verwuͤſtungen derfelben auf dem 
fahlen Scheitel zu erfegen, Verzerrungen, 
um den erfterbenden Annehmlichkeiten nach 
zubelfen, Künfteleyen , um die flüchtige 
Schönheit, und die Anbeter, die immer 
zugleich mit ihre verſchwinden, zurücku= 
halten, eine Sunfzigiährige, die auf die 
Munterfeit zwanzigjähriger Weiber fchilt, 
und eine Sechzigjährige in Rofenfarbe ge= 
Fleidet, nicht weniger Gegenftände mora= 
kifher Stunden. Wir fteigen bei ihrem 
Anblicke mit vieler VBerfammlung in ung 
ſelbſt hinab , und flellen dann über vie 
Hinfaͤlligkeit aller menfchlichen Dinge mehr 
als youngifche Betrachtungen an. Ich weis 
nicht, ob ich meine Leferinnen damit fehr 
unterhalten werde , wenn ich ihnen eine 
von biefen Betrachtungen vorlege s aber 


ich 


542 Thereſie und Eleonore. 


ich will e8 auf guten Glauben wagen, 
Wenn Schriftfteller und Schriftftellerinnen 
immer das wegftreichen follen, wovon fie 
beinahe eine fittlihe Wahrfcheinlichfeit vor 
fich haben, daß e8 — wenigſtens nicht ge= 
fallen werde, wie wenig würden fie dann 
ftehen laffen ? aber auch, wer würde bie 
fünftaufend fechshundert und drey und 
vierzig Buchdruͤcker, und ungefähr eben fo. 
viele Buchhändler befchäfftigen, welche ſich 
in Europa alle davon reichlich ernähren, 
daß der Saum der Leſer nicht niedlich ift ?— 
Durch diefe überzeugende Betrachtung 
*) hat mich der Herausgeber beftimmt, 
diefes Klaglied über einen zerbrochenen 
Spie⸗ 


Weil für die Leſer dieſe Betrachtung nicht 
fo überzeugend ſeyn dürfte, fo nehme ich mie 
die Freyheit, fie ein wenig auseinander zu 
fegen. Fünftaufend ſechshundert drey und 
vierzig Buchdrlicder, und eben fo viel Buch- 
händler fodern zu ihrem Unterhalte doch wer 
nigftens 5643 neue Blicher, und zu jedem 
Buche taufend Leſer, wenn fie das librige 
gleich von verbefferten Auflagen hereinbrin⸗ 
gen. Gübe es nun Beine Lefer, welche mit 
Hilfe ſtatt Kern , mit Sprey fatt Waijene , 


mit Glitter ſtatt Wiges, mit Grobheiten ſtatt 
Sa⸗ 


Therefie und Eleonore, 54 


Spiegel nicht gu unterdrücken, fo ſehr ich 
felbft feine Unvollfommenheit einfehe, und 
zuerſt die Stimme zu feiner —— 
erhebe. 


Klaglied uͤber einen zerbrochenen 
Spiegel. 


% 
Rus die reigengbfte Nimphe, die je 
den Pratter verfchönern , und fih von 
fauernden Faunen, gutwillig im dichtern 
Geſtraͤuche befchleichen laffen, Riante ſaß 
an ihrem ME und ordnefe: 


Ge: 


Satire, mit Spaſſen flatt Scherzes, mit 
Schwul ſtatt Groſſe zufrieden wären , wo 
follte man 5643 gute Bücher hernehmen ? 
Man ift glücklich, wenn von Jahr zu Jahre 

ein oder ein paar gute Werke erfcheinen. Da 
aber gleichwohl die angeführte Zahl der Buch- 
händler lebt, fo kann man die Rechnung 
‚machen, daß es gegen 2000 gufe, 54430 ge⸗ 
ſchmackloſe Lefer giebt, welches für Schrifte 
fiellee nicht der kleinſte Trof if. 


Der Herausg, 


544 Thereſie und &feonore, 


Gebierrifch ordnet fie; ſchnell ſteht auf 
ihr Gebot 

Ein Heer von Reigen da — Aus ihren 
Locken droht, 

Bon ihren Wangen droht — Bon ih: 
rem Bufen brobt, 

Aus ihren Blicken droht — Aus ganz 

Rianten droht 

Eupido Fäffel, Pfeil, und Niederfag”, 
und Sieg — 


So fteht ein Feldherr, und ordnet feis 
nes Heeres Angriff; ordnet ihn unwider⸗ 
ftehbar , mie ihn aber ein Weib, dag zu 
furchtſam ift, das Vorſpiel der grauen«- 
vollen Scene mit anzufehen, nicht befchrei= 
ben fann. 

