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Full text of "Geschichte Böhmens und Mährens"

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WBRARIT” 





Geſchichte Böhmen 
und Mährens 


Bon 
Bertold Bretholz 


Erſter Band 


Das Vorwalten des Deutſchtums 





Reichenberg 
Paul Sollors' Nachf. G. m. b. 6. 
pen he 


DB 
205 

BEL. 
— 


Alle Rechte, 
insbeſondere das ber Überfegung in frembe Sprachen, 
vorbehalten. 


Copyright 1921 by Paul Sollors' Nachf. G. m. 5. H., Reichenberg. 


Verlags-Nr. 184. 


I 10803 





Drud von Gebrüder Stiepel Gef. m. b. H. in Reichenberg. 





vorwort. 


‚Ein Bolt, das nit weiß, woher es kommt, 
weiß auß nicht, wohin e8 geht.“ 

Diefer Ausfpruch eines neueren beutfchen Gefchichtöforfchers, der 
unferen Verhältniffen ferne ftand, eignet fi) gleichwohl in unferer 
Zeit als Einbegleitung einer Heimatgefhichte, beven erftem Bändchen 
binnen Zahresfrift noch ein zweites und drittes folgen follen. 
Sie iſt aus Vorträgen entftanden, die ich über Aufforderung 
des Brünner Lehrerinnenvereind vor einem allgemeinen Hörerkreis 
im Jahre 1920 gehalten habe. Die Behandlung dieſes Gegenftandes 
in der einen und anderen Art, ald DBorlefung oder in Buchform, lag 
mir ſchließlich nicht fern. Hatte ich doch, von Cinzelarbeiten zur 
böhmifchen und mäprifchen Gefchichte abgefehen, ſchon zweimal ben 
Verſuch gemacht, eine Gefamtgefchichte dieſer Länder zu fchreiben, 
In den Jahren 1893 und 1895 erfchienen die zwei erften Hefte meiner 
„Beichichte Mährens“, Die aber nur bis zum Ausgang des 12. Jahr- 
hunderts, bis 1197, reichten. Hier angelangt, ftieß ich auf Schwierig- 
teiten, bie zu überwinden mir damals nicht möglih war. Die 
unmittelbare Fortfegung hätte fi nämlich mit ber fogenannten 
deutſchen Kolontfation in Mähren im 13. Jahrhundert beſchäftigen 
müffen, d. h. mit der Einwanderung und Feftfegung von Deutfchen 
in diefem Land. Dieſe Frage ſchien mir eine ‘genauere Behandlung 
zu verdienen, als fie bis dahin in den heimifchen Gefchichtöblichern 
erfahren hatte. Ich hielt es für meine Aufgabe, die mehr in allge- 
meinen Betrachtungen fich ergebenden Schilderungen durch beftimmte 
fachliche Angaben zu ergänzen, das wefenlofe Bild durch Vorführung 
tatfächlicher Bortommniffe nach Ort und Zeit zu beleben. Allein alles 
noch fo aufmerkfame Durchforſchen der Quellen führte zu keinem 
Ergebnis. Ich fand keine einzige Nachricht, Die auf eine Einwanderung 
fremder. deutfcher ftäbtifcher oder bäuerlicher Roloniften nach Mähren 
im 13. Jahrhundert oder vorher fchließen ließ. Ich wandte mich der 
Geſchichte Bohmens zu, in dem «Mauben, dort die Belege für die fo 
allgemein verbreitete Anficht finden zu müffen und dann wenigftens 
durch Rückfchlüffe Die Entwicklung in Mähren einigermaßen aufpellen 
zu lönnen, Noch einmal wurde in jahrelanger Arbeit die Durchficht 


wv Vorwort. 





aller einfhlägigen Quellenwerte vorgenommen, — wieder ohne Erfolg. 
Dadurch geriet die Darftellung der mährifchen Gefchichte ins Stoden; 
wie wenn man beim Bau auf weichenden Boden gerät und fich erft 
feften Grund ſchaffen muß. 

Es war für mich nur ein geringer Troſt, ald mir mein ehe- 
maliger Lehrer, Profeffor Büdinger in Wien, dem ich gelegentlich 
meine Verlegenheit vortrug, nur ganz Kurz erllärte: dort bin auch 
ich ftedden geblieben; er meinte damit feine „Öfterreichtfche Gefchichte”, 
von der nur ber erfte Band im Zahre 1858 erfchien, in dem das 
Kapitel „Böhmen“ ſchon bei 1055 abbricht. Auch Die legte auf gründ · 
licher Forſchung berupende „Beichichte Böhmens“ von Univ.-Prof. 
B Novstny in Prag (in tichechifcher Sprache), deren erfter Band 
1912 erſchienen tft, fließt mit dem Jahre 1197 und Hat feither noch 
feine Fortfegung erhalten. Jeder ernfte Forſcher muß Hier, vor der 
Darftellung der Gefchichte Böhmens oder Mährens im 13. Jahrhundert, 
auf eine Schranke ftoßen, die feiner Arbeit Einhalt gebietet und zur 
Überprüfung der bißherigen Auffaffung zwingt, 

Eben als ich mich mit diefen Fragen beichäftigte, erhielt ich bie 
Aufforderung, mich an einem großgebachten Gefchichtäwert über 
Böhmen zu beteiligen, das der Verein für Die Gefchichte Der Deutfchen 
in Böhmen plante, das aber dann nicht zuftande Fam. An ber mir 
zugewieſenen Arbeit hielt ich jeboch feft, und Habe fie auch im Jahre 
1912 als „Gedichte Böhmens und Mäprens bis zum Ausfterben der 
Prempfliden (1306)* herausgegeben. Hier habe ich zuerft meine Grund- 
anfchauungen über den Verlauf ber böhmiſch · mähriſchen Geſchichte bis 
zum Beginn bes 14. Jahrhunderts, alfo mit Einfchluß des fogenannten 
Koloniſations · Zeitalters, darzulegen verfucht. Diefer Band war ur- 
ſprünglich gebacht als erfter Teil einer bis in bie neuefte Zeit reichenden 
Geſchichte beider Länder. Allein da mein Standpunft nicht bie Zu- 
ftimmung des Vereinsausſchuſſes fand, trotzdem das Buch ald „Zeft- 
ſchrift· zur Geier des 50 jährigen Beſtandes diefes Vereines erfchienen 
war, mußte die Fortführung bes Wertes unterbleiben. — Ih habe 
gleichwohl nicht aufgehört, ſowohl dieſe ältefte Periode weiter durch · 
zudenken, ala auch an ber folgenden zu arbeiten. Und fo traf mich 
denn ber Auftrag, ber mir vor einigen Zahren zuteil wurde, eine 
Gefchichte Böhmens ber neueren Zeit, feit 1526, zu verfaflen, deren 
erfter Band 1920 erſchienen tft, ebenſowenig unvorbereitet, wie ber 


Vorwort. v 





Wunfch meiner Hörerfchaft, meine Vorträge in Form einer vollftän- 
digen kurzgefaßten Gefchichte Böhmens und Mäprens herauszugeben, 
deren Beginn Hier vorliegt. 

Wenn ich auch mit Ruckſicht auf bie Leferkreife, für die das Buch 
berechnet ift, ſtets Darauf bedacht war, keine nur für „Fachgenoffen“ 
berechnete Arbeit zu liefern, fo halte ich es doch für Pflicht jedes 
wiſſenſchaftlich Arbeitenden, den Lefer zu ſich emporzugiehen und nicht, 
unter dem Vorwand „gemeinverftänblich“ fein zu wollen, ihn fo bes 
ſcheiden als nur möglich einzufchägen und ihm nur einen Abklatſch 
und Auszug aus älteren Werten vorzulegen. Es fcheint mir not- 
wendig, den Lefer, wer immer es fei, mit bem ganzen Getriebe unferer 
bohmiſch · mahriſchen Geſchichtſchreibung und Geſchichtsforſchung in den 
Hauptzügen bekannt zu machen, ihn in bie ungelöften Fragen ein · 
zuweihen, ihm einen Behelf an die Hand zu geben, fi) über ben 
geſchichtlichen Verlauf ein eigenes Urteil bilden zu können. Hiezu 
follen auch die Anmerkungen dienen, die ich an den Schluß bed Buches 
verlegt habe. 

Ich Tann nach den früheren Erfahrungen kaum annehmen, daß 
meine Ausfüprungen, bie von allen bisherigen Schilberungen böpmifch- 
mährifcher Gefchichte weit abweichen, allgemeine Zuftimmung finden 
werden, am wenigften in jenen wiflenfchaftlichen reifen, die auf die 
Nichtigkeit ihrer alten Anfchauungen pochen, „weil fie doch überall 
ftehen.” Ein Goethe’fches Xenion lautet: „Liegt ber Irrtum nur erſt 
wie ein Grunbdftein unten am Boden, — immer baut man darauf 
nimmermepr kommt er an Tag.” Aber ich darf vielleicht die Bitte 
ausſprechen, die Fragen, bie ich mir aufzuwerfen und auch ber Haupt · 
ſache nach zu beantworten erlaubt Habe, und bie für das ganze beutfche 
Dolt von Bedeutung find, zu prüfen und rein mwiffenfchaftlich weiter 
zu verfolgen. Denn Hier konnten doch nur gleichfam bie Grundmadern 
für den Aufbau der heimifchen Gefchichte gelegt werben. Darnach muß 
fih nun, wenn meine Anſchauung richtig iſt, Wirtſchafts · und Rechts- 
geſchichte, Sozial. und Verfaffungsgefchichte, vor allem aber unfere 
Orts · und Stadtgefehichte von den älteften Seiten an ganz neu geftalten. 
Eine große Arbeit für viele, nicht für einen allein. 


Brünn, am 9. Juli 1921. 8. Bretholz. 


Inhaltsüberfiät. 


Seite 
Erfier Abſchnitt: 


Überficht über bie Quellen und die Geſchichtſchreibung . . . 1-19 
weiter Abſchnitt: 
Relten und Germanen auf böhmiſchem Boden . » .... 20-88 


Dritter Abſchnitt: 
Die ſlawiſche Einwanderung. — Das Aufkommen des 
premyjlidifcen Haufes. — Das großmähriſche Reich . 3—55 
Bierter Abſchnitt: 
Das Herzogtum ber Prempjliden in der Beit ber ſachſiſchen 


bayriſchen und ſtaufiſchen Kaiſer7 56—75 
Fünfter Abſchnitt: 
Die premyſlidiſche Königszeit. 20000. ve. 70-9 


Sechſter Abſchnitt: 
Die ſogenannte deutſche Kolonifation - 2... .. 100-126 


GSiebenter Abſchnitt: 
Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter in 
prempjlidifger Beit © 0 «oe ee nennen nee 197-180 
Achter Abſchnitt: 
Die drei böhmifhen Könige aus luxemburgiſchem Saufe: 
HR Berge Ba “ .. 161—188 
Neunter Ubfänitt: 
ogiaten unb geiftigen Strömungen in Böhmen und 
— unter Gen Qugemburgern bis zum Ausbruch, 
ber Huffitenkiiege (1419)... 2 one nenne 189—216 
Unmertungen ..... 


Stammtafel. 





Erfter Abſchnitt. 


Aberſicht Über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 


Die Gejchichte eines Staatsweſens oder eines feiner Glieder 
während feines ganzen Beftandes oder in einem beftimmten 
Zeitabſchnitt feiner Entwidlung zu erzählen, ift nur möglich, 
wenn „Quellen“ zur Verfügung ftehen, d. h. fchriftliche Über- 
Tieferungen und Aufzeichnungen im weiteſten Sinn des Wortes, 
Sie bilden gleichſam den unentbehrlihen Rohſtoff, der erft 
unter Anwendung berfchiedener Methoden der Verarbeitung 
zum eigentlichen Geſchichtswerk unterworfen werden muß. 


Wenn wir ung alfo vornehmen, die Geſchichte Böhmeng und 
Mäbrens, die feit jeher mannigfache Beziehungen zueinander 
haben, von den älteften bis auf unfere Zeiten darzuftellen, fo 
wird e8 zum befjeren Verſtändnis nicht überflüffig fein, zuerft, 
wenn aud) nur in allgemeinften Umtriffen, klarzulegen, welche 
Sauptquellen hiefür vorliegen, wann und wo fie entitanden 
find, wie wir fie bewerten und welche Bearbeitung fie bisher 
erfahren haben.t 

Gehen wir dabei von der neueren und neueften Zeit auß, 
fo ift wohl befannt. wie reich da im allgemeinen die gejchicht- 
lichen Quellen fließen und wo fie zu fuchen find: Akten, Urkun- 
den, amtliche Berichte, Beitungen, Briefſchaften, Tagebücher, 
Denkwürdigkeiten Iiegen in Ämtern, Regiftraturen, Archiven, 
Bibliotheken, Schrift- und Bildiwerfe aller Art finden fid in 
Mufeen, öffentlihen und nichtöffentliden Sammlungen, in 
Kirchen und auf Briedhöfen, auf den Plägen und Straßen, in 
einzelnen Häuſern. 

Allein diefe Behelfe find naturgemäß wie nach Inhalt und 
Form fo auch nad) innerem Wert fehr verſchieden. Man wird, 
um e3 an einem Beifpiel klarzumachen, einen Beitungsartifel, 
jelbft einen größeren Auffag bon berufener Seite über Kaiſer 
Franz Sofef I. von Oſterreich anders einfchägen, als etwa eine 


Bretholg, Geſch Bögnens u Mäfrens. 1. 1 


2 Erſter Abſchnitt. 





Selbftbiographie, wenn fie vorhanden wäre, und dieſe anders 
als feine Briefihaften, wenn fie gefammelt vorlägen; und 
wieder ganz andere Bedeutung hätten Berichte und Aufzeich- 
nungen bon Perjonen, die mit ihm in unmittelbarem Verkehr 
ftanden. Aber auch Bilder und Denkmäler, Münzen und 
Medaillen, die ihn darftellen oder auf fein Leben und Wirken 
Bezug haben, wird man nicht überfehen dürfen. AI dag find 
Quellen zur Geſchichte diejes Fürften, daraus man, wenn man 
fie alle befäße und kennte, ein klares und wahres Bild feines 
Lebens und feiner Zeit zu ſchaffen vermöchte. Allerdings, in 
folder Neichhaltigfeit ftehen ung geidjichtliche Quellen nur 
äußerit jelten zur Verfügung. . 

Ganz ebenfo verhält es fich, wenn man anftatt der Geſchihte 
einer Perſönlichkeit die eines Landes ſchildern will, Je mehr 
verſchiedenartige Quellen vorliegen, deſto reicher und zuber- 
läffiger kann die Darftellung fein. Aber auch auf diefem Ge- 
biete ift der jogenannte embarras de richesse, die Überfülle, die 
in Verlegenheit verjegt, nur für die allernenefte Zeit vorhanden, 

Wie die Menge und Buntheit des Baum- und Blumen- 
wuchſes abnimmt, in je höheres Gebiet wir hinauffteigen, fo 
erſchöpft ſich auch der Reichtum und die Mannigfaltigfeit an 
geſchichtlichen Quellen, je weiter wir in der Zeit zurüdgehen. 
Wie rajch verſchwinden die regelmäßigen Zeitungen, wie jelten 
werden, wenn man nur ein, zwei Jahrhunderte nach rückwärts 
freitet, Bauten, Bilder, Denkmäler, wie fpärlic) im allgemei« 
nen Briefe, Rechnungen, Geſchäftsbücher, Samilienpapiere, In 
Wahrheit rechnet der Geichichtichreiber in unferen Rändern nur 
mit drei großen Gruppen von Quellen: Aften, Urkunden, 
Chroniken. Und aud) dieje verteilen ſich ungleid, auf die ver- 
ſchiedenen Zeitabſchniite und haben für den Border verſchieden · 
artige Bedeutung. 

Amter hat es immer gegeben, wo es ein geordnetes Staats- 
weſen gab, und fie haben wohl auch zu jeder Zeit Aufzeichnun · 
gen bejeffen, die man gemeiniglich ala Amt3aften oder Amts- 
bücher bezeichnet. Aber jelbft bei dem höchſten und wichtigſten 
Amt im Lande Mähren, bei der Statthalterei, die fich auß einem 
der älteften Amter, der Landeshauptmannſchaft, herausgebildet 


Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 3 





bat, ijt aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Kriege faft nichts 
mehr borhanden; alles verloren, zugrunde gegangeni In 
Böhmen dürfte bei der gleichen Behörde, ſoweit bisher befannt, 
der Anfang des 16. Jahrhunderts die Grenze bezeichnen. — 
Eine für die Landesgeichichte fo wichtige Quelle, wie die Land- 
tagsakten, reichen in beiden Ländern nicht über das Jahr 1526 
zurück, und doc) willen wir, daß Landtage oder ähnliche Landes - 
verſammlungen bei ung auch früher, nachweislich ſchon im 
12. Sahrhundert abgehalten wurden. Aber Akten, fchriftliche 
Aufzeichnungen über die dort berhandelten Gegenftände und 
gefaßten Beſchlüſſe fehlen; fei es, daß fie im Laufe der Zeit 
irgendwie der Vernichtung anheimgefallen find, jei e8, daß man 
damals nichts ſchriftlich aufgezeichnet Kat, jondern dag nur 
mündlich verhandelt wurde, Es ift nämlich eine eigentümliche 
Bahrnehmung, daß die Menſchen des früheren Mittelalters auf 
fohriftliche Aufzeichnungen noch nicht ſolches Gewicht Iegten, wie 
ipäterhin. Sie haben ſich lieber auf ihr Gedächtnis verlaſſen; 
das konnte wenigſtens nicht wie ein Schriftſtück gefälfcht werden. 
Auch waren wohl jelbft viele der im öffentlichen Leben wirfen- 
den Perſonen dazumal noch des Schreibens unfundig. Das 
ſchriftliche Zeugnis hatte für fie daher nur geringen Wert, 
Beſſer als Amtsakten und -bücher aller Art haben fich die 
Urkunden im engeren Sinne de3 Worteg erhalten, d. h. amtliche 
Schriftftüde, die an eine beitimmte äußere Form gebunden 
waren und zur Beglaubigung eines geſchichtlichen Ereignifjes 
oder auch eines gejchäftlichen Abkommens zumeijt rechtlicher 
Natur dienten. Man ftellte Urkunden aus über Käufe, Schen- 
Zungen, Bermächtniffe, verliehene Rechte und Freiheiten, man 
wählte die Urkundenform nicht minder bei Friedensſchlüſſen, 
Staat3verträgen u. a, m. Doc) auch dieje geſchichtlichen Zeug- 
niffe find einerſeits zeitlich beichränft und anderjeits nicht 
immer bedingungslos hinzunehmen, In unferen Ländern 
reihen fie lange nicht foweit zurüd, wie ettva in dem Böhmen 
benachbarten Bayern, geſchweige denn in Weſtdeutſchland, 
Stalien, Spanien, Frankreich. Die ältefte Originalurfunde 
eines böhmischen Herzogs, die wir fennen, ftammt aus dem 
Sahre 1057 und betrifft Schenkungen an die Kirche in Keit- 
1° 


4 E Erſter Abſchnitt. 


meritz. Dann vergeht faſt ein ganzes Jahrhundert, bevor wieder 
— um 1148 — ein derartiges Stüd, diesmal für die Olmützer 
Kirche auftaucht. In Abjchriften nach verloren gegangenen 
Originalen hat ſich etwag mehr erhalten. Die große Mafie 
diefer Quellengattung beginnt aber erft im 13, Zahrhundert 
und bildet in diefem und den folgenden, vornehmlich big zum 
Auftreten der Akten, eine wichtige Fundgrube für gejchichtliche 
Nachrichten.” Nur darf man dabei nicht außer acht laſſen, daß 
gerade Urkunden häufig gefälicht wurden, fo daß man bei ihrer 
Benützung borfichtig zu Werke gehen muß. Das erklärt ſich 
zum Teil daraus, daß Urkunden als Erzeugniffe der Ämter und 
Kanzleien nicht wie die Alten zurüdbehalten, jondern den Par- 
teien auögefolgt wurben, fomit der Verfälihung, Nachahmung 
und anderen Veränderungen leichter ausgejegt waren. 

Doch auch abgejehen von den Mängeln, die beiden Quellen- 
gruppen, Aften und Urkunden, anhaften, wäre e3 nicht leicht, 
einzig und allein mit ihrer Hilfe Gejchichte zu fchreiben. Denn 
ein Aft oder eine Urkunde bezieht fich zumeift nur auf eine 
einzige, jeder Akt, jede Urkunde gewöhnlich auf eine andere 
Talſache, die noch dazu für die allgemeine Geſchichte des Landes 
ziemlich belanglos jein kann. Geſchichte ſoll aber eine zufam- 
menhängende Daritellung der wichtigſten Ereigniſſe eines 
ganzen Zeitabichnittes, ein Bild der fteten Entwidlung bieten. 
Diefe Aufgabe erfüllt in weit höherem Maße die dritte Quellen- 
art, die jogenannten Chroniken oder Zeitgeſchichten. 

Es hat wohl zu allen Zeiten und überall Menfchen gegeben, 
bie fi) bemühten, Ereigniffe, die fie miterlebten oder über die 
fie von anderen Kunde erhielten, im Gedächtnis zu behalten 
und weiter zu berichten oder, wenn fie deifen fähig waren, 
niederzufehreiben; oft ganz ſchlicht, knapp, tabellenartig ohne 
fichtbaren inneren Zufammenhang, manchmal ausführlicher und 
künſtleriſcher geftaltet. Solche Schriftwerke reichen fehr weit 
aurüd, fpielen, um von noch früheren Zeiten hier abzufehen, bei 
Griechen und Römern eine große Rolle und heißen dort 
Annalen oder Chroniken (Sahrbücher oder Zeitbücjer), weil fie 
gewöhnlich all das verzeichnen, was Jahr für Jahr vorgefallen 
ift. Im Mittelalter wird diefe Art Gejchichte zu ſchreiben 


Mbderficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 5 





zumeiſt in Klöftern und Kirchen von den Geiftlichen, als den 
wenigen Schreibfundigen und eigentliden Bertretern der 
Wiſſenſchaft, ausgeübt. In der Narolingerzeit find Chroniken 
im Frankenreich ſchon recht häufig; von dort verbreiten fie fich 
in den folgenden Sahrhunderten überallhin nach Deutfchland. 
In dieſen fremden Chroniken des 8. bis 11. Jahrhunderts 
finden ſich auch ſchon Nachrichten über Böhmen und Mähren zu 
einer Zeit, da bier der Boden für folde geiftige Arbeit noch fat 
ganz brach liegt.” Bei ung beginnt diefe Quellenart erſt im 
12. Jahrhundert. 

Im Jahre 1125 ift adhtzigjährig ein Geiftlicher der Prager 
Domkfirde mit Namen Cosmas geftorben, jomit um 1045 ge- 
boten, den man als den „böhmifchen Herodot“, als den Vater 
der böhmifchen Gefchichtichreibung bezeichnet.“ Cr war Fein 
Böhme, fondern von polnischer Herkunft; Cosmas ift wohl nur 
fein geiftlicher Name, Einer feiner Vorfahren adeliger Abftam- 
mung fam als Gefangener 1039 nad) Prag, vielleicht ift ihm 
Cosmas fpäter freiwillig dahin gefolgt. Diefer genoß feine 
Erziehung in Lüttich, einer damals berühmten Schule, auf der 
er vielleicht nod) 1074 weilte. Alg Dekan der Prager Domkirche 
entichloß er fich, eine Geſchichte des Landes Böhmen zu fehrei- 
ben. Nicht nur eine Chronif der Zeit, die er felber miterlebt 
hatte, fondern auch der früheren Jahrhunderte, wie er fagt: von 
der eriten Einwanderung der Menſchen in diejes Land. Er 
hefaß, wie er felber angibt, einige ältere auf die Geſchichte 
Böhmens und Mährens bezügliche Quellen, die aber verloren 
gegangen find. Doc; erflärt er offen, daß er glaubwürdige 
ſchriftliche Beugniffe nur bis 894 zurüd gefannt habe. Darüber 
hinaus in die weitere Vergangenheit Fönne er ſich nur auf 
„fabuloſe Berichte alter Leute” ftügen und müffe eg bem Leſer 
überlaffen zu beurteilen, ob fie als „wirklich oder erfunden 
(facta an ficta)” anzufehen feien. 

Das ift alfo die ältefte Chronif von Böhmen, die für die 
Zeit bon 894 bis 1125, alfo für 231 Jahre glaubtwürdige und 
für den Abfchnitt vor 894 fagenhafte Gefchichte des Landes 
darbieten will.® Damit foll aber nicht gefagt fein, daß es eine 
durchaus zuberläffige und bollftändige Geſchichte Böhmens jei, 


6 Erſter Abſchnitt. 





was uns Cosmas Hinterlaffen bat. Auch Cosſsmas war nur 
ein irrender Menſch und ein mit Vorurteilen und Fehlern 
— vielen Fehlern — behafteter Schriftiteller, deffen Buch man 
mit prüfendem Blick lefen und wo eg möglich ift, mit 
anderen Quellen vergleichen muß. Allein er hat das große 
Berdienft, zum erften Male das, wag er erlebt und erfahren 
bat, in überfichtlicher, Teicht Iesbarer Form, natürlich in 
Iateinifher Sprache, aufammengeftellt zu haben. Er wurde 
das Vorbild für andere Chroniften, die feine Arbeit fortgefegt. 
haben. Und fo fließt ſich an Cosmas’ Chronik eine wenn 
auch kleine Reihe folder böhmifcher Annalenwerke an, zumeift 
bon Kloftergeiftlichen verfaßt, die gleichfam Buch geführt haben 
über die Vorfommniffe in ihrer Heimat wenigitens für die 
kurze Zeit ihres Lebens, Allerdings jeder von feinem Stand- 
Punkt aus, zunächſt mit fehr beſchränktem Gefichtsfeld, auf den 
rein äußerlihen Verlauf viel mehr Gewicht legend, al3 auf 
die innere Entwicklung, einfeitig und befangen, jo daß der 
Geſchichtsforſcher auch hier fortwährend mit ſcharfer Sonde 
prüfen muß, was mehr, was weniger glaubwürdig if. In 
geichichtlich beivegten Zeiten, wie etwa während der Huffiten- 
Triege, unter den großen Königen Georg bon Podiebrad, 
Ferdinand I, im Dreißigjährigen Krieg mehren ſich ſolche 
aeitgenöffifche Berichte und machen wenigſtens kurze Ab- 
ſchnitte quellenreih. Oft wiederum fidern fie faum und ver- 
fiegen zeitweilig wohl auch gänzlich“ Zum Glück werden die 
heimiſchen Quellen vielfach durch wertvolle fremde ergänzt. 

Allein zu zufammenfaflenden Geſchichtswerken, wie dies 
Cosmas für feine Zeit als erjter verfucht hat, ift es in Böhmen 
und Mähren äußert felten gefommen. Das empfand als 
ichwere Unterlaffung niemand geringerer als der böhmifche 
König und deutſche Kaifer Karl IV., der, ein Schüler der 
Pariſer Univerfität, jelber Gefchichtichreiber und mit der Ge- 
ichichtsliteratur anderer Länder vertraut, Böhmen aud) nad 
dieſer Richtung fo gern auf die Höhe anderer Staaten gehoben 
hätte. Und vor allem bedauerte er und glaubte e3 als eine Lücke 
anfehen zu müfjen, daß man die Geichichte Böhmens nur bis 
zum Ende des 9. Jahrhunderts genau Fannte, nicht auch weiter 


Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. T 





zurück bis in die früheften Seiten der Menjchheit. Er meinte, 
bie Schuld daran liege an der ungenügenden Vorbildung der 
heimifchen Geichichtichreiber, und betraute einen hodhgelehrten- 
vielgereiften Minoriten und Profeſſor der Bologner Univer- 
fität, Johannes aus dem florentinifchen Adelsgeſchlechte der 
Marignola, mit der Aufgabe, die alten und neuen unklar 
(obseure) zufammengefchriebenen Chronifen Böhmens um- 
zuarbeiten und die Geichichte des Landes bis auf die Zeiten 
Adams zurüdzuperfolgen. „Aug Liebe zum Kaiſer“ unterjog 
fih Marignola, wie er felber gefteht, der Arbeit, vollendete fie 
wohl auch, aber mit dem Bewußtſein, ihr nicht gewachſen ge- 
weſen zu fein. „Sch bin“, fagte er gleich in der Vorrede, „in 
einen mir unbefannten Wald von Menihen und Namen 
geraten, die meine florentinifhe Zunge nicht einmal aus- 
ſprechen kann.“ Sein Werk bot nichts Neues, wohl aber das 
Alte mit vielen Fehlern, Srrtümern und Phantaftereien. 
Etwas befier fiel ein ähnlicher aud) von Karl IV. angeregter 
Verſuch eines heimifchen Chroniften, des fogenannten Rul- 
kawa, aus, der eine böhmiſche Chronif von den früheften 
Seiten bis 1330 in lateiniſcher Sprache zuſammenſtellte und 
dabon auch, wie es ſcheint, eine tſchechiſche Uberſetzung beſorgte. 
Nur fehlt ihr jeder ſelbſtändige Wert. Es iſt nichts als eine 
trockene Zuſammenfügung einiger älterer Quellen, die wir 
auch heute noch beſitzen. Vielleicht hätte die Geſchichte 
Böhmens (Historia Bohemiae)“, die dann nad, Jahrhundert · 
friſt 1458 Aeneas Silvbius (Papft Pius IL.) verfaßt hat, von der. 
mir noch in anderem Zufammenhang ſprechen werden, troß 
ihrer Fehler die geſchichtliche Forſchung in Böhmen anregen und 
in neue Bahnen lenken Fönnen, wenn diefes Werk im Lande 
beffer befannt geworden wäre und damals hier mehr Sinn für 
Heimatgeſchichte geherrſcht Hätte, 

Bevor Silvius, ein gebürtiger Italiener aus dem Haufe 
der Piccolomini, zur papſtlichen Würde emporgeſtiegen war, 
hatte er fich nämlich längere Zeit am Hofe Kaiſer 
Friedrichs III. in Wien aufgehalten, von wo aus er wiederholt 
Gelegenheit fand, in Beziehung zu Böhmen zu treten. Er 
lernte das Land aus eigener Anſchauung auf Reifen und 


8 Erfter Abſchnitt. 





politiſchen Sendungen kennen, verfehrte hier mit Angehörigen 
katholiſchen und Huflitifchen Bekenntniſſes; er verfolgte aus 
nächſter Nähe die Entwidlung in Böhmen, die zum König« 
tum des huſſitiſchen Barong Georg von Podiebrad führte. 
Im gleichen Jahre 1458 beftieg diefer den böhmifchen, wie 
jener den päpftlichen Thron. Aeneas Silvius erſchien Böhmen 
alg ein Staatsweſen, dag in jenem Zeitalter die meiften Kriege, 
die meilten Kataftrophen, die meiften Wunder (miracula) 
aufauteifen habe. Und da er fi) ſchon früher als Gejchicht- 
ſchreiber betätigt hatte, faßte er den Plan, die Gedichte diefes 
Randes zu fchreiben, „in der es bieleg gebe, was im allgemeinen 
zu kennen fehr nützlich ſei.“ Wiewohl ihm nur die Gegenwart 
bemerfenswert erfchien, 30g er es doch bor, die Geſchichte bon 
allem Anfang an zu erzählen. Kurz vor feiner Erhebung auf 
den päpftlicjen Stuhl hat er fie handſchriftlich fertiggeftellt und 
dem Könige Alfons von Kaftilien und Navarra gewidmet. 
Mlein erft ein Jahrzehnt nad; feinem Tode — er ftarb 1464 
— gelangte fie zum erften Male zum Druck. In Böhmen 
wurde fie erit am Ende des 16. Jahrhunderts beiennter. 
In Böhmen jelbit war nad) den Huflitenfriegen die Ge- 
ſchichtſchreibung allmählich ins Stoden und gegen Ende bes 
Jahrhunderts völlig in Verfall geraten. Wie der Lurem- 
burger Karl IV., fo ftellte etiva zwei Sahrhunderte fpäter 
König Ferdinand J. der 1526 den böhmischen Thron beftiegen 
hatte, neuerdings feft, daß die heimiſche Geſchichtſchreibung 
ſtark vernadläffigt werde. Er äußerte ſich einem Hohen 
Prager Geiftlichen gegenüber dahin, daß dag böhmiſche Volk 
die Wiſſenſchaft zumeift veradjte . . ., wirkliche Arbeit auf 
wiſſenſchaftlichem Gebiete, bejonders jenem der Geſchichte, 
„dem Spiegel der Bergangenheit und Lehrmeifter für die 
Zukunft“ unterlaffe. Er hatte mit diefem Vorwurf nicht un. 
recht. Denn als eben damals einer der erften Lehrer der 
Prager Univerfität, Matthäus Kollin, von einem ihm befreun- 
beten Literaturmäzen aufgefordert wurde, eine Geſchichte 
Böhmens zu berfalfen, antwortete er ganz ungehalten: „Du 
legft mir eine Laſt auf, größer alg fie meine Arme tragen 
Tönnen, Wie follte ich über Dinge jchreiben, die mir unbefannt 






Mberficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 9 





find und mit tiefer Finſternis bededt? Denn wer kann fagen, 
wo die Wiege unferes Volkes geitanden hat, melde Kriege 
unfere Vorfahren geführt haben, welches die Anfänge der 
einzelnen Adelsfamilien geweſen find, wann diefer und jener 
Fürſt gelebt Hat?” Als ob damals, in der Zeit des blühenditen 
Humanismus, die ganze Gefchichtsliteratur Böhmens von 
Cosmas angefangen vergefien und verfunfen gewejen wäre!” 

Was Wunder, wenn angefichts folder Geringſchätzung von 
feiten der Gelehrten ſich Unberufene diefer danfbaren Aufgabe 
unterzogen, um fie in unberantwortlicer Weife für eigene 
und Parteizmede auszunügen, 

Sm Sabre 1541 erſchien die berüchtigte „Chronik bon 
Böhmen“, verfaßt von dem zum Katholizismus über- 
getretenen utraquiftifchen Geiftlichen Wenzel Hajek von Libot - 
ſchan. Sie begann mit den älteften Beiten und reichte bis zum 
bedeutungsvollen Sahre 1526, dem Regierungsantritt der 
Sabsburger in Böhmen, umfaßte alfo die ganze Geſchichte des 
Landes, war in ſtſchechiſcher Spradye abgefaßt, mit Holz - 
mitten geſchmückt, ſehr umfangreich, wurde in großer Auf- 
lage durd) den Drud verbreitet, follte alfo in wahrem Sinne 
des Wortes ein Volksbuch werden. In Wirklichkeit gereicht 
weder das Werk noch deifen Verfaſſer — „ein zank- und ränte- 
ſüchtiger katholiſcher Würdenträger,“ jo Fennzeichnet ihn ein 
neuerer Forſcher — dem iſchechiſchen Schrifttum zur Ehre. 
€3 genügt bier anzuführen, daß Palacky erflärt hat, bei diejem 
Chroniften „alles, was den Wert des Hiftoriferg heben Tann“, 
zu bermiffen, und das Buch nicht „anders als mit Wider- 
willen“ gelefen zu haben. Andere Gelehrte haben dieſe 
Chronik offen als „das Werk raffinierteften Fälſchertums“ hin- 
geftellt. Die Fälſchung befteht nad) Palacky darin, daß Hajek 
Sagen in hiſtoriſches Gewand kleidete, daß er überall, wo 
feine Quellen verfagten, die Erzählung aus eigenem ergänzte 
und ausmalte, daß er Quellen frei erfand, um ſich auf fie zu 
berufen, und daß er fi} eine Zeitrechnung ausflügelte, die 
ganz willkürlich erſcheint. Die Geſchichte einer. Anzahl zu 
feiner Zeit Iebender Adelsfamilien Bat er, um ihnen zu 
jchmeichein, mit genauen Yahreszahlen und Nachrichten ver- 


10 Erſter Abſchnitt. 





ſehen und bis in die Urzeit zurückverfolgt. Schloß Cosmas 
die beglaubigte Geſchichte Böhmens mit 894 ab, alles Voran- 
gehende als bloße Sage ohne jede Zeitangabe jchildernd, fo 
mußte Hajek noch für zweieinhalb Jahrhunderte zurüd ſaſt 
zu jedem Jahr wichtige geſchichtliche Ereigniſſe zu verzeichnen 
big 644, in welchem Jahr er die Tſchechen in Böhmen ein- 
wandern ließ. Er hat mit einem Worte die ganze böhmifche 
Geſchichte ſachlich und zeitlich in größte Verwirrung gebracht 
und durd) Sabeleien, die man in feiner Darftellung von wahrer 
Geſchichte nicht mehr unterfcheiden Eonnte, entftellt, 

Allein dag wurde zunächſt faum erkannt. Hajek hat zu Leb- 
zeiten Ruhm und Danf in vollſtem Maße geerntet, feine 
Chronik ift für zwei und ein halbes Jahrhundert dag gelejenite 
Geſchichtenbuch in Böhmen gemwefen, wurde ſchon 1596 ins 
Deuiſche übertragen, man verlieh ihm den Ehrennamen eined 
„böhmikhen Livius“. Noch 1775 ſprach man von ihm als dem. 
„Lieblingsſchriftſteller unſerer Nation“. Aber eben damals 
ließ e8 ſich der gelehrte Piarift Gelafius Dobner (1719—17%), 
der deutſcher Samilie entiproffene große tſchechiſche Patriot,* 
angelegen fein, in einem umfangreidjen Werfe die Wertlofig- 
feit der Hajek'ſchen Chronik an den Tag. zu bringen, indem er 
ihre Fehler in einzelnen nactwieg? Zum mindeften in der 
Wiſſenſchaft war diefer böhmifche Gefchichtichreiber feither 
entthront. 

Aber nun mußte die ganze böhmiſche Gefchichte des Mittel- 
alter8 von neuem aufgebaut werden, Mehrere CS hriftiteller 
machten fi) daran, namentlich Martin Pelzel, der uns als 
Geſchichtſchreiber Böhmens noch in einem fpäteren Kapitel 
beichäftigen wird, Joſef Pubitſchka, Johann Mehler u. a.!° 
Obwohl alle drei, um ihre Bücher in die breiteren Schichten 
de3 Volkes zu bringen, ftatt der bisher üblidjen lateiniſchen 
oder tſchechiſchen Sprache die deutſche anwandten und die Er- 
zählung bis auf ihre Zeit weiterführten, kann man ihre 
Werke doch nur als Kompilationen bezeichnen, die die gefcicht- 
lichen Ereigniffe nad) alter chroniſtiſcher Weife äußerlich an: 
einanderreihten, ohne fie aber innerlich zu berfnüpfen, ohne 
tieferen Gehalt und ohne jeden Reiz der Darftellung. 


flberficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 11 





Derjenige, der fi) diefe größere Aufgabe ftellte umd fie auch 
für die Zeit bis 1596 durchführte, war erft Franz Palacky, ein 
Mährer, Böhmeng befanntefter Geſchichtſchreiber. 

Er war al3 Rind eines tichechifch-evangeliihen Schullehrers 
in Hogendorf (Oſtmähren) am 14. Juni 1798 geboren. Seine 
Zugend fällt in die Zeit, die man als die der „Wiedergeburt 
des Slawentums“ bezeichnet, in der auch tſchechiſche Sprache 
und Literatur zum Gegenftand wifjenfchaftlicher Unterfuchung 
gemacht wurden. Der junge Palacky wurde ſchon in Preßburg, 
wo er das Gymnaſium befuchte, in diefe Bewegung hinein- 
gezogen, noch mehr, al er 1823 nad) Prag fam. Er trat hier 
alsbald in den gelehrten Kreis, der fid) um den Grafen Franz 
von Sternberg und deffen Bruder Kafpar, einen Freund 
Goethes und Aleranders v. Sumboldt, gebildet Hatte und wurde 
bald felber ein Führer im geiftigen Leben Prags. 

Palackys Hauptgebiet, mit dem er fidy bei feiner Vielfeitig- 
keit am meiften bejchäftigte, wurde die durch Hajek fo fehr ge- 
ſchädigte Gefchichte des böhmischen Volkes im Mittelalter. Um 
fie zu heben, begründete er eine eigene deutſche und tichechifche 
Beitfchrift, die nad) feiner Außerung den Zweck haben follte, 
„das alte Böhmen in das neue Europa einzuführen und ihm 
da das Heimatsrecht zu erringen“, Hier begann er, da er 
gleichgeitig die reichen böhmifchen Adelsarchive zu durchforſchen 
Gelegenheit hatte, mit geſchichtlichen Auffägen und Quellen 
deröffentlihungen. Dann aber trat er 1836 mit feiner „Ge- 
ſchichte von Böhmen“ herbor, die zuerft nur in deutfcher 
Sprache erſchien und 1867 mit dem fünften Teil, der, wie ſchon 
früher bemerkt, bis 1526 reichte, abgejchlofien wurde. Sie 
märe wohl ohne die mühjfelige vorangegangene Fritifche Arbeit 
Dobners kaum möglich geweſen. Beſonders der erite Band, 
der die Urgefchichte und die Zeit der Herzöge bis zum 
Sahre 1197 behandelt, ftüßte ſich vielfach auf jeneg große 
Annalenwerf des gelehrten Piariften. 

Allein das ift doch nur die eine Seite der Palackyſchen Ge- 
ſchichtſchreibung, daß er alle Sabeln und Fälſchungen Hajeks 
über Bord geworfen hat, die Dobner bereit3 nachgewieſen hatte, 
Dieſer Lichtſeite Tteht eine Schattenfeite gegenüber. Zwiſchen 


12 Erſter Abſchnitt. 





Dobner und Palackhy lag eine für die böhmiſche Geſchichte unge- 
mein gefährliche Klippe, ein Abgrund: die vermeintliche Auf- 
tindung eine bislang fcheinbar verborgenen Schakes zur 
älteften böhmischen Geichichte, von dem niemand borher aud) 
nur die leifefte Ahnung bejaß, nicht einmal Dobner, der gründ- 
lichſte und gewifienhaftefte Kenner der böhmiſchen Geſchichts- 
quellen, insbefondere für die Zeit bis zum Ausgang des 
12. Sahrhunderts. 

Ehen in jener Zeit der ſlawiſchen Renaiffance, da das ganze 
geiftige Leben bei den Slawen überhaupt, bei den Tſchechen im 
befonderen wieder aufzuleben begann, da auf Anregung 
deutſcher Denker und Forſcher fich heimifche Gelehrte um ihre 
Sprache, Literatur, Geſchichte, Vollstum bemühten, wurden 
in Böhmen überrafchende bandichriftliche Quellenfunde ge- 
macht, die einzig in ihrer Art ſchienen. Am 16. Septem- 
ber 1817 fand Wenzel Sanfa, den man in Prag als Poeten und 
Scäriftfteller wohl kannte — er war 1791 in einem Dorfe bei 
Königinhof als Bauernfohn geboren — im Kirchturm bon 
Königinhof ein kleines Päcchen mit zwölf Pergamentblättern 
in Duodezformat und zwei ſchmalen Blattreſten, geichrieben 
ſcheinbar von einer Sand des 13, Jahrhunderts, aber mit ihrem 
Inhalt in viel frühere Zeit zurückreichend: e3 war die fo 
berühmt gewordene „Röniginhofer Handſchrift“. Sie wurde 
ins Prager Nationalmufeum gebradit, wo fie noch jet auf 
bewahrt wird. Und gleich im nächſten Jahr 1818 fand man 
auf noch feltfamere Weife vier DOftapergamentblätter, die 
fogar Schriftzüge des 9. Jahrhunderts zu zeigen fchienen: -— 
die fogenannte „Grüneberger Handſchrift“ nach dem angebli- 
Ken Fundort Schloß Grüneberg bei Nepomuf. Andere ähnliche 
Zunde in der nädjften Beit Fönnen hier übergangen werden.’ 

Und was enthielten diefe wenigen Blätter, die man als die 
legten Refte ehemals umfangreiher Handſchriften anfah? 
Gedichte in tſchechiſcher Sprache. Die Heinere Hälfte, etwa ein 
halbes Dutzend, war lyriſchen Charakters, Minnelieder; die 
übrigen neun dagegen epifch, Biftorifche Lieder vol der wid” 
tigften Erinnerungen aus der älteften Gejchichte des Landes. 
Eines führt den Titel „Libufchas Gericht” und behandelt unter 


fiberficht über die Quellen und bie Geſchichtſchreibung. 13 





jehr freier Zugrundelegung einer bon Cosmas erzählten Sage 
die Fehde zweier böhmifcher hocyadeliger Brüder „um des 
Vaters Erbe“, die vor der Zandesmutter jelbit durch die ber- 
fammelten „Kmeten, Zehen und Wladiken“ entichieden werben 
jol. Das Bruchſtück eines anderen Gedichtes „Der Landtag“ 
umfaßt blog neun kurze Zeilen, aber gerade fie bringen über 
das alttichechiiche Yamilienleben beim Abiterben des Ober- 
hauptes Aufichlüffe, mie man fie in der ganzen’ gejchicjtlichen 
Riteratur in folder Veftimmtheit vergebens juchen würde. — 
Die Schilderung des Kampfes zweier böhmifcher Helden Zaboj 
und Slawoi gegen den fremden Ludiek, der nicht ohne Abſicht 
an den im karolingiſchen Haufe beliebten Namen Ludwig 
mahnt, ift ohne jede Anlehnung an die heimifche Sage voll- 
tommen frei erfunden, ſpielt mit heidnifchen Vorftellungen 
(„legt den Göttern Speifen hin“, „und nur eine Gattin fei 
erlaubt für die Pilgerfahrt durch. ganze Leben“), deutet eine 
Befreiung von ſchwerer Knechtſchaft an („doch ein Fremder 
fommt und dringt ins Erbe ein, gibt in fremder Sprache dort 
Befehle”) und zaubert eine Ruhmeszeit hervor, von der die 
geſchichtlichen Ouellen Feine Ahnung haben. — Knüpft dann 
eines der Gedichte, wie „Jaromir und Udalrich”, dag die Ver- 
treibung der Polen aus Prag im Jahre 1004 beſchreiben will, 
un geſchichtliche Ereigniffe an, jo ſucht es feine allgemeine 
Unſachlichkeit zu verichleiern Hinter ſcheinbar fachlichen An- 
gaben: „eilig folgen ihm die acht Wladifen, den Wladiken 
vierthalbhundert Krieger”, „. . . ſchlagen fie die Trommeln, 
ftoßen Iauten Schalleg in die Hörner“, „.. in ftarfer Fauſt die 
Sahne” uff. 

Mit einem Worte: Geſchichte und Mythologie, Rechts. und 
Kriegsweſen, Berfaffung und Verwaltung, das ganze innere 
Staats- und Volfzleben in der Urzeit, auch bor 894, dem 
Cosmasſchen Grenzjahr glaußtvürdiger Überlieferung, erhielten 
durch diefe Geſänge eine fo eigenartige Belichtung, dag man 
erſt jeßt die ganze Vergangenheit richtig zu erkennen bermeinte 
und in den Schilderungen der Gedichte die fcheinbar wichtigiten 
Ergänzungen zu den bis nun befannten gejchichtlichen Quellen 
fehen zu müfjen glaubte, 


14 Erſter Abſchnitt. 





Es iſt leicht zu verſtehen, daß dieſe Poeſien, als ſie 1819 im 
tſchechiſchen Text mit deutſcher überſetzung in Druck erſchienen, 
überall, beſonders in deutſchen literariſchen Kreiſen bis hinauf 
zu Goethe, Fouqué und den Brüdern Grimm, das größte 
Aufſehen erregten, unter den tſchechiſchen Patrioten aber be- 
geifterte Freude. Hatten die Griechen ihren Homer, die Deut- 
ſchen das Nibelungenlied, andere Völker einen Cid, Ofjian, 
Igor oder wenigſtens wie die Serben alte Volkslieder, jo hatte 
das tſchechiſche Wolf von nun an die Königinhofer und die 
Grüneberger Handſchrift, natienale Geſänge aus frübefter, 
zum Teil noch ſlawiſch-heidniſcher Zeit, noch dazu mit undber- 
Tennbarer antideutſcher Richtung, woraus man auf uralte Ge- 
genfäße diefer benachbarten Völker ſchließen konnte. Und dabei 
bildeten die gefundenen Blätter nur befcheidenfte Reite ehedenı 
zweifellos umfangreicher Werke, Waren doch einige Gedichte 
der Königinhofer Handſchrift ausdrüdlich bezeichnet als das 
26., 27. und 28. Kapitel eines dritten Buches, Was mochten 
die übrigen Kapitel des 3. Buches, wag dag ganze 1. und 
2. Buch enthalten haben, wieviel weitere Bücher noch nad 
gefolgt fein? Was konnte bei planvoller Forſchung noch alles 
zum Vorfchein kommen, wenn bloße Zufälle jolde Entdedun- 
gen in Kirchtürmen und Schlöffern ang Tageslicht brachten? 


Nur ein Wermutstropfen fiel in dieſen faft überſchäumen- 
den Freudenkelch. Der größte damalg in Prag lebende Spradj- 
forfcher, der Slawift Sofef Dobrowsky, der ſich durch die Köni— 
ginhofer Handichrift noch hatte täufchen laſſen, erflärte die 
Grüneberger fofort nad ihrem Erjcheinen als eine moderne 
Fälſchung und wieg auch ſchon auf die vermutlichen Fälſcher 
hin, auf Hanka und (irrigerweife) Joſef Jungmann. Er, 
ein tſchechiſcher Patriot, wie eg feinen befjeren gab, ſcheute ſich 
nicht, den Fund zu bezeichnen als „ein offenbar von einem nod) 
lebenden Syperböhmen zufammengeflidteg Machwerk“. Alle 
perfönlichen und wiſſenſchaftlichen Verunglimpfungen, die er 
biefür zu erdulden hatte, brachten ihn von feiner Überzeugung 
nicht mehr ab. Allein er drang in Böhmen nicht durch und auch 
in Deutichland blich feine Stimme merkwürdigerweiſe ungehört. 
Solange Dobrowskh lebte, beſaß er wohl einen kleinen Anhang; 


Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 15 





als er aber 1829 ftarb, wagte e8 niemand, gegen die Fälſchungen 
aufzutreten. Der Anhang verlor Halt und Stab, vornehmlich 
in Prag, und der Glaube an die Echtheit der Handichriften 
obfiegte auf der ganzen Linie. Bedenken, die der Preßburger 
Profeſſor &. Palkowitſch 1832, ernite Mahnungen, die der ge- 
lehrte ſüdſlawiſche Bibliothefar B. Kopitar in Wien 1839 aus- 
ſprach, blieben unbeachtet oder wurden alg „barode" Einfälle 
„geiftreicher Unfritif” hingeſtellt. Waren doch mittlerweile 
die Gedichte faft in alle europäiſche Sprachen überjegt worden 
und hatten nirgends Anſtoß erregt. 

Erſt in den fünfziger Jahren erhoben fich in deutſchen &e- 
Tehrtenfreifen begründete Zweifel gegen die Echtheit der Hand- 
ſchriften, eg entitand ein wiſſenſchaftlicher Streit zunächſt 
zwiſchen deutſchen und tſchechiſchen Sorjchern, der um jo 
weniger zu einem Ergebnis führen konnte, ala er von Anfang 
an in das politifch-nationale Fahrwaſſer geriet. In den adıt- 
ziger Jahren wurde aber die nie zur Ruhe gefommene Frage 
von tſchechiſchen Gelehrten nochmals aufgegriffen. Bornehm- 
li) der Slawift Johann Gebauer und der Soziologe und 
Philoſoph Thomas Mafaryk, der nachmals der erite Präfident 
der tſchechiſchen Republif werden follte, beftritten entjchieden 
die Echtheit, widerlegten mit anderen Mitarbeitern jeden bon 
den Perteidigern borgebradjten Einwand, bis nad) langem 
beifpiellog heftigen Kampf die Wahrheit den Sieg davontrug. 
Wenn man aud) die Nachhutſcharmützel berüdfichtigt, ann man 
fagen, daß e3 um die Jahrhundertwende, um 1900, in allen 
ernften Kreiſen als ertwiejen galt, daß Hanka, vielleicht mit 
Beihilfe einiger Freunde, beide „Handſchriften“ und noch 
andere ſechs Stüde gefälſcht Hat, daß ihnen auch nicht die 
mindefte wifjenfchaftliche Bedeutung zukommt, und daß fie vor 
allem für die ältefte Geſchichte Böhmens vollfommen unver- 
wertbar find. 

Aber big zur Mitte des Jahrhunderts, big 1850, war man 
insbefondere in der tſchechiſchen Gelehrtenſchaft von der Ccht- 
beit aller diefer Schriftitüde fejt überzeugt und betrachtete 
die Lieder mit als die zuberläffigiten Quellen zur. älteften 
Geſchichte Böhmens. 


16 Erſter Abſchlitt. 





Unter ſolchen Einwirkungen, in dieſer Luft, durchtränkt 
und durdglüht gleichſam von dem Glauben an eine gewaltige 
und großartige Vergangenheit des tſchechiſchen Volkes, ift 
Palackys „Geſchichte von Böhmen“ entitanden. Solange 
Dobrowsky Iebte, neigte Palacky auf. deifen Seite und be- 
aweifelte wie jener wenigfteng die Echtheit der hiftorifch bedeut- 
famer fcheinenden Grüneberger Handichrift. Nah Do- 
browstys Tod wurde er aus einem GSaulus ein Paulus 
oder eigentlich umıgefehrt, und gab im Jahre 1834 die kurze 
Erklärung ab: „Sch habe mich von der Echtheit überzeugt.“:* 
Zwei Jahre fpäter,.1836, erſchien der erfte Band der böhmiſchen 
Geſchichte. Gleich in der Einleitung machte er „die Kenner” 
aufmerffjam auf jenes Kapitel feines Buches, das ſich mit 
„Böhmens Volksleben im Heidentum“ befchäftigt, und be- 
zeichnete als deifen Quellen: „wenige zufällige Andeutungen 
bei alten Schriftitellern und Bruchftüde alter Volksgeſänge aus 
jener Zeit.” Nun, die alten Schriftiteller find Feine heimijchen, 
ſondern byzantinifche und fränkifche, deren Nachrichten für 
diefen Zweck ganz belanglog find. Crübrigen alfo nur die 
Volksgeſänge, womit die gefälfchten Handſchriften gemeint 
find, auf die ſich Palacky denn auch faft ausschließlich ftügt. Er 
betont, wie wichtig „für die Kenntnis der inneren Buftände 
Böhmens“ das Gedicht von Libuſchas Gericht fei, er nennt es 
ein andermal „die klaſſiſche Stelle“ für den Nachweis der 
Vorrangftellung, welche einige adlige Familien in Böhmen, 
„bie Lechen“, bejaßen, „bielleicht ſchon von der erjten Er- 
werbung des Landes her.” Die gefälſchten Gedichte find die 
Unterlage für feine Darlegungen über Herzogsgewalt und 
Ständeunterfchiede, über Landtagsweſen und Religionsſyſtem, 
über Rechtsverfaſſung und häusliche Zuftände, 

Man wird daher jagen dürfen: Der Geift, in dem der erite 
Band der Palackyſchen Gedichte Böhmens abgefaßt ift, 
ift der Geift der Grüneberger und Königinhofer Sandichrift. 
Auf dem erſten Bande ruht aber der zweite, auf diefem der 
dritte und fo fort. 

Es ift das Urteil eines neueren Literarhiſtorikers, daß dieſe 
Poeme „dag faliche wiſſenſchaftliche Bild — ein gar zu pradt- 





Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 7 





volles Bild — des tichechifchen und ſlawiſchen Altertums“ 
berborgerufen haben. „Manchen,“ fo fährt er fort, „bortreff« 
lichen wiſſenſchaftlichen Werfen, wie Palackys Geſchichte von 
Böhmen, find fie der gefährlichfte Stein des Anftoßes geworden 
und haben am meilten die Kraft ihrer wiſſenſchaftlichen 
Autorität abgeſchwächt.“ „Verhängnisvolle Srrlichter der 
tſchechiſchen Kulturentwidlung!” ruft er aus. „Ihre literari- 
{hen Falſa hat wohl jede Literatur, aber nirgends haben fie dag 
ganze literariſche und öffentliche Leben fo verwirrt wie bei 
ung Tichechen!”:5 

Sn diefem ernten Urteil ift nur die eine Behauptung unzu- 
treffend, dab Palackys Abhängigkeit von den Fälſchungen die 
„wiſſenſchaftliche Autorität“ jeiner „Geichichte von Böhmen“ 
abgeſchwächt hätte. Noch 1894 erflärte der bekannte 
deutſchböhmiſche Geſchichtsforſcher Julius Lippert: „Palacky 
iſt der Schöpfer der böhmiſchen Geſchichtsauffaſſung von 
beute; . . . jeine Darſtellung wurde für die nachfolgenden 
Geſchichtſchreiber und Dichter die maßgebende, im allgemeinen 
die populäre, und in Wiſſenſchaft und Schule bei ung gleichſam 
die offizielle.” Doch nicht nur „bei uns“, fondern, muß 
man wahrheitsgemäß binzufügen, auch in Oſterreich und 
Deutfchland und überall. In Einzelheiten trat man ihm ent- 
gegen, in den Hauptfragen unterlag man feinem Banne. 

Das zeigt fi in der älteren Geſchichte vornehmlich in der 
bis zum heutigen Xage allgemein herrichenden irrigen Auf- 
faffung von der Entitehung des Deutſchtums in Böhmen und 
Mähren durd eine Kolonifation; dag zeigt fi in der Be- 
urteilung des Verhältniffes zwiichen Böhmen und dem 
Deutichen Reich während des ganzen Mittelalters. " 

Wenn Palacky als „den Hauptinhalt und Grundgug der 
geſamten Geſchichte Böhmens“, wie er — allerdingd nur in 
der tſchechiſchen Ausgabe feines Werkes — felber erklärt hat, 
den „Kampf mit dem Deutſchtum“ anfieht,” wenn ihm, mie 
er e8 ein andermal ausdrüdt, „der Schlüffel zur gejamten 
Geſchichte der Böhmen (d. h. Tfehechen) in dem vom 9. Yahr- 
Bundert an bis zu Ende des 11. immer neu aufgereisten 
Nationalhaß zwiſchen Deutichen und Slawen liegt," und wenn 


BretHolg Geih Bögmens u. Mährens. I. 2 


18 Erſter Abſchnitt, 





dieſe Auffaſſungen auch in der deutſchen Geſchichtsliteratur 
bis heute noch fortleben, ſo gehen ſie in allererſier Linie auf 
die Einwirkungen der falſchen Handſchriften zurück. 

Wie ganz anders hat der große böhmiſche Humaniſt Bohus- 
laus Lobfowig von Hafjenftein den Verlauf der böhmifchen 
Geſchichte, daS Verhältnis zwiſchen Deutſchland und Böhmen 
gefehen. Im Jahre 1507 jchrieb er einem Freunde: „Einft- 
mals, da Deutichland unter den Ottonen, Heinrichen und 
Friedrichen blühte, da wuchs aud) unſere Macht ing unendliche 
und Böhmen galt al einer der edelften Zeile eures Reiches; 
jest aber, da euer Staatsweſen wanki, wanfen wir nicht nur 
auch, fondern brechen völlig aufammen.”:» 

Leider hat die humaniftifche Richtung bei ung nicht, wie es 
anderwärtg der Fall war, eine neue Zeit eingeleitet, fondern 
völlig verfagt. Eine Folge der Ohnmady und Rüdftändigkeit 
der böhmifchen Gefchichtihreibung in einer Periode all- 
gemeinen geiftigen Aufſchwungs war ihre Auslieferung in 
die Hände eines Mannes bon der Gewifjenlofigfeit eines 
Sajef. Wir wiſſen, daß es dann zweieinhalb Sahrhunderte 
bedurfte, bevor durch Dobner, wie ein befannter Ausſpruch 
lautet, „dem Zügen in der Geſchichte Böhmens ein Ende 
gemadyt wurde.” Mber nur für furze Zeit. In anderer 
bielleicht noch verhängnißbollerer Weiſe haben Hankas Yäl- 
ſchungen die böhmiſche Geſchichte auf Abwege und Irrwege 
geführt; nicht mehr wie früher in Einzelheiten, wohl aber in 
der Auffaſſung ganzer geſchichtlicher Epochen. 


Dies iſt in ollgemeinen Umriſſen der Entwicklungsgang der 
böhmiſchen Geſchichtſchreibung von den früheſten Zeiten 
angefangen und ihr Stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 

Drei große Zeitabſchnitte, die durch drei Namen gefenn- 
zeichnet werden, haben wir zu unterfcheiden vermocht: der erfte, 
der rein &roniftiide, der unter dem Einflug Cosmas’ ftand, 
reichte vom Beginn des 12, Jahrhunderts big zum Beginn der 
Neuzeit; Hajek beherrichte dann mit feiner die Chronik in Fabel 
umwandelnden Geſchichte die Neuzeit biß ans Ende des 


Überfiht über die Quellen und bie Geſchichtſchreidung. 19 





Sahrhunderts; Palacky ſchließlich |huf im 19. Jahrhundert 
i nationale Gefhichtsdarftellung, geftüßt auf die von ihm für 
echt angefehenen gefälichten Sandichriften. Die größeren Werke 
über böhmifche und mährifche Geſchichte, die nach, Palacky, feit 
der Mitte des vorigen Sahrhundertz entitanden find,” ftehen 
mehr oder weniger in ihren Grundanfchauungen unter feinem 
Einfluß. So verdienftlid, jedes einzelne von ihnen ift, indem 
es auf dem Felde der Mleinarbeit über das unmittelbar vor- 
angegangene weſentlich hinausgeſchritten ift, den inzwiſchen 
neu eröffneten Quellenftoff verarbeitet und die legten For- 
ſchungsergebniſſe verwertet hat, — die Abhängigkeit von den 
Palackyſchen Ideen über die Gedichte Böhmens ift ihnen 
allen eigen. 

Vielleicht rechtfertigen diefe Darlegungen auch, wie not- 
wendig eine neue Bearbeitung der böhmiſch-mähriſchen Ge- 
ſchichte ſein dürfte, unbeeinflußt von der, wie es Lippert 
genannt hat, offiziellen Gefchichtsauffaffung des 19. Jahr- 
hunderts, geftügt allein auf die zuverläſſigen Quellen und 
zeitgenöſſiſchen Berichte, 


ge 


Zweiter Abſchnitt. 


Relten und Germanen auf böhmifhem Boden. 


Cosmas, der ältefte Geſchichtſchreiber Böhmens, verfolgt 
die Gefchichte des Landes big zur Einwanderung der „Böhmen“ 
und ihrer Niederlaffung am Berg Rip zwifchen den Flüffen 
Eger und Moldau, Aber er ſchöpft nicht aus hiſtoriſcher 
Überlieferung, fondern knüpft an die biblifche Erzählung von 
Sintflut und Turmbau zu Babel an. Für ihre Vermefjendeit, 
To ftellt er e3 dar, wurden die Menfchen von Gott in die weite 
Welt getrieben, dort irrten fie umher, vermehrten fih und 
verbreiteten ſich über die Erde, big ihre Nachkommen nad) 
vielen Jahrhunderten auch in diefen „Teil Germaniens” 
kamen, der noch feinen Namen hatte, weil er noch nie vorher 
bewohnt geweſen war. Aber weil der Ältefte, der an der Spike 
feiner Gefolgſchaft — „man weiß nicht von wieviel Köpfen“ — 
äuerft diefen Boden betrat, „Bohemus“ hieß, benannte man 
nad ihm das Land „Bohemia” (Böhmen). An diefer primi- 
tiven Erflärung der eriten Beſiedlung des Landes vermochten 
auch Cosmas' nächſte Nachfolger nichts zu Ändern. Denn der 
gelehrte Johannes von Marignola, der e3 auf Geheiß Kaifer 
Karls IV. hätte beſſer machen follen, wußte auch nur, daß „die 
Slawen und Böhmen“ zwar nicht von Cham, wie mande 
annehmen, fondern ſicher von Japhet abftammen, alfo nicht 
bom zweiten, fondern vom dritten Sohn des Noah, daß ber 
Name „Slawen“ fich ableite von Elyja, was die Sonnigen, 
Lichtvollen, Ruhmreichen bedeute, der Name Böhmen von 
einem gewiſſen Boyam, und ähnliche Phantaftereien. Man 
bejaß eben feine Quellen, um es anders, befjer darzuftellen. 

Da kam gegen Ende des Mittelalter8 in die damalige Welt 
ein neuer fie erhellender Geift durch den Humanismus, durch 
die Wiederauffindung der griechifchen und römischen Schrift 
fteller. Denn die Sumaniften befehäftigten fi) wie mit den 
klaſſiſchen Kunſtwerken, jo auch mit den antiken Geſchicht - 
ſchreibern. Und fiehe dal Diefe Verfünder griechiſch-römiſcher 


Kelten und Germanen auf böhmifhen Boden. 21 





Macht und Größe ſprachen auch von unferer Heimat, Cäfar 
und Strabo, Livius und Tacitus, Schriftfteller, deren Lebens- 
zeit in das erfte Jahrhundert vor und nad Chrifti Geburt 
gehört. Nicht in Einzelheiten ergingen fie ſich; feine inhalts- 
reihen Schilderungen und bunten Bilder waren e8, die aus 
diefen neuen Quellen zum Vorſchein kamen, fondern bloß 
Träftige ing Große gehende Umtrißlinien. Hatte man big nun 
nad) Cosmag annehmen müffen, daß die damala in Böhmen 
anfäflige Bevdlkerung ſich hier als erſte und älteſte nieder- 
gelaffen habe, jo erfuhr man jet, daß in Böhnten und Mähren 
vor diefer ſchon andere Völkerfchaften feßhaft waren. 

Sn der „Böhmifchen Geſchichte“ deg Aeneas Silvius, die 
1475 in Rom und etwa 1486 wahrjcheinlid in Nürnberg ge- 
druckt erfchien, alfo zu einer Zeit, da Böhmen einen auß- 
geſprochen national-flawifchen Staat darftellte, wurde nicht 
ohne einen gewiffen Hohn gegen das „altweiberhafte Geſchwätz 
(anilia deliramenta)” der heimifchen Geſchichtſchreibung über 
dag Urflawentum zum erjten Male der Sat ausgeſprochen, daß 
das Land ehemalg deutfch geweſen fei und erft fpäter die 
Slawen bier eingezogen wären.t Seine Anficht ſtützte Silvius 
dureh den Hinweis auf eine Stelle aus der Geographie des 
Strabo (geft. um 20 v. Chr.), ein Werk, das eben erft um 1450 
wieder gefunden und bald auch durch den Drud verbreitet 
worden var. 

Noch klarere Vorftellungen von der Urgeſchichte Böhmens 
entwidelte dann, nicht ganz ein Jahrhundert ſpäter, der 
Olmützer Biſchof und Sumanift Johannes Dubravius in feiner 
1552 erfchienenen „Gefchichte von Böhmen“, deren Wert als 
Abklatſch Hajeks fonft jehr gering anzuſchlagen ift. Er kennt 
und nennt bor den Slawen nicht nur germanifche Stämme 
in Böhmen, fondern bor diefen ein noch älteres Volk, die 
Kelten, und begründet feine Behauptung mit der berühmten 
Stelle aus Tacitus „Germania“, die, 98 ı. Chr. verfaßt, aud) 
erft wieder in der 2, Hälfte des 15. Jahrhunderts befannt ge- 
worden war, dab da3 Land Böhmen feinen altehrwürdigen 
Namen noch von den keltiſchen Bojern trage, wenn aud) die 
Befiedler gewechſelt haben? . 


22 Zweiter Abſchnitt. 





Mit diefen wichtigen Feftitelungen, die man alfo der 
humaniftifchen Geſchichtsforſchung und den klaſſiſchen Schrift 
werfen verdankte, waren die Anfänge beglaubigter Volks- 
geſchichte in Böhmen im Vergleich mit der mittelalterlichen 
Kenntnis eines Cosmas oder Marignola um viele Zahrhun- 
derte, um ein ganzes Jahrtaufend zurüdgefchoben: von 894 
nad) bis Hundert Jahre vor Chrifti Geburt. Denn man erfuhr 
aus dieſen und anderen Quellen weiter, daß ſich um das 
Sahr 114 vor Chr. gerade hier in Böhmen oder wenigſtens an 
deflen Grenzen der erfte weltgeſchichtliche Kampf zwiſchen 
Kelten- und Germanentum abgefpielt habe, von dem die Ge- 
ſchichte zu melden weiß. Als nämlich die germanifchen Kimbern 
aus dem hohen Norden heranziehend, verſtärkt durch andere 
Völker, die ſich ihnen auf dem Marſche angeſchloſſen hatten, 
auf die Bojer ſtießen, wurden fie bon ihnen, wahrſcheinlich im 
Eragebirge, abgeivehrt und mußten auf anderem Wege als 
durch Böhmen gegen Süden zu gelangen trachten. 

Hier an der böhmischen Waldmauer im Norden wurde der 
„erite Wellenichlag“ der großen germanifchen Völferwande- 
rung, wie man befanntlidy diefen Kimbernzug begeichnet, ge- 
brochen. Aber ſchon der zweite Angriff germaniſcher Stämme 
auf diefe boiſche Wallburg war von vollem Erfolg. begleitet. 
Er ging von den Marfomannen und ihnen verwandten Völkern 
aus, die alle dem weitausgebreiteten Stamm der Sueben 
angehörten und damals nördlich und füdlich des Mainfluffes 
faßen. Im Bufammenhang mit ſchwerſten Angriffen, denen 
die Kelten im legten borchriftlichen Jahrhundert in allen ihren 
mitteleuropäifchen Sigen, in den Alpen, in der ungarischen 
Ebene und an der unteren Donau ausgefet waren, ift auch) 
ihr böhmifches Bohlwerk angegriffen worden und gefallen. 
Oder wie e3 ein römiſcher Gefchichtichreiber bezeichnend auß- 
drüdt: „Der bis zu diefer Zeit ungefannte und unbetretene 
herzyniſche Wald ift geöffnet worden“.“ 

Den Verlauf diefeg Kampfes im einzelnen kennen wir 
nit. Wir wiſſen nur etwas von feinem Endergebnis, Um 
das Sahr 9 vor Chr. find Markomannen unter der Anführung 
eine8 Feldherrn oder Herzogs namens Marbod vom Weiten 





Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. "23 





kommend in Böhmen eingedrungen und haben fid, im Lande 
feftgefegt, Zu gleicher Zeit, vielleicht etivag früher, haben ſich 
aud) Quaden, ein anderer ſuebiſcher Stamm, unter Führung 
des Tudrus in Mähren niedergelafjen, neben oder an Stelle 
der keltiſchen Kotiner, je nachdem man annehmen will, daß 
diefe ältere Bebölferung, ebenjo wie die Bojer, gang oder nur 
teilweiſe dag bon ihnen bislang bewohnte Gebiet aufgeben 
mußte. Und rings umher faßen bald andere germanifche 
Völker, an der unteren Nab und am Regen zurückgebliebene 
marfomannifche Stämme, die fi) Nariften (oder Wariften) 
nannten, zu beiden Seiten der Elbe die ſuebiſchen Sermun- 
duren,® nördlich von ihnen Zangobarden und Semnonen, öſtlich 
die Zugier, etwa an der Oder in Schlefien, in der Nähe die 
Marfingen, vielleiht am Oftabhang des Rieſengebirges. Sie 
alle und noch einige andere Völkerſchaften hatte Marbod durch 
Kriege oder Verträge an fich gefeſſelt und fi) als König der 
Markomannen zum Haupt eines erften großen germanifcdhen 
Bundesftantes gemadit, defjen Mittelpunkt Böhmen mar. In 
feiner Refidenz mit Namen Marobudum, dag man wohl irrig 
in einem Burgwall bei Stradonig (Ger.-Bez. Rakonitz, weſtlich 
bon Prag) wiedergefunden zu Haben glaubt, führte er fürft- 
liches Leben ein, nad; römiſchem Mufter, dag ihm bon einem 
längeren Aufenthalt am kaiſerlichen Hof befannt war. Er 
bielt eine Zeibgarde von 70.000 Mann Fußvolk und 4000 Rei- 
tern, unterhielt aber aud rege Sandelsbeziehungen zum 
tömifchen Rei. So gefährlich erichien bald diefer Germanen- 
fönig im Böhmerland den Römern, dab Kaiſer Auguftus im 
Sabre 6 nad) Chr. ſich entichloß, ihn anzugreifen, Zwei Heere, 
etiva 150.000 Mann, wurden ausgejandt; dag eine unter dem 
Statthalter in Germanien 2. Sentius Saturninug follte vom 
Beten, das andere unter Auguſtus' Ydoptivjohn, dem ipäteren 
Kaiſer Tiberius, vom Süden her in Böhmen eindringen. Sie 
ftanden nur nod) einige Xagemärfche von den Grenzen de 
Marbodſchen Reiches entfernt, als ein underhofft ausbreden- 
der, bielleidyt von Marbod in Pannonien geſchickt angezettelter 
Aufftand gegen das Römerreich die ganze Unternehmung 
dum Stilftand brachte. Mit Marbod mußte raid) Friede ge» 


24 Zweiter Abſchnitt. 





ſchloſſen werden, dem ein Freundſchaftsbündnis folgte, damit 
Rom bei feinen weiteren Kämpfen wenigſtens von dieſer Seite 
bor Angriffen geihügt jei. 

Und Marbod Hat den Vertrag gehalten. An dem gewal- 
tigen Befreiungsfriege, den drei Jahre fpäter, 9 nad} Chr., der 
zweite germanifche Völferbund unter dem Cherusferfürften 
Arminiug gegen die römifche Herrſchaft im weitlichen Deutjſch⸗ 
land unternahm, und der in der berühmten Varusſchlacht im 
Teutoburger Walde ſeinen glanzvollen Höhepunkt erreichte, 
hatte Marbod trotz Bitten und Mahnungen Armins nicht teil- 
genommen. Mehr noch: dem Rachezug des Germameus gegen 
die Cherusker in den Jahren 15 und 16 hatte Marbod aus 
feinen böhmifchen Wäldern untätig zugeſehen. Der Abfall 
mehrerer Völferfchaften, die bisher zu ihm gehalten hatten, 
vornehmlich der Zangobarden und Semnonen, war die Folge 
diefer unnatürlichen völkiſchen Gleichgültigkeit Marbods gegen 
dag Schidfal der gefamten Germanen, Ein Kampf zwiſchen 
Armin und Marbod, zwifchen Cherusfern und Marfomannen, 
den führenden Völkern der zivei großen deutfchen Staatenbünde, 
erwies ſich als die einzige mögliche Löſung diefer unleid- 
lien Verhältniffe. Angefichts der Fampfbereiten Heere mußte 
fih Marbod von Armin „einen feigen Flüchtling jchelten 
laſſen“, der fi, fern von Schlachten in den Schlupfiwirtkeln des 
herzyniſchen Waldes verftede und bei den Römern um ein 
Bündnis bettle, einen Trabanten des Cäfar, den man mit nicht 
minderer Erbitterung zu berjagen trachten müffe, wie man 
Quintilius Varus vernichtet habe, 

Nach kurzem Kampfe, deſſen Fortführung die Fahnenflucht 
in feinen Reihen unmöglich machte, zog ſich Marbod in fein 
Land zurüd, Noch verſuchte er, vom Kaiſer Tiberius Hilfe zu 
erlangen. Diefer lehnte aber jede Friegerifche Unterftügung 
mit der Begründung ab, daß auch Marbod den Römern gegen 
die Cherusfer feine Hilfe geleiftet habe. Man fieht, in welchem 
Sinne die Römer das Freundichaftsbündnis, dag fie mit Mar- 
bod zu jchließen gezwungen worden waren, nad) wenigen 
Sahren berftanden wiſſen wollten. Marbods Stellung war 
völlig untergraben, fein Königtum auch bei den Markomannen 


Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. 25 





nicht länger haltbar. Der bon ihm früher einmal bertriebene 
Gotone Katwalda griff ihn mit Heeresmadjt an und, berleitete 
die marfomannifchen Großen zum Abfall, jo daß Marbod Fein 
anderer Ausweg übrigblieb, ala in Rom um eine Zuflucht 
ftätte zu bitten. 

Damals geſchah es wohl zum erften und einzigen Male, daß 
im römiſchen Senate vom Lande Böhmen und einem böhmi- 
ſchen König gefprochen wurde. Kaiſer Tiberius ergriff jelber 
das Wort. In längerer Rede, deren bedeutfamer Inhalt aus 
Tacitus' Worten trog aller Rhetorik klar erfichtlid) wird, führte 
er aus: Nicht Philipp von Mazedonien fei den Athenern, nicht 
König Pyrrhus von Epirug oder Antiohus von Syrien den 
Römern fo gefährlich geweien, wie Marbod von Böhmen. Er 
ſchilderte die Größe des Mannes, die ungeftime Macht der ihm 
untertänigen Völkerſchaften, wies nad), wie nahe diefer Feind 
dem Reiche fei, und führte im einzelnen aus, was er zu deſſen 
Vernichtung unternommen habe, Dadurch bewirkte er, daB 
man Marbod in Ravenna ein Afyl bot, ala Warnung für die 
Sueben, fagt Tacitus, dem wir den ganzen Bericht verdanken, 
„jollten fie einmal übermütig werden“, Achtzehn Jahre ver- 
brachte Marbod noch in diefer freien Gefangenihaft und — 
„ergraute, wobei er bon feinem Ruhm viel einbüßte, weil er 
das Leben allaufehr geliebt”. So fließt der Berühmte 
römiſche Gefchichtfefreiber feine nicht leicht verjtändliche 
Charafteriftif diefes eriten Böhmenkönigs, bon dem ung die 
Geſchichte meldet.” 

Der erfte Verſuch, von Böhmen aus ein weit über feine 
heutigen Grenzen reichendes Staatsweſen zu ſchaffen, hatte 
Teinen dauernden Erfolg. Die auf Marbod folgenden Könige, 
die über die Marfomannen herrfchten, den Gotonen Katwalda, 
den Hermunduren Vibelius, den Quaden Bannius, ereilte nad) 
fürzerer oder Jängerer Regierung das gleiche Schickſal wie 
Marbod. Sie mußten ihren Gegnern weichen und im römi« 
ſchen Reiche als Flüchtlinge ihr Leben befchließen. 

Mögen aud; diefe dynaftifchen Kämpfe nicht ohne Wirkung 
auf die politiiche Geftaltung des böhmischen Markomannen- 
ſtaates gewejen fein, eine Gefahr für feinen Beſtand bedeuteten 


26 Zweiter Abfchnitt. 





fie wohl nicht. Übrigens wurden nad) einiger Zeit die alten 
Zürftenhäufer doc; wieder eingejegt, jowohl bei den Marfo- 
mannen als bei den Quaden, denn Tacitus berfichert, daß bis 
auf feine Zeit — er ftarb 117 n. Chr. — Könige aus dem 
eigenen Volke, dort „das alte Gefchlecht des Marbod“, hier 
„jenes des Tudrus“, herrichten, und daß erft bon da angefan- 
gen beide Völker, Markomannen und Quaden, unter fremde 
Zürften gerieten, die ihre Macht Roms Unterſtützung ver- 
dankten. Nur fagt er ung nicht auch, durch welche Borfomm- 
niffe diefe Veränderungen herborgerufen wurden, noch welchen 
Stämmen die neuen Fürſten angehörten, Und die fpätere 
Überlieferung wird jo dürftig, daß Marfomannen und Quaden 
in den römifchen Gefchicjtsquellen nur noch genannt werden, 
wenn fie den Römern irgendwie zu ſchaffen gaben. Das ge- 
ſchah einmal im Dalerkrieg unter Kaifer Domitian (81%), 
als die Marfomannen im Bunde mit dem Daferfürften 
Decebalus, deſſen Reich fich zwiſchen den NKarpathen und der 
unteren Donau ausbreitete und im Welten vielleicht unmittel- 
bar mit dem der Quaden und Markomannen zufammenftieß, 
den Römern mandje Niederlage bereiteten. Sodann nad fait 
fiebzigjähriger Unterbrefung im großen Marfomannenfrieg 
unter Kaiſer Marf Aurel (165—180), deifen oft wunderbarer 
Verlauf auf der den Namen diefes Kaiſers tragenden Säule 
zu Rom bildlich dargeftellt erjcheint.® 


Diefer Krieg entitand in natürlicher Rückwirkung jener 
Sahrzehnte zubor im Gebiete öftlich der Elbe begonnenen neuen 
Bewegungen germanifcher Völker, die dann auf die meitlicher 
figenden Stämme drüdten und fie über den Grenzftrom ber 
Donau ing römifche Reid, hinüber zu drängen drohten: auf die 
Markomannen unter einem König Bellomar, auf die Quaden 
unter König Furtius und fpäter unter Ariogaſus, auf Her- 
munduren, Zangobarden, Sazygen und andere. So gefährlich 
der Krieg anfangs für Rom zu werden, ſchien, eg gelang dem 
Kaifer [hließlich doch, das Völkergemiſch aufzuhalten, Ja es 
hatte den Anſchein, als ob Nom zum Angriff übergehen, auch 
hier altgermanifchen Boden erobern und feiner unmittelbaren 
Herrſchaft unterwerfen würde, Hätte nicht der Tod des 


Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. " 27 





Kaiſers diefen Plan verhindert, jo wäre das ganze Marko- 
mannen- und Ouadenland nördlich der mittleren Donau, alſo 
aud) Böhmen und Mähren, in eine römifche Provinz unter dem 
Namen „Marcomannia” umgewandelt worden, wie es ſchon 
befchloffene Sache war. Mark Aurels Sohn und Nachfolger 
Kaifer Commodus konnte ſich zu diefem legten Schritt, durch 
den der Krieg erft einen wirklichen Abſchluß gefunden hätte, 
nicht mehr entichließen, 


Bom Standpunkte unferer Landesgeſchichte ift es lebhaft zu 
bedauern, daß die Schilderungen, die fich von diefen Kämpfen 
erhalten Haben, nah der topographifchen Seite Hin fo 
unbeftimmt find, daß alle Vermutungen über den Schauplatz 
einiger wichtiger Ereigniffe, von denen in den fchriftlichen oder 
bildnerifchen Quellen die Rede ift, mit äußerfter Vorſicht auf« 
genommen werden müffen. Das linke Donauufer von Regens- 
burg bis tief nad) Ungarn hinein war jedenfalls das eigentliche 
Rampffeld. Allein die große Ausdehnung des Krieges, an 
dem zwanzig und mehr deutide Stämme teilgenommen 
haben, ſowie feine lange Dauer beredjtigen gewiß zu der An- 
nahme, daß aud) das Land bis tief nady Böhmen und Mähren 
hinein und vielleicht noch darüber hinaus in Mitleidenichaft 
gezogen wurde. Der im ganzen für Rom günftige Ausgang 
des Krieges madjt es unwahrſcheinlich, daß in den Siedlungs- 
verhältniffen im Norden der Donau größere Änderungen vor 
fi) gegangen jeien, wenn aud) eine Ausbreitung der Marko- 
mannen und QDuaden big an den Strom damals oder kurz 
aubor eingetreten fein dürfte. Für ein Preisgeben Böhmens 
oder Mährens durch die dafelbft bisher anfäfligen Völker it 
nirgends in den Quellen auch nur der leifefte Anhaltspunkt 
au finden; aud) wäre hiefür mad) der Lage der Dinge kaum 
die Möglichkeit gegeben gewefen. Vielmehr kamen die Völfer 
nun erit in längerer Sriedensperiode zu regerer Zultureller 
Entwicklung und wirtſchaftlichem Schaffen in ihrer frucht- 
baren Heimat. Diefe Tätigkeit aber auch nur in allgemeinen 
Zügen zu fennzeicinen, dazu fehlen fait alle Vehelfe, will man 
nicht gemeingermaniſche Verhältnifie ſtaatlicher Organifation 
und völfifcher Lebensführung, wie man fie allerdings aus bver- 


28 Zweiter Abſchnitt. 





ſchiedenen Quellen kennen lernt, auf einen einzelnen be— 
ſonderen Stamm übertragen. Da Böhmen und Mähren nicht 
zur römifhen Provinz „Marcomannia” geworden war, 
befümmerten ſich die römifchen Gefchichtfchreiber nicht weiter 
um diefe entlegenen Gebiete, am wenigſten um ihre innere 
Entwicklung. Wiederum, mie ſchon früher, wird in der 
Bolgezeit ihrer nur gedacht, wenn es ſich um kriegeriſche Ver- 
widlungen mit ihnen handelt, einmal um die Mitte des 
3. Jahrhunderts, zwiſchen 253 und 260, und dann tieder 
ein Säfulum jpäter, 357. In diefen Jahren find es Marko- 
mannen und QDuaden, die fi} gemeinfam gegen die Römer 
wandten; um 374 werden Quaden allein genannt. Immer 
aber erfahren wir bloß die Tatfache, ohne jedwede Einzelheit. 

Die legte derartige, wenn auch noch unbeitimmtere Nad;- 
richt gehört dem Ende des 4, Jahrhunderts an, erhält aber 
aus anderem Grunde Bedeutung. Eine Marfomannenkönigin 
Sritigil® hört von einem römifchen Chriften, der in ihr Land 
Tommt, dag in Mailand ein Bifchof Ambrofius Iebe, der fich 
durch befondere Frömmigkeit außzeichne. Sie überjendet ihm 
Gefchenfe und bittet um Belehrung im Glauben. Der Biſchof 
erfüllt ihre Bitte, jchiet ihr eine Art Katechismus und flicht 
in das Schreiben, das er an fie richtet, den Wunſch ein, Fritigil 
möge auf ihren Gemahl, deifen Name nicht angegeben wird, 
einwirfen, daß er Rom den Frieden wahre, der jomit damals 
durch die Marfomannen irgendivie gefährdet geweſen jein 
muß. Fritigil entfchließt fi) daraufhin, ſelber nach Mailand 
zu ziehen, um den Biſchof zu ſprechen, trifft ihn aber nicht mehr 
am Xeben, da er kurz vor ihrer Ankunft, am 4. April 897, 
geitorben war. Das berichtet feine Lebensbeſchreibung. Mit 
Recht hat man gefragt, ob e3 wahrſcheinlich fei, dab Fritigil 
fi) damals allein zum Chriftentum befannt haben follte, ob 
nicht vielmehr ein Xeil des markomanniſchen Volkes ſchon 
befehrt war, fo daß die früheften Anfänge des Chriftentums 
in Böhmen auf das erfte dort anfäflige germanifche Volk, die 
Marfomannen, zurüdgehen würden. Eine geiviffe Stütze 
fände diefe Vermutung in dem Funde eines Kreuzchens in 
einem nordböhmifchen Marfomannengrab.’° 


Kelten und Germanen auf böhmifhem Boben. 20 





Es iſt nicht die einzige wichtige Frage aus der ſpäteren 
Geſchichte der Markomannen, auf die man vorläufig feine 
beſtimmte Antwort zu geben vermag. 

Bis zum heutigen Tag wird in den Lehrbüchern vielfach 
angenommen, daß die Marfomannen eine wichtige Rolle beim 
Hunnenzug um die Mitte des 5. Jahrhunderts gefpielt hätten. 
Allein wie es fi) nicht nachtweiſen läßt, daß Attila feinen 
Weg durch Böhmen genommen und die dort wohnenden ger- 
maniſchen Völker mit fid) geriſſen habe, ebenfo entbehrt die oft 
wiederkehrende Behauptung, daß die Marfomannen in der 
Schlacht auf den katalauniſchen Feldern (451) ganz oder fait 
ganz aufgerieben worden feien,t! jeder glaubwürdigen Unter- - 
lage, geht nur zurüd auf eine unbeitimmte Angabe eines 
fpäteren Chroniften aus dem 8. Jahrhundert, die fi) mit 
allen gleichzeitigen Berichten im Widerſpruch befindet. 

&3 ift vielmehr eine ganz eigentümliche Erfcheinung, wie 
ung diejes Volk im Verlauf des 5. Jahrhunderts gleichſam 
unter den Augen entſchwindet. Man wird der von namhaften 
Vertretern germaniſcher Völkergeſchichte ausgeſprochenen An- 
ſicht, daß die Markomannen wie im 3, und 4. auch noch im 
5. Sahrhundert fi; in Böhmen hielten, gewiß zuftimmen,'* 
wenn man dafür auch nur allgemeine Gründe anführen Tann. 
Bir erfahren nämlich nicht, dag fi) die Markomannen in 
gewaltigen Kämpfen, wie andere germanifche Völker, ber- 
blutet hätten und zugrunde gegangen wären; und ebenjo- 
wenig, daß das Volk aus feinen alten Sitzen ausgewandert 
fei oder berdrängt worden wäre; denn das bereinzelte Vor- 
fommen markomanniſcher Scharen in Pannonien oder in 
Italien zu verichiedenen Zeiten erflärt fi) durd) Abwanderung 
überfchüffiger Xeile vom Gefamtvolfe. Hier gilt wohl das Wort 
Jakob Grimms: daß für die Fortdauer eines Völkerfiges fo- 
lange die Vermutung ftreitet, big das Gegenteil beitimnit 
erwiefen ift.!* Auch die tſchechiſche Geichichtichreibung gibt jetzt 
au, daß die früher übliche Annahme der völligen Preisgebung 
des Landes dur die Marfomannen weder der Quellenüber- 
lieferung entfpricht, noch auch völkergeſchichtlich wahrſcheinlich 

Es iſt von dieſer Seite die Meinung ausgeſprochen 


30 Zweiter Abſchnitt. 





worden, daß vielleicht dieſes Volk, das einſtmals mächtig, 
gefürchtet und kriegeriſch geweſen, ſpäter durch langwierige 
Kriege, ſchwere Niederlagen, Abtrennung einzelner Zweige, 
Abgabe kriegeriſcher Kontingente an Rom weſentlich gelichtet 
und geſchwächt worden ſei und ſich auf ein beſchränkteres 
Gebiet feiner urſprünglichen Siedelung zurückgezogen habe.“ 

Das mag ſo oder anders geweſen ſein. Tatſache iſt, daß 
Böhmen vom Beginn des 5. Jahrhunderts ein Land ohne 
erkennbare Geſchichte ift. Die hiſtoriſchen Quellen verfagen 
und verfiegen für längere Zeit, aber wohl kaum, weil dag Land 
zur menfchenleeren Wüfte geworden ift, jondern weil die in 
jener Periode an fi) armjelige Geſchichtſchreibung dieſe fernen 
Gebiete nicht mehr erfaßte. 

Wenig vermögen zur Aufhellung die unbeitimmten Nach - 
richten beizutragen, die auf einen kürzeren oder längeren 
Aufenthalt der Langobarden”” und wahrſcheinlich au noch 
anderer germanifcher Völker in Böhmen und Mähren hindeuten, 
die in marfomannifcher SHerrichaftszeit ringe um Böhmen 
ſaßen. Sie find zeitlic) und fachlich zu wenig Klar überliefert, 
um fi) hiftoriographifch verwerten zu laffen. Das für Böhmen 
bodenftändige germanifche Volk bleiben die Marfomannen, wie 
für Mähren die Duaden. Verſchiebungen und Miſchungen 
mögen ftattgefunden haben, insbejondere als nad) dem Unter- 
gang des weſtrömiſchen Reiches (476) auf den Böhmen und 
Mähren benadjbarten Gebieten neue Staatsweſen bon 
deutſchen Völkerſchaften begründet wurden, von Franken, 
Schwaben, Thüringern, Sachſen, Bayern, in denen fid) ältere 
germanifche Stämme fortpflanzten. 

Eben mit dem Auflommen der Bayern ſucht man das 
Verſchwinden der Markomannen in Verbindung zu bringen. 

Zu Beginn des 6. Jahrhunderts, um 520, taucht zum erften 
Male und fortan öfter der deuti—de Stamm der Bayern in 
den Sitzen zwiſchen Led, Inn und Alpen auf. Aus der 
älteften Namensform, die fih in den Quellen findet, 
„Baioarius“, Hat man geſchloſſen, daß dieſes Volk in Be- 
ziehung ftehen müffe zu dem Lande „Baja” oder „Bajas”, 
das nichts anderes fein Tönne ala Böhmen (Boiohemum), 


Kelten und Germanen auf böhmifhem Boden. 31 





die Heimat ehemals der Bojer, dann der Marfomannen. 
Bon diefer jpradjlichen Ableitung ausgehend wurde dann 
weiter gefolgert, daß die böhmifchen Marfomannen zu Beginn 
des 6. Jahrhunderts ihre Heimat verlaffen und gemeinfam mit 
anderen germanifchen Stämmen den bayriidhen bon den 
Römern bereit? aufgegebenen Boden befiedelt hätten.’* 
Mochten auch jpäterhin über die Herkunft der Bayern andere 
Vermutungen aufgeftellt worden ſein,“ die älteite fand denn 
doch bis zum heufigen Xage die meilten und nambafteften An- 
bänger, trotz mancher Bedenken, die gegen fie auftauchten. Nicht 
oas unwichtigſte wurde erft jüngft wieder von einem der ent- 
idiedenften Vertreter der Bayern-Marfomannentheorie bor- 
gebracht, dahin lautend, daß es „völlig dunkel“ fei, was die 
DMarkomannen zum Verlaſſen Böhneng in jener Zeit beitimmt 
haben Fönnte.’° 

Es läge gewiß nahe, die Erklärung biefür aus der 
weiteren Entwidlung Böhmens zu ſchöpfen und auf die Nieder- 
laſſung der Tſchechoſlawen in diefem Lande, anderer ſlawiſcher 
Stämme in der öftlichen Nachbarſchaft hinzumeifen, wenn man 
damit nicht auf dag zweite Problem ftieße, dag die Heimats- 
geichichte diefer Zeit der Forſchung darbietet. 

Faſſen wir die bisherige Entwicklung zuſammen: Nach 
einer keltiſchen Periode, die mangels aller Quellen in ihrer 
Bedeutung kaum recht erfahbar, geſchweige darſtellbar ift, die 
nur eine Reihe Feltifcher Namen im Lande bis zum heutigen 
Tage hinterlaffen hat, fegt in Böhmen und Mähren kurz vor 
Beginn der Kriftlichen Zeitrechnung die Herrſchaft germani- 
ſcher Völker ein, bornehmlich der ſuebiſchen Markomannen 
und Quaden. Sie währt mehrere Jahrhunderte fort und 
nimmt von Anfang an einen Zug ins Große, ſucht Böhmen 
zum Stüßpunft einer germanifchen Wölferberbindung zu 
machen, um fi) der römifchen Weltmacht erwehren zu fünnen. 
Das gelingt; aber die bon Rom geſchürte Zwietracht unter den 
Germanen jelbft wirft den aufitrebenden Marfomannenftaat 
jäh aus feiner führenden Stellung zurüd, Böhmen hörte 
ſehr bald auf, einen der Brennpunkte germanifcher Völker 
politif zu bilden. Erſt nach fait anderthalb Jahrhunderten 


32 Zweiter Abfchnitt. 





erhob ſich das Markomannenreich zu neuer Macht und trat 
wieder an die Spike zahlreicher germaniſcher Stämnte, um 
dem römifchen Reich, mit deſſen Grenzen es entlang der 
ganzen mittleren Donau zufammenitieß, entgegen zu treten 
und auf defien Boden Iandbedürftigen Germanen neue Heimat 
zu verſchaffen. Aber am Ende diejes langwierigen Krieges, 
dem das Markomannenvolf als das führende den Namen 
gegeben hat, war es trog allen Heldenmutes nahe daran, 
politifch zu unterliegen, fein eigenes Land Böhmen mit den 
Nachbargebieten in eine römiſche Provinz umgewandelt zu 
ſehen. Vielleiht nur ein Zufall, der plötliche Xod des 
tömifchen Imperator, hat dieſe melthiftoriihe Wendung 
verhindert. 

Kriege mit den Römern find auch in der Folgezeit die ein- 
zigen Anläffe, daß ung bon den Marfomannen in großen 
Zwiſchenräumen noch Kunde wird; -aber nicht aus eigenen 
Aufzeichnungen, denn folde find von Marfomannen und 
Quaden nicht ausgegangen oder nicht erhalten, fondern nur 
aus römifchen Berichten. Sobald diefe aufhören, wird eg ruhig 
von dem alten Marfomannenvolf, 

Wie ein Kampf- und Arbeitsleben ſchließlich im befcheidenen 
Altenteil endet, um jüngeren aus dem eigenen Blute ent- 
iproffenen Kräften neben ſich Raum zu gönnen, fo fcheinen 
die Marfomannen und Quaden nad einem halben Jahr— 
taufend Ringens und Schaffens langſam vom Schauplatz 
melthiftorifcher Tätigkeit zurüdgetreten zu fein und ſich glei- 
fam in neu auftretenden germanijchen Völkern verjüngt zu 
haben. Bon Auswanderung, völliger Vernichtung, von der 
man fo oft fpricht, Hört man in den Quellen nichts. Die 
Markomannen und Quaden und mande ihrer Nachbarn 
gehören zu jener Gruppe von Weftgermanen, die im Gegenſatz 
zu den unfteteren Oftgermanen in ihrer einmal errungenen 
Heimat mwurzelten und an ihr fefthielten.”° Wielleicht haben 
fie mitgeholfen, im 5. und 6. Jahrhundert in ihrer unmittel- 
baren Nachbarſchaft den neuen deutichen Bayernſtaat auf- 
zurichten. Das ſchließt keineswegs aus, daß fie in ihrer alten 
Heimat Böhmen fortgelebt haben. Wir befigen ja fo wenig 





Kelten und Germanen auf böhmifhem Boden. 8 





Einblid, wie fi Bayern, Franken, Thüringer, Sachſen aus 
älteren germanifchen Völkerſchaften herausgebildet haben.?! 
Jedenfalls bot das Land Böhmen ſtets Raum genug, um neue 
Völker, die fi) auf ihren Wanderungen den Weg dahin 
bahnten, unbehindert in ſich aufzunehmen, 

Eine beftimmte Antwort über das Ende der Marfomannen 
in Böhmen. oder der Quaden in Mähren nad; Zeit und Art 
ermöglichen die Quellen nit. Man kann nur die Möglich- 
feiten, die fid; vor Augen ftellen, erwähnen und gegen ein- 
ander abmwägen. Halten wir daran feit, dag Völfer ohne 
Kampf und Not erenbten Befig nicht aufgeben — und für 
Marfomannen und Duaden zeigt fich eine ſolche Notwendigkeit 
niemals — dann ließe ſich nad) der zulegt angedeuteten Ent- 
widlung eine Brüde ſchlagen bon dem alten Germanenbolf, 
da8 Jahrhunderte Iang hier geſeſſen und von defien Aus- 
zug oder Untergang feinerlei Kunde vorliegt, hinüber zu dem 
deutſchen Wolfe, da8 nad, Generationen wieder auf böhmischen 
Boden fit und deifen Aufkommen dafelbit bisher fo unver- 
mittelt erſchien und fo künſtlich erklärt werden mußte, 


Bretboız Geld. Böhmens u. Däßrene I. 8 


Dritter Abſchnitt. 


Die ſlawiſche Einwanderung. — Das Auflommen des 
premyſlidiſchen hauſes. — Das geoßmährifhe Reid. 
Bis 906. 

Nach Kelten und Germanen find Slawen dag dritte und 
Iegte Volk, das ſich auf böhmiſchem und mähriſchem Boden 
niedergelajjen hat. Wann und bon wo fie dahin gefommen 
find, welche Umſtände ihr Vordringen veranlagt haben, konnte 
ſchon Cosmas nicht in Erfahrung bringen, jodaß er ſich damit 
half, an die biblifche Erzählung anzufnüpfen. Und bis zum 
heutigen Tage ift man insbefondere über die erfte und für uns 
widtigite Frage zu feinem geficherten Ergebnis gefommen, 
ſoviel ſich auch die Forſchung im 19. Zahrhundert darum be- 
müht Hat, Man kann wohl jagen, daß alle denfbaren Möglich- 
feiten bereit3 erwogen und mit mehr oder weniger Wiffen- 
Ichaftlichfeit vertreten worden find. Man hat von der Auto- 
chthonie der Slawen in unjeren Ländern geiprochen, d. h. daB 
fie bier überhaupt nie eingemandert feien, jondern die Ur- 
bevölferung darftellen; dann davon, daß Bojer und Marfoman- 
nen, die hier faßen, nicht Völker keltiſcher und germaniſcher, 
jondern jlawifcher Raſſe geweſen jeien. Man hat Slawen 
neben Kelten und fpäter neben Germanen in beitimmten 
Zeilen de3 Landes zu gleicher Zeit fiedeln laſſen wollen. Es 
gab und gibt Forfcher, die die Einwanderung der Slawen in 
die bordriftlihe Zeit verlegen zu müffen glauben, und 
wiederum ſolche, die diefes Ereignis in eines der Jahrhunderte 
nah Chrifti Geburt fegen; und faft für jedes Säfulum vom 
eriten bis zum fiebenten haben ſich Vertreter gefunden. Der 
Beitpunft wurde bgld unbeftimmt gelaffen, bald genauer, ja 
jogar bis aufs Jahr genau feftzuftellen verſucht. €3 find u. a, 
genannt worden: 58 vor Chr. &., dann 180 nach, 480, 534, 644.% 

Diefe Fülle einander widerſprechender Anfichten erflärt ſich 
aus dem Fehlen jedweder Quellennachricht, die auf die richtige 


Die ſlawiſche Einwanderung. 83 





Spur führen Fönnte, jo dag der Mutmaßung Tür und Tor 
geöffnet iſt. Der Standpunkt, den die neueſte Geſchichtsſchrei- 
bung in Böhmen diefem Problem gegenüber einnimmt, er- 
icheint in dem Sage ausgeſprochen: „Auf die Frage, wann die 
Tſchechoſlawen in ihren jegigen Wohnfigen auftreten, hat die 
Geſchichte . . . nur die einzige mögliche Anttwort: vor dem 
6. Zahrhundert nad; Chr. ©. findet fich hier von ihnen feine 
Erwähnung“. Dieje Feltitellung erfährt aber noch eine Ein- 
ſchränkung dur das nachfolgende Zugeftändnig, daß das erite 
fihere Datum ihrer Anfälligkeit in Böhmen fogar erft in daß 
7. Jahrhundert falle, allein derart jei, dag man die Einiwan- 
derung denn doch ſchon in dag 6, zurüdverlegen dürfe? — 
Doch auch diefe Schlußfolgerung ift willfürlich, denn fie geht 
bon der Qorausfegung aus, daß ein beitimmtes gefchichtliches 
Ereignis in unmittelbarem Zufammenhang mit Böhmen ftehe, 
was borerjt zu beiveifen wäre, 

Ein fränfifcher Chronift, der Fortſetzer des jogenannten 
Fredegar, der etiva 660 jein Werf begann, erzählt nämlich, daß 
im Sabre 624 ein Franke namens Samo aus dem jenonagifchen 
Gau (vielleicht Sens in der Champagne) mit mehreren Kauf- 
leuten zu den Slawen, „die man Winden (Vinedos) nennt“, 
gezogen fei. Als er dahin Fam, fand er fie in Kämpfe mit den 
Amaren bermwidelt, half ihnen mit Rat und Tat und zeichnete 
fi) dermaßen aus, daß fie ihn zu ihrem „König“ machten. In 
ber Folgezeit unternahm er felber Kriege wie gegen die 
Awaren fo gegen dia Franken, denen diejes Slawenland dienft- 
bar war, ſchuf ein großes Reich, hatte 12 windiſche Frauen, 
zeugte mit ihnen 22 Söhne, 3 Töchter und ftarb nad) 35 jähri- 
ger glüdlicher Regierung, alſo um 660, worauf fein Reich 
wieder zerfiel. — Wo lag diejer ſlawiſche Staat des 
Stanfen Same? - . 

Es ift eine vorzüglich auf Pelzel® und Palacky zurüd- 
gehende Annahme, daß damit nur das tſchechiſche Böhmen 
gemeint fein könne, obwohl fi dafür bei Fredegar nicht der 
minbefte Anhaltspunkt findet und eine andere Duelle aus- 
drücklich Kärnten, das eigentliche Windenland, als Samos 
Herrſchaftsbereich bezeichnet. Bei Pelzel war es, wie er deut- 

PN 


3 Dritter Abſchnitt. 





lich erkennen läßt, der Wunſch, „den Ruhm und die Tapferkeit 
unſerer Voreltern in den älteften Zeiten“ auf eine. beftimmte 
Tat feltzulegen, wag ihn auf diefen Gedanken führte. 
Palacky aber machte Samo, „diejes glänzende Meteor“, zum 
erften Böhmenherzog und Böhmen zum Mittelpunkt des bon 
ihm gefchaffenen Reiches, weil er, irregeführt durch die 'ge- 
fälfchte Königinhofer und Grüneberger Vandſchrift, ſich einen 
flawifchen Staat im 7. Sahrhundert überhaupt nirgends 
anders denfen fonnte als in Böhmen. Und von da an herricht 
diefe Anficht faſt allgemein bei allen folgenden tſchechiſchen und 
deutſchen Gefchichtfchreibern bis in die allerneuefte Zeit, zum 
mindeften in der. Form, dag Böhmen mit zum Reiche Samos 
gehört haben müſſe. Daraus folgerte man dann weiter in 
falſchem Kreisſchluß, daß die Tichechen doch wohl ſpäteſtens im 
6. Sahrhundert nad Böhmen eingewandert fein müßten, wenn 
Samo ſchon im zweiten Viertel des 7. über fie geherricht habe. 

In Wirklichkeit fehlt e aber an jeder Handhabe, Samo mit 
Böhmen in Verbindung zu bringen. Bon Kämpfen zwiſchen 
Amaren und den bon ihnen durch Mähren getrennten Völfer- 
ſchaften in Böhmen hat fidy in den Quellen nirgends eine Spur 
erhalten. Der Schwerpunkt des awariſchen Reiches lag im 
Tiefland zwiſchen Donau und Theiß. Bon Kärnten und 
Friaul her wurde in den Fahren 7% und 796 der vernichtende 
Schlag gegen fie geführt. Die böhmiſche Vorgeſchichte, wie fie 
Cosmas bietet, fennt feine Geftalt, die auch nur im entfernte- 
ften an Samo erinnerte, obwohl fein Lebenslauf für Sagen- 
bildung wie geichaffen erfcheint,* keine Ereignifle, wie fie 
Fredegar im Zufammenhang mit Samo berichtet. Man wird 
dag Vorkommen von Slawen in Böhmen im 7. Sahrhundert 
nicht ſchlechtweg leugnen, aber von einer Madjtitellung, wie 
fie Samos Herrſchaft borausfegen würde, kann nicht die Rede 
fein. Selbſt nody während deg ganzen 8. Jahrhunderts fehlt 
jeder quellenmäßige Beleg für die Anſäſſigkeit der Slawen in 
Böhmen oder Mähren; erſt zu Beginn des 9, laſſen fie ſich 
unzweifelhaft dort nachweiſen. Dag bejagt natürlich nichts 
über die Zeit ihrer Zumanderung, die ebenjo Jahrzehnte wie 
Sahrhunderte zuvor erfolgt fein kann.” Wir tappen hier voll- 





Die ſlawiſche Einwanderung. 87 





Tommen im Dunkeln und können nur wenig Tatſächliches feit- 
ftellen. 

Die böhmifche Urfage bietet, wenn man ihren Kern heraus- 
ſchält, nit nur keinerlei Hinweis auf den Beſtand eines 
ſlawiſchen Großſtaates auf böhmiſchem Boden in ſo früher 
Zeit, ſondern läßt vielmehr eine ganz andere Entwicklung des 
ſlawiſchen Volkes in diefem Gebiete erfennen: ein langſames 
Zufließen und Seftjegen in Heinen Gruppen, ein allmähliches 
Zuſammenwachſen zu größeren Verbänden. Sie zeigt ung als 
Schauplak der älteiten Geſchichte nicht ein ganzes Land mit 
einem einheitlichen geſchloſſenen Volf,? jondern einzelne Gaue 
(pagi) mit Heinen Stämmen (tribus), die nebeneinander und 
unabhängig voneinander beftehen. Bald bilden die größeren 
Flußläufe die natürlichen Grenzfcheiden zwiſchen ihnen, bald 
breiten fie fich zu beiden Seiten eines Flüßchens oder Baches 
aus. Derjenige Gau, der in der Zukunft der wichtigfte werden 
follte, mit dem Mittelpunfte Prag, liegt eingefchloffen von der. 
Beraun, Moldau, Elbe und Eger. Südlich der Beraun nennt 
Cosmas einen Gau Stebezna, öftlich der Moldau den Gau 
Bein. An ihn fchließt ſich nördlich der Leitmeritzer Gau rechts 
ber. Elbe und am linfen Ufer zwischen der Eger und Biela der 
Beliner mit dem Hauptort Staditz. 

Es ift durch nichts erwieſen, daß diefe Gaueinteilung von 
den eingewanderten Slawen begründet wurde. Wir willen 
vielmehr, daß gerade bei den fuebifchen Völkern, zu denen die 
böhmifchen Marfomannen und mähriſchen Quaden gehörten, 
ſchon zu Cäſars Zeiten die Gaueinteilung mit eigenen Gau- 
borftehern beitand. Die. Slawen fanden alfo bei ihrer Ein- 
wanderung diefe Organifation bereit vor, in die fie ſich ein- 
fügen konnten und die ihnen dennoch die Erhaltung ihrer 
eigenen Geſchlechter und Geſchlechterverbände neben den deut- 
ſchen Sippen ermöglichte, ebenfo wie die Erlangung der Bor- 
berrfchaft in dem einen und anderen Gau, . 

Diefe Gaue vereinigten ſich allmählich teils auf friedlichen, 
teils auf Friegerifchem Wege zu größeren Gebilden, für die 
Cosmas den Namen Provinzen anwendet. Für beide Ent- 
widlungsarten bietet feine Erzählung der Vorgeſchichte Belege 


38 Dritter Abſchnitt. 





dar. Die Vermählung der letzten Erbin im Prager Gau, 
Ruboffa, mit dem Gauherrn in Stadig Premyſl, d. b. der Be- 
dächtige, Überdenfende, diefes Konnubium mit der Berufung 
des Tüchtigeren zur Herrichaft im Nadjbargau, Hat die Sage 
erhalten und in ihrer Weije ausgeſchmückt. Die Vergrößerung 
des Gebietes durch gewaltſame Eroberung zeigt Cosmas an 
einem andern Fall. 

Eine zweite Gruppe von ebenfalls fünf Gauen, die bereits 
du einer Provinz geeint erfcheinen, lag weſtlich pon der Prager 
rings um den Hauptort Saaz. Defien zweiter Name — wir 
fehen, wie basjelbe Gebiet entiprechend der doppelten Befied- 
lung auch zwei topographiiche Namen trägt — war Luka (die 
Wiefe), darnac die dort anfäffige jlawiiche Bevölkerung die 
Ruczanen hießen. Zwiſchen diefen Luczanen unter einem $er- 
30g Wlaftizlam, „Eriegliebend, tapfer und überaug liftig”, und 
dem auf der Burg „Lewigradec” (bei Prag) refidierenden 
Neklan, dem das Volk der „Vöhmen“ unterftand, kam es nad) 
aahlreichen früheren Bufammenftögen zum Entideidungs- 
Tampf. Es ift bezeichnend für die Entwidlung, daß Cosmas 
in der Vorzeit eben nur dem Prager Gau und deſſen Beböl- 
kerung den uralten von den Bojern abgeleiteten Namen 
„Böhmen“ zuweift. Bon hier aus erfolgte die Ausweitung des 
Begriffes auf immer größere Gebiete, die allmählich in 
„Böhmen” aufgehen. Der Kampf endete mit dem Siege der 
Böhmen, dem aber die Nachbargaue Belin und Leitmerig 
damals ſchon Gefolgſchaft Ieifteten. Doch war es nicht der 
Herzog Neklan, „urchtſamer als ein Safe und ſchneller auf der 
Flucht als ein Pardel“, der den Eieg errang, fondern fein 
Seldherr, der den Gattungsnamen „Tyro“ (der Krieger) führt. 
Mit der Einziehung de3 ganzen Sauger Gebietes, nachdem 
deſſen jugendlicher Erbe von feinem „Erzieher“ namens 
During (der Thüringer) meuchlings ermordet worden ivar, 
erweiterte fi) „Böhmen“ bereits um ein gewaltige Stück 
gegen Weſten hin. Auch in der fagenhaften Geftalt des Er- 
ziehers During im Saazer Gaugebiet haben wir keine eigent- 
liche Perſon zu fehen, fondern Hinweiſe auf uralte Beziehungen 
dieſes nordweſtböhmiſchen Landes zu dem einftmals fo großen 
Neiche der Thüringer. 





Die flawifhe Einwanderung. 30 





Die weitere Entwicklung und der Ausbau der Prager 
Provinz entzieht ſich unſerer Kenntnis. Erſt zu Beginn des 
9. Jahrhunderts, 805, erhalten wir Kunde von einem Kriegs- 
zug Karls d. Gr. gegen „Slawen“ in Böhmen. €8 ift zugleich), 
wie ſchon angedeutet wurde, der frühefte quellenmäßige Beleg 
für ide Vorfommen in unferem Lande? So wichtig diefe 
Unternehmung auch gewejen zu fein jcheint, da Karl feinen 
gleidmamigen Sohn damit betraute, fo befigen wir doch nur 
von fränfifcher Seite furze unzulängliche Nachrichten darüber; 
fie nennen den Herzog, der an der Spike der Slawen ftand, 
Zeh, wiederum fein Eigen-, fondern ein Gattungsname. 
Die heimiſche Überlieferung, Cosmas, hat die Erinnerung 
daran nicht erhalten. Er übergeht überhaupt die ganze Ge- 
ſchichte Böhmens im 9. Zahrhundert, die in den fremden 
Quellen ſchon vollfte Beachtung findet, mit auffallendem 
Schweigen. Er weiß nichts von der Zuweiſung Böhmens dur 
Kaiſer Ludwig den Frommen, Karls d. Gr. Sohn und Nach- 
folger, an feinen Sohn Ludwig den Deutichen, als diefer in 
der Reichsteilung von 817 das oſtfränkiſche oder bayrifche 
Königreich erhielt; nichts von dem Erfcheinen ſlawiſcher Ge- 
Tandtihaften aus Böhmen und Mähren mit Geſchenken vor 
dem Kaifer auf dem Hoftag zu Frankfurt im November 822; 
nicht3 don der Taufe von bierzehn Herzögen aus Böhmen in 
Regensburg im Jahre 845;1 nichts von den fünf oder ſechs 
ung mit Namen befannten böhmifchen Herzögen, die ſich 872 
gegen die Franken erhoben; und nichts auch bon der böhmifchen 
Gefandtichaft zu den wichtigen von Ludwig d. D. 874 zu Fordh- 
heim geführten Verhandlungen mit dem Mährenherzog Zwen- 
tibald. Cosmas Tennt eine Geſchichte Böhmens erft von dem 
Beitpunft an, da fi) gegen Ende des 9. Jahrhunderts die 
Prager Herzöge zu einer Vormachtſtellung wenigſtens in einem 
Zeile Mittel- und Weſtböhmens erhoben, durch den Übertritt 
Boriwois zum Chriftentum, angeblich im Jahre 84. Das war 
ein jo wichtiger Wendepunkt in der Geſchichte des ganzen Ge- 
bieteg ſowie des Herzogshauſes, daß dieſes Ereignis in der 
Erinnerung baften blieb, von Geſchlecht zu Geſchlecht über- 
liefert wurde, bi8 Cosmas davon hörte und damit bie be- 


40 Dritter Abſchnitt. 


glaubigte Geſchichte des ganzen Landes am richtigften zu begin- 
nen meinte. Alles frühere, die Kriege, die innere Entwicklung, 
felbft die Reihe der älteren Gauvorſteher, die er al3 Vorgänger 
der geſchichtlich beglaubigten Prager Dynaſtie aufzählt, ver- 
ſchwimmt bei ihm, foweit e8 nicht ganz der Bergefjenheit 
anheim gefallen ift, in Sage und Mythe. Es ſchien dem geift- 
lichen Berichterftatter nicht der Mühe wert, die Gefchichte 
heidniſcher Regenten, die nur „den Sreffen und Schlafen 
ergeben waren, roh und unwiſſend wie dag Vieh dahinlebten,” 
der Nachwelt zu überliefern. Mit diefer wenig ehrerbietigen 
Charafterifierung feheint zugleich angedeutet zu fein, daß man 
diefe Herzöge zu Cosmas' Zeit nicht als Ahnen Boriwois anfah; 
wie denn au Cosmas bei der Nennung der eriten acht, 
Premyſl, Nezamyfl,. Mnata, Bogen, Unezlau, Crezomyſl, 
Neklan und Goſtiwit Feinerlei Verwandtſchaftsverhältnis 
angibt. Erſt beim letzten erklärt er: „Goſtiwit zeugte Boriwoi.“ 
Deſſen Geſchlecht aber, das nachmals ſeinen Stammbaum an 
den ſagenhaften Premyſl aus Staditz anknüpfte und ſich nach 
ihm die Premyſliden nannte, die ſiegreiche Dynaſtie, legie erft 
recht Fein Gewicht darauf, die Erinnerung an eine Zeit wach 
zu erhalten, in der fie einerjeit3 noch heidnifch war und andrer- 
feits im günftigften Fall ihren Rang mit vielen Gleich- 
geftellten teilte. Sie forgte für die Erhaltung der Über- 
lieferung erft von dem Augenblid an, als ihre Herrſchaft über 
ein anjehnliches Stück des Landes feft begründet war und vor 
allem auch durch Anerkennung von feiten des deutfchen Reiches 
gleihfam eine höhere Weihe erhalten hatte Wir erfahren 
nämlich aus einer fränfifhen Quelle, den wichtigen Annalen 
des Kloſters Fulda, dag im Jahre 895 anläßlich einer Reichs- 
berfammlung in Regensburg vor Kaiſer Arnolf alle Her— 
zöge der Böhmen erſchienen, deren vornehmſte (primores) aber 
Spitignem und Wratiflam (Witizla) waren. Sie kamen 
dahin, um die alte Verbindung mit dem bayriſchen Königtum, 
aus der fie der Mährerherzog Biventibald gerifjen hatte, 
wieder herzuftellen. Aus Cosmas aber wiſſen wir, daß Spiti- 
gnew. und Wratiflam die Söhne Boriwois waren, alfo die 
dritte Generation im Herzogtum Prag: Die gegenfeitigen 





Die flaiifhe Einwanderung. a 





Beziehungen wurden in freundichaftliciter Weife wieder 
erneuert. Bayern übernahm fortan den Schu über alle 
Herzogtümer in Böhnten, an deren Spike aber die beiden 
Prager Brüder ftanden. An dem Geſchlecht Goftiwits lag es 
nun, unter dem Schilde des bayriichen Königtums die bereits. 
errungene Stellung in Böhmen weiter auszubauen. 

Auch von der wechſelvollen Geſchichte Mährens in ber 
zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und den Einflüffen und 
Einwirkungen dieſes Landes auf Böhmen fpricht Cosmas wohl 
mit Abſicht nicht, um die Gebundenheit Böhmens in jener 
Zeit wie nad) der fränfifch-bayrifchen jo nady der mährifchen 
Seite hin nicht berühren zu müffen. Daß ihm die Vorgänge 
in Mähren nicht unbefannt waren, darf man gewiß annehmen, 
da er felber Quellen nennt, ein Privileg der mähriſchen Kirche 
und einen fogenannten „Epilog (Schlußbericht) zur Geſchichte 
des Landes Mähren”, die noch in feiner Zeit allgemein be- 
Iannt geweſen fein follen. Auch gibt er von dem Mährer- 
herzog Zwentibald, den er Zuatopluf nennt, eine kurze mit 
Sagen ausgeſchmückte Charakteriftif. 

Auf den eriten Blick mag es auffallend erfcheinen, daß der 
mãhriſche Schweſterſtaat eine andere und raſchere politifche 
Entwidlung genomnen hat als Böhmen. Der Slawen 
in Mähren gejchieht in den fränfifchen Quellen zum erften 
Male im Jahre 822 Erwähnung, und zwar unter dem Namen 
„Marbani”, „Marahenfes" u. ähnl., d. 5. Mährer, March- 
anwohner. Auch fie haben alfo einen befonderen Bölfer- 
namen, fondern man bezeichnet fie nach dem Lande, in welches 
fie eingewandert find. Der erfte Fürft, der unter ihnen ge- 
nannt. wird, ift Moimir, in der Zeit Kaiſer Ludwigs des 
Frommen, des Sohnes Karls des Großen, kurz bor 840. 
Über feine Herkunft, über fein Emporfommen und über den 
Umfang feines Gebietes ift uns nichts überliefert. Wenn man 
das einſtmals hochberühmte Bifterzienferflofter Welchrad, eine 
Tandesfürftliche Gründung aus dem Sabre 1202, als Moimirs 
Nefidenz erklären wollte, fo entbehrt diefe Anſicht jeder ge- 
ſchichtlichen Begründung, ift bloß gelehrte Vermutung und 
ehrfürchtiger Glaube; wenn aud) zugegeben werden muß, daß 


4 Dritter Abfänitt. 





der Mittellauf der Mar, in deren unmittelbarer Nähe 
Welehrad liegt, und das Gebiet weftlich und öftlich big zu den 
nächſten größeren Ylußläufen der Schtvarza einer-, der Wag 
anderfeits, den "Kern der Herrſchaft Moimirß gebildet 
haben dürfte. Sein öſtlicher Nachbar war Herzog Pribina, 
deifen Sürftentum in Neutra feinen Mittelpunft hatte. 
Während der ſchwächlichen Regierung Kaifer Ludwigs d. Sr. 
(814-840), der diejen fernen Gebieten wenig Aufmerkſamkeit 
zuwandte, gerieten Moimir und Pribina in Streit, Moimir 
blieb Sieger, 30g Pribinag Land ein, den dann allerdings die 
Franken durch eine neue Herrſchaft am Plattenſee entihädigten 
(etwa 836). In die erften Regierungsjahre K. Ludwigs d. D., 
der 843 im Vertrag von Verdun das oftfränfifche Reich mit 
Bayern als Sauptland erhielt, fällt aber auch ſchon ein eriter 
Abfallsverſuch Moimird. Er hatte zur Folge, daß der deutſche 
König im Auguft 846 jelbft gegen die mährifchen Slawen 30g, 
Moimir abſetzte und ihm deffen Neffen Raltiz (Raftiflam) sum 
Nachfolger gab. Zehn Jahre fpäter (855) begann der Kampf 
zwiſchen diefem neuen mähriſchen Herzog und den Franken, 
erneuerte fi) immer wieder aug uns unbefannten Urſachen, 
bis e8 864 K. Ludwig gelang, Raftiz nad) einem erfolgreichen 
Angriff auf defien Feſte „Dowina“ (vielleicht Maidenburg 
a. d. Thaya), zu der man bon Tuln an der Donau aus gelangt 
war, zum Gelöbnis der Treue und des Gehorfams „für alle 
Beit” zu bringen. Fünf Jahre fpäter, 869, ftand Raftiz, wie es 
ſcheint, an der Spike eines weit ausgebreiteten Slawenauf⸗ 
ftandes, konnte zwar nicht im Felde befiegt werden, erlag aber 
870 den Ränfen feines mit den Franken berbündeten Neffen 
Biventibald (Smwatopluf), der das Neutraer Teilreich jelb- 
ftändig verwaltete. Gefangennahme, Auslieferung an den 
Grafen der bayrifhen Mark, Karmann, den Sohn N. Ludwigs 
d. D., Stellung vor ein aus Deutſchen und Slawen zufam- 
mengefeßtes Gericht . während der Reichsverſammlung in 
Regensburg (Nov. 870), Verurteilung zum Tode wegen Kodj- 
verrats, Begnadigung zur Vlendung und Einkerferung in 
FH nicht genannten deutſchen Kloſter war Raſtiz' trauriges 
ickſal. 


Die ſlawiſche Einwanderung. 43 





Das mähriſche Fürftentum erhielt aber nicht Zwentibald; 
es wurde vielmehr in eine fränkiſche Probing umgewandelt, die 
bon bayrifchen Grafen verwaltet wurde, wie die angrenzende 
Oſtmark, Bannonien oder die böhmifche Marf in Bayern. Sei 
es nun, daß ein ähnlicher Plan aud) betreff des Neutraer 
Randes ins Auge gefaßt wurde und auf den Widerſpruch 
Zwentibalds ſtieß oder eine PVerftimmung aus anderen 
Urſachen eintrat, die Franken bemächtigten fich auch des zweiten 
Mährerherzogs, Biventibalds, und brachten ihn an den Hof des 
Prinzen Karlmann, wo er in freier Saft Ieben konnte. Bald 
geivann er aber Karlmann fo vollfommen für ſich, dag diefer 
eine Scheu trug, ihn an die Spike eines fränkiſch-bahriſchen 
Heeres zu ftellen, das in Mähren ausgebrochene Unruhen 
unterdrüden follte. Dort angefommen, wandelte ſich jedoch 
Bwentibald aus einem ſcheinbaren Freund in einen offenen 
Feind Karlmanns, übernahm die Führung der aufftändifchen 
Mährer, vernichtete das ihm anbertraute fränfiiche Heer bis 
auf wenige, die ſich durch Flucht retten Tonnten, und vertrieb 
die bayriſchen Grafen aus dem Lande. „Die ganze aus den 
früheren Siegen gewonnene Freude der Norifer verwandelte 
fi) in Trauer und Schmerz”, Hagt der Annalift. Bon da an 
ſchien Zwentibalds Leben dem Kampfe gegen die Franken und 
der Aufrichtung eines großen felbftändigen Staates geweiht zu 
fein. Herbſte Niederlagen erlitt Karlmann und fein Heer 871 
und 872, bis ang Donauufer konnte der Mährerfürft unbe- 
bindert feinen Gegner verfolgen, Erft Verhandlungen, die 
König Ludwig d. D. mit Abgefandten Zwentibalds etiva im 
Juni 874 in Forchheim führte, ermöglichten es, zu einem 
Frieden au gelangen; vielleicht um den Preis, dab man bon 
feiten des Reiches Zwentibald volle Freiheit Tieß, feine Serr- 
ſchaft über die anderen Nachbargebiete auszudehnen. Seither 
mag der mãhriſche Herzog ſein Land ausgeſtaltet haben zu 
jenem „Großmäbren“ (f neydln Mogaßla) wie fein Reich in 
einer Schrift des grichiihen Kaiſers Konitentin Porphyro- 
genitus, die 952 verfaßt wurde, genannt erfdeint; die wirk- 
lien en insbeſondere gegen Oſten und Norden Fennen 
wir nicht. 


4 Dritter Abſchnitt. 





Aber auch mit dem fränfifchen Neid) erneuerte ſich der 
Krieg, jedoch), wie e8 ſcheint, nur aus miittelbaren Urſachen. Der 
Umftand, daß Bayern nad; dem Tode feiner drei Ießten Könige 
aus Farolingifhem Haufe, Ludwigs d. D. (876) und feiner 
beiden Söhne Karlmann (880) und Ludwig d. 3. (882), feine 
Selbftändigfeit einbüßte und unter Kaiſer Karl III. mit Welt- 
franfen vereinigt wurde, erjchütterte die Stellung und das 
Anfehen der Deutichen in der öftlihen Welt. In der Oſtmark 
felbft entftanden wirre Zuftände und böfe Verwidlungen. Eine 
heftige Fehde zweier Grafengefchlechter, die um die Serrichaft 
in biefem Nachbarland Mährens fteitten, bot Biwentibald den 
Anlaß, ſich in diefe Verhältniffe einzumifchen und einer ber 
beiden feindlichen Parteien feine mädjtige Unterftügung zu 
verleihen. Die andere ſuchte Schu bei Arnolf, Karlmanns 
Sohn, der die bayriſch-fränkiſchen Marken Karantanien und 
Pannonien verwaltete. Das führte zum mähriſch-fränkiſchen 
Krieg der Jahre 883 und 884, der bon Zwentibald mit be- 
fonderer Graufamfeit geführt worden zu fein ſcheint. Die 
fränfifchen Annalen ſchildern das Elend der heimgeſuchten 
Gebiete in düfterften Farben: die Oftmarf und Pannonien, 
„das einſt fo glüdliche”, wo die Salzburger Kirche in jahr- 
sehntelanger Arbeit ein bedeutfames deutſches Kulturwerk 
geichaffen hatte, lagen vermüftet da; die Bevölkerung beftand, 
wie e3 heißt, aus Krüppeln, Frauen und Kinder waren getötet 
ober in. die Gefangenfchaft geichleppt. Die Quelle verfichert, 
dab Bmwentibald unmenfhlih und graufam „nad Art eines 
Wolfes“ geivütet und alles Land mit Feuer und Schwert ver- 
müftet habe. Sein Heer fei jo groß geweſen, daß der Vorbei- 
marſch an einem Orte vom Morgen big zum Abend gewährt 
habe. Erjt daS Erſcheinen Kaifer Karls IH. am Ende des 
zweiten Jahres hätte dem blutigen Kampfe ein Ende gemadjt. 
In einem nicht genannten Orte im Wiener Wald (Mons 
Comianus) in der Nähe des Tulnerbaches erichien der Mährer- 
herzog vor dem Reichsoberhaupte, Ieiftete den Lehenseid umd 
ſchwor, bei de3 Kaiſers Lebzeiten nie wieder ing. Reich ein- 
aufallen. Die Bugeftändniffe, die aber Zwentibald gemadjt 
werden mußten, nennt ung die fränfifche Quelle nicht, Wich- 





Die flawifche Einwanderung. 4 





tiger für die Folgezeit wurde die Herftellung freundſchaftlicher 
Beziehungen zwijchen Biwentibald und Arnolf. Im folgenden 
Sabre (885) wurde ein Friede gefchloffen, den Arnolf wünjchen 
mußte, da er fich ſchon damals mit dem Gedanken trug, 
Karl II. zu entthronen. Als er ſich dann wirklich 887 in 
Frankfurt die deutfche Königsfrone holte, die Karl hatte 
niederlegen müffen, war er von einem bedeutenden Heere be- 
gleitet, in dem fich nebit Bahern auch Slawen befanden. Ein 
freundſchaftliches Verhältnis beitand auch noch 890, als König 
Arnolf etiva im März in Omuntesberg, einem baum zu beftim- 
menden Ort auf öſterreichiſchem Boden, mit dem Mährerherzog 
ſchwerwiegende Verhandlung pflog. Ein weſtfränkiſcher Chro- 
nift will wifien, daß Biventibald, der „König der mährifchen 
Slawen”, wie er hier benannt wird, damals dag „Herzogtum 
‘der Böhmen“ übertragen erhielt, trogdem diefe den Franken 
„bie berfprochene Treue in unverlegtem Vertrage bewahrt 
Hatten“. Welchen Glauben man auch diefer fernen Quelle zu- 
ſchreiben will, Tatjache ift, daß zwei Jahre fpäter, 892, zwiſchen 
Zwentibald und Arnolf ein neuer Krieg ausbrach. Der deutiche 
König bot eine ungeheure Macht auf: Franken, Bayer, Ala- 
mannen; ein jlawijcher Fürft Brazlam, der unter fränkiſcher 
Oberhoheit im Gebiet zwifchen Drau und Sau herrſchte, unter- 
ftüßte ihn; die wilden Ungarn, die ſchon bei den Kämpfen des 
Sahres 862 als Teilnehmer genannt werden, tauchten wieder 
auf; und ſchlieblich gelang es noch, den Bulgarenfürften 
Wladimir, deſſen Reich feit langem in einem gewiffen Gegen- 
jag zu „Sroßmähren” geftanden hatte, zu beftimmen, den 
Mährern den Salzeinfauf in feinem Lande zu fperren, ein 
Hinweis auf die Bedeutung wirtſchaftlicher Verhältniffe, wie 
ihn die Quellen jener Zeit nur äußerft felten darbieten. — Der 
Mährerherzog widerftand dieſen Angriffen von vielen Seiten 
zwei Jahre lang, erzielte felbft nad) den Schilderungen der ihm 
feindlichen Verichterftatter glänzende Siege über die Heere des 
bayriſchen Königs, ſcheint aber im Krieg des Jahres 894 den 
Schlachtentod gefunden zu haben. j 

Das harte Urteil, das insbefondere der Fuldaer Annalift, 
till ſagen: die höfiſche Duelle, der ‚Reichshiſtoriograph“, über 


46 Dritter Abſchnitt. 





Zwentibald fällt, der leidenſchaftliche Haß, mit dem er deſſen 
Nachruf ſchreibt, bilden einen Beweis, welchen Eindrud das 
Auftreten dieſes tapferen und kriegstüchtigen Fürften in 
Bayern und im ganzen Frankenreich gemacht hat. 

Diefem politifhen Kampf der beiden Moimiriden Rajtig 
und Ziwentibald gegen dag Karolingertum in den öftlichiten 
Marken des Reiches, Oftmarf und Pannonien, ging zur Seite 
ein zeitweilig mit nicht minderer Erbitterung geführter reli- 
giöſer Krieg, der fi an die Namen der mährifchen Apoftel 
Eyrill und Method Tnüpft. 

Ob Moimir ſchon Chrift war, läßt ſich mit Beitimmtheit 
nicht enticheiden‘? Bum mindeften bat zu feiner Zeit die 
bayriſche Kirche durch das Pafjauer Bistum in Mähren eine 
rege miflionäre Tätigkeit entfaltet, wie Regensburg in Böhmen 
und Salzburg in Pannonien (Weitungarn), In einem ge- 
ſchichtlichen Überblid über die Beziehungen Bayerns zu Mähren 
in früherer Beit, der Papſt Johann IX. (898—900) unter- 
breitet wurde, heißt e8: die Mährer jeien vormalg den bayri- 
ſchen Königen, dem bayriſchen Volke und den bayrifchen 
Biſchöfen unterworfen geweſen, der Paſſauer Biſchof habe fich, 
ohne Widerftand zu finden, wann immer dahin begeben, habe 
mit feinen „Landsleuten“ und wer fonft ſich dort befand, 
Synoden abgehalten und alle Firchlichen Obliegenheiten dafelbit 
erfüllt, ebenjo wie die bayrifchen Grafen in öffentlichen Ge- 
richtsſizungen Recht geiprochen, Strafen verfügt und Steuern 
eingehoben haben, ohne auf irgendwelches Hemmnis zu ftoßen. 
Wenn ſich diefe Schilderung der Verhältniffe, wie anzunehmen 
ift, auf die Zeit Moimirs bezieht, dann haben fie ſich alsbald 
ſehr zu Ungunften der bayrifchen Geiftlichfeit geändert. Im 
Sabre 852, alſo ſechs Jahre nad; Moimirs Entthronung, unter 
defjen Nachfolger Raftig, ſprach man auf einer Mainzer Synode 
von dem „rohen Chriftentum des mährifchen Volkes“. Dann 
hören wir von dem gleichgeitigen Wirken deutfcher, italienifcher 
und griechiſcher Geiftlicher, deren Streitigkeiten um die Vor- 
machtſtellung im Sande zur Feſtigung des Glaubens im Volke 
gewiß nicht beigetragen haben werden. Am wichtigſten aber 
war wohl die Verquidung der kirchlichen mit den politiſchen 


Die flawifhe Einwanderung. 47 





Verhältniffen, durch die die Stellung der deutfchen Priefter oft 
ſchwer beeinträdjtigt wurde, 

Es geſchah kurz vor dem Ausbruch des Krieges mit 
NR. Ludwig d. D. im Jahre 864, dag Raftiz ſich nad) Konitan- 
tinopel wandte und dort um geiftliche Lehrer bat, die, wie es 
beißt, dem mährifchen Volke den wahren Glauben in feiner 
Sprache beizubringen vermöchten. Ob der Erfolg griechiicher 
Miffionäre in Vulgarien, denen es zur jelben Zeit gelang, 
den dortigen Fürften Bogoris zum Chriftentum zu befehren 
und, wenn auch nicht ohne Zwang, viele feiner Untertanen zu 
taufen, irgendwelchen Einflug auf Raſtiz' Entſchluß hatte, 
bleibt dahingeftellt. Vielleicht war die politifche Wendung, die 
damals im Bulgarenreich eintrat, indem man eine längere 
Periode der Zeindfeligfeit gegen das Frankenreich abfchloß und 
au ihm in freundfchaftliche Beziehungen trat, für den Mährer- 
berzog Anlaß, feinerfeitg nad) neuen Bundesgenofjen auszu- 
ſpähen, was durch Einleitung kirchlicher Annäherung verſucht 
werden ſollte. Ging doch ſchon im Jahre 863 im Franfen- 
reiche dag Gerücht, dag der Fuldaer Hofchronift verzeichnet, 
R. Ludwig d. D. wolle gemeinſam mit den Bulgaren den 
Mährerherzog bekämpfen. 

Raſtig' Bitte in Konitantinopel hatte den Erfolg, dag ihm 
zwei griechiſche Lehrer, die ähnliche Miflionen ſchon ander- 
wärts durchgeführt hatten, Söhne eines hohen Faiferlichen 
Beamten in Theſſalonich (Salonifi), Konftantin und Method 
zugeſchickt wurden. Sie befaßen nicht nur Kenntnis der flawi- 
ſchen Sprache, die ihnen in Mähren zugute fommen Tonnte, 
jondern der ‚ältere Bruder Konftantin, der auch ſchon zum 
Prieſter geweiht war, hatte fi) daran gemacht, dag neue Teita- 
ment, mit dem Sohannesepangelium beginnend, in die ſſawiſche 
Sprache zu überfegen. Zu diefem Zwecke hatte er, ein zweiter 
Ulfilas, unter Zugrundelegung des griechiſchen Alphabetz eine 
eigene Schrift erfunden, die man die „Glagolitifa” und in 
ihrer fpäteren Ausbildung die „Kyrillika“ nennt, 

Als die Brüder in Mähren ankamen, hatten ſich hier die 
politiſchen Verhältnifie, die zu ihrer Berufung Anlaß gegeben 
hatten, wieder gewandelt oder waren in einer Wandlung ber 


4 Dritter Abſchnitt. 





griffen. Der mährijch-fränfifche Krieg von 864 hatte mit einem 
Erfolge des deutſchen Königs geendet, Raftiz hatte fich zu einem 
Frieden bequemen müſſen, das Wirken der bayriichen Geiſtlich- 
keit fand feine Erſchwerung mehr. Konftantin und Method 
£onnten zwar ihre Tätigkeit beginnen, gewannen auch Schüler, 
Ttießen aber auf den entjchiedenen Widerftand der im Lande 
weilenden deutſchen und lateiniſchen Prieſterſchaft, die vor 
allem den Gotiesdienſt in ſlawiſcher Sprache, wie ihn die 
Griechen einzuführen ſuchten, für unvereinbar erklärten mit der 
allgemeinen Kirchenordnung, die nur das Hebräiſche, Griechiſche 
und Lateiniſche für die Verkündigung des Evangeliums zuließ. 
Dieſer Widerſtand und die Unmöglichkeit für Konſtantin, eigene 
Kirchen zu weihen, Sünger zu ordinieren, mit einem Worte ein 
wirkliches ſlawiſches Kirchenweſen einzurichten, ließ ihre ganze 
Arbeit vergeblich erjcheinen. Hilfe konnte nur vom päpftlichen 
Stuhl in Rom Tommen. Konftantin entſchloß fi dahin zu 
reifen, feinen Bruder und feine tüchtigften Schüler, unter denen 
Gorazd, ein gebürtiger Mährer, an eriter Stelle genannt wird, 
mitzunehmen, Sn den eriten Wochen des Jahres 868, kurz 
naddem P. Hadrian II, am 14. Dezember 867 den päpitlichen 
Stuhl beftiegen hatte, erſchienen die Slawen in Rom. Gie 
wurden nicht nur mit bollen Ehren empfangen, ſondern erreich- 
ten nad) Ablegung des Glaubensbefenntnifjes, dag als voll- 
kommen der römifchen Kirche entiprechend befunden wurde, vom 
Papſte ein Zugeftändnig felteniter Art: die Verwendung der 
flawifchen Spradye im Gottesdienft, dag nad) einem Ausſpruch 
von berufenfter Seite „nie ein Abendländer erreicht hätte“.““ 
Der weltgefhichtliche Kampf zwiſchen Rom und der morgen- 
ländifchen Kirche, der damals durch das Auftreten des berühm- 
ten Patriarchen von Konftantinopel Photiug gegen den Papſt 
in Rom entfadyt worden war, fpielt in diefe Entwidlung der 
mähriſchen Dinge mit hinein. 

Zu einer Rückkehr nad; Mähren konnte fi) aber Konftantin 
nicht mehr entſchließen. Krankheit hielt ihn, wie es jcheint, 
dabon ab. Er zog ſich in das römiſche Kloſter San Clemente 
aurüd, nahm den Mönchsnamen Cyrill an und verjdjied dort 
am 14. Februar 869, etwa ein Yahr nad; feiner Ankunft in 
Rom. Die Fortführung feines Werkes ging auf Method über, 





Die ſlawiſche Einwanderung. “ 





der ſchon bei Lebzeiten feines Bruders die Priefterweihe vom 
Bapfte erlangt hatte, ebenfo wie einige Jünger Konftantins. 
Doc auch Method ging zunächſt nicht nad) Mähren, wohl der 
politifchen Zage, wie fie ji damals in diefem Lande geftaltet 
baben mag, Rechnung tragend. Schon früher, ſpäteſtens auf 
der Fahrt nad; Rom, hatten Konftantin und Method freund- 
Idaftliche Beziehungen zu Kozel, Pribinas Sohn und Nadr 
folger im Zürftentum am Blattenfee, angefnüpft. Zu ihm 
begab fid) Method noch 869, kehrte aber alsbald nad) Rom 
aurüd, wo ihm P. Hadrion, um einer Bitte Kozels zu will- 
fahren, den Titel eines Erzbiſchofs „von Sirmium“ verlieh. 
Segt erjt öffneten fich ihm aud) wieder die Grenzen Mährens, 
um jo mehr, als ſich Raftig zum neuen legten Kampfe gegen die 
Franken rüjtete. Allein in jeinen bald darauf erfolgten Sturz 
wurde auch der Erzbifchof hineingezogen. Wie über Raftiz auf 
einer Reichsverſammlung in Regensburg abgeurteilt wurde, 
fo wurde Method im November 870 vor ein Synodalgericht 
bayrifcher Geiftlicher geftellt. Die Hauptanklage ging dahin, 
daß er in ein fremdes Bistum eingedrungen fei. „Wenn id) 
mich überzeugen könnte, daß e3 eud) gehört, würde ich weichen, 
— doc) e8 gehört dem heil. Petrus”, lautete feine Entgegnung, 
d. h. er berief ſich auf feine Einfegung zum Erzbiſchof durch 
den Papſt. Wie die Verhältniffe aber damals lagen, konnte 
ihm der Papſt zunächſt Feine Hilfe gegen jeine Gegner zuteil 
werden laſſen. Er konnte eg nicht einmal hindern, daß nad) 
ungemein ftürmifcher Verhandlung Method, der in zorniger 
Rede feine Gegner, Erzbifchof Adalwin von Salzburg und die 
Biſchöfe Ermanrich von Pafjau und Anno von Freifing, angriff, 
ſchuldig gefprodhen und in einem deutſchen Klofter zwei und ein 
halbes Jahr in harter Gefangenfchaft gehalten wurde. Erft der 
Rückſchlag in der politiihen Entwidlung Mährens, Ziventi- 
bald erfolgreiche Erhebung gegen Karlmann, brachte ihm 
Befreiung. Der neue Papſt, Hadrians II. Nachfolger 
Sohann VIIL, der am 14. Dezember 872 gewählt worden mar, 
ſchickte wohl auf Wunſch Zwentibalds und Kozels einen eigenen 
Geſandten nad) Deutſchland, den Biſchof Paul von Ancona, der 
Methods Freilaſſung beſchleunigte, ihn in feine mähriſch- 
pannoniſche Diözefe geleitete und dort wieder einſetzte. 
BretHolg Beid. Bögmens u. Mäfrene. L 4 


50 Dritter Abfchnitt. 





Method kehrte in ein Tampfdurdmwühltes Land zurüd, 
das für ruhige geiftliche Arbeit wohl kaum den richtigen Boden 
darbot, um fo weniger, al3 auch in dem nädjiten Sabre der 
fränkiſch mähriſche Krieg weitertobte. Erft der Forchheimer 
Friede vom Sommer 874 ſchuf eine neue Lage. Allein er hatte 
auch die Wirkung, dag nunmehr die deutiche Geiftlickteit 
ihre frühere Machtitellung in Mähren zurückgewann und den 
Kampf gegen Method von neuem aufnahm. Auch ließ wohl die 
Erinnerung an die Ereigniffe des Jahres 870, in welchem 
Zwentibalds Verrat nicht nur Raftis, ſondern aud) Method ins 
Unglüd geftürzt hatte, ſich nicht jo leicht vergefjen machen. Sie 
ſtand wie ein Geſpenſt zwifchen dem Herzog und feinem Erg- 
biſchof und verhinderte ein vertrauensvolleg Zufammenarbeiten. 
Zwentibald wehrte nicht, daß Method abermals bei der Kurie 
verdächtigt wurde, er Iehre nicht im Sinne der römischen Kirche, 
Er wurde neuerdings dur ein päpitliches Schreiben vom 
14. Suni 879 nad) Rom berufen, um ſich gegen die neuen An- 
ſchuldigungen feiner Gegner zu verantworten. Und wiederum, 
wie vor einem Sahrzehnt, trug er ſcheinbar den vollen Sieg 
davon. Die berühmte Bulle P. Johanns VII. vom Juni 880, 
die Method vielleicht eigenhändig dem Herzoge überbrachte, 
ſchien beitimmt, das mährifche Kirchenweſen neu und feit zu 
geftalten. Sie beftätigte vor allem für das inzwiſchen bedeutend 
erweiterte Reich Ziventibaldg Method in der Würde eines Erz- 
biſchofs, dem das jchon beftehende Bistum in Neutra mit dem 
„Alamannen“ Wiching an der Spike und ein zweites alsbald 
neu zu errichtendes unterftellt wurden. Dem Erzbifchof und 
feinen beiden Suffraganen blieb die Fortbildung der Kirchen- 
verfaſſung belaſſen. Ihnen follten alle Kirchen und die gefamte 
Geiftlichkeit des Landes ohne Unterſchied der Nationalität, 
„jedivedes Volkes, das innerhalb der Grenzen deiner Probinz 
Iebt”, heißt e8 im Papftbrief, unterftehen; fie follten neue Bis- 
tümer erridjten dürfen, wann und wo fie es notwendig erach⸗ 
teten. Dem Fürſten war eine Mitwirkung bei der Nennung der 
Biſchöfe ſowie bei der Wahl ihrer Sitze geſichert. Die ſlawiſche 
Sprache im Kirchendienſt wurde zwar geſtattet, aber nur für 
jene Schichten der Bevölkerung, die die lateiniſche nicht ber- 
ftünden; dem Herzog und den Hohen im Lande blieb es frei- 


Die ſlawiſche Einwanderung. 51 





geftellt, den Gottesdienſt ausſchließlich in lateiniſcher Sprache 
su hören. 

Trotz der erſichtlichen Mühe, die ſich der Papſt gab, dag groß- 
mähriſche Reich in kirchlicher Beziehung unter Berüdfichtigung 
der deutſchen und ſlawiſchen Anſprüche, die fidy hier geltend 
machten, zu feitigen und die Gegenfäße zu befeitigen, wollte dag 
Werk nicht gedeihen. Schon 880 herrſchte neuer Zwieſpalt 
zwiſchen Method und Wiching einer-, Method und Zwentibald 
andererfeit3, Noch einmal griff P. Johann VIII. mit ftarfer 
Hand ein und fiherte durch ein Schreiben an den Erzbijchof 
dom 23, März 881 deijen Stellung. „Wir jubeln in Gott”, heißt 
e8 da gleid) zu Beginn, „und laſſen nicht ab, ihm unermeßlichen 
Dank zu fagen, daß er dich immer mehr in feinen Befehlen 
entflammt und zum Nuten feiner heiligen Kirche mild aus 
allen Widermwärtigfeiten reißt.“ Zugleich wurden die Umtriebe 
des Biſchofs Wiching ſcharf verurteilt, und audi der „apofto- 
lichen Briefe“ an den „ruhmbollen Fürften Sphentopulch“ 
wird gedadjt, durch die Method diefem aufs neue empfohlen 
wurde, 

Wie die nächſten Jahre für den Grsbiſchof verliefen, da fein 
päpftlicher Beſchützer bereits am 15. Dezember 882 ftarb, ob in 
Ruhe oder Kampf, ob er dauernd in Mähren verblieb oder ob 
jene großen Reifen, von denen feine Lebensbeſchreibungen 
fpreden, in dieſe Zeit fallen, ift nicht mehr feftguftellen. Am 

6. April 885 ift er auf mähriſchem Boden geftorben und in 
„leiner Nathedralfirche”, womit die Hauptkirche einer 
Biſchofſtadt gemeint fein dürfte, deren Standort aber nicht 
genannt wird, begraben worden, 

Ohne den ftarfen Salt durch eine fo kraftvolle Perfönlichkeit, 
wie eg Method war, ließ ſich aber das Werk der beiden Slawen- 
apoftel in Mähren nicht aufrecht erhalten. Method hatte den 
Mährer Goragd, wahricheinlich den im Papftbrief von 880 in 
Ausficht genommenen zweiten Landesbiſchof, zu feinem Nach- 
folger beitimmt, der an Wiching und der übrigen deutfchen 
Geiftlichfeit entichiedene Gegner beſaß. Auch hatte eg Gorazd 
berfäumt, fich in gleichem Maße wie fein Vorgänger die Unter- 
ftügung der römiſchen Kurie zu ſichern. Der neue Papſt 
Stephan V. (feit September 885) nahm in dem neu ent- 

4. 


52 Dritter Abſchnitt. 





brannten Streite zwiſchen den deutichen und ſlawiſchen Geiſt · 
lichen in Mähren einen ganz anderen Standpunkt ein als ehe- 
dem Sohann VIII. Er beorderte eine eigene Geſandtſchaft an 
den „König Buentopulf”, einen Bifchof Dominicug und zwei 
Priefter Johann und Stephan, die den Fürſten über eine Reihe 
dogmatiſcher Fragen, 3. B. auch über die zwiſchen Rom und 
KRonftantinopel ftrittige Grundfrage des „Filioque“ (ob der 
heilige Geift von Gott Water allein oder von Vater und Sohn 
ausgehe), unterrichten follten. Was die Anwendung der flawi- 
{chen Sprache bei der Meſſe und gewiſſen kirchlichen Sandlun- 
gen betrifft, jo erflärte fie Papſt Stephan für einen Mißbrauch, 
und zieh Method offen des Vertrauensbruches, denn er habe 
Papſt Johann geſchworen, fi) ihrer nie mehr zu bedienen 
Nur nad) der Leſung des Evangeliums in Iateinifcher Sprache 
dürfe deſſen Erklärung für die, die nur des Slawiſchen mächtig 
ſeien, auch in diefer weilen Sprache erfolgen. Die eigen- 
mächtige Einfegung Goragds zum Nachfolger Methods erflärte 
der Bapft für ungültig und forderte deſſen Erjcheinen vor ‚dem 
päpftlichen Stuhl. 

Dazu Fam es nidyt mehr. Es begann eine Verfolgung der 
flamwifchen Priefter, Goragd und fein ganzer Anhang jollen zu- 
nädjit eingeferfert worden fein und verließen fpäter mit Be- 
toilligung de3 Herzogs die Heimat. Im Lande des Bulgaren- 
fürften, des alten Nebenbuhlerg der mährifchen Herzöge, fanden 
fie Aufnahme, dorthin brachten fie auch die ſlawiſche Bibelüber- 
fegung Konſtantins, die Method fortgejegt hatte, dort fand fie 
ihre weitere Ausgeftaltung zur kirchenſlawiſchen Literatur im 
fpäteren Mittelalter, 

Biſchof Wiching erfreute ſich aber nur wenige Jahre ſeines 
Sieges über die ſlawiſche Geiſtlichkeit in Mähren. Bei Aus- 
bruch des letzten Krieges zwiſchen Zwentibald und Arnolf im 
Jahre 892 mußte auch er weichen; er wurde des Kaiſers Kanzler. 

Die Doppelregierung der Söhne Zwentibalds, Moimirs II. 
und Zwentobolchs, führte ſchon im Jahre 896 zu einem Bruder- 
und Bürgerkrieg in Mähren, in welchen Kaiſer Arnolf auf 
Bitten maͤhriſcher Gefandter zu Gunften des jüngeren eingriff. 
Ein bayrifches Heer befreite ihn aus der Gewalt Moimirs und 
nahm ihn „aus Mitleid” mit ſich (Sommer 899). Und wie 


Die ſlawiſche Einwanderung. 58 





Moimir politiih in die Fußtapfen feines großen . Vaters zu 
treten ftrebte, jo bemühte er fich, auch kirchlich dem Lande feine 
einftige Stellung zurüdgugeiwinnen. Er wandte fid) an Papſt 
Johann IX, (898—900) und bat um Ernennung eines Erz- 
bifchofs für Mähren, alfo um Erneuerung der jelbitändigen 
mährifchen Kirche, die mit dem Tode Methods wohl zugrunde 
gegangen fein dürfte, Allein wie ehemals, da Method im Auf- 
trage Papſt Johanns VIII, dag pannonifche Erzbistum über- 
nommen hatte, die Salzburger Kirche gegen die päpftliche Ent- 
ſcheidung in einer eigenen Denkichrift über die „Bekehrung 
der Bayern und Carantanen”:® aufgetreten war, jo erhoben ſich 
jegt ſämtliche bayriiche Biſchöfe, die von Freiſing, Eichſtädt, 
Säben, Regensburg und Paſſau, geleitet von ihrem Metro» 
politen, Erzbiſchof Theotmar von Salzburg, um mit allem 
Eifer die Wiedererricjtung der mähriſchen Nattonalfirche zu 
bereiteln und in einer Beſchwerdeſchrift den Papft von ihren 
älteren und begründeteren Rechten gu überzeugen. Hier 
weiten fie vor allem darauf hin, daß ihre Anjprüde zurüd- 
reichen bis in die ältefte Zeit, „als die Mährer zum erjten 
Male von ihnen im Chriltenglauben unterwieſen und aus 
Heiden zu Chriften gemacht worden waren“, Die Chriftiani- 
fierung jet alfo von Bayern ausgegangen. 

Wichtig ift jodann in ihrer Darlegung die Stellungnahme 
gegenüber dem Biſchofsſitz in Neutra. Sie trennen diefes Ge- 
biet nicht nur Firchlich, fondern auch politiſch von Mähren. 
Das fei nicht das alte Mährerland, und Paſſau könne feine 
Anſprüche darauf erheben. Der Herzog habe es im Arieg 
erobert, und dann erit jei die Chriftianifierung erfolgt, indem 
fi) Zwentibald vom Papfte felbft den Biſchof für dieſes Gebiet 
in der Perſon Wichings erbeten habe. Sie wenden fi dann 
bezeichnenderweife der genauen Abwägung ihrer Vorzüge 
gegenüber jenen der Slawen zu und erwidern die Beſchwerden, 
die man gegen fie vor dem Papft erhoben hatte, mit umſo 
beftigeren Anflagen über die Verheerungen' der Slawen in 
Pannonien und über deren Verbindung mit den heidnifchen 
Ungarn. Denn fon türmte ſich die Nähe und Macht diejes 
wilden Stammes für beide Völker als die große Sorge auf, die 


54 Dritter Abſchnitt. 





vom Oſten herannahte. Das auch kulturgeſchichtlich merk- 
würdige Aktenſtück jchließt dann mit folgenden Worten: 
„Wenn und die vorgenannten Slawen beſchuldigen, mit den 
Ungarn den katholiſchen Glauben verlegt zu haben, bei Hund, 
Wolf oder anderen verruchten Dingen Eide geſchworen und 
Frieden gefchloffen und dur Geld veranlagt zu haben, daß 
fie nad) Italien abziehen, jo würde, wenn zwiſchen uns vor 
Gott... und vor Eud), deſſen apoſtoliſchem Stellvertreter, 
geurteilt würde, ihre Falichheit zu Tage treten und unfere 
Unſchuld erwiefen werden. Weil nämlich die Ungarn die 
Unfern, die weit von ung entfernt wohnen, unaufhörlich 
bedrohten und durch allzu große Verfolgung ſchädigten, 
ichenkten wir ihnen — nicht Geld, fondern nur unfere 
Iinnenen leider, um ihre Wildheit einigermaßen zu 
bändigen ... Sie (die Slawen) haben jenes Verbrechen, dag 
einmal begangen zu haben fie ung fälſchlich befchuldigen, durch 
viele Jahre felbft begangen. Sie nahmen eine beträchtliche 
Zahl von Ungarn bei ſich auf, fchoren ſich nad) deren heib- 
nifcher Sitte das Haupthaar und ließen jene über ung Chriften 
los. Sa, fie kamen aud) felber herüber, machten die einen zu 
Gefangenen, erfchlugen die anderen, und tie dritten ließen fie 
wie wilde Tiere in Kerfern vor Hunger und Durft umkommen. 
Unzählige aber fchleppten fie mit ing Elend. Vornehme 
Frauen und ehrenwerte Männer bradjten fie in Knechtſchaft; 
die Gotteshäufer fteten fie in Brand und die Gebäude 
zerftörten fie, jo daß in gang Pannonien, unferer größten 
Provinz, kaum eine Kirche noch zu finden ift, was aud) Eure 
Biſchöfe wohl beftätigen Fönnten, wenn fie geitehen wollten; 
wie viele Tage fie hindurdhreiften und das Land ganz bermüftet 
fahen ... Und nad) fo vielen Schandtaten werden ihnen jetzt 
noch Wohltaten zuteil und fie treten als faljche Anfläger auf, 
bie ftet8 Verfolger der Chriften waren. Wollte wirklich jemand 
in der ganzen Welt verfuchen, es gu beweifen, daß wir gefehlt 
und ung der Billigfeit und Gerechtigkeit widerfegt haben, fo 
trete er offen auf, und man wird erkennen, dag er hinter 
gangen hat und daß wir in diefer Sache rein find, 


Die ſlawiſche Einwanderung. 55 





Deshalb bitten und beſchwören wir Euch, niemandem, der 
über ung irgend welche Verdächtigungen vorbringt, Glauben 
au ſchenken, bevor die Lage e3 nicht ermöglicht, daß wegen diefer 
en Euer Abgefandter bei ung oder der unfere bei Euch 

e." 

Die weitere Entwicklung fennen wir nicht, fondern wiſſen 
nur nod), daß zwiſchen Herzog Moimir II. und Kaiſer Arnolfs 
Nachfolger, Ludwig dem Kind, im Sahre 901 zu Regensburg 
Friede geichloffen wurde. Er kam zu fpät. Einige Jahre 
noch mochten die Bayern die immer neuen Einfälle der Ungarn 
abmwehren oder ablenfen. Am 5. Suli 907 unterlag aber der 
bayrifche Seerbann geführt von dem Grafen Liutpold von der 
Oſt· und böhmifchen Mark in einer furdhtbaren Schlaht an 
unbefanntem Ort. Liutpold, der Erzbiſchof von Salzburg, die 
Biſchöfe von Freifing und Brixen, die Blüte des bayriſchen 
Adels fiel in diefem Kampf. Die Beitgenofjen hatten das Ge- 
fühl, als ob der bayrifche Stamm nahezu vernichtet morden fei. 

Ärger noch traf das Schiefal Mähren. Es wurde — fo 
berichtet ein fränfifcher Chronift ganz kurz im Jahre 907 oder 
908 — „von den Ungarn bis auf den Grund vermüftet.” 

Die Moimiriden hatten nur die Schranken gefehen, die fich 
ihrer politifchen Entfaltung vom Weiten her durch die Franken 
entgegenfegten, nicht aber die Gefahren, die ihrem gangen 
Beſtande vom Often ber drohten. Das brachte ihren Fühnen 
Bau fo rafch zu Falle. Für mehr als ein Jahrhundert ver 
ſchwindet der Name Mährens faft völlig aus der gefchichtlichen 

berlieferung. 


Vierter Abfchnitt. 


Das Herzogtum der Premyfliden in der Zeit der 


ſachſiſchen, beyeifgen und ſtaufiſchen Kalfer. 
is 1212. 

Es bat ganz den Pi als ob erft der Untergang bes 
großmährifchen Reiches Raum gefchaffen habe für dag Empor- 
kommen neuer Staatsweſen, vor allem deg prempilidifchen auf 
böhmiſchem Boden. Schon die Kriege zwiſchen den Moimiri- 
den und den oftfränkifchen (bayrifchen) Königen und Grafen- 
geſchlechtern haben in Böhmen das politiiche Leben angeregt 
und geſtärkt, fiherlich in viel höherem Make als es unfere 
Überlieferung erfennen läßt. Denn Cosmas geht bekanntlich 
über die böhmiſche Gefchichte im 9. Jahrhundert mit auffallen- 
dem Stillſchweigen hinweg, wiewohl man aug mander feirter 
Bemerfungen erfieht, daß ihm die Entwidlung in diefer Zeit 
nicht unbefannt war. Und die fränkiſchen Quellen bringen 
zumeiſt nur kurze mit kriegeriſchen Ereignifien zufammen- 
bängende Nachrichten, weil ihnen die inneren Borfommniffe in 
Böhmen allguferne lagen. 

€3 deutet ſchon auf politifche Beziehungen zwiſchen Böhmen 
und Mähren Hin, wenn wir erfahren, daß ein Xeil des fränfi- 
ſchen Heeres, das nad) dem Krieg mit Raftiz im Jahre 846 
durch Böhmen heimzog, bier ſchwere Berlufte erlitt. Und in 
den nädjiten drei Jahren, bis 849, wiederholten fich zwiſchen 
den fränkijcd-bayrifhen Grenzgrafen und ben böhmiichen 
Herzogen die Fehden und Kämpfe immer von neuem. Nach 
furzer Ruhepaufe, wie es fcheint, brachen fie 855 nochmals aus 
und führten 857 zur Vertreibung eines böhmiſchen Herzogs 
Sclavitag, des Sohnes Wiztrachs, aus jeinem Herrichafts- 
gebiet, deſſen Lage nicht feitzuftellen if? Daß der Flücht ⸗ 
ling bei Raftig in Mähren freundlide Aufnahme fand, ſpricht 
wiederum für Zufammenhänge zwifchen beiden Ländern. An 
dem allgemeinen Slawenaufſtand bon 869 waren aud 
böhmiſche Herzöge beteiligt. Deutlich erfennbar find dann die 





Das Herzogtum ber Premyſliden. 5 





Rüclwirkungen, die der große mähriſche Befreiungsfampf unter 
Zwentibald im Sommer 871 auf Böhmen hatte. König Lud- 
wig d. D. mußte noch im Oktober oder Nobember diejes 
Sahres, um einem drohenden Einfall böhmifcher Herzöge 
nach Bayern zuborzufommen, die „Grenzhüter“ Biſchof Arn 
von Würzburg und Graf Rudolt mit Heeresmacht über die 
Grenze ſchicken. Daß es bei dieſer Gelegenheit, wie wir hören, 
dem Biſchof Arn und den Seinigen gelang, einen Hochzeitszug 
der mähriſchen Slawen zu überfallen, die „die Tochter eines 
böhmischen Herzogs” in ihr Land führten, beweiſt uns, daß die 
Beziehungen zwiſchen den Fürſtengeſchlechtern hüben und 
drüben über dag rein politifd}-militärifche Gebiet Hinausgingen. 

Sm folgenden Jahre 872 wurde der Erzbiſchof Luitbert von 
Mainz an der Spike eines fränkiſchen Heeres gegen Böhmen 
entfandt, während gleidgeitig Thüringer und Sachſen nad} 
Mähren zogen. Wir fennen die teilg ſlawiſch, teils deutich 
Zlingenden Namen jener Herzöge in Böhmen, die damals die 
Unruhen berborriefen; fie lauten: Zwentiſlan, Witiflan, 
Heriman, Spoitimar, Moiflan, Goriwoi GBoriwoi?); wo aber 
ihre Herrichaften lagen und welchen Teil Böhmens dieſe um- 
faßten, erfahren wir nicht. 

An den wichtigen Verhandlungen, die dann im Mai oder 
Juni 874 der deutſche König mit den Abgeſandten Zwentibalds 
im bayriihen Forchheim führte, um den Sriedenszuftend 
zwiſchen Mähren und den fränkiſchen Grenzmarfen wieder 
berauftellen, fcheinen auch Boten böhmifcher Herzöge teil- 
genommen zu haben, wenn es auch in der fränfikhen Quelle 
nın ganz Furz beißt: der König „hörte fie an und fertigte 
fie ab”. Dem Forchheimer Vertrag folgten aber jene zwei 
Sahrzehnte, in denen der Mährerhetzog zu feiner höchſten 
Macht emporftieg und fein Reich die größte Ausdehnung ge- 
warn. Aus der langjährigen Unterftügung, die Zwentibald 
bei den böhmifchen Serzögen gefunden hatte, Teitete er num“ 
mehr das Recht der Oberhoheit über fie ab, dag ihm nicht ver- 
wehrt werden konnte. Es iſt eine Außerung des fonft fo ver- 
ſchwiegenen Cosmas, dab Kaifer Arnolf, der allerdings erft 
feit 887 regierte, „nicht nur Böhmen, fondern auch andere 
Gebiete, nad) der böhmiſchen Seite hin big zur Eger, nad} der 


v8 Vierter Abſchnitt. 





ungarifchen bis zur Gran“ dem Mährerherzog übergeben habe. 
Allein diefe Abhängigkeit währte nur folange, als Zwentibald 
Iebte. Seinen Tod benükten die Böhmenherzöge, um fofort 
das Band, das fie an Mähren Fnüpfte, zu zerreißen und die 
„Gemeinſchaft“ mit VBahern wieder herzuftellen. Denn, wie 
eine fränkiſche Quelle verſichert, lange vor ihrer Preisgebung 
an Zwentibald hätten fie „den deutſchen NKönigen Treue 
berjprochen und in unverlegtem Vertrag auch bewahrt”. Sekt 
waren es, wie wir willen, „alle Serzöge in Böhmen“, die im 
Juli 895 in Regensburg erſchienen und an ihrer Spike „als 
die eriten“ die Prager Fürften Spitignew und Wratiflam. 
Sie unterwarfen fi), d. h. fie verſprachen im Namen aller 
anderen Treue, Gehorfam, Tribut und Nriegsdienft, der 
deutfche König ficherte ihnen Schuk und Hilfe gegen innere 
und äußere Feinde zu. 

Auf diefer Grundlage, durch feiten Anſchluß an Bayern, das 
unter Arnolf feine führende Stellung im Oſtfrankenreiche 
wieder zurüderlangt hatte, fonnte nun der Aufftieg des 
Prager Fürftenhaufes beginnen: jenes merkwürdigen Herrſcher · 
geichlechtes, das feine mahre Ahftammung fo gut zu verſchleiern 
verſtand, daß e8 jpäter feine Herkunft herleiten konnte von den 
älteften Sagengeftalten der böhmischen Geſchichte: Luboſſa 
und Premyſl. Welches immer aber feine eigentliche Herkunft 
fein mag, feine weitere Entwicklung verdankte e8 dieſem 
wichtigen politifchen Schritt, das dur; die Wirren des 
9. Zahrhundert3 geloderte uralte Band zwiichen Böhmen und 
Bayern von neuem gefeftigt zu haben; fich felber aber machte 
es zum Träger diefes Freundſchaftsbundes. Gewiß feine 
feichte Aufgabe. Der Aufitieg der jungen Dynaſtie war weder 
glatt noch mühelos, und mehrmals in den eriten beiden Zahr- 
Hunderten ſchien es, al3 ob die Premyſliden vor einem Ab- 
grund ftünden, in den fie berjinfen müßten. 

Ihr Anſchluß an das bayriſche Karolingerhaus vollzog ſich 
zu einem Zeitpunkt, da diefes feinem Ende bereit3 entgegen- 
ging. Schon 911 ftarb der letzte deutfche Rarolinger Ludwig 
„das Kind“, das Reich in voller Auflöfung zurüdlaffend. Die 
von Karl d. Gr. geichaffene Reichseinheit drohte zu zer- 
faen. -Die einftmaligen deutichen Serzontümer der Bayern. 





Das Herzogtum ber Premyſliden. 5 


Sachſen, Franken, Zothringer, die er für immer vernichtet zu 
haben meinte, lebten wieder auf und ebenfo der Kampf unter 
ihnen um die Vormadhtftellung. 

Für den jungen prempflidifchen Staat entftand die fchidfals- 
ſchwere Frage, wie er fi zu diefen neuen Verhältniffen im 
Reich Stellen, ob er Annäherung nad) der einen oder anderen 
Seite juchen oder gar nad) dem Vorbild der Moimiriden nach 
voller Unabhängigkeit ftreben wolle. Am nädjiten lag ihm 
wohl der Anſchluß an Bayern. Denn diejeg nachbarliche 
Herzogtum war für Böhmen während der Tarolingiichen Zeit 
geradezu der. Inbegriff und die Verförperung des deutichen 
Königtums geworden. War doch das feit 843 mit nur Furzer 
Unterbrechung bon 882 bis 887 ftet3 gefondert beftehende oſt · 
fränfifch-deutfche Reich „in gewiſſem Sinn ein Reich der 
Bayern geweſen, gelegentlich auch nad) ihm genannt worden,” 
Regensburg, die Reſidenz diefer deutſchen Könige, galt den 
Böhmen als politifcher und kirchlicher Ziel · und Brennpunkt. 
Und nun taudjte dag uralte bayrifche Herzogtum, das aus der 
Erinnerung des Volkes noch kaum geſchwunden fein Eonnte, 
in neuer Blüte auf: im Geſchlecht der Riutpoldinger, dag auf 
dem Boden der karolingiſchen Grafenvermaltung empor- 
gekommen war. Liutpold, bon dem es feinen Namen führt, 
beſaß unter Kaifer Arnolf die Grafenwürde in drei Grenz- 
marfen und ftand auch zu ihm in vermandtichaftlichen Be- 
diehungen. Wenn Liutpold in einer Föniglichen Urkunde von 
903 als „Herzog der Böhmen“ bezeichnet wird, jo dürfte dag 
mehr zu bedeuten haben, ala daß er, wie man annimmt, damals 
Markgraf in dem an Böhmen grenzenden Nordgau mar.’ 
Auch fonft nennen ihn die Chroniften wiederholt „Serzog 
(dux)”, ein Xitel, der in Farolingiicher Beit in Bayern nicht 
vorkommt, dagegen für die Teilfürften in Böhmen üblich; ift. 
Nach Liutpolds Tode, der ihn im Kampf mit den Ungarn 907 
ereilte, folgte ihm fein Sohn Arnolf in allen feinen Würden 
und Amtern. Ihm verdankte Bayern, daß es troß der furcht- 
baren Niederlage, die es erlitten hatte, nicht fo völlig zugrunde 
ging wie Mähren. Sein Mut und feine Tatfraft dein wilden 
Beinde gegenüber mußten in ganz Bayern um fo mehr An- 
erfennung gewinnen, als ihm bon dem jungen König Qudwig 


60 Vierter Abſchnitt. 





d. K. den man nad) dem Weiten des Reiches gebracht hatte, und 
von deffen Regierung wenig Unterftügung zuteil wurde. Als 
dann nad) Ludwigs Tod der Frankenherzog Konrad die Nach- 
folge im Reich antrat (911), verfagte ihm der Bayernherzog 
die Anerkennung und behauptete fich trotz zeitweiliger ſchwerer 
Bedrängnis bis zu Konrads Tod (918) „in voller Macht”. 
Und ebenfo ift Bayern aud) dem neuen Königtum des ſächſiſchen 
Herzogs Heinrich I. (919-936) anfangs „fremd geblieben”. 
Erft im Jahre 921 nad einer erfolgreichen Belagerung Regens- 
burgs durch König Heinrich I. gelobte Arnolf Anerkennung, 
„ober Bayern blieb ein Reid, für ſich“. 

In diefe Kämpfe Bayerns wurde Böhmen hineingezogen; 
und jo ſchwer mar bier die Rückwirkung diefer Gegenſätze 
zwiſchen Bayern und dem neu fich bildenden Deutſchen Reich, 
daß im Prempflidenhaus eine gefährlide Zwietracht eintrat: 
ber berühmte Bruderfrieg zwiſchen Wenzel und Boleſlaw. Sie 
waren Söhne des früher genannten Herzogs Wratiflam, der 
am 13. Sebruar 921, vielleicht im bayrifch-fächlifchen Krieg, 
geftorben ift. Wenzel, der ältere Bruder, war beim Tode des 
Vaters noch ein Kind von etwa zehn Jahren, jo daß eine vor- 
mundichaftliche Regierung eintrat, in die fich die Großmutter 
Ludmilla und die Mutter Drahomir teilten. Sehr bald ent- 
zweiten fie fich, nicht zulegt deshalb, weil Qudmilla, den premy- 
flidiſchen Überlieferungen getreu, die Erziehung des Thron- 
erben in chriſtlichbayriſchem Geifte geführt wiffen wollte. Ein 
Prieſter der Regensburger Kirche, namens Michael, der nad 
mals (941) dort Biſchof wurde, fol Wenzel wie einen „geliehten 
Sohn“ erzogen, diefer ihn als feinen „geiftlichen Water” be- 
traditet haben. Allein diefeg treue Feſthalten der Premyſliden 
an Bayern und deffen Herzogshaus in einer Zeit, da diejes 
feine Selbftändigfeit gegenüber dem neuen Königtum doc) 
nicht ganz behaupten Fonnte, fand im böhmifchen Fürftentum 
nicht allgemeine Zuftimmung. 8 bildete ſich eine Partei, die 
man die nationale nennen fönnte. Nicht Anſchluß an das zur 
deutfhen Königswürde emporgeftiegene ſächſiſche ‚Sersogtum 
fuchte fie, jondern vielmehr Unabhängigfeit vom Reiche über- 
haupt. Und für diefe Politif der Loslöfung, wie bon Bayern 
fo von Sadjfen, gewann man die Fürſtin Drahomir „von dem 





Das Herzogtum ber Prempfliden. 6 





berhärteten Wolf (durissima gens) der Lutizen aus der 
Provinz Stodor, deren Herz für den Glauben weniger 
empfänglic} war als ein Stein” — fo ſchildert ſie Cosmas —, 
und ihren jüngeren Sohn Boleſlaw, der in Bunzlau, öftlich 
bon Prag, eine eigene Herrihaft innehatte In diefem 
Samilienzwift murde zuerft, am 15. September 921, die greife 
Ludmilla auf Anitiften ihrer Schwiegertochter von gedungenen 
Mördern erdroffelt. Um diefe Tat zu rächen und die bayrifche 
Partei mit ihrem jugendlichen Oberhaupt Wenzel zu ſchützen, 
zog der Bayernherzog Arnolf im Jahre 922 nad) Böhmen, wie 
wir wohl annehmen dürfen, da die Quellen über den Grund der 
Unternehmung nichts angeben, 

Außerlich wurde denn auch) die Ruhe für einige Jahre ber- 
geftellt, aber im Innern gärte e3 fort. Möglich daß Unruhen 
in benachbarten ſlawiſchen Gebieten, bei den Hebellern im 
Brandenburgifchen, bei den Daleminziern im Meißniſchen, die 
dem deutſchen König etwa feit 927 viel zu ſchaffen gaben, 
das in Böhmer glimmende Feuer auflodern madjten. Am 
28. September 929 anläßlich eines Kirchweihfeſtes in Bunzlau, 
an dem Wenzel von feinem Bruder eingeladen teilnahm, wurde 
er bon diefem und einigen Mitverſchworenen niedergejtochen.* 
Man hatte Boleflaw in den Ohren gelegen und ihm zugeraunt: 
bein Bruder will dic) töten, fomm ihm zuvor, wir ftehen zu dir 
und wollen did) lieber als Herrſcher! 

