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Professor Karl fj^-Miiriilj Kau
OF THi UHivmaiTv OF Haio(t»(«a
PRE8ENTEO TO THI
UNIVERSITY OF MIOHIOAN
2Uv. philo pati^ons
OP OarnoiT
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GESCHICHTE
DER
BADISCHEN VERFASSUNG.
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GESCHICHTE
DER
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NACH AMTLICHEN QUELLEN
VON
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FRIEDRICH, VON WEECH
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KARLSRUHE
A. BIELEFELDS HOFBUCHHANDLUNG
1869,
Druck der W. Haspe raschen Hofbuch druckerei in Karlsruhe.
SEINER KÖNIGLICHEN HOHEIT
DEM GROSSHERZOG.
I
Vor^w^ort.
Dieses Buch verdankt sein Erscheinen der gnädigen Vergünsti-
gung Seiner Königlichen Hoheit des Grossherzogs , welcher die Be-
nützung der im Grossherzoglichen Geheimen Cabinet sowie in den
Ministerialarchiven aufbewahrten, auf die Geschichte der Verfassung
bezüglichen Actenstücke huldvollst gestattete. Ich schätze mich glück-
Hch, durch die Widmung dieser Schrift, welche Seine Königliche
Hoheit gnädigst anzunehmen geruhte, meiner Dankbarkeit einen ehr-
furchtsvollen Ausdruck verleihen zu dürfen.
Nächst den amtlichen Materialien, auf die sich meine Arbeit
stützt, waren mir von besonderer Wichtigkeit die hinterlassenen Papiere
zweier hervorragenden Badischen Staatsmänner, des Staats- und
Cabinetsministers Frhrn. von Reizenstein und des Geheimen Rathes
Nebenius, deren Einsicht mir in dankenswerthester Weise die Libe-
ralität ihrer Erben gestattete. Aus den Aufzeichnungen und Collec-
taneen von Nebenius habe ich namentlich für das zweite und fünfte
Capitel dieses Buches werthvolle Belehrung geschöpft.
Karlsruhe, im August 1868.
F. von Weech.
Inlialts-rerzeicliniss.
Seite.
Erstes Capitel 1
Zweites Capitel 26
Drittes Capitel • . 33
Viertes Capitel 43
Fünftes Capitel 92
Sechstes Capitel 116
Siebentes Capitel 141
Beilage! 151
Beilage U 191
Beilage lU 198
Erstes Capitel.
Uie ersten Anfönge der Bestrebungen, dem Grossherzogthum Baden
eine Verfassung zu geben, reichen — wenn wir von dem Versuche absehen, der
im Jahre 1808 gemacht wurde, eine der westfälischen und bairischen nach-
gebildete Verfassungsurkunde in Baden einzuführen, ein Vorgang, der mit
den späteren Verfassungsarbeiten in keinem Zusammenhange steht*) — bis
auf den Wiener Congress zurück.
Während die Neugestaltung der zerrütteten Verhältnisse Europas und
insbesondere Deutschlands die Gesammtheit der dort versammelten Fürsten
und Staatsmänner beschäftigte, war die Vorsorge einzelner hervorragenden
Theilnehmer des Congresses der zukünftigen inneren Organisation derjenigen
deutschen Staaten zugewandt, welche nicht in äusserer Machtentfaltung eine
Bürgschaft ihrer Existenz und ihres Gedeihens besassen, sondern sich dieselbe
durch eine den Ideen der Zeit entsprechende Gestaltung ihrer inneren Zustände
zu schaffen versuchen mussten. Das alte deutsche Reich, so morsch und
mangelhaft auch alle seine Einrichtungen waren, hatte doch gewisse grund-
gesetzliche Bestimmungen nie ganz ausser Geltung treten lassen, welche das
Verhältniss der Fürsten zum Reich, der ünterthanen zu den Fürsten regelten.
Nach der Auflösung des Reiches sah sich das deutsche Volk rechtlos den neu
geschaffenen Souveränen gegenüber. Einen neuen Rechtszustand zu schaffen,
wäre nun freilich zunächst Sache einer neuen Reichs- oder Bundesgesetz-
gebung gewesen, allein bald stellte sich heraus, wie wenig Aussicht vor-
handen sei, in der grundlegenden Gesetzgebung des deutschen Bundes
derartige, die Gesammtheit bindende und die Souveränetät der Einzelstaaten
beschränkende Bestimmungen zur Geltung zu bringen. Die Thätigkeit der-
jenigen Männer, welche für die Zukunft des deutschen Volkes die Fest-
stellung solcher Normen unerlässlich hielten, und mit eifriger Beflissenheit
•) Vgl. Beilage I.
1
anstrebten, stiess indess fast allenthalben auf Widerstand und Abneigung.
Die leitenden Persönlichkeiten in Ocsterreich und Preussen, welche einer
solchen Grundlage der staatsrechtlichen Neugestaltung Deutschlands wider-
strebten, hatten kein Interesse daran, ähnliche Grundgesetze in den einzelnen
deutschen Staaten angenommen zu sehen , und die Regenten dieser Staaten
hatten keine Lust, Einschränkungen ihrer Souveränetät selbst zuzugestehen.
Doch kamen den Freunden und Wortführern der constitutionellen Idee manche
Verhältnisse zu Hilfe, die geeignet erschienen, auf die Entschlicssungen der
Fürsten einen Druck auszuüben und sie zur Annahme constitutioneller
Grundgesetze geneigter zu machen.
Unter den anwesenden Fürsten vom ersten Rang aber fanden die Ver-
treter des Constitutionalismus einen Beschützer und Förderer ihrer Plane
an dem Kaiser Alexander von RussUnd, der von Jugend auf moderne Ideen
in sich aufgenommen hatte und, während er sich in der Rolle eines Be-
schützers der Völkerfreiheit gefiel, viel zu hoch stand, um die hohe Meinung
der kleinen Fürsten von ihrer Souveränetät irgendwie als berechtigt zu
betrachten. Wie er auf dem Congresse überhaupt, sowohl durch seine Per-
sönlichkeit als durch die hervorragende Tüchtigkeit seiner Räthe und die
Macht seines Reiches, durchweg den bedeutendsten Einfluss auf die Ent-
schliessungen der übrigen Fürsten ausübte, so war er durch seine verwandt-
schaftlichen Beziehungen zu den meisten deutschen Fürstenhäusern besonders
geeignet, in der Ordnung ihrer Angelegenheiten ein schwer wiegendes Wort
mitzusprechen. Und da war es nun von der grössten Bedeutung, dass ihm
über die deutschen Angelegenheiten der Freiherr vom Stein Bericht zu
erstatten pflegte, ein Mann, der wie kein zweiter geeigenschaftet und ent-
schlossen war, in der aussergewöhnlichen Stellung zu dem mächtigen Kaiser
die Interressen Deutschlands mit aller Energie seines feurigen Geistes zu
vertreten. Der Freiherr vom Stein dachte sehr gering von den durch den
Rheinbund geschaffenen Souveränetäten. Hätte er die Gestaltung der deut-
schen Dinge in der Hand gehabt, so wären sie alle verschwunden und eine
kräftige Reichsgewalt über Deutschland aufgerichtet worden. Da das aber
unmöglich war, so schien es ihm zum mindesten geboten, für das deutsche
Volk in seiner Zersplitterung Schutzwehren einer gewissen inneren Freiheit
aufzuführen, den neuen Souveränen gegenüber die Rechte wieder aufzufri-
schen, durch welche von Alters her den Ständen der einzelnen Landschaften
gegen die Uebergriffo der Träger der Landeshoheit eine kräftige Waffe in
die Hand gegeben war. Und da das Gefühl der Nothwendigkeit solcher
Festbetzungen selbst unter manchen Rathgebern der Fürsten lebendig war,
so wurde Steines Theilnahme und Vermittlung bald von mehr als eintr
Seite in Anspruch genommen. Wir haben es hier nur mit dem zu thun,
was er für das Grossherzogthum Baden in dieser Richtung geleistet hat^
Von den Männern, die sich zu Wien in der Begleitung des Grossherzogs
Carl von Baden befanden, war es in erster Reihe der Minister Freiherr von
Marschall, der gleich Stein von der Ueberzeugung durchdrungen war, dass
für sein Heimathland die Verleihung einer Verfassung eine I^bensfrage
sei. Und indem er den Freiherrn vom Stein über die Verhältnisse Badens
gründlich unterrichtete, that er für die Verwirklichung seiner Wünsche den
ersten und wirksamsten Schritt. Wenn aber schon die inneren Zustande
dieses durch die Bheinbundszeit in seinem damaligen Bestände zusammen-
gesetzten und durch die Anforderungen eben dieser Zeit tief erschütterten
und zerrütteten Landes die Ertheilung einer Verfassung an sich höchst wün-
schenswerth machten, wenn nur durch eine solche Fixirung der gegensei-
tigen Rechte und Pflichten einem Ruiu dieses Landes vorgebeugt werden
konnte, so forderte die Bedeutung der Erbfolge in der regierenden Familie
geradezu gebieterisch eine feste und entschiedene Neugestaltung der dortigen
Verhältnisse. Indem es leicht war, den Kaiser Alexander, den Schwager
des regierenden Grossherzogs, schon aus diesem letzteren Grunde für die
Sache zu interessieren, musste Grossherzog Carl selbst nach einer Regelung
der inneren Zustände seines Landes sich um so mehr sehnen, je mehr ihm
daran lag, im Falle seines kinderlösen Todes, sein Land vor der Gefalir einer
Zerstückelung gerettet zu sehen, mit der es die Ansprüche und Wünsche
der Nachbarn bedrohten. Allein hier stellte sich der baldigen Erfüllung
dieser Projecte die Kränklichkeit dieses Fürsten und seine in deren Gefolge
eingetretene Unentschlossenheit hindernd entgegen. Es galt nicht so fast
einem innerlich begründeten Widerstreben, als einer Unlust, überhaupt Ge-
schäfte zu erledigen, mit Erfolg entgegen zu treten. Der Freiherr vom Stein
war zu diesem Versuche jedenfalls geeigneter als die Minister des Gross-
herzogs. Seiner natürlichen Festigkeit und Entschiedenheit kamen seine
Beziehungen zu dem Kaiser Alexander noch fördernd zu Hilfe. Es war
denn auch durch diesen Fürsten, dass er seine Anschauungen und Vorschläge
an Grossherzog Carl gelangen Hess.
Am 25. November überreichte er dem Kaiser Alexander eine Denk-
schrift, in der er die traurige Lage der Dinge in Baden schilderte und den
Kaiser anging, seine persönlichen Beziehungen dem Grossherzog gegenüber
geltend zumachen, «um ihn zu bestimmen, seine Verwaltungsart zu ändern
und zu freisinnigen Einrichtungen einzuwilligen.» Stein glaubte, eine
Wendung zum Bessern werde dadurch eintreten, wenn Grossherzog Carl
«einen Stellvertreter oder einen ersten Minister ernenne, wenn er seiner
Macht durch Errichtung von Landständen, mit den wesentlichen Berechtig-
ungen der Theilnahmo an der Gesetzgebung und Besteuerung, Schranken
setze.»
«Wenn des Kaisers Majestät» — hiess es weiter — «diese Ideen zu be-
schützen geruhte, so würde es nothwendig sein, Ihre Absichten dem Gross-
herzog zu eröffnen und ihn zur Unterzeichnung der Beilagen zu bestimmen.
Sie enthalten die Ernennung eines ersten Ministers, die Herstellung von
I^andständen, und würden einer Bevölkerung von einer Million Menschen,
eine regelmässige und thätige Verwaltung sichern und Einrichtungen,
welche die Freiheit und das Eigen thum beschützen.»
1*
Die Beilagen lauteten also:
1. Ober den GeschäfteganiE:.
<Wir . . . verordnen was folgt:
Unsere Minister werden, wie es durch Unsere früheren Verfügungen
vorgeschrieben ist, die Räthe ihrer Departements zusammenrufen, um ge-
meinschaftlich mit ilinen Über die Geschäfte zu berathen. Wir bevollmäch-
tigen sie jedoch durch Gegenwärtiges, in allen Angelegenheiten, deren Ent-
scheidung in den Kreis ihres Ministerii fällt, die Entscheidung allein zu
treffen und ohne verbunden zu sein, sich der Stimmenmehrheit anzuschliessen.
Sie bleiben Uns verantwortlich für ihre Verfügungen. In Sachen, welche
Wir zu Unserer eigenen Entscheidung vorbehalten haben, werden die Minister
ihre Berichte und Gutachten dem Cabinetsrainister einsenden.»
2. Oeber Einrichtium^ von Landständen«
«Wir . . . fügen hiermit zu wissen:
Mit der wiederhergestellten Ruhe und Ordnung in Europa ist auch der
Zeitpunkt erschienen, der es Uns erlaubt, die künftigen verfassungsmässigen
Rechte Unserer Unterthanen näher festzusetzen und ihnen eine sichere Grund-
lage und Garantie zu geben.
Wir sind überzeugt, dass wir diese Rechte nicht dauerhafter begründen
und zugleich Unsere Unterthanen aller Klassen über ihre Verhältnisse gegen
Uns und Unsere Behörden und über Unsere Regierungs-Grundsätze mit
beruhigendem Zutrauen erfüllen können, als durch die unverweilte Einfahrung
einer landständischen Verfassung in Unserem Grossherzogthum.
Wir wollen und verordnen daher wie nachsteht:
1. Die Landstände Unseres Grossherzogthums sollen aus zwei besonders
berathschlagenden Bänken bestehen: aus der Bank des Adels und der der
Landes-Deputirten.
2. Sie sollen sich alljährig wenigstens einmal versammeln und in dem
künftigen Jahre 1815 zum erstenmal von Uns zusammen berufen werden.
3. Uauptgegenstände ihrer Berathung und ihnen zustehende Rechte
sollen sein:
a. die Verwilligung und Regulirung sämmtlicher zur Staatsverwaltung
nothwendigen Abgaben,
b. das Recht der Einwilligung bei neu zu erlassenden Landesgesetzen
c. das Recht der Mitaufsicht über die Verwendung der Steuern zu all-
gemeinen Staatszwecken,
d. das Recht der Beschwerdeführung insbesondere in Fällen der Mal-
versation der Staatsdiener und bei sich ergebenden Missbräuchen
aller Art,
e. der Recursus an den Bundestag nach denen desshalb in der zukünf-
tigen Verfassung enthaltenen Bestimmungen.
5
4. Wir beauftragen ünsern Cabinets-Minister unter Zugtundle^ung
dieser Bestimmungen, Uns Vorschläge über die Organisation der Landstände
Unseres Grossberzogtbums unter Berücksichtigung derLocal- und politischen
Verhältnisse desselben« vorzulegen, und dabei alles dasjenige näher auszu-
fuhren, was als constitutionelle Befugniss des Regenten und der Unterthanen
hiermit in Verbindung zu setzen ist.
Gegeben
«Diese beiden Gesetzentwürfe» — so heisst es in Steines Leben von
Pertz, in dem diese Denkschrift und der sofort zu erwähnende Brief (Bd. IV.
S. 217 — 222) abgedruckt sind — «waren von dem Minister von Mar-
schall verfasst, in dem zweiten aber der Absatz über den Recurs der
Stände an den Bundestag von Steines Hand hinzugefugt.» Allein bei diesem
ersten Schritte Hess es Stein nicht bewenden. Er suchte auch die Theil-
nahme der Kaiserin Elisabeth von Russland, der Schwester des Grossherzogs
Carl, fQr diese Angelegenheit rege zu machen. Er sprach mit ihr über die
Mängel der Verwaltung des Grossberzogtbums und die Mittel ihnen abzu-
helfen und richtete, veranlasst durch die Aufmerksamkeit, welche ihm die
hohe Frau dabei geschenkt hatte, am 29. November 1814 einschreiben an
sie, in dem er sich über diese Frage und die Persönlichkeit des Grossher-
zogs mit einer Rücksichtslosigkeit äusserte, die sich nur ein Mann seines
Characters und seiner Verdienste herausnehmen durfte. Er theilte der
Kaiserin die nämlichen Entwürfe mit und bat, «um jeder Zögerung zuvorzu-
kommen, die Unentschlossenheit oder nachtheiliger Einfluss verursachen
könnte, sie in Allerhöchstdero Gegenwart von S. K. Hoheit dem Grossherzog
unterschreiben zu lassen.»
«Meine Unbekanntschaft mit den Badenschen Geschäftsleuten» — fahrt
er fort — «verbietet mir einen Vorschlag wegen der Wahl eines Cabinets-
Ministers. Von den hier anwesenden wird Herr von Berckheim als ein braver,
aber wenig kräftiger Mann, HeiT von Hacke als ein Freund des Wohllebens
und der Franzosen geschildert, die Geschäftsfähigkeit und Redlichkeit des
Herrn von Marschall bezeugen der Kronprinz von Würtemberg, der Fürst
von Weilburg, der Graf von Hochberg.»
«Für ein grosses edles Gemüth wie das E. M. ist es eine belohnende
Beschäftigung, einer Million braver, gebildeter Menschen die Wohlthaten einer
gesetzlichen Veiiassung und einer thätigen Regierung zu verschaffen. Diese
segenvolle Erinnerung wird E. M. nach den Ufern der Newa begleiten.»
Diesen Bemühungen geletng es, den Grossherzog zur vorläufigen An-
kündigung seiner Geneigtheit, eine ständische Verfassung einführen zu wollen,
zu bestimmen. Es geschah durch die nachstehende, an die Fürsten Metter-
nich und Hardenberg gerichtete Note:
«Beide endesunterzeichnete Bevollmächtigte S. K. H. des Gross-
herzogs von Baden haben die Ehre folgende Erklärung mitzutheilen :
6
Dass S. K. H. der Grossherzog, von dem innigsten Wunsche von
jeher beseelt, alles Mögliche zur Wohlfahrt und für das Glück Ihrer
ünterthanen beizutragen, Sich entschlossen haben, als dem Geist des Zeit-
alters angemessen, eine ständische Verfassung in Ihren Staaten einzu-
führen und somit Ihren ünterthanen die Bewilligung der directen sowohl
als indirecten Steuern, die Mitaufsicht auf deren Verwendung, die
Theilnahme an der Gesetzgebung und das Recht der Beschwerdeführung
bei eintretender Malversation der Staatfidiener zu gestatten, welche,
im £inklange mit den aus den Verhandlungen des Congresses hervor-
gehenden Resultaten, ihre endliche Bildung erhalten soll.
Um jedoch hierin keine Zeit zu verlieren, haben S. K. Hoheit
bereits eine Commiasion ernannt, welche die auf jeden Fall den Local-
verhältnissen anpassenden Modalitäten in Vorschlag bringen soll.
Wien, den 1. Dezember 1814. Frhr. Marschall von Biberstein.
Frhr. von Berckheim.
Indessen währte es noch mehr als einen Monat und bedurfte wieder-
holter Mahnungen des Frhn. vom Stein, bis wirklich eine entsprechende Ent-
Bchliessung nach Carlsruhe abging.
Erst am 17. Januar 1815 langte in der badischen Residenz ein Courier
aus Wien mit der folgenden wichtigen Resolution des Grossherzogs an:
Ich habe mich entschlossen. Meinen Staaten eine landständische
Verfassung zu geben, welche im Einklang mit den Resultaten des hie-
sigen Congresses ihre endliche Bildung erhalten soll, und um diesen
wichtigen Gegenstand, bis jene Resultate bekannt sein weiden, so viel
als möglich vorzubereiten, ist Meine Absicht, dass sogleich ein den
allgemeinen Grundsätzen sowohl als den besonderen Localverhältnissen
des Grossherzogthums anpassender Entwurf von einer besonderen Com-
mission ausgearbeitet werde, welche bei ihren Berathungen das anlie-
gende Project als Leitfaden anzunehmen hat.
Zu dieser Commission ernenne Ich die Staatsräthe Meier, Herzog
und von Dawans, sodann den Hofrichter von Zyllnhardt zu Mannheim
und den Hofgerichtsrath von Hennin zu Freiburg.
Meine Regierungs-Comroission hat daher diesen benannten Mitglie-
dern Meinen Auilrag unverweilt zu eröffnen, die beiden in Mannheim
und Freiburg befindlichen durch Estaffete nach Karlsruhe einzuberufen
und ihnen sämmtlich anzuempfehlen, ihr Geschäft so sehr als möglich
zu beschleunigen und das Resultat ihrer Borathung mit dem darnach
abgefassten Entwurf einer landständischen Constitution Mir ungesäumt
vorzulegen.
Wien, den 12. Jenner 1815. Carl mpr.
Die durch diese Entschliessung zusammenberufene Commission consti-
tuirte sich am 23. Januar und nahm zunächst den Entwurf entgegen, welchen
der Grossherzog aus Wien geschickt hatte und der ihr als Leitfaden ihrer Be-
mthnngen bezeichnet worden war. Dieser war von dem Frhn. von Mar-
schall verfasst. Die Berathungen gingen unter dem Siegel der tiefsten
Verschwiegenheit vor sich ; nicht einmal ein eigener Protocollführer wurde
beigezogen, sondern die Mitglieder der Commission selbst fertigten, unter-
eioarider abwechselnd, die Protocolle ihrer Sitzungen.
Dieser erste Entwurf, aus 33 Paragraphen bestehend, lautet folgender-
massen :
I. Entwurf zu einer landständisehen Yerfassiin^ int ürossherzogtbin Badem
1 . Die Landstände sind in zwei Kammern, nämlich in die Kammer des
Adels und die Kammer der Landesdeputirten getheilt
2. Die Kammer des Adels besteht aus den Prinzen der regierenden
Familie, den Häuptei-n der standesherrlichon Familien, dem künftigen Lan-
desbischof des Grossherzogthums und den Deputirten des Landadels.
3. Der Präsident der Kammer des Adels wird von dem Regenten, deren
Secretär von der Kammer selbst ernannt.
4. Die Prinzen des grossherzoglichen Hauses haben nach erlangter
Volljährigkeit Sitz und Stimme unmittelbar nach dem Präsidenten, der
künftige Landesbischof nimmt seinen Sitz unmittelbar nach den Standesherrn.
5. Die Mitglieder der Adelskammer haben persönliche Stimmen bei
den Berathschlaguugen.
6. Der Adel wird in Districte abgetheilt, wovon jeder durch Stimmen-
mehrheit eines seiner Mitglieder zu seinem Bevollmächtigten mit Sitz und
Stimme in der Kammer wählt.
NB. Ueber die Bestimmung dieser Districte hat die Commission mit
Rucksicht auf die Localitäten ihre Anträge zu machen. Die Grundherren,
die einen Distnct bilden sollen, müssen namentlich benannt sein.
7. Die Wähler müssen volljährig sein; minderjährige Wähler werden
durch ihre Vormünder vertreten. Bei streitigen Wahlen entscheidet die
Kammer des Adels.
8. Die Landtagskosten der Standesherren fallen auf sie selbst, die
Wahlkosten der Deputirten des Adels aber und deren Diäten während der
Dauer der Sitzungen fallen auf die Wahldistricte.
9. Zur Ausübung des Stimmrechts in der Kammer des Adels wird die
Volljährigkeit erfordert. Die Personen minderjähriger Standesherren wer-
den durch ihre Vormünder oder ein von ihnen bevollmächtigtes Mitglied
ihres Hauses vei-treten.
10. Die Zahl der Mitglieder des Adels ist nicht gesetzmässig bestimmt.
Der Regent kann sie vermöge des Rechts der Standeserhöhung vermehren,
wenn er neue Familien mit gehöriger Dotation an liegenden Gütern in den
Fürsten-, Grafen- oder Freiherrnstand erhebt.
V
8
11. Die Landesdepntirten, welche die zweite Kammer bilden, sind die
Vertreter des Bürger- und Bauernstandes. Sie werden von den Wählern
dieser Stände durch die Mehrheit der Stimmen ernannt.
12. Die Wähler müssen Bürger sein und dabei ein Einkommen von
wenigstens . . . Gulden, die Gewählten aber von wenigstens . . . Gulden in
liegenden Gütern besitzen und beschwören. Auch müssen sie von unbe-
scholtenem Ruf und volljährig sein.
13. Das Land wird in . . . Districte getheilt, wovon jeder wenigstens
. . . Wähler zählt, und durch die Stimmenmehrheit einen Deputirten
ernennt. Zu diesen wird von der Geistlichkeit jeder der drei Religionen,
sodann von jeder der beiden Landes-Universitäten Heidelberg und Freiburg
ein Deputirter erwählt.
NB. Hier kommt es hauptsächlich darauf an, dass die Commission, mit
Hinsicht auf die besonderen Verhältnisse des Grossherzogthums, die Districte
und die besondere Qualification der Wähler in Vorschlag bringe. Man
könnte die Ereiseintheilung zum Grunde legen und jeden Kreis nach Ver-
hältniss seiner Bevölkerung in 2 oder 3 Wahldistricte unterabtheilen, wo-
von jeder einen Deputirten zu ernennen hätte. Die grosse Volksmasse ist
zu zweckmässigen Wahlen nicht geeignet; nur die wohlhabendsten und
angesehensten Einwohne^ eines jeden Districts können Wähler werden und
die Zahl derselben darf nicht gross sein. Das nächst zu erwartende Endre-
sultat der Steuerperäquation und das daraus hervorgehende Steuersimplum
könnte als Norm fär die Wähler sowohl als die zu Wählenden bestimmt
werden.
14. Die Wahl ist weder auf den District, welcher wählt, noch auf
einen bestimmten Stand beschränkt. Auch Personen aus andern Districten
und von höheren Ständen können gewählt werden, wenn sie nicht persön-
ichen Sitz in der Kammer des Adels haben.
15. Dieser Artikel soll diejenigen Staatsdiener angehen, welche aus-
nahmsweise nicht zu Deputirten gewählt werden können. Hierüber werden
die weitereren Vorschläge der Commission erwartet. Vorläufig scheint je-
doch, dass auszuschliessen sein möchten: 1. Alle Minister, welche übrigens
als solche Zutritt in beiden Kammern, jedoch darin nur Vortrags-, aber
nicht Stimmrecht haben. 2. Alle Diener, welche mit einer Comptabilität
gegen den Staat persönlich verantwortlich sind. 3. Alle Lokal diener, wozu,
wie sich von selbst versteht, auch die Oiispfarrer gehören.
NB. Alle Staatsdiener von der Wahl auszuschliessen, ist nicht rathsam,
denn ihre praktische üebung und Erfahrung in Geschäften macht sie vor-
züglich fähig, die Ausführbarkeit und die Wirkung von Gesetzen zu beur-
theilen und die Besorgniss, dass durch ihren Einfluss die gesetzgebende
Gewalt von der vollziehenden abhängig werden könnte, ist ungegründet
Beispiele beweisen das Gegentheil.
16. Die Wahlkosten der Volksdeputirten und ihre Diäten, welche hie-
mit auf . . . Gulden bestimmt werden, fallen auf die Wahldistricte.
17. üeber streitige Wahlen entscheidet die Kammer der Volksdepu-
tirten.
18. Der Präsident und der Secretär der Depntirten-Kammer wird von
derselben gewählt. Die Wahl des Präsidenten aber mnss dem Regenten
zur Bestätigung vorgelegt werden.
19. Jeder Deputirte berathet nach seinen besten 'Einsichten das Wohl
des Staats im Ganzen und ist verbunden, demselben im CoUisionsfall die
Wünsche des besonderen Districts, für welchen er aufgestellt ist, nachzu-
setzen. Er leistet bei dem Antritt seiner Stelle einen Eid, nichts mittelbar
oder unmittelbar für seine Wahl gegeben oder versprochen zu haben, die
Verfassung zu handhaben und für das Wohl des Staates zu arbeiten, ohne
andere Rücksicht als die auf das allgemeine Beste.
20. Die Wahlen der Deputirten gelten längstens auf . . . Jahre. Nach
Verfluss dieses Zeitraums müssen neue Deputii-te gewählt werden.
Dem Regenten steht indessen das Recht zu, so oft er es für gut findet,
die Landstände zu vertagen oder selbst aufzulösen und neue Wahlen anzu-
ordnen. Jeder Deputirte kann bei der nächsten Wahl wieder gewählt wer-
den, wenn keine gesetzlichen Anstände gegen ihn obwalten.
21. Bei dem Absterben eines Regenten werden diejenigen Landstände,
welche durch die letzte Wahl bei dessen Lebzeiten gebildet worden sind,
als noch gesetzmässig bestehend betrachtet, wenn sie auch gleich von dem
Verstorbenen vertagt oder selbst aufgelöst worden wären.
22. Die Landstände sind in der Regel und wenigstens alle zwei Jahre
einmal von dem Regenten zusammcnzuberufen.
23. Die Mitglieder beider Kammern sind für ihre Aeusserungen bei
den landständischen Berathschlagungen bloss den einschlägigen Kammern
selbst verantwortlich und können desshalb von ihnen ausgestossen und nach
Befinden bestraft werden. Im Fall der Ausstossung eines Deputirten wird
der Wahldistrictj der ihn ernannt hat, zur Wahl eines andern Deputirten
aufgefordert.
24. Die erste Sitzung wird von dem Regenten selbst oder dessen Stell-
vertreter erö£Fhet Die Zeit der folgenden Sitzungen wird durch den Prä-
sidenten einer jeden Kammer, welche die Mitglieder zusammen berufen,
bestimmt.
25. Für jedes Gesetz wird das Gutachten der Landstände erhoben.
26. Vorschläge zu Gesetzen können in einer oder der andern von bei-
den Kammern durch die Regierung oder auch durch jedes Mitglied der
Kammer gemacht werden.
27. Die von beiden Kammern gutgeheissencn Gesetzes - Vorschläge
werden dem Regenten vorgelegt, welcher das Recht hat, dieselben entweder
durch seine Genehmigung zum Gesetz zu erheben oder zu verwerfen.
28. Alle Gesetze über Auflagen werden zuerst in der Kammer der
Volksdeputirten in Vorschlag gebracht und verhandelt.
10
29. Keine neue Auflage kann aasgeschrieben oder erhoben werden,
ohne von beiden Kammern bewilligt und vom Regenten genehmigt zu sein.
30. Jede Bewilligung der Landstände von Auflagen muss rein, unbe-
dingt und ohne irgend einen Zusatz geschehen.
31. Alle zwei Jahre wenigstens, oder so oft es der Regent sonst für
gut findet, wird der Kammer der Volksdeputirten die allgemeine Ueber-
sicht über die Staatseinnahmen und Ausgaben der vorderen Jahre und zwar
des unmittelbar vorhergehenden, so weit es nach den eingegangenen No-
tizen möglich ist, über den Betrag des Staatsvermögens und der Staats-
schulden und über die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben des fol-
genden Jahres von dem Finanz-Ministerium vorgelegt, und werden die An-
träge über die Auflagen und die Verwendungen gemacht. Diese Ueber-
sicht wird durch einen Ausschuss geprüft und hiernach der Gesetzentwurf
über die Auflagen und Verwendungen des kommenden Jahres gemacht,
welcher sofort im gewöhnlichen Weg^ durch Bewilligung beider Kammern
und Sanction des Regenten Gesetzeskraft erhält. Dieses Finanzgesetz
gilt sodann auch als provisorischer Massstab für das zweite Jahr, wenn
nicht solche Umstände eintreten, die der Landesherr für geeignet hält, die
Landstände später einzuberufen.
32. Jeder der beiden Kammern ist es erlaubt, dem Regenten über
Gegenstände der Regierung, die nicht in die Gesetzgebung einschlagen,
ehrerbietige Vorstellungen zu machen und ihre Wünsche vorzulegen, ohne
jedoch denselben in der Ausübung der ihm gesetzlich zustehenden Gewalt
im mindesten beschränken zu wollen. Dem Regenten ist es demnach frei,
welche Rücksicht er auf solche Vorstellungen zu nehmen für gut findet.
33. Die Staatsdiener sind für ihre öffentliche Verwaltung verantwort-
lich. Die Kammer des Volksdeputirten ist befugt, sie wegen Missbracchs
ihrer Gewalt, zweckwidriger Verwendung des öffentlichen Einkommens und
überhaupt wegen aller Amtsvergehen , die in bösem Willen ihren Grund
haben, anzuklagen. In diesem Fall hat sie die Anklagepunkte dem Regenten
zu überreichen, welcher sie zur Untersuchung an die Behörde abgiebt.
Die Commission erfüllte die ihr zugetheilte Aufgabe in elf Sitzungen,
von denen die erate am 23. Januar, die letzte am 4. März 1815 stattfand.
Wir theilen ans ihren sorgfältig geführten Protocollen dasjenige mit, was
von allgemeinerem Interesse ist.
Zu Art. 1 hielt man es, in der Voraussetzung, es sei S. K. Hoheit
bestimmter Wille, zwei Kammern zu errichten, für geeigneter, statt <die
Kammer der Landesdeputirten» zu setzen : « die Kammer der Deputirten
des Bürger- und Bauernstandes», weil auch die Glieder der Adelskamroer
Landesrepräsentanten sein sollen. Später machte jedoch der Freiherr von
Zyllnhardt darauf aufmerksam , dass, wenn in die Adelskammer nur der
mit grundherrlichen Besitzungen angesessene Adel komme, doch die übrigen
11
adeligen Gfiterbesitzer nicht vom Antheile an der Landesrepr&sentation in
der II. Kammer ausgeschlossen sein könnten, für die aber dann der Name
«des Burger- und Bauernstandes» nicht mehr passe. Eine andere Stimme
warf dagegen die Frage auf, ob unter dem <Landesadel» nicht etwa doch
der gesammte Adel ohne Unterschied seiner Besitzungen gemeint sei.
Zu Art. 3 wurde der Wunsch ausgesprochen, es möge auch die Adels-
kammer ihren Präsidenten aus ihren Mitgliedern selbst wählen, unter Vor-
behalt der Bestätigung durch den Begenten.
Zu Ai't 8 wurde die üebertragung aller Kosten der Wahl u. s. f. (mit
Ausnahme der stflndesherrlichen) auf die Staats- oder eine etwa zu grün-
dende allgemeine Landschaftskasse vorgeschlagen.
Zu Art. 10 machte Staatsrath v. Dawans darauf aufmerksam, dass in
d^r U. Kammer auf circa 4780 Familien ein Repräsentant komme, in der
I. auf circa 7 Familien, dass er daher Bedenken gegen eine Vermehrung
der Kepräsentanten in der I. Kammer, nicht gegen Vermehrung der Wählen-
den habe. Unter den Dotandis dürfte keinenfalls Hingabe von Domänen
oder käufliche Acquisition durch den Begenten zu verstehen sein, da
ersteres dem Staatgesetze zuwider sei, letzteres Ausgaben und neue Auf-
lagen verursache, wozu die Einwilligung beider Kammern nöthig wäre.
Zu Art 12 wurde für die activc Wahlfähigkeit das 25te, fQrdie passive
das 30te Lebensjahr, für die ei'stere auch das Erforderniss einer Jahres-
steuer von mindestens 15 Gulden in Vorschlag gebracht. Auf das Vermö-
gen der zu Wählenden glaubte man dagegen nicht sehen, mithin auch bei
diesen eine gewisse Summe nicht erfordern zu sollen, weil es bei diesen
nicht auf das Vermögen, sondern auf das Zutrauen ihrer Mitbürger und
auf ihre Fähigkeiten ankomme, auch ein Geringbemittelter weniger als ein
Reicher in den Verdacht gerathen könne, seine Wahl nicht durch Zutrauen,
sondern durch Geld sich verschafft zu haben. Gegen ein Beschwören des
Vermögens durch die Wähler, das in Vorschlag kam, erhoben sich Bedenken,
da es das Wablgeschäft beschwerlich und gehässig machen würde. Die
Steuer von 15 Gulden repräsentire etwa ein Kapital von 5 — 6000 Gulden.
Zu Art. 13. Die Wahlmänner sollen durch die Wahl der Gesammt-
masse der activen Bürger in jedem Wahldistrict bestellt werden ; Staatsrath
V. Dawans schlägt eine Eintheilung in 41 aus unzerrissenen ganzen Aemtern
bestehende Districte vor, der zufolge in jedem District auf circa 1200 — 1400
Seelen ein Wahlmann, auf circa 26,800 Seelen ein Repräsentant käme.
Zu Art. 15 bemerkte Staatsrath Meier: er kenne keinen Unterschied
zwischen den Pflichten eines Staatsbeamten und denen eines Staatsbürgei*s
und Volksrepräsentanten. Der eine wie der andere sei verbunden, die un-
zertrennbare Wohlfahrt des Regenten und des Landes stets vor Augen zu
haben, solche nach bestem Wissen und Gewissen zu berathen und aus allen
Kräften zu befördern. Trotzdem könne man über die Zulassung von Staats-
dienern verschiedener Meinung sein. Er betrachte die freie, unbefangene
Wahl eines Dieners als Beweis, dass die Wähler, seiner Dienstverhältnisse
12
ungeachtet, Vertrauen in ihn setzen. Es werde also die Exclusion auf die
Minister, Staats- und Cabinetsräthe und auf solche Diener zu beschränken
sein, die ihre Stelle nicht verlassen können. Es sei erst näher zu unter-
suchen, wen man unter letzteren zu begreifen habe. — Staatsrath Herzog
will die Glieder der Ministerien des Auswärtigen und der Justiz für zum
Eintritt in die Kammer fähig erklären ; sonst will er ausgeschlossen wissen
alle Staatsdiener, die bei Stellen angestellt sind, welche den Landesherm
über die Gegenstände der Verhandlungen zwischen demselben und den Ständen
zu berathen haben. Von auswärtigen Beamten will er nur je ein Mitglied
jedes Hofgericht« fttr wählbar erklären. — Staatsrath von Zyllnhardt hat
Bedenken wegen der Gefahren, die eine Thätigkeit im Landtag fQr die
Staatsdiener in sich berge. Einmal seien für sie selbst ihre Abhängigkeit,
Ehrgeiz, Besorg niss wegen der Zukunft u. s. £ gefährliche Klippen, ander-
seits gebe die Geschäftsgewandtheit dem Staatsdiener ein gefahrliches
Uebergewicht in der Kammer. Er wünscht Verminderung ihrer Abhängig-
keit Als wählbar schlägt er vor: die nicht in Activität stehenden
Hof-, Civil- und Militärdiener, die Glieder des auswäiligen Ministeriums,
des Oberhofgerichts und der Hofgerichte und die Kreisräthe. — Staatsrath
V. Dawans wünscht, dass die unter dem 14. November 1809 beschlossene,
aber noch nicht erfolgte Dienerpragmatik publiciert werde, um dadurch die
Abhängigkeit der Staatsdiener zu vermindern.
Zu Art. 16 wird vorgeschlagen, die Diäten für diejenigen Mitglieder
beider Kammern, die nicht am Sitzungsort dauernd wohnen, auf 6 Gulden
festzusetzen.
Zu Art. 19 wurde bemerkt, wenn man verhüten wolle, dass die bürger-
liche Kammer gegen die adelige ein stetes Misstrauen hege, so müsse vor
allen Dingen die Gleichheit der Stände gegen das Gesetz, die verhältniss-
mässige Gleichheit derselben in den Abgaben und das gleiche Recht des
einen wie des andeni zu allen Civil- und Militärstellen constitutionsmässig
ausgesprochen werden.
Zu Art. 20 erfolgte der Vorschlag, die Deputirtenwahlen auf 6 Jahre
gelten zu lassen. Gegen das Recht der Vertagung erhoben sich wegen zu
befürchtenden Misstrauens Bedenken, ebenso gegen die Auflösung der
ELammem.
Zu Art 22 wurde alljährliche Versammlung des Landtages vorgeschla-
gen. Staatsrath v. Dawans motivierte diesen Vorschlag mit der trostlosen
Lage der Finanzen, die nur durch Einschränkung der Ausgaben gedeckt
und ausgeglichen werden könne. Auch Staatsrath Herzog hält zu einem
geordneten Haushalt die jährliche Prüfung der Etats dringend nöthig.
Aus diesen Berathungen der Commission, die den vorgelegten Entwurf
nach allen Seiten gründlich prtlfte und mit den Bedürfnissen dos Staates
13
in Einklang zu bringen versuchte, ging schliesslich der nachstehende neue
Entwurf nebst dem von Staatsrath v. Zyllnhardt redigierten Entwurf eines
'Wahlgesetzes hervor.
n. Entwurf.
Wir Carl von Gottes Gnaden etc. etc.
haben in Rückerinnerung an das Vorhaben Unseres verehrten Grossvaters
und Regierungsvorfahrers, des in Gott ruhenden Grossherzogs Carl Friedrich
und in der Zuversicht, das Wohl Unserer Lande zu befördern, auch das
Vertrauen zwischen dem Regenten und den Unterthanen immer mehr zu
befestigen, den Entschlusss gefasst, in Unserem Grossherzogthum eine land-
ständische Verfassung einzuführen.
Zu diesem Ende setzen und ordnen Wir, wie folgt:
1. Es sollen künftighin in dem Grossherzogthum Baden Landstände
in zwei Abtheilungen, nemlich eine L und eine IT. Kammer bestehen, welche
sich zu abgesonderten Sitzungen versammeln.
2. Die Mitglieder der ersten Kammer sind :
a. die Prinzen des grossherzoglich eu Hauses,
b. die Häupter der standesherrlichen Familien,
c. der künftige katholische Landesbischof,
d. die Deputirten des grundherrlichen Adels.
3. Die Prinzen des grossherzoglichen Hauses haben erst nach erlangter
Volljährigkeit Sitz und Stimme und üben ihr Stimmrecht in Person oder
durch einen in die Adelskammer geeigneten Bevollmächtigten.
Sic nehmen ihren Sitz nach dem Präsidenten. Sie können nur eine
Stimme führen. Wenn sie durch ihre Besitzungen zugleich Standesherm
sind, so werden sie in dieser Eigenschaft bis zu ihrer Volljährigkeit, wo
sie das Stimmrecht als Prinzen antreten und dagegen das staudesherr-
liche aufgeben, durch Vormünder vertreten, die nicht schon ein eigenes
Stimmrecht haben.
4. Die Standesherrn sind erbliche Repräsentanten. Wenn sie in
mehrere Linien abgetheilt sind, so haftet das Stimmrecht auf dem Haupt
jeder Linie. Besteht aber in einer Linie eine Gemeinschaft unter Mehre-
ren, so führt der älteste unter ihnen oder bei dessen Verhinderung der
nächst älteste die Stimme. Sie müssen zur persönlichen Ausübung des
Stimmrechtes die Volljährigkeit erreicht haben ; bis dahin werden sie durch
ihre Vormünder oder durch ein von diesen bevollmächtigtes Mitglied ihres
Hauses vertreten, die beide im Lande wohnhaft sein müssen und nicht
für sich schon eine Stimme führen. Auch nach erlangter Volljährigkeit
können sie durch einen in die Adelskammer geeigneten Bevollmächtigten
erscheinen.
5. Der künftige katholische Landesbischof erhält, wegen dieser seiner
Amtseigenschaft, das Stimmrecht in der L Kammer und nimmt seinen Sitz
unmittelbar nach den Standesherrn.
14
6. Die Depatirten des Adels werden von den Grandherrn aus ihrer
Mitte durch die Mehrheit der Stimmen gewählt. Diese sind zu dem Ende
nach zwei Landesdistricten, nemlich oberhalb der Murg und unterhalb der
Murg, abgetheilt. Jeder District hat 6 Deputirte zu wählen.
7. Die Wähler müssen das 25te Lebensjahr zurückgelegt haben und
im Lande wohnhaft sein. Weibliche Gutsbesitzer haben weder ein Wahl-
noch ein Stimmrecht. Sind sie aber vermählt, so werden sie in Beidem
durch ihre Ehevögte vertreten. Die nur zeitlich abwesenden Grundherrn
können ihre Wahlstimmen einem anderen übertragen.
Wenn eine Familie oder eine Familienlinie die grundherrlichen Güter
in unzertheilter Gemeinschaft besitzt, so kann nur der älteste solcher Linie
oder bei dessen Verhinderung der nächst älteste das Wahlrecht ausüben.
Die Art und Weise, wie die Wahlen vorzunehmen sind, ist in der Beilage
vorgeschrieben.
8. Die zu wählenden Deputirten müssen das 30te Lebensjahr vollendet
und im Lande ihren Wohnsitz haben. An die Stelle der Gewählten, die
mit Tod abgehen oder aus sonstigen Ursachen aus der Versammlung treten,
rücken sogleich andere ein, zu welchem Ende vorsorglich bei der Haupt-
wahl der Deputirten eine gleiche Anzahl von Ergänzungsgliedern gewählt
wird.
Ein gewählter Repräsentant kann nicht mehr als eine Stimme führen.
In Gant Gerathene können weder wählen noch gewählt werden.
9. Die gegenwärtige Zahl der die erste Kammer bildenden und wählen-
den fürstlichen, gräflichen und grundherrlichen Familien ist nicht unverän-
derlich, sondern dem Regenten bleibt vorbehalten, f^uch andere fürstliche,
gräfliche und adeliche Personen oder Familien, die durch eigene Liegen-
schaften oder Grundgefalle hinlänglich dotiert sind, für wahlfähig zu er-
klären.
10. Die 2. Kammer besteht aus den Deputirten des in der 1. Kammer
nichtbegrifienen Adelsstandes, des Bürgerstandes und des Bauernstandes.
Sie werden von den Wählern aus diesen Ständen durch die Mehrheit der
Stimmen ernannt.
11. Zu dem Ende ist das Grossherzogthum in 41 Wahldistricte ein-
getheilt, deren jeder einen landständischen Repräsentanten erwählt.
Auch hat die Geistlichkeit jeder der drei christlichen Confessionen und
jede der beiden Landesuniversitäten Heidelberg und Freiburg einen Depu-
tirten zu ernennen.
12. Die Wähler, deren Anzahl zu 15 bis 20 in jedem District vorge-
schrieben ist, müssen im Land angesessene, zur ersten Kammer nicht
gehörige Adeliche oder active, im Land wohnhafte Bürger und von unbe-
scholtenem Rufe sein, das 25te Jahr zurückgelegt haben und in ordinario
an Häuser-, Güter- oder Gewerbeschatzung jährlich wenigstens 15 Gulden
steuern.
16
Sie werden durch die Gesammtmasse der activen Bfirger in jedem
Wahldistrict erwählt.
13. Die Wahlmanner in jedem District wählen nun ihren Repräsentan-
ten zur landständischen Yersammlang ohne Unterschied der Reh'gion, und
zugleich, auf den Fall seines Absterhens oder sonstigen Abgangs, einen
Snppleanten durch die Mehrheit der Stimmen, nach der in Art. 7 ange-
zogenen hesondern Verordnung.
14. Die gewählten Repräsentanten müssen im Lande wohnen und das
30te Leiiensjahr zurückgelegt- haben, auch von unbescholtenem Hufe sein.
Erklärte Ganthierer werden nicht zugelassen.
In deren Wahl sind die Wahlmänner weder auf ihren Wahldistrict,
noch auf das Vermögen des zu Wählenden, noch auf einen besondem Stand
eingeschränkt, sondern sie können auch Personen aus anderen Districten
und aus höheren Ständen wählen, nur nicht solche, die schon Sitz und
Stimme in der ersten Kammer haben.
Von den zwei Deputirten der Universität Heidelberg und Freiburg
und den drei Deputirten der Geistlichkeit werden die obigen Eigenschaften
erfordert. Erstere werden von den Universitäten selbst, die Letzteren von
den kirchlichen Ministerial-Sectionen gewählt
1 5. Die grossherzoglichen Diener sind in der Regel wegen ihrer Dienst-
verhältnisse von der Wahl in beide Kammern ausgeschlossen.
Ausnahmsweise können gewählt werden : die Räthe bei den Ministerion,
bei dem Oberhofgerichte, bei den Hofgerichten und bei den Kreisdirectorien ;
jedoch aus jeder Behörde zu gleicher Zeit nicht mehr als ein Mitglied;
ferner die Quiesceuten, mit Ausschluss der Minister, Staats- und Cabinets-
räthe, der Ministerial- und Kreisdirectoren.
(Oder : Von den Grossherzoglichen Dienern können wegen ihrer Dienst-
verhältnisse nur folgende zu Repräsentanten gewählt werden:
1. die Glieder und Angehörigen des Ministerii der Auswärtigen Ange«
legenheiten, der Justiz, des Innern und der Finanzen, mit Aus-
schluss der Minister und etwaiger anderen Vorstände der Ministerien
und derer, welche vermöge ihrer Stellen den Regenten unmittel-
bar über die mit den Landständen zu verhandelnden Gegenstände
zu berathen haben,
2. die Räthe des Oberhofgerichts und der Hofgerichte,
3. die Räthe der oberen administrativen Provinzialbehörden. Jeder
der genannten Behörden kann jedoch durch die Wahl zu Volks-
Repräsentanten nicht mehr als ein Mitglied zugleich entzogen
werden,
4. die Quiescenten, Pensionisten und bloss Charakterisierten.)
Zu Vorträgen der Regierung und deren Erläuterung haben die Mini-
ster oder die dazu abgeordneten Commissarien des Regenten den Zutritt
in beide Kammern, ohne jedoch den Abstimmungen anzuwohnen.
16
16. Die Landstände werden von dem Regenten zusammenbenifen. Ohne
seine Berufung ist keine Yersammlung gültig.
Sie geschieht durch Einberufungs-Schreiben des Regenten an die Mit-
glieder der ersten Kammer und durch Signaturen des Justiz - Ministers an
die Deputirten der zweiten Kammer.
Die gewählten Repräsentanten legitim iren sich bei ersagtem Justiz-
Minister durch ihre Wahlscheine.
Streitige Wahlen werden von den betreffenden Kammern entschieden.
Die erste Sitzung wird jedesmal von dem Regenten selbst oder von
dessen Stellvertreter eröffnet ; die folgenden Sitzungen werden von den Präsi-
denten bestimmt und angesagt.
17. Jede Kammer wählt aus ihrer Mitte den Präsidenten und die Secre-
täre, auch bestellt sie das erforderliche Kanzleipersonale.
Die Wahl der Präsidenten muss aber dem Regenten zur Bestätigung
vorgelegt werden.
18. Die Mitglieder der beiden Kammern berathen nach ihren besten
Einsichten das Wohl des Staates im Ganzen. Sie schwören bei dem Antritt
ihrer Stellen:
Nichts mittelbar oder unmittelbar für ihre Wahl gegeben oder
versprochen zu haben, die Landesverfassung zu handhaben und für
das Wohl des Staates zu arbeiten, ohne jede andere Rücksicht, als die
auf das allgemeine Beste gerichtet ist
Diesen Eid leisten die mit Yiril- Stimmen erscheinenden Mitglieder, mit
Ausnahme des auf sie nicht passenden ersten Satzes, — vollständig aber
die beiden Präsidenten in die Hand des Regenten, die übrigen Deputirten
hingegen in die Hand des Justiz-Ministers.
Sie sind für ihre Aeusserungen und überhaupt für ilir Benehmen bei
den landständischen Versammlungen nur den einschlägigen Kammern ver-
antwortlich und können dessfalls von ihnen durch zwei Drittel der Stimmen
ausgestossen, auch, je nach Befinden, der gerichtlichen Behörde zur weiteren
Bestrafung übergeben werden.
An die Stelle des Ausgestossenen tritt sogleich ein Districts-Suppleant
und in die Adelskammer derjenige, der die meisten Stimmen hatte.
19. Die Wahlen der Deputirten und ebenso die Wahlen der Präsidenten
und Secretäre gelten sechs Jahre. Nach Verfluss dieses Zeitraums werden
neue gewählt.
Die Abgehenden können bei der neuen Wahl wieder gewählt werden;
sie werden alsdann statt abermaliger Beeidigung auf ihren früher abgelegten
Eid verwiesen.
Bei dem Absterben eines Regenten werden diejenigen Deputirten, welche
bei dessen Lebzeiten durch die letzte Wahl erkoren worden sind, als noch
gesetzmässig bestehend angesehen.
20. Die Landstände werden in der Regel jedes Jahr im Monat Februar
von dem Regenten zusammenberufen. Nach vollendeten Berath schlagungen
17
wird der Schloss des Landtags Yon dem Begenten verfügt, und die Yer-
sammlang entlassen.
21. Die Wahl- und allgemeinen Landtagskosten werden aus der Staats-
kasse, die dazu eigens in den Stand gesetzt wird, bestritten. Aus solcher erhal-
ten die ausserhalb dem Yersammlungs-Ort wohnenden gewählten Deputirten
den Ersatz der Reisekosten, femer tagliche sechs Gulden Zehrungs- und Quar-
tiergelder.
Jede Kammer kann zur Vorbereitung und vorläufigen Bearbeitung wich-
tiger Gegenstände während der Landtagsversammlung einen Ausschuss aus
ihrer Mitte bilden ; auch ernennen beide vor dem Schluss des Landtags einen
gemeinschaftlichen, aus einer gleichen Zahl von Mitgliedern bestehenden Aus-
schuss, welcher etwa 3 Monate vor Eröffnung des künftigen Landtags zu
dem nachher im §. 30 vorgezeichneten Endzweck zusammentritt.
23. Die beiden Eanmiem, die zu gleichen Zwecken berufen sind, stehen
unter sich in steter Geschäfts-Yerbindung ; sie theilen sich mit: die Yor-
und Anträge, die sie einzeln von der Kegierung erhalten, die Beschlüsse
die sie darüber fassen, die Anträge, die Yorstellungen und Wünsche, die
sie an die Kegrierung gelangen lassen, und treten in corpore oder durch Aus-
schüsse zusammen so oft sie es für nöthig erachten.
24. Die Hauptgegenstände, womit die Kammern sich zu beschäftigen
haben, sind die Gesetzgebung und die Besteuerung. Auch sind sie befugt,
ihre Petitionen bei der Kegierung anzubringen.
25. lieber die Gründung der vollständigen Landesversammlung, über
jedes neue bürgerliche, peinliche oder solches Polizei-Gesetz, wobei die Hechte
und Freiheiten der Landes- Angehörigen betheiligt sind, und über jede Aen-
derung der Landes-Yerfassung und der bereits bestehenden Gesetze wird
das Gutachten der Landstände erhoben, und ohne ihre Beistimmung kann
kein neues Gesetz gegeben, auch kein bereits vorhandenes abgeändert werden.
26. Die Yorschläge zu neuen Gesetzen, oder zu Gesetzes- Aenderungen,
oder auch zu Ausnahmen von Gesetzen, insoferne bei solchen obgedachter-
massen die Rechte und Freiheiten der übrigen Staatsbiürger betheiligt sind,
geschehen von dem Regenten. Sie können aber auch von jeder Kammer
und selbst von jedem Mitglied derselben angebracht und es muss auch
über diese berathschlagt werden.
27. Wenn die Yorschläge von dem Regenten herrühren, so haben sie
obgedachtermassen, um Gesetzeskraft zu erlangen, die Boistimmung beider
Kammern vonnöthen. Geschehen sie aber von den Kammern, so hat der
Regent das Recht, sie entveeder durch seine Genehmigung zum Gesetz zu
erheben, oder sie zu verwerfen. Er wird jedoch in letzterem Fall ihnen
die Gründe seiner Missbilligung angeben, und gegen diese Gründe können
die Landstände, wenn sie es nöthig befinden, geziemende Yorstellungen
machen.
28. Alle Gesetze über Auflagen werden zuerst in der zweiten Kammer
in Yorschlag gebracht und verhandelt.
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29. Keine neue Auflage kann ausgeschrieben oder erhoben, und keine
Staats- oder Landesschuld kann kontrahiert, auch kein Staatsgut, dessen
Verkauf nicht schon beschlossen ist, kann veräussert werden, ohne von
beiden Kammern bewilligt und vom Regenten genehmigt zu sein.
30. Jedes Jahr, wenn es der Regent nicht früher nöthig findet, wird
zuerst der zweiten Kammer die allgemeine Uebersicht über die Staats-
Einnahmen und Ausgaben der vorderen Jahre, und zwar des unmittelbar
vorhergehenden, so weit es nach den eingegangenen Notizen möglich ist,
ferner über den Betrag des Staats- Vermögens und der Staats-Schulden, dann
über die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben des folgenden Jahres
von dem Finanz - Ministerium vorgelegt, und damit werden die Anträge
über die Auflagen und deren Verwendung gemacht
Diese Uebersicht wird durch den in dem §. 22 erwähnten Ausschuss,
der zugleich die auf dem nächsten Landtag in Berathung kommenden übrigen
Gegenstände vorbereitet, und dazu auf sein Ansinnen durch deren Eröfiiiung
und die nöthigen Mittheilungen in den Stand gesetzt wird, genau geprüft,
und hiernach geschieht der Gesetzesentwurf über die Auflagen und Ver-
wendungen des kommenden Jahres, welcher sofort im gewöhnlichen Wege
durch die Bewilligung beider Kammern und durch die Sanction des Regenten
Gesetzeskraft erhält.
3L Jeder ^er beiden Kammern ist nicht nur erlaubt, dem Regenten
über Gegenstände der Regierung, wenn sie auch nicht in die Gesetzgebung
einschlagen, ehrerbietige Vorstellungen zu machen, und ihre Wünsche vor-
zutragen, sondern sie sind auch verpflichtet, wahrnehmende Missbräuche,
Unordnungen und Gebrechen in der Staatsverwaltung zur Kenntniss des
Regenten zu bringen. Er wird auf dergleichen Vorstellungen und Anbringen
nach Gutfinden Rücksicht nehmen und darauf motivierte Entschliessungen
ertheilen.
32. In jeder Kammer entscheidet die Mehrheit der Stimmen. Wenn
der seltene FaH eintritt, dass in einer Kammer gleiche Stimmen fallen, so
giebt der in der andern Kammer durch die Mehrheit der Stimmen gefasste
.Beschluss den Entscheid über den vorliegenden Gegenstand.
33. Wenn beide Kanmiern in ihren Anträgen und Beschlüssen ent-
gegengesetzter Meinung sind, so treten die Präsidenten mit einer Depu-
tation aus jeder Kammer zusammen, um eine Vereinbarung zu erzielen.
Bleibt dieser Versuch fruchtlos und der Gegenstand betrifiFt einen von
dieser oder jener Kammer gemachten Vorschlag, oder einen vom Regenten
herrührenden (jesetzesentwurf, so beruhet im ersten Fall der Vorschlag auf
sich, und im letzteren Fall bleibt der Entwurf auf den nächsten Landtag
oder auf eine künftige neue Landesversammlung zur weiteren Berathschlagung,
wenn sie der Regent erfordern wird, ausgesetzt.
Betriflft aber der Widerspruch den Finanzplan, die Festsetzung der
Auflagen und deren Verwendung für das künftige Jahr, worüber die
19
BeetimmtiDg nkht verschoben werden kann, die Contrahierung von Landes-
schuldon oder die Yeränsserang von Domänen, (f) so werden die in beiden
Kammern gefallenen Stimmen zusammengezählt, und die Mehrheit derselben
giebt den Entscheid.
(Oder, a Signo f: so werden in jeder Kammer eine gewisse gleiche Zahl
von Mitgliedern durch das Loos gewählt, die hinwiederum durch das Loos
sechs Snppleanten aus den Adelsd istrlcten und neun aus den Districten der
zweiten Kammer wählen, und mit diesen einen gemeinschaftlichen Ausschuss
bilden. Diesem werden die Verhandlungen über den vorliegenden Gegen-
stand unter dem Vorsitz der beiden Präsidenten zur wiederholten und unbe-
fangenen neuen Prüfung vorgelegt und die Mehrheit seiner Stimmen giebt
den Ausschlag.)
34. Die Staatsdiener sind fär ihre öffentliche Verwaltung verantwortlich
Jede Kammer ist befugt, sie wegen Missbrauchs der ihnen anvertrauten
Gewalt, wegen zweckwidriger Verwendung des öffentlichen Einkommens, und
überhaupt wegen aller Amtsvergehen anzuklagen. In diesem Fall hat sie
die Anklagepunkte dem Begenten zu überreichen, welcher sie zur Unter-
suchung an die Behörde abgiebt
Wir beschliessen hiermit vorstehende Erklärung und Anordnung , über
deren Vollzug Wir demnächst das Weitere werden ergehen lassen, und
wünschen eifrig, dass Unsere dabei hegenden landeeväterlichen Absichten dank-
bar anerkannt, getreulich unterstützt und mit den erwarteten besten Folgen
gesegnet werden mögen.
Gegeben etc.
Entwarf zu einem Wahl -Reglement.
Wir etc. finden nöthig, in Beziehung auf Unser, die ständische Ver-
fassung des Grrossherzogthums betreffendes Edict, folgende näheren Bestim-
mungen über das Verfahren bei den Wahlen der Deputirten zu den land-
ständischen Versammlungen zu treffen:
1. Für die oberste Leitung des ganzen Wahlgeschäfts wird eine aus
dem Justizminister und zwei Staatsräthen bestehende Commission ernannt.
Die unmittelbare Direction desselben wird für die erste Kammer in dem
District oberhalb der Murg dem Hofrichter zu Freiburg und in dem District
unterhalb der Murg dem Hofrichter zu Mannheim, f&r die zweite Kammer
hingegen, so viel die Ernennung zu Wahlroännem betrifft, den Beamten,
rücksichtlich der Bepräsentantenwahl selbst aber eigenen aus den Mitgliedern
der den 41 Wahldistricten vorgesetzten Hofgerichte zu nehmenden Commis-
sarien übertragen.
2. Wenn der Fall einer vorzunehmenden Wahl eintritt, erfolgt von der
bestehenden obersten Commission so zeitlich, dass alle Vorbereitungen getroffen
2*
20
werden können, die nöthige Bekanntmachung an die beiden mit dem Wahl-
geschäfte für die erste Kammer beauftragten Hofrichter, und zwar unter
Mittheilung der Verzeichnisse der Wähler eines jeden Districts, femer an
die sämmtlichen übrigen Hofgerichtsvorstände, damit jeder zu demselben
Geschäft für die zweite Kammer ein Mitglied seines Collegiums ernenne.
Dieser Commissär benachrichtigt die in seinen Bezirk gehörigen Beamten
von seinem Auftrag und fordert dieselben zur Vornahme der Wahl der Wahl-
männer auf.
3. Demnächst wird zuerst zu der Repräsentanten - Wahl für die erste
Kammer geschritten, damit nicht ein in diese gewähltes Subject zugleich in
die zweite ernannt werde.
4. Zu diesem Ende ladet der hiezu beauftragte Hofrichter zu Freiburg
die Wähler des Districts oberhalb der Murg nach Freiburg, der Hofrichter
zu Mannheim jene des Districts unterhalb der Murg nach Mannheim auf
einen bestimmten Tag ein und lässt die Wahl in der Art vornehmen, dass
jeder Wähler mit Beisetzung seiner Unterschrift zuerst die Namen der sechs
Deputirteu, welchen er seine Stimme giebt, auf ein besonderes Blatt nieder-
schreibt und dieses dem Commissär versiegelt üborgiebt. Diese Blätter
werden von dem letzten in Gegenwart eines verpflichteten Aktuars eröffnet,
und unmittelbar darauf wird auf dieselbe Art zur Wahl von sechs Supplean-
ten geschritten. Da, wo ihm ein gesetzlicher Anstand vorhanden zu sein
scheint, werden von ihm die nöthigeu Bemerkungen gemacht, und der An-
stand womöglich beseitigt; sodann die einzelnen Abstimmungen zu Protokoll
genommen, das Kesultat derselben nach der relativen Stimmenmehrheit
darin bemerkt, das Protokoll von den sämmtlichen Wählern genehmigt und
unterzeichnet, die einzelnen Wahlzettel als Beilagen beigefügt und endlich
das Ganze von dem Commissär an die zur Leitung des Wahlgeschäfts auf-
gestellte oberste Behörde eingesandt.
5. Hierauf theilt diese Behörde das Resultat der Wahlen den Gewählten
zu ihrer Legitimation und zugleich den sämmtlichen Hofgerichtsvorständen
zur weiteren Erö&ung an die von diesen nach §. 2. der gegenwärtigen Ver-
ordnung zur Leitung des Wahlgeschäftes für die zweite Kammer ernannt
werdenden Commissarien mit, damit diese bei ihrer Verrichtung die nöthige
Rücksicht darauf nehmen können.
6. Die Einleitung zu den Wahlen für die zweite Kammer geschieht durch
die Ernennung der Wahlmänner. Jeder Beamte und, wo deren mehrere sind,
der erste derselben fordert zu dem Ende, sobald er die §. 2. erwähnte Auf-
forderung erhalten hat, von den Ortsvorgesetzten seines Amtsbezirks ein
schriftliches Verzeichniss deijenigen activen Bürger, welche das 25 te Lebens-
jahr zurückgelegt, und jährlich wenigstens 15 Gulden an Häuser-, Güter-
oder Gewerbsteuer in ordinario zu entrichten haben, aus welchen allein die
Wahlmänner gewählt werden können.
Hierauf versammelt er alle anwesenden activen Bürger seines Amts,
macht dieselben auf den Zweck ihrer Zusammenberufung und die gesetzlichen
21
Eigenschaften eines Wahlmannes aufmerksam , und lässt durch sie nach
der relativen Stimmenmehrheit die für das Amt bestimmte Zahl von "Wahl-
mäonem ernennen. Die Abstimmungen werden in der Regel ebenfalls
schriftlich abgegeben, von dem Beamten eröffnet, die etwa nöthigen Be-
merkungen gemacht, darauf durch den zugezogenen Aktuar die Namen
der Wählenden und derjenigen, welche die Stimmen derselben erhalten haben,
in ein — dem Protokoll beizulegendes — Verzeichniss gebracht, das Resultat
in dem von den Anwesenden zu genehmigenden Protokoll angeführt und
sogleich hiemach den ernannten Wablmännern ein amtliches Zeugniss über
ihre Ernennung ausgefertigt.
Darauf zeigt der Beamte, unter Anlage des Protokolls, die vollzogene
Wahl dem mit der Leitung der Repräsentanten- Wahlen beauftragten Com-
missär an.
7. Die Repräsentanten-Wahl selbst wird in allen Wahldistricten,
welche zu dem Gerichtsbezirke eines Hofgerichts gehören, durch ein Mit-
glied dieses letzten geleitet, welches, sobald die §. 2 erwähnte Bekannt-
machung erfolgt ist, von dem Gerichtsvorstande ernannt wird. Dieser
Commissär beruft, wenn er im Gefolge der von ihm erlassenen Auffor-
derung die Anzeigen und Protokolle über die vollzogene Ernennung der
Wahlmänner von den Beamten seines Bezirks erhalten hat, durch die be-
treffenden Aemter an dem ihm am angemessensten scheinenden Orte die Wahl-
mäoner jedes der ihm zugewiesenen Wahldistricte zusammen, veranstaltet
durch diese, nachdem sie sich mit den erhaltenen amtlichen Zeugnissen
legitimiert haben, die Wahl des Districts- Repräsentanten und eines Supple-
anten, nach den in Unserem Edict über die Stände -Verfassung Art. 14 aus-
gedrückten Erfordernissen, verfährt dabei ganz nach der bei den Wahlen
für die erste Kammer (§. 4 der gegenwärtigen Verordnung) gegebenen Vor-
schrift und legt endlich ebenso, wenn sein Geschäft in den sämmtlichen
Districten beendigt ist, die Protokolle und Beilagen der obersten dirigierenden
Behörde vor, worauf diese durch die Kreisdirectorien den betreffenden Aem-
tern das Resultat eröffnet und von diesen ein Wahlzeugniss jedem Gewählten
zugestellt wird.
8. Die Abwesenden können bei den Versammlungen zur Ernennung
der Wahlmänner nicht durch andere vertreten werden. Die Wähler der
I. Kammer dürfen, jedoch nur aus ganz unvermeidlichen und bescheinigten
Ursachen, einem andern speciell Bevollmächtigten die Ablegung ihrer Stim-
men übertragen. Tritt ein solches Hindemiss bei einem Wahlmann der
II. Kammer ein, so muss an dessen Stelle durch das einschlagende Amt in
der vorgeschriebenen Art die Wahl eines andern veranstaltet werden.
9. Eine Stimme, welche Jemand sich selbst giebt, gilt nicht.
10. Wird dieselbe Person in mehreren Districten gewählt, so gilt
die Wahl des Districts, welcher sie zuerst wählte.
11. Bei eintretender Stimmengleichheit entscheidet das Loos.
22
12. Die vorstehenden Anordnungen über das Wahlverfahren finden bei
der Ernennung der Deputirten der Greistlichkeit und der Universitäten keine
Anwendang, da darüber schon der Art. 14 des Edicts über die Stände-
Verfassung eine besondere Verfügung enthält, welcher daher nur die weitere
beigefügt wird, dass die kirchlichen Ministerial-Behörden und die Univer-
sitäten das Resultat ihrer Wahl der zur obersten Leitung des ganzen Geschäfts
beauftragten Gommission unmittelbar anzuzeigen haben.
In einer zweiten Beilage werden 41 Wahlbezirke in Vorschlag gebracht
in welchen 709 Wahlmänner 41 Abgeordnete (Repräsentanten) wählen sollen
Als Zusatz zu der Verfassungsurkunde wünschte Staatsrath v. Dawans
die Feststellung einer Reihe von Sätzen, in denen allgemeine Grundlagen
des künftigen Regierungssystems überhaupt, und insbesondere der Beziehun-
gen zwischen Regierung und Landständen ausgesprochen würden:
1. die Gleichheit aller Stände in den Abgaben, Rechten und Ansprüchen,
2. die Nothwendigkeit, den Einfluss der Gesetzgebung nicht bloss auf
Civil- und Griminalgesetze zu beschränken, sondern vorzüglich auf
Freiheit im Handel und Gewerbe, auf Beförderung der Landescultur
u. s. f. zu leiten und dessfallsige Hindemisse zu beseitigen,
3. die Nothwendigkeit, den Landtag alljährlich zu halten und alljähr-
lich den Finanzetat zu regulieren,
4. die Hauptobliegenheit der Landstände und die Nothwendigkeit, sie zu
deren Erfüllung durch einen jeweiligen Ausschuss vorzubereiten,
5. das Recht der Landstände, Vorstellungen an ihre Bewilligungen zu
knüpfen,
6. die Nothwendigkeit einer Dienerpragmatik.
Das gesammte Material, welches aus den Berathungen der Gommission
hervorging, wurde nach Vollendung ihrer Berathungen nach Wien abgeschickt,
wo der Grossherzog mit einem Theü seiner Räthe noch verweilte.
Dort wurde es den Freiherm von Marschall und von Berckheim unter-
breitet, welche ihre Bemerkungen schrifUich ausarbeiteten und zu den Akten
gaben. Wir theilen daraus Folgendes mit, indem wir minder Wichtiges
übergehen.
Zu Art. 9 vindiciert Frhn V« Marschall in seinem : «(Wien im März 1815»
datierten Gutachten dem Grossherzog das Recht, nicht nur Grundherrn sondern
auch Standesherm zu ernennen und ihnen erbliche Virilstimmen zu ertheilen,
den gehörigen Besitz von Liegenschaften vorausgesetzt
Zu Art 12 erhebt er Bedenken dagegen, ob alle activen Bürger ohne
Rücksicht auf ein gewisses Vermögen die Wähler sollen erwählen dürfen.
Zu Art 14 wünscht er einen Census für die zu Wählenden. Die Ver-
treter des Eigenthums müssten, nach seiner Ansicht, in der Volksrepräsen-
tation das entschiedenste Uebergewicht haben. Er schlägt vor, bei den zu
Wählenden wenigstens das Doppelte des Vermögens der Wähler als Beding-
ung festzustellen.
Zu Art. 15 glaubt er, dass — wenn öich der Grossberzog fßr die Zolassung^
der Staatsdiener zum Landtag entscheide — bloss ausgeschlossen sein sollten :
1. die Minister und etwaige andere Vorstände der Ministerien und die-
jenigen, welche vermöge ihrer Stellung den Regenten unmittelbar
über die mit den Landständen zu verhandelnden Gegenstände zu
berathen haben,
2. diejenigen Diener, die durch ihre Dienst Verrichtungen an einen Auf-
enthalt ausserhalb des Versammlungsortes der Landstände gebun-
den sind,
3. die mit einer Comptabilität gegen den Staat beladen sind.
Zu Art. 16 beantragt er don Zusatz: «Jeder Regent wird bei der. ersten
landständischen Sitzung nach seinem Regierungsantritt bei fürstlichen Worten
sich verpflichten, die Verfassung zu handhaben und aufrecht zu erhalten. >
Zu Art. 20 ist er der Ansicht, obwohl für die erste Zeit triftige Gründe
das alljährliche Zusammentreten der Stände wünschenswerth machen, so
dürfte im Gesetze doch die Bestimmung zweijähriger Termine genügen und
könnte allenfalls für die ersten 4 — 6 Jahre die Zusage der jährlichen Zu-
sammenberufung ertheilt werden.
Zu Art 27 spricht sich Marschall gegen die gesetzliche Nöthigung des
Regenten aus, die Gründe seiner Missbilligung anzugeben.
Zu Art. 29 wünscht er nach «erhoben» den Zusatz: «keine bestehende
Abgabe abgeändert oder erhöht» und bemerkt femer: «Domänen sind mei-
nes Erachtens nicht Staatsgut, sondern Familiengut des Regenten. So wur-
den sie wenigstens bei der Mediatisation betrachtet, sonst hätte man die Do-
mänen der Mediatisierten für die Staaten einziehen müssen, mit welchen sie
vereinigt wurden. Es fordert daher noch reife Ueberlegung, ob mim die
Veräusserung der Domänen der landständischen Einwilligung unterwerfen
will und kann. Wenn der Regent Domänen veräussert und dafür Staats-
schulden bezahlt und den Staat in seinen nothwendigen Ausgaben erleich-
tert, so muss dieser es ihm Dank wissen.»