Schon war, nad) hundert Verbefferuns 
gen, nichts mehr an dem ganzen Bau ih⸗ 
rer prachtvollen Locken zu verbeffern übrig : 
fhon war Niante mit fich felbft vollkom— 
men zufrieden: ſchon langte fie nach der 
Börfe, die reisfchaffende Kunft des ein—⸗ 
zigen l'Orange zu belohnen, als — 

Bappp, der Charloe Schmuck, deſſen 
Locken die Seide, und dem Glanze feiner 


Haut der Sammer weichen, der unter 
Huns 


Therefie und Eleonore. 545 


Hunden ift, was unter Schönen, Riante, 
die reizendfte Schöne! als Happy Fam, 
feiner Gebieterinn den Zins von Morgen: 
fchmeicheleyen abzutragen — und fey es, 
daß ihn ein. angenehmer Traum von Zur 
ckerbrod und Spasierengehen ungewöhnlich 
munter machte, oder, baß in dem Körper 
des Kläffers irgend die Seele eines Lieb- 
habers fafelte ; er waͤdelte fo munter, 
büpfte fo anmuthig, liebkoſte fo zudring⸗ 
lich, daß, ehe Riante und ihr Kamer— 
mädchen des Unglücs fich verſahen, bie 
mühfame Lage dreyer Stirnlocken zerfiöhre 
war. Welche Berwirrung! welcher Stoff, 
fi) in einem Heldengedichte, dag die Zer- 
ftöhrung, und Zappys ſchoͤnheitraͤuberiſche 
Pfote befänge, an die Geite der Zomere 
und Poppe aufzufchwingen 1 Aber ich 
bin nicht neidifch) genug, einen ergiebi- 
gen Stoff Dichtern zu entreiffen — Der 
Schmerz übermwältigte Rienten fo fehr , 
baß fie, uneingedenf des Vorzugg, den fie 
ihrem Schooßhunde über alle Liebhaber 
einräumte, mit der fchönen Hand aushol- 
te, und fchon den rächenden Streich zu 
führen bereit war — als der Hund, unge: 
wohnt einer folchen Strenge, ſich hinter dag 
IV, Theil, M m Heiz 


546 Sherefie und. Efeonore. 


Heiligehum des Putzgottes, den Spiegel, 
flüchtete, aber durch ein neues Unglück 
‚ ihn, der ihn vor dem Zorne feiner Frau 
beſchuͤtzen ſollte, über und um ftürzte: er 
zerbrach — 

Zuviel ihr Götter, zuviel des Schmer⸗ 
zens fuͤr Rianten! drey zerſtoͤhrte Locken, 
und ein zertruͤmmerter Spiegel! Wenig: 
fteng hättet ihr dieſes Unglück durch ein ges 
vingeres Werkzeug, das Kamermädchen fich 
ereignen laffen! Wenigftens hätte dann bie 
troftlofe Riente durch Schmähmsrter ohne 
Zahl ihren Schmerzen aushauchen, und der 
ungefchicften Dirne die Truͤmmer an ben 
Kopf fchicken Finnen. Aber welche tra= 
gifhe Stellung, worein ihr fie verfegt! — 
Hier das Laſter, der zerftüchte Spiegel — 
und bier der theure Verbrecher , Happy 
der Hund ihres Herzens , den fie nicht 
firafen fann, ohne in ihr eignes Einge: 
weid zu miüten! — 

Nun denn, Sreundinn ‚ih, ich will 
ihrem billigen Schmerzen die Hand reichen, 
und Happys Neue, und dem von ihrer 
Hand gefallenem Glafe ein ewiges Denf- 
mal ftiften. Ihr Mufen fteht mir bei! in 
. ber wichtigen Unternehmung bei ! 
Welch 


Therefie und Eleonore, 547 


„ Welch ein Verluft! des Putzaltares 
edler Schmud, der Schönen fichrer Freund! 
zerftückt liegt er nun da! „, 

„Der Schönen Freund! der jedes Fleck⸗ 
chen des Geſichts, des Putzes Mangel je— 
den, warnend wies; der treuer, als des 
Malers ſtets liebkoſender Pinſel, auf ſei⸗ 
ner Silberflaͤche ſie wiedergab — zerſtuͤckt 
liegt er nun da! „, 