Es läßt ſich verftehen und bedarf feiner wie immer gearte- 
ten anderweitigen Erklärung, daß der Bahernherzog Arnolf, 
diesmal unterftüßt vom deutfchen König Heinrich I, mit dem 
er bereit3 in gutem Einvernehmen ſiand, jofort, nod im 
Jahre 929, nad; Böhmen aufbrach, um den Aufruhr im Lande 
" zu dämmen. Binnen kurzem wurde der neue Böhmenherzog zur 
Unterwerfung gezwungen, Aber nur für wenige Jahre, Der 
Tod König Heinrid I. im Jahre 936, der Tod Arnolfg im 
folgenden Jahre, die großen Schwierigkeiten, denen ber neue 
deutſche König Otto J. der Sohn Heinrichs I., allenthalben im 
Reiche begegnete, insbefondere auch bei dem neuen Bayern- 
herzog Eberhard, Arnolfs Sohn, ermöglichten es Boleſlaw, die 
politifche Richtung, die er 929 einzujchlagen verſucht hatte, mit 
größerem Erfolge wieder aufzunehmen. Während der eriten 


62 Vierter Abſchnitt. 





bierzehn Jahre der Regierung Ottos I., von 936 big 950, ſcheint 
Böhmen, joweit eg unter der Herrichaft des Premyſliden ftand, 
feine Unabhängigkeit vom Deutichen Reich behauptet zu haben; 
vielleicht mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 946, in dem 
nad) einer abgerifjenen Nachricht in einer ſächſiſchen Duelle 
Otto I. während einer Jagd „Geifeln Boleſlaws“ feinen Leuten 
zeigen konnte. 

Man kann zuſammenfaſſend ſagen: die Umwälzungen in 
Deutſchland ſeit dem Zuſammenbruch der Karolingerherrſchaft, 
die Auflöſung der alten Ordnung, der Gegenſatz zwiſchen dem 
ſächſiſchen und bayriſchen Haufe fpalteten das premyſlidiſche 
Haus in zwei feindliche Lager, Die Elemente, die mit 
Wenzel an dem herkömmlichen Bufammengehen mit Bayern 
feſthalten wollten, mußten unterliegen, als Bayern feinen 
anfänglichen Widerftand gegen das neue ſächſiſche Königs- 
geihlecht aufgegeben hatte. Diefem Beifpiele zu folgen, Sein- 
rich I. oder Otto I. die gleichen Rechte einzuräumen, wie früher 
den bayrifchen Königen, dazu hatte Boleflaw I. und jein Anhang 
feine Veranlaffung; beftanden doch zwiſchen Premyfliden und 
dem jächfiichen Fuͤrſtenhaus bisher Feinerlei freundicdaftliche 
Veziehungen. Die Gelegenheit, vom Deutichen Reich volle Un- 
abhängigfeit zu erlangen, lag nahe. Und die allgemeinen 
Schwierigkeiten, denen das ſächſiſche Haus im Reiche ſelbſt be- 
gegnete, konnten Boleſlaw in feinem Wagnis nur beftärfen. 
Es mochte zweifelhaft ſcheinen, ob fi} Otto I., bedrängt von 
inneren und äußeren Feinden, alfobald gegen den Prempjliden 
würde wenden können, So behauptete denn Bolejlam, ſolange 
Otto I, dringendere Aufgaben zu löfen hatte, dag Feid, wenn 
aud) nur in der Abwehr. Als aber der König feiner Gegner 
in Deutichland Herr geworden war, vor allem die bier großen 
Serzogtümer Franken und Lothringen, Schwaben und Bayern 
an fich gefeffelt hatte und fi} nun mit der gefamten Macht des 
deutſchen Reiches gegen die äußeren Feinde menden konnte, 
war Boleſlaws weiterer Widerftand ausſichtslos. „Er zog es 
vor“, nad) den Worten Widufinds, des gleichzeitigen ſächſiſchen 
Geſchichtſchreibers, „fich folder Majeſtät zu unterwerfen, als 
dag äußerite Verderben zu erleiden; er ftellte fi) unter die 
ahnen, gab dem Könige Rede und Antwort und erhielt zuletzt 


Das Herzogtum der Premyfliden. 68 


Verzeihung“. Es iſt das Urteil eines neueren tſchechiſchen 
Hiſtorikers, daß Boleſſaw die nationale Selbſtändigkeit feines 
Volkes in Frage geſtellt hätte, wenn er nicht rechtzeitig die 
politiſche preiägegeben hätte.’ 

Mit dem Jahre 950 war diefer Verſuch eines erſten Un- 
abhängigfeitsfampfes der Prempjliden gegenüber dem deut- 
ſchen Königtum zu Ende. Bolejlaw I. trat in ein ähnliches 
Verhältnis zu dem deutſchen Herrſcher aus ſächſiſchem Haufe, 
wie e3 früher zwiſchen feinen Vorgängern und den bayriſchen 
Königen Farolingifchen Stammes beftanden hatte. An der be- 
rühmten Lechfeldſchlacht am 9. Auguſt 95 gegen den gemein- 
ſamen gefährlichen Feind, die Ungarn, nahm Boleſlaw oder 
wenigſtens eine böhmifche Legion mitten im deutichen Heer teil. 
Ebenſo an den fpäteren Unternehmungen Ottos I, wie gegen 
ſlawiſche Stämme an der unteren Elbe, jo gegen andere Gegner 
des Reiches, 

Doch hielt das neue Band zwiſchen Premyfliden und 
Ottonen nur fo lange feit, als die älteren Beziehungen zu 
Bayern dadurch nicht berührt wurden. Es zu lodern, gaben 
ſich Otto I. und dann fein Sohn Otto II. (973—983) alle 
Mühe. Alg nad) langen ſchwierigen Verhandlungen, die noch 
in Otto I. Regierungszeit zurüdtreichen, 973 oder 974 in Prag 
ein Bistum errichtet wurde, wurde es entgegen den uralten 
kirchlichen Beziehungen Böhmens zu Regensburg nicht der 
bayrifchen Erzdiögefe angegliedert, fondern dem ihm bißher 
fremden und fo fernen Erzbistum Mainz. Und zum erften 
Biſchof Prags wurde nicht, wie es natürlich geweſen wäre, ein 
bayrifcher Geiſtlicher erforen, jondern der Sachſe Thietmar. 
Boleſiaw II., der feinem Vater 967 in der Regierung nachgefolgt 
war, hatte fie) diefen Beichlüffen des deutjchen Hofes gefügt, 
um die wertvolle Erhöhung feines Herzogtumes in Firchlicher 
Hinficht nicht gänzlich einzubüßen. Als aber unmittelbar 
darnach, noch 974, zwiſchen dem Bayernherzog Heinrich 
dem Zänker und Kaiſer Otto II. ein Krieg ausbrach, der mit 
Unterbrechungen noch bis in die Regierungszeit Ottos III. 
(983—1002) dauerte, ftellte fi, der Böhmenherzog fofort ent- 
ſchloſſen auf die bayriſche Seite. Er blieb auch tro der 
ſchweren Verfolgungen und Friegerifchen Bedrängniſſe, die er 


[}} Vierter Abſchnitt. 





von kaiſerlicher Seite zu erdulden hatte, dem Herzoge treu. 
Erſt als alle Gegenfäge zwiſchen Bayern und dem Kaiferhof 
beigelegt waren, hat auch er im Jahre 985 Frieden geſchloſſen, 
— um binnen furzem aus anderem Anlaß der Regierung des 
minderjährigen Otto III, neue Schwierigkeiten zu bereiten. 

Die prempflidiiche Herrſchaft eritredte fi; damals noch 
lange nicht über ganz Böhmen. Wann fie im Weſten und Süd- 
weiten die bayriſche Grenze erreichte, wilfen wir nicht. Aber 
fajt ganz Süd- und Oftböhmen, von Netolig im Süden, links 
ver Moldau, big Leitomiſchl im Often an der mährifchen 
Grenze, und Glag im Norden gehörte im 10. Zahrhundert 
einem dFürſtengeſchlecht, das man nad) feinem legten Oberhaupt 
Slawnit die Slawnifinger nennt. Slawnik, der feinen Wohn- 
fig in Libig (weſtlich von Nimburg) hatte, war mit dem ſächſi - 
ſchen Königshaufe verwandt, vielleicht mütterlicherfeitg ein 
Enfel Heinrichs I., feine Frau Adelburg (ſlawiſch Stregiſſawa 
genannt) entftammte gleichfalls „edlem Geſchlechte“. Wir 
ſehen, daß in diejes Gebiet Böhmens die Beziehungen bon 
Sadjen her führen, wie in das weitliche die Bayerns. Allein 
darüber hinaug wiffen wir bon der Geſchichte dieſes Haufes 
nichts; begreiflich, denn die Preingfliden konnten nicht wün- 
ſchen, daß die Taten anderer Herrengefchlechter in Böhmen 
verewigt werben. Es ijt bezeichnend, dab Cosmag ausdrüdlich 
erklärt: „Obwohl viel merfwürdiges aus Slawniks Leben be- 
Tannt ift, wollen wir doch nur einiges wenige davon berich- 
ten... .“. Die Rüdfiht auf die regierende Familie hemmte 
feinen Griffel. 

Nach Slawniks Tod im Yahre 981 fekte alsbald die Ver- 
folgung dieſes ſächſiſch gefinnten Fürſtengeſchlechtes durch die 
Prempjliden ein, als diefe gewahr wurden, daß Kaiſer Otto IL. 
fi) feiner gegen fie, die Unterftüßer der bayrifchen Ver- 
ſchwörung, bedienen wolle. Einer von den ſechs Söhnen Slaw- 
niks, Woitiech, war für den geiftlichen Beruf beftimmt. Auf 
der damals berühmten Magdeburger Schule unter der Aufficyt 
des dortigen Erzbiſchofs Adalbert, einer Stütze der Ottonen in 
Deutſchland, hatte er feine kirchliche Ausbildung erhalten; nad) 
ihm nannte er fi} auch fortan Adalbert. Man kann es ber- 
ftehen, daß der Kaiſer darauf Gewicht Iegte, den Prager 


Das Herzogtum der Prempfliden. 65 





Biſchofsſitz, als er Ende 981 erledigt war, mit einem ihm ber- 
wandtſchaftlich naheſtehenden gebürtigen Böhmen zu beſetzen. 
Auch ſchien es, als ob ſeine Wahl anfangs allgemeine Zuſtim · 
mung gefunden hätte. „Wen denn anders“, ſoll die Verſamm - 
Iung in Lewy · Hradetz am 19. Februar 982, die zur Nennung 
des geeigneten Bewerbers berufen war, erklärt haben, „als 
unferen Landsmann Adalbert, deifen Taten, Adel, Reichtum, 
Rebenswandel jo wohl zu diefer Ehre ſtimmen“. Allerdings 
kennen wir feine Gejchichte mehr aus verherrlichenden Legen- 
den, als aus hiftorifchen Berichten. Gleich die eriten Jahre 
feiner Tätigfeit in Prag waren voll ernfter Yämpfe, die fein 
geiftlicher Biograph aus feiner ftrengen Anſchauungsweiſe in 
kirchlichen und fittlichen Dingen zu erflären fucht. Er verließ 
988 feinen Bijchofsfig und zog nach Rom, um dort ein möndji- 
ſches Leben zu führen. Nad; etwas mehr als bierjähriger 
Abweſenheit mußte er im Herbſt 992 nad; Prag zurüdfehren, 
„auf ausdrüdlichen Wunjc Herzog Bolejlams TIL“, behauptet 
feine Xebensbefchreibung, man möchte eher meinen, nad; dem 
Willen der Faijerlichen Regierung, der fi} der Böhmenherzog 
diesmal noch fügen mußte, Er nahm zmölf römifche Mönche 
mit fich, um nächſt Prag in Brewnow das erſte Benediktiner- 
Hofter in Böhmen zu begründen. Allein er verblieb in feiner 
Diözefe nur wenige Jahre, dann eilte er wieder in das ferne 
Kloſter auf dem römiſchen Aventin. Aber weder die Liebe 
feines Abtes, noch die ſchwärmeriſche Freundſchaft Kaiſer 
Ottos III. für dieſen böhmiſchen Verwandten konnten ihm 
dauernden Aufenthalt an der ihm liebgewordenen Stätte 
ermöglichen. Der Mainzer Metropolit, Erzbiſchof Willigis, der 
zugleich die Reichsgeſchäfte leitete, glaubte Adalberts in Prag 
nicht entraten zu können und beſtand auf deſſen Rückkehr. 
Adalbert zögerte, irrte in der Welt umher, verweilte Wochen 
und Monate beim jugendlichen Kaiſer, ſuchte Unterſchlupf beim 
Polenkönig Boleflam Chrabri, zu dem ſich ſchon früher auch 
einer feiner Brüder begeben hatte. Erſt von bier aus ließ er 
in Prag anfragen, ob feine Heimkehr noch erwünſcht jei. 
„Keiner ift, der ihn noch aufnähme, auch nicht ein einziger“, ſoll 
die Antwort gelautet haben. Adalbert empfing fie entgegen 
feinem gewohnten Ernjt mit „freudigem Laden” und rief: 
Bretholz. Geſch Böhmens u. Mährens. I. 5 


66 Vierter Abſchnitt. 





„D guter Jeſu, du Haft die Feſſeln gebrochen“. Er widmete 
fid) der einzigen priejterlichen Tätigkeit, die ihm noch übrig 
blieb, der Belehrung der Heiden. Im Lande der Preußen hat 
er dann am 23. April 997 durch die Lanze eines heidniſchen 
Prieſters den längſt erjehnten Märtyrertod gefunden. 

Den wahren Schlüffel zu diefem tragiſchen Geſchick des 
Sprößlings aus dem Slawnikingerhauſe gibt die Nachricht, dag 
anderthalb Yahre zubor, am 28. September, dem Wenzelstag, 
995 dag ganze Geſchlecht ausgerottet wurde: durch einen gräu- 
lichen Überfall in Libitz und Ermordung aller Samilienmitglie- 
der, die fich dort aufbielten, durch Verfolgungen, Sinrichtungen 
und andere Gewalttaten gegen Verwandte und Anhänger in 
Prag. Das große Slawnitingerreich in Böhmen fiel nun den 
Premyſliden zu, vielleicht die legte no unabhängige Herrſchaft 
im Lande, deren Geſchichte Cosmag wohl gefannt, aber faum 
andeutungsweiſe überliefert hat. Es hielt ihn dabon wohl der 
nämliche Grund ab, der ihn auch beitimmte, jede Schuld an 
der Libitzer Gewalttat vom regierenden Fürften abzumälzen; 
2olejlam wäre damals nicht „jelbftändig” geweſen, jondern 
hätte unter der Zeitung „der Grafen” gejtunden, während aus 
anderen Quellen feine unmittelbare Teilnahme an diejem 
Kampfe gegen das nachbarliche Herzogshaus deutlich hervorgeht. 
Ebenfo vorfichtig und zurüdhaltend fpricht Cosmag über die 
Geſchichte Biſchof Adalberts, fo daß fein Makel auf Boleſlaw 
fällt, mit feinem Worte erwähnt er, mag wir aus einer fächli- 
ſchen Chronik willen, da Adalberts Nachfolger, der Sachſe 
Xheodag von Boleſlaw III., der feinem gleichnamigen Vater 999 
in der Regierung gefolgt war, aus dem Lande gejagt wurde. 

Solche feindliche Stellungnahme gegen die Ottonen, die fich 
wie ein roter Faden durch die Politik aller drei Boleflawe zieht, 
mußte ihnen fchließlich verhängnisvoll werden. Boleſlaw III. 
bat an der Wende des Zahrhunderts, in demjelben Jahre, da 
Kaiſer Otto III. das Grab Adalbert in Gnejen „mit feinen 
Tränen negte“, feine ganze Serrichaft, die angeblich über Böh- 
men und Mähren hinaug bis nad Krakau reichte, verloren — 
an Polen. 

Dem :aufftrebenden prempflidiichen Herzogtum war ſchon im 
10. Jahrhundert ein gefährlicher Nebenbuhler erwachſen, das 


Das Herzogtum der Prempjliden. 67 





polnifche Reich, da3 in den Niederungen zwifchen Oder und 
Barthe entitanden war, in Gneſen feinen politiſchen Mittel- 
punkt Hatte und füdweftlich big an das heutige Schlefien reicjte, 
wo es dem böhmifchen Reich benachbart war. Noch unter 
Boleſſaw I. und. Boleflam II. beitanden freundſchaftlichſte Be- 
ziehungen zu den polnifchen Herzögen. Boleflaws I. Schweiter 
Dubrawa heiratete Meffo I. von Polen; durch fie, die 977 ftarb, 
ſoll er und ein Teil des Volkes dem Chriftentum gewonnen 
worden fein. Schon 968 wurde in Bofen ein Bistum gegründet, 
früher als in Prag, wo fidy die Verhandlungen jahrelang 
ergebni8los hingezogen hatten, Zwei Jahre por Meſkos Tod, 
990, entitand aber „grimmige Feindſchaft“ zwiichen den beiden 
Schwägern, die ſich auf Meſtos Sohn und Nachfolger, den 
Triegstüchtigen Bolejlam I. Chrabri übertrug. Er hat unter 
Otto III., genauer gejprochen unter dem Geiftlichen- und 
Srauenregiment, dag an deſſen ſtatt im Reiche jchaltete, feine 
Macht unermeßlich erweitern Finnen. „Gott verzeihe es dem 
Raifer, daß er einen Abhängigen zu einem Herrn gemacht hat“, 
lautet der Stoßſeufzer eines gleichgeitigen ſächſiſchen Chroniſten, 
Thietmars bon Merſeburg. Man erließ ihm den jdyuldigen 
Tribut, machte fein Land dur; Errichtung eines Erzbistums in 
Gnefen frei von dem Einfluß des Magdeburger Metropoliten, 
dem es bisher unteritanden hatte, wehrte nicht einmal der 
polnifchen Eroberung deutichen Grenzlandes zwiſchen Oder und 
Elbe. Und ſchließlich ftellte man den Polen auch nichts in den 
Weg, als ſie ſich des premyſlidiſchen Reiches in ſeiner Gänze 
bemachtigten. Bu Beginn des Jahres 1003 reſidierte der Pole 
in Prag, das ihn „durch feine Fröhlichfeit, wie ganz Böhmen 
durch feine Annehmlichfeit gelodt hatte”. Der Böhmenhergog 
Bolejlam III. wurde feines Augenlichtes beraubt und irgend- 
wohin nach Polen in Gefangenſchaft gebracht. Sein ältefter 
Sohn Saromir war zu Haufe von den „Seinen“ gemartert und 
für Lebenszeit zum Krüppel gemadjt worden, der jüngere 
Udalrich aber lebte fern von der Heimat am Hofe des Bayern- 
herzogs Heinrich IL. Die Premyfliden fehienen ihr Erbe ver- 
Ioren zu haben. 

Aber nun bewährte fi die auf mehr als ein Sahrhundert 
zurückreichende Freundſchaft zwiſchen Bremyfliden und Bayern. 

7 


68 Vierter Abſchnitt. 





Der genannte Heinrich II, der Sohn jenes Heinrichs des 
Zänkers, der an Bolejlam II. einen geradezu aufapfernden 
Helfer gegen die Ottonen beſeſſen hatte, war nad Ottos IH. 
Tode (3. Januar 1002) zur Würde eines deutſchen Königs 
emporgeftiegen. Raum hatte er feine Herrſchaft im Reiche ge- 
feftigt, Ttellte er den beiden Ießten prempjlidifchen Brüdern 
Saromir und Udalrich ein deutfches Heer zur Verfügung, mit 
deſſen Hilfe eg ihnen gelang, die Polen aus Böhmen zu ber- 
treiben. Am 8. September 1004 weilte dann Heinrich II, ſelber 
— es ift die erfte beftimmte Nachricht von dem Aufenthalt eines 
deutjchen Königs in Prag — auf der Burg Wifchehrad als 
Freund und Beſchützer der wieder eingejegten Premyſliden. 

Und nun erſt, da böhmifches Herzogtum und deutfches König- 
tum den eine Zeitlang verlorenen Weg freundfchaftlicher Be- 
siehungen wieder gueinander gefunden hatten, begann der 
gewaltige Aufitieg Böhmens und feineg regierenden Haufes big 
zu jenem Höhepunfte, da ein Premyſlide glaubte, aud; jelber nach 
der deutichen Königskrone greifen zu Fünnen. Diejer Aufitieg 
fällt in eine Zeit, da auch dag Deutſche Reich unter bayriſchen 
und ftaufifchen Königen zur hödjiten Machtentfaltung gelangte. 
Diefeg Zufammenfallen zweier Blüteperioden bon jeltener 
Pracht und Dauer ſcheint den Beweis zu erbringen, daß Böhmen 
und Deutfchland gegenfeitig aufeinander angemwiejen jeien, daß 
die Entwidlung in dem einen nicht ohne nachhaltige Wirkung 
auf da8 andere bleiben fönne, Irrungen zwiſchen beiden traten 
aud) fpäter noch ein, wurden aber raſch beigelegt. Die erfte 
war zugleich die fchiverfte. 

Der kühne Gedanke eines Boleflam Chrabri, Polen und 
Böhmen in einem Staatsweſen zu vereinigen und auß beiden 
ein ſlawiſches Großreich zu ſchaffen, das Deutichland im Süden 
und Often umfaßte, wurde von dem Sohne Udalrichs, Herzog 
Bretiflam 1. (1034—1055) von der böhmifchen Seite her wieder 
aufgenommen. Wie jener benüßte er einen Beitpunft tiefen 
Niedergangs des polnifchen Reiches und feines Fürfterrhaufes, 
um nicht nur die ehedem von Böhmen losgerifjenen Ränder, 
insbejondere Mähren, zurüczugewinnen, fondern ganz Polen 
au erobern. Big ing Herz des Landes, big nad) Gnefen, fonnte 
er bordringen, ohne Widerſtand zu finden. Bon dort Holte er 


Das Herzogtum der Prempfliden. 68 





nun die Gebeine de3 Slawnikingers Adalbert, des zweiten 
Prager Biſchofs, den Deutfchland und Stalien ſchon feit einem 
Mentchenalter als Heiligen verehrten, heim, um ihn im Prager 
Dom in feierlicher Weife beizufegen. Im Sommer 1039 war 
Bretiſſaw Herr von ganz Böhmen und Polen. 

Konnte das Deutſche Reich eine Vereinigung diefer Länder- 
madjt in der Hand der Prempfliden fich vollziehen laſſen? Wie 
fi) 1004 Heinrich II. der entthronten Premyfliden angenommen 
und fie nad) Böhmen zurüdgeführt hatte, jo trat jetzt Hein- 
rich III. (1039—1056) ala Befchüger des Polenprinzen Kafimir 
auf, defien Mutter Richeza dem ſächſiſchen Königshaufe ent- 
ftammte. Zwiſchen Heinrich III. und Bretiflam entitand aber 
in begreiflicher Nachwirkung dieſes deutfch-polnifchen Bünd - 
niſſes Feindſchaft und Krieg. Trotz der Heftigkeit, mit der 
er zwei Jahre lang von beiden Seiten geführt wurde, endete 
er mit der Wiederherftellung des alten Xreueberhältnifies. 
Bretiflam erfannte zuletzt, daß ein Widerftand Böhmens troß 
mancher glänzender Siege bon feiner Seite auf die Dauer 
ausgeſchloſſen war; hatte doc, ein Xeil feines Adels und 
Heeres ihn im entjcheidenden Augenblick im Stiche gelaffen. 
Anderfeit3 lag eg gewiß nicht im Sinne der deutſchen Kaiſer- 
politik, die Verhältniffe in Böhmen von Grund aus zu Ändern. 
Gegen Anerkennung der Lehenshoheit des Reiches, wie fie bis 
nun beftanden hatte, erhielt Bretijlam, der im Oktober 1041 
bor dem deutfchen König Heinrich III. in Regensburg erſchien, 
feine Serrihaft im alten Umfange zurück. 

In der nädjiten Generation, unter Bretiflams Sohn und 
zweitem Nachfolger Wratiflam i. (1061--1092) geſtalteten ſich 
die Beziehungen zwiſchen Böhmen und dem Reich bereits ſo 
innig, daß deutſche Dichter von der „nie verlegten Treue und 
der in Ariegen und durch viele Triumphe erprobten ftolzen 
Zapferfeit der Böhmen” fangen; daß Kaiſer Heinrich IV. 
(1056—1106) des Böhmenherzogg aufopfernde Mithilfe bei 
allen Reichskriegen, insbefondere in Italien, im Mai 1085 auf 
einer Reichsſynode in Mainz durch Verleihung der Königsfrone, 
allerdings zunächſt nur für deffen Perſon, Iohnte; eine Aus- 
geichnung, die der Mainzer Erzbifchof dem Papfte mit der Be- 


70 Vierter Abſchnitt. 





merkung zur Kenntnis brachte: „Darin ſtimmen alle überein, 
daß er, wen man ihm höhere Ehre und Gunſt hätte erteilen 
Zönnen, auch diefer bollauf würdig geweſen wäre”. Man Tann 
ſolche Urteile von Zeitgenofien über dieſen Premyfliden wohl 
beritehen, wenn man feine unbedingte Treue gegenüber dem 
unglüdlichen ſchwer verfolgten Kaifer vergleicht mit dem Abfall 
fo vieler deutfcher Fürſten. Und dieſes Verhältnig zu Hein- 
rich IV. konnte der Böhmenkönig fait bis ang Ende jeiner 
Regierung aufrecht erhalten, ohne dabei der Achtung des Papſtes 
Gregors VII., Kaiſer Heinrichs größten Feindes, verluftig zu 
geben, der ihm nur einmal den Verkehr mit dem gebannten 
Kaifer väterlich verweiſend vorhielt. Es ſcheint nicht bloße 
Schmeichelei geweſen zu ſein, wenn der Biſchof Lambert von 
Krakau an König Wratijlam einmal ſchrieb: „Es gibt keinen 
Türften und feinen Mächtigen, defjen Gunft und Entgegen- 
Tommen du nicht erlangen Fönnteft”. 

Nur in feinem eigenen Lande hatte er mit mannigfachen 
Widrigkeiten zu kämpfen und in feiner Familie gab es fait 
ununterbrochen Bivift, bald mit feinen Brüdern, bald mit feinem 
Sobne, bald mit feinen Neffen. Dag hängt zufammen einerfeits 
mit der ungeregelten Erbfolge, mit dem Widerftreit zwiſchen 
Seniorat (dag Recht des Familienälteften) und Primogenitur 
(das Recht des erjtgeborenen Sohnes), andererfeit3 mit dem 
Gegenjag zwiſchen Böhmen und den mährifchen Herzogtümern. 

Herzog Bretiflam hatte mit der deutichen Judith, der Tochter 
des Grafen Heinrich von der böhmischen Mark in Bayern, der 
erften ficher bezeugten deutjchen Prinzeſſin auf dem prempjli- 
difchen Herzogthron, fünf Söhne. (Siehe die Stammtafel.) 
Als er 1055 ftarb, Hinterlieg er dem älteiten von ihnen, 
Spitignew (1055—1061), da8 Herzogtum Böhmen zu alleinigem 
Befig, dem nächſten Wratiflam die Znaimer, Konrad die Brün- 
er, Otto die Olmützer Provinz und Saromir follte bei der näch- 
ften Erledigung das Prager Bistum übernehmen, Überdies be- 
ftimmte er, daß der jeweils in Böhmen regierende Herzog eine 
Art Oberherrſchaft über alle übrigen Samilienmitglieder aus- 
üben follte. Nur die Frage des Erbrechts in weiterer Folge 
ſcheint unentſchieden geblieben zu fein. Der Übergang der 
böhmischen Herzogswürde von Spitignem auf Wratiſlaw, den 





Das Gergogtum ber Prempfliben. 71 





wir in dieſer Stellung ſchon kennen gelernt haben, vollzog fich 
ruhig, weil Spitignew keine Söhne hinterlaſſen hatte. Aber 
ſchon während der Regierung Wratiſlaws erhob ſich die Frage, 
ob nad) feinem Tode fein ältefter Sohn Bretiſſaw (Primo- 
genitur) oder der ältefte Bruder Konrad (Geniorat) berechtig - 
teren Anſpruch auf den Thron Böhmens beſäße. Vielleicht nur 
die kurze Regierung Konrads (San. big Sept, 1092) ver- 
Binderte, daß darüber erniter Kampf ausbrach. Fortan fpielt 
aber das Erbfolgerecht mächtig hinein in die innere Politik 
Böhmens. Von 109 big 1125, alfo binnen dreißig Jahren, 
tegierten fünf Premhfliden, bon denen zwei durch Ermordung, 
einer durch Entthronung ihre Herrſchaft einbüßten. Beinahe 
fein NRegierungsantritt vollzog ſich ohne ſchwere Wirren, jeder 
tegierende Herzog war zeitlebeng bon Mitgliedern des engften 
Familienkreiſes, Brüdern, Vettern, angefeindet, bedroht, dag 
Sand und Volk in fich gefpalten. 

Unter folgen Verhältniſſen waren die deutfchen Könige oft 
gezwungen einzugreifen und auch mit Heeresmacht den einen 
oder anderen Prempfliden zu unterftüten. Die bedeutendfte 
derartige Unternehmung geſchah im Jahre 1125/26, als der neue 
deutfche König Lothar von Supplinburg in den Kampf der 
beiden Bewerber um den erledigten böhmiſchen Thron, 
Sobieflaw-Udalrich von der böhmischen und Otto II. von der 
mäbrifchen Linie, zu Gunften Ottos eingriff. Am 18. Februar 
1126 erlitt er bei Kulm am der böhmiſch-ſächſiſchen Grenze 
eine furdjtbare Niederlage, bei der der größte Teil des 
deutfchen Heeres in Eis und Schnee zugrunde ging und auch 
Otto fiel. Aber zwifchen dem fiegreichen Böhmenherzog und 
dem deutichen König wurde noch auf dem Schladjtfeld Friede 
und Freundſchaft geichloffen, fo fern lag es Sobieflatw-Udalrich, 
an dem erhältnis des Landes zum Reiche etwas ändern zu 
wollen. Er hatte nur für feine dynaftifchen Rechte gekämpft, 
und alg fie von Lothar anerkannt wurden, blieb er fortan — er 
ftarb 1140 — nach dem Ausſpruch eines heimifchen Chroniften 
„ber treuefte Freund des Reiches". Und ein gleiches, wenn nicht 
noch innigereg Verhältnis bildete fich nad; Furzer anfänglicher 
Rerftimmung zwiſchen Herzog Wladiſlaw IT. (1140—1175) und 
Raifer Friedrich Rotbart (1152—1190). Der einftmalige Treu- 


72 Vierter abſchnitt. 





bund zwiſchen Wratiſſlaw und Heinrich IV. erfuhr eine volle 
Wiederholung und Erneuerung. Wie damals wurde aud; jetzt 
der Prempflide durch den Titel und die Würde eines böhmifchen 
Königs ausgezeichnet (1158), allerdings wieder nur für ferne 
Perſon. Wie Wratiflam ftellte auch jet Wladiflam dem 
Kaiſer feine Völker für die großen kriegeriſchen Unterneh- 
mungen zur Verfügung: zuerſt nad) Polen, dann aber nach 
Stalien, gegen Mailand 1154, gegen Rom 1161, 1162, 1167. 
Überall haben die Böhmen mitgefämpft und zu den großen Er- 
folgen Friedrichs beigetragen, allerdings fich auch bei den Zeit- 
genofjen wegen ihrer Raubfuht und Plünderungswut einen 
berhaßten Namen gemacht. 

Eine höchſt beachtenswerte Ergänzung und Kräftigung 
erfuhren diefe freundichaftlichen Beziehungen der Fürſten beider 
Ränder no durch die Bande innigiter Zuneigung, die fich 
zwiſchen den bedeutendften Biichöfen im premyſlidiſchen Staat 
und den deutſchen Kaiſern ausbildete. Bon Adalbert und 
Otto LIT. wurde früher geſprochen. Biſchof Saromir-Gebhard 
‚bon Prag (1067—1090), der Bruder Wratiflatvs, mit dem er 
mehr als einmal in heftigiten Zwift geriet, war von 1077 bis 
1084 deutjcher Reichskanzler am Hofe Kaiſer Heinrichs IV., das 
till jagen: nicht nur der offizielle Leiter der Reichskanzlei, 
fondern auch eriter politifcher Berater des Königs und Mit- 
Ienfer der ReichSangelegenheiten. Man kann wohl behaupten, 
daß nie zubor und faum jemals wieder die Premyjliden eine fo 
angefehene und einflußreihe Stellung im Reiche innegehabt 
haben, wie zu Zeiten Heinrichs IV. Kaiſer Konrad III. 
(11387—1152) wiederum fand an dem Olmüter Bifchof Heinrich 
Shit (1126—1151)* ein ſolches Gefallen, daß er fich ihn, wie er 
ausdrüdlic erklärte, „ob feines makelloſen Glaubens in allen 
Dingen, die fich auf die Verehrung Gottes beziehen, vor allen 
Biſchöfen des Keide zum Lehrer und gleichſam zum Vermittler 
auserforen habe”. Und gleiche Verehrung ‚sollte dieſem Biſchof 
Papſt Lucius II. ee, der ihm in einem Briefe be- 
zeugt, daß er ihn ſchon vor feiner Erhebung auf den päpftlichen 
Stuhl „in aufrigitigfter Zuneigung“ geliebt habe und ihn fortan 
„nur umfo eifriger lieben und wie nur möglid) ehren wolle“. Er 
berief ihn nad; Rom, „da wir in mehreren geiftlichen Angelegen- 





Das Herzogtum ber Premyſliden. 73 





beiten deines Rates bedürfen“. Und als ihn fein Nachfolger 
Eugen IIL. zum Kaiſer entlaffen mußte, ſchrieb er diefem: 
„Sehr gerne hätten wir diefen fronımen und gottgefälligen 
Mann einige Zeit in großer Ehre und Liebe bei ung behalten, 
weil wir aber erfannt haben, daß er dir nötig ift, jenden wir 
ihn an deine Hoheit zurüd“. Ganz ähnlich, geftaltete ſich auch 
das Verhältnig zwiſchen Kaifer Friedrich Rotbart und König 
Mladiflams II. getreuem Biſchof Daniel, von dem eine gleich 
zeitige Quelle erklärt, daß er am Hofe deg Kaiſers „gerne ge- 
jehen und brauchbar war”. 

Diefes einträchtige Zuſammenwirken fo mächtiger Glieder 
im Neid, und in Böhmen, das aud) diefem Lande zu nicht ge- 
ringem Nuten gereichte, wurde aber immer von neuem geftört 
und beeinträchtigt durd) die inneren Kämpfe der Premyſliden 
untereinander, die, je weiter die Veräftelungen gediehen, umſo 
heftiger und häufiger ſich entwickelten, insbefondere nad) König 
Wladiflams II. Tod (18. Januar 1175) unter Friedrich) Rotbart. 
Der Kaifer hielt fich für berechtigt und fähig, diefem fteten 
Zwieſpalt zwiſchen böhmischen und mährifchen Prempfliden durch 
eine ebenfo wichtige als tiefeinfchneidende Entfcheidung ein Ende 
zu machen. Wie er fchon 1156 Öfterreid aus dem großen 
bayrifchen Herzogtum ausgeſchieden und felbftändig gemadjt 
hatte; wie er 1180 wiederum bon Bayern, aber auch von Sachſen 
Tleinere Herrichaften abgetrennt hatte, fo follte nunmehr auch 
Mähren von Böhmen Iosgelöft werden und fortan als reichd- 
unmittelbare Markgrafidaft ein eigenes ſtaatliches Leben 
führen (29. Sept. 1182). Die uralte von Cosmas ſchon über- 
lieferte Beftimmung, daß „das mährifche Land und feine Serren 
ftets unter der Serrfchaft des Herzogs bon Böhmen ftehen“, 
follte kraft kaiſerlicher Machtvollkommenheit endgültig auf- 
gehoben fein. Der Znaimer Herzog Konrad-Dtto, dem auch die 
Provinzen Brünn und Olmüß zugefallen waren, der aber über- 
dies Anfprüche auf den böhmiſchen Thron erhob, den er ſchon 
früher einmal: kurze Zeit beſeſſen hatte, mußte ſich mit der 
Stellung eines reichBunmittelbaren Markgrafen von Mähren 
äuftieden geben; ein anderer Prempflide, Friedrich, König 
Wladiſlaws II. Sohn, wurde in Böhmen, daraus er kurz zubor 
berjagt worden war, wieder eingeſeizt. Solange Friedrich Rob 


74 vierter Abſchnitt. 





bart regierte und eine Zeitlang darüber, blieb dieſe Verfügung 
in Kraft. Aber ſie befriedigte weder die böhmiſchen noch die 
mähriſchen Premyſliden. Beide ſahen ſich in ihren Anſprüchen 
auf das ganze Reid, verkürzt. Es kam, während Kaiſer Hein- 
rich VL fern in Italien weilte, zu neuen Mißhelligkeiten und 
Kämpfen, bis endlich am 6. Dezember 1197 — kurz vorher am 
28. September war der Kaiſer in Meſſina geftorben — die 
beiden Brüder Premyſl Otakar I. und Wladiflam im Angefichte 
ihrer fampfbereiten Heere eine Einigung in dem Ginne 
ſchloſſen, daß jener als Herzog in Böhmen, diefer als Markgraf 
im Mähren jelbitändig regieren follte, beiden aber, um bie 
ſchwer zu deutenden Worte des Chroniften zu wiederholen, 
„wie ein Sinn fo aud) eine Serrfchaft zu eigen fein möge“? 
Der neue deutihe König Philipp von Schwaben, der 1198 
den Thron beftieg, mußte fi) mit diefer Entwidlung der Dinge 
in Böhmen umfo mehr zufrieden geben, als er die Hilfe der 
Prempfliden in dem ihm beborftehenden ſchweren Kampf mit 
feinem Gegenfönig Otto von Wittelsbach benötigte. Er ſicherte 
fie ſich indem er Premyfl Otafar I. am 8. September 1198, 
als er jelber (in Mainz oder Boppard) geſalbt und gekrönt 
wurde, gleichfalls zum König von Böhmen mweihen ließ. Zum 
dritten Male Hatten die Premyfliden diefe höchſte Würde 
errungen. Würden fie fie nunmehr dauernd behaupten können? 
Premyſl Otakars I. Stellung in dem großen Thronfampf 
Philipps mit Otto, fein Verhältnis zu dem Staufer, der ihn 
erhöht hatte, war lange nicht mehr fo ar und entichieden, wie 
das feiner Vorgänger zu Kaifer Heinrich IV. oder Friedrich 
Rotbart. Von deren unbedingter Treue und Zuverläſſigkeit 
Tann bei ihm nicht mehr die Nede fein. Er hat vielmehr 
zwiſchen Philipp und Otto je nad den BZeitumftänden ge- 
ſchwankt, er hat den Lockungen und Mahnungen der päpſtlichen 
Bartei willig Gehör geſchenkt. Es ging ihm aber alles, fo 
Tühn und waghalfig er auch feine innere und äußere Politik 
betrieb, zum Glüd aus. Als er ſich von Philipp ab und Otto 
sumandte, hat ihm auch diefer die Königswürde beitätigt. Und 
als er fi) 1211 von dem mit dem Papite, feinem früheren Be- 
ſchützer, zerfallenen Otto endgültig Iosfagte und ſich dem neu auf- 
tretenden Geftirn, dem jungen Hohenftaufen Friedrich II., dem , 





Das Herzogtum ber Prempfliden. 76 





Sohne Kaiſer Heinrichs VI, anſchloß, ſicherte er ſich den 
höchſten Preis, den er zunächſt vom Kaifer erlangen konnte. Zu 
Baſel, am 26. September 1212, erhielt er eine Urkunde unter 
goldenem Siegel (Bulle), die die feierliche Beſtätigung ſeiner 
königlichen Würde für ihn und feine Nachfolger enthielt, alſo 
zum erjten Male erblich, mit der ausdrüdlichen Anerkennung: 
„in Anbetracht der glänzenden Beweiſe von Ergebenheit, die 
das ganze Volk der Böhmen von altersher dem römiſchen Reiche 
gegeben, und weil fein berühmter König ihn von Anbeginn mit 
anderen Zürften, eigentlich vor ihnen, zum Kaiſer gewählt 
habe“. Böhmens Verhältnis zum Reich wurde neu geregelt; 
die bisherigen Geldleiftungen und fonftigen Verpflichtungen 
gegen den Faijerlichen Hof wurden aufgehoben; nur noch zur 
Entgegennahme der Föniglichen Mbgeichen (Regalien), zum Be- 
fuch der Hoftage in Bamberg, Nürnberg, Merjeburg und zur 
Entfendung von 300 Bewaffneten zur Kaiferfrönung in Rom 
oder Zahlung von 300 Mark follten in Zukunft die böhmifchen 
Könige verpflichtet fein. Vier Jahre darnad), am 26. Juli 1216 
empfing Premyfl Otafar I. von Kaifer Friedrich II. zu Ulm 
eine zweite goldene Bulle, durch die die Einfegung feines 
Sohnes Wenzel zum Nachfolger in Böhmen von Kaifer und 
Neich anerkannt wurde. Die Primogenitur, die Erbfolge 
des älteften Sohnes war biemit gejeglich feitgelegt, das 
Seniorat endgültig befeitigt. Indem Wenzel zugleich mit des 
Kaiſers Geſchwiſterkind Kunigunde, der Tochter Philipps von 
Schwaben, der Enkelin Friedrich Rotbartg verlobt wurde, hatte 
Premyſl Dtafar wohl alles erreicht, was fein Herz und fein 
hoher Sinn für fi) und fein Haus begehren konnte. 

Die Zeit war gekommen, mo Böhmen, mit Hilfe des deutſchen 
Raifertums im Innern gefeftigt, Fein Spielball mehr einander 
entgegenivirfender Kräfte, unter der Führung eines mächtigen 
Hauſes feine eigenen Bahnen gehen Fonnte, ohne befürchten 
zu müffen, durch fremde Einflüffe aus diefen geworfen zu 
werden, : 

Und welches war nun die Richtung, die dag prempflidifche 
Königshaus fortan in feiner inneren und äußeren Politit 
einihlug? 


Fünfter Abſchnitt. 


Die premyſlidiſche Königszeit. 1212-1306. 


Sm Sclepptau der deutichen Reichs. und Kaiſerpolitik 
waren die premyflidifchen Herzöge vorwärts gefommen. Ob 
der deutſche Kaifer gegen Polen oder andere Slawen, gegen 
Magyaren oder ſich auflehnende deutihe Fürſten, gegen Mai- 
fand, Rom oder Neapel kämpfte, die Premyſliden Ieifteten ihm 
Gefolgiaft und Kriegsdienft gegen alle ımd jeden. Deutiche 
Fürften lehnten ſich auf gegen die deutfchen Könige, vertveiger- 
ten ihnen SHeeresfolge, Anerkennung, festen fie ab, erhoben 
Gegenkönige, — die premyſlidiſchen Herzöge, insbefondere jeit 
Wratiſlaw I., folgten willig, wenn die deutjchen Kaiſer riefen. 
Diefe Erſcheinung erklärt ſich wohl daraus, daß das eigene 
Schifflein der Premyſliden von innerer Meuterei bedroht, 
Schiffbruch hätte erleiden müffen, wenn es nicht an dag ftolze 
Kaiferfchiff angeflammert geblieben wäre. Auf diefe Weije 
ich der gewaltige Aufitieg der Premyſliden. Mit der 
endgültigen Erhebung Böhmens zum erblichen Königtum 
ftanden fie an Würde und Anfehen über allen deutſchen Re- 
gentengeſchlechtern. In Bayern, Sadjjen, in Thüringen und 
am Rhein, in Lothringen und Brandenburg gab es nur 
Herzöge oder Grafen. Böhmeng Herr führte den Titel eines 
Königs, wie das Oberhaupt des ganzen Reiches, der deutjche 
König jelber. 

Wenn man berüdfichtigt, weldje Strenge in der Rangordnung 
dazumal eingehalten wurde, dann fann man verſtehen, was es 
bedeutete, wenn Kaiſer Friedrich II. im Jahre 1280 in einem 
Schreiben den jungen böhmifchen König felbft den geiftlichen 
Zürften boranftellte, oder wenn ber Papft in einem Brief an die 
Erzbiihöfe von Salzburg und Regensburg 1230 ihn unter den 
weltlichen Fürſten an erfter Stelle nennt, von anderen Aus- 
aeihnungen, die ihm auteil wurden, abgefehen. Und diefen 
Rang hatte der Sohn dem Water zu verdanken, der fein Ber- 
hältnis zu den Iegten Staufen ausgenützt hatte, um fein eigenes 





Die prempflidifche Königsgeit. ra 





Haug zu fihern. Nach außen Hin machte eg ſcheinen, beſonders 
als die deuiſche Königstochter 1228 wirklich in Prag als Wen- 
zels Gemahlin einzog, als ob ein neuer Treubund feftefter Art 
zwiſchen Böhmen und dem Reich geſchloſſen jei. In einem 
Taiferlichen Privileg vom Juli 1231 ließ ſich Wenzel beftätigen, 
daß er ein „Nacheiferer und Nachahmer der väterlichen Ergeben- 
beit gegen den Kaiſer (Friedrich IL.), gegen deſſen geliebten 
Sohn, den deutichen König (Heinrich) und gegen dag Reich fei”. 

Für die Zeit feit 1212 trifft dieſes Urteil über Premyſl 
Otafar I. aud) zu. Die Riſſe liegen weiter zuriid; wie denn 
überhaupt diefer Fürſt zwar einer der tatfräftigften und ziel- 
bewußteſten unter allen Premyſliden war, aber perjünliche 
Xreue und politifcge Uneigennügigfeit ſehr hintanſetzte. Er 
bat feine Ehe mit feiner erjten Gemahlin Adele von Meiken 
nad) mehr, ala zwanzigjähriger Dauer gelöft, fie tyranniſch be- 
handelt und aud) die mit ihr erzeugten Kinder verftoßen. In 
der kurzen Zeit von 1198 bis 1202 hat er feine Haltung gegen- 
über den beiden deutfchen Gegenkönigen Philipp von Schwaben 
und Otto von Wittelsbach dreimal geändert, Vielleicht war es 
ihm nur auf diefe Weife möglich, feine Stellung zu behaupten 
und vor allem feinen Ehrgeiz zu befriedigen. Und diefer war 
groß. Schon im Jahre 1197, al3 er gegen feinen Bruder in 
den Kampf um dag ihm entrifjene böhmifche Herzogtum eintrat, 
ſoll er erklärt haben, lieber fterben zu wollen, als ohne Sieg 
zurückzukehren. Diefer Zug von Entichloffenheit hat ihm auf 
jeinem weiteren Weg vielfach geholfen. Otafar hat Böhmen er- 
rungen und es nicht nur troß aller Widerwärtigfeiten behauptet, 
jondern zu ungeahnter Macht und Höhe fortentiwidelt. 

Sein Sohn, der ſchon genannte König Wenzel I., der 1205 
geboren noch bei Xebzeiten des Vaters 1228 den Thron beftieg 
und nad) deſſen Tode (15. Dezember 1230) allein regierte, war 
eine ganz anders geartete Natur. Er legte Wert auf die vom 
Bater überfommene Macht und Stellung, neigte aber zu einem 
ruhigen, mehr zurücgezogenen Leben mit wenigen Begleitern 
in eigeng für ihn erbauten Kaftellen und Häufern. Er hätte 
gerne Krieg und politifchen Kampf gemieden; eg war ihm nicht 
beſchieden. Faſt feine ganze Regierungszeit ift erfüllt bon 
inneren und äußeren Streitigkeiten, zeitweife jehr erniter Art. 


78 Fünfter Abſchnitt. 





Vom Bater übernommen hat er die Yeindichaft mit dem 
benadjbarten Herzogtum Oſterreich unter dem kriegsfreudigen 
Friedrich dem Streitbaren. Wiederholt beigelegt, durch Frie- 
densſchlüſſe und Yamilienverträge ſcheinbar beendigt, brach 
dieſer böhinifcdröfterreichifche Kampf immer wieder, auch unter 
Wenzel aus, Er wurde bon böhmifcher Seite mit unfiherem 
Erfolg geführt, insbefondere weil Wenzels jüngerer Bruder 
Premyjl als Markgraf von Mähren wiederholt zu Friedrich 
bielt. Auch nach Premyſls frühen: Tode (16. Oktober 1239) 
wurde der Krieg fortgeführt und endete erit, ala Herzog 
Friedrich, „der Tete-Babenberger”, am 15. Juni 1246 in einem 
Kampfe gegen Ungarn fiel. Aber nun wurde Wenzel in einen 
noch ſchwereren Hineingetrieben, in den großen weltgejchicht- 
lichen legten Kampf zwiſchen Papfttum und SKaifertum, den 
Gregor IX. (1227—1241) und dann Innozenz IV. (1243—1254) 
gegen Friedrich II. führten. 

Kaifer Friedrich II, Friedrich Rotbarts Enkel, war feinem 
ganzen Wejen nad fein Deutfcher mehr, er war ein Sigilianer, 
alfo von jener eigenartigen orientaliſch-ſüdländiſchen Miſch- 
kultur, die ſich von der romanifcj-germanifchen fo ſtark abhob. 
Die Erhebung auf den deutſchen Thron, den nad) dem Tode 
feine Oheims Philipp von Schwaben (1208) der Welfe Otto IV. 
vier Jahre lang unangefochten innehatte, verdantte er, der früh 
Verwaifte, feinem Vormund Papſt Innozenz III., als diefer fich 
mit dem Kaiſer überwarf. Friedrich ſelber hätte nicht daran 
gedacht, das Erbe feiner Väter nod) einmal zu erringen. Nie 
vorher hatte er deutichen Boden betreten, felbit die deutfche 
Sprache beherrſchte er notdürftig; niemand in Deutſchland 
kannte ihn. Sekt verjtehen wir, marum er dem Böhmenkönig 
foviel Dank mußte, daß diefer ihn auf Veranlaffung des Papites 
als eriter anerdannt hatte, gleichfam den übrigen deutſchen 
Fürften den Weg weifend. Nur dreimal während feiner langen 
Regierung hat er in Deutichland geweilt: 1212, um fich die 
Krone zu erwerben und zu ſichern, bis 1220, dann 1235—1236 
für vierzehn, 1297 für acht Monate. Sein Reid) blieb Sizilien 
und Stalien. Und nur wegen diefer Länder geriet er in Gegen- 
fa zum Papfttum. Er hatte fi verpflichten müffen, im Falle 
feiner Krönung zum deutſchen Kaiſer auf dag fisilifche König - 


Die premyſlidiſche Königsgeit. 70 





reich zu perzichten, den Königstitel für dieſes Land abzulegen. 
Als der Papſt ihn daran mahnte, glaubte Friedrich, ſich gegen 
feine Ehre und gegen feine höchſten Pflichten zu vergehen, wenn 
er daß borzeitig in einer Zwangslage gegebene Verſprechen 
erfüllte. Daraus entitand der Streit, der in ein grauſames, von 
beiden Seiten mit wildeſtem Ingrimm geführtes Ningen um 
die Obmacht in Stalien ausartete. 

Deutſchland ift in diefen Kampf, der auf italieniſchem Boden 
ſchon feit 1225 tobte, erjt nad) 1245 hineingezogen worden, nady 
dem Papft Innozenz IV. auf dem Lyoner Konzil (Yuni) den 
KRaifer für abgejegt erklärte. Aber eine kaiſerfeindliche Partei 
gab es ſchon längere Zeit auch in Deutſchland. An ihrer Spike 
ftand der Herzog Otto IL. von Bayern, zu dem König Wenzel 
die freundichaftlichiten Beziehungen unterhielt. Es kann daher 
nicht überrajchen, wenn man vernimmt, daß auch Wenzel ſchon 
im Sabre 1240 deutlich zu diejer päpftlicden Partei im Reiche 
binneigte. Doch gelang es dem Kaiſer, den Böhmen noch einmal 
zurückzugewinnen; vielleicht weniger durch Verſprechungen, die 
er ihm in Hinficht auf Vergrößerung feines Reiches machte, als 
vielmehr durch eine Mahnung an ihr perfönliches Verhältnis, 
in einem Schreiben, dag in die Worte ausflang: er (Friedrich) 
rufe Gott zum Zeugen an, daß er nie einen Menfchen auf diefer 
Belt mehr geliebt, niemandes Ehre und Nuten mehr gefördert 
babe, was Wenzel felber wiſſen müßte, wenn er fi) die Ver- 
gangenbeit in Erinnerung rufen wollte.t 

Es war das Schwanenlied der ererbten Freundichaft zwiſchen 
SHohenftaufen und Premyſliden. Wenzel hat nod) eine Zeitlang 
yezögert, hat berfichert, ſich neutral zu halten, aber jeit 1246 ift 
er eine der Sauptitügen des Papfttums im Kampfe gegen den 
Raifer. "Und der ihn vornehmlich auf diefe für ihn und fein 
Haus gefährliche Bahn der Abhängigkeit von der Kurie gebracht 
bat, war ein deutſcher Geiftlicher aus einem der bedeutenditen 
deutſchen Sürftenhäufer, Graf Bruno von Schauenburg, den 
Innozenz IV. entgegen dem Willen des ganzen Bistums im 
Juli 1245 zum Biſchof von Olmütz ernannt hatte, um im Reiche 
König Wenzels einen fiheren Parteigänger zu haben? Welch 
ein Wandel gegenüber den Zeiten der Faifertreuen böhmischen 
Biſchöfe Adalbert, Gebhard, Daniell — Anderthalb Zahre 


80 \ Fünfter Abſchnitt. 





dauerte es, bevor diefer dem Lande und feinem Bistum völlig 
fremde Oberhirt fi) den Eintritt in feine Diögefe erzwang. 
König Wenzel ftürzte durch diefe Abkehr vom deutſchen Kaifer- 
tum fein Land in furdhtbare Kämpfe, denn die überwiegende 
Mehrzahl war noch ſtaufiſch gefinnt, anfangs auch fein Sohn 
und vorausſichtlicher Nacjfolger Premyſl Otaber (II), und es 
dauerte geraume Zeit, bis die römiſche Partei, geführt vom 
beutfchen Biſchof Bruno, ſich hier durchſetzte. 

Eben als die ganze böhmifch-mährifche Politik durch ihr 
unmittelbares Eingreifen in den Weltfampf zwiſchen Kaiſer 
und Papſt einen völligen Umſchwung erfuhr, geriet dag premy- 
flidifche Reich in die große Gefahr, von einem ganz fremden 
Feind, der aus dem fernen Dften herangezogen fam, überrann? 
au werden, bon den Tataren oder Mongolen. 

König Wengel I. führt in der heimifchen Literatur befannt- 
li den Ehrennamen eines Tatarenbezwingers und ältere Ge- 
ſchichtsbücher find boll der Heldentaten, die damals dad 
böhmifche Heer gegen diefes wilde aftatijche Volk vollführt hat, 
am Hofteiner Berg, vor Olmüg und anderwärts. Leider jpielen. 
hier wiederum. arge Urkundenfälidyungen aus dem 19. Jahr- 
hundert, fagenhafte Überlieferungen infolge hiſtoriſcher Ver ⸗ 
wechſlungen und die Volksphantaſie eine verhängnisoolle Rolle. 
Schält man den geichichtlichen Kern heraus, jo ergibt fi) etwa 
folgender wahrhafter Verlauf der Ereigniffe. 

Vom Oſten vorbredjend gelangte zu Beginn des Jahres 1241 
ein Heereszug der Mongolen bis nach Schlefien, wo fich ihm der 
dortige Herzog Heinrich, ein Schwager König Wenzels, mutig 
entgegenftellte. Die ungeheure Gefahr, die feinem Lande 
drohte, jeit Monaten vorausſehend, hatte er ſich an alle Fürſten, 
an Kaiſer und Papft um Hilfe gewandt, und der. Raifer feiner- 
ſeits hatte nicht nur dag ganze Reich. fondern aud) die Könige 
bon England und Frankreich um raſchen Beilband ange- 
rufen. Der am meiften und zu allererft Bedrohte war natürlich 
der Böhmenfönig. Es unterliegt aud) feinem Zweifel, daß er 
gerüftet hat und ausgezogen ift. Aber ivie er ſelbſt in einem 
Briefe nachher fchrieb, habe ſich Herzog Heinrich zu früh in die 
Schlacht bei Liegnig am 9. April 1241 eingelafjen, bevor ba 


Die premyſlidiſche Königageit. 8 





böhmifche Heer zur Stelle war, — „und wurde erbärmlich 
erſchlagen“. Wenzel behauptet weiter, daß die Tataren feinem 
Anmarſche, der den Zweck hatte, den gefallenen Herzog und die 
Niederlage der Schlefier zu rächen, nicht ftandgehalten hätten, 
daß fie vielmehr, „kaum dag fie unfer Vorhaben und unjeren 
Plan erkannten”, die Flucht ergriffen und in Eilmärjchen nach 
Mähren und von dort nad) Ungarn abzogen. 

So mag wohl auch damals die Lage beurteilt worden fein. 
Mlein in Wirflicfeit war die Abänderung der tatarifchen 
Marſchrichtung nicht veranlagt durch die Furcht vor einem Zu- 
fammenftoß mit dem Heere König Wenzels, fondern durch 
innere Vorgänge im mongolifchen Lager. Zwei Xage nad} der 
Kiegniger Schlacht, am 11. April, hatte ein zweites Tatarenheer 
in Ungarn am Fluſſe Sajo (rechter Nebenfluß der Theiß) einen 
weiten großen Sieg errungen und viel Beute dabei gewonnen. 
Um fie zu teilen, wurden die Anführer des ſchleſiſchen Heeres 
nad) Ungarn gerufen und folgten mit ihren Streitkräften 
diefem Beſchluſſe. Von diefem Augenblide an war die Gefahr, 
die Wenzel mit Recht „für die ganze Chriftenheit“ befürchtet 
hatte, bejeitigt. Während Wenzel die böhmiſche Nordoitgrenze 
dedte, jchob ſich das Tatarenvolk der Oder und March entlang 
nad) Ungarn zu. Aber nicht „fluchtartig“, wie der König be- 
hauptete, vielmehr dauerte der Durchzug an die vierzehn Tage. 
Gewiß hat Mähren, befonder3 der Dften, dabei ſchwer gelitten. 
Aber irgend ein beftimmteg Kriegsereignis, eine Schlacht, ein 
Bufammenftoß, ein Abwehrverſuch wird von den gleichzeitigen 
Quellen nicht überliefert. Man kann nur fagen: der Tataren- 
einfall in Mähren ftellt fi) dar als ein Verwüftungszug, der 
raſch borüberging, ala eine gefährliche Flut, die fi) aber von 
felber ſchon an der äußerften Oftgrenze brach, ohne tiefer in das 
Land einzudringen. Für jeden Fall war e8 ein welthiltorifches 
Ereignis, dag ſchon die Zeitgenoffen mächtig aufregte und in 
der Erinnerung haften blieb. Und eben dieje Erinnerung hat 
mit dem Mongolenzug all das Elend verknüpft, dag in den 
nächſten Sahren dur; andere Kämpfe über das mähriſche 
Land hereinbrad, die zufammenhängen mit einem anderen 
Ereignis von höchſter Wichtigkeit, mit dem Ausfterben der 


Bretpolz. Geſch Böpmens u. Mahrens. I. 6 


82 Fünfter Abſchnitt. 





Babenberger in Öfterreich und in der Steiermark. Der große 
Kampf um das babenbergifche Erbe, an dem Böhmen in 
allererfter Zinie beteiligt war, begann. 

Der Premyſliden Augenmerk war ſchon lange auf dag Land 
„nördlich der Donau“ gerichtet. Schon 1084 hatte fi; König 
Wratiflew, der treue Anhänger Kaiſer Heinrich IV., Hoff- 
nungen auf die Erwerbung der Oftmarf gemacht, die nicht in 
Erfüllung gingen. Jetzt, beim Erlöjchen der Babenberger im 
Mannzftamm hatten die Prempfliden die beiten Ausfichten, 
denn König Wenzels Sohn Wratiſlaw, der bereits die Mark - 
grafſchaft Mähren veraltete, war mit der einen der beiden 
babenbergifchen Erbinnen, Gertrude, Herzog Friedrichs des 
Streitbaren Nichte, vermählt. Er wurde auch wirklich nach 
defien Xode als Herzog von Oſterreich anerkannt, die Ver- 
bindung Mähreng mit Öfterreidh und Steiermark ſchien fich in 
ruhigſter Weife vollzogen zu haben und eine erledigte Sache zu 
fein. Da ſtarb Wratijlaro nad einer Regierung bon wenigen 
Monaten am 2. Januar 1947. Nun erhoben der Sailer, 
Ungarn, Böhmen Anſprüche und der eigentliche Kampf um dag 
Erbe jegte ein. Fünf Jahre wurde ein wütender Krieg ge- 
führt, in deſſen Verlauf der gefährlicjite Bewerber, der Kaijer 
Sriedrich IT. 1250 ftarb. Sein Sohn und Nadjfolger, der neue 
beutfdje König Konrad IV. aber räumte das Feld, indem er 
ſchon im Jahre 1251 Deutichland verließ, um für das unter- 
italifche Erbe des Vaters einen ausfichtslofen Kampf zu be- 
ginnen. Sein Gegenkönig Wilhelm von Holland, der ſchon 1247, 
noch bei Lebzeiten Friedrichs II. von der päpftlichen Partei 
gewählt und am 1. November 1248 auch in Wachen gekrönt 
worden war, ſchenkte der Babenbergerfrage feine Beachtung. 
Unter jolden Berhältniffen blieb der zweite Sohn Wenzels, 
Premyſl Otakar (II), der damals, wie fein verftorbener 
Bruder, Markgraf von Mähren war, Sieger. Am 21. Novem- 
ber 1251 30g er in Wien ein. „Bald gab es“, fo fchreibt ein 
öſterreichiſcher Chronift nicht ohne Übertreibung, „Leinen 
Winkel, der feiner Herrichaft widerftrebt hätte”. Und da er ſich 
überdies mit der zweiten babenbergifchen Erbin, Margaretha, 
einer um biele Jahre älteren Wittfrau, am 11. Februar 1252 in 


Die prempflidiihe Königsgeit. "88 





Hainburg vermählte, wurde feine Stellung in den neuen 
Fürftentümern jogar legitim. Allein König Bela IV. von 
Ungarn gab fich mit diefer Löſung der Frage nicht zufrieden 
und begann den Krieg bon neuem. Er bediente fh dabei der 
Kumanen, eines heidnifchen Räuberbolfes, das durch die Mon- 
golen aus feinen Wohnfigen an der unteren Donau nad) 
Ungarn gezogen und zwiſchen Theiß und Donau angefiedelt 
morden war. Diefe Kumanen ließ nun Bela anderthalb 
Sabre in Steiermark, Öfterreich, Mähren plündern, rauben, jo 
daß dieje Länder damals die ſchwerſten Leiden auszuhalten 
hatten. Die Verwüftungen in Mähren, im ganzen Gebiete bis 
nad Olmüg und Brünn infolge der kumaniſchen Einbrüche in 
den Sahren 1252 und 1258 haben dann auf die Sagenbildung 
über den Xatareneinfall von 1241 eingewirkt. 

Premyſl Otafar war diefem wilden Kampf nuf bie Dauer 
nit gewachſen. Er hätte ſich gegen Bela nicht behaupten 
können, wenn ihm nicht in feiner Not ein mächtiger Beſchützer 
au Hilfe gefommen wäre: Bapft Innozenz IV., der in Mähren, 
wie ſchon dargelegt wurde, in der Perſon des Olmützer Biſchofs 
Bruno einen glänzenden Vertreter beſaß. Um den Preis, daB 
Premyſl Otafar, der Sohn einer Staufin, der bisher fogar 
gegen den Vater und die ganze päpftliche Partei in Böhmen 
und Mähren auf der Seite der Staufer ausgeharrt hatte, fich 
endgültig von ihr losſagte, vermittelte der Papſt einen Frieden, 
der zunächit die. premhflidiichen Länder von den ungarifch- 
kumaniſchen Bedrüdern befreite, 

Wir Iennen den Wortlaut des Schwures, den der Premyſlide 
zuerſt am 17. September 1253 in Krems vor den Biſchöfen von 
Freiſing, Regensburg, Paſſau und vielen Geiftlichen, dann zum 
zweiten Male in Prag am 8, Nobember vor geiftlichen und 
weltlichen Großen in die Hard des päpftlicen Xegaten, der 
eigens zu diefem Zwecke abgefandt worden var, Ieiften mußte. 
Er lautet: „Unter unferem Eide geloben wir eurer Väterlichkeit 
nad) Laut diefer Urkunde, daß wir und die unfrigen mit unfern 
Kändern, Burgen, Städten und nad) unferm ganzen Vermögen 
der römifchen Kirche und ihrem jeweiligen Oberhirten, ſowie 
Bilhelm, dem iluftren König der Römer, folange er in Gunſt 

6 


84 Fünfter Abfchnitt. 





und Ergebenheit der römifchen Kirche verharren wird, beiftehen 
werden. Wir werden ihn treu und aufrichtig unterftügen und 
ung auf fein Verlangen, fo bald eg ung möglid; fein wird, zu 
ihm begeben, von ihm die Negalien entgegennehmen und ihm 
dienftbare Huldigung leiften. Und all das, was wir hier gelobt 
und beſchworen haben, werden wir rein, aufrichtig und ohne 
Falſch während der ganzen Zeit unfereg Lebens einhalten.“* 

Nach diefem Opfer, wenn es für ihn ein ſolches war, nad) 
dieſem Verzicht auf politifche Selbſtändigkeit in doppelter Hin- 
ficht, dem Papfte und dem von diefem anerkannten deutſchen 
Könige gegenüber, wurde dann der endgültige Frieden mit 
Ungarn am 3. April 1954 in Preßburg abgefchlofien, in dem 
der mäbrifche Markgraf zwar nicht mehr die Steiermarf, die an 
Bela IV. fiel, aber wenigiteng Dfterreich behalten durfte. Da 
aber mittlerweile König Wenzel I. am 22, September 1253 ge- 
ftorben war, befaß Premyſl Otafar II. bereits dag bäterliche 
Erbe: Böhmen. €3 ift jener Yürft, den ſchon die Beitgenoffen 
als den „goldenen König“ priefen, den die heimifche Geſchicht · 
ſchreibung alg den größten Prempfliden feiert, defjen Leben 
und Sterben durd; große deutſche Dichteriverfe verewigt wurde. 

Das Urteil über ihn muß aber anders lauten, wenn wir 
feine politiſche Xätigfeit rein Hiftorifch betradjten? Er begann 
fie als Prinz damit, daß er fich 1248, im Alter von ungefähr 
achtzehn Yahren — feine Geburtsdaten find merfwürdiger- 
weiſe nicht genau überliefert — von einer mit der Saltung 
feines Vaters unzufriedenen Partei auf den Schild erheben 
ließ, um nad) dem erften Mißgeſchick fie im Stiche zu Iafien, 
reuig zurüdzufehren und als Gnade entgegenzunehmen, was 
mit den Waffen zu erobern er fich zu ſchwach erfannte. Nur 
„auf feindlichen Rat“ habe er ſich gegen den Vater erhoben, 
erflärte er fpäter in einer Urkunde vom 10, Yuli 1254. Auch 
feine oft gerühmten militäriſchen Eigenfhaften erfcheinen in 
Wirklichkeit während der gangen Regierungszeit recht beſcheiden. 
Die Feldzüge, die er ala Prinz unternahm, fehlugen alle fehl. 
Von der Prager Burg floh er und hielt fich verborgen, während 
feine Anhänger einen Verzweiflungsfampf zu Ende führten. 
Die jpäteren Kriege gegen Bayern, gegen Ungarn verliefen oft 


Die premyſlidiſche Königszeit. 868 





recht fraglich, ſo ſehr ſie auch von ſeinen Lobrednern als Siege 
gepriefen wurden. Ein Makel an ſeinem Charakter bleibt es 
immerdar, daß er zu einer Beit, da das Haus der Prempfliden 
außer ihm feine männlichen Sproffen mehr bejaß, eine Ehe 
einging, die er doch nur als politiſches Geſchäft betrachtete. 
Natürlich hatte er neben feiner legitimen Gemahlin, der Baben- 
bergerin Margaretha, die nad dem Altersverhältnis feine 
Mutter hätte fein können, eine zweite Gefährtin, die ihm bis 
1260 bereits drei Rinder geſchenkt hatte. Bald gab er, der 
politifchen Lage Rechnung tragend, beide Frauen preis, um ein 
zweckmäßigeres drittes Band Fnüpfen zu Fönnen. 

Der hervorſtechendſte Bug in feinem ganzen Wejen ift aber 
fein blinder Gehorfam gegen das Papſttum von dem Augenblick 
an, da er fich ihm eidlich verfchrieben Hatte. Die Kurie hat 
ihm ſchwere Verpflichtungen auferlegt; er hat fie alle erfüllt. 
Sie hat ihm manch jehnlichen Wunſch abgeſchlagen, ihn hin- 
gehalten; er Hat ſich darein gefügt. Bei jedem wichtigeren 
Schritt ift es zuerft die Wohlmeinung, das „beneplacitum“ 
des Papſtes, das er einholt. Defien Wünjche und Aufträge Hat 
er ohne Zaudern durchgeführt. Schon im Sahre nach der 
Thronbefteigung unternahm er auf Innozenz’ IV. Geheiß einen 
Kreuzzug gegen die heidnifchen Preußen, der ihn bis an den 
Ort führte, der nad) ihm „Königsberg“ genannt wurde und 
fpäter gu einer bedeutenden Stadt erwuchs. Er beendete die 
weite Yahrt Sofort, als ihm die Nachricht von dem am 
7. Dezember 1254 erfolgten Tode des Papſtes zufam. Er eilte 
heim, in dem Glauben, daß dieſes Ereignis vor allem in 
Deutichland politifche Veränderungen zur Folge haben könnte. 
Denn die Frage der Wahl eines geeigneten Oberhauptes im 
Reich ftand ſchon damals auf der Tagesordnung. Der im Jahr 
1247 gegen Kaiſer Sriedri II. gewählte deutiche König 
Wilhelm von Holland galt doch nur ala ein Gefchöpf von Inno— 
zenz’ Gnaden. Die Reichsfürſten dachten wohl auch an eine 
Neumahl und es gibt Anhaltspunkte dafür, dag Otakar ſich 
ion damals (1254) Hoffnungen machte, zu biefer Würde 
emporfteigen zu können. Als er aber aber gewahr wurde, daß 
der neue Papft Wlesander IV. an Wilhelm feithielt, zog er ſich 


86 Fünfter Abſchnitt. 





fofort von jeder Mitwirkung an diefen Plänen zurüd. Dasfelbe 
Schaufpiel einer Rüdfichtnahme bloß auf die Wünfche und Ent- 
fhlüffe der Kurie bemerken wir an Otakar wieder, als die 
Wahl der beiden deutichen Gegenkönige Richard von Cornwall 
und Alfons von Raftilien 1257 vor fich ging, und ebenfo bei den 
bon den deutfchen Fürften ausgegangenen Anregungen einer 
Neuwahl in den Jahren 1262 und 1268. 

Doc} auch bei den großen Friegerifchen Unternehmungen des 
Königs fpricht nicht felten die Kurie ein entſcheidendes Wort 
mit. 413 nad, allerlei Unftimmigfeiten und Verwidlungen 
zwiſchen Otafar II, und Herzog Heinrich bon Bayern, an denen 
der päpſtliche Stuhl mit die Schuld trug, 1266 der Krieg 
zwiſchen ihnen ausbrach, war e8 ſchließlich das Machtwort Papft 
Klemens' IV., das Otakar zwang, im Mai 1267 die weitere 
Verwüftung des bayriſchen Landes einzuftellen, da die Kurie 
gedroht Hatte, „Berauber der Kirchen und Störer des dKrift- 
lichen Volkes“ durch kirchliche Strafe zu zügeln. — Noch viel 
deutlicher zeigt fi) in den Kriegen mit Ungarn Otakars Ab- 
hängigfeit vom Papſte. Der Vermittlung Innozenz’ IV., die 
zum Preßburger Frieden von 1254 geführt hatte, wurde ſchon 
gedacht. Sechs Jahre fpäter, 1260, mar der damals geſchloſſene 
Freundſchaftsvertrag bereits wieder in Brüche gegangen. Am 
12. Juli d. J. war die erfte Marchfeldſchlacht gefchlagen worden, 
die zu Otakars Gunften ausgegangen war, nidyt zulegt weil 
Belas IV. Sohn, der „wilde Stephan“, ſich durch fein unver- 
nünftiges Gebaren Adel und Volf der Steiermark, die er ber- 
waltete, entfremdet hatte. Otafar rühmte ſich in einem eigenen 
Schlachtbericht an Papft Alexander IV., daß er „das Königreich) 
Ungarn leicht hätte unterwerfen”, ja fogar „zur dauernden 
Knechtſchaft herabdrüden können“. Er begnügte fi aber im 
Friedensſchluß mit Steiermark, weil er ſich dem päpftlichen 
Willen fügen mußte, und ſuchte durch WBermählung mit 
Belas IV. Entelin, Runigunde von Halitſch (28. Oftober 1261), 
freundfchaftliche Beziehungen anzufnüpfen, Aber nad) Belas 
Tod (1270) eröffnete Stephan V. den Kampf um das durch feine 
Schuld verloren gegangene fteirifche Land und bedrängte Dta- 
tar fo feier, daß er am 3. Yuli 1271 einen rafchen Frieden 


Die premyſlidiſche Königsgeit. 87 





abſchließen mußte, Er brad) ihn, als König Stephan im Auguft 
des folgenden Jahres ftarb und nur einen minderjährigen Sohn 
Zadislaus hinterließ. Das böhmifche Heer rächte die früheren 
Greueltaten der Ungarn durch furchtbares Wüten und Morden 
in deren Lande. Da griff aber Papft Gregor X. gleichiam 
als natürlicher Beſchützer des jungen ungariſchen Königs ein. 
Seinen Bitten, überhaupt von einem Angriff abzuftehen, hatte 
Dtafar Fein Gehör geſchenkt. Als aber der Papit, kaum dab 
der Krieg im Zuli 1273 begonnen hatte, die deuiſche Königs- 
frage in ernite Verhandlung zog, brach Otafar die ungariiche 
Unternehmung fofort ab, verzichtete auf alle Eroberungen, um 
fi die Gunft des Papites in diefer für ihm wichtigſten Ange- 
legenheit nicht zu verfcherzen, 

Eroberungen mit dem Schwerte find dem Böhmenkönig nur 
wenige geglüdt. Mehr Erfolg hatte er auf dem Wege diplo- 
matifcher Verhandlungen, für die er in dem Olmützer Bifchof 
Bruno einen beſonders begabten Berater beſaß. Ihm ver- 
dankte er, daß er der länderreichlte Fürſt feiner Zeit wurde, 
in „neun Landen” — Böhmen, Mähren, Öfterreich, Steiermark, 
Kärnten, Krain, windiſche Mark, Portenau und Eger — fi) 
Herrſcher bezeichnen konnte. Es lag ein Schein von Wirklichkeit 
in den Worten, mit denen ihn fein Kämmerer Andreag im 
Sahre 1272 zum ungarifchen Krieg. anfpornte: „Welcher 
Sterbliche kann mit deiner Macht auf Erden verglichen wer- 
den?” — Dazu kam fein ungeheurer Reichtum an Edelmetall 
dank der böhmifchen Bergwerke. Schon das Einkommen feines 
Vaters ſchätzte man in Deutfchland auf 100.000 Mark, während 
man das des Brandenburgers und des Kölner Nurfürften nur 
auf 50.000, da8 des Herzogs bon Bayern auf 20.000, daS der 
Erzbifchöfe von Mainz und Trier. auf 7000 und 3000 umd das 
des Herzogs von Sachſen nur auf 2000 anfchlug. Von Otalar 
aber fchrieb ein deutſcher Chronift: er habe Türme voll Gold 
und Silber angefammelt. “ 

Es hätte vom Machtſtandpunkt ihm nicht als Anmaßung 
ausgelegt werden fönnen, daß ihm die deutjche Königskrone am 
eheften gebühre. Man kann nicht nachweiſen, daß er fich jemals 
offen um fie beworben habe, aber der Gedanke beherrſchte ihn 


88 Fünfter Abſchnitt. 





feit 1254 ohne Unterlaß. Seine ftillen Hoffnungen und die 
heimlichen Alüfterungen von Höflingen und Schmeichlern 
erfuhren aber eine bittere Enttäuſchung, ala am 1. Oftober 1273 
der „dürftige” Graf Rudolf von Habsburg zum deutfchen 
König erwählt wurde" Nach Otakars Überzeugung „zum 
Schaden des Reiches und zu feinem Nachteil“, wie er jelber 
dem Bapite jchrieb, weshalb er fich auch der Wahl enthalten habe. 
Und in einem zweiten, vielleidt nur formelhaften Schreiben 
beflagte er fich über „die Fürſten Deutfchlands, denen die Macht 
sufteht, die Könige zu wählen”, weil fie feine Nechte mißachtet 
hätten. Er malte den „beflagenswerten Zuſtand“ des Reiches 
aus, das jegt einem „gewiſſen wenig geeigneten Grafen” an- 
vertraut an „Perſonen“ gelangt fei, „die die Unberühmtheit 
verbirgt, die aller Machtfülle entbehren und bon der Laft 
drüdender Armut gequält feien”. Der päpſtliche Stuhl dürfe 
es nicht dulden, die Welt nicht auf ſich nehmen, daß die hödhite 
Mürde „Niedrigen und Schwachen übertragen werde, da 
biedurc jene Macht, der der Araber gedient, der Inder untertan 
war, der Staler gehorchte und der Hifpaner zumillen gewefen, 
und der die ganze Welt in Ergebenheit gehuldigt habe, das 
deutiche Königtum, der Mißachtung preisgegeben werde. Das 
Reich ſelbſt rufe daher den päſtlichen Stuhl um Schuß, nad) 
ihm verlange es in feiner großen Bedrängnis, feinem Urteil 
fi) unterwerfend bitte und flehe e8, erbarme dich, mildefter 
Vater!" 

Zu ſpät. — Die Gründung einer mitteldeutfchen Großmacht 
aus den böhmifchen, öfterreichifchen Ländern und dem 
Deutihen Neid, wäre vielleicht möglich gewejen, wenn der 
Böhmenkönig fein Ziel auf anderem Wege verfolgt, nicht nur 
die Gunft der Kurie, fondern aud) die der deutſchen Fürften zu 
erlangen verſucht hätte, Vielleicht wäre damals eine ſolche 
Gründung nicht zum Nachteil Deutſchlands und deutſchen 
Volkstums ausgegangen. Wurde doch erſt Fürzlich die Der- 
mutung außgefprodhen, daß der deutſchen Königskrone, wenn 
fie Otafar TI. und feine Nachfolger getragen Hätten, dank ihrer 
Macht „der alte Glanz“ zurüdgegeben worden wäre” — 
Dagegen ließ ſich ein friedliches Nebeneinander Deutſchlands 





Die prempflidifche Königsgeit. 8 





unter einem neuen Königshaus und des durch Öfterreic, ver- 
ftärften Böhmen unter dem uralten Premyſlidengeſchlecht kaum 
erwarten. 

Schon im Herbft 1276 fehien eg zum Kampf zwiſchen Rudolf 
und Otafar fommen zu follen. Dan lag vollfommen gerüftet 
und Eriegöbereit vor den Mauern Wiens, Da dürfte es Biſchof 
Bruno, „dem treuen Überreder”, gelungen fein, feinen Herrn 
und König zu einem berluftreichen Frieden zu beitimmen, um 
eine größere Gefahr von ihm abzuwenden. Am 21. Nobem- 
ber 1276 im Lager Rudolfs vor Mien lieferte Otafar alles aus, 
bis auf feine zwei Erbländer Böhmen und Mähren. Und auch 
diefe nahm er vom König als Reichslehen und Ieiftete ihm dafür 
den Treueid. Rudolf und fein Gefolge hatten den Eindrud, 
Otakar vollziehe die Handlung des Kniefalls „mit gebrochenem 
Mute“. Sehr bald mußten fie fi) überzeugen, dag im Herzen 
de3 Böhmenfönigs und feines Anhangs ein herber Stachel 
zurückgeblieben war, der jeden zwiſchen den beiden Nachbar - 
reihen ausbrechenden Zwiſt big zur äußerften Gefahr eines 
neuen Krieges fteigerte, 

Gegen Ende 1276 mußten über die richtige Auslegung 
einiger ftrittiger Artikel des Friedensvertrages zwifihen den 
Vertretern beider Könige neue Verhandlungen eingeleitet 
werden, die umfo ſchwieriger verliefen, als fie begleitet waren 
von heftigen Kämpfen an der mährijch-öfterreichiichen Grenze 
zwiſchen den Anhängern Rudolfs und Otakars. Aber den 
ernten Bemühungen des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, 
den Rudolf, und Biſchof Brunos, den Otakar an die Spike 
ihrer Bevollmächtigten geftellt hatten, gelang e8, am 6, Mat 
1277 in Wien ein borläufiges Abkommen zu treffen, das 
die Unklarheiten des vorjährigen Friedensſchluſſes befeitigen 
und die inzwiſchen entitandenen Mißhelligkeiten ausgleichen 
follte. Es wurde dann nad) neuerlichen Verhandlungen am 
12. September in Prag in einen förmlichen Friedensvertrag 
umgetwandelt. Man wollte dadurd, wie es in der Urfunde 
ausdrüdlich heißt, „eine noch feftere und reinere Grundlage für 
ben Frieden und die Eintracht“ beider Fürften und ihrer 
Länder ſchaffen. Beſonders das Verhältnis des Böhmenkönigs 


oo Fünfter Abſchnitt. 





zum Deutſchen Reich, das ſich während des Interregnums be- 
greiflicherweife bielfady verwiſcht haben mochte, wurde von 
neuem feftgeftellt. Allem voran fteht die Anerkennung der 
Iandeshoheitlichen Rechte Otafars, wie fie feine letzten Bor» 
fahren bejaßen. Beide Herrſcher verpflichteten ſich weiters zu 
gegenfeitiger Hilfe gegen alle Anfechter ihrer Stellung. Für 
des Reiches Notdurft wäre aber Otafar zur Unterftügung nur 
verpflichtet, wern er vom römijchen König hiezu aufgefordert 
würde und aud) dann nur in dem Maße, wie e8 ihm gezieme 
(prout nos decuerit); darüber hinaus, d. h. mit größerer 
Seeresmacht, nur gegen entiprechende Vergütung, wie fie auch 
anderen Fürſten zuteil werde. An einer Romfahrt des deut- 
ſchen Königs zum Empfang der Kaiſerkrone fei der Böhmen- 
könig, wenn er dazu aufgefordert würde, verpflichtet perjün- 
lic) teilzunehmen, oder doch bei rechtmäßiger Verhinderung für 
würdige Stellvertretung zu forgen. Dagegen entband Rudolf 
Otakar gnadenweife für eine beitimmte Zeit vom üblichen 
Beſuch angefagter Hoftage. Wie ſchon bei allen früheren Ver- 
einbarungen verſprach Otafar allen jenen, die aus feinen 
beiden Ländern in der vergangenen Sriegszeit Rudolf bei- 
geitanden, bei feinem Eid feine Gnade und völliges Vergeſſen; 
nur wenn fie ſich fortan etwas gegen ihn zuſchulden kommen 
ließen, unterlägen fie gleich anderen Iintertanen den Landes- 
gejegen; — um nur einige der wichtigſten Beftimmungen 
herauszuheben. 

Doch auch dieſe Abmachungen waren auf Sand gebaut. 
Gerade die hier eingehend behandelte Angelegenheit der ehedem 
abtrünnigen böhmiſch mähriſchen Adligen führte zur Ent- 
zweiung. Am 31. Oftober 1277 anttvortete Otalar dem König 
Rudolf auf ein Schreiben, dag diefer „in der Sache der Witigo- 
nen und anderer unferer böhmifchen Diener“ an ihn gerich- 
tet hatte, dag aber nicht erhalten ift, jo daß wir die Beſchwerden, 
die Rudolf gegen Otafar erhob, nicht fennen. Der böhmifche 
König beflagt ſich hier darüber, dag Nudolf diefe böhmiſchen 
Randesangehörigen (terrigenae) ala „jeine Diener“ betrachte; 
daß fie, die durch Treueid ihm verpflichtet jeien und denen 
niemals eine Ausnahmsſtellung zugeſtanden worden fei, nun- 


Die premyflidiiche Königszeit. 9 





mehr fo behandelt würden, als ob fie in den Frieden mit einge- 
ſchloſſen wären, Nur feine Gnade habe er ihnen zugefagt und 
berfprodden, im Hinblid auf Rudolfs Bitte für fie ihre Schuld 
zu bergefien. Er verlangt gegenüber feinen Untertanen die 
bolle Wahrung feiner Hoheitsrechte, in demfelben Maße, wie 
fie feine Vorgänger innegehabt haben, und fordert dieſes Recht 
aud) im Namen de3 Reichs, da die Schwächung des Einzelnen 
die Schwächung des Ganzen bedeute. Er hat denn aud) damals 
einige feiner Gegner im böhmischen Adel mit Gewalt unter- 
worfen, Boreſch von Rieſenburg noch vor dem Januar 1278 
binridjten, andere gefangen nehmen laſſen und fie wohl auch 
ihrer Güter beraubt. 

Es läßt fich zwar nicht beftimmt nachweiſen, ift aber doch recht 
wahricheinlich, daß dieg jener Brief fei, den die „Sahrbücer 
Otakars“, alfo eine heimische Duelle, dahin kennzeichnen, „daß 
er mehr zum Kampf aufforderte, als daß er den Friedenskuß 
gebracht hätte“. Sfterreichifche und deutſche Chroniften ſprechen 
bon geheimen Verbindungen, die Otafar damals mit Fürften 
und Großen in allen Teilen des Reichs anfnüpfte, indem er 
fie durch Geld von Rudolf abwendig zu machen ſuchte; fie be- 
richten bon dem „häuslichen Unfrieden“, dem Dtafar ſchon 
feit feiner Unterwerfung ausgefegt ivar und ftellen die Königin 
NRunigunde als feinen Dämon hin. Und ganz ohne Wirkung 
{Keinen diefe Umtriebe nicht geblieben zu fein. 

Sm Mai 1278 kam Rudolf, der fich ſeit mehr als Jahresfriſt 
in Wien aufhielt, einer gegen ihn gerichteten Verſchwörung auf 
die Spur, die von Heinrich von Kuenring, Otakars Schwieger- 
fohn,® im Bunde mit der Wiener Bürgerfamilie Paltram ge- 
plant war. Sie wurde ftreng geahndet, allein Rudolf ſah nun 
aud) ar, daß, wie er an den Pfalzgrafen Ludwig und ähnlich 
auch anderwärts hinſchrieb, „wir den Krieg mit ihm in feiner 
Weife werden vermeiden können“. Und König Ladislaus von 
Ungarn klagt er, wie feine Leute in Oſterreich durch ſchwere 
Angriffe des „neidifchen Gegners” bitter verfolgt würden und 
bittet ihn und defien Große um ihre werktätige Unterſtützung. 

Der Nleinkrieg ſcheint insbefondere im  nordiveftlichen 
Sfterreich ſchon feit Anfang Juni gewütet zu haben im Gebiet 


o⸗ Fünfter Abſchnitt. 





von Waidhofen a. d. Th. und Gmünd, in welch letzterem Orte 
1722 anſäſſige, den Zeitgenoſſen mit Namen bekannte Menſchen 
verbrannt wurden, die zahlreichen Fremden nicht mitgerechnet. 
König Otakar brach aber mit feinem Hauptheer erſt gegen Ende 
de8 Monats, nicht vor dem 27., von Prag auf. In Brünn 
wartete er dann den Zuzug feiner Verbündeten ab, zu denen 
vornehmlich die fchlefiihen und polnischen Fürſten gehörten, die 
er für fi) geivonnen hatte, indem er auf die ſprachliche und 
Blutsverwandtſchaft hinwies und fie vor dem „unerfättlicyen 
Schlund der Deutſchen“ warnte. Sie waren für den 5. Juni 
nad) Troppau beordert. Aber felbft die ſüdböhmiſchen Rofen- 
verge waren am 13. Juli erft im Begriffe auszuzichen. Nach 
den St. Yafobztag (25. Yuli) langte Obafar mit feiner 
Krieasmacht an der öfterreichifchen Grenze bei Drofendorf an, 
da3 unter dem Landmarſchall von Meikau ſechzehn Tage 
MWiderftand Ieiftete, bevor eg fi dem Böhmenkönig ergab. Bon 
bier 30g diefer weiter gegen Laa, mit deifen Belagerung und 
Ginnahme er weitere zwölf Tage zubradjte. Am 20. Auguft ſetzte 
er den Vormarſch in der Richtung zur March, nach Jedenfpeu- 
gen, fort. Da ftieß er auf die erften Truppen bom Heere 
NRudolfs, der am 14. Auguft von Wien aus nad) Überfefung 
anf das linke Donauufer gegen Marchegg gezogen ivar, wo er 
fich mit den Ungarn vereinigte. Gemeinfam rückte man mardj- 
aufwärts bis nad, Dürnfrut, auf eine Meile weit Otafar ent- 
gegen. Hier, zwiſchen Sedenfpeugen und Dürnfrut, auf dem 
den Böhmentönig wohl vertrauten Marchfeld, wo er vor 
achtzehn Zahren (1260) fiegreich gegen König Bela IV. von 
Ungarn gefämpft hatte, Fam es zur entjcheidenden Schlacht. 

Am 26. Auguſt 1278, in der zweiten Marchfeldſchlacht, wurde 
Otakar von Rudolf befiegt und fand den Tod, erfchlagen von 
perſönlichen Feinden aus der öſterreichiſchen Nitterfchaft. Der 
Leichnam wurde von Rudolf in feierlicher Weife zuerft in Wien 
beigefegt, dann nad Bnaim, zulegt nad) Prag überführt und 
dort im Dome beftattet, 

Für den Eommer 1278 Hatte Dtafar bor Jahren dem 
Rapfte Gregor X. einen Kreuzzug ing Heilige Land zugefagt, 
um die Entiheidung in dem unaußweichlichen Kampf mit dem 


Die premhſlidiſche Königszeit. os 





neuen König hinauszuziehen und eine Wendung zu ſeinen 
Gunſten zu erwirken. Jetzt war die ganze Angelegenheit zu 
ſeinem und ſeines Landes Unheil entſchieden. Die päpſtliche 
Politit Wenzels und Otakars hatte dieſe Wendung herbei- 
geführt. 

Wohl das ärgfte Geſchick, ein wahres Elend traf Otafard 
Sohn und Nachfolger, den fiebenjährigen Wenzel? Bei den 
Sriedensverhandlungen des Jahres 1276 war eine Doppel- 
verlobung zwifchen den Kindern Dtafars und Rudolfs ver- 
einbart worden. Wenzel follte Guta, feine Schweſter Agnes 
Rudolfs gleichnamigen Sohn, den Herzog bon Oſterreich 
heiraten. Nun ſchienen alle dieje Pläne über den Saufen 
geworfen. 

Der nächſte Anverivandte des gefallenen Böhmenkönigs war 
der Markgraf Otto von Brandenburg, der Gatte der Schweiter 
Dtafars, Beatriz. Der „Schrecken“ und die allgemeine 
„Beitürzung”, die nad) dem Unglüd der Marchfeldſchlacht am 
Prager Hof und im ganzen Lande plaggriffen, veranlaßten die 
Königinwitwe, die ungariſche Kunigunde, Otto um raſcheſte 
Silfe zu bitten. Er Sam früh genug, um ſich Prags, verjchie- 
dener Burgen und Städte in Böhmen zu bemädhtigen, und ſich 
ala berufener Beſchützer der königlichen Familie und des Landes 
aufzufpielen. Rudolf konnte ihn daran nicht hindern, da er 
zuerſt Öfterreich und dann Mähren fich fihern mußte. Schließ- 
lich (November 1278) wurde vereinbart, daß für die nädjiten 
fünf Jahre Böhmen in der Verwaltung Ottos, Mähren in der 
Rudolfs unter der Statthalterfchaft Biſchof Brunos verbleiben 
follte; die Glager Grafichaft fiel damals an Herzog Heinrich IV. 
von Breslau, der gleichfalls mit Heeresmacht in Böhmen ein- 
gedrungen war. Die Königinwitive, die ſich mit Otto bald 
überwarf, fuchte und fand mit ihren Rindern bei König Rudolf 
väterlihen Schu, nur Bring Wenzel wurde Otto überantivortet 
und nad) Brandenburg mitgenommen, wo er nad; böhmiſchen 
Quellen ein armfeliges Leben führte, 

Diefe Neuordnung der Verhältniſſe im premyſlidiſchen 
Reiche bewährte ſich aber nicht nur nicht, fondern führte zu fo 
furtbaren inneren Wirren und Kämpfen, daß diefe fünf Jahre 


94 Fünfter Abſchnitt. 





(1278—1283) als einer der traurigften Abſchnitte in der Ge- 
Ihichte der Länder Böhmen und Mähren gelten müſſen. 
Gleichzeitige Berichte kennzeichnen die Verhältniffe zur Genüge. 
Eine öfterreichifhe Quelle jchreist, daß nad) Otakars Tod „die 
Edeln Böhmens wie Glieder ohne Haupt miteinander in arge 
Zwietracht gerieten und felber dag böhmijche Land duch Raub 
und Krieg verwüſteten, jo daß in vielen Orten und Dörfern 
weder Menjchen noch Tiere zu finden waren”. Eine andere: 
„Damals herrſchte großes Elend in Böhmen, Die Adligen 
jelber verwüjteten ihr Land, fo dag man mit Recht fagen 
Tann: Wehe dem Lande, defien König ein Kind ift.“ Eine 
dritte: „... und nad) kurzer Zeit begann e8 (das bon der 
Marchfeldſchlacht heimfehrende böhmiſche Volk) das eigene 
Rand mit Raub und Brand zu vernichten. Iſt es doch eine 
ſehr häßliche Gewohnheit oder vielmehr Verderbtheit unferes 
Volkes, wenn es gegen den Feind zieht oder heimfehrt, das 
eigene Land wütender als der Feind zu verwüſten und 
anftatt ein Abwehrer der Feinde ein feindlicher Zerftörer 
feiner Nachbarn zu fein.“ 

Der Einmarſch des Brandenburger, der Schlefier und 
ſchließlich Rudolfs von Habsburg mit ihren Heeresmaſſen 
haben das Elend begreiflicherweiſe noch vergrößert. Viel 
Schuld trug an der Entwidlung der Dinge jedenfalls das 
zügellofe Regiment Ottos in Böhmen und jeimeg dort ein- 
gejegten Statthalters, des Biſchofs Gerhard von Brandenburg, 
den eine Quelle als den „gewalttätigen Förderer aller Böfe- 
wichte“ bezeichnet. Im Sahre 1280 mußte jogar Rudolf unter- 
ftüßt von mehreren deutſchen Fürften noch einmal nad) 
Böhmen ziehen, um mit Otto neue ereinbarungen zu 
treffen. Aber viel wurde dadurch an den wirren Zuftänden 
nicht geändert, bejonders da die Brandenburger an „Prag 
und den übrigen Städten“ ftarfe Unterftügung fanden. 
Wichtig ift zu erwähnen, daß nad) den Angaben der „Prager 
Jahrbůcher“ damals viel Fremde „als Edelleute, Mittelitand 
und niedrige Volk“ in Böhmen fein Glüd verſuchten, dann 
aber auf den Befehl des Markgrafen nach den Befchlüffen des 
Weihnachtslandtages von 1280 wieder außgetrieben wurden; 


Die prembflidifche Königsgeit. 85 





als „Auszug (exitus) der fremden Deutſchen“ von der 
Quelle gefennzeicnet. 

Wenn aber derjelbe Chronift die weitere Entwidiung jo 
barftellt, al3 ob darnad), nad) der Befreiung des Landes von 
den fremden Elementen, gleichſam das goldene Zeitalter 
anbrach, indem er berficyert, dab von diefem Augenblid an, 
jeit Beginn 1281, das Volk wieder auflebte, die in die Wälder 
Entflohenen in ihre Heimftätten zurüdfehrten, jeder wieder an 
fein Gejchäft ging, der Bauer die Hand an den Pflug, der 
Handwerker an feine Arbeit legte, der Zimmermann zu bauen 
begann, die Frauen Roden und Spindel drehten, — und wie 
er jonft dag idylliſche Bild ausmalt, jo wiſſen wir aus anderen 
ebenfo zuberläffigen Quellen, daß die inneren Wirren noch 
lange fortdauerten.° 

Auch mit der Rückkehr des jungen Wenzel aus Branden- 
burg nad) Prag am 24. Mat 1283, deſſen ſich als feines zu- 
fünftigen Schwiegerfohnes König Rudolf in jeder Hinficht 
anzunehmen ſuchte, trat Feine Beflerung ein. Denn der 
zwölfiährige Knabe geriet zunächſt ganz in Abhängigkeit von 
feinem Stiefoater, dem Witigonen Zawiſch von Falkenſtein, 
einen böhmifchen Adligen, der Otakars II. Wittve, Königin 
Nunigunde, geheiratet Hatte und, wie e8 ein heimiſcher 
Chronift kurz und bündig ausdrüdt, „allein alleg anorönete, 
dem allein alle gehorchten“. Er ftellt ihn hin ala den „fried- 
jeligen Feind, den heimtückiſchen Freund, der mit Worten 
liebäugelte und dann eg beritand, mit Taten rüdlings zu 
ftechen“. Er arbeitete vor allem gegen die eheliche Verbindung 
Wenzels mit Guta von Habsburg. Er konnte fie hinaus- 
ſchieben, aber nicht verhindern; am 4. Zuli 1287 erfolgte nad} 
ftattgehabter Vermählung der Einzug der Habsburgerin in 
Prag. Die habsburgiihe Partei im Lande erhielt nun in 
der neuen Königin einen fihtbaren Mittelpunkt und in Niko 
laus, einem unehelichen Sohn Dtafars II, ein führendes 
Oberhaupt; der Kampf mit Zawiſch und feiner mächtigen 
Abelsfippe begann. Drei Jahre wehrte fie fi; am 3, Yuguft 
1290 endete Zawiſch auf dem Schafott. Sein Stiefjohn König 
Wenzel und deifen Halbbruder Nikolaus haben dag Urteil 


os Fünfter Abſchnitt. 


über ihn verhängt. Allein im Hintergrunde ragt die rächende 
Hand der Habsburger empor, weil Zawiſch das freundſchaftliche 
Verhältnis, das ſie zu den Premyſliden ſuchten, zerſtören wollte. 
So leicht war dieſes auch nicht herzuſtellen, da der Schatten des 
unglücklichen Königs Dtafar dazwiſchen jtand. 

Rudolfs ehrmürdige Geftalt fehien ihn, folange er lebte, 
beſchworen zu haben. Aber nad) feinem Tode, der ſchon am 
13. Juli 1291 eintrat, ftieg er ftärfer als je früher von neuem 
empor:'denn das Verhältnis zwiſchen den beiden Schwägern, 
Wenzel I. und Albrecht I., Rudolfs I. Sohn und Nadifolger, 
dag fchon bei deifen Lebzeiten zeitweilig getrübt war, artete in 
offene Feindfchaft und Fehde aus. Die Habsburger gerieten 
in arge Bedrängnis. Zuerſt büßten fie die deutiche Königs- 
krone ein, die am 3. Mai 1292 Adolf von Nafjau zufiel, für 
den ſich auch Wenzel als deutſcher Kurfürſt ausſprach. Bald 
aber gerieten ſie auch in Gefahr, ihr öſterreichiſches Erbe zu 
verlieren. Albrecht mußte ſich entichließen, die Gnade feines 
Schwagers, des Gatten feiner Schweiter Guta, demütigft zu 
erflehen. Im Jahre 1293 kam 23 zu einem Gegenftüd von 
Otafarg feinerzeitigem niefall vor Rudolf im Jahre 1276. 
Jetzt mußte ſich nach der Schilderung des böhmifchen Hof- 
roniften der Haböburger vor dem Premyſliden tief beugen, 
um Vergebung für feine Vergehen gegen ihn bitten mit den 
Worten: „Herr König, da ich mir bewußt bin, ohne eure 
Schuld mich gegen euch vergangen zu haben, biete ich nicht 
nur das Herzogtum Öfterreich, fondern auch meinen eigenen 
Zeib zu euren Dienften an und flehe um Verzeihung. Ich 
bitte euer Rittersmann fein zu dürfen, und verjpreche, mit 
dem Herzogtum Oſterreich euch von jet an als Vaſall zu 
dienen. Eure königliche Hoheit möge mich milde aufnehmen 
und möge nicht geftatten, daß mir, der ich Verzeihung erbitte, 
don meinen Untertanen eine fo unheilbare Schmach zugefügt 
werde. Sie möge mid; mein eigen Brot eſſen laffen und 
fortan iverde ich von dem Wege eurer Befehle nicht mehr 
abweichen.” Worauf der Böhme: „Wiewohl wir Urſache 
hätten, eud; Übles mit Üblem zu vergelten, wollen wir doch aus 
Töniglicjer Gnade alles dus, worin ihr euch gegen ung ber- 





Die prempflidifche Königsgeit. 97 





gemgen, gänzlich nadyjehen. Und wenn mir euch in eurer Treue 
beftändig finden, wollen wir euch uneingedenk des Vergangenen 
in allem Ungemad als unfer Xiebden fügen.” — Welch ein 
Wandel der Zeiten! 

König Wenzel ftieg in den nächſten Jahren ſcheinbar zu 
immer größerer Macht. Er war ſchon vorher (9. Oftober 
1292) Oberherr von ganz Schlefien und Kleinpolen geivorden, 
er gewann eine lehensherrlie Gewalt über Sachſen und 
Meiben. In den Pfingftfeiertagen 1297 fand mit päpftlicher 
Genehmigung die Krönung und Salbung des Königspaares 
in Brag durch den Mainzer Erzbifchof Gerhard von Eppenftein 
in Anweſenheit zahlreicher weltlicher und geiſtlicher Fürſten — 
auch Herzog Albrecht bon Oſterreich war anweſend — ftatt, 
mit einer Pracht und einem Aufwand, „deilengleichen noch 
Tein König, weder Aſſur noch Salomo gefeiert haben“, 

Wie ein glangvolles Abendrot beftrahlte diejes Feſt das 
ftolge Lebenswerk der Prempfliden. Bald follte Dämmerung 
und finftere Nacht folgen, 

Wenige Tage ſchon nach all der Luſtbarkeit, am 18. Juni 
1297, ftarb die Königin Guta an den Folgen einer Früh - 
geburt. Noch im jelben Jahre begannen die erſten Schwierig - 
feiten in ®olen, die zunächſt noch beigelegt wurden. 
Aug der Erhebung des Herzogs Albrecht von Oſterreich zum 
deutfchen König nad) der Befiegung Adolfs von Nafjau in 
der Schlacht bei Göllheim (2. Juli 1298), an der auch böhmifches 
Heer auf öfterreichifcher Seite kämpfte, am 27. Juli desfelben 
Jahres, zog Wenzel für den Augenblid Nutzen, in Wirklichkeit 
war e3 eine abermalige Überflüglung der Prempfliden durch 
die Habsburger. Wenzel II. erhielt dag Egerer und Pleißner 
Land, die Würde eines „Hauptmanng und Vikars des Reiches“ 
und andere Vergünftigungen; „zur teilweiſen Wieder- 
erftattung deiner Rechtſchaffenheit und Xreue”, erklärte 
Albrecht. Im Auguft Fonnte ſich Wenzel fogar in Gnejen 
die polnifche Königskrone feierlich aufiegen Yaffen, nachdem er 
fih mit der zwölfjährigen polnischen Prinzeſſin Elifabeth- 
Richja verlobt Hatte, „zum Xrofte für das polnifche Volk”. 

Bretholg, Geid. Bögmens u. Mäbrens. I 7 


os Fünfter Abſchnitt. 





Er ſollte dieſer großartigen Erwerbung, die uralte, von 
den mächtigſten Premyjliden, insbefondere auch von feinem 
Vater verfolgte Pläne "zu verwirklichen ſchien nicht mehr 
froh werden. Noch weniger einer anderen, in die ihn ſeine 
Ratgeber hineindrängten. Wie früher dag polniſche Königs- 
haus, fo war 1301 dag ungariſche der Arpaden erloſchen. 
Nächſte Anſprecher auf die Krone aus berimandtichaftlichen 
Gründen waren: Herzog Otto von Bayern, Karl Robert von 
Anjou und Wenzels gleichnamiger Sohn Wenzel III. der mit 
der Tochter des Iekten Königs Andreas III, Elifabeth, ver- 
lobt war. Der damals zwölfjägrige Prinz wurde denn auch 
bon einer Partei am 27. Yuguft 1301 gewählt und gekrönt, 
erhielt aber fofort einen Gegenfönig an Karl Robert. Diejen 
unterftüßte, obwohl er ſich nicht einmal im Lande halten 
konnte, der allmädjtige Bapft Bonifaz XIIL.; vom Böhmenfönig 
aber verlangte er, daß er feinen Sohn zum Rüdtritt veranlaſſe. 
Die Andeutungen, die er ihm zugleich machte, daß Wenzel nad) 
feiner Anſicht den Namen eines Königs von Polen unredit- 
mäßig führe, waren nicht minder bedrohlich, als die Verfuche 
des Papftes, ſich des deutſchen Königs Albredjt gegen die 
Premyfliden zu vecſichern. 

Der Kampf um die ungariſche Krone begann inn Sommer 
1303 auf ungariſchem Boden. Die Böhmen mußten bald von 
dort zurüchveichen, da fie von Herzog Rudolf von Öfterreich, 
Albrechts Sohn, in Mähren angegriffen wurden und Gefahr 

‚ liefen, abgeichnitten zu werden. Karl von Anjau verfolgte die 
Premyfliden bis nad Mähren und Böhmen hinein und 
mütete in beiden Ländern mit dem wilden ungarifchen Heere 
in unmenſchlicher Weiſe. Zulegt griff noch König Albrecht 
ſelber mit dem Reichsheer ein, ohne aber wirkliche Erfolge zu 
erzielen. Die ſchon begonnene Belagerung der Bergftadt 
Kuttenberg mit ihren gewaltigen Silberſchätzen mußte er 
wieder aufgeben und ſich „in Verwirrung“ aurüdziehen. Im 
Sabre 1304 ruhte der Kampf, aber Wenzel rüftete fih, um 
ihn im.folgenden von neuem aufzunehmen. Da ereilte ihn 
am 21. uni 1305 der Tod. Er hatte nur ein Alter von 
34 Jahren erreicht, denn Krankheit und Schwäche waren von 
Sugend an feine Begleiter geivejen, 


Die prempflidifce Königszeit. ® 





Sein Sohn Wenzel III. damals jechzehnjährig, gab Ungarn 
preis, ſchloß auch mit König Albrecht, feinem Oheim, Frieden, 
indem er ihm Eger und Meißen wieder auglieferte, in der 
Soffnung, durch ſolche Opfer wenigitens den Belig Polens 
tetten zu können. Auf dem Zuge dahin wurde er am 4. Auguit 
1806 in Olmüg meuchlings ermordet; ob aus politifchen oder 
perſönlichen Gründen bleibt ungeklärt. Die Mehrzahl der 
Quellen jchreibt die Schuld an diefer Tat dem heimiſchen Adel 
zu und erflärt fie aug des jungen Königs Übermut, aus den 
allzu großen Schändlichkeiten, die er ſich gegenüber feinen 
Großen erlaubt haben ſoll. 


Das prempflidiihe Haus war mit diefem Todesfall in 
feinem Mannesftamm erloſchen. Es war damals dag ältefte 
unter den befannten regierenden Fürftengefchlechtern, deſſen 
Uranfänge fich in Sage und Mythe verloren; es Hatte fich zu 
ungeahnter Macht, zu größtem Anjehen emporgerungen. Im 
Reiche gehörte es feit den Zeiten Kaifer Heinrichs IV., wie die 
berborragendften deutſchen geiſtlichen und weltlichen "Sürften, 
wie Mainz, Köln, Trier, wie Pfalz, Bayern, Sachſen, Branden- 
burg als Inhaber des Erzicjenfenamtes au der oberiten Hof ⸗ 
beamtenſchaft des deutichen Königs. Daß das wichtige Reichs - 
Tanzleramt auch einem Premyſliden offen ftand, haben wir ge- 
fehen. Die glänzende Stellung, die zeitweilig Otafar II, oder 
Wenzel II. einnahmen, haben wir gefenngeichnet. 

Diefer Aufftieg eines Gefchlechtes aus Fleinften Anfängen, 
diefe Ausbildung eines ungeheuren Reiches aus einem Stamm- 
gebiet ift umfo überrafchender, ala der Premyſlidenſtaat eine 
eigenartige innere Geftaltung aufwies, wie fein andereg deut- 
ſches Fürftentum: eine Verbindung zweier fremdartiger Ele 
mente, deutſchen und ſlawiſchen Volfstums, die nebeneinander 
beitanden, ohne ſich zu vermiſchen, ohne ſich zu bertilgen. 

Wie aber diefe einzig daftehende Geftaltung eines Zivillings- 
ſtaatsweſens möglid, geweſen ift, erheifcht in diefen: Zufammen- 
bang eine genauere Unterſuchung. 


7 


Sechfter Abſchnitt. 


Die fogenannte deutfhe Kolonifation. 


Die premyjlidifche Zeit bedeutet in Böhmen und Mähren 
nicht nur politifch und dynaſtiſch einen Aufſchwung, wie er 
jpäter faum je wieder eingetreten iſt, fondern auch wirtichaftlich 
und fozial. Mit der auffteigenden äußeren Geidhichte hält die 
innere vollkommen Schritt, Das eine bedingt das andere. Welch 
eine gewaltige Veränderung ift nur allein im Zandichaftsbild 
in dieſer Periode vor fid) gegangen! Als mit Beginn der 
Premyjlidenherrſchaft am Ende deg 9. Jahrhunderts gejchicht- 
liches Leben in diefen Ländern in erhöhtem Maße einjekte, 
waren fie gewiß zum großen Xeil Wald- und Sumpfland mit 
zerſtreuten Kleineren und größeren Siedlungen in Form bon 
Dorfichaften und Einzelhöfen, mit einigen recht und jchlecht 
befejtigten Sigen für die fürftlihen Familien und Hohen des 
Landes; hier und dort ſtand ein beſcheidenes Kirchlein, eine 
Kapelle, eine Klauſe; Handel und Wandel vollzogen ſich in den 
einfachſten Formen und beſchränkten ſich auf dag notwendigite 
Maß des Tauſchverkehrs. Am Ende der pierhundertjährigen 
Regierung des prempjlidifchen Gejchlechtes aber war das Land 
erfüllt und bededt bon zahlreichen Städten, Märkten und Dör- 
fern, von Kirchen und Klöſtern, Burgen und Schlöſſern; blühen- 
des Rulturland zeigte fi) allerorten, reicher Verkehr herrſchte 
aM ausgebauten Straßen im Innern und über die Grenzen 

inauß, 

Die Kräfte, die diefen Wandel und langfamen Ausbau 
durchgeführt haben, ftellte das Volk, und feine Arbeit kennen 
au lernen und zu verfolgen, ift wohl mit die wichtigfte Aufgabe 
geſchichtlicher Tarftellung. Allein welche Schwieri ten ftellen 
fich ihr entgegen! Das Wachen und Werden natürlicher Ent- 
widlungen läßt fi) in den Quellen nur fehr ſchwer verfolgen. 
Das Bild des eigenen Schaffens deg Volkes tritt Bier ftarf 
zurüd hinter dem jeineg politiihen Schickſals. Wir ſehen ge 
Iegentlich, daß eine neue Wirtichafts- oder Rechtsform beiteht, 





Die fogenannte deutſche Koloniſation. 101 





aber äußerft felten, warın und wie fie aufgefommen ift. Das 
gilt nicht nur für die Geſchichte unjerer Länder, fondern auch 
für die anderer Gebiete. Bei ung fommt aber noch eine andere 
ernfte Schwierigkeit hinzu. 

Böhmen und Mähren zeigen ſchon im Mittelalter in den 
Siedlung3berhältniffen eine Eigenart, wie fie in gleich auf- 
fallender Weife nidyt häufig erfcheint: auf demfelben Boden 
ein Nebeneinander- und Sneinanderwohnen zweier Volks- 
ftämme, Deuter und Slawen, die zwar heute und ſchon feit 
geraumer Zeit äußerlich geeint erfcheinen durch die gemein- 
fame ſtaatliche Verwaltung, innerlich aber bi3 heute „geſchieden“ 
find vor allem durch die Sprache, und „verſchieden“ nad) Art 
und Sitte. 

Die Frage, wieweit diefe Erſcheinung zurückzuverfolgen ift 
und woher fie ihren Urfprung nahm, pflegt man bekanntlich 
nit einem einzigen Wort zu beantworten: Kolonijation. 
Es befagt nicht mehr und nidyt weniger, als daß in die zu 
Beginn der Herrſchaft der Premyſliden angeblih nur bon 
ſlawiſcher Bevölkerung bejiedelten böhmifchmähriichen Länder 
während der Regierung dieſes Geſchlechtes allmählich deutfches 
Volk eingeiwandert oder fogar von den Fürften berufen worden 
fei, jo daß ſich allerorten deutſche Kolonien (Anfiedlungen) 
berausbildeten. Was den Beitpunkt der Einwanderung anlangt, 
gehen die Anfichten nicht unweſentlich auseinander. Allein 
darauf wird nicht das Sauptgemwicht gelegt; entſcheidend ift 
in allererfter Linie, daß diefe Deutichen als Fremde aus meiter 
Berne und aus den verſchiedenſten Gebieten in ein feit Yahr- 
hunderten ausſchließlich von Slawen (Tſchechen) bewohntes 
und kultiviertes Land gekommen ſeien und erſt von da an ihre 
Seßhaftigkeit zu rechnen ſei. Die urgermaniſche Beſiedlung, die 
ſich lange por der flawiſchen vollzogen hatte, kam dabei kaum 
mehr in Betracht. Mochte auch der eine und andere Forſcher 
jenes alte Volk der Markomannen und Quaden, das wir in den 
erſten Jahrhunderten unſerer Zeitrechnung hier anſäſſig kennen 
gelernt Haben, mit ſpärlichen Überreiten in den böhmiſchen 
Waldeinfamfeiten fortleben laſſen — für die Fortbildung des 
Deutfchtumg in Böhmen und Mähren ſchrieb man ihm feine 


108 Sechſter Abſchnitt. 





Bedeutung mehr zu. „Im übrigen waren die Tſchechen bis 
zum 10. oder 11. Jahrhundert die einzigen Bewohner des 
Landes“, dies galt in voller Übereinftimmung mit Balacky auch 
in der deuietohmiſchen Geſchichtsliteratur für ausgemacht; ja 
man ſprach ſogar bon einer „bölligen Eroberung Böhmens dur 
die Slawen“, ohne allerdings anzugeben, in welcher Zeit, auf 
welde Art und aus weſſen Beſitz diefe „Eroberung“ erfolgt fein 
follte* Aber dann feien auf dem inzwifchen ganz ſlawifierten 
Boden doch wieder neue deutſche Völkerſchaften entſtanden — 
durch Kolonifation. 

Diefe Anſchauung von einer älteren natürlichen flawifchen, 
dann einer jüngeren Zünftlichen deutſchen Beſiedlung unferer 
Ränder hat für die ganze innere — rechtliche und wirtfchaftliche, 
geſellſchaftliche und geiltige — Geſchichte Böhmens und Mäh- 
tens größte wifjenfhaftlihe Bedeutung. Merkwürdigerweiſe 
fpielt fie feit der Begründung der tſchechiſch- ſlowakiſchen Repu- 
blik aud) ſehr wefentlid) in die Politik hinein. Man kann wohl 
fagen, daß man verſucht, die Lehre von der deutfchen mittel- 
alterlisyen Kolonifation in unferen Ländern zur Grundlage 
au machen für die Stellung, die die Deutfchen fortan in diefem 
neuen Staatsweſen einnehmen follen, daß fie als geſchichtliches 
Fundament für den politifchen und nationalen Neubau ange- 
fehen wird, 

Denn in der Botſchaft, die der Präfident Th. Maſaryk am 
22. Dezember 1918 erließ, war u. a. die Erflärung enthalten: 
„Das von den Deutſchen beivohnte Gebiet ift unfer Gebiet und 
wird unfer bleiben. Wir haben unfern Staat aufgebaut, wir 
Haben ihn erhalten. Wir bauen ihn von neuem auf... Wir 
haben unfern Stwat gebildet, dadurch wird die ftantSrechtliche 
Stellung unferer Deutſchen beftimmt, welde urſprünglich in 
das Land als Emigranten und Noloniften gefommen find 
(kterff püvodn& do zem&ö prisli jako emigranti a kolonist&)”. 
Und in der Neujahrsrede vom 1. Januar 1919 wiederholte er 
fie in der Form: „Es ift auch ein offenbarer Unterfchied in dem 
Selbftbeftimmungsredjt der Nationen; und wir Tſchechen und 
Slowaken find bis auf kleine auswärtige Minoritäten ein 
ganzes Volk beifammen. Unſere Deutichen find fein ganzes 
Volk, fondern nur eine Rolonifation (naäi Nömei nejsou cely 


Die fogenannte deutfche Kolonifation. 103 





närod, nybrZ jen kolonisaci). Die Deutſchen fehidten ihre 
eroberungsfüchtigen Kolonien aus und aud) zu ung in unſer 
Land". — Es fteht damit im Zufammenhang, dab, wie im 
Jahre 1920 befannt wurde, bei den Friedensnerhandlungen in 
Paris ein fogenanntes Memoire III eine wichtige Rolle fpielte, 
durch dag der Beweis geliefert werden follte, daß der allgemein 
aufgeftellte und auch anerkannte Grundſatz des Selbftbeitim- 
mungsrecdhtes der Völker auf die Deutfchen in Böhmen und 
Mähren feine Anwendung finden dürfe, denn — fo hieß es 
wörtlid) — „die Deutſchen haben fi in Böhmen Zünftlich 
feftgefegt ala Koloniften oder Beamte und Bureaufraten, als 
gelehriges Element einer gewalttätigen Germanifation“. 

Solche politifche Folgerungen Eonnten nur gezogen werden, 
weil die deutiche Kolonifation"in Böhmen und Mähren als eine 
geſchichtliche Tatfache angefehen wurde; der befannte Ausſpruch 
des Geſchichtſchreibers Heinrich v. Treitichke, „Politik ift_ ange 
wandte Gefchichte”, wurde einfach in die Praxis umgefekt. 
Und als geſchichtliche Tatfache wurde das Koloniftentum der 
Deutichen in Böhmen und Mähren angefehen, weil alle neueren 
Geſchichtsbücher, die diefe Frage berührten, vom einfachſten 
Schulbuch bis zu den befannteften „Deutſchen Geſchichten“ 
namhafter Forſcher dieſe Anſicht vertreten,? ebenſo die heimiſche 
Literatur in beiden Sprachen, deutſch und tſchechiſch, wie die 
öſterreichiſche oder reichsdeutſche oder fremde. Dieſe Einmütig · 
keit liebe vorausſetzen, daß ihr eine beſtimmte und unanfecht- 
bare Quellenüberlieferung zugrunde liege. Man müßte an- 
nehmen, daB, da diefe Einwanderung in dag 11., 12. oder 
18. Jahrhundert verlegt zu werden pflegt, in allererfter Linie 
die Chroniften jener Zeit hievon Kunde böten. 

Nun, Cosmas, Böhmens ältefter Geſchichtſchreiber, der in 
der zweiten Sälfte des 11. und im erſten Viertel des 12, Sahr- 
Bundert8 lebte, weiß zwar bon einer — übrigeng längft als 
belanglos nachgewiejenen — Vertreibung aller Deutſchen aus 
Böhmen durch den Herzog Spitignew im Sahre 1055 zu 
erzählen,* aber nichts von einer Einwanderung. So oft er auch 
in feiner Chronik bon Deutſchen und Deutfchtum Spricht, fei es 
in wohlmollendem, fei eg in abträgfihem Einn, eine deutiche 
tolonifatorifche Bewegung Fennt er in Böhmen nicht. Und auch 


104 Sechfter Abfchnitt. 


feine Fortjeger im 12. und 13, Jahrhundert, angefehene Geilt- 
liche der Prager Kirche oder der großen Mlöfter, denen Ereig- 
niffe von folder Tragweite nicht leicht entgehen Eonnten, bieten 
nicht den leifeften Anhaltspunft, wenn man nicht eine oder 
zwei Bemerfungen aus der zweiten Hälfte des 13, und aus 
dem 14. Sahrhundert falfch auslegt, wie fpäter zu zeigen fein 
wird. In dem fogenannten „Dalimil”, einem tſchechiſch 
ichreibenden Reimchroniſten aus dem erſten Viertel des 14. Jahr- 
hunderts, deifen Werk frühzeitig auch ing Deutfche übertragen 
worden ift, tritt uns ein leidenfchaftlicher Deutſchenfeind ent- 
gegen, dazu ihn die Schredengzeit in Böhmen nad) 1278, nad) 
Otakars II. Tod, und die Regentſchaft des Brandenburger 
Markgrafen Otto in Böhmen gemacht Hat. Aber beide, der 
tſchechiſche Chronift, wie der deutjche Überfeger, Hafen nur „die 
im Lande nicht feßhaften Deutſchen“ und unterſcheiden fie als 
„Fremde“ von den heimiſchen Deutjchen, die beim Überfeger die 
Tutſchin“ heißen.“ Auch Balimil weiß viel Unverbürgtes und 
Vabelhaftes von ſchweren Verfolgungen, aber auch von großen 
Vergünftigungen, welche die Deutfhen von dem einen und 
anderen premyſlidiſchen Herzog erfahren haben follen, zu be- 
richten, aber nichts bon einer Einwanderung oder Berufung 
Deutfcher aus dem Reid) vor dem Jahre 1278; und ebenfowenig 
die Chroniften der folgenden Zeit bis zum fabulierenden Hajek 
berab, der fi} eine ſolche Tradition gewiß nicht hätte entgehen 
laſſen, wenn fie ihm befannt geworden wäre. Der Eindrud) der 
Brandenburger Scharen, aber auch ihre Austreibung, ebenfo 
das Lorhandenfein der Iuremburgifchen Ratgeber und Hofleute 
in Prag im erften Jahrzehnt der Regierung König Johanns 
(feit 1310) entging den heimifchen Chroniften keineswegs; von 
einer früheren Einwanderung Deutider wiſſen fie nichts. 

Bis and Ende des 18. Jahrhunderts, bezeichnendermweife bis 
in die Zeit der fogenannten jlawifchen Wiedergeburt oder 
ſlawiſchen Renaiffance müfjen wir gehen, um in der heimiſchen 
Geſchichtsliteratur den erften Spuren der Kolonifationstheorie 
zu begegnen. Und nicht eigentlich ala Ausfluß der Erforſchung 
von Böhmens frühmittelalterliher Geſchichte tritt fie auf, fon- 
dern als Verſuch, die nationalen Zuftände des ausgehenden 
18, Jahrhunderts daraug zu erklären, 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 105 





Der erfte Gejchichtichreiber in Böhmen, der ſich die Frage 
vorlegte, wann und wiefo die Deutſchen nad; Böhmen ge- 
kommen jeien, war F. M. Belzel, geb. 1734 in Reichenau 
(Oftböhmen), geſt. 1801.° Als er das in Wien begonnene 
mediziniſche Studium aufgab und 1769 als Erzieher in das 
gräfliche Haus Noftig in Prag trat, konnte er ſich ziemlich frei 
feinen literarifchen Neigungen widnten, die ſich zuerft der jhön- 
geiftigen Richtung zumandten. Der Plan, ein Epos über die 
Einwanderung der Tſchechen in Böhmen in deutfcher Sprache, 
eine „Czechiade“ nad; Klopſtocks und Miltons Vorbild zu ber- 
fallen, zeigt ihn ung aber auch ſchon mit der baterländifchen 
Geſchichte befchäftigt, in jener von Schlöger und Herder be- 
einflußten Richtung, die das ſlawiſche Volk insgemein, alſo 
auch dag tichechifche, aus dem Dunkel emporheben, feine Ge- 
ſchichte in glängender Weife beleuchten wmollte* Pelzel war 
Tein geſchulter Siftorifer, auch bon irgendwelchen erniteren 
geſchichtlichen Studien erfahren wir zunächſt nicht, erft 
feine Erziehungstätigfeit veranlaßte ihn, fid, mit diefem Gegen- 
ſtand zu befallen. Gleichwohl gab er ſchon 1774 eine „Ge 
hichte der Böhmen von den älteiten big auf die neuteften Zeiten“ 
heraus, die fpäter mehrmals neu aufgelegt wurde. Sie ftellt 
fid) dar als eine Geſchichte de3 tichechiichen Volkes in Böhmen; 
nur bie und da gedenft er auch des Deutjchtums im Lande,” 
ohne aber noch jener Frage nach deflen Urfprung näher zu 
treten; allein fie beichäftigte ihn. Der Gegeniag fiel ihm auf 
zwiſchen der großen Vergangenheit des ſlawiſchen Volkes auch 
in Böhmen und Mähren, von der er erfüllt und überzeugt war, 
und der überragenden Stellung, die gerade zu feiner Zeit 
Deutfhtum und deutſche Sprache im Lande einnahmen; und 
es berührte ihn peinlich, da er kaum mehr zu hoffen wagte, daß 
ſich diefe Verhältniſſe noch jemals zugunften des Tſchechentums 
wenden könnten. „Wenn e8 alſo“ — fo ſchrieb er wörtlich im 
Jahre 1788 — „mit der Zeit heißen follte: ‚In Böhmen ſprach 
man einftens flawijch” — da wird eg dent gang deutfchen 
Böhmen nicht unangenehm feyn, zu vernehmen, wie es zu- 
gegangen, daß die Tſchechen deutfch worden find“, Diefe Vor- 
Stellung von einer ernften Bedrohung der tihechiichen durch die 
deutſche Sprache in Böhmen war Anlaß und Anfporn zu der 


106 Sechſter Abfänitt. 





im genannten Jahre erſchienenen, wie man mit Recht gefagt 
bat, „eigenartigen“ Abhandlung: „Gefchichte der Deutfchen und 
ihrer Sprache in Böhmen“. Die Ausführungen entiprechen 
durchaus nicht dem ernften, gelehrten Titel. Es ift vielmehr 
ein Berfuch, jenes Problem vom Auffommen und Werden des 
Deutfchtumg in diefen Ländern zu löfen, eine Arbeit, über die 
ſchon längft von einem tſchechiſchen Gelehrten da3 Urteil gefällt 
worden it: „boll bon lächerlichen Hypotheſen, verfrümmten 
Zitaten, übertriebenen Yolgerungen und verichiedenen anderen 
Kritikloſigkeiten“.“ Dennoch; geht die Kolonifationstheorie, wie 
fie Bis beute gelehrt wird, in vielen Punkten auf diefe Arbeit 
aurüd, 

Pelzel war e8, der dag Deutfchtum in Böhmen und Mähren 
zu erklären verſuchte aug einer ſchrittweiſe vor fi} gegangenen 
Einwanderung, die im 10. Sahrhundert begann und im 
12, bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte, während fie im 13. 
nidjt mehr „fo fruchtbar“ geweſen jein fol. Und als die erften 
Bahnbreder diefer Bewegung ſah er die deutſchen Priefter an, 
die „auch viele Bayern... (und Schwaben)“ ins Land brachten, 
„gleihfam das Sausgefinde der Priefter”, die fid) „nach deut- 
ſcher Art bedienen und die Nahrung subereiten Iafien mußten”. 
Tann aber, als „die Böhmen aus ihrer eigenen Nation Priefter 
haben Fonnten“, fich fomit, bereits im 10. Jahrhundert, „die 
Einwanderung der deutfchen Geiftlichkeit verminderte”, eröff- 
neten ſich angeblid) vier neue Wege, auf denen das Deutfchtum 
diefen Ländern „zuftrömte”: 1. Die deutſchen Gemahlinnen der 
böhmiſchen Herzöge, die „nicht ermangleten .. . ihre Landsleute 
au befördern”, 2. die deutſchen Biſchöfe zu Prag, 3. die deutfchen 
Mönche und Nonnen, die „immer eine gute Anzahl ihrer Qands- 
leute zur Bedienung, wenigſtens Sandwerfsleute, mit fi) 
brachten“, und 4. Verg- und Sandelgleute. 

Diefe Pelzel ſchen Behauptungen, die hier nur kurz ange- 
deutet wurden, find die Unterlage für die in fo vielen neueren 
Gefcjichtsbihern bertretene Anſchauung: zuerſt kam der deut · 
ſche Kaufmann, dann die Prinzeſſin und ſchließlich der Geift 
liche als Prieſter und Mönch, um dem Deutſchtum in dieſem 
ſlawiſchen Gebiet den Boden zu bereiten, auf dem ſich dann der 
deutſche Bürger und Bauer heimiſch macjte.10 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 107 





Gewiß: Zuwanderung und Abwanderung hat wie überall 
fo aud in Böhmen und Mähren wohl zu allen Zeiten beitanden, 
bald ftärfer bald ſchwächer, je nad) den politifchen und mwirt- 
ſchaftlichen Verhältniffen. Wer wollte daß beftreiten? Schon 
Cosmas bringt aus der böhmifchen Gejchichte begeichnende Be⸗ 
lege dafür. Zum Jahr 1091 fhildert er ung den Auszug ded 
mit feinem Vater zerfallenen Prinzen Bretiflam aus Böhmen 
noch Ungarn mit feiner ganzen Gefolgichaft, mehr als zwei- 
tauſend Rittern, allem Vieh und Leibeigenen, Und 1107, als 
Herzog Boriwoi entthront wurde und ſich nad) Polen begab, 
bemerkt Cosmas wieder, daß ihn viele von denen begleiteten, 
die er aus „Proſelyten“ zu Nittern gemacht Hatte. Wir 
lernen bier eine Schichte von Auswanderern und Einwan ⸗ 
derern, wie nad Böhmen fo aus Böhmen fennen, an die 
Pelzel nicht gedacht Hat: rittermäßiges Volk. Allerdings bleibt 
es unentichjieden, ob dag ausſchließlich oder auch nur borzugs- 
mweife Deutiche gewefen feien, oder nicht vielmehr Leute aus 
allen Ländern und Völfern. Doc; aud) die Anmwefenheit fremder 
deutfcher Geiftlicher in Böhmen, deutſcher Fürftentöchter, 
deuticher Mönde und Nonnen in den neu begründeten 
Klöftern ift eine quellenmäßig feifitehende Tatſache. Eine 
andere Frage ift e8 aber, ob man diefen Sremdlingen einen 
folden Einfluß und eine jolde Bedeutung zuſchreiben 
kann, daß fie einer Zumanderung bon Bürgern und Bauern 
die Wege bahnten, daraus dann ein ganzes zweites Volk 
entitehen konnte? 

Am ftärkiten ſchlägt man die Wirkung an, die die deutichen 
Geiftlichen und Klöſter auf die Germanifierung gehabt haben 
follen. Wohl war eine Anzahl Prager und Olmüter Biſchöfe deut- 
ſcher Herkunft, weil auf ihre Erhebung der deutſche Kaiſer und 
der Mainzer Metropolit neben dem böhmifchen Herzog und Volk 
weſentlichen Einfluß bejaßen. Aber die Lebensgeſchichte der 
meiften zeigt ung deutlich, wie beicheiden ihre Stellung und 
Macht im Lande ſelbſt war. Die Grabrede des Olmüger Biſchofs 
Heinrich für den 1135 verftorbenen Amtsbruder Meinhard von 
Prag, die in die Worte ausflang: „Verzeihet ihm, dem armen 
Fremdling“, könnte als Motto gelten für alle diefe aus Deutſch- 
Iand hierher verpflanzten hohen Geiftlihen. Sie blieben zu- 


108 Sechſter Abſchnitt. 





meiſt Fremdlinge und galten als foldhe. Der Gedanke, dab 
fie in diefem Lande für ihre Landsleute aus dem Reich hätten 
tätig fein und ihnen bier eine neue Heimat hätten verfchaffen 
Zönnen, erfheint umfo unmwahrfcheinlicher, wenn man ſich der 
von Cosmas überlieferten Szene erinnert, die fich anläßlich der 
Biſchofswahl in Prag im Jahre 1099 abipielte. Der fächlifche 
Graf Wigbert von Groitich empfahl dem ihm verwandten und 
befreundeten. Herzog Bretiflatv II. für diefe Stelle einen Kaplan 
Hermann mit dem Bemerfen: „wenn ihm nur nicht der Um- 
ftand im Wege ift, daß er ein Ausländer iſt“. Worauf der 
Herzog erwiderte: „Daß Hermann ein Ausländer ift, fommt der 
Kirche nur zuftatten. Ihn wird feine Verwandtſchaft nicht be- 
helligen, die Sorge für die Kinder nicht ablenken, der Schwarm 
bon Angehörigen nicht ausplündern. Was immer ihm zufallen 
wird, dag wird feine Braut und Mutter, die Kirche, behalten” .!2 
— Eine folde Außerung in unferer heimiſchen Duelle wider- 
fpricht von Grund aus der Anſchauung, dab Biſchöfe oder andere 


. Geiftliche, die aus Deutfchland nah Böhmen und Mähren 


kamen, hier die deutfche Kolonifation gefördert Haben ſollten. 

Auch nicht die Mlöfter, von denen man fo oft lieſt, daß es 
gleichſam ihr natürlicher Beruf geivefen fei, zu germanijteren 
und zu folonifieren, in dem Sinne der Serbeirufung fremder 
Anfiedler. „Die Mlöfter gingen im Eifer, durch deutfche An- 
fiedlungen ihren Gütern einen höheren Reinertrag abzuge- 
innen, allen anderen voran”; „die Klöſter mögen in ihre 
Güter wohl in der Regel Leute aus ihrer eigenen Heimat... 
herangezogen haben“; „mit den Mönchen zogen ins Land 
berein viele Arbeiter und Handwerksleute, vor allem aber 
der deutfche Bauer... .; die deutfchen Bauern wurden bon 
den Klöſtern zur Urbarmachung ihrer großen Wälder 
berbeigegogen und riefen nad; und nad) eine große Menge 
blühender Dörfer ind Leben;“ — und wie die vielen 
ähnlichen Sußerungen lauten mögen, "die fehließlid) nichts 
anderes find als ein MWeiterfpinnen und Ausſchmücken jener 
Pelzel'ſchen Ideen, von denen wir als dem Gerippe diefer 
ganzen Theorie gefprochen haben. 

Wir fennen die Gründungsgefhichte und die weitere Ent- 
wicklung einiger der bedeutendften böhmifchen und mährifchen 





Die fogenannte deutſche Kolonifation. 10 





Klöfter recht genau ;'* wir willen, woher die erſten Mönche oder 
Nonnen kamen, wir erfahren mehrfad, die Zahl und Namen 
der erften Anfömmlinge, wir fennen den urjprünglichen Beſitz, 
wir berfolgen das Wachſen und die Befikvergrößerung, wir 
bliden hinein in die Sorgen und Mühen des anfänglichen Auf- 
baues, aber auch ſchon in die werdende Fülle der Blütezeit, Wir 
find aljo durch unfere Quellen, wie wir fehen, gerade über das 
Kloſterweſen im 11., 12. und 13, Jahrhundert befonderg gut 
unterrichtet. Aber nirgend begegnet man dem leiſeſten Hinweis 
darauf, daß dieje paar Dutzend deuticher Mönche und Nonnen, 
die aus deutſchen Klöſtern hierher berufen wurden, aug ihrer 
Heimat Laienvolf mit fi) genommen hätten, oder daß es 
aus eigenem Antrieb deren Spuren gefolgt wäre, feien es 
Bürger oder Bauern, Wie wäre das aud) durchführbar ge- 
wejen? Anfangs wacen die Verhältniffe, unter denen die 
Heinen Kloſterkolonien lebten, viel zu beicheiden und auch zu 
unficher, un Fremde anzuloden und ihnen Arbeit und Unter - 
halt zu fichern. Später aber, ala die Klöſter gediehen, war der 
Zufammenhang mit der deutfchen Heimat längſt zerriſſen. Sie 
hatten doc) auch gar nicht den Zived, als Sammelpunkte füc die 
fremde Geiftlichfeit, geſchweige denn für fremdes Laienbolf zu 
gelten, jondern waren gedacht als Bildungsftätten für die 
heimifche Bevölkerung. Nur der Grundftod war fremd, weil auf 
andere Weiſe nicht leicht ein Klofter geichaffen werden konnte, 
der Zuwachs aber heimisch, deutſch und ſlawiſch. Much ift zur 
Genüge befannt und wird auch in den Kloſtergeſchichten deutlich 
genug hervorgehoben, daß die Mönche bejonderg in den erſten 
Zeiten-die geſamte wirtſchaftliche Arbeit, die für ihren Lebens- 
unterhalt und für die bauliche Erhaltung von Klofter und 
Kirche notwendig war, den „labor manuum“, dag Händewerk, 
ielber bejorgen mußten, Klofter- und Kirchenbau, Feld- und 
Sortenpflege, Land- und Waldwirticaft, Handwerk und 
Kunft.° Geftalteten ſich dann im Laufe der Zeit die Verhält- 
niffe großzügiger, da mangelte eg an heimiſchen Silfs- und 
Arbeitskräften gewiß nicht. Erhielten doch die Klöſter ganze 
Dörfer und Liegenſchaften ftet3 mit dem dort lebenden Volk, 
über dag fie verfügen Eonnten. Wozu hätten fie fremder Kolo- 


110 Sechſter Abſchnitt. 





niſten bedurft, mit aller Verantwortung für ſie und deren 
Familien, wie und wo dieſelben verſorgen können? — 

Nicht weniger unwahrſcheinlich iſt die Rolle, die man bei der 
vermeintlichen nationalen Umgeſtaltung des Landes den deut- 
ſchen Prinzeſſinnen auf dem böhmiſchen Thron zuſchreibt. „Die 
deutſchen Fürſtinnen“, ſo leſen wir gelegentlich auch in neueren 
Geſchichtswerken ganz in Anlehnung an Pelzel, „brachten ihr 
deutſches Gefolge und insbeſondere ihre deutſchen Hofkapläne 
mit ins Land und wirkten nach Frauenart auf Gemahl und 
Kinder für ihre Nationalität”; „dieſe Herzoginnen .... 
kamen nicht allein ins Land, fondern brachten ihren deutſchen 
Hofſtaat mit... .; foll eg da wundernehmen, daß fie für deut- 
ſches Wejen und deutiche Kultur ein befonderes Verſtändnis 
und hohe Wertihägung an den Tag legten?” — An diejen 
und Ähnlichen Außerungen ift nur die eine Tatſache richtig, 
daß in der Zeit von der Mitte des 11. big ang Ende des 
18, Jahrhunderts, von Judith bon Schweinfurt, der Frau 
Bretiſlaws I, big auf die habsburgiſche Guta, Gemahlin 
Wenzelg II, etiva ein Dutzend böhmiſch-mähriſcher Herzogin- 
nen und Königinnen bon deutſcher Herkunft waren. Allein 
nicht zu bemweifen ift, auch nicht bei einer einzigen, daß fie ihre 
Stellung benugt hätten, um den Hof zu germanilieren oder 
fremde deutiche Landsleute, ja auch nur Dienerjdaft und 
Geiftlichkeit aus der Heimat mit fi zu bringen. Wir hören 
nie, daß eine diefer deutſchen Fürftinnen unmittelbar auf die 
Regierungsgeſchäfte Einflug genommen Habe. Nur von 
Elifobeth, der Gemahlin Herzog Friedrichs (1177—1189) 
ichreibt ein gleichgeitiger Chronift, daß fie „mehr als ihr Gatte 
über Böhmen berrichte”; diefe Herzogin war aber eine — 
ungarifche Prinzeſſin. Man darf eben auch nicht überfehen, 
daß die Reihe der deutſchen Fürftinnen in Böhmen und 
Mähren feine geichlofjene ift, jondern immer wieder unter- 
brochen wird durch fait ebenfoviele, die aus Polen oder Ungarn, 
aus Serbien oder Rußland ftammten, daß Bozena, Breti- 
ſlaws I, Mutter eine einheimijche Slawin war, da fomit ein 
etwaiger deutſcher Einfluß immer wieder durch ſolchen einer 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 11 





Nachfolgerin anderer Nationalität ausgeglichen und aufe 
gehoben worden wäre.” 

Erübrigt noch der deutſche Kauf- und Handelsmann, der 
fih in Böhmen und Mähren niedergelaffen Habe, nit im 
ſlawiſchen Volt aufgegangen fei, fondern feine Nationalität 
bewahrt und durch Nadgug geitärkt haben fol. Wenn dem 
wirklich jo wäre, dann müßte fid, diefer Vorgang ganz unaufe 
fällig vollzogen haben, aljo im beiceidenften Maße, da wir 
durch die ganzen Jahrhunderte hindurch weder aus heimifchen 
noch aus fremden Quellen auch nur einen einzigen ficheren 
Fall nachzuweiſen vermögen. Denn der Beſtand jener viel- 
genannten deutſchen Raufmannsniederlaffung in Prag, in der 
2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, deren Statuten man jogar 
fennen will, ift eine jener irrigen Annahmen, die, wie fich 
fpäter zeigen wird,“ jobiel Verwirrung hervorgebracht haben. 

Als gegen Ende der Regierung Kaifer Ottos I, um das 
Sahr 970, vom deutidhen Hof in Merjeburg fommend, der 
arabiſche Jude Ibrahim ibn Jakub fi) in Prag aufhielt und 
in fein Vormerkbuch über die Stadt einige wenige fultur- 
geihichtlich merfwürdige Bemerkungen eintrug, fiel ihm be- 
jonders auf, daß Prag ein wichtiger Sandelsplag ſei, dahin 
Ruſſen und Slawen von Krakau her, Mufelmanen, Juden 
und Türfen (Ungarn?) fümen. Des deutihen Kaufmannes 
gedenkt er nicht. Und als Cosmag mehr als Hundert Jahre 
ipäter (1091), alſo zu einer Zeit, da der vermeintliche Kaufhof 
für die fremden Deutichen ſchon beitanden und geblüht haben 
fol, von den Reichtümern fpricht, die in Prag aufgejpeichert 
liegen, erwähnt er die dortigen Juden, „die von Gold und 
Silber ftrogen”, jpricht von den „jehr reichen Kaufleuten jed- 
wedes Bolfes“, die dort wohnen und an denen fich der König 
Wratiſlaw leichter bereichern könne, ala an der Stadt Brünn. 
Bon einem. fremden deutſchen Kaufmann weiß aber auch er 
nichts, obwohl der Anlaß gegeben geweſen wäre, auf dieſes 
vermeintliche fremde Element hinzumeifen. Solche auffallende 
Unterlaffung erflärt ſich aber nicht daraus, daß deutiche Kauf- 
leute in diefer Zeit überhaupt noch fehlten — wie wäre daß 
möglic, geweſen, wenn ſolche „iedwedes Volkes“ hierherfamen, 


112 Sechſter Abſchnitt. 





— ſondern weil fie hier zu Hauſe waren, einheimiſch und an- 
fäffig, fo daß ihre Anweſenheit nicht weiter auffiel, ihre auß- 
drüdliche Erwähnung nicht am Plage war und überflüffig‘ 
erſchien. Erinnern wir in diefem Bufammenhang daran, daß 
auf böhmifchen Münzen eines Herzogs Bolejlam, aljo im 
10. Sahrhundert, die deutſche Aufichrift „GOT“, wie auf 
anderen „DEVS“ und auf dritten „B. D.“ (mag wohl nicht 
„BVH. DEVS“, fondern wahrjcheinlich „BOLEZLAVS DVX“ 
bedeutet) borfommt, jo haben wir einen ſprechenden Beleg, 
melde Stellung Deutfchtum und deutſche Sprache in jener 
Zeit im Wirtichaftsleben Böhmens eingenommen hat, da man 
fie bei der Müngprägung berüdfichtigte”" Aus der gleichen 
Zeit, da Herzog Boleſſaw II, regierte, jtammt ja auch die durch 
Cosmas verbürgte Nachricht, da beim Gottesdienft am Hofe 
die deutſche Sprache neben der Iateiniihen in Übung war, daß 
der Herzog und die Großen das Gebet des Prieſters auch mit 
der deutichen Überjegung des Kyrie eleyson in der altdeutichen 
Form Christus keinado (Chriftus gib Gnade) beantworteten. 

Wenn fremde deutiche Kaufleute jeit dem 10. Jahrhundert 
nad, Böhmen und Mähren vereinzelt gefommen find, was trog 
mangelnder Beweife nicht anzuzmweifeln ift, dann brauchten 
fie bier feinen Pionierdienft für das Deutſchtum zu leiften, 
fie fanden deutiches Wolf bereits vor. 

Faſſen wir diefen Überblid über die angeblichen Wegbahner 
der deutfchen SKolonifation in unjeren Ländern noch einmal 
äufammen, jo erhellt wohl, in welchen Selbſttäuſchungen wir 
ung bewegten. €3 fehlt allen diefen Annahmen und Voraus- 
fegungen nidjt nur der für geſchichtliche Erfcheinungen vor 
alleın anderen notivendige quellenmäßige Beweis, jondern auch 
die innere Wahrſcheinlichkeit. Wenn das Deutſchtum in diefen 
Kändern lediglich auf die Förderung durch den fremden deut- 
ſchen Kaufmann, die deutiche Fürftentochter und den deutfchen 
Geiftlichen angewiefen geweſen wäre, dann hätte es wohl nie 
jene Bedeutung gewinnen fönnen, die e8 in Wirklichkeit ſchon 
in frühprempflidifcher Zeit hier befefien hat. Es wäre diefen 
deutſchen Eintwanderern das Schickſal beſchieden geweſen, das 
die aus den romaniſchen, ungariſchen und polniſchen Ländern 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 118 





traf: in der Flut der heimiſchen Bevölkerung aufzugeben. 
Cosmas bat uns ein Beifpiel einer folden Sremdenanfiedlung 
überliefert. Die von Herzog Bretijlam I. in Böhmen 1039 
begründete Kolonie der „Gedcanen”, der er daß Recht ber- 
lieh, daß fie und ihre Nachkommen für „ewige Zeiten“ nad 
dem Gefetze leben follten, dag fie in Polen bejeffen Haben, ift 
ſpurlos zugrunde gegangen.” Aus der ungarifchen Siedlung 
int Gebiete von Znaim, aus der romaniſchen in Brünn, die 
damals gewiß nicht vereinzelt waren, hat ſich fein Wolf heraus- 
aubilden vermocht.”® 

Die Pelzelſchen Ideen, die ſich troß ihrer Haltlofigkeit heute 
befonders in der deutſchböhmiſchen Kiteratur einer ſolchen 
Wertſchätzung erfreuen, wurden aber jehr bald abgelöft durch 
eine ganz andere Auffaſſung über die deutſche Kolonifation, 
alg Stanz Palacky im Jahre 1836 mit jeiner neuen „Geſchichte 
von Böhmen“ hervortrat. Zwar räumte auch er bier noch 
zunächſt ein, daß in Böhmen „das deutſche Element bor- 
züglich feit dem 10. Jahrhundert immer größeren Eingang 
fand“, aber nur in der Einleitung zur deutſchen Ausgabe. 
In der tichechifchen Ausgabe, deren erfter Band 1848 erſchien, 
fehlte diefe Bemerkung bereit. Aber auch in dem deutfchen 
Werk wird man in der Parftellung ſelbſt vergebens irgend- 
welche näheren Ausführungen über dag Deutfchtum in Böhmen 
feit dem 10. Zahrhundert finden. Nur einmal, im Zuſammen ⸗ 
bang mit der Erzählung von der Deutſchenvertreibung im 
Jahre 1055, heißt es unter außdrüdficher Berufung auf die 
Forſchungen Dobners gang kurz, dag damals „Deutſche jedes 
Standes nad) wie vor in Böhmen lebten“. Wenig ſtimmt 
damit überein, wenn wir bald darnach leſen, daß unter 
Wratiſlaw (1061— 1092) der böhmiſche Handel „vorzüglid, ir 
den Händen bon Ausländern, Zuden, Stalienern und Deutichen, 
die ſich in Prag zahlreich anfälfig machten“, geruht habe.”* 
Zu den Vorftellungen Pelzels vom fteten Anwachſen des 
Deutſchtums vom 9. bis 12. Yahrhundert, oder von der Aus- 
bildung „einer deutichen Gemeinde zu Prag gegen Ende des 
12, Jahrhunderts” nimmt Palacky überhaupt Teine Stellung. 
So wenig klar und beftimmt er fi) über die Frage ausfpricht 


Bretholz, Geld. Bögmens u. Mäörens. I. 8 


114 Sechſter Abſchnitt. 





man erſieht aus ſeiner Darſtellung doch, daß er bis zum 
Ende des 12. Jahrhunderts eine deutſche Bevölkerung von 
irgendwelcher Bedeutung in Böhmen und Mähren nicht 
kennt und nicht gelten läßt. Bis in diefe Beit ift e8, wie er 
ion in der Vorrede zum erften deutjchen Bande betonte, 
„dag allgemeine ſlawiſche Efement”, dag im gefamten Staats- 
leben vorherrjchte.”° Erft im 13. Jahrhundert wurde nad) ihm 
„die Einführung deutfcher Kolonien und mit ihnen auch des 
deutſchen Rechtes... eifrig befördert und erfolgreich gemacht." 
Die Regierungszeit Otakars I, (geit. 1230), Wenzels I. 
(geit. 1253) und Otakars II, (get. 1278) bedeuten Palacky 
gleidyjam Beginn, Gipfel und Abſchluß einer Deutfchen- 
zuwanderung, die mit ähnlichen früheren Erfcheinungen in 
ger feinem Zufammenhange fteht. Eine planvolle Tolonifa- 
torifche Bewegung vor dem 13. Jahrhundert, unterftügt und 
gefördert von einflußreichen deutjchen Kräften, die im Lande 
teilten, Geiſtlichen und Sürftinnen, wie es ſich Pelzel dachte, 
tritt in der Palacky'ſchen Darftellung der Geſchichte Böhmens 
nirgends zutage. 


Diefer grundſätzliche Unterſchied zwiſchen Palacky und 
Pelzel, zeitlich ſowohl als ſachlich. wird erſt verſtändlich, wenn 
man ſich vor Augen hält, daß zwiſchen 1782 und 1886, den 
Erſcheinungsjahren ihrer beiden Hauptwerke, ein für die 
Geſchichtsforſchung in Böhmen verhängnisvoller Abfchnitt 
Tiegt: die Zeit der „Auffindung“ der gefälſchten Sandichriften 
von Königinhof und Grüneberg, über die ſchon früher ein- 
gehend geiprochen wurde. Dieje angeblichen neuen Quellen 
zur Gefchichte Böhmeng und Mährens, von denen Pelzel noch 
nichts ahnte, find für Palacky die Grundfteine geworden, auf 
denen er feine eigene Geſchichtsauffaſſung aufbaute. Sie 
eröffneten ihm ganz neue Ausblicle in die Zandesgejchichte. 
Cie ließen ihn nicht nur wie durch ein Wunderglas in ein 
großartiges, weit zurückreichendes Heldenzeitalter ſchauen, 
fondern vor allem in eine rein jlawifche Welt, ohne den leife- 
ften deutfchen Einfchlag; in ein Böhmen mit nur tichechifcher 
Sprache und Kiteratur, mit rein tſchechiſchem Zürftentum und 
Adel, mit ausſchließlich tſchechiſchem Staats- und Volksleben 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 115 





in jedweder Beziehung. Es wurde fchon früher erwähnt, 
welches Gewicht Palacky gerade auf jenen Abſchnitt feines 
eriten Bandes legte, der ſich mit „Böhmens Volksleben im 
Heidentume“ bejchäftigte, mit diefem „bei den Slawen eigen- 
tümlichen alten Rulturftand“, der ſich ihm für Böhmen bor- 
züglich aus den „Handfchriften“ erſchloß. „Das Gedicht bon 
Libuſcha's Gericht”, heit es da einmal, „iſt an ſich eine umftänd- 
lie Schilderung eines Landtags-Aftes, und daher fo wichtig 
für die Kenntnis der inneren Zuftände Böhmens .. .” In 
dem Böhmen, von dem die Königinhofer und Grüneberger 
Lieder jangen, war fein Play für Deutſche und Deutjchtum. 
Ber, wie Palacky, an die Echtheit diefer Quellen glaubte, für 
den waren fie ein bollgültiger Beweis, daß zu jenen Zeiten, 
aus denen die Gedichte angeblich ftanımten, deren politiſch- 
tulturellen Niederjchlag fie gleichſam bildeten, im 9, big 12. 
Sahrhundert, Böhmen ein ganz ſlawiſches Land geweſen fein. 
müffe, ohne jede Spur daneben beftehenden Deutſchtums bon 
irgendweldem Belange. Und wenn in den Quellen, jogar 
in Cosmas' Chronik, ſich dennoch Hinweiſe auf ein im Lande 
borfommendes Deutjchtum fanden, jo fonnte eg fi nur um 
zufällig bereingeratene Fremdkörper handeln, um deutiche 
Kaufleute, die man mit Romanen und Juden, die ſich hier an- 
ſäſſig machten, auf gleidje Stufe ftellen durfte, ohne Bedeutung 
für den ſtaatlichen Organismus. Im alten Böhmen, wie 
es fi) in den „Handſchriften“ mwiderfpiegelte, Tann eg bon 
der ſlawiſchen Einwanderung angefangen, im 7., im 8. und 
in den folgenden Sahrhunderten fein Deutichtum gegeben 
haben; Tſchechen mußten die einzigen Bewohner fein, — das 
war Palackys innerfte Überzeugung, die auch aus feinem Werfe 
klar hervorleuchtete. Und dieſe feine Anficht ift die „populäre“, 
die „offizielle” geworden in der gefamten fpäteren Geichicht- 
ſchreibung. „Im übrigen waren die Tſchechen bis zum 
10. oder 11. Jahrhundert die einzigen Bewohner des Landes”, 
haben wir ſchon oben gehört. Palacky Hatte diefen Zuftand 
fogar big ang Ende des 12. Jahrhunderts ausgedehnt. Allein 
damn Fam er ing 13, Jahrhundert, in eine Zeit, da auch in 
Böhmen und Mähren die Quellen nicht nur reicher fließen, 
gs. 


116 Sechſter Abſchnitt. 





ſondern vor allem zu den Chroniken, die im weſentlichen doh 
nur Fürften- und Kriegsgeſchichte erzählen, die Urkunden 
hinzutreten, die in das Rechts - und MWirtichaftsleben des 
Zandes, in die geſellſchaftlichen Zuftände des Volkes klareren 
Einblie gewähren. Und fiehe da! Mit einem Male zeigte fich, 
daß bier in Böhmen ein hochentmideltes Deutfhtum beftand. 
Deutſche Ort3- und Perfonennamen tauchten auf und ließen 
ſich nicht mehr überjehen und als Zufälligfeiten abtun; dann 
aber als wichtigfte Erſcheinung: „deutiches Recht“ und „deutjche 
Gewohnheit”, und zwar mit folder Deutlichkeit, dag an dem 
Vorhandenfein einer ftarfen einflußreidhen deutſchen Be- 
völferung nicht gezmweifelt werden fonnte. Palacky mußte fich 
und feinen Leſern bei der Daritellung der böhmifchen Geſchichte 
im 13, Jahrhundert die Frage beantworten: woher fommen 
mit einem Male diefe Deutjchen und ihre Einrichtungen, die 
das nad) feiner Anficht bisher einheitliche Gefüge des böhmi- 
ſchen Staates zu durdjjegen begannen? 

Nun war feit jeher befannt, weil nämlich gleichzeitige 
Quellen darüber ausführlich berichten, dag im 12. Jahrhundert 
eheden von heidniichen Slawen bewohnte Gebiete anı Ditiee- 
ftrand und öſtlich der Elbe mit deutſchem Volk mus Weſtdeutſch- 
land und den Niederlanden befiedelt worden waren, nachdem die 
Slawen dajelbft von deutjchen Zürften, Heinrich dem Löwen 
von Sachſen, Albrecht dem Bär von Brandenburg, Adolf bon 
Schauenburg, eben wegen ihres Glaubens zubor zum großen 
Zeil außsgerottet worden waren, jo daß das ganze Land öde, 
verwüſtet, menſchenleer dalag; — die befannte nordoftdeutjche 
Kolonifation des 12, Zahrhunderts.?” 

Dieſes gejchichtlich geficherte Ereignis im fernen Wenden- 
Iande meinte Palacky zur Erklärung der Entwidlung in 
Böhmen heranziehen zu Fönnen, trogdem die Verhältnifje hier 
fo ganz anders lagen. In Böhmen gab es längſt feine heid- 
nifhen Slawen mehr, die man verfolgen und bernidjten zu 
müffen glaubte, um dem Chriftentum Eingang zu bverichaffen; 
bier kann von kriegeriſchen Einbrüchen benachbarter deuticher 
Zürften Feine Rede fein; hier gab es fein Odland, Feine leeren 
Burgen und niedergebrannten Dörfer, in die man neues Volk 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 117 





hätte einführen können. Nichts mas die nordoftdeutiche Kolo- 
nifation de8 12. Jahrhunderts verftändlih macht, paßt für 
Böhmen oder Mähren. Gleichwohl knüpfte Palacky daran 
an; ohne weitere Begründung, nur nebenbei und ganz kurz. 
Er deutete bloß an, dab, wie deutſche Auswanderer „jeit der 
Mitte des 12. Jahrhunderts bis tief ing 13, nad) und nad) alle 
ſlawiſchen und ungarifchen Länder vom baltifchen Meer bis zur 
unteren Donau ſtrichweiſe einnahmen”, jo damals auch Böhmen 
und Mähren mit Deutfchen befiedelt worden fei. Und was 
ihre Serfunft anlangt, erklärte er, wiederum nur beiläufig: 
„Die neuen Anfiedler waren, wo nicht insgeſamt, doch größten- 
teils aus dem nordweſtlichen Deutſchland und den Nieder- 
landen einwandernde Koloniften”, — wie eben im Wenden- 
land. Zeit, Ort und Art der Befiedlung Fennzeichnete er in 
wenigen Sätzen: „Unter Otafar II. (1253—1278) wurden in 
den reifen (Bupen) von Elbogen, Trautenau und Glatz, dann 
im Mährifchen Geſenke Deutſche in Maſſen angefiedelt; in 
einzelnen Niederlaffungen erſcheinen fie an der Südweſtgrenze 
häufig. Die Städte aber in Böhmen und Mähren wurden alle 
von ihnen mehr oder weniger angefüllt, jo daß fie in einigen 
auch das Übergewicht über die alte einheimifche Bevölkerung 
erhielten. An manden Orten mußte diefe den neuen An— 
kömmlingen Platz machen; an anderen jchmolz fie mit ihnen 
allmählich) zufammen“. So war auch, was die Vertreibung 
betrifft, eine befcheidene Parallele feitgeftellt.?° 

Diefe teils auf falf her Analogie, teils, wie wir jehen werden, 
auf irrigen Auslegungen der Quellen beruhenden Anfichten 
Palackys, die in fo ſchroffem Gegenjag ftehen zu allem, mas 
Relzel hierüber gefchrieben Hatte, bilden aber nur da3 Samen- 
forn, aus dem dann die ganze Koloniſations und Emigra- 
tionslehre emporſchoß, wie fie bis heute die Gefchichtfchreibung 
beherrſcht.?⸗ 

Jahrzehnte vergingen. Auf dem Gebiet der Landesgeſchichte 
wurde in den bei ung jo dürren dreißiger und vierziger 
Bohren wenig gefchrieben, noch weniger geforicht. Die Xdeen 
Valackys Hatten Zeit ſich einzumurzeln, beſonders angeſichts 
des hohen Anſehens, das er als Politiker und Gelehrter in der 


118 Sechſter Abſchnitt. 





Heimat und auswärts gewann. Als dann die hiſtoriſchen 
Studien wieder reger einſetzten, ſtand ebenſo wie manch andere 
auch die Koloniſationstheorie bereits wie ein Dogma feſt und 
wurde von Geſchichtswerk zu Geſchichtswerk weiter verbreitet. 
„Palacky iſt der Schöpfer der böhmiſchen Geſchichtsauffaſſung 
von heutel”, bei Deutſchen und Tſchechen. Nur daß deutſche 
und tſchechiſche Hiftorifer, wenn fie auch beide an der Koloni- 
fation feithielten, in der Bewertung dieſes Ereignifjes für 
die Landesgeſchichte einigermaßen auseinander gingen. 
Diefe übernahmen die Palacky'ſche Lehre, meil ſich eine 
günftigere Löſung des Problems nicht leicht finden ließ, 
gedachten aber diefer Emtwidlung nur furz, nüchtern und 
fühl. Anders die deutſchen, insbejondere die deutſchböhmiſchen 
Geſchichtſchreiber. Auch fie fanden ſich mit dem Palacky’ichen 
Koloniftentun der Deuiſchen in Böhmen und Mähren ab, aber 
fie fuchten es zu vertiefen, zu verflären, mit nationalem Pathos 
zu umbüllen. 

Gleich der erjte Schriftfteller, der jeinen „deutichen 
Randesgenoffen“ 1868 eine neue „Geſchichte Böhmens“ darbot, 
2. Sclefinger, ſprach von der im 13, Jahrhundert „großartig 
in Schwung gebrachten Kolonifation in zufammenhängenden 
Maſſen“, während bisher die Deutſchen „nur in ſchwachen 
Überreften und vereinzelten Anfiedlungen vertreten waren“; 
er rühmte von ihnen, daß fie „durch ihre Geſchicklichkeit und 
sähe Arbeitsfraft weite Streden des Landes offupierten und 
einen immer engeren Gürtel um die Landesgenoffen ſlawiſcher 
Zunge zogen, deren Gebiet die vielen oafenartig in der Mitte 
de3 Landes gegründeten Stadtfolonien fiebartig durch- 
brachen“.? Ein zweiter ſchilderte, wie diefe Deutſchen „wohl- 
habend oder doch mit den Schäßen fachlicher Kenntniffe aus- 
gerüftet hereinfamen als friedliche Sendbaten des neuen 
Glauben, der Kultur und der fegenjpendenden Arbeit”; wie 
„ber deutſche Bauer Wälder und Sümpfe in fruchtbaren 
Ader berivandelte, der deutſche Bürger Städte anlegte, Handel 
und Gewerbe eröffnete, der deutſche Kiünftler und Gelehrte 
den Ruhm des Landes hob, der deutfche Ritter und Kriegs- 
knecht auf zahllojen Schlachtfeldern für den Landesherrn jein 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 119 





Blut vergoß ...“ Und in dem Buche, das für die deutiche 
Geſchichtſchreibung im Neich vielleicht am maßgebenditen 
wurde, in Bachmanns „Böhmiſcher Geſchichte“ Tiejt man von 
dem „Strom beutfcher Koloniften, der feit 1133 durch die 
offene Breſche des Egertales, bald auch durch den Paß zwiſchen 
Kaiſerwald und Dillenberg in das Innere Böhmens“ ein- 
drang, ohne daß weder diefer Beitpunft noch diefe Ortlich- 
feiten durch irgend eine Quellennachricht belegt würden; hört 
man meiter, daß unter König Wenzel I. „von Mähren ganz 
abgejehen Böhmen taufende befigender und intelligenter 
Vürgerfamilien aus allen Xeilen Deutichlands gewann”, daß 
an der „beutihen Einwanderung von Bauernfchaften nach 
Böhmen und Mähren die benachbarten Landſchaften Bayern 
und Sranfen, aber aud) das ferne Rheinland und Schwaben, 
Hefien, Weſtfalen und die Niederlande unmittelbar oder doch 
mittelbar beteiligt erfcheinen”.” Wenn man nicht, wie andere, 
ſchlechtweg von den „ungezählten Mengen arbeitsluftiger 
Menfchen, die über die Grenzen ftrömten, aus allen Gegenden 
Deutſchlands, Bayern, Franken, Sachſen, Weftfalen und den 
Niederlanden“ ,* oder von den „Taufenden, die da kamen“,*“ 
erzählte, — denn e3 erben ſich nicht nur Gefeg und Rechte wie 
eine ewige Krankheit fort, jondern auch Gefchichtslügen. 

Mit diefem Wort muß man folde Schilderungen bezeichnen, 
wenn man fic überzeugt, daß nirgend3 aud) nur ein einziger 
quellenmäßiger Beweis für fo meitgehende und fo beftimmt 
auftretende Behauptungen angeführt wird. Palackys Saat 
ſchoß merfwürdigerweife auf deutſchem Boden am Fräftig- 
ften in die Salme. Nein Wunder, wenn foldem Übereifer 
alsbald von tſchechiſcher Seite entgegengehalten wurde, daB 
diefe Einwanderer doch wohl nur dem „unfinnigen Drud”, der 
auf ihnen in der deutjchen Heimat gelaftet habe, wichen, daß 
fie „nad; einem Winkelchen Erde ausfpähten, wo fie Schuß 
und $reiheit für ihrer Hände Arbeit finden fönnten”, oder daß 
fie „dag Verlangen nad) befferem und leichterem Verdienft” in 
die Fremde trieb, weshalb bei ihnen an „irgend eine kulturelle 
Einwirkung“ nicht zu denken fei, „vorausgefegt, daß fie über- 
haupt in irgend einem Zweige des geiltigen Lebens — Wifjen- 


120 Sechſter Abſchnitt. 





ſchaft und Kunſt — dazu geeignet waren, worüber man be— 
gründete Zweifel hegen dürfe". Mit anderen Worten, dab 
es armes, unglüdliches Volk geweſen fei, das in feiner Not 
und Verzweiflung Böhmen und Mähren blo als Zuflucht 
ftätte anjah, oder Abenteurer, — Anficyten, die nicht minder 
falſch und unbemeißbar find, als jene früheren, 

Denn nod) hat Fein Forſcher, ſoviel auch ſchon drüber ge- 
ſchrieben wurde, auch nur einen einzigen Ort in Böhmen oder 
Mähren namhaft machen können, in den Deutfche — feien es 
wohlhabende oder arme, Städter oder Bauern — im 12, oder 
13. Jahrhundert auf diefe Weife aus Deutfchland herüber 
gefommen wären. Bei der jo außerordentlich großen Zahl von 
Ortſchaften, die man ſich auf diefe Weife entftanden dent, — 
man berechnet allein „weit über 700” neubegründete deutfche 
Dörfer ohne die Städte und Märkte” — gewiß eine auf 
fallende Erſcheinung. Und noch bezeichnender iſt es daß bisher 
auch i im weiten Deutſchen Reich oder in den Niederlanden nicht 
ein einziger Ort angeführt werden konnte, von dem eine ſolche 
Kolonie nad) Böhmen oder Mähren ausgezogen wäre; denn 
dort fließen die Quellen in diefer Zeit reichlicher alg bei ung, 
und wenn ſchon nicht die Ankunft hätte doch der Abzug fo 
ungeheurer Mengen aus den vericdhiedenften Gebieten einem 
Ehroniften auffallen oder Anlaß zu einer urfundliden Auf 
zeichnung geben müſſen.“ 

In Ermangelung jedwedes ſicheren Beleges, den man nicht 
aufzufinden vermochte, begnügte man ſich, immer wieder auf 
zwei oder drei Quellennachrichten hinzuweiſen, die ſchon 
Palacky dazu gedient hatten, feine Theorie zu ſtüten, die aber 
von ihm irrig aufgefaßt worden waren.” Im Jahre der 
Doppelwahl Richards bon Cornwall und Alfons’ von Kaſti- 
lien zu deutſchen Königen (1257), an der Otakar II. Iebhaf- 
teften Anteil genommen hatte, in derfelben Zeit, da er einen 
Feldzug gegen Bayern vorbereitete, den er dann im Sommer 
mit wenig günftigem Ausgang durchführte, alſo in einer 
politifch bewegten, unruhigen Periode, meldet eine Prager 
Chronik ganz kurz, daß der König zu Beginn des Frühjahrs 
Böhmen” aus der Prager Vorftadt vertrieb und Fremde dort 


Die fogenannte deutſche Kolonifation. 121 





einfeßte.° Die Nachricht fteht ganz zufammenhanglos da, 
ohne jede Erklärung diefer ſcheinbar fo ſchwerwiegenden Ge- 
walttat des Landesherrn, ohne Angabe der Schuld der Aus- 
getriebenen noch auch der Herkunft der neuen Anfiedler und 
ihres Standes. Ein ähnliches Vorkommnis aus dem Jahre 
1277 erzählt dann ein anderer Chronift, der aber erft in der 
2. Hälfte des 14. Jahrhunderts gelebt und gefchrieben hat, der 
Abt Neplach von Opatowitz, während die zeitgenöffiichen 
Quellen davon nichts willen. Auch ift der Bericht Neplachs 
berworren und widerſpruchsvoll. Er befagt, daß König 
Otakar damals, als er nad) der Ausföhnung im Vorjahre 
dem deutfchen König Rudolf anhing, die Seinen zu mißachten 
und Fremde in fein Land einzuladen begonnen habe, wobei er 
jenen dur Wegnahme ihrer Güter viel Gewalt antat. „So 
entrig er den Witigonen UfE und Neuhaus...“ und nun 
folgt die Aufzählung einiger Burgen und Güter, die damals 
ihre Beſitzer wechlelten, mit dem Schlußfag: „das Elbogner, 
Xrautenauer und Glatzer Land übergab er unter Hintanſetzung 
der Seinen an Deutjche.”*! 


Trotz moncherlei Srrtümern und Unmwahrfcheinlichkeiten, 
die der Bericht anerfanntermaßen enthält, fo daß ihn Palacky 
in feiner Daritellung gar. nicht veriwertete, fieht man ganz 
Har, worum es fi) in Wirflichfeit handelte. Wiederum, wie 
1257, in einer überaus „fritiichen Zeit, da die Politik des 
bögmifchen Königs eine gefährliche Wendung nahm und er ſich 
für einen neuen Kampf mit König Rudolf vorbereitete, zerfiel 
er mit einem Teil feines Adels, der den im Vorjahr mühlam 
bergeftellten Frieden aufrecht zu erhalten wünſchte. Otakar 
ſah ſich nun veranlaßt, gewaltfam in die Befigverhältniffe diefer 
Großen feines Landes einzugreifen, um nicht wichtige Burgen 
und entſcheidende Grenzgebiete in ihren Händen zu lafien. 
Seine Verbündeten waren die Fürſten Schlefiens, Thüringens, 
Meißen und Bayerns. Ihnen zu Liebe mußte er das Glager, 
Trautenauer, Elbogener Land unter eine Verwaltung ftellen, 
die die Nachbargebiete vor jedem feindlichen Überfall von diefer 
Seite ficherte. Er nahm alfo einigen Adligen, denen zu mib- 
trauen er Grund hatte, beftimmte Güter — zum Teil gegen 


12 Sechſter Abſchnitt. 





anderweitige Entſchädigung — weg und übertrug ſie ſeinen 
Anhängern, vielleicht Thücingern und Meißnern, worauf die 
Bemerkung Neplachs jchließen ließe, daß er dieſen verſprochen 
babe, Böhmen ihnen dauernd zu überlajjen, „wenn er Sieger 
bliebe”. Die zweite Bemerkung des Chroniften in diefem Zu- 
fammenhang, dag Otakar gedroht habe, nad; feiner glüdlichen 
Nüdfehr den Berg Petrin mit dem Blute der Adeligen rot zu 
färben, weilt, jo widerfinnig fie auch ift, darauf Hin, daß es 
fi) bei diefen Maßnahmen um nidyts anderes gehandelt 
haben kann, als unguberläffige oder unzufriedene Adlige 
unſchädlich zu machen, nicht aber um eine bürgerliche oder 
bäuerliche Kolonifation aus dem Deutſchen Reich. Zu einer 
Zeit, da dieſes fich zum Kampf gegen den Böhmenfönig rüftete 
und diefer einzelne feiner Bundesgenoſſen vor dem „uner- 
fättlihen Schlund der Deutfchen“ warnte, fomit beiderfeit3 
nationale Gefühle erregt wurden, wären wohl koloniſatoriſche 
Pläne wenig am Plage geweſen. 

Faſt fcheint es überflüffig, num noch des dritten Schein- 
beweifeg für die in Böhmen angenommene Kolonifation durch 
Deutſche zu gedenken, den zwar nicht Palacky geltend gemacht 
bat, auf den man ſich aber hier und dort noch beruft. Eine 
fernabliegende Quelle, die Kolmarer Chronik bringt zum Jahr 
1249 die Nachricht, daß nad) Beendigung des Krieges zwiſchen 
König Wenzel I. und feinem Sohn Otafar „ſich die Deutfchen 
in Böhmen vermehrt hätten”® Allerdings wird bie 
Bedeutung dieſes Sates durch die allfogleih folgende Er- 
Härung, daß Otafar nad) dem Tode feines Vaters (1253) „dieje 
Deutfchen wieder vertrieben habe“, aufgehoben, aber immerhin 
Tönnte e8 einen Anhaltspunft bieten, daß ſolche Ein- 
wanderungen doch vorgefommen feien, wenn es jid) auf bürger- 
lidje oder bäuerliche Kolonifation bezöge. Eine merkwürdige 
Analogie überzeugt uns aber, daß auch diefe Stelle anders 
aufzufaffen ift. 