Zu Art. 30. Der Vorschlag im zweiten Theile dieses Artikels sei sorg-
fältig zu prüfen, damit die Stände nicht eine allzutiefe Einmischung in
Gegenstände der executiven Administration erhalten.
Zu Art. 31. Marschall will die Stände nicht zur Aufdeckung von
Missbräuchen verpflichten, um sie dadurch nicht von den Hauptgegen-
ständen ihrer Berathung abzuziehen.
Zu Art. 30 schlägt er für den zweiten Satz folgende Fassung vor :
«Bleibt dieser Versuch fruchtlos, so beruht der Vorschlag auf sich, er kann
aber bei künftigen neuen Landtagsversammlungen wieder vorgebracht wer-
den.» Er regt ferner den Gedanken an, ob man nicht bei Finanzfragen
gleich Anfangs beide Kammern zusammentreten lassen und die einzelnen
Stimmen zusammenzählen will.
Schliesslich beantragt Marschall Wiederherstellung des Artikels, der
das Auflösung»- und Vortag ungsrocht des Rogenteu feststellt^ wol^ei er
24
hinzufügt: «Uebrigens versteht es sich von selbst, dass die Regierung von
diesem bedenklichen Mittel nur höchst selten und nicht ohne die reifste
Ueberlegnng Gebrauch machen wird.»
Femer scheint ihm Art. 30 die Rechte der Stände zum Nachtheil der
Regierung zu weit auszudehnen. Er beantragt folgende Fassung: «Bei
Bewilligung von Abgaben können die Stände keine solchen Bedingungen
beifügen, welche dem Finanzplane fremd sind, oder in andere Verwaltungs-
gegenstände emgreifen.»
In Bezug auf die Vorschläge von Dawans endlich, allgemeine Rechte
der Unterthanen grundgesetzlich festzustellen, schlägt Marschall vor, fol-
gende in die Verfassungsurkunde aufzunehmen:
1. Gleichheit vor dem Gesetze,
2. verhältnissmässige Gleichheit der Abgaben,
3. Zulassung zu allen Stellen, mit Ausnahme der Hofstellen,
4. gleiche Militärdienstleistungspflicht,
5. das Recht, mit Beibehaltung des Bürgerrechtes in auswärtigen
Staaten Dienste anzunehmen,
6. freies Auswanderungsrecht nach Erfüllung der Militärdienstleistungs-
pflicht unter Vorbehalt der Retorsion gegen Staaten, die Abzugs-
und Auswanderungsgebühren beziehen,
7. Pressfreiheit,
8. gleiche Rechte der drei christlichen Gonfessionen,
9. freie Ausübung des Eigenthnmsrechtes,
10. ordentlichen Gerichtsstand in allen Rechtssachen,
11. ungehinderten Rechtsgang,
12. Unabsetzbarkeit der Gerichtsglieder höherer Instanzen.
Kürzer und nicht von der staatsmännischen Einsicht und dem edlen
Freisinn erfüllt, wie die Bemerkungen des Frhn. y. Marschall, sind jene des
Frhn. Y. Berckheim. Aus ihnen (sie sind datiert: Wien, T.April 1815) heben
wir folgendes hervor:
Zu Art. 14. Da Vermögenslos^ «mehr des Kosmopolitismus als des
Patriotismus fähig sind und ihr Interesse an der Erhaltung der bestehenden
Staatsverfassung nur allein auf ihrer Sittlichkeit, einer nur schwachen und
precären Stütze, besonders in diesem demoralisierten Jahrhundert beruht,»
so wünscht Frhr. v. Berckheim, «dass nur derjenige, der im Lande ange-
sessen ist und ein bestimmtes Vermögen besitzt, das aber bedeutender als
jenes der Wähler sein muss, zum Deputirten solle erwählt werden können.
Wenn auch dadurch manchem sonst einsichtsvollen Kopf der Weg versperrt
ist, seine Fähigkeiten geltend zu machen, so ist dieses Opfer gering, wenn
man dabei bedenkt, dass dadurch dem Schwindelgeiste der Neuerungs- und
Verbesserungssucht Mass und Ziel gesetzt wird.»
Bei Art. 27 wünscht Berckheim die Weglassnng des Satzes: «Er wird
jedoch . . . . » weil dadurch der Regent in eine solche Abhängigkeit von
^ *
25
den Landsiänden gesetzt würde, welche dem allgemeinen Wohl durch Läh-
mung der executiven Gewalt nachtheilig werden dürfte.»
Als dieses Gutachten geschrieben wurde, schien die Zeit fQr ruhige
Berathung gesetzgeberischer Arbeiten wiederum, kaum dass Europa auf
eine neue friedliche Aera zu hoffen begonnen hatte, in eine ungewisse Zu-
kunft gerückt. Napoleons Landung in Frankreich, die Vertreibung der
Bourbonen, die Aufstellung grosser Heeresmassen an der deutschen Gränze
gegen Frankreich Hessen keine Beschäftigung mit legislatorischer Thätig-
keit aufkommen. Das Schicksal des Welttheils, besonders aber die Zu-
kunft der kleinen deutschen Staaten, war neuerdings in Frage gestellt.
Mit den andern Fürsten yerliess auch Grossherzog Carl die Österreichische
Hauptstadt, um in sein bedrohtes Land zurückzukehren. Am 12. Mai trat
er der erneuten Allianz der europäischen Mächte gegen Napoleon bei und
versprach, ein Gontingent von 1 6,000 Mann zu der grossen Armee zu stellen.
Noch ein Mal brach eine schwere Zeit über das badische Land herein, das
mit Truppen überschwemmt wurde, als der linke Flügel des grossen Heeres
der Verbündeten im Rheinthal von Mainz bis Freiburg herauf seine Stellung
nahm. Unter dem Geräusch der Waffen schweigen, wie die Musen, so auch
die andern Werke des Friedens. Für Verfassungsarbeiten hatte in diesen
stürmischen, unsichem Tagen Niemand Gedanken und Stimmung.
Zweites Capitel.
Werfen wir nunmehr einen Blick auf den Zustand des badischen Lan-
des in jener Zeit, auf die unläugbaren Uebelstünde, die sich aus der plötz-
lichen Zusammenlegung der innerlich verschiedenartigsten Territorien, aus
den gesteigerten Anforderungen an das Staatsvermögen, aus der absoluten
Nothwendigkeit der Kränkung einzelner Rechte und Interessen ergaben, auf
die damit zusammenhängende Stimmung der Bevölkerung und auf die Be-
ziehungen und Wechselwirkungen dieser Verhältnisse zu den Verfassungs-
arbeiten. *
Eine lebhafte Empfänglichkeit der Bevölkerung für politische Bestre-
bungen war am Anfange des 19. Jahrhunderts nirgend wahrzunehmen.
Die lange und glückliche Regierung Carl Friedrichs hatte die Bewohner
seines Landes an den patriarchalischen Absolutismus gewöhnt, unter dem
man gut, zufrieden und gedankenlos lebte, so lange die europäische Lage
das kleinstaatliche Stillleben nicht bedrohte. Des Wohlwollens, der Für-
sorge des Fürsten, der Redlichkeit und Beflissenheit seiner Diener war man
sicher, und nach mehr stand der bescheidene Sinn dieses Volkes nicht.
Auch die Bevölkerung der Länder, welche, in Folge des Pressburger
Friedens und der Rheinbundsacto, dem badischen Lande einverleibt worden,
trug Carl Friedrich das Vertrauen in seine Weisheit und seine Regenten-
tugenden entgegen, von dem die Angehörigen seiner Erblande erfüllt waren.
Der Wunsch nach einer Wiederherstellung der alten ständischen Rechte
wurde nur im Breisgau laut, wo sich eine ständische Verfassung lebendig
erhalten hatte, während in der badischen Markgrafschaft schon in den
siebenziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Erinnerung, dass auch
dieses Land einst eine solche Verfassung gehabt, dass seine Stände ein Recht
der Steuerverwilligung und Controle besessen, nur noch in Büchern lebte.
Erst die Eingriffe, welche die Neuorganisation der vereinigten Terri-
torien, die nunmehr ein Staat werden sollten, in althergebrachte, gowolmte»
27
liehgewonnene Einrichtungen nnd Verhältnisse machte, hatten in der Bevölkc-
rong eine gewisse Opposition gegen das einseitige Vorgehen der Regierung
wach gerufen. Aber die harte Zeit war nicht dazu angethan, über ein
grösseres oder geringered Mass der Volksrechte zu verhandeln, während es
ranächst nur galt, die unabwendbaren Lasten des Krieges mit Geduld und
Ergebung zu tragen. Die Befreiung Deutschlands, der Anschluss auch des
Sfidens an die nationale Bewegung liess erst das Gefühl zum Durchbruch
kommen, dass die Abschüttelung des Joches der Fremdherrschaft nicht
genüge, dass es sich nun darum handle, in dem von äusserem Drucke befreiten
Staate Bürgschaften für ein zukünftiges besseres, menschenwürdigeres Da-
sein aufzurichten.
Jetzt erst wandte sich nach und nach die Aufmerksamkeit auf die
trostlose Lage des Staates, jetzt erst begann man darüber nachzudenken,
woher denn die vorhandenen Uebelständo kämen, über welche Mittel man
verfuge, ihnen abzuhelfen. In diesem Bestreben begegneten sich bald, wenn
auch von verschiedenen Voraussetzungen ausgehend und verschiedene Ziele
im Auge, die höchsten Spitzen und die unteren Schichten dos Volkes — die
Mediatisierten, die ihrer Vorrechte beraubten Grundherrn und der in Handel
und Wandel beschränkte und gehinderte, durch Steuern und Abgaben über-
bürdete Bürger- und Bauernstand.
Die Aufgabe der Regierung nach erfolgter Vcrgrösserung des Landes
war keine leichte. Eine einheitliche Organisation und Verwaltung des aus
so zahlreichen Gebieten gebildeten Grossherzogthums , in denen die ver-
schiedenartigsten Gesetze und Einrichtungen bestanden, konnte nicht in^s
Leben treten, ohne mannigfaltige Conflicte der Interessen der einzelnen Lan-
destheilo und der verschiedenen Classen der Staatsangehörigen hervorzurufen
So schonend man auch bei Einführung der unbedingt nothwendigen
Neuerungen vorgehen mochte, so war es doch unmöglich, dieselben in der
Form einer natürlichen Entwicklung au das schon Bestehende anzuschliessen,
und jede gewaltsame Veränderung, jeder unvermittelte Uebergang aus einem
gewohnten Zustand in einen ungewohnten, pflegt naturgcmäss — auch bei
erlangter Einsicht von der Zweckmässigkeit, ja Noth wendigkeit der Aende-
rungen — ein gewisses Gefühl der Unbehaglichkeit zu erzeugen.
Die Massregeln der Regierung, die sich auf die Regelung der Staats-
souveränetät gegenüber den ehemals reichsunmittelbaren, nun zu Uuter-
t hauen gewordenen Adelichen bezogen, also die Feststellung der standcs-
und grundherrlichen Verhältnisse und die allmählige Einführung eines gleich-
förmigen Finanzsystems, bildeten hauptsächlich den GährungsstofT, der die
politischen Bewegungen Mn den Jahren 1815 bis 1818, die auf Ertheilung
einer Verfassung hinzielten, hervortrieb.
In den Standes- und grundherrlichen Verhältnissen lag für die Her-
stellung einer einheitlichen Organisation und Verwaltung des Landes eine
bedeutende Schwierigkeit; diess fühlte man immer mehr, je weiter man auf
dem Wege zu jenem Ziele vorschritt. Daher erlitten die Ediete, in welchen
28
Carl Friedrich den Kechtszustand der Mediatisierteu in der ersten Zeit des
Eheinbundes, als die bestehenden Zustände in den einzelnen Landestheilen
noch grösstentheils unverändert geblieben waren, mit Milde und mcglich-
ster Schonung bestimmt hatte, allmählig mannichfache Abänderungen, so
oft sich in diesen ursprünglichen Bestimmungen ein Hindemiss für den
Vollzug der Gesetze und Massregeln ergab, die man zum Zwecke der all-
mähligen Herstellung einer Gleichförmigkeit in den gesetzlichen Zuständen
der verschiedenen Landestheile für nöthig erachtete. Zuletzt kam es im
Jahre 1813 sogar zur gänzlichen Aufhebung der Standes- und grundherr-
lichon Gerichtsbarkeit.
Die Einführung eines allgemeinen Abgabensystems für das ganze
Grossherzogthum gab in dem Yerlaufe der Periode, in welcher die hierauf
bezüglichen Gesetze erlassen wurden, häufigen Anlass zu Bestimmungen,
welche die Eigenthums- oder Rechtsansprüche der Mediatisie rten berührten.
Wie unwillkommen solche Massregeln den ehemaligen Keichsunmittelbaren
auch sein mochten, so gaben sie ihnen doch keinen Grund zu gerechten
Beschwerden, in so ferne sie in den durch die Rheinbundsacte bestimmten
Hoheitsbefugnissen der Regierung lagen. Nur die Aufhebung der Standes-
und grundherrlichen Gerichtsbarkeit war eine Verletzung der durch die
Rheinbundsacte anerkannten Bedingungen ihrer Unterwerfung.
Es ist naturgemäss, dass solchen Vorgängen gegenüber die Mediati-
sierteu das Bedürfniss eines gesicherten Rechtszustandes und beruhigender
Garantien für dessen Erhaltung fühlten und dessen Befriedigung erstrebten,
als der Rheinbund sich aufgelöst hatte, ohne dass sich ihnen die Hoffnung
eröfinete, weiter gehende Wünsche, die sie von den Folgen der im Jahre
1806 geschehenen Unterwerfung befreit haben würden, erfüllt zu sehen.
Sie begrüssten desshalb, wenn auch nur als ein Minimum ihrer An-
sprüche und vielleicht mit dem geheimen Gedanken, darauf die Revindica-
tion ihrer früheren Stellung zu basieren, die Beschlüsse des Wiener Con-
gresses, welche ihnen etwa die Rechte gewährten, die ihnen die ersten
Ediete Carl Friedrichs zuerkannt hatten und, indem sie die Herstellung
landständischer Verfassungen in allen Bundesstaaten festsetzten, ihnen einen
vorzüglichen Antheil an der Landstand schaft zusicherten.
Von der AusfQhrung dieser Beschlüsse versprachen sie sich einen Ein-
iluss auf die Landesgesetzgebung der ihnen — im Zusammenhalt mit den
Beschlüssen der deutschen Bundesacte — eine ausreichende Wahrung ihrer
Rechte und Interessen zu sichern schien.
In solcher Weise stand die Verfassungsfrage im Zusammenhang mit den
Sonderinteressen der ehemals Reichsunmittelbaren.
Indessen war ihnen ein anderes Interesse mit der Gesammtheit der
Landesbevölkerung gemeinsam, in Folge des Ganges der Finanzverwaltung
des Grossherzogthnms, wobei sich der natürliche Zusammenhang zwischen
politischen Freiheitsbestrebungen und der Entwickelung finanzieller Zu-
29
stünde, den die Geschichte des öffentlichen Lebens der Staaten so vielfach
bekundet, deutlich erwies.
Die in den einzelnen Landestheilen nach der Auflösung des Reichs-
Terbandes bestandenen öffentlichen Abgaben waren Ueberlieferungeu einer
Zeit, in welcher die Macht der Regierungen in Bezug auf die Besteuerung
durch Gesetze, Verträge und Herkommen mannigfachen Beschränkungen
unterlag, die einmal eingeführten ständigen Lasten festgehalten wurden und
neue nur bei besonderen Anlässen sich an die bestehenden ansetzen konnten,
daher das Abgaben- oder Steuerwesen, abgesehen von ausserordent-
lichen und vorübergehenden Massregeln, vorherrschend stationär war. Man
traf daher in jedem der einzelnen Territorien, aus welchen das Gross-
herzogthum gebildet war, meist nur Zustände, an welche die Abgaben-
pflichtigen von lange her gewöhnt waren.
Die Verschiedenheit der Abgaben war sogar nach Gattung, Anlage
und Höhe noch grösser als die Menge der neuen Bestandtheile des Gross-
herzogthums, indem mehrere derselben aus einer Anzahl von Gebieten zu-
sammengesetzt waren, die früher verschiedenen Landesherm gehorcht hatten,
in denen daher auch verschiedene Arten der Besteuerung vorkamen.
Das Einkommen aus allen Landestheilen, nach Abzug der provinziellen
Aasgaben, war in Folge der Kriege von 1805, 1806 und 1809 und der
Entsendung eines Corps nach Spanien, zur Bestreitung des Staatsaufwandes
unzureichend, die Belastung der einzelnen Landestheile mit dirccten und
indirecten Steuern, welche ausser den Domänen und Domanialgcfallen die-
ses Einkommen lieferten, im Verhältniss zu den finanziellen Kräften der
verschiedenen Steuerverbände sehr ungleich, die Finanzverwaltung, in Folge
der zahlreichen Menge au Umfang ungleicher Gebiete, die ihre eigenthüm-
lichen, vielfach von einander abweichenden Einrichtungen hatten, äusserst
verwickelt und schwierig. Man fühlte das Bedürfniss einer den Grund-
sätzen der Gerechtigkeit entsprechenden, verhältnissmässig gleichen Ver-
theilung der zur Deckung des Staatsaufwandes erforderlichen öffentlichen
Auflagen und einer gleichförmigen, Ordnung und Regelmässigkeit bedin-
genden, einfacheren Verwaltung.
Dieses Bedürfniss beschloss man durch die Einführung eines allge-
meinen Steuersystems für das ganze Grossherzogthum zu befriedigen. Da
aber die Vorbereitungen hiezu geraume Zeit erforderten, dauerten die in
den einzelnen Landestheilen bestehenden verschiedenartigen Verhältnisse
im Wesentlichen noch bis zu den Jahren 1811 — 15 fort, indem mittlerweile
nur der erhöhte Staatsbedärf theilweise durch vorübergehende allgemeine
Auflagen, wie namentlich durch eine Einkommensteuer, und der wachsende
Druck der Staatslasten durch Creditoperationen und Verwendung von
Grundstockvermögen, Domänenerlös und anderem Eigenthum gemildert ward.
Im Jahre 1812 begann aber der Vollzug dieser Reformen. Noch ehe die im
Jahre 1810 begonnenen Vorarbeiten zu der Einführung des neuen directen
Steuersystems, nämlich die Aufstellung eines Katasters zur Erhebung der
80
Grund-, GcfHll- und HäuBcrstcnern — an welche sich die Gewerbesteuer an-
schliessen sollte — vollendet waren, wurde 1812 die allgemeine Zollordnung,
das Obmgeldgesetz und die Accisordnung, welche nebst dem bereits im
ganzen Lande eingeführten Salzmonopole die Hauptbestandtheile des indi-
recten Steuersystems bildeten, zum Vollzüge gebracht.
Diese Massregel war mit der Aufhebung des bunten Gemisches der
in den einzelnen Landestheilen bisher bestehenden sogenannten indirecten
Abgaben verbunden.
An die Stelle der zahlreichen Zollstationen des Landes, welche die
Erinnerung an die frühere territoriale Zerrissenheit bewahrten, und den
inneren Verkehr belästigten, trat ein Grenzzollsystem und die Erhebung
von Einfuhr-, Durchgangs- und Ausgangs-Zöllen.
An die Stelle der in fast allen Landestheilen bisher in Geltung ge-
standenen Abgaben von Getränken, welche nach den verschiedenartigsten
Tarifen und Bestimmungen von der Consumtion geistiger Getränke in Gast-
häusern und Schenken erhoben wurden, traten die in der Ohmgeldsordnung
bestimmten Steuern, und an die Stelle der in mehreren Landestheilen ein-
geführten Verkehrs- oder Verkaufsabgaben (Pfundzölle) die Besteuerung
des allgemeinen Verbrauchs einer Reihe von Gegenständen durch Auflagen,
die bei deren Erzeugung oder bei ihrer Bestimmung zur Consumtion zu
erheben waren.
Ausserdem wurden, ebenfalls unter dem Namen der Accise, Steuern
von Erbschaften, von Schenkungen und Liegenschaftsverkäufen angeordnet.
Das im Jahre 1812 angenommene Steuersystem erhielt mit wenigen
Modificationen (Aufhebung der Mahlsteuer und einiger Accisgattungen
von minder erheblichem Betrage) einen dauernden Bestand und besteht
noch jetzt, nachdem an die Stelle der isolierten Zolleinrichtungen im
Jahre 1835 die Theilnahmc an dem grossen deutschen Zollverein
trat^ im Uebrigon in seinen wesentlichen Grundzügen und principiellon
Grundlagen.
Seine Einführung konnte aber nicht verfehlen, schon in Folge der
Nachtheile, die sich jedenfalls an solche weitgreifende Veränderungen eines
längst gewohnten Zustandes in einer kurzen oder längeren Uebergangs-
pcriode knüpfen, auf die allgemeine Stimmung einen ungünstigen Eindruck
zu machen.
So war zwar die Einführung eines Grenzzollsystems zur möglichsten
Abwehr nachtheiliger Einflüsse der Mautheinrichtungen, mit denen Nach-
barstaaten vorangegangen waren, geboten, und überdiess, im Vergleich mit
der Masse der früher bestandenen, den inneren Verkehr hemmenden Zoll-
schranken, eine wesentliche Verbesserung, dagegen wurden nun im auswärti-
gen Verkehr manche Verbrauchsgegenstände mit höheren Abgaben belastet,
der Handel, in Folge der Unterscheidung von Einfuhr, Durchfuhr und
Ausfuhr, früher nicht gekannten Formalitäten unterworfen, und diese Er-
81
schwerungen des auswärtigen Verkehrs wurden sogleich fühlbar, während
die Vorthcilc des veränderten Systems sich nur allmählig entwickeln konnten.
Auch das Ohmgeldgesetz und die Accisordnung wurden, obwohl die
Gleichstellung sämmtlicher Landestheile in der indirecten Besteuerung ein
nnabweisliches Gebot der Gerechtigkeit war, mit allgemeiner Ungunst auf-
genommen.
Dqrch die Einführung des neuen indirecten Steuersystems wurden
allerdings einige bisher in einzelnen Landestheilen bestandene und als
schlechthin verwerflich erkannte Abgaben, z. B. die Accise vom Verkehr
mit beweglichen Gegenständen, abgeschafft, andere aber, die nicht überall
eingeführt waren, wurden auf das ganze Land ausgedehnt, so dass nicht
nur fast allenthalben, an die Stellq der gewohnten, durchgängig neue Abga-
ben traten, sondern auch im Ganzen die Gesammtlast der indirecten Ab-
gaben erhöht wurde. Es wurden durch diese Massregel zahlreiche Kreise
von Producenten und die Gesammtheit der Consumenten betroffen und der
peinliche Eindruck der Neuerung noch dadurch gesteigert, dass auch die
Last der directen Steuern von Jahr zu Jahr mehr anwuchs, die zudem noch
geraume Zeit nach Einführung des neuen indirecten Steuersystems in her-
gebrachter ^Yeise in den einzelnen Landestheilen fortbestanden und deren
Ausgleichung erst im Jahre 1815, nach Vollendung der Steuerperäquation,
d. h. nach Aufstellung des Grund-, Gefall- und Häusersteuer-Kajtasters, voll-
zogen werden konnte.
Ein Hauptzweck der neuen Organisation des Steuerwesens war die
Beschaffung der Mittel zur Befriedigung der Staatsbedürfnisse, welche be-
sonders in den Jahren 1813 — 15 durch die höheren Anforderungen der
Militärverwaltung und bedeutende ausserordentliche Ausgaben für diploma-
tische Zwecke sich steigerten, ohne fortwährend zur Verwendung von Grund-
stockvermögen, zur Contrahierung neuer Staatsanlehen und zur Ausschrei-
bung neuer Steuern schreiten zu müssen.
Aber in dem Di*ang der Zeit, in der bedeutende Eriegsprästationen
den Volkswohlstand immer mehr verkümmerten und eine ungeordnete Ver-
waltung es nie zu einem Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben zu brin-
gen vermochte, schien dieser Zweck sich schlechterdings nicht erfüllen zu sollen.
Als der Finanzminister Freiherr von Sensburg im Dezember 1815
summarisch die Exigenz der Generalstaatskasse für die Monate December
1815 bis mit April 1816 überschlug, ergaben sich bei 2,746,816 fl. Er-
fordemiss nur 2,066,479 fl. Deckungsmittel, also für 5 Monate ein Deficit
von 680,337 fl. *)
Bei dieser Lage der Dinge war es naturgemäss, dass sich die Bevöl-
kerung des Landes, nachdem der Friede wiedergekehrt war und sich die
Aussicht auf ruhige Zeiten eröffnete, in denen man wohl eine Verringerung
der Lasten zu erwarten berechtigt war, danach sehnte, eine gesetzliche
*) Eino Boihe von Actonsiftcken ftbor dio flnanziellon Zasi&ndo in dioser Zoii thoilon wir in
Boiligo IL mit
32
Regelung ihrer Leistungspflicht an den Staat und eine entscheidende Theil-
nahme an deren Feststellung eingeführt zu sehen.
Als nach den Yerheissungen der Bundesacte in einzelnen Staaten
offenkundige Schritte zum Vollzüge des Art. 13 geschehen, öffentliche
Verhandlungen hierüber gepflogen oder (wie in Weimar) Verfassungsur-
kunden ertheilt wurden, während im Grossherzogthum Baden von einer er-
neuten Aufnahme der durch den Krieg von 1815 ins Stocken gerathenen
Verfassungs-Berathungen nichts verlautete, da regten sich allmählig mehr
und mehr Unruhe und Zweifel im Lande. Von zwei Seiten, von dem in seinen
Privilegien und Rechten gekränkten Adel und aus der Mitte des unter dem
Drucke der St.euem, wie unter den Nachwehen der Eriegsjahre schwer lei-
denden Bürgerstandes ertönte gegen Ende des Jahres 1815 der Ruf nach
Ertheilung einer Verfassung.
Drittes Capitel.
Der erste Schritt, der aus der Mitte des Landes für Einf&hrang einer
Verfassung geschah, war eine Eingabe von 33 Adelichen, in der mit scho-
nungsloser Schärfe die traurige Lage des Landes geschildert war und am
Schlüsse des umfangreichen Aktenstückes drei Bitten gestellt wurden, näm-
lich die angekündigte Besteuerung noch zur Zeit ausgesetzt zu lassen, die
Regelung der Adelsverhältnisse bis zu den hierauf bezüglichen Beschlüssen
des deutschen Bundes zu verschieben und die Zusammenberufung der dem
Lande durch §.13 der deutschen Bundesacte bestimmten Stände unver-
schieblich zu verordnen.
Diese Eingabe, von Sinsheim 2. November 1815 datiert, wurde dem
Grossherzog durch eine Abordnung des unterländischen Adels überreicht
und in Abschrift dem Finanzminister mitgetheilt.
Bald darauf traf eine ähnliche Eingabe der Grundherren des Dreisam-
und Wiesen-Kreises in der Residenz ein.
Gleichzeitig wurde bekannt, dass sich auch in bürgerlichen Kreisen
eine lebhafte Agitation gegen die neuen Steuern und für Einfuhrung einer
Verfassung zu regen beginne.
Zuerst war es eine Versammlung der unterländischen Geistlichkeit,
welche eine Vorstellung an den Landesherm in dieser Richtung verabredete,
hierauf ein Kreis von Heidelberger Bürgern, welche den Versuch machten,
ihre Mitbürger in Stadt und Land zur Unterzeichnung einer von dem Pro-
fessor an der Heidelberger Universität, Justizrath Martin, verfassten Adresse
ähnlichen Inhalts zu veranlassen.
Diesen Bestrebungen gegenüber machten sich im Rathe des Gross-
herzogs zwei Strömungen geltend. Ein Theil seiner Rathgeber wünschte
eine möglichste Berücksichtigung der Beschwerden und Wünsche des Adels,
der ja doch naturgemäss die Stütze des Thrones und, sehr zum Nachtheil
3
34
der Regierung, durch die, gegen seine Vorrechte ergriffenen Massregeln
derselben entfremdet und in eine populäre Agitation geradezu gedrängt wor-
den sei ; dieselben Männer wünschten aber auch aus eigener innersten Ueber-
zeugung die Einführung einer Verfassung und hielten diese für das einzige
Mittel, das gestörte Gleichgewicht im Staatshaushalt und das erschütterte
Vertrauen zwischen Fürst und Volk wieder herzustellen. Ein anderer Theil
aber sprach sich gegen jegliche, dem Adel zu machende Concession aus,
sah überhaupt in dem Adel den gefährlichsten Feind der Krone und war
dabei eben so wenig geneigt, dem Fürsten diejenigen Beschränkungen seiner
Souveränetät anzurathen, die mit Ertheilung einer Verfassung eintreten
mussten.
Die Eingabe des Adels gab diesen letzteren schneidige Waffen in die
Hand. Masslos und ohne jene Bücksicht, die unter allen Umständen der
Fürst auch von dem ersten seiner Unlerthaneu zu erwai-ten berechtigt ist,
abgefasst, las sie sich, wie ein Fehdebrief, den ein alter Ritterbund an einen
gleichstehenden und gleichberechtigten Fürsten richtete; sie war nicht ge-
eignet, eine versöhnliche Stimmung bei Grossherzog Carl hervorzurufen.
Es erfolgte denn auch am 2. Dezember ein sehr ungnädiger Bescheid,
mit dem diese «höchst unehrerbietige Schrift mit Missfalien, und ohne auf
den Inhalt weiter einzugehen» den Grundherren zurückgegeben wurde, un-
ter dem Beifügen, «dass für dieses Mal ihr respectwidriges Benehmen in
der Ueberzeugung ohne weitere Ahndung bleiben solle, dass die Unterzeich-
neten grösstentheils von dem wahren Inhalt dieser, von einem unkundigen
und übeldenkenden Schriftverfasser zusammengetragenen Beschwerden nicht
hinlänglich unterrichtet gewesen seien.»
Gegen die bürgerlichen Verfassungskämpfer dagegen wurde eine Unter-
suchung eingeleitet, welche, nach langer Dauer, das Resultat hatte, dass
Justizrath Martin seine Entlassung aus dem badischen Staatsdienste nahm. *)
Trotzdem blieb die Agitation, wenigstens in einer Richtung, nicht ganz
erfolglos. Denn ihr, ohne allen Zweifel, ist es zuzuschreiben, dass die, auf
25 Procent bestimmt gewesene allgemeine Steuer auf 18 Procent herabge-
setzt und dass der Finanzrath Nebenius beauftragt wurde, «eine populäre
Darstellung des dermnligen Abgabensystems und eine Vergleichung der
gegenwäi'tigen Steuerperäquationsgrundsätze mit den früheren Steuerver-
iassungen und mit den Abgaben benachbarter Staatsunterthanen» zu ver-
fassen und durch den Druck verbreiten zu lassen. **)
Auch dem Adel wurden einige der ihm abgenommeneu Gerechtsame
wieder eingeräumt, den Standes- und Grundherrn das ihnen als Kirchen-
*) Vergl. Allgemeines Stsais-Yerfastiungs-Archiv. Zeitnchrift f&r Theorie und Praxis gem&s-
Bigter Hegiening9ronnen. Weimar 1A16. I. Bandes 3. Stflck. -> Kieler Bl&Uor Ton 1816 S.
396 ff.
**) Die Schrift hat den Titel: „Ueber die directe Steuer im Grossherxogthnra Baden. Von
einem badischen Bürger.** Carlsnthe 1815. Als Gegenschrift erschien: „Kehrseite der directen
Steuer im Orossherzogthnm Baden, aufgefasst und dargestellt von einigen badischen B&rgern
auf den Lande. Lörrach und Woinheim. Im dritten Jahre eitler Iloffnunfen**.
88
patronen früher zugestandene Präseotationsrecht zurückgegeben, auch die
Grundherrn und ihre Familienangehörigen in die, vor dem 26. November
1809 genossenen privilegirten Gerichtsstandesverhältnisse, die sogenannte
Canzleisässigkeit wieder eingesetzt.
Aber auch die Yerfassungsfrage kam schon im November, und zwar
nnmittelbar durch die Adelseingabe, wieder in Fluss, freilich zunächst nur
ionerhalb des Cabinets, ohne dass weitere Kreise von der Aufnahme dieser
Berathungen Kenntniss erhalten hätten.
In der Geh. Cabinetsconferenz vom 21. November 1815 nämlich kam
der Entwurf eines Eescriptes zur Berathung, welchen Staatsrath von Sensburg
vorher unter den Mitgliedern in Circulation gesetzt hatte und wodurch der
Vollzug der einzuführenden ständischen Verfassung bis auf die Resultate
des künftigen Bundestages verschoben werden sollte.
Es waren über diesen Gegenstand von den meisten Mitgliedern um-
fassende gutachtliche Aeusserungen schriftlich niedergelegt worden.
Frhr. v. Marschall sprach sich folgend ermassen aus: Die Gährungs-
stofie, die in Deutschland weit verbreitet seien, drohten den Umsturz, be-
sonders der kleineren Staaten, wenn man ihnen nicht jetzt gleich und ehe die
Krankheit unheilbar werde, durch die geeigneten Mittel entgegenarbeite.
Preussen sei der Mittelpunkt geheimer Gesellschaften, die, besonders
durch Verbreitung von Schriften, die Regierungen der kleineren Staaten
herabwürdigen. Die preussische Regierung begünstige, sichtbar aus eigen-
süchtigen Absichten, die sogenannten philanthropischen Ansichten d^ Neuerer.
Auf dem V\riener Congress habe sie ihre Plane, auf diesem Wege den Norden
von Deutschland sich zuzueignen und im Süden die inneren Bande der
deutschen Staaten zu lösen, sichtbar an den Tag gelegt. Sie werde diese
Versuche bei nächster Gelegenkeit reassumieren.
Gewaltsame polizeiliche Massregeln würden das Uebel nicht hemmen,
sondern mehren. Man müsse den Strom in ein ruhiges Bett leiten. Das
einzige Mittel sei freiwillige Beschränkung der Regierungsgewalt von Seite
der Regenten, nach geläuterten Grundsätzen einer guten Staatsverfassung.
Er verwies auf Würtemberg, auf den dort aus Schuld des Königs, «des
herrschsüchtigsten aller Monarchen» entbrannten Kampf, auf den Schaden
der erwuchs, indem dieser Fürst vor der Opposition des Landes zurück-
weichen musste.
Theilnahme und Aufmerksamkeit an den Fortschritten, welche der
Nachbarstaat zum Ziele einer wohlgeordneten Verfassung macht, sei in
Baden rege geworden. Bald werde man hier dem Regenten abnöthigen, was
er jetzt noch als Wohlthat ertheilen könne. Er befürchtet fremde Ein-
mischung, sobald in Baden Unruken ausbrächen, um so mehr als viele der
neuen Unterthanen sich unter die alten Verhältnisse und Herrscherhäuser
zurücksehnen. Eine gesunde Politik fordere daher gebieterisch, dass der
Regent keine Gelegenheit versäume, um, nach eingetretenen ruhigeren
Zeiten, sich die Herzen dieser Unterthanen durch Wohlthaten zu gewinnen.
3*
86
Eine Yertagnng des vor ganz Europa in Wien geleisteten Versprechens
werde einen schlechten Eindruck machen, jeder werde fühlen, «dass dieses
nur ein Ausweg ist, um die Erfüllung hinauszuschieben. >
«Nächstdem» — fahrt er fort — «ist es der Würde eines unabhängi-
gen Regenten ganz und gar nicht angemessen, die Verhältnisse gegen
seine Unterthanen von den Aussprüchen eines Congresses abhängig zu
machen, auf dessen Beschlüsse auswärtige Staaten den meisten Einfluss
haben werden. Vielmehr muss er an seinem Theile sich möglichst be-
mühen, die Sachen dahin zu leiten, dass diese Beschlüsse, ohne die Ver-
hältnisse der einzelnen Bundesstaaten in ihrem Innern zu berühren, sich
bloss auf die Rechte und Verbindlichkeiten der Bundesglieder unter einander
beschränken.» Uebrigens sei vorauszusehen, dass der künftige Bundestag
über die Verfassungen der Einzelstaaten nichts allgemeines bestimmen
werde, weil die grösseren Staaten sich keine Vorschriften werden aufdringen
lassen.
Die Vorarbeiten seien so weit vollendet, dass die Verfassung binnen
Monatsfrist erlassen werden könnte. Binnen 5 — 6 Monaten könnte man
die erste Ständeversammlung berufen und ihr die nöthigen Vorlagen
machen.
In dieser Richtung räth Marschall ein Rescript zu erlassen.
Staatsrath v. Ealm gab seine Meinung dahin ab: Der Erlass land-
ständischer Verfassungen sei nach den Wiener Verabredungen nicht mehr
abzuändeyi. Auch er erwarte nur von dem, so schnell als möglich erfol-
genden Erlass einer Verfassung (welche den redlichen Theil des Volkes
über seine gerechten Erwartungen beruhigen, den unruhigen, missvergnügten
und aus Egoismus intriganten Personen aber eine Abfertigung geben würde,
wodurch ihre fortgesetzten Machinationen zum strafbaren Vergehen werden)
Sicherheit, Ruhe und Glück für den Landes-Regenten, Sicherheit für das
Eigenthum, Wohlstand für das Land.
Staatsrath von Sensburg erkennt zwar an, dass die landständische
Verfassung realisiert werden müsse:
1. weil sie, wenn sie wohl organisiert ist, dem Lande und dem Landes-
herm frommt,
2. weil sie schon als eine Fundamentaleinrichtung des deutschen Bun-
des-Staates in Wien ausgesprochen wurde,
3. weil S. K. Hoheit sich in einer officiellen Note bereits dafür pro-
nonciert haben.
Aber er hält es unbedingt, besonders wegen der herrschenden Gährung,
für zweckmässig, die Berufung der Stände und den Erlass einer Verfassung
zu verschieben, bis der Bundestag die Direction für ein allgemein giltiges
Vorgehen gegeben habe.
Das Beispiel Würtembergs führt Sensburg für seine Ansicht an; durch
eine voreilig ertheilte Constitution sei jetzt dort die Staatsgewalt förmlich
gelähmt. Er führt femer für sich die Eingabe der grundherrlichen Depu-
37
tirten an, welche, mit Hinweis auf künftige Verfägungen des Bundestages,
von Kcicksadel, Immunitäten u. s. f. spreche und dem Regenten geradezu das
Recht bestreite, jetzt schon in Steuersachen Normen zu geben.
Der Schluss seines Votums, das die entschiedenste Abneigung gegen
coDstitutionelles Wesen athmet, empfiehlt den Erlass einer Erklärung des
Begenten, dass und warum vorerst die Proclamation einer landständi-
schen Verfassung unterbleibe.
Staatsrath Guignard ist der Ansicht, die ständische Verfassung könne
nicht in's Leben treten, bevor nicht die bisherige — durch die ver-
schiedenen Constitutionsedicte und andere landesherrliche Verordnungen und
durch die Organisation v.J. 1809 — bestimmte Landesconstitution revidiert
und in einen natüi'lichen Zusammenhang mit der ständischen Verfassung
gebracht sei.
Dadurch werde verhindert, dass die Stände, welche die Rechtmässig-
keit und die Bedingungen ihrer Existenz nur aus der Constitution ableiten
sollen, über eine erst zu entwerfende oder erst zu bestimmende Constitution
absprechen.
Also erst diese Vorarbeiten seien zu machen und in dei^ grossherzog-
lichen Erklärung darauf zu verweisen.
Bei der Abstimmung blieb Frhr. v. Marschall auf seiner Ansicht stehen,
die Einrichtung einer landständischen Verfassung nicht von den künftigen
Verhandlungen der Bundesversammlung zu Frankfurt abhängig zu machen und
bis zu Bekanntwerdung der etwaigen Resultate derselben in dieser Hinsicht
ausgesetzt sein zu lassen, sondern jetzt gleich einen Termin von etwa zwei Mo-
naten zur Publication der ständischen Verfassung, nach vorgängig in dieser
Zwischenzeit erfolgter Vollendung der hiezu noch nöthigen Vorarbeiten, und
sodann einen weiteren Terrain von ohngefahr sechs Monaten zur wirklichen
Einberufung der Stände in dem dermalen zu erlassenden Rescript festzusetzen.
Die Bedenken von Sensburg seien auf alle und jede landständische
Verfassung anwendbar, bewiesen also für den vorliegenden Fall zu viel.
Indem die Bundesacte jedem Bundesstaat überlassen habe, die Ver-
fassung seinen physischen und politischen Verhältnissen anzupassen, sei
nicht zu befürchten, dass der Bundestag eine Zurücknahme bereits erfolg^r
Bestimmungen veranlassen werde. Zudem könne der Grossherzog die Bun-
desacte nicht als Motiv des Aufschubes früher ausgesprochener, freiwilliger
Zusicherungen öffentlich anführen, da er sie noch gar nicht formlich aner-
kannt habe.
Frhr. v. Berckheim tritt dieser Ausführung bei. Die Note vom 1. De-
cember 1814 an Gestenreich und Preussen binde den Grossherzog vor
Europa und vor seinen eigenen Unterthanen. Auch er verweist auf die
noch nicht erfolgte Anerkennung der Bundesacte, «die anzuerkennen dem
Grossherzog so lange nicht angerathen werden könne, als er in derselben
auf eine, den königlichen Vorrechten seines Hauses nicht entsprechende
Stufe gesetzt bleibe.»
38
Den Einflusa des Bundestags auf die innere Verfassung der Bundesstaaten
«dürfe man ja nicht provociereu, sondern im Gegen thcii standhaft zu ent-
fernen suchen.» Daher sei er für sofortige Erklärung, dass in bestimmter
Zeit eine Verfassung werde erlassen werden.
«Um jedoch der Influenz der Bundesversammlung und eines etwaigen
Bundesgerichtes, deren Einwirkung auf die Modali taten der landständischen
Verfassung gewiss nicht zum Vortheil des Landesherm sein dürfte, einen
festen, undurchdringlichen Damm entgegen zu setzen,» möchte eine
Landesbehörde (etwa das Oberhofgericht) bei Differenzen zwischen Landes-
herrn und Ständen zum entscheidenden Richter bestellt werden.
Frhr. v. Ealm stimmt im Allgemeinen wie die Vorigen.
Staatsrath Wielandt beantragt, aus ähnlichen Motiven, namentlich
auch wegen der im Lande herrschenden, zum Theil von Aussen her im-
portierten Aufregung und Unruhe der badischen Staatsangehörigen, Be-
rathungen, welche den Entwurf einer landständischen Verfassung mit den
übrigen Constitutionen in Einklang bringen und namentlich den Übeln Fol-
gen der ständischen Widersetzlichkeit steuern. Er billigt v. Berckheims
Vorschlag, das Oberhofgericht als Gerichtshof bei ausbrechenden Conflicten
zu erklären und fügt den weiteren hinzu, es sollen bei Streitfragen, welche
Steuern betreffen, bis zur Entscheidung, die alten Abgaben forterhoben
werden. Endlich stellt er den Antrag, ein Rescript zu erlassen, worin diese
Berathungen und deren Vollendung bis zu einem bestimmten Termiix
angekündigt werden, an dessen Ende der Zeitpunkt der wirklichen Ein-
berufung der Stände werde proclamiert werden.
Staatsrath Guignard stimmt wie Wielandt. Während der Vorarbeiten
könne man die Gegenstände und den Gang der Verhandlungen des Bundes-
tags beobachten und manches Interessante abstrahieren.
Staatsrath von Sensburg kann nicht, wie jene, zu einer isolierten
Stellung des Grossherzogs, dem Bundestag gegenüber, rathen. Er bleibt
auf den Ansichten seines schriftlichen Votums und Rescript-Entwurfes stehen.
Am 23. November Abends wurden dem Grossherzog sämmtliche Vor-
träge und Abstimmungen zur Resolutionsfassung nach Stuttensee, wo er
sich damals aufhielt, übersendet.
Indess yergieugen Monate, bis nach irgend einer Seite hin eine Ent-
scheidung erfolgte.
Erst am 16. März 1816 ergieng das nachstehende Grossherzogliche
Rescript :
Wir Carl von Gottes Gnaden etc.
Mit der wiederhergestellten Ruhe und Ordnung in Europa ist auch
der Zeitpunkt erschienen, der Uns erlaubt, die künftigen verfassungs-
mässigen Rechte Unserer Unterthanen näher festzusetzen und ihnen
eine sichere Grundlage und Garantie zu geben. Wir sind überzeugt,
dass Wir diese Rechte nicht dauerhafter begründen und zugleich Un-
89
sere üoierthanen aller Classen über ihr Verhältniss gegen Uns und
Unsere Behörden und über Unsere Regierungs-Grundsätze mit beru-
higenderem Zutrauen erfüllen können, als durch die Einführung einer
landständischeu Verfassung in Unserem Grossherzogthum. Wir
haben bereits hiezu die nöthigen Vorarbeiten angeordnet, und diese
sind soweit gediehen, dass Wir, nach angehörtem Staatsrath, beschlossen
haben, dass auf den 1. August d. J. die erste ständische Versammlung
Unseres Grossherzogthums eröffnet werden solle.
Carlsruhe, den 16. März 1816.
Carl.
Auf S. K. H. besondem höchsten Befehl
vdt Frh. von Hacke. Bing. *)
Diese Eröffnung, in der ein bestimmter Termin für die Berufung der
Landstände bezeichnet war, war zwar einerseits wohlgeeignet, zur Beruhigung
der aufgeregten und bekümmerten öffentlichen Meinung des Landes beizu-
tragen, andererseits aber erhielt das festgewurzelte Misstrauen gegen Ein-
sicht und guten Willen der Eegierung durch den Umstand neue Nahrung,
dass in dem Rescript zwar von Vorarbeiten die Bede war, die in der zu-
künftigen Verfassung dem Volke einzutäumenden Rechte aber nur in einer
ganz allgemeinen Andeutung erwähnt wurden.
Besonders der Adel des Landes fühlte sich durch diese unklare Aus-
drucksweise beunruhigt, da er aus derselben die Wahrscheinlichkeit ent-
nahm, es werde die Begierung einseitig, ohne seine Vorschläge, Bechtsan-
schauungen und Ansprüche zu hören und zu prüfen, mit der Erthcilung
einer Verfassung vorgehen und die kürzlich erfolgten Zugeständnisse als
eine Art Abfindung des Adels ansehen.
Es blieb ihm ferner nicht verborgen, dass jene Zugeständnisse, so un-
genügend sie ihm selbst erscheinen mochten, dennoch von andern Classen
der Bevölkerung als wichtig und bedeutsam genug betrachtet wenlen
könnten, um dadurch auf ein Einvernehmen des Adels mit der Begierung
zu schliessen und Misstrauen gegen die gemeinnützige Gesinnung des Adels
zu hegen. **)
In Folge solcher Erwägungen vereinigte sich am Ende des März 1816
die Bitterschaft der Main- und Tauber-, Neckar-, Pfinz- und Enzkreise un-
ter sich und mit dem Stellvertreter des Fürsten zu Salm-Beifferscheid-
Krautheim, dem Grafen zu Waldeck und Pyrmont, zu einem gemein-
schaftlichen Vorgehen. Ihre Bevollmächtigten — ausser dem Graten Waldeck
*) BegieningsblaU 1816 Kr. VIU.
**) Vergl. OetchichtUche Darstellung der Schritte, weleUb mr Vorbereitung einer reehtsbe-
»tändigen Verfusnng des Orosshcrxogthnms Baden im Namen des Fttrsten xu Salm-Beifferscheid
und der rormals reichsnnmittelbaren Bitterschaft der Main- nnd Tauber-, Neckar-, Pflna- und £nz-
Kreise geschehen sind, so wie der darauf Ton Seiten der Grossh erzogliehen Begierang ergrifenem
Maiwregela. Nebst den daxo gehörigen ActenstOeken. April und Mal 1816* 3 Heft«.
40
noch die Freiherrn Sigmund von Gemmingen, Carl vonRacknitz, Ferdinand von
Sturmfeder, Max von Berlichingen — erliessen am 31. März eine Vor-
stellung an den Grossherzog, in der sie zwar die Zurückgabe der
Patronatsrechte und des privilegierten Gerichtsstandes mit Dank anerkannten,
jedoch gegen einseitige landesherrliche Declarationen über ihreBechteim Allge-
meinen Protest erhoben. Sie erklärten, nur ein solches Verhältniss als ge-
setzlich betrachten zu können, welches durch ihre freie Einwilligung
begründet werde ; sie seien ausser Stand, ihre Existenz Verhältnissen anzu-
vertrauen, welche durch einzelne Umstände, individuelle Ansichten oder
Persönlichkeiten die Rechte der Einzelnen, ja oft des ganzen Staatsver-
bandes der Unsicherheit überliefern. Sie erkennten daher — fahren sie fort
— in dem Versprechen, eine landständische Verfassung ertheilen zu wollen,
den Beweis, dass auch dem Grossherzog die traurigen Folgen nicht ent-
gangen seien, welche solche fernere Ungewissheit im Staatshaushalt für das
Volk habe und glaubten, dass der Grosshorzog das Bekenntniss nicht miss-
deuten werde, dass sie die Verbindung des Begenten und der Unter-
thanen nur dann als gesichert betrachten können, wenn ein mit dem Gross-
herzog abgeschlossener freiwilliger Staatsvertrag die gegenseitigen Bechte
und Pflichten festsetze. Sie bitten daher um möglichst baldige Versamm-
lung der Vertreter des Volkes, damit durch sie die Verhältnisse aller
Staatsangehörigen berathen und mit ihnen geordnet werden.
Diese Eingabe erregte die höchste Entrüstung der Bathgeber des
Grossherzogs. Schon am 9. April wurden die Freiherrn von Gemmingen
und von Backnitz, welche, jener als Major, dieser als Bittmeister, den Offl-
ciers k la Suite angehörten, aus deren Liste ausgestrichen, der Ereisi*ath
Frhr. von Berlichingen aus dem Staatsdienst entlassen und ihm der Eammer-
hermschlüBsel abverlangt. Am 10. April versagten die Minister von Hacke
und von Berckheim dem Grafen Waldeck und dem Frhn. von Gemmingen selbst
eine Unterredung.
Daraufhin Hessen am 14. April 27 unterländische Adeliche eine Er-
klärung an den Grossherzog abgehen, in der sie anzeigen, «dass sie den
Freiherren von Gemmingen, Berlichingen, Backnitz und Sturmfeder eine, bis
zur Einführung der landständischen Verfassung dauernde General- Voll-
macht ausgestellt haben, alle diensamen Schritte zu thun, um ihnen eine
feste und zweckmässige staatsrechtliche Existenz für ihren Stand zu er-
wirken,» und für die des Dienstes Entlassenen eine gerichtliche Unter-
suchung verlangen.
In einer Eingabe vom 15. April führten endlich die genannten vier Be-
vollmächtigten und der Graf zu Waldeck aus, dass der Adel nichts Aus-
schliessendes für sich suche, sondern nur die grosse Angelegenheit des
Vaterlandes in's Auge fasse.
Am 27. April und am 4. Mai fanden in dieser Sache Ministerialcon-
ferenzen statt. Staatsrath von Sensburg beantragte, den von ihm verfassten
Entwurf einer ausführlichen Beantwortung an die Petenten ergehen zu lassen
41
und gegen die anter denselben befindlichen Staatsdiener ernste Massregeln
za ergreifen, während die Staatsrathe Meier und Wielandt ihnen vorerst
nur Verwarnungen erthcilen wollten. Indess drang die erstere Ansicht
durch, den Petenten wurden ihre Gesuche zurückgeschickt, ihre Anmassung
verwiesen ; sie wurden aufmerksam gemacht, dass sie, wie alle andern Staats-
angehörigen, Untert hauen seien, und dass es lediglich von der Gnade
und dem Gutdünken des Regenten abhänge, ihnen bei der ständischen
Landesrepräsentation formelle Auszeichnungen in der Wahl und Zahl zu
gewähren. Desshalb lasse der Grossherzog sämmtliche Unterzeichnete
warnen, sich alles weiteren, unzeitigen und Aufsehen erregenden Zusammen-
sitzens und Berathens über aiTogante Petitionen der Art zu enthalten und
die Constitutionen en Normen, besonders in Beziehung auf die landständische
Verfassung, nach dem zum höchsten Wohlgefallen gereichenden Beispiel der
übrigen Unterthanenclassen ruhig und geziemend abzuwarten. Was die
Dienstentlassungen betreffe, so beziehe man sich lediglich auf das orga-
nische Edict vom 14. November 1809.
Der Hof rieht er Freiherr von Zyllnhardt und der Oberkammerjunker
Freiherr von Venningen, Intendant des Mannheimer Hoftheaters, welche
beide die Eingabe vom 14. April unterzeichnet hatten, wurden ihrer Dienste
entlassen.
Endlich erfolgte am 7. Mai ein grossherzogliches Rescript, von Staats-
rath von Sensburg redigiert und im Regierungsblatt *) publiciert, in wel-
chem das Verfahren der unterländischen Adelichen in schonungslosester
Weise verurtheilt wird.
Es heisst darin, der Grossherzog habe geglaubt, sich durch seine
jüngsten Regierungshandlungen neue Rechte auf das Zutrauen und die
Dankbarkeit aller Classen der Unterthanen erworben und allen einseitigen,
voreiligen und verfassungswidrigen Petitionen vorgebeugt zu haben. Der
grössere Theil der Standesherrn, der Adel der Ortenau, des Breisgaus und
des Hegaus habe den Erwartungen entsprochen, die der Grossherzog von
dem Stande hegte, der seine Rechte auf verfassungsmässige Ehrenauszeich-
nung durch höhere Bürgertugenden zu begründen berufen sei. Nicht minder
habe der gesammte Bürgerstand in allen Theilen des Grossh erzogt h ums in der
letzten Zeit neue Beweise seines Zutrauens in die landesherrlichen Anord-
nungen, neue Beweise der Treue und Anhänglichkeit gegeben, die er auch
unter dem Drucke der vergangenen, schweren Zeiten bewährt habe. Desto
mehr hätten die Umtriebe einer Gesellschaft irregeleiteter Adelichen im
Kraichgau, im Odenwald und in der Pfalz, so wie der Geist, der aus
ihren Vorstellungen spreche, des Grossherzogs gerechtes Missfallen erregen
müssen.
Schliesslich erklärt der Grossherzog, dass er die Rechte der Grund-
herren auf Grundlage der Wiener Bundesacte regulieren werde, sowie
*) Bdgierangsblatt Ton 1816 Nro. XIY.
42
die nähere Bestimmung, deren dieselbe noch bedarf, mit sämmtlichen Bun-
desgiiedern verabredet sein werde; dassjer «ich darüber weder mit Einzelnen,
noch mit Standesd eput ir t en überhaupt einlassen könne, noch werde;
dass er insbesondere nie von dem Grundsatz der gleichen Vertheilung aller
Staatslasten auf alle Unterthanen ohne Unterschied des Standes abzuweichen,
dnss er keinem Stande ein vorzügliches Recht auf Mitwirkung zur Her-
stellung einer landständischen Verfassung einzuräumen gedenke, und dass
er abermals wiederholte Anmassungen «auf das Nachdrucksamste» ahnden
werde. «Wir erwarten» — so ist der Schluss dieses Actenstückes — «von
allen ünsern Unterthanen jeden Standes, dass sie vertrauensvoll und mit
Ruhe der Entwicklung jener Begebenheiten entgegen sehen werden, von
welchen die feste Bestimmung der künftigen Landesverfassung abhängt.»
Viertes Capitel.
Im Laufe des Sommers 1816 wurden zwei neue Yerfassungsentwüi fe
ausgearbeitet und dem Grossherzog vorgelegt.
Verfasser des ersten war der Stnatsrath vcn Senshurg. Dieser, ein
Mann von vielen Fähigkeiten, ein guter Jurist, wie sie das alte Reich wohl noch
hervorbrachte, war aus bischöflich - speyerischen Diensten bei der Seculuri-
sation in badische übergegangen. Er war nicht ohne Einfluss auf den
Grossherzog, dem seine barsche Art, besonders dem Andrängen des Adels
gegenüber, wohl zusagte. Das constitutionelle Wesen hat an ihm weder
jetzt, noch später einen Freund gehabt. Der Entwurf, den er zum Vollzug
des Bescripts vom 16. März 1816 ausarbeitete, unterschied sich denn auch
sehr wesentlich von den Vorschlägen des Freihen'n von Marschall und der
ersten Verfassungs-Commission. Das Recht des Landesherrn war in dem
neuen Entwuif auf der ausgedehntesten Grundlage aufgeführt, die land-
ständischen Rechte erhielten die denkbar geringste Ausdehnung.
Das Einkammersystem, das er in Antrag brachte, war ohne Zweifel
eine nicht misszuverstehende Antwort auf das Auftreten des Adels. Folgen-
des ist der Wortlaut dieses Entwurfes, des dritten in der Reihe der zur
Vorlage gekommenen:
IIL Entwurf.
Wir Carl von Gottes Gnaden etc. etc.
In Rückerinnerung an das Vorhaben Unseres geehrten Grossvaters und
Regier ungs vorfahrei*8 , des in Gott ruhenden Grossherzogs Carl Friedrich
und in Gemässheit Unserer Vorverheissung vom 16. März dieses Jahres,
bestimmen Wir die pragmatischen Normen und Formen der landständischen
Verfassung in Folgendem:
44
§. 1. Die Landstand Schaft ist in ihrer Yersamralung eine ungetheilte Be-
präsentation des hadischen Gesammt-Staates ; die einmal gewählten Deputir-
ten sind nicht mehr als Districts- oder Stand es-Deputirte, sondern als Lan-
desdeputirte zu betrachten.
§. 2. Die Landesrepräsentation soll gebildet werden:
a. darch die Prinzen des Grossherzoglichen Hauses ,
b. durch den künftigen katholischen Landesbischof,
c. durch die Häupter der standesherrlichen Familien,
d. durch Deputirte des grundherrlichen Adels,
e. durch Deputirte des Bürger- und Bauernstandes.
§. 3. Die Prinzen des Grossherzoglichen Hauses haben erst nach er-
langter Volljährigkeit Sitz und Stimme ; sie üben ihr Stimmrecht in Person,
oder durch einen grundherrlichen Bevollmächtigten aus; sie nehmen ihren
Sitz nach dem Präsidenten.
Sie können nur eineStimme führen; wenn sie durch ihre Besitzungen
zugleich Standesherren sind, so werden sie in dieser Eigenschaft bis zu
ihrer Volljährigkeit, wo sie das Stimmrecht als Prinzen antreten, und da-
gegen das standesherrliche aufgeben, durch Vormünder, die nicht schon
ein eigenes Stimmrecht haben, vertreten.
§. 4. Die Standesherren sind erbliche Repräsentanten.
Wenn sie in mehrere Linien getheilt sind, so haftet das Stimmrecht
auf dem Haupte jeder Linie ; besteht aber in einer Linie eine Gemeinschaft
unter mehreren, so führt der Aelteste unter ihnen, oder bei dessen Ver-
hinderung der Nachälteste die Stimme.
Sie müssen zur persönlichen Ausübung des Stimmrechts die Voll-
jährigkeit erreicht haben ; bis dahjn w^erden sie durch ihre Vormünder,
oder durch einen im Lande wohnenden adelichen Bevollmächtigten des-
selben vertreten.
Auch nach erlangter Volljährigkeit können sie durch einen adelicheu
Bevollmächtigten erscheinen.
Auch Adeliche, die keine grundherrlichen Besitzungen haben, können
bevollmächtigt werden.
Wer für sich schon eine Stimme führt, kann für keine weitere Stimme
bevollmächtigt werden.
§. 5. Der künftige katholische Bischof erhält, wegen dieser seiner
Amtseigenschaft, ein Stimmrecht und nimmt seinen Sitz unmittelbar nach
den Prinzen des Grossherzoglichen Hauses.
§. 6. Die Deputirten des Adels werden von den Gruudherren aus ihrer
Mitte durch die Mehrheit der Stimmen gewählt.
Die Qualifikation eines Grundherrn bilden Adel und Grundbesitzungen,
verbunden mit diesen oder jenen vogteilichen Gerechtsamen.
45
Die Gfundherren werden in Beziehung auf die Wahl provisorisch nach
zwei Landesdistricten, nemlich oherhalh derMurg und unterhalb derMurg,
abgetheilt. Jeder District hat 6 Deputirte zu wählen. *)
§. 7. Die Wähler müssen das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben, und
im Lande wohnhaft sein. Die nur zeitlich abwesenden Grundherren können
ihre Wahlstimme Andern übertragen,
Wenn eine Familie oder eine Familienlinie die gr und herrlichen Güter in
DDzertheilt^r Gemeinschaft besitzt, so kann nur der Aelteste solcher Linie,
oder, bei dessen Verhinderung, der Nachälteste das Wahlrecht ausüben.
Wenn die Güter in einem und demselben Ort unter eine und dieselbe
Linie abgetheilt sind, so sollen nur jene von dieser Linie das Hecht zu
einer Wahlstimme haben, welche ein Schatzungscapital von 20,000 fl. ver-
steuern. Vermag keine derselben* ein solches Steuercapital nachzuweisen,
so ist es wie bei ungetheilten Gemeinschaften zu halten; künftige Güterab-
theilungen bei einer Familie geben kein Becht zu Vermehrung ihrer Wahl-
stimme, nur für besondere Dienste und Verdienste halten Wir Uns bevor,
diese ausnahmsweise zu verwilligen.
Keiner kann mehr als eine Wahlstimme ausüben, wenn er auch schon
mehrere Grundherrschaften besitzt, oder in der Folge erwirbt; eine Ausnahme
kann nur aus besonderen Staatsrücksichten statt haben, und nur vom Regenten
verwilligt werden.
Weibliche Gutsbesitzer haben weder ein Wahl- noch ein Stimm-
recht ; sind sie aber vermählt, so werden sie in Beiden durch ihre Ehevögte
vertreten.
§. 8. Die, welche gewählt werden, müssen das 30. Lebensjahr begonnen
haben; sie müssen im Lande wohnen.
An die Stelle der Gewählten, die mit Tod abgehen, oder aus sonstigen
Ursachen aus der Versammlung treten, rücken sogleich Andere ein, zu welchem
Ende vorsorglich bei der Hauptwahl der Deputirten eine gleiche Anzahl von
Ergänzungsgliedem gewählt wird.
Ein gewählter Repräsentant kann nicht mehr als eine Stimme führen.
In Gant Gerathene können nicht gewählt werden, gleichwohl aber noch
wählen, so lange nicht im Wege eines förmlichen Concursverfahrens ihre
Besitzungen den Gläubigem zuerkannt, oder zu deren Befriedigung zum
Verkauf ausgesetzt sind.
§. 9. Die gegenwärtige Zahl der standesherrlichen und wahlfEhigen
adelichen Familien ist nicht unveränderlich; jene kann durch Erhöhung
zur Standesherrschaft, und gleichzeitige Ertheilung einer erblichen Viril-
Stimme, und diese dadurch vermehrt werden, wenn der Regent sich be-
wogen findet, einem Adelichen, der zwar keine grundherrlichen Besitzungen
in dem §. 6 ausgedrückten strengen Sinne, aber doch sonstige bedeutende
*) In dem Conoepi hat dieser Paragraph den Zasatx : „Dem Regenten bleibt nnbenommen, die
Zahl der Deputirten, welche die Gmndherren in w&hlen haben, in mindern oder in mehren/*
46
Besitzungen im Lande hat, das Recht, zu wählen, und die Qualification,
gewählt zu werden, zu verwilligen ; auch hleiht dem Regenten unhenommen,
die Zahl der von den Grundherren zu wählenden Deputirten überhaupt zu
mindern.
§. 10. Die Repräsentanten des Bürger- und Bauernstandes werden aus
Adelichen, die keine grundherrlichen Besitzungen haben, und aus dem Burger-
und Bauernstande gewählt.
§. 11. Zu dem Ende ist das Grossherzogthnm provisorisch und bis zu
einer zweckmässigen geographischen Eintheilung der Aemter, in 41 Wahl-
districte eingetheilt.
Jeder dieser Districte erwählt einen landständischen Repräsentanten.
Dem Regenten bleibt gleichfalls unbenommen, die Zahl der bürgerlichen
Deputirten zu mindern oder zu mehren.
Jede der beiden Universitäten Heidelberg und Freiburg ernennt gleich-
falls einen Deputirten.
Die Geistlichkeit der drei christlichen Confessionen wird durch drei
Dekane repräsentiert.*) Die Dekane der evangelisch-lutherischen und refor-
mierten Confession schicken ihre Wahlstimmen schriftlich an die evangeli-
sche, und die Dekane katholischer Confession an die katholische Kirchen-
Section ein.
Die Dekane der drei Confessionen, welche die relative Stimmen-
mehrheit haben, sind die Repräsentanten, die beiden Sectionen notifizieren
dies dem Minister des Innern, **) damit sie mit den übrigen einberufen
werden.
Die Art und Weise, wie die Wahlen der Grundherren und die des Bürger-
und Bauernstandes vorzunehmen, ist in der Anlage Ht. B. enthalten.
§. 12. Die Wähler, deren Zahl zu 15 bis 20 in jedem District vorge-
schrieben ist, müssen im Lande angesessene Adeliche, oder active, im Lande
wohnhafte Bürger, und von unbescholtenem Rufe sein, das 25. Jahr zurück-
gelegt haben, und ein Schatzungskapital von wenigstens 5000 Gulden ver-
steuern. Sie werden von der Gesammtmasse der activen Bürger in jedem
Wahldi&tricte gewählt.
§. 13. Die Wahlmänner in jedem District wählen ihren Repräsentanten
ohne Unterschied der Religion, und zugleich auf den Fall seines Absterbens,
oder sonstigen Abganges einen Suppleanten durch die Mehrheit der Stimmen,
nach den im Art. 7 enthaltenen besonderen Bestimmungen.
§. 14. Die gewählten Repräsentanten müssen im Lande wohnen, das
30. Lebensjahr begonnen haben, von unbescholtenem Rufe sein, und ein
Schatzungscapital von wenigstens 10,000 Gulden versteuern.
*) Dm Concept bat den Zatfttx: „Dio Wahl geschieht in der Art, dasa anch nnr die Dekane
wählen."
••
) Im Coneept: „dem Janiixminiiter.**
47
üebrigens sind die Wahlmänner weder auf ihren Wahldistriot, noch
auf den BQrgerstand *) eingeschränkt ; sie können auch Personen aus andern
Districten, ♦*) und auch Adeliche, die keine Grundherren sind, wählen.
§.15. Die Grossherzoglichen Diener sind in der Regel wahlfähig; aus-
genommen sind:
1. alle Minister und Präsidenten, Cabinetsräthe und active Staatsräihe,
2. alle Vorstände des Oberhofgerichts und der Hofgerichte,
3. alle Lokaldiener.
Wenn ein nicht wahlfähiger Diener in Pensions- oder Quiescentenstand
gesetzt wird, so ist er alsdann wahlfähig.
Zur Wahlfähigkeit eines Dieners überhaupt aber wird ein reines Ein-
kommen von 1800 Gulden erfordert,' die Besoldung wird mit eingerechnet.
Zu Vorträgen der Regierung und deren Erläuterung haben die Minister,
oder die dazu abgeordneten Commissarien des Regenten zu jeder Zeit Zutritt
in die ständische Versammlung, nur soll derselben Präsident Tags zuvor
davon benachrichtigt werden, damit die Vorträge mit einstweiliger Besei-
tigung anderer Geschäfte angehört werden ; sie müssen aber die Versammlung
vor der Abstimmung wieder verlassen.
§. 16. Die Repräsentanten werden von dem Regenten zusammenberufen;
ohne seine Berufung ist keine Versammlung gültig.
Sie geschieht durch Einberufungsschreiben des Regenten an die Prinzen
des Grossherzoglichen Hauses, an den Landesbischof und an die Standes-
herren; durch Signaturen des Justizministers an die Deputirten des Adels-,
Bürger- und Bauernstandes, an die Deputirten der Geistlichkeit und der
zwei Universitäten.
Die gewählten Repräsentanten legitimieren sich* bei ersagtem Justiz-
minister durch ihre Wahlscheine.
Streitige Wahlen werden von der ständischen Versammlung entschieden.
Die erste Sitzung wird jedesmal von dem Regenten selbst, oder von
dessen Stellvertreter eröffnet; die folgenden Sitzungen werden von dem Prä-
sidenten bestimmt.
§. 17. Die Versammlung wählt den Präsidenten; er muss aber aus
der Mitte derjenigen, welche Viril-Stimmen haben, und selbst gegenwärtig
sind, gewählt werden. Ist nur einer davon gegenwärtig, so ist dieser ohne
weitere Abstimmung Präsident Werden aber Alle durch Bevollmächtigte
repräsentiert, dann kann jedwelches Mitglied der Versammlung zum Präsi-
denten gewählt werden.
Die Wahl des Präsidenten muss dem Regenten zur Bestätigung vorge^
leg^ werden.
Die Versammlung wählt ferner den Secretär und das erforderliche
Kanzlei-Personale .
*) Im Concept: „auf einen besondern Stand.*'
**) Im Concept: „und aas höheren Ständen wählen, nur nicht solche, die schon von höheren
SUnden gewählt sind.'*
48
Der Präsident kann die Aufsicht über die Kanzlei einem andern über-
tragen.
§. 18. Die Mitglieder der ständischen Versammlung berathen nach ihren
besten Einsichten das Wohl des Staates im Ganzen ; sie schwören bei dem
Antritt ihrer Stellen:
«Nichts mittelbar oder unmittelbar für ihre Wahl gegeben oder
versprochen zu haben, die Landesverfassung und insbesondere das ge-
genwärtige Gonstitutivrescript, als wesentlichen Bestandtheil derselben,
zu handhaben, nichts dagegen zu handeln, für das Wohl des Staates
zu arbeiten, ohne jede andere Rücksicht, als die auf das allgemeine
Beste gerichtet ist»
Diesen Eid leisten die, welche Yirilstimmen haben, mit Ausnahme des
für sie nicht passenden ersten Absatzes, in die Hand des Kegenten, die
übrigen Deputirten aber in die Hand des Justizministers.
Jeder Repräsentant ist der gesammten ständischen Versammlung für
seine Aeusserungen, überhaupt für sein Benehmen verantwortlich, er kann
dessfalls durch zwei Drittel der Stimmen ausgestossen, auch je nach Befin-
den, der gerichtlichen Behörde zur weiteren Bestrafung übergeben werden.
An die Stelle des Ausgestossenen tritt, wenn es ein Deputirter des
grundherrlichen Adels ist, derjenige ein, der nach ihm die meisten Stim-
men hat, und wenn es ein Deputirter des Bürger- oder Bauernstandes ist,
der Districtssuppleant.
§. 19. Die Wahlen der Deputirten gelten so lange, bis der Regent an-
dere Wahlen anordnet, doch soll längstens nach einem Verlaufe von
acht Jahren eine andere Wahl eintreten.
Die ständische Versammlung dauert so lange, bis entweder die Land-
tagsgeschäfte beendigt, und sie in dieser Hinsicht von dem Regenten ver-
abschiedet wird, oder bis der Regent aus andern Bewegursachen dieselbe
vertagt, oder, unter Anordnung einer neuen Wahl, ganz auflöst.
In dem ersten Falle soll längstens nach drei Jahren, in den zwei andern
Fällen längstens nach Ablauf eines Jahres, vom Tage des Auseinandergehens
der nächst vorherigen Versammlung, eine weitere Zusammenberufung statt
haben.
Geftere Einberufungen der Repräsentanten hängen von aussergewöhn-
lichen Ereignissen, von aussergewohnlichen Bedürfnissen, und auch vom Gut-
finden des Regenten, sich in wichtigem Staatsangelegenheiten des Raths
der Landstandschaft zu bedienen, ab.
§. 20. Wenn der Fall einer neuen Wahl eintritt, können die abgehen-
den Repräsentanten wieder gewählt werden.
Diese werden sodann statt abermaliger Beeidigung auf ihren früher
abgelegten Eid verwiesen.
Bei dem Absterben eines Regenten werden diejenigen Deputirten, welche
bei dessen Lebzeiten durch die letzte Wahl erkoren worden sind, als noch
gesetzmässig bestehende angesehen.
49
§.21. Die Wahlkosten werden von den einzelnen Wahldistricten, ohne
Rückvergütung aus der Staatskasse, bestritten ; die Reisekosten za und von
dem Versammlungsort, die Kosten des Aufenthalts während der Dauer der
ständischen Versammlung werden zu dem neuen Steuer- Simplo, als Addi-
tional- Steuer geschlagen, und in diesem Wege von der Staatskasse bezahlt.
Für jeden Deputirten werden für Quartier- und Zehrungskosten 6
Gulden pro Tag hiermit bestimmt.
£ine8 der schliesslichen Geschäfte jedwolcher Versammlung soll sein,
ein Verzeichniss der Kosten mit Einschluss der Rückreise zu fertigen, und
dem Finanz-Ministerio zur Decretur auf die General Staatskasse zu übergeben.