„, Liegt da, Niantens Freund: zu ih— 
rem Siege trug er mächtig bei — und theilt 
ihn neidifch nicht mit ihr — ,, 

„ Mit aufgelöftem Gürtel trauret über 
ihn, ihr Sragien! vor ihm heißt euh am 
Morgen ftets, die Schöne mwiederfehren, 
wenn euch bei Nacht ein ungeftüimer Traum 
aus ihrem Antliß ſcheucht — 

„ Wer lehrt fie nun den r eggewohn⸗ 
ten Blick, den ſie vor ihm ſich gab? wer 
zeigt ihr nun, wo ſie mit brennendem Kar⸗ 
min, die Roſen ihrer Wange hoͤhen, der 
Stirne Lilien mit Talkoͤl blaͤſſen fol ?— ,, 

„ Ein Sreund? o, diefer wagt es 
nicht: fie zuͤrnt, verräth er unbedachtfam 
fit, er glaub’, fie koͤnne, als fie ift, voll» 
fommener noch feyn — ,, 


Mma2 „Die 


& 


548 Therefie und Efeomore, 


„ Die Sreundinn? ach! die trium— 
phirt, an einer furchtbaren Nebenbuhles 
rinn auch etwas mangelhaft zu ſehen. 
Nicht Freund, nicht Freundinn waren fie. 

„ Nur er, er hatte Muth, hatt? Of: 
fenherzigfeit , ihr ungeheuchelt zu geftehn, 
zu zeigen, was ihr noch gebradh. Und fie 
verbeffert dann nach feinem Rath, warb 
Siegerinn im Kreife fie beneidender Ge— 
fpielinnen, macht Herzen unterthänig, und 
fieht zu ihren Füffen eine Welt! „, 

„ Doch, nicht den Äuffern Schmuck des 
Körpers nur, den edlern ihrer Seel’, auch 
ihn, den unvergänglichern, die Tugend, 
lehrt er fie — „, 

„ Oft, wann er Götterreiz' ihr zeigt, 
und fie fich felbft Tiebfofend wohlgefällt, 
dann ruft er mächtiger als Sirachs Sit: 
tenbuch ihr zu! „ 

„, Entehre nicht, vortreffliches Geſchoͤpf, 
des Schöpferg holde Gabe, der Glieder ftolge - 
Pracht! mach dich nicht unterthänig nied- 
ver Luft! frohn den Begierden nicht! „, 

„ Und, wenn fich dir der Tugend Un= 
tergräber naht, und glatte Schmeichelen 
dic) zu verleiten, braucht, tritt bin vor 
mich! z 

* Be⸗ 


Thereſie und Eleonore. 549 


„Beſpiegle dich in mir, und fieh dann 
feldft , mie viel zu ſchoͤn du biſt, des 
Laſters Kaub zu ſeyn, und denke edel: 
ftolg, welch’ ſchoͤne Eeele, du diefem ſchoͤ⸗ 
nen Körper fchuldig biſt — „, 


* 


XXIV. 


oh weil es Zeit if, aufuhbren ! 
Kreuz, 


Meine Freundinnen! 


WM haben unfern Vertrag erfuͤllet, 
wie e8 Zeit, Umftände, Kräfte, und — 
dieß für mich allein gefprochen — die ger 
wiſſe Unbedachtfamfeit , die wir fo gerne 
Munterkeit nennen hoͤren, zugaben. Ih⸗ 
nen koͤmmt ed nun zu, über ung dag Ur— 
theil zu fällen, und entweder zu bebauren, 
daß wir nicht fortfahren, Sie toschentlich 
zweymal zu unterhalten, oder Vielleicht 
außzurufen: fie thun wohl daran! — 
Yuf welche Seite immer ihr Urtheil aug- 
fallen mag , für dießmal haben wir ung 
ein Ziel geftecft , wir find dahin gelangt, 
wir werden nicht darüber hinausfchreiten. 