Von Herzog Albrecht I. von Öfterreich (1276—1298) wird 
glaubwürdig berichtet, daß er „nicht aufhörte, ſchwäbiſches Volk 
in Öfterreidh zu vermehren, die Einheimiſchen und im 
Rande Geborenen dagegen zu unterdrüden”. Man bat dieje 


De jogenannte deutſche Kolonijation. 123 





Bemerfung nie anders aufgefaßt, ala daß Albrecht ſchwäbiſchen 
Adel nad) Kfterreich gezogen und diejen „Fremden“ auf Koften 
der heimiſchen Großen „hohe mit reidem Ginfommen und 
hohen: Anfehen verbundene Würden“ übertragen habe, um 
feinen Anhang gegenüber feinen Gegnern zu ftärfen;** nicht 
aber um bier zu Eolonifieren, Bürger und Bauern anzufiedeln. 
Man wird die auch im Wortlaut anflingende Bemerkung des 
Kolmarer Chroniften betreff Böhmens nicht anders auf- 
faffen dürfen. Wir wiſſen von König Wenzel I., daß er fein 
Heer durch deutiche, aber auch öſterreichiſche und ungariſche 
Kriegsleute vermehrte, die er dann nah Ablauf des 
Krieges in entſprechender Weiſe entlohnen mußte. Auch 
bier, wie in den beiden früheren Fällen, handelt es fich nicht 
um Eolonifatorifhe Pläne, fondern um Verftärfungen für 
Triegerifche Unternehmungen. Es mar ein arger Irrtum, 
ſolche in kriegeriſchen Zeitläuften borübergehend eintretende 
Verwendung von fremdem Kriegsvolk umzudeuten in eine Ein- 
wanderung oder Berufung dauernd ſich niederlaffender Bürger 
und Bauern aus allen Gauen des deutfchen Reiches in die 
verſchiedenſten Gegenden des böhntifch-mährifchen Landes, wie 
es zuerſt Palacky verſuchte und worin ihm dann die fpäteren 
Geſchichtſchreiber treulich gefolgt find. Allein e8 war ein ver- 
bängnisboller Mißgriff, darüber hinaus zur Stüße für die 
KRolonifationstheorie num noch eine Stelle ing Xreffen zu 
führen, die Palacky jehr wohl gefannt*® aber nicht herangezogen 
bat, deren unrichtige Deutung wiederum auf Pelzel zurüdgeht, 

Es gibt eine Urkunde des Herzogs Sobieſlaw (1173—1178) 
für die Deutſchen in Prag, bon der noch in anderem Zu- 
fammenhang zu fpredhen fein wird, die ſich aber nur alg eine 
Betätigung und Erneuerung eines nod) älteren Privilegs bon 
König Wratiflam (10611092) darftellt. Sie ift nachher von 
den meiften böhmifchen Königen bis auf den Luxemburger 
Johann (27. Suli 1319) beftätigt worden, fo auch bon König 
Wenzel I. (1230-1253). Und in der Einleitung diefer Be 
fätigung, nicht in der Urkunde felbft, geſchweige denn in jener 
Sobieſlaws und Wratiſlaws, wie man irrtümlich angibt, heißt 
es, daß Wenzel den Deutſchen auf ihre Bitte hin die Statuten, 


124 Sechſter Abſchnitt. 





die ſie von ſeinen Vorgängern beſitzen, wortgetreu erneuern 
und nichts daran ändern noch davon wegnehmen wolle, was 
fie „feit ihrer erſten Berufung nad) Böhmen“ an Rechten und 
Sreiheiten durch die Fürften mit Recht erlangt haben.“ 

Pelzel, der die Urkunde zum erſtenmal mit allen Beftäti- 
gungen abdrudte,* mußte nichts Rechtes mit ihr anzufangen, 
da ihr bedeutfamer Inhalt mit feinen Anſchauungen über das 
böhmifche Deutſchtum wenig übereinftimmte. Ihm galt fie 
nur als ein Beleg dafür, daß die bon Herzog Spitignew 1055 
vertriebenen Deutſchen unter deſſen Nachfolger Wratiſlaw 
doc; wieder zurüdgefommen fein mußten, wenn diefer ihnen 
ein ſolches Privilegium ausftellen konnte. Erſt in Schlefingers 
Geſchichte der Deutfchen in Böhmen beginnt die Ausnützung 
dieſes Satzes für die Frage der Kolonifation, troßdem, mie 
bemerft, Palacky wohlweislich über ihn hinweggegangen war. 
Schlefinger glaubte die wenigen Worte von der „eriten Be- 
rufung nad; Böhmen“ dahin erläutern zu können, dag „die 
Deutihen von den böhmiſchen Fürften ausdrüdlid) 
eingeladen wurden, in dag Sand zu fommen, um ſich dafelbft 
unter vorteilhaften Bedingungen niederzulafjen ... .“;“ ja er 
ging fpäter ned) weiter und berief ſich auf diefe Stelle als 
Zeugnis dafür, daß ſchon Wratiflam „den erften Anlaß zur 
planmäßigen folgenfhmweren Kolonifation 
der Deutſchböhmen gegeben habe“, indem er „fremde Kauf- 
leute und Handwerker zur dauernden Niederlaffung in Prag 
einlud . . .";°° Behauptungen, für die auch nicht der Schein 
eines Beweiſes zu erbringen ift. Im günftigiten Fall könnte 
man nur fagen, daß der Schreiber der Urkunde König Wenzels 
die Deutfchen in Böhmen als ind Land „gerufen“ angefehen 
babe. Bon einer Berufung durch die böhmischen Fürften, von 
vorteilhaften Bedingungen, von Kaufleuten oder Sandiverfern, 
von dauernder, Niederlaffung fagt auch er nicht8, die Urkunden 
Sobieflaws und Wratiflamg enthielten aber au die Worte 
bon der „eriten Berufung nach Böhmen“ nicht, wie ſich aus 
dem erhaltenen Wortlaut Klar erfennen läßt. 

Allein aud) die Annahme, daß der Urkundenfchreiber 
Wenzel I. an wirklid ing Land gerufene Deutiche gedacht 
habe, ift unwahrſcheinlich. 





Die fogenannte deutſche Kolonifation. 125 





Wer fich mit mittelalterlichen Urkunden beichäftigt hat, weiß, 
daß ſolche Einleitungen, die jogenannten Arengen, gerne 
Bibelzitate, rhetorifche Wendungen, tönenden Wortſchwall ver- 
wenden, denen man feinen geſchichtlichen Wert zuſchreiben 
darf.’ Audi in unferem Falle hat der alte Schreiber gewiß nicht 
an eine zeitlich beftimmbare Berufung der Deutichen nad) 
Böhmen durch weltliche Fürften gedacht, fondern in Anlehnung 
on befannte Bibelworte an die erfte uranfängliche Berufung 
durch Gott.” Die Worte in der MWenzelurfunde find zu 
allgemein und unbeftimmt und auch an einer biel zu belang- 
Iofen Stelle, um aus ihnen für eine Kolonifation in Böhmen 
irgendwelche Schlüffe zu ziehen, geſchweige jene weitgehenden 
Bolgerungen, die wir bei Schlejinger gelefen haben und die bon 
fpäteren Verfechtern der Theorie iibernommen wurden. 

Man muß nur den berühmten erjten „Roloniftenvertrag bon 
1106“, den der Erzbiichof Friedrich von Bremen mit Holländern 
abgeſchloſſen hat,°® zum Vergleich heranziehen, um ſich zu über- 
zeugen, wie ſonſt in Urkunden geſchichtliche Vorgänge diefer 
Art ar und fachlich behandelt werden. Hier kann fein 
Zweifel darüber auffommen, daß es fremdes Volk war, das 
berufen wurde, hier wird gefagt, woher fie famen, zu welchem 
Zweck man fie berief. Und dieſe Urkunde bildet keineswegs ein 
bereingeltes Beifpiel in unferer Überlieferung, felbjt wenn wir 
bon den Belegen für die nordoftdeutiche Kolonifation im 
12. Zahrhundert, von der ſchon geſprochen wurde, abjehen. 
Auch über viel bejcheidenere Aus- und Einwanderungen werden 
mir ftet3 unzweideutig unterrichtet, wie es ſich bei Ereignifjen 
bon ſolcher Tragweite von felber berfteht. 

Wie einfach und beftimmt lautet die Nachricht von einer 
Verſchickung deutſcher Bürger und Bauern aus dem Lütticher 
Bistumfprengel nad Ungarn in der zweiten Hälfte des 
11. Sahrhunderts. Infolge einer jchredlihen Hungersnot 
mußten fie ihre Heimat verlaffen und fanden Aufnahme in der 
Erlauer Diözefe, zum Dank dafür, dab einige Jahrzehnte zubor 
ungarifches Wolf, das von ähnlichem Unglück heingefucht 
worden war, auf den Ländereien de3 Biſchofs Reginhard von 
Lüttich (1025—1037) angefiedelt worden war.” Zu Beginn 


126 Sechſter Abſchnitt. 


des 12. Jahrhunderts, um 1104, erfolgte durch den Grafen 
Wigbert bon Groitſch Anſiedlung fränkiſcher Bauern aus 
Lengefeld im Gebiet der ſächſiſchen Mulde, mag der heimifchen 
Geſchichtsſchreibung im Klofter Pegau nicht entging und der 
Aufzeichnung für wert erachtet wurde, obwohl es fih nur um 
eine beſcheidene Kolonifation handelte.” Bon der Ankunft 
„tüchtiger Männer aus Flandern“, denen der Meiner Biichof 
Gerung 1154 ein Dorf überließ, ſpricht eine gleichzeitige 
Urkunde; eine andere „von dem Volk aug dem Lande Holland”, 
das Bifchof Wichmann von Naumburg 1152 anfegte.” Im 
Sahre 1259 führte eine Sungersnot in Bayern zur Aus— 
wanderung einer „ungezählten Menge“ nach — Ungarn.““ 
Nur in Böhmen ſollte das Einſtrömen von tauſenden und aber- 
taufenden Bürgern und Bauern unbemerkt geblieben, jollte 
eine Eintvanderung Jahrhunderte hindurch an der zeitgenöffi- 
ſchen Berichterftattung ſpurlos borüber gegangen fein? Und 
ſolche geſchichtliche Unwahrſcheinlichkeit, um nicht zu fagen Un- 
möglichkeit, fuchte man wettzumachen durch falſche Auslegung 
einer biblifhen Redensart eines Urkundenſchreibers, die man 
neueiteng jogar zum „denkbar unzweideutigſten Beugnig für 
die Bumanderungsbewegung“ ftempelte.s® 

So häuften ſich Übertreibungen, Fehler auf Fehler. Es 
war ein falſcher Weg, als man Palacky's brüchigen Unterbau, 
anftatt ihn zu überprüfen, noch mit den Pelzel'ſchen durchaus 
willfürlihen Hypotheſen krönte. Dadurch erft entitand die 
allgemeine Vorjtellung und der Glaube, daß diefe Kolonija- 
tionsbeivegung eine Stärke und Ausdehnung gehabt haben 
müffe, die alles in den Schatten ftellte, was fonft bon Kolo- 
nifation und Germanifation bekannt war, daß fie ſich jener in 
Nordoftdeutichland an die Seite ftelle. Fragt man aber nad 
ben Beweisgründen, nah den glaubwürdigen geſchichtlichen 
Beugniffen, dann erweiſt fi) alles als unhaltbare Theorie, teils 
ausgeflügelt, teil3 auf irrigen Vorausſetzungen aufgebaut. 





Siebenter Abfchnitt. 


Das deutfche Recht, die deutfhen Städte und Rloͤſter 
in premyſlidiſcher Zeit. 

Wenn eine ftärfere deutſche Einwanderung in Böhmen 
und Mähren, geſchweige denn eine „Rolonifation“ nad) der 
Nawifchen Befiedlung, alfo nad; dem 8. Jahrhundert nicht ftatt- 
gefunden haben kann, jo bleibt wohl für das Vorhandenfein 
deutſchen Volkes in diefen Ländern in premuflidifcher Zeit 
eine andere Erflärung übrig, als alte Anfäffigfeit. Nun willen 
wir, daß vom Beginn der dhriftlichen Zeitrechnung an bier 
germanifche Völfer gewohnt haben, über die zivar die gefchicht- 
lichen Nachrichten jeit dem 5. Sahrhundert feheinbar ver- 
ftummen, über deren Untergang aber, Auswanderung oder 
Vernichtung, nichts befannt ift. Und ebenſo ficher ift, daß die 
Länder rings um Böhmen und Mähren gegen Norden, Weiten 
und Süden die ganzen Jahrhunderte hindurch ohne Unter- 
brechung von Germanen bewohnt geweſen ſind, die ſich dann 
in deutſche Völkerſchaften, Bayern, Schwaben, Thüringer, 
Franken, Sadjfen, umbildeten, wenn wir auch diefen Um- 
bildungsprogeg — um die Worte eines neueren deuffchen 
Geſchichtsforſchers zu gebrauchen — „im einzelnen feftzulegen” 
nicht mehr vermögen; ich möchte hingufügen: ebenſowenig wie 
mir die Grenzen, die diefe Völker urfprünglid) innegehabt haben, 
und insbefondere die Ausdehnung ihrer Gebiete nach Dften 
bin beftimmen fönnen, 

Wir jehen nun, dab bi zum heutigen Tage in Böhmen 
und Mähren längs der ganzen füdlidyen, weitlichen und nörd- 
lihen Grenze zufammenhängend Deutfhe wohnen, die den 
Völkerſchaften jenjeit8 des Gebirges entiprechen, Bayern im 
Süden und Südweſten, weiterhin Oftfranfen, Oberſachſen, 
Schlefier; „nicht befondere deutſchböhmiſche Stämme, fondern 
gleichſam über dag Grenzgebirge vorgetriebene Glieder deuticher 
Volksſtämme aus dem betreffenden Nachbarlande“, wie man 


128 Siebenter Abfchnitt. 





gelegentlich gejagt hat, um fich den merfwürdigen Bufammen- 
hang zwiſchen deutſchböhmiſchem und reichsdeutſchem Volks· 
tum zu erklären.⸗ 

Um wiebiel tiefer ins Land dieje deutſche Maffe bis zur 
erften gewaltfamen Burüddrängung in den Huflitenfriegen 
gereicht hat, Fann man aus der Nachricht eines heimifchen 
Chroniften fließen, welche bejagt, daß um das Jahr 1334 
„ber Gebraud) der deutſchen Sprache faft in allen Städten 
des Königreiches und aud) am Hofe allgemeiner war, als der 
der böhmifchen (ſſawiſchen)“. Das Deutſchtum wurzelte aljo 
nod im 14. Sahrhundert überall im Lande, war damals Feines- 
wegs auf den Rand und Spradjinfeln beſchränkt, deren Ent- 
ftehung ohnehin nur aus dem Zurüdfluten ehedem ringsum 
anfäfligen deutſchen Volkstums zu erklären ift. Es liegt fein 
Grund vor, diefe vom Chroniften bezeugte alljeitige Aus- 
breitung des Deutjchtums über das ganze Land nicht auch für 
die früheren Jahrhunderte gelten zu laffen, wenn auch noch 
feine Städte, fondern andersartige Anfiedlungen die Wohnfige 
bildeten. Das Vorhandenfein von Slawen neben den Deutſchen 
ſtellt auch die Nachricht von 1334 feit. 

Es gebt zurüd auf ihr Eindringen in die deutfche aus ber- 
ſchiedenen Stämmen ſich zufammenjegende Völkermaſſe Mittel- 
europas, dazu aud) Böhmen und Mähren gehört, ſpäteſtens 
feit dem 8. Jahrhundert. Diefe ſlawiſche Einwanderung bon 
Oſten her ging langjam aber ftetig vor ſich und allem Anfchein 
nad) ohne auf deutfcher Seite ernftlicjeren Widerftand zu finden. 
Die neue Bebölferung verſchmolz aber nicht organisch mit der 
alten, ſondern lebte mit ihr nur räumlid) auf dem gleichen 
Boden; „jo dab die Slawen... über Gebirg und Fluß nad) 
Weiten hin fich ausbreiteten, wo in ſpärlich bevölferten Wald- 
und Sumpfdiftriften niemand hemmend und wehrend ihnen 
entgegentrat ... weſtlich der Elbe und Saale, wie des Böhmer- 
mwaldes“.* Alfo nicht nur im heutigen Böhmen und Mähren, 
ſondern weit darüber hinaus in bayriſchem, fränkiſchem, fäd- 
ſiſchem Gebiet. Die Siedlungsmiſchung zwifchen Deutſchen und 
Slawen beſchränkte fi) von Anfang an nicht auf unfere Länder, 
die gleiche Erſcheinung zeigte fich auch im ganzen Umfreiß 


Das deutſche Recht, die deutfchen Städte und Klöſter. 19 





nördlich, weftli und ſüdlich. Die böhmifchen Berge und Wäl- 
der bedeuteten für das Vordringen der Slawen ebenfowenig 
eine Schranke, wie fie Jahrhunderte zuvor auch germanifche 
Völker nicht gehemmt hatten, in das damals keltiſche Land ein- 
audringen. In borgeichobenen Stellungen jaßen Slawen im 
8. Sahrhundert am Main, in Hannover, Braunfchweig und 
anderwärts.“ Es ijt felbitverftändlich, daß entiprechend dem 
entgegengejegten Ausgangspunkt der Wanderung das Slawen- 
tum gegen Weſten, da3 Deutichtum gegen Oſten hin ſich ab- 
ebbte; denn ſcharfe Grenzen konnten bei folder Entwicklung 
zunächſt nicht entitehen. Böhmen und Mähren famen gleichſam 
in eine mittlere Bone zu liegen, wo die einander entgegen- 
wirkenden Ströme fich am meiften mifchten und ein gewiſſes 
Gleihmaß behaupteten. Immerhin bis ins 14. Sahrhundert 
überwog nad) der obigen Ausfage die deutſche Bevölkerung 
zumindeſt in den Städten; jomit früher in jenen Siedlungen, 
die ſich allmählich zu Städten ausbildeten. 

Wenn dann im Verlaufe der Jahrhunderte das Slawen - 
tum aus Franken und Thüringen, Bayern und Sachſen wieder 
verſchwand, nicht aber aus Böhmen und Mähren, wenn das 
Deutſchtum nördlich und ſüdlich von Böhmen wieder ſtark bor- 
geichoben wurde, einerſeits bis an die Oder, andererſeits bis 
an die Leitha, dazwiſchen aber bie böhmiſch-mähriſche Aus- 
buchtung ala national gemiſchtes Gebiet beitehen blieb, wie 
dieg jede Völferfarte des fpäteren Mittelalter8 jo markant 
herbortreten läßt,* fo hängt dies mit den geſchichtlichen Bor- 
gängen und Ummälzungen am der Mende des 8. und 9. Jahr- 
bundert3 zufammen, Den wahren Grund zu diefer Geftaltung 
der nationalen Schichtung im Mittelalter Iegte Karl d. Gr., 
als er Bayern und Sachſen — Thüringen hatte dag gleiche 
Schickſal jchon früher getroffen — dem Frankenreiche ein- 
berleibte. Es war feine friedliche Verbindung, Fein freiwilliges 
Aufgehen diefer deutichen Stämme in den karolingiſchen Staat, 
der in Wefteuropa feinen Schwerpunkt hatte. Nicht nur die 
langen Stiege beiveifen e8, die Karl deswegen führen mußte, 
fondern auch, daß die Bayern und fpäter auch die Sachſen 
fogar die Bundesgenoſſenſchaft der Awaren fuchten, um biel- 


Bretdolg, Sei. Böhmens u. Mäfrene, T. [2 


130 Stebenter Abſchnitt. 





leicht mit deren Hilfe fich behaupten zu fönnen; auch die 
Teilnahme jlawifcher Völfer an den Kämpfen der Sadjen 
gegen Karl ift durchaus wahrjcheinlich.” 

Bei ſolchem Widerftand mußte ſich Karl fchlieblic) begnügen, 
wenigjteng die weitlichen Teile der von Bayern und Schwaben, 
Thüringern und Sachſen bewohnten Gebiete für das Franken- 
reich zu gewinnen, und tradjten, durd) eine natürliche Grenze 
feine Eroberungen zu fichern. Sie bot fi) dar in dem Fluß - 
laufe der Elbe und Saale ſowie in dem Randgebirge Böhmens, 
Damals, unter Karl d. Gr., aljo rund 800, wurde erſt die 
böhmifche Zandedgrenze geſchaffen oder zu fchaffen begonnen, 
die nun Deutſche von Deutichen fchied. Was von den deutſchen 
Stämmen jenjeit3 diefer Grenze wohnte, mit Slawen ſchon 
ftärfer gemifcht ſich leichter gegen die Einverleibung wehren 
Tonnte, wurde nicht aufgenommen in dag karolingiſch-fränkiſche 
Neid). Die Teile des deutfchen Volkes, die öftlic) vom Böhmer- 
wald faßen, waren nun abgetrennt von dem Zufammenhang 
mit den Stammesgenofjen, die fortan zum Franfenreich ge- 
hörten, Karl verzichtete oder mußte verzichten auf die öftlichen 
Ausläufer des bayriichen, fränfifchen, thüringiſchen und ſäch- 
fiihen Stammes im böhmifd-mähriicen Kefiel, erhielt aber 
dadurch um fo fiherere Grenzen für die jeinem Reiche eingefüg- 
ten Sauptgebiete diefer Völferfchaften. 

Man wird einigermaßen gemahnt an das, was Bismarck 
1866 und 1871 hatte tun müfjen: ein deutfcheg Reich gründen 
ohne die Deutſchen in den Sudetenländern und in Üfterreich; 
ähnlid) mußte ein Jahrtauſend früher Karl d. Gr. ein frän- 
kiſches Reich aufbauen ohne die Deutſchen in den uralten 
deutſchen Ländern Böhmen und Mähren. 

Und nun erſt, nadjdem diefer Schmitt mitten durch das 
deutſche Volkstum vollgogen war, konnte fid) Iangjamft, von 
Prag feinen Ausgangspunkt nehmend, ein neues Staatätvejen 
ausbilden in den natürlichen Grenzen Böhmens und Mährens, 
beftehend aus uralter deutfcher Bevölkerung gemiſcht mit jpäter 
Binzugefommenem Slawentum. 

Was es nun aber für ein Volk zu bedeuten bat, wie füc 
Deutſche fo für Slawen, vom Kauptftamm, mit bem man 


Das deutſche Recht, die deutichen Städte und Klöfter. 131 





ſprachlich und Fulturell verwachſen ift, abgefchieden zu werden 
und mit einem ſprachlich und Fulturell fremden Volke rein 
nur durch ftaatliches Band verknüpft zu fein, das lehrt die 
weitere Entwidlung. Die Slawen in oitfränfifchen, fpäter 
deutichen Reich Eonnten ſich bis auf Kleinere Reſte überhaupt 
auf die Dauer nicht halten, nachdem ihr völkiſcher Bufammen- 
bang mit dem Dften unterbunden war, fondern wurden, hier 
raſcher dort langſamer, vom Deutſchtum aufgejogen. Diefe 
Kraft beſaß das Deutichtum in Böhmen und Mähren, nın- 
mehr auf fich jelber angewieſen, nicht. Hier fonnte ſich jomit 
das Slawentum nicht nur neben dem älteren deutſchen Volke 
leicht behaupten, fondern ſich fortentmwideln und innerlich Eräf- 
figen. Aber umgefehrt, an eine Slawiſierung der Deutſchen 
in dieſen Ländern war ebenſo wenig zu denken. Dazu war 
das Deutſchtum im Boden des Landes zu tief eingewurzelt 
und hing trotz politiſcher Scheidung kulturell zu enge zuſammen 
mit dem großen deutſchen Volk jenſeits der Grenze, Zurüd- 
drängung, Verfolgung, Unterdrüdung begann früh und nahm 
in den Zeiten der Huffitenfriege einen gewaltſamen Charakter 
an, eine bollfommene Vertreibung war aber ebenfowenig durch⸗ 
führbar wie eine Slawiſierung. 

Und fo lebten denn Jahrhunderte lang Deutſche und 
Slawen in Böhmen und Mähren als zwei verſchiedene Völker 
neben einander und unter einander, bald diefes bald jenes im 
Aufftieg oder Niedergang. Diefe Berjchiedenheit und Gefondert- 
beit, diejes Getvenntfein trog räumlicher Berührung hat nie- 
mand fo klar und beftimmt ausgeſprochen und gleichjam als 
geichichtliche Tatſache feitgelegt, als der Herzog Sobieslaw II. 
mit dem Beinamen „der Bauernherzog“, der von 1173 big 1178 
regierte. Und zwar in einer Urkunde, die mit den Worten 
beginnt: 

„Sch Sobieflaus, Herzog der Böhmen, tue fund allen Gegen- 
wärtiger und Bufünftigen, daß ic} in meine Gnade und meinen 
Schuß aufnehme die Deutfchen, die unter der Burg von Prag 
leben und ich will, daß diefe Deutjchen als Wolf (natione) 
geidhieden bleiben von den Böhmen, wie fie auch bon ihnen 
verſchie den find durch ihr Recht und ihre Gewohnheit. Sch 

9. 


132 Siebenter Abſchnitt. 





gewähre daher dieſen Deutſchen zu leben nach dem Geſetz und 
der Gerechtigkeit der Deutſchen, die ſie ſeit den Zeiten meines 
Großvaters, des Königs Wratiſlaw, gehabt haben ...“. — 
Damit iſt Wratiſlaw, der treue Freund Kaiſer Heinrichs IV. 
gemeint, der von 1061—1092 regiert hat. 

Der Beitand deutfcher Bevölkerung in Böhmen ift fomit 
durch diefen urfundlichen Beleg fpätefteng fr die weite Hälfte 
des 11. Sahrhunderts verbürgt. Es handelt ſich nur darum, 
wie man die Urkunde auffaßt und welchen Wert man ihr für 
die Gefchichte des Deutichtums im Lande zuſchreiben darf, da 
fie nur don Deutſchen bei der Prager Burg ſpricht. 

Die Urkunde ift eigentlich erft dur; Dobner im Jahre 1782 
befanntgemadht und von Pelzel, wie früher erwähnt wurde, 
verivertet worden.” Palacky war fie jelbitverftändlich geläufig, 
doch berief er fi) auf fie nur an der einzigen Stelle, wo er 
von dem Kandel in Böhmen unter Wratiflaw jpridjt, der 
damals „in den Händen von Ausländern, Juden, Stalienern 
und Deutichen, ſich befand“. Und wie Palacky diefe Prager 
Deutihen nur als fremde zugezogene Händler anfah, jo 
Iefen wir in den heute berbreitetiten böhmiſchen Geſchichts- 
büchern unter Hinweis auf diefe Urkunde: „Aug der anfangs 
fo Heinen Raufmannsfolonie bei St. Peter entwidelte 
ſich die mächtige Stadt Prag“; oder „Sobiejlam hat den deut- 
ſchen Kaufleuten des Prager Burgfledeng die Privilegien 
feines Großvaters, König Wratiflaws, neu beftätigt und ver- 
mehrt“; oder „der Freibrief Sobieflaws, die ältefte ehrwürdige 
Urfunde diefer Gemeinde (der älteften Anfiedlung deutfcher 
Gejhäftsleute)“ u. ähnl Die „ſuggeſtive Macht“ der 
Anfichten Palacky's, wie man es genannt at, getgt ſich wohl 
bier am klarſten. Palacky hatte die Urkunde als eine Rechts- 
verleihung an eingeiwanderte deutiche Händler eingeichägt, — 
die ganze Weitere Geſchichtſchreibung übernahm dieſe Auf- 
faſſung. Und doch kann fich jeder Leſer leicht überzeugen, daß 
nicht ein Paragraph, nicht ein Say und niit ein Wort in der 
ganzen langen Urkunde darauf Hindeutet, daß fie ſich auf 
Handels · oder Kaufleute bezöge; daß von Waren, Zoll, Nieder- 
lage, Münze und anderen Dingen, die man in Raufmannz- 


Das beutfche Recht, bie deutſchen Stäbte und Klöfter. 138 





ftatuten erwarten müßte, nicht nur Feine Rede ift, fondern ſich 
auch nicht der Ieifefte Hinweis darauf entdeden läßt. Und mit 
gleicher Entichiedenheit muß darauf Gewicht gelegt werden, 
daß nirgends bon Einwanderung oder Berufung, nichts bon 
Deutichen, die aus dem Reich gefommen wären, zu leſen ift 
ober irgendwie herausgelejen werden kann, wie e8 leider wieder- 
holt geichehen ift. Schon die völlige Parallelftellung der Deut- 
ſchen mit den Slawen in der Einleitung widerjpricht der Auf- 
faſſung, als ob es fich bei jenen um eine kleine Zahl Koloniften, 
bei diefen um die Maſſe des heimifchen Volkes handeln könnte. 
Aber auch der Wortlaut und Sinn des ganzen Privileg und 
einer Anzahl von Paragraphen fteht folder Anficht ſchroff ent- 
gegen. 

Ein Sag lautet: Die Deutſchen braudyen zu Feiner Eriege- 
rifchen Unternehmung außer Landes mit außzuziehen, fondern 
nur, wenn e3 gilt, für das Vaterland (pro patria) zu kämpfen. 
— Schon bier tut ſich der Gegenjak Fund, den der Fürft 
zwiſchen der deutſchen und ſlawiſchen Bevölkerung betont. 
Nur dieje wird aufgeboten, wenn Böhmen ala Lehensland des 
deutichen Reiches an den Kriegszügen des deutichen Kaiſers 
wohin immer teilnehmen muß. Die Deutichen find von einem 
ſolchen Dienit frei und ihre kriegeriſche Mithilfe kommt nur in 
Betracht, wenn e3 fi) um die Verteidigung des Landes handelt, 
das hier ausdrüdlich als ihr, der Deutfchen, Vaterland 
begeichnet wird. 

Es drängt fid} hiebei wohl auch der Gedanke auf, daß eine 
ſolche Beitimmung fi) doch unmöglich auf eine Eleine Kolonie 
bon einigen zugewanderten Familien beziehen fönne, daß ein 
Deutichtum, das zur Verteidigung ganz Böhmens herangezogen 
wird, doch wohl nicht auf einige Dutzend wehrfähiger Männer 
nächſt Prag und nicht leicht blos auf Händler und Kaufleute 
beſchränkt geivejen fein Tann. 

Von bejonderer Wichtigkeit ift aber diefe Beſtimmung des · 
halb, weil fich hier Grundanfchauungen wiederfinden, die im 
Kampf ſowohl der Bayern als der Sachen gegen Karl d. Gr. 
eine Rolle gefpielt haben, indem beide Völker ſich bei 
ihrer Unterwerfung der Verpflichtung zur Heeresfolge gegen 


18 Siebenter Mbfemitt. 





andere Nationen, alfo außerhalb ihrer Seimat, widerfegten.t? 
Diefen Standpunkt, den das ſächſiſche und bayrifche Volt am 
Ende des 8. Jahrhunderts vertrat, jehen wir hier im Prager 
Deutſchenrecht des 11. Jahrhunderts wieder ausgeſprochen und 
aud vom Böhmenherzog anerkannt. 

Ebenſowenig wie diefer Sat, der die Verteidigungspflicht 
der Deutfchen auf dag Land Böhmen befchränkt, läßt ſich mit 
der Auffaſſung der Prager Deutſchen als bloßer Kaufmanns 
kolonie ein anderer Paragraph in Einklang bringen, welcher 
lautet: Wenn fid) der Herzog auf einer Friegerifhen Unter- 
nehmung außerhalb Böhmens befindet, dann ift e8 Sache der 
Deutfchen, die Prager Burg zu bewachen. — Ein ſolches Ver- 
trauen zu „Sremden“, eine folde Vorzugsſtellung hier einge 
wanderter „Kauf⸗ und Handelsleute“ erjchiene wohl unfaßbar 
und würde eine Sintenjegung der einheimifchen Bevölkerung 
ſlawiſcher Nationalität bedeuten, für die eine Erflärung erſt 
erbracht werden müßte. Weiters aber fordert die Beftimmung 
die Frage heraus, wer wohl die anderen landesfürftlichen 
Burgen im Lande in diefer Zeit betvachte, da doch die ſlawiſche 
Bebölferung den Herzog auf feinem Seereszug zu begleiten 
hatte. Doc; wohl wiederum nur die Deutſchen, die, wie am 
Fuße der Prager Burg, auch im Umkreis der anderen Burgen 
anfällig waren. 

Ein nächſter Baragraph heißt: Die Deutfchen find frei bon 
allen den Verpflichtungen, die für Gälte, Fremde, Anfümm- 
linge zu leiften find. — Wollte man diefe Verfügung mit der 
Koloniften- und Emigrantentheorie in Einklang bringen, dann 
müßte man annehmen, daß dieſe Deutſchen, die ſelbſt erſt vor 
kurzem als Säfte, Sremde, Ankömmlinge ing Land gefommen 
mären, ſich in geradezu durchtriebener Weiſe allfogleich von 
jenen Pflichten au befreien verftanden hätten, danf derer fie fich 
bier überhaupt anfällig gemacht haben könnten. Sie hätten 
die Laſten für etwaige neue ſtammverwandte Zuwanderer 
von ſich abgewälzt und der heimifchen ſlawiſchen Bebölferung 
aufgebürdet! Als neue Einrichtung tft eine ſolche widerfinnige 
Beſtimmung nidt su verftehen. Wohl aber als altes 
Gewohnheiisrecht, ala Herkommen, wonach, wie dies auch im 


Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter. 135 





fränfifchen Reich der Fall war, Beherbergung, Bewirtung und 
Reifebeförderung gewiſſer Perfonen, die mit Iandezfürftlicher 
Erlaubnis oft mit ftattlichem Gefolge ins Land kamen, nicht ala 
Gaſtfreundſchaft galt, fondern als Untertanenpflict, die bie 
Deutſchen nicht traf. 

Schon diefe Beftimmungen zeigen, daß es ſich nicht um die 
bejonderen Rechte, „Statuten“, einer Berufsgenoſſenſchaft 
handelt, fondern um ererbte Freiheiten, um uralte, feit langem 
gültige Volfögejege, die vom Herzog aus irgendeinem Grunde 
damals anerfannt und beftätigt wurden; Gewohnheitsrecht der 
Deutichen unter Wratiſlaw in gefeliche Form gebracht. 

Mlein der mwichtigfte und begeichnendite Say in diefer 
Urkunde ift der $ 12, Er ift ganz kurz und lautet: Denn ihr 
follt wiſſen (in diefer Befehlsform), daß die Deutichen freie 
Menfchen find. — Daraus erhellt, daß es im damaligen premy- 
ſlidiſchen Staat auch nichtfreie Leute gab, nur gehörten die 
Deutfchen, die hier lebten, nicht zu ihnen. Gewiß auch nicht die 
ganze ſlawiſche Bebölferung, aber beftimmte Schichten. 

Eine Reihe weiterer Beltimmungen diejes Privilegs 
erläutern diefen Grundfag bon der perſönlichen Freiheit der 
Deutichen im Lande. Sie wählen frei ihren Pfarrer und ihren 
Richter; über fie urteilt nur ihr eigener Richter, auch wenn die 
Klage gegen einen Deutjchen von einen Slawen oder Romanen 
bor dem oberften Kämmerer erhoben wird. Die Deutjchen 
dürfen nicht gefangen genommen und in den Kerker gebradjt 
werden, wenn fie Bürgen ftellen oder im Befik eines eigenen 
Hauſes ſich befinden. rei find fie auch in der Aufnahme von 
Ankömmlingen und Gäften, „aus welchem Lande immer fie 
fommen“, in ihre Gemeinſchaft, die damn aber auch nad) den 
Gefegen und Rechten der Deutſchen Ieben müſſen. 

Nein; diefe Deutichen in Prag, die über einen folchen 
Heimatſchein ihrer uralten Buftändigfeit in diefem Land ver- 
fügen, find nidjt ein befonderer Stand von bloßen Nauf- und 
Handelsleuten, nicht ein zufällig hierher unter die Mauern 
der Prager Burg von außen hereingetriebener Fremdkörper, 
nicht ein bereinfamtes Inſelchen im ſlawiſchen Meer. Mit dec 
irrigen und grundlojen Annahme, daß die Wratiſlaw-Sobies · 


186 Siebenter Abſchnitt. 





lawſche Urkunde nur für etliche eingewanderte Deutſche ad hoe 
erlaſſen wurde, hat man ſich von vornherein den klaren Blick 
füc ihren Wert getrübt und dag Urteil über fie in eine falſche 
Richtung gelenkt. Mit einem Häuflein Iandfremder Händler, 
die fort und fort auf der Wanderjchaft find, verteidigt man 
feine Burg, geſchweige daß ganze Land, begründet man Feine 
Stadt, noch weniger ein ganzes Volk. 

Diefe Deutſchen in Prag find, wie die Urkunde erfennen 
Täßt, Beamte und Geiftliche, Krieger und Kaufleute, Hand- 
werker und Aderbauer, Hausbeſitzer und Inſaſſen, find mit 
einem Worte ein Stüd vom deutichen Volk, dag im ganzen 
Rand lebt; ein Stüd aud) vom gefamten Deutfchtum, das hier 
nad) der Abtrennung als jelbftändig gewordener Zweig 
eines mächtigen Stammes geiftig und wirtſchaftlich ſchafft und 
arbeitet, auf diefem Boden, den e8 mit vollem Recht jein Vater- 
land, feine patria nennt. Jahchunderte lang währt diefe Arbeit, 
ohne daß fie in den Quellen beſonders hervorträte; es ift die 
Zeit des Wachſens und Neifens. Erſt jeit der Mitte des 
11. Jahrhunderts zeigen fi) aud) hier in Böhmen und Mähren, 
ganz ebenjo wie anderwärts auf deutfcher Erde, die deutlichen 
Anfäte der Frucht, die aus diefem Schaffen emporwächſt: in der 
Begründung und Schöpfung der mittelalterlichen deutſchen 
Stadt und Städtefultur, die bekanntlich felbft Palacky als rein 
deutjches Werk in diefen Landen gefennzeichnet und aner- 
Tannt hat. 

Allein bier ftoßen wir wieder in unjeren bisherigen 
Geichichtsdarftellungen auf Anfchauungen, die das ganze Städte 
wefen in Böhmen und Mähren nur zu einem Ableger der 
deutſchen Kolonifation machen; Anſchauungen, deren Unbalt- 
barleit zuerjt Zlargelegt werden muß, bevor die wahre Ent- 
widlung der deutſchen Stadt im premyflidiichen Reich in ihren 
Sauptzügen gezeichnet werden kann. Auch zu diejen Beute ganz 
allgemein geltenden Anſichten hat Palacky den Grund gelegt. 
Ihm erſchien die Begründung von Städten auf böhmiſch- 
mãhriſchem Boden als der eigentlicjite Zweck der deutſchen Ein- 
wanderung; er glaubte darin gleichlam den, taftifhen Stütz- 
punkt zu finden, von dem aus feine Kolonifationstheorie erklärt 


Das beutfche Recht, bie deutſchen Städte und Ktlöfter. 187 








oder wenigiteng wahrſcheinlich gemadyt werden fünne. Denn 
da für die vermeintliche planmäßige Herbeiziehung Deutſcher 
ins Land im 12. Jahrhundert ſich gar Fein Grund finden ließ, 
der fonft für Kolonifationen maßgebend war, nicht Landöde 
infolge langer, ſchwerer Glaubenskriege, wie in Nordoftdeutich- 
land, nicht nachweisbare Hungersnöie, wie bei der Ein- 
wanderung niederländifchen Volkes in Ungarn, nicht Sicherung 
des Landes gegen vom Oſten ber drohende Einbrüche wilder 
Horden, wie in Siebenbürgen, nicht Ausbau der ländlichen 
Kultur, wie bei der Berufung von Holländern und Flamändern 
ing bremijdje Gebiet und anderwärts, — fo mußte bier eine 
andere Urfache vorliegen, denn der Glaube an die deutiche 
Kolonifation Böhmeng und Mährens ftand bei Palacky uner- 
ſchütterlich feit. 

Eine von ihm aus falſchen Vorausfegungen Zonftruierte 
rein ſlawiſche Staatsverfafjung in Böhmen und Mähren in 
ben erften Jahrhunderten der premuflidifchen Zeit, die jo- 
genannte „Bupenberfaffung“, die feit langem als ungeſchicht · 
lich und unhaltbar erwieſen ift;t* beitimmte ihn zu der weiteren 
willkürlichen Annahme, daß, infolange diefe Verfafiung galt, 
die Ausbildung eines Städtetvejen in diefen Ländern unmög- 
lich war. Nach feiner Auffafjung konnte „ein freier Bürger- 
ftand“ in Böhmen und Mähren eigentlich erſt unter Otafar II, 
auffommen, aber nicht aus dem heimifchen ſlawiſchen Volke, 
fondern, wie er jagt, nur durch „Berufung“ bon Soloniften 
und Schaffung „neuer Städtennlagen”, „planmäßig“, ohne 
alle Vorſtufen und geſchichtliche Entwidlung. Selbit wag in 
diefer Hinficht unter deffen beiden Vorgängern gefchehen war, 
unter Otafar I, und Wengel I., „waren nur die erften gleid)- 
jam zufälligen Verſuche geweſen“, noch ohne beſtimmenden 
Einfluß auf die inneren Verhältniſſe beider Länder. 

Diefe Grundauffafjung über die Entftehung unferer Städte 
kehrt in der deutfchhöhmifchen Gefchichtsliteratur immer wieder, 
wie etwa der Satz zeigt: „Sieht man bon der deutſchen Ge- 
meinde Prags und bon Eger ab, dag eben nicht zu Böhmen 
gehörte, jo ann bis zum 183, Jahrhundert von Städten in 
Böhmen nicht die Rede fein“, denn hier fehlte angeblich, wie 


138 Siebenter Abſchnitt. 





weiter behauptet wird, „eine freie Bürgerfchaft, die auf echtem 
Eigen figt und nad eigenem Rechte lebt“ "* mit anderen 
Worten: da3 deutſche Volk. Und der in verfejiedenen Ven- 
dungen fich wiederholende Say in unferen Geſchichtsbüchern: 
„Nicht alle Städte Böhmens und Mährens find durch einen 
eingigen Aft wie aus dem Boden geguollen“,° befagt auch 
nichts anderes, als daß diefer Vorgang denn doch die Regel 
gebildet Habe, daß unjere Städte zumeijt künſtliche Gebilde 
fremder geſchulter Städteerbauer darftellen. 

Nicht fo unbedingte Zuftimmung fand Palacky's Städte 
gründungstheorie bei den tſchechiſchen Geſchichtsforſchern. Erſt 
jüngft ift der „Verwunderung“ darüber Ausdrud gegeben 
worden, daß fich in unferen Ländern ftädtifches Weſen „fo rajch” 
eingebürgert habe, daß zwei Generationen genügten, um bier, 
mo zu Beginn des 13. Jahrhundert? noch faum eine wirk- 
liche Stadtgemeinde beftanden haben foll, wenige Jahrzehnte 
darnach faſt keine Landſchaft mehr zu finden war, in der man 
nicht auf blühende Städte geſtoßen wäre, die ich wie ein 
Netz über das ganze Königreid) außbreiteten.‘” Allein ſolche 
berechtigte Bedenken mußten glei) wieder zurüdtreten vor der 
Autorität Palackys und vor dem „Rührmichnichtan“ der deut- 
{chen Kolonifation. 

Bedeutfamer erfcheint, daß ſchon früher von anderer Seite 
die Frage, die ſich gleichfalls gegen Palacky richtete, auf- 
geworfen wurde, ob fich ſtädtiſches Leben in Böhmen ſchließlich 
nicht auch ohne die deutfche Zuwanderung hätte ausbilden 
Tönnen, „auf natürlichere Weife, wenn auch langſamer“, da 
doch „die Tſchechen, die in die Fremde kamen, diefe ſtädtiſchen 
Einrichtungen kennen lernten und felber in der Heimat hätten 
einbürgern fönnen“.° Mit ebenjopiel, ja mit nody mehr Grund 
hätte diefer Forfcher die Notwendigkeit der Begründung fo 
aahlreicher deutfcher Bauernkolonien in diejen Ländern in Frage 
ziehen fönnen. Denn Böhmen und Mähren waren damals 
vorzugsweiſe Bauernland und die ſlawiſche Bevölkerung bäuer- 
lich. Wozu alſo die „maffenhafte” fremde Bauernihaft? Nur 
um de3 angeblich in Böhmen noch unbekannten ſchweren deut- 
fen Pflugs willen? Das würde, ſelbſt wenn es ſich nadj- 


Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöfter. 139 





weifen Tieße, doch nur außreicen für die Erklärung der Ein- 
führung dieſes Gerätes, nidyt aber aud) der Menfchen mit 
ihren gangen Familien in folder Zahl aus allen Ländern des 
weiten deutſchen Reichs nach den verſchiedenſten Gegenden 
Böhmens und Mährens. 

Man darf die Gründung deutſcher Städte, Dörfer und 
Märkte aber nicht vom Standpunkt der handwerklichen Fähig- 
feit ihrer Schöpfer beurteilen. Nicht die Geſchicklichkeit im 
Städtebau, nicht irgendeine befondere Veranlagung oder fonft 
welche äußere Umſtände waren e3, die die Deutjchen wie 
drüben fo bei ung zu Städtegründern prädeftinierten; fon- 
dern, zum Unterjchied von den ſlawiſchen Landesgenofien, 
ihre politiide und. ſoziale Stellung im Lande, die Herzog 
Sobieſlaw II. in der genannten Urkunde mit einem gewiſſen 
Nachdruck, faſt feierlich hernorhebt: Denn ihr follt wiſſen, daß 
die Deutſchen freie Menfchen find. Das Selbitbeitimmungs- 
recht in Verfaſſung und Verwaltung, diefes Erbſtück uralter 
Entwicklung, ſchloß die rechtliche Möglichkeit in ſich, alle Vers 
bältniffe, unter denen die Deutfchen Iebten, weiter mıSzugeftal- 
ten, gab ihnen die Kraft, Hinter der wirtfchaftlihen Entwid- 
Iung der Nachbarländer nicht zurüdzubleiben. Die ſlawiſche 
Bevölkerung dagegen ſtand unter dem Drud von Laſten, Ab- 
gaben, Untertänigfeiten, Dienften aller Art, mußte fich Ienfen 
und leiten laſſen von höheren und niederen Perjonen, die der 
Herzog einſetzte und die in eriter Linie ihren eigenen Vorteil 
fuchten, den fie mehr in der Ausnützung der Maſſe als in deren 
Kräftigung und Fortentwidlung fanden. Die Freiheit der hier 
uralt angejeffenen deutjchen Stämme und die Unfreiheit der 
fpäter hingugefommenen ſlawiſchen Einwanderer ftehen einan- 
der noch ſchroff gegenüber und bedingen dag Übergewicht jener, 

Ebenſowenig wie das deutfche Volk Böhmens und Mähreng 
erit im 13. oder 12. Jahrhundert zugewandert ijt, ebenjowenig 
ift das deutſche Recht, das in der Wratiſlaw⸗Sobieſlawſchen 
Urkunde zum eriten Mal in die Erfcheinung teitt, aug der 
Fremde eingeführt worden, fondern mit dem Volke auf hei- 
milden Boden erwachſen. 


140 Siebenter Abſchnitt. 


Es iſt allerdings richtig, daß dieſe Urkunde ſich nur auf 
die Deutſchen in der Prager Vorburg bezieht und daß uns 
aus fo früher Zeit kein zweites ähnliches Beiſpiel aus der Ge- 
ſchichte des böhmiſch mähriſchen Deutſchtums bekannt ift. Daraus 
aber zu folgern, daß das Deutſchtum damals auf die einzige 
Siedlung bei der Hauptſtadt beſchränkt geweſen ſei, hieße aus 
dem Schweigen der Quellen, das nur zu begreiflich ift, Fehl- 
ſchlüſſe ableiten. Berüdfichtigen wir borerft, daß, wie ſchon 
angedeutet wurde, das Deutichenprivileg bon mindeftens ſechs 
böhmifchen Herzögen und Königen beftätigt worden ift, ſomit 
ebenjobiele Originale einft beftanden Haben und doch heute 
und ſicherlich feit Jahrhunderten nicht ein einziges mehr er- 
halten ift. Nur dem glüdlichen Zufall, dab das Dokument 
auch in jogenannte Urkundenbücher abgefchrieben wurde, bie 
beſſer aufbewahrt wurden, verdanken wir feine Kenntnis. 
Wenn ſolche Verlufte in Prag eintreten fonnten, mag e3 wenig 
wundern, daß in anderen Orten etwaige ähnliche Reſte einft- 
maligen deutſchen Rechts fpurlos zugrunde gegangen find. 
Die Zeit der Huſſitenkriege allein, die fait an feiner Stadt 
Böhmens und Mährens ohne Schädigung der geſchichtlichen 
Denkmäler vorüber gegangen ift, vermag folen Mangel und 
ſolche Armut an deutſchen Quellen zu erflären; und aud) die 
fpäteren Jahrhunderte brachten allerorten ähnliche Verlufte. 

Aber aud) abgefehen von dem blinden Zufall, den man hier 
wird in Redmung ſetzen dürfen, können wir in fo früher Zeit 
des 11: und 12. Jahrhunderts Aufzeichnungen des Volks— 
rechts faum erwarten. Sit doch nody im berühmten großen 
Mainzer Reichsgeſetz Kaifer Friedrich II. vom %. 1235 die 
wichtige Erklärung enthalten: „Da die Deutfchen bisher nach 
unbeftimmtem Gewohnheitsrecht Ieben und gejhriebener 
G®efege entbehren . .“. Wenn alfo ſelbſt im Reich die Nie- 
derſchrift alten Rechts erft fo ſpät einfegte, dann tritt der 
Wert und die Bedeutung der Prager Urkunde aus dem 11. Jahr- 
Hundert nur umfo klarer hervor. Nach dem Jahre 1235 be- 
ginnen auch bei ung ſolche Aufzeichnungen (Kodififationen) des 
Gewohnbeitärechtes, wofür die beiden berühmten in ihrer ur- 


Daß deutſche Recht, die deutſchen Stäbte und Klöſter. 141 





ſprünglichen Form (als Originale) erhaltenen Privilegien von 
Brünn (1243) und Sglau (1249) Belege bilden. 

Wie verbreitet und allgemein befannt deutfches Recht 
bier war, beweift die Tatfache, daß eg in einer Anzahl von 
Urkunden des 13, Jahrhunderts genannt wird, ohne dab 
man es für notwendig erachtet näher ausguführen, was 
es in jedem einzelnen Fall beinhaltet. Es erfcheint unter ver- 
ſchiedenen finnverwandten Bezeichnungen ala: „Recht der Deut- 
ſchen (ius Teutonicorum)“, „Deutiche Sreiheit (libertas teu- 
tonica)“, „Gejeg und Gerechtigkeit und Gewohnheit der Deut- 
ſchen (lex et iustitia et consuetudo Teut.)“, „Deutſcher Brauch 
(teutonicus mos)“; man verfteht auch ohne nähere Erklärung, 
was darunter gemeint ift, ja man jagt ſchlechthin: „wie eg die 
Deutſchen haben (sieut habent Teutoniei).” Man bezieht fich 
darauf, ebenfo wenn ein Kloſter ein Dorf erwirbt und dort 
„deutſches Recht“ einführen will, wie wenn man Wein- 
bergaehnten nad „deutihem Recht” verleiht. Die Fürſten 
gewähren es „gegen die Arglift und Unficherheit der Zeit”, 
gegen die „Gier einiger weniger”, oder damit daß Volk „un- 
gefährdet und ohne Pladerei“ Ieben könne. Wir erhalten zum 
Sabre 1274 ſogar den urfundliden Nachweis, dab in dem 
mähriſchen Dorf Groß-Teinig (bei Olmütz) das bislang dort 
geltende böhmiſche Recht (ius bohemieum) bei allem, „mag es 
zu richten und zu berwalten gebe”, abſichtlich erjegt wurde 
durch deutiches Recht (ius teutonieum), „zu größerer Gerechtig- 
keit und zu beſſerem Nugen des Dorfes und feiner Bewohner“. 
Wir fehen, wie das deutfche Recht nit nur dag ganze Wirt- 
ſchafts· und öffentliche Leben des deutichen Volkes wie das 
Blut den Körper durchädert, jondern auch, daß eg allmählich 
übergreift auf die ſlawiſche Bevölkerung. Allerdings allzuoft 
mag eine ſolche Umwandlung nidyt ftattgefunden haben, da 
fürftliche, adlige, kirchliche Kreife dadurch am untertänigem Volk 
ſtark einbüßten. 

Das deutſche Recht hätte die Kraft gehabt, die „Verſchieden · 
beit“ und „Gefdjiedenheit“ der beiden Nationen im Lande, 
bon der Herzog Sobieſlaw in jeiner Urkunde fpridjt, bis zu 
einem gewiſſen Grade auszugleichen, wenn es zum allgemeinen 


142 Stebenter Abſchnitt. 





Geſetz erhoben worden wäre an Stelle des für die ſlawiſche 
Bevölkerung gültigen „Landrechtes“, das die Beamten und 
Adligen im Namen des Fürften übten. Allein dazu kam es 
nicht. In den Städten, in denen dag deutſche Recht ausihlieg- 
li galt, fam es zu einer Annäherung, allein ſchließlich war 
es doch nur das Recht, in dem fich die ſſawiſchen Inwohner den 
Deutihen anpaßten. Sprache und Sitte, Beſchäftigung, Tracht, 
Feſte u. andere Gewohnheiten trennten auch weiter beide Völker, 
beſonders bei der nationalen Scheidung auf dem Lande, die 
beftehen blieb, bon wo aber der Zuzug in die Stadt erfolgte. 

Wie das deutſche Recht niemandem aufgeziwungen wurde, 
fondern eigentlicy nur für die deutſche Benölferung galt und 
für die, die aus freiem Antrieb „mit den Deutſchen leben 
wollten“ und von ihnen in ihre Gemeinihaft aufgenommen 
wurden, jo bejchränfte eg niemanden in feiner völfifchen und 
häuslichen Zugehörigkeit. Die deutihen Städte Böhmens und 
Mährens im 13. Jahrhundert hatten deutiche Verwaltung und 
Verfaffung, richteten ſich in allem und jedem nad) dem Rechte 
der deutſchen Bevölkerung, waren aber national gemifcht. 

Vielleicht hätte gerade die urfundlich jo klar zu ecweijende 
Durchdringung aller Verhältniffe in Böhmen und Mähren mit 
deutſchem Recht die Forſchung auf die Spur gebracht, daß ein 
ſolches Recht nicht leicht Fünftlicy eingeführt fein könne, wenn 
nicht auch hiebei wiederum eine arge moderne Urfunden- 
fälſchung irregeleitet hätte, 

€3 war im Jahre 1839, daß in einem Quellenwerke erften 
Ranges, im Codex diplomaticus et epistularis Moraviae, eine 
Urkunde veröffentlidt wurde, durch die König Premyſl Ota- 
far I. am 30. Dezember 1213 dem Ortchen Sreudental „deut- 
ſches Recht“ verliehen haben follte, mit der ausdrüdlichen 
Erklärung, daß dieſes „deutſche Recht“ eine „neue und ehren- 
werte Einrichtung“ daritelle, die „in den Rändern Böhmen und 
Mähren bisnun ungewohnt und ungebräuchlich“ geweſen ſei.“ 
Es war ſozuſagen eine zeitgemäße Ergänzung der Handſchriften · 
fälſchungen Hankas nach der urkundlichen Seite hin, eine 
Erfindung des mähriſchen Landesarchivars Frang Boczek, dem 
man eine ſtattliche Zahl ähnlicher Erdichtungen bereits nad 


Das deutfche Recht, die deutſchen Städte und Klöfter. 143 





gewieſen bat. Und wie früher durch die Königinhofer und 
Grüneberger Fragmente ließ man ſich auch jeßt durch diefe 
falfche Urkunde gerne täufchen. Ohne nadguprüfen, ob das 
Stück auch echt fei, ohne nadigufragen, wo fich ein jo wertvolles 
Dokument befünde, ob es richtig gelefen und aufgefaßt wurde, 
baute man auf diefen hohlen Grunde weiter und beachtete 
nicht die Warnungen ernfter Forſcher. Es war und blieb die 
Sauptitüge für die Annahme fpäten Auffommens deutſchen 
Rechts in Böhmen und Mähren und feiner fremden Herkunft. 
Gab e8 aber hier fein deutjches Recht vor dem 13. Jahrhundert, 
dann konnte es folgerichtig auch feine deutſchen Städte geben 
und fein deutiches Volk, das fie geichaffen hätte. Ein Irrtum 
erzeugte den anderen und ließ die Windungen des wirren Kno- 
tens nicht mehr erkennen. — 

Das bedeutjamfte Werk der Deutichen in Böhmen und 
Mähren in premyſlidiſcher Zeit, die deuiſche Stadt — wie ift 
fie nun in Wirklichkeit entftanden, wie ift fie zu verftehen? 

Wir wiſſen, daß die Deutſchen auch bier wie anderwärts 
urfprünglid; in Dörfern (villae), Weilern (viei), Gehöften 
(euriae) wohnten, und wahrſcheinlich ift die ſpäter zugezogene 
Bevölkerung, vor alleın die Slawen, aber auch Romanen, 
Juden, Volen, Ungarn, diefem Beifpiel gefolgt. Die wichtigſten 
diefer Wohnfige waren die, die ſich an eine Herrenburg an- 
ſchloſſen. Deren Entjtehung aus urjprünglic wohl nur durch 
die Lage in Wäldern, an Ylüffen, in Sümpfen, an Bergab- 
hängen geicügten Siten erfahren wir aus unferem heimiſchen 
Geichichtichreiber Cosmos. 

Er erzählt, daß Herzog Boleſlaw I. (929—967), dem er den 
Beinamen „der Graufame” gegeben hat, eines Tages bon den 
Vorftänden des Volkes (populi primates), verlangte, daß fie 
ihm eine Burg nad) römifcher Art, d. h. aus Steinen, erbauen; 
wie fie ſich dagegen auflehnten, wie er ihren Widerftand 
gewaltfam brad) und fie dann willig feinen Wunſch erfüllten. 
Die Mühſal des erften Burgenbaues in Böhmen, die neue Laſt, 
die das ohnehin geplagte Volk auf ſich nehmen mußte, bildet 
ben Untergrund zu diefer Sage und ſpricht aus diefer 
Erzählung. Die Einführung diejer fremdartigen Bauwerke, — 


144 Siebenter Abſchnitt. 





„wie etwas dergleichen unjere Väter nie getan haben“, läßt 
Cosmas einen der älteften aus dem Volke jagen — mit ring3- 
berumgehender hoher Mauer, blieb in der Erinnerung haften. 
Und diefer erfte Burgenbau in Böhmen bei der alten Siedlungs- 
ftätte Bunzlau, die auch Fürſtenſitz war, fällt ganz in diefelbe 
Zeit, da aud im ſächſiſchen Nachbarlande unter König Hein- 
ri) I, „dem Städtegründer”, zwar feine Städte, aber fefte 
Burgen, gleichfalls nach römiſchem Mufter angelegt wurden, 
zum Schuß gegen die Ungarn, deren Raubzüge ſich damals 
Jahr für Jahr wiederholten. Wie ſich dann im weiteren Ver- 
lauf diefe Umwandlung im ganzen Lande vollzog, läßt ſich 
begreiflicherweife nicht mehr im einzelnen feitftellen. Genug 
daran, daß wir diefe bedeutfame Ausgeftaltung oder Neu- 
gründung menſchlicher Wohnftätten, durch die auch dag Land- 
ſchaftsbild eine weſentliche Veränderung erfuhr, nad) Zeit und 
Ort fo genau fennen lernen. Denn mit dem Um- und Neubau 
der alten Selten zu gemauerten Burgen (urbes) hängt auch 
die Entftehung der fogenannten Vorburgen (suburbia), d. h. 
unter der Burg liegenden Siedlungen des Volkes zufammen. 
Im 10., 11. und 12. Jahrhundert werden bei Chroniften und in 
Urkunden joldje Suburbien genannt: bei Prag und Wilchehrad, 
Bunzlau, Nimburg, Saaz, Bilin, Brünn, Znaim, Olmüß; 
gewiß nur ein Bruchteil derer, die in Wirklichkeit beitanden 
Haben. 

Cosmas ſchildert ung zum Jahr 1091 aus beſtimmtem Anlaß, 
daher ein wenig ausgeſchmückt, das Leben und Treiben in den 
beiden Vorburgen von Prag und Wiſchehrad. Wir wiſſen aus 
der Sobiejlaw’fchen Urkunde, dab fi) eben damals, in der 
zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, im Prager Suburbium 
eine national gemifchte Bevölkerung befand, aber getrennt 
lebend und räumlich geichieden. Diefe räumliche Abgeſchloſſen- 
heit der einzelnen Siedlungen gegeneinander mag noch deut- 
licher zum Ausdrud gekommen fein durd) die UmfchlieBung mit 
Bäunen, Pallifaden, Pfahliverk, bald auch mit Graben und 
Mauer, ganz nach dem Vorbild, dag die Zeiten und Burgen 
boten. Es ift für dag Aufkommen befeftigter Siedlungen unter 
der Burg wichtig feftzuftellen, daß Cobmas anläßlich eines feind- 


Das deuiſche Recht, die deutſchen Stäbte und Klöſter. 145 





lichen Einfalles in Böhmen im Jahre 1041 ausdrücklich bemerkt, 
viele Ortichaften jeien niedergebrannt worden, weil man fie 
nicht verteidigen konnte und fie vom Volk verlaſſen waren. 
Diefe Schilderung Fennzeichnet jenen Zuftand des Siedlungs- 
wejens, da die Benölferung ihre offenen oder nur ſchlecht ge- 
ſicherten Ortichaften preisgab und in die nächſte ummauerte 
Burg flüchtete, die zu ſchützen und zu verteidigen als die Saupt- 
aufgabe erſchien. Und eben damit hängt die Pflicht der Deut- 
ſchen zufammen, diefen Schu und diefe Verteidigung der 
Burgen im Lande bei Abweſenheit de3 Fürften auf fich zu 
nehmen, wovon das Wratiflam-Sobieflaw’ide Privileg jo 
beftimmt jpricht. 

Allein manche diefer Siedlungen waren inzwifchen zu widjti- 
gen wirtſchaftlichen Mittelpunften erwachien, waren Märkte ge- 
worden mit regerem Handel und Verkehr, wie dies Ibrahim ihn 
Safub und aud; Cosmas bon dem Prager Suburbium erzählen. 
Sie ließen fi) nicht fo leicht räumen, man mußte vielmehr auf 
ihre Wehrhaftigfeit und Verteidigungsfähigfeit bedacht fein. 
Damit mag man bei Prag und ähnlich wichtigen Plägen früh 
begonnen und die Pefeftigungen immer beſſer ausgeftaltet 
haben. Im Sabre 1135, alfo ein Jahrhundert etwa nad) jener 
obigen Nachricht von der Hilflofigkeit vieler Ortſchaften, hören 
wir davon, dag man daran ging, Prag nad) Art der lateiniſchen 
Städte zu „erneuern“, d. 5. die Vorburgfiedlung mit Mauern 
aus Stein zu umfaſſen;⸗ denn die Prager Burg mar, nad) 
dem Zeugnis Ibrahims, ſchon unter Herzog Boleſſaw I. „aus 
Steinen und Half“ erbaut. € ſtimmt dazu, daß etiva zwei 
Jahrzehnte nach dem Beginn jener „Erneuerung“, nad) 1153 
die fteinerne Moldaubrüde in Prag fertiggeftellt wurde, gleich 
fam der Abſchluß des neuen Befeſtigungswerkes.“ 

Die große Siedlung alfo, die fich von der Menge der anderen 
durd) Dearkt, Handel, Verkehr, durch größeren Reichtum und 
Anhäufung von Menſchen abhob, wurde befeitigt: die zweite 
Grundbedingung für die Entwidlung zur mittelalterlichen 
Stadt. In Prag wenigiteng jehen wir dieje Arbeit um die 
Mitte des 12. Jahrhunderts bollendet. Und als drittes und 
legteg Glied fügt ſich diefer Entwidlung ein: die Ausbildung 


BretHolz, Geld. Bögmens u. Mährens. I, 10 





146 Siebenter Abſchnitt. 





eines eigenen Rechtes, des geichriebenen und vom Landes- 
herrn anerfannten Stadtrechte, wie wir es beim Prager 
Suburbium gleichfalls nad) Zeit und Inhalt fo genau über- 
liefert finden in dem großen Privileg, das zuerſt König 
Wratiflam (1061—1092) gegeben, d. h. beftätigt hat, und das 
dann, wenn nicht ſchon von feinen nädjiten Nachfolgern, jpä- 
tefteng vom Herzog Sobiejlam (1173—1178) erneuert wurde. 

Diefes Recht war urſprünglich ausdrücklich nur für die 
deutſche Bevölkerung Prags beitimmt. Allein allmählich bildete 
es fi zum Recht der gefamten Bewohnerſchaft des zur Stadt 
ausgebauten Suburbiums heraus, mit Ausnahme natürlich 
der Judenſchaft, die ihr eigenes Territorium und ihre eigenen 
Gefege behielt. Noch König Otafar II, ſpricht in feiner Beſtäti- 
gung vom Jahre 1274 von dem ihm borgeiviefenen „Privileg 
der Prager Deutſchen“; König Johann dagegen 1319 nur noch 
von dem „Privileg der größeren Stadt Prag”. Das anfänglich 
auf die Deutſchen beſchränkte Recht ift zum Gemeinrecht aller 
Bürger diejes Stadtteiles geworden; das Sonderrecht und die 
Sonderftellung der Slawen und der gewiß nur bejcheidenen 
Zahl von Romanen und etwaigen anderen Nationen ber- 
ſchwindet, nur dag Recht der Deutjchen behauptet fich. 

Was fi) um die Prager Burg in einer in den Grundzügen 
durchaus erfennbaren Weife in premyſlidiſcher Zeit vollzog, 
die allmähliche Ausgeſtaltung einer kleinen Deutichenfiedlung 
aus uralter Zeit zum Markt und zur befeftigten Stadt mit deut- 
ſchen Verfafjungs- und Verwaltungseinrichtungen, das konnte 
und mußte. ähnlich auch an anderen wirtſchaftlichen Knoten- 
punkten fich bilden; vor allem im Anſchluß an die böhmifchen 
und mährifchen Fürftenburgen, alfo bei Brünn, Olmüg, Znaim, 
die lange Zeit Refidenzen felbftändiger Herzöge waren, bei 
Bunzlau, Pilſen, Melnik und anderwärts, dann dort, wo der 
ſchon früh geübte Bergbau das Gedeihen der Siedlung förderte, 
oder aud) im Anſchluß an diefes und jenes ſeit der Mitte des 
12. Jahrhunderts begründete deutſche Kloſter. Zahlreiche 
‚andere Siedlungen blieben, was fie von Anfang an waren, 
Dörfer, wieder andere brachten es über die Entwidlung zum 
Marktort nicht hinaus, wenn aud) ein Zultureller und baulicher 


Das deutfhe Recht, die deutſchen Städte und Klöfter. 147 





Fortſchritt bei ihnen nicht außblied. Nur ift man, ebenjo 
wie in anderen deutjchen Ländern, nicht in der Lage, das 
Wachſen und Werden diefer Städte aud) nur in dem Maße 
genauer zu berfolgen, wie bei Prag, der Hauptitadt und dem 
Mittelpunkt des ganzen Reiches. Die meiften diefer Ortſchaften 
treten ung erſt am Ende diejer Entwidlung, im Mannesalter, 
entgegen; die Sugendzeit, die Zeit der Ausbildung bleibt uns 
zumeijt verborgen. 

Wie könnte dag auch anders fein bei einem natürlidyen 
Wachstumsprozeß, bei dem ſich Iangfam aber ftetig Ring an 
King anſetzt, von den Zeitgenofjen kaum beachtet und daher 
nur felten überliefert, vor allem nicht in der Ablicht, damit die 
ftädtifche Entwicklung zu Fennzeichnen. Die Nachricht vom erften 
Prager Brüdenbau findet ſich nur ganz nebenbei erwähnt in 
der Widmungsſchrift einer Chronif an die Königin Judith, die 
Gemahlin König Wladiſlaws II., die irgendwelchen Einfluß auf 
die Entitehung diefes „Faiferlichen Werkes“ genommen hat. 
Nur vereinzelte Nachrichten aus dem 11. und 12. Jahrhundert, 
bald bon diefer bald von jener werdenden Stadt, bald wirt- 
ſchaftlicher bald reditlicher Natur find ung erhalten. Als wid 
tigfte wohl diejenige, die ung zeigt, wie weit diefe ftädtifche 
Entwidlung bei einzelnen Landesburgen zurüdreicht. 

Glas, feit der Einverleibung des ſlawnikingiſchen Fürften- 
tums in das premyſlidiſche Reich zu Böhmen gehörig, wird 
am Ende des 10. Jahrhunderts als wichtige Grengburg genannt 
und am Ende des 11. als Mittelpunkt einer eigenen Pro- 
vinz mit einer Anzahl zugehöriger Orte; das Gebiet ift jomit 
tultibiert, bewohnt und gut befiedelt. Im Jahre 1114 wird 
neben der Burg (castrum, urbs) aud) ſchon die Stadt (eivitas) 
genannt, mit Mauern, Türmen, Toren und wehrhaften Bür- 
gern (cives). Das erfahren wir wiederum nicht, weil. ein 
Chronift uns über den damaligen Buftand dieſes Ortes be- 
ftimmtere Nachricht geben will, fondern rein zufällig im Zu- 
fammenhang mit einem kriegeriſchen Ereignis, das Glatz be- 
trifft, Ein aus Böhmen vertriebener Premyilide, Sobieflaw, 
ber fpäter (1125) Herzog von Böhmen wurde, fuchte ſich Damals 
mit polnischer Hilfe diefeg Ortes gu bemächtigen, bat auerft 

10° 


148 Siebenter Abſchnitt. 





die Bürger um Öffnung des Stadttores, was diefe aber ab- 
lehnten. Als fie ſich auch zu kräftigem Widerftand rüjteten, 
ließ der Prinz den außerhalb der Stadt vor der Stadtmauer 
liegenden Palas (Burgfaal) anzünden, das Feuer griff auf 
den nädjitgelegenen Stadtturm über, gefährdete bald die ganze 
Stadt und zwang die Bürgerjchaft fi} zu ergeben, um wenig- 
ſtens das Leben zu retten; die Stadt felbft brannte völlig 
nieder.’ 

Aus diefer furzen Erzählung fehen wir, daß Glatz — gewiß 
fein bereinzelter Ausnahmsfall — fpäteitens zu Beginn des 
12. Jahrhunderts vollkommen ausgebildete ſtädtiſche Verhält- 
niffe befaß; eine Feititellung, die für die ganze Frage der 
deutſchen Kolonifation von größter Bedeutung ift. Das Glaßer 
Beiſpiel allein, das weder Palacky noch irgendein fpäterer 
Forſcher berüdficytigt hat, wiewohl die Nachricht von Cosmas 
überliefert wird, vermag die ganze Theorie zu widerlegen. 
Denn wenn Glatz, und wohl nicht nur diefer, fondern auch 
manch anderer Burgplag in Böhmen und Mähren, ſchon fo 
früh deutiche Bevölkerung hatte, dann braudjte diefe nicht erft 
im 13. Jahrhundert dorthin berufen zu werden. Wollte man 
aber annehmen, daß die Glager Bevölferung um und vor 1114 
rein ſlawiſch war, was tatſächlich behauptet worden it,” dann 
entfiele erjt recht jeder Grund für eine fpätere deutſche Ktolo- 
nifation, denn dann hätte eben dieje ſſawiſche Bevölkerung all 
das bereits ausgebildet, wozu man die eingewanderten Deut- 
ſchen angeblich brauchte: die Schaffung der deutfchen Stadt. 

Sn diefem BZufammenhang darf auch darauf verwieſen 
werden, dab ſchon im Jahre 1004 — alfo noch um ein Jahr- 
hundert früher als in Glag — in der gleichgeitigen ſächſiſchen 
Chronif Thietmars von Merfeburg anläßli des Durdguges 
des deutſchen Mönigs Heinrich II, des Netters der Premy- 
fliden Udalrih und Saromir, nad; Prag, dabon gefprodyen 
wird, dag ihm in Saag, das er auf dem Marſche berübrte, 
die Xore der Stadt fofort geöffnet wurden und daß ec die 
Bürger (coneives) dafelbit als feine Freunde erfannte." Man 
wird aud) diefe ganz zufälligen Bemerkungen nicht anders 





Das deutfche Recht, die deutſchen Gtäbte und Klöſter. 149 


deuten Zönnen, als daß hier deutſche Bevölkerung figt und 
die Anfänge einer deutſchen Stadt bereits vorhanden find. 

Solche Hiniveife zeigen, wie wenig enticheidend es ift, wenn , 
wir in anderen Fällen die Merkmale einer deutſchen Stadt 
quellenmäßig erft im 13. Yahrhundert zu belegen bermögen. 
Wir jehen — und darin liegt dag Enticheidende — die Anfäge 
zu einem deutſchen Städteweſen frühzeitig an ganz verſchiedenen 
Stellen auftauchen, was der vielverbreiteten Anficht mwider- 
ſpricht, als ob unjere Städte, wie gefagt wurde, „durch einen 
einzigen Aft wie aus dem Boden gequollen wären”. In Wirk- 
lichkeit find bei ung die „aug wilder (grüner) Wurzel” ge- 
ſchaffenen Städte äußerft jelten gegenüber jenen, die langſam 
gewachſen find. Man darf ſich hiebei durch die Eigenheiten 
der mittelalterliden Urkundenſprache nicht beirren laſſen. Aus- 
drüde, wie „eine Stadt begründen, errichten (fundare, constru- 
ere)” und ähnl., die öfters vorfommen, können wohl die Vor- 
ftellung erwecken, al3 ob aug dem Nichts etwas ganz Neues 
geichaffen worden wäre; und bezeichnen doch nur einen bedeut- 
famen Wendepunkt, in gewiſſem Sinne den endgültigen Ab- 
ſchluß einer langen Entwidlung. Die Geſchichte der Stadt 
Znaim bietet einen ſprechenden Beleg hiefür.” 

In einer Urkunde König Premyſl Otakars I. vom Yahre 
1226 leſen wir: „Als wir im Begriffe waren, vor Bnaim (der 
Burg) eine Stadt zu errichten (civitatem construere) und in 
biefe Leute zuſammenzurufen (convocare) .. .“ und könnten 
glauben, daß es fi) um eine Neugründung mit Herbeiziehung 
fremder Anfiedler handelte, wie denn auch angenommen wurde, 
Allein aus einer zweiten, um wenige Monate älteren Urfunde 
desjelben Fürften erjehen wir, daB ſich damals zunächſt der 
Znaimer Burg reich Fultiviertes, gut bejiedeltes Land befand. 
Es ftanden ſchon die zwei Kirchen St. Nikolaus und St. Michael, 
die nachher innerhalb der Stadtmauer lagen; jede beſaß ihr 
augehöriges Pfarrbolf. Weiler werden uns genannt und Einzel- 
höfe mit einer Reihe bon namentlich angeführten Inſaſſen, 
deren verfdyiedenartige Berufe wir kennen lernen. Es ift von 
einem Graben die Rede und von einem Ofttor, durch das man 
zum Dorfe Bucoherdel (heute Zuderhandl) gelangte; von 


150 Siebenter Abſchnitt. 





Häuſern, Wein- und Obſtgärten. Aus dem unmittelbar an 
die Burg ſich anfchließenden Zöniglihen Grund und Boden 
unter Sinzuziehung aller diefer Weiler und Höfe und eines 
vom nahen Klofter Brud erfauften Landgutes wird nun die 
neue Stadt Znaim gebildet, mas die Urkunde „eine Stadt 
errichten“ nennt, und was eine fpätere aus dem Jahre 1292 
als „urſprüngliche Gründung und Ausſetzung (primaeva fun- 
dacio et locacio)“ bezeichnet. 

Man kann auch bier nicht annehmen, daß die Umgebung 
Bnaims außergewöhnliche Beliedlungsperhältniffe aufwies, 
vielmehr erhalten wir hier ein klares Bild, unter welchen 
Vorbedingungen man wohl in den meiften Fällen an die Grün- 
dung bon Städten ging. 

Aber aud) dort, mo nachweislich eine Stadt auf Neubrud- 
land erftand, wie dies bei Ungariſch-Hradiſch bezeugt ift, das 
König Premdfl Otakar II. 1257 auf Wunſch des nahen Kloſters 
Welehrad ala Grenzfeftung gegen Ungarn errichtete”, bedurfte 
es weder gefchulter Städtegründer aus dem deutſchen Reich, 
noch fremder Siedler, um ſelbſt ein jo verantwortliches Werk 
zu bollbringen. Zandezfürftliche Beamte, der Landeshauptmann 
Biſchof Bruno an erfter Stelle, regelten mit dem Abt Hartlieh 
alle Befigfragen. Untertanen des Königs aus dem nahen Dorf 
Kunowitz und ſolche des Nlofter aus Welehrad wurden als 
Siedler beftimmt; das Stadtrecht übernahm man von Brünn. 

Das 13. Yahrhundert, das letzte der Premyſlidenherrſchaft, 
ift nicht, wie man in Verfennung der ganzen Entividlung an- 
genommen bat, der Beginn eines neuartigen Prozeſſes, fondern 
bereit3 der Höhepunkt. Er konnte jegt „io raſch“ bor fich gehen, 
weil überall die Grundlagen bereit3 vorhanden waren, zumeift 
nur noch die Zuftimmung des Grundherrn, des Königs, eines 
Adligen oder eines Kloſters, notwendig war, um dort eine 
Stadt entftehen zu Iaffen, wo bislang deutiches Volk in Märkten, 
Dörfern oder ähnlichen Siedlungen gefeflen hatte. Es fonnte 
die alte Siedlung zur Stadt erweitert und umgebaut werden, 
was im 13. Zahrhundert daß gebräucjlichere war, aber auch 
auf noch unbewohntem, benachbartem Boden eine neue Stadt- 
anlage geihaffen werden, wie es im 14. Jahrhundert öfters 


Das beutfche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter. 151 





geihah. Die Mannigfaltigkeit in den äußeren Formen, die 
Verſchiedenartigkeit im Recht liegt begründet in den gejchicht« 
lichen und wirtſchaftlichen Verhältniffen, denen die Städte ihre 
Entftehung verdanken. 

Es ift eine allgemeine Vorftellung in unferer Gejchichts- 
literatur, daB die eigentlichen Träger des ſtädtiſchen Gedankens 
bei ung die prempflidifchen Fürften waren, daß fie aber in 
erfter Linie aus Eigennuß, um geldlicher Vorteile willen die 
Ausbildung von deutſchen Städten begünftigten und diefem 
Wunſche fogar den einheitlich nationalen Charakter des Landes 
opferten. Es braucht faum mehr betont zu werden, wie un- 
geſchichtlich und unrichtig auch diefe Auffaffung tft. Die Fürften 
haben nur eine natürliche unaufhaltfame Entwidlung unter- 
ftügt, die das ganze Land förderte. Sie haben erfannt, wie es 
einmal in einer Urkunde heißt, „daß auf der Schönheit der 
Städte die Würde, auf ihrer Stärke die Feftigfeit des Reiches 
beruht“. Der große Reichtum der Iekten Premyſliden machte 
es ihnen möglid), gerade die auf ihrem Grund emporgefom- 
menen Städte, die fogenannten „königlichen Städte“, bejon- 
ders zu unterftügen im inneren Ausbau und in ihrer mwirt- 
ſchaftlichen Entwicklung, durd; Verleihung bon immer neuen 
Privilegien, durch Erlaffung der üblichen Steuern und Ab- 
gaben, die dann zum Wohl der Stadt verwendet wurden. 

Dieje „ſchöne“ und „feite“ frühmittelalterliche Stadt der 
Premyſlidenzeit ift nicht mehr erhalten.” Kaum noch in aller- 
befcheidenften Reiten findet fich Hier und dort ein Fahles Mauer- 
ſtück oder fonftige Überbleibfel, in Saaz, Kaaden, Leitmeri, 
Prachatitz, Nimburg, Beraun, Brünn, Bnaim, Teltſch und 
andertwärts. Einen ſchwachen Erjag bieten einige zeritreute 
Nachrichten in Chroniken und Urkunden. Schon damals Hat 
fi) auch hier jenes gewaltige Befeſtigungsweſen ausgebildet, 
mit hohen Mauern — in Kolin erreichten fie zwanzig Ellen — 
mit Türmen und Toren, Wällen und Gräben, durch dag der 
Eindrud der „Stadtburg“ erweckt wurde, insbefondere wenn 
mit der Stadt aud) nod) die alte Burg verbunden war oder 
über fie emporragte. Bon öffentlichen Gebäuden werden bereits 
dag Rat- oder Morgenſprachhaus, dag Kauf- oder Gemeinhaus, 


152 Gtebenter Abſchnitt. 





gelegentlich „theatrum“ genannt, der Tuchſpeicher (apotheca 
pannorum), dann die Behelfe richterlicher Gewalt, wie der 
Pranger (statua), erwähnt. In Prag ſchmückten fteinerne Bild- 
fäulen, die zum Andenken an König Wenzel I. ſchon ein Jahr 
nad) jeinem Xode errichtet wurden, den weiten Marktplatz. 
Dozu fommen nod; die baulich und künſtleriſch Herborragenden 
Kirchen und Mlöfter, Hofpitäler und andere Sumanitätsanftal- 
ten, für deren Gründung die reidhen Bürger die Mittel darboten. 

Denn ein Bürgertum bon großer wirtichaftlicher Kraft und 
beruflicher Vielfeitigfeit bewohnte diefe Städte. Neben dem 
Handiverf, deſſen wohl kaum ein Bürger entraten fonnte, fpielte 
der landwirtſchaftliche Betrieb eine wichtige Rolle, nicht nur 
beſchränkt auf Hof, Garten, Stall und Feld beim Haufe oder 
außerhalb der Mauern; die Bürger: bejaßen aud} ſchon im 
13. Zahrhundert eigene Dörfer, übernahmen geiftlichen und 
weltlichen Befig in Pacht, rodeten Wälder, begründeten neue 
Siedlungen in unmittelbarfter Nachbarſchaft der Stadt, die man 
„Pflanzungen (plantationes)“ nannte, aus denen ſich Vorftädte 
bildeten, ſchufen in weiterer Entwicklung, wenn die alte Stadt 
aus irgendwelchem Grunde nicht ausbaufähig war, eine neue, 
„bie Neuftadt“. 

Gleich rege geftaltete fich aud) damals ſchon der Handels- 
verkehr diejer Städte. Er griff in der letzten premyſlidiſchen 
Zeit ſchon aus bis nad) Venedig und Rom, Braunſchweig, 
Hamburg, Brandenburg, Slandern. Berleihung von Handels- 
pribilegien an die Städte oder einzelne Bürger fpielt in der 
landesfürſtlichen Kanzlei eine wichtige Rolle. Von Waren, die 
aus Böhmen ausgeführt wurden, wird Tuch vornehmlich be- 
zeichnet. Die Handwerfe und ihre Vertreter treten einzeln 
noch jelten hervor, höchſtens daß uns in Prag in Wenzels I. 
Zeit ein berühmter Bimmermann oder Baumeifter namens 
Robert, ein Steinmeg Pilgram aus Brünn und, was bei dem 
Goldreichtum Leicht zu verſtehen ift, Goldidymiede alg eigene 
Zunft jchon genannt werden. Bei der Schilderung des durch 
die Hungersnot des Jahres 1282 ausgebrochenen allgemeinen 
Elends in Böhmen erfahren wir, daß unzählige Handwerker 
und Arbeiter, die borher bermögende Leute waren, zu Bettlern 


Das beutfche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter. 158 





wurden und den Schmud ihrer Frauen, Armbänder, Obr- 
gehänge, Halsketten verfaufen mußten. Aber gleich im nächften 
Jahre heißt e8 doch wieder, daß beim Empfang K. Wenzels II. 
in Prag am 4. Mai 1283 die Sandwerfer aller Berufe zu- 
gegen waren. Zebhaften Anteil nahmen die Städte und Bürger- 
ſchaften am Bergbau; von Brünn, Kolin, Tſchaslau, Iglau 
wiſſen wir, daß jie ſchon damals das Eigentumsrecht auf alle 
Bunde an Metallen im weiten Umfreis ihrer Städte erwarben. 

Es find wohl überall erft nur Anfänge, aber fie zeigen, wie 
die deutſche Stadt auf allen Gebieten des wirtſchaftlichen und 
geiſtigen Lebens ſich zu einer führenden Kraft im Staate ge- 
ftaltete, Von Beftrebungen nad) der politifchen Richtung hin 
gewahrt man dagegen nichts; die Abhängigfeit. von den drei 
Yauptgewalten im Staate, Fürft, Adel und Geiftlichfeit, die 
Scheidung der Städte in Fönigliche, adelige und geiſtliche be- 
deutete von allem Anfang einen Hemmſchuh für ihre politiſche 
Entwicklung. 

Das Kulturbild unſerer Länder, wie es ſich im 12. und 
13. Jahrhundert durch das deutſche Städteweſen geſtaltet hat, 
wäre unvollſtändig, wenn wir nicht auch auf die neuen Klöſter 
hinwieſen, auf den Einfluß, den ein Säuflein fremder Deutfcher, 
die heimifche Bebölferung ergänzend, in ähnlicher Richtung aus- 
geübt hat: neue Kulturmittelpunfte zu ſchaffen, die topogra- 
phiſchen Verhältniffe mannigfaltiger und reizboller zu geftalten 
und auf dag geiftige Leben beider hier lebender Völker ein- 
zuwirken. Die Arbeit der fremden deutſchen Mönde war im 
Vergleich zu jener des deutſchen Volfes im Lande die leichtere, 
nicht nur, weil biebei religiöje Gefühle mitfpielen, die die 
Menge unſchwer gewinnen, fondern auch, weil fich die Klöſter 
bon Anfang an der befonderen Gunft der Fürften und Großen 
erfreuten, von ihnen unterftügt und gefördert wurden, 

Der Aufſchwung des Kloſterweſens in Böhmen und Mähren 
beginnt erſt um die Mitte des 12, Jahrhunderts, denn die 
älteren Benediftinerftifte aus dem 10. und 11. Sahrhundert 
Et. Georg in Prag, Brewnow, Kladrau, Sazawa, Selau, 
Roigern, Hradii u. a.) wurden durch die aufblühenden Kolle- 
diattirchen (Prag, Wiſchehrad, Bunzlau, Leitmerig, Melnif) in 


154 Stebenter Abſchnitt. 





den Schatten geftellt und hatten wenig Bedeutung für dns Volk. 
Die ftrenge Klofter- und Kirchenreform, die jeit Beginn des 
11. Sahrhundert3 zuerft von Frankreich, bald auch von Deutſch- 
Iand ausging, dort bon Kluni (Cluni), bier von Hirſau aus, 
fand bei ung erjt in dem Biſchof Heinrich Sdik von Olmütz 
(1126—1151) einen begeiterten und erfolgreichen Vertreter. 
Er, der die bejondere Freundſchaft des böhmiſchen Herzogs, 
de3 deutichen Kaiſers und des Papſtes genoß, konnte e8 wagen, 
allen Sindernifien, die ihm bereitet wurden, zun Xrog den 
neuen Orden der Auguftiner, Prämonftratenfer und Bifter- 
sienfer, die im neuen Geifte wirkten, in Böhmen und Mähren 
Eingang zu verſchaffen. . 

Die erjte Gründung diefer Art war das Prämonitratenfer- 
kloſter Strahow nächſt der Prager Burg, deifen Mönde aus 
dem durch feine Frömmigkeit befonders ausgezeichneten Kloſter 
Steinfeld bei Aachen kamen. Eine andere Möglichkeit, Klöſter 
der gleichen Regel zu ſchaffen, als durch Berufung erprobter 
und in allen geiftlichen Dingen erfahrener Mönche, gab es nicht. 
In diefem eriten Falle Fam’ der Steinfelder Propſt Eberwin 
von Selfenftein jelber im Jahre 1142 nad) Prag, um die mit- 
gebrachten Geiftlichen einzuführen und die Einrichtung des 
neuen Kloſters zu überwachen, im folgenden Sahre nochmals, 
um den Steinfelder Mönch Gezo als erjten Abt in Strahow 
einzufegen. Bald folgten das erfte Prämonitratenferinnen- 
Hofter Doxan an der Elbe mit Nonnen aus dem rheinifchen 
Zuntvald, im öftlichen Böhmen im Gebiet des fpäteren Kutten- 
berg daß erfte Bifterzienferflofter Sedleg mit Mönchen aus dem 
bayriſchen Waldfafien, 1144 Plaß, nördlich von Pilfen, das 
Langheim in Sranfen, und Nepomuf, ſüdöſtlich bon Pilſen, das 
Ebrach in Bayern fein Mutterflofter nannte, aus dem nämlich 
die erſten Mönde famen. Binnen kurzem fonnte das eine 
und amdere diefer Mlöfter felber jogenannte Tochterſtiftungen 
veranlafien, wie Plaß in Müncdengräg im nordöftlichen Böhmen 
an der Iſer, Selau, das die Brämonitratenjerregel angenommen 
hatte, da3 Srauenflofter Launowitz an der Blanik. Und wie 
Selau hatten aud) die Benediktinerflöfter Kladrau, Leitomiſchl, 
Hradiſch, wenn audy nicht ohne Kampf, das alte mit dem neuen 


Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöfter. 155 





Kleid gewechſelt. Nach Biſchof Heinrichs Tod trat zwar in den 
Kloftergründungen eine Unterbredjung ein, aber nody in den 
legten zwei Zahrzehnten des 12. und zu Beginn des 13. Jahr- 
hunderts entitanden in Mähren das Nonnenklofter Kanitz 
(1183), in Böhmen zwifchen 1184 und 1200 Mühlhaufen, Xepl, 
Chotieſchau, Maſchau und Offegg, dann neuerdings in Mähren 
Brud (1190), Welehrad (1202), Obrowitz (1205). Das 13. Yahr- 
Hundert wetteiferte mit dem vorangegangenen nidjt in der 
Zahl der neugejchaffenen Kloſterhäuſer, ſchuf aber wohl die 
dlanzvolliten Stiftungen: Oſlawan (1225), Tiichnomwig (1234), 
Saar (1251) in Mähren, Hohenfurt (1259), Goldenfron (1268), 
Königfaal (1292) in Böhmen, um die bedeutendften zu nennen, 
Saft Fein regierender Premyjlidenfürft hat es unterlafjen 
ein neues Kloſter zu begründen, abgejehen bon der Sorge 
um die bereit3 beftehenden. Man Hat es Wenzel I. jehr 
berargt, als er nad faft fünfzehnjähriger Regierung noch 
immer „feines Kloſters Gründer geworden war“. Er mußte 
mit einem „proh dolor (o Schmerz)“ diefen Vorwurf in eine 
unter feinem Namen ausgeftellte Urkunde vom 17. Feber 1244 
für das Brünner SHerburgerflofter aufnehmen und fi) ent- 
ſchließen, als Mitbegründer diefer befcheidenen Stiftung ange- 
führt zu werden, „damit wir wenigſtens etwas um Gottes 
willen und zur Ehre unferer Hoheit getan zu haben jcheinen”. 

Die erjten deutjchen Mönde und Nonnen waren, wie wir 
.gefehen haben, nicht aus eigenem Antrieb nad) Böhmen und 
Mähren gekommen, fondern gerufen und gebeten, ſei es vom 
Randesfürften, fei es von Bilchöfen oder bon Adligen. „SH 
babe”, heißt es in der Stiftungsurfunde für Plaß von König 
Wladiſlaw unter dem Datum des 5. Auguft 1146, „einige 
Brüder, Männer von bewährten und heiligem Lebenswandel, 
Förderer eines nicht bloß ſcheinbaren Glaubens... eingeladen, 
damit das Land Böhmen durch ihre fromme Anfiedlung er- 
leuchtet, gefräftigt und mit dem Duft des Wohlgeruches erfüllt 
werde“. Und vom Grafen Milgoft, dem Stifter Mafchaus, 
bezeugt der Prager Biſchof Heinrich, daß er den Konvent nur 
„durch große Bitten“ in Waldiafien erlangen und nach Böhinen 
bringen konnte. 








186 Siebenter Abſchnitt. 





Der Hauptzweck, den man mit dieſen Gründungen verfolgte, 
mar. natürlid ein religiöfer und kirchlicher, wie es Propft 
Ulrich von Steinfeld einmal in einem Briefe an den Prager 
oder an den mährifchen Biſchof ausdrüdt: um die Religion des 
Tanonifchen Ordens in eurem Lande zu pflanzen und zu ber- 
vielfältigen. Durch diefe Mlöfter entwickelte ſich aber auch die 
literariſche, künſtleriſche und wirtſchaftliche Arbeit im Lande. 
In Strahow wurde König Wladiflams Sohn Adalbert, der 
fpäter Erzbiſchof bon Salzburg war (1168-1171), in Doxan die 
Prinzeſſin Agnes, feine Schweſter, erzogen, und wohl nicht nur 
fie, fondern auch fonft Kinder des Fürftenhaufes und adeliger 
Familien. In den Klöſtern wurde die Geſchichtſchreibung eifrig 
betrieben, wir wiſſen e8 von Selau, Kladrau, Hradiſch, Opator 
wis, Strahow, Königfaoal, wenn auch nur ein Bruchteil der 
Erzeugnifie erhalten ift. Bon Abt Diethard vom Kloſter Sazawa 
wird berichtet, daß er „Tag und Nacht” lateiniſche Bücher 
abgefchrieben, Handſchriften gefauft und auf andere Weiſe fich 
verſchafft habe. Sn diefem Kloſter herrſchte auch reger Kunft- 
finn und eifrigfte Tätigfeit auf diefem Gebiete. Es war mit 
Wandgemälden geſchmückt, die Kirche mit geglätteten Steinen, 
die vom Berge Petrin bei Prag kamen, gepflaftert; Schlaffaal 
und Speifefaal, Borratsfammern, Küche, Kloſterhof mit Säulen 
und Bögen geziert. Abt Reinhard, au Met gebürtig (feit 
1162), der früher in Selau var, Eonnte malen, meißeln, ftein- 
ſchneiden, Bildniffe aus Holz und jedivedem Metall anfertigen, 
war in der Schmiedefunft und Glasfchmelgerei erfahren. 

Kenntniffe und Übung in handwerklichen Arbeiten gehörten 
gleihfam zum Nüftzeug der Mönde. Wir willen, daß die 
erſten Kloſterbauten in Strahow bon den Steinfelder Mönden 
allein durchgeführt wurden; ebenfo, daß bei der Begründung 
des Kloſters Kanitz Prior, Subprior und ein Kloſterbruder 
dahin Tamen, um „einftweilen die Häufer einzurichten und die 
Wohnung für den neuen Konvent in Stand zu feßen”. 

Doch auch die Beſorgung der notwendigften landwirtſchaft · 
lichen Arbeiten gehörte zu ihren weſentlichen Obliegenheiten. 
Wenn die Selauer Mönche in dem „leeren Haus“, das fie über- 
nahmen, fi, behaupteten, jo mag ihnen ihre Fähigkeit, den 


Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöfter. 157 





Boden zu bebauen, Fiſch- und Viehzucht zu üben, nicht zulegt 
Helfer in der Not geweſen fein. Bor Abt Diethard von Sazama 
wird ausdrüdlich berichtet, daß er „Sandarbeit” beforgte, die 
Hauptfähli in der Pflanzung und Pflege von Weinbergen 
beitand. Das Kloſter Selau verdanfte feine ganze Entitehung 
folder „Handarbeit“ des Priejter8 Reinhard, der, wie erzählt 
wird, einen dichten Wald in Befig nahm, daraus Felder machte 
und aus dem gefällten Holz ein Peterskirchlein nebft Klofter 
erbaute. 

Solch emfige und verftändige Tätigfeit im Heinen und im 
großen trug reichlichſte Früchte. Am Ende der premyſlidiſchen 
Zeit ftehen die böhmijch-mährifchen Klöſter als großartige und 
mächtige Herrſchaften da, die den fürftlichen und adeligen gleich- 
Tamen, fie oft übertrafen. Nicht zuletzt durch die Funftoollen 
Bauten. Iſt auch das Meiſte davon verſchwunden, profaniert 
oder in Trümmer gelegt, wie in den Städten, fo geben doch 
felbft die fpärlichen Refte des Prager Agnesflofters, der Kreuz- 
gang und Kapitelfaal in Offegg, die kunſtreichen Portale von 
Hradiſcht bei Mündengräg und Tiſchnowitz, um nur einiges 
wenige hervorzuheben, eine deutliche Vorftellung von der Herr- 
lichkeit diefer Periode des Kirchen und Hlofterbaues in Böhmen 
und Mähren. Aus den Erzählungen des Königfenler Abtes 
erfieht man ferner, wie ftattlich diefeg Kloſter mit Koftbarfeiten 
aller Art außgeftattet war: Kreuzen, Monftrangen, Ornaten, 
Gefäßen aus Gold, Silber, Verlen, mit Kirchenbüchern, Hand» 
ſchriften, deren manche in Paris gekauft wurden, und allem 
anderen Kircheninventar. Ein einziges Kreuz beivertete man 
mit 1400 Marf, das ift mehr, als der Aufbau des ganzen Agnes- 
kloſters Toftete, der in einer Urfunde vom Jahre 1245 auf 1200 
Mark berechnet wird. Für einen mit Edelfteinen beſetzten 
goldenen Becher und einige andere Kirchenfachen, die fih König 
Wenzel I. vom Kloſter Oſlawan erbat, um fie einem anderen 
au übermweifen, gab er ein ganzes Dorf als Erſatz. 

Diejem inneren Glanz und Reichtum der meijten unferer 
Klöfter jener Zeit entſprach dann der ausgedehnte Beſitz an 
Grund und Boden, befonders auch an zugehörigen Dorfſchaften. 
Die Überlaffung untertäniger Dörfer, über die der Landesfürit 


158 Stebenter Abſchnitt. 





frei verfügen fonnte, war die gewöhnliche Art, Dienſte zu ent- 
lohnen oder Gnaden auszuteilen; daher begegnen wir in den 
zahlreichen Kauf-, Verkauf und Schenfungsurfunden fo vielen 
Namen flawifcher Dörfer, während die deutichen Dörfer mit 
ihrer freien Bebölferung vor ſolchen willfürlichen Verfügungen 
gefihert waren. Und die hier anſäſſige Bauernfchaft oder 
Tonftiges Volk — die „Armen“, wie man die Maffe bezeichnete 
— mar durd) althergebrachte :Verpflicitungen gegenüber dem 
Landesherrn gebunden, jtand, wie e8 in den Urkunden zu 
wiederholten Malen heißt, unter der „Gewalt und Tyrannei 
(potestas vel tyrannis)” des Richters, der Beamten, hoher und 
niederer Perſonen in den Dörfern und auf den Höfen, die fie 
bewohnten. Grell beleuchtet e8 die fozialen Buftände, wenn 
fremde arabijche Schriftiteller noch im 12. Sahrhundert davon 
erzählen, daß die in Böhmen Iebenden Juden das Land ala 
„Ranaan“ bezeichneten, „weil die dortigen Bewohner ihre 
Söhne und Töchter allen Völfern 'verfaufen, ganz jo wie die 
Leute von Rufia (Rußland)”. Nach diefer Richtung hatten fich 
alfo die Verhältnifje nicht wefentlich geändert gegenüber jener 
Zeit, da fich der heilige Adalbert darüber bejchwerte, daß der 
jüdifhe Kaufmann chriſtliche Gefangene und Sklaven in 
Böhmen um das unfelige Gold in folder Menge zufammen- 
Taufe, daß der Biſchof fie auszulöfen nicht mehr in der Lage fei. 

Auch die Mlöfter Kitten unter dieſen Zuftänden, denn ihre 
Dorfſchaften unterlagen gleichfall3 jenen mannigfachen ſchweren 
Verpflichtungen, der Robotleiftung bei Burgenbau und Graben- 
auswerfung, bei Waldausholzungen, der Gewährung bon 
Unterkunft und Geleite, der Haltung und Wartung bon Jagd- 
Hunden und deren Hütern, der Herbeiſchleppung von Neten zur 
Sagd, der Kieferung bon Naturalabgaben und anderen 
Schuldigfeiten, bald an den Herzog, bald an den herzoglichen 
Marſchall, Sägermeifter, Waldmeifter, Kämmerer, Kaftellan und 
andere, dieſe sezin& und ceztn&, pojezda und ossada, svod und 
hlava, vrez, pohone, ranne und wie alle diefe Abgaben und 
Bußen mit ausſchließlich tſchechiſchen Bezeichnungen heißen. 
Dadurch waren die Klöſter in ihrer wirtihaftlicden Entwidlung 
unterbunden, abhängig bon der fürſtlichen Beamtenſchaft, fie 


Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter. 159 





entbehrten einer wirklichen Autorität, insbejondere da ihre 
Untertanen in allen gerichtlichen Angelegenheiten nicht dem 
Schuß noch der Zucht der Klöfter unterſtanden, fondern der 
Landesbeamtenſchaft. Die weltlichen Grundherren, die Adeligen 
empfanden dieje Verhältniffe minder ſchwer, weil fie vielfach 
als die Inhaber der hohen Amter daraus Nuten zogen. Bor 
allem aber Tonnte eine ſolche aller Willfür der Großen preis- 
gegebene Dorfbewohnerſchaft nicht aus eigener Kraft und durch 
noch fo fleißige Arbeit zu beſſerer wirtſchaftlicher und fogialer 
Stellung gelangen. 

Sn diefe Buftände eine Wandlung gebradjt zu haben, war 
das DVerdienft de3 Prager Bistums und der deutfchen Klöfter 
in Böhmen und Mähren; von ihnen ift der erfte Verfuch aus- 
gegangen, mit diefen Einrichtungen altſlawiſchen Gewohnheits⸗ 
rechtes auf ihren Befigungen aufzuräumen, nicht ohne Kampf 
und erjt nad) langivierigen Verhandlungen zwifchen dem König 
Premyjl Otafar I., dem Biſchof, dem Mainzer Metropoliten 
und dem päpftlicjen Stuhl. Sie fiherten den böhmifch-mähri- 
ſchen Kirchen und Mlöftern die jogenannte Firchliche Immunität 
(Steiheit), d. h. Selbitändigfeit gegenüber der allgemeinen 
Landesverwaltung, wie dies in den beiden großen Föniglichen 
Privilegien vom 2. Suli 1221 für dag Prager Bistum und vom 
10, März 1222 für die Klöſter und Konbentualfirchen der 
Prager Diözefe allgemein ausgeſprochen ift; im einzelnen er- 
warb dann im Verlaufe der Zeit jedes Klofter und jede Kirche 
ihr eigenes Immunitätspribileg. Handelt e3 ſich dabei in erſter 
Linie um die Stellung der geiſtlichen Perſonen und ihres 
Befiges, jo bilden doch die Untertanen einen wejentlichen 
Beftandteil des letzteren. Ausdrüdlich wird im erjten Privileg 
ihre Befreiung von allen den Xaften, deren einige früher 
namentlich angeführt wurden, als in der Firdjlichen Immunität 
inbegriffen erklärt. In einzelnen Fällen mochte man bierin 
verſchie dene Beltimmungen treffen, in der Regel fcheidet mit 
der Kirche oder dem Klofter auch deifen Untertanenfchaft in den 
äugehörigen Dörfern, deren Zahl fich nicht felten auf viele 
Dutende, auch hundert und mehr belief, aus der Abhängigkeit 
von jenen Beantten und Adligen aus, deren Forderungen König 


160 Stebenter Abſchnitt. 





Otakar I. noch im Jahre 1224 in einer Urkunde als „ſchändliche 
Reiftungen (turpes exactiones)” bezeichnet, „eher für Heiden 
als für Chriften” paſſend. 

Wie die von den einheimifchen Deutichen geidjaffenen Städte 
haben alfo aud) die von den fremden deutfchen Mönchen gegrün- 
beten Klöſter beigetragen, die flawijche Bevölkerung im Lande 
fozial und wirtiaftlich zu heben, ohne da fie dadurch iır 
ihrer nationalen Eigenart bedroht worden wäre, Beide deut- 
ſchen Schöpfungen, die Städte und die Klöſter, ſchienen anfangs 
die Kraft zu bejigen, die Verfchiedenheit des Kulturzuftandes 
beider Völker im Lande auszugleidien. Das Städteivefen, 
dag aus dem heimiſchen Deutſchtum, aus feinen uralten Redhts- 
gewohnheiten naturgemäß hervorgegangen war, hat ſich dauernd 
als ein mächtiger Kulturfaktor erwieſen. Nicht auf dieſem 
Boden bildete ſich der Gegenſatz zwiſchen Deutſchen und Slawen 
in unferen Ländern aus. Die kirchlichen und religiöſen Ver- 
hältniffe in ihrer weiteren Entwidlung find es, durch die 
in den beftehenden Spalt ein mädjtiger Keil hineingetrieben 
wird, der alle Iofen Bande der Annäherungsmöglichleit wieder 
zerreißt. 

Die Premyſliden haben es in ihrer vierhundertjährigen 
Herrſchaftszeit vermocht, die alte Geſchiedenheit und Ber- 
ſchiedenheit wenn auch nicht zu bejeitigen, fo dod zu über- 
Brüden; unter dem neuen Königsgeichledyt der Luxemburger 
führt fie zu einem furdhtbaren nationalen Kampf. 


Achter Abſchnitt. 


Die drei böhmifchen Könige aus luxemburgiſchem hauſe: 
Johann, Karl und Wenzel. 
1311-1419. 


Die Frau fpielt in der Geſchichte Böhmens und Mähren 
keine nebenſächliche Rolle. Selbſt in diefer kurzen Überficht fehen 
wir, wie fie von den früheſten Seiten an immer wieder im 
holitifchen und gefellihaftlichen Leben des Landes bedeutſam 
berbortritt. Wir mannten die fromme Marfomannenkönigin 
Sritigil, die fagenhafte Luboſſa, Ludmilla die Märtyrerin, 
Qudith, die erfte fiher bezeugte deutſche Fürſtentochter, die 
einem Premyjliden in feine Seimat folgte. Bei den immer 
inniger fi} geitaltenden Beziehungen zwiſchen Böhmen-Mähren 
und den deutſchen Fürftenhöfen blieb der Fall nicht vereinzelt; 
und als dag premyſlidiſche Geſchlecht die höchſte dynaſtiſche 
Staffel erftiegen und die erbliche Königswürde erlangt hatte, 
Stand nichts im Wege, daß auch eine deutſche Königstochter, 
die Staufin Runigunde in die Prager Refidenz einzog. Jetzt 
hätte Cosmas nicht mehr, wie bei der Eheichliegung Judiths 
mit Bretiflato, davon ſprechen können, daß diefen „der angebo- 
rene Stolz der Deutſchen“ beftimmt habe, die Braut Lieber ge- 
waltfem zu entführen als um fie zu freien. 

Saft wäre e3 damals auch ſchon zur Verbindung einer 
böhmijchen Prinzeffin mit einem deutichen Naiferfohne ge- 
kommen. Friedrichs II, unglüdlicher Sohn Heinrich (VIL), 
der bon 1220 bis 1235 als deutfcher König feinen Vater int 
Reiche vertrat, empfand tiefite Zuneigung zu Agnes, der 
Schweſter Wenzels I., von der diejer einmal in einem Briefe an 
den Papſt fagt, fie fei ihm teurer als Weib und Find und 
jegliches Gut. Die Politik ftellte ſich diefer Heirat, die die 
hohenſtaufiſch premyſlidiſche Freundſchaft nur hätte ftärfen 
fönnen, entgegen; Heinrich mußte eine babenbergiſche Prin- 
zeſſin ehelichen und ftarb in der Blüte feiner Jahre als Ge- 


BretHolg, Geld. Böhmens u. Mäfrend L u 


162 Achter Abſchnitt. 





fangener feines eigenen Vaters in Stalien, Agnes wurde 
Nonne. Erft unter dem neuen deutſchen Königsgeſchlecht der 
Habsburger Fam eg zu einer folden Doppelheirat, alg Agnes, 
Otakars II. Tochter, König Rudolfg gleichnamigen Sohn und 
der Sohn Otakars, Wenzel (II.), Rudolf Tochter Guta ver— 
bunden wurde. Unglüdlige Ehebündniſſe: dem eriten ent- 
iprang Johannes Parricida, der Mörder ſeines Oheims, König 
Albrechts I.; Guta von Habsburg war die Mutter des Iegten 
Prempjliden, Wenzel III. 

Nun aber, nad) dem Ausſterben des premyflidifchen Mannes- 
ftammes, fiel den überlebenden weiblichen Gliedern die wichtige 
und ſchwere Aufgabe zu: das angeſtammte Herrſcherhaus nicht 
ſpurlos aus der Geſchichte des böhmischen Reiches, mit dem 
es in Sahrhunderte alter Entwidlung emporgefommen war, 
verſchwinden zu laſſen. Über ein halbes Jahrtauſend mar 
allein vergangen, feitdem Boriwoi die Kaufe empfangen und 
mit ihm die Reihe der hriftlichen Premyfliden ihren Anfang 
genommen hatte. Die Karolinger und Ottonen, die Salier 
und Staufer hatte diefeg Geſchlecht überlebt; dag Aufkommen 
aber auch der Untergang fo menden großen Fürftenhaufes 
fällt in feine Zeit; die Habsburger in Oſterreich, die Anjou 
in Ungarn, denen beiden die Premyſliden hatten weichen müſſen, 
Batten in ihren neuen Herrichaften kaum noch feiten Fuß ge- 
faßt. Es ift begreiflich, da ſchon mit Rückſicht auf Geſchichte 
und Ahnenreihe die Anfprüde der weiblichen premyſlidiſchen 
Rinie nicht don vornherein hoffnungslos waren. 

Böhmen ftand aber in Lehensabhängigkeit vom deutfchen 
Neich; d. h. e3 mußte an diejes wieder zurüdfallen, wenn das 
belehnte Haus feinen männlichen Sproffen mehr bejaß, da 
Böhmen nicht, wie etwa das Herzogtum Oſterreich ſchon ſeit 
1156, ein „Weiberlehen“ war und daher nit auch an die 
fürftliden Frauen, Töchter oder Schweitern des legten Lehen- 
träger8 vererbt werden konnte. Auf diefes Rechtsverhältnis 
Böhmens zum Reich fi) ftüßend, erklärte der damalige deutſche 
König, der Habsburger Albrecht J. Böhmen und Mähren noch 
Wenzels III. Xod für heimgefallene Lehen, die er frei vergeben 
könne, wem er wolle. Daß er dabei in allererjter Linie an 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 168 








feine eigene Familie dachte, war nad; der Lage der Dinge 
ſelbſtherſtändlich. Gegen diefe Auffaſſung wehrte ſich aber 
Herzog Heinrich bon Kärnten, der Gemahl der älteſten Schweſter 
Wenzelg III, Anna, und madjte ein Erbrecht der weiblichen 
Rinie geltend, wobei er ſich auf Eaiferliche Privilegien berief, 
die dieſes Recht erweifen follten.? Da die Adeligen und Bürger 
der königlichen Städte das Recht zur Wahl eines neuen 
Landesherrn für fich beanfpruchten, bildeten fi infolge diefer 
einander widerſtreitenden Anjchauungen im Lande zwei große 
Parteien, die habsburgiſche und die Färntnifche, die nun um 
den Beſitz des verwaiſten Erbes ftritten? Die kärntniſche hatte 
‚war den größeren Anhang, aber die habsburgifche hatte die 
Macht des deutichen Königtumg Hinter fi. Heinrich wurde 
zum böhmifchen König zwar gewählt, aber der deutſche König 
Albrecht I. belehnte kurzerhand nicht nur feinen älteften Sohn 
Rudolf, jondern auch gleich für den Fall von deifen Ableben 
oder Abgang die übrigen Söhne mit der böhmifchen Krone 
und rüdte mit zwei Heeren vom Weſten und Südoiten gegen 
das Land. König Heinrich) mußte fich vor der Übermadjt feines 
Gegners zurüdziehen und das Land fluchtartig verlaſſen. 
Herzog Rudolf fegte num auch feine Wahl durch Adel und 
Bürgerſchaft durch, hielt es aber doc; für angezeigt, ſich mit 
Wenzels II. Witwe, der Polin Elifabeth, zu vermählen, viel- 
leicht nicht fo fehr um feiner Herrichaft den Schein der Legi- 
timität zu geben, als um Anhang zu gewinnen (16. Oft. 
1306). Nur ſtarb Rudolf ſchon am 4, Juli 1307. Nun auch 
den zweiten Sohn, Friedrich den Schönen, auf Grund der 
früher erfolgten Gejamtbelehnung de3 Hauſes Habsburg in 
Böhmen und Mähren einzufegen, wurde K. Albrecht I. ſchon 
biel ſchwerer. Der Kärntner kehrte mit feiner Frau nad 
Prag zurüd, verftärkte feinen Anhang, der Kampf der Par- 
teien begann im ganzen Lande von neuem und artete devart 
aus, dab man Adlige und Bürger, die fi) zu den Habsburgern 
befannten, in Prag auf der Straße mordete. Am 15. Auguft 
1307 wurde Heinrich zum zweiten Male zum böhmiſchen König 
ausgerufen. Albrecht I, ſprach zwar über ihn die Reichsacht 
aus, drang mit feinem Heere von Eger aus ing Land, Friedrich 
11° 


184 achter Abſchnitt. 





mit einem zweiten von Mähren ber, wo ſich ihm Brünn und 
andere Städte, nicht aber Znaim, anfchlofjen, — allein einen 
raſchen Erfolg Tonnten die Habsburger nicht erreichen. Und 
ala dann im folgenden Jahr Albrecht I. am 1. Mai 1308 er- 
mordet wurde, Herzog Friedrich ſomit die Unterftügung des 
Reichsoberhauptes einbüßte, war dag premyſlidiſche Erbe für 
die Habsburger trog Belehnung verloren. 

Aber auch das auf dag vermeintliche Erbrecht feiner Ge- 
mahlin fi; ftügende Königtum Heinrichs bon Kärnten hatte 
nicht die Kraft, fi) audy nur im Lande allgemeine Anerkennung 
zu berichaffen. Der neue deutfche König Heinrich VII. von 
Luxemburg (1308—1313) konnte ſich daher um jo leichter auf 
den gleichen Standpunft ftellen, wie früher Albrecht I. Auch 
er betrachtete Böhmen als ein dem Reich heimgefalleneg Lehen, 
das der Kärntner zu Unrecht fi) aneigne. Er hatte es jedoch 
nicht nötig, wie Albrecht I. jogleich mit beivaffneter Sand ein- 
zugreifen. Sein eriter Berater in politifchen Dingen war der 
Mainzer Erzbiichof Peter Aipelt, der zu Zeiten Wenzels II. 
jechgehn Jahre lang die Regierung Böhmens geleitet Hatte, 
Sn feiner jegigen Stellung als Metropolit, dem aud das 
Prager Bistum umterftand, konnte er auf die Geiftlichfeit im 
Sande einigen Einfluß nehmen. Seinen Einwirkungen dürfte 
es wohl zuzuschreiben fein, daß fi) in maßgebenden Kreifen 
Böhmens der Gedanke Bahn brach, dag der Anſchluß des 
Landes an dag neue deutſche Königtum den ficherften Ausweg 
aug den inneren Wirren biete. Nur verlangte diefe Partei 
Rückſichtnahme auf das prempflidifche Geſchlecht. Dur eine 
Vermählung der zweiten Schweſter Wenzels III., der noch 
Iedigen Elifabeth, mit einem Familienmitglied des deutichen 
Königs Eonnten diefe Schwierigkeiten am eheften überwunden 
werden. Heinrich VII. ging auf diefen Vorfchlag, den ihm der 
Abt Konrad vom Zilterzienjerflofter Königfaal, der berühm- 
ten Gründung 8. Wenzels IL, an der Spike einer böhmifchen 
Geſandtſchaft unterbreitete, ein. Er empfahl zunächſt feinen 
Bruder Walram, einen gereiften Mann, der felbitändig hätte 
auftreten können. Allein der auf jeine Macht eiferfüchtige 
böhmifche Adel zog des Königs Sohn Johann vor, der, kaum 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 165 





den Knabenjahren entwachſen, um vier Sabre jünger war, als 
die für ihn in Ausficht genommene rau — und der König 
gab nad. Allerdings ftellte er ſeinerſeits die Bedingung, daß 
er dem jungen Ehepaar eigene Ratgeber mitgeben dürfe, in 
erfter Linie den genannten Erzbiichof Peter von Mainz. Am 
31. August 1310 fand in Speier zuerft die feierliche Belehnung 
Johanns mit der Krone Böhmens ftatt und noch am felben 
Tage, „bamit fein Recht umfo Fräftiger fei“, die Vermählung 
mit der Premyflidin Elifabeth, „der gefegmäßigen Erbin des 
Neiches”*. Die Eroberung Böhmenz und insbefondere der Stadt 
Prag, des Hauptitükpunftes des Kärntners, war nicht ganz 
leicht, allein fie gelang, fo dat Johann und Elifabeth am 
7. Sebruar 1311 in der Domkirche auf dem Hradſchin gekrönt 
werden fonnten. Damit beginnt die Regierung der Lurem- 
burger in Böhmen, oder richtiger geſagt, des premyſlidiſch- 
luxemburgiſchen Hauſes, das, wenn auch nicht ohne Unter 
brechung, 126 Jahre diefen Thron innehaben follte, 

Bon dem neuen böhmifchen Königspaare befigen wir Schil- 
derungen, die ſelbſt nad; Abzug der üblichen Verherrlihungen 
auf giwei geiftig nicht unbedeutende Menſchenkinder ſchließen 
loffen. Umfo merfwürdiger ift e8, daß fie der inneren Ver- 
bältniffe Böhmens nicht Herr zu werden vermochten. Zwiſchen 
den fremden Ratgebern des jugendlichen Königs, den „fremden 
Deutſchen“, und dem heimifchen Adel entitanden Gegenſätze, 
die, folange Johann und Elifabeth an dem Zaiferlichen Vater 
einen Rüdhalt hatten,. niedergehalten werden konnten. Als 
aber Heinrich VII. am 4. Auguſt 1313 geftorben war, zwang 
man alsbald Sohann, die Herren aus dem Reich zu entlafien 

“und die Regierung dem Haupte der heimifchen Adelspartei, 
Heinrich bon Zippa, zu übertragen, der ſchon im Kampf gegen 
den deutſchen König Albrecht I. eine führende Stellung ein- 
genommen hatte, Ruhigere Berhältniffe traten aber damit 
Teinesweg3 ein. Finanzielle Auseinanderſetzungen zwiſchen 
dem ftet3 geldbedürftigen, unternehmungsluftigen König und 
dem Adel, ernites Zerwürfnis zwiſchen der Königin und ihrer 
Stiefmutter, der zweifachen Königinwitwe Elifabeth, die in 
Königgräg glänzenden Hof hielt und auffallende Beziehungen 


166 Achter Abfchnitt. 





zu Heinrich bon Lippa unterhielt, und noch andere innere 
Zwiſtigkeiten machten die Lage unhaltbar. Ende Oftober 1315 
ließ fid) der König beftimmen, Heinrich nicht nur aus feiner 
hohen Amtsftellung eines Landesfämmerers, dem dag ganze 
Finanzweſen unterftand, zu entfernen, fondern ihn auf der 
Burg Angerbad) einzuferfern. Der Mainzer Erzbiſchof wurde 
neuerdings nad) Prag berufen und übernahm als Statthalter 
Böhmens die Verwaltung des Landes. Aber nad) zweijährigen 
ſchweren Kämpfen mit der Adelsſippe Lippas, der nad; ſechs 
Monaten aus dem Gefängnis entlafjen werden mußte, unterlag 
das Königtum völlig. Der Mainzer war in fein Erzbistum 
ſchon früher zurüdgefehrt, der König lebte zumeiſt außer 
Landes, die Königin, der die Leitung der Regierung über- 
tragen war, fand an Heinrich; bon Lippa einen entjdjiedenen 
Gegner, dem fie auf die Dauer nicht gewachſen war. König 
Johann, der Ende 1317 wieder in Prag eridjien, gab ben 
Kampf mit den Baronen bald auf, befonders als man ber- 
fuchte, mit allerlei Verdächtigungen feine Stellung zu unter- 
graben. Soll ja damals durch „Rügenboten” überall verbreitet 
worden fein, daß der König alle Böhmen aus dem Lande, 
d. h. der Landesverwaltung, ausſchließen wolle.’ Der heimifchen 
Wirren überdrüffig, fchüttelte fchließlich Johann in dem wenig 
würdigen Vergleich mit den Baronen zu Taus im April 1318 
die Laſt der Regierung von ſich ab, behielt nur die königliche 
Würde und bejtimmte Einfünfte und wandte ſich nunmehr 
umfo freier der auswärtigen Politik zu. Ein danfhares Feld 
der Betätigung für feinen ſtaatsmänniſchen Sinn und un- 
ruhigen Geift, angejichtS des andauernden Gegenfages zwiſchen 
den beiden Häuſern der bayriſchen Wittelsbacher und öfter- 
reichiſchen Habsburger, die um die deutfche Königskrone ftritten, 
und bei der unficheren allgemeinen Weltlage. Nie müde in alle 
Händel einzugreifen und immer neue Unternehmungen zu 
wagen, trug er mandjen Gewinn dabon und bereitete den 
Wiederaufftieg feines Gefchlechtes Iangjam aber filjer vor. Er 
bat dabei Böhmens Grenzen nicht unweſentlich erweitert, 
Schon 1319 fiel ihm nad) dem Tode des Markgrafen Wal- 
demar von Brandenburg die Oberlaufig zu; dann 1922 Stadt 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 167 








und Landſchaft Eger, die ſchon Früher zu Böhmen gehört Hatten, 
fpäter wieder verloren gegangen waren, bon jet aber dauernd 
bei Böhmen verblieben. Die Lombardei, die Johann 1331 bis 
1333 innehatte, Tieß fich nicht behaupten. Dagegen ſchien e8, 
daß in Tirol und Kärnten eine luxemburgiſche Sefundogenitur 
für den jüngeren Sohn Johann Heinrich würde begründet 
werden können, ala diefer 1330 mit der Erbtochter beider Län- 
der Margareta Maultafch, einer Tochter Herzog Heinrich von 
Kärnten, der 1306 und 1307 Furze Zeit die böhmifche Königs- 
krone befeffen hatte, vermählt wurde. Zwölf Jahre, bis 1341, 
währte diefer ſchon infolge des Altersunterſchiedes der Ehe- 
gatten unmatürliche Ehebund, dann mußte er, nicht zulegt durch 
die Umtriebe des wittelsbachiſchen Haufes, das diefe Gebiete 
beanspruchte, in einer für die Luxemburger ſchimpflichen Weile 
gelöft werden, womit auch die dortige Herrfchaft verloren 
ging. Glüdlicher war Johann, als er die Befigergreifung von 
ganz Schleſien für die Krone Böhmens einleitete. 

Der Anſchluß der ſchleſiſchen Fürſtentümer hatte ſchon unter 
den legten Premyſliden im Zuſammenhang mit der Eroberung 
Polens begonnen. Durch das Ausfterben des Gefchlechtes war 
die Verbindung allerdings wieder in die Brüche gegangen. 
Bei feiner Thronbefteigung hatte Johann aud) den Titel eines 
Königs von Polen angenommen, zum Beichen, daß er die 
Anſprüche feiner Vorgänger auf dieſes Land aufrecht halte, 
Aber erft 1327 unternahm er einen Feldzug dahin, und bei 
diefem Anlaß huldigten ihm zunächſt die oberſchleſiſchen Ser- 
zoge von Teichen, Falkenberg, Aufchtwig, Ratibor und Oppeln 
als ihrem Oberherrn. Ihnen ſchloß fich bald darnad) der Herzog 
bon Breslau an und 1329 folgten die oberſchleſiſchen Zürften 
bon Liegnitz, Brieg, Sagan, Ols; Glogau wurde 1331 durch 
Krieggandrohung zur gleichen Enticheidung gezwungen. Es 
blieb angeficht3 dieſer Entwicklung K. Kaſimir von Polen nichts 
übrig, als 1335 gegen bloße Verzichtleiftung Johanns auf 
den polnifchen Königstitel dieſes neugeſchaffene Verhältnis 
anzuerfennen, dag die allmähliche Einverleibung bon ganz 
Schleſien in die Krone Böhmens bedeutete, 


168 Achter Abſchnitt. 





Bei vielen diefer Unternehmungen wurde König Johann un- 
terftügt von feinem erftgeborenen Sohn Wenzel-Karl. der ſchon 
zu Lebzeiten des Vaters eine herborragende politifche Tätigkeit 
entfaltete, wie kaum je ein Thronfolger im böhmiichen Reid). 
Er mar nad) zwei vorangegangenen Töchtern, Margareta und 
Gute, das dritte Kind Elifabeths, geboren in Prag am 14. Mai 
1316. In der Taufe erhielt er den Namen Wenzel. Schon im 
Alter von fieben Jahren, 1323, wurde der Knabe nad) Paris 
gebracht, an den Hof König Karls IV. von Frankreich und 
deifen Gemahlin Maria, einer Schwefter Johanns, um dort 
erzogen zu werden. Der zeitgenöffifche, in die. innerpolitifchen 
Angelegenheiten des Landes gut eingemweihte Chronijt bon 
Königfaal erklärt allerdings ausdrüdlich, dab die Furcht 
König Johanns, die Adelspartei Fönnte fich des jungen Wen- 
zel bemächtigen und ihn an des Vaters Stelle zum böhmi- 
{chen König erheben, der Hauptgrund für. die Entfernung 
des Knaben aus dem Lande geweſen fei. Noch im felben Jahre 
wurde er mit einer Kuſine des regierenden und Schweſter des 
1328 auf dem frangöftichen Thron nachfolgenden Königs Philipp 
VI. namens Blanca berlobt, Bei der Firmung nahm er nach 
feinem föniglicgen Oheim defien Namen Karl an, den er fortan 
behielt. Sieben volle Jahre hatte Karl in Paris, wo er aud) 
die berühmte Univerfität befuchte, geweilt. Dann ließ ihn 
der Vater nach Quremburg fommen und 1331, aljo fünfzehn- 
jährig, in die Lombardei, damit er hier in der für dag Iugem- 
burgiſche Haus neu erworbenen Provinz mit dem Xitel eines 
„Reichsvikars in Italien“ den Vater vertrete. Sn den Kämpfen, 
die um diefen Befig geführt werden mußten, auf dem Schlacht- 
feld von San Felice, am 25. November 1332 beftand Karl 
auch feine erfte Feuerprobe. Als aber König Johann die Lom- 
bardei fchließlich doc; preisgeben mußte, jdjidte er den Sohn 
nad) Prag, in die mütterliche Heimat, mo er — die Mutter 
mar nad) längerer Krankheit im Alter von 38 Jahren am 
28. September 1330 geitorben — nad) zehnjähriger Abweſen- 
heit am 30. Oftober 1333 anfam. Im nächſten Sommer Tieß 
er feine Gemahlin Blanca aus Paris nadjfolgen; am 
12, Juni 1334 langte fie in Prag ein, 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 188 





Karl übernahm nun als „Markgraf von Mähren und Lan- 
deshauptmann von Böhmen“ die Verwaltung beider Länder. 
Eine ſchwere Aufgabe für den jungen Prinzen, da die Herr- 
{haft der Barone durch mehr als anderthalb Jahrzehnte dein 
Rande fehr zum Nachteil geraten war. Karl ſchildert ung die 
Buftände in Böhmen, wie er fie vorfand, in feiner Selbft- 
biographie: wie er nur mit großen Koften und Mühen die 
königlichen Burgen, Schlöffer und Güter, die alle verpfändet 
oder anderweitig belaftet waren, zurüderlangte; wie er fi, 
erft ein Kriegsvolk fchaffen und heranbilden mußte; wie er 
es langſam dahinbradhte, daß „die Gefamtheit der Guten und 
liebte, die Schlechten ſich aber fürdhteten und das Böſe mieden“; 
daß „die Gerechtigkeit wieder zu gebührendem Anſehen ge- 
langte, während bisher die Barone größtenteils Tyrannen im 
Rande geweſen waren und nicht, wie ſich ziemte, den König 
gefürchtet, fondern die Herrſchaft unter ſich geteilt Hatten“. 
Damit ftimmt die Nachricht einer anderen gleichzeitigen Duelle 
überein, daß nicht nur fein Schloß im ganzen Neich mehr 
dem König gehörte, jondern aud) die ehemals königlichen Städte, 
Dörfer, Gehöfte, Wälder faft jämtlid) in fremde Hände ge- 
raten waren, daß die Prager Burg, die 1303 niedergebrannt 
war, noch immer in Trümmern lag und jegt erſt wieder auf- 
gebaut wurde, wie auch Königgräß, die Refidenz der Königin 
witwe Elifabeth. 

Karl begann auf allen Gebieten, politiſch, militärifh, wict- 
ſchaftlich, kulturell, eine ebenfo eifrige als wirkungsvolle Tãtig · 
keit zu entfalten, die allerdings gleid) in ihren erſten An- 
fängen für kurze Zeit durd) einen peinlichen Zwiſchenfall unter- 
broden wurde. Wie er felber erzählt, getvannen bei einem 
Beſuche des Vaters in Böhmen im Juli 1385 „böfe und falfche 
Angeber, die ihren eigenen Vorteil fuchten, fomohl Böhmen 
als Zugembdurger”, deſſen Ohr und nahmen ihn gegen den 
eigenen Sohn ein. Sie follen König Johann gewarnt haben: 
„Herr jeht euch vor; euer Sohn hat im Land viele Burgen 
und einen. großen Anhang unter euren Leuten. Wenn er lange 
ſolches Übergewicht behält, wird er, ſobald es ihm beliebt, euch 
berdrängen. Denn er ift der Eche des Rei und vom Stamm 


170 Achter Abſchnitt. 





der böhmiſchen Könige und beim Volke ſehr beliebt. Ihr aber 
ſeid ein Fremdling.“ Karl wurde daraufhin ſeiner Stellungen 
enthoben und mit dem bloßen Titel eines mähriſchen Mark- 
grafen nad Brünn veriviefen. Aber lange konnte der Vater, 
der mit Gejchäften itberlaftet war, der Mitarbeit eines jo tat- 
Träftigen Sohnes, gegen den fid} überdies alle Anſchuldigungen 
als falſch erwieſen, nicht entraten. Dieſes kurze, Fünftlich her- 
vorgerufene Zerwürfnis zwiſchen Vater und Sohn war nur 
wie ein Nachſchauer aus der früheren Zeit, in der die Barone 
und Ratgeber des eiferſüchtigen Königs ſchon ſo oft Zwietracht 
zu ſäen vermocht hatten. Bald herrſchte wieder volles Ein- 
vernehmen zwiſchen Johann und Karl, doch wurde dieſer zu- 
nächſt nur im auswärtigen Dienft verwendet und erhielt erſt 
1341 feine frühere Stellung in Böhmen und Mähren zurüd. 
Und noch im felben Jahre am 11. Juni wurde er auf einer 
Randesverfammlung in Prag in Anivefenheit der böhmifchen 
Prãlaten, Fürften, Serren, Ritter und Bürger der Töniglichen 
Städte fowie der Abgefandten von Breslau zum Erben und 
Nachfolger im böhmifchen Reiche ernannt. 

Weitausgreifende Pläne beicäftigten damals den König, 
die denn doch in erfter Linie feinem Erftgeborenen zugute 
kommen mußten. Noch im Herbſt 1335 zog Karl im Auftrag 
des Vaters nach Schlefien, dann nad, Ungarn. In den fol- 
genden Jahren fehen wir ihn bald allein, bald mit Johann 
in Tirol, Öfterreih, Litauen, Oberitalien, Paris, Aoignon, 
Bayern, Sriaul und anderwärts, hier kämpfend, dort ber- 
bandelnd.” Er wird immer mehr die rechte Hand des Vaters 
und ihm um fo unentbehrlidjer, als diefer von einer ſchweren 
Augenkrankheit heimgeſucht ſicherer Erblindung entgegenging. 
Aber bis zur letzten Stunde feines Lebens blieb er unermüd- 
lich, entfaltete gerade jegt eine fieberhafte Tätigfeit auf poli- 
tifchem, diplomatifchen, militärifchem Gebiete. 

Die Hauptſorge galt allerdings der Erlangung der deut- 
{chen Königskrone, ohne die die machtvolle Stellung des Iugem- 
burgiſchen Saufes auf die Dauer nidyt zu behaupten mar. 

Seitdem die Staufer durch dag Papfttum auf dem Lyoner 
Konzil von 1245 um ihre deutſche Königs und Kaiſerkrone 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. m 





gebradjt und Friedrich II. abgefet worden war, verfagte das 
Erbrecht bei diefer Würde, die doch bereits jedes Fürften- 
geſchlecht für feinen Velig innehatte. Bon einer Wahl zur 
anderen mwechjelte das Königshaus, Kuriale Beeinfluffungen 
und Eingriffe, wie nie zubor, ein unwürdiger Schacher um 
dieſe höchſte Stellung im eich wirkte dabei mit. 

Auf Kaiſer Friedrich II. (geit. 1250), deſſen Sohn Konrad 
(geft. 1254) und Enkel Konradin, der letzte Hohenſtaufe (geft. 
1268), noch den Titel eines deutichen Königs führten, folgte 
zuerſt Heinrich Raſpe (1246—1247) aus dem Haufe der thürin- 
giſchen Landgrafen, dann Wilhelm von Holland (1247—1256), 
ſonach die beiden Gegenfönige Richard von Cornivall (1%56 bis 
1272), der nur am Rhein einen fleinen Anhang fand, und 
Alfons bon Kaſtilien (1257—1273), ein deutſcher König, der 
nie deutſchen Boden betreten hat. Rudolf I. von Habsburg 
(1273—1291) erneuerte und ftärfte die deutfche Königswürde, 
aber trog feiner Xücjtigfeit und großen Berdienfte um das 
Reich war es ihm nicht möglid), die Nachfolge feines Sohnes 
durchzuſetzen. Zunächit wurde Graf Adolf von Naſſau gewählt 
und erjt nad) deſſen Tode (12%) konnte Rudolfs I. ältefter 
Sohn Albrecht I. von Öfterreich den deutichen Thron erlangen 
(1238—1308). Nach feiner Ermordung fpringt die Würde 
wieder auf ein neues Haug über, Heinrich VII, Grafen bon 
Zuremburg (1308—1313). Sein Sohn, unfer König Johann 
von Böhmen, bemühte ſich vergebens um die Nachfolge, Die 
deutiche Königskrone wurde vielmehr zur Streitfache zwiſchen 
dem Wittelsbacher Qudivig dem Bayern und dem Habsburger 
Friedrich dem Schönen bon HÖfterreih, dem Sohne König 
Albrechts I. Bis zum Tode Friedrichs (1330) hatte dag Reich 
wenigftens der Form nad) wieder zwei Gegenfönige. Ludwig 
der Bayer, der jenen überlebte, war gewiß einer der tüchtigiten 
und rührigſten Vertreter des deutſchen Königtums, trat auch 
mit Entſchiedenheit der Beeinfluffung Deutſchlands durch dag 
Bapfttum entgegen. Aber gerade diefe ausgefprochene anti. 
päpftliche Politif brachte ihn zu Falle. 

Zu feinen entſchiedenſten Gegnern gehörten die. Luxem - 
burger, nicht nur weil er ihnen nad) HGeinrichs VII. Tod den 


1 Achter Abſchnitt. 


deutfchen Königsthron entriffen hatte, fondern noch mehr, weil 
fie ihm die Schuld an dem Verluft Tirols zuzuschreiben allen 
Grund hatten, in deſſen Befig er fich bald nad) der Vertreibung 
Sohann Heinridig im Sahre 1342 geſetzt hatte. Zur jelben 
geit, am 7. Mai 1342, war Klemens VI. zum Papſte erhoben 
worden, der einftmals in Paris Lehrer des Prinzen Karl ge 
weſen war, deifen Aufmerkſamkeit, ja Bewunderung er durch 
eine meijterhafte Predigt erregt haben fol. Schüler und Lehrer 
ſahen einander wieder, als Karl in Begleitung feines Vaters 
1340 auf einer Reife durd; Frankreich auch nady Anignon Fam, 
dem Site de3 Papſttums feit 1309. SM lemens, mit feinem 
meltlien Namen Peter Roger, war damals Erzbiſchof von 
Rouen und Kardinal. Im Gefpräd) joll er, wie Karl felbit 
erzählt, feinem einftmaligen Bögling prophezeit haben: „Du 
wirſt noch König der Römer werden“, worauf Karl ſchlagfertig 
erwiderte: „Du twirft noch vorher Papit fein“. Es waren wohl 
ihre geheimen Wünſche und Hoffnungen, die fie außtaufchten. 

Gleich nach der neuen Papſtwahl tauchte auch der Plan auf, 
König Ludwig, den man als einen gefährlichen Gegner der 
Kirche erklärte und der ſich durd) feine auf Bereicherung hinauß- 
laufende Sauspolitif auch viele deutſche Fürſten entfremdet 
hatte, abzuſetzen. Die beiten Ausfichten auf die deutiche Königs- 
Trone befaßen für diefen Fall die Luremburger, nicht zulegt 
durd) ihre engen freundfchaftlichen Beziehungen zum neuen 
Papft. Schon im Februar 1344 hatten Johann und Karl 
Papſt Klemens in Aoignon aufgeſucht und mit ihm die deutiche 
Königdfrage erörtert. Ludwig glaubte durch allerlei Beziehun- 
gen, die er anfnüpfte, feine Stellung fijern zu fönnen. Aber 
der Papſt kannte fein Erbarmen. Am 13, April 1346 erfolgte 
die feierliche Verfluchung, Bannerflärung und Abfegung Lud- 
wigs. Am 20. April beſchwor Karl alle Eide, die ihm der Papſt 
vorlegte, und willigte in Forderungen, wie fie nie zubor ein 
deutiher König oder Kaifer dem Papfttum zugeftanden hatte, 
Wiederum acht Tage fpäter, am 28., verlangte der Papſt von 
den Kurfürften die Neumahl eines deutſchen Königs und be- 
zeichnete ihnen alg jeinen Kandidaten Karl, den Markgrafen 
von Mähren. Am 11. Zuli wählten ihn zu Renje am Rhein 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 178 





fünf von den berufenen fieben Kurfürften: die drei geiftlichen, 
die Erzbiſchöfe von Mainz, Köln, Trier, und zwei weltliche, 
der böhmiſche König Johann und der Herzog von Sachen; 
der Rheinpfalzgraf und der Markgraf von Brandenburg hielten 
fi fern. Von den mwählenden Kurfürften war der Böhme 
Karls eigener Vater, der Kölner deifen Großoheim und der 
Mainzer wer wenige Monate zubor eigens zu dieſem Zwecke 
nad; Abſetzung feines Vorgängers ernannt worden. Das Biel, 
das dem Prempfliden Otafar II. vorgeſchwebt und für dag er 
ſchließlich fein Leben eingefegt hatte, erreichte der Luxemburger 
auf böhmiſchem Thron faft mühelos, 

Ein berühmter geiftlicher Widerfacher des damaligen Papit- 
tums und Anhänger Kaifer Ludwigs, einer der größten mittel- 
alterlichen Theologen und Gelehrten überhaupt, Wilhelm von 
Occam, den jchon bei Lebzeiten der Beiname „doctor invinci- 
bilis et singularis (unbefiegbar und einzig)“ ſchmückte, erflärte 
diefe gewiß anfechtdare Wahl als einen „Treubruch“ der deut- 
{hen Rurfürften gegenüber ihrem früheren Herrn und bradjte 
für Karl die Bezeichnung eines „Pfaffenkönigs” auf®, nannte 
ihn wohl aud) „eine übertünchte Statue“, „dag Idol der häre- 
tifchen Geiftlichfeit von Avignon“. 

‚, Das erite politiſche Geichäft, das Karl in feiner neuen 
Eigenſchaft al deuticher König durchzuführen hatte, war, dem 
frangöfiichen König Philipp VL, jeinem Schwager, dem treuen 
Anhänger des Papfttums in Aoignon, Hilfe zu bringen in 
deſſen ſchwerem Kampfe gegen England. In der Schladyt bei 
Crécy am 26. Auguft 1346, dem Todestag Otakars II., in der 
die Franzoſen eine ſchwere Niederlage erlitten, fiel auch der 
blinde Böhmenfönig Johann, der eg ſich nicht Hatte nehmen 
laſſen, im größten Kriegsgetümmel mitzufämpfen. Auch Karl 
wurde verwundet, fo daß er einige Zeit in einem franzöfiichen 
Kloſter feine Genefung abwarten mußte. Am 18, September 
weilte er aber bereit8 wieder in Qugemburg und orönete die 
Zerhältniffe diefer ihm nunmehr heimgefallenen Grafſchaft. 
Diefe Unglüdsfälle ftärkten wohl die Reihen des Gegenkönigs 
Ludwig des Bayern. Karl verblieb noch biß Ende 1346 in 
feinem. Stammland und wagte e8 mur ala Knappe verkleidet 


174 Achter Abſchnitt. 





mit einer Schar Adeliger durch Elſaß und Schwaben nach 
Böhmen zu eilen, wo er Anfang 1347 glücklich anlangte. Ein 
Verſuch im Frühjahr diefes Jahres von Tirol aus den Kampf 
gegen die Wittelsbacher zu beginnen, mißglüdte. Sm Septem- 
ber begann er in Prag alle Vorbereitungen für einen neuen 
Feldzug zu treffen. Da erlag Raifer Ludwig einer Verwun- 
dung, die er auf der VBärenjagd in der Nähe bon München 
erlitten hatte, am 11. Oftober 1347. Noch im felben Monat 
Tonnte Karl feinen Einzug in die wichtige Stadt Regensburg, 
bald auch in Nürnberg halten und feine Anerfennung überall 
durchſetzen. Der neue Gegenkönig, den die wittelsbachiſche 
Partei in Graf Günther von Schwarzburg aufitellte, wurde 
ihm nicht mehr gefährlich, denn er Heß ſich durch eine Geld- 
jumme abfinden und ftarb ſchon am 18. Juni 1349. 

Die Doppelftellung, die Karl IV. feit dem Xode feines 
Vaters als deutſcher und ala böhmifcher König durch ein ganzes 
Menſchenalter einnahm, hat ſchon bei gelehrten Beitgenoflen 
die Vorftellung eriwedt, daß er wenig für das Reich, um fo mehr 
für Böhmen geforgt habe; . eine Auffafjung, die nachmals 
Kaiſer Marimilian I. in dem ſprichwörtlichen Sat ausgedrüdt 
bat: Karl jei des Reiches Eraftiefpater, dagegen Böhmens Erz- 
bater geweſen. Von den bedeutenditen Geſchichtsforſchern der 
neueften Zeit wird aber mit Recht beitritten, daß feine Tätigkeit 
für Deutichland bedeutungslos, geſchweige denn nachteilig ge- 
weſen wäre. Wir haben uns damit hier nicht zu beichäftigen. 
Daß aber feine Regierungszeit für Böhmen und Mähren ſchon 
in politiſcher Hinficht alles übervagt, was damals in irgend» 
einem Zürftentum durchgeführt wurde, läßt felbft ein Furzer 
Überblick feiner Tätigfeit erfennen. Pläne und Wünſche, die 
ſchon in der großen Zeit der Iekten Premyſlidenkönige bezüg- 
lid) Böhmens Geftalt gewonnen hatten, ohne aber verwirklicht 
werden zu können, find jegt in vollſten Mae in Erfüllung 
gegangen, 

Schon zu Lebzeiten ſeines Vaters als- Statthalter von 
Böhmen hat er jeine freundichaftlichen Beziehungen zum päpft- 
lichen Stuhl ausnügend die Firchliche Selbftändigfeit Böhmens, 
dag bisher unter dem Erzbistum Mainz ftand, gefichert, Prag 





Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 176 





wurde durch eine Bulle P. Klemens VI. vom 30. April 1344 
du einem Ergbistum erhoben und ihm dag alte mährifche Bis- 
tum in Olmüß und ein eben erft damals neu errichteteg in 
Reitomifchl unterftellt. € mar nad; Mainz, Köln, Trier, Salz- 
burg, Samburg-Bremen, Magdeburg und Riga das achte auf 
deutſchem Boden geichaffene Erzbistum”. Am 21. November 
erfolgte in der Domkirche zu St. Veit in Prag die Übergabe 
des Palliums, des Abzeichens der erzbiichöflicen Würde, an 
den bißherigen Prager Biſchof Ernſt von Pardubitz, der feit 
dem 11. Januar 1343 diefe Stellung innehatte. 

Erſt mehr als ein Jahr nad) dem Xode feines Vaters, am 
2. September 1347, ließ Karl ſich und feine Frau feierlich in 
Prag durch den neuen Erzbifchof als König und Königin von 
Böhmen frönen. Zu diefem Zwecke wurde eine der franzöſiſchen 
nachgebildeten Krönungsordnung geidhaffen, die dann für alle 
ſpäteren Afte diefer Art im Gebrauch blieb. Wenige Monate 
darnad), am 7. April 1348, begründete er durch eine Reihe 
feierlich außgeftellter Urkunden die neue ſtaatsrechtliche Stel- 
Iung Böhmeng gegenüber feinen Nebenländern und dem deut- 
ſchen Reiche. Böhmen wurde damals eine Erbinonardjie, in 
der die Primogenitur, d. 5. das Erbrecht des älteften Sohnes, 
und für den Fall des Ausfterbens der männlichen Linie in 
gleicher Weife das der Töchter gelten jollte. Den Ständen, 
d. h. der Vertretung der Geiftlichleit, des Adels und der 
königlichen Städte, wurde das Recht zur Wahl eines neuen 
Königshaufes erft dann zugebilligt, wenn der männliche und 
weiblide Stamm der Luxemburger bollitändig ausgeſtorben 
wäre. Die Erbverbrüderungen mit dem öfterreichifhen und 
ungariſchen Füritengeichlecht, di2 Karl IV. ir. der Folgezeit ab- 
ſchloß, haben dieſes ftändikhe Recht noch weiter eingeſchränkt. 
Und am gleidyen Tage, da diefe wichtigen rechtlichen Beftim- 
mungen Geſetzeskraft erlangten, begründete Karl in Prag eine 
Univerfität, ein ſogenanntes „studium generale“, mit den 
gleihen Privilegien und Freiheiten für Doktoren, Lehrer und 
Schüler, wie zu Paris und Bologna. 

Mit diejer inneren Kräftigung des Reichs ging eine Er- 
weiterung feiner Grenzen Hand in Hand. Die Größe der Herr- 


178 Achter Abſchnitt. 





ſchaft, die Karl ſchon von feinem Vater übernommen hatte, hielt 
ihn nicht ab für weitere Vermehrung zu forgen. Er erwarb 
einen Xeil der Oberpfalz, fo daß Böhmens Grenzen im Weiten 
bis nahe an die Reichsſtadt Nürnberg heranreichten (1355); 
vorher ſchon das Fürſtentum Schweidnitz-Jauer, das letzte 
ſchleſiſche Gebiet, das noch nicht zur Krone Böhmens gehörte 
(1353); weiter die Niederlauſitz (1367) und endlich nad) langen 
Verhandlungen im Jahre 1373 die Mark Brandenburg. Die 
Srbverträge mit den Habsburgern und dem ungarifchen 
Königshaufe, die am 10. Feber 1864 in Brünn abgeſchloſſen 
wurden, fiherten feinem Haufe für den damals nicht unwahr- 
icheinlichen Fall des Ausfterbens diejer Geſchlechter Anſprüche 
auf deren Erbe, aljo auf ganz Oſterrreich und Ungarn. 

Allerdings, ein jo weit ausgedehntes Reich in feiner eigenen 
Hand allein zu behalten, war für Karl nicht möglich. Er über- 
trug jomit einzelne Zeile an feine Brüder. Johann Heinrich 
(geb. 1322), der einſtmals als Gemahl der Margareta Maul- 
taf für Xirol auserſehen mar, erhielt für ſich und feine 
Familie die Markgrafſchaft Mähren als ein Lehen von Böhmen 
durd) befondere Verträge vom 26. Dezember 1349. Der jüngfte 
Bruder Wenzel (geb. 1837), von König Yohanng zweiter Ge- 
mahlin Beatrip von Bourben, übernahm am 13. März 1354 
die Grafſchaft Luxemburg, die zu einem Yürftentum erhoben 
wurde. Alles übrige behielt Karl zunädjit für ſich Denn weder 
aug feiner erften Ehe mit Blanca, die am 1. Auguft 1348 ftarb, 
noch aus der zweiten mit Anna bon der Pfalz hatte er Söhne, 
die am Xeben geblieben wären. Erft feine dritte Gemahlin 
Anna, die Tochter Herzog Heinrichs bon Schweidnitz, die er 
am 27. Mai 1353 heiratete, ſchenkte ihm am 26. Feber 1361 
einen Sohn Wenzel und die vierte, Elifabeth von Pommern, 
nebjt drei Töchtern Sigmund, geb. 14. Geber 1868 und Yohann, 
geb. 22. Juni 1370. Schon mit zwei Jahren, am 15. Juni 1363, 
wurde Wenzel zum König von Böhmen gefrönt und am 
29. September 1370 mit Johanna, der Tochter Herzog Albrecht 
bon Bayern bermählt, 

Die mächtige Stellung, die Karl IV, einnahm, und die 
gewaltige Hausmacht, die ſein Vater und er zufammengetragen 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 177 





hatten, ließ fich auf die Dauer nur behaupten, wenn dem Iugem- 
burgifchen Geſchlecht auch die deutſche Krone, die Nachfolge 
im: Reich gefichert würde. Denn Fam, wie dies jeit bündert 
Sahren regelmäßig eingetreten mar, nad Karls Tod ein 
deutfcher König aus einem anderen deutſchen Haufe zur Herr- 
ſchaft, dann entitand die Gefahr, daß er diejen großen Beſitz 
nicht anerfennen- würde. Es handelte fi) fomit für Karl IV. 
legten Endes darum, feine politifhen und diplomatischen 
Erfolge noch bei feinen Lebzeiten durch die Wahl feines älteften 
Sohnes Wenzel zum deutichen König zu krönen. Das war umfo 
ſchwieriger, al3 eine Erbfolge im deutſchen Königtum nicht 
gefegmäßig feftgelegt war und auch die berühmte „Goldene 
Bulle“ Karla 1V., eine Art Reichsgrundgeſetz, das unter ihm 
auf zwei Reichstagen in Nürnberg (November 1355) und Metz 
(Dezember 1356) beichloffen worden war, eine Erblichkeit der 
Königswürde nicht anerkannte, ja nicht einmal die Wahl eines 
Nachfolgers bei Lebzeiten des Königs in Erwägung 30g, aller- 
dings auch nicht ausſchloß. Es war darin nur feitgefegt, daß 
den fieben deutichen Kurfürften, die mit den fieben Armen des 
Reuchters in Serufalem verglichen werden, das Recht der Wahl 
eines deutichen Königs zuftehe, ohne nähere Angabe des Zeit- 
punktes, wann diefe Wahl vor ſich gehen folle..° 

Karl IV., der geſchickte Diplomat, hat ein Jahrzehnt lang 
und mehr das Biel im Auge gehabt, feinem Sohne die Nach- 
folge im Reich zu ſichern. Er hat hiefür alles vorbereitet, ſowohl 
im Reich bei den Kurfürſten, als auch bei der Kurie, die bisher 
eine jo große, ja oft entſcheidende Rolle bei der deutſchen 
Königswahl gefpielt hatte. Allerdings nur widerrechtlich, und 
auch die „Goldene Bulle“ erkannte dem Papſttum in diefer 
Hinficht gar Feine Befugniffe zu. Die feit längerer Zeit von 
Gelehrten und Stantsmännern vertretene Lehre, daß die 
Räpfte fein Recht befäßen, die deutſchen Könige ein- und ab- 
äufegen, hatte endlich in gang Deutichland allgemeinere An- 
erfennung gefunden. 

Karl mußte nur warten, bis Menzel fein fünfzehntes 
Rebensjahr erreicht und damit die Volljährigfeit erlangt hatte, 
Dann ließ er auf Grund feiner längit getroffenen Verein- 


Bretholz Geſch. Böpmens u. Mahrens. I. 12 


178 Achter Abſchnitt. 





barungen die Wahl vornehmen, die am 10. Juni 1876 in Frank - 
furt a. M. einftimmig ftattfand "und der ſchon am 6, Suli die 
Krönung in Aachen folgte. Der Papft Gregor XI. mußte not- 
gedrungen nachher feine Zuftimmung geben, um die ihn Karl 
in einem bor die Wahl zurüddatierten Schreiben gebeten 
hatte, um fein Entgegenfommen zu beweifen. Wenig mehr 
als wei Jahre darnach, am 29. Nobember 1378, ſtarb Karl IV. 
in Prog nad) längerem, qualbollem Leiden; „der Vater des 
Baterlandes”, wie er in Böhmen genannt wurde. Mit feier- 
lichem Gepränge wurde er im Prager St. Veitsdom beigefekt. 

Der Nachfolger im Reid) und in Böhmen, König Wenzel IV., 
bat aber nicht die ganze päterliche Erbichaft übernommen. Ab- 
gejehen von Mähren und Luxemburg, die ſchon abgetrennt 
worden waren, erhielt im Juni 1378 der zweite Sohn Karls, 
Sigmund, der itberdieg mit der ungarifchen Erbtochter Marin 
verlobt war, die Mack Brandenburg und der dritte, Johann, 
wahrfcheinlich jchon 1377 einen Teil der Oberlaufig als Heraog- 
tum Görlig. Wenzel verblieben Böhmen, Schlejien, Bautzen, 
Niederlaufig und die Iugemburgifchen Vefigungen in Bayern, 
Franken, Sachen, ſowie eine gewiſſe Oberhoheit über die 
anderen Gebiete. 

engel, beim Regierungsantritt erft fiebgehn Jahre, war 
im Gegenfag zum zarten Vater von robuftem Körperbau, auch 
in feiner geiftigen Veranlagung dem Bater wenig ähnlic.'* 
Er ſoll als Süngling freundlich, fparfam, gerechtigfeitsliebend, 
im ganzen natürlich und begabt geweſen fein. Doch zeigte ſich 
früh ein Sang zu Iuftigen Gelagen, ja zu Trunkſucht, daraus 
fich fein Jähzorn erklären dürfte, der ihn in fpäteren Jahren 
beherrichte. Es gibt einen gleichzeitigen Chroniften, den Abt 
Zudolf von Sagan (im Fürftentum Liegnitz), geit. 1422, der 
über Wenzel ungemein jchlecht urteilt, für alles Unglüd, das 
unter ihm im Reich und in Böhmen eintrat, nur ihn allein 
verantwortlich machen möchte. 

Die Schwierigkeiten, auf die er zunächſt in Deutſchland 
ftieß, waren der ſchon unter feinem Water begonnene große 
Krieg der Städte (rheinifcher und ſchwäbiſcher Städtebund) 
gegen Fürften und Ritterſchaft (Röwenbund und andere), in 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 179 


dem er zuerſt zu diefer, dann gu jener Partei hielt und eg fich 
mit beiden berdarb; weiter dag große päpftliche Schisma, das 
das ganze Reid, und bald jedes Land in zwei feindliche Lager 
fpaltete und dem gegenüber ſich Wenzels Politik als verfehlt 
erwies. 

Vom Jahre 1308 bis 1867, begiehungsweiſe 1377 hatten 
die Päpſte nicht in Rom, fondern im ſüdfranzöſiſchen Avignon 
ihren Wohnfig: lebten in der „babyloniichen Gefangenſchaft“ 
der franzöſiſchen Könige, zu der fie Philipp IV. und feine 
Nachfolger gezwungen hatten. Nach ihrer Rüdfehr nach Rom 
unter Gregor XI. (17. Sänner 1377), auf die Karl IV. be- 
fimmenden Einfluß genommen hatte, bildeten ſich im 
Kardinalsfolleg zwei Parteien, von denen nad) Gregors Tod 
zwei berichtedene Päpfte gewählt wurden: Urban VI., gewählt 
am 8, April 1378, verblieb in Rom, und Klemens. VII, ge 
mwählt am %0. September 1378, 30g wieder nad; Abignon. Die 
Spaltung im Papſttum, da3 fogenannte Schisma, war 
vollzogen, 

Karl IV., in deſſen allerlete Lebenszeit dieſes melt- 
geſchichtliche Ereignis fiel, konnte nichts mehr tun, als ſich für 
den römiſchen Papft als das allein rechtmäßige Oberhaupt 
der Kirche enticheiden, und feinem Beiſpiel folgte dann aud) 
Wenzel. Dagegen ſchlug fi) Sranfreich von allem Anfang an 
auf die Seite des abignonenfiihen Papſttums, und andere 
Reiche und Länder ſchloſſen fich ihm an. Es währte aber dann 
nicht mehr lange, fo waren die einzelnen Fürſtentümer in fi 
geteilt. Die Obedienz des römiſchen und des abignonenfiichen 
Papſttums kehrte fig nicht mehr am die Grenzen der 
Xerritorien. In jedem fanden beide Anerfennung. So auch 
in Deutſchland und in Böhmen. Man gab König Wenzel ſchuld, 
daß er ſolche Verhältniſſe ſich hatte ausbilden laſſen, dieſes 
übel nicht im Keime erſtickt habe; Karl IV., jo meinte man, 
hätte es ſicherlich vermocht. 

Wengels Ohnmacht und Untätigkeit als deutſcher König in 
den großen Fragen der Reichspolitik ſtand aber in ſchroffem 
Gegenfag zu der rohen Kraftentfaltung, die er als König bon 
Böhmen in wichtigen Angelegenheiten diejeg Landes an den 
Tag legte. 19» 


180 Achter Abſchnitt. 





In ſeiner Umgebung und unter ſeinen Beamten bevorzugte 
Wenzel ſehr bald nach ſeinem Regierungsantritt den niederen 
Adel und auch das Bürgertum gegenüber dem Herrenſtand 
und der hohen Geiſtlichkeit. Beſonders mit dem Prager Erz- 
biſchof Johann von Senzenftein, der feit dem 6. März 1379 
diefe Würde innehatte, geriet er in heftigen Streit. Der Um- 
ftand, daß diefer aus einem Iebensfreudigen Hofmann, der er 
früher geivefen, in feiner neuen Stellung ein überftrenger, 
eifernder Priefter geworden mar, mag zur Entfremdung wefent- 
lid) beigetragen haben. Schon 1384 enthob ihn der König bon 
dem hohen und einflußreicden Amte eines böhmifchen Kanzlers 
und überließ e3 dem bisherigen Unterfämmerer und Propit 
von Lebus Sohannes Bruno, an defien Stelle er einen Prager 
Bürger und Kaufmann Sigmund Huler ernannte. Die beiden 
Emporfömmlinge, durch die fönigliche Gunft gefichert, griffen 
wiederholt in die GerichtShoheit des Erzbiſchofs ein, der wiederum 
feine geiftliche Macht gegen fie ausfpielte, indem er über Suler 
und andere Fönigliche Beamte den Bann ausſprach. Der Ab- 
fit des Königs, die Abtei Mladrau zum Bistum zu erheben 
und diefeg einem feiner Günftlinge zu verleihen, widerjekte 
fich der Erzbifchof mit Erfolg. Dieſe gegenfeitigen Zeindfelig- 
feiten erreichten ihren Höhepunft im Sahre 1393. Um einen 
Ausgleich herbeizuführen, entſchloß ſich der Erzbiſchof, einer 
Einladung des Königs Folge leiftend, von Raudnitz, feinem 
befeftigten Schloſſe, auf dem er fi) gewöhnlich aufhielt, nad) 
Prag zu kommen, in Begleitung mehrerer Geiftlicher feiner 
Kanzlei, darunter des greifen Domdedjanten Bohuſlaw, des 
Offizials Puchnik, des Probites Wenzel von Meißen und 
feines Sefretärs Johann von Pomuk (Nepomuf), eines Sohnes 
des Prager deutſchen Bürgers Wölfel. Während der Verhand- 
lungen am 20. März entbrannte aber der alte Streit von 
neuem, der König geriet in heftigiten Zorn und ließ das Ge- 
folge des Erzbiſchofs fofort verhaften, während diejer nur nod) 
durch Flucht entfommen fonnte. Noch am jelben Tage wurden 
die Gefangenen unter Anwendung der Folter einem peinlichen 
Verhör unterzogen. Der König foll nicht nur zugegen geweſen 
fein, jondern auch bei der Marterung eingegriffen Haben. 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 181 





Dabei .erlitt der Sekretär Johann von Pomuf jo ſchwere 
Wunden, daß an fein Aufkommen nicht mehr zu denken war. 
Halbtot, die Hände auf den Rüden, die Füße an den Kopf 
gebunden, den Mund mit einem hölzernen Anebel geftopft, 
damit er feinen Wehfchrei von ſich geben fönne, wurde er am 
genannten Tage jpät abends bon der Karlsbrücke in die Mol- 
dau geivorfen, wo ec ertranf.!? Nach einigen Tagen berief der 
König, von ſcheinbarer Reue erfüllt, den Erzbiſchof unter Zu- 
ſicherung voller Sicherheit nochmals nach) Prag, eine äußerliche 
Ausjöhnung wurde zwar erzielt, allein jehr bald ergaben fi) 
neue Mißhelligfeiten, der Erzbiſchof eilte nach Rom, um vor 
dem Bapfte gegen den König und deifen oberjte Beamten 
ſchwere Klage zu erheben. Er forderte, daß der Papſt Wenzel 
und die Mitſchuldigen als Kirchenſchänder, Mörder und Ge- 
bannte erkläre und Böhmen mit dem Interdikt bedrohe, falls 
die Übeltäter nicht Genugtuung leiſten würden. Papſt Bonifag 
IX., unter dem Drude des Schismas ftehend, mar jedoch nicht 
in der Lage, den Erzbifchof in feinem Kampfe gegen den 
König zu unterftügen; faum daß er ihm für wenige Jahre 
einen ficjeren Aufenthalt in feiner Prager Refidenz verichaffen 
konnte. Am 2. April 1396 verzichtete Sengenftein auf Amt 
und Würde umd berbradite den Reft ſeines Lebens bis zu 
feinem Xode am 17. Juni 1400 in Rom als Patriarch von 
Megandrien, 

Aber nidyt bon geiftlicher, fondern von weltlicher Seite 
follte in Böhmen der Kampf gegen Wenzel und fein ganzes 
Regiment mit Erfolg aufgenommen werden. Der hohe Adel 
ſchloß fi) unter Führung des mächtigften Barons im Lande, 
Heinrichg von Rofenberg, zum jogenannten „Serrenbund” zu- 
jammen und fand Unterftügung an Wenzels Vetter, dem hoch- 
begabten ehrgeizigen Marfgrafen Jodok (Soft) von Mähren, 
der 1375 feinem verftorbenen Vater Johann Heinrich gefolgt 
war, allerdings unter Abtrennung gewifler mäbrifcher Gebiete 
für feinen jüngeren Bruder Profop. Am 5. Mai 1394 wurde 
in Prag zwiſchen Jodok und neun Mitgliedern des Herren- 
bundes ein Vertrag geſchloſſen, durch den fich beide Parteien 
gegenjeitig verpflichteten, einander beiguftehen, das allgemeine 


182 Achter Abſchnitt. 





Wohl des Landes zu fördern, Unredyt abzuſchaffen, Recht und 
Gerechtigkeit wieder zur Geltung zu bringen, „wie e8 zu Zeiten 
ihrer Vorfahren Sitte geivefen”. Des Königs, gegen den fich 
die ganze Vereinbarung richtete, wurde mit feinem Worte ge- 
dacht. Drei Tage fpäter nahm man Wenzel, als er fid) während 
eines Jagdausfluges im Minoritenkloiter in Beraun aufhielt, 
gefangen, brachte ihn nady Prag und zwang ihn auf einem 
am 31. Mai abgehaltenen Bamdtag, Jodok zu einem „Haupt- 
mann“ im Königreich Böhmen zu ernennen. 

Die Aufforderung, diefe Menzel aufgedrungene Berein- 
barumg allgemein anzuerkennen, ftieß aber bielerorten auf 
Widerftand und an die Spike diefer Fönigstreuen Partei trat 
Herzog Johann von Görlitz, Wenzels Stiefbruder. Schon am 
7. Suni befand er ſich in Kuttenberg, der königlichen Berg- 
ſtadt, und erließ bon dort eine geharnifchte Erklärung, daß 
er dem Bunde Jodoks mit den Landherren nicht beitrete und 
defien Maßnahmen und Pläne für ungefemäßig halte, Er 
bat in feine Dienfte einzutreten, um „unjerm Seren, dem 
König in feinen Nöten“ beizuftehen, und verſprach reichlichen 
Sold und jeglichen Schadenerfag. Noch im felben Monat fonnte 
er mit hinlänglicyer Heeresmacht gegen Prag ziehen und die 
Stadt, die ſich am 5. Yuni urkundlich dem Markgrafen Jodok 
und dem $errenbund verpflichtet hatte, zwingen, bon diefer 
Einigung zurüdzutreten, ihn, Johann bon Görlik, als Wenzels 
Stellvertreter anzuerkennen, ja fogar als deſſen Erben und 
König von Böhmen, falls, „dar Gott vor fei”, Wenzel in 
feiner jekigen Gefangenſchaft fterben follte (28. Juni). Der 
König war nämlich wenige Tage zubor angefichts des aus- 
brechenden Kampfes von Prag heimlid, weggebracht worden, 
auerft auf ein Roſenbergiſches Schloß in Böhmen, dann aber 
auf öfterreichiiches Gebiet nach Wildberg bei Linz, das den 
Herren von Starhemberg gehörte. Die freundichaftlichen Be- 
siehungen, die ſchon feit mehreren Jahren (etwa 1390) zwiſchen 
Sodof und Herzog Albrecht III. von Oſterreich beitanden, er- 
möglidhten eine fo unerhörte Tat, den böhmiſchen und deutfchen 
König in fremdem Lande gefangen zu halten, 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 188 








Es konnte nicht ausbleiben, daß das Reich zu diefen Vor- 
gängen Stellung nahm, um fo mehr, als beide Parteien fich 
bemühten, die deutſchen Fürften für fi) zu gewinnen. Eine Ver- 
fammlung zu Frankfurt a. M. unter dem Borfig des Pfalz- 
grafen Ruprecht als Reichsvikar erließ an Markgraf Jodok 
und feinen Anhang den Befehl, „einen heftigen Brief“, König 
Wenzel freizugeben, „den er wider Ehre und ane Recht ge- 
fangen” Halte. Pfalzgraf Ruprecht erfchien ſelber am 26, Juli 
in Budweis, von wo aus Herzog Johann den erfolgreichen 
Kampf gegen die böhmifchen Landherren, insbefondere die 
Rofenberge führte, und vereinbarte die Bedingungen über 
die Sreilaffung Wenzels, die denn aud) am 2, Auguft ftattfand, 
indem’ der König aus Wildberg nad; Krummau gebracht und 
biec den Seinigen übergeben wurde. Der Friede von Piſek, 
den Rupredjt am 25. Auguſt auf der Grundlage gegenfeitigen 
Verzeihens und Vergeſſens vermittelte, ſchuf in Böhmen 
keineswegs geordnete Berhältniffe; die Unruhen ſetzten fofort 
wieder ein und hätten fait zu einem Krieg Wenzels gegen 
Herzog Albrecht III. von Sfterreich geführt, wenn diefer nicht 
durch Erneuerung feines Bündniffes mit Jodok und Aus- 
dehnung desjelben auf die böhmifchen Zandherren feine Macht 
weſentlich geftärft Hätte (1394, Dez. 17). überdies bemühten 
fi Johann von Görlig, deifen Eifer für die Sache Wenzels 
nachzulaſſen begann, und die mit Wenzel nahe berivandten 
Fürften Markgraf Wilhelm von Meiken und Herzog Stephan 
bon Bayern, zwiſchen dem König und Sodof einen freund- 
ſchaftlichen Ausgleich zu treffen. Aber alle Bemühungen waren 
umfonft. Der König veritand es, Jodok nad Karlitein zu 
locken und dort gefangen zu nehmen. Auf die Frage Herzog 
Stephans, wer ihm dazu geraten habe, antwortete er: „Sch 
habe e8 von Joſt gelernt, und wie er mir getan hat, will auch 
ih ihm tun“, Allein ſchon nad) wenigen Wochen mußte er 
ihn freilaffen. Ein allgemeiner Krieg begann in Südböhmen 
und in Mähren, Albrecht III. von Oſterreich unterjtügte wieder 
Joſt und den böhmiſchen Adel, fogar Herzog Johann bon 
Görlig ſchloß ſich jet der Gegenpartei an und zwang Wengel, 
ihn zum „Hauptmann“ von Böhmen zu machen, aljo jene 


184 Achter Abſchnitt. 





Stellung einzuräumen, die früher Kurze ‚Zeit Jodok inne- 
oehabt hatte (10. Auguft 13%). Als aber durd) den Tod 
Herzog Albrecht III. von Sfterreih am 29. Yuguft der wider 
Wenzel gerichtete Bund dag tatfräftigfte Mitglied verlor, 
mwiderrief der König im Dftober Johanns Ernennung und 
begann den Kampf bon neuem. Johann vermochte nicyt fich 
in Böhmen zu behaupten und fehrte im Januar 1396 nad) Görlitz 
zurück, wo er ſchon am 1. März plötzlich ſtarb. Der Hauptteil 
ſeines Beſitzes, das Herzogtum Görlig und die Lauſitz, fielen 
an Wenzel, die Neumark an den zweiten Bruder, König Sig- 
mund von Ungarn. Eben diefen erwählte ſich damals Wenzel 
zum Schiedsrichter und Vermittler in jeinen noch immer 
ſchwebenden Streitigkeiten mit Jodok und deſſen Anhang, be 
ziehungsweiſe ala Helfer gegen fie. Er fuchte ihn an ſich zu 
knüpfen durch die Zufage der Nachfolge im Königreich Böh- 
men, ſodann — am 19, März 1396 — dund die Erhebung 
zum ftellvertretenden Reichsvibar in gang Deutichland und den 
sugehörigen Ländern. Allein die ſchwere Niederlage, die Sig- 
mund als ungarifcher König in feinem Kampf gegen die Türken 
bei Nikopolis (an der Donau) am 28, September 1396 erlitt, 
die Schwierigfeiten, die ihm daraus in Ungarn entitanden, 
zerſtörten alle Ertvartungen, die Wenzel auf die Unterftügung 
durch diefen feinen Bruder geſetzt hatte. Es blieb ihm nun 
doch nichts übrig, als mit Jodok ein Übereinfommen zu treffen. 
Sn den erften Tagen des Februar 1397 wurden die wichtigen 
Urkunden auögefertigt, durdy die Wenzel das Herzogtum Gör- 
li$ und die Oberlaufig feinem „Lieben“ Vetter Jodok über- 
trug, der damals außerdem die ihm 1388 von Sigmund ver- 
pfändete Marf Brandenburg, ſowie das gleichfalls 1388 über- 
antwortete Herzogtum Luxemburg und die Landbogtei Elſaß 
neben dem Hauptbejig Mähren innehatte, 

Auch diefe Vereinbarungen waren nur von kurzer Dauer 
und löften neue Seindfeligfeiten aus, denn, wie ein fremder 
Berichterftatter aus Prag damals fchreibt: „es ftet gar ubel 
in des Kunigs Hofe und in dem Lande zu Beheim; die Land- 
berrn Friegent unter einander, de3 Kunigs Rete find gepartiet 
(geteilt)" 2? In diefen Zwieſpalt der Töniglichen Ratgeber 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 185 





fpielte auch ſchon die Stellung Wengel3 im Neid; mädjtig 
hinein. Am 11. Juni 13897 wurden auf der Burg Karlftein 
während einer ſolchen Beratung vier königliche Räte von an- 
deren, an deren Spike Herzog Johann von Troppau ftand, 
niedergeftochen, unter dem Vorwand, daß fie e3 feien, „die 
Tag und Nacht unferm Herrn König raten, daß er nicht nad) 
Deutichland jolle und wollt ihn vom Reich bringen”. Der 
Biſchof von Bamberg und der Burggraf von Nürnberg, die 
eben um diefe Zeit mit einer Botſchaft von der legten Zranf- 
furter Fürftenzufammenfunft an den König nad Böhmen 
fuhren, fehrten an der Grenze um. Markgraf Joſt wurde von 
Wenzel aus Prag verwiefen; er wolle feine Stadt und fein 
Sand jelber wohl verfehen, lieg er ihm fagen. Und alsbald 
rüftete er zu einer Fahrt ins Reich, in dem er feit gehn Jahren, 
jeit dem Sommer 1387, nicht mehr geweſen war, um daſelbſt 
einen Reichstag abzuhalten, „des Reiches Sachen zu ricjten 
und zu handeln”. Von Mitte September 1397 bis November 
verweilte er in Nürnberg, von Mitte Dezember bis Anfang 
1398 wurden die Verhandlungen in Frankfurt fortgefegt. Hier 
wurden von den Rurfürften eine Reihe ernfter Klagen gegen 
Wenzels Regierungsweiſe borgebradit, die ergänzt werden 
durch nicht genau datierte, aber in diefelbe Zeit fallende Vor- 
haltungen von böhmifcher Seite, mo Befürdtungen ausgeipro- 
chen werden, daß bei Fortdauer folder Verhältniffe das Reid) 
und das Königtum verloren gehen müßten. 

Es mutet wie ein Hohn des Schiefals an, dag Wenzel 
eben damals, am 1. Januar 1398, den Bewohnern des Dorfes 
Renfe eine befondere Vergünftigung, eine Bollfreiheit, verlieh, 
damit fie den von feinem Water im Jahre 1376 bier auf- 
gebauten „Königsituhl“, wo die Kurfürſten ſeit alteräher 
„einen römiſchen König zu nennen und zu wählen pflegen“, 
dauernd in gutem Stand erhalten.“ Denn fchon damals ar- 
beiteten die Aurfürften, vornehmlich der Erzbiſchof Johann 
von Mainz und Ruprecht III. von der Pfals, an feiner Ab- 
jegung. In einer Reihe von Kurfürftentogen und fonftigen 
Zerfammlungen — „viel Teg“ jagt ein zeitgenöfiiicher 
Chroniſt —, die mit der Zuſammenkunft gu Boppard im 


188 achter Abſchnitt. 