§. 22. Die Landtagsversammlung kann zur Vorbereitung wichtiger Ge-
genstände einen Ausschuss aus ihrer Mitte bilden; derselben ist auch un-
benommen, vor dem Schluss des Landtags einen Ausschuss zu ernennen,
welcher etwa 1 Monat vor Erö&ung des künftigen Landtages zusammen-
tritt, und sich den Vorbereitungsgeschäften unterzieht.
Wird aber mit Verabschiedung der Versammlung zugleich eine neue
Wahl angeordnet, so kann aus den auseinandergehenden Deputirten kein
Ausschuss für die nächsten Vorbereitungsarbeiten ernannt werden.
Will die Landtagsversammlung Personen, die nicht Landtagsmitglieder
sind, zu ihren Berathungen beiziehen, so muss die Genehmigung der Re-
gierung von dem Landtagspräsidenten vorerst dazu eingeholt werden.
§. 23. Verordnungen und sonstige Eröffnungen des Regenten an die
Landstände gehen in der Regel durch das geeignete Ministerium.
In eben diesem Wege haben die Landstände ihre Erklärungen, Bitten
und Wünsche an den Regenten zu bringen.
Es bleibt ihnen jedoch unbenommen, in ausserordentlichen Fällen, unter
Benachrichtigung des einschlägigen Ministeriums von dem Gegenstande,
sich durch Vorstellungen, oder auch durch persönliche Abordnungen un-
mittelbar an den Regenten zu wenden.
Die nöthigen Erläuterungen in Geschäftsgegenständen haben die Land-
stände bei den Ministerialstellen, im Wege des mündlichen oder schriftlichen
Ersuchens zu erheben; unmittelbare Mittheilungen zwischen ihnen und
andern landesherrlichen Stellen finden nicht statt.
§. 24. Die Landstände haben:
L Das Recht, Steuern zu bewilligen.
II. Das Recht, zu ermessen, ob eine neue Staatsschuld zu contra-
hieren sei.
Ohne ständische Einwilligung kann keine neue Staatsschuld
contrahiert werden.
III. Das Recht, zu ermessen, ob dieser oder jener Domänenverkauf
räthlich sei oder nicht.
Ohne ständische Einwilligung sollen keine weiteren Domänen-
veräusserungen, als in so weit solche noch zur Vervollständigung des
Dotationsfonds der Amortisationskasse geschehen müssen, statthaben.
4
50
rV. Das Recht, die Rechnungen der Amortisationskasse einzusehen,
zu ermessen, ob die für dieses Scbuldentilgnngsinstitut in der
Pragmatik vom 31. August 1808 vorgeschriebenen Normen
richtig eingehalten werden, und über anscheinende Verletzungen
Erläuterungen zu verlangen.
*) V. Das Recht, That^achen anzugeben, und Vorschläge darauf zu be-
gründen, worauf entweder bestehende Gesetze ganz abzuschaffen,
oder zu modificieren, oder neue Gesetze einzuführen sein möchten.
**) VI. Das Recht, dem Regenten einzelne und allgemeine Beschwerden
vorzutragen, auch Staatsdiener wegen Malversationen und sonstiger
staatsgefährlichen ***) Untreue anzuklagen.
§. 25. ad I. Damit das landständische Recht der Steuerbewilligung
mit geeigneter Umsicht ausgeübt werden könne, soll das Staatsbedürfniss
nachgewiesen, die Deckungsmittel, ausser den directen Grund-, Häuser- und
Gewerbsteuern angegeben werden, damit die Landstäude bestimmen und
ermessen können, ob, und was an dem berechneten Bedürfniss gemindert,
und wie gross demnach der wirkliche Bedarf sei, welcher durch directe
Steuern gedeckt werden müsse.
So oft der Fall einer neuen Verwilligung eintritt, muss über die Ver-
wendung der vorher verwilligten Rechenschaft gegeben werden.
Der Fall einer neuen ständischen Deliberation über Steuerbewilligung
tritt ein:
a. wenn die Regierung eine höhere, als die letzt verwilligte Steuer
verlangt,
b. wenn die Bedürfnisse durch Einschränkung der Administrations-
kosten, durch den Heimfall von Apanagen und Pensionen, sich in
einem oder mehreren Rechnungsjahren um 60,000 fl. gegen die un-
mittelbar vorher bestandenen Bedürfnisse vermindert haben, folglich
an der vorher bewilligten Steuer eine Verminderung, die schon für
einzelne Steuerpflichtige fühlbar ist, statt haben kann.
Ohne ständische Bewilligung kann keine neue Auflage gemacht, noch
eine der bestehenden in eine andere verwandelt werden.
§. 26. ad. n. Die pragmatische Sanction über Staatsschulden vom
18. November 1808 bleibt in ihren wesentlichen Bestandtheilen unveränder-
lich; nur soweit die darinnen vorgeschriebenen Formen sich auf das Gut-
flnden und auf das Mitunterzeichnen des Justizmiuisters, auf Anhörung und
Genehmigung des Staatsraths bezieben, fallen sie bei dem Einfluss, den
Wir den Landständen auf Staatsschulden attribuieren, weg.
Der Finanzminister oder dessen Stellvertreter bringt in der Versamm-
lung der Landstände die Anleihe in Vorschlag mit bestimmter Angabe der
*) Fehlt im Concept.
••) Im Concept: V.
•••) Im Concept: „Dienotiintreiie."
51
Rechtfertignngsursache, unter Vorlegung des in dem Ministerium über die
BerathschTagung abgehaltenen Protokolls.
Die Schuldverschreibung wird von dem Regenten unterzeichnet, von
dem Finanzminister, oder dessen Stellvertreter contrasigniert, derselben wird
alsdann die landstandische Einwilligung beigefügt, und von dem jeweiligen
Präsidenten der ständischen Versammlung unterzeichnet.
Schulden, welche aus der Dispositionskasse entweder des laufenden oder
des nächstfolgenden Rechnungsjahres auf Grund des Etats des einen oder
des andern Jahres getilgt werden können und wollen, bedürfen der land-
standischen Einwilligung nicht.
§. 27. ad. IIL Zu Ablösung des Lehenverbands (Allodification) und zu
Ablösungen von Zinsen, bedarf es der landständischen Einwilligung nicht,
weil diese Ablösungsbeträge in der Pragmatik über Staatsschuldentilgung,
ohne Bestimmung einer Zeit, bis wohin, und ohne Bestimmung einer Summe,
bis zu welcher, der Amortisationskasse zugewiesen sind.
§. 28. Bei dem Einflüsse, welchen Wir den Landständen auf die Rech-
nungen der Amortisationskasse geben, fallt der Absatz 7 der Pragmatik über
Staatsschulden! ilguug vom 31. August 1808, als überflüssig, von selbst weg.
§. 29. Hiermit glauben Wir die Rechtsverhältnisse Unserer Unter-
thanen aller Classen gegen Uns und Unsere Behörden, nach Unserer Vor-
vevheissung vom 16. März d. J., gehörig gewürdigt und befestigt zu haben.
Wir finden aber, um Einigung und Zutrauen unter den verschiedenen
Classen der Unterthanen unter sicn, und gegen einander zu begründen, für
eben so wohltliätig und noth wendig, noch folgende pragmatischen Bestim-
mungen hier ' anzuknüpfen :
§. 30. a. Alle Unsere Unterthanen sind gleich vor dem Gesetz.
b. Der persönliche Stand begründet keine Ungleichheit in den
Abgaben.
c. Alle können zu allen Stellen zugelassen werden, mit Aus-
nahme der Hofstellen.
d. Alle haben gleiche Militärdienstleistungspflicht.
e. Gleich sind die Rechte der drei christlichen Confessionen.
§.31. Wir schliessen hiermit die Grundlage, worauf die künftige Staats-
verfassung ruhen, das Band , welches alle Unterthanenclassen zutraulicher
an Uns knüpfen, die Elemente, welche in den verschiedenen Classen einen,
dem Regenten und dem Staate frommenden, Gemeingeist schaffen und
pflegen PoUen.
Mögen die Folgen eben so entsprechend und gesegnet sein, so väter-
lich gut die Absicht ist, die Uns bei dieser Sanction geleitet hat.
Der zweite Entwurf, der im Sommer 1816 bearbeitet wurde und zur
Vorlage kam, war von dem Finanzrath Nebcnius verfasst. Dieser aus-
gezeichnete Staatsmann, der später in der Geschichte seines Heiraathlandes
eine so hervorragende Rolle spielte und durch seine rühmliche Thätigkeit
4«
52
bei Begründung des grossen deutschen Zollvereins, wie durch seine muster-
giltigen literaischen Arbeiten weit über die Grenzen seines Vaterlandes
hinaus bekannt und berühmt geworden ist, hatte ursprünglich juristischen
Studien obgelegen, und auch seine erste Anstellung in der juristischen
Laufbahn gefunden. Bald aber war man im Finanzministerium auf seine
grosse Begabung, seine gründlichen, staatswissenschaftlichen und volks-
wirthschaftlichen Kenntnisse aufmerksam geworden, und noch in jungen
Jahren hatte er die Stelle eines Finanzrathes erhalten. Als solcher hatte
er an den grossen und schwierigen Arbeiten der Reform der Steuergesetz-
gebung einen hervorragenden Antheil genommen. Sein Chef, Sensburg,
schenkte ihm ein unbegränztes Vertrauen und so war es natürlich, dass auch
die so wichtige Verfassungsaugelegenheit mit ihm durchgesprochen und er-
örtei*t wurde.
In welcher Weise er sodann selbst bei diesen Arbeiten mitwirkte,
darüber haben sich in seinen hinterlassenen Papieren, neben Aufschlüs-
sen, die sich aus' Briefen ergeben, eigenhändige Aufzeichnungen er-
halten, aus denen wir nachstehend das Bedeutendste mittheilen. Nachdem
der Auftrag erwähnt ist, welchen Staatsrath von Sensburg vom Orossherzog er-
halten hatte, einen Verfassungsentwurf zu bearbeiten, fährt Nebenius also fort:
«Sensburg besprach sich hierüber mit mir, ohne Vorwissen des Gross-
herzogs, und theilte mir seine Arbeit mit; da ich über deren Inhalt und
Form Bemerkungen machte, bat er mich, ihm einen Entwurf zu liefern.
Ich war hiezu bereit, wenn mir Zeit gegönnt würde, mich durch Studien
vorzubereiten, wozu ich mir, da Sensburg selbst keine Literatur besass, die
erforderlichen Hilfsmittel erst anzuschaffen hatte. Bald drängte er mich,
da der Grossherzog ihn mahnte und ich musstc in wenigen Tagen meine
Arbeit vollenden.»
Sensburg aber übergab diese Ausarbeitung dem Grossherzog als sein
Werk, ohne auch nur irgend einer Mitwirkung seines untergebenen Rathes
zu erwähnen. Es war nahe daran, dass die bedeutende und für das Land
so wichtige Arbeit dazu gedient hätte, Sensburg neue Gnaden und Aner-
kennungen zu verschaffen, und der bescheidene Nebenius hätte ohne Zweifel
diess mit angesehen, ohne seine Autorschaft geltend zu machen. Es sollte
doch anders kommen.
*Ich hatte den Entwurf, 5* erzählt Nebenius, «von dem Revisor Gerwig
in^s Reine schreiben lassen. Als dieser mir die Abschrift brachte, war
gerade von Holzing, der ältere, (Adjutant des Grossherzogs) bei mir. In
seiner Gegegenwart legte ich die Scripturen auf den Tisch, an dem wir
Sassen. Der ganze Vorgang war übrigens ohne Einfluss auf unsere Unter-
haltung geblieben. Aber sein Sperberauge mochte einiges gelesen haben,
ohne dass ich es gewahr wurde.
«Nachdem ich Herrn von Sensburg meine Arbeit übergeben hatte, bat
er mich , von der Sache mit Niemanden zu sprechen , was ich ihm zusagte.
Einige Tage später kam eines Morgens Herr von Holzing zu mir, erzählte,
53
wie 8eDsbarg dem Grossberzog einen Verfassungsentwurf übergeben habe,
den er auf dem Schreibtische des Grossherzogs habe liegen sehen. Indem
er die Handschrift des Schreibers, Ueberschrift und Eingang überblickte,
habe er sogleich gedacht, dass der Entwurf meine Arbeit sei und diess dem
Grossherzog bemerkt. Auf dessen Entgegnung, dass dies unmöglich sei,
da er dem Staatsrath von Sensburg persönlich die Arbeit aufgetragen und
strenge Geheimhaltung geboten habe, erwiederte Holzing, dass er zugegen
gewesen, als mir ein Schreiber die Abschrift des Entwurfes gebracht habe.
Auf diess bin trug ihm der Grossherzog auf, mein Manuscript abzuholen,
um sich zu überzeugen, ob er die Wahrheit rede. Ich übergab ihm das
ursprüngliche Concept, nebst früheren, durch Correcturen theilweise ver-
dorbenen Abschriften, jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, dass
er den Grossherzog in meinem Namen bitten möge, nichts von der Sache
gegen Sensburg zu äussern.
«Ich bemerkte meinem Freunde zugleich, dass ich, von Sensburg täg-
lich angetrieben, die Arbeit sehr übereilt hätte und eine bessere zu liefern
bald im Stande sein wurde. Holzing brachte mir das Manuscript bald
zurück, mit der Versicherung, dass der Grossherzog meine Bitte gewähre
und es ihm sehr lieb wäre, von der Sache unterrichtet worden zu sein.
Nach einiger Zeit erhielt ich von Staatsrath von Sensburg das nachste-
hende Billet:
Carlsruhe, 5. Juli 1816.
«Ich ersuche Sie angelcgenst, mir bestimmt zu schreiben, ob und
was Sie im Museum wegen des Entwurfs der landständischen Ver-
fassung geäussert haben. Der Grossherzog hat mich gestern Abend
darüber gefragt; aus seinen Reden und Benehmen konnte ich abstra-
hieren, dass ihm darüber manches rapportiert worden sei. Haben Sie
sich etwa gegen Herrn von Marschall oder gegen Herrn von Holzing
zu weit herausgelassen? Das wäre mir, besonders in dieser Sache, die
ohnehin mit Leidenschaft betrieben zu werden beginnt, äusserst unan-
genehm; ich will aber von der Feierlichkeit Ihrer Verheissungen immer
noch das Beste hofifen.
Ihr Freund von Herzen
Sensburg. >
«Die erste Frage musste ich für eine Finte halten, da es mir nicht
eingefallen war, im Museum von der Verfassungsangelegenheit auch nur im
Allgemeinen zu sprechen. Aber ich vermuthete, dass vielleicht der Gross-
herzog ein Wort habe fallen lassen, das Sensburg zu seiner Anfrage hatte
veranlassen können. Ich sandte daher das Billet sogleich an Holzing mit
erneuerter Bitte, dafür zu sorgen, dass ich Sensburg gegenüber nicht com-
promittiert würde. Holzing antwortete:
54
Oos, 7. Juli 1816.
«Lieber, theurer Freund!
Ich habe Deinen lieben Brief gestern Abend noch dem Herrn, nebst
Inlage, vorgezeigt; dieser Schritt war der Folgen halber nöthig.
Indem ich Dir den Uriasbrief zurücksende, bin ich von Seiten des
gnädigsten Herrn beauftragt. Dir zu versichern, dass liöchstderselbo
nichts zu Sensburg sagte, was Dich compromittiren könnte und die
ganze Sache ist, wie Du ganz richtig vermuthest. eine Finte. Ant-
worte ihm mit dem Gefühl des rechtlichen Mannes, der seine Pflicht
nie überschritten hat.
Mit Hand und Herz
Dein treuer Freund und Bruder
Holzing.»
«Später sagte mir Holzing, der Grossherzog habe Sensburg gefragt,
ob er über den Entwurf nicht mit seinen vertrauten Käthen gesprochen,
und als Sensburg diess im allgemeinen verneint, weiter fragend ausgerufen :
«Doch wohl mit Nebenius, dem Sie besonders vertrauen?» ««Mit dem
am allerwenigsten!»» habe nun Sensburg erwiedert, der Grossherzog
aber hierauf sich in einer Weise ausgesprochen, welche die Besorgniss Sens-
burgs, der Grossherzog sei von der Sache unterrichtet, erregt haben mochte.»
Die Antwort, welche Nebenius seinem Chef gegeben, ist leider nicht
erhalten. Von Einfluss auf den weiteren Verlauf der Arbeiten war übri-
gens dieser Vorgang zunächst nicht. Officiell blieb Sensburg der Verfasser
auch des zweiten Entwurfes. Der Grossherzog fand, wie es scheint, nicht
den Entschluss, die Täuschung, die sich Sensburg ihm gegenüber erlaubt
hatte, zu ahnden. Zur Entlassung des vielfach brauchbaren Mannes, die
doch wohl hätte erfolgen müssen, wenn die Angelegenheit weiter erörtert
worden wäre, war allerdings auch die sonstige Lage der Dinge .nicht ge-
eignet. Der zerrüttete Zustand der Finanzen, die völlige Desorganisation
des ganzen staatlichen Mechanismus machte einen badischen Ministerposten
gerade damals keineswegs zu einem wünschenswerthen Ziele. In diesem und
dem folgenden Jahre , haben verschiedene Personen den Eintritt in das
Ministerium mit aller Entschiedenheit abgelehnt.
Der Nebenius'sche Entwurf gieng von ganz andern Grundlagen aus,
als alle bisherigen Entwürfe, indem er die Steuercapitalien als Massstab
für die Eintheilung des Landes in Wahlbezirke und die Stärke der Ver-
tretung anlegte. Wie Sensburg, adoptierte auch er das Einkammersystem,
aber in ganz anderem Geiste stellte sein Entwurf die Rechte der Landes-
vertretung fest. Dieser Entwurf, der vierte in der Reihe der seit 1814 ent-
standenen, enthält schon eine ganze Reihe von Bestimmungen, die später in
die noch heute geltende Verfassungs-Urkunde Aufnahme gefunden haben.
55
Auch durch seine Form und Sprache zeichnet er sich vor allen früheren
vortheilhaft aus.
Staatsrath v. Sensburg war iudess, so sehr er die hervorragende Be-
deutung dieser Arbeit zu würdigen wusste, (was er am deutlichsten dadurch
bewies, dass er sich selbst die Autorschaft aneignete) doch mit sehr vielen
Einzelheiten dieses Entwurfes nicht einverstanden ; er unterzog ihn zunächst
selbst einer zweiten Redaction, und legte ihn am 4. Juli 1816, nebsts einem
ersten Entwurf (s. oben III. Entwurf) einer neuen Co^nmission vor, deren
Mitglieder ausser ihm selbst noch die Staatsrätho Eichrodt und Guignard
waren. Diese hinwiederum nahmen, unter Verwerfung des ersten Seus-
burgbchen Entwurfes, den zweiten, der falschlich unter Sensburgs Namen
gieng, also den durch Sensburg überarbeiteten Nebenius'schen Entwurf an,
jedoch nicht ohne auch ihrerseits in seine freisinnigen Tendenzen mehrfache
Lücken zu brechen.
Ein glücklicher Zufall hat gewollt, dass dieser Entwurf in seiner ersten
Redactiou, d. h. in der ursprünglichen Fassung, die ihm Nebenius gegeben,
in der zweiten Redactiou, deren Aenderungeu von Sensburg herrühren und
endlich in einer letzten Fassung, die ihm die Commission vom 4. Juli gab,
erhalten ist.
Der nachfolgende Abdruck ist die zweite Redactiou, wie sie jener Com-
miiision vorgelegt wurde; in den Noten ist mit Petitschrift der abweichende
Wortlaut der 1. Redactiou, mit Cursivschrift die letzte Fassung mitgetheilt.
IV. Entwurf.
Wir Carl etc. etc.
Zum Vollzug der Unsern lieben und getreuen Unterthanen er-
theilten landesherrlichen Zusicherung, Unserm Grossherzog th um eine
landständische Verfassung zu geben, verordnen Wir, wie folgt:
Erstes Capitel.
Von der Bildung der Landstände.
Art. 1. Zusammensetzung der Stände.
Die Landstände bestehen: *)
1 . Aus den Prinzen Unseres Hauses, in so weit sie zugleich Standes-
herrn sind.
•) 1. Bodaetion:
1. Ans dba volljährigen Prinzen Unsere« Hftnset nnd den H&upiern der standeshrrrlichun
Familien, nach don untenfolgenden n&heren Betftimmnngen,
3. aus dem katholischen LandoKbischof nnd don Depntirten der Geistlichkeit,
3. ans den Depntirten der Qrnndherrn,
4. ans don Depntirton der ftbrigen unterthanen.
5. Wie 7 der 2. Redaction.
56
2. aus dem katholischen Landesbischof,
3. aus den Häuptern der übrigen stand esherrlicheu Familien,
4. aus den Deputirten der Grundherrn,
5 aus den Deputirten der Geistlichkeit,
H. aus den Deputirten der übrigen Unterthanen,
7. aus den Ständegliedern, die Wir Uns, unter den in Art. 2 ent-
haltenen Beschränkungen, zu ernennen vorbehalten. *)
Art 2. Stimmenzahl und Stimmenvertheilung.
Das der directen Besteuerung unterworfene Vermögen und Einkommen
bildet, wie die Anlage lit. A ausweist, die Grundlage der Stiramenver-
theiluDg unter die weltliehen Stände. Indem wir aber den Standes- und
Grundherrn, im Rückblick auf ihre frühem Verhältnisse, die Theilnahme an
der Laudstaud Schaft in erhöhtem Masse sichern wollten, haben Wir die
Stimmeuzahl festgesetzt, wie folgt: **)
1. Die Standesherm, mit Einschluss der Prinzen des Hauses in ihrer
standesherrlichen Eigenschaft ***), führen nach der Anlage lit. B.
sechs Stimmen;
2. sämmtliche Grundherrn des Landes ernennen nach lit. C. fünf
Deputirte ;
3. die Zahl der bürgerlichen Deputirten wird auf 41 bestimmt.
Der Geistlichkeit der 3 Confessionen kommen, ausser dem katho-
lischen Landesbischof, 3 Stimmen zu. f)
f t) I^iö Zahl der von Uns zu ernennenden Ständeglieder f f f) ^o\\ das
Verhältniss, in welchem das Steuerkapital Unserer Domänen zu jenem der
Standes- und Grundherrn steht, und nach welchem die Stimmenzahl der-
selben bemessen worden, nie überschreiten.
*) In der leUten Fattung fiel Nr. 1 tpeg, Nr. 2 — 7 sind alto dort 1—6.
*•) Bemorkang ron Nebenias: Verhältnis« des grund- und ntandesherrltchen Steuorcapital»
zum ftbrigen wie 3: 4. Grossherzogliches DomänencspiUl stärker als sämmtliche Standes- und
grandherrlichen Capitale.
Die Standesherrn erhalten aaf 4 Millionen Steuorcapital 1 Stimme,
die Omndherrn „ „ 5 „ „ n n
die ftbrigon Unterthanen „ 6 „ „ «> n
***) MU Ein9cMu99 — Eigenschaft fällt in der UlileH Fassung weg.
t) 1. Redkction: 4 Stimmen.
tt) Hier beginnt in der letzten Fassung Art. 3.
H't) 1* Bedaotion: soll das Verhältniss nie ftberschreiten , das dnrch das Steaercapital Unserer
Domänen nnd Domänengefälle, die Steaercapitalien der Standes- und ürnndherren und die Samme
der den letztem in der Ständerersammlnng zustehenden Stimmen gegeben ist. Aach werden in
jene Zahl die den Prinzen Unseres Uanses als solchen bewilligten Stimmen mit eingerechnet, inso-
weit sie nicht schon vermöge ihrer Standesherrschaft stimmberechtigt wären.
57
Art. 3. Landstandschaft der Prinzen des Hauses.
*) Die Prinzen Unseres Hauses sind nur in so weit Landstände, als sie zu-
gleich Standesherm sind. Während ihrer Minderjährigkeit geniessen sie, in
Ansehung der auf ihrer Standesherrschaft ruhenden Stimme, gleicher Rechte
mit den übrigen Standesherrn. **)
Art. 4. ***) Landstandschaft des katholischen Landesbischofs.
Der jeweilige Landesbischof ist vermöge seiner geistlichen Würde
Mitglied der Ständeversammlung. In dessen Ermangelung fahrt der General-
vicar die bischöfliche Stimme.
Art. 5. Landstandschaft der Standesherm.
Das Stimmrecht der Standesherm ist erblich und wird von dem jewei-
ligen Familienhaupt ausgeübt, f ) Denjenigen Standesherm, die zusammen
nur eine Guriatetimme zu führen haben, steht es frei, sich entweder wegen
Aufstellung eines Bevollmächtigten, nach den im Art. 35 gegebenen Be-
stimmungen, zu vereinigen, oder in einer durch das Loos zu bestimmenden
Ordnung von einem Landtag zum andern zu alternieren.
Während der Mindeijährigkeit eines Standesherm haben dessen Vor-
münder für die Aufstellung eines Bevollmächtigten zu sorgen, der die im
Art 35 dieser Verordnung bestimmten Eigenschaften - besitzen muss.
Art. 6. Ernennung der Deputirten im Allgemeinen.
Die Deputirten der Grundherrn, der Geistlichkeit und des Bürger-
standes werden von den wahlberechtigten Personen aus der Zahl der Wähl-
baren durch relative Stimmenmehrheit mittelst geheimer Abstimmung gewählt.
Wenn für den ernannten Deputirten nicht wenigstens ein Sechstel aller
abgegebenen Stimmen gefallen ist, so ordnet die mit Aufnahme der Stimmen
beauftragte Behörde eine zweite Wahl an, nach deren Vollzug auf dieses
Verhältniss nicht weiter Rücksicht genommen wird. Bei gleicher Stimmen-
zahl entscheidet das Loos, zu dessen Ziehung sogleich nach Eröffnung der
*) 1. Bedaction: Die Prinzen Unseres Hannes, die zugleich SUndeöherm sind, f&hren nach
erlangter Vollj&hrigkeii, nor in erster Eigenschaft, jeder eine Stimme.
**) DiMer Art ßtl in der UImUh Fassung weg.
***) 1. KedacUon: Art. 4 = Art. 5 der 2. Redaction. Art. 5 = Art 4 der 2. Redaotion.
t) IHe 1. Uedaction hat folgenden Zusatz : Die Erhebung adelicher Familien in den Stand der
Standesherm behalten Wir Uns eben so bevor, wie die Bewilligung nener standesherrlicher Stimmen,
nach VerhAltnisB der Erweitemng der standesherrlichen Besitzungen.
58
Abstimmungs-Zettel geschritten wird, indem dieselbe Behörde für die Be-
theiligten, welche abwesend sind, Bevollmächtigte aufstellt.
Jeder Wahlberechtigte, welcher innerhalb des festgesetzten Termins
seine Stimme nicht abglebt, wird dafür angesehen, dass er auf sein Stimm-
recht für den einzelnen Fall verzichtet habe.
Für jeden zu ernennenden Deputirten ist zugleich ein Nachmann vor-
zuschlagen.
Die Abstimmung geschieht durch Uebergabe eines, in Briefform zusam-
mengelegten versiegelten Zettels, der den Namen, Stand und Wohnort des
Deputirten und des vorgeschlagenen Nachmanns enthalten und mit einem
Umschlag versehen sein muss. Dem letztern hat jeder Votant auf der
Aussenseite seine eigenhändige Namensaufschrift beizusetzen, und die Grund-
herrn und Dekane hoben noch insbesondere den Umschlag ihres Abstim-
mungszettels mit ihrem eigenen Siegel und resp. Petschaft zu verschliessen.
Wenn derjenige, welcher die relative Stimmenmehrheit erhalten hat,
die gesetzlichen Eigenschaften nicht besitzt, oder verliert, die Stelle eines
Deputirten ausschlägt, oder stirbt, oder endlich von einem andern Bezirk
mit einer grössern Stimmenzahl als Deputirter ernannt würde, so tritt der-
jenige an seine Stelle, der unter sämmtlichen übrigen vorgeschlagenen
Deputirten und Nachmännern die meisten Stimmen erhalten hat und wähl-
bar ist.
Die Stimmen, die für die nemliche Person als Deputirten und Nach-
mann gefallen sind, werden alsdann bei Berechnung der relativen Stimmen-
mehrheit zusammengezählt. Wenn in diesem Falle keiner der Vorgeschla-
genen ein Sechstel sämmtlicher gefallenen Stimmen für sich hat, so ordnet
die mit Bekanntmachung der Wahlen beauftragte Behörde einen neue
Wahl an.
Art. 7. Anordnung und Leitung der Dejjutirtenwahlen
und Bekanntmachung der Resultate derselben.
Die Wahlen der Deputirten werden von Uns angeordnet und von
Unserm Ministerium des Innern^ theils unmittelbar, *) theils durch die Kreis-
directorien und Aemter geleitet. Die Abstimmungstermine für die Grund-
herrn und Decane werden von demselben durch das Regierungsblatt bekannt
gemacht.
Diejenigen Unterbehörden, welche mit Aufnahme der Abstimmungen
zum Zweck der Deputii-tenwahl beauftragt sind, haben an dasselbe die Wahl-
protokolle, mit sämmtlichen Votis und den zu erhebenden Nachweisungen
über die gesetzlichen Eigenschaften der gewählten Deputirten, einzusenden.
•) Letzte Äenderung: iheih von Unsenr für landstau dische Angelegetihftten überhaupt tmannten
HofcommiS9ion.
r
59
Wenn die Wählbarkeit der letztern keinem Anstände unterliegt, so
macht Unser Ministerium des Innern *) die gotroflfene Wahl durch das
Regierungsblatt bekannt.
Im entgegengesetzten Falle sind dem nicht gehörig qualificierten Ge-
wählten die gesetzlichen Mängel zu eröffnen, und, wenn derselbe nicht
widerspricht, nach den am Schlüsse des vorhergehenden Artikels enthaltenen
Bestimmungen, das ihm in der Stimmenzahl zunächst stehende, wählbare
Individuum in die Liste der Deputirten zu tragen, oder nöthigenfalls eine
weitere Wahl anzuordnen.
Erfolgt von Seiten des ernannten Deputirten, dessen Wählbarkeit in
Zweifel gezogen wurde, ein Widerspruch, so behalten Wir uns die Ent-
scheidung nach den in gegenwärtiger Verordnung gegebenen Bestimmungen
bevor, werden aber der Ständeversammlung darüber die nöthigen Mit-
theilungen machen.
Art. 8. Stimmrecht und Wählbarkeit im Allgemeinen.
1. Das Staatsbürgerrecht ist die erste Bedingung der Stimmfähigkeit
und Wählbarkeit.
2. Wer bei der Wahl der Grundherrn und der Geistlichkeit stimmfähig
oder wählbar ist, kann weder bei der Wahl der bürgerlichen Wahlmänner
ein Stimmrecht ausüben, noch als Wähler oder Deputirter des Bürgerstandes
gewählt werden.
Adeliche Staatsbürger, welche nicht einer grundherrlichen Familie an-
gehören, die bei der Wahl der grundherrlichen Deputirten ein Stimmrecht
auszuüben hat, sind bei der Wahl der bürgerlichen Deputirten stimmbe-
rechtigt und wählbar. «
3. Alle Diejenigen, welche in landesherrlichen, standesherrlichen oder
grundherrlichen Diensten stehen, oder aus landes-, Standes- oder grund-
herrlichen Gassen einen Ruhegehalt oder eine Pension beziehen, oder aus Unsern
Diensten ohne eigenes Nachsuchen entlassen worden sind, können weder
von den Grundherrn, noch von dem Bürgerstand als Deputirte oder resp.
Wahlmänner ei*wählt werden. Von Ausübung des Stimmrechts sind sie
aber desshalb nicht ausgeschlossen.
4. Absolut stimmunfahig sind alle Diejenigen, gegen welche eine Criminal-
strafe erkannt worden, oder die in eine Criminaluntersuchung verflochten,
oder für mundtodt erklärt worden sind.
5. Als Deputirte und resp. als Wahlmänner können auch nicht erwählt
werden alle Diejenigen, welche in Gant gerathen sind, oder denen die
eigene Vermögensadministration abgenommen worden ist.
*) L§tite Aindtrung: Vn8€r$ Ho/commi$9ion.
60
Art. 9 Wahl der geistlichen Deputirten insbesondere.
Die protestantische Geistlichkeit wählt zwei, einen lutherischen und
einen reformierten *) und, die katholische einen Deputirten zur Stände-
versammlung.
Wahlberechtigt sind sämmtliche Decane; die lutherischen Decane des
ganzen Landes wählen den lutherischen, die reformierten Decane und In-
ßtructoren wählen den reformierten Deputirten; **) sämmtliche katholische
Decane den Deputirten der katholischen Geistlichkeit.
Wählbar sind alle Geistlichen, die ein Pfarramt begleiten. ***) Die
wahlberechtigten Decane schicken innerhalb des von ünserm Ministerium
des Innern durch das Regierungsblatt bekannt zu machenden Termins ihre
Vota schriftlich an das betreflfende Kirchen-Departement ein. Die Direc-
toren der betreffenden Kirchendepartements haben in der ersten Sitzung nach
Ablauf des Termins in vollem Rathe die eingekommenen Vota zu eröffnen
und die relative Stimmenmehrheit zu erheben. Das über diese Handlung
aufzunehmende Protokoll ist, mit sämmtlichen Abstimmungszetteln und deren
Umschlägen, an das Plenum Unseres Ministerii des Innern einzusenden.
Art. 10. Wahl der grundherrlichen Deputirten.
Stimrafähigkeit.
Stimmfähig sind sämmtliche adelichen Besitzer von Grundherrschaften,
die das 25. Lebensjahr zurückgelegt und im I^ande ihren Wohnsitz haben.
Zeitlich abwesende sind berechtigt zur Abgabe ihrer Stimme einen
Bevollmächtigten aufzustellen.
Wenn eine grundherrliche Familie ihre Güter in ungetheilter Gemein-
schaft besitzt, so kommt derselben nur eine Wahlstimme zu, welche der
Familienälteste und bei dessen Verhinderung der im Alter zunächst fol-
gende führt.
Durch künftige Güterabtheilungen können ohne Unsere Einwilligung
die Wahlstimmen nicht vermehrt werden.
Der Besitz mehrerer Grundherrschaften giebt kein Recht auf mehr als
eine Stimme.
Wenn es zweifelhaft ist, ob eine adeliche Besitzung unter die Grund-
herrschaften zu zählen sei, oder überhaupt das Stimmrecht streitig wird, so
entscheidet darüber f) die für Landtagsgegenstände überhaupt von Uns er-
*) „einen Intherischen und einen reformierten" fehlt in der 1. Bedaotion.
**) 1. Redaction. Die prote!«taDti«cheo Decane des Denan-, Dreisani- nnd Kiniig-Kreises w&hlen
den einen nnd die des Pflnz- und Enz-, Ileokar- und Main- nnd Tauber-Kreises w&lilen den andern
Deputirten der protestantischen nnd ....
***) Leiste Aenderung: Die wahlberechtigten D€can$ schicket*^ innerhalb des ton Unserer Hof com-
mi»9ion durch das Regierungsblatt bekannt eu nuichenenden Termins^ ihre Vota an gedachte Ho/com-
mission sin.
Die Eröffnung der Abstimmungstettel geschieht 9on Unserer Hofcommission^ im Beisein zweier
Decane^ eines protestantiichsn nnd eines katholischent als Urknndspersonen.
t) 1* Kedaction. Unser Ministerium des Inuern.
61
nanote Specialhofcommission ; welche Entscheidung jedoch nur für diesen
Fall gültig ist, vorbehaltlich der definitiven Erledigung der dessfalsigen
Reclamationen in den geeigneten Wegen.
Art. 11. Wahl der Grundherren. Wählbarkeit.
Wählbar sind alle im Lande wohnende Grundherren, welche das 30.
Lebensjahr zurückgelegt haben und durch die Bestimmungen des Art. 8
nicht ausgeschlossen sind. Wählbar sind auch die jüngeren, nicht stimmbe-
rechtigten Glieder einer solchen grundherrlichen Familie, deren Stimmrecht
der Familienälteste ausübt, insofern sie nur im übrigen die erforderlichen
Eigenschaften besitzen.
Art. 12. Grundherrenwahl. Wahlbezirke.
Zur Erleichterung des Wahlgeschäfts ist das Grossherzogthum nach
der Beilage C. in fünf Bezirke eingetheilt. Grundherren, welche in meh-
reren Bezirken Herrschaften besitzen, gehören ausschlieslich demjenigen
Bezirk an, wo der grössere Theil ihrer steuerbaren Geßllle und Güter ge-
legen ist.
Auf dem Umschlag des Abstimmung-Zettels muss der Wahlbezirk
genannt werden.
Art. 13. Grundherrenwahl. Wahlhandlung.
Jeder der obgedachten Districte wählt einen Deputirten. Die Ab-
stimmung muss innerhalb des festgesetzten Termins mittelst Einsendung
der Abstimmungs-Zettel an Unser Ministerium des Innern *) erfolgen, welches
über die erfolgte Abgabe des Votums eine Bescheinigung auszustellen hat.
Art. 14. Grundherrenwahl. Eröffnung der Abstimmungs-Zettel
Nach Verlauf des Abstimmungstermins werden verspätete Eingaben
nicht mehr angenommen und sogleich zur Eröffnung der eingekommenon
Vota, nach Anleitung der im Art. 6 gegebenen Vorschriften, geschritten.
Die Eröffnung der für jeden District besonders zu sammelnden Abstim -
roungs- Zettel geschieht von Unserm Ministerium des Innern **) im
Beisein zweier, von Uns aus der Zahl der Grundherrn zu ernennenden
Urknndspersonen.
*) LtiäU Aindernng: Unnre HofcommUaion,
**) 1. Bedaciion: von Unserem Miniiiieriuin des Innern in roller Sitzung, der die Vorstände der
bbrigen Ministerien and zwei weitere, Ton Uns ans der Zahl der Omndhorren xn ernennende ürkands-
pernonen beiwohnen. Diese letzteren können zn diesem Act Bevollmächtigte ernennen. Wenn sie
weder in Person noch durch Bevollmächtigte erscheinen, so ernennt Unser llinisterinm des Innern
Ton Amtswegen ihr Stellrertreter ans der Zahl der wahlfähigen Grandherren.
L$ImU Aendernng: Unserer Bcifcommiision,
62
Ueber diese Handlung ist ein, die einzelnen Abstimmungen enthal-
tendes Protokoll aufzunehmen und von sämmtlichen Anwesenden zu unter-
schreiben. *)
Art. 15. Wahl des Bürgerstandes insbesondei^e.
Die Landesdeputirten werden von erwählten Wahlmännern nach fol-
genden Bestimmungen ernannt:
Art. 16. Eintheilung der Wahlbezirke.
Das Grossherzogthum ist nach der Beilage D. in 41 Wahlbezirke ein-
getheilt, deren jeder einen Deputirten zu wählen hat.
Art. 17. Eintheilung der Wahldistricte.
Die Wahlbezirke werden in Wahldistricte eingetheilt, deren joder je
für volle 800,000 fl. **) SteuercapitaJ einen Wahlmann zu ernennen hat.
Jeder Ort mit eigenem Gericht, der ein Steuercapital ***) von 800,000 fl.
besitzt, bildet einen Wahldistrict.
Orte, deren Steuercapital diese Summe nicht erreicht, werden mit be-
nachbarten kleinern Orten in einen Wahldistrict vereinigt.
Grössere Städte können, zur Erleichterung des Wahlgeschäfts, nach
Quartieren in mehrere Wahldistricte abgetheilt werden, auf welche sodann
die Zahl der zu ernennden Wahlmänner nach dem ohngefahrcn Verhältniss
des Häusersteuercapitals zu repartieren ist. Die mit der Leitung der Wahlen
beauftragten Acmter haben nach diesen Grundsätzen die Wahldistricte zu
bestimmen.
Art. 18. Wahl der Wahlmänner. Stimm recht und Wäh Ibarkcit.
Stimmberechtigt sind alle Staatsbürger, die das 25. Lebensjahr zurück-
gelegt haben, f) im Wahldistrict wohnen, eine directe Steuer bezahlen und
durch Art. 8 im Allgemeinen nicht ausgeschlossen sind.
Militärpersonen, die sich in ihrem Heimathsorte in Urlaub befinden,
sind stimmfähig, wenn sie sonst die erforderlichen Eigenschaften besitzen.
Wählbar sind alle stimmberechtigten Staatsbürger, welche im Wahl-
orte selbst oder in einem zum Wahldistrict gehörigen Orte angesessen sind,
ein Steuercapital von 6000 fl. besitzen, und durch Art 8 nicht für unwähl-
bar erklärt worden sind.
*) Die 1. Bedaetion liat folgenden ZnsaU zu Art. 14: „Wir behalten Uns Tor, aosgozeichneto,
Unf und dem Staate geleistete Dienste durch Erhebang in den Qrandherrenstand mit der Wirkung
der Stimm- und W&hlbarkeit tu belohnen.**
**) l. Bedaetion: für 1 MiUlon.
***) 1. Bedaetion ron unter 800,000, aber ron wenigstens 500,000 fl.
^) 1. Bedaetion: nicht in fremdem Dienst stehen ^ in dem Wahldistrict ansässig und. dnrch
Artikel 8. . . .
r
63
Art. 19. Anordnung und Leitung der Wahl.
Die Aemter haben auf die, von Unscrm Ministerium des Innern *)
ergehende Weisung die Wahl der Wahlmänner anzuordnen.
Die Leitung der Wahl steht dem ersten Ortsvorgesetzten und, wenn
mehrere Orte einen Wahldistrict bilden, dem Vorgesetzten der grössten
Gemeinde zu. Die zwei ältesten Gerichtspersonen des Districts und der
Gerichtsschreiber des Ortes, wo die Wahl abgehalten wird, bilden mit dem
Ortsvorgesetzten die Wahlcommission.
Art. 20. Wahlhandlung.
Zur Abstimmung ist in jedem Wahldistrict ein Termin von 3 Tagen
anzuberaumen, nach dessen Ablauf Niemand mehr zur Stimmgebung zuge-
gelassen werden darf.
Jeder Stimmende hat so viele Wahlmänner in Vorschlag zu bringen,
als der District zu wählen berechtigt ist. Morgens von 8 bis 12 Uhr und
Nachmittags vcn 2 bis 5 Uhr müssen die Gemeindezimmer offen stehen,
die Wahlcommission gegenwärtig sein, und die Generalsteuerkataster zur
beliebigen Einsicht der Stimmenden auf dem Tische liegen.
Jeder Stimmberechtigte, der sein Stimmrecht ausüben will, muss per-
sönlich erscheinen, und selbst solche Personen, die daran verhindert sind,
werden zur Abstimmung durch Bevollmächtigte nicht zugelassen.
Die Abstimmung geschieht, indem der Votant in das zu eröffnende
Register den Namen des in Vorschlag gebrachten Wahlmannes einträgt und
seine Namensunterschrift am geeigneten Orte beifügt. Diejenigen, die nicht
schreiben können, geben ihr Votum mündlich ab. Der Gerichtsschreiber
besorgt den Eintrag in das Register in Gegenwart des Stimmenden, und be-
merkt darüber das Erforderliche im Protokoll.
Streitigkeiten über die Stimmfähigkeit erledigt die Wahlcommission,
deren Entscheidung jedoch nur für den einzelnen Fall gültig ist
Nach Ablauf ded Abstimmungstermins werden die Protokolle geschlossen,
und nach erfolgter Abzahlung der Stimmen derjenige vor versammelter
Gemeinde als Wahlmann ausgerufen, der die relative Stimmenmehrheit er-
halten hat und nach dem Art. 18 **) wählbar ist. Die Annahme des Wahl-
amts kann von keinem Staatsbürger ohne hinlängliche Ursache, als Abwesen-
heit, Krankheit etc. verweigert werden.
Ist Dei;jenige, welcher die meisten Stimmen erhalten, nicht wählbar,
so tritt der, nach der Stimmenzahl, ihm zunächst stehende Wählbare als
Wahlmann ein.
*) Lehtt Aendfirting: Unnertr Hofcomminsiov»
**) 1. Bedtciion: nach dorn 6ej<ett.
64
Sind für Mehrere gleichviel Stimmen gefallen, so entscheidet unter
diesen das Loos, dessen Ziehung die Wahlcommission anordnet, indem sie
die Betheiligten dazu einladet, und für die Abwesenden Bevollmächtigte
aufstellt
Wenn ein Wahldlstrict mehrere Wahlmänner zu ernennen Hat, so sind
Diejenigen als ernannt zu betrachten, die unter allen vorgeschlagenen Indi-
viduen die meisten Stimmen erhalten haben; im Uebrigen ist das Verfahren
ganz dasselbe, wie oben.
Die Einsicht der Wahlprotokolle ist jedem Stimmberechtigten auf Ver-
langen zu gestatten.
Nach geschlossener Wahlhandlung werden die Wahlregister, mit den
Wahl- und Publikationsprotokollen und mit den betreffenden Auszügen
aus dem Generalkataster und den Taufscheinen der Gewählten *) an das
Amt eingesendet.
lieber streitige Wahlen hat das Amt zu erkennen, welches eine zweite
Wahl anordnet, wenn die erste nicht vorschriftmässig vorgenommen wurde,
und das Versäumte nicht durch besondere Verfügungen ergänzt werden kann.
Das Amt hat auch die Richtigkeit der aus den Wahlprotokollen ge-
zogenen Resultate zu prüfen, und eine zweite Publikation anzuordnen, wenn
die relative Stimmenmehrheit unrichtig gesucht, oder ein nach dem Gesetz
nicht wählbares Individuum als Wahlmann ausgerufen wurde, oder der ge-
setzmässig Erwählte die Annahme des Wahlamts aus hinlänglichen Gründen
ausschlägt, in welchen beiden letztem Fällen der in der Stimmenzahl zunächst
stehende zu ernennen ist.
Jedes Amt, das einem Wahlbezirke angehört, der von einem andern
Amte seinen Namen erhalten, übersendet an letzteres, sogleich nach voll-
zogener Wahl, ein Verzeichniss, das Namen und Wohnort der Wahlmänner
enthält.
Art. 21. Wahl der bürgerlichen Deputirten. Wahlcommission.
Der erste Beamte des Amtsbezirks, nach dem der Wahlbezirk benannt
wird, hat auf die, von Unserm Ministerium erhaltene Weisung, die Depu-
tirtenwahl anzuordnen und zu leiten.
Derselbe bildet mit den ersten Beamten der übrigen, zum Wahl-
bezirk gehörigen Aemi«r die Wahlcommission. Der Amtsrevisor führt das
Protokoll.
Art. 22. Stimmrecht und Wählbarkeit«
Sämmtliche, in den einzelnen zu einem Wahlbezirke gehörigen Wahl-
districten erwählte Wahlmänner haben, nach den, in Art. 6 enthaltenen
allgemeinen Bestimmungen, einen Deputirten zu wählen. Wählbar sind, ohne
Rücksicht auf Wohnort, alle Staatsbürger, welche bei der Ernennung der
*) 1. Bedaction: mit Abichriften »ns den Sienenetteln und Taufscheinen der Oew&hlten.
65
Wahlmänner stimmberechtigt sind, das 30. Lebensjahr zurückgelegt haben,
ein Steuercapital von wenigstens 20,000 fl. *) besitzen und durch den Art 8
dieser Verordnung nicht ausgeschlossen sind.
Art. 23. EinberufungderWahlmänner, zur Wahl derDeputirten.
Der die Wahl leitende Beamte hat die Wahlmänner seines Amtsbezir-
kes, sowie die des übrigen Wahlbezirks, und zwar letztere mittels Requi-
sition der betreffenden Aemter, zur Vornahme der Deputirten-Wahl auf
^inen bestimmten Tag schriftlich einzuladen.
Die Wahlmänner sind verbunden einen Insinuationsschein über die an
sie ergangene Einladung sogleich beim Empfang derselben auszustellen.
Art. 24. Vornahme der Depntirtenwahl.
Kein Wahlmann kann seine Stimme einem Andern übertragen, sondern
jeder muss persönlich erscheinen. Es kann nur dann zur Wahl geschritten
werden, wenn wenigstens 2 Drittel der Wahlmänner gegenwärtig sind.
Wenn auf den festgesetzten Wahltag mehr als ein Drittheil **) sämmt-
licher Wahlmänner des Bezirkes ausbleiben, so haben die Ausbleibenden, die
nicht durch wichtige ***) Hindernisse zu erscheinen abgehalten waren, die
Kosten der Einberufung und Versammlung zu tragen, und die Wahlcommission
einen zweiten Tag auszuschreiben, an welchem, ohne Rücksicht auf die Zahl
der Erscheinenden, sodann zur Wahl geschritten wird.
Zur Eröffnung der Wahlhandlung hat die Wahlcommission die gesetz-
lichen Eigenschaften eines Deputirten, nach den Art. 8 und 22 dieser Ver-
ordnung, im Allgemeinen aus einander zu setzen, sie darf sich jedoch auf
keine Weise erlauben, Jemand in Vorschlag zu bringen, oder auch nur f)
die Aufmerksamkeit der Wahlmänner auf irgend ein Individuum zu leiten.
Es ist den Wählern gestattet, abzutreten, um, wenn sie es für gut
finden, sich vor der Stimmgebung unter einander zu besprechen.
Jeder Wahlmann hat sodann sein schriftliches Votum, nach Vorschrift
des Art 6, persönlich zu übergeben.
Ohne Unterbrechung der Handlung werden von der Commission in
Gegenwart der Wahlmänner die Wahlzettel aus den Umschlägen heraus-
genommen und in eine Kapsel geworfen.
Die Eröfihung der Wahlzettel geschieht gleichfalls in einem ununter-
brochenen Acte und in Gegenwart der Wahlmänner.
*) 1. BodACtion: 10,000 fl.
**) 1. BedftCtion: 1 Vierthoil.
***) 1. Bedaction: Unftbersteigliche.
t) 1. lUdaetioii: darcli leise Andentangen.
66
Die Wahl ist ungültig, und es muss zu einer zweiten geschritten werden,
wenn sich entweder mehr oder weniger Stimmzettel vorfinden, als Wahl-
männer gegenwärtig sind.
Sämmtliche Commissionsglieder und Wahlmänner haben das Wahl-
protokoll zu unterschreiben. Wenn der Gewählte im Wahlbezirke wohnhaft
ist, 80 hat der mit der Leitung der Wahl beauftragte Beamte die erforder-
lichen Nachweisnngen über die Wählbarkeit desselben, als: Auszug aus dem
Steuercataster, Altersschein etc. zu erheben, und sodann das Protokoll mit
den erhobenen Nachweisungen an das Kreisdirectorium einzusenden.
Dieses letztere hat die nöthigen Beurkundungen der Wählbarkeit
mittels Requisition der betreffenden Localbehörden erheben zu lassen, wenn
der gewählte Deputirte nicht im Wahlbezirke wohnhaft ist.
Wenn das Kreisdirectorium findet, dass Derjenige, welcher die relative
Stimmenmehrheit hat, die gesetzlichen Eigenschaften nicht besitzt, oder darüber
im Zweifel ist, so ist die Wählbarkeit des dem erstem in der Stimmenzahl
zunächst stehenden, in Vorschlag gebrachten Deputirten gleicher Prüfung
zu unterwerfen.
Die Kreisdirectorien haben sämmtliche Wahlprotocolle mit gedachten
Beurkundungen an Unser Ministerium des Innern *) einzusenden.
Art. 25. Kosten der Wahlen. •
Die Wahlmänner und die Mitglieder der Wahlcommission haben fftr
die Zeit, welche sie, des Wahlgeschäfts wegen, ausserhalb ihres Wohnorts
zubringen, erstere die gewöhnlichen Diäten und Reisekosten eines Orts-
vorgesetzten aus der Gemeindekasse, letztere die regelmässigen Diäten,
ebenfalls nebst den Reisekosten, aus der Staatskasse, nach Art. 64 anzu-
sprechen.
Art. 26. **) Vom Landesherrn ernannte Ständeglieder.
Jeder Staatsbürger, der nicht durch Art. 8 Abschnitt 1, 4, 6 und 6
überhaupt ausgeschlossen ist, kann von Uns als Ständeglied ernannt werden,
wenn er das 30. Lebensjahr erreicht hat.
*) LetäU Aindtrung: Unser« Ho/comtnisnon.
**) 1. Rodaction: Personalisten. Die Personalisten werden ron Uns, unter der im Art 8
enthaltenen Beschr&nkaug, bei Erßffnang eines Landtags fGr die Dauer seiner Sitzungen ernannt.
Als Personalisten können solche Personen nicht ernannt werden, welche dnrch Abs. 1, 4, 5
nnd 6 des Art. S dieser Verordnung ausgeschlossen sind. Sie haben mit den Deputirten dieselben
Recht« und VerbindUchkeiten.
67
Zweites Capitel.
Von Versammlung, Vertagung, Erneuerung und Auflosung der Stände.
Art. 27. Zusammenberufung der Stände.
Wir lassen die Stande zusammenrufen, *) so oft, nach gegenwärtigem
Grundgesetze, eine Berathung mit denselben erforderlich ist.
Die Zeit der Eröffnung des Landtages und der Ort, wo derselbe
abgehalten werden soll, wird jedesmal durch das Regierungsblatt bekannt
gemacht. **)
Die Prinzen Unseres Hauses, der Landesbischof und die übrigen
Standesherm, werden von Unserm Ministerium des Innern, die Deputirten
der übrigen Stände von Unsern Provinzialbehörden durch Einberufungs-
schreiben zur Versammlung eingeladen. ***)
Wir werden alle 3 Jahre wenigstens einen Landtag halten. Die ge-
wöhnliche Zeit der Eröffnung ist der 1. Dezember, f)
Art. 2 8. Ein heit der Versammlung.
«
' Sämmtliche Ständeglieder bilden eine ungetheilte Versammlung.
Art. 29. Vollzähligkeit der Versammlung.
Die Ständeversammlung ist nur dann für vollzählig zu erachten, wenn
wenigstens zwei Drittheile aller Stimmberechtigten anwesend sind.
Das Verhältniss der Stimmenzahl einzelner Stände wird dabei nicht
berücksichtigt.
Art 30. Vertagung der Stände.
Wir haben das Recht, die Ständcversammlung zu vertagen, ff)
Art. 31, Erneuerung der Stände.
Von 3 zu 3 Jahren tritt ein Dritttheil sämmtlicher Deputirten aus der
Versammlung aus, so dass alle 9 Jahre f f f ) die ganze Versammlung erneuert
*) 1. Bedftctioa: Wir rufen die St&nde zatammen.
**) LitMUÄenderung: Diese Btlanntmachnng gilt MUsUich für jeden Reprättnianien aU Einladung,
bei der Versammlung enr bestimmten Zeit zu erscheinen,
***) Die Prinsen — eingeladen fällt in der letgten Faeenng weg.
t) 1' RedMÜon: für dieses Jahr der 1. Dezember, in Zulranft der 1. Jannar.
tt) Letäte Aendernngi Se hängt ton Unserem Ermessen ab, die Ständeversammlung sufertagen.
ttt) 1 BedacUon: so dass nach Verflnss ron 9 Jahren.
5*
68
wird. Die erstmals Austretenden werden auf den zweiten und dritten Land-
tag durch das Loos bestimmt. *) "Die geistlichen, grund herrlichen und
bürgerlichen Beputirten und die von Uns ernannten Ständeglieder losen
nach dieser Abtheilung unter sich.
Die bei der Theilung in drei Theile übrig bleibende Stimmzahl wird
erst bei Erneuerung der 2 letzten Drittheile oder des letzten Drittheils in
Kechnung genommen.
Die durch die gedachten 2 Verlosungen bestimmte Reihenfolge gilt für
sämmtliche Wahlbezirke auf alle künftigen Fälle. **) Die abgehenden
Deputirten können wiederum gewählt, und ebenso die von Uns ernannten
austretenden Ständeglieder wiederum von Uns ernannt werden. Eine
neue Wahl eines bürgerlichen Deputirten, welche nach diesen Bestimm-
ungen erfolgt, zieht zugleich eine neue Wahl der Wahlmänner in dem Be-
zirke nach sich, von welchem der Austretende ernannt war.
Wenn ein Deputirter mit Tod abgeht, oder aus andern Gründen aus-
tritt, so wird dadurch die, ein für allemal für die Erneuerung der Ver-
sammlung festgesetzte Reihenfolge nicht verändert, und wenn in solchen
Fällen in einzelnen Bezirken zur Wahl eines bürgerlichen Deputirten wegen
Mangel eines Nachmanns geschritten werden muss und der Zeitpunkt der
gesetzlichen Erneuerung noch nicht erschienen ist, r^ haben die bereits
ernannten Wahlmänner das Wahlrecht noch auszuüben.
Art. 32. Auflösung der Stände.
Wir sind berechtigt, ***) die Stände aufzulösen; die Auflösung hat
zur Folge, dass die Deputirten jeden Standes, die Stellvertreter der Standes-
herrn, die von Uns ernannten Ständeglieder ihre Eigenschaft als Repräsen-
tanten verlieren. Es muss längstens nach Verfluss eines halben Jahres zu
einer neuen Wahl geschritten werden, die Auflösung der Stände hebt auch
das Wahlrecht der Wahlmänner auf.
Bei den neuen Wahlen sind diese, so wie die Mitglieder der aufge-
lösten Ständeversammlung wählbar.
Art. 33. Ständischer Ausschuss.
Es besteht ein ständischer Ausschuss, der sich, ebenso wie die Stände-
versammlung, nur auf Unsere Einladung versammeln kann. Er wird in
jedem Jahre, wo keine landständische Versammlung gehalten wird, nach
Ermessen zusammenberufen, f )
*) 1. Redaetioii: Die Aastretenden werden die ersten 6 Jahre durch dfts Loos bestimmt.
**) 1. Bedftction: so dass die nach 3 Jahren eintretenden nonen St&ndeglieder erst nach Ver-
fluss Ton 9 Jahren wiederum austreten.
***) LiUU linder ung: Von Un8*rfm Ermetaen hangt gMeh/cUl» ab.
1) 1. Bedaction: Er muss — — — znsammenberufen werden.
69
Art. 34. Unerlaubte Versammlungen.
Jede eigenmächtige Versammlung der Stande im Ganzen oder der
Deputirten einzelner Classen oder Provinzen, um über Staatsangelegen-
heiten zu berathschlagen und Schlüsse zu fassen, ist nichtig und wird
als ein Attentat auf die bestehende Verfassung angesehen. Jeder Deputirte,
der daran Antheil nimmt, verliert dadurch seine Eigenschaft als Deputirter,
und kann nie wieder gewählt werden.
Drittes Capitel.
Wesentliche Rechte und Verbindlichkeiten der einzelnen Ständeglieder.
Art. 35. Verbindlichkeit, persönlich zu erscheinen.
Die Deputirten der verschiedeneu Stände können ihr Stimmrecht nur
in Person ausüben. Den Prinzen Unseres Hauses und den übrigen Standes-
herm steht das Recht zu, sich bei der landständischen Versammlung durch
Bevollmächtigte vertreten zu lassen, die jedoch aus der Zahl der adelichen
Staatsbürger gewählt und entweder nach Alt. 11, der von der Grundherm-
wahl, oder nach Art. 22, der von der Wahl der bürgerlichen Deputirten
handelt, die Eigenschaften der Wählbarkeit besitzen müssen, und nicht
schon als Mitglieder der Ständeversammlung stimmberechtigt sein dürfen.
Die geschehene Ernennung der Bevollmächtigten ist Unserer Bestätigung
unterworfen. *) Ihre Ernennung gilt für 6 Jahre, nach deren Umlauf sie
jedoch ^-iederum als Stellvertreter ernannt werden können. **) Der Landes-
bischof kann sich durch den Generalvicar vertreten lassen.
Art. 36. Verhältniss der Ständeglieder zu ihrenKommittenten
Die Ständeglieder sind berufen, über die Gegenstände der landständi-
schen Berathungen nach ihrer besten Ueberzeugung abzustimmen. Sie
dürfen daher keine Instruction von einzelnen Städten und Bezirken, über-
haupt von denjenigen annehmen, durch deren Wahl sie Sitz und Stimme
in der Versammlung «rlangt haben. Auch die Bevollmächtigten der Prinzen
Unseres Hauses, der übrigen Standesherrn und Vertreter des Landes-
bischofs ***) können und sollen bloss nach ihrer persönlichen Ueberzeugung
stimmen.
*) 1. Bedaction: die Wir jedocli nie Ter weigern werden, wenn dieselben die gesetzliclien Eigen-
schaften besitsen.
**) Zusatz der Bedaction 1 : Der Herr Fftrst ron Fürstenberg ernennt, wenn er auch in Person
erscheint, sor Ffihmng der zweiten Stimme einen Bevollmftohtigten und deren swei, wenn er nicht
persdnlich erscheint.
***) 1. Bedaction: sind nicht befugt, von ihren Committenten Instructionen anzunehmen oder
einzuholen.
70
Art. 37. Gleichheit der Rechte der einzelnen Ständeglieder.
Sämmtliche Ständeglieder haben gleiche Hechte und Verbindlichkeiten,
mit der für den Herrn Fürsten von Fürstenberg rücksichtlich der Stimm-
zahl gemachten Ausnahme.
Art. 38. Verantwortlichkeit der Ständeglieder.
Die Ständeglieder sind für ihre, bei Abstimmung über die Gegenstände
der ständischen Berathungen geäusserten Meinungen nicht verantwortlich,
wohl aber wegen beleidigender Aeusserungeu über die höchste Person des
Landesfürsten, die Regierung, die Ständeversamralung oder einzelne Personen;
jeder Deputirte kann desshalb durch eine Mehrheit von 2 Dritteln der Stimmen
von der Ständeversammlung ausgestossen und nach Unserem Befinden dem
Gerichte zur weiteren Bestrafung übergeben werden.
Während der Dauer eines Landtags kann kein Glied desselben aus
irgend einem Grunde, ohne ausdrückliche Bewilligung der Versammlung,
verhaftet werden, den Fall eines Verbrechens auf frischer That ausgeuomm.
Viertes Capitel.
Rechte der Landstände.
Art. 39. *) Rechte der Landstände im Allgemeinen.
Das Recht, Gesetze zu geben, welche die Grundverfassung des Landes
und die grundverfassungsmässigen Rechte der Unterthanen, oder die Auflagen,
oder • Staatsanlehen betreffen, beruht gemeinschaftlich bei Uns und den
Ständen, mit der in Art. 47 für Kriegszeiten enthaltenen Beschränkung und
sonst nach den in den Art. 40 bis 50 **) gegebenen Bestimmungen.
*) LelUe Fastumg: Die Landtlände haben'.
/. Da» Recht, Steven %u bewilligen.
IL Deu Beehtf m ermruen, »b eine neue SicoUsckvIä «v contrakieren »eL
III. Das Recht, lu ermestem, ob dieser oder jener Domänenverkauf rätklick sei oder niekt.
Ohne ständische EinwilUgung sollen keine weiteren D.*mäncnveräusser¥ngen, als in soweit solche
noch war YervoUständifitng des Doiaihnsfonds der Amortisitionskasse geschehen müsen, statt haben
IV. Das Reckt, die Recknungen der Amortisationskasse eimuseken, um *u ermessen, ob die für
dieses Schaldentilgungsinstitat in der Pragmatik vom 31. Augusl 180S vorgeschriebenen Norwten
richtig eingehalten werden, und tibcr anscheinende Verli tiungen ErläMtrmngen ur verlangen.
V. Das Reckt, Tkatsacken anvvgeben, und Vorsckluge darauf w begründen, wonack entweder 6e>
stekende Gesetze gam abzuschaffen, oder tu modi/icieren, oder neue Gesetve eintuführen sein möchten.
VI. Das Recht, vor Erlassang eines der Rr gierung gut dankenden Gesetzes urin Gatachten gezogen
SM werden.
VII. Das Recht, dem Regenten einzelne und allgemeine Beschwerden vorzutragen, aack Staalsdiener
wegen Malversationen und sonstiger staat$gefdkrlicken Untreue amuklagen.
**) 1. lUdaction: Art. 52 resp. 40, 42-50.
.71
Die Stande haben das Recht, alle anderen bürgerlichen, peinlichen nnd
Verwaltungs-Gesetze, welche das Eigenthnm und die Freiheit zum Gegen-
stand haben, zu begutachten.
Sie haben endlich das Recht der Vorstellung und der Beschwerde.
Art. 40. Von den constitutionellen Gesetzen.
Gregenwärtiges Grundgesetz, wodurch eine landständische Verfassung
in Unserem Grossherzogthum hergestellt wird, sowie alle künftigen consti-
tuticnellen Gesetze, welche Wir mit Einwilligung der Landstande erlassen,
können nur von Uns in Uebereinstimmung mit den Ständen abgeändert
oder aufgehoben werden.
Jede? constitutionelle Gesetz, welches früher gemeinschaftlich zu Stand
Gebrachtes aufhebt oder abändert, verliert seine Wirksamkeit, und das ältere
tritt wieder ein, wenn die Aufhebung von jeder .der 3 Versammlungen ver-
langt wird, die unmittelbar auf den Landtag folgen, der dem Gesetze seine
Entstehung gegeben hat. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf
Gesetze, welche frühere weder abändern noch aufheben.
Alle Grundgesetze werden als solche von Uns, unter Erwähnung des
landständischen Einverständnisses, promulgiert.
Aeltere, vor Einführung der landständischen Verfassung erlassene Ge-
setze bleiben bei Kraft und können von Uns unter den im folgenden Artikel
enthaltenen Bestimmungen abgeändert oder aufgehoben werden, so lange
nicht über den Gegenstand ein Grundgesetz gemeinschaftlich von Uns und
den Ständen ausgeflossen ist.
Art. 4L Bürgerliche, peinliche und Verwaltnngs-Gesetze.
Alle bürgerlichen nnd peinlichen Gesetze ohne alle Ausnahme und alle
anderen Gesetze, welche allgemeine Verfügungen über das Eigenthum, die
UM» Fm$nmt\ Art 40. Sfutrhewilligumg. Damit Ja$ ianJttdniUcke Recht der SUMerifwil-
Ufung wüt geeigneter Umückt atugeübt werden können $oU das Staatthedürfniu nackgewieeen^ die Deckungemittel
aatter der direclen Crnnd-^ Häuser- und Gewerbsteuer angegeben werden ^ damit die Landstände ermessen
mnd bestimmen können ^ ob vnd was an dem berechneten Bedürfniss gemindert ^ wie grase demnach der
wirkliche Bedarf «ej, weicher durch directe Steuern gedeckt werden müsse, Sa aft der Fall eistet neuen
YerwUUgmmg eintritt, muss über die Verwendung der vorher verwiUigten Bechemschaft gegeben werden.
Der Fall einer neuen ständischen Deliberation über Steuerverwilligung tritt ein:
a. Wenn die Regierung eine höhere, als die leiste verwiUfgte, verlangt
b. Wenn die Bedürfnisse durch Einschränkung der Administrationskosten, durch den Heimfatl von
Apanagen und Pensionen sich in einem oder mehreren Rechnungsjakren um 60,000 fL gegen die
unmittetkar vorher bestandenen Bedürfnisse vermindert haben, folglich an der vorher bewilligten
Steuer eine Verwunderung, die schon für einselne Steuerbare fühlbar ist, statt hohen kants.
Ohne ständische Bewilligung kann (Kriegsieiten ausgenommen) keine neue Außage gemacht, noch
eine der bestehenden in eine andere umgeändert werden.
Art, 41. Schuldenpragmatik. Die pragmatische Sanetion über Staatsschulden vom IS. November
1808 bleibt in ihren wesentlichen Bestand! heilen unveränderlich, nur soweit die darin vorgeschriebenen
Formen sich auf das Gutfinden und auf das Mitunteneichnen des Justi%ministers , auf Anhörung und
Genehmigung des StaaUraths besiehen, fallen sie, bei dem Einßuss, den Wir den Landständen auf Staats-
schulden beilegen, weg.
72
Sicherheit und Freiheit der Staatshürger im ganzen Lande oder in einzel-
nen Provinzen enthalten, sollen jedesmal den Ständen znr Prüfung und
Berathung mitgotheilt, und hevor dieses geschehen, nicht promulgiert werden ;
erfolgt während des Landtags von Seiten der Stände keine Erklärung üher
die denselben raitgetheilten Gesetzesentwürfe, so wird angenommen, dass
sie nichts dabei zu erinnern gefunden.
Die Promulgation solcher Gesetze geschieht von Uns unter ausdrück-
licher Erwähnung der den Ständen gemachten Mittheilung.
Verordnungen, welche nicht in ;ene Klasse gehören, werden von Uns
unter dem Namen von Gener alrescripten erlassen; diese haben gleiche
verbindende Kraft, wie die Gesetze, sowohl für die Unterthanen, als die
Staatsbehörden.
Die Entscheidungen der obersten Justiz- und Verwaltungsbehörden in
einzelnen Fällen, wobei zweifelhafte Auslegungen der bestehenden Gesetze
zur Sprache kommen, können unter der Form von Generalrescripten bekannt
gemacht werden, um dem Gesetze für die Zukunft eine gleichförmige An-
wendung zu sichern. Solche Erläuterungen können nur von Unsern Ministerien
in Gegenständen, die ihrer Entscheidung unterliegen, ergehen; dem obersten
Gerichtshof steht in Civil- und Criminalsachen der Vorschlag zu.
Die zum Vollzug der Gesetze erforderlichen Reglements werden wie
bisher von Unsern Oberverwaltungsbehörden erlassen.
Art. 42. Finanzgesetze im Allgemeinen.
Die Stände haben das Hecht, gemeinschaftlich mit Uns das Staats-
bedürfniss zu ermessen und die Auflagen, welche dasselbe decken sollen,
sowohl nach ihrer Grösse, als nach der Art der Vertheilung zu bestimmen. *)
Der Ftmamminitter oder de$$en SteUvertreler bringt in der Versammlung der LamdelÖMde die An-
Mke in YertckUg^ mii betHwmter Angabe der Becktfertigungennaehen, unter Verlegung dee in dem
Minielerium über die BeratJucklagung abgehaltenen Protokolle.
Die Sckuldverickreibung wird von dem Regenten unterieieknet^ von dem Finantminieter oder detsem
Stellvertreter contragigniert ^ derselben wird alsdann die landstdndisckc EinwiUigung beigefügt und sie «tfn
dem Präsidenten der stdndiscken Versammlung unteneicknet.
Sekulden^ weleke aus der Dispositionskasse entweder des laufenden ouer des ndckstfolgenden Becknungs-
fakreSf auf Orund der Etats des einen oder des andern Jakres^ getilgt werden können und wollen^ bedürfen
der landstdndiscken Einwilligung nickt.
Der Awtortisationskasse bleibt auck erlaubt, innerkalb der Greme des Fundationsgesettes wie bisker
SIT ikren privativen Zwecken Gelder auf Obligationen oder Contoeurrent auftunekmen.
Art, 42. Verwilligungen für unvorkergesekene Fälle. Die Stände werden auf Jedem
Landtag eine Summe bestimmen, bis auf welche, okne ikre besonders einwkolende VerwiUigung, der Landes-
credit von der Regierung in unvorkergesekenen Fällen benütit werden kann, um die mit einem sokken
Aufwand in keinem VerkäUniss stekenden Kosten des Einberufene der Stände »« vermeiden.
*) 1. Bedftction: die SUatsAiisgaben approximatir festzusetzen und za bestimmen, irie das
Bedfirftaiss ans dem Vermögen der Unterthanen anfgebracbt werden soll; beides nach folgenden
n&heren Bestimmungen.
73
Art. 43. Uebersicht von Einnahmen und Ausgaben. *)
Damit die Stände das Staatsbedtirfniss zu ermessen vermögen , soll
ihnen **) eine detaillirte Uebersicht von Einnahmen und Ausgaben der
verflossenen Jahre und von den präsumtiven Ausgaben der nächstkommenden
3 Etatsjahre ***) vorgelegt, die Einsicht der Rechnungen gestattet und alle
näheren Nach Weisungen gegeben werden, die sie verlangen, auch sollen
sie von Allem in Kenntniss gesetzt werden , was zur Ergründung des
Landesvermögens dienlich ist.
Art. 44. Hofetat insbesondere, f)
Bis der Aufwand fQr den Hof nach allen seinen Haupt- und Unter-
abtheilungen fest bestimmt ist, bleibt es bei dem dermaligen Stande des
Aufwands.
Art. 45. Deckung des anerkannten Staatsbedürfnisses, ff)
Das von den Ständen anerkannte Staatsbedtirfniss muss, f ff) so weit die
Domänialgefälle, und die indirecten Steuern nicht zureichen, durch directe
Steuern gedeckt werden; Anlehen zu diesem Zwecke finden nur in ausser-
ordentlichen Fällen unter Unserer und der Stände Einverständniss statt.
Art. 46. Verwilligungen für unvorhergesehene Fälle.
Die Stände werden auf jedem Landtag eine Summe bestimmen, bis
auf welche ohne ihre besonders einzuholende Einwilligung der Landescredit
*) 1. Bedaction: Staftisansgaben.
**) 1. Bedaction: in der Fonn eines Budgets.
***) 1. Bedaction: künftigen Etatdjalire.
t) 1. Bedaction: Feitsetznng der Cirilliste. Es wird fftr Uns und die Glieder
üogerer Familie eine CivilHste festgesetzt, die ohne Einwilligung des Begenten nicht Yermindert
und ohne Einwilligung der St&nde nicht erhöht werden kann und auf Unsere Dom&nen radieiert wird.