Mm3 Ha⸗ 


550 Tcherefie und Eleonore. 


Haben wir ohne Beifall gefchrieben, 
Haben wir, ftatt zu unterhalten, manches 
fiebe Gefchöpf an der Eeite feines Cela— 
done fanft in Schlaf gewiegt — Das Ue— 
bel war fo groß nicht : fie hatten, nach— 
dem fie die Aletagsgefpräche ſchon erſchoͤ— 
pfet, fih ohnehin nichts mehr zu fagen, 
und der Himmel weis, ob die Tugend nicht 
dabei gewonnen hat, Aber es ift immer 
nicht das größte Verdienſt, das Reich der 
Tugend dadurch zu bauen, daß man bie 
Leute einfchläfert, fonft müßte mancher Por 
filenreuter dem Himmelreiche weit mehr 
Pflanzvölfer zugefendet haben , als bie 
Slechier und Bourdaloue — 

Tragen wir hingegen, welches wir mehr 
wuͤnſchen als hoffen, tragen wir, irgend 
einen belobnenden Beifall unfrer Lefer, uns» 
frer Leferinnen mit ung hinweg! defto mehr 
ift es Zeit, fich zuruͤckzuzichen, weil mir 
noch mit Ehren Finnen. Schriftfteller ſol⸗ 
len, mit unferem Gefchlechte und den Hel- 
den nad einerlei Grundfägen handeln. 
Tindarine hätte nicht alle ihre Verehrer 
überlebt, fie wiirde bedauret, nicht ver- 
laſſen worden ſeyn, wenn fie ihre Ero- 
berungen nicht über die Zeit hinaus durch⸗ 

zu⸗ 


Therefie und Eleonore, 551 


zufegen gefucht hätte, welche die Natur 
ihe mit unverfennbaren Merfmalen zum 
Abzuge vorgefchrieben. Pompejander hät: 
te fein Haupt unter den Schatten des gruͤ⸗ 
nenden Lorbers zur Ruhe legen, und den 
Ruhm des Sieges in feine Einfamfeit mite 
fragen Fönnen. Aber er wollte die ras - 
ſchen Läufer des Triumphwagens noch lei⸗ 
ten, da die Kraft feines Arms ſchon nach⸗ 
ließ; er lebte für feinen Ruhm zu lange, 
die Lorber mwelften auf feinem Haupfe — 
Kluͤger als Tindarine, vorfichtiger als 
Dompejander, foll von uns, als Schrift 
ftellerinnen betrachtet, wenigſtens nicht ge= 
fagt feyn, was Horaz von den Sängern 
und Dichtern feiner Zeit fagte: 


Den Sängern, und den Dichtern iſt 
es eigen, 
Erſt fangen fie nur fehr gebeten 
en, 
Denn bite’ ihr fie umfonft, zu ſchwei⸗ 
j gen ! ! 

Diefes fey denn das leßtemal, daß ich 
mit Ihnen ſpreche: meine Gefährtinn wird 
in dem folgenden DBlatte ſich gleichfalls 
beurlauben — 

Aber 


552 Thereſie und. Eleonore. 


Aber an unfrer Stelle wird jemand 
auftreten, von dem ic) den Auftrag erhal⸗ 
te, Ihnen nähere Nachricht zu geben — 

Rathen Sie nicht! firengen Sie fich nicht 
vergebens an! halten Sie nicht Muthmaſ— 
fungen und Bahrfcheinlichkeiten zufamm ! 
urtheilen Sie weder vorhinein aus dem Zus 
fammenhange bdiefer Anfündigung , noch 
auch nachher, aus der Schreibart, aus ber- 
Wendung der Gedanken! — Sie werden 
irren; Sie werben durch allerlei Verſtel— 
lungen gefliffentlich irre geführt werden, um 
ben Berfaffer des weiblihen Ora— 
Fels nicht zu erfennen. 

Nachdem, manchmal ungegründeten , 
oft, nur zu oft wahrem Vormwurfe, daß 
ein Geheimniß unter einem weiblichen Her- 
zen nicht zu ficher verwahret liege, bat 
diefe neue Goͤttinn des guten Raths ihre 
Vorfichtigfeit weit genug getrieben, felbft 
ihren Vorgängerinnen unbekannt zu bleis 
ben, und ich fage nicht , daß fie daran 
übel gethan. Wenigſtens ift die Sicher: 
beit gröffer : man kann mich nicht ver» 
rathen, als, man wird mich nicht vers 
zatben — 