April 1399 beginnen, wurde das Werk weitergeſponnen, in 
großer „Heimlichkeit“ Ym September vereinbarte man bereits 
zu Mainz, dab der neue König nur aus den Häufern Bayern, 
Meißen, Seffen, Nürnberg oder Württemberg genommen 
werden jolle, zu denen jpäter noch Sachſen hinzukam. König 
Wenzel hatte bon den gegen ihn gerichteten Plänen gute 
Kenntnis und die Uneinigfeit der Fürften untereinander, die 
Anhänglichfeit vieler Reichsftädte hätten eg ihm möglich ge- 
macht, den Fürftenbund zu fprengen. Sein Zögern und feine 
Unentſchloſſenheit verdarben aber alles. Selbft die ernfte Auf- 
forderung der bier rheinifchen Kurfürften vom 4. Zuni 1400 
an König Wenzel, am 11. Auguft mit ihnen in Oberlahnftein 
und dem gegenüberliegenden Renfe zufammen zu fommen und 
zu beraten wegen der „mannigfaltigen Gebrechen“ im Kirchen- 
und Staatsweſen, die „zu befjern oder niederzulegen“ er bisher 
nichts getan habe, „als Sr daz billich und vom recht getan foldet 
haben“, und die Warnung, falls er nicht erſchiene, ſich aller Eide 
und Verpflichtungen gegen ihn entbunden zu betrachten, ver- 
mochten ihn nicht zu enticheidenden Schritten zu beitimmen, 
„Ser bleif gemeinlich liggen in Behem as ein Swin in fime 
Stalle”, ſchreibt der derbe Kölner Chronift.! 

So kam denn, was fommen mußte. Nachdem die berbünde- 
ten Kurfürſten und ihr Anhang vom 11. Auguft gehn Tage 
lang, „von Tag zu Tage”, auf die Ankunft Wenzels vergebens 
gewartet hatten, erfolgte am 20. in Oberlahnftein die förmliche 
Abfegung. Im Hinblid auf fein „unziemliches und erjchred- 
liches Leben“ und feine „Sandlungen” wurde er als „ein un- 
nüter, berfäumlicher, unachtbarer Entgliederer und unmwürdiger 
Handhaber des heil. römifchen Reichs“ von allen damit au- 
fammengehörigen ihm gebührenden „Wirden, Ehren und 
Herrlichkeit... abgetan und abgejeßt”. Am folgenden Tage, 
am 21. Auguft, wurde im Königituhl zu Renſe der Pfalsgraf 
Ruprecht III. von der Pfalz und Herzog von Bayern zum 
tömifchen König gewählt. 

Als Wenzel durd) einen Boten Frankfurts am 80. Auguft 
die erfte Kunde von diefen Ereigniffen erhielt, fol er aus- 
gerufen haben: „Sch will das rächen oder will tot darumb fein, 


Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 187 





und er (Ruprecht) muß als tief herab als er je hoch uf den 
Stuhl gefagt ward“ und ſchwur bei St. Wenzel, „er wolle ihn 
totftechen oder jener mußte ihn totſtechen“. Und ähnlich ſoll 
auch der Markgraf Jodok erklärt haben: „Wir wollen das 
rächen oder ich enwill nirgend ein Haar in mime (meinem) 
Barte behalden”. 

Es waren Ausbrüche ohnmächtiger Wut. Die getreuen 
Städte, vor allem Frankfurt, dann Straßburg und Regend- 
burg, Baſel, Bern u. a. wurden allerdings gebeten, feſt und 
treu au bleiben, da Wenzel unterftügt bon Sigmund, Joſt 
„und andern unfern Fürſten“ mit aller feiner Macht nad 
Deutichland kommen werde; mit König Karl VI. von Sranfreich 
wurden Verhandlungen angefnüpft, — aber ein guter Kenner 
der BVerhältniffe meldete ſchon am 2. September aus Prag 
mit Beziehung auf Wenzels Gegenmaßregeln: „Gott gebe, dag 
eg gut werde; aber der Glaube ift Kleine, man fordjtet, daB 
daruß nit enwerde ...“; und etliche Tage fpäter: „Wir find 
wanfel mit unfern Sadjen, waz des morgen? ja ift, daz ift des 
abends nein...“ Bald tauchten fogar Gerüchte auf, man 
denfe daran, jemand anderen — es kann nur Sigmund ge- 
meint fein — zum böhmiſchen König zu machen. Sn einer 
Unterredung zwiſchen den drei Quremburgern Wenzel, Sig 
mund und Jodok, die etwa Anfang Oftober in Auttenberg 
ftattfand und in der Wenzel ernfte Vorwürfe über fein Ter- 
halten gemacht wurden, klagte er nur noch: „ch weiß nit, was 
tun“ und tröftete ſich da ihm, jelbft wenn er Böhmen verliere, 
doch noch drei Schlöffer verblieben. 

Dazu kam es zunächſt nicht. Die gegenfeitige Eiferiucht 
Sigmunds und Jodoks ermöglichte eg Wenzel, die böhmiſche 
Königsfrone zu behmupten. Selbft als es Sigmund gelang, 
im Bunde mit den Varonen den Bruder am 6. März 1402 
noch einmal gefangen zu nehmen und nad) Wien zu bringen, 
wo er der Obhut der Habsburger überantwortet wurde, währte 
diefe Unterbrechung feiner Regierung und die Herrſchaft des 
ungarifchen Königs in Böhmen nicht allzulang. Am 11. No- 
bember 1408 entlam Wengel aus Wien und gelangte mit Hilfe 
Sohanns bon Liedjtenftein über Nikolsburg zuerft zu feinen 


188 Achter Abſchnitt. 





Getreuen nach Kuttenberg und bald auch nach Prag. In dem 
kurzen Kriege, der zwiſchen den beiden Brüdern um den Beſitz 
Böhmens entſtand, unterſtützte Markgraf Jodok Wenzel, der 
ſeine Herrſchaft vollkommen wiedergewann und ſich fortan 
wenigſtens in Böhmen behauptete. 

Der Tod König Ruprechts am 18. Mai 1410 madjte eine 
Neuwahl im Reiche nötig. Sie hatte das feltfame Ergebnis, 
daß die beiden Iugemburgifchen Vettern Sigmund und Jodok, 
der eine mit bier, der andere mit drei Stimmen gewählt 
mwurden; und da auch Wenzel feine Rechte auf die deutſche 
Königskrone nicht aufgegeben hatte, waren alle drei Zurem- 
burger deutfche Könige; — eine unhaltbare Lage, die denn auch 
nur kurz währte. Nach dem Tode Jodoks am 18. Jänner 1411 
in Brünn tvafen die beiden Brüder ein friedliches Überein- 
tommen. Sigmund follte fich einer neuen Wahl unterziehen, 
die denn auch am 21. Suli 1411 zu feinen Gunften ausfiel; 
Wenzel verzichtete auf die deutſche Königsfrone und follte dafür 
die Kaiſerkrone empfangen. Dazu kam es aber nicht infolge 
der ſchweren Unruhen, die das ganze letzte Jahrzehnt feiner 
Regierung in Böhmen ausfüllten, 

Die Urſachen hievon lagen auf kirchlichem Gebiete; ihre 
Anfänge reichen weit zurüd in die Zeit Karls IV., erlangten 
aber erit unter Wenzel jene unheimliche Gewalt, durch die dag 
ganze böhmifche Staatsweſen eine ſchwere Erjchütterung erfuhr, 
die inneren, politifhen und nationalen, wirtſchaftlichen und 
ſozialen Verhältniffe von Grund aus umgewandelt wurden, 


Neunter Abfchnitt. 


Die fozialen und geiftigen Steömungen in Böhmen 
und Mähren unter den Euxemburgern bis zum Aus⸗ 
bruch der huſſitenkriege (1419). 

Bir fennen das abfällige Urteil ſchon, das Marl IV. nad) 
feiner Rückkehr in die Heimat über den böhmifchen Hohen 
Adel gefällt hat. Allerdings ftand der Prinz damals ganz 
unter dem Eindruck der ftantlichen Verhältniffe, die er in 
Frankreich wahrgenommen hatte, Dort war es den Königen 
gelungen, wie man gejagt hat, „Herren im eigenen Haug zu 
bleiben und ſich nicht etwa einen ihrer großen Diener über 
den Kopf wachſen zu Iafjen“.t Hier in Böhmen dagegen waren 
zu Karls Vertwunderung, wie er ſich außdrüdt, „die Barone 
großenteilg Tyrannen geworden, die nicht, wie fid) ziemte, den 
König fürchteten, fondern die Herrſchaft unter fich geteilt 
hatten“. Das Königtum galt wenig. Die Entwidlung Böh— 
meng im legten Sahrhundert hatte es dahingebracht. 

Die Geſchichte der Adelsbildung in unferen Ländern gilt 
befanntlid; als ein überaus ſchwieriges Problem. Noch vor 
kurzem bezeichnete man e3 ala ein „unerforjchteg und un- 
bearbeitete Gebiet“? Aber doch wohl nur, weil man auf 
hiebei bon einer eigentümlich ſlawiſchen Entwidlung, bon 
einem „nationalen Urfprung“ ausgehen zu müſſen meinte, 
mwodurd) die Überleitung in die jpäteren Verhältniffe, die mit 
den deutjchen ſoviel Übereinftimmung zeigen, erſchwert wurde. 
Mit Palacky's Aufbau des älteften böhmifchen Adels in 
„Kmeten, Lehen und Wladyken“, den „drei Stufen, welche 
in dem Fragmente von Libuſa's Gerichte gleichſam die Volfs- 
bierarchie bilden” waren Vorftellungen erweckt, die auf 
falſche Zährten führen mußten. In Wirklichkeit fehen wir 
auch in diefer Hinficht in Böhmen vom Beginn der hiftorifchen 
Zeit an ganz ähnliche Erſcheinungen obwalten, wie in den 
deutſchen Ländern. Man braucht nur die Stellung, die der 


190 Neunter Abſchnitt. 





Graf (comes) in der bayriſchen Gauverfaſſung einnimmt“*, 
zu vergleichen mit jener, die Cosmas demijelben Amt in 
Böhmen zuſchreibt, um die Übereinftimmung kennen zu lernen®, 
Wie dort beruht auch hier, wie Cosmas einmal bezeichnend 
fagt, „das ganze Reich” auf diefem einen beborrechteten Stand. 
Die Grafen haben die Burgen inne und leiten dag Volk, fie 
üben daß richterlihe Amt im Namen des Herzogs aus, fie 
find feine oberſten Ratgeber, feine höchſten Beamten, mit ihnen 
figt er bei den Verfammlungen, fie find feine Begleiter auf 
jeinen Fahrten und Feldzügen, fein mwichtigerer Aft vollzieht 
fi) ohne ihre Buftimmung. Schwere Kämpfe fpielten fich ſchon 
in früher premyſlidiſcher Herzogszeit zwiſchen einzelnen mäch- 
tig gewordenen Grafenfamilien und dem Fürſtengeſchlecht ab. 
Der Rückhalt am deutſchen Königtum ficherte diefem jein Über» 
gewicht und den Sieg. Aus dem Grafentum bildete ſich die 
herzogliche (königliche) und Hohe Landesbeamtenſchaft mit 
ben berfchiedenften Xiteln, es entitand geradefo wie in Bayern 
und anderwärts der zweifache Adelsrang, die fogenannten 
primates, wie fie in volliter Übereinjtimmung mit der in 
Bayern üblichen Benennung aud) Cosmas wiederholt bezeich- 
net, aljo der hohe Adel mit feinem reichen Befig an Grund 
und Boden, und daneben die zweite Adelsklaſſe der Edeln 
(nobiles), die Ritterſchaft. Diefer niedere Adelsftand war nicht 
an Geburt und Abitammung gebunden, noch auch an Na- 
tionalität und Herkunft. Der Herzog konnte ihn verleihen, 
auch an Niedriggebarene, an Fremde, Eingewanderte, 

Das anfänglide überwiegen des Deutſchtums beſonders 
im höheren Adel in der prempflidiichen Beit erhellt daraus, 
daß die Namen der Burgen und Schlöffer, auf denen diefe 
Großen figen, bis ins 13, und 14. Jahrhundert zum weitaus 
größten Teil deutſch find: Biberſtein, Lichtenburg, Richenburg, 
Rofenberg und zahlreiche andere; was man früher in dem 
Glauben, daß e3 in Böhmen und Mähren urjprünglid) nur 
flawifchen Adel gegeben haben könne, entweder als eine zeit- 
weilige Geſchmacksrichtung anſah oder gar damit erklärte, 
daß „die Baumeifter der alten einheimifchen tſchechiſchen Ge— 
ſchlechter Deutſche waren“ Wir willen übrigens, daß auch 


Sogiale und geiftige Strömungen. 191 


im Innern der Schlöffer und Burgen, ivie etiva in Neuhaus 
um 1338, Wandmalereien, die die Georgslegende oder Adeld- 
wappen daritellten, mit deutſchen Aufichriften verfehen waren.® 
Es find das Belege für den alten Beſtand eines deutſchen 
Adels im Lande, der fi) au aus Cosmas und anderen 
Quellen nachweifen läßt. Und eben diefe durch den Beſitz 
der höchſten Ämter und reidjiten Herrichaften mit zahlreichen 
Untertanen ausgezeichneten im Innern des Landes jo mäch⸗ 
tigen Adelsherren bejaßen auch enticheidenden Einfluß auf 
die auswärtige Politif des Herzogs oder Königs. Wie früher 
zu wiederholten Malen traten in der legten Prempflidenzeit 
ſchwere Gegenfäße zwiichen dem König und der Mehrheit des 
Adels ein. Als Wenzel I. unter fremder Einwirkung feinen 
Übertritt vom ftaufifchen Kaiſertum zum römifchen Papſttum— 
vorbereitete und 1248 durchführte, der Löhmifchen Politik alfo 
eine Richtung gab, die mit Kahrhunderte alten Überlieferungen 
brach geſchah e8, daß fic der größte Teil des heimiſchen Adels 
dagegen auflehnte und raſch entichloffen den Sohn Otafar (II.) 
zum „Herzog oder König“ an Wenzel3 Statt erhob; er fand 
auch Unterftügung bei Bürgertum und Geiſtlichkeit. Es war 
ein entſchiedenes Eintreten fait des gangen Landes für die 
Sache des Kaiſers umd des deutjchen Reiches, für die Erhaltung 
der uralten Beziehungen zu Deutichland. Diefer Aufruhr des 
Taifertreu und deutſch gefinnten böhmifcdhen Adels war aber 
ausſichtslos, ala ſich das Staufertum in Deutſchland jelbit zu 
behaupten unfähig erwies. Man erkennt ſchon an dieſer Ent- 
widlung der Dinge, wie ausgeſchloſſen es erſcheint, im 18. 
Sahrhundert vom einem national-flawifchen Adel in unferen 
Rändern zu fpredien; er hätte fonft von Anfang an mit Bes 
geifterung fi) auf die Geite König Wengzels ftellen müſſen. 
Daß allerdings durch einen ſolchen Rückſchlag das deutiche Be— 
wußtſein im heimiſchen Adel einen ſchweren Stoß erhielt, ift 
gleichfall8 leicht begreiflich, 

Der faft drei Jahrzehnte fpäter unter Otafar II, von neuem 
und in anderer Weil: ausbrechende Kampf zwiſchen böhmi- 
ſchem und deutſchem Königtum rief wiederum auch den Adel 
auf den Plan und wiederum nahm diefer gegen den Landes- 


192 Neunter Abſchnitt. 





herren Stellung. Das ganze in mehrere Linien geteilte Ge— 
fchledht der Witigonen, die Herren von Krummau und Rofen- 
berg, von Zandftein und Neuhaus, mit Zawiſch von Salkenftein 
am der Spike, aber auch die Niejenburg, Lichtenburg, See— 
berg u. a. wurden Anhänger Rudolfs von Habsburg, trugen 
da3 Ungemad) der Verfolgung durch Otafar in dem richtigen 
Gefühl, dab diefe Politik der Loslöfung vom Reich für Böh— 
men und fein Königshaus berhängnispoll werden müffe, 
Aus dem Elend der Zeiten, das nad; Otakars Untergang 
über die prempflidifchen Länder hereinbracdh, erhob ſich daher 
diefer einheimifche alte Adel zu umfo größerer Macht, und 
Zawiſch als Hein mächtigfter Vertreter Fonnte ſich bereits 
au jener für das böhmiſche Königtum jo gefährlichen Stellung 
emporſchwingen, die dieſes zwang, fich feiner mit Gewalt zu 
entledigen; auf König Wenzels II. Befehl wurde er Hingerichtet. 
Dieſes Ereignis von erſchütternder Tragik fprengte aber auch 
die letzten Bande zwiſchen premyſlidiſcher Dynaſtie und heimi— 
ſchem Adel. Wenzel regierte fortan mit fremden Ratgebern, 
deren legter und einflußreicdjiter der Luxemburger Peter von 
Aipelt, der nachmalige Mainzer Erzbifchof, war, hinter denen 
die böhmiſchen Barone ftarf in den Hintergrund traten.” 
Die lange und ftarfe Zurüdjegung der heimifchen Magna- 
ten war aber doch nicht imftande, ihre Macht weſentlich zu er- 
fchüttern. Nach dem Ausſterben der Premyfliden waren fie es, 
die die Führung der Politik fofort an ſich riffen. Sie nahmen 
vor allem das Recht der Wahl eines neuen Königs für fich in 
Anſpruch;“ fie führten die Verhandlungen mit den Thron- 
werbern; fie entichieden zu Gunften des Habsburgers Rudolf 
gegen Heinrich) von Kärnten; fie, ein Heinrich von Rofenberg, 
Albrecht von Seeberg und Friedrich von Schauenburg, begaben 
ſich, als ihnen die zweite Herrfchaftsperiode des Kärntner 
unerträglid wurde, zum neuen deutfchen König Heinrich VII. 
bon Luxemburg noch Nürnberg, um dem jungen Königfohn 
den Weg zum böhmischen Thron zu ebnen. An diefem Plan, 
dag böhmiſche Staatsſchiff in die Fahrtrichtung des deutfchen 
Reichsichiffes zu lenken, war anfangs nur ein Teil des böhmi- 
chen. Adels unterftügt vom Klerus beteiligt, während ein 


Soziale und geiftige Strömungen. 198 





anderer mit Heinrich bon Lipa an der Spike, bei dem man 
nicht unſchwer eine jtärfere Betonung des national-böhmifdhen 
Standpunfteg wahrnehmen kann, noch zum Slärntner hielt. 
Aber bald ſchloſſen fi) die beiden Gruppen zufammen und 
gemeinfam verhalfen fie dem Zuremburger zum Sieg. Der 
Preis war jenes bedeutſame Snauguraldiplom vom Dezember 
1310, durch dag der neue König nicht nur im allgemeinen die 
Nechte des Landes feierlichſt befchtvor und eine gerechte und 
fegensreiche Regierung verſprach, fondern dem Adel im be- 
fondern eine Reihe widjtigfter Bugeftändniffe machte.n Es iſt 
bezeichnend und zeigt den Zuſammenhang mit der VBergangen- 


heit, daß gleich das erfte diefer Bugeftändniffe ſich dedt mit 


einer Beitimmung des uralten Deutichenprivilegs vom Jahre 
c. 1173. Wie damals Herzog GSobieflatv, verpflichtete ſich jetzt 
König Johann, feine Untertanen zu feinen Friegerifchen 
Unternehmungen außerhalb Böhmens und Mähreng zu ztvin- 
gen; nur aus freiem Willen fönnen fie einer folden Bitte 
willfahren. Und weiter — um von anderen Punkten hier ab» 
zuſehen — ließ fi) der Adel vom neuen König berfpredhen, 
dab er feine Fremden zu Hauptleuten, Burggrafen oder 
Raftellanen einer Föniglihen Burg ernennen, ihnen feine 
ämter im Lande oder bei Hofe verleihen, ihnen die Erwerbung 
unbeweglicher Güter nicht geftatten werde. Nicht deutfchfeind- 
liche Gefinnungen bilden den Antrieb dazu, jondern im Gegen- 
teil die Vorfälle während und nad, der Regierungszeit Ota— 
Tara IL, dann unter Wengel II. und Heinrid) von Kärnten, 
da fremde Ritterſchaft und fremde geiftlihe Ratgeber den 
beimifchen zumeift deutichen Adel zurüdgedrängt hatten, 

Aber troß feierlicher Zuſicherung unterſchied ſich gerade in 
dieſer Hinſicht die neue Regierung nicht im mindeften von der 
der Vorgänger. Wiederum regierten Fremde, Iugemburgifche 
Abelige und Geiftliche, in Böhmen am der Seite König Jo— 
hanns. Daraus mußte fich ein neuer Kampf zwiſchen dem König- 
tum und den böhmischen Baronen entwideln. Unter der ziel- 
bewußten Führung Heinrichs von Lipa endete er mit der Auf- 
richtung einer Adelsherrſchaft im Innern, die Karl IV. wie 
eine Gewaltherrſchaft gegenüber dem Königtum erſcheinen 


Bretyolg Geig. Bohmens u. Dahrens. 1. 18 


194 Neunter Abſchnitt. 





mußte. Er hat ſie nicht durch Zuhilfenahme fremder Kräfte 
zu brechen verſucht, ſondern allmählich zurüdgedrängt durch 
Stärkung der königlichen Macht, durch allſeitige Hebung der 
übrigen Stände, unter denen allerdings die Geiſtlichkeit 
ſich ſeiner beſonderen Begünſtigung erfreute. 

Aber Karl IV. war fein aus ſich jelbft ſchaffender Geiſt, 
fondern nur ein überaus frebfamer Nachahmer, der, unbe- 
kümmert um alle geſchichtliche Entwidlung und Eigenart des 
Randes, Böhmen fo raſch als möglich, zu einem Spiegelbild der 
ihm befannten und von ihm beimunderten Kultur des Weſtens 
und Südens zu machen beitrebt war. Beginnen wir mit feiner 
an ſich großartigen Bautätigkeit. 

Die Refidenz der böhmiſchen Könige, die Burg auf dem 
Hradſchin, Tag jeit mehr als dreißig Jahren, da fie durch eine 
große Feuersbrunſt im Jahre 1303 zerjtört worden war, öde 
und wüſt. Karl begann fofort einen Neubau, „ehr koſtbar, ber 
mwunderungswürdig, wie e3 niemals früher in diefem König- 
rei gejehen worden mar“, ſchreibt ein gleichgeitiger 
Chronift.? Als Vorbild diente der Palaſt der franzöſiſchen 
Könige in Paris, in dem Karl feine Yugendjahre verbracht 
hatte. Zum prächtigen Schloß gehörte notwendig die würdige 
Kirche. Hier Fonnte zwar Karl an beitehendes anknüpfen, 
denn die St. Veitskirche erhob fi) auf dem Hradfchin als ein 
uralter Bau, deſſen Anfänge bis ins zehnte Sahrhundert und 
früher zurüdreichten. Karl aber hat fie zum gemwaltigen Dom 
ausgeweitet in dem neuen gotiſchen Stil, der im Weiten 
bereit3 die ältere romaniſche Bauart abgelöft hatte. Er über- 
trug die Ausführung einem damals ſchon bewährten deutſchen 
Baumeiſter, Peter Parler von Gmünd in Schwaben, der. unter 
Zuhilfenahme anderer Künſtler, Maler, Bildhauer, Mofaiten- 
berfertiger, Golzſchniver, ein Bauwerk ſchuf, das ſich von außen 
und innen mit den bedeutendften Domen jener Zeit meſſen 
Tonnte.i® 

Bu gleicher Zeit hat Karl dem Burgenbau in Böhmen neue 
Wege gewieſen, als er auf einem Felſen an der Beraun in 
prächtiger, romantiſcher Zage die gewaltige Yurganlage des 
päpftlichen Palaftes in Avignon in verfleinertem Maßſtabe als 


Soziale und geiftige Strömungen. 195 





Burg Karlſtein nachahmen ließ. Und da mit den heimifchen 
Künftlern allein ein ſolches Werk nicht durchzuführen war, 
ließ er einen Meifter aus Aoignon fommen, Mathias bon 
Arras, der diefen Bau, wahrſcheinlich auch andere, Karla- 
berg und Karlskrone, Karlshaus und Karlsburg, ausführte, 
die längft Ruinen find, während Karlftein, wenn audy vielfach 
umgebaut, noch befteht. Aber auch für den Bau einer ganzen 
Stadt mit allen ihren Außenbefeftigungen und der inneren 
Anlage von Straßen und Plägen, zahlreichen Kirchen und 
öffentlichen Gebäuden hat Karl ein Mufter geichaffen, wie e8 
in gleicher Weife in Böhmen noch nicht vorhanden war, durd) 
die Gründung der Prager Neuftadt oder auch Karlftadt in un 
mittelbarem Anſchluß an die Altitedt. Im Jahre 1357 begann 
Karl den Neubau der fteinernen Prager Moldaubrüde, die 
durd) die beiden Brüdentürme einen jo prächtigen Abichluß 
erhielt. Das find nur einige wenige Beifpiele. Karl hat un- 
endlich viel bauen laſſen in Prag, in feinen Städten, auf dem 
Rande. ‚Und der König blieb nicht allein, Ihn unterftüßte 
bor allem der Prager Biſchof Johann IV. (1301—1343), der 
fi) von 1318 bis 1329 unfreiwillig am päpſtlichen Hofe in 
Aoignon hatte aufhalten müfjen und nun unter dem Ein- 
drude, den die dortigen Bauten auch auf ihn gemacht hatten, 
daranging, zuerſt mit frangöſiſchen Werfmeiftern in feiner 
Stadt Raudnig bedeutfame Werke zu errichten: dag kunſtreiche 
Kloſter der Auguftiner mit Kreuzgang und Kirche, ſowie eine 
Steinbrüde über die Elbe. 

Solde Anregungen von höchſter weltlicher und geiftlicher 
Seite wirkten anfpornend im ganzen Zande, bei Adel, Geift- 
lichkeit und Städten, deren Profan- und Kirchenbauten, die 
in Karla Zeit begonnen und zum Xeil aud) ſchon zu Ende 
geführt wurden, nicht nur durch ihre überaus große Zahl, 
fondern auch durch die kunſtvolle Ausführung (Prager Rat- 
haus, Barbarakirche in Kuttenberg, die ergbiichöflichen Burgen 
in Senzenftein, Selfenburg, die Rofenberger Bauten in Wittin. 
gau, Krummau u. v. a.) überraſchen. Die Bautätigkeit wirkte 
dann weiter auf alle verwandten Künſte, Bildhauerei, Malerei 
und Kleinkunſt, auf Gewerbe, Handel und Verkehr, die ſich 


18* 


196 Neunter Abfchnitt. 





übrigens gleichfall8 der Föniglichen Unterftügung und För⸗ 
derung im bolliten Maße erfreuten. 

Es war tatſächlich eine neue Zeit für Böhmen angebrocdhen. 
Karl wollte eg auch geiftig zum eriten Lande Deutichlands 
emporheben durch die Auszeichnung, die erſte und einzige 
Uniberfität im ganzen Reiche zu beſitzen, die er ganz nad 
dem Mufter, das er in Paris Fennen gelernt hatte, nun in 
Prag begründete, . 

Höhere Schulen hat e8 wie überall in Deutſchland fo auch 
in Prog und in anderen Städten Böhmens und Mährens 
nachweislich ſchon im 13, Jahrhundert, vielleicht auch früher 
gegeben. Ein berühmter deutjcher Lehrer, Hubald von Lüttich, 
wirkte, wenn auch nur kurze Zeit, ſchon 1018 in Prag. Aber es 
‚gab dort Fein „Generalftudium” wie in Paris, Bologna, Oxford, 
an bem in den Zehrgegenftänden aller vier Fakultäten, Theologie, 
Zus, Medizin, Vhilofophie (artes genannt) unterrichtet wurde 
und das auch das Privileg befaß, Magifter- und Doftorgrade 
zu berleihen. Für dieſe „Generalftudien“ bildete ſich erft 
fpäter der big heute übliche Name „Univerfität” heraus, . 

Unter dem Premyfliden Wenzel II. hatte man in Prag 
bereits den Plan ertoogen, dort eine ſolche Anftalt zu errichten. 
Er jcheiterte, weil, wie es heißt, die notwendige Vorausſetzung 
für das Gedeihen einer foldien Schule, Ruhe und Friede im 
Rande, nicht herrichte. Wiederum Fam das, was unter dem 
gealterten Premyſlidengeſchlecht vergeblich angeftrebt worden 
war, leicht und raſch unter den jugendfräftigen Qugemburgern 
auftande. 

Am %. Januar 1347 erließ Papſt Klemens VI., der päter- 
lie Sreund Karls IV., die Bulle, durch die er beivilligte, daß 
in Prag ein „Generalftudium“ errichtet werde, mit allen den 
Vorrechten, wie fie die älteren gleichartigen Anftalten ſchon 
bejaßen. Er entſprach damit einer Bitte Karls, der ihm bor- 
gejtellt hatte, dat e8 „die Bewohner Böhmens, welche e8 nad) 
der Frucht der Wiſſenſchaft unaufhörlic hungert,“ vollauf 
berdienten, „im eigenen Lande den Tiſch gededt zu finden, 
ohne genötigt zu fein, in fremden Rändern zu betteln“.t Nach- 
dem dann Karl am 7. April 1348 den Stiftbrief ausgeſtellt 


Soziale und geiftige Strömungen. 197 





batte, der übrigens faft vom Anfang bis zum Ende mit dem 
Stiftbrief Kaifer Friedrich II. für die Univerfität in Neapel 
bom Sabre 1224 und dem König Konrads IV. für Salerno 
von 1%52 übereinftimmt, war das Werk vollendet. Die erſten 
Lehrer wurden von auswärts berufen; einer aus Bologna, 
ein anderer aus Tuſzien. Schüler famen alsbald aus der 
gangen Welt (de diversis mundi partibus), auch aus England, 
Frankreich, der Lombardei, Ungarn, Polen; die meilten aus 
Deutſchland. Die Univerfität nahm einen glänzenden Anfang, 
denn „raſtlos bis zu feinem Tode forgte Karl IV. für. fein 
Schoßkind“. Ein heimischer Chronift, Beneſch von Weitmühl, 
frohlodte: „Und die Stadt Prag wurde danf diefer Schule 
ſehr befannt und berühmt in fremden Landen und wegen der 
Zahl der Schüler wurden die Zeiten dafelbit ein wenig teuer, 
weil eine fehr große Menge hier zufammenfloß”.'° 

Man kann verftehen, welchen bedeutenden Vorſprung 
dadurch; Böhmen vor den übrigen Ländern des Reichs, Prag 
bor allen anderen deutſchen Städten errang, welcher Gewinn 
für Wiſſenſchaft umd Literatur beide Nationen daraus ziehen 
Ionnten, umjomehr, al3 e3 insbeſondere auf dem letzten Ge- 
biete an erfolgverheißenden Anfägen nicht fehlte. 

Die tichechifche Literatur hatte neben Legenden und welt⸗ 
lihen Dichtungen, dabon aber nur Bruchſtücke erhalten find, 
ſchon unter König Johann die gereimte Chronik des fogenann- 
ten Dalimil erzeugt, eine vielfach fagenhaft ausgeftaltete 
Randesgeichichte in Verjen, wie jolde damals in Deutichland 
mehrfach vorkamen.“ Eine wichtige Leiſtung der tſchechiſchen 
Riteratur der borfarolinifchen Zeit ift das „Rofenberger Buy“, 
eine furze Zufammenftellung des damals geltenden ſlawiſchen 
Gemwohnheitsrechtes. Es zeugt dann bon dem Vordringen der 
tichechifchen Sprache in immer weitere und höhere Kreife, 
wenn in der zweiten Hälfte des 14, Jahrhunderts lateiniſch- 
tichechifche Wörterbücher in auffallender Zahl auftauchen mit 
den begeichnenden Xiteln: Bohemarius, Nomenclator, Voca- 
bularius, Dietionarius, Mammotrekt, Sequentionarius. Auch 
die Überfegung deutiher Dichtungen, Sagen, Fabeln, Lieder 
nimmt ſtark zu; ſatiriſche Erzählungen in Profa und Vers, 


198 Neunter Abſchnitt. 





Paſſions⸗ und Ofterfpiele, insbefondere aber dem religiöfen 
Bug der Zeit entipredhend Legenden, Heiligenleben find be- 
ñebte Stoffe. Und im legten Viertel des Jahrhunderts bahnt 
fich die tſchechiſche Sprache auch fehon den Weg in die wiljen- 
ſchaftliche Literatur: in den zahlreichen Schriften des Ritters 
Thomas von Stitny (1331—1401), dem allerdings vorgehalten 
wurde, daß über gelehrte Dinge tſchechiſch zu fehreiben die 
Wiſſenſchaft profanieren heiße. 

Zu größter Bedeutung erhebt fich aber in Karla IV. Zeiten 
das deutſche Schrifttum in Böhmen, das dafelbft ſchon einmal 
unter Wenzel II. zu hoher Blüte gelangt war. Wie diefer 
wurden audj Johann und Karl von deutfchen Sängern, die 
an ihrem Hofe meilten, bejungen. 

„Der vierte Kaiſer Karle war der wahre Berg, 

Der Kirchen Schiff, Maft, Segel und dag ganze Werk“, 
fchreibt Heinrich von Mügeln, der mindeſtens bon 1346 Bis 
1358 in Prag gelebt und Karl auch fein großes Epos „Der 
Meide (Mädchen) Kranz“ gewidmet hat. 


Es möchte zu weit führen, feine und anderer Marien- 
dichtungen, die damals gang bejonder3 beliebt waren, die 
Kirchenlieder, die Liebeslyrik, die geiftlichen Schaufpiele in 
Poeſie und PBrofa, die in jener Zeit in Böhmen in deuticher 
Sprache entitanden find oder bon früher her befannt waren, 
anzuführen. Nicht diefe rege Mitarbeit am allgemeinen lite- 
tarifchen und geiftigen Leben ganz Deutſchlands bildet das 
entiheidende Merkmal des deutichen Böhmen in jener Periode; 
Tondern: daß es damals auf diefem Gebiete in einer Weiſe 
ſchöpferiſch wurde, daß gerade von hier aus die folgenreichiten 
Einwirkungen auf dag übrige Deutſchland ausgingen. „Hier“, 
fo urteilt der berufenſte Nenner diefer Beitperiode, „wird der 
Grund gelegt für den oftmitteldeutichen Charakter der neu- 
hochdeutſchen Schriftiprache, hier bildet fich zuerft eine form- 
gewandte wiffenichaftliche und Titerarifche deutfche Profa, hier 
entfteht die erſte wirkſame über ein Jahrhundert verbreitete 
deutfche Überfegung des neuen Teſtaments, hier werden erfolg. 
reihe Verſuche einer profaifchen Verdeutihung der ganzen 


Soziale und geiftige Strömungen. 199 





Bibel gemacht, bier unternimmt man e3 zuerſt, antife Autoren 
in deutfcher Profarede ſprechen zu Iafjen“.* 

Das Hauptverdienft um diefe wahrhaft epodjalen Antegun- 
gen und literariſchen Erzeugnife gebührt Johann von Neus 
markt, der mindeſtens vom Jahre 1347 an in der Kanzlei 
Karls IV. beichäftigt wurde, von 1354 big 1374 an der Spike 
diejeg wichtigen und einflußreichen Amtes ftand, überdies bon 
1353 bis 1364 Biſchof von Xeitomifäl, dann von Olmüg war 
und 1380 geftorben ilt. Er, der deutſche Kanzler am Prager 
Hof, wurde infolge feiner freundfchaftlichen Beziehungen 
vornehmlich zu Petrarca, dem florentinifhen Dichterfürften, 
der erfte und begeiftertite Vermittler der neuen italienifchen 
Geiftesrihtung, des Humanismus, nad) Böhmen hinüber. 
Und rafcher ala irgendivo anders auf deutfchem Boden trug 
der für alle Nulturarbeit jo empfänglicde Boden der deutſch- 
böhmifchen Städte „die bemundernswerte Frucht der ſprach- 
lichen und geiftigen Einwirkung dreier großer Bahnbrecher 
der Nenaiffance, Dante, Petrarca, Rienzo”, in dem „einzigs 
artigen Beifpiel deutſcher Sprachkunſt, dem Ackersmann aus 
Böhmen“. * 

Es behandelt den Streit ziwifchen einem Bauersmann und 
dem Xod, der ihm feine Frau, feines Herzens Troft und feiner 
Sreuden Hort, ohne ſichtbaren Grund entriffen hat. Es hat 
die Form eines Streitgeſpräches, „der Lieblingsform der 
damals neu entitehenden humaniſtiſchen Dichtungsweife” und 
zeigt „eine fo eigenartige, innerlich bedeutende künſtleriſche 
Geftaltung”, wie fie „in Iandesfpradjlicer Proſa überhaupt 
kaum irgendivo fonft der Humanismus herborgebradyt hat“. 
Und diefeg Werk ift um das Jahr 1400 auf deutſchböhmiſchem 
Boden bon einem GScriftfteller namens Yohann, der Saaz 
als feine Seimat nannte, geſchaffen worden.* 

Es genügt der Hinweis auf diefe Schrift allein, um die 
Behauptung aufguftellen, daß das deutjche Bürgertum bei ung 
auch auf literariſchem Gebiet dag höchſte geleiftet hat, mag man 
von ihm erwarten Fonnte, aus eigener Schaffenskraft und 
Scaffensfreude, ohne fürftliche Unterftügung, ganz ebenjo 
wie e8 auch auf dem Felde des Rechts und der Kunſt, des 


200 Neunter Abſchnitt. 





Gewerbes und des Handels ſich im 13. und 14. Jahrhundert 
zu größten Leiftungen emporgeſchwungen hatte. Was hätte 
diejes deutſche Bürgertum noch au leiften vermocht, zu welcher 
Zulturellen Höhe wären Böhmen und Mähren gediehen, wenn 
diefer Entwidlung eine längere Dauer bejchieden gewejen 
wäre, Dabei muß im Gegenjag zu alltäglichen Anſchauungen 
und Darftellungen darauf mit Nachdruck hingewieſen werden, 
wie frei von Feindſeligkeit oder Gehäffigfeit gegen die flawifche 
Nation diefe geiftige und Zulturelle Arbeit des böhmifchen 
Deutſchtums verläuft. In den deutſchen Städten Böhmens 
und Mährens des 13. und 14. Yahrhundert3 waren nationale 
Gegenfäge, die zu Kampf und Streit geführt hätten, voll- 
tommen fremd. Sie wurden durd) religiöje Wirren erft Hinein- 
getragen und allmählid) groß gezogen. Wichtig ift dabei die 
Stellung, die die böhmiſchen Könige Karl IV. und Wenzel IV. 
den beiden Nationen gegenüber eingenommen haben. 

In den fiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde 
zwiſchen tſchechiſchen und deutichen Gelehrten eine heftige Pole- 
mit darüber geführt, ob Karl IV. der deutſchen oder tſchechiſchen 
Nationalität zuzurechnen ſei. Beide Parteien Fonnten für ihre 
Auffaffung aus den Quellen Belege anführen. Sene beriefen 
ſich unter anderem darauf, daß der Prager Erzbifchof in feiner 
Leichenrede auf den Kaifer- die böhmiſche Sprache (linguam 
bohemicam) als deffen „Mutterſprache (quae est naturalis)” 
bezeichnete, und daß Karl in einer Urkunde, durd) die er in 
Prag ein Klofter mit teilweife ſlawiſchem Gottesdienft begrün- 
dete, aud) jelber dabon fpricht, gegen jene bejondere Gnade 
üben zu wollen, „die mit ung durd) die füße und angenehme 
Gemwöhnung der heimatlichen Sprache verfnüpft find“. Die 
deutſchen Forſcher wiederum beriefen ſich auf zeitgenöffifche 
Chroniften, von denen der eine ausdrücklich erklärt, daß Karl 
unter den ſechs Sprachen, die ihm geläufig waren, „deutfche 
Sprache allerliebeft hatte“, der andere genau unterfcheidet, dag 
Karl deutſch naturgemäß, eigentlich (proprie), böhmifch, wo es 
nötig war (debite), franzölifh, wenn es angemeſſen ſchien 
(congrue) und lateiniſch wie ein Magifter vollkommen 
(magistraliter et perfecte) ſprach⸗ — Wir jehen, auf diefer 


Sogiale und geiftige Strömungen. 201 





Grundlage ift die Frage nicht zu entjcheiden und wohl auch 
müßig. Karl fah in den beiden Nationen feines Landes noch 
fo wenig einen Antagonismuß, daß er nicht die Empfindung 
batte, feiner Würde als deutfcher Kaiſer etwas zu vergeben, 
wenn er dem tichechifchen Volke in feinem Erbreiche ſprachlich 
und fulturell im volliten Make entgegenfam. War er es doch 
felber, der in der „Goldenen Bulle“, dem neuen Staatsgrund- 
geſetz des deutfchen Reiches vom Jahre 1356, ausdrücklich gebot, 
daß fortan die Söhne der vier weltlichen Kurfürſten, von Böh- 
men, vom Rhein, bon Sachfen und Brandenburg, neben ihrer 
deutſchen „Mutterfprache” von ihrem fiebenten bis vierzehnten 
Lebensjahr auch in der italienifchen und ſlawiſchen (sclavia) 
Sprache unterrichtet werden follen, weil auch Gebiete, in denen 
diefe Sprachen gejprochen werden, zum deutichen Reich gehören, 
Und ebenfo verdient Beachtung, daß er in der allerdings nicht 
zum Gejeg erhobenen böhmiſchen Zandesordnung, befannt 
unter dem Namen Majeſtas Carolina, feitfegen wollte, daß nie- 
mand in Böhmen ein Amt befleiden fönne, der nicht auch die 
böhmifche Sprade, die man die ſlawiſche nennt (idioma seu 
linguam Boemicam generalem, quam scilicet sclavonicam 
dieimus), verftünde; allerdings mit Ausnahme jener, denen „die 
Tönigliche Gnade in Anbetracht ihrer lobenswerten Sitten und 
Kenntniffe auch ohne folden Nachweis ein Amt daſelbſt vers 
leihe”. — Karl IV. war, wie man richtig gefagt hat, „phyſiſch 
ein Deutſcher mit einer Beimifchung flamwifchen Bluts . . „ 
geiftig halb Franzoſe, halb Deuticher“.”? Der nationale Kampf- 
gedanfe lag nicht nur ihm fern, jondern aud) dem Volke in 
Böhmen und Mähren, wenigfteng in feiner Gefamtheit. 

Auch unter der Regierung Wenzels haben ſich diefe Ver- 
bältniffe nicht weſentlich geändert. Deutfche Sprache blieb am 
Hofe hochgeachtet, was die Handfchriften (darunter die be- 
rühmte deutfche Wenzelsbibel) beweifen. Aber fie war fein 
Hemmnis für die gleichgeitige Fortbildung des Tſchechiſchen, 
wie die Tätigfeit eines Thomas von Stitny lehrt. Wenn man 
ihm wehren wollte tſchechiſch zu fchreiben, fo geſchah dies nicht 
etwa mit Rückſicht auf die deutiche, fondern auf die lateiniſche 
Sprache, nicht aus nationalen, fondern aug kirchlichen Gründen. 


202 Neunter Abſchnitt. 





Unterfagte doc; auch Karl IV. in Deutſchland durch eine Ur- 
Zunde vom 17. Juni 1869 in der Volksſprache, alſo deutich ge— 
ſchriebene Predigten, Abhandlungen und andere Bücher, weil fie 
die Laien zu Irrtümern verführten. Erjt durch den religiöjen 
Biiefpalt empfangen die fogialen und nationalen Gegenſätze 
eine Schärfe und Verbitterung, die ihnen früher vollkommen 
fremd gewejen find. 

Das 14. Yahrhundert ift gefennzeichnet durch einen maß- 
Iofen Aufftieg des Klerus in materieller, durd ein tiefes 
Sinfen gleicgeitig in religiöfer Hinficht, vom Papfttum an= 
gefangen bis zu den Pfarreien hinab, „Die berderbliche Macht 
des Goldes machte ſich in der furchtbarſten Weiſe geltend... . 
Der Klerus — der hohe wie der niedrige — folgte, einzelne 
ehrentverte Perjönlicjkeiten ausgenommen, dem Zuge der 
Zeit". Die Simonie, d. h. die Erwerbung geiftlicher Würden 
und Amter durch Beſtechung, die ſchon einmal im 11. Zahr- 
hundert das firchliche Leben unterwühlt hatte, wucherte wieder 
auf, am üppigiten am päpſtlichen Hofe. „Die mit dem fteigen- 
den Wohlleben fühner herbortretende Sittenlofigfeit der Zeit” 
riß aud) den Klerus mit fi. Der Verfall der Kirchenzudjt wac 
ganz allgemein, wie in Stalien fo in Frankreich und England, 
wie in Deutichland fo in Böhmen. Wenn das Bild, das der 
Abt Zudolf von Sagan von dem wüſten Leben in diefem zu 
Böhmen gehörigen jchlefiichen Mlofter in der zweiten Hälfte 
des 14, Jahrhunderts entwirft? felbft nur im abgeſchwächten 
Maße berallgemeinert werden darf, dann waren die Buftände 
in den übrigen böhmiſch⸗mähriſchen Klöſtern allerdings nieber- 
drüdend. Die Verordnungen der Prager Erzbifchöfe jener 
Beit, eines Ernft von Pardubig (1343-64), Johann von 
Wlaſchim (1364—79), Yohann bon Yenzenftein (137996) 
zeigen ebenfo wie die erhaltenen Viſitations und Korrektions⸗ 
bücher der Prager Erzbiichöfe tatſächlich, dab alle Kirchen- 
ordnung in Auflöfung begriffen mar. Und wenn man ala 
Grundgebrechen vielfach den großen weltlichen Befig der Kirche 
und die Menge unbeſchäftigter Geiſtlicher anſah, fo laſſen ſich 
hiefür gerade auch aus Böhmen ſprechende Beiſpiele anführen. 
Huſſens Angabe, daß hier ein Viertel oder ein Drittel von 


Soziale und geiftige Strömungen. 208 





Grund und Boden der Geiſtlichkeit gehörte, mag vielleicht nur , 
die leere Wiederholung einer Behauptung Wiclifg über die 
Verhältniffe in England fein.” Allein wir wiſſen beftimmt, 
daß der Prager Erzbifchof nur in Böhmen adjtzehn Herr- 
{haften bejaß, ohne die Ländereien und fonjtigen Einfünfte in 
Mähren und anderwärts. Die Zahl der Geiftlihen beim 
Prager Dom in Karls IV. Zeit wird mit 250-500, in Wifche- 
brad mit 350 angegeben. König Wenzel gebraucht einmal in 
einer Urkunde den Ausdrud bon der „unbändigen (effrenata) 
Menge von Geiftlichen“. „Wenn wir ſchwer arbeiten wollten, 
dann würden wir eher Bauern oder dergleichen und nicht 
Prieſter fein“, follen fie iiber fich felber gefpottet haben. Und 
dieje Zuftände Hatten fich nicht nur unter Kaiſer Karl IV. 
ausgebildet, ſondern waren von ihm gefördert worden, einer- 
feits durch die Vermehrung der äußeren Macht des geift- 
lien Standes, andererjeits durch die Übertreibung des reli— 
giöfen Gefühls, „der leeren Pracht des kirchlichen Lebens“. 
Auf ihn ging zurüd die Gründung fo vieler neuer Kirchen 
und Klöfter, wie in Prag, jo im ganzen Lande; er hatte die 
neuen Möndgorden der Karthäufer, Karmeliter, Serbiten, 
Eöleftiner u. a. eingeführt; „feine Stadt der Welt, nicht ein- 
mal Rom, Tonnte fi) einer jo großen Menge heiliger Reli- 
quien, weldie der Kaiſer mit allen Mitteln erivarb, rühmen“. 
Die größten Meifter mußten für diefe Schäße die koſtbarſten 
Schränke, Schreine und Reliquiare berfertigen. Aus der 
gangen Welt ftrömten Gläubige und Neugierige nah Prag 
zum „Blutstropfen Chrifti“, zu den „Windeln des Jeſu— 
kindleins“, zu der „Milch der heil. Jungfrau” u. ſ. f., wie 
umgekehrt die Böhmen in die fremden Pilgerftädte zogen, 
nad) Aachen, Rom, Serufalem und anderwärts, Diefer Fröm- 
migfeit und Inbrunſt halte man nun gegenüber die ftarfe 
Verweltlichung und Sittenlofigfeit, um die gefährlichen Gegen- 
füge zu erkennen, die oft an einem und demfelben Orte auf» 
tauchten und am ftärkiten in der Refidenzftadt Prag, „dem 
fittenlofen Babylon”, ſich kundtaten. 

Kein Wunder, daß gerade dort frühzeitig, ſchon unter 
Karl IV., Prediger auftraten, die zur Umkehr mahnten. 


204 Neunter Abſchnitt. 





Und wiederum gewahren wir aud) auf diefem Felde zunächit 
ein einträcitigeg gemeinſames Arbeiten von Deutfchen und 
Slawen Sand in Sand zu gleichem Biel und Zweck. Im 
Jahre 1858 erfchien in Prag, ſogar von Karl felber aus Sfter- 
reich berufen, der deutſche Auguftinermönd, Konrad von Wald- 
haufen, der bon der Gallusfirdje und fpäter von der Haupt» 
kirche der Stadt, der Teynkirche aus, feine reformatorifche 
Arbeit begann. „Soviele Menſchen — jo heißt e8 — beſuchten 
feine deutfchen Predigten, daß er aus der Kirche hinaus auf 
den freien Markt zu gehen und dort zu fprechen gezivungen 
mar... . Wucherer ließen ihr Geſchäft fahren, wenn fie die 
Macht feiner Rede traf; manden Leichtfinnigen durchſchauerte 
fein Wort fo tief, daß ihn die innigfte Reue ergriff”. Und 
neben ihm wirkten dann iſchechiſche Strafprediger und Sitten- 
verbefferer, als der befanntefte Militſch von Kremſier, der 
feine Stellung als Domherr und in der königlichen Kanglei 
aufgab, um mit fanatiſchem Eifer die Tätigkeit des deutſchen 
Auguftinermönds im befonderen beim tſchechiſchen Wolf zu 
ergänzen. Er lernte fogar deutfch, um in beiden Sprachen 
predigen zu können. Er ging dem Übel ungefcheut und Fräftig 
an ben Leib; ftand nicht an, in großer Verfammlung Kaiſer 
Karl, der felber zugegen war, als Begünftiger des Papfttums, 
als freigebigen Förderer aller Kirchen und Möfter anzuflagen, 
ihn ala den „großen Antichrift” zu begeichnen, der „dem Ende 
der Dinge borangehe”, und mit dem Finger auf ihn zu weiſen. 
So groß aber auch der Zulauf zu feinen Predigten war, jo 
tief ihre Wirkung — er hat ein Dirnenhaus „Venedig“ in 
eine fromme Stätte „Serufalem“ verwandelt —, die Geift- 
lichkeit, die die Gefahr erkannte, die von diefem dag Volk 
aufwühlenden Redner ausging, war ftärker. Er wurde auf 
verſchiedene Anklagen Hin, die gegen ihn erhoben wurden, vor 
die päpſtliche Kurie in Woignon geladen, um fid) zu ber- 
antivorten; dort ift er 1374, alfo noch zu Lebzeiten Karls, ge» 
ftorben. Andere folgten ihm, ohne, ebenfowenig wie er, das 
Unfraut ausjäten zu können. Aber nicht aus diefen örtlichen 
ütbeln erfolgte der Zuſammenbruch; fie untergruben nur die 
Widerftandsfraft des Staates, Ein fern abliegendes Wirrnis, 


Soziale und geiftige Strömungen. 205 





das päpftlide Schisma, dag auch in unſere Verhältniffe ein- 
eriff, führte zur Kataftropfe. 

„Alle fibel, welche fich in das Firchliche Leben eingeſchlichen 
hatten, wurden durch diefe Spaltung ing Unendliche vermehrt“. 
Sie war es in legter Linie, die auch die Prager Univerjität 
zerriß, dann die Geiftlichkeit, in weiterer Folge das gamze 
böhmifche Volt, Stadt und Land, Deutſche und Tſchechen. 

Bon den beiden erjten Gegenpäpften Urban VI. und Kle— 
mens VII., die 1376 gewählt worden waren, ftarb jener in 
Rom 1389; doc, ſchloſſen ſich die römiſchen Kardinäle auch 
jegt nicht Klemens in Avignon an, wie er gehofft hatte. Eie 
erhoben vielmehr jofort einen neuen römiſchen Papft in Boni- 
faz IX. (1889—1404) und nad, diefem noch Innozenz VII 
(1404—06) und Gregor XII. (1406—15), ebenjo. wie die in 
Avignon nad) Klemens’ Tod im Jahre 1394 Benedikt XIII. 
(Betrug de Luna), der den römiſchen nicht nur durch feine 
große Gelehrfamkeit, fondern auch durch mufterhaften Lebens - 
wandel in den Schatten ftellte, Die Welt aber beſaß andauernd 
zwei Päpfte, feit dem Pifaer Konzil vom Jahre 1409 jogar 
drei, und ſowohl die geiltlichen als die weltlichen Gewalten 
mußten zu ihnen Stellung nehmen, 

Bir wiſſen, daß Wenzel anfangs, fo lange er noch deuticher 
König war, alfo bis 1400, fi zur Obödienz (Gehorjam), wie 
man es nannte, des römijchen Papſtes befannte. Später aber, 
als fein Gegenfönig Ruprecht von der Pfalz ſich für Bonifaz 
IX. in Rom ausfprach und von diefem auch anerfannt wurde, 
trat Wenzel zwar nicht auf die Seite Avignons, allein er 
erklärte fi) neutral, Natürlich verlangte er aud in Böhmen, 
bor allem bon der Geiltlichkeit und der Univerfität, Anerfen= 
nung biejes feines neuen Standpunkte. Der Erzbiſchof — 
e8 war feit 1403 Shinfo.von Haſenburg — widerjeite fich 
als offener Anhänger des avignonenſiſchen Papittums ent- 
ſchieden diefer Mahnung, mit ihm der größte Teil des Klerus. 
Schwieriger war die Entſcheidung bei der Uniberfität. Die 
damaligen Uniberfitäten hatten die Einrichtung, daß Schüler 
und Lehrer aus den berjchiedenen Ländern, die an einer foldyen 
Schule zufammentamen, ſich nad) „Nationen“ ſchieden. Wie 


208 Neunter Abſchnitt. 





in Paris hatte man auch in Prag vier Nationen, In Paris 
waren e3 die normannifche, franzöfifche, pifardifche und eng- 
liſche, zu der auch Dänen, Polen, Ungarn, Böhmen und 
Deutiche gehörten. In Prag hießen die vier Nationen: Böh- 
men, zu denen nur die Deutſchen und Slawen aus allen Län— 
dern der böhmifchen Krone zählten”, dann Bayern für gang 
Weftdeutichland, Sachſen für Norddeutichland und Polen für 
alle übrigen nichtdeutſchen Nationalitäten. Die „Nationen“ 
entfchieden nach Mehrheit in allen fie berührenden gemein- 
famen Angelegenheiten. König Wenzels Forderung, daß fich 
die ganze Uniberfität in der päpſtlichen Obödienzfrage neutral 
erfläre, fand nur bei der böhmifchen Nation Zuftimmung, 
nicht aber bei den drei anderen, Bayern, Sachſen, Polen. Ein 
dem föniglichen Wunfch entgegenitehender Beſchluß mußte für 
jeden Fall verhindert werden. Nach langwierigen Berhand- 
lungen, die zu feiner Einigung führten, erließ Wenzel am 
19. Januar 1409 ein Dekret, welches verfügte, daß fortan in 
allen Univerfitätöfragen die böhmiſche Nation drei, die an- 
deren drei Nationen zufammen aber nur eine Stimme haben 
follten. Man begründete diefe Maßregel damit, dab die 
deutſche Nation (natio Teutonica)“, worunter man alle 
Nationen, Bayern, Sachen, Polen? zufammenfaßte, fein Hei— 
matsrecht im Königreich Böhmen befige (iure incolatus .. . 
prorsus expers), während die „böhmiſche Nation (natio Bo- 
hemica)“ der wahre Erbe diefes Königreiches fei (eiusdem 
regni iusta heres), Ale Bemühungen, den König zur NRüd- 
nahme diefer eigenmächtigen Anderung eines fo wichtigen 
Statuts der Uniberfitätverfafjung zu beſtimmen, blieben 
erfolglos. Daraufhin entſchloſſen fi im Sommer 1409 Schüler 
und Lehrer der drei unterlegenen Nationen Prag für immer 
zu berlaffen. Daß die Deutichen aus den Exrbländern, die zur 
böhmifchen Nation gerechnet wurden, fi) den drei Nationen 
angeichloffen hätten, wird nirgends gejagt und ift auch durch-⸗ 
aus unwahrſcheinlich. Aber in welche Stellung gerieten fie nun 
gegenüber den Tſchechen. Noch im Yahre 1384 hieß eg in einer 
Appellation der „böhmifchen Nation“ an den Bapft, daß die 
drei Nationen nicht nur zwei⸗ ſondern zehnfach die böhmifche 


Sogiale und geiftige Strömungen. 207 





Nation übertreffen. Jetzt befaßen oder gewannen wohl in der 
einen aurüdgebliebenen Nation die Tſchechen die Mehrheit. 
Über die Menge der abziehenden Studenten waren ſchon 
damals und find bis heute ganz unwahrſcheinliche Ziffern ver- 
breitet; man fprad) und ſpricht von 20, ja audı 26.000. Die 
ernfteften Forſcher auf diefem Gebiete find der Meinung, 
daß e8 ſich im höchſten Fall um „ein paar Tauſend“ gehandelt 
babe.” Sie zeritreuten ſich nad) mehreren deutſchen Städten, 
in denen mittlerweile Uniberfitäten gegründet worden waren, 
Wien, Heidelberg, Erfurt, Krakau; die Univerfität Leipzig 
verdankte diefem Ereignis ihre Entftehung. 

In diefem Uniberfitätsftreit, den das päpftlide Schisma 
berborgerufen hatte, gewinnt ein Lehrer eine ausſchlaggebende 
Bedeutung, der jhließlic) der ganzen Bewegung, die ſich daraus 
entwidelte, den Namen gegeben hat, Johannes Huß.” Bon 
der Kindheit und Jugend diefer neben Wallenftein größten 
weltgefchichtlichen Geftalt, die auf böhmiſcher Erde entitanden 
ift, weiß man äußerft wenig. Sein Geburtsjahr zwiſchen 
1865—1370 läßt fi; nur annähernd daraus beftimmen, daß 
er fi) im Jahre 1414 als nod) nicht fünfzigjährig bezeichnet. 
Der Name Huß ift nur eine Abfürzung von Huffineg, einem 
zur Herrſchaft Wimberg gehörigen Orte im Pradatiger Kreis, 
aus dem fein Vater ftammte. Seine Eintragung in die Uni- 
verfitätsmatrit lautet nämlich: Johann, der Sohn Michaels 
von Huſſinetz. Daß er in Prag ftudierte, dort im Jahre 
1385 das VBaffalaureat, die niederfte akademiſche Würde, 
erlangte und 1396 Magifter, d. h. Univerfitätlehrer, wurde, 
ift fiher. Die Priefterweihe erhielt er 1400, im folgenden Jahr 
war er Dekan, 1402 Rektor der Univerfität, und zugleich be» 
Hleidete er die Stelle eines Predigers an der Bethlehemkirche, 
in der er an Sonn» und Feiertagen tſchechiſch zu predigen 
Batte. Seine innere Entwidlung, fein Studiengang im ein- 
zelnen entzieht fi) unferer Kenntnis. In feinen zahlreichen 
Schriften ſpricht er wenig von ſich, bemerft nur gelegentlich, 
daß auch er anläßlich des Jubiläumsablaſſes im Jahre 1398, 
wie Taufende und aber Taufende, feine legten Grofchen geopfert 
babe, bedauert ein andermal, als Student. an den Eitelfeiten 


208 Neunter Abſchnitt. 





der Welt, ſchönen Kleidern und Modetorheiten Gefallen ge- 
habt zu haben. Bon ausſchlaggebender Bedeutung für fein 
ganzes weiteres Leben war, und damit beginnt eigentlich erft 
jeine Geſchichte, daß er 1398 als Lehrer der artiftifchen (philo- 
ſophiſchen) Fakultät die Schriften Wiclifs, des berühmten 
engliſchen Theologen und Reformators, Fennen lernte und bon 
ihnen mächtig ergriffen wurde, 

Johann von Wiclif aus angelſächſiſchem Adel wurde zivi- 
fen 1320 und 1330 geboren, alfo etwa ein Menſchenalter 
vor Hub. Als er in Oxford ftudierte, wirkten dort hervor— 
ragende Gelehrte, die durch; ihre Stellungnahme für und wider 
da3 Papfttum in ſcharfem Gegenjag zu einander ftanden: 
Nominaliften und Nealiften. In diefe Bewegung griff Wiclif 
ein und trat in einigen Schriften entichieden gegen jede welt- 
liche Herrſchaft der Kirche ‚auf. Er ſprach den Satz aus: „Die 
Kirche muß arm fein, wie in den Tagen der Apoftel, der große 
Beſitz bringt ihr Fein Heil“ oder: „Am beiten wäre e8, wenn 
der Staat die Fürſorge für die Geiftlichfeit übernähme“. 
Räpftlie Drohungen beantwortete Wiclif mit nod) heftigeren 
Angriffen, indem er auf politifches und foziales Gebiet über- 
greifend erklärte, daß durch die Kurie und die Kirche England 
außgefogen, feine Volkswirtſchaft zerftört, feine Landesver- 
teidigung geſchwächt werde. Und als dann das päpftliche 
Schisma ausbrach, zog er die legten Folgerungen aus feinen 
Kehren, ftürzte fi) mit dem Aufgebot feiner ganzen Kraft in 
den Kampf. „Geiftlichkeit ift nicht die Kirche; der Papft ift 
nicht das Haupt der Kirche”, lehrte und predigte er allerorten, 
verbreitete er in gelehrten Schriften, in volfstümlichen Flug⸗ 
und GStreitblättern ohne Unterlaß. Die Wirkung auf dag Volk 
war einige Jahre außerordentlich, insbefondere als er dieſem 
eine zum großen Xeil bon ihm felber hergeitellte erſte englifche 
Bibelüherfegung darbot, während bis nun die Bibel nur 
auf lateiniſche oder franzöſiſche Texte angewieſen war. Seine 
Anhänger bezeichnete man als Lollarden, vielleicht fobiel als 
„Unkrautſäer“. 

Und das Ende der wielifiſchen Bewegung? Im Jahre 1381 
brach in England aus mannigfachen tiefer liegenden politiichen 


Soziale und geiftige Strömungen. 209 





und wirtſchaftlichen Urſachen ein furchtbarer Bauernaufftand, 
man fönnte aud) jagen Arbeiterausftand aus. Wiclif miß⸗ 
billigte ihn. Aber Geiſtlichkeit, Adel und die beſitzende Bürger- 
Hoffe machte Wiclif wegen feiner Lehren von der Säfulari« 
fierung Verweltlichung) des Kirchengutes und Untergrabung 
der priefterlichen Autorität verantwortlich für das über das 
ange Land hereingebrochene Unglüd. Der Erzbiſchof von 
Canterbury ergriff die Gelegenheit, um bon diejer ſozialen 
Plattform aus den Kampf gegen Wiclif mit Erfolg aufzu- 
nehmen. Seine Stellung war aber immerhin noch fo ftarf, daß 
man nicht wagte, ihm perſönlich ein Leid anzutun; der Höhe- 
punkt feiner Tätigkeit war jedoch überjchritten. Die Bauern- 
unruhen Hatten feine Reformbeitrebungen zunichte gemacht. 
Am 38. Dezember 1384 ereilte den durch Überarbeitung und 
Enttäuſchungen geſchwächten Mann der Tod. — Eine Zeit 
lang, während der weiteren Regierung des ſchwachen Königs 
Richard II. (1377—1399), der manche Sihnlichkeit mit dem 
böhmifchen König Wenzel IV. zeigt, indem er wie diefer der 
Bewegung freien Lauf ließ, ohne fie in die richtigen Bahnen 
zu lenken, hielt fich nod) das Lollardentum. Unter: jeinen bei- 
den Nachfoigern Heinrich IV. (1399—1413) und Seinrich V. 
(1418—1422) wurde e3 dann umfo graufamer in einem furdjt- 
baren Bernichtungsfampfe ausgerottet, der Iekte Lollarden- 
führer Kohn Oldcajtle Lord Cobham 1417 verbrannt. 

Inzwiſchen aber hatte der Wiclifismug weit ab vom eng- 
liſchen Boden, der ſich für ihn nicht genug aufnahmsfähig er- 
wies, in böhmifcher Erde Wurzel gefaßt und fich hier mit un- 
heimlicher Raſchheit und Üppigfeit entfaltet. 

Des engliſchen Königs Richard II. Gemahlin war Anna, 
eine Tochter Karls IV., eine Schwefter Wengeld. Die Ehe, 
vom römischen Papſte Urban VI. gefördert und 1382 gefchloffen, 
verfolgte ein politifches Biel: Böhmen von feiner unter den 
Ruremburgern gejchaffenen politifchen Abhängigkeit von Frank- 
reich loszureißen und England zu nähern. Das gelang zwar 
nicht, aber immerhin herrſchten infolge diefer Familienver— 
bindung — Anna ftarb 1897 — rege Beziehungen zwiſchen 
beiden Ländern, ingbejondere aud) zwiſchen den beiden Univer- 

Brethola, Bei. Böhmens u. Mäbrens. L 14 


2310 Neunter Abſchnitt. 





fitäten von Orford und Prag. Engliſche Luft ftrömte herüber 
und war erfüllt von den reformatoriſchen papit- und Firchen- 
feindlichen Ideen des Wiclifismus; die Schriften Wiclifs 
fanden Eingang an der Prager Univerfität bei Lehrern und 
Schülern. Auf diefe Weife lernte fie auch Huß kennen und wie 
ſchon feine Zeitgenofien erfläcten, haben fie ihm „die Augen 
geöffnet“, jo daß er fie „Ia8 und wieder las“, mit eigener Sand 
abichrieb und fie mit Randbemerfungen verfah, die feine Be- 
mwunderung für den Verfaſſer deutlich) Fundtun: „DO Wiclif, 
o Wiclif, nicht nur einem wirft du den Kopf wankend machen“; 
„Teurer Wiclif, gebe dir Gott das himmliſche Königreich”. 

Die päpftlice Kurie und der erzbiichöfliche Hof in Prag 
verfolgten diefeg unerwartete und faft unnatürliche Übergreifen 
des in feiner Heimat in ſich felbft faft erlofchenen wielifiſchen 
Brandes auf Böhmen nicht ohne Beforgnis. Schon 1403 
wurde an der Prager Univerjität die Disputation über Süße 
Wielifs unterjagt, das Verbot 1408 erneuert. Das blieb ohne 
Wirkung. Wiclifs Schriften verbreiteten fidy nur umfo mehr 
und Huß wurde einer ihrer eiftigften Verfündiger. 

Mitten in diefe Bewegung fiel nun die durd) den Schisma - 
ftreit berborgerufene Neutralitätsforderung König Wenzels 
an die Uniberfität. Leider verfagte fi) das fremde Deutfchtum 
an der Prager Uniberfität bei der Durchführung dieſes Ge- 
dankens, der immerhin einen erjten Schritt auf dem Wege zur 
Reform der Kirche bedeuten konnte, indem dadurch bezweckt 
wurde, durch Verweigerung der Anerkennung beider Päpfte 
auf ihre Abdanfung und die Neuwahl durch ein Konzil hinzu- 
arbeiten. Huß galt als ein Hauptvertreter der Konzilsidee, 
begrüßte daher, wenn er ihn nicht beeinflußt hat, Wenzels 
Entfhluß, die Prager Univerſität durch Umbildung des 
Stimmenverhältnifjes für die Neutralitätserflärung zu ge- 
innen. Er hat aud) den König von der Kanzel herab wegen 
feiner Liebe zum Volke laut gepriefen. 

Aber das Auffehen erregende Ereignis des „Exodus“ der 
drei Nationen hatte neben der ſchweren Schädigung der Uni- 
verjität jelbjt die Folge, daß die Kurie nunmehr mit größerer 


Soziale und geiftige Strömungen. 211 





Entſchiedenheit gegen die wielifiſche Richtung in Böhmen ein- 
ſchritt. Durch eine Bulle des Papſtes Alerander V. aus 
Abignon vom 20. Dezember 1409 erhielt der Erzbiſchof Sbinko, 
„mehr Kriegsmann als Priefter“, dag Recht mit allen Mitteln 
dagegen vorzugehen. Er verlangte zuerſt die Auslieferung 
aller wiclififhen Schriften. Trogdem Huß, der der erſte Rektor 
der neugejtalteten Univerſität wurde, ſich widerſetzte, an Papit 
und König Berufung einlegte, fand die Verbrennung von etiva 
200 Handſchriften am 16. Juli 1410 in feierlicher Weiſe ftatt; 
ein Fleiner Bruchteil der wirklich in Prag und Böhmen bor« 
handenen Schriften des englifchen Reformators; ein Berluft, 
der durch neue Abfchriften leicht erjegt wurde. Huß, wie 
mancher feiner Anhänger, hatte nichts von feinen Schähen abge- 
liefert und wurde dafür zwei Tage fpäter, am 18, Suli, in den 
kirchlichen Bann getan. Die Aufregung, die ſich des Volkes 
ſchon durch das Autodafé bemächtigt hatte, ſtieg. Daß Hub 
trotzdem weiter öffentlich predigen konnte, beweiſt die Ohn- 
macht des Ersbiſchofs, die noch deutlicher zutage trat, als die 
Regierung Wenzel unter Zuftimmung des neuen Papſtes in 
Piſa Sohanns XXIII. (feit dem 17. Mai 1410), zwar die Ver—⸗ 
brennung der Schriften Wiclif3 guthieß, aber den Erzbifchof 
zum Schadenerfag an die Befiker verpflichtete. Dagegen ver- 
Iamgte die römiſche Kurie, alfo Papſt Gregor XII. (jeit Dezem- 
ber 1406), daß Huß perſönlich vor ihm erfcheine, um ſich zu 
rechtfertigen. Huß aber konnte es wagen, geitügt auf die 
Stimmung im Bolfe, beim Abel, in der Uniberfität und beim 
Hofe, wo er fich der befonderen Gunſt der Königin Sofie, einer 
bayrifchen Prinzeſſin, erfreute, der Vorladung feine Folge zu 
leiften. Der neuerliche Bann, den er hiedurch über ſich am 
15. März 1411 heraufbeſchwor, erwies ſich als Fraftlos, Predigt 
und Gottesdienft gingen weiter. Erft als Huß im folgenden 
Jahre aus ganz beſtimmtem Anlaß auch gegen das päpftliche 
Ablaßweſen, dag wie wenige andere kirchliche Einrichtungen 
autiefft im Volke wurzelte, auftrat, jchien es, ala ob die Lage 
fi) von Grund aus ändern follte. Someit, daß der Papit nicht 
mehr das Recht der Sündenvergebung und Ablaßverleihung 
haben follte, wie Huß ganz im Sinne Wiclif3 lehrte, wollten 
10 


212 Neunter Abſchnitt. 





biele feiner bisherigen Anhänger nicht gehen. Die Uniberfität 
fpaltete fich für und gegen den Ablaß, auch König Wenzel und 
feine Regierung — politifhe Gründe, der Plan der Kaijer- 
Trönung Wenzels in Rom, fpielten mit hinein — rüdten bon 
Huß ab. Leute aus dem Volke, die öffentlich den Ablaß einen 
Betrug genannt hatten, wurden enthauptet oder in den Kerker 
getvorfen und gefoltert. Über Huß wurde im Juli 1412 der 
große Kirchenbann verhängt und in feiner düſter⸗ſchauerlichen 
Form in allen Kirchen verfündet. Das blieb diesmal nicht ohne 
Wirkung. Wegen Anwejenheit des Gebannten hörte in Prag 
aller Kirchen und Gottesdienjt auf, feine Taufe, fein feier- 
liches Begräbnis fand mehr ftatt, Handel und Verkehr ftodte 
— und Huß klagte: das Volf zeigt nicht jo viel Mut, auch ohne 
des Papſtes Gottesdienft zu bleiben, die Toten wo immer zu 
begraben, die Kindlein ſelbſt zu taufen. Es blieb ihm nichts 
übrig, als Prag im Oftober 1412 zu berlafien, der König, das 
Volk in feiner Mehrheit hielt ihn nicht zurück. Es mochte 
ſcheinen, als ob Huß den Höhepunft feines Einfluffeg über- 
fritten habe, wie Wiclif bei Ausbruch des Bauernkrieges. 
Eine umfichtige, zielbewußte Regierung hätte den Augenklid 
nügen Zönnen, die ganze Bewegung einzudämmen und dem 
Rande allmählich wieder Ruhe und Frieden zu ſichern. Aber 
Wenzel hatte ja nie die Kraft beſeſſen, ein Ziel klar und be— 
ſtimmt zu verfolgen, ſtets ſchwankte er zwiſchen entgegengefeß- 
ten Richtungen und Stimmungen. Huß kehrte zwar in den 
nächſten Jahren nur zeitweilig nad) Prag zurück, Iebte zuerft 
in Rogi Hradek bei Aufti, fpäter auf der Burg Krakowetz bei 
Rakonitz, blieb aber in fteten Beziehungen mit feinen An- 
hängern in der Hauptitadt, die dort ihre Stellung behaupteten 
und verftärkten, die huffitiiche Lehre verbreitete fi) auf dem 
Zande durch Huſſens eifrige Tätigkeit immer weiter. „Sch 
predige in Flecken und Burgen, auf den Gaffen der Städtlein 
und Dörfer, in Feld und Wald, zwifchen Heden und unter 
Linden“, fchreibt er felber. War aber der König nicht mehr 
fähig, der Bewegung, die die Kirche für Fegerifch erflärte und 
nidyt dulden wollte, Herr zu werden, dann mußten andere 
Mächte den Kampf auf fich nehmen. 


Soziale und geiftige Strömungen. 213 





Seit dem 1. November 1414 tagte in Konſtanz eine Kirchen 
verfammlung, ein Konzil. Seine vornehmſte Aufgabe war die 
Befeitigung des päpftlichen Schismas, die, wenn auch erft nad) 
langen Verhandlungen, vollkommen gelöft wurde. Die Päpſte 
wurden abgeſetzt oder leiſteten Verzicht. Dann wählte man 
am 21. November 1417 als alleiniges neues Oberhaupt der 
Kirche mit dem Sitze in Rom Papſt Martin V. Vorher aber, 
noch in der papftlofen Zeit, wurde die Frage der Wiclii 
Böhmen zur Entfcheidung gebracht. Früher einmal hatte König 
Wenzel den Standpunkt vertreten, daß die Sache de3 Magiſters 
Hub in Böhmen entjcdjieden werden müffe, daß Landesange- 
legenheiten nicht vor ein auswärtiges geiftliches Gericht ge- 
bracht werden dürften. Seht ließ er Huß ziehen, als fein Bruder, 
der deutfche König Sigmund, der Erbe Böhmens, wie e3 fcheint, 
äuerft die Anregung hiezu gab. Huß felber war, wie leicht zu 
berftehen, von zwiefpältigen Gefühlen erfüllt, als er fich ent- 
ſchloß, vor dag Konzil zu treten, weil ihm ja fein anderer Auß- 
weg übrig blieb. Zeitweilig war er fiegesgewiß und ſprach da= 
bon, daß er auf dem Konzil feinen Glauben darlegen werde, 
damit feine Gegner den wahren Glauben hörten. Daß aber die 
Verhandlungen, wenn er ſich nicht vom Banne, der auf ihm 
laſtete, befreie und widerrufe, auch zu feinem Tode führen fonn- 
ten, mußte er genau. Der Geleitäbrief, den er vom König Sig- 
mund forderte und der ihm auch für die Hin- und Rückreiſe 
gewährt wurde, hatte mehr den Sinn, daß er „in Frieden 
Tommen fönne” und nidjt wie ein bereit verurteilter Neger der 
Synode ausgeliefert werde. Ein Schußbrief gegen die Ver- 
urteilung fonnte er nicht fein. 

Am 11. Oftober 1414, alfo faft drei Wochen vor Eröffnung 
des Konzils trot Huß die Reife an. Wie wenig felbft damals 
noch nationale Gefühle eine Rolle fpielten, beweift die von Huß 
felber bezeugte freundliche Aufnahme, die ihm überall auf deut⸗ 
ſchem Boden, in Böhmen, in Bayern, zulegt in Konftanz, zuteil 
wurde. „Sch bin bisher”, fchreibt er am 20. Oktober aus 
Nürnberg, „auf feinen Feind geſtoßen.... Ich geftehe alfo, 
daß nirgend die Feindfchaft gegen mich größer ift, ala bei 
meinen böhmifchen Landsleuten.“ Sie waren ja aud), wie der 





214 Neunter Abſchnitt. 





Pfarrer Michael de Caufis und Stephan Paletſch feine Saupt- 
mfläger auf dem Konzil. Huß hat in allen größeren Städten, 
durch die er kam, den Zweck feiner Reife in Iateinifchen und 
deutſchen Ankündigungen öffentlich Fundgegeben. Nirgend ift 
eine Gehäfligfeit, nicht einmal Boreingenommenheit gegen Huß 
wahrzunehmen. Am 3. November Iangte er in Konſtanz ein, 
ſchon am 28, wurde er unter Verlegung jeines Geleitöbriefes 
gefangen gefegt und fol hart und unwürdig behandelt worden 
fein. Erſt im Juni 1415, am 5., 7. und 8. fam es zu einem 
öffentlichen Verhör vor den Konzilsvätern, am mittleren Tage 
in Gegenwart Sigmunds. Man forderte von Huß das Be- 
kenntnis, geirrt zu haben, Abſchwörung der Irrtümer, öffent 
lichen Widerruf und das Verjpredhen, die Gegenlehre anzu- 
nehmen. Als er erklärte, Süße, die er nie behauptet habe, 
nicht abſchwören zu können, das berbiete ihm fein Gewiſſen, 
— erfolgte am 6. Juli feine Verurteilung und noch am ſelben 
Tage feine Verbrennung vor dem Tore der Stadt. 

Gleichgeitig mit Huß wurde fein begeifterter Verehrer, Hie— 
ronymus bon Prag, der für die Ausbreitung des Wiclifismus 
in Ungarn, Kroatien, Öfterreich, Polen und anderwärtg gewirkt 
hatte, ſeit dem Ahlaßftreit aber zumeift in Prag an Huffens 
Seite ftand, angeklagt. Er war am 4. April 1415 freiwillig in 
Konftanz eingetroffen, die Gefahr erfennend aber ſogleich ge- 
flohen, wurde jedoch gefangen genommen, zurückgebracht und 
ihm der Prozeß gemacht. Er widerrief fogar ganz nad Wunfch 
des Konzils. Als man dann von ihm noch weiter forderte, 
feinen Widerruf felber in Böhmen Fundgutun umd dadurch 
zur Beruhigung des Volkes beizutragen, lehnte er ab. Am 
80. Mai 1416 ftarb er wie Huß auf dem brennenden Holzſtoß. 

Die Abreife Huffens aus Böhmen war im Lande mit Ruhe 
hingenommen worden. Seine Behandlung in Ronftanz hatte 
ſchon peinliches Auffehen und Unwillen erregt, wie die Bu- 
ſchrift von 250 Mitgliedern des hohen und niederen Adels 
bom 12. Mai 1415 an das Konzil beweilt. Die Verbrennung 
aber verfegte da8 Land in eine furdhtbare Aufregung. Ein Teil 
des Adels ſchickte am 2. September eine mit 452 Siegeln ver- 
jehene Urkunde nad Konftanz, in der außdrüdlich erklärt 


Soziale und geiftige Strömungen. 215 





wurde, daß die Verurteilung Huſſens „zur dauernden Schmach 
und zum Brandmal für Böhmen und Mähren“ gefchehen jei. 
Sie bedeutete zugleich eine Anklage gegen König Sigmund. 

Der Name Huffiten begann ſich an Stelle des früher ge- 
brauchten Wiclifiten in Böhmen iumd Mähren einzubürgern. 
Daneben gewann noch eine andere Bezeichnung Anklang. 
Während Huffens Aufenthalt in Konſtang war einer feinet 
Schüler, Safobellus von Mies, mit der Forderung aufgetreten, 
gemäß den Geboten der heil. Schrift das Abendmahl, wie es 
ſchon früher in der Fatholifchen Kirche üblich geweſen aber 
wieder abgefommen war, fünftighin unter beiderlei Geftalt 
(sub utraque specie) des Leibes und Blutes Chrifti zu er« 
teilen. Und da Huß feine Buftimmung dazu gegeben hatte, 
was biel zu feiner Verurteilung beitrug, fand man darin ein 
willkommenes finnenfällige® Merkmal der Abweichung vom 
katholiſchen Ritus, ein Symbol des Huffitentums, und nannte 
fi) Utraquiften, oder nad) dem Kelch, deſſen man ſich bei der 
Spende des Weines bediente, Naliztiner. 

Diefen Huffiten, Utraquiften oder Aaliztinern ftellte fich 
nun alles entgegen was katholiſch war und bleiben wollte, im 
Adel, in der Ritterfchaft, in den Städten. Es konnte nicht aus— 
bleiben, daß es zwiſchen beiden Parteien bald hier bald dort 
au Bufommenftößen Bam, befonders da das Konzil mit ftrengen 
Maßregeln gegen die Abtrünnigen, Bann, Interdift und an= 
deren geiftli—hen Strafen, nicht fäumte. Die Verbrennung huf- 
fitiſcher Sünglinge in Olmütß, die in diefer deutichen und Fathos 
liſchen Stadt die neue Lehre zu berbreiten fuchten, die Er- 
nennung des Biſchofs Johann von Leitomifchl, den man neben 
König Sigmund am meiften für die Verurteilung des Huß 
und Sieronymus verantwortlich machte, zum Biſchof von Olmütz, 
beffen und vieler anderer Fatholifcher Geiftlicher Eifer für eine 
raſche und gründliche Ausrottung der Härefie, — all das ver— 
ſchärfte die Gegenfäße von Jahr zu Jahr und machte den Bruch 
binnen kurzem unheilbar. 

Angeſichts des überaus ftarfen, immer weitere Kreiſe er- 
fafienden Zunehmens des Suffitentums im Lande glaubte nun 
aud König Wenzel, der anfangs nad) Huffens Verurteilung 


216 Neunter Mbichnitt. 





deffen Anhänger begünftigt hatte, der Bewegung Einhalt ge— 
bieten zu müffen, bejonders als fein Bruder Sigmund und der 
Papſt ihn dazu mahnten. Huffitifch gefinnte Beamte wurden 
entlaffen, hufiitifche Priefter mußten ftreng katholiſchen wei- 
Gen. Im Jahre 1413 Hatte der König ſelber den bis dahin 
ftets deutſchen, alſo katholiſchen, adjtzehngliedrigen Nat der 
Prager Altitadt zur Hälfte durch Huflitifche Tſchechen erjegt. 
Jetzt, 1419, erneuerte er den Neuftädter Rat und ermwählte 
lauter Ratholifen. Als diefe am 30. Zuli d. X. eine borüber- 
siehende huſſitiſche Prozeſſion ftörten oder fogar berhöhnten, 
brad) der Sturm aus, Die Angegriffenen ftürmten in furdt- 
barer Wut das Neuftädter Rathaus, warfen fieben katho— 
liche Ratsherren, die ſich nicht mehr hatten flüchten Fönnen, 
zum Benfter hinaus auf die Spieße und Lanzen der beiwaff- 
neten Menge. Das war das Zeichen zum allgemeinen Aufruhr, 
der ſich nun Tag für Tag fortfegte. Der König geriet ob der 
Nachrichten, die ihm aus der Sauptftadt in jein Schloß Wenzel- 
ftein überbracht wurden, in furdtbare Aufregung. Am 16. 
Auguft 1419 erlitt er einen Schlaganfall und ftarb „bor 
Schmerzen brüllend wie ein Löwe” nod am felben Abend im 
Alter von 69 Jahren. 

Bevor fein Erbe und Nachfolger, der deutſche König Sig- 
mund die Regierung antreten fonnte, brachen hier die Hufliten- 
kriege auß, die alle Verhältniffe in Böhmen und Mähren boll- 
ftändig ummandelten, die beiden Länder auf eine ganz neue 
Grundlage ftellten. 


Anmerkungen. 


Erfter Abfchnitt. 

1. (S. 1). Als allgemeine Literatur für biefe Fragen vermeife ich 
auf: E Bernheim, Lehrbud ber hiſtor. Deitode, u. ber 
Geſchichtsphiloſophie. 6. Aufl, 1908; E. Bernheim, Einleitung 
in bie Geſchichtswiſſenſchaft (Slg. Göſchen). 1905; U. Meijter, 
Grundgüge der hiſior. Methode (Grundriß der Geſchichtswiſſen- 
—X Zur Einführung in das Studium der deutſchen Geſchichte 
es Mittelalter8 und der Neuzeit, Hrg. bon U. Meiſter, Bd 1, 
Abt. 6). 2. Aufl. 1918; &. Wolf, Einführung in das Studium 
der neueren Gefchichte. 1910. 

. (S. 4). Eine Überficht der Urkunden, die fih auf Böhmen und 
Mähren beziehen, gint das Wert von K. %. Erben u‘. 
Emler, Regesta di 


» 


iiplomatica necnon epistolaria Bohemise et 
Moraviae (für die Zeit bon 6001346), 4 Bde. Brag, 1855—1892; 
vollen Abdrud der auf Mähren bezüglien Urkunden: Codex 
dipl. et epist. Moraviae (896-1411), 15 Bbe, Olmüt-Brünn, 
1886—1903; für Böhmen und Mähren: G. Friedrich, Codex 
dipl. et epist, regni Bohemiae (8307—1230), 2 Bde., Prag, 1904—12, 
8. (6. 5. Die wichtigſten fremden Chroniken für bie Geſchichte 
Böhmen? und Mährens in diefer Zeit find: Die Chronit des 
Negino bon Prüm (} 915); die Jahrbücher bon Fulda aus dem 
9. Jahrh.; die fächfiiche Gedichte. Widulinds dv. Korvei (967); 
die Lebenẽgeſchichten der Heiligen Wenzel u. Adalbert vom Eni 
des 10. Jahrhs; die fächftfche Beicichte Thietmars v. Merfe- 
burg (9876—1018); vgl. dazu W. Wattenbud, Deutſchlands 
Geſchichtsquellen im Mittelalter, Bd. 1 (7. Aufl., 1904), BD. 2 
(6. Aufl., 1894); W. Botthaft, Bibliotheca historien medii aevi. 
Wegweiſer dur die Geſchichtswerke des europ. Mittelalters, 
2 Ehe 2. Aufl, 1895—86; ©. Torenz, Deutfhlands Geſchichts ⸗ 
quellen im Mittelalter feit ber Mitte des 13. Jahrhdrts., 2 Bde., 
8. Yufl., 188687. 
. (©. 5). Über die Gtreitfrage, ob e8 einen älteren böhmiſchen Chro» 
niften, namens Chriftian, gibt, vgl. ®. Bretholz, Zur Löſung 
ber. Ehriftianfrage, in: aciter d. deutfchen Vereines f. d. Geſch. 
Mähren u. Schlejiens, X (1906), 1 ff. J 
(©. 5). fiber die böhmiſchen Chroniken vgl. F. Palackh, Wür- 
digung ber alten böhm. Geſchichtſchreiber, Prug 1880, und die in 
Anm. 8 genannten Werke. — Veröffentlicht find die. nuttelalter« 
lien Chroniken in dem großen Werte: Monumenta Germaniae 
historiea, Scriptores; danr. in den Fontes rerum Bohemicarum, 


» 


x 


218 


Anmerkungen. 





6 DBbe., Prag 1878—1907, foweit fie fi auf Vöhmen beziehen. 
Biele in beutfcher Überfegung in: Geſchichtſchreiber der deutſchen 
Vorzeit, 2. Gejamtausgabe. 


— 6). Vgl. bie allgemeine: Werte: — Rukovöt 


10. 


döjinam Üteratury denke do korce 18. veku (Yandbud) 3. Gef. 
ber böhm. Literatur bis 3. Ende bes 18. Jahrh.’s), Prag, 1875; 
J. Yalubec, Gef. der dech. Literatur, 1907, und die größeren 
acsitsen Riteraturgefhichten bon }, Vie ei J. YJatubec, 

®. Flajöhans; ferner R. Wolfan, u ber deutſchen 
Kiterahur in Diner bis 3. Ausgang bes 16. Jahrh. DR 100, und 
Böhmens Anteil an ber deutfchen Literatur des 16. Jahrh.’3,2 Vde. 
1890-91; Chr. dElveri, Hiſtor. — te bon 
Mähren u, Öfterr.-Schlefien, Brünn i 


. (©. 9). Kal, * — —* Weſchichte Böhmens, I 
ET. 


(1920), 267 it Hajek dafelbit 

(&.10). BL. 3. 9a nu 8, Podätky —E döjerpytu v Oechäch 
(Die Bnfänge Bil, rit. Gefsictsforfäung i. Böhmen), in: Ceskf 
&as. hist. X , 5 ff. und Listy filolog. XXXVI (1909), 
©. 141; Dobne selbftbiogeaphie in: Cesky as. hist, XXI 
(1917), 129 ff. 


. (©. 10). Wenc. Hagek a Liboosan Annales Bohemorum e bohemica 


editione redditi... a L. Gelasio (Dobner), 6 Bde, Brag 176182. 
(©. 10). Diefe und andere Literatur iſt verzeichnet bei 0. Bibrt, 
Bibliografie Zesk6 historie (die Bibliographie der böhm. Gejdjichte), 
IL, 791—85; dad umftändlicde Werk, borläufig 5 Bde. (1900-12, 
u behandelt bie Zeit bis 3. 3. 1679, 

©. 11). Diet} ifhe, ftart erweiterte und veränderte Aus - 
ee u. b. X. Döjiny närodu esk. v Cechäch a na Moravö (Gejdj. 
des tichech. Volkes i. Böhmen u. Mähren) begann 1848 gu erſcheinen 
und wurbe gleichfalls 1867 abgeſchloſſen. Won der deutſchen 
Ausgabe erſchien ein 2. Abdrud feit 1844, ein 8. feit 1864; bon 
ber iſchechiſchen mehrere Aufl.; vgl. Zibrt a. a. O. 
(S. 11). Vgl. 8. Novotnf, Ceske dejiny (f, unten Anm. 20) 
g 9 mit ber dort genannten Literatur; aud) J. Hanus ©. 468. 


. (S.12). Vol. J. Gebauer, Unechtheit ber Königin) fer u. Grünes 


berger Handigrift, in: Archis f. flaw. Philologie, X (1887), 496 ff. 
I. Trubläf, Zur Deleu tung des nee in 
Böpmen, in: Mitteil. d, Inf. f. öfterreih. Gefhictsforichung, 
IX (1888), 869 ff. — Den volliten überblid über die Gtreitfrage 
bietet: 3. Sanud, Padesätilet& diskusse o rukopisech (Die 
80; A ufjion über die Handſchriften), in Tinty filolog. 
XXXII (1806), 109 ff.; dazu I Hanus, Die este 
böhm. Gedichte aus den 2 1816-49, Prag, 1868; J. J. Hanus 
in: Pamätnfk na oslavu padesätilet£ho panovnickeho jubilen.. 

Frantiäka Josefa I. (Denkſchrift 3 50jähr. Regierungsjub. 
R. Franz Jofefs L), herausgeg. v. d. tſchech. K.-Frang · Joſefs- 





14. 


1, 
16. 


17. 
18. 


19. 


Anmerkungen. 219. 


Alad. Prag 1898, II, 16-88; 3. Kniefchet, Der Streit um 
bie 8. dandſchrift, in: Slg. gemeinnüß, Rorträge, Prag, 1888; 
®. Kifch, Der Kampf um die 8. Hanbiärift, ebenda Kr. 4724 
(ie uni Aue), 5 25 Ba bet, mit ee Bibliographie; 
%. Sruby, Be :opis A ee 2 Santa bie 8. 
— N, im: — das hist, X (1917), 1 
das. desk. musea VIII "(1884), 484; b u J. Ha⸗ 
—* —E derra 19. stol. (Wöhm. Kitera: Be des 10. 
Yahıh. ’3), I (1902), 892. Balackys Ainfiäten über bie Senbiäritien 
j. in feinen „Gebenfhlättern“, Prag, 1874: Nr. IV; Nr. XXIX. 
Safafil.- Balactf, Die älteiten —e der böhm. 
Sprache, Prag 1841, J. Belaf (Ces. das. hist, VIIL, 2a) 
wirft Balack$ vor, daß feine Antwort auf Büdingers Einwände 
gegen die Echtheit der Handſchriften „ſch wach und redt un. 
aufriätig mar (slab& a dosti neupffmne)“. 
(©. 17). Qgl. Jatubec ©. 147 und Literatura desk& ©. 8645. 
(©. 17)._Bgl. T Lippert, die Wyſchehradfrage, in: Mitteil. d. 
Ber. f. Geſch. d. aentiöien in Böhmen XX (1898), 214, 215. 
(©. 17). Vgl. I (1848) ), 12 ff. 
(©. 17). In dem Aufſatz „An- und Ausſichten der böhm. Sprache 
u Riteratur vor 50 Jahren“ en} 1822, in „@ebentblätter” 
a. ©. ©. 19, 20; dazu J. Kaloufet, O vüdeich myälenkäch 
* hist, ätle Pal. (Über bie Teitenden green in Balacty’s hiſtor. 
Werke), in: Pamätnfk nn oslavu stych narozenfn F. P. (Bent. 
ſchrift 3. 100jähr. Geburtsfeier F. wel. 3), Prag, 9868, ©. 209 ff. 
(©. 18). Olim equidem sub Ottonibus, Henricis Fridericisque 
Germania florente etiam opes (nostrae) in immensum ereveruut 
nobilissimaque portio vestri imperii Boemia putabatur; nune 
autem rebus vestris inclinantibus no quoque non solum incli- 
namus, sed plane ruimus. — Bol. J. Truhläk, Listär Boh. 
HasißtejnskCho z Lobkovic (Die Briefihaften B. 9. v. 2.) in: 
Sbirka pramenüv, Reihe II, Nr. 1, ©. 176, Nr. 146. 
iS 19). Die Befannteiten Dazftelungen ber, böhm.-mähr. Ge» 
omel, Geſch. Boͤh Ihmens. 
Aus dem Böhm. überfeßt. Tan 1865 (reijt bis 3. J. 1860); 
2) 8. Sötelingen eich. Vöhmens, 2. Aufl., Prag, 1879 
(bi? 1848); 3) 4. Bahmann, ses, Vöhmend, 2 Bde, 1809, 
‚eske Döjiny Böhm, &eic. )» 
Prag 1912, © 1, g. 1. 2 (bi 1197; 8b. 9, X. 2 bearbeitet 
v.R. Urbänel, behandelt bie 3. 1444-1467); ® Brethols 
Sienere Ni Vöhmenz, Bd. 1, 1920 „ga jandelt 1526—1576). — 
2. Dubdit, Mährens allg. Gefch,, de. Brünn, 1860—88 
bis 1860); ®. Bretholz, Gele Da rend, L T. 1.2, 
Brünn 1898. 95 (bis 1197); R. — ne Rielag Geſch. 
Vahrens) Brünn, 1899-1908. 1914; ®. Bretholg, Gele. 
Vöhmens u. Mährens bis 4. Ausfterben der Premyzliden. 1806. 





Anmerkungen. 





10. 
11. 


12. 


1912; 8. Beer, Gefch. Böhmens mit bef. Berüdfichtigung der 
Geſch. der Deutihen in Böhmen (Subetendeutiche Bücherei), 
Reichenberg, 1921. — Die Arbeiten von E. Denis werben bei 
ben einzelnen Abſchnitten angeführt werden. 


Zweiter Abfchnitt. 


. (&. 21). Nach der Baſeler Ausgabe (1575): Quae res palam 


indicat, regionem ipsam olim Teutonicam fuisse sensimque sub- 
intrasse Boicmos, quod Strabonis testimonio confirmare licet 
(©. 5); dann: Nos ista tanquam anilie deliramente praetermitti- 
mus (©. 6). 


. (S, 21). Tacitus cap. XXVIII: ... Boii, Gallica gens. Manet 


adhuo Boiohacmi nomen significatque loci veterem memoriam 
quamvis mutatis cultoribus. Vgl. die Ausgabe mit Erläuterungen 
bon Ed. Schioyger (1912), ©. 82. 


. ©. 2). Vgl. 2. Schmidt, Geſch. der deutſchen Stämme bis 


zum Ausgang ber Völferwanderung, II (1911), 8. 


. (©. 22). Ebda ©. 62, Anm. 
. (©. 23). Ebda S. 325; die auf Tacitus zurüdgehende glaub- 


mwürdige Annahme, daß die Hermunduren in Böhmen an ben 
Quellen der Elbe jagen, verſucht er zu widerlegen ©. 171. 


. (©. 28). Ebda ©. 159. 160. 325 u. f.; wegen Marobudum ©, 168. 


(&. 25). Tacitus, Annales II, 08. 
(©. 26). „Die Marcusfäule in Rom“, hrg. von Peterſen, Dos 
maczewäli, Calderini (1896); 2 Bde. Abb., 1 Tertband. 


. (©. 28). 2. Schmidt a. a. O. ©. 199 verlegt ohne nähere Be- 


gründung Fritigils Herrfchaftsgebiet in einen „an die Donau an- 
grenzenden Gau“, während „die Hauptmaffe des Volles nad wie 
bor in Böhmen ſaß, wie fich aus den Yunden ergibt“. 

(S.28). VgL.U.Naegle, Kirchengefchichte Böhmens I (1916), 10. 
(6:2) ©. Balac!$ 1,51; Bahmann I, 59 nimmt war 
feine völlige und dauernde Abwanderung ber Markomannen aus 
Böhmen zu jener Zeit an, aber doch eine Unterwerfung unter die 
Hunnen, Zeilnahme am Hunnenzug und ſtarke wächung in 
Böhmen, aber ohne Beweife. Daher trat diefen Anfichten ent« 
egen Nobotny 1, 1, 162, teilweife in Übereinftimmung mit 
® Sämidt aa. O. — Die ganz rätjelhafte Nachricht von 
einer Serzichaft Attila in Böhmen geht zurüd auf das Chron. 
Venetum (Altinate) aus dem 10. Jahrh. (Mom-Germ. Seript. 
XIV, 44) und lautet: Atila... it (obsedit) ... . Concor- 
dia... . Cardisana . .. Ovederco... . Ausolum castellum, Boemia. 
(©. 29). Vgl. insbejondere R. Much, Deutſche Stammfike (1892), 
©. 50.51; 2. Schmidt, Allgem. Geſch. der germ. Völker bis zur 
Mitte bes 6. Jadıh.’3 1909, ©. 172 ff. 


Anmerkungen. 221 





18. (©. 29). Rgl. den ſchönen Auffag von $. Thudihum, Rechts- 
gebichtiner Streifgug durch Norbböhmen, in: Beil. 3. Allg. Bei- 
tung in Münden, Jahrg. 1901, Nr. & ontag 18. Ser). 

14. (©. 80). Vgl. Novotnfa.a. O. ©. 

16. 8; 30). Bol. 3. Lojertb, Die  getafagfı der Zangobarben in 

öhmen, Mähren und NRugiland, i in: Mitteil, d. Inſt. f. öfterreich. 
Geidichtsforfäung II (1881), 858 ff. 

18. (©. 81)._ Die Anfiht von KafparBeuß, in befien Berüßemten 
Buche „Die Deutſchen u. ihre Nadbarbölfer” (1839), ©. „und 
in ber Abhandlung „Die Herkunft der Bayern von ben ‚arlo- 
mannen gegen die biöherigen Mutmaßungen bewiejen“ (1857). 

17. (©. 81). M. Doeberl, Entwidlungsgefh. Bayerns I (1906), 8. 

18. (©. 31.) Ebda. ©. 6. 

19. (©. 81). Schon Balacty Hat auf bie Sehaltung Zeltifder Namen 
in Böhmen hingewiefen; er recnete dazu ben Bergnamen Rip 
u. die Flußnamen Wltawa (olban), Gizera (Iſer), Labe (169; 
bgl, Cas. &esk. mus, Jahrg, 1892, ©, 289; dazu Nobotn$ a. a, D. 
©. 195. — 36) Habe den Ortsnamen Brünn aus dem Keltiihen 
au erHlären berjudt, j. Geſch. ber Stadt Brünn (Brünn 1811), 
©. 10 ff. — In einer Urfunde vom 22. Oltober 1045 (Cod. dipl, 

em, I, 3565) heißt die böhm. Bergitabt Eulau: Ylou und 
u dort abgeleitet von ylouare, d. B. goldgraben (aurum de 
terra decutere). Der Name ift weder — noch ſlawiſch zu 
erklären (wenn Brandl, Gloſſarium ©. 83, daraus ein. br 
[jes Wort „ilovati“ madt, fo ift das gang willfürlih). Ob ber 
ame keltiſch iſt, wie wahrſcheinlich angunermngi/ tann ich nid) 

beurteilen. Won dem gleichen Wort ylovare, Ylou jch ie 
bann aud) al baeieitet werben gu müffen der Name der mährifchen 
Bergſtadt Fr jo daß auch diefer Name terifh fein dürfte. 
Xgl. auch J. Partſch, Vitteleuropa (1904) ©. 

2. (©. 8). Vgl. D. Schäfer, Deutihe Geid. Fr 3. 

21. (©. 83). Ebda ©. 44. 


Dritter Abſchnitt. 


1. (©. 8). Schon Balactf I, 86, fagte, daß die verſchiedenſten 
& re zwifchen 278 und & 4 angegeben wurden; vgl. meine Geld). 

jmens u. Mährens ©. 

2. «© 8). So ®. —A 8 D., I, 1, ©. 287. 800. 

8. (©. 8). Vgl. feine Abhandlung über Samo in Borns Abhand- 
Iungen einer Privatyefelihaft in Böhmen I (1775), 242. 

4. (©. so). Es iit die Conversio Bagoariorum et Carantanorum aus 
dem 9. Sahrh. (Mon. Germ. SS. XI, p. 7) mit der bejtimmten 
Angabe, dat; unter dem Frantenkönig Dagobert (629839) Samo 
Herzog der Slawen in Kärnten (( antanis) war. Es gibt 








222 Anmerkungen. 





einen ernftliden Grund, biefe Nachricht in Frage zu giehen, 
noch aud Samos Herrſchaft über dieſes Gebiet Hinaus weit 
nad) Norden bis Böhmen auszubehnen, 

5. (©. 86). Wie allgemein angenommen die Palack 'ſche Anficht in 
der deutſchen Geſchichtsliteratur ift, dafür nur einige wenige 

Belege: älefinger ©. 16: „Samo gebot über die Tſchechen, 

bie Mährer und die Tarantanifhen Slawen’; Bachmann L 
86: „Über die Gebiete der außerungarifhen Slawen, wie es 
ſcheint Böhmen und die SOftalpenlande, herrſchte Samo”; 

. ©. Schulze, Die Kolonifierung und Germanifierung der 
Gebiete zwiſchen Saale und Elbe (1896), S. 5, Anm. 4: „Samo 
war... 623—624.... zu ben Böhmen gefommen, die damals ihren 
Befreiungskampf gegen die baren bereit begonnen hatten“; 
Zampredt, D. Wei. II (1904), 27 fpricht ohne Sinföräntung 
bon dem Cechenfürften Samo“, u. ſ. f. — Der einzige O. NE me 
et („Das Reich des Slawenfürjten Samo“ im 23. Jahresber. 
ber dt. 8.-Oberrealjhule in Mähr. Oftrau f. 1008 / 6) beftritt die 
hergebrachte Anſicht von „Samos großem Reich“ und befien Aus- 
dehnung über Böhmen, und wies mit Recht hin auf die „fug- 
gejtive Macht eingewurzelter Vorftellungen“. 

6. (©. 86). Die insbefondere von 9. Schreuer (bgl. feine Unter- 
funungen zur Verfaſſungsgeſchichte der böhmiſchen Gagenzeit, 
1902, ©. 18) verſuchte Gleſchſtellung Samos mit Premyjl ent« 
behrt jeder Wahrſcheinlichkeit; vgl. dazu Novotnf a. a. O. 
©. 267 mit reicher Xiteratur, Nömedel u. a. 

7. (©. 86). Als Anhaltspuntte fü das Vorhandenfein von Slawen 
aud in Böhmen im 8. Jahrh. liege ſich anführen, daß der Heil. 
Bonifag 751 der „Slawen, die im Lande der Chriften wohnen 
(de Sclavis Christianorum terram inhabitantibus)“ aber ohne 
nähere Bejtimmung ſpricht; ©. Schulze, Die Kolonifierung 
©. 9, nimmt an, daß damit Thüringen und das äftiche Franken 
gemeint fein dürfte, alſo weitlic von Böhmen gelegene Länder. 
In Bonifaz' Biographie it auch die Rede von Kirchen an den 
Grenzen der Franken, Sachen und Slawen; ſ. Jaffe, Bibl. 
ver. Cerm. I, ©, 228, 461. 

6. (©. 87). Auch Balacty I, 160 ift dies aufgefallen, nur mußte 
er feiner Grundauffaflung entſprechend ſolche lichkeiten ent» 
ſchieden ablehnen. 

2. (©. 89). Der Wortlaut der Stelle lautet: Selavi qui dieuntur 
Beheimi, was nad) Novotny a. a. O. ©, 267 bedeutet: Slawen 
bie vom Lande Böhmen ihren Namen haben, nit aber: Slawen, 
die Böhmen heißen. Daß ber Name „Ziehen“ nicht, wie man 

über angenommen bat, ſchon in den fränkiſchen Quellen bor- 

mt, ift Heute allgemein anerkannt; ſ. meine Geſch. Böhmenz 
und Mährens ©. 45. Über den Urfprung des Wortes f. Novotny 
11,6. 2858, 1,2, ©. 62. 


Anmerkungen. 228 





10. (S. 39). Der Wortlaut: XIII ex dueibus Boemorum läßt 
darauf fliegen, daß die Gefamtzahl größer war. 

11. GS. 40). Die Diefelbigteit ber beiden Namen Wratizlaus und 
Witizla, die oft angegmweifelt wurbe (f. Novotnf 421) ift ‚paläoe 
raphiſch leicht zu erklären, benn ein abgekürzt ‚gelgriebenes drzla® 
ante mit Überfeyung ber Kürzungszeichen leicht wirds gelejen 
werben. 

12. (©. 42). Die Form Swatopluk ift bie tſchechiſche, die auch in 
deutſchen Werfen vielfe gebraucht wird. Die urſprünglichen 
Quellen, die fränkiſchen Chroniken und die päpftlihen Urkunden, 
kennen fie noch nicht, 

18. is: 46). Es wirb bezweifelt von U, Sa ud, Kirchengeſch. Deutjch- 
lands II (1900), 694, entfchiedener beftritten von Nobotnf 291 
im Gegenſatz zu ben meiften früheren Hiftorifern; ſ. auch 
A. Naegle, Kirchengeſch. Böhmens I, 1 (1915), 51. 

14. (©. 48). Hauda. a. ©. ©. 6M. 

15. (©. 58), Vol. oben Anm. 4 zu ©. 8. 


Dierter Abſchnitt. 


1. (S. 56). Die Gleichftellung mit Weitra in Nieberöfterreich wegen 

ſcheinbarer Namensähnlichteit ift durchaus willkürlich. 

(©. 59). Vol. D. Schäfer, Deutſche Geſch. I, 140 ff. 

(©. 59). wel. €. Mühlbader, Die Regeſten bes Kaiſerreichs 

unter den Karolingern. 751—918. Bd. 1 (2. Aufl, 1908), ©. 802, 

Nr. 2005 (1958). 

4. (S. 61). Daß 929, und nicht, wie big vor kurzem mit Balact$ allge» 
mein angenommen wurbe, 985 oter 936 K. Venzel J. Todesjahr ift, 

ibe ich, unabhängig von J. Pekar, der kurg zuvor dieſelbe 
nficht ausſprach, nachgewieſen in einem Aufſatz im Neuen 
Archib f. ält, deutſche Geſchichtsforſchung XXXIV (1909), 867 
und wird bon ben neueren Forſchern allgemein angenommen, 
f. Novotn$ I, 1, 478, U. Naegle 1, 2 (1918), 276 u. a. 

5. (©. 68). Novotny ©. 489. 

6. (©. 72). Seine Herkunft ift unbefannt, denn daß er ein Sohn 
des Geſchichtsſchreibers Tosmas geweſen fei, wie ganz allgemein 
angenommen wird, beruht nur auf einem Mißverſtändnis einer 
Cosmasftelle; vgl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens ©. 227, 
Unm. 1; Nobotnf 1, 2, 687. 

. (©. 74). Ih fchreibe hier und fpäter „Otafar“ und nicht, wie 
in deuiſchen Büchern Beute allgemein üblich ift, „Ottolar“, weil 
nur die erſte Form durch die Originalurfunden allein überliefert 
ift. Bei den Ehroniften erſcheinen begreifliherweife bie ver- 
ſchiedenſten Formen und Verballhornungen, aber auch bort über 
wiegt diefe Form. Wenn Palactf I, 1, 65 davon jpricht, daß 


E22 


PR} 


24 Anmerkungen. 





dies „die nationale Namensform” fei, jo iſt dies nicht richtig, 
denn auch die Fürſten dieſes Namens in Steiermark werden 
„Dtafar“ und nicht „Ottofar” genannt; vgl. 9. irchegeer 
Geſch. ber Steiermark I (1920), Stammtafel u. Text ©. 125 ff. 


Fünfter Abſchnitt. 


. Di. Vol. Oſw. Redlich, Eine Wiener Brieffammlung 
1894), ©. 2. 

. (S. 79). Vgl. M. Eisler, Geſch. Brunos von Schauenburg, in: 

Zeitſch. d. deutſchen Vereines f. d. Geſch. Mährens u. Schleſiens 

VIII (1904), 2839, IX, 885, X, 837, XI, 86, 844. 

(©. 80). gl. 8. Bretholz, Die Tataren in Arätnen, u, bie 
moderne mährifce Urfundenfälfhung, ebenda I (1897), 1. 

4. (©. 84). den Wortlaut in latein. Sprade im God. dij 
Moravise II, Pr. 199 u. 201. 

5. (©. 84). Auf ben wirtſchaftlichen Aufſchwung in Böhmen und 
Mähren während feiner Regierung fomme ih in den nädjiten 
Abſchnitten zurüd. Ihn allein oder hauptſächlich feiner Tätigkeit 
augufchreiben, liegt bei der Art der ihm Buldigenden zeitgenöfli= 
ſchen Überlieferung nahe, entſpricht aber nicht kritiſcher Geſchicht- 
ihreibung. Schon 3. $. Böhmer made die zutreffende Be- 
merfung: „Bu der Vorftellung, bie ſich Balacky von Ottokars Eha- 
rakter und Handlungsweife macht, pafien die hier aujammen- 
gejtellten Tatſachen Fa nicht. Ich bedauere, da dieſer font 
berdiente Hiftorifer hier gröber und weiter von der augenfhein- 
lien Wahrheit abgewiden ift, ala man der Vaterlandsliebe 
nadjehen Ian.” sta imperii. Die Megeften des Raifer- 
reihe ... 1246-1318, Stuttgart 1844, ©. 98. 

6. (©. AN "Für die Beziehungen Otakars II. zum Reich und zu 
8. en, bgl. insbeſondere Ofjw. Redlic, Die Regeſten des 

Raiferreihs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, einech VII. 1273— 

1318, Innsbruck 1898; daneben deſſen Bud: Rudolf von Habs» 

burg. Das Deutſche Reich nad) dem Untergang des alten Rail ijer- 

tums, 1903. Dann auf O. Lorenz, Geih. K. Ottofars 

Böhmen u. feiner Zeit (Wien 1866), ein Separatabdrud aus 

feiner Beutfüen Geſch. im 18. u. 14. Jahrh., Bd. 12. (Wien 


367). 
1.©. Fin Vgl. D. Schäfer, Deutſche Gef. I. (1916), 3607 1. 
8 (©. 91). Er hatte Dtafard II. natürlide Tochter Elifabeth 
(Agnes) geheiratet, Über Ad und ihre Mutter, die man für eine 
Nuenringerin hielt, vgl. E. Frieß, Die Herren bon Kuen · 
ring, 1874, ©. 170, Er 
9. (©. 98). Comer, Geſchichte vornehmlich, allerdings mit zahlreichen 
Rücblicken in die älteren Zeiten der böhmiſchen Geſchichte, Au 
der erite Band des zweibändigen Werkes bon J. Sujta, Dvi 


vv = 


® 


Anmerkungen. 225 





10. 


» 


[S] 


‚Unter dem Ießteren wurde auch Mähren Zolonifiert. Die Für 


knihy eskfch döjin. — Kus starovek6 historie naäeho kraje 
[Bwei Bücher böhmifcher Geſchichte. — Ein Stück mittelalter- 
lijer Geſchichte unſeres Gebietea], 1917, gewidmet. Es ſoll eine 
Ehrenrettung Wengels II. darftellen, hauptſächlich gegenüber der 
abſprechenden Schilderung dieſes Fürften bei Palady; in Wirt- 
lichteit ift es nur eine Schönfärbung, indem der politifhe und 
Zulturelle Aufiäwung Böhmens in diefer Periode als das Wert 
des Königs Hingeftellt wird. 
(©. 8). Die Hauptquelle für die Regierungszeit Wenzels II. und 
ID, find die Königfaaler Geſchichtsquellen, herauögegeben bon I. 
Bolereh in den Fontes rer. Austriacarum. I. Abt, Scriptores, 
2b. VII (1875). Sie find entjtanden im Klofter Königfaal, einer 
Gründung Wenzel3 II. aus dem J. 1292. Den weſjentlichſten 
Xeil bildet eine Lebensbeſchreibung des Gründers, Wenzel IL, 
„ganz in legendenartigem Style,“ von dem zweiten Sönigfaaler 
bt Otto von Thüringen begonnen und von befien Nachfolger 
Beter von Zittau bis in bie Regierungsgeit K. Johanna des 
Luxemburgers fortgeführt, Das ganze Wert „Chronicon Aulae 
regise“ wurde dann laut Auftrag viſchof Johanns IV. von Prag 
überarbeitet von dem Prager mberen Franz, geft. 1362, in 
feiner zweiten und letzten % Karl IV. gewibmeten Faſſung bis 
zum 9. 1862 reichend. Cine zweite Iateinifhe Ausgabe in den 
Font. rer. Bohem. IV (1884), 1 ff.; eine tee). Überfegung von 
3.8. Noval u. V. Rovoiny ala Chronica Zbraslavsk& (rag 1906). 


Sechfter Abfcpnitt. 


(S. 102). Bgl. U. Hauffen, Die bier deutihen Volksftämme 
in Böhmen, in Mitteil. d. Vereines f. Geſch. der Deutſchen in 
Böhmen XXXIV (1896), 181, aus dem bie erfte, und ©. Weber, 
1848. Sechs Vorträge (Aus Natur- und Geijteswelt BD. 58, 1904), 
©. 83, aus dem die zweite Anführung herrührt. 


. (S. 108). Als Belege bürften genügen: I, U. Beehe, $. Hei- 


drih und J. Grungel, Oſterreich. Vaterlandskunde f. d. oberite 
Klaſſe der Mitteljhule, 6. Aufl. (1915), ©. 169: „Won befonderer 
Wichtigkeit wurde die deutfche Einwanderung etwa jeit dem J. 1200, 
alfo unter den Königen Ottofar I, Wenzel L und Ottofar A 

n 
sogen beshalb — ins Land, weil ſie an ihnen eine Stütze 
gegen die Großen fanden, und der Heiß der Einwanderer bie 
Einkünfte der Krone fteigerte;“ vgl, ai S. 199. — I. ©. 
en Deutſche Gejch., 5. Aufl. (1916), I, 342: „Was fih an 
Deutſchen in Böhmen und Mähren niedergelaffen Bat, ift von 
ben Landesherren herbeigerufen worden, zu allermeift um die 
Bildnis zu roden ober im Boden verborgene Schäße zu gewinnen. 
So iſt es gelommen, daß der Nand beider Länder, vor allem der 


Breipolg Geld. Böhmens u. Mahrens. I. 15 








226 Anmerkungen. 





fie umgebende Gebirgswall fo gut wie ausſchließlich von Deut 
ſchen bewohnt wird." ©. 860: „Ottofar II. iſt ein Yauptförberer 
deutſcher Einwanderung in Böhmen und Mähren geweſen.“ — 
I. 8. Lampredt, Deutſche Geich., 3. Aufl. 008), III, 897: 
So veriteht es fi, wenn die Könige Böhmens in der 1. Hälfte 
bes 18. Jahrh. ... . aud) in ihren Landen va beutfihen Bürger 
tum... Eingang — ufften;“ vgl, auch ©. 884, 894 u. f. — 
TV, € Midael, Get des deutſchen Woltez, 8% Fr (1897), 
1, 126: „Doch der Strom ber Auswanderung . . . ergoß fi aud, 
wenngleid) in geringerer Stärke, nad Böhmen, nad) ähren . .” 
Mit Recht fogte daher {don W. Schulte, Silefiaca (Breslau 
1898), ©. 64, dab das Bild, das Lamprecht und Michael in ihren 
Deuifhen Geigigten von ber ſchleſiſchen Relonifation gezeichnet 
haben, „in feinen Hauptzügen unrichtig ift.“ — Ahnlich wie die 
{don genannten Hiſtoriker fpricht über die böhmiſche u. mähriſche 
KRolonifation aud Th. Lindner, Geſch. des deutfchen Volles, 
1 (1894), 184/56. — Bon ben beutjch-böhmifchen Gejhichtsfchrei« 
bern wird jpater im Text jelber zu reden fein. 

8. (©. 103). Vol. 9. Lojerth, Kritifhe Studien zur älteren Ge- 
ſchichte Böhmens. — I. Der Herzog Shitihniew und die angebliche 
Vertreibung ber Deutſchen aus Böhmen, in — Mitteil. d. In⸗ 
ſtituts f. öſterreich. —B——— IV (1883), 177. 

4. (©, 104). Bol. J. ubec (U, Nova), — der tſchechiſchen 
Riteratur (Teipgig 1907), ©. 16, deſſen Ausführungen zurüdgehen 
auf 3. Jiredek, den Herausgeber des Dalimil in den Font. 
rer. Bohem. III (1882), ©. XIII, u. $. Tadra, Kulturnf atyky 
Cech s eizinou a3 do välek husitskych [Kult, Beziehungen Vöh- 
mens mit der Fremde bis zu ben Huffitenkriegen], 1897, ©. 318. 
Ebenfo erklären ſich die in der alttſchech. gereimten „Alegandreis” 
(Anf. d. 14. Iht3.) dem Helden in den Mund gelegten, gegen das 

embe Deutſchium gerichteten Worte: „Die Deutjchen, diehier Gäſte 

jind (Nömei jiz sa zde hosei)“ und andere, die wörtlichen An- 

Hang an Dalimil zeigen; vgl. F. Z. Pruſit, Staroẽ. Alexandreidy 

rfman. rag, 1896, ©. 58 unb Font. rer. Bohem, III, ©. 92, 
8. 48-82, deutid 2. 100-107. 

b. —— VvolJ. Sanus, F. M. Pelcel, Ceskf historik a bu- 

1 [FM P., De eh, Hiftorifer und Wiedererweder], in: 

Be teske akı AL, Nr. 38 (1914), ferner 3. lee, 

Döjiny desk6 —Se Hm 1 (1898), 168 ff.; 93. Sauber a. a. O., 

©. 120 ff. 

(©. 105). Kal. u FAME) Y Der Banflawismus bis zum Welt- 

Trieg (1919), ©. 2,8 -- Auch Majaryk Hat erklärt: „ES 

it interefjant, daß Die Hhöesifgen Wiedererweder die Grund» 
een ber deutfchen Philoſophie afgeptierten und auf das Slawen ⸗ 

tum  appligierten. Wo Herder bom Deutfchtum fpricht, dort 
ſchreibt Kollar vom Slawen», reſp. Tſchechentum. Walacdig ift 








Anmerkungen. 227 


Kants, Smetana Fichtes Anhänger. Originelles gibt es nur 
wenig in der Philofophie unjerer Wiedererweder.“ G. Fluſſer, 
Aus Maſaryks Werten, 1921, ©. 98. 

7. (©. 106). gl. etwa in der 3. Auflage (1782), Bd. I, ©. 66, 68, 
89, 94, 108, 185. — ©. 18 nennt er die Slawen in Böhmen 
„Roloniften“. 

8. (©. 106). In den Abhandlungen der Böhm. Geſellſchaft d. Wiſſ. 
auf bad Jahr 1788 (Prag u. Dresden, 1789, ©. 344-883), fort- 

ejeßt u. d. T.: Geſch. der Deutihen u. ihrer Sprache von 1341 

i Neuere Abhandlungen der kön. böhm. Gef. d. Wiſſ. 
I (1790), 281—864. — Als „eigenartig“ bezeichnet die Abhand⸗ 
lung Viẽet a. a. O. ©. 120. 

9. (©. 108). So W. W. Tomet im Öas. desk. mus. XIX (1845), 214. 

10. (©. 106). Es genügt Bier, auf %. Schlefinger, he Böh- 
mens, 2, Aufl. (1870), ©. 88—97, hingumweifen. — Neuejtens hat 
W. Weizſacker in einem Aufſatzt Das Recht der Fremden 
in Böhmen, in ben Mitteil, f. er . d. Deutfhen i. Böhmen, 
LIX (1921), diefe Lehre vertreten; vgl. ©. 29, 40, 47. 

11. (©. 108). gl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens, ©. 819 ff. 

12. (©. 108). Cosmas III, 7. 

13. (©. 108). Aus 2. Schlefinger ©. 91, 182, 176; ähnlich bei den 
meiften anderen Verfaſſern boͤhmiſcher und mähriſcher Geſchichts- 
bũcher; auch in der neueſten „Geſch. Böhmens“ bon 8. Beer 

(1920) Heißt es ©. 24: „Mit Vorliebe wurden au folder Neu» 
bejegung (bon Nloftergütern) Leute aus ber mohlvertrauten 
Heimat herbeigeholt.“ — Großes Gewicht legt auf die Folonifa- 
ioriſche Arbeit der deutſchen Möndsorden in Böhmen und Mäh- 
zen au Lampredta.a. DO. ©. 884. 

14. (©. 109). gl. meine Geſch. Vöhmens u. Mährens, ©, 23: ff 
248 ff., 322 ff., 329, 388. 

15. (©. 109). 1. etwa R. Schröder, Die niederländifhen KRolo» 


Pe gemeinverſt. wiſſenſch. Vorträge, hrg. v. Virchoy u. Holken- 
Dorf, u 





Säulsze, Die Kolonifierung und Germanifierung ber Gebiete 
geilen Saale und Elbe, ©. 143: „Überfhäßt wird dagegen ihre 
ätigleit auf dem Gebiete der eigentlichen Kolonifation, wenn 
man unter leßterer das Seranziehen und Anſetzen felbitändiger 
bäuerlicher Beſitzer verjteht.“ 
16. (©. 10. Vol. 2. Schleſinger a, a. ©, S. 88; Beer 
a. a. O. S. . 
17. (©. 111). Es ift begeichnend, wie irreführend biefe Verhältuiffe 
felbft in berühmten deutichen Geſchichtswerken dargeitellt werben, 
wenn man 3. ©. bei Bamprecht, Deutſche Geſch. III (1606), 


15° 


228 Anmerkungen. 





397, lieft: „Im 13. Jahrhundert hatten die premyslidiſchen Kö— 
nige fajt ohne Ausnahme deutihe Fürftentöchter zu Müttern, 
ſprachen deutſch und pflegten deutſchnationale Bildung.” — In 
Wirklichteit war Wenzels I. Mutter Konftanza von Ungarn, Wen, 
gzels ILL. Kunigunde bon Polen. Ron ſechs böhmiſchen Stöni- 
ginnen im 18, Jahrhundert waren nur drei deutſcher Abitam- 
mung; biefe lebten in Böhmen insgeſamt 87, die drei nicht- 
peutfhen 96 Jahre! — 

18. 5 111). Eine Behauptung, wie die bei Shlefinger, 6.98, 
in rag, im Kaufhof, genannt Teyn, ... „die fremben, 

vr 5. aumeift die Be n Kaufleute, ihre Niederlagen hatten“, 

iſt eben rein willkürlich und entbehrt jeder quellenmäßigen 

Grundlage. Ganz ebenfo, wenn U. By ha, Prag, Ein Beitrag 

zur Rechtögeihichte Böhmens im Beginn der Rolonifationszeit, 

in den Mitteil, des Vereins fi Geſch. der Deutſchen in Böhmen, 

XLIX (1911), 297, 298, 801 uff. vom „Strom des deutſchen Han- 

dels in Böhmen im 12. Sahrh.“ fpricht, den er fi bon außen 

zugeführt vorftellt und diefe Vorſtellung durch Ausdrüde, wie 

„offenbar“, „wahrſcheinlich“, „ar gen bie die mangelnden 

—— * erſehen fetten, au Gen di bemüht. 

(©. 111) Bejtberg, A eg Neifebericht 

über vi ———— in ben M&moires de 1’ acad6mie imp£riale 

des sciences de St. Petersbourg, Ger. VII. ®ol. III, Pr. 4 

(1898) und W. —ãA in den Geſchichtſchreibern der 

deutſchen Worzeit, 2. Geſamtausg. Bd. XXXIII (1891), idu · 

inde fähfifce Geicichte," ©. 198 ff. 

20. (©. 111). gl. Cosmas II, 46. 

21. (©. 112). Vgl. U. Lufhin v. Ebengreutb, Allg. Münzkunde 
und Geldgefhichte, im Handbuch der ın. a. und neueren Ge— 
{dichte (1904), ©. 58, nah M. Donebauen Beſchreibung 
böhm. Münzen und Medaillen (1888), ©. 10, Nr. 88, x 40, 425 
dazu M. Dannenberg in ber Numigmat, Zeitic., Sg. 1900, 
PS XXX (Wien 1901), ©, 218; €. Biete Beſchreibung 
bähım. Münzen und Medaillen I (Prag 1891), ©. 16, nr, 110 
id 118, 

22. (©. 118). Vgl. Cosmas IL, 2, und dazu E. Komaref, Die 
polnifche Kolonie der Hedcane in Böhmen, in den Abhandlungen 
ber fon. böhm. Geſellſchaft d. Will. VI, 2 (1889). 

23. (©. 119). Vgl, meine Geſch. Böhmens und ährens ©. 976; 
meine Geſch. ber Stadt Brünn I (1911), ©. 88, 62. 

24. (©. 113). Bd. I (1844), ©. 298. 833, an der gweiten Stelle mit 
Berufung auf Eosmas, ber aber Deutjche nicht nennt. 

3. (©. 114). Ebda ©, VIII; gegen biefe lin vr au Ion 
bon tſchechiſcher Seite eingewendet worden, daß lach in der 
neueren Gejchichte Böhmens das Vorherrfen Fr ‚alflawifcen 
Verfaſſung „allerdings häufiger vorausgefegt als überall nadj« 


19. 


5 


Anmerkungen. 9 


gewiefen” Habe; vgl. 9. Goll, Frant. Palackf im Ceskf das. 
hist. IV (1898), 266. 

26. (S. 114). Xgl. Band II, Ubt, 1, (1847), ©. 92/8, 184I6. 

27. (©. 116). gl, die bezüglien Schilderungen aus Helmolds 
„Slawendronit” (eine dentſche überfekung in den „Gejchicht- 

ſchreibern der deutſchen Vorzeit,“ XII. Jahrh., Bd. 56, 1894) 
überſichtlich zuſammengeſtellt bei R.Kötfchke, Quellen z. Ge- 
ſchichte der oſtdeutſchen Koloniſation im 12. bis 14. Jahrh. (1912), 
©. 18 ff. und ſonſt oft abgedrudt. — ©. auch W. Wattenbad, 
Die Germanifierung der öftlihen Grengmarken bes deutſchen 
Reiches, in der Hiftorifchen Zeitſchrift von Shbel, Bb. IX (1868), 

ff; E. O. Schulze, Die Kolonijierung und Germanifierung 
ber Gebiete zwifchen Saale und Elbe (1886), u. a. m. 

. (©. 117). Bd. I, Abt. 1, ©. 154/5. — Die Hier nur angedeu- 
tete Gemwaltjamfeit der deutſchen Kolonifation wurde ohne jeden 
Grund bon deutſchböhmiſchen Geſchichtsſchreibern viel ſtärker 
betont, gl. 3. ®. Bachmann a. a, ©. I, 478, 579. 

29. (©. 117). Ob Palackf_hiebei von dem 1832 erſchienenen Wert 
bon Taihoppe u. Stenzel, Nrktundenfammlung 3. Geſch. 
des Urjprungs der Städte u. der Einführung deutſcher Koloniften 
u, Rechte in Schlefien u. der Oberlaufiß, in dem Gtenzel „die 
Grundlagen der heutigen Anſchauung von diefen Dingen... 
gelegt Hat,“ beeinflußt worden ift, läßt fich nicht entfcheiden, da 
er dad Werk dort noch nicht erwähnt. — Was die fchlefiiche Kolo- 
nifation anlangt, fo beweifen die Arbeiten von W. Schulte, V. 
Seidel, DO. Gorfa zur Genüge, wie jehr bie Gtenzel’ihe Auf» 
feffung, die bort im allgemeinen borherrfcht, einer Überprüfung 

dürfte. Beſonders W. Schulte hatte bereit3 ein ganzes Pro— 
amm für die Neubearbeitung dieſes Themas aufgeftellt; vgl. 
eitſch. d. Vereines $& Geſch. Schleſiens LIV (1920), 141 bis 
143. — ©. Menz, Die Entwidlung der Anfhauung bon der 
Germanifierung Schleſiens in der fehle. Geſchichtsſchreibung bis 
(Diff. Breslau, 1910) zeigt, obwohl ganz in her= 


2 


8 


richtet Einigermaßen ein Auffaß von $. Zimmermann, über 
deutſchen Einwanderer nad Siebenbürgen, in: 


80. (©. 118). Vgl. 4.8. WW. Tome, Geſch. Böhmens, ©. 91, 117. 

31. (©. 118). 2. Aufl. (1870), ©. 167. 

&. (©. 119). 9. Hauffen in den Müteil, d. Vereınes f. Geſch. 
d. Deutfegen i. Böhmen XXXIV (1896), 181. 


280 Anmerkungen. 


88. (©. 119). 3b. I (1890), 470, 475, 477, 489 u. f. 

3. (©. 119). ©. itſch, Die Deutſchen und ihre Rechte in 
Böhmen und ihren im 18, und 14. Jahrh. (1905), ©, 27 mit 
der bezeichnenden Bemerkung: „Es wäre ein lohnendes Kapitel 
ber —— Geſchichte, die Herkunft der Deutſchen im einzelnen 
nachzuweifen.“ an möchte meinen, daß dieſe Frage gerade in 
diefem Buche zu allererft hätte beantwortet werden jollen. 

85. (©. 119). 9. Simondfeld, Die Deutihen als Golonifatoren 
in ber Geſchichte, 2. Aufl, 1885, ©. 15, das id) nur infoweit bes 
rüdſichtige, als es auf Böhmen Bezug nimmt. 

80. (S. 120). $. Tabra, Kulturnf styky a, a. ©. ©. 311 ff., 895. 
Den Grundton zu diejer Aus effung hatte fon W. W. Tome 

in einem Aufſatz: Cesk& a nömeck& närodnost v Praze (Die 
does u. Beuticie Nationalität in Prag) im Cas. Zesk. mus. 
XIX (1845), 217 gegeben. — Sehr merkwürdig ift bie Stellung, 
die 3. Sufta in dem oben ©. 224, Anm. 9, genannten Buch zu diefen 
Fragen einnimmt. Er afgcptiert die Palacky'ſche Kolonifations« 
theorie, kann aber nicht umhin zu bemerken, daß die damit zus 
fammenhängenden Erjeinungen „Verminderung erweden“. 
Eben beöhalb wären fie zu überprüfen gewefen. Einen Gaß, wie 
ben, ba unter den legten Prempliden nah Böhmen Giebler 
„auß den en Zandftrihen und Weltgegenden” unter 
Anführungszeichen ſetzen, ald ob die Worte einer Quelle 'ent« 
nommen wären, heißt den Leſer irreführen, denn eine ſolche oder 
ähnliche Ungabe findet fich nirgends. Auch fpäter (II, 105, 300j1) 
weiſt er auf die Unrichtigfeit gewiffer mit der Kolonifationstheorie 
aufammenhängender Anſichten bei Cchlefinger, Koß u, a. hin, 
weicht aber jeder Erklärung aus. 

. (©. 120). Vol. R.Beera a. DO. ©. 88. 

. (S. 120). An diefer gewiß auffallenden Tatſache find die Forſcher 
zwar nicht ftumm borübergegangen, haben aber nicht die not» 
wendigen Folgerungen daraus gezogen; bgl. etwa See ch 
a. a. DO. ©. 46/7: „Leider find darüber, woher die deutſchen 
Einwanderer famen, welche wir als Städtebürger treffen, Teinerlei 
birelte Nachrichten erhalten”, oder „Die Chronijten übergingen bie 
Einwanderung der Deutſchen und die Gtädtegründungen itill- 
ſchweigend. 

. (©. 120). Bd. II, 1, ©. 168, 188. 

. e 121). gl. Mon. Germ. 88. IX, 176, aud) Font. rer. Bohem. 
I, 294 (Annales Pragenses 1186—1278): Anno d. i. 1257° 
Prziemysl, dominus regni Bohemorum, filius regis Wenceslai, 
tertio anno sui ducatus in principio veris pepulit Bohemos de 
suburbio et locavit alienigenas, — Ausfũhrlich habe ich über diefe 
und die folgende Stelle gehandelt in meinem Aufſatz: Zur böhm. 
Rotonifationsfeage, in den Mitteil. d. Inſt. f. öſterreich. 
ſchichtsforſchung VII (1917), 216 ff. 





83 


88 


Anmerkungen. ‚a 





41. S. 121). Font. rer. Bohem. III, 476: Rex Prziemysl regi Rudolfo 
adhesit (1277) et cepit suos despicere et extraneos ad terram 
suam invitare, unde suis multas violencias inferebat bona eis 
auferendo. Nam Witconibus Usk et Novam Domum abstulit . . 
terras eciam videlioet Cubitensem, Tratnovioensem, Gladensem 
Theutonieis tradidit suos postergando. ©. auch meinen Auffag 
©. 219 ff., insbeſondere auch wegen ber in dem Bericht enthals 
tenen offenbaren Irrtümer, — Auf die Stelle hat ion B elgel 
a. a. D. ©. 372 hingewiefen. Palacky befprit fie in einem 
Anhang II, 1, ©. 389. 

42. (©. 122). Er XVIL, 245: Filius ex eivitate fugit et regnum 

patri reliquit, Post haee multiplicati sunt in Bo- 
hemia Theutoniei, per hos rex ingentes divicias collegit ex auri 
et argenti fodinis .... Mortuo hoe rege filius regnum oceupat, 
Theutones expellit, nobiles impugnat . . . 

43. (S. 122). Font. rer. Austriac,, Abt. I, 8b. VII, ©, 128, Kap. 48: 
Albertus .... nationis suae gentem Suevicam in ipsa terra 
(Austriae) multiplicare non desiit, indigenas quoque et 
eos, qui in terra nati fuerant, opprimere .... 

4. (©. 128). Vgl. ©. E. rief, Die Herren bon Kuenring (1874), 
©. 110; dl, 9. Albrecht L und die Bienftberren bon Oſterreich. 
I ben Blättern d. Vereines f. Landeskunde bon Niederöfterreich, 

Koch a ge ak ft, 894; A. Huber, Geſch. Oſterreichs II 
(1886) Kurz, Oſterreich unter Oltolar und 
rt N) as 

45. (©. 128). aut alacty I, 1, ©. 180. 

46. (&. 128). ®b, I, 838, Unm. 180. 

47. (©. 124). oe vero statuta antecessorum nostrorum dinoscentes 
ex pia deliberatione et gratia processisse, litera ad literam, verbo 
ad verbum petimus renovari, precibus eorum humilibus exauditis 
nihil de his immutantes nec dementes, quae a prima. ipsorum 
voeatione in Boemiam obtinere per principes meruerunt“. Pie 
Urkunde mit allen Beſtätigungen abgebrudt bei E. Mösler, 
Deutſche Rechtsdenkmäler aus Böhmen u. Mähren I, (1845), 187; 
die Sobieflamurfunde allein bei G. Friedrich, Cod. dipl. regni 
Boem, I, 255, nr. 290 mit Ungabe aller älteren Drude. — Vgl. 
den nädjften Abſchnitt. 

48. e 124). Geſch. d. Deutſchen u. ihrer Sprache a. a. O. ©. 880—883. 

49. (©. 124). ©. 869, 880. 

50. (©. 124). über die Abftammung ber Deutf gen Böhmens, in ber 

20. gemeinnüß. Vorträge Nr. 44 (1878), 

51. (©. 125). Leſer, die mit diefen Fragen Be gerkaut find ver- 
Ci ih etwa auf die Urkundenlehre von R. Thomen im 
Grunbriß der Geſchichtswiſſenſchaft I, 2 (1913), ©. 27 oder urtun⸗ 
denlehre bon W. Erben im Handbug der mittelalt. u. neueren 
Geſch. Abt. IV: (1907), ©, 888 ff. 


233 Anmerkungen. 





52. (©. 126). Val. Timoth. II, 1,9: qui nos... vocavit vocatione 
sun saneta; Xhefl. I, 2, 12: qui vocavit vos in suum regnum; 
Philipp. 8, 14: superne vocationis Dei uſw. 

59. (©. 126). Vgl. E. de Bordgrane, Histoire des colonies bel; 
en Allemagne pendant le XII. et XIII. siöcle, (Bruyelles 1868), 
©. 284 ff., 334, Nr. IL 

54. (©. 1%). Ebenba ©. 11 ff-, dafelbft nl andere Beifpiele. 

65. (©. 126). gl. Mon. Germ. 88. XVI, 24° 

56. (©. 126). I. Rn. Kötichte, Audlen z u ber oſtdeutſchen 
Kolonifation im 12. bis 14. Jahrh. (1912.) ©. 1 ff- 

57. — 126). Ad 3. Eurfhmann, Hungersnöte im Mittelalter, 


ws eg. So Prof. 4. 3yha in den Mitteil. d. Vereines f. 
eſch der Deutſchen in Böhmen LIII (1914), 9. — Vgl. übrigens 
feinen Yufjag über „Prag’ ebenda L (1912), 490, wo er felber 
über gewiſſe Schwierigkeiten, die der Ausbrud „a prima vocatione” 
feinen 5 eigenen Ausführungen berurfadt, nicht hinwegkommen 

I. Zippert, Sozialgefdichte Böhmens II (1898), 158, 
Hatte fon die Möglichkeit erivogen, „ob es bloße Rebensart 
ift, wenn nachmals Wenzel I. erklärte, auch jene erjte Gemeinde 
fei nad Böhmen gerufen worden”. 


Siebenter Abfchnitt. 


1. (©. 127). Bol. ©. esäfer, Deutfiüe Geſch. I (1916), 98. 

2. (©. 128). gl. oben ©. 226, U 

8. (©. 128). Nam in omnibus —e tere regni et coram rege 
communior est usus lingune Teutunicae quam Boemicae ista vioe, 
in ben Königfaaler Gersichtsauelen, Brg. bor. 3. Beier, in den 
Fontes rer. Austriac., I, Abt, (Scriptores), 8 Wb. (1876), 602. 

4 (©. 128), Bol. E. Schulze, Kolonifierung und Germanifierung, 

1 


6. (©. 129). Bol. ebenda ©. er Bartich, Mitteleuropa 
ao), . 162 ff. By zei, au au, Kirchengeſch. Deutfihe 
lands II (1900), 838 ff; er, Das deutſche Wolf und 
ber Often, in wi ãA * —E zu Dresden, Bd. 7 
(1915), Heft 8, ©. 7, 8 und die Deuiſche Geſch. P (1916), ©. 66. 

6. (©. 129). Val. Bartih a a. O. Taf. IX; au Drohſen, 
BE Mine (1886), Karte 28. 

Vol. M. Doeberl, Entwidlungsgefh. Baherns I, 71 
gt —S E. Mühlbader, eutſche Geſch. unter 
Barolingen ©. 186, 197 (bea. ber fen); wegen Xeil« 

m ber Slawen an ben Kämpfen der Sachſen ebda 124; au 
db. Hoffmann, eier Geſch. den Deuiſchen I (1981), 818. 
& (©. 18). Vol. oben ©. 124, Anm. 47. 











Anmerkungen. 283 





9. (©. 182). Vgl. oben ©. 124. — Gel. Dobner, Annales VI, 
628, benußte die Urkunde, um durch fie Hajeks Märchen bon. 
Sobieſlaws Deutjhfeindlicfeit zu widerlegen. Seine Angabe, 
daß bis dahin niemand ihrer Erwähnung getan, ift nicht aus 
treffend, da Baprocky, Diadochus (1802), O stavu möstekem ©. 16 
eine recht genaue Inhaltsangabe gegeben hatte, 

10. (©. 182). gl. Gef. von Böhmen I (1844), 388, Anm, 189; 
IL, 1 (1847), 86, Unm. 

11. SG: 182). Die Araaben ammen aus Schlefinger, Geld. 

öhmens ©, 166 (f. aud Pitkei. 2 Vereines f. eig. der Deut» 
{hen in Böhmen V, 1867, ©. Aff.); Badhmann I, 861,408, 487; 
wrper 4 Sogialgefdjihte —8 IL, 181; ebenſo fpricht 
a. 3ucha, Prag, ©. 186 von den „feßhaft gewordenen Kauf 
Teufen“, , ©. 192 bon ber „territorialifierten Kaufmannsgemeinde 
der Deutfhen” uſw. 

12. (©. 134). Vgl. Doeberla. a, O. ©. 70; Mühl bacher 197. 

18. (©. 197). So erklärte der iesjifghe Sititer Prof. Y. Belat 
(Sbornfk pracf hist... . Jar. Golla 1906, ©. 97); „War Böhmen 
in Bupen geteilt? Die Ankost Tann nur berneinend lauten 
und das ohne jeden Vorbehalt“; vgl. meine Geſch. Böhmens u. 
Mährens, ©. 311; Novotns Cesk& döjiny ], 1, ©. ff. 

14. (©. 197). Balactf IL, 1, ©. 1478 ff. 

15. (©. 188), Bahmann I, 488, 

16. (©. 188). Juritf ©, 46. 

17. (©. 188). %gl. 3. Bu fta, Dvö knihy deskjch döjin I (1917), 45; 
© zmöne ... udäla se tu tak rychle, Ze to vzbuzuje podiv . 

©: Hat aud) fähon früher [Otroctvi a velkostatek v Öschäch (Gfla« 

berei u, Großgrun! Beh in Böhmen) im Öeskf Zas. hist. V, 1899, 
©. 94) gegen Palacty angedeutet, daß Deutihe (allerdings nur 
als Koloniften) fon im 11. ee in Böhmen geweſen zieim 
müßten. — Nobotnf iC. D. I, 1, 584) wundert fi iber, 
vs fo gar feine Nachrichten über ſtãrkere Rolonifierung zu finden 
feien. 

18. (©. 188). Vgl. F. Tadra, Styky Öech » cizinou ©. 811. 

19, (©. 140). Vgl. K. Brandi, Deutſche Geſch. ao), © 68; ber 

egt der Urkunde in den Mon. Germ., Abt. Leges II (1837), 713. 

20. (5. 142). Cod. dipl. Moraviae II (1889), 68, nr. LX: „ius teuto- 

nieum, quod hactenus in terris Bohemiae et Moraviae inconsuetum 

et inusitatum extiterat ... . hoc novum et honestum institutum”. 
Bon Palackh erft in der tes Ausg, 1,2 (1854), 143 erwähnt. — 

Erben, Regesta Bohem. et Morav. I (1886) 258, nr. 544. Wiewohl 

ich auf die Unechtheit der Urkunde on 1897 Bingewiefen hatte 

(vgl. Zeitfehr. f. Geſch. Mährens u. Schlefiens I, 28), wurde fie 

bon Bach ma ag 1 (1899), 485, Juritjc, Die — u. ihre 

Nechte (1906), ©. 59, 92 u. a. als echt benũtzt. G. Friedrich 


Anmerkungen. 





21. 


® 


> 


Cod, dipl. regni Bohem. II (1912), 572, nahm fie als Fälſchung 
nicht mehr auf. 

(©. 148). Cosmas I, cap. 19. — Er kennzeichnet auch bie älteren 
Feſten, Thetin, Qubofjin I, cap. 4, die eıne als „auf dem Gipfel 
eines teil abfallenden Feiſens am Fluſſe dur ihre Lage fehr 
feſt“, die andere als „die macjtigfte Burg bei dem Walde”. 

(©. 145). Der fog. Kanonitus von Wifchehrad 3. 3. 1185, SS. IX, 
141, Font. rer. Bohem. II, 222, 

(©. 145). Qingenz b. ®rag, Font. rer. Bohem. II, 408. 

(©. 148). Cosmas III, 40; vgl. bazu meine Ausführungen in den 
— d. Inſt. f. öſterreich. Geſchichtsforſchung AXXVIII (1018), 
218 698 


. (©. 148). Kl. E. Maetfchle, Die Beſiedlung des Glater Lan- 


des. (Eine Nachprüfung), in der Zeitjchrift des Vereines für 
Geſchichte Schleſiens (Breslau), Bd. 50 (1916), ©. 120. 


. (©. 148). Chronik des Thietmar von Merfeburg in den Seript. 


rer. Germ. (1889), Bud; VI, Rap. 11 (8); Geichichtichreiber d. 
deutſch Vorzeit, 11. Jahrh, 1. 3d., ©. 190. 


. (©. 149). Vgl. meine Geſch. Böhmenz u, Mährens ©. 976. 

. (©. 150). Xgl. Cod. dipl. Morav. ]II (1841), 246, Nr. 258. 

. (©. 151). Vgl. meine Geſch. Wehmens u. Mährens ©. 527 ff. 
. (©. 154). Ebenda ©, 231, 243 ff., 520. 


Achter Abſchnitt. 


. (©. 161). gl. B. Bretholz, Geſch. Böhmens und Mährens 
©, 402. 


(©. 163). Entgegen der Annahme Palackhs, der diefe Privile- 
gien für Fälfhungen erflärte, hat J. Sufta es wahrfcheinlich zu 
machen verſucht, daß Prempfl Otakar II. ein ſolches Privileg vom 
deutſchen König Nidard von Cornwall zwifchen 1265 und 71 
erhalten haben fünnte, da3 aber verloren gegangen fei (K volbe 
roku 1806, in Sbornfk pracf histor. Jar. Golla 1906, ©. 158 ff.) 
Dem widerſpräche, dab es bei den weiteren Thronfämpfen nicht 
mehr erwähnt wird, weder Heinrich) bon Kärnten noch die Ver- 
treter Eliſabeths ſich darauf berufen. 

(©. 163). Die Hauptquelle für diefe Zeit iſt die „Chronik von 
Königfaal*, & 0. ©. 225, Anm. 10. Über 8. Johann handelt das 
weibandige Werk von J. Schötter, Johann, Graf von Lugem- 
Burg und König von Böhmen (1865). 

(©. 165). Königſaaler Chronik ©. 269. 

(©. 166). Es ijt wiederum willkürliche Auslegung ber Quelle, 
wenn der Gab der Königſaaler Chronit (6, 392): quia omnes 
Boemos intendit exeludere rex de terra aud) in deutihen Wer- 
ten (vgl. Th. Hofchek, Der Abt von Königfaal und die K. Eli» 
fabeth von Böhmen, Prager Studien, Heft 5, 1900, ©. 81) wie- 


Anmerkungen. 286 





bergegeben wirb: „Der König beabfitige die Tſchechen aus dem 
Rande zu vertreiben unb dahın Fir 
bon „bertreiben“ noch vom „Unfiedeln Deutfher“ jet in ber 


icht auf die Nationalität 
t aber der Tſchechen im 


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Üeralarfhreihern der deutſchen de 14. — 5. . 


heio. 
II (1882), 92 ff. 

. G. 170). gl. das grunbfegenbe Werk „Die Regeſten des Kaifer- 
reichs unter K. Karl IV. 1846—1378“, heraußgeg. bon X. Huber, 
Inusbrud 1877. — Eine neuere umfaffende eſchichte Karls IV. 
befigen wir nicht, da das Werk von E. Werunsty, Geſch. 
N. Karls IV. und feiner Zeit Innsbr. 1880-92) mit dem 
3. Bande, der bis 1368 reicht, abbricht. Einen teilweifen Erſab 
bieten neben M. Belgel, Geſch. Karla IV. Königs von Böhmen, 
2 Bde. (Dresden 1783) Th. Lindner, Deutſche Geſchichte unter 
x Habsburgern u, Qugemburgern, 2 Bde. (Stuttgart 1890—88); 

3. Loferth, Geſch. des fpäteren Mittelalters von 1197—1492 
Ründen 1908); 3. Raloufet, Karel IV., otec vlasti. (Prag 
1878). 


= 


8. (©. 179). Rex clericorum; vgl. €, Höfler in den Abhandlungen 
der böhm. Geſellſchaft der Si, 6. Folge, 2. Bd. (1869), ©. 1416. 
9. (©. 175). Vgl. A. Haud, Kirchengeſchichte Deutfchlands V (1920), 
©, 1197, 1191. 
2 dm), nal. NR. Zeumer, Die Goldene Bulle K. Karla IV. 


11. (©. Ye — die Regierungszeit Wenzels vgl. Th. Lindner, 
eich. des deutſchen Heiden unter 8. Wenzel, 2 Bde. (Brauns 
weig 1875, 1881), nebft der oben Anm. 7 angeführten Literatur. 
'erner das wichtige Quellenwerk: ei Nei eeragaalten unter 
Fenge —— bon J. Weizjäder, Bd. 1-8 (1876— 

1400), Di inchen 1867—1877. 
12. (©. 181). ber ihn dgl. die gründliche Unterſuchung von 2. Mei» 
mann, Johann von Nepomuf, nad) der Sage und nad ber 
Gelaihte, in der Hiftor, Zeitſchrift (von Shbel), Bb. 27 (1872), 


18. 8 nge Reichstagsakten unter K. Wenzel. II, ©. 456. 
14. (©. 186). Ebba I, 180. 
15- (©. 186). Vgl, chroniten ber deutſchen Städte, XIV (1977), 788. 


236 Anmerkungen. 





Neunter Abſchnitt. 


1. (©. 189). R. Hol zmann, Fransöſiſche Verfafjungsgeidichte 
went), ©. 198. 

2. (©. 189), 4. Seblätet, Gedanken über den Urfprung bes 
böhm.-mäbr. Adels, in: en ‚ber f. böhm. Gefelihaft der 
Wiſſenſchaften, Claſſe f. Bhilofophie, Geſchichte, Jahrg. 1890 
(®rag 1891), Nr. 8, ©. 229 ff. 

. (S. 189). Balacty, Geſch. Vöhmens I, 165. 

. (S. 190). gl. 3. ©. Doeberl, Entwicklungsgeſch. Baherns I, 

52, 188; Riegler, Gef. Bayerns, u. a. 

(©. 190). gl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens, ©. 388. 

(©. 19). Eine lange Lifte folder deutſcher Burgennamen in 

Böhmen und Mähren führt an J Truhlaf, Styky Oech 

8 cizinou ©. 823 ff. 

7. (S. 190). So merfvürdigerweife Bahmann I, 581. — Ab- 
gejehen von dem Widerfinn, daß die Baumeifter auf die Namens» 
gebung einen Einfluß gehabt Haben follten, kennen wir auch 
nicht in einem einzigen Fall ben Erbauer, geſchweige feinen 
Namen und feine Herkunft. 

& S. 191). Cal. I. Branis, Döjiny stfedoväk. ument v Oechäch 
Gef. der m, a. Kunft in Böhmen) II (1893), 20. 

9. (S. 192). Val. meine Gef. Böhmens u. Mährens ©. 501. 

10. (S. 192). Chron. Aulae regiae ©, 211. — Die Behauptung 
Buftaß a. a. O. ©. 466, daß das Privileg von 1212 (f. oben ©. 75) 
dem Abel ein Wahlrecht „ausdrüdlich“ beitätigt habe, ift unrichtig, 
de fidy dort ab iisdem auf successoribus bezieht und vom Abel 
nirgends die Rebe ift. 

11. G. 199). Vgl. R. Ko, Zur Kritik der älteften böhmifch-mähri» 
hen Landezprivilegien, in: Prager Studien Heft (1810). — 
&3 beiweift, in welde Schwierigfeiten die Hachifhen Forſcher 
durch ihr Feſthalten an der Koloniſationstheorie Palackys geraten, 
wenn man z. B. wie bei Sufta, Dv& knihy II, 300, das Ein- 
geftänbnis Tieft: — Schwierigkeiten verurſacht die Er⸗ 
lärung, warum ſich die Prager um die Beſtätigung der Sobieſſlaw- 
ſchen Rechte bemühten, die doch nur für die deuiſche Kaufmann- 
Haft in Prag gegeben worden waren”; Bier liegt eben auch ein 

jeweis, daß es nicht Kaufmannfhaft, fondern Bürgertum war. 

12. (S. 194). Franeisci Prag. Chron. in den Font. rer. Bohem. IV 
(1884), 418. 

18. (©. 194). Xgl. hiegu und zum folgenden J. Neuwirth, Geſch. 

ı bildenden Kunft in Böhmen I (1898). 

14. (©. 198). ©. J. Lofertb, Hus und if 1884, ©. 94. 

15. (©. 197). ©, 9. Denifle, Die Univerfitäten des Mittelalter 


1 (1886), 682 ff., 688. 
16. (©. 197). Font. rer. Bohem. IV 618. 


en ao 





Anmerkungen. 237 





17. (©. 197). gl, Jakubec, Gef. d. ied. Kit. ©. 16 ff. 

18. (©. 198). R. Wolkan, Geid. der deutſch. Literatur. ©, 214 ff, 

19. (©. 199). Val. 8. Burdad, Zur Kenntnis altdeutiher Hand- 
ſchriften unb aur Geſchichte altbeuticher —S arg Kunſt, 
im: —S f. Wibliothefäwefen, VIII (1891), 162 ff. 

20. (©. 199). Vgl. K. Bur d a ee Reformation, Renaifjance, Humanis- 
mus (1918), ©. 188 ff., 1 

21. (©. 199). Vgl. R. Bu ah Vom Mittelalter zur Reformation, 
II, 1 (1917): „Der Adersmann aus Böhmen“. Undere Urteile 
f. bei Gerbinus, Geſch. ber deutſchen Dichtung IT (1868), ©. 222: 
„bad vollfommenfte Stück Proſa, das wir N unferer älteren 
Riteratur befigen"; Wadernagel, Kleine Söriften 314: „eine 
der ſchönſten altdeutſchen Proſaſchriften Wolkan a. a. O. ©. 239. 

2. (S.200). Vgl. 3. 2ojertä in den Bitte bes Vereins f. Geſch. 
der Deutfcjen in Wöhmen XVIL (1897), 291 ff. 

28. (©. 201). Burdad im Eentralblatt a. a. O. ©. 935. 

24. (©. 202). au 8. Baftor, Geſch. der Päpſte I (1886), 81. 

2. (©. 202). J. Lofjerth, Peiträge 3. Geſch, der Buflit. 
Bewegung. Ir Der Tractatus de longevo schismate des Abies 
Ludolf v. Sagan, im Archiv f. öſterreich. Gef. LX (1880), 843 ff. 

26. (©. 203). Vgl. U.Haud, Kirchengeſch. Deutſchl. V, ©. 872, Ann. 4, 

27. (©. 206). Vgl. 8. Müller, Kirchengeſchichte II (1900), 75, 





28. N 206). In 9. v. d. $arbt Rerum magni concilii Constantiensis 
'V (1698), Sp. 18 Heißt es von ben Polen in Prag: „Cum 
Slesitae, qui sunt de natione Polonica, essent omnes Teutonici, 


ita quod veri Poloni minorem partem habebant“. 

29. (©, 207). So Deniflea. a. O. ©. 801; woher N. Müller 
©. 77 die Zahlen der Weggezogenen „elta 2000“, der Zurüd- 
ne „eitwa 500“ nimmt, iſt mir nicht belannt. 

. [a über Hus ei 8. Krummel, Sohannes Hus. Ein 

bereit —W Lechler, Johannes Hus, ein Lebens» 
bild (1890); 3. Xofertb, Hus und ei, Zur Genefis der 
Bufttiien Rebre (1884); 3. Sedlät, M. Jan Hus — 
8ety8 NM. Jan Hus (Svötova Knihovna nr. 1000; Zur; 
gefaßt), M. Jan Hus, Zivot a udent, 1. 0. Gis 1412), 1919, 
31. (©. —5 wit, * Balactf, Documenta magistri Joannis Hus 
(1868), ©. 


en — — 


Geſchichte Böhmens 
nnd Mähren 


Bon 


Bertold Bretholz 


‚weiter Band 


Huflitentum und Adelsherrfchaft 
Bis 1620 


1. bis 5. Taufend 


EN 


Baul Sollors' Nachf, Reihenberg. 


Alle fedıte, 
insbejonbere das ber Überfegung in fremde Sprachen, 
vorbehalten. 
Copyright 1922 by Paul Sollors' Nachfolger, Reichenberg. 


BVerlags-Nr. 186. IX. 29. 





Peud vor Gebrüder Stiepel, Gef. m. 6. 6. in Meichenberg. 


- Inhaltsüberfit. 


GrfterAbfänitt: 
Die Quffitenkriege. 1419-1486 . . . 2... ... 148 
Zweiter Abſchnitt: 
Die Wirkungen der Huſſitenkriege in politifcher, nationaler 
und —S— 7 Richtung u iſcher Er |) 
Dritter Abſchnitt: 
Das Königtum Georgs von Kunftadt-Bodiebrad . . . . 81-126 
Vierter Abſchnitt: 
Der Niedergang des Königreiches durch bie politifhen, 


kirchlichen und ftändif Ke unter Wladiſlaw IL 
und Ludwig ee wu . " . . 197-174 


Fünfter Abſchnitt: 
Kerenrererneee 1211 


Sechſter Abſchnitt: 


Vöhmen und Mähren zur aut der Gegenreformation bis 
zum Ausbruch bes Dreibigjährigen Krieges. 1564—1620 212—244 


Anmertungen . 2... ...-*24261 


Erfter Abſchnitt. 


Die Huffitenkeiege. 1419— 1436. 


Unter den drei Königen aus dem Iuremburgifchen Haufe, 
Johann, Karl und Wenzel, Vater, Sohn und Entel, bat 
Böhmen binnen einem Zahrhundert eine fo raſche auf- und 
abfteigende Entwicklung durchgemacht, wie nie borher oder 
nachher. Diefer Aufſchwung und Niedergang erklärt ſich nicht 
aulegt aus dem grundverfchtedenen Weſen der drei Yürften. 

on dem diplomatiſchen Geſchick Johanns, das ſich bei Karl 
in ſtaatsmänniſche Geſchäftsklugheit wandelte, iſt bei Wenzel 
kaum mehr der beſcheidenſte Reſt politiſchen Verſtändniſſes 
wahrzunehmen. Johann ſtellen wir uns vor als eine groß- 
zügige Natur von ungebundener Ritterlichkeit, die ihren Tod 
im Schlachtgetümmel ſucht und findet; Karl ift eine mehr 
bürgerlic) behäbige Geftalt, ohne Vorliebe für Kampf und 
Streit, aber auch ohne Furcht, tätig und pflichtbewußt, um- 
fihtig und rührig; bei Wenzel tritt frühzeitig die Bequemlich- 
feit und Läſſigkeit hervor, die bald in Unentiäloffenheit und 
Teilnahmsloſigkeit ausartet, verbunden mit Genußſucht und 
Rohheit. Die Verſchwendungsſucht des Vaters weicht beim 
Sohne einer beachtenswerten Wirtſchaftlichkeit und fetzt ſich 
beim Enkel in Geiz um. Was Johann in kühnen Anfängen 
vorbereitet, Karl in unverdroſſener Arbeit gefeſtigt hatte, die 
Machtſtellung des Hauſes Luxemburg und des Königreiches 
Böhmen, iſt durch Wenzels Unfähigkeit zunichte gemacht worden. 
Er hat die Herrſchaft in Deutſchland verioren und jene in 
Böhmen, die er als Erbherr bis an ſeinen Tod behaupten 
konnte, ſeinem Bruder und Nachfolger Sigmund in einem 
Zuſtand vollſter Verwirrung hinterlaſſen. 

Dieſer vierte und letzte Luxemburger auf dem böhmiſchen 
Thron iſt wiederum eine von den drei Vorgängern merklich 
verſchiedene Geſtalt; ein buntes Gemiſch aus deren guten und 


Beerholz Seſch Bögmens u. Mahrens. IL 1 


2 Erſter Abſchnitt. 


ſchlechten Trieben! Ein ſtattlicher, berühmt ſchöner Mann, 
ritterlich, weltklugen Sinnes, bon heiterem Gemüt, dabei aber 
mit unzweifelhaften Neigungen zu Laſterhaftigkeit; ein Schwel · 
ger in ſinnlichen Genüſſen, ein blinder Verehrer des weiblichen 
Geſchlechtes faſt ohne Wahl. Nach dem frühen Tod ſeiner erſten 
Gemahlin, der ungariſchen Maria, mit der er keine Kinder 
hatte, blieb er ſechzehn Jahre Witwer (1392—1408), unbefüm- 
mert darum, daß mit ihm das Iugemburgifche Geſchlecht aus- 
ſterben würde, bis er der blendend jchönen, aber wenig fitten- 
ftrengen Barbara von Cilli in die Neke ging. Die Ehe, der 
nur eine Tochter, Elifabeth, entiprang, war feine glüdliche, was 
bei Sigmunds Anlage aud) nicht zu erwarten war. Zu Geſellig - 
feit jediveder Art, Turnier und Tanz, Gelage und Yagd, ſtets 
bereit, bejaß er im Verkehr mit den Menſchen Eigenfchaften, die 
ihn überall gern gefehen machten. Er wird, und hierin gemahnt 
er an den Großpater, als leutfelig und umgänglich geſchildert, 
Höflichkeit, felbft gegen Niedriggeborene, galt ihm als felbit- 
verſtändlich. 

Eigentümlich berührt an ihm, dem Sohne des überfrommen 
Karl IV., feine Gleichgültigkeit gegenüber religiöſen Dingen. 
Er hielt äußerlid) an den hergebrachten kirchlichen Formen feft, 
war aber frei von jeder Übertreibung, ſowohl nad) der einen 
als anderen Richtung. Es gehört gewiß zu den größten Aus- 
nahmen in jener Zeit, daß er fogar gegen die Juden feinerlei 
Voreingenommenheit empfunden bat. Umſo merfwürdiger 
berührt feine entichiedene Abneigung gegen dag böhmiſche 
Huffitentum, die ſich wohl nur aug politifchen Rückſichten er- 
Hären läßt. 

In fteatlichen Geichäften war er wie der Vater unermüdlich, 
gewandt und gewinnend, nicht zuletzt dank feiner glänzenden 
Beredfamkeit und der Kenntnis von mindeſtens fieben Sprachen, 
deutſch. ungarifch, tſchechiſch polniſch lateiniſch, frangöſiſch, 
italieniſch; ein mittelalterlicher Mithridates. Seine politiſche 
Aufgabe war nicht leicht. Der Staat, auf ben er fein Haupt · 
augenmerf richten mußte, war Ungarn, in dem er feit der Ber- 
mählung mit Maria (1885) fi als Erbherr fühlte, ber 
Ungarn bejaß damals .an der Türkei und an Venedig ernfte 





Die Yuffitentriege. 14191436. 8 





Feinde, fo dab Sigmund ftet3 feine Blicke nad, Often und 
Süden gerichtet halten mußte, um die großen Gefahren, die 
ihm von dorther drohten, reditzeitig zu bannen. Was ihm 
neben Ungarn als Herrſchaftsgebiet noch unterftand, fonnte 
die gleiche Sorgfalt nicht mehr beanſpruchen. Die Mark Branden- 
burg, die ihm 1378 nad; Marla IV. Tod zugefallen war, bat 
er ſchon 1388 wieder preißgegeben, in dem Bewußtſein, zwei 
fo entfernte und verſchiedenartige Länder, von denen jedes 
feinen Fürften und Herrn ganz benötigte, nicht zugleich regieren 
zu können. Das deutſche Königtum aber, dag er feit 1410 inne- 
hatte, rüdte unter ſolchen Berhältniffen, ganz fo wie zu Zeiten 
Raifer Karls IV., wiederum in zweite Linie. Vier Jahre 
währte e8, bevor Sigmund nad) erfolgter Wahl überhaupt ing 
Reid) kam, um ſich Frönen zu laſſen; die deutſche Geſchichte 
„fennt fein ähnliches Vorkommnis“. Die deutiche Königskrone 
war Sigmund nur ein Mittel, um leichter in die große europä- 
iſche Politik eingreifen zu Fönnen, fie verlieh feinem Fürften- 
tum Glanz und Würde. Die wirklichen Pflichten gegenüber 
dem deutſchen Reich befümmerten ihn wenig. 

Nun fiel ihm nad) dem Tode feines Bruders Böhmen zu. 
Eine gefährlide Erbſchaft, denn ein Xeil des Landes und der 
Bevölkerung ftand in Aufruhr und betrachtete vor allem den 
neuen Herrſcher als Feind. Denn ſchon feit den Ereignifien 
in Konſtanz machte man ihn als deutfchen König nidyt ohne 
Grund verantwortlich für die berhängnisbolle Wendung, die 
die religiöfe Frage, wie man erflärte, „zu Schimpf und 
Schande für das ganze Neid, und die Nation” genommen 
hatte. Noch vor Huffens Märtgrertod hatten ihm dritthalb- 
Hundert böhmifche und mähriſche Adlige gefchrieben, er hätte 
all das, was bis dahin in Konſtanz geichehen, „Leicht ver- 
bindern“ und bewirken Fönnen, dag Huß, „wie er frei nad) 
deinem Willen dahin gefommen, aud) frei zu ung nad Böh- 
men aurüdfehte”. Sie gaben ihm deutlich au verftehen, daß fich 
das auch „für einen guten und gerechten König und Herren” 
gesiemt und „zur Kräftigung feines guten Rufes, fowie des 
Friedens und der Ehre Böhmens und ihres treuen und befon- 
deren Eifers für ihn auf immerdar“ beigetragen hätte? Der 

1 





Geſchichte Bohmens 
und Mährens 


Von 


Bertold Bretholz 


Zweiter Band 


Huſſitentum und Adelsherrſchaft 
Bis 1620 


1. bis b. Tauſend 


EN 


Baul Sollors' Nahf, Reigenberg. 


6 Erſter Abſchnitt. 


Wie wohl auch an anderen Orten, wo Anhänger der 
Kommunion unter einerlei und beiderlei Geſtalt neben einander 
wohnten, gerieten insbejondere in der Gegend von Bechin im 
mittleren Böhmen Geiſtlichkeit und Volk beider Bekenntniſſe 
in ſchroffen Gegenfag zu einander. Hier war die Erinnerung 
an Hu befonderg lebhaft, weil er nad; dem Verlafjen Prags 
im Sabre 1412 fid) längere Zeit in diefem Gebiete aufgehalten 
hatte, lehrend und predigend unter dem Landvolk herumgezogen 
war. Seine ganze Lehre verdichtete fich dann befanntlich kurz 
nad) feinem Xode in der neuen Art der Abendmahlfeier unter 
beiderlei Geftalt de3 Brotes und Weines, von der Huß kurz vor 
feinem Tode Kenntnis genommen hatte, die aber bon ihm weder 
ausgeübt nod) gelehrt worden war. Es heißt, daß der Urheber 
eigentlich ein Deuticher, Magifter Peter von Dresden geweſen 
ift, der fpäter, 1421, in Regensburg als Wiklifit verbrannt 
wurde. Er gewann Anhänger Huffens dafür, darunter Jakob 
von Mies, der die Form in Prag und Böhmen einführte, wo 
dag Volk mit Begeilterung nad) der neuen Einrichtung griff, 
durd) die man ſich ſichtlich vom alten Katholizismus abhob.* 
Dem ſuchte nun die katholiſche Priefterichaft zu wehren, bezeich- 
nete jene ala Irrgläubige und Häretiker und vertrieb fie aus 
den Sirchen. Das hatte zur Folge, dab die Verdrängten ſich 
enger an einander fchloffen und nad} einem Ausweg ſuchten, um 
unabhängig von der unduldfamen Fatholiichen Geiftlichkeit ihre 
religiöfen Bedürfniſſe zu befriedigen. Sm Umkreis bon 
Bechin entſchloſſen fie fi — es war im Frühjahr 1419, als 
König Wenzel in Prag und überall im Lande entſchiedener 
gegen die Huffiten auftrat — auf einer Bergfuppe, die aus 
einer weiten Ebene herausragte, auf einfachite Art eine Kapelle 
zu errichten, indem über eingerammte Pflöde ein großes 
Linnen ausgebreitet wurde. Den Ort nannten fie nach bibli- 
ſchem Vorbild „Berg Tabor”. Hier famen fie zu beftimmten 
Zeiten zufammen, hielten @ottesdienft ab, empfingen das 
Sakrament sub utraque, dann brachen fie daß Zelt wieder 
ab und gingen ruhig ihrer täglichen Beichäftigung nad. Die 
gläubigen Beſucher diefer frommen Stätte nannten fid) „Tabo- 
riten“. Der Ruf diefer Einrichtung verbreitete fic) alsbald aller- 


Die Huffitenkriege. 14191488. 7 





orten, fand aud) Nachahmung, bejonders berühmt blieb aber 
der Urfprungsort. An den Feſttagen kamen die Anhänger 
unter Führung ihrer Priefter aus der näheren und meiteren 
Umgebung nad „Tabor“; nit nur aus den umliegenden 
Dörfern und Städten, fondern bald aud) aus Prag und Rilfen, 
Taus und Königgräg und aud) aus mährifchen Gemeinden. 
Es gab bald „Xaboriten” auch außerhalb Xabors, im 
ganzen Lande. 

Alle Verbote des Königs und auch der katholiſchen Barone 
am ihre Untertanen, diefe Verfammlungen zu befuchen, blieben 
wirkungslos. „Wie der Magnet das Eifen anzieht”, vergleicht 
der Chronift Zaurenz, „jo lodte und zog der Berg Tabor die 
Bauern zu fi”. Am 22. Juli (Maria-Magdalenentag), alfo 
noch zu Wenzel Lebzeiten, jollen fich weit mehr als 40.000 
Menſchen am Berge Tabor zufammengefunden haben. 

Gegen diefe Taboriten erhob man von Fatholifcher Seite 
bie ſchwerſten Vorwürfe. Man fagte, daß bei ihnen Schuſter 
und Schneider den Gottesdienft verjehen, da fie einen Unter- 
ſchied zwiſchen Prieftern und Laien nicht anerkannten, daß 
ihre Geiftlichen mit Bart und ohne Tonfur einhergehen, in 
den gewöhnlichen Gewändern die Meffe zelebrieren. Man hielt 
ihnen vor, daß fie Kirchenbücher und Bilder , Kelche, Monftran- 
zen und Reliquien mißachten, daß fie überhaupt gegen Kirchen 
und Altäre Haß hegen und den Glauben verbreiten, daß diefe 
nicht zu Gottes, fondern irgendeined Heiligen Ehre dienen 
und daher ebenfo zu vernichten feien, wie alles, was fie ent- 
alten. Man jagte, daß fie die Klöfter als „Räuberjpelunfen“ 
bezeichnen, dag geheiligte Chrisma, das Kranfenöl und Tauf- 
waſſer nur als menſchliche Erfindungen anfehen, daß fie die 
Ohrenbeichte meiden, das Fegefeuer leugnen, die Yürbitte der 
Heiligen, die Schriften der heiligen Väter verjpotten. Man 
ftellte fie mit einem Worte al3 Leugner und Läſterer des 
ganzen kirchlichen Kults hin und wir geiwahren, wie ſich hiebei 
ſchon religiöfe mit fogialen Fragen zu vermengen begannen. 

Bis zu einem gewiſſen Grade waren aud, wirklich folde 
Anfhatungen unter diefen Taboriten verbreitet, ja mußten 
fi) au8bilden, wenn man fie aus den fatholifchen Kirchen aus- 


& Erſter Wſchnitt. 





ſchloß und aller Behelfe, das religiöſe Gefühl in herkömmlicher 
Weiſe zu befriedigen, beraubte. Dieſe Gegenſätze konnten aber 
auch leicht zu Gewalttätigkeiten von beiden Seiten verleiten, 
insbeſondere wenn die Macht fehlte, Ordnung und Recht zu 
ſchützen. Und das geſchah in den letzten Wochen der Regierung 
Wenzels und unmiitelbar nach ſeinem Tod, zuallererſt in 
Prag, der Hauptſtadt. „Denn da kein König und Fürſt in 
Israel herrſchte, auf den die Untertanen Rückſicht zu nehmen 
hatten, tat jeder, was ihm recht ſchien“, kennzeichnet Laurenz 
die Lage und fährt fort: „Nie zuvor hat ein Auge geſehen, ein 
Ohr gehört, noch ein menſchliches Herz empfunden, was und 
wieviel infolge dieſer verpeſteten Lehren durch das Volk Böh- 
mens geſchehen iſt, das vorgab, für die Freiheit des Geſetzes 
Gottes und gegen die Diener des Antichriſts die Waffen zu 
erheben“. Er meint vor allem den furchtbaren Sturm gegen 
Tatholifche Kirchen und Geiſtliche, Klöſter Mönche und Nonnen, 
der in Prag einfekte; den Beginn jener dritthalbjährigen Pe- 
riode, von Mitte Auguſt 1419 bis Ende 1421, von der man 
mit Recht gejagt hat, fie Fönne für zwei Jahrhunderte böhmi- 
ſcher Gejchichte gerechnet werden, fo vom Grunde aus habe fie 
alle Verhältnifie im Lande umgewandelt.’ 