Bis nicht zwischen um und den Ständen eine Uebereinknnft getroffen ist, behalten Wir Uns
Tor, Unsem Hofstaat und die Deputate Unserer Familie aus dem Ertrag Unserer Dom&nen nach dem
bisherigen Verh<niss mit möglichster Einschr&nkung zu bestreiten.
tt) 1- Bedaction: Art 43. Bedürfnisse zu Deckung früher übernommener Ver-
bindlichkeiten insbesondere. Dem Bedürfniss zu Deckung tou Ausgaben, welche aus
Verbindlichkeiten entspringen, die vor Errichtung der landst&ndischen Verfassung Ton Uns ein-
gegangen wurden, können die Landst&nde ihre Anerkennung nicht yersagen.
Namentlich rechnen Wir hieher das Bedürfniss für die Amortisation sca^se zur Zinszahlung und
Schuldentilgung. Eine Sistierung der Bückzahlung yerfallener oder als aufkündbar anerkannter
Obligationen, die noch nie eingetreten, kann nur in Zeiten dn höchsten Koth und nur auf bestimmte
kurze Fristen ron Uns und den Ständen gemeinschaftUeh erfolgen, das Bedürftaiss zu solchen
Zahlungen Ton den St&ndea daher nicht einseitig yerweigert worden,
ttt) 1* Bedaction: in der Begel durch Auflagen gedeckt werden.
74
von dem Gouvernement in ausserordentlichen, unvorhergesehenen Fällen
benutzt werden kann, um die mit einem solchen unvorhergesehenen Auf-
wände ausser Verhältniss stehenden Kosten der Ständeeinberufung zu
vermeiden.
Bei hlos augenhlicklicheu Stockungen in den Kassen ist die oberste
Verwaltungsbehörde ermächtigt, auf den Grund der Etats Anlehen zu machen,
deren Betrag aus den laufenden Steuern *) wiederum ersetzt werden kann. **)
Art. 47. Ausserordentlicher Aufwand zu Kriegszeiten.
Beim Ausbruch und während der Dauer eines Krieges, wo dem Gemein-
wesen eine ungetheilte, mit allen Rechten der Hoheit ausgestattete Gewalt
mehr frommt, können wir Uns in Ansehung der Anlehen, Besteuerung der
Unterthanen, und in andern, von der gesetzgebenden Gewalt ausgehenden
Massregcln, deren Zwecke durch eine vorläufige ständische Berathung,
Kandwerdung und Verzögerung oft vereitelt würde, von der Zustimmung
der Stände nicht abhängig machen; dagegen räumen Wir aber für diesen
Fall den Ständen eine nähere Einsicht und Mitwirkung in der Verwaltung
ein, dass erstens der landständische Ausschuss (Art. 33) drei Mitglieder an
Unser Finanzministerium und das Kriegsministerium abgiebt, um darauf zu
wachen, dass die zu Kriegszwecken erhobenen Gelder auch wirklich und
ausschliesslich dafür verwendet werden, und dass derselbe, was zweitens
die Belastung Unserer Unterthanen mit Kriegsprästotionen anderer Art
betrifft, die von Zufällen abhängen, über die Wir ohnehin oft nicht gebieten
können, zu der jeweils anzuordnenden Kriegscommission eben so viele Mit-
glieder abordne, als Wir, ohne den Vorstand zu rechnen, zur Leitung der
Kriegsgeschäfte ernennen werden ; auch werden Wir in gleicher Absicht
gestatten, dass der Ausschuss aus der Zahl der in den Hauptstädten der
Kreis- oder Provinzialbezirke wohnenden Ständeglieder jeder Mittelstelle
einen Abgeordneten beigebe. ***)
*) 1. Redaclion: Bevennen.
**) 1 Redaclion Art. 46 = Art. 45 und 46 der 2. Rcdaction. Die ersle Redaction hat noch
folgenden Zovats: Aach ist es der Amortisationakasie erlaubt, innerhalb der Grenzen des Funda-
tionsgesetzes, wie bisher, zu ihren privativen Zwecken Gelder auf Obligationen oder Conto-Cnrreni
anfzanehmen.
***) Art. 47 der 2. Redaction fehlt in der 1. Der Art. 47 der 1. Redaction lautet: Steuer-
bewillignng. Zugleich mit dem Budget wird den St&nden ein Gesotzenwnrf über die zu erheben-
den directen nnd indirecten Steuern niitgetheilt. Die Artikel der Vertheilung der Abgaben, der
Betrag der directen Stouern nnd die Tarife dor indirecten unterliegen, als der wesentliche Theil, der
Beistimroung oder Verweigerunng der St&nde.
Was von den directen und indirecten Steuern gilt, gilt auch von jeder andern Belastung der
Staatsbtirger und von jeder allgomeinen Anordnung, die darauf Einfluss hat.
Im tibrigen sind auch auf die Finanzgesetze die im Art. 41 enthaltenen Bestimmungen
anwendbar.
LetxteFaining Art. 43. AtnierorJentlieke Bedürfniise »a Kriegt%eiten. Beim Amknck
vßd während der Dauer eines Krieges können Wir Uns in Ansekung der Anleihen, Betteueryng rnirf andern
von der geseUgebenden Gewalt ausgehenden Massregeln, deren Zweck durch eine vorläufige ständiteke
Berathung, Kandwerdung und Verzögerung oft vereitelt würde, von der Zustimmung der Stande nickt
75
Art. 48. Dauer der ordinären Verwilligungen.
In der Regel wird für die Dauer von 3 Jahren das Staatsbedürfniss
reguliert und das Auflagengesetz gegeben.
Kommt auf dem Landtag keine Vereinigung zu einem solchen Gesetz
zu Stande, so dauert das alte als Provisorium fort. *)
Art. 49. Bedürfnisse zu Deckung früher übernommener
Verbindlichkeiten insbesondere.
Dem Bedürfniss zu Deckung von Ausgaben, welche aus Verbindlich-
keiten entspringen, die vor Emchtnng der landständischen Verfassung von
Uns eingegangen wurden, können die Landstände ihre Anerkennung nicht
versagen, namentlich rechnen wir hierher das Bedürfniss für die Amorti-
sationskasse zur Zinszahlung und Schuldentilgung.
Art. 50. Contocurrentschulden der Amortisationskasse.
Der Amortisationskasse muss auch erlaubt bleiben, innerhalb der
Grenze des Fundationsgcsetzes, wie bisher, zu ihren privativen Zwecken
Gelder auf Obligationen oder Contocurrent aufzunehmen.
Art. 51. **) Belastung der Domänen.
Unsere Domänen sind gleich andern bürgerlichen Gütern der ordinären
Besteuerung unterworfen.
Damit der Domänenfond Unseres Hauses erhalten und durch Schmälerung
desselben die Steuerlast der Staatsbürger nicht vermehrt werde, sollen
ohne Einwilligung der Stände weder Domänen mit Schulden belastet, noch
einzelne Theilo davon veräussert werden.
Ausgenommen hievou sind: die schon früher zum Besten der Amorti-
sationskasse und zu Tilgung der Kassenscheine beschlossenen Veräusserungen,
Ablösungen des Lehensverbandes und Verkäufe von Gütern und Zinsen,
dann anderer geringen Gefalle, welche eine kostspielige Administration
erfordern; der Geldbetrag derselben soll wie bisher der Amortisations-
kasse zugewiesen, von dieser aber der Generalstaatskasse, nach den bereits
bestimmten Prozenten, verzinst werden. ***)
abkdMgig machen; Wir werden aber über He Notkweniiigkfit der getroffenen Mmetregein »nr geeignetem
Zeit ErUtelenmgrn vn'l über die Verwendung Heckemcimfl geben lauen,
*) 1. Redaction: Art. 49. Kommt auf einem Landtage kein neues Budget xa Stande, so
daaert das alte noch fort, hört aber nach Verlauf weiterer 8 Jahre Ton selbut auf.
Auf dem I. Landtage -wird bestimmt werden, welche Steuern als permanent anausehen sind,
und welche auf jedem Landtage einer wiederholten Berathung und Festsetzung bedürfen.
**) 1. Bedaction Art. 50. Damit durch Schm&lernng Unserer Domänen die Steuerlai»t nicht
auf indirectem Wege vermehrt werden könne, machen Wir Uns verbiodlich, ohne Einwilligung der
Stinde dieselben weder mit Schulden zu belasten, noch einzelne Theile davon zu Ter&ussem.
Ausgenommen sind . . .
***) 1. Kedaction : Jedoch soll dvr Betrag der letzteren entweder zu neuen Erwerbungen ver-
wendet oder der Amortisationskasse gegen Verzinsung Überlassen werden.
76 •
Art. 52. *) Recht der Vorstellung und BeschwSrde.
Die Stände haben das Recht über bestehende, nach ihrer Ansicht
mangelhafte und dem allgemeinen Wohl nachtheilige Gesetze Vorstellungen
zu machen und deren Aufhebung oder Verbesserung unter Angabe der
Motive vorzuschlagen.
Sie können auf gleiche Weise neue Grund- und andere Gesetze in
Vorschlag bringen.
Sie haben das Recht, über jede Verletzung der Constitution Beschwerde
zu führen und die gleichbaldige Abstellung der eine solche Verletzung ent-
haltenden Massregel zu verlangen.
lieber Verordnungen, die in der Zwischenzeit von einem Landtag zum
andern ergangen sind, **) können sie Beschwerde führen, wenn sie glauben,
dass Bestimmungen eingeflossen, die ihrer Berathung und Beistimmung
wesentlich unterworfen seien.
Missbräuche in der Verwaltung, die zu ihrer Kenntniss gekommen und
alle nach den Gesetzen strafbaren Diensthandlungen der Staatsbeamten
höherer Classen ***) können sie zur Einleitung der Untersuchung und
Bestrafung Uns anzeigen.
Im Allgemeinen haben die Stände das Recht, ihre Ansichten und
Wünsche, welche das Wohl des Gesanuntstaats oder das Wohl einzelner
Districte, Ortschaften oder einzelner Classen von Unterthanen zum Gegen-
stande haben, Uns vorzutragen; f) jedoch ist jeder Beschwerdeführer und
Schriftverfasser für den Inhalt der Eingabe verantwortlich, ff)
*) 1. Bedaction: Art. 51.
**) I. Redaction: haben sie Beschwerde la fuhren, wenn etwa Bestimmnngen eingeflossen, die
sie ihrer Berathung oder Beistimmnng wesentlich fftr unterworfen erachtet.
•♦*) „höherer Classen** fehlt in der 1. Bedaction.
t) Znsatz der 1. Bedaction: Znr Ansfibnng dieser Bechte steht es den Ständen frei, die Kr*
Öffnungen, Vorstellungen, Bitten und Bfschwerden einzelner Districte, Gemeinden oder einzelner
Staatsbürger Aber Verletzung der Torfassnngsm&ssigen Bechte und fiber vergeblich bei dor höchsten
Landesbehörde nachgesnchte Abhttlfe anzunehmen und darüber zu berathsfchlagen.
Dio Gemeinden oder einzelnen Corporationen oder die Vorgesetzten einzelner Districte können
»ich jedoch nur unter ausdrücklicher obrigkeitlicher Verwilligung versammeln, um solche Vorstellnngen
und Beschwerden an 'den Landtag gelangen zu lassen.
Jeder Beschwerdeführer und Schriftverfasser ist für den Inhalt der Eingabe an die St&nde
verantwortlich.
tt) Art. 53-64 der entern und »weitem Redaetiom, $ind in der let%ten Fa9wn§ Art, 44 -55.
Art. 52 der 1. Bedaction. Besondere Bestimmungen. Der landst&ndische Anssohuss übt
das Becht der Vorstellung und Beschwerde w&hrend der Dauer seiner Versammlung. Er kann auch
über andere allgemeine Landesangelegenheiten zu Bathe gezogen werden. Beim Ausbrueh und
w&hrend der Dauer eines Krieges, wo dem Oemeinweüen eine ungetheilte, mit allen Bechten der
Hoheit ausgestattet« Gewalt mehr frommt, können Wir Uns in Ansehung von Anlehen, in Besteuerung
der Unterthanen und in anderen, von der gesetzgebenden Gewalt ausgehenden Massregeln, deren
Zweck oft durch eine vorl&uflge Berathung mit den Sünden, dnrch Kundwerdung und Verzögerung
vereitelt würde, von der Zustimmung der Landst&nde nicht abh&ngig machen. Dagegen r&umen
Wir aber denselben für diesen Fall eine nähere Einsicht und Hitwirkung in der Verwaltung und
zwar in der Art ein, dass
1. der Ausschnss 3 Mitglieder an Unsere Ministerien der Finanzen und des Krieges abgebe,
um daranf zu wachen, dass die zu Kriegszwecken erhobenen Gelder auch wirkUch und
ausschliesslich zu diesem Zwecke verwendet werden und dass derselbe
77
Art. 5 3.
Beschränkung der Stände auf die gesetzlichen Gegenstände.
Die Stände können sich nur mit den, nach diesem Grundgesetze zu
ihrer Berathung geeigneten Gegenständen heschäftigen ; sie sind nicht hefugt,
in ihrem Namen eine allgemeine Verfügung zu treffen oder öffentliche
Bekamitmachungen irgend einer Art zu erlassen.
FOnnes Capitel.
Abhaltung des Lantages, innere Organisation der Versammlung,
Formen der Berathung und Geschäftsgang.
Art. 54. Anmeldung der Ständeglieder.
In den letzten Tagen vor Eintritt des zu Eröffnung der Ständever-
sammlung festgesetzten Zeitpunkts hahen sich sämmtliche Ständeglieder
am Orte der Versammlung einzufinden und sich hei dem Vorstand der
von Uns ernannten Hofcommission zu melden. *) Diejenigen Glieder, welche
wegen dringender Hindernisse später erscheinen, melden sich hei dem Vor-
stande der Versammlung.
Art. 55. Eröffnung der Versammlung.
Der Landtag wird von Uns in eigener Person oder von einem von
Uns ernannten Commissarius eröffnet.
Sämmtliche Mitglieder schwören hei Eröffnung des Landtags :
«dass sie die einmal festgesetzte Verfassung des Landes, insbesondere
die laudständische Verfassung, **) heilig halten und in allen Berath-
schlagungen und Abstimmungen stets ihrer innem besten Ueberzeugung
folgen, das allgemeine Wohl vor Augen haben und sich durch keine
eigennützigen Absichten leiten lassen wollen.»
Die durch Wahl in die Ständeversammlung berufenen Mitglieder
haben die feierliche eidliche Versicherung beizufügen:
«dass sie für ihre Wahl weder etwas gegeben noch versprochen.»
2. was die Belatttang UnHerer Uniertbanen mit Kriegsprästationen anderer Art betrifft, die
Ton Znftllen abbftngen, ftber die Wir ohnebin nicbt gebieten können, zn der jeweils
aufzustellenden Kriegs-Commmission eben so Tiel Mitglieder abordne, als Wir, ohne den
Vorstand zn rechnen, zor Leitung der Oesehftfte ernennen werden. Aneh werden Wir in
gleicher Abnicht gestatten, dast der Anssehnss ans der Zahl der in der Hauptstadt der
Kreis- oder ProTinzialbehörden wohnenden St&ndeglieder diesen letzteren einen Ab-
geordneten beigebe.
*) 1. Bedaetion: bei einem ron Uns hiezu ernannten Comnissar zn neiden.
**) „insbesondere die landst&ndisohe Verfassung** fehlt in Bedaction 1.
78
In Zukunft haben diesen Eid nur die neu eintretenden Ständeglieder
abzulegen. Die Eröffnung kann nicht stattfinden, wenn die Zahl der Depu-
tirten nicht im Sinne des Art. 29 vollzählig ist.
Art. 56. Ernennung des Präsidenten, Vicopräsidenten und
des Sekretärs.
Nach Eröffnung der Ständeversammlung wird sogleich zur Ernennung
des Präsidenten, des Yicepräsidentcn und des Sekretärs geschritten.
Aus der Zahl der in Person erscheinenden Prinzen Unseres Hauses,
der übrigen Standesherrn und, bei Verhinderung derselben, aus der Zahl
ihrer Stellvertreter, aus der Zahl der grundherrlichen Peputirten und Unserer
Ständedeputirten, insoweit sie in diese Standescategorien gehören, ♦) werden
Uns 3 durch relative Stimmenmehrheit zu wählende Mitglieder **) für die
Präsidentenstelle vorgeschlagen, von denen Wir einen als Präsidenten der
Versammlung ernennen werden.
Aus der Zahl der übrigen ***) Deputirten und den von Uns ernannten
Repräsentanten, insoweit sie in diese Categorie gehören, f) sind auf
gleiche Weise 3 Candidaten zu wählen, aus denen Wir den Vicepräsidenten
ernennen.
Diese Wahlen hat der älteste Standesherr, und wenn keiner derselben
anwesend ist, der älteste Deputirte zu leiten.
Der Sekretär der Versammlung wird durch relative Stimmenmehrheit
aus der Zahl der sämmtlichen Ständeglieder erwählt, und seine Ernennung
bedarf keiner Bestätigung.
Jede Wahl gilt für 9 Jahre, wenn der Gewählte nicht nach Art. 31
früher austritt, ft)
Art. 5 7. Sitz der Ständeglieder.
Zur rechten Seite des Präsidenten sitzen die Prinzen Unseres Hauses,
dann der katholische Landesbischof, dann die übrigen Standesherrn, dann
die grundherrlichen Deputirten und zwar die Standesherrn nach ihren
früheren Verhältnissen, fff) die persönlich Anwesenden sitzen immer vor den
Stellvertretern, die grundherrlichen Deputirten immer nach dem natürlichen
Alter, ohne Rücksicht auf persönlichen Rang; zur linken Seite zunächst
*) Und — geboren fehlt in Bedaction 1.
**) all Candidaten Bedaction 1.
***) b&rgerliehen 1. Bedaction.
t) insoweit — gehören fehlt in Bedaction 1.
tt) UttU Patimnfi Die Wähl 4ti PräMuUnten und Vkepra»iient9H gilt fmr 3 Jahre.
ttt) !• Bedaction: BangTorh<niaaen.
79
dem Yicepräsidenten die Geistlichen, dann die bürgerlichen Deputirten, in
dieser Abtbeilung ebenfalls nach dem natürlichen Alter. *)
Die landesherrlichen Commissarien haben während ihrer Anwesenheit
den ersten Sitz.**)
Art. 58. Deputationen.
Die Versammlung ernennt 2 Deputationen, eine für Gegenstände der
Gesetzgebung und des Vorstellungs- und Beschwerderechts und eine andere
speciell fftr die Finanzsachen.
Diese Deputationen bestehen aus 5, höchstens 7 Personen, wovon
mittels relativer Stimmenmehrheit wenigstens 3 resp. 4 aus der Zahl der
bürgerlichen und wenigstens 1 resp. 2 aus der Zahl der Standes- und
grundherrlichen Glieder gewählt werden müssen.
Alle wichtigern Gegenstände, die einer nähern Prüfung und Erörterung
bedürfen, werden an die Deputationen verwiesen. Diese haben das Resultat
ihrer Berath schlagungen in einem schriftlichen Vortrag vorzulegen, zu
welchem Ende sie einen *♦♦) Berichterstatter für jeden einzelnen Gegen-
stand ernennen.
Art. 59. Landesherrliche Mittheilungen.
Alle Unsere Mittheilungen an die Landstände geschehen schriftlich.
Unsere Commissarien haben jederzeit Zutritt in die Versammlung,
um derselben neue Eröffnungen zu machen, oder Vorträge zu halten.
Sie treten mit den Gliedern der Deputationen zusammen, so oft sie
es für nothwendig erachten oder letztere es wünschen, f )
Sie können verlangen, dass ihnen die Berichte der Deputationen über
einzelne wichtige Gegenstände mitgetheilt und die zu deren Berathnng
bestimmte Sitzung angesagt werde, um nöthigenfalls noch vorder Abstim-
mung ff) Erläuterungen zu geben; sie können der Berathung, nicht aber
der Abstimmung und Schlussfassung beiwohnen.
Art. 60. Landständische Berathung* Abstimmung.
Der Präsident und der ihm assistierende Vicepräsident bestimmen die
Gegenstände der Berathung für jede Sitzung, und zwar mehrere Tage zum
Voraus, wenn die Gegenstände von Wichtigkeit sind.
*) Zusatz der Bedaction 1 : Die Ton Uns ernannten Repräsentanten nehmen ihren Platx hei den
Standesherm, wenn sie in die Classe der Fftrsten nnd Grafen, nnter den Grundherrn, wenn sie dem
Freihermstande, hei den geistlichen Deputirten, wenn sie dem geistliehen Stande oder einer der
heiden Landesuniversitäten angehören und die fihrigen hei den hürgerlichen Deputirten, in jeder
Abtheilnng — die Fftrsten und Grafen ausgenommen — gleichfalls nach den*. Alter.
**) fehlt in der 1. Redaction.
***) 1. Kedaction: oder hei getheilten Meinungen 2 Berichterstatter in jedem Fallo ernennen,
t) !• Redaction: so oft sie oder die letstern es fftr nothwendig erachten,
tt) !• Redaction: gehört su werden.
80
Motionen der einzelnen Btändeglieder werden dem Präsidenten oder
Vicepräsidenten schriftlich mitgetheilt und von diesen zur Berathung
ausgesetzt ^)
Nur die Mitglieder der Deputationen haben das Becht, geschriebene
Reden zu halten.
Die Uebereinstimmung von 10 Mitgliedern reicht hin, die Berathung
auf eine der nächsten Sitzungen zu verschieben.
Der Präsident erklärt die Berathung für geschlossen. Vor der Abstim-
mung kann jedes Mitglied verlangen, noch einmal das Wort zn erhalten. Die
Abstimmung geschieht auf die Proposition des Präsidenten oder des Vice-
präsidenten, jo nachdem dieser oder jener den Vortrag gethan, mit den
Worten: «einverstanden» oder «nicht einverstanden.»
Art 61. Schlussfassung.
Alle Beschlüsse werden in vollzähliger Versammlung (Art. 29) durch
absolute Stimmenmehrheit zu Stande gebracht.
Bei eintretender Stimmengleichheit wird der Gegenstand zur wieder-
holten Berathung in der nächsten Sitzung ausgesetzt; wird alsdann die
Stimmengleichheit nicht gehoben, so entscheidet die Stimme des Präsidenten
bei allen Gegenständen, die nicht die Finanzen betreffen, und bei diesen
die Stimme des Vicepräsidenten.
Die einzelnen Abstimmungen sind in das Protokoll einzutragen und
namentlich zu verlesen, worauf der Präsident nach der Stimmenmehrheit
den gefassten Beschluss ausspricht.
#
Art. 62. Besondere Bestimmungen rücksichtlich
der Finanzgegenstände.
Die Ermessung des Staatsbedürfnisses und die darnach zu bestimmen-
den Auflagen **) sind auf jedem Landtage die ersten Gegenstände der land-
ständischen Berathungen; bevor diese geschlossen sind, können andere Ver-
handlungen ***) nicht statt haben.
Zur Vorbereitung der Berathungen über Finanzgegenstände kann die
Finanzdeputation jeweils vor der wirklichen Eröffnung des Landtags zu-
sammenberufen werden.
Die Versammlung hat zu diesem Ende in ihrer letzten Sitzung diese
Deputation für den künftigen Landtag zu ernennen.
*) In dar 1. Badaotion •Und hier der Satz: «»Die Beratkangeu der LandsUnde können nnr
mit Unserer BewUligang öfTentUcli gehalten werden.**
**) Zusatz der 1. Bedaction: das Budget und die Entwürfe der Finanzgesetze.
***) Redaciion 1 hat den Zusatz: ron WiehtigkeiL
81
Art. 63. Ständische Eingaben.
Alle ständischen Beschlüsse müssen Unserer Hofcommission *) schrift-
lich mitgetheilt werden.
Ihre Eingaben sollen zwar an Uns gerichtet werden, sie sollen die
Ueberschrift: «unterthänigste Erklärung», und die Unterschrift: «treuge-
horsamste Landstände des Grossherzogthums Baden > haben, sie werden
aber ebenfalls an die Hofcommission abgegeben. **)
Wenn eine Proposition, die ihrer Beistimmung unterliegt, diese nicht
erhält, so haben sie die Gründe ihres verweigerten Beitritts als «Bedenken»
vorzutragen.
Ueber Gegenstände die nur ihrer Berathung unterliegen, haben sie
sich gutachtlich zu äussern.
Im Uebrigen werden die nöthigen Bestimmungen über den Geschäfts-
gang den Ständen überlassen; die erste Versammlung entwirft darüber ein
Reglement, das Uns zur Bestätigung vorgelegt werden muss. ***)
Art. 64. Kosten der Ständeversammlung, f)
Die Kosten der Ständeversammlung eignen sich zu jenen Gattungen
von Aufwand, welche durch directe Steuern gedeckt werden müssen, jeder
Deputirte erhält täglich 6 fl. und 1 fl. für Bedienung.
ff) Hiemit glauben Wir die Rechtsverhältnisse Unserer Unterthanen
aller Classen gegen Uns und Unsere Behörden, nach der Yerheissung vom
*) 1. Bedaction: Uns.
**) 1. Bedaction: Ihre Eingaben werden an Uns gerichtet, tragen die Uehersehrift: „Unter-
thiaigrte ErkUmng" nnd irerden den betreffenden Ministerien mitgetheilt. Die Unterschrift lantet:
Mtrengehorsamste Landst&nde des Oronsherzogthuma Baden.*'
***) Dieser Satz fehlt in der 1. Bedaction.
t) D.efer Artikel fehlt in der 1. Bedaction. Dafür ist dort ein Art. 64. StÄndischer Ans-
schns«. In der letzten Sitzung wird der sUndisehe Anfcschnss gew&hlt. Er besteht ans 7 Mit-
gliedern, die nach den im Art. . . ftber die Wahl der Deputationen gegebenen Bestimmungen zu
ernennen sind.
Der Ansschnss tritt zusammen, um seinen Vontand zu w&hlen. Es bedarf keiner solchen
Wahl, wenn der Pr&sident oder Viceprftsident zum Mitglied des Ausschusses ernannt wird.
Im ftbrigen werden die nöihigen Bestimmungen Aber den Oesch&ftsgang den St&nden ftber-
lassen; die erste Versammlung entwirft dar&ber ein Beglement, das Unserer Best&tigung unter-
worfen ist.
It) 1> Bedaction: Indem Wir nun durch gegenw&rtiges Grundgesetz Unaerm Orossherzogthnm die
unterm i 6. M4rz d. J. rerheissene landst&ndische Verfassung ertheilen und der Versammlung der Be-
prftsenUnten die Theilnahme an mehreren, bisher Uns ausschliesslich zugestandenen Bechten in den
namentlich ausgedruckten Fällen und in der festgesetzten Weise unwiderruflich zugestehen nnd
feierlich zusichern, stellen Wir zugleich folgende, beinahe durchgängig schon bestehende grund-
gtsetzllchen Bestimmungen unter die Garantie der landstftndisehen Verfassung.
6
8ä
16. März d. J., gehörig gewürdigt und befestigt zu haben. ♦) Wir finden
aber, um Einigung und Zutrauen unter den verschiedenen Classen der
Unterthanen unter sich und gegen einander zu begründen, für ebenso
zweckmässig und wohlthätig, folgende pragmatischen Bestimmungen hier
anzuknüpfen.
I. Die Rechte der drei christlichen Confessionen sind gleich.
II. Das Kirchenyermögen kann auf keine Weise seiner Bestimmung
entzogen werden. •
III. Die Ablösung der hier und da noch bestehenden Leibeigen-
schaftsgefalle darf nicht versagt werden. **)
lY. Der Unterschied des Standes, begründet keine Ungleichheit in
der Militärdienstpfiicht, die Standesherm ausgenommen. ***)
V. Die Verbindlichkeit, nach den bestehenden Gesetzen zu den
allgemeinen Staatslasten beizutragen, ist für alle Unterthanen
gleich, t)
VI. Alle Unterthanen sind zu allen Staatsämtem gleich berechtigt, nur
die hohem Hofdienste sind dem Adelstando ausschliesslich vor-
behalten, tt)
VII. Keinem Unterthanen kann die ff f ) Erlaubniss zum Wegzug
ausser Landes versagt werden, insofern ihm die Gesetze über
die Militärdienstpflicht nicht entgegenstehen.
VIII. Die Abzugsfreiheit soll gegen alle Staaten, welche entweder die
Reciprocität schon zugesichert haben, oder noch zusichern werden,
gehandhabt werden. §)
IX. Alle Erkenntnisse in bürgerlichen Rechtssachen müssen von den
ordentlichen Gerichten ergehen; ebeuso kann in Criminalsachen
*) Leute PoiSMPff: Mögen die Polgen eber.so entsprechend vnd gesegnet tein, se vdtirlick gttt die
Absicht ist, weiche Uns dabei geUitet hat.
Die in der iweiUn Redaction folgenden 13 Sdtie $iiid in der Uttten Passung ueggebtitben*
**) 1. Rodaetion: Die Leibeigenschaft bleibt aufgehoben, nnd fftr den Abkanf der Leibeigenschafts-
gefllle wird, »o weit es noch nicht geschehen, ein gesetzlicher Fnss reguliert.
***) „die Standesherrn ausgenommen'* fehlt in der 1. Bedaction.
I) Zunatz der 1. Bedaction: Selbst die Dom&nen und Dom&nengef&Ile, welche die Civillist«
bilden, unterliegen der Besteuerung.
It) I^io 1* Bedaction hat folgenden Art VI: Jeder Untertban hat das Becht, unter Nennung seines
Namens, was ihm gut d&nkt, ohue Torherige Ceurar drucken zu lassen. Wer indessen VerUum-
dungen, Schm&hungen oder Torderbliche Grundsätze durch den Druck verbreitet, wird nach den
Gesetzen bestraft. Wer eine Schrift Tor dem Drucke der Censurbehörde fiborgeben und die Er-
laubniss zum Drucke erhalten, ist befreit Ton aller Verantwortlichkeit fftr den Inhalt und kann
seinen Namen rerschweigen.
Die Art VL— XIIL der zweiten Bedaction haben in der ersten, wegen Einschiebung des so eben
angeführten Art VL die Ordnungszahlen VIL— XIV. Der Art. VII. der 1. Bedaction hat folgenden
Znsatz: Fremde, die nicht Ton deutscher Geburt sind, können kein Staatsamt bekleiden.
Itt) 1* Bedaction: nachgesuchte.
S) 1. Bedaction: Die bisherigen Gesetze fiber die Abzngsfjreiheit bleiben in Kraft
8S
kein Unterthan seinem ordentlichen Richter entzogen werden. *)
Eine Schärfung der von den Gerichten erkannten Strafe findet
nicht statt.
X. In allen Privatrechtsverhältnissen nimmt der Fiscus hei den gross-
herzoglichen Gerichtshöfen Recht
XI. Die Verwaltangshehörden sollen, in Ansehung der nach administra-
tiven Gesetzen zu heurtheilenden und zu entscheidenden streitigen
Fälle, an ein dem gerichtlichen analoges Verfahren gehunden
werden, und in den höhern Instanzen dahei eine kollegialische
Berat hung und Eutscheidung eintreten.
XU. Competenzstreitigkeiten zwischen Gerichts- und Verwaltungs-
stellen werden von der ohersten Staatshehörde erledigt
XIII. Die Lage Unserer wirklichen Staatsbeamten und derselben
Dienstverhältnisse sollen durch ein besonders Gesetz gesichert
werden. **)
Wir schliesen hiermit die Grundlage, worauf die künftige Staats-
verfassung ruhen, das Band, welches alle Unterthanenclassen zutraulicher
an Uns knüpfen, die Elemente, welche in den verschiedenen Classen einen
dem Regenten und dem Staat frommenden Gemeingeist schaffen und pflegen
sollen.
Mögen die Folgen ebenso entsprechend und gesegnet sein, so väterlich
gut die Absicht ist, die Uns bei dieser Sanction geleitet hat.
*) Za^atz der 1. Bedaction: Wir haben das unbedingte Recht, zu begnadigen.
**) 1. Bedaction: Die Lage Unserer wirklieben Staatsbeamten soll durch ein besonderes Gesetz
gesichert nnd namentlich ein Theil ihres AetiTit&tsguhaltes als Staatsgehalt ansgesprochen werden,
der nie weniger als dreiviertel des für die Wittwencasse gemachten Anschlage betragen and ohne
richterlichen Spmch nicht enlzogen werden kann.
6*
84
Beilage A.
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Btiage 6.
85
Dai^tellung
des Stenercapitals und der darauf gegründeten Stimmen
der Standesherrn des Qrossherzogthums.
Namen der Standesherm.
Steuer-Capital.
Stimmen!
1. Die Herrn Markgrafen Friedrich und Ludwig
von Baden
5,672,177
8,415,233
4,770,920
2,962,014
3,052,879
1
2
1
1
1
2. Der Herr Fürst von Fürstenberg ....
3. Der Herr Fürst von Leiningen ....
4. Die sämmtlichen fürsüioh Ldwensteinischen
Häuser ••....
5. Der Herr Fürst von Salm-Erautheim, die
Herren Grafen von Hochberg und die Herren
Grafen von Leiningen — Neudenau und
Billiffheiin , , ^ , . - . ^ x , ,
Summa
24,873,223
6
Anmerkung.
Das Steuercapital der Standesherrn ist zwar Beilage A. richtig mit
25,032,517 fl. angegeben, es kommen aber hier nur 24,873,223 in An-
satz, weil eine Curial-Stimme mit 159,294 fl. 8teuercapital dermal quies-
cieren muss.
96
BdUge C.
Eintheiliong
des Grossherzogtliaiiis in Bezirke ftlr die Wahl
der grundherrlichen Deputirten.
Zahl
der
Wahlbezirke.
I. W. B.
n.
m.
IV.
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'• »» >»
Umfang der Wahlbezirke.
See- und Donaukreis
Dreisamkreis
• • • •
Kiozig-, Murg-, Pfinz- und Enzkreis
Neckarkreis mit Ausnahme der Stadt und
der beiden Landämter Mosbach . .
Main- und Tauberkreis, mit Mosbach
Summa
Grundheniiches
Steuer -Capital.
3,796,612
4,084,909
5,368,388
5,184,790
3,414,299
21,847,998
Beilage D.
87
Eintheilung
des Orossherzogthuins in Bezirke für die Wahl
der übrigen Deputirten.
Namei\
der
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Steuercapital
der
Kreise.
'
Wahlbezirke.
Wahlbezirl(e.
19,491,098.
Kreise.
Ueberliogen.
See . •
.
Radolfszell.
18,043,273.
54,656,571.
\
Stockach.
17,022,200.
/
>
Villingen.
17,483,535.
1
DoDau .
m ■ 1
Httfingen.
12,531,216.
r 40,185,878.
1
Bonndorf.
10,171,127.
/
Waldshut
17,921,260.
\
\
Schopfheim.
15,278,986.
1
f
1
Lörrach.
Müllheim.
•
19,023,290.
19,757,880.
Dreisam
1
Breisach.
Freiburg I.
18,128,115.
9,469,880.
) 164,717,861.
Freiburg II.
Freiburg III.
Emmendingen.
16,627,070.
14,653,840.
15,301,980.
\
Kenzingen.
Ettenheim.
18,565,560.
10,575,057.
/
^
Lahr.
14,524,055.
Kinzig .
. {
[
Offenburg.
1 Bischoffsheim.
1 Oberkirch.
Hasslach.
Bühl.
17,810,266.
14,405,280.
15,147,785.
13,573,340.
17,158,041.
\ 86,035,783.
1
Murg .
1
Eastatt.
16,978,526.
53,579,728.
1
Ettlingen.
19,443,161.
88
Pflnz u. Enz.
Neckar
Main und
Tauber . |
Carlsruhe.
Durlach.
Bruchsal.
Bretten.
Pforzheim I.
Pforzheim II.
Wiesloch.
Schwetzingen.
Mannheim.
Ladenburg.
Heidelberg.
Sinsheim.
Mosbach.
Wertheim.
Boxberg.
Buchen.
8,599,149.
17,944,152.
19,661,109.
21,956,767.
15,998,714.
10,216,866.
21,592,589.
16,029,849.
11,118,235.
18,462,047.
14,309,753.
19,870,396.
18,382,556.
20,848,811.
18,978,710.
17,966,910.
94,371,747.
,119,765,425.
57,794,431.
98
Es ist anffallend, dass in der Commission , welche diese Entwürfe zn
begatachten hatte, ausser Sensburg nicht einem einzigen von den Männern
Sitz und Stimme zugestanden worden war, die früher an den Yerfassungs-
arbeiten einen so eifrigen und rühmlichen Antheil genommen hatten ; es
hängt diess ohne Zweifel mit dem Netz von Intriguen zusammen , welches
einzelne gewandte und einflussreiche Personen, die Kränklichkeit und das
durch sie hervorgerufene Misstrauen des Grossherzogs benutzend, über die
leitenden Kreise zu werfen verstanden hatten. Ihre Berechnungen durch-
kreuzte indess doch, zumal in so wichtigen Fragen, zuweilen der Entschluss
des (rrossherzogs.
Ein Separatgutachten des Frhm. v. Marschall über den Nebenius-
Sensburg'schen Entwurf, das bei den Acten liegt, beweist, dass auch dieses-
mal der Grossherzog den so vielfach bewährten Mann über diese bedeu-
tungsvolle Angelegenheit nicht ungefragt liess. Frhr. v. Sensburg würde
seine Meinung nicht eingeholt haben*
Dieses Gutachten des Frhm. v. Marschall — von ihm «Erinnerungen
über den Sensburgischen Entwurf IT.» überschrieben — ist vom 22. Juli
1816 datiert
Er macht darin zuvörderst darauf aufmerksam , dass man von Seiten
der öffentlichen Meinung , «welche sich heut zu Tage zu einem wichtigen
Element in der gesellschaftlichen Ordnung erhoben hat,» grosse Erwartungen
auf die zu ei'lassenden Constitutionen setze, dass eine Täuschung derselben
sehr nachtheilig wirken könne. Desshalb habe er dem Grossherzog ange-
rathen, die ständischen Befugnisse zu erweitem.
Die Abtheilung der Wahldistricte nach dem Massstab der directen
Steuern findet er für die Yolksdeputirten sachgemäss ; nicht so für die
Standesherm. Man dürfe nicht das an sich schon bedeutende Gewicht der
Stimmen der Reichsten und Ersten durch organische Gesetze vergrössem.
Die Vereinigung beider Kammern in eine findet v. Marschall bei der
Berathschlagung über die Steuerbewilligung und einige andere Finanz-
gegenstände zweckmässig. Sonst aber sei die Bedeutung einer Adels-
kammcr von nicht zu leugnender Grösse. Nur Hass gegen den Adelsstand
kämpfe in Zeitungen und Flugschriften dagegen. Die Wahrheiten , die
Montesquieu entwickelt, blieben trotzdem aufrecht ; das Wesen einer guten
Verfassung bestehe in einer wohl abgewogenen Verbindung des vorherr-
schenden monarchischen Elements mit dem aristokratischen und demokra-
tischen. Er macht ferner für zwei Kammern die reifere, ruhigere und be-
sonnenere Ueberlegung geltend, die verschiedene Stellung der beiden berathen-
den Körper zur Regierung, die verschiedenen Gesichtspunkte, von denen
beide ausgehen, die Möglichkeit, ungeeignete Beschlüsse der einen durch die
Verweigerung der Einwilligung der andern zu beseitigen. In Würtemberg
bereue es die Regierung sehr, nicht von Anfang zwei Kammern eingeführt zu
haben. Der Adel, zurückgesetzt und erniedrigt, habe sich in die Arme
der extremsten Demokraten geworfen.
90
Es sei ausserdem den Standesherm gegenfiber billig und klug, ihre
fk'üheren Yerhälinisse so weit zu ehren als möglich. «Ein Staat ehrt sich
selbst durch Auszeichnung seiner ersten Unterthanen.»
Zu Einzelnem übergehend, spricht sich Frhr. v. Marschall bei Art. 3
gegen die Ernennung eigener Deputirten durch den Regenten aus, eine
Massregel, welche die öffentliche Meinung in hohem Grade gegen sich
haben würde.
Bei Art. 8, Nr. 3 sieht er nicht ein, warum grund- und standesherr-
liche Beamte ausgeschlossen sein sollen ; er ist auch gegen principielle Aus-
schliessung der Staatsdiener. Die Bestimmung wegen der Entlassenen
glaubt er deutlich gegen gewisse Personen gerichtet, die sich neuerlich
yergangen haben und desshalb entlassen worden sind. ^) Er hält es für
ungerecht, sie, gleich Verbrechern, auszuschliessen.
Zu Art. 31 ist Frhr. v. Marschall für Integralemeuerung nach 5 — 6
Jahren, die er für besser als die partielle Erneuerung hält. Der Geist
einer partiell erneuerten Kammer werde sich im Wesentlichen nie ändern.
Das immer bedenkliche Mittel der Auflösung werde öfter zur Anwendung
kommen müssen.
Zu Art. 36 will er den Ständegliedem gestattet wissen, Instructionen
von ihren Committenten anzunehmen.
Zu Art. 39. Nr V. und VI. Nicht bloss die Berathnng , sondern die
Einwilligung der Stände in der Gesetzgebung erscheine erforderlich. So
sei es in allon Constitutionen.
Doch möchte Marschall nicht alle Zweige der Gesetzgebung der stän-
dischen Mitwirkung eröffnen, besonders nicht diejenigen Gesetze, welche
die Privatverhältnisse der Unterthanen gegen einander betreffen und deren
Anwendung in streitigen Bechtsfallen den ordentlichen Gerichten zusteht.
In diese Gesetzgebung könnten die Stände leicht grosse Verwirrung bringen.
Auch das Hausgesetz der Regentenfamilie berührt sie nicht ; ebensowenig
alles, was man Landesorganisation nennt.
Auf den 1. August hatte das Grossherzogiiche Rescript vom 16. März
die Eröffiiung der ersten ständischen Versammlung in Aussicht gestellt.
Davon konnte natürlich keine Bede sein , da gegen Ende Juli noch nicht
einmal ein Verfassungsentwurf endgiltig festgestellt war.
Indess wäre auch schon die Verkündung der Verfassung, wenn sie an
diesem Termine erfolgt wäre, allenthalben mit Befriedigung und neuem Ver-
trauen auf eine bessere Zukunft begrüsst worden. Jedoch auch diess sollte
nicht geschehen.
Im Bathe des Fürsten trug diejenige Ansicht den Sieg davon, die
Sensburg schon bei früheren Anlässen sehr entschieden vertreten hatte,
dass man mit der Ertheilung der Verfassung zuwarten solle, bis der
^) Vergl. oben 8. 40 und 41.
91
deutsche Bundestag diejenigen Directiven gegeben haben würde, welche för
die Gesetzgebung der Einzelstaaten massgebend sein müssten.
Am 30. Juli 1816 wurde das Land durch das nachstehende Rescript
überrascht : *)
Wir Carl etc.
Da Wir durch Unser Rescript vom 16. März 1. J. die erste stän-
dische Versammlung auf den Anfang Augusts festsetzten, so waren
Wir berechtigt, mit voller Zuversicht zu hoffen, dass in der Zwischen-
zeit diejenigen Gegenstände der deutschen Bundesverfassung, mit
welchen Wir die besondere Verfassung Unseres Landes in Einklang
zu setzen gedenken, durch nähere Uebereinkunft mit den sämmt-
lichen hohen Bundesgliedern würden verabredet und bestimmt werden.
Allein diese Hoffnung ist zur Zeit noch nicht in Erfüllung ge-
gangen. Wir dehen Uns daher veranlasst, die dem Lande zu gebende
ständische Constitution, welche bereits vollendet zu Unserer höchsten
Sanction vorliegt, für jetzt noch nicht zu verkünden.
Zu dieser höchsten Entschliessung leitet Uns bloss der landest
väterliche Wunsch, diese wichtige Angelegenheit mit der möglichsten
Umsicht zu behandeln, damit eine feste und dauerhafte, das Glück
der Einzelnen und des Ganzen sicher gründende Verfassung gebildet
werde.
Carlsruhe, den 29. Julius 1816.
CarL
vdt Frhr. v. Hacke.
Auf Seiner Königlichen Hoheit
besondem höchsten Befehl.
Ring.
*) BegierangsbUti 1816 Nr. XIIV.
Fünftes Capitel.
Nun ruhten längere Zeit die Verfassungsarbeiten vollständig« Beinahe
gleichzeitig mit dem Erlass des Rescript^s vom 29. Juli fand ein Minister-
wechsel statt , in dessen Gefolge unmittelbar eine Reihe der wichtigsten
Arbeiten in Angnff genommen wurde, um das schwankende und von den
Stürmen der Zeit schwer erschütterte Staatsachi£f wieder in ein ruhigeres
Fahrwasser zu leiten. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Frhr.
von Hacke, ein frivoler Lebemann ohne sittlichen Ernst und ohne Sinn für
eine geordnete Geschäftsbehandlung, wurde seines Amtes enthoben und
an seine Stelle Frhr. von Berstett, bisher Gesandter am Bundestag,
ernannt, ein Mann, nicht von grossen Geistesgaben, aber brav, dem Regenten-
hause unbedingt ergeben und von militärischer Pünktlichkeit. Der Minister
des Innern, Frhr. von Berkheim, übernahm die Bundestagsgesandtschaft, der
Finanzminister von Sensburg das Ministerium des Innern, Staatrath von
Dawans die provisorische Leitung des Finanzministeriums, Frhr. von Marschall
und die Herren Wieland und Guignard wurden zu Mitgliedern des Staats-
ministeriums ernannt. Das Wichtigste aber war die Ernennung des Frhrn.
von Beizenstein zum Staats- und Gabinets -Minister. Die Wahl dieses
ausgezeichneten, in den wichtigen diplomatischen Verhandlungen der Rhein-
bundszeit als ebenso klug, gewandt und treu, wie in der Behandlung der
inneren Angelegenheiten des Landes als gewissenhaft und freisinnig be-
währten Staatsmannes, war der unverkennbarste Beweis einer Wendung zum
Besseren. Seine Energie neutralisierte auch die Gefahr, die immerhin noch
in der Beibehaltung von Männern wie Sensburg und Guignard lag, von
denen indess der erstero, wenn nur seiner Neigung zur Intrigue kein allzu-
grosser Spielraum gelassen wurde, als eine sehr schätzbare Arbeitskraft
angesehen werden durfte«
93
Der Entschluss za diesen wichtigen Yerändernngen war jedenfalls ein
persönliches Verdienst des Grossherzogs Carl, der, so sehr ihn auch in der
Regel sein unheilbares Siechthum dazn verurtheilte, die Dinge gehen zu *
lassen, wie sie eben giengen, zuweilen mit raschem Entscheid die wichtigsten
Dinge erledigte und dann gewöhnlich das Richtige traf.
Was Staatsrath Reinhard über ihn sagt, *) ist für diesen Fürsten
inaaersi characteristisch und, so sehr es auch von der gemeinhin geltenden
Eeurtheilong desselben abweicht, durchaus zutreffend. «Er hörte an und
dachte im Stillen; er kannte die Menschen und hatte ein feines, scharfes
Auge, dessen heimliche Wahrnehmungen er mit Argwohn und Misstrauen
zu Terstellen wusste.» Wenn er von verschiedenen Seiten mit Meinungen
und Rathschlägen bedrängt wurde, heisst es an einer andern Stelle, «so
sagte der junge Fürst nicht, was er thun werde ; aber wenn er Alles an-
gehört, und mit seinen schönen, schlauen Augen die geheimste Gesinnung
dnrchspäht hatte, so handelte er plötzlich im unerwarteten Moment nach
eigner, heimlich gefasster Entschliessung, oder er hatte, wenn es auf eine
Negative ankam, die Sache bereits zum ewigen Schlafe bei Seite gelegt,
wenn er immer noch mit scheinbarer Aufmerksamkeit Gespräche und Er-
örterungen darüber anhörte.»
Auch General von Tettenbom hat Anspruch, einen Tbeil des Verdienstes
an den neuen Entschlüssen für sich zu fordern. Er hatte, aus Liebe und
Anhänglichkeit für sein Geburtsland und dessen Fürsten, den russischen
Dienst, in dem er sich während der Befreiungskriege die glänzendsten
Lorberen gesammelt, verlassen und weilte damals in der nächsten Um-
gebung des Grossherzogs.
Wenn aber auch die Kräfte der Minister zunächst der bessern Ordnung
des Staatshaushaltes gewidmet waren, so fehlte es doch bald nicht an neuen
Mahnungen, der Verfassungsfrage nicht zu vergessen. Wie zur Zeit des
Wiener Congresses, so war es auch jetzt wieder die grosse Angelegenheit
der Territorial -Integrität und der Erbfolge, welche den Grossherzog und
seine Räthe zur Wiederaufnahme der Verfassungsarbeiten veranlasste.
Während Baiern, von Oestreich im Stillen, aber um so kräftiger unter-
stützt, unausgesetzt bemüht war, seine Ansprüche auf die badische Pfalz
bei den grossen Höfen zu begründen und deren Beistand zu erringen, trat
durch den Tod der beiden Prinzen, welche die Grossherzogin Stephanie
geboren und durch den sich täglich verschlimmernden Gesundheitszustand
des Grossherzogs auch die Erbfolgefrage wieder mehr in den Vordergrund.
Zwar war für den Todesfall des Grossherzogs Carl die Nachfolge seines
Oheims, des Markgrafen Ludwig, unbestreitbar und weiterhin durch die
Erhebung der Grafen von Hochberg zu Markgrafen von Baden von Seite
*) In Minem Tergtiienen, aber lehr lesaniwertheA Buche: „Bekenntniiie*** K&rlnuke 1840.
BMd 1. S. 262.
94
des regierenden HBUses alle nötbige Vorsorge getroffen, allein die Saccessions-
fähigkeit der Letzteren war noch nicht Yon den europäischen Mächten
anerkannt und bei dem trostlosen Zustande der Finanzen, bei der Stockung
aller Geschäfte fürchtete man bei einem plötzlichen Eintritt des unzweifel-
haft drohenden Todes des Regenten das Schlimmste: einen bewaffneten
Einfall der Baiern, eine völlige Auflösung und Theilung des Landes.
Die einflussreichsten Männer in der Umgebung des Grossherzogs sahen
unter diesen Umständen nur in der Er theilung einer dem Zeitgeist ent-
sprechenden Verfassung die Möglichkeit einer Wendung zum Bessern, die
Consolidierung des so schwer gefährdeten Staatswesens. Auch die befreunde-
ten Mächte riethen diesen Schritt dringend an. Aus Berlin und besonders
aus St. Petersburg kamen wiederholt Mahnungen, das Verfassungswerk zu
beschleunigen. Auch der König Wilhelm von Würtemberg, naturgemäss
ein Hauptgegner der bairischen Vergrösserungsgelüste, und als Schwager des
Kaisers Alexander auch auf die Gesi^ungen des russischen Hofes von
Einfluss, ertheilte seinen Rath in demselben Sinne.
Im December 1817 war ein Comit^ zur systematischen Bearbeitung
nnd Begutachtung der Angelegenheiten des deutschen Bundes niedergesetzt
worden, welchem die Minister von Reizenstein und von Berstett, Staatsrat h
Wielandt, Geh. Referendar Reinhard, Regierungsrath Winter und Finanzrath
Nebenius angehörten. Das Gomit6 zog sofort auch die Verfassungsfrage —
als geboten durch den Art. 13 der Bundesacte — in den Kreis seiner
Berathungsgegenstände. Am 11. Februar 1818 resolvierte der Grossherzog
auf einen Vorschlag des Comit^s, dass eine Aufforderung des Bundestages
oder eine Erklärung Baierns oder Hessen-Darm st ad ts als der schicklichste
Zeitpunkt zur Abgabe einer ebenmässigen Declaration angesehen werden
solle. Um dieselbe Zeit überreichte der Frh. von Bersteit dem Grossherzog
eine Denkschrift, in welcher er die Nothwendigkeit zweier Kammern dar-
zuthun suchte, besonders desshalb, weil in einer Kammer die bürgerlichen
und bäuerlichen Abgeordneten vollständig über den Adel die Oberhand
gewinnen würden.
Am 7. April 1818 gab das Comit^ für Bundesangelegenheiten das
Gutachten ab, dass es nun an der Zeit sein dürfte, eine die Vollziehung
des Art. 13 der Bundesacte betreffende Erklärung zu erlassen. Der in
obiger Resolution bezeichnete Zeitpunkt sei nun eingetreten, da Baiem
und Hessen- Darmstadt ihre Intentionen bei dem Bundestag formlich zu
erkennen gegeben hätten. Es könnte diesseits durch längeres Zögern
durchaus nichts gewonnen werden, während, neben der Aussicht auf eine
höchst unangenehme Erinnerung der Bundesversammlung, der Verlust in
der öffentlichen Meinung, dem Vertrauen des Volkes und anderer Regierungen
eben so klar als unberechenbar sei. Die frühere Verkündigung vom 29. Juli
1816 sei als purificiert zu betrachten, seitdem es unzweifelhaft sei, dass
wegen Einführung landständischer Verfassungen eine Uebereinkunft der
einzelnen Bundesregierungen nicht stattfinden werde.
r
95
Auf diesen Vortrag ergieng an den Präsidenten des Comit^s das nach-
stehende Handschi'eiben des Grossherzogs:
Mein Heber Staats- und Cabinets - Minister !
Ich ertheile Ihnen andurch den Auftrag, in dem für die Bundes-
siigelegenheiten niedergesetzten Comit^ die über die Einführung einer
iandständischen Verfassung im Grossherzogthum bis daher ausgearbeite-
ten Entwürfe und gesammelten Actenstücke, unter Beobachtung des
allen Mitgliedern desselben auf*s ernstlichste zu empfehlenden tiefsten
Geheimnisses, in die sorgfältigste Berathung zunehmen, mit Benutzung
aller, in der Gesetzgebung anderer Bundesstaaten über landständische
Verfassung bisher in üebung gekommenen Einrichtungen, den dcrmaligen
Verhältnissen des Landes möglichst anzupassen und in vollständig
entsprechenden Ausfertigungen Mir vorzulegen.
Ich verbleibe mit ausgezeichneter Achtung
Ihr
ganz ergebener
Carl m. pr.
Carlsruhe, den 28. April 1818.
An den Staats- und Cabinets-Minister von Reizenstein.
lieber die damit neuerdings eröffneten Verfassungsberathungen lassen wir
am besten Nebenius *) selbst berichten: «Vor seiner Abreise nach Baden»
— erzählt er — «versanmielte der Grossherzog dasComit^ in einer kurzen
Sitzung, in welcher er seine Ansicht kund gab, für die seinem Lande
bereits verheissene landständische Verfassung das Zweikammersystem anzu-
nehmen, den Ständen alle, dem Zwecke dieser Institution entsprechenden,
mit den monarchischen Grundprincipien und der Unabhängigkeit der Staats-
verwaltung vereinbarlicheu und nicht zur Einmischung in die laufende
Verwaltung des Staates führenden Rechte, insbesondere die Mitwirkung an
der Gesetzgebung des Landes zu verleihen und die wesentlichsten Grund-
lagen des bestehenden Rechtszustandes und die wichtigeren der bewährten
Staatsanstalten unter die Garantie der Verfassung zu stellen. Im All-
gemeinen wurden die Gründe, welche für die Bildung von zwei Kammern
geltend gemacht werden konnten, und noch als eine wesentliche Bestimmung
der Vorbehalt der Initiative in der Gesetzgebung ausschliesslich für die
Regierung, ausfuhrlicher besprochen. Frühere Verhandlungen und Ent-
würfe wurden nicht berührt, sondern dem Comit^ überlassen, ohne Rück-
sicht hierauf, dem Grossherzog den Entwurf einer Verfassungsurkunde, wie
*) „Schon 1816** — lieifst ef an einer andern Stelle der Nebenias^tchen Anfzeiclinnngen •
Hwnrde mir geengt, dnee ich tu den Verlmndlnngen Ikber die ConatUntion beige sogen werden lollt«.
Ich nchairt« mir weitere literariecbe Hilfemittel an, etndierte fort nnd kam dabei auf gani andere
Ideen, ale die waren, denen ich bei meinem eriten Bntwnrf gefolgt war, was dem Oroiskerxog
■Ickt unbekannt blieb.**
96
sie dem Bedürfnisse des Landes entspreche, vorzulegen. Beim Hinweggehen
hlieb der Grossherzog bei mir stehen, wandte sich an den Cirkel der Mit-
glieder und sagte: ««Ich ernenne den Herrn Nebenius zum Refe-
renten.»» Später bedeutete er mir, dass er die Vorlage meines Entwurfes
in meinem Manuscript erwarte und befahl nachdrücklich deren Beschleu-
nigung. Herr von Reizenstein schickte mir nun die vorhandenen Acten und
bemerkte mir mündlich, dass mir meine Arbeit leicht fallen dürfte, da sich
in den Acten der Verfassungsentwurf des Herrn von Marschall befinde,
den ich zu Grund legen könne. Ich gab aber die Acten sogleich zurück,
da ich mit meinen Ansichten schon im Reinen sei, und kam mit dem Ent-
würfe bald zu Stande.»
«Die Entwürfe der Verfassungsurkunde und einer Wahlordnung, die
ich vorlegte und für deren Abfassung mir die, vom Grossherzog in den mir
früher vergönnten Privataudienzen gebilligten Grundzüge massgebend waren,
erhielten den Beifall des Comites. Ich begleitete ihre Vorlage mit einem
mündlichen Vortrage, in welchem ich die Gründe für die einzelnen Bestim-
mungen in ihrem ganzen Zusammenhange entwickelte und überall auf ab-
weichende Bestimmungen, welche anderwärts bestanden oder die noch be-
stehenden landständischen Verfassungen oder vorliegende und in Berathung
stehenden Entwürfe darboten, sowie auf die, bei solchen Vergleichungen
in Betracht kommende Verschiedenheit der staatlichen, volkswirthschaft-
lichen und socialen Verhältnisse hinwies. Man erkannte an, dass der Ent-
wurf, den ich vorlegte, keine Bestimmungen enthielt, welche die monarchi-
schen Grundprincipien verletzten oder welche, ihrem Inhalte nach, zur Auf-
nahme in ein Verfassungsgesetz als ungeeignet oder, vermöge der den
Zuständen des Landes zu tragenden Rücksichten, als schlechthin unzulässig
zu betrachten wären. Man billigte dass der Entwurf der Verfassungsur-
kunde, ausser den nöthigen Bestimmungen über die Zusammensetzung und
die Wirksamkeit der Stände, im Grunde keine wesentlichen Neuerungen
enthielt, sondern in seinen übrigen Bestimmungen sich auf bereits bestehende
Einrichtungen oder längst anerkannte Regierungsmaxiroen gründete und der
Entwicklung der öffentlichen Zustände, auf dem durch die Einführung der
Stände angebahnten Wege nicht durch eine grössere Menge von Voraus-
bestimmnngen Vorgriff. Bei der Erörterung der einzelnen Abschnitte und
Artikel und deren Vergleichung mit den in anderen Ländern bestehenden
Einrichtungen oder in kurz zuvor veröffentlichten Verfassungsurkunden
oder vorliegenden Entwürfen gegebenen Vorbildern, war es gerade die grosse
Mannigfaltigkeit der Ansichten, die über die Art und Weise, wie die meisten,
auf die Lösung der gestellten Aufgabe bezüglichen Fragen in dieser oder
jener Weise geltend gemacht werden konnten, zugleich aber auch die
Schwierigkeit, in einer Reihe bestrittener oder in Zweifel gestellter Fragen
ein ganz entschiedenes Ueberge wicht der Gründe ihrer Lösung in der einen
oder in der andern Weise zu finden, und im Voraus alle practischen Gon-
sequenzen mit voller Sicherheit zu berechnen, welchen ich den Beschluss
97
des Comites zuzuschreiben hatte. Dasselbe fand keinen zureichenden
Grand, irgend eine wesentliche Abänderung in Vorschlag zu bringen.»
Die neue Arbeit von Nebenius zeichnete sich vor allem durch eine
klare Disposition der einzelnen Abschnitte der Yerfassungsurkunde vortheil-
hafl vor den bisher vorgelegten Entwürfen aus. Namentlich die vollslän-
dige Ausscheidung der Wahlordnung, die als selbständiges Ganzes gedacht
war, verlieh dem bedeutenden Werke eine schöne Harmonie.
Die Abänderungen, welche das Comit6 für Bundesangelegenheiten an
dem Entwürfe von Nebenius vornahm, waren, wie oben erwähnt, nicht
bedeutend. In der Einleitung wurden einige Sätze gestrichen, in denen
die Motive der Hauptbestimmungen kurz entwickelt waren, ebenso eine
ausführliche Fassung des §. 5, welche die Grundprincipien der repräsenta-
tiven Verfassung in kurzen Zügen enthielt; der §.23 erhielt die schliesslich
beibehaltene Redaction ; '") im §. 27 wurde die Lebenslänglichkeit der von
der Regierung zu ernennenden Mitglieder der ersten Kammer eliminiert;
im §. 51 wurden die Bestimmungen über den ständischen Ausschuss für
die Fälle der Vertagung und Auflösung hinzugefügt; im §. 58 die Fest-
setzung über Wiedervergebung heimgefalleuer Thron-, Ritter- und Kammer-
lehen und die Bestimmung über die pragmatische Sanction; im §. 76 erfolgte
der Zusatz , dass die Minister bei den Abstimmungen abzutreten haben ;
die Ueberschrift der §§. 79 bis 82 : «VI. Vorübergehende Bestimmungen>
wurde beseitigt; §. 83, der im ersten Abschnitt gestanden, an den Schluss
versetzt. **)
Die endgültige Redaction der Verfassungsurkunde fand in Griesbach
statt. Nebenius war dabei nicht zugegen. Den Intriguen seiner Feinde
war es gelungen, dem Grossherzog, den seine Krankheit äusserst reizbar,
empfindlich und misstrauisch machte, Verdacht gegen ihn einzuflössen.
Nebenius selbst erzählt hierüber Foldendes :
«Während der Anwesenheit des Grossherzogs in Griesbach und ehe
die Verfassung genehmigt war, erhielt ich, nach einer Zusammenkunft des
späteren Grossherzogs Leopold mit dem Minister von Reizenstein zu Steinbach,
der Winter und ich beiwohnten, den Auftrag, nach Stuttgart zu reisen, mit
dem Minister von Velluagel über die Territoiialangelegenheit zu conferieren
und ihn zur Einwirkung auf die Theilnahme des Königs zu bestimmen,
auch zu hören, was man dort überhaupt davon spreche. Ich begab mich
dahin. Dringend wurde die Erlassung einer Constitution empfohlen, da
*) In der 1. Bed«etion liiest er: „Das Edici yom 23. April 1818, welches die Vorrechte der
SUnde«- und Omidherm enthili, hildei einen BesUndtheil der SUatsTerfassang. Der Oroeeherxog
wird diejenigen, den Standes- und Grandherrn einger&amten Bechte, welche xor Jastiz- und Poliiei-
gewalt gehören, fftr heine anderen Orte oder Bezirke Terwilligen , als woffir sie nach der Bundes-
acte rechtlich angesprochen werden können.**
**) Aus einem geiruckten Exemplar der Verfassungsurkunde, in welches Nehenius tigenh&ndig
diese Notizen eingetragen h»t.
98
Kaiser Alexander vor allem darauf bestehe u. s. f. Die Gesinnangen des
Kaisers waren schon früher bekannt and ich durfte voraussetzen, dass ihm
wenigstens die Form unserer Urkunde, wenn mein Entwurf die höchste
Genehmigung erhielt, entsprechen würde, da ich die Form der pol-
ni^hen Constitution gewählt hatte, die den Kaiser selbst, wie man
glaubte, zum Verfasser hatte. Auf meiner Weiterreise von Stuttgart nach
Griesbach übernachtete ich in Freudenstadt, wo ich zufällig den Markgrafen
Wilhelm traf und sprach. In Griesbach erhielt man sogleich, ich weiss
nicht wie, die Kunde hiervon und knüpfte, ich weiss nicht welche arg-
wöhnischen Yermuthungen daran, wovon ich aber während meines ganz
kurzen Aufenthaltes in dem Bade nicht die mindeste Ahnung hatte. Ich
sprach dort nur Herrn von Reizenstein und überbrachte ihm, was ich in
Stuttgart vernommen, wurde aber, zu meinem Erstaunen, nicht vor den
Grossherzog gelassen, sondern veranlasst, sogleich wieder abzureisen. Kaum
in Karlsruhe angekommen, erhielt ich ein Schreiben von Holzing, worin er
mich wegen meiner Zusammenkunft mit dem Markgrafen Wilhelm und
wegen meiner Stuttgarter Reise um nähere Erläuterung bat, um fär mich
wirken zu können. Da mir von Herrn von Reizeostein der Auftrag ohne
Yorwissen des Grossherzogs gegeben worden war, so musste ich schweigen. »
Wahrscheinlich ist es auf solche Weise, durch Erregung von Misstrauen
gegen denverdienten Mann, seinen Feinden gelungen, ihn von den Schlnss-
conferenzen in Griesbach fem zu halten. An ihnen nahmen, unter dem
persönlichen Vorsitze des Grossherzogs, die Minister von Reizenstein und
von Berstett, die General lieutenants von Schäffer und von Tettenbom, der
Staatssecretär Wielandt und der Staatsrath von Sensburg Tiieil. Noch sind
die Brouillons der Protokolle erhalten, die Wielandt mit Bleistift entwarf.
Aus ihnen geht hervor, dass man bei diesen Bcrathungen noch einmal auf
die Elaborate der frühern Commission zurückgieng und in der ersten Sitzung,
am 13. August 1818, den NebeniusWhen Entwurf von 1816 vorlas. Auf-
fallend genug, ist er auch jetzt noch in dem Protokolle als das Werk
Sensburgs bezeichnet.
Erst am folgenden Tage wurde der neueste, von dem Comit6 für Bundes-
angelegenheiten bearbeitete Verfassungsentwurf vorgelesen und mit Aus-
nahme des §. 59 unverändert angenommen^
Dieser hatte in dem Entwürfe von Nebeniusdie folgende Form gehabt:
«Für den Grossherzog und die Glieder der Grossherzoglichen Familie wird
eine Civilliste festgesetzt, die ohne Zustimmung der Stände nicht erhöht
und ohne Bewilligung des Grossherzogs nicht vermindert werden kann.»
An dessen Stelle trat — auf den vom Grossherzog geäusserten Wunsch,
dass in diesem Verfassungsentwurf die sämmtlichen Domänen als Familien-
Privatgut des grossherzc glichen Hauses aufgefühi*t werden möchten, auf
deren Ertrag vordersamst die Civilliste r^diciert werden sollte, — der
Paragraph, wie er in der jetzt noch geltenden Verfassungsurkunde steht.
Ueber seine Entstehung herrschen verschiedene Meinungen.
99
Nebenius selbst sagt In seinen Aufzeichnungen nichts weiter darüber,
als dass der Paragraph «eine Thatsache enthalte, an der es Niemand ein-
fallen könnte zu zweifeln, wenn sie auch hier nicht erwähnt würde.» Sensburg
rühmte sich später, dass der Eingang: des Artikels von ihm herrühre. Von
anderer Seite wird Reizenstein dafür verantwortlich gemacht, während
wieder andere Gewährsmänner dem Markgrafen und späteren Grossherzog
Ludwig die Anregung der hier erfolgten gesetzlichen Bestimmung über die
Domänen zuschreiben.
In dem Regierungsblatt No. XVIII. vom 29. August 1818 wurde
die vonv 22. August datierte Verfassungsurkunde für das Grossherzogthum
Baden publiciert.
Folgendes ist ihr Wortlaut: *)
Verfassungs-Ürkun
ftlr das Grrossherzogthum Baden.
Carl von ßottes Gnaden,
Grossherzog zu Baden, Herzog zu Zähringen,
Landgraf zu Neuenbürg, 6raf zu Hanau etc.
Als Wir bereits im Jahr 1816 Unsem Unterthanen wiederholt bekannt
machten, dem Grossherzogthum eine landstandische Verfassung geben zu
wollen, so hegten Wir den Wunsch und die Hoffnung, dass sämmtliche
Bundesglieder über eine unabänderliche wesentliche Grundlage dieser, allen
deutschen Völkern zugesicherten Einrichtung übereinkommen und nur in
Entwicklung der aufgestellten Grundsätze ein jeder einzelner Staat seinen
besondem Bedürfnissen , mit Rücksicht auf bestehende Verhältnisse, folgen
möchte.
Da sich jedoch, nach den letzten, über diesen Gegenstand bei dem
Bandestage abgelegten, Abstimmungen der Zeitpunkt noch nicht bestimmt
voraussehen lässt, in welchem die Gestaltung der ständischen Verfassung
einen Gegenstand gemeinschaftlicher Berathungen bilden dürfte, so sehen
*) Wir haben denselben, obwohl dieeo Urknnde fiberane oft gedruckt ibt, dennoch hier anf-
nehmen zu sollen geglaubt, weil namentlich aasw&rtigen Lefom nicht stets ein solcher Abdmek
snr Hand ist, wfthrend man des8elb<»n, sowohl snr Yergleiehung mit den frfiheren Entwürfen, als
mit den spAtoren AbftnderungsTorsehl&gon, nicht wird entbehren könneiC *
- - '-- • . • :
lÖO
Wir Uns nunmehr veranlasst, die Unsern Unterthanen gegebene Zusicherung
auf die Art und Weise in Erfüllung zu setzen, wie sie Unsrer innern freien
und festen Ueberzeugung entspricht.
Von dem aufrichtigsten Wunsche durchdrungen, die Bande des Ver-
trauens zwischen Uns und Unserm Volke immer fester zu knüpfen, und
auf dem Wege, den Wir hierdurch bahnen, alle Unsre Staats-Einrichtungen
zu einer höhern Vollkommenheit zu bringen, haben Wir nachstehende Ver-
fassungsuckunde gegeben, und versprechen feierlich für Uns nnd Unsere
Nachfolger, sie treulich und gewissenhaft zu halten und halten zu lassen:
I.
Von dem Grossherzogthui und der Regierang im Allgemeinen.
§. 1. Das Grossherzogthum bildet einen Bestandtheil des deutschen Bundes.
§. 2. Alle organischen Beschlüsse der Bundesversammlung, welche die ver-
fassungsmässigen Verhältnisse Deutschlands oder die Verhältnisse
deutscher Staatsbürger im Allgemeinen betreffen, machen einen Theil
des Badischen Staatsrechts aus, und werden für alle Classen von
Landosangehörigen verbindlich, nachdem sie von dem Staats-Oberhaupt
verkündet worden sind.
§. 3. Das Grossherzogthum ist untheilbar und unveräusserlich in allen
seinen Theilen.
§. 4. Die Regierung des Landes ist erblich in der Grossherzoglichen Familie
nach den Bestimmungen der Declaration vom 4. October 1817, die
als Grundlage ded Hausgesetzes einen wesentlichen Bestandtheil der
Verfassung bilden und als wörtlich in gegenwärtiger Urkunde auf-
genommen betrachtet werden soll.
§. 5. Der Grossherzog vereinigt in Sich alle Rechte der Staatsgewalt, und
übt sie unter den in dieser Verfassungsurkunde festgesetzten Bestim-
mungen aus.
Seine Person ist heilig und unverletzlich.
§. 6. Das Grossherzogthum hat eine ständische Verfassung.
Staatsbirgerliche nnd politische Rechte der Badener, nnd besondere Znsichernngen.
§. 7. Die staatsbürgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht,
wo die Verfassung nicht namentlich und ausdrücklich eine Ausnahme
begründet.
Die Grossherzoglichen Staatsminister und sämmtliche Staatsdiener
sind für die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich.
§. 8. Alle Badener tragen ohne Unterschied zu allen öffentlichen Lasten bei.
AlLQj^ffpju^g^n Von directen oder indirecten Abgaben bleiben aufgehoben.
: • . . ••• • •
101
$. 9. Alle Staatsbürger von den drei christlichen Confossionen haben zu
allen Civil- und Militärstellen und Kirchenämtern gleiche Ansprüche.
Alle Ausländer, welchen Wir ein Staatsamt conferieren, erhalten
durch diese Verleihung unmittelbar das Indigenat.
§. 10. Unterschied in der Geburt und der Religion begründet, mit der für
die standesherrlichen Familien durch die Bundesacte gemachten
Ausnahme, keine Ausnahme der Militärdienstpflicht.
§. II. Für die bereits für ablöslich erklärten Grundlasten und Dienst-
pflichten und alle aus der aufgehobenen Leibeigenschaft herrührenden
Abgaben soll durch ein Gesetz ein angemessener Abkaufsfuss
reguliert werden.
§. 12. Das Gesetz vom 14. August 1817, über die Wegzugsfreiheit, wird
als ein Bestandtheil der Verfassung angesehen.
§. 13. Eigeuthum und persönliche Freiheit der Badener stehen für alle auf
gleiche Weise unter dem Schutze der Verfassung.
§. 14. Die Gerichte sind unabhängig innerhalb der Gränzen ihrer Competenz.
Alle Erkenntnisse in bürgerlichen Rechtssachen müssen von den
ordentlichen Gerichten ausgehen.