Ich 


Therefie und Eleonore. 353 


Ich will e8 nicht verbergen, unſer er= 
fier Gedanfe war ungefähr ver nämlihe, 
den fo manche unter Ihnen auch haben 
wird, Wir hatten denjenigen in Verdacht, 
der die Ausgabe diefer Blätter bis hieber 
beforget , und uns manchmal durch feine 
Beiträge aus der Verlegenheit geriffen hat. 
Wir zohen ihn damit auf, und er verthei— 
bigte fih fhwac genug , um uns den 
Verdacht nicht zu benehmen. Aber mir fa> 
ben bald ein, daß er unfre Blicfe mit Bor» 
faß auf fich zu sieben gefucht, um fie von 
dem wahren Gegenftande abzuziehen; und 
wir find verfichert, man mwird den Kunſt⸗ 
griff eben fo fehr ald wir erfennen, fo 
bald man bie Fleine Anfündigung durchfe= 
ben wird , die mir aufgetragen worden 
einzufchalten — 


Das weiblihe Drafel 


jet Teetet ab Sterbliche, macht einer Gott⸗ 
heit Platz! die unter euch zu wohnen, ſich 
euch aufzuklaͤren wuͤrdiget! Zevs vom 
Olymp, den eurer Blindheit jammert, er 
ſendet mich! 

Mm 5 „Dringt 


554 Thereſie und Eleonore. 


„ Dringt nicht, mit neugierigen, uns 
beiligem Blicke, in meinen Aufenthalt! uns 
fihtbar dem Auge, red’ ich zum Herzen 
nur, und flöffe Stärfe in die Seele der 
Zugendhaften , und züchtige mit innrer 
Pein die Lafter, durch die fich mein Ger 
fchlecht entehre — „, 

„ Eine Géöttinn — ferne von mei 
ner Schwelle, männliche Gefchöpfe! zu 
eurem Flehen ftumm , erhöre ih, nur 
Pyrrens Töchtes, antworte ihnen nur. „, 

„Vernehmt, wie ich verehrt — bie 
Art, wie ich befragt feyn will! Stumm, 
unerbittlich der, die das Gepräng ver- 
ſchmaͤht, fällt Blindheit über fie; mein 
Stral wird über fie nicht glänzen, mein 
Licht nicht den Verſtand erhellen — „, 

„ Erft fprenagt mit reiner Duell’ das 
Haupt, die Stirn’, das Herz! dann ſteht 
unverwandt gen Untergang gefehret, fier 
ben Augenblicke lang ! dann ruft mit laute 
ter Stimme, Lofutia! — und wiederho— 
let das Gepräng zum brittenmal! „ 

„ Mit jungfräulichem Kiele , mit 
dem fonft nie ein Wort gefchrieben ward, 
fchreibt dann auf rein Papier bie Frage 
bin! — Die Frage entehr’ die Tugend, 

ent: 


Therefie und Eleonore. 555 


entehr? den Anftand nicht, zu dem ihr euch, 
zu dem ihr mir verpflichtet ſeyd — dann fen- 
det fie dem weiblichen Brafel ein! —., 

„ Noch ehe zum viertenmal die Sonne 
den Erdenball beftralt, eh noch zum vier- 
tenmale, der Schatten ihn bedeckt, merdt 
ihr von mir belehrt — „, 

Der miftifhe Ton, der in diefer An- 
fündigung gewählt ift, verräth nirgend ei⸗ 
ne Spur, die unfern Argwohn zu leiten 
fähig märe. 

Es mag feyn, daß diefe Äbernatisliche 
Sprache: als ein dichter Schleyer anzufe= 
ben feyn muß , binter welchem der Prie- 
fier der Göttinn Lokutia verborgen zu 
ftehen wuͤnſchet, um in feinen Drafelfprü- 
chen die Stimme deſto freyer erheben zu 
dürfen. Furcht, Anfehen der Perfonen, 
Partheylichkeit beftechen Sybillen auf ih= 
rem Dreyfuffe, wie den Richter auf dem 
Kichterftuhle, und den Ausfpender der Un— 
fterblichfeit , den Schriftfteller, an feinem 
Pulte. Man hat der Gerechtigkeit ein 
Band über die Augen gezogen, damit fie 
nicht fehe : der Drafelfprecher ſtelle fich 
hinter einen dichten Vorhang, um nicht 

ger 


356 Thereſie und Eleonore. 


gefehen zu werden, und unpartheyiſch blei⸗ 
ben zu koͤnnen. 