Denn gleih am Tag nad Wenzels Tod, am 17. Auguft, 
begann dort ein gefährlier Umzug der Volksmaſſen von 
Kirche zu Kirche, von Klofter zu Mlofter, verbunden mit Be- 
drohungen und Vergewaltigungen der geiftlichen Inſaſſen, 
ſowie mit Beſchãdigungen und Verwüſtungen der Gebäude 
außen und innen. Die größte Wut richtete fich gegen das 
Karthäuferflofter, weil die Karthäufer ſich allerorten alg Geg- 
ner Huſſens und aller Neuerungen herborgetan hatten. Der 
wegen feiner Schönheit viel bemunderte Bau, von König Johann 
begonnen und unter Karl IV. etiva 1363 vollendet, wurde zu- 
nächſt vollſtändig außgeplündert, die wenigen Mönche, die nicht 
geflohen waren, führte man ing Rathaus ab, um fie dann aus- 
zuweiſen; am folgenden Tage brannte man Kirche und Klofter 
nieder, „fo daß nur die kahlen Mauern übrig blieben“. 

Das Beifpiel Prags zündete fofort in einigen anderen 
Städten Böhmens, in denen das huſſitiſch gefinnte Volk ftark 





Die Yuffitenteiege. 1419-1488. 9 





genug war Unruhen zu erregen, in Klattau, Piſek, Pilfen, 
Königgräg, Laun, Sons, Wittingau, Budweis, aljo in den ber- 
fchiedenften Gebieten des Landes, In diefen Wirren gingen 
auch ſchon Menſchen zugrunde: Geiſtliche und Weltliche, Adelige, 
Nitter und Bürger, Männer, Frauen und Finder, wie berichtet 
wird. In Beraun wurden ſchon im Jahre 1419 dreiundfünfsig 
Inwohner, Priefter, Magifter und Mönche, und mit ihnen drei 
NRittersleute „gleihfam in einer Stunde” verbrannt. 

Sn folder Gärung und Wirrnis befand fi Böhmen, als 
Sigmund davon Befig ergreifen follte. Infolge feiner In- 
anſpruchnahme durch die ungarifchen Angelegenheiten, wahr- 
fcheinlich aud) wegen jeiner befannten Art, unleidliche Geſchäfte 
aufzufdjieben, ließ er zunädjit den Dingen ihren Lauf, über- 
trug der Königinwitwe Sophie, die ſich ſchon feit Iangem als 
Gönnerin des Suffitentumg gefiel, und einigen hohen Adeligen 
mit dem utraquiftifch gefinnten Cenef von Wartemberg an 
der Spike die Regierung, denen nun auch die Aufgabe zufiel, 
den Aufruhr niederzumerfen. Ihre halben Maßregeln führten 
zu neuen fchweren Kämpfen wie auf dem Lande jo auch in 
Prag. Am 3. Oktober mußte die königliche Beſatzung die 
Wiſchehrader Burg den Aufftändifchen überlaffen; am 4. No- 
vember bedrohten dieſe auch ſchon die ganze Kleinſeite und 
alle Gebäude bis knapp an das Schloß; die Königinregentin 
floh mit Ulrich von Rofenberg mitten in der Nacht und ſuchte 
in einer der Töniglichen Burgen Schu bor denen, die ſich 
bisher ihrer Förderung zu erfreuen gehabt hatten. Die Prager 
Burg wurde zwar behauptet, aber — „es war für viele eine 
Nacht von Furcht und Schreden, Sorgen und Wehklagen, nur 
vergleichbar dem Tag des jüngften Gerichts“, ſchreibt Laurenz, 
der Augenzeuge aller dieſer Ereigniſſe. 

Nicht ohne große Schwierigkeiten brachte die Regierung am 
13. November einen Waffenſtillſtand mit den Pragern zuſtande, 
der bis zum 23. April 1420 dauern follte. Sie verpflichtete 
fi) die Kommunion unter beiderlei Geftalt im ganzen ande 
zu fügen, dafür wurde ihr die Burg Wilchehrad von den 
Aufftändifchen zurücgeftellt. Die Angſt der „Prager“ vor dem 
in der Stadt und im Lande überhandnehmenden Rabikalis- 


10 Erſter Abſchnitt. 


muß, den man nur ſchalten ließ, wenn man ihn benötigte, hieß 
fie diefen wenig günftigen Vergleich ſchließen, mit dem feines- 
weas alle einverftanden waren. 

Eine kurze Ruhepaufe trat ein. Und nun, im Dezember 
1419, kam auch Sigmund, zwar nicht nad) Prag, aber doch 
nad Brünn, um borerft bier einen Landtag zu berjammeln 
und Heerſchau zu balten über feinen Anhang. Aud eine 
Gejandtihaft der „Prager“ ftellte fi ein, um Sigmund als 
ihrem Herrn und König zu huldigen, zugleich aber aud) An- 
erfennung zu fordern für eine Anzahl von Artikeln, die auf 
einem ohne Wilfen und Willen des Königs abgehaltenen 
Prager Landtag beſchloſſen worden waren und das Firdliche, 
politifche und nationale Programm der Utraquiftenpartei be» 
inhalteten.® Ihre huſſitiſche Gefinnung trug die Geſandtſchaft 
offen zur Schau, indem fie ihre eigene Geiftlichfeit mit ſich 
brachte und fi) von den katholiſchen Kirchen fernhielt. Sig- 
mund vermied jedwede enticheidende Zufage, äußerte fich aber 
unmillig über beridjiedene Eriegerifche Vorkehrungen, die die 
Prager zu ihrer Verteidigung gegenüber den beiden fönig- 
lien Burgen, Hradſchin und Wilchehrad, getroffen Hatten, 
forderte ihre fofortige Befeitigung, gebot die Rückkehr der Ver- 
triebenen und Gefloheren und befahl, die Fatholifche Geiftlich- 
feit fortan in feiner Weife zu beläftigen, fowie feine Anfunft 
in Prag abzuwarten. Er aber begab ſich nicht dahin, fondern 
zunächſt, zu Beginn des Sahres 1420, nad; Breslau, wohin er 
ſchon Anfang Oftober einen Reichstag für den 11. Dezember 
einberufen hatte, der denn auch mit der üblichen Verfpätung, 
mit der bei Sigmunds ſprichwörtlicher Unpünktlichkeit ftet3 
gerechnet werden mußte, unter reger Beteiligung der Fürften 
und Städte aus dem Reich abgehalten wurde. 

Während feines dortigen Aufenthaltes, der fi Monate Bin- 
309, ließ er an verſchiedenen Regierungsmaßregeln deutlich 
erfennen, daß er nicht gewillt fei, wegen der religiöfen Frage 
zu unterhandeln, weder Taboriten noch Utraquiften noch ſonſt 
welche Richtung dulden werde, vielmehr entichloffen ſei, jeden 
BWiderftand mit Gewalt zu brechen. Die Straßburger Gefand- 
ten beim Reichstag meldeten ſchon im Januar 1421 an ihre 





Die Yuifitentriege. 1410 1486. 11 





Stadt, der König plane von Breslau nach Prag zu ziehen 
„und wölle die Hufen ftrafen umb den Ungelouben“, außer 
fie ergeben ſich vorher, aber auch in diefem alle behalte er 
fi) vor „etliche“, die den Anfang gemadt haben, zur Ver- 
anttvortung zu ziehen.‘ Am 10, Februar erließ er an die 
Stände und Städte im Saazer Kreis — und wahrſcheinlich in 
gleicher Weiſe an alle übrigen Kreife Böhmens — einen ftren- 
gen Befehl, nirgend „die Willefie zu unterftügen“, Städten, 
in denen fie heirſche — er nennt nur Pilſen, Piſek und König. 
grätz — weder Hilfe noch Rat zu gewähren, vielmehr fich darum 
zu befümmern, dab „alle gänzlic) von demjelben neuen Glau- 
ben entwichen”. Er ließ es geichehen, daß mährend feines 
Aufenthalts in Breslau ein Prager Bürger, Johannes Kraſa, 
der fi) dort offen als Huſſit befannte, durch das GStadt- 
gericht zum Tode berurteilt, gejchleift und verbrannt wurde, 
daß ein anderer Prager, ein Abgefandter der Uniberfität, zur 
Abſchwörung feines Glaubens geziwungen wurde, um ähnlichem 
Geſchick zu entgehen. Er gab Weifungen an fchlefifche und lau- 
figifche Städte, wie mit gefangenen Sufliten zu verfahren fei. 
Und fchließlid,, veranlaßte er Papſt Martin V. oder beftärfte 
ihn in feinem Entcchluſſe, die gefamte Chriftenheit zu einem 
Kreuzzug gegen „willifitifche und huſſitiſche Kegerei” aufzurufen. 
Denn ſchon am 22. Februar 1418 hatte diefer durch eine Bulle 
verkündet, daß die Härefie, die „insbejondere im Königreich 
Böhmen und in der Markgrafſchaft Mähren und diefen be- 
nachbarten Gebieten” entitanden fei, ohne jedes Zugeftändnis 
ausgetilgt werden müffe.“ Jetzt erließ er am 1. März 1420 
von Slorenz aus die „Kreuzbulle” (Omnium plasmatoris do- 
mini), die zu allererft am 17. März in der Breslauer Kirche 
feierlich verfündet wurde. 

Solche ſichere Anzeichen einer Böhmen drohenden Frie- 
gerifchen Unternehmung Sigmunds an der Spitze eineg Kreuz- 
heeres blieben Utraquiften und Taboriten nicht verborgen und 
trieben fie zu Gegenmaßregeln, die umſo fräftiger ausgebaut 
werden fonnten, je länger Sigmund mit dem Zuge zögerte. 
Bor allem erfolgte in jenen erften Monaten 1420, da Sigmund 
in Breslau Hof hielt, eine für die Folgezeit höchft bedeutfame 


12 Erſter Abſchnitt. 


Umgeſtaltung der Verhältniſſe in Tabor durch zwei Männer, 
die zum Kampf gegen Sigmund und ſein böhmiſches Königtum 
bis aufs äußerſte entſchloſſen waren: Nikolaus von Huß und 
Johann Ziska. 

Aus der Vorgeſchichte des erſten wiſſen wir nur, daß ſchon 
König Wenzel ihn im Verdacht hatte, er wolle an der Spitze 
ſeines Anhangs ihn vom Throne ſtürzen und ſich an ſeine 
Stelle ſetzen, weshalb er aus Prag verbannt worden war. 
Später kehrte er wieder dahin zurück und war bei dem Sturme 
auf die Nleinjeite und die Prager Burg Anfang November 
1419 einer der Sauptanführer. Der Chronift Laurenz, der 
nicht zu feinen Freunden gehörte, kann nicht umbin, ihn al 
einen Menſchen „bon großer Klugheit und Vorausſicht“ zu be- 
zeichnen und fagt von ihm ein andermal, daß er „bon allen 
Zaboriten im Handeln der verjchlagenfte” geweſen fei. Der 
Prager Waffenftillftand, den er mißbilligte, veranlaßte ihn die 
Stadt zu verlaffen und ſich in Tabor einen neuen Wirfungs- 
kreis zu ſchaffen. Da aber Nikolaus ſchon in den Kämpfen 
des Jahres 1420 fiel, überragt ihn an Namen und Bedeutung 
Johann Ziska.“ 

Er dürfte um 1375 geboren fein. Aus den erften Sahrzehn- 
ten feines Lebens ift glaubwürdig nur überliefert, daß er lange 
Zeit im Hofdienft König Wenzels ftand, an defien Feldzügen 
ſich beteiligte, dabei ein Auge einbüßte und das Kriegshand- 
werk praftifch erlernte. Ein fleibiger Beſucher der Predigten 
Huſſens in der Bethlehemfapelle, wurde er ein begeifterter und 
überzeugter Anhänger der neuen Lehre, vor allem ein ent- 
ſchiedener Feind der Fatholifchen Priefterihaft und des Mönd- 
tums, galt aber anfangs als Mitglied der gemäßigten Utra- 
quiften oder „Prager“. Er wird jchon als Teilnehmer bei dem 
Sturm auf da3 Prager Neuftädter Rathaus am 30. Juli 1419 
genannt, verblieb aber auch nach Wenzels Tod im Hofdienft. 
Während der Belagerung der Burg Wiſchehrad durch die Pra- 
ger im Oftober dieſes Jahres gehörte er zur dortigen Fönig- 
lichen Beſatzung, trat aber nad) der Erftürmung und Übergabe 
auf die Seite der Prager und ſchon beim Kampf um den Hrad- 
ſchin im folgenden Monat kämpfte er gegen die Föniglichen 





Die Yuffitenkriege. -1419—1438. 18 


Statthalter und tat fi) in einer Weife hervor, daß er beim 
ganzen Volke befannt wurde und fortan eine erite Führer 
ftelle einnahm. „Denn damals begann er zu fümpfen und 
fämpfte bi3 an fein Lebensende”, heißt eg in einer gleid)- 
zeitigen Quelle. Auch er war ein Gegner de3 Waffenſtillſtands 
vom 13. November, aber außerftande ihn zu verhindern, ber- 
ließ er Prag und ging mit feinem Anhang nad) Pilfen, der 
„Sonnenftadt“, wie die Hufliten fie Damals nannten, in der 
Hoffnung, bier einen neuen Stüßpunft für feine Partei zu ge- 
innen, die eine Mittelftellung zwiſchen Taboriten und Pra- 
gern einnehmen follte. Allein Ziskas Feſtſetzung in diefer 
Stadt, die noch keineswegs dem Huflitismug ganz verfallen 
war, führte zu Kämpfen mit dem mächtigſten Adligen jenes 
Kreifes, Bohuslam von Schwamberg, eines eifrigen Katholiken 
und ergebenen Anhängers Sigmunds. Die Stimmung in der 
Stadt, die unter den Kriegsnöten ſchwer litt, ſchlug um, und 
als auch ein von den Statthaltern abgejandteg Heer unter 
Wenzel von Duba heranzog, um Pilfen zu belagern, erfannte 
Ziska die Unhaltbarfeit feiner Stellung. Er trat in Verhand- 
lung mit Duba und erhielt für fi und feine Getreuen freien 
Abzug. Unter fortwährenden Bedrängungen durd) adelige 
Gegner ſchlug er fich kämpfend (Schlacht bei Sudomier am 
3. März 1420) zu den Taboriten in Sübböhmen dur, zu 
denen er ſchon früher von Pilſen aus Beziehungen an- 
geknüpft hatte, 

Die ‚Verftärfungen, die die Taboriten auf diefe Weiſe er- 
hielten, ließen bier einen Plan reifen, der jchon feit längerer 
Zeit erivogen wurde, ja ſchon in Durchführung begriffen war. 
Der Berg Tabor bot weder genügende Sicherheit, noch hin- 
reichende Unterkunft für die Menge, die fi bier anfammelte 
und beifammen bleiben wollte. Man fuchte nad) einem geeigne- 
teren Orte und fand ihn in einer nicht weit davon gelegenen 
Feſte und ehemaligen Stadt namens Hradiſcht, die in den 
Kämpfen Otafars II. mit feinem Adel zerftört worden ‚war. 
Nun wurde die Burg ihrem rechtmäßigen Beliger entriffen und 
die Stadt wieder aufgebaut. Es ift die Gründung der heutigen 
Stadt Kabor — der bibltjge Name wurde übernommen — 


14 Erſter Wlanitt. 





etwa eine Wegſtunde von jenem älteren Berg Tabor entfernt, 
bon dem die ganze Bewegung ausgegangen war.“ Der einft- 
malige linfe Flügel der „Prager“ unter Ziska ging nunmehr 
in den Xaboriten auf, allein Ziska nahm fortan die erſte Stel- 
fung unter ihnen ein, wenn auch mehrere Sauptleute von 
gleihem Rang eingeſetzt wurden. Ziska ließ e3 ſich vor allem 
angelegen fein, das Xaboritenvolf, das ſich zum großen Teil 
aus Bauern und Heinen Handwerkern zufammenfegte, über 
die eine Anzahl fanatiicher Priefter und entichloffener Ritter 
(niederer Adel) die Herrihaft führte, Friegeriich auszubilden, 
jo daß es binnen kurzem zu größeren Unternehmungen zu ge 
brauden war. Sie begannen ſchon im April 1420, als die 
Sammlung des Kreuzheeres unter Sigmund feinem Zweifel 
mehr unterliegen konnie. Es gelang den Xaboriten, um nur 
das Wichtigſte anzuführen, am 5. April (Charfreitag) das 
Städtchen Wozik, wenige Meilen von Tabor entfernt, ein- 
aunehmen, obwohl eine Beſatzung von etwa 2000 Neitern dort 
Ing, am 24. April dag Rlofter Mühlkaufen niedergubrennen, 
gleichzeitig ſich das huſſitiſch gefinnte Piſek zu fichern, tags 
darauf das entferntere Prachatitz zu ftürmen, von dort in den 
Pilſner Kreis vorzuftoßen, Klofter Nepomuk zu zerftören, auf 
dem Rückweg, da Grüneberg von Bohuslat von Schwamberg 
tapfer verteidigt wurde, Burg Nabie bei Horazdiowitz, die einem 
Niefenberger gehörte und als äußerft feft und ſicher galt, 
au brechen 

In ähnlicher Weife, wie Tabor ganz Südböhmen, fo be- 
herrſchte in Nordoftböhmen der Berg „Horeb“ bei Sohenbrud 
das ganze Königgräher Gebiet. Die „Horebiten“, wie ſich die 
Huſſiten bier nannten, ftanden unter der Anführung des hoch- 
adeligen Seren Hinko Kruffina von Lichtenburg und einiger 
Nitter. Ihren Angriffen unterlag unter anderem die Stadt 
Bidſchow und das herrliche Kloſter Münchengrätz, das auß- 
geplündert und völlig niedergebrannt wurde; unbehindert zogen 
fie fodann nad Prag zur Unterftügung der dortigen Kriegs- 
Partei. 

Denn fo verderblich und gefährlid) diefe über große Teile 
des Landes ſich außbreitende Herrſchaft der Taboriten auch 





Die Yuffitenkriege. 1419-1436. 15 





war, legten Endes lag die Enticheidung denn doch bei der 
Hauptitadt. Von ihrer Stellungnahme zu Sigmund hing das 
Schickſal ganz Böhmens ab. Mit ihr im Bunde und unter- 
ftügt bon feinen eigenen bedeutenden Kräften und den zahl- 
reichen ihm treu gebliebenen Adligen, Städten und Klöftern 
wäre er ftarf genug geweſen, die Ruhe im Lande herauftellen, 
bon welder Seite immer fie geitört würde. 

Mlein ſchon geraume Zeit vor Ablauf des Waffenftillftands 
(8. April 1420) fonnte man gerade in Prag ein ftetes An- 
wachſen der Fönigfeindlichen Stimmung feftitellen. Die ber- 
hetzenden Predigten fanatifcher Priefter Famen wieder in 
Schwung und riljen das Volk mit. Am ftärfiten wirkte Johann 
von Selm, jo genannt nad) feiner früheren Zugehörigkeit zu 
diefem Kloſter, das er verlaffen hatte, nunmehr Prediger an 
einer der großen Kirchen in Prag-Neuftadt. Seine glühende 
Beredſamkeit erhöhte er noch, indem er feinen Predigten den 
Text der Apokalypſe (Offenbarung) des Apoftels Johannes 
augrunde legte, mit ihren fchaurigen Bildern von dem höllifchen 
Ungeheuer des feurigen Höllendradyen, die er in gefchidter 
Weiſe auf Sigmund, den Stifter des Drachenordens, anzuwen · 
den wußte. Er war es aud), der ſchon am 3. April die Mafjen 
des Volkes vor das Altitädter Rathaus führte, um fie von 
neuem ſchwören zu lafien, den Kelch big zum äußerften zu ber- 
teidigen. Neue Hauptleute wurden für die Alt- und Neuftadt 
gewählt, denen man neben verſchiedenen militäriſchen Boll- 
machten die Schlüffel der Rathäufer und Stadttore übergab. 
Und ſchon in den folgenden Tagen ging es an Schuharbeiten 
zur Verteidigung der dur die Burg Bifhehrad befonders 
gefährdeten Neuftadt Prag, an denen ſich Sung und Alt, 
Männer, Frauen und Kinder beteiligten, unbefümmert um 
die höhnenden Burufe der Bejagung: „die Gräben werden 
euch nicht nußen, wenn ihr euch eurem Erbherrn Sigmund, 
dem römifchen und ungarifchen König, widerfegen wollt“, Die 
Iampfbereite Stimmung der Prager Hufliten erregte in ge- 
wiſſen Kreiſen der Stadtbebölferung Sorge und Furcht, nicht 
fo fehr vor den „Häretikern“, wie der Ehronift fagt, fondern 
weil man in der flberzeugung lebte, Sigmund werde mit ben 


16 Erſter Abſchnitt. 


ſchwerſten Strafen, Brand und Mord, gegen dieſes Volk vor- 
gehen; „fliehen wir alfo“, fo rieten fie, „fo ſchnell als möglich 
an ſichere Orte, damit wir nicht mit ihnen zugrunde gehen“. 
So kam e8, daß ein Xeil der Bürgerſchaft die Stadt verließ 
und ſich bornehmlih in den Schu der Prager und 
Wifchehrader Burg begab. Es war aljo die Angft vor den 
ſcheinbar unausweichlichen Gefahren, die der Stadt drohten, 
was fie zum Preisgeben von Haus und Hof veranlaßte. Oben 
aber mußten fie fid) dann gegenüber den baronalen Burg- 
berrn, die auf dem Hradſchin und Wiſchehrad fchalteten, ver- 
pflichten, an dem beborftehenden Kampf gegen die Stadt 
Prag teilzunehmen. 

Dazu fam e8 aber nicht. Am 17. April, eine Woche vor 
Ablauf des Waffenftillftandes war Wartemberg, der Burg- 
Hauptmann und erfte Statthalter in Böhmen, nad Prag 
aurüdgefehrt, nachdem er fich längere Zeit am Hoflager König 
Sigmunds aufgehalten hatte. Dort hatte er, der eifrige aber 
geheime Utraquift, die Überzeugung geivonnen, daß der König 
es bei feiner Unternehmung gegen Böhmen auf alle Anhänger 
des Kelches, radifale und gemäßigte, Taboriten und Prager, 
abgejehen habe. Vor dem König Hatte er feine wahre Ge— 
finnung verborgen gehalten, fo daß er mit allen Vollmachten 
in feine alte Stellung zurüdfehren Eonnte. Diefe nüßte er 
nun aus, um Sigmunds Kriegsplan zu durchkreuzen. Nach 
Vereinbarung mit feinem engeren Anhang nahm er bie 
Tönigstreuen Hauptleute in Haft, bemächtigte ſich der Burg 
und vertrieb vor allem die hieher geflüchteten Prager Katho- 
lifen, die nun in furchtbarſtes Elend gerieten, da Wartem- 
berg ſich aud) ihres ganzen Beſitzes bemädjtigte, des Geldes, 
des mitgebrachten goldenen und filbernen Geſchmeides, anderer 
Kleinodien und Dinge. Alles Bitten und Flehen blieb nug- 
los. Als Bettler mußten fie ihre Zufluchtftätte verlaffen und 
in Wiſchehrad, Kuttenberg und anderen fönigstreuen Orten 
Schut ſuchen. 

Sodann ſchloß Wartemberg ſofort ein Bündnis mit der 
huſſitiſchen Partei in Prag „zur Verteidigung der Wahrheit“ 
und zum Kampf gegen König Sigmund. In Rundſchreiben, 


Die duſſitenkriege. 1419-1486. 17 





die die Siegel Wartembergs, ſeines Mündels Ulrich bon’ 
Rofenberg und der beiden Prager Städte trugen, wurde das 
ganze Land Böhmen und aud, Mähren aufgefordert, Stgmund 
nicht länger als König anzuerkennen. Sie nennen ihn „einen 
großen und graufamen Feind des Königreichs und der Hchecht- 
ſchen Sprache“, fie mahnen und drohen, verfünden bon neuem 
die vier Prager Artikel, für die fie eintreten wollen „und 
nichts anderes“. Noch entſchiedener lautete ein Manifeft, daS 
die Prager allein wahrſcheinlich an alle übrigen königlichen 
Städte Böhmens ausfandten.' 

Das Huffitiiche Böhmen, der Adel, die Prager und die 
Taboriten, jchienen zum Kampf gegen Sigmund und daß 
Kreuzheer geeinigt. Der Aufruf Wartembergg und feiner 
Bundesgenofjen trug das Datum des 20. April 1420. Am 
9. April, am Dienstag nad) dem Ofterfeft, war Sigmund von 
Breslau aufgebrochen und zunächſt nad; Schweidnig gezogen. 
Hier erft jammelte ſich in den nächften drei Wochen „grot Volk“, 
mit-dem er dann „über den böhmiſchen Wald“ in Böhmen 
eindrang, zuerft in Germer (aromierz), dann in Königgräß 
halt madjte. In diefer ſtark dem Huffitismus zuneigenden 
Stadt verweilte er neun Xäge, „ſetzte den behmifdyen Rat ab 
und machte einen beutfchen Rat“, dann begab er ſich nad) 
Nuttenberg; „da fand er noch gute Chriften überall”. Auch 
die von der Prager Burg Vertriebenen, die zum großen Xeil 
hier Zuflucht gefunden hatten, „freuten ſich alle feiner An- 
Zunft“, Man empfing ihn in einer Progeflion, an der fich 
über „taufend Betggeſellen“ beteiligten, die ihm verſprachen, 
fie wollten mit dem König „durd) des Chriftesglauben willen 
in den Xod gehen“. 

Die uralte deutſche Bergſtadt Nuttenberg war damals 
einer der felteften Site des Katholizismus und des Deutſch- 
tums. Sie hatte auch ſchon vorher und auf eigene Verant- 
mortung den Kampf vor allem gegen die Xaboriten auf- 
genommen. „Bon jo entfeglicher Graufamfeit — jchreibt der 
utraquiftifche Chronift Laurenz — entbrannte das Volk in 
Auttenberg, daß binnen kurzer Beit mehr als 1600 Menſchen 
dort elend niedergemacht und in die Schächte geworfen 


Brerdoln. Selb. Böhmens u, Madrens. II. 2 


18 Erſter Abſamitt. 


wurden, jo daß die Henker oft bei der Mordarbeit ermatteten“. 
Ja e8 heißt jogar, daß man für eingefangene Taboriten Geld- 
preiſe ausfegte; den Schacht, der die meiften Opfer aufnahm, 
nannte man zum Hohn „Tabor“. 

In diefer dem alten Glauben und dem König blind er- 
gebenen Stadt ſchlug Sigmund Mitte Mat jein Hauptquartier 
auf, eine neue Herausforderung feiner Gegner. Und doch 
verſuchte es wenigfteng nad, dem Berichte unferer Haupt- 
quelle, des Laureng die gemäßigte Partei in Prag noch ein- 
mal mit dem König zu verhandeln. Sie ſchickte nad, Kutten- 
berg eine Gejandtichaft, die um nichts anderes gebeten haben 
fol, als daß Sigmund die Kelchkommunion geftatte; er möge 
ihnen alle bisherigen Ausſchreitungen verzeihen, dann woll- 
ten fie ihm nicht nur die Tore öffnen, jondern die Mauern 
niederreißen und ihn anflehen, zu ihnen zu fommen. Allein 
Sigmund jei ihnen, die ſich nur allzu tief erniedrigten, wie 
ein zweiter „aufgeblafener Lucifer“ entgegengetreten, habe 
ihnen befehlen wollen, vorerft alle Verteidigungswerke, die 
fie inzwiſchen aufgerichtet hatten, niederzureißen, alle Waffen 
abauliefern, dann werde er in Prag ericheinen und ihnen bis 
zu einem gewiſſen Grade Gnade gewähren (aliqualem 
gratiam). Dieje fchroffe Antwort Hätte die Prager zum 
äußerften Widerftand angefpornt. Es jcheint aber, daß die 
unmittelbare Urfadje eine andere war. Gleichzeitig mit den 
Pragern hatte aud) der eben erft von ıhm abgefallene Burg- 
Hauptmann MWartemberg mit Sigmund vertrauliche Ver- 
Bandlungen angefnüpft, die raſch zu einem günftigen Ergeb- 
nis führten. Für das Bugeftändnis, dab ihm und feinen 
Angehörigen volle Verzeihung für feinen Verrat zuteil werde 
umd daß er auf jeinen Gütern den Kelch gebraudjen Iafien 
dürfe, verpflidjtete er fich dag Bündnis mit den Pragern 
preißzugeben und die Prager Burg den königlichen Leuten 
frei zu überlaffen. Diefe Auslieferung vollzog ſich insgeheim 
ohne Wiffen der Prager in der Nacht vom 6. zum 7. Mai und 
erregte einen fo furdjtbaren Wutausbrud) in der Stadt, daß 
begreiflicherweife alle gemäßigten @lemente in den Sinter- 
grund geſchoben wurden. Man verfuchte eine Erftürmung 





Die duſſitenkriege. 14191486. 10 








der Burg, die aber mißglücte, und rächte ſich dafür an Klöſtern 
und Kirchen; Strahow mit feinen einzigartigen Schäßen an 
Kunſtwerken, Kirchengeräten, Bildern, Handſchriften ufm. 
ging in Flammen auf; tagelange Kämpfe zwiſchen den 
Pragern einer-, den Befagungen der beiden Burgen Gradſchin 
und Wiſchehrad anderfeits folgten; von einer Fortführung 
der Verhandlungen zwiſchen den Pragern und dem König in 
Nuttenberg konnte nicht mehr die Rede fein; der Krieg war 
unausweichlich. 

Die Prager, die ſich allein zu ſchwach fühlten, Sigmund 
entgegenzutreten, riefen nun die Taboriten aus allen Teilen 
des Landes zu ihrer Unterſtützung herbei, dieſe fanatiſchen 
zu jedem Opfer bereiten Kämpfer. Die Horebiten unter 
Kruffina von Lichtenburg waren ſchon feit einiger Zeit in 
Prag. Nun famen noch die Xaboriten unter der Führung 
Ziskas, Nikolaus’ von Huß und der anderen Hauptleute, die 
Huffiten aus Saas, Laun, Schlan, Königgräg und von anders- 
ber; ihr Zug war gefennzeicdjnet durch neuerliche Verwüſtung 
und Niederbrennung von Städten (Benefhau) und Klöſtern 
Grewnow, Poftelberg). Wo immer fie mit ihren Gegnern 
aufammenftießen, blieben fie Sieger. Selbſt einen gefähr- 
lichen Angriff auf Xabor, der von Ulrich von Rofenberg, dem 
mit dem Wartemberger auf die Fönigliche Seite übergetretenen 
mädhtigften Herrn in Siidböhmen, verfucht wurde, ſchlugen fie 
am 80. uni mit großem Erfolg ab. Prag, die Verwaltung der 
Stadt, das ganze Leben und Treiben dafelbft in jeder Hin- 
ficht, geriet ganz unter ihre Yührung. 

Inzwiſchen hatte auch Sigmund in Kuttenberg fein Kreuz- 
heer zuſammengebracht Die Markgrafen Friedrich und Wil- 
helm von Meißen und der Tandgraf Friedrich) von Thüringen 
brachten 18.000, Herzog Albrecht von Ufterreich 6000 Mann, 
„und andere Herren und Fürſten unzählig Volk“, fo dab der 
Magdeburger Chronift eine Gefamtfumme von 100.000 an- 
nehmen zu fönnen meint.’ Am legten Mai kam man bis 
Wiſchehrad. Es verging dann ein voller Monat mit mandher- 
kei Zügen. Kämpfen und Verluften (am 26. Juni wurde 
Königgräg durch die Huffiten zurückgewonnen), bevor man 

PN 


© Erſter Abſchnitt. 





am 30. Juni an die Belagerung Prags durch dieſes große 
Kreuzheer jchreiten Zonnte. Aber ein erfter Anfturm am 
14. Juli auf den Witkow, auch Tabor genannten Berg, der 
nachher Bisfaberg hieß, mißlang.”” Man ließ die an erfter 
Stelle ftürmenden 7- bis 8000 meißneriſchen Reiter unter 
Graf Heinrich von Iſenburg, der auch im Kampfe fiel, fich 
verbluten, ohne ihnen gegen die mit grenzenlofem Opfermut 
fämpfenden Taboriten, unter denen fi) ein Mädchen befon- 
ders hervortat, Hilfe zu bringen. Im Kreuzheer ſprach man 
pon berräterif—hen Umtrieben der böhmiſchen Adligen in 
Sigmunde Umgebung, die ihn bon einem ernften Angriff 
abhielten. Si2 hätten verſprochen, ihm auch ohne Kampf zum 
Sieg über die Stadt Prag, ja das ganze Land zu verhelfen. 
Mißmut und Zweiung entitand, das Kreuzheer wurde durch 
Kagerbrände, Krankheiten, Mangel an Lebensmitteln, Plagen 
durch Ungeziefer, Gewürm und Schlangen heimgeſucht. Die 
deutfchen Fürſten warteten nur ab, bis Sigmund am 8. Juli 
im Prager Dom auf dem Hradſchin gefrönt und gefalbt wurde, 
dann „Löfte fich das große und berühmte Heer, ohne die 
Häretiker vernichtet zu Haben, auf“, fchreibt Andreas bon 
Regensburg. Viele von ihnen, bemerkt Laurenz, ſchimpften 
ſchmählich über Sigmund „als Begünftiger der SHäretifer 
und als Verräter”. Auf dem Seimzug wurde da8 Land von 
den Söldnerfcharen begreiflicherweife ſchwer verwüſtet. Der 
erfte Kreuzzug gegen die Huffiten war verunglüdt. 

Ohne das deutfche Heer, dem troß feiner Buntſcheckigkeit 
— Laurenz zählt 35 Völferfchaften namentlich auf, die darin 
vertreten waren und fügt noc Hinzu: und fehr viele andere 
— doch das Deutſchtum feinen Grundzug gab, Fonnte ſich 
König Sigmund auf der Prager Burg nicht halten; die 
böhmiſchen Barone boten ihm, Faum dab dag Heer abgezogen 
war, feinen genügenden Schuß, noch verhalfen fie ihm zum 
Frieden mit den Pragern, mie fie verſprochen hatten. Nach 
Burüdlafiung einer entfprechenden Beſatzung auf dem Sradichin 
und in Wiſchehrad, über die die Burghauptleute frei ber- 
fügten, ‘begab ſich Siamund zunächſt nach Kuttenberg, dem 
fiherften Hort. Bon dort zog er dann „wie unfinnig (veluti 





Die Huffitenkriege. 14191436. 21 





insensatus)“ «in den ihm noch treuen Städten Oftböhmens 
umber, Tſchaslau, Kolin, Nimburg, Leitmerig u. a., ſchalt auf 
die Prager, die bon einer ihnen angebotenen Beiprechung 
zur Serbeiführung des Friedens nichts wiſſen wollten, ſchrieb 
an den Papft und die Neichsfürften um Hilfe gegen die 
„Säretifer, die fich feines Landes bemächtigt hätten und im 
Begriffe ftünden, fich einen anderen König zu wählen“, und 
bat dann doch wieder die böhmischen und mährifchen Barone 
um ihre Vermittlung bei den huffitiichen Pragern. Sigmund 
bietet ſchon jegt beim Beginn des Kampfes das Bild völliger 
Hilflofigkeit und Unentichloffenheit, vielleiht zum Keil 
herbeigeführt infolge Irreführung durch die huſſitiſchen 
Barone feiner Umgebung. 

Mit feiner in aller Eile am 38. Juli durchgeführten 
Krönung hatte Sigmund beziwedt, den Vorhalt feiner Gegner, 
der auch ſchon in den beiden Manifeften vom 20. April eine 
wichtige Rolle geipielt hatte, er ſei noch nicht gefrönt und des- 
halb gebühre ihm feine Anerkennung, aus der Welt zu 
ſchaffen. Aber wie in vielem Fam er auch damit zu ſpät. Es 
hätte jeine allererite Regierungsmaßregel unmittelbar nad) 
Wenzel Tod fein müffen. Seht erklärte man den Aft nicht 
für vollgültig, da mehrere Barone des Landes und die Ver- 
treter der Stadt Prag nicht zugezogen worden waren. Man 
leugnete fein Königtum und trat fpäteftens anfangs Auguſt 
mit König Wladislaw II. von Polen wegen Übernahme der 
böhmifchen Krone in Verhandlung, — Sigmunds Schtwager.’* 

Zu diefem Schritt, von dem fie ſich aud) neue Friegerifche 
Hilfe erhofften, mögen ſich die Prager umfomehr veranlaßt 
gefühlt haben, da fich dag Verbleiben der taboritifchen Scharen 
in Prag wegen des religiöjen und fozialen Gegenſatzes auf 
die Dauer nicht aufrecht erhalten ließ. Schon am 22, Auguft 
verließen die Bauernſcharen, von denen die Bürger ſchwer 
gelitten hatten, die Stadt, die nunmehr auf fi) allein ange- 
wieſen war. Die größte Gefahr für ihre Freiheit bedeuteten 
die beiden Burgen Prag und Wiſchehrad, folange fie ſich in 
töniglihem Befi befanden. Daher begannen die Prager den 
ſchon mehrmals um diefe Orte geführten Kampf von neuem 


22 Erfter Abfnitt. 


und wandten fi zunächſt gegen den Wiſchehrad (September 
1420). 


Trotz des nidjt unbedeutenden Zuzugs, den die Prager 
von huſſitiſchen Adeligen und den Horebiten, die allein an 
7000 Mann entfandten, für diefen Kampf erhielten, ver- 
teidigte fich die Burg unter Johann von Boskowitz auf Bran- 
deis wochenlang mit Erfolg, ohne vom König Hilfe erlangen 
zu können. Er irrte im Lande mit feiner ungzulänglichen 
Mannſchaft an Ungarn, Böhmen und zufammengemwürfeltem 
. Volt umber, ließ, wie die Taboriten, plündern, morden und 
niederäfchern, eine ſchwache Stadt, eine ungenügend berjorgte 
Burg berennen, zeriplitterte aber auf diefe Weiſe feine Kraft. 
Noch Wiſchehrad konnte er nur äußerſt Iangfam bordringen. 
Verfude, die Burg wenigſtens mit Probiant zu berjehen, 
fcheiterten zumeift an der Wachſamkeit der Prager. Der 
Boskowitzer geriet unter ſolchen Verhältniſſen mit feiner Be— 
fagung in die größte Not. Er mußte mit dem Befehlshaber 
des huffitifchen Velagerungsheeres, Hinek Kruſſina von Lich- 
tenburg, da8 Abkommen treffen, die Burg am Morgen des 
1. November gegen freien Abzug der Befagung zu übergeben, 
wenn fie der König nicht bis zum Abend des 31. Oftober 
entfegt Haben würde. Nun erft verftärfte Sigmund fein Heer 
insbefondere aug Mähren und entſchloß fi) zum Angriff. 
Doch auch jet traf er feine Maßregeln jo wenig umfichtig, 
dab die Wifchehrader Beſatzung von feinen Plänen zu fpät 
erfuhr und die Übergabe fich in demfelben Augenblide boll- 
30g, als der Kampf am Fuße des Berges begann. Der Unter- 
ftügung von feiten der Wifchehrader, die nicht mehr in den 
Kampf eingreifen durften, entbehrend, erlitt Sigmunds Heer 
in der mörderiſchen Schlacht unter dem Wifchehrad am Aller- 
beiligentag 1420, in der der mähriſche katholiſche, zum Xeil 
auch utraquiftifche Adel und feine Bauernfchaften, ſowie die 
deutſchen Städte Böhmens und Mähreng mit ihren Bürger - 
maffen fi) aufopferten und verbluteten, eine furchtbare Nie- 
derlage, bei der übrigens wiederum Verrat in den Föniglidyen 
Reihen eine verhängnispolle Rolle geipielt haben ſoll. Wenig- 
ſtens ſchreibt Andreas von Regensburg: „man beichuldigte 


Die Yuffitenkriege. 14191486. 28 





beide Teile, Sigmund und die Barone, der böswilligen Täu- 
ſchung (dolus)“, 

Der Wiſchehrad blieb für Sigmund verloren. Die uralte 
Burg, der ehrwürdige Dom, alle Koftbarkeiten, Dentmale, 
Schäße wurden bis auf den Grund zerftört. Sigmund aber 
mußte von neuem Schuß und Zuflucht in den Mauern der 
aufopferungspolliten deutſchen Stadt Kuttenberg ſuchen und 
trachten, fi im Lande zu behaupten, bis feine Mahnrufe, 
ihm ein frifhes Heer zur Verfügung zu ftellen, Erfolg hätten. 
Mit den Reften, die er bei fi) hatte, brannte und mordete 
er auf den Herrſchaften huſſitiſcher Barone, war aber zu 
ſchwach, um den furchtbaren Vernidytungszug zu verhindern, 
den nad) dem Wiſchehrader Sieg einerfeit3 die Prager, ander- 
feitg die Xaboriten unter Zisfa unternahmen, gegen alle, 
die fich ihnen bisher noch nicht angeſchloſſen hatten. 

Sekt, am 18, Nobember, mußte der Rofenberger, der ſich 
dom Huflitentum bereit losgejagt hatte, den Taboriten doch 
wieder berfpredhen, den Gebrauch des Kelches auf feinen 
Gütern überall zu geftatten. Der Burgherr auf Leſtna (bei 
Beneſchau), Wenzel von Duba, „König Sigmunds vor allen 
geliebter Rat“, ſchloß tags darauf, 19. November, eine Treuga 
auf beitimmte Zeit ab. Diwiſch von Ritſchan aber mußte 
ihnen am 4. Dezember jeine nahe bon Prag gelegene ge- 
waltige Burg außliefern. Damit war aud) dag Schidjal des - 
benachbarten berühmten Klofters Königfaal, der herrlichen 
Stiftung aus der Zeit der legten Premysliden, befiegelt. Den 
Abt und die Mönche ftürzte man in einen Brunnen und ber- 
fchüttete ihn mit Steinen; der Bau wurde bollfommen ber- 
wüſtet. Andreas von Regensburg hörte von Leuten, die bei 
der Belagerung zugegen waren, fie hätten „auf der ganzen 
Erde etwas ähnliches an Pracht nicht gefehen”. Mit der Ein- 
nahme und Zerftörung der noch näher bei Prag gelegenen 
königlichen Feite Wenzelftein bei Nundratig am 26. Januar 
1421 beherrſchten die Hufliten den ganzen Weg von Tabor 
bis Prag. 

Das nächſte Ziel, das die Taboriten ins Auge faßten, 
war Pilfen, die einftmalige „Sonnenftadt”, die fi) aber von 


24 Erſter Abſchnitt. 





ihnen vollkommen abgewandt hatte und dauernd Vorkämp- 
ferin des ſtrengen Katholizismus blieb. Auf dem Wege dahin 
gewann man zuerſt die beiden Klöſter Chotieſchau und Kla— 
drau und die mächtige Burg Schwamberg (bei Tepl) des 
gleichnamigen Adelsgefchlechtes, das zu den angejehenften in 
Böhmen gehörte und big nun Widerftand geleitet hatte. Das 
Städtchen Rokitzan ergab fich freitwillig. Nachdem auf dieje 
Weife die ganze Umgebung Pilſens erobert und gewonnen 
ſchien, begann am 14. Februar die Belagerung der Stadt 
jelbft. Sie währte einen ganzen Monat, führte aber nur 
zum Abſchluß eines Waffenftillftandes am 13. März, der vor- 
läufig bis zur Jahreswende dauern jollte, 

Mehr Erfolg hatten die Taboriten im Umkreis des ſchon 
feit langem mit ihnen verbündeten Saaz. Komotau erlag 
am Balmfonntag (16. März). Seinen tapferen Widerftand 
hatte eg furchtbar zu büßen. Buld folgten die Städte Maſchau, 
Zaun und Schlan, die Burgen Makotraſch und Okor, die Pra- 
ger Bürgern gehörten, um nur einige der wichtigeren Orte 
herauszuheben. 

König Sigmund war zwar Anfang Februar 1421 bis ins 
weſtliche Böhmen vorgedrungen, hatte verſucht, ſich dort bei 
Kladrau den Huſſiten entgegenzuſtellen, allein die völlige 
Ausſichtsloſigkeit ſeines Unternehmens erkennend, war er 
raſch wieder zurückgewichen, befand ſich am 14. Februar 
bereits in Leitmeritz, am 26. in Kuttenberg, verließ ſodann 
Böhmen und begab ſich nach einem längeren Aufenthalt in 
Znaim (vom 9. März bis 2. April) nad, Ungarn. Er über- 
ließ feinen getreuen Anhang im böhmiſchen Adel und in 
den Städten ſich felber. Dem Biſchof Georg von Paſſau, 
feinem deutſchen Reichskanzler, fchrieb er am 16, April aus 
Ungarifd-Brod, daß Gefahr vor den Türken, „die ſich den 
Wicleffen zulegen“ (d. h. ſich mit ihnen verbinden), ihn ge- 
zwungen habe nad) Ungarn zurüdzufehren, denn diefe Sache 
ſei ebenfc „notlich“, als die „von den Wicleffen wegen“. 

Und nun fand der Siegeszug der Huflitifchen und tabo- 
ritifchen Heere fein Semmnis mehr. Die deutichen und Zatho- 
liſchen Städte, nur auf ihre eigene Macht angeiviefen, waren 


Die Yuffitenkriege. 141914886. 26 





ebenfo wie die Klöfter und Burgen in ihrer Vereinfamung 
gegenüber diefem brandenden Meer Hilflos. In dieſe Zeit 
fällt auch der Übertritt des Erzbiſchofs Konrad von Prag, 
der fich ſchon feit längerer Zeit auf feinen Schlöffern außer- 
halb Prags aufgehalten hatte und ſich nun beeilte, einem Zu- 
fammenftog mit den Hufliten redjtzeitig vorzubeugen. Am 
21. April erfdjien er in Prag, Fnüpfte Verhandlungen mit 
dem Feinde an und befehrte fi) zum Utraquismus, indem 
er die „bier Artikel" als „erlaubt, katholiſch und heilfam“ 
anerkannte und ſich zu ihrer Durchführung verpflichtete. Die 
Prager ließen aus Freude über diefen Erfolg, über diefes 
„Wunder (miracula)“, wie man fagte, das Xedeum fingen 
und die Kirchengloden läuten; die Taboriten dagegen waren 
ungehelten und fpotteten: „die Prager kurieren ſchon wieder 
eine antichriftliche Beſtie“. Sein Übertritt hinderte allerdings 
die Taboriten nicht, fpäter die erzbiſchöfliche Stadt Raudnitz 
heimzuſuchen und zu berwüften. Was fich nicht freiwillig an- 
ſchloß, wie Melnif und Kolin, Nimburg und Tſchaslau, erlag 
und wurde zerjtört, darunter neben zahlreichen Klöftern 
(Sedleß, Opatowitz, Sazawa, Wilemow) die tapfere Stadt 
Böhmiſch-Brod am 16. und 17. April in geradezu grauen- 
hafter Weiſe. Kuttenberg, anfangs entichloffen zu fämpfen, 
ſah fi) gezwungen angefichts der feindlichen Übermacdt zu 
verhandeln, Es bat die heranrüdenden Prager, dieſes „leinod 
des Königreichs“ nicht zu zerſtören und ſchloß am 24. April 
mit den Feinden einen Vertrag, Fraft deifen die Stadt auß- 
geliefert wurde und die Bürger fi) nur das Recht wahrten, 
fortziehen zu dürfen, wenn fie bis zum 15. Auguſt die bier 
Artikel nicht angenommen hätten. Nach Eroberung der noch 
öftlicher gelegenen Städte Chrudim, Hohenmaut, Politſchka 
u. a. fand man Anfang Mai an der mäbrifchen Grenze. 

In diefes Land fchon jekt einzudringen und den blutigen 
Vernichtungskrieg auch bier zu erregen, ſchien angefichts der 
Kräfte, die ſich hier entgegenftellen Fonnten, nicht geraten. 
Auch hatten ſich Furz zuvor der mähriſche Landeshauptmann 
Peter von Krawarn auf Stragnig und andere Barone diejes 
Zandes gegenüber den böhmiſchen Huſſiten verpflichtet, die 


26 j Erſter Abſchnitt. 





vier Prager Artikel allgemein zu verkünden und das König- 
tum Sigmunds preiszugeben. Mit diefer Zufage begnügten 
fi die Böhmen und gaben Weifung an ihre Anhänger in 
Mähren, ſich an den genannten Landeshauptmann ſowie an 
Johann von Lomnitz zu halten und jene als Freunde zu be- 
handeln, die diefe beiden als ſolche bezeichnen würden.? 

Man mandte fi) nad) dem Nordoiten Böhmens, deſſen 
Eroberung um fo dringender erſchien, als hier die Gefahr 
eines Einbruchs von Schlefien her zu befürchten war. Teils 
mit, teils ohne Kampf befegte man die größeren Städte, 
darunter Germer (Yaromierz), Königinhof, Trautenau, dann 
auf dem Rüdzug nad Prag cd Jungbunzlau, Leitmerit, 
Melnif u. a. Der Adel rettete feine Burgen durch ſcheit 
baren Übertritt zur neuen Lehre. Damals wechſelte der War- 
uemberger sum drittenmal feine Gefinnung und wurde wieder 

uffit. 

Diefer mehr als halbjährige Feldzug der Huffiten und 
Taboriten durch faſt ganz Böhmen wurde dann durd einen 
befonderen Erfolg abgeihloffen. Seit dem 11. Mai wurde der 
zweite für die Prager gefährliche Stügpunft der Königlichen, 
der Hradſchin, belagert. Die Eingefchlofienen wehrten fich, 
folange fie noch zu leben hatten. Aber ſchließlich brach die 
Not jeden Widerftand. Es wiederholte ſich der Vorgang, zu 
dem vor einem halben Jahr die Burg Wiſchehrad fich hatte ent- 
ſcheiden müffen, Man machte die Übergabe abhängig von dem 
rechtzeitigen Entſatz durch Sigmund binnen einer gewiſſen 
Zeit. Als dieſer ausblieb, mußten am 8. Juni an die drei- 
taufend Mann den Hradſchin -äumen, den je hundert Krie- 
ger aus der Prager Alt- und Neuftadt befegten. Zuerſt läu- 
teten die Gloden in der Stadt und auf der Burg und man 
fang daß Te Deum laudamus aus $reude über das Ereignis. 
Dann aber am dritten Tage, am 10. uni, brach beim Bolt, 
das der fanatiiche Johann von Selau antrieb, die Wut und 
Zeritörungsluft gegen alles Katholifche und Königliche duch, 
es wurde geplündert und verwüftet und nur durch dag Ein- 
greifen einiger Barone und anderer „billig denfender Män- 
ner“ wurde die Burg und der Veitsdom bor dem Schickſal 











Die Yuffitenkriege. 14191438. 27 





Wifchehrads, vor völliger Vernichtung gerettet. Die ganze 
königlich gefinnte dritte Prager Stadt, die Nleinjeite, ging 
in diefen furchtbaren Kämpfen zugrunde. Noch um das Jahr 
1489 lag fie in Trümmern, fo daß man zweifeln konnte, ob 
fie den Namen einer Stadt verdiene. 

Der Huffitismus herrſchte in einem großen Xeile des 
Landes, kirchlich und politiſch. Es gab feine Macht im Innern, 
die fich ihm hätte entgegenfegen Fönnen. 


Dan fonnte daran gehen, das Staatsweſen auf der neuen 
Grundlage neu zu ordnen. Am 7. Juni 1421 wurde in 
Tſchaslau — noch vom 28. Februar bis 5. März hatte König 
Sigmund dort ſicher geweilt — unter Zuziehung der hufli- 
tiſchen Mährer ein allgemeiner Landtag abgehalten. Seine 
Aufgabe follte fein, „die bisherigen großen Mißftände, 
Stürme, Verwüftungen, Brände, Gewalttaten und fonftigen 
Unordnungen im Königreich“ umzumandeln in Ordnung, 
Ruhe und Eintracht. Die Vertreter der beiden Prager Städte, 
dann der jüngfte Konvertit, Erzbiſchof Konrad, der Hochadel 
mit den wanfelmütigften Gliedern Ulrich von Rofenberg und 
Cenko von Wartemberg an der Spike, ſowie die Vertreter 
der Taboriten, als eriter Johann Ziska, ferner der Münz- 
meifter der Stadt Kuttenberg und viele andere, die ſich zum 
„Geſetz Gottes” befannten, waren zugegen. Nachdem die 
religiöfen Lerhältniffe durch feierliche Anerfennung der bier 
Artikel raſch bereinigt waren, fam man zu den politifchen 
Fragen. König Sigmund wurde von allen Parteien für ab- 
gefet erflärt — kaum ein Jahr, nadjdem viele von ihnen 
ihm als gefrönten und gefalbten König von Böhmen gefchmo- 
ren hatten — da er „ein offenbarer Xäfterer der Beiligen 
Wahrheiten und Mörder der Ehre des böhmifchen Volkes und 
feiner Sprache fei”. Zur vorläufigen Regierung des Landes 
erwählte man zwanzig Perſonen: fünf Barone, vier Prager 
und elf Vertreter der verſchiedenen Taboritengemeinden. Wer 
fi, fo wurde ausdrücklich beitimmt, den Beſchlüſſen dieſes 
Zandiages nicht fügen würde, follte als Feind betradjtet und 
gezwungen werden fünnen.?t 


28 Erſter Abfchnitt. 





Es ſchien einen meitern großen Erfolg der Hufliten zu 
bedeuten, daß bald darnach (Auguft 1421) zwar der Polen- 
könig Wladislaw II. für feine Perfon die ihm angebotene 
böhmiſche Krone ablehnte, aber feinen nahen Verwandten 
Herzog Witold von Littauen dafür in Vorſchlag bradjte. 

Dagegen hatte die päpftlihe Kurie in Gemeinfchaft mit 
den deutſchen Kurfürften die Bekämpfung der Huffiten durch 
ein neues Sreuzheer ſchon feit Monaten ing Auge gefaßt. 
Sammerbriefe, die bon deutichen Städten Böhmens an die 
Reichsfürſten und alle Stände, „allen und jeden des heiligen 
Hriftlichen Glaubens Übern und Liebhabern“ einlangten, das 
Elend in entſetzlichen Schilderungen darlegten und um raſche 
Hilfe baten,” boten den äußern Anlaß, ſich mit der Frage, 
die religiös und politifh von großer Bedeutung fchien, zu 
beichäftigen. Schon am 2. März 1421 erflärten die Rurfürften 
in einem öffentlichen Ausſchreiben, daB, wie fie felbit ſich ver- 
pflidytet fühlen nad) gangem Vermögen und mit ihrem eigenen 
Leben Heeresdienft zu leilten, fie auch von jedem Reichsſtand 
erwarten, daß er „at ſolchen der heiligen Chriftenheit und 
des heiligen Reichs ſchweren Nöten“ fommen und helfen 
merde.”” Es bildete fi ein mächtiger Fürftenbund „zur 
Unterdrüdung der böhmiſchen Ketzerei“, dem auch die Reichd- 
ftädte beitraten; „aller deutfcher Zunge ein Bund”. Auf dem 
Nürnberger Reichstag im April d. 3. follte alles nähere be- 
ſchloſſen werden. Da aber König Sigmund nicht erſchien, 
fonnten entſcheidende Beichlüffe nicht gefaßt werden. Erft 
auf einem Mainzer Tag am 29. Juni, dem Sigmund aller- 
dings aud) fernblieb, erklärten fich die Reichsſtädte bereit, an 
einem neuen Kreuzzug gegen Böhmen teilzunehmen, für den 
der eigens nad) Deutichland entjandte Kardinal und päpft- 
lie Legat Branda wirkte und zu dem König Sigmund von 
Ungarn aus mahnte. Er werde, jo ſchrieb er am 19. Juli 
1421 von Preßburg aus an Branda, wenn nicht unter den 
eriten, fo doch gewiß nicht unter den letzten fein, die mit 
ihren Völfern in Böhmen auf dem Kampfplag ericheinen und, 
damit niemand ihn befhuldige und mit Hinweis auf ihn 
fehle, mit Botſchaften und Briefidyaften eifrig bemüht fein; 


Die Huffitentriege. 1410 1486. 20 





denn „was für einen Ruhm könnten wir dabontragen ... 
wenn wir daß berderblichfte Geſchlecht aller Häretiker, Wifle- 
fiften und YHuffiten, nicht bernichteten?“”* Das Reichsheer 
follte von Eger aus, der Markgraf Friedrich von Meißen vom 
Norden, die Schlefier vom Diten, König Sigmund mit dem 
öfterreichifchen Herzog Albrecht V., dem er noch im jelben 
Jahr 1421, am 28. September, feine einzige Toter Elifa- 
beth vermählte, vom Süden ber in Böhmen eindringen. Die 
große Unternehmung verfprad; um fo fichereren Erfolg, als 
ein Buffitifches Heer unter Führung des Priefters Johann 
bon Selau, nachdem es Bilin zerjtört, die Klöſter Doran, 
Teplitz und Oſſegg vernichtet hatte, vor Brüx durd) die Bür- 
gerichaft diefer Stadt, die durch Zuzug aus der Nachbarſchaft 
und ein meißniſch · ſächſiſches Entfagheer unterftügt wurde, am 
5. Auguft eine ſchwere Niederlage erlitten hatte. 

Wenige Wochen darnach, am 24. Auguft, rückte das deutſche 
Heer in Böhmen ein. Aber vor den feiten Mauern der 
Huffitenftadt Saaz, mit deren Belagerung das vereinigte Weft- 
und Oftheer am 16, September begann, feheiterte der zweite 
Kreuzzug, an dem mindeltens 100.000 Mann, vielleicht noch 
mehr, teilgenommen hatten, nicht zuletzt aus dem Grunde, 
weil König Sigmund feine Bufäge, gleichzeitig vom Süden 
ber Prag zu bedrohen, nicht einhielt. Dadurch wurde das 
große QTaboritenheer unter Bißfa frei für den Vormarſch nach 
Norden. Bevor er noch vor Saaz eingetroffen war, hatte man 
die Belagerung aufgehoben und das Seer, defien Verpflegung 
Schwierigkeiten verurfachte, am 2. Dftober aufgelöft, das nun 
unter Verwüftung des Landes zuchtlos und ſchmachbeladen 
heimzog. 

Seinem erſten Fehler, das deutſche Kreuzzugsheer nicht 
rechtzeitig unterftügt zu haben, fügte Sigmund einen zwei · 
ten binzu, indem er in harter Winterzeit allein den An- 
griff auf Böhmen unternahm. Über Mähren, das inzwiſchen 
ſtark Huffitifch geworden mar,” aber in Fürzefter Zeit faft 
vollftändig unterworfen wurde, eilte er mit feinen gefürd- 
teten ungarifchen Horden an die böhmifche Grenze. In 
Jalau, wo ſich der König in der eriten Hälfte Dezember auf- 


80 Erſter Wöfcmitt. 


bielt, fand ſich auch ſchon böhmifcher Adel bei ihm ein. Unter 
furchtbaren Vermwüftungen und Gewalttaten rüdte er fieg- 
reich bis Kuttenberg vor. Die Stadt wurde ebenjo wie viele 
Dörfer und andere Städte im Tſchaslauer Kreis nieder- 
gebrannt, die huſſitiſche Bevölkerung ermordet. Eine Quelle 
berichtet, daß die Knaben durch die Ungarn geraubt, Weiber 
und Mädchen bis auf den Tod gejchändet wurden. Bis Kolin 
gelangte der König. Ziska, der mit feinen Taboriten dem 
ungenügenden Huflitenheer vor Nuttenberg zu Hilfe kam, 
geriet in Gefahr umzingelt zu werden und mußte fich gleich- 
falls nördlich hinter Kolin zurüdziehen (22. Dez.). Ein gleich- 
zeitiger Angriff des deutſchen Reichsheeres von Norden her 
hätte die Böhmen in eine verzweifelte Lage bringen können. 
Sigmund allein waren fie bald gewachſen. Er wurde raſch 
aus Böhmen bis an die mähriſche Grenze zurüdgedrängt. 
Am 8. Januar 1422 erlitt fein Heer durch Ziska eine fo 
furdytbare Niederlage bei Deutſchbrod, dak Sigmund mit den 
Überreften zu einer traurigen Flucht durch Schnee und Eis 
ins mähriſche Land hinein gezwungen wurde. Deutſchbrod, 
von den Xaboriten verwüſtet und zeritört, blieb fieben Jahre 
berödet Tiegen. 

Die Erbitterung über den König wuchs im Reid) und auch 
in Böhmen. In diefer Beit entitand die Rede eines ungenann- 
ten böhmifchen Katholifen über die Schandtaten König Sig- 
munds, die man mit Recht als das Schärffte und Feindfeligfte 
bezeichnet hat, was über ihn gefchrieben wurde.” Drüben im 
Reich ſchwirrten Abſetzungsgerüchte auf. Der polnische Thron- 
plan ſchien ſich jet zu verwirklichen. Witold von Littauen 
entfandte feinen Better Sigmund Korybut mit einem pol- 
nifchen Heer durch Mähren (Mähriic-Neuftadt) nach Böhmen; 
am 16. März 1422 hielt diejer ala Stellvertreter des neuen 
Königs feinen Einzug in Prag Sein Erfcheinen hatte unıfo 
größere Bedeutung, al3 eben damals in der Hauptſtadt zwiſchen 
den beiden huſſitiſchen Parteien eine Perbitterung und 
Kampfeswut herrichte, die in ſchroffſtem Gegenſatz ftand zu 
der vor wenigen Monaten in Tſchaslau vereinbarten Frie- 
dengeinigung. Am 9. März hatten ſich die Prager des ihnen 





Die duſſitenkriege. 1419-1488, 83 


jeit langem unbequemen Führers der Radifalen in der Stadt 
Johannes von Selau und feiner nächſten Anhänger bemächtigt 
und fie enthaupten laſſen. Daraufhin erhob fi ein Tumult, 
ein Stürmen und Berftören von Kirchen, Häufern der Gegner 
und der Juden, daß, wie der Chronift ſchreibt, Prag in diefen 
zwei Tagen größeren Schaden litt, al$ von König Sigmund 
und feinen hunderttaufend Mann, da fie vor der Stadt lagen. 
Sigmund Korgbut warf fi zum Schiedsrichter auf, ftellte 
aud die Ruhe einigermaßen ber, indem er die Prager für 
fid) gewann, aber nur mit Mühe feste er es durd), daß ihn 
auch Bisfa als „Helfer und oberiten Verwalter diefeg Lan- 
des" anerkannte, 

Unter diejen inneren Zerwürfnifien, die die Schwäche des 
ganzen Huſſitismus erkennen ließen, fonnten die Katholiken 
und Anhänger der Föniglihen Sache wieder zu Kräften 
tommen und den Gedanken an Widerftand von neuem faſſen. 
Xrog der ungeheuren bisherigen Verlufte waren fie noch 
anfehnlich genug. In: Welten war e3 da3 ganze Egerland 
und die füdlich daranftoßende jogenannte Pilfner Vereinigung 
mit den Städten Pilfen, Ludig, Tachau, Mies, Biſchofteinitz 
n.a.m.; Bifchofteinig Hatte Anfang Mai 1422 fogar eine 
ſchwere Belagerung glücklich überftgnden. Im Süden war 
Budweis mit dem ganzen Nachbargebiet bis an die öfter- 
reichiſche und bayriſche Grenze eine zwar ſtark umbrandete 
aber widerftandsfähige Inſel. König Sigmund hatte fie 
gleichzeitig mit Mähren bereits 1421 Serzog Albrecht V. von 
fterreid, abgetreten, um ihm auch Bier einen Stüßpunft für 
den Kampf gegen die Huffiten zu ſichern. Im nordweſtlichen 
Böhmen waren Brüx, Kaaden, dad den Huffiten wieder ent- 
tiffene Komotau, Rafonig u. a. Orte, in denen die königliche 
Macht, Deutſchtum und Katholizismus noch immer da3 Über- 
gewicht bejaßen. Und in wiebiel huffitifch gewordenen Städten 
beſonders im Often wartete man nur mit Ungeduld auf den 
Augenblid, da man die bergende Hülle sub utraque bon fich 
werfen und die alte Gefinnung befunden durfte Ahnlich 
unſicher war die Haltung eines Teiles des Adels, während 
andere fi noch immer mit großer Entfchloffenheit gegen 


82 Erſter Wſchnitt. 





Huſſiten und Taboriten auf eigene Gefahr verteidigten, wie 
die Gefchlechter Rieſenburg, Schtvamberg, Plauen, Kolowrat 
im Weſten; im Nordweiten Nikolaus Lobkowitz von Saffen- 
ftein, der Hauptmann de3 Saazer Landfriedenskreifes, Albrecht 
von Koldig auf Bilin, zugleich Hauptmann von Schweidnit 
und Breslau; die Berka von Duba auf Lippa; die Safenburg, 
Sigmund von Wartemberg auf Xetichen; im Oſten die 
Michelsberg, die Boskowitz auf Brandeis; im Süden die 
Nofenberg und mand) andere. 

Es hätte ingbefondere in der erften Hälfte des Jahres 
1422 nur eines redjizeitigen und einheitlichen Eingreifens 
vonjeiten deg Reiches und Sigmunds bedurft, um eine ent- 
ſcheidende Wendung herbeizuführen. Der Anlaß hiezu war 
auch vorhanden. 

Das glänzendfte Beifpiel von mutiger Ausdauer und 
tapferer Standhaftigfeit bot damals die Beſatzung der Fönig- 
lichen Burg Rarlftein, das Juwel unter den Burgen aus der 
Zeit Karls IV. Ihren Widerftnd zu brechen ftellte ſich ins- 
bejondere Prinz Korybut zur Aufgabe und belagerte die Feſte 
feit dem Frühjahr 1422. Die Rettung diefes legten Symbols 
des luxemburgiſchen Königtums in Böhmen benügte Sig- 
mund als wirkſames Loſungswort für die Verhandlungen, 
die er mit den Reichsfürften im Juli 1422 in Nürnberg wegen 
einer neuen Unternehmung gegen die Huſſiten führte. Er 
erwirfte, daß ſich in der eriten Hälfte Oftober ein doppeltes 
deutſches Kreuzheer, eines vor Nürnberg, eines bor Eger 
fammelte, um ſich dann auf böhmiſchem Boden mit den bon 
andern Seiten, Sachen, Meißen, Schlefien, Oſterreich, herbei- 
geführten Scharen zu vereinigen. Aurfürft Friedrich von 
Brandenburg, unzweifelhaft der tüchtigſte, politiih und 
Triegerifch geeignetfte deutiche Fürſt, empfing- bereits jegt 
in Nürnberg nad) feierlihem Hochamt in der Sebaldusfirche 
die vom Papfte geweihte Sahne des heiligen Kreuzes aus den 
Händen Sigmunds, als deſſen „Oberfter Hauptmann wider 
die Wyflefen, die man Huffen nennet”. 

In umfo fchrofferem Gegenfag zu diefen Vorbereitungen 
ftand dann die Durdführung des ganzen Unternehmens. 


Die Yuffitentriege. 14191488. 88 





Das Heer, mit dem der Kurfürft in Böhmen einzog, etwa 
4000 Wann, betrug noch nicht ein Fünftel der vereinbarten 
Zahl; gleichwohl vermochte es jogar Pilfen zu beſetzen, das 
von den Huffiten arg bedroht war. Dagegen fam der jo not- 
- wendige Zuſammenſchluß mit den Meißnern, die unterftügt 
bon den Schlefiern und Lauſitzern bis nad Brüx borgerüdt 
waren, nicht mehr auftande. Und die unverantivortliche Un ⸗ 
tätigfeit Sigmunds, der in Wien jaß und dem Brandenburger, 
zu dem er ın Wahrheit in wenig freundichaftlichem Verhält- 
nig fand, die ſchwere Arbeit allein überließ, erzeugte 
allgemeinen Mißmut und Stodung. Ungenüßt vergingen 
Monate, Im Dezember 1422 hatte das gejamte deutiche 
Heer dag böhmifche Land wieder verlafien, da aud) vom Kur- 
fürften eingeleitete Verhandlungen mit den Huffiten zu einem 
Ergebnis geführt hatten. Die Narliteiner Bejakung hatte 
nad) mehr als halbjähriger Belagerung, an einem Entjaße ver- 
äweifelnd, am 8. November mit dem belagernden Heer der 
Huſſiten einen Waffenftilftand abichließen müffen. Der dritte 
Kreuzzug war gleichſam in’ ſich zufammengebrochen. 

Der Kurfürft von Brandenburg empfand die Schmach 
folder Erfolglofigkeit einer mit größtem Pomp angefündig- 
ten Unternehmung umſo ſchwerer, ala er. ſich vollfommen Klar 
darüber war, daß es nur einer leichten Kraftanftrengung und 
des ernften Willens auf allen Seiten bedurft hätte, — „fo 
wären all Sad) gerinklich zu einem guten Ende zu bringen” 
gemwefen; „des fein wir”, erflärt er in feinem Klaren Kriegs- 
bericht auß Tachau vom 26. November 1422 nachdrücklichſt, 
„an (ohne) allen Zweifel“. Nicht geringe Bedeutung hatte er 
dabei dem Umftand beigelegt, „daB die Prager und die vom 
Tabor in großen Bweiungen mit einander fein“. Gemeint ift 
der alte Gegenjag zwiſchen Taboriten und Pragern, der durch 
Korybuts Dazmwiichentreten nicht nur nicht befeitigt, fondern 
noch verſchärft worden war. 

Der ſchmähliche Rüdzug des Kreuzheeres am Yahregende 
1422 ſchien Zeit zu bieten, diefen Kampf auszutragen. Er 
währte ſchon Monate ohne Unterlaß, führte aber zu Feiner 
Enticheidung, da die beiden Parteien einander gewachſen waren. 


Bretdols. Seid. Wöhmens u. Madrens. II. 8 


3 Erſter Abſchnitt. 





Da entſchloß ſich Ziska im Herbſt 1428 durch kriegeriſche 
Unternehmung ſich und feiner Partei neue Erfolge im Felde 
au erringen, die dann auf die innere Lage nicht ohne Einfluß 
bleiben fonnten. Er 30g zuerft nad; Mähren und bemächtigte 
fi) dann auf dem Heimzug 1424 einer Reihe wichtiger böhmi- 
ſcher Städte, in denen bisher die gemäßigten Elemente das 
Übergewicht gehabt Hatten, wie in Nuttenberg, Kaurim, 
Böhmisch Brod, Nimburg, fegte den Anſchluß von Klattau, 
Soaz, Zaun an feine Partei durch und war nun entichloffen, 
das Regiment Korybuts in Prag zu bredien und die Saupt- 
ftadt zu unterwerfen. Er Iagerte bereits mit feinem Heere in 
Rrags unmittelbarer Nähe bei Lieben, als e8 ebenda am 
13. September und dann im Oktober in Zditz zu Ver- 
handlungen Fam, die zu einem halben Ausgleich führten. Nicht 
zuletzt beftimmten Ziska dabei bie großen Gefahren, die dem 
Suffitentum in feiner Gefamtheit insbefondere durch die 
Fortſchritte der Sfterreicher in Mähren drohten. Dorthin in 
allererfter Linie gedachte er ſich mit feinem Heer zu wenden. 
Mlein gleich zu Beginn der Unternehmung erlag er der in 
feinen Reihen ausgebrochenen Peit am 11. Oftober 1424 vor 
Pribislau an der böhmiſch-mähriſchen Grenze, während der 
Ort erftürmt und in Brand geitedt wurde. Die Flammen 
der in Feuer aufgehenden Burg und die lebenden Fackeln der 
tapferen Verteidiger beſchienen graufig Ziskas Totenbahre. 
“ Die Unternehmung gegen Mähren wurde zivar fortgefekt, 
verlief aber ohne bedeutfamere Erfolge, denn vor allem war 
die Einheit des taboritifChen Heeres ohne den allgemein ge- 
fürchteten gewaltigen Seerführer nicht mehr aufrecht zu erhal- 
ten. Die engeren Anhänger Ziskas Löften fich als die „Waiſen“ 
von ben Taboriten ab und bildeten fortan eine politifch, mili- 
täriſch und religiös ſelbſtändige Gruppe, die in Profop dem 
Kleinen (Profupef) ihr Oberhaupt anerfannte, Ihn über- 
ragte aber fehr bald der eigentlihe Führer der Taboriten 
Prokop der Große (aud) der Kahle genannt), die bedeutendfte 
Belt in der zweiten Hälfte der Huflitenfriege nad) Bis- 
8 . 


Die Yuflitentriege. 1419-1486. 86 





Es heißt, daß er eigentlich aus einer in Böhmen eingewan · 
derten Aachener Familie ftammte und ſich zuerft dem Kauf- 
mannftand widmete. Mit feinem Oheim, der das Geſchäft 
führte, machte er große Reifen nad, Italien, Spanien, Frank- 
rei) und nad) dem Often bis Serufalem. Dann aber unter 
der Wirkung der Huffitiichen Bewegung wandte er fich dem 
Studium der Theologie zu, wurde Prieſter und bald auch 
Anhänger der Taboriten. In Ziskas Schule wuchs er zum 
Feldherrn heran und übernahm deſſen Erbichaft bei dem 
eigentlichen Taboritenheere. Im Felde erſt gewann er jeine 
überragende Stellung. 

Wie König Sigmund die Laſt des Huffitenfriegeg in 
Mähren und Südböhmen vornehmlich auf feinen Schwieger- 
john, Herzog Albrecht V. von Öfterreid; abgewälzt hatte, fo 
fand er einen ähnlich mutigen. und treuen Vorfämpfer für 
Nordböhmen in dem Markgrafen Friedrich von Meißen. Er 
hatte ihm ſchon Sanuar 1423 nad; dem Ausſterben des 
askaniſchen Saufes die ſächſiſche Kurftimme verliehen, mwie- 
wohl andere Fürften bereditigtere Ansprüche befaßen, und ver- 
pfändete ihm Auffig und Brüg mit dem zugehörigen Gebiete.” 
Dank Friedrichs Unterftügung konnte denn aud), wie Brüx 
ſchon im Sommer 1421, jo Auſſig im Herbſt 1424 einen 
ſchweren Angriff feiner huſſitiſchen Feinde glüdlich abwehren. 
Das Jahr 1425 verging mit den langwierigen Außeinander- 
fegungen zwiſchen Taboriten und Waifen, während die Prager 
unter Korybut bereit nad) einer Verftändigung mit König 
Sigmund und den Katholiken ftrebten. Erft zu Beginn des 
Sahres 1426 gewannen die Xaboriten ihre frühere Tatkraft 
wieder und erfannten fofort die Gefahr, die ihnen durch die 
Feitfegung der Meißner in Brür und Auffig drohte. Sie 
bemãchtigten ſich zunädjft einer Reihe Zleinerer Ortſchaften 

. im Umfreis diefer feften Plätze: Weißwaſſer und Leipa, Treb- 
nig und Xeplig, Graupen, Dur und anderer. Im uni 1426 
Tonnte dann der Angriff auf Auſſig gewagt werden, an dem 
fi au die Prager unter Korybut beteiligten, den Haupt- 
befehl führte aber Prokop. Trotz aller Xapferfeit der 
Bewohner von Auffig, trog aller Buzüge aus Sachſen, 

»” 


86 Erſter Abſchnitt. 





Meißen, Thüringen ging die Stadt am 17. Juni nach einem 
mörderiſchen Kampf verloren und wurde durch die Wut der 
Sieger völlig zerſtört. Brüx behauptete ſich dagegen auch 
dieſesmal, bereitete ſogar, unterſtützt von den Meißnern, den 
Pragern, die den Angriff allein unternommen hatten, eine 
ſchwere Niederlage. Ohne die werktätige Mithilfe der ge- 
fürdteten Taboriten waren fie ſchwach und unentſchloſſen. 
Umfomehr fehnten fie fi nad) Frieden mit dem König und 
der Aurie und Ietteten von neuem Verhandlungen mit ihnen 
ein, die den ganzen Winter 1426/7 bis ins Frühjahr hinein 
währten. Dieje Zeit des Zwiſchenſpiels benützten die tabori- 
tifchen Seere, um zum erjtenmal über die böhmiſchen Grenzen 
hinaus in das öſterreichiſche Nachbarland einzubrechen, 
Weihnachten 1426 und März 1427 (Stift Biwettl). Als Prokop 
aber durch feine Anhänger in Prag — der Magifter Johann 
von Rokihan tritt jeßt bedeutfam in den Vordergrund — 
bon den für ihn und feine ganze Partei gefährlichen Frie- 
densverhandlungen der Prager Utraquiften Kunde erhielt, 
kehrte er zurüd und warf feine Gegenpartei mit einem 
Schlage nieder. Korybut wurde (April 1427) aus dem Lande 
verwieſen, Prag für längere Zeit den Taboriten gefichert. 
Und wie fie dann auch ihre Eriegerifchen Unternehmungen in 
die Nachbarländer, in die Lauſitz und nad) Schlefien, wieder 
aufnahmen, alle Ausfichten auf Ruhe und Frieden ſchwanden, 
fiegte auch in Deutſchland und bei König Sigmund der 
Gedanke, durch einen neuerlichen Kreuzzug ihre Macht endlich 
au bredjen. 

Die Unternehmung wurde monatelang vorbereitet; Böh- 
men follte zu gleicher Beit von vier Seiten überrannt werden. 
Als aber im Juli 1427 ein Xeil des Kreuzheeres unter Kur- 
fürft Sriedrih von Brandenburg ohne die anderen Teil- 
nehmer abzuwarten über das Gebirge bis Mies, etwa 
dreißig Milometer von der Weſtgrenze entfernt, vordrang, um 
diefe Stadt, die 1426 von den Hufliten eingenommen worden 
war, zu befreien, ftob es auf die bloße Nachricht, daß die 
Taboriten unter Prokop herannahten, außeinander (3. Auguft). 
Tachau, das fi) bisher behauptet hatte, ging verloren, und 





Die Yuffitenfriege. 1419—1486. 87 





Pilfen mußte mit den Feinden Waffenftillftand fließen. 
Das, wie der Chronift Andreas bon Negensburg jagt, 
„nicht nur fchlechte, jondern ſchmähliche Ende” dieſes Kreuz 
3ug8”° verleidete in ganz Deutſchland Fürften und Reichs - 
ftädten die Luft, fi) nochmals in ſolche Unternehmungen ein- 
zulaſſen. Die Xaboriten waren für lange Zeit bor jeder 
ernfteren Gefahr im Innern und bor feindlichen Einbrüchen 
bon außen ber ſicher. Sie fonnten ſich umfo unbefümmerter 
jelbft über die Grenzen ihrer Heimat auf meitausgedehnte 
Raubzüge wagen. Es find die jchredlichen Huffitenzüge von 
1428—1430, unter denen Mähren und Ungarn, Öfterreich 
und Bayern, die Lauſitz und Schlefien, Meißen, Thüringen 
und Franken fo ſchwer zu leiden hatten, und die aulekt jogar 
über Berlin hinaus Brandenburg und Preußen bis Danzig 
hinab bedrohten. Zeitweilig fürdhtete man in Braunſchweig, 
Rüneburg, Hamburg. In Franken zählte man an die fiebzig 
zerſtörte Ortichaften, von Dörfern umd dem freien Land 
nicht zu reden. Die Huffiten mieden zwar die großen Städte, 
aber an Wien, Dresden, Leipzig u. a. kamen fie recht nahe 
vorbei. Daß die Niederbrennung und Zerftörung ganzer 
weiter Gebiete, die ſich nicht durch ſchwere Leiſtungen Ios- 
kaufen wollten oder konnten, daß Mord und Totſchlag zu den 
gewöhnlichen Erſcheinungen gehörten, bedarf keiner beſonderen 
Erwähnung. Es genügt die Beſchreibung Windeckes über 
den Einfall in Meißen und Franken an der Wende vom Jahre 
1429 zu 1430 anzuführen, um ein Bild won dem Elend dieſer 
Zeit zu geben. Er erzählt: „. . . da zogen fie in das Land 
zu Meißen wohl mit 100.000 Menfchen und gewannen da 
wohl 18 Städte und Märkte und berbrannten da wohl 1400 
Dörfer und taten da verderblichen Schaden. Und zogen da 
wieder hinweg in des Marfgrafen von Brandenburg Land 
und Herzog Hanſen Land und geivannen Bayreuth (30. Sanuar 
1430)... „ Rulmbad) ... und taten da gar großen Schaden 
an Leute Zutodefchlagen, an Rauben und Brennen... und 
Hatten dag leicht zu tun, denn die edlen Leute und die reifigen 
Gezuge (ausgerüfteten Zeuge), die titten aus den Städten 
und ließen die armen Leute aljo elendiglidh und die guten 


38 Erfter Abſchnitt. 





Städte alle ftehen; fie wurden alle verloren. Der Adeligen 
niemand wußte, warn fie (die Huffiten) gefommen wären; 
und wurde durch ihren großen Unmut (Feigheit) unmäßiglich 
biel armer Leute um ihr Leben gebracht; dag man fand das 
Kind an der Mutter Bruft tot, die Mutter tot, das Rind 
lebend faum vor großem Hunger. Und wären die ehrbaren 
Bürger von Nürnberg nit geweſen mit ihrer Speife, die fie 
alle Woch darfandten, ein wenig Fleiſch und Brot, 4000 
Menſchen wären mehr geftorben, denn die fonft tot verbliebeh; 
denn fie (die Huffiten) Weiber und Kinder nicht töten, nur 
die Städte brannten fie aus. Und es wehrte ihnen niemand, 
alfo gar war das Volk verzagt. Denn da die Edlen hinweg- 
titten, fo flohen die Bürger und Bauern zu Holz (in den Wald) 
und ließen Weiber und Kinder Hinder ihn (zurüd). Dazu 
nahmen fie (die Huffiten) mehr denn 3000 Wagen mit Gut 
(beladen) und führten das Hinter fi) gen Böhmen. Und alfo 
zogen fie gegen Bamberg. Da fandten die von Bamberg zu 
ihnen und tegedingeten (verhandelten) mit ihnen um eine 
Summe Geldes, 12.000 Gulden. . . . Und alfo zogen fie 
gen Nürnberg zu; und alfo bejorgete ſich Markgraf Friedrich 
und Herzog Hans gar jehr und ritten zu den Huſſen und die 
Ratsfreunde von Nürnberg und tegedingeten (mit) ihnen 
über 13.000 Gulden, daß fie fiher wären bis auf St. Jakobs- 
tag. Und alſo zogen die leidigen Huſſen wieder nad, 
Böhmen.” ?? 

Planvoller Widerftand wurde nur felten verſucht. Ein 
einzigmal in diefen drei furditbaren Jahren, Anfang 1430, 
bildete fi) ein eigentliches deutjches Heer, das zwiſchen Leip- 
sig und Grimma den Feinden entgegentreten follte; es floh 
auf die erfte Kunde von deren Herannaqhen erſchreckt aus- 
einander. Auch von auswärts wollte man den Deutſchen zu 
Hilfe fommen; der Kardinal Heinrich von Winchefter, ein 
Oheim des damaligen englifchen Königs SHeinri VL, 
rüftete in England ein Heer, aber der Krieg, in den England 
mit Frankreich damals verwidelt war, und das Auftreten der 
Qungfrau bon Orleang zwang ihn, feinen Scharen auf dem 
Marſche eine andere Richtung zu geben. — Die Sungfrau foll 





Die Yuflitenkriege. 1419-1488. 80 





dann ſpäter in einem Schreiben an die „häretiſchen Böhmen“ 
vom 23. März 1430 den Huffiten gedroht Haben, jelber den 
„atlen und unzüchtigen Aberglauben“ mit dem Schwerte 
auszulöſchen, ohne daß aber näheres über diefen Plan, wenn 
er ernft zu nehmen ift, befannt wäre.“ 

Es ſchien nicht abzufehen, wann und wie dieje Vermwüfhun- 
gen und Leiden im deutichen Volke und Lande ein Ende finden 
könnten, beſonders da König Sigmund vom Frühjahr 1426 
bis in den Sommer 1480 dauernd fernab in Ungarn mit 
ganz anderen politiſchen Aufgaben beichäftigt fchien, als ob 
ihn bie Dinge in Böhmen und im Reich am mwenigiten an- 
gingen. Selbft die mächtigften der deutfchen Fürſten, wie der 
Markgraf von Brandenburg, die Herzöge bon Bahern, der 
Burggraf von Nürnberg, mußten, da an eine gemeinfame 
Abwehr vonjeiten des Reiches nicht zu denfen war, fein 
anderes Mittel ſich der Feinde zu erwehren, als ſich mit ihnen 
abzufinden. Denn diefe Huffitenzüge waren nicht zulegt aus 
der Not heraus geboren, da die ausgeſogene verarmte Heimat 
nichts mehr darzubieten vermochte, um das Seer zu erhalten; 
daher ließen fie fich durch Lieferung von Vieh und Geld nicht 
unſchwer ablenken. Allein folk traurige Ausfunftsmittel 
Tonnten niemanden befriedigen. Die Reichsſtände verhandel- 
ten denn auch faft ununterbroden auf großen und kleinen 
Verſammlungen wegen der Huffitengefahr mit einander und 
dem in der Ferne mweilenden König, bis dieſer ſich entſchloß, 
der Frage feine Aufinerffamfeit wieder zuzumenden. Am 
10. April 1429 jchrieb er aus Preßburg an verſchiedene 
Fürften und Städte des Reichs, daß Verhandlungen, die er 
felbft mit den Führern der Huſſiten, unter denen ſich 
ſogar Profop der Große befand, eingeleitet hatte, ohne 
Ergebnig verlaufen feien, fo daß er im Sommer einen neuen 
Feldzug nad) Böhmen zu unternehmen entſchloſſen jei. 
„Wiewohl in unferm ARunigreich zu Behem — fo lautet der 
Eingang — von viel Jahren bisher leider viel Unfürs, Un- 
menfchlichfeit und Jammers begangen worden ift von den ver- 
boften Ketzern, die alle Gejeg und Ordnung der heiligen 
Kirchen und chriftenliden Glaubens zurüdgefchlagen, mit 


“ Erſter Abſchnilt. 


Mord, Brand, Kirchenbrechen, Vertilgung geiſtlichs Standes, 
des ganzen Adels und viel frommer Chriſten ſo mannich 
Übel begangen haben und täglich begehen, daß das Fein 
menſchlich · Hand vollfommenlich vollichreiben kann: und 
darumb daß das in allen umbgelegen Landen — Gott ſei 
geklagt — landkundig iſt, ſo iſt nicht notdürftig, ſolch Unfür, 
die nicht allein häßlich zu begehen, ſondern auch zu hören und 
zu ſehen ſein, in dieſer Schrift auszudrücken. Und wiewohl 
von uns und anderen chriſtenlichen Fürſten, Herren, Städten 
und Anderen ettwedike (etliche) darzu gegriffen und Zug und 
Ordnung gemacht und getan worden ſind, damit man ſolchen 
Jammer aus der Mitt der Chriſtenheit ausgerotten und 
ausgetilgen möchte, — ſo haben doch alle menſchliche Sinne 
und Tat, vielleicht durch Laſt willen unſerer Sünde und bon 
Verhängnuffe wegen des allmächtigen Gottes, feinen end- 
lichen Austrag gehaben mögen, ſondern dieſelb Ketzerei 
ſchleicht alfo täglich je verrer je verrer (weiter). Und wo die 
nicht in Zeiten unterftanden wird, fo ift au beforgen, daß die 
alfo wachſen mag, ob man Binfür gerner dorzu tum wollte, 
daß das nicht jo Teichtlich zu gehen mugen wird... .“. 
Xrog diefer tiefernften Rüdihau und Mahnung verging 
Monat um Monat, diefes und das ganze folgende Jahr 1480, 
BVerfammlungen, Fürften-, Städte- und Reichstage wurden 
aller Orten abgehalten, ohne daß man zu einem Entihluß 
gefommen wäre. Noch am 26. Mai 1430 verfündeten bie 
Kurfürften, daß, da der beichloffene und fo überaus not- 
mwendige „gemeine (allgemeine) Ketzerzug nad; Böhmen „nicht 
alfobalde zumege und auszubringen” ſei, man ſich auf einen 
„täglichen und reifigen Krieg” (Nleinfrieg) und Beihügung 
der Grenzen beſchränken müffe. Selbit die Sturmnadrichten 
im Sommer 1430 über den neuerlichen Angriff der Xabo- 
riten auf Pilfen und deren Einfälle in Bayern, während 
König Sigmund fi in Straubing aufhielt, und in andere 
Länder blieben ohne Wirkung. Erft der große Nürnberger 
Reichstag, den Sigmund im Februar und März 1431 abbielt, 
feit zehn Jahren die erite wirklich zahlreicher beſuchte Ver- 
fammlung im Neid), an der aud) der päpftliche Vertreter Kar- 





Die Yuffitenfriege. 14191436. 4 





dinal Julian Cefarini teilnahm, befchloß einen neuen Kreuz- 
zug gegen die Huffiten, den fünften und legten. Aber nur 
dem unermüdlichen Drängen des Kardinals iſt es zuzuſchrei - 
ben, daß dieſer Beſchluß auch in die Tat umgefegt wurde. 

Am 1. Auguſt brach das deutſche Kreuzheer unter der 
Führung des Rurfürften von Brandenburg über den Böohmer · 
wald in der Richtung nach Tachau ziehend in Böhmen ein, 
den Troß mit eingerechnei an hunderttauſend Mann. Von 
Süden ber erwartele man den Herzog Albrecht V. von Öfter- 
reich, vom Norden den Kurfürften bon. Sachjen. Aber rajcher 
war das taboritifche Heer zur Stelle, eben als die Kreuz 
fahrer damit beſchäftigt waren, die ſüdlich von Tachau gelegene 
damals huſſitiſche Stadt Taus zu belagern. Das bloße Heran- 
nahen des Feindes „mit feinem ungeheuren Geſchrei“, über- 
triebene Gerüchte von feiner Stärke, obwohl er nicht halb 
fo ftarf war als das Kreuzheer, erzeugte eine ſolche Entmuti · 
gung, daß eine wilde Flucht entſtand, die in eine maßloſe 
Verwirrung ausartete, als die Taboriten die Fliehenden zu 
verfolgen begannen. Das Kreugheer „erging wie Rauch, zer · 
floß wie Wachs“ ſchreibt ein gleichzeitiger Chroniſt; und ein 
anderer, Andreas von Regensburg, leitet die Beichreibung 
mit den Worten ein: „Xraurig iſt alles und voller Schmerz“. 
Unendliche Beute, unzählige Gefangene blieben in den Händen 
der Sieger. Wie ein Hohn auf die feierlichen Burüftungen 
der Kreusfahrer vor dem Auszug mußte es jet ericheinen, 
daß die päpftliche Sahne, die Kreuzbulle, der Hut, Mantel 
und die ganze geiftliche Ausrüſtung des Kardinals den Ketzern 
als Trophäe aufiel. 

Es ift kaum zu verftehen, daß nad) ſolchem bollitändigen 
Mißerfolg, der auf die Unfähigfeit der Führung, die Zucht- 
Iofigfeit und Feigheit der zufammengemwürfelten Seerhaufen, 
die gegenfeitigen Feindjeligfeiten unter den deutfchen Fürjten 
zurüdzuführen ift, König Sigmund und der Kardinal Cefa- 
rini doch fofort an eine neue gleichartige Unternehmung für 
das Jahr 1432 dachten und dem Reichstag in Frankfurt, der 
Bart am 16. Oftober 1431. zufammentrat, Vorſchläge unter- 

reiteten. 


42 Erſter Abſchnitt. 





Allein das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem im 
Felde für unbeſiegbar geltenden Feind ließ endlich den Ge- 
danken reifen, der ſchon feit längerer Zeit insbeſondere an 
dem Kurfürſten Friedrich) don Brandenburg einen eifrigen 
Verfechter beſaß und ihn ſchon im Februar 1430 zu ernften 
Beſprechungen mit den huſſitiſchen Parteien zu Beheimſtein 
veranlaßt hatte: durch unmittelbare Verhandlungen mit den 
Huſſiten und Xaboriten dem endlofen Blutvergießen und 
Kriegführen ein Ende zu bereiten. Immer entſchiedener brach 
fi) die Stimmung dur, die ein zeitgenöſſiſcher Chronift 
in die Frage zufammenfaßt: „Wenn es erlaubt ift einen 
Ketzer zu quälen und fein Sleifch zu betrüben und ihn dem 
weltlichen Arm zur Sinrichtung zu überliefern zur Sicherung 
und Abichredung der übrigen, warum follte es nicht erlaubt 
fein, mit ihm zu reden, feine Bedenken zu beantworten und 
zu zerftreuen, auf daB er fich befehre und lebe?” 

Es war eine bedeutfame Förderung dieſes Gedankens, daß 
damals auch ein geeignetes Forum für eine derart wichtige 
politifchreligiöje Verhandlung beitand. Am 23. Juli 1431, alfo 
in denfelben Tagen, da das Kreuzheer zum fünften und legten 
Male gegen Böhmen auszog, hatte ſich in Baſel ein Konzil 
berjammelt. Sein Hauptzweck war nicht die Zurüdführung der 
Huffiten zur Fatholifchen Kirche, fondern waren Reformen und 
Umgeftaltungen der ganzen Kirchenverfaffung. Das Papft- 
tum und die Kirche ftanden noch allzu fchroff auf dem Stand- 
punkt, daß fie mit Häretifern nidyt unterhandeln dürfen. Aber 
das Unglüd von Taus belehrte zum mindeften den bom 
Papſte jowohl für die Leitung des Konzils als des Kreuz- 
zugs eingefegten Kardinal Cejarini, daß der Weg zu Ver- 
handlungen nicht mehr unbedingt abgelehnt werden dürfe, folle 
nit Deutihland durd) die Kriegsfurie, die bereit3 ein 
Dugend Jahre das ganze Sand verheerte, vollfommen zu- 
grunde gerichtet werden. Auch hatten die Huffiten noch am 
21. Zuli 1481, zwei Tage vor der Ronzileröffnung in einem 
offenen Ausfchreiben an die ganze Chriſtenheit ausdrüdlich 
erflärt, auf einem Konzil erſcheinen und ihre Grund- 
lehren, wie fie in den bier Artikeln niedergelegt ſeien. 


Die Yuffitenkriege. 1419-1436. 48 





rechtfertigen zu wollen, wenn fie eg aud) ablehnten, fi einem 
Urteilsfpruh zu unterwerfen. Es konnte nicht ohne 
Birfung bleiben, wenn fie vor aller Welt erklärten, daß fie 
doch mit höchſtem Bemühen beftrebt geweſen feien, vor einen 
Konzil der allgemeinen Kirche „öffentliches, freies, ficheres und 
liebevolles Gehör” zu erhalten, das ihnen aber abgefchlagen 
worden ſei. „Urteilet — jo riefen fie aus — ihr felber über 
das, was wir gejagt haben; wir beſchwören euch, prüfet und 
überleget ihr alle und jeder einzelne Chriftgläubige, ob jene 
Biſchöfe die Site der Apoftel mit Recht und Würde ein- 
nehmen, da fie von ihnen im Leben und in Sitten fo ber- 
ichieden find. ... Und wenn fie, wie fie vorhaben, mit ihren 
übergewwaltigen Heeren unſer Königreich überſchwemmen, um 
es, wie es beißt, bis zur bölligen Vernichtung zu zerftören: 
— mir vertrauen auf die Gnade des Höchſten, deilen Sadje 
wir vertreten; mir werden gezwungen, Gewalt mit Gewalt 
abzumeifen, wie es alle Geſetze und alle Rechte erlauben“. 
Und fie hatten im legten Kampfe wieder Recht behalten. Es 
ift daher wohl zu verftehen, daß der Widerftand gegen ihre 
Einladung zum Konzil bald aufgegeben wurde. Am 15. Ofto- 
ber 1431 erfolgte fie mit der Zuſicherung vollen Gehörs und 
fiheren Geleites, Allerdings vollzog ſich die weitere Entwid- 
lung ungemein langjfam. Im Februar 1432 beſchloß ein Prager 
Landtag die allgemeine Beteiligung unter beftimmten Voraus - 
fegungen; am 18. Mai wurde in Eger mit Abgejandten des 
Konzils verhandelt, unter welchen Bedingungen die Hufliten 
nad) Baſel kommen würden; ein Kuttenberger Landtag wählte 
am 5. September Vertreter aller „bier Parteien“: Xaboriten, 
Waiſen, Prager und Adel. Am 4. Januar 1433 erfchienen fie 
in der Zahl von vierzehn in Bafel, darunter die Taboriten 
Prokop der Große, Magifter Sodann von Rofikan, Peter Eng- 
liſch, der Taboritenbifchof Nikolaus von Pilgram, Meinhard 
bon Neuhaus, Wenzel bon Krawarn u. a. 

Die Verhandlungen in Bafel dauerten mehr als ein 
Vierteljahr; dann mußten ſich im Juni 1433 Konzilsgeſandte 
wieder nach Prag begeben, um dort neuerdings langiwierige 
Beiprehungen wenigſtens über die Grundzüge eines Aus- 


4 Erſter Abfchnitt. 





gleiche zu führen. Sie blieben nicht ganz ohne Erfolg. Am 
11. Auguft 1483 legten die Böhmen dem Konzil die bier 
Artikel zur Annahme por mit der ausdrüdlichen Erklärung: 
„Bir find bereit ung zu vereinigen und eins zu fein in der 
gleichen Weife wie alle Chriftgläubigen nad) Gottes Geſetz 
einig zu fein verpflichtet find, und Gehorfam zu leiſten jenen, 
die ung gejegmäßig vorgefeßt werden, in allen kirchlichen 
Dingen, die fie uns nach Gottes Geſetz auftragen erden. 
Sollte aber das Konzil, der Papſt oder die Prälaten befehlen, 
etwas zu tum, was bon Gott verboten ift, oder etwas zu unter- 
laſſen, was im Kanon der Bibel niedergeſchrieben ift, indem 
fie folde Kanones für verwerflich und berflucht (anathema) 
erklären, dann find wir nicht ſchuldig zu gehorchen ... 

Man kann ſchon aus diefem Wortlaut der Berhandlungs- 
grundlage erfennen, wie ſchwer es war zu einer vollen und 
Haren Einigung zu gelangen. Immerhin ſchwirrten ſchon im 
September Gerüchte auf, „dab der Böhmen Botichaft von dem 
Beil. Konzil zu Bafel . . . gutlich und wohl verhöret und mit 
einem guten Ende wieder von dannen gefertigt ſei, heim- 
zuziehen“. Eine neue Gefandtichaft des Monzild, an deren 
Spitze eine der einflußreichiten Berfönlichkeiten der Berfamm- 
lung, Biſchof Philibert von Coutances ftand, machte ſich auf 
den Weg nad) Prag und erreichte es, da auf dem Martini- 
landtag nad) langwierigen Verhandlungen am 30. November 
die fogenannten Baſeler Kompaktaten, d. h. Vereinbarungen 
des Konzils über die bier Artifel, von der Mehrzahl der 
Stände und der Geiftlichfeit angenommen wurden: eine Grund- 
lage für Verhandlungen war endlich gewonnen. Aber ent- 
ſcheidend für den weiteren Fortgang war die Tatſache, daß 
fih unter den Einwirkungen der Bajeler Beſprechungen und 
Vereinbarungen der längft beitandene tiefe Spalt zwiſchen 
den Huffitifchen Parteien zur Aluft erweiterte, die nicht 
mehr, wie früher fo oft, im letzten Augenblid zu über- 
brüden war. 

Im Juli 1433 begann Profop der Große aus Mißtrauen 
gegen die Basler Verhandlungen und getreu feinem und der 
Taboriten altem Grundſatze: „wir kämpfen um der gefamten 


Die Yuflitentriege. 1419—1438. 45 





Kirche den Frieden zu verſchaffen (bellamus itaque, ut pacem 
universali ecelesiae procuremus)“ die Belagerung der einft- 
maligen „Sonnenftadt” Pilfen, die feit Jahr und Tag ge 
ftügt auf den benadjbarten Adel treu zur Katholifchen Sache 
bielt. Obwohl fi allmählich ein fünffaches Seer aller huffi- 
tiſchen Parteien in der Stärke von 36.000 Mann um Pilfen 
anfammelte, wurde die Einnahme von Tag zu Tag unwahr- 
ſcheinlicher. Nicht nur daß die Unterftügung, die der Stadt bon 
verſchiedenen Seiten zuteil wurde, erfolgreichen Widerſtand 
ermöglichte, im belagernden Heer herrſchten Zwiſtigkeiten und 
Unzufriedenheit, die ſich ſchließlich gegen Prokop, den 
oberſten Befehlshaber richteten. Ein tätlicher Angriff während 
eine Xumultes im Lager veranlaßte ihn fogar auf feine 
Stellung zu verzidjten und nad) Prag zurüdzufehren. 
Während ſich hier vor Pilfen in vielmonatiger Belagerung 
die innere Schwäche des Taboritenheeres Fundtat, gleichzeitig 
das Basler Konzil ſich unermüdlich um die Gewinnung ber 
gemäßigten Parteien bemühte, vollzog fich in Böhmen wohl 
der enticheidendfte Schritt, der zu einer Wendung führen mußte: 
der Bufammenjdluß des Adels ohne Unterſchied des Bekennt · 
nifies, alfo Utraquiften und Katholiken, gegen die radikalen 
Elemente in Form eines Herrenbundes, wie e8 in den un. 
ruhigen Beiten der Regierung Wenzels mehrmals vorgefom- 
men war. Meinhard von Neuhaug und Ulrich von Rofenberg, 
der Utraquift und der Katholif, waren die treibenden Kräfte. 
Schon auf dem Martinilandtag 1433 fegten fie e8 durch, daß 
einer der angefehenften Adligen im Lande aus altem berühm- 
ten Geſchlecht, Albrecht von Riefenburg zum Verweſer Böh- 
mens und Mähren? ernannt wurde. Im März und April 
1434 jchloffen ſich diefem adeligen Herrenbund, in dem utra- 
quiſtiſcher und katholiſcher Adel im gleicher Weife vertreten 
mar, Mähren, dann die Prager Altftadt, Kuttenberg, Pilſen, 
Melnik an, wogegen ſich die Neuftadt Prag entſchieden ab- 
lehnend verhielt und fich au befeftigen begann, ebenfo wie die 
meiften übrigen Städte Böhmens, die zu den Taboriten hiel- 
ten. Der legte Kampf zwiſchen den beiden Richtungen, Huffi- 


46 Erfter Abſchnitt. 





ten (Bragern) und Taboriten, begann, bei dem nun jene die 
Unterftügung durch die Fatholifchen Barone im Lande erführen. 
> Prokop ftellte fi) wieder an die Spike feiner Partei. 
Nach Einnahme der Neuftadt durch den Adelsbund am 6. Mai 
berief Profop das gefamte vor Pilfen lagernde Heer, das 
unter dem Oberbefehl Prokops des Kleinen ftand, herbei mit 
einem die Lage grell beleuchtenden Schreiben, welches lautet: 
„Gott der Allmädjtige, der nad; Gewitterfturm Helle und 
nad) Betrübnis Troft verleiht, ſei mit dir, mein in Chrifto vor 
andern geliebter Bruder. Wille, daß mit Gottes Zulaſſung 
die faljhen Barone mit den Pragern der Altftadt unfere lieben 
Brüder, die Neuftädter Bürger, angegriffen haben; fie er- 
ſchlugen einige und eroberten die Stadt, wovon wir jelbft 
Augenzeugen waren. Nach unferem Dafürhalten folltet ihr 
daher alles andere laſſen und von Pilfen nad) Seltichen 
rüden. Denn Capef fammelt viel Kriegsvolk und wir bon 
Tabor desgleichen. Beſſer iſts, wir fterben, als da wir das 
mit Sinterlift vergofiene Blut umferer lieben Brüder nicht 
rächen. Gott mit euch und feid gewiß, daß er nad) der Be- 
ftrafung der Seinigen fie auch wieder erfreut”. 

Obwohl diefes Schreiben aufgefangen. worden war, erfolgte 
der Abzug von Pilfen am 9. Mai. Nach Prag borzudringen 
mar unmöglid, man zog weiter öftlich bis über Böhmiſch- 
2rod hinaus, In deſſen Nähe bei Lipan kam e8 dann am 
30. Mai zur Schlacht. Prokop der Große fiel mit vielen anderen 
Führern in dem heißen Kampf, der den Tag über, die ganze 
Nacht hindurch bis in den Morgen des 31. gewährt hatte.?? 

Der Sieg des Herrenbundes, der Untergang der nam- 
hafteften Säupter der Taboriten bedeutete den Bufammen- 
bruch der Partei. Alljogleich fielen bis auf Königgrätz alle 
Städte, die in der legten Zeit zu ihnen gehalten Hatten, etwa 
zwei Dutzend, von ihnen ab und fchlugen ſich auf die Seite 
der gemäßigten Prager. 

Die Schlacht bei Lipan bedeutete aber zugleich das Ende 
der Huffitenfriege überhaupt. So urteilte man jofort in 
Deutſchland. Das Basler Konzil beranftaltete Prozeſſionen, 
an denen mehr als neunzig Biſchöfe teilnahmen. In Nürn- 





Die Yuffitenfriege. 1419-1486. 47 





berg wurde der Sieg feierlich begangen; aud) Hier zog man 
in Progefjionen umher, fang das Tedeum in allen Kirchen 
„und jedermann, Yung und Alt, trug Lichtlein in der Hand, 
Gott zu Lob und Ehren“, fchreibt der heimiſche Chronift. 

Die wichtigfte Trage, die zunächit gelöft werden mußte, 
war die Wiederanerfennung Sigmunds als König, der in- 
zwiſchen, am 31. Mai 1438, in Rom die Kaiſerkrone erlangt 
hatte. Die Verhandlungen wurden fofort auf dem Landtag, 
der am 24. Zuli 1434 in Prag abgehalten wurde, aufgenom- 
men und dann in Regensburg, wo fi der König vom 
20. Auguft bis Ende September aufhielt, fortgeführt. Was 
die Böhmen in erfter Linie von ihm verlangten, war die alte 
Forderung: die gefjegliche Geltung des Abendmahles unter 
beiderlei Geftalt im ganzen Lande. Aber die Konzilsvertreter, 
die an den Verhandlungen teilnahmen, wehrten fid) entfchiedenft 
gegen den Zwang, der dadurch auf diejenigen ausgeübt werden 
follte, die die beiden Geftalten ablehnten. Eine zweite ſchwie- 
rige Frage betraf die Wiederbefegung des Prager Erzbistums, 
da Konrad Vechta, der zum Utraquismus übergetretene Iekte 
Inhaber diejeg Amtes am 4. Dezember 1431 geftorben und 
diefe Stelle feither nicht bejegt worden war. Haft zwei Jahre 
sogen fi die Verhandlungen über diefe und andere Punkte 
bin, ohne daß eine Einigung erzielt werden konnte, ohne daß 
Sigmund den böhmiſchen Boden hätte betreten dürfen. Er 
weilte bald in Wien, bald in Preßburg. Erft im Juli 1484 
kam er nad; Brünn und unbefümmert um die Forderungen 
der Konzilvertreter, die aud) hier erſchienen waren, trat er 
in-unmittelbare Beziehung zu den Böhmen und machte ihnen 
BZugeftändniffe, die weit darüber Hinausgingen, was bie 
Kirche beiwilligen wollte. 

Die Mbendmahlsfeier unter beiden Geitalten follte in 
Böhmen zur Regel werden; unter einerlei Geitalt jollte fie 
nur dort geduldet fein, two der neue Ritus nicht eingeführt 
war. Die Wahl des Erzbiihofs überließ er dem Adel, dem 
Klerus und den Städten, behielt fih nur ein Beftätigungs- 
vecht dor, während die Kirche die erftmalige Wahl dem Basler 
Konzil vorbehalten wiſſen wollte. Und vielleicht daS wichtigſte 


4 Erfter Abſchnitt. 





Zugeſtändnis beftand darin, daß fih Sigmund verpflichtete, 
bei Papſt und Konzil dafür zu forgen, daß diefe Bufagen aud) 
verwirklicht würden. Der König kehrte bon Brünn nad) 
Ungarn zurüd und wiederum erft nad Jahresfriſt, nachdem 
ein ‚böhmifcher Landtag die in Brünn getroffenen Verab- 
redungen angenommen und am 21. Oftober 1435 Johann 
von Rofikan zum neuen Prager Erzbiſchof gewählt Hatte, - 
erfchien er in Jalau, wo am 5. Juli 1486 der endgiltige Ab- 
ſchluß des Friedenswerkes vollzogen wurde. Auf dem großen 
Marktplaß dafelbit im Faiferlichen Ornate und in Gegenwart 
der Konzilsabgeſandten empfing er feierlich die böhmifche 
Geſandtſchaft. Die Urkunden wurden vorgelefen und aus- 
getauft; der Erzbifchof vom König beftätigt (13. Zuli). Am 
2. Auguft hielt er mit feiner Gemahlin von Iglau fommend 
feierlihen Einzug in Prag. Der Legat des Basler Konzils 
Johannes Balomar, der über des Kaijerg glänzenden Empfang 
in Prag am 24. Yuguft einen Bericht abfaßte, beichließt ihn 
mit den Worten: „Was er einft mit 80.000 Kriegern nicht er- 
reihen konnte, hat er jetzt ohne Schwert, ohne Bogen und 
ohne Vanze auf friedliche Weife erreicht”. 

Nur mit einer kurzen Unterbrechung im Sommer (Zuli) 
1437 aus Anlaß wichtiger Reichsgeſchäfte, die in Eger ftatt- 
fanden und denen er beimohnte, verblieb Sigmund dauernd 
in der böhmiſchen Hauptftadt, die ihm fo ſchweres Leid an- 
getan Hatte. Als er aber jeinen Tod herannahen fühlte, eilte 
er in fein geliebte Ungarn, wo er begraben fein wollte. Auf 
dem Wege dahin ift er am 9. Dezember 1438 in Znaim 
geitorben, der legte böhmifche Luxemburger. 





Zweiter Abſchnitt. 


Die Wiekungen der huſſitenkriege in politifcher, 
nationaler und wirtfchaftlicher Richtung. 


Laurenz von Brezomwa, der bedeutendfte böhmiſche Gejchicht- 
ſchreiber des Huffitenkrieges, oder „vielmehr der einzige, der 
diefen Namen verdient”? der diefe Zeit vom Anfang bis zum 
Ende miterlebt hat, beginnt feine Chronik mit einer tiefen 
Wehklage: „Wenn ich das gegenwärtige mannigfaltige und 
unermeßlie Unglüd und Verderben des einft jo glüdlichen 
und berühmten Königreiches Böhmen betradjte, das allmählich 
ſich heranſchlich, das Land weit und breit berzehrte und durch 
die Zwietracht inneren Kampfes vernichtete, — dann ſchwinden 
mir die Sinne und der Verftand, erſchöpft von Schmerz, er- 
ichlafft an geiftiger Spannkraft. ...“. Diefe Worte find etwa 
1485 niedergejchrieben, Furz nad) dem Basler Friedensſchluß, 
am Ende der Leidenzeit. 

Ihn, den aufridtigen, tief empfindenden Utraquiften 
drüdte das Gefühl, daß ein hehrer Gedanke, die Befreiung 
des Menfchen von dem Drud priefterlicher Herrſchaft, der Ver- 
ſuch der Wiederherftellung des „wahren Gottesgeſetzes“, auf 
böhmifchem Boden ausgeartet war in einen der leidenfchaft- 
lichſten Kriege, in einen furdhtbaren Kampf aller gegen alle, 
der das ganze Land und feine uralte Kultur binnen wenigen 
Sahren von Grund aus zeritörte. In Anlehnung an Bibel- 
worte vom Schidfal des Volkes Israel fagt er, daß auch das 
einft ruhmvolle Böhmen allen übrigen Nationen zum Schau- 
ſpiel (spectaculum) und zur Spottrede (proverbium) ge- 
worden jet. 

Diefe für jeden überzeugten Huffiten ſchmerzliche und kaum 
faßbare Entwidlung erklärt fich wohl daraus, daß die geiftige 
und religiöfe Xdee, von der die ganze Bewegung ausging, nicht 
auf böhmiſchem Boden erwachſen war, fondern hier nur aufe 


Brethols, Geſch. Bohmens u. Mahrens. IT. 4 


50 Zweiter Abſchnitt. 





gegriffen wurde und fi) alsbald umſetzte in politifche, 
nationale, wirtihaftlihe und foziale Umfturzpläne Für die 
Tirchliche Reform mar Böhmen damals ebenfowenig reif, wie 
andere Ränder; umfo weniger al3 der Hufjitismus im Grunde 
nichts war. al& der fremde Wiclifismus. Auf engliichem 
Boden war er zufammengebrochen, als er ſich auf das foziale 
Gebiet auszudehnen begann, die niederen Volksklaſſen ent- 
fefielte und den Fortbeftand der ftaatlichen und gefellichaftlichen 
Einrichtungen bedrohte, denn Adel und Bürgertum batten 
fi) dort raſch zu deren Schuge vereinigt. Der Huffitismug in 
Böhmen dagegen fpaltete frühzeitig Adel und Bürgertum in 
ſich, fo daß er, al3 die Mafjen für ihn gewonnen waren, die 
bereit3 brüchigen Dämme der höheren Kreife mit Erfolg an- 
rennen fonnte. Sie dann auch niederzureißen, war zwar 
feine leichte Arbeit, aber Schwäche, Uneinigfeit und Behler 
aller Art auf der Gegenfeite madjten eg möglich. Nur dab 
nicht8 neues, beſſeres, lebensfähigeres aufgebaut wurde. 
Vor allem nicht auf kirchlichem Gebiete. Dem ftand von 
allem Anfang der Umftand entgegen, daß jeit Huſſens Tod 
der ganzen Bewegung die inheitlichfeit fehlte. Dem alten 
Katholizismus trat nicht ein neues Bekenntnis entgegen, zu 
dem ſich das tichechiiche Volk hielt, vielmehr zerjplitterte der 
Utraquismus in allerlei Lehrmeinungen und konnte auch nicht 
berhindern, daß im Lande von ıhm ganz unabhängige Sekten 
emporwuchſen. In einer Schrift des bayrifchen Chroniften 
Andreas von Regensburg, der erſt 1439 ftarb, ſomit die ganze 
Entwidlung überſah, wird die böhmiſche „Häreſie“, wie er fie 
nennt; verglichen mit einem Ungeheuer, das verſchiedene &e- 
fihter zeigt, am Schweif aber zuſammengewachſen ift;? und 
dann heißt es weiter: „Die Irrtümer, die die einen behaupten, 
leugnen die anderen und umgefehrt, und oft genug haben fie 
unter einander gefämpft und ſich gegenfeitig totgeichlagen . .“ 
Das Gemeinfanie, das fie verband — der Chronift bezeichnet 
es als den leeren Schein (vanitas) — war einzig und allein 
ihre Feindſchaft gegen die Fatholifche Kirche. Ein halbes Sahr- 
Hundert nad) den Yuflitenkriegen nennt man aber Böhmen 
„aller Irrtümer und Blasphemien Spülicht”, vermag die hier 





Die Wirkungen der Huflitenkriege. 51 





beſtehenden mannigfaltigen Sekten weder zu unterfcheiden 
nod) aufsuzählen. 

Wir fennen bon früher her die beiden Pole des Huffitis- 
mus: Prager und Taboriten. Ihr Verhältnis zu einander 
war dauernd das von feindlichen Brüdern, die nur der gemein- 
ſame Gegner von Beit zu Zeit zum Zuſammengehen zwang. 
Seit jenem 5. Auguft 1420, da die Taboriten den Pragern, 
denen fie die Stadt gegen König Sigmund gerettet hatten, 
ihre Auslegung der gemeinfam angenommenen bier Prager 
Artikel vortrugen, die aber von diefen abgelehnt wurde, war 
an eine kirchliche Annäherung geſchweige denn Vereinigung 
nicht mehr zu denfen. Der Gegenſatz vertiefte ſich jpäter immer 
mehr und alle Verſuche, einen Ausgleich zu finden, ſcheiterten. 
Es kam zwifchen ihnen zu den blutigften Kämpfen. Die Ver- 
brennung des taboritiſchen Priefters Martin Loquens in Raud- 
nig am 21. Yuguft 1421, die Enthauptung des den Taboriten 
jehr "naheftehenden Prager Predigers Johann bon Selau 
mit mehreren Gefinnungsgenofien am 9, März 1422 dur 
die Prager, die gleiche Strafe, die wiederum die Taboriten 
über den utraquiftiichen Geiftlichen Johann Sadlo am 20. Df- 
tober 1421 verhängten, find einzelne Belege diefer erbitterten 
inneren Gtreitigfeiten. Dann kam daS blutige Jahr 1494, 
in dem Prager und Xaboriten monatelang gegen einander in 
Waffen ftanden, ſich gegenfeitig ſchwere Schlachten ſchlugen und 
Ziska nahe daran war, Prag, „das große Babel“, zu zerftören. 

Nicht minder vom Vernichtungswillen erfüllt wie gegen 
einander waren beide Parteien gegen alle Sekten, die unter 
ihnen erftanden. Die bedeutendfte, die ſich Damals bildete, die 
fogenannten Pikarden, die da Iehrten, daß Gott nicht im 
Himmel, jondern in den guten Menfchen, der Teufel nicht in 
der Hölle, fondern in den ſchlechten Menfchen wohne, -wurden 
bon Ziska, ſoweit fie fih in Labor bemerkbar machten, im 
Oftober 1421 unbarmherzig außgerottet. Und nicht nachſichtiger 
waren die Prager. Am 21. Juli 1421 hatte der Stadtrat die 
Verfügung erlafien: „Sn jeder Stadt follen fünfzig zuber- 
läffige Männer ausgewählt werden, die von jeglihem Verdacht 
der Ketzerei frei find, und diefe follen fleißig nad Pilarden 

Pr 


> MANBITPICRETT TG PR ER SITE ET or. 


52 Zweiter Abfcmitt. 





fuchen und nad) denen, die ſolchen oder anderen Irrlehren oder 
fonftigen Vermefjenheiten zugetan find, insbefondere jenen 
Prieftern anhängen, die fich dem Gehorfam unferer Magiſter, 
die als Senioren aufgeftellt worden find, entzogen haben. Und 
diefe Fünfzig follen Vollmacht haben, ſolche Leute in Haft zu 
nehmen und ohne ihre Zuftimmung darf feiner wieder frei- 
gelafjen werden.”® 

Mit folhen Mitteln der Ausfundfhaftung aller Abtrün- 
nigen, ihrer Beitrafung, Verfolgung und Ausrottung behaup- 
teten ſich die beiden ftärfften Firchlichen Parteien, Prager einer- 
feits und Taboriten mit ihren verwandten Abarten (Horebiten, 
Baifen oder Orphaniten, Gemäßigten, medioeres, in Mähren) 
anderfeits, bis e8 ziwiichen ihnen zum Enticheidungsfampf Fam. 

Die Schlacht bei Lipan hatte das radifale Taboritentum 
furchtbar erjchüttert und geſchwächt. aber ihm politiſch und 
kirchlich noch lange fein Ende bereitet. Es Fonnte faum mehr 
hoffen, daß fein Ritus fich noch durchſetzen werde. Man unter- 
Heß zwar nicht, darüber mit Kaifer Sigmund und den Utra- 
quiften zu verhandeln, aber ohne Erfolg‘ Die Xaboriten 
galten fortan bon Kirche und Staats wegen als Häretiker. 

Die Utraquiften dagegen hatten durch die Basler Kompak - 
taten von feiten der Fatholifchen Kirche und durd) den Iglauer 
Vertrag bon feiten de3 Kaiſers Anerkennung errungen, weil 
ſchließlich ihr ganzes Kirchenweſen von dem der Katholiken 
fi) nur unweſentlich unterfchied. Im Dezember 1432 hatte 
ein bom Basler Konzil nad Prag entjandter Kardinal aus- 
drücklich erklärt: er Habe in der Altftadt Prag in den Kirchen 
nichts wahrgenommen, mas bon dem Fatholifchen Ritus ab- 
gewichen wäre, ausgenommen die Kommunion sub utraque 
specie.® 

„Bon den Reformgedanfen des großen englifchen Theologen 
(Wichif)”, jchreibt ein deutſcher Kirchenhiftorifer, „blieb den 
Heinen Geiftern, die fich in Böhmen um Worte zankten, nicht 
das mindelte erhalten. Die Tſchechen waren trog ihrer oppo- 
fitionellen Reden ftet3 katholiſch getvefen, jegt waren fie e8 auch 
äußerlich. Sie kehrten zur Gemeinſchaft mit der Kirche zurüd 
und nahmen deren Ordnungen wieder an. Das eingige, mag 





Die Wirkungen ber Yuflitenfriege. 58 


ihnen als Sonderrecht gewährt wurde, war die Abendmahls- 
feier unter beiderlei Geftalt. Dies BZugeftändnis aber wurde 
noch weiter befchränft: der Laienkelch follte nur da zuläſſig fein, 
wo er bereit3 in Übung war“.“ — Dieſe Auffaſſung bat ihre 
Richtigkeit für einen fehr großen Teil des tſchechiſchen Volkes 
in Böhmen in den dreißiger und bierziger Jahren, berüdfic- 
tigt aber nicht die Maſſe der ſchon damals beftehenden anderen 
Sekten und ebenjowenig, daß diefe fi) immer noch ber» 
mehrten, während der reine Utraquismus in ftetem Abnehmen 
begriffen war. 

Der Katholizismus, der während diejer Kriegszeit in Böh - 
men oft aufs äußerfte bedrängt war und die größten Ein- 
bußen erlitten hatte, war nad) dem Friedensſchluß nicht nur 
gerettet, fondern auf eine ſichere Grundlage geftellt. Man 
Tonnte verfuchen, für ihm wieder Boden zurüdzugewinnen. Es 
ift bezeichnend, dab nunmehr vom Basler Konzil der Bifchof 
Philibert von Coutances, der ſchon an den Verhandlungen 
regften Anteil genommen hatte, nad) Prag entfandt wurde und 
dort bis zu feinem am 20. Juni 1439 erfolgten Tode unan- 
gefeindet verblieb. Seine Aufgabe, die er aud) mit großem 
Erfolg durdführte, ging dahin, vor allem in Prag, aber auch 
auf dem Lande, zu refatholifieren. Er weihte Kirchen und 
Altäre von neuem ein, forgte dafür, dab die Feiertage und 
ſonſtigen Firchlichen Weitlichkeiten in alter Weife wieder 
begangen wurden, daß man an bielen Orten zu ben alten 
katholiſchen Gewohnheiten und Ordnungen zurüdfehrte. Er 
erließ felbitändig Verfügungen an den Klerus wegen Befolgung 
der Kompaktaten und der Kirchengebräuche von ehedem.” Als 
am 18. Februar 1437 Sigmunds Gemahlin Barbara zur böhmi- 
ſchen Königin im St. Veitsdom gekrönt wurde, war es Bilchof 
Philibert, der den feierlichen Aft vollzog, an dem die Abtiffin 
bon St. Georg und andere Äbte und Prälaten teilnahmen. 
Der Zurüdführung der Nonnen in ihre Klöſter im felben 
Jahre wohnte König Sigmund mit den Konjuln aller drei 
Prager Städte bei. Gegen Ende des Jahres, am 19. November, 
fonnte Philibert wahrheitägetreu von den ſtets wachſenden 
Fortſchritten der katholiſchen Religion in Böhmen nad) Bafel 


54 Zweiter Abſchnitt. 





berichten. „Außer der Kathedralkirche und St. Apollinaris 
find in fünfzehn Klöſtern Mönde und Nonnen wieder ein- 
geſetzt worden .. .; nur in zweien müſſen nod) die notwendigen 
Vorkehrungen getroffen werden, damit fie dafelbit wohnen 
können. In den vorgenannten Kirchen wird der Ritus der 
allgemeinen Kirche eingehalten. Den Ausgewiefenen und allen 
anderen, die in dieje Stadt zurüdfehren wollen, fteht dag Recht 
zu kommen und zu verweilen frei. Man verlangt von ihnen 
nichts, als daß fie die Beſchlüſſe des (Basler) Konzils einhalten. 
Kürzlich ſchien es, als ob neue Unruhen im Königreich erregt 
werden follten, die aber nad) göttlichem Ratſchluß, danf der 
Hilfe des Kaiſers und der Unterftügung der Barone, Ritter 
und Städte feinen Eingang (ingressum) hatten. Was die 
Bufunft bringt, weiß Gott.“ 


Es war ein deutliches Merkzeichen der Erftarfung des Katho- 
lizismus und der Schwächung des Utraquismug, daß gegenüber 
diefer angejehenen Stellung des Fatholifchen Konzilsgejandten 
der wohl vom Kaiſer, aber weder vom Konzil noch vom Papſte 
anerkannte utraquiftifche Erzbiichof Johann von Rokitzan ſich in 
Prag nicht behaupten konnte. Er fühlte ſich dort bald jo wenig 
fiher, daß er am 16. Juni 1437 heimlid) die Stadt verlieh. 
Das Erzbistum wurde fortan von dem neuernannten Admini- 

* ftrator Chriſtian von Prachatitz verwaltet, der einftmals ein 
treuer Anhänger Huffeng geivefen war, aber ſchon während der 
Kriegszeit auf die Wiedervereinigung der Utraquiften mit der 
katholiſchen Kirche hingearbeitet hatte. Er gehörte denn auch 
zu den erften, die fih nah Abſchluß der Kompaktaten, im 
Dezember 1433, in die Gemeinſchaft der Fatholifchen Kirche 
hatten aufnehmen laſſen. 


Kirchlich hatten die Huflitenfriege in Böhmen nur ein Chaos 
herbeigeführt, Schon jet nad) dem Friedensſchluß durfte man 
als ſicher anfehen, daß die religiöfe Frage auf huſſitiſcher 
Grundlage nicht gelöft werben könne, der Katholizismus daher 
feine Opfer ſcheuen würde, feine Herrſchaft zurüdzuerobern. 
Der weitere Kampf zwiſchen den Konfeſſionen und Seften war 
unausweichlich. 


Die Wirkungen der Huſſitenkriege 55 





Mit gleicher Heftigfeit wie gegen den Katholizismus fehen 
wir im Verlaufe des Krieges das Huſſitentum gegen das 
Deutihtum im Lande auftreten. Religion und Nationalität 
find unftreitig die entſcheidenden XTriebfräfte der ganzen 
Bewegung. Über das Verhältnis beider zu einander ift in der 
wiſſenſchaftlichen Forſchung viel geitritten worden. Man hat 
bald dag religiöfe, bald dag nationale Moment in den Vorder- 
grund geftellt und als das Urſprüngliche erklärt” Die An- 
ſchauung, als ob „der Huffitismus ... . feinem wahren Kerne 
nad) ein jchlecht verhüllter Nationalitätzftreit war, welcher aus 
der ziweifachen Bevölkerung Böhmens eine einzige jchaffen 
follte*, ift mit gutem Grunde zurüdge:viefen worden. Man 
Tann nicht finden, daß die gleichzeitigen Quellen, weder die ein- 
heimifchen böhmifchen, noch auch die fremden deutfchen, diefen 
Gedanken irgendivie nahelegten. Es tft im Gegenteil auffallend, 
wie ftarf fie den nationalen Gejichtspunft in diefem Kampf 
zurückſtellen. Das hängt wohl damit zufammen, daß die Ver- 
folgung der Deutſchen im Lande urfprünglich gar nit in der 
Idee des Huffitismus gelegen war. Die Verfolgung des 
Deutſchtums in Böhmen in der Zeit der Huffitenfämpfe ift viel. 
mehr eine Rückwirkung des unbedingten Eintretens der Deut- 
chen für den Katholizismus und für das angeftammte Königs- 
haus. Was die Kaadener am 24. April 1420 auf die Forderung 
Wartembergs, dem König Sigmund den Gehorjam aufzufündi- 
gen, antworteten: „Wenn wir das täten, fo taugten wir fürbas 
nimmermehr in alle Ewigkeit zu Biederleuten” 10 bezieht fich 
ebenſo auf ihr Verhältnis zur Kirche und ift der Standpunft, 
den das ganze Deutſchtum im Lande einnahm. Für Kirche und 
König ſich aufzuopfern, hatten die Kuttenberger eidlich ber- 
ſprochen und wiederholt durd) die Tat bewieſen, ebenfo wie eine 
Neihe anderer deuticher Städte. Die Treue zur Religion der 
Väter und zur angeflammten Dynaftie, von der die Deutichen 
nicht laffen zu dürfen meinten, ohne ihren guten Ruf ein- 
aubüßen, wurde ihr Verhängnis. Denn unter folden Ver- 
bältniffen mußte das Huſſitentum zu allererft gegen biefen 
inneren Gegner fi) wenden und ihn unſchädlich zu machen 
trachten, um dann unbehindert dem äußeren, Königtum und 


56 Zweiter Abſchnitt. 





Bopfttum, gegenübertreten zu können. Nicht das Deutichtum 
an fi) wurde verfolgt, jondern das Deutichtum, das den König 
und die Kirche unterftügte Allein da gab es faum einen 
Unterfchied; fait alles, was in Böhmen und Mähren deutſch 
war, war zugleich Fatholifch und Fönigstreu und wollte von 
einem gewaltfamen Umfturz nichts wiffen. Der Haß und die 
Feindſchaft des Huffitismug richtete fich fomit bald gegen das 
heimiſche Deutſchtum in feiner Allgemeinheit. 

Die es befannt ift, daß die Hufjitifche Bewegung felbit in 
Dresden und Bayern Anhänger bejaß, jo willen wir auch, daß 
es anfangs auch deutſche Suffiten in Böhmen gab. Man kann 
e8 daraus fchließen, daß ſchon am 5. April 1421 die Altftadt 
Prag die Verfügung traf, daß „Fein geborener Deutſcher in 
alle Ewigfeit in der Stadt weder erben noch bererben dürfe, 
mit Ausnahme jener Deutichen, die mit un in den göttlichen 
Wahrheiten bisher ausgeharrt haben“. „Nach Gaſtrecht und 
Gewohnheit“, jo hieß es weiter, „dürfen die geborenen Deut- 
{hen in der Stadt Ieben, jo lange fie der Gemeinde recht 
find“. Aber die Zahl wie der einen fo det andern Gruppe 
dürfte bejonders in der Folgezeit Faum erheblich geweſen fein. 

Die Kommunion unter beiderlei Geftalt einerjeit8 und die 
tſchechiſche Sprache andererjeit3 wurden alsbald die Kenn- 
zeichen wahren huſſitiſchen Bekenntniſſes. So kam es, daß 
die Yufliten König Sigmund beiculdigten, er wolle ihren 
Glauben und aud ihre „tſchechiſche Zunge“ außrotten;** jo 
vollkommen dedten ſich binnen fürzefter Beit Kelch und Idiom. 
Der Huflitenkrieg, aus religiöfen Gegenjägen entjprungen, 
mußte ein nationaler Krieg werden, der e8 vor allem auf die 
Burüddrängung der Machtſtellung, die das Deutfchtum im 
Rande in allen Belangen bejaß, abgejehen Hatte. Mit dem 
Sieg der Kommunion sub utraque mußte aud) der tſchechiſchen 
Sprache das Übergewicht gewonnen und geſichert werden, denn 
nur ihre Vefenner galten auch als ſolche des Huflitismus, des 
„echten Gottesglaubens“, 

Diefer Kampf zwiſchen Huſſitentum und deutſchem Volk 
in Böhmen war von Anfang an ein ungleicher. Das Rückgrat 
des Deutſchtums im Lande bildeten die Städte. Aber ab- 





Die Wirkungen ber Huſſitenkriege 5 





gejehen davon, daß der Entwidlung entſprechend die Städte 
in ihrem Innern auch tſchechiſche Bevölkerung befaßen, war 
die deutfche Bürgerfchaft auf fich allein angewiefen und ſah 
ſich gegenübergeftellt entweder einer fanatifierten Menge in 
ihren Mauern felbjt oder einem Friegäluftigen Heer, das bon 
außen angriff, oder einer Verbindung beider Kräfte. Die 
Hilfe, die der König oder die deutichen Fürften bringen 
follten, erivieg fich einmal wie da8 anderemal als ein Danaer- 
geichent, das die Lage der Deutſchen nur verſchlechterte. Ein 
engeres Band unter den Städten jelbft, da8 fie zu gegen- 
feitiger Unterftügung verpflichtet hätte, beftand nicht. Wo es 
ſich in der Zeit der Not bildete, wie im Egerer oder Pilſner 
Kreis, tat e8 Auch bis zu einem gewiſſen Grad feine Wirkung 
und ftärfte die Widerftandsfraft. Ebenjo bewährte fi) der 
Schuß, den die eine und andere Stadt an einem benacibarten 
Fürften fand, wie Brür und Aufjig und der weite Umfreis 
an dem Meißner, Budweis und das füdmährifche Gebiet an 
Herzog Albrecht V. von Hfterreich, Olmütz und Nordmähren, 
fowie andere mähriſche Gebiete an dem Olmüger Biſchof. 

Aber niemand fam den Deutichen in Prag zu Hilfe, als 
fih in den Augufttagen 1419 das erfte Unwetter über fie 
ergoß. Ohne Unterſtützung blieben die einzelnen deutſchen 
Städte und Märkte, als im Frühjahr 1420 die Taboritenheere 
unaufhaltſam duch halb Böhmen dahinfluteten, alles zer- 
ftörend, was fich nicht ihren Geboten fügte. Unter foldy un- 
günftigen Verhältniffen mußte das deutjche Bürgertum be- 
fonder3 in der Mitte des Landes, in der Nachbarichaft der 
feften Site des Huſſitismus aufgerieben werden. Nicht zu 
reden bon den deutſchen Dörfern, die einer ſolchen Sturmflut 
noch weniger Widerftand zu leiſten vermochten. „Ob, wiebiel 
Städte, Märkte, Dörfer und Schlöffer”, ruft einmal Laurenz 
aus, „mitfamt ihren Einwohnern hat nur daS euer zerftört”; 
da3 Feuer, das gleichſam den Abſchluß jedes dieſer graufigen 
Kämpfe zwiſchen Xaboriten und deutſchen Städten bildete. 
Denn fo hoffnungslos e8 von Anfang an aud) war, verfuchten 
doc) eine Reihe deutſcher Städte auf ihre eigene Kraft bauend 
auszuharren und ftellten fi) entichloffen dem Feinde entgegen. 


bs Zweiter Abſchnitt. 





Sie büßten aber faſt regelmäßig ihren blinden Opfermut mit 
vollkommenem Untergang. Wir beſitzen aus der gleichzeitigen 
Uberlieferung eine Anzahl ſolch überaus trauriger Bilder vom 
Elend deutſcher Städte in jener Zeit. 

Eine der am ſchwerſten heimgefuchten Städte war Pradja- 
tig, dem Wifchehrader Kapitel zugehörig, durch feinen Salz - 
handel mit Paſſau ebenfo wichtig als reich, noch von König 
Wenzel IV. im Jahre 1382 mit verjchiedenen Privilegien und 
Gnaden bedacht. Am 25. April des Jahres 1420, fo berichtet 
der Ehronift, wurde e8 im Sturm von den Taboriten ein- 
genommen, „worauf ihre blutige Sand mit hundertfünfund- 
dreißig Dreichflegeln und eifernen Kolben durch die Straßen 
dahingog und die Menſchen graufam niedermadjte, wie 
Schweine. Fünfundfiehzig wurden in der Safriftei eingefperrt, 
diefe mit Fäſſern und Stroh verrammelt und dann er- 
barmungslos verbrannt. Nichts half eg ihnen, daß fie auf die 
Knie fanken, die Hände zum Himmel erhoben und herzbrechend 
flehten, daß man ihnen Zeit zur letzten Beichte gewähre und 
daß fie alles tun wollten, was man ihnen befehlen würde”. 
Und ebenjo geſchah es, führt der Bericht fort, „den Deutichen 
in Biltrig”. Aber die Leiden von Prachatitz erneuerten fich 
nod) einmal. „Im jelben Jahre 1420, eg war am 12. November 
— fo erzählt diefelbe Quelle — nachdem die Taboriten in Piſek 
fich feftgefegt hatten, Iitten fie’ ſchwer durch die Angriffe der 
Pradyatiger auf die, welche dem Geje Gottes treu blieben. 
Denn nad) der Niederbrennung der Stadt und der Berftörung 
ihrer Mauern (am 25. April) waren doc, wieder viele Pracha- 
tiger in ihre Stadt zurüdgefehrt, die früher vor den Taboriten 
geflohen waren, hatten die Häuſer halb und halb, die Mauern 
aber von Grund aus wiederhergeftellt und begannen jegt jene 
graufam zu verfolgen, welche sub utraque fommunizierten, 
nahmen fie in Saft, zwangen fie zu falfchen Ausfagen, ver- 
trieben einige, nachdem fie ihnen Hab und Gut meggenommen 
hatten, und berbrannten, was ärger ift, zwei oder drei Eiferer. 
Als Ziska davon erfuhr, madte er ſich mit Brüdern und 
Scheitern in feierlicher Prozeflion auf den Weg nad, Pracha- 
tig, fand aber deflen Tore verſchloſſen. Er ſprach fie friedlich 


Die Wirfungen ber Yuffitenkriege 9 





an: Öffnet daS Xor und erlaubt ung mit unferem Corpus 
Chrifti.und unferen Prieftern in die Stadt hineinzufommen, 
e8 wird euch weder an Leib noch Gut etwas gefchehen. 
Diefe aber antworteten läfterlih: Wir brauchen fein Corpus 
Chrifti und feine Geiftlichen mehr, wir haben die unfrigen, 
die ung genügen. Da ſprach Bisfa mit erhobener Stimme: 
Ich ſchwöre heute vor Gott, wenn id) die Stadt mit Gewalt in 
meine Hände befomme, bleibt niemand am Leben, fondern 
alle, wiebiel eurer aud) find, laſſe ich töten. Ein Sturm wird 
unternommen und troß aller Tapferkeit der Bewohner die 
Stadt gewonnen. Wag auf der Straße var, wird wie die 
Kälber abgeſchlachtet, etwa 230 Menſchen. Dann zieht die 
Prozeſſion feierlich in die Stadt und wird in die verſchiedenen 
Säufer verteilt, dort rauben fie die Sachen, fpüren die ver- 
borgenen Männer auf, töten fie graufam, nur Frauen und 
Kinder werden geſchont; oder man führt fie vor Ziska, der 
mit Ausnahme bon fieben Leuten, die als Taboriten befannt 
waren, fie in die Safriftei zuſammenpferchen läßt, die, 85 an 
der Zahl, dafelbft verbrannt wurden. Die Frauen und Kinder 
aber vertrieben fie aus der Stadt.“'* 

Auch er, der huffitiiche Chronift, empfindet das Entfegliche 
diefer Kriegführung, wenn er in diefem Zufammenhang ein- 
mal ausruft: „Es gibt feine Feder, welche fo viele und fo 
furchtbare Tatſachen beichreiben Fönnte. ... . Stark geworden 
find damals die Feinde der Kirche, und gefräftigt wurden die, 
die Unrecht taten und das chriſtliche Wolf mit Unmenſchlichkeit, 
Feuer, Schwert und Drefchflegeln, wie die Knechte Neros, 
peinigten und verfolgten“. 

Prachatitz blieb dann viele Jahre in den Händen der Ta- 
boriten, bis 1436 Sigmund die Stadt königlich machte. Hier 
muß wohl die urſprüngliche Bebölferung fait ganz zu grunde 
gegangen, das frühere Deutſchtum vernichtet worden fein. 
Immerhin wird man die Bemerkung des Chroniften nicht 
überfehen dürfen, wie menigftens nad) der erften Zerſtörung 
diefer Stadt die geflohenen Bürger doc wieder zurückkehrten 
und fich fofort an die Wiederherftellung madjten. Wenn auch 
nicht bei Prachatitz, fo mag do in anderen Fällen auf diefe 


0 Zweiter Abſchnitt. 





Weiſe ein Teil des alten Stockes erhalten geblieben ſein. Von 
bedeutenderen deutſchen Städten, die ähnliches Schickſal zu 
erleiden hatten, werden in den Quellen noch genannt: Bene- 
ſchau, Kaaden, Beraun, Deutid- und Böhmifch-Brod, Germer, 
Trautenau und andere. In diejen allen hätte man nad; dem 
Bericht einer Quelle alle, die im Glauben feft blieben, alſo 
Katholiken, was faft gleichbedeutend ift mit Deutichen, Adelige 
und Bürger, Weiber und Mädchen, Säuglinge und Greife, 
insbejondere aber Priefter und Mönche teils durch Feuer, teilg 
durch das Waffer, teils durch da8 Schwert ſchonungslos nieder- 
gemadjt. Diefe Verallgemeinerung mag übertrieben fein; allein 
welches fchredliche Los mancher deutſchen Stadt befchieden war, 
zeigt uns die Schilderung der Zerftörung Komotaus. Der 
zeitgenöſſiſche Vericht Tautet: „Im Jahre 1421 bewegte fich 
das ganze Heer (der Huffiten) von Pilfen nad; Komotau, wo 
man am 15. März anlangte und es mächtig einſchloß. Die 
Deutichen verläfterten das jich Tagernde Heer von den Mauern 
und drängten es am erften Tage zurüd. Am folgenden, einem 
Sonntag, machte da3 Heer einen Angriff von allen Seiten 
gegen Graben und Mauern, Troßdem die Inwohner der 
Stadt flüffiges Pech und fiedendes Waſſer auf die Angreifer 
icjütteten, drangen die Prager bon der einen, die Taboriten 
bon der andern Seite in die Stadt und Burg ein und begannen 
einen Raubzug durch diefe, wobei fie ſoviel Reichtümer bor- 
fanden, wie nie vorher irgendwo. Alle Männer der Stadt 
wurden ermordet oder verbrannt, nur etiva dreißig zurüd- 
gelafien, die die Toten zu begraben hatten. Und fie begruben 
mehr als 3500, nicht gerechnet die verbrannten Krieger, 
Bürger, Priefter und Juden. Die feindfeligen Xaboriten- 
weiber begingen ein fehredliches Verbrechen. Sie führten die 
Frauen und Mädchen, die ihre Männer und Väter beweinten, 
vor die Stadt, nachdem fie ihnen freien Abzug berjprochen 
hatten; draußen angefommen beraubten fie fie aber borerjt 
ihrer leider, ihrer Wäfche, ihres Geldes und aller anderen 
mitgenommenen Habe, fperrten fie in eine Weinberghütte und 
berbrannten fie, nicht einmal der Schwangeren jdhonend“.' 


Die Wirkungen der Yuffitenfriege. 6 





Man ftand gleichfam wilden unbezähmbaren Natur 
gemwalten gegenüber, gegen die es feinen Schug gab, die nur 
verheerten, ſchonungslos in blinder Wut. Man muß den 
Verzweiflungsichrei in dem Brief der Stadt Tachau an alle 
Stände des deutſchen Reichs vom 3. April 1421 Iefen, um 
eine Vorftellung zu gewinnen, in welcher Angſt die vom Un- 
glüd noch verſchonten deutſchen Bürgerſchaflen um fremde 
Hilfe baten; „darumb fo zwingt Angſt und Luſt nun mit 
higigem Seufzen außzufchreien: o du Liebe ...“ .° 

Es ift nicht zu vertvundern, daß unter ſolchen Verhältniffen 
die weitaus größere Zahl der Städte es gar nicht auf einen 
Kampf mit den Huffiten oder Xaboriten ankommen ließ, 
fondern lieber mit ihnen Verträge abſchloß und Abkommen 
traf, die fie wenigftens vor Zerftörung und Niedermeklung 
ficherten. Bu ihnen gehörte von vielen anderen abgefehen, die 
geichloffene Reihe ehedem deutfcher Städte in Oftböhmen: 
Kaurim, Kolin, Tſchaslau, Nimburg, Kuttenberg, Chrudim, 
Hohenmaut, Trautenau, Königinhof, Leitomifchl ufw. Ging 
e3 zwar auch da nicht überall ohne Blutvergießen ab, jo kam 
es doc) wenigfteng nicht zu Ausrottungen. Der Charakter der 
Stadt wandelte fi) allerdings um: die deutſchen Katholiken 
mußten fi unter eine tſchechiſch-huſſitiſche Herrſchaft beugen, 
ftumm gehordjend einem politiſchen Schiefal, das unerivartet 
und faſt unbewußt über Nacht über fie Hereingebrochen war. 
Ein fpredjendes Beifpiel diefer Art bietet die Stadt Autten- 
berg, diefer Pfeiler des Katholizismus und des Deutfchtums. 
Selbit al3 die Schwefterftädte Kaurim und Kolin, Nimburg 
und Tſchaslau in der Überzeugung, daß jeder Widerftand 
zwecklos fei, bereits ihren Srieden mit den „Pragern” gemacht 
hatten, waren die Auttenberger mit ihrem Bergmeifter an 
der Spige und geſtützt auf ihre tüchtige Mannſchaft ent- 
{chloffen den Kampf aufzunehmen. Erft als fie die Menge des 
Feindes erkannten, von der Unteriverfung der umliegenden 
Städte erfuhren und überdies die Brüche in ihren Stadt 
mauern gewahr wurden, Fehrten fie um und entfandten Mit- 
bürger an die „Prager“ mit der Bitte, diefes „Kleinod des 
Königreichs“ doch nicht zu zerftören, mit ihnen edelmütig zu 
verfahren und denen, die fi) den „Pragern“ und dem Geſetze 


62 Zweiter Abſchnitt 





Gottes nicht anſchließen wollten, freien Abzug mit Hab und 
Gut zu gewähren. Auf diefer Grundlage wurde denn auch am 
24. April 1421 ein Vergleich abgeſchloſſen, mit der Friſt des 
15, Auguft für alle, die ihm nicht jofort beitreten würden. 
Daraufhin ging man am folgenden Tage den Pragern in 
einer Prozeffion mit Weibern, Mädchen und Kindern unter 
Lorantragung des allerheiligften Saframenteg bis zum 
Klofter Sedle entgegen und bat unter Aniebeugung um Ver- 
zeihung für die begangenen Tötungen jener, die fih zum 
Geſetz Gottes befannt hatten. Ein huffitifcher Priefter nameng 
Sohannes hielt ihnen in langer Predigt alle ihre Übeltaten 
vor und verfündete ihnen dann die Verzeihung Gottes und 
der „Prager“, was auf beiden Seiten Weinen und flehent- 
liches Beten auslöfte. Einige Prager begaben fich fodann mit 
den Ruttenbergern in die Stadt, um fie in Befik zu nehmen 
und die Neuordnung durchzuführen, während dag Heer zu 
weiteren Unternehmungen fortzog. Die Kuttenberger ſetzten es 
fogar dureh, daß ihr früherer Bergmeifter Peter von Swojſchin, 
genannt Zmrzlif, in fein Amt wieder eingejegt wurde, denn 
nur unter ihm wollten viele Bergleute in Nuttenberg ver - 
bleiben. Die Abziehenden allerdings wurden tro aller er- 
haltenen Bürgfchaften beraubt und aud) durch Abfchneiden der 
Nafen verftümmelt, fo daB fie zurüdfehren mußten.’ 

Diefer Iangfame innere Tſchechiſierungsprozeß der ſich dem 
Huffitentum anſchließenden Städte im Gegenfag zu dem ge- 
waltfamen in den eroberten machte aus vielen Deutſchen 
Tſchechen, aus Katholiken Huffiten; die neue Generation wuchs 
in einer überwiegend tichechiich-Huffitiichen Umgebung auf. 
Städte, die die Väter noch als ganz oder vorwiegend deutſch 
und katholiſch gefannt hatten, lernten die Kinder als tichechifch 
und huſſitiſch kennen. Auch tſchechiſche Hiſtoriker erflären 
ausdrüdlich, daß es damals zu einer maſſenhaften Tſchechi- 
fierung der Deutfchen in Böhmen gekommen ift. Alfo nicht 
Untergang des Deutſchtums durch Auswanderung oder völlige 
Vernichtung, jondern gemaltfame Umbildung des nationalen 
Beſitzſtandes im größten Maßftabe, vor allem in dem 
Randftädten.‘* 





Die Wirkungen der Yuflitentriege. 68 





Einen anderen Leidensweg hatte das Deutichtum in Prag 
durdgumachen. Hier ſchrumpfte es ein durch Flucht und Aus- 
meifung. Seine Stellung war ſchon unter König Wenzel, 
abgejehen von dem Auszug der fremden deutichen Studenten 
und Lehrer im Jahre 1409, geſchwächt worden, als 1413 ein 
Tönigliches Dekret verfügte, daß fortan die Stadtfonfuln nur 
noch zur Hälfte deuticher Nationalität fein jollten, die andere 
Hälfte aber Tſchechen. Der Sturm in den Tagen nad) Wen- 
zels Tod richtete ſich, fobiel wir jehen, ausſchließlich gegen die 
Geiftlichkeit; nirgends ift in den Direllen die Rede davon, daß 
aud) Deutfche, feien e3 einheimifche oder fremde, wegen ihrer 
Nationalität und Sprache verfolgt wurden. Aber die Unficher- 
heit der Lage, die Gefahren, die ſich auftürmten, veranlaßten 
doch viele zur Flucht. Die Chroniken fehreiben, daß mit den 
Kanonikern und Mönden auch „viele Kaufleute und die 
reichen Bürger“ die Stadt verließen? ohne daß aber hiebei 
auf ihr Deutichtum hingewiefen würde. Man wird daher aud) 
nicht fagen dürfen, daß Prag „über die Nacht (vom 17. zum 
18. Auguft) eine rein tſchechiſche Stadt geworden fei".” Es 
war zunächit nicht auf eine gewaltfame Ausrottung des Deutſch- 
tums abgefehen, fondern vielmehr auf eine Verdrängung aus 
Amt und Würden, auf eine Entreißung der Herrſchaft in der 
Stadt. Das beweiſt aud) ein Beſchluß des Landtages, der im 
Herbſt 1419 in Prag abgehalten wurde. Er beftimmte: „Welt- 
liche und geiftliche Sremde follen zu feinem Amt, feiner Würde 
oder Pfründe im Lande zugelaffen und beſonders in den 
Städten nidyt Deutſche in Amter eingefegt werden, wenn 
Tſchechen da find, die fie verwalten können. Urteile und 
lagen follen in Böhmen in tfchehifcher Sprache ausgeitellt 
werden und die Tſchechen überall im Königreich und in den 
Städten die erften Stimmen haben.“ 

Allein diefer erfte Anfturm ging noch vorüber. Wir willen, 
daß König Sigmund bei feinen Verhandlungen mit den 
Pragern in Brünn im Dezember 1419 aud) auf freier Rüd- 
kehr der Geflüchteten in die Stadt beftand und daß diefer 
Forderung fofort entſprochen wurde. Herolde berfündeten 
diefen Beſchluß überall im Lande im Namen des Königs und 


64 Zweiter Abſchnitt. 





der Schöffen. Man darf annehmen, daß in Prag und in an- 
deren Städten, die deſſen Beiſpiel gefolgt waren, big zu be- 
ftimmtem Grade die früheren Verhältniſſe wieder hergeftellt 
wurden. Aber nicht für lange. Im Frühjahr 1420 Fam es 
neuerlich zu einer Maſſenflucht aus Prag. Nicht unmittelbar 
aug Furcht vor den Huffiten, fondern aus Angjt vor ben Ge- 
fahren, denen fid) die Stadt durch ihren Wideritand gegen den 
König ausfegte. Man glaubte annehmen zu dürfen, dat Sig- 
mimd mit feinem großen Kreuzheer die Stadt in Schutt und 
Aſche legen würde und fuchte fich zu retten. 


Diesmal bezeichnet der heimifche Chronift unter den Ge- 
flüchteten „die mächtigeren und reicheren Inwohner der Alt- 
ftadt, ettva 400 Gäſte (Fremde) aus der Alt. und Neuftadt 
und beſonders Deutfche””. Als erften und ficherften Zufluchts- 
ort betrachteten fie die Prager Burg. Wir wiſſen, daß fie 
fich dort eidlich verpflichten mußten, bei der Rückeroberung 
der Stadt mit eigener Hand mitzuhelfen. Dazu kam e8 aber 
nit; der für Sigmund unglüdliche Ausgang ded erften 
Kreuzzuges befiegelte aud ihr Schickſal. Ihre Flucht, ihr 
Schwur gegen die eigene Vaterſtadt Fämpfen zu wollen, gab 
den neuen Machthabern die Möglichkeit, fie ala Feinde der 
neuen Ordnung zu erflären und fi) ihrer dauernd zu ent- 
ledigen. Ihre Käufer und Wohnungen wurden zunächſt den 
aus Xabor und von anderwärts herbeigerufenen Bauern und 
Kriegern überlafjen, fpäter, als diefe Prag wieder verlaffen 
mußten, in anderer Weife vergabt und verkauft. 


Auf diefer Bahn der Ausmweifung und Enteignung ging 
man fehr bald um einen Schritt weiter. Der Chronift erzählt, 
dab ſchon im Juni 1420 Prager Anſäſſige, „befonders Deut- 
che“, jelbjt wenn fie „unter beiderlei Geftalt kommunizierten 
oder zu kommunizieren verſprachen“, dennoch gezivungen 
wurden, die Stadt zu verlaffen. Er fagt auch offen heraus, 
daß dabei nicht ſowohl religiöfe oder nationale Gründe ent- 
ſcheidend waren, jondern „weil fie volle Vorratsfammern be» 
faßen”. Diefe Deutſchen waren aber, wie er ausdrücklich hin- 
aufügt, nur Fremde, Gäfte (hospites),”* die fomit die frühere 





Die Wirkungen der Huflitenfriege. 66 





Flucht ihrer Stammesgenofjen nicht mitgemadyt hatten, fon- 
dern in Prag verblieben waren. 

über die Zahl der damals aus Prag Geflohenen und Ver · 
triebenen haben wir keine ſicheren Nachrichten. Selbſt die 
Prager Univerſitätschronik verzeichnet es bloß als Gerücht, 
daß in der Altſtadt im Jahre 1420 ſiebenhundertzwanzig 
Häufer verlaſſen daftanden.”” Es wäre aber irrig, ſelbſt wenn 
man die Biffer gelten ließe, jämtliche als Beſitz geflohener 
deutfcher Bürger anzufehen. Ein großer Xeil wird der Geift- 
lichkeit und den Fremden gehört haben, mandje Adeligen und 
auch tſchechiſchen Katholiken. Als der Rat am 26. Zuli 1420 
die nella gnahme aller Gitter derjenigen Prager Mitbürger 
verfügte, die die Stadt in ihrer Not berlaffen und fid) mit 
den Feinden verbunden haben, ift mit feinem Worte an- 
gedeutet, dab damit ausfchließlich Deutſche gemeint ſeien.“ 
Bir befigen bielmehr fichere Beugniffe, daß Deutſche troß aller 
Ummälzungen in Prag ſich behauptet haben, und zwar fomohl 
katholiſche als Huffitifche Deutſche. Von diefen Haben mir 
ſchon oben geſprochen. Wir willen aber auch, daß Fatholifche 
Deutſche in Prag verblieben, denen für den Gottesdienft in 
ihrer Mutterfpradje die Kirche des SHeiligengeiftflofter8 zur 
Verfügung geftellt wurde.” 

Alfo: zurüdgemworfen aus feiner ehemaligen die ganze 
Stadtverwaltung beherrjchenden Stellung, beraubt um das 
uralte Recht nad) eigenem Geſetz und als freie Bürger in der 
ererbten Religion Ieben zu Fönnen, ohne Rüdhalt an den 
mädjtigen und reichen Patriziergefchlechtern, die feit Nahr- 
hunderten einen fo großen Einfluß auf das politifche und 
wirtſchaftliche Leben der Stadt ausgeübt hatten — fo ftand 
dag Deutſchtum nunmehr in Prag da; aber entwurzelt, ver- 
nichtet, ſicherem Untergang preisgegeben war e3 nicht. 

Prags Beifpiel mag in einer Anzahl böhmiſcher Städte, 
in denen fid) ſchon zu Zeiten König Wenzels eine huffitifche 
Mehrheit gebildet hatte — wir hatten die wichtigſten ſchön 
früher in anderem Zufammenhang zu nennen — nadjgeahmt 
und den dortigen Deutſchen ein ähnliches Schichſal bereitet 
worden fein, allein unmittelbare und beftimmte Angaben von 


Bretbols, Geld. Böhmens u. Mahrens. IT. 5 


e6 Zweiter Abſchnitt. 


einer Deutſchenverfolgung oder Vertreibung fehlen, ſelbſt für 
Königgrätz, Piſek und Pilſen, in welchen Städten ſich die Be- 
geiſterung für den religiöſen Umſturz anfangs am heftigſten 
äußerte.. Wir wiſſen, wie raſch in Pilſen die Stimmung um- 
ſchlug. Hier dürfte die deutjche Bevölkerung kaum irgend- 
welchen Angriffen außgefegt geweſen fein. Sand doc) hier der 
umgefehrte Fall ftatt, da Bürger, die, wie e3 in der Urkunde 
heißt, „der verruchten wiflifitifchen Sekte“, angehörten, die 
Stadt verließen, und daß mit Zuftimmung König Sigmunds 
vom 19. Dezember 1420 deren zurücdgehliebene Erbgüter der 
Stadt anheimfielen. Mitten in der Zeit der Huſſitenkämpfe 
fchreibt der Pilfner Rat noch am 29. September 1428 nad) 
Ezer in deutſcher Sprache.ꝰ 

Sehr wichtig für die weitere Entwicklung war, dab, wie 
ſchon angedeutet wurde, die mährifchen Städte bis auf wenige 
Ausnahmen, und insbefondere die wichtigiten, Brünn, Olmüß, 
Bnaim, Iglau, Kremfier, Neuftadt und viele andere troß zeit- 
weiſer Stürme bon folden Umwälzungen nicht berührt 
wurden, daB bier die alte deutſche Bevölkerung unangefochten 
in ihrem Beſitz und in ihren Rechten fortleben fonnte. In 
nod) viel außgefprochenerer Weife war dies in den fchleftichen 
und laufigifchen Nebenländern der Fall. 

Überbliden wir aber den Vorgang, der ſich in dieſen andert. 
halb Sahrzehnten im böhmifchen Reiche abfpielte, im ganzen, 
dann wird man jagen müfjen. daß die Wirfung, die der 
teligiöfe Kampf auf das Deutſchtum im Lande ausübte, un- 
geheuer war. Die Einbußen, die das deutfche Volk erlitt, 
waren nicht minder groß alg die Verlufte der Fatholifchen 
Kirche. Der Rückſchlag in nationaler Hinficht ftand dem reli- 
giöſen nicht im mindeften nad); er war vielmehr weit ber- 
hängnisvoller. Denn die Kirche ging unmittelbar nad dem 
Friedensſchluß daran, die beſcheidenen Überrefte, die ihr ver- 
blieben waren, zu neuer Fräftiger Entwidlung zu bringen und 
faud an König Sigmund und Biſchof Philibert, dem Kon- 
3ilsgefandten, mächtige Helfer. Wir kennen feinen hoffnungs- 
freudigen Bericht vom Ende 1437, ein Jahr nad) den Jglauer 
Abmahungen. Das verftümmelte Deutſchtum blieb auf fich 





Die Wirkungen der Huffitenkriege. 67 





allein angewiefen. Es hatte ſich in dem langwierigen Kampfe 
bis zur äußerften Erjchöpfung für das Ingemburgifche König- 
tum und noch mehr für die alte Kirche eingeſetzt. Aber feine 
diejer beiden Mächte dachte daran, ihm feinen alten Beft- 
ftand wieder zu verſchaffen. Der Kirche handelte es fich nicht 
darum, das ehemalige Fatholifche Deutfchtum zu erneuern, 
fondern die Huffitifch gewordenen Tſchechen zurüd zu gewin · 
nen, Und ebenfo lag Sigmund wenig an den deutſchen Min- 
derheiten, die noch vorhanden waren, an ihrer Stärkung und 
Vermehrung. Seine Politif war allein darauf gerichtet, mit 
Silfe jener tſchechiſchen Partei, die ihn willig anerkannte, der 
gemäßigten Utraquiften, feine Stellung -im Königreich zu 
fihern, Die nationalen Verhältniſſe, wie fie fi) unter dem 
Einfluß eines furchtbaren Religionskrieges gewaltſam ver- 
ändert hatten, wieder herzuftellen, die hiſtoriſchen echte der 
Deutſchen im Friedensſchluß zu berüdfichtigen und zur Gel- 
tung zu bringen, lag ihm vollkommen fern. 

In dem großen Maojeftätbrief, den er als Naifer am 
20. Juli 1436 in Sglau den böhmifchen Ständen ausſtellte,“ 
wird diefe Srage mit feinem Worte berührt. Nur die Stellung 
der Ausländer in Böhmen, die ſomit trog aller Ausichlie- 
Bungen, Flucht und Vertreibung nod; immer borhanden 
waren, wurde geregelt: in Böhmen follte feiner ein Amt er- 
halten fönnen, fondern nur ein geborener Böhme; in den 
augehörigen Ländern dagegen, alfo in Mähren, Schlefien und 
in den Zaufigen, follte eg damit fo gehalten werden, wie zu 
Beiten Kaiſer Karla IV.; d. h. mehr oder weniger von dem 
Willen des Landesherrn abhängen. Zwei Tage fpäter, am 
22. Juli, beftätigte er dann noch Prag und den übrigen 
Städten in Böhmen das Recht, daß fie nicht verpflichtet feien, 
jene weltlichen und geiſtlichen Inwohner, die in den Kriegs- 
seiten geflohen waren, wieder aufzunehmen und ihnen ihren 
Beſitz zurüdzuftellen, wodurch zweifellos auch biele Deutfche 
ſchwer betroffen wurden. Nur dort, wo es ſich um des Königs 
eigenen Nuten handelte, machte er eine Ausnahme. Er felber 
regte an, daß in die Silberbergiwerfe von Nuttenberg „die 
erfahrenen deutfchen Arbeiter und andere, die in den Zeiten 


8 Zweiter Abſchnitt. 


der Wirren von dort fortgegangen waren, wieder zurüd- 
kehrten“. Aber „die neuen Inwohner der Bergftadt“ ver- 
langten, daß die Anfümmlinge „sub utraque“ zu fommuni- 
deren berfprechen follten. Wir geivahren wiederum, wie es ſich 
den Huſſiten auch jetzt noch nicht fo fehr um Sprache und 
Nationalität, ala um den kirchlichen Anſchluß, um die religiöfe 
Einheit handelte. Als die deutichen Bergleute diefe Forderung 
ablehnten, fegte es Sigmund durch, dab für die Katholiken 
eine Kirche mit ihren Geiftlihen, für die Utraquiften eine 
weite dauernd beftimmt werde, und daß „der eine Teil den 
anderen nicht berunglimpfe noch behellige, jondern beide in 
gutem Srieden miteinander leben follten”®. Es dürfte aber 
kaum Nuttenberg der einzige Fall diefer Art gemwejen fein, 
fondern nur ein Beifpiel dafür, dab die Rückkehr der alten 
kunarterung fi) als eine wirtfchaftliche Notwendigkeit heraus- 
ſtellte. 

Auf dieſem gewaltſamen Wege vollzog ſich eine bedeutſame 
Umwandlung in der nationalen Schichtung des Landes. Das 
Deutſchtum bisher überall anfällig, in Städten und Dörfern, 
auf Burgen, bei Mllöftern, wurde bier geſchwächt, dort ver- 
nichtet, fügte ſich hier freiwillig in die neuen Verhältniffe und 
wurde dort dazu gezivungen. Im Innern Böhmens wurde es 
duch Ziskas Eroberungszug verſchüttet und in Sahrhunderte 
langer teiterer Entwidlung fonnte eg in diefem Teile des 
Landes nicht mehr zu früherer Kraft emporfteigen. Hier, in 
Böhmen, geftaltete es fich zu einem umfo Fräftigeren und ge- 
ſchloſſenen Randdeutfchtum aus, In Mähren, wo das Huffiten- 
tum nicht mehr mit fo ungeftümer Kraft wütete, ift außer dem 
Rand. noch ein ſtarkes Inſeldeutſchtum im Innern zurüd- 
geblieben, geftügt von einer Reihe deuticher Städte, die bon 
den Yuffiten nicht überrannt werden Eonnten, und von ben 
widerjtandsfräftigen großen Grundherrſchaften der Olmützer 
Biſchöfe, wie beifpielsmeife um Wiſchau und Zwittau und 
einiger Tatholifcher Adliger, wie der Boſkowitze um Trübau. 
Rand · und Sprachinſeldeutſchtum, das man bisher fo grund- 
falſch aus dem Gang der Rolonifation im 13, Jahrhunderte 
zu erklären verſuchte, ift vielmehr dag Ergebnig der furdyt- 





Die Wirkungen ber Huffitenkriege. 6 





baren huſſitiſchen Sturmflit. Mllein zu verdrängen war das 
angeftammte Deutſchtum weder aus dein einen nod) dem 
anderen ande. 

Diefer Überzeugung entipringt wohl auch die Erklärung, 
die Franz Palackd einmal getan hat, indem er fagte: „Wir 
dürfen ung nicht verhehlen, daß auch... .im 15. und 16. Jahr- 
hundert, als wir eine nationale Regierung, tſchechiſche Schulen 
und Amter hatten, die Zahl der Deutichen in Böhmen zu- 
nahm umd ganze Dörfer und Landichaften, langſam zwar 
aber genug ftarf, fi germanifierten. Daraus ſchöpfen mir 
die ımliebfame und betrübende Erkenntnis, daß in dem Wefen 
beider Völfer, des tſchechiſchen und deutſchen, etwas liegt, mas 
dieſem gegenüber jenen, auch abgefehen von den politifchen 
Zerbältniffen, eine größere Erpanfivfraft verleiht und ein 
dauerndes Übergewicht fichert; daB wir irgend einen Fehler 
befigen und zwar tief eingemwurzelt, der wie ein geheimes Gift 
gleihfam an dem Kern unferes Weſens zehrt . . .“ . 

Diefer hier angedeutete Gegenfaß tritt nie deutlicher zu- 
tage, ala in den berhängnisvollen Suflitenfriegen. Was das 
deutſche Volk gemeinfam mit dem tſchechiſchen in Jahrhunderte 
langer mühebolliter Arbeit in diefem Lande an Kulturwerten 
auf allen Gebieten gejchaffen hatte, wurde -binnen wenigen 
Jahren vom tichechifchen Huffitentum bis auf den Grund zer- 
ftört und vernichtet, als dag tichechiiche Volk ohne die Deut- 
ſchen, ja gegen fie, nur meil fie katholiſch bleiben wollten, 
eigene Wege einſchlug. 

Die Niederreißung eines gewaltigen Staatsbaues, mit dem 
damals fein zweiter in Mitteleuropa wetteifern Eonnte, war 
ein leichtes Werk für das tſchechiſche Volk; die Aufrichtung 
eines neuen erivieg fi) alsbald als eine Unmöglichkeit. Nichts 
bon dem, was ſich die huſſitiſchen und taboritifchen Träumer 
erdacht hatten, ließ ſich au) nur im beſcheidenſten Maße ver- 
wirklichen. Ein Elend trat ein, politiſch und wirtſchaftlich, 
„ein fchredlicher ja ungeheuerlicher Sturz (horrenda immo 
prodigiosa labes)“, jo dab ernften Patrioten „die Sinne 
ſchwanden“. Der Bruch mit der Vergangenheit, der Verſuch 
eine Entwidlung einzuleiten, die die wurzelfräftigften Stämme, 


70 Zweiter Abſchnitt. 





die auf diefem Boden erwachſen waren, grundlos und gewalt- 
ſam aug der Erde herausriß und diefe dann brach liegen ließ, 
mußte fi) am ganzen Lande und Volke ſchwer rächen. Böhmen 
tritt in eine Periode geiftigen, wirtſchaftlichen und fozialen 
Stilftends ja Rüdihritts, der in fchroffitem Gegenſatz fteht 
au dem glänzenden, faft ununterbrocdhenen Aufitieg und Aufe 
ſchwung der vergangenen Sahrhunderte. 

Diejer Niedergang Fündigt ſich auf allen Gebieten an. 
Betrachten wir zuerſt dag Schickſal der Prager Univerfität, 
feitdem fie aufgehört hat, eine hohe Schule für daß ganze 
deutfche Reich zu fein. Denn als ſolche war fie von Kaifer 
Rarl IV. bei ihrer Begründung gedacht. Von nirgendher 
ftrömten denn aud) Lehrer und Schüler gahlreicher zu, als aus 
den verfchiedenen deutfchen Ländern, Nicht minder eifrig 
beteiligte ſich die tſchechiſche Jugend an diefem für fie jo leicht 
augänglichen geiftigen Ringkampf, ohne die mindefte Hemmung 
bon feiten der Deutfchen. 

Man behielt e8 dauernd in Erinnerung, als „der Erſte 
unter den Tſchechen“ in Paris die Magifterwürde erlangte 
und dann 1855 zum Uniberfitätßreftor gewählt wurde. Es 
war Adalbert Ranconis aus einer Ortihaft Haid in Böhmen, 
daher auch de Heituno oder de Ericinio genannt.” Seine 
nationale Gefinnung tat ſich darin fund, daß er eine Stiftung 
für Studierende in Paris und Oxford ſchuf, die er auf die 
„böhmifche Nation” beſchränkte. Deutlicher ſpricht fie fich 
darin aus, daß Thomas von Stitny von ihm erflärt, er habe 
nicht zu jenen gehört, die „alles anſchwärzen, weil ich tiche- 
chiſch fchreibe; es ſchien ihm nicht ſchlecht zu fein, für Tſchechen 
tſchechiſch zu ſchreiben“, aber nicht eiwa im Gegenjag zum 
Deutſchen, ſondern zum Lateiniſchen. 

Die Gegenſätze an der Univerſität ergaben ſich aus der 
unglückſeligen Trennung der Lehrer und Schulen nad „Na- 
tionen”, einer äußerlihen Nachahmung einer Einridjtung an 
der Parifer Univerfität, die aber dort einen anderen Sinn 
hatte, da dag frangöfifche Volk nur eine Sprache ſprach, wäh- 
rend dag böhmifche fi in zivei Stämme, deri deutſchen und 
tſchechiſchen, jchied. Vor allem aber betradjteten ſich die 


Die Wirkungen der Huffitenfriege, 71 





Deutſchen aus dem Reich mit vollem Recht an der Prager 
Univerſität für ebenſo gleicjberedjtigt, wie die Tichechen. In 
den Sahren 1884 und 1390 herrfchten ſchon Mißhelligkeiten 
zwiſchen den drei deutfchen und der einen böhmifchen Nation. 
Trotzdem beide Male der Prager Erzbifchof als Kanzler Her 
Univerfität zu Gunften der böhmiſchen Nation entichied, zogen 
die Deutichen daraus Feine Folgerungen? Wir wiljen, wie 
erft das päpftliche Schisma den Nik herbeiführtee In den 
früheren Fällen hatte es fich mehr um Fragen materieller Art 
gehandelt. Jetzt aber, da eine grundfägliche kirchliche Ange- 
JIegenheit entfdjieden werden mußte, Tonnten die deutſchen 
Nationen nicht nachgeben, ohne mit ihrer engeren Heimat in 
Wideriprud; zu geraten. 

Die Prager Univerfität wurde aus einer deutfchen Reichs - 
univerfität im Jahre 1409 zu einer böhmifchen Zandesuniver- 
fität umgeftaltet, in der naturgemäß Lehrer und Studenten 
tſchechiſcher Nationalität ausfchlaggebend wurden. Aber nicht 
infolge eines nationalen Kampfes, fondern weil die deutfchen 
Profeſſoren aus dem Neid) die antipäpftliche und antifatholifche 
Richtung, in die ihre tichechifchen Kollegen bewußt oder unbe 
wußt ımter dem Schutze des Hofes ımd eines großen Teiles 
des Adels trieben, nicht mitmachen konnten. Nicht, daß fich 
die Univerfität in drei deutfche Nationen und eine böhmifche 
ſchied, fondern, daß ſich in ihr zwei religiöfe Parteien ge- 
bildet hatten, war das Unglüd. Die eine Richtung vertraten 
die Deutſchen aller Länder und Stämme, die zweite nur die 
Tſchechen; aber fie obfiegten, dank dem Machtwort, das der 
unberechenbare König Wenzel zu ihren Gunften ſprach. Kaum 
aber waren die drei deutſchen Nationen aus Prag verdrängt, 
fo übertrug fich die Kirchliche Spaltung auch auf die eine böh- 
mifche Nation; denn, wie der angefehene Magifter Andreas 
von Brod, ftimmten auch andere tſchechiſche Lehrer mit Huß 
und feiner Partei nur in nationalen nidyt aber in teligiöfen 
Fragen überein. Und von der Lehrerſchaäft griff diefe Spal- 
tung weiter auf die Geiftlichfeit im ganzen Lande und auf 
das Volf. Schon 1413, vier Jahre nad) dem Auszug der 
Deutfchen, erflärte anläßlich einer Verfammlung im Prager 


73 Zweiter Abichnitt. 





erzbiſchöflichen Palaft der Univerfitätslehrer Stanislausg bon 
Bnaim: im böhmiſchen Klerus feien zwei Gruppen zu unter- 
iceiden, „eine größere, die nicht aufhöre, der römifchen 
Kirche ... Gehorfam zu leiften und fie als die einzig wahre 
Quelle und Richtſchnur des Glaubens anzufehen; wogegen 
eine Anzahl fchlechter Geiftlicher fich erhebe, die Gebote der 
Kirche veradhte, die von ihr verbotenen Lehren Wiclifs Halte 
und berbreite und als den einzigen Richter in Glaubensjachen 
die Heilige Schrift anfehen wolle, die von ihnen nad ihrem 
eigenen Sinne auögelegt würde”. 