Der Grossherzogliche Fiscus nimmt in allen aus privatrechtlichen
Verhältnissen entspringenden Streitigkeiten Recht vor den Landes-
Gerichten.
Niemand kann gezwungen werden, sein Eigeuthum zu öffent-
lichen Zwecken abzugeben, als nach Berathnng und Entscheidung
des Staatsministeriums, und nach vorgängiger Entschädigung.
§. 15. Niemand darf in Griminalsachen seinem ordentlichen Richter ent-
zogen werden.
Niemand kann anders als in gesetzlicher Form verhaftet und länger
als zweimal 24 Stunden im Gefangniss festgehalten werden, ohne
über den Grund seiner Verhaftung vernommen zu sein.
Der Grossherzog kann erkannte Strafen mildern oder ganz nach-
lassen, aber nicht schärfen.
§. 16. Alle Vermögensconflscationeu sollen abgeschafft werden.
§. 17. Die Pressfreiheit wird nach den künftigen Bestimmungen der Bundes-
versammlung gehandhabt werden.
§. 18. Jeder Landeseinwohner geniesst der ungestörten Gewissensfreiheit
und in Ansehung der Art seiner Gottesverehrung des gleichen Schutzes.
§. 19. Die politischen Rechte der drei christlichen Reb'gionstheile sind gleich.
§. 20. Das Kirchengut nnd die eigenthümlichen Güter und Einkünfte
der Stiftungen, Unterrichts- und Wohlthätigkeitsanstalten dürfen
ihrem Zwecke nicht entzogen werden.
§.21. Die Dotationen der beiden Landesuniversitäten und anderer höheren
Lehranstalten, sie mögen in eigenthümlichen Gütern und Gefallen,
oder in Zuschüssen aus der allgemeinen Staatscasse bestehen, sollen
ungeschmälert bleiben.
102
§. 22. Jede, von Seite des Staats gegen seine Gläubiger übernommene
Verbindlichkeit ist unverletzlich.
Das Institut der Amortisationscasse wird in seiner Verfassung
aufrecht erhalten.
§. 23. Die Berechtigungen, die durch das Edict vom 23. April 1818 den
dem Grossherzogthum angchörigen ehemaligen Beichsständen und
Mitgliedern der vormaligen unmittelbaren Beichsritterschafb verliehen
worden sind, bilden einen Bestandtheil der Staatsverfassung.
§. 24. Die Bechtsverhältnisse der Staatsdiener sind in der Art, wie sie das
Gesetz vom heutigen festgestellt hat, durch die Verfassung garantiert
§. 25. Die Institute der weltlichen und geistlichen Wittwencassen und der
Brandversicherung sollen in ihrer bisherigen Verfassung fortbestehen,
und unter den Schutz der Verfassung gestellt sein.
in.
StttndeyersamndiiBg. Rechte und Pflichten der Ständeglieder.
§.26. Die Landstände sind in zwei Kammern abgetheilt.
§. 27. Die erste Kammer besteht:
1. aus den Prinzen des Grossherzoglichen Hauses,
2. aus den Häuptern der standesherrlichen Familien,
3. aus dem Landesbischof und einem vom Grossherzog lebens-
länglich ernannten protestantischen Geistlichen mit dem Range
eines Prälaten,
4. aus acht Abgeordneten des grundherrlichen Adels,
5. aus zwei Abgeordneten der Landesuniversitäten,
6. aus den vom Grossherzog, ohne Rücksicht auf Stand und
Geburt, zu Mitgliedern dieser Kammer ernannten Personen.
§. 28. Die Prinzen des Hauses und die Standesherren treten, nach erlangter
Volljährigkeit, in die Ständeversammlung ein. Von denjenigen
standesherrlichen Familien, die in mehrere Zweige sich theilen, ist
das Haupt eines jeden Familienzweiges, der im Besitz einer Standes-
herrschaft sich befindet, Mitglied der ersten Kammer.
Während der Minderjährigkeit des Besitzers einer Standesherr-
schaft ruhet dessen Stimme.
Die Häupter der adelichen Familien, welchen der Grossherzog
eine "Würde des hohen Adels verleihet, treten, gleich den Standes-
herrn, als erbliehe Landstände in die erste Kammer. Sie müssen
aber ein nach dem Rechte der Erstgebui-t und der Linealerbfolge
erbliches Stamm- oder Lehngut besitzen, das in der Grund- und
Geföllsteuer, nach Abzug des Lastencapitals, wenigstens zu 300,000
Gulden angeschlagen ist.
§. 29. Bei der Wahl der grundherrlichen Abgeordneten sind sämmtliche
adeliche Besitzer von Grundherrschaften, die das 21. Lebensjahr
103
zurftckgelegt und im Lande ihren W<^sitz haben, sümmfiähig.
Wählbar sind alle stimmfähigen Gruudherren, die das 25. Lebensjahr
zurückgelegt haben. Jede Wahl gilt für acht Jahre. Alle vier Jahre
tritt die Hälfte der grandherrlichen Deputirten aas.
Adelichen Güterbesitzem kann der Grossherzog die Stimm-
Ühigkeit and Wählbarkeit bei der Grandherrenwahl beilegen, wenn
sie ein Stamm- oder Lehngat besitzen, das in der Ghrund- and Gefäll-
Steaer, nach Abzag des Lastencapitals, wenigstens anf 60,000 Galden
angeschlagen ist, und nach dem Rechte der Erstgeburt nach der
Linealerbfolge vererbt wird.
§. 30. In Ermangelung des Landesbischofs tritt der Bisthumsverweser in die
Ständeversammlung.
§.31. Jede der beiden Landesuniversitäten wählt ihren Abgeordneten auf
vier Jahre aus der Mitte der Professoren oder aus der Zahl der
Gelehrten* oder Staatsdiener des Landes nach Willkühr. Nur die
ordentlichen Professoren sind stimmfähig.
§.32. Die Zahl der vom Grossherzog ernannten Mitglieder der ersten
Kammer darf niemals acht Personen übersteigen.
§. 33. Die zweite Kammer besteht aus 63 Abgeordneten der Städte und
Aemter nach der dieser Yerfassungsurkunde angehängten Yei*thei-
lungsliste.
§. 34. Diese Abgeordneten werden von erwählten Wahlmännem erwählt.
§. 35. Wer wirkliches Mitglied der ersten Kammer, oder bei der Wahl der
Grundberren stimmfähig oder wählbar ist, kann weder bei Ernennung
der Wahlmänner ein Stimmrecht ausüben, noch als Wahlmann oder
Abgeordneter der Städte und Aemter gewählt werden.
§.36. Alle übrigen Staatsbürger, die das 25. Lebensjahr zurückgelegt
haben, im Wahldistrict als Bürger angesessen sind, oder ein öffent-
liches Amt bekleiden, sind bei der Wahl der Wahlmänner stimmföhig
und wählbar.
§.37. Zum Abgeordneten kann ernannt werden, ohne Rücksicht auf Wohnort,
jeder durch den §.35 nicht ausgeschlossene Staatsbürger, der
1. einer der drei christlichen Confessionen angehört,
2. das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat und
3. in dem Grund-, Häuser- und Gewerbssteuerkataster wenigstens
mit einem Capital von 10,000 Gulden eingetragen ist, oder
eine jährliche lebenslängliche Rente von wenigstens 1 500 Gulden
von einem Stamm- oder Lehngutsbesitze, oder eine fixe ständige
Besoldung oder Kirchenpfründe von gleichem Betrag als
Staats- oder Kirchendiener bezieht, auch in diesen beiden
letzten Fällen wenigstens irgend eine directe Steuer aus
Eigenthum zahlt.
Landes-, Standes- und grundherrliche Bezirksbeamte, Pfarrer,
Physici und andere geistliche und weltliche Localdiener können als
104
Abgeordnete nicht von den Wahlbezirken gewählt werden, woza
ihr Amtsbezirk gehört.
§. 38. Die Abgeordneten der Städte und Aemter werden auf acht Jahre
ernannt und so, dass die Kammer alle zwei Jahre zu einem Viertel
erneuert wird.
§. 39. Jede neue Wahl eines Abgeordneten, die wegen Auflösung der Ver-
sammlung oder wegen des regelmässigen Austritts eines Mitglieds
nöthig wird, zieht eine neue Wahl der Wahlmänner nach sich.
§. 40. Jeder Austretende ist wieder wählbar.
§.41. Jede Kammer erkennt über die streitigen Wahlen der ihr angehörigen
Mitglieder.
§. 42. Der Grossherzog ruft die Stände zusammen, vertagt sie und kann sie
auflösen.
§. 43. Die Auflösung der Stände bewirkt, dass alle durch Wahl ernannten
Mitglieder der ersten und zweiten Kammer, die Abgeordneten der
Gnindherren, der Universitäten und der Städte und Aemter, ihre
Eigenschaft; verlieren.
§. 44. Erfolgt die Auflösung, ehe der Gegenstand der Berathung erschöpft
ist, so muss längstens innerhalb drei Monaten zu einer neuen Wahl
geschritten werden.
§. 45. Der Grossherzog ernennt für jeden Landtag den Präsidenten der
ersten Kammer; die zweite Kammer wählt für die Präsidentenstelle
drei Gandidaten, wovon der Grossherzog für die Dauer der Ver-
sammlung einen bestätigt.
§. 46. Alle zwei Jahi'e muss eine Stände Versammlung stattfinden.
§. 47. Die Mitglieder beider Kammern können ihr Stimmrecht nicht anders
als in Person ausüben.
§. 48. Die Ständeglieder sind berufen, über die Gegenstände ihrer Berathungen
nach eigener Ueberzeugung abzustimmen. Sie dürfen von ihren
Comraittenten keine Instructionen annehmen.
§. 49. Kein Ständeglied kann während der Dauer der Versammlung, ohne
Ausdrückliche Erlaubniss der Kammer, wozu es gehört, verhaftet
werden; den Fall der Ergreifung auf frischer That bei begangenen
peinlichen Verbrechen ausgenommen.
§. 50. Die Stände können sich nur mit den nach gegenwärtigem Grund-
gesetz zu ihrer Berathung geeigneten oder vom Grossberzog besonders
an sie gebrachten Gegenständen beschäftigen.
§. 51. Es besteht ein ständischer Ausschuss aus dem Präsidenten der letzten
Sitzung und drei andern Mitgliedern der ersten und sechs Mitgliedeiii
der zweiten Kammer, dessen Wirksamkeit auf den namentlich in
dieser Urkunde ausgedrückten Fall, oder auf die von dem letzten
Landtag mit Genehmigung des Grossherzogs an ihn gewiesenen Ge-
genstände beschränkt ist.
105
Dieser Ausschnss wird vor dem Schlüsse des Landtags, auch
bei jeder Yertagting desselben, in beiden Kammern durch relative
Stimmenmehrheit gewählt. Jede Auflösung des Landtags zieht
auch die Auflösung des, wenn gleich schon gewählten» Ausschusses
nach sich.
§. 52. Die Kammern können sich weder eigenmächtig versammebi, noch
nach erfolgter Auflösung oder Vertagung beisammen bleiben und
berathschlagen.
IV.
Wirksamkeit der Stände.
§. 53. Ohne Zustimmung der Stände kann keine Auflage ausgeschrieben und
erhoben werden,
§. 54. Das Auflagengesetz wird in der Regel für zwei Jahre gegeben
Solche Auflagen jedoch, mit denen auf längere Zeit abgeschlossene
Verträge in unmittelbarer Verbindung stehen, können vor Ablauf des
betreffenden Contractes nicht abgeändert werden.
§. 55. Mit dem Entwurf des Auflagengesetzes wird das Staatsbudget und
eine detaillirte Uebersicht über die Verwendung der verwilligten
Gelder von den frühern Etatsjahren übergeben. Es darf darin kein
Posten für geheime Ausgaben vorkommen, wofür nicht eine schrift-
liche, von einem Mitglied des Staatsministeriums contrasignierte, Ver-
sicherung des Grossherzogs beigebracht wird, dass die Summe zum
wahren Besten des Landes verwendet worden sei, oder verwendet
werden solle.
§. 46. Die Stände können die Bewilligung der Steuern nicht an Be-
dingungen knüpfen.
§. 57. Ohne Zustimmung der Stände kann kein Anlehen gültig gemacht
werden. Ausgenommen sind die Anlehen, wodurch etatsmässige
Einnahmen zu etatsmässigen Ausgaben nur anticipiert werden, sowie
die Geldaufnahmen der Amortisationskasse, zu denen sie, vermöge
ihres Fundationsgesetzes, ermächtigt ist.
Für Fälle eines ausserordentlichen, unvorhergesehenen^ dringenden
Staatshedürfhisses, dessen Betrag mit den Kosten einer ausserordent-
lichen Versammlung der Stände nicht im Verhältniss steht und wozu
das Creditvotum der Stände nicht reicht, ist die Zustimmung der
Mehrheit des Ausschusses hinreichend, eine Geldaufnahme gültig zu
machen. Dem nächsten Landtag werden die gepflogenen Verhandlun-
gen vorgelegt.
§. 58. Es darf keine Domäne ohne Zustimmung der Stände veräussert
werden. Ausgenommen sind die zu Schuldentilgrungen bereits be-
schlossenen Veräusserungen, Ablösungen von Lehen, Erbbeständen,
106
Gülten, Zinsen, Frohndiepsten, Verkäufe von entbehrlichen Gebäaden,
von Gütern und Oeftllen, die in benachbarten Staaten gelegen sind,
und alle YeriOMerungen, die aus staatswirthschaftlichen Rücksichten
zar Beförderung der Landcscultnr oder zur Aufhebung einer nach-
theüSgen eigenen Verwaltung geschehen. Der Erlös muss aber zu
neuen Erwerbungen verwendet oder der Schul dentilgnngscasse zur
Verzinsung übergeben werden.
Ausgenommen sind auch Täusche und Veräusserungen zum
Zweck der Beendigung eines, über Eigenthums- oder Dienstbarkeits-
Verhältnisse anhängigen, Rechtstreits; femer die Wiedervergebong
heimgefallener Thron-, Ritter- und Kammerlehen während der Zeit
der Regierung des Regenten, dem sie selbst hcimgefallen sind.
Da durch diesen und den §.57 der Zweck der pragmatischen
. Sanction über Staatsschulden und Staatsveräusserungen vom 1. Oktober
1806 und vom 18. November 1808 vollständig erreicht ist, so hört
die Verbindlichkeit derselben mit dem Tage auf, wo die landständische
Verfassung in Wirksamkeit getreten sein wird.
§. 59. Ohngeachtet die Domänen nach allgemein anerkannten Grundsätzen
des Staats- und Fürstenrechts unstreitiges Partrimonialeigenthum
des Regenten und seiner Familie sind, und Wir sie auch in dieser
Eigenschaft, vermöge obhabender Pflichten als Haupt der Familie,
hiermit ausdrücklich bestätigen, so wollen Wir dennoch den Ertrag
derselben, ausser der darauf radicierten Civllliste und ausser andern
darauf haftenden Lasten, so lang als Wir Uns nicht durch Herstellung
der Finanzen in dem Stand befinden werden. Unsere Unferthanen
nach Unserm innigsten Wunsche zu erleichtem, — der Bestreitung
der Staatslasten ferner belassen.
Die Givilliste kann, ohne Zustimmung der Stände nicht erhöhet,
und ohne Bewilligung des Grossherzogs niemals gemindert werden.
§. 60. Jeder die Finanzen betreffende Gesetzesentwurf geht zuerst an die
zweite Kammer, und kann nur dann, wenn er von dieser angenom-
men worden, vor die erste Kammer zur Abstimmung über Annahme
oder Nichtannahme im Ganzen ohne alle Abänderung gebracht werden.
§.61. Tritt die Mehrheit der ersten Kammer dem Beschluss der zweiten
nicht bei, so werden die bejahenden und verneinenden Stimmen beider
Kammem zusammen gezählt und nach der absoluten Mehrheit sämmt-
licher Stimmen der Ständebeschluss gezogen.
§. 62. Die alten, auch nicht ständigen Abgaben dürfen nach Ablauf der
Vorwilligungszeit noch sechs Monate fort erhoben werden, wenn die
StäDdeversamralung aufgelöset wird, ehe ein neues Budget zu Stande
kommt, oder wenn sich die ständischen Berathungen verzögern.
§.63. Bei Rüstungen zu einem Kriege und während der Dauer eines Kriegs
kann der Grossherzog, zur schleunigen und wirksamen Erfüllung
seiner Bundespflichten, auch vor eingeholter Zustimmung der Stände,
107
gültige Staatsanlehen machen oder Eriegssteaem ausschreiben. Für
diesen Fall wird den Ständen eine nähere Einsicht und Mitwirkung
in der Verwaltung in der Art eingeräumt,
1. dass der alsdann zusammen zu berufende Ausschuss zwei Mit-
glieder an die Ministerien der Finanzen und des Kriegs und
einen Commissär zur Eriegscasse abordnen darf, um darauf
zu wachen, dass die zu Kriegszwecken erhobenen Gelder auch
wirklich und ausschliesslich zu diesem Zwecke verwendet
werden, und dass derselbe
2. zu der jeweils, wegen Eriegsprästationen aller Art aufzustellen-
den Ej-iegscommission eben so viele Mitglieder abzugeben hat,
als der Grossherzog, ohne den Vorstand zu rechnen, zur Leitung
des Marschverpflegungs- und Lieferungswesens ernennt. Auch
soll der Ausschuss das Recht haben, zu gloicbom Zweck einer
jeden Proviuzialbehörde, aus der Zahl der in dem Provinz-
bezirk wohnenden St&ndeglieder, zwei Abgeordnete beizugeben.
§. 64. Kein Gesetz^ das die Verfassungsurkunde ergänzt, erläutert oder
abändert, darf ohne Zustimmung einer Mehrheit von V3 ^^^ ^^'
wesenden Ständeglieder einer jeden der beiden Kammern gegeben
werden.
§. 65. Zu allen andern, die Freiheit der Personen oder das Eigenthum der
Staatsangehörigen betreffenden, allgemeinen, neuen Landesgesetzen
oder zur Abänderung oder authentischen Erklärung der bestehenden,
ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit einer jeden der beiden
Kammern erforderlich.
§. 66. Der Grossherzog bestätigt und promulgiert die Gesetze, erlässt die
zu deren Vollzug und Handhabung erforderlichen — die aus dem
Aufsichts- und Verwaltungsrecht abfliessenden — und alle für die
Sicherheit des Staats nöthigen Verfügungen, Reglements und all-
gemeinen Verordnungen. Er erlässt auch solche, ihrer Natur nach
zwar zur ständischen Berathung geeignete, aber durch das Staats-
wohl dringend gebotene Verordnungen, deren vorübergehender Zweck
durch jede Verzögerung vereitelt würde.
§. 67. Die Kammern haben das Recht der Vorstellung und Beschwerde;
Verordnungen, worinnen Bestimmungen eingeflossen, wodurch sie iht
Zustimmungsrecht für gekränkt erachten, sollen auf ihre erhobene,
gegründete Beschwerde sogleich ausser Wirksamkeit gesetzt werden
Sie können den Grossherzog unter Angabe der Gründe um den Vor-
schlag eines Gesetzes bitten. Sie haben das Recht, Missbräuche in
der Verwaltung, die zu ihi'er Kenntniss gelangen, der Regierung
anzuzeigen. Sie haben das Recht, Minister und die Mitglieder der
obersten Staatsbehörden wegen Verletzung der Verfassung oder
anerkannt verfassungsmässiger Rechte föimlich anzuklagen. Ein
108
besonderes Gesetz soll die Fälle der Anklage, die Grade der Abndung,
die urtheilende Behörde und die Procedur bestimmen.
Beschwerden einzelner Staatsbüger über Kränkung in ihren ver-
fassungsmässigen Gerechtsamen können von den Kammern nicht
anders als schriftlich und nur dann angenommen werden, wenn der
Beschwerdeführer nachweist, dass er sich vergebens an die ge-
eigneten Landesstellen und zuletzt an das Staatsministerium um
Abhülfe gewendet hat.
Keine Vorstellung, Beschwerde oder Anklage kann an den
Grossherzog gebracht werden, ohne Zustimmung der Mehrheit einer
jeden der beiden Kammern.
V.
EröffnaBg der ständisehen Sitzungeiif Formen der Berathangen«
§.68. Jeder Landtag wird in den für diesen Fall vereinigten Kammern
vom Grossherzog in Person, oder von einem von ihm ernannten
Commissär eröffnet und geschlossen.
§. 69. Sämmtlicho neu eintretende Mitglieder schwören bei Eröffnung des
Landtags folgenden Eid:
Ich schwöre Treue dem Grossherzog, Gehorsam dem Gesetze,
Beobachtung und Aufrechthaltung der Staatsverfassung und in
der Ständeversammlung nur des ganzen Landes allgemeines
Wohl und Bestes ohne Rücksicht auf besondere Stände oder
Classen nach meiner inncrn Ueberzeugung zu berathen : So wahr
mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium.
§. 70. Kein landesherrlicher Antrag kann zur Discussion und Abstimmung
gebracht werden, bevor er nicht in besondem Commissionen erörtert
und darüber Vortrag erstattet worden ist.
§.71. Die landesherrlichen Commissarien treten zur vorläufigen Erörterung
der Entwürfe mit ständischen Commissarien zusammen, so oft es
von der einen oder andern Seite für nothwendig erachtet wird.
Keine wesentliche Abänderung in einem Gesetzentwurf kann getroffen
werden, die nicht mit den landesherrlichen Commissarien in einem
solchen gemeinschaftlichen Zusammentritt erörtert worden ist
§.72. Die Kammern können einen zum Vortrag gebrachten Entwui'f noch-
mals an die Comissionen zurückweisen.
§. 73. Ein von der einen Kammer an die andere gebrachter Gesetzesent-
wurf oder Vorschlag irgend einer Art kann, wenn er nicht Finanz-
Gegenstände betrifft, mit Verbesserungsvorschlägen, die in einer
Commission nach §. 71 erörtet worden, an die andere Kammer
zurückgegeben werden.
109
§. 74. Jeder gültige Beschluss einer Kammer erfordert, wo nicht anedrück-
lich eine Ausnahme festgesetzt worden ist, absolute Stimmenmehrheit
bei Yollzähliger Versammlung. Bei gleicher Stimmenzahl giebt die
Stimme des Präsidenten die Entscheidung. Tritt der Fall ein, dass
in Finanzsachen die Stimmen beider Kammern zusammengezählt
werden müssen, so entscheidet bei Stimmengleichheit die Stimme
des Präsidenten der zweiten Kammer.
Man stimmt ab mit lauter Stimme und den Worten:
Einverstanden ! oder: Nicht einverstanden! Nur bei der Wahl
der Candidaten für die Präsidentenstelle der zweiten Kammer, der
Ausschussglieder und der Glieder der Commissionen, entscheidet rela-
tive Stimmenmehrheit bei geheimer Stimmgebung.
Die erste Kammer wird durch die Anwesenheit von 10, die
zweite durch die Anwesenheit von 35 Mitgliedern, einschliesslich
der Präsidenten, vollzählig. Zur gültigen Berathschlagung über die
Abänderung der Verfassung wird in beiden Kammern die Anwesen-
heit von y^ der Mitglieder erfordert.
§. 75. Die beiden Kammern können weder im Ganzen noch durch Commis-
sionen zusammentreten; sie beschränken sich in ihrem Verhältniss
zu einander auf die gegenseitige Mittheilung ihrer Beschlüsse!.
Sie stehen nur mit dem Grossherzoglichen Staat sministerium in
unmittelbarer Geschäftsberührung; sie können keine Verfügungen
treffen oder Bekanntmachungen irgend einer Art erlassen.
Deputationen dürfen sie nur, jede besonders, nach eingeholter
Erlaubniss, an den Grossherzog abordnen.
§. 76. Die Minister und Mitglieder des Staatsministeriums und Grossherzog
liehen Commissarien haben jederzeit, bei öffentlicher und geheimer
Sitzung, Zutritt in jeder Kammer, und müssen bei allen Discusionen
gehört werden, wenn sie es verlangen. Nur bei der Abstimmung
treten sie ab, wenn sie nicht Mitglieder der Kammer sind. Nach
ihrem Abtritt dürfen die Discussionen nicht wieder aufgenommen
werden.
§. 77. Nur den landesherrlichen Commissarien und den Mitgliedern der
ständischen Commissionen wird gestattet, geschriebene Beden abzu-
lesen ; allen übrigen Mitgliedern sind bloss mündliche Vorträge
gestattet.
§. 78. Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Sie werden geheim
auf das Begehren der Regierungs-Commissarien, bei Eröffnungen,
für welche sie die Geheimhaltung nöthig erachten, und auf das
Begehren von drei Mitgliedern, denen nach dem Abtritt der Zuhörer
aber wenigstens '/^ der Mitglieder über die Nothwendigkeit der
geheimen Berathung beitreten muss.
§. 79. Die Reihenfolge, wonach die Abgeordneten der Grundherrn und der
Städte und Aemter aus der Verammlung austreten, wird auf dem
110
ersten Landtage fitr die einzelnen Wahlbezirke ein für allemal durch
das Loos bestimmt. Die Hälfte der grnndhcrrlichen Abgeordneten
tritt im Jahr 1823 ans, und dann alle vier Jahre wieder die Hälfte.
Im Jahre 1821 tritt */^ der Abgeordneten der Städte und Aemter
und dann alle zwei Jahre wieder V4 ^^s*
§. 80. Bei der ersten Wahlhandlung erkennt über alle, wegen Gültigkeit der
Wahlen entstehenden, Streitigkeiten die landesherrliche Central-
Commission, die mit der ersten Vollziehung des Constitutionsgesetzes
beauftragt werden wird.
§. 81. Die Zeit der Eröffnung des ersten Landtags wird auf den ersten
Februar 1819 festgesetzt.
§. 82. Der zur Zeit der Eröffnung des ersten Landtags, wo die Constitution
in Wirksamheit tritt, bestehende Zustand in allen Zweigen der Ver-
waltung und Gesetzgebung dauert fort, bis die erste Verabschiedung
mit dem Landtage in den Gegenständen, die sich dazu eignen, getroffen
sein wird.
Insbesondere wird das erste Budget bis zur Vereinbarung mit
den Ständen provisorisch in Vollzug gesetzt.
§. 83. Gegenwärtige Verfassung wird unter die Garantie des deutschen
Bundes gestellt
Gegeben unter Unserer eigenhändigen Unterschrift und dem beige-
druckten grössern Staatssiegel.
Griesbach, den 22. August 1818.
Carl.
Vdt. F. A. Wielandt.
(L. S.)
Auf Befehl Seiner Königlichen Hoheit
Weiss.
Grosser und aufrichtiger Jubel begrüsste überall im Lande, vom
Bodensoe bis an den Neckar und Main, dieses Werk, von dessen Entstehung
man den Eintritt einer neuen und besseren Aera erwartete. Die letzten
Lebenstage des Grossherzogs Carl haben noch die Dankadressen erheitert,
die aus Städten und Landgemeinden, bedeckt mit zahlreichen Unterschriften,
an ihn eingesandt wurden. Auch f&r die Territorialangelegenheit war die
endliche Ertheilnng der Verfassung von hoher Wichtigkeit Zwar war
Baiem mit seiner Constitution vom 26. Mai 1818 zuvorgekommen, allein
viel mehr als diese Spanne Zeit, wog die Freisinnigkeit und von staats-
männischem Geiste zeugende Trefflichkeit der badischen Verfassung den
Vortheil auf, welchen der öffentlichen Meinung gegenüber Baiem erreicht
hatte. Wo etwa im Lande die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zu-
ständen eine Hinneigung zu dem begehrlichen Nachbar hervorgebracht hatte,
111
trat diese jelzt yor dem stolzen, freudigen GefQhle flber das neue Grund-
gesetz zurück. Auch die Diplomatie kam eben damals der badischen Sache
zu Hilfe. Der Congress von Aachen gab den grossen Mächten Gelegenheit,
sich für die Rechte Badens gegen die Ansprüche Baiems zu erklären und tief
anfathmend in dem Gefühle der Sicherheit, giengen die badischen Geschäfts-
männer daran, die Verfassung in^s Leben des Staates einzuführen.
Was die Yerfassungsarbeit selbst betrifft, so wurde sie aller Orten mit
grossem Beifall aufgenommen. Selbst aus Berlin konnte der Badische Ge-
sandte melden, dass das Lob, das ihr gespendet werde, den Tadel, der
auch nicht ganz fehle, bei weitem überwiege. Yamhagen nennt sie in
einem Briefe an Oelsner *) «musterhaft kurz und bündig abgefasst.» «Ich muss
gestehen,» föhrt er fort, «dass dieses Werk meine Erwartungen weit über-
troffen hat; vieles darin ist ganz vortrefflich, anderes nicht unverbesserlich.»
Und der Wortführer der Reaction, Ludwig von Haller, hat noch im Jahre
1833 das Urtheil über sie gefällt, obschon sie den Hauptfehler habe, eine
Constitution zu sein, mithin der Idee nach die Natur des Fürstenthumes zu
verändern und in eine Quasi - Republik umzuwandeln, so erkenne er doch
das deutsche Rechtsgefühl in dem vielen Guten, das in dieser Verfassung
eingeflossen sei und gegen das Revolutionssystem benutzt werden könne. **)
Nebenius persönlich hatte weder Lohn noch Anerkennung von seiner
so hervorragenden Theilnahme an dem Verfassungswerke. Seine Autorschaft
blieb ein Geheimniss, so dass selbst der wohlunterrichtete Varnhagen
in dem bereits erwähnten Briefe an Oclsner sagen konnte: «Herr von
Reizenstein ist als der Haupt Verfasser zu betrachten, durch Herrn von
Tettenboms kräftigen Freisinn und Herrn von Berstetts eitrigen Betrieb
nachdrücklich unterstützt.»
Indess erlebte er bald die Genugthuung, dass man in wichtiger An-
gelegenheit seine Hilfe wieder in Anspruch nehmen musste.
Am 2. December 1818 schrieb der Minister von Reizenstein an Nebenius:
«Ich muss Ihnen mit recht innigem Bedauern die unabwendbare Noth-
wendigkeit ankündigen, Ihnen eine mühsame und unendlich ekelhafte Last
aufbürden zu müssen. Gestern hatten wir den 1. December, es sollen abo
in zwei Monaten die Landstände zusammen kommen. Ich hielt mich ver-
bunden, nach schon so vielen vorausgegangenen Monitorien gestern den
Grossherzog dringend auf dieses Datum aufmerksam zu machen, mit dem
Beisatz, sein schlimmster Feind würde ihm nicht rathen wollen, durch
Hinansschiebnng des Zeitpunktes das letzte Vertrauen des Landes zu
täuschen. Er sah dieses und die Nothwendigkeit der dessfallsigen schleu-
nigen, präparatorischen Massregeln vollkommen ein, erklärte mir aber zu
gleicher Zeit, dass er sich schlechterdings nicht bei hinreichenden Kräften
*) Briefiraehiel iwitchen Varohsgen and Oelsner. Sinitffsrt 1865, Band I Seit« U9.
**) Siek« BeiUge ni.
112
fühle, die Terschlossene Eiste, in der unter einer Menge anderer Papiere
auch das Wahlgesetz yergrahen b'egt, hervorholen, durchsuchen und jenes
Actenstück herausnehmen zu lassen ; dass er sich aher eher en mille morceaux
zerstückeln lassen würde, als irgendjemand anders, als sich seihst, eine solche
Operation anzuvertrauen, wissen Sie ehen so gut als ich seihst. Es hleihe
daher nicht« anderes übrig, als Ihnen den Auftrag zu gehen, sich noch
einmal an denEntwurf eines Wahlgesetzes zu machen und dann nebst Ihrem
GoUegen Winter auf 2 bis 3 Tage hierher zu kommen , um es im Comit^
in Deliberation zu nehmen, wo es sodann ohne weiteren Anstand von seiner
Seite sogleich publiciert werden solle. Hier haben Sie meine Ankündigung.
Gern würde ich den Kelch von Ihnen nehmen, allein es ist nicht möglich.
Vielleicht haben Sie doch noch CoUectaneen, die Ihnen das Geschäft einiger-
massen erleichtern. Es ist die dringendste Nothwendigkeit, gleich nach der
Hälfte dieses Monats das Ganze in^s Land zu erlassen.»
Nebenius antwortete auf diesen Brief am 5. December: «Euere Excellenz
haben mich durch die Ankündigung, welche Hochderselben gnädiges
Schreiben vom 2. d. M. enthält, keineswegs erschreckt. Sehr gerne über-
nehme ich den mir zugedachten Auftrag einer nochmaligen Abfassung
eines Entwui-fs zu einem Wahlgesetz. Meine Leetüre habe ich bereits
begonnen und ich hoffe, die Redaction innerhalb des gesetzten Termins
recht gut vollenden zu können. Von meinem ersten Entwurf, den ich im
Concept übergab, habe ich nur noch unbrauchbare, unzusammenhängende
Notamina. Indem ich Ew. Exe. für die mir vorläufig gegebene Nachricht
unterthänigst danke, kann ich übrigens den Wunsch nicht unterdrücken,
dass mir doch in diesem Falle meine Bemühungen nicht wieder auf gleiche
Weise, wie meine früheren Arbeiten in Constitutionssachen, vergolten werden
möchten. Es ist Ew. Exe. bekannt, wie eilig diese Arbeiten anfanglich,
nachdem mich Se. Eönigl. Hoheit gnädigst zum Referenten ernannt hatten,
betrieben wurden. Der Gegenstand, der durchaus in keiner Beziehung mit
den Geschäften eines Finanzraths steht, war mir zwar nicht ganz fremd',
doch war ich damit noch nicht vollkommen vertraut, um meine Ansichten
zu berichtigen und zu begründen, wollte ich keine der vielen Constitutionen,
die seit vielen Jahren erschienen sind, kein gutes Buch über die Materie,
das in einer mir bekannten Sprache geschrieben war, insofern ich sie nur
aufzutreiben wusste, ungelesen lassen, und die Vorarbeiten, Noten, Auszüge,
die ich zum Theil noch besitze, mögen beurkunden, was ich in kurzer Zeit
in dieser Hinsicht zu thun hatte. Ew. Exe. wissen, dass an dem Entwürfe,
den ich vorlegte, nach reifem Ueberlegen, Erwägen und Debattieren sowohl
an Form als Inhalt gar weniges geändert wurde. So kurz er war, so war
er doch das Resultat vieler Arbeiten. Mehr als diese war aber die Eile
beschwerlich , und noch jetzt leide ich an den Folgen einer momentanen
körperlichen Anstrengung, an einer Augenschwäche, die ich mir zuzog, als
ich bis tief in die Nacht die zerstreuten Blätter des Entwurfs zusammen-
schrieb, und den andern Tag in der Sitzung die ermüdeten Augen vier
113
Standen lang im Eifer der Debatten den Reflex der vom Schlossplatz zu-
rückprallenden Sonnenstrahlen ertragen. Allein diess ist nicht die einzige
Fracht meiner Anstrengangen. Die Constitution erschien: sie erhielt den
nngetheilten Beifall aller Aufgeklärten und massig Gesinnten; ausser dem
demagogischen «Volksfreund aus Schwaben» wüsste ich Niemand, der da-
gegen gesprochen. Sie hat uns gewiss in jeder Rücksicht und besonders in
politischer genützt
«Ich bin weit entfernt, zu glauben, hierbei etwas geleistet zu haben,
was nicht viele eben so gut und manche noch weit besser gemacht hätten
und bin überzeugt, dass jeder Mangel, der bei weniger Sorgfalt von meiner
Seite, meine erste Vorlage verunstaltet hätte, sogleich von dem hochver-
ehrlichen Comite verbessert worden wäre ; aber wenn ich mir auch durchaus
nichts zum Verdienst rechnen durfte, so erwartete ich doch bei dieser Gelegen-
heit keine Unannehmlichkeiten. Wie sie mir dennoch in hohem Grade ge-
worden sind, ist Ew. Exe. ebenfalls bekannt. Der ganze Vorfall konnte
nicht anders, als einen höchst kränkenden Eindruck in mir zurücklassen.
Es ergibt sich übrigens vielleicht noch einmal eine Veranlassung, auf die
Sache zurückzukommen. Wenigstens möchte die Hoffiiung nicht unbe-
scheiden sein, mit Aufträgen zu neuen Arbeiten die Anerkennung des Ge-
leisteten zur Beruhigung über erlittene Kränkungen zu erhalten.
«Ew. Exe. dürfen indess versichert sein, dass ich mich bereits mit
voller Liebe dem ohnehin nicht mühsamen, auch nicht weitläufigen und, den
mechanischen Theil abgerechnet, auch nicht unangenehmen Geschäft unter-
zogen habe. Auch hoffe ich, dass der zweite Entwurf besser und voll-
ständiger als der erste werden wird.»
So edel dachte der treffliche Mann. Was hundert andere als neue
Belastung widerwillig abgelehnt hätten, neue Aufträge ohne irgend eine
bindende Zusicherung entsprechender Anerkennung, das betrachtete er in
seiner patriotischen Gesinnung als den besten Lohn seines Strebens.
Die Grundlagen der Wahlordnung sind in der Verfassungsurkunde
enthalten. Sie bestimmt die Bedingungen der activen und passiven Wahl-
fähigkeit. Nunmehr wurden alle diese Bestimmungen in ihren Einzelheiten
festgestellt und erläutert. *) Die Vertheilung der zu wählenden Abgeordneten
erfolgt nach zwei Gesichtspunkten, nach dem Steuercapital der Wahlbezirke
und nach einer gewissen Rücksichtnahme auf die im Staatsleben wichtigen
Bildungsverhältnisse. Darum sind die Städte vorzugsweise begtinstigt
Vierzehn Städte wählen allein 22 Abgeordnete; die übrigen 41 Mitglieder
der zweiten Kammer werden in den ländlichen Wahlberzirken ernannt. Die
Wahlcommissionen für die Wahlmännerwahlen bestehen aus den Vorstehern
der bürgerlichen Ortsbehörden und aus Urkundspersonen, die aus der Zahl
der 10 höchstbesteuerten Bürger ernannt werden. Die Abgabe der Stimme
*) Die wörtliche MiUheilnag dei umfangreichen Wahlgesetzes erscheint nicht nothwendig.
8
114
ist an das persönliche Erscheinen der Wahlberechtigten geknüpft, sie erfolgt
schriftlich und öffentlich. Für die Abgeordnetenwahlen besteht die Wahl-
commission aus einem vom Grossherzog ernannten Commissar. den 3 ältesten
Wahlmännern und einem Protokollführer. Der landesherrliche Commissar
hat sich jeder Wahlbeeinflussung zu enthalten. Drei Viertel der Wahl-
männer müssen zu einer giltigen Wahl anwesend sein. Sie wählen den
Abgeordneten durch absolute Stimmenmehrheit und mittels geheimer Stimm-
gebung. Für die Wahlen zur ersten Kammer wurden ebenfalls eingehende
Vorschriften erlassen.
Die Eintheilung der Wahlbezirke war späterhin und ist bis auf den
heutigen Tag Gegenstand oft wiederholter Angriffe. Namentlich die Schrift:
«Die katholischen Zustände in Baden» *) behauptete, es sei hierbei auf
die Confession gesehen und dadurch den protestantischen Bezirken ein Vorzug
gegeben worden. Nebenius legt« gegen die Richtigkeit dieses Vorwurfes
alsbald Protest ein. **) «Die Wahlordnung,» sagt er, «berücksichtigte bei
der Bestimmung der Aemterwahlbezirke das Verhältniss der directen Be-
steuerung, das ist die Grund-, Häuser- und Gewerbesteuercapitalien.
«In den Bestimmungen über die Ernennung städtischer Abgeordneter
trug man thoils der gewerblichen Bedeutung, theils historischen Erinnerungen,
theils, insbesondere bei den grösseren Städten, dem verhältnissmässig grösseren
Keichthum an geistigen Kräften gebührende Rechnung. Dass man das
steuerbare Vermögen im Gebiete der politischen Rechte berücksichtige, dass
man insbesondere den politischen Einfluss auf die Finanzen nach dem Masse
der Beiträge zu den Staatslasten bemesse, ist ein Gebot der Gerechtigkeit
wie der Politik. Die Finanzen bilden einen stehenden Gegenstand der
Wirksamkeit der Landstände und gerade in dieser Beziehung räumt die
Verfassungsurkunde der zweiten Kammer einen vorzüglichen Einfluss ein.
Dieser überwiegende Einfluss konnte der zweiten Kammer nur in der Be-
trachtung verwilligt werden, dass die Wählerschaft, aus der sie hervorgeht,
bei weitem den grössten Theil des steuerbaren Vermögens besitzt. Auf
derselben Grundansicht und in keiner Weise auf confession eilen Rücksichten
beruht die Eintheilung der Aemterwahlbezirke, welche dem ohngefähren
Verhältnisse der Steuercapitalien entspricht. Da aber gerade die minder
fruchtbaren Landstriche, der Schwarzwald und der Odenwald, bei weitem
zum grössten Theile ungemischt katholische Aemter hatten, so musste im
Ganzen die Zahl der Abgeordneten aus den katholischen Bezirken im Ver-
hältniss zur Volksmenge, unt«r der Zahl der Abgeordneten aus den rein
protestantischen, mehr in der Ebene gelegenen Bezirken stehen bleiben.
Eine vollständige Gleichheit war aber auch in Beziehung auf die Steuer-
capitalien nicht zu erzielen, und wenn einzelne protestantische Bezirke unter
*) Begfentfbarg 1841.
**•) In der Schrift: „Die katholisehen Znntände in Badon mit steter Räcksicht snf die im
Jahre 1841 erschienene Schrift unter git^ichem Titel." Karlsruhe 1842, S. 66 flg.
115
beiden Gesichtspunkten berücksichtigt erscheinen, so ist diess auch bei
einzelnen katholischen der Fall. Wollte man die Aeroter nicht zu sehr
zerreissen, so mussten einige Bezirke grösser, andere, weil sie, ohne zu
gross zu werden, nicht mit benachbarten Aemtem vereinigt werden konnten,
etwas kleiner werden. > •)
Bevor es noch möglich war, die neue Arbeit, die Nebenius übernom-
men hatte, zu vollenden, trat der Fall ein, der, lange vorausgesehen, nun
doch rascher erfolgte, als man es erwartet hatte. Am 8. Dezember starb
zu Rastatt der Grossherzog Carl. Sein Nachfolger war sein Oheim, der
dritte Sohn Carl Friedrichs, Grossherzog Ludwig.
Es konnte für seine Bathgeber kein Zweifel bestehen, dass die Vollen-
dung des Verfassungswerkes seine nächste und wichtigste Aufgabe sei.
Schon am 23. December 1818 wurde die Wahlordnung genehmigt und
veröffentlicht und damit der erste Schritt gethan, die Constitution in das
Leben einzuführen. Schneller, als vielleicht selbst ihre eifrigsten Förderer
gedacht hatten, war sie mit dem Denken und Empfinden des badischen
Volkes auf das Innigste verwachsen.
*) So weit Nebenius. Dinse seine eigene Rechtfertigung hier antnführen , schien
zweelnn&tsig , ja geboten. Ein weiteres Eingehen anf diese wichtige Frage und eine Darlegung
eigener Anschauungen Aber dieselbe, scheint mit Zweck und Charal:ter der vorliegenden Schrift
nicht wohl vereinbar .
8*
Sechstes Capitel.
Im August 1818 war, wie wir gesehen, die Yerfassungsurkunde ertheilt
und veröflFentlicht worden, im April 1819 traten zum ersten Mal in Carlsruhe
die Kammern zusammen. *) Es war eine höchst merkwürdige Versammlung,
durch das Talent einzelner besonders hervorragenden Mitglieder, unter
denen der Frhr. von Liebenstein in erster Reihe stand, durch eine uner-
M'artete Geschicklichkeit und Gewandtheit der gesammten Körperschaft in
den Geschäften, durch eine überraschende Fülle von bedeutenden, tief ein-
schneidenden Anträgen ausgezeichnet. Das Yerfassungswerk bestand seine
erste Probe besser, als seine eifrigsten Freunde zu hoffen gewagt, das Er-
gebniss der Verhandlungen, der Eindruck derselben im Lande und über
dessen Gränzen hinaus bis nach England und Amerika war ein ganz anderer,
als seine Gegner geglaubt und vorausgesagt hatten. Indess endeten die
Sitzungen mit einem durch das Adelsedict vom 23. April 1819 veranlassten
Conflict, der, im Zusammenhang mit den gleichzeitigen Stimmungen und
Bewegungen der deutschen und europäischen Politik, immerhin kein günsti-
ges Prognostikon für die Weiterentwicklung der durch die Verfassung be-
gründeten staatlichen Verhältnisse zu stellen schien.
In der That wandte sich Sinnen und Streben derjenigen Männer, welche
durch die Ergebnisse des ersten badischeu Landtags die Monarchie bedroht,
die fürstliche Autorität gefährdet sahen, von der näheren Betrachtung und
Erörterung der in den Kammern zu Tage getretenen Erscheinungen bald
darauf, das Grundgesetz, welches dieselben möglich gemacht, als die Quelle
des üebels zu erklären und entweder seine völlige Beseitigung oder zum
Mindesten eine Umgestaltung desselben im Sinne ihrer Anschauungen zu
erreichen.
*) üeber diesen und dio folgenden Landtage bis 1830 vergleiche man meine Schrift: „Baden
unter den Groisherxogen Carl Friedrich, Carl, Ludwig. " Freibnrg 1863.
117
In deDselben Tagen, in denen der Staatsminister Frhr. von Berstett an
den Ministerconferenzen zu Garlsbad einen thätigen und für die badischen
Verhältnisse folgenreichen Antheil nahm, arbeitete der Finanzminister von
Fischer in Baden-Baden eine Denkschrift aus, in der er seine Ideen über
eine «so mild als möglich einzuleitende Reaction» entwickelte.
Der Gedankengang dieser Denkschrift ist folgender:
1. der deutsche Bund hat die badische Verfassung noch nicht garantiert,
2. sie ist aber giltig, da sie das Volk angenommen und der Regent
sie zu halten versprochen hat; sie beruht nunmehr auf einem
Vertrage,
3. da über diesen Vertrag kein Richter besteht, so ist, wenn ein Theil
denselben nicht halten will, der andere befugt, auch davon abzugehen,
4. selbst nach badischem Rechte kann, wenn einer den Contract nicht
halten will, der andere auch zurückgehen,
5. der Grossherzog nimmt seine Domänen zurück, reguliert seine Civil-
liste selbst und lässt noch zur Zeit nach dem §. 59 die Ueberschüsse
in die Staatskasse fiiessen,
6. wenn sich die Stände weigern, so ist von ihnen die Constitution
gebrochen,
7. will man sie alsdann ganz beseitigen, so kann man es,
8. allein nach der Bundesacte muss eine ständische Verfassung in
jedem Lande sein, und in diesem Falle ist es am räthlichsten, der
Bundesversammlung den Entwurf einer solchen Verfassung zu
überlassen.
Der neue Verfassungsentwurf müssto folgende Sätze haben:
a. die sämmtlichen Domänen sind zur Unterhaltung des Regenten be-
stimmt. Sie können ohne Bewilligung der Landstände nicht ver-
äussert werden. Ist das Bedürfniss grösser als der Domänenertrag,
so können es nur die Stände bewilligen,
b. bei der Gesetzgebung sind die Stände berathend, nur bei neuen
Steuern oder bei Erhöhung der alten haben sie das Bewilligungs-
recht,
c. die Stände haben die MitÄufsicht über die Verwendung der Steuern,
sie können die Rechnungen ansehen und prüfen,
d. daraus haben sie das Recht der Beschwerdeführung beim Bundes-
tag oder Bundesgericht,
e. sie haben das Recht, Diener wegen Malversation anzuklagen.
Derartige Grundsätze, deren Befolgung einen völlig neuen Rechts-
zustand geschaffen hätte und die kaum ohne eine die Existenz des Staates
bedrohende Bewegung in der Bevölkerung durchzuführen gewesen wären,
fanden jedoch keineswegs den Beifall des Grossherzogs Ludwig und der
überwiegenden Mehrzahl seiner Rüthe. Auf dem Landtage von 1820 —
118
einer Fortsetzung des unterbrochenen von 1819 — gelang es, zwischen
Regierung und Standen über die wesentlichen streitigen Punkte einen ge-
nügenden Koropromiss zu schliessen, ohne dass dabei auch nur einen Augen-
blick die Existenz der Verfassung oder irgend eines Paragraphen derselben
in Frage gestellt worden wäre. Auch während des Landtages von 1822,
der sich weniger friedlich abspann und mit offenem Streite endigte, war
diess nicht der Fall. Auch damals erblickten die massgebenden Kreise
nicht so fast in der Yerfassungsurkunde, als in den Uebergriffen der zweiten
Kammer ein Hinderniss gedeihlicher Entwicklung der staatlichen Ver-
hältnisse. Doch gab es auch damals einzelne Persönlichkeiten, die anders
dachten, und den Ursprung aller Zerwürfnisse in den Bestimmungen der
Verfassung selbst suchten und zu finden glaubten. Zu ihnen gehörte ein
Mann, der später in der Geschichte des badischen Staates eine hervorragende
Rolle gespielt hat, und den schon im Beginne der zwanziger Jahre der leb-
hafteste Ehrgeiz und das Gefühl grosser Befähigung und Leistungsfähigkeit
antrieb, seine Rathschläge auch da, wo er officiell nicht zu sprechen ver-
anlasst war, nicht zurückzuhalten. Der Frhr. von Blittersdorff, damals
badischor Gesandter am Bundestag, überreichte am 27. September 1822
dem Fürsten Metternich zu Wien eine umfassende Denkschrift, in welcher
er unter anderm auch sein Urtheil über die Verfassung seines Heimath-
landes ohne Rückhalt darlegte. «Angeblich,» sagt er, «wird in der
L Kammer das aristokratische, in der II. Kammer das demokratische Princip
vertreten. Das demokratische Prinzip bedarf aber überall keiner Ver-
tretung und in einem monarchisch-constitutionellcn Staate müssen eigent-
lich beide Kammern aristokratisch construiert sein. Wie aber, wenn
das aristostokratische Princip nirgend vertreten, das demokratische
überall vorherrschend wäre? Ein solch beklagenswcrther Zustand besteht
in Baden.»
Blittersdorff geht nun die einzelnen Bestimmungen der badischen Ver-
fassung durch und kommt zu folgenden Sätzen:
1. das 30. Lebensjahr sei für die Wählbarkeit nicht ausreichend,
2. der Census sei zu nieder gegriffen,
3. Staatsdiener sollten nicht gewählt werden dürfen,
4. zu allem Ueberfluss schlie.sse der §.32 der Verfassung die grossen
Grundbesitzer von der II. Kammer aus; darin besonders erkenne
man den Kastengeist der Staatsdiener, welche gern den einzigen
Adel des Landes bilden und den eigentlichen Adel überall ver-
drängen möchten,
5. nur der zweiten Kammer allein seien alle Fiuanzgesetze zugewiesen,
6. da auch die I. Kammer zum grossen Theil aus Staatsdienern und
Abgeordneten der Universitäten bestehe, so sei nicht zu erwarten)
dass sich der eigentliche Adel je mit dem Zustand der Dinge in
Baden befreunden werde,
7. die Kaste der Staatsdiener müsste gebrochen werden.
119
Die ErfuUuDg solcher Wünsche glaubte der Frhr. von Blittersdorff
nicht auf normalen Wegen erreichen zu können. Von der eben damals
bevorstehenden Vereinigung mächtiger Fürsten zu Verona erhoffte er, wie
eine Umgestaltung der europäischen Verhältnisse überhaupt, so insbeson-
dere eine völlige Vernichtung des Liberalismus in Baden. Er stand nicht
an. diese seine Erwartung dem Fürsten Metternich direct vorzutragen.
Auch dieses Mal jedoch waren die leitenden Männer nicht der Ansicht,
dass ein Gewaltstreich gegen die Verfassung dem Lande zum Wohle ge-
reichenwürde. Der Frhr. von Bcrstett ergriff, als er bald darauf zu Innsbruck
mit den nach Verona reisenden Fürsten und ihren Ministern mehrfache
Besprechungen hatte, jede Gelegenheit, um darzulegen, dass diese Aus-
führungen lediglich die Privatansicht des Frhm. von Blittersdorff seien und
dass die Grossherzogliche Regierung die feste Hoffnung hege, mit der zu
Recht bestehenden Verfassung, aller Schwierigkeiten der Lage ungeachtet,
in gedeihlicher Weise die Geschäfte zu führen.
Bei der Heftigkeit des Conflictes, welcher unerwartet rasch das Ende
des Landtags von 1822 herbeiführte, war es indess natürlich, dass in dem
Kreise der unbedingten Anhänger der Regierung der Gedanke immer wieder
von Neuem auftauchte, durch eine Verfassungsänderung lür die Zukunft den
Ausgangspunkt ähnlicher Conflicte aus dem Wege zu räumen. Ein aus
dem Monat Februar 1824 datiertes Memoire fasst, von allgemeinen Gesichts-
punkten ausgehend, diese Eventualität sehr ernsthaft in's Auge. Wer
dessen Verfasser ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit erkennen, doch sind
Anhaltspunkte vorhanden, welche wahrscheinlich erscheinen lassen, dass
wir den Staatsrath von Sensburg als solchen zu betrachten haben. Es er-
scheint für die Anschauungsweise einflussreicher Personen jener Zeit charac-
teristisch genug, um hier im Auszug mitgetheilt zu werden.
Die deutsche Bundesncte (so beginnt es) habe unter laudstÄndischen
Verfassuijgen nur solche Anstalten im Sinne gehabt, wie sie zur Zeit der
deutschen Reichsverfassung in vielen Fürstenthümern hergebracht waren.
Der Hauptfehler der deutschen Verfassungen sei der, dass ihre Ver-
fasser, von dem patriarchalischen Verhältniss zwischen Fürst und Volk
absehend, den Fürsten statt als Repräsentanten der Gottheit, als Reprä-
sentanten des Volkes angesehen hätten.
Darum betrachteten sich die Abgeordneten als Mitregenten. Es werde
Opposition gegen den Fürsten gemacht und eine konspirierende Majorität
beschliesse Unrecht und Unsinn gegen eine unbefangene Minorität.
Solche ständische Verfassungen wirkten, wo nicht demoralisierend, so
doch beunruhigend auf das Volk.
In Baden erwarte das Volk allgemein eine Abänderung
in der Verfassung, ohne selbst zu ahnen, worin diese bestehen oder
wie sie vor sich gehen solle. Jede Abänderung werde demselben willkommen
120
sein, wenn sie nur die Bürgschaft gewähre, dass dadurch das zärtliche
Band zwischen Fürst und Unterthanen inniger und fester geknüpft werde,
dass dadurch der Fürst in den Stand gesetzt werde, die Bedürfnisse seiner
Unterthanen genau kennen zu lernen und ihnen abzuhelfen. Daher würde
das Volk, das die Auflösung der früheren Ständeversammlung als eine
wohlbedachte Massregel der Regierung ansah, sehr ungehalten sein, wenn
man jetzt die Kammern einberufen würde. Von Steuerverweigerung (weil
die Stände sie nicht bewilligt) sei nirgends die Kede. «Das Volk hat
einen zu richtigen Begriff von der Souveränetat seines Fürsten, als dass
es sich diese nur in der Verbindung mit der Ständeversammlung den-
ken könnte. >
Eine Abänderung der Verfassung durch % Mehrheit der Kammern
sei schwer durchführbar. Der Fürst könne diess am besten durch seine
Machtvollkommenheit thun, wenn er durch eine competente Erklärung des
Bundestages in der Ausübung dieses Rechtes unterstützt werde.
Aber auch ohne eine solche Erklärung könne der Fürst jene Theile
der Verfassung stillschweigend unkräftig machen und antiquieren, welche
nach gemachter Erfahrung für die Wohlfahrt des Ganzen nicht passend sind
und ihn eigentlich hindern, sein Volk gut zu regieren und glücklich zu
machen.
Vor allem dürfte die Oeffentlichkeit der Sitzungen des Landtags auf-
gehoben werden. Sie verderbe den Character des Volkes, theile es in Par-
teien, raube ihm die Achtang für das Positive, beschäftige es mit unbe-
greiflichen Theorien und unerreichbaren Idealen und ernähre in ihm das
gefahrliche Princip, .es sei der Regent nur sein Lehnträger und habe das
Scepter von ihm erhalten.
Active Staatsbeamte und Geistliche sollten nicht zu Deputirten gewählt
werden dürfen, jedoch müsste der geistliche Stand eine Vertretung erhal-
ten. Bei zweckmässiger Beschränkung der bisher von der 11. Kammer
ausgeübten Theilnahme an der legislativen Gewalt dürfte eine L Kammer
nicht nothwendig sein.
Wir haben schon früher gesehen, dass auch auswärtige Staatsmänner
an der badischen Verfassungsangelegenheit lebhaftes Interesse fanden und
dass sich einige der Regierung nahe stehende Personen nicht enthalten
konnten, dieses Interesse durch wiederholte Mittheilungen noch zu erhöhen.
Als im Juni 1824 der Fürst Mettemich auf dem Johannisberg verweilte,
war es abermals der Frhr. von Blittersdorff, der ihm eine Abhandlung über
die badische Verfassung vorlegte. Hier zuerst begegnen wir bestimmten
Vorschlägen, wie die Verfassung, ohne dass gegen sie ein eigentlicher Gewalt-
ßtreich geführt werde, den Regierungszwecken entsprechender umzugestalten
sein möchte. Eine Kammerauflösung wird da zunächst in Aussicht gestallt
und von der neu zu wählenden Volksvertretung mit Bestimmtheit ein Ein-
gehen auf die Pläne der Regierung erwartet. Die Verfassung, nach dem
121
Master der französischen zngesclinitten, — so führt Blittersdorff ans —
sei durchaus nicht den Verhältnissen des Grossher zogthums angemessen.
Es seien desshalb einige Abänderungen unerlässlich. Die partielle Er-
neuerung der Kammern sollte authören. Die Discussion, welche über diese
Frage jungst in Frankreich stattgefunden, habe dargethan, dass die Inte-
gralemeuemng der Kammern und eine lange Dauer derselben der Stabilität
des Staates ungleich mehr zusagen, als jenes System der partiellen und
snccessiven Wahlen. Wenn man das schon in Frankreich fühle, um wie
viel mehr in Baden, einem kleinen Staate, für den Ruhe die vorzüglichste
Bedingung der Existenz sei. Auch für das Budget solle eine längere Dauer
festgesetzt werden, wodurch zugleich eine Yerlängeining des Yorsammlungs-
termins der Kammern erreicht sei. Bis jetzt — so schliesst Blittersdorff
seine Denkschrift — hätten die Stände der Regierung gegenüber immer die
Offensive ergriffen ; in Zukunft werde die Regierung diess ihrerseits thun
und bewirken, dass alle neuen Gesetze, statt wie bisher zur Schwächung
des monarchischen Princips, zu dessen Verstärkung dienen sollen. «Vielleicht
lässt sich mit der Zeit die Repräsentativverfassung in eine dem deutschen
Geiste mehr entsprechende ständische Verfassung umwandeln. >
Auch der Frhr. vonBerstett bekannte sich nunmehr zu der Anschauung,
die er früher bekämpft, dass die Verfassung, um mit ihr regieren zu können,
Abänderungen erfahren müsse und er beauftragte im Laufe des Jahres
1824 den Professor C. S. Zachariä von Heidelberg, ihm seine Ansichten
über diese Frage darzulegen, Vorschläge zur Abänderung zu machen und
die Wege zu bezeichnen, auf denen diese Aenderungen zu bewerkstel-
ligen seien.
Dieser Aufforderung kam Zachariä nach durch Ueberreichung nach-
stehender
Denksclirift.
Dass unsere Verfassungsurkunde (sammt der Wahlordnung und der
Geschäftsordnung der Kammern) bedeutende Veränderungen bedarf, wenn
sie ihrem Zwecke, sowohl an sich, als den bestehenden Verhältnissen nach,
entsprechen soll, darüber sind wohl alle einverstanden, die nur in Ange-
legenheiten dieser Art auf eine Stimme Anspruch machen können. Ich bin
sogar der Meinung, dass sich mit dieser Verfassung gar nicht regieren lässt,
dass sie, sowohl desswegen, als aus anderen Gründen, z. B. weil sie für
unser Land viel zu kostspielig ist, ungeachtet des vielen Trefflichen, das sie
enthält, als eine öffentliche Calamität betrachtet werden muss.
Ich kann diese Behauptung hier nicht weiter ausfahren. Ich müsste
sonst ein Buch schreiben; ich müsste eine neue Verfassungsurkunde ent-
werfen, und das wäre für mich, so viel ich auch schon über diese Aufgabe
nachgedacht und zur Lösung derselben gesammelt und niedergeschrieben
habe, keine so leichte Aufgabe. Ich setze also das voraus, was ich nicht
beweisen kann.
122
Die Frage ist nun die: Wie ist zu einer besseren Gestaltung unserer
Verfassung, also zu einer Veränderung unserer Verfassung zu gelangen ?
Ich kenne nur drei Wege, die zu diesem Ziele führen. Die Verfassung
kann verändert werden :
1. in dem von ihr selbst vorgezeichneten Wege, durch ein Gesetz,
welches der Fürst mit Zustimmung der Kammern giebt ;
2. mittels oder zufolge eines Bundestagsbeschlusses;
3. von dem Fürsten einseitig, kraft der ihm zukommenden Macht-
vollkommenheit.
Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass der erste von diesen Wegen
vor den übrigen in jeder Hinsicht den Vorzug verdient.
Nur muss ich, nach bestem Wissen und Gewissen, gänzlich an der
Möglichkeit verzweifeln, auf diesem Wege zum Ziele zu gelangen.
Ich setze voraus, dass die zweite Kammer vor dem nächsten Land-
tage aufgelöst wird, ferner, dass die Regierung Alles, was in ihrer Macht
steht, vei-wendet, um die Wahlen auf Männer ihrer Partei zu lenken, —
darf sie wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit hoffen, ^/j der Stimmen in
der zweiten Kammer für sich zu haben? Denn eine solche Majorität wird
nach §. 64 der Verfassungsurkunde erfordert, wenn die Verfassung abge-
ändert werden soll. Ich würde diese Frage gradezu verneinen. Als auf dem
letzten Landtag der Antrag des Herrn Staatsraths Frhm. von Zyllnhardt,
Se. Königliche Hoheit um einen Gesetzentwurf, zur Erläuterung des
in der Verfassungsurkunde gebrauchten Wortes «Finanzgegenstände» zu
bitten, in der zweiten Kammer zur Sprache kam, wurde er (sollte man
es für möglich halten?) einstimmig verworfen! Unser Staat ist so neu,
aus so heterogenen Theilen zusammengesetzt, die Menschen und die Ver-
hältnisse sind so beschaffen, (ich mag nicht auf das Einzelne eingehen!)
dass ich nicht einmal die einfache Majorität der Regierung verbür-
gen möchte.
Und dann, diese ganze Politik, Einfluss in der zweiten Kammer
zu gewinnen, will mir für jetzt, so lange es (nach der Wahlordnung)
gesetzwidrig ist, wenn die Wahlcommissäre der Regierung den Ausschlag
der Wahlen auf irgend eine Weise zu bestimmen versuchen, will mir ferner
unter den jetzigen Zeitumständen überall nicht recht gefallen.
Man kann freilich sagen: man muss wenigstens den Versuch machen,
das in Frage stehende Ziel vor allen Dingen auf dem verfassungsmässigen
Wege zu erreichen ; zu anderen, zu den äussersten Massregeln ist es immer
noch Zeit.
Das Gewicht dieser Einwendung verkenne ich keineswegs. Aber muss
man nicht je eher, je lieber zu den äussersten Massregeln greifen, wenn
man mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussieht, dass man am Ende doch
auf diese Massregeln zurückkommen muss? Und können sich nich, ja müs-
sen sich nicht (wenn die zweite Kammer ihren Vortheil versteht) die Zeit-
umstände, die jetzt für die Regierung besonders günstig sind, inmittelst
123
80 verändern, dass es, wenn jener Plan fehlschlägt, alsdann nicht mehr
oder nicht so gut als' jetzt, Zeit ist, zu einem andern Plane zu greifen?
Ist nicht das Temporisieren eine Art von Halbheit? Und — wie ich unten
bemerken werde — wir sind schon über den Rubicon gegangen.
üebrigens habe ich nicht der ersten Kammer Erwähnung gethan.
In dieser kann die Regierung weit eher, sowohl überhaupt, als in dem vor-
liegenden Falle, und den Umständen nach, auf die Majorität und auf ^/^
der Stimmen rechnen.
Der nächstbeste Weg ist der Zweite, ein Bundestagsbeschluss. Ich
bitte jedoch mich so zu verstehen, dass dieser Bescbluss alle deutschen
Fürsten ermächtigen müsste, die Yerfassuugsurkunde ihres Landes, insofern
sie die Verfassung unter die Gewährleistung des deutschen Bundes gestellt
hätten, nach einer gewissen Anzahl Jahre (entweder schlechthin, oder, was
denn doch im Resultate ziemlich auf Eines hinauslaufen würde, nach
Massgabe der Artikel 57 — 59 der Wiener Schlussacte) einer Revision zu
unterwerfen.
Dagegen würde ich es für sehr bedenklich halten, wenn ein solcher
Bescbluss bloss die Umänderung der Badenschen Verfassung beträfe,
wie man auch die Veranlassung zu diesem Beschlüsse herbeifühi'te. Die
Selbstständigkeit unseres Staates hat denn doch ihren hohen Werth. Und
was würden die Menschen von einem solchen Umwege urtheilen? könnten
sie nicht wenigstens mit Grund sagen : warum gieng man nicht gerade und
offen auf das Ziel los ?
Ob nun ein Bundestagsbeschluss der ersten Art und für uns zeitig
genug zu erwirken sein möchte? — lasse ich an seinen Ort gestellt sein.
Nach allem, was ich weiss und von den Verhältnissen kenne, zweifle ich
sehr. Höchstens dürfte so viel zu erreichen sein, dass die Frage: wie die
Artikel 57 — 59 der Wiener Schlussacte in Wirksamkeit zu setzen seien?
— zur Inatructionseinholung ausgesetszt würde. Allerdings wäre damit
schon viel, wenigstens in so fern für uns gewonnen, als dann der dritte
Weg desto sicherer oder leichter eingeschlagen werden könnte.
In diesem Zweifel gehe ich zur Beurtheilung des dritten von den
oben angedeuteten Wegen über.
Hier ist die Vorfrage die: Lässt sich durch genügende Gründe der
Satz vertheidigen, dass dem Fürsten, bewandten Umständen nach, das Recht
zustehe, die Verfassungsurkunde zurückzunehmen und statt derselben eine
andere bekannt zu machon?
Ich glaubte, die Antwort auf diese Frage am besten zusammendrängen
zu können, wenn ich sofort eine Verordnung wegen Aufhebung der Ver-
fassung entwürfe. Daher die Beilage zu diesem Aufsätze.
Ich füge noch folgendes hinzu: es ist sonderbar, wenn man berath-
schlagt, ob man etwas thun solle, wenn man es schon gethan hat (qui
deliberant, jam desciverunt, sagt Tacitus bei einem Vorfall dieser Art),
Befindet sich nicht aber die Regierung in einem solchen Fall?
124
Die Yerfassungsurkunde ist verletzt, *) denn die Regierung
hat für 1823 — 24 die Abgaben ohne die Zustimmung der Kammern
ausgeschrieben und erhoben. Die Verfassungsurkunde ist vorletzt;
denn dieKegierung hat sich nicht an das, durch den §.23 der Yerfassungs-
urkunde bestätigte Edict gebunden. Ich weiss recht wohl, was sich in der
einen und in der andern Hinsicht für die Regierung sagen lässt. Aber so
viel ist gewiss, dass sie sich in der einen und in der andern Hinsicht nicht
nach der Verfassungsurkunde vertheidigen lässt.
Man wende nicht ein, dass eine Verfassungsurkunde, wenn sie auch
in einigen Vorschriften nicht gehalten werden konnte, dennoch im übrigen
bei Kräften bleibe. Eine Verfassungsurkunde ist nicht eine Sammlung
einzeln stehender Vorschriften ; sie ist ein Ganzes. Das Ministerium hat
nichts mehr zu wagen. Es ist schon über den Rubicon gegangen.
Und wenn man Massregeln dieser Art besonders auch dadurch zu
vertheidigen hat, dass sich die Gegenpartei ebenfalls unfriedlich benommen
hat, dass der Erfolg 'kaum zweifelhaft sein kann, so frage ich, ob nicht
in der ersteren Hinsicht die Zeitumstände dem vorliegenden dritten Wege
entschieden das Wort sprechen?
Will man, oder hat man diesen Weg einzuschlagen, so ist die weitere
Frage die: Wann und wie ist die Massregel in^s Werk zu setzen, d. h.
nicht nur die jetzige Verfassungsurkunde zurückzunehmen, sondern auch
statt derselben eine andere bekannt zu machen? Eine ebenso vielseitige
als schwierige Frage.
Der Hauptzweifel ist nur der: soll beides, die Zurücknahme der da-
maligen und die Bekanntmachung der neuen Verfassungsurkunde zugleich
d. h. in zwei Verordnungen von demselben Tag geschehen ? Denn mit dieser
Frage hängen noch andere hier einschlagende Fragen zusammen.
Will man beides zugleich thun, so muss die neue Verfassungsurkunde
im strengsten Geheimnisse (etwa durch eine aus wenigen Mitgliedern be-
stehende Gommission) ausgearbeitet und gegen das Ende dos Jahres, d. h.
kurz voi: dem neuen Landtage bekannt gemacht werden.
In dem entgegengesetzten Falle würde es gerathsam, ja nothwendig
sein, die neue Verfassungsurkunde ebenfalls, ehe die dermalige zurück-
genommen würde, durch eine geheime Gommission vollständig ausarbeiten
zu lassen, damit man das Ziel, auf welches man hinarbeitet, bestimmt
kennen lernte. Dagegen würde dann mit der Verordnung, in welcher die
dermalige Verfassungsurkunde zurückgenommen würde, nur etwa eine
Verordnung des Inhalts zu erlassen sein:
Art. 1. Zur Begutachtung des zu erlassenden neuen Verfassungs-
gesetzes soll eine Gommission, bestehend aus dem Fürsten von Fürsten-
*) Gegen diese Behftupinng verwahrte sich der Frhr. Ton Berstett in einem Sehreiben an
Zachariä anf das Feierlichste.
125
hergy Kern und Föhi*enbacb, oder bestehend aus 1 Standesberrn,
2 Grundherrn , 4 Gemeinen , (Mitgliedern des letzten Landtages)
zusammentreten.
Art. 2. Diese Gommission bat ihre Arbeiten dergestalt zu be-
schleunigen, dass die neue Yerfassungsur künde noch vor dem 1. Januar
1825 bekannt gemacht werden könne.
Art. 3. Der erste Landtag nach der neuen Yerfassuugsurkunde
wird den 1. März {1825 eröffnet.
Ich will nicht bergen, dass mir der letztere Weg, als der offenere und
stolzere, den Vorzug zu verdienen scheint*
üebrigens würde ich mich zur Ausarbeitung dieses Aufsatzes überall
nicht entschlossen haben, wenn ich nicht, was ich zugleich zum Gelingen
des Planes für wesentlich halte, voraussetze:
1. dass sich die Veränderung der Verfassung auf das Noth wendige
oder offenbar Nützliche zu beschränken habe,
2. dass mit der neuen Verfassungsurkunde die auf dem letzten
Landtage berathenen Gesetze (insofern sie nicht eine Erhöhung der
Abgaben fordern) mutatis mutandis bekannt gemacht werden sollten,
3. dass überhaupt die Regierung auf die Erfüllung eines jeden
billigen Wunsches hinzuarbeiten geneigt wäre. (Eine herrliche Sache
würde es sein, wenn zugleich von der Grundsteuer etwas nachgelassen
werden könnte. Aber das wird kaum möglich sein).
Doch mit diesen Voraussetzungen spreche ich nur die Absichten un-
serer Regierung aus.
Zachariä.
Beilage.
Da 1. die von Unsererem Vorfahren in der Regierung mittels einer Ur-
kunde vom 22. August 1818 dem Lande gegebene Verfassung so
wenig in anerkannte Wirksamkeit getreten ist, dass auf dem ersten
Landtage (im Jahre 1820) wegen der Erhebung der Abgaben nur
eine Uebereinkunft, und zwar gegen den §.56 jener Urkunde, zu
erzielen war, auf dem zweiten und letzten Landtage aber die Ver-
handlungen über das Budget überall nicht zu einem Erfolge ge-
führt haben,
da 2. diese Verfassung Uns durch die Artikel 23, 53 und 62 in der Er-
füllung Unserer» gegen den deutschen Bund übernommenen, Ver-
pflichtungen, gegen die Vorschrift des Art. 50 der Schlussacte der
Wiener Conferenz, hindert und beschränkt, sowie auch der Art. 65
der Verfassungsurkunde nieht mit dem Art. 57 Jener Acte zu ver-
einigen ist,
da 3. die Garantie des deutschen Bundes, unter welche die Verfassung
(Art 83) gestellt worden ist, bis jetzt noch nicht erlangt werden
126
konnte, (dieser Grund würde weiter und besser ausgeführt werden
können),
da 4. die dermalen bestehenden gesetzlichen Formen der Landtags-
verhandlnngen zu einer bedeutenden Erhöhung der öffentlichen
Lasten führen müssen und geführt haben (hier würden die Kosten
des 1. und 2. Landtages anzuführen sein),
da 5; wegen der Vorschrift des Art. 64 der Verfassungsurkunde und
wegen anderer sattsam bekannten Thatsachen einer Vereinbarung
über die VeiHbesserung der Verfassungsurkunde vom 22. August
1818 nicht entgegenzusehen war,
so verordnen Wir hiermit, kraft der Uns gegen Unser Volk angestammten
Pflichten, nach erfordertem Gutachten Unseres Staatsministeriums, wie folgt:
Art. 1.