Aber wozu ſchlage ich in fremdes Ge—⸗ 
fchäft die Hände ein? ich trete von ber 
Emporbühne ab, menge mich unter ben 
Haufen, und frage, nad) ‚ehrerbietig bes 
obachteten Gepränge , die erſte: 


Cofutia! —54 
Was iſt die Beſtimmung des Maͤdchens! 


L. 


Noch eines, und dann lebet wohl! 
Drollinger. 


Fu Ende eines Spazierganges, den man 
an ber Hand einer Sreunbinn, an der Hand 
eined Freundes gethan hat, fieht man 
manchmal zurück , und wundert ſich über 
die groffe Etrecfe Wegs, die man, ohne 
es gewahr zu werben, zurückgelegt hat; eis 
nen Weg , den man fich vorzufchreiben, 
aus Gemächlichfeit, oder fonft einer Urfa« 
che fchmwerlich dag Herz würde gehabt ha- 
ben — Mir geht es auf meinem fchrifte 
ftellerifchen Pufigange eben fo. Der mir ge: 
fagt hätte: fee dich! fchreibe fo viel, 
und 


Therefie und Eleonore. 357 


und fo viel hin! den würde ich über feine 
fonderbare Zumuthung ziemlich fremde an- 
gefehen haben. Aber mein Freund that mit 
mir einen Fleinen Gang ; wir festen ung, 
um ein wenig auszuraften. Dann gien= 
‚gen woir wieder , ruhten dann wieder — 
und rückten auf diefe Weife immer weiter, 
bis wir, ohne felbft daran zu denfen, ein, 
geroiffes Ziel erreichten , das er fih von 
Zerne zum Standorte ausermählt hatte. 
Ich bin nicht fo Teichtfinnig,, oder wie 
das Mädchen e8 lieber nennen hört, nicht 
fo munter, um ganz über dag Urtheil forg- 
‘ 108 zu ſeyn, fo die Welt von unferm Unter» 
nehmen, Schriftftellerinnen zu werden, ge= 
fället haben mag — Nicht , als ob man 
nicht immer noch eine gefittete Srauensper- 
fon, eine redliche Freundinn, eine zärtliche 
Gattinn feyn koͤnnte, wenn man gleich’ eine 
Stümperinn mit der Feder ift — nein! 
und zur Ehre dieſer Stadt giebt es viele 
von den erften, da vielleicht wir beide bie 
einzigen find, die Muth genug hatten, dru— 
cken zu laffen, Aber die Frage, die man 
an die mittelmäffigen, an die fchlechten 
Schrifterlinge mit Recht thun kann, die 
man immer an fie thun wird, die Frage: 
Wer 


558 Therefie und Eleonore, 


Wer zwang dich zu fchreiben 4 die ſchre⸗ 
cket mih — Gegen diefe hält feine Ent> 
fchuldigung: er ift noch jung, man muß 
ihm etwas zu Gute halten — mer zwang 
ihn zu fchreiben? er hat es nicht aus= 
feilen Fönnen: es fehlte ihm an Feiti- 
fhen Sreunden — wer zwang ihn zu 
fchreiben? Und, um auf ung zu fommen, 
wenn man über ung den Kopf fchitteln, 
bier Fehler , dort Unrichtigfeiten zeigen, 
und was weis ich, was alles fagen wird, 
und es wird jemand zu unferer Vertheidi- 
gung ſprechen: „denken Sie doch, daß es 
FSrauensperfonen find, von denen man was 
Vollkommenes nicht eben fodern fann „— _ 
fo wird die Frage bei der Hand feyn: aber 
wer zwang fie zu fchreiben ? 

Er mag alfo unfre Vertheidigun g über 
fic) nehmen , der Freund, der uns dazu 
verleitet , der uns fehr oft die Hand ges 
führt , und der ung — Aber er verlangt - 
fich felbft bei feinen Lefern zu verantwor- 
ten, daß er es wagte, ihnen Fraueusper⸗ 
fonen aufzuführen. Ach reiche alfo ihm die 
Feder, und trete willig zurück, zufrieden, 
wenn ich durch meine Fleinen Bemerfungen 
manchmal ein flatterhaftes Mädchen ge: 

wars - 


Thereſie und Eleonore. 559 


warnet, manchmal einem frechen jungen 
eine ihm ungeroöhnliche Nöthe an die Stir⸗ 
ne gejaget , manchmal eine Frau an ihre 
verfennte, oder überfehene Pflicht erinnert, 
vielleicht den Sitten meines Gefchlechts we⸗ 
nigftens einige Freunde gewonnen, wenig⸗ 
fieng einen Feind verföhnet habe. 