Die tſchechiſchen Univerfitätslehrer, die auf ftreng fatho- 
liihem Standpunkt ftanden, Hatten geglaubt, diefer ihrer 
Gegner aud) ohne die deutfchen Nationen Herr werden zu 
tönnen und hatten die Deutfchen ziehen laffen. Allein waren 
fie jedoch wie ſich raſch genug zeigte, ohnmächtig. Die 
Univerfität wandte fi) nun in ihrer Mehrheit mit Begeifte- 
rung der neuen Bewegung zu; allerdings murde fie auch 
dadurch das erfte Opfer in diefem Vernichtungsfampfe. 
Wenige Jahre zubor noch hatte der ebengenannte Andreas 
von Brod den Ruhm der Prager Schule in überſchwänglichen 
Worten gefeiert. „Der Wohlgeruch diejer Univerfitit — fo 
ſchrieb er — insbeſondere meiner Mutter, der Artiftenfafultät, 
breitet fi duftend überall auf dem Erdfreis aus, gegen Oft 
und Welt, Nord und Süd. Preußen und Ruſſen, Polen und 
Ungarn, Engländer und Spanier, Sadjfen und Schweizer, 
Norweger und Skandinavier, Beneter, Italer, Lombarden, 
Frankreich mit Übergehung von Paris, Neapel und das meer- 
umflutete Cypern, der Rhein und Schwaben und beide Bayern 
ſchicken ihre Söhne hierher, um zu ſchweigen von den benadj- 
barten Ländern, die alle diefe Mutter, die Artiftenfafultät, 
berühmt gemadjt hat. Was follen wir bon ihrer Erhabenheit 
fagen, die andere Univerfitäten gleich edlen Töchtern herange- 
30gen und wie ausgewähltes Neiß in neues Erdreich einge- 
pflanzt bat. Wien, Krakau, SHeidelberg, Köln, Würzburg, 
Erfurt bat fie ertwwiefenermaßen mit glänzenden Lehrern ge- 
ſchmückt. Sie ift dag Licht, fie ift der Glanz der umliegenden 
Provinzen; die Quelle und der Urfprung der benachbarten 





Die Wirkungen der Huſſitenkriege 78 





Uniberfitäten. O glüdliches Böhmen, geſchmückt mit einem fo 
foftbaren Kleinod. O glückliche Krone, die du ſoviel leuchtende 
Edelfteine in dich faſſeſt. O überglüdliches Prag, das du 
diefen edlen Schag in deinem Innern verſchließeſt. Was fol 
ich von dir jagen, du edles, edelites Prag . . 

Und jegt, 1416, verfügte das Konftanzer Konzil ihre Auf- 
bebung, verbot alle Vorlefungen und Schulhandlungen und 
erflärte alle von ihr in Zukunft erteilten afademifchen Grade 
für ungültig. Wenn nun aud) die Univerfität diefe :Verfügun- 
gen nicht anerfannte und weiter beitand, jo büßte fie als wilfen- 
ichaftliche Lehranftalt alabald jede Bedeutung ein. Mit dem 
Sahre 1417 ſchloſſen bereit3 für lange Zeit die Promotionen 
zum Magifterium, dem höchſten Lehrftand. Die drei Fakul- 
täten, Zus, Medizin und Theologie Löften fich völlig auf, e8 
blieb nur die artiſtiſche oder philofophifche übrig. Und auch 
an ihr mußte vom Frühjahr 1420 bis 1423 mit dem Unter- 
richt ganz außgefegt werden. Eigentlich erft 1430 begann die 
ſchulgemãße Tätigfeit an diefer einzigen Fakultät wieder. 
Allein der Mangel an Lehrkräften, die Unterbindung allen 
Verfehrs mit den übrigen Uniberfitäten, dann der Verluft faft 
aller Vefigungen, Stiftungen und anderer Einfünfte, über die 
fie früher verfügt hatte und nicht zulegt „die Vernichtung faft 
aller Bibliotheken der Kollegien, weldye von dem Pöbel ver- 
ſchleppt oder vernichtet worden waren“, und das allgemeine 
Elend im ganzen ande vereitelten für lange Zeit die Wieder- 
aufrichtung des bon Karl IV. geſchaffenen ftolzeften Werkeg.3° 

Wie hätte auch. ganz abgefehen bon der geiftige Arbeit 
bemmenden Kriegszeit, Wiſſenſchaft und Kunſt ihren alten 
Ruhm behaupten Tönnen, wenn die Tahoriten, deren zer- 
ftörenden Einfluß alle übrigen huſſitiſchen Parteien grund- 
fäßlich dulden mußten, ſchon im Jahre 1420 dag Volk lehrten: 
„Jeder Menſch, der die freien Fünfte ftudiert oder in ihnen 
einen Rang erwirbt, ift eitel und heidniſch und fündigt gegen 
das Evangelium Chrifti”. 

Der Huflitenfrieg hat Böhmen um feine berühmte Uni- 
verfität gebracht; er hat die Foftbarften Kunſt. und Bauwerke 
augrunde gerichtet, wertvollſte Bücherſchätze, ganze Vibliothe- 


74 Zweiter Abſchnitt. 





Ten und Archive, die Quellen der Geſchichtskenntnis, unmwieder- 
bringlich zerftört””. Die großartige geiftige Kultur Böhmens 
aus der Premysliden- und Zugemburgerzeit ift damals zum 
großen Teil vernichtet worden; das an geiftigen und Fünft- 
leriſchen Schöpfungen reiche Böhmen begann zu berarmen. 
Diefe Zerftörungsmut der Huſſiten — ein gleichzeiti- 
ger Chronift jagt einmal: „diefer Sekte Grundlage war Ber- 
folgungen, ‚Bugrunderichten, bollftändiges Vernichten“ und ein 
anderer fpäterer: „mie in der Geſchichte wurde ein Land fo 
verheert” — erklärt ſich auß den Umſturzideen, die in daS 
Volk Hineingetragen wurden. Es follte ein neues Beitalter 
geichaffen werden, das nichts mehr mit dem früheren gemein 
haben würde. Es gab befonders einflußreiche taboritiſche Geift- 
liche in Prag, die offen erflärten, „in diefer Zeit der Ver- 
geltung müßten alle Städte, Dörfer und Burgen verwüſtet, 
äugrunde gerichtet und verbrannt werden,” und auch Prag, 
„da8 Babylon“ der Städte, wollten fie nicht außgenommen 
miffen.’® 
Dazu Fam e3 zwar nicht der Tat, wohl aber der Wirkung 
nad. Die Vernichtung des Fräftigen deutfchen Bürgertums 
ließ die Städte tief herabfinfen. Der Reichtum war aus den 
Städten verſchwunden und mit ihm für lange Zeit der Bürger- 
ftolg und die Vürgerfraft, der Unternehmungsgeift, dag gol- 
dene Handwerk und der blühende Sandel. Der päpftliche 
Bann allein hatte damals die Kraft, ein ketzeriſches Land 
handelspolitiſch bon der Welt abzufchneiden. Sehr bald nad) 
Ausbruch der Wirren begann man die Handelswege nach und 
dur) Böhmen zu meiden. Das alte Prager Niederlags- 
recht, wonach Kaufleute, die aus Salzburg, Paſſau, Regens- 
burg, Münden nach Bittau, Bautzen, Görlig, Schweidnig, 
Breslau handelten, zuerft in Prag Halt machen mußten, 
ging langiem zugrunde” Am 17. Mai 1424 ‚befahl König 
Sigmund dem Rat zu Regensburg, er folle gemäß früheren 
Anordnungen feinen Mitbürgern ftrengftens berbieten, „daz 
niemand den Kekern zum Behem und anderswo fein För- 
derung, Hilf und Rat mit Worten noch mit Werfen tun, noch 
ihnen feinerlei Speife, Trank oder andere Notdurft reichen 





Die Wirkungen der Huflitenkriege. 75 





folle, e8 fei mit Wein, Brot, Getreid, Salz, Kaufmannſchaft, 
Spegereien, Gewürzen, Harniſch, Büchſen, Pulver oder feinen 
anderen Sachen, wie die möchten benennet fein... .”.° Daß 
mit Ungarn, Oſterreich, Sachſen und Schlefien ber Verkehr 
faft völlig unterbunden mar, ift durch die Stellungnahme der 
Landesherren zur Huffitifchen Frage gegeben. 

Mas Tonnte weiters, ganz abgejehen von diefer Aus- 
ſchließung, diejes plötzlich emporgehobene tihehiic-Huffitiiche 
Kleinbürgertum, was der in die Stadt berpflanzte Bauer für 
die Städteentwidlung bedeuten, Wir haben gehört, dag nicht 
einmal der Ruttenberger Bergbau ohne die altbewährte deutjche 
Knappenſchaft fortgeführt werden Fonnte. Nach Yahrzehnte 
langer Entwillung fällte ein Staatsmann unter Georg bon 
Vodiebrad noch das Urteil: Der Bauer Tann Feine Stadt 
verwalten.“ 

Zum Niedergang des Städte und Bürgertums kam nun 
noch wohl als merkwürdigſte Folgeerſcheinung der Huffiten- 
Triege die Verelendung der Bauernſchaft auf dem Lande, 

Neben dem Kleinen Handwerker und niedrigen Arbeiter 
in den Städten und Märkten mar es inbejondere der tiche- 
chiſche Bauer, den die Heilslehre der Huffiten und Taboriten 
gelodt hatte. Für ihn, den ſchwer gedrüdten Gläubigen, ſchien 
dag „Reich Gottes auf Erden“, dag man ihm in Ausficht ftellte, 
in dem es feinerlei Unterſchiede des Beſitzes, deg Standes, 
der Bildung mehr geben follte, jedes Opfers wert. In Maffen 
verließen fie Haus und Feld, verfauften ihr Iektes Hab und 
Gut. Wurden die deutſchen Dörfer geplündert und zerftört, 
verwüſtet und verbrannt, fo die tſchechiſchen durch Ent- 
völferung in Wüfteneien verwandelt. Auf diefe Weife ent- 
ftand, was man den „agrarifchen Ruin“ des Landes genannt 
hat:v dieſes ſtarke Abziehen der Bauernmafien in die Städte, 
„in fremde ihnen unbehagliche Umgebung“, oder „in bie 
Reihen der heimatlofen Kriegsrotten”. Was aber auf dem 
Zande außhielt, geriet, ob deutſch oder tſchechiſch, in eine ver- 
zweifelte Tage, da e8 allen Unbilden der Kriegszeit ſchutzlos 
preisgegeben war und fid jeden Tag bereit halten mußte, 
die Schlupfwinkel in den Wäldern aufzufuchen. Wir befigen 


76 Zweiter Abfchnitt. 





aus dem Jahre 1432 eine recht anfchauliche Schilderung des 
Bauernſchickſals, wie es die Huffitenfriege gebracht hatten. 
„Ihre willigen Anhänger, denen fie jedivede Freiheit in den 
Wäſſern, Wäldern, Feldern verſprochen Hatten, haben fie 
aller Freiheit beraubt und zur Anechtichaft gezwungen, wie 
einft Pharao die Ägypter; denn fie fordern von ihnen Yahı 
für Jahr Bing und Behent und Abgaben, dabon diefe nicht 
einmal da3 Wenige, was fie verſprechen, einhalten können, 
geichweige das Diele, was von ihnen gefordert wird... DaB 
fie fie aber der Freiheit beraubt haben, dafür ift ein ſprechen- 
der Beweis, daß die Bauern, die in Friedengzeit, wohin fie 
wollten, gehen fonnten, jest aus Furcht bor jenen in die 
befejtigten Städte ſich flüchten, wo fie in der ihnen gewohnten 
Beife, wie auf dem Lande, nicht Ieben und ſich den Bürgern 
nicht anpaffen können, von großen Sorgen und Betrübnis 
geängftigt werden. Manche, die ihr Schickſal nicht mehr er- 
tragen Fönnen, fehren auf das Land zurüd, wo fie zur Nacht - 
zeit, von der Xagesarbeit ermattet, durch das Hundegebell 
aus ſchwerem Schlaf aufgeichredt, durch die Sintertür in die 
BWaldverftede eilen, wie das Wild, wenn es der Jäger mit 
feiner Meute verfolgt, und fi) dort verborgen halten ... 
Am Tag furchtſam, in der Nacht unruhig, und jo immer 
elend ...“* Man bat mit Grund gefagt, daß der Bauer 
damals in einen Zuftand verſetzt wurde, d.. „feine Wider- 
ſtandskraft gegen fünftige Unterjodhung völlig lähmen mußte“. 
Alle die Ideen don Gleichheit und Brüderlichkeit, die 
ſchönen Grundfäge bon Liebe und Glauben und Reinheit, die 
in fo vielen huffitifchen und taboritifhen Köpfen umherfchwirr- 
ten und das Volk blendeten und berwirrten, trieben dieſes 
nur immer tiefer ing Unglüd und Verderben, Nichts blieb 
übrig bon der geplanten neuen Geſellſchaftsordnung ohne 
Mein und Dein, ohne Sondereigentum, in gleihem Rang 
und Stand. Vor dem Basler Konzil gaben die taboritifchen 
Führer ohneweiters zu, daß die Menſchen ſich aus drei Klaſſen 
aufammenfegten, den Prieftern, den weltlichen Serren und — 
dem Bolfe, das fich nad) feiner Beſchäftigung in verſchiedene 
Gruppen ſcheide und die beiden höheren Schichten „in ihren 





Die Wirkungen der Huffitenkriege, 77 





körperlichen Notwendigkeiten erhalten müſſe“.“ In ihren 
Schriften und Briefen legten fie dar, daß „die Liebe, die die 
dritte Perſon in der Gottheit darftelle”, die drei Stände mit- 
einander verbinden müſſe; daß der Priefterftand den beiden 
anderen durch religiöfe Strenge und Sittenreinheit ein Mufter 
abgeben; der der weltlichen Herren jenen Hilfe und Schug 
gewähren; der dritte Stand aber, das Velf, willig nach Gottes 
Ratſchluß Prieftern und Herren „dienen (servire)” müſſe. In 
Wirklichkeit war alfo- in ihren Gemeinden Feinerlei Unter- 
ſchied gegen früher zu gewahren. Adel, Ritterſchaft und Geiit- 
lichkeit fpielte bei ıhmen die herrichende, das Volk, das bür- 
gerliche und bäuerliche, die dienende Rolle. Nachdem das Ber- 
bängnis der Niederlage bei Lipan über fie hereingebrochen 
war, erfannten fie auch die Unwahrheit ihrer Grundfäge und 
geftanden: „das arbeitende Volf, deffen wir eine Menge gehabt 
haben, die wir nad; unferen Willen gebrauchen Fonnten, find 
von uns abgefallen ... denn wir haben fie mit Abgaben 
überlaſtet“.« Diefes arbeitende Volk, oder wie es ein ander 
Mal einzeln aufgeführt wird, die Bauern, die Arbeiter und 
die Sandiwerfer, waren die eifrigiten geweſen, wenn es fich 
um die Erjtürmung der Burgen oder der feiten Städte han- 
delte und wurde deshalb jtet3 in die erfte Kampflinie ge- 
ſtellt.“ Aber nicht genug daran, hatten fie auch in Friedens- 
weiten das ſchwerſte Los zu tragen. Die Verfammlungen der 
Zaboriten in den Jahren 1422 und 1424 in Piſek, Tabor, 
Klattau ftellten ausdrüdlich feit, daß gerade die Gemeinden, 
die borgaben, nad dem „Geſetze Gottes“ zu leben, „das Bolt 
tingsherum in ausnehmender und unmenfclicher Weiſe pla- 
gen, tyranniſch und heidniſch bedrüden, und den Zins, der 
„holdy“ (Suld) Heißt, ohne Unterjchied auch bon den ge- 
treueften ohne Barmherzigkeit einfordern”. — Wie furdit- 
bar waren die Bauern und das niedere Volf enttäufcht worden. 

Alles Elend, das ſich über dag gefamte Volk ausbreitete, 
über Städter und Bauern, Tihechen und Deutſche, Fam nur 
einem einzigen Stand zu Nuten: dem Adel, den mächtigen 
Baronen, deren langfamen aber fidjeren Aufftieg wir troß 
manchen Rückſtoßes feit den Zeiten König Wenzels I., feit 


78 Zweiter Abſchnitt. 





der eriten Schwähung des Königtums in Böhmen fehritt- 
weiſe verfolgen können. 

Eine kurze Zeit mochte es ſcheinen, als ob die Wut der 
Taboriten ſich auch gegen den Adel wenden würde. Aber ein 
Teil des Adels hatte rechtzeitig, anders als die deutſchen Patri- 
sierfamilien in den Städten, eine Schwenfung zu dem ge- 
mäßigten Suffitentum bin vorgenommen, der niedere Adel 
ftand ohnehin in deſſen Lager, das fchügte den ganzen Stand 
bor Untergang. Wir wiſſen, daB jelbft die radikale Partei 
der Xaboriten „den Adel fchonte und fogar in ihrer Mitte 
ſchalten ließ“, daß die Beziehungen zwiſchen den Prager Utra- 
quiften und den Adeligen oft überaus innige waren. 

Der Chronift Andreas von Brod ſchiebt fogar die Saupt- 
ſchuld an den Huffitenfriegen den Adeligen zu. Es fei ganz 
unwahrſcheinlich, erflärt er, dab Bürger, Bauern und nie- 
dere Sandiverfer den höheren Gewalten, weltlichen und geiit- 
lichen, ſolchen Widerftand hätten Ieiften Fönnen, wenn nicht 
eine Anzahl von Adeligen — „nicht alle, aber viele“, jagt er 
— fid) mitverſchworen hätten.“ „Wer hätte denken Fünnen”, 
ſchreibt er weiter, „daß Menſchen, in denen der chriftliche Glau- 
ben ganz beſonders Fräftig lebte. in denen Treue und Gewiſſen- 
haftigfeit, Tugend und Ehrbarfeit ihre „Lagerftatt (cubile)” 
hatten, fi) mit einem Male zu Verächtern alles Ehrbaren 
wandeln, alles, was Gottes ift, verachten und zerftören, und 
was des Maifers ift, ſich aneignen und gegen ihn fi auf 
lehnen würden?" ... „Was trieb fie dazu, dem Fürſten fich 
du widerfegen und das Heilige niederzureißen? Ich glaube, 
nicht8 anderes, ala der Köcher der Magnaten, unter deſſen 
Schuß fie ihre böfen Wünfche durchguführen fich erfühnten”... 
„Sie wußten aber nicht und überlegten nicht” — fo fließt 
er dann — „mas der geheime Gedanke diefer Hochedlen war, 
die ſich fagten: Siehe da, diejeg Bürgertum überragt uns in 
feinen Arbeiten, die Geiftlichfeit an Beſitz; der König ſchwelgt 
in Schägen und Ländern. Man muß alfo trachten, da8 Bürger- 
tum gegen den König aufzubringen. Wenn das geichehen ift, 
werden wir uns, wie immer die Sache ſich wenden mag, be- 
reichern und die weltlichen Güter, jei es der Geiftlichen, fei es 





Die Wirkungen der Huflitenkriege, 79 





der Bürger unter ung umfonft teilen. . Denn ftimmt der König 
den Bürgern und ihren Lehren bon der Beſihloſigkeit des 
Klerus bei, dann müſſen deren Güter unfehlbar (infallibiter) 
ung geſchenkt werden. Stimmt er ihnen aber nicht bei, dann 
gibt e8 Krieg, hier und dort, und Ritter und Kriegsleute 
bereichern fich allenthalben. Was aber an weltlichen Gütern 
unferen Burgen und Schlöffern benachbart liegt, fällt unferem 
dauernden Belig anheim ... Im Köcher dieſer Adligen 
lagen die Pfeile, genannt: Raub, Mord, Brand, niemand 
ſchonen, fein Mitleid fühlen, nit mit Witten, nicht mit 
Waijen. Ob, ihr wahnwitzigen Magnaten ... Leuten bon 
ſchlechtem Glauben und armfeligen Bauern Habt ihr euch 
ſchmählich beigefellt, zur Beraubung und Verfolgung anderer 
und der Kirche ...“ 

Diefe Kennzeichnung des Adels als des eigennüßigen Ur- 
hebers der Bewegung fteht in der zeitgenöffifchen Literatur 
nicht allein da. Auch Sohann von Pribram, ein ſehr gemäßig- 
ter Anhänger der Prager Richtung, der auch guten Einblid 
in die damaligen Verhältniffe Böhmens befaß, erflärte, daß 
die Adligen „ohne Verftändnig für die kirchlichen Fragen ihr 
Augenmerk nur auf das Kirchengut richteten”*°, Taboritenführer 
der jhärferen Richtung, wie etwa ein Johann von Selau, waren 
dabon überzeugt und fagten es offen heraus, daß „die Herren 
Verräter und Ungläubige feien, die der Wahrheit nicht aufe 
richtig anhingen”®,. Am ſchlechteſten iſt auf den bBöhmifchen Adel 
König Sigmunds Hofchronift Eberhard Windede zu ſprechen, 
der ihn mit ganz geringen Ausnahmen als „Ketzer“ und 
„gemeine Rute“ erklärt, die ihr dem König verpfändetes Wort 
nicht hielten, und „taten auch den Werfen (Worten?) gleich 
in biel Stüden“, Er ift überzeugt, daß fie alles nur taten, 
„um der Pfaffen Güter zu haben... Wir wiſſen auch 
aus Urkunden, da Sigmund anläßlich feiner Krönung in 
Prag am 8. Juli 1420 den Adeligen auf das bloße Ver- 
ſprechen bin, ihm, wie Windede fagt, Prag binnen 28 Tagen 
einzuantworten, Güter und Einkünfte überließ und diefe Ver- 
ſchleuderungen ſich noch mehrmals wiederholten.” Den Stolz 
der Barone Fennzeichnet Windede vorzüglich durch das Wort, 





9 Zweiter Abſchnitt. 





dag fie angeblich dem Könige gegenüber gebrauchten: „Wir 
find die Krone von Behem, und nit die Bauern (Geburen)”. 

Diefes ſelbſtbewußte Auftreten geftügt auf die ungeheure 
Macht, die fie fich in diefen Zeiten des Umfturges angeeignet 
hatten, — erinnern wir uns, wie der Wartemberger die Schätze 
der auf die Burg geflüchteten Prager gewann —, das Be- 
mußtfein, feinen Stand und feine Macht im Lande zu haben. 
die ihmen noch gefährlich werden fönnte, weder das Bürger- 
tum noch die Geiftlichfeit und auch nicht den von ihnen abhän- 
eigen König, ficherte dem Adel eine übergeivaltige Stellung, 
politifch, wirtſchaftlich in jeder Beziehung. Schon im Tſchas - 
lauer Landtag vom Juni 1421, der eine zwanziggliedrige Re- 
gierung in Böhmen einſetzte, hatten die Adligen es verſtanden, 
ſich die Hälfte der Stellen zu ſichern, während der Reſt unter 
die Prager und die taboritiſchen Gemeinden geteilt wurde. 
Der Untergang der gebietenden und beſitzenden Kirche, des 
geiſtig und materiell ſchaffenden deutſchen Bürgertums konnte 
nur ſeine Macht mehren. Der utraquiſtiſche Klerus und 
dieſes neue tſchechiſche Volk in den herabgekommenen Städten 
konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. Und als ſich der 
huſſitiſche Radikalismus, wie jede derartige Richtung, ſchließ- 
lich in der Schlacht bei Lipan verblutet hatte, erhob ſich der 
höchſte Adel auf diefem allgemeinen Trümmerfeld al3 ein- 
iger Sieger. Wie er niemals ein entichiedener Gegner ber 
alten Kirche und des Königtums gewefen, fondern nur ihrer 
übermädtigen Stellung in Böhmen, fand er fehr bald den 
Weg zu ihnen. Durd) die Kompaktaten und die Abmachungen 
in Iglau mit Sigmund fiherte er fi) einen Vorrang, wie er 
ihn bisher noch nie im Lande befeffen hatte. 

Er konnte den Verſuch wagen, aud) zur alleinigen Serr- 
ſchaft emporzufteigen, dag Königtum für fi zu beanſpruchen. 





Dritter Abfchnitt. 


Das Königtum Georgs von Kunftadt- Podiebrad. 


Bei dem erften großen Siege, den die Prager über König 
Sigmund am Allerheiligentage 1420 vor der Burg Wifchehrad 
errangen, wurden fie von zwei hodjadeligen Herren befehligt, 
die fchon feit langem mit großem Eifer die huſſitiſche Be— 
wegung gefördert Hatten: von Johann Kruſſina von Lichten- 
burg und Botſchek von Kunftadt und Podiebrad. Der Neffe 
dieſes Botſchek, der Sohn bon defien jüngerem Bruder Vif- 
torin, Georg von Kunftadt und Podiebrad, eben in dieſem 
Sabre 1420 am 23. April geboren, wurde Sigmunds Nachfolger 
im böhmiſchen Königtum. Nicht alljogleic) nad) deffen Tode, 
erft zwanzig Jahre nachher, Aber dieje zwei Jahrzehnte böh- 
miſcher Politik und Geſchichte erfcheinen nur wie eine lang- 
fame aber ſichere Vorbereitung zum nationalen Adelsfönigtum. 

Sigmund hatte feine männlichen Erben hinterlafjen. Nach 
feinem Wunſche follte ihm in allen drei Würden eines deut- 
ſchen, ungarifchen und böhmifchen Königs fein Schwiegerſohn, 
der Gemahl feiner einzigen Tochter Elifabeth, Herzog 
Albrecht V. von fterreich, der damals im Alter von vierzig 
Jahren ftand, nachfolgen. In Ungarn, mo man Elifabeth als 
Erbin und geborene Königin anerkannte, mit der ihr Gemahl, 
wie man ſich außdrüdte, „einen Leib und eine Seele“ bilde, 
erfolgte die Wahl beider ohne Schwierigkeiten bereit3 am 
18. Dezember 1437 und die Krönung in Stuhlweißenburg 
am 1. Januar 1488. Im Reich wurde Albrecht mühelos am 
18. März 1488 von allen Kurfürften zum römiſch-deutſchen 
König als Albrecht II. erhoben. Nur die Nachfolge in Böhmen 
ſtieß auf ernftere Gegnerfcheft, die ſich aus der Geichichte der 
legten Vergangenheit leicht erklärt. 

Albrecht war als glaubensitarfer Katholit in der langen 
Beit ber Huffitenkriege „ber Vorkämpfer der Kirche gegen die 


Bretdols, Beh. Bobmens u, Mädrens. IT. 6 


83 Dritter Wſchnitt. 


Böhmen“, „der umermüdliche Sammer auf den Ketzern“ ge- 
weſen, „der gegen die Wut der Härefie mit Schwert und Bogen 
1o830g“, ein unverſöhnlicher Feind der huffitiichen Bewegung 
in allen ihren Abarten, Wie ehedem Sigmund durch fein Ver- 
halten gegen Huß fich den Weg nad; Böhmen verrammelt Hatte, 
fo ſchien der Haß der Huffiten gegen Albrecht unvereinbar mit 
defien Anerkennung als Nachfolger. Allein die Verhältnifie 
lagen bereit3 ganz anderg als vor zwei Jahrzehnten. Abgejehen 
dabon, daß Albrecht feit 1421 im Beſitze der Markgrafſchaft 
Mähren war — das Budweiſer Land hatte im Friedensvertrag 
von Iglau (1436) wieder mit Böhmen vereinigt werden 
müffen —, der kirchliche Standpunft gab nicht mehr allein 
den Ausſchlag. Wenn fi Albreht nur zur Aufrechterhaltung 
der „vier Artikel” verpflichtete, waren die gemäßigten Utra- 
quiften aufriedengeftellt. Mit den Katholifen zufammen bil- 
deten fie die Mehrheit im Landtag und wählten denn auch 
Albrecht am 27. Dezember 1437 zum böhmifchen König, Fraft 
des Erbredhtes feiner Gemahlin, und auch im Hinblick auf die 
„Verichreibungen, die die Krone zu Böhmen und das Haus 
von Üfterreich zufammen haben“. Die nambhafteiten feiner 
Anhänger und Wähler waren teils Katholiken, teils Utra- 
quiften: Ulrich von Rofenberg, Meinhard von Neuhaus, Al- 
brecht von Sternberg, Peter von Micjelsberg, Hans von Ko- 
lowrat, Johann von Smirik, Sohann von Kunmwald, Hinko 
Kruffina von Lichtenburg, Johann von Riejenberg, dann die 
Safenburg, Wartemberg, Walditein, Lobkowitz, Plauen, Guten- 
ftein, Rabenftein, von Städten Prag, Kuttenberg, Pilſen, Bud- 
weis, Eger, Schlan, Tſchaslau, Leitmeritz, Kaurim. Überblict 
man dann allerdings die Reihe feiner Gegner, fo findet man 
dort nicht minder bedeutende Namen, vor allem auch einige hohe 
Würdenträger aus der Zeit Sigmunds: Hinko Ptatſchek von 
Pirkftein, ehedem Oberfthofmeifter, Bertold von Lippa, Oberft- 
marſchall, dann den erft fiebzehnjährigen Georg von Kunftadt 
auf Podiebrad, Friedrich; von Straſchnitz, Pernſtein, Ruffi- 
nowsky, Koſtka, Kolda, Ziwiretig, Klenau, von Städten Tabor, 
Königgräg, Saaz, Zaun, Nimburg, Kolin, Klattau, Piſek. 
Allerdings gab e8 auf der einen wie auf der anderen Seite 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 88 





Mitglieder, nennen wir dort den Sternberger, hier den Pirk- 
fteiner, die unentſchieden waren und eine zweideutige Rolle 
ſpielten. 

Die Gegenpartei nahm nicht nur an der Wahl Albrechts 
nicht teil, ſondern entſchloß ſich dem deutſchen Habsburger einen 
polniſchen Jagellonen ala Gegenkönig entgegenzuſetzen; ent- 
weder den regierenden König Wladislaw III. (geb. 1424) oder 
defien jüngeren Bruder Kafimir. Sie wählten aus ihrer Mitte 
eine förmliche Gefandtihaft, die dag Anbot der böhmifchen 
Krone zu unterbreiten hatte. Es wurde aud) auf einem pol- 
nifchen Reichſstag am 20. April 1488 von König Wladislaw 
für feinen Bruder Kafimir angenommen und ein polnifches 
Heer bon etwa 5000 Mann nad, Böhmen entfandt, um den 
polnifchen Anhang im Lande zu ſchützen und zu ftärfen. Mitt- 
lerweile hatte aber Albrecht in aller Form von Böhmen Beſitz 
ergriffen, war am 14. Juni 1438 im St. Veitsdome gekrönt 
worden und fammelte ein Heer, mit dem er den Kampf gegen 
feine Gegner aufnehmen konnte. 

So anfehnlid; nun auch fein Anhang in Böhmen war, fo 
ftarf der Zuzug aus Oſterreich und Ungarn, ſowie von Fürſten 
und Städten aus dem Reich, die fi) für verpflichtet hielten, 
Albrecht als deutihem König die von ihm erbetene Hilfe zu 
leiften, jo daß er jchließlich über rund 8000 Mann zu Pferd, 
12.000 zu Fuß und an die 1800 Kriegswagen verfügte, während 
die Gegner nur etwa 9000 bis 12.000 Mann im ganzen zähl- 
ten, — eine Entideidung im Felde vermochte Albrecht nicht 
herbeizuführen. Noch ſchwieriger wurde der Kampf, als fich 
die Gegner in die zur ftarfen Feſtung ausgebaute Stadt Tabor 
aurüdzogen, die Albredht von Anfang Yuguft an belagerte. 
Mitte September entließ er daher die ſächſiſchen, bayrifchen, 
brandenburgifchen und anderen Hilfstruppen, die auf ihrem 
Rückzug noch Hleinere Zufammenftöße mit den Gegnern hatten 
(bei Sellnig am 23, September 1438), hob die Belagerung 
Tabors auf und fehrte mit feinem eigenen Heer nad) Prag 
zurück, um ſich für einen ernfteren Kampf zu rüften. Denn 
König Wladislatv hatte mittlerweile mit unvergleichlich ftär- 
teren Kräften Schleften angegriffen und bedrohte von dort 

6 · 


3 Dritter Abſchnitt. 





aus nicht nur Böhmen. fondern aud) Ungarn. Es blieb Al- 
brecht nichts übrig, als ihn vor allem dort aufzuſuchen, bevor 
es zu fpät wurde. 

In Böhmen wurde auf Wunſch des böhmischen Landtages, 
„nicht von des Königs Saken und Schaffen, fondern von Bitte 
wegen der Landherren, der Edlen, der Stadt zu Prag und 
anderer Städte”, ein Ausländer, Graf Ulrich von Cilli, ein 
Vetter der Königin Elifabeth, „zum Oberſten Hauptmann 
(®ubernator) des Königreichs“ Böhmen beftellt, — fo raſch 
hatten die Adeligen an ihre fo oft erhobene Forderung ver- 
gefien, daß die hohen Ämter nur mit Heimiſchen bejegt werden 
follten. Ihm beigegeben wurden als Räte: Meinhard von 
Neuhaus, Johann von Roloivrat, Hinef Kruffina u. a., und zu- 
gleich Sauptleute für die zwölf Kreiſe, in die das ganze Land 
geteilt war, ernannt. 

Böhmens Zuftand in den nächiten Jahren unter dem neuen 
Regiment des Cillierg Fennzeichnet eine gleichzeitige heimifche 
Quelle mit den wenigen Worten: „... und in Böhmen er- 
hoben ſich die einen gegen die anderen, von den Burgen und 
von den Städten, und es berbanden ſich die einen mit den 
anderen, die früher gegen einander geftanden hatten, jo daß 
man nicht mehr mußte, wer wem noch treu und wohlgefinnt 
fei; und des dauerte bis zu Albrechts Tod.““ Wir hören denn 
aud) bon ununterbrodjenen Unruhen und Kämpfen der Ade- 
ligen und der Städte untereinander, aber auch mit den Nach- 
barn in Bayern, Sachſen und anderwärts. Hiezu kam noch 
1439 eine fürchterliche Peft, die in Böhmen von Mitte Juni 
big Ende November mehr denn 50.000 Menſchen dahinraffte; 
in Prag allein wurden an mandjen Tagen hundert Tote ge- 
zählt. Diefer Krankheit erlag damals am 19. Juni auch der 
Biſchof Philibert von Coutances, deifen wir früher zu gedenfen 
hatten. Albrecht aber mußte das Land in feinen ſchweren 
Nöten ſich felbft überlaffen, durch ernite Aufgaben, die er 
au löfen hatte, ferngehalten. Am 21. Oftober 1438 hatte er 
Prag verlaffen, war nad) der LZaufig und dann nad) Schlefien 
gezogen, um diefe Gebiete von den Polen zu befreien. Das 
gelang auf. Bor der Macht und dem Anfehen des deutſchen 





Das Königtum Georg von Kunſtadt · Podiebrad. 85 





Königs wid) das polnifche Heer und fein jugendlicher König 
raſch zurüd. Im polnifchen Reichstag wurde darüber Klage 
geführt, „wie man fo unüberlegt den eitlen und trügerifchen 
Verfpredjungen der Böhmen gefolgt fei”.? Friedensperhand- 
Iungen wurden eingeleitet und wenigftens längere Waffen- 
ftilftandsverträge abgeſchloſſen, fo dab Albrecht nad; kaum 
halbjährigem Aufenthalt in Schlefien, zulegt in Breslau, An- 
fang März 1439 das Land im Frieden verlafien und nad) 
Ungarn fich begeben konnte, um ſich der dringendften Pflicht, 
die ihm oblag, zuzuwenden, dem Kampf gegen die Türfen. 
&leich während der erften Unternehmung, die ihn im Sommer 
diefes Jahres nad) Südungarn führte, erkrankte er aber im 
Roger bei Salanfamen. mußte unter großen Beichwerden die 
Rückreiſe nach Wien antreten und ftarb unterwegs in Langen- 
dorf, weftlich von Gran, am 27. Oftober. 

Die Bedeutung feiner kurzen Regierung liegt darin, daß 
damals zum eritenmale der Verſuch gemacht wurde, Oſterreich, 
Ungarn, Böhmen unter einem Regenten zu vereinigen und 
mit der deutichen Königsfrone zu verbinden, ein Gedanke von 
außerordentlicher Tragweite. Die zwei Jahre, die diefer Bund 
gedauert hatte, Fonnten nicht ausreichen, um die Schwierig- 
Teiten, die fi) ihm von Haus aus entgegenftellten, zu über- 
winden, geſchweige ein Bufammengehörigfeitägefühl zu weden. 
Und Albrecht ftarb ohne männlichen Erben, der das begonnene 
Werk hätte fortführen können. Er hatte nur zwei noch unver- 
beiratete Töchter Hinterlaffen, dod) war feine Frau in Schwan- 
gerſchaft. Vier Monate nad Albrechts Tode, am 22. Weber 
1440, gebar fie in Komorn einen Sohn, der in der Geichichte 
den Namen Ladislaus Poſtumus (der Nachgeborene) führt. 
(Siehe die Stammtafel.) 

Derjelbe Prager Chronift, von dem die kurze, treffende 
Kennzeichnung der Verhältniſſe in Böhmen von 1437 bis 1439 
ftammt, gibt aud) in einem einzigen Satze ein Bild der nun 
folgenden Yahre: „Nach dem Tode des Könige Albrecht 
Tämpften die böhmiſchen Herren, die einen mit den anderen; 
und wer de3 einen habhaft werden konnte, der unterwarf ſich 
ihn, indem er ihn beraubte und dag währte bis zur Zeit, da 


86 Dritter Abſchnitt. 


Herr Georg von Podiebrad die Verwaltung übernahm ..“. 
Es iſt der Beginn der mehr als zehnjährigen königsloſen Zeit 
in Böhmen, die durch ihre Verwilderung und Verworrenheit 
das Elend der letzten zwanzig Jahre vervollſtändigte. 

Der unerwartete Tod Albrechts, dem der tichechifche 
Chronift Bartoſchek von Drahonik (geft. nad) 1443) den Nach- 
ruf bielt: „er war gut, troßdem er ein Deuticher war, kühn 
und mitleidig”,® bedeutete für Böhmen eine Schmädung der 
öſterreichiſchen aus Katholiken und gemäßigten Utraquiſten 
beftehenden Partei mit Ulrich von Rofenberg an der Spike 
und eine Stärkung ihrer Gegner, die noch vor Yahresfrift 
eine Anlehnung an Polen gejucht hatten. Daran war der- 
malen nidyt zu denken; man hatte fid) gegenfeitig enttäufcht. 
Dieſe Gegenpartei fah ſich zunächſt ganz auf ſich felbit an- 
gewiefen, was den inneren Bufammenhang unzweifelhaft 
feftigte; als ihr Haupt galt damals Hinko von Pirfftein. Wie 
der Rofenberger in Sübböhmen, jo gebot diefer bon feiner 
Burg Ratai aus in Oftböhmen, aber nicht fo fehr, wie jener, 
durch feinen ungeheuren Eigenbefi, jondern durch den poli- 
tiſchen Einfluß, den er fi) in feinem Gebiet verſchaffte. Es 
gelang ihm den gefamten Adel des Kaurimer, Tſchaslauer, 
Chrudimer und Königgräßer Kreiſes, an vierhundert Herren, 
Nitter, rittermäßige Diener und Edelleute — in dieſe bier 
Gruppen wird der damalige Adel geihieden — nebft allen 
äugebörigen Städten zu einem jogenannten Qandfriedensbund 
zu einigen, dem ſich bald auch der Bunzlauer Kreis mit feinem 
Hauptmann Georg bon Kunftadt-Podiebrad anſchloß. Sie 
traten am 17. März 1440 in Tſchaslau zu einem gemeinfamen 
Kreistag zufammen, wählten Sauptleute und Räte, gaben ſich 
eine Zandfriedensordnung in dreißig Punkten und feßten 
feft, daß diefer Bund bis zur Krönung des nächſten Königs 
dauern folle und noch drei Monate darüber.” War der Haupt- 
zweck, wie fie felber erflärten, „den zahlreichen und überaus 
nachteiligen Verderben und Schäden im ganzen Königreid) 
und befonder8 in unferen Kreifen” zu fteuern, fo hatte eine 
ſolche Verbindung dod auch eine große politifche Bedeutung. 
Sie ftellte immerhin eine Macht dar, mit der die Gegner 


Das Königtum Georgs von Kunftabt-Robiebrab. 87 





fortan rechnen mußten. Wir ſehen denn auch, daß — anders 
als im Jahre 1437 — bei der neuen Königswahl, die den 
im Juni 1440 in Prag zufammengetretenen Landtag be» 
Ichäftigte, Ulrid) von Aofenberg und fein Anhang beitrebt 
ivaren, im Einvernehmen mit der Partei des Pirkſteiners bor- 
zugehen. Man beichloß, daß „alle... ohne Verlefung oder 
Ärgernis der Rechte umd Freiheiten irgendeinesg von ihnen 
den König und Fünftigen Herrn gemeinihaftlidh 
wählen follten“, So kam e3, daß der erite Wahlgang am 
16. Juni, bei dem 37 von 47 abgegebenen Stimmen auf den 
Kurfürſten Friedrich I. von Brandenburg entfallen waren, 
nicht als wirklich vollzogen angefehen wurde, fondern am 
2%. uni eine zweite Wahl vorgenommen wurde, bei der ſich 
alle Stimmen auf Herzog Albrecht III. von Bayern, den 
Schwager des 1419 verftorbenen Königs Wenzel von Böhmen, 
einigten. Die Entſcheidung zu feinen Gunften fcheint nad) 
verſchiedenen Andeutungen in gleichzeitigen Quellen der Um- 
ftand beeinflußt zu haben, daß man ihn für den reichten 
und freigebigften unter den Bewerbern anfehen zu müfjen 
meinte. Cheltſchitzky, von dem fpäter die Rede fein wird, 
ſchreibt in feinem „Net des Glaubens“ die bezeichnenden 
Worte: „Daher wollten diefe Landherren einen fremden König, 
einen reichen Deutichen, der fein fremdes Land in feine Herr- 
ſchaft Hineinreißen würde; denn fie, die die Fönigliche Macht 
fi) angeeignet hatten, geben nichts her, fondern wollen einen 
König, der ihnen auf Koften anderer Länder noch dazu gibt.“ 

Allein Herzog Albrecht lehnte fchließlich ab oder Fnüpfte 
Bedingungen an die Übernahme der Krone, die einer Ab- 
lehnung gleichtamen. Es bedrüdte ihn doch aud das Gefühl, 
einem Kinde fein päterliches Erbe zu entreißen und fich damit 
noch die Feindfchaft des ganzen öfterreichiichen Fürftenhaufes 
auzuziehen. Und nun begann das Suchen nad) einem anderen 
König, den man nicht fand, weil man ihn in Wirklich“ 
feit nicht finden wollte; es folgten die Verhandlungen zuerſt 
mit Albredjt von Brandenburg, dann mit dem Vetter Ladis- 
laws, Herzog Friedrich von Öfterreich, der am 2. Februar 1440 
zum deutſchen König gewählt worden war. Auch er wies 


88 i Dritter Abſchnitt. 





die ihm angebotene Krone zurüd und wehrte ſich überdies 
entihieden, fein Mündel Ladislaw den Böhmen außguliefern 
und nad) Böhmen zu fchiden, in welchem alle man 
vielleicht bereit geivefen wäre, diefen zum Aönig zu 
wählen, da ihn die Nebenländer Mähren, Schleften und 
die Zaufig bedingungslos als erblichen Serrn bereit an- 
erkannt hatten. Merkwürdigerweiſe mar e8 die Partei des 
Pirkſteiners, die diefen Vorſchlag machte, während dag Haupt 
der Katholiken und gemäßigten Utraquiften, Ulrich von Rofen- 
berg — „ein Menich, der fich immer der Zeit anzupaffen ver- 
ftand“, fagt Eneas Silvius in feiner Geſchichte Böhmens — 
die Entſcheidung über die Königsfrage abſichtlich hinauszog. 

Mitten in diefen ausſichtsloſen Beſprechungen ftarb Hinek 
von Pirkftein am 27. September 1444. An feine Stelle trat 
num Georg bon Kunſtadt · Podiebrad, zwar erft vierundzwangig · 
jährig und doch ſchon ſeit geraumer Zeit neben dem Pirkſteiner 
das angeſehenſte und einflußreichſte Mitglied des oftböh- 
miſchen Landfriedensbundes. Von feiner Geburt und Ab- 
ſtammung haben wir ſchon geſprochen. Aus feiner Jugend- 
zeit ift wenig befannt. Man lieft vielfach, daß er 1484, alfo 
im Alter von vierzehn Sahren, an der Schlacht bei Lipan 
teilgenommen babe. Das ift aber mehr als aweifelhaft.” Sicher 
Iann man ihn erſt 1437 politifch tätig nachweiſen. Als in 
diefem Jahre am 26. Dezember die Stände zufammentraten, 
um über die Nachfolge in Böhmen nad; Sigmunds Tode zu 
beraten, ftellte fi) Georg auf die Seite jener, die fi für den 
Bruder des polniichen Königs, für Kaſimir entſchieden. Mili- 
täriſch trat er erft 1488 hervor, indem er den Xaboriten gegen 
König Albrecht II. zuzog und auf dem Marſche dahin, im Auguft, 
auf einen Xeil der Töniglichen Reiterei ftieß und fie zurüd- 
flug, „Von da an“, bemerft der Chronift, „hatte er einen 
Namen”? Zur Zeit der Wahl Herzog Albrechts von Bayern 
nahm Georg bereits eine jolde Stellung unter feinen Stan- 
deögenoffen ein, daß er mit Ulrich von Roſenberg, Meinhard 
von Neuhaus und Hinef von Pirkſtein zu unmittelbaren Ber- 
Handlungen mit dem erwählten Fürften in Cham an der 
bayriſch · böhmiſchen Grenze am 24. Yuguft 1440 außerjehen 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. s80 





wurde. Daß er in dieſem Jahre zum Hauptmann des Bunz- 
lauer Kreiſes ernannt wurde und fich dem oftböhmifchen Land- 
friedensbunde anſchloß, ift jchen früher gefagt worden, Wann 
er, der Führer der ftrengen Utraquiften, ſich mit der Katho- 
likin Johanna von Rozmital bvermäblte, ift nicht befannt. 
Sedenfalls brachte ihn diefer Ehebund in nahe Beziehungen 
dur Gegenpartei; er wurde Schwager Ulrichs von Rojenberg. 

Kaum war Georg nad) Pirkſteins Tod auf einer Zu- 
fammenfunft der vereinigten oſtböhmiſchen Kreiſe (Ende 
1444) zum oberften Hauptmann erwählt, machte er ſich auch 
ſchon an die Löſung ber wichtigſten Landesangelegenheiten: 
die Einfegung eines Könige und eines Ergzbiſchofs. Am 
25. November, auf einem gemeinfam mit den Anhängern 
Ulrichs von Rofenberg in Böhmifch-Brod abgehaltenen Land- 
tag wurde vereinbart, eine Geſandtſchaft an den deutſchen 
König Friedrich III. nad; Wien zu richten und die Ausfolgung 
Ladislaws zu verlangen. Eine zweite Gejandtichaft follte an 
den Papft abgeordnet werden und die Beitätigung Johanns 
bon Rofikan fordern, der, 1436 zum Erzbiichof gewählt, bald 
darauf bor Sigmund, der ſich verpflichtet hatte, feine An- 
erfennung bei der Kurie durchgufegen, aus Prag geflohen, 
nad) deſſen Tod aber wieder zurüdgefehrt war und nun bon 
feiner Partei feine endgültige Einjegung erwartete. Allein 
beide Unternehmungen blieben ohne Erfolg, und eine neue 
gemeinfame Landtagsverhandlung der Rarteien in Prag 
im Februar 1445 kam zu feinem Beichluß mehr. Man 
handelte fortan gejondert, auf eigene Fauft, gegeneinan- 
der. Ulrich ftand in fortwährenden Beziehungen zum Wiener 
und zum päpftlichen Scfe, deren Verhalten in den böhmiſchen 
Fragen er weſentlich beeinflußte; Georg unterlieg e8 zwar 
nicht, gelegentlich auch mit Kaiſer und Papft zu verhandeln, 
allein fein Sauptaugenmerf war darauf gericjtet, feine und 
feiner Partei Stellung in Böhmen zu ftärken, indem er einer- 
feit8 mit den radifalen Xaboriten, anderjeit8 mit den Pra- 
gern in Beziehung trat. Unbeftimmte Pläne tauchten auf, 
die böhmifche Krone doc wieder irgend einem fremden Fürften, 
in erfter Linie dem Brandenburger Markgrafen anzubieten. 


oo Dritter Abfchnitt. 





Eine allgemeine Unruhe und Unficherheit herrfchte die ganzen 
Jahre hindurch bis in den Beginn 1448, überdies drohten 
Triegerifche Verwicklungen des ganzen Landes mit Sachſen. 

Ein Vorſtoß der katholiſchen Vartei mit Wiſſen der Kurie 
brachte endlich Bewegung in dieſe ſtockende drückende Luft. 
Den böhmiſchen Machthabern katholiſcher und gemäßigt utra- 
quiſtiſcher Richtung erſchienen damals „die Gemüter der 
Böhmen fo leicht zu behandeln (tractabiles)”, daß man den 
Zeitpunkt gefommen erachtete, entichjiedener vorzugehen. Man 
beranlaßte Papſt Nikolaus V. feinen Legaten in Deutichland, 
den berühmten Kardinal Don Juan de Carvajal nach Prag 
zu entfenden, um eine Einigung in der böhmiſchen Kirchen- 
frage herbeizuführen. In huſſitiſchen Kreiſen ‚gab man fi 
äuerft der Hoffnung bin, daß er den Frieden im Sinne der 
Basler Kompaktaten, die das Papſttum bis nun noch nicht 
angenommen hatte, vorſchlagen und aud) Sohann von Rokitzan 
als Erzbifchof einfegen werde. Deshalb wurde er bei feinem 
Einzug am 1. Mai 1448 von NKatholifen und Utraquiſten 
feierlichft empfangen. Man ging ihm vor die Stadt in großer 
Progefjion entgegen, der ganze Klerus, die Uniberfität, der 
Stadtrat, die Zünfte und Unmengen Volkes, „ald ob man 
einen neuen König begrüßte“. Unter einem Xraghimmel, den 
die Stadtfonfuln geleiteten, wurde er eingeführt. Von allen 
Kirchen, auch jenen der Utraquiften läuteten die Gloden und 
man fang: „Du bift eingefehrt, geliebtefter Vater, den wir 
erwartet haben in unferer Xrübfal; du bift eingefehrt mit 
himmliſchen Geſchenken, um zu fegnen alle, die eines guten 
Willens find“. Der Chronift bemerkt: „Nie feit Menichen- 
gedenfen war einem jterblichen Menſchen folde Ehre zuteil 
geworden, wie diefem Legaten“. Gleichzeitig tagte der Land- 
tag in Prag, jo daß alle Parteien hier verfammelt waren; 
auch Georg von Podiebrad war zugegen. 

Allein jehr raſch änderte ſich die Lage, als die Radifalen 
im Landtag gewahr wurden, daß des Legaten einziges Be- 
ftreben dahin gehe, die Böhmen in den Schoß der Mutter- 
firhe und zum unbedingten Gehorfam gegenüber dem 
Papſt zurüdzuführen, während er die Frage betreffs 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 9 





des Erzbifchofs und der Kompaktaten ins ungewiſſe hinaus- 
zuſchieben verftand. Das Volk in Prag wurde unruhig, ein 
Sturm bereitete fi) vor, fo daß eg Kardinal Carvajal geraten 
fand, unter dem Schutze Roſenbergiſcher Kriegsleute am 
23, Mai die Stadt eiligft zu verlafien. „Der Legat“, jo faßt 
der Chronift den ganzen Zwiſchenfall zufammen, „hat nichts 
durchgefekt, aber zu größerer Zwietracht Anlaß gegeben . . .“. 

Wiederum, wie ſchon fo oft während der huſſitiſchen Be- 
mwegung, hatte e3 ſich gezeigt, welche Bedeutung die utra- 
quiſtiſche Stadt Prag in dem Kampfe der beiden Parteien 
einnahm. Sie war für die Katholifen ſchon Halb gewonnen 
geweſen; nur zwei Pfarrer in der Neuftadt bei St. Michael 
und St. Caſtuſus teilten dag Saframent nod) unter beiberlei 
Geftalt aus. Eifrige Utraquiften trieb man aus, machte fie 
unſchädlich, Tieß fie enthaupten. Sn den Kollegien waren 
wieder deutſche Studenten und Magifter, d. h. Katholiken; im 
Rat ſaßen jene Konfuln, die König Albrecht II. 1438 eingeſetzt 
hatte, So erflärt fid) der begeifterte Empfang, der dem päpft- 
lichen Wbgefandten in Prag zuteil wurde. Unter diefer Ober- 
ſchichte lebte aber in der Stadt eine zweite, die, wie in den 
Beiten Huſſens und der Huffitenkriege, mit den Radikalen 
im ganzen Lande eines Sinnes war und ſich leicht empor- 
bringen ließ, Sie war e3, die aud) jet den Umſchwung herbei- 
führte. Vor ihrem wilden Erwachen zog ſich alles, was ge- 
mäßigt mar, angftvoll zurüd und ließ feine urfprünglichen 
Pläne wieder fallen, Georg, der zwifchen diefen beiden äußeren 
Flügeln eine mittlere Stellung einnahm, benüßte diefe Stim- 
mung, ftärfte die Radifalen in Prag in den nächſten Mona- 
ten, um dann von ihnen unterftügt mit der Heeresmacht des 
oftböhmifchen Landfriedensbundes Prag in der Nacht vom 
2. zum 3. September einzunehmen, ohne auf einer erniteren 
Widerftand zu ftoßen, da der Überfall der Gegenjeite über- 
tafchend Fam. Burggraf Meinhard von Neuhaus wurde ge- 
fangen genommen; jeine adeligen Anhänger, die Domgeiftlich- 
Teit, die Deutſchen an der Univerfität, viele Bürger flohen. 
Georgs Freunde und Parteigenofjen übernahmen die oberjten 
Randesämter; Sdenko von Sternberg, obwohl Katholik, wurde 


9 Dritter Aſchnitt. 





Oberftburggraf, Nikolaus Safe von Haſenburg Oberftland- 
tichter, der Rat in den Prager Städten wurde mit ftrengen 
Utraquiften befegt. Es war eine Niederlage ber Katholiken und 
der zur Einigung mit ihnen bereiten gemäßigten Utraquiften, 
wie fie entſchiedener kaum ermartet werden fonnte, Georg 
hatte eine Stellung errungen, die ihm einen unvergleichlich 
ftärferen Rückhalt darbot, als feine bisherige Oberhauptmann- 
ſchaft in Oftböhmen; er war nun Herr von Prag und dies 
umfo ficherer, als beide Führer der Gegner, Meinhard und auch 
Ulrich don Rofenberg nad) diefem politifhen Umfturz ihre 
Rollen im öffentlichen Leben ausgeſpielt hatten und feine 
gleichiverfigen Nadjfolger fanden. Meinhard ftarb am 1. Be- 
bruar 1449 in der Gefangenfchaft und alsbald verbreitete ſich 
das Gerücht, ja foger die offene Beſchuldigung wurde laut, 
daß er auf Anftiften Georgs vergiftet worden ſei.“ Ulrich zog 
ſich nad} verſchiedenen ausſichtsloſen Verjuchen, bald mit Georg, 
feinem Schwager, zu verhandeln, bald ihn au befämpfen, immer 
mehr zurück; gelang es doch Georg, ihn aud) aus feiner ein- 
flußreichen Stellung bei König Friedrich III. zu verdrängen. 
Das nahm feinen Anfang auf dem bedeutungspollen böh- 
mifchen Landtag zu Benefhau im Juli 1451. Er war berufen 
worden, um die Königsfrage zur Löſung zu bringen; denn je 

. mehr George Macht und Anfehen im Lande ftieg, umfo eifri- 
ger waren feine offener und geheimen Gegner bemüht, jet, 
ganz im Gegenſatz zu ihrer bisherigen Haltung, dur Ein- 
führung Ladislaws in Prag die drohende Gefahr feiner Ober- 
herrſchaft im ganzen Lande zu bannen. 

Schon auf dem Katharinenlandtag in Prag, der vom 
25, November 1450 bis in den Yanuar 1451 hinein währte, 
war aus allen Barteien eine Botſchaft gewählt worden, die 
ſich zu König Friedrich III. nach Wien begeben und mit allem 
Nahdrud die Ausfolgung Ladislaws verlangen follte. Die 
Weifung, die fie vom Landtag miterhielt, ermädjtigte fie, nach 
Darlegung uller Gründe, die den König zu einer zuftimmen- 
den Entſcheidung veranlaffen jollten, für den Fall einer Ab- 
Iehnung zur Erklärung, dag man ſich mit Gottes Hilfe felber 
helfen werde, „damit wir länger ohne König und ohne Herrn 


Das Königtum Georgs von Kunſtabdt · Podiebrad. 98 





nicht bleiben“. Diefe Drohung beftimmte den König wenigftens 
zuzuſagen, daß er ſich beim nädjiten Landtag vertreten laſſen 
und feine Antwort dort den Ständen mitteilen werde. Diefer 
Randtag hätte am 8. Juli 1451 in Prag abgehalten werden 
follen. Wegen der neuerlih in Böhmen aufgetretenen Peft, 
die in der Kauptitadt an manchen Xagen bis zweihundert 
Menſchenleben forderte, mußte er in die einige Meilen ſüdlich 
von Prag gelegene Stadt Benefhau — „Benediftsdorf (Bene- 
dicti villa)“ nennt fie Eneas Silbius — verlegt werden, Dort 
erſchienen am 18. Juli Friedrichs III. Gefandte: feine Räte 
Prokop von Rabenftein, ein gebürtiger Böhme, Heinrich Truch- 
feß, Albrecht von Ebersdorf, vor allem aber fein Kangzler 
Eneas Silvius, der von da an anderthalb Jahrzehnte auf die 
Geſchicke Böhmens den allergrößten Einfluß nehmen follte.” 

Die Bedeutung diefer Föniglichen Botſchaft lag nicht jo 
fehr in den bor dem berfammelten Landtag geführten Ber- 
Handlungen, als vielmehr in den geheimen Beſprechungen, die 
Eneag mit verſchiedenen böhmifchen Baronen zu führen &e- 
legenheit fand. „Sie kamen” — fo erklärt er — „zahlreich 
zu uns bon beiden Seiten und die einen beſchwerten fich über 
die andern”. Mit Georg von Podiebrad fuchte er felber durch 
Vermittlung Rabenfteins Fühlung; denn er wurde gewahr, 
daß er „ein großer und mächtiger Mann fei, dem der größte 
Teil des Königreichs folge“. Wenn er !hn für den Einheit3- 
gedanfen bereit fände, jagte ſich Eneas, wie er ſelber geſteht, 
dann würden die übrigen leicht auch dahin zu bringen fein. 
Es fam zu einer überaug wichtigen Ausſprache zwiſchen dieſen 
beiden Männern.“ Eneas begann mit einem Hinweis auf 
die Verhältniffe in Böhmen einft und jet. „Dieſes König- 
teich”, fo will er gejagt haben, „Itand einft in höchſtem An- 
fehen und war unter den weſtlichen Ländern das reichite. 
Hier blühte der Glaube und glängten alle Wiſſenſchaften. 
Jetzt ift e8 arm, zerrüttet, zerfleiſcht. .. Ihr Böhmen ſeid 
nicht nur untereinander zerworfen, fondern von dem größten 
Teil der Chriftenheit abgetrennt ..... Wenn ihr aber zur Ein- 
beit der Kirche zurückkehren und im Kaufe des Herrn wandeln 
molltet, Zönnte leicht euer Königreich die frühere Würde und 


[3 Dritter Abſchnitt. 





feinen ehemaligen Glanz wieder erlangen.“ Und fi fofort 
unmittelbar an Georg wendend fuhr er fort: „Der du das 
Volk dieſes Reiches führft, wohin du willft, erwirb dir einen 
großen Namen, mad), dab did) der apoftolifhe Stuhl liebe, 
gib ihm die Söhne zurüd, die der Satan ihm abfpenitig ge- 
macht hat... Alle werden zurückkehren und die römiſche 
Kirche verehren, wenn du e3 vollen wirft. Did) wird dann 
der Bapft und der Kaiſer lieb und wert halten, und wenn 
Ladislaw in fein Neid kommen wird, wird er dich jeinen 
Beſchützer, feinen Vater nennen, dir größten Dank wiſſen, 
wenn du ihm ein beruhigtes Land zurückſtellen wirft, von 
Irrtümern gereinigt, friedfertig, gefittigt, glaubenseifrig, Und 
nicht allein du wirft Ruhm erlangen, fondern auch deine Nadj- 
tommen und Kindesfinder werden davon für immerdar Ehre 
haben; ewig wird das Andenken deines Namens fein, geſichert 
der Stand deiner Familie... Und wenn du aus diejem 
Xeben fcheideit, wirft du... die ewige Glückſeligkeit vereint 
mit Unfterblichfeit erlangen . . .”. 

Man fieht, dab Eneas das Geſpräch von Anfang an darauf 
angelegt hatte, durch Überredungsfunft Georg für den Über- 
tritt zur Fatholifchen Kirche zu gewinnen, in dem Glauben, 
daß dann aud) faft alle Utraquiften deſſen Beiſpiel folgen 
würden. Allein der weitere Bericht des Eneas läßt nicht den 
Eindrud auffommen, als ob ſich Georg jo leicht hätte um- 
ftimmen laffen. Er leugnete zwar nicht die nadten Tatſachen, 
aber mit einem „Gott weiß, wer die Schuld daran trägt“, 
lehnte er die Verantwortung für feine Glaubensgenofien ab. 
Er gab im meiteren Gefpräche deutlich zu verftehen, daß er 
ſich der Schwierigkeiten, den Prager erzbiichöflicden Stuhl mit 
Sohann von Rofikan zu befegen, bewußt fei; er billigte bis 
su einem beftimmten Grade die Forderung der Kurie, daß die 
der böhmifchen Kirche entriffenen Güter vom Adel zurücgeftellt 
werden. Aber in einem Punkte blieb er unerbittli und ließ 
fich nicht überzeugen: was nämlich) die vom Basler Konzil be- 
willigten aber vom Papfttum noch immer nicht beftätigten 
Kompaktaten anlangte, „Wünſcht Papft Nikolaus“, jo erflärte 
er, „baß wir ihm gehorfam feien, dann befehle er die Mer- 


Das Königtum Georgs von Kunftadt-Podiebrad. 95 





träge einzuhalten und wir werden ihn verehren. Dies ift der 
fürgefte und der einzige Weg zum Frieden und zur Einheit; 
er muß beſchritten werden, denn nur er führt zur Eintradjt“. 
Ale Einwände, die der Kanzler erhob, dat doch die Utraquiften 
felber die Kompaktaten nicht im urfprünglidien Sinne be- 
folgten, ſich allerlei Übergriffe erlaubten, lehnte er mit der 
kurzen Bemerkung ab: „Das alles find mir unbefannte 
Dinge”; fügte jedoch allſogleich hinzu: „Aber das fage ich dir, 
wenn die Verträge nicht eingehalten werden, kann von Frieden 
und Eintradyt nicht die Rede fein“. Sa er begann mit dem 
Krieg zu drohen: „Greifen wir wieder zu den Waffen, dann 
werdet ihr die olten Verträge gern (ultra) anbieten, fie werden 
aber nicht angenommen werden . ... Hätte ich dem Papfte zu 
raten, würde ih für die Einhaltung der Kompaktaten 
ſprechen“. Und im weiteren Geſpräch noch einmal: „Über die 
Kompaktaten babe ich dir gefagt, was id, denke; bleibt der 
Papſt hart, dann wird er das Königreich noch härter finden; 
wer fiegen wird, weiß ich nicht”, 

Diefe vertraulichen Beſprechungen übten auf die öffent 
lichen Verhandlungen im Landtag eine entfcheidende Wirkung. 
Eneas hielt dort eine ſchwungvolle aber nur Furze Rede, die 
im wefentlidien nur die Ausfolgung Ladislaws behandelte. 
Er fnüpfte an das Wort des Propheten Jeſaias an: „Der 
Fürft wird, was des Fürften würdig ift, bedenfen“.t” In ent- 
gegenfommendfter Art wurde die Entihuldigung König Fried- 
richs III. vorgebracht, daß Ladislaw doch noch ein Kind fei, 
noch nicht jelbftändig regieren Fönne, weshalb die Stände, die 
doch ſchon an die zwölf Jahre auf ihren König warteten, „noch 
ein Elein wenig“ fid) gedulden möchten. Der Widerftand von 
feiten jener Partei, die früher die Ausfolgung Ladislaws mit 
jolchem Eifer betrieben hatte, äußerte ſich nur noch in einigen 
zurüdhaltenden Gegenbemerfungen, als ob die Wiener-Neu- 
ftädter Verhandlungen vom März bereits vollkommen in Ver- 
geflenheit geraten wären. Und Georg hatte gewiß feinen Grund 
dem deutichen König Schwierigkeiten zu bereiten, ala er die 
fichere Überzeugung gewonnen hatte, daß deſſen Vertreter 
ihn bereit als Führer des maßgebenditen Teils des böh- 


os Dritter Abſchnitt. 


miſchen Volkes anerkenne. Die wichtigen kirchlichen Fragen 
aber, die im Mittelpunkt des Zwiegefpräches geftanden hatten, 
wurden vor bem Landtag kaum berührt. 

Noch im felben Jahre 1451 erfolgte denn auch George An- 
erfennung ala „Gubernator Böhmens“ durch König Friedrich 
II. Er erhielt eine ähnlide Stellung in Böhmen, wie fie 
in Ungarn Johann Hunyady ſchon feit 1446 mit ried- 
richs Buftimmung hatte: Stellvertreter des Königs Ladislaw 
big zu deſſen Regierungsfähigfeit. Dieje Anerfennung durch 
das Reichsoberhaupt erleichterte nun Georg den weiteren Auf- 
ftieg in Böhmen. Am 27. April 1452 erklärte ihn auch der 
Prager Landtag zum „bevollmächtigten und redytmäßigen Ver- 
wefer des Königreichs Böhmen“, ftellte ihm für die Verwal · 
tung einen zwölfgliedrigen Rat zur Seite und beftimmte, daß 
jeder, der von den fehlenden Ständen, Adel, Nittern und 
Städten, bis zum 15. Auguft jeine Zuftimmung nicht gegeben 
babe, als „Störer des allgemeinen Wohles“ angefehen würde. 
Diefer Beſchluß der Mehrheit des Landtags gab Georg, der 
mittlerweile fortwährend gerüftet und ein Seer gefammelt 
hatte, das Recht, gegen feine Iekten Gegnerſchaften im Lande 
einzuſchreiten: einerfeit8 gegen die taboritiche, anderſeits 
gegen die Rofenbergiiche Partei. Die Stadt Tabor, mit der 
Soaz, Laun und Piſek im Bündnis ftanden, unterwarf ſich 
am 1. September, als Georg mit feinen 17.000 Mann bor den 
Mauern erſchien.“ Eine Woche jpäter, am 7. September, er- 
ſchien der ſtolze Ulrich von Rofenberg im Lager Georgs zwiſchen 
Budweis und Frauenberg und verftändigte ſich mit ihm im 
eigenen Namen und in dem aller feiner Bundesgenoſſen auf 
der Grundlage des Landtagsbeichluffes vom 27. April. 

In diefen Tagen, Ende Auguft und Anfang September, 
da fi) in Böhmen die Einigung aller maßgebenden Parteien 
unter der Führung Georgs vollzog, war in Öfterreih ein 
überaus bedeutung3voller Umfturg eingetreten. Die öfterrei- 
chiſchen Stände hatten Friedrich III, der eben bon feiner 
Kaiferfrönung und Vermählung mit Leonore von Portugal in 
Rom zurückgekehrt war, gezwungen, ihnen Ladislaw aus- 
zuliefern und diefen am 13. September ſiegreich nad) Wien 


Das Königtum Georgs von Kunftabt-Robiehrad. 97 





gebradjt. Georg plante zwar, Friedrich mit feinem ganzen 
Heer gegen feine Bedränger zu Hilfe zu kommen, wurde aber 
durd) die Vorgänge in Böhmen, die Auseinanderfegung mit 
den Taborern und Rofenberg, zu lange aufgehalten. „Da ſeht 
ihr wohl“, jo fol er zu den Seinigen geſprochen haben, als 
er bon den Abmachungen zwiſchen den Aufitändiichen und dem 
Kaiſer erfuhr, „wieviel Kriegsruhm, melde Fülle des Ge- 
winnes ung in diefem Feldzug wieder entgangen ift. lter- 
reich, das einft reiche Sand, wäre ung zur Beute geworden 
und der Ehrentitel, den Kaiſer verteidigt zu haben, ung ewig 
geblieben. Fürwahr, jene, die in feinem Rate figen, find wei- 
biſche Männer und verrüdt, daß fie nicht einmal bis zum 
achten Tag die Belagerung aushalten fonnten.“ 

Aber Ladislaw in den Händen der Wiener zu belafien, 
war weder feine, noch de3 ungarifchen Gubernators Abficht. 
Der Kampf der Machthaber in Ungarn, Ofterreich und Böhmen, 
Hunyadys, Ulrichs von Cilli und Georgs, um den jungen 
zmwölfjährigen Fürften begann. Die inneren Wirren, die daraus 
in Öfterrei und Ungarn entftanden, können uns bier nicht 
weiter beſchäftigen. Sieger blieb der böhmifche Gubernator. 
Zaut Landtagsbefhluß vom 16. Oftober begab ſich eine Ge- 
ſandtſchaft von faft 400 Adeligen unter der Führung Heinrichs 
bon Rofenberg, des Sohnes Ulrichs, dann eines Sternbergers, 
Safenburger8 und Schwambergerd nad Wien und forderte 
Zadislarm für Böhmen. Dabei ftellte man aber aud) Bedin- 
gungen für feine Annahme, vor allem in religiöfer Hinficht. 
Der junge König foll damals gejagt haben: „Aber wenn fie 
mid) zum König haben wollen, müffen fie notwendig Chriften 
fein und fi) zu dem Glauben befennen, zu dem id) mid) be- 
kenne“. Das war aber keineswegs die Anſchauung feiner maß- 
gebenden öſterreichiſchen Ratgeber. Sie brauditen gegen den 
Kaiſer und gegen Ungarn Unterftügung und glaubten fie 
am ficheriten bei den Böhmen zu finden. An der Firchlichen 
Frage das Bufammengehen mit den Böhmen ſcheitern zu laſſen, 
ſchien ihnen politiſch unflug. Ein Johann von Schönberg, dem 
man nad) Eneag** ſchon längft Verrat und Treulofigfeit vor- 
warf, fol offen erklärt Haben: „Wozu forgen wir ung um 


Bretdols, Seſch. Vöhmens u. Mahtens. II. 7 


os Dritter Abſchnitt. 





Dinge, die den römiſchen Stuhl angehen? Was kümmert es 
uns, wie ſich die Böhmen zum Papft ſtellen, woher fie den 
Erzbiſchof empjangen, welches Recht fie für ihre Kirchen als 
bindend aufftellen, nad) welchem Ritus fie Gottesdienſt halten? 
Mögen die Geiftlichen darauf hedadyt fein, wag ihres Amtes 
ift, wir aber forgen für das Reich, damit es dem Könige nicht 
verloren gehe. Die Böhmen, gleichviel ob fie Chriften oder 
Heiden find, gehören au den unfrigen. Wenn fie nur dem 
Könige die Abgaben zahlen, mögen fie einer Sekte folgen, 
welcher fie wollen.” 


Radislam mußte, wenn auch „widerwillig“, alle Verträge 
unterzeichnen, die ziwifchen den Böhmen und Öfterreichern auf 
geheimen Zufammenfünften, wie Eneas fagt, zwiſchen Georg 
von Podiebrad und Ulrid von Cilli vereinbart wurden, in 
denen den Böhmen politiih und kirchlich alles zugeftanden 
wurde, wonach fie begehrten. Dann erft entſchloß ſich der Gu- 
bernator, jelber am 29, April 1452 vor dem Könige in Wien 
zu erfcheinen, Noch am 17, April hatte Eneag nad; Rom ge- 
ſchrieben. „Mir ift noch nicht bewußt, was der Chriftenheit 
beffer wäre, die Annahme des Königs Ladislam durch die 
Böhmen oder feine Ausihließung”. Während Georgs drei- 
tägigem Aufenthalt am Wiener Hofe wurden nidjt nur alle 
früheren Vereinbarungen vom König von neuem befräftigt, 
fondern vor allem auch Georgs Stellung ala Gubernator, die 
der Landtag nur für zwei Jahre feitgefegt hatte, in einem 
geheimen Vertrag für weitere ſechs Jahre gefichert: „ 
haben darumb den gemelten Görzifen bon Kunſtadt duch feine 
Nedlichkeit willen .. . nad) Ausgang der obberürten zwaier 
Sahr noch hinfür auf ander ſechs Jahr ... zu unfern Ber- 
weſer und Gubernator deg genannten Königreichs von Funig- 
licher Macht gefagt und ihm die Verweſung desjelben Kunig- 
reichs gänzlich) empfohlen“, wie es in der deutſch abgefahten 
Originalurfunde lautet." Aufgefallen ift damals der innige 
Verkehr, der gleich bei diefem eriten Zufammenfein zwifchen 
Georg und dem Königafind herridjte, fo daß Georg nicht von 
Ladislaws Seite wich, diefer ihn „Water“ anſprach. 





Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. oo 





Die zwiſchen dem König und den Böhmen vollkommen her- 
geftellte Einigkeit follte num auch befiegelt werden durd den 
Beſuch Ladislaws in Prag und feine feierlihe Krönung zum 
König. Wiederholt feftgejegt wurde fie immer wieder ber- 
ſchoben. Im Juli 1453 war Ladislaw bereit3 in Brünn und 
nahm dort die Huldigung der Stände, die ihn zu nicht ge- 
ringem Verdruß der Böhmen vom Anfang an alg Erbfönig 
anerfannt Hatten, entgegen, kehrte aber gegen Ende des 
Monats wieder nad) Oſterreich zurüd; nad) amtlicher Verlaut- 
barung wegen dringender politiicher Geſchäfte, in Wirklichfeit 
wegen Geldmangels am Hofe und vielleicht auch aus Angft vor 
Gefahren, die Ladislaw in Böhnen zu drohen ſchienen. Wenig- 
ſtens verzeichnet Eneas Silvius einen höchſt merkwürdigen 
Zwiſchenfall, der damit im Zuſammenhang ſieht. Der König 
habe eben damals, als er ſich zur Reife nad; Böhmen (Sommer 
1453) anfchidte, einen Brief folgenden Inhalts erhalten: 
„Johann Smirzitzky entbietet Ladislam, dem König von Böh- 
men, feinen Gruß. Es geht da3 Gerücht, da du in Kürze zu 
ung fommen willft. Wenn- du in der Weile fommit, daß des 
Herrſchers Anſehen mit dir, auf feiten der Böhmen aber die 
Notwendigkeit zu gehorchen ift, dann gut; wenn nicht, dann 
wirft du befier zu Haufe bleiben, es fei denn, daß du etwa 
zweiköpfig wäreft, jo daß du dag eine Haupt in Wien zurüd- 
laſſen, da8 andere mit zu ung bringen fönnteft. Lebe wohl.“'7 
Smirzitzky, ein reicher — nicht, wie Eneas behauptet, Fatholi- 
ſcher, fondern utraquiſtiſcher — Baron, der feit langem eine 
einflußreiche politifche Stellung einnahm und in dem am 
27. April 1452 Georg beigegebenen Zwölferrat ſaß, büßte 
die ſchwere Verdächtigung, die fi wohl in erfter Linie gegen 
den Gubernator richtete, mit dem Tode durch Enthauptung, 
am 7. September 14583. 

Im folgenden Monate wurde dann endlid, die Krönungs - 
fahrt Ladislaws nad Böhmen durdgeführt. Am 19. Oftober 
leiltete er an der Zandesgrenze bei Jalau, big wohin ihm die 
böhmiſchen Stände entgegen gefommen waren, in beutjcher 
Sprache den vereinbarten Eid auf die Landespribilegien, der 
mit den Worten begann: „Wir Ladislaw von Gotis Genaden 


7. 


100 Dritter Abſchnitt. 





erwählter König zu Behemen“ und endete: „Das belf uns 
Gott der Herre und alle Heiligen”. Am 24. Oftober erfolgte 
der Einzug in Prag, wie er nad) dem Ausſpruch eines Augen- 
zeugen jo glänzend in Böhmen noch nie gejehen worden war.t* 
Am 28. folgte die Krönung im St. Veitsdom durch den 
Biſchof Johann XIII, von Olmüg „unter den größten 
Freudenbezeugungen des Volles und mit ungeheurem Auf- 
wand“, jagt Eneas. 

Mehr als ein Jahr verblieb der junge König in Böhmen 
unter der Zeitung des Gubernator3 Georg, her fich feiner voll- 
kommen bemädjtigt hatte. Er ſchlief — fo heißt e8 ausdrücklich 
— mit ihm im felben Simmer, fprad) ihn „mein Sohn” an, 
ließ fid) von ihm „Vater“ nennen. Um fo auffallender er- 
ſcheint e8, daB, mie gleichfall3 berichtet wird, Ladislaw in 
teligiöfer Hinficht während feines Prager Aufenthaltes feinen 
katholiſchen Standpunkt fehroff herborfehrte und feine Ab- 
neigung gegen da3 Huflitentum offen zur Schau trug. Er 
lehnte e3, „fo fehr er auch darum gebeten wurde”, fagt Eneas, 
entjdjieden ab, utraquiftiiche Kirchen zu beſuchen, geichweige 
dem Gottesdienft dafelbit beizuwohnen. Als ein utraquiftiicher 
Priefter ſich anfdicte, in der Föniglichen Kapelle vor dem König 
den Gottesdienft zu berfehen, foll er ihm gedroht haben, ihn 
mit Gewalt vom Altar wegichleppen und vom nächſten Felſen 
berubftürzen zu lajfen, wenn er nicht freiwillig weide. Der 
Gubernator fheint auf das religiöfe Empfinden des Königs 
feinen Einfluß genommen zu haben, jo fehr er ihm auch ſonſt 
nahe ftand. Hatte er gegen die Stärfung des Fatholifchen 
Glaubens in Böhmen nicht? einzumenden oder war es ihm 
nit unerwünſcht, daß ſich Ladislaw durd) diefe Bevorzugung 
des Katholizismus die Zuneigung der utraquiftiihen Qe- 
völferung Boͤhmens verfcherzte? Der Unwillen über die religi- 
öfe Richtung am Prager Hofe Fam denn auch auf dem Prager 
Saftenlandtag 1454 unverhofft zum Ausbruch. In Gegenwart 
des Königs und des Gubernators erklärte ein utragquiftifcher 
Baron Beneſch Mokrofous von Huftiran: „Herr König und 
Herr Gubernator und ihr anderen Herren und Edlen, zivar 
habt ihr fehr gut angefangen bei der Verwaltung Böhmens, 


Das Königtum Georgs von Kunſtabt · Podiebrad. 101 





aber da8, was am meiften notwendig ift, habt ihr ausge- 
ſchloſſen und Hintangefegt, nämlich den Glauben, davon ihr 
hättet ausgehen müffen, um dann erft zu anderen Anordnungen 
und Arbeiten euch zu wenden”. Er ſprach immer eifriger von 
den Sompaktaten, vom Ersbiſchof Johann von Rofikan, und 
als ihm andere Barone zu mwiderfprechen berfuchten, wandte 
er fi) an den ganzen Landtag mit der Frage: „Habe ich wahr 
geiprochen?”, worauf ihm mit dreimaligem: „Es ift fo” geant- 
wortet wurde. Der König, der fid) den Vorfall verdolmetſchen 
ließ, fo wenig beherrichte er noch die tſchechiſche Sprache, und 
der Gubernator waren anfangs gang verwirrt (perplexus), 
fchließlich verwies Georg den Redner darauf, daß diefe Fragen 
doch nicht in den Landtag gehörten, fondern vor den fönig- 
lichen Rat. Diefe Mahnung und die Angft vieler vor einem 
neuen Ärgernis (scandalum et obprobrium) war der Grund, 
daß die Angelegenheit nicht weiter verfolgt und Beneſch 
befänftigt wurde. Vielleicht hüngt es mit diefem Auftreten 
der Utraquiften zufammen, daB eben auf diefem Landtag die 
dringende Forderung des berühmten Prediger Johann von 
Kapiſtran, auch nad) Prag kommen und dort frei reden zu 
dürfen, wie er dies ſchon in zahlreichen anderen Städten 
Vöhmens und Mährens getan hatte, abgelehnt wurde. Und 
ebenfo Hingt die Erklärung des Enens nicht unwahrſcheinlich, 
daß, „als der König den Wunfc äußerte, nad) Öfterreich 
aurüdgufehren, ihm feiner der Ketzer entgegen war”; fein 
längeres Berbleiben in Prag ſchien eine fortwährende Stär- 
kung des Katholizismus im ganzen Lande zu bedeuten, ind- 
befondere angejichts der Zurückhaltung, die der Gubernator in 
dieſer Hinſicht an den Tag legte. 

Ladislaw begab ich. ale er am 29. November 1454 von 
Prag aufbrach, zuerft- nad) Schlefien, um in Breslau die 
Huldigung der Stände diefeg böhmifchen Nebenlandes ent- 
gegenzunehmen, das ſich entichieden gemeigert Batte, diefen 
Akt, wie Georg und die Böhmen gefordert hatten, in Prag zu 
vollziehen. Georg begleitete den jungen König auf dieſer 
Fahrt, obgleich ſowohl die Schlefier als insbeſondere die Bres- 
lauer feinem Gubernatorentum ſchon damalg den heftigiten 





108 Dritter Abſchnitt. 


Widerftand entgegenfegten, der fidy dann von Jahr zu Jahr 
verſtärkte. Nirgend wurde der Huffitenfeind Yohann von 
Kapiſtran mit folder Vegeifterung aufgenommen, wie gerade 
in Breslau. Auch noch auf der weiteren Reife nad) Wien, die 
Ladislaw am 31. Januar 1455 antrat, blieb der Gubernator 
an deilen Seite und erſt Mitte Mai fehrte er allein von Wien 
heim, Ladislaw in ſchweren politifhen Sorgen zurüdlafiend. 
Schuld daran war vor allem eine ernfte Verfeindung mit dem 
Kaiſer, dann der furchtbare Türkenkrieg, der als Folge des 
weltgeſchichtlichen Greigniffes der Einnahme NKonftantinopels 
durch die Osmanen am 29. Mai 1453 ausgebrodyen var, weiter 
der Tod des ungariſchen Gubernators Johannes Yunyady 
am 11. Auguſt 1456, als deſſen Folge in Ungarn blutige 
Parteikämpfe ausbrachen, und ſchlieblich ſchwierige Verhält- 
niſſe in Wien und in Oſterreich. Georg von Podiebrad wußte 
um alle dieſe Fragen, ohne aber den Standpunkt, den 
Ladislaw einnahm, in vielen Punkten zu teilen. Das Ver- 
bältnis zum @ubernator hatte fi) von dem Augenblick 
gewandelt, da Ladislaw aufhörte ein Kind zu fein und daran 
dachte, die Regierung feiner Erbländer in eigene Hand zu 
nehmen. Dag gegenfeitige Vertrauen war, wenn es je auf- 
richtig beftanden, längft verſchwunden. Nur unter dem 
Schuge einer ftattlihen Ritterſchar entſchloß ſich Georg einer 
Einladung des Königs nad) Wien zu folgen, betrat aber 
nicht die Stadt, die ihm nicht ſicher ſchien, fondern Ingerte auf 
freiem Felde am linken Donauufer und forderte vom König, 
Fran er u ihm hinauskomme, was diejer auch nad) einigem 


yembette fi) bei diefen Beſprechungen, wie es fcheint, 
um die Stage, wo die bevorftehende Vermählung des Königs 
mit Magdalena, der Tochter König Karls VII. von Frankreich, 
ftattfinden folle, in Wien, in einer ungarifchen Stadt oder 
aber in Prag, wie Georg verlangte. Bei den Verhandlungen 
vor Wien ſcheint Ladislaw noch nicht ingewilligt zu Haben, 
denn der Gubernator „lenkte in hellem Born und unter 
Drohungen jeinen Weg nah Mähren zurüd”. Allein bald 
änderte Ladislaw feinen Entſchluß und am 29. September 





Das Königtum Georg von Kunſtadt · Podiebrad. 108 





1457 fam er nah Prag „mit außerordentlich glängendem 
Gefolge“ und „mit nicht geringeren Ehren als das erfte Mal 
empfangen“. Kaum zwei Monate fpäter, am 23. November, 
erlag er, inmitten der Ießten Vorbereitungen zur Hochzeit, 
binnen ſechsunddreißig Stunden einem peftartigen plölichen 
Anfall. Aber der Verdacht, dab er vergiftet worden fei, ent« 
weder auf Veranlaffung Johanns von Rokitzan oder Georgs 
Gemahlin Sohanna von Rozmital oder gar des Gubernators 
jelber, erhob ich fofort. Auf dem am 21. Januar 1458 in 
Wien eröffneten Landtag hielt Georgs Sekretär, Jobſt von 
Einfiedeln, eine längere Rede, die die auch ſchon in Wien um- 
laufenden Gerüchte widerlegen follte.° 

Die Lage nad) diefem umverhofften Tode war ſchwieriger 
als nad) König Albrechts II. Sinfcheiden, ja man kann fagen 
ſchwieriger als bei irgend einer Xhronerledigung borher. 
Zwar an Bewerbern um die Krone mangelte e8 nicht und 
jeder fonnte mehr oder meniger begründete Rechte bor- 
bringen. Es meldeten ſich die Habsburger, Serzog Ludwig bon 
Bayern, der Kurfürſt Friedrich von Brandenburg, fein 
Bruder Markgraf Albrecht, foger König Karl VII. von 
Frankreich für feinen gleichnamigen Sohn, den Bruder der 
Braut des beritorbenen Lodislaw. Geht man zurück auf die 
berühmten Staatsgrundgefefe Karls IV. vom Sahre 1348, 
durch die in Böhmen die Erbfolge in männlicher und auch 
weiblicher Linie feitgefegt worden war, dann waren unbe 
dingt die beiden Schweſtern Ladislaws die beredtigten 
Erbinnen, bezw. ihre Gatten. Die ältere Anna mar feit 1446 
mit Herzog Wilhelm von Sachſen, die jüngere Elifabeth feit 
1453 mit König Kaſimir von Polen vermählt. (Dal. die 
Stammtafel). Wilhelm redjnete denn auch mit Beftimmtheit 
auf feine Erhebung auf Grund des Erbrechtes feiner 
Gemahlin. Allein der böhmiſche Adel hatte ſich bei der 
Erhebung der legten drei Könige Sigmund, Albrecht und 
Ladislaw auf den Standpunft geftellt, daß nur die Wahl durch 
die Stände im Landtag das mahre Recht zur böhmifchen 
Königskrore berleihe und war entichloffen, diesmal Erb. und 
andere Rechte nicht gelten zu laffen. Der Landtag, der am 


104 Dritter Wſchnitt. 





27. Februar 1458 eröffnet wurde, und ohne als Wahllandtag 
angefündigt zu fein, über den fünftigen König entſcheiden 
follte, verlief nicht nur fo formlos ala möglich, ſondern ftand 
bor allem unter dem Zwang der insbefondere durch Johann 
von Rokitzan aufgereizten Straßenmenge. Während im Saale 
des Alftädter Rathaufes, allwo der Landtag fi) verfammelte, 
bie Vertreter des franzöfifchen und ſächſiſchen Anſprechers, die 
allein erfchienen waren, ihre Reden hielten, rief das Volk 
unten auf dem Pla und auf den Gaſſen bereits: man möge 
nur „Herrn Girzif (Georg) oder fonft einen anderen behemi- 
ichen Herrn und feinen Deutjchen oder andern zum Könige 
wählen und aufnehmen”. Die Gefandten der Städte Görlik 
und Baußen, die einzigen, die aus den Nebenländern er- 
ſchienen waren. verließen eiligft „in großem Verdrieße und 
Mibfallen” Prag, als fie das Lärmen und Schreien auf den 
Straßen vernahmen, Der ſächſiſchen Geſandtſchaft, der fie 
beim Außreiten aus der Stadt begegneten, erflärten fie, e8 
gehe in Prag zu, „daß es Gott erbarmen modyt”. Die Fatho- 
liſchen Barone juchten anfangs die Wahl hinauszuziehen. ALS 
fie dann am 2. März im Sigungsfaal erfchienen, mar alsbald 
das Rathaus von einer ungeheuren Vollsmenge umftellt, in 
die fid) beivaffnete Saufen mifchten; im Saal. jelbft erjchienen 
der Stadtrichter, Kerfermeilter, Schergen und Henker, an- 
geblich um Unruhen rechtzeitig niederhalten zu fünnen. Da 
erſchraken die Gegner, die Rojenberg, Schwamberg, Kolowrat, 
Neuhaus, Michelsberg und andere, denn, wie Roſenbergs Se- 
fretär, der anweſend war, zutraulich bemerkt: fterben, das tut 
gar weh. Dieſe Lage benüßte der Fatholifche Baron und Oberit- 
burggraf Sdenko von Sternberg, damals und nod) lange Zeit 
der treuefte Anhänger Georgs, und rief in den Saal: „Der 
Gubernator fei unfer König. Es lebe Georg, unfer gnädigfter 
König und Herr.” Indem die Mehrzahl antwortete: „Hoch 
Iebe König Georg von Böhmen“, war die Wahl vollzogen 
und entichieden.?t 

Wahl ift aber nur der erfte Aft einer Königserhebung; 
den zweiten bildet die Krönung. Dieſe hatte für Böhmen 
einft Karl IV. durch eine eigene franzöſiſchem Vorbild nach- 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 105 





gebildete Ordnung als eine rein kirchliche, feierliche Handlung 
geftaltet. Darauf wollte Georg nicht verzichten; ohne fie hätte 
er fi nicht ala wahren König gefühlt. Hier bricht wieder 
die alte katholiſche Überlieferung durch, von der ſich frei zu 
machen den böhmifchen Utraquiften fo ſchwer wurde. Wer 
follte ihn aber krönen und falben, das Hochamt halten und 
den Segen erteilen? Der gewählte aber von den Katholiken 
und dem Papfte nicht anerkannte huſſitiſche Erzbiſchof Johann 
bon Rokitzan? Durch feine außerordentliden Bemühungen 
um Georgs Wahl hätte er fich diefen Dank wohl verdient. 
Mlein daran dachte der neue König feinen Augenblid, Er 
verlangte nad Fatholifchen Geiftlichen. Im eigenen Lande 
fanden fi) feine, da der Olmüger Biſchofſtuhl eben damals 
unbefegt war und der Biſchof bon Breslau Soft aus dem 
Haufe der Rofenberg fid weigerte Georg anzuerfennen. Da 
half ihm König Mathias von Ungarn, der Sohn Johann 
Hunyadys, der nach Ladislaws Tode ſchon am 24. Januar 
1458, in ähnlicher Weife wie jpäter Georg in Böhmen und 
nicht ohne deſſen Zutun von den Ungarn auf den Thron feines 
Landes erhoben worden und überdies mit einer Tochter Georgs 
verlobt war. Er gab feine Zuſtimmung, daß die beiden un- 
gariſchen Biſchöfe Vinzenz von Waiten und Auguftin bon 
Raab fich diefer Aufgabe unterzogen und erwirkte hiezu auch 
die Zuftimmung des bei ihm weilenden päpftlidien Zegaten, 
des Kardinal Carvajal. Mllerdings nicht bedingungslos. Georg 
mußte ſich verpflichten, vor der Krönung einen Eid zu Ieiften, 
der gleichſam die Abſchwörung der huſſitiſchen Lehren und 
den Übertritt zum Katholizismus bedeutete und ihn auch band, 
in gleihem Sinne bei feinem Volke zu wirken, Nur fobiel 
fegte er durch, daß diefer vor einer beſchränkten Zahl geift- 
licher und weltliher Großen am 6. Mai 1458 abgelegte Eid 
vorläufig geheim gehalten wurde. Wir kennen den vollen 
Wortlaut; er heißt mit Hinweglaſſung alles Formelhaften: 

„Ich Georg, gewählter König von Böhmen, der ich dem- 
nädjit gefrönt werden foll, veripredhe, gelobe und beſchwöre 
vor Gott und feinen Engeln in die Hände der beiden Biſchöfe 
... und in Gegenwart der Herren ..., dab ich bon jet 


106 Dritter Wſchnitt. 





an in Hinkunft treu und gehorfam fein werde ber heiligen 
römifchen und Fatholifchen Kirche und dem beiligften .. . 
Papſt Caligt III. und feinen Nachfolgern ... und treu, wie 
die anderen katholiſchen und chriftlichen Könige, den Gehorfam 
und die Gleichmäßigfeit (obedientiam et conformitatem) ein- 
halten werde in der Einheit des orthodogen Glaubens, den 
die heilige römiſch-katholiſche und apoftolifche Kirche befennt, 
verfündet und hält. ch will diefen Fatholifchen und ortho- 
bogen Glauben bewahren, fchügen und berteidigen nad, gan- 
zem Können und werde da8 mir unterftellte Volt nad) der 
mir bon Gott verliehenen Klugheit von allen Irrtümern, 
Sektenweſen und Härefien und bon anderen der heiligen 
römischen Kirche und orthodoxen Lehre entgegenftehenden 
Artikeln zurüdrufen (revocare); ich will und werde mich be- 
mühen, e8 zur Beobachtung des wahren Fatholifchen und ortho- 
dogen Glaubens, zum Gehorfam, zur Gleichförmigkeit, Einheit, 
zum Ritus und Kult der heiligen römiſchen Kirche zu führen 
und diejen wieder herzuftellen. Ich werde allen Fleiß an- 
wenden, daß alles Vorgejchriebene nad) meinem ganzen Kön- 
nen und Bemühen zum Xob, Ruhm und zur Ehre Gottes 
und zur Erhöhung der heiligen Fatholifchen Kirche erfüllt 
werde. So helfe mir Gott und die mit meinen Händen för- 
perlich berührten heiligen Evangelien Gottes.“ 

Nicht enthalten war in dem Eide eine von Georg gleicdh- 
zeitig mündlich abgegebene „Abſchwörung der Irrlehre (abiu- 
ratio errorie)“, die er nicht aufnehmen laſſen wollte, um nicht 
durch eine öffentliche Urkunde der Härejie geziehen zu werden, 
da er doch in diefen Lehren erzogen worden fei. 

Am Xage darauf konnte die feierliche Krönung bor ſich 
gehen. Mit diefem Entſchluß, fo verhängnisboll er aud) für 
die Zufunft wurde, waren zunädjft die erniten Schwierig- 
feiten für feine allgemeine Anerkennung überwunden. Der 
Widerftand, der fich in den Nebenländern, Mähren, Schlefien, 
Raufig gegen feine Wahl erhoben und fich in erfter Linie gegen 
den „Reber“ geridjtet hatte, entbehrte nunmehr, da ihn der 
Papſt als König anerkannte, jediveder Berechtigung. In 
Mähren waren e8 insbefondere die großen deutſchen Städte 


Dad Königtum Georgs von Kunftabt-Rodiebrad. 107 





Olmütz, Brünn, Znaim, Jalau, auch Mähriſch-Neuſtadt und 
Hradiſch, die ſich mit Herzog Albrecht VI. von Oſterreich, dem 
Bruder Kaiſer Friedrichs III. verbunden und von ihm auch 
militäriſche Unterſtützung erhalten hatten. Allein nun fügten 
ſich die meiſten willig; Jglau, das ſich am längſten wehrte, 
erlitt ſchwere Strafe. Nicht anders erging es in der Lauſitz 
und in Schleſien. Nur das ſtarke, ſtreng katholiſche Breslau 
unterwarf ſich nicht und beharrte in ſeiner Feindſchaft gegen 
den huſſitiſchen König.” Mit Herzog Albrecht VI. kam es 
allerdings zu einem Sleinfrieg, der in die Sommermonate 
1458 fiel. Ein böhmifcd-mährifhes Heer drang in Nieder- 
öfterreich ein, brannte und verwüſtete dag Land bis an die 
Donau. Der Herzog mußte die Hilfe feines Bruders, des 
Kaiſers, anrufen, der nad) mehreren Zufammenfünften mit 
dem Böhmenkönig am 3. Oktober den Frieden herſtellte. 
Georg war auch aus diefem Kampfe als Sieger hervorge- 
gangen. Seine Rage am Ende de3 Jahres, in dem er die 
Königskrone erlangt hatte, erjchjien über alle Maßen günftig; 
und die nächſte Zeit brachte neue Erfolge. Die Nachbarfürſten 
von Sadjfen, Brandenburg, Bayern fuchten Annäherung oder 
lehnten die Annäherungsverfuche nicht ab. Im April 1459 
fand in Eger ein glänzender Fürftentag ftatt, auf dem durch 
Vermittlung des Markgrafen Albrecht Achilles von Ansbach- 
Bayreuth alle Gegenfäge zwiſchen Böhmen und Sachſen bei- 
gelegt wurden. Ein Ehegelöbnis zwiſchen Georgs Sohn 
Heinrich (Hinko) und Katharina, der Tochter des Mark- und 
Randgrafen Wilhelm III. von Meißen-Xhüringen, Georgs 
ehemaligen gefährlichften Rivalen im Xhronfampf, und weiters 
zwiſchen feiner Tochter Sidonie (Zdenka) mit Wilhelms 
Neffen Albrecht, dem Sohne des Kurfürften Friedrich IT. von 
Sachſen, befiegelte den Freundſchaftsbund. Es bedeutete die 
Aufnahme des Podiebradſchen Geſchlechtes unter die deutichen 
Sürftenfamilien, mochte man auch noch bier und dort über den 
„uffgerüdten Kunig“ fpotten.”* Die Anmwejenheit des Pfalz- 
grafen Ludwig von Bayern in Eger ermöglichte auch böhmiſch- 
bayrifche Srrungen aus früherer Zeit, ſowie bayrifch-branden- 
burgifche Gegenjäße vorläufig wenigſtens auszugleichen. 


108 Dritter Wſchnitt. 








Georg gewann Stimme und Anfehen unter den deutſchen 
Fürſten, wiewohl er kaum ihre Sprache beherrſchte und fich in 
den Verhandlungen eines Dolmetſch bedienen mußte. 

Diefe io rafch errungene Machtftellung des huffitifchen 
Böhmenfönigs erklärt ſich nicht zulegt aus den verworrenen 
Verhältnifien im Neid unter Kaiſer Sriedrih II. Er 
fümmerte fi nicht um die mannigfadyen Streitigkeiten, die 
dort herrſchten, alle Aufforderungen dahin zu fommen, „um 
die Bürde des Reiches löblich zu tragen“, blieben von ihm un- 
beachtet, den zahlreichen Fehden, die dort ausbradyen, ließ er 
ruhig ihren Lauf, den Übergriffen des Papfttums entgegen- 
autreten, wie bon ihm verlangt wurde, Fam ihm gar nicht in 
den Sinn. Er fügte fi) vollkommen der Anſchauung feines 
Kanzlers Eneas Silvius, daß bor allem Kaifer und Papſt 
aufammenhalten müfjen, und fah auch darin feine Beeinträchti- 
gung, daß im Neid) die päpftliche Macht im allgemeinen faft 
in jeder Beziehung Höher al die faiferliche gehalten, der 
päpftliche Stuhl, wie man fagte, als „der oberfte Brunnen der 
Chriftenheit” angejehen wurde. Die Unhaltbarfeit diefer Ver- 
hältniffe, die Notwendigkeit einer Neuordnung durch eine 
Träftige Hand drängte fich immer weiteren Kreifen auf. Der 
Gedanke, dem deutichen Kaifer zum mindeften einen römiſch- 
deutfchen König an die Seite zu ftellen, der für das Reich 
forgen follte, wurde in politiichen reifen ſchon Ende der fünf- 
ziger Jahre ernft erwogen. Man dachte an ben Herzog Philipp 
von Burgund, an des Kaiſers Bruder Herzog Albrecht VI. 
von Öfterreich, auch an den Pfalzgrafen Ludwig, allein feftere 
Geftalt gewannen diefe Pläne nicht. Die Gegnerſchaft der 
deutfchen Zürften unter einander erftidte jeden ſolchen Ge- 
danken im Keime. 

Da tauchte eben damals das Neugeftirn des tatfräftigen 
Böhmenfönigs auf und Ienkte fofort die Aufmerkſamkeit auch 
im Reiche auf fi. So unnatürlich der Plan auch von Anfang 
an war, einen Tſchechen und Huffiten zum deutſchen König 
erheben zu wollen, fo daß Georg jelbit e8 zunächſt als eine 
Sache erklärte, „dabon fein Nuten, fondern allein großer Un- 
wille entftehen möchte”, — nad) einer erften Ablehnung ließ er 


Das Königtum Georgs von Kunftabt-Podiebrab. 109 





fi) doch gewinnen, wie es ſcheint im November 1459 anläßlich 
deg glänzenden Hodgeitfeites feiner Kinder in Eger. Der 
Kanzler des bayrifchen Pfalzgrafen, ein Doktor Martin Mair, 
dürfte den Plan erfonnen haben und betrieb ihn fodann mit 
größtem Eifer. Für Georg hätte eine folde Erhöhung, die die 
Zeiten eines Kaiſers Karl IV, wieder aufleben machen konnte, 
vor allem die Bedeutung gehabt, da dadurd) jo ziemlich alle 
Schwierigkeiten, die feine Stellung in Böhmen barg, über- 
wunden geweſen wären. Dem böhmifchen König, der ala erfter 
weltlicher Rurfürft auch die römisch-deutfche Königsfrone trüge, 
hätten wohl auch die ftrengeren Utraquiften Zugeftändniffe in 
politiſcher und kirchlicher Hinficht gemacht, wie Georg jelbit fie 
bereits für feine eigene Perjon als notwendig erfannt hatte. 

Der Böhmenkönig wandte fich zunächſt an den Markgrafen 
Albrecht von Brandenburg, den bewährten Unterhändler. Der 
wollte auch gern vermitteln, aber doch nur mit Wiſſen und Zu- 
ftimmung des Kaifers. „Wenn Euer Gnaden bon unferem 
Herrn dem Aaifer nur einen Zettel brächten, nur ein Finger 
lang, darin uns Geine Majeftät befehlen in der Sache zu 
arbeiten, ſei e8 bei den Kurfürften oder anderswo (d. h. wohl 
beim Papſte), dann wollen wir dem getreu und fleißig nad- 
Tommen“, lautete feine Antwort. Am 1. Mai 1460 fchidte 
Georg dieſem Nat folgend jeine Gefandten an den Kaiſer nad) 
Wien, erhielt aber eine ablehnende Antwort. Er ließ ſich nicht 
abfchreden, verfuchte es vielmehr, feinen Plan mit Umgehung 
des Raifers, ja gegen den Kaiſer zu verfolgen, durch DVer- 
bindung mit den größten Gegnern des Naifers, den Wittels- 
bachern, Polen und Ungarn. 

Bon Anfang Januar bis zum 20. Februar: 1461 ſaß Georg 
wiederum in der bdeutfchen katholiſchen Reichsſtadt Eger, die 
ihm zeitlebens befondere Treue und Freundſchaft bewies, mit 
deutſchen Fürſten in der gleichen Angelegenheit beifammen 
und hier überzeugte er fich, daß die deutſche Königskrone viel- 
leicht ohne den Kaiſer, nie aber ohne den Papſt durchzuſetzen 
fei. Papft war damals Pius II. jener Eneas Silvius Piccolo- 
mini, der, wie wir willen, Böhmen und Georg feit langem 
Iannte, Er hatte von feiner erflen Begegnung mit ihm einen 


110 Britter Abſchnitt. 





tiefen Eindrud bon feiner Perfönlichkeit dabongetragen und 
fein Urteil Eonnte fi durch den gewaltigen Aufitieg des 
Huffitenführers in Böhmen feither nur gefeftigt haben. Aber 
ſchon damals, als er im Juli 1451 in Beneſchau mit ihm das 
berühmte politifce Geſprůch geführt hatte, muß ſich in ihm die 
Vorftellung gebildet Haben, daß Georgs Ehrgeiz größer fei als 
feine huffitifchen Überzeugungen; daß e8, wenn aud) nicht ſofort 
To doch fchrititveife gelingen werde, Georg zur katholiſchen 
Kirche zurüdzuführen. Im ſelben Jahr 1458, da Georg König 
bon Böhmen geworden war, hatte Eneas im Auguſt den päpft« 
lichen Stuhl beitiegen, als Nachfolger Calixts III. Und wie 
diefer ſchon früher, fo brachte auch der neue Papſt Georg zu- 
nächſt volles Vertrauen entgegen, betrachtete Georg als voll- 
wertiges Glied der Fatholifchen Kirche, zögerte nicht, ihn ganz 
ebenfo zu behandeln, wie andere Fürften des Reichs. Dadurch 
erwies er ihm einen ganz außerordentlichen Dienft. Als der 
Rapit im Oktober 1458 wegen der Türfengefahr einen Fürſten · 
kongreß nad; Mantua einberief, erhielt auch Georg eine Ein- 
ladung. Der Papſt ſprach ihn, wie die anderen Fürſten mit 
„geliebter Sohn“ und „König“ an, nannte aud) ihn einen 
„frommen Fürſten, Verehrer des Glaubens und der Religion“. 
Georg ließ diefes Schreiben allgemein verbreiten zum Beichen, 
daß fein Königtum nun auch bei der Kurie voll anerkannt 
werde. Damals urteilte der Breslauer Stadtehronift Ejchen- 
Ioer ſehr richtig: „Das Fleine Brieflein unterwarf ihm 
Fürften, Lande und Städte, die nachher durch große Bullen 
und auch durch Kreuzpredigten, durch Bann und alle Ver- 
maledeiungen nicht wieder bon ihm abgebracht werben 
fonnten“.° 

Die Schlefier und Laufiger gaben von da an ihren Wider- 
ftand auf. Denn nur von ihm als Ketzer glaubten fie ſich bisher 
fernhalten zu follen; da er aber den urkundlichen Beweis er- 
brachte, daB der Papft zwiſchen ihm und den übrigen Fürften 
feinen Unierſchied mehr made, entfiel für die meiften jeder 
Grund die bisherige Politik noch weiter zu verfolgen, Nur die 
Breslauer blieben päpſtlicher als der Papft. Sie jhidten Bot- 
ſchaft um Botſchaft und Brief um Brief, um den Papſt zu „unter 


Des Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 111 





richten, wie e8 um Girfifen eine Geftalt hätte“. Aber fie er- 
wirkten fchließlich doch nur, daß ihnen ein Aufihub für ihre 
Huldigung auf drei Jahre gewährt wurde (13, Januar 1460); 
au einer Art Vorhuldigung mußten fie fich durch eine eigene 
ſtädtiſche Gefandtichaft bequemen. Es war das Werk Papit 
Pius’ und jeiner eigens zu diefem Zwecke nad; Breslau und 
Prag beorderten Zegaten. Und Georg Eonnte fich nunmehr 
rühmen, da in feinem weiten Reid) feine Landſchaft und feine 
Stadt mehr beftünde, die feine Herrſchaft nicht anerkannte. 
Er aber zögerte noch immer jenen legten Schritt zu tun, den 
er in feinem Eid verſprochen hatte und auf den der Papft nun- 
mehr ficher rechnete. Am 12. September 1460 fchrieh er dem 
Bapfte: „Die Ihuldige Ehre, Achtung, Unterwerfung und den 
vollen Gehorfem, die wir bei unferer Erhebung eurer Heilig- 
feit und der heiligen römischen Kirche durch eidlichen Schwur 
geleiftet haben — fie wollen wir unvberbrüchlich eurer Heilig- 
feit nad) Art hriftlicher Könige bewahren, wie wir fie durch 
unfer königliches Wort verfprochen haben. Jenes ſchon längft 
gegebene Verſprechen zu erfüllen, haben wir im Geifte 
beſchloſſen; aber der ſchwere Lauf unferer Angelegenheiten, der 
eurer Heiligkeit nur zum Zeile befannt ift, erlaubt ung nicht 
unfer @elübde einzuhalten; wir fuchen in Frieden und ohne 
ſchwerere Verwirrung unferes Reiches nad) einer Gelegenheit, 
um der Schledtigfeit der Menfchen und Zeiten bei der heiligen 
Wiedereinführung des Glaubens nicht mit den Waffen, jondern 
mehr mit Rat und Klugheit zu begegnen.”” Er führt ala ein 
Hindernis die herrfchende Zwietracht der Barone und Adligen 
an, die vor feiner Zeit entitanden jei. Er bittet den Papſt 
dringend (obnixe), feinen etwaigen Unmut zu mäßigen „und 
gegen ung und unfer Reid, die wir den apoftolifchen Befehlen 
ſowohl gehorchen als zu gehorchen ſtets bereit find, nicht daß 
zur Ausführung bringen, was uns durch den Gejandten an- 
gedroht wurde”. Er verſpricht, feine Botſchaft behufs „feier- 
Ticjer und öffentlicher Obedienzerflärung” fpäteftens big zum 
2. Februar 1461 „mit voller und ausreichender Vollmacht zu 
den Füßen eurer Heiligfeit” zu entfenden, die „alle Schuldig- 
keit nad) Art unferer Vorfahren, der Könige non Böhmen, 
und der übrigen hriftlichen Fürſten erfüllen werden”. 


112 Dritter Abſchnitt. 





Der Papft konnte nad) ſolchen Berfiherungen und nad) 
dem Dienft, den er ihm bei den Breslauern erwieſen hatte, 
nicht zweifeln, daß die Angelegenheit in Rürze günftig er- 
Iedigt jein würde, umſomehr als auch die Frage der deutſchen 
Königswahl Georg ganz auf den Papſt hinwies. Aber die fo 
beſtimmt zugeſagte böhmiſche Geſandtſchaft Fam wiederum 
nicht. Man arbeitete vielmehr in Prag eine merkwürdige 
Denkſchrift für den Papſt aus, die den Titel führt: „Die Unter- 
richtung des Handels, der bei unferm heiligen Vater den Papſt 
bon unfereg gnädigiten Herrn, des Königs zu Böhmen, wegen 
iſt fürzunehmen“.° Wenn ſie auch, wie es ſcheint, nicht in die 
Hände Papft Pius’ gelangte, da fie von den Ereigniffen über- 
holt wurde, fo gewährt fie doc den beiten Einblid in die ge- 
beimen und wahren Xriebfräfte der Politik Georgs in jener 
Zeit. Der Grundgedanke, den die Schrift verfolgt, geht dahin, 
den PBapft zu überzeugen, daß e8 feine Pflicht fei, aber auch 
ihm nur zu eigenem Nutzen gereichen Fönne, wenn er dem 
böhmischen König borerft zur deutichen Königswürde verhelfe. 
Er geht auß von der der ganzen Chriftenheit drohenden 
Türkengefahr, die auch den Papſt damals in bollitem Maße 
beichäftigte. Der Ungarnkönig Mathias — fo führte die Denk - 
ſchrift aus — könne ohne die Hilfe des Reiches den Türken 
nicht Iange mehr Widerftand leiften, das Reid) aber werde feine 
Hilfe leiften, bevor nicht darin Friede herriche. Und der Kaiſer 
— „nit allein fein $riede madjt, fonder auch zu mehrer Auf- 
ruhr Urfach gibt”. Daher müffe „das Reich mit einem andern 
Regierer verſehen werden, der gevorchtig (gefürchtet), mächtig, 
großmutig und zu dem Fried im Neid), au) dem Zuge an 
(gegen) die Türfen geneigb jei”. Der König bon Ungarn habe 
ihm, @eorg, bereit3 nahegelegt, fi) um die deutſche Krone zu 
bewerben, da er „bas (beffer) dann jemand in der Chriften- 
heit die Sachen löblich vollenden und handhaben” Tönnte; 
er (Georg) fei, „baft (ehr) geforcht, großmächtig vernünftig, 
zu dem Fried in dem Reich geneigt”, fein Reid) ſei günftig 
gelegen, er jelber mit den Fürften von Ungarn, Polen, Öfter- 
reich, Bayern, mit einigen Kurfürjten und mächtigen Städten 
deg Reichs durch Erbeinigungen, Lehensband, Verſchwägerung 





Gas Königtum-Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 118 





(„Heiraten“) in folden Beziehungen, „daß fie auf ihn mehr 
dann feinen anderen Fürften ein Auffehen haben und fid) 
auch nad) ihm mehr dann niemand anders halten und richten“. 

WIN alfo der Papſt den Chriftenglauben und Ungarn vor 
den Xürfen retten, „jo muß er bor allen Dingen jemand dorzu 
ordinieren, der bollen Gewalt und Macht Hab, Fried und 
Einigfeit und was dorzu not ift, im Reich zu maden, den zu 

. handhaben und den chriſtenlichen Zug zu bollbringen“; denn 
fonft fällt in diefer oder jener Meife Ungarn den Türken 
anheim und dann werde der Türke jo mächtig fein, daß er das 
römische Reich „leichtiglich auch unter ſich pringen mug“. 

Um nun den Papſt für diefen Königsplan zu gewinnen, 
verrät ihm Georg, daß er, der Papft, ernite und gefährliche 
Gegnerjchaften habe, einerfeit3 unter den deutfchen Kurfürſten, 
aber auch anderwärt3 (Tirol, Sizilien); „aus dem allen berftee 
der Papſt wohl, was ernſt gegen ihm fürgenommen wird“. 
Die ſechs Kurfürſten jeien bereits feit mit einander verbunden, 
nur er, Georg, der fiebente, „der oberfte Kurfürft“, wie er fi 
wiederholt hier nennt, habe ihrer wiederholten Aufforderung 
ſich ihnen anzuſchließen, noch nicht willfahrt, ‚vielmehr fie 
zurückzuhalten verſucht, „dem Papſt zu gut”. Wenn aber der 
Papſt das Reich „mit einem Negierer verficht, der ſich nad) 
feiner Seiligfeit richtet, jo iſt die Sad) alle geſprochen und 
würdet (würde) der Kurfürſten Einung auch zerrütt“; der 
Papft wiſſe ja wohl, was ſolche Einigungen bedeuten, wenn 
eine „Obergemwalt“ eingreift. 

Damit aber der Bapft „noch gruntlicher veritee”, daB 
Georgs Anerbieten ſowohi eines Kreuzzugs gegen die Türken, 
als der Herftellung der Ordnung im deutſchen Reich „aus 
einem guten Herzen komme“, folgt die ausdrüdliche Erklärung, 
Georg brauche ſich eigentlich um alle dieſe Dinge nicht au 
kümmern, „ihm in feinen Weg not wär, fi) in eine Unrue 
und Arbeit zu geben”. Habe ihm doc Gott die Gnade getan, 
baß er das Königreich Böhmen, „das dann vaft lang Zeit her 
mit Kriegen und Aufruren beladen und befümmert und des 
Friedens und der Gerichte entſetzt und beraubt geweſen ift“, 
binnen Jahresfriſt zu Friede und Einigfeit gebracht habe, „daß 


Wrethols, Geld. Böhmens u. Mährens. IL. 8 





114 Dritter Abſchnitt. 





ein jeder bin und herwider dorinnen und dodurd) friedlich 
und fijer wandern und Rechten... . befommen mag .. .“. Da- 
her glaube und hoffe er, daß er auch die anderen Sachen, den 
Zug gegen die Türken, die Reichgangelegenheiten und allem 
voran die Erhaltung des Anſehens des heiligen Stuhls in 
Rom, derart durchführen werde, „daß feiner Heiligkeit und 
ihm die Ehre und Lob durch Gott vorbehalten fei, daß fie 
Beſchützer und Schirmer des heiligen Chriftenglaubens, des. 
Beiligen Stuhls zu Rome und de heiligen Reichs geheißen 
und gehalten werden”. 

Wenn ihm dann der Papſt in der Frage der Ernennung 
eines Erzbiichofs für Prag und in der Entjendung eines 
Regaten entgegenfomme, der mit ihm gemeinjam einen Weg 
einſchlage, „dodurd ohne Plutvergieffung ein Einigkeit des 
Glaubens im Konigreich furgenommen werde” .. .., fo wolle 
der König dem Papſt „offenlid, Obedienz und Gehorfam tun, 
inmaffen fein Vorfahren, Kunig zu Beheim, getan haben“. 

Er ſchildert ihm damn die Vorteile eines gemeinfamen Vor- 
gehens in allen großen und kleinen politiſchen Fragen im ein- 
zelnen, ebenfo wie die Gefahren für das Papfttum, wenn e8 zu 
diefer Einigung nicht käme. 

Wenn aber der Papft im Grunde Geneigtheit zeige, dann 
folle man ıhm erflären, daß ſich Georg mit einem bloßen Titel, 
Gubernator, Coadjutor, Vikar, Präfident oder NRegierer des 
Reichs, oberfter Hauptmann wider die Xürfen oder Confer- 
bator und Handhaber des Reichsfriedens, nicht zufrieden geben 
könne; vielmehr fei „hart darauf zu dringen”, daß Georg 
„rönuſcher König“ würde, denn nur im Belike diefes Titels 
tönne er „Ehr, Gehorfam und Volg (Folgjamkeit) im Reich 
erlangen“; höchſtens „vorläufig“ könne man einen beſcheide- 
neren Titel in Verhandlung ziehen. Als römiſcher König 
würde er dein Papſte „offentlic Obedienz und Pflicht tun, 
wie einem romiſchen König zu tun gebührt“; er würde den 
Nurfürften nicht geitatten, „in ein concilium ober. pragmatica 
fanctio“ zu willigen, wie gegen den Papſt geplant jei; er 
würde nicht „furnehmen“ laſſen, „dodurch den Papft einicher- 
lei Strung an feiner Obrigkeit beſchehen möcht”; er würde 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 115 





fi) in nichts „von feiner Heiligfeit nit trennen noch ſcheiden 
laſſen in feinen Weg“. Sodann werden die Mittel angegeben, 
wie der Kaiſer zur Anerkennung einer ſolchen Ernennung 
Georgs zum deutichen König zu bringen wäre — in Frieden 
oder mit Gewalt. Zum Schluß verpflichtet fi der König, 
alle von den Kurfürften bereit3 geplanten Sufammentünfte 
du verhindern oder mindeftens bis zum 24. Auguft 1462 
(Bartholomäustag) verſchieben zu laſſen, „bis der König ſein 
Sad) bei dem Papſt und Kaiſer, wie vorſteht, ausgetragen hab“. 

Wir jehen aus diefer „Unterrichtung“ ar, wohin das 
Schiff des utraquiftiichen Böhmenkönigs fteuerte: zu einem 
Bündnis mit dem Papfte gegen alle: Kaifer, Reich, Rurfürften. 
Um den Preis, daß ihn der Bapft sum deutichen Könige mache, 
war Georg bereit, überall und in allen politifchen Fragen mit 
der Rurie Hand in Hand zu gehen; vor allem auch das hufli- 
tiſche Böhmen wieder zurüdzuführen in den Schoß der all- 
gemeinen fatholifchen Mutterkirche. Und hier wurde auch der 
Anfang gemacht, um dem bereits mißtrauifchen Papfte nicht 
bloß durch Worte, fondern durch Taten den guten Willen des 
Königs zu bezeugen. 

Zu Beginn des Jahres 1461 begannen in Böhmen religiöfe 
Verfolgungen der in Böhmen beftehenden zahlreichen Seften 
— wir ſprechen noch in anderem Bufammenhange davon — 
insbefondere an der Prager Univerfität gegen Studenten und 
Lehrer, wie e8 ausdrüdlich heißt: „auf Befehl der königlichen 
Majeftät“.”* Noch bezeichnender für die Lage mar daß wieder- 
holte Vorkommen von Rekatholifierungen” und die erniten 
Verhandlungen mit den Aöligen wegen Rückgabe der geift- 
lichen Güter, die fie fi in den Huflitenfriegen angeeignet 
hatten. Am Gründonnerstag (2. April) 1461 wagte eg dann 
Biſchof Joſt von Breslau im Prager Dom — König Georg 
meilte allerdings in Nuttenberg — zu predigen „gegen den 
Kelch“. Das rief aber unter den Orthodogen fofort „einen 
großen Sturm gegen den dicken Biſchof“ berbor, jo daß er 
Prag lieber verließ und fich eiligft zum König nad Kutten- 
berg begab.*! Georg lernte an diefem Ziwiichenfall die Grenzen 
feiner Macht in Böhmen kennen. Die freiwillige Preisgabe 

® 


116 Dritter Abſchnitt. 





bes Kelches war ſchon in Prag nicht zu erreichen, fo lange er 
nicht deutiher König war. Georg ftand in Gefahr die böh- 
miſche Krone einzubüßen, zum mindeiten einen ſchweren Bür- 
gerkrieg berborzurufen, wenn er noch länger über feine Stel- 
lung zum Utraquismus im Zweifel ließ. Es blieb ihm nichts 
übrig, als vor den zum Landtag in Prag verfammelten Stän- 
den am 15. Mai „ein feierliches Gelübde über die unverjehrte 
Erhaltung der Kompaktaten“ abzulegen und es in einer eige- 
nen Urfunde niederjchreiben zu lafjen.’* 

Mit diefem Belenntnis brad, aber der ganze an ſich über- 
aus Fühne Königsplan jäh zuſammen. Nur nod) als Schred- 
mittel gegen den Kaiſer oder die Fürften taucht er gelegent- 
lich auf" Mit dem Papſte Zonnte darüber nicht mehr 
verhandelt werden. Allein Georg gab die Hoffnung noch 
immer nicht auf. Denn ſcheinbar erfuhr ſeine Stellung im 
Reiche und im Rate der Fürſten zunächſt noch keine weſentliche 
Schwächung. Überall bedurfte man des jo mächtigen Böhmen- 
Tönigs; „überall waren die Böhmen mit“, jagt der Breßlauer 
Chronift. Diefe feine Verftridung mit allen Angelegenheiten 
des Reichs, die dadurch gegebene Möglichkeit Hier zu ver- 
mitteln, dort Srieden zu ſchließen, hier „die Fehde zu zunden, 
dort fie auszulöſchen“, ficherte ihm auch weiterhin noch hohes 
Anfehen und Einfluß. Darauf baute er; er wurde fid) gar nicht 
bewußt, welche ſchwere Niederlage er in Wirklichkeit bereits 
erlitten hatte. Am 11. Dezember 1461 ſchrieb er ſcheinbar ganz 
unbefangen dem Papſt über diefe feine Tätigfeit in der Iekt- 
vergangenen Zeit; „wir haben weder Arbeit, noch Wachſamkeit 
noch Fleiß geipart, um all diefe Kämpfe und diefe gräßlichen 
(atroeissimas) Schlachten zu dem den Sterblichen gewinfchten 
Frieden zu führen“* Er fühlt fi) als der Friedensbringer 
überall. „Noch dauert die alte Zwietracht und das vor langer 
Zeit entftandene große Wirrfal zwiſchen Polen ‚und Preußen 
leider Gottes an; ... aber wir haben unfere Gefandten ſchon 
an beide Xeile gefandt und mwenigitens von einem, dem preu- 
Bifchen Ordensmeilter, haben wir ſchon die Vollmacht zu unter- 
handeln .. .“. „Und alles dag tun wir bloß, um dem all- 
mächtigen Gotte und der ganzen triumphierenden Kirche Lob 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt⸗Podiebrad. 117 





und Ruhm zu mehren, damit eure Heiligkeit ind der erhabene 
Kaiſer, die als Spigen und Häupter bon Jeſus Chriftus auf 
Erden eingejeßt find, Namen, Ruhm, Sieg vermehren, bie 
Kirche und das Heilige Reich wachſen und geflärft werden“. 
Und alle diefe ſchönen Worte hatten nur den Zwech feine Ge- 
fandtichaft anzufündigen, die er „wegen Serftellung der Einig- 
keit im Glauben in unferem Königreid, abzufenden im Begriffe 
ſtand. Am 10. März langte fie in Rom an; fie beitand aus dem 
Ranzler Prokop von Rabenftein, einem Katholiken, Sdenko 
Koſtka von Poſtupitz, Georgs allergetreueftem Anhänger, einem 
Hufliten, aus zwei utraquiltifchen Theologen Wenzel Wrbensky 
und Wenzel Koranda, und Wolfgang Forchtenauer, einem 
Taiferlichen Gefandten, der fi in Wien angefchloffen Hatte. 
Die Geſandtſchaft Fam, um, wie es nad) dem Vorfall vom 
15. Mai 1461 nicht ander3 mehr möglic war, die Beitätigung 
der Kompaktaten zu erlangen; ein ausſichtsloſes Beginnen, 
da fi) in den Händen des Papftes der Eid König Georg 
und das Zeugnis über feine „Abſchwörung des Irrglaubens“ 
befand. Der PBapft, der einftmalg über Georg geurteilt hatte, 
er jei zwar „mit dem Jertum der Huffiten behaftet, aber ſonſt 
ein Verehrer des Rechten und Guten,... mehr getäufcht al 
ſtarrſinnig“, fol in diefen Tagen ſich über ihn geäußert haben, 
er fei „ein halber Ketzer, ſchlecht vom Nefte aus, man könne 
ihm feinen Glauben ſchenken. 

Die Verhandlungen führten denn auch zu feinem Biele 
weder in vertraulichen Beſprechungen noch in der feierlichen 
Audienz, die an 20. März ftattfand und in der der Papſt den 
Gefandten felbft antwortete und — zwei Stunden lang fprad). 
Er verlangte die Verzichtleiftung auf die Basler Kompaktaten 
von feiten König Georgs im Namen des ganzen böhmifchen 
Volkes, während die Gejandtichaft gefommen war, um beren 
Beſtätigung durch den Papſt zu erbitten. Hier ließ ſich Feine 
Brüde ſchlagen. Und um feine Entſchloſſenheit klar Zund- 
zutun und Georg jede Hoffnung auf eine Umftimmung der 
Kurie jegt oder jpäter zu nehmen, erklärte Papſt Pius II. am 
31. März in öffentlidem Konfiftorium vor 4000 Menichen und 
auch in Anwefenheit der böhmiſchen Gefandten die Kompak- 


118 Dritter Abſchnitt. 





taten, weldye das Basler Konzil den utraquiftifhen Böhmen 
augeftanden hatte, für vernichtet und Fraftlos. Dazu fam nod) 
unmittelbar darauf die Veröffentlichung des Eides, den Georg 
bor feiner Krönung geleiftet hatte, in vollem Wortlaut mit- 
jamt den Briefen, die der Kardinal Carvajal aus diefem An- 
laß dem Papfte Caligt III. gefchrieben hatte, die nun all- 
gemein berbreitet wurden. 

Die Boten des Böhmenkönigs erfannten die ernfte Lage, 
in die ihr König nunmehr gerate und regten die nochmalige 
Abfendung eines päpftlichen Zegaten nad; Böhmen an, der 
vielleicht doc noch von Georg jene BZugeftändnifle erwirken 
könnte, die fie zu machen nicht die Vollmacht befaßen. Der 
Papſt ftimmte dieſem Iekten Friedensverſuche bei. Er betraute 
mit der Aufgabe Fantinus de Valle, der eigentlich da3 Amt 
eines Unterhändlerg Georgs in Rom verjah und nunmehr 
von Pius II. auch zum außerordentlihen Gefandten aus- 
erjehen wurde. Der König weilte in politiichen Geſchäften, die 
mehr Sachſen, Brandenburg und Polen als Böhmen betrafen, 
außer Landes. Aber auch als er Mitte Juni nad) Prag zurüd- 
Tehrte, 30g er die Verhandlungen mit Fantin nicht ohne Grund 
binaus. Ihn befchäftigte damals ein neues überfühnes Projekt, 
das ein franzöſiſcher gefchäftlicher und politiſcher Abenteurer, 
Antonio Marini von Grenoble, erfonnen hatte, wie früher den 
deutichen Königsplan der landshutiſche Kanzler Doktor Mair. 
Georg follte mit dem franzöſiſchen König Ludwig XI. an die 
Spige eines europätfchen chriſtlichen Fürftenbundes treten, 
deſſen Hauptaufgabe die Vertreibung der Osmanen aus 
Europa und die MWiedereroberung Konftantinopels zu bilden 
hätte.” Der Papſt und der deutſche Kaiſer follten dabei um- 
gangen, Frankreich zur Vormacht im Weiten, Böhmen im 
Dften Europas erhoben, Georg vielleicht gar zum Kaiſer bon 
Byzanz gemacht werden. Dann hätte die römiſche Kaiſerwürde 
nicht mehr Tage, auf fi) warten laſſen und einen Kaiſer von 
Byzanz uni Rom würde der Bapit kaum mehr geivagt haben, 
an feinen Eid zu erinnern und ihn als Ketzer zu verfolgen. 

In folden Träumen Iehte der König, als er ſich entſchloß, 
den Kampf mit dem Popfte aufzunehmen. Für den 12. Auguſt 


Das Königtum Georgs von Kunftabt-Bodiebrad. 119 





1462 war nad) Prag ein Landtag einberufen, auf dem zu aller- 
erit Bericht über das Ergebnis der letzten Geſandtſchaft nach 
Rom erjtattet wurde. Daran ſchloß ſich unmittelbar eine lange 
Rede des Königs, die mit den Worten begann: „Wir wundern 
uns, was der Papft tut. Will er etwa wiederum diefes Reich, 
das kaum durch die Kompaktaten geeint und zur Ruhe gelangt 
ift, fpalten und zu den Waffen drängen? ... Der Papſt Hagt 
uns an, daß wir den bei unferer Krönung geleijteten Eid nicht 
genüge tun. Wir werden ihn euch vorleſen ...“ Und aus dem 
Wortlaut folgerte er und fuchte zu beweifen, daß er nur 
geſchworen habe, alle Härefien in Böhmen zu vernichten, daß 
er aber nie zugeben werde, daß die Kompaktaten zu Häreſien 
geitempelt werden und daß er fie abgeſchworen habe. Er ſchloß: 
„Wiſſet denn für gewiß, daß, da wir in diefer Kommunion 
(unter beiderlei Geſtalt) geboren, erzogen und in ihr nad) 
Gottes Willen zu diefer Föniglichen Würde erhoben worden 
find, wir deshalb auch geloben, fie feſtzuhalten, zu verteidigen 
und mit ihr zu leben und zu fterben...... Und wir glauben, 
daß e3 feinen anderen Weg des Seelenheils gibt, als mit den 
Kompaktaten zu fterben und die Kommunion sub utraque 
anzuwenden nad) der Feftfegung des Erlöſers“. Daß aber 
ſeinerzeit Georg nicht nur bon Häreſien geſprochen hatte, 
fondern aud) „bon anderen der heiligen römifchen Kirche und 
orthodogen Lehre entgegenitehenden Artikeln”, darunter die 
Darreihung des Kelches eben auch verftanden werden konnte, 
wurde leichthin übergangen. 
Auf die Schlußfrage des Königs, ob alle anmefenden 
* Herren ihm, fall® er der Kompaftaten wegen mit jemandem 
in Streit und Krieg geriete, beiftehen würden, erfolgte fofort 
die Scheidung der Landtagsteilnehmer in Utraquiften und 
Katholiken. Nur jene erklärten fich bereit mit Leib und Gut 
zu helfen; diefe lehnten die Kompaktaten ab und verlangten 
für fi) dag gleiche Recht, in dem Glauben zu leben und zu 
fterben, in dem fie geboren feien, d. h. in der Einheit mit der 
römischen fatholifhen Kirche. Im übrigen verpflichteten fie 
fich alles zur Ehre des Königs und des Reichs zu tun und ihn 
zu unterftügen. Am folgenden Tage fam der Legat zu Wort. 


120 Dritter Abſchnitt. 





Seine Darlegungen führten zu einem ernften Wortgefecht 
zwiſchen ihm und dem ungemein aufgebrachten König, das 
tagsdarauf einen bedenklichen gewaltſamen Abſchluß fand. 
Fantin, der unverleglide päpftliche Legat, wurde verhaftet, 
der Kanzler Rabenftein, der die Gefandtichaft nad Rom 
geführt hatte, feines Amtes enthoben, fo daß die Fatholifchen 
Herren in bolliter Beſtürzung Prag verließen. 

Der Biuch zwiſchen König und Papft mar vollzogen. 
Gleichwohl Fam es vorderhand noch zu feinem Kampfe. Der 
Papſt fand nicht den mächtigen weltlichen Arm, der fi ihm 
biefür zur Verfügung geftellt hätte. Georg nahm insbeſondere 
unter der. deutfchen Fürften angefichts ihrer gegenjeitigen Ber- 
fplitterung und Berfeindung eine fo maßgebende Stellung 
ein, daß e3 niemand gewagt hätte, ihn anzugreifen.. Als e8 
im Herbſt diejes Jahres wiederum zu einem ernten Krieg 
zwiſchen Herzog Albrecht VI. und feinem Bruder Kaiſer 
Friedrich III. Fam, die Bürgerſchaft Wiens fid, auf Albrechts 
Seite ftellte und den Kaiſer in feiner Burg belagerte, war es 
doc bon allen Fürften des Reichs der Böhmenkönig allein, 
der eine Heeresmacht von über 20.000 Mann aufbringen und 
dem Kaiſer zur Unterftügung zuführen konnte. Auf biefe 

Weiſe erzivang er den Frieden zwiſchen den feindlidjen habs- 
burgifchen Brüdern. Diefer neue Freundſchaftsbund zwiſchen 
Sriedrich III. und Georg band auch dem Papit die Hände. Am 
31. Dezember 1462 jchreibt Papft Pius II. an den Kaiſer in 
entgegenfommendfter Weife: er nehme zur Kenntnis, daß er, 
der Raifer, feine einzige Hoffnung auf den Böhmenkönig ſetze, 
„daß diefer allein die ſchlechten Wiener bändigen und ihm die 
Freiheit wiedergeben könne“. Wenn der Raifer mit Rücficht 
darauf ihn, den Papft, bitte, Feine geiftlichen Strafen gegen 
Georg zu berhängen, trogdem er ſich als Häretiker erflärt 
babe, jo fönne der Papſt nur jagen: „Oh unfelige Beit, in der 
wir leben. Armes Deutichland, bejammernswerte Chriftenheit, 
deſſen Kaiſer nur nod) von einem häretifhen König geſchützt 
werden fann ... Und wenn wir es auch für unbillig halten 
die Anmaßung eines Häretikers nicht zu zügeln, noch unbilliger 
erſchiene e3 ung, dir in ſolchem Unglüd nicht beiguftehen . . . 


Das Königtum Georg von Kunftabt-Rodiebrad. 121 





So haben wir denn das Haupt geneigt und deinetivegen bie 
gegen den Böhmen ſchon befchloffenen Strafen aufgehoben.” 
Die gange Ohnmacht des deutichen Reiches in jener Zeit Ipricht 
aus diefen Worten; bor ihr ſchien fi) auch das Papittum 
beugen zu müffen, fie war e8, die Georg vor der gefährlichen 
Bedrängung durch die Kirche ſchützte. Aber nur für kurze Zeit. 
Die Kirche Fonnte und durfte nicht aus politiſchen Rüdfichten 
von ihren Grundfägen, Häreſien nicht zu dulden, zurückweichen. 
Noch in den letzten Wochen feines Pontififates, als ein 
ſchwerſiecher Mann faßte Pius II. den Entſchluß, den wider- 
fpenftigen Böhmenfönig niederzuringen, nicht zuletzt auf das 
Drängen der Breslauer Bürgerihaft Hin, deren Hab und 
Feindſchaft gegen Georg durch all die Jahre mit ihren Wand- 
lungen unverändert geblieben war. 

Am 16. Yuni 1464 erfolgte in einem öffentlichen Konfifto- 
rium in Rom die Eröffnung des geiftlichen Progefjes gegen 
den ketzeriſchen Böhmenkönig nad) Verkündigung aller feiner 
Vergehen und feine Borladung bor den päpftlicden Stuhl 
hinnen 180 Tagen.’ Zange bevor die Zeit abgelaufen war, am 
14, Auguft erlag aber der Papit feinem Leiden. Sein Nady 
folger Paul II. getvählt am 30. Auguſt, mit der böhmifchen 
Frage wenig bertraut, fand vor einem ſchweren Zwieſpalt. 
Einer jeiner eriten Ratgeber, der Kardinal Carbajal, der jeit 
einem Jahrzehnt und länger die böhmifche Frage verfolgte, 
den Papft Pius II. aud) in die Kommiffion wegen Führung 
des Prozeſſes gegen König Georg ernannt hatte, ein Mann 
von höchſtem Anfehen in kirchlichen Kreifen, nahm bereits den 
Standpunft ein, „daß es unerläßlic; werden dürfte, die 

- Wunden, die fein Heilmittel annehmen, mit dem Eifen zu 
behandeln und die faulen Glieder zur Verhütung einer 
giftigen Anſteckung bon dem Leibe der heiligen Kirche Lieber 
gänzlich wegzuſchneiden“.“ Anderſeits machten ſich beim 
Vapſte fremde Einflüſſe zu gunſten Georgs geltend. „Auf 
Bitten verſchiedener Fürſten“, wie er ſelber ſpäter erflärte, 
„bie auf die Umkehr Georgs ſicher hofften“, ſtellte der Papſt 
den von ſeinem Vorgänger eingeleiteten Prozeß wieder ein, 
bot neuerdings zu friedlichen Verhandlungen ſeine Hand, die 


122 Dritter Abſchnitt. 





in Wiener-Neuftadt vor dem Kaifer Anfang des Jahres 1465 
geführt wurden, aber wiederum ergebni8los verliefen. Im 
Auguft ftand man foweit wie bor einem Jahre: Georg wurde 
aud) vom Papite Paul II. nad; Rom vorgeladen und troß 
neuerlicher Verſuche, Georg mit der Kurie zu berföhnen, die 
bon Herzog Ludwig bon Bayern im November unternommen 
wurden, erfolgte {don am 8. Dezember der zweite Schlag von 
feiten des Papftes: er entband alle Untertanen Georgs ihrer 
Eide gegen den König und verbot ihnen jedweden Verfehr mit 
ihm, jede Zeilnahme an deſſen Verfammlungen, Kriegszügen 
und anderen Unternehmungen.” Dieſe Verfügungen er- 
ſchienen um fo ernfter, als unmittelbar zubor, am 18, Nobem- 
ber der Zatholiiche Adel Böhmeng und Mährens fi unter 
der Führung Bilchof Joſts bon Breslau und Sdenkos von 
Sternberg, des einftmaligen madjtvollen Anhängers Georg, 
zu einem Serrenbund (Grünberger Bund) für fünf Jahre 
geeinigt hatte, zum Schutze jedes Mitglieds, das vom König 
angegriffen würde. Am 23. Dezember 1466 wurde über ihn 
der Bann ausgejprochen, Am Gründonnerstag, %. März 1467, 
erfolgte feine Berfluhung mitfamt jeiner Familie und feinem 
ganzen Anhang; furdjtbare Verfügungen in jener Zeit, die 
da3 ganze politifche und öffentlidje Leben eines Volkes zum 
Stillftand bringen konnten. Wenn fie zunächſt ohne ſichtbare 
Wirkung blieben, jo lag das daran, dat wie früher Pius II., 
fo jet Papſt Paul II. unter den deutichen Fürften niemanden 
fand, der Krieg mit Böhmen gewagt hätte, am wenigften der 
Kaiſer, der ſich kaum feiner eigenen aufrühreriſchen Bafallen 
in Oſterreich zu erwehren bermodjte, und dab Georg in 
Böhmen, Mähren und auch in Schlefien nicht nur an utra- 
quiftifchen fondern auch an Fatholifchen Adligen und Städten 
treuergebene Anhänger beſaß. Der böhmiiche Herrenbund, 
das ftets Tampfbereite Breslau, der Olmüßer Biſchof Protha- 
fius und eine Anzahl deutſcher und Fatholifcher Städte in 
Mähren reichten nicht aus, um König Georgs Tage in feinem 
Reihe ernſilich zu gefährden. Der Nleinfrieg, den fie 
begannen, konnte feine Entſcheidung bringen. Das Neid 
aber, das zeigte ſich deutlich auf dem am 14. Juli 1467 eröff- 


Das Königtum Georgs von Kunftabt-Bodiebrad. 128 





neten Reichstag in Nürnberg, verjagte fi) dem Kaiſer und dem 
Rapfte für den böhmifchen Krieg. Dagegen fand ſich zu ihrer 
Unterftügung bereit König Mathias von Ungarn, der zweite 
Wahlfönig jener Zeit, der Schwiegerjohn Georgs, den aber 
berwandtichaftlie Bande umſoweniger hemmten, als feine 
Gemahlin, Georgs Tochter, Katharina drei Jahre zuvor, 1464 
geftorben war. „Girſik erfchraf, wann er hatte ſich aller 
deutſchen Fürſten und etlidjer Könige, da er arges bermutete, 
gefihert, und uf diefen Mathiam hatte er Feine Sorge, achtete 
fein nichts”; fo Fennzeichnet der Breslauer Chronift die Über- 
raſchung, die diefe Wendung im Kampfe verurfachte. Die 
wahren Gründe, die den Ungarnfönig beranlaßten einzu- 
greifen, kennt er nidjt, auch andere Quellen enthalten wenig 
darüber; e8 mögen wohl bedeutfame Verſprechungen geweſen 
fein, die ihm die Kurie gemacht hatte; Hoffnungen und Pläne 
ähnlich jenen, mit denen ſich Georg eine zeitlang gejchmeichelt 
hatte, deutſche Königs- und Kaiſerwürde, Weltherrichaft. 

Bir wiſſen nur, daß Mathias in einem Schreiben vom 
2. Oftober 1465 Papſt Paul II. verfiherte: „Eure Heiligkeit 
gebietet mir jchriftlich, den apoftolifchen Prozeſſen gegen 
Georg, der ſich König von Böhmen nennt, Gunft ... . und 
tätigen Beiſtand zuzuwenden ... Ob e8 gegen die Böhmen, 
ob es gegen die Türken gilt, immer find Mathias und feine 
Ungarn bereit, und foweit meine und meines Reiches Kräfte 
reichen, bleiben fie eurer Seiligfeit und dem apoftolifchen 
Stuhle vor allem ergeben”. 

Georg nahm den Kampf auf, wenn er aud) daneben Auß- 
gleichs · und Vermittlungsverfuche mit dem Papfte in feinem 
Namen faft ununterbrochen führen ließ. Wichtiger mar, daß 
er damals den entſchloſſenſten und leidenſchaftlichſten Kämpfer 
gegen päpftliche Ubermacht in feine Dienfte rief, Gregor Heint- 
burg, den einftmaligen Syndifus des Nürnberger Rats, der 
ihm nun ein gefährlicher Berater wurde, wie früher einmal 
Martin Mair oder Marini. Aber alle feine Manifeite zur 
Verteidigung der „Ehre und Unſchuld“ des Böhmenkönigs, 
der von Rom ärger behandelt werde, „al der Brudermörder 
Rain und die Sodomiten“, feine leidenjchaftlichen Anklagen 


124 Dritter Abſchnitt. 





gegen das Papfttum und den Papſt hielten diefe nicht mehr 
zurück, das geiftliche Strafgeriht gegen Georg zu vollenden. 

Am 31. März 1468 erfolgte die Kriegserflärung von feiten 
des Ungarnfönigs und binnen kurzem war Mähren und 
Schleſien für den Böhmenkönig verloren. Mitte Februar 1469 
lagerte Mathias mit feinem Heer bereit3 vor Chrudim. Weiter 
vorzudringen war ihm aber nidyt möglich, weshalb er ſich nicht 
ungern auf Verhandlungen einließ. Der Vertrag von 
Wilemow, den die beiden Könige perſönlich am 28. Februar 
abſchloſſen, ſicherte Mathias folde Vorteile, daß er fi nicht 
nur in Mähren behaupten Eonnte, fondern fogar am 3. Mai 
1469 in Olmüg zum König von Böhmen wählen ließ, dafelbft 
die Suldigung der mähriſchen Stände und im folgenden 
Monat die der fhlefiichen in Breslau, der alten Todfeindin 
Georg8, entgegennahm. Georg Fonnte es nicht verhindern. 

Darmıf entbrannte der Krieg von neuem; ein wirrer jahre- 
langer Krieg, „der noch biel graufamer geführt wurde" — 
beißt eg in einer gleichzeitigen Schrift vom Jahre 1469 — 
„als es bei dein früheren, der ſchon fo wild geweſen, der Fall 
mar“. Ein Entſcheidungskampf war nicht herbeizuführen. Die 
Unflarheit der Beziehungen der beiden Gegner zu den benach - 

. barten Fürften, zum Kaifer, zu Polen, zu den deutfchen Kur- 
fürften, die Unentfchlofjenheit der Kurie, die Kürfengefahr, 
Zwiſchenfälle verichiedeniter Art, die die parteipolitiſchen 
Verhältnijje immer ins Schwanken bradjten, Tießen auch das 
Zünglein an der Wage nicht zur Ruhe fommen. Zangfam, aber 
noch gang unficher jchien fi) fogar Georgs Lage ettva feit 
Beginn des dritten Kriegsjahres zu beifern, al3 er nad) kurzer 
Krankheit am 22. März 1471 ftarb. Einen Monat zuvor war 
dohann von Rofikan, das ewig mahnende utraquiſtiſche Ge- 
wiſſen Georgs, vom Tode ereilt worden. Zwei dem unaufhalt- 
famen Chidial Böhmens trogende Kämpfer hatten, einer 
höheren Gewalt mweichend, da8 Feld räumen müffen. 

Sn einem berühmten Geſpräche, das einige hohe böhmifche 
Adlige und Geiftlihe im Jahre 1469 inmitten der Kriegs- 
wirren, die im ganzen Lande herrfchten, über die Lage des 
Vaterlandes führten, wandte Sdenko von Sternberg, der einft- 


Das Königtum Georgs von Kunſtadt⸗Podiebrad. 125 





mals als eriter vor König Georg dag Knie gebeugt hatte, um 
ipäter fein verbifjenfter Gegner zu werden, auf diefen das 
Vibelmort an: Auch wenn man wie ein Adler emporfteigt, 
ftürzt man durch einen Windhauch.“ — Seine Lage mag 
damals darnad) ausgejehen haben und bor allem war: es ber 
Wunfch des Sternbergers, dem man nachjfagte, daß er jelber 
nad) der böhmiſchen Königskrone ftrebe, und feines mächtigen 
Anbangs, Georg vollitändig zu Fall zu bringen. Das gelang 
nicht. Er hat bis an fein Lebensende die Herrſchaft wenigſtens 
im Lande Böhmen behauptet. Allein, welches Elend hatte er 
über feine Heimat gebradjt. Diejelbe Schrift jagt einmal: 
„Wir lefen in den Geſchichtsbüchern jo mande ergreifende 
Schilderung mienſchlicher Unfälle; ſchrecklichere als die, melde 
unſer Land jeßt betroffen haben, finden wir nicht, ... nicht 
in Sagunt ... Babylon ... Tıoja... Rom... Serufa- 
lem... Das Verderben Böhmens ift im Vergleiche zu dieſen 
biel größer“, Und an anderer Stelle: „Unfere älteren Leute, 
die es nod) im Gedächtnis haben, ... befennen, daß jo lange 
die grimmen Xaboriten im Lande fehalteten, Fein ſolches Wüten 
mit Feuer und Schwert zu jehen war”. Sie ſpricht bon „io 
viel Raub, Mord, Brand, Klofterzeritörung und Sungfrauen- 
ſchändung ... Ermordung bon Säuglingen, bon Nieder- 
brennung ganz katholiſcher Dörfer, wegen der ſich jo manche 
Getreue aus Verzweiflung felbft erhängten ...“. 

Das war der Ausgang der Regierung Georgs, den neuere 
Geſchichtsſchreiber gleich neben den größten böhmifchen König, 
Karl IV., den berühmten „Water des Baterlandes“ ftellen, 
wenn fie ihn nicht gar voranſetzen, indem fie fein ganzes Weſen 
auffaffen als „vollite und reinfte Hingabe an das Vaterland“. 
Dem ftehen aber andere Urteile gegenüber, in denen er als 
„Typus des politifchen Wbenteurers, der, unbeſchwert durch 
religiöfe und moralifche Semmungen, nad) den höchſten Bielen 
ſpäht, des Hazardeurs, dem fein Einſatz zu hoch ift,” bezeichnet 
wird. „Meifter in allen Waffen“, heißt e8 da weiter, „verbirgt 
er heute dem Gegner fein wahres Geſicht hinter der Maske 
demütiger Unterwürfigfeit, überrafht ihn morgen durch 
zyniſche Ableugnung alles Verheißenen, durch rüdfichtslofe 


126 Dritter Abſchnitt. 





Gemalttätigfeit, um es übermorgen wieder mit gütlichen Ver- 
getpcen zu verſuchen, — der echte Sohn einer barbariſchen 
ei.“ 

Der Sieg der huſſitiſchen Ideen im böhmiſchen Volke hatte 
die Rostrennung vom Deutſchen Reid) und der römiſchen Kirche 
bedeutet. Georgs ganzes Streben giñg aber dahin, Böhmen 
aus feiner politifchen Entfremdung und religiöfen Berein- 
famung beraußzureißen. Er wollte deutſcher König werden, 
gleichgültig auf welchem Wege: ob durd; den Kaiſer oder die 
NRurfürften, mit Hilfe des Papftes oder im Bunde mit dem 
frangöfifchen Hofe, um geftüßt auf diefe Würde, die trog ihres 
Niedergangs noch immer etwag galt, Böhmen wieder ein- 
fügen zu fönnen in den deutichen Reichskörper. Die Krone 
Deutſchlands follte ihm die Möglichkeit bieten, die kirchlichen 
Sonderbeitrebungen. Böhmens niederzuringen, die an all dem 
politifchen, wirtſchaftlichen und kulturellen Elend ſchuld waren. 
Aber wie einftmalg unter Premyſl Otakar II., mit defien Zeit 
feine Regierung im glänzenden Aufftieg und jähen Untergang 
eine gewiſſe Ahnlichkeit hat, war aud) für ihn diefes Biel un- 
erreichbar, Ein Fürft, der im Innerſten fein. Deutſcher war, 
wenn er auch das Deutſchtum, wo es ihm nützte, gelten ließ, 
mit deutſchen Herrſchern fich verband, deutſche Stantsmänner, 
deutfche Ratgeber und Beamte an fi) 30g, deutſche Städte und 
Bürger, die ihm Xreue und Ergebenheit bewieſen, förderte; 
ein Zürft, der fid) vom Huffitismug nicht Iosmachen konnte, 
wenn er auch dem Katholizisnmus zuftrebte, eine Katholikin 
zur Frau wählte, in feinem Rat oft faft lauter Katholiken 
hatte, konnte nicht deutfcher König werden. 

Das huſſitiſch· tſchechiſchnationale Königtum Georgs, an dem 
er fefthalten zu müffen meinte, infolange er feine andere höhere 
Würde errungen habe, hat die Wirrniffe, in die Böhmen ge 
taten war, nicht nur nicht befeitigt, e8 bat fie noch weiter 
vermehrt. 


Vierter Abfchnitt. 


Der Niedergang des Königreiches durch die politifchen, 
kichlihen und ſtändiſchen Kämpfe unter Wiadislaw II. 
and Ludwig I. 1471—1526. 


König Georg Tod entfefjelte von neuem, zum fünften 
Male binnen einem halben Jahrhundert, einen Thronfampf in 
Böhmen. Herzog Albrecht von Sachſen, Georgd Schwiegerfohn, 
König Mathias von Ungarn, und Prinz Wladislaw, der fünf- 
sehnjährige Sohn des Königs Kaſimir von Polen, traten 
einander als Hauptbewerber gegenüber; jeder beſaß feinen 
nicht unanfehnlichen Anhang im Lande. Die Entfcheidung fiel 
au Gunften des Polen aus. Auf einem Landtag, der nicht in 
Prag, wo fi) Herzog Albrecht bereits feſtgeſetzt hatte, fondern 
in Ruttenberg abgehalten wurde, erwählte ihn am 27. Mai 
1471 die Mehrheit der Stände. Zur feierlichen Krönung auf 
dem Hradſchin Fam e3 dann am 22. Auguft. Für Wladislam 
hatte man ſich entichieden nicht nur, weil er von König Georg 
ſchon 1469 den böhmifchen Ständen empfohlen worden war, 
fondern bor allem, weil er nad} der alten Thronfolgeordnung 
tatſächlich als der einzige berechtigte und gejegmäßige Erbe 
im Königrejd; Böhmen gelten mußte: feine Mutter war eine 
Urenkelin Kaifer Karls IV. Vor dem ungarifchen König ent- 
ſchuldigten deſſen ehemalige adelige Wähler ihren ſcheinbaren 
Treubruch mit dem Hinweis, dag Wladislaw „königlich böhmi- 
ſchem Blute entſproſſen fei”.t \ 

Allein Mathias gab den Kampf um die Krone noch nicht, 
wie Herzog Albrecht von Sachſen, auf. Er trug dod) jeit dem 
8. Mai 1469 den Xitel eines Königs bon Böhmen, war im 
wirflichen Beſitz des größten Teils von Mähren und Schlefien, 
hatte auch in Böhmen eine Anzahl. Fatholiicher Barone und 
Städte (Budmweis, Pilſen) auf feiner Seite und konnte ſich 
vor allem auf feine ftarke ungariſche Macht ftügen. Die Wahl 


128 Vierter Abfchnitt. 





Wladislaws in Kuttenberg beantivortete Mathias damit, daB 
er fi) in Iglau am 238, Mai in feierlicher Weiſe durch den 
pãpſtlichen Gefandten Biſchof Laurenz Rovarella bon Ferrara 
in Anweſenheit hoher Geiftliher und Adliger aus Böhmen 
und Mähren in feiner Würde als König von Böhmen 
beftätigen ließ. Und fon im nädjften Monat nahm er den 
Kampf auf, der fich zuerſt nur auf böhmiſchem und mähriſchem 
Boden abipielte, bald aber auch nad) Schlefien, Ungarn, Polen, 
ja jogar Öfterreich übergriff. Ein wüftes, langwieriges, wenn 
auch durch Waffenftillftände und Friedensperfuche mehrmals 
unterbrochenes Kriegstreiben, das den ohnehin elenden 
Zuſtand der Länder verichlimmerte, von neuem öde Dörfer 
ſchuf, den Handel, Verkehr, Ackerbau und alle Fulturelle Arbei. 
untergrub. Cine Entſcheidung vermochte feine der beiden 
Parteien herbeizuführen. Die Friedensperhandlungen, in die 
fi fremde Mächte, insbefondere der Kaifer und der Papft, 
mifchten, zogen fich lange Beit Bin und kamen erjt 1479 zum 
Abſchluß. Y einer Zuſammenkunft beider Könige in Olmüg 
am 25. Juli diejes Jahres in Anwejenheit mehrerer deutfcher 
Zürften oder ihrer Gejandten wurde endgültig beichloffen, 
was ſchon Monate zubor, im Februar-März 1478 in Brünn, 
im September-DOftober d. 3. zu Ofen, zwiſchen den beider- 
feitigen Unterhändlern vereinbart worden war.” Beide Herr- 
ſcher, Mathias von Ungarn und Wladislam von Polen, 
nahmen den Titel „König von Böhmen“ an und betrachteten 
fich gegenfeitig als Erbherrn des ganzen Reiches, das aber 
zunächſt zwiſchen ihnen geteilt wurde. Wladislaw behielt nur 
Böhmen, Mathias dagegen Mähren, Schlefien, die Nieder- 
lauſitz, das Gebiet der fogenannten Sechsſtädte Gautzen, 
Zittau, Görlitz, Kamenz, Löbau und Laubau), d. h. die Ober- 
lauſitz und die beiden Herzogtümer Schweidnitz und Jauer. 
Für den Fall, als Mathias früher ſtürbe, ſollten dieſe Länder 
gegen eine Entſchädigung bon 400.000 Dukaten oder ungariſcher 
Gulden wieder mit Böhmen vereinigt werden. Würde aber 
Wladislaw zuerft mit Tod abgehen und Mathias König von 
Böhmen werden, dann follten die genannten Provinzen frei an 
die Krone des Königreichs Böhmen zurüdfallen. 





Der Niedergang bes Königreiches. 1471—1526, 129 





Die alte Monardie Karls IV. war entzwei geriffen, die 
Nebenländer vom Hauptkörper abgetrennt, allein der lang- 
wierige Krieg, der ausdrücklich als ein Erbftüd aus den Zeiten 
König Georgs erflärt wurde, hatte nach achtjähriger Dauer 
ein Ende gefunden. Böhmen fam gleichwohl nicht zur Ruhe; 
den politifchen Kampf Löfte allſogleich der religiöfe ab. 

Die Verſuche einer Verföhnung zwifchen dem utraquiftifchen 
Böhmen und der Papitkirche hatten nie folde Ausſicht auf 
Erfolg gehabt, wie unter Georg von Wodiebrad. Er felbit 
fcheint fie gewünjcht zu haben und bat feinen guten Willen 
durd) die Vernidytung des Taboritentums, das man ala Hemm⸗ 
ſchuh der Einigung anfah, bekundet. Allzuſchwer allerdings 
war ihm der Kampf gegen die früher für uneinnehmbar 
angefjehene Glaubensburg nicht geworden. Seitdem auf dem 
Ianuarlandtag 1444 das utraquiftifche Bekenntnis, wie es 
Rofigana und Johann von Pribram lehrten, von der Mehr- 
beit für „befier, gewiſſer und verläßlicher“ erklärt worden war, 
als das taboritiiche, das der Priefter Nikolaus Biskupetz von 
Pelhrimow vertrat, war das Taboritentum gleichſam zur Sekte 
berabgemürdigt. Wie nad) Lipan der politifche, begann jegt der 
geiftige Rüdgang; Tabors Einfluß ſank von diefer Zeit an. 
Georg fand bei feinem Angriff im Auguft 1452, deilen wir 
gedachten, Feine alten Taboriten mehr vor. Noch ſchützten zwar, 
wie uns Eneas Silbius, der 1451 zweimal in diefer „Burg 
und Zufluchtftätte der Häretiker“ unangefeindet einfehren 
konnte, feite doppelte Mauern, gewaltige Türme und tiefe 
Gräben die Stadt, über den Toren prangte noch das Bildnis 
Ziskas und der Kelch als Wahrzeichen, zahlreiche Krüppel 
erinnerten an die Kriegszeit, aber die alte wilde Huffitenfraft 
war verbraucht, der taboritifche Gemeingeift völlig abhanden 
gefommen. „Set Iebt jeder fich felber, und ſchlaff und träg 
geworden fürchten fie bereit3 die Nadjbarn, ftreben nad 
Schätzen und Gewinn“, jagt Eneas. Die 4000 mwaffenfähigen 
Männer, die die Stadt damals ungefähr zählte, waren Feine 
bon Opfermut befeelte, unüberwindbare, einheitliche Maſſe 
mehr; fondern zum großen Teil dürftig bon Leinenmeberei 
lebendes, in fid; geipaltenes Wolf. Vor allem aber: der alte 


BretHols, Geld. Bobmens u, Mahrens. II. 1) 


180 Vierter Abſchnitt. 





Glaube ja nicht mehr feit. Eneas' Gaftfreund hatte in einem 

Verſteck Marien- und Chriftusbilder, aber offen die taboritifche 

Häreſie abzuſchwören, mied er aus Furcht um feinen Beſih. 

Denn — fo bemerkt Eneas — „et war reich“, wie fie alle viel 

Sansgerät und große Schabe befahen, „die Beute bieler 
ölfer“, 

Die Bürger felbft waren es, die die Stadt, als Georg mit 
feinen 17.000 Dann ſich zu ihrer Belagerung anſchickte, mitfamt 
ihren geiftligen Yührern, an erfter Stelle Biskupetz, aus- 
lieferten. Die legten Taboritenpriefter ſchmachteten fortan in 
den Kerkern der Burgen Georg, zu Podiebrad, Lititz und 
anderwärts. Noch vor Ausgang diefes Jahres 1452 herrſchte 
auch in Tabor, wie in den anderen Städten, die ihr zuletzt noch 
anbingen, Saas, Piſek, Klattau, Zaun, Kolin und Rachod, 
utraquiftifcher Gotbesdienft, geleitet von neuen dort ein- 
geſetzten utraquiftifhen Prieftern, 

Der Untergang des Taboritentums bedeutete aber feinen 
Sieg, ja nidjt einmal eine Stärkung des Utraquismus. Es 
ift bezeichnend, daß eben im Jahre 1453 das Prager katholiſche 
Domkapitel, das 1448 wieder, wie ſchon früher, feinen Sig 
Hatte aufgeben und nad) Pilfen flüchten müſſen, in die Saupt- 
ftadt zurückkehren konnte. Dem Utraquismus und Katholizis- 
mus erftanden vielmehr auf böhmifchem Boden neue Firhliche 
Widerfadher, denn beide Bekenntniſſe entbehrten damals jed- 
weder Anziehungskraft auf dag Volk, das fid) nad; einem neuen 
Glauben fehnte. 

Eneas verſichert ung in feinem Bericht über Xabor, dort 
feien „jobiel Härefien ala Köpfe geweſen und für jeden herrſche 
die Freiheit, zu glauben, was er wolle”. Wir werden ähnlid;e 
Bemerkungen fpäter bon anderen mit den religiöjen Buftänden 
Zöhmens bertrauten Perſonen hören. Die meiften biefer 
Sekten haben wegen ihrer Aleinheit und Abgeſchiedenheit für 
die allgemeine Geſchichte wenig Bedeutung. Eine Ausnahme 
bildet nur die Religionsgenofienfhaft, die unter dem Namen 
des böhmiſchen Brüdertums (Brüderunität) gerade in der Zeit 
Georgs von Podiebrad auffam und fortan Jahrhunderte in das 
teligiöfe Leben beider Länder mädjtig eingriff. 


Der Niedergang des Königreiches. 14711526, 181° 





Das böhmiſche Brüdertum geht in feiner eigentlichen Ent- 
ftehung zurüd auf einen einfachen Mann, der den kirchlichen 
Kampf in Böhmen faft von feinen eriten Anfängen mit- 
erlebt hatte und den die Enttäuſchung über die religiöfe Ent- 
wicklung zum Begründer einer neuen Sefte machte: es ift Peter 
Cheltſchitky. 

Wie von Huß und Ziska wiſſen wir auch bon feiner Jugend 
nichts Beſtimmtes, aus ſeiner ſpäteren Zeit nur ſoviel, als 
ſeinen eigenen Schriften zu entnehmen iſt. Sein Geburtsjahr 
dürfte um 1390 fallen; der Geburtsort iſt unbekannt. Der Bei- 
name läßt darauf fließen, daß er zu dem Dorfe Cheltichig im 
füdlichen Böhmen bei Wodnian Beziehungen hatte, von dort 
berftammte oder ſich fpäter dort niederließ. Zu Huſſens Zeit 
befand er fi) in Prag, befuchte aber nicht einmal die Univer- 
fität. Gleichwohl galt fein ganzes Denken und Fühlen ben 
kirchlichen Fragen, die im Vordergrund des geiltigen und 
politifchen Lebens jener Zeit jtanden. Die Erlangung des 
wahren Seelenheild auf Erden beichäffigte ihn ebenjo ernſt, 
wie die Magifter und Doktoren an der hohen Schule. Ihm 
aber ſtand, je weiter der Kampf ging, je furchtbarer die Men- 
{den im eigenen Lande gegen einander mwüteten, das eine Bibel- 
wort vor Augen: „Du follft nicht töten”. Auch die utraquifti- 
ſchen und taboritifchen Geiltlichen hatte eg feit jeher beichäftigt, 
aber alle hatten ſich ſchließlich dafür entidjieden, daß Töten 
und Morden und Kriegführen notwendige Übel jeien. Peter 
ann diefes Zugeftändnig nicht- machen und baut fich bon diefem 
Gottesgebot, das er in feine Seele einpflanzt, außgehend eine 
neue Sittenlehre und eine neue Welt auf, grundverfchieden 
bon der, in der er lebte. Suchen wir uns mit Silfe einiger 
feiner Ausführungen bineinzufinden in das Denken dieſes 
{lichten Bauern, der nicht nur viele feiner Beitgenofien mit- 
geriffen, fondern noch auf Generationen hinaus, wenn auch 
nicht mehr in urfprünglicher Weife, fortgewirkt hat. In feiner 
bedeutendften Schrift, dem etwa 1440 entitandenen „Neb des 
Glaubens“* zeigt er, welches Verderben die Verbindung bon 
weltlicher Macht mit dem Ehriftentum für den wahren Glauben 
sur Folge hatte. Aus diefer Verbindung entitand nad) Peters 
” 


182 Vierter Abſchnitt. 





Überzeugung ber Adel, den er ſchildert: als Leute, die auf ihre 
hohe Geburt und auf ihre lächerlichen Wappen ftolz find, ver- 
gmügungsfüchtig und faul, ſich über Arbeiten erhaben fühlen, 
in prächtigen aber lächerlichen Gewändern einherjchreiten, ſich 
guttun bei reihen Tafeln, in Bädern, weichen Betten, höflichen 
Umgangsformen und leerem Geſchwätz, die eine bejondere 
Ehre beligen, die fie angeblich mit Gericht und Hand verteidi- 
gen müſſen, Ausprefier und Verächter des untertänigen Volkes 
find, das fie ernährt, Schuldenmadjer, fchlechte Vorbilder für 
ihre Kinder, Diener und Bürger und doch Chriftenmenjdyen 
fein wollen. Für eine Scheidung der Menſchen nad der 
Geburt gebe e8 in der heiligen Schrift feine Stütze, das fei 
bloß eine heidniſche dee. 

Dem Adel ftehen am nächſten die Bewohner der um. 
mauerten Städte, die auch einen wahren Chriſten unter fich 
nicht dulden. Denn wie der Vater der Städte Kain, der Bruder- 
mörder, ift, fo ift ihre Grundlage Mord, Diebitahl, Gewalt. 
Liebe zum Nädjiten gibt es in den Städten nicht. Nach außen 
hin ſichert man fi} durch Graben, Mauern und Blutvergießen, 
im Innern hört das Gegänfe und der Streit nicht auf. In den 
Städten blüht nur Nade, Stolz, Gewinnſucht, Völlerei, 
Trunfenheit, Vergnügungsfudt, Gefallen an ſchönen Gewän- 
dern und prächtigen Häufern, Schacher, ertragreiches aud) die- 
biſches Geldleihen auf Hypothefen und anderweitig, dort 
blüht der Betrug mit faljhem Maß und Gewicht, mit hohen 
Preifen und falichen Waren. Das Land hat an den Städten 
ein fehlechtes Beifpiel. Der gute Priefter fann ſich in ihnen 
eher jelbft jchädigen, als die Menſchen beffern. — Rein mildereg 
Urteil fällt er über die Mönde und Klöfter, über die Magiſter 
an der Uniberfität, „die Umfehrer des Geſetzes Gottes” und 
über die Pfarrer. 

Cheltihigfg verurteilt den chriſtlichen Staat, die Ver ⸗ 
einigung der ftaatlichen Gewalt mit der Kirche; ihm gelten der 
Kaiſer und der Papit als die beiden großen Walfifche, die in 
dag „Net des Glaubens“ eingedrungen find, e8 durchlöchert 
haben und gemeinfam mit den früher angeführten „Rotten“ 
des Adels, ber Bürgerſchaft, der Geiftlichkeit und der Gelehrten 


Der Niedergang des Mönigreiches. 1471—1528. 188 





an der Vernichtung des wahren Chriftentums und Chriften- 
glaubens arbeiten. Die Kirche, jo lehrt Peter, bedarf Feines 
Krieges, erft die weltlichen Mächte haben ihn geſchaffen. 

Es find Gedanken und Anſchauungen, die wiederholt und 
lange vor ihm ausgeſprochen wurden, die er ſich aus anderen 
Quellen zu eigen machte und nun in feinen vielen Schriften 
in bolfstümlicer Weiſe fundgab. Eine Heine Gemeinde jam- 
melte ſich in Cheltichig um ihn, wie ähnliche Damals an ver- 
ſchiedenen Orten, in denen ſolche Grübler und Weltverbeiferer 
auftraten, entitanden: in Wilemow, Diwiſchau, Witanorwig, 
Wlaſſenitz, vielleicht aud, in Kolin, Saaz, Leitomiſcht, in 
Mähren in Kremfier, Proßnitz, Meſeritſch u. a. Allein während 
die meiften diefer Seftenhäupter von Anfang an bon ber 
utraquiftifchen Kirche verfolgt wurden, empfand insbefondere 
das Oberhaupt der utraquiftifchen Kirche, der ungeweihte Erz- 
bifchof Yohann bon Rokitzan für Peter von Cheltſchitz und 
feine Lehre eine bejondere Achtung, jo wenig aud beide in 
ihren religiöfen Anfichten übereinftimmten. Rofikana ging fo 
weit, daß er eine Gruppe befonder8 treuer, aber mit den 
Prager Verhältniffen nicht ufriedener Anhänger, unter denen 
ſich auch fein Schwefterfohn Gregor befand, die ihn am liebſten 
an der Spike einer kleinen von ihnen zu bildenden religiöjen 
Gemeinfchaft gejehen hätten, während er nad) Höheren ftrebte, 
an Peter wies. Das war um dad Yahr 1453. Sie ließen fich 
von Peter, den fie in Cheltihig auffuchten, belehren, laſen jeine 
Schriften. Aber ein völlige Aufgehen in deifen Lehre, ein 
Zuſammenſchluß mit den Cheltſchitern ftieß doch wieder auf 
Schwierigkeiten; in manden Punkten entiprad ihnen der 
Standpunkt Peters nicht. Wie wäre das aud) bei Fragen, die 
in da8 Leben eines jeden tief eingriffen, möglich geweſen. 
Sie tradjteten darnad) eine eigene neue Religionsgenofjen- 
ſchaft zu gründen. Rofikana felbft mar e8, der es bei König 
Georg erwirkte, daß fi diefe „Brüder“ im Jahre 1457 in 
einem berödeten Dorfe Kunwald, das zur Podiebradichen 
Herrſchaft Senftenberg gehörte, an der äußerften Oftgrenze 
Böhmens, anfiedeln durften. Gregor und der Pfarrer Michael 
don Senftenberg, der nad; Kunwald überfiedelte, wurden die 


184 Vierter Abſchnitt 





erſten Häupter der Gemeinde. Katholiſche, utraquiſtiſche, tabo- 
ritiſche Prieſter, Magiſter und Bakkalare, Adelige und Leute 
niedern Standes, Handwerker und Bauern ſchloffen ſich ihnen 
an; alle unter Verzichtleiſtung auf Rang und Stand, mas 
damals nod) ala Grundbedingung galt. Religiöje Gemeinden 
in Böhmen und Mähren, die nad) ähnlichen Grundfägen ihr 
Tirchliches Leben eingerichtet hatten und fi) den Runmwaldern 
verwandt fühlten, traten durch wechſelſeitige Befuche mit ihnen 
in nahe Verbindung. Das Brüdertum, wie e8 fid) in Kunwald 
einen erften Mittelpunkt ſchuf, begann gleich in den erften 
Jahren feines Beſtandes eine Gefahr für den Utraquismus 
gu werben. Der taboritifchen Sekte hatte Georg den Todes- 
ftoß erteilt; eine ihr in manden Anſchauungen nidjt allzufern 
ſtehende neue, jugendfräftige „Brüderſekte“ ſchien an ihre 
Stelle zu treten. Sie gewann auch in Prag felbft Anhänger 
und Bruder Gregor fam wiederholt zu ihnen, jammelte fie 
um fi) und ftärkte fie in ihrem Glauben. Bei einer ſolchen 
Bufammenfunft im Sabre 1461 — es ift die Zeit, in der 
König Georg durd) Verfolgung der Sekten der Fatholifchen 
Kirche feinen Eifer für die Herſtellung der Glaubengeinheit 
beiveifen wollte — wurden fie, auch Gregor, in Haft genom- 
men, gefoltert und mußten jchließlih, um nicht ſchwerere 
Strafe au erleiden, vor Rokitzana in der Xeinfirche gewiſſe 
Kehren, in denen fie von den litraquiften abwichen, wider- 
rufen. Nach fürzerer oder längerer Zeit freigelafjen, erduldeten 
fie doch auch fernerhin Verfolgungen, jo daB fi) der Nik 
zwiſchen ihnen und den Anhängern der utraquiftiiden Staats- 
teligion immer mehr vertiefte. Daß zwang die einander 
räumlich fernftehenden Gemeinden zu engerem Bufammen- 
ſchluß und zur Ausbildung einer eigentlichen Verfaffung. Im 
Jahre 1467 wurde hiezu der Anfang gemadjt. Eine Synode 
in dem Dorfe Lhota bei Reichenau, wohin Gregor feinen 
Wohnfig von Kunwald verlegt hatte, befucht von „mehr denn 
ſechzig Brüdern“ aus verſchiedenen Gemeinden, von denen ſich 
die meiften im Prachiner, Coager, Chrudimer Kreis in 
Böhmen, im Olmützer und Prerauer in Mähren befanden, 
wählte in „apoſtoliſcher“ Weiſe die erſten drei Priefter, zwei 


Der Niedergang des Königreiches. 1471—1526. 185 





Bauern und einen dürftigen Dorfichreiber, die durch Wieder- 
taufe der Verfammelten ihr Amt einleiteten; ferner einen 
Rat, der den Prieftern zur Seite ftehen follte, Von den drei 
gewählten Prieftern erhielt einer, Mathias von Kunwald, die 
Würde eines Biſchofs, im Rat nahm Gregor die erjte Stelle 
ein, Raum wurden diefe Beichlüffe befannt, begann auch fofort 
eine nene Verfolgung von Staatswegen. Ein Landtag in 
Beneſchau (1468) verfügte, daß die Brüder überall aufgegriffen, 
zum Übertritt gezwungen, im Weigerungsfall mit ſchweren 
Strafen heimgefucht werden follten. Die Brüder verteidigten 
ſich in öffentlichen Schreiben, die an ihren Hauptgegner Ro- 
Tigana gerichtet waren, in denen fie ihn gleichſam als den 
gelftigen Urheber ihrer Vereinigung bezeichnen: „Haft du uns 
nicht felbft gelehrt — rufen fie vor aller Welt aus — wie 
es mit der alten (utraquiftiichen) Kirche nichts fei . ..; end- 
lich wiefeft du uns an Peter von Cheltſchitz, an dieſem hielten 
wir feit. Da erfannten wir, daß der Antichrift ſich überall 
feftgefegt babe und zweifelten nun auch an dir. Du weißt doch, 
daß, ala wir zwei von den unjern an did) abjandten, damit 
du dich ung amfchließeft, du . . .erwiderteft: „Ich weiß. wohl, 
daß ihr Recht Habt, doch kann ich mich euch nicht ohne Schimpf 
anſchließen““. Geſchmäht und gequält, weil wir einige Zere- 
monien aufgaben, haben wir öfter Gehör verlangt, felbft an 
den König geichrieben, doch umfonft. Du Fennft ung doch 
wohl nad) innen und außen, unfern ganzen Glauben; wie 
tannft du alfo ſolche Dinge über uns in die Welt fchreiben? 
... Unfere Trennung bat nicht Geringfügigfeiten zum Grunde, 
fondern weil es mit euch durdjaus nichts mehr ift; weil Glaube 
und Liebe bei euch zu Grunde gehen, jo haben wir ung bon 
euch ab · und dem Evangelium zugewandt”. 