Die Verfassungsurkunde vom 22. August wird hiermit zurückge-
nommen und ousser Wirksamkeit gesetzt,
Art. 2.
Ein Jeder, der zufolge dieser Verfassungsurkunde irgend ein Recht
ausübt oder in Anspruch nimmt, ist von den Gerichten zur Verantwortung
zu ziehen und nach Massgabe des §. 65 Unseres 8. Organisationsedicts vom
4. April 1803 zu bestrafen.
Eine solche radicale Umgestaltung des geltenden Rechtes, wie sie der
Heidelberger Staatsrechtslehrer in Vorschlag brachte, war doch nicht nach
dem Sinne des Frhrn. von Berstett. Noch viel weniger konnte er hoffen,
seine Collegen im Ministerium und endlich den Grossherzog selbst einem
solchen Vorgehen geneigt zu machen.
Da aber eine Abänderung der Verfassungsurkunde von vielen Seiten
angerathen und, so scheint es, schon im Jahre 1824 eine beschlossene
Sache war, so erhielt Professor Zachariä im October desselben Jahres aber-
mals den Auftraff. unter näherer Bezeichnung der zu ändernden Bestim-
mungen seine Vorschläge über eine Verfassungsänderung vorzulegen.
Es geschah dies durch folgenden Aufsatz:
lieber einige
in der baden'sehen Verfassang zn treffende Veränderungen
Ton
C. S. Zachariä.
Man kann kaum noch berathschlagen ob man etwas thun soll, wenn
man es bereits gethan hat. Ist man aber nicht bereits von dem §. 23, 53,
auch von dem §. 15, 22 der Verfassung abgewichen?
127
Die Erfahrung hat gezeigt, dass unsere Verfassung oder dass die
Regierung bei unserer Verfassung nicht gedeiht. Ich fürchte, dass auf dem
nächsten Landtage die IL Kammer mit einer Anklage beginnt. Man ver-
theidigt sich am besten, wenn man angreift. Die Regierung hat sich den
Kammern (insbesondere der IL) schroff gegenübergestellt. Nur Consequenz
kann die Regierung heben und halten.
üebrigens ist gerade der jetzige Zeitpunkt einem solchen Plane vor-
züglich günstig. Diese Zeiten möchten nicht leicht zurückkehren.
Indem ich voraussetze, dass die Stände aufgelöst werden, (Verfas-
snngsurkunde §§. 42, 43) komme ich zuerst zu den Verbesserungen,
welche in der Verfassungsurkunde zu treffen sein dürften.
Ich unterscheide hier:
a, diejenigen Veränderungen, welche der Fürst kraft eigenen Rechts
zu machen berechtigt ist und
b. diejenigen, welche nur mit Zustimmung der Kammern zu machen
sein dürften.
Zu a.
In diese Klasse setze ich alle die Stellen der Verfassungsurkunde,
welche mit den Art 57, 58, 59 der Wiener Schlussacte (vergl. die Be-
schlüsse der Bundesversammlung vom 16. August 1824) unvereinbar sind.
Stellen dieser Art scheinen nur zu sein:
1. §. 23 ( Schlussacte §. 63). An dessen St-elle könnte etwa
folgendes gesetzt werden : «Die Rechtsverhältnisse der Standes-
und der Grundherren können, nachdem sie von dem Grossherzog
geordnet worden sind, nicht ohne Zustimmung der Kammern
abgeändert werden.
2. §§. 24, 37 No. 3, 64. Durch diese Stellen zusammengenommen
wird die Dienstpolizei theils dem Fürsten so gut wie entzogen,
theils auf die Kammern übertragen. (Schlussacte §. 57.) Vor-
schläge: § 24 ist gänzlich zu streichen. § 37 No. 3 erhält den
Zusatz: «Staats-, Kirchen- und Schuldiener, welche in diel, oder
in die II. Kammer gewählt werden, können die auf sie gefallene
Wahl nur mit Zustimmung der Regierung annehmen oder aus-
schlagen.» §. 64. Statt der Worte : «Sie haben das Recht, Minister
anzuklagen,» dürften folgende zu setzen sein: «Sie haben das
Recht, über die Minister und die Mitglieder der obersten Staats-
behörde wegen einer Verletzung der Verfassung oder anerkannt
verfassungsmässiger Rechte Beschwerde zuführen. Sie haben
das Recht, die Minister und die Mitglieder der obersten Staats-
behörde förmlich anzuklagen, wenn sich diese durch
123
Yerletznng der Verfassung einer, den Gesetzen nach, strafbaren
Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht haben. Wegen
einer Beschwerde, welche die Kammern gegen einen Minister
erheben, wird von dem Grossherzog eine aus 5 Mitgliedern be-
stehende Gommission zur Begutachtung ernannt Ein Mitglied
dieser Gommission ist aus der I., ein zweites aus der ü. Kam-
mer zu wählen, lieber das Recht der Anklage wird den
Kammern auf dem nächsten Landtag ein Gesetzentwurf vor-
gelegt werden.»
3. §. 53. Ist (nach Art. 57, 58 der 8chlussacte) hinzuzufügen:
«Jedoch
1. wenn keine Vereinbarung mit den Ständen über das neue
Steuergesetz zu Stande kommt, so dauert das bisherige
Steuergesetz, insofern die darin festgesetzten Steuern nicht
für einen vorübergehenden und bereits erreichten Zweck
bestimmt waren, für die nächste Budgetsperiode fort.
2. wenn die Kammern sich weigern sollten, die zur Erfüllung
Unserer, gegen den deutschen Bund übernommenen Ver-
pflichtungen erforderlichen Summen zu verwilligen, so ver-
bleibt Uns das Recht, diese Summen auszuschreiben.
4. Nach dem Art 57 der Schlussacte lässt sich auch eine Ab-
änderung des §. 65 der Verfassungsurkunde, nach welchem «zu
allen die Freiheit der Personen oder das Eigenthum betreffenden
Gesetzen die Zustimmung der Kammern erfordert wird, recht-
fertigen.» Man könnte diesen Artikel auf das Landrecht, das
Strafgesetzbuch, die bürgerliche und die Strafgerichtsordnung^
das Conscriptionsgesetz , die Gemeindeordnung, die Organisation
der Gerichte beschränken. Jedoch bemerke ich, dass die Ver-
fassungsurkunde des Königreichs Baiem eine ähnliche Vorschrift
enthält, auch überhaupt auf die Abänderung des §.65 kein
entscheidendes Gewicht zu legen sein dürfte.
5. §. 75. Abs. L Dieser dürfte so zu fassen sein: «die beiden
Kammern können mit Unserer Zustimmung, jedoch nur durch
Oommissionen, zusammentreten» (vergl. unten über Geschäfts-
ordnung ).
6. §. 78. In dem Satz: «Sie werden geheim auf das Begehren der
Regierungscommission bei Eröffnungen, für welche sie die
Geheimhaltung nöthig erachten» — dürften die hier
unterstrichenen Worte zu streichen sein. (Schlussacte §. 59).
Uebrigens würden diese Veränderungen so zu machen sein, dass die
aufgehobenen oder abgeänderten Stellen, gleich als ob sie nie in der Ver-
fassungsurkunde enthalten gewesen wären, ausser Kraft zu setzen wären.
n
l^d
Zu b.
In diese Classe rechne ich folgende Stellen:
1. §§. 29, 31, 38, 75. «Die Abgeordneten zur I. und IL Kammer
werden auf 6 Jahre gewählt» (die theilweise Erneuerung der
Kammern fallt gänzlich weg).
2. §. 46. «Jedes dritte Jahr wird ein Landtag gehalten.»
3. §. 54. «Das Auflagengesetz wird auf 6 Jahre gegeben.» (Wie
in Baiem).
4. §. 62. «Die alten, auch nicht ständigen Abgaben dürfen auch
nach Ablauf der Yerwilligungszeit noch fort erhoben werden,
wenn sich die ständischen Berathungen verzögern, oder wenn die
Ständeversammlung aufgelöst wird, ehe ein neues Budget zu
Stande kommt, jedoch im letztern Falle nur noch 6 Monate lang.
6. §§. 60, 61, 73. Welche Gesetze betreffen «Finanzgegenstände?»
(Sollte nicht die I. Kammer das Recht haben, auch Ycrbesserungs-
Yorschläge zumachen, ehe §.61 einträte?) Wenigstens die erstere
Frage dürfte zu beantworten sein?
Noch bemerke ich, dass §.64 zuweilen unausführbar ist, femer dass
§.74 Abs. 2 unter gewissen Umständen lästig werden könnte.
Die Wahlordnung ist allein von dem Grossherzog bekannt gemacht
worden, kann mithin auch von demselben allein abgeändert werden.
Dem Interesse der Regierung entgegen ist besonders der §.56 dieser
Ordnung. (Auch der %. 59 sammt dem §. 39 der Verfassungsurkunde hat
keine guten Früchte getragen).
Allein wenn keine wesentlichen Veränderungen in der Wahlordnung zu
treffen sind, z. B. zur Verminderung der Kosten, welche unser Wahlsystem
verursacht, so würde ich es aus mehr als einem Grunde für bedenklich
halten, bloss jene Stelle zu verändern.
Bei einer Revision der Geschäftsordnung der einen und der andern
Kammer kommt es vorzüglich auf 2 Dinge an :
1. den Geschäftsgang zu beschleunigen,
2. Die Veranlassung zu Reibungen zwischen der Regierung und den
Kammern zu vermindern.
Die Haupt Vorschläge, die ich in dieser Beziehung zu machen wüsste,
sind folgende:
1. die Vertheilung der Mitglieder der IL Kammer in Abtheiluugen
fällt gänzlich weg,
2. es wird von beiden Kammern eine gemeinschaftliche Gommission
für alle Bittschriften ernannt (z. B. 4 Mitglieder der IL, 2 der
I. Kammer). Der Präsident oder Vicepräsident der U. Kammer
9
180
hat den Vorsitz. Die Bittschriften werden in der Kammer, an
welche sie gelangen, nur angezeigt, sodann aber sofort an diese
Commission abgegeben. Die Commission gibt sie mit einem
gutachtlichen Bericht an die Regierung. Diese hat, spätestens
auf dem nächsten Landtag, den Kammern eine Antwort auf die-
jenigen Bittschriften zu erthcilen, welche von jener Commission
empfohlen worden sind,
3. es wird von beiden Kammern eine gemeinschaftliche Commission
für alle Motionen ernannt, welche von Mitgliedern der einen
oder der andern Kammer gemacht werden. Das, was so eben
von den Bittschriften gesagt worden ist, gilt auch von den Mo-
tionen; nur dass der Präsident oder Vicepräsident der I. Kammer
den Vorsitz führen soll. Jedoch sind unter dieser Regel nicht
begi'iffen: Beschwerden über die Minister, Anklagen, diejenigen
Motionen, die mit Zustimmung der Regierung in der Kammer zu
berathen sind.
Der dritte Vorschlag, scheint mir, könnte von dem Grossherzog sofort
(nach Ai*t. 59 der Schlussacte und nach dem Bundesbeschluss vom 16.
August 1824) und zugleich mit den oben unter a. gedachten Veränderungen
bekräftiget werden. Das hätte auch den Vortheil, dass so die Abänderung
des §.75 der Verfassungsurkunde motiviert würde.
Wegen der Ausführung der beiden andern Vorschläge, wiederhole ich,
was ich oben zu b. gesagt habe.
Schliesslich würde ich es für das gerathenste halten , alle diese
Veränderungen nur nach und nach — etwa von 8 zu 8 Tagen bekannt
zu macheu z. B. in folgendem Masse :
1. Auflösung der Kammern,
2. Bekanntmachung einer neuen Wahlordnung (wenn überhaupt
eine erscheint),
3. Abänderung der Verfassungsurkunde kraft eigenen Rechts,
sowie der Geschäftsordnung, sammt den Gründen,
4. Zusammenberufung der Kammern zu einem ausserordentlichen
Landtag für die in der Verfassungsurkunde und in der Geschäfts.
Ordnung mit Zustimmung der Kammern zu treffenden
Abänderungen, mit dem Vorbehalt, den ausserordentlichen Land-
tag in einen ordentlichen zu verwandeln. Die Sitzungen des
ausserordentlichen Landtags könnnten wohl am besten ge-
heim sein.
Gegen Ende des Jahres 1824 machte sich plötzlich eine cigenthüm-
liche Adressbewegung im Lande bemerkbar. Aus verschiedenen Landes-
gegenden, den Bezirksämtern Säckingen und Gernsbach, aus dem Stadt-
«nd Landamt Wertheim, aus den Bezirksämtern Boxberg und Constanz
131
kamen Adressen an den Grossherzog ein, welche die Verfassung zum
Gegenstande hatten. In der Wertheiraer Adresse wurde gebeten, «dass
Se. Kunlgl. Hoheit die Zügel der Staatsregierung ohne Beiwirkuug der
Stande zeitlebens allein zu führen geruhen möchten;» in den andern
war die Bitte ausgesprochen, «dass Höchstdieselben die Regierung wieder
allein gnädigst übernehmen möchten, indem sie bei ihrem Vertrauen auf
Höchstdero landesväterliche Gesinnungen der Garantie einer landständi-
scLen Verfassung nicht bedürften.» Aus dem Geheimen Cabinet des Gross-
herzogs wurden diese Adressen dem Ministerium des Innern mit dem
Auftrag übergeben, eine Antwort an die Petenten zu entwerfen und in
Vorlage zu bringen.
Am 14. Januar 1825 erstattete dieses Ministerium einen, von
L. Winter, dem späteren Minister, verfassten Vortrag an den Grossherzog,
welchem wir die nachstehenden Sätze entnehmen :
«Es kann Allerhöchstdenselben nur zum wahren Vergnügen und zur
inneren Beruhigung gereichen, eine solche Zufriedenheit mit Ihrer Regierung
und ein solches Vertrauen in die Gerechtigkeit Ihrer Gesinnungen von einem
grossen Theil Höchstdero Unterthanen ausgedrückt zu sehen, dass solche
freiwiUig auf Einrichtungen aus dem Grund zu verzichten sich erklären,
die unter anderm zum Schutz gegen Willkühr und gegen den Missbrauch
der Gewalt gegeben sind , weil sie diesen Schutz in Höchstdero Person
finden und sich dadurch gesichert halten.
«Welcher Wechsel der Zeiten und Verhältnisse auch eintreten mag,
immer werden diese Beweise des Vertrauens, der Treue und Anhänglichkeit
ein schönes Denkmal von Höchstdero Regierungsperiode sein. Abgesehen
aber davon, was in diesen Vorstellungen für Ew. Königl. Hoheit höchste
Person angenehmes und beruhigendes enthalten ist, hat der Gegenstand
an sich zwei Seiten, die wir kurz berühren müssen, um sagen zu
können, was zu antworten sei. Die erste ist die staatsrechtliche. In
dieser Hinsicht ruht die ständische Verfassung auf dem Art. 13 der
deutschen Bundesakte, deren Vollzug der Bundesversammlung zur Pflicht
gemacht ist.
«Nach dem Bundesbeschluss vom Jahre 1819 kann eine Veränderung
in der Verfassung nur in verfassungsmässigen Wegen geschehen.
«In politischer Hinsicht empfiehlt die Klugheit der Regierung, den be-
stehenden Zustand zu erhalten und nicht gewaltsam zu ändern, um der-
artigen Versuchen von Unten mit desto entschiedenerer Festigkeit begegnen
zu können.
«Denn mit oben dem Recht, mit welchem die Unterthanen, die sich
unter Höchstdero Regierung glücklich fühlen, eine Veränderung in der Ver-
fassung, weil sie ihnen nicht wohlthätig scheint, verlangen, könnte unter
anderen Zeitumständen eine Aenderung im entgegengesetzten oder gar in
einer für die regierende Familie gefahrlichen Sinne verlangt werden.
9*
m
«Wir glauben daher, dass die Antwort Sr. Eönigl. Hoheit an die
Bittsteller dabin aasfallen möchte, dass Höcbstdieselben die vorgelegten Bitten
als Beweise des Vertrauens, der Treue, der Anhänglichkeit an Höchstdero
Person und Höchstdero Kegierung anerkennten und zu würdigen wüssten,
dass aber Sr. Eönigl. Hoheit Aenderungen in der Verfassung, deren Fest-
haltung Sie zugesichert, nur in verfassungsmässigen Wegen vornehmen
würden.»
Der hier angegebene Weg einer verfassungsmässigen Aenderung wurde
denn auch bald darauf betreten. Schon in der Thronrede, mit der Gross-
herzog Ludwig am 24. Februar 1825 den Landtag eröffnete, wurde diese
Absicht der Regierung angekündigt.
«Die seitherigen Erfahrungen.» — heisst es in derselben — «ähnliche
Bestimmungen in den Verfassungen benachbarter Staaten, die Hoffnung,
dadurch Ersparnisse möglich zu machen und endlich die öffentliche Stimme
haben Mich veranlasst, die Erweiterung des Zeitraums von einem Landtag
zum andern und die periodische Gesammtemeuerung der gewählten Mit-
glieder der Kammern in Vorschlag bringen zu lassen. Sie werden hierüber
Ihre verfassungsmässigen Beschlüsse fassen.»
Sodann in der zweiten Sitzung der H. Kammer vom 26. Februar legte
Staatsrath Winter nachstehenden Gesetzesenfcwurf vor :
«Ludwig von Gottes Gnaden et«, etc.
Wir haben unter Zustimmung Unserer getreuen Stände beschlossen,
und verkünden hiermit, wie folgt:
Art. 1.
Die Abgeordneten der Grundherren, der Universitäten, der Städte und
Aemter zur Ständeversammlung werden auf sechs Jahre gewählt.
Nach Ablauf dieser Zeit und so immer von sechs zu sechs Jahren
treten die gewählten Mitglieder sämmtlich wieder aus, wenn nicht die
Kammern früher aufgelöst worden sind.
Diese gesetzlichen Bestimmungen dehnen sich auch auf die gewählten
Mitglieder der gegenwärtigen Ständeversammlung aus.
Art. 2.
Alle drei Jahre muss eine Ständeversamralung statt finden.
Art. 3.
Das Auflagegesetz wird in der Regel auf drei Jahre gegeben.
Beschlossen zu Karlsruhe in Unserem Grossherzoglichen Staatsmi-
nisterium.»
133
In dem diese Vorlage begleitenden Vortrag entwickelte Staatsrath
Winter eingehend die Gründe, welche die Regierung zu derselben veran-
lasst hätten.
Was die Erweiterung der Periode von einem Landtag zum andern
betreffe, so hätten alle benachbarten Staaten diese auf drei Jahre festge-
setzt ," die Kosten der Ständeversammlung vertheilten sich dadurch statt auf
zwei, auf drei Jahre; die Nachtheile, die während der Dauer des Land-
tags für die Staatsverwaltung entstehen (üeberbüidung der obem Staats-
beamten, längere Entfernung der zu Abgeordneten gewählten Staatsdiener
von ihren Stellen) würden vermindert; die den, aus der Classc der Land-
eigenthümer und Gewerbtreibenden gewählten, Mitgliedern zugemuthelen
Opfer würden geringer; überhaupt aber seien die Tuteressen des Grossherzog-
thums nicht von der Art und Wichtigkeit , dass sie so häufige Versamm-
lungen der Stände erforderten, während, sobald die Verhältnisse eine frühere
Einberufung verlangten, solche in der Macht der Regierung stehe.
Aehnlicbe Gründe Hessen sich — heisst es weiter — für den zweiten
Theil der Vorlage anführen. Der wesentlichste Vortheil der Gesammt-
erneuerung aber bestehe in der grösseren Stetigkeit der Grundsätze in
einer unveränderten Kammer, wenigstens für zwei Ständeversammlungen.
Der Gesetzentwurf wurde sofort an eine Commissiou verwiesen, in deren
Namen der Abgeordnete Rosshirt in der 5. Sitzung vom 9. März einen
Bericht erstattete, der sich durchweg den Ausführungen des Regierungs-
commissärs anschloss und die unveränderte Annahme der Vorlage empfahl.
Bei der Zusammensetzung der Kammer war an derselben nicht zu
zweifeln. Es war der Regierung gelungen , mit einigen verschwindenden
Ausnahmen nur unbedingte Anhänger ihrer Politik gewählt zu sehen, und
da die Anschauung sehr verbreitet war, eine Ablehnung dieses Entwurfs
könne wohl gar die Verfassung überhaupt in Frage stellen, so stimmten
auch solche Abgeordnete bei, die nicht durchaus und unbedingt auf der
Seite des Ministeriums standen.
In der Discussion, welche in der 6. Sitzung vom 12. März stattfand,
sprachen sich nur drei Redner, die Abgeordneten Grimm, Föhrenbach und
Duttlinger gegen das Gesetz aus.
Der erste wollte überhaupt die Verfassung nicht angetastet sehen und
betrachtete, da sie ein untrennbares Ganze sei, die Aenderung eines ein-
zelnen Artikels als ein unzulässiges Rütteln an dem gesammten Grundge-
setze ; der zweite war ängstlich, einer Veränderung zuzustimmen, Weil < Aen-
dern und Beesem zwei Dinge seien, so weit von einander, als Himmel und
Erde» und weil er in der Regierungsvorlage eine Besserung der Verfassung
nicht zu erkennen vermochte ; der dritte endlich bezweifelte selbst die Com-
petenz der Kammer, die vorgeschlagenen Aenderungen mit Rechtsgiltigkoit
vorzunehmen, und sprach seine ITeberzeugnng dahin aus, dass diese Aen-
derungen «nicht nur keine Verbesserung, nicht nur eine Verschlimmerung,
sondern in der That eine theilweise Aufhebung der Verfassung selbst» seien.
134
Gegen diese Bedenken sprach hierauf als Regierungsconimissär Staats-
rath AVinler im Sinne seines oben erwähnten, den Entwurf begleitenden
Vortrages und in ähnlicher Weise die Abgeordneten Schnezler und Wild.
Nachdem weiterhin auch noch Staatsrath Böckh das Wort ergriffen und die
Nothwendigkeit und Wichtigkeit eines dreijährigen Auflagengesetzes darzu-
thun gesucht hatte, indem er nachwies, dass bei den Finanzen eine gewisse
Stabilität der Einrichtung ein dringendes Bedürfniss sei und nach dem
Resume des Berichterstatters, wurde das Gesetz mit allen gegen die Stimmen
der drei oben erwähnten Opponenten angenommen und noch am nämlichen
Tage der ersten Kammer dieser Beschluss mitgetheilt.
Dort wurde er in der 7. Sitzung vom 14. März vorgelegt und in der
8. Sitzung vom 19. März einer Commission übergeben, deren Mitglieder
der Fürst von Fürstenberg , der Staatsrath Frhr. v. Türkheim und der
BisthumsverweserFrhr. v.Wessenberg waren. In deren Namen erstattete Frhr.
V. Türkheim in der 10. Sitzung vom 25. März einen eingehenden Bericht,
welcher den Begierungsentwurf sowohl von geschäl tlichen als von politi-
schen Gesichtspunkten aus in Betracht zog, denselben in beiden Richtungen
als vortheilhaft anerkannte und demgemäss seine Annahme empfahl. In
der 11. Sitzung vom 26. März entsjiann sich über die Vorlage eine längere
Discussion, in welcher sich zunächst Frhr. v. Wessenberg, der in der Com-
mission mit seiner Ansicht in der Minderheit geblieben war, gegen das
Gesetz aussprach. Er erblickte die Vortheile, die aus der beantragten
Neuerung hervorgehen könnten, nur auf Seite der Regierung, vermisste
jedoch entprechende für das allgemeine Wohl. Sein Ilauptbedenken aber lag
in dem Grundsatz der Stabilität. «Unter den menschlichen Dingen» —
sagte er — «sollten Verfassungsgesetze vorzüglich als etwas Festes be-
stehen. Es ist immer misslich, durch Aenderuugen den Glauben an ihre
jungfräuliche Unverletzlichkeit zu schwächen. Erst langjährige Erfahrung
kann berechtigen, die Reform einer Verfassung vorzunehmen.»
Der Abgeordnete der Universität Freiburg, Geh. Ilofrath Ecker, sprach
sich zwar im Allgemeinen für das Gesetz aus, wünschte aber die mit der
Wahl der Abgeordneten gleichzeitig vorzunehmende Wahl von Ersatz-
männern und einen weiteren Zusatz, wonach die auf G Jahre gewählten
Stände, venu sie nicht ausserordentlich aufgelöst werden, bis zur Wahl
und Beeidigung der neuen ihre Eigenschaft behalten.
Staatsrath Winter, als RcgierungFcommissärj entgegnete beiden Red-
nern. Gegen denFrhrn. v.Wessenberg vertheidigtc er das Gesetz u. a. auch
desshalb, weil dadurch in dieser wichtigen Frage die badische Vorfassung
denen der benachbarten deutschen Staaten, die alle die dreijährige Erneuerung
aufgestellt haben, ähnlicher werde und es allerdings wünschenswerth sei, dass
alle deutschen Bundesstaaten, die ohnediess von einem Band umschlungen
seien, auch gleichförmige Verfassung geniesson. Er könne fernerhin als
ehemaliges Mitglied der Commission, welche mit dem Entwurf der Verfassung
beaultragt worden sei, mitt heilen, dass nur ein vorübergegangenes politi-
135
sches Ereigniss schuld sei, dass nicht gleich Anfangs die dreijährige Dauer
des Zwischenraumes von einem Landtage zum andern angenommen wor-
den sei.
Dem zweiten Redner gegenüber sprach sich Winter entschieden gegen
Ersatzmänner aus und widerlegte dessen weitere Bedenken durch die Be-
merkung, dass, da die Eigenschaft eines Deputirten sich nach dem Termin
der Finanzperiodo richte und die Neuwahlen vor deren Anfang beendigt
sein müssten , der befürchtete Fall nie eintreten könne. Nach mehreren
kürzeren Bemerkungen verschiedener Redner und nachdem sich der Fürst
von Löwenstein noch besonder» warm für das Gesetz ausgesprochen hatte,
in dessen Annahme er keine Gefahr für die Constitution zu erblicken ver-
möge, wur"e der Gesetzvorschlag zur Abstimmung gebracht und mit einer
Mehrheit von 21 gegen 2 Stimmen angenommen.
Das Gesetz wurde im Regierungsblatt Nr. VL vom 21. April 1825
publiciert.
Wenn wir die dadurch vorgenommene Verfassungsänderung ruhig und
olgectiv betrachten, so muss es uns auffallend erscheinen, dass sich dagegen
von Seite der liberalen Partei, deren Wortführer damals ireilich ihre An-
schauungen in der Kammer nur sehr schüchtern geltend machen konnten,
ein so heftiger Widerstand erhob , so weitgehende Befürchtungen daran
knüpften. Es wird diess nur dadurch erklärlich, wenn man sich erinnert,
dass diese Abänderungen von Männern angeregt waren, die allerdings eine
völlige Beseitigung oder zum mindesten eine sehr weitgehende Umgestaltung
der Verfassung im Sinne trugen und wenn man annimmt, dass die Liberalen
von dem Vorhandensein dieser Bestrebungen Kenntniss hatten. Die Frage,
ob der Partial- ob der Integralerneuerung der Vorzug gebühre, gilt heute
als eine offene, aber die liberale Partei neigt sich eher dazu, denselben der
letzteren einzuräumen, und die andere Frage der zwei- oder dreijährigen
Budgetperioden kann allerdings auch von einem politischen Gesichtspunkte
aus betrachtet werden, der entscheidende aber wird dabei doch der ge-
schäftliche sein, dem entsprechend die neuere Zeit mit ihren rascheren Aen-
derungen auf allen Gebieten, mit ihrem schnelleren Verkehrsleben und
Geschäftsbetrieb den zweijährigen Perioden den Vorzug gibt, wo die Ver-
hältnisse nicht die Einführung einjähriger Budgetperioden erlauben. Da-
mals aber wurde diese Angelegenheit so sehr als eine hochwichtige politische
Frage betrachtet, dass es, als durch den Regierungswechsel des Jahres 1830
und im Zusammenhang mit den grossen Strömungen der europäischen Po-
litik, auch in Baden eine liberalere Richtung sich in der Regierung des
Landes geltend machte, eine der ersten Forderungen des nunmehr auch in
den Kammern wieder zu grösserem Einfluss gelangenden Liberalismus war,
diese Acnderungen abzuschaffen und an ihre Stelle wieder die ursprüng-
lichen Bestimmungen der Vorfassungsurkundo treten zu lassen.
In der 3. Sitzung der 11. Kammer vom 21. März 1831 kündigte der Abge-
ordnete V. Itzstein an, dass er eine Motion zu stellen beabsichtige, *Se. Köuigl.
136
Hoheit den Groösherzog zu bitten, noch auf diesem Landtage einen Gesetzes-
entwurf vorlegen zu lassen, durch welchen die auf dem Landtage von 1825
aufgehobenen Artikel 38 und 46 der Verfassung, welche zweijährige Land-
tagsperioden und theilweise Erneuerung der Kammern festsetzen, wieder
ins Leben gerufen und dadurch das Grundgesetz des Staates in seiner
ursprünglichen Reinheit wieder hergestellt werde.» In der 6. Sitzung vom
26. März begründete er dieselbe, sofort von den Abgeordneten Grimm,
Fecht, von Rotteck und anderen lebhaft unterstützt, und erlangte ihre einstim-
mige Verweisung in die Abtheilungen. In der 9« Sitzung vom 6. April wurde
zu ihrer Prüfung eine aus den Abgeordneten Kreglinger, Knapp, Welcker,
Rindeschwender und von Rotteck bestehende Commisson gewählt. In deren
Namen erstattete in der 11. Sitzung vom 13. April der Abgeordnete von
Rotteck einen mit lautem Beifall aufgenommenen Bericht. Derselbe ge-
stand offen zu, dass die Motive, von denen der Antragsteller ausgieng,
weniger sachliche als politische seien, dass namentlich die Frage der Partial-
oder Integralerneuerung eine solche sei, «dass über den Vorzug der einen
oder der andern Art mit beiderseits aufrichtiger Gesinnung mag gestritten
werden.» Er betrachtete die Wiederherstellung der Verfassung nach ihrem
ursprünglichen Wortlaut als eine'Sühen für die Wahlbeeinflussungen, aus
denen die Kammer von 1825 hervorgegangen, er erklärte sie für nöthig
zur Wiederkehr des Vertrauens zur Regierung, für Wiederherstellung und
Bekräftigung des Glaubens an die Verfassung, der Liebe für sie. «Vor
ganz Deutschland» — hiess es am Schlüsse — «würde ein grosses, ruhm-
volles, alle Wohlgesinnten ermuthigendes, alle Bösen einschüchterndes Bei-
spiel der triumphirenden Rechtsachtung gegeben, und dem edlen, volks-
freundlichen Fürsten, welcher dem mit Innigkeit ihm zugerufenen Namen :
«Vater des Vaterlandes» noch den gleich schönen : «Wiederhersteller der
Verfassung» beifügte, ein neues unvergängliches Denkmal in den Herzen
seiner dankbaren Bürger errichtet.»
Zu der Verhandlung, welche in der 15. Sitzung der II. Kammer vom
21. April stattfand, war der Zudrang des Volkes ein so grosser, dass die
Tribünen die Menge zu fassen nicht im Stande waren und auf Itzsteins
Antrag die grosse Flügelthüre des Sitzungssaales geöffnet wurde, um einer grös-
seren Zahl von Zuhörern die Theilnahme an den Verhandlungen zu ermöglichen.
Der Abgeordnete Mittermaier eröffnete dieselben mit einer Rede, aus
der wir nur das eine hervorheben, dass er die Majorität von 1825 gegen
den Vorwurf der Servilität in Schutz nahm und zugab, dass ein namhafter
Theil der damaligen Abgeordneten in gutem Glauben für die Aenderung
gestimmt habe. Im Uebrigen sprach er sich warm für die Partial-
erneuerung und die achtjährige Dauer der Mandate aus, da die erstere
die Vortheilo des Fortschreitens garantiere, die letztere die Vortheile der
Stetigkeit wahre.
In ähnlichem Sinne sprachen sich zahlreiche Redner aus, die für den
Antrag das Wort ergriffen , den nur der Abgeordnete Rettig bekämpfte.
r
137
Bei der AbstiinmaDg wurde die Motion mit allen gegen zwei Stimmen
(Rettig und Staatsrath Winter) angenommen.
Nunmehr kam die Frage in der I. Kammer zur Verhandlung. In der
8. Sitzung vom 22. Mai empfing sie die Mittheiluug von dem Beschlüsse
der II. Kammer; in der 9. Sitzung vom 26. April erwählte sie zu dessen
BegufachtuDg eine aus dem Frhrn. von Falkenstein, dem Fürsten zu
Färstenberg, den Staatsräthen Fröhlich und von Türkbeim und dem
Frhrn. von Wcssenberg bestehende Commission, in deren Namen in der
12. Sitzung vom 7. Mai der Staatsrath Fröhlich den Bericht erstattete,
welcher den Beitritt zu dem Beschlüsse der II. Kammer beantragte. Auch
in diesem Bericht ist die Stelle bedeutsam, in welcher der Berichterstatter
die Kammer von 1825 gegen laut gewordene Vorwürfe vertheidigt, indem
er andeutet, dass die Zurückweisung der damaligen Regierungsvorlage das
Land «wieder aufs Neue der Ungewissheit, den Provisorien, der Willkühr
überantwortet, und vielleicht die Verfassung selbst gefährdet hätte.» Das
überwiegende und entscheidende Motiv des Commissionsantrages aber fand
der Berichterstatter in dem «allgemeinen, laut ausgesprocheneu Wunsche,
dass die Verfassung wieder hergestellt werde,» woran er den weiteren
knüpfte, es möge diese Wiederherstellung, die er mit einer zweiten Ver-
änderung nicht für identisch halte, als Interdict gelten gegen jeden künf-
tigen Versuch einer abermaligen Veränderung, er komme wober, er bestehe
in was er wolle.
An der Discusssion über die Motion, welche in der 14. Sitzung vom
13. Mai stattfand, betheiligte sich in längeren Reden eine grosse Anzahl
der Mitglieder, theilweise aus dem persönlichen Grunde, weil mehr als einer
der Herren, die auch der Kammer von 1825 angehört hatten, in der Lage
war, die Abweichung der damaligen von der jetzigen Abstimmung zu
motivieren.
Hier machte sich denn besonders der Gesichtspunkt geltend, dass eine
Frage wie die vorliegende, für welche sich zudem das andere Haus beinahe
mit Einstimmigkeit ausgesprochen hatte, nicht Anlass zu Spaltungen
zwischen beiden Kammern werden dürfe, die namentlich in einer politisch
erregten Zeit, wo innerer Friede so sehr Noth thue, äusserst nachtheilig
wirken mttssten.
Indess erhob sich hier eine stärkere Opposition als in der H. Kammer,
indem sich 5 Mitglieder gegen die Motion erklärten und schliesslich auch
gegen dieselbe stimmten.
Wenn die Vertreter der Regierung sich in der ü. Kammer auf eine
Zurückweisung der heftigsten Angriffe gegen die Wahlbeeinflussungen von
1825 beschränkt hatten, so war ihre Haltung in der I. Kammer, in welcher
jene Angriffe nicht vorkamen, noch reservierter. Der Geheime Rath von
Weiler erklärte das Schweigen der Minister dadurch, dass die Regierung
den reinen Ausdruck der Ueberzeugung der Mitglieder vernehmen wolle.
Noch beredter als diess Schweigen der Regier ungscommissäic bewiesen
138
jndesa die wenigen Worte, mit denen der durchlauchtigste Präsident der
I. Kammer, der Markgraf Wilhelm, Bruder des Grossherzogs Leopold, seine
Stellung zu der schwehenden Frage kennzeichnete, nämlich, dass er mit
Vergnügen auf Wiederherstellung der Verfassung stimme, dass an der
entscheidenden Stelle die Geneigtheit bestehe, dem ausgedrückten Wunsche
zu entsprechen.
Die Regierungsvorlage, welche die Motion des Abgeordneten von
Itzstein erbeten hatte, Hess denn auch nicht lange auf sich warten. Schon
in der 28. Sitzung der II. Kammer vom 25. Mai legte der Staatsrath
Winter einen die Wiederherstellung der Verfassung betreffenden Gesetz-
entwurf vor, der von der Kammer mit begeisterten Hochrufen auf den
Grossherzog aufgenommen wurde.
In dem begleitenden Vortrage sprach Winter höchst bedeutsame Worte :
«Die Vorgänge,» sagte er,, «welche zu jener Aenderung (von 1825) den
Anlass gegeben haben, gehören der Geschichte der Entwicklung unserer
Verfassung anheim, welche auch bei uns den Gang genommen hat, den
sie in allen europäischen Staaten, in welchen ähnliche Verfassungen ein-
geführt worden sind, gehen musste, wie sehr auch die Folgen und Wir-
kungen verschieden sein mögen. Eine Darstellung dieser geschichflichen
Verhältnisse möchte nicht an ihrem Ort und die Wahrheit zu sagen mag
nicht an der Zeit sein. Nur das erlaube ich mir anzuführen, dass die
damaligen Käthe des Grossherzogs den Zustand der Dinge genau ge-
kannt, alle Verhältnisse wohl erwogen und ihre Zustimmung zn dieser
Aenderung einmüthig gegeben haben. Ihr einziges Streben ging dahin,
für die noch junge Verfassung nach drei verunglückten Versuchen Boden
zu gewinnen, in welchem solche Wurzeln fassen und nach und nach zu
einem kräftigen Baum erstarken könne.»
Nachdem er sodann auf die noch schwankenden Ansichten über das
Materielle der Frage hingewiesen, gab er zum Schlüsse die Versicherung :
«die Thatsache, dass beinahe einstimmig die Wiederherstellung der Ver-
fassung verlangt worden ist, war für die Regierung hinreichend, denWei-th,
den sie auf die Befestigung des Vertrauens zwischen ihr und dem Volke
und auf die Heiligkeit der Verlassung legt, zu beurkunden.»
Der Gesetzesentwurf lautete folgendermassen :
«Leopold von Gottes Gnaden etc. etc.
Nach Anhörung Unseres Staatsministeriums haben Wir beschlossen
und verordnen wie folgt :
Art. 1.
Das Verfassungsgesetz vom 14. April 1825, welches die Dauer der
Eigenschaft der zur I, Kammer der Ständeversammluug gewählten Abge-
139
ordneten der Grundlierren und Universitäten, sowie der zur II. Kammer
gewählten Abgeordneten der Städte und Aemter, sodann die Dauer der
Landtagsperioden bestimmt, ist seinem ganzen Inhalt nach aufgehoben.
Art. 2.
»
Alle ursprünglichen Bestimmungen der Verfassungsurkunde , welche
doj-ch das Gesetz vom 14. April 1825 abgeändert worden sind, treten in
volle Kraft und Wirksamkeit.
Art. 3.
Die gesetzlichen Bestimmungen der Verfassung , in Bezug auf die
Dauer der Eigenschaft der Abgeordneten und auf die Erneuerung der
Wahlen, sind auf die gewählten Mitglieder auch der gegenwärtigen Stände-
versammlung anwendbar.
Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Grossherzoglichen Staatsministerium,
den 24. Mai 1831.»
Uftber diese Vorlage erstattete in der 30. Sitzung der II. Kammer
vom 27. Mai der Abgeordnete von Rotteck einen kurzen Bericht, worauf,
nachdem einige Mitglieder dem Gefühle der Dankbarkeit und freudigen
Genugthuung Ausdruck gegeben hatten, der Gesetzentwurf unverändert
angenommen wurde.
In ähnlicher Weise verlief die 20. Sitzung der I. Kammer vom 30.
Mai, in der Staatsrath Fröhlich Berichterstatter war und auf Antrag des
Frhrn. von Wessenberg beschlossen wurde, zum Andenken des erfreulichen
Actes der Wiederherstellung der Verfassung das Bildniss des Grossherzogs
Leopold und zugleich die Bildnisse der Grossherzoge Carl Friedrich, «des
ersten Begründers der Freiheit des Volkes,» und Carl, «des Stifters der
Verfassung,» in dem Sitzungssaale aufzustellen. Das ganze Gesetz wurde
hierauf mit allen gegen vier Stimmen angenommen.
In der 21. Sitzung der I. Kammer vom 1. Juni erstattete der Fürst
von Fürstenberg Bericht über den Empfang, welchen die von ihm geführte
Deputation, die dem Grossherzog den von beiden Kammern angenommenen
Gesetzentwurf übergab, gefunden hatte. Auf die Anrede des Fürsten hatte
Grossherzog Leopold erwiedert: «Mit wahrem Vergnügen empfange Ich
den Mir übergebenen Gesetzentwurf. Ich habe dem Wunsch beider Kammern
Meiner getreuen Stände um Wiederaufhebung der im Jahr 1825 eingetre-
tenen Aenderungen der Verfassung aus dem Grunde entsprochen, weil Ich
die Verfassung in ihrer ursprünglichen Gestalt für heilig halte, weil Ich
wünsche, dass sie von allen Seiten heilig gehalten werde und weil Ich in
der Wiederaufhebung jener Aenderungen eine neue und sichere Bürgschaft
des wechselseitigen Vertrauens erblicke.»
140
Das Gesetz wurde im Regierungsblatt Nr. X. von 13. Juni 1831
publiciert.
Der Eindruck dieser Vorgänge im gauzen Lande war der beste und
vortheilhafteste. Denn, wie es so oft auch in den Kammerverhandlungen
betont worden war, auch wer der theoretischen Frage über Partial- und
Integralemeuerung gleichgiltig gegenüberstand, fasste diesen Act der
Kegierung gewissermassen symbolisch als ein feierliche Bürgschaft dafür
auf, dass die Geltung der Verfassung hinfort nie mehr ernstlich werde in
Frage gestellt werden.
Siebentes Capitel.
Von 1831 an bis 1848 ist keine Verfassungsänderung zu verzeichnen,
und auch in dem letztgenannten stürmischen und nach Neuerungen unge-
stüm drängenden Jahre war unter den zahlreichen Forderungen, die aus
der Mitte der Volksvertretung an die Regierung gebracht wurden, nur
eine einzige, welche auf Abänderung eines Verfassungspnrngraphen hinzielte.
In der 32. Sitzung der IL Kammer vom 1. März 1848 reichte der
Abgeordnete Hecker mit 7 Genossen einen Antrag ein, es möge die Kammer
sofort durch eine Deputation dem Staatsministerium eine Reihe von For-
derungen vortragen und deren ungesäumte Bewilligung verlangen. Unter
denselben war auch die folgende: «alle politische Beeinträchtigung um
des Glaubens willen aufzuheben, bezüglich den Ständen hierüber Gosetzes-
vorlage zu machen.»
Es war vorzugsweise das Verdienst des Abgeordneten Mathy, der
damals die denkwürdigen Worte sprach : «Ich kann eher auf meinem Posten
sterben, bevor ich mich durch Einschüchterucg zu irgend einem Schritt be-
wegen Hesse, den ich nicht mit Ueberzeugung thun kann» — dass die Ver-
handlung aus dem stürmischen Laufe, den der Abgeordnete Hecker wünschte,
wieder in den ruhigen Gang der Geschäftsordnung zurückgeführt wurde.
Statt der beantragten sofortigen Ueberweisung der wichtigen Fragen
an das Ministerium, wurde abgekürzte Berathung und mündliche Bericht-
erstattung beschlossen. Schon am nächstfolgenden Tage in der 33. Sitzung
erstattete der Abgeordnete Welcker Bericht und formulierte nunmehr den
auf die obige Frage bezüglichen Wunsch dahin, «dass alle Beschränkungen
politischer Rechte aus dem Grunde, dass ein Staatsbürger einer bestimmten
Confession angehört, aufgehoben, beziehungsweise den Ständen ein Gesetz-
entwurf darüber vorgelegt werde.»
142
In der Discussion, die sich sofort daran reihte, sprachen nur die
Abgeordneten Ulrich and Buss gegen den Antrag, der mit allen gegen
deren and des Abgeordneten Junghanns Stimme angenommen warde.
Schon am 4. März erklärte sich das Ministerium bereit, in dieser
Frage dem Wunsche der Kammer zu entsprechen und in der 39. Sitzung
der n. Kammer vom 26. März legte Staatsrath Bekk den folgenden Ge-
setzesentwurf vor :
«Leopold von Gottes Gnaden etc. etc.
Mit Zustimmung Unserer getreuen Stände haben Wir beschlossen
und verordnen, wie folgt:
Art. 1.
Der Absatz 1 des §. 9 der Verfassungsurkunde erhält folgende
Fassung :
«Alle Staatsbürger ohne Unterschied der Religion haben zu allen
Civil- und Militärstellen und Kirchenämtern gleiche Ansprüche.»
Art. 2.
Der §.19 der Yerfassungsurkunde erhält folgende Fassung:
«Die politischen Rechte aller Religionstheile sind gleich. >
Art. 3.
Der §.37 Ziffer 1 der Yerfassungsurkunde ist aufgehoben.
Zur Berathuug dieses Entwurfes wurde in der 42. Sitzung vom 22.
März eine aus den Abgeordneten Basscrmann, Hecker, Straub, Bissing und
Zittel bestehende Commission gewählt, in deren Namen in der 47. Sitzung
vom 7. April der Abgeordnete Zittel Bericht erstattete.
In demselben schlug er vor, im Art. 1 zu grösserer Deutlichkeit
hinter «Kirchenämtern» einzuschalten «ihrer Coufession,» empfahl die un-
veränderte Annahme der Artikel 2 und 3 und beantragte schliesslich noch
eine Veränderung der in $. 69 der Verfassungsurkunde festgestellten Eides-
formel, in welcher statt der Worte: «So wahr mir Gott helfe und sein
heiliges Evangelium» gesetzt werden solle: «So wahr mir Gott helfe und
sein heiliges Wort.» «Die Commission glaubt,» bemerkte Zittel hierzu, «dass
in dieser Formel sich alle bestehenden Confessionen und alle religiösen
Parteien — sofern sie überhaupt noch religiöse Parteien sein wollen, —
vereinbaren können. Es ist darin der freiesten Auffassung positiv-religiöser
Wahrheit Raum gegeben und zugleich dem im Volke lebenden religiösen
Bewusstsein genügende Rechnung getragen.»
In der 65. Sitzung vom 13. Mai wurden die drei Artikel ohne Dis-
cussion angenommen, die Eidesformel aber dahin festgestellt, dass es heisst:
«so wahr mir Gott helfe,» ohne jeden weiteren Zusatz.
143
Der also modificierte Gesetzesentwurf wurde der I. Kammer in ihrer
39. Sitzung am 15. Mai vorgelegt; eine Commission zu seiner Begutachtung
(Geh. Rath von Hirscher, Prälat Hüffel und Staatsrath von Rüdt) wurde
in der 40. Sitzung vom 17. Mai gewählt, in deren Namen Geh. Rath von
Hirscher in der 50. Sitzung vom 20. Juni Bericht erstattete. Derselbe
war dem Gesetzent würfe keineswegs günstig und erörterte ausführlich die
mannichfachen Bedenken, welche vom christlichen Standpunkte aus dem-
selben entgegenstünden, kam aber schliesslich doch zu dem Resultate, dass
«der allgemeinen Strömung der Zeit Rechnung zu tragen sei» und daher
kein Antrag auf dessen Verwerfung gestellt werde. Indess wünschte die
Commission eine authentische Sinnesbestimmung des Art. 2 darüber, was
man unter *Religionstheilen» und unter «politischen Rechten» verstehe
indem sie erklärte, dass sie ihrerseits darunter die religiösen Corporationen
und die Forderungen, welche diese Corporationen als solche dem Staate
gegenüber anzusprechen haben, nicht aber die einzelnen Bekenner einer
Religion und die Rechte der Staatsangehörigen im weitesten Sinne ver-
standen wissen wolle.
Endlich aber wünschte die Commission, dass dieses Gesetz erst dann
in Wirksamkeit treten möge, wenn durch ein anderes Gesetz überhaupt
das Verhältniss von Staat und Kirche auf Grundlage der ausgesprochenen
Religionsfreiheit geordnet, das Princip dieser Freiheit insbesondere auf die
Besetzung der Schul- und Kirchenämter auf das Unterrichts- und Erziehungs-
wesen und auf das Eigenthum der Kirchen und dessen Verwaltung ange-
wendet sein wird.
Sie beantragte demgemäss, dem Gesetze folgenden weiteren Artikel
beizufügen :
Art. 4.
«Vorstehendes Gesetz tritt erst dann in Wirksamkeit, wenn ein weiteres
Gesetz vorgelegt und angenommen sein wird, welches das Verhältniss
zwischen Staat und Kirche auf Grundlage der bürgerlichen Gleichstellung
oller religiösen Bekenntnisse ordnet»
Die Discussion über diese Frage fand erst am 13. Februar 1849 in
der 86. Sitzung deV I. Kammer statt. Dieselbe wurde eröffnet durch
Staatsrath von Rüdt, welcher, nachdem inzwischen die Grundrechte
verkündet worden seien, in Folge der §§. 7, 16 und 17 derselben für
nothwendig hielt, dem vorliegenden Gesetze eine weitere Ausdehnung
zugeben und desshalb dessen Zurückverweisung an die Commission
beantragte.
Diesen Antrag unterstützte Graf Kageneck, der einem Gesetze, welches
dem Staate den Character eines christlichen nehme, nicht zustimmen könne,
wenn nicht zugleich die künftigen Verhältnisse der Kirche und Schule
ebenfalls gesetzlich geordnet seien.
144
Für Annahme des Gesetzes in der von der II. Kammer beliebten Fassung
sprachen dagegen Staatsrath Bekk, Geh. Rath von Marschall und Geh.
Rath Klüber, worauf der Antrag des Herrn von Rüdt abgelehnt wurde.
Dasselbe war der Fall mit einem zweiten Antiag desselben Mitgliedes,
dem Art. 1 die Fassung zu geben :
«Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich, >
welchen Frhr. von Göler und Prälat Hüffel unterstützten. Geh. Rath Klüber
aber und der Fürst zu Fürstenberg bekämpften, weil sie nicht wünsch-
ten, dass der Gegenstand in seinem dermaligen Stadium nochmals in die II.
Kammer zur Discussion gelange.
Auch der von der Commission beantragte Zusatzai'tikel 4 wurde
abgelehnt.
Bei der Abstimmung endlich wurde das Gesetz mit 14 gegen 4 Stim-
men angenommen. Im Regierungsblatt Nr. VII. vom 20. Februar 1849
wurde dasselbe publiciert.
Seit dem Jahre 1848 fanden keine Abänderungen der Verfassungs-
urkunde mehr statt bis zum lezten Landtage von 1867/68.
Auf diesem wurde §. 37 Abs. 3 der Verfassungsurkunde aufgehoben und
§. 48 erhielt folgenden Zusatz:
§. 48 a. «Kein Kammcrm itglied kann wegen seiner Abstim-
mungen oder wegen seiner Aeusserungen bei Kammer-, Abtheilungs- und
Commissionsverhandlungen anders als nach Massgabe der Geschäfts-
ordnung der Kammer zur Verantwortung gezogen werden.
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffent-
lichen Sitzungen beider Kammern bleiben von jeder Verantwortlich-
keit frei.» *)
Ferner wurden in §. 67 die Sätze :
«Sie haben das Recht, Minister und die Mitglieder der obersten
Staatsbehörden wegen Verletzung der Verfassung oder anerkannt ver-
fassungsmässiger Rechte föi*mlich anzuklagen. Ein besonderes Gesetz
soll die Fälle der Anklage, die Grade der Ahndung, die urtheÜende
Behörde und die Procedur bestimmen»
gestrichen und durch die folgenden sieben Zusatzartikel ersetzt, welche
unter der Ueberschrift :
«IV a. Von den Anklagen gegen die Minister.»
zwischen die §§. 67 und 68 der Verfasssungsurkunde aufgenommen wurden :
§. 67 a.
Die zweite Kammer hat das Recht, die Minister und Mitglieder der
obersten Staatsbehörde wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen
*) Uegierangsblatt Nr. XLYIL vom 25. Okiober 13G7.
145
wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit begangenen Verletzung der
Verfassung oder anerkannt verfassungsmässiger Rechte , oder schweren
Gefährdung der Sicherheit oder WohKahrt des Staates förmlich anzu-
klagen.
Ein solcher Beschluss erfordert die in den §§. 64 und 74 für Ver-
fassungsänderungen vorgeschriebene Stimmenzahl ; die Zurücknahme des-
selben kann mit einfacher Stimmenmehrheit geschehen.
Das Anklagerecht der zweiten Kammer wird durch die Entfernung
des Angeklagten vom Dienste, mag sie vor oder nach erhobener Anklage
erfolgen, nicht aufgehoben.
Im Falle der Verurtheilung ist die Entlassung des Angeklagten aus
dem Staatsdienste zu erkennen.
Diese Folge der Verurtheilung kann nur auf Antrag oder mit Zu-
stimmung der Stände wieder aufgehoben werden.
üeber etwaige Entschädigungsforderungen steht dem Staatsgerichtshof
keine Entscheidung zu.
§. 67 b.
Das Richteramt über die im vorigen Paragraphen erwähnte Anklage
übt die erste Kammer als Staatsgerichtshof in Verbindung mit dem Präsi-
denten des obersten Gerichtshofs und acht weiteren Richtern aus, welche
aus den Kollegialgerichten durch das Loos bezeichnet und der ersten
Kammer beigeordnet werden.
Dem Angeklagten und den Vertretern der Anklage steht ein Ab-
lehnungsrecht zu.
Der Präsident der ersten Kammer hat den Vorsitz. Sein Stellver-
treter ist der Präsident des obersten Gerichtshofes.
Das Nähere über die Bildung des Staatsgerichtshofes, sowie das Ver.
fahren bei demselben wird durch ein gemeines Gesetz bestimmt.
§. 67 c.
Wird ein Minister oder ein Mitglied der obersten Staatsbehörde be-
schuldigt, zugleich mit den in §. 67 a. erwähnten Verletzungen, oder auch
ohne eine solche, ein Staatsverbrechen oder ein gemeines Verbrechen durch
Missbrauoh seines Amts begangen zu haben, so ist die zweite Kammer
befugt zu beantragen, dass der Staatsgerichtshof den Beschuldigten wegen
dieses Vergehens vor das zuständige ordentliche Strafgericht zur Aburthei-
lung verweise.
Dieser Antrag ist in den in §. 67 a. vorgeschriebenen Formen zu be-
schliessen und mit der Anklage, wo eine solche stattfindet, zu verbinden,
andernfalls aber selbstständig bei dem Staatsgerichtshof zu stellen.
§. 67 d.
Die während der Ständeversammlung von der zweiten Kammer be-
schlossene Anklage wird auch nach der Vertagung oder dem Schlüsse des
10
146
Landtages von den erwählten Eomroissären verfolgt und die erste Kammer
gilt in Beziehnng auf diesen Gegenstand nicht als vertagt oder ge-
schlossen.
Dasselbe gut von der Auflösung der Ständeversammlung, jedoch wird
die Schlussverhandlung und Entscheidung über die Anklage bis nach Ab-
lauf der in §. 44 der Yerfassungsurkunde festgesetzten Frist verschoben.
§. 67 e.
Hat zur Zeit der Einberufung einer neuen Ständeversararolung der
Staatsgerichtshof das Urtheil noch nicht gefällt, so wird derselbe neu ge-
bildet und die zweite Kammer wählt aufs Neue die Kommissäre zur Ver-
tretung der Anklage.
Erfolgt jetzt eine abermalige Auflösung, so bleibt die von der zweiten
Kammer gewählte Kommission zur Vertretung der Anklage ermächtigt
und ebenso der Staatsgerichtshof in dem früheren Bestand.
§. 67 f.
Das Recht der Anklage erlischt drei Jahre von dem Zeitpunkte,
wod ie verletzende Handlung zur Kenntniss des Landtages gekommen ist,
wenn die zweite Kammer jenes Recht nicht wenigstens durch den
Beschluss, den Antrag auf Erhebung einer Anklage in Betracht zu ziehen,
gewahrt hat.
Die Anklage kann ferner nicht mehr erhoben werden, wenn die
Mehrheit der zweiten Kammer jene Handlung gebilh'gt hat.
§• 67 g.
Verordnungen und Verfugungen des Grossherzogs, welche sich auf die
Regierung und Verwaltung des Landes beziehen, sind in der Ui'schrift von
den zustimmenden Mitgliedern der obersten Staatsbehörde zu unterzeichnen
und gelten nur als yoUziehbar, wenn die Ausfertigung von einem Minister
gegengezeichnet ist.
Endlich wurde die Bestimmung des letzten Satzes in §. 67:
«Keine Vorstellung, Beschwerde oder Anklage kann an den
Grossherzog gebracht werden, ohne Zustimmung der Mehrheit einer
jeden der beiden Kammern»
aufgehoben, an deren Stelle folgende Sätze traten:
«Zu Beschwerden, welche die Beschuldigung einer Verletzung der
Verfassung oder verfassungsmässiger Rechte enthalten, ist die zweite
Kammer allein befugt. Jedoch steht der ersten Kammer dasselbe
Recht der Beschwerde an den Grossherzog wegen Verletzung ihrer
verfassungsmässigen Rechte zu. Die Beschlüsse über derartige Be-
schwerden erfordern die im §. 67 a. vorgeschriebene Stimmenmehrheit.
147
Zu andern Yorstellungen an den Grossherzog sind beide Kammern,
sei es in Gemeinschaft, sei es jede für sich allein, berechtigt.
Eine Bitte nm Vorlage eines Gesetzes darf nur dann von einer
Kammer an den Grossherzog gebracht werden, wenn dieselbe zuvor
der andern Kammer mitgetheilt und dieser Gelegenheit gegeben wor-
den ist, sich darüber auszusprechen.» *)
Diese Aenderungen werden nicht die letzten an der Badischen Ver-
fassungsurkunde vorgenommenen sein. Nicht nur der normale Verlauf eines
halben Jahrhunderts, der so vieles in den staatlichen Verhältnissen in all-
mählicher, den Mitlebenden kaum bemerkbarer Umgestaltung des Bestehen-
den verändert, liegt hinter ihr, sondern, was mehr bedeuten will, die
Grundlagen der Beziehungen Badens zu dem übrigen Deutschland sind
heute ganz andere geworden, als sie noch vor wenigen Jahren waren. Die
neuen staatsrechtlichen Bildungen, welche Badens Stellung verändert
haben, werden mit der Zeit auch in der äussern Form des Grundgesetzes
Veränderungen erheischen, deren Anordnung wohl nur so lange ausgesetzt
bleiben wird, bis der unfertige Zustand der gegenwärtigen Lage unseres
Vaterlandes in einen fertigen und in sich gefestigten übergegangen ist.
Aber auch für den Fall, dass bei einer Durchsicht der Verfassungs-
urkunde, wie wir sie voraussehen, mehr an ihr geändert werden sollte, als
jene Punkte, die durch die veränderte staatliche Gestaltung eine Abänderung
erhalten müssen, auch dann wird der Geist, der das Grundgesetz des
Jahres 1818 dictiert hat, das neue Werk durchleuchten, und in hohen
Ehren wird für alle Zeiten bleiben die Verfassungsurkunde, die seit
fünfzig Jahren das Palladium unseres Rechtes und unserer Freiheit war.
*) BagltfinngfbUU Ko. XXI vom 6. April 1868. Auf die Verbandlnngen der beiden Ksmineni
aiu welcben die obigen Gesetze berrorgegangen sind, n&ber einzugeben, rerbot, abgoseben ron
nndem Gründen, scbon der Umstand, dass znr Zeit, als das Mannscript dieses Bncbes abgeseblossen
wurde, die Protokolle der Kammerverbandlnngen von 1867/68 nocb nicbt gedruckt waren.
Beilagen.
Beilage I.
Verfassnngsentfilrfe ans dem Jahre 1808,
Am 8. Juli 1808 erschien im Regierungsblatte No. 21 eine vom 5.
Juli datierte landesherrliche Verordnung, welche die nachstehenden wichti-
gen Regierungsmas.sregeln ankündigte:
«Die Reihefolge der wichtigsten Veränderungen, welche die Auflösung
der Verfassung des deutschen Reichs und die Bildung des Rheinischen
Bundes herbeigeführt haben; die Einverleibung so verschiedenartiger Lande
in Unsem Staat; die Wahrnehmung, dass, ungeachtet der von Uns er-
lassenen Constitutiv- Verordnungen, besonders derjenigen vom 20. März
vorigen Jahres, neue Verfügungen nothwendig sind; die vielfältigen Er-
fahrungen über die, den Zeitforderungen mehr entsprechenden Verwaltungs-
formen; die jüngsten Vorgänge endlich in den beiden grösseren Bundes-
staaten Baiern und Westfalen, sprechen das Bedürfniss stärker als je aus,
ünserm Grossherzogthum eine Grundverfassung und zweckmässigere
Verwaltungs-Ordnung zu geben. Wir sind daher entschlossen, die Staats-
verwaltung auf einfache und pragmatische Grundsätze, welche dem Geist
der Zeit entsprechen, zurückzuführen; Wir wollen, dass nach Inhalt der
darüber bereits erlassenen Rcscripte, die verschiedenen Provincialgesetz-
gebungen aufgehoben und der Code Napoleon, als das vorzüglichere Resul-
tat gesetzgebender Weisheit, mit einziger Rücksicht auf die wegen der
Landcseigenheiten nothwendigen Modificationen und^ der in Frankreich
wieder neuerdings eingeführten Fideicoramissarischen Eigenthumsverhält-
nisse, eingeführt werde. Wir wollen, dass mit Anfang des Jahres 1809 diese
Einführung statt finde. Wir wollen ferner ein gleichförmiges, auf richtigen
Verhältnissen beruhendes Abgabesystem gegründet, durch Tilgung der
durch die Kriegsverhältnissc angewachsenen Schuldenmasse den Staatscredit
erhoben und mittelst einer Landesrepräsentation, wie sie in Baiern
und Westfalen eingeführt worden, das Band zwischen Uns und dem
Staatsbürger noch fester, wie bisher, geknüpft wissen»
152
Als diese Yerordnug ergieng, war der Grosshorzog Carl Friedrich
durch Alter und Krankheit hereits an einer regelmässigen persönlichen
Theilnahme an den Regieningsgeschäften vielfach gehindert. Die franzö-
sische Partei am Hofe hatte sich der I^eitung der Staatsangelegenheiten in
hohem Grade bemächtigt und der bisherige badische Gesandte am
französischen Hofe, E. Frhr. von Dalberg, der auf Napoleons Wunsch zeit-
weilig nach Karlsruhe zurückgekehrt und in das badische Ministerium als
provisorischer Finanzminister und Director des Cabinetsministeriums ein-
getreten war, handelte durchweg, wenn nicht im bestimmten Auftrage, so
doch im Sinne des Protectors des Rheinbundes. Aber neben ihm hatte
doch noch eine stattliche Reihe altbewährter badischer Räthe Sitz und
Stimme im Cabinet, und der Geschäftsgang war immerhin ein solcher, dass
Frhr. von Dalberg ohne deren Mitwisseu und Zustimmung keine wichtige
Massregel anordnen und durchführen konnte.
Nun ist schon damals die Meinung ziemlich verbreitet gewesen, sowohl
der Gedanke, der sich in der erwähnten Verordnung niedergelegt findet,
als auch die Anstalten zu seiner Durchführung seien einseitig das Werk
Dalbergs und einiger mit ihm einverstandenen Genossen gewesen, und diese
Ansicht ist nicht nur niemals widerlegt, sondern sogar durch die Autori-
tät eines so wohlunterrichteten Mannes wie Nebenius unterstützt worden.
In seinen Aufzeichnungen, (die Beck in seiner Schrift : C. F. Nebenius,
Mannheim 1866 benützt hat) sagt er, diese Sache sei das Werk einer
Clique von Intriganten gewesen, die damals am Hofe zu Carlsruhe grossen
Einfluss ausübten, unter denen sich sogar nur zwei geborene Deutsche be-
funden hätten, von denen der eine, ein Landesfremder, bald darauf den
Grossherzoglichen Dienst aufgegeben, der andere aber, ein Eingebomer,
das Vaterland verlassen habe, um ganz Franzose zu werden.
Wenn wir nun auch zugegeben, dass von den also gekennzeichneten
Männern der eine (Frhr. von Dalberg) die erste Idee zu dieser Verordnung
anregte, der andere (von Schmiz) den ersten Entwurf der dort angekün-
digten «Grund Verfassung» ausarbeitete, so müssen wir doch, gestützt auf
die hier zum ersten Male mitgetheilten Arbeiten, bestreiten, dass man es
lediglich mit einer französischen Intrigue zu thun habe. Die altbadischen
Staatsmänner, die damals im Ministerium waren, Männer, wie von Edclsheim,
Meier, Hofer, von Gemmingen, Brauer, nahmen die Angelegenheit sehr ernst
und von der rein geschäftlichen Seite auf, und dass auch die zwei damals
noch lebenden Söhne des Grossherzogs, die Markgrafen Friedrich und
Ludwig, officiell von diesen Arbeiten Kenntniss erhielten, beweist jedenfalls,
dass dieselben nicht ohne Vorwissen des Regenten entstanden und fortge-
führt worden sind. Da sie, wie wir sehen werden, auch dem Erbgross-
herzog vorgelegt wurden, so hat auch die Behauptung von Nebenius keinen
Grund, dass dessen Ernennung zum Mitregenten in Folge der Entdeckung
dieser angeblichen Intrigue geschehen sei.
Indess müssen ^diese Entwürfe auch späterhin entweder völlig in
Vergessenheit gerathen, oder sehr verborgen gehalten worden sein, da selbst
Nebenius keine Kenntniss von denselben erhielt.
153
I.
Am 2. August 1808 ergieng der Dachstehende Erlass des Cabinets-
ministcriums an den Staatsrath von Schmiz :
vr niG Cabinets - Ministerium.
Carlsruhe, den 2. August 1808.
In Folge des in dem neuesten Organ isationsedicte für die obersten
Staatsbehörden vom 5. Juli d. J. ausgedrückten höchsten Beschlusses, dem
Grossherzogthum eine Grundverfassung und zweckmässigere Verwaltungs-
Ordnnng zn geben, auch eine Landesrepräsentation, nach Art der in den
Königreichen Westfalen und Baiern bestehenden, einzuführen, werden
nunmehr der Staatsrath von 8chmiz und der Staatsrath Elüber, ersterer
als Referent und der andere als Correferent, beauftragt, über diesen Gegen-
stand ausführlichen Vortrag anlier zu erstatten und solchen durch einen
demnächst abzuhaltenden Staatsrath prüfen zu lassen, um dann definitive
Entscheidung darüber zu fassen.
Dalberg.
An den Staatsrath von Schmiz.
Schon am 19. August legte Herr von Schmiz folgenden
Entwurf
einer Constitutions-Urkunde für das Grossherzogthum Baden
vor.
In der durch das Regierungsblatt Nr. 21 verkündeten Verordnung
wegen der Organisation der obersten Staatsbehörden haben Wir bereits die
Motive Unseres Entschlusses ausgesprochen, nach welchem Unserm Gross-
herzogthum eine Grundverfassung und zweckmässigere Verwaltungsordnung
gegeben werden sollte.
Mit keiner feierlicheren Handlung glaubten Wir nun Unsem Staatsrath
heute eröffnen zu können, als mit der Berathung über eben diesen, für die
Würde und Sicherheit des Staates, sowie für das Gesammtwohl Unserer
lieben Unterthanen gleich wichtigen Gegenstand.
Nach Anhörung Unseres Staatsrathes haben Wir daher der gegen-
wärtigen Constitutions-Urkunde Unsere Sanction gegeben. Wir verordnen
demnach, wie folgt:
Erster Titel.
Hauptbestimmungen.
$. 1. Das Grossherzogthum Baden macht einen Theil des Rheinischen
Bundes aus.
§. 2. Es wird in drei möglichst gleiche Kreise eingetheilt.
§. 3. Es wird durch eine Constitution regiert werden, welche allen
Staatsgenossen Sicherheit der Personen und des Eigenthums, vollkommene
Gewissensfreiheit, ungehinderte Ausübung des bisherigen Religionscultus
und Pressfreiheit gewährt, letzte provisorisch nach der Bücher-Censur-
Ordnung vem 19. October 1807.
§. 4. Das ganze Grossherzogthum wird durch Stände vertreten, nach
gleichen Gesetzen gerichtet und nach gleichen Grundsätzen verwaltet.
154
§. 5. Der Adel soll in seinen verschiedenen Graden und mit seinen
verschiedenen Benennungen fortbestehen, aber kein ausschliessendes Recht
auf Staatsämter und Staatswürden haben. In Hinsicht der Standes- und
Grundherrn bleibt es bei den wegen ihrer persönh'chen Verhältnisse im 3.
und 4. Constitutionsedicte vom 22. Juli 1807 verordneten Bestimmungen.
§. 6. Es soll ein und dasselbe Steuersystem für alle Theile des Gross-
herzogthums eingeführt werden. Die Grundsteuer soll den 5. Theil des
reinen Ertrags nicht übersteigen.
Die Liegenschaften und Einkünfte der Standesherrn werden eben so
wie die der Prinzen Unseres Hauses nach dem 3. Constitutions-Edict §.43
in ordentliche Schätzung gelegt. Die Grundherrn aber werden nach dem
II. Absätze des vierten Constitutions-Edicts behandelt.
§. 7. Die Geistlichkeit hat keine Privilegien anzusprechen, welche
mit den Verfügungen dieser Constitution unverträglich sind. Uebrigens
bleibt einem jeden der Religionstheiie der ausschliessliche und vollkommene
Besitz und Genuss des ihren ausgedehnten Zwecken ausschliessend gewid-
meten Pfarr-, Schul- und Kirchen Vermögens gewährt; keiner dieser Ver-
mögenstheile soll einem fremdartigen Zwecke bestimmt, nach Befriedigung
der Localstiftungserfordernisse aber soll der Veiipögeusüberschues zu den
Bedürfnissen der mnngelnden gleichartigen Stiftungen und öffentlichen
Anstalten derselben Religion verwendet, zur Erzielung der Einheit, zur
Vermehrung der Kräfte und zur Minderung der Vorwaltungskosten soll in
der Zeitfolge eine Centralcuratel für jeden Religionstheil errichtet und im
Ganzen, sowie im Königreich Baiem, in wie weit es auf Unser Grossherzog-
thum anwendbar ist, verfahren werden.
Dieses geistliche Vermögen ist unter keinem Vorwande einzuziehen,
noch zu einem fremden Zwecke zu veräussern. Es bleibt von Unserm
Finanzvermögen gesondert.
§. 8. Ebenso soll es mit dem Vermögen der Gemeinden gehalten
werden; es macht einen selbstständigen, von dem allgemeinen Staatsver-
mögen getrennten Theil der Staatsverwaltung aus.
§. 9. Die Aufhebung der persönlichen Leibeigenschaft, mit welcher
wir bereits im Jahre 1783 in Unsern alten Landen vorgegangen sind, soll
auf die neuen Lande, wo sie noch besteht, ausgedehnt und das Hngestolzen-
Recht soll allenthalben aufgehoben sein.
§. 10. Das Indigenat wird nur nach vorgängiger Würdigung von
Seite Unserer einschlägigen obersten Staatsbehörde von Uns ertheilet
werden.
§. 11. Jeder Staatsbürger, der das 21. Jahr zurückgelegt hat, ist
schuldig, einen Eid abzulegen, dass er dem Souverain treu sein, der Con-
stitution und den Gesetzen gehorchen wolle. Dieser Huldigungseid soll
nach vorgehender Ablesung der Constitution von den in's 22. Jahr einge-
tretenen Bürgern auf einen bestimmten Tag im Jahre in jedem Amtsbezirk
eines Kreises feierlich abgelegt werden.
§. 12. Kein Staatsangehöriger darf ohne Unsere Erlaubniss in fremde
Dienste übergehen, noch von einer auswärtigen Macht Gehälter oder Ehren-
zeichen annehmen, noch eine fremde Gerichtsbarkeit über sich erkennen,
bei Verlust der bürgerlichen Rechte und bei noch schärferer Ahndung.
§. 13. Nur Eingeborene der rheinischen Bundesstaaten oder mit dem
Indigenatsrecht Begnadigte können Staatsämter im Grossherzogthume
bekleiden.
§. 14. Die Verhältnisse Unseres Staatsdiener- Standes werden wir,
nach dem Vorgange in Baiem, durch eine eigene Pragmatik nächstens
156
bestimmen, und wegen der Wittwen- und Waisenversorgung wollen Wir
ebenmässig eine geeignete Verordnung erlassen.