Der Herausgeber 
an das 


ſchöne Geſchlecht. 


Nicht mich, nicht Thereſien und Eleo⸗ 
noren, Sie, reizende Gefaͤhrtinnen un— 
ſers Leben! Sie, welche die Vorſicht be— 
ſtimmet hat, eine Triebfeder des maͤnnli— 
chen Fleiſſes, eine Triebfeder zu ruͤhmli— 
chen Handlungen zu ſeyn, die wir unter 
ihrem Angeſichte fie auszuuͤben, dadurch 
ihren Beifall, manchmal ihre Gewogenheit 
zu verdienen, ung freuen; Gie, ber Vor— 
. Sicht reizendſtes Werck, beftimmt, ung den 
dörnichten Pfad des Lebens angenehm , 
felbft unfere Widerwärtigfeiten weniger em» 
pfindlicy zu machen , wann Sie nad) der 
Guͤte ihres Herzens daran Theif nehmen; 
Sie 


560 Therefie und Eleonore, 


Sie habe ich zu vertheidigen. Wiſſen Gie 
— nein, Gie wiſſen e8 nicht, daß es un— 
ter ung Ehrenfchänder giebt , die ſtirnlos 
genug find, Ihnen dieſe Empfindung, ich 
möchte fagen, diefen Gaum zu verfagen, 
der in Schriften Gutes und Uibels zu un- 
terfcheiden, zwoifchen einem .... und..., 
zu wählen weis? Miffen Sie, daß man 
Sie bloß zu dem ſinnlichen Gefühle herab⸗ 
fegt ? — Wiſſen Sie, daß man fagt — ber 
fonderg von meinen liebenswürdigen Lande, 
männinnen fagt, ihre Nerven wären zu 
‚ftarf — damit ich den ungefitteten Aus— 
druck nicht nachfchreibe — ihr Gehirn zu 
trocken, ihre Einbildung zu wild, zu uner⸗ 
gelmäffig, um jemals auf den Ruhm einer‘ 
guten Feder Anfpruch machen zu dürfen ? 
Wiffen Sie, daß ich von grobnervichten 
Gefchöpfen , für die dag feinere Vergnuͤ— 
gen nicht in die Natur gelegt: worden, daß 
ich von diefen, mir felbft, Hundert und hun» 
dertmal habe mäffen vorfagen laffen : es fey 
ganz wider die Beftimmung des weiblichen 
Gefchlehts, in einem Buche zu blättern, 
ober etwas mehr, als den Unterfcheid eis 
nen faulen und frifchen Eyes zu fennen, 


daß ich fehr oft aus dem beiffenden Juve⸗ 
— nal, 


Therefie und Eleonore. 561 


nal, der ihrem Geſchlechte ſo gram war, 
weil er das Gluͤck nicht hatte, ſo viele an⸗ 
genehme Wienerinnen zu kennen, aus die⸗ 
ſem ausgelaffenen Spoͤtter babe hören muͤſ⸗ 
ſen: 
Das Weib, dir zur Gefaͤhrtinn auser⸗ 
ſehen, 
Sey nicht gelehrt! Es koͤnne nicht 
Gleich einem Logiker, gekuͤnſtelt Schluͤſſe 
drehen, 
Es halte über Bücher fein Gericht ! 
Hab’ die Gefchichte nicht fiudiert—u. ſ.w 


Kiffen Sie, wenn ic) Sie gegen der= 
lei Läfterer mit Eifer vertrat, wenn ich ihr 
ve Gegner mit Beifpielen eintrieb, und fo 
viele vortrefflihe Schriften anführte , die 
ihren Berfafferinnen Ehre machen, und den 
Schwarm männlicher Schriftfteller größten 
Theils verdunkeln, daß ich dann die Ih— 
nen schimpfliche Antroort hören mußte: zum 
mindften wuͤrde ich unter dem hieländifchen 
Srauenvolfe nicht drey herausheben, die 
nur erträglich eine Kuͤchenrechnung aufzu⸗ 
feßen, geſchweige denn Briefe, Erzählungen, 
Gedichte, oder etwas Ähnliches zu fchrei: 
ben in Stand wären. Wiffen Sie endlich — 