Der Bruch war ſchon mit diefem erſten Schreiben vollzogen. 
Die Brüder wurden verfolgt, in Nerfer geworfen, auch der 
Scheiterhaufen gegen fie in Anwendung gebracht. Wäre nicht 
der Krieg mit dem Ungarnkönig ausgebrochen, der die Auf 
merffamfeit von innern Fragen ablentte, jo wäre dem Brüder- 
tum ein frühes Ende bereitet worden. König Georgs und 
Rolkihanas Tod zu Beginn des Jahres 1471 befreite fie bon 





186 Vierter Abſchnitt. 





ihren ſchwerſten Bedrängern in der erften Zeit ihrer Ent- 
mwidlung. Der utraquiftifche böhmifche König, dem fie in einem 
verzweifelten Schreiben ihre Zugehörigkeit mit den Worten 
in Erinnerung gerufen hatten: „Gehören wir nidjt zu der 
Partei sub utraque, genießen wir nicht das Abendmahl unter 
beiden Geftalten (wie Du)?“, bedeutete für fie Untergang, der 
Tatholifhe polnifhe Wladislaw, mit dem fie nichts verband, 
Rettung. „Wenn irgend einem Menichen, fo hat die Unität 
ihre feite Entwidlung der gütigen Nachſicht des Königs Wla- 
dislaw zu danken.“ 

Der oſtböhmiſche Zwickel von der mähriſchen und Glatzer 
Grenze bei Leitomiſchl und Neuſtadt in großem Bogen, der 
bei Chlumetz und Chrudim ſeine größte Weite gegen Weſten 
hin erlangte, war ihr zuſammenhängendſtes Machtgebiet. Ein 
Mitglied des Herrenſtandes, Johann Koſtka von Poſtupitz, der 
bier feine Befigungen hatte, wurde zuerſt ihr Beſchützer, ſpäter 
als einfacher Bruder ihr Mitglied. Ohne äußere Kämpfe, ins- 
bejondere mit den Prager Utraquiften, ohne innere Spaltungen 
und Berjegungen, insbefondere nad; dem Tode Gregors im 
Sabre 1473, ging e3 zwar auch bei ihnen nicht vorwärts, allein 
eine Macht im böhmifchen Staate bedeuteten fie jchon zu Be— 
ginn der Regierung König Wladislaws und bon diefer Zeit 
an breiteten fie fid) immer mweiter aus und gruben den Utra- 
quiften den Boden im Lande ab. 

Und von der andern Seite bedrohte die Utraquiften der, 
wenn auch nicht jo jehr an Volfszahl, wohl aber an Anſehen 
und Einfluß wachſende Katholizismus. Mit der Wahl des 
polnifchen Wladislam war nun aud) das Königshaus Tatholifch, 
neben den vielen mächtigen Fatholifchen Adelsgeſchlechtern: 
Nofenberg, Neuhaus, Sternberg, Hafenburg, Guttenftein, 
Schwamberg, Kolomwrat, Schwihau, Riefenberg und anderen. 
Sie hatten die meilten hohen Amter inne, bejegten die Pfarr- 
herrn· und andere geiftlie Stellen auf ihren ausgedehnten 
Gütern mit Katholifen, Nicht anders als auf dem Lande ent- 
wickelten fi) die religiöfen Dinge in den Städten, vor allem 
in Prag. Am 22. April 1467 hatte König Georg den deutichen 
Egerern, denen wegen ihrer Treue und Anhänglichfeit zu ihm 





Der Niedergang des Königreiches. 1471-1526. 187 





die Strafe des Bannes drohte, zugefichert, fie „in der gewohn- 
lichen Form der Heiligen römifchen Kirchen, ald eure Eltern 
und ihr ſelbs hergebradht habt, .. . . zu ſchützen und ſchirmen“ 
und ftellte zugleich feit, daß „hie zu Prage“ eine „große Zahl“ 
von Katholiken leben, „viele Klöfter und Kirchen in derjelben 
Form fi) halten“, d. h. katholiſch ſeien.“ Dieſer ftarfe Zufak 
an Katholiken bewirkte e8, daß Prag ſeit Georgs von Podiebrad 
Tod wiederum das Ausfehen einer religiös gemiſchten Stadt 
annahm, in der man eg am eheſten berfuchen Fonnte, das Aus- 
gleichswerk der vollen Verföhnung einzuleiten. Es mar ganz 
die gleiche Lage wie vor den Septembertagen 1448, als die 
Tatholifchen Barone und die gemäßigten Utraquiften das Über- 
gewicht in der Sauptitadt zu haben meinten und dann durch 
die Verbindung George von Podiebrad mit den taboritifch 
gefinnten Maſſen plöglic” entwurzelt wurden. Nur fehlte es 
diesmal an einer jo machtvoll gebietenden Perfönlichkeit, die 
die Bewegung nad) ihrem Willen zu leiten und unnüte Aus- 
fchreitungen und Gewalttätigfeiten Hintanzuhalten vermocht 
hätte. König Wladislaw, an ſich ſchwach und ohne Einfluß 
auf die Parteien, befand fi) wegen der in Prag und in 
Böhmen wütenden Peft in Mähren, in Trebitſch; fein Stell- 
vertreter auf dem Hradſchin, Burggraf Medek von Waldel, 
und die übrigen hohen Beamten ließen ſich bon der Be- 
wegung überraſchen; ebenfo der zur Partei des gemäßigten 
Utraquismus gehörige Prager Stadtrat. So konnte am 
24. September 1483 in Prag ein Aufftand ausbrechen, der an 
den Sturm des 17. Augujt 1419 nad) König Wenzeld Tod 
gemabnt. J 

Als plötzlich in der neunten Morgenſtunde die großen 
Glocken in der Teinkirche ertönten, die nur in außergewöhn- 
lichen Fällen geläutet wurden, ahnten die verfammelten Rats- 
herren gar nicht, was fich borbereitete, Sofort mar aber auch 
ſchon „der Bopel des Volkes” beifammen, ftürmte bewaffnet 
das Rathaus unter den Rufen „zabaj, zabaj (ſchlag tot, ſchlag 
tot)”. Der Stadtrichter, etliche Ratsheren wurden fofort nieder- 
gemacht und aus den Fenſtern des Rathauſes in die angefam- 
melte Menge geworfen, die übrigen in Haft genommen. Auf 


188 Rierter Abſchnitt. 





dem Neuftädter Rathaus Famen auf dieſe Weife fieben Rats- 
herren um, einige, weil die wirtende Menge es verhinderte, 
die beim erften Angriff ſchwer Verwundeten zu verbinden und 
au pflegen. Zwei Tage jpäter wurden fünf von den Verhafteten 
nad) ſchweren Foltern und Martern, die fie überſtanden hatten, 
geföpft und ihre Leichen auf der Erde liegen gelaffen, „als 
die Hunde uf dem Steinwege oder uf dem Plahen“. 

Mit diefem Sturm gegen das Stadtregiment verband fich 
vom erſten Yugenblide an eine ſchwere Xudenverfolgung, denen 
man „alles nahm, was ſie hatten; nicht ein Nagel hatten 
fie ihnen laffen fteden”; ferner eine Beraubung der Kirchen 
und Klöfter: „und nahmen da Kelche und Meßgewand, Bücher 
und $eiligtum und was fie Iey fanden; und nemlich die Teßeri- 
ſchen Frauen“. Mönche wurden vertrieben, Mlöfter bis auf den 
Grund zeritört, der Vorſteher der Barfüßer, von dem man ver- 
geblich über verborgene Schätze Auskunft berlangte, wurde 
gemartert und fchließlich geföpft, obwohl ſelbſt „viele aus den 
Ketzern ſprachen, ihm geicheh Ungerechtigkeit“. Der Abt von 
Wiſchehrad wurde ertränkt. Und die nächiten, die die Wut der 
aufgereigten Maſſen zu fühlen befamen, waren die Deutfchen: 
Darnach wo fie einen Deutzſchen funden, den fingen fie; der 
Tegeten fie über einand im Gefängnis bei dritthalb hundert 
unde gaben ihnen nicjtes anderes denn Waſſer und Brot zu 
eſſen, unde nicht halb genug, alfo daß ihr aus ihn Yumgers 
halben etliche ftarben“. Wer dem Utraquismus beitrat, wie 
Hans Büchfenmeifter bon Nürnberg, „dem laſſen fie das fein“; 
wer ſich wehrte, den trieben fie auß „und nehmen ihm, was er 
bat“. Gleichwohl verſichert der Bericht: „jo find noch viel 
Ehriften (d. h. deutiche Katholiken) in der Stadt“.“ 

Wenn es in anderen huſſitiſch gefinnten Städten, wie bor- 
nehmlich in Saaz, Kaaden, Komotau, Brüx, Laun, Schlan 
Nimburg, Königgräg, Germer, nidyt zu ähnlichen Ausbrüchen 
tam, fo war dod) die Angft groß, denn der Chroniſt fährt fort: 
„bie armen Chriſten (Katholiken), die noch heimelich bei ihnen 
wohnen, find in fteten (beftändig) voll Sorgen Tag ımd Nacht, 
unde haben ſich zu der Were unde Marter gefchidt (auf Ber- 
teidigung und Marter vorbereitet), unde wiſſen nicht den Tao 


Der Niedergang des Königreiches. 1471-1526. 189 


und die Stunde, wenn fie bon den vermaledeiten Ketzern unde 
Rüffen (Buben?) . überfallen werden.“ 

Der Gedanke, daß man bor neuen ſchweren Yuffitenfämpfen 
ftehe, drängte fi) allgemein auf. Papſt Sixtus IV, fchrieb 
bereit8 am 4. Dezember unter diefem Eindrud an deutſche 
Fürften, an den Kaiſer und die Könige von Ungarn und Polen: 
„Ungeheurer Schmerz ift uns kürzlich widerfahren, Gott ift 
uns Zeuge, als wir bon fo viel Gräueltaten hörten, welche dag 
böfe Geſchlecht der Säretifer in der Stadt Prag gegen die 
Gläubigen verübt hat, und wir befeufzten jenes Volk, das durch 
fo viel harte Schläge erregt wird. Wir fürchten aber, daB 
ſolche Ungeheuerlichteit der Häretifer, wie e8 zu geſchehen 
pflegt, wenn einmal Schande und Furcht abgelegt find, ſich 
meiber außbreiten Tönnte und in jenen Gegenden noch größeres 
Unheil anrichten. Deshalb haben wir ſogleich, nachdem wir 
mit unfern Rardinälen die Sache beraten hatten, unferem 
Gefandten . . . gefchrieben und ihm aufgetragen, mit Euren 
Majeſtäten ... . über die Wichtigkeit diefer Angelegenheit zu 
ſprechen, was borzufehren notwendig ift, damit dort der Tatho- 
liche Glauben nicht noch größeren Schaden erleide ., .“ 

Mlein die Prager Vorfälle erwieſen fih nur als ein ver 
eingelter, verfpäteter Nachichauer der einitmaligen ſchweren 
Gewitter. In Wirklichkeit hatte der religiöfe Gedanke nicht 
mehr die Kraft, die politiſche Entwidlung auf die Dauer zu 
beftimmen. Andere Gegenſätze bedrüdten Volt und Stände 
in weit höherem Maße. 

König Wladislar, der anfangs über die Prager äußerft 
anfgebradyt war, verglich fich fpäterhin mit ihnen unter der 
Bedingung der Wiederherftellung der früheren Zuftände, der 
Rückberufung der Vertriebenen und Geflüchteten, der Rüd- 
ftellung der geraubten Sachen und der Entihädigung der 
betroffenen Perſonen. Genau am eriten Jahrestag des 
Ereignifjes, am 29. September 1484, kehrte der König bon 
Ruttenberg nach Prag zurüd, ehrenvoll begrüßt; und „alles 
Ientte fi) zum Guten, wofür Gott ewig Dank ſei“, ſchreibt ein 
Prager Ehronift. Wenige Monate darnach wurde auf einem 
Nuttenberger Landtag (13. bis 20. März 1485) ein Religiong- 





140 Vierter Abſchnitt. 





frieden zwiſchen Utraquiften und SKatholifen für 31 Jahre 
abgeichloffen, der die religiöfe Frage bis zu einem gewiſſen 
Grade mwenigftens für lange Beit aus dem Brennpunkt des 
öffentlichen Lebens fortſchob. Diefer Vertrag fekte feit, daß 
Katholifen und Utraquiften fich nicht weiter verfolgen noch 
bedrüden dürfen, weder Weltliche noch Geiftliche; daß vollſte 
Gleichberehtigung auf den Herrſchaften am Lande, ſowie in 
den Gtädten berrfchen ſollte. Katholiſche Serren, Ritter, 
Bürgerfchaften, die Priefter, Volk oder Untertanen unter ſich 
haben, welche Leib und Blut Chrifti unter beiderlei Geftalt 
empfangen, follten e8 ihnen nicht im mindeiten wehren; und 
umgekehrt. Ferner follten die Basler Kompaktaten und fonfti- 
gen Verträge, die aber gar nicht einzeln angeführt werden, 
ihre Macht behalten, „wie fie find“. An den Papft jollten beide 
Parteien eine Geſandtſchaft entjenden, „damit bei Seiner 
Heiligkeit die entſprechenden Wege gefunden werden“. Der 
König möge felber und durch feine Freunde, Geiltliche und 
Weltliche, Fleiß und Mühe beim Papfte verivenden, damit 
auch dort die Einigfeit durchgefegt werde; wann aber Seine 
Majeftät eine ſolche Geſandtſchaft nad) Rom abfende, bleibe 
ihm überlaffen, nur möge es recht bald geſchehen und ohne 
Verzögerung.’ 

Die Ausgleiheitimmung benügte man, um mit den Fir” 
lichen auch alte Iangivierige jtändifche Schwierigkeiten zwiſchen 
Hochadel, Ritterſchaft und Städten auf dem Kuttenberger Land - 
tag gütlich beizulegen. Sener erfte Stand hatte nämlich den 
Nittern die Teilnahme am Gerichtätvefen, „den Sig in den 
Gerichtsbänfen”, den Städten ſogar an den Landtagsverhand- 
Iungen überhaupt nehmen wollen. Durch die Verbindung der 
beiden niederen Stände, Ritterfchaft und Bürgertum, wurde 
diefer Anſchlag verhindert. Die Nitterfchaft erhielt im Land- 
recht act, der hohe Adel die doppelte Anzahl, ſechzehn 
Stimmen; den Föniglichen Städten wurde im Landtag die 
fogenannte dritte Stimme zugebilligt, aber nur in Fragen, die 
fie betrafen. 

Solche überrafhende Erfolge waren recht eigentlich das 
Verdienſt des Fürften, der fich jeit anderthalb Jahrzehnten um 


Der Niedergang bes Königreiches. 1471—1526. 141 





den Frieden im Lande bemühte. „Wir ruhen jet aus unter 
dem Schutze König Wladislaws“, ſchreibt 1489 Bohuslaug Lob- 
kowitz bon Haffenftein, von dem wir noch zu ſprechen haben 
werden, in einem feiner die Stimmung der Zeit jo getreu 
widerſpiegelnden Briefe.” Wladislams Güte und Milde, feine 
Freundlichkeit und feine Menfchlichkeit wirkten bis zu einem 
gewifien Grade auf die allgemeinen Verhältniffe. Man konnte 
einem Herren folder Art, einem folden Friedensfürſten, nicht 
durch fortwährende Zänkereien das Leben vergällen. Volk und 
Rand bedurften dringend einer Ruhezeit, um die Zerftörungen 
aller Orten wieder gutmachen zu fönnen. Wladislaw gedadjte 
auch hierin mit gutem Beifpiele voranzugehen. Er begann im 
Jahre 1484 den glangvollen Neubau der Prager Burg, der als 
Wladislawſcher Trakt dauernd feinen Namen trägt, wenn er 
auch fpäter durch den großen Brand von 1541 zum Teil 
zerſtört wurde. Ebenſo dürfte die Fortführung des Pracht 
baues der Barbarakirche in der Föniglichen Bergitadt Kutten- 
berg, der 1419 durch den Ausbruch der Huffitenfriege unter- 
brochen worden war, de3 Pürglitzer Schloffes, vielleicht auch 
die Errichtung des Prager Pulverturmes im Jahre 1476 
auf Anregungen des Königs zurüdgehen. Es gab fo viel vor 
Jahrzehnten begonnene und unterbrodhene Bauten im Lande 
fortzuführen, wiederherzuftellen, injtandaufegen. Es fehlte auch 
nicht an fremden und einheimifchen Baumeiſtern — Benedikt 
Rieth von Zaun und Mathias Raifek find die befannteften — 
und Künftlern auf den verſchiedenſten Gebieten, die ſich gerne 
den Arbeiten unterzogen hätten.!t 

Wenn gleichwohl die Kunfttätigfeit in Böhmen und Mähren 
ſich damals nur auf das Notwendigite beſchränkte, fo erflärt 
ſich das aus dem Mangel an allgemeiner Schaffensfreudigfeit. 
Der König und einige beſonders reihe Adelsfamilien Eonnten 
bauen und fdhaffen, den andern Ständen und Schichten des 
Volkes fehlten die Mittel oder fie ſchloſſen ſich aus Unver- 
ftändnig bon felber aus. Die berufenften Anreger, die für 
folde Aufgaben Sinn und an ihrer Durchführung Freude 
hatten, der bodenftändige Bürgerftand und die alte Kirche, 
zählten nicht mehr. Auch emtbehrte man des innigeren 
Zufommenhangs mit den Nachbarländern, 


142 Vierter Abſchnitt. 





Es ift nicht anders, wenn wir unfere Aufmerkjamteit dem 
geiftig-twiffenfdaftlichen Xeben zumenben. Auch da zeigen ſich 
zwar eifrige aber Hoffnungslofe Verſuche, den entnerbten 
Körper zu neuer Tätigkeit anzuflacheln. 

Die alte Univerfität beiteht noch, aber in welch kläglichem 
Zuftand. Auf Grund zeitgenöffifcher Berichte. wurde er ſchon 
oft gefchildert: „Der Stand der Prager hohen Schule war 
damals (am Ende des 15. Yahrhundert3) ſehr traurig. Die 
Univerfität war feit den Zeiten der Huffitenfriege immer 
tiefer gefunfen, wurde ein Qummelplag religiöfer Streitig- 
feiten und entfremdete ſich dadurch ihrem wahren Bivede, 
Fremde fuchten fie ſchon lange nicht auf, aber auch ein großer 
Zeil des böhmifchen Volkes entfernte fich von ihr, da fie aus · 
ſchließlich in Dienſten des Utraquismus ftand. Die katholiſchen 
Adligen ſchickten ihre Söhne zum Studium in die Fremde. 
Aber aud) die Utraquiften Fümmerten fi) um ihr fogenanntes 
„Kleinod“ nicht ſehr. .. Die Univerfität ſank unter ihrer Herr- 
ſchaft zu einer gewöhnlichen Partifularichule herab und 
bewahrte fchließlih nur noch die artiftiiche (philoſophiſche) 
Fakultät, und auch hier waren die Vorlefungen aufs niedrigfte 
geiunfen, die Hörerzahl war fo gering, daß oft die Prüfungen 
aus Mangel an Kandidaten entfallen mußten“. „Sie war oft 
im 15. Jahrhundert zum Auslöfchen”. „Auch ſtak fie im Sumpf 
der Scholaftif und ließ den neuen Geiſt de8 Humanismus 
nicht eindringen“. „Won allen mittelalterlidhen Univerfitäten 
war die Prager die allerlegte, an der die neuen Bumaniftifchen 
Studien eine entſprechende und dauernde Vertretung fanden, 
erft im 16. Sahrhundert”.?? 

Es gab wohl Männer in Böhmen und Mähren, die das 
übel erfannten und fi bemühten, die kirchliche und politische 
Abfonderung nit aud) noch auf das geiftige Gebiet über- 
greifen zu laſſen, vielmehr fie durch die neue’ Kultur des 
Humanismus zu überwinden, die ſich anſchickte die Welt zu 
erobern und die Menfchheit aus dem Mittelalter in die neue 
Zeit hinüberzuführen. Und mweldes Land mwäre feiner Ver- 
gangenheit nach berufener geweſen in diefer Entividlung eine 
Führerrolle zu fpielen, als Böhmen, das diefe Aufgabe ſchon 


Der Niedergang des Königreiches. 1471—1526. 148 





ange vorher auf fich genommen hatte, aber durdy das Ber- 
bängnis der Huſſitenkriege darin aufgehalten worden war. 
Einftmals, im 14. Jahrhundert, unter Kaifer Karl IV, hatte 
der humaniftifche Geift auf böhmiſch mähriſchem Boden Wurzel 
gefaßt. Die italienifchen Humaniſten, vor allem Petrarca und 
Cola die Rienzo jegten alle ihre Hoffnungen auf Böhmen. 
Die Wiederbelebung des Kaiſertums, die Erneuerung des 
römifchen Reiches, das aud) Stalten aus feiner inneren Zer- 
fplitterung und Ohnmacht herausreißen würde, erwarteten 
fie von Karl. Und als diefe Erwartungen nicht in Erfüllung 
gingen, da glaubten die Epigonen ſich noch an feinen Sohn, 
Wenzel IV. Zlammern zu follen. Der böhmifche Humanismus 
des 14. Jahrhunderts war wie die ganze damalige Kultur eine 
Treibhausblüte, die im freien Erdreich des Landes feine 
Wurzeln faſſen Eonnte. Und als unter ungleich günftigeren 
Bedingungen ein Sahrhundert fpäter humaniſtiſcher Geift 
und humaniſtiſche Bildung überall in Deutſchland empor- 
feimte, war Böhmens Boden bereit3 durd die Huſſitenkriege 
sum großen Teil vertrodnet. Es gab nur noch Dafen in einer 
Wüſte. Der merfwürdige Ausſpruch des Eneas Silvius: „Dieſes 
tieuloſe Geſchlecht von Menſchen hat nur das eine Gute, daß 
es die Wiffenſchaften liebt (guia litteras amat)“,* ift fider- 
lich nur fo zu deuten, daß er dabei entiveder an die übereifrige 
Beichäftigung der utraquiftifchen Magifter, ja aud) von Leuten 
aus dem Volke mit der Bibel und anderen kirchlichen Schriften 
denkt oder an die zahlreichen Gelehrten, die ſich in Italien 
oder Deutichland Wiſſen holten, ohne es aber in der Heimat 
zum allgemeinen Wohle verwerten zu fönnen, Hatte Silvius, 
„ber Apoftel de Humanismus in Mitteleuropa”, doc 
feldft mehrfache Beziehungen zu verwandten Geiltern dafelbft 
ſchon um die Mitte des Sahrhunderts. Mit gutem Grunde 
bat man aud) jenen bon ung früher erwähnten Dialog des in 
Italien ausgebildeten Johannes bon Nabftein „die große 
Streitfchrift zwiſchen Mittelalter und Neuzeit“ genannt, Aber 
trotzdem Johannes geiftig und ſittlich über viele feiner Zeit- 
genoffen in Böhmen berborragte, mußte er ſich beſcheiden, als 
Bropit von Wiſchehrad jein Leben „in glüdlichem, wiſſenſchaft · 


14 Vierter Abſchnitt. 





lichem Stilleben” zu verbringen, Nicht ander erging es an- 
deren Vertretern der neuen Richtung, unter denen neben 
dem Biſchof Prothaſius von Olmüg (1457—1482) einige 
Mitglieder des hohen Adels erfcheinen: Udalrich von Rofen- 
berg auf Krumau, Ladislaus bon Boskowig in Mähriſch- 
Zrübau, der Begründer einer großartigen Bibliothef, und alle 
überragend der als „Leuchte der Böhmen“ und „göttlicher 
Dichter“ gepriefene Bohuslaus Haſſenſtein von Lobkowitz 
(1460—1510). Er war ein Jünger de3 italienifchen Sumanis- 
muß, aber hingezogen fühlte er fich zu Deutſchland und deſſen 
Geiftesleben, wie er denn auch in dem berühmten Briefe vom 
27. September (1507) von ſich fogt: „Sch bin gewiß ein Deut- 
fer, befenne e3 und rühme mid; deſſen“:“ als folder aber 
ein böhmifcher Patriot, der an dem Elend feiner Heimat 
ſchwer trug, weil er, der fich viel mit Geſchichte beichäftigte 
— er fhrieb aud) eine berloren gegangene Chronif bon 
Böhmen — den Irrweg erkannte, auf dem man fich befand. 
Auch er gab fi Mühe, durch geiftiges Schaffen, durch An- 
legung von Sammlungen, Bücher- und Handſchriftenſchätzen 
neue Mittelpunfte Fulturellen Zebeng zu begründen. Es war 
alles umfonft. Ein Jahr vor feinem Tode hatte er in einem 
Briefe an feinen Freund Johann Schlechta von Wſchehrd 
der völligen Soffnungslofigfeit, von der er überzeugt war, 
in dem furzen Satz Ausdruck gegeben: „Denn unfer Staats- 
weſen ift berderbter und verdorbener, als daß es gebefiert 
werden könnte“. Seine Briefe, bon denen allerdings aud) nur 
ein Bruchteil erhalten ift, find nit nur klare BZeugniffe feines 
eigenen Innenlebens, fondern ein Spiegelbild der damaligen 
politiichen und geiftigen Buftände in Böhmen überhaupt. 

Er ſieht — in der berühmten Schilderung Prags bon 
ungefähr 1489 — vor allem trog des Friedensſchluſſes bon 
1485 den religiöfen Kampf nicht beendigt, weil die Boraus- 
fegungen für einen foldyen nicht behoben wurden. „Eine große 
Freiheit herrſcht bei diefem Wolfe — fo ſchreibt er — was den 
Aberglauben betrifft und niemandem gereicht e8 zum Schaden, 
welchem Belenntnis er will anzuhängen. Sieht man bon 
Wiklefiten und. ſogenannten Pikarden — gemeint find Utra- 


Der NRiebergang bes Königreiches, 1471—1526, 145 





quiften und Böhmiſche Brüder — ab, jo gibt es folde, bie 
Jeſus Chriftus überhaupt Ieugnen, andere die behaupten, daß 
unjere Seele mit dem Körper zugleich ftirbt, ſoiche die bor- 
geben, daß jeder in feinem Glauben jelig werden Fönne, fehr 
viele, die alles Überirdifche und Unterirdifche für erdichtet er- 
Hären, um über zahllofe ähnliche Anſchauungen hinweg zu 
gehen. Und darüber nicht nur nachzudenken, jondern öffent- 
lich zu predigen, ift erlaubt. Uber Glaubensfragen disputiert 
man allerorten: Greiſe und Sünglinge, Männer und rauen 
Iehren und erflären die heilige Schrift, die fie nie gelernt 
haben. Jede Sekte, wenn fie nur erft ang Licht gefommen ift, 
Hat auch ſchon Anhänger, So groß ift die Neuerungsgier bei 
ihnen“, Dies der eine Fehler der Bevölkerung, den er feit- 
ftellt. Der zierte, von dem er nicht minder offen ſpricht, be- 
weiſt, wie wenig ernit diefe ſcheinbare Beſchäftigung mit reli- 
giöfen Problemen zu nehmen ift. „Das Volk — fährt er 
fort — dient insgefamt nur dem Xeib und fennt nichts, was 
wünſchenswerter fein fann als Eſſen und Trinken. Kein Preis 
ift zu Hoch für das, was den Gaumen reizt: mäßig fein, 
Halten fie für einen Schimpf. Der Trunkenheit ſchämt man 
fich nicht und fo oft einer den Becher in die Sand nimmt, jo 
oft folgen ihm die anderen. Ein Bifchof Roderich“ habe daher 
über die Böhmen launiſch gefpottet, e8 fei ganz merkwürdig, 
wie e8 einen dürfte, dürfte eg gleich; alle. Beim Trinfen ver- 
geude man die Zeit mit Schwätzen und wie in Stalien die 
Barbierftuben, fo feien bier die Wirtshäufer die Brutftätten 
aller Fabeleien, denn jeder erzähle, was ihm wahrfcheinlich 
dünfe und behaupte leichthin, e8 von anderen gehört zu haben. 
Gegen Fremde fei man zuborfommend, außer gegen foldye, 
die fi) der deutichen Sprache bedienen, denn fie halte man 
für die größten Gegner ihrer Religion”. Wiederum, wie wir 
es fo oft bemerkt haben, ift es nicht die Nationalität, fondern 
die Religion, die dem Tſchechen den Deutſchen entfremdet, 
Rernichtend lautet Saffenfteins Urteil über feine Lands- 
Ieute im fittlier Beziehung; den Frauen geiteht er nichts 
weiter zu als Schönkeit und auffallende üppigfeit; die wei · 
tere Kennzeichnung wirft auf fie ein fchlechtes Licht.” Da er 


BWretdols, Bei. Böpmens u. MRährens. II. 10 


146 Vierter Abfchnitt. 





einmal einen gelehrten Freund in Deutſchland zu feiner Ver- 
mählung beglüdtwünfcht in der Vorausſetzung, daß deſſen 
Gattin aud) feine Liebe zu den Wiſſenſchaften teile, fügt er 
Hinzu: „Wenn unfer Böhmen ein ſolches Wunder (von Frau) 
befäße, würde ich glauben, dab Fiſche unter dem Pflug ge- 
funden werden”. 

Nicht minder fcharf fpricht er ſich über den Charakter der 
Männer aus. Sie feien wild (feroces) und zu Stolz geneigt, 
jo dab fie ſich höher dünken als jedes ihrer Nachbarvölker. 
Sie geraten leicht in Aufruhr und laffen fi) dann ſchwer 
wieder beruhigen; wohin fie Wut und Raſerei führt, dorthin 
ftürzen fie ſich und verlafien den Ort nicht mehr, aud) nicht 
auf vernünftigen Rat und Ermahnungen hin, Es fehle dem 
Volke von Natur aus nicht an Geift (ingenium), aber durd) 
Ausſchweifung und Faulheit (luxu et desidia) fei e8 berderbt. 
— Er zieht dann einen Vergleich zwiſchen einft und jekt, 
zwiſchen den Zeiten Kaiſer Karla IV., da Prag der vornehmſte 
Sandelspla (emporium) Deutſchlands und deſſen Namen in 
ganz Europa berühmt war, und heute; — „aus mas für 
einer Höhe von Ruhm und Würde find wir herabgeftürzt, weil 
mir mehr wiſſen wollen, als zu wiſſen nötig ift, und unfere 
befonderen Vorteile dem öffentlichen Wohl voranfegen“. 

Ihm, dem melterfahrenen, vielgereilten Manne entgeht 
auch nicht der wirtfchaftliche Stillſtand oder Rückgang im Lande. 
Sehr bezeichnend jagt er einmal: „Unter fo vielen taufenden 
Sandwerfern, die wir gewohnt find Mechaniker zu nennen, 
findet man faum einen, der ſich durch bejondere Kenntniſſe 
in feinem Fach auszeichnen würde”. Den gleichen Eindrud 
batte ſchon etwa zwanzig Sabre früher, unter der Regierung 
Georgs von Podiebrad, den man fo oft als einen Erneuerer 
des wirtichaftlichen Lebens in Böhmen hinftellt, einer feiner 
eriten Ratgeber Magifter Paul Zidef, der für den König eine 
Art „Handbud der Verwaltung (Spravovna)“ geſchrieben 
hatte. Auf Anftiften der utraquiſtiſchen Geiftlichen, erklärt 
diefer, iſt es felbft tüchtigen Handwerfern und Kaufleuten 
nicht erlaubt fi) niederzulafien, bevor fie fich nicht au dem 
der ganzen Welt verhaßten utraquiſtiſchen Glauben befennen. 


Der Niedergang des Königreiches. 1471—1526. 147 





Es gereiche dem König überall zu großem Nadjteil, daß er 
das zulaſſe; es vermindere die Serrichaft, den Ruhm und 
Reichtum des Königreichs, denn jeder König fei um fo gefeier- 
ter, je mehr Volk er unter ſich habe und je reicher das Volk 
unter ihm ſei. Einftmals habe e8 in Prag reiche Leute ge- 
geben, die Kauher, Rotleb u. a., die mehr Gold hatten, als 
jet die Prager Bürger Silber. Die Straße der Goldſchmiede 
fei voll bon Goldſchmieden geweſen, jet ftehe fie verlaſſen 
da und fönne nicht einmal Trödler bekommen. Das fei leider 
eine ſchlechte Wirtſchaft und halte fie lange an, müſſe Prag 
veröden, Denn, fo fagt er an anderer Stelle, das Volk fei für 
viele Sandiverfe dumm (hlaupf), insbefondere für Verg- und 
Hüttenbau, für die Bearbeitung von Gold, Silber, Kupfer, 
Mefling, Zinn, ebenfo für Seidenmeberei, Zur Bearbeitung 
folder feinen Sachen eignen fid) die Tſchechen allein ohne die 
Deutfchen nicht (sami Cechovs bez Nömcuov se nehodi). Und 
was den Sandel anlangt, bemerkt er, daß in früheren Zeiten 
aum Betvundern feine Werfe (na divy Zistä diela) von Prag 
nad; Wien, Nürnberg, Venedig, Rom ausgeführt und bon 
bort andere eingeführt wurden ... Die Handwerker hätten 
doch gegen das Handwerk nichts verbrochen, daß man fie verjage. 


Das find gewichtige Urteile von Beitgenoffen, die man 
niit darum unterſchähen darf, weil es Katholiken waren, die 
fo fpraden. Man kann durdaus der Meinung beipflichten, 
die nene tſchechiſche Geſchichtsſchreiber mit ſoviel Eifer ver- 
treten,” daß faft alle Handwerke und Geſchäfte in Prag und 
den anderen Städten Böhmens und Mährens weiter beftanden, 
wie im glangbollen 14. Sahrhundert, da die Deutſchen die 
Sauptträger des ganzen Wirtſchaftslebens waren. Handel und 
Handwerk, Geſchäft und Verkehr haben natürlich nicht auf- 
gehört; fie wurden weder durch die Huflitenfriege, noch in 
der folgenden Leidenszeit außgemerzt. Es handelt fich nicht 
um die Zahl der Gewerbe und fonjtigen Tätigkeiten, fondern 
um die Art; und die Fitt durch den Abſchluß von Deutichland, 
dur) die Niederhaltung und Erſchwerung aller Mitarbeit der 
Deutichen. 

10 


148 Vierter Abſchnitt. 





Ewig denkwürdig bleibt wohl die wichtige Nachricht, daß 
ein Prokop Waldvogel aus Prag in den Sahren 1444—1446 
in Avignon, der alten Papitrefidenz, die Kunſt des Buchdruckes 
übte, die er vielleicht unmittelbar von Guttenberg in Straß» 
Burg erlernt hatte.” Er war, wie ein tichechifcher Forſcher er- 
Härt, „offenbar fein Bugehöriger unferes Volkes“, jomit alfo 
ein Deutfchböhme, defien Geſchlecht fich in Prag ſchon am Ende 
des 14. Jahrhunderts nachweiſen läßt und trotz Huflitenkriege 
dort verblieben war, Dem Deutichen war aber jede Betätigung 
in feiner Seimat unmöglich gemacht, er mußte feine Kennt- 
niffe, die für Böhmen damals hätten epochal werden Fönnen, 
in die Fremde tragen, Ganz ebenfo verließ einige Jahrzehnte 
fpäter Sigmund Hruby von Seleni, der ſich mit klaſſiſcher 
Kiteratur beichäftigte, Böhmen und arbeitete lieber in der 
berühmten Druderei Frobenius in Bafel, ala in der Heimat. 
— Der auf ausſchließlich national -tſchechiſchem Standpunkt 
fußende Utraquismus verhinderte im Lande jeden Fortſchritt. 

Das Deutſchtum und die deutſche Sprache wurden aus 
Angft vor dem Katholizismus zurückgedrängt, wo und wie es 
nur möglich war. Was nicht während der Huflitenfriege 
dur „Kampf, Austreibung, Flucht und haufenweiſes Er- 
ſchlagen“ vernichtet worden war, befam fpäter die planvollen 
Tſchechiſierungsberſuche zu fühlen. Denn merkwürdigerweiſe 
hatte das Deutſchtum jene furdjtbare Zeit mit ſehr anfehnlichen 
Neften, die wahrſcheinlich jelbit in Böhmen weit bedeutender 
fein dürften als man annimmt, überftanden. Die Palackyſche 
Anſicht, als ob noch um 1458 „in den Städten des König - 
reiches, Eger, Kaaden und Brür ausgenommen, das Deutiche 
kaum irgendwo zu hören war“, gilt allgemein als über- 
treibung.”” Schon 1437, ein Jahr nad; dem Iglauer Friedens- 
ſchluß zwiſchen Kaiſer Sigmund und den Böhmen, in ben 
auch die Deutfchenverbote aufgenommen waren, beſchwerte 
man fi), daß entgegen den Vereinbarungen -Sremde Amter 
innehaben und richten, „sum großen Schimpf der tſchechiſchen 
Sprache” ; 1443 beklagten fid) die Taborer bei Ulrich von Rofen- 
berg, „daß einige böhmiſche Herren, die ſich bemühen, die 
deutſche Sprache emporzubringen und die tſchechiſche zu 


Der Niedergang des Königreiches. 1471—1526. 149 


ſchwächen, Deutſche ing Land bringen“ und fpredien die Be- 
fürchtung aus, daß durch jene, die die deutſche Spradye immer 
emporzubringen tradjten, dem Land Schaden zugefügt werde“. 
Das bezieht fih auf Vorfommnifie in Südböhmen. Gleich- 
zeitig erfahren wir, daß Auffig (1443) einen faſt ausſchließlich 
deutſchen Nat befaß, in Graupen (1444) alle Bürgernamen 
deutſch waren, Böhmiſch-Kamnitz während des ganzen 15. Zahr- 
Hunderts deutſch geblieben war, in Kuttenberg die geſamten 
ergarbeiter, in Chrudim viele Handwerker deutſch waren, 
in Dug, Brüx, Kaaden, Komotau, im Xepler Gebiet die 
deutſche Sprache auch nad den Huflitenfriegen vorwiegend 
oder gar ausfchließlih in Verwendung ftand. Bis zu einem 
gewiſſen Grade erhielten fi diefe Verbältniffe trog mancher 
Bandlungen im einzelnen auch ſpäter. Es darf ſchon Bier 
erwähnt werden, daß der Haflenfteiner einmal im Jahre 1505 
fehreibt, das Volf in Kaaden ſei zum größeren Teile der tiche- 
chiſchen Sprache unkundig. Im derjelben Zeit empfiehlt er 
dem Sanzler der Prager Altitadt Magifter Johann Paſchetk 
einen Egerer Bürgerfohn aus angefehenfter Familie, Johann 
Schmidl, der dort tichechifch Iernen will, was fomit in Eger 
unmöglid) war.” Aber auch für Prag felbft find Belege für 
das Vorhandenfein von Deutfchen nach den Huffitenfriegen zu 
erbringen. Im Jahre 1448, als Georg von Podiebrad die Stadt 
befegte, „gab es“, jo heißt eg in der gleichgeitigen Chronif, 
„ſchon viele Studenten und Meifter in den Kollegien”; 1446 
war Heinrich Dornde aus Mühlhaufen Dekan, andere Lehrer 
ftammten aus Erfurt, Leipzig, Frankfurt. Die Schüler waren, 
wie man wohl mit Recht annimmt, Deutſche aus Böhmen, wies 
wohl gerade aus den deutichen Gegenden Böhmens (aus Eger, 
Graupen, Elbogen, Kamnitz) viele Studenten nad) Italien 
sogen.” Das beweiſt, dak nicht nur alle Einmanderungs- 
berbote fich nicht aufrechterhalten Fießen, fondern daß auch das 
einheimische Deutſchtum ſich langſam emporrang. Es war 
ja doch im Grunde genommen durch die Huſſitenkriege nur 
eine ungeheuer ſtarke Tſchechiſierung zahlloſer Deutſcher und 
deutſcher Ortſchaften eingetreten. Es bedurfte gar keiner 
beſonders ſtarken Zuwanderung fremder Deutſcher, ſondern 


150 Vierter Abſchnitt. 





bloß ruhigerer Zeitumftände, um den naturgemäßen Rüd- 
wandlungsprozeß zu ermöglichen. Er wurde gewiß durch die 
wenn auch nur kurze Regierung des deutſchen Habsburger 
Albrecht II. gefördert, dann allerdings wieder unter Georg 
bon Podiebrad und den beiden polniſchen Königen zurüd- 
gehalten. Aber das Deutſchtum ganz auszuſchalten, geſchweige 
völlig aufzufaugen, war ſchon damals ein Ding der Unmöglich- 
keit. „Es zeigte fid) nämlich, dab die Tſchechen die Deutichen, 
deren Bugug fie abwehrten, nidyt überall erfegen fonnten .. .; 
wirtſchaftliche Urfachen zwangen daher den König und die 
böhmiſchen Stände zur Milderung ihrer grundjäglichen deutjch- 
feindlichen Politif; . , „ eg ift bemerkenswert, daß in einer 
Zeit ftarf enttwidelten tichechifchnationalen Bewußtſeins den 
deutfchen Gemeinden in der Sprachenfrage ſcheinbar voll- 
kommene Freiheit gelaſſen wurde, die erjt fpäter die Koldini- 
{hen Stadtrechte einzufchränfen fuchte; aber ohne Erfolg“, ift 
das Urteil eines tichedjifchen Hiſtorikers.“ 

Wiederum war es der Adel, der auch bei diefen Verfuchen, 
das Deutichtum zurüdzudämmen, den Ton angab und feinen 
Standpunkt durchzuſetzen verſuchte. Er felber "hörte auf, 
deutfch zu ſprechen, zu lernen, zu verſtehen; gewiß nur ein 
Xeil, aber immerhin in den maßgebendften Kreiſen. Schon 
Georg von Podiebrad dürfte außer der tſchechiſchen Feine andere 
Sprache gefannt haben. Der Oberftburggraf von Prag Sdenko 
Leo bon Rofenthal, deſſen mir noch als des höchſten Landes - 
beamten unter Wladislaw und Ludwig zu gedenken haben 
werden, ebenſo der Oberſthauptmann von Böhmen Radislaw 
Berkowsky von Schebirow erklären ſelber, daß ihnen die deutſche 
Sprache fremd ift. Noch 1516 verkaufte ein Trzka von Lippa 
die großen Herrſchaften Tetſchen, Kamnig, Benfen und Sandau 
an die aus Sachſen ftammenden Saalhauſen, weil ihm in 
Nordböhmen „die Wege zu ſchlecht und der Deutſchen zu viele 
waren”? 

Ob man allerdings daraus den Schluß ziehen darf, daß im 
15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts es jelbit hodhgeitellten 
PVerfonen nicht ſchwer war, ſich auch ohne die Nenntnis der 
deutichen Sprache zu behelfen, möge dahingeftellt bleiben. Wir 


Der Niedergang bes Königreiches. 1471—1526. 151 





wiſſen, welche wichtige Stellung bei Georg von Podiebrad der 
deutſche Sekretär Georg Joſt von Einfiedeln einnahm. Und 
Paul Zidek belehrte den König, daß „man durch eine Sprache 
das Königreich gewiß nicht fördert, jondern nur durch die Ver- 
ſchiedenheit der Sprachen und des Volkes“. Er gibt ihm zwar 
eine ſehr unrichtige Darſtellung von der Entwidlung beider 
Sprachen, des Deutſchen und Tſchechiſchen, in der Landesber- 
mwaltung feit Karl IV., fordert aber mit Recht die Kenntnis 
beider und verurteilt die ausſchließliche Herrſchaft des Tſchechi- 
ſchen: „Leider gefällt mir der jegige Buftand nicht, denn Ruhe 
haben wir dabei nicht. Gerechtigkeit, Ordnung, Liebe, die 
ganze Eintradit find gefallen“. 

Allein der Adel ging in feiner Einfeitigfeit und blinden 
Feindfeligfeit gegen das Deutfche immer noch weiter. Man 
fuchte das Tſchechiſche zur ausſchließlichen Amtsſprache zu 
erheben, zum mindeften in der Landesverwaltung. In Mähren 
gebot ſchon ein Landtagsbeihluß nom Jahre 1480, dab die 
Einlagen in die Landtafel nur in tſchechiſcher Spradje erfolgen 
durften.” Im Jahre 1495 folgte der böhmifche Landtag diefem 
Veifpiele, wobei allerdings die königlichen Schreiben aus- 
genommen wurden, die in ihrem urſprünglichen Wortlaut, 
lateiniſch oder deutjch, eingetragen werden mußten. ühnliche 
Beitimmungen wurden ſchließlich dem Oberſten Gerichtähof, 
dem Landrecht, durch die Wladislawſche Landesordnung von 
1500 gegeben. 

Zu diefer Unterftüßung und Förderung der einen Landeb- 
ſprache kamen noch hinzu die Bemühungen einiger Literaten, 
das Tſchechiſche auch zur Schriftiprache auszubilden. In vor- 
beriter Linie jteht Viktorin Kornel von Wichehrd (1460-1520) 
aus Chrudim, der berühmte Verfafler der „Neun Bücher vom 
Rechte des Landes Böhmen“ aus den Jahren 1495—1499,# 
der damals das bedeutfame Wort ausgefprochen hat: „Obgleich 
auch ich vielleicht Iateinifch fchreiben könnte, wie andere, aber 
wiſſend, daß ich ein Tſcheche bin, will ich Iateinifch lernen, aber 
tſchechiſch fchreiben und fprechen”. Oder Wenzel Piſenſis 
(1482—1511), der verſuchen wollte, ob die tſchechiſche Sprache 
fo reich fei, daß fie, „ohne Bettelei bei deutihem Gefafel oder 





152 Vierter Abfchnitt. 





lateiniſchem Miſchmaſch“ felbftändig diefelbe Sadje jo aus- 
drüden Fönne, wie die Griechen fie ausdrüden würden. 

Man kann daraug erkennen, wie von allen Seiten daran 
gearbeitet wurde, Böhmen in einen tichechijch-nationalen Staat 
umzuwandeln und nicht mit Unrecht wurde erft kürzlich wieder 
erklärt: „Nie vorher oder nachher war die tſchechiſche Sprache 
amtlich fo ausgezeichnet geichügt, wie im 15. und 16, Jahr- 
Bundert“. Dennoch herrſcht überall politifcher, fittlicher und 
geiftiger Niedergang und Haſſenſtein will, wie er in einem 
feiner Epigramme fchreibt, lieber die Peitgefahr in Bologna 
überdauern, als das Elend der Heimat mitanfehen, denn, jo 
fagt er, „aus dem Vaterland flieht, wer recht zu leben beftrebt 
ift, da im Vaterland gut zu bleiben kaum möglich erfcheint.”®” 
Und felbft der begeifterte Tſcheche Viktorin von Wichehrd hat 
in einem Schreiben an Haffenftein ihm zugeitanden: „Man 
kann in unferem Staate faft fein Glied finden, das nicht zer- 
brochen oder geſchwächt daliegt." — Wo lag wohl die tiefere 
Urſache? 

König Georg hatte Böhmens gefährliche Lage richtig 
erfannt, al3 er mit allen Mitteln darnach ſtrebte, e8 wieder in 
den Mittelpunft der deutſchen Reichspolitik zu ftellen, ein 
neuer Karl IV. zu werden. Er war feinem Biele nicht gar fo 
fern, wenn er nur die Scheidewand, die die Kommunion sub 
utraque zwiſchen dem damaligen Böhmen und der übrigen 
chriſtlichen Welt aufrichtete, nicht allzu hoch angefchlagen hätte. 
Einen Schein des Rechts für die furdjtbaren Huffitenkriege, 
ein winziges Ergebnis, den Laienkelch, wollte er feinem Volke 
nad) all den Opfern menigfteng ſichern. Daß ihm der Papft 
auch diefen befcheidenen Triumph nicht zugeltand, daran ſchei- 
terten alle feine oder feiner Ratgeber Pläne, 

Sein Nachfolger, der König aus polniſchem Stamme, den 
Haſſenſtein den „beicheiden gemäßigteiten und geredjteften 
Fürften“ nennt, der ftet3 „mehr nad fremdem ala eigenem 
Urteil handelte“, unterfing fich fold; hoher Aufgabe nicht. 
Durch tete Nachgiebigfeit jeden Anlaß zu Unzufriedenheit zu 
befeitigen, ſchien ihm oberfte Regentenpflicht. Allein nicht für 
die Dauer vermochte dies Mittel feine heilfame Wirkung auß- 


Der Niedergang bes Königreiches 14711526. 158 





zuüben, fondern nur folange er felbjt im Lande weilte. Als 
der „gute König“ Prag verließ, um fortan in Ungarn dauern- 
den Wohnſitz zu nehmen, fomit fein unmittelbarer Einfluß auf- 
börte, war es um den Frieden in Böhmen geichehen. 

Am 6, April 1490 war Mathias Corvinus geitorben. Unver- 
aleichlich glüdlicher in feiner langen Regierung (1458—14%0) 
als Georg von Böhmen Hatte er e8 doch ebenſowenig wie diejer 
durchſetzen fönnen, feinem Sohn Johann die Nachfolge zu ſichern 
und eine neue Dynaſtie zu begründen." Am 15. Juni wurde 
Wladislaw zum König bon Ungarn erhoben und ſchon am 
23. Juni zog er mit einem anſehnlichen Seere, das eben für 
eine friegerifche Unternehmung gegen Bayern ſich gefammelt 
hatte, dahin, um nur noch zweimal während feines weiteren 
Rebens für Furze Zeit nad) Böhmen zurüdzufehren. Dort 
tegierten inzwiſchen die hohen Landesbeamten, die er an feiner 
Statt eingefegt hatte. Sie erwieſen fi) alle zu ſchwach, die 
böhmifchen Verhältniffe aud nur auf dem Ruhepunkt zu 
erhalten, den Wladislaw erreicht hatte. Ein anfangs ungemein 
ausſichtsreich fcheinender Einigungsverſuch zwiſchen dem 
böhmiſchen Utraquismus und Rom, der 1493 unternommen 
wurde, ſcheiterte wie alle früheren. Sogar Haſſenſtein hatte 
ſich diesmal guten Hoffnungen hingegeben. 

Sch brenne — fo ſchreibt er am 10. Oktober 1493 an einen 
Freund — von außerordentlicher Sehnſucht, daß dieſes heil- 
ſame Werf, das mit folder Buftimmung aller begonnen worden 
ift, eheftens zu frohem Ende komme, wie e8 die Velten und 
Eifrigften in diefem Staate erwarten”. Denn wenn, erflärt er 
weiter, nicht jet diefem Übel des religiöfen Zwieſpalts mit 
allem Eifer und Fleiß entgegengetreten werde, „dann — ich 
will nicht3 anderes prophezeien — kann man einen guten Aus- 
gang nurmehr mwiünfchen, nicht mehr hoffen“. Er erwartet 
davon den größten Auffchtvung im ganzen Lande. „Und bon 
Prag gar, was foll id) jagen? Wenn mid) nicht mein Gefühl 
täuſcht, wird es binnen kurzem ein wunderbares Wadstun 
nehmen. Diefe Hoffnung gibt mir die Annehmlichfeit des 
Ortes, das Mlima, die Fülle an allem, was der Menſch braudit. 
Es wird fich füllen mit ungähligen Sandelgleuten, eg wird 


154 Vierter Abſchnitt. 





beſucht werden bon der wißbegierigen Zugend. Ob jemand im 
Krieg oder zu Haufe ſich hervortun wird mollen, nad) Prag, 
zur Vehrmeifterin folder Künſte wird er ftrehen. Den benad)- 
barten Fürften und Völkern, die alle jet auf unſere Zwie- 
trat ihre Hoffnung fegen, werden wir wieder zum Schreden 
und zur Verehrung fein. Hab und Streit werden weichen und 
nicht mehr wird einer den andern als Schismatiker und Häre- 
tifer verachten, jondern als die Söhne einer Mutter in dem- 
ſelben Saufe, das ift in der Kirche, erzogen, werden wir wieder 
unter gleichen Gejegen und Einrichtungen leben“. Ausfichts- 
lofe Erwartungen eine® Mannes, der, wie biele andere, unter 
den Buftänden der Heimat ſchwer litt, helfen mollte und zu 
ſchwach war, fie zu ändern. Anfang der neunziger Jahre 
plante man, ihn nad) dem Tode Johanns XIV. zum Biſchof 
bon Olmüg zu machen, er wurde aud) im Mai 1493 vom Kapitel 
einftimmig gewählt, allein die Nepotenwirtſchaft am römifchen 
Hofe hob diefe gewiß glüdliche Wahl auf. Weder feine Briefe 
an den König, noch an den Kanzler Johann von Schellenberg, 
dem Bohuslam als Mufter eines Beamten ein berühmtes 
literariſches Denkmal gefegt hat, nod) an den Adminiftrator 
des Prager Erzbistum und andere Perfönlichkeiten, noch auch 
der unmittelbare Appell des mährifchen Adels an Papſt 
Alerander VI. fruchteten. Die, die auf die „Wolle“ ſehen, 
waren glüdlicjer als die, die nur an daß Heil der Schäfchen 
dachten, jpottet Haſſenſtein felber in einem feiner Briefe. 
Neue Hoffnungen Fnüpften fi an des Königs Wladislaw 
Befuh in Prag im Sahre 1497, der vom .27. Februar bis 
6. Zuli währte. Ein Landtag wurde abgehalten, in dem alle 
wichtigen Fragen zur Sprache kamen und zahlreiche Beſchlüſſe 
gefaßt wurden, ohne daß aber der abſchüſſige Gang der inneren 
Politik fi) dadurch änderte. Auch, Haffenftein, das mahnende 
Gewiſſen, benügte die Anweſenheit des Königs, um ihm in 
einem eingehenden Bericht vom 22, April die Lage zu ſchildern 
und ihn zu Entfchlüffen zu drängen, von denen allein er eine 
Beſſerung der allgemeinen Verhältniffe erwartete: Wieder- 
befegung des Prager Erzbistums und Wiederberftellung der 
Tatholifchen Kirche in ihrer alten Macht. Er ſchmeichelt ihm, 


Der NRiebergang bes Königreiches. 1471—1526. 155 





übertreibt feine Erfolge. „Andere bewundern zwar, dag du 
fo viele Reiche faft ohne Blutvergießen erworben haft, zählen 
die deiner Herrſchaft unterworfenen Völker auf, rühmen weit 
und breit dein weites Reich; ich ſehe in dir anderes, tvag größer 
und beivunderungsmürdiger ift. Ungarn und Böhmen waren 
durch ſchwere Kriege bedrängt, litten an innerem Aufruhr, die 
der waren verwůſtet, die Dörfer rauchten in Bränden, die 
Märkte waren zerftört, nirgend war Achtung vor den Gefeken, 
nirgend ein Pla für Billigfeit und Rechtſchaffenheit: das 
alles haft du gefeftigt, befänftigt und zur vollen Ruhe ge- 
bradjt; diefe zwei wildeften Völker, die immer ebenfo nad 
Krieg als Frieden gierig find, haft du gelehrt: dab Gefeke 
ertragen werden fönnen. Das fage ich nackt ohne Übertreibung, 
ohne Ausſchmückung und doch fürchte ich dir läſtig zu fein, 
denn deine Natur ift: lieber gutes zu tun als gutes zu 
hören und du hältſt es für beſſer, de3 Lobes würdig zu fein, 
als gelobt zu werden“. 

Der König verließ von neuem Prag und Böhmen für ein 
bolles Jahrzehnt, ohne die Anregungen Bohuslaws auch nur 
in Erwägung gezogen zu haben. Und aud) der von ihm an 
feiner Statt ernannte Statthalter Peter von Roſenberg, zu 
dem Haſſenſtein in freundidhaftliciten Beziehungen ftand und 
dem er jchriftlich eine eingehende Belehrung darüber gab, wie 
man dieſes hohe Amt verwalten müffe, wurde jehr bald (1499) 
feiner Stellung überdrüffig; fo ausſichtslos erwies es ſich, die 
immer gefährlidjer fich geitaltenden Gegenfäge zwiſchen den 
Ständen auszugleichen. Alles ftrebte einer Adelsherrſchaft au, 
der die übrigen Bevölkerungsſchichten untertan fein follten. 

Am wehrloſeſten erwies fi in diefem Kampf die Bauern- 
ſchaft; fie verfanf damals in einen der Sklaverei ähnlichen 
Buftend, wie er wohl nie zubor in Böhmen befannt war. 
„Beinahe ein ganzes Jahrhundert wurde an dem Werke ge- 
arbeitet, das LTandvolk in Böhmen in die Leibeigenichaft zu 
bringen“, jagt Palacky, und weiter: „Es läßt fi nicht ver- 
kennen, daß eine der Haupturſachen diefer Veränderungen die 
langjährigen Huſſitenunruhen und Kriege waren“. Erft jegt 
nad) der fozialen und nationalen Umwälzung, nachdem das 


156 Vierter Abſchnitt. 





deutiche Bauernvolf aus weiten Gebieten des Landes ver- 
ſchwunden wor, Fam der Grundfaß in Böhmen auf: „wer nicht 
jelbft ein Herr ſei, müffe einen Seren haben”, wodurch der 
Fortbeſtand eines freien Bauerntums unmöglich gemacht 
murde.* Nach einigen Jahrzehnten allmählicher Verſchlech- 
terung der rechtlichen Verhältniffe diefes Standes verfügte 
der böhmifche Landlag im März 1487 die eriten gejeglichen 
Maßregeln gegen den freien Abzug der Untertanen und bes 
Gefindes. Ein Jahrzehnt fpäter, auf dem Pfingftlandtag 
1498 hatten, um Palackys Worte zu gebraudyen, „die Stände 
Teine amgelegentlichere Sorge, ala durd neue Beſtimmungen 
die erbliche Leibeigenſchaft des niederen Volkes zu fihern 
und zu verſchärfen“. Wie hätte das auch anders kommen 
Tönnen, da ſchon um 1467 der mähriſche Landeshauptmann 
Ctibor von Tobitſchau, von dem Palacky jagt, daß er in die 
Reihe jener vorzüglichen Männer gehört, auf die nicht bloß 
fein Volk, fondern auch das Menſchengeſchlecht ftolz fein darf, 
die bezeichnenden Worte niederfchrieb: „Und beſonders diefe 
Bauern (er nennt fie „Roboter“) wären im Sinblid auf ihre 
Armfeligfeit nicht wert auf der Welt geduldet zu werden, 
wenn fie nicht, wie der Efel, dazu gut wären, den Boden zu 
bearbeiten“. = Nach Ctibors Überzeugung find diefe Roboter 
von Gott dem Adel, darunter er Kaiſer, Könige, Fürſten, 
Herren, Ritter und Edelleute indgefamt berfteht, „zu eigen 
gegeben“, damit diefer nad) feinem Willen mit ihnen jchalte 
und fie auch) beftrafe für ihre Sünden. Auch haben die Ro- 
boter dem Adel für diefe Leitung Zins zu zahlen und Ab- 
gaben zu leiften. Das war die Auffafjung von der Stellung 
der Bauern ſelbſt bei den edeliten Männern jener Beit. 

Es ift bezeichnend, dat Etibor das gejamte Volk in die 
drei Stände, Adel, Geiftlichfeit und Roboter ſcheidet und einen 
eigenen Bürgeritand gar nicht mehr Fennt oder anerkennt. 
Die Lage der Einwohner in den dem Adel gehörigen Städten 
war nidjt viel beſſer als die der Dorfleute: Unterjtellung in 
rechtlicher, Bedrückung in wirtſchaftlicher, Abhängigkeit in 
teligiöfer Hinſicht. Die wenigen freien jogenannten könig - 
lien Städte hatten damals -Sahrzehnte Lang ſchwer zu kämpfen 


Der Niedergang bes Rönigreiches. 1471—1526. 157 





um ihr altes Recht, im Landtag überhaupt vertreten zu fein, 
die dritte Stimme im Landtag, wie man eg nannte, zu be- 
baupten. Der Adel betradjtete fie als Untertanen des Königs, 
wie die Bürger in den adeligen Städten als feine eigenen. 

Der hohe Adel war am Bielpunft feiner Beitrebungen. Er 
konnte nun auch getroft darangehen, feine errungenen Rechte, 
die Stellung, die er im Staate einnahm, geſetzlich feitzulegen. 
In Mähren geſchah es durd das fogenannte Tobitſchauer 
Buch,“ entitanden 1480—1490, eine Art Geſetzbuch der mähri- 
ſchen Landesverwaltung, das Werk des ſchon genannten Ctibor 
bon Cimburg und Tobitſchau, der 1469 zur höchſten Würde 
eineg Landeshauptmannes emporgeitiegen war, die er biß an 
fein Lebensende (1494) behauptete. Er verfaßte die Schrift 
auf Wunfd feiner Standesgenofien, die über die ſtaatsrecht - 
lichen Angelegenheiten des Landes, über das Verhältnis des 
Randesfüriten zu den Herren, über die Gerichtsverfaſſung, über 
Privat · und öffentliches Recht unterrichtet jein wollten. Und 
Ctibor belehrte fie in ftreng ariftofratifhem Geifte: „Der 
Herrenſtand berricht über dag Land und richtet, die Land- 
edelleute- ſowie die Bürger find in ihren Rechten möglichit 
beſchränkt, dem Bauer liegt e3 ob, Frondienfte zu leiften und 
au zahlen“. 

"Noch ftärker ausgeprägt ift diefer Grundzug in der vom 
den böhmiſchen Ständen 1500 herausgegebenen fogenannten 
Wladislawſchen Landesordnung, dem „eriten offiziellen Ge- 
ſetzbuch“. Sie ift das Werk eines Mannes rittermäßigen 
Standes, Albredit Rendl von Uſchau, der ſich hiedurch den 
Ruf eines böhmifchen Machiavelli erwarb, indem im Lande 
fortan „vendeln“ fobiel bedeutete, wie eigenmächtiges Fälfchen 
bon Rechten. Im Dekanatsbuch der Prager Univerfität‘ heißt 
es von Rendl, er habe die alten Geſetze Böhmens verſchlechtert 
und verderbt, indem er viele ganz befeitigte, andere beſchränkte, 
diefe verkehrte, jene veränderte. Ein anderer Zeitgenoffe, dem 
insbeiondere die Vergewaltigung der Städte durch diefe „wun- 
derlichen neuen Rendlſchen Rechte“ auffiel, ſcheute fich nicht zu 
erflären: „Es wäre fein Schade, wenn man auf diefen Rendlik 
vier Wagen trodenen Holzes aufichüttele und alle dieſe Be- 


158 Vierter Abſchnitt. 





ſchlüſſe (nälezy, aud) Erfindungen) mit ihm berbrannte, damit 
fein Menſch fi) je daran verſuche“. 

Nun verließ auch Haflenitein feine einftmalige Zuverſicht 
vollfommen. Als er 1508 nad) längerer Abweſenheit heim- 
tehrte, ſchrieb er einem Freunde: „Wie e8 hier zugeht, Tann 
id) dir ohne tiefften Schmerz nicht fchreiben. Außer den Bergen 
und Wäldern und den Orten, wo id; aufgewachſen, habe ich 
im Baterland nichts gefunden, was mic) freuen könnte. Überall 
wuchert Räuberunmeien, unzählige Aufftände entitehen, alle 
Stände murren, das Vol ſchielt geradezu nad; den Waffen, 
wenn die Adeligen nicht ihre Rechte aufgeben; wir fürchten 
die heimiſchen und die auswärtigen Feinde (Bayern, Pfalz, 
Brandenburg, Sachen). Die Herren unjerer Regierung find 
zum Herrſchen bereit, die Ungerechtigkeit der einzelnen zu ber- 
folgen find fie aber zu ſchlaff, und, was ſchmählich zu ſagen 
iſt, fie kranken zum Teil an jener alten Krankheit des gegen- 
feitigen Neides und ftimmen nur dann überein, wenn es ſich 
um die eigene Sache handelt; zum andern Xeil dienen fie dem 
Genuß und der Habgier. Wenn fie auch) oft zuſammenkommen 
und Landtage abhalten, jo bringen diefe dem Stante feinen 
Nutzen. Innen und außen fein Friede und feine Hoffnung, 
daß die Dinge beifer werden, jo daß ich meinem Vaterland 
nichts gute3 prophezeien kann“. Und drei Jahre fpäter: „Alles 
zielt auf den Krieg hin, und fommt nicht die Peſt, die in den 
Nachbarländern ſchon hauft, und hemmt unfern Aufruhr, dann 
bricht im nächſten Frühjahr (1507) der innere Krieg aus“. 
Von Brief zu Brief fteigert fi fein Unmut und feine Ber- 
Zweiflung. Ein Freund aus Nürnberg, Bernhard Adelmann, 
ſchildert ihm die traurigen Verhälmifie im Reid. Darauf ant- 
wortet er: „Wie du mir das Leben in Deutichlend fchilderft, 
haſt du unbewußt zugleich; das unfere gegeichnet, und da ich 
deinen Brief las, glaubte ich wie in einem Spiegel unfere 
Verderbnis und unfere Wirren zu fehen, Aber uns droht 
nicht nur Bürgerkrieg und alles was daraus folgt, jondern 
Verwüſtung, Zufammenbrud), Untergang, und was die großen 
Neiche einzeln zugrunde zu richten pflegt, das häuft ſich auf 
ung insgefamt zufammen. Auberorbentlich ift der Sochmut 


Der Niedergang bes Königreiches, 1471—1526. 159 





und der Neid unferer Vornehmen ... unglaublich die Faul- 
heit aller unferer Klafjen ..... , in Vegierden und Vergnügun- 
gen fein Maß... .; Geſchenken und Beſtechungen find wir 
derart zugänglid), daß nichts bei ung nicht käuflich iſt ... 
Was die Religion anlangt, fo ift es ſchon fo weit gefommen, 
daß die meilten dem Dogma des Diagorag und Theodorus 
verfallen Himmel und Hölle leugnen und... . fagen: Aus 
nichts find wir geboren und nachher werden wir fein, als ob 
wir nie geboren geweſen wären. Und niemand tritt diefer 
tödlichen Krankheit entgegen, nicht die Geiftlichen ... . nicht 
die Weltlichen...... Der König felber, deſſen Srömmigfeit und 
Glauben alle chriſtlichen Völker preifen und beivundern, ift 
entiveder durd) das Alter für die Geſchäfte läſſiger geworden 
oder überdrüffig unferes Weſens und Iebt bei den Ungarn, 
ala ob er an Schlafjucht litte. Darnach kannſt du beurteilen 
wie mir, der id) bei diefem Gefchlechte lebe, zu Mute ift. Einft 
freilich unter den Ottonen, Seinrichen, Sriedrichen, als Deutſch- 
land blühte, da wuchs auch unjere Macht ins unendliche und 
als der edelite Teil eures Reiches galt Böhmen; jetzt aber, 
da euer Staatsweſen wankt, wanken wir nicht nur aud), fondern 
brechen völlig zufammen .... Euch reiben die Kriege auf, 
ung berzehrt der Roſt“. 

Seitdem König Wladislam das Land verlaffen hatte, ſeit 
14%, waren alle Übelſtände gewachſen und wurden nod) ber- 
ftärft durch die Unklarheit der dynaſtiſchen Verhältniffe für 
den Fall des Ablebens des Königs. 

Wladislaw mar lange unbermählt geblieben. Erft 1502, 
im Alter von 46 Jahren, heiratete er eine nahe Verwandte 
König Ludwigs XII. von Frankreich, Anna von Yoig-Kendal. 
Sie gebar ihm zwei Rinder, 1505 Anna, 1506 Ludwig, ftarb 
aber bald darauf. Schon mit drei Jahren wurde der Sohn 
auerft zum König bon Ungarn, dann in Prag am 11. März 
1509 zum König von Böhmen gefrönt. Aber feine Erziehung 
genoß Ludwig in Ungarn. Ob er wirklich tichechifch geſprochen 
hat, bleibt fraglich, da noch im Jahre 1514 Wladislaw zweimal 
die böhmischen Stände um einen Lehrer für Ludwig erfuchte 
und auf die Nachteile hinwies, die aus der Unfenntnis der 


160 Vierter Abſchnitt. 





Sprade entitehen würden. Bei Lebzeiten feine Vaters kam 
er nicht mehr nad Böhmen. Im Sabre 1515 wurde er am 
20. Zuli in Wien bon Kaiſer Marimilian an Sohnes Statt 
angenommen, fogar mit der Buficherung, die deutfche Kaifer- 
Trone dereinft zu erhalten, Zwei Tage fpäter erfolgte dajelbft 
die merfwürdige Doppelheirat: Marimilian, zum zweiten Male 
Witwer geivorden, 56 Jahre alt, reichte der zehnjährigen un- 
garifchen Prinzeſſin Anna die Sand, behielt aber einem feiner 
beiden Enfel, Karl oder Ferdinand, den Kindern feines ber- 
ftorbenen einzigen Sohnes Philipps des Schönen von Bur- 
gund, das Recht vor, binnen Jahr und Tag am jeine Stelle 
zu treten; König Ludwig von Ungarn und Böhmen wurde 
mit der öſterreichiſchen Maria, der Schweiter Karls und Fer- 
dinands getraut (f. die Stammtafel).” 

Wenige Monate darnach, am 13. März 1516, ftarb König 
Wladislam der Gutherzige. 

Herrſcher in Ungarn und Böhmen war nun ein zehnjähriges 
Kind. Die Stellvertretung in Böhmen übernahm der Baron 
Leo Sdenek von Rofental (Rozmital), den Wladislam 1507 
zum Oberftburggrafen in Prag ernannt hatte. Er war ein 
Neffe Georgs von Podiebrad: fein Vater und Georgs Gemahlin 
Sohanna waren Geſchwiſter. Es genüge bier über diefe poli- 
tiſche Geſtalt, die ein Vierteljahrhundert die Geſchicke des 
Landes Ienkte, die Worte Palackys anzuführen, die diefer ge- 
braucht, ald Leo zum erjtenmal in den Vordergrund trat, an- 
läßlid) feiner Ernennung zum Oberftlandrichter durch König 
Wladislaw im Jahre 1504: „Seine Wirkſamkeit wurde für 
unfer Vaterland wahrhaft verhängnisboll”. 

Neben ihm ragten unter den Adelsgefchlechtern hervor die 
mädjtigen ungemein reich begüterten Rofenberge und die 
Pernſteine, diefe jowohl in Böhmen al3 Mähren angejeffen. 
Ein Johann von Pernftein fchaltete al8 Landeshauptmann in 
Mähren, deſſen Bruder Wilhelm war das Saupt der böhmifchen 
Kinie und hatte von 1490—1514 das zweithöchſte Landesamt 
eines Oberftlandhofmeifters inne. Es jcheint auf feinen Ein- 
fluß aurüdzuführen zu fein, daß gleich zu Beginn der vor- 
mundfchaftlichen Regierung der Ausbruch eines Bürgerfrieges 





Der Niedergang bes Königreiches. 1471—1528. 161 





— ſchon machten fich hier und dort VBauernunruhen bemerfbar — 
hintangehalten wurde, hauptſächlich durch eine rechtzeitige Ver- 
ftändigung des Adels mit dem Bürgerftand. Man ſchloß auf 
dem St. Wenzelslandtag 1517 über die wichtigſten Streitpunfte 
— Buftändigfeit von Stadtgericht und Landrecht, Teilnahme 
der Städte an den Landtagen, Bierbraugeredtigfeit, Steuern, 
Zölle — den fogenannten St. Wenzelövertrag vom 24, Dfto- 
ber, der die Ruhe für längere Beit verbürgte. „Und der be- 
deutendfte Urheber diefes Vertrages war Herr Wilhelm d. A. 
bon Pernitein, der fich fehon mehrere Jahre darum bemühte 
und biel arbeitete, damit die Böhmen fich allein einigten ohne 
fremde Völker, weldje die Natur der Böhmen nicht Kennen“, 
ſchreibt der gleichzeitige Prager Chronift. Ihm mochte der 
Erfolg groß feinen angeſichts der Gefahren, die dadurch für 
den Augenblid beſchworen worden waren. Allein e3 währte 
nicht lang und neue ftändifche Streitigkeiten brachen aus, ja 
fogar Zerwürfniſſe zwiſchen den beiden Rändern Böhmen und 
Mähren, die den Oberftburggrafen Rofental zu dem Aus- 
ſpruche veranlaßten: „Sch habe gehört, daß das Königreich 
Böhmen das Haupt und die Markgrafſchaft Mähren ein Glied 
ift; allein daran liegt nicht viel, wir könnten auch Teibliche 
Brüder fein, wenn wir nicht miteinander gut fein wollen“. 

Das Grundübel lag in dem Mangel einer die ftändiichen 
Gegenfäge gerecht ausgleichenden, die politifChen und wirt- 
ſchaftlichen Übergriffe des hohen Adels eindämmenden fönig- 
lien Mad. War Wladislam feiner Natur nad) diefer Auf- 
gabe nicht gewachfen, fo Ludwig infolge feiner Jugend. Damit 
hing es wohl auch zufammen, daß feine Anwartſchaft auf den 
deutichen Kaiſerthron, die er 1515 verbrieft erhalten hatte, 
gar nicht in Frage kam, als diefer durch den Tod Marimi- 
lians I. am 19. Sanuar 1519 erledigt wurde. Defien älterer 
Enkel, der König von Spanien wurde als Karl V. in Franf- 
furt a. M. am 28. Juni 1519 von den Kurfürften einftimmig 
gewählt. Ludwig hatte fi) als böhmifcher König und deut- 
ſcher Kurfürſt vertreten laffen und für feinen Schwager 
geitimmt. 

Bresdols, Geſch. Böhmens u, Mährens. IL, 1a 


163 Vierter Wſchnitt. 





Die ganze Entwidlung ſchien dahin zu zielen, wie es 
auch ſchon Kaifer Marimilian I. im Auge hatte, die öfter- 
reichiſche, böhmiſche und ungarifche Ländergruppe einander 
näher zu bringen und fie unter dem Schutze des deutſchen 
Kaifertums zufammenzufhließen zum „Schild und zur Vor- 
mauer des Chriftentums” gegen das türfifche Heidentum, daß 
feit der Eroberung Konſtantinopels am 29. Mai 1453 zu 
einer großen Gefahr für ganz Mitteleuropa heranwuchs. Die 
lange Vereinfamung Böhmens ſchien befeitigt werden zu 
follen durd) den Gang der Weltgeſchichte. Die Außenpolitik 
begann unter König Ludwig Einfluß zu gewinnen auf Böh- 
mens innere Verhältniffe. Und nicht nur in politiſcher, auch 
in religiöfer Hinſicht. 

Weder Papft noch Kaifer hatten den Utraquismus aus 
Böhmen und Mähren auszumerzen bermocht; nicht durd; Ge- 
malt noch durch Güte, nicht durch Kampf noch dur Ver- 
Handlungen, nicht mit kirchlichen noch politifhen Mitteln. 
Streng Fatholifhe Fürften regierten im Lande und waren 
doch machtlos angefichts der Abneigung des Volkes gegen die 
alte Kirche. Aber umgefehrt erwies fich die religiöfe Bewegung 
in Böhmen unfähig, ſich über die engen Grenzen ihrer Heimat 
auszudehnen, ihre Idee weiter zu verbreiten. Der engliſche 
Wiclifismus hatte im Sturme Böhmen erobert, der in nati- 
onale Bande gefeſſelte Huſſitismus blieb unfruchtbar. Aller- 
dings der fogiale Grundgedanke des Huflitismus, die geheime 
Feindſchaft wider die Priefterfchaft und die Reichen ſchwirrte 
während des ganzen 15. Jahrhunderts auch durch die deut- 
ſchen Lande. Nicht nur einmal fürdjtete man dort, daß nad) 
böhmiſchem Mufter die Maſſen über die Geiſtlichen, die Kom- 
munen und Städte herfallen würden. Das Dorf Niklashaufen 
in Sranfen mit feinem fanatifierten Hirten Sans Böhm, zu 
deſſen Predigten ſich oft zehntaufende und mehr Menjchen 
aus niederen und auch höheren Freien jammelten, wo man 
ſich gleichfalls „Bruder“ und „Schweſter“ aniprad), wo man 
glaubte, e8 ſei „der Simmel auf Erden gefallen“, erinnerte 
fehr an das Treiben auf dem Berge Tabor. Die Zeitgenofien 
bielten einen Zuſammenhang aivifchen diefer Bewegung und 


Der Niedergang bes Konigreiches. 1471152. 168 


dem Huſſitismus für offenfihtlih. Aber in Deutfchland 
wurden dieſe Umfturzverfuche, wie einftens in England, mit 
rüdfihtslofer Strenge niedergeworfen, bevor fie noch zu einer 
allgemeinen fozialen Gefahr anwuchſen. Böhm mwurde am 
13. Zuli 1476 zum Scheiterhaufen verurteilt und verbrannt, 
viele Anhänger ſchwer beftraft, Andere Bauernunruhen, wie 
die Bundſchuhbewegung im Elja und Breisgau am Ende 
des 15. und zu Beginn des 16. Kahrhunderts, der ſich auch 
ſchon Geiftlihe und Adlige anſchloſſen, ſchlugen nicht minder 
fehl. Der Kampf gegen die alte Kirche mußte rein geiftig 
erwachſen, ohne die gefährlichen nationalen und fozialen Er- 
tegungen, die ihm feine wahre innere Kraft raubten. 

Am 31. Oftober 1517 hatte der Auguftinermönd) und Uni- 
verfitätslehrer Martin Luther in Wittenberg, die Tragweite 
ſeines Entſchluſſes nicht ahnend, die 95 Theſen gegen den 
Ablaß an die Kirchentür geheftet. „In vier Wochen hatten fie 
die ganze Chriftenheit durchlaufen“, bezeugt ein Beitgenofie. 
Wie hätte Böhmen von diefer gewaltigen Bewegung unberührt 
bleiben jollen, die äußerlih an die früheſten Anfänge Huſſens 
gemahnte? 

Die erſte Nachricht vom Eindringen der lutheriſchen Lehre 
in Böhmen kommt uns aus Deutſchbrod, alſo einem vom 
Schauplatz der Ereigniſſe ziemlich entfernt liegenden Punkt. 
Dort predigte ſchon 1518 der utraquiſtiſche Pfarrer Johann 
trog Warnungen und Berbote feiner Kirdjenoberen, des Prager 
Konſiſtoriums, im Sinne Luthers; bald auch mehrere Geiftliche 
an Prager Kirchen. Als dann Luther in der großen Leipziger 
„Disputetion” (Zuni-Suli 1519) von Dr. Ed gehöhnt wurde, 
er fei wohl ein Böhme, ein böhmiſcher Keker, ein Patron der 
Böhmen, da ftieg feine Wertihägung in Böhmen befonders 
hoch. Der Pfarrer an der Teinfirde in Prag, Iohann 
Poduſchka, fchrieb ihm ſchon am 16. Juli einen Brief, der die 
Bedeutung, die Quther für die böhmifchen Utraquiften gewann, 
deutlich erfennen läßt. 

Er beginnt mit der Berfiherung, dab ihm Luther auß vielen 
und verſchiedenen feiner Schriften wohl bekannt fei, aus denen 
man Far erjehe, wer und wie er fei. Er, Podufchka, und feine 

1° 


164 Vierter Abſchnitt. 





Anhänger bewundern an Zuther, daß er troß fo vieler Schmä- 
hungen ganz und gar feine Bedenken trage, Ehrifti und der 
Apoftel Lehre frei und offen zu predigen. Er rühmt ihn als 
„Wächter über fein Volk“, mahnt ihn auszuharren, berfichert 
ibn, daß in Böhmen fehr viele feien, die „Tag und Nacht durch 
Gebete ihm helfen“. Schon wenige Tage fpäter, 19. Juli, er» 
ging ein zweites Schreiben an Luther von Wenzel Rozdalowsky, 
Propſt des Kaifer-Rarl-Kollegs in Prag, der ihn zu feinem 
„truhmbollen Sieg“ über Dr. Ei beglückwünſcht. Ein Muſikus 
Jakob, ein großer Verehrer Luthers, habe die Nacjricht nad; 
Prag gebradt. Da Luther durch diefen Mann um die 
Schriften Huffens, „des Apoftels der Böhmen“, gebeten babe, 
um fi) über ihn, den er nur nad) der Meinung der Menge 
und dem jchlecht beratenen Konzil kenne, ein felbftändiges 
Urteil zu bilden, ſchickte er ihm defjen Schrift „über die Kirche“. 
Er ſchließt: „Was ehemals Johannes Huß in Böhmen geweſen, 
bift du, Martin, jegt in Sachſen. Wache und kämpfe im Herrn 
und hüte dic) vor den Menfchen und laß den Mut nicht ſinken, 
wenn du dich Ketzer und exkomminiziert ſchmähen hörſt, ein- 
geben? deſſen, mag Chriſtus gelitten, was die Apoftel, mas 
alle auch heute leiden, die fromm in Chriftug Ieben wollen“. 
Es verlautete allgemein, daß die Böhmen, während Luther 
in Leipzig ftritt, in Prag für ihn öffentliche Gebete und täg- 
lichen Gottesdienft beranftalteten und Dr. Ed hielt Luther 
während der Disputation am 5. Juli öffentlich vor, er höre, 
daß die Böhmen Luther zu feinen Behauptungen, die ihren 
Irrtümern ſehr genehm find, Glück gewünſcht hätten. 
Obwohl feine beiden Hauptanhänger Poduſchka und Roz- 
dalowsky noch im Jahre 1520 in Prag an der furdtbar wüten- 
den Peſt — „mie die Menſchen felten eine ſolche Krankheit 
gejehen haben“, ſchreibt der Ehronift — dahinftarben, fein Ruf 
ftand in Böhmen bereits feſt. „Sie beivegen das Wort gar 
gewaltig unter den ihren“, jchreibt Luther ſelbſt am 
17. Februar 1521 an feinen Freund Spalatin, den Hofkaplan 
und Vertrauten des Kurfürften Friedrich des Weiſen, da er 
vernommen hatte, daß feine „Behn Gebote” und jein „Bater- 
unfer“ ins Tſchechiſche überfegt worden feien. Und nicht minder 


Der Niedergang bes Königreiches. 14711526. 165 





bedeutfame Beziehungen Fnüpften ſich zwiſchen Luther und 
den Böhmiſchen Brüdern, die im letzten Jahrzehnt der Re- 
gierung Wladislaws, von 1503 angefangen, befonders aber feit 
dem St. Jakobsdekret von 1508 eine ſchwere Verfolgungszeit 
durchgemacht hatten.*? 

Die kirchliche Vereinfamung des nichtfatholifchen Böhmen 
ſchien ſchwinden zu follen; neue Bande bildeten ſich zum 
deutſchen Volke jenſeits der Grenze. Aber für die Katholiken 
und die gemäßigten Utraquiften bedeutete diefe Entwidlung 
eine neue Gefahr. Die religiöje Frage drängte ſich in anderer 
Geftalt als früher in den Vordergrund. Und fein König im 
Rande, mit deſſen Unterftügung man rechtzeitig entgegen zu 
wirken vermöchte. Späteiteng jeit dem Jahre 1520 drängte 
Wilhelm bon Bernftein, der treue Freund und Berater des 
jungen Königs Ludwig, auf deifen Anweſenheit in Böhmen, 
in Prag. Am 19. März ſchrieb er an König Sigmund bon 
Volen, Ludwigs Vaterbruder und zugleich Vormund: „Was 
das Königreich Böhmen anlangt, jo wiſſet, da ſich dort nichts 
Gedeihliches für unfern Seren König vollzieht, vielmehr geht 
e8 immer mehr zugrunde ,... ., e8 berfommt einfach und dag 
Volk darin... .”.* Gleich darauf, am 236. März, an Ludwig 
ſelbſt: „. . . Denn in diefem Königreich haben fich ſolche 
Unordnungen herausgebildet und nehmen nicht ab... ., wenn 
nicht eiligft da augefehen und Einhalt geboten wird... .; und 
laßt Euch durch nichts verleiten Eure Reife bieher aufzu- 
ſchieben“. Aber die Peſt verhinderte fie. Im Oftober mahnt 
er bon neuem: „Eure Serfunft ift jo groß notwendig, daß fie 
nicht mehr größer fein Fann, denn häßlich geht das Königreich 
zugrunde.” Er mahnt ihn ſchon jet die Zügel der Regierung 
Träftig in die Sand zu nehmen. „Ihr müßt fo regieren”, ſchreibt 
er ihm, „daß Ihr der Kerr feid, der — ftet3 unter Wahrung 
der Gerechtigfeit — wenn er jagt „ich will”, auch weiß, daß es 
geichieht, und wenn er fagt „ich will nicht”, daß es nicht ge- 
ſchieht. Und wenn Eure kön. Gnaden diefen Vorſatz nicht ſchon 
in der Jugend fafien, fönnt Ihr niemals feft fein, werdet nur 
König heißen, aber andere werden das königliche Amt aus- 
üben und tun, was ihnen beliebt... .“. Und in einem anderen 


166 Vierter Abſchnitt. 





Briefe vom 10. Dezember 1520: „Der verftorbene König hat 
wegen feiner Güte fich jelber in dieſem Königreich viel Böſes 
angetan, worüber ich mit Euer Gnaden oft gefprochen habe . . 
Ale Eigenihaften Eures Baterg möchte id) Euch wünſchen, 
feine Gerechtigfeit und was er fonjt gehabt hat. Nur das 
möchte ich Euch nicht wünſchen, dag Ihr nicht anders in Eurer 
Regierung Euch gehabet als er; fondern dab Ihr Herr feiet 
und, ohne den Leuten Unrecht zu tun, herrſchet und befehlet, 
damit die Leute wiſſen, dab fie einen Herrn haben. Dann 
nur wird e3 Euer Gnaden gut gehen und Eurer Gnaden Unter- 
tanen“. Am 8. April 1521 ſtarb diefer Berater, Wilhelm von 
Bernftein. 

Erft im März 1522 fam dann Ludwig nad Böhmen. Im 
Suli des Vorjahres 1521 hatte feine Vermählung mit der 
Sabsburgerin Maria, der Schweiter Karls V. von Spanien 
und des öfterreichiichen Erzberzogs Ferdinand I., des Gemahls 
feiner Schweiter Anna, ftattgefunden. Dann mußte ein Krieg 
gegen die Türfen unternommen werden, während befien 
Dauer der König an Ungarn gebunden war. Der Krieg mar 
unglüdlid; verlaufen. Man mußte auf einen gefährliden An- 
griff des gewaltigen Soliman I. für dag Jahr 1522 gefaßt fein. 
Diefe Sorge vornehmlich war e8, die Ludwig nad) Böhmen 
trieb. Aber hier drängten ſich ganz andere Fragen in den 
Vordergrund: dag Kirchentum, die innere Verwaltung, der 
Kampf der Stände, die Stellung des Königs. Der EChronift 
erzählt eine bezeichnende Epifode bom erjten Bufammentreffen 
des Königs mit den hohen Adligen, die ihm bis zur Landes- 
grenze entgegengefommen waren, beim Dorfe Arnolds, eine 
Meile von Polna, auf freiem Felde. Sie verlangten nad) der 
erften Begrüßung des Königspaares, dab Ludtwia. bevor er 
böhmifchen Boden betrete, einen Eid leifte „nach Ordnung und 
Recht”, Der König lehnte eg ab mit der Erklärung: „bis wir 
jehen werden, welche unjere Getreuen find“, und fie beftanden 
nicht weiter auf ihrem Verlangen. In Prag aber fand er 
nad) der Schilderung des Chroniften, „wie e8 damals unter 
allen Ständen, den weltlicden jowohl wie den utraquiftiichen 
Prieftern zu gären begann, daß die einen ſich von den anderen 


Der Niebergang bes Königreiches. 1471—1526. 187 





trennten, einander auf fonderbare Weife beſchuldigten und 
gegen einander predigten; was die einen lobten, tadelten die 
anderen und umgefehrt, die einen nannten die anderen Neger 
und Pikharten, die einen veränderten ältere und die anderen 
erfannen neue Dinge. Aus einer ſolchen Serrüttung und Un- 
einigfeit unter der Geiftlichfeit entitand viel Böfes, auch die 
Verbannung vieler guter Bürger. Denn das Volk war in feiner 
Religion geteilter Meinung, die einen fanden Wohlgefallen 
und rühmten die Lehre des Doktors Martin Luther, die 
anderen wiederum predigten dagegen, man folle dem Einhalt 
tun, daß Gottes Wort ſchon in den Gaft- und Schankhäufern 
gepredigt werde. Die Leute ftritten fich oft darüber, ja oft 
ſchlugen fie fi) deshalb unbarmherzig unter einander, auch 
Briefe fchrieben umd drudten fie und berfaßten Xieder 
darüber”. 

Das ift bloß ein allgemeines Bild der Zuſtände. In den 
Verhandlungen zwiichen dem König und den Ständen kamen 
alsbald ganz beitimmte Schwierigkeiten zum Vorfchein. Schon 
Cheltſchitzky fchreibt in feinem „Netz“: der Hauptherr, der 
König, hat hier niemanden, über den er herrfchen Fönnte und 
aud nicht genügend Beſitz, um fi und fein Gefinde zu er- 
nähren. Das änderte fich allerdings unter König Georg von 
Podiebrad, von dem es im. Rabenfteinichen Dialog heikt, er 
babe 46 gut befeitigte Städte und 72 Schlöffer beſeſſen. Allein 
unter dem ſchwachen Wladislaw ging faft der ganze königliche 
Beſitz an den Adel über, zumeift.in der Form bon Verpfän- 
dungen, und Leo von Rofental war Meifter in der Erwerbung 
folder Güter. Es ging ein begeichnendes Sprichwort in Prag: 
dab aur Zeit König Georgs die Juden in Prag einen Löwen 
und eine Löwin ernährt hätten, ‚legt aber genüge dag ganze 
Königreich Böhmen nicht, einen einzigen „Löwen“ zu fättigen. 
(Rofental hieß mit feinem Vornamen „Leo".)* 

Die Stände verlangten von ihm menigitens Rechnungs- 
Iegung über die Pfandfummen, die fich bereits auf mehr als 
300.000 Meißner Schod beliefen. Aber er wehrte fi mit der 
Erflärung, er habe hierüber Quittungen vom feligen König 
Wladislaw. Die ganze Finanzwirtſchaft und die innere Ver- 


168 Vierter Abſchnitt. 





waltung krankten unter ſolchen Eigenmädttigfeiten der höchſten 
Beamten und ihrer Anhänger und Günitlinge, gegen die die 
übrigen Stände hilflos waren, wenn nicht der König jelbit 
eingriff. 

Nachdem Ludwig in Prag angefommen war, ließ er ſich 
vorerſt feierlich inthronifieren und dann feine Gemahlin zur 
böhmifchen Königin Frönen. Sie war um ein Jahr älter als 
er und galt ſchon damals als geiftesftarf un‘ für politifche 
ragen empfänglih. Das junge Königspaar mar beraten bon 
dem Markgrafen Georg von Brandenburg, Ludwigs Vetter 
und früherem Erzieher, dann dem Herzog Karl von Müniter- 
berg, einem Enkel Georgs von Podiebrad, der ebenfo wie fein 
älterer am 3. April 1515 verftorbener Bruder Bartholomäus 
eifrigft in die böhmifchen Angelegenheiten eingriff, ſchließlich 
ungarifchen und polniſchen Räten, denen ſich auch eine Anzahl 
böhmifcher Adeliger anſchloſſen, die den König zu unterftügen 
bereit waren. Aber die Gegenpartei, geführt von Leo bon 
Rofental und Peter von Rofenberg, war lange Zeit im Über- 
gewicht; ein harter Kampf begann. Sieben Landtage mußte 
der König binnen faum Sahresfrift hinter einander einberufen, 
bon denen die erjten bier erfolgloß verliefen und aufgelöft 
wurden, der fünfte dem König in einigen Punkten entgegen- 
Tam, bis erft der jechite, der am 5. Februar 1523 begann, die 
Entſcheidung brachte, weil Leo und einige andere Mitglieder 
feines Anhangs anfangs nicht zur Stelle waren. Diejen 
günftigen Zufall benügten die königlich Gefinnten und „binnen 
drei Tagen wurde mehr erreicht ala früher in einem Jahre“.“ 
Als Leo fpäter doch erjchien, fürchtete man allerdings, daß der 
König wieder nor ihm zurückweichen werde, aber er gab aus- 
drücklich (propria vox) das Verſprechen, feft zu bleiben und die 
vom böhmifchen Adel, die zu ihm hielten, gegen jedweden zu 
verteidigen. 

Man wählte den Ausweg, daß alle hohen Beamten, felbit- 
verftändlich auch der allmächtige Oberftburggraf Leo, ihre 
Ämter niederlegten. auf daß niemanden ein Verdacht treffe; 
die Landtafel wurde im Namen de3 Königs verfiegelt, alle 
unberechtigten Verfchreibungen bon Föniglichen Schlöffern und 


Der Niedergang des Königreiches. 1471—1526, 169 





Gütern wurden für ungültig erflärt. Auf einem legten, dem 
fiebenten Landtag vom 22. Februar bis 9. März wurde Herzog 
Karl von Münfterberg zum Hauptmann und Gubernator des 
Königreich eingejegt, wiewohl er nicht zum einheimifchen Adel 
gehörte, und die neue Beamtenſchaft ernannt; auch wurde 
beſchloſſen, die Wladislawſche Landesordnung zu überprüfen 
und zu berbeffern. Die Hilfe gegen die Türken wurde im ein- 
zelnen feitgejegt. Gleichzeitig vollzog fi, am 14. März, au 
ein bollfommener Umſturz in der Stadtvertretung Prags: der 
bisherige Primator Johann Paſchek, der Hand in Hand mit 
Reo von Rofental gegangen war, wurde erjeßt dur; Yohann 
Hlawſa; ähnlich geſchah es bald darnach in der Bergitadt 
Kuttenberg. Ein Umſchwung hatte ſich vollzogen, wie er tief- 
greifender gar nicht gedacht werben konnte. Aber er war bon 
feiner Dauer. Dem zermürbten Körper nügten ſolche Linde- 
rungsmittel nidyt mehr, 

Am 16. März verließ das Königspaar Prag, um nad) Ungarn 
aurüdzufehren. Das ſich ſelbſt überlaffene Land verfiel raſcher, 
ala man es hätte ahnen Fönnen, dem alten Wirrſal, und 
wiederum, wie immer früher, bot die teligiöfe Stage den erſten 
Anlaß dazu. Sm der neuen Regierung befanden fich neben 
Katholiken auch „Raliztiner”, weil, wie Ludwig dem König 
Sigmund von Polen gleichſam entichuldigend erklären ließ, 
geeignete Katholiken nicht durchwegs borhanden waren und 
fid) die „Kalixtiner“ der Sache des Königs geeigneter eriviefen 
hatten als die, die für „wahre Chriften” gehalten wurden. 
Dieſes „Raliztinertum” ftand aber bereit3 dem Luthertum 
ungemein nahe. Während des Königs Anweſenheit in Prag, 
im Juli 1522, hatte Luther offen an die böhmifchen Stände 
als feine „lieben Serren und Freunde“ ein Schreiben gerichtet, 
in dem er fie vor den lauen Utraquiften in ihrer Mitte warnt, 
die „darob feien, daß die Behemen wiederumb zum jchädlichen 
Stuhl der römifchen Tyrannei fallen follen“, weil fie fonſt „zu 
ewigen Zeiten feinen beftändigen Frieden mögen haben“; er 
fpridyt Hier die Hoffnung aus, daß „Deutſche und Böhmen 
dur) das Evangelium und göttlih Wort einen Sinn und 
Namen überfommen werden“, und verfpricht ihnen: „wahrlich, 


170 Bierter Abſchnitt. 





ih und die unfern mwöllen Johannem Hub, den Heiligen 
Marterer Chrifti, verteidigen und wenn aud) glei ganz 
Behmen, da Gott für fei, jein Lehre verleugnete, jo foll er doch 
der unfer fein“. 

Kaum war der König von Prag fortgezogen, begann man 
dort fchon im April 1523 die kirchlichen Zeremonien abzuändern 
„nach dem Beifpiel der Lutheraner und der benachbarten 
Ränder”. Denn die Utraquiften hatten feit den Zeiten König 
Georgs und Roliganas den einfachen huſſitiſchen Gottesdienft 
längjt wieder aufgegeben und in bezug auf Zeremonien und 
Kult, was Bilder, Marien-Stetuen, Prozeffionen, Ausſtellung 
de3 Saframentes anlangt, fogar „die Idolatrien bei den 
Römern“, wie fid) Georg Piſenſis, der Univerfitätsdefan in 
feinen gleichzeitigen Aufzeichnungen ausdrüdt, bei weiten 
überboten; „aus Paulinern wurden fie Sauliner”. Jetzt geriet 
man wieder ind Lutheriſche Fahrwaſſer, aber nicht einheitlich, 
fondern, fagt Georg, „wieviel Geiſtliche, fobiel Nulte, eine 
babyloniſche Verwirrung”. 

Da damals der Adminiſtrator Schiichmanef, das Haupt des 
utraquiftifchen Konfiftoriums, der ftarf dem Katholizismus 
zuneigte, am 29. Juni geftorben war, mußte an die Neuwahl 
diefer höchſten Firchlichen Behörde gejchritten werden, was im 
Auguft 1523 geſchah. An die Spike trat Magifter Gallus 
Cahera, einft Pfarrer in Saaz, der ſich aber in der letzten Zeit 
in Wittenberg bei Luther aufgehalten, deſſen befondere Gunſt 
erworben hatte und nun eigens nad) Prag berufen wurde, wo 
ihm auch bald die erfte Pfarre in der Stadt, die Liebfrauen- 
kirche im Tein, zufiel. Georg Piſenſis fällt über ihn in feiner 
Chronik ein vernichtendeg Urteil; er fei ein von Natur un- 
finniger (insensatus) Menſch, aber dabei verfchmigt und ſchlau, 
gierig nad) jchmeichlerifcher Rede und Gewinn, nicht um das 
Wohl der Neligion, fondern de3 Beutels beforgt, ein Menſch 
ohne @otteseifer, ohne Treue, unberfchämt, ein waghalfiger 
Zotterbube (lotre). Andere Zeitgenofjen weichen im Urteil 
nicht jehr ab, jo daß Palacky nicht Unrecht haben dürfte, wenn 
er feine „Nichtswürdigfeit” jo groß bezeichnet, „wie man ihres 
Gleichen nur felten in der böhmiſchen Geichichte findet”. 


Der Niedergang bes Königreiches. 14711526. 171 


Ein geiſtliches Oberhaupt dieſer Art konnte die politiſche 
Partei, die ſich ſeiner Führung überließ oder auch nur mit ihm 
gemeinſame Sache machte, leicht zu ſchwerem Schaden bringen, 
den Stadtprimator Hlawſa, den Oberſtburggrafen Johann 
von Wartemberg und den Statthalter Fürſt Karl von Müniter- 
berg, die alle in dem Rufe ftanden, der lutheriſchen Richtung 
zum mindeften wohlgefinnt zu fein. Schon bei der Ratswahl 
in Prag im März 15M, ein Jahr nad) Ludwigs Abreife, 
gelang es den vereinigten Katholifen und, wie fie Quther 
nennt, den lauen Utraquiften, Hlawſa und feinen Anhang 
zu ftürgen und Paſchek von neuem an die Spike des Stabt- 
regiments zu bringen. Sofort feßte nun der Kampf gegen 
das Luthertum in Prag ein. Und der erfte, der feinen Mantel 
nach dem Winde drehte, mar Gallus Cahera, der ſcheinbar 
getreuefte Lutherjünger. Auch Luthers Eingreifen blieb jetzt 
erfolglos; er konnte nur nod) feinem Unmut über den Verrat, 
der an feiner Sache verübt worden, in heftigen Worten Aus- 
drud geben; „Gallus, das Scheufal der Böhmen; Gott zertrete 
feine Abfichten, der mit ung fo fein Spiel getrieben,” fchreibt 
er am 22. Sebruar 1525. 

Dem Umfturz im Rathaus waren wenige Monate fpäter, 
im Auguft 1524, ernfte Unruhen in der Hauptſtadt gefolgt, 
die den neuen Machthabern den erwünſchten Anlaß gaben, 
fi) der Gegner zu entledigen: Iutherifch gefinnte Geiſtliche und 
Deutſche (Alemanni), die früheren Ratsherren, darunter auch 
Hlawſa, und ihre Anhänger aus der Stadt außzumeifen; 
andere gingen bon felber. Katholifen und gemäßigte Utra- 
quiften behaupteten das Feld. „Niemals“, ſchreibt damals ein 
Tatholifcher Geiſtlicher,“ „war eine jo große Eintracht zwiſchen 
ung und den Utraquiften (Calixtinos), wie jegt; wenn. ber 
König ein Mann wäre, jet könnte er etwas zuftande bringen. 
Veißende Spottlieder gehen um gegen Pikarden und Quthe- 
raner, bejonder8 gegen gewiſſe hohe Herren der Regierung 
und einige angefehene Prager Bürger . . .”. 

Der König, beziehungsweife feine Ratgeber am ungarifchen 
Sofe ließen fid) denn auch geivinnen, in dem Glauben, daß 
alles nur um der Erhaltung. des Fatholiichen Glaubens willen 


173 Vierter Abſchnitt. 





geihehe, umfomehr, als aud) der Papit Klemens "VII. und 
König Sigmund von Polen ihre Zufriedenheit mit der Wand- 
lung der Dinge in Prag König Ludwig offen ausſprachen. 
Auf dem Landtag, der in Prag vom 25. Januar bis zum 
10. Februar 1525 tagte, wurde Leo von Roſental in dag Amt 
eines Oberftburggrafen, das er vor kaum zwei Jahren hatte 
aufgeben müffen, wieder eingefegt, mit ihm einige andere 
Barone feiner Richtung in ihre früheren Würden und GStel- 
lungen, Karl von Münfterberg behielt zwar die Statthalter- 
ſchaft, aber nur mehr dem Namen nad, unumfchräntter Herr 
und Gebieter in Böhmen war wieder der „Löwe“, den das 
ganze Land nicht zu fättigen vermochte und der gerade jekt 
in einen ſchweren Erbicdaftsitreit mit dem Kaufe Rofenberg 
beriwidelt war, der ihm die Perlen dieſer Herrichaft verichaffen 
follte: Krumau, Prachatitz u. a, Die Zuftände, wie fie vor dem 
März 1523 geherrſcht hatten, die allgemeine Zwietracht, der 
Bruderfrieg lebten von neuem auf. Damals ſchrieb ein ein- 
facher Prager Bürger, ein biederer Leinwandhändler, Bartho- 
lomäug bon St. Egid, die Beitereigniffe, wie er fie in jeiner 
Vaterſtadt miterlebte, nieder unter dem begeichnenden Titel: 
„Die Erhebung der einen wider die anderen in ber Stadt 
Prag“. Er entfchuldigte fich in der Vorrede beim Leſer, daß 
er über Dinge rede, die eg mehr berdienten berladjt als ge- 
würdigt zu werden (irrisione magis quam aestimatione digna 
sunt). 

Das gegen Luthertum und Pikarden (böhmifche Brüder) 
geichloffene Bündnis zwiſchen Katholiken (Leo von Rofental) 
und Utraquiften (Cahera) follte gleichſam feine Weihe finden 
durch eine endgültige „Glaubengeinigung”, über die auf dem 
legten Landtag ernite Vorverhandlungen geführt worden waren. 
Und fo ausfidytsreich ſchienen diesmal die vorläufigen Ergeb- 
niffe, daß der päpftliche Legat von Ofen aus am 11, Februar 
jubelnd nad) Nom berichtete: „Heute, eben in diefer Stunde, 
erhalte ich die erwünſchte Nachricht von der Nüdfehr der 
Böhmen in den Schoß der Mutterfirche und zum römiſchen 
Stuhl... .”. Es bedurfte fcheinbar nurmehr der Genehmigung 
durch den König und den Legaten im Namen des Papftes, Zu 


Der Niedergang des Königreiches. 1471-1526. 173 





diefem Zwecke begab fich eine ftattliche Ahordnung, der Rofen- 
tal, Cahera und Paſchek angehörten, im Mai 1524 nad) Ofen. 
‚Hier ftellte ſich aber fehr bald heraus, daß fie keineswegs, wie 
fie borgaben, im Namen des ganzen Landes oder au nur 
der geſamten Stände aufzutreten und zu verhandeln bereditigt 
waren. Zahlreiche Eingaben und Warnungen liefen aus Böh- 
men am föniglichen Hofe ein, die Einblid gewährten in die 
völlig verſtrickten politiſchen und kirchlichen Verhältniſſe des 
Landes. Der Kardinal überzeugte ſich, wie er am 26. Mai 
nad) Rom ſchrieb, daß fie nicht von Eifer für. den Glauben, 
nit von hriftlicher Liebe, fondern von Parteihaß, Leiden- 
{haft und Gewinnſucht getrieben würden, weil fie fürdten, 
durd) die Macht der Pikarden erdrüdt zu werden. Dazu Fam, 
daß einige der Verbannten mit dem Erprimator Hlawſa an 
der Spite trog aller Gefahren, die ihnen drohten, den Weg 
zum König nad Ofen fanden und ihn von dem ungeredjten 
und gemwaltfamen Xreiben ihrer Gegner unterrichten konnten. 
Daran fcheiterten die Einigungsbeftrebungen und als ſich noch 
Gerüchte verbreiteten, daß in Böhmen Bauernunruhen aus- 
gebrochen ſeien, da3 Volk in Prag fich auflehne, der gegnerifche 
Adel fi) in manchen Kreiſen fammle, eilten die Abgeordneten 
raſcheſt in die Heimat zurück (Juni 1525). 

Der arme, ſchlechtberatene König Ludwig, der zu gleicher 
Zeit mit dem ungarifhen Adel in ſchwerem Streite ftand, 
dem ein furdtbarer Türfenfrieg unmittelbar drohte, konnte 
in die böhmifchen Wirren nicht ander eingreifen, als daß 
er immer wieder beide Parteien zu Mäßigung und fried- 
lichem Ausgleich um des allgemeinen Beften willen mahnte. 
Aber die Machthaber Fümmerten fich nicht darum; auch wenn 
der König einen vollen Wagen folder Briefe jchiete und wenn 
fie mit Gold geſchrieben wären, würde man fid an fie nicht 
Balten, follen fie offen erflärt haben, 

In diefer wirren Beit mußte König Ludwig, weil der un- 
gariſche Adel e8 verlangte, jelber in den Kampf gegen die 
Türken ausziehen mit ungenügender Heeresmacht, bon Der- 
tat bedroht. Er verlor die Schlacht bei Mohatich am 29. Auguft 


174 Vierter Abſchnitt. 


1526 und büßte auf der Flucht durch Ertrinken i im Bade Czele 
bei Fünfkirchen fein junges Leben ein. 

Mit ihm erlojch das polniſche Königsgefchlecht im Mannes- 
ftamme, deifen mehr als hHalbhundertjährige Herrſchaft in 
Böhmen (jeit 1471) dem Lande zum größten Verderben ge- 
reicht hatte, da alle Stände und Schichten des Volkes litten, 
mit alleiniger Ausnahme des hohen Adels. Eines Adels, von 
dem ein erniter tſchechiſcher Geſchichtsforſcher urteilt, daß es 
ein patriotif_her Irrtum wäre zu glauben, er ſei beſſer und 
ehrbarer geweſen als in allen übrigen Ländern troß einzelner 
Ausnahmen; fein Grundzug ſei Ausichweifung, Schwelgerei 
und Gittenlofigfeit." Nur die Ohnmacht der übrigen Stände, 
hervorgerufen durch die Huſſitenkämpfe, Hatte ihm diefes 
Übergewicht verichafft. Immerhin: der Höhepunkt war mit dem 
Ende der ſchwächlichen ziellofen Serrichaft der beiden pol- 
niſchen Könige erreicht. Der Kampf zwiſchen Königtum und 
Adel beginnt mit dem Jahre 1526. Das ift deilen Bedeutung 
für die innere Gefchichte Böhmens und Mährens. 





Fünfter Abſchnitt. 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutfchen 
Reformation. 1526— 1564. 


Dreimal im Verlaufe des 14. und 15. Jahrhunderts waren 
die Habsburger bereit3 zur böhmifchen Königsfrone gelangt, 
ohne fie behaupten zu fönnen. Nach dem Ausfterben der 
Premysliden hatte Albrecht I., der zweite Habsburger auf dent 
deutſchen Königsthron, Böhmen und Mähren als dem Reiche 
beimgefallene Lehen in Znaim am 18. Sanuar 1307 feinem 
erftgeborenen Sohn Rudolf und defien Brüdern zu gefamter 
Hand feierlichit übertragen. Der plögliche Tod Rudolf am 
4. Juli desfelben Jahres löſte das eben erft gefnüpfte Band. 
Das Iugemburgifche Gefchlecht verdrängte die Habsburger aus 
Böhmen und Mähren. Erft nad) dem Tode de letzten Qurem- 
burger Kaiſer Sigmund im Jahre 1437 übernahm deifen 
Schwiegerſohn, Herzog Albrecht von Sfterreich, zugleich auch 
ſchon deuticher König, das böhmiſche Erbe und behielt es, 
wenn auch nicht ohne Kampf, bis ang Ende feines Lebens, 
1439. Seinem nadjgeborenen Sohn Ladislam fiel e8 dann 
erſt nad; mancherlei Zwiſchenfällen im Jahre 1452 zu, doch 
war auch ihm nur eine kurze Herrſchaft beſchieden. Mit jeinem 
frühen Tode, Ende 1457, entſchwand den Habsburgern der 
mühfam wiedergeivonnene Beſitz bon neuem für mehr als 
ein halbes Jahrhundert. 

Viel verhängnisvoller als dieje zeitweiligen, wenn aud) 
langen Unterbredungen wäre e8 für die Anſprüche der Habs- 
burger auf das nachbarliche Königreich geweſen, wenn ſich die 
Nachricht betvahrheitet hätte, daß fie felber auf ihre GErbrechte 
in Böhmen verzicgteten. Auf einem Prager Landtag im 
September 1465 erklärte König Georg, um einer mit feiner 
Negierung und Verwaltung unzufriedenen Abelsfippe die 
Verdienſte, die er fi) um das Land erworben habe, darzutun: 
„Es ift befannt, daß diefe Krone gebunden war, ihre Könige 


176 Fünfter Abſchnitt. 





bon nürgendondersher zu nehmen, als aus dem Fürftentum 
Oſterreich; am diefem bindenden Vertrag hingen die Siegel 
vieler böhmiſcher Herren. Aber wir haben mit Gottes Hilfe 
der Krone die Freiheit erwirkt, daß die öfterreichifchen Fürſten 
dieſes Recht aufgegeben haben und entſagten, ſich jemals in 
Ewigkeit darauf zu beziehen, noch ſich darüber zu beklagen. 
Der Kaifer (Friedrich III.) hat es als öfterreidyiicher Herzog 
getan, und als römifcher König hat er es mit Majeftätsbrief 
beftätigt, fo daß ihr dabon bereit3 befreit feid; und wenn es 
feinen König gibt, muß derjenige König werden, den ihr dazu 
wählet, was ihr früher nicht hattet”. 

So beitimmt die Nachricht auch auftritt, ift e3 immerhin 
auffallend, daß fi) diefe Urkunden nidyt nur nicht erhalten 
Haben, fondern ſich auch fonft Feine Spur eines ſolchen 
Abkommens borfindet. Ein Bugeftändnis von jo außerordent- 
licher Wichtigkeit hätte Maier Sriedrih III. nur im 
Jahre 1462 machen Fönnen, als ihm König Georg, begleitet 
bon böhmifchern und mährifchem Adel, gegen die aufltändifchen 
Wiener und den Herzog Albrecht VI, Friedrich Bruder, 
Hilfe brachte. Allein den Dank, den der Kaiſer gerade für 
diefe Unterftügung in Form bon Gnadengaben (gratiae) 
abftattete, kennen wir aus den zwei großen Privilegien vom 
7. und 21, Dezember 1462, in denen aber von einem ſolchen 
Verzicht für ſich, geſchweige für das gange öſterreichiſche Haus, 
au dem er gar nicht beredjtigt war, nichts enthalten ift.” Die 
Anſprüche der Habsburger auf die böhmifchen Ränder waren 
mittlerweile auf anderer Grundlage bon neuem erwachſen. 
Schon der 1471 zum König von Böhmen gewählte Jagellone 
Wladislaw hatte eine Mutter aus habsburgiſchem Gejchlecht, 
Elifabeth, die Schweſter des böhmiſchen Königs Ladislaw, die 
Gemahlin König Kafimirs von Polen. Wichtiger war, dab 
Wladislaws Tochter Anna, geboren 1505, trogdem ihr ſchon 
im folgenden Sahre ein Thronerbe nachfolgte, Erbrechte auf 
Böhmen berbrieft befaß. Während feines legten Aufenthaltes 
in Prag hatte Wladislaw am 11. Januar 1510 eine Urkunde 
außgeftellt, durch die für den Fall, als der Thronfolger 
Ludwig ohne eigene Nadjfommen ftürbe, Unna als „rechte 


Böhmen und Mähren im Zeitalter ber deutfchen Reformation. 177 





Erbin des Königreiches Böhmen“ gelte. Im Hinblid auf diefe 
Vereinbarung mit den Ständen wurde zugleich verfügt, dab 
Unna in diefem Sinne erzogen werden, ſich die tichechifche 
Sprache aneignen folle und zu ihrer Verlobung oder Ber- 
mählung die Buftimmung des „Königreiches“ eingeholt 
werden müffe, „weil fie darin... . erbt“.® 

Als König Ludwig am 29, Auguſt 1526 kinderlos ftarb, war 
fomit feine Schweſter Anna, die Enkelin einer Habsburgerin, 
ſchon nad dem Erbfolgegejeg von 1510, die einzig bered- 
tigte Nachfolgerin und mit ihr ihr Gemahl Erzherzog Terdi- 
nand I. von Öfterreid, deifen Eheichließung gewiß nicht ohne 
Willen der böhmiſchen Stände vor fi gegangen war.‘ Allein 
die höchſten königlichen Beamten, in eriter Linie Roſental, 
bielten fi) feineswegs an die letzten Abmachungen, erklärten 
vielmehr Böhmen als Wahlreich und die Mehrzahl der Stände 
ſchloß fi} ihrem Standpunkte an. Schrieb doch Rofental ſchon 
am 13. September an Adalbert von Pernftein nicht ohne einen 
bortwurfsbollen Unterton: „man höre, e8 wolle jemand in 
diefem Königreich früher König fein, ala er gewählt wäre.“ 
Und am folgenden Tag: „Wenn irgend jemand ohne unfern 
Willen König werden wollte, jo dürfen wir ung weder in diefer 
noch in anderer Hinſicht bon unferen Freiheiten abbringen 
laſſen, fondern es foll eine ordentliche Wahl ftattfinden, bis 
es an der Zeit fein wird.” 

Vom 8, bis 24. Oftober tagte denn aud) ein Zandtag,® der 
als feine wichtigite Aufgabe die Wahl eines neuen Landes- 
herrn auf Lebenszeit bezeichnete. Ein Anfallsrecht, das Anna 
und Ferdinand geltend machten und ſchon aus dem Privileg 
Kaiſer Friedrichs I. vom Jahre 1212 ableiteten,* wieſen die 
Stände mit dem Hinweis zurüd, daß Anna „abgefertigt und 
verheiratet und dadurch dieſes Anfalls verluftig gegangen 
ſei“. Anfallsberechtigt wäre nur ein männlicher oder weib- 
licher Nachkomme des letzten Königs, aljo Ludwigs geweſen, 
denn „Anfälle gehen nur nad) born und nicht zurück“. 

Ferdinand hat daraufhin zwar nicht auf fein und feiner 
Gemahlin Anfallsredjt Verzicht geleiftet, allein den wirklichen 
Kräfteverhältniffen Rechnung tragend ſich dem Standpunkt der 


Bretdols, Beld. VWöhmens u, Mahrens. II. 13 


178 Fünfter Abſchnitt. 





Böhmen, daß eine Wahl vorgenommen werden müffe, angepaßt. 
Seine Ausfichten fchienen anfangs wenig günftig, da ſich 
außer ihm fait ein Dutzend Bewerber gemeldet hatten: König 
Sigmund bon Polen, den Ferdinand für feinen ernfteften 
Gegner hielt, Kurfürft Johann von Sachfen, beziehungs- 
weiſe jein gleichnamiger Sohn, ferner Herzog Georg bon Sadj- 
fen, Zürft Friedrich von Viegnig, König Franz I. von Frank - 
reich, der den Habsburgern überall, wo er Zonnte, entgegen- 
trat, die beiden heimiſchen Barone Leo bon Nofental und 
Adalbert von Pernitein, jhlieklih die Herzöge Ludwig und 
Wilhelm von Bayern. Am Sonnabend den 20. Oftober be- 
ftimmte der Landtag den engeren Wahlausſchuß, je acht Mit- 
glieder aus dem Herren- und Nitterftande, ſowie auß den 
königlichen Städten: Prag Altitadt, Neuftadt, Kleinſeite, 
Kuttenberg, Saaz, Tabor, Pilfen, Kaurim. Montag ließ ſich 
der Ausſchuß unter Aufhebung früherer Beichlüffe das Recht 
erteilen, den König endgültig zu wählen und nur noch 
zwiſchen den beiden bayrifchen Serzogen und Ferdinand die 
engere Wahl zu treffen; Dienstag erfolgte die geheime Wahl, 
Mittwoch den 24. Oftober wurde fie öffentlich Fundgegeben. 
Einftimmig war bon den bierundzwanzig Ständebertretern 
Erzherzog Ferdinand zum König von Böhmen erwählt worden, 
Die Entſcheidung bedeutete eine Überraidiung, denn allgemein 
hatte man geglaubt, daß einer der beiden bayriſchen Brüder 
die Mehrzahl der Stimmen auf fi) vereinigen würde. 
Ferdinand, geboren am 10. März 1508 im fpanifchen Städt- 
Ken Alcala de Henarez, zählte damals erft dreiundzwanzig 
Jahre. Den Vater, Kaifer Maximilians I. Sohn Philipp den 
Schönen, Serzog von Burgund, hatte er 1506 durd) den Tod 
verloren, die Mutter Johanna verfiel alsbald in Xrübfinn. 
Die älteren Geſchwiſter Eleonore, Karl, Iſabella lebten in 
Slandern. Seine Erziehung übernahm der mütterliche Groß- 
vater, König Ferdinand von Spanien, nad) dem er den Namen 
trug, mit dem er auch im ganzen Weſen viel Ähnlichkeit hatte. 
Eine gefunde körperliche und geiftige Ausbildung wurde ihm 
zuteil. Nach dem Tode des Großbaters (8. Februar 1516) und 
nachdem der ältere Bruder Karl bie Regierung in Spanien 





Böhmen und Mähren im Zeitalter ber beutfchen Reformation. 179 


angetreten hatte, ging Ferdinand im Frühjahr 1518 als deſſen 
Stellvertreter in die Niederlande. Er war damit zufrieden: 
„mein Platz ift dort, mo es der Wille meineg Seren und 
Bruders ift“, fol fein offenes Bekenntnis gelautet haben, mit 
dem er von bornberein jeden Gedenken an Nebenbuhlerichaft 
bei dem mißtrauiſch beranlagten Karl zu befeitigen juchte. 
Der Tod des väterlichen Großvaters Marimilians I. am 
12. Januar 1519 machte Karl und Ferdinand gemäß Mari- 
milians legten Beitimmungen zu gemeinjomen Erben der 
öfterreichiihen Länder. Gegen eine ſolche Doppelberrichaft 
wehrten ſich nicht nur die öſterreichiſchen Stände; fie war 
auch bei der außerordentlich großen Macht Karls, der durch 
die Wahl am 28. Zuni 1519 in Frankfurt a. M. aud) deuticher 
Raifer geivorden war, in Wirklichkeit ſchwer durchführbar. 
Dazu Fam noch, dab Marimilian I. ſchon 1515 einen feiner 
beiden Enkel verpflichtet hatte, Anna von Ungarn und Böhmen 
au ehelichen, um die habsburgifchen Anſprüche auf dieje beiden 
Länder fiherzuftellen, Karl lag als fpanifchem König eine 
Verbindung mit der Tochter des Königs Manuel von Portu- 
gal näher; er mußte fomit die Sand Annas feinem Bruder 
Verdinand überlaffen. Und damit ergaben ſich bereits die 
Grundlinien für die Erbteilung zwiſchen den beiden Brüdern, 
wie fie dann auch durch zwei wichtige Familienverträge durch- 
geführt wurde. In Worms, woſelbſt Karl V. feinen eriten 
Reichstag als deutſcher Kaiſer abhielt, vereinbarte man am 
28. April 1521. daß Ferdinand als Gemahl Annas, welche 
Anſprüche auf die beiden Königreiche Böhmen und Ungarn 
mitbrachte, mit den fünf Serzogtümern Öfterreich ob und unter 
der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain außgeftattet werde. 
Als dann aber die Vermählung in Ling am 26. Mai desjelben 
Jahres vollaogen worden war, ſchloſſen Karl und Ferdinand 
auf einer perfönlichen Zufammenfunft in Brüffel am 30. Januar 
und 7, Februar 1522 einen neuen Vertrag, wonach Ferdinand 
alle öſterreichiſchen umd deutſchen Länder des Hauſes Habs- 
burg zu ausſchließlichem und vollem Erbrecht erhielt. Die 
Scheidung des habsburgiichen Geſchlechtes in eine ſpaniſch⸗ 
niederländifche und eine öfterreichtich-beutiche Tinte war hiemit 
12* 


180 Fünfter Abſchnitt. 





vollzogen. Durch die Ereigniffe des Jahres 1526 vermehrte 
diefe ihr Herrſchaftsgebiet nun auch noch um Ungarn und 
Böhmen mit deren Nebenländern. 

Berdinand war nad) der Schilderung des venezianiſchen 
Geſandten Contarini aus dem Sabre 1527 körperlich wenig 
anſehnlich: eher Klein, hager, blaß, eher häßlich, dabei aber 
fehr beweglich, ein guter Reiter, anmutiger Fechter im Tur- 
nier, tüchtiger Säger und ein Freund von ſchwerem und leic- 
tem Geſchütz, darin er fi) beitändig übe, Er jagt bon ihm 
weiter, dab er weit mehr Erfahrung in den Angelegenheiten 
der Welt zeige, ald man fie in feinem Alter von 24 Jahren 
zu befigen pflege und daß er ein Menſch von bollendetem Ber- 
ftande ſei. Als Schattenfeiten führt er an: feinen Stolz, 
Ehrgeiz, feine Gier nad) großen Taten, feine feindliche Ge- 
finnung gegen den Dogen und die benezianifche Republik, 
To daß er ihn kurzweg ald „einen ganz ſchlechten Menichen 
(miserissimo)“ bezeicdinen zu müſſen glaubt. Wenn er angibt, 
dab Ferdinand damals franzöfifch, engliich, ſpaniſch, ober- und 
niederdeutich, italieniſch und lateiniſch „vollfommen“ gefprochen 
babe, fo ſcheint er ſchlecht unterrichtet gewefen zu fein, denn 
noch 1547 erflärte Ferdinand felber, daß er nicht einmal in der 
lateinifchen und deutſchen Sprache „jo perfect und volkumlich 
beredt“ fei, als in feiner „angeborenen Zungen“ (fpaniich). 
Seine Teilnahme am geiftigen Leben feiner Zeit beweift die 
Tatſache, daß er während feines Aufenthaltes in Brüſſel 
(1518—1521) an dem perjönlichen Verkehr mit Erasmus von 
Rotterdam Gefallen fand und deiien Schriften Tas. 

Was aber aus Contarinis und anderer Schilderung nicht 
berborgeht, ift Ferdinands Feſtigkeit und Klarheit im Wollen, 
Beitändigkeit und Entſchloſſenheit im Handeln; feine un 
bedingte. Treue gegenüber feinem Bruder, fein in der Yürften- 
geſchichte jener Zeit wohl einzig baftehendes Verhältnis zu 
feiner Frau aud) über ihren Tod hinaus — er hat fie um fieb- 
sehn Jahre überlebt — bis an fein eigene Ende, Auch war 
er von einem tiefen Rechtsbewußtſein erfüllt: fein Wahlſpruch 
Iautete: „Fiat iustitie, pereat mundus, das Recht muß feinen 
Gang haben und follt die Welt darüber zu Grund gehen“, 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutſchen Reformation. 181 





Es verfteht ſich faft von felbft, daß ein folder Menfc nicht nur 
tief religiös war — das brachte ſchon feine Erziehung am 
ſpaniſchen Hofe, bei feinem Großvater, der den Titel eines 
„rex catholicus, tatholiſcher König“ führte, mit ſich — er ließ 
ſich auch von feinem Glauben nicht abbringen, in einer Zeit, 
da der Abfall bei hoch und niedrig faft allgemein war. 

Mit eimer ſolchen Perfönlichkeit von fürftlihem Gelbft- 
bewußtfein und Serricherfreft befamen e8 nun die alten 
böhmifchen Machthaber zu tun, die an dag willenlofe Regiment 
eines Wladislaw, des Königs „Gut, gut”, und Ludwig, „des 
milden Zämmleins“, gewöhnt waren. In einem Nürnberger 
Briefe unmittelbar nach Ferdinands Wahl zum König bon 
Böhmen heißt es: „Ob, ich gan (gönne) e8 den ſtolzen pehami- 
ſchen Herten wohl, daß der Herzog Ferdinandus ihr Kunig 
ift worden; ohne Zweifel wird er fie nit lafien aljo mit ihm 
umbgehn, wie fie wollen, als fie den zweien Kunig nad 
einander haben getan; fie haben mohl zu ihnen geſprochen: Du 
pift unfer Kunig, wir fein deine Serren .. . Ich hoff, e8 werd 
ig nit alfo fein; es künt ja fein peffer ermählt fein, da fie 
Forcht auf ihn müſſen haben, denn er hat den Naditrud . . .”. 

Der hohe böhmiſche Adel, diefe reichen und mächtigen 
Rofental, Bernitein, Rofenberg, Schellenberg, Duba, Neuhaus, 
Sternberg, Pflug, Wartemberg, Schwamberg — Ritterſchaft 
und Bürger kamen faum in Betracht — hatten Ferdinand 
bon Öfterreich gewählt und ihn allen anderen Bewerbern bor- 
gezogen, in der Erfenntnis, dab er nicht nur am eheften die 
Gefahren, die Böhmen von außen her drohten, abiwehren 
könne, fondern aud) reich genug fei, um die vielen Schuld- 
verſchreibungen der letzten beiden Könige einzulöfen; „das 
wahrlich ein große mädjtige Summe machen wird; fein teuticher 
Zürft vermöcht es mit nichte nicht“, jchreibt ein Zeitgenoſſe. 
Dann aber handelte es fid) ihnen um eine Reihe anderer For- 
derungen politiſcher und religiöfer Art, die fie von einem 
Wahlfönig unſchwer zu erlangen hofften. AI das war während 
de3 Sandtags vereinbart und in einer Anzahl von Artikeln 
aufammengeftellt worden, die in die Landtafel eingetragen 
wurden, gleichſam als grundbücerliche Vormerkung vermeint- 


183 Fünfter Abſchnitt. 





licher Rechte. Um fie nun beim König geltend zu machen, 
begab ſich eine große ſtändiſche Gefandtichaft nad) Wien, die 
dort vom 1. biß 15. Dezember weilte und die Verhandlungen 
mit Ferdinand und deſſen Räten führte. Allein der König, 
der die Grſchienenen glänzend empfing und beivirtete, lehnte 
die ihm vorgelegte Wahlkapituletion — wie man einen ähn- 
lihen Vorgang im deutſchen Reich vor der Krönung des 
gewählten deutichen Königs nannte — in der von den Böhmen 
gewünſchten Form ab, Er fekte ſich nicht Punkt für Punkt 
mit ihnen auseinander, fondern gab nur eine allgemeine Zu- 
ftimmung und verſchob die Enticheidung auf die Zeit, da er 
zur Krönung in Prag fein werde. Es müßten, meinte er, auch 
einige Artikel, die ihm „etwas beſchwerlich und daran dem 
Königreich nicht jonderlich gelegen, aud) wider ihre Freiheiten 
nit wären, berbeifert werden“, 

Schon am 21. Ianuar 1527 wurde die überaus prunfoolle 
Krönungsfahrt von Wien aus angetreten. Sie führte über 
Znaim nad) Iglau, in defien Nähe am 30. Januar die 
böhmiſch · mãhriſche Grenze überjchritten wurde. Noch bis in 
unſere Tage zeigte ein fteinernes Denkmal mit Imfchrift die 
Stelle, an der bie erfte Begrüßung des neuen Königs durch 
die böhmiſchen Stände ftattfand. Am 5. Februar langte der 
Niefenzug mit 3381 Roffen und zahlreichen Wagen in Prag an. 
Am 24. und DS. Februar erfolgte die feierliche Krönung zuerſt 
des Königs, dann der Königin in der Gt. Veitskirche durch 
die drei katholiſchen Biſchöfe Stanislaus von Olmüg, Jakob 
von Breslau und Bernhard von Trient, in Anweſenheit zahl- 
reicher Fürften aus dem Neid; oder ihrer Gejandten, auch 
folder des Papſtes Klemens VII, Kaifer Karls V., König 
Heinrichs VIII. von England, vieler Großen aus Spanien, 
den Niederlanden, Burgund, Brabant, Oſterreich, Tirol, 
Würtemberg und den übrigen habsburgiſchen Ländern, aus 
Ungarn und vor allem aus Böhmen. Prag begann wieder die 
Aufmerkjamkeit der Welt auf ſich au Ienfen, da der Bruder 
des Kaiſers deſſen Fürſt und Herr war. Feſtlichkeiten wurden 
beranftaltet, „dergleichen dieweil Prag geſtanden nie gefehen 
worden“. Ihnen parallel liefen die in Wien abgebrodhenen 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Neformation. 188 





Verhandlungen zwiſchen den Ständen und dem König. Über 
bie legten ſtrittigen Forderungen wurde endlich am 2. März 
eine Vereinbarung im Landtag in folgender Form beſchloſſen 
und in die Landtafel eingetragen: 1. Ein volljähriger Sohn 
Tann aud) ſchon bei Lebzeiten des regierenden Königs ala 
deſſen Nachfolger gefrönt werden; 2. bei der Abfegung untaug- 
lier Beamten ift der König nur an den Nat, nicht an den 
Willen und die Entiheidung der übrigen Beamtenſchaft 
gebunden. 

Es war ein allererfter leiſer Verſuch, in Böhmen die Iandes- 
fürftlie Macht zu ftärfen und die der Stände ein wenig ein- 
aufchränfen. In Mähren, wo Ferdinand auf Grund des Erb- 
rechtes feiner Gemahlin ohne Wahl und lange Verhandlungen 
fofort als Marfgraf anerkannt worden war, hatte er mit ähn- 
lichen Plänen, ebenfo wie in Schlefien und der Lauſitz, nod) 
weniger Erfolg,” bejonders auch, da die Zeit nicht hinreichte, 
folde Fragen gründlicher in Angriff zu nehmen. Schrieb doch 
der König nod) am 14. März aus Prag an feinen Faiferlichen 
Bruder: „Sch beeile mich jo jehr als möglich die Angelegen- 
heiten dieſes Qandes ins reine zu bringen; fie find fo übergroß 
und verworren, dab es kaum zu glauben ift.” Noch im felben 
Monat, 29. März, mußte er aber Prag und Böhmen verlaſſen, 
um borerft die Negierung in den übrigen SKronländern, 
Mähren, Schlefien, Laufik, zu übernehmen. Dann fehrte er 
für Zurze Zeit, vom 26. Mai bis 6. Juni, nad) Prag zurüd, 
weilte dort aud) im Winter 1538 einige Wochen,’ allein zu 
einer politifch wichtigeren Maßregel entſchloß er ſich nicht. 
Dazu waren aud) die allgemeinen Verhältniffe nicht genug 
geklärt; er mußte das Adelsregiment mit Leo von Rofental 
an ber Spige vorläufig noch ſchalten laffen. Ferdinand war 
ein viel zu guter Politiker, um nicht zu wiſſen, daß die Ent- 
wigflung der Dinge in Böhmen weit mehr abhängig fei bon 
der Geitaltung der Verhältnifie in der Welt, als daß umgekehrt 
eine hier gewaltfom herbeigeführte Wendung auf jene einen 
Einfluß haben Zönnte. Der bereits begonnene Wettfampf 
zwiſchen Spanien und Frankreich, der gerade im Jahre 1526 
eine entjeheidende Wendung genommen hatte, mußte in feiner 
weiteren Auswirkung abgeivartet werden. 


184 Fünfter Abſchnitt. 





Am 24. Februar 1525 hatte der überwältigende Sieg der 
ſpaniſch · deutſchen Waffen bei Pabia das Geſchick Frankreichs 
gleichſam in die Hände Kaiſer Karls V. gelegt. Nicht nur, daß 
diefer den in feine Gefangenſchaft geratenen König Franz I. 
awang, auf alle frangöfiihen Anſprüche in Italien zu ber- 
sichten, auch Frankreich follte fo geſchwächt werden, dab es 
für Spaniens weitere Pläne in Europa feine ernfte Bedeutung 
mehr gehabt Hätte. Aber gegen diefe Gefahr einer ſpaniſchen 
Übermacht bildete ſich ſchon am 22. Mai 1526 die „heilige Liga 
von Cognac”, ein Bund Frankreich, Englands, ganz Ober- 
italien unter dem Schutze und der Mitwirkung des Papites 
Klemens VII., der damit feine langjährige Freundſchaft zu 
Spanien, auf die der Kaiſer mit Beitimmtheit redjmete, brad). 
Und im Sintergrumde diefer getvaltigen Verbindung gegen das 
Haus Habsburg ſtand noch der türkiſche Sultan Soliman der 
Große, der im Frühjahr 1526, als er gegen Ungarn heranzog, 
dem jungen König Ludwig I., dem Schwager Karls V. und 
Ferdinands I, hatte melden laſſen: er werde zuerſt deſſen 
Rand erobern, dann aber die Deutfchen heimfuchen, „gleich 
wie Dich und ſchwerer als Dich“. 

Allein die Habsburger blieben Sieger auf der ganzen Linie. 
Der verhängnispolle, „Sacco di Roma” am 16, Mai 1527, 
eine furdtbare Plünderung der heiligen Stadt und des 
Kirchenſtaates durch das Heer Karls V., brachte zuerſt den 
Papit in die Gewalt des Naifers; der Damenfriede bon 
Cambrai am 5. Auguft 1529 zwang den franzöfifchen König 
die Waffen niederzulegen; England und Oberitalien hatten 
fi ſchon früher mit dem Kaiſer verftändigt, und ſchließlich 
hatte Soliman die Belagerung Wiens nad) dreiwöchiger Dauer 
(22, Sept. bis 15. Oft.) als erfolglos aufgeben und anftatt 
nach Deutſchland weiterzuziehen, den Rückzug amtreten müffen. 

Solde Zeiten, da ſich alle Aufmerkſamkeit Karls und 
Ferdinands auf die Weltpolitif richtete, waren nidjt geeignet, 
an die berivorrene böhmiſche Frage heranzutreten, Allerdings 
mußte es fid) Ferdinand gefallen laſſen, daß fein Anhang in 
Böhmen, der ein kräftiges Eingreifen von feiten des neuen 
Königs erwartet hatte, von feiner Zurüdhaltung einigermaßen 


Köhmen und Mähren im Zeitalter ber beutichen Reformation. 185 





enttäuft wurde: dat man ihm als böhmiſchen König nicht 
begriff, weil man die Rolle, die er als Habsburger zu fpielen 
ſich verpflichtet fühlte, nicht zu beurteilen vermochte. Wir 
erkennen diefe feindfelige Stimmung aus einem Schreiben, 
das einer der angejeheniten böhmiſchen Adligen, Adam von 
Neuhaus, Oberſtkanzler des Königreiches, Ende 1529 an Ser- 
dinand richtete. Die Offenheit, mit der er ſpricht und die 
Vorwürfe, die er erhebt, überraſchen. Er erinnert an die Rat- 
ſchläge, die er Ferdinand gleich bei deſſen „Annahme“ als 
König gegeben habe. „Was die Urſache ift, daß Eure Majeſtät 
es ſich nicht angelegen fein laſſen, die Fönigliche Macht aus- 
zuüben, verftehe ich nicht; umfotveniger, weil ich weiß, dab 
der allmädjtige Gott €. M. mit befonderer Klugheit begabt 
bat, und nach dem Worte des Propheten dem Menſchen die 
Vernunft gegeben ift, um ſich ihrer zu jeinem Nuten zu 
bedienen“. Er wiſſe wohl, daß Ferdinand wiederholt erklärt 
babe, den geeigneten Zeitpunkt abivarten zu wollen; aber nad) 
feiner und feiner Freunde Anſicht habe Ferdinand die beiten 
Gelegenheiten wiederholt ungenüßt vorüber gehen lafien, zum 
Leid und Ärger aller, die ihm aus aufrichtigem Herzen alles 
Gute wünfchen und noch immer hoffen, er werde ihnen aus 
ihren vielen Bedrängnifien zur gerechten Befreiung verhelfen, 
da doch nad) allgemeiner Überzeugung Gerechtigkeit der Grund- 
zug feines Weſens fei. Allerdings wären ſchon viele des über- 
langen Warten müde, fühlten ji) enttäufcht und verlaffen... 
Und nun gibt er ihm eine genaue Schilderung der Stimmung, 
die gegen ihn im böhmifchen Adel herriche, wie es ſich während 
de3 legten Landtages Klar gezeigt habe, und mahnt ihn fo bald 
als möglid) ins Land zu kommen. Denn, jo ſchließt er, aus 
einem weiteren Zaudern und diefer gewiſſen Nachlicht Fer - 
dinands müßte ſchließlich auch er fiir ſich felber die nottvendigen 
Folgerungen ziehen, müßte dem König alle feine Verbindlich- 
teiten auffagen und fich, mern aud) ungern, gleich den andern, 
die es bereit3 getan, nur noch darum befümmern, wie er fi 
felber am meilten nüßen könne; Ferdinand dürfte aber daraus 
niemandem gerechteriveife einen Vorwurf machen, fondern 
nur fi felber , . ? 


186 Fünfter Abſchnitt. 





Wie begründet diefe Mahnungen waren, erfennt man aus 
anderen Korreſpondenzen, die auf Verhandlungen zwiſchen 
böhmifchen Adligen und Johann Zapolya, dem Gegenfönig 
Berdinands I. in Ungarn, dem Verbündeten Frankreichs und 
anberer Feinde des Haufes Habsburg, fchließen laffen und 
wie e8 einmal heißt, den Zweck hatten, „dieſes jüdiſch Geſchlecht 
au bertreiben, welidh® .... albeg (immer) begierig und ge- 
fliffen getvefen, das chriſtlich Pluet zu vergießen“. Bon diefen 
Umtrieben wußte auch Ferdinand, denn am 28. Januar 1530 
ſchrieb er dem Kaiſer: „Neulich ſchrieb ich Ihnen, in welchem 
Zuſtand die Angelegerheiten diejes Königreiches find, und 
über die üblen Praftifen, die einige der hödjiten Beamten 
(prineipals) dieſes Königreicieg mit dem Woiwoden gegen 
mid) haben ... Sch Hoffe Mittel zu finden, dem ein Ende 
zu machen und mich von diefen Leuten zu befreien; denn fo 
lange fie die Herrſchaft innehaben, werde ich mir feinen Ge- 
horſam verſchaffen und wird auch die Gerechtigkeit in diefem 
Rande nicht aufrecht erhalten werden Tünnen,!° 

Der Rücktritt Leos bon Roſental von dem einflußreichen 
Amte eines Prager Oberften Burghauptmanns, das er mit 
der Zurzen Unterbrechung von 1523—158 feit dem Jahre 
1507 inne gehabt hatte, am 11. März 1530, worauf e8 Johann 
bon Wartemberg übernahm, dürfte wohl damit zufammen- 
hängen; ebenjo die Einziehung der Burg Grüneberg bon 
Albrecht von Sternberg im Jahre 1529 und die ſchwere Anklage 
gegen den Prager Stadtprimator Paſchek von Wrat auf Hoch- 
berrat, weil er fi) „einen anderen Serren und König auß- 
wählte und als Seren nahm“, im April 1580. Selbit in der 
Fremde urteilte man, dab Ferdinand endlich mit Strenge vor. 
zugehen entidjloffen fei; ſchrieb doch Herzog Ludwig von Bayern 
damals an feinen Bruder Wilhelm: „In jumma, Du wirft 
Wunder noch fehen, was der Kunig (Ferdinand) ihn (den 
Böhmen) taglich fur und fur ain Pangett (Bankett) auf das 
andere ſchenken wird. Es geſchieht ihn eben recht. Jetzt wiſſen 
fie erſt, daß fie ein Kunig haben.“un 

Eine ebenſo wichtige Rolle wie die politiſchen ſpielten 
die religiöſen Schwierigkeiten. Sie waren in Böhmen 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutſchen Reformation. 187 





infolange nit au löſen, als nicht im Neid die jchid- 
ſalsſchwere Frage, die ſich an den Namen Luthers 
Tnüpfte, geflärt und entidjieden mar. Xutheraner gab 
es aud in Böhmen. Wir wiſſen, melde Ausbreitung 
fie ſchon unter König Ludwig geivonnen und weldyen Ein- 
Fluß fie auf Utraquilten und Brüdertum genommen hatten. 
Ferdinand hat im erften Sahrzehnt feiner Regierung nichts ge- 
tan und auch kaum etwas tun können, um die natürliche Ent- 
widlung zu hemmen. Die Vorgänge auf den beiden Reichs - 
tagen zu Speier im Frühjahr 1529 und zu Augsburg im 
Suni 1580, auf welchem erſten ſich eine Fleine Zahl bon 
Sünden alg „Proteſtanten“ erklärten, um dann auf dem 
zweiten mit ihrem von Melandjthon ausgearbeiteten „Be- 
kenntnis“, der fogenannten Augsburger Konfeflion, herbor- 
autreten, wirkten geradezu ermunternd auf die Gleichgefinnten 
in Böhmen. Ein hoher Beamter in der Kanzlei Ferdinands J. 
Kaſpat Urticello, verſicherte dem päpftlichen Nuntius Kar- 
dinal MWeander: gerade nad) dem Augsburger Reichstag habe 
der Abfall vom Katholizismus in Böhmen großen Umfang 
angenommen, weil der Kaiſer dort den Proteſtanten nur 
gedroht, den fchroffen Worten aber feine Taten habe folgen 
laſſen. 

Es gibt in den Quellen keine genauen Berechnungen über 
die Ausbreitung des Luthertums in Böhmen oder Mähren 
in Ferdinands I, Regierungszeit, ſondern nur gang allgemeine 
Angoben. Auch nannten fid) die Anhänger vielfach, nicht Tuthe- 
raner oder Proteftanten, jondern befannten fid) weiter zum 
Utraquismus, fo daß man eigentlich nur von „Iutherifierenden“ 
Böhmen ſprechen kann. Eine Ausnahme bildete der an Sachſen 
grenzende Nordiveiten, vor allem die Herrichaften der Grafen 
Schlick mit den Hauptfigen Falkenau, Elbogen, Schladenwert 
und der 1516 gegründeten Bergſtadt Joachimstal, die durch 
ihre neu erihloffenen Schätze an Gold, Silber und anderen 
Metallen binnen furzger Zeit fo überaus reich und mächtig 
geworden war. Sebaftian Graf Schlick (1496—1527) hatte ſchon 
1523 für feine Untertanen in Elbogen eine Kirchenordnung 
in lutheriſchem Geifte eingeführt, wofür ihm Luther ſelbſt mit 


188 Fünfter Abſchnitt. 





dem Titel „der allerchriftlichite Laie” dankte, und lutheriſch 
gefinnte Prediger eingefeßt. Dem Grafen Wolf von Schlid 
auf Falkenau widmete Luther feine Schrift „Wider die Sab- 
bather und Mamelufen“, und auch anderer Glieder des Hauſes 
gedenkt er ehrenvoll in feinen Briefen und Schriften. Der 
ftreng katholiſche Herzog Georg von Sachſen, der mit den 
Grafen Schlick in geihäftlichen Beziehungen ftand, hält ihnen 
in einem Schreiben vom 21. März 154 vor, daß fie in ihren 
Herrſchaften mit ihren Untertanen „der neuen lutteriſchen 
Sekt und Lehre feitiglih anhangen”, Durch verwandtſchaft · 
liche Bande wurden dann Mitglieder anderer böhmiſcher Adels- 
familien, Schwamberg, Guttenftein, Pflug von Rabitein u. a., 
in diefe Richtung bineingezogen. Aber aud) in den Geſchlech- 
tern Waldftein, Wartemberg, Pernſtein, Zlutitzky von Wride- 
ſowitz, Malowetz von Chinow fanden ſich vereinzelt Anhänger. 
Nicht minder entſchieden wie die Schlics traten für das Quther- 
tum ein die aus Sachſen ftammenden Sealhaufen, die die 
großen Herrſchaften Tetſchen, Böhmiſch-Kamnitz, Benſen, 
Sandau beſaßen, dann die Biberſtein in Friedland und Um- 
gebung. Wohl der ganze Nordrand Böhmens von Eger bis 
Trautenau ift das Einbruchsgebiet, von wo dann die Fort« 
pflanzung ing Innere des Landes ausging, in dem fich diesmal 
im Gegenfaß zur Ausbreitung der huſſitiſchen Lehre die Städte 
befonder8 empfänglich zeigten. In Trautenau wurden 1526 
die erſten Iutherifchen Bücher eingeführt, In Kuttenberg und 
Kolin finden fid) Anzeichen von Luthertum zu Beginn der 
dreißiger Jahre. Den utraquiftifhen Pfarrer Johann in 
Deutichbrod, das zur Herrſchaft der Herren von Lippa gehörte, 
begichtigte der Amtsgenoffe Simon von Habern, daß ihm 
„jener unfelige Zuther“ mehr gelte als alle heiligen Doktoren, 
„was übrigens bei vielen weltlichen und geiftlichen Perſonen 
in Böhmen bereitS der Fall fei”. Die Aufliger Ratsherren 
vermahnte König Ferdinand 1585, „folde neue und früher 
nicht beflandene Geften nicht zu dulden“. In Leitmerig, wid 
1536 der katholiſche Dekan einem lutheriſchen Geiftlichen 
Wenzel Schidlo, den allerdings zwei Jahre fpäter der König 
verhaften und entfernen ließ. Über das Luthertum in Grau- 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutfchen Reformation. 189 





pen und Komotau beflagte ſich in Briefen aus dem Jahre 
1533 Leo von Roiental; in der königlichen Stadt Kaaden dem 
Sit des Malteferordens, beftand feit 1522 zwiſchen Katho- 
Iifen, die bier ftet3 vorgeherrſcht hatten, und Lutheranern mit 
utraquiftifcher Maske Zwietracht und Kampf. Im Jahre 1538 
follen von den Anfäfligen ſich nur noch 50 zum Katholizismus 
befannt haben. Ya felbit in Pilfen, diejer treueften katholiſchen 
Stadt im ganzen Königreich, Tonnten von Zeit zu Zeit Iuthe- 
riſche Prediger unter dem Bulauf und Beifall der Menge 
prodigen und nur mit Mühe von dort entfernt werden. Über 
Prog beißt e3 in einem Berichte von 1540 an den König: es 
gebe dort genug Prediger, die die Kalixtiner zu Lutheranern 
machen wollen, und wenn nicht im nädjiten Landtag etwas 
entfcheidendes geichehe, fei ganz Böhmen dem Luthertum ver- 
fallen und das Land dem Könige verfchloffen. 

Schon 1531, in dem Jahre, da Ferdinand am 5. Januar 
zum deutichen Könige gewählt wurde, follen die Katholiken 
fi vor Hm darüber beſchwert haben, daß ihnen die „Pro- 
teftanten” an die 150 Pfarreien entriffen hätten, Von den 
34 föniglicien Städten, die 1518 noch überwiegend katholiſch 
waren, follen bis in die dreißiger Jahre fünfzehn bereit zum 
Quihertum übergetreten, und in dem Jahrzehnt nad dem 
Augsburger Reichſstag von 1530 nad) dem Zeugnis des Fatho- 
liſchen Adminiſtrators Ernft von Schleinig Hundert und mehr 
katholiſche Pfarren teils ihrer Geiſtlichen beraubt morden, 
teils zu den Ralirtinern abgefallen fein, allerdings nur dem 
Nomen nad, um einen Gönner zu haben, in Wirklichkeit aber 
zu den Lutheranern.'* 

Dieſer Entwicklung ſah, wie wir aus allgemeinen An- 
deutungen erkennen, Ferdinand nicht müßig zu. Er ſtrebte vor 
allem darnach, die Konkordie, die Wiedervereinigung von 
Katholiken und Utraquiſten, durchzuſetzen, ein Gedanke, der 
feit Jahrzehnten, faſt ſeit dem Ausgang der Huſſitenkriege 
je nach der Lage der Dinge mehr oder weniger ernſt erwogen 
wurde. Ihm ſchien jett die Gefahr, die das ſtürmiſch vordrin- 
gende Luthertum fiir beide Religionsparteien, insbefondere 
aber für den Utraquismus bedeutete, neue Kraft zu 


190 Funfter Wſchnitt. 


verleihen. Der 1586 neu ernannte päpſtliche Nuntius am 
Hofe Ferdinands, Biihof Giovanni Morone,? erhielt als be- 
fondere Aufgabe die Durchführung dieſes Werkes, Er hielt 
fi) denn aud mit dem König, der vom 1. März bis Anfang 
September 1537 in Prag weilte, geraume Zeit dort auf, um 
die Verhältniffe aus eigener Ankhauung fennen zu lernen, 
kam aber zur Überzeugung, daß die Ausſichten jehr gering 
feien. Was ihn am meilten überrafchte, war die Wahrnehmung, 
daß die Utraquiften gefpalten waren und diejenigen, die einer 
Ausföhnung und Verfchmelzung mit der alten Kirche ſich zu- 
neigten, die Minderzahl bildeten. Die Iutherifch gefinnten 
Utraquiften ftellten aber Bedingungen, die bon den Katho- 
Iifen nidjt angenommen werden fonnten. Ferdinand erklärte 
damals diefe Verhandlungen für ausſichtslos, bevor nicht mit 
den Zutheranern im Reich eine Einigung erzielt wäre, Dem 
Beiſpiel jener würden die Böhmen leichter folgen, „benn man 
alte die Zutheraner für gelehrter als die Böhmen“. 

Bei diefer Entwidlung der religiöfen Frage hatte man 
aber auch noch mit der Stellung der Böhmiſchen Brüder zu 
rechnen, deren Ausbreitung troß DVerfolgungen und Bedrän- 
gungen aller Art nidjt zu berhindern war. Yon Peter von 
Rofenberg, dem ftreng katholiſchen Baron, geftorben 1523, 
rührt der Ausfpruch her: wenn die Herren, d, h. der Adel, 
es dem Volke (Bürgern und Bauern) nicht wehrten, würde 
alles zu den Brüdern übergehen. Nicht fo ſehr ihre Glaubens- 
lehre, die zwifchen Katholizismus und Utraquismus ftand, als 
vielmehr die Sittenlehre, die werftätige Liebe, die Strenge 
und Einfachheit im ganzen Lebensiwandel, übte Anziehungs- 
kraft aus. Mit Luther ftanden fie einige Jahre im 
ſchriftlichem Verkehr, ſchickten wohl auch Abgeſandte zu ihm, 
die ihren Standpunkt erflären follten, aber ſchon 1524 gewann 
man beiderfeit8 die Überzeugung, daß der Berührungspunfte 
3u wenige waren, um eine Verftändigung zu erzielen. Ihr 
langjähriger Biſchof Lukas, der ftreng an den alten Grund- 
fügen hing, hatte felber in zwei Streitichriften „Katechismus 
für Rinder“ und „Bon der fiegreichen Wahrheit” die bedeu- 
tendften Gegenſätze dargelegt. Nach feinem 1528 eingetretenen 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Reformation. 191 





Tode fam aber ein freierer weltlicherer Zug in dag Brüder- 
tum; eine Anzahl utraquiftiicher Herren und Ritter, die bisher 
nur Gönner der Brüder geweſen waren, traten offen über, 
darunter Konrad von Kreif, Herr auf Brandeis, der König 
Ferdinand perſönlich befannt war. Im Jahre 1582 wurde 
zum geiftlichen Oberhaupte, zum Bifchof der Unität, Johann 
Augufta gewählt, der, in Prag 1500 in einfadjen bürgerlichen 
Verhältniſſen geboren, bis zu feinem einundzwangigſten Lebens- 
jahre dem Utraquismus angehört hatte, Ihm ſchwebte vor, 
dem Brüdertum in Böhmen eine Stellung zu verſchaffen, wie 
fie die Qutheraner im Neid) einnahmen. Hatten dieſe ſchon 
1530 dem Kaiſer ihre berühmte Augsburgiſche Konfeſſion bor- 
gelegt, fo wurde jet (1535) eine Brübderfonfeffion ausgearbeitet 
und durch eine Gefandtiheft König Ferdinand behufs Be- 
ftätigung feierlich überreicht. Es braucht kaum gefagt zu 
werden, dab fie nicht erfolgte. Umfomehr fuchten die 
Brüder in den folgenden Jahren Anlehnung an Luther und 
die anderen Reformatoren. Wie früher öfter weilte Auguſta 
1540 und 1542 in Wittenberg, andere Brüder gingen nad) 
Straßburg. 

Ferdinand mußte um der politifchen Verhältniffe willen 
diefen Entwidlungen ruhig ihren Lauf laſſen, konnte nur 
abwehren, nidjt angreifen. Bor allem beftand die Türfen- 
gefahr, der wundeite Punkt feiner Regierung, trog der Be- 
freiung Wiens unvermindert weiter. Im Verlaufe des Jahres 
1582 erhielten die bayriſchen Herzöge von ihrem ungarifchen 
Vertrauensmann die Nachricht, dat der Sultan diesmal feinen 
Marſch unmittelbar gegen Mähren, Schlefien und Böhmen 
richten wolle. Dazu kam es zwar nicht, der Kampf blieb auf 
Ungarn beſchränkt, ging aber nur durch kurze Waffenftillftände 
unterbrodyen Jahre lang fort, bis endlich am 24. Februar 1538 
in Großwardein mit Johann Zapolya ein Geheimfriede abge- 
ihloffen wurde. Sein Tod am 21. Juli 1540 erzeugte neue 
Unklarheiten, da ihm wenige Tage zubor, am 7. Juli, ein 
Sohn geboren worden war, den Ferdinands Gegner fofort als 
ungarifchen König anerkannten, um in Serdinand Feine 
Hoffnungen auf Srieden auflommen zu laſſen. Gerade damals 


193 Fünfter Abſchnitt. 





geichah es, daß eine Geſandtſchaft Ferdinands an den Sultan 
zur Antivort erhielt: Jetzt fei es noch Winter, aber e8 werde 
der Sommer kommen. Der König war fomit gezwungen, 
weiter zu rüften, bon feinen Untertanen ohne Rückſicht auf 
Stand, Glauben und Nationalität zu diefem Bivede Steuern 
und andere Abgaben zu fordern, jahraus, jahrein. Der 
böhmiſche Landtag bon 1540 beiilligte aber nur fehr 
beicheidene Mittel, wie übrigens auch die anderen Länder 
Terdinands und das Reich. Im Jahre 1541 ift Ofen türkiſch 
getworden. 

Solde Zuftände, Verftimmung des Königs wegen unzu- 
teichender Unterftügung, Mißtrauen der Stände gegen den 
König wegen grundfäßlicher Verſchiedenheit in den wichtigſten 
Bragen der inneren Politik, kriegeriſches Mißgeſchick, fteigerten 
auch in Böhmen die allgemeine Unzufriedenheit mit der 
Regierung des Habsburgers. Diefe Stimmung bezeugt ein 
Schreiben, das Johann bon Pernitein, mit dem Beinamen 
der Reiche, am 2. Dezember 1539 an König Yerdinand 
richtete. Die befondere Veranlafiung bot zwar eine ſchwere 
Moßregelung, die einem nahen Verwandten Johanns, dem 
im Hofdienft König Ferdinands ftehenden königlichen Truch - 
feß und Stabelmeifter Andreas Ungnad wegen Übertrittes 
vom Katholizismus zum Luthertum widerfahten war. Aber dar- 
über hinaus läßt der Brief die vielfach angefeindete Stellung 
des Königs in Böhmen Far erkennen. Schon der Sat beweiſt 
dies, in dem der Perniteiner unverhohlen erflärt: „Sch ſehe 
nicht, um die Wahrheit zu geftehen, daß die Untertanen in die- 
ſem Königreich . . Eurer Fön. Majeftät irgendwelche Liebe ent- 
gegenbringen, noch ein wenig Vertrauen ſchenken; fie haben 
nämlid, die Meinung, dab €. M. fie nicht liebe, ihnen nicht 
im geringften vertraue, aud) nicht in Erinnerung habe, noch 
darauf Gewicht lege, dab fie E. M. aus reinem und freiem 
Willen zu ihrem Herrn gewählt haben“, Er mißbilligt die 
ganze äußere und innere Politik, beſchwert fi im Namen 
der Böhmen und Mährer über die furchtbaren Laften und 
Abgaben, hält als zum Luthertum Hinneigender Utraquift dem 
König feine Strenge in Glaubensſachen vor, durch bie bie 





Böhmen und Mähren im Zeitalter ber beutfchen Reformation. 198 





Menſchen ſehr bedrüct würden und erinnert ihn an dag un- 
geredjt vergoffene Blut vieler Männer und Weiber, „das Gott 
zum Rächer“ anrufe, jo daß eben deswegen „verfchiedentliches 
Mißgeſchick und Strafen“ ihn, den König, heimfuchen. 

Des Königs Antwort, bei aller Entichtedenheit höflich, wie 
es fich gegenüber einem mit fürſtlichen Säufern verſchwägerten 
mächtigen Adligen geziemte, gipfelt in dem offenen Hinweis, 
daß zivifchen ihm und den Böhmen vornehmlich in bier 
Punkten ein vorläufig unüberbrüdbarer Gegenſatz beſtehe. 
Er babe eine ernftere Lebensart als die böhmiſchen Herren, 
fände an ihren Spielen. Gelagen und anderen Vergnügungen 
fein Gefallen, umfoweniger al3 die Zeiten bisher gewiß nicht 
darnach waren, Seite zu feiern und die Tage mit nußlojen 
Unterhaltungen zu bergeuden. Den Krieg gegen die Türken 
halte er für eine Notwendigkeit zum allgemeinen Nuten. 
„Denn“, fchreibt er an einer Stelle, „die Böhmen, als fie zur 
Verteidigung Wiens gefommen waren, fi) nicht geweigert 
hätten, uns zu helfen und mit ung nad; Ungarn zu ziehen, jo 
hätten wir nad) Beliegung der Türken das ungarifche Reich bis 
heute ſchon in unfern Händen zur großen Ehre, zum Ruhme 
und zum Wohle der ganzen Chriftenheit”. Sehr bezeichnend ift 
feine Erklärung, daß an dem Ziwiefpalt mit den Böhmen die 
„nicht ſehr gute” Regierungszeit der beiden Iekten Könige 
viel Schuld trage. Unter ihnen hätten fid die „Untertanen“ 
gewöhnt, felber zu herrſchen und die Fürften mehr als gleich- 
berechtigte Xeilhaber (socii) an der Pegierung, denn als 
ihre Serren zu betrachten. Man werde es ihm aber nicht ver- 
übeln dürfen, wenn er fi) durchaus als Fürft fühle, der über 
die anderen zu gebieten habe umd dem dieſe zu Gehorfam 
verpflichtet feien. Und ebenfo wichtig erfcheint ihm die ver- 
ſchiedene Auffaifung über den Glauben. Er, der König, kenne 
in Böhmen nur zwei Belenntniffe: Katholizismus und Utra- 
quismus, in feinen übrigen Ländern aber nur den Katholizis- 
mus. Einen Übertritt vom Katholizismus zum Utraquismus, 
insbefondere bei feinen Hofleuten, dulde er nicht. Unter 
einer Bedingung werde er aber daB übrige Geften- 
weſen, alfo auch das Luthertum, geftatten und nie zu- 


Breidols, Geſch. Bohmens u. Mahrens. II. 18 


194 Fünfter Abihnitt. 





laffen, dab jeder nad) feinem freien Ermeſſen glaube 
und lebe. Er fpridt in diefem Bufammenhang das 
derhängnisbolle ‚Wort aus, das fi) dann bis zu gewiſſem 
Grade bewahrheiten follte, daß er feine eigenen Kinder halfen 
twürde, wenn fie dom rechten Glauben abfielen. Er leugnet 
gar nicht, daß biele de8 Glaubens wegen auf feinen Befehl 
umgefommen feien, aber nur die Häupter und Verführer 
anderer, die aus Schlechtigkeit nicht aus Einfalt irrten. Er 
twiderfpricht dem Vernfteiner, da ihm daraus irgendwelches 
Ungemad) widerfahren fei, im Gegenteil, er fieht umd fejildert 
feine Lage, zu Haufe und in der Welt, vor allem vor Gott 
in tofigitem Lichte. Eigene Gefundheit, eine geliebte und 
zärtli lebende Gattin, zahlreiche leiblich und ſeeliſch auf 
blühende Kinder, einen Bruder, der der erite Fürſt der Welt 
fei und ihm fo zugetan wie ein Vater, eine umfangreidje und 
ehrenbolle Erbfchaft, die er bisher, wenn auch unter ſchwierigen 
Verhãltniſſen, unverfehrt behauptet habe; dazugefommen fei 
die römiſche Königswürde, Böhmen ohne Schweiß und Schwert · 
ſchlag, Ungarn mit wenig Blutvergießen, alles bereits in 
friedlichem Beſitz. 

Es wäre für den Pernſteiner nicht leicht geweſen, dieſe 
„Rechtfertigung“, wie Ferdinand felber feine Antwort nennt, 
zu widerlegen. Aus jedem Worte Sprach ernfteß, ſtolzes Selbit- 
bewußtfein und Vertrauen in die Bufunft, unter Vermeidung 
jeder Drohung gegenüber feinen Widerfadhern. Kiezu war die 
Lage nod) zu wenig geflärt. Er mußte ſich ftreng an die von 
ihm beſchworene Verfaſſung halten, insbefondere in der religi- 
öfen Frage, die in Böhmen doch im Vordergrund jtand. Aber 
ebenjomenig wollte er das Ieifefte Zugeſtändnis machen und 
nütte Schwächen und Sehler der Gegner aus, insbeſondere der 
Utraquiften, die an die beitehenden kirchlichen Berhältnifie 
zu rühren wagten. 

An der Spike der Utraquiften ftand, wenn auch nicht dem 
Rang nad), denn erfter Adminiſtrator war der Pfarrer bon 
St. Nikolaus Johann Miftopol, feit dem Jahre 1541 Wenzel 
Mitmanet, PVrediger an der Prager Teinkirche. Er ftammte 
aus Ungarif-Brod in Mähren, einer damals angefehenen 


Vöhmen und Mähren im Zeitalter der deutſchen Reformation. 195 





großen Brüdergemeinde, war in diefem Glauben erzogen 
worden und aufgewachſen. Als er dann zu weiterem Studium 
nad) Bajel und in andere Städte Deutichlandg Fam und die 
teformatorifchen Lehren kennen lernte, erfüllte er ſich mit 
diefem fremden Geifte. Aber zum Luthertum überzutreten 
heute er ſich umſomehr, als er nicht im Reiche zu verbleiben 
gedachte, Er ging nad) Prag und ſchloß fich hier dem Utra- 
quismus an, in der Ablicht, diefen im Sinne des ebangelifchen 
Glaubens in eine Art Reform-Utraguismus umgumandeln 
durch unklare Vermiſchung utraquiſtiſcher, lutheriſcher und 
brüderlicher Ideen. Anfangs fand er viel Zuſtimmung, denn, 
wie ſchon Haſſenſtein und andere Beobachter der religiöfen 
Bewegung in Böhmen gefagt Hatten: jeder neue Gedanke 
finde in Böhmen auch jofort feine Anhänger. Aber die der 
Konkordie mit den Katholiken zugeneigten Utraquiften ver- 
folgten feine Tätigfeit mit Mißtrauen und während der Land- 
tag8verhandlungen in Prag vom April bis Juni 1543, die 
König Ferdinand jelbit leitete, Famen die Gegenſätze zum Aus- 
bruch. Ferdinand griff perjönlid) ein, Iud Mitmanef und 
Pfarrer Johann Miftopol vor fi, verurteilte in fchärfiten 
Borten ihre Neuerungen. Da fie, geftügt auf ihre mächtigen 
Freunde, zu denen aud) Johann von Pernitein gehörte, zu- 
nächſt Widerftand zu leiften verſuchten, ließ der König Mit- 
manek aus Prag bermeifen, und al® er nad kurzer Zeit 
aurüdzufehren wagte, in Haft nehmen und zwang ihn fchließ- 
Kid) unter Androhung der Todesitrafe, Böhmen für immer zu 
verlaſſen (Sommer 1544). Der Reform-Utraquismus, das 
böhmifche Zuthertum in neuer Form, war feines geiltlichen 
Führers beraubt, der Utraquismus und das Brüdertum 
meinten die wahren Sieger zu fein. Nicht mit Unrecht hielt 
Mitmanek wenigfteng den Brüdern ihren Irrtum vor Augen, 
imdem er dem Vater ſchrieb: „Sagt ihnen, daB fie feinen Grund 
haben, fich au freuen. Ich und der Herr Adminiftrator find 
mehr als dritthalb Jahre im Kampfe an der Spike geften- 
den... .. haben die mahre Lehre vor dem König berteidigt, 
find vor ihn getreten und haben ihm unfer Bekenntnis gewiß 
nicht nad) feinem Wunfc dargelegt, bis ihm die Geduld riß. 
18° 


196 Fünfter Abfnitt. 





Mögen die Brüder nur warten, big über fie daß Unheil berein- 
bricht. Für fie iſt e8 leicht, im Winkel zu figen, mutig und 
ftandhaft zu ſcheinen, wenn kein Feind da ift. Ste werden noch 
erfahren, was e8 heißt, mit einen Löwen umzugehen, bis über 
fie das kommen wird, was auf uns fo lange gelaftet hat“. 

Kirchlich war die Annäherung des böhmiſchen Utraquismug 
an die deutichen Proteitanten, tie fie fi) Mitmanek dachte, 
mißglüdt; man mußte fi) wiederum an die ftreng utraquifti- 
ſchen Formen halten, wenn man nicht offen den Gottesbienit 
der Brüder befuchte. Aber die perſönlichen und politiichen 
Bande, die zwiſchen den lutheriſch gefinnten Utraquiften in 
Böhmen und Mähren und den Qutheranern im Neid) 
beftanden, wurden dadurch nicht berührt. Willen wir doc, 
dab im Jahre 1542 zwiſchen den beiden Säuptern des am 
31. Dezember 1530 begründeten Schmalfaldner Bundes, Kur- 
fürft Johann Friedrich von Sachſen und Landgraf Philipp 
bon Helen, und den Ständen von Böhmen, Mähren und 
Schlefien Verhandlungen geführt wurden behufs gegenfeitigen 
Schutzes wider die Türken, aber auch gegen alle anderen, von 
denen man wegen der Religion oder auß irgend einem anderen 
Grunde angegriffen würde." Dazu Fam, daß zwiſchen Böhmen 
und dem Rurfürjtentum Sachſen feit den unter König Georg 
bon Podiebrad im April 1459 auf dem Egerer Fürftentag 
geſchloſſenen Berträgen eine Erbeinigung beitand, die eben 
auch im Jahre 1526 dem ſächſiſchen Haufe das Anredjt gegeben 
hatte, fi) um die böhmiſche Königskrone zu beiverben. Ein 
großer Teil der Herrſchaften und Städte in Nordböhmen ftand 
aus religiöfen, politifchen und wirtſchaftlichen Gründen in 
freundfchaftlichften Beziehungen zum lutheriſchen Sachſen und 
damit zu den Schmalfalönern. Als daher im Sommer 1546 der 
lange voraußgefehene Krieg zwiſchen Kaiſer Karl V. und den 
deulſchen Proteftanten ausbrach, Tonnten die Schmalfaldner 
hoffen, daß die böhmiſchen Stände König Ferdinand zum 
mindeften nicht unterjtügen winden, wenn dieſer feinem 
Bruder zu Hilfe zöge. In diefem Sinne lauteten auch die erſten 
Auskünfte, die ihre Unterhändler in Böhmen erhielten. Ein 
turfürftlicher Beamter Könnerig d. A. erfuhr im Juli 1546 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Reformation. 197 





bon „etlichen Gutherzigen in der Kron Beheim“, dab fie, 
möge der König welche Forderung immer an fie ftellen, 
gedächten, „ſich nachbarlichen und vermöge der Erbeinung 
friedlichen zu erzeigen“. Die Grafen Schlid, jo erklärt er 
weiter, hätten die beftimmte Verjicherung gegeben, „daß man 
fi) auf ihren Teil Feines Unguten bon ihnen dürfe befahren”. 
Von dem berühmten evangelifchen Pfarrherrn Johannes Mathe- 
ſius in der Bergſtadt Joachimsthal berichtete man, daß er „mit 
großem Fleiß und ohne Scheue meniglich“ die Sache der Ber- 
bündeten unterftüge, Es mag angeſichts folder Stimmungen 
„nicht überrafchen, daß man in Sachfen mit dem Gedanken 
fpielte, Ferdinands Tage als König von Böhmen ſeien gezählt. 
Wenigftens fehrieb damals, am 25. Auguft 1546, die fächlifche 
Herzogin Elifabeth von Rochlitz an Herzog Morik von Sach - 
fen, fie fei überzeugt, er werde „den Behmen wohl fo annehm- 
lichen fein und fo lieb gehalten werden, als der itzige König 
(Ferdinand). 

Soldye Hoffnungen erwieſen fich fehr bald als völlig eitel. 
Der böhmilde Landtag, den König Ferdinand im Hindlid 
auf den unmittelbar bevorftehenden Ausbruch des Krieges in 
Deutſchland am 26. Juli 1546 in Prag eröffnete, zeigte bei 
weitem nicht jene Entichloffenheit, fi) gegen die habsburgiſche 

Politik aufzulehnen, wie es die mannigfachen Beziehungen 
der böhmiſchen Stände zu den Schmalkaldnern vorausſetzen 
ließen. Die beiden Häupter des Bundes, der Kurfürſt von 
Sachſen und der Landgraf von Heſſen, hatten wegen der bom 
Kaiſer gegen fie gerichteten „Rriegsrüftung“ auch bei den 
Böhmen Klage geführt. Darauf antwortete der Landtag in 
einem amtlichen Schreiben vom 9. Auguft, man habe „nicht 
gern“ von dem „Widerwillen und den Irrungen“ zwiſchen 
ihnen und dem Kaiſer vernommen; man ſei vom König dahin 
unterrichtet worden, dab der Kaiſer „nicht bon wegen des 
Glaubens oder der Religion, jondern zu Erhaltung gebür- 
lichs Gehorfambs, Friedes, Gerichts und Rechts im heiligen 
Reich“ gegen fie vorgehe: ja fie forderten den Kurfürften drin- 
gend auf, das zur böhmifchen Krone gehörige und von ihm 
widerrechtlich beiegte Mlofter Dobrilugf in der Raufig „ame 


198 Fünfter Abſchnitt. 





Verzug” zurüdzuftellen, Die Wirkung der perjönlidien An- 
weſenheit des Landesheren bei dieſen Landtagsverhandlungen 
ift nicht zu verfennen. Er hatte zum mindelten ein offenes 
Eintreten der Landtagsmehrheit für die Schmalkaldner 
hintangehalten. Und modjte nun aud) der Rurfürft in einem 
neuerlichen Schreiben vom 23. Auguft die Böhmen zu belehren 
ſuchen, daB es ſich dem Kaiſer doch nur um die Religion 
handle, mochte er fie warnen, daß nad) der Niederiverfung 
der deutichen Proteftanten fie an die Reihe kämen, mochte er 
mahnen und bitten, dem Kaiſer die Seeresfolge zu beriveigern, 
und einer der bedeutendften deutichen Neformatoren, Doktor 
Pommer oder Bugenhagen, in einer eigens verfaßten Schrift 
„Chriftliche Vermahnung an die löbliche Nachbarichaft Behemen, 
Sleſier und Rufatier“* des Kurfürſten Einjchreiten kräftigſt 
unterftügen, — der Landtag konnte ſich den Forderungen des 
Königs nicht entziehen. Er hatte ihm bereits am 17. Auguft 
ein Heer von 4000 Reitern. 20.000 Mann Fußvolk und eine 
Steuer für Cold und Lohn bewilligt, den 13. September als 
Xog der Mufterung in allen vierzehn Kreifen des Landes feit- 
gefegt und fid) verpflichtet, das Heer bis zum 11. November 
im $elde zu belafjen. Es fcheint, daß nur Graf Morig Schlid 
und Kaſpar Pflug von Rabſtein, Herr auf Petſchau, Tachau 
und Schlaggenwald, fi diefen Beichlüffen offen widerſetzten. 
Viele andere mögen allerdings in ſchweren Zweifeln geweſen 
fein, denn in Briefen nad) auswärts meldete man unberhohlen: 
„Die Beheim willen felbft nicht, wo fie drin feint, was fie 
endlid) tun oder laſſen wollen”, Man begreift dieſe Unficher- 
heit. Die böhmifchen Herren ſahen fi) plötzlich von den 
Wogen der großen Politik erfaßt und fanden nicht den Mut 
ihr bißheriges. Schwanken zwiſchen beichworener Untertanen- 
pflicht und wahrer Gefinnung aufzugeben; umfoweniger, als 
es Ferdinand an treuen Anhängern in den böhmiſchen Ländern 
nicht fehlte. Aus diefen reifen erhielt fogar das kaiſerliche 
Heer, das fi um Regensburg gegen die Schmalkaldner jam- 
melte, anſehnlichen Zuzug, Unterftügung mit Kriegsmaterial, 
Proviant und „anderer Notturft und Handreichung ohne 
Scheu". In den ſtändiſchen Kreiſen Böhmens herrſchte 


Böhmen und Mähren im eitalter der beutichen Reformation. 190 





Zwieſpalt. Wir find gut unterriditet, melde Schwierigkeiten 
die Mufterungen und andere Ariegsvorbereitungen etwa in 
Joachimstal und dem benachbarten Gebiet, dag man bor einem 
ſächſiſchen Überfall fihern zu müffen meinte, verurſachten. Die 
auf den 28. September verſchobene Sammlung der ftändifchen 
Mannſchaften im Lager von Kaaden vollzog fich äußerft lang- 
fam, unter ftarfem Ingrimm und offener Auflehnung. Fer- 
dinand konnte mit diefem „ungehorfamen Volk“ nidyts weiter 
unternehmen als Streifzüge in das nahe feindliche Vogtland, 
nad Adorf, Olsnitz, Plauen, eigentli nur zur Unterftügung 
de3 Herzogs Morik von Sachſen, dem die Befekung dieſes 
Gebietes bejonders am Herzen lag.” Diejer mit den Schmal- 
faldnern fo nah verwandte Fürft, der in ihren Streifen als 
geeigneter Anwärter auf den böhmiſchen Thron angefehen 
wurde, falls Ferdinand ſich nicht würde behaupten können, 
hatte das „verräteriſche Böſewichtsſtücklein“, von dem man 
ſchon geraume Zeit munfelte, tatſächlich durchgeführt, fi) dem 
Kaifer angeſchloſſen und den Krieg gegen das Aurfürftentum 
Sachſen begonnen, wodurd) der Kampf an der Donau eine 
für den Kaifer günftige Wendung nehmen Fonnte. 

Da der böhmijche Landtag die Verwendung des ftändifchen 
Heeres nur bis in die zweite Woche Nobember bewilligt hatte, 
und Ferdinand eine wejentlide Verlängerung diejeg Termins 
nicht zu erzielen vermochte, beendigte er, feinen ſächſiſchen 
Feldzug und war ſchon Ende November wieder in Prag, vor 
allem aud) um Gericht zu halten über jene ſtändiſchen Mit- 
glieder, Herren, Ritter und Städte, die ihn in Kaaden im 
Stich gelaffen oder fich fonftiwie feinen Anordnungen mwider- 
fegt hatten. Bezeichnenderweife jeßte er den Gerichtshof faft 
nur aus Mährern zufammen, die ſich unbefümmert um die 
religiöfen Berhältniffe nur an ihre Untertanenpflicht gehalten 
hatten. Wir haben bon diefen Vorgängen in Prag, die ſich 
im Dezember 1546 abfpielten, nur allgemeine Nachridyten; die 
beften noch über die Verhandlungen mit den Joachimstalern 
und deren Pfarrherrn Johannes Mathefius. Der König be- 
gnügte fi mit ernſten Zurechtweiſungen und milden Strafen. 
Die Zeit mar noch nicht darnach, daß er den geftrengen Herrn 


200 Fünfter abſchnitt. 





hätte herborfehren fönnen. Die Loge am Kriegsſchauplatz 
hatte ſich plöglich zugunften der Schmalfaldner gewendet, 
Herzog Mori war in ſchwere Bedrängnis geraten und erflärte 
König Ferdinand in einem Schreiben vom 29. Dezember 1546: 
„Und da Eure Majeſtät neben der kaiſ. Mt. mic) nit. . . retten, 
hab ich nichts getvifieres zu geivarten, denn daß ich von Landen 
und Leuten berjagt muß werden“. Ferdinand ftand vor der 
Notivendigfeit, noch einmal ins Feld zu rüden, feine Länder 
von neuem um Unterftügung anzugehen. Die Frage, wie ſich 
die Böhmen zu diefem neuen Kriegszug verhalten würden, 
erhob ſich erniter als das erſtemal.⸗ 

Der König vermied es wohl abjichtlich einen Landtag, wie im 
Vorjahr, einzuberufen, und ſich die ſtändiſche Hilfe ausdrüd- 
lich beiwilligen zu laſſen. Er begnügte fid) am 12. Januar 1547 
ein „Ausſchreiben“ (gedrudte® Mandat) zu verfenden und die 
Stände darin aufzufordern, gemäß der Iekten Schakung 
zwiſchen 24. Januar und 2. Februar in Leitmerig mit ihren 
Mannſchaften zu erfcheinen. 

Dieſes Aktenſtück bezeichnete man in ftändifchen Kreifen als 
den „Anftoß zu allem Böfen“, das fic in der Folge in Böhmen 
ereignete, ala Tegte Urfache der Erhebung der Stände gegen 
den König, denn es hätte im volliten Widerfprud zu den 
Rechten und Freiheiten des Königreiches geitanden. Was ſchon 
auf dem legten Landtag (1546) Iangfam begonnen habe, wäre 
nun zu Ende geführt und fozufagen zum Überfließen gebradht 
worden. Diefer Stimmung entſprachen dann die Verhandlun- 
gen in Zeitmerig, die der König erft am 6. Februar eröffnete, 
weil er durch den unertvarteten Tod feiner Gemahlin, die nach 
der Geburt ihres fünfzehnten Kindes am 27. Januar 1547 
geitorben war, feine Abreife aus Prag um einige Tage hatte 
aufſchieben müfjen. In Leitmerig mar nur ein Eleiner Teil der 
böhmischen Ständeichaft erſchienen. Insbeſondere fehlten die 
Xertreter der meiften königlichen Städte nad) dem Vorbild der 
Hauptſtadt Prag, von der Ferdinand ſchon vorher geflagt 
hatte: „Und fonderlich fein die Stadt Prag als die den für- 
nehmften Namen und das meiſt Anſehen bei den anderen 
Städten haben, nit die wenigiſten, die ſich bisher ungehorjam- 


Böhmen und Mähren im Zeitalter ber deutſchen Reformation, 201 





lich erzeigt und andere zu gleichmeffiger Ungehorfame gezogen 


Aber auch die Herren und Ritter, die den König in Leit- 
merig erwartet hatten, erflärten entjchieden, ohne boran- 
gegangenen Landtagsbeſchluß nicht ins Feld ziehen zu wollen. 
€3 kam zu geradezu ftürmifchen Auseinanderfegungen, der 
König bat und ſchalt, verſprach und drohte, aber nur einen 
ganz geringen Teil der Anweſenden Eonnte er für fi) gewinnen, 
die Mehrzahl mußte er entlaffen, wobei er ihnen allerdings zu 
bedenfen gab, „was ihnen hieraus entjtehen und maferlei Ehr 
und Lob fie darvon erhalten werden“. Der päpitlice Nuntius im 
Eaiferlichen Sauptquartier Verallo fehrieb am 23, Februar aus 
Ulm nad) Rom, daß alle Hoffnungen, die man auf die Unter- 
ftügung der Böhmen gejegt habe, nad) den legten Verhand- 
Iungen in Leitmerig geſchwunden feien. Auf 5000 Mann 
Neiterei, vom Fußvolk nicht zu ſprechen, habe man geredjnet, 
Zaum 700 kämen nun in Betracht. Sie hätten religiöfe Sicher- 
beit für die Zufunft gefordert und angedeutet, im Gegenfalle 
mit 40- bis 50.000 Mann dem Kurfürften zu Silfe zu ziehen, 
den fie als „Bruder und Verbündeten in der Häreſie“ haben. 

Die Vorgänge in Leitmeritz, diefe volle Auflehnung gegen 
den Landesherrn, fanden aber ihre weit gefährlichere Fort- 
fegung unmittelbar darauf in Prag, woſelbſt bereit diejenigen 
Stände, die überhaupt nicht in Leitmerig erfchienen waren, 
berieten, iwas nun zu geichehen habe und denen ſich die aus 
Keitmerig Heimfehrenden nunmehr anſchloſſen. Verallo ſchrieb 
um den 7. März: in Prag herrſche „eine jehr gefährliche 
Bewegung, eine Rebellion gegen den König“. In zahlreichen 
BVerfammlungen, die ſowohl von Adligen als Städtevertretern 
ſtark befucht waren, wurden die widjtigiten Beratungen wegen 
Einrichtung einer neuen Landesverwaltung gepflogen und 
endli am 23. März bei Anmwefenheit von etwa 800 Herren 
und Edelleuten ſowie aller königlichen Städte außer Pilſen 
und Budweis der Beſchluß gefaßt, ein ſtändiſches Heer auf- 
auftellen, das bis zum 4. April unter dem Oberften Feld⸗ 
Hauptmann Kaſpar Pflug von Rabſtein auf feiner Herrſchaft 
um Schlaggenwald gejammelt fein follte, um „in das Feld zu 
rüden und unferen Feinden unter Augen au ziehen”. 


203 Fünfter Abſchnitt. 





Aber die Durchführung diefes weittragenden Beſchluſſes ließ 
viel zu wünſchen übrig. Der Eifer, mit dem in Prag unter 
dem Drucke der entſchloſſeneren Elemente Reden gehalten und 
Beichlüffe gefabt wurden, hielt nicht an. Die Mannidaften 
und fonftigen Mittel, über die Pflug fchließlid; verfügte, 
reichten nicht nur zu feinem wirklichen Zeldzug, fondern nicht 
einmal zu einem Schachzug aus, der dem ganzen Kriege leicht 
eine andere Wendung hätte geben können. 

König Ferdinand hatte am 17. Februar Leitmerig verlaffen, 
war elbabwärt3 bis Dresden gezogen, um fi) dort mit den 
Sachſen und Brandenburgern, feinen Bundesgenofien, zu ber- 
einigen und die Schmalfaldner vom Often ber anzugreifen, 
während Karl V, ſich zum Vorſtoß vom Weiten her anjcjidte. 
Wie zwiichen den Gliedern einer Bange wären jie gefaßt 
worden. Allein am 2. März hatte Kurfürft Albrecht von 
Brandenburg in übereiltem Vormarſch bei der Feſte Rochlitz 
nahe bon Dresden eine Schlappe erlitten und war in Gefan- 
genſchaft geraten, was die weitere Durchführung des Planes 
unmöglid; machte. Ferdinand und Morig von Sachſen blieb 
nichts übrig, als auf anderem Wege zum kaiſerlichen Heere 
im Weiten zu gelangen, um bon dort aug mit vereinter Macht 
den Kampf aufzunehmen. Als Treffpunkt wurde Eger be- 
ftimmt. Ferdinand mußte ſomit das ganze nordweſtliche Böh- 
men durchqueren, ein Gebiet, da8 an und für fi zum großen 
Zeil auf jeiten der Schmalfaldner ftand, von diejen bejeßt 
und bedroht war, in dem überdies Kafpar Pflug die Samm- 
Iung des ftändifchen Heeres borbereitete. Ein rechtzeitiger 
Zuſammenſchluß des kurfürſtlichen mit dem ftändifchen Heer, 
das Vorziehen eines Riegels bon der ſächſiſchen Grenze über 
Joachimsthal, Schlaggenmwald in das Innere Böhmens hätte 
dem König den Durchmarſch unmöglich) gemadjt, ihn von 
feinem Bruder abgeſchnitten. Auf diefe Handreichung warteten 
die Sachſen bereitd. Allein die böhmifchen Stände rafften ſich 
zu einem folden Entſchluß nicht auf. Sie zögerten mit der 
Zuſendung ihrer Mannichaften, jo jehr auch Pflug drängte, 
denn fie hatten ſich doch erſt für den 4. April berpflichtet im 
Felde zu erjcheinen. Pflug mar zu ſchwach, um, wie Ferdinand 


Böhmen und Mähren im Zeitalter ber beutfhen Reformation. 208 





erklärte, „die Weg zu ſuchen, dab Ihre faif, Mt. und wir nit 
äufammenftoßen möchten“. Wenn auch nicht ohne Mühen, Ver- 
luſte und Erniedrigungen — die Stadt Saaz ließ den König 
nicht in ihren Mauern übernadjten — fchlug fi Ferdinand 
mit feinen Verbündeten durd und traf am 5. April bei feinem 
Bruder in Eger ein. Die Böhmen hatten eine günftige Gelegen- 
heit, Serdinand zum mindelten von der weiteren Teilnahme 
am Feldzug abzuhalten, verſäumt. Kaum drei Wochen darnad), 
am 4. April, erlitten die Schmalfaldmer bei Mühlberg die 
ſchwere und entſcheidende Niederlage, durch die der Kurfürſt 
Johann von Sadjien, das Haupt der Proteftanten, der „aus- 
erwehlte gute Freund der Böhmen”, dem NKaifer auf Tod und 
Leben in die Hände fiel, 

Man kann e3 veritehen, daß diefe jähe Wendung des „deut- 
ſchen Krieges” die Verwirrung in Böhmen nur noch fteigerte. 
Die Nachricht von der Mühlberger Schlacht erhielten die Stände 
am 27. April, als fie in Prag bei einem Landtag verfammelt 
waren. €8 ift eine feine Kennzeichnung der Lage, wenn ein 
seitgenöfliicher Chronift die Bemerkung macht, dag man auf 
die Runde vom Giege des Königs oben auf der Burg das 
Te Deum, unten in der Stadt das Requiem gejungen,” alfo 
oben feiner Freude, unten feinem Schmerz Ausdrud gegeben 
habe. Zum mindeften maren die Böhmen nad) dem Ausſpruch 
des päpftlichen Nuntius „abgefühlt“. 

Es folgten langwierige Verhandlungen mit dem König 
über eine friedliche Berftändigung. Als aber die Burüdnahme 
aller in der Zwiſchenzeit ohne Willen und Willen Ferdinands 
gefaßten ſtändiſchen Beſchlüſſe nicht durchzuſetzen war und die 
Prager Städte an der Spite der Oppofition lieber zum äußer- 
ſten Kampfe als au einer bedingungslofen Unterwerfung fi 
entſchloſſen blieb ſchlieblich nichts anderes übrig, als, wie es 
Karl V, in einem Briefe om feinen Bruder ausfprad), „jene 
große Bunde durd) einen Einſchnitt und nicht durch Auf 
weichen zu heilen“. 

In derfelden Stadt Leitmerig, in der ein großer Teil der 
böhmischen Adeligen in den Bebruartagen Ferdinand Treue 
und Gehorfam aufgefündigt hatte, fanden fi nun auf feinen 


204 Fünfter Abſchnitt. 





Befehl zwiſchen dem 3. und 13, Juni die Mehrzahl wieder ein, 
um ihm, dem ſiegreichen Fürften, zu huldigen. Die Spaltung 
unter den Ständen war vollzogen; gegen Ferdinand lehnte 
ſich eigentlid nur noch Prag auf, Fonnte aber nicht mehr 
auf die Unterftügung der adeligen Gegner vechnen, die bis 
auf einen Heinen Reft entweder mit dem König ihren Frieden 
gemacht hatten oder auß dem Lande geflohen waren. In den 
Tagen vom 2. bis 7. Juli wurde Prags Widerftand in un- 
gleihem Kampfe gebrochen. Am 8, erſchienen über fünfhundert 
Bürger vor dem König im Hradſchiner Burghof, um nad) un- 
bedingter Ergebenheitserflärung „auf Gnade und Ungnade“ 
unter Aniefall Berzeihung zu erbitten, Bu ſpät. Ferdinand 
verhängte gerade über Prag ſchwerſte Strafen: Auslieferung 
der Bindnisbriefe, aller Privilegien der Stadt, der Amter 
und Bruderſchaften. aller Briefe und Schriften, die ſich auf 
irgendwelche Abmahnungen insbefondere mit den Schmal- 
kaldnern bezogen, ferner aller Geſchütze und Waffen, Ein- 
ziehung aller ſtädtiſchen Einkünfte, Beſitzungen an Gütern, 
Schlöſſern, Untertanen, Zöllen, Verpflichtung zur Zahlung der 
Bierſteuer an den König für immerwährende Zeiten. Und 
gleiches Schickſal wie die Hauptſtadt traf Saaz, das durch den 
Befehl zur Niederreißung der Mauern, die ſich dem König 
befanntlich verfchloffen Hatten, noch befonders getroffen werden 
follte, Zeitmerik, Tabor, Königgräg, Klattau, Kaurim, Brod, 
Raum, Kaaden, Schlan, Taus, Mies, Beraun, Piſek, Wodnian, 
Kolin, Tſchaslau, Nimburg, Schüttenhofen, Chrudim, Jaro- 
mierz, Melnik, Hohenmaut, Königinhof und Politſchka. Nur 
Pilſen, Budweis und Auffig, die fi) von jeder Stellungnahıne 
gegen den König freigehalten hatten, blieben verſchont. Aus 
dem Serren- und Ritterftand, darunter aus den bedeutenden 
und angefehenen Familien der Kreik, Krinetzky, Slawata, 
Dohna, Schlid, Lobkowitz, Wartemberg, Lippa, Walditein, 
Pflug u. a. m, wurden fünfunddreißig Mitglieder angeflagt 
und au ſchwereren oder leichteren Strafen verurteilt, vor allem 
traf die meiften Verluft eines Teiles ihrer Güter. Alle diefe 
Beſchlüſſe faßte ein eigens eingefegter unter dem Vorſitz des 
Königs vom 20, Juli bis 3. Auguft tagender Gerichtshof, der 


Böhmen und Mähren im Zeitalter ber. beutfchen Neformation. 206 





mit alleiniger Ausnahme des böhmiſchen Landmarſchalls 
Bertold von Duba und Zippa nur aus weltlichen und geift- 
lien Mitgliedern der Länder Mähren, Schleſien und Laufit 
beftand, mit dem mährifchen Landeshauptmann Wenzel von 
Rubdanig an der Spike. Auch Todesurteile wurden verhängt 
über Wilhelm Krinekiy von Ronau, Kaſpar Pflug, Albin 
Graf Schlid, Heinrich Widpach, Peter Welemitzky und Melchior 
Rohr von Rohrau, die fic) aber alle durch Flucht gerettet hatten; 
über Wenzel Pẽtipetky von Schönhof, Betnard · Barchanetz von 
Barchow, den Prag-Neuftädter Bürger Wenzel von Jeleni und 
den greifen Altitädter Primas Jakob Fikar von Wrat, die 
nach ſchweren Folterqualen am 22. Auguſt auf dem Hradſchin 
enthauptet wurden. Heinrich Krabitz von Weitmühl und der 
Prager Kanzler und Chronift Sirt von Ottersdorf wurden 
nad) der Folterung freigelafien. Der päpftlide Nuntius 
ſchrieb damals, am 19, Auguft, nach Florenz nicht ohne eine 
gewiffe Schärfe, Ferdinand fei jegt in Böhmen fehr in An- 
fprud) genommen, „wo er nichts anderes tue, als Güter und 
Habe der Rebellen einziehen und Köpfe abhauen“. In Böhmen 
aber jammerte ein ftädtifcher Chronift: „Da janf der Ruhm 
des Rönigreides dahin, befonder8 der der Prager Herren, — 
kläglich und unwiederbringlich“. 

Die königlichen Städte hatte der Hauptſchlag getroffen; 
fie waren, trotzdem ſpäter die Strafen zum Teil nachgeſehen 
wurden, in ihrer politifhen und wirtſchaftlichen Selbftändig- 
keit ſchwer getroffen, Der Adel war gedemütigt. Und aus 
beider Verhängnis zog die königliche Macht in jeder Hinficht, 
vor allem finanziell und moralifch, neue Kraft. Ohne auf den 
geringften Widerftand zu ftoßen, ließ Ferdinand durd, Land- 
lagsbeſchluß vom 23. Auguft da8 Thronfolgegejeg zu Gunſten 
feines Haufes abändern, ebenfo wichtige Berwaltungsänderun- 
gen durchführen. Die in der Verfaffung gar nicht vorgeſehene 
Einrichtung einer Stellvertretung dur ein Mitglied des 
töniglichen Hauſes verfügte er aus eigenem und betraute 
damit unter dem Xitel eines Statthalter feinen jugendlichen 
zweiten Sohn Ferdinand, geboren 1539, ohne darüber mit 
dem Landtag zu verhandeln. Er ſchuf mit einem Worte ganz 


206 Fünfter Abſchnitt. 





neue Verhältniffe, in dem fiheren Glauben, wie er felber er« 
Härte, da „dardurch verhoffentlich ... Fünftige Ufruhr und 
Ungehorfam verhüt und uns gepürender Gehorfem geleiftet 
werde”. 

Die ftrittigfte umd gefährlichſte Frage in Böhmen, die 
religiöfe, wurde in den Prozekverhandlungen deg Sommers 
1547 gar nicht berührt, Keinem der Angeklagten wurde, aud) 
wenn er als Anhänger des Xuthertums oder Brüdertums 
befannt war, fein Glauben vorgehalten, in feiner der bver- 
urteilten Städte wurde in kirchlichen Dingen eine Anderung 
verfügt, Umfo bedeutfamer war die tatſächliche Wirkung, die 
die veränderten Berhältniffe alsbald auf die religiöfen Zu- 
ftände ausübten. Das Luthertum verſchwand, man rüdte 
wieder als äußerfter Flügel in die Reihen des Utraquismus 
ein. Gegen die „Brüder“ in Böhmen, nicht auch in Mähren,?® 
wurden die alten Verbote aus der Zeit der Könige Wladis- 
law und Ludwig ſchon am 8. Oftober 1547 und 20. Januar 
1548 in ſchärferer Form erneuert. Eine Verfolgung dieſer 
Sekte ſetzte ein, durch die ihre tapferften Vertreter, wie 
der Brüderbifchof Johann Auguſta in Leitomiſchl, in die 
Kerker Tamen, viele hunderte ihrer Anhänger zur Auswan - 
derung, insbefondere nach Pofen und Preußen, gezwungen 
wurden, mandjer uralte fefte Sik, wie Brandeis, verloren 
ging, weil die Gemeinde fi zum Übertritt zum Katholigis- 
mus entihloß. Aber alle diefe Gewaltmaßregeln, die ſich 
damals und in den folgenden Jahren auch gegen andere 
Sekten und ebenfo gegen Juden richteten, bedeuteten nur eine 
Schwächung, keinesweas eine Ausrottung. Wirtſchaftliche Rid- 
figjten zwangen immer wieder zu Nachſicht und Umkehr in 
den fiir das Land geradezu verhängnisvollen Maßregeln. 

Ein anderes Mittel zur Löſung der religiöfen Frage ah 
man in der feit langem ſchon verſuchten Konkordie zwiſchen 
Katholiken und Utraquiſten, für die nad der, „Büchtigung“ 
der Stände im Jahre 1547 eine günftigere Zeit angebroden 
zu fein ſchien. Es war vorzüglid) die Überzeugung des damals 
am Hofe derdinands I. wirkenden päpftlicen Gefandten Santa 
Groce, daß eine Einigung unter ben beiden allein anerfannten 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Reformation. 207 





Sauptbefenntniffen der religiöfen Berfahrenheit in den böhmi- 
ſchen Ländern allmählich ein Ende bereiten müßte. Die Durch- 
führung diefes „Sriedens-Werfes“ wurde ſchon auf dem Prager 
Landtag des Yahres 1549 verfucht, fcheiterte aber damals 
ebenfo wie fpäter, nicht zulegt an dem Widerwillen des ftrengen 
Bapftes Zulius III. (feit 1550), den Utraquiften aud) nur das 
kleinſte Zugeſtändnis in dogmatiicher Hinſicht u beivilligen; 
nicht minder aber an dem entſchloſſenen Widerftand, den 
manche „häretiſche“ Kreiſe an den Tag legten. Eine Szene 
aus den Landtagsverhandlungen in Brünn im April 1550 ift 
biefür befonders bezeichnend. 

König Ferdinand, der fie perſönlich leitete, ftellte an die 
mähriſchen Stände die Forderung, die religiöfen Verhältniffe 
vorläufig wenigſtens auf jenen Zuftand zurückzuverſetzen, auf 
dem fie fi) bei feinem Negierungsantritt im Jahre 1526 
befunden hatten. Die Treue, die ihm die mähriſchen Adeligen 
gerade während des Schmalfaldifchen Krieges in politifcher 
Hinſicht bewieſen hatten, fchien ihm ein Hoffnungsftrahl, dab 
fie ihm auch auf kirchlichem Gebiete eher Gefolgichaft Ieiften 
mwürden als die böhmiſchen. Allein gerade hier erfuhr er eine 
viel entjchiedenere und offenere Ablehnung als je in Böhmen. 
Der Landeshauptmann Wengel bon Ludanitz, den wir bom 
Prager Prozeß ber Fennen, erhob fi) im vollen Landtag und 
erflärte dem König in männlicher Rede, an der „mieder- 
gereinigten evangelifchen Lehre” — wir wiſſen nicht genau, 
au welchem Glauben er fich befannte — unbedingt feithalten 
au wollen. Ähnlich wie einftmalg der Markgraf Georg der 
Fromme bon Brandenburg auf dem Augsburger Reichdtag 
vor Kaifer Karl V. erflärt hatte: „Herr, ehe ich bon Gottes 
Wort abitünde, wollte id} lieber auf diefer Stelle niederfnieen 
und mir den Kopf abbauen laſſen“, beteuerte jetzt Ludanitz 
vor Ferdinand I: „Für uns alle fteht eg feft, nicht um 
Haares Breite bon unferer Überzeugung abzugeben, biel- 
mehr werden wir verſuchen, fie zu berteidigen, wenn es nicht 
anders fein könnte, mit dem Einſatz des Lebens, der Würden 
und unferer ganzen Sabe. ... Blut und Gut und qud; das 
Leben ſchulden wir dem Könige und werden es für fein und 


208 Fünfter Abſchnitt. 





feiner Kinder Heil gerne vergieken und hingeben. Die Seele 
aber haben wir vom Schöpfer empfangen; ihm müffen wir 
fie unbefledt und unverfehrt beivahren und zurüdgeben. 
über fie gebührt dem Könige durchaus Feine Herrſchaft.“ 
Es war Serdinands I. Iegter Verſuch mit Hilfe der 
Stände die religiöfen Berhältniffe im Lande umzugeitalten. 
Auf ganz anderem Wege erfolgte in Böhmen die Rekatholi- 
fierung, die Ferdinand und feinem gleichnamigen Sohne, dem 
böhmifchen Statthalter, al Ziel und Endpunkt vorſchwebte. 
Der im Jahre 1540 von Ignaz bon Zoyola begründete Jefuiten- 
orden, ber ſeit Ende diejes Jahres ſchon auf deutſchem Boden 
wirkte, war außerfehen, auch in Böhmen der kirchlichen Ent- 
wicklung eine ganz neue Richtung zu geben.” Nach mehr als 
zweijährigen Verhandlungen zwiſchen Ferdinand einer-, Papſt 
Julius III. und Loyola amderjeits gelang es für Prag eine 
kleine Kolonie von anfangs zwölf Sefuiten zu geivinnen. Am 
21. April 1556 famen fie unter Führung des Rektors Pater 
Ursman Goiffon aus Beaumont in Belgien dort an, eine 
national zufammengemwürfelte Schar, Tein einziger der tichedhi- 
chen, nur wenige der deutichen Spradye mächtig. Das einit- 
malige St. Klemenskloſter der Dominikaner in der Altitadt 
an der Karlsbrücke wurde ihnen zugewieſen. Ihre erſte Auf- 
gabe beftand darin, eine Schule zu gründen, die alg „könig- 
lies SInftitut” galt, darin Knaben und Yünglinge koſtenlos 
nad) beitimmtem bon Loyola jelbit außgearbeitetem Lehrplan 
Unterricht genoffen. Es fehlte in den erften Jahren nicht an 
inneren und äußeren Bedrängniffen aller Art. Aber die auf- 
opfernde Unterjtügung, die diefer Gründung vor allem der 
„erſte deutiche Jeſuit“ Peter Canifius, Ferdinands Beichtvater 
und Sofprediger,” zuteil werden ließ, der Schuß, den ihr der 
König, der Erzherzog, der „heros catholicorum“ und „Säule 
des Fatholiihen Glaubens“, der Fatholifche Adel und andere 
Kreife gewährten, ließ alle Schwierigkeiten überwinden, fo 
dag nach einem ettva ſechsjährigen probiforiidien Beftande 
Ferdinand am 15. März 1562 durch einen eigentlichen Stifts- 
brief in feierlicher Form das Jeſuitenkloſter in Prag feit 
begründete. Die wichtigfte Verfügung beitand darin, daß die 


Röhmen und Mähren im Zeitalter ber deutſchen Reformation. 209 





Jeſuitenſchule zu einer Univerfität ausgeftaltet wurde mit allen 
Rechten, wie fie die anderen Uniberfitäten Deutichlands, 
Italiens, Spaniens, Frankreichs bejaßen. Dem utraquiftifchen 
Carolinum, diefem „berrofteten Kleinod“, der älteften Hoch- 
ſchule des Reichs, die Karl IV. 1848 geichaffen hatte, ftellte 
derdinand das Clementinum entgegen; dem Sig des ber- 
fallenden Utraquismus eine neue Stätte des reformierten 
Katholizismus. Das ganze geiftige und kirchliche Leben im 
Sande erhielt einen wichtigen Mittelpunkt, von dem ganz 
neue Anregungen außgingen. Das Gefühl, das den utra- 
quiftifchen Rektor Magifter Johannes Hortenfius bei der 
Nachricht vom Einzug der eriten zwölf Sejuitenpatres in Prag 
befchlichen hatte, ald er in das Amtsbuch die denfwürdigen 
Worte eintrug: „eine dem Reich und dem öffentlichen Leben 
ſehr berderbliche Sade, die nur wenige richtig empfinden“, 
follte fich bewahrheiten. Den Utraquiften war der ſchwerſte 
Feind im Herzen des Landes eritanden, ohne daß fie es hätten 
verhindern fönnen. Eine geiftige Richtung bon weltgefcdhicht- 
licher Bedeutung fiegte über die verknöcherte Politik eines 
Kleinen Landes. 

Die Einführung der Sefuiten in Prag war ein Ereignis, 
dag eigentlich ganz außerhalb aller Erwägungen der kirch- 
lichen Kreife Böhmens geftanden hatte; ein wahres Gottes- 
geichen? für die Fatholifche Partei, durch das fie unbermutet 
Kräftigung, Vertiefung, Ausbreitung und neues Anfehen 
erfuhr. Gleichzeitig gewann fie aber für ihre Aufrichtung 
noch eine neue Stüße, nad) der fie ſich ſchon lange gefehnt hatte. 

Das Prager Erzbistum war gleid) zu Beginn der Huffiten- 
kriege im Sabre 1421 zufamntengebrochen, da8 Domkapitel 
aus Prag geflohen, der Erzbiſchof Konrad zum Utraquismus 
übergetreten. Adminiftratoren verwalteten fortan die Fatho- 
liſche Kirche in Böhmen.” Unter König Ladislaus dachte man 
zum erften Male ernfter an die Wiedereinjegung eines Fatho- 
liſchen Erzbiihofs, König Wladislaw hatte fogar diefe Würde 
dem Krakauer Domherrn, feinem Erzieher, dem bekannten 
polniſchen Geſchichtſchreiber Johannes Dlugoſch, bereits ver- 
Heben, der aber darauf verzichtete. Auch ſpäter tauchten 


Brerbols, Geld. Wöpmens u, Mährens. 11. 14 


210 Fünfter Abſchnitt. 





ſolche Pläne wiederholt auf, blieben aber immer ohne Erfolg. 
Ferdinand I. hatte nad) feiner Wahl der Prager Gefandt- 
ſchaft, die bei ihm in Wien erfchten, am 15. Dezember 1526 
das Verfprechen gegeben, fi in Rom beim Papfte um die’ 
Wiedereinfegung eines Erzbiſchofs in Prag zu bemühen, ohne 
e8 aber erfüllen zu Fönnen. Auch 1537, 1589 und abermals 
1545 wurden in diefer Angelegenheit zwiſchen ihm und den 
Ständen Verhandlungen geführt, die nad) den Unglüdsjahren 
bes Schmalfaldner Krieges 1549 wieder aufgenommen wurden. 
Aber noch am 3. Januar 1558 mußte Ferdinand dem Landtag 
erffären, daß er feit langer Zeit nicht weniger als die Stände 
für die Wahl eines Biſchofs eintrete, der die Geiftlichkeit unter 
einerlei und beiderlei Geſtalt zu weihen vermöchte, daß 
aber darüber dermalen mit dem päpſtlichen Stuhl nicht ber- 
handelt werben fönne, vielmehr ein geeigneter Augenblid 
abgetvartet werden müffe. Schon zwei Jahre fpäter — e8 war 
inzwiſchen Ende 1559 Pius IV. Bapft geworden — im 
Mai 1560 wußte Canifius von Ferdinands feitem Entichluß, 
die Bifchofsfrage noch bei feinen Lebzeiten zur Enticheidung 
zu bringen. Am 5. September 1561 ernannte der neue Papfi 
den ihm präjentierten damaligen Wiener Biſchof Anton Brus 
bon Müglig zum Erzbiihof von Prag.” Nach einer Unter- 
bredjung von 140 Jahren hatte dag Königreich Böhmen wieder 
ein kirchliches Oberhaupt. Allerdings währte e8 eine Zeitlang, 
bevor er fich feiner neuen Stellung vollauf widmen konnte. 
Denn abgejehen davon, dab er die Würde eines Großmeifters 
des Sreugherrenordens innehatte, behielt er das Wiener Bis- 
tum nod) bi8 ins Jahr 1563 und war außerdem Vertreter 
des Kaiſers auf dem Trienter Konzil während deſſen Iekter 
Tagung vom 18. Januar 1562 bis 4. Dezember 1568, fo. dab 
er erft Anfang 1564 zu dauerndem Aufenthalt nad) Prag kam, 

In Trient fiel ihm unter anderem die mißliche Aufgabe zu, 
die Konsilsväter vom der Notwendigkeit zu überzeugen, daß ihm 
das Recht verliehen werde, in Böhmen für die utraquiſtiſche 
Bevölkerung auch utraquiftiiche Geiftliche zu weihen, d. h. folche, 
die dag Saframent der Euchariſtie ſub utraque fpenden. Das 
Konzil kam trog langwieriger Verhandlung über diefe Frage 


Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutſchen Reformation. 211 





au feinem Entſchluß und überließ „das ganze Geichäft“ ſchließ 
lid) dem Papfte allein, der nad) ubermaliger Mahnung durd) 
König Berdinand am 15, April 1564 einer Reihe von Erz- 
biſchöfen und Biihöfen in Deutichland, darunter auch Prag, 
das Recht verlieh, Priefter zu weihen, die unter beftimmten 
Bedingungen und Vorausſetzungen beide Arten der Kom- 
munion fpenden dürften. Erzbiſchof Anton verfündete felber 
das päpftliche Bugeftändnis in der Prager Domkirche am 
Sonntag den 23. Juli 1564. 

Zwei Tage ipäter, am 3, Juli ftarb Kaiſer Ferdinand I. 
in Wien nad) langem ſchwerem Sranfenlager, in dem Bewußt · 
fein, den katholiſchen Glauben aud) in dem huffitifchen Böhmen 
wieder gefräftigt zu haben. Freilich foll er auf dem Xoten- 
bette feinen Beichtoater ermahnt haben, auf feinen Sohn und 
Nachfolger Marimilien II. einzumwirfen, daß er kaiholiſch 
bleibe und daß „die katholiſche Religion, wie fie von unſeren 
Vorfahren auf ung löblich fommen, in unferen Ländern 
gehalten werde.“ Wenn dies richtig ift, dann hat Ferdinand 
trog feiner Bemühungen und Erfolge wohl faum die Über- 
zeugung ins Grab genommen, daß der Katholizismus in 
Böhmen für alle Zeit geficjert war, noch weniger geahnt, dab 
das Ende für Utraquismus, Quthertum und andere Lehren 
in diefem Lande nicht mehr fern ſei. 


14° 


Sechfter Abfchnitt. 


Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation 
bis zum Ausbeud) des dreißigjährigen Krieges. 
1564— 1620. 


Wie man die erfte Hälfte des 16, Jahrhunderts als das 
Beitalter der Reformation, der Umbildung der kirchlichen Ver- 
bältnifie bezeichnet, fo die zweite Hälfte als das der Gegen- 
reformation, in dem eine Rüdbildung, eine Gegenjtrömung 
ſich geltend machte.” Die Benennungen find von der allgemei- 
nen und deutſchen Geſchichte her genommen, für welche dieſe 
zweimalige religiöfe Ummälzung größte Wichtigkeit hat, mag 
fie fi auch in den verſchiedenen Ländern ganz verſchieden 
vollzogen haben, in Stalien und Spanien anders alg in Sranf- 
reich, in England und den nordifchen Staaten anders als in 
Deutichland. 

überall aber bedeutet diefe Bewegung eine vollfommen neue 
Erſcheinung. Nicht jo in Böhmen und Mähren. Hier war 
der Brud; mit der alten Kirche, das Reformationszeitalter, 
ſchon um ein Sahrhundert früher eingetreten und die gegen- 
teformatorifchen Beftrebungen des Katholizismus hatten ihren 
ſichtbaren Anfang ſchon mit dem Jahre 1433, mit dem Ab- 
ſchluß der Bafler Kompaktaten, genommen. Allein dieſe böh- 
miſche Reformation und Gegenreformation des 15. Yahrhun- 
derts war zu feinem Abſchluß gekommen. Es gährte Firchlich 
in beiden Ländern gewaltig, als von Wittenberg her der neue 
Keil in die Fatholifche Welt getrieben wurde. Und erſt diefer 
don Deutichland ausgehende religiöfe Kampf haucht dem böh- 
mifc-mähriidyen Kirchenweſen, das nicht vorwärts, nicht rüd- 
wärts Tonnte, neue Kraft ein. Luthertum in der erften, Jeſu- 
itentum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fpielen 
bier eine nicht geringere Rolle al8 in mandem deutſchen 
Fürftentum. Nur liegen die Dinge bier verwidelter. Die neue 
Lehre bat auf diefem Boden nicht mehr die Aufgabe, den 


Böhmen und Mähren zur Beit der Gegenreformation. 2318 





Katholizismus zu befämpfen und zu befiegen, jondern fid mit 
den fchon längit an deifen Stelle getretenen neuen Belennt- 
niffen des Utraquismus und des Brüdertumg auseinander zu 
fegen. Und der Sefuitismus muß den Kampf aufnehmen mit 
einem ſchon durch mehrere Menichenalter eingelebten, mit dem 
Volksbewußtſein verwachſenen Glauben, der in furdhtbaren 
Kriegen fcheinbar feuerfeft zufammengehämmert. worden war. 
Daher wird aud) der Kampf Bier ſchwerer, nimmt viel härtere 
Formen an, wird ein Ringen auf Leben und Tod. Die eine 
Beit lang gleichfam nur im Schlepptau der deutſchen dahin- 
siehende böhmiſche kirchliche Bewegung gerät auf einmal wie 
in einen Strudel, bäumt ſich auf, verjinft und überläßt dem 
Sanpiihfi den Enticheidungsfampf mit den aufgepeitichten 
N, 

Ferdinand I. hatte Böhmen in einem religiös ſcheinbar 
berubigten Buftand Hinterlafien. Sein gleichnamiger Sohn 
hatte es in der Würde eines Statthalters glänzend verſtanden, 
bie durch die Ereigniffe des Jahres 1547 getrübten Beziehun- 
gen zwiſchen Volk und Landesherrn wieder herzuftellen und 
fo freundlich ala möglich zu geftalten.” Ter König, der zugleich 
deuticher Kaiſer war, hat in den lekten anderthalb Yahrzehn- 
ten feiner Regierung wiederholt längere Zeit in Prag gemeilt, 
an großartigen Feftlichfeiten teilgenommen, auch andere Städte 
des Landes befucht. Sein und feines Sohnes offenes und 
eifriges Eintreten für den Natholizismus erregte feinen Un- 
willen, beſonders da fich die religiöjen Verfolgungen der Jahre 
1548 und 1549 nidjt mehr wiederholten, wenigitens nicht 
mebr in fo jchroffer, das öffentliche Leben fehädigender Form. 
Radikales Utraquiftentum, gleichbedeutend mit böhmifchem 
Luthertum, und Brüdertum mehrten fid) im Lande troß aller 
gegen. fie gerichteten Mandate, trog Begünftigung des Katho- 
ũzismus. Der Prinz-Statthalter hatte einmal im Jahre 1555 
vom Vater die Weiſung erhalten, in religiöfen Dingen nur 
ſoweit zu gehen, „auf daß... in unfrer Kron Beheim nicht 
weiterer Ungehorfam und Qumult daraus erfolge”. Man 
ftredte keineswegs bor den Sekten die Waffen oder gewährte 
ihnen freie Auswirkung; man führte aber den Kampf gegen 


214 Sechſter Wſchnitt 





fie mehr durch Stärkung der katholiſchen Richtung in allen 
Belangen. Auf utraquiſtiſcher umd Brüderfeite ſchätzte man 
die Gefahr, die der langſam wachſende Katholizismus in fi 
barg, zunächſt nicht hoch ein, umſoweniger, als man der Hoff- 
nung lebte, auf Serdinand werde ein dem neuen Evangelium 
äugeneigter Fürſt folgen: Maximilian IL, fein ältefter 1527 
in Wien geborener Sohn. 

Die beiden Brüder Marimilien und Ferdinand — ein 
dritter, jüngerer, Karl in Steiermark (Inneröfterreich), ſpielt 
für ung feine Rolle — im Alter nur um zwei Jahre unter- 
ſchieden, haben, obwohl fie bis zu Marimilians ſechzehntem 
Lebensjahr gemeinfom in Smnsbrud erzogen worden waren, 
wenig gleichartiges. Im Gegenfaß zu Ferdinands ftreng Fatho- 
licher Gefinnung, um den Hauptunterſchied zu betonen, neigte 
Marimilian, insbefondere feit feiner Rüdfehr aus Spanien, wo 
er von 1548—1550 gemweilt und feine Baſe, Kaiſer Karls V. 
Tochter Maria geheiratet hatte, entſchieden dem reformierten 
Glauben zu. Diefe Gefinnung brachte ihn aber in einen 
ſchweren Kampf mit feinem glaubensftrengen Vater. Er war 
nahe daran enterbt, von feiner Gemahlin, trogdem die Ehe 
überaug glüdlic war, und bon feinen Kindern getrennt zu 
werden. Die Berfolgungen und Zurückſetzungen ſchwächten 
allmählich feine Willensfraft, befonders als er fi in feinen 
Hoffnungen auf die proteftantifchen Fürſten im Reich getäufcht 
ſah. Späteftens zu Beginn des Jahres 1562 unterwarf er 
fi) dem Vater und gelobte, von anderen Zugeitändnifien ab- 
gefehen, „daß er in der Zatholifchen Religion leben und fterben 
wolle“; nur die Kommunion unter beiderlei Geftalt mußte 
man ihm zugeftehen. Seinen zwiefpältigen religiöfen Stand- 
punkt Kennzeichnet feine Erklärung: als Menſch fei er nicht 
päpftlid) und nidyt evangeliſch, fondern ein Chrift; als Herr- 
ſcher fei er Fatholifch.” 

Diefe Wandlung blieb aber für weitere Kreife Geheimnis. 
Dan hielt dafür, daß Maximilian, zur Regierung gelangt, feine 
wahre Gefinnung nidyt verleugnen werde. Insbeſondere waren 
es die Böhmiſchen Brüder, die ie au dem Thronfolger durd) deffen 
lutheriſchen Prediger Joh. Seb. Pfaufer frühgeitig Beziehun- 


Vöhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation. 215 





gen ſuchten. Maximilian war kurz nad) feiner Abreife nad) 
Spanien gemäß dem Wunſche feines Taiferlichen Schwieger- 
vaters auf dem Landtage in Prag im Februar 1549 zum 
böhmifchen König gewählt worden, ohne aber bei Lebzeiten des 
Vaters und während der Statthalterfchaft des Bruders eben 
wegen feiner religiöfen Saltung irgendivelden Einfluß auf 
die Landesverwaltung nehmen zu dürfen. Dem gewählten 
böhmifchen König war ein Jahrzehnt und länger das Be 
treten böhmifchen Bodens vom Vater Strengftens unterfagt; 
nur gegen defien Willen hat er fi) das eine und andere Mal 
hineingewagt. Das Hinderte die Böhmiſchen Brüder nicht, 
ſchon 1555 und dann noch dreimal bis Ende 1557 Gefandt- 
ſchaften nad; Wien zu ſchicken, um den jungen ‚König für ſich 
zu gewinnen. Daß ihnen nur ganz allgemeine Berfprecjungen 
gemacht wurden, ergibt ſich aus der Lage, Als dann aber 
Marimilian II. nad des Vaters Tod 1564 wirklich die Ne- 
gierung antrat, waren ihm in religiöfen Dingen bereit3 die 
Hände gebunden, abgefehen davon, daß er den „Brüdern“ 
keine Neigung entgegenbradhte und den böhmiſchen Verhält- 
niffen an fi wenig Aufmerkſamkeit ſchenkte. Die Statthalter 
ſchaft feines Bruders nahm erft Anfang 1567 auf deſſen eigenes 
Drängen hin ein Ende, alg er fi in fein ihm noch vom Vater 
zugewieſenes tirolifches Erbe zurückzog. 

Unter Marimilian II. bildeten fi; in Böhmen wieder Ver- 
bältniffe aus, wie fie unter Ferdinand I, vor 1547 geherricht 
hatten: die Regierungsgewalt ging an jene Adelspartei über, 
die die hohen Tandesämter in Händen hatte. Seit 1570 ftand 
der reiche und mächtige Wilhelm von Rofenberg auf Krumau 
als Oberitburggraf an der Spige der Vertvaltung, ein eifriger 
Katholif. Der König felbit entfremdete fich den Ständen, da 
er nur zu den Landtagsverhandlungen in Prag erſchien, um 
ſich die Steuern bewilligen zu laffen, Die Landtage wurden 
wieder der Boden, auf dem der Kampf zwiſchen Stände- und 
Fürftentum ausgefämpft wurde. Auf dem Landtag des Yahres 
1574, auf dem ſich Marimilian durd) feine Söhne Rudolf und 
Ernſt vertreten ließ, Flagte man: im Lande, befonders in den 
gebirgigen Gegenden, herrſche Hungersnot, daran viele 


216 Sedfter Abſchnitt. 





Menſchen zugrunde gehen, während andere gezwungen feien, 
ihre Kinder umfonft wegzugeben, zu verſchenken, ja bitten 
müßten, fie anzunehmen, „damit fie nit alſo elendiglid) Sun- 
gers fterben müßten“. Die Städte kämen fo herunter, daß 
in vielen 80, 40, 50 und mehr Käufer öd und unbewohnt da- 
ftünden, Selbft Familien des Herren- und Nitterftandes 
„müffen ſamt Weib und Kindern große Armut und Not 
leiden”. Wer hätte unter ſolchen Verhältniffen dem Könige 
noch höhere Steuern als früher beivilligen wollen? Man 
konnte fi) über die Forderungen nicht einigen, der Landtag 
ging „alfo ohne Frucht“ auseinander. In Wien aber deutete 
man die Ablehnung, wie der Faiferliche Reichshofrat Dr. Georg 
Eder an des Kaiſers Schwager Herzog Albrecht V. von Bayern 
ſchrieb, dahin: „dab die Behamen gar ein kalt Herz zu uns 
haben“, und der Kaifer felbft nad) Prag fahren müffe, „um 
zur Wirtfchaft zu fehen“, 

So fam e8 zum großen Prager Landtag des Jahres 1575.* 
Was ihm das Gepräge gab, war nicht etwa die Verhandlung 
über dieſe wirtſchaftliche Not, noch auch über politiic-finan- 
zielle Fragen; er war, wie es Wratislaw bon Pernitein, der 
böhmifche Oberftfanzler, in einem Schreiben an Wilhelm von 
Rofenberg ſchon am 9. Juli 1574 vorhergefagt hatte, „Burdj- 
aus von der religiöfen Frage beherrfdjt”. Und ebenfo äußerte 
fich der Prager Erzbifchof in einem Briefe vom 1. Sänner 1575: 
man jehe betrefis der religiöfen Angelegenheiten großen 
Kämpfen und Tragödien (concertationes et tragoedias) ent- 
gegen. 

Die großen religiöfen Tragödien, die ſich eben damals in 
der chriftlichen Welt des Südens und Weſtens Europas ab- 
fpielten, gaben zu ſolchen Befürchtungen allerdings genügen- 
den Anlab. 

Seit der Mitte des Jahrhunderts, feitdem die firengen 
Päpſte, mit dem greifen Paul III. Caraffa (1555—1559) 
beginnend, auf Petri Stuhl faßen, der glaubensharte Philipp II. 
(jeit 1556) das fpanifche Weltreich regierte und das Trienter 
Konzil feine Sitzungen am 4. Dezember 1563 mit einem Fluch 
gegen alle Neger, die Proteftanten nicht ausgenommen, feier- 


Vöimen und Mähren gur Zeit ber Gegenreformation. 217 





lich geichloffen hatte, war der Kampf zwiſchen dem neu belebten 
Katholizismus und der Reformation in allen ihren Richtungen 
und Schattierungen unausweichlich. Auf italienifchem und 
fpanifhem Boden wurde er mit Hilfe des grauenhaften 
Schredensregimentes der Autodafes und ber Inquiſition raſch 
zu Gunften der alten Lehre entichieden. In Frankreich führte 
er zu dem mehr als dreißig Jahre währenden hugenottifchen 
Religionsfrieg, der in der Parifer Bartholomäusnacht vom 
3. zum 24. Yuguft 1572 feinen Höhepunkt erreichte. In den 
ſpaniſchen Niederlanden aber erwuchs ein politifch-religiöfer 
Verzweiflungsfampf, der ſchon während der tyrannifchen Statt- 
halterſchaft des ſpaniſchen Herzogs Alba (1567—1573) zum Ab- 
fall der Niederlande von Spanien den Anftoß gab. 

Dieſe Ereigniffe, diefe „Morde an dent Volke, daS Leib und 
Blut unter beiderlei Geftalt empfängt”, wie es in einer Ylug- 
ſchrift hieß,’ wurden aud) in Böhmen befannt und erregten 
Entfegen und Aufregung. Aber zu einem Aufflammen der 
verborgenen Glut führten fie nicht. Man war auf beiden 
Seiten noch beitrebt, die Gefahr durch Verhandlungen zu 
bannen: das gibt dem denftwürdigen Landtag von 1575 feine 
Bedeutung. 

Die königlichen „Propofitionen”, d. h. die Anträge, die im 
Namen des Königs an die im Landtag berfammelten Stände 
ergingen, berührten die religiöfe Srage gar nicht. Sie handel- 
ten bloß von Steuerſachen, Bergwerkweſen, Elbeſchiffahrt und 
Wiederaufrichtung der Prager Univerfität. Ein Zeuge der 
Randtagseröffnung am 21. Februar fchrieb zwei Tage jpäter 

“ wörtlich: „Des Religionsweſens wurde auch nicht mit einem 
Wörtchen Erwähnung getan, wiewohl biele darauf warteten, 
was darüber gejagt werden würde; allein dag war alles um 
nichts." Aber die utraquiftifchen Stände erklärten in einer 
der erften Sikungen (3. März) durd den Oberftlandrichter 
Bohuslaus Felir bon Haſſenſtein-Lobkowitz, fie hätten 
beichloffen, im Landtag zu allererit in den kirchlichen Dingen 
eine Ordnung nad) dem von den Ständen des Neiches dem 
Kaiſer Karl V. feinerzeit in Augsburg im Jahre 1530 vor- 
gelegten Befenntnis fertig au ftellen, bevor an die Verhandlung 


218 Sechfter Abſchnitt. 





der anderen allgemeinen Artikel geichritten würde. Diefe 
Forderung, übrigens in enigegenfommendfter Form bor- 
gebracht, ging jedoch nicht von der gefamten utraquiftiichen 
Partei aus, fondern nur von den lutheriſch Gefinnten, die ſich 
Utraquiften nennen mußten, um ſich nicht „gleihjam außer- 
halb des Geſetzes“ zu fellen. Die Altutraquiften unter der 
Führung des Oberftfämmerers Johann von Waldftein ertvider- 
ten fofort, man möge fi) in feine Neuerungen einlaffen, da 
„viele Hunderttaufend gute Chriften” dem nicht auftimmen 
würden, „daß wir irgendein neues und deutiches Bekenntnis 
fuchen“. Eine für die „Utraquijten“ gültige neue Kirchen - 
ordnung, die aud) er wünſchte, hielt er nur dann für möglich, 
wenn fie auf Grund „der alten Schriften und Landtags- 
beſchlüſſe“ aufammengeftellt würde. Und fofort meldeten ſich 
Stimmen, die an die bereit3 beftehende „Ronfeflion der 
Böhmiſchen Brüder“, oder wie man fie damals auch nannte, 
„Bunzlauer Brüder“ erinnerten. Die wenn auch ſchwächere fo 
doch in ſich geeinigte Fatholifche Partei ftand fomit im Landtag 
gegenüber den in drei Richtungen geipaltenen Utraquiften. 
Nicht die althergebrachte ftändifche Scheidung in Herren, Ritter 
und Bürger gab den Ausſchlag, jondern die in vier religiöfe 
Gruppen: Katholiken, Altutraquiften, Neu- oder Iutherifche 
Utraquiften und Brüder. Zunächſt verfuchte man ein Bufam- 
mengehen ber legten drei. Es wurde aus allen drei Ständen 
ein achtzehngliedriger Ausſchuß gewählt, der aus der 
Yuguftana, der Brüderfonfeifion, den Landtagsſchriften und 
anderen alten Quellen eine „neue“ Bekenntnisſchrift verfaſſen 
follte, die man dem Kaiſer alg gemeinjame „utraquiftiiche 
Kirchenordnung” zur Beltätigung vorlegen mollte. 

Dieſes Werk fam wohl, wenn auch unter größten Schwierig · 
feiten zuftande. Am 17. Mai war es fertiggeftellt, aber die 
Altutraquiften hatten an deſſen Abfaſſung feinen Anteil; fie 
waren gleich zu Beginn der Verhandlungen aus dem Aus- 
ſchuß ausgefchteden. Die neue böhmifche Konfeffion in 25 
Artieln war das Werk der „Ronfeffiomiften“, wie man die 
lutheriſchen Utraquiften von nun am bezeichnete, und der 
Brüder. Sie gab bald ganze Artikel der Auguſtana in vollem 


Böhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 219 





Wortlaut wieder, bald Hatte fie Auffaffungen, einzelne Aus- 
drüde und auch ganze Säge aus der alten Brüderfonfeffion 
herübergenommen.” Im ganzen ftellte fi die Böhmiſche Kon- 
feffion dar als „dag Werk und Bekenntnis der unter dem Ein- 
drud der Iutherifch-melandhthonifchen, teilweiſe aud) kalviniſchen 
Reformation ftehenden und durch diefelbe geförderten und 
befruchteten huſſitiſchen Bewegung“; nad anderer Auffaſſung 
als „ein dunkles ſich oft untereinander widerſprechendes 
Gemiſch der lutheriſchen Lehre und jener der Böhmiſchen 
Brüder“. Dabei verzichteten aber die Brüder auf ihre eigene 
Konfeſſion und Kirchenordnung keineswegs, ſondern wollten — 
zwei Eiſen — dieſe im Rahmen und unter dem Schutze der 
neuen gemeinſamen „Böhmiſchen Konfeſſion“ behalten, wie fie 
denn aud) ihre Glaubensſchriften dem Kaiſer gelegentlich durch 
beffen Leibarzt Doktor Crato, ihren ſcheinbaren Gönner, über- 
reichen ließen. 

Die ganzen Landtagsverhandlungen hatten bis zur Fertig- 
ftellung des Bekenntniſſes geftodt, und nunmehr, als befannt 
wurde, daß der Kaiſer die Schriften zur eigenen Durchſicht und 
Weiterberatung angenommen batte, ftellten fi, wiederum die 
Katholiken auf den Standpunkt, die Erledigung des Religiong- 
artikels abwarten zu müfjen, bebor fie zu den anderen Artikeln 
Stellung nehmen fönnten. 

Der Kaiſer ließ über die neue Konfefjion Gutachten einholen 
von Altutraquiften und Katholiken; die Kurie, der Nuntius, 
die Sejuiten mahnten ihn, foldje Neuerungen nicht zuzulaſſen, 
von der Kanzel im St. Veitsdom wurde gegen die „pikardifche 
und räuberifche Konfeſſion“ gepredigt. Marimilian hielt die 
Konfeffioniften und Brüder mit ungewiſſen Verſprechungen 
bin, erft in einer Unterredung am 25. Xuguft ließ er fie klar 
erfennen, daß er ihrem Wunſche nad einer fchriftlichen 
Anerkennung mi Rüdficht auf den Widerftand der Katholiken 
und Altutraquiften nicht willfahren, fondern ihnen nur zu ⸗ 
fiern könne, daß fie weiterhin, auch unter feinen Nach- 
folgern, von niemandem würden beläftigt werden. Es ſchien, 
als ob daraufhin der Landtag geiprengt werden follte. Nur 
den Bemühungen Haſſenſteins, des Führers der Konfefjioniften, 





220 Sechſter Wichnitt 


gelang es, den Bruch hintanzuhalten. In einer Unterredung 
zwiſchen dem Kaiſer und den zehn vornehmſten Mitgliedern 
dieſer Partei am Morgen des 2. September gab er ihnen eine 
mündliche „Aſſekuration und Verſicherung“, daß ſie ſich für 
jetzt und ſpäterhin keinerlei Beſorgniſſen bezüglich der freien 
Ausübung ihres Bekenntniſſes hinzugeben brauchten und ſchloß 
mit den feierlichen Worten: „Gott weiß, daß ich in den Sachen 
mit euch treulich handle und ſoferns anders iſt, ſo gebe Gott, 
daß das an meiner Seelen auch geht“, wobei er ſich auf die 
Bruſt ſchlug. 


Der Sturm war beſchworen. Binnen wenigen Tagen 
beſchloſſen nunmehr die Stände einmütig die kaiſerlichen 
Propoſitionen, vor allem die angeſprochenen Steuern, wenn 
auch nicht, wie Marimilian verlangt hatte, für fünf oder mehr, 
fo doch für ein Jahr; ferner, woran dem Kaiſer befonders 
gelegen war, die Krönung feines älteften Sohnes Rudolf zum 
König von Böhmen, die am 2. September in Prag ftattfand. 
Vier Tage fpäter reifte Maximilian nach Regensburg ab, wo 
Rudolfs Wahl zum deutichen König borgenommen wurde. 


Es zeugt von der Unflarheit, die die Verhandlungen diefes 
Landtages hervorgerufen hatten, daß zunächſt beide Parteien, 
einerſeits Konfeffioniften und Brüder, anderfeit3 Katholiken 
und Altutroquiften, in dem Glauben lebten, den wahren 
Erfolg errungen zu haben. Aus einem Schreiben einiger 
Wittenberger Profefioren an Haffenftein vom 3. Nobember 
1575 erfieht man, dab diefer ihnen gemeldet hatte, der Kaiſer 
habe allen drei Ständen, Herren, Nittern, Städten, die neue 
Konfeffion bemilligt, jo daß fie „offentlich verfündet und ber- 
breitet werden könne“. YHaffenftein war nur darüber im 
Bieifel, ob fie mit der Iutheriichen Lehre in vollem Ein- 
Hang ftünde. Die Wittenberger beruhigten ihn hierüber und 
gaben ihr in ihrer Zufchrift den Namen: „Böhmiſche Kon- 
feifion aller drei Stände, die ſich nad) der Augsburgiſchen Kon- 
feffion richten“. Auch hatten fich die Konfeffioniften noch wäh- 
rend des Landtages eine eigene Verwaltung gegeben; fie wähl- 
ten am 13. September fünfzehn „Defenforen”, je fünf aus 


Böhmen und Mähren aur Zeit der Gegenreformation. 221 





jedem Stand, denen die Leitung des ebangelifchen Klerus 
und de3 ganzen Kirchenweſens zuftand. 

In katholiſchen Kreifen fchrieb man mit gutem Grunde, 
geftügt auf Äußerungen des Kaifers, feinen den Proteftanten 
gegebenen mündlichen Zufagen vom 2. September feine allzu 
große Bedeutung zu und konnte fi) denn auch fehr bald von 
der Richtigkeit diefer Anſchauung überzeugen. Die Lutheraner 
und aud die Brüder fuchten nämlich fofort dort, wo fie die 
Mehrheit befaben, Geiftliche ihrer Richtung in die Kirchen ein- 
zuſetzen, Bethäufer zu eröffnen umd neu einzurichten, wodurch 
in Prag und auf dem Lande Zwiſtigkeiten befonder8 mit den 
Atutraquiften entftanden. Als hierauf der Kaiſer um feine 
Entfcheidung angegangen wurde, Imgte am 5. Oftober aus 
Regensburg ein Mandat ein, durch das alle „Berfamblungen 
und Bufammenfünfte“ unterfagt wurden, bei denen „in großer 
Anzahl nit allein daS gemeine Bauernvolk, fondern aud) aus 
den Herren⸗, Ritter- und Bürgerftand Mann- und Weibs- 
perfonen zufammenfomben und allda ihre Predigten und 
andere Religionen üben ... . in den Städtlein und Dörfern, 
auf den Schlöffern und Sitzen derfelben“. Ebenfo wurde den 
königlichen Städten verboten, in religiöfen Dingen Änderun- 
gen vorzunehmen, vielmehr follten fie alles jo belafien, wie 
e8 „bor Zeiten und bis auf jetzo gehalten worden“. Der Drud 
der Böhmifchen Konfeffion mußte wieder eingeftellt werden. 
Mllerdings bemäntelte der Kaifer auf einen erniten Schritt der 
Konfeffioniften hin fein Vorgehen ſpäter damit, daß feine 
Verfammlungsverbote doch nur „die pikardiſchen Bufammen- 
fünfte”, alfo die der Brüder, beträfen, daß er die Rechte 
der beiten oberen Stände in Bezug auf ihre Prieſterſchaft nicht 
beeinträchtigen wollte und die Vorfälle, über die Beſchwerde 
geführt worden jei, ftrenge unterfucht werben follten. 

Es war ſchwer gegen Lutheraner und Brüder angeſichts 
ihrer Stärke mit Entichiedenheit vorzugehen. Wir willen, daß 
im Landtag die Lutheraner allein über 69 und mit den ſechs 
Mitgliedern der Unität iiber 75 von 90 Stimmen im Herren- 
und über 100, beziehungsweife 116 bon 185 Stimmen im 
NRitterftand verfügten; in die reſtlichen teilten ſich Altutra- 


222 Sechſter Wſchnitt. 





quiſten und Katholiken. Zu den Lutheranern und Brüdern 
hielten auch die Vertreter der Städte Prag, Saaz, Kaaden, 
Kuttenberg, Nimburg, Chrudim, Leitmerik, Beraun und viele 
andere, wiewohl die Bevölkerung in der Mehrzahl von ihnen 
religiös gemifcht war. Im ganzen Land, deſſen Eintwohner- 
zahl man auf drei Millionen und einige bunderttaufend 
Be ſchätzte man die Katholifen höchſtens auf ein 
intel. 


Was aber der Tatholifchen Partei im Landtag und im Lande 
an Zahl abging, erfeßte fie durch das Anfehen ihrer Mitglieder, 
durd) den Rückhalt am Hof, die Unterftüßung durch die päpft- 
lie Kurie, den heimifchen und fremden hohen Klerus, die 
werftätigen Iefuiten. Bon den Landesämtern waren die höd- 
ften, das des Oberftburggrafen (Wilhelm von Rofenberg), 
Oberfthofmeifterg (Ladislaus d. A. von Lobkowitz), Oberft- 
kanzlers (Wratislaw von Pernſtein), Oberſthofrichters (Adam 
bon Schwamberg), des Burggrafen von Karlſtein (Sohann 
Borita von Martini), des Oberſtkammermeiſters (Sbinek 
Berka von Duba), des Appellationsgerichtspräſidenten (Johann 
Popel d. A. von Lobfowig) u. a. m. im Beſitze von Katholiken. 
AMlerdings ſchon ihre Stellvertreter und die Schar der niederen 
Beamten, Räte, Sekretäre und Schreiber, waren Nichtkatho- 
lifen, die aud; Stellen wie das Oberftlandrichter- und das Hof- 
marſchallamt bereits innehatten. 


Faßt man alles zufammen, fo hielten fich die beiden Lager 
das Gleichgewicht; hier fiel die äußere Macht, dort die Volfs- 
sahl ins Gewicht; hier glaubte man an den deutſchen 
Proteſtanten, dort an den katholiſchen Höfen Unterftigung 
finden zu Tonnen. Im ganzen aber berridjte eine bejorgte 
Stimmung und dumpfe Spannung. Als Kaiſer Mari- 
miltan IL, der ſchon am 12. Oftober 1576 in Segensburg 
geftorben war am 22, März 1577 in Prag fei lich zu © 
getragen wurde, ergab es fich, daß das Gedränge eine ee 
Unordnung und Geſchrei im Leichenzug bervorrief. Sofort 
fliichteten ſich die katholiſchen Geiſtlichen und Gerichte ber- 
breiteten fich, als ob gegen fie und die Sefuiten ein Anſchlag 





Vöhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformatton. 228 





geplant geweſen ſei, jo unficher fühlte man fi) in der Saupt- 
ftadt, troß der Anweſenheit des neuen jungen Königs. 

Es ift begeichnend, daß man von Anfang an ziemlich allge- 
mein die Überzeugung hatte, in Rudolf einen bedeutungslofen, 
„unanfehnlichen König“ zu befigen. Diefen Ausdrud gebrauchte 
ſchon im Jahre 1576 der braunſchweigiſche Gefandte auf dem 
Reichſstag in Regensburg. Der päpftlide Nuntius Delfino 
faßte fein Urteil in die Worte zufammen: Rudolf fei „unfähig, 
die jo ſchwere Laſt der Regierung zu tragen“, Und zu gleicher 
Zeit, am 18. Oftober 1576, ſchrieb der politif_he Agent des 
Kurfürſten Auguft von Sachſen aus Regensburg: „Viele fan- 
gen an zu fürditen, daß große Änderungen in der Religion 
beborftehen, nicht allein in Sfterreich, Ungarn und Böhmen, 
fondern auch im Reich“ Hiezu Fam, dat man an Rudolf jehr 
bald, fon im Sabre 1577, die Wahrnehmung einer beran- 
ſchleichenden geiftigen Erkrankung machte, die ſich fpäter in 
Schwermut, Menſchenſcheu, Jähzorn. Verfolgungs- und 
Größenwahn äußerte, ohne aber je in wirkliche Geiſtesſchwäche 
auszuarten.° Im Gegenteil: Rudolf war von Natur aus vor- 
züglich begabt, beſaß ganz außerordentliche Kenntniffe auf den 
verſchiedenſten Gebieten, Spraden, Wiſſenſchaften, Künſten, 
Kunſthandwerk, war ein unermüdlicher Sammler bon Fite- 
rariſchen und Fünftlerifchen Schäßen jeglicher Art, allerdings 
aud) von Abjonderlickeiten. Er hielt an feinem Hofe, den er 
1582 von Wien dauernd nad) Prag verlegte, Künftler und Ge- 
lehrte, nennen mir etwa: die Maler Georg Hufnagel aus Ant- 
werpen, Sans bon Aachen aus Köln und Johann Breugbel, 
den Nupferftecher Sadeler, die beiden Aftronomen Tycho Brahe 
aus Schweden und Johannes Kepler aus Württemberg. 

Ablenkungen folder Art beeinträctigten nebit der Krankheit 
Rudolfs Regententätigfeit in hohem Maße. Selbft hohe adlige 
Beamte, wie Karl von Zierotin aus Mähren, Eonnten, wie 
diefer ſelber Elagt, weder durch Bitten, noch durch Geld, noch 
durch eine andere Praktit” zu einer Audienz gelangen; und 
wer jchlteßlich doch foldjer Gnade teilhaftig wurde, mußte „in 
Worten” fein Anliegen erledigen. Des Kaiſers 
Ehrgeiz aber, alle politiihen Fragen felber zu enticheiden, 


224 Sechſter Abſchnitt. 





nichts aus den Händen zu geben, bewirkte eine ſchädliche Ver- 
ſchleppung der wichtigften Angelegenheiten, eine Zurückſetzung 
der hohen Beamten und ein Anwachſen des Einfluffes und 
der Macht der niederen Dienerichaft aus des Kaiſers perjün- 
lichen Umgebung, da3 mit dem Worte des „Kammerdiener- 
regimentes“ gefennzeidinet wird. Alle diefe ungefunden Ber- 
hältniſſe entwickelten ſich aber ſehr allmählich und machten ſich 
nicht ſofort fühlbar, am wenigſten in der Verwaltung der 
böhmiſchen Länder. Die Landtage wurden regelmäßig faſt 
Jahr für Jahr einberufen und abgehalten, zumeift in Anmejen- 
beit der Königs. Die Stände bemwilligten die immer fteigenden 
geldlihen Anforderungen und Steuern, die oft ganz unge» 
mwöhnlichen Koften für Kriegsvolk, das man gegen die Türfen 
benötigte, noch im Jahre 1590 „in einer fo herzlichen Weife, 
daß daraus das innige Einvernehmen, das zwiſchen dem 
König und dem Lande herrichte, erfichtlich ift”.t 

Eine Reihe von Angelegenheiten beichäftigte einen Land- 
tag wie den anderen, ohne daß man einen weſentlichen Yort- 
ſchritt feſtſtellen könnte. Dazu gehört in erfter Linie dag leidige 
Schuldenweſen der königlichen Kammer, das ſchon unter Fer- 
dinand I. und Marimilien II. den Ständen Jahr um Jahr 
behufs endgültiger Abhilfe vorgetragen worden war; fodann 
die Schiffbarmachung der Elbe, nicht zulegt, um die Ausfuhr 
don Getreide und Fiſchen, daran im Lande zeitiveife Überfluß 
berrfchte, zu erleichtern. Immer wieder wurde die Ver- 
befierung des bdarniederliegenden Bergmwefens, bejonders in 
Kuttenberg, auch in Joachimstal, erörtert, wobei im 
Jahre 1587 die Gründung von Bergbaugefellichaften angeregt 
wurde. Ebenſo wurde nad) Abhilfe gegen die Teuerung geſucht 
durch Erlaffung von Handiverfer- und Polizeiordnungen. Der 
Ausgleich zwifchen den Stadtrechten und der Landesordnung, 
Grenzfiherung, der bayrifche Salzhandel im Bufammenhang 
mit Straßenbau, Judenſachen, das vielfach zerrüttete Münz- 
weſen beichäftigte viele der Landtage, neben den üblichen 
Standeserhöhungen, den immer zahlreidher auftretenden 
Inkolatsverleihungen an Fremde, Entihädigung bei 
Elementerereigniffen in den koͤniglichen Städten; gelegentlich 


Böhmen und Mähren zur Beit ber Gegenreformation, 225 





toind auch über den Mangel an raten geklagt, der bei den 
fo oft auftretenden Peit- und anderen Krankheiten ſchwer 
empfunden wurde und man fucht dem Spitalelend abzubelfen. 
Aber auch außenpolitiiche Angelegenheiten werden zur Sprache 
gebracht; die allgemein wichtige Stage der Einführung des 
gregorianifchen Kalenders, d. h. der bon Papſt Gregor XIII. 
im Sabre 1582 feitgefegten neuen Beitredimung, beidjäftigte wie 
die böhmifchen fo die mähriſchen Stände auf den Landtagen 
bon 1583 und 1584. Ihr anfängliches Sträuben gegen die 
Neuerung, in Mähren, weil ihnen die Einführung entgegen 
ihren Privilegien vom Kaiſer „befohlen“ worden war, in 
Böhmen, weil man nur im Einberjtändnis mit dem Neid) 
vorgehen wollte, gaben die Stände auf einen neuerlicdyen 
Antrag des Kaiſers im Landtag auf. 

Die für die Zufunft bedeutfamfte und folgenſchwerſte Frage 
blieb aber die religiöfe. 

Man möchte dem Urteil des zeitgenöffifchen Chroniften und 
Staatsmannes Wilhelm Slawata, daß unter Rudolf IL. zunächſt 
„viele Yahre hindurch die Inwohner in ihren mannigfaltigen 
abweichenden Neligionsgebräuden feine Behinderung er- 
fuhren” ,*® zuftimmen; allein er ſcheint dabei nur die Zeit 
unmittelbar por und nad) 1600 im Auge zu haben. In Wirk- 
lichkeit waren die religiöfen Verhältniffe in Böhmen auch nad, 
dem Prager Landtag von 1575 nicht zur Ruhe gefommen. Die 
Rage der Nichtkatholifen war damals nicht geieklich geregelt 
worden, fondern beruhte auf mündlichen Zuſagen Sailer 
Marimiliang II. Lutheraner und böhmiiche Brüder, der weit- 
aus größte Teil der damaligen Bevölkerung Böhmens in allen 
Schichten, Bauern, Bürgern und Adligen, mar nicht anerfannt, 
fondern geduldet; Katholiken, „ein kleines Häuflein“, wie der 
Erzbifchof dem Kaiſer jchrieb,t* und die im Ausſterben befind- 
lichen Altutraquiften waren und blieben die allein im Lande 
berechtigten und anerfannten Konfeſſionen. Die Streitig- 
feiten, Berfolgungen, Verdächtigungen hörten nicht auf. 
Mahnungen an den Kaifer und beftimmte Vorſchläge, wie daß 
Religionswefen in Böhmen von Grund aus geändert werden 
fönnte, find aus diefer Zeit nicht wenige erhalten: 1577 von 


Bretdols, Geld. Böhmens u. Mahrens. II. 15 


226 Sechfter Abſchnitt. 





dem Jeſuiten Lanoy, dem Viſitator der böhmiſchen Jeſuiten · 
provinz, 1580 von dem Nuntius am kaiſerlichen Hofe Placen- 
tinus, 1584 vom Nuntius Bonomi. Dieſes „Memorial” 
hatte denn aud; den Erfolg, dab noch im jelben Jahr am 
27. Zuli ein Faiferliches Verbot gegen die Brüderunität er- 
lafien wurde, das, anfangs jehr ernſt gehandhabt, ſich bald als 
ſchwer durchführbar eriwieß.! 

Nudolf dachte ſicherlich trog feiner ftreng katholiſchen Über- 
deugungen und feiner tiefen Abneigung gegen alle Särefien 
nicht daran, einen Glaubenskrieg zu entfachen. Aber auch der 
alte Adel, die NRofenberge und Pernfteine und andere, fagten 
e8 dem päpftlichen Nuntius offen, daß fie eine weitgehende 
Verfolgung der Brüder nicht unterftügen würden. Es mußte 
erft ein in der Schule des Fampfesmutigen Sefuitismus auf- 
gewachſenes neues Geſchlecht ans Ruder fommen, um ſolche 
Bahnen einzufchlagen, ein Geſchlecht, von dem ein neuerer 
Geichichtsfchreiber urteilt, daß, wenn zur Ausrottung der 
Negerei die Vernichtung Böhmens nötig geweſen wäre, e8 auch 
dies ohne Erbarmen und ohne Gewiſſensbiſſe getan hätte.“ 

Slawata fchreibt der Ernennung Sdeneks von Lobkowitz 
zum Oberſtkanzler am 4. Sept. 1599 für die Wandlung der 
kirchlichen Verhältniſſe in Böhmen die größte Bedeutung zu. 
„Ein im katholiſchen Glauben fehr eifriger Herr“, habe er ſich 
auf mannigfache Weife bemüht, die alte Kirde im Lande zu 
fördern. Er war ein Neffe des damaligen Erzbiihofs von 
Prag, Sbinek Berka von Duba (1593—1606), der gleid; nad 
feiner Einjegung dem Naifer wichtige Voricläge wegen 
Emporkringung des böhmiſchen Kirchenweſens unterbreitet 
hatte und fich als fo eifriger Förderer des katholiſchen Glau- 
bens betätigte, daß ihm ſchon im Jahre 1595 der päpſtliche 
Dank für feine „Sorgfalt und Mühen” zuteil wurde. Ihm und 
dem neuen Nuntius am Prager Hofe, Erzbiichof Philipp 
Spinelli, der feit März 1599 diefe Stelle einnahm, ift es zu- 
zuſchreiben, daß der eben damals bon feiner Krankheit ſchwer 
geplagte Kaifer am 2. September 1602 ein vom 22. Juli aus- 
geitelltes Mandat genen die Brüder berlautbaren ließ, das 
feine Vorläufer und Mufter, das König Wladislaws dom 


Vöhmen und Mähren zur Beit ber Gegenreformation. 227 





Jahre 1508, Maximilians von 1575 und Rudolf von 1584, 
an Strenge bei weitem überbot.!” Bezeichnend für den Wantel- 
mut des Kaiſers iſt e8, daß er kurz zuvor noch an eine Auß- 
treibung der erft 1599 in Prag eingeführten Kapuziner ge 
dacht hatte, von der man ihn nur mit Mühe abbrachte. 

Sperrung von Bethäufern und Schulen der Brüder in Jung- 
bunglau und anderen Städten, Entfernung von Brüdergeift- 
lien waren die unmittelbare Folge des Mandats. Allein 
bie betroffenen Stände, insbeſondere die Ritterſchaft, trat 
während des Landtags im Jahre 1603 mit folder Entichieden- 
heit gegen die neuen DBerfolgungen auf, daß der zu früh an- 
geipannte Bogen wieder nachgelaſſen werden mußte. Als ihr 
Wortführer erhob fi) damals Wenzel Budowetz bon Budow, 
eine der Märtyrergeftalten Böhmens, wie wir noch hören 
werden. Geboren um das Jahr 1547, ausgebildet an der 
Prager Uniberfität, verbrachte er dann viele Jahre auf weiten 
Reifen in Europa und bis in die aſiatiſche Türkei hinein... In 
die Heimat zurücgefehrt, beteiligte er fid) jeit 1584 am öffent» 
lichen Leben. Sein Briefwechſel mit fremden Gelehrten und 
bedeutenden Menſchen, insbejondere mit dem Genfer Kalvi- 
niften Theodor Beza, bezeugt, da ihm die theologifchen Fragen 
am nädjiten ftanden. Seine allgemeine Bildung, feine fchrift- 
ſtelleriſche Tätigfeit, die ihm neben dem Mährer Yohann 
Blahoflam (1523—71), dem Verfaſſer der berühmten Kralitzer 
Brüderbibel, dem Auttenberger Nikolaus Datſchitzky von Heſlow 
(1555—1626), Daniel Adam von Weleflatvin (1545—1599) 
u. a, einen Ehrenplag unter den damaligen böhmifchen Ge- 
lehrten fidhert, eine bejondere Rednergabe und feine unbedingte 
Anhänglickeit an den Brüderglauben beitimmten ihn gleich - 
fam von jelbft zum Haupt diefer Partei im politifchen Kampfe, 
der jet ausbrach. 

Nachdem er feinen und feiner Glaubensgenofien Stand- 
punkt in einer längeren Rede im Landtag dargelegt hatte, 
wurde ihm der Auftrag zuteil, an den Kaiſer eine Bittichrift 
im Namen der ganzen Brüderunität zu richten, die immer- 
Bin. den Erfolg hatte, daß die oberften Landesbeamten dem 
Kaiſer rieten, mit der Durchführung des gegen die „Pik- 

16° 


228 Sechſter Abſchnitt. 





harten“ erlaſſenen Mandats innezuhalten; nur Budowetz ſelber 
hatte infolge ſeines entſchloſſenen Auftretens verſchiedene 
Unannehmlichkeiten zu erleiden. 

Es iſt begreiflich, daß nad) folden Erfahrungen die Nicht 
Tatholifen und insbefondere die Böhmiſchen Brüder die erfte 
Gelegenheit zu ergreifen jtrebten, um endlich eine gefeßliche 
Regelung der religiöfen Verhältniffe im Lande zu erreichen, 
durch die fie gegen Vorftöße folder Art von feiten der Katho- 
Iifen einigermaßen gelichert würden, um fo mehr als die Refa- 
tholifierung im kleinen auf den herrichaftlichen Gütern feinen 
Stillftand erlitt.” Und diefe Gelegenheit bot fich eben damals 
im Bufammenhang mit der jeit Jahr und Tag in Verhandlung 
ftehenden Erbfolgefrage nad) Rudolf IL. 

Der Kaiſer war nicht verheiratet, obwohl feine Vermählung 
mit König Philipps II. Tochter Sfabella fait zwei Jahrzehnte 
in Schwebe jtand, hatte Feine rechtmäßigen Finder. Seine 
ſchwache Gefundheit legte es nahe, bei Lebzeiten die Nach- 
folge im Reid) und in den Erbländern zu regeln, bejonders 
da verjchiedene Umtriebe und Madjenichaften gegen das Haus 
Habsburg die Gefahr, die eine Hinausfchiebung diefer An- 
gelegenheit in fich barg, deutlich genug erfennen ließen. Scheute 
ſich doch felbjt ein römifcher Kardinal, der nachmalige Vapſt 
Klemens VIIL, nicht, bei einem Bejuche in Prag im Jahre 
1588 den Oberitlandhofmeifter Georg Popel von Lobfowig in 
einem Trinkſpruch als „Eünftigen König von Böhmen” hoch- 
leben zu laffen und ihn in einem Briefe an König Sigmund 
von Polen „wegen jeines Glaubenseifers als tauglicher für 
das böhmiſche Königtum zu bezeichnen als Rudolf IL“ Der 
Gedanke, ihn oder den ebenfo mädjtigen und reihen Wilhelm 
don Rofenberg oder Adam von Neuhaus an Stelle der Hab3- 
burger zu einem „katholiſchen Georg von Podiebrad“ in Böh- 
men zu madjen, ſchien bei der verzweifelten Lage des Nönig- 
reichs nicht ganz außgeichlofien. Allerdings ſoviel Macht beſaß 
Rudolf noch, um ſich eines folden Rivalen zu entledigen und 
ihm ein jammerbolles abſchreckendes Ende zu bereiten.” 

Aber weder diefer Zwiſchenfall noch andere viel wichtigere 
Anzeichen einer allgemeinen Mibitimmung gegen die Hab8- 


Vöhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation. 229 





burger” konnten den kranken Kaiſer veranlafien, fein Hans 
zu beitellen, jo oft er e8 aud) auf das beftimmtefte zugefagt 
hatte. Sein Bruder Mathias mußte „den Weg der Revolution” 
einfchlagen, der „Bruderfrieg im Kaufe Habsburg“ mußte 
ausbrechen, um die Entfcheidung herbeizuführen. 

Das unglüdliche Regiment Rudolfs mit feinen ſichtbaren 
Schwächen und den gewaltſamen Refatholifierungsmaßregeln 
hatte einen fiebenbürgifchen Großen, Stephan Boczkay, ber- 
anlaßt, einen Aufruhr zu erregen, der um jo gefährlicher 
wurde, als Boczkay mit den Türken im Bunde ftand. Das 
habsburgiſche Ungarn ging verloren, Mähren wurde von den 
ſchrecklichen Heiducken 1605 in grauenhafter Weife heimgeſucht,“ 
Wien und Steiermark waren aufs äußerjte gefährdet. „Die 
ganze Machtſtellung des Hauſes Habsburg jtand auf dem 
Spiele”. 

Raſche, ungünftige Friedensſchlüſſe mit Boczkay und den 
Türken (1605 und 1606) bannten zwar bie augenblidliche 
Gefahr, aber die Unmöglichkeit, Rudolf zu einer zielflaren 
Politik zu bringen, beftimmte nun jeine Brüder und Bettern 
fi im Wiener Vertrag vom 25. April 1606 gegen ihn zu- 
ſammenzuſchließen. Sie erklärten, da Rudolf zur Regierung 
infolge feiner Krankheit „weniger hinreichend und geeignet 
ſei“, Mathias zu ihrem Haupt erwählt zu haben, und faßten 
Rudolfs Abſetzung ernt ing Auge. Sie follte mit Hilfe der 
Stände aller Rudolf zugehörigen Länder, alfo Ungarns, Oſter- 
reichs, Böhmens, Mährens und Schlefiens durchgeführt werden. 
Allein wie fo oft ſchon in der Geſchichte, zulegt noch während 
des Schmalfaldner Krieges, ſchieden fi) wiederum die Wege 
der beiden Sauptländer der böhmifchen Krone, Böhmens und 
Mährens. 

Das war vornehmlich das Werk Karls von Zierotin, des 
Sohnes eines der angeſehenſten und reichſten mähriſchen 
Barone, Johanns von Zierotin auf Namieſt und Eibenſchitz, 
mit deſſen Unterſtützung Blahoſſaw die Kralitzer Bibel ge- 
arbeitet und gedrudt hatte, und deſſen Frau Marianne aus 
dem nicht minder berühmten Hauſe der Boskowitze.“ Ge- 
boren 1564, im Todesjahr Kaiſer Ferdinands I., war er auf- 


J 


230 Secfter Abſchnitt. 





gewachſen im Glauben der Brüderunität, wurde wahrſcheinlich 
zuerſt an einer ihrer beiten Schulen in Eibenſchitz erzogen, 
ftudierte dann in Straßburg, der deutichen, in Bajel und 
Genf, den ſchweizeriſchen Kalviniſtenſtädten, machte viele Reifen 
in Deutſchland, England, Frankreich, Italien, bewahrte zeit- 
lebens Verbindung mit fremden Gelehrten, war felber in 
hervorragendem Maße ſchriftſtelleriſch tätig, unterhielt reichen 
Briefwechſel; „der legte Ring an jener Kette von bedeutenden 
Männern der Feder und der Tribüne (im mähriſchen Brüder- 
tum), welde wiſſenſchaftlichen Ruhm und den Ruf tiefer poli« 
tifcher Einſicht diefem Lande erworben hatten“. Frühzeitig 
und mit großem Eifer beteiligte er ſich am öffentlichen Leben, 
wozu ihn feine Abftammung und feine Begabung befonders 
befähigten Mit feiner Berufung ins mähriſche Landrecht, die 
oberite Gerichts · und politifche Behörde, im Jahre 1594 begann 
feine Laufbahn in einer Zeit, da auch in Mähren die Fatho- . 
lichen Wiederherftellungverfuhe an Boden getvannen. Sie 
batten bier ihren mutoollen Vorfämpfer in dem in Madrid 
geborenen, in Spanien und Rom herangebildeten Olmüßer 
Biſchof Kranz Dietrichitein (15991686), dem ſchon fein Vor- 
gänger Stanislaug Pawlowsky (feit 1579) in diefer Richtung 
glänzend borgearbeitet hatte. Sie fanden aber auch tatfräftigfte 
Unterftügung an den hohen Fatholifchen Zandesbeamten, dem 
Landeshauptmann Joachim von Haugwitz, dem Oberſtkämmerer 
und ſeit 1602 Landeshauptmann Ladislaus Berka von Duba, 
dem beſonders eifrigen Unterfämmerer Siegmund von Dietrich⸗ 
ftein auf Nikolsburg, ſowie dem jungen Adel, der bereits 
ftreng katholiſch erzogen, zum Teil in der Schule des ſpaniſch- 
römifchen Sejuitentums aufgewachſen war. Noch 1594 waren 
alle hohen Landesämter Mährens von Nichtkatholiken be- 
jeßt, zehn Yahre fpäter waren fie aug ihnen verdrängt. Der 
Kampf zwiſchen alter und neuer Richtung begann, in dem 
Bierotin, dem „capa degli eretici“ eine wichtige Rolle zufiel, 
wie ja der ganze Gegenſatz fid) am ſchärfſten im Adel Tundgab. 
Die Städte waren zu ſchwach und abhängig, um tätig ein- 
greifen zu können. Schon 1565 wurden in Olmütz, 1572 in 
Brünn die Sefuiten eingeführt. Die Bauernſchaften aber machten 


Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenteformation. 281 





noch im Jahre 1620 auf einen venegianiſchen Geſandten den 
Eindrud „bon Sklaven, welche von ihren Herren getötet werden 
können, ohne daß diefe darüber irgend jemandem Rechenichaft 
au geben fhuldig wären”. Die Entſcheidung über den weiteren 
Beſtand des Huſſitismus lag beim oberſien Stand, der es 
berfäumt hatte, fi) freie, treue Anhänger in den anderen 
Bevölkerungskreiſen zu fchaffen. Aber gerade der huſſitiſche 
Adel brödelte immer mehr ab, als Hof und Kite mit Nach- 
drud auf feiner Refatholifierung beitanden. Schon fanden auf. 
fallende Übertritte hochangeſehener Adeliger, jo des Oberit- 
landrichters Karl von Xiechtenftein in Mähren, wie drüben 
in Böhmen Wilhelms von Slawata, ftatt. Bierotin erfannte 
ſchon damals die Schwäche feiner Partei und 30g fich angefichts 
der langen und heftigen Verfolgungen, die er zu erdulden 
hatte, im Jahre 1602 vom öffentlichen Leben zurüd. „Mähren 
ift verödet, die Städte verbrannt, vor unſeren Augen ſehen 
wir nur Fremde“, klagte er damals. Die Jahre 1603 bis 
1605 jah er für fo gefährlich an, „daß die menſchliche Er- 
innerung feine gefährlicheren kennt“. Seine berühmte „Apo- 
logie“ oder Verteidigungsichrift wegen feiner Nichtteilnahme 
am öffentlichen Leben aus dem Jahre 1606 ift eine ſchwere 
Anklage gegen die herrſchenden politiichen Zuſtände. Allein 
mit dem offenen Ausbrud) des Bruderfrieges zwiſchen Rudolf 
und Mathias kehrte Bierotin auf den Kampfplag zurüd. 
Er trat mit den Führern der gegen Rudolf gerichteten auf- 
rühreriſchen Bewegung, Tſchernembl in Oſterreich und Illyeg - 
hazi in Ungarn, in Verbindung, die bereits am 1. Februar 
1608 in Preßburg im Namen der öfterreichiichen und unga- 
rifchen Stände eine „Konföderation“ mit Erzherzog Mathias 
abgeihhloffen Hatten und nun auch Böhmen und Mähren zum 
Beitritt aufforderten. 

Ein gegen den Willen des Kaiſers am 13. April in Eiben- 
{hit bon den proteftantifchen Ständen abgehaltener Zandtag 
bedeutete nichts geringeres als den Anſchluß Mähren — 
denn die anfängliche Weigerung der wenigen (ſechs) königlichen 
Städte hatte nidyt viel zu bedeuten — an Ungarn, Gfterreich 
und den Erzherzog Mathias, unbefümmert, welche Entichlüfie 


— 


283 Sechſter Wſchnitt. 





Böhmen faſſen würde, allerdings in dem ſicheren Glauben, 
daß auch dort die große Mehrzahl der Stände Rudolfs Sache 
preisgeben werde. Allein gerade hierin täuſchte ſich Zierotin. 
Die neue Landesregierung, bie die Mährer felber einſetzten, 
mit Karl von Liechtenſtein als Direktor und Bierotin als 
leitendem Geiſt der ganzen rebolutionären Bewegung, bald 
aber, feit Juli 1608 als Landeshauptmann, gab ſich Mühe, die 
proteftantifchen Stände Böhmens, por allem Budowetz, von 
der Notwendigkeit gemeinfamen Handelns zu überzeugen. 
Bierotin warnt ihn nod am 15. Mai vor dem Nachruf, der 
ihnen zuteil werden fönnte, dab fie „Menfchen feien zur 
Sklaverei geboren“, — alles war vergebens. Die böhmifchen 
Proteftanten harrten bei Rudolf aus, und diefe Spaltung der 
Erblande zwangen zu einem Vergleich, der den Keim weiterer 
Zwietracht in fich trug. Im Liebener Vertrag vom 3. Juni 
1608 erhielt Mathias nur Sfterreih, Ungarn und Mähren, 
Rudolf blieb die Naiferfrone und Böhmen, Schlefien, Laufig. 
Für diefe Rettung vor bölligem Untergang glaubten nun die 
böhmifchen Zutheraner und Brüder mit Recht, vom Kaiſer 
Zugeſtändniſſe in religiöfer Sinficht fordern zu dürfen, Aber 
erft nad) langwierigen ſchweren Verhandlungen und erniten 
Drohungen entichloß er fich, ihnen den vorgelegten bon Bubdo- 
wetz abgefaßten berühmten Majeſtätsbrief am 9. Juli 1609 
au beitätigen. Nicht mit Unrecht hielt Karl von Bierotin 
Budoweg vor: „Abgerungen habt ihr ihm das Diplom, in 
welchen er genehmigt hat, was ihr, nicht aber er ge- 
wollt hat“. 

Dieje wichtige Urkunde, die dem Gang der auswärtigen Poli- 
HE ihre Entftehung verdankt, erlafjen genau zweihundert Jahre 
nad) dem Ruttenberger Defret bon 1409, dag den Anftoß zu den 
Huſſitenkriegen gegeben bat, follte endlich dem Lande den reli« 
giöfen Frieden wiederbringen — und wurde der Bündftoff für 
den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg. 

Sie ſetzte in ihren Hauptpunkten feſt: Alle drei utraquiftiichen 
Stände, Herren, Ritter, Städte, mit ihren Untertanen und 
allen, die fi zur Böhmiſchen Konfeſſion vom Jahre 1575 
befennen, fönnen frei und nad) Gefallen bei ihrem Glauben 


Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation. 288 





und ihrer Religion, ihrer Geiftlichfeit und Kirchenordnung ver- 
bleiben, ohne ſich an die ohnehin 1567 aufgehobenen Basler 
Kompaktaten Halten zu müffen; diefe Stände erhalten das 
untere Konſiſtorium, das ihnen 1562 genommen worden var, 
und die Univerfität zu ihrer eigenen Verwaltung, können fie 
mit ihrer Prieſterſchaft befegen, tſchechiſche und deutiche Pre- 
diger ordinieren und bereits ordinierte ohne Behinderung 
durch den Prager Erzbiſchof oder jonft jemanden annehmen. 
Zu diefem Behufe erhalten fie aud) das Recht, aus ihrer Mitte 
dreißig „Defenforen“ zu wählen, unabhängig vom König. Den 
Ständen wurde ferner geftattet, außer den Kirchen und Gottes- 
häuſern, die fie bereits befigen, auf ihren Gütern neue Kirchen 
und Schulen zur Bildung der Jugend nad) Bedarf zu bauen. 
Sn den Töniglidyen Städten. in denen Befenner beider Kon- 
feffionen, sub una und sub utraque, leben, follten beide ihre 
Religion frei ausüben fönnen und ihnen Begräbnis in Kirchen 
und auf Friedhöfen nebft Glodengeläute nicht verwehrt werden. 
Schließlich wird erklärt, da in Zukunft niemand, weder von 
den oberen Ständen, noch die Bernohner der Städte und 
Märkte, aber auch nicht die Bauern durch ihre Grundobrigfeit 
oder irgend eine geiftliche oder weltliche Perſon von ihrem 
Glauben abgedrängt und zum anderen gezivungen werden 
dürfen. 

Bon größter Bedeutung ſchien es, daß gleichzeitig zwiſchen 
den Ständen sub una und sub utraque ein befonderer Ber- 
gleih abgeichloffen wurde, der den Majeftätsbrief in einer 
Reihe von Einzelnheiten ergänzte, in dem fie ſich auch or allem 
ihren Belitftand an Kirchen, Begabungen, Privilegien, Ein- 
fünften gegenfeitig verbürgten 

Wie eine ernfte Mahnung aber, allen diejen Abmahungen 
nit allzuſehr au vertrauen, mußte es angefehen werden, 
daß der Majeftätsbrief nicht, wie es die Rechtsgewohnheit 
erfordert hätte, vom Oberftfanzler Sdenek von Lobkowitz und 
dem eriten Sekretär Johann Menzel mitgezeichnet war, da 
fie ſich entſchiedenſt geweigert hatten, ihre Unterichriften unter 
einen Aft zu fegen, der ihr Gewiſſen beſchwerte. Statt ihrer 
mußten ber Oberftburggraf Adam von Sternberg und ber 





” 


284 Sechſter Wſchnitt. 





zweite Sekretär Paul Michna fertigen. Und ebenſo fehlten 
die Namen Martinitz und Slawata in dem Vergleichsinſtru- 
ment der beiden Stände, als Beweis, daß fie den bermeint- 
lien Frieden nicyt anerkannten, ſelbſt wenn er die Fünigliche 
Unterſchrift trug. 


Sie und ihr Anhang, unterftügt vom päpſtlichen Nuntius 
am Prager Hofe Gaetani, vom fpanifchen Gejandten Buniga 
und dem Prager Erzbifchof Grafen Karl von Qamberg, bilde- 
ten die Unverſöhnlichen, jegt und fpäter, die die Firchlichen 
Intereſſen unter feiner Bedingung den politifchen opferten. 
Und der kranke Naifer förderte ihre Pläne durch unberechen- 
bare Entſchließungen. 


Fünf Tage nad) der Unterfertigung des Majeſtätsbriefes, 
am 14. Suli, hatte er eine geheime Unterredung mit feinem 
Vetter Erzherzog Leopold, Biſchof von Straßburg und Pafjau, 
dem „propagator fidei (Erweiterer des Glaubens)“, der ſich 
ihm in der Hoffnung auf die Nachfolge gegen alle feine 
Feinde zur Verfügung geftellt hatte. Ein auf feine Veran- 
laſſung gefammeltes, aus allen Ständen, Nationen und Kon- 
feffionen zufammengewitrfeltes Heer, das „Paſſauer Volk“, 
follte zunächſt in den für die Fatholifche Sache jo wichtigen 
Sülich-Eleve’ichen Erbfolgefrieg eingreifen. Als dieje Auf- 
gabe mißlang, wälzte fich diefe wilde Maſſe von ettva 10.000 
Mann, aud) die „Leopoldiner“ geheißen, zu Beginn des Jahres 
1611 über Oberöfterreich gegen Böhmen und bejegte unter 
maßlofen Drangfalierungen die Stadt Budweis. Am 
15. Februar erreichten fie bereits Prag-Rleinfeite, wo fie 
furchtbar hauften und alles aufboten, um die Burg, ſowie 
Prag Alt- und Neuftadt, die ſich verzweifelt wehrten, einzu- 
nehmen. Bauernunruhen brachen aus, es herrſchte im ganzen 
Lande Aufruhr, Unficherheit, alles befand ſich in höchſter Ver- 
wirrung (in summa confusione).* Rudolf felbft wußte nicht 
mehr,‘ ob er für oder gegen die Paflauer auftreten follte. An 
einem Tage (8. Februar) befahl er, fie an die böhmiſche 
Grenze zurüdzuführen, und fchon am nächſten verfügte er, 
„das Ballauer Kriegsvolf zum Schuge aller Getreuen und zur 


Vöhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 285 





Dämpfung und Beztvingung aller Widerwärtigfeiten zu ge 
Brauchen“. 

In joldjer verzweifelten Lage entichloffen ſich trotz ihres tiefen 
Mibtrauens gegen Mathias und feinen allmächtigen Ratgeber 
den Wiener Biſchof Klefl auch die Böhmen zum Anſchluß an die 
öſterreichiſch⸗ ungariſch⸗ mähriſche Konföderalion. Mathias Fam 
mit einem Heere nad) Böhmen, vor dem die Paſſauer flucht - 
artig zurüdiwichen, hielt am 4. März feierlihen Einzug in 
Prag, wurde am 23. Mai zum König von Böhmen gewählt 
und Rudolf gezwungen, am 11. Auguft abzudanken. Am 
20. Januar 1612 erlöfte ihn der Tod bon einem Leben, das, 
nad) dem Ausſpruche Karls von Bierotin, „nur Allen zum Nady- 
teil gedient hatte“. Am 13. Juni wurde jein Bruder, der ihm 
bei Lebzeiten alle Herrichaften abgenommen Hatte, auch zum 
deutſchen Kaifer gewählt. 


Es ift im höchſten Mae bezeichnend, wie der neue König 


die Lage in feinen Erbländern von Anfang an beurteilte. Aın 
10. November 1613 jchrieb Mathias feinem Better Erzherzog 
Ferdinand von Steiermarf u. a.: So lange er lebe, werde der 
Bau noch zufammenhalten, aber nad; jeinem Tode werde wohl 
alles aus den Fugen gehen und was die Ahnen erworben, 
auf die Nachkommenſchaft nicht vererbt werden.” In der 
Begründung dieſes Ausſpruches durch eine Klarlegung der 
Zuftände in den einzelnen Ländern heißt es bezüglich Böh- 
mens: „Was Böhmen betrifft, ſo wiſſen Euer Liebden, wie es 
damit fteht; ich kann daſelbſt keinen Landtag berufen, wenn 
ich nicht die ſtändiſchen Confüderationen zugeben (d. h. die im 
Sabre 1611 anläßlich der Wahl den Proteitanten gemachten 
Verſprechungen einlöfen) will, und berufe ich feinen Landtag, 
fo habe ich auf feine Steuern aus diefem Lande zu rechnen“. 
Beiter‘ „Mit Mähren fteht es wie mit Ungarn“, d. h. er fei 
dafelbft völlig machtlos. „Der Zandeshauptmann Karl von 
Bierotin regiert im Lande, ala ob er der Herricher wäre und 
knüpft mit dem Auslande Verbindungen an, wo und wie e8 
ihm gefällt. Kein Befehl von mir langt in Mähren an, ohne 
daß er feine Ausführung an Bedingungen Tnüpfen würde.“ 

Es mödte damit übereinftimmen, wenn wenige Monate zuvor 





2 


286 Sechfter Wſchnitt. 





ein bayriſcher Agent nach Hauſe ſchrieb, daß es in Böhmen 
„wie bei einem herannahenden Sturme ausſehe und man 
dafelbft überzeugt fei, daß der Kaiſer feinen Zuſagen in be- 
treff der Religion nicht nachkommen wolle“. 

Mathias unterſchätzte aber bei feiner eigenen Umentfchlofjen- 
beit und geiftigen Müdigfeit die Tatfraft und Rührigkeit der 
Tatholifchen Partei, mie in Sfterreich, jo in Böhmen und 
Mähren. Er ahnte nid, weldye Bedeutung es hatte, daß 
im Jahre 1612 an Stelle Lambergs der Egerer Bürgersfohn 
Johannes Lohelius, ein Deuticher, der nicht einmal der tiche- 
chiſchen Sprache mächtig war. zum Erzbiichof von Prag er- 
nannt wurde, nachdem er ſchon unter feinem Vorgänger als 
KRoadjutor die Hauptarbeit geleiftet hatte. In Mähren wirkte 
in gleichem Geiſte der Olmützer Biſchof Franz von Dietrich- 
ftein, dem es insbefondere gelang, die Föniglichen Städte zu 
tefatholifieren, was umfo leichter war, als die Willfürherrfchaft 
des alten Adels feit langem die Feindſchaft der anderen Stände 
hervorgerufen hatte. „Brünn tft ung feindlich (civitas nobis 
infesta)”, hatte Zierotin ſchon am 31. März 1608 an 
Xichernembl gefchrieben, als er im Kampf gegen den Kaiſer 
um Bundesgenofjen ward. 

Bor allem wichtig erſchien e8 diefen Vorkämpfern des Katho. 
lizismus, den Majeftätsbrief von 1609 in feiner Wirkung ein- 
zudämmen. In vielen Orten wurde es mit mehr oder weniger 
Erfolg verjucht. Die größte Aufregung verurſachten die Vor- 


- fälle in Kloftergrab und Braunau, wobei es ſich um die Frage 


handelte, ob die durch den Majeftätsbrief den drei Ständen 
(Herren, Rittern und königlichen Städten) erteilte Bewilli- 
gung zum Bau proteftantifcher Kirchen auch den Untertanen 
geiftlicher Obrigfeiten gebühre. Der Wortlaut der Urkunde 
ſprach dagegen, der Sinn dafür. Eine Einigung war nicht zu 
erzielen, denn, wie ein Beitgenofje treffend ſagle: „Die Ruhe 
wollte nicht in Böhmen eingiehen; Zwietracht, Hader, Krieg 
ftanden bereit, wie drei Brüder“. 

Die Lage verſchärfte ſich noch um ein erhebliches, als es, 
nicht zulegt durch Einfchüchterungen, gelungen war, Ferdinand 
von Steiermark, deſſen katholiſche Überzeugung und gegen- 


Böhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 287 





teformatorifche Arbeit in Inneröſterreich allgemein befannt 
war, die Nachfolge in Böhmen nad; Mathias zu fihern und 
ihn am 29. Juni 1617 feierlicjjt zum König zu Erönen. Den 
wenigen Ständemitgliedern, die eg gewagt hatten, fich feiner 
Anerkennung zu widerfegen, wurde offen bedeutet, daß fie 
leicht das Schickſal Georas von Lobkowitz treffen könne. Welde 
Erwartungen man auf diefen Fürften in katholiſchen Kreiſen 
Böhmens jete, beweiſt der Ausſpruch eines höheren königlichen 
Beamten: „Sigt nur einmal der neue König auf dem Thron, 
dann müffen alle einen Glauben annehmen und Petrus wird 
viele Nachfolger finden“, oder eines anderen: „Novus rex, 
nova lex (Ein neuer König, ein neues Geſetz)“. Dem Ein- 
wande, daß Ferdinand in Böhmen durch den Eid, den er bei 
feiner Erhebung gegeben hatte, gehindert fei, Veränderungen 
vorzunehmen, wurde kurzweg entgegengehalten: „Sat Ferdi 
nand feinen Erbländern den Eid nicht gehalten, jo wird er es 
den Böhmen gegenüber auch nicht tun.” 

Noch vor Ferdinands Negierungsantritt hielt ſich eigentlich 
niemand an den Mafeltätsbrief gebunden und die geift- 
lichen und weltlichen Gerichte, die mit Beſchwerden angegangen 
wurden, ſchoben die Erledigungen hinaus. Hier wurde Bauern 
verboten, benachbarte proteftantifche Kirchen zu beſuchen, dort 
wieder auf Inwohner königlicher Gitter Einfluß genommen, 
entweder Fatholifch zu werden oder auszuwandern. Man nahm 
Proteftanten nicht als Beamte auf Serrichaften Fatholifcher 
Adeliger oder des Königs auf und ebenfomwenig als Bürger 
in fatholifchen königlichen Städten (3. B. Krummau, Budweis, 
Pilſen). Dagegen jorgte man dafür, daß in überwiegend 
proteftantifchen Städten Katholiken das Bürgerrecht erteilt und 
die Aufnahme in ben Rat nicht vermehrt wurde (Leitmerig, 
Kuttenberg, Brüx, Prag). Die Fatholifchen Feiertage mußten 
auch hier gefeiert, bei katholiſchen Feſtlichkeiten und Progeffionen 
die Gloden der protejtantiichen Kirchen geläutet werden. In 
Prag wurde Anfang November 1617 die Gemeindeordnung 
ehr zu Gunſten der Katholifen umgeändert, kraft weldjer dem 
Königsrichter, alfo dem dom König eingejegten Beamten, be- 
fondere Rechte eingeräumt wurden. 


288 Sechſter Abſchnitt. 





Der Braunauer Streitfall wurde Ende 1617 vom Kaiſer 
ſelbſt dahin entſchieden, daß der Rat die Schlüſſel der neu 
erbauten proteſtantiſchen Kirche dem Abie auszuliefern habe, 
was aber infolge bedrohlicher Zuſammenrottungen des Volkes 
verhindert wurde. Mehr Erfolg hatte der Erzbifchof Lohelius 
in Kloſtergrab, indem er das jeit 1614 verfiegelte Gotteshaus 
im Dezember 1617 binnen drei Tagen völlig niederreißen 
ließ, ohne daß die verängftigten Bürger, die in der jahrelangen 
Verfolgung Schritt um Schritt zurüdgewiden waren, Wider- 
ftand gu Ieiften wagten. Umſo ſtärker war der Widerhall, den 
diefe Tat, die der 1609 zugeſchworenen Glaubenzfreiheit offen 
entgegenftand, bei den übrigen Proteftanten im Lande hervor 
tief. Die durch den Majeftätsbrief den Proteftanten beivilligten 
„Defenioren” wurden gedrängt, Vertreter aller Kreiſe nad 
Prag zu einer Beratung am 6. März zu berufen, in der dann 
die Beſchwerden wegen Verlegung des Majeſtätsbriefes zufam- 
mengeftellt wurden, un dem Kaiſer mit der Bitte um Abhilfe 
übergeben zu werden. Zugleich wurde beſchloſſen, am 21. Mai 
eine neue große Verfammlung abzuhalten. Das Verbot diefes 
PVroteftantentages erregte einige Führer in foldem Maße, 
dab fie fi zu einem Gewaltſchritt gegen ‚die bermutlichen 
Urheber und Lenfer der ihnen feindfeligen kaiſerlichen Politik 
entihloffen. Am 23. Mai wurden zivei bon den zehn Statt- 
baltern, Slawata und Martinig, als „Verleger des Majeftäts- 
briefes, Feinde der Stände und des Gemeinwohles“, auf der 
Prager Burg aus dem Fenfter geftürzt, famen aber mit dem 
Leben davon, ebenfo wie der Sefretär Philipp Fabricius, der 
mit Recht fragen durfte: „Was babe id) ihnen denn getan, 
daß fie mic, hinausgeworfen haben?“ An der Spike diejer 
Verf hmörung ftanden Seinric Mathias Graf Thurn, der 
Oberlehnsrichter, Albrecht Smiritzky und Wenzel Budowetz, 
zu ihnen geſellten ſich Graf Andreas Schlick, Wilhelm von Lob- 
kowitz, Wenzel von Ruppa, Colonna von Fels, Paul und Litwan 
von Ritſchan und Graf Ulrich von Kinsky. 

„Anfang und Urſache alles folgenden Wehs“, war ſchon nach 
dem Urteil der Zeitgenoſſen dieſe unfinnige und zwedloſe Tat.” 
Und doc) ſchien e8 anfangs, als ob die aufrühreriſchen Stände 


Vöhmen und Mähren zur Beit der Gegenrefsrmation. 280 





die Oberhand behalten follten. Nicht nur der Großteil der 
proteftantifchen Herren und Ritter, auch die Föniglichen Städte 
außer Pilfen und Budweis, vor allem Prag, dag ſich in der 
legten Zeit — angeblich unter dem Drud des Königsrichterd 
— zurüdhaltend gezeigt hatte, fchloffen fi nunmehr der 
Bewegung an und fatholiiche, Faifertreue hohe Beamte mahn- 
ten in Bien, Ausgleich und Frieden zu fuchen. Der Erzbifchof 
Lohelius, der Abt von Braumau umd andere geiftliche Herren, 
die fi zufolge ihrer früheren Tätigkeit gefährdet fühlten, 
flohen aus dem Lande. Es wurde eine ſtändiſche Verwaltung 
bon dreißig Direktoren, je zehn aus dem Herren-, Ritter- und 
Vürgerftand, eingerichtet, ein ftändifcheg Heer aufgeftellt, an- 
fangs etwa 3000 Mann zu Fuß, 1000 zu Pferd, und Thurn 
als Generalleutnant an deſſen Spitze geftellt. Man trat in Ber- 
Bindung mit der pfälziihen Regierung in Heidelberg, dem 
Haupte der deutfchen „Union“, bedeutete dem Kurfürſten 
Friedrich V. daß man deilen Wahl zum Könige von Böhmen 
ins Auge falle, forderte die Nebenländer Mähren, Schlejien, 
Lauſitz, aber auch Ungarn und Öfterreih zum Anſchluß auf, 
ſtand auch mit Frankreich in Verhandlung, eröffnete alfo eine 
großzügige Politik, die auf die Abſetzung des habsburgiichen 
Haufes binarbeitete. Allein die Verwirklichung aller dieſer 
Pläne ftieß auf immer größere Schwierigkeiten. Selbft Karl 
von Bierotin, der 1615 das Amt eine Landeshauptmanns 
niedergelegt, ſpäter aber die politiiche Führung der proteftan- 
tifchen Partei wieder übernommen hatte, dadjte nicht daran 
mit den aufrührerifchen Böhmen gemeinfame Sache zu machen, 
fondern höchſtens die Vermittlung in dem Kampf mit dem 
Kaiſer zu verfuchen. Hatten ſich die Böhmen von Rudolf nicht 
abfpenitig machen laſſen, fo jegt wieder nicht die Mährer von 
Mathias und Ferdinand. 

Am Wiener Hofe rangen eine Zeitlang zwei Richtungen mit 
einander. Kaiſer Mathias zeigte fi unter dem Einfluß Kleſls, 
der den Irrgang feiner Politik zu fpät erfannte, einem Frieden 
mit den Böhmen und der Anerfennung ihrer religiöfen Rechte 
im Sinne des Majeftätsbriefes nicht abgeneigt. Der böhmifche 
König Ferdinand aber. unterftügt von Mathias Vruder, dem 


240 Sechſter Abſchnitt. 





Erzherzog Marimilian, dem ſpaniſchen Geſandten Onate u. a., 
verlangte von Anfang an die gewaltſame Niederwerfung des 
Aufftandes. Dem Erzherzog Marimilien gelang es ohne 
Wiſſen de3 Kaiſers Klejl gefangen zu nehmen und insgeheim 
nach, Schlotz Ambras in Tirol zu bringen (Zuli 1618); 
Mathias nahm auch diefe Eigenmächtigkeit hin. Nun entichlog 
man fi, unter Buquoy ein Zleines kaiſerliches Heer von 
zunächſt 6000 Mann nad) Böhmen zu ſchicken, das den ftändi- , 
ſchen Truppen entgegenzutreten hatte. Die Heinen Bufammen- 
ftöße hatten Feine Bedeutung, umfoweniger als Thurn jedem 
Entiheidungsfampfe grundſätzlich auswich, aber die Ber- 
mwüftungen, die die heimiſchen und kaiſerlichen Soldaten im 
Rande anrichteten — im Pradatiger Kreis in Südböhmen 
follen allein big März 1619 über 200 Dörfer vernichtet worden 
fein — gaben insbefondere der bäuerlichen Bevölkerung einen 
Vorgeichmad von den Leiden, die ihrer harrten. Den Ständen 
wer überdies unter Graf Ernſt von Mansfeld eine Fleine 
Mannſchaft zugezogen, die am 21. November das kaiſertreue 
Pilfen nad) harter Belagerung einnahm, wobei die Stadt ftarf 
verwüſtet wurde und die Bevölkerung durch Flucht, Aus- 
wanderung, Tod jo weit herabianf, daß fie nur noch 150 
Bürger zählte. 

Inmitten dieſes Kleinkrieges, der bald auf Oſterreich über- 
griff, ftarb Kaiſer Mathiad am 20. März 1619. 

Ferdinand von Steiermarf war nun König bon Ungarn 
und Böhmen und da Mathias’ jüngfter Bruder Albert ſchon 
früher auf die Nachfolge in Ober- und Niederöſterreich ver- 
zichiet hatte, auch Erzherzog und Herr in diefen Ländern. Er 
twird wohl zutreffend gekennzeichnet als „ein Fürſt von ſchwa- 
chem Urteil, mäßiger Arbeitfamfeit und ohne wahre Herrider- 
fraft, ein vollgültiger Vertreter jener Mittelmäßigfeit, welche 
die deutfchen Fürften und Staatsmänner zu bloßen Werkzeugen 
der großen geiftigen Gegenfähe madjte, die die Welt in den 
Krieg hineintrieben."* , . 

Es Tann feinem Zweifel unterliegen, dab Ferdinand eine 
Anzahl guter Eigenſchaften befaß, wohlwollend, Tiebenswürdig, 
dankbar, nachfichtig, herablaffend war. Allein all dag trat 


Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenteformation. a 





völlig in den Hintergrund, wenn es fi) um die Religion 
handelte. Ausrottung der „Ketzerei“ hatte er ſich als treueſter 
Jeſuitenzögling zur Hauptaufgabe ſeiner Herrſchaft gemacht. 
Sn Inneröſterreich hat er fie binnen wenigen Jahren durdy- 
geführt. Mit Bangen mußten daher die Proteſtanten der 
ihm augefallenen neuen Länder feiner Regierung entgegen- 
fehen. Ein zielbewußter Zuſammenſchluß, ein mutiges Bu- 
fammenftehen, die „Ronföderation“, konnte für fie einzig und 
allein noch Rettung bedeuten. Dahin zielte die Politik, die die 
böhmifchen Stände nunmehr mit Eifer einſchlugen, vor alleın 
ihr militäriicher Berater Graf Mathias Thurn. 

Ein fühner Einmarjd) in Mähren im April 1619 mit kaum 
10.000 Dann verhalf der revolutionären Partei unter den 
Ständen zum Giege; des Kardinals Dietrichſtein ftreng 
katholiſche, Zierotins vermittelnde, beider aber ausgeſprochen 
habsburgiſche Richtung brach zufammen, ein Direftorial- 
regiment ganz nad) böhmiſchem Vorbild wurde durchgeführt, 
der Anſchluß der Mährer an die Böhmen war erfolgt. Die 
gleiche Stimmung herrſchte auch in Ober- und Niederöfterreich, 
allein ein Vorftoß Thurns bis nad) Wien im Juni mißglüdte 
in verhängnisvoller Weife. Ferdinand Fonnte unbehindert am 
11. Juni, während Thurn nod) vor den Mauern lag, Wien ver- 
laſſen und ſich ins Reich begeben, um die deutiche Kaiferfrone 
au erwerben. Am 28. Auguſt 1619 wurde er mit ſechs von den 
fieben furfürftlichen Stimmen zum deutſchen Kaiſer gewählt, 
zwei Tage zubor, am 26. war in Prag der einzige Kurfürft, der 
ihm feine Stimme verweigert hatte, Friedrich V. von der Pfalz, 
zum böhmiſchen König erhoben worden, nachdem am 22. 
Ferdinand als „Feind der religiöfen und ſtändiſchen Frei - 
heiten“ abgejegt worden war. Bon den beiden anderen Kandi · 
daten, die in Betracht kamen, hatte der Kurfürft Sohann Georg 
von Sachſen, ein ftrenger Lutheraner, trog allen Drängens 
feines böhmischen Anhangs, an deſſen Spike Graf Andreas 
Schlick ftand, abgelehnt und ſich bald darauf auf die Seite des 
Kaiſers geichlagen; der ehrgeizige Herzog Karl Emanuel von 
Saboyen, der auch die Abjendung des Grafen Ernft bon 
Monsfeld nad) Böhmen veranlaßt hatte, war wiederum als 


wretdols, Geſch. Böhmens u, Mahrens. II. 16 








243 Sechfter Wſchnitt. 





eifriger Katholik den Böhmen nicht genehm. Es blieb nur die 
Vahi des unbedeutenden Pfälzers übrig. Allein Böhmen mit 
feinem neuen kalbiniſtiſchen König, der tatſächlich in Prag am 
8. Nobember ſamt feiner Gemahlin Elifabeth, der jugendlich 
ſchönen engliſchen Königstochter, gekrönt wurde, ftand ber- 
einfomt da. Man hoffte an der „Union“, diefem proteftan- 
tifchen Fürſtenbund in Deutfchland, der ſich 1608 gebildet hatte 
und an deſſen Spitze die Kurpfalz ftand, Unterftügung zu 
finden, da aber Böhmen dem Bunde nicht angehörte, fah ſich 
diefe zunächſt nicht veranlaßt, für dag fremde Land Opfer zu 
bringen und fi in Gefahren zu ftürzen, die ihr für diefen Fall 
bon der katholiſchen Yürftenvereinigung der „Liga“ drohten. 
Der Schwiegervater Friedrichs, König Jakob I. von Eng- 
land, war nur zur Vermittlung bereit. Die Geldunterftügung 
ber Generalftanten von monatlid) 50.000 Gulden mar nicht 
ausſchlaggebend. Lediglich mit dem Fürften Bethlen Gabor 
von Siebenbürgen fam ein Bündnis zuftande, dag eine mili- 
tärifche Unterftügung von einigen taufend Mann ertvarten ließ. 


Ferdinand II. dagegen hatte nicht nur die ſpaniſche Macht 
inter fi, eg war ihm auch gelungen, am 8. Oftober 1619 
mit Herzog Maximilian von Bayern, dem Haupt der Liga, 
ein feites Bündnis zu fchließen, das ihm die Hilfe dieſes herbor- 
tragenden Fürften ficherte, allerdings um den hohen Preis, daß 
diefem das pfälgifche Land und die pfälziihe Kur im Falle 
eines Sieges über die Böhmen und ihren neuen König aufallen 
follte. Kriegeriſche Unterftügung bot auch der König Sigmund 
von Polen, Geld der päpftliche Stuhl unter Paul V. und die 
italienifchen Kleinftaaten. Des Anjchluffes Kurfachfens an die 
kaiſerliche Sache wurde ſchon gedacht. 


Als daher der Entſcheidungskampf begann, war die äußere 
Lage für die Böhmen bereits fo ungünftig als möglich, ganz 
abgejehen von der inneren Berfplitterung, dem gegenfeitigen 
Mibtrauen, den verzweifelten finanziellen und militärifchen 
Buftänden und eigenartigen nationalen Berhältniffen. Das 
böhmifde Heer wurde dem mit Friedrich V. nah Prag 
gefommenen Fürften Ehriftian von Anhalt, feinem einftmaligen 


Vöhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 248 





Statthalter in der Oberpfalz, unterftellt, unter dem nun Thurn 
und die anderen ſtändiſchen Feldherren dienten. 

Marimilions von Bayern erfte Aufgabe war bie Nieder 
werfung der Oberöfterreicher, die mit den Böhmen „Eon- 
föderiert” waren; fie war um fo leichter, als bon Böhmen Feine 
Hilfe am. Am 24. Juli war der Herzog in Oberöſterreich 
eingerüdt, am 23. Auguft onnte er es ſchon wieder verlaffen, 
um fi) nach Böhmen zu wenden. Faft unbehindert gelangte 
er über Freiſtadi nad) Kaplig und nahm am 30. September 
die Stadt Pifek, faft auf halbem Wege zwiſchen der oberöfter- 
reichiſch böhmiſchen Grenze und Prag gelegen, ein, nachdem 
er ſich vorher mit dem taiferlichen Heer unter Graf Buquoy 
vereinigt hatte. Von Piſek zog man weſtwärts gegen Bilfen, 
das fid) noch immer in den Händen Ernſts von Mansfeld 
befand, der zwar in Dienften der Stände war, aber ſich mit 
ihnen überworfen hatte. Es koſtete daher feine bejondere Mühe, 
ihn für einen Waffenftillitand zu gewinnen, d. 5. von jeder 
Unterftügung der Böhmen abzuhalten. 

Das kaiſerlich⸗ bayriſche Heer, von einer etwaigen Bedrohung 
im Rüden befreit, hätte den Kampf mit den Böhmen unter 
Chriſtian von Anhalt, der eilendg bis in die Nähe von Pilſen 
gezogen war, nunmehr aufnehmen können. Allein Buquoy 
wollte einen Bufammenftoß fo lange als möglich vermieden 
wiſſen. Zweimal, vor Pilfen und dann auf dem Weitermarſch 
nad) Prag bei Rakonitz febte er feinen Willen gegen Marimilian 
und deffen oberften Feldherrn, Freiherrn Johann Tſerklaes 
von Tilly, einen Brabanter, durch. Als man aber am 8. No- 
vember ganz nahe an Prag, bis etwa auf eine Wegitunde, 
berangefommen war, und das böhmifche Heer, dem Feinde 
zum Schuß der Stadt voraneilend, an dem ihr weſtlich vor- 

gelagerten Weißen Berg jih im Scladjtordnung aufgeftellt 
hatte, ließ fich der Kampf nicht länger vermeiden. Die Streit 
Träfte des Kaiſers und der Bayern waren jenen der Böhmen 
nur um ein geringes überlegen, etwa 25.000 gegen 21.000 
Mann. 

Binnen etwas mehr als einer Stunde war das „große Schar- 
mügel”, wie es Buquoy bezeichnet wiſſen wollte, borüber. 

16° 


24 Sechſter Abſchnitt. 





Furcht und Sqreden bei jenem Xeil des böhmifcdyen Heeres, 
der den Kaiſerlichen gegenüberftand, erzeugte Verwirrung und 
Flucht, Auflöfung der Maſſen und Ratlofigfeit bei den Führern 
und entſchied die Schlacht. Es waren allein dic Mährer unter 
Graf Heinrih Schlid, die ausharrten „bis zum Tod oder zur 
Gefangennahme”. Und mit dem Verlufte der einen Schlacht 
war alles verloren. Die Hauptitadt Eonnte feinen Widerftand 
feiften; der „Winterfönig“ floh allfogleih mit feinen Räten, 
Generalen und einigen böhmiſchen Adeligen, wie Ruppa und 
Thurn, den bisherigen ftändiihen Führern; die Lauſitz, Schle- 
fien, Mähren wurden binnen kurzem überwunden.” Faſt zivei- 
einhalb Jahre waren die aufrührerifchen Stände am Ruder 
geivefen, mehr als ein Jahr hatten fie einen neuen König, 
und fo wenig war in der ganzen Zeit zur Sicherung der neuen 
Herrichaft geihehen, daß ein. einziger Stoß hinreichte, um das 
ganze Gebäude zum völligen Bufammenbrud zu bringen. 

Eine von den zahlreichen Schilderungen der Schlacht ſchließt 
mit den Worten: „Diejenigen, die diefeg Übels, durch das das 
böhmifche Königreich bedrüct wurde, Grund und Urfadhe 
waren, wurden alle, ſoweit fie nicht in der Schlacht erſchlagen 
wurden oder in die Fremde entflohen, gerecht nach ihrem Ber- 
dienst beftraft. Die übrigen Bewohner aber, dieſes tapfere 
Volt, das megen feiner kriegeriſchen Xaten den fremden 
Völkern einftmals genug ſchrecklich war, ging, in einer Stunde 
auf dem Weißen Berge überwunden, feines ganzen Helden- 
mutes, überdies feiner Zreiheiten und mannigfachen Faifer- 
lichen und königlichen Begabungen unwiederbringlich verluſtig.“ 

Ein Zeitabſchniit von zweihundert Jahren ging zu Ende, 
der von Anfang an auf der unmögliden Borausfegung auf 
gebaut war, ais ob dag Kernland Mitteleuropas, Böhmen mit 
Mähren, feine geſchichtliche Entwicklung verleugnen, geiftig, 
wiriſchaftlich politifch, national ſich abfondern Eönnte. j 

In allen diefen Belangen war Yuffitentum und utraqui- 
ſtiſcher Adel feit langem ſchon auf obſchüſſiger Vahn; ihre 
Herrſchaft war jetzt für immer zu Ende. 


Anmerkungen. 


Erfter Abſchnitt. 


1. (&. 2). Für Sigmund vgl. J. Aſchbach, Geſch. Kaiſer Eis uns, 
4 Bde. 183845; W. Altmann, Regesta imperii XL uUr⸗ 
—8 K. Sigmunds 1410-37. 2 Bde, 1896—1900; Gerirge 
Reihstagsatten unter K. Sigmund A: gemien Sammlung 
8b. 7—12), big. v. D. Kerler, 9. Ser, 187887; 
Eberhard Windede, een © Seid. “es Zeitalter 
* Sigmunds, hrg. von W. Altmann, 10dh. 
2 ( 6.3 F. Balacty, Documenta magietri Johannis Hus vi- 
PN a 1403—18 u ustrantis, 1869, ©. 558. 
3. © 4). Ebenda ©. 686. 
4. ( SM Andreas v. Regensburg, brg. von U. Leidinger in: 
[en u. Erörterungen # bayr. u. deutſch. Geld, R $ 1 (1903), 
368: Moı eravin via in qua hucusque pauci fuerant inf 
5. (8.5). 4. Haud, Aindengeih. Deutſchlands V ao); 1076. 
6. (©. 9 Eienda ©. 
T. . Die Geisel aus ber Sufitengeit zum großen 
A gefammelt von .E. v. Sütlen, Geſchichtſ⸗ der huſſ. 
Bewegung in Böhmen, T. III, in: Fontes rerum Austriacarum, 
Abt. I (Scriptores), Bb. 2 sie), y (1865), 7 (1866); dann in den 
Font. rer. Bohemic. V (1893); andere find jelbitändig heraus- 
ge geben. — Die Urkunden bei 3. Balacky, Urkundl iträge 
Seid b. Huſſitenkrieges 141936, 2 Wbe., 1873..— Bon befon- 
beren eftell en erwähne ih: €. Denis, Huss et la guerre 
des Hussites, — v. Bezold, K. Sigmund u. die Heage- 
WG gegen Di Bi Huf ten bis zum Ausgang des 3. Kreuzzuges 
&. Binder, Die Hegemonie ber Prager 
im teten, gen 8 u. 9 der Prager Studien a. d. Gebiete 
der Gefhichtsiwill., brg. von 9. Bachmann, 1901—08. — Die über- 
reihe ingelliteratur. f. bet Dahlmann-Waitz, Quellenktunde 
deutſch. Geich., 8. Aufl., 1912, ©. 453, 459, C. ER Biblio, 
gi tesk6 historie III (1906), 1114, Nr. 1—2760; 
Novotny, Neue Bertentlihungen über en über sie huf. Ber ee 
in: Ceskf &asopis historicky V (1 
. (&. 10). Archiv Cesky III (1844), 3 
. (S. 10). Neben den Reichstagsakien VII, 886 ff. Hol 
mann, Der Breslauer Reichstag von 1420, in: fol. ek 
blätter, Breslau 1920, Nr. 1, ©. 1. 





om 


246 Anmerkungen. 





10. S. m. Reichstagsalten VIL, 408. 

11. (&. 11). 0. d. Sorbt, Rerum magni concilii Constantiensis tom 
IV (1699), ©p. 1518. 

12. (&. 11). Balacty, Urkundl. Beiträge I, 17, 21, 22. 

13. (&. 12). Neben ber bei ver; — älteren Literatur vgl. 
9. Toman, Über 3, feinen Geburtsort u. das fpät. ‚Sellect 
ber root (tſchech) in: Sitzungsber. der kön. böhm. Gefellie 

Bi. 1890, Re. XIIL; aud) die Abhandlung Pr. XIV ebenda 
ven J. Raloufet. 

14. (&. 14). Wo in dem Winfel zwiſchen Moldau und Zufchnig, weftl. 
von Bechin das ättefte Tabor zu fuchen tft, ift feittig; 1. Casopis 
musea kräl. Zesköho, odd. duch. XCV (1921), 1 Nach ber 
ZTaboritendhronit_ bei tler, —— L is mefelte 
man mit den Hügeln ab, fo daß mehrere den Namen 

15. g: m rede ticpechtieh im Archiv öes. III (1844), Fort, 


16. 54 Ka Berichten des Engelbrecht Wufterwig aus Branden- 
in: Deutfhe Städtehroniten VII (1869), 352; auch 
Ri twiebexholt bemükt, ggfndere Angabe |. Balacty, Geld. 
17 ers a 2 Glen, Die Die Shladt igfaberg, in: Ci 
- (&. 20). öfler, Die Schlaht am rg, in: mas- 
der Sen. tab. der Wiſſ. LXXXXV (1880), &%. 
18. 8 21). Sigmund hatte N. Sudtwigs d. Ungarn ältere Tochter 
taria, die aber ſchon 1392 geftorben war, zur Gemahlin, Wladi- 
Maus don Polen die jüngere, Hedwig. 

19. (8. 9). Reihstagsalten VII, 25; über die Veziehungen 
der Hufliten Fe den Benetianern vgl. Balacty, Urkundl. Bei- 
träge I, 39, 

20. © 6). Ebenda ©. 90/1, Nr. 89/90, aud) Archiv des. VI, 398, 

5. Die Angabe Binders, Hegemonie ©. 146, als ob 
ade und auch einige Burgen in der Nähe, auch drader bei 
Gewitſch und andere Ortſchaften“ eingenommen worden wären, 
deint nicht begründet. Aud) C. Lid, Kur Geich d. Stabt Zwincu 
u. Ihrer Umgebung —X 324 bietet feine genügenben Anhalts- 
puntte. 

21. (©. 27). Archiv &es. III, 226, Rr. 2426; Palactz, Urkundl. 
Beiträge I, 96, Nr. 98. 

22. (S. 28). Aus einem Schreiben der Stadt Tahau vom 23. Apr. 
1420, |. Bezo!d, Reichskriege ©. 49, dazu Reichſtagsakten 
VIII, 48, wo der Tachauer Brief mit dem Datum bes 21. Apr. 

Page ie und zwei ähnliche Schreiben von Eger vom 17. u. 


3. G. 28). Reihstagsatten VIIL, 18 
24. (©. 29). Ebenda ©. 77. 


Anmerkungen. un 


3. (©. A! Seähzen u Beotun | ber Suffttenteiege 1 N B. Brei⸗ 


2 


— 


— nen ne 


Übergabe . Albreht V. 
13, zu ehto für Ollerr, Beih. LEKX däss) 10H. 
(&. 0) ». Sitten Geigitigreiber I, A16ff.; Quellen und Er- 


(©. 35) — I. km fol Kurſachſen 64 böhmi Städte und 
löfier befefien haben, die e8 in den jitentriegen erworben 
itte, f. Markgraf in der Allg. deutſch. jtaphie (Georg v. 
diebrab) VIIL, 608. 

— Sul Der dritte Kreuzzug gegen bie Hufliten, 


(S. 38). ®W. Altmann a. a. ©. 276; ich gebe den ftelleniweife 
Fee me Kacı „pertändlicien at ohne Anderung des Ginnes 


6.9 — "&idel in der Bibliothöque de P6eols des chartes 
V, $eft 2, 8. 79 1 das, ihneiben für echt, nnalactt, Ur 
tundf. Beiträge II, 189, Ir. 669 für apokcyph erfl 


. (&. 40). Be anhalten VIII, 290; aud ie das folgende 


f. diefen Band unter dem jeweiligen Datum. 

(&. 46). Eine nicht beachtete jilderung der AR die auch 
den Ort genau bezeichnet, |. in dem Bericht dei ias ans 
nn gohe d. Eon. böhm. Gefellfhaft der Wifj,, Folge 5, 


Sweiter Abfchnitt. 


"5 F. v. Bezold, Reichskriege (f. oben S. 245, Anm. 7), 


1, ©. 11, in ber uelentetiichen © Eint., die eine gute Überfiht 
über bie Quellen ber Bufitengeit Baurenz CHhronit in 
Sale, Geſchichtſchreiber I, 321 ol je Font. rer. Bohem. V, 827. 
50). Andread von Regensburg (f. oben ©. 245, 

m, 4), ©. 668: hii qui Hussiste nominantur, diversas quidem 
haben facies, oaudas vero colligatas; Höfler, Geſchichtſchreider 


BE) ee 1 ah, Wr 54; dazu 9. Haud, Kirchengeſch. 
, 44, au Icchen; 
uſchlands V, 1138. e 
©. ® Monum. concil. general. saec. XV., I(1857), 141. 








Hauda.a. O. 1125. 
gt im Bohem. III (1829), Annales patrio sermone 


sorip *8— 
S. 54) —F Selen, Urkundl. en II, 481, Nr. 987. 


R — der huſſ. vewegung u. anderen feiner Schriften, md 
ez0!d, Zur Geld. bes Yuflitentums 1874. ’ B 


28 Anmerkungen. 





10. (&. 55). Balacty, Urkundl. Beiträge I, 26, Nr. 20. Sie weiſen 
bier im einzelnen bin auf die Verpflichtungen, die fie Sigmund 
gegenüber eingegangen, daß fie „irer gnoden gehorfam gelobt” 
und „gefworen” haben, und deshalb „von unferem angeboren erb⸗ 
beren“ nicht mehr zurüdtreten können. 

11. (&. 56). Anti urteilt 8. Winter, Seh. der Handiwerke u. 
des Handels im 14. u. 15. Jahrh. ſtſchech., 1906, ©. 393: „Die 

»  Deutichen waren Gegner der iſchech. eformbeivegung und dadurch 
führten fie da8 Ende ihrer biöherigen Herrſchaft herbei...“. 

12. (©. 56). Archiv es. IV, 382, Nr. 39: Eine andere Beſtimmung 
retrifft Bürger, die troß ihres” Eides die Stadt verlaffen haben unt 
Ki th daß fie nicht wieder iR enommen werben dürfen; vgl. 


Bind Dr Hegemonie I, 1 . Tome, Geſch. Prags 
ae) 55* 
13. 56). gl. isteonten den Brief der Prager an die Kaadener 


vom 7. Nob. 1420 bei Windede a. a. D. (f. oben ©. 245, 
Anm. 1), ©. 136; Höfler, Geſchichtſchreiber I, 426. 

14. (&. 59). Gefäjthtfcreiber ©. 409, 42415. 

15. (8. 60). Ebenda ©. 453, 529. 

16. (&. 61). — —— S. 49, Anm; Reihstags 
atten VIII 43, Ann. 6. 

17. (&. 62). Höfl I Geſchichtſchreiber S. 

18. (S. 62). woburch tſchechiſierten die Nen · (tim se Nömei 
zöetovali) jagt 3. Winter a. a. O. ©. 405 mit Hinweis auf 
W. Tome und ©. 394: „In den Landſtädten verſchwanden bie 
Deutfchen leiter als in Prag, wo fie jehr mächtig und angejehen 
waren.” — Eingehend, aber in vielen Punkten untichtig behandelt 
den Besenftand I. Lippert, Die Cedifierung der böhm. Städte 

15. Jahıh., in: Mitteil. des Vereines f. Geſch. der Deutihen 
3 | Böhmen V (1867), 174 ff. 

19. (8. 63). J. Gelalovsty, Privilegia civitatum Pragensium 
Geier iuris municipalis regni Bohemiae I, 1886), ©. 208, 

20. 2. 63). Scriptores rer. Bohem. III, 26; Saurentiusa.a. O. 


21. (&. en & Binder, Die Seagmonie a a. O. ©. 10; ähnlich 
früher Sipperta. aD. 8. — Wenn man in deuffchen 
Schriften (vgl. Mitteil. d. Berineh f. Gef. der Deutihen i. 
Vöhmen XXIII, 1885, ©. 52 und darnach in denticen PN 

Binter, Rultuxbild N böhm. Su ſtſchech] 1, 

140 K. Sigmunds Urkunde vom 20. fi 1486 ie des. 
u, 446) als das „Zobesurteil ber Deutſe in (ortel- smrti Nem- 
eäm)“ bezeichnet findet, jo ift dies eine der furchtbaren Überteei- 
bungen, die in die deutichböhmifche Geichichtichreibung vielfach 
eingetragen wurde. Die Urkunde befagt im $ 12 nur: „ Bir 





Anmerfungen. 2 





. (&. 66). I. Strnad, Urkunde 


wollen, daß in, Böhmen kein Fremder ein Amt verivalte, — 
ein Böhme ..."; nicht ber Gegenfag zwiſchen deutſch und iſchechüſch, 
fondern wiſchen fremd und einheimifch kommt zum Ausdruch 


& 68). Archiv des. III, 207. 
&. 64). Saurentius a. a. D. ©. 354. 
©. 64). Ebenda ©. 370. 


. (S. 65). Se Geſdichtſchreibet I, 42. 
. (©. 24 Balacty, Urkundl. Beiträge I, 44, Nr. 39; Archiv os. 


I, 217. 
(&. 65). Laurentius a. a. ©. ©. 39. 

enbuch d. Fön. Stabt Pilfen as 
1 (1891), 302, Nr. 268, 321, Nr. 299; vgl. aud 3“ Nr. 
(&. 67). Archiv des. a, 446, Rt. 21; 449, Nr. 
(&. 68). Monum. conc. ge 1, 851; befonders Aber die Tai en 
lie Urkunde vom 19. März 1437 bein. v. Sternberg, 
riſſe einer Geſch. der böhm. Bergwerke I, 2 (1837), 112, Rr. 2; 
auch bie folgende Nr. 80 vom J. 1454. 





. (&. 69). Balacty in: Cas. desk. musea XX (1846), 80. 


(&. 70). 8ofertb, Beiträge 3. Geſch. der huſſ. un, I. 

Der Mogifter Adalbertus Ranconis de Ericinio, er 

öfterr. Gefch. LVIT (1878), 204; dazı Mitteil. d. Bert. d 

ae, i en XVII (1879), 198 und in: Hus und het . 

(S. 1). A. Bahmann, Der ältefte Streit iſchen Deutſchen 

und Tjſchechen an der Prager Univerfität, tn: Hiftor. Viertel] kin 
usgeg. v. ©. Seeliger VII (1904), 3. 


= IH Geſchichtſchreiber II, 155. 


BT), ). 8. Winter, Ss, der hohen Schulen in Prag. 1409 
es .). 1897, ri 
& — ee Se der Prager Univerfität (1849), 


B ©. . Bezold, 3. Geſch. d. Huſſitentums, ©. 48/8. 
. (S. 74). Höfler, Gefhichtichreiber 111, 159, Anm.; die zweite 


Let bei Zidetf. unten Anm. 41, dann nod) Geſchicheſchreder 


. (©. 74). Winter, Geld. des dandwerls a. a. O. ©. 89. 
. (S. 75). Andreas v. Regensburg bei Leidinger S. 419, 


vgl. auch 314. 


.& 75). Zidet, ne herausgeg. von 8d. V. Zobolta, in: 


Hist. Archiv Nr. 38 


. (S. 75). Bezold, 3. Gel. d. Huffttentums, S. 62. 


(&. %6). Höfler, Geſchichtſchreiber I, 628. 


. (S. 77). Bgl. die Ausführungen bei Johannes de Ragusio, Trac- 


tatus .da reductione Bohemorum, in: Monum. conc. gener..I, 157. 


250 Anmerfungen. 





45. e TT). Rede eines ‚Baboritenfüßrers im Liber de legationibus 


des Aegidius Carleri, ebenda I, 
46. @ m A) , * von El & Seigiätiäneier U, 344; 
e muB, 
al. & m. be hreiber zu 484 . 


(©. 78). Car u, u 

3 S. 79. A. Haud, Kin eſch. Deutſchlands V, 1051, nach der 
Professio fidei antiquae, abgebrudt bei J. Cochlaeus Historias 
Hussitarum libri XII (1549), ©. 545: Domini Bohemi ne sint 
nimis attenti ad res etc. 

50. © 3 ) Selgiöttäneiber 498; vgl. Haud a. a. D. ©. 109. 

61. (S Itmann, Windedes Denkwürbigteiten ©. 134. 

52. (©. 9 W. Altmann, Die Urkunden K. Sigmunds. I, Nr. 4191; 

ſindede Denkwürd. S. 132. 111 (für das folgende). 


Dritter Abſchnitt. 


1. (&. 82). &o lautet bie ErHärung in der Wohlangeige an den Marl 
ae gem v. Brandenburg, 1. ®. HN Albreit I 
in: Prager Studien aus dem Gebiet der See. 
u von . Bachmann, Heft 13, 14 (1906, 07), %. 2, ©. 157, Ar. VI. 
(©. 84). Script. rer. Bohem. mm (1829), 112*, 
(©. 8 ®oftry, I. T. S. 78. 


©. 86). Font. ‘rer. Bohem. 623: cuius anima requiescat in 
sancta pace, quia fuit bonus, licot Theutunicus, audax et miseri- 
cors. 


(&. 86). Aı öee. 
7. (©. &8). 5 2 Bud 3 Bm, die Angabe des Chroniſten 
Bartofiet Drahonig, daß 'ampfe auch ein Herant de 
Kunstadt — residens in Podiebrad teilgenommen habe. 
Balacky, Gef. Böhmens III, 3 (59, 182, Anm. 148, zweifelt 
nicht daran, daß damit nur Georg, ber Sohn Biktorin, ‚gemeint jet: 
Ein anderer Herr von Podiebrad lebte damals gar nit und bie 
Romen Bodek und Heralt, in feiner Ramilte vor anderen üblich), 
wurden aud ihm... beigelegt, bevor no ber Name pan Jifik 
populär wurde“. Allein davon, daß Georg je Herant genannt wurde, 
findet fi nirgends eine Spur. Dagegen wiſſen mie, daß Georg 
unter ber Vormundſchaft eines Heralt o. amd. vd. &, Man, der 
urkundli 1480 und 1433 (Arch 
vorkommt, Das dürfte der eilnehmer an ber —— — ge 


Ei aud) Stovnik —* Art. t, Runftabh), wes 
nehmer an ber Schlacht a rn. Ei 
—— Eneas Eilvius 


pen 





® 


Anmerkungen. 251 





nicht nur nichts weiß, fondern anläßlich deſſen Waffentat im 
‘. 1438 außdrüdlic) fagt: hine primum homini nomen — — 
gl. dazu 3d. 8. Zobolfa im Cas. Mat. Mor. XX (1896), 260, 
gegen Tenora im Cas. öesk. mus. 1895, ©. 190, der bereit8 an der 
ihtigleit der Palackzichen Behauptung gezweifelt hat. 

8. 6 8). Die Nachricht, deren Wortlaut in der vor. Anm. angegeben 
ft, bringt —*— Suvius, Historia Bohemiae cap. LV (ed. 

‚eher, 1602, ©. en, Ausgefämüdt erzählt fie Dudravius lib. 
XXVIII (Freher 229). 

9. 8 — BER. —E— Cesxò dejiny III, 2 (1918), 384 ff. in 
en Noten. 

10. (&. 98). Über ihn, den Berfafler einer Geſch. Böhmens (vgl. Bd. I, 
g, D, dgl. ©. Botgt, Enea Silvio de Piccolomini als Park 
Fi II. u. fein gertatten, 3 Bde. 1856-63; R. Wolkan, Der 
FR er ©. ®., in: Fontes rer. Austriac. Abt. IL, 


11. (S. 9). Der Ben t über dieſe Unterredung in einem Cchreiben 
des Eneas an den Kardinal Carvajal nad Kom vom 21. Aug. 1451, 


gerrudt in ber Nürnberger Ausgabe der Briefe Eneas' von 1481, 
130, und in der ode jamtausgabe einer ® te von 1551 und 
1571; vgl. G. Bot je Briefe des Wen. Sylvius vor feiner 


jebung auf den fl. Stuhl, in: Ar tert. Geſch. XVI 
Gase) 20, . 190; “ ——— Trier Ace bei P — ty, 


2 2. %). Er tes. II, 304 ff., Ar. 59855. 

2. 0 %). Diefe Zahl nennt Eneas in feiner „Geld. K. Frie- 
richs TIL“, deutſche treretung in den Geihthtireibern d. 
deutſchen Aigen, XV. Yahrh., Bd. 88, 89 (1890), 209. 

14. (8. 97). Ebenda Bd. 89, 1445. 

15. (6. 98). Fontes rer. Austriac. II, 20, ©. 55. 

16. (&. 98). Archiv. des. XV, 212, Nr. 104. 

17. (©. 99). Einen etiva8 anderen "Wortlaut, der aber auch auf Eneas 
gesehn, gt Balacty, Geh. — 2* — IV, 1, ©. 382, Anm. 
ug au rbäneta. a. DO. IIL 2, 23. 

18.0 300. Sigungsber. d. Eon. böhm. Gefelfhaft d. Wiſſ. 30.189, 


1. (©. Fon 8 tb, Ein Ge töberi 
Si: } 2%. EA h Ber. f. a en i.  Xvır 


20. ie. In 8. alacty, Beugenberhir über den Tod K. Ladiflams, 

in: Abh. ber kon. böhm. Gefel daft 9; Wiſſ. 5. Folge, 9. Bb. (1856) 
und nad einem Berfuh von E. ®. Kanter, Die Ermordung 
N. Ladiſiaws (1906), Georg v. Podiebrab die Schuld zuzuſchreiben, 
B. Rovotn f,überden Tohbes®. Ladiſlaw len in: —R 
der kön. böhm. Geſellſchaft d. Wiſſ. Jg. 1906 (Prag 1907), 


Anmerkungen. 





21. 


— Bu ben vielen Nachrichten über Ladiſlaus! Zod kommen noch 
— 1. im Dialogus Rabenstein (Ar. für öfterr. Geſch. LIV, 
859): cuius mortem multi naturalem, multi veneno obligisse di- 
cunt, quam illis constare credimus, in quorum scola et regimine 
adolescens versabatur; 2. Bohuflaus von Haffenftein in einem 
Briefe von 1489 an Ehriftian Pebil: Neque Ladislaus Alberti 
Alius orthodoxae fidei defuturus oredebatur, nisi in ipso aetatis 
flore veneno, ut perhibent, extinotus esset._Bgl. J. Zruhlar 
in: Spirka pram, Abt. IL, Nr. 1 (1899), ©. 25. 

(&. 104). 3. Lofertb, Die Denkſchrift des Breslauer Domherru 
Nil. Tempelfeld v. Brieg über die Wahl Georgs v. Pobiebrad, in: 
Archiv f. öftere. Gef. LXI (1880), 89ff.; A. Bahmann, Neues 
über die Wahl N. 0798 v. Böhmen, in: Mittel. f. ih. d. 
Deutſchen i. Böhmen. XXXIII (1895), 1ff. — Der Bericht des 
Rofenbergifhen Selretärd in: Font. rer. Austriac. II, B®. 46, 


©. if. 
(&. 106). 4. Bahmann, Ein Jahr böhm. Gedichte. Georgs 
von Podiebrad Wahl, Krönung um Anerkennung, in: Archiv |. 
öfter. Geſch. LIV (1876), 134. gen ber Ab| [emörung das Schrei- 
ben des Kard. Cardajal an den Bapft vom 9. Aug. 1458, in: Script. 
rer. Silesiac. VIII (1873), 7, Nr. 10: Abiuracio erroris non est 
scripta in iuramento uf. 
S; 107). & Markgraf, Politiſche Korrefpondeng Breslaus im 
italter Georgs v. Podiebrad, in: Script. rer. Silesiac. VIII und 
EjdhenIoer, Historia Wratislaviensis ebenda VII; beutih u. 
d. T.: Beter Ejchenloers... Geſchichten der Stadt Breslau o. Dent- 
würbigteiten feiner Zeit von 1440—1479, bg. von T. G Kunifd, 
2 Bde (1827). 








. (&. 107). Balacky, Urkundliche Beiträge zur Geh. Böhmens 


im Seitalter Georgs von Podiebrad. 1450-1471, in: Font, rer. 
Austr., 2. Abt. Bd. XX (1860), Mr. 138, 139, 182, 184. 


. (&. 108). Als folder gewann befondere Bebeutung Jobſt von Ein- 


iedel, ein Egerer; vgl. über ihn F. Kürfhner in: Archiv f. 

Kan Gefh. XXXIX (1868), 245 ff. 

(&. 110): Kuniſch a. a. ©. IL 77. 

(&. 111). Script. rer. Siles. VII, 47, Nr. 45. 

&. 112). Abgedrudt in der Abhandl. der kön. böhm. Geſellſch. der 
fi, V. Folge, 13. 8b. (1865), 53 ff, dazu Höfler in: Sigungs- 

ber. der Ton. böhm. Geſellſch. der Wiſſ. Ihs 1862, &. 47 ff., und 

©. v. Stodheim, Herzog Albrecht IV. u. feine Seit, 2 Bde, 

Leipz. 1865. 


29. (©. 115). Monumenta hist. univ. Prag, II, 56, 57; 9. Bad 


mann, Böhmen u. feine Nahbarländer unter Georg v. Podie- 
brad 1458—1461 (1878), ©. 301. 


Anmerkungen. 258 





58 TIL, ®b. I (1884 
. (©. 115). Script. rer Bohem. III, 176. 

32. (©. 116). Balacty, Geſch. v. Böhmen IV, 2, ©. 187, Anm. 131; 
Bahmann, Deuiſche Reichsgeſch I, 98, Anm. 4. — Die ent 
ſcheidende Stelle im Original (im böhm. Kron- o. St. Wenzelsarchiv 
Nr. 1:474, Rep. 255, böhm. Rep. XII. A. Nr. 1381) lautet (na 
gütiger Mitt. des Prag. Landesardhivs): My Jifi.. oznamujem... 
jakoz.. jednosteinym v3ie &eskö zem& svolenim za kräle.. vo- 
leni, vyzdvizeni i ätastnd korunoväni sme, pfi kter6mäto nasenı 
korunoväni od pänuv, rytierstva, möst i obce krälovstvie 
tesköho Zädäni a prodeni sme, abychom je v jich präviech, 
fadiech a obyöejich zachovali a jim na to.. list nä, tez jako& 
pfedkov6 nadi.. Sigmund, Albrecht a Ladislav.. dali... My 
jich Zadosti chtiec dosti uöiniti, rekli sme a chcem je pfi töch 
v&cech, coZ se töch &tyf artikuluov i tak6 volenie k arcibiskupstv! 
praäskömu mistra Jana z Rokycan i zachovänie compactat, 
poslänie o potvrzenie jich k otei svat6mu dotyde, tak jakoäto tik 
pfedkov6 nadi je fekli jsü, zachovati i o jind kusy totiäto, Ze my 
jiz jmenovand krälovstvie desk6, markrabstvie moravsk6, knie- 
zata slezsk&, mösta i jind zemö a krajiny k t6muZ krälovstvie 
pfislußejicie i kaidy stav pfi jich rädiech, präviech, svobodäch 
a spravednostech zachovati a ochraniovati chcem s jich radü 
a pomoci, jakoZ to dobre, hodns a sluäns jest. Item Ze väecky 
penZite dluhy 

83. (©. 116). © Ichreibt noch am 21. Sept. 1461 Markgraf Albrecht 

Achilles dem Kaifer: „...fo ift dem Schimpf der Boden auf und 

ber Kunig von VBehem wirdet Romiſcher Konig, es Ah €. On. und 

uns allen lieb oder leide,“ ſ. Font. rer. Austr., Abt. 2, ®b. XX, 

5 a Nr. 248; vol. au Bachmann, Deutice Reicjögefd. L, 

nm. 4. 

(&. 116). Script. rer. Siles. VIII, 67, Nr. 66. 

(S. 117). Bon Koranda ftammt der Sauptberidht, f. . Vybor z lite- 

ratury öesk6 II (1868), 663, beſſer Archiv des. VIE (1888), 321 fi.; 

die anderen Quellen berzeichnet Bahmann, D. Reichsgeſch. 1. 

197, Anm. 3; dazu Script. rer. Siles. VIII, 82. 

8. (&. 117). Bol. 8. Baftor, Geſch. d. Väpfte II (1889), 157: il re 
de Boemia... e mezo heretico et e cativo % nido et non se ze 
mo pigliare fede; vgl. dazu Eneas, Gefch. K. - Selebrihe IH., in: 

eihichtfchreiber d. beutich. Vorzeit a. a. ©. I, 225. 
37 8, 118). $. Markgraf, Über Georgs v. P. Projekt eines chriftl. 
ürftenbundes zur Vertreibung der Türken aus Europa u. Herr 
ftellung des allg. Friedens Änmergalb der Chriftenheit, in: Sybels 
Sit. Zeitfgrift XXI (1869), 257. 
838. (©. 119). Seript. rer. Siles. VIII, 128, Rr. 106. 


30. Kiss A. Bahmann, ale Reichsgeſch. im Zeitalter X. 
31 


RE 


24 Anmerkungen, 





89. (&. 120). Zum Dank für diefe Hilfe, an der im Gefolge K. George 
bie mährifhen Stände teilnahmen, verlieh der Kaifer ihnen 

3. 1462 eine ——— bes Landes 3 dgl. D. Bret- 

ol Das mähtr. di, 1908, ©. Nr. 9; dgl. die 
fonftigen Gnabenbeweife bei Bahmann, Dr Böhmens IL, 


“m, Die barau bezigliter Atenftide in Soript. vor. Sin 
u 
4. em. 8. Bältor a. a. ©. IL, 356, nah Balacty IV, 2, 


@ 122). Script. rer. Siles. IX, 147, Wr. 311. 

(&. 123). Kraus-Kafer, Deutiche Gef. im Ausgange d. Mit- 

telalters I (1905), 438. 

4. (&. 125). A. Bahımann, Johannis ‚Babonsteinensie dialogut 
in: Archiv f. öfterr. Geſch. LIV (1876), 364; |. auch Palacky IV, vi 
©. 435, 2, &. 670. 

45. (S. 126). Bol. einerfeit8 Balacty IV, 2, ©. 665 ff. und Denis, 
Fin de l’indöpendance Bohöme. I. Georges de Podiebrad. Les 
Jagellons (1890), 163, ber aber in ber Benrteihung Georgs von 
Balacty abweicht, andererfeits KRafer, Das fpäte Mittelalter, in: 
Weltgeſch. in gemeinverftänd!. Daritellung, herausgeg. von 8. M. 
Hartmann V (1921), 192 ff. 

46. (8. 126). A. Bahmann, D. Reichsgeſch. I, 91 


Vierter Abfchnitt. 
1. (&. 127). ©. die Stanmtafel und meine Neuere Geſch. Böhmen I 
(1920), 23. 


2. (©. 198). 3. Chmel, Attenftüde u. Briefe 3. Geſch. des Yaufes 

a h Beitalter Mazimilians, in: Monumenta Habsburgica, 
Bd. (1868), 252 ff.; Archiv des. IV, 488. 

3. G. 131). A. Gindely, Böhmen u. Mähren im Zeitalter ber 
Reformation, Bd. .I: Geſch. ber böhm. Brüder, 14501564 (1857); 
: GoLI, Quellen u. Unterfuhungen 3. Ge der böhm. Brüder, 

tag 1888, Bd. II: Peter Cheleichy u. feine 2 

4. (S. 131). Herausgegeben von €. Smetänta, sit virr, in: Co- 
menium Rt. XXII ası2). 

5. (©. 186). Gindely a. a. ©. I, 49. — Noch 1508 in 
flaus v ‚Hafienftein, daß die Brüder unter K PEN 

„mudfen (hiscere)“ wagten; Listär (j. unten X 10 € 1 

(&. 187). A. Bahmann, Unlunden u. Altenftüde 3. PN &iß, 

tm Beitalter K. Friedrichs 111. in: Font. rer. Austr, 2. 

© 18) om Zur Gef. Des Bufftanbes be 

. achmann, Zur ei urbane tr Prager 

im Sept. 1482, in: Mitteit. d. Bereins ee rede 
Bigmen XIX (1881), 24, mit weiteren 


re 


a 


Anmerkungen. 255 





8. (&. 199). 9. Theiner, Vetera monumenta Poloniae II (1861), 
228, Nr. 254; dl, Monum Hungarine, m 488 ff.; vgl. Balacty, 
ſch. Böhmens v, 1,6. 260, Anm. 1 
2. (©. 1% Archiv öes. V, 418/9. 
10. (8. 141). J. Truhlar, Listät Bohuslawa Hasiätejnehäho 
x Lobkovic, in: Sbirke, gramandr der fön. böhm. Atad. d. Will. 
u Br). "Gruber, Die Sauptperioden de Kunftent- 
. zuber, Die 0 T m. a. ten 
wicllung in nahmen umb den Nachbarländern, in: Mitt. d. Ver 
eined Y Gef. d. Deutſchen in Böhmen IX (1871), 21]; 
12. (&. 142). 3. Zrublar, Magister Väclav Pisecky; in: Üas. 
Sek mus. L (1876), * and bil. Potätky Km v Geenäch 


Humanismus a humanist6 v 8 "m: Rozpı Braıy a. a. O. 
Se 3, Pr. 4 (1894), 144; R. Bolten, Geih. d. beutfger 
iteratur in ögmen N, udif 


"u 

16. (S. Ga). olfan.a.a.D.6©. 114. 

17. (S. 146). Listär a. a. O. ©. 213: Quale monstrum si Bocmia 
nostre ferret, bimembrem puerum natum et pisces sub aratro 
inventos putarem. 

18. (©. us). erausgeg. von 8. 2. gobotte in: Hist. Archiv der 
tön. böl Atademie Nr. 38 (1908), ©. 16, 

19. S un. 8 unter in feinem oben, ©. Sie, Anm. 11 genannten 

, ©. 89% u. 
20. 148). %. Trublar, Potätky a. a. D. S. 44/5; dazu Central» 
att f. Bibliothefstvefen, hp. 1890, ©. 248. 

21 (©. 148). Zul. u. a. J. Klit, Die nationalen Verhältniſſe Böh- 
mens son ben Huflitenfriegen bis ur Schlacht am elben Berge 

| ben), m : Cesky as. hist. XXVII (1921), 18 ff, 18. 

148). Geſch Böhmens IV, 1, ©. 385, dazu Klit, ©. 21. 
(&. 149). Archiv des. III, 457, I, 380. 
(&. 149). Listäf a. a. O. ©. 147, 208. 

©. 149). Wolkan a. a. D. ©, 110. 

(8: 150). Rlit a. a. O. ©. 23/4, 30. 

(&. 150). O. Kämmel, Zur Beleuchtung der Ceditfierung ah 

Bahn im 15. — in: —* d. —— Geſch. d. D. 
Böhmen ay dar , 85 ff.; Su des. XII, 261 

(&. 151). To oltaa.a.O.©. 4. 


———— 


Anmerkungen. 257 


4. (&. 165). Seine Briefe in tſchechiſcher Sprache f. Archiv des. J. 


4. (eier, Balacky, Geſch. Böhmens V, 2, ©. 440. 

46. (©. 167). Bartholomäus von St. —* BR Kal Chronica 
de seditione et tumultu Pragensi 1i iniſch berausgeg. 
von €. v. Höfler, Prag 1859, —S von x 3 Simatin: 
Font. rer. Bohem V (1907), if. 

47. (©. 168). Bericht des Gefandten K. en, an K. Siegmund von 
Bolen, in: Acta Tomiciana VI 

48. (©. 170). —— Des Georg tie 1518—26, in: Font. 
rer. Bohem. 

49. (&. 171). Balactı, Geſch. Böhmens V, 2, ©. 518, Anm. 380. 

50. (&. 174). &. Regel, Francouzekä politika v Cechäch, 161834, 

: Sbornik hist. I (1883), 58. 


Funfter Abſchnitt. 


(&. 176). Archiv öes. IV (1846), 108. 

. (&. 176). 3. Kalouſek, Cesk6 stätnf prävo @. Aufl. 1892), 188, 
nimmt an, daß von ben minbeftens die damals außgeftellten Ur- 
Iunden K. Friedrichs III. alle, bis auf eine, noch vor 1547 müffen 

. entfernt worben fein; vgl. aud 4. Bahmann, Deutihe Reichs- 

geſch. I, 569, Anm. 1, Art Geſch. Vöhmens IV, 2, ©. 365, 
auch 266; wegen deifen Annahme von einer Rüdftellung ber Ur 
Tunben, dom 1364, U. Huber, Gefd. Oſterreichs III (1888), 171, 
nm. 1. 
8. (&. 17). 3. Kalonfela. a. O. ©. 513. 
4. (6. 177). A. Rezet in: Cas. desk. mus. LV geed 39 39, 401. — 
er Brager Cpronift (Script. rer. Bohem. III, 386) Tagt auße 
brüdlich, da die Wiener Ehebeſprechungen von 1515 dem Prager 
Landtag belanntgegeben wurden, „worauf unfere Getreuen das 
Te Deum laudamus fangen, am Pfingsmontag“. 

5. (&. 177). Das Hauptiver fortan ift „Die böhm. Lanbtagsvı de» 
Tungen u. Landtagsbeſchlüſſe von 1526 an..., b . vom !. böhm. 
Landesarchiv· I (1877) — XL, 1 (1910) bis , XI, 2—XIV 
fehlen, XV (1917) behandelt das Jahr 1611. — Ausführlich habe ih 
den Zeitabſchnitt 1526—1576 behandelt in meiner „Neueren Geſch. 
Vöhmens“, I (1920), erſchienen Fa ber ‚Perdestäen „Allgemeinen 
Srantengeliicte: ', rg. von E22 

. (S. 177). Vgl. Band I, ee 

. (&. 183). Fr Hifhen® inande I. Berſuch zur Einführung 

einer rein Iandesfürftl, Bertvaltung in Mähren (1528), in: Zeitfchr. 

— Bereines f. d. Geſch. Mährens u. Schieſiens. XVII 
8. (S. 183). Br F. Stälin, Aufenthaltsorte K. I omende 1 
. 1521-64, in: Forſch. 3. deuiſch. Geſch. I (1862), 384. 


Brethols, Geld. Böhmen: u. Mäprens. IT. 17 


vom 


ap 


258 Anmerkungen. 





9. (&. 185). Archiv des. XI (189%), 49%. 
10. (©. 186). 9. v. G6vad, Urkunden u. Aktenftüde zwiſchen Oſter- 
ich Ungarn u. der Pforte im 16. u. 17. Jhd. I (1840), Bief. 4, 


11. 8 186). Münden, Reichsarchiv, Fürſtenſachen, Bd. XXIV, Fol. 
8, |. meine N. Geſch. Böhm. 89. 

12. (S. 189). Die Nachweife in meiner N. Geſch. Böhm. 93 ff. 

13. (&. 190). Eine wichtige Quelle für diefe Zeit bilden die „Nurtiatur- 
berichte aus Deutichland“, 15; 1590. 1603 ff., brg. teils vom 
t. preuß. Inftitut in Nom, teils von der Wiener Alad. d. Wiſſ., 
teils von der Görres-Gefellicpaft in München, vgl. Dahlmann-Waig, 
Quellentunde d. deutſchen Gedichte, 1912. 

14. (©. 193). Archiv des. XX (1902), 82. 

15. (S. 196). Zu der in meiner N. Geſch. Böhmens ©. 115 ff. angeführ- 
ten Sit. vgl. noch 8. ®rofta in Cas. Zesk. mus. XOI taıh, a 

16. 8. 1%). ©. Egelhaaf, Deutſche Gef. im 16. Jahıh. IT (1892), 


17. (8. 197). &. Brandenburg, Polit. Korrefpondenz des Herzogs 
u. Kurfürften Mori v. Sachſen II (1904), 784; j. auch fein Buch: 
Morik bon Sachſen I (1898). 

18. (©. 198). ©. v. Kügelgen, Beitgemäße Traktate aus der Refow 
mationei ft 2 (1903). 

19. (S. 19). E. Brandenburg a. a. O. ©. 

20. (©. 199). ©. Loefche, I. Mathefius. 2 Bde. (1895); der Briefe 
meet des Mathefius, in: Jahrb. f. Gef. d. Proteftantismus XI 


(18%). 

21. (©. 200). Die Vorgänge im einzelnen find, behandelt in: „Acta aller 
Handlungen, fo fih zwifhen... Ferdinanden... und etlichen Ber- 
fonen aus dem Herrn⸗, Ritter- und Bürgerftand der Cron Beheim 
des vergangen 1547 Jars verloffen... Aus behemifcher in deutſche 
Sprach transferiert und gebrudt 1548°. Im Auszug in: Landtags- 
verh. II, 69. — Die zweite Hauptquelle ift: Sigt bon Dtteräborf, 
Knihy pamatns o nepokojnych letech 1546 a 1547 (Gebenfbücher 
über die unruhigen Jahre 1546 u. 47), hrg. von J. Zeige in: 
Svätovä knihovna Rt. 1363—79, Prag (1919). Dazu 8. Tief 
trundf, Der Widerftand der böhm. Stände gegen binand 1. 
1._%. 1547 (tfjedh.), 1872. 

2. g 208). ®. Brezan, Zivot Vildma z Rosenberka (Das Leben 

. dv. R.), Dig. in: Biblioteka Starodeskä. 1847. 

23. (&. 206) Bendiensivert tft, ba in den Landtagsverhandlungen 
des J. 1590 davon die Rebe war, daß 1547 in Mähren die 
Pitarden (b. h. bie Brüder) einige taufend Mann gefammelt hatten, 
um gegen Ferdinand zu ziehen. Landtagsverh. VII, 455. 

24. (6. 208). 3. Schmidt, Historia soc. Jesu provinciae Bohemiae 
IAIII (1747-54); 9. Kroef, Gef. ber böhm. Provinz ber 












Anmerkungen. 259 





eh Jeſu I a 3. ®inter, Zivot cirkevni v Cechäch 
(Das fir Böhmen). 1895. 

2. (©. 208). 5, ‚Biauntbergen B. Petri Canisii S. J. epistulae 
8 acta I—V (1896-1910). 

26. (©. 209). 9. dein, Die Kirchengeſch. Böhmens III (1872), IV 


187 
N. (S. tn. K. Boropy, Anton Brus v. Müglig, in: Oſterr. 
Bierteljahrsfgrift f. tath. Theologie, XIII, 1874. 


Sechſter Abſchnitt. 
1. G. 212). el, „Staat und Geſellſchaft der neueren Zeit”, in: 
je Aultır be r Gegenwart”, Teil II, Abt. V, a 1908. 


508). 
4. (&. 216). Über die Quellen zu biefem zug um und ihn felbft, vgl. 
* —E Der böhm. andtn b 575, in: Forſchungen 
Beten, Sei, III (1869), 257 
se 217). Über Böhmen und bie Bartiofemäusnadit verzeichnet 
iteratur C. Zibrt, Bibliografie III, 456, Nr. 9564. 
6. (6. 217). Die böhm. Lanbtagsverhandlungen IV, 483; die „Pro- 
pofitionen” &. 156 

T. e 219). Vgl. F. Sreifa, Die böhm. Konfefiion, i Ent- 
ftehung, ihr Weſen und ihre Gefchichte, im: Jahrbuch f. Geſch, des 
Broteftantismus in Üfterreih, Ihg. XZXXV—XXXVII (1914 ff.), 
ein Auszug aus feiner gleichnamigen tſchech. Abhandlung in: 
Ronpzarr der kön. böhm. Alabemie in Prag, KI. I, 46 (1912); 
un öhm. Aanbtagsberhanblungen XI, 1 (1910), 49, Anm. 178. 

8. (©. 222). U. Theiner, Annales ecclesiastici I (1856), 452, nad) 
einem Bericht des Gefandten Giovanni Vescovo di Torcelli an ben 
Kardinal di Como, ddo. Prag, 1575, Febr. 26. 

2. 2 223). Bel. 3. Janjfen, Seid. des deutſchen Volles IV 


896), 496. 

10.8 . 223). Neben dem Hauptwerk U. Gindely, Rudolf IL und 

je Zeit, 2 Bde. (2. Aufl. 1868) vgl. F. Stiene, Rudolf IL, 

ee aa in: Abhandlungen, Vorträge u. Reden (1900), 

gem. deutſche iogtappie). ber Rudolfs Krant- 

— ſ. — ihm. Landtagsverhandiungen X 0, 242, unb bie 
unter Anm. 20 genannte Arbeit Stieves, ©. 33 

11. (&. 224). Landtagsverhandlungen VII (1891), 447. 

12. (S. 225). Bezüglich Mährens vgl. F. Kamenizek, Mähr. Sand- 
tagsverhandlungen und Sufammentünfte (tſchech) II (1902) 
III (1906), 677. eh dreibandige Werk ift als einzige Ber ig 
der mähr. Landtagsalten wichtig, wenn auch K. Krofta, Böhn. 
Landtagsverh. zn (1910), 2, auf „die ernften Mängel und vielen 


Bretdols, Belh. Wöhmens u. Mährens. II. 18 





Anmerkungen. 





26. 


Ungenauigkeiten“ hingewiefen hat. — Zufammenfaffend 
Der Kalenderftreit des 16. Ihdts in Deutfchland, in: 
IH. (Hift.) Klaſſe der kön. bay. Alademie d. Wifl. XV, 3 (— Denk 
ſchriften LIV), 1880. 





. (&. 225). J. Yirezek, Denkwürdigkeiten des Wilhelm Braten 


Stawata (Hejeh.) I (1868), ii tm Auszug & DO posenfty, im: 
Svötova knihovna Wr. 1044/6 (1912), ©. 45. 
(&. 225). Böhm. Landtagsverh. IX (1897), 9. 


. (&. 226). Vgl. außer den einzelnen Bänden ber Böhm. 2 


andtags- 
verhandl. auch die Einleitung von K. Krofta zu Bd. XI(1910), 47. 


. (©. 226). €. Denis, Fin de lindöpendance Bohöme II (1890), 


335: „e’il ôtait nöcessaire, pour ruiner l’herösie, de ruiner la 
Bohöme, ils n’6prouveraient ni piti6 ni remords“, 

(S. 227). Böhm. Landtagsverhandlungen X (100), 886, Nr. 270; 
vgl. dazu J. ae Das Mandat gegen die Brüber vom 
2. Sept. 1602 und defien Durchführung in ben N 1602—04 each), R 
in: Sitzungsber. d. kön. böhm. Gejellſchaft d. Wiſſ., hg. 1° 
(1905), Wr. X. 

(S. 27. Briefe hat herausgegeben J. GIüdlid im: Histo- 
ricky Arcuiv der lön. böhm. Atad. d. . Bill, Nr. XXX (1908), 
XXXVIIT (1912). 

(©. 228). Seifpide 4 * Winter, Kirchl. Leben in Böhmen 


1896, 
25} F. — e, Nie Verhandlungen über die Nachfolge 
—— in: Abhandl. der III. Giſt.) Klaſſe der Fön. bayr. 
lab. b. iff., XV, 1 (= Denkſchriften LIV), 1880, &. 


. (©. 228). Über den „Prozeß Loblomwig" vgl. jegt die eigenen Dar- 


feltungen ergãnzend unb vwerbeffernd: Landiagsverh. VIII (1895). 
141 


ft. 
(S. 229). 3. Stiene, Briefe u, Alten 3. Geſch. des 3Ojährigen 
Krieges V (1883), 943 unter „Böhmen“ u. f. in diefem Werte. 
(©. 229). gl. dazu 3. Kamenizel, Quellen zu ben Einfällen 
8 in Mähren (tſchech.), in: Historickj Archiv der kön. 
Bob, 3 ee d. Wiſſ. Nr. IV (1894). 
a) Über ihn die ſtark verherrlihende Se on ®. dv. 
Ari Carl von Zierotin und feine Zeit. 1864 i6ıh 
(1862), nebſt Beilagenbanb (Briefe) 1879; 3. Brandl, Schriften 
Des 80. 8 (ie 2 Bonne- (1866-72). Die Briefe 8. v. v. 8 im 
Archin, XVII (1904 
(&. 232). — der älteren umfaſſenden Arbeit von X. Ginbely, 
3 ber Erteilung bes Böhm. Majeftätsbriefes von 1609 (1858), 
LS. Krofta, Der Majeftätsbrief Rudolfs IT. — ), 19089. 
_ ots Brief an Budoive tm Archiv is. XXVIT (1904 
(S. 234). Bol. Böhm. Sanbtagsverh. XV, 1 (1917), ©. XXX. 


Anmerkungen. 201 





a. 6. a a. Gindely, Gef. des SOjährigen Krieges I (1869), 


2. (©. Binter.a.a. D. S. 49ff.; 2b4ff. 
29. (8. 236). A. Regel, Dentwücbigfeiten des Nikolaus Datſchihty 
von Heflan” ltſchech.). I (1878), 
80. (( — und andere —5 enthält die wichtige fogen. 
Eu —X der —558— 3 Königreiches „zohmen en in 174 
u 
pm, dann die Böhm. ss. des J— 


32. (©. 240). M. Ritter, Deutſche Geſch. im Fr che Geyer 
mation u. des 30jähr. Krieges (1555—1648), III ( . 

83. (©. 244). Die reihe Literatur über bie la am Behen Berge 
verzeichnet Zibrt, Bibliografie N, 38 ff, 6544— 7022. Die 
wichtigſten ſtellungen bei 4. einen "Seid. b. 30jähr. 
Krieges II, 39; M. Ritter, Deutihe eig. II, 106; I. 
Krebs, Die Stadt am Beißen — 1879 u. andere Schriften 
biefes Berfaffers. folgende Unführung aus S. Veckouäky, 
el glarich pfiböhöv Zeskjch, herausgeg. von A. Hegel