§. 15. Alle Staatsdiener, sowohl die noch nicht 5 volle Jahre dienen-
den, als die noch anzustellenden sind nur dann als wirkliche Staatsdiener
anzusehen, wenn sie ihrer Stelle, es sei ein Justiz- oder Verwaltungsamt,
5 Jahre hindurch ununterbrochen gut vorgestanden sind.
Zweiter Titel.
Vom Grossherzoglichen Hause.
§. 1. Das Grossherzogthum ist erblich in dem Mannsstamme des
regierenden Hauses, nach dem Rechte der eingeführten Primogenitur und
der agnatischen Linealerhfolge.
§. 2. Die Prinzessinnen sind auf immer von der Regierung ausge-
schlossen und blcihen es in der Erbfolge in so lange , als noch ein männ-
licher Sprosse des regierenden Hauses vorhanden ist.
§. 3. Nach gänzlicher Erlöschung sämmtlicher männlichen successions-
fahigen Nachkommenschaft aus Unserer ersten Ehe erklären Wir, kraft
der Uns zustehenden Souveränetät und unter Mitwirkung der Agnaten
Unseres Hauses, Unsere aus zweiter Ehe erzeugten Söhne, die Grafen von
Hochberg, sammt deren männlichen, ehelichen und ebenbürtigen Nachkom-
menschaft zur Folge in der Regierung Unseres souveränen Grossherzog-
thums Baden fähig und theilhaftig.
§. 4. Die unterm 21. Juni 1792 errichtete Fideicommiss-Constitution
soll zwar in Hinsicht der beiden Fideicommissen ganz bei Kräften bleiben.
Ausser dem bereits bestehenden Paragiat soll aber den nachgeborenen
Prinzen eine jährliche Rente von theils in Geld, theils in Naturalien
aus Unsern Staatsmitteln ausbezahlt, der Wittwe des regierenden Gross-
herzogs ein Wittum von ausgeworfen und das Heirathsgut einer
Prinzessin auf bestimmt werden.
Die Verhältnisse der Prinzen und Prinzessinnen, in Hinsicht ihrer
Erziehung, ihrer Vermählung, ihres Gerichtsstandes und der übrigen,
gegen den regierenden Souverain eintretenden persönlichen Beziehungen,
werden in einem Familiengesetze ihre Bestimmung erhalten.
§. 5. Die Volljährigkeit der Grossherzoglichen Prinzen ti-itt mit dem
zurückgelegten 18ten Jahre ein.
§. 6. Der Regent des Grossherzogthums als Haupt der Grossherzog-
lichen Familie wählt, im Falle der Minderjährigkeit seines Regierungsnach-
nachfolgers, so lange als dieselbe währt, unter den volljährigen Prinzen
des Grossherzoglichen Hauses den Verweser des Grossherzogthums. In
Ermangelung einer solchen Bestimmung tritt der nächste volljährige Agnat
als solcher ein. Der weiter entfernte, welcher wegen Unmündigkeit eines
Näheren dieselbe übernommen hat, setzt sie bis zur Volljährigkeit des
Regenten fort. Die Regierung wird im Namen des Minderjährigen geführt
und die Regierungsgewalt geht für die Dauer des Zwischenzustandes auf
den Verweser über, mit der Beschränkung jedoch, dass alle während der
Regentschaft erledigten Staatsdienste nur provisorisch besetzt, neue Aemter
nicht geschaffen, heinifallende Lehen als solche nicht begeben, Piivilegien,
Standeserhöhungen und Hausordens -Ertheilungen nicht verliehen werden
dürfen. In Ermangelung eines volljährigen Agnaten verwaltet der erste
Staatsminister unter Zuziehung des Staatsrathes das Grossherzogthum.
Eine verwittibte Grossherzogin kann die Regierungsverwaltung nie an-
sprechen.
156
Dritter Titel.
Von der Verwaltung des Grossherzogthums.
§. 1. Das Ministerium theilt sich nach Unserer Verordnung vom
5. Juli d. J. in 5 Departements: 1. der Justiz, 2. der auswärtigen An-
gelegenheiten , 3. des Innern, 4. der Finanzen, 5. des Kriegswesens.
Die Geschäftssphäre eines jeden ist in der näheren Verordnung von
dem nämlichen Tage vorgezeichnet. Mehrere dieser Ministerien können
in einer Person vereinigt sein. Die Minister wachen auf den genauen Voll-
zug Unserer Befehle und sind für jede Verletzung der Constitution, in wie
weit sie daran Theil hahen, dem Souverän verantwortlich. Sie erstatten
am Ende eines jeden Jahres üher den Zust^ind ihres Departements um-
ständlichen Bericht. Diese Berichte werden gesammelt und in's Archiv
niedergelegt. Sie bilden eine fortlaufende Culturgeschichte der ihnen auf-
getragenen Geschäfte und der ganzen Staatsverwaltung.
§. 2. Zur Vorbereitung der Gegenstände von grösserer Wichtigkeit,
Entwerfung von Grundgesetzen und Hauptverordnungen haben Wir bereits
einen Staatsrath angeordnet, welcher nun in drei Sectionen gctheilt werden
soll. Die eine derselben widmen Wir der bürgerlichen und peinlichen
Gesetzgebung, die andere den Geschäften des Innern und die dritte den
Finanzen. Jede Section besteht wenigstens aus drei Mitgliedern und be-
reitet die Geschäfte zum Vortrage in dem versammelten Staatsrathe vor.
§. 3. In einem jeden der drei Kreise steht ein Kreisobrist (Kreisdirector,
Generalcommissär, Präfect) an der Spitze der Geschäfte. Diese Geschäfte
sind in mehrere Sectionen abgetheilt, in jeder sind höchstens drei Glieder,
welche die vorkommenden Executiv- Gegenstände in Bureaux erledigen,
die Deliberativobjecte aber dem Kreisobrist zur Entscheidung vortragen.
In jedem Kreise ist eine Kreisversammlung und jeder Kreis ist in Amts-
districte abgetheilt.
§. 4. Die Zahl der Mitglieder der Kreisversammlung wird durch die
Zahl der Kreisbewohner bestimmt, so, dass ein Mitglied auf 1000 Be-
wohner gerechnet wird. Die Mitglieder, welche volle 21 Jahre alt sein
müssen, werden aus den Höchstbesteuerten vom Souverän ernannt. Die
Stellen werden lebenslänglich begeben.
§. 5. Die Kreis Versammlungen sollen die Mitglieder der Stände
wählen. Sie haben statt, so oft die Wahl eines Repräsentanten vorfällt
oder der Souverän sie zusammenberufen lässt. Die Zeit ihrer Versammlung
dauert höchstens 8 Tage. Die Kreisobriste haben denselben vorzusitzen
und sie zu dirigiren. Sie bringen die zu Bestreitung der Kreisausgaben
nöthigen Auflagen in Vorschlag und lassen die Wünsche, welche zur Ver-
besserung des Kreiszustandes dienen, durch den Kreisobrist an das Ministe-
rium des Innern gelangen.
§.6. In jedem Amtsbezirk ist eine hinreichende Anzahl von Beamten,
sowohl für die Justizpflege, als für die Polizei. Für die Geffllle, Steuern
und andere herrschaftliche Einnahmen aber sind eigene GeiUll Verwalter
aufgestellt.
Vierter Titel.
Von den Ständen des Grossherzogthums.
§. 1. Die Stände des Grossherzogthums sollen aus 21 Mitgliedern
bestehen, welche durch die Kreis Versammlungen gewählt werden. Die
157
Wablmänner wählen aus 200 Höchstbesteuerten eines jeden Kreises 7 Mit-
glieder, welche zusammen die Stände bilden.
§. 2. Der Präsident der Stände und ein Secretär wird aus den Mit-
gliedern der Stände Versammlung auf eine oder mehrere Sitzungen von
dem Sonyerän ernannt.
§. 3. Die Mitglieder der Stände sollen alle 3 Jahre zu Vs erneuert
werden, die Austretenden sind unmittelbar wieder wählbar.
§. 4. Die Stände versammeln sich in der Regel einmal im Jahre auf die vom
Souverän durch den Minister des Innern auszuschreibende Zusammen berufung.
Der Souverän eröffnet und schliesst die Versammlung, er kann sie vertagen
oder auflösen ; nur muss im letzten Falle wenigstens innerhalb 2 Monaten
eine neue zusammenberufen werden. Die Mitglieder der Stände beziehen
keinen Gehalt; nur Reise und Zehrungskosten werden vergütet.
§. 5. Die Ständeversammlung wählt aus ihi-er Mitte drei Commissionen ;
eine für die bürgerliche und peinliche Gesetzgebung, eine für die innere
Verwaltung und eine für die Tilgung der Staatsschulden.
£ine jede Commission besteht aus drei Mitgliedern. Diese ständischen
Commissionen können mit den einschlägigen Sectionen Unseres Staatsrathes
correspondiercn. Sie discuticren über die ihnen mitgetheilten Gesetzent-
würfe, welche ihnen auf Befehl des Souveräns vorgelegt werden, über die
Auflagen, über das jährliche Finanzgesetz, Über die Gesetzbücher nnd
Münz Veränderungen. Ihre Bemerkungen werden im versammelten, vom
Souverän präsidirten Staatsrath verlesen und im Falle, dass sie bedeutend
ermessen werden, wird darüber berathschlagt.
§. 6. Die hiernach definitiv angenommene Redaction der Gesetzentwürfe
soll durch zwei, höchstens drei Mitglieder des Staatsraths an die Ständever-
sammlung zur Berathschlagung gebracht weiden, welche dann im geheimen
Scrutinium durch absolute Stimmenmehrheit vor sich geht.
§. 7. Die gedruckten Rechnungen über die Finanzvrrhältnisse sollen
den Ständen alle Jahre zur Einsicht vorgelegt werden.
Fünfter Titel.
Von der Justizpflege.
§. 1. Es soll für das ganze Grossherzogthum ein eigenes bürgerliches
und peinliches Gesetzbuch eingeführt werden.
§. 2. Die Justizpflege wird in erster Instanz von Hoheits-, Standes-
und Grundherrlichen Aemtern besorgt, welche zugleich die Stellen der
Friedensrichter in sich vereinigen. Von den Aemtern gehen die Berufungen
an die Obergerichte (bisher Hofgerichte) der einschlägigen Kreise, und von
den Obergerichten geht der Appellationszug an Unsern obersten Gerichts-
hof, (bisher Oberhofgencht) welcher zugleich der Cassatioushof Unseres
G rossherzogt hums ist.
§. 3. Für die peinliche Justizpflege werden Wir in jedem Kreise eigene
Criminalrichter in geeigneter Zahl aufzustellen bedacht sein und in jedem
der oberen Gerichte, wo nicht eigene Criminalsenate aus ständigen Mit-
gliedern bilden, doch wenigstens besondere Criminalreferenten ernennen.
§. 4. Zu Gliedern der JustizcoUegien werden Wir künftig nur diejenigen
aufnehmen, welche einem Justizamte in Unserem Grossherzogthurae 5 Jahre
lang gut vorgestanden sind. Sie können nur durch einen förmlichen Spruch
ihre Stellen verlieren.
158
§. 5. Der Grossherzogliche Fiscus wn*d in allen streitigen Privat-
rech tverh alt nissen hei den Grossherzoglichen Gerichtshöfen Recht nehmen.
§. 6. In Criminalsachen kann der Souverän allein Gnade ertheilen,
die Strafe erlassen oder mildern, aber in keinem Falle irgend eine anhängige
Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen, viel weniger eine
Partei ihrem gesetzlichen Richter entziehen.
§. 7. Die Güterconfiscation hat nur in dem Falle der Militärdesertion
statt. Die Vermögenseinkünfte eines Verbrechers können zur Bezahlung
der Gerichtskosten verwendet werden.
Sechster Titel.
Von dem Militärstande.
§. 1. Zur Vertheidigung des Staates und zur Erfüllung der durch die
Rheinische Bundesacte eingegangenen Verbindlichkeiten wird ein stehendes
Militär unterhalten.
§. 2. Die Militär - Conscription soll Grundgesetz des Grossherzog-
thums sein.
§. 3. Zur Handhabung der Polizei soll eine Gensd'armerie errichtet
werden.
§. 4. Die Militärpersonen stehen nur in Criminal- und Dienstsachen
unter der Militärgerichtsbarkeit; in allen übrigen aber sind sie den ein-
schlägigen Civilgerichten untergeben.
Hierin besteht nun die Grund Verfassung und Verwaltnngsordnung,
welche Wir Unserm souveränen Grossherzogthum zu geben Uns bewogen
gefunden haben.
Wir vertrauen in Unsere Staatsangehörigen, sie werden in diesen Be-
stimmungen, durch welche Wir die Rechte Unserer Souveränetät mit dem
Wohle Unseres Landes auf die dauerhafteste Weise zu vereinigen bemühet
waren, einen neuen Beweis jener Regentensorgfalt mit dankbarem Gemüthe
erkennen, mit welcher Wir seit sechs Jahrzehnten Unsere Regierung unter
Gottes Segen ausgezeichnet zu haben glauben.
Von dieser Constitutionsurkundc soll ein Exemplar in Unser Haus-
archiv niedergelegt und ein anderes dem obersten Gerichtshofe zu Bruchsal
insinuiert, sie soll durch das Regierungsblatt und die drei Provinzialblätter
Unseres Grossherzogthum s verkündet, noch besonders gedruckt und zu
Jedermanns Wissenschaft allenthalben öfFcntlich angeschlagen werden.
Hieran geschieht Unser Wille. Urkundlich Unserer eigenen Unterschrift
und Besiegelung.
Gegeben etc.
von Schmiz.
Zu diesem Entwürfe machte der Frhr. von Dalberg eingehende
Bemerkungen, aus denen wir nachstehend das Wichtigere mittheilen.
«Das Bedürfniss einer Landesverfassung für das Grossherzogthum
Baden zeigt sich am lebhaftesten seit der Auflösung der Reichsverfassung
und der in derselben vereinigten Ländermasse.
«Der badische Beherrscher war vorher unter Kaiser und Reich, und
ist jetzt souverän. Reichsgerichte sicherten den Unterthan gegen zu grosse
159
"Willkühr und dem möglichen Missbrauch der Obergewalt waren Schranken
gesetzt.
Der ünterthan hat das Recht, zu fragen, wer ihn regiert und wie
er regiert wird.
Ist ersteres nicht bestimmt, ist letzteres nicht auf feste Grundsätze
znrücJcgeföhrt, so ist kein Glück und keine Zufriedenheit weder für den
Gebietenden noch fftr den, welcher gehorcht.
£s ist daher dringend nothwendig, gleich dem Beispiel anderer Staaten,
dem Grossberzogthum eine Verfassung zu geben und darin die Haupt-
grundzüge zu bezeichnen, welche die gesellschaftlichen Bande desselben
zusammenstellen. >
Von dem, zum Mitglied des Cabinetrathes berufenen Staatsrath Klüber
rühren die nachfolgenden Bemerkungen her:
Titel 1.
§. 2 ft. Nach : •'Es wird> addatur : «nach seinem jetzigen Länder-
bestand. >
b. Sollte man nicht vielmehr die Jetzige Abtheilung ohne Nach-
theil beibehalten können?
§. 3 a. Deleatur: «werden.»
b. Zu der Aufzählung der Staatsvortheile für die Staatsbürger gehört
auch: «Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.»
c. Statt der «Censurordnung» würde ich sagen: «Nach bestimmten
Censurgesetzen». In der neuen Gesetzgebung bleibt es vielleicht nicht
bei der Censurordnung von 1803.
§. 5 c. Addatur: «In Ansehung der Staatslasten wird er den übrigen
Staatsbürgern gleich gehalten.»
d. Statt: «in Hinsicht etc.» würde ich sagen: «Die besonderen Rechte
der Standes- und Grundherrn beruhen auf eigenen gesetzlichen Bestim-
mungen.»
Damit bleiben Zusätze und Abänderungen salviert, die doch mög-
lich sind.
§. 6 a. «den 5. Thcil.» Ich halte diess für zu hart und wünsche
eine mildere Bestimmung oder gar keine.
§. 7 a. Die Beziehung auf Baiem würde ich weglassen. Hie non opus
est exemplis.
b. Ad verb. «Vermögensüberschuss.» Sollte hier nicht «Revenüen-
Überschuss» gemeint sein? Auch von diesem würde ich nur eine Quote
für das Allgemeine bestimmen. Es muss doch auch für Ersparnisse ge-
sorgt werden.
c. Statt « Finanz vermögen » würde ich setzen «unmittelbares Staats-
vermögen.»
§. 8. Statt «allgemeinen» würde ich setzen: «unmittelbaren.» Wozu
soll denn der Revenüenüberschuss verwendet werden?
§. 9. Auch die Aufhebung des Wildfangsrechts steht hiermit in
Verbindung.
§. 10. Addatur am Schlüsse: «Stillschweigend wird es verliehen durch
Ertheilung eines Staatsamtes.»
160
§. 11. Diesen Eid halte ich, wie so viele andere promissorische Eide,
für unnütz und üherflüssig.
§. 12 a. Statt «Dienste» ponatur: «Staatsdienste.» Die Freiheit, in
fremde Staatsdienste zu treten, würde ich bei blossen Staatsbürgern, die
nicht Staatsdiener sind, gesetzlich nicht beschränken. Der Fall ist nicht
häufig, meist ganz unschädlich, Einzelnen nützlich und solche Freiheit
einer liberalen Regierung eben so würdig als den Bürgern angenehm.
T)figegen treten Ausländer in unsere Dienste und dieser wechselseitige
Tausch ist für Verpflanzung eines edeln Sinnes, neuer Kenntnisse, Ideen
und Erfahrungen, für Erweckung, Erhaltung und Auffrischung des freien
(nicht engherzigen) Geistes, der eine gute Dienerschaft beleben soll» sehr
nützlich.»
b. Post verba: «fremde Gerichtsbarkeit» ponatur: «den Fall einer
nothwendigen Prorogation ausgenommen.»
§. 13. würde ich ganz weglassen.
§. 14. Statt «Staatsdienerstandes» würde ich bloss setzen: «Staats-
diener.» Um diese desto weniger von den übrigen Staatsbürgern zu
trennen. Baiems würde ich auch hier nicht erwähnen.
§. 15. Diese Bestimmung habe ich nie für sehr fruchtbar, im Gegen-
theil vielfaltig entweder für unerheblich, oder fär nachtheilig gehalten.
Titeln.
§. 1. Die Worte: «und der agnatischen Linealerbfolge» scheinen
überflüssig zu sein.
§. 2. Einer näheren Erklärung bedürftig. Was soll von den männ-
lichen und weiblichen Nachkommen der Prinzessinen gelten?
§. 3 a. Beziehung auf die Familienacte von 1806 wünschenswerth.
b. Das Wort «ebenbürtig» hatte schon während der Reichsverfassung
keinen unzweifelhaften Sinn, noch weniger jetzt.
§. 6 a. Kann der Souverän, in Ermangelung eines tauglichen Agnaten
des Hauses, auch einen Fremden zum Regierungsverweser bestimmen?
b. Kann auch ein successionsföhiges Mitglied des Regentenhauses,
welches nicht Prinz ist, die Regierungsverwesung führen?
c. In welcher Form muss die Ernennung des Verwesars von dem Sou-
verän geschehen?
d. In Absicht auf die Erziehung des minderjährigen Regenten sollte
in der Staatsconstitution selbst die nöthige Bestimmung enthalten sein.
e. Dass alle Staatsdienste während der Regierungsverwesung nur pro-
visorisch sein sollen (auch das Verbot der Ertheilung von Privilegien
u. s. f.) halte ich für sehr bedenklich. Eher würde ich den Verweser bei
deren Besetzung etc. an gewisse Formen binden z. B. dem Staatsrath ein
Veto nach der Mehrheit der Stimmen einräumen.
f. Auch für den Fall, wenn durch einen Körper- oder Geistesfehler
der Thronfolger regiernngsunfähig wäre oder der Souverän es würde,
möchte eine Bestimmung nöthig sein.
Titel m,
§. 1 a. Hier sollte wohl zuerst des Kabinetsrathes erwähnt sein, der
aus Versehen ganz übergangen zu sein scheint, obgleich derselbe, nach
161
der neuesten Organisation, ein wesentliches Ingrediens der Verfassung ist
und dahin alles gehört, was an die Person des Souveräns gebracht wird
oder von ihr ausgeht.
b. Sollte nicht hinlänglich sein, dass hier wegen der Organisation des
Cabinetsratbs, des Ministeriums und des Staatsraths bloss auf die Verord-
nung vom 5. Juli verwiesen würde, um einer Wiederholung auszuweichen?
§. 3. Dem Präfectursystem bin ich nicht hold. Ich stimme für Bei-
behaltung der administrativen Collegia, der Provinzialkammem nach ihrer
jetzigen Einrichtung, doch so, dass Regierung und Kammer vereinigt, aber
in 2 Senate abgetheilt werden.
Zu gross ist die Last, welche auf die Schultern eines Einzigen, eines
Präfecten oder Generalcoromissärs, gelegt wird, der ein Mensch ist, gleich
andern, und für den Tag und Nacht auch nur 24 Stunden haben. Be-
denklich ist es, die Verwaltung eines Bezirks von 2 — 300,000 und mehreren
Staatsbürgern in die. Hände eines einzigen Staatsdieners zu legen, eines
Machthabers, dessen Kräfte bei dem besten Willen zu gründlicher und
reifer Erwägung und Entscheidung auch nur der wichtigsten Gegenstände
offenbar nicht zureichen, dessen Macht ohne nahe Controle, bei bösem
Willen , bei Schwäche , bei Misslaune ihn auf hundert Wegen zu Fehl-
tritten und Despotismus leitet, dessen Lage und Bedürfniss ihn nöthigt,
das Raschregieren zu seiner ersten, das Gutregieren zu der zweiten Sorge
zu machen, der von blossen Subalternen berathen wird, in welchen das
Gefühl der höheren edleren Dienstehre nie lebendig werden kann, weil
alle aus guter Verwaltung entspringende Ehre nur dem Einzigen zu Theil
wird, der über sie unmittelbar gebietet.
Der Mann, den man auf solch eine Spitze stellt, müsste unbedingt
einer der wenigen sein, die von einem Weisen auf dem Thron aus Hundert-
tausenden als die ersten Männer in dem wahren Sinne erkohreu wären,
die zu dem Throne hin sich nicht drängen, zufällig sich selten in seiner
Nähe finden, oft dahin nicht gesucht werden, so lang die Gew^ahrung grosser
Eigenschaften gemeine Seelen zu Neid, Stolz und Geringschätzung entflammt.
Welch ein Missgriff, wenn die Wahl auf einen von anderer Art fällt.
Ein Verwaltungscollegium kann unter einem mittelmässigen , selbst
unter einem übelwollenden Präsidenten die Erwartungen des Staates erfüllen;
nicht so ein Präfect, in den man jenen Präsidenten verwandelt hat. Ein
CoUegium , indem es Rechte und Interessen des Staates und der Menschheit,
muthiger als ein Einzelner gegen einen übel gestimmten Herrscher zu
vertheidigen fähig und geneigt sein muss, ist ein starker Damm gegen
Eingriffe des Despotismus, doppelt wichtig in Staaten, wo eine kräftige
Repräsentation dagegen nicht schirmt.
In einem Zeitalter der Rohheit und Simplicität herrschte auch in
Teutschland das Präfectur-, Kreisdirectorial - oder General - Commissariats-
system. Ein Rentmeister mit seinen Gesellen reichte hin für die Central-
verwaltung eines ganzen ansehnlichen Fürstenthums. Es blieb ihm noch
Zeit und Kraft, mit dem Kanzler die oberste Leitung der Staatsgeschäfte
zu besorgen ; denn beide , die Heimlichen , bildeten zugleich das Staats-
ministerium. Landvögte. Land- und Amtshauptleute unter ihnen genügten,
überall je einer, für Justiz, Polizei und Finanzen in grösseren Bezirken.
Aber bei zunehmender Cultur, bei Vervielfältigung und grösserer Formali-
sierung der Geschäfte erblickte man deutlich die Pflicht und Nothwendigkeit,
die administrativen Staatsgeschäfte in der höhern Sphäre nicht einem Ein-
zigen zu überlassen, sondern ganzen Collegien anzuvertrauen, wo sie mit
11
162
gemeinsamem Rath und entscheidenden Stimmen Mehrerer ausgetragen und
getheidigt würden.
Aus Collegien pfieng hervor die bessere Geschäftsverwaltung und Staats-
wirthschaft, deren dieses Zeitalter sich rühmt. In ihnen entwickelte sich
der höhere Sinn, das ächte nützliche Ehrgefühl, das Streben nach Dienst-
ehre, welches nur den Staatsdiener beleben kann, der sich bewusst ist,
dass auch er ein Echtwort in der Kathsversammlung habe. Denn ohne
Selbstvertrauen, schüchtern, trag und mühsam entwickeln sich die Ideen
in einem Kopf, den das Bewusstsein beugt, dass er damit nur einem ein-
zelnen maschinenmässig fröhne, der ohne eigene Saat selbstständig die
Ernte für sich nimmt.
Wenn hier der Provinzialverwaltung durch Collegien das Wort geredet
wird, so ist damit weder unnöthige Vervielfältigung der ProvinzialcoUegieu
noch zu starke Besetzung derselben in Schutz genommen. Ein Regierungs-
und ein Eammercollegium für dieselbe Provinz, beide getrennt, wären zu
viel, zu kostbar und für die Beschleunigung des Geschäftsganges hinderlich.
Beide können ohne Nachtheil vereinigt, aber das Ganze für einzelne Ge-
schäftszweige in Senate oder Sectionen abgetheilt sein. Auch müssten
gewisse Gegenstände der CoUegialberathschlagung oder vielmehr der Com-
petcnz des ganzen CoUegii entzogen sein. Es ist hinreichend, sie dem Prä-
sidenten, dem Yicepräsidenten und dem ältesten Rath gemeinschaftlich zu
übergeben. Zu diesen Präsidialgegenständen gehören: besondere, vorzüglich
geheime Aufträge, Vorschläge zu Besetzung der Raths- und Subaltern-
auch der untergeordneten Lokalbeamtenstellen, Conduitenwesen der Mit-
glieder des Collegii und aller ihm untergeordneten Diener u. s. f.
§. 4 und 5. Sofern diese Kreisversammlungen theils auf die in Vor-
schlag gebrachten Stände sich beziehen, theils ein ähnliches pnrticulares
Institut sein sollen, gelten auch von ihnen die Bemerkungen, welche ich
unten zu dem Tit. IV. bei den Ständen vortrage.
§. 6. Bei den Localbeamten ist die reine Absonderung der Justiz und
Polizei von der Finanz- und Cameralverwaltung eine Regel, bei welcher
hie und da Ausnahmen nothwendig werden, besonders in kleinem Bezirken,
die man mit grösseren unter eine Verwaltung nicht zusammenziehen kann.
Titel IV.
In Absicht auf die Einführung der in Vorschlag gebrachten Stände
des Grossherzogthums erlaube ich mir bloss allgemeine Bemerkungen, denen,
für den Fall, dass die Vorfrage, ob Stände einzuführen seien, bejahend
entschieden würde, besondere nachfolgen müssten. Wurden, als Folge
auffallender Staatsbegebenheiten in neu entstandenen, neu zusammengesetz-
ten oder neugeformten Staaten, wurden in Rom unter August, in Frankreich,
in Italien bei schnellem, überraschendem Wechsel der Staatsform republi-
kanische Formen eingeführt oder beibehalten, um den unvermutheten Ueber-
gang von einer politischen Lebensweise oder Staatsform zu der andern,
von der Republik zu der Monarchie Vielen minder empfindlich oder an-
stössig zu machen, so waren, wie Jeder weiss, solche Formen, was der Geist
aus ihnen machte, überall ein dem Augenblick angcpasstes Erzeugniss der
Klugheit, eine Frucht ausserordentlicher Umstände, also ein Beispiel, was
Staaten, die ohne Wechsel seit Jahrhunderten derselben Staatsform, der
monarchischen, genossen und fortwährend gemessen, nicht dienen mag.
Sollte maji dessen ungeachtet ernstlich mit dem Gedanken sich beschäftigen.
163
in dem Grossherzogthum Stände einzaföhren, so fasse ich dermal mein
Urtheil in Folgendem zusammen :
Will der Regent in den Vorschlägen der Stände die Stimme der
Nation vernehmen, über Alles, was ihr Wohl und Wehe angeht; will man
den Ständen für Auflagen und Gesetzgebung ein Veto einräumen, auf dass
selbst den Uebelwollenden in der Nation der Wahn benommen werde, es
treibe irgend jemand ein Spiel mit ihr, sollen die Stände in Form
und Handlung das Gepräge des allgemeinen Willens tragen, repräsentieren
sie nicht nur einen Theil der Staatsbürger; sind sie kein Deckmantel zur
Anhäufung und Bewahrung staatszweckwidriger Auszeichnung und Vor-
rechte; soll ihre Wirksamkeit in Formenspiel und Ceremoniendienst sich
nicht auflösen, — dann werden Staaten der oben gedachten Art bei Ein-
führung solcher Stände jedem gegründeten Tadel, wie dem Schein, als
wolle man dem Geist der Mode huldigen, sicher entgehen.
Ausserdem möchte vorzuziehen sein, dass man von Zeit zu Zeit aus
allen oder gewissen Theilen des Landes höhere Localbeamte nebst einer
beliebigen Anzahl von verständigen, in jedem Fall von der Regierung be-
sonders auszuwählenden Stadt- und Dorfgemeindevorstehem, auch Gewerb-
leuten, die durch Einsicht und Recht seh affenheit sich auszeichnen, zu einer
allgemeinen oder particulären Landesconferenz ohne Prunk zusammen-
berufe, ihre Vorschläge vernehme und mit ihnen über wichtige Landesange-
legenheiten Rath pflege.
Titel V.
§. 5. Am Schluss könnte hinzugefügt werden: «Er (der Fiscus) ist
nach dem Privatrechte des Staates zu beurtheiien, es flnden in Confisca-
tions- und andern fiscalischen Sachen die gewöhnlichen Rechtsmittel statt,
und der Fiscus geniesst nur so weit Vorrechte, als solche auf klaren
Gesetzen oder Privilegien beruhen.»
Titel VI.
§. 1. Addatur: Zu Handhabung der innern Sicherheit
§. 3. Eine eigene Gensd^armerie möchte in unserm Staate unnöthig
sein. Wenigstens möchte ich deren Errichtung grund gesetzlich nicht ver-
ordnen.
Heidelberg, den 20. September 1808.
Klüber.
Hieran schliessen sich abermalige Bemerkungen des Frhm. von Dalberg.
Eingang: Meiner Ansicht nach sollte hier der Fürst den Grundsatz
feierlich aussprechen :
«dass Verfassungs- und Verwaltungsformcn dem Unterthan allein eine
Garantie seiner Rechte gäben, dass aus diesem Grund also der Fürst,
nachdem das Grossherzogthum durch günstige Conjuncturen vergrössert
und gebildet worden sei, diese Verfassung seinem Lande geben wolle,
und nach Vernehmung des Staatsraths sie bekannt mache.»
In den meisten Punkten ist Frhr. von Dalberg mit Herrn Elüber
einverstanden. Einige wichtigere Abweichungen sind nachstehend ver-
zeichnet :
11*
l
164
Titel L
§. 11. Diese Feierlichkeit eines Eides oder, wenn man will, eines
Handgelöbnisses halte ich nicht für unnütz.
§. 13. Scheint mir zweckmässig. Man schliesst Franzosen u. s. w.
die Thüre. Doch fragt es sich, ob es nicht politisch räthlich ist, ihn
hinwegzulassen, weil man nicht mächtig genug ist, fremder Protection
sich ganz zu entziehen.
Titel m.
§. 2. Die Bildung eines eigenen Staat srathes, in Sectionen abge-
theilt, ist unnöthig. Es tritt hier das Fehlerhafte des aufgelösten Geheimen
Käthes ein.
Die Sectionen sind in den Ministerien; die Bearbeitung bei denselben;
die Deliberation bei dem Staatsrath auf die Art, wie er gebildet ist;
die Executive im Cabinet.
Dieses wäre nicht zu verändern ; die Erfahrung lehrt bereits, dass es
gute Verwaltungsformen sind, wenn zumal der Cabinetsmi nister Einsicht
mit Rechtschaffenheit und besonders mit Festigkeit vereinigt.
§. 3 b. Auch ich stimme gegen das Präfectursystem.
Sehr zweckmässig, sehr leicht ausführbar und von dem besten
Erfolg ist aber gewiss die Idee, Regierung und Kammer zu vereinigen,
in Sectionenen abzutheilen und beiden einen Vorstand zu geben.
Der Entwurf des Herrn von Schmiz hat vieles Vorzügliche.
Titel IV.
§. 1. Ich bekenne meine Vorliebe für eine Repräsentation des Landes,
welche besonders bei Finanzgesetzen ein Wort mitzusprechen hat.
Der Entwurf des Herrn von Schmiz hat mit einigen Modificationen
meinen Beifall.
§. 5. Verwirft man die Stände, so muss wenigstens die Zusammen-
berufung solcher Notabein, als sie Herr Klüber vorschlägt, alle Jahre
zu einer gewissen Zeit vorschriftsmassig geschehen und keine Auflage
vermehrt werden können, ohne ihr Gutheissen dabei eingefordert zu haben.
Schliesslich bemerke ich noch, ob man nicht erbliche Hofämter
machen sollte, und auf diese Weise die Häuser Leiningen, Fürstenberg,
Löwenstein dem Hofe näher bringen.
Baden, 30. September 1808.
Dalberg.
Folgende Bemerkungen gab Geheimer Rath Hofer zu den Acten:
Ich stimme im Allgemeinen dahin, dass in den Verfassungs- und Ver-
waltungsformen so wenig Veränderungen als möglich statt finden möchten.
Der ünterthan ist der Aenderungen müde. Eine jede derselben,
wenn sie nicht das Gepräge des wesentlichen Nutzens an der Stime
trägt, hat also die öffentliche Stimmung gegen sich ; eine zu strenge Nach-
ahmung auswärtiger Verfassungen vermindei*t auch die Idee der Selbst-
ständigkeit.
165
Unter diesem Gesichtdpunkte stimme ich für die Beibehaltung
der Eintheilung in die drei Provinzen und auf Weglassung des Prä-
fectursystems.
Eine der wichtigsten Fragen ist jene in Betreff der Landesrepräsen-
tation. Jo den erlassenen Edicten ist sie bereits bejahend entschieden.
Auch gestehe ich, dass ich eine solche Anstalt in mancher Hinsicht für sehr
wünschenswerth achte. Allein das quomodo bedarf noch, meines Er-
messens, einer weiteren, reiflichen Ueberlegung, damit die ganze Anstalt
nicht viel mehr Missbräuche und Unkosten als wahren Nutzen hervorbringe.
Nach meinen Ansichten sollten daher die Fragen:
a. was dürfte diese Einrichtung von Ständen oder Landesdepu-
tirten kosten?
b. wer soll diese Kosten tragen?
c. in was soll ihre Verrichtung bestehen? — soll ihre Stimme
in Sachen der Gesetzgebung entscheidend oder bloss consul-
tativ sein?
d. bedarf man zu ihrer Ernennung besonderer Wahlmänner oder
wäre nicht jeder Ortsvorgesetzte als Wahlmann anzusehen?
e. verdient die im Königreich Italien bestehende Eintheilung in
possidenti, dotti und mercanti nicht nähere Aufmerksamkeit?
noch ausführlicher discutiert werden , ehe man nicht nur die Einführung,
sondern auch die Organisation der Stände in dem vorliegenden Constitutions-
edict ausspricht.
Hofer.
Ihnen folgen die Bemerkungen des Cabinetsministers Freiherm von
Gemmingen :
In den meisten Punkten ist er mit Dalberg und Klüber einverstanden,
besonders auch gegen neue Eintheilung, gegen Präfectursystem u. s. f.
Zu Titel lY. macht Gemmingen folgende Bemerkungen:
«Unter allen Gegenständen, welche die vorliegende Constitutions-
urkunde umfasst, ist mir derjenige, welcher von Ständen des Gross-
herzogthums handelt, der bedenklichste und derjenige, welcher in Rücksicht
auf Erfahrungen und schon bestehende Verfassungen am schwersten zu
berathen scheint. Durch das Constitutions-Rescript vom 5. Juli a. c. hat
man dem Land eine Repräsentation zugesagt, wie sie in Westfalen und
Baiern eingeführt worden.
Die westfälische scheint mir nach allem, was ich davon vernom-
men, ein blosses Spiegelgelechte zu sein. August behielt die republica-
nischen Formen und regierte dennoch unumschränkt. Neues ist nicht
unter der Sonne.
Die bairische ständische Verfassung ist noch nicht entwickelt.
Wenn die Stände bloss Vota consultativa haben, so werden sie viele
Schreibereien verursachen und wenig Nutzen schaffen. Giebt man ihnen
ein Veto, so ist der Begriff von souveräner Regierung aufgelöst, so liegt
Monarchie und Demokratie in ewigem Streit. Gibt man ihnen, wie in
England, das Recht, der Monarchie die Subsidien zu bewilligen oder abzu-
schlagen, so corrumpiert die Monarchie die Demokratie, wie in England, und
das Volk ist die Dupe seiner Freiheit. Freilich sollte das Eigenthum des
Staatsbürgers nie von der Willkühr des Regenten und seiner JMinister ab-
hängen, nie einem Missbrauch der Verwaltung unterliegen können. Sowie
die Gesetze seine Person schützen, so sollte der Einfluss seiner Repräsentanten
sein Eigenthum schützen; aber die Leidenschaften der Menschen, die
166
Nebenabsichten, die sich überall, auch bei den besten Anordnungen,
einschleichen, haben zu allen Zeiten die schönsten Entwürfe vereitelt
Man muss sich hier vor allen Dingen darüber vereinigen, was die
Stände sein sollen und welche Befugnisse man ihnen einräumen will.
Will man bloss durch diese Einrichtung die Desiderien des Landes
unmittelbar vor den Regenten bringen, und mit den Abgeordneten der ver-
schiedenen Provinzen sich über Gesetze und Abgaben berathen, so wird
dieser Titel ganz anders gefasst werden müssen. In jedem Falle wird mnn
aber sich auch darüber vereinigen müssen, wer die Kosten dieser Einrich-
tung zu tragen habe.»
Karlsruhe, 10. October 1808.
Gemmingen.
n.
Nach Einsicht dieser Bemerkungen wurde die nachstehende II. Re-
daetion ausgearbeitet:
Carl Friedrich etc. etc.
In Folge des unterm 5. Juli d. J. ausgesprochenen Beschlusses, Unserm
Grossherzogthume eine Grundverfassung und zweckmässigcre Yerwaltungs-
ordnung zu geben, haben Wir über diesen, für die Würde und Sicherheit
des Staates, sowie für das Gesammtwohl Unserer lieben Unterthanen gleich
wichtigen Gegenstand in Unserm Staatsrathe ausführliche Berathung pfle-
gen lassen.
Nach dessen Anhörung bestimmen und verordnen Wir daher wie folgt:
Erster Titel.
§. 1. wie in der 1. Redaction.
§. 2. Es bleibt nach seinem jetzigen Länderbestand in 3 Provinzen
eingetheilt.
§. 3. Wie Redaction 1. nur heisst der 1. Satz: «Es wird durch eine
Constitution regiert» und der Schluss: «letzte nach bestimmten Cen-
surgesetzen.»
§. 4. Das ganze Grossherzogthum wird nach einförmigen Gesetzen ge-
richtet und nach gleichen Grundsätzen verwaltet.
§. 5. Der Adel soll in seinen verschieden Benennungen fortbestehen,
aber kein ausschliessendes noch vorzügliches Recht auf Staatsämter, Staats-
würden und Staatspfründen haben. Die besonderen Rechte der Standes-
herrn und Grundherrn beruhen auf eigenen gesetzlichen Bestimmungen.
§. 6. Es soll ein und dasselbe Steuersystem für alle Theile des Gross-
herzogthums eingeführt werden. Die Liegenschaften und Einkünfte der
Standesherru werden ebenso wie die der Prinzen Unseres Hauses besteuert;
desgleichen die der Grundherren werden nach bestehenden gesetzlichen Be-
stimmungen in ordentliche Schätzung gelegt.
§. 7. «Die Geistlichkeit — gewährt» wie Redaction 1, und keiner
dieser Vermögenstheile soll zu einem fremdartigen Zwecke verwendet; zur
Erzielung der Einheit, zur Vermehrung der Kräfte und zur Minderung
167
der Verwaltungskosten soll endlich eine Centralcuratel für jeden Religions-
theil errichtet werden. Dieses geistliche und fromme Stiftungsrermögen
ist unter keinem Vorwande einzuziehen, noch zu einem fremden Zwecke zu
veräussem. Es bleibt von Unserm unmittelbaren Staats vermögen gesondei*t.
§. 8. Die Aufhebung der Leibeigenschaft, mit welcher Wir bereits im
Jahre 1 783 in Unseren alten Landen vorangegangen sind, soll auf die neuen
Lande, wo sie noch besteht, ausgedehnt ; das Hagestolzen- und das Wild-
fangsrecht sollen aufgehoben sein.
§.9 = §. 10 der 1. Kedaction. Das Indigenat — von uns aus-
drücklich ertheilt werden. Stillschweigend wird es verliehen durch Er-
theilung eines Staatsamtes.
§. 10 = §. 11. der 1. Kedaction. Schluss: bei jedem Amt, wohin sie
als Unterthanen gehören, feierlich abgelegt werden.
§. 11. Kein Staatsangehöriger darf ohne Unsere Erlaubniss von einer
auswärtigen Macht Gehälter annehmen, noch eine fremde Gerichtsbarkeit
u. 8. f. wie Art. 12. der 1. Kedaction.
§. 13. Die Verhältnisse Unserer Staatsdiener werden Wir durch eine
eigene Pragmatik nächstens bestimmen , und wegen der Versorgung der
Wittwen und Waisen derselben eine bestimmte Verordnung erlassen.
Zweiter Titel.
Vom Grossherzoglichen Hause.
§.1 ^ §. 1 d. 1. Red. «Das Grossherzogthum — Primogenitur,» und
mit dem Vorzug der Linien, nach der Grossherzoglichen Successions-Acte
vom 10. September 1806.
§. 2. Die unterm 21. Juni 1792 errichtete Fideicommiss-Constitutiou
soll in Hinsicht der beiden Fideicommissen ganz bei Kräften bleiben. Die
nat'hgeborenen grossjährigen Prinzen erhalten zur Apanage eine jährliche
Rente von 20,000 fl. zu ^/^ in Geld und zu V5 in Naturalien, letztere nach
dem jedesmaligen Mittelmarktpreise aus Unsern Staatsmitteln.
An dieser Kente sind jedoch deren etwaige Fideicommissnutzungen,
sowie die Bezüge von inländischen Staatsämteru und Staatspfründen in Ab-
zug zu bringen.
§. 3. Die nachgeborenen minderjährigen, zugleich vaterlosen Prinzen
werden bis zum zurückgelegten 21. Lebensjahre aus Staatsmitteln anständig
erzogen und erhalten.
§. 4. Fünfzigtausend Gulden jährliche Einkünfte nebst einem standes-
roässigen Wohnsitze sind als Maximum für das Witthum der Wittwe des
Souverains bestimmt.
§. 5. Die Töchter der Souveraine und des präsumtiven Regierungs-
nachfolgers erhalten eine Apanage von jährlichen 10,000 fl., wovon aber
ihre andern Bezüge aus Staritsmittelu oder Fideicommissnutzungen in Ab-
zug kommen, und ein Heirathsgut von 50,000 fl. Der standesmässige
Unterhalt der unvermählten, vaterlosen Prinzessinen des Grossherzoglichen
Hauses wird von dem Souverain nach Vernehmung des Staatsrathes be-
stimmt. Der Erzieh ungspliin wird von dem Souverain nach Anhörung des
Staatsrathes festgesetzt.
§. 6. Die Volljährigkeit des präsumtiven Regierungsnachfolgers tritt
mit dem zurückgelegten ISten, die der rudern Prinzen mit dem jsurück-»
gelegten 211en Jahre ein.
168
§. 7. = §. 6. der l.Red. von Anfang bis «Verweser über.» In Ermange-
lung eines volljährigen Agnaten wählt der Souverain aus seinen Ministem
den Verweser des Grossherzogthums und spricht diese Wahl im versammelten
Gabinetsrathe aus. Die diesfallsige Urkunde wird von dem Souverain
unterzeichnet und von dem Cabinets-Minister , wenn aber dieser der ge-
wählte Verweser ist, von dem Gabinetsdirector und in dessen Ermangelung
von dem ältesten Gabinetsrathe contrasigniert. Der Verweser darf in allen
wichtigen Angelegenheiten ohne Anhörung des Staatsraths und dessen Bei-
stimmung nichts verfügen.
Dritter Titel.
Von der Verwaltung des Grossherzogthums.
§. 1. Die Centralverwaltung des Staates theilt sich nach Unserer,
nnterm ö. Juli d. J. erlassenen Verordnung (Reg.-Bl. Nr. XXI.) in 6
Ministerialdepartements, nämlich: 1) des Cabinets, 2) der Justiz, 3) der
auswärtigen Verhältnisse, 4) des Innern, 5) der Finanzen, 6) des Kriegs-
wesens.
Die Geschäftssphäre eines jeden und die darin zu beachtende Ordnung
ist in der erläuternden Verordnung vom nämlichen Tag (Reg.-Bl. Nr. XXII.)
vorgezeichnet.
§. 2. Zur Vorbereitung der Gegenstände von grösserer Wichtigkeit
belassen Wir es bei der Anordnung eines Staatsrathes.
§. 3. In einer jeden der drei Provinzen werden die Regierungs- und
Kammergeschäfte in der durch eine nachfolgende Verordnung noch zu be-
stimmenden Form verwaltet.
§. 4. Jede Provinz ist in Amtsbezirke gethellt und in einem jeden der-
eelben ist eine hinreichende Anzahl von Beamten, sowohl für die Justiz-
pfiege als für die Polizei; für die Steuer und andere herrschaftliche Ein-
nahmen aber sind eigene Gefallverwalter aufgestellt.
§. 5. Nach den Bedürfnissen der Berathschlagungsgegenstände werden
wir, so oft es nöthig, aus den drei Provinzen eine hinreichende Anzahl ver-
ständiger, einsichtsvoller und rechtschafifeuer Bürger aus allen Stauden
zu Rath ziehen und ohne deren vorgängige Vernehmung weder in der
bürgerlichen und peinlichen Gesetzgebung, noch in den wichtigeren Finanz-
gegenständen eine Verfügung treffen; insbesondere sollen denselben die
Rechnungen über die Finanzverhältnisse alle Jahre zur Einsicht vorgelegt
werden.
Vierter TiteL
Von der Justizpflege.
§. 1. Die Rechtspflege geschieht nach den Gesetzen des Staates.
§. 2. Die Civilrechtspflege wird in drei Instanzen nach den jeweils
bestehenden Ordnungen besorgt.
§. 3. Der Grossherzogliche Fiscus wird in allen streitigen Privatrechts-
verhältnissen bei den Grossherzoglichen Gerichtshöfen Recht nehmen. Er
ist nach dem Privatrecht des Staates zu beurtheilen ; es finden in Coufis-
cations- und andern fiscalischen Sachen die gewöhnlichen Rechtsmittel statt
und der Fiscus geniesst nur in soweit Vorrechte, als solche auf klaren Ge-
setzen oder Privilegien ruhen.
169
§. 4. In peinlichen Sachen kann der Souverän allein Gnade ertheilen,
die Strafe erlassen oder mildern ; aber ohne Vernehmung des Staatsraths
keine Abolition verfügen ; ebensowenig eine willkührliche Entscheidung
oder Behandlung eines Ilechtsstreites oder willkührliche Einmischung in den
Bechtsgaog eines vor einem Gerichtshof anhängigen Rechtshandels ertheilen,
vomelimen, verfügen oder zulassen.
Fftnfter Titel.
Von dem Militärstande.
§. 1 = §. 1 des VI. Tit. der 1. Redaction mit dem Zusatz nach
«Staates» : «zur Handhabung der inneren Sicherheit.»
§. 2 = §. 2 des VI. Tit der 1. Redaction.
§. 3. Die Militärpei-sonen etc. = §. 4 des VI. Tit. der l. Redaction,
Schloss = dem der 1. Redaction.
Auch diese neue Redaction wurde verschiedenen Staatsmännern zur
Begutachtung vorgelegt.
Der Geheime Rath Emanuel Meier bemerkte Folgendes:
I. Allgemeines: Warum schon wieder eine Abänderung in der Ein-
theilung des Landes in drei Provinzen und in deren Benennung?
Die Folgen dieser öfteren Zerreissungen sind äusserst kostbar, be-
schwerlich und ohne wesentlichen Nuizen.
Privilegia fori — Sollten sie nicht hinlänglich beschränkt sein ?
Communal- und Stiftungsvermögen — Suum cuique !
Indigenat aus allen Bundesstaaten — Quaeritur, ob ohne Versicherung
des Reciproci?
Warum die öftere Verweisung auf baierische Anordnungen ?
II. Besonderes:
Tit. I. §. 1. (Baden — ein Theil des rheinischen Bundes) Ist bekannt.
Dieses Verhältniss hier zu erwähnen, scheint nicht nothwendig zu sein.
Auch ist seine Dauer ungewiss.
§. 2. (Bleibt in 3 Provinzen eingetheilt). Besser, als abermals ohne
Noth zu ändern. Die dermaligen Benennungen hat man dess wegen ge-
wählt, um die normaligen Verschiedenheiten nach und nach vergessen
zu machen.
Sie sind wenigstens ebenso angemessen, als die französischen Be-
nennungen der Depai*tements des Ober- und Nieder -Rheins, wovon sich
der erstere schon oberhalb Strassburg, der letztere oberhalb Mann-
heim endet.
§. 3. Ist der monierte Beisatz: «Gleichheit der staatsbürgerlichen
Rechte und Pflichten» mit Vorsatz weggeblieben?
Tit. ni. §. 3. Wenn abermals eine neue Form für die Geschäftsver-
waltung in den Provinz-Collegien angekündet wird, so macht diess irre
und lässig. Alle dergleichen Formen sind doch nicht für die Ewigkeit.
§. 5. Landstände, Landesrepräsentanten, oder wie man sie heissen will,
haben ihre gute, aber auch ihre üble Seite, und es mag problematisch
bleiben, ob Vortheile und Nachtheile sich gerade nur die Wagschale halten,
oder auf welcher Seite ein Uebergewicht erscheine. Die neuen derartigen
Creationen inBaiem und Westfalen dürfen nicht nach ihren viel versprechen-
170
den Anküudlgunpfen beurtlieilt werden. Sic erscheinen mehr aus Nach-
ahmung, als aus eigener Ueberzeugung entstanden, mehr eine Parade, als
etwas Reelles zu sein oder zu werden.
Seine Köuigl. Hoheit der Grossherzog haben gegen eine solche Ver-
fassung stets eine entschiedene Abneigung geäussert, gleichwohl aber ganz
neuerlich das öffentliche Versprechen gethan, eine Landesrepräsentati.n. und
zwar wie in Baieru und in Westfalen in Ihren Landen einzuführen.
Der Ausspruch: «wie» wird ohne Zweifel das an, nicht auch das
quomodo in sich begreifen. Wie soll sie nun formiert und welcher Wirkungs-
kreis soll ihr zugeschieden werden?
Die letztere Frage ist allein die schwierige.
Soll sie nur pro forma eingeführt werden, ut aliquid fecisse videamur,
so trügt sie die Erwartung, enegt Misstrauen statt Zutrauen und ver-
ursacht dem Staat unnöthige Kosten.
Soll sie, wie der Entwurf lautet, nur darin bestehen, dass, wie man
es nöthig befindet, eine Anzahl von Staatsbürgern zusamnienberufen werde,
um über die ihnen vorzulegenden Gesetzgebungs - und Finanzgegeustände
ihre Meinung zu vernehmen, ohne vorauszuversichern, ob und in wie weit ihre
Meinung gewürdigt werde, so ist diess keine eigentliche Repräsentation,
sondern ein weitschichtiges und kostbares Mittel, Gutachten zu erheben.
Freilich sind Gesetzgebung und Auflagen die Gegenstände, woran dem
Lande am meisten gelegen ist.
Will man über den ersteren Gegenstand die Repräsentanten zu Rathe
ziehen, so hat man viele Schreibereien, vielen Aufenthalt und wenig Ge-
deihliches zu erwarten, und am allerwenigsten wäre es rathsam, die Repräsen-
tation an der gesetzgebenden Gewalt einen entscheidenden Antheil
nehmen zu lassen, folglich sie zwischen dem Souverän und dem Volk
theilbar zu machen.
In andern Rücksichten ist es eben so bedenklich, in Betreff der Auf-
lagen an die Einwilligung der Bepräsentanten gebunden zu sein. Die
Folgen davon sind kurz und gut in einem Voto des Herrn Ministers Frhrn.
von Gemmingen geschildert.
Und doch, da nun einmal die obgedachte Versicherung Sr. Königl.
Hoheit geschehen ist und Höchstdiesell)en Ihr gegebenes Wort nicht ohne
weiteres werden zurücknehmen wollen, welches ^uch in gemässigter Hinsicht
auf das französische Billigen oder Misshilligen nicht gleichgültig sein dürfte,
wird etwas geschehen müssen, das entweder darin bestehen könnte, dass
zwar ein Landesausschuss constituieiet, seine Cognition aber allein auf das
Finanzwesen beschränkt, nämlich ihm der jährliche Exigenz-Status sowie
jener der Amortisationscasse — der ohnehin von Zeit zu Zeit dem Publico
vorgelegt werden soll — zur Nachricht mitgetheilt und nur, wenn neue
Auflagen erforderlich sind, seine Einwilligung dazu eingeholt werde , oder
darin, dass man ein Mittel wähle, dem Lande in sich selbst und ohne
fremden Einfluss eine Garantie zu versrhaffen, dass die Landesconslitution
stets aufrecht und unverletzt erhalten werde.
lieber die Idee einer solchen Garantie ist schon zu dem vormaligen
Geheimen Raths - Collegio von dem Herrn Geheimen Rath Brauer ein Ent-
wurf vorgelegt, solcher aber bei der mit ersagtem Collegio vorgegangenen
Veränderung ad acta reponiert worden.
Karlsruhe, 10. November 1808.
E. Meier.
171
Hieran reiht sich Bodann ein Separatvotum des Frhrn. von Dalberg
üher Tit. III. §. 5 der siweiten Redaction des Constitutionsentwurfes:
«Ich glaube meiner innem Ueberzeugung und dem Besten der Sache
schuldig, hier zu äussern, dass ich mit dem §. 5, die Landesrepräsentation
betreffend, gar nicht einverstanden bin.
Wenn einmal in einem Staate bestimmte Verwaltungsformen vorge-
zeichnet sind, wenn der Finanzetat so bezeichnet ist, dass die Summen für
die nothwendigen Bedürfnisse hinreichend bezeichnet und erhoben werden,
so ist es liinreichend, dass das System der Auflagen und ihre etwaige Ver-
mehrung der Wiilkühr und einer etwaigen Verschwendung entzogen werden.
Dieses ist es eigentlich, was den Staatsbürger vorzüglich interressiert. Wo
also in einem, in seinen politischen Verhältnissen ganz untergeordneten
Staat -wie Baden, die Frage vorkommt, warum und um wie viel sollen
Auflagen erhöht werden, so muss eine zu widersprechen berechtigte
Autorität vorhanden sein und dazu dient eine Repräsentation, der
1. Rechenschaft gegeben wird, warum die vorherige Einnahms-
summe nicht mehr zureicht,
2. um wie viel und wie zu erheben, die weitere Einnahme behan-
delt werden könne.
Hiezu müsste
1. eine fest zu bestimmende Anzahl Deputirter zusammenkommen,
2. dieselbe zu einer bestimmten Zeit sich vereinigen,
3« ja und nein zu sagen das Recht haben.
Es könnten also Deputirte in der Zahl von 36 = 4 auf 100,00 Seelen,
sich jährlich vereinigen; ihnen wird die Finanzrechnung des Jahres vorge-
legt, die Erhebung behandelt und definitif auseinander gesetzt.
Der Ort der Zusammenkunft könnte abwechselnd Carlsruhe, Mannheim
und Freiburg und die Art der Wahl folgende sein :
In den Aemtern versammeln sich die Ortsvorstände unter der Präsidenz
des Oberbeamten. Sie wählen mit verschlossenen Zetteln einen aus der
Provinz; er muss begütert und 40 Jahre alt sein; diese von den Aemtern
gewählten Personen versammeln sich in der Provinzhauptstadt unter dem
Vorsitz des Regierungspräsidenten und wählen in der Provinz
Niederrhein — 11 ]
Mittelrhein — 11 [ Deputirte.
Oberrhein — 14 /
Die Deputirten bleiben 3 Jahre, nach 3 Jahren wählt jede Provinz die
Hälfte neu und die Hälfte tritt durch das Loos aus.
25. November 1808.
Frhr. von Dalberg.
Hiezu bemerkt Frhr. von Gemmuigen:
Ich habe in meinem Voto zu dem Entwurf der Constitution meine
Meinung über die dem Lande durch das Edict vom 5. Juli zugesagte
Repräsentation, als einen sehr wichtigen Gegenstand, umständlich geäussert.
In dem Cabinetsrath konnte man sich darüber nicht vereinigen und so ent-
stand die Fassung, wie sie in dem Entwurf vorliegt. Mit den vorstehen-
den Aeusserungen des Herrn Ministers von Dalberg bin ich übngeus ganz
conform und glaube, dass man keine halben Massregeln zu nehmen, sondern
dem Lande Wort zu halten habe.
Den 27. November 1808.
Gemmingen,
172
Nunmehr ergieng das nachstehende Circular:
Unterzeichneter hat die Ehre, Ihren Excellenzien den Herrn Ministern
anliegende Acta, den Entwurf einer Constitutionsurkunde für das Gross-
herzogthum Baden betreffend, mit dem höflichen Ersuchen in der Anlage
mitzutheilen, um dieselben, unter Zuziehung der Herren Ministerialdirectoren, t
beliebig einzusehen, wonach in einem desshalb abzuhaltenden Staatsrathe
die nähere Berathung gepflogen werden soll.
Karlsruhe, den 29. November 1808.
von Gero min gen.
Bei dieser Gelegenheit kam noch das folgende Gutachten des Ministerial-
directors im Justizministerium, Geheimen Raths Brauer zu den Acten.
Titel I. §. 1. Sollte wegbleiben. Das Schicksal des Rheinbun-
des ruht in Gottes und Napoleons Hand ; ausgebildet ist er noch auf
keinen Fall, und aussprechen, was ein Theil davon sein soll, können wir
nicht; also ist die Stelle überflüssig und lautet anmassend. Soll Erwähnng
geschehen, so sei es im Vorübergehen, historisch, im Eingang.
§. 5. Ist zu wenig und zu viel gesagt. Man lasse die Worte: «aber
kein — haben» weg und rücke dafür eine bestätigende Beziehung auf
das 6. Constitutionsedict ein, das Satz 21 und 22 hierüber das Nöthige
ausspricht.
Bei den Standes- und Grundherrn beziehe man sich nicht auf eigene
gesetzliche Bestimmungen, welches allen das gerechte Misstrauen einflössen
muss, man wolle dem 3. und 4. Constitutionsedict keine Kraft mehr zuge-
stehen, wenigstens keine constitutionelle, sondern sich, wie bei blossen Ge-
setzen, die jederzeit gutfindende Aenderung in die Hand legen.
§. 6. Sollte statt «gesetzlichen»: «grundgesetzlichen» heissen.
§. 7. Ist ebenfalls zu wenig und zu viel. Bei weitem zu wenig, um
den wahren Stand des Staates und der Kirche gegen einander und jenen
der verschiedenen Kirchen unter sich zu fixieren: eine Beziehung auf das
1. Constitutionsedict würde kürzer und vollständiger das Erforderliche
ausdrücken.
Zu viel ist das, unter dem verschleierten Namen einer Cental-Curatel
hingelegte Vorhaben der Znsammen werf ung des Local- und Bezirkskirchen-
fonds in eine allgemeine Verwaltungscasse. Ein solches Vorhaben wäre
ungerecht und unpolitisch, wie in Bezug auf das Communalvermögen, so
auf jenes Kirchenvermögen. Denn die Kirchspiele oder geistlichen Gemein-
den sind eben so gut wie die weltlichen eigenthumsberechtigt. So
lange man nicht das Land zum Herrenhuter- Glauben bekehren und damit
alles Privateigenthum aullieben und dafür eine Heilandscasse errichten
kann, sondern der Staat auf Eigen thum fundiert bleibt, so ist man es den
moralischen Personen so gut wie den physischen schuldig. Man kann, wenn
jene schädlich werden, sie auflösen und dann ihr Gut als herrenlos an
den Staat nehmen, wie jenes der Privaten, wenn es erblos wird; mehr
kann man nicht. So lang jede moralische Person lebt, musa ihr Eigen-
thum heilig sein. Keinem Lande wäre es unverzeihlicher eine solche Opera-
tion nur möglich zu lassen, viel weniger sie wirklich zu machen, als dem
hiesigen, in welchem die Erfahrung so laut redet. Der grosse Markgraf
Wilhelm liess sich auch nach dem Utrechter Frieden durch das Blendende
der Centralverwaltung hinreissen, alles Localkirchen vermögen in eine geist-
liche Verwaltung nach Baden zu sammeln. 40 Jahre nachher war es durch
Nachlässigkeit, Mangel an Uebersicht der individuellen Verhältnisse, die der
173
geistlicbe Yerwalter von seiner Residenz aus unmöglich übersehen konnte,
und durch bedeutende Prozesse, die bei so grossen Kassen schwer zu fiihren
sind, so erschöpft, dass der gleich grosse Markgraf Ludwig nicht mehr zu
helfen wusste, als durch die Wiedervertheilung an die Kirchspiele die dann
auch dadurch ihren Nutzen erwiesen hat, dass seitdem durch Stiftungs-
zuflüsse und durch emsigere Verwaltung der Interessenten die Fonds sich
8o gehoben haben, dass die Markgrafschaft in ihren Fonds den Vorzug vor
den meisten neu acquirierten Provinzen hat.
§. 8. Die Leibeigenschaft ist durch das 6. Constitutionsedict schon
theils aufgehoben, theils in eine deutsche Guts-Servitut unter dem Namen
der Erbpflichtigkeit transformiert, es wäre daher weit passender, auf den
Satz 18 dieses Edicts remissiv die Sache zu fassen. Das nämliche trifft
das schon im 6. Constitutionsedict Art. 25 aufgehobene Hagestolzenrecht,
das zu kleinlich ist, um in einem so kurzen Constitutionsentwurf ausgehoben
zu werden. Das Wildfangsrecht hatte und übte Baden nie, braucht also
um so weniger die Schmach einer seitherigen Ausübung durch ausdrück-
liche Aufhebung auf sich zu nehmen, da durch Aufhebung aller Leibeigen-
schaft schon die Möglichkeit, es auszuüben, beseitigt ist.
Tit. III. §. 3. Die Form der Provinzverwaltung kann zwar auf nach-
folgende Verordnung ausgesetzt werden , aber fest ausgesprochen muss
in einer Constitutionsurkundo , die ihren Namen mit Ehre tragen soll,
sein, ob in Regierungs- oder in Präfectur weise die Geschäfte ver-
waltet werden, und welche Stellen also bestehen sollen. Daran, und dass
hierin nicht eine willkührliche Wandelbarkeit eintrete, ist dem Lande viel
gelegen.
§. 4. Entweder muss man eine ordentliche Staatsgarantie Constitutionen
festsetzen oder, wenn man mehr nicht sagen will, als hier steht, lieber gar
schweigen; denn dieses würde vom Lande als bitterer Spott aufgenommen
werden und sehr böses Blut setzen.
Was die Staatsgarantie betrifft, so muss man vor allen Dingen bei
sich festsetzen, wozu dieselbe dienen soll. Man kann einmal den Zweck
haben, überhaupt die Souveränetät in ihrer Ausübung auf Gesetzgebung
aller Art an die Beistimmung einer Nationalrepräsentation zu binden. Ist
von dieser Ansicht die Bede, so muss ich mir das ganz zu eigen machen,
was Herr Staatsrath Klüber darüber gesagt hat: es kommt dabei viel
Aufwand, viel Schreiberei und — laut aller Erfahrung — kein Nutzen
heraus, und ich kann also nur dann dazu rathen, wenn der Zeitgeist und
die französischen Constituierungsbeispiele, nach Urtheil derjenigen Herren
Minister, welche darüber urtheilen können, es unumgänglich nöthig machen.
Zum andern man kann den Zweck haben, nur in der Gelderhebung vom
Land den Regenten an eine Repräsentanten-Bewilligung zu binden, wie Se.
Excellenz Herr Minister von Dalberg den Gesichtspunkt zu fassen scheinen.
Dann muss ich mir das dabei eigen machen, was Se. Excellenz Herr
Cabinetsminister von Gemmingen dagegen gesagt haben: Englands Beispiel
beweist, dass man damit nichts erzielt, als dass ein Bestechungssystem der
Regierung organisiert, die Nation dadurch demoralisiert und ihrem Beutel
alsdann dennoch nicht ein Kreuzer erspart wird.
Zum dritten, man kann den Zweck haben, zu verhüten, dass in
wichtigen Staatsangelegenheiten die Güte eines Regenten, an die jeder
gute Unterthan immer glaubt, nicht von Umgebungen — an deren gleiche
Güte der Unterthan nicht immer glauben kann — zu Resolutionen über-
schlichen werden könne, ehe er alle zweckdienlichen Informationen darüber
174
erhoben, sie von allen Seiten in Betrachtung gezogen und dadurch der
Güte seiner Regententugenaen wirksam zu sein Zeit gelassen hat. In
diesem Fall ist ein Landrath, in welchem die Sachen vorher zur Discussion
vorgetragen und berathen werden müssen, wenn er zweckmässig organisiert
werden wird, allerdings zweckmässig, aber immer sehr kostbar und je nach
Zeit und Umständen für die Souveränetät etwas bedenklich.
Per nämliche Zweck, dünkt mich, lässt sich in dem Weg der For-
men statt im Weg der Repräsentation erreichen, ohne jene Kosten und
Wagniss auf sich zu nehmen.
Wie: darüber gibt mein Projoct der 9. Constitutionsurkunde, die ich
vor der Ministerialveränderung vom Juli entworfen hatte, und nachher,
da ich von diesen Geschäften entfernt ward, im Staatsdepartement ad Acta
gelegt habe, Auskunft meiner Ideen.
W^ill man aber den Weg der Repräsentation, oder ist man durch seine
Ankündigung in dem Edict vom 5. Juli — wie mir fast scheint — gebun-
den, ihn einzuschlagen, so kann ich keine andere unserm Lande angemessen
erachten, als die ungefähr auf folgende Grundzüge gebaut wird, nach
Muster der Italienischen :
24 Mitglieder, davon 12 aus dem Stand der Begüterten, als der
physischen Natura Iproducenten , 8 aus dem Stand der Gewerbsam-
keit als der physischen Kunstproducenten und 4 aus dem wissenschaft-
lichen Stand als den geistigen Producenten, genommen werden.
Karlsruhe, 5. December 1808.
Brauer.
Nachdem die Angelegenheit soweit alle Instanzen durchlaufen hatte,
erschien sie für eine entgiltige Erledigung reif. Hierzu war zunächst die
Vorlage an den Staatsrat h erforderlich. Sie wurde eingeleitet durch nach-
stehenden Vortrag des Cabinets-Ministers Frlirn. von Gemmingen :
Der in gegenwärtiger Sitzung des Staatsraths zu berathende Entwurf
einer Constitutions-Urkunde für das G rose h erzogt h;nn Baden ist im Grunde
eine Folge derjenigen Verordnungen, die seit dem Monat Oclober 1806 in
der Absicht erlassen worden , um dem aus so vielen heterogenen Theilen
zusammengesetzten Grc ssherzogthum eine gleiche Verfassung zu geben.
Nicht neuerlich, sondern schon vor mehreren Jahren spürte man die
Nothwendigkeit einer neuen Landesverfassung, nachdem durch unerwartete
Ereignisse die Verfassung des deutschen Reiches aufgelöst worden, die sich,
wie die Geschichte beweiset, aus der Anarchie des Mittelalters nur all-
mählig herausgewunden und nur langsam, nach grossen Kriegen und merk-
würdigen Friedenschlüsson, gebildet hatte. So lange diese Verfassung
bestand, waren die grossen und kleinen Staaten, aus denen das teutsche
Reich bestand, durch die Reichsgesetze und die in solchen bestätigten Fa-
milienpakten constituieit, nnd diese Constitution hatte ihre PVstigkeit und
Garantie durch die unter ihrem Oberhaupt vereinte Keichsversammlung und
durch die Reichsgerichte. Diese Bande wurden durch den Pressburger
Frieden und durch die rheinische Union aufgehoben ; es entstanden neue
Souveräne, die einen grossen Theil ehemaliger kleiner Reichstände unter
ihre Hoheit vereinigten und nun neue Staaten bildeten, deren erstes Be-
dürfen eine innere Verfassung war, während die äussere, durch die rheinische
Bundeäakte in ihren allgemeinen Zügen entworfene Verfassung den ver-
175
einten souveränen Staaten nus der Hand ihres gloiTeichen und roftchtigen
Schöpfers eine nähere, die ehemalige Reichsverfassiing ersetzende Be-
stimmung erwartet.
Schon unterm 22. September 1806 legte Hr. Geheime Rath Brauer,
wie die Akten bezeugen, über Badens Verfassung, nebst einer Skizze über
die wesentlichsten Theile dieser Constitution, seine Ansichten Serenissimo
Tor, die den glühenden Eifer für das Wohl des neu entstandenen Staates
und die tiefen Einsichten dieses würdigen Staatsdieners durchgänig be-
zeichnen.
Diese Vorschläge wurden, vermöge einer Cabinetsrcsolution vom
27. October 1806 genehmigt, und so entstanden nach und nach die von
Herrn Geheimen Rath Brauer entworfenen und nach vorgängiger Berathung
des damaligen Plans emanierten Edicte. (Folgen die Titel derEdicte 1 — 6).
Dahingegen steht das 7. über die Dienerverfassung oder die Diener-
pragmatik wirklich noch in Berathung und kann näclistens dem Staatsrat he
zur 8anction vorgelegt werden.
Das 8. über die Staatsverwaltungs Verfassung ist, so viel ich weiss,
auch gefertigt und wird in reifere Berathung zu ziehen sein, da besonders
durch den neu einzuführenden Code Napoleon, durch den zu begreifenden
Code criminel und durch die zu entwerfende neue Gerichtsordnung oder
Code de Procedure sich hier und da Abänderungen ergeben dürften.
Das 9. Edict über die Gewährleistung der Verfassung liegt gleichfalls
im Concept vor und soll nach dem Gutachten des Herrn Geheimen Rath
Brauer der Schlussstein des Gewölbes sein. Nach solchem wird das Mini-
sterium und das Oberhofgericht zu Wächtern und Gewährsmännern der
Grund Verfassung des Grossherzogthums bestellt und zugleich die Berathung
und Rechtsweisung über Anstände, die sich in Constitutionsangelegcnheiten
ergeben können, auf folgende Fälle bestimmt ; wenn nämlich :
1. zwischen Parteien die Vorfrage entsteht, ob eine Constitutionsstelle
in der einen oder andern durch die Parteien ihr gegebenen Deutung
zu nehmen sei?
2. in dem Falle, wenn zwischen Staatsbürgern und Regierungs- oder
Polizeistellen des Landes die Frage entsteht, ob diese oder jene
Gewaltausübung, diese oder jene Rechtsanmassung eines Staats-
bürgers grundgesetzmässig oder grundgesetzwidrig sei?
3. wenn Jemand durch Verfügungen der obersten Staatsstellen in
seinen grundgesetzmässigen Gerechtsamen sich beeinträchtigt hält
und darüber Klage führt?
4. wenn die obersten Staatsbehörden in Berathschlagung über Consti-
tutionssachen in ihren Meinungen getheilt sind ?
5. wenn eine durch die Zeitereignisse herbeigeführte Aenderung der
Grundgesetze nothwendig wird.
So 'gründlich nun auch in dem eben recensierten Edict diese Fälle
auseinandergesetzt sind, so wird sich erst über dessen Anreihung zu den
bereits bestehenden Constitutionsedicten urtheilen lassen, wenn bei gegen-
wärtiger Berathung die Hauptfrage entschieden sein wird : ob und wie man
die in dem Edict vom 5. Juli a. c. dem Lande zugesagte Repräsentation
einrichten und welche Befugnisse man ihr einräumen wolle. Wenn die Ge-
währung der Lflndesconstitution, wenigstens zum Theil, wie es mir aller-
dings bei einer wohlgeordneten Repräsentation consecjuent erscheint, den
Ständen zur Pflicht gemacht wird, so wird das entworfene 9. Constitutions-
Edict hiernach eingerichtet werden müssen.
176
Dieser GegenstaDd ist mit dem neu zu berathenden Entwurf einer
Constitution über die Verhältnisse des Regenten so genau verbunden, dass
er füglich nicht getrennt werden kann, und die Fassung dieser Constitution
ist um so dringender, als durch die eingetretenen wichtigen Aenderungen,
durch die dem badischen Regenten nun zustehenden Souveräuetätsrechte,
die alten Haus- und Familienstatuten, theils weil sie auf die ehemalige
Reichsverfassung eingerichtet sind, theils weil sie ihre, durch die Reichs-
gesetze bisher gehabte Garantie verloren haben, in vielen Stücken unan-
wendbar geworden sind.