IV, Tbeil, nn wel 


562 Thereſie und Eleonore. 


welches mir am nächften gieng, daß man 
fich anheifchig machte, diefe Befchuldigung 
durch die Erfahrung zu flügen: daß man 
die Dreiftigfeit hatte, mich aufsufodern‘, 
ich möchte Ihnen nur zehn, nur fünf, 
nur drey entgegenftellen, um fie zu wider⸗ 
fegen ; daß mir unverſchaͤmte Gemein⸗ 
frener, Briefe von Mädchen, von Weibern, 
jeigten , über welche ich freylich. weiter 
nichts als die Achſeln zücfen , und allen= 
falls, um doc) mich nicht ganz überwuns 
den zu geben, fagen konnte: einige wenige 
fönnten nicht auf das Ganze fehlieffen laf- 
fen — Aber, verfolgte man mich noch in 
diefer Verſchanzung — Lpfinde ift eines 
von den artigften Mädchen! — Mans 
dantinen halt jedermann für das geift: 
reichfte Weib in der Stadt! urtheilen 

Sie von den Übrigen v 
Sch habe alfo Beifpiele durch Beifpiele 
entfräften, und an Perſonen, deren bes 
ftändige Geſellſchaft einen groffen Theil mei⸗ 
ner Glückfeligfeit ausmachet, und mir zu» 
gleich Gelegenheit verfchaffer , in erübrig- 
ten Augenblicken zu ihrer müßlichen , und 
unterrichtenden Ergoͤtzung etwas beizutra⸗ 
gen, an ihnen habe ich zeigen wollen, wie 

leicht 


Therefte und Eleonore. 363 


feicht e8 möglich wäre , eine vortreffliche 
Anlage — und eine ſolche ift die Anlage 
faft des ganzen Geſchlechts — in kurzer 
Zeit auszubilden ; und wie weit man es 
bringen Fönnte, wenn Wir weniger unbil- 
fig, vielleicht weniger neidifch, von Ihnen 
verdunfele zu werden , von Jugend auf 
ihre Sähigfeiten bearbeiteten, wenn Muͤt⸗ 
fer , welche die wahrere Schönheit verfen» 
nen , nur zur Hälfte die Reise des Gei- 
fies fo, wie die förperlichen auszubilden , 
forgfältig wären. Die Zeit, die Gewohn- 
heit fich zu fehen, eine Kranfheit, ein Zufall, 
hundert Ereignungen fönnen ihren Töchtern 
Diefe vermeinte Koftbarfeit rauben: durch 
welche Zauberfünfte werden fie dann gleiche 
gültig gewordene Männer zuruͤckhalten ? — 
Aber die Schönheiten des Geiſtes veralten 
nicht: über Sie hat die Zeit und beinahe 
das Schicfal alle Macht verloren. — 
Könnte daß Beifpiel Therefiens und 
Eleonorens ein ober anderes ſchoͤnes Kind 
zur Nacheiferung aufmuntern ! Könnte ihr 
Vorgang Ihnen eine Schüchternheit beneh- 
men , bie fie bei andern Gelegenheiten fo 
vortrefflich kleidet, aber hier ein zur Une 
keit gelegtes Hinderniß ihrer Fahigteuen iſt! 
Koͤnn⸗ 


564 Thereſie und Eleonore, 


Könnte ich mit mir den ftolgen Gedanken 
hinwegtragen, daß ich die Geſchicklichkeit 
mir fo naher Perfonen nicht ohne Frucht 
auf das Spiel geſetzet; daß ich — felbft mir 
einem MWageftücke ihres Fleinen Ruhms — 
einen Weg gebahnet, auf welchem reizende 
Kinder , die Zierden unſrer Gefelffchaften, 
wie gefeßtere Frauen bie Kronen ihrer 
Samilien, E£ünftig zu wandern, fich nicht 
fcheuen werden ! Könnte ich bald die Vers 
fchönerung der Schreibart , wie die Vers," 
befferung des mündlichen Ausdrucks ua 
ben ordentlichen Lehrübungen des heran—⸗ 
wachfenden Frauenvolks erblicken! Könnte 
ich fo glückliche Folgen diefer Blätter er: 
warten t.ich würde meine darüber gefuͤhr⸗ 

te Aufficht nicht unter die geringften Dien- 
fie ſetzen, die ich dem Privatleben, und 
der wechfelfeitigen Glückfeligkeit beider Ges 
Schlechter geleiftet haͤtte. 


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