Billig ist also diese Constitution als die wichtigste und alle übrigen
einschliessende zu betrachten.
Das grosse Beispiel des französischen Monarchen, das Beispiel von den
Königreichen Baiern und Westfalen leuchtet hier voraus. Das Cabinets-
ministerium hat ihre Nothwendigkeit tief gefühlt, es hat, wie die Acten be-
zeugen, die Materialien dazu, soweit es konnte, vorbereitet. Es unterliegt
nun diese, sowie der Entwurf selbst, der genauen Prüfung und Würdigung
des Grossherzoglichen Staatsrathes, weil es nicht möglich ist, ehe man sich
über die Fassung vereiniget hat, die Gesinnungen des Regenten, des Herrn
Erbgrossherzogs und der übrigen hohen Mitglieder des Grossherzoglichen
Hauses hierüber einzuholen.
Kai'lsruhe, 25. December 1808,
Gemmingen.
ni.
lieber die Sitzung des Staatsrathes, in welcher die Yerfassnngsfrage
zur Berathung kam, hat sich keine eigehendere Mittheilung vorgefunden.
Indess geht aus dem am Schlüsse mitzutheilcnden Promemoria des Frhrn.
von Gemmingen hervor, dass sich der Staatsrath über die Annahme eines
Entwurfes einigte. Diess war jedoch nicht der cmendiorte Schmiz'sche
Entwurf, sondern ein neuer, welchen der Geheime Rath Brauer verfasst
hatte. Derselbe weicht sehr wesentlich von dem früheren ab und soll hier
um so mehr mitgetheilt werden, als es bisher nicht bekannt war, dass
der ausgezeichnete Mann, dessen Talenten und Fleiss die Gesetzgebung
unseres Landes so vieles dankt, auch eine Yerfassungsurkunde ent-
worfen hat.
Folgendes ist der Wortlaut seines, durch die Unterschrift sämmt-
licher Minister gebilligten Entwurfes:
Haupturkunde
der Grundverfassung des Grossherzogthums Baden.
Nachdem Wir in 7 Constitutionsedicten vom 14. Mai, 14. und 22. Juli,
12. August 1S07, 4. Juni 1808 und 25. April 1809 jene grundgesetzlichen
Bestimmungen ausgesprochen haben, welche die unwandelbaren Verhältnisse
zwischen den verschiedenen C lassen der Staatsangehörigen gegen sich sowohl,
als gegen Unsere höchste Staatsgewalt, endlich zwischen den Zweigen der
obristhoheitlichen Gewalt unter sich festsetzen, so sollen Wir nun der Grund-
verfassung Unseres Grossherzogthums in Verbindung mit den angezogeneu
177
früheren Edicten auch noch in Hinsicht Unseres Grossherzoglichen Hauses,
der Staatsrerwaltung und Jastizpflege, des Militärstandes, der Staatsreprä-
sentation üod der Gewährleistung der Constitution seihst die grundgesetz-
lichen Bestimmungen beifügen und durch diese Haupturkunde die ganze
Verfassung Unseres Staates vervollständigen.
Wir haben daher über diesen, für die Würde und Sicherheit Unseres
Grossherzogthums, sowie für das Gesammtwohl Unserer lieben Unterthanen
und Staatsangehörigen gleich wichtigen Gegenstand Unsern Staatsrath aus-
führliche Berathung pflegen lassen, nach dessen Anhörung Wir nun bestim-
men und verordneil wie folgt:
Erster Titel
Hauptbestimmungen.
$. 1. Das Grossherzogthum Baden macht, vermöge der rheinischen
Buudesacte vom 12. Juli 1806, einen Theil dieses Bundes aus.
§. 2. Dasselbe bleibt nach seinem gegenwärtigen Länderbestande in
drei Provinzen eingetheilt.
§. 3. Es wird durch eine Constitution regiert, welche allen Staatsgenossen
Sicherheit der staatsbürgerlichen Rechte, Gleichheit vor dem Gesetze und
dem Richter, vollkommene Gewissensfreiheit, ungehinderte Ausübung
des bisherigen Religionscultus und Pressfreiheit gewährt, letzte nach be-
stimmten Censurgesetzen.
§. 4. Das ganze Grossherzogthum wird nach einförmigen Gesetzen
gerichtet und nach gleichen Grundsätzen verwaltet.
§. 5. Der Erwerb und der Verlust des Adels, sowie dessen Rechte
sind in dem 6. Constitutionsedict Art. 21 und 22 bestimmt, und die be-
sondern Rechte der Standesherrn beruhen auf dem 3., sowie jene der Grund-
herrn auf dem 4. Constitutionsedict.
§. 6. Es soll ein und dasselbe Steuersystem für alle Theile des Gross-
herzogthums eingeführt werden. Die Liegenschaften und Einkünfte der
Standesherrn werden, eben so wie die der Prinzen Unseres Hauses, nach
dem 3. Constitutionsedict §. 43 besteuert und die Grundherrn werden
nach dem 2. Absätze des 4. Constitutionsedicts behandelt.
§. 7. Die kirchliche Staatsverfassung hat in dem 1. Constitutionsedict ihre
Bestimmung erhalten. Nur soll auch noch für das katholische Eirchen-
und fromme Stiftungsvermögen, sowie das protestantische der Aufsicht des
evangelischen Oberkirchenraths untergeben ist, eine Centralinspection be-
stehen. Das geistliche und fromme Stiftungsvermögen beider Confessionen
ist unter keinem Vorwande einzuziehen, noch zu einem fremdartigen Zwecke
zu verwenden. Es bleibt von dem unmittelbaren Staatsvermögen gesondert.
§. 8. Das Leibeigenschafts-, Hngestolzen- und andere dergleichen Rechte
sind in dem 6. Constitutionsedict bereits aufgehoben, und es enthalten der
Art. 18 und 25 dieses Edicts die näheren grundgesetzlichen Bestim-
mungen hierüber.
§. 9. Ebenso wird das Indigenat auf die im §. 8. des 6. Constitutions-
edicts ausgezeichnete verschiedene Weise erlangt. Stillschweigend wird es
verliehen durch Ertheilung eines Staatsamtes.
§. 10. Jeder Staatsbürger ist schuldig, einen Eid abzulegen, dass er dem
Souverän treu sein, der Constitution und den Gesetzen gehorchen wolle.
§. 11. Die Verhältnisse der Staatsdiener, ihrer Wittwen und Waisen sind
in dem 7. Constitutionsedict grundgesetzlich bestimmt.
12
178
Zweiter Titel.
Vom Grossherzoglichen Hause.
§. 1. Das Grossherzogthum ist erblich in dem Mannsstamme des regieren-
den Hauses nach dem Rechte der eingeführten Primogenitur und mit dem
Vorzuge der Linien.
§. 2. Die persönlichen Verhältnisse der Familienglieder des Gross-
herzoglichen Hauses wird ein eigenes Familiengesetz bestimmen.
§. 3. Der standesmässige Unterhalt dieser Familienglieder soll nur nach
Vernehmung des Finanzministeriums und nach Anhörung des Staatsraths
bestimmt werden.
§. 4. Der Grossherzogliche Haus- und Familienschatz bleibt vom
Staatsschatze getrennt.
§. 5. Die Volljährigkeit des präsumtiven Kegierungsnachfolgers tritt mit
dem zurückgelegten 18., die der andern Prinzen des Grossherzoglichen
Hauses mit dem zurückgelegten 21. Lebensjahre ein.
§. 6. Der Souverän erwählt im Falle der Minderjährigkeit seines
Regierungsnachfolgers, so lange dieselbe währt, unter den volljährigen Prinzen
des Grossherzoglichen Hauses, in Ermangelung eines wahlfähigen Prinzen aber
unter seinen Staatsministern, den Verweser des Grossherzogthums. Diese
Wahl spricht der Souverän in dem versammelten vollen Staatsrathe aus
und unterschreibt hier die dessfalls ausgefertigte Urkunde, welche von dem
ersten Staatsminister, wenn aber dieser der gewählte Regierungsverweser
ist, von dem nachfolgenden Minister unterzeichnet und von dem Staats-
secretär contrasigniert wird.
Stirbt der von dem Souverän erwählte Regierungsverweser, oder
wird dieser unvermögend, die Verwesung des Grossherzogthums fortzu-
führen, ohne dass der Souverän einen andern Prinzen des Grossherzoglichen
Hauses oder einen andern seiner Minister dem erwählten Verweser substi-
tuiert hätte, oder hat der Souverän keinen Verweser ernannt, so wird
gleich nach dem Ableben des Regenten der Regierungsverweser durch den
vollen Staatsrath nach der absoluten Stimmenmehrheit mittels eines Ge-
heimen Scrutiniums erwählt. Sollten hier die Stimmen sich gleich theilen,
so gilt die Meinung, auf welcher die Stimme des ersten Staatsministers
steht, als entscheidend.
§. 7. Die Regierungsverwesung wird im Namen des minderjährigen Regen-
ten geführt und die Regierungsgewalt geht für die Dauer des Zwischenzustan-
des auf den Verweser über; doch darf dieser in allen wichtigen, vor den
Staatsrath gehörigen Angelegenheiten, ohne Anhörung und Beistimmung
desselben nach der Stimmenmehrheit, nichts verfügen.
§. 8. Die Staatsverwesung soll von der Vormundschaft über den minder-
jährigen Regenten getrennt sein, so dass, wer Staatsverweser ist, nicht zu-
gleich Familienvormund sein kann. Weder die Wittwe des Souveräns,
noch die Mutter des minderjährigen Regenten kann die Staats Verwesung
übernehmen; aber als Mutter kann sie nach unserem Civilgesetz Familien-
Vormünderin sein.
Dritter Titel.
Von der Verwaltung des Grossherzogthums.
§. 1. Die Gen tralver waltung des Staats theilt sich nach den verschiedenen
Geschäftszweigen in mehrere Ministerial-Departements. Mehrere Ministerien
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I
179
können in einer Person vereinigt sein. Es sollen aber nie weniger als
3, nie mehr als 6 Minister angestellt werden.
§. 2. Zur Vorbereitung der Gegenstände von grösserer Wichtigkeit zur
reglementarischen Entschliessnng constituieren Wir einen Staatsrath.
Dieser besteht:
a. aus dem präsumtiven Regierungsnachfolger und denjenigen Glie-
dern des Grossherzoglichen Hauses, welche der Souverän den
Slaatsrathsversammlungen beizuziehen für zweckmässig erach-
ten wird,
b. aus den Ministern, Ministerialdirectoren und 2, höchstens 4 am
Kesidenzorte eigens ernannten Staatsräthen , von welchen einer
zugleich Staatssekretär ist, als ordentlichen verpflichteten Mit-
gliedern,
c. aus den Vorstehern der Kirchen- und Provinzcollegien und 2,
höchstens 4 ausser dem Residenzort wohnenden, eigens ernannten
Staatsräthen als ausserordentlichen verpflichteten Mitgliedern.
£r hat zu berathen
a. in ordentlicher Versammlung mit Berufung aller ordentlichen
Mitglieder, von welchen wenigstens 6 ohne jenen Staatsrath,
der zugleich Staatssekretär ist, erscheinen müssen,
b. in ausserordentlicher Versammlung mit Berufung aller ordent-
lichen und derjenigen ausserordentlichen Mitglieder, die nach
der Natur der Geschäfte dazu berufen werden, oder aller Mitglieder,
wenn es diese fordert
Gegenstände der Berathungen sind:
1. Vorbereitungen der Landtagsdeliberationen.
2. allgemeine Instructionsentwürfe zu Bundestagsgeschäften,
ä. Feststellung allgemeiner Verfassungs- und Verwaltungsgrundsätze.
4. bürgerliche und peinliche Gesetze, womit ältere aufgehoben oder
die Freiheiten der Staatsbürger mehr wie zuvor eingeschränkt
werden sollen,
5. Berathung über Unterhandlungen mit Nachbarn über Territorial-
Verhältnisse,
6. ingleichen jener, welche mit Vorstehern der katholischen Kirchen-
Hierarchie über die kirchlichen Land es Verhältnisse gepflogen
werden,
7. Aenderungen in der Verfassung der Körperschaften, Gemeinden
und Landesanstalten,
8. Aenderungen in dem Steuerfuss oder in den Steuergattungen, in
dem Münzsystem und in dem System von Mass und Gewicht.
9. Berathung über Handelsgesetze,
10. Berathung des jährlichen Staatsbudgets in seinen Einnahme- und
Ausgaberubriken,
11. Berathung der ausserordentlichen Steuerauflagen,
12. Diensteinziehungen, Diensterrichtungen, Dienstwiederherstellungen
nach berichtigtem Dienstsystem, — und bis dahin, da solches
bestehen wird, die Frage: ob ein aufgehender Dienst zu besezten
ist oder nicht,
13. Bestimmung, ob in dienatpolizeilichem oder in gerichtlichem
Wege gegen Mitglieder der obersten Staatsbehörden, Vorsteher
der Gerichte und Provinzcollegien wegen vorkommender Dienst-
vergehen zu verfahren sei.
12*
180
§. 3. Für einen jeden der beiden Reli^ionstheile soll ein eigener Ober-
Eirchenrath bestehen, und diese sollen dem einschlagenden Ministerium
unmittelbar untergeordnet sein.
§. 4. In Jeder Provinz besteht eine Regierung und Kammer, und in den
Aemtern einer jeden Provinz ist eine hinreichende Zahl von Beamten sowohl
für die Justizpflege und Polizei als für die herrschaftlichen Gefalle aufgestellt.
Fierter Titel.
Von der Staatsrepräsentation.
§. 1. Für die unten benannten allgemeinen Angelegenheiten aller
Staatsbürger besteht ein aus Stellvertretern derselben zusammengesetzter
Landrath.
§. 2. Dieser Landrath soll in 24 Mitgliedern aus den verschiedenen
Ständen und Landesgegenden des Grossherzogthums bestehen.
§. 3. Drei seiner Mitglieder werden aus der Classe der landtafel-
mässigen Gutsbesitzer zusammengesetzt, neun aus dem Stand der Land-
wirthschaft . treibenden Staatsbürger, neun aus dem Handel- und Gewerbs-
stand und drei aus den den Wissenschaften obliegenden Staatsbürgern.
§. 4. Zu jeder solchen Landrathsstelle müssen drei befähigte Personen
gewählt werden, aus welchen der Regent einen als eintretend und einen
andern ftir Yerhinderuiigsfalln des ersten als nachtretend ernennt.
§. 5. Die Wahl geschieht nicht von allen Bürgern aller Bezirke des
Staats zugleich, sondern durch Umwechslung nach einer schicklichen, in
der Anlage bestimmten Reihenfolge, wovon das erste Mal die drei ersten
Reihen zugleich einrücken.
§. 6. Die Stimme der Mitglieder aus den landtafelmässigen Gutsbe-
sitzern wird von allen, welche in dem Gutsbezirke, der dem in der Reihe
stehenden Wahlorte zugetheilt ist, wirklich anwesend sind, theils schriftlich,
tbeils mündlich, dem landesfürstlichen Commissäre au dem dazu bestimm-
ten Versammlungsorte abgegeben. Die schriftlichen Stimmen müssen
wenigstens 14 Tage vor dem Wahltag an denselben verschlossen einge-
sendet werden.
Sind die Gutsbesitzer in mehreren Wahlbezirken zugleich begütert, so
geben sie nur dn, wo sie anwesend sind, ihre Stimme ab.
§. 7. In den Bezirken, welche jedes Mal an der Reihe sind, wählen die
ersten Yorstandspersonen oder in deren Verhinderungsfall die zweiten,
welche landesverfassungsmässig durch Wahl ihrer Gemeinde und durch
obrigkeitliche Bestätigung zu dem Amt eines Ortsvorstehers gelangt sind,
durch Stimmenmehrheit die Mitglieder aus der Classe der Landwirthe.
§. 8. Die Wahl der Mitglieder aus der Handels- und Gewerbsclasse
geschieht von dem, durch ordnungsmässige Wahl bestehenden Rath und
Ausschuss derjenigen Stadt oder Städte, welche jedesmal an der Reihe ist
oder sind, so dass, wo mehr als 2 daran sind, jede 3 Wahlcandidaten ; wenn
ihrer aber nur 2 in der Reihe genannt sind, die erstgenannte 6 vorschlägt
§. 9. Die Wahl der wissenschaftlichen Mitglieder geschieht von der
Mehrheit der Stimmen aus allen Fächern der Gelehrten, welche an dem in
der Reihe stehenden Ort dieser Classe sich befinden. Sie geschieht so, dass,
wo 2 Orte in der Reihe genannt sind, die Gelehrten des ersten Ortes 6, die
des letzten 3 Wahlcandidaten vorschlagen.
§. 10. Wahlfähig ist jeder Staatsbürger, welcher aus der Classe ist, die
wählt, welcher in derjenigen Provinz wohnt, der die Wahlmänner ange-
181
hören tind welcher auch wenigstens über 6 Jahre darin gewohnt hat, nicht
in aaswftrligen Staatsdiensten steht, noch in den inländischen Gentralstellen
angestellt, 40 Jahre alt und unbescholtenen Wandels ist. Bei den Land-
wirtbschaftlichen wird noch weiters erfordert, dass er eigenes Feld besitze,
und bei den Stadtwirthschaftlichen, dass er ein eigenes Gewerbe betreibe.
Wer bei den Centralbehörden des Landes angestellt ist, hat keine
Wahlstimme.
§.11. Die Mitglieder sind auf drei Jahre gewählt, so, dass jedes Jahr
ein Drittel der Mitglieder aus- und ein anderes neu eintritt.
§. 12. Es tritt jedesmal eine ganze Jahresreihe in allen Classen aus;
in den zwei ersten Jahren entscheidet das Loos die Austretenden, nachher
stets der Ablauf der dreijährigen Zeit.
§. 13. Niemand kann durch neue Erwählung mehr als 6 Jahre hinter-
einander im Landrathe sitzen; nachmals müssen erst 6 Jahre umgelaufen
sein, ehe er wieder wahlfähig wird.
§. 14. Niemand kann von seinen Wahlmännern Instructionen empfangen
oder annehmen, sondern jeder hat als Fürsprecher des ganzen Staates nur
nach eigenem besten Wissen und Gewisssen zu stimmen und zu handeln.
Bei seinem Eintritt in den Landrath muss er dieses in die Hände des Re-
genten oder seines Stellvertreters eidlich geloben.
§. 15. Die Wahlversammlung geht den 11. November jeden Jahres vor
sich. Die ordentliche Versammlung desLandraths wird jährlich den 11. De-
cember gehalten. Sie kommt, wenn sie nicht wegen ausserordentlicher
Umstände verschoben wird, ohne Berufung abzuwarten, zusammen, üeber
ein Jahr darf sie nicht verschoben , sie kann aber ausserordentlicher Weise,
wenn es der Regent gut findet, zusammen berufen werden.
§. 16. Der Souverän ernennt einen Präsidenten und einen Secretär
aus der Zahl der gewählten Laudräthe.
§. 17. Die Landrathsversammlung kann über nichts berathschlagen, als
über dasjenige, was der Souverain ihr zu diesem Ende durch abgeordnete
Staatsräthe vortiagen lässt.
§.18. Sie hat zu erwarten, dass ihr vorgelegt werden :
1. die Einsicht der jährlichen Staatshaushaltuug und Staatschulden-
tilgungsrechnung , zur Erinnerung;
2. der Vorschlag der ausserordentlichen Staatsauflugen, wenn deren
jeweils nöthig werden, zur Prüfung und Bewilligung;
3. die Aenderungen, welche im Münzfuss, in Mass- und Gewicht, im
Steuerfuss, im Zoll- und Handelsverkehr nöthig gefunden werden,
zur Prüfung und Begutachtung;
4. die Aenderungen oder definitiven Erläuterungen, welche in Bezug
auf die Staatconstitution von dem Regenten, auf Antrag seines
Staatsraths oder obersten Gerichtshofs, dienlich befunden werden
möchten, zur Prüfung und beiräthlichen oder abräth-
lichen Beschliessung, welch letztere nochmals den Antrag auf
1 Jahr, und wenn er da wieder verworfen wird, auf 9 Jahre
bei Seite setzt.
§. 19. Sie hat bei den Regierungswechsel statt der allgemeinen Erneue-
rung der Huldigung, die jeder zuvor schon auf den Regierungsnachfolger
zugleich mit abgelegt hat, die Erneuerung in ihre Seele und in Aller Namen
zu bewirken, und damit die Anerkenntniss der Unterthänigkeit gegen den
Regierungsnachfolger öffentlich auszusprechen.
§. 20. Sie kann, wenn sie Gebrechen in Absicht auf die Constitution
vorzutragen hat, um Erlaubniss zur Beratbschlagung darüber bitten, die ihr
182
nicht versagt werden soll; sie kann durch die Sümmenroehrheit Yorstellanpr
darüber einreichen ; sie kann niemals selbst Bescheid darüber erwarten, als
wozu der Regent sich jedesmal Zeit bis zur folgenden Jahresversammlung
nehmen und dort das Dienliche zur Landrathsprüfung aussetzen kann.
§.21. Beschwerden einzelner Unterthanen, Stände oder Körperschaften
über Kränkung ihrer Rechte, selbst der grundgesetzmässigen, können als
solche niemals an den Landrath gebracht, sondern müssen einzig in den
im folgenden Titel angegebenen Wegen erledigt werden.
§. 22. Der Regent spricht, nach erfüllten oder in einzelnen Punkten
nach Gatfinden verschobenen Zwecken, die Auflösung der Zusammenberufung
aus; sobald dieses geschehen ist, kann unter Mitgliedern weder öffentliche
noch geheime Berathung über Staatsangelegenheiten weiter statt finden,
und zwar bei Strafe des Hochverraths.
§. 23. Die Art, wie der Landrath seine Berathung zu pflegen und
seine Geschäfte zu führen hat, wird, sowie das Mass der Taggebühren
und Reisekosten zu dem Landtag, ein eigenes Yollziehungsedict bestimmen.
FOnfter Titel.
Von der Justizpflege.
§. 1. Die Justiz wird in erster Instanz von Landes,- Standes- und
Grundherrlichen Aemtem besorgt, welche zugleich die Stellen der Friedens-
richter in sich vereinigen. Von den Aemtern gehen die Berufungen an
die Hofgerichte der einschlagenden Provinzen und von , den Hofgerichten
geht der Appellationszug an Unser Oberhofgericht, welches zugleich der
Cassationshof unseres Grossherzogthums ist.
§. 2. Die Civilrechtspflege geschieht nach dem auf die eigenthümlichen
Verhältnisse des Grossherzogthums angewandten Code Napoleon.
§. 3. Der Grossherzogliche Fiscus wird in allen streitigen Privatrechts-
Verhältnissen bei den Grossherzoglichen Gerichtshöfen Recht nehmen. Er
ist nach dem Privatrecht des Staates zu beurtheilen und geniest nur in
soweit Vorrechte, als solche auf klaren Gesetzen beruhen.
§. 4. In peinlichen Sachen kann der Souverän allein Gnade ertheilen,
die Strafe erlassen oder mildern, nicht aber schärfen, noch ohne Vernehmung
des Staatsrathes eine Abolition verfügen. Eben so wenig kann der Sou-
verän eine willkührliche Entscheidung oder Behandlung eines Rechtsstreites
oder willkührliche Einmischung in den Rechtsgang eines vor einem Gerichts-
hof anhängigen Rechtshandels ertheilen, vornehmen, verflogen oder zulassen.
Sechster Titel.
Von dem Militärstande,
§. 1. Zur Vertheidigung des Staats, zur Handhabung der innem
Sicherheit und zur Erfüllung der durch die rheinische Bundesacte ein-
gegangenen Verbindlichkeiten wird ein stehendes Militär unterhalten.
§. 2. Dieses stehende Militär wird durch Conscription gebildet.
§. 3. Die Militärpersonen stehen nur in peinlichen und Dienstsachen
unter der Militärgerichtsbarkeit; in allen übrigen aber sind sie den ein-
schlägigen Civilgerichten nnd Polizeibehörden untergeben.
183
§. 4. Das Militär kann weder gegen einzelne, noch versammelte Staats-
bürger Handlungen der obrigkeitlichen Gewalt verhängen oder vollziehen,
ohne dazu von den bürgerlichen Obrigkeiten aufgefordert zu sein. Die
Staatsbürger können von Militärobrigkeiten und nach Militärgesetzen nicht
gerichtet werden, wenn nicht wegen ausserordentlicher Anlässe zuvor durch
landesherrliche, auf Anhörung der Meinung des Staatsraths erkannte und
verkündete zeitliche Aufhebung der Kraft der bürgerlichen Gesetze, die
Ermächtigung vorausgegangen ist.
§. 5. Bewaffnete Bürgervereine sind, ohne besondere Staatsermächtigung,
unter Strafe des Aufruhrs untersagt.
Siebenter Titel.
Von der Gewährleistung der Staatsverfassung.
§. 1. Zur Wahrung der in den sieben Constitutionsedicten und in
dieser Haupturkunde der Grundverfassung Unseres Grossherzogthums,
sowohl in Hinsicht der Souveränetätsbefugnisse als der Privatrechte Un-
serer Staatsangehörigen, grundgesetzlioh festgesetzten Bestimmungen ordnen
Wir Unser Oberhofgericht als aufsehende Stelle an.
§. 2. Vor dieses Oberhofgericht gehören als Constitutionssachen:
1. diejenigen Streitigkeiten über Rechte, welche aus unzweideutigen,
von Unsern Hofgerichten aber als unanwendbar erkannten Stellen
der Grundgesetze hervorgehen, im weiteren Rechtszug.
Hier ersetzt das hinzukommende Interesse der Aufrecht-
haliung einer grundgesetzlichen Befugniss den eigenen Werth
der Berufungssumme,
2. die in einem Rechtsstreite unter Privaten sich aufwerfende Vor-
frage: welcher bestimmte Sinn einer in Anwendung zu bringen-
den von den Parthien verschieden angesehenen Constitutionsstelle
gebühre,
3. die über Gewaltausübung oder Rechtsanmassung zwischen Staats-
bürgern auf dereinen, und Regierungs- oder Polizeistellen auf der
andein Seite obwaltende Ansichtsverschiedeuheit über eine Con-
stitutionsstelle,
4. durch Regierungsmassnahmen erfolgte und durch Recurse an die
obersten Staatsbehörden nicht zurückgenommene Angriffe ver-
fabrungsmässiger, wohl erworbener Privatrechte.
§. 3. In welcher Form diese Sachen von dem Oberhof gericht mit
Rücksicht auf die Kronanwaltschaft cn zu behandeln sind, wird ein eigenes
Vollziehungsedict vorschreiben.
§. 4. Sind diese Sachen gehörig verbandelt , so ertheilt das Obcrhof-
gericht in dem ersten Fall einen förmlichen Urtheilsspruch, in dem 2., 3.
und 4. glebt es eine Rechtweisung in der Form eines Urtheils.
§. 5. Solche von dem Oberhofgericht ergehende Urtheile und Rechts-
weisungen in den ausgezeichneten Constitutionssachen sind, nachdem sie in
dem Regierungsblatt verkündet worden, als ergänzender Theil der aus
sieben Edicten und dieser Haupturkunde zusammengesetzten grundgesetz-
lichen Verfassung, so lange nicht von dem Regenten nach Anhörung des
Landraths in grundgesetzlicher Form Aenderungen getroffen werden, anzu-
sehen; von jedem Staatsangehörigen sind sie als solche unwandelbar zu
achten und von unsern, amtshalber zu executiven Massnahmen ermächtigten
184
Btaatsdienern auf Anrufen zu vollziehen. Auch ist das Rechf, den Voll-
zug solch hofgerichtlicher Constitntionserkenntnisse zu verlangen, unver-
jährbar.
Hierin bestehen die grundgesetjBlichen Bestimmungen, welche Wir
Unserm souveränen Grossherzogthum zu geben Uns bewogen gefunden haben.
So wie Wir die Festhaltung dieser Grundverfassung, soviel an Uns
izt, hiermit versichern und Gleiches von Unseren Nachfolgern in der Re-
gierung erwarten, so sind auch Unsere Unterthanen Uns und Unsern Nach-
folgern Treue und dieser Constitution Gehorsam zu geloben schuldig; Un-
sere Staatsdiener haben aber nebstdem noch die Aufrechthaltung dieser
letzten nach bestem Wissen, Gewissen und Vermögen in ihre mittels leiblichen
Eides zu leistenden Dienstpflichten zu übernehmen.
Wir wiederholen die im ersten Constitutionsedict enthaltene und in
den nachgefolgten stillschweigend einbegriffene, feierliche Erklärung, dass
jede mit diesen Grundgesetzen streitende Verordnung der gemeinen bürger-
lichen und kirchlichen Rechte, auch der altern oder neueren Landesge-
setze todt, aufgehoben und kraftlos sein soll und dass alle Unsere Minister,
Räthe und übrigen Staatsdiener, auch Angehörige geistlichen und weltlichen
Standes in allen ihren Amts- und Privathandlungen bei Strafe der Nich-
tigkeit und Unverjährbarkeit jeder Entgegenhandlung, sowie bei schwerer
persönlicher Verantwortlichkeit genau darnach sich achten , auch von Uns
und Unsern Nachfolgern in der Regierung dagegen mit Rath und That
etwas auszuwirken sich nicht unterfangen sollen.
Wir vertrauen in Unsere Staatsangehörigen, sie werden in diesen
Bestimmungen, wodurch Wir die Rechte Unserer Souveränetät mit dem
Wohl Unseres Landes und der Gesammtberuhigung zu vereinigen bemüht
waren, einen neuen Beweis jener Regentensorge erkennen, welche Wir seit
sechs Jahrzehnten Unserer Regierung ununterbrochen gewidmet haben.
Von dieser Haupturknnde der Grundverfassung soll ein von uns eigen-
händig unterzeichnetes Exemplar in Unser Hauptarchiv niedergelegt und
ein anderes dem Oberhofgericht zu Bruchsal insinuiert, dieselbe soll durch
das Regierungsblatt verkündet und zu den sieben Constitutionsedicten
eigens abgedruckt werden.
Hieran geschieht Unser Wille.
Gegeben in Unserer Residenzstadt
Vdt. Gemmingen, Frhr. von Gayling,
Frhr. von Hacke, Frhr. von Dalberg, F. Brauer, Hofer,
E. Meier, von Schmiz.
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Beilage U. 187
Versanunlungsdistricte
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landtafelmässigen Gutsbesitzer.
) Die Grundbesitzer zwischen der Bleich und
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I der Rench.
) Die Grundbesitzer nordöstlich der Strasse
ad. n. üeberlingen: \
) von Yillingen über Engen nach Scha£fhausen.
t Die Grundbesitzer zwischen der Torgedachten
ad. m. Frei bürg: \ Strasse, der *), dem Rhein und der
) Bleich.
) Die Grundbesitzer zwischen der vorgedachten
ad. lY. Säckingen: |
) Strasse, dem Rhein und der *)
1 Die Grundbesitzer zwischen der Rench, dem
ad. y. Karlsruhe: j
I Rhein und der Selz.
. ^ ^, , . I Die Grundbesitzer zwischen Elz, EUenz, Neckar,
ad. Vi. Mannheim: J
] Gammelsbach und Rhein.
_ 1 Die Grundbesitzer östlich des Keckars und
ad. VII. Wertheim:
) der Gammelsbach.
ad. Vin. Freiburg: | Wie oben.
Die Grundbesitzer zwischen Elsenz und
ad. IX. Sinzheim: }
Neckar.
*) Lflelie im Original.
188
Zum Schluss haben wir Doch mltzatheilen folgendes Promemoria
des Frhrn. von Gemmingen:
Bekanntlich ist, nach Berichtigung des Entwurfes der Haaptconsti-
tntions -Urkunde für das Grossherzogthum Baden in dem Staatsrath
beliebt worden, über diesen Entwurf, vor dessen Vorlage bei Serenissimo,
die Erinnerungen des Herrn Erbgrossherzogs Königl. Holieit und der beiden
Herrn Markgrafen Friedrich und Ludwig sich zu erbitten, nm sich der
vollkommenen Genehmigung dieser vorzüglichen Mitglieder des Gross-
herzoglichen Hauses in Rücksicht auf einen so wichtigen Gegenstand ver-
sichert halten zu können. Beide Herren Markgrafen haben mir nun Ihre
hier beiliegenden Bemerkungen schriftlich mitzutheilcn geruht. Des Herrn
Erbgrossherzogs Hoheit hingegen versprachen mir von einem Tag zum
andern Ihre Bemerkungen hierüber mündlich oder schriftlich miizutheilen.
Dieses ist nun nicht geschehen; vielmehr haben Höchstdieselben, als ich
ganz neulich den Gegenstand erinnerte, zu erkennen gegeben, dass Sie in
der dermaligen politischen Crisi diese Sache noch einstweilen hingehalten zu
wissen wünschten und dafür hielten, dass deren Entwicklung vorerst ab-
zuwarten sei, ehe man damit vorangehe.
Da ich nun wegen eben diesen vorwaltenden kriegerischen Aspecten
mich genöthigt sehe, nach Ansbach zu reisen, so gebe ich hiermit die
hierüber verhandelten Acten zur einstweiligen Aufbewahrung in das geheime
Cabinet zurück.
Karlsruhe, den 14. März 1809.
Gemmingen.
Anlagen.
a. Bemerkungen des Markgrafen Friedrich.
I. Noch zu erledigende Punkte, deren Erfüllung ich sehr wünsche:
Tit IL §.1. In diesem Artikel kommt der Ausdruck vor: «und mit
dem Vorzug der Linien.» Ich wünsche, dass statt dessen gesetzt werde
wie es in der Baierischen Constitution steht: «und der aguatisch - linea-
lischen Erbfolge.»
Tit. III. §.1. Es ist mein eifriger Wunsch, dass gesetzt werde:
«Nur Prinzen des Grossherzoglichen Hauses, welche geborene
Fürsten sind, steht es zu, den Staatsrath zu besuchen.»
iL Folgende Artikel sind mir bereits mündlich zugestanden worden:
Tit. I. §. 6. Ein hinreichendes Surrogat fdr die durch die Bundes-
act^ verlierenden Renten ist mir von neuem zugesagt worden, und ich
hoffe, dass es nicht weniger als 12,000 fl. für mich und moinen Bruder
sein werde.
Tit. IL §.2. Es ist zugestanden, dass das Familiengesetz oder Statut
mit meiner und meines Bruders Beistiramung verfasst werden solle.
189
Tit II. §. 6. Statt der Wahl eines Regierungs Verwesers ist die Primo-
genitur zugestanden.
Karlsruhe, 8. Februar 1809.
Friedrich, Markgraf zu Baden.
b. Bemerkungen des Markgrafen Ludwig.
Ohne Zweifel darf ich wohl voraussetzen, dass es mir, als einem
Mitglied des Grossherzoglichen Hauses, gewiss sehr angelegen sein muss,
sowohl Regentenfamilie als Vaterland durch eine zweckmässige, dauerhafte
Constitution glücklich zu sehen.
Ich getraue mir aber nicht zu beurtheilen, ob dieser schöne Zweck
durch den Vollzug des mir mitgetheilten Projects der Haupturkunde der
Grund Verfassung des Grossherzogthu ms Baden vollkommen erreicht werden
kann und wird. Indessen hoffe ich es von ganzem Herzen.
Daher erlaube ich mir auch, nur über einige Punkte folgende wenige
Bemerkungen :
I.
Im I. Tit. §. 2. und im IH. Tit. §. 4. wird das Grossherzogthum in
3 Provinzen vertheilt, deren jede eine Regierung, eine Kammer und ein
Hofgericht hat. Da diess eine Bestätigung der dermaligen Einrichtung ist,
so fühle ich wohl, dass jetzt darin eine Aenderung nicht schicklich vorge-
nommen werden kann und darf; allein es würde doch sehr wünschenswerth
für den Regenten und nützlicher für den Staat sein, sich die Hände hierin
nicht zu binden.
Andere Staaten von gleicher und noch grösserer Ausdehnung und Be-
völkerung haben auch nur eine Regierung, eine Kammer, ein Hofgericht.
Ich meine, diess würde ebenfalls einst bei uns ausführbar sdn und dabei
bedeutende Summen jährlich gewonnen werden.
Daher scheint es mir wünschenswerth, obige beiden Stellen und was
darauf Bezug, hat so zu fassen, dass der Regent ungehindert hierin handeln
kann, woran ihn besonders Tit. IV. §. 7. Nr. 4 hindern könnte.
n.
Tit I. §. 6, der von der Besteuerung handelt, wird wohl die Zu-
sichrung, dass uns ein Surrogat für den Verlust der durch die Mediati-
siernng uns entzogenen Revenuen gegeben werden soll, nicht auflieben und
es ist sehr zu wünschen, dass dieses Surrogat, wozu bereits Vorschläge vor-
liegen, in Bälde bestimmt werde.
m.
Nach dem II. Tit. §. 3 soll der standesmässige Unterhalt der Gross-
herzoglichen Familienglieder, die Civilliste, nur nach Vernehmung des
Finanzministeriums und nach Anhörung des Staat sraths bestimmt werden.
• # • "
• • •• •
• •
190
Die OroBsherzogliche Familie kann in verschiedenen Zeiten mehr oder
weniger zahlreich sein ; die Civillist^ ist also Veränderungen unterworfen, die
auch durch die Zeitumstände herheigefährt werden können. Soll nun die
Bestimmung des standesmässigen Unterhalts vom Staats- und Finanzrath
ahhängen? oder haben diese Stellen bloss eine berathende Stimme dabei?
Ohne Zweifel letzteres, da im ersten Fall der Souverän sehr depeudent
gemacht würde.
Karlsruhe, 7. Februai- 1809.
Ludwig, Markgraf zu Baden.
Damit erreichten die Terfassungsarbeiten, die im Anschluss an die
landesherrliche Verordnung vom 5. Juli 1808 begonnen hatten, ihren Ab-
schluss. Die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1809 brachten dieses,
wie so manches andere Werk des Friedens bald in Vergessenheit.
Beilage II.
Der Stand der badischen Finanzen im zweiten Decennium dieses Jahr-
hunderts war ein so bedenklicher, dass deren verhältnissmässig so rasche
Ordnung als eines der höchsten Verdienste der Regierung des Grossher-
zogs Ludwig, als ein bleibender Ruhm dieses Fürsten und seines ausgezeich-
neten Finanzministers von Böckh anzusehen ist.
Da indess über diese Finanzverhältnisse, die doch in der Geschichte
der Enstehung der Verfassung eine so wichtige Rolle spielen, nur sehr
wenig bekannt geworden ist, dürfte es wohl erlaubt sein, nachstehend einige
hierauf bezügliche Actenstücke zu veröffentlichen.
1. Auszug aas einem Berichte des Finanzministers Frhm. von Secken-
dorff an den Grossherzog, dd. 20. Juni 1824.
«In Beziehung auf die Finanzen ist es durchaus nothwendig, dass
feste, bleibende Grundsätze angenommen und diese streng gehandhabt
werden; dass die Staatsausgaben bei ihrer Entstehung mit der Einnahme
oder dem disponibeln Fond jederzeit verglichen und nach diesem abge-
messen werden ; dass so weit als möglich in jeder Verwaltungsbranche,
den für Sparsamkeit geeigneten Umständen angeraesse Etats untergelegt
werden, welche dann keineswegs willkührlich überschritten werden dürfen;
dass zum Finanzministerio, welches die Quellen zu öffnen, die Zuflüsse zu
leiten hat, auch alle die Abflüsse leitenden Branchen resortieren, damit
solches das Jedesmalige Bedürfen stets vor Augen habend, da, wo jene
ans den Schranken eines richtigen Verhältnisses treten sollten, wiederum
gehörig einlenken und das nach dessen Pflichten Erforderliche eintreten
kssen könne. Es darf auch femer das Unzuverlässige und Willkührliche,
was nur Missbräuche begünstigen würde, durchaus nicht mehr geduldet,
eben darum aber auch Alles, was auf die Comptabilität Bezug haben mag,
sowohl bei den recipierenden, als bei den mit blosser Verwendung beschäf-
tigten Stellen, nirgend übersehen werden ; sondern es müsste überall, wo
dieses nicht in^s Kleinliche und Unwürdige fallen würde, die genaueste
Controle eingeführt sein und hierauf zwar mit aller Rechtlichkeit, aber
doch mit dem gehörigen Ernst festgehalten werden. Hieraus geht auch
• • -•. ••• •
- • • • •
* • • • •
192
femer hervor, daßs durch Nebenwege nicht etwas zu erschleichen getrachtet
werde, was in die Kräfte des Staates, es sei dem Werth nach, oder um
nachtheiliger Folgen willen, so tief eingreifen würde, dass dadurch andere
nothwendige Operationen gestört und heiligere, besser begründete Verbind-
lichkeiten zurückgesetzt werden müssteu ; — dass daher die Quelle der
Gnaden- und Begünstigungsausflüsse wenigstens in so lange weit seltener
geöffnet werde, als die Mittel fehlen, das rechtlich Begründete überall zu
vergüten. £s müsste mit einem Wort, alles, was in finanzieller Hinsicht
zur Ordnung führt, von demselben auch besonders eingeleitet und ohne
äussere Störung durchgesetzt werden dürfen, wodurch erst es so weit kom-
men könnte und würde, dass jede Verwaltungsbranche durch eine mit den
gedeihlichen Folgen belohnte Anstrengung das Ihrige zu dem allgemeinen
Zweck gewissenhaft beitrage und sorgsam erhalte.
Aber zu allem diesen ist das Auge und die Unterstützung des höch-
sten R^'genten erforderlich, ohne welche alle dessfallsigen Bemühungen nicht
nur vergeblich sein, sondern selbst diesen nur um so kräftiger entgegen-
gewirkt werden würde, als es nun denen , welchen es nicht um Ordnung,
nicht um Einhaltung richtiger Grundsätze, nicht um eine haltbare Verwal-
tung zu thun ist, all zu nahe an ihre nur allein verletzbare Sinnlichkeit
diingen würde, um nicht mit allen ihnen zur Hand stehenden und zum
Theil schon gewohnten Mitteln zu widerstehen.»
Der Minister bittet daher den Grossherzog, dass er unmittelbar die
Vorträge der Minister entgegennehmen möge, wenigstens einmal wöchentlich
und über die wichtigsten Gegenstände.
2. Exposition succincte de la Situation financi^re du Grand-Duche do
Bade. Von dem FrLrn. von Keizenstein.
Avant la r^volution fran^aise les sujets Badois n etaient soumis qu h
des impots extremement mod^r^s et cette douceur de Tadministration
n*etoit pas un des moindres titres du d^funt Grand-Duc k Tamour de ses
peuples. La profonde paix dont le pays jouissoit depuis nombre d'annees,
la presque uuUite des d^penses militaires et Tordre admirable etabli dans
toutes les branches assuroient la dur6e d^un ötat de choses aussi heureux.
La guerre de la revolntion ne le troubla point dans les commencements;
eile augmcnta m^me en quelque sorte la prosp^rit^ generale, puisque dnns
les 5 premieres ann^es il n y^eut que des troupes amies, Autrichiennes ou de
l'Empire qui payoient argent comptant tous leurs besoins, meme le logement,
le chauffage et jusqu' aux chandelles. Les ressources existantes par suite
de cette prosperit^ et le credit presqu illimit^ dont le gouvernement
jouissoit, firent encore surmonter sans trop de dif^cult^ les annees plus
penibles de la guerre. Ce ne fut qu'en 1803 que par suite de Tenorme
disproportion des r^venus des pays obtenus en indemnite avec les dettes
et les pensions dont ils se trouvoient greves, on eprouva de la g^ne et
lorsque los stipulations de la conf^d^ration du Rhin eurent porte le contingent
Badois k 8000 hommes, on sentit Turgente n^cessit^ de travailler les flnances
enti^rement ä neuf ; on s^en occupa des lann^e 1808 ; mais Thistoire des
annees qui se sont ^oulees depuis sufflra pour d^montrer k tout homme
impartial Textr^me difficult6 de cette entreprise. On crut alors , qu'une
somme de 800,000 florins seroit süffisante pour T^tat militaire; mais la
guerre noninterrompue depuis cette ^poque, le versement continuel d^un
193
abondaut num^raire dana le nord et le midi en m^rae-iemps, rentretien des
troupes qai traversoient le pays et qui meme y sejournoient, rinterdiction
dont le commerce se vit frappe, toutes ces raison reunies rendirent nuls
tous les efforts et appauvrissoient le pnys de plus en plus.
Le travail d'une reorganisation complette des ßnances se poursuivit
neanmoins sans relache. L^assiette des contributions directes n^cessitoit en
partie des travaux de catastre ; tout cela est aussi bien que fiui, et cette
partie iraportante sera entierement regularisee dans le courant de Tann^e
les contributions indirectes etoient, pour ainsi dire, inouies dans le Grand-,
Duch^ ; quelques onereuses qu^elles soient aux sujets , on na pu se dis-
penr^er d'y avoir recours et depuis Tannee pass6e elles sont en plein recouv-
rement, en faisant h la verite eprouver aux contribuables une surcharge
de pres de deux millions de florins. D'apres ces donn^es le r^venu public
se composolt dans Tannee financiere du 1. Mai 1812 au meme jour 1813
des positions suivantes :
I. Domaines, droits regalicns et de Jurisdiction . 3,040,000 florins
Les dismes senles y entrent pour la proportion de
^/\ Q et le revenu des cbamps, pres et vignes afiermes ou
administres, pour celle de *^/^.; par consequent il est
evident, que cet article est tr6s dependant des chances
des recoltes et des vendanges. Une vendange moins
que mediocre peut faire baisser la recotte d'un demi-
million.
II. Contributions directes 1,080,000 „
m. Contributions indirectes 1.950,000 „
IV. Revenus assignes h la caisse de ramortisatiou
pour le payement des inter^ts de la deüe publique,
ontre 580,000 fl. de contribution extraordinaire, dont
eile jouissoit egalement et qui doivent lui etre remplaces
par nne partie egale du revenu indirect 713,000 „
V. Les autros brancbes rapporloient .... 335,000 „
total 7, 11 8,000 florins
Les depenses furent les suivantes :
I. Charge de Tadministration locale, savoir
appointements des employes, administration des do-
maines et forets, entretien des batimens publics, secours
k donner aux pauvres et fraix de pereeptions . . . 1,648,000 florins
II. Charges de radrainistraiion centrale pour les
departements des Ministeres des afi'aires etrangeres, de
la justice, de Tinterieur, des finances et des cultes . 966,000 „
III. Pensions civiles et ecclesiastiques, en suite
du rcces de la deputation de TEmpirc et de la con-
federation du Rhin 774,000 „
IV. Intcrets de la dette publique et autres charges
de la caisse d'amortisscment 1,293,000 „
V. Appanages de la maison Grand-Ducale, y com-
priB les ^pingles de S. A. Imp. Madame la Grande
Duchcsse 556,000 „
VI. Entretien de toutes les branchcs de la cour et
ce qui constitue la liste civile 616,000 „
13
194
TIT. Fonds de reserve 200,000 florins
VIIT. Etat militaire parmi lesqnels 506,000 fl.
d'extraordinaire 2,036,000 „
total 8,089,000 florins
La recette se monioit h 7,118,000 florins
Deficit 971,000 florins,
pour lequel il a fallu avoir rocours k une contribution de gnerre extra-
ordinaire de 600,000 fl. et h des anticipations. Par suite du desastre que
le Contingent Badois a essuyö en Russie les frais de guerre extraordinaires
ont monte h la somme de 2 millions et pres de 100 mille florins, dont on
ne pourra acquitter que la moitie en imposant dans cette seule annee encore
un impot double, et il est meme trfes douteux que les sujets puissent
le payer.
3. Schreiben des Frhrn. von Berckheim an Grossherzog Carl vom
5. September 1816.
Durchlauchtigster etc.
Eine mit dem Staats- und Geheimen Cabinetsrath Frhrn. von Sensburg
gehabte Unterredung, in welcher er mir einen für Ew. Königliche Hoheit
nach Griesbach übersendeten Compte rendu der Finanz Verwaltung mit-
theilte, hat mir die traurige Ueberzeugung gewähret, die ich leider schon
längst ahndete, dass nun, nur um ein Jahr früher durch den vereitelten
Ertrag des laufenden Jahres befördert, der Augenblick erschienen sei, wo
eine völlige Stockung aller Zahlungsmittel den Staat in die Verlegenheit
einer gänzlichen Insolvabilität versetzen und ihn also seinem Umstürze
nahe bringen würde.
Ew. Königliche Hoheit werden sich durch meine früheren Aeusserun-
gen zu überzeugen gnädigst geruht haben, dass ich nie unbedingt den
Ansichten des Finanzministerii beigetreten bin ; allein in diesem Augen-
blicke, wo der Untei*than bereits schon dermassen angelegt ist, dass, ohne
ihn gänzlich zu vernichten, nichts mehr weiter von ihm gefordert werden
kann, mnss ich, mit der Ansicht des Finanzministerii einverstanden, den
mir gegen Ew. Königliche Hoheit obliegenden heiligen Pflichten zufolge,
in Unterthänigkeit bemerken, dass wirklich die vorhandene Gefahr für die
Existenz Ew. Königlichen Hoheit sowohl, als für die des Landes den höch-
sten Gipfel erreicht hat und dass nun kein anderes Mittel, um ihr zu ent-
gehen, überbleibet, als durch alle Categorien der für die Erhaltung eines
Staats nöthig bestehenden Staatsbehörden eine kostenvermindernde Reduction
eintreten zu lassen, sowie dieses in dem Compte rendu des Finanzministers,
den Ew. Königlichen Hoheit in Händen haben, auseinander gesetzet ist.
Oh nabgerechnet dass wir seit 8 bis 10 Jahren ein jährliches Deficit
von über 700,000 fl. mit fortführen, dass die Staatsausgaben, statt sich
zu vermindern, sich immer mehr vermehrt haben, das jährliche Deficit also
dadurch nur noch erhöht wurde, so ist nun, ausser den Kriegsjahren von
1813, 14 und 15, welche den Unterthanen die letzte Kraft au sgepresst haben,
noch dieses unglückliche Missjahr hinzugekommen, welches den Unterthan,
statt zahlen zu können, nun in den Fall setzt, bei dem Gouvernement, um
leben zu können, Unterstützung nachzusuchen. Ein Unfall, wodurch der
Staat für das laufende Jahr eine Einbusse von über 2 Millionen erleidet.
195
Yermöge dieser Schilderung werden Ew. Königliche Hoheit von
Selbst ermessen, dass alle Zahlungsmittel ins Stocken gerathen müssen,
was ^ch bereits bis auf den nächsten Monat October seinen Anfang neh-
uxen wird, wo sodann weder das Militär, noch das Civil, noch der Hofstaat
aaf Bezahlung mehr rechnen können, wenn Ew. Königliche Hoheit nicht
ohne Verzug auf geeignete Mittel zur schleunigsten Abwendung dieser
Gefahr Bedacht zu nehmen geruhen.
Wollten Ew. Königliche Hoheit zu diesem traurigen, aber leider nur
tu wahren Gemälde noch einen Blick auf die jetzigen Zeitumstände und
den herrschenden Zeitgeist werfen, so werden Höchstdieselben leicht be-
rechnen können, zu welchen traurigen Resultaten dieses führen muss,
wovon folgende, kurz gedrängte Zeichnung unserer dormaligen Lage das
angeführte näher beleuchten wird:
1. Eine in ihren innersten Gelenkon locker gewordene Administra-
tion, welche, da Diensttreue, Dienstgehorsam und Dienstver-
schwiegenheit ihr ganz fremd geworden sind, in die Länge nicht
mehr so fortbestehen kann;
2. einen aus seinen Schranken gewichenen Adel, den man, aller
erprobten Erfahrung zuwider, statt ihn an den Thron zu fesseln,
durch Entziehung der ihm so heilig zugesicherten Torrechte
ganz von demselben entfernte, ihn folglich mit Gewalt zur Oppo-
sitionspartei hinüberschleuderte und so ihn an die Spitze des
Volkes versetzte, dem er, wenn man ihn in dem ruhigen Besitz
der ihm Anno 1807 zugesicherten Vorrechte erhalten hätte, be-
deutenden Widerstand, sich ereignenden Falles, würde ge-
leistet haben;
3. eine Volksclasse, deren Wohlstand durch die Kriegslasten jeg-
licher Art, sowie durch den Bedarf nothwendiger Weise vermehr-
ter Abgaben ganz herabgesunken ist, und die nun durch den
Zeitgeist geweckt, alle Schritte des Regenten sowohl, als der
Regierung ihrer Ciitik unterzieht und durch Ruhestörer gereizt,
auf dem Punkte stehet, bei irgend einer, auch nur zufalligen
Veranlassung, wie dieses in wenigen Monaten, wo der drückend-
ste Mangel nur zu sehr sich offenbaren wird, der Fall sein
kann, sich zu tumultuarischen Auftritten jeglicher Art verleiten
zu lassen;
4. eine Militärmacht, welche nicht, wie in ehemaligen Zeiten, wo
noch das Enrolierungsystem existierte, aus einer bedeutenden Zahl
von Fremden besteht, die ohne weiteres bei Unruhen ihre Ge-
wehre auch gegen die Inwohner des Staates, dem sie dienten,
abbrannten, sondern nun, vermöge der ohnedem drückenden
Conscriptionsgesetze, nur allein aus Landeskindem sich bildet,
auf keinen Fall also sich dazu verstehen wird, gegen ihre Mit-
bürger, Landsleute und Verwandte sich zur Wehr zu setzen, auf
die man folglich auf den Fall einer Revolte keineswegs ganz sich
verlassen kann;
5. eine unerledigte ständische Verfassung, die zum Vorwand dient,
den Keim des Missvergnügens auszubreiten und den Gemelugeist
gegen Regenten und Regierung aufzuwiegeln;
6. unerledigte Territorial Verhältnisse, wo die mit im Spiel stehenden
Mächte, jede Gelegenheit, um gegen Ew. Königliche Hoheit
unter der Hand zu arbeiten, mit Sehnsucht abwartend, mit
Vergnügen dem Augenblick entgegen sehen und sogar im Stillen
13*
196
vielleicht betreiben, in dem Höchst dieselben genöthigt werden
könnten, fremde Unterstützung zu suchen, um unter diesem Ver-
wände das Land einer fremden Einwirkung zu unterwerfen.
Diese nur leicht hingeworfene Skizze der dermaligen Lage der Dinge,
wenn Ew. Königliche Hoheit sie zu beherzigen geruhen wollen, wird
Höcbstdensclben beweisen, wie gefahrlich dieser Moment unter oben er-
wähnten finanziellen Verhältnissen ist und wie sehr dadurch die Existenz
Ew. Königlichen Hoheit und des Staats bedroht wird, wenn nicht ohne Zeit-
verlust eine zweckgemässe Reductiou in dem Hof-, Militär- und Civiletat
schleunigst eintritt, um sodann erst, auf diese gegründet, ein bedeutendes
Anlehen machen zu können, um die Staatscasse, die jetzt schon zu ver-
siegen drohet, nnd nur von gelehntem Gelde. obgleich kümmerlich, lebet,
wieder zu alimentieren, damit nicht ein Staatsbanqucrott ausbreche.
Die dringende Noth des Augenblicks, die Gefahr, die Ew. Königlichen
Hoheit durch dieselbe erwächst und deren Abwendung, wenn nicht schleu-
nige Massregeln ergriffen werden, nicht zu verhüten ist, so wie meine un-
wandelbare Treue und Anhänglichkeit an die höchste Person Ew. Königl.
Hoheit sind die Motive, welche mich veranlassen konnten, Ew. Königliclu'n
Hoheit diese freimüthigo und wahre Schilderung des jetzigen Augenblicks
vorzulegen.
Mögen Ew. Königliche Hoheit in derselben einen Beweis jener reinen
Verehrung finden, die ich Höcbstdensclben bis in das Grab gewidmet habe,
sowie der tiefen Erfurcht, mit welcher ich ersterbe etc. etc.
Karlsruhe, 5. September 1816.
Frhr. von Berckhcim.
4. Auszug aus einem Schreiben des Staatsraths Klübcr an Grossberzog
Carl vom 26. Mai 1817.
Aus den eigenen Angaben Sensburg's sei für 18* Vi 7 ein Deficit von
1,152,189 fl. nachweisbar; wenn nun gleich ein Thcil hiervon durch den
Verkauf der künftigen französischen Conti ibutionsgel der und durch Auf-
nahme eines Capitals als Administrationsschuld gedeckt worden sei, so sei
doch ein bedeutender Theil noch unbedeckt. Dieser falle, nebst der ge-
dachten Administrationsschuld auf die Ausgaben des jetzigen Rechnungs-
jahres. Beides, mit dem eigenen Deficit dieses Jahres zusammengenommen,
verkündige für gegenwärtiges Jahr einen Ausfall, welcher denjenigen des
vorigen Jahres weit übersteige; zumal wenn man sich die Möglichkeit hin-
zudenke, dass der Betrag des Staatseinkommens diessmal die Erwartung
nicht erreiche.
Klüber warnt vor dem von dem Finanzminister vorgeschlagenen
«grossen Anlehen.»
Er empfiehlt als Finanzminister den Staatsrath von Dawans und
spricht Sensburg, Roth, Nebenius und Böckh einen «gleich hohen Grad von
Unparteilichkeit» ab.
Er fahrt fort : An die Stelle des bisherigen Wirthschaftens aus dem
Stegreif mnss
1. ungesäumt eine planmässige Staatswirthschaft treten und solche
mit eiserner Consequenz gehandhabt werden ; es müssen
197
2. in der Ilof-, Civil- und Militärverwaltung die grösstmöglichen
Ersparungen eintreten. Da aber diese, wie weit sie auch ge-
trieben werden, nicht die Hälfte des Deficits zu decken vermöchten,
so müssen
3. bedeutende Reductionen in den drei Etats erfolgen, die haupt-
sächlichste im Militäi-etat , dann zunächst im auswärtigen De-
partement.
Es ist abei diese Reduction um so dringender, da
4. eine Minderung der Staatsabgaben, besonders durch Aenderung
des indirecten Abgabensystems, unvermeidlich ist, wenn anders
ein grosser Theil der Unterthanen beitragfahig erhalten werden
und die Regierung so mit der Hoffnung erfreuen soll, sich wieder
Liebe und Zutrauen der Unterthanen zu erwerben.
Endlich ist noch einer der dringendsten und wichtigsten
Gegenstände
5. die Einführung einer ächten landständischen Verfassung. «Ew.
Königliche Hoheit haben eine solche im Angesicht von ganz
Europa verhcissen; der Zeitgeist, diese grosse, unaufhaltsam
fortschreitende Macht fordert sie unbedingt, und da sie unhiuter-
treiblich ist, so gebietet die Klugheit, äusserem Zwang zuvor-
zukommen. Dem Volk erleichtert sie die Pflichten des Gehorsams,
dem Regenten die schwere, mühselige Last des gewissenhaften
Regicrens, das, weit entfernt ein Zeitvertreib zu sein, mit grosser
Verantwortlichkeit verbunden ist.»
Schon früher im August 1816 hatte Klüber den ihm durch den Ad-
miral von Kinkel gemachten Antrag, selbst die Direction des Finanzdepar-
tements zu übernehmen, abgelehnt. Am 27. August schreibt er an Kinkel
unter anderem:
«Das ganze dermalige Abgabensystem ist im ganzen Lande ein Gegen-
stand der lautesten und bittersten Klage ; es wird also einer genauen Revi-
sion, sehr wahrscheinlich einer Reformation bedürfen, beides allein schon
eine herkulische, zögernde und doch unvermeidliche Arbeit! Die Steuern
können nicht erhöhet, sie müssen vermindert, das nun schon eine Reihe von
Jahren foi-twährende Deficit muss verbannt, die Zinsen der Staatsschuld
müssen pünktlich entrichtet, die Abschlagszahlungen auf die Capiiale ver-
tragsmässig geleistet werden. Der ganze Staatshaushalt bedarf einer neuen
Ordnung und jede Finanzwillkülir müsste forthin verbannt werden. Finanz-
etats, jährliche wohlbegründete Special- und Generalfinanzplane oder Vor-
anschläge sind in diesem Lande noch nie üblich gewesen. Schon ihie Ein-
führung und Errichtung würde auf allen Seiten Hindernissen begegnen;
noch mehr die eiserne Consequenz, mit welcher über deren Befolgung
müsste gehalten werden.»
Der neue Finanzdirector müsste das Heil der Staatshaushaltung in
Ersparnissen suchen.
Klüber empfiehlt für alle Fälle sofortige Einführung einer ständischen
Verfassung mit Etatscuratel, die Errichtung einer den Kräften des Landes
angemessenen Civilliste für das Regentenhaus, eine sehr beträchtliche Minus-
ausgabe in den meisten Zweigen der Staatshaushaltung, namentlich in dem
auswärtigen und Kriegsdepartement.
Beilage iii.
Carl Ludwig von Haller
ober die badische Verfassung.
Ew. Hochwohlgeboren !
Seit dem Empfang Ihres freundlichen Schreibens vom 12. dieses Mo-
nats habe ich mir an dem Entwurf eines antirevolutionären Vereins, oder
eines Bundes der Guten, beinahe die Augen blind und die Hand lahm ge-
schrieben. Der 1. Theil, enthaltend die Veranlassung, die Nothwendigkeit
und den Zweck des Bundes, ist bereits fertig; ich lasse ihn vermuthlich
drucken, und werde Ihnen dann einige Exemplare zusenden. Nachher
kommen die Massregeln zur Erreichung des Zwecks und die eigentliche
Organisation des Vereins.
Die Badische Verfassung habe ich zweimal mit Aufmerksamkeit gelesen,
und, obschon sie den Hauptfehler hat, eine Constitution zu sein, mithin
der Idee nach, die Natur des Fürstenthums zu verändern und in eine
quftfti Republik umzuwandeln, so erkenne ich noch das deutsche Bechts-
gefühl in dem vielen Guten, welches in diese Verfassung eingeflossen ist
und gegen das Bevolutionssystem benutzt werden kann. Z. B. §. 5, §. 9,
Nachsatz, §§. 20, 21, 28, 29, 56, 59, 63, 65, 66 und 77. Hier folgen
jedoch einige Bemerkungen zum Behuf allfölliger Diskussionen.
§. 3 ist geschwind gesagt. Wenn aber die Nothwendigkeit eintritt,
so wird ihr die Constitution wohl weichen müssen. Zudem ist dieser Artikel
zum Theil mit §. 58 und 59 im Widerspruch; wenigstens bilden letztere
die Ausnahme.
§. 4. «Regierung des Landes,»hätte heissen sollen: «die Grossherzog-
liche, auf eigenthüralichen Besitzungen beruhende Würde;» denn es hat
etwas anstössiges zu sagen, dass die Regierung des Landes erblich sei;
auch ist der Grossherzog nicht eine blosse Regierung.
§. 7 und 67. Verantwortlichkeit der Minister, gegen wen? Da noch
nichts bestimmt worden ist, so muss man, nach dem natürlichen Recht,
den Artikel dahin auslegen, dass sie nur gegen den Grossherzog verant-
wortlich seien, und er allein über die Verletzungen Richter sei.
§. 9. Nachsatz, sehr gut, und behält dem Grossherzog ein natür-
liches Recht.
§. 11. Abkaufsfuss, so hoch als möglich zu setzen, weil die Fakultät
des Abkaufs an und für sich unrechtmässig ist. Dabei ist den Berechtigten
199
zu bemerken, dass sie die Abkanfssumme auf Ankauf neuer Güter verwen-
den, sich auch zeitliche Jagdaccorde, Naturerbzinse oder persönliche Ar-
beiten ansbedingen, mithin durch das unvernünftige Gesetz noch ge-
winnen können.
§.16 schlecht und der französischen Charte nachgeäfft, kann aber
durch Bussen, Entschädigungen, Schadenersatz u. s. w. repariert werden.
üebrigens distinguieren die Juristen zwischen Fiscus, welcher nur der
Privatschatz der römischen Imperatoren war, und aerarium publicum.
Vorher war im Badischen alles Fiscus, jetzt aber verdient nur die Civilliste
diesen Namen, und sobald man also die Geldstrafen nicht zur Bereicherung
der Person des Fürsten, sondern zu andern Zwecken verwendet, so giebt
es keine Confiskation mehr.
§.18 schlecht redigiert, denn nach diesem Artikel könnte es so viele
Religionen und so viele Gultus als Landeseinwohner geben. Ist dahin zu
interpretieren, dass er sich nach der Analogie der Artikel 9 uud 19 bloss
auf die drei christlichen Confessionen beziehe.
§. 20 und 21 sehr gut, wiewohl dem Zeitgeist zuwider.
§. 28 und 29 beweisen, dass die Fideicommisse nach dem Recht der
Erstgeburt und der Linealfolge noch erlaubt, ja sogar vorgeschiieben sind ;
dabei ist streng zu verbleiben.
§.35 ist offenbar nur gegen den Adel gerichtet, und mit §. 37 im
Widerspruch. Entweder soll diese Ausschliessung aufgehoben oder aus
gleichem Grund auch auf die Professoren, welche Deputirte in die erste
Kammer wählen, ausgedehnt werden. Darauf wäre anzutragen, um zu
zeigen, wie die Professoren begünstigt werden,
§.37 letzter Passus, schlecht und schliesst die fähigen oder würdigen
Männer gerade da aus, wo sie am besten bekannt sind.
§. 48 fehlerhaft, der Idee von Landständen widersprechend, aber ganz
dem Geist des revolutionären Repräsentativsystems angemessen.
§. 53 zu bestimmen, was eine Auflage sei; ein, bei der jetzigen Ver-
wirrung höchst nöthigcs Gesetz.
§. 56 nicht streng naturrechtlich, aber den Bundestagsgesetzen gemäss
und gegen die Revolutionärs zu benutzen.
§. 57 Linie 1 hätte gesagt werden sollen: «kein für die Stände oder
für das Land verbindliches Anlchen.» In seiner Allgemeinheit ist der Ar-
tikel eine offenbare Bevormundung des Grossherzogs, wiewohl durch §. 63
temperiert.
§. 58 nicht streng rechtlich, aber durch die vielen Ausnahmen corri-
giert, und in jetziger Zeit nützlich, indem sie die Domänenveräusserung
erschwert, auf welche sonst von allen Revolutionärs gedrungen wird, weil
sie die Wurzel des Fürstenthums untergräbt, und den Fürsten vollends zum
besoldeten Diener macht.
§. 59 gut, aber allerdings wäre es noch besser, die Abtretung des
Domänenbetrags zu widerrufen, dagegen aber die Civilliste abzuschaffen
und einige unentbehrliche Staatslasten zu übernehmen.
§.61 fehlerhaft und ganz dem revolutionären, nur auf die Eöpfe-
zahl begründeten Repräsentativsystem angemessen.
§. 64. Schade, dass das Wort «erläutert» hier eingeschlossen. Der
Artikel ist übrigens mit dem Eingang und §. 69 in keinem Widerspruch.
Denn man ist nur verpflichtet, die Constitution zu halten, so lang sie recht-
mässig besteht. Wenn aber derjenige, der die Verbindlichkeit aufgelegt
hat, sie selbst wieder erlässt, oder abändert ; so hört auch die Verbind-
lichkeit auf. Man verspricht auch für sich und seine Erben eine Schuld
200
zu bezahlen oder zu verzinsen, wird sie aber geschenkt, so ist man nichts
mehr schuldig.
§. 65 und 66. Beide gut und bieten eine sehr nützliche Waffe gegen
den heillosen Misshrauch, der mit dem Worte Gesetz getrieben wird. Also
sollen nur solche allgemeine Gesetze vor die Stände kommen, welche die
Freiheit der Personen oder das Eigenthum der Staatsangehörigen betreffen,
und dergleichen giebt es wenige oder gar keine.
§. 67. Anklage der Minister, bei wem? s. oben §. 7.
§. 69. Eidesformel, ist zweideutig abgefasst und scheint anzudeuten,
dass die Rechte besonderer Stände und Classen dem sogenannten allge-
meinen Wohl (d. h. der Wiilkühr der Kammern) weichen sollen. Man
kann aber darauf mit Grund antworten, dass die Gerechtigkeit nicht nur das
höchste Gesetz, sondern auch das einzige allgemeine Beste sei ; alles» andere
ist nur das besondere, meist noch übel verstandenen Becht einzelner Classen,
Sekten oder Parteien. Das ist wenigstens meine innere üeberzeugung.
§.77. Gut, und man sollte auch von seinem Platze sprechen und
nicht von einer Tribüne, um so mehr, da die Zahl der Deputirten gar
nicht gross ist.
§. 78. Die gutgestimmten Mitglieder sollten sich verabreden, sehr
oft eine geheime Berathung zu verlangen, um dem Windmachen der De-
magogen vorzubeugen.
Schliesslich bemerke ich noch, dass der Artikel 64 das Interpretations-
recht des Grossherzogs nicht hindert, sondern denselben nur in denjenigen
Fällen an die Zustimmung der Kammern bindet, wo es um eine Erläuterung
zu thun wäre, die als ein, die Freiheit oder das Eigenthum der Staatsan-
gehörigen betreffendes Gesetz angesehen werden kann. Sonst bleibt der
Grossherzog und seine Nachfolger, als Urheber des Gesetzes, auch der ein-
zige competente Ausleger desselben. Die Verfassung ist ein Ausdruck
seines Willens, und in zweifelhaften Fällen erklärt er allein ihren Sinn.
Von diesem Grundsatz ist durchaus nicht abzugehen.
Ich wünsche, dass diese Ansichten Ew. Hochwohlgeboren und Ihren
Freunden zu irgend etwas nützlich sein mögen und verharre indessen mit
ausgezeichneter Hochachtung
Dero
Solothurn, den 28. Februar 1833. ^ , . ^x.
Gehorsamster Diener
Carl Ludwig von Haller.
Namen - Register.
Alexander, Kaiser von Russland 2,
3, 94, 98.
Bassermann. Abgeordneter 142.
Bekk, Staatsrath 142, 144.
Berckheim, Frhr. von, Staatsminister
5, 6, 22, 24, 37, 38, 40, 92,
194, 196.
Bcrlichingen, Frbr. Max von, 40.
Berstett, Frhr. von, Staatsminister 92,
94.98, 111,117, 119, 121, 124,
126.
Bissing 142.
Blittersdorff, Frhr. von. Bundestags-
gesandter 118, 119.
Bockh von, Staatsrath 133, 191, 196.
Brauer, Geheimer Rath 172, 174 —
176, 184.
Buss, Abgeordneter 142.
Carl Friedrich, Grossherzog von Ba-
den 26, 28, 43, 139, 152.
Carl, Grossherzog von Baden 2, 3,
5, 6, 13, 25,33, 34,37—41,43,
52—54, 91, 93—99, 110, 111,
115, 139, 194.
Dalberg, Frhr. von, Staatsminister
152, 153, 158,163, 164, 171, 184.
Dawans von, Staatsrath 6, 11, 12,
92, 196.
Duttlinger, Abgeordneter 133.
Eichrodt, Staatsrath 55.
Ecker, Abgeordneter 134.
Elisabeth, Kaiserin von Russland 5.
Falckenstein, Frhr. von, Abgeordne-
ter 137.
Fecht, Abgeordneter 136.
Fischer, Frhr. von, Finanzminister
117.
Föhrenbach, Abgeordneter 125, 133.
Friedrich, Markgraf von Baden 85,
152, 188.
Fröhlich, Staatsrath 137, 139.
Fürstenberg, Fürst von 37 85, 124,
134, 137, 139, 144.
Geromingen, Frhr. von Cabinets-
minister 165, 166, 171, 172,
175, 176, 184, 188.
Gemmingen, Frhr. Sigmund von 40.
Gei-wig, Revisor 52.
Göler, Frhr. von, Abgeordneter 144.
Grimm, Abgeordneter 133, 136.
Guignard, Staatsrath 37, 38, 55, 92.
Hacke, Frhr. von, Staatsminister 5,
39, 40, 91, 92, 184.
Haller, Carl Ludwig von, 111, 198,
200.
HardenbcrjDf, Fürst von. Königlich
Preussischer Staatskanzler 5.
Hecker, Abgeordneter 141, 142.
Hennin, Graf, Hofgerichtsrath 6.
Herzog, Staatsrath 6, 12.
Hirscher von, Domdekan 143.
Hochberg, Grafen von 85, 93.
Hofer. Geheimer Rath 164, 184.
Holzing, von 52 — 54, 98.
Hüffel, Prälat 143, 144.
Itzstein von, Abgeordneter 135, 136.
Junghanns, Abgeordneter 142.
Kageneck, Graf 143.
Kalm, Frhr. von, Staatsrath 36, 38.
Kern, Abgeordneter 125.
Kinkel von, Admiral 197.
Klüber, Staatsrath 153, 159, 163,
196, 197.
Klüber, Geheimer Rath (Sohn) 144.
Knapp, Abgeordneter 136.
Kreglinger. Abgeordneter 136,
Leiningen, Fürst von 85.
Leiningen-Billigheim, Grafen von 85.
Leiningen-Neudenau, Grafen von 85.
Leopold, Grossherzog von Baden 97,
138, 